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German Pages 1136 Year 2022
Großkommentare der Praxis
Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar
Großkommentar 13., neu bearbeitete Auflage herausgegeben von Gabriele Cirener, Henning Radtke, Ruth Rissing-van Saan, Thomas Rönnau, Wilhelm Schluckebier
Zehnter Band §§ 174 bis 210
Bearbeiter: Vor §§ 174–180, 182, 184i: Tatjana Hörnle §§ 180a–181b, 183–184h: Nina Nestler §§ 184j–l: Gloria Berghäuser Vor §§ 185–201, 202–210: Eric Hilgendorf § 201a: Brian Valerius Sachregister: Christian Klie
ISBN 978-3-11-048886-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-049012-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-048913-2 Library of Congress Control Number: 2022944918 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Verzeichnis der Bearbeiter der 13. Auflage Dr. Philipp Ambach, Chief, Victim Participation and Reparations, Section Registry, International Criminal Court Gerhard Altvater, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof (Abteilungsleiter) a.D., Karlsruhe Elisabeth Baier, LL.M., Rechtsanwältin, Berlin Dr. Christoph Barthe, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Richter am Sondergerichtshof für den Kosovo (Kosovo Specialist Chambers) Dr. Alexander Baur, Senior Researcher, Justizdirektion Kanton Zürich Dr. Gloria Berghäuser, Akademische Rätin a.Z., Habilitandin an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg Dr. René Börner, Professor an der BSP Business & Law School, Berlin, apl. Professor an der Universität Potsdam, Rechtsanwalt, Potsdam Dr. Christian Brand, Universität Konstanz Dr. Dominik Brodowski, LL.M. (UPenn), Juniorprofessor an der Universität des Saarlandes Dr. Christoph Burchard, LL.M. (NYU), Universitätsprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Dr. Jens Bülte, Universitätsprofessor an der Universität Mannheim Dr. Tobias Ceffinato, PD, Richter am Amtsgericht Bayreuth Gabriele Cirener, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, Leipzig Dr. Christoph Coen, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Dr. h.c. Gerhard Dannecker, Seniorprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Dr. Tobias Engelstätter, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Robert Esser, Universitätsprofessor an der Universität Passau Dr. Julia Gebhard, Legislative Support Officer, OSZE Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (OSZE/ODIHR) Dr. Oliver Harry Gerson, Universität Passau Dr. Ferdinand Gillmeister, Rechtsanwalt, Freiburg, Honorarprofessor an der Universität Bayreuth Dr. Ingke Goeckenjan, Universitätsprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum Dr. Luís Greco, LL.M., Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Anette Greger, Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Andreas Grube, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Anette Grünewald, Universitätsprofessorin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Dr. Georg-Friedrich Güntge, Leitender Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig, Honorarprofessor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Dr. Michael Heghmanns, Universitätsprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Vorsitzender Richter am Landgericht Münster Gregor Herb, Vorsitzender Richter am Landgericht Berlin Dr. Mayeul Hiéramente, Rechtsanwalt, Hamburg Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Universitätsprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Dr. Tatjana Hörnle, Direktorin am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg, Honorarprofessorin an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Kristian Hohn, Privatdozent an der Bucerius Law School Hamburg Dr. Jutta Hubrach, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Florian Jeßberger, Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Johannes Koranyi, Richter am Landgericht Bonn Dr. Peter König, Richter am Bundesgerichtshof a.D., Leipzig, Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Ralf Krack, Universitätsprofessor an der Universität Osnabrück Juliane Krause, Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht, Bamberg V https://doi.org/10.1515/9783110490121-201
Verzeichnis der Bearbeiter der 13. Auflage
Dr. Matthias Krauß, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Christoph Krehl, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Honorarprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Dr. Helena Krüger, War Crimes Tribunal (EEAS), Den Haag Dr. Matthias Krüger, Universitätsprofessor an der Universität München Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel, Universitätsprofessor an der Universität Augsburg Dr. Hans Kudlich, Universitätsprofessor an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg Dr. Michael Lindemann, Universitätsprofessor an der Universität Bielefeld Dr. Alexander Linke, Richter am Landgericht Köln Kai Lohse, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Manfred Möhrenschlager, Ministerialrat a.D., Bonn Dr. Andreas Mosbacher, Richter am Bundesgerichtshof, Leipzig, Honorarprofessor an der Universität Leipzig Dr. Svenja Münzner, Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Lehrbeauftragte an der Justus-Liebig-Universität Gießen Dr. Uwe Murmann, Universitätsprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen Dr. Nina Nestler, Universitätsprofessorin an der Universität Bayreuth Dr. Jens Peglau, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht, Hamm Dr. Andreas Popp, M.A., Universitätsprofessor an der Universität Konstanz Dr. Henning Radtke, Richter des Bundesverfassungsgerichts, Karlsruhe, Honorarprofessor an der Leibniz Universität Hannover Dr. Ruth Rissing-van Saan, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof a.D., Bochum, Honorarprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum Dr. Thomas Rönnau, Universitätsprofessor an der Bucerius Law School Hamburg Dr. Henning Rosenau, Universitätsprofessor an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg Dr. h.c. Wilhelm Schluckebier, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., Karlsruhe Dr. Wilhelm Schmidt, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Dr. Ursula Schneider, Richterin am Bundesgerichtshof a.D., Leipzig Daniel Scholze, Vorsitzender Richter am Landgericht Ravensburg Dr. Dres. h.c. Friedrich-Christian Schroeder, em. Universitätsprofessor an der Universität Regensburg Dr. Dr. h.c. mult. Bernd Schünemann, em. Universitätsprofessor an der Ludwig-MaximiliansUniversität München Dr. Jan C. Schuhr, Universitätsprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Dr. Christoph Sowada, Universitätsprofessor an der Universität Greifswald Dr. Mark Steinsiek, Ministerialrat, Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung Dr. Brian Valerius, Universitätsprofessor an der Universität Passau Dr. Torsten Verrel, Universitätsprofessor an der Universität Bonn Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum, Universitätsprofessor an der Fern-Universität in Hagen Dr. Tonio Walter, Universitätsprofessor an der Universität Regensburg, Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Thomas Weigend, em. Universitätsprofessor an der Universität zu Köln Jochen Weingarten, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Lienhard Weiß, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Gerhard Werle, Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Stefan Wiedner, Richter am Oberlandesgericht Koblenz Dr. Kilian Wegner, Universitätsprofessor an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Dr. Gereon Wolters, Universitätsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum, Mitglied des Verfassungsgerichtshofes für das Land Nordrhein-Westfalen VI
Verzeichnis der Bearbeiter der 13. Auflage
Dr. Frank Zieschang, Universitätsprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Dr. Georg Zimmermann, Vorsitzender Richter am Landgericht Bielefeld Kathrin Zitzelsberger, Universität Passau
VII
Vorwort Der vorliegende Band enthält mit dem 13. Abschnitt (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, §§ 174–184l StGB), dem 14. Abschnitt (Beleidigung, §§ 185–200 StGB) sowie dem 15. Abschnitt (Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs, §§ 201–206 StGB) Vorschriften, die in der Vorauflage noch zusammen mit dem 8. bis 12. Abschnitt in Band 6 kommentiert waren. Die Veränderungen seit dessen Erscheinen 2009 könnten kaum größer sein. Das gilt sowohl für die Zusammensetzung des Kreises der Autorinnen und Autoren als auch für die kommentierten Vorschriften, was insbesondere die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung betrifft. Inhalt, Umfang und Häufigkeit der seit der Vorauflage erfolgten Reformen in diesem Abschnitt sind – abgesehen von den grundlegenden Reformen des Strafgesetzbuchs durch das 1. und 2. StrRG in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – beinahe beispiellos. Zunächst aber zu den ebenfalls umfänglichen Veränderungen im Kommentatorenkreis gegenüber der 12. Auflage: Bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind Heinrich Wilhelm Laufhütte und Ellen Schlüchter, vormals Vorsitzender Richter bzw. Richterin am Bundesgerichtshof, aus dem Kreis der Bearbeiterinnen und Bearbeiter ausgeschieden. Die Kommentierung der von ihnen zuvor erläuterten Partien, soweit einzelne Vorschriften nicht mittlerweile außer Kraft getreten sind, hat die Hochschullehrerin Nina Nestler übernommen. Für die im Zuge mehrerer Reformen neu eingefügten §§ 184i–184l StGB konnten Tatjana Hörnle, die auch in der Vorauflage bereits Kernvorschriften des 13. Abschnitts kommentiert hatte, sowie als neue Autorin Gloria Berghäuser gewonnen werden. Bei den Straftaten gegen den persönlichen Lebensund Geheimnisbereich ist Bundesanwalt a.D. Gerhard Altvater, langjähriger Leiter der Revisionsabteilung und ständiger Vertreter des Generalbundesanwalts, ausgeschieden. Den von ihm vormals betreuten § 206 StGB hat mit Eric Hilgendorf ebenfalls ein bereits bewährter Kommentator übernommen. Als Bearbeiter der Vorschriften des 15. Abschnitts, glücklicherweise aber nicht als Kommentator der 13. Auflage insgesamt, ist auch Bernd Schünemann ausgeschieden, dessen Partien nun ebenfalls Eric Hilgendorf bearbeitet hat, so dass der gesamte genannte Abschnitt in seinen und den Händen von Brian Valerius liegt. Konstant ist allein der 14. Abschnitt mit den Beleidigungsdelikten, die weiterhin Eric Hilgendorf verantwortet. Den aus dem Bearbeiterkreis Ausgeschiedenen gilt größter Dank für die unermüdliche Tätigkeit für den Kommentar, bei Heinrich Wilhelm Laufhütte umfasst der Dank auch die mühevolle Tätigkeit als Mitherausgeber und als für zahlreiche Bände (u.a. den vormaligen Band 6) verantwortlichen Bandredakteur in der 12. Auflage. Den neu Hinzugekommenen sowie denjenigen, die weitere Teile zur Bearbeitung übernommen haben, ist ebenfalls herzlich zu danken. Das gilt insbesondere auch für die Kommentierung neu in das Gesetz eingefügter Vorschriften, bei denen die Bearbeitung innerhalb recht kurzer Zeiträume auf höchstem Niveau erfolgt ist, um ein frühzeitiges Erscheinen des Bandes zu ermöglichen. Wie bereits angesprochen haben sich seit dem Erscheinen des 6. Bandes der Vorauflage insbesondere die Straftatbestände gegen die sexuelle Selbstbestimmung erheblich verändert. Das betrifft sowohl Reformen bereits bestehender Vorschriften, wie etwa die Neustrukturierung von § 177 StGB, in den im Jahr 2016 der bis dahin geltende § 179 StGB integriert worden ist, als auch das Einfügen neuer Vorschriften wie die §§ 184i–184l StGB. Eine luzide zusammenfassende Darstellung der entsprechenden Reformen findet sich bei Tatjana Hörnle in den Vorbemerkungen zu §§ 174 ff. StGB. Ungeachtet des verständlichen Bemühens des Gesetzgebers, auf neue Entwicklungen und Kriminalitätsformen zu reagieren, wird nicht jede dieser Reformen als Produkt rationaler Kriminalpolitik auf valider rechtstatsächlicher Grundlage gelten dürfen. Umfassende und tiefgehende Erläuterungen zu den möglichen Rechtsgutskonzeptionen, den damit verbundenen Deliktstypen sowie den teils neuartigen Verschränkungen von Täterqualifikation und Tathandlung (etwa: Förderung einer Straftat durch Beteiligung an einer zur Straftatbegehung bedrängenden Personengruppe, § 184j StGB) bei den neu eingefügten oder grundlegend veränderten Straftatbeständen sind dringend geboten. Das leistet dieser Band. Umfang- und IX https://doi.org/10.1515/9783110490121-202
Vorwort
kenntnisreich wie stets werden die neu eingefügten oder neu konzipierten (vor allem § 177 StGB) Vorschriften des 13. Abschnitts in der Neuauflage kommentiert, so dass den Nutzerinnen und Nutzern eine verlässliche Orientierung für die Auslegung und Anwendung des neuen Rechts an die Hand gegeben wird. Überhaupt erfüllt auch die aktuelle Auflage den Anspruch des Leipziger Kommentars vollumfänglich, eine erschöpfende Darstellung der Entwicklung sowie des aktuellen Stands von Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Erkenntnis zu bieten. Bearbeitungstiefe und -breite finden sich an anderer Stelle in dieser Form nicht. Der Band weist den Bearbeitungsstand von Juni 2022 auf, teilweise konnten auch noch aktuelle Entwicklungen bis in den Juli 2022 berücksichtigt werden. Karlsruhe, im August 2022
Henning Radtke
X
Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Bearbeiter der 13. Auflage IX Vorwort XIII Abkürzungsverzeichnis Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
V
XXXVII
Strafgesetzbuch BESONDERER TEIL DREIZEHNTER ABSCHNITT Sraftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung 1 Vorbemerkungen zu den §§ 174 ff. 34 § 174 Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen § 174a Sexueller Mißbrauch von Gefangenen, behördlich Verwahrten oder Kranken und 63 Hilfsbedürftigen in Einrichtungen 80 § 174b Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung § 174c Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Be87 treuungsverhältnisses 101 § 175 Homosexuelle Handlungen 101 § 176 Sexueller Missbrauch von Kindern 129 § 176a Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind 140 § 176b Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern 147 § 176c Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern 169 § 176d Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge § 176e Verbreitung und Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kin173 dern 180 § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung 291 § 178 Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge 297 § 179 (weggefallen) 297 § 180 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger 313 § 180a Ausbeutung von Prostituierten 327 §§ 180b und 181 (weggefallen) 327 § 181a Zuhälterei 337 § 181b Führungsaufsicht 338 § 181c (aufgehoben) 338 § 182 Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen 361 § 183 Exhibitionistische Handlungen 369 § 183a Erregung öffentlichen Ärgernisses 375 § 184 Verbreitung pornographischer Inhalte 419 § 184a Verbreitung gewalt- oder tierpornographischer Inhalte 426 § 184b Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte 447 § 184c Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Inalte § 184d Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien; Abruf kinder- und jugendpornographischer Inhalte mittels Telemedien (aufgeho457 ben) § 184e Veranstaltung und Besuch kinder- und jugendpornographischer Darbietun458 gen 463 § 184f Ausübung der verbotenen Prostitution 468 § 184g Jugendgefährdende Prostitution 471 § 184h Begriffsbestimmungen XI
Inhaltsverzeichnis
§ 184i § 184j § 184k § 184l
Sexuelle Belästigung 479 489 Straftaten aus Gruppen 523 Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen Inverkehrbringen, Erwerb und Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungs551 bild
VIERZEHNTER ABSCHNITT Beleidigung 575 Vorbemerkungen zu den §§ 185 ff. 606 § 185 Beleidigung 634 § 186 Üble Nachrede 644 § 187 Verleumdung § 188 Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede 648 und Verleumdung 652 § 189 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener 656 § 190 Wahrheitsbeweis durch Strafurteil 661 § 191 (weggefallen) 661 § 192 Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises 665 § 192a Verhetzende Beleidigung 681 § 193 Wahrnehmung berechtigter Interessen 708 § 194 Strafantrag 716 § 195 (weggefallen) 716 §§ 196 bis 198 (weggefallen) 716 § 199 Wechselseitig begangene Beleidigungen 720 § 200 Bekanntgabe der Verurteilung FÜNFZEHNTER ABSCHNITT Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs 723 Vorbemerkungen zu den §§ 201 ff. 736 § 201 Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes § 201a Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrech764 ten durch Bildaufnahmen 824 § 202 Verletzung des Briefgeheimnisses 843 § 202a Ausspähen von Daten 861 § 202b Abfangen von Daten 868 § 202c Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten 879 § 202d Datenhehlerei 890 § 203 Verletzung von Privatgeheimnissen 985 § 204 Verwertung fremder Geheimnisse 989 § 205 Strafantrag 992 § 206 Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses 1032 §§ 207 bis 210 (weggefallen) Sachregister
1033
XII
Abkürzungsverzeichnis AA a.A. a.a.O. Abb. AbfG AbfVerbrG Abg. AbgO abgedr. Abk. abl. ABl. ABl.EU ABl.KR Abs. Abschn. abw. AbwAG AcP Ad Legendum AdVermiG AE a.E. AEUV AfP ÄndG ÄndVO a.F. AFG AfP AG AGBG/AGB-Gesetz AHK AIDP AJICJ AJIL AktG AktO allg. allg.M. Alt. a.M. A&R AMG amtl. and. Angekl. Anh. AnhRügG
Auswärtiges Amt anderer Ansicht am angegebenen Ort Abbildung Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (Abfallgesetz) Gesetz über die Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen (Abfallverbringungsgesetz) Abgeordneter Reichsabgabenordnung abgedruckt Abkommen ablehnend Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Union (ab 2003); Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen; Ausgabe L: Rechtsvorschriften Amtsblatt des Kontrollrats Absatz Abschnitt abweichend Abwasserabgabengesetz Archiv für civilistische Praxis (zit. nach Band u. Seite) Ad Legendum, Die Ausbildungszeitschrift aus Münsters Juridicum Gesetz über die Vermittlung der Annahme als Kind und über das Verbot der Vermittlung von Ersatzmüttern (Adoptionsvermittlungsgesetz) Alternativ-Entwurf eines StGB, 1966 ff. am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Zeitschrift für das gesamte Medienrecht / Archiv für Presserecht Änderungsgesetz Änderungsverordnung alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Archiv für Presserecht Amtsgericht; in Verbindung mit einem Gesetz: Ausführungsgesetz Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Alliierte Hohe Kommission Association Internationale de Droit Pénal African Journal of International Criminal Justice American Journal of International Law Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) Anweisung für die Verwaltung des Schriftguts bei den Geschäftsstellen der Gerichte und der Staatsanwaltschaften (Aktenordnung) allgemein allgemeine Meinung Alternative anderer Meinung Arzneimittel und Recht (Zeitschrift für Arzneimittel und Arzneimittelpolitik) Arzneimittelgesetz Begr. amtliche Begründung anders Angeklagte(r) Anhang Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz)
XIII https://doi.org/10.1515/9783110490121-203
Abkürzungsverzeichnis
Anl. Anm. Annalen AnwBl. ao AO AöR AOStrÄndG
Az.
Anlage Anmerkung Annalen des Reichsgerichts Anwaltsblatt außerordentlich 1977 Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Aus Politik und Zeitgeschichte Arztrecht Archiv für Kriminologie Archiv für das Post- und Fernmeldewesen Archiv für Presserecht Archiv für Post und Telekommunikation Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Anwalt/Anwältin im Sozialrecht Allgemeiner Teil des Strafgesetzbuches Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Auffassung aufgehoben Auflage Aufsatz American University International Law Review Arbeit und Recht ausdrücklich ausführlich Ausführungsverordnung ausländisch Ausländergesetz Ausnahmeverordnung ausschließlich Allgemeine Verfügung Angestelltenversicherungsgesetz Außenwirtschaftsgesetz Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze Aktenzeichen
BA/Blutalkohol BAG BAGE BAK BÄK BÄO BAnz. BauFordSiG BauGB BauR Bay., bay. BayBS BayJagdG
Blutalkohol, wissenschaftliche Zeitschrift für die medizinische und die juristische Praxis Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (zit. nach Band u. Seite) Blutalkoholkonzentration Bundesärztekammer Bundesärzteordnung Bundesanzeiger Bauforderungssicherungsgesetz Baugesetzbuch Zeitschrift für das gesamte öffentliche und private Baurecht Bayern, bayerisch Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts (1802–1956) Bayerisches Jagdgesetz
AP APuZ AR ArchKrim. ArchPF ArchPR ArchPT ARSP Art. ASR AT AtG/AtomG AÜG Auff. aufgehob. Aufl. Aufs. AUILR AuR ausdrückl. ausführl. AusfVO ausl. AuslG AusnVO ausschl. AV AVG AWG AWG/StÄG
XIV
Abkürzungsverzeichnis
BayLSG BayObLG BayObLGSt BayPAG BayVBl. BayVerf BayVerfGHE BayVerwBl. BayVGH BayVGHE
BayZ BB BBG Bbg BBodSchG B.C. Third World L.J. Bd., Bde. BDH BDO BDSG Bearb. BeckRS begl. BegleitG zum TKG Begr., begr. Bek. Bekl., bekl. Bem. ber. Berliner AnwBl. bes. Beschl. Beschw. Bespr. Best. BestechungsVO bestr. betr. BeurkG BewH BezG BFH BFHE BfJG BG BGB BGBl. I, II, III BGE BGH BGHGrS BGHR
XV
Bayerisches Landessozialgericht Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Bayerisches Polizeiaufgabengesetz Bayerische Verwaltungsblätter Verfassung des Freistaates Bayern s. BayVGHE Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern (1905–1934) Betriebs-Berater Bundesbeamtengesetz Brandenburg Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten (Bundes-Bodenschutzgesetz) Boston College Third World Law Journal Band, Bände Bundesdisziplinarhof Bundesdisziplinarordnung Bundesdatenschutzgesetz Bearbeitung Beck-Rechtsprechung beglaubigt Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz Begründung, begründet Bekanntmachung Beklagter, beklagt Bemerkung berichtigt Berliner Anwaltsblatt besonders, besondere(r, s) Beschluss Beschwerde Besprechung Bestimmung Bestechungsverordnung bestritten betreffend Beurkundungsgesetz Bewährungshilfe Bezirksgericht Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Gesetz über die Errichtung des Bundesamtes für Justiz = Art. 1 des Gesetzes zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamtes für Justiz Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I, II und III Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (amtliche Sammlung) Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof, Großer Senat BGH-Rechtsprechung
Abkürzungsverzeichnis
BGHSt BGHZ BG Pr. BilMoG BImSchG BImSchVO BinSchG/ BinnSchiffG BiRiLiG BJagdG BJM BK BKA BKAG/BKrimAG BLJ Bln. Bln. GVBl.Sb. BlStSozArbR BMI BMJ BMJV BNatSchG BNotÄndG BNotO BPolG BR BRAGO BRAK BranntwMG/ BranntwMonG BRAO BRAOÄndG
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Die Praxis des Bundesgerichts (Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts) Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundes-Immissionsschutzverordnung Gesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt (Binnenschiffahrtsgesetz) Bilanzrichtlinien-Gesetz Bundesjagdgesetz Basler Juristische Mitteilungen Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch; auch: Bonner Kommentar zum Grundgesetz Bundeskriminalamt Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Bundeskriminalamtes) Bucerius Law Journal, juristisches Online Journal Berlin Sammlung des bereinigten Berliner Landesrechts, Sonderband I (1806–1945) und II (1945–1967) Blätter für Steuern, Sozialversicherung und Arbeitsrecht Bundesminister(ium) des Inneren Bundesminister(ium) der Justiz Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) Drittes Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze Bundesnotarordnung Bundespolizeigesetz Bundesrat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltskammer Branntweinmonopolgesetz
Bundesrechtsanwaltsordnung Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentrechtsanwaltsordnung und anderer Gesetze BRD Bundesrepublik Deutschland BR-Drs./BRDrucks. Bundesrats-Drucksache BReg Bundesregierung Brem. Bremen BremPolG Bremisches Polizeigesetz BRJ Bonner Rechtsjournal BRProt. Protokolle des Bundesrates BRRG Beamtenrechtsrahmengesetz BRStenBer. Verhandlungen des Bundesrates, Stenographische Berichte (zit. nach Sitzung u. Seite) BS Sammlung des bereinigten Landesrechts BSeuchG Bundes-Seuchengesetz BSG Bundessozialgericht BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts BSHG Bundessozialhilfegesetz Bsp. Beispiel bspw. beispielsweise BStBl. Bundessteuerblatt BT Besonderer Teil des StGB; auch: Bundestag BT-Drs./BTDrucks. Bundestags-Drucksache BtMG Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) BTProt. s. BTVerh. BTRAussch. Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags
XVI
Abkürzungsverzeichnis
BTStenBer.
bzw.
Verhandlungen des deutschen Bundestages, Stenographische Berichte (zit. nach Wahlperiode u. Seite) Verhandlungen des Deutschen Bundestages Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Beitragsverfahrensverordnung (Bundes-)Verwaltungsverfahrensgesetz Baden-Württemberg bezüglich Bundeszentralregister Gesetz über das Bundeszentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz) beziehungsweise
ca. CCZ ChemG CJB Chinese J. Int. Law CHRLR CILJ CJTL CLF CR CWRJIL CWÜAG
circa Corporate Compliance Zeitschrift Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) Criminal Justice and Behavior Chinese Journal of International Law Columbia Human Rights Law Review Cambridge International Law Journal Columbia Journal of Transnational Law Criminal Law Forum Computer und Recht Case Western Reserve Journal of International Law AusführungsG zum Chemiewaffenübereinkommen
DA DÄBl. dagg. DAR DAV DB DDevR DDR DDT-G Def. DepotG ders./dies. dgl. DGVZ d.h. Dickinson J. Int. Law Diff., diff. Diss. DJ djb DJCIL DJT DJZ DLJ
Deutschland Archiv Deutsches Ärzteblatt dagegen Deutsches Autorecht Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb Deutsche Devisen-Rundschau (1951–1959) Deutsche Demokratische Republik Gesetz über den Verkehr mit DDT (DDT-Gesetz) Definition Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren (Depotgesetz) derselbe/dieselbe(n) dergleichen Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung das heißt Dickinson Journal of International Law
BTVerh. Buchst. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BVV BVwVfG BW bzgl. BZR BZRG
XVII
Differenzierung, differenzierend Dissertation Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik Deutscher Juristinnenbund Duke Journal of Comparative and International Law Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung (1896–1936) Duke Law Journal
Abkürzungsverzeichnis
DMW DNA-AnalysG DNutzG DÖV DOGE DR DRechtsw. DRiB DRiG DRiZ DRM DRpfl. Drs./Drucks. DRsp. DRZ DSB DSRITB DStR DStrZ DStZ A dt. DtZ DuD DuR DV DVBl. DVJJ DVO DVollzO DVP DVR DWW DZWIR
Deutsche Medizinische Wochenschrift Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse Gesetz zur effektiven Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften Die Öffentliche Verwaltung Entscheidungen des Deutschen Obergerichts für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Deutsches Recht, Wochenausgabe (vereinigt mit Juristische Wochenschrift) (1931–1945) Deutsche Rechtswissenschaft (1936–1943) Deutscher Richterbund Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Deutsches Recht, Monatsausgabe (vereinigt mit Deutsche Rechtspflege) Deutsche Rechtspflege (1936–1939) Drucksache Deutsche Rechtsprechung, hrsg. von Feuerhake (Loseblattsammlung) Deutsche Rechts-Zeitschrift (1946–1950) Datenschutzberater Deutsche Stiftung für Recht und Informatik, Tagungsband Herbstakademie Deutsches Strafrecht (1934–1944); jetzt: Deutsches Steuerrecht Deutsche Strafrechts-Zeitung (1914–1922) Deutsche Steuerzeitung, bis Jg. 67 (1979): Ausgabe A deutsch Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Datenschutz und Datensicherheit Demokratie und Recht Datenverarbeitung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. Durchführungsverordnung Dienst- und Vollzugsordnung Deutsche Verwaltungspraxis Datenverarbeitung im Recht (bis 1985, danach vereinigt mit IuR) Deutsche Wohnungswirtschaft Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht
E E 1927
Entwurf; auch: Entscheidung Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches nebst Begründung (Reichstagsvorlage) 1927 E 62 Entwurf eines Strafgesetzbuches mit Begründung 1962 EAO Entwurf einer Abgabenordnung ec electronic cash ebd. ebenda EBM Einheitlicher Bewertungsmaßstab ebso. ebenso ed(s) editor(s) EDV Elektronische Datenverarbeitung EEGOWiG Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten EEGStGB Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) EFG Entscheidungen der Finanzgerichte EG Einführungsgesetz bzw. Europäische Gemeinschaft(en) bzw. Erinnerungsgabe EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch EG-FinanzschutzG/ Gesetz zum Übereinkommen v. 26.8.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der EGFinSchG Europäischen Gemeinschaften EGGVG Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz EGH/EhrenGHE Ehrengerichtliche Entscheidungen der Ehrengerichtshöfe der Rechtsanwaltschaft des Bundesgebiets und des Landes Berlin
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
EGInsO EGInsOÄndG EGKS EGMR EGOWiG EGStGB EGStPO EGV EheG ehem. Einf. eingeh. einschl. einschr. Einl. EJF EKMR EmmingerVO EMRK entgg. Entsch. entspr. Entw. Erg. ErgBd. ErgThG Erl. Erw. ESchG EssGespr. EStG etc. Ethik Med. ETS EU EU-ABl. EUBestG EuCLR eucrim EuGH EuGHE EuGRZ EuHbG
EuR EurGHMR EurKomMR europ. EuropolG EUV EuZW EV EV I bzw. II
XIX
Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Ehegesetz ehemalig Einführung eingehend einschließlich einschränkend Einleitung Entscheidungen aus dem Jugend- und Familienrecht (1951–1969) Europäische Kommission für Menschenrechte Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege Europäische Menschenrechtskonvention entgegen Entscheidung entsprechend Entwurf Ergebnis bzw. Ergänzung Ergänzungsband Ergotherapeutengesetz Erläuterung Erwiderung Embryonenschutzgesetz Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Einkommensteuergesetz et cetera Ethik in der Medizin European Treaty Series Europäische Union Amtsblatt der Europäischen Union Gesetz zum Protokoll v. 27.9.1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EU-Bestechungsgesetz) European Criminal Law Review The European Criminal Law Associations’ Forum Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – Amtliche Sammlung Europäische Grundrechte-Zeitschrift Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) Europarecht Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (siehe auch EGMR) Europäische Kommission für Menschenrechte europäisch Europol-Gesetz Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag Anlage I bzw. II zum EV
Abkürzungsverzeichnis
evtl. EWG EWGV EWIR EWiV EWR EzSt
eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Schriftenreihe zum europäischen Weinrecht; auch: Europäischer Wirtschafts-Raum Entscheidungssammlung zum Straf- u. Ordnungswidrigkeitenrecht, hrsg. von Lemke
f., ff. FA FAG FamRB FamRZ FAO FAZ FD-StrafR Festschr. FG FGG FGO FILJ fin. FinDAG FinVerwG/FVG FlaggRG/FlRG
folgende, fortfolgende Fachanwalt für Arbeitsrecht Gesetz über Fernmeldeanlagen Familien-Rechtsberater Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachanwaltsordnung Frankfurter Allgemeine Zeitung Fachdienst Strafrecht Festschrift Finanzgericht; auch: Festgabe Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Fordham International Law Journal finanziell Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz Gesetz über die Finanzverwaltung Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz) Finanzierung, Leasing, Factoring Flaggenrechtsverordnung Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie
FLF FlRV FMStG Fn. Forens Psychiatr Psychol Kriminol Fortschr Neurol Psychiat FPR fragl. FS G bzw. Ges. G 10 GA GAA GBA GBG GBl. GbR geänd. GebFra GedS gem. GemeinsameDateien-Gesetz GenG GenStA
Fortschritte der Neurolog. Psychiatrie Familie Partnerschaft Recht fraglich Festschrift Gesetz Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, zit. nach Jahr u. Seite (bis 1933: Archiv für Strafrecht und Strafprozeß, zit. nach Band u. Seite) Geldausgabeautomat Generalbundesanwalt Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts geändert Geburtshilfe und Frauenheilkunde Gedächtnisschrift gemäß Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Generalstaatsanwalt
XX
Abkürzungsverzeichnis
GerS GeschlKG/ GeschlkrG GeschO gesetzl. GesO GesR GesRZ GewArch GewO GewVerbrG gg. GG ggf. GjS/GjSM GKG GKÖD gl. GLJ GmbHG GmbHR/GmbHRdsch GMBl. GnO GOÄ GoB GoBi GP grdl. grds. GrS GrSSt GRUR GS GSNW GSSchlH GÜG
Der Gerichtssaal Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten Geschäftsordnung gesetzlich Gesamtvollstreckungsordnung Gesundheitsrecht (Zeitschrift für Arztrecht, Krankenrecht, Apotheken- und Arzneimittelrecht) Der Gesellschafter Gewerbearchiv, Zeitschrift für Gewerbe- und Wirtschaftsverwaltungsrecht Gewerbeordnung Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung gegen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte Gerichtskostengesetz Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht gleich German Law Journal Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (vorher: Rundschau für GmbH)
GV GVBl. GVBl. I–III GVG GWB GwG
Gemeinsames Ministerialblatt Gnadenordnung (Landesrecht) Gebührenordnung für Ärzte Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung Global Policy grundlegend grundsätzlich Großer Senat Großer Senat in Strafsachen Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Der Gerichtssaal (zit. nach Band u. Seite); auch: Gedächtnisschrift Sammlung des bereinigten Landesrechts Nordrhein-Westfalen (1945–1956) Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts, 2 Bde. (1963) Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können (Grundstoffüberwachungsgesetz) Gemeinsame Verfügung (mehrerer Ministerien) (auch: Grundlagenvertrag) Gesetz- und Verordnungsblatt Sammlung des bereinigten Hessischen Landesrechts Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz)
h.A. HaagLKO/HLKO HAG Hamb. HambJVBl. HambSOG HannRpfl Hans. HansGZ bzw. HGZ
herrschende Ansicht Haager Abkommen betr. die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs Heimarbeitsgesetz Hamburg Hamburgisches Justizverwaltungsblatt Hamburger Sicherheits- und Ordnungsgesetz Hannoversche Rechtspflege Hanseatisch Hanseatische Gerichtszeitung (1889–1927)
XXI
Abkürzungsverzeichnis
HansJVBl. HansOLGSt HansRGZ
Hdb. HdbStR HeilPrG Hess. HessSOG HESt HFR HGB HILJ hins. Hinw. HJGL h.L. h.M. HöchstRR HRQ HRR HRRS Hrsg., hrsg. h.Rspr. Hs./Hbs. HWiStR
i.Allg. i.allg.S. i.B. ICLR i.d.F. i.d.R. i.d.S. i.E./i.Erg. i.e.S. IGH i.gl.S. i.Grds. IHK i.H.v. IJHR ILC ILM IM IMT inl. insb./insbes. insges. InsO IntBestG
Hanseatisches Justizverwaltungsblatt (bis 1946/47) Entscheidungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Strafsachen (1879–1932/33) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift (1928–43), vorher: HansRZ Hanseatische Rechtszeitschrift für Handel, Schiffahrt und Versicherung, Kolonial- und Auslandsbeziehungen sowie für Hansestädtisches Recht (1918–1927) Handbuch Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) Hessen Hessisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen (1948–49) Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Handelsgesetzbuch Harvard International Law Journal hinsichtlich Hinweis Hastings Journal on Gender and the Law herrschende Lehre herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Strafrechts, Beilage zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (1 zu Bd. 46, 2 zu Bd. 47, 3 zu Bd. 48) Human Rights Quarterly Höchstrichterliche Rechtsprechung (1928–1942), bis 1927: Die Rechtsprechung, Beilage zur Zeitschrift Juristische Rundschau Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Herausgeber, herausgegeben herrschende Rechtsprechung Halbsatz Krekeler/Tiedemann/Ulsenheimer/Weinmann (Hrsg.) Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts im Allgemeinen im allgemeinen Sinne in Bezug International Criminal Law Review in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis im engeren Sinne Internationaler Gerichtshof im gleichen Sinne im Grundsatz Industrie- und Handelskammer in Höhe von The International Journal of Human Rights International Law Commission International Legal Materials Innenminister(ium) International Military Tribunal (Nürnberg) inländisch insbesondere insgesamt Insolvenzordnung Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung
XXII
Abkürzungsverzeichnis
inzw. IPBPR IPRB i.R.d. i.R.v. i.S. i.S.d. i.S.e. IsrLR IStGH IStGH-Statut IStR i.S.v. i.techn.S. ITRB i.U. i.Üb. IuKDG IuR iuris iurisPR i.V.m. i.W. i.w.S. i.Z.m. JA JahrbÖR JahrbPostw. JA-R JArbSchG JAVollzO JBeitrO JBl. JBlRhPf. JBl. Saar JbVerkR JCLC jew. JFGErg.
JGG JICJ JICL JILPAC JK JKomG JM jM JMBlNRW/JMBlNW JMS JMStV JÖSchG
XXIII
inzwischen Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IP-Rechts-Berater, Der Informationsdienst für das Recht des geistigen Eigentums im Rahmen der/des im Rahmen von im Sinne im Sinne der/des im Sinne einer(s) Israel Law Review (ständiger) Internationaler Strafgerichtshof (Den Haag) Internationaler Strafgerichtshof – Statut Internationales Strafrecht im Sinne von im technischen Sinne IT-Rechtsberater im Unterschied im Übrigen Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (Informations- und Kommunikationsdienstegesetz) Informatik und Recht Rechtsportal der iuris-GmbH iuris-Praxis-Report (Anmerkungen) in Verbindung mit im Wesentlichen im weiteren Sinne im Zusammenhang mit Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahrbuch des Postwesens (1937–1941/42) Juristische Arbeitsblätter – Rechtsprechung Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) Jugendarrestvollzugsordnung Justizbeitreibungsordnung Justizblatt; auch: Juristische Blätter (Österreich) Justizblatt Rheinland-Pfalz Justizblatt des Saarlandes Jahrbuch Verkehrsrecht Journal of Criminal Law & Criminology jeweils Entscheidungen des Kammergerichts und des Oberlandesgerichts München in Kosten-, Straf-, Miet- und Pachtschutzsachen (Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts, ErgBd.) Jugendgerichtsgesetz Journal of International Criminal Justice Journal of International Criminal Law Journal of International Law of Peace and Armed Conflict (JILPAC) Jura-Kartei Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz) Justizminister(ium) Juristische Monatszeitschrift; juris – Die Monatszeitschrift Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Jugend Medien Schutz-Report Jugendmedienschutz-Staatsvertrag Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit
Abkürzungsverzeichnis
JOR JöR JR JRE JSt JStGH JStGH-Statut JTHE JuMoG JuMoG2 JurA Jura JurBl./JBl. jurisPR-StrafR JurJahrb. JurPC JuS Justiz JuV JVA JVBl. JVKostO JVollz. JW JWG JZ JZ-GD
Jahrbuch für Ostrecht Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Jahrbuch für Recht und Ethik Journal für Strafrecht Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien – Statut Journal of Trafficking and Human Exploitation Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) Zweites Gesetz zur Modernisierung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz) Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristische Blätter juris PraxisReport Strafrecht Juristen-Jahrbuch Internet-Zeitschrift für Rechtsinformatik und Informationsrecht Juristische Schulung, Zeitschrift für Studium und Ausbildung Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums von Baden-Württemberg Justiz und Verwaltung Justizvollzugsanstalt Justizverwaltungsblatt Gesetz über Kosten im Bereich der Justizverwaltung Jugendstrafvollzugsordnung; s. auch JAVollzO Juristische Wochenschrift Jugendwohlfahrtsgesetz Juristenzeitung Juristenzeitung – Gesetzgebungsdienst
Kap. KastG/KastrG KE KFG Kfz. KG KGJ
Kapitel Gesetz über die freiwillige Kastration Kommissionsentwurf Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen Kraftfahrzeug Kammergericht bzw. Kommanditgesellschaft Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen (1881–1922) Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts Kritische Justiz Kommunal-Kassen-Zeitschrift Konkursordnung (EU-)Kommission Gesetz zur Bekämpfung der Korruption
KindRG KJ KKZ KO KOM KorBekG/ KorrBekG/ KorrBG K&R KRABl. KreditwesenG/ KWG KRG KriegswaffKG/ KWKG KrimAbh. KrimGwFr Kriminalistik KrimJournal KriPoZ
Kommunikation und Recht s. ABlKR Gesetz über das Kreditwesen Kontrollratsgesetz Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen Kriminalistische Abhandlungen, hrsg. von Exner Kriminologische Gegenwartsfragen (zit. nach Band u. Seite) Kriminalistik, Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis Kriminologisches Journal Kriminalpolitische Zeitschrift
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
KriPoZ JuP krit. KritJ/Krit. Justiz KritV/KritVj KrW-/AbfG KTS KunstUrhG/KUrhG KuT KuV/k+v/K+V KWG LegPer. Lfg. LFGB LG lit. Lit. LJIL LKRZ LM LMBG LPG LPK LRA LRE LS lt. LT Ltd. LuftSiG LuftVG LuftVO/LuftVVO LuftVZO LVerf. LVwG SH LZ m. m. Anm. Mat. m.a.W. m. Bespr. MdB MdL MDR MDStV MedR MedSach medstra Melb. J. Int. Law MEPolG MfS
XXV
Kriminalpolitische Zeitschrift Junges Publizieren kritisch Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz) Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen (jetzt: Zeitschrift für Insolvenzrecht) Kunsturhebergesetz Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Kraftfahrt und Verkehrsrecht, Zeitschrift der Akademie für Verkehrswissenschaft, Hamburg s. KreditwesenG Legislaturperiode Lieferung Lebens- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht littera (Buchstabe) Literatur Leiden Journal of International Law Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. v. Lindenmaier/Möhring u.a. (zit. Nach Paragraph und Nummer) Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz) Landespressegesetz Lehr- und Praxiskommentar Landratsamt Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen Leitsatz laut Landtag Limited (Private company limited by shares) Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben (Luftsicherheitsgesetz) Luftverkehrsgesetz Verordnung über den Luftverkehr Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung Landesverfassung Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907–1933) mit mit Anmerkung Materialien zur Strafrechtsreform (1954). Band I: Gutachten der Strafrechtslehrer. Band II: Rechtsvergleichende Arbeiten mit anderen Worten mit Besprechung Mitglied des Bundestages Mitglied des Landtages Monatsschrift für Deutsches Recht Staatsvertrag über Mediendienste Medizinrecht Der Medizinische Sachverständige Zeitschrift für Medizinstrafrecht Melbourne Journal of International Law Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes Ministerium für Staatssicherheit
Abkürzungsverzeichnis
Mich. J. Int. Law min. mit Nachw. MiStra missverst. Mitt. MittIKV MK m. krit. Anm. MLR MLR MMR MMW MoMiG MRG MschrKrim./ MonKrim. MschrKrimBiol/ MonKrimBiol. MschrKrimPsych/ MonKrimPsych. MStGO m.w.N. m.W.v. m. zust./abl. Anm. Nachtr. Nachw. NATO-Truppenstatut/NTS Nds. NdsRpfl./Nds.Rpfl NdsSOG NEhelG NetzDG n.F. Niederschr./ Niederschriften Nieders.GVBl. (Sb. I, II) NJ NJOZ NJW NJW-CoR NJW-RR NK NKrimP NPA Nr./Nrn. NRW NStE NStZ NStZ-RR NuR NVwZ
Michigan Journal of International Law mindestens mit Nachweisen Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen missverständlich Mitteilung Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (1889–1914; 1926–1933) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch mit kritischer Anmerkung (von) Marburg Law Review Minnesota Law Review MultiMedia und Recht Münchner Medizinische Wochenschrift Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Militärregierungsgesetz Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (1904/05–1936) Militärstrafgerichtsordnung mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom mit zustimmender/ablehnender Anmerkung Nachtrag Nachweis Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags v. 19.6.1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO-Truppenstatut) Niedersachsen Niedersächsische Rechtspflege Niedersächsisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz Gesetz über die Rechtsstellung der nichtehelichen Kinder Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) neue Fassung Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Sonderband I und II, Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts Neue Justiz Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Computerreport der Neuen Juristischen Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch Neue Kriminalpolitik Neues Polizei-Archiv Nummer(n) Nordrhein-Westfalen Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht, hrsg. von Rebmann, Dahs und Miebach Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
NWB NWVBl NZA NZA-RR NZBau NZG NZI NZM NZS NZV NZWehrr/NZWehrR NZWiSt
Neue Wirtschaftsbriefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA-Rechtsprechungsreport Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Neue Zeitschrift für Wehrrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht
o. o.ä. ob.dict. OBGer öffentl. OECD ÖJZ/ÖstJZ Öst OGH
oben oder ähnlich obiter dictum Obergericht (Schweizer Kantone) öffentlich Organisation for Economic Cooperation and Development Österreichische Juristenzeitung Österreichischer Oberster Gerichtshof; ohne Zusatz: Entscheidung des Öst OGH in Strafsachen (zit. nach Band und Seite) oben genannt Oberstes Gericht der DDR Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen (1949/50) Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- u. Strafverfahrensrecht (zit. Nach Paragraph u. Seite, n.F. nach Paragraph u. Nummer) Obligationenrecht (Schweiz) ohne Rechnung Organisierte Kriminalität Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
o.g. OG OGDDR OGH OGHBrZ OGHSt OHG OLG OLGSt OR o.R. OrgK OrgKG OrgKVerbG OVG OWiG Pacific Rev. PartG PartGG PatG PAuswG PersV PflanzenSchG/ PflSchG PharmR PHI PIF PIN PKS PlProt.
XXVII
The Pacific Review Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Patentgesetz Gesetz über Personalausweise Die Personalverwaltung Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz) PharmaRecht Produkthaftpflicht International Protection des Intérêts Financiers (EU) Personal Identification Number Polizeiliche Kriminalstatistik Plenarprotokoll
Abkürzungsverzeichnis
PolG polit. Polizei PolV/PolVO PostG PostO Pr. PrG PrGS ProdSG Prot. Prot. BT-RA Pr. OT PrOVG PrPVG PrZeugnVerwG PStG PStR psych. PsychThG PTV PVT
Polizeigesetz politisch Die Polizei (seit 1955: Die Polizei – Polizeipraxis) Polizeiverordnung Gesetz über das Postwesen (Postgesetz) Postordnung Preußen Pressegesetz Preußische Gesetzessammlung (1810–1945) Produktsicherheitsgesetz Protokolle über die Sitzungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform Protokolle des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (zit. nach Nummern) Preußisches Obertribunal Preußisches Oberverwaltungsgericht Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk Personenstandsgesetz Praxis Steuerstrafrecht psychisch Gesetz über die Berufe des psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Psychotherapeutengesetz) Polizei, Technik, Verkehr Polizei, Verkehr und Technik
qualif.
qualifizierend
R RabgO/RAO RAussch. RBerG RdA RdErl. RdJB RdK
Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (zit. nach Band u. Seite) Reichsabgabenordnung Rechtsausschuss Gesetz zur Verhütung von Mißbrauch auf dem Gebiet der Rechtsberatung Recht der Arbeit Runderlass Recht der Jugend und des Bildungswesens Das Recht des Kraftfahrers, Unabhängige Monatsschrift des Kraftverkehrsrechts (1926–43, 1949–55) Randnummer Rundschreiben Entscheidungen des Reichsdienststrafhofs (1939–41) Reichsdienststrafordnung Recht der Datenverarbeitung Das Recht, begründet von Soergel (1897–1944) Rechtsmedizin rechtspolitisch Rechtstheorie rechtsvergleichend Referentenentwurf Regierung Regierungsblatt Regierungsentwurf relativ Rundfunkstaatsvertrag Reichsgericht Reichsgesetzblatt, von 1922–1945 Teil I und Teil II Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (1879–1888) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
Rdn. Rdschr./RdSchr. RDStH RDStO RDV Recht RechtsM rechtspol. RechtsTh rechtsvergl. RefE Reg. RegBl. RegE rel. RfStV RG RGBl., RGBl. I, II RGRspr. RGSt RGZ
XXVIII
Abkürzungsverzeichnis
RHG RHilfeG/RHG RhPf. RiAA RIDP RiJGG RiOWiG RiStBV RiVASt RIW RJagdG RKG/RKnappschG RKGE RMBl. RMG/RMilGE RöntgVO/RöV ROW R&P Rpfleger RpflG RPostG RPSych Rspr. RStGB RStGH RStGH-Statut RT RTDrucks. RTVerh. RuP RVG RVO s. S. s.a. SA SaarPolG SaarRZ SaBremR SächsArch. SächsOLG SächsPolG Sarl SchAZtg ScheckG/SchG SchiedsmZ SchKG SchlH SchlHA Schriften der MGH SchwangUG
XXIX
Rechnungshofgesetz Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen Rheinland-Pfalz Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts – Richtlinien gem. § 177 Abs. 2 Satz 2 BRAO Revue internationale de droit pénal Richtlinien der Landesjustizverwaltungen zum Jugendgerichtsgesetz Gemeinsame Anordnung über die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und über die Zusammenarbeit mit den Verwaltungsbehörden Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Richtlinien für den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten Recht der Internationalen Wirtschaft Reichsjagdgesetz Reichsknappschaftsgesetz Entscheidungen des Reichskriegsgerichts Reichsministerialblatt, Zentralblatt für das Deutsche Reich (1923–45) Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts (zit. nach Band u. Seite) Röntgenverordnung Recht in Ost und West. Zeitschrift für Rechtsvergleichung und interzonale Rechtsprobleme Recht und Psychiatrie Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Reichspostgesetz Rechtspsychologie, Zeitschrift für Familienrecht, Strafrecht, Kriminologie und Soziale Arbeit Rechtsprechung Reichsstrafgesetzbuch Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda – Statut Reichstag Drucksachen des Reichstages Verhandlungen des Reichstages Recht und Politik. Vierteljahreshefte für Rechts- und Verwaltungspolitik Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Reichsversicherungsordnung siehe Seite oder Satz siehe auch Sonderausschuss für die Strafrechtsreform Saarländisches Polizeigesetz Saarländische Rechts- und Steuerzeitschrift Sammlung des bremischen Rechts (1964) Sächsisches Archiv für Rechtspflege, seit 1924 (bis 1941/42), Archiv für Rechtspflege in Sachsen, Thüringen und Anhalt Annalen des Sächsischen Oberlandesgerichts zu Dresden (1880–1920) Sächsisches Polizeigesetz Societé à responsabilité limitée Schiedsamts-Zeitung Scheckgesetz Schiedsmannszeitung (1926–1945), seit 1950 Der Schiedsmann Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz) Schleswig-Holstein Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schriften der Monumenta Germanicae Historica (DDR-)Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft
Abkürzungsverzeichnis
SchwarzArbG schweiz. SchwJZ SchwZStr. SDILJ SeeArbG SeemannsG SeeRÜbk./SRÜ Sen. SeuffBl. SexualdelikteBekG SFHÄndG SFHG
SG/SoldatG SGB I, III, IV, V, I SGB VIII, X, XI III SGB IV SGB V SGB VIII SGB X SGB XI SGb. SGG SGV.NW SichVG SJZ SK Slg. s.o. sog. Sonderausschuss SortenSchG SozVers spez. SprengG/ SprengstoffG SpuRT SSt StA StaatsGH StaatsschStrafsG StÄG StAZ StB Stbg StenB/StenBer StGB
Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz schweizerisch Schweizerische Juristen-Zeitung Schweizer Zeitschrift für Strafrecht San Diego International Law Journal Seearbeitsgesetz Seemannsgesetz Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen; Vertragsgesetz Senat Seufferts Blätter für Rechtsanwendung (1836–1913) Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten (Sexualdeliktebekämpfungsgesetz) Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz) Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil Sozialgesetzbuch, Arbeitsförderung Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren, Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehung zu Dritten Soziale Pflegeversicherung Sozialgerichtsbarkeit Sozialgerichtsgesetz Sammlung des bereinigten Gesetz- und Verordnungsblatts für das Land Nordrhein-Westfalen (Loseblattsammlung) Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung Süddeutsche Juristen-Zeitung (1946–50), dann Juristenzeitung Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Sammlung der Rechtsprechung des EuGH siehe oben sogenannt(e) Sonderausschuss des Bundestages für die Strafrechtsreform, Niederschriften zitiert nach Wahlperiode und Sitzung Gesetz über den Schutz von Pflanzensorten (Sortenschutzgesetz) Die Sozialversicherung speziell Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz) Zeitschrift für Sport und Recht Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten Staatsanwalt(schaft) Staatsgerichtshof Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in StaatsschutzStrafsachen s. StRÄndG Das Standesamt, Zeitschrift für Standesamtswesen, Personenstandsrecht, Ehe- u. Kindschaftsrecht, Staatsangehörigkeitsrecht Der Steuerberater Die Steuerberatung, Zeitschrift Stenographischer Bericht Strafgesetzbuch
XXX
Abkürzungsverzeichnis
StPO str. StrAbh. StRÄndG
StraffreiheitsG/ StrFG StraFo strafr. StrafrAbh. StraßVerkSichG StrEG StREG StrlSchuV/ StrlSchVO StRR StrRG st.Rspr. StS StudZR StuR StV/StrVert. StVE StVG StVGÄndG StVj/StVJ StVK StVO StVollstrO StVollzÄndG StVollzG StVollzK StVRG StVRErgG StVZO s.u. SubvG SV
XXXI
Strafprozeßordnung streitig, strittig Strafrechtliche Abhandlungen Strafrechtsänderungsgesetz (1. vom 30.8.1951) 18. ~ – Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 27. ~ – Kinderpornographie 28. ~ – Abgeordnetenbestechung 31. ~ – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 37. ~ – §§ 180b, 181 StGB 40. ~ – Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen 41. ~ – Bekämpfung der Computerkriminalität 42. ~ – Anhebung der Höchstgrenze des Tagessatzes bei Geldstrafen 49. ~ – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht 50. ~ – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung 57. ~ – Versuchsstrafbarkeit des Cybergroomings 59. ~ – Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen 60. ~ – Modernisierung des Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Ausland Gesetz über Straffreiheit Strafverteidigerforum strafrechtlich Strafrechtliche Abhandlungen, hrsg. von Bennecke, dann von Beling, v. Lilienthal und Schoetensack 1. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs (Straßenverkehrssicherungsgesetz – StraßenVSichG) Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum 5. StrRG (Strafrechtsreformergänzungsgesetz) Strahlenschutzverordnung Strafrechtsreport Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. ~, 2. ~, … 6. ~) ständige Rechtsprechung Strafsenat Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft Staat und Recht Strafverteidiger Straßenverkehrsentscheidungen, hrsg. von Cramer, Berz, Gontard, Loseblattsammlung (zit. nach Paragraph u. Nummer) Straßenverkehrsgesetz Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze Steuerliche Vierteljahresschrift Strafvollstreckungskammer Straßenverkehrsordnung Strafvollstreckungsordnung Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Strafvollzugsgesetz) Blätter für Strafvollzugskunde (Beilage zur Zeitschrift „Der Vollzugsdienst“) Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts Erstes Gesetz zur Ergänzung des 1. StVRG Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung siehe unten Subventionsgesetz Sachverhalt
Abkürzungsverzeichnis
Tab. TDG TerrorBekG TerrorBekErgG ThürPAG TierschG/ TierschutzG Tit. TKG TPG TV Tz. u. u.a. u.ä. u.a.m. UdG Üb. Übereink./Übk. ÜbergangsAO ü.M. UFITA UG U-Haft UMAG umf. umstr. UmwRG UNO UNTS unv. UPR UrhG UStG usw. UTR u.U. UVNVAG UWG UZwG UZwGBw
v. VAE VAG Var. v.A.w. VBlBW VD
Tabelle Gesetz über die Nutzung von Telediensten Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz) Thüringisches Polizeiaufgabengesetz Tierschutzgesetz Titel Telekommunikationsgesetz Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz) Truppenvertrag Textziffer, -zahl unten (auch: und) unter anderem (auch: andere) und ähnliche und anderes mehr Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Überblick; Übersicht Übereinkommen Übergangsanordnung überwiegende Meinung Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Unternehmergesellschaft Untersuchungshaft Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts umfassend umstritten Umweltrahmengesetz der DDR United Nations Organization (Vereinte Nationen) United Nations Treaty Series unveröffentlicht Umwelt- und Planungsrecht Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Umsatzsteuergesetz und so weiter Umwelt- und Technikrecht, Schriftenreihe des Instituts für Umwelt- und Technikrecht der Universität Trier, hrsg. von Rüdiger Breuer u.a. unter Umständen Ausführungsgesetz v. 23.7.1998 (BGBl. I S. 1882) zu dem Vertrag v. 24.9.1996 über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen – Zustimmungsgesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen von, vom Verkehrsrechtliche Abhandlungen und Entscheidungen Versicherungsaufsichtsgesetz Variante von Amts wegen Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verkehrsdienst
XXXII
Abkürzungsverzeichnis
VDA bzw. VDB VE VerbrBekG VerbringungsG/ VerbG VereinfVO
VereinhG VereinsG VerfGH VerglO Verh. VerjährG VerjährG, VerjährG, VerkMitt./VM VerkProspektG vermitt. VerpflG VerschG VersG VersR VerwArch. VG VGH vgl. Vhdlgen VJZ VN VN-Satzung VO VOBl. VOR Voraufl. Vorbem. VorE vorgen. VRS VStGB VVDStRL VVG VwGO VwVfG VwVG VwZG WaffG/WaffenG Warn./WarnRspr.
XXXIII
Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner bzw. Besonderer Teil Vorentwurf Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze (Verbrechensbekämpfungsgesetz) Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote Vereinfachungsverordnung ~ –, VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und Rechtspflege ~ –, VO zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege ~ –, Dritte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege ~ –, Vierte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten Gesetz zur Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 27.9.1993 Gesetz zur weiteren Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 22.12.1997 Verkehrsrechtliche Mitteilungen Wertpapiere-Verkaufsprospektgesetz vermittelnd Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) d.F.v. Art. 42 EGStGB Verschollenheitsgesetz Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche s. Verh. Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Vereinte Nationen Satzung der Vereinten Nationen Verordnung Verordnungsblatt Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht Vorauflage Vorbemerkung Vorentwurf vorgenannt Verkehrsrechts-Sammlung, Entscheidungen aus allen Gebieten des Verkehrsrechts Völkerstrafgesetzbuch Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer (zit. nach Heft u. Seite) Gesetz über den Versicherungsvertrag Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Waffengesetz Sammlung zivilrechtlicher Entscheidungen des RG, hrsg. von Warneyer (zit. nach Jahr und Nummer)
Abkürzungsverzeichnis
WBl. WD WDO WehrpflG WeimVerf./WV WeinG weitergeh. WHG WiB WiKG WiKG WissR WiStG wistra
WuM WPg WpHG WRP WStG WZG
Wirtschaftsrechtliche Blätter (Österreich) Wissenschaftliche Dienste des Bundestags Wehrdisziplinarordnung Wehrpflichtgesetz Verfassung des Deutschen Reichs (sog. „Weimarer Verfassung“) Weingesetz weitergehend Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz) Wirtschaftsrechtliche Beratung 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Wissenschaftsrecht Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954) Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht, dann: Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wirtschaft und Verwaltung Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch Wertpapier-Mitteilungen weitere Nachweise bei Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 (akustische Wohnraumüberwachung) v. 24.6.2005 Wohnungswirtschaft und Mietrecht Die Wirtschaftsprüfung Gesetz über Wertpapierhandel Wettbewerb in Recht und Praxis Wehrstrafgesetz Warenzeichengesetz
YJIL YJLF YLJ
Yale Journal of International Law Yale Journal of Law and Feminism Yale Law Journal
z. (Z) ZAG ZahlVGJG ZAkDR ZaöRV z.B. ZBB ZbernJV/ZBJV ZBl. f. Verk. Med. ZDG ZfB ZfBR Z.f.d. ges. Sachverst.wesen ZFIS ZfISt
zur, zum Entscheidung in Zivilsachen Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz Gesetz über den Zahlungsverkehr mit Gerichten und Justizbehörden Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (1934–1944) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zentralblatt für Verkehrsmedizin, Verkehrspsychologie, Luft- und Raumfahrtmedizin Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für Binnenschifffahrt und Wasserstraßen Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zeitschrift für das gesamte Sachverständigenwesen
WiVerw WK WM w.N.b. WoÜbG
ZfJ ZfL zfm ZfRSoz ZfRV ZfS/ZfSch
Zeitschrift für innere Sicherheit Zeitschrift für Internationale Strafrechtswissenschaft (ehem. ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik) Zentralblatt für Jugendrecht Zeitschrift für Lebensrecht Zeitschrift für Medienwissenschaft Zeitschrift für Rechtssoziologie, The German Journal of Law and Society Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Schadensrecht
XXXIV
Abkürzungsverzeichnis
ZfStrVo ZfW ZfWG ZfZ ZG ZGR ZHR Zif./Ziff. ZInsO ZIP ZIS zit. ZJS ZMR ZNER ZollG ZParl ZPO ZRP ZSchwR ZStW z.T. ZUM zusf. zust. ZustErgG ZustG ZustVO zutr. z.V.b. ZVG ZVS zw. ZWehrR ZWH z.Z. ZZP
XXXV
Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe Zeitschrift für Wasserrecht Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, begr. v. Goldschmidt Ziffer(n) Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik; s. auch ZfISt zitiert Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für Neues Energierecht Zollgesetz Zeitschrift für Parlamentsfragen Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht/Film und Recht zusammenfassend zustimmend Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts (Zuständigkeitsergänzungsgesetz) Zustimmungsgesetz Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften zutreffend zur Veröffentlichung bestimmt Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) Zeitschrift für Verkehrssicherheit zweifelhaft (auch: zweifelnd) Zeitschrift für Wehrrecht (1936/37–1944) Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen zur Zeit Zeitschrift für Zivilprozess
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Das Schrifttum zum Kernstrafrecht sowie sämtliche strafrechtlich relevanten Festschriften und vergleichbare Werke finden sich unter 1. Es folgt in alphabetischer Reihenfolge das Schrifttum zum Nebenstrafrecht und zu nichtstrafrechtlichen Gebieten: 2. Betäubungsmittelstrafrecht, 3. Bürgerliches Recht einschließlich Versicherungsrecht, 4. DDR-Strafrecht, 5. Europäisches Recht, 6. Handelsrecht einschließlich Bilanz- und Gesellschaftsrecht, 7. Jugendstrafrecht, 8. Kriminologie, 9. Ordnungswidrigkeitenrecht, 10. Presserecht, 11. Rechtshilfe, 12. Rechtsmedizin und Medizinstrafrecht, 13. Strafprozess- und Strafvollzugsrecht, 14. Straßenverkehrsrecht, 15. Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 16. Wettbewerbs- und Kartellrecht, 17. Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 18. Zivilprozess- und Insolvenzrecht, 19. Sonstiges (einschließlich Arbeits- und Sozialrecht, Völkerrecht und Waffenrecht).
1. Strafrecht (StGB) und Festschriften Zitier-Abk. AK Ambos AnwK Appel Arzt/Weber/Heinrich/ Hilgendorf BT v. Bar Baumann Baumann/Weber/Mitsch/ Eisele BeckOK Beling Beulke-Symposion Binding, Grundriß Binding, Handbuch Binding, Lehrbuch I, II Binding, Normen BK Blei I, II Bochumer Erläuterungen Bock BT 1, 2 Bockelmann BT 1, 2, 3
Bockelmann/Volk Bringewat Bruns, Reflexionen
Werk Kommentar zum Strafgesetzbuch – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, Bd. 1 (1990), Bd. 3 (1986) Internationales Strafrecht, 5. Aufl. (2018) AnwaltKommentar StGB, hrsg. v. Leipold/Tsambikakis/Zöller, 3. Aufl. (2020) Verfassung und Strafe (1998) Strafrecht, Besonderer Teil, Lehrbuch, 4. Aufl. (2021)
Gesetz und Schuld im Strafrecht, Bd. 1 (1906), Bd. 2 (1907), Bd. 3 (1909) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (1975) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 13. Aufl. (2021) Beck’scher Online-Kommentar StGB, hrsg. v. Heintschel-Heinegg, 53. Edition (2022) Die Lehre vom Verbrechen (1906) Strafverteidigung – Grundlagen und Stolpersteine, Symposion für Werner Beulke, hrsg. v. Engländer/Fahl/Satzger/Swoboda (2012) Grundriß des Deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (1913) Handbuch des Strafrechts (1885) Lehrbuch des gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, 2. Aufl., Bd. 1 (1902), Bd. 2 (1904/05) Die Normen und ihre Übertretung, 2. Aufl., 4 Bände (1890–1919) Basler Kommentar Strafrecht I und II, hrsg. v. Niggli/Wiprächtiger, 4. Aufl. (2019) (s. aber auch 15. Verfassungsrecht) Strafrecht I, Allgemeiner Teil, 18. Aufl. (1983); Strafrecht II, Besonderer Teil, 12. Aufl. (1983) Bochumer Erläuterungen zum 6. Strafrechtsreformgesetz, hrsg. v. Schlüchter (1998) Strafrecht, Besonderer Teil 1: Nichtvermögensdelikte (2018), Besonderer Teil 2: Vermögensdelikte (2018) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. (1982); Bd. 2: Delikte gegen die Person (1977); Bd. 3: Ausgewählte Delikte gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit (1980) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (1987) Grundbegriffe des Strafrechts, 3. Aufl. (2018) Neues Strafzumessungsrecht? „Reflexionen“ über eine geforderte Umgestaltung (1988)
XXXVII https://doi.org/10.1515/9783110490121-204
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Bruns, Strafzumessungsrecht Bruns/Güntge Burgstaller
Strafzumessungsrecht: Gesamtdarstellung, 2. Aufl. (1974) Das Recht der Strafzumessung, 3. Aufl. (2018) Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht (1974)
Coimbra-Symposium
s. Schünemann/de Figueiredo Dias
Dahs Dalcke/Fuhrmann/Schäfer Dölling/Duttge/König/ Rössner
Handbuch des Strafverteidigers, 8. Aufl. (2015) Strafrecht und Strafverfahren, 37. Aufl. (1961) s. HK-GS
Ebert
Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege: Beiträge anläßlich eines Symposiums zum 60. Geburtstag von E.W. Hanack, hrsg. v. Ebert (1991) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (2001) Einführung in das 6. Strafrechtsreformgesetz (1998) (bearb. v. Dencker u.a.) Strafrecht – Besonderer Teil I: Straftaten gegen die Person und die Allgemeinheit, 6. Aufl. (2021); Strafrecht – Besonderer Teil II: Eigentumsdelikte und Vermögensdelikte, 6. Aufl. (2021) Strafrechtliche Nebengesetze, Loseblattausgabe, 240. EL (2022) Erinnerungsgabe für Max Grünhut (1965) Rechtfertigung und Entschuldigung: rechtsvergleichende Perspektiven. Beiträge aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Bd. 1, hrsg. v. Eser/Fletcher (1987); Bd. 2, hrsg. v. Eser/Fletcher (1988); Bd. 3: Deutsch-Italienisch-Portugiesisch-Spanisches Strafrechtskolloquium 1990 in Freiburg, hrsg. v. Eser/Perron (1991); Bd. 4: Ostasiatisch-Deutsches Strafrechtskolloquium 1993 in Tokio, hrsg. v. Eser/Nishihara (1995)
Ebert AT Einführung 6. StrRG Eisele BT 1, BT 2
Erbs/Kohlhaas Erinnerungsgabe Grünhut Eser et al., Rechtfertigung und Entschuldigung I–IV
Festgabe BGH 25 Festgabe BGH 50 Festgabe Frank Festgabe Graßhoff Festgabe Kern Festgabe Paulus Festgabe Peters Festgabe RG I–VI Festgabe Schultz Festgabe Schweizer JT Festschrift Achenbach Festschrift Amelung Festschrift Androulakis Festschrift Augsburg Festschrift Baumann Festschrift Bemmann Festschrift Beulke Festschrift BGH 50 Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Blau Bockelmann Böhm Böttcher
25 Jahre Bundesgerichtshof 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. 4: Straf- und Strafprozeßrecht (2000) Festgabe für Reinhard von Frank zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1930) Der verfasste Rechtsstaat, Festgabe für Karin Graßhoff (1998) Festgabe für Eduard Kern zum 70. Geburtstag (1957) Festgabe für Rainer Paulus zum 70. Geburtstag (2009) Wahrheit und Gerechtigkeit im Strafverfahren: Festgabe für Karl Peters aus Anlaß seines 80. Geburtstages (1984) Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben: Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts (1929) Lebendiges Strafrecht: Festgabe zum 65. Geburtstag von Hans Schultz (1977) Festgabe zum Schweizerischen Juristentag (1963) Festschrift für Hans Achenbach zum 70. Geburtstag (2011) Grundlagen des Straf- und Strafverfahrensrechts: Festschrift für Knut Amelung zum 70. Geburtstag (2009) Festschrift für Nikolaos Androulakis zum 70. Geburtstag (2003) Recht in Europa: Festgabe zum 30-jährigen Bestehen der Juristischen Fakultät Augsburg (2002) Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag (1992) Festschrift für Günter Bemmann zum 70. Geburtstag (1997) Ein menschengerechtes Strafrecht als Lebensaufgabe: Festschrift für Werner Beulke zum 70. Geburtstag (2015) Festschrift aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (2000) Festschrift für Günter Blau zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag (1979) Festschrift für Alexander Böhm zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Reinhard Böttcher zum. 70 Geburtstag (2007)
XXXVIII
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Festschrift Boujong Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Brauneck Bruns Burgstaller v. Caemmerer Celle I
Festschrift Celle II Festschrift Dahs Festschrift Dencker Festschrift Diestelkamp Festschrift DJT Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Dreher Dünnebier Eisenberg (2009) Eisenberg (2019) Engisch Ermacora
Festschrift Eser Festschrift Europa-Institut Festschrift Fezer Festschrift Fiedler Festschrift Fischer Festschrift Friebertshäuser Festschrift Frisch Festschrift Fuchs Festschrift GA Festschrift Gallas Festschrift von Gamm Festschrift Gauweiler Festschrift Geerds Festschrift Geilen Festschrift Geiß Festschrift Geppert Festschrift Germann Festschrift Gleispach Festschrift Gollwitzer Festschrift Göppinger Festschrift Gössel Festschrift Grünwald
XXXIX
Verantwortung und Gestaltung: Festschrift für Karlheinz Boujong zum 65. Geburtstag (1996) Ehrengabe für Anne-Eva Brauneck (1999) Festschrift für Hans-Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag (1978) Festschrift für Manfred Burgstaller zum 65. Geburtstag (2004) Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag (1978) Göttinger Festschrift für das Oberlandesgericht Celle: zum 250-jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle (1961) Festschrift zum 275-jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle (1986) Festschrift für Hans Dahs zum 70. Geburtstag (2005) Festschrift für Friedrich Dencker zum 70. Geburtstag (2012) Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa: Festschrift für Bernhard Diestelkamp zum 65. Geburtstag (1994) Hundert Jahre deutsches Rechtsleben: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860–1960, 2 Bde. (1960) Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Geburtstag (1977) Festschrift für Hans Dünnebier zum 75. Geburtstag (1982, Nachdruck 2014) Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70. Geburtstag (2009) Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 80. Geburtstag (2019) Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag (1969) Fortschritt im Bewußtsein der Grund- und Menschenrechte: Festschrift für Felix Ermacora zum 65. Geburtstag (1988) Menschengerechtes Strafrecht: Festschrift für Albin Eser zum 70. Geburtstag (2005) Europäische Integration und Globalisierung: Festschrift zum 60-jährigen Bestehen des Europa-Instituts (2011) Festschrift für Gerhard Fezer zum 70. Geburtstag (2008) Verfassung – Völkerrecht – Kulturgüterschutz: Festschrift für Wilfried Fiedler zum 70. Geburtstag (2011) Festschrift für Thomas Fischer (2018) Festgabe für den Strafverteidiger Dr. Heino Friebertshäuser (1997) Grundlagen und Dogmatik des gesamten Strafrechtssystems: Festschrift für Wolfgang Frisch zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Helmut Fuchs zum 65. Geburtstag (2014) 140 Jahre Goltdammer’s Archiv für Strafrecht: eine Würdigung zum 70. Geburtstag von Paul-Günter Pötz (1993) Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag (1973) Festschrift für Otto-Friedrich Frhr. von Gamm (1990) Recht und Politik: Festschrift für Peter Gauweiler zum 60. Geburtstag (2009) Kriminalistik und Strafrecht: Festschrift für Friedrich Geerds zum 70. Geburtstag (1995) Bochumer Beiträge zu aktuellen Strafrechtsthemen: Festschrift für Gerd Geilen zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Karlmann Geiß zum 65. Geburtstag (2000) Festschrift für Klaus Geppert zum 70. Geburtstag (2011) Rechtsfindung – Beiträge zur juristischen Methodenlehre: Festschrift für Oscar Adolf Germann zum 80. Geburtstag (1969) Gegenwartsfragen der Strafrechtswissenschaft: Festschrift zum 60. Geburtstag von Graf W. Gleispach (1936, Nachdruck 1995) Weltpolitik, Europagedanke, Regionalismus: Festschrift für Heinz Gollwitzer zum 65. Geburtstag (1982) Kriminalität, Persönlichkeit, Lebensgeschichte und Verhalten: Festschrift für Hans Göppinger zum 70. Geburtstag (1990) Festschrift für Karl Heinz Gössel zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Gerald Grünwald zum 70. Geburtstag (1999)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Festschrift Grützner
Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Hamm Hanack Hanauer Hassemer Heidelberg
Festschrift Heinitz Festschrift HeintschelHeinegg Festschrift Heinz Festschrift Henkel
Kargl Arthur Kaufmann
Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag (2012) Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Heinrich Henkel zum 70. Geburtstag (1974) Kriminologische Wegzeichen: Festschrift für Hans v. Hentig zum 80. Geburtstag (1967) Strafrecht zwischen System und Telos: Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum 70. Geburtstag (2008) Staatsrecht und Politik: Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag (2009) Ehrengabe für Bruno Heusinger (1968) Datenübermittlungen und Vorermittlungen: Festgabe für Hans Hilger (2003) Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Richard M. Honig zum 80. Geburtstag (1970) Jahrbuch für Recht und Ethik: Festschrift für Joachim Hruschka zum 70. Geburtstag (2006) Beiträge zum Schutz der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistung: Festschrift für Heinrich Hubmann zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag (1984) Festschrift für Günther Jakobs zum 70. Geburtstag (2007) Wie würden Sie entscheiden? Festschrift für Gerd Jauch zum 65. Geburtstag (1990) Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1985) Festschrift für Heike Jung zum 65. Geburtstag (2007) Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin (1984) Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht: Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1998) Festschrift für Walter Kargl zum 70. Geburtstag (2015) Jenseits des Funktionalismus: Arthur Kaufmann zum 65. Geburtstag (1989)
Arthur Kaufmann
Strafgerechtigkeit: Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (1993)
Kern Kerner
Tübinger Festschrift für Eduard Kern (1968) Kriminologie – Kriminalpolitik – Strafrecht: Festschrift für Hans-Jürgen Kerner zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Christian Kirchberg zum 70. Geburtstag (2017) Strafverfahren im Rechtsstaat: Festschrift für Theodor Kleinknecht zum 75. Geburtstag (1985) Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1983) Strafverteidigung und Strafprozeß: Festgabe für Ludwig Koch (1989) Festschrift für Günter Kohlmann zum 70. Geburtstag (2003) Probleme der Strafrechtserneuerung: Eduard Kohlrausch zum 70. Geburtstage dargebracht (1944, Nachdruck 1978) Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln (1988)
Festschrift v. Hentig Festschrift Herzberg Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Herzog Heusinger Hilger Hirsch Honig Hruschka
Festschrift Hubmann Festschrift Hübner Festschrift Jakobs Festschrift Jauch Festschrift Jescheck Festschrift Jung Festschrift JurGes. Berlin Festschrift Kaiser Festschrift Festschrift (1989) Festschrift (1993) Festschrift Festschrift
Festschrift Kirchberg Festschrift Kleinknecht Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Aktuelle Probleme des internationalen Strafrechts – Beiträge zur Gestaltung des internationalen und supranationalen Strafrechts: Heinrich Grützner zum 65. Geburtstag (1970) Festschrift für Rainer Hamm zum 65. Geburtstag (2008) Festschrift für Ernst-Walter Hanack zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Rudolf Hanauer aus Anlass seines 70. Geburtstages (1978) Festschrift für Winfried Hassemer zum 70. Geburtstag (2010) Richterliche Rechtsfortbildung: Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg (1986) Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag (1972) Festschrift für Bernd von Heintschel-Heinegg zum 70. Geburtstag (2015)
Klug Koch Kohlmann Kohlrausch
Festschrift Köln
XL
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Festschrift Krause Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Krey Küper Kühne Lackner Lampe
Festschrift Lange Festschrift Laufs Festschrift Leferenz Festschrift Lenckner Festschrift Lüderssen Festschrift Maihofer Festschrift Maiwald Festschrift Mangakis Festschrift Maurach Festschrift H. Mayer Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Mehle Merkel Meyer-Goßner Mezger Middendorff Miyazawa
Festschrift Festschrift Festschrift (1998) Festschrift (2001) Festschrift
E. Müller (2003) E. Müller (2008) Müller-Dietz Müller-Dietz Nehm
Festschrift Neumann Festschrift Nishihara Festschrift Nobbe Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Odersky Oehler Otto Paarhammer Paeffgen
Festschrift Pallin Festschrift Partsch Festschrift Peters Festschrift Ch. Pfeiffer
XLI
Recht und Kriminalität: Festschrift für Friedrich-Wilhelm Krause zum 70. Geburtstag (1990) Festschrift für Volker Krey zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag (2007) Festschrift für Hans-Heiner Kühne zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag (1987) Jus humanum – Grundlagen des Rechts und Strafrecht: Festschrift für Ernst-Joachim Lampe zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag (1976, Nachdruck 2017) Humaniora, Medizin – Recht – Geschichte: Festschrift für Adolf Laufs zum 70. Geburtstag (2006) Kriminologie – Psychiatrie – Strafrecht: Festschrift für Heinz Leferenz zum 70. Geburtstag (1983) Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Klaus Lüderssen zum 70. Geburtstag (2002) Rechtsstaat und Menschenwürde: Festschrift für Werner Maihofer zum 70. Geburtstag (1988) Festschrift für Manfred Maiwald zum 75. Geburtstag (2010) Strafrecht – Freiheit – Rechtsstaat: Festschrift für Georgios Mangakis (1999) Festschrift für Reinhart Maurach zum 70. Geburtstag (1972) Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag (1966) Festschrift für Volkmar Mehle zum 65. Geburtstag (2009) Festschrift für Reinhard Merkel zum 70. Geburtstag (2020) Festschrift für Lutz Meyer-Goßner zum 65. Geburtstag (2001) Festschrift für Edmund Mezger zum 70. Geburtstag (1954) Festschrift für Wolf Middendorff zum 70. Geburtstag (1986) Festschrift für Koichi Miyazawa: dem Wegbereiter des japanisch-deutschen Strafrechtsdiskurses (1995) Opuscula Honoraria: Egon Müller zum 65. Geburtstag (2003) Festschrift für Egon Müller zum 70. Geburtstag (2008) Das Recht und die schönen Künste: Heinz Müller-Dietz zum 65. Geburtstag (1998) Grundlagen staatlichen Strafens: Festschrift für Heinz-Müller-Dietz zum 70. Geburtstag (2001) Strafrecht und Justizgewährung: Festschrift für Kay Nehm zum 65. Geburtstag (2006) Rechtsstaatliches Strafrecht: Festschrift für Ulfrid Neumann zum 70. Geburtstag (2017) Festschrift für Haruo Nishihara zum 70. Geburtstag (1998) Entwicklungslinien im Bank- und Kapitalmarktrecht: Festschrift für Gerd Nobbe zum 65. Geburtstag (2009) Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag (1996, Nachdruck 2018) Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Harro Otto zum 70. Geburtstag (2007) In mandatis meditari: Festschrift für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag (2012) Strafe und Prozess im freiheitlichen Rechtsstaat: Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen zum 70. Geburtstag (2015) Strafrecht, Strafprozeßrecht und Kriminologie: Festschrift für Franz Pallin zum 80. Geburtstag (1989) Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung: Festschrift für Karl Josef Partsch zum 75. Geburtstag (1989) Einheit und Vielfalt des Strafrechts: Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag (1974) Kriminologie ist Gesellschaftswissenschaft: Festschrift für Christian Pfeiffer zum 70. Geburtstag (2014)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Festschrift Pfeiffer Festschrift Pfenniger Festschrift Platzgummer Festschrift Pötz Festschrift Puppe Festschrift Rasch Festschrift Rebmann Festschrift Reichsgericht
Festschrift Reichsjustizamt Festschrift Rengier Festschrift Richterakademie Festschrift Rieß Festschrift Richter Festschrift Rissing-van Saan Festschrift Rittler Festschrift Rogall
Festschrift Rolinski Festschrift Rosenfeld Festschrift Rössner Festschrift Roxin (2001) Festschrift Roxin (2011) Festschrift Imme Roxin Festschrift Rudolphi Festschrift Salger
Festschrift Samson Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Sarstedt Sauer G. Schäfer K. Schäfer Schaffstein Schewe
Festschrift W. Schiller Festschrift SchleswigHolstein Festschrift Schlothauer Festschrift Schlüchter Festschrift N. Schmid
Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht: Festschrift für Gerd Pfeiffer zum Abschied aus dem Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes (1988) Strafprozeß und Rechtsstaat: Festschrift zum 70. Geburtstag von H. F. Pfenniger (1976) Festschrift für Winfried Platzgummer zum 65. Geburtstag (1995) s. Festschrift GA Strafrechtswissenschaft als Analyse und Konstruktion: Festschrift für Ingeborg Puppe zum 70. Geburtstag (2011) Die Sprache des Verbrechens – Wege zu einer klinischen Kriminologie: Festschrift für Wilfried Rasch (1993) Festschrift für Kurt Rebmann zum 65. Geburtstag (1989) Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben: Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 5: Strafrecht und Strafprozeß (1929) Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz: Festschrift zum 100-jährigen Gründungstag des Reichsjustizamtes am 1.1.1877 (1977) Festschrift für Rudolf Rengier zum 70. Geburtstag (2018) Justiz und Recht: Festschrift aus Anlaß des 10-jährigen Bestehens der Deutschen Richterakademie in Trier (1983) Festschrift für Peter Rieß zum 70. Geburtstag (2002) Verstehen und Widerstehen: Festschrift für Christian Richter II zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Ruth Rissing-van Saan zum 65. Geburtstag (2011) Festschrift für Theodor Rittler zu seinem 80. Geburtstag (1957) Systematik in Strafrechtswissenschaft und Gesetzgebung: Festschrift für Klaus Rogall zum 70. Geburtstag am 10. August 2018 – Reihe Schriften zum Strafrecht (2018) Festschrift für Klaus Rolinski zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Ernst Heinrich Rosenfeld zu seinem 80. Geburtstag (1949) Über allem: Menschlichkeit: Festschrift für Dieter Rössner zum 70. Geburtstag (2015) Festschrift für Claus Roxin zum 70. Geburtstag (2001) Strafrecht als Scientia Universalis: Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag (2011) Festschrift für Imme Roxin zum 75. Geburtstag (2012) Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag (2004) Straf- und Strafverfahrensrecht, Recht und Verkehr, Recht und Medizin: Festschrift für Hannskarl Salger zum Abschied aus dem Amt als Vizepräsident des Bundesgerichtshofes (1995) Recht – Wirtschaft – Strafe: Festschrift für Erich Samson zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag (1981, Nachdruck 2014) Festschrift für Wilhelm Sauer zu seinem 70. Geburtstag (1949) NJW-Sonderheft für Gerhard Schäfer zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Karl Schäfer zum 80. Geburtstag (1980, Nachdruck 2019) Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag (1975) Medizinrecht – Psychopathologie – Rechtsmedizin: diesseits und jenseits der Grenzen von Recht und Medizin: Festschrift für Günter Schewe zum 60. Geburtstag (1991) Festschrift für Wolf Schiller zum 65. Geburtstag (2014) Strafverfolgung und Strafverzicht: Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Staatsanwaltschaft Schleswig-Holstein (1992) Festschrift für Reinhold Schlothauer zum 70. Geburtstag (2018) Freiheit und Verantwortung in schwieriger Zeit: kritische Studien aus vorwiegend straf(prozeß-)rechtlicher Sicht zum 60. Geburtstag von Ellen Schlüchter (1998) Wirtschaft und Strafrecht: Festschrift für Niklaus Schmid zum 65. Geburtstag (2001)
XLII
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
R. Schmid Eb. Schmidt Schmidt-Leichner Schmitt Schneider
Festschrift Schöch Festschrift Schreiber Festschrift Schroeder Festschrift Schünemann Festschrift SchülerSpringorum Festschrift Schwind Festschrift Schwinge Festschrift Seebode Festschrift Sendler Festschrift Spendel Festschrift Spinellis Festschrift Steinhilper Festschrift Stock Festschrift Stöckel Festschrift Stree/Wessels Festschrift Stutte Festschrift Tiedemann Festschrift Trechsel Festschrift Triffterer Festschrift Tröndle Festschrift Tübingen
Festschrift Venzlaff Festschrift Volk Festschrift Vormbaum Festschrift Waseda Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
XLIII
Wassermann v. Weber Weber Welzel Widmaier
Recht, Justiz, Kritik: Festschrift für Richard Schmid zum 85. Geburtstag (1985) Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag (1961) Festschrift für Erich Schmidt-Leichner zum 65. Geburtstag (1977) Festschrift für Rudolf Schmitt zum 70. Geburtstag (1992) Kriminologie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert: Festschrift für Hans Joachim Schneider zum 70. Geburtstag (1998, Nachdruck 2011) Festschrift für Heinz Schöch zum 70. Geburtstag (2010) Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie: Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag (2006) Streitbare Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Bernd Schünemann zum 70. Geburtstag (2014) Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag (1993) Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen: Festschrift für Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag (2006) Persönlichkeit in der Demokratie: Festschrift für Erich Schwinge zum 70. Geburtstag (1973) Festschrift für Manfred Seebode zum 70. Geburtstag (2008) Bürger – Richter – Staat: Festschrift für Horst Sendler zum Abschied aus seinem Amt (1991) Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstag (1992) Die Strafrechtswissenschaft im 21. Jahrhundert: Festschrift für Dionysios Spinellis, 2 Bde. (2001) Kriminologie und Medizinrecht: Festschrift für Gernot Steinhilper zum 70. Geburtstag (2013) Studien zur Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Ulrich Stock zum 70. Geburtstag (1966) Strafrechtspraxis und Reform: Festschrift für Heinz Stöckel zum 70. Geburtstag (2010) Beiträge zur Rechtswissenschaft: Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels zum 70. Geburtstag (1993) Jugendpsychiatrie und Recht: Festschrift für Hermann Stutte zum 70. Geburtstag (1979) Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht: Dogmatik, Rechtsvergleich, Rechtstatsachen; Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag (2008) Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte: Festschrift für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag (1989, Nachdruck 2020) Tradition und Fortschritt im Recht: Festschrift gewidmet der Tübinger Juristenfakultät zu ihrem 500-jährigen Bestehen 1977 von ihren gegenwärtigen Mitgliedern (1977) Forensische Psychiatrie – Entwicklungen und Perspektiven: Festschrift für Ulrich Venzlaff zum 85. Geburtstag (2006) In dubio pro libertate: Festschrift für Klaus Volk zum 65. Geburtstag (2009) Strafrecht und Juristische Zeitgeschichte: Symposium anlässlich des 70. Geburtstages von Thomas Vormbaum (2014) Recht in Ost und West: Festschrift zum 30-jährigen Jubiläum des Instituts für Rechtsvergleichung der Waseda-Universität (1988) Festschrift für Rudolf Wassermann zum 60. Geburtstag (1985) Festschrift für Hellmuth von Weber zum 70. Geburtstag (1963) Festschrift für Ulrich Weber zum 70. Geburtstag (2004) Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag (1974) Strafverteidigung, Revision und die gesamten Strafrechtswissenschaften: Festschrift für Gunter Widmaier zum 70. Geburtstag (2008)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Wolf Wolff Wolter Würtenberger
Festschrift Würtenberger II Festschrift Würzburger Juristenfakultät Festschrift Yamanaka Festschrift Zeidler Festschrift Zoll Festschrift Zweibrücken Fischer Forster/Joachim Frank Freiburg-Symposium Freund/Rostalski AT Frisch, Vorsatz und Risiko Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten Frister Gallas, Beiträge Gedächtnisschrift Delitala Gedächtnisschrift Joecks Gedächtnisschrift Armin Kaufmann Gedächtnisschrift H. Kaufmann Gedächtnisschrift Keller Gedächtnisschrift Meurer Gedächtnisschrift K. Meyer Gedächtnisschrift Noll Gedächtnisschrift H. Peters Gedächtnisschrift Radbruch Gedächtnisschrift Schlüchter Gedächtnisschrift Schröder Gedächtnisschrift Seebode Gedächtnisschrift Tjong Gedächtnisschrift Vogler Gedächtnisschrift E. Weßlau Gedächtnisschrift Zipf Gimbernat et al.
Gössel I, II
Gössel/Dölling
Mensch und Recht: Festschrift für Erik Wolf zum 70. Geburtstag (1972) Festschrift für E. A. Wolff zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Jürgen Wolter zum 70. Geburtstag (2013) Kultur, Kriminalität, Strafrecht: Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (1977) Verfassungsstaatlichkeit im Wandel: Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (2013) Raum und Recht: Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002) Rechtsstaatliches Strafen. Festschrift für Keiichi Yamanaka zum 70. Geburtstag (2017) Festschrift für Wolfgang Zeidler (1987) Rechtsstaat und Strafrecht: Festschrift für Andrzej Zoll zum 70. Geburtstag (2012) 175 Jahre Pfälzisches Oberlandesgericht: 1815 Appellationshof, Oberlandesgericht 1990 (1990) Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, Kurzkommentar, 69. Aufl. (2022) Alkohol und Schuldfähigkeit (1997) Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich nebst dem Einführungsgesetz, 18. Aufl. (1931) s. Tiedemann Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2019) (vormals Freund) Vorsatz und Risiko: Grundfragen des tatbestandsmäßigen Verhaltens und des Vorsatzes (1983) Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs (1988) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 9. Aufl. (2020) Beiträge zur Verbrechenslehre (1968) Gedächtnisschrift für (Studi in memoria di) Giacomo Delitala, 3 Bde. (1984) Strafrecht – Wirtschaftsstrafrecht – Steuerrecht: Gedächtnisschrift für Wolfgang Joecks (2018) Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann (1989) Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift für Rolf Keller (2003) Gedächtnisschrift für Dieter Meurer (2002, Nachdruch 2014) Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer (1990, Nachdruck 2019) Gedächtnisschrift für Peter Noll (1984) Gedächtnisschrift für Hans Peters (1967) Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch (1968) Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter (2002) Gedächtnisschrift für Horst Schröder (1978) Im Zweifel für die Freiheit: Gedächtnisschrift für Manfred Seebode (2015) Gedächtnisschrift für Zong Uk Tjong (1985) Gedächtnisschrift für Theo Vogler (2004) Gedächtnisschrift für Edda Weßlau (2016) Gedächtnisschrift für Heinz Zipf (1999) Internationale Dogmatik der objektiven Zurechnung und der Unterlassungsdelikte: Spanisch-Deutsches Symposium zu Ehren von Claus Roxin, hrsg. v. Gimbernat et al. (1995) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter des Individuums, 2. Aufl. (1999); Bd. 2: Straftaten gegen materielle Rechtsgüter des Individuums (1996) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 2. Aufl. (2004)
XLIV
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Gropp/Sinn AT Gropp Sonderbeteiligungen Grundfragen
Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2020) (vormals Gropp) Deliktstypen mit Sonderbeteiligung (1992) Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, hrsg. v. Schünemann (1984)
Haft AT, BT II Hanack-Symposium Hefendehl
Strafrecht, Allgemeiner Teil, 9. Aufl. (2004); Besonderer Teil II, 8. Aufl. (2005) s. Ebert Empirische Erkenntnisse, dogmatische Fundamente und kriminalpolitischer Impetus: Symposium für Bernd Schünemann zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Hefendehl (2005) Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht (2002)
Hefendehl Kollektive Rechtsgüter Heghmanns BT Heinrich vHH v. Heintschel-Heinegg Hilgendorf/Kudlich/Valerius Hilgendorf/Valerius v. Hippel I, II HK-GS Hoffmann-Holland Hohmann/Sander Hruschka Jäger BT Jakobs AT Jescheck, Beiträge I, II
Jescheck/Weigend Joecks/Jäger Kienapfel/Höpfel/Kert Kienapfel, Urkunden Kindhäuser/Zimmerman Kindhäuser/Schramm Kindhäuser/Böse Kindhäuser/Hilgendorf Kindhäuser, Gefährdung Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen Klesczewski AT, BT I/II/III
Klesczewski BT Köhler AT Kohlrausch/Lange Krey/Esser Krey/Hellmann/Heinrich BT 1, 2 Kühl AT
XLV
Strafrecht Besonderer Teil, Strafrecht für alle Semester, 2. Aufl. (2021) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. (2019) Strafgesetzbuch, Kommentar, hrsg. v. von Heintschel-Heinegg, 4. Aufl. (2021) s. vHH Handbuch des Strafrechts, Bd. 4: Strafrecht Besonderer Teil I (2019); Bd. 5: Strafrecht, Besonderer Teil II (2020) Strafrecht, Besonderer Teil II, 2. Aufl. (2021) (vormals Haft/Hilgendorf) Deutsches Strafrecht, Bd. 1 (1925); Bd. 2 (1930) Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, Handkommentar, 5. Aufl. (2022) Strafrecht, Besonderer Teil (2015) Strafrecht, Besonderer Teil, 4. Aufl. (2021) Strafrecht nach logisch-analytischer Methode, 2. Aufl. (1988, Nachdruck 2011) Examens-Repetitorium Strafrecht Besonderer Teil, 9. Aufl. (2021) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1993) Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft: ausgewählte Beiträge zur Strafrechtsreform, zur Strafrechtsvergleichung, zum internationalen Strafrecht, 1953–1979 (1980) (I); Beiträge zum Strafrecht, 1980–1998 (1998) (II), jew. hrsg. v. Vogler Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996) Strafgesetzbuch, Studienkommentar, 13. Aufl. (2021) (vormals Joecks) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 16. Aufl. (2020) (vormals Kienapfel) Urkunden und andere Gewährschaftsträger im Strafrecht (1967) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 10. Aufl. (2021) Strafrecht, Besonderer Teil I: Straftaten gegen Persönlichkeitsrechte, Staat und Gesellschaft, 10. Aufl. (2021) Strafrecht, Besonderer Teil II: Straftaten gegen Vermögensrechte, 11. Aufl. (2020) Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar, 9. Aufl. (2022) Gefährdung als Straftat (1989) s. NK Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2017); Besonderer Teil I: Straftaten gegen die Person (2010); Besonderer Teil II: Vermögensdelikte (2011); Besonderer Teil III: Straftaten gegen Kollektivrechtsgüter (2012) Strafrecht Besonderer Teil – Lehrbuch zum Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland (2016) Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil (1997) Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Nebengesetzen, 43. Aufl. (1961, Nachdruck 2019) Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (2022) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte, 17. Aufl. (2021); Bd. 2: Vermögensdelikte, 18. Aufl. (2021) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2017)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Küper/Zopfs BT Küpper/Börner
Strafrecht, Besonderer Teil, 10. Aufl. (2018) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Delikte gegen Rechtsgüter der Person und Gemeinschaft, 4. Aufl. (2017) (vormals Küpper)
Lackner/Kühl Leipold/Tsambikakis/Zöller Leitner/Rosenau v. Liszt, Aufsätze v. Liszt/Schmidt AT, BT
Strafgesetzbuch, Kommentar, 29. Aufl. (2018) s. AnwK s. NK-WSS Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, 2 Bde. (1925) Lehrbuch des deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil, 26. Aufl. (1932); Besonderer Teil, 25. Aufl. (1925) Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 12. Aufl. hrsg. v. Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (2006 ff.); 13. Aufl. hrsg. v. Cirener/Radtke/Rissing-van Saan/ Rönnau/Schluckebier (2018 ff.) Strafrecht AT, 16. Aufl. (2021)
LK
Lutz Madrid-Symposium Manoledakis/Prittwitz Matheus Matt/Renzikowski Maurach AT, BT Maurach/Zipf/Jäger Maurach/Gössel/Zipf Maurach/Schroeder/Maiwald I, II Maurach/Schroeder/ Maiwald/Hoyer/Momsen H. Mayer AT H. Mayer, Strafrecht H. Mayer, Studienbuch Mezger, Strafrecht Mitsch BT MK
Naucke Niederschriften I–XIV Niethammer Niggli/Queloz NK NK-WSS
Oehler v. Olshausen Otto AT, BT
s. Schünemann/Suárez Strafrechtsprobleme an der Jahrtausendwende: Deutsch-Griechisches Symposium in Rostock 1999, hrsg. v. Manoledakis/Prittwitz (2000) Strafrecht BT 2, Nichtvermögensdelikte, 13. Aufl. (2021) Strafgesetzbuch, Kommentar, 2. Aufl. (2020) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (1971); Besonderer Teil, 5. Aufl. (1969) mit Nachträgen von 1970/71 Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilbd. 1: Grundlehren des Strafrechts und Aufbau der Straftat, 9. Aufl. (2021) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilbd. 2: Erscheinungsformen des Verbrechens und Rechtsfolgen der Tat, 8. Aufl. (2014) Strafrecht, Besonderer Teil, Teilbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Vermögenswerte, 10. Aufl. (2009); Teilbd. 2: Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, 10. Aufl. (2013) Strafrecht, Besonderer Teil, Teilbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Vermögenswerte, 11. Aufl. (2019) Strafrecht, Allgemeiner Teil (1953) Das Strafrecht des deutschen Volkes (1936) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Studienbuch (1967) Strafrecht, Lehrbuch, 3. Aufl. (1949) (ergänzt durch: Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik [1950]) Strafrecht, Besonderer Teil 2: Vermögensdelikte, 3. Aufl. (2015) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Joecks/Miebach, 3. Aufl. (2017), 4. Aufl. (2020 ff.) Strafrecht, Eine Einführung, 11. Aufl. (2008) Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 14 Bde. (1956–1960) Lehrbuch des Besonderen Teils des Strafrechts (1950) Strafjustiz und Rechtsstaat: Symposium zum 60. Geburtstag von Franz Riklin und José Hurtado Pozo, hrsg. v. Niggli/Queloz (2003) Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen, 5. Aufl. (2017) Nomos-Kommentar zum Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, hrsg. v. Leitner/ Rosenau, 1. Aufl. (2017) Internationales Strafrecht, 2. Aufl. (1983) Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 12. Aufl. (§§ 1–246), bearb. v. Freiesleben u.a. (1942 ff.); sonst 11. Aufl. bearb. v. Lorenz u.a. (1927) Grundkurs Strafrecht: Allgemeine Strafrechtslehre/Die einzelnen Delikte, jew. 7. Aufl. (2005)
XLVI
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Pfeiffer/Maul/Schulte Preisendanz Puppe Rengier AT, BT 1, 2
Riklin-Hurtado-Symposium Rostock-Symposium Roxin/Greco AT I Roxin AT II Roxin TuT Roxin/Arzt/Tiedemann Roxin-Symposium Sack Safferling Satzger/Schluckebier/ Widmaier Sauer AT, BT Schäfer/v. Dohnanyi Schmidt AT, BT I, BT II Schmidt-Salzer Schmidhäuser Schmidhäuser AT, BT, StuB Schöch Schönke/Schröder Schramm Schramm Schroth BT Schünemann/de Figueiredo Dias Schünemann/Suárez Sieber Sieber/Cornils SK sLSK Sonnen SSW Stratenwerth/Kuhlen AT Tendenzen der Kriminalpolitik
XLVII
Strafgesetzbuch, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (1969) Strafgesetzbuch, Lehrkommentar, 30. Aufl. (1978) Strafrecht, Allgemeiner Teil, im Spiegel der Rechtsprechung, 4. Aufl. (2019) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 13. Aufl. (2021); Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 23. Aufl. (2021); Bd. 2: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit, 22. Aufl. (2021) s. Niggli/Queloz s. Manoledakis/Prittwitz Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 1: Grundlagen – Der Aufbau der Verbrechenslehre, 5. Aufl. (2020) (vormals Roxin) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 2: Besondere Erscheinungsformen der Straftat (2003) Täterschaft und Tatherrschaft, 10. Aufl. (2019) Einführung in das Strafrecht und Strafprozessrecht, 6. Aufl. (2014) s. Gimbernat Umweltschutz-Strafrecht, Erläuterung der Straf- und Bußgeldvorschriften, Loseblattausgabe, 46. Aktualisierung (Februar 2021) Internationales Strafrecht (2011) s. SSW Allgemeine Strafrechtslehre, 3. Aufl. (1955); System des Strafrechts, Besonderer Teil (1954) Die Strafgesetzgebung der Jahre 1931 bis 1935 (1936) (Nachtrag zur 18. Aufl. v. Frank: das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich [1931]) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Besonderer Teil I und II, jew. 22. Aufl. (2021) Produkthaftung, Bd. 1: Strafrecht, 2. Aufl. (1988) Einführung in das Strafrecht, 2. Aufl. (1984) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1975); Besonderer Teil, 2. Aufl. (1983); Studienbuch: Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1984) Wiedergutmachung und Strafrecht: Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstages von Friedrich Schaffstein, hrsg. v. Schöch (1987) Strafgesetzbuch, Kommentar, 30. Aufl. (2019) Internationales Strafrecht, 2. Aufl. (2018) Strafrecht, Besonderer Teil II, 2. Aufl. (2020) Strafrecht, Besonderer Teil, 5. Aufl. (2010) Bausteine des Europäischen Strafrechts: Coimbra-Symposium für Claus Roxin, hrsg. v. Schünemann/de Figueiredo Dias (1995) Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts: Madrid-Symposium für Klaus Tiedemann, hrsg. v. Schünemann/Suárez (1994) Verantwortlichkeit im Internet (1999) Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, hrsg. v. Sieber/Cornils (2008 ff.) Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 9. Aufl. (2017) Systematischer Leitsatzkommentar zum Sanktionenrecht, hrsg. v. Horn, Loseblattausgabe (1983 ff.) Strafrecht, Besonderer Teil (2005) Strafgesetzbuch, Kommentar, hrsg. v. Satzger/Schluckebier/Widmaier, 5. Aufl. (2020) Strafrecht, Allgemeiner Teil – Die Straftat, 6. Aufl. (2011) Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, Beiträge zu einem deutschskandinavischen Strafrechtskolloquium, hrsg. v. Cornils/Eser (1987)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Tiedemann Tiedemann, Anfängerübung Tiedemann, Tatbestandsfunktionen Tiedemann-Symposium Walter v. Weber Welzel, Strafrecht Welzel, Strafrechtssystem Wessels/Beulke/Satzger Wessels/Hettinger/Engländer Wessels/Hillenkamp/Schuhr WK Wohlers Deliktstypen Wolters Zieschang AT Zieschang, Gefährdungsdelikte Zöller BT 1
Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, Rechtsdogmatik – Rechtsvergleich – Rechtspolitik (Freiburg-Symposium), hrsg. v. Tiedemann (2002) Die Anfängerübung im Strafrecht, 4. Aufl. (1999) Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht (1969) s. Schünemann/Suárez Der Kern des Strafrechts (2006) Grundriß des deutschen Strafrechts, 2. Aufl. (1948) Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969) Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl. (1961) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 51. Aufl. (2021) Strafrecht, Besonderer Teil 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 45. Aufl. (2021) Strafrecht, Besonderer Teil 2: Straftaten gegen Vermögenswerte, 44. Aufl. (2021) Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch – StGB, hrsg. v. Höpfl/Ratz, Loseblattausgabe, 2. Aufl. (1999 ff.) Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte (2000) Das Unternehmensdelikt (2001) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. (2020) Die Gefährdungsdelikte (1998) Strafrecht Besonderer Teil 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. (2015)
2. Betäubungsmittelstrafrecht BeckOK-BtMG Franke/Wienroeder Joachimski/Haumer Patzak/Volkmer/Fabricius Webel Weber/Kornprobst/Maier
Beck’scher Online-Kommentar BtMG, hrsg. v. Bohnen/Schmidt, 15. Edition (2022) Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 3. Aufl. (2007) Betäubungsmittelgesetz (mit ergänzenden Bestimmungen), Kommentar, 7. Aufl. (2002) Betäubungsmittelgesetz, Kurzkommentar, 10. Aufl. (2022) Betäubungsmittelstrafrecht (2003) Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 6. Aufl. (2021)
3. Bürgerliches Recht einschließlich Versicherungsrecht Bruck/Möller Erman Jauernig Larenz/Wolf MK-BGB MK-VVG Neuner Grüneberg Prütting/Wegen/Weinreich RGRK
Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 9. Aufl. (2008 ff.), 10. Aufl. (2021 ff.) Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 16. Aufl. (2020) Bürgerliches Gesetzbuch – BGB, 18. Aufl. (2021) s. Wolf/Neuner Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 7. Aufl. (2015 ff.), 9. Aufl. (2021 ff.), jew. hrsg. v. Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg Münchener Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, hrsg. v. Langheid/ Wandt, 2. Aufl. (2016) Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12. Aufl. (2020) Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz (Auszug), 81. Aufl. (2022) (vormals Palandt) BGB-Kommentar, 16. Aufl. (2021) Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes XLVIII
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
HK-BGB Soergel Staudinger
(Reichsgerichtsrätekommentar), hrsg. v. Mitgliedern des Bundesgerichtshofes, 12. Aufl. (1975–1999) Schulze/Dörner/Ebert/Hoeren/Kemper/Saenger/Scheuch/Schreiber/Schulte-Nölke/ Staudinger/Wiese, Bürgerliches Gesetzbuch, Handkommentar, 11. Aufl. (2022) Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Aufl. (1999 ff.) J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Aufl. Bearbeitungen (1993 ff.)
4. DDR-Strafrecht StGB-Komm.-DDR StGB-Lehrb.-DDR AT, BT StGB-Lehrb.-DDR 1988 StPO-Komm.-DDR StPO-Lehrb.-DDR
Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Kommentar, 5. Aufl. (1987) Strafrecht der DDR, Lehrbuch: Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1976); Besonderer Teil (1981) Strafrecht der DDR, Lehrbuch, Allgemeiner Teil (1988) Strafprozeßrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Kommentar, 3. Aufl. (1989) Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, 3. Aufl. (1987)
5. Europäisches Recht Bleckmann Geiger/Khan/Kotzur GKK GKN Grabitz/Hilf/Nettesheim Hailbronner/Klein/Magiera/ Müller-Graff HKMM
Europarecht, 6. Aufl. (1997) s. GKK EUV/AEUV, Kommentar, hrsg. v. Geiger/Khan/Kotzur, 6. Aufl. (2017) Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Loseblattausgabe, hrsg. v. Grabitz/Hilf/Nettesheim, 74. Lfg. (September 2021) s. GKN s. HKMM
Handkommentar zum Vertrag über die Europäische Union (EUV/EGV), hrsg. v. Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Loseblattausgabe (1991 ff.) HdEuropR Handbuch des Europäischen Rechts, Loseblattausgabe, hrsg. v. Ehlermann/ Bieber/Haag, 714. Lfg. (2021) Hecker Europäisches Strafrecht, 6. Aufl. (2021) Hobe/Fremuth Europarecht, 10. Aufl. (2020) (vormals Fremuth) IM EG Wettbewerbsrecht, Bd. 1: EU, 2 Teilbände, hrsg. v. Immenga/Mestmäcker, 5. Aufl. (2012); Nachtrag zu Teilbd. 1 (2014); 6. Aufl. (2019 ff.) Immenga/Mestmäcker EG s. IM EG Satzger Internationales und Europäisches Strafrecht, 9. Aufl. (2020) Schwarze EU-Kommentar, hrsg. v. Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, 4. Aufl. (2019) Schweitzer/Hummer Europarecht, 6. Aufl. (2008) Sieber/Satzger/v. Heintschel- s. SSvHH Heinegg SSvHH Europäisches Strafrecht, hrsg. v. Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg, 2. Aufl. (2014) Streinz Europarecht, 11. Aufl. (2019)
XLIX
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
6. Handelsrecht einschließlich Bilanz- und Gesellschaftsrecht Baumbach/Hopt Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn Großfeld/Luttermann Habersack/Casper/Löbbe Hachenburg Heymann GK-AktG Koch MK-HGB Schmidt/Lutter Scholz Staub Ulmer/Habersack/Löbbe UHL
Handelsgesetzbuch: HGB mit GmbH & Co., Handelsklauseln, Bank- und Börsenrecht, Transportrecht, 40. Aufl. (2021) Handelsgesetzbuch, 4. Aufl. (2020) Bilanzrecht, 4. Aufl. (2005) GmbHG, Großkommentar in 3 Bänden, hrsg. v. Habersack/Casper/Löbbe, Bd. 1: Einleitung, §§ 1-28, 3. Aufl. (2019) GmbHG, Kommentar, 8. Aufl. (1993 bis 1997) HGB, Kommentar, 2. Aufl. (2004), 3. Aufl. (2019 ff.) Großkommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. hrsg. v. Hopt/Wiedemann (1992 ff.); 5. Aufl. hrsg. v. Hirte/Mülbert/Roth (2015 ff.) Aktiengesetz – AktG, Kommentar, 16. Aufl. (2022) Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, hrsg. v. K. Schmidt, 4. Aufl. (2016 ff.), 5. Aufl. (2021 ff.) AktG, Kommentar in 2 Bänden, 4. Aufl. (2020) Kommentar zum GmbH-Gesetz in 3 Bänden, 12. Aufl. (2018 ff.) Großkommentar zum HGB, 6. Aufl. (2021 ff.) s. UHL GmbHG, Großkommentar in 2 Bänden, hrsg. v. Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. (2016)
7. Jugendstrafrecht AK JGG Beulke/Swoboda Brunner Brunner/Dölling Böhm/Feuerhelm Diemer/Schatz/Sonnen Eisenberg/Kölbel JGG Laubenthal/Baier/Nestler Ostendorf JGG Streng Walter/Neubacher
Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann (1987) Jugendstrafrecht, 16. Aufl. (2020) (vormals Schaffstein/Beulke/Swoboda) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Aufl. (1991) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 13. Aufl. (2017) Einführung in das Jugendstrafrecht, 4. Aufl. (2004) Jugendgerichtsgesetz mit Jugendstrafvollzugsgesetzen, Kommentar, 8. Aufl. (2020) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 22. Aufl. (2021) Jugendstrafrecht, 3. Aufl. (2015) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 11. Aufl. (2021) Jugendstrafrecht, 5. Aufl. (2020) Jugendkriminalität: eine systematische Darstellung, 4. Aufl. (2011)
8. Kriminologie Albrecht Dittmann/Jehle Eisenberg/Kölbel Göppinger Göppinger HwbKrim
IntHdbKrim Kaiser/Schöch/Kinzig
Kriminologie, 4. Aufl. (2010) Kriminologie zwischen Grundlagenwissenschaften und Praxis, hrsg. v. Dittmann/ Jehle (2003) Kriminologie, 7. Aufl. (2017) (vormals Eisenberg) Kriminologie, 4. Aufl. (1980) Kriminologie, hrsg. v. Göppinger/Bock, 6. Aufl. (2008) Handwörterbuch der Kriminologie, hrsg. v. Sieverts/Schneider, Bd. 1–3, Ergänzungsband (Bd. 4), Nachtrags- und Registerband (Bd. 5), 2. Aufl. (1966–1998) Internationales Handbuch der Kriminologie, hrsg. v.H.-J. Schneider, Bd. 1 (2007); Bd. 2 (2009) Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, hrsg. v. Schöch/Kinzig, 8. Aufl. (2015) L
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Kaiser, Einführung Kunz/Singelstein Meier Mezger, Kriminologie Schneider Schneider, Kriminologie Schwind
Kriminologie: eine Einführung in die Grundlagen, 10. Aufl. (1997) Kriminologie, 8. Aufl. (2021) Kriminologie, 6. Aufl. (2021) Kriminologie, Studienbuch (1951) Kriminologie, Lehrbuch, 3. Aufl. (1992) Kriminologie: Ein internationales Handbuch (2014) Kriminologie und Kriminalpolitik, 24. Aufl. (2021)
9. Ordnungswidrigkeitenrecht Bülte Göhler HK-OWiG KK-OWiG Krenberger/Krumm Mitsch, OWiG Rebmann/Roth/Hermann
Ordnungswidrigkeitenrecht, 6. Aufl. (2020) (vormals Bohnert/Bülte) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kurzkommentar, 18. Aufl. (2021) Heidelberger Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, hrsg. v. Lemke u.a., 2. Aufl. (2005) Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten: OWiG, hrsg. v. Mitsch, 5. Aufl. (2018) OWiG Ordnungswidrigkeitengesetz, Kommentar, 6. Aufl. (2020) (vormals Bohnert/ Krenberger/Krumm) Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl. (2005) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kommentar, Loseblattausgabe, 30. Aktualisierung (März 2021)
10. Presserecht Groß Löffler Löffler HdB Ricker/Weberling Soehring/Hoene
Presserecht, 3. Aufl. (1999) Presserecht, Kommentar, 6. Aufl. (2015) s. Ricker/Weberling Handbuch des Presserechts, begr. v. Löffler, hrsg. v. Ricker/Weberling, 7. Aufl. (2021) Presserecht, 6. Aufl. (2019) (vormals Soehring)
11. Rechtshilfe Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas Schomburg/Lagodny Vogler/Wilkitzki
Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Loseblattausgabe, 52. Aktualisierung (Oktober 2021) Internationale Rechtshilfe in Strafsachen = International Cooperation in Criminal Matters, 6. Aufl. (2020) Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), Kommentar, Loseblattausgabe (1992 ff.) als Sonderausgabe aus Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl. (1980 ff.)
12. Rechtsmedizin und Medizinstrafrecht Forster Forster/Ropohl Frister/Lindemann/Peters HfPsych I, II
LI
Praxis der Rechtsmedizin (1986) Rechtsmedizin, 5. Aufl. (1989) Arztstrafrecht (2011) Handbuch der forensischen Psychiatrie, hrsg. v. Kröber/Dölling/Leygraf/Saß, Bd. 1: Strafrechtliche Grundlagen der Gutachtenerstellung im Strafverfahren (2007); Bd. 2: Psychopathologische Grundlagen und Praxis der forensischen
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Hilgendorf Laufs Laufs/Katzenmeier/Lipp Laufs/Kern/Rehborn Prütting Rieger Roxin/Schroth Saliger/Tsambikakis Spickhoff Tsambikakis/Rostalski Ulsenheimer/Gaede Venzlaff/Foerster/Dreßing/ Habermeyer Wenzel
Psychiatrie im Strafrecht (2011); Bd. 3: Psychiatrische Kriminalprognose und Kriminaltherapie (2006); Bd. 4: Kriminologie und forensische Psychiatrie (2009); Bd. 5: Forensische Psychiatrie im Privatrecht und Öffentlichen Recht (2009) Einführung in das Medizinstrafrecht, 2. Aufl. (2019) Fortpflanzungsmedizin und Arztrecht (1992) Arztrecht, hrsg. v. Katzenmeier/Lipp, 8. Aufl. (2021) Handbuch des Arztrechts, hrsg. v. Kern/Rehborn, 5. Aufl. (2019) Medizinrecht, Kommentar, hrsg. v. Prütting, 6. Aufl. (2022) Lexikon des Arztrechts, hrsg. v. Rieger/Dahm/Steinhilper, Loseblattausgabe (2004) Handbuch des Medizinstrafrechts, hrsg. v. Roxin/Schroth, 4. Aufl. (2010) Strafrecht der Medizin, hrsg. v. Saliger/Tsambikakis (2022) Medizinrecht, hrsg. v. Spickhoff, 3. Aufl. (2018) Medizinstrafrecht, hrsg. v. Tsambikakis/Rostalki (2022) Arztstrafrecht in der Praxis, 6. Aufl. (2020) (vormals Ulsenheimer) Psychiatrische Begutachtung, hrsg. v. Dreßing/Habermeyer, 7. Aufl. (2020) Medizinrecht, hrsg. v. Wenzel, 4. Aufl. (2019)
13. Strafprozess- und Strafvollzugsrecht AK-StPO
AK-StVollzG Arloth/Krä BeckOK-StPO Beulke Beulke/Swoboda Bringewat Calliess/Müller-Dietz Eisenberg Hamm/Pauly HK-StPO Isak/Wagner Joecks Kamann Kammeier/Pollähne Kissel/Mayer KK Kleinknecht/Meyer-Goßner KMR
Kramer Kühne Laubenthal/Nestler/ Neubacher/Verrel LNNV
Kommentar zur Strafprozeßordnung – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, Bd. 1 (1988), Bd. 2 Teilbd. 1 (1992), Bd. 2 Teilbd. 2 (1993), Bd. 3 (1996) Kommentar zum Strafvollzugsgesetz – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, 3. Aufl. (1990) Strafvollzugsgesetze, Kommentar, 5. Aufl. (2021) Beck’scher Online-Kommentar StPO, hrsg. v. Graf, 43. Edition (2022) Strafprozessrecht, 13. Aufl. (2016) Strafprozessrecht, 15. Aufl. (2020) Strafvollstreckungsrecht: Kommentar zu den §§ 449-463d StPO (1993) s. Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel Beweisrecht der StPO, Spezialkommentar, 10. Aufl. (2017) Die Revision in Strafsachen, 8. Aufl. (2020) Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung, hrsg. v. Gercke/Julius/ Temming/Zöller, 6. Aufl. (2019) s. Röttle/Wagner Studienkommentar StPO, 4. Aufl. (2015) Handbuch für die Strafvollstreckung und den Strafvollzug, 2. Aufl. (2008) Maßregelvollzugsrecht, Kommentar, 4. Aufl. (2018) Gerichtsverfassungsgesetz, 10. Aufl. (2021) Karlsruher Kommentar, Strafprozessordnung – GVG, EGGVG, EMRK, hrsg. v. Hannich, 8. Aufl. (2019) s. Meyer-Goßner/Schmitt Kleinknecht/Müller/Reitberger (Begr.), Kommentar zur Strafprozeßordnung, Loseblattausgabe, 8. Aufl. (1990 ff.), ab 81. Lfg. hrsg. von v. Heintschel-Heinegg/ Bockemühl Grundlagen des Strafverfahrensrechts: Ermittlung und Verfahren, 9. Aufl. (2021) Strafprozessrecht (ehem. Strafprozeßlehre), 9. Aufl. (2015) s. LNNV Strafvollzugsgesetz, Kurzkommentar, hrsg. v. Laubenthal/Nestler/Neubacher/ Verrel, 12. Aufl. (2015) (begr. und bis zur 11. Aufl. fortgeführt von Callies/MüllerDietz) LII
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
LR Marschner/Lesting/ Stahmann Meyer-Goßner/Schmitt MK-StPO Müller Peters Pfeiffer Pohlmann/Jabel/Wolf Putzke/Scheinfeld Röttle/Wagner Roxin/Schünemann Roxin/Arzt/Tiedemann Saage/Göppinger Sarstedt/Hamm Satzger/Schluckebier/ Widmaier Schäfer, Strafverfahren Schäfer/Sander/ van Gemmeren Schätzler Eb. Schmidt, Lehrkommentar I–III
Schwind/Böhm/Jehle/ Laubenthal SK-StPO SSW-StPO Ulrich Volckart/Grünebaum Volk/Engländer Walter, Strafvollzug
Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz mit Nebengesetzen, Großkommentar, 26. Aufl. (2006 ff.), 27. Aufl. (2016 ff.) Freiheitsentziehung und Unterbringung, 6. Aufl. (2019) (vormals Marschner/ Volckart/Lesting; Saage/Göppinger) Strafprozessordnung mit GVG und Nebengesetzen, Kurzkommentar, 64. Aufl. (2021) (vormals Kleinknecht/Meyer-Goßner) Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, hrsg. v. Knauer/Kudlich/ Schneider, 1. Aufl. (2019), Bd. 3/1: §§ 333-499 StPO; Bd. 1, 1. Aufl. (2014) Beiträge zum Strafprozessrecht (2003) Strafprozeß, Ein Lehrbuch, 4. Aufl. (1985) Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz, 5. Aufl. (2005) Strafvollstreckungsordnung, Kommentar, 9. Aufl. (2015) Strafprozessrecht, 8. Aufl. (2019) Strafvollstreckung, 8. Aufl. (2009); (vormals Wetterich/Hamann; Isak/Wagner) Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. (2017) Einführung in das Strafrecht und Strafprozessrecht, 6. Aufl. (2014) s. Marschner/Volckart s. Hamm s. SSW-StPO Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl. (2000) Die Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. (2017) Handbuch des Gnadenrechts, 2. Aufl. (1992) Strafprozeßordnung, Lehrkommentar, Bd. 1: Die rechtstheoretischen und die rechtspolitischen Grundlagen des Strafverfahrensrechts, 2. Aufl. (1964); Bd. 2: Erläuterungen zur Strafprozeßordnung und zum Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung (1957) (mit Nachtragsband 1 [1967] und 2 [1970]); Bd. 3: Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz und zum Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (1960) Strafvollzugsgesetze, Kommentar, 7. Auflage (2020) Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG und EMRK, hrsg. v. Wolter, Loseblattausgabe (1986 ff., 5. Aufl. 2016 ff.) Strafprozessordnung, Kommentar, hrsg. v. Satzger/Schluckebier/Widmaier, 4. Aufl. (2020) Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl. (2007) (vormals Jessnitzer/Ulrich) Maßregelvollzug, 8. Aufl. (2015) Grundkurs StPO, 10. Aufl. (2021) Strafvollzug, 2. Aufl. (1999)
14. Straßenverkehrsrecht Bär/Hauser/Lehmpuhl Beck/Berr/Schäpe Berz/Burmann Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke Cramer Full/Möhl/Rüth Hentschel/König/Dauer Haus/Krumm/Quarch Hentschel
LIII
Unfallflucht, Kommentar, Loseblattausgabe (1978 ff.) OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 7. Aufl. (2017) (vormals Beck/Berr) Handbuch des Straßenverkehrsrechts, hrsg. von Burmann/Heß, Loseblattausgabe, 44. Lfg. (August 2021) Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 27. Aufl. (2022), hrsg. v. Burmann/Heß/ Hühnermann/Jahnke (vormals Jagow/Burmann/Heß) Straßenverkehrsrecht, Bd. 1: StVO, StGB, 2. Aufl. (1977) Straßenverkehrsrecht, Kommentar (1980) mit Nachtrag (1980/81) s. HKD Gesamtes Verkehrsrecht, hrsg. von Haus/Krumm/Quarch, 3. Aufl. (2021) Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 10. Aufl. (2006)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Hentschel/Born Hentschel/Krumm Himmelreich/Hentschel Himmelreich/Staub/Krumm/ Nissen HKD HK-StVR Hentschel/König/Dauer Janker Jagow/Burmann/Heß Jagusch/Hentschel Janiszewski Janiszewski/Jagow/Burmann JBH MK-StVR Müller I–III Rüth/Berr/Berz
Trunkenheit im Straßenverkehr, 7. Aufl. (1996) Fahrerlaubnis – Alkohol – Drogen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 7. Aufl. (2018) Fahrverbot, Führerscheinentzug, Bd. 1: Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 8. Aufl. (1995) Verkehrsunfallflucht: Verteidigerstrategien im Rahmen des § 142 StGB – mit Auslandsteil, 7. Aufl. (2019) (vormals Himmelreich/Bücken/Krumm) Straßenverkehrsrecht, hrsg. v. Hentschel/König/Dauer, 46. Aufl. (2021) (vormals Jagusch/Hentschel) Heidelberger Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, hrsg. v. Griesbaum u.a. (1993) s. HKD Straßenverkehrsdelikte: Ansatzpunkte für die Verteidigung (2002) s. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke s. HKD Verkehrsstrafrecht, 5. Aufl. (2004) s. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke s. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, hrsg. von Bender/König (2016 ff.) Straßenverkehrsrecht, Großkommentar, 22. Aufl., Bd. 1 (1969) mit Nachtrag 1969; Bd. 2 (1969); Bd. 3 (1973) Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 2. Aufl. (1988)
15. Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht AK-GG Battis BK Clemens/Scheuring/ Steingen/Wiese Dreier I–III Dürig/Herzog/Scholz Friauf Fuhr/Stahlhacke HdStR I–XIII
Jarass/Pieroth Kopp/Ramsauer Landmann/Rohmer I, II v. Mangoldt/Klein/Starck v. Münch/Kunig Plog/Wiedow Sachs Schmidt-Bleibtreu
Grundgesetz – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, 3. Aufl. (2001) Bundesbeamtengesetz, Kommentar, 5. Aufl. (2017) Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Bonner Kommentar), Loseblattausgabe, hrsg. v. Kahl/Waldhoff/Walter, 214. Lfg. (Dezember 2021) s. TVöD Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. (Bd. 1: 2013; Bd. 2: 2015; Bd. 3: 2018) Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, 7. Aufl. (1991 ff.) (bearb. v. Badura u.a.), 95. Lfg. (Juli 2021) (vormals Maunz/Dürig) Kommentar zur Gewerbeordnung – GewO, Gewerberechtlicher Teil, Loseblattausgabe, hrsg. v. Friauf (2018) s. Friauf Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Isensee/ Kirchhof, 3. Aufl (Bd. 1: 2003; Bd. 2: 2004; Bd. 3: 2005; Bd. 4: 2006; Bd. 5: 2007; Bd. 6: 2009; Bd. 7: 2009; Bd. 8: 2010; Bd. 9: 2011; Bd. 10: 2012; Bd. 11: 2013; Bd. 12: 2014; Bd. 13: 2015) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 16. Aufl. (2020) Verwaltungsverfahrensgesetz, 22. Aufl. (2021) Gewerbeordnung und ergänzende Vorschriften, Kommentar, Loseblattausgabe, Bd. 1: Gewerbeordnung; Bd. 2: Ergänzende Vorschriften, jew. 85. Aufl. (2021) Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1 (Art. 1–19), Bd. 2 (Art. 20–82), Bd. 3 (Art. 83– 146), 7. Aufl. (2018); früherer Titel: Das Bonner Grundgesetz Grundgesetz, Kommentar, Gesamtwerk in 2 Bänden, 7. Aufl. (2021) Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, mit Beamtenversorgungsgesetz. 404. Lfg. (2019) Grundgesetz-Kommentar, 9. Auflage (2021) Kommentar zum Grundgesetz, 15. Aufl. (2021) (vormals Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke)
LIV
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Bethge SBKB
Klein/Ulsamer Schoch Schoch15 Stern I–V TVöD Wolff/Bachof/Stober/Kluth
s. SBKB (vormals MSBKB) Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, hrsg. v. Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, 61. Lfg. (Juli 2021) (vormals Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge) nunmehr: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge Besonderes Verwaltungsrecht (2018) Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. (2013) (vormals Schmid-Aßmann/Schoch) Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. (1984); Bd. 2 (1980); Bd. 3/1 (1988); Bd. 3/2 (1994); Bd. 4 (1997); Bd. 4/2 (2006); Bd. 5 (2000) Kommentar zum Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD), hrsg. v. Clemens/ Scheuring/Steingen/Wiese, Loseblattausgabe, 131. Lfg. (Dezember 2021) Verwaltungsrecht, Bd. 1, 13. Aufl. (2017)
16. Wettbewerbs- und Kartellrecht Baumbach/Hefermehl Dreher/Kulka Emmerich/Lange Emmerich/Lange FK Kartellrecht GWB
Fezer/Büscher/Obergfell Immenga/Mestmäcker GWB Köhler/Bornkamm/Feddersen Köhler/Piper Ohly/Sosnitza Rittner/Dreher
s. Köhler/Bornkamm Wettbewerbs- und Kartellrecht, 11. Aufl. (2021) (vormals Rittner/Dreher/Kulka) Kartellrecht, Studienbuch, 15. Aufl. (2021) (vormals Emmerich) Unlauterer Wettbewerb, 11. Aufl. (2019) Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, mit Kommentierung des GWB, des EGKartellrechts und einer Darstellung ausländischer Kartellrechtsordnungen, hrsg. v. Glassen u.a., Loseblattausgabe, 100. Lfg. (Dezember 2021) bis zur 44. Lfg. unter dem Titel: Frankfurter Kommentar zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Lauterkeitsrecht, Kommentar zum UWG, 2 Bände, 3. Aufl. (2016) Wettbewerbsrecht, Kommentar, hrsg. v. Immenga/Mestmäcker, 6. Aufl. (2020 f.) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb UWG, mit GeschGehG, PAngV, UKlaG, DL-InfoV, P2B-VO, 40. Aufl. (2022) (vormals Köhler/Bornkamm) s. Ohly/Sosnitza UWG – Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Kommentar, 7. Aufl. (2016) Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. (2008)
17. Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Achenbach/Ransiek/Rönnau ARR Belke/Oehmichen Bender/Möller/Retemeyer Bittmann Dannecker/Knierim/Smok Eidam Esser/Rübenstahl/Saliger/ Tsambikakis Franzen/Gast/Joecks Geilen, Aktienstrafrecht
Grützner/Jakob GJW Graf/Jäger/Wittig LV
s. ARR Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, hrsg. v. Achenbach/Ransiek/Rönnau, 5. Aufl. (2019) Wirtschaftskriminalität – aktuelle Fragen des Wirtschaftsstrafrechts in Theorie und Praxis (1983) Steuerstrafrecht – Mit Schwerpunkt Zoll- und Verbrauchssteuerstrafrecht, Loseblattausgabe, 53. Lfg. (Oktober 2021) Insolvenzstrafrecht, hrsg. v. Bittmann, 2. Aufl. (2017) Insolvenzstrafrecht, 3. Aufl. (2018) (vormals Dannecker/Knierim/Hagemeier) Unternehmen und Strafe, 5. Aufl. (2018) Wirtschaftsstrafrecht, Kommentar mit Steuerstrafrecht und Verfahrensrecht, hrsg. v. Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis (2017) s. JJR Erläuterungen zu §§ 399-405 AktG von Gerd Geilen, Erläuterungen zu § 408 AktG von Wolfgang Zöllner (1984) (Sonderausgabe aus der 1. Aufl. des Kölner Kommentars zum Aktiengesetz) Compliance von A–Z, 2. Aufl. (2015) Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, hrsg. v. Graf/Jäger/Wittig, 2. Aufl. (2017) s. GJW
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Greeve/Leipold Hellmann Hübschmann/Hepp/Spitaler HHS HWiStR Ignor/Mosbacher Joecks/Jäger/Randt JJR Kempf/Lüderssen/Volk Klein Kohlmann Kohlmann GmbH Krekeler/Tiedemann/ Ulsenheimer/Weinmann Kudlich/Oğlakcıoğlu Kühn/von Wedelstädt KvW MG Müller-Gugenberger Otto, Aktienstrafrecht Park Petri Ransiek Rolletschke C. Schröder Tiedemann, GmbH-Strafrecht
Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht EU Tipke/Kruse Tipke/Lang Wabnitz/Janovsky/Schmitt Weyand/Diversy Wittig Ziouvas
Handbuch des Baustrafrechts (2004) Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. (2021) (vormals Hellmann/Beckemper) s. HHS Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Loseblattausgabe, bearb. v. Söhn u.a., 263. Lfg. (Juli 2021) Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Loseblattausgabe (1985–1990), hrsg. v. Krekeler/Tiedemann/Ulsenheimer/Weinmann Handbuch Arbeitsstrafrecht, 3. Aufl. (2016) Steuerstrafrecht – mit Zoll- und Verbrauchssteuerstrafrecht, Kommentar zu §§ 369–412 AO; § 32 ZollVG, 8. Aufl. (2015) s. Joecks/Jäger/Randt Die Handlungsfreiheit des Unternehmers, hrsg. v. Kempf/Lüderssen/Volk (2009) AO – Abgabenordnung, Kommentar, 15. Aufl. (2020) Steuerstrafrecht, Kommentar zu den §§ 369–412 AO, Loseblattausgabe, 730. Aktualisierung (Dezember 2021) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des GmbH-Geschäftsführers, 1. Aufl. (1990) s. HWiStR Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. (2020) s. KvW Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, hrsg. v. Kühn/v. Wedelstädt, 22. Aufl. (2018) Wirtschaftsstrafrecht, hrsg. v. Müller-Gugenberger, 7. Aufl. (2020) s. MG Erläuterungen zu den §§ 399–410 AktG (1997, Nachdruck 2012) (Sonderausgabe aus der 4. Aufl. des Großkommentars zum Aktiengesetz) Kapitalmarktstrafrecht, Handkommentar, 5. Aufl. (2019) Arbeitsstrafrecht, 3. Aufl. (2021) Unternehmensstrafrecht (1996) Steuerstrafrecht, 5. Aufl. (2021) Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, 4. Aufl. (2020) GmbH-Strafrecht (§§ 82–85 GmbHG und ergänzende Vorschriften), 5. Aufl. (2010) (Sonderausgabe aus der 10. Aufl. des Kommentars zum GmbHG von Scholz, Bd. 3, 2010) Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. (2017) Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union. Rechtsdogmatik – Rechtsvergleich – Rechtspolitik (Freiburg-Symposium), hrsg. v. Tiedemann (2002) Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung. Kommentar zur AO und FGO inkl. Steuerstrafrecht, Loseblattausgabe, 168. Lfg. (Dezember 2021) Steuerrecht, 24. Aufl. (2021) Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 5. Aufl. (2020) (vormals Wabnitz/Janovsky) Insolvenzdelikte, 10. Aufl. (2016) Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. (2020) Das neue Kapitalmarktstrafrecht (2006)
18. Zivilprozessrecht und Insolvenzrecht Anders/Gehle AG FK-InsO HK-InsO
s. AG (vormals BLHAG) Zivilprozessordnung, 80. Aufl. (2022) (vormals Anders/Gehle/Baumbach/ Lauterbach/Hartmann) Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Wimmer, 9. Aufl. (2018) Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Kayser/Thole, 10. Aufl. (2020) LVI
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Jaeger KPB Kübler/Prütting/Bork Leonhardt/Smid/Zeuner MK-InsO MK-ZPO Musielak/Voit Rattunde/Smid/Zeuner Rosenberg/Schwab/Gottwald Stein/Jonas Thomas/Putzo Zöller
Insolvenzordnung, Großkommentar, hrsg. v. Henckel/Gerhardt (2004 ff.) InsO – Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Kübler/Prütting/Bork, Loseblattausgabe, 90. Aktualisierung (Dezember 2021) s. KPB Insolvenzordnung (InsO) mit Insolvenzrechtlicher Vergütungsverordnung (InsVV), Kommentar, hrsg. v. Leonhardt/Smid/Zeuner, 3. Aufl. (2010) Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. (ab 2019) Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. (2020 f.) ZPO – Zivilprozessordnung, Kommentar, 18. Aufl. (2021) Insolvenzordnung (InsO), Kommentar, hrsg. v. Rattunde/Smid/Zeuner, 4. Aufl. (2018) (vormals Leonhard/Smid/Zeuner) Zivilprozessrecht, 18. Aufl. (2018) Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 23. Aufl. (2014 ff.) ZPO – Zivilprozessordnung, 42. Aufl. (2021) Zivilprozessordnung, Kommentar, 34. Aufl. (2022)
19. Sonstiges (einschließlich Arbeits- und Sozialrecht, Völkerrecht und Waffenrecht) Aronson/Wilson/Sommers Bieneck Bierhoff Brownlie Corpus Juris
Dahm/Delbrück/Wolfrum Dreier/Schulze Duden Dt. Universalwörterbuch ErfK Fuchs/Preis/Brose Gerold/Schmidt Götz/Tolzmann Günther/Taupitz/Kaiser Hanau/Adomeit Hauck/Noftz Herdegen Hoeren/Sieber/Holznagel HwbRW I–VIII
Ipsen KassKomm Keller/Günther/Kaiser Kröger/Gimmy Lingens/Korte
LVII
Social Psychology, 10. Aufl. (2021) Handbuch des Außenwirtschaftsrechts mit Kriegswaffenkontrollgesetz, hrsg. v. Bieneck, 2. Aufl. (2005) Sozialpsychologie, 6. Aufl. (2006) Principles of Public International Law, 9. Aufl. (2019) The implementation of the Corpus Juris in the Member States/La mise en œuvre du Corpus Juris dans les Etats Membres, hrsg. v. Delmas-Marty/Vervaele (2000); Deutsche Version der Entwurfsfassung von 1997: Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, Deutsche Übersetzung von Kleinke und Tully, Einführung von Sieber (1998) Völkerrecht, 2. Aufl., Band I/1 (1989), Band I/2 (2002, Nachdruck 2012), Band I/3 (2002, Nachdruck 2012) Urheberrechtsgesetz, Kommentar, hrsg. v. Dreier/Schulze, 7. Aufl. (2022) Duden, Deutsches Universalwörterbuch: Das umfassende Bedeutungswörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, hrsg. v. Dudenredaktion, 9. Aufl. (2019) Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Aufl. (2022) Sozialversicherungsrecht und SGB II, 3. Aufl. (2020) (vormals Fuchs/Preise) Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 25. Aufl. (2021) Bundeszentralregistergesetz, Kommentar, 4. Aufl. (2000); Nachtrag (2003) Embryonenschutzgesetz, Juristischer Kommentar mit medizinischnaturwissenschaftlichen Grundlagen, 2. Aufl. (2014) Arbeitsrecht, 14. Aufl. (2007) Sozialgesetzbuch – Gesamtkommentar, hrsg. v. Hauck/Noftz, Loseblattausgabe, (2020) Völkerrecht, 20. Aufl. (2021) s. Multimedia-Recht Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, hrsg. v. Stier-Somlo u.a., Bd. 1 (1926), Bd. 2 (1927), Bd. 3 (1928), Bd. 4 (1927), Bd. 5 (1928), Bd. 6 (1929), Bd. 7 (1931), Bd. 8 (1937) (unter dem Titel: Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36) Völkerrecht, 7. Aufl. (2018) Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Loseblattausgabe, 117. Lfg. (Dezember 2021) Embryonenschutzgesetz, Kommentar (1992) Handbuch zum Internetrecht, 2. Aufl. (2013) Wehrstrafgesetz, Kommentar, 5. Aufl. (2012) (vormals Schölz/Lingens)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Lüder/Vormbaum Multimedia-Recht Pschyrembel Online
Rebmann/Uhlig Schricker/Loewenheim Seidl-Hohenveldern Seidl-Hohenveldern/Stein Shaw Steindorf Stein/von Buttlar/Kotzur Strupp/Schlochauer Thüsing Tolzmann Ulsamer LdR Verdross/Simma Vitzthum/Proelß Waltermann Wannagat
Weber Werle/Jeßberger
Materialien zum Völkerstrafgesetzbuch: Dokumentation des Gesetzgebungsverfahrens (2002) Handbuch Multimedia-Recht, hrsg. v. Hoeren/Sieber/Holznagel, Loseblattausgabe, 57. Lfg. (September 2021) Pschyrembel Online. Medizinisches Fachinformationsangebot des Verlags Walter de Gruyter, hrsg. v. Pschyrembel-Redaktion, verfügbar unter: https:// www.pschyrembel.de Bundeszentralregister, Gewerbezentralregister, Verkehrszentralregister und ergänzende Bestimmungen, Kommentar (1985) Urheberrecht, 6. Aufl. (2020) Lexikon des Rechts – Völkerrecht, 3. Aufl (2001) Völkerrecht, 12. Aufl. (2009) International Law, 9. Aufl. (2021) Waffenrecht, Kurzkommentar, 10. Aufl. (2015) Völkerrecht, 14. Aufl. (2017) Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Aufl., Bd. 1 (1960), Bd. 2 (1961), Bd. 3 (1962) AÜG – Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, Kommentar, hrsg. v. Thüsing, 4. Aufl. (2018) Bundeszentralregistergesetz, 5. Aufl. (2015) Lexikon des Rechts: Strafrecht, Strafverfahrensrecht, hrsg. v. Ulsamer, 2. Aufl. (1996) Universelles Völkerrecht, 3. Auflage (2010) Völkerrecht, 8. Aufl. (2019) Sozialrecht, 14. Aufl. (2020) Sozialgesetzbuch I, hrsg. v. Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner, 2. Aufl. (2018); Sozialgesetzbuch IV, hrsg. v. Eichenhofer/Wenner, 2. Aufl. (2017); Sozialgesetzbuch X, hrsg. v. Eichenhofer/Wenner, 2. Aufl. (2017) Rechtswörterbuch, hrsg. v. Weber, 24. Aufl. (2022) (vormals Creifelds) Völkerstrafrecht, 5. Aufl. (2020)
LVIII
Strafgesetzbuch vom 15.5.1871 (RGBl. 1871, 127); neugefasst durch Bek. v. 13.11.1998 (BGBl. I 3322); zuletzt geändert durch Gesetz v. 22.11.2021 (BGBl. I S. 431)
BESONDERER TEIL DREIZEHNTER ABSCHNITT Sraftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Vorbemerkungen zu den §§ 174 ff. Schrifttum 1. Schrifttum zur historischen Entwicklung des Sexualstrafrechts Balthasar Die Tatbestände der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung (2001); Corbin (Hrsg.) Die sexuelle Gewalt in der Geschichte (1997); Gless Obrigkeit und Hurenwirt, ZRP 1994 436; Hull Sexuality, State and Civil Society in Germany 1700–1815 (1996); dies. Sexualstrafrecht und geschlechtsspezifische Normen in den deutschen Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts, in Gerhard (Hrsg.) Frauen in der Geschichte des Rechts (1997) 221; Killias Jugend und Sexualstrafrecht, Diss. Zürich 1979; Kratzer-Ceylan Finalität, Widerstand, „Bescholtenheit“ (2015); Künzel (Hrsg.) Unzucht – Notzucht – Vergewaltigung. Definitionen und Deutungen sexueller Gewalt von der Aufklärung bis heute (2003); Laskowski Die Ausübung der Prostitution (1997); Lautmann Eine historisch-soziologische Untersuchung zum Sittlichkeitsstrafrecht im RStGB von 1871, in Hoffmann-Riem/Mollnau/Rottleuthner (Hrsg.) Rechtssoziologie in der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland (1990) 168; ders. Moral, Wissenschaft und Strafrecht – am Beispiel der Begründungen zum Homosexuellenparagraph im 19. Jahrhundert, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie XV (1993) 258; Loetz Sexualisierte Gewalt 1500–1850 (2012); H. Mayer Die sogenannte sexuelle Revolution und das Strafrecht, Festschrift Heinitz (1972) 119; Meyer-Knees Verführung und sexuelle Gewalt. Untersuchung zum medizinischen und juristischen Diskurs im 18. Jahrhundert (1992); H. Müller Sittlichkeitsverbrechen, in Erler/Kaufmann (Hrsg.) Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (1990) 1672; Quanter Die Sittlichkeitsverbrechen im Lauf der Jahrhunderte und ihre strafrechtliche Beurteilung, 8. Aufl. (1925); Rosenberger Das Sexualstrafrecht in Bayern von 1813 bis 1871, Diss. Marburg 1973; Ch. Schäfer „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182 a.F. StGB) (2006).
2. Schrifttum zu Gesetzesänderungen bis zum 4. StrRG Baumann Paragraph 175 (1968); ders. Der lange Weg des 4. StrRG, ZRP 1971 129; ders. Glücklichere Menschen durch Strafrecht? Erwiderung auf die Kritik von Dreher am 4. StrRG, JR 1974 370; Baumann u.a. Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches. Besonderer Teil, Sexualdelikte u.a. (1968); Bockelmann Zur Reform des Sexualstrafrechts, Festschrift Maurach (1972) 391; Brüggemann Entwicklung und Wandel des Sexualstrafrechts in der Geschichte unseres StGB (2013); Dreher Die Neuregelung des Sexualstrafrechts – eine geglückte Reform? JR 1974 45; Eser Die Sexualität in der Strafrechtsreform, Jura 1970 218; Hanack Straftaten gegen die Sittlichkeit im Entwurf 1962, ZStW 77 (1965) 398; ders. Empfiehlt es sich, die Grenzen des Sexualstrafrechts neu zu bestimmen? Gutachten zum 47. DJT (1968); ders. Die Reform des Sexualstrafrechts und der Familiendelikte, NJW 1974 1; Horstkotte Kuppelei, Verführung und Exhibitionismus nach dem 4. StrRG, JZ 1974 84; H. Jäger Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten (1957); Jung Reform des Sexualstrafrechts und der Familiendelikte, JuS 1974 126; Laufhütte Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts, JZ 1974 46; Leferenz Die Sexualdelikte des E 62, ZStW 77 (1965) 379; H. Mayer Die sogenannte sexuelle Revolution und das Strafrecht, Festschrift Heinitz (1972) 119; Müting Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung (§ 177 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2010); Peters Gedanken zum AlternativEntwurf, MSchrKrim 1969 41; Preiser Wie weit soll das Sittlichkeitsstrafrecht reformiert werden? ZStW 82 (1970) 655; H. J. Schneider Zur Reform des Sexualstrafrechts, JR 1968 281; F.-C. Schroeder Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Entwurf des 4. StrRG, ZRP 1971 14; ders. Systematische Stellung und Rechtsgut der Sexualstraftaten nach dem 4. StrRG, Festschrift Welzel (1974) 859; Sturm Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts, JZ
1 https://doi.org/10.1515/9783110490121-001
Hörnle
Vor § 174
Vorbemerkungen
1974 1; Woesner Erneuerungen des Sexualstrafrechts, NJW 1967 673; Würtenberger Zur Strafbarkeit der Homosexualität, Festschrift v. Weber (1963) 271.
3. Schrifttum zu Gesetzesänderungen nach dem 4. StrRG Albrecht Die Determinanten der Strafrechtsreform, ZStW 111 (1999) 863; Amelung/Funcke-Auffermann Die erneute Reform des Sexualstrafrechts, StraFo 2004 114; Bezjak Reformüberlegungen für ein neues Sexualstrafrecht, ZStW 130 (2018) 303; Böllinger Die EU-Kommission und die Sexualmoral, KrimJournal 2001 243; Bruns Zur geplanten einheitlichen Jugendschutzvorschrift, ZRP 1991 166 und 325; Brüggemann Entwicklung und Wandel des Sexualstrafrechts in der Geschichte unseres StGB (2013); Buchholz Die inneren Widersprüche des § 78b I Nr. 1 StGB in Teleologie und gesetzgeberischer Genese, GA 2018 634; Burgsmüller u.a. Stellungnahme zu den Entwürfen eines „Gesetzes zum besseren Schutz der Opfer von Sexualdelikten“, Streit 1984 48; Bussmann Konservative Anmerkungen zur Ausweitung des Strafrechts nach dem Sechsten Strafrechtsreformgesetz, StV 1999 613; Deckers Zur Reform des Sexualstrafrechts durch das StÄG 2016, StV 2017 410; Dessecker Veränderungen im Sexualstrafrecht, NStZ 1998 1; Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung Stellungnahme zur beabsichtigten Einführung eines Straftatbestandes „Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen“, MSchrKrim 1992 225; Dünkel Reformen des Sexualstrafrechts und Entwicklungen der Sexualdelinquenz in Deutschland, in Schläfke/Häßler/Fegert (Hrsg.) Sexualstraftaten (2005) 1; Duttge/Hörnle/Renzikowski Das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, NJW 2004 1065; Eisele Das neue Sexualstrafrecht, RPsych 2017 7; ders. Notwendigkeit der Reform der Reform des Sexualstrafrechts? DRiZ 2017 398; Eisenberg/Hackethal „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ vom 26.1.1998, ZfStrVo 1998 196; Frommel Wie kann die Staatsgewalt die Frauen vor sexueller Gewalt schützen? ZRP 1987 242; dies. Das klägliche Ende der Reform der sexuellen Gewaltdelikte, ZRP 1988 233; dies. Zaghafte Versuche einer Reform der sexuellen Gewaltdelikte, KJ 1996 164; dies. Die Reform der Sexualdelikte 1997/98, in Künzel (Hrsg.) Unzucht – Notzucht – Vergewaltigung (2003) 261; dies. Verschärfung des Sexualstrafrechts nun Gesetz, NKrimP 2004 6; dies. Die Reform des Sexualstrafrechts, Festschrift Derleder (2005) 525; dies. Moralisierung und Entmoralisierung des Sexualstrafrechts in den letzten 40 Jahren, Gedächtnisschrift Walter (2014) 687; Funcke-Auffermann Symbolische Gesetzgebung im Lichte der positiven Generalprävention (2007); Gercke Gesetzentwurf Sexualstrafrecht – Aktionismus und PR? ZRP 2014 189; Hammerschlag/Schwarz Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, NStZ 1998 321; Harbeck Sexualstrafrecht. Erste Erfolge? NKrimPol 1997/4 4; Heger Zum Einfluss des Prostitutionsgesetzes auf das Strafrecht, StV 2003 350; Herning/Illgner „Ja heißt Ja“ – Konsensorientierter Ansatz im deutschen Sexualstrafrecht, ZRP 2016 77; Hörnle Penal Law and Sexuality: Recent Reforms in German Criminal Law, Buffalo Criminal Law Review 2000 639; dies. Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie, NJW 2008 3521; dies. Sollen Verjährungsfristen für den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen verlängert werden? GA 2010 388; dies. Der lückenhafte Schutz jugendlicher Opfer im Sexualstrafrecht, Festschrift Schöch (2010) 401; dies. Das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes sexueller Selbstbestimmung, NStZ 2017 13; dies. The New German Law on Sexual Assault and Sexual Harassment, German Law Journal 2017 1309; Hörnle/ Klingbeil/Rothbart Sexueller Missbrauch von Minderjährigen: Notwendige Reformen im Strafgesetzbuch (2014); H. Jäger Möglichkeiten einer weiteren Reform des Sexualstrafrechts, in Dannecker/Sigusch (Hrsg.) Sexualtheorie und Sexualpolitik (1984) 67; ders. Entkriminalisierungspolitik im Sexualstrafrecht, in Jäger/Schorsch (Hrsg.) Sexualwissenschaft und Strafrecht (1987) 1; M. Jäger Symbolisches Strafrecht – expressive Kriminalpolitik: Die Reform der Sexualdelikte, in Inst. für Kriminalwissenschaften (Hrsg.) Irrwege der Strafgesetzgebung (1999) 49; Kelker Die Situation von Prostituierten im Strafrecht und ein freiheitliches Rechtsverständnis, KritV 1993 289; Kusch Gespaltenes Sexualstrafrecht im vereinten Deutschland, MDR 1991 99; Lenckner Das 33. Strafrechtsänderungsgesetz – das Ende einer langen Geschichte, NJW 1997 2801; Lederer Sexualstrafrecht heute – Eine kritische Bilanz der Reform, AnwBl 2017 514; B.-D. Meier Zum Schutz der Bevölkerung erforderlich? Anmerkungen zum „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ vom 26.1.1998, in Kreuzer u.a. (Hrsg.) Fühlende und denkende Kriminalwissenschaft, Ehrengabe für A.-E. Brauneck (1999) 445; Merk Freierstrafbarkeit – ein kriminalpolitisches Dauerthema? ZRP 2006 250; Mildenberger Änderungen im 13. Abschnitt des StGB durch das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts, Streit 1999 3; Nelles Ansätze für eine Reform des Sexualstrafrechts, in WE Kriminalpolitikforschung (Hrsg.) Zur Reform des Sexualstrafrechts (1994) 35; dies. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Streit 1995 91; Rautenberg Prostitution: Das Ende der Heuchelei ist gekommen! NJW 2002 650; Reinbacher/Wincierz Kritische Würdigung des Gesetzentwurfs zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendpornographie, ZRP 2007 195; Renzikowski Das Sexualstrafrecht nach dem 6. Strafrechtsreformgesetz, NStZ 1999 377, 440; Renzikowski/Schmidt Nach der Reform ist vor der Reform. Zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, KriPoZ 2018 325; Rosenau Tendenzen und Gründe der Reform des Sexualstrafrechts, StV 1999 388; Ch. Schäfer „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182 a.F. StGB) (2006); Schöch Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen Hörnle
2
Schrifttum
Vor § 174
gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998, NJW 1998 1257; F.-C. Schroeder Das 27. Strafrechtsänderungsgesetz – Kinderpornographie, NJW 1993 2581; ders. Das 29. Strafrechtsänderungsgesetz – §§ 175, 182, NJW 1994 1501; ders. Irrwege aktionistischer Gesetzgebung – das 26. StÄG (Menschenhandel), JZ 1995 231; ders. Die Revolution des Sexualstrafrechts 1992–1998, JZ 1999 827; ders. Neue Änderungen des Sexualstrafrechts durch das Prostitutionsgesetz, JR 2002 408; ders. Gesetzestechnische Mängel im Gesetz zur Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie, GA 2009 213; Turhan „Sexualisierte Gewalt“ statt „Sexueller Missbrauch“? Zur Begriffswahl für §§ 176 bis 176b StGB und zur Einordnung der Zwangsmittel in die Missbrauchstatbestände, KriPoZ 2021 1; Walter Zu früh und zu weit – der aktuelle Referentenentwurf eines Gesetzes zur „Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“, JR 2016 361; Weber/Narr Zur aktuellen Debatte über Strafschärfungen für Sexualstraftäter, BewHi 1997 73; dies. Der Ruf nach Verschärfung des Sexualstrafrechts, Blätter für dt. und internat. Politik 1997 313. S. auch die Schrifttumsverzeichnisse zu den §§ 176, 177.
4. Sexuelle Selbstbestimmung Archard Sexual Consent (1998); Bung Das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung, in Thiée (Hrsg.) Menschen Handel. Wie der Sexmarkt strafrechtlich reguliert wird (2008) 49; Burghardt/Schmidt/Steinl, Der strafrechtliche Schutz der sexuellen Selbstbestimmung vor nicht-körperlichen Beeinträchtigungen, JZ 2022 502; Corrêa Camargo Sexuelle Selbstbestimmung als Schutzgegenstand des Strafrechts, ZStW 134 (2022) 351; Green Criminalizing Sex (2020); Hörnle Sexuelle Selbstbestimmung: Bedeutung, Voraussetzungen und kriminalpolitische Forderungen, ZStW 127 (2015) 851; Hoven/Rubitzsch/Wiedmer Catcalling – Eine phänomenologische und strafrechtliche Betrachtung, KriPoZ 2022 175; Lenz Die Jugendschutztatbestände im Sexualstrafrecht (2017); Pörner Das sog. Catcalling – Strafwürdiges Unrecht oder bloße Bagatelle? NStZ 2021 336; Rubenfeld The Riddle of Rape-by-Deception and the Myth of Sexual Autonomy, Yale Law Journal 2013 1372; Scheidegger Balancing Sexual Autonomy, Responsibility, and the Right to Privacy: Principles for Criminalizing Sex by Deception, German Law Journal 2021 769; Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht und Vergewaltigungsbegriff (1993); Sick/Renzikowski Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, Festschrift Schroeder (2006) 603; dies. Lücken beim Schutz der sexuellen Selbstbestimmung aus menschenrechtlicher Sicht, Festschrift Rössner (2015) 928; Valentiner Das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung (2021); Vavra Die Strafbarkeit nicht-einvernehmlicher sexueller Handlungen zwischen erwachsenen Personen (2020).
5. Allgemeines zum Sexualstrafrecht Amelung Zum Wirklichkeitsbezug der Ehre und ihrer Verletzung, insbesondere bei sexuellen Beleidigungen, Festschrift Rudolphi (2004) 373; Arntzen Sexualdelikte – Straftaten ohne Opfer? ZRP 1980 287; Auerbach Die eigenhändigen Delikte unter besonderer Berücksichtigung der Sexualdelikte des 4. StrRG (1978); Bender Die Feministinnen und das Strafrecht, KJ 1987 449; BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (2017); Böllinger Sexualstrafrecht und Herrschaft, KJ 1986 90; ders. Sexualstrafrecht – „Kolonialisierung von Lebenswelt“? Festschrift Pongratz (1986) 3; Böllinger/Lautmann (Hrsg.) Vom Guten, das noch stets das Böse schafft (1993); Bötticher Der neue Umgang mit Sexualstraftätern – eine Zwischenbilanz, MSchrKrim 1998 354; ders. Aktuelle Entwicklungen im Maßregelvollzug und bei der Sicherungsverwahrung – Ambulante Nachsorge für Sexualstraftäter ist Aufgabe der Justiz! NStZ 2005 417; Bottke Sexualhoheit und Strafrecht: Sexualstrafrecht aus Opfersicht, in Schünemann/Dubber (Hrsg.) Die Stellung des Opfers im Strafrechtssystem (2000) 231; ders. Zum Rechtsgut der §§ 174 ff. StGB, Festschrift Otto (2007) 535; Brown/Walklate Handbook on Sexual Violence (2012); Buchholz Die inneren Widersprüche des § 78b I Nr. 1 StGB in Teleologie und gesetzgeberischer Genese, GA 2018 634; Deckers Aussage gegen Aussage – Zur Entwicklung der revisionsgerichtlichen Rechtsprechung und der Aussagepsychologie, Festschrift Hamm (2008) 53; ders. Fehlerquellen im Sexualstrafverfahren, Festschrift Eisenberg (2009) 474; Dessecker Sanktionsrechtliche Sonderregelungen für Sexualstraftäter und ihre Berechtigung, Festschrift Kreuzer (2008) 105; Droste Beleidigung als Sittlichkeitsdelikt? Diss. Kiel 1972; El-Ghazi Das Schicksal der „sexuellen Handlung“ nach der Reform des Sexualstrafrechts, StV 2018 250; Fischer Sex and Crime (2021); Frommel Sexueller Missbrauch in Institutionen – ein MedienHype des Jahres 2010 und seine Folgen, Festschrift Heinz (2012) 69; Geipel/Renzikowski Verteidigung bei Sexualdelikten (2022); Gössel Das neue Sexualstrafrecht. Eine systematische Darstellung für die Praxis (2005); Gropp Deliktstypen mit Sonderbeteiligung (1992); Habenicht Die Beteiligung an sexuellen Gewalttaten (2009); Henne Schmerzensgeldansprüche nach Sexualtaten, ZRP 2001 493; Hörnle Grob anstößiges Verhalten. Strafrechtlicher Schutz von Moral, Gefühlen und Tabus (2005); dies. Strafrechtliche Sanktionierung sexueller Abweichung, in Duttge/Engel/Zoll (Hrsg.) Sexuelle Identität und gesellschaftliche Norm (2010) 69; Hoven/Weigend Zur Strafbarkeit von Täuschungen im Sexualstrafrecht, KriPoZ 2018 156; Jurasz/Barker Sexual Violence in the Digital
3
Hörnle
Vor § 174
Vorbemerkungen
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Schrifttum
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8
Übersicht
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Übersicht I. 1. 2. 3. 4. 5.
Die Entwicklung des Sexualstrafrechts 1 Bis zum RStGB Die Reform in den sechziger und siebziger Jah4 ren des 20. Jahrhunderts 12 Reformen seit dem 4. StrRG 24 Das 50. StÄG und weitere Änderungen 30 Bestehender Reformbedarf
b) 3. 4. 5. 6.
II. 1. 2.
9
Geschützte Rechte und Rechtsgüter 33 Sittlichkeit und Moral Sexuelle Selbstbestimmung, Intimsphäre und 34 Menschenwürde a) Der besondere Stellenwert von sexueller 35 Selbstbestimmung
III. 1. 2.
Selbstbestimmung und faktischer 37 Wille 40 Körperliche Unversehrtheit und Leben Ungestörte sexuelle Entwicklung Minderjähri41 ger Verhinderung psychischer Schäden bei minder42 jährigen Opfern 44 Selbstbestimmung bei Minderjährigen
48 Strukturen im 13. Abschnitt Schutz gegen ungewollten sexuellen Körperkon49 takt Schutz gegen ungewollte Handlungen ohne Kör50 perkontakt
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3.
4. 5.
IV. 1.
Vorbemerkungen
Verbot von faktisch gewollten sexuellen Handlungen 51 a) Jugendschutznormen 53 b) Schutz Volljähriger vor Missbrauch Schutz vor Gefährdungen der sexuellen Selbst54 bestimmung Normen, die nicht sexuelle Selbstbestimmung 55 schützen Handlungsbeschreibungen; Täterschaft und Teilnahme Typische Handlungsbeschreibungen im 13. Abschnitt a) Sexuelle Handlung an einer anderen Per56 son vornehmen
b)
2.
Sexuelle Handlungen an sich von einer an61 deren Person vornehmen lassen c) Eine andere Person sexuelle Handlungen 63 vornehmen lassen d) Eine andere Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder 64 von Dritten bestimmen 68 Notwendige Teilnahme
V. 1. 2.
Konkurrenzen Taten gegen mehrere Personen Taten gegen dieselbe Person
72 73
I. Die Entwicklung des Sexualstrafrechts 1. Bis zum RStGB 1 In der germanischen Zeit wurden sozialen Regeln widersprechende sexuelle Kontakte vor allem als (mit Bußen zu ahndende) Angriffe auf die Ehre des Ehemannes, des Vaters oder der Sippe eingeordnet, aber auch für als „widernatürlich“ eingestufte Praktiken die Todesstrafe verhängt.1 Bis zum Hochmittelalter übernahm das kirchliche Recht weitgehend die Sanktionierung abweichenden Sexualverhaltens, danach setzte die allmähliche Ausweitung des weltlichen Sexualstrafrechts ein.2 Die Peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532 sah für Homosexualität und Sodomie die Todesstrafe vor. „Notzucht“ wurde als „mit Gewalt und wider ihren Willen die frauliche oder jungfräuliche Ehr nehmen“ beschrieben. Christlich geprägte Vorstellungen verlangten noch umfassendere Verbote von vor-, außer- und nichtehelichen sexuellen Kontakten.3 Dies schlug sich im 16. Jahrhundert und danach in einer umfassenden Pönalisierung der „einfachen Unzucht“ nieder, etwa in Reichspolizeiordnungen,4 Reformations- und Zuchtordnungen, Landes-, Rats- und Disziplinarverordnungen.5 Selbstständige Vorschriften zum Schutz von Minderjährigen tauchen erst relativ spät auf. Das mittelalterliche Recht kannte keine derartigen Normen, und Verfahren mit kindlichen Opfern (auf der Basis der allgemeinen Notzuchts- und Sodomieverbote) scheinen keine große Rolle gespielt zu haben.6 Erste Gesetze gegen die „Unzucht mit unreifen Mädchen“ entstehen gegen Ende des 16. Jahrhunderts.7 Das Allgemeine Preußische Landrecht v. 1794 enthielt unter der Überschrift „fleischliche 2 Verbrechen“ Vorschriften zum Schutz Minderjähriger gegen Missbrauch in Abhängigkeitsverhältnissen (§ 174 Entstehungsgeschichte). Außerdem gab es darin insoweit Ansätze zu einer EntMoralisierung strafrechtlicher Vorschriften, als nicht mehr jeder Geschlechtsakt außerhalb der Ehe unter Strafe gestellt und Prostitution detailliert reglementiert, aber nicht kategorisch verbo1 Balthasar S. 6 ff; Müller S. 1674. Zur Muntgewalt von Vater und Gatten Floßmann/Lehner/Ennen Frau, Recht, Gesellschaft, 2. Aufl. (1986) S. 19, 20 f. 2 Killias S. 37 ff; Schroeder Das neue Sexualstrafrecht, S. 15. 3 Hull S. 224; Balthasar S. 11; Schroeder Das neue Sexualstrafrecht, S. 15. 4 Killias S. 66 ff; Müller S. 1675. 5 Hull in Gerhard (Hrsg.) S. 225; Johann Kontrolle mit Konsens. Sozialdisziplinierung in der Reichsstadt Frankfurt a.M. im 16. Jahrhundert (2001) S. 214 ff. 6 Killias S. 53 f. 7 Killias S. 74 ff. Hörnle
10
I. Die Entwicklung des Sexualstrafrechts
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ten wurde (Zweyter Theil, Zwanzigster Titel, §§ 999–1026). Es blieb aber bei der Bestrafung von „unnatürlichen Sünden“ („Sodomiterey und andre dergleichen unnatürliche Sünden“, §§ 1069– 1072), wenn sie auch nicht mehr mit Todesstrafe bedroht waren, und von Ehebruch (§§ 1061– 1065). Auf die Einflüsse der Aufklärung zurückgehende Ansätze zur Liberalisierung fanden sich auch im österreichischen Strafrecht mit der 1787 erfolgten Herabstufung von „Unzucht wider die Natur“ in das Polizeistrafrecht.8 Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 wies bereits Elemente eines modernen Sexualstrafrechts auf9 (wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass daneben eine polizeistrafrechtliche, Sexualität regulierende Praxis stand10). Das am Ende der Entwicklung im 19. Jahrhundert stehende Strafgesetzbuch für das Deut- 3 sche Reich v. 15.5.187111 stellte u.a. auch Verhaltensweisen unter Strafe, die den damaligen Vorstellungen zu „sittlichem Verhalten“ widersprachen, wie homosexuelle Handlungen unter Männern, Unzucht mit Tieren, Kuppelei und die Verbreitung unzüchtiger Schriften.12 Der 13. Abschnitt trug (bis zu seiner Neufassung im Jahr 1973) die Überschrift „Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit“. Hinzu kamen im Jahr 1900 Strafverbote gegen Zuhälterei (§ 181a) und erste Ausweitungen der Pornographieverbote (§§ 184, 184a, 184b a.F.),13 während des Nationalsozialismus Ausdehnungen sowie Verschärfungen des Verbots von homosexuellen Handlungen (§§ 175, 175a).14 1941 wurde für „Sittlichkeitsverbrecher (§§ 176 bis § 178)“ die Todesstrafe eingeführt, „wenn der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Strafe es erfordern“.15
2. Die Reform in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts In der Bundesrepublik begannen intensive Diskussionen über die Reform des Sexualstrafrechts. 4 Der im Jahr 1962 vorgelegte Regierungsentwurf eines Strafgesetzbuches (Entwurf 1962, BTDrucks. IV/650) bewegte sich allerdings noch weitgehend in alten Bahnen. Die Begründung hielt es für eine „unbestreitbare Erkenntnis“, dass „die Reinheit und Gesundheit des Geschlechtslebens eine außerordentlich wichtige Voraussetzung für den Bestand des Volkes und die Bewahrung der natürlichen Lebensordnung“ sei (BTDrucks. IV/650 S. 359). Geplant war eine Ausdehnung der Straftaten gegen die Sittlichkeit, etwa durch neue Verbote z.B. gegen unzüchtige Schaustellungen, die Anpreisung empfängnisverhütender Mittel und Werbung für unzüchtigen Verkehr (BTDrucks. IV/650 S. 45 ff). Durchgesetzt hat sich die auf eine Liberalisierung drängende Gegenposition, formuliert 5 etwa im Referat Hanacks auf der Tagung der deutschen Strafrechtslehrer im Jahr 196516 und in seinem Gutachten für den 47. Deutschen Juristentag 1968 sowie im Alternativ-Entwurf (AE) eines Strafgesetzbuches (Baumann u.a. AE Besonderer Teil, Sexualdelikte [1968]). In der Strafrechtswissenschaft17 und auch in der Rspr. des BGH18 zeichnete sich ein Paradigmenwechsel ab, demzufolge moralische Anschauungen und die Bewertung rechtlicher Regelungen zu ent-
8 Benke/Holzleithner L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 1998 41, 65. 9 Rosenberger S. 166 ff, 211 f. 10 Rosenberger S. 216 ff. 11 RGBl. 1871 S. 127. 12 Vgl. die §§ 175, 180, 181, 184 RStGB. 13 Gesetz betreffend Änderungen und Ergänzungen des Strafgesetzbuchs v. 25.6.1900, RGBl. S. 301. 14 Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches v. 28.6.1935, RGBl. S. 839. 15 Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuch v. 4.9.1941, RGBl. S. 549. Aufgehoben wurde der Verweis auf die Todesstrafe mit dem 3. StÄG v. 4.8.1953, BGBl. I S. 735.
16 Hanack ZStW 77 (1965) 398. 17 Hanack ZStW 77 (1965) 404 f; Jäger Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz, S. 38 ff; Baumann u.a. AE Besonderer Teil, Sexualdelikte, S. 9.
18 BGHSt 23 40, 43 f. 11
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Vorbemerkungen
koppeln seien und die Aufgabe des Strafrechts auf die Verhinderung sozialschädlichen Verhaltens beschränkt werden sollte. 6 Das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. StrRG) v. 25.6.196919 hob einige Straftatbestände auf (Ehebruch, Homosexualität unter Erwachsenen, Unzucht mit Tieren, Erschleichung des außerehelichen Beischlafs) und änderte § 184. Weitere Reformen wurden durch den Sonderausschuss für die Strafrechtsreform vorbereitet, der unter anderem eine ausführliche Anhörung von Sachverständigen durchführte (Prot. 6. Wahlperiode S. 843 ff). Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) v. 23.11.197320 setzte die Reform unter dem Leitgedanken fort, dass „das Strafrecht nur die äußere Ordnung sozialen Verhaltens zu wahren hat“ (BTDrucks. VI/1552 S. 15). Mit der neuen Abschnittsüberschrift „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“21 machte der Gesetzgeber deutlich, dass traditionelle Vorstellungen abgelöst werden sollten und die Erhaltung allgemeiner Sittlichkeit nicht mehr das Ziel war. Dieselben Erwägungen standen hinter der Ersetzung der Begriffe „Unzucht“ und „unzüchtige Handlungen“ durch den neutraleren Begriff der „sexuellen Handlungen“. Aus der „Notzucht“ des alten Rechts wurde die „Vergewaltigung“ in § 177, die Beschränkung möglicher Tatopfer auf „unbescholtene“ Mädchen in § 182 wurde aufgehoben. 7 Charakteristisch für die Änderungen durch das 4. StrRG war erstens eine Ausdifferenzierung der Tatbestände in detailreiche (und damit umfangreiche) Normen, die unterschiedlichen Handlungsvarianten und Tatfolgen Rechnung tragen. Dies betraf vor allem Delikte zu Lasten von Minderjährigen. Die zuvor sehr knapp gefassten Bestimmungen in § 174 Abs. 1 Nr. 1, 176 Abs. 1 Nr. 3 a.F. wurden zu einer Vielzahl an Verboten in den neuen §§ 174, 176 ausgeweitet. Weitere Differenzierungen finden sich beim sexuellen Missbrauch Erwachsener (das 4. StrRG fügte die §§ 174a, 174b ein und in § 179 einen Tatbestand mit der Überschrift „Sexueller Missbrauch Widerstandsunfähiger“) und bei der Ausgliederung exhibitionistischer Handlungen (§ 183) aus dem Tatbestand der Erregung öffentlichen Ärgernisses (nunmehr § 183a). Besonders deutlich zeigte sich der Trend zu detaillierten Regelungen in § 184 (Verbreitung pornographischer Schriften). Heute werden die Probleme einer Gesetzgebungstechnik sichtbar, die detaillierte, an die Lebensverhältnisse angepasste Regelungen schaffen will (da sich Mediennutzungsgewohnheiten ständig ändern, sind derartige Verbote schnell antiquiert).22 Eine Sonderregelung für Gewalt-, Kinder- und Tierpornographie sah das 4. StrRG vor (§ 184 Abs. 3), allerdings mit demselben geringfügigen Strafrahmen wie in § 184 Abs. 1: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. 8 Zweitens milderte das 4. StrRG die Strafrahmen. An die Stelle der früher vielfach zwingend vorgeschriebenen Freiheitsstrafe (§§ 174, 176 a.F.) trat die Möglichkeit, Geldstrafe zu verhängen, und es wurden die Strafobergrenzen niedriger angesetzt (§§ 174 bis 174b, 176 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5, 179 Abs. 1 i.d.F. des 4. StrRG). Auch in anderen Tatbeständen wurde Geldstrafe als mögliche Sanktion neu eingeführt (§ 182 i.d.F. des 4. StrRG) oder die höchstmögliche Freiheitsstrafe herabgesetzt (§§ 183, 183a i.d.F. des 4. StrRG). Zwar wurde für Vergewaltigung die Mindeststrafe von einem Jahr auf zwei Jahre erhöht (§ 177 Abs. 1 i.d.F. des 4. StrRG), was aber durch die niedrige Mindeststrafe für minder schwere Fälle (sechs Monate Freiheitsstrafe, § 177 Abs. 2 i.d.F. des 4. StrRG, statt zuvor ein Jahr) kompensiert wurde. Auch bei der einfachen sexuellen Nötigung lag nach dem 4. StrRG die unterste Grenze des Strafrah-
19 BGBl. I S. 645. 20 BGBl. I S. 1725. S. BTDrucks. VI/1552 (Gesetzentwurf der Bundesregierung); VI/3521 (Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform). Zur Gesetzgebungsgeschichte Dreher JR 1974 45; Hanack NJW 1974 3; Sturm JZ 1974 1 f. 21 S. den Vorschlag von Schroeder ZRP 1971 15. 22 § 184 wurde durch das Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vom 25.2.1985 (BGBl. I S. 425) noch um ein eingeschränktes Vermietverbot (relevant hauptsächlich für pornographische Filme) ergänzt. Im Übrigen hat es der Gesetzgeber bislang unterlassen, § 184 zu überarbeiten, s. dazu Hörnle KritV 2003 299 f. Hörnle
12
I. Die Entwicklung des Sexualstrafrechts
Vor § 174
mens (für minder schwere Fälle) mit drei Monaten Freiheitsstrafe (§ 178 Abs. 2 i.d.F. des 4. StrRG) niedriger als zuvor. Drittens wurden die Strafnormen umgestaltet, die nach altem Recht „unzüchtige“ Vorgän- 9 ge zu unterbinden suchten. Dieser Teil der Reform (er betraf die Straflosigkeit bestimmter Formen der Kuppelei, etwa der Ehegattenkuppelei, sowie die Verbreitung einfacher Pornographie an Erwachsene) war stark umstritten.23 Die liberale Tendenz des 4. StrRG zeigte sich darin, dass das Verbot der „Verbreitung unzüchtiger Schriften“ aufgehoben und durch Regelungen ersetzt wurde, die in erster Line verhindern sollen, dass pornographische Schriften Minderjährigen zugänglich sind. Während nach altem Recht das Unrecht der Kuppeleitatbestände darin lag, „der Unzucht Vorschub zu leisten“ (§ 180 Abs. 1 a.F.), ging das 4. StrRG davon aus, dass es nicht Aufgabe des Strafrechts ist, sexuelle Aktivitäten Erwachsener zu unterbinden. Wegen der Lebensverhältnisse Prostituierter, die oft durch „mannigfache Pression im Umkreis der Prostitution“ (BTDrucks. VI/1552 S. 25) gekennzeichnet sind, wurden allerdings neue Tatbestände mit der Überschrift „Förderung der Prostitution“ und „Menschenhandel“ (§§ 180a, 181 i.d.F. des 4. StrRG) geschaffen und der Tatbestand der Zuhälterei (§ 181a) im Hinblick auf die Ausbeutung und Kontrolle Prostituierter neu gestaltet. Ein (kritikwürdiges, s. § 180 Rdn. 1 f) Relikt des alten Kuppeleitatbestandes findet sich in § 180 Abs. 1. Die retrospektive Bewertung der Reformen von 1969 und 1973 muss differenziert ausfal- 10 len. Überzeugend ist die Aufhebung moralschützender Strafnormen, wie das Verbot homosexueller Handlungen unter Erwachsenen und der Kuppelei sowie das absolute Verbot der Verbreitung pornographischer Schriften. Dahinstehen muss, inwieweit das Verschwinden derartiger Regelungen auf der straftheoretischen Einsicht beruht, dass Strafrecht schädliches Verhalten verhindern soll, aber nicht bloße Moralwidrigkeiten. Von zentraler Bedeutung dürfte sein, dass sich die sexualmoralischen Anschauungen geändert hatten:24 Die gesellschaftliche Mehrheit stufte homosexuelle Beziehungen, außereheliche sexuelle Handlungen und den Konsum einfacher Pornographie nicht mehr als moralisch anstößig ein. Aus heutiger Sicht lag ein Manko der Rechtslage nach dem 4. StrRG darin, dass Handlun- 11 gen, die die Rechte von Individuen verletzen, nicht immer angemessen beurteilt wurden. Dies beruht erstens auf dem nur spärlichen Wissen um die Zusammenhänge von Handlungen und (Spät-)Folgen: Umfassende sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse standen nicht zur Verfügung. Dies schlug sich etwa in der damals zurückhaltenden Beurteilung der Schädlichkeit von sexuellen Handlungen zu Lasten von Kindern nieder (die Risiken sind mittlerweile durch umfangreiche Studien im In- und Ausland belegt, Rdn. 42 f). Zweitens hatte die jahrhundertealte Fixierung auf „sittliches Verhalten“ und „frauliche Ehre“ dazu geführt, dass für das neuartige Anliegen der „sexuellen Selbstbestimmung“ kein voll entwickeltes Verständnis bestand. Traditionelle Prägungen zeigten sich etwa darin, dass es in § 182 i.d.F. des 4. StrRG beim Schutz von Mädchen vor Beischlaf blieb und in § 175 beim Verbot homosexueller Handlungen mit Minderjährigen, und vor allem darin, dass der Tatbestand der Vergewaltigung im Wesentlichen die mittelalterliche Konstruktion behielt. Es wurde nicht bedacht, dass die historische Fassung von Tatbeständen bei einem Austausch der Schutzgüter nicht mehr adäquat sein könnte. Das 4. StrRG hielt u.a. daran fest, nur den erzwungenen außerehelichen Beischlaf mit einer Frau als Vergewaltigung zu erfassen. Urteile, die nach der Aufhebung dieser Beschränkung ergingen, machen deutlich, wie rückständig das Gesetz in diesem Punkt war: Erhebliche sexuelle Attacken sind ein nicht selten eingesetztes Mittel, um Ehefrauen nach Konflikten und Trennungen zu demütigen und zu verletzen.
23 Krit. Dreher JR 1974 50 ff; die Reform befürwortend Baumann JR 1974 370 ff; Hanack NJW 1974 5 ff; Horstkotte JZ 1974 84 ff; Laufhütte JZ 1974 46 ff; Sturm JZ 1974 4 ff. 24 Frommel FS Derleder 535 ff; Gössel Das neue Sexualstrafrecht, Einführung Rdn. 5. Aus sexualwissenschaftlicher Sicht Schmidt Das Verschwinden der Sexualmoral (1996). 13
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Vorbemerkungen
3. Reformen seit dem 4. StrRG 12 Das 26. StÄG v. 14.7.199225 (Menschenhandel) hob die Absätze 3 bis 5 in § 180a auf, fügte stattdessen § 180b ein und änderte § 181 (danach mit der Überschrift „schwerer Menschenhandel“).26 Die Menschenhandelsverbote sollen auch den Schutz ausländischer Frauen vor sexueller Ausbeutung durch international und arbeitsteilig vorgehende Täter verbessern (s. zu den Problemen mit der Strafverfolgung nach der vorherigen Rechtslage BTDrucks. 12/2046 S. 4 f). Das 37. StÄG v. 11.2.200527 strich die §§ 180b, 181 und siedelte die Menschenhandelsverbote in veränderter Form im 18. Abschnitt (Straftaten gegen die persönliche Freiheit, §§ 232 bis 233a) an. Eine für die Praxis bedeutsame Änderung erfuhr § 184 durch das 27. StÄG v. 23.7.199328 13 (Kinderpornographie). Die Strafdrohungen für die Herstellung und Verbreitung von kinderpornographischen Darstellungen wurden angehoben (auf drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) und (in § 184 Abs. 5 i.d.F. des 27. StÄG) der Besitz von Darstellungen, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, unter Strafe gestellt. Damit sollte „ein wirksames Signal für die nachdrückliche Verfolgung der Kinderpornographie“ gegeben werden (BTDrucks. 12/4883 S. 6). Der Gesetzgeber will durch die Möglichkeit, Sammler von Kinderpornographie strafrechtlich verfolgen zu können, den Markt einschränken, der auch durch die Nachfrage bestimmt wird (BTDrucks. 12/4883 S. 7). Der Kampf gegen Kinderpornographie wurde in den letzten Jahrzehnten zu einem populären Anliegen, das sich in weiteren Gesetzesverschärfungen niederschlug (s. Rdn. 18, 22, 29). 14 Zwei Strafrechtsänderungsgesetze in der ersten Hälfte der neunziger Jahre betrafen Sexualstraftaten gegen Minderjährige. Das 29. StÄG v. 31.5.199429 gestaltete § 182 neu. Da das Rechtsgut nicht mehr die „jungfräuliche Ehre eines Mädchens“ ist, bestand kein Grund für die Einengung auf Beischlaf. Die Vorschrift wich außerdem hinsichtlich der Schutzaltersgrenze (16 Jahre) von § 175 (i.d.F. des 4. StrRG) ab, der männliche Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr vor homosexuellen Handlungen bewahren sollte. Zudem galten auf dem Gebiet der früheren DDR die §§ 175, 182 nicht, sondern § 149 StGB-DDR, der Jugendliche beiderlei Geschlechts bis zum 16. Lebensjahr vor der Ausnutzung zu sexuellen Handlungen schützte.30 Das 29. StÄG hob § 175 auf und schuf in § 182 eine einheitliche Vorschrift zum Schutz Jugendlicher. Geschützt wurden nur Vierzehn- und Fünfzehnjährige gegen sexuelle Handlungen unter Ausnutzung einer Zwangslage oder gegen Entgelt, oder, falls der Täter wesentlich älter war, bei Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung (§ 182 Abs. 1, 2 i.d.F. des 29. StÄG). Die Annahme, dass Sechzehn- und Siebzehnjährige auch unter schwierigen Umständen und selbst als Prostituierte autonom agieren können, ist allerdings nicht plausibel; s. zur aktuellen Fassung von § 182 unten Rdn. 23. 15 Das 30. StÄG v. 23.6.199431 nahm eine wichtige Ergänzung bei den Regeln der Verjährung bei Straftaten gegen Minderjährige vor. Minderjährige Opfer sind oft nicht in der Lage, sich für eine strafrechtliche Ahndung einzusetzen, und bei Erreichen ihrer Volljährigkeit waren die Delikte bereits verjährt. § 78b Abs. 1 Nr. 1 ordnet deshalb ein Ruhen der Verjährung an, nach 25 BGBl. I S. 1255; BTDrucks. 12/2046 (Gesetzentwurf des Bundesrates); 12/2589 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses). 26 Dazu Kelker KritV 1993 289; krit. Schroeder JZ 1995 231. 27 BGBl. I S. 239; BTDrucks. 15/3045 (Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen); 15/4048 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses). 28 BGBl. I S. 1346; BTDrucks. 12/3001 (Gesetzentwurf der Bundesregierung); 12/4883 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses). 29 BGBl. I S. 1168; s. BTDrucks. 12/4584 (Gesetzentwurf der Bundesregierung); 12/7035 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses). Dazu Schroeder NJW 1994 1501. 30 Zum „gespaltenen“ Sexualstrafrecht in Deutschland nach dem Einigungsvertrag Kusch MDR 1991 99. 31 BGBl. I S. 1310; BTDrucks. 12/2975 u. 12/3825 (Gesetzentwürfe); 12/6980 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses). Hörnle
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dem 30. StÄG zunächst für Straftaten nach den §§ 176 bis 179 und bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers. Das Ruhen der Verjährung wurde in den folgenden Jahren noch mehrfach ausgedehnt (Rdn. 23). Wichtige Änderungen der §§ 177–179 enthielt das 33. StÄG v. 1.7.199732 (in Kraft seit dem 16 5.7.1997). Dieses auf längere Debatten33 zurückgehende Gesetz setzte den Prozess einer Vervollständigung des Schutzes sexueller Selbstbestimmung fort (zwangsläufig verbunden mit einer Verlängerung der Tatbestände). Das 33. StÄG fasste sexuelle Nötigung (§ 177 Abs. 1 i.d.F. des 33. StÄG) und Vergewaltigung (Regelbeispiel gem. § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 i.d.F. des 33. StÄG) in einem Tatbestand zusammen. Das Merkmal „außerehelich“ wurde gestrichen, der Tatbestand geschlechtsneutral formuliert und die Modalität „Ausnutzen einer schutzlosen Lage“ in Ergänzung zu Gewalt und Drohung eingeführt (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 i.d.F. des 33. StÄG). Dem Beischlaf wurden andere Formen des Eindringens in den Körper gleichgestellt und in § 177 Abs. 3 i.d.F. des 33. StÄG weitere Regelbeispiele eingeführt, nämlich gemeinschaftliches Handeln, die schwere körperliche Misshandlung und die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung. Erhöht wurde die Mindeststrafe beim minder schweren Fall der einfachen sexuellen Nötigung auf sechs Monate Freiheitsstrafe. § 237 (Entführung gegen den Willen der Entführten) wurde gestrichen. In § 179 (sexueller Missbrauch Widerstandsunfähiger, nunmehr aufgehoben) wurde für eingriffsintensive sexuelle Handlungen der Strafrahmen deutlich erhöht. Nur wenige Monate später nahm das 6. StrRG v. 26.1.199834 (in Kraft seit dem 1.4.1998) 17 weitere Ausdifferenzierungen der Unrechtsbeschreibungen vor und hob die Strafrahmen an. Noch wesentlich detailreicher wurden die Vorschriften zum Schutz von Kindern gefasst. Die Regelbeispiele für besonders schwere Fälle (§ 176 Abs. 3 i.d.F. des 4. StrRG) wurden in einem neuen Tatbestand (§ 176a i.d.F. des 6. StrRG) als Qualifikationen erfasst. In diesen Qualifikationstatbestand wurden zahlreiche Erschwerungsgründe aufgenommen: Rückfalltaten; Eindringen in den Körper; gemeinschaftliches Handeln; die Absicht, die Tat zum Gegenstand einer kinderpornographischen Schrift zu machen, und vieles mehr. Die Höchststrafe wurde auf 15 Jahre erhöht, und für einige Tatmodalitäten (z.B. schwere körperliche Misshandlung) wurden deutlich höhere Mindeststrafen als im 4. StrRG eingeführt. Der sexuelle Missbrauch von Kindern mit Todesfolge wurde (mit höherem Strafrahmen, Mindeststrafe zehn Jahre statt zuvor fünf Jahre Freiheitsstrafe) aus § 176 Abs. 4 (4. StrRG) in einen neuen Tatbestand verschoben (§ 176b i.d.F. des 6. StrRG). Das 6. StrRG verschärfte außerdem § 177. Die Verursachung des Todes des Opfers ist seither 18 (mit Anhebung der Mindeststrafe) in einem eigenen Tatbestand (§ 178) unter Strafe gestellt. Qualifikationstatbestände (Beisichführen oder Verwenden von Waffen, gefährlichen und sonstigen Werkzeugen bzw. Mitteln) wurden eingeführt und für Tatfolgen wie die Schaffung einer Todesgefahr wurde das Strafniveau stark angehoben. Auch in § 179 Abs. 1 a.F. (sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, nunmehr aufgehoben) wurden die Strafen erhöht (zuvor erlaubte der Grundtatbestand, Geldstrafe zu verhängen). Eingefügt wurde ein neuer Tatbestand zum Schutz vor sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174c (s. § 174c Entstehungsgeschichte). Ferner erhöhte das 6. StrRG die Strafen für Gewalt- und Tierpornographie und für die gewerbsmäßige oder durch Banden erfolgende Verbreitung von Kinderpornographie (§ 184 Abs. 3, 4 a.F.).
32 BGBl. I S. 1607; s. BTDrucks. 13/199; 13/323; 13/536; 13/2463; 13/3026; 13/7324 (Gesetzentwürfe); 13/4543; 13/7663 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses); Lenckner NJW 1997 2801. 33 S. u.a. die Gesetzentwürfe in der vorstehenden Fn. Zum Schrifttum s. die Angaben bei § 177. 34 BGBl. I S. 164. S. BTDrucks. 13/7164 (Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU u. FDP); 13/8587 (Gesetzentwurf der Bundesregierung); 13/2203 (Gesetzentwurf des Bundesrats zu § 174c); 13/8267 (Gesetzentwurf der Bundesregierung zu § 174c); 13/8991 (Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses); 13/9064 (Bericht des Rechtsausschusses). S. dazu Bussmann StV 1999 613; Kreß NJW 1998 633, 638 f; Renzikowski NStZ 1999 377, 440. 15
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Vorbemerkungen
Das SexualdelikteBekG v. 26.1.199835 enthielt keine Änderungen im 13. Abschnitt des StGB, aber im 3. Abschnitt (Rechtsfolgen der Tat). Diese betonen Sicherungsaspekte im Umgang mit (möglicherweise) rückfallgefährdeten (Sexual-)Straftätern. Unter anderem wurde die Anordnung von Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 3) erleichtert, die zuvor vorgesehene Befristung der ersten Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre abgeschafft und die Anforderungen an die Prognose bei vorzeitiger Entlassung verschärft, § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2.36 Das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) v. 20 20.12.200137 (in Kraft seit dem 1.1.2002) beruht auf einer veränderten Beurteilung sexueller Dienstleistungen. Da Prostitution nach Einschätzung des Gesetzgebers nicht mehr als sittenwidrig einzustufen ist (BTDrucks. 14/5958 S. 4), wurde § 180a Abs. 1 Nr. 2 a.F. (Maßnahmen, die die Prostitutionsausübung fördern) aufgehoben und § 180a mit „Ausbeutung von Prostituierten“ betitelt.38 Trotz der vorausgegangenen Gesetzesänderungen, die aus dem Verbot des sexuellen Miss21 brauchs von Kindern eine Vielfalt von Verboten gemacht hatten, folgte die nächste Änderung schnell. Das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften (SexualdelÄndG) v. 27.12.200339 (in Kraft seit dem 1.4.2004) führte neue Tatbestände und erneute Verschärfungen ein. Der zuvor in § 176 Abs. 1 noch enthaltene Strafrahmen für minder schwere Fälle des einfachen sexuellen Missbrauchs wurde abgeschafft, in § 176 Abs. 3 a.F. (zusätzlich zu den vielen Qualifikationen in § 176a, heute § 176c) ein erhöhter Strafrahmen für unbenannte besonders schwere Fälle geschaffen, und für Handlungen ohne Körperkontakt die Mindeststrafe verschärft. Außerdem wurden in § 176 Abs. 4 Nr. 3 und Abs. 5 a.F. Vorbereitungshandlungen unter Strafe gestellt.40 Beim schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes wurde die Mindeststrafe für die Qualifikationen in § 176a Abs. 2 a.F. von einem Jahr auf zwei Jahre Freiheitsstrafe verdoppelt. Für den sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger wurde ebenfalls ein erhöhter Strafrahmen für unbenannte besonders schwere Fälle (wieder) eingeführt41 und für Qualifikationen (§ 179 Abs. 5 a.F.) die Mindeststrafe verdoppelt. Die zuvor in § 184 angehängten Absätze zu Gewalt-, Tier- und Kinderpornographie wurden in eigene Tatbestände ausgegliedert (§§ 184a, 184b). Der Straftatbestand zu Kinderpornographie wurde um neue Verbote erweitert (Schriften an eine andere Person zu schicken42 wurde der Verbreitung an größere Personenkreise gleichgestellt) und die Höchststrafe für Besitzdelikte wurde angehoben. Das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union 22 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie v. 31.10.200843 (in Kraft seit dem 5.11.2008) setzte internationale und europarechtliche Vorgaben um, die ohne Differenzierung zwischen Kindern und Jugendlichen alle Minderjährigen zum geschützten Personenkreis zählen (s. dazu § 182 Entstehungsgeschichte; Hörnle MK § 184c Rdn. 1). Zum einen beseitigte die Anhebung der Schutzaltersgrenze in § 182 Abs. 2 eine Strafbarkeitslücke, die darin bestand, dass davor „Freier“ straffrei blieben, die mit minderjährigen Prostituierten im Alter von 16 und 17 Jahren sexuelle Handlungen vornahmen. Zum anderen wurden in Anlehnung an § 184b in § 184c Verbote der Verbreitung, der Besitzverschaffung, des Besitzes 19
35 BGBl. I S. 160. 36 S. dazu Albrecht ZStW 111 (1999) 863, 866 ff; Boetticher MSchrKrim 1998 354; Hammerschlag/Schwarz NStZ 1998 321; Rosenau StV 1999 388, 394 ff; Schöch NJW 1998 1257 ff. 37 BGBl. I S. 3983; BTDrucks. 14/5958 (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD u. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 38 S. dazu Heger StV 2003 350; Rautenberg NJW 2002 650, 652; Schroeder JR 2002 408 f. 39 BGBl. I S. 3007; BTDrucks. 15/29 (Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU); 15/350 (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD u. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN); 15/1311 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses). 40 Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1065, 1067 f. 41 Dieser war bereits Bestandteil des 33. StÄG, aber mit dem 6. StrRG wieder entfallen. 42 Krit. Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1069 f. 43 BGBl. I S. 2149; s. BTDrucks. 16/3439 (Gesetzentwurf der Bundesregierung); 16/9646 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses). Hörnle
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usw. eingeführt, die sich auf Jugendpornographie beziehen (also Produkte, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Personen von 15 bis 18 Jahren zum Gegenstand haben). An der zunächst geplanten Strafrahmengleichstellung für Kinder- und Jugendpornographie (BTDrucks. 16/3439 S. 5, 9) wurde nicht festgehalten, da die Gefährlichkeit von Märkten für Kinderpornographie einerseits, Jugendpornographie andererseits nicht vergleichbar ist.44 In § 184c fallen die Strafrahmen niedriger aus als in § 184b – wobei trotzdem zweifelhaft bleibt, ob umfangreiche Verbote einschließlich einer Strafbarkeit wegen Besitzes erforderlich sind.45 Das StORMG v. 26.6.2013,46 in Kraft seit dem 30.6.2013, hatte die Ruhensfrist in § 78b 23 Abs. 1 Nr. 1 bei Sexualdelikten gegen minderjährige Opfer (Rdn. 15) auf 21 Jahre ausgeweitet. Das 49. StÄG v. 21.1.201547 (in Kraft seit dem 27.1.2015) dehnte das Ruhen der Verjährung bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres aus. Grund für diese lange Ruhensfrist ist die Erkenntnis, dass Opfer oft lange Zeit benötigen, um sich aus einer sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Täter zu befreien und das Geschehene psychisch zu verarbeiten (BTDrucks. 18/2601 S. 23).48 Außerdem hat das 49. StÄG die Anwendbarkeit von § 78b Abs. 1 Nr. 1 auf Taten nach den §§ 182, 180 Abs. 3 a.F. erstreckt. Weitere wichtige Änderungen im 49. StÄG galten den §§ 174, 182. In § 174 Abs. 1 Nr. 3 wurde die Gruppe der geschützten Minderjährigen erweitert, was vor allem auch deshalb wichtig ist, weil erst seit dieser Änderung Enkelkinder und die Kinder von Ehepartnerinnen und Lebensgefährtinnen einbezogen sind (s. dazu § 174 Rdn. 43 ff). Mit dem neu eingefügten § 174 Abs. 2 sollte (als Reaktion auf vorausgegangene freisprechende Urteile) sichergestellt werden, dass in Schulen und anderen Erziehungsinstitutionen für alle Lehrer (und andere Erzieher etc.) unabhängig von der konkreten Unterrichtsverteilung Abstinenzgebote gelten (s. § 174 Rdn. 50 ff). § 182 Abs. 3 wurde durch die Worte „ihm gegenüber“ ergänzt, was deshalb wichtig ist, weil damit klarer herausgestellt wird, dass die Zustimmungsfähigkeit bei Jugendlichen nicht eine der Person inhärente Eigenschaft ist, sondern vielmehr stark kontextabhängig ausfällt (§ 182 Rdn. 58 ff). Schließlich wurden Änderungen im Pornographiestrafrecht vorgenommen, u.a. Einführung des (mittlerweile wieder aufgehobenen, s. Rdn. 28) § 184d.
4. Das 50. StÄG und weitere Änderungen Von großer Bedeutung für die Gestaltung des deutschen Sexualstrafrechts war das 50. StÄG v. 24 4.11.2016 (in Kraft seit dem 10.11.2016).49 Das 50. StÄG hat § 177 eine neue Form gegeben. Der Gesetzesänderung ging eine längere Diskussion darüber voraus, ob die Fokussierung auf nötigendes Verhalten des Täters (s. § 177 Entstehungsgeschichte) angemessen ist, nachdem sexuelle Selbstbestimmung als Schutzzweck anerkannt wurde. Angestoßen wurde die Änderung des StGB durch die Unterzeichnung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11.5.2011 (Istanbul-Konvention).50 Art. 36 Abs. 1 Istanbul-Konvention verlangt, jede nicht einverständliche sexuelle Handlung unter Strafe zu stellen. Parallel zur Diskussion um europarechtliche Pflichten wurden die Schutzlücken im deutschen Strafrecht kritisiert (s. dazu BTDrucks. 18/8210 S. 9 ff; Hörnle ZIS 2015 206, 210 ff; weitere Nachw. § 177 Entstehungsgeschichte). Ein Entwurf der Bundesregierung sah zunächst vor, Schutzlücken zu schließen, indem § 179 a.F. auf die Ausnutzung besonderer 44 45 46 47
Hörnle NJW 2008 3521, 3523. Krit. Hörnle NJW 2008 3521, 3523 f. BGBl. I S. 1805. BGBl. I S. 10; BTDrucks. 18/2601 (Gesetzentwurf); 18/3202 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses). 48 S. dazu Hörnle/Klingbeil/Rothbart S. 69 ff. 49 BGBl. I S. 2460. 50 ETS 210. Dazu Kempe S. 31 ff. 17
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Umstände ausgeweitet werden sollte (BTDrucks. 18/8210 S. 9 ff). Im Gesetzgebungsverfahren (s. dazu § 177 Entstehungsgeschichte) setzte sich jedoch ein anderer Ansatz durch: Es wurde die neue Deliktskategorie „sexueller Übergriff“ eingeführt. Im Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 implementiert die Formulierung „gegen den erkennbaren Willen“ ein Nein-heißt-Nein-Modell (BTDrucks. 18/9097 S. 2). Weitere Varianten sexueller Übergriffe werden in § 177 Abs. 2 aufgeführt, nämlich Konstellationen, in denen das Opfer keinen entgegenstehenden Willen bilden oder äußern konnte (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, 3) oder die Fähigkeit zur Bildung oder Äußerung eines solchen Willens eingeschränkt war (§ 177 Abs. 2 Nr. 2) oder es überflüssig ist, dass das Opfer seinen entgegenstehenden Willen äußert (§ 177 Abs. 2 Nr. 4, 5). Umstände, die vormals den Grundtatbestand der sexuellen Nötigung ausmachten (Gewalt, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, Ausnutzung einer schutzlosen Lage), sind nun mit kleinen Umformulierungen (s. dazu § 177 Rdn. 158 ff) qualifizierende Umstände in Absatz 5. Unverändert blieben Qualifikationen und besonders schwere Fälle, darunter Vergewaltigung. Das 50. StÄG hob § 179 auf, da die vormals dort erfassten Umstände nun in § 177 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 erfasst sind. Für die Praxis wichtig ist der neue Tatbestand der sexuellen Belästigung, § 184i. Dieser stellt körperliche Berührungen unter Strafe, die mangels Erheblichkeit nicht von § 177 erfasst würden (§ 184i Rdn. 1). Anlassbezogen erfolgte außerdem eine weitere Änderung: Mit § 184j wurde ein neuartiges Gefährdungsdelikt geschaffen, das die Beteiligung an einer Personengruppe unter Strafe stellt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat bedrängt, wenn einer der Beteiligten eine Straftat nach § 177 oder § 184i begeht. Die Einführung dieses Tatbestands war eine Reaktion auf die Ereignisse der „Kölner Silvesternacht“ (dazu § 177 Entstehungsgeschichte). Deren Aufarbeitung zeigte, dass es bei Sexualdelikten aus Menschenansammlungen, die innerhalb der Gruppe Hemmschwellen herabsetzen und von außen unübersichtlich sind, kaum möglich ist, Übergriffe nachträglich Individuen zuzuordnen.51 Das 57. StÄG v. 3.3.2020,52 in Kraft seit dem 13.3.2020, zielt darauf ab, die Strafverfolgung wegen Kinderpornographie und sexuellen Missbrauchs von Kindern zu erleichtern. Zum einen machen sich Täter nach der neuen Fassung beim sog. Cybergrooming (Kontaktaufnahme mit Kindern in digitalen Netzen) wegen einer versuchten Tat nach § 176 Abs. 4 Nr. 3 i.d.F. des 57. StÄG (untauglicher Versuch) strafbar, wenn sie irrtümlich glauben, mit einem Kind zu kommunizieren. Zum anderen dürfen verdeckt ermittelnde Polizeibeamte, wenn dies erforderlich ist, um Zugang zu geschlossenen Benutzergruppen zu finden, computergenerierte Kinderpornographie herstellen und an andere schicken (§ 184b Abs. 5 S. 2 i.d.F. des 57. StÄG). Mit dem 59. StÄG v. 9.10.202053 (in Kraft getreten am 1.1.2021) wurde in § 184k eine neue Strafvorschrift mit dem Titel „Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen“ eingeführt. Die Norm verbietet das unbefugte Herstellen, Übertragen und Zugänglichmachen von Bildaufnahmen, die Genitalien, Gesäß, die weibliche Brust oder diese Körperteile bedeckende Unterwäsche zeigen. Für das Pornographiestrafrecht bedeutet das 60. StÄG v. 30.11.2020,54 in Kraft seit dem 1.1.2021, einen wichtigen Neuansatz. Mit der zunehmenden Bedeutung moderner Informationsund Kommunikationstechnik werden Trägermedien wie Zeitschriften, Videokassetten etc. immer weniger genutzt. Seit dem 60. StÄG ist der zentrale Begriff „Inhalte“ und nicht mehr „Schriften“, in § 11 Abs. 3 und in den Tatbeständen, die bislang auf „Schriften (§ 11 Absatz 3)“ verwiesen. Die nach vorheriger Rechtslage erforderlichen, komplizierten Überlegungen dazu, wann bei Schriften von Verbreitung und Besitz die Rede sein kann, wenn Pornographie digital weitergeleitet und genutzt wird, sind nun nicht mehr erforderlich (s. Hörnle MK § 184 Rdn. 17 f). Damit wurde auch der nur fünf Jahre zuvor eingeführte Spezialtatbestand in § 184d (Rdn. 23) wieder
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S. zur schwierigen Aufklärung der Delikte Egg in Landtag NRW Drucks. 16/14450, S. 1221, 1260 f. BGBl. I S. 431. BGBl. I S. 2075. BGB. I S. 2600.
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überflüssig, dessen Funktion darin lag, Lücken zu schließen, die der traditionelle Schriftenbegriff in einer digitalisierten Welt verursachte. Das 60. StÄG hob deshalb § 184d wieder auf. Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021,55 in Kraft 29 seit dem 1.7.2021, erweiterte die Strafnormen zum Schutz von Kindern, zum einen durch eine Neuorganisation der Tatbestände (nunmehr in den §§ 176–176d fünf statt zuvor drei Tatbestände), zum anderen durch eine Erhöhung von Mindeststrafen. Der einfache sexuelle Missbrauch mit Körperkontakt muss seither mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden, § 176 Abs. 1; er wurde also zum Verbrechen (§ 12 Abs. 1) hochgestuft. Gleichzeitig wurde für eine eng umgrenzte Fallgruppe die Möglichkeit eingeführt, von Strafe abzusehen, nämlich dann, wenn die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgte und der Unterschied im Alter sowie Entwicklungsstand oder Reifegrad gering war, § 176 Abs. 2. Auch für sexuelle Handlungen mit Kindern ohne Körperkontakt, die nun in § 176a beschrieben werden, wurden die Mindeststrafen angehoben (auf nunmehr sechs Monate Freiheitsstrafe). § 176b erfasst seither die Fälle, die als Cybergrooming bezeichnet werden, d.h. die Einwirkung auf ein Kind mittels Informations- und Kommunikationstechnik oder durch sonstige Medien i.S.v. § 11 Abs. 3, mit der Intention, zukünftigen sexuellen Missbrauch des Kindes oder Delikte, die sich auf Kinderpornographie beziehen, zu ermöglichen. Zuvor war Cybergrooming nach § 176 Abs. 4 Nr. 3 strafbar. Die Mindeststrafe wurde außerdem beim schweren sexuellen Missbrauch erhöht, wenn Täter wegen sexuellen Missbrauchs vorbestraft sind (§ 176c Abs. 1 Nr. 1). Außerdem wurde wieder ein neuer Tatbestand eingeführt. § 184l stellt es unter Strafe, Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild in den Verkehr zu bringen, zu erwerben und zu besitzen. Seit einer weiteren Erweiterung des 13. Abschnitts mit Gesetz v. 14.9.2021 gibt es außerdem in § 176e einen Straftatbestand, der Verbreitung und Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern bekämpfen soll.56
5. Bestehender Reformbedarf Die vielfachen Änderungen des 13. Abschnitts in den letzten Jahrzehnten verdienen eine diffe- 30 renzierende Bewertung. Dies verkennen manche Stimmen in der Literatur, die pauschal sämtliche Änderungen nach dem 4. StrRG kritisieren. Die Einschätzung, dass eine Liberalisierung des Sexualstrafrechts durch eine „Gegenbewegung“ (Schroeder JZ 1999 833)57 und ein „paternalistisches Regime obrigkeitlicher Bestimmung“ (Fischer Rdn. 9a) ersetzt worden sei, beruht teilweise auf einer zu positiven Einschätzung der alten Rechtslage. Die aktuellen Regelungen erfassen Sachverhalte, in denen sexuelle Selbstbestimmung verletzt wurde, vollständiger und besser, als dies 1871 oder 1974 der Fall war. Grundsätzlich sind die Ausdifferenzierung der Tatbestände und auch das Bestreben, unrechtssteigernde Bedingungen im Gesetzestext zu beschreiben und abgestufte Strafrahmen zuzuordnen, positiv zu sehen. Gleichzeitig besteht aber nach wie vor das Problem, dass der Gesamtkomplex „Sexualdelik- 31 te“ zu keinem Zeitpunkt umfassend und in systematischer Weise überarbeitet wurde. Der 13. Abschnitt weist mehrere Schwächen auf. Erstens ist die Systematik nicht sinnvoll. Tatbestände zum Schutz Minderjähriger sind über den Abschnitt verstreut.58 Eine klare Gliederung sollte Tatbestandsgruppen nach unterschiedlichen Opfergruppen zusammenfassen (solche, die nur 55 BGBl. I S. 1810. 56 Eingeführt durch das „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten, Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Verbesserung der Bekämpfung verhetzender Inhalte sowie Bekämpfung von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ v. 14.9.2021 (BGBl. I 4250); in Kraft seit dem 22.9.2021. 57 Krit. auch Amelung/Funcke-Auffermann StraFo 2004 114, 115; Brüggemann S. 501 ff; Steiger S. 48 ff, 320 ff; Thienhaus S. 179 ff. 58 Brüggemann S. 519 f. 19
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Vorbemerkungen
Kinder und Jugendliche schützen; Tatbestände, die vor allem auch Erwachsene schützen). Kritik, die zu Recht Unübersichtlichkeit rügt (Fischer Rdn. 4; Renzikowski MK Rdn. 82) wäre dadurch zu entkräften.59 Zweitens bestehen inhaltliche Inkonsistenzen. Die Beschreibung der Tathandlungen ist nicht einheitlich. Insoweit schuf insbesondere die verfehlte Lehre von der angeblich notwendigen Eigenhändigkeit sexueller Handlungen Probleme (Rdn. 57 f). Auch die Unrechtsbewertung bei erschwerenden Umständen bedürfte einer systematischen Überprüfung. Nicht ersichtlich ist, warum diese teils als Qualifikation, teils als Regelbeispiel ausgestaltet sind und außerdem unterschiedlich beschrieben werden (unter Verweis auf „besonders erniedrigen“ in § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1, ohne einen solchen Verweis in § 176c Abs. 1 Nr. 2). Tatbestände, die abstrakte Gefährdungen (etwa das Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs, § 177 Abs. 7 Nr. 1) in Relation zum Grunddelikt (§ 177 Abs. 1 und Abs. 2) als größere Unrechtserhöhung werten als eine besondere Erniedrigung sexueller Art (§ 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1), sind ebenfalls nicht überzeugend. Nicht zuletzt mit Blick auf die Empfehlungen der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, die 2017 dem Bundesminister für Justiz ihre Ergebnisse vorlegte, ist rechtspolitisch zu fordern, endlich den gesamten 13. Abschnitt zu überarbeiten.60 Aus kriminalpolitischer Sicht wäre es außerdem erforderlich, die bestehenden und mögliche neue Verbote, die nichtkörperliche Beeinträchtigungen sexueller Selbstbestimmung verhindern sollten, in umfassender, systematischer Weise zu überprüfen, s. dazu Burghardt/Schmidt/Steinl JZ 2022 502.61 Dies gilt insbesondere auch für nicht konsentierte Bildaufnahmen und die Verbreitung von Aufnahmen mit Sexualbezug, die bisher unsystematisch und nicht immer konsistent (s. etwa die Diskussion um den neuen § 184k mit dem Verbot von „Upskirting“ und „Downblousing“62 und um sog. Revenge Porn (s. Hall/Hearn 2017) in Straftatbeständen erfasst werden. 32 Bei den besonders populären kriminalpolitischen Themen, nämlich dem „Kampf“ gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und gegen Kinderpornographie, sind regelmäßig politische Aktivitäten zu registrieren. In der Strafrechtswissenschaft stießen neue Tatbestandsbeschreibungen und Strafrahmenverschärfungen sowie die Tendenz zu emotionalisierenden und moralisierenden Debatten auf Kritik.63 Während ältere Gesetzesmaterialien noch darauf hinweisen, dass „bei aller Scheußlichkeit kinderpornographischer Darstellungen nicht übersehen werden [darf], dass Verbreitung und Besitz nicht dem sexuellen Missbrauch gleichgestellt werden darf“ (BTDrucks. 12/ 4883 S. 7), droht diese Einsicht nun verloren zu gehen. Sowohl für die Verbreitung als auch für den bloßen Besitz von Kinderpornographie ist seit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 (Rdn. 29) dieselbe Mindeststrafe vorgesehen wie für sexuellen Missbrauch mit Körperkontakt (§ 176 Abs. 1). Eine solche nivellierende Anhebung von Strafrahmen ist Produkt moralischer Empörung, wobei verkannt wird, dass strafrechtliche Bewertungen graduelle Unterschiede im Unrechtsgehalt berücksichtigen sollten.
II. Geschützte Rechte und Rechtsgüter 1. Sittlichkeit und Moral 33 Der 13. Abschnitt wurde mit dem 4. StrRG v. 23.11.1973 (Rdn. 6 ff) von „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ in „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ umbenannt. Dies 59 S. dazu Laubenthal in BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 1144 ff; ders. FS Fischer 431; Thienhaus S. 289 f. 60 Bezjak ZStW 130 (2018) 303; Renzikowski/Schmidt KriPoZ 2018 325. 61 S. zu der Diskussion um die Pönalisierung des sog. Catcalling Gemmel/Immig KriPoZ 2022 83; Hoven/Rubitzsch/ Wiedmer KriPoZ 2022 175; Pörner NStZ 2021 336; Steiner ZRP 2021 241. 62 Sachen KriPoZ 2022 248. 63 S. z.B. Dessecker NStZ 1998 6; Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1066; Funcke-Auffermann Symbolische Gesetzgebung, S. 172 ff; Hörnle ZIS 2020 440; Kreuzer KriPoZ 2020 263; Renzikowski MK Rdn. 87. Hörnle
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war Zeichen eines Wandels gesellschaftlicher Vorstellungen: An die Stelle einer konventionellen, rollenbezogen-restriktiven Sexualmoral traten Vorstellungen, die für die selbstbestimmte Ausgestaltung von Sexualität größere Wahlfreiheit lassen, aber strengere Anforderungen an die Art und Weise des Übereinkommens der Sexualpartner stellen.64 Aus dieser Verschiebung weg vom Schutz reglementierender Konventionen (Sittlichkeit) hin zum Schutz sexueller Selbstbestimmung darauf zu schließen, dass das geltende Recht von moralischen Vorgaben vollkommen unabhängig sei, würde allerdings zu kurz greifen.65 Einige Strafnormen im 13. Abschnitt, etwa das Verbot von fiktionaler Kinderpornographie (§ 184b) und Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild (§ 184l), lassen sich nicht schlüssig damit begründen, dass sie die Rechte von Individuen schützen, und auch die Jugendschutzvorschriften i.e.S. (dazu Rdn. 51 f) bauen auf moralischen Normen auf.66
2. Sexuelle Selbstbestimmung, Intimsphäre und Menschenwürde Die Überschrift des 13. Abschnitt deutet an, was die Normen vorwiegend schützen sollen: sexu- 34 elle Selbstbestimmung. Schutzgut ist nicht sexuelle Selbstbestimmung i.S.v. positiver Freiheit, d.h. die Freiheit, sein Sexualleben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten (wegen der entgegenstehenden Rechte anderer haben Erwachsene keine Ansprüche auf Sexualkontakte mit bestimmten Personen, und bei Kindern besteht positive Dispositionsfreiheit nicht). Entscheidend ist vielmehr negative Selbstbestimmung, also das Abwehrrecht gegen Zugriffe anderer auf den eigenen Körper.67 Der Verweis auf sexuelle Selbstbestimmung macht es erstens erforderlich, zu erklären, warum sexuelle Selbstbestimmung als wichtig angesehen wird; zweitens muss überlegt werden, wie sich Selbstbestimmung zum faktischen Willen von Menschen verhält; drittens, welche Verhaltensweisen sexuelle Selbstbestimmung verletzen.
a) Der besondere Stellenwert von sexueller Selbstbestimmung. Der Verweis auf Selbst- 35 bestimmung im Allgemeinen (Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG) reicht nicht aus, um das Unrecht von Sexualdelikten zu verdeutlichen – Selbstbestimmung wird z.B. auch in § 240 mit einem wesentlich niedrigeren Strafrahmen geschützt. Es muss vielmehr die besondere Bedeutung berücksichtigt werden, die sexuellen Handlungen im Unterschied zu anderen Eingriffen in die selbstbestimmte Lebensführung zukommt. Eine wichtige Basis des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung bildet das Recht auf Achtung der Intimsphäre. Sexuelle Interaktionen gehören in den Bereich, den das BVerfG als „unantastbaren Bereich der privaten Lebensgestaltung“ bezeichnet.68 Der EGMR weist darauf hin, dass das Abwehrrecht gegen sexuelle Übergriffe als Teil des Rechts auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) anzusehen und der Staat verpflichtet ist, dieses Recht mit strafrechtlichen Mitteln zu schützen (EGMR NJW 1985 2075; M.C. v. Bulgaria, no. 39272/98, §§ 148 bis 153). An der Bedeutung der Intimsphäre hat der Wandel gesellschaftlicher Einstellungen zu Sexualität nichts geändert: Auch wer eine „Übersexualisierung des Konsum- und Freizeitbereichs“ diagnostiziert (Fischer Rdn. 6),69 wird nicht abstreiten,
64 S. dazu Schmidt Das Verschwinden der Sexualmoral (1996). 65 Vgl. Kubiciel JZ 2018 171, 174; Renzikowski MK Rdn. 6. 66 Horstkotte JZ 1974 85; Hörnle Grob anstößiges Verhalten, S. 197 ff. Krit. zur moralistischen Komponente bei Jugendschutznormen Lenz S. 323 ff. 67 S. ausführlich zum Konzept der sexuellen Selbstbestimmung Vavra S. 108 ff; Green S. 19 ff; Valentiner S. 46 ff, 356 ff; außerdem Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 86 f; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 604; Hörnle ZStW 127 (2015) 851, 859 f; Renzikowski MK Rdn. 7 ff. 68 BVerfGE 6 32, 41; 27 1, 6; 34 238, 245; 38 316, 320; 80 367, 374; 89 69, 84; 96 10, 21; 96 56, 61; 109 279, 319. 69 S. zu den Stimmen in der Lit., die eine Überbetonung von sexueller Selbstbestimmung befürchten, auch Vavra S. 186 ff. 21
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Vorbemerkungen
dass trotz der größeren Offenheit bei Darstellungen von und Kommunikation über Sexualität praktizierte Sexualkontakte mit anderen Menschen nach wie vor in der Regel als intime Vorgänge erlebt werden. Der Bedeutung gelingender Sexualität für das Wohlbefinden und die Konstitution der eigenen Persönlichkeit entspricht ihr negatives Spiegelbild: die besondere Verletzbarkeit durch ungewollte, aufgedrängte sexuelle Interaktionen,70 eine Verletzbarkeit nicht nur des Körpers, sondern auch der Intimsphäre. 36 Fremdbestimmte Sexualkontakte können die Menschenwürde derjenigen verletzen, in deren körperliche Intimsphäre eingegriffen wird – ein Aspekt, der lange nur am Rande erwähnt wurde.71 Ein Grund für die zögerliche Aufnahme des Begriffs „Menschenwürde“ in die strafrechtliche Rechtsgutsdiskussion könnte sein, dass umstritten ist, wie dieser zu konkretisieren ist. Verfassungsrechtliche und rechtsphilosophische Debatten über die Definition von Menschenwürde72 sollten aber nicht zur Folge haben, dass die Bedeutung von Menschenwürde für das Sexualstrafrecht ignoriert wird. Wie auch immer man eine Verletzung der Menschenwürde im Einzelnen definieren möchte: Wer die Körper anderer Individuen ohne deren Einwilligung zu sexuellen Zwecken benutzt, verletzt die Menschenwürde der Betroffenen.
37 b) Selbstbestimmung und faktischer Wille. Es bedarf der Klärung, unter welchen Voraussetzungen von einer Missachtung sexueller Selbstbestimmung gesprochen werden kann, insbesondere, in welchem Verhältnis Selbstbestimmung zum tatsächlichen Willen einer anderen Person steht. Gelegentlich findet sich das Missverständnis, dass eine selbstbestimmte Entscheidung nur dann nicht vorliege, wenn der Wille einer anderen Person gebrochen oder missachtet wurde, nicht aber dann, wenn es faktische Zustimmung und faktisches Wollen gab.73 Das ist nicht überzeugend. Urteile über Selbstbestimmung beruhen auf einer normativen Wertung, die als wesentlichen Faktor Entscheidungskompetenz berücksichtigen muss. Erforderlich sind bestimmte kognitive und evaluative Fähigkeiten ebenso wie die Abwesenheit verzerrender Faktoren wie Zwang und Zwangslagen.74 38 Nicht jede von einem faktischen Wollen getragene Entscheidung ist als selbstbestimmt einzuordnen (offensichtlich z.B. nicht bei kleinen Kindern). Dass die sexuelle Handlung beidseits gewollt war, ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Einordung als selbstbestimmt. Bei volljährigen Personen wird zwar Entscheidungskompetenz als Regelfall unterstellt; in Ausnahmefällen (etwa bei ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnissen, §§ 174a–174c) gilt dies aber nicht. Bei Minderjährigen kommt es auf das Zusammenspiel des Alters und des damit verbundenen Kompetenzzuwachses mit sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen an. Bei Volljährigen können bei der genauen Grenzziehung, wann von hinreichender Selbstbestimmung gesprochen werden kann, in Ausnahmefällen faktische Bedürfnisse höher gewichtet werden. Solche Überlegungen stehen hinter § 177 Abs. 2 Nr. 2. Dort wird trotz defizitärer Entscheidungskompetenz auf ein strafrechtliches Verbot verzichtet, wenn die Kombination von faktischem Wollen und erklärter Zustimmung vorliegt. Das ist eine gut begründbare Abweichung vom Prinzip „Entscheidungskompetenz“, weil andernfalls erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung und Demenz das Erleben von Sexualität gänzlich unmöglich gemacht würde (s. dazu § 177 Rdn. 74).
70 Dazu Vavra S. 197 ff; Jerouschek JZ 2000 185, 188. 71 S. zum Aspekt der Instrumentalisierung Vavra S. 199 ff. Verweise auf Menschenwürde finden sich bei Bottke FS Otto 535, 547 f; Frommel ZRP 1988 234; Nelles Streit 1995 93; Renzikowski MK Rdn. 7; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 606 Fn. 22; Thiée/Bung S. 50 f. 72 S. aus dem umfangreichen Schrifttum z.B. Hofmann AöR 118 (1993) 353; Neumann ARSP 1998 153; Stoecker (Hrsg.) Menschenwürde (2003); Brudermüller/Seelmann (Hrsg.) Menschenwürde (2008); Hörnle ZSchr für Rechtsphilosophie 2008 41. 73 So z.B. Brockmann S. 223 ff; Welter/Rind in Klimke/Lautmann (Hrsg.) Sexualität und Strafe S. 207, 218 f. 74 S. dazu Vavra S. 275 ff; Hörnle ZStW 127 (2015) 851, 875 ff. Hörnle
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In jüngerer Zeit wird wieder darüber diskutiert, inwieweit von einer nicht selbstbestimmten 39 Entscheidung gesprochen werden muss, wenn eine sexuelle Handlung zwar dem faktischen Willen der betroffenen Person entsprach, die Willensbildung aber auf einer Täuschung beruht.75 Das geltende deutsche Recht enthält im Sexualstrafrecht keinen Tatbestand, der das Vorliegen einer Täuschung direkt thematisiert (anders § 179 i.d.F. vor dem 1. StrRG v. 25.6.1969: Täuschung über Trauung oder Ehelichkeit des Beischlafs). Eine Täuschung wirkt sich nach deutschem Recht nur dann auf rechtliche Bewertungen aus, wenn aufgrund der Manipulation des Täters eine andere sexuelle Handlung vollzogen wurde als es dem ausgedrückten, erkennbaren Willen der anderen Person entsprach, dazu § 177 Rdn. 35. Im Übrigen sind Täuschungen, die nur die Motivation des anderen beeinflusst haben (z.B. das Vorspiegeln von Gefühlen oder das nicht ernst gemeinte Versprechen von Vorteilen) straflos. Zu überlegen ist, ob strafrechtliche Verbote ausgeweitet werden sollten, um alle Sachverhalte zu erfassen, in denen jemand über einen Umstand täuschte, der von der betroffenen anderen Person als essentiell betont wurde.76 Schließlich wird auch bei Einwilligungen in ärztliche Behandlung eine Körperverletzung bejaht, wenn die Einwilligung durch Täuschung erschlichen wurde (Grünewald LK § 223 Rdn. 84 ff). Entsprechend wird de lege ferenda argumentiert, dass beim Vorliegen einer Täuschung die Zustimmung defizitär ist, wenn die relevante Bedingung klar kommuniziert wurde. Dagegen spricht jedoch, dass das Recht auf Privat- und Intimsphäre (anders als bei ärztlichem Handeln) einer umfassenden, strafrechtlich durchsetzbaren Wahrheitspflicht entgegensteht.77
3. Körperliche Unversehrtheit und Leben Neben dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung schützen manche Tatbestände im 13. Ab- 40 schnitt auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Vergewaltigungen (§ 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1) oder schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (§ 176c Abs. 1 Nr. 2) sind auch deshalb unter Strafe zu stellen, weil penetrierende Handlungen die Opfer oft körperlich verletzen. Um den Schutz des Lebens geht es in den §§ 176d, 178.
4. Ungestörte sexuelle Entwicklung Minderjähriger Verbote im 13. Abschnitt, die minderjährige Opfer voraussetzen, werden häufig damit erklärt, dass 41 deren „ungestörte sexuelle Entwicklung“ geschützt werde (BTDrucks. VI/1552 S. 9).78 Diese Formulierung ist missverständlich: Auf dem Weg zum Erwachsenwerden sind Einflüsse von außen nicht per se schädlich. Soweit Sexualität Interaktion mit einer anderen Person bedeutet, müssen die dafür erforderlichen sozialen Fähigkeiten erworben werden.79 Minderjährige, also auch Jugendliche, generell von sexuellen Kontakten (dazu gehören z.B. auch Zungenküsse) abzuschirmen, kann nicht Aufgabe des Strafrechts sein. „Ungestört“ kann nur bedeuten, dass der größeren körperlichen, psychischen und sozialen Verletzlichkeit von Minderjährigen Rechnung zu tragen ist.80
75 Hörnle ZStW 127 (2015) 851, 880 f; Hoven/Weigend KriPoZ 2018 156; Renzikowski MK Rdn. 11; Scheidegger German Law Journal 2021 769; Vavra S. 370 ff; dies. ZIS 2018 611. So Vavra S. 389 f. Corrêa Camargo ZStW 134 (2022) 351, 381 ff; Scheidegger German Law Journal 2021 769, 780 ff. S. die Nachw. § 176 Rdn. 1. Kusch/Mössle NJW 1994 1505. So auch Jäger-Helleport S. 38 ff; Stephan Sexueller Missbrauch von Jugendlichen (2002) S. 77; Bezjak Grundlagen und Probleme des Straftatbestandes des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 StGB (2015) S. 112 ff.
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Vorbemerkungen
5. Verhinderung psychischer Schäden bei minderjährigen Opfern 42 Strafnormen zum Schutz von Kindern sind auch deshalb gerechtfertigt, weil schädliche Folgen für die psychische Verfassung der Betroffenen drohen. Bei den Beratungen zum 4. StrRG wurde über die empirische Basis dieser These diskutiert: Der Bericht des Sonderausschusses zur Strafrechtsreform v. 14.6.1972 wies darauf hin, dass die Gefahr einer lang anhaltenden Beeinträchtigung der betroffenen Kinder sehr zurückhaltend beurteilt werde (BTDrucks. VI/ 3521 S. 34). In den Jahrzehnten, die seitdem verstrichen sind, sind zahlreiche Untersuchungen zu den Auswirkungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern durchgeführt worden. Deren Befunde lassen keine ernsthaften Zweifel an der Schädlichkeit solcher Erfahrungen. Neben kurz- und mittelfristig auftretenden psychischen Problemen ist das Risiko von psychiatrisch diagnostizierbaren Störungen in späteren Jahren erhöht,81 und Studien deuten auf hirnorganische Veränderungen unterhalb der Schwelle manifester psychiatrischer Symptome hin.82 Viele Opfer sexuellen Missbrauchs berichten außerdem von Störungen ihrer Sexualität und ihres Bindungsverhaltens.83 43 Es handelt sich um statistische Risiken, d.h., dass nicht jedes Individuum die gleichen Reaktionen zeigt. Unterschiede ergeben sich schon deshalb, weil unter der Überschrift „sexueller Missbrauch“ sehr unterschiedliche Vorfälle zusammengefasst werden.84 Wie Tatopfer das Geschehen verarbeiten, hängt von ihrem Alter und ihrer Persönlichkeitsstruktur, einer vorhandenen Anfälligkeit für psychische Erkrankungen, dem familiären Milieu und den Reaktionen ihrer sozialen Umwelt ab.85 Forschungsergebnisse kommen aber zu dem Schluss, dass vielfach negative Folgen festzustellen sind. Selbst unter denjenigen, die zunächst das Geschehen problemfrei zu verarbeiten scheinen, leidet ein bestimmter Anteil langfristig an den Folgen der Tat.86 Der Stand der empirischen Forschung würde es erlauben, den sexuellen Missbrauch von Kindern als Gefährdungsdelikt einzuordnen.87 Es fällt schwerer, das Schadenspotential von sexuellen Handlungen mit Jugendlichen zu beurteilen, da es hierzu keine umfangreichen Studien gibt. Es ist wahrscheinlich, dass Befunde bei Kindern auch für manche jüngere Jugendliche gelten. Trotzdem kann der Befund, dass Missbrauch im Kindesalter häufig zu psychischen und sozialen Problemen führt, nicht uneingeschränkt auf die Situation Jugendlicher übertragen werden.88
6. Selbstbestimmung bei Minderjährigen 44 Die Legitimität sexualstrafrechtlicher Verbote ist nicht von einem durchgängigen, alle möglichen Tatkonstellationen erfassenden Nachweis von Schäden oder konkreten Gefahren abhängig.89 Anders als bei genuinen Gefährdungsdelikten liegt bereits in der tatbestandlichen Hand81 Bange/Deegener S. 77 ff, 171 ff; Bosinski Sexuologie 1997; Briere/Elliot Child Abuse & Neglect 2003 1217; Fegert Bundesgesundheitsblatt 2007 80; Fergusson/Horwood/Lynskey J. Am. Acad. Child & Adolescent Psychiatry 1996 1368 ff; Hussey/Chang/Kotch Pediatrics 2006 937; Kendall-Tackett/Williams/Finkelhor in Amann/Wipplinger (Hrsg.) Sexueller Missbrauch, 3. Aufl. (2005) S. 203 ff; Putnam J. Am. Acad. Child & Adolescent Psychiatry 2003 271. 82 Fegert Bundesgesundheitsblatt 2007 82 f; Putnam J. Am. Acad. Child & Adolescent Psychiatry 2003 272 f. 83 Bange/Deegener S. 198 ff; Rahn in Körner/Lenz (Hrsg.) Sexueller Missbrauch (2004) S. 293 f. 84 Körner/Lenz/Bange S. 74 f; Putnam J. Am. Acad. Child & Adolescent Psychiatry 2003 269. 85 Arntzen ZRP 1980 287; Fergusson/Horwood/Lynskey J. Am. Acad. Child & Adolescent Psychiatry 1996 1373; Moggi in Körner/Lenz (Hrsg.) Sexueller Missbrauch (2004) S. 323; Putnam J. Am. Acad. Child & Adolescent Psychiatry 2003 269; Schneider Kriminalistik 1997 463 f. So auch schon BTDrucks. VI/3521 S. 34. 86 Putnam J. Am. Acad. Child & Adolescent Psychiatry 2003 269, 274 f; Schneider Kriminalistik 1997 464. 87 S. auch Hörnle FS Eisenberg 321, 327 ff. 88 Stephan Sexueller Missbrauch von Jugendlichen (2002) S. 138 ff differenziert nicht hinreichend zwischen Kindern und Jugendlichen. 89 AA wohl Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 10 Rdn. 6 f. Hörnle
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III. Strukturen im 13. Abschnitt
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lung intrinsisches Unrecht. Sexueller Missbrauch ist nicht nur deshalb zu tadeln, weil dem Minderjährigen danach die Bewältigung misslingen kann. Vielmehr verletzt die sexuelle Handlung als solche Rechte: das Recht jeder Person auf Respektierung ihrer Intimsphäre und das darauf basierende Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.90 § 176 basiert auf der Annahme, dass Kinder in sexuelle Interaktionen nicht wirksam ein- 45 willigen können. Zwar ist davon auszugehen, dass Kinder nicht völlig asexuelle Wesen sind,91 dies ist aber nicht mit Bedürfnissen nach Kontakten mit älteren Partnern gleichzusetzen. Ein scheinbar freiwilliges Entgegenkommen bedeutet nicht, dass eine Einwilligung vorlag. Es fehlen bei Kindern typischerweise zwei Voraussetzungen: zum einen das notwendige Wissen um die Bedeutung von Sexualität und die sozialen Regeln der Partnerwahl, zum anderen die Freiheit, im Umgang mit Erwachsenen (oder Jugendlichen) die Mitwirkung zu verweigern. Aus der Perspektive des Kindes sind ältere Personen deutlich überlegen, da sie den Zugang zu Ressourcen aller Art haben und weil Kinder in der Regel gelernt haben, dass sie den Anordnungen (jedenfalls mancher) Erwachsener nachkommen müssen. Kinder sind infolge dieses Machtgefälles nicht in der Lage, eigene Bedürfnisse und Interessen durchzusetzen.92 Trotz der Unfähigkeit zu positiver Selbstbestimmung bleibt das Recht auf negative Selbst- 46 bestimmung, d.h. es bestehen Abwehrrechte gegen Dritte, die Einwilligungsunfähige nicht in sexuelle Handlungen involvieren dürfen. In der Literatur wird dies teilweise anders gesehen und verneint, dass § 176 sexuelle Selbstbestimmung schütze.93 Es ist jedoch nicht überzeugend, die Einordnung als Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung davon abhängig zu machen, dass die betroffene Person zu positiver Selbstbestimmung in der Lage wäre. Im Hinblick auf Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren ist davon auszugehen, dass sich 47 die Fähigkeit, Situationen und Interessen zu beurteilen und diese Erkenntnisse auch unter dem Einfluss anderer umzusetzen, allmählich entwickelt. Jugendliche sind deshalb die Personengruppe, für die die Wirksamkeit einer Zustimmung zu sexuellen Handlungen am schwierigsten zu beurteilen ist. Es kann weder wie bei Kindern generell fehlende Einwilligungsfähigkeit noch wie bei Erwachsenen als Regelfall autonomes Handeln unterstellt werden. Vielmehr bedarf es einer kontextspezifischen Betrachtung.94 In den §§ 174 und 182 werden Rahmenbedingungen benannt, von denen zu vermuten ist, dass sie die fragilen Urteils- und Durchsetzungsfähigkeiten Jugendlicher überfordern.
III. Strukturen im 13. Abschnitt Die Einschätzung, dass sich „das einheitliche Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung in den 48 einzelnen Tatbeständen in verschiedener Weise [konkretisiere]“ (BTDrucks. 7/514 S. 12), ist weitgehend zutreffend.95 Die Angriffsformen sind allerdings unterschiedlich (s. die nachfolgenden Ausführungen), und es gibt Tatbestände, die nicht sexuelle Selbstbestimmung schützen (Rdn. 55).
90 S. dazu, dass auch die Minderjährige schützenden Vorschriften sexuelle Selbstbestimmung schützen, Jäger Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz, S. 53; Nelles Streit 1995 101; Renzikowski MK Rdn. 25; Sick ZStW 103 (1991) 43, 50; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 607. 91 Volbert in Clauß u.a. (Hrsg.) Sexuelle Entwicklung – Sexuelle Gewalt (2005) S. 42; Strauß Bundesgesundheitsblatt 2007 3; ferner Scholz/Endres NStZ 1995 7. 92 Finkelhor Am. Journal of Orthopsychiatry 1979 694. 93 Brockmann S. 224 ff; Frühsorger S. 17. Bezjak S. 110 ff unterscheidet zwischen sexueller Selbstbestimmung i.e.S. und i.w.S. (nur Letztere könne Schutzgut sein). 94 Dazu auch Lenz S. 261 ff. 95 So auch Bottke FS Otto 535, 543 ff; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 607. 25
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Vorbemerkungen
1. Schutz gegen ungewollten sexuellen Körperkontakt 49 Die wichtigste Gruppe der Normen im 13. Abschnitt stellt Handlungen unter Strafe, die direkt und unmittelbar die sexuelle Selbstbestimmung verletzen, d.h. sexuellen Körperkontakt gegen oder ohne den Willen der betroffenen Personen. Sexuelle Übergriffe (§ 177 Abs. 1, Abs. 2, einschl. der Qualifikationen in § 177 Abs. 4 bis Abs. 8) und sexuelle Belästigung (§ 184i) fallen in diese Kategorie, außerdem der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen (§ 174, 176 bis 176c, 182) oder Missbrauch (auch) von Erwachsenen (§ 174a–174c) in Konstellationen, in denen sexueller Körperkontakt gegen oder ohne den Willen der Betroffenen geschieht. S. zu den Varianten von Missbrauchsdelikten, in denen der Sexualkontakt faktisch gewollt war, Rdn. 51 ff.
2. Schutz gegen ungewollte Handlungen ohne Körperkontakt 50 Auch Handlungen mit Sexualbezug, die ohne Körperkontakt Individuen in sexualisierter Weise belästigen (§§ 183, 183a; 184 Abs. 1 Nr. 6) oder auf sonstige Weise unbefugt in deren Intimbereich eindringen (§ 184k) missachten das Recht auf die Beachtung der Privatsphäre und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Bei ungewollten bzw. nicht von einer wirksamen Zustimmung getragenen sexuellen Aktivitäten ohne Körperkontakt fällt die Instrumentalisierung und Demütigung Betroffener allerdings meist schwächer aus als bei Körperkontakt. Eine anhaltende Verletzung der Intimsphäre und Menschenwürde der unfreiwillig abgebildeten Kinder liegt vor, wenn wirklichkeitsabbildende Kinderpornographie (§ 184b) verbreitet oder abgerufen wird.
3. Verbot von faktisch gewollten sexuellen Handlungen 51 a) Jugendschutznormen. Straftaten mit minderjährigen Opfern fallen in vielen Fällen in die Gruppe der ungewollten Handlungen (Rdn. 49 f). Jugendschützende Normen i.e.S. verbieten aber Handlungen, die von den betroffenen Jugendlichen faktisch gewollt werden, etwa die Liebesbeziehung mit einem umschwärmten Lehrer (§ 174 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2), das Erzielen von Einkünften durch Prostitution (§ 182 Abs. 2) und den Zugang zu Pornographie (§ 184). Dieses faktische Wollen ist für die strafrechtliche Beurteilung unbeachtlich, weil unterstellt wird, dass diese Zustimmung nicht auf einer hinreichend kompetenten Entscheidung beruht. Soweit es die Beschreibung des Kontexts im Straftatbestand als plausibel erscheinen lässt, dass Jugendliche keine kompetente Entscheidung treffen können, handelt es sich um eine Konstellation, die als weicher Paternalismus bezeichnet wird. Es handelt sich um indirekt-paternalistische Normen,96 da die strafrechtlichen Verbote das Verhalten Dritter regulieren, um Personen mit noch nicht voll ausgebildeter Entscheidungskompetenz zu schützen. Solche weich paternalistische, auf Entscheidungsdefizite abstellende Normen sind mit einer an Selbstbestimmung orientierten Rechtsordnung vereinbar.97 52 Es ist plausibel, dass Jugendliche nicht kompetent die Nachteile und langfristigen Folgen von Prostitution beurteilen können (§ 182 Rdn. 4 f). Genauso ist davon auszugehen, dass Jugendliche (auch Sechzehn- und Siebzehnjährige) im Verhältnis zu den Personen, die sie erziehen oder denen sie untergeordnet sind (§ 174), regelmäßig keine selbstbestimmte Entscheidung für sexuellen Körperkontakt treffen können, auch wenn sie aufgrund ihrer eigenen emotionalen und/oder körperlichen Bedürfnisse diesen Kontakt wünschen. Für besonders gelagerte Fälle, in denen möglicherweise doch eine defizitfreie, kompetente Entscheidung vorlag, erlaubt § 174 Abs. 5 i.V.m. § 153b StPO den Verzicht auf Strafverfolgung. Etwas schwieriger zu 96 S. dazu du Bois-Pedain in von Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.) Paternalismus im Strafrecht (2010) S. 33. 97 S. zum Begriff und zu der Einordnung, dass es sich beim „weichen Paternalismus“ eigentlich nicht um Paternalismus handelt, Kirste JZ 2011 805 ff. Hörnle
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III. Strukturen im 13. Abschnitt
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begründen ist, warum Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres von pornographischen Inhalten ferngehalten werden sollen (§ 184). Es ist zwar nicht ganz fernliegend, unter bestimmten Umständen negative Einflüsse auf die psycho-sexuelle Entwicklung zu befürchten und § 184 als abstraktes Gefährdungsdelikt einzuordnen (dazu Hörnle MK § 184 Rdn. 2 f). Die Einschätzung, dass der Kontakt mit Pornographie sich regelmäßig oder oft negativ auswirkt, ist allerdings umstr., zumal der Befund „Gefährdung durch Pornographiekonsum“ wertende Urteile über gute und schlechte Formen von Sexualität und menschlichen Beziehungen voraussetzt. Die Jugendschutznorm in § 184 weist deshalb eine moralschützende Komponente auf.98
b) Schutz Volljähriger vor Missbrauch. Auch bei volljährigen Personen können sexuelle 53 Handlungen, die tatsächlich von der geschützten Person gewollt sind, Straftaten sein, nämlich wenn die in den §§ 174a–174c beschriebenen Umstände vorliegen. In diesen, durch stark ausgeprägte Autoritäts- und Machtverhältnisse gekennzeichneten Kontexten wird die allgemeine Rechtsfiktion aufgegeben, dass die Entscheidungen volljähriger Personen im Regelfall als kompetent und autonom gelten. Allerdings ist es, anders als z.B. bei Taten nach § 174, nicht kategorisch ausgeschlossen, dass doch der faktische Wille den Ausschlag gibt: Ist im Einzelfall ausnahmsweise ein Missbrauch der Stellung, ein Ausnutzen der Abhängigkeit etc. zu verneinen, ist der Tatbestand der §§ 174a–174c nicht erfüllt (§ 174a Rdn. 23 ff, 49 ff, § 174b Rdn. 15 ff, § 174c Rdn. 18 ff).
4. Schutz vor Gefährdungen der sexuellen Selbstbestimmung Dem mittelbaren Schutz sexueller Selbstbestimmung dienen Tatbestände, die Handlungen verbie- 54 ten, welche nicht selbst sexueller Natur sind, aber Gefahren für die sexuelle Selbstbestimmung anderer in zukünftigen Situationen schaffen. Dies gilt für die Gestaltung ungünstiger, Druck ausübender Rahmenbedingungen für Prostitution, die die Spielräume für selbstbestimmte Handlungen derjenigen einschränken, die der Prostitution nachgehen (§§ 180a, 181a). Eine praktisch wichtige Fallgruppe sind Handlungen, die sich auf Kinderpornographie beziehen: Diese verletzen nicht nur Persönlichkeitsrechte abgebildeter Individuen, sondern tragen auch zum Fortbestand eines illegalen Marktes bei, wobei die Nachfrage nach solchen Inhalten zur Folge hat, dass in der Zukunft für neues Bildmaterial andere Kinder missbraucht werden (Hörnle MK § 184b Rdn. 1 f). Abstrakte Gefahren gehen ferner von Gruppen aus, die zur Begehung von Straftaten Personen bedrängen (§ 184j), wobei jedoch die tatbestandliche Fassung von § 184j (Taten nach §§ 177, 184i sind nur objektive Bedingungen der Strafbarkeit, s. dazu Berghäuser LK § 184j Rdn. 44) keinen direkten Bezug zu spezifischen Gefahren für sexuelle Selbstbestimmung herstellt.
5. Normen, die nicht sexuelle Selbstbestimmung schützen Einige Delikte im 13. Abschnitt sind keine Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Dies gilt 55 für § 184 Abs. 1 Nr. 9, der aus außenpolitischen Gründen eingefügt wurde (Nestler LK § 184 Rdn. 3) und § 184f (Ausübung der verbotenen Prostitution, d.h. Prostitution in Sperrbezirken; geschützt werden ordnungspolitische Interessen).99 Das Verbot der Verbreitung von Tierpornographie (§ 184a) schützt ebenfalls nicht individuelle Rechte von Menschen, sondern sexualmoralische Vorstellungen (s. dazu Nestler LK § 184a Rdn. 2).
98 Krit. dazu Lenz S. 369. 99 Hörnle MK § 184f Rdn. 2. 27
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Vorbemerkungen
IV. Handlungsbeschreibungen; Täterschaft und Teilnahme 1. Typische Handlungsbeschreibungen im 13. Abschnitt 56 a) Sexuelle Handlung an einer anderen Person vornehmen. Die Sexualdelikte i.e.S. weisen Gemeinsamkeiten bei der Beschreibung der strafbaren Handlungen auf: Sie stellen unter Strafe, an einer anderen Person sexuelle Handlungen vorzunehmen (§§ 174–177, 182). S. dazu, was das sexuelle Element ausmacht Hörnle MK § 184h Rdn. 2–5. Eine sexuelle Handlung an einer anderen Person liegt nur dann vor, wenn es zu Körperkontakt mit dem Opfer kam. Sexueller Körperkontakt bedeutet nicht notwendigerweise Haut-zu-Haut-Kontakt zwischen den beteiligten Personen.100 Es genügt, dass der Täter z.B. die mit Kleidung bedeckten Genitalien des Opfers anfasst oder einen Gegenstand benutzt, um in sexualisierter Weise den Körper des Opfers zu berühren oder in ihn einzudringen. Auch Körperkontakt mittels Körperflüssigkeiten erfüllt den Tatbestand, etwa wenn Täter auf den (nackten oder bekleideten) Körper des Opfers ejakulieren oder urinieren.101 Teilweise wurde nach der Festigkeit der getragenen Kleidung differenziert (und Körperkontakt verneint, weil das Opfer eine Lederjacke trug).102 Das ist jedoch nicht überzeugend, da Ejakulieren auf den Körper stets die unmittelbare Körpersphäre tangiert. 57 Zur Beschreibung „sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornehmen“ wurde vertreten, dass der Täter persönlich die sexuelle Handlung vornehmen müsse: Es handle sich um ein sog. eigenhändiges Delikt (BGHSt 41 242, 243, zu § 176; s. aber BGH NStZ 2021 92 f zu § 177).103 Demzufolge wäre mittelbare Täterschaft ausgeschlossen, wenn der Täter ein von ihm beherrschtes, etwa schuldlos oder ohne Vorsatz handelndes menschliches Werkzeug dazu nutzt, um das Opfer sexuellem Körperkontakt auszusetzen. Genauso kann es bei einem eigenhändigen Delikt keine Mittäterschaft geben, wenn Täter nach einem gemeinsamen Plan arbeitsteilig vorgehen, aber nur einer den sexuellen Körperkontakt ausführt. Die Ansicht, dass sexuelle Handlungen an einer anderen Person voraussetzen, dass der 58 Täter selbst Körperkontakt mit dem Opfer hat, ist nicht überzeugend. Es ist abwegig, auf vermeintlich sachlogische Gründe zu verweisen: Täterschaft ist nicht mit dem Argument abzulehnen, dass der ohne eigenen Körperkontakt Handelnde keinen „eigenen Genuss“ gehabt habe (s. zu derartigen Überlegungen, die etwa Karl Binding angestellt hatte, Schünemann/Greco LK § 25 Rdn. 6; dagegen zu Recht Schubarth SchwZStR 1996 328).104 Dahinter stand ein nicht mehr überzeugendes Unrechtsverständnis: Solange das Unrecht in der Moralwidrigkeit sexuellen Vergnügens gesehen wurde, lag es nahe, wie Binding zu argumentieren und den Fokus auf die Person des Täters zu richten. Da jedoch der Kern des Unrechts in der Missachtung sexueller Selbstbestimmung liegt, muss die Beeinträchtigung der Abwehrrechte des Opfers im Vordergrund stehen. Hierfür ist es sekundär, wer physisch die sexuelle Handlung ausführt (so auch Roxin AT II § 25 Rdn. 297). Es kommt alleine darauf an, dass sexueller Körperkontakt gegen den eigenen Willen bzw. ohne selbstbestimmte Zustimmung erfolgt und dass dies einem anderen als Täter zuzurechnen ist. 59 Der BGH argumentiert in BGHSt 41 242 anders, um die Auffassung zu begründen, dass „sexuelle Handlungen an einer anderen Person“ eigenen Körperkontakt erforderten. Maßgeblich waren hier systematische Überlegungen: Da manche Normen (etwa in der Fassung der Vergewaltigung zum Zeitpunkt des damaligen Urteils) explizit sexuellen Körperkontakt mit Dritten einschließen, sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in anderen Normen nur eigenen Körperkontakt des Täters erfassen wolle. Diese Folgerung dürfte jedoch die Voraussicht und 100 101 102 103 104
BGH NStZ 1992 433; Renzikowski MK § 177 Rdn. 46. BGHSt 53 118, 121; 59 263, 266 f. BGH NStZ 1992 433. S. für weitere Nachw. § 176 Rdn. 11; § 177 Rdn. 117. S. zur Kritik an der Figur der eigenhändigen Delikte Hoyer SK § 25 Rdn. 17 ff; gegen die Einordnung von Sexualdelikten als grds. eigenhändige Delikte auch Schall JuS 1979 104, 110. Hörnle
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den Regelungswillen des Gesetzgebers überschätzen. Die immer wieder punktuell erfolgenden Änderungen des 13. Abschnitts folgten keinem konsistenten oder systematisch durchdachten Muster bei der Beschreibung der Tathandlungen. Dass heute an mehreren Stellen Handlungsbeschreibungen wie „zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten“ stehen (§ 177 Abs. 1, 2; ähnlich § 174 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2), ist darauf zurückzuführen, dass einige Lücken geschlossen werden sollten, welche die Meinung vom notwendigen „eigenen Genuss des Sexualstraftäters“ (Rdn. 58) schaffen würde. Die Bedeutung und Reichweite dieser Gesetzesänderung ist beschränkt. Aus ihr folgt lediglich, dass dann, wenn ein Bestimmen vorliegt, also eine Einwirkung auf das Opfer, der speziellere Tatbestand (z.B. § 176 Abs. 1 Nr. 2 und nicht § 176 Abs. 1 Nr. 1) einschlägig ist. Im Übrigen kann nicht auf einen gesetzgeberischen Willen geschlossen werden, der darauf 60 hinausläuft, anerkannte Figuren der Strafrechtsdogmatik auszuschließen.105 Vielmehr sind die Regeln der mittelbaren Täterschaft, Mittäterschaft und Unterlassungstäterschaft auch dann anzuwenden, wenn Personen keinen eigenen Körperkontakt mit dem Opfer hatten. Wer der Auffassung von den „eigenhändig vorzunehmenden Sexualdelikten“ folgt, nimmt Strafbarkeitslücken in Kauf. Erstens wäre danach nicht als (mittelbarer) Täter zu bestrafen, wer als täuschender und/oder manipulierender Hintermann z.B. einen vorsatzlos Handelnden, der das Alter des Opfers nicht kennt oder den entgegenstehenden Willen nicht erkannt hat, zum Sexualkontakt bewegt. In solchen Fällen sollte jedoch der Hintermann als derjenige bestraft werden können, der mittels des menschlichen Werkzeugs sexuelle Handlungen am Opfer vornimmt (s. BGH NStZ 2021 92). Zweitens können Personen (z.B. diejenigen, die Sexualdelikte zur Produktion pornographischer Inhalte planen) nach den allgemeinen Regeln auch dann Tatherrschaft haben, wenn sie weder selbst Körperkontakt wollen noch ihr Tatbeitrag im Bestimmen des Opfers liegt. Drittens sollten Beschützergaranten, die einschreiten könnten, sich aber passiv verhalten, als Unterlassungstäter bestraft werden können (aA BGHSt 41 242; BGH NStZ 2007 699). Die alternative Ahndung als Beihilfe durch Unterlassen (BGH NStZ 2007 699) ist dann nicht möglich, wenn derjenige, der den sexuellen Körperkontakt vollzieht, selbst vorsatzlos handelt.
b) Sexuelle Handlungen an sich von einer anderen Person vornehmen lassen. Auch 61 diese Tatvariante setzt Körperkontakt voraus. „Vornehmen lassen“ liegt immer dann vor, wenn Täter durch aktive Verhaltensbeeinflussung auf die Opfer eingewirkt haben, und zwar mit dem Ziel, dass die Opfer ihrerseits eine sexuelle Handlung vornehmen. Die Handlungsalternative „vornehmen lassen“ umfasst auch Fälle, in denen der Täter einen Körperteil des Opfers ergreift und damit (ohne Handlungsentschluss und Muskelbewegung des Opfers) Kontakt mit seinem eigenen Körper herstellt. Dies wäre z.B. der Fall, wenn der Täter die Hand der anderen Person ergreift und auf seine eigenen Genitalien legt oder die Hand nutzt, um mit eigener Muskelkraft masturbierende Bewegungen auszuführen. Eine Auslegungsfrage entsteht dann, wenn jemand bei eigener körperlicher Passivität sexu- 62 elle Berührungen eines anderen hinnimmt, ohne dazu aufgefordert zu haben. Wenn man auf den Wortlaut „vornehmen lassen“ abstellt, ist es nicht ausgeschlossen, generell (unabhängig von Garantenpflichten) passives Verhalten darunter zu subsumieren. Sprachlich ist die Formulierung mehrdeutig, da sie sowohl i.S.v. „veranlassen“ als auch i.S.v. „gewähren lassen“ verstanden werden kann (Brockmann JZ 2015 155). Der Wortlaut stünde deshalb der Auslegung nicht entgegen, dass in allen Tatbeständen, die „vornehmen lassen“ anführen, ein echtes Unterlassungsdelikt eingeschlossen sei. Die h.M. kommt zu einem anderen Ergebnis: Sie nimmt an, dass passives Verhalten nicht unter „vornehmen lassen“ zu subsumieren sei.106 Die entscheidende Frage sollte jedoch sein, ob derjenige, der sexuelle Berührungen einer anderen Person passiv hinnimmt, zum Einschreiten verpflichtet ist. Wenn dies nicht der Fall ist, ist daran festzuhal105 S. dazu auch Mitsch KriPoZ 2019 355, 356. 106 OLG Hamm BeckRS 2016 18544; Sch/Schröder/Eisele § 184h Rdn. 19. 29
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Vorbemerkungen
ten, dass es zur Erfüllung des Merkmals „vornehmen lassen“ einer aktiven Einwirkung bedarf. Eine Beschützergarantenstellung (s. dazu Weigend LK § 13 Rdn. 25 ff: Pflichten aus Übernahme) besteht u.a. bei Lehrern gegenüber Schülern (§ 174 Abs. 1 S. 1 Nr. 1), Eltern gegenüber leiblichen und rechtlichen Abkömmlingen (§ 174 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 176 bei Kindern), Ärzten gegenüber Patienten (§§ 174a Abs. 2, 174c Abs. 1). Beschützergaranten müssen verhindern, dass die Person, die nicht zu Selbstbestimmung fähig ist, sexuellen Körperkontakt sucht. Außerdem kann unter Umständen eine Pflicht zum Einschreiten wegen vorausgegangener Gefahrschaffung (Weigend LK § 13 Rdn. 42 ff) bestehen. Wenn Kinder, Jugendliche oder geistig behinderte Personen eigeninitiativ am Körper des Täters sexuelle Handlungen vornehmen, wird dies meist im Kontext von etablierten Mustern des Missbrauchs geschehen, weil die Opfer die Erwartungen des Täters kennen und internalisiert haben. In diesen Fällen besteht wegen des rechtswidrigen Vorverhaltens die Pflicht, auch ohne konkrete eigene Aufforderung sexuelle Berührungen zu unterbinden.
63 c) Eine andere Person sexuelle Handlungen vornehmen lassen. Diese Handlungsbeschreibung (§ 177 Abs. 1, Abs. 2, 2. Handlungsvariante) schließt Handlungen ohne Körperkontakt mit einem anderen Menschen ein, also auch sexuelle Handlungen, die das Opfer ohne Anwesenheit anderer und nicht wahrnehmbar für andere vornimmt. Zum „vornehmen lassen“ Rdn. 61 f.
64 d) Eine andere Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von Dritten bestimmen. Die Ergänzung von Tatbeständen um sexuelle Handlungen Dritter oder mit Dritten (z.B. in § 174 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021) sollte etwaige Strafbarkeitslücken schließen. Dies führt allerdings zu Unübersichtlichkeit durch immer umfangreichere Tatbestände. Es wäre sinnvoller, die Tathandlungen der Sexualdelikte i.e.S.107 in einer einheitlichen Definition „sexuelle Handlungen nach den §§ … sind:“ am Anfang des 13. Abschnitts zu beschreiben. Zudem ist unklar, ob es zwingend erforderlich ist, sexuelle Handlungen des Opfers mit Dritten extra zu erwähnen. Die Fallkonstellationen, in denen Tätern der Einsatz von und die Kooperation mit Dritten als eigenes Unrecht vorzuhalten ist, sind mit den üblichen Zurechnungsformen von Täterschaft und Teilnahme als Beihilfe, mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft zu erfassen. Vermutlich haben die verbreiteten, aber überholten Vorstellungen zu „notwendigerweise eigenhändigen Delikten“ (Rdn. 58) den Gesetzgeber dazu bewogen, Tathandlungen umständlicher als erforderlich zu gestalten. 65 Bestimmen bedeutet, auf das Opfer einzuwirken. Bei dieser Handlungsbeschreibung gibt der Wortlaut vor, dass aktives Tun erforderlich ist. Es ist nicht als Bestimmen einzuordnen, wenn der Täter passiv hinnimmt, dass die Person, für die eine Garantenpflicht besteht, in nicht selbstbestimmter Weise sexuelle Handlungen mit Dritten ausführt. Passivität entspricht hier nicht der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch Tun (§ 13). Umstr. ist, ob die Einwirkung notwendigerweise durch den Täter selbst erfolgen muss. Dies ist zu verneinen: Die Einschaltung eines Dritten ist möglich (s. zur Kettenanstiftung nach § 26 Schünemann/Greco LK § 26 Rdn. 104).108 Soweit es um das Bestimmen zur Vornahme eigener Handlungen des Opfers geht, muss 66 der Täter durch sein Tun beim Opfer einen Handlungsentschluss hervorrufen. Für diese Handlungsvariante ist „bestimmen“ so auszulegen wie in § 26: Es bedarf einer kommunikativen Einwirkung, da es nur zu einer aktiven Handlung kommen kann, wenn ein entsprechender 107 Gemeint ist: ohne Prostitutions-, Pornographie-, Belästigungs- und Gefährdungsdelikte. 108 Ebenso Fischer § 176 Rdn. 7; Renzikowski MK § 176 Rdn. 33 (nicht notwendig eigenhändig). AA Frühsorger S. 89 f; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 8. Hörnle
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Handlungsentschluss gebildet wurde. Insoweit entsprechen wesentliche Strukturmerkmale denen bei der Anstiftung (s. zum Erfordernis einer kommunikativen Einwirkung Schünemann/Greco LK § 26 Rdn. 2 ff). Die Beschränkung auf kommunikative Einwirkung passt dagegen nicht, soweit Tatbestände 67 voraussetzen, dass Täter die Opfer dazu bestimmen, passiv die Handlungen eines Dritten an sich vornehmen zu lassen oder zu dulden. Wenn die Handlungsvariante passives Opferverhalten erfasst, ist keine eigene Körperbewegung und kein darauf gerichteter Handlungsentschluss des Opfers erforderlich. Insoweit genügt jede Form der Einwirkung auf das Opfer, die es dem Dritten ermöglicht, eine sexuelle Handlung mit Körperkontakt zu vollziehen, auch vis absoluta. Täter ist danach z.B., wer das protestierende Opfer festhält, um einem anderen dessen sexuelle Handlung zu ermöglichen. Dies gilt nicht nur für Taten nach § 176 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. (dazu § 176 Rdn. 17), sondern auch für § 177 Abs. 1 4. Alt. (zur Duldung sexueller Handlungen von einem Dritten bestimmt, dazu § 177 Rdn. 26).
2. Notwendige Teilnahme Personen, die die Tatbegehung gefördert haben, können nach den Regeln der notwendigen Teil- 68 nahme straffrei sein. Ein entscheidender Aspekt hinter der (missverständlichen, aber gängigen) Bezeichnung ist, dass diejenigen, die durch die Vorschriften geschützt werden sollen, durch ihre eigene Involvierung kein Unrecht begehen. Bei Tatbeständen zum Schutz Minderjähriger vor sexuellem Missbrauch kommt es deshalb nicht darauf an, ob diese Übergriffe nur dulden oder ob sie selbst aktiv sexuelle Handlungen vornehmen (Schünemann/Greco LK Vor § 26 Rdn. 31). Die beteiligten Kinder und Jugendlichen greifen das geschützte Rechtsgut nicht an (in die eigene Intimsphäre und Selbstbestimmung kann man nicht eingreifen). Dies gilt auch, soweit es um Jugendschutz i.e.S. geht, der Minderjährige also vor Fehlentwicklungen bewahrt werden soll (Rdn. 51 f). Der Jugendliche, dem Pornographie überlassen wird (§ 184 Abs. 1 Nr. 1), ist als vom Gesetz geschützte Person nicht zu bestrafen (Nestler LK § 184 Rdn. 122). Dasselbe gilt für Missbrauchsdelikte zu Lasten von erwachsenen Opfern (§§ 174a–174c). Da diese Verbote nicht primär öffentlichen Interessen dienen, sondern Individuen vor Sexualkontakt ohne wirksame Einwilligung bewahren sollen (§ 174a Rdn. 6, § 174b Rdn. 2, § 174c Rdn. 1), bleiben die Betroffenen auch bei aktiver Beteiligung oder Anstiftung straffrei. Notwendige Teilnahme kann auch in der Form vorliegen, dass der Tatbestand als Begeg- 69 nungsdelikt (dazu Schünemann/Greco LK Vor § 26 Rdn. 26) die Involvierung weiterer Personen voraussetzt – und zwar solcher Personen, die nicht zu dem geschützten Personenkreis gehören (z.B. setzt die Vorführung eines pornographischen Filmes gegen Entgelt, § 184 Abs. 1 Nr. 7, oder Prostitution, §§ 184f, 184g, zahlende Kunden voraus). Für solche Delikte bedarf es einer differenzierenden Analyse, die von den jeweiligen Tatbeständen ausgeht (dazu Schünemann/Greco LK Vor § 26 Rdn. 26).109 In vielen Fällen von Begegnungsdelikten ist es gut zu vertreten, dass nicht nur die geschützten Personen, sondern auch Dritte straffrei ausgehen. Der Dritte, der von kupplerischen Handlungen nach § 180 Abs. 1 profitiert, macht sich nicht in allen Fällen strafbar. Aus den in dieser Norm vorausgesetzten Umständen ergibt sich nämlich nicht, dass der Dritte Schutzinteressen des betroffenen Minderjährigen gefährden muss (§ 180 Rdn. 1 f). Für erwachsene Konsumenten pornographischen Materials wird in den Fällen, in denen Überlassung, Vorführung etc. mit Strafe bedroht ist (vgl. § 184 Abs. 1 Nr. 3, 3a, 4, 7) ebenfalls Straflosigkeit bejaht.110 Bei der (im Vergleich zu kinder- und gewaltpornographischen Inhalten) harmloseren einfachen Pornographie ist ohne weiteres nachzuvollziehen, dass die Marktteilnahme von Kunden nicht 109 Sowada Die „notwendige Teilnahme“ als funktionales Privilegierungsmodell im Strafrecht (1992) S. 143 f, 159 f; s. auch Gropp Deliktstypen mit Sonderbeteiligung (1992) S. 61 ff.
110 Sowada Die „notwendige Teilnahme“ als funktionales Privilegierungsmodell im Strafrecht (1992) S. 224 f; Gropp Deliktstypen mit Sonderbeteiligung (1992) S. 221. 31
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Vorbemerkungen
pönalisiert wird. Bei verbotener oder jugendgefährdender Prostitution (§§ 184f, 184g) werden Kunden nicht bestraft,111 weil ihr Verhalten die geschützten Rechtsgüter geringer tangiert.112 Da in den §§ 180a, 181a die Tathandlung nicht „der Prostitution nachgehen“ ist, sondern Leiten eines Betriebs, Ausbeuten, Überwachen etc., fehlt es bei den Kunden der Prostituierten regelmäßig an einer relevanten Unterstützungshandlung. 70 Allerdings gibt es Konstellationen, in denen die Kunden an illegalen Märkten einen eigenen Straftatbestand erfüllen. Die „Freier“ minderjähriger Prostituierter machen sich aus § 182 Abs. 2 strafbar und die Konsumenten kinderpornographischer Inhalte begehen ebenfalls ein Delikt, wenn sie solche Inhalte abrufen (§ 184b Abs. 3). Im Verhältnis zu solchen Tatbeständen, die speziell auf die Nachfragenden an illegalen Märkten zugeschnitten sind, tritt ggf. eine Beteiligung am Verhalten der Anbieter zurück. Das Gesetz ist insoweit unsystematisch, als sich bei Gewaltpornographie nur Anbieter gem. § 184a als Täter strafbar machen können; insoweit käme jedoch für Anstifter und Gehilfen auf der Abnehmerseite eine Strafbarkeit nach den §§ 184a, 26, 27 in Betracht. 71 Soweit Tatbestände nicht als Begegnungsdelikte ausgestaltet sind, also die Involvierung anderer nicht voraussetzen (vgl. §§ 180a, 181a, 184 Abs. 1 Nr. 2, 5, 6, 8, 9), ist Teilnahme nach den allgemeinen Regeln möglich (auch für jugendliche Beteiligte). Dasselbe gilt für Begegnungsdelikte, bei denen nicht die typische Art der Involvierung Dritter zu beurteilen ist, sondern eine andere Art und Weise der Hilfeleistung (etwa die Unterstützung verbotener Prostitution, §§ 184f, 184g, durch Zuhälter).
V. Konkurrenzen 1. Taten gegen mehrere Personen 72 Die bislang h.M. geht davon aus, dass bei einem zeitlich und räumlich eng verbundenen Geschehen eine Tat im Rechtssinn auch dann vorliegt, wenn mehrere Opfer betroffen sind (§ 176 Rdn. 57, § 177 Rdn. 154). Es zeichnet sich jedoch in der neueren Rspr. zu Tötungsdelikten ein Wandel ab. Dort wird zu Recht ausgeführt, dass auch zeitlich nah beieinanderliegende Angriffe auf unterschiedliche Menschen, die diese jeweils individuell beeinträchtigen, nicht als eine Tat zusammenzufassen sind (BGH NStZ 2006 284, 285 f; NStZ 2016 207, 208).113 Diese Argumentation ist auf Sexualdelikte zu übertragen, bei denen ebenfalls höchstpersönliche Güter verletzt werden. Tatmehrheit liegt deshalb auch dann vor, wenn unterschiedliche Opfer in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang sexuell angegriffen werden (aA aber BGH BeckRS 2020 492).
2. Taten gegen dieselbe Person 73 Eine sexuelle Handlung, die nach natürlichem Sprachgebrauch als eine Handlung bezeichnet würde (Handlung im natürlichen Sinne), kann unter verschiedene, zueinander im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 Abs. 1) stehende Tatbestände aus dem 13. Abschnitt fallen. Es ist im Einzelnen zu prüfen, welche Konsequenzen die Aufnahme verschiedener Tatbestände in die Urteilsformel für die Strafzumessung hat. Wenn z.B. bei einem Missbrauchsgeschehen (etwa dem Zusammentreffen von § 174 Abs. 1 und § 174a Abs. 1 bei sexuellem Missbrauch eines behördlich inhaftierten oder verwahrten Jugendlichen) der Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung durch die Kumulation verschiedener tatbestandsmäßiger Umstände verstärkt wurde, ist dies 111 Hörnle MK § 184f Rdn. 8; Sch/Schröder/Eisele § 184f Rdn. 7. AA Fischer § 184f Rdn. 7. 112 Sowada Die „notwendige Teilnahme“ als funktionales Privilegierungsmodell im Strafrecht (1992) S. 247. 113 Ebenso Fischer § 211 Rdn. 109; Schneider MK § 212 Rdn. 117. Hörnle
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V. Konkurrenzen
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strafschärfend zu berücksichtigen (s. zur Strafzumessung bei Tateinheit Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung Rdn. 905 ff). Die Bewertung von mehreren gegen dasselbe Opfer gerichteten Einzelakten als eine Tat 74 gem. § 52 Abs. 1 kommt außerdem in Frage, wenn natürliche Handlungseinheit vorlag. Dafür ist erforderlich, dass der Täter aufgrund eines einheitlichen Willens handelt und die einzelnen Handlungen in einem derart engen zeitlichen, räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehen, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehöriges Tun erscheinen (BGHSt 43 312, 315; Rissing van Saan LK Vor § 52 Rdn. 10 m.w.N.). Eine sexuelle Nötigung oder ein sexueller Missbrauch kann z.B. vorliegen, wenn zeitlich aufeinanderfolgend, im Abstand von Minuten, mehrfach sexueller Körperkontakt erfolgt, u.U. auch beim Verstreichen weniger Stunden, wenn sich im Übrigen das Gesamtgeschehen noch als einheitlicher Vorgang darstellt. In diesen Fällen ist von Tateinheit auszugehen. Die h.M. in der Lehre von den Konkurrenzen lässt ferner Teilidentität von Ausführungs- 75 handlungen für Tateinheit (§ 52 Abs. 1) genügen (Rissing-van Saan LK § 52 Rdn. 20). Demgemäß läge auch bei zeitlich deutlich auseinanderliegenden, nicht mehr eine natürliche Handlungseinheit bildenden sexuellen Handlungen auch dann eine Handlung i.S.v. § 52 Abs. 1 vor, wenn sie auf einen vorgelagerten gemeinsamen Teilakt zurückgehen. Dieser könnte z.B. eine fortwirkende Drohung oder Gewaltanwendung sein (§ 177 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 5 Nr. 1, 2, s. dazu BGH NStZRR 2018 223 m.w.N.) oder eine einmalige Entgeltzahlung für mehrere, in zeitlichem Abstand erfolgende sexuelle Gegenleistungen (§ 182 Abs. 2). Gegen die Annahme von Tateinheit nur auf der Basis der Teilidentitätslehre, also auch bei zeitlich deutlich auseinanderliegenden sexuellen Handlungen, spricht aber zweierlei. Erstens führt dies zu Inkonsistenzen, wenn man solche Fälle mit ähnlichen kontrastiert, in denen die Ausnutzungsvariante zu bejahen ist. Bei Delikten gem. § 177 Abs. 5 Nr. 3 (unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage) stehen wiederholte, zeitlich getrennte sexuelle Handlungen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (BGH NJW 2002 319, 320). Auch bei der Anwendung von § 182 Abs. 1 Nr. 1 (Ausnutzung einer Zwangslage) auf sexuelle Handlungen, die auf dieselbe Zwangslage zurückgehen, geht der BGH von Tatmehrheit aus (BGH NJW 2002 381, 382; § 182 Rdn. 48). Zweitens zwingt § 52 Abs. 1 nicht zur Anerkennung von Tateinheit nur wegen einer Teilidentität der Ausführungshandlungen, im Gegenteil: Es bedarf einer Überdehnung des Wortlauts, um zu behaupten, dass z.B. zweimaliger Geschlechtsverkehr im Abstand von Tagen eine Handlung sei. Die relevante Handlung bei mehraktigen Tatbeständen ist diejenige, die den Unrechtskern ausmacht. Bei Sexualdelikten sind das die sexuellen Handlungen und nicht Begleitmodalitäten. Zwei sexuelle Handlungen in einem zeitlichen Abstand, der die Annahme natürlicher Handlungseinheit ausschließt, sind deshalb nicht unter den Begriff „dieselbe Handlung“ in § 52 Abs. 1 zu subsumieren. Liegen erhebliche zeitliche Abstände zwischen den sexuellen Handlungen, stehen diese 76 zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit. Nach früherer Auffassung wurde angenommen, dass Tatserien, die sich über einen längeren Zeitraum gegen dieselbe Person richteten, bei Gleichartigkeit im Tathergang und bei Gesamtvorsatz zu einer fortgesetzten Tat zusammengefasst werden können. Der Große Senat für Strafsachen hat dieser Praxis jedoch ein Ende gesetzt (BGHSt GS 40 138).114 Die Wertung einer Vielzahl von Verhaltensweisen, die sich über Wochen, Monate oder gar Jahre erstreckten, als ein sexueller Missbrauch (§§ 174, 176) ist mit dem Sinn dieser Tatbestände (BGHSt GS 40 138, 166) und dem Wortlaut von § 52 Abs. 1 unvereinbar. Auch bei den sonstigen Sexualstraftaten ist es nicht mehr möglich, dass sie als fortgesetzte Handlung zu einer Tat verbunden werden können.115 114 Zum Urteil des großen Senats und seinen Folgen Rohleder, dort auch S. 92 ff, 257 ff zu Unterschieden zwischen den Senaten, die eine Analyse nicht veröffentlichter Entscheidungen zeigte, und S. 503 ff dazu, dass sich das Strafniveau in den Jahren danach nicht erhöht hat. S. ferner Geisler (Hrsg.) Zur Rechtswirklichkeit nach Wegfall der „fortgesetzten Tat“ (1998); Geppert NStZ 1996 57; Zieschang GA 1997 457. 115 S. BGHSt GS 40 138, 166 (die Übertragbarkeit der Ausführungen zu den §§ 174, 176 auf andere Tatbestände des Sexualstrafrechts liege nahe). 33
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§ 174 Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen (1)
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(4) (5)
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Wer sexuelle Handlungen 1. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, 2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Mißbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder 3. an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt, vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. 2Ebenso wird bestraft, wer unter den Voraussetzungen des Satzes 1 den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt. 1 Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuelle Handlungen 1. an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder 2. unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt. 2 Ebenso wird bestraft, wer unter den Voraussetzungen des Satzes 1 den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt. Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2 1. sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, oder 2. den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.
Schrifttum 1. Strafrechtliches Schrifttum Drohsel Sexuelles Selbstbestimmungsrecht von Kindern und Jugendlichen, ZRP 2018 213; Hörnle Der lückenhafte Schutz jugendlicher Opfer im Sexualstrafrecht, Festschrift Schöch (2010) 401; Hörnle/Klingbeil/Rothbart Sexueller Missbrauch von Minderjährigen: Notwendige Reformen im Strafgesetzbuch (2014); Jung/Kunz Das Absehen von Strafe nach § 174 IV StGB, NStZ 1982 409; Klingbeil Des Lehrers neue Kleider: Grenzen sexueller Autonomie in der
Hörnle https://doi.org/10.1515/9783110490121-002
34
Entstehungsgeschichte
§ 174
imaginierten Wirklichkeit, in Asholt u.a. (Hrsg.) Grundlagen und Grenzen des Strafens (2015) 119; Koeniger Der Mißbrauch abhängiger Personen, NJW 1957 161, 481; Leman Lehrerprozesse. Eine empirische Untersuchung über Unzucht mit Abhängigen, Diss. Köln 1971; Lenz Die Jugendschutztatbestände im Sexualstrafrecht (2017); Seibel Vorgetäuschter Betreuungswille und § 174 Nr. 1 StGB, GA 1958 364; Theede Unzucht mit Abhängigen (1967); Wegener Körperkontakte mit Kindern und Jugendlichen als pädagogisch-therapeutische Methode, MSchrKrim 1978 203; Wolters Das Lebensalter als tatbestandliches Merkmal im dreizehnten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, Festschrift Fischer (2018) 583.
2. Kriminologisches und soziologisches Schrifttum Andresen/Heitmeyer (Hrsg.) Zerstörerische Vorgänge. Missachtung und Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Institutionen (2012); Bahne Verletzbarkeit des Humanen. Sexualisierte Gewalt an Minderjährigen im interdisziplinären Diskurs (2021); Baldus/Utz (Hrsg.) Sexueller Missbrauch in pädagogischen Kontexten (2011); Behnisch/ Rose Sexueller Missbrauch in Schulen und Kirchen (2011); Böllert/Wazlawik (Hrsg.) Sexualisierte Gewalt. Institutionelle und professionelle Herausforderungen (2014); Bründel Sexuelle Gewalt in schulischen Institutionen (2011); Budde u.a. (Hrsg.) Männlichkeiten. Geschlechterkonstruktionen in pädagogischen Institutionen (2014); Burgess/ Welner/Willis Educator Sexual Abuse: Two Case Reports, Journal of Child Sexual Abuse 2010 387; Burgsmüller/ Tilmann Institutionelles Versagen beim Umgang mit sexueller Gewalt im schulischen Kontext (2019); Claussen Sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche (2022); Dt. Jugendinstitut (Hrsg.) Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Institutionen (2011); Dölling/Dreßling/Horten Über die Täter des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen in der katholischen Kirche, Festschrift Feltes (2021) 43; Enders Grenzen achten. Schutz vor sexuellem Missbrauch in Institutionen (2012); Fernau/Hellmann Sexueller Missbrauch Minderjähriger durch katholische Geistliche in Deutschland (2014); Frings u.a. Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche (2022); Frommel Sexueller Missbrauch in Institutionen – ein Medien-Hype des Jahres 2010 und seine Folgen, Festschrift Heinz (2012) 71; Füller Sündenfall: Wie die Reformschule ihre Ideale missbrauchte (2011); ders. Die Revolution missbraucht ihre Kinder: Sexuelle Gewalt in deutschen Protestbewegungen (2015); Gollnick Sexuelle Grenzverletzungen im LehrerSchüler-Verhältnis an staatlichen Schulen (2013); Großbölting Die schuldigen Hirten (2022); Hallay-Witte/Janssen (Hrsg.) Schweigebruch: Vom sexuellen Missbrauch zur institutionellen Prävention (2016); Hartill Sexual Abuse in Youth Sport (2017); Heibel (Hrsg.) Der Pfarrer und die Detektive (2014); Hermann Missbrauch pädagogischer Beziehungen durch sexuelle Gewalt, in Leser u.a. (Hrsg.) Zueignung: Pädagogik und Widerspruch (2012) 171; Hilpert u.a. (Hrsg.) Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Raum von Kirche (2020); Hoffmann Sexueller Missbrauch in Institutionen (2011); Kadera Kindeswohl und sexualisierte Gewalt in pädagogischen Einrichtungen, Bildungsforschung 2018 1; Kappeler Anvertraut und ausgeliefert. Sexuelle Gewalt in pädagogischen Einrichtungen (2011); Keenan Child Sexual Abuse and the Catholic Church (2012); Keupp u.a. Sexueller Missbrauch und Misshandlungen in der Benediktinerabtei Ettal (2017); dies. Die Odenwaldschule als Leuchtturm der Reformpädagogik und als Ort sexualisierter Gewalt (2019); Knoll Teacher Sexual Misconduct, Journal of Child Sexual Abuse 2010 371; Laubenthal Regelungen zur Sanktionierung von sexuellem Missbrauch im Bereich der katholischen Kirche, Festschrift Beulke (2015) 481; Macsenaere u.a. (Hrsg.) Sexuelle Gewalt in der Erziehungshilfe (2015); Müller Sexueller Missbrauch von Kindern im institutionellen Kontext (2011); Oelkers Pädagogik, Elite, Missbrauch. Die „Karriere“ des Gerold Becker (2016); O’Reilly/Chalmers The Clergy Sex Abuse Crisis and the Legal Responses (2014); Prues/Hoffmann/Rettenberger Belastungserleben und sekundäre Viktimisierung durch Missbrauch und Misshandlung in kirchlichen Institutionen, MSchrKrim 2019 184; Terry/Freilich Understanding Child Sexual Abuse by Catholic Priests from a Situational Perspective, Journal of Child Sexual Abuse 2012 437; Vogeler Wenn Täter zu Helfern werden (2013); Weber/Baumeister Vorfälle von Gewaltausübung an Schutzbefohlenen bei den Regensburger Domspatzen (2019); Winton/Mara When Teachers, Clergy and Caretakers Sexually Abuse Children and Adolescents (2013); Willems/ Ferring (Hrsg.) Macht und Missbrauch in Institutionen (2014); Wirth/Noth/Schroer (Hrsg.) Sexualisierte Gewalt in kirchlichen Kontexten (2022); Witt u.a. Different Contexts of Sexual Abuse with a Special Focus on the Context of Christian Institutions, Journal of Interpersonal Violence 2019 1; Zimmer u.a. Sexueller Kindesmissbrauch in kirchlichen Institutionen (2014). Vgl. außerdem die Schrifttumsangaben Vor § 174 und bei § 176.
Entstehungsgeschichte Schon das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten v. 1794 stellte in den §§ 1031 bis 1038 verführende und schändende Handlungen von Erziehern, Predigern, Lehrern, Stiefeltern und Vormündern zu Lasten ihrer Zöglinge unter Strafe. Das RStGB v. 15.5.1871 behielt die aufzählende Technik in § 174 Nr. 1 (Vornahme von unzüchtigen Handlungen von: Vormündern mit ihren Pflegebefohlenen; Adoptiv- und Pflegeeltern mit ihren Kindern; Geistli-
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Hörnle
§ 174
Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen
chen, Lehrern oder Erziehern mit minderjährigen Schülern oder Zöglingen) zunächst bei. Die Strafrechtsangleichungsverordnung v. 29.5.19431 schaffte die Auflistung von Tätergruppen ab und schnitt den Tatbestand konsequenter auf den Schutz Minderjähriger zu, mit der Formulierung: „wer einen seiner Erziehung, Ausbildung, Aufsicht oder Betreuung anvertrauten Menschen unter einundzwanzig Jahren zur Unzucht missbraucht“. Das 4. StrRG v. 23.11.19732 änderte § 174. Die Altersgrenze lag nun für sexuelle Handlungen mit leiblichen und angenommenen Kindern bei 18 Jahren (§ 174 Abs. 1 Nr. 3 a.F.), ebenso für einen im konkreten Fall festgestellten Missbrauch von Abhängigkeit (§ 174 Abs. 1 Nr. 2 a.F.), im Übrigen endete der Strafrechtsschutz (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 a.F.) jedoch mit dem Erreichen des 16. Lebensjahres. Auch weitere Differenzierungen (die Unterscheidung zwischen Handlungen an und vor einer Person sowie die Möglichkeit des Absehens von Strafe) gelten seit dem 4. StrRG. Außerdem wurde der Strafrahmen in § 174 Abs. 1 deutlich abgesenkt: Während er bis 1973 von sechs Monaten bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe reichte, war danach die Sanktionierung mit einer Geldstrafe möglich und die Höchststrafe wurde auf fünf Jahre (Absatz 1) und drei Jahre (Absatz 2) Freiheitsstrafe abgesenkt. Später wurde das Strafniveau in Absatz 1 wieder angehoben: Seit dem SexualdelÄndG v. 27.12.20033 sieht das Gesetz wieder Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten vor (krit. Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1065, 1066). Das 49. StÄG v. 21.1.2015,4 in Kraft seit dem 27.1.2015, erweiterte den Kreis der geschützten Minderjährigen. Erstens wurde in § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 das Merkmal „leibliches oder angenommenes Kind“ durch „leiblicher oder rechtlicher Abkömmling“ ersetzt. Täter können nun auch Großeltern sein. Nach altem Recht gab es außerdem eine ungewollte Lücke, wenn der Täter nicht der biologische Erzeuger war, aber gemäß § 1592 BGB rechtlich Vater, weil er mit der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt verheiratet war, die Vaterschaft anerkannt hatte oder diese gerichtlich festgestellt worden war (BGHSt 29 387). Dies war unstimmig, weil Abhängigkeit durch das Aufwachsen im Familienverband entsteht und nicht vom genetischen Nachweis der Abstammung abhängt.5 Die neue Fassung schließt alle nach familienrechtlichen Regeln anerkannten Kindschaftsverhältnisse ein. Zweitens sind nunmehr auch sexuelle Handlungen mit Stiefkindern und den Kindern einer Person, mit der der Täter in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft zusammenlebt, bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs verboten (§ 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3). Drittens ist durch die Einführung des neuen Absatzes 2 die Schutzzone für Minderjährige in Einrichtungen vergrößert worden, die der Erziehung, Ausbildung und Betreuung von Minderjährigen dienen (z.B. Schulen, s. dazu Rdn. 50). Ferner erwähnt in der jetzigen Fassung die Bestimmung, die ein Absehen von Strafe ermöglicht (§ 174 Abs. 5 n.F.), nicht mehr das Verhalten des Schutzbefohlenen als vermeintlich unrechtssenkenden Umstand. Weitere wichtige Änderungen erfolgten im Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021,6 in Kraft seit dem 1.7.2021, das Empfehlungen der Reformkommission zum Sexualstrafrecht7 weitgehend umgesetzt hat. Für alle Tatbestände in Absatz 1 gilt nun eine einheitliche Schutzaltersgrenze von 18 Jahren, nur in Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 findet sich noch die Schutzaltersgrenze von 16 Jahren. Ob Abhängigkeit missbraucht wurde, muss in Erziehungs- und Betreuungsverhältnissen (§ 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) auch bei Sechzehn- und Siebzehnjährigen nicht mehr geprüft werden. In § 174 Abs. 1 und Abs. 2 wurde jeweils ein zweiter Satz eingefügt, der Fälle erfasst, in denen Täter in den beschriebenen Abhängigkeitsverhältnissen Schutzbefohlene zu sexuellen Handlungen mit dritten Personen bestimmen. Die Systematik in § 174 Abs. 1 ist nun klarer, da Nr. 1 auf Erziehungs- und Betreuungsverhältnisse beschränkt ist, während für Ausbildungs-, Dienst- und Arbeitsverhältnisse Nr. 2 gilt. Schließlich wurde in Absatz 3 Nr. 2 das Erfordernis der Erregungsabsicht gestrichen, wenn Schutzbefohlene vor dem Täter (ohne Körperkontakt) agieren.
Übersicht I.
Normzweck
1
II.
Handlungen nach Absatz 1
1.
Sexuelle Handlungen mit Körperkontakt 7 (Satz 1)
1 2 3 4 5
RGBl. I S. 339, vgl. Koeniger NJW 1957 161. BGBl. I S. 1725. BGBl. I S. 3007. BGBl. I S. 10. S. BTDrucks. 18/2601 S. 26: Korrektur eines Redaktionsversehens, das durch das Adoptionsgesetz v. 2.7.1976, BGBl. I S. 1749, entstanden war. Zur Kritik an der alten Rechtslage Hörnle FS Schöch 401, 408 ff; Brüggemann S. 529 f. 6 BGBl. I S. 1810. 7 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 323 ff. Hörnle
36
§ 174
I. Normzweck
2. 3.
4.
5.
III. 1. 2. 3.
Bestimmen zu sexuellen Handlungen 11 (Satz 2) Anvertraut zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung (Absatz 1 Satz 1 Nr. 1) a) Generelle Annahme fehlender Selbstbestimmung bis zum Erreichen der Volljährig18 keit 19 b) Anvertrautsein 21 c) Erziehung 27 d) Betreuung in der Lebensführung Missbrauch von Abhängigkeit in Ausbildungs-, Dienst- und Arbeitsverhältnissen (Absatz 1 Satz 1 Nr. 2) 34 a) Änderungen im Jahr 2021 35 b) Ausbildung 37 c) Dienst- oder Arbeitsverhältnis 38 d) Missbrauch von Abhängigkeit Abkömmlinge (Absatz 1 Satz 1 Nr. 3) a) Änderungen durch das 49. StÄG v. 43 21.1.2015 b) Leibliche und rechtliche Abkömmlinge des 44 Täters c) Leibliche und rechtliche Abkömmlinge von 46 Ehegatten und Partnern des Täters
4.
Unter Ausnutzung der Stellung (§ 174 Abs. 2 55 Nr. 2)
IV. 1. 2.
56 Handlungen nach Absatz 3 57 Handlungen vor dem Schutzbefohlenen Handlungen des Schutzbefohlenen vor dem Tä60 ter
V.
Subjektiver Tatbestand
VI.
Täterschaft und Teilnahme
50 Handlungen nach Absatz 2 Einrichtungen zur Erziehung, Ausbildung oder 51 Betreuung 52 Täter und Opfer Sexuelle Handlungen an der minderjährigen Per54 son; Bestimmen gem. Satz 2
IX.
Konkurrenzen
X.
Verjährung
VII. Versuch
62 64
69
VIII. Strafzumessung 1. Strafzumessung bei Taten nach Absatz 1 und Absatz 2 a) Gesetzlicher Strafrahmen und weitere 72 Rechtsfolgen 73 b) Bestimmung der Tatschwere 2. Strafzumessung bei Taten nach Absatz 3 80 a) Gesetzlicher Strafrahmen 81 b) Bestimmung der Tatschwere 83 3. Absehen von Strafe nach Absatz 5 85 88
I. Normzweck Geschützt wird das Recht des betroffenen Minderjährigen auf sexuelle Selbstbestimmung.8 1 Eine häufig, auch in der Rspr. des BGH, zu findende Beschreibung des geschützten Rechtsguts besagt, dass § 174 (auch) die ungestörte geschlechtliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen schützen soll.9 Sexuelle Handlungen zu Lasten von Schutzbefohlenen verletzen jedoch bereits zum Zeitpunkt der Handlung ein Recht des Betroffenen (Vor § 174 Rdn. 44). Sexueller Missbrauch ist ein Verletzungsdelikt – auch der BGH verweist auf sexuelle Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung.10 § 174 liegt die Prämisse zugrunde, dass Minderjährige in den beschriebenen Abhängig- 2 keitsverhältnissen nie selbstbestimmt entscheiden können. Die Anhebung der Schutzaltersgrenze in § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 im Jahr 2021 auf 18 Jahre (Entstehungsgeschichte) beruht auf der Annahme, dass man ohne Einzelfallprüfung davon ausgehen kann, dass auch Sechzehn- und Siebzehnjährige, die in anderen Kontexten selbstbestimmt über Sexualkontakte entscheiden können, dies gegenüber den Personen nicht können, die sie erziehen und in ihrer 8 Bericht des Sonderausschusses, BTDrucks. VI/3521 S. 20; BGHSt 46 85, 87; Frommel NK Rdn. 8; Renzikowski MK Rdn. 1. Ähnlich für § 174 Abs. 1 Nr. 2 Jung/Kunz NStZ 1982 412. 9 BGHSt 46 85, 87; BGH NJW 1995 2234, 2235; NStZ 2001 194; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 1. 10 BGHSt 46 85, 87; BGH NJW 1995 2234, 2235; s. auch Fischer Rdn. 2. 37
Hörnle
§ 174
Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen
Lebensführung betreuen (BTDrucks. 19/27928 S. 21). Das ist eine plausible Annahme.11 Der Gesetzgeber setzte damit eine Empfehlung der Reformkommission zum Sexualstrafrecht um.12 Auch wenn ein entgegenstehender Wille des Opfers nicht erkennbar geworden ist, macht sich derjenige strafbar, der unter den in § 174 beschriebenen Bedingungen handelt. Von Minderjährigen wird, anders als von Erwachsenen (§ 177 Rdn. 8) nicht erwartet, dass sie ihren entgegenstehenden Willen zum Ausdruck bringen (wenn Widerspruch kommuniziert wurde, besteht Tateinheit mit § 177 Abs. 1). Eine von der minderjährigen Person erklärte Zustimmung oder eigene sexuelle Initiativen sind rechtlich unbeachtlich. 3 Die Tätergruppe wird oft mit dem Stichwort „Autoritätspersonen“ umschrieben, was einen wesentlichen Aspekt kennzeichnet: die Ausübung von Autorität und die Möglichkeit, zur Durchsetzung eigener Zwecke Druck auszuüben. Der Verweis auf Autorität ist allerdings unvollständig. Mit dem ergänzenden Stichwort „Vertrauensverhältnis“ sind die Beziehungen umfassender zu beschreiben. Dem Täter entgegengebrachtes Vertrauen ist ein wichtiger Faktor, der es Minderjährigen erschwert, selbstbestimmt zu handeln – entweder weil sie nicht erkennen, dass der Täter höchstpersönliche Interessen durchsetzen möchte, oder weil sie nicht fähig sind, gegenüber der Vertrauensperson einen eigenen Standpunkt einzunehmen und zu vertreten.13 Während der Debatten zur Reform des Strafrechts war es im Kreis der angehörten Sachverständigen unstreitig, dass auch jenseits des Kindesalters junge Menschen häufig nicht erfahren, selbstbewusst und sicher genug sind, um sich sexuellen Wünschen der Erzieher, Ausbilder oder Betreuer zu widersetzen (BTDrucks. VI/3521 S. 20). Genauso einleuchtend ist, dass das Vertrauensverhältnis mit den Eltern oder elternähnlichen Bezugspersonen von existentieller Bedeutung ist, weshalb § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 das strafrechtliche Verbot auf solche Konstellationen erstreckt. 4 In der Lit. wurde teilweise argumentiert, dass kein Tatunrecht vorliege, wenn sexuell erfahrene Jugendliche den Täter verführen oder sonst die Tat erleichtern.14 Auch die ältere Rspr. leitete aus sexuellen Erfahrungen die Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung ab (BGH NStZRR 1997 98, 99). Damit wurden jedoch die Voraussetzungen einer wirksamen Zustimmung verkannt: Es kommt nicht auf das faktische Wollen an, sondern darauf, ob dieses Wollen auf eine selbstbestimmte Entscheidung zurückgeht. Die oberflächliche Beschreibung eines Geschehens als „Verführung durch den Minderjährigen“ oder eine entsprechende Erleichterung des sexuellen Kontaktes erlaubt keinesfalls den Schluss auf selbstbestimmtes Verhalten. Es kann z.B. die Folge von Vernachlässigung in der Familie sein, dass Minderjährige physische Kontakte zu anderen älteren Personen in ihrem Umfeld suchen, von denen sie sich emotionale Zuwendung und Anerkennung erhoffen.15 Im 49. StÄG v. 21.1.2015 wurde der Verweis auf „Verhalten des Schutzbefohlenen“ in der Klausel, die Absehen von Strafe ermöglicht, gestrichen, um einem falschen Verständnis von Selbstbestimmung entgegenzuwirken. 5 Eine Missachtung sexueller Selbstbestimmung liegt nicht nur bei sexuellem Körperkontakt unter den in Absatz 1, Absatz 2 genannten Bedingungen vor, sondern auch dann, wenn Minderjährige ohne eine wirksame Zustimmung bei sexuellen Aktivitäten zu Zuschauern gemacht werden16 (Absatz 3 Nr. 1) oder wenn sie dazu gebracht werden, sich selbst mit sexuellen Handlungen zur Schau zu stellen (Absatz 3 Nr. 2). Weil der Einbruch in die Intimsphäre bei Handlungen ohne Körperkontakt meist geringer ist als bei Handlungen mit Körperkontakt, ist der Strafrahmen in Absatz 3 niedriger.
11 S. dazu auch Klingbeil S. 130 f und (stärker differenzierend) Lenz S. 291 ff. 12 BTDrucks. 19/27928 S. 22; BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 326 f. 13 S. zu den Selbstbestimmung einschränkenden Faktoren im Verhältnis von Lehrern und Schülern Klingbeil S. 125 ff; Lenz S. 265 ff. 14 Jung/Kunz NStZ 1982 412. 15 Richter-Appelt/Moldzio in Kockott-Fahrner (Hrsg.) Sexualstörungen (2004) S. 77, 101 f. 16 Hörnle Grob anstößiges Verhalten (2005) S. 147 ff. Hörnle
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II. Handlungen nach Absatz 1
§ 174
Die Rspr. erwähnt noch ein anders beschaffenes Rechtsgut: § 174 soll auch „bestimmte 6 schutzwürdige Beziehungen um ihrer sozialen Funktion willen von geschlechtlichen Einflüssen freihalten“,17 ähnlich BTDrucks. 18/2601 S. 15. Was mit dem Verweis auf die „soziale Funktion“ gemeint ist, bedarf der Interpretation. Zum einen kann der betroffene Minderjährige selbst zusätzlich beeinträchtigt sein, da der Täter die erzieherische, ausbildende oder betreuende Rolle nicht mehr adäquat ausfüllen kann. Derartige Tatfolgen sind vor allem beim Missbrauch durch Eltern oder Stiefeltern naheliegend, aber auch bei anderen länger dauernden Ausbildungs- und Erziehungsverhältnissen zu erwarten. Zum anderen ist ein negativer Einfluss auf andere Minderjährige in derselben Umgebung zu befürchten, wenn Erzieher, Betreuer oder Ausbilder aus sexuellen Motiven einzelne Schutzbefohlene bevorzugen.18 Solche Folgen zu verhindern und für die Wahrung der notwendigen Distanz etwa zwischen Schülern und Lehrern zu sorgen,19 ist jedoch vorrangig die Aufgabe von Schul- und Beamtenrecht.20 Für das Strafrecht handelt es sich um erwünschte Nebenwirkungen. Primär gilt es, sexuelle Selbstbestimmung zu schützen.21
II. Handlungen nach Absatz 1 1. Sexuelle Handlungen mit Körperkontakt (Satz 1) Die Strafnormen in § 174 Abs. 1 Satz 1 erfassen sexuelle Handlungen, die der Täter an einem 7 Schutzbefohlenen vornimmt oder die er von diesem an sich vornehmen lässt. Es müssen erhebliche sexuelle Handlungen (§ 184h Nr. 1) mit körperlichem Kontakt vorliegen. Handelt es sich um einen Grenzfall, für den bei Erwachsenen die Einstufung als „erhebliche sexuelle Handlung“ umstritten ist (etwa Zungenküsse und Griffe an die bekleidete weibliche Brust, § 177 Rdn. 18), ist zu beachten, dass die Schwelle für die Bejahung von Erheblichkeit bei jugendlichen Opfern niedriger liegt (Nestler LK § 184h Rdn. 12). Nicht erforderlich ist bei der ersten Handlungsalternative, dass das Opfer den Körperkontakt wahrgenommen hat: Jeder Sexualkontakt ohne rechtlich wirksame Zustimmung bedeutet einen unrechtmäßigen Eingriff in die Intimsphäre. Die erste Alternative „sexuelle Handlungen am Schutzbefohlenen vornimmt“ stellt akti- 8 ves Tun unter Strafe. Die Rspr. geht davon aus, dass es sich um ein eigenhändiges Delikt handelt (BGHSt 41 242, 243 ff = JR 1996 m. krit. Anm. Schroeder; BGH NStZ 2007 699; BGH BeckRS 2018 32859).22 Die Kategorisierung als eigenhändiges Delikt ist jedoch nicht überzeugend. Nach den allgemeinen Regeln der Täterschaft (Mittäterschaft, mittelbare Täterschaft, Unterlassungstäterschaft für Beschützergaranten) können auch sexuelle Handlungen anderer, die diese am Opfer vornehmen, zugerechnet werden (Vor § 174 Rdn. 60). Die zweite Variante „vornehmen lässt“ ist nach allg. M. erfüllt, wenn der Täter aktiv (Vor 9 § 174 Rdn. 61) auf den Schutzbefohlenen einwirkt. Soll der Schutzbefohlene selbst Handlungen vornehmen, bedarf es wie nach § 26 (Schünemann/Greco LK § 26 Rdn. 2 ff) notwendigerweise einer kommunikativen Einwirkung, da ein Handlungsentschluss hervorgerufen werden muss. Mögliche Tathandlungen sind Aufforderungen, die mit Überreden, Wecken von Neugier, Versprechen von Geschenken, aber auch Drohung und Täuschung verbunden sein können.23
17 BGH NStZ 2001 194; Jung/Kunz NStZ 1982 412 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Wolters SK Rdn. 6. Beide Überlegungen wurden im Bericht des Sonderausschusses erwähnt, BTDrucks. VI/3521 S. 20. S. dazu etwa VG Münster BeckRS 2018 841; VG Berlin BeckRS 2018 46753. BVerwG BeckRS 2018 3465. Wie hier Klingbeil S. 119 f; Renzikowski MK Rdn. 3 („nur erwünschte Nebenwirkung“); krit. zu einem Universalrechtsgut auch Frommel NK Rdn. 8, 8a. 22 Ebenso die h.M. in der Lit.: Fischer Rdn. 18; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 26; Renzikowski MK Rdn. 53; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 31; Wolters SK Rdn. 19. AA Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen I § 20 Rdn. 6. 23 Renzikowski MK Rdn. 49 zu § 174 Abs. 3 Nr. 2.
18 19 20 21
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§ 174
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Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen
Eine andere Frage ist, ob „vornehmen lassen“ auch dann vorliegt, wenn der Minderjährige von sich aus beginnt, eine sexuelle Handlung vorzunehmen. Dies wird in der Lit. teilweise abgelehnt, mit dem Hinweis, dass „kein echtes Unterlassungsdelikt“ begründet würde.24 Diese Argumentation greift zu kurz (s. dazu Vor § 174 Rdn. 62). Eine Strafbarkeit ist in den meisten Fällen zu bejahen. Zum einen, wenn der Täter zum Weitermachen ermuntert hat, was auch in nicht explizit verbalisierter Weise geschehen kann. Zum anderen kann auch bei echter Passivität das bloße Dulden von sexuellen Handlungen, die Schutzbefohlene eigeninitiativ ausführen, eine Straftat nach § 174 sein. Die in § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 beschriebenen Abhängigkeitsverhältnisse begründen immer eine Beschützergarantenstellung. Es besteht deshalb die Pflicht (§ 13), ggf. durch aktives Einschreiten einen Sexualkontakt mit dem Schutzbefohlenen zu verhindern, und aus diesem Grund kann „vornehmen lassen“ im Kontext von § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 durch Untätigbleiben erfüllt werden. S. zur Relevanz von Garantenstellungen Vor § 174 Rdn. 62. Auch für diejenigen, denen in einer Einrichtung i.S.v. § 174 Abs. 2 die Erziehung oder Betreuung Minderjähriger anvertraut ist, lässt sich eine Pflicht zum Einschreiten bejahen. Weniger eindeutig ist dies jedoch bei Arbeits-, Dienst- und Ausbildungsverhältnissen, § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. Die Pflichten von Arbeitgebern und Ausbildern sind fachbezogen und erstrecken sich in der Regel nicht auf alle Teilaspekte der Persönlichkeitsentwicklung. Insoweit bedarf es besonderer Umstände, um eine Pflicht zum Einschreiten zu begründen, wenn es keine explizite oder implizite Ermunterung gab.
2. Bestimmen zu sexuellen Handlungen (Satz 2) 11 Seit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 macht sich auch nach § 174 strafbar, wer den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, sexuelle Handlung an einer dritten Person oder vor einer dritten Person vorzunehmen, oder von einer dritten Person an sich vornehmen zu lassen. Gleichzeitig wurde § 180 Abs. 3 a.F. aufgehoben, der zuvor diese Bestimmungshandlungen enthielt. Damit wurde eine Forderung der Reformkommission zum Sexualstrafrecht umgesetzt.25 Die Zusammenführung der sachlich zusammengehörenden, zuvor im 13. Abschnitt verstreuten Tatbestände ist zu begrüßen. 12 Bestimmen bedeutet, auf das Opfer einzuwirken. Diese Einwirkung setzt nach dem Wortlaut der Norm aktives Tun des Täters voraus. Bei der Tathandlung „bestimmen“ ist, anders als bei „vornehmen lassen“ (Rdn. 10), die Begehung durch Unterlassen unmöglich, da Nichtstun keine Einwirkung sein kann (Vor § 174 Rdn. 65).26 Ob der Minderjährige schon geneigt war, sich auf einen Sexualkontakt einzulassen, spielt keine Rolle. Ausschlaggebend ist, ob der Täter den endgültigen Tatentschluss (mit-)verursacht hat (s. zu den Anforderungen bei § 26 Schünemann/ Greco LK § 26 Rdn. 17). Im Hinblick auf die Art der erforderlichen Einwirkung ist zu differenzieren. Wenn der 13 Schutzbefohlene dazu gebracht werden soll, aktiv sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vorzunehmen, muss notwendigerweise auf einen entsprechenden Handlungsentschluss hingewirkt werden. Für diese Konstellation ist deshalb eine Form der kommunikativen Beeinflussung unabdingbar. Wenn dagegen lediglich die passive Hinnahme von Handlungen der dritten Person bewirkt werden soll, ist der Begriff des Bestimmens weiter auszulegen: Insoweit genügt jede Form der aktiven Einwirkung auf das Opfer, die es dem Dritten ermöglicht, eine sexuelle Handlung zu vollziehen, auch vis absoluta (Vor § 174 Rdn. 67, § 176 Rdn. 17). Auch das Bestimmen zu kontaktlosen sexuellen Handlungen vor der dritten Person ist 14 strafbar. Nicht erfasst sind Konstellationen, in denen Schutzbefohlene nur als Zuschauer sexuel24 Fischer Rdn. 12; Renzikowski MK Rdn. 28. AA Brockmann S. 307 ff (zu § 176); Lackner/Kühl/Heger Rdn. 13; Wolters SK Rdn. 16.
25 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 323. 26 Renzikowski MK Rdn. 51. Hörnle
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le Aktivitäten Dritter beobachten. Das war bereits bei § 180 Abs. 3 a.F. so. Die bloße Zuschauerrolle des Minderjährigen ist nur dann strafbar, wenn der Schutzverpflichtete selbst agiert (§ 174 Abs. 3 Nr. 1). Aus einer Opferperspektive ist das nicht schlüssig. Sexuelle Selbstbestimmung und Intimsphäre sind unabhängig davon tangiert, wer beim physischen Akt die sexuelle Handlung ausführt. Wenn z.B. ein Vater einem Bekannten ermöglicht, vor seinem entsprechend beeinflussten Kind sexuelle Handlungen vorzunehmen, ist das strafwürdige Unrecht nicht anders als bei eigenen entsprechenden Aktivitäten des Vaters. Die entscheidende Frage ist allein, ob die Entscheidung, zuzusehen, selbstbestimmt ist, was das Gesetz bei Minderjährigen in den Abhängigkeitsverhältnissen des § 174 verneint. Auch an dieser Stelle zeigt sich, dass die Beschreibung der Handlungen im 13. Abschnitt noch immer nicht ganz klar und konsistent durchdacht ist. Das Gesetz sieht für die dritte Person keine Bedingungen im Hinblick auf ihre Beziehung 15 zu Täter und Opfer vor. Insbesondere muss es sich nicht selbst um jemanden handeln, zu dem das Opfer in einem Abhängigkeitsverhältnis steht. Jeder beliebige Mensch, unabhängig von Alter (es kann sich auch um ein Kind oder einen Jugendlichen handeln), sozialer Rolle, Bekanntschaft mit dem Opfer und eigener Schuldfähigkeit kann dritte Person i.S.v. § 174 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 sein. Im Schrifttum besteht Uneinigkeit darüber, ob eine „Kettenbestimmung“ möglich ist.27 16 Entscheidend ist Folgendes: Bei der Kommunikation mit dem betroffenen Jugendlichen muss für diesen ersichtlich sein, dass die Aufforderung zu sexuellen Handlungen vom Obhutspflichtigen ausgeht. Nur dann wirkt sich Abhängigkeit aus. Liegt diese Bedingung vor, etwa wenn der Kommunikationsmittler eine Nachricht des Erziehers oder Betreuers übermittelt, ist die Anwendung von § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 möglich, nicht aber dann, wenn bei einer im Ergebnis erfolgreichen Beeinflussung für den Minderjährigen nicht ersichtlich war, dass diese von einem Erzieher oder Betreuer angestoßen wurde. Für eine vollendete Tat genügt die abgeschlossene Einwirkung nicht: Es muss tatsächlich 17 zu einer sexuellen Handlung gekommen sein.28
3. Anvertraut zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung (Absatz 1 Satz 1 Nr. 1) a) Generelle Annahme fehlender Selbstbestimmung bis zum Erreichen der Volljährig- 18 keit. § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 schützt zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraute Personen unter 18 Jahren. Seit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 (Entstehungsgeschichte) muss bei Erziehungs- und Betreuungsverhältnissen (anders als in Ausbildungs- und Arbeitsverhältnissen) nicht mehr ein Missbrauch von Abhängigkeit im Einzelfall festgestellt werden. Es gilt nun ohne Altersabstufungen ein einheitlicher Schutz für alle Minderjährigen im Verhältnis zu Personen, denen sie zur Erziehung und Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind. Zuvor bestand ein absolutes Verbot nur für Sexualkontakt mit Jugendlichen unter 16 Jahren, während bei 16 und 17 Jahre alten Jugendlichen die Rahmenbedingungen untersucht werden mussten. Das geltende Recht geht davon aus, dass Minderjährige unter keinen Umständen selbstbestimmt entscheiden können, wenn die andere Person ein Erzieher oder Betreuer ist. Für die Rechtsanwendung bedeutet dies eine Erleichterung, da es nicht mehr erforderlich ist, Interaktionen, die dem Sexualkontakt vorausgehen und ihn begleiten, in ihren sozialen und psychologischen Dimensionen aufzuschlüsseln.
27 Dafür Lackner/Kühl/Heger Rdn. 14; bei mittelbarer Täterschaft auch Renzikowski MK Rdn. 53; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 32. 28 Renzikowski MK Rdn. 50; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27. 41
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19 b) Anvertrautsein. Der oder die Jugendliche muss dem Täter zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sein. Entscheidend ist, dass Betreuer und Erzieher Verantwortung oder wenigstens Mitverantwortung für das Wohlergehen und die Persönlichkeitsentwicklung der Minderjährigen tragen und aufgrund ihrer übergeordneten Stellung Einwirkungsmöglichkeiten haben, die ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis begründen.29 Bei Erziehern ergibt sich dies aus gesetzlichen Bestimmungen (etwa für Personensorgeberechtigte) oder daraus, dass der Personensorgeberechtigte den Minderjährigen einer anderen Person anvertraut hat. Eine gesetzliche Regelung oder ein Rechtsakt ist aber zur Begründung des Anvertrautseins nicht erforderlich. Es genügt die faktische Übernahme von (Mit-)Verantwortung, entweder im Einvernehmen mit dem Sorgeberechtigten oder auch ohne dessen Wissen und Wollen, wenn sich ein Obhutsverhältnis auf Initiative des Minderjährigen oder des Täters entwickelt hat.30 20 Ob der Täter sich verantwortlich fühlt, ist irrelevant: Ist die Bereitschaft zu verantwortlichem Handeln von vornherein nur vorgetäuscht, liegt nichtsdestotrotz ein Anvertrautsein vor, wenn der Sorgeberechtigte und/oder der Minderjährige davon ausgehen.31 Sind für Erziehung oder Betreuung bestimmte Zeiten festgesetzt, fallen auch Handlungen außerhalb dieser Zeitspannen unter Absatz 1 Satz 1 Nr. 1:32 Solange das Überordnungsverhältnis existiert, wirkt es sich auch dann aus, wenn sich die Betroffenen zu einer anderen Zeit oder an einem anderen Ort als gewöhnlich begegnen.
21 c) Erziehung. Erziehung üben Personen aus, die für die Überwachung und Anleitung der Lebensführung des Minderjährigen und seine körperliche sowie psychische Entwicklung verantwortlich sind.33 Das Betreuungsverhältnis muss ernsthaft und umfassend, aber nicht notwendigerweise auf einen langen Zeitraum angelegt sein.34 Das Gesetz vertraut Minderjährige denjenigen zur Erziehung an, die die Personensorge haben, d.h. meist beiden Eltern (§ 1626 Abs. 1 BGB), es sei denn, die elterliche Sorge wurde auf ein Elternteil übertragen oder ruht (§§ 1671 ff BGB). Sind die Eltern nicht miteinander verheiratet, tragen beide die Personensorge, wenn entsprechende Sorgeerklärungen abgegeben wurden (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB), sonst hat die Mutter die elterliche Sorge (§ 1626a Abs. 3 BGB). Die Annahme eines Kindes begründet ebenfalls die Verpflichtung zur Personensorge (§ 1754 BGB). Die Entziehung des Personensorgerechts ist ohne Bedeutung, wenn tatsächlich Erziehungsfunktionen weiter ausgeübt werden. So kann bei geschiedener Ehe auch der Elternteil, dem die Personensorge nicht zusteht, die Pflicht haben, das Kind erzieherisch zu betreuen, wenn es sich bei ihm aufhält und er Einwirkungsmöglichkeiten hat (BGHSt 1 343). Die Personensorge kann einem Vormund (§ 1793 BGB, bei Vereinsvormundschaft Mitgliedern des Vereins, § 1791a BGB, und bei Amtsvormundschaft Mitarbeitern des Jugendamtes, §§ 1791b und 1791c BGB) übertragen sein, oder einem Pfleger bzw. einer Pflegeperson (§ 1630 BGB). 22 Erziehungsverhältnisse werden auch jenseits der zivilrechtlichen Bestimmungen zur Personensorge dadurch begründet, dass eine Person Erziehungsaufgaben im Einvernehmen mit
29 BGHSt 17 191, 193; 21 196, 200 f; 33 340, 344; 41 137, 139 = NStZ 1995 495 m. Anm. Bellay. 30 BGHSt 21 196, 201; 33 340, 344; 41 137, 139; Bellay NStZ 1995 497; Fischer Rdn. 4; Renzikowski MK Rdn. 27; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 10; Wolters SK Rdn. 14. 31 AA OLG Celle GA 1958 309. Wie hier Renzikowski MK Rdn. 27; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. Unklar Frommel NK Rdn. 16, die zwar das OLG Celle ebenfalls als „a.A.“ zitiert, aber davon ausgeht, dass der Täter sich für die Lebensführung verantwortlich fühlen müsse. 32 BGHSt 17 191, 194; 33 340, 343; Fischer Rdn. 7 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7 f. 33 BGH NStZ 1989 21; BGH NStZ 2017 155, 156; Renzikowski MK Rdn. 19; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Wolters SK Rdn. 13. 34 BGH NStZ 2017 155, 156; Fischer Rdn. 6; anders noch die Voraufl. und Wolters SK Rdn. 13. Hörnle
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dem rechtlich Verpflichteten tatsächlich übernimmt, etwa ein Großelternteil.35 Erziehungsaufgaben können ausdrücklich, aber auch stillschweigend übertragen werden.36 Im Einzelfall bedarf es der Aufklärung der häuslichen Verhältnisse: Verwandtschaft als solche bedeutet kein Anvertrautsein.37 Bei Pflegeeltern, die sich (ohne dass die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB VIII vorliegen) um ein Kind kümmern, ist ebenfalls im Einzelfall zu entscheiden, ob ein Erziehungsverhältnis vorliegt. Es kommt auf die tatsächlichen Lebensumstände an, nicht auf die Absicht bei der Übernahme des Kindes. Ein gemeinsamer Haushalt bedeutet nach der st. Rspr. des BGH nicht zwangsläufig die 23 Übernahme von Erziehungsverantwortung. Lebt z.B. ein Lebensgefährte oder neuer Ehepartner mit der personensorgeberechtigten Mutter zusammen, müsste für eine Strafbarkeit nach § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 anhand der konkreten Lebensumstände geprüft werden, ob er Mitverantwortung für die Lebensführung der Minderjährigen übernommen hat.38 Die Rspr. wertet als Indizien für ein Erziehungsverhältnis, dass der Erwachsene Verbote und Erlaubnisse erteilen und Strafen verhängen kann39 (wobei es nicht genügen soll, dass die Mutter gelegentlich Strafen durch ihren Lebensgefährten ankündigt),40 als Indizien dagegen, dass eine Minderjährige den Gefährten der Mutter „nicht als Vater ansah“.41 Seit dem 49. StÄG v. 21.1.2015 sind solche Abgrenzungsprobleme nicht mehr relevant, weil § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Täter erfasst, die mit dem Elternteil eines Minderjährigen in eheähnlicher Gemeinschaft leben. Die tatsächliche Übernahme von Erziehungsaufgaben wird durch nachdrücklichen Wider- 24 spruch des Sorgeberechtigten wieder beendet.42 Bei einem Auszug des Jugendlichen aus dem Haushalt kommt es darauf an, ob die Pflicht zur Personensorge durch gesetzliche Bestimmungen begründet ist: Dann endet das Erziehungsverhältnis nicht mit einer räumlichen Trennung. War die Erziehung nur faktisch übernommen worden, ist dagegen entscheidend, ob der vormals Erziehende diese Aufgaben noch zu erfüllen vermag.43 Dies ist nach der Rspr. nicht der Fall, wenn der Minderjährige endgültig ausgezogen ist und sich nur noch besuchsweise in der vormals gemeinsamen Wohnung aufhält.44 Es kommt aber unter solchen Umständen, bei einem vorübergehenden Besuch des Minderjährigen in der Wohnung eines Eltern- oder Stiefelternteils, eine Bestrafung nach § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Betracht.45 Erzieher ist der Lehrer gegenüber den von ihm als Klassen- oder Fachlehrer unterrichteten 25 Schülern, auch außerhalb des Unterrichts (BGHSt 33 340, 343),46 wobei die Erzieherrolle endet, wenn der Schüler die Schulausbildung beendet oder die Schule wechselt.47 Unter Umständen, bei sehr kleinen Schulen mit wenigen Lehrern, können Erziehungspflichten gegenüber sämtlichen Schülern bestehen. Zumeist erstrecken sie sich aber nur auf Schüler, die der Lehrer selbst regelmäßig unterrichtet.48 Gelegentlicher Vertretungsunterricht begründet kein Anvertraut-
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BGH bei Miebach NStZ 1998 131; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 353 f. BGH NStZ 1989 21. BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 353 f. BGH GA 1967 21; NStZ 1989 21; BGH bei Miebach NStZ 1996 120 f; NStZ 1997 119; NStZ 1998 131; BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 321; NStZ-RR 2002 353; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Renzikowski MK Rdn. 20; Wolters SK Rdn. 13. 39 BGH bei Pfister NStZ-RR 2006 361. 40 BGH bei Miebach NStZ 1997 119. 41 BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 321. 42 BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 321. 43 Vgl. BGH NJW 1960 2156, 2157. 44 BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 353; NStZ-RR 2002 353; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Renzikowski MK Rdn. 19. 45 Der Sachverhalt in BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 353 (Stieftochter kehrt kurz in die Familienwohnung zurück) fiele nach heute geltendem Recht unter § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3. 46 S. auch die Verurteilungen, die EGMR NJW 2003 2893 zugrunde lagen. 47 BGH NStZ 2003 661. 48 BGHSt 19 163, 166; BGH NStZ 2012 690 f; OLG Koblenz NJW 2012 629, 630; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Wolters SK Rdn. 12. Krit. zur Rechtsprechung Klingbeil S. 123 ff. 43
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sein.49 Dem Schulleiter sind alle Schüler seiner Schule zur Erziehung und Aufsicht anvertraut.50 Ergänzende Lehrleistungen auf freiwilliger Basis, etwa gelegentlich erteilte Stunden eines Nachhilfelehrers, begründen in der Regel weder Verantwortung für die Lebensführung des Minderjährigen noch ein Über-Unterordnungsverhältnis, so dass dadurch kein Obhutsverhältnis i.S.v. Absatz 1 entsteht.51 Auch ein schulischer Tanzkurs begründet kein für § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 erforderliches Erziehungsverhältnis.52 Anders ist aber zu urteilen, wenn Schüler organisatorische Aufgaben an der Schule wahrnehmen, die zum Bildungsauftrag gehören (z.B. Schulsanitätsdienst), und dabei regelmäßigen Kontakt mit einem dafür verantwortlichen Lehrer haben (BGH BeckRS 2014 13123). S. zu der Strafbarkeit von Lehrern, die nicht Klassenlehrer sind, § 174 Abs. 2, Rdn. 50 ff. 26 Ferner übernehmen Personen Erziehungsaufgaben, die nach dem Jugendhilferecht tätig werden. Dies gilt für Pflegeeltern (§ 33 SGB VIII) und Erzieher in Heimen und bei sonstigen Formen des betreuten Wohnens (§ 34 SGB VIII; insoweit findet auch § 174a Abs. 1 Anwendung); ferner für Erziehungsbeistände, Betreuungshelfer, sozialpädagogische Familienhelfer und Erzieher in Tagesgruppen (§§ 30, 31, 32 SGB VIII); außerdem für Bewährungshelfer.53 Neben denjenigen, die die Tagespflege von Kindern übernehmen, und den Erziehern in Tageseinrichtungen (§§ 22, 22a, 23 SGB VIII) sind die für die Erziehung Verantwortlichen in Internaten und Jugendwohnheimen zu nennen.54
27 d) Betreuung in der Lebensführung. Die Betreuung muss sich auf die Lebensführung erstrecken. Erforderlich ist umfassende Mitverantwortung für das Wohlergehen und die Persönlichkeitsentwicklung,55 die aus der Perspektive des Minderjährigen persönliche Abhängigkeit aufgrund eines Verhältnisses der Über- und Unterordnung begründet.56 Betreuung unterscheidet sich von Erziehung durch zeitliche Begrenzung. Es besteht allerdings kein trennscharfer Unterschied; der Übergang ist fließend (BGHSt 33 340, 344). 28 Die Bejahung eines Betreuungsverhältnisses liegt nahe, wenn Minderjährige für mehrere Tage oder Wochen nicht mehr unter dem unmittelbaren Einfluss der Eltern oder anderer Personensorgeberechtigter stehen, und eine andere Person während der Abwesenheit von zu Hause die Verantwortung übernommen hat (etwa bei Austauschschülern, Ferienkindern oder familiärer Aufnahme der Kinder von Bekannten oder Verwandten aus dem Heimatland nach Migration;57 Aufenthalten in Schullandheimen oder Zeltlagern;58 Jugendreisen und mehrtägigen Jugendfreizeiten). Betreuungspflichten wurden bejaht für einen Jugendherbergsvater gegenüber seinen jugendlichen Gästen.59 Es kommt allerdings darauf an, ob dieser über administrative Aufgaben hinaus tatsächlich für deren Lebensführung verantwortlich ist (meist wird diese Aufgabe Gruppenleitern zufallen). Die ältere Rspr. ging davon aus, dass ein Betreuungsverhältnis auch bei kürzeren Ausflügen oder Veranstaltungen bestehen könne.60 Sie basierte jedoch auf der alten Rechtslage vor dem 4. StrRG v. 23.11.1973, die nicht „Betreuung in der Lebensführung“ voraussetzte, sondern jegliche Form von „Aufsicht und Betreuung“ ausreichen ließ. Nach geltendem Recht begründet ein Tagesausflug, eine Feier u.ä. kein Betreuungsverhältnis zwischen 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60
BGH NStZ 2012 690 f. BGHSt 13 352. BGH NStZ 2003 661; anders noch BGH bei Dallinger MDR 1969 16. OLG Koblenz NJW 2012 629, 630. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 22; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. Renzikowski MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. BGHSt 21 196, 200; 33 340, 344; 41 137, 139. S. OLG Zweibrücken NJW 1996 330 f; BGH NStZ-RR 2013 10, 11. BGH 4 StR 111/50 (LM § 175a Ziff. 2 Nr. 1). BGH NJW 1957 1201. AA Fischer Rdn. 8; Renzikowski MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Wolters SK Rdn. 15. BGH NJW 1955 1934; Koeniger NJW 1957 162.
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den Veranstaltern oder Begleitern und teilnehmenden Jugendlichen. Auch bei einer punktuellen Unterstützung der Sorgeberechtigten, etwa der Beaufsichtigung während der Abwesenheit der Sorgeberechtigten an einem Abend,61 unregelmäßigem Babysitten oder Animation in einem Ferienclub,62 erstreckt sich die Betreuung in der Regel nicht auf die Lebensführung.63 Bei einem zweitägigen Aufenthalt auf einem Reiterhof, verbunden mit einer Übernachtung, verneint der BGH ein Betreuungsverhältnis.64 Ein Betreuungsverhältnis kann ohne Willen der Personensorgeberechtigten entstehen, 29 etwa wenn ein vorübergehend obdachloser Minderjähriger für einen längeren Zeitraum aufgenommen und versorgt wird.65 Der BGH betont allerdings, dass geprüft werden müsse, ob durch die Aufnahme in die eigene Wohnung das erforderliche Verhältnis der Über- und Unterordnung entstanden sei (BGHSt 41 137, 139). Der zu entscheidende Fall betraf ein fünfzehnjähriges Mädchen, das aus einem Erziehungsheim entwichen und auf Angebot des Angeklagten für mehrere Wochen in dessen Wohnung gezogen war. Das Gericht bezweifelte, dass das Mädchen sich dem Angeklagten deshalb unterordnete, weil es einen „Vertrag“ über die Betreuung unterzeichnet hatte (BGHSt 41 137, 139). Andere Umstände (das Mädchen war mehrmals aus der Wohnung des Angeklagten geflohen und von ihm z.T. gegen ihren Willen zurückgeholt worden) deuten allerdings darauf hin, dass der Angeklagte Autorität ausüben konnte. Bei deutlichen Unterschieden im Alter und Sozialstatus kann sich mit Minderjährigen kein gleichberechtigtes Verhältnis entwickeln. Arbeitsverhältnisse begründen regelmäßig kein Betreuungsverhältnis, weshalb es eine wei- 30 tere Verbotsnorm in § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 gibt. Nur unter ungewöhnlichen Umständen ist heute vorstellbar, dass ein Arbeitgeber im persönlichen, menschlichen Bereich Pflichten übernommen hat.66 Im Freizeitbereich bedarf es einer Analyse der konkreten Verhältnisse. Die Teilnahme von Minderjährigen an privatem Sport-, Musik- oder Reitunterricht oder sonstigen Kursen begründet meist weder eine Verantwortung für die Lebensführung im Ganzen noch ein hinreichend ausgeprägtes Verhältnis der Über- und Unterordnung. Der BGH hat allerdings für den Trainer einer Jugendfußballmannschaft angenommen, dass ihm die Jugendlichen zur Betreuung anvertraut waren. Das Urteil stellte darauf ab, dass sportliche Betätigung auch Selbstdisziplin und Teamgeist und damit die geistige Entwicklung der Jugendlichen fördere, ferner darauf, dass der Angeklagte die Jungen zu Auswärtsspielen begleitete (BGHSt 17 191, 192).67 Jedoch können allenfalls besonders intensive Formen eines Sporttrainings, die viel Zeit in Anspruch nehmen und ein enges persönliches Verhältnis zu einem bestimmten Trainer begründen, als Betreuungsverhältnis eingestuft werden.68 Die Mitgliedschaft in einem Turnverein begründet kein Obhutsverhältnis zu den in der Vereinsarbeit engagierten Vorständen und Trainern (BGH NStZ-RR 2020 210). Die Begleitung von Minderjährigen in Trainingslager, zu auswärtigen Wettbewerben etc. bedeutet nicht zwangsläufig, dass auch nach der Rückkehr noch von einem Betreuungsverhältnis auszugehen ist69 – dieses besteht ggf. nur für die Zeitspanne des intensiveren Kontakts. Anders ist zu urteilen, wenn ein über viele Jahre bestehendes Unterrichtsverhältnis (im konkreten Fall: in einem Chor) auch mit intensivem Kontakt in der sonstigen Freizeit verbunden war und der Minderjährige mit Billigung seiner Eltern nicht nur viel Zeit bei dem Erwachsenen verbrachte, sondern dort auch
61 62 63 64 65 66 67 68
BGH bei Pfister NStZ-RR 2011 361. Fischer Rdn. 8. Renzikowski MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. BGH bei Pfister NStZ-RR 2003 353. BGHSt 1 292. S. zu früheren Vorstellungen BGHSt 1 231; BGH NJW 1955 1238. Zustimmend Fischer Rdn. 8a; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 25; Wolters SK Rdn. 15. BGH NStZ 2003 661 (Tennistrainer); BGH NStZ-RR 2008 307 u. NStZ-RR 2020 210, 211 (Turntrainer); NStZ-RR 2018 75 (Rudertrainer). 69 BGH NStZ-RR 2020 210, 211. 45
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übernachten durfte. In diesem Fall hat der BGH angenommen, dass der Minderjährige dem Chorleiter zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut war (BGH BeckRS 2020, 48955). 31 Ein Arztbesuch begründet kein Betreuungsverhältnis.70 Eine ältere Entscheidung war für eine ärztliche Untersuchung im Bereich der Geschlechtsorgane zu einem anderen Ergebnis gekommen.71 Dies überzeugt aber nicht: Auch wenn solche Untersuchungen Minderjährigen unangenehm sein können, begründet ein kurzes Zusammentreffen keine Verantwortung für deren Entwicklung. Der BGH hat einen Geistlichen, der eine christliche Jugendgruppe leitete, als Betreuer 32 i.S.v. § 174 eingestuft.72 Ob die Teilnahme an einer Jugendgruppe ausreicht, hängt aber von den konkreten Umständen ab. Zwar liegt in einem religiösen Kontext die Übernahme von Verantwortung für das geistige und moralische Wohl der Minderjährigen näher als bei nicht kirchlich gebundenen Gruppen. Es gibt aber auch in einem kirchlichen Umfeld Aktivitäten, bei denen der Freizeitcharakter im Vordergrund steht. Wie bei anderen Jugendgruppen gilt dann, dass organisierte Freizeitgestaltung zur Begründung eines Betreuungsverhältnisses nicht ausreicht. Umstr. ist die Einordnung von sexuellen Handlungen eines Geistlichen, der zu einzelnen 33 Pfarrkindern persönliche Kontakte unterhält. Der BGH befand, dass zwar die zeitweise Tätigkeit als Religionslehrer eine Verurteilung trage. Im Übrigen aber fehle es bei einem Pfarrer, der an Minderjährigen unter pseudo-religiösen Erklärungen sexuelle Handlungen vornimmt, an einem Betreuungsverhältnis, da seine Pflichten nicht über die allgemeinen Pflichten gegenüber Mitgliedern seiner Kirchengemeinde hinausgingen (BGHSt 33 340, 343, 345 = JR 1986 514 m. Anm. Gössel u. NStZ 1986, 215 m. krit. Anm. Jakobs). Diese Begründung überzeugt nicht.73 Bei Geistlichen ist die Verantwortung für das seelische Wohl der Gläubigen meist intensiver als bei dem vom BGH als Betreuer eingestuften Fußballtrainer74 (oben Rdn. 30). Ein Betreuungsverhältnis ist auf jeden Fall dann anzunehmen, wenn sich in einem religiösen Kontext mit intensiver spiritueller und sozialer Einbindung, etwa einer Freikirche oder religiösen Sekte, Minderjährige der Autorität eines „geistlichen Vaters“ unterordnen und regelmäßige Unterweisungen stattfinden.75
4. Missbrauch von Abhängigkeit in Ausbildungs-, Dienst- und Arbeitsverhältnissen (Absatz 1 Satz 1 Nr. 2) 34 a) Änderungen im Jahr 2021. Anders als vor dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 bezieht sich das Verbot in § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 nur noch auf Minderjährige in Ausbildungs-, Dienst- und Arbeitsverhältnissen, während für Erziehung und Betreuung in der Lebensführung § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 gilt. Bei Ausbildungsverhältnissen muss nach geltendem Recht für alle Minderjährigen einzelfallabhängig festgestellt werden, ob Abhängigkeit missbraucht wurde (anders nach alter Rechtslage, wo dies für Personen unter 16 Jahren pauschal vermutet wurde, § 174 Abs. 1 Nr. 1 a.F.). Eine weitere Änderung liegt darin, dass Ausbildungsverhältnisse bis 2021 mit dem Merkmal „anvertraut“ umschrieben wurden, was eine erziehungsähnliche Funktion implizierte. Nunmehr lautet die nüchternere Formulierung, genauso wie bei Dienst- und Arbeitsverhältnissen, „untergeordnet“.
70 OLG München MDR 1951 52; OLG Frankfurt NJW 1952 236; Fischer Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Wolters SK Rdn. 15. 71 BGH GA 1959 276. 72 BGHSt 4 212. 73 Renzikowski MK Rdn. 25; Wolters SK Rdn. 13. AA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7, 9. 74 Jakobs NStZ 1986 216 f. 75 S. LG Saarbrücken BeckRS 2020 33798. Hörnle
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II. Handlungen nach Absatz 1
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b) Ausbildung. Ausbildung soll Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem fachlich eingegrenzten 35 Feld vermitteln. Mit folgenden Elementen lässt sich der Typus „Ausbildung“ definieren: Es muss sich um länger andauernde, strukturierte Aktivitäten der theoretischen und praktischen Unterweisung handeln und diese müssen für den beruflichen Werdegang von einiger Bedeutung sein. Typischerweise handelt es sich um Berufsausbildung und Berufsausbildungsvorbereitung i.S.v. § 1 Abs. 1 bis Abs. 3 Berufsbildungsgesetz (BBiG). Ausbilder ist der für den Abschluss des Ausbildungsvertrags rechtlich Verpflichtete. Er bleibt dies auch dann, wenn er einen Ausbildungsleiter bestellt hat.76 Dem Ausbilder gleichgestellt sind Personen, die von ihm mit der Wahrnehmung dieser Funktion beauftragt wurden oder die für die Ausbildung tatsächlich Verantwortung tragen (vgl. RGSt 62 33). Auf den Abschluss eines Vertrags kommt es nicht an, entscheidend ist vielmehr das tatsächliche Bestehen des Ausbildungsverhältnisses (RGSt 57 383). Auch Minderjährige in der Berufsvorbereitung, etwa ein Praktikant oder Volontär, können Schutzbefohlene i.S.v. § 174 sein,77 wenn Praktikum oder Volontariat einige Zeit dauern und für den Berufsweg von Bedeutung sind. Ein kurzes „Schnupperpraktikum“ reicht nicht aus. Der BGH geht allerdings bei einem dreiwöchigen Schülerpraktikum bei ganztägiger Anwesenheit davon aus, dass § 174 Abs. 1 anwendbar ist (BeckRS 2020 10184). Verhältnisse können nur als Ausbildung bezeichnet werden, wenn sie über eine bloße Anlei- 36 tung zu schlichten Verrichtungen und einfachen mechanischen Betätigungen oder die Einweisung in einen neuen Aufgabenbereich hinausreichen (BGHSt 21 196, 198).78 Kein Ausbildungsverhältnis liegt bei einfachen beruflichen Anleitungen vor, etwa wenn ein Postfacharbeiter Jungpostboten mit den Dienstgeschäften vertraut macht79 oder es um das Auffüllen von Regalen im Supermarkt geht. Ferner bildet nicht aus, wer Unterricht erteilt, der sich auf Freizeitaktivitäten bezieht,80 etwa ein Tennislehrer,81 Sporttrainer82 oder derjenige, der privaten Musikunterricht erteilt.83 Nicht überzeugend ist, dass ein älteres Urteil Fahrunterricht als Ausbildungsverhältnis eingestuft hat:84 Ein Fahrlehrer ist nicht für die geistige und moralische Entwicklung minderjähriger Kunden verantwortlich.85 c) Dienst- oder Arbeitsverhältnis. Bei Dienst- oder Arbeitsverhältnissen ist irrelevant, ob der 37 zugrunde liegende privatrechtliche Vertrag (oder die öffentlich-rechtliche Begründung) rechtswirksam ist: Die tatsächliche Einbindung in Arbeits- oder Dienstpflichten genügt.86 Das Arbeitsoder Dienstverhältnis muss auf eine gewisse Dauer angelegt sein. Die gelegentliche Übernahme von kurzen Arbeitseinsätzen, etwa als Babysitterin (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 201), oder sonstige unbedeutende Tätigkeiten zur Aufbesserung des Taschengeldes reichen nicht aus.87 Es ist aber weder erforderlich, dass es sich um eine Vollzeitbeschäftigung handelt, noch dass die Laufzeit eines Vertrags unbegrenzt ist. Der Jugendliche muss dem Täter untergeordnet sein, d.h. dieser muss gegenüber dem Jugendlichen als Vorgesetzter auftreten können. Dafür soll es nach der h.M. nicht genügen, wenn er nur für einen Einzelfall eine Weisung erteilen kann (so
76 77 78 79 80 81 82 83 84 85
BGHSt 2 157, 159. BTDrucks. VI/3521 S. 21; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. Ebenso BTDrucks. VI/3521 S. 21; Fischer Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 23; Wolters SK Rdn. 14. BGH Urteil vom 4.3.1954 – 4 StR 826/53. Anders Wolters SK Rdn. 14, der darauf abstellt, ob der Unterricht auch Erwachsenen erteilt wird. BGH NStZ 2003 661. BGH NStZ-RR 2008 307. Renzikowski MK Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. BGHSt 21 196. So i.Erg. auch OLG Stuttgart NJW 1961 2171; Fischer Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. AA Seibert NJW 1962 61 f. 86 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Renzikowski MK Rdn. 32; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 25. 87 Fischer Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Renzikowski MK Rdn. 32; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11. 47
Hörnle
§ 174
Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen
auch BTDrucks. VI/3521 S. 24).88 Überzeugend ist diese Einschränkung nicht: Auch wenn eine Weisungsbefugnis nur punktuell besteht, kann sie eine Abhängigkeit begründen, die Missbrauch ermöglicht. Entscheidend ist, ob der Jugendliche in der Betriebshierarchie untergeordnet ist.89
38 d) Missbrauch von Abhängigkeit. § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 setzt den Missbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit voraus. Anders als bei Anwendung von Nummer 1 muss in den Urteilsgründen festgestellt werden, aus welchen Umständen sich ein solcher Missbrauch ergibt, und dass sich der Vorsatz des Täters auf dieses Merkmal erstreckte. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass auch bei bestehender beruflicher Unterordnung u.U. eine selbstbestimmte Entscheidung des Jugendlichen für eine sexuelle Beziehung möglich sein kann. Das soziale und psychische Abhängigkeitsverhältnis sei gegenüber Arbeitgebern, Dienstherren und Ausbildern weniger intensiv ausgestaltet als in Erziehungs- und Betreuungsverhältnissen. Letztere beträfen den höchstpersönlichen Lebensbereich und bedeuteten ein höheres Maß an emotionaler Bindung und Abhängigkeit (BTDrucks. 19/27928 S. 22). An fehlende Abhängigkeit ist vor allem dann zu denken, wenn Jugendliche knapp vor dem Erreichen der Volljährigkeit stehen und das Geschehen ihren eigenen Wünschen entsprach. Allerdings wurde bei der Änderung im Jahr 2021 bewusst darauf verzichtet, bei Ausbildungs-, Dienst- und Arbeitsverhältnissen zwischen Personen unter 16 Jahren und Personen unter 18 Jahren zu differenzieren (BTDrucks. 19/27928 S. 22). Hieraus ergibt sich, dass unter (allerdings wohl seltenen) Umständen Vierzehn- oder Fünfzehnjährigen auch in Über- und Unterordnungsverhältnissen eine selbstbestimmte Entscheidung zugetraut wird. Vorstellbar wäre dies z.B., wenn sich am Arbeitsplatz eine Liebesbeziehung mit einer nur wenige Jahre älteren, in der Betriebshierarchie vorgesetzten Person entwickelt. In der Regel liegt allerdings bei einem Über- und Unterordnungsverhältnis ein Missbrauch der Abhängigkeit nahe. 39 § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ist immer anzuwenden, wenn Minderjährige fehlende Bereitschaft zu sexuellen Handlungen zu erkennen gaben. Nutzt der Täter offen Macht und Überlegenheit, um sich Jugendliche gefügig zu machen, die ihren entgegenstehenden Willen gezeigt haben, liegt unstreitig ein Missbrauch von Abhängigkeit vor90 (Tateinheit mit § 177 ist möglich, wenn der berufliche Kontext einen sexuellen Übergriff oder eine sexuelle Nötigung erleichtert hat91). Auch jenseits der in § 177 Abs. 1, Abs. 2 beschriebenen Bedingungen kann Abhängigkeit missbraucht werden, etwa wenn Ausbilder oder Vorgesetzte Beschimpfungen, Zurücksetzung gegenüber anderen Schutzbefohlenen oder Schikanen durch Verbote und Kontrollen (BGHSt 30 355, 356; NStZ 1991 81, 82) einsetzen, oder wenn sie explizit oder versteckt auf Gehorsamspflichten hinweisen.92 40 Auch wenn Minderjährige nicht eindeutig signalisiert haben, dass ihnen die sexuellen Aktivitäten des Ausbilders oder Vorgesetzten unerwünscht sind, kann ein Missbrauch von Abhängigkeit zu bejahen sein. Es genügt, dass Täter im Vorfeld Macht demonstrieren und so passives Verhalten der ihnen untergeordneten Person bewirken. Im Geflecht einer etablierten Machtbeziehung kann auch durch das Versprechen von Vorteilen Druck ausgeübt werden. Ob ein Anspruch auf den Vorteil besteht, ist irrelevant:93 Werden Vorteile versprochen oder gewährt, 88 OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 201; Fischer Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Renzikowski MK Rdn. 33; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 25. 89 S. auch Steinmeister ZRP 1992 87, 90. 90 BGHSt 28 365, 367; BGH NStZ 1982 329; NStZ-RR 2017 276, 277; Fischer Rdn. 15a. 91 BGH NStZ 1997 337; Fischer Rdn. 15a; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17. AA Frommel NK Rdn. 20; Renzikowski MK Rdn. 35; Wolters SK Rdn. 26. 92 BGHSt 28 365, 367; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17. 93 BTDrucks. VI/3521 S. 22; Renzikowski MK Rdn. 35. AA Fischer Rdn. 15a; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Wolters SK Rdn. 26. Hörnle
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II. Handlungen nach Absatz 1
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wird Abhängigkeit betont, was im Verhältnis zu Minderjährigen deren Einverständnis unbeachtlich macht. Missbrauch ist auch ohne die Ausübung von direktem oder indirektem Druck möglich.94 41 Der BGH setzt die Maßstäbe zu eng, wenn er verlangt, dass bei Tatserien vor jeder sexuellen Handlung Druck auf die Minderjährigen ausgeübt werden müsse (so BGH NStZ 2019 21, 22, nach altem Recht zu Erziehungsverhältnissen). Auch in Ausbildungs-, Dienst- und Arbeitsverhältnissen ist vorstellbar, dass eine sich bei jugendlicher Unreife besonders intensiv auswirkende Abhängigkeit nicht auf Gehorsamsbereitschaft oder Angst beruht, sondern z.B. auf dem Bedürfnis nach menschlicher Wärme und Anerkennung.95 Dass Jugendliche sexuelle Handlungen als Zeichen der Zuneigung betrachten, spricht nicht gegen einen Missbrauch von Abhängigkeit, sondern kann darauf zurückzuführen sein, dass ein Ausbilder oder Vorgesetzter emotionale Abhängigkeit ausgenutzt hat. Faktisches Einverständnis ist nicht mit einer wirksamen Zustimmung gleichzusetzen. Für die Beantwortung der Frage, ob Minderjährige sich selbstbestimmt für sexuelle Handlungen entschieden haben, sind sexuelle Vorerfahrungen in anderem Kontext irrelevant. Rspr. und Lit. zufolge müsse dem Täter bewusst sein, dass er ein Abhängigkeitsverhältnis 42 ausnutzt (BGHSt 28 365, 367).96 Überzeugend ist dies nicht: Warum nicht – wie in anderen Tatbeständen auch – bedingter Vorsatz genügen soll, ist nie begründet worden (s. Rdn. 63). Die h.M. verlangt ferner, dass auch dem Minderjährigen der Zusammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewusst war.97 Dies ergibt sich aber weder aus dem Wortlaut noch aus der Schutzrichtung des Tatbestandes: Minderjährige sind im Gegenteil besonders schutzbedürftig, wenn Unreife und mangelndes Urteilsvermögen sie daran hindern, zu erkennen, dass der Täter ihre Abhängigkeit missbraucht.
5. Abkömmlinge (Absatz 1 Satz 1 Nr. 3) a) Änderungen durch das 49. StÄG v. 21.1.2015. Der Anwendungsbereich für § 174 Abs. 1 43 Satz 1 Nr. 3 wurde durch das 49. StÄG erweitert und zuvor bestehende Schutzlücken (Hörnle/ Klingbeil/Rothbart S. 122 ff) geschlossen. Vor dieser Gesetzesänderung waren nur leibliche und angenommene Kinder erfasst.98 Der Tatbestand schützt nun erstens alle leiblichen und rechtlichen Abkömmlinge des Täters, zweitens die Abkömmlinge von Ehegatten oder Lebenspartnern des Täters sowie Abkömmlinge von Personen, mit denen der Täter in eheähnlicher Gemeinschaft lebt. Anders als in den Fällen des Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 bedarf es keiner Erörterung des Missbrauchs von Abhängigkeit. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die in Nummer 3 angeführten Umstände ausgeprägte Abhängigkeit begründen und deshalb auch ältere Jugendliche unter keinen Umständen in der Lage sind, wirksam sexuellen Kontakten zuzustimmen. Anders als nach der alten Rechtslage hängt die Strafbarkeit von Stiefeltern, Lebensgefährten der Mutter und Großeltern nicht mehr an der Frage, ob sie Erziehungsverantwortung übernommen hatten und somit unter § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 fielen (nach alter Rechtslage führte dies zu dem absurden Ergebnis, dass eine Person im familiären Umfeld von Jugendlichen, die sich besonders verantwortungslos verhielt, straflos Missbrauch begehen konnten99).
94 OLG Zweibrücken NJW 1996 330, 331; Hörnle FS Schöch 401, 413 f. 95 S. auch OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 201 (psychische Abhängigkeit); Fischer Rdn. 15. 96 Ferner BGH NStZ 1982 329; NStZ 1991 81 f; OLG Zweibrücken NJW 1996 330, 331; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Theede S. 131 f. 97 BGHSt 28 365, 367; BGH NStZ 1982 329; OLG Zweibrücken NJW 1996 330, 331; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 201; Fischer Rdn. 15; Renzikowski MK Rdn. 35; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Wolters SK Rdn. 26. 98 S. zu den nach der alten Rechtslage bestehenden Lücken Hörnle FS Schöch 401, 408 ff. 99 BTDrucks. 18/2601 S. 26; Hörnle FS Schöch 401, 410. 49
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§ 174
Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen
44 b) Leibliche und rechtliche Abkömmlinge des Täters. Leibliche Abkömmlinge sind solche, die biologisch vom Täter abstammen. Anders als vor dem Inkrafttreten des 49. StÄG sind auch Großeltern erfasst.100 Rechtliche Abkömmlinge sind zum einen angenommene (adoptierte) Kinder, zum anderen Kinder, die ohne genetische Verwandtschaft nach familienrechtlichen Regeln dem Täter zugeordnet sind, etwa wenn dieser nach § 1592 BGB rechtlich der Vater ist (weil er mit der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt verheiratet war, die Vaterschaft anerkannt hat101 oder diese gerichtlich festgestellt wurde). Erfasst würden auch Kinder, die einer sie gebärenden Frau ohne genetische Abstammung (d.h. nach einer Eizellspende) rechtlich als Kind zugeordnet sind (§ 1591 BGB).102 Die leiblichen Kinder (und Kindeskinder) der ersten Generation an rechtlichen Abkömmlingen sind ebenfalls erfasst, ebenso deren rechtliche Abkömmlinge. Nicht anwendbar ist § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 jedoch, wenn der Täter die Stiefkinder der eigenen leiblichen Abkömmlinge missbraucht (BGH NJW 2021 3798 f). 45 Wenn Kinder nicht im Kontakt mit dem biologischen Elternteil aufgewachsen sind, kann es an einem Abhängigkeitsverhältnis fehlen. Die Ratio des § 174, Jugendliche vor Sexualkontakten zu schützen, denen sie wegen persönlicher Abhängigkeit nicht zustimmen konnten, passt nicht, wenn eine nur biologisch verwandte Person dem Kind in der sozialen Rolle des Fremden gegenübertritt. Trotzdem ist nach dem eindeutigen Wortlaut § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 anzuwenden103 – allerdings ist dies durch die Anforderung einzuschränken, dass auch das Kind seine Abstammung kennen muss.104
46 c) Leibliche und rechtliche Abkömmlinge von Ehegatten und Partnern des Täters. Praktisch bedeutsam ist eine der Neuerungen, die das 49. StÄG v. 21.1.2015 eingeführt hat: Seither werden Jugendliche in sog. Patchworkfamilien besser gegen sexuellen Missbrauch geschützt. 47 Strafbar sind zum einen sexuelle Handlungen mit Stiefkindern und Stiefenkelkindern, d.h. den leiblichen oder rechtlichen Abkömmlingen des Ehegatten, zum anderen (bei unverheiratetem Zusammenleben) mit den Abkömmlingen von Lebensgefährten. Auslegungsbedürftig ist das Merkmal „Lebenspartner“ in § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, da die Gesetzesmaterialien auf diesen Punkt nicht eingehen. Teilweise wird er i.S.d. alltagssprachlich gebräuchlichen Umschreibung für eheähnliche Gemeinschaften verwendet.105 Das ist nicht überzeugend. Die Formulierung in § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ist zivilrechtlich zu verstehen (also beschränkt auf das „Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft“ v. 16.2.2002106). Bei bestehender Ehe oder Lebenspartnerschaft ist § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 auch dann anzuwenden, wenn es mehrere Wohnsitze gibt und die Ehegatten und Lebenspartner nicht in derselben Wohnung leben. 48 Wichtig ist die Einbeziehung von Tätern, die mit einer anderen Person in eheähnlicher Weise zusammenleben und die Sexualkontakt mit einem leiblichen oder rechtlichen Abkömmling dieser Person haben. Im Gesetzgebungsverfahren war ursprünglich von „häuslicher Gemeinschaft“ die Rede (BTDrucks. 18/2601 S. 7). Die Gesetz gewordene Formulierung „eheähnlich“ ist enger. In den Gesetzesmaterialien wird auf ein „dauerhaftes Zusammenleben mit gemeinsamer Haushaltsführung“ verwiesen (BTDrucks. 18/3202 S. 26). Erfasst sind zum einen religiös definierte „Ehen“, die zivilrechtlich nicht anerkannt sind (z.B. Imam-Ehen), zum anderen das eheähnliche Zusammenleben von Personen, das alltagssprachlich als Lebensgemein100 101 102 103
Renzikowski MK Rdn. 38; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; aA Wolters SK Rdn. 34. BGH NStZ-RR 2022 145, 146. BTDrucks. 18/2601 S. 26. BGHSt 29 387; BGH NJW 1994 1078; Fischer Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Renzikowski MK Rdn. 38; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 13. Krit. Frommel NK Rdn. 18. 104 Renzikowski MK Rdn. 39. 105 BGH NJW 2018 2139, 2140, wo die Beziehung zwischen dem Täter und der Mutter der Geschädigten als „lebenspartnerschaftsähnlich“ bezeichnet wurde. 106 BGBl. I S. 266, zuletzt geänd. durch Artikel 3 des Gesetzes v. 18.12.2018, BGBl. I S. 2639. Hörnle
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III. Handlungen nach Absatz 2
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schaft oder Partnerschaft beschrieben wird. Der BGH geht davon aus, dass eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegt, wenn sie „auf Dauer angelegt ist, keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen und damit über die Beziehung in einer reinen Haushaltsund Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen“ (BGH NJW 2018 2139, 2140 mit Verweis auf BVerfGE 87 234, 264). Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht darauf an, ob die Partner sich vorübergehend (etwa aus beruflichen Gründen oder bei Urlaub) teilweise an unterschiedlichen Orten aufhalten. Es genügt, dass sie z.B. an den Wochenenden zusammenwohnen (BGH NJW 2018 2139, 2140).107 Nicht ausschlaggebend ist, ob zwischen den Partnern sexuelle Beziehungen bestehen (dies ist ein Indiz für eine eheähnliche Gemeinschaft, aber keine zwingende Voraussetzung).108 Ob die geschädigte Person, also der Abkömmling der mit dem Täter zusammenlebenden Person, im selben Haushalt lebt, spielt keine Rolle.109 Mangels Dauerhaftigkeit und Verbindlichkeit der persönlichen Beziehungen sind Wohn- 49 und Hausgemeinschaften nicht als eheähnlich einzustufen. Ausgeschlossen werden mit dem Merkmal „eheähnlich“ außerdem Sexualkontakte zwischen Geschwistern und Stiefgeschwistern. Diese sind im Verhältnis zueinander keine „Schutzbefohlenen“ (BTDrucks. 18/3202 S. 26). Die Variante „lebenspartnerschaftsähnlich“ hatte eine gewisse Bedeutung, solange es für gleichgeschlechtliche Paare noch nicht möglich war, eine Ehe einzugehen, weshalb die Bezeichnung „eheähnlich“ möglicherweise als verwirrend empfunden wurde. Nachdem das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts v. 20.7.2017110 gilt, passt das Merkmal „eheähnlich“ allerdings für alle Fälle der auf Dauer angelegten Gemeinschaft zweier Menschen. Das Merkmal „lebenspartnerschaftsähnlich“ hat damit keine Relevanz mehr.
III. Handlungen nach Absatz 2 Absatz 2 wurde durch das 49. StÄG v. 21.1.2015 neu eingeführt. Anlass waren Freisprüche für 50 Lehrer, die sexuelle Verhältnisse mit Schülerinnen derselben Schule hatten, die sie nur gelegentlich vertretungsweise unterrichteten. Das OLG Koblenz und der BGH hatten eine Strafbarkeit nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 (Rdn. 25) verneint. Motiv des Gesetzgebers für die Erweiterung von § 174 war die Einschätzung, dass das alte Recht nicht alle strafwürdigen Fälle erfasse (s. zur Notwendigkeit einer Gesetzesänderung auch Hörnle/Klingbeil/Rothbart S. 113 ff; Klingbeil S. 125 ff). Zwischen Lehrern und Schülern besteht ein „strukturelles, Institutionen innewohnendes Macht- und Autoritätsgefälle, das es geraten erscheinen lässt, diese Institutionen von sexuellen Beziehungen im grundsätzlichen Über- und Unterordnungsverhältnis insoweit frei zu halten, als Jugendliche daran beteiligt sind“ (BTDrucks. 18/2601 S. 27). Es gilt nun ein kategorisches Verbot für die Erzieher, Ausbilder und Betreuer in einer Einrichtung, mit Personen unter 16 Jahren aus derselben Einrichtung sexuelle Kontakte zu haben. Bei Sechzehn- und Siebzehnjährigen ist dagegen einzelfallbezogen zu prüfen, ob die Stellung in der Einrichtung ausgenutzt wurde.
1. Einrichtungen zur Erziehung, Ausbildung oder Betreuung Eine Einrichtung muss eine gewisse organisatorische Selbstständigkeit aufweisen. Das Verhält- 51 nis zu ihren Benutzern muss in einheitlicher Weise rechtlich geregelt sein, wobei die Einrichtung von einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Träger betrieben werden kann (BTDrucks. 18/2601 S. 28). Das dem Gesetzgeber vor Augen stehende Beispiel waren Schulen. Weitere Bei107 108 109 110 51
Renzikowski MK Rdn. 38. BGH NJW 2018 2139, 2140. BGH NJW 2018 2139, 2141; Renzikowski MK Rdn. 38. BGBl. I S. 2787. Hörnle
§ 174
Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen
spiele sind Kindergärten und Kindertagesstätten,111 Universitäten,112 Internate, Heime, Einrichtungen für betreutes Wohnen und Behindertenwerkstätten, nicht aber Jugendzentren.113 Nicht erfasst sind Aktivitäten, die nicht in eine größere, rechtlich geregelte Einrichtung eingebunden sind, also etwa die private Organisation von Nachhilfeunterricht und Sprachreisen. S. zu den Merkmalen Erziehung, Ausbildung, Betreuung in der Lebensführung Rdn. 21–33, 35.
2. Täter und Opfer 52 Täter kann nur eine Person sein, der in der Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung von Minderjährigen anvertraut ist. Wer der Arbeitgeber oder Dienstherr des Täters ist, spielt keine Rolle, solange sein Arbeitsplatz die Einrichtung ist.114 Die Erweiterung gegenüber § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 besteht darin, dass Fälle erfasst sind, in denen Unterricht, Betreuung etc. in organisatorischen Untereinheiten (Schulklassen, Wohngruppen etc.) stattfindet und Täter und Minderjährige nicht derselben Untereinheit angehören. In der Einrichtung Beschäftigte, die nicht selbst mit Erziehung, Ausbildung und Betreuung von Minderjährigen befasst sind (z.B. Verwaltungsangestellte, Hausmeister, Reinigungs- und Küchenpersonal, Handwerker) machen sich nicht nach § 174 strafbar, wenn sie Sexualkontakt mit Minderjährigen aus der Einrichtung haben. 53 Opfer des Delikts können nur Minderjährige sein, die zu der Einrichtung in einem Rechtsverhältnis stehen, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung dient. Ob das Rechtsverhältnis mit oder ohne Wissen und Wollen des Minderjährigen begründet wurde, spielt keine Rolle.115 Nicht erfasst sind Minderjährige, die, ohne dort ausgebildet zu werden, in der Einrichtung einer Arbeit nachgehen (etwa Auszubildende von Fremdfirmen), sowie Bekannte und Freunde von Schülern etc., die sich in ihrer Freizeit oder vorübergehend in der Einrichtung aufhalten.
3. Sexuelle Handlungen an der minderjährigen Person; Bestimmen gem. Satz 2 54 Die tatbestandsmäßigen Handlungen entsprechen denen in Absatz 1, s. dazu Rdn. 7–17. Die Taten müssen nicht in den Räumlichkeiten oder auf dem Gelände der Einrichtung stattfinden, und es ist auch nicht erforderlich, dass Täter und Opfer sich dort kennengelernt haben. Erforderlich ist aber, dass beiden Seiten bewusst ist, in derselben Einrichtung die jeweilige Rolle als Erzieher, Ausbilder oder Betreuer bzw. zu Erziehende, Auszubildende oder zu Betreuende inne zu haben. Für den Täter ergibt sich dies aus dem Erfordernis vorsätzlichen Handelns (§ 15), wobei es genügt, wenn er die relevanten Umstände für ernstlich möglich hält. Darüber hinaus ist eine teleologische Reduktion angezeigt, wenn der minderjährigen Person der Bezug des Sexualpartners zu der Einrichtung nicht bekannt war, weil das Kennenlernen in anderem Kontext stattfand.116
111 Renzikowski MK Rdn. 42; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21. 112 Renzikowski MK Rdn. 42. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21 will bei konsensualen Beziehungen an Universitäten auf die Organisationseinheit „Fakultät“ abstellen, was jedoch keine praktische Bedeutung haben dürfte, da nach § 174 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 die Ausnutzung der Stellung zusätzlich geprüft werden muss, was bei Angehörigen anderer Fakultäten in der Regel zu verneinen ist. 113 Renzikowski MK Rdn. 42. 114 BTDrucks. 18/2601 S. 28. 115 Renzikowski MK Rdn. 43. 116 Renzikowski MK Rdn. 44. Hörnle
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IV. Handlungen nach Absatz 3
§ 174
4. Unter Ausnutzung der Stellung (§ 174 Abs. 2 Nr. 2) Absatz 2 differenziert nach wie vor zwischen Personen unter 18 Jahren und Personen unter 55 16 Jahren (anders als Absatz 1 i.d.F. des Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021, dort können einheitlich Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Opfer sein). Dem liegt offenbar die Erwägung zugrunde, dass die Täter und Opfer verbindende Angehörigkeit zur selben Einrichtung eine schwächere Abhängigkeit und Beeinflussbarkeit begründen kann als die Abhängigkeitsverhältnisse, die in Absatz 1 beschrieben werden. Diese Annahme ist plausibel. Bei Sechzehn- und Siebzehnjährigen ist nicht davon auszugehen, dass ein Sexualkontakt unter den in Absatz 2 angeführten Umständen immer ihre Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung überfordert. Für diese Altersgruppe ist deshalb nach § 174 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 zusätzlich zu prüfen, ob der Täter seine Stellung ausgenutzt hat. Im Urteil müssen die Umstände benannt werden, aus denen sich dies im konkreten Fall ergibt. Die relevanten Umstände können ähnlich divers ausfallen wie der Missbrauch von Abhängigkeit nach § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. Sie können von Einschüchterung und Druck über Versprechungen, die Ausnutzung schwieriger Lebensumstände und/oder Persönlichkeitszügen bis zur Ausnutzung von Übertragungsphänomenen117 reichen (Rdn. 38–41). Es kommt nicht darauf an, ob Jugendlichen ihre persönliche Abhängigkeit bewusst ist,118 es genügt, dass ihnen die Zugehörigkeit zur selben Einrichtung bekannt ist (Rdn. 54). Beim Täter genügt bedingter Vorsatz im Hinblick auf die Ausnutzung seiner Stellung119 (Rdn. 42).
IV. Handlungen nach Absatz 3 § 174 Abs. 3 erstreckt den strafrechtlichen Schutz auf sexuelle Handlungen ohne Körperkon- 56 takt zwischen Täter und Opfer, wenn die Voraussetzungen in Absatz 1 oder Absatz 2 vorliegen. Wie sich aus dem niedrigeren Strafrahmen ergibt, ist das Unrecht von Handlungen ohne Körperkontakt geringer.
1. Handlungen vor dem Schutzbefohlenen § 174 Abs. 3 Nr. 1 setzt voraus, dass der Täter aktiv sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohle- 57 nen vornimmt, die dieser wahrnimmt (§ 184h Nr. 2). Nicht erfasst sind Konstellationen, in denen der Täter beim Sexualkontakt mit einer dritten Person eine passive Rolle einnimmt.120 Strafbar wäre dies nur dann, wenn der Gesetzestext die Variante „von einem Dritten an sich vornehmen lässt“ enthalten würde (s. zur Kritik an den nach wie vor nicht durchgängig systematisch durchdachten Handlungsbeschreibungen Rdn. 14). Die erste Variante bei den sexuellen Handlungen ohne Körperkontakt setzt nach wie vor (s. 58 zur Änderung bei der zweiten Variante Rdn. 60) voraus, dass der Täter gehandelt hat, um sich oder den Schutzbefohlenen zu erregen. Dies bedeutet Absicht im Sinne zielgerichteten Wollens. Es genügt, dass eine bereits bestehende Erregung aufrechterhalten oder gesteigert werden soll.121 Wie sich aus dem Wort „hierdurch“ ergibt, muss der Täter sich oder den Schutzbefohlenen dadurch erregen wollen, dass seine eigene Handlung von diesem wahrgenommen wird.122
117 118 119 120 121 122 53
Klingbeil S. 125 ff. Klingbeil S. 133 f. Fischer Rdn. 16. AA Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 34; Renzikowski MK Rdn. 46. BGH NStZ 2010 32, 33. BTDrucks. VI/3521 S. 25; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 15; Renzikowski MK Rdn. 52; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29. Renzikowski MK Rdn. 52; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29. Hörnle
§ 174
Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen
Es genügt, wenn die Erregungsabsicht eine von mehreren verfolgten Absichten ist. Die Absicht, einen Dritten sexuell zu erregen, reicht nicht aus. 59 Die Absichtsklausel ist im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm zu kritisieren.123 Die Verengung auf sexuelle Motive bedeutet, dass genauso strafwürdige Sachverhalte nicht erfasst werden. Für die Verletzung der Intimsphäre und der sexuellen Selbstbestimmung des Minderjährigen sind die Motive des Täters irrelevant. Nicht strafbar ist es nach geltendem Recht, wenn z.B. die getrennt lebende (Ex-)Partnerin durch sexuelle Handlungen vor dem gemeinsamen Kind geärgert werden soll. Genauso wenig wird erfasst, wenn einem Täter, der seine eigenen sexuellen Interessen verfolgt, die Anwesenheit und die Intimsphäre des Schutzbefohlenen gleichgültig sind, z.B. wenn die Dienste von Prostituierten im selben Zimmer in Anspruch genommen werden. Schließlich ist es auch nicht von § 174 Abs. 3 Nr. 1 erfasst, wenn Schutzbefohlene nur deshalb anwesend sind, weil der Täter sie genutzt hat, um Zugang zu ihren Spielgefährtinnen, Freundinnen etc. zu haben, ohne dass er von der Anwesenheit der Schutzbefohlenen zusätzliche sexuelle Stimulation erwartet. Unsinnig ist insbesondere auch der Ausschluss von Konstellationen, in denen der Täter sexuell vor dem Minderjährigen agiert, um zuschauende Kumpane oder anonyme, per Kamera zugeschaltete Internetchatpartner, also Dritte, sexuell zu stimulieren. Solche nach geltendem Recht straffreien Handlungen können für die betroffenen Minderjährigen schwerer wiegen als das strafbare Vorzeigen von Pornographie (§ 184 Abs. 1 Nr. 1, § 176a Abs. 1 Nr. 3). Immerhin wurde mit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 für die zweite Variante in § 174 Abs. 3 Nr. 2 das Erfordernis der Erregungsabsicht gestrichen. Damit folgte der Gesetzgeber einer (nicht einstimmig ergangenen) Empfehlung der Reformkommission zum Sexualstrafrecht124 (BTDrucks. 19/27928 S. 22). Dies ist zu begrüßen; nicht durchdacht war aber die Entscheidung, die Erregungsabsicht in § 174 Abs. 3 Nr. 1 beizubehalten.
2. Handlungen des Schutzbefohlenen vor dem Täter 60 § 174 Abs. 3 Nr. 2 stellt es unter Strafe, dass der Täter den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, sexuelle Handlungen vor ihm vorzunehmen. Dabei geht es zum einen um sexuelle Aktivitäten des Schutzbefohlenen, die dieser – vor dem Täter – am eigenen Körper oder dem eines Dritten vornimmt. Erfasst ist zum anderen Verhalten ohne Berührungen des eigenen Körpers oder des Körpers eines Dritten, nämlich das sexuell aufreizende Posieren. Es fällt nicht unter § 174 Abs. 3 Nr. 2, wenn ein Schutzbefohlener nur in passiver Weise (etwa: durch Liegenbleiben) duldet, dass Dritte an ihm vor dem Täter sexuelle Handlungen vornehmen, oder wenn der Schutzbefohlene nur Zuschauer bei den sexuellen Handlungen anderer ist. Der Minderjährige muss den sexuellen Kontext nicht erkannt haben (BTDrucks. VI/3521 S. 25; Nestler LK § 184h Rdn. 18). Seit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 ist § 174 Abs. 3 Nr. 2 auch dann anzuwenden, wenn Täter nicht in der Absicht handeln, sich oder den Schutzbefohlenen zu erregen. Das ist praktisch wichtig, da erst die jetzige Gesetzesfassung Sachverhalte vollständig erfasst, in denen ein Täter seine Kinder oder andere Schutzbefohlene benutzt, um pornographische Foto- oder Filmaufnahmen und live übertragene Bilder von deren sexuellen Handlungen zu machen125 (BTDrucks. 19/27928 S. 22). 61 Der Täter muss den Minderjährigen zu dessen aktivem Tun bestimmt haben. Bestimmen setzt im Kontrast zu „vornehmen lassen“ eine aktive Einwirkung des Täters voraus (Rdn. 12). Er muss etwas tun, was einem Bestimmen nach § 26 entspricht, d.h. in kommunikativer Weise auf den Schutzbefohlenen einwirken, um diesen zu einem Verhalten zu bringen, zu dem sich
123 So auch Wolters FS Fischer 583, 595. 124 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 326. 125 S. zur Straflosigkeit nach § 174 Abs. 3 Nr. 2 a.F. BGH StV 2007 184 f. Hörnle
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VI. Täterschaft und Teilnahme
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der Schutzbefohlene ohne die Einwirkung nicht entschlossen hätte.126 Erfasst werden „freundliche“ Überzeugungstaktiken ebenso wie eine durch Drohungen oder Gewalt in Form von vis compulsiva bewirkte Beugung des Willens. Durch vis absoluta kann § 174 Abs. 3 Nr. 2 dagegen nicht erfüllt werden. Im Unterschied zu § 176 Abs. 1 Nr. 2 (dort genügt auch vis absoluta, § 176 Rdn. 17) erfordert § 174 Abs. 3 Nr. 2 aktives Tun des Minderjährigen und somit einen Handlungsentschluss, während § 176 Abs. 1 Nr. 2 Missbrauch am passiv bleibenden Kind einschließt – das muss sich auf die Auslegung des Merkmals „bestimmen“ auswirken.127
V. Subjektiver Tatbestand Alle Tathandlungen nach § 174 verlangen mindestens bedingten Vorsatz, der das Alter und 62 die tatbestandlichen Umstände umfasst: Der Täter muss es zumindest für möglich halten, dass die Person die Schutzaltersgrenze noch nicht überschritten hat;128 er muss die Umstände kennen, die das Verhältnis zu einem Obhutsverhältnis machen, und dieses zumindest in laienhafter Weise als solches einordnen.129 Sind Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 oder Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 anzuwenden, geht ein Teil der Lit. davon 63 aus, dass dem Täter der Zusammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses bzw. seiner Stellung mit den sexuellen Handlungen bewusst sein müsse (Rdn. 42, 55).130 Dies ist nicht überzeugend. Auch insoweit genügt bedingter Vorsatz. Nach den Maßstäben für bedingten Vorsatz (s. dazu Vogel/Bülte LK § 15 Rdn. 103), muss Folgendes genügen: Der Täter erkennt es erstens als möglich und nicht ganz fernliegend, dass eine Abhängigkeit bzw. ein Zusammenhang mit seiner Stellung in der Einrichtung besteht, und er hält es zweitens für möglich, dass diese Umstände maßgeblich für das Zustandekommen des Sexualkontaktes sind, und nimmt dies billigend in Kauf.131 Es bedarf einer kritischen Beweiswürdigung, wenn Täter vorbringen, nach ihrer subjektiven Vorstellung habe sich der Sexualkontakt nur aufgrund ihrer persönlichen Attraktivität, wechselseitiger Zuneigung o.ä. ergeben. Je jünger der Schutzbefohlene, je größer der Altersunterschied und je gewichtiger die Abhängigkeit des Schutzbefohlenen war, umso unwahrscheinlicher wird es, dass der Täter es nicht wenigstens ernstlich für möglich hielt, Abhängigkeit zu missbrauchen.
VI. Täterschaft und Teilnahme Täter kann nur derjenige sein, in dessen Person die spezifischen Umstände im Verhältnis zum 64 Minderjährungen vorliegen. Es handelt sich in allen Tatbestandsvarianten um Sonderdelikte.132 Taten nach Absatz 1 und Absatz 2 sind aber keine eigenhändigen Delikte (Rdn. 8). Auch die sexuellen Handlungen nach § 174 Abs. 3 Nr. 1 müssen nicht selbst vorgenommen werden. Die Bestimmungshandlungen nach § 174 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Nr. 2 sind ebenfalls keine eigenhändigen Delikte.
126 BGHSt 9 111, 113; BGH NJW 1985 924; s. zum Bestimmen auch BGHSt 45 373, 374. 127 Dies verkennen BGHSt 41 242, 245 f; Fischer Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27; wie hier Renzikowski MK Rdn. 49. 128 BGH NJW 1953 152; BGH bei Miebach NStZ 1998 131. 129 Wolters SK Rdn. 17. 130 Renzikowski MK Rdn. 40: Dolus directus sei erforderlich. 131 Dolus eventualis halten für ausreichend Fischer Rdn. 16; Frommel NK Rdn. 23; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 16; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28. 132 Fischer Rdn. 18; Frommel NK Rdn. 27; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 31. AA zu § 174 Abs. 1 Nr. 2 a.F. Auerbach Die eigenhändigen Delikte, S. 167. 55
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Ist der die sexuelle Handlung Vornehmende aus § 174 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 zu bestrafen, können sich Teilnehmende als Gehilfen strafbar machen. Nach alter Rechtslage (vor dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt v. 16.6.2021) bestand eine Strafbarkeitslücke, wenn z.B. Mutter oder Vater eines Minderjährigen andere Personen, für die der Minderjährige nicht Schutzbefohlener ist, bei deren sexuellen Aktivitäten mit dem Minderjährigen unterstützen. Erfüllt ein Haupttäter nicht den Tatbestand des § 174, fällt Unterstützung nicht unter § 27. Es blieb für den „Gehilfen“ § 180 Abs. 1 (Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger), wobei aber das Unrecht in einer Verurteilung nach § 180 Abs. 1 nicht vollumfänglich zum Ausdruck kommt. Mit der Aufnahme von Bestimmen als eigenständige Form der Täterschaft in § 174 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 sind nun aber Sachverhalte erfasst, in denen der Unterstützer auf den Schutzbefohlenen eingewirkt hat. 66 Beihilfe ist auch durch Unterlassen möglich, wenn eine Pflicht zum Einschreiten besteht, wie bei Eltern der Schutzbefohlenen oder anderen Schutzgaranten (BGH NStZ 1984 164 m. Anm. Ranft JZ 1987 908; NStZ 2007 699). Eine solche Pflicht trifft den Schulleiter bei sexuellem Missbrauch von Schülern durch einen Lehrer133 und Klassen- sowie Vertrauenslehrer, die von sexuellen Übergriffen eines Kollegen Kenntnis haben.134 Hinsichtlich der Teilnehmer an einer Tat ist umstr., ob § 28 Abs. 1 gilt. Dies wird zu Recht 67 verneint, da die Abhängigkeitsverhältnisse keine besonderen persönlichen Merkmale sind, sondern tatbezogene Merkmale.135 Die Unrechtsrelevanz der Obhutsverhältnisse erschließt sich aus der Perspektive der Opfer: Sie erschweren es Schutzbefohlenen, selbstbestimmt zu entscheiden. Die Strafe für Anstifter und Gehilfen ist nicht wegen des Fehlens einer eigenen Zurückhaltungspflicht zu mildern. Wenn der Dritte den Täter eines Delikts nach § 174 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 angestiftet 68 oder ihn beim Bestimmen unterstützt hat, macht er sich aus den §§ 174 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, 26 oder 27 strafbar. Diese Strafbarkeit als Anstifter oder Gehilfe tritt ggf. hinter eine eigene Täterstrafbarkeit aus § 174 zurück, wenn die betroffenen Minderjährigen auch gegenüber dem Dritten Schutzbefohlene waren. Der Schutzbefohlene ist straflos, auch wenn er zu der Tat angestiftet hat136 (Vor § 174 Rdn. 68). 65
VII. Versuch 69 Der Versuch ist gemäß Absatz 4 strafbar. Es liegt ein untauglicher, aber regelmäßig strafbarer (s. § 23 Abs. 3) Versuch vor, wenn der Täter irrig glaubt, es bestünde eines der in § 174 Abs. 1 aufgezählten Abhängigkeitsverhältnisse oder die gemeinsame Verbindung zu einer Einrichtung nach § 174 Abs. 2. Der Versuch beginnt (§ 22), wenn der Täter zur Verwirklichung des Tatbestandes, d.h. zur 70 Vornahme der geplanten sexuellen Handlung unmittelbar ansetzt. Dies ist dann der Fall, wenn die körperliche Berührung oder die Ausführung anderer sexueller Handlungen unmittelbar bevorsteht. Es wird vertreten, dass ein Versuch bereits mit einer verbalen Einwirkung auf den Minderjährigen beginne, etwa wenn der Täter versucht, diesen zur Duldung oder Vornahme einer sexuellen Handlung zu überreden.137 Dies ist sowohl in den Fällen des Absatzes 1 und 2 als auch bei Absatz 3 Nr. 2 mit § 22 nur zu vereinbaren, wenn nach der Vorstellung des Täters ein kurzer verbaler Austausch ohne zeitliche Verzögerung in sexuelle Handlungen übergehen 133 BGH NStZ-RR 2008 9 f. 134 BGH NStZ 2008 91, 92. 135 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 32; ebenso Fischer Rdn. 18; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 18; Wolters SK Rdn. 19. AA Jakobs AT 23/25; Puppe NK §§ 28, 29 Rdn. 68; Renzikowski MK Rdn. 54.
136 Fischer Rdn. 18; Frommel NK Rdn. 27; Herzberg JuS 1975 792, 793; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 18; Renzikowski MK 54; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 32; Wolters SK Rdn. 19.
137 BGH bei Dallinger MDR 1974 722; Frommel NK Rdn. 26. Hörnle
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VIII. Strafzumessung
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soll.138 Auch dann, wenn die Tat im Bestimmen des Opfers liegt (§ 174 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Nr. 2), ist noch nicht wegen Versuchs zu bestrafen, wenn der Tatplan zwischen der kommunikativen Beeinflussung des Minderjährigen und der sexuellen Handlung noch eine erhebliche Zeitspanne vorsah (s. dazu § 176 Rdn. 29).139 Fand eine körperliche Berührung statt oder eine sexuelle Handlung vor einer Person, ist 71 die Tat vollendet. Dies gilt auch dann, wenn der Täter sexuelle Erregung oder Befriedigung erst durch weitere im Anschluss geplante, aber nicht mehr verwirklichte Sexualakte erreicht hätte.140
VIII. Strafzumessung 1. Strafzumessung bei Taten nach Absatz 1 und Absatz 2 a) Gesetzlicher Strafrahmen und weitere Rechtsfolgen. Der gesetzliche Strafrahmen sieht 72 in § 174 Abs. 1 und Abs. 2 fünf Jahre Freiheitsstrafe als Höchststrafe vor. Die Mindeststrafe liegt seit dem SexualdelÄndG v. 27.12.2003 bei drei Monaten Freiheitsstrafe. Eine kurzzeitige Freiheitsstrafe unter sechs Monaten ist gemäß § 47 Abs. 1 nur zu verhängen, wenn besondere Umstände dies zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Andernfalls ist nach § 47 Abs. 2 Geldstrafe zwischen 90 und 180 Tagessätzen zu wählen. Bei den Rechtsfolgen ist außerdem in schweren Fällen an die Verhängung eines Berufsverbots (§ 70) zu denken (BGH NStZ 2002 198), s. ferner § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 JArbSchG.141 Führungsaufsicht ist möglich (§ 181b), ebenso Sicherungsverwahrung (§ 66, insbes. Absatz 3). b) Bestimmung der Tatschwere. Teilweise verlangte die Rspr. Ausführungen dazu, wie die 73 sexuelle Entwicklung der Opfer vor der Tat verlaufen war, welche Vorerfahrungen sie hatten142 und welche Folgen das Verhalten des Angeklagten für diese Entwicklung hatte.143 Dies ist nicht überzeugend. Sexuelle Vorerfahrungen der betroffenen Minderjährigen sind für die Bewertung des Tatunrechts in der Regel irrelevant, da aus Beziehungen in anderen Kontexten nichts über den Missbrauch bei Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses abgeleitet werden kann. Wenn in einem konkreten Fall nach schwerwiegendem Missbrauch psychische Probleme nachzuweisen und mit hoher Plausibilität auf den Missbrauch zurückzuführen sind, können diese als verschuldete Auswirkungen der Tat berücksichtigt werden (§ 176 Rdn. 44). Bei Tatserien muss allerdings darauf geachtet werden, ob die Folgen konkreten Einzeltaten zugeordnet werden können; ansonsten sind sie nur bei der Gesamtstrafenbildung zu berücksichtigen (BGH BeckRS 2021 7025; BGH NStZ-RR 2022 170, 171). Im Übrigen ist aber das Erfolgsunrecht mit Blick auf den Tatzeitpunkt zu bestimmen. Eine nach Bewertung des Tatunrechts adäquate Strafe ist nicht deshalb zu mindern, weil zum Urteilszeitpunkt keine seelischen Beeinträchtigungen feststellbar sind. Derartige Folgen können mit zeitlicher Verzögerung auftreten. Die Feststellung, dass das Opfer die Tat „heute nicht mehr als so schlimm“ empfinde, hat keine Strafzumessungsrelevanz.144
138 139 140 141
Renzikowski MK Rdn. 56; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 30. AA zu § 174 Abs. 3 Nr. 2 Renzikowski MK Rdn 57; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 30. Anders noch BGHSt 9 13, 14 f zum alten Recht. Jugendarbeitsschutzgesetz v. 12.4.1976 (BGBl. I S. 965), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes v. 16.7.2021 (BGBl. I S. 2970). 142 BGH NJW 1995 2234, 2235; NStZ-RR 1997 98, 99. 143 BGH NJW 1995 2234, 2235. 144 AA BGH NStZ-RR 2007 71, 72 f. 57
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Ein wichtiger Strafzumessungsfaktor ist die Eingriffsintensität der sexuellen Handlung (s. dazu § 176 Rdn. 38). Das Erfolgsunrecht ist bei Berührungen des Körpers, die nur knapp die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, am niedrigsten.145 Bei penetrierenden Sexualakten ist der Erfolgsunwert dagegen hoch, s. § 176c Abs. 1 Nr. 2.146 Eine an der Untergrenze des Strafrahmens liegende Strafe ist in solchen Fällen nicht angemessen (BGH NStZ-RR 1998 236 f). Eine gesteigerte Verletzung der Intimsphäre liegt ferner vor, wenn mehrere Täter einen Schutzbefohlenen missbrauchen (vgl. § 176c Abs. 1 Nr. 3). Auch sonstige Begleitumstände, die das Ausmaß der Demütigung steigern (z.B. wenn eine Schutzbefohlene wie eine Prostituierte behandelt wird)147 oder mit Pein für das Opfer verbunden waren (körperliche Schmerzen,148 die Verursachung einer Schwangerschaft149 oder einer Erkrankung, wenn die Ansteckung für den Täter vorhersehbar war150) erhöhen das Erfolgsunrecht. Außerdem kommt es auf die Häufigkeit der Sexualkontakte an: Wiederholte Handlungen bedeuten im Vergleich mit ähnlichen, aber nur einmaligen Übergriffen größeres Erfolgsunrecht;151 s. aber zur aA der Rspr., die auf gesunkene Hemmschwellen verweist, § 176 Rdn. 39. Ein weiterer Strafzumessungsfaktor ist der Grad der Abhängigkeit des Minderjährigen vom Täter. Je existenzieller Abhängigkeit ist, umso größer ist der Druck auf den Minderjährigen und das dadurch geprägte Unrecht. Deshalb wiegt z.B. eine sexuelle Handlung durch Eltern oder andere Sorgeberechtigte, mit denen der Minderjährige zusammenlebt, schwerer als dieselbe Handlung, die durch jemanden begangen wird, der nur partielle Betreuungspflichten hat. Das Alter des Minderjährigen hat indizielle Bedeutung: Je jünger der Schutzbefohlene ist, umso wahrscheinlicher ist ein hoher Grad von Abhängigkeit. Liegt Tateinheit mit § 176 vor, wirkt sich dies strafschärfend aus.152 Ferner ist zu berücksichtigen,153 mit welcher Vorgehensweise Abhängigkeit missbraucht wurde. Strafschärfend wirkt sich massiver Druck auf den Schutzbefohlenen aus, nicht nur bei Tateinheit mit § 177 oder § 240, sondern auch, wenn Schikanen u.ä. angewandt wurden. Der BGH wertet es strafmildernd, wenn Schutzbefohlene „dem Täter Anlass gaben, sich ihnen zu nähern“154 oder wenn sie die Initiative ergreifen (bzw. der geständige Täter angibt, dies sei so gewesen).155 Hier wird man danach differenzieren müssen, ob es sich um einen Fall im Grenzbereich zu Absatz 5 handelte (Rdn. 83) oder ob Unreife hinter einem faktischen Einverständnis stand. In letzterem Fall ist das Entgegenkommen des Opfers kein selbstständiger Strafmilderungsgrund, da Mangel an Urteilskraft zum gewöhnlichen Tatbild gehört. Ein solcher Umstand spielt nur eine mittelbare Rolle – als Indiz gegen eine Anwendung einschüchternder oder schikanöser Taktiken. Folgende Umstände dürfen nicht strafschärfend berücksichtigt werden: Dass das Opfer dem Täter nicht entgegenkam und keinen Anlass zur Tat gab, gehört ebenso zum normalen Erscheinungsbild wie der Umstand, dass der Täter keine echte Liebesbeziehung angestrebt hat.156 Zu dem in § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 vertypten Unrecht gehört ferner, dass ein Vertrauensverlust bei dem geschädigten Kind eingetreten und der Familienverband beeinträchtigt worden 145 146 147 148 149 150
Renzikowski MK Rdn. 62. S. zur Bedeutung von Beischlaf für das Tatunrecht BGH NStZ-RR 1998 236 f; 2008 142, 143. BGH NStZ 2001 28, 29. Renzikowski MK Rdn. 62. Renzikowski MK Rdn. 62. Dazu, dass bei Folgeschäden Vorhersehbarkeit genügt Hörnle Tatproportionale Strafzumessung (1999) S. 253 ff; Schäfer/Sander/von Gemmeren Praxis der Strafzumessung Rdn. 597. 151 AA Renzikowski MK Rdn. 62. 152 BGH bei Miebach NStZ 1993 224; Renzikowski MK Rdn. 62. 153 BGH NStZ-RR 1997 98 f. 154 BGH NStZ 1982 463. 155 S. BGH NStZ-RR 1997 98 f. S. auch BGH NJW 1995 2234, 2235 dazu, dass Urteilsgründe auf das Opferverhalten eingehen müssen. 156 BGH NStZ 1982 463; BGH bei Miebach NStZ 1993 223; Renzikowski MK Rdn. 64. Hörnle
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ist (BGH BeckRS 2021 5751).157 Die strafschärfende Anrechnung verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot, § 46 Abs. 3.158 Das Gleiche gilt für die Begründung, dass der Täter das Näheverhältnis zu seiner Stieftochter159 oder das Vertrauen der Kindesmutter160 ausgenutzt habe sowie für die Begründung, dass die sexuellen Handlungen in der gemeinsam bewohnten Familienwohnung stattfanden (BGH NStZ-RR 2022 170). Als zulässig wurde es dagegen erachtet, darauf abzustellen, dass Tatort das Kinderzimmer war, also ein Rückzugsort für das Opfer (BGH NStZRR 2022 170). Beim Missbrauch des eigenen leiblichen Kindes steht dagegen § 46 Abs. 3 einer Verwertung des Umstands nicht entgegen, dass Vater und Tochter zusammenlebten und der Vater infolge der Abwesenheit der Mutter die einzige Bezugsperson war. Dies kann unter dem Aspekt „Ausmaß der Abhängigkeit“ einfließen (BGH NJW 1994 1078). Zu vermeiden sind allgemein moralisierende Erwägungen, etwa dass der Täter „seine Stieftochter als bloßes Objekt seiner sexuellen Bedürfnisse betrachtet“ habe (BGH NStZ 2002 646). Die berufliche Stellung des Täters, etwa als Beamter, darf nicht strafschärfend gewertet werden, wenn sie im Verhältnis zum Opfer keines der in § 174 aufgeführten Abhängigkeitsverhältnisse begründet hat.161 Anders verhält es sich, wenn dem Täter vorgeworfen wird, seine Position in der öffentlichen Jugendhilfe ausgenutzt zu haben.162 Irrelevant sind auch Ausführungen zu den sexuellen Beziehungen des Täters innerhalb seiner Ehe.163 S. zu der umstrittenen Frage, ob sich ein längerer zeitlicher Abstand zwischen Tat und 79 Verurteilung erheblich strafmildernd auswirkt § 176 Rdn. 50.
2. Strafzumessung bei Taten nach Absatz 3 a) Gesetzlicher Strafrahmen. Der gesetzliche Strafrahmen ist niedriger als in Absatz 1 und 80 Absatz 2: Er reicht von Geldstrafe (die Minimalstrafe liegt, § 40 Abs. 1, bei Geldstrafe in Höhe von fünf Tagessätzen) bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Das geringere Strafniveau ergibt sich aus dem Umstand, dass Handlungen ohne Körperkontakt die Intimsphäre weniger intensiv verletzen und deshalb meist deutlich geringeres Erfolgsunrecht verwirklichen als solche mit Körperkontakt. b) Bestimmung der Tatschwere. Wie eine konkrete Tat innerhalb des Strafrahmens zu veror- 81 ten ist, hängt maßgeblich vom Erfolgsunrecht ab, das sich auch hier aus der Intensität der sexuellen Handlung ergibt sowie dem Ausmaß der Abhängigkeit und des ausgeübten Druckes (Rdn. 74–76). Wird der Minderjährige dazu bestimmt, selbst vor dem Obhutspflichtigen sexuell aktiv zu werden (Absatz 3 Nr. 2), bedeutet dies in der Regel eine größere Demütigung als die nur passive Rolle, die einem Zuschauer zukommt (Absatz 3 Nr. 1). Deshalb ist bei vergleichbaren sexuellen Aktivitäten der Unrechtsgehalt von Taten nach Nummer 2 größer als von solchen nach Nummer 1. Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 3 Nr. 2, um Foto- oder Filmaufnahmen vom Schutzbefohlenen anzufertigen, so wird hierdurch der Eingriff in dessen Privatsphäre und das Erfolgsunrecht vertieft (so die hinter § 176c Abs. 2 stehende Wertung). Wegen des bei Handlungen ohne Körperkontakt geringeren Unrechts wird oft, zumal bei 82 Handlungen nach § 174 Abs. 3 Nr. 1, eine Geldstrafe zu wählen sein. Sollte bei exhibitionisti157 Vgl. auch BGH NStZ 2002 646. 158 BGH bei Miebach NStZ 1994 223; NStZ 1996 121; NStZ 1998 131; OLG Bamberg NStZ-RR 2017 369; Renzikowski MK Rdn. 63; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34. 159 BGH StV 2000 555. 160 BGH NStZ 2011 337. 161 BGH bei Theune NStZ 1986 496. 162 BGH bei Pfister NStZ-RR 2004 360. 163 BGH StV 1998 656. 59
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schen Handlungen, die unter Absatz 3 Nr. 1 fallen, eine Freiheitsstrafe in Betracht kommen, ist die erweiterte Möglichkeit der Aussetzung zur Bewährung nach § 183 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 zu beachten.
3. Absehen von Strafe nach Absatz 5 83 Bei Taten nach § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 (auch in Verbindung mit Absatz 3) erlaubt das Gesetz, von Strafe abzusehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist (die Staatsanwaltschaft kann ggf. mit Zustimmung des Gerichts schon von einer Klageerhebung absehen, § 153b StPO). Das 49. StÄG v. 21.1.2015 strich den Verweis auf „unter Berücksichtigung des Verhaltens des Schutzbefohlenen“, was zu begrüßen ist (s. dazu Hörnle/Klingbeil/Rothbart S. 141; leider wurde übersehen, auch § 182 Abs. 6 StGB entsprechend zu ändern). Im Gesetzgebungsverfahren wurde auf „tragische Konfliktsituationen“ verwiesen, die sich wegen der starren Altersgrenzen für „echte Liebesbeziehungen“ ergeben können.164 Entscheidend ist, dass die gesetzliche Fiktion der stets fehlenden Selbstbestimmung im Einzelfall unzutreffend sein kann, s. BTDrucks. 18/2601 S. 28. In seltenen Ausnahmefällen ist vorstellbar, dass Jugendliche auch innerhalb der Obhutsverhältnisse nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ihre Interessen beurteilen und ggf. durchsetzen können. Gelangt der Tatrichter zu der Überzeugung, dass die Vermutung von Einwilligungsunfähigkeit für den betroffenen Jugendlichen in der konkreten Interaktion widerlegt ist, ist von Strafe abzusehen.165 Vorstellbar ist eine hinreichend selbstbestimmte Entscheidung vor allem, wenn Jugendliche kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahres stehen und über gut ausgeprägtes Reflexionsvermögen verfügen, und außerdem im Verhältnis zum Täter Altersunterschied und soziales Gefälle nicht besonders stark ausgeprägt waren. Bei Taten nach § 174 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ist an Sachverhalte zu denken, bei denen im konkreten Einzelfall alle Beteiligten vermitteln, dass die Zugehörigkeit zur selben Einrichtung tatsächlich keine Rolle gespielt habe. Überholt ist die Einschätzung, es komme maßgeblich darauf an, dass der Minderjährige die Initiative ergreift (so noch BTDrucks. VI/3521 S. 21). Sexualisiertes Verhalten erlaubt nicht den Schluss auf einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität. 84 Absatz 5 kann ferner angewandt werden, wenn der Erfolgsunwert der Tat gering ist, also die sexuelle Handlung die Schwelle des § 184h Nr. 1 nur geringfügig überschritten hat,166 außerdem, wenn in Fällen nach § 174 Abs. 3 Nr. 1 der Minderjährige sexuelle Handlungen nur gehört, nicht aber beobachtet hat. Aus der Festlegung auf Fälle geringen Unrechts folgt, dass schuldrelevante Feststellungen (etwa eine Schuldminderung aufgrund eines Rausches oder anderer Ausnahmezustände) nicht geeignet sind, ein Absehen von Strafe zu begründen.167
IX. Konkurrenzen 85 Bei einer Konkurrenz von § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 3, ist Nummer 3 als das speziellere Gesetz anzuwenden.168 Bei Minderjährigen unter 16 Jahren ist Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 vorrangig vor Nr. 2. Absatz 3 tritt hinter Absatz 1 und Absatz 2 zurück, wenn es sich um ein einheitliches Tatgeschehen handelt.169 Ein versuchtes 164 BTDrucks. VI/3521 S. 21. 165 AA (nur fakultatives Absehen von Strafe) Lackner/Kühl/Heger Rdn. 17; Renzikowski MK Rdn. 67; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 33. Wie hier Jung/Kunz NStZ 1982 412.
166 AA Renzikowski MK Rdn. 66. 167 BTDrucks. 7/514 S. 6; Renzikowski MK Rdn. 66; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 33; Wolters SK Rdn. 23. 168 Fischer Rdn. 21; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 19; Renzikowski MK Rdn. 58; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 35; Wolters SK Rdn. 21. 169 Renzikowski MK Rdn. 58; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 35; Wolters SK Rdn. 21. Hörnle
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X. Verjährung
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Vergehen nach Absatz 1 und Absatz 2 steht aber mit einem vollendeten Vergehen nach Absatz 3 in Tateinheit. Tatmehrheit ist auch dann anzunehmen, wenn verschiedene sexuelle Handlungen auf einem einheitlichen Missbrauch der in § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 174 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 vorausgesetzten Abhängigkeit bzw. Stellung des Täters beruhen (BGH NJW 2002 381, 382). Wenn eine Bestimmungshandlung nach § 174 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, 3 Nr. 2 zu mehrfachen sexuellen Handlungen führt, ist ebenfalls von Tatmehrheit auszugehen. Tateinheit mit § 171 ist möglich;170 bei Handlungen mit Körperkontakt nach § 174 Abs. 1 86 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Tateinheit mit den §§ 174a bis 174c; § 176 Abs. 1,171 auch i.V.m. §§ 176c, 176d; § 177,172 auch i.V.m. § 178; § 182 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, sowie mit § 240, §§ 212, 211 und §§ 223 ff. Taten nach § 182 Abs. 3 und § 182 Abs. 1 Nr. 1 treten aber hinter die spezielleren Tatbestände in § 174 Abs. 1 und Abs. 2 zurück, sofern sich die Zwangslage (§ 182 Abs. 1 Nr. 1) oder die fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung (§ 182 Abs. 3) allein aus der in § 174 beschriebenen Beziehung zwischen Täter und Opfer ergibt.173 § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 kann in Tateinheit zu § 173 stehen.174 Tathandlungen, die unter das Merkmal „bestimmen“ fallen (§§ 174 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 87 Satz 2, Abs. 3 Nr. 2), können in Tateinheit mit § 176 Abs. 1 Nr. 2, § 176a Abs. 1 Nr. 2, § 176b Abs. 1 sowie §§ 174a–174c, 177 jeweils i.V.m. § 27, § 240, §§ 223 ff anzuwenden sein. Bei Handlungen vor einem Minderjährigen (§ 174 Abs. 3 Nr. 1) kann Tateinheit mit den §§ 183 und 183a bestehen. Diese Tatbestände werden nicht von § 174 verdrängt,175 weil die Modalitäten „Belästigen“ und „ein Ärgernis erregen“ von § 174 nicht erfasst werden.
X. Verjährung Taten nach § 174 Abs. 1 bis Abs. 3 verjähren gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 nach fünf Jahren, wobei 88 die Verjährung bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers ruht (§ 78b Abs. 1 Nr. 1). Die zuvor geltende Ruhensfrist lief nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (seit dem SexualdelÄndG v. 27.12.2003) bzw. dem 21. Lebensjahr (seit dem STORMG v. 26.6.2013). Beide Fristen waren zu kurz, wenn man die spezielle Situation minderjähriger Opfer von Sexualdelikten berücksichtigt. Die längere Ruhensfrist, die nunmehr § 78b Abs. 1 Nr. 1 vorsieht, ist sinnvoll, weil Betroffene oft Zeit brauchen, um das Geschehene zu verarbeiten und Distanz zum Täter zu gewinnen, und erst danach in der Lage sind, darüber nachzudenken, ob sie ihr Wissen den Strafverfolgungsbehörden offenbaren sollten.176 Die Ruhensfrist gilt auch für Taten, die vor dem jeweiligen Zeitpunkt der Gesetzesänderung bereits begangen waren, es sei denn, diese Taten waren zu diesem Zeitpunkt schon verjährt.177 Wenn das Delikt nach § 174 verjährt ist, nicht aber das tateinheitlich verwirklichte nach 89 § 176, kann bei der Strafzumessung aus § 176 strafschärfend berücksichtigt werden, dass das Kind dem Täter zur Erziehung anvertraut war.178 Zu beachten ist allerdings, dass dies nur in 170 171 172 173
Vgl. BGH bei Miebach NStZ 1995 221; Renzikowski MK Rdn. 59; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 35. BGHSt 46 85, 86. BGH NStZ 1997 337; Wolters SK Rdn. 21. So auch für das Konkurrenzverhältnis zwischen § 182 Abs. 1 Nr. 1 und § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGH NStZ-RR 2014 46, 47; Wolters SK Rdn. 31. Anders (Tateinheit) für das Verhältnis von § 182 Abs. 3 Nr. 1 zu § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGH NStZ 2001 194. 174 BGH bei Dallinger MDR 1975 21; Wolters SK Rdn. 40. 175 Renzikowski MK Rdn. 59; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 35. AA Fischer Rdn. 21; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 19; Wolters SK Rdn. 21. 176 Hörnle/Klingbeil/Rothbart S. 69 ff; dem sich anschließend BTDrucks. 18/2601 S. 13 f. 177 BGH NStZ 2005 89; BGH NStZ 2008, 146; BGH NStZ-RR 2012 143; NStZ-RR 2013 373 f; BGH BeckRS 2018 26615; BeckRS 2021 5151. 178 BGH bei Miebach NStZ 1997 120; NStZ 1998, 132; BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 322; NStZ-RR 2002 360; BGH NStZ 2008 146. S. dazu auch Rohleder Die Folgen des Wegfalls der fortgesetzten Tat, S. 520 f. 61
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§ 174
Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen
eingeschränktem Umfang möglich ist; dem Abhängigkeitsverhältnis darf keine maßgebliche Bedeutung beigemessen werden.179 Kann nicht aufgeklärt werden, ob eine sexuelle Handlung vor oder nach dem Erreichen des 14. Lebensjahres geschah, ist im Hinblick auf die Anwendung von § 176 in dubio pro reo vom späteren Tatzeitpunkt auszugehen. Für die dann allein mögliche Verurteilung aus § 174 ist irrelevant, dass dieses Delikt bei Zugrundelegung des früheren Tatzeitpunkts bereits verjährt gewesen wäre (BGHSt 46 85, 86 f).180
179 BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 360; BGH NStZ-RR 2008 142, 143. 180 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 19. Hörnle
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§ 174a Sexueller Mißbrauch von Gefangenen, behördlich Verwahrten oder Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen (1) Wer sexuelle Handlungen an einer gefangenen oder auf behördliche Anordnung verwahrten Person, die ihm zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch seiner Stellung vornimmt oder an sich von der gefangenen oder verwahrten Person vornehmen läßt oder die gefangene oder verwahrte Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine Person, die in einer Einrichtung für kranke oder hilfsbedürftige Menschen aufgenommen und ihm zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, dadurch mißbraucht, daß er unter Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit dieser Person sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt. (3) Der Versuch ist strafbar.
Schrifttum Amelung Die Zulässigkeit der Einwilligung bei den Amtsdelikten, Festschrift Dünnebier (1982) 487; Bachmann/Hercek u.a. Sexueller Missbrauch in der Therapie: Sexualität zwischen Patienten und Behandelnden in psychiatrischen Krankenhäusern (2000); Bungart Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen (2005); Fegert/Wolff (Hrsg.) Kompendium „Sexueller Missbrauch in Institutionen“ (2015); Koeniger Der Missbrauch abhängiger Personen, NJW 1957 481; Laubenthal Der strafrechtliche Schutz Gefangener und Verwahrter vor sexuellen Übergriffen, Festschrift Gössel (2002) 359; ders. Schutz des Strafvollzugs durch das Strafrecht, Festschrift Otto (2007) 659; Oberlies Selbstbestimmung und Behinderung – Wertungswidersprüche im Sexualstrafrecht? in Zinsmeister (Hrsg.) Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen und das Recht (2003) 157; Sick/Renzikowski Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, Festschrift Schroeder (2006) 603; Theede Unzucht mit Abhängigen (1967); Wissink u.a. Reports of Sexual Abuse of Children in State Care: A Comparison between Children with and without Intellectual Disability, Journal of Intellectual & Developmental Disability 2018 152. Vgl. außerdem die Schrifttumsangaben bei § 174, § 174c und Vor § 174.
Entstehungsgeschichte Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (§ 1030, 2. Theil, 20. Titel) bedrohte den Aufseher eines Gefängnisses, eines Arbeits- oder Waisenhauses, der die unter seiner Aufsicht stehenden Personen sexuell missbrauchte, mit Gefängnis- oder Zuchthausstrafe von sechs Monaten bis zu zwei Jahren. § 142 Nr. 3 StGB für die Preußischen Staaten v. 14.4.1851 und ihm folgend § 174 Abs. 1 Nr. 3 RStGB v. 15.5.1871 erstreckten die Strafbarkeit auf sämtliche Beamte, Ärzte und andere Medizinalpersonen, die in Gefängnissen oder öffentlichen Anstalten für Kranke, Arme und andere Hilflose beschäftigt oder angestellt waren. Die Strafrechtsangleichungsverordnung v. 29.5.19431 vereinfachte und erweiterte § 174 a.F. Gemäß der nach dem 29.5.1943 geltenden Fassung machte sich nach § 174 Nr. 2 strafbar, wer unter Ausnutzung seiner Amtsstellung oder seiner Stellung in einer Anstalt für Kranke und Hilfsbedürftige einen anderen zur Unzucht missbrauchte.2 Das 4. StrRG v. 23.11.1973 (Vor § 174 Rdn. 6) schuf die §§ 174a und 174b. Der Regierungsentwurf zum 4. StrRG sah vor, in § 174a auch die minderjährigen Bewohner eines der Erziehung dienenden Heimes (darunter auch Internate, Landschulheime etc., also Institutionen, die vom Begriff „auf behördliche Anordnung verwahrt“ nicht erfasst werden) zu schützen. Dieser Vorschlag wurde nicht aufgegriffen.3 Im Zuge des Bemühens um geschlechtsneutrale Fassungen hat das 6. StrRG v. 26.1.1998 (Vor § 174 Rdn. 17) – ohne inhaltliche Änderung – in Absatz 1 den „Gefangenen“ und den „auf behördliche Anordnung Verwahrten“ durch die „gefangene oder auf behördliche Anordnung verwahrte Person“ ersetzt und in Absatz 2 den „Insassen
1 RGBl. I S. 339. 2 Vgl. dazu Koeniger NJW 1957 481. 3 BTDrucks. VI/3521 S. 26. 63 https://doi.org/10.1515/9783110490121-003
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§ 174a
Sexueller Mißbrauch von Gefangenen oder Kranken
einer Anstalt für Kranke oder Hilfsbedürftige“ durch die „Person, die in einer Einrichtung für kranke oder hilfsbedürftige Menschen stationär aufgenommen ist“.4 Das SexualdelÄndG v. 27.12.2003 (Vor § 174 Rdn. 21) strich die Modalität „stationär“ und setzte die Untergrenze des Strafrahmens (wie auch in den §§ 174, 174b) höher: Diese liegt nun nicht mehr bei Geldstrafe, sondern bei drei Monaten Freiheitsstrafe. Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 (Vor § 174 Rdn. 29) hat, einer Empfehlung der Reformkommission zum Sexualstrafrecht entsprechend,5 bei der Beschreibung der sexuellen Handlungen in Abs. 1 und Abs. 2 die Variante hinzugefügt, dass der Täter das Opfer zur Vornahme oder Duldung von sexuellem Körperkontakt mit Dritten bestimmt.
Übersicht I. 1. 2.
Normzweck Schutz sexueller Selbstbestimmung 6 Interessen der Allgemeinheit
II.
Missbrauch von gefangenen oder verwahrten Personen (Absatz 1) Objektiver Tatbestand 7 a) Geschützte Personen 8 aa) Gefangene Personen 10 bb) Verwahrte Personen 13 b) Täter 21 c) Tathandlungen 23 d) Missbrauch der Stellung 30 Subjektiver Tatbestand 31 Täterschaft und Teilnahme 33 Versuch Strafzumessung
a) b)
1 III.
1.
2. 3. 4. 5.
1.
2. 3.
Gesetzlicher Strafrahmen Bestimmung der Tatschwere
34 35
Missbrauch von kranken und hilfsbedürftigen Personen (Absatz 2) Objektiver Tatbestand 37 a) Geschützte Personen 45 b) Täter 48 c) Sexuelle Handlungen d) Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbe49 dürftigkeit 55 Subjektiver Tatbestand Täterschaft und Teilnahme; Versuch; 56 Strafzumessung
IV.
Konkurrenzen
V.
Verjährung
57 58
I. Normzweck 1. Schutz sexueller Selbstbestimmung 1 Absatz 1 und Absatz 2 dienen – so die h.M. in Rspr. und Schrifttum6 – dem Schutz sexueller Selbstbestimmung. Von der Erwartung, dass Erwachsene Sexualkontakte grundsätzlich eigenverantwortlich gestalten können und sie deshalb (jenseits der in § 177 beschriebenen Bedingungen) keines strafrechtlichen Schutzes bedürfen, wird für ungewöhnliche Lebenssituationen eine Ausnahme gemacht. § 174a beschreibt Umstände, unter denen ein erhebliches Machtungleichgewicht besteht. 2 Offensichtlich ist das Machtungleichgewicht bei gefangenen und verwahrten Personen (Absatz 1). Prägend sind zum einen äußere Bedingungen, die die Spielräume für die Abwehr sexueller Übergriffe einengen: Der begrenzte physische Aktionsraum in den beschriebenen Einrichtungen erschwert es, zudringlichem Verhalten auszuweichen. Zum anderen besteht eine 4 BTDrucks. 13/8267 S. 6, 9; 13/8991 S. 10. 5 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 335. 6 BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 354 (zu Absatz 1); OLG Hamm NJW 1977 1499, 1500 (zu Absatz 2); Fischer Rdn. 2; Laubenthal FS Gössel 359, 360; ders. FS Otto 659, 670; Renzikowski MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Sick/ Renzikowski FS Schroeder 603, 609. Teilweise aA (Schutz sexueller Selbstbestimmung nur durch Absatz 2): Frommel NK Rdn. 6 f; Wolters SK Rdn. 3, 15. Hörnle
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I. Normzweck
§ 174a
existenzielle Abhängigkeit der gefangenen und verwahrten Personen in allen Belangen des täglichen Lebens. Diese Abhängigkeit geht über die sozialen Verpflichtungen weit hinaus, die für die meisten Erwachsenen bestehen. Sie bedeutet ein erhebliches Hindernis für gefangene und verwahrte Personen, wenn es darum geht, sexuelle Wünsche derjenigen zurückzuweisen, die über jedes Detail ihrer Lebensgestaltung entscheiden können. Unter den in Absatz 2 benannten Umständen bestehen auch für kranke und hilfsbedürftige 3 Personen erhebliche Barrieren für einen selbstbestimmten Umgang mit Annäherungen.7 Da die Aufnahme in eine Einrichtung auf eine erhebliche Erkrankung oder erhebliche Hilfsbedürftigkeit schließen lässt, nutzt der Täter eine konstitutionelle Schwäche oder eine das Opfer stark belastende Ausnahmesituation aus. Die Vorstellung, dass eine „sexualhungrige Rekonvaleszentin nach einer Blinddarmoperation die Neigung verspürt, sich mit einem Assistenzarzt einzulassen“ (so Hanack Gutachten zum 47. DJT, Rdn. 203), war schon seinerzeit eher der Fantasie entsprungen, und sie ist im Hinblick auf die heute zur Kostendämpfung üblichen kurzen Krankenhausaufenthalte, die meist nicht bis zur vollständigen Genesung dauern, schwerlich ernst zu nehmen. Ist eine Person hilfsbedürftig, weil ihre körperliche Mobilität eingeschränkt ist, bedeutet der Aufenthalt in der Einrichtung eine starke Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit und dadurch eine Beschränkung der Ausweichmöglichkeiten. Ergibt sich die Hilfsbedürftigkeit aus geistigen Einschränkungen, so ist die Fähigkeit zu autonomen Handlungen zwangsläufig unvollständig. Hinzu kommt, dass außerhalb des gewohnten Lebenskreises eine bereits angelegte Hilflosigkeit besonders stark zum Tragen kommen kann.8 Bei kranken Personen ist (abhängig von Art und Ausmaß der Erkrankung) vorstellbar, dass ein Verlassen der Einrichtung physisch möglich wäre und sich die Betroffenen dieser Möglichkeit auch bewusst sind. Jedoch wäre eine solche Entscheidung oft mit massiven Nachteilen (dem Abbruch einer notwendigen Behandlung) verbunden.9 Außerdem beschränken erhebliche Krankheiten meist nicht nur die körperliche Mobilität, sondern führen auch zu psychischer Verunsicherung und Labilität. Sollten in einem konkreten Einzelfall günstigere Umstände vorliegen, die eine wirksame Einwilligung zulassen, ist die Ausnutzung von Krankheit zu verneinen (Rdn. 49 ff). Eigenständige Bedeutung im Verhältnis zu § 177 hat der Schutz sexueller Selbstbestim- 4 mung durch § 174a dann, wenn das Verhalten des Täters nach § 177 nicht strafbar wäre. Dies ist bei Handlungen gegen den Willen des Opfers der Fall, wenn der entgegenstehende Wille nicht erkennbar war (§ 177 Abs. 1 ist dann nicht anwendbar) und keine Umstände nach § 177 Abs. 2 vorlagen. Ein sexueller Übergriff scheidet auch aus, wenn die andere Person den Sexualkontakt ebenfalls wünscht und diesem zustimmt. In solchen Fällen, bei denen § 177 das Verhalten nicht erfasst, begründet § 174a strafbares Handeln, weil die extreme Disparität von Macht, der gefangene und verwahrte Personen unterworfen sind, und die Sondersituation von kranken und behinderten Menschen in Einrichtungen die Anforderungen an den Schutz sexueller Selbstbestimmung verschärfen. Wegen der ausgeprägten Abhängigkeit vor allem in „totalen Institutionen“10 sind höhere Anforderungen an selbstbestimmtes Handeln und rechtswirksame Einwilligungen zu stellen als unter sonstigen Umständen bei erwachsenen Personen. Die normalerweise nach einem „Nein heißt Nein“-Modell bestehende Obliegenheit, ggf. einen sexuellen Handlungen entgegenstehenden Willen zu äußern (§ 177 Rdn. 8), besteht nicht. Selbst eine Zustimmung gilt in der Regel (zu Ausnahmen Rdn. 51) als nicht hinreichend selbstbestimmt. Liegt dagegen ein sexueller Übergriff nach § 177 Abs. 1 oder Abs. 2 vor (einschl. Qualifikatio- 5 nen und besonders schweren Fällen), erhöht es das Ausmaß der Missachtung sexueller Selbstbestimmung, wenn der Täter zusätzlich unter den in § 174a (oder § 174b, § 174c) be-
7 Skeptisch Hanack Gutachten zum 47. DJT (1968) Rdn. 203 ff; Schroeder FS Welzel 859, 868. 8 BGHSt 29 16, 17. 9 Dazu OLG Hamm NJW 1977 1499, 1500. 10 S. zum Begriff der totalen Institution Goffman Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen (1973) S. 15 ff. 65
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§ 174a
Sexueller Mißbrauch von Gefangenen oder Kranken
schriebenen Umständen handelt. Dem ist durch Tateinheit zwischen §§ 174a bis 174c und § 177 Rechnung zu tragen.
2. Interessen der Allgemeinheit 6 In den Gesetzesberatungen wurden weitere Schutzzwecke für § 174a genannt, nämlich Interessen der Allgemeinheit. Es sollen sexuelle Kontakte auch deshalb verhindert werden, weil sie die Erziehungs- und Aufsichtsfunktionen sowie die Anstaltsdisziplin gefährden und dem Grundsatz der Gleichbehandlung widersprechen, und weil sie darüber hinaus das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Anstaltspersonals erschüttern können (BTDrucks. VI/3521 S. 25; OLG München NStZ 2011 464, 466). Im Schrifttum wird ebenfalls auf die „Störungsfreiheit des Gefangenen- oder Verwahrungsverhältnisses“ abgestellt, entweder neben dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung11 oder sogar als vorrangiges oder einziges gesetzgeberisches Anliegen.12 Die grundlegenden Entscheidungen BGH NStZ 1999 29 und NStZ 1999 349 thematisierten allerdings anstaltsinterne Folgeprobleme nicht. In überzeugender Weise stellen diese Entscheidungen ausschließlich auf das Ausmaß der Abhängigkeit der betroffenen Gefangenen ab (Rdn. 26 f).13 Die Verhinderung sozialer Folgeprobleme ist ein erwünschter Effekt zusätzlich zum Schutz sexueller Selbstbestimmung, jedoch kein eigenständiger Gesetzeszweck.14
II. Missbrauch von gefangenen oder verwahrten Personen (Absatz 1) 1. Objektiver Tatbestand 7 a) Geschützte Personen. Opfer nach Absatz 1 können gefangene und auf behördliche Anordnung verwahrte Personen sein. Der Sache nach übereinstimmend verwendet das Gesetz in § 120 Abs. 1 den Begriff Gefangener (das Bemühen um geschlechtsneutrale Formulierungen hat diese Vorschrift noch nicht erreicht), dem laut § 120 Abs. 4 gleichsteht, wer auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird. Bei der Auslegung des § 174a kann auf die zu § 120 entwickelten Begriffsklärungen zurückgegriffen werden. Allerdings ist zu beachten, dass der Schutzzweck des § 174a ein anderer ist als der des § 120: Während § 120 die behördlich begründete Verwahrungsgewalt des Staates schützt (Rosenau LK § 120 Rdn. 8), dient § 174a dem Recht der gefangenen und verwahrten Personen auf sexuelle Selbstbestimmung. Im Interesse der zu schützenden Personen ist bei der Anwendung des § 174a in Grenzfällen eine weitere Auslegung der Merkmale „gefangene Person“ und „verwahrte Person“ sinnvoll, als dies für den Schutzzweck des § 120 erforderlich ist.
8 aa) Gefangene Personen. Gefangene Personen sind solche, denen wegen einer Verfehlung in einem auf Ahndung im weitesten Sinne angelegten Verfahren durch gerichtlichen oder polizeilichen Akt der Unterstellung unter die Gewalt einer zuständigen Behörde die Freiheit entzogen worden ist (Rosenau LK § 120 Rdn. 12). Unbeachtlich ist, ob die Freiheitsentziehung sachlich berechtigt ist: Es kommt nur auf ihre formell ordnungsgemäße Anordnung an (Rosenau LK § 120 Rdn. 22). Erfasst werden u.a. Strafgefangene nach allgemeinem Strafrecht und Jugendstrafrecht; 11 Amelung FS Dünnebier 487, 516 f; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Laubenthal FS Gössel 359, 360; ders. FS Otto 659, 670; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1.
12 Frommel NK Rdn. 6; Wolters SK Rdn. 3. 13 In einer nachfolgenden Entscheidung wird allerdings kursorisch das „Allgemeininteresse an der sachrichtigen und gleichen Behandlung von gefangenen und verwahrten Personen“ erwähnt (BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 354). 14 Ebenso Renzikowski MK Rdn. 2; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 609. Hörnle
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II. Missbrauch von gefangenen oder verwahrten Personen (Absatz 1)
§ 174a
Personen, die sich z.B. nach den Vorschriften des Wehrrechts oder des JGG oder anderen Bestimmungen (z.B. § 918 ZPO) in Arrest befinden; Personen in Untersuchungshaft, auch wenn sie unter Aufrechterhaltung der Haft in ein Krankenhaus verlegt wurden; vorläufig Festgenommene, wenn die Festnahme durch eine Behörde erfolgt (nicht bei Festnahme durch Privatpersonen); Personen in Zwangs- oder Ordnungshaft (etwa nach § 70 StPO, §§ 390, 888 ZPO oder §§ 177, 178 GVG); s. im Einzelnen Rosenau LK § 120 Rdn. 15 f. Nicht erfasst sind Personen, die zur Identitätsfeststellung nach § 163b Abs. 1 S. 2 StPO festgehalten (OLG Jena BeckRS 2020 5953) oder zwangsweise auf der Basis von § 81a StPO zum Arzt gebracht werden.15 Freiheitsentziehung durch Private, etwa von den Eltern für Minderjährige angeordneter Hausarrest oder eine Internatsunterbringung, ist ebenfalls nicht einschlägig.16 Gefangener ist nicht nur, wer sich in einer geschlossenen Anstalt befindet, sondern auch, 9 wer sich unter Aufsicht an einem anderen Ort aufhält, etwa bei Außenbeschäftigung oder Ausführung, s. § 11 Abs. 1 StVollzG (Rosenau LK § 120 Rdn. 25, dort auch zu engeren Ansichten). Umstr. ist, welche anderen Formen der Vollzugslockerung nach dem StVollzG bewirken, dass die Betroffenen keine Gefangenen mehr sind. Für die Anwendung des § 120 wird vertreten, dass der Gefangenenstatus bei einem Aufenthalt außerhalb der Anstalt davon abhängt, ob Betroffene unter Aufsicht stehen (so Rosenau LK § 120 Rdn. 25), was im Hinblick auf den Schutzzweck des § 120 überzeugt. Geht es jedoch um den Schutz von gefangenen Personen gegen sexuelle Übergriffe, ist diese Auffassung zu eng. Sie hätte zur Folge, dass während eines unbeaufsichtigten Freigangs oder Ausgangs (§ 11 Abs. 1 StVollzG) und eines Hafturlaubs (§ 13 StVollzG) kein Strafrechtsschutz besteht. Dies würde der Situation einer gefangenen Person nicht gerecht, die während einer Vollzugslockerung einer der Personen begegnet, denen sie in der Anstalt zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist. Wegen der Notwendigkeit, nach Ablauf der zugemessenen Zeitspanne in die Anstalt zurückzukehren, sind die Ausweichmöglichkeiten eingeschränkt, und vor allem ist zu berücksichtigen, dass sich das Autoritätsverhältnis spätestens bei Rückkehr in die Anstalt wieder unmittelbar auswirkt. Aus diesem Grund ist bei der Auslegung des § 174a Abs. 1 ein weites Verständnis des Begriffs „gefangene Person“ zugrunde zu legen: Der Gefangenenstatus endet erst mit der Entlassung aus der Haft oder der faktischen Beendigung des Vollzugsverhältnisses (etwa durch Flucht, s. Rosenau LK § 120 Rdn. 24), nicht aber aufgrund von Vollzugslockerungen.17
bb) Verwahrte Personen. Verwahrung bedeutet Zwangsgewahrsam, der dem Verwahrten 10 die körperliche Bewegungsfreiheit entzieht (Rosenau LK § 120 Rdn. 18). Behörde i.S. des § 174a kann auch ein Gericht sein, s. § 11 Abs. 1 Nr. 7, sodass die gerichtliche Anordnung einer Verwahrung ebenfalls erfasst wird. Zu den auf behördliche Anordnung verwahrten Personen gehören u.a. Sicherungsverwahrte (§§ 66 bis 66b StGB; 106 Abs. 3 bis 7 JGG); Personen, die sich aufgrund der §§ 63, 64 StGB oder der §§ 81, 126a StPO in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt aufhalten oder die nach landesrechtlichen Vorschriften in einem psychiatrischen Krankenhaus oder anderen Anstalten Untergebrachten; Personen, die aufgrund von Polizeigesetzen in Gewahrsam genommen wurden oder die sich gem. § 62 AufenthG in Abschiebungshaft befinden.18 Die behördliche Verwahrung besteht – wie die Gefangenschaft – auch außerhalb der Anstalt fort, soweit der Rechtsgrund der Verwahrung noch fortdauert und sich der Verwahrte im Einwirkungsbereich der Personen befindet, die für die Aufrechterhaltung des Verwahrungsverhältnisses verantwortlich sind.
15 BayObLG NJW 1984 1192. 16 Renzikowski MK Rdn. 11. 17 So auch Fischer Rdn. 4; Laubenthal FS Gössel 359, 361 f; Renzikowski MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Wolters SK Rdn. 4.
18 S. auch Rosenau LK § 120 Rdn. 20. 67
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Sexueller Mißbrauch von Gefangenen oder Kranken
Wenn Kinder und Jugendliche in einer Einrichtung über Tag und Nacht untergebracht sind (§ 34 SGB VIII, Heimerziehung), ist dies nach der Rspr. nicht unter § 174a Abs. 1 zu fassen.19 Der BGH weist darauf hin, dass es sich nur um Hilfe zur Erziehung handelt, die den Personensorgeberechtigten geleistet werde. Eine behördliche Anordnung liege selbst dann nicht vor, wenn Heimerziehung vom gerichtlich bestellten Vormund angeordnet wurde, auch nicht, wenn ein Amtsvormund tätig wurde. Selbst dann, wenn Heimerziehung (bei Wahl einer geschlossenen Einrichtung) einen zustimmenden Beschluss des Familiengerichts erfordert hat, liege keine behördliche Anordnung i.S.v. § 174a Abs. 1, § 11 Abs. 1 Nr. 7 vor (BGHSt 60 233, 235 ff). Das ist familienrechtlich schlüssig begründet, überzeugt allerdings unter dem Aspekt „sexuelle Selbstbestimmung“ (der für die Auslegung von § 174a den Ausschlag geben muss) nicht. Die realen Bedingungen des Lebens im Heim, zumal in einer geschlossenen Einrichtung, führen zu extremer Abhängigkeit und Hilflosigkeit. Entscheidend für die strafrechtliche Bewertung ist diese soziale und psychologische Situation der Minderjährigen, nicht die sozialrechtliche Ausgestaltung als „Hilfe zur Erziehung“. Der negative Einfluss, den Heimerziehung auf die Fähigkeit Jugendlicher zu sexueller Selbstbestimmung gegenüber Heimpersonal hat, dürfte weitaus stärker ausfallen als etwa bei einem kurzen Krankenhausaufenthalt, der unter § 174a Abs. 2 fiele. Immerhin ist seit der Änderung von § 174 durch das 49. StÄG v. 21.1.2015 (§ 174 Entstehungsgeschichte), vor allem durch die Einfügung von § 174 Abs. 2, der Schutz von Minderjährigen (auch) in Heimerziehung und betreutem Wohnen verbessert worden. Die Reformkommission zum Sexualstrafrecht empfiehlt, durch Gesetzesänderung in § 174a alle Personen einzubeziehen, die stationär in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht sind.20 Dies ist schon nach geltendem Recht möglich, aber zur Klarstellung sinnvoll. Unter den Schutzbereich des § 120 StGB, der ein spezifisch staatliches Gewahrsamsinteresse 12 schützt, fällt es ferner nicht, wenn ein Betreuer im Interesse des Betreuten nach § 1906 BGB dessen Unterbringung veranlasst (Rosenau LK § 120 Rdn. 20). Die h.M. überträgt dies auf die Auslegung des § 174a Abs. 1.21 Dies überzeugt jedoch nicht (auch hier empfiehlt die Reformkommission zum Sexualstrafrecht eine Änderung22). Wie bei Minderjährigen in Heimerziehung sollte vielmehr auf die Perspektive der Untergebrachten und deren extreme Abhängigkeit während des erzwungenen Aufenthalts in einer Einrichtung abgestellt werden. Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ist deshalb i.S.v. § 174a Abs. 1 als behördliche Anordnung (s. § 11 Abs. 1 Nr. 7) zu sehen. Auch insoweit gilt allerdings, dass sich die unterschiedlichen Meinungen zur Auslegung des Merkmals „auf behördliche Anordnung verwahrt“ praktisch wohl selten auswirken dürften, da regelmäßig § 174a Abs. 2 erfüllt wäre. 11
13 b) Täter. Täter kann nur sein, wem die gefangene oder verwahrte Person zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist. Erziehung üben diejenigen aus, die für die Überwachung der Lebensführung und die körperliche, psychische und moralische Entwicklung der gefangenen oder verwahrten Person verantwortlich sind (s. § 174 Rdn. 21 ff), also etwa die Erzieher bei Heimerziehung nach § 34 SGB VIII oder die in Justizvollzugsanstalten und anderen Einrichtungen tätigen Lehrer für die allgemeine Schulbildung. Beim Unterricht für erwachsene Gefangene ist im Vergleich zu Minderjährigen die Verantwortung für die Persönlichkeitsentwicklung schwächer ausgeprägt, deshalb liegt bei erwachsenen Gefangenen die Einordnung als Ausbildung näher. Ausbildung soll Fähigkeiten und Fertigkeiten in fachlich eingegrenzten Feldern vermitteln. Es muss sich um länger andauernde, strukturierte Aktivitäten handeln. Die Anleitung zu schlichten Verrichtungen und einfachen mechanischen Betätigungen genügt
19 20 21 22
Wie der BGH Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Renzikowski MK Rdn. 12; aA Fischer Rdn. 4. BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 335 f. Fischer Rdn. 4; Laubenthal FS Gössel 359, 361; Renzikowski MK Rdn. 12. BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 337 f.
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II. Missbrauch von gefangenen oder verwahrten Personen (Absatz 1)
§ 174a
nicht23 (§ 174 Rdn. 35 f). Ausbilder sind etwa Meister in Anstaltswerkstätten (BTDrucks. VI/3521 S. 25 f), Leiter von Fortbildungskursen, Lehrer im Erwachsenenunterricht und Berufsschullehrer. Das Merkmal der Betreuung ist in einem weiteren Sinne zu verstehen als der in § 174 verwandte Begriff „Betreuung in der Lebensführung“. Es erfasst jegliche Form der fürsorgerischen Tätigkeit,24 etwa durch medizinisches Personal und Pflegepersonal, Sozialarbeiter, Psychologen, Therapeuten und Geistliche. Keine betreuenden Aufgaben haben Verwaltungsangestellte25 (auch dann nicht, wenn sie die Akten führen, die den Gefangenen betreffen) oder Personen, die für Reinigungs-, Reparatur- oder andere technische Aufgaben zuständig sind. Das Merkmal der Beaufsichtigung fehlt in § 174. Das Gesetz verwendet es in § 174a, um das Bewachungspersonal einzubeziehen (BTDrucks. VI/3521 S. 25). Es kommt nicht darauf an, ob das Bewachungspersonal auf öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Basis tätig ist. Nicht erfasst sind in Fällen der vorläufigen Festnahme oder der Untersuchungshaft die vernehmenden und untersuchenden Beamten; diese fallen aber unter § 174b. Es kommt nicht darauf an, in welchem Umfang Erzieher, Ausbilder, Betreuer oder Aufsichtspersonal tätig sind. Auch die nur temporäre Aufgabenwahrnehmung genügt. Ein festes oder bezahltes Beschäftigungsverhältnis mit der Anstalt oder Einrichtung ist nicht erforderlich.26 Betreuer kann z.B. auch sein, wer ehrenamtlich eine fürsorgerische Tätigkeit übernommen hat. Insoweit ist das neue Recht weiter als die Rechtslage vor dem 4. StrRG v. 23.11.1973, die sich nur auf die Handlungen von Beamten bezog (s. Entstehungsgeschichte). § 174a verlangt, dass die konkret betroffene gefangene oder verwahrte Person dem Erzieher, dem Ausbilder, der Aufsichtsperson oder dem Betreuer anvertraut war. Erzieherische, betreuende, ausbildende oder beaufsichtigende Aktivitäten müssen demgemäß auf Veranlassung der Institution erfolgen, in der sich die gefangene oder verwahrte Person befindet (nicht genügen würden z.B. ohne Wissen oder Billigung der Anstaltsleitung gebildete Lerngruppen). Das Opfer muss nach dem Wortlaut des Gesetzes dem Täter tatsächlich anvertraut sein. Es genügt nicht, dass jemand der gefangenen oder verwahrten Person lediglich vortäuscht, dass er für Erziehung, Betreuung, Ausbildung oder Beaufsichtigung zuständig sei.27 Kernelement der Beziehung zwischen Täter und Opfer, die mit dem Stichwort „anvertraut“ überschrieben ist, ist ein Überund Unterordnungsverhältnis (BGH NStZ 1999 29).28 Für die Leitung der Anstalt oder Einrichtung ist ein Überordnungsverhältnis zu bejahen. Es werden auch Begegnungen erfasst, die außerhalb der Dienstzeit oder außerhalb der Räumlichkeiten der Institution stattfinden.29 Dasselbe gilt für das Überwachungspersonal in einer Justizvollzugsanstalt. Diesen Personen sind auch nach Ende der Dienst- oder Arbeitsschicht und bei Begegnungen an anderen Orten diejenigen Insassen anvertraut, die sie während ihres Dienstes zu beaufsichtigen haben.30 Die Rspr. hat teilweise bei Überwachungspersonal auf die konkreten Dienstpläne und die dort festgelegte räumliche Zuständigkeit abgestellt: Wenn Überwachungspersonal stets nur in bestimmten Trakten oder Abteilungen eingesetzt wurde, bestünden keine Überwachungspflichten gegenüber allen Gefangenen derselben Anstalt (BGH bei Miebach NStZ 1993 223).31 Der BGH wendete § 174a auch nicht auf Polizisten außerhalb ihrer Schicht bei sexuellen Handlungen gegenüber vorläufig Festgenommenen an.32
23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 69
Fischer Rdn. 5 i.V.m. § 174 Rdn. 7; Laubenthal FS Gössel 359, 363. Krit. Hanack NJW 1974 3. AA Laubenthal FS Gössel 359, 363. Renzikowski MK Rdn. 14; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. Renzikowski MK Rdn. 14; Wolters SK Rdn. 5. Renzikowski MK Rdn. 14; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. Renzikowski MK Rdn. 15. Fischer Rdn. 6. Wie der BGH auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; wie hier Fischer Rdn. 6. BGH NJW 1983 404. Hörnle
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Das ist nicht überzeugend.33 Die gefangene oder verwahrte Person wird in der Regel die Diensteinteilungen nicht kennen. Aus ihrer Sicht verkörpert jeder staatliche Macht, der eine Uniform trägt oder sich jedenfalls in der Einrichtung frei bewegen kann und mit Autorität auftritt. Soweit der Beruf eines Beschuldigten als Polizist oder Teil des Bewachungspersonals Beaufsichtigungspflichten gegenüber gefangenen bzw. verwahrten Personen in der jeweiligen Anstalt oder Einrichtung begründet, ist es mit dem Wortlaut vereinbar, unabhängig von konkreteren Dienstplänen und Zuständigkeiten das Merkmal „zur Beaufsichtigung anvertraut“ für alle Insassen zu bejahen. Zur Klarstellung empfiehlt die Reformkommission zum Sexualstrafrecht eine entsprechende Änderung im Gesetz.34 19 Bei Erziehern, Betreuern und Ausbildern kommt es auf die konkreten Umstände an. Anvertraut sind ihnen auf jeden Fall die Individuen, gegenüber denen sie zum Zeitpunkt der sexuellen Handlung erziehend, betreuend oder ausbildend tätig waren. Dazu genügt z.B. die Leitung eines Deutschkurses und von Werkprojekten sowie die Tätigkeit als Sozialarbeiter (OLG München NStZ 2011 464, 465). Bei Fehlen eines aktuellen Erziehungs-, Betreuungs- oder Ausbildungsverhältnisses kommt es darauf an, wie wahrscheinlich es ist, dass der Gefangene oder Verwahrte dem Täter zu einem späteren Zeitpunkt in dieser Weise unterstellt sein wird.35 Entscheidend ist die unter Druck setzende Situation, die sich daraus ergibt, dass man zu einem späteren Zeitpunkt mit der übergeordneten Person zu tun haben wird. Ist z.B. die Teilnahme an Unterricht oder Ausbildung bereits geplant, so sind die zukünftigen Schüler oder Auszubildenden auch schon vor Kursbeginn den Kursleitern anvertraut. Ähnliches gilt für fürsorgerische Tätigkeiten. In einem Urteil des BGH wurde zwar bezweifelt, ob etwa einer Krankenschwester, die nur für den Bereich der Krankenabteilung zuständig ist, auch die nicht kranken Anstaltsinsassen anvertraut sind (BGH NStZ 1999 29). Entscheidend ist jedoch in solchen Situationen, wie abhängig die gefangene oder verwahrte Person mit Blick in die Zukunft ist. Gibt es in einer kleineren Einrichtung nur einen oder einige wenige Ärzte, Pfleger, Erzieher, Therapeuten oder Sozialarbeiter und werden voraussichtlich die meisten Insassen irgendwann auf deren Unterstützung angewiesen sein, sind ihnen alle Insassen anvertraut. Ist dagegen das Angebot des Erziehers, Betreuers oder Ausbilders spezialisiert und für den betroffenen Gefangenen oder Verwahrten nicht interessant (z.B. die Seelsorge des katholischen Geistlichen für muslimische Gefangene, das Angebot des Hauptschulabschlusses für Gefangene, die einen solchen bereits haben, oder die Leistungen eines Sexualtherapeuten für Verwahrte, die wegen anderer Delikte einsitzen), so fehlt es am Anvertrautsein. Ist der Gefangene oder Verwahrte aktuell oder potenziell auf Erzieher, Betreuer oder Ausbilder angewiesen, spielt es keine Rolle, ob die sexuellen Übergriffe oder sexuellen Kontakte während der Unterrichts-, Ausbildungs- oder Betreuungsstunden stattfinden.36 20 Damit ein selbstbestimmtes Handeln in relevanter Weise einschränkendes Überordnungsverhältnis vorliegt, das die Subsumtion unter das Merkmal „anvertraut“ rechtfertigt, muss der Täter als Erzieher, Betreuer, Ausbilder oder Aufsichtsperson in der Lage sein, gegenüber der gefangenen oder verwahrten Person mit einer gewissen Autorität und Selbstständigkeit aufzutreten. Hieran fehlt es bei untergeordneten Tätigkeiten, etwa wenn im Werkstattbereich andere Gefangene als Hilfspersonal der Werkstattleitung mitwirken37 oder wenn bei betreuenden Tätigkeiten Praktikanten oder in anderer Weise unselbstständige Helfer beteiligt sind.38 18
33 34 35 36 37 38
Laubenthal FS Gössel 359, 365; ders. FS Otto 659, 671. Meine in der Voraufl. vertretene Auffassung gebe ich auf. BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 337. Fischer Rdn. 6. Fischer Rdn. 6; Renzikowski MK Rdn. 15; aA Laubenthal FS Otto 659, 671. Fischer Rdn. 5; Renzikowski MK Rdn. 14. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 14.
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II. Missbrauch von gefangenen oder verwahrten Personen (Absatz 1)
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c) Tathandlungen. Der Tatbestand erfasst sexuelle Handlungen des Täters am Opfer und 21 sexuelle Handlungen, die der Täter vom Opfer an sich vornehmen lässt. Für die zweite Alternative („vornehmen lassen“) genügt es, dass der Täter Handlungen der gefangenen oder verwahrten Person hinnimmt, auch wenn er diese nicht dazu aufgefordert hat.39 Der Grund dafür liegt in den Garantenstellungen, die Personen aus dem in § 174a genannten Täterkreis gegenüber den gefangenen oder verwahrten Personen haben (Vor § 174 Rdn. 62). Diese Garantenverhältnisse begründen eine Pflicht, einzuschreiten, wenn die geschützte Person von sich aus initiativ wird. Erste überraschende Handlungen werden nicht erfasst, aber wenn es möglich ist, weitere Handlungen zu unterbinden, ist passive Hinnahme strafbar. Seit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 (Entste- 22 hungsgeschichte) ist auch der sexuelle Körperkontakt mit Dritten erfasst, d.h. es ist strafbar, wenn Täter Opfer dazu bestimmen, sexuelle Handlungen an einer dritten Person vorzunehmen oder sexuelle Handlungen einer dritten Person am eigenen Körper zu dulden. Für ein Bestimmen zur Duldung sexueller Handlungen Dritter genügt jede Form der Einwirkung auf das Opfer, z.B. auch Festhalten und andere Formen von vis absoluta. S. zum Merkmal „bestimmen“ Vor § 174 Rdn. 67. Nach wie vor sind sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt nicht strafbar, etwa Handlungen vor der gefangenen oder verwahrten Person und Handlungen dieser Person vor dem Täter oder Dritten, oder Sachverhalte, in denen die gefangene oder verwahrte Person dazu bestimmt wird, in Abwesenheit anderer Menschen sexuelle Handlungen vorzunehmen, z.B. um diese mittels Informations- und Kommunikationstechnik zu übertragen oder aufzunehmen.
d) Missbrauch der Stellung. Erforderlich ist, dass der Täter durch den Sexualkontakt seine 23 Stellung missbraucht. Bei Handlungen, die als sexueller Übergriff oder sexuelle Nötigung nach § 177 einzuordnen sind, ist dies stets zu bejahen. Dasselbe gilt für andere Handlungen gegen den Willen der Betroffenen, auch wenn diese ihren Willen nicht erkennbar gemacht haben, sodass § 177 Abs. 1 nicht eingreift. Die Obliegenheit, einen entgegenstehenden Willen zu äußern (s. zum „Nein heißt Nein“-Modell als Basis von § 177 Abs. 1 § 177 Rdn. 8), gilt nicht für Personen in den Abhängigkeitsverhältnissen, die in § 174a bis § 174c beschrieben sind. Die Verneinung des Merkmals „Missbrauch der Stellung“ ist nur dann in Betracht zu ziehen, 24 wenn die sexuelle Handlung dem Willen der gefangenen oder verwahrten Person entsprach (s. zum Begriff „Wille“ § 177 Rdn. 29). Allerdings können auch einvernehmliche Sexualkontakte unter § 174a fallen und für diese Konstellationen ist die Abgrenzung zwischen strafbarem und nicht strafbarem Verhalten nicht einfach. In den Gesetzesmaterialien wurde als Beispiel für fehlenden Missbrauch der Stellung ge- 25 nannt, dass eine Strafgefangene mit einem Vollzugsbeamten verheiratet oder verlobt sei (BTDrucks. VI/3521 S. 26). Die Erwartung eines zufälligen Zusammentreffens bereits Verheirateter oder Verlobter auf unterschiedlichen Seiten der Anstaltshierarchie ist allerdings sehr realitätsfremd. Ähnliches gilt für die Annahme, dass sich unter derartigen Umständen eine romantische Beziehung entwickeln könnte, die unter zunächst praktizierter Keuschheit zu Verlobung oder Heirat geführt hat.40 In der Lit. wird angenommen, dass bei einverständlichem Sexualkontakt ein Missbrauch vorliege, wenn dieser Störungen innerhalb der Anstalt nach sich ziehe,41 etwa weil privilegierte sexuelle Beziehungen dem Gleichbehandlungsgebot widersprächen.42 Zu bedenken ist allerdings, dass sich negative Folgen für die Abläufe innerhalb der Anstalt und das Klima unter den Insassen auch dann ergeben, wenn es keinerlei Bedenken im Hinblick auf sexuelle Selbstbestimmung gibt. Affären sind nicht ohne Regelverstöße und privilegierte 39 40 41 42
Wolters SK Rdn. 6. Krit. auch Frommel NK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. Wolters SK Rdn. 3. Frommel NK Rdn. 11, ebenso der Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BTDrucks. VI/3521 S. 26. 71
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Behandlung des Gefangenen oder Verwahrten möglich. Es liegt nahe, dass bei anderen Neid, Misstrauen und Unruhe entstehen; ebenso, dass es nach einem einseitigen Abbruch der Sexualkontakte zu weiteren Problemen kommt. Derartige Erwägungen führen für die Auslegung des Merkmals „Missbrauch der Stellung“ nicht weiter, weil ansonsten das Tatbestandsmerkmal stets zu bejahen und damit überflüssig wäre. Entscheidend sollte sein, wie stark die Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung bei der gefangenen oder verwahrten Person eingeschränkt war. Während bei der Beurteilung von „Missbrauch“ bzw. „Ausnutzung“ in § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 die individuellen Urteils- und Durchsetzungsfähigkeiten der Jugendlichen ausschlaggebend sind, stehen bei § 174a Abs. 1 institutionelle Zwänge und die dadurch geschaffene Abhängigkeit im Vordergrund. Eine erhebliche Abhängigkeit bedeutet regelmäßig, dass die andere Person ihre Stellung missbraucht hat. Dies gilt auch dann, wenn die gefangene oder verwahrte Person einverstanden war und bereitwillig und aktiv teilgenommen (OLG München NStZ 2011 464, 465) oder sogar die Initiative ergriffen hat.43 Die Abhängigkeit muss objektiv vorliegen, was voraussetzt, dass die gefangene Person die Stellung des Täters kennt.44 Es kommt darauf an, in welchem Ausmaß dem Täter Befugnisse und Weisungsrechte gegenüber der gefangenen oder verwahrten Person zustehen (BGH NStZ 1999 29; NStZ 1999 349; OLG München NStZ 2011 464, 465; StV 2015 495). Wegen der starken Ausprägung des Autoritätsverhältnisses zwischen Wachpersonal und den gefangenen oder verwahrten Personen ist bei solchen Affären regelmäßig ein Missbrauch institutioneller Abhängigkeit und damit ein Missbrauch der Stellung zu bejahen (BGH NStZ 1999 29). Dasselbe gilt für die Anstaltsleitung und andere in der Einrichtung beschäftigte Personen, die über Vollzugslockerungen zu entscheiden haben. Im Kontext von Heimerziehung liegt ein Missbrauch der Stellung vor, wenn Erzieher, die die wesentlichen Entscheidungen zu treffen haben, sexuelle Kontakte mit den zu Erziehenden aufnehmen. Als generelle Regel liegt es nahe, einen Missbrauch der Stellung um so eher zu bejahen, je ausgeprägter das Abhängigkeitsverhältnis ist und je mehr Befugnisse und Weisungsrechte der Täter gegenüber der gefangenen Person hat (OLG München NStZ 2011 464, 465; StV 2015 495). Umgekehrt gilt: Je geringer und schwächer die Befugnisse gegenüber dem Gefangenen oder Verwahrten ausfallen, umso eher ist vorstellbar, dass die Stellung des Täters beim Zustandekommen des sexuellen Kontaktes in den Hintergrund tritt (OLG München NStZ 2011 464, 465). Hieran ist zu denken bei Krankenpflegepersonal,45 Seelsorgern, Beschäftigungstherapeuten,46 Leitern von Freizeit- oder Sportgruppen usw. Fehlt es an einer ausgeprägten Abhängigkeit, scheidet ein Missbrauch der Stellung im strafrechtlichen Sinne aus. In Ausnahmefällen kann trotz einer erheblichen Abhängigkeit der gefangenen oder verwahrten Person die Indizwirkung widerlegt werden.47 Die Rspr. erwähnt eine „echte Liebesbeziehung“ (BGH NStZ 1999 349; OLG München NStZ 2011 464, 465; StV 2015 495).48 Entscheidend ist das schon im Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform von 1972 angeführte, allerdings mit dem Verweis auf Ehe und Verlobung sehr eng interpretierte Kriterium, ob die institutionelle Abhängigkeit ausnahmsweise „vollkommen in den Hintergrund tritt“ (BTDrucks. VI/3521 S. 26). Ob es des romantischen Wortes „Liebe“ bedarf und wie diese festzustellen ist, kann hier dahinstehen. Maßgeblich sollte sein, ob ein gewichtiges und stabiles, nicht taktisch motiviertes und nicht auf jugendlicher Unreife beruhendes Eigeninteresse des Gefangenen oder Verwahrten am intimen Kontakt bestand. Auch in Fällen, die als „Liebesbeziehung“ nicht nach § 174a 43 Fischer Rdn. 10; Laubenthal FS Gössel 359, 366; ders. FS Otto 659, 671; Renzikowski MK Rdn. 18; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 6; Wolters SK Rdn. 6. AA Wolters SK Rdn. 8. BGH NStZ 1999 29 – Krankenschwester. BGH NStZ 1999 349 – Arbeitstherapeutin. So auch Amelung FS Dünnebier 487, 517. Ebenso Laubenthal FS Gössel 359, 366; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. Krit. Fischer Rdn. 10; Renzikowski MK Rdn. 17.
44 45 46 47 48
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II. Missbrauch von gefangenen oder verwahrten Personen (Absatz 1)
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Abs. 1 bestraft werden, ist allerdings mit beamten- und disziplinarrechtlichen Folgen zu rechnen (BVerwG BeckRS 2017 116755; OVG Bautzen BeckRS 2016 47394; OVG Münster BeckRS 2018 33864).
2. Subjektiver Tatbestand Für sämtliche Tatbestandsmerkmale genügt bedingter Vorsatz. Im Schrifttum wird zwar teilweise 30 vertreten, dass dolus directus vorgelegen haben müsse49 (offen gelassen in BGH bei Pfister NStZ-RR 2007 361 f). Dies ergibt sich jedoch nicht aus dem Wort „Missbrauch“: Etwas missbrauchen kann auch jemand, der das Vorliegen der relevanten Umstände nur für ernstlich möglich hält, sich damit aber abfindet (s. im Einzelnen zum bedingten Vorsatz Vogel/Bülte LK § 15 Rdn. 96 ff). Zwar wird der Täter in aller Regel die Umstände kennen, die institutionelle Abhängigkeit begründen; jedoch genügt es, wenn er hinsichtlich des Fehlens eines stabilen und gewichtigen Eigeninteresses des Gefangenen oder Verwahrten am Sexualkontakt (Rdn. 29) nur mit bedingtem Vorsatz handelt. Geht der Täter dagegen von Umständen aus, die, wenn sie tatsächlich vorlägen, einen Missbrauch seiner Stellung ausschlössen, handelt es sich um einen § 16 Abs. 1 S. 1 unterfallenden Tatbestandsirrtum.50 Entsprechendes Vorbringen ist bei der Beweiswürdigung wegen der naheliegenden Möglichkeit von Schutzbehauptungen kritisch zu hinterfragen. Verkennt der Täter in der umgekehrten Konstellation, dass ein gewichtiges und stabiles Eigeninteresse der gefangenen oder verwahrten Person vorlag, so dass trotz der institutionellen Abhängigkeit ein Missbrauch der Stellung zu verneinen ist, liegt ein (untauglicher, aber strafbarer) Versuch, § 23 Abs. 3, vor.
3. Täterschaft und Teilnahme Taten nach § 174a Abs. 1 sind keine Amtsdelikte. Die Täter müssen nicht Amtsträger i.S.v. § 11 31 Abs. 1 Nr. 2 sein51 (es ist nicht einmal ein festes oder entgeltliches Anstellungsverhältnis erforderlich, Rdn. 15). Es handelt sich aber um Sonderdelikte,52 da Täter nur sein kann, wem die gefangene oder verwahrte Person zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist. Um ein eigenhändiges Delikt handelt es sich nicht (Vor § 174 Rdn. 57 ff), d.h. Mittäterschaft ist nach den allgemeinen Regeln (Schünemann/Greco LK § 25 Rdn. 175 ff) möglich. Beihilfe zu einer Tat nach § 174a ist nach den allgemeinen Regeln möglich. Wie bei § 174 32 (dort Rdn. 67) gilt, dass § 28 Abs. 1 auf Teilnehmer keine Anwendung findet.53 Unterlässt es eine garantenpflichtige Person, sexuelle Übergriffe eines anderen abzuwenden, so ist an eine Bestrafung wegen Beihilfe durch Unterlassen zu denken54 (falls derjenige, der selbst sexuellen Körperkontakt hatte, eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat begangen hat). Dies kommt etwa in Betracht, wenn die Anstalts- oder Einrichtungsleitung entsprechende Handlungen der dort Beschäftigten duldet; dasselbe gilt, wenn Mitarbeiter von Aufsichtsbehörden untätig bleiben. Die in ihrer sexuellen Selbstbestimmung geschützten Gefangenen und Verwahrten sind nicht als Teilnehmer zu bestrafen, und zwar auch dann nicht, wenn sie den Täter angestiftet oder sich aktiv beteiligt haben55 (Vor § 174 Rdn. 68). 49 Renzikowski MK Rdn. 18. Wie hier aber Fischer Rdn. 14 i.V.m. § 174 Rdn. 16; Frommel NK Rdn. 16; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11. Vgl. Wolters SK Rdn. 22. Renzikowski MK Rdn. 14, 33; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5, 13; Wolters SK Rdn. 11. Frommel NK Rdn. 19; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Wolters SK Rdn. 11. Diff. zwischen Abs. 1 und Abs. 2 Frommel NK Rdn. 19. AA Arzt/ Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 10 Rdn. 19. 54 Renzikowski MK Rdn. 33. 55 Frommel NK Rdn. 19; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Wolters SK Rdn. 11.
50 51 52 53
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4. Versuch 33 Die Tat ist vollendet, wenn eine sexuelle Handlung mit Körperkontakt vollzogen wurde (unabhängig davon, ob der Tatplan weitergehende sexuelle Handlungen vorsah). Der Versuch ist strafbar (Absatz 3). Voraussetzung für das Vorliegen eines Versuches ist, dass der Täter zu der sexuellen Handlung unmittelbar angesetzt hat (§ 22). Vorschläge, Aufforderungen, Drohungen und Versprechen seitens des Täters können genügen,56 allerdings nur, wenn der Sexualkontakt zeitnah und ohne wesentliche Zwischenschritte stattfinden soll (dies ist nicht der Fall, wenn eine Verabredung für einen späteren Zeitpunkt getroffen werden soll).57
5. Strafzumessung 34 a) Gesetzlicher Strafrahmen. Der Strafrahmen sieht Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren vor. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe zwischen drei und sechs Monaten ist allerdings nur unter den Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 zulässig. Vor dem SexualdelÄndG v. 27.12.2003 lag die Mindeststrafe noch bei Geldstrafe. Begründet wurde die Strafrahmenanhebung damit, dass ansonsten (nach Streichung der Strafrahmen für minder schwere Fälle in den §§ 176 Abs. 1 und 179 Abs. 5 a.F.) ein zu großes Missverhältnis zwischen diesen Vorschriften und den §§ 174 bis 174c entstünde (BTDrucks. 15/350 S. 16). Gemäß § 181b ist Führungsaufsicht und gem. § 70 ggf. ein Berufsverbot möglich, zur Sicherungsverwahrung s. § 66 Abs. 3.
35 b) Bestimmung der Tatschwere. Das Maß des Tatunrechts hängt zum einen davon ab, wie eingriffsintensiv und ggf. schmerzhaft die sexuelle Handlung ausfiel (dazu § 174 Rdn. 74) und ob das Opfer gedemütigt wurde. Das Unrecht ist höher, wenn die sexuelle Handlung dem Willen der gefangenen oder verwahrten Person widersprach, als wenn es ein beiderseits gewollter Sexualkontakt war. Zum anderen kommt es darauf an, in welchem Maß der Täter seine Stellung missbraucht hat, d.h. wie groß die Abhängigkeit war und ggf. der Druck auf die gefangene und verwahrte Person ausfiel. Wurde ein dem Sexualkontakt entgegenstehender Wille mittels Einschüchterung oder Schikanen gebrochen, wirkt dies im Vergleich mit von vornherein beiderseits einverständlichen Sexualkontakten deutlich straferschwerend. 36 Disziplinarmaßnahmen nach Beamtenrecht können als bereits eingetretene oder zu erwartende Sanktionierung strafmildernd berücksichtigt werden.58 Da § 174a primär vor Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung und nicht vor Pflichtverletzungen von Beamten im Verhältnis zu ihrem Dienstherren schützen soll, spielen Mängel der Dienstaufsicht keine Rolle.59
III. Missbrauch von kranken und hilfsbedürftigen Personen (Absatz 2) 1. Objektiver Tatbestand 37 a) Geschützte Personen. In Absatz 2 werden Personen geschützt, die in einer Einrichtung für kranke oder hilfsbedürftige Menschen aufgenommen wurden. Damit von einer Einrichtung gesprochen werden kann, ist eine gewisse organisatorische Dauerhaftigkeit erforderlich. Die Aufnahme einer kranken oder hilfsbedürftigen Person in die eigene Wohnung aufgrund einer individuellen Absprache begründet noch keine Einrichtung. Gehen die betreuerischen Tätigkei56 57 58 59
Wolters SK Rdn. 10. Renzikowski MK Rdn. 35. Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung, Rdn. 430; Renzikowski MK Rdn. 37. Renzikowski MK Rdn. 37.
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III. Missbrauch von kranken und hilfsbedürftigen Personen (Absatz 2)
§ 174a
ten aber über den Einzelfall hinaus, kommt es auf die Größe der Einrichtung nicht an: Auch ein kleines Heim mit nur wenigen Pflegeplätzen fällt unter § 174a Abs. 2. Erfasst werden auch Institutionen, die nicht überwiegend Betreuungsaufgaben erfüllen, sondern einem anderen Zweck dienen, wenn dort in einer Abteilung kranke oder hilfsbedürftige Insassen, Dienstpflichtige etc. versorgt werden60 (etwa die Krankenstation einer Justizvollzugsanstalt oder einer Kaserne). Für alle von § 174a Abs. 2 erfassten Einrichtungen ist unerheblich, ob sie einen öffentlich-rechtlichen oder privaten Träger haben, ob sie gewerberechtlich konzessioniert sind und ob die Nutzung eine öffentlich-rechtliche oder private Grundlage hat.61 Das Merkmal „hilfsbedürftiger Mensch“ ist eng auszulegen. Besonders junges oder sehr hohes Alter genügen für sich genommen nicht.62 Vielmehr muss sich die Hilfsbedürftigkeit aus der nicht nur durch das Lebensalter bestimmten, sondern besonderen körperlichen oder geistigen Verfassung ergeben. Kinderkrippen, -gärten und -tagesstätten sind nicht erfasst, ebenso wenig Einrichtungen zur Aufnahme von Asylbewerbern.63 Einrichtungen für hilfsbedürftige Personen sind z.B. Altenpflegeheime,64 nicht aber Seniorenwohnanlagen („betreutes Wohnen“) oder Altenheime, in denen ältere Menschen ohne pflegerische Betreuung leben,65 genauso wenig Freizeitprogramme für Senioren. Zu den unter § 174a Abs. 2 fallenden Einrichtungen gehören solche für behinderte Menschen, die Arbeits- und/oder Wohnzwecken dienen (Behindertenheime, Wohngruppen für Behinderte, „beschützende Werkstätten“ u.ä.). Einrichtungen für Kranke sind Krankenhäuser jeder Art und Rehabilitationszentren. Es kommt für das Tatbestandsmerkmal „in einer Einrichtung für Kranke aufgenommen“ nur auf die Aufnahme und auf die Zielsetzung der Einrichtung an, nicht auf das Ausmaß der Erkrankung der Betroffenen.66 Entscheidend ist, dass in der Einrichtung Krankheiten durch medizinisches Personal oder auf ärztliche Verordnung behandelt werden, oder überwiegend im Vorfeld einer Behandlung erforderliche Untersuchungen durchgeführt werden. Bei Kureinrichtungen ist entgegen der h.M. (BGHSt 19 131)67 zu differenzieren: Dienen diese der Nachbehandlung und Nachsorge in der Rekonvaleszenzphase nach erheblichen Erkrankungen, sind sie als Einrichtungen für Kranke anzusehen. Handelt es sich dagegen um Angebote, die das Allgemein- und Wohlbefinden verbessern sollen, fallen sie nicht unter § 174a Abs. 2. Von § 174a Abs. 2 erfasst sind auch Entziehungsanstalten für suchtkranke Personen. Die ausdrückliche Nennung von Suchtkrankheit in § 174c hat nur eine klarstellende Funktion. Eine Person ist nur geschützt, wenn sie in die Einrichtung aufgenommen wurde. Erfasst sind zum einen Personen, die dauerhaft oder für einen begrenzten Zeitraum (einige Monate, Wochen oder Tage) in den Räumlichkeiten der Einrichtung wohnen, zum anderen aber auch Patienten oder Betreuungsbedürftige, die sich nur für Teile des Tages dort aufhalten. Das 6. StrRG hatte noch eine stationäre Aufnahme verlangt; mit dem SexualdelÄndG v. 27.12.2003 wurde das Wort „stationär“ wieder gestrichen. Damit sollte klargestellt werden, dass die Norm auch bei teilstationären Einrichtungen anzuwenden ist (BTDrucks. 15/350 S. 16). Die Frage, ob das Opfer mindestens einmal in der Einrichtung übernachtet haben muss,68 ist irrelevant geworden. Das Wort „teilstationär“ in der Begründung zum SexualdelÄndG (BTDrucks. 15/350 S. 16) weist aber darauf hin, dass es nicht ausreicht, wenn sich der Betroffene nur sporadisch als
60 61 62 63 64 65
Renzikowski MK Rdn. 22. Fischer Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 22; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. Dazu, dass hohes Alter nicht zwangsläufig Hilfsbedürftigkeit bedeutet, Wolters SK Rdn. 16. AA bzgl. Einrichtungen für Asylbewerber Frommel NK Rdn. 12. BGH NStZ-RR 2016 78. Fischer Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 22; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. Weiter bzgl. Altersheimen Frommel NK Rdn. 12. 66 AA Renzikowski MK Rdn. 21. 67 S. zu der Ansicht, derzufolge Kurheime generell unter § 174a Abs. 2 fallen, Renzikowski MK Rdn. 22; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 16. 68 Dazu noch BGHSt 29 16. 75
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Patient oder Hilfsbedürftiger in der Einrichtung aufhält. Einmalige oder unregelmäßige ambulante Behandlungs- oder Betreuungstermine genügen nicht.69 Nicht erfasst sind z.B. Untersuchungen in einem Krankenhaus,70 auch wenn der Patient mehrere Termine wahrnehmen muss und jeweils mehrere Stunden wartet, genauso wenig der verschiedentlich wiederholte Besuch in einer Praxis für Krankengymnastik oder Massage oder die gelegentliche Teilnahme an einer Freizeitgruppe für Behinderte oder Kranke. Geschützt sind dagegen Patienten in Tageskliniken für die Behandlung psychisch Kranker und Behinderte in Behindertenwerkstätten oder anderen Einrichtungen der Tagespflege. Eine Unterbringung „von früh bis abends“ (so Renzikowski MK Rdn. 23) ist nicht zwingend erforderlich, aber es muss sich um eine mehrstündige tägliche Betreuung handeln, die entweder verteilt auf einzelne Wochentage über mehrere Wochen oder länger genutzt wird oder bei täglicher Inanspruchnahme mindestens eine Woche dauert.71 An der Aufnahme in die Einrichtung fehlt es, wenn diese regelmäßig wiederholte Pflege42 oder Betreuungsleistungen anbietet, die aber in der eigenen Wohnung der Betreuten oder sonst außerhalb der Einrichtung durchgeführt werden (z.B. häusliche Kranken- oder Altenpflege, Lieferung von Mahlzeiten, Unterstützung von erkrankten Eltern durch Familienhilfe).72 Übergriffe zu Lasten von Angehörigen und anderen Besuchern der aufgenommenen Person sowie zu Lasten von Personal fallen nicht unter § 174a Abs. 2.73 Lag eine stationäre oder teilstationäre Aufnahme vor, spielt es keine Rolle, ob der Sexual43 kontakt in den Räumen der Einrichtung stattfindet oder außerhalb (etwa anlässlich eines Spaziergangs oder eines Ausflugs).74 Allerdings ist bei § 174a Abs. 2 in Abgrenzung zu § 174c (§ 174c Rdn. 14) ein zeitlicher Bezug zum Aufenthalt in der Einrichtung erforderlich, wenn es sich nur um eine teilstationäre Aufnahme handelt. Trifft derjenige, dem die Person zur teilstationären Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, in einem anderen Kontext auf diese, so ist mangels Bezug zur Einrichtung ggf. aus § 174c zu bestrafen. Geschützt werden alle Personen, die in eine Einrichtung aufgenommen wurden, bis zu ih44 rer Entlassung. Dies gilt auch dann, wenn sie zum Zeitpunkt der sexuellen Handlung tatsächlich nicht (mehr) krank oder hilfsbedürftig waren75 (etwa wenn sich nach Abschluss der diagnostischen Verfahren herausstellt, dass keine Erkrankung vorliegt, oder wenn die zunächst bestehende Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit geheilt oder aufgehoben wurde). Eine den Anwendungsbereich auf akute Krankheit und Krankheitsverdacht oder tatsächliche Hilfsbedürftigkeit begrenzende einengende Auslegung ist nicht erforderlich: Das Tatbestandsmerkmal „unter Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit“ hat lediglich die Funktion, zu verhindern, dass z.B. sämtlichen in einem Altenpflegeheim lebenden Senioren pauschal sexuelle Selbstbestimmung abgesprochen wird.
45 b) Täter. Dem Täter muss das Opfer zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut gewesen sein. Betreuung bedeutet wie in Absatz 1 (Rdn. 14) jede fürsorgerische Tätigkeit, etwa durch medizinisches Personal, Kranken- oder Altenpflegepersonal, Beschäftigungs- und Psychotherapeuten, Psychologen, Krankengymnasten, Masseure usw. Da anders als in § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 nicht „Betreuung in der Lebensführung“ verlangt wird, sind die Anforderungen an die vom
69 70 71 72 73 74
Renzikowski MK Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. LG Frankfurt BeckRS 2020 44959. Letzteres auch bei Renzikowski MK Rdn. 23. Fischer Rdn. 7, 8; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. Fischer Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Renzikowski MK Rdn. 21; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. Fischer Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Renzikowski MK Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 16. 75 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 16. AA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 21; unklar Fischer Rdn. 8a, der zwar verlangt, dass Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit tatsächlich gegeben sein müssen, aber Aufnahmen nur zu Diagnosezwecken einschließt. Hörnle
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III. Missbrauch von kranken und hilfsbedürftigen Personen (Absatz 2)
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Betreuenden zu tragende Verantwortung geringer. Es kommt weder auf die Ausbildung noch auf die Berufsbezeichnung an, sondern nur auf die konkret zugewiesenen Aufgabenbereiche. Werden nicht entsprechend ausgebildete Personen zur Pflege, zur Anleitung bei Arbeitstätigkeiten oder zur Gestaltung von Therapie- und Freizeitaktivitäten eingesetzt, übernehmen diese Betreuungsfunktionen (vgl. zu entsprechenden Aufgaben eines Hausmeisters BGH NJW 1964 458).76 Nicht eingeschlossen ist Personal, das für Verwaltungsaufgaben oder technische Funktionen (Reinigung, Reparaturen etc.) zuständig ist und dessen Aufgabenbereich nicht ausgeweitet wurde.77 Beaufsichtigung wird oft mit Betreuungsfunktionen einhergehen. An eine reine Beaufsichtigungsfunktion ist ggf. bei entsprechendem Personal in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt zu denken (BTDrucks. VI/3521 S. 27). Wie bei Absatz 1 ist erforderlich, dass die kranke oder hilfsbedürftige Person dem Täter 46 tatsächlich anvertraut ist; nicht erfasst ist ein nur vorgetäuschtes Betreuungs- oder Beaufsichtigungsverhältnis.78 Ein Über- und Unterordnungsverhältnis muss in den Fällen des Absatzes 2 nicht festgestellt werden.79 Es genügt, dass der Täter fürsorgende Tätigkeiten gegenüber dem betroffenen Patienten oder Hilfsbedürftigen übernommen hat, wobei dieses Fürsorgeverhältnis bei ärztlichem Personal und dem für eine Station, ein Haus, eine Werkstatt etc. dauerhaft oder im Schichtwechsel zuständigen Pflege- und Erziehungspersonal auch außerhalb der jeweiligen Dienstzeiten besteht.80 Dem Personal, das nur stundenweise sachlich umgrenzte Aufgaben erfüllt (Krankengymnasten, Beschäftigungstherapeuten etc.), sind die Nutznießer der Einrichtung dagegen nur während der einschlägigen Betreuungszeiten anvertraut.81 Während § 174 Abs. 1 Nr. 2 a.F. (vor dem 4. StrRG v. 23.11.1973) noch eine Anstellung des 47 Täters in der Anstalt voraussetzte,82 ist nach der geltenden Fassung nicht mehr erforderlich, dass der Täter zum Personal der Einrichtung gehört.83 Es genügt, dass er anstelle des Personals deren betreuende und ggf. beaufsichtigende Funktion übernommen hat. Ob dies der Fall ist, bedarf der Prüfung im Einzelfall. Zu bejahen wäre das Anvertrautsein, wenn ein niedergelassener Arzt Sprechstunden in der Einrichtung abhält oder Behandlungspläne für diese erstellt (vgl. BGHSt 19 131, 133), zu verneinen dagegen beim Besuch einer externen Arztpraxis.
c) Sexuelle Handlungen. S. Rdn. 21 f. Für „vornehmen lassen“ würde auch hier passives Ver- 48 halten genügen, da das Anvertrautsein eine Garantenstellung begründet.
d) Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit. Ein Missbrauch gem. Absatz 2 wird 49 dadurch charakterisiert, dass sexuelle Handlungen mit Körperkontakt zwischen Täter und Opfer oder Opfer und Dritten (Rdn. 21 f) unter Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit vorgenommen werden. Während ein Missbrauch der Stellung, wie ihn Absatz 1 voraussetzt, wegen der besonders intensiv ausgeprägten institutionellen Abhängigkeit von gefangenen und verwahrten Personen meist zu bejahen sein wird, kommt dem Tatbestandsmerkmal „Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit“ bei Absatz 2 in größerem Umfang eine Filterfunktion zu. Ob Personen, die wegen Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit in eine Einrichtung aufgenom- 50 men wurden, im Verhältnis etwa zum Pflegepersonal wirksam in sexuelle Kontakte einwilligen 76 77 78 79 80 81 82 83 77
Frommel NK Rdn. 13; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6. Fischer Rdn. 8b; Renzikowski MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Wolters SK Rdn. 17. Renzikowski MK Rdn. 25. AA Renzikowski MK Rdn. 25. Renzikowski MK Rdn. 26. Renzikowski MK Rdn. 26. AA (keine Berücksichtigung von Dienstzeiten) Fischer Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 17. Dazu BGHSt 19 131, 133. Fischer Rdn. 8b; Renzikowski MK Rdn. 25; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Wolters SK Rdn. 17. Hörnle
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können, hängt vom konkreten Kontext ab. Eine Ausnutzung von Hilfsbedürftigkeit ist zu bejahen, wenn die Betroffenen aufgrund geistiger Schwächen in ihren Urteils-, Entschluss- oder Durchsetzungsfähigkeiten beeinträchtigt sind. Unter diesen Bedingungen kommt es auf ein möglicherweise vorliegendes faktisches Einverständnis nicht an.84 Es spielt für die strafrechtliche Bewertung dann auch keine Rolle, wer den Anstoß zum Sexualkontakt gegeben hat.85 Liegen die Defizite, die Hilfsbedürftigkeit oder Krankheit begründen, dagegen ausschließlich im körperlichen Bereich, ist es möglich, dass der Täter diese nicht ausnutzt. Ein Ausnutzen der Hilfsbedürftigkeit liegt zwar vor, wenn sich der Täter körperliche Immobilität oder eine sonstige körperliche Schwäche zunutze macht, um den entgegenstehenden Willen des Opfers zu übergehen (s. BGH NStZ 2009 324, 325). Im Übrigen ist die Ausnutzung aber zu verneinen, wenn der Patient einverstanden ist und keine erheblichen kognitiven Schwächen oder sonstige psychische Probleme vorlagen. Ein faktisch vorliegendes Einverständnis ist jedoch dann irrelevant, wenn eine krankheitsbedingte Schwäche ausgebeutet wird, die auch in Form eines psychischen Ausnahmezustands (Aufregung, Trauer etc.) wegen einer schweren Erkrankung vorliegen kann (BGH NStZ 2004 630, 631). Umstr. ist die Bewertung bei Sachverhalten, in denen kein Einverständnis vorlag, aber auch keine konkrete körperliche oder psychische Schwächung der betroffenen Person nachzuweisen ist. Im Schrifttum wird überwiegend eine krankheitsbedingte Einbuße bei der individuellen Widerstandskraft vorausgesetzt,86 während die Rspr. auch bei nicht durch Krankheit besonders geschwächten Patienten eine Tat nach § 174a Abs. 2 für möglich hält.87 Der Rspr. ist zuzustimmen. Krankheit wird auch dann ausgenutzt, wenn eine Untersuchung (etwa eine gynäkologische Untersuchung, s. OLG Hamm NJW 1977 1499) oder eine Behandlung die Tatausführung erleichtern, weil der Täter dadurch einen Vorwand hat, seine sexuellen Intentionen zu verschleiern.88 Unter solchen Umständen ist die Krankheit der Grund dafür, dass Patienten Eingriffe in ihre Intimsphäre zulassen, deren Sinn sie nicht hinterfragen können. Tatbestandsmäßig sind derartige Täuschungsmanöver auch dann, wenn die Krankheit weitgehend abgeheilt ist und der Patient vor der Entlassung steht89 oder wenn nach Abschluss der diagnostischen Maßnahmen keine Krankheit festgestellt werden konnte. Krankheit ist nicht nur als Zustand, sondern auch als Prozess zu sehen, zu dem der Krankheitsverdacht sowie therapeutische und diagnostische Maßnahmen in der Rekonvaleszenzphase gehören. Ferner genügt es, dass der Täter sich Umstände zunutze macht, die das Leben in einer Einrichtung für kranke oder hilfsbedürftige Menschen prägen. Bei Taten zu Lasten von Schlafenden wird Krankheit ausgenutzt, wenn das Vorgehen durch krankheitsbedingte Vorsorgemaßnahmen ermöglicht wurde (etwa durch den Umstand, dass Patienten und hilfsbedürftige Personen während der Nachtruhe ihre Zimmer nicht abschließen können, weil das Pflegepersonal jederzeit Zutritt haben muss).90 Profitiert der Täter nur von Umständen, die in keinem spezifischen Zusammenhang mit einer Erkrankung oder Hilfsbedürftigkeit stehen (etwa Einsamkeit von Menschen, die ihre Angehörigen vermissen), fehlt es dagegen am Ausnutzen von Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit. Keine eigenständige Bedeutung hat das Merkmal „missbraucht“. Ist festgestellt, dass der Täter Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit ausgenutzt hat, genügt dies für die Bejahung eines Missbrauchs.91
84 85 86 87 88 89
AA Sturm JZ 1974 5. AA Sturm JZ 1974 1, 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; S. ferner Bungart S. 212; Wolters SK Rdn. 21. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Renzikowski MK Rdn. 29; Wolters SK Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. BGH NStZ 2004 630, 631; OLG Hamm NJW 1977 1499. So auch Fischer Rdn. 11. AA Renzikowski MK Rdn. 29; Wolters SK Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. Für eine Anwendung des § 174a Abs. 2 im letzteren Fall BGH NStZ 2004 630, 631; OLG Hamm NJW 1977 1499. AA Bungart S. 211; Fischer Rdn. 11. 90 AA Renzikowski MK Rdn. 29; Wolters SK Rdn. 20. 91 Bungart S. 212; Fischer Rdn. 13; Renzikowski MK Rdn. 31; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Wolters SK Rdn. 19. AA Frommel NK Rdn. 15; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9. Hörnle
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V. Verjährung
§ 174a
2. Subjektiver Tatbestand Es genügt hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale bedingter Vorsatz (Rdn. 30). Geht der Täter 55 irrigerweise davon aus, dass die kranke oder hilfsbedürftige Person ohne mentale und situationsbedingte Defizite den Sexualkontakt wollte, so wirkt dieser Irrtum tatbestandsausschließend,92 weil die Ausnutzungsklausel Tatbestandsmerkmal ist.
3. Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzumessung S. Rdn. 31 ff.
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IV. Konkurrenzen Tateinheit ist möglich zwischen Absatz 1 und Absatz 2,93 im Übrigen mit den §§ 174, 174b, 174c, 57 176 bis 180, 182, 240, 331, 332. Trifft ein Missbrauch mit einer Tat nach § 177 zusammen, so tritt § 174a nicht zurück,94 da ansonsten der zu einem sexuellen Übergriff oder einer sexuellen Nötigung hinzutretende Aspekt des Missbrauchs institutioneller Abhängigkeit nicht zum Ausdruck käme. S. zu mehreren Taten zu Lasten derselben Opfer Vor § 174 Rdn. 72.
V. Verjährung Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4). Bei mehreren Vorfällen, die zueinan- 58 der im Verhältnis der Tatmehrheit stehen, läuft die Verjährungsfrist für jeden Einzelfall gesondert. War das Opfer zum Zeitpunkt der Begehung der Tat minderjährig, ruht die Verjährung bis zur Vollendung seines 30. Lebensjahres (§ 78b Abs. 1 Nr. 1).
92 Frommel NK Rdn. 17; Wolters SK Rdn. 22. 93 Fischer Rdn. 15, Frommel NK Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; aA Renzikowski MK Rdn. 36. 94 Fischer Rdn. 12; Renzikowski MK Rdn. 36; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; Wolters SK Rdn. 12; aA Mildenberger Streit 1999 11 (für Abs. 2). 79
Hörnle
§ 174b Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung (1) Wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren oder an einem Verfahren zur Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung oder einer behördlichen Verwahrung berufen ist, unter Mißbrauch der durch das Verfahren begründeten Abhängigkeit sexuelle Handlungen an demjenigen, gegen den sich das Verfahren richtet, vornimmt oder an sich von dem anderen vornehmen läßt oder die Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.
Schrifttum Amelung Die Zulässigkeit der Einwilligung bei den Amtsdelikten, Festschrift Dünnebier (1982) 487; Nelles Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Streit 1995 91; Zeiler Einige Gedanken zum Begriff des Amtsträgers im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB, MDR 1996 439. Vgl. auch die Schrifttumsangaben bei § 174a und Vor § 174.
Entstehungsgeschichte Vorgänger der heutigen §§ 174a und 174b war § 174 Abs. 1 Nr. 3 i.d.F. des RStGB v. 15.5.1871, s. dazu § 174a, Entstehungsgeschichte. Nach der Strafrechtsangleichungsverordnung v. 29.5.1943,1 die die Strafbarkeit erheblich ausdehnte, machte sich gem. § 174 Nr. 2 strafbar, wer unter Ausnutzung seiner Amtsstellung einen anderen zur Unzucht missbrauchte. Das für jeglichen Amtsträger2 geltende Verbot wurde durch das 4. StrRG v. 23.11.1973 (Vor § 174 Rdn. 6) stark eingeschränkt. § 174b gilt nunmehr nur noch für einen viel kleineren Kreis von Amtsträgern, nämlich solche, die zur Mitwirkung an einem Strafverfahren, an einem Verfahren zur Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel oder einer behördlichen Verwahrung berufen sind. Diese Einschränkung war im Gesetzgebungsverfahren umstr. Teilweise wurde (so in einem Vorschlag des Bundesrates) die heutige Fassung als zu eng angesehen, weil es über das Straf- und Maßregelrecht hinaus staatliche Maßnahmen gebe, von denen die wirtschaftliche Existenz oder das familiäre Glück der Betroffenen abhänge und die deshalb eine nicht minder intensive Zwangslage schaffen könnten.3 Die Vertreter der entgegengesetzten Auffassung schlugen vor, auf § 174b zu verzichten; dies unter Verweis auf Pressionen, denen Personen in der Privatwirtschaft ausgesetzt sind.4 Mit § 174b hat sich der Gesetzgeber für einen Kompromiss entschieden. Zwar räumte der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform in seiner Begründung ein, dass Bürger in vielfacher Weise von hoheitlichen Entscheidungen abhängig und auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Dennoch befürwortete er die starke Eingrenzung der Strafbarkeit in Relation zu § 174 Nr. 2 a.F., weil sich wegen des besseren Rechtsschutzsystems und des gestiegenen Selbstbewusstseins des Bürgers gegenüber dem Staat Abhängigkeit verringert habe (BTDrucks. VI/3521 S. 28; zust. Sturm JZ 1974 6). Die Mehrheit des Sonderausschusses hielt eine Strafbarkeit trotzdem für erforderlich, wenn die Abhängigkeit besonders stark sei, weil der Betroffene mit Freiheitsentziehung rechnen müsse (BTDrucks. VI/3521 S. 28). Das SexualdelÄndG v. 27.12.2003 (Vor § 174 Rdn. 21) hat auch für § 174b (s. § 174a Entstehungsgeschichte) den gesetzlichen Strafrahmen erhöht. Sexueller Körperkontakt mit dritten Personen ist seit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 (Vor § 174 Rdn. 29) erfasst.
Übersicht I.
Normzweck
II.
Objektiver Tatbestand
1 2 3 4
1
1.
3 Täter a) Strafverfahren
4
RGBl. I 339. Koeniger NJW 1957 481 f. BTDrucks. VI/3521 S. 29. BTDrucks. VI/3521 S. 28; Hanack Gutachten A zum 47. DJT (1968) Rdn. 218 ff.
Hörnle https://doi.org/10.1515/9783110490121-004
80
§ 174b
I. Normzweck
b)
2. 3.
Verfahren zur Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und 9 Sicherung c) Verfahren zur Anordnung einer behördli10 chen Verwahrung d) Täuschung und Zuständigkeits12 anmaßung 14 Geschützte Personen; Tathandlungen 15 Missbrauch der Abhängigkeit
III.
Subjektiver Tatbestand
IV.
Täterschaft und Teilnahme
V.
Versuch
VI.
Strafzumessung
21 22 23
VII. Konkurrenzen VIII. Verjährung
19
24
18
I. Normzweck Die Vorschrift dient dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung von Personen, die als Be- 1 schuldigte oder sonst persönlich Betroffene in ein Strafverfahren oder ein anderes Verfahren verwickelt sind, das mit Freiheitsentziehung enden kann.5 Dahinter steht die Überlegung, dass nicht nur ein bereits bestehender Freiheitsverlust wie in § 174a Abs. 1 außerordentlichen Druck begründet, sondern auch Furcht vor drohender Freiheitsentziehung und der stigmatisierenden Wirkung eines Strafurteils sowie die einschüchternde Wirkung von Zwangsmaßnahmen und Vernehmungen im Ermittlungsverfahren. Einem Amtsträger kann dies die Möglichkeit verschaffen, Sexualkontakte gegen den Willen des Betroffenen zu erreichen, was nach § 174b auch dann strafbar ist, wenn der entgegenstehende Wille nicht erkennbar war und kein Umstand nach § 177 Abs. 2 vorlag. Selbst ein faktisch vorliegendes Einverständnis gilt unter solchen Umständen regelmäßig als unbeachtlich. Für die Betroffenen ist die Versuchung, keine Chance zur Verbesserung der eigenen Position ungenutzt zu lassen, größer als in anderen Situationen, in denen Bürger mit staatlicher Gewalt konfrontiert sind (BTDrucks. VI/3521 S. 28).6 Umstr. ist, inwieweit zusätzlich Allgemeininteressen hinter § 174b stehen. Ein möglicher 2 Gesichtspunkt könnte die „Reinhaltung des Amtes von sexuellen Handlungen“ sein (dagegen allerdings explizit BTDrucks. VI/3521 S. 28). Diese mit moralisierenden Aspekten durchsetzte Erwägung7 kann schon deshalb keine zutreffende Beschreibung des geltenden Rechts sein, weil § 174b (anders als § 174 Nr. 2 a.F.)8 sexuelle Kontakte zwischen Bediensteten derselben Behörde nicht mehr erfasst. Angeführt wird ferner, dass die „Integrität der Ausübung staatlicher Macht“ geschützt werde.9 Der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform verwies auf das Ansehen des Staates in der Öffentlichkeit. Zudem werde die soziale Funktion der Strafe oder einer Freiheitsentziehung gefährdet, wenn das Vertrauen der Bürger schwinde, dass derartige Verfahren absolut objektiv und ohne Ansehen der Person betrieben werden.10 Vertrauens- und Ansehensverluste als Folge von „Günstlingswirtschaft“ oder Machtmissbrauch sind jedoch für alle staatlichen Institutionen und Zweige öffentlicher Verwaltung schädlich, und sie drohen nicht nur aufgrund von sexuellen Übergriffen, sondern generell durch eigennütziges Verhalten von Amtsträgern.
5 Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Nelles Streit 1995 99; Renzikowski MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 610; Wolters SK Rdn. 2. 6 Nelles Streit 1995 100 plädiert für eine Ausdehnung auf „der Freiheitsentziehung vergleichbare existentielle Entscheidungen“. 7 Hanack Gutachten A zum 47. DJT (1968) Rdn. 209. 8 Vgl. zum alten Recht BGHSt 8 24; 18 112. 9 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1 und Wolters SK Rdn. 2 verweisen hierauf als weiteren Normzweck. Ähnlich B. Heinrich Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht (2001) S. 298. 10 BTDrucks. VI/3521 S. 28. Zust. Amelung FS Dünnebier 487, 516 f; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1 i.V.m. § 174a Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1. 81
Hörnle
§ 174b
Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung
Die Bekämpfung derartiger Entwicklungen ist Aufgabe der §§ 331 ff: Für eine Norm im 13. Abschnitt des StGB ist Integritäts- und Vertrauensschutz lediglich eine erwünschte Nebenwirkung.11
II. Objektiver Tatbestand 1. Täter 3 Täter kann nur ein Amtsträger sein (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren oder an einem Verfahren zur Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung oder einer behördlichen Verwahrung berufen ist (s. dazu auch Walter LK § 258a Rdn. 3 ff).
4 a) Strafverfahren. Strafverfahren sind Verfahren nach der StPO oder dem JGG. Ein Strafverfahren liegt auch dann vor, wenn mit der Verhängung oder Anordnung einer Maßregel (§§ 61 StGB, 7 JGG) zu rechnen ist.12 Nicht erfasst werden Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten und Disziplinarverfahren.13 § 174b verweist auf Strafverfahren, ohne nach der Schwere der zu erwartenden Sanktion zu differenzieren. Im Schrifttum wird teilweise für eine restriktive Auslegung plädiert: Der Tatbestand solle nur angewandt werden, wenn den geschützten Personen eine Freiheitsstrafe, nicht aber, wenn nur eine Geldstrafe drohe.14 Ähnliche Überlegungen wären auch bei jugendstrafrechtlichen Verfahren möglich, wenn nicht mit einer freiheitsbeschränkenden Sanktion zu rechnen ist. Gegen eine solche restriktive Auslegung spricht jedoch zum einen, dass selbst Juristen, vor allem in frühen Stadien des Ermittlungsverfahrens, nicht immer vorhersagen können, welche Sanktionsalternative das Gericht wählen wird. Erst recht ist eine solche Prognose für Rechtsunkundige kaum möglich, da die weiten gesetzlichen Strafrahmen Freiheitsstrafe einschließen und nicht vorausgesetzt werden kann, dass die tatsächlich nur begrenzte Ausschöpfung mancher Strafrahmen allgemein bekannt ist. Zum anderen hängt die einschüchternde Wirkung, die ein Strafverfahren für diejenigen hat, gegen die es sich richtet, nicht nur von der nüchternen Kalkulation der zu erwartenden Einbuße ab. Entscheidend sind vielmehr das mit Strafe verbundene besondere sozialethische Unwerturteil und das Gefühl der völligen Unterlegenheit in der Konfrontation mit der Staatsmacht, die im Kontext von Strafverfahren oft als besonders einschüchternd porträtiert oder von Betroffenen selbst so erlebt wird. In den seltenen Fällen, in denen Betroffene sicher wissen, dass es nur um Kleinigkeiten geht, ist dieser Umstand bei der Prüfung des Missbrauchs von Abhängigkeit (Rdn. 15 ff) zu berücksichtigen.15 Zum Strafverfahren gehören nicht nur Ermittlungs-, Zwischen-, Haupt- und Rechtsmit5 telverfahren (unter Einschluss der besonderen Verfahrensarten), sondern auch das Vollstreckungsverfahren.16 Zwar entfällt nach Eintritt der Rechtskraft die Ungewissheit für die Verurteilten, aber es sind auch im Vollstreckungsverfahren bedeutsame Vergünstigungen möglich, was Potenzial für die Ausübung von Druck schafft. Grundsätzlich ist auch die Vollstreckung einer Geldstrafe oder einer nicht freiheitsentziehenden Maßregel (§ 61 Nr. 4 bis 6) erfasst. Die insoweit notwendige Einzelfallprüfung ist beim Merkmal „Missbrauch von Abhängigkeit“ (Rdn. 15 ff) vorzunehmen (hieran kann es etwa bei der Affäre mit einem für die Vollstreckung 11 12 13 14
Renzikowski MK Rdn. 2. Renzikowski MK Rdn. 8. Teilweise aA (nur freiheitsentziehende Maßregeln) Wolters SK Rdn. 4. Fischer Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 8; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Wolters SK Rdn. 4. Renzikowski MK Rdn. 8. AA die h.M.: Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Wolters SK Rdn. 4. 15 Sturm JZ 1974 6. 16 Renzikowski MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Wolters SK Rdn. 4. Hörnle
82
II. Objektiver Tatbestand
§ 174b
einer geringen Geldstrafe zuständigen Staatsanwalt fehlen, während z.B. Entscheidungen über die Aussetzung eines Berufsverbots, § 456c Abs. 2 StPO, ein anderes Gewicht haben). Sexuelle Übergriffe beim Vollzug einer Freiheitsstrafe fallen unter § 174a Abs. 1, nicht unter § 174b.17 Zur Mitwirkung an Strafverfahren sind Richter, Staatsanwälte und Polizeibeamte beru- 6 fen; in Steuerstrafverfahren auch Finanzbeamte (RGSt 58 79; § 386 AO).18 Für Polizeibeamte gilt dies bei eigenen Ermittlungen, s. § 163 Abs. 1 StPO, genauso wie bei der Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen im Auftrag der Staatsanwaltschaft.19 Im Schrifttum wird teilweise vertreten, dass § 174b nur oder vor allem auf Ermittlungen gem. § 163 Abs. 1 StPO anwendbar sei.20 Für eine derartige Einschränkung fehlt jedoch ein sachlicher Grund: In Anbetracht des Schutzzwecks der Norm ist irrelevant, ob ein Beschuldigter auf eigene Initiative der Kriminalpolizei oder erst nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft vernommen wird. Erfasst sind alle Amtsträger, denen Aufgaben nach den §§ 161, 163 StPO obliegen, auch in Ortspolizeibehörden,21 aber nicht deren Tätigkeiten im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr nach den Polizeigesetzen der Länder. Nach § 174b können sich auch die Vorgesetzten von Beamten strafbar machen, und zwar unabhängig davon, ob sie tatsächlich Einfluss auf konkrete Diensthandlungen genommen haben.22 Streitig ist, ob sog. Hilfspersonal mit Amtsträgereigenschaft (etwa Geschäftsstellen- und 7 Protokollbeamte, Wachbeamte im Sitzungssaal) Täter sein können. Die h.M. verneint dies, weil diese Personen keine entscheidungserhebliche Stellung haben.23 Für den Einschluss aller Amtsträger an den mit dem Verfahren befassten Behörden und Gerichten spricht jedoch, dass Beschuldigten und Angeklagten die interne Behördenorganisation oft nur rudimentär bekannt ist. Aus ihrer Perspektive ist allein entscheidend, ob der ihnen gegenübertretende, sexuelle Leistungen fordernde oder annehmende Mensch im laufenden Strafverfahren als überlegene, mit Hoheitsmacht ausgestattete Person auftritt. Nicht erfasst ist mangels Amtsträgereigenschaft (s. zu den Anforderungen an eine Bestellung i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 BGHSt 43 96; 43 370, 380) ein freiberuflich tätiger Arzt, der für einen Einzelfall zur Blutentnahme herangezogen wird.24 Im Vollstreckungsverfahren wirken Vollstreckungsrichter und Beamte des Justizdienstes 8 mit, d.h. Staatsanwälte (§ 451 StPO) und Rechtspfleger – die Aufgaben der Strafvollstreckung sind weitgehend Rechtspflegern übertragen (gem. § 31 Abs. 2 S. 1 und 3 RPflG, s. zu den Ausnahmen § 31 Abs. 2 S. 2, Abs. 2a, 2c RPflG).25 Zum Vollstreckungsverfahren gehören Entscheidungen, die die Verfahrenskosten betreffen. Umstr. ist, ob Bewährungshelfer eingeschlossen sind.26 Zwar haben Bewährungshelfer nur Berichts- und Mitteilungspflichten (§ 56d Abs. 3 S. 2 und S. 3) und keine eigenen Entscheidungsbefugnisse. Aus der Sicht der Verurteilten ist der Bewährungshelfer jedoch Teil der Staatsmacht und seine Berichterstattung ist (mit-)verantwortlich für die wichtige Entscheidung, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen wird. Aus diesem Grund fallen auch Bewährungshelfer unter § 174b.
b) Verfahren zur Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und 9 Sicherung. Gemeint sind Verfahren gem. § 71 Abs. 1 StGB, §§ 413 ff StPO, die zur Unterbrin17 18 19 20 21 22 23 24
Renzikowski MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. Fischer Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 12. S. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. Frommel NK Rdn. 11; Renzikowski MK Rdn. 12; Wolters SK Rdn. 12. BGHSt 12 277. Renzikowski MK Rdn. 13. Renzikowski MK Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Wolters SK Rdn. 12. Umstr. ist dies, wenn eine solche Tätigkeit regelmäßig ausgeübt wird, dazu Zeiler MDR 1996 439; für eine Anwendung von § 11 Abs. 1 Nr. 2c B. Heinrich Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht (2001) S. 433. 25 AA bzgl. der Vollstreckungsbeamten bei der Geldstrafenvollstreckung Wolters SK Rdn. 12. 26 Dagegen Fischer Rdn. 3; Frommel NK Rdn. 11; Renzikowski MK Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Wolters SK Rdn. 12. 83
Hörnle
§ 174b
Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung
gung eines Straftäters in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt durchgeführt werden können, wenn ein Strafverfahren wegen Schuld- oder Verhandlungsunfähigkeit ausscheidet.27 Vom Wortlaut des § 174b sind sexuelle Handlungen nach der rechtskräftigen Anordnung der Unterbringung, d.h. solche im Vollstreckungsverfahren, nicht erfasst.28 Übergriffe im Maßregelvollzug fallen unter § 174a Abs. 1.29
10 c) Verfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung. Hiermit verweist das Gesetz auf sämtliche gesetzlich geordneten Verfahren, die mit Freiheitsentziehung enden können: Unterbringung nach den Unterbringungsgesetzen der Länder; Abschiebungshaft nach § 62 AufenthG; Heimerziehung gem. § 34 SGB VIII (dazu § 174a Rdn. 12);30 Freiheitsentziehung nach den Polizeigesetzen der Länder (s. z.B. §§ 35 ff, 54 PolG NRW); Absonderung gem. § 30 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) v. 20.7.2000; Haft nach prozessrechtlichen Bestimmungen (§§ 51, 70 StPO, §§ 390, 802g, 888 ZPO, §§ 96 ff OWiG, §§ 177, 178 GVG); Arrest nach § 26 Wehrdisziplinarordnung v. 16.8.2001. Die Festnahme zum Zweck der Vorführung ist dagegen keine Verwahrung.31 11 Zur Mitwirkung an derartigen Verfahren berufen sind u.a. auch Ärzte, die unter § 174b fallen, wenn sie Amtsträger i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 sind;32 in Verfahren zur Anordnung des Arrestes nach der Wehrdisziplinarordnung die Vorgesetzten des betroffenen Soldaten; im Abschiebeverfahren die zuständigen Verwaltungsbeamten; und jeweils auch Hilfsorgane, deren dienstlicher Auftrag es ist, an dem Verfahren als Hilfskräfte mitzuwirken.
12 d) Täuschung und Zuständigkeitsanmaßung. Das Verfahren muss tatsächlich betrieben werden. Täuscht ein Amtsträger dies lediglich vor, ist § 174b nicht anwendbar.33 Nicht entscheidend ist, ob ein hinreichender Tatverdacht (oder die bei anderen Verfahren hinreichende Faktenlage) vorlag: Die Einleitung eines sachlich nicht gerechtfertigten Verfahrens, um den Betroffenen gefügig zu machen, würde genügen.34 Interpretationsbedürftig ist das Tatbestandsmerkmal „berufen“. Unstreitig ist der objektiv 13 zuständige Amtsträger zur Mitwirkung am Verfahren berufen (s. zur umfassenden Zuständigkeit von Polizeibeamten aufgrund von § 163 Abs. 1 StPO OLG Koblenz NStZ-RR 1998 332 – zu § 258a). Fraglich ist jedoch, ob § 174b auch denjenigen erfasst, der sich aufgrund eines Irrtums oder wissentlich die Beschäftigung mit einem Straf- oder anderen Verfahren angemaßt hat, für das er nach der gerichts- oder behördeninternen Aufteilung nicht zuständig ist. Dies ist mit dem Wortlaut noch vereinbar.35 Es genügt jedoch nicht, dass ein Amtsträger einem anderen nur vorspiegelt, dass er für das Verfahren zuständig sei, obwohl er daran tatsächlich nicht beteiligt ist. Ferner handelt nicht tatbestandsmäßig, wer als nicht selbst mit der Sache befasster Kollege des
27 Frommel NK Rdn. 6; Renzikowski MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Wolters SK Rdn. 5. AA vermutlich Fischer Rdn. 3, der nur auf § 61 Nr. 1 bis 3, nicht aber auf § 71 verweist. 28 Wolters SK Rdn. 5. 29 Renzikowski MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 30 Renzikowski MK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. Weiter Wolters SK Rdn. 6, der auf die §§ 28 bis 35 SGB VIII verweist. 31 BTDrucks. VI/3521 S. 29; Renzikowski MK Rdn. 11. 32 BTDrucks. VI/3521 S. 29; Fischer Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 12; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Wolters SK Rdn. 12. 33 Fischer Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Wolters SK Rdn. 3. 34 Fischer Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Wolters SK Rdn. 3. 35 So für die fehlerhafte Annahme der Zuständigkeit auch Renzikowski MK Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10 und für die Anmaßung einer Zuständigkeit entgegen dem Geschäftsverteilungsplan Walter LK § 258a Rdn. 7. Hörnle
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II. Objektiver Tatbestand
§ 174b
zuständigen Amtsträgers lediglich Gelegenheiten ausnützt, die sich etwa aus dem Zugang zu Räumen ergeben.36
2. Geschützte Personen; Tathandlungen Das Verfahren muss sich gegen ein bestimmtes Individuum richten (also im Strafverfahren: 14 gegen Beschuldigte; zum Beginn der Beschuldigteneigenschaft Erb LR § 163a Rdn. 11 ff). Der Beschuldigtenstellung vorausgehende informatorische Befragungen und andere Ermittlungen gegen Unbekannt werden nicht erfasst.37 Tatopfer kann nur derjenige sein, gegen den sich das Verfahren richtet, also z.B. nicht die Angehörigen eines Beschuldigten.38 S. zu den Tathandlungen § 174a Rdn. 21 f.
3. Missbrauch der Abhängigkeit Der Amtsträger muss die sexuellen Handlungen unter Missbrauch der durch das Verfahren 15 begründeten Abhängigkeit vornehmen. In Abgrenzung zu § 174a Abs. 1 könnte man zwischen „Missbrauch der Stellung“ und „Missbrauch von Abhängigkeit“ differenzieren.39 Jedoch steht auch hinter dem „Missbrauch der Stellung“ in § 174a Abs. 1 ein Missbrauch von Abhängigkeit (§ 174a Rdn. 23 ff). Der Unterschied zwischen Missbrauch gem. § 174a und gem. § 174b ist allenfalls graduell. Die Machtunterschiede zwischen den Insassen einer totalen Institution und dem Personal (§ 174a Abs. 1, s. dazu § 174a Rdn. 4) fallen oft noch prägnanter aus als Machtunterschiede, die durch die in § 174b vorausgesetzten Umstände begründet werden. Ein Missbrauch der durch das Verfahren begründeten Abhängigkeit liegt zum einen vor, 16 wenn der Täter den entgegenstehenden Willen des Opfers missachtet. Erfasst sind sexuelle Übergriffe (z.B. nach § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, 5) und sexuelle Nötigungen gem. § 177 Abs. 5, aber auch Situationen, in denen der entgegenstehende Wille des Opfers nicht nach außen sichtbar wurde, wenn sexuelle Handlungen während einer Vernehmung, Anhörung oder eines anderen verfahrensbedingten Aufeinandertreffens von Täter und Opfer stattfanden. Zum anderen kann auch dann ein Missbrauch zu bejahen sein, wenn in solchen Situationen ein Sexualkontakt mit Einverständnis oder sogar auf eigene Initiative des Opfers zustande kam, das sich seinerseits davon Vorteile versprach.40 Als wirksame Einwilligung wäre ein Einverständnis nur dann zu werten, wenn es in kei- 17 nem Zusammenhang mit der Abhängigkeit steht.41 Dann fehlt es an einem Missbrauch der Abhängigkeit; d.h. der Tatbestand ist nicht erfüllt. Hieran wäre zu denken, wenn eine ältere vertraute Beziehung zwischen den Beteiligten bestand. Beruht ihre Bekanntschaft aber auf dem Zusammentreffen im Strafverfahren (oder sonstigen auf Maßregelanordnung oder Verwahrung ausgerichteten Verfahren), so begründet dies die Vermutung, dass der Sexualkontakt ohne die verfahrensbedingte Abhängigkeit nicht zustande gekommen wäre.42 Es ist zwar nicht kategorisch auszuschließen, dass beide Beteiligte ausschließlich durch die persönliche Anziehungskraft des anderen motiviert worden sein könnten – entsprechende Behauptungen bedürfen aber
36 37 38 39 40 41
AA BayObLG JZ 1961 453 – zu § 346 a.F. – mit krit. Anm. Geerds JZ 1961 453. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Wolters SK Rdn. 4. Renzikowski MK Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Wolters SK Rdn. 3. So Sturm JZ 1974 6; ebenso Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Wolters SK Rdn. 2. OLG Jena BeckRS 2020 5953; Renzikowski MK Rdn. 15; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. Amelung FS Dünnebier 487, 517; Renzikowski MK Rdn. 15; Wolters SK Rdn. 9; s. auch BGHSt 28 365, 367 und OLG Schleswig SchlHA 1957 309 zu § 174 Abs. 1 Nr. 2. 42 S. auch Renzikowski MK Rdn. 15. AA Hanack NJW 1974 4. 85
Hörnle
§ 174b
Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung
der kritischen Würdigung. Je bedrohlicher der mögliche Ausgang des Verfahrens für den davon Betroffenen ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Abhängigkeit missbraucht wurde.
III. Subjektiver Tatbestand 18 Der Tatbestand verlangt – mindestens – bedingten Vorsatz.43 Genauso wenig wie bei § 174a ist erforderlich, dass der Täter die Abhängigkeit bewusst ausnutzt (§ 174a Rdn. 30);44 eine solche Beschränkung ist aus dem Wort „Missbrauch“ nicht abzuleiten. Es reicht aus, dass er es für ernstlich möglich hält, dass die Abhängigkeit des Opfers den Sexualkontakt ermöglicht hat.
IV. Täterschaft und Teilnahme 19 § 174b beschreibt ein Sonderdelikt: Täter kann nur ein Amtsträger sein.45 Es handelt sich nicht um ein eigenhändiges Delikt (§ 174a Rdn. 31). Der durch § 174b Geschützte wird nicht wegen Teilnahme bestraft, auch dann nicht, wenn 20 er den Täter angestiftet hat (Vor § 174 Rdn. 68).46 Für Teilnehmer gilt § 28 Abs. 1 nicht. Die Beschränkung des Täterkreises dient als tatbezogenes Merkmal dazu, Fälle besonderer Abhängigkeit zu erfassen.47
V. Versuch 21 Der Versuch ist gem. Absatz 2 strafbar. S. § 174 Rdn. 69 ff.
VI. Strafzumessung 22 S. § 174a Rdn. 34 ff.
VII. Konkurrenzen 23 S. zu Handlungseinheit und Handlungsmehrheit Vor § 174 Rdn. 73 ff. Tateinheit ist möglich mit den §§ 174, 174a,48 174c, 240, 258a, 331, 332, 340. S. zur Tateinheit mit § 177 dort Rdn. 155.
VIII. Verjährung 24 S. § 174a Rdn. 58.
43 Fischer Rdn. 5 i.V.m. § 174 Rdn. 16; Frommel NK Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. Renzikowski MK Rdn. 16 verlangt dagegen direkten Vorsatz. AA Renzikowski MK Rdn. 16. Renzikowski MK Rdn. 17. Frommel NK Rdn. 11; Renzikowski MK Rdn. 18; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Wolters SK Rdn. 12. Frommel NK Rdn. 12; Wolters SK Rdn. 12. AA Renzikowski MK Rdn. 18; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. Fischer Rdn. 6 i.V.m. § 174a Rdn. 15; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Renzikowski MK Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 14.
44 45 46 47 48
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§ 174c Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt. (3) Der Versuch ist strafbar.
Schrifttum AbuDagga u.a. Time to End Physician Sexual Abuse of Patients, Journal of General Internal Medicine 2019 1330; Ammerman u.a. Abuse and Neglect in Psychiatrically Hospitalized Multihandicapped Children, Child Abuse & Neglect 1989 335; Becker Sexuelle Gewalt gegen Mädchen mit geistiger Behinderung, 2. Aufl. (2001); Becker-Fischer/ Fischer Sexuelle Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie (1995); Brown Harmful Effects of Posttermination Sexual and Romantic Relationships Between Therapists and Their Former Clients, Psychotherapy 1988 249; Bungart Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen (2005); Burgess Physician Sexual Misconduct and Patients’ Responses, Am. Journal of Psychiatry 138 (1981) 1335; Degener Gleichstellung behinderter Opfer bei der strafrechtlichen Verfolgung sexualisierter Gewalttaten, Streit 1996 99; Dietrich Einverständliche sexuelle Kontakte zwischen Psychotherapeuten und Klienten (2001); du Bois u.a. Sexual Violation of Patients by Physicians, Sexual Abuse 2019 503; EhlertBalzer Sexueller Mißbrauch in der Psychotherapie: Eine Einführung, in Richter-Appelt (Hrsg.) Verführung – Trauma – Mißbrauch (1997) 125; Eisele Anmerkung zu BGHSt 65, 313, JR 2021 536; Fegert/Wolff (Hrsg.) Kompendium „Sexueller Missbrauch in Institutionen“ (2015); Gutmann u.a. Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie, MedR 2019 18; Hafke Macht, Ohnmacht und Machtmissbrauch in therapeutischen Beziehungen (1996); Heyne Tatort Couch (1991); Karger u.a. Sexuelle Übergriffe in Psychoanalyse und Psychotherapie (2001); Lenckner Juristische Aspekte im Umgang mit der Sexualität behinderter Menschen, in Färber/Lipps/Seyfarth (Hrsg.) Sexualität und Behinderung (1998) 169; Lindemann Psychisch Kranke als Opfer von Gewalt, Festschrift Eisenberg (2019) 79; Löwer-Hirsch Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie (2017); Mattke (Hrsg.) Sexuell traumatisierte Menschen mit geistiger Behinderung (2015); Mildenberger Änderungen im 13. Abschnitt des StGB durch das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts, Streit 1999 3; Moggi/Brodbeck Risikofaktoren und Konsequenzen von sexuellen Übergriffen in Psychotherapien, Zeitschrift für Klinische Psychologie 1997 50; Moggi/Hercek Sexuelle Übergriffe in der Psychotherapie, in Amann/ Wipplinger (Hrsg.) Sexueller Missbrauch (2005) 777; Noack/Schmid Sexuelle Gewalt gegen Menschen mit geistiger Behinderung, 2. Aufl. (1996); Oberlies Selbstbestimmung und Behinderung – Wertungswidersprüche im Sexualstrafrecht? in Zinsmeister (Hrsg.) Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen und das Recht (2003) 157; Riemer/Schneider Verbesserung des Schutzes vor sexuellen Übergriffen in fachgebundenen und Richtlinien-Psychotherapien, Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 2006 406; Rosenfeld Sexuelle Gewalt und Behinderung, in Färber/Lipps/Seyfarth (Hrsg.) Sexualität und Behinderung (1998) 119; Senn Gegen jedes Recht. Sexueller Missbrauch und geistige Behinderung (1993); Spenner Die Strafbarkeit des „sexuellen Missbrauchs“ in der Psychotherapie (1999); Stuhler u.a. Von schleichenden Grenzverletzungen zu sexuellem Missbrauch in Psychotherapien, Psychotherapeut 2019 470; Trost Sexualität und sexueller Missbrauch bei Menschen mit geistiger Behinderung, in Clauß u.a. (Hrsg.) Sexuelle Entwicklung – sexuelle Gewalt (2005) 20; Voss/Hallstein Menschen mit Behinderungen (1993); Walter (Hrsg.) Sexualität und geistige Behinderung, 6. Aufl. (2005); Zauner Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (2004); Zinsmeister Werden behinderte Frauen durch das Sexualstrafrecht diskriminiert? in dies. (Hrsg.) Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen und das Recht (2003) 23. Vgl. außerdem die Schrifttumsangaben Vor § 174 und bei § 174a.
87 https://doi.org/10.1515/9783110490121-005
Hörnle
§ 174c
Sexueller Mißbrauch bei Beratung, Behandlung oder Betreuung
Entstehungsgeschichte An der durch das 4. StrRG v. 23.11.1973 (Vor § 174 Rdn. 6) geschaffenen Neuregelung des Sexualstrafrechts wurde kritisiert, dass behinderte Opfer mit den §§ 174a Abs. 2, 179 a.F. nicht hinreichend gegen sexuelle Übergriffe geschützt würden.1 Seit dem Jahr 1993 (Gesetzesantrag der Freien und Hansestadt Hamburg, BRDrucks. 656/93) gab es außerdem Bestrebungen, durch einen neuen Straftatbestand die Patienten von Ärzten, Heilpraktikern und Berufspsychologen gegen sexuelle Übergriffe zu schützen. Anlass waren gravierende sexuelle Übergriffe eines Hamburger Arztes gegenüber Patientinnen.2 Schließlich legte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor (BTDrucks. 13/8267), der Teil des 6. StrRG v. 26.1.1998 (Vor § 174 Rdn. 17) wurde. Das 6. StrRG fügte § 174c in den 13. Abschnitt des StGB ein, um geistig oder seelisch erkrankte oder behinderte Menschen einschließlich Suchtkranker sowie Personen in psychotherapeutischer Behandlung vor sexuellen Übergriffen in Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen besser zu schützen (BTDrucks. 13/8267 S. 4). Die Begründung verwies auf das häufige Vorkommen von derartigen Übergriffen gegenüber geistig Behinderten sowie Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie sowie in psychotherapeutischen Behandlungsverhältnissen.3 In dieser ursprünglichen Fassung wurde darauf verzichtet, körperlich Erkrankte in den Kreis der geschützten Personen aufzunehmen, weil bei der Behandlung körperlicher Leiden in der Regel keine tiefgreifende Einschränkung der freien Selbstbestimmung anzunehmen sei (BTDrucks. 13/8267 S. 6, 11). Nur wenige Jahre später, mit dem SexualdelÄndG v. 27.12.2003 (Vor § 174 Rdn. 21), hat der Gesetzgeber aber den Passus „oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung“ in § 174c Abs. 1 eingefügt (s. zur Kritik Rdn. 5). Wenig überzeugend ist die Begründung, dass „körperliche und seelische Krankheiten insbesondere bei mehrfach behinderten Patienten oft so eng verzahnt sind, dass eine Erkennung, Heilung oder Linderung nur unter einem Gesichtspunkt nicht möglich ist“ (BTDrucks. 15/350 S. 16). Unter dem Aspekt „sexuelle Selbstbestimmung“ kommt es nicht auf Behandlung an. Das SexualdelÄndG hat auch in § 174c die Strafrahmen erhöht. Wie auch bei den §§ 174a, 174b, kam mit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 (Vor § 174 Rdn. 29) bei der Beschreibung der sexuellen Handlungen in Abs. 1 und Abs. 2 die Variante hinzu, dass der Täter das Opfer zur Vornahme oder Duldung von sexuellem Körperkontakt mit Dritten bestimmt.
Übersicht I.
Normzweck
II.
Missbrauch von kranken oder behinderten Personen (Absatz 1) Objektiver Tatbestand 6 a) Geschützte Personen 10 b) Täter 17 c) Tathandlungen d) Missbrauch des Beratungs-, Behandlungs18 oder Betreuungsverhältnisses 22 Subjektiver Tatbestand 23 Täterschaft und Teilnahme 25 Versuch
1.
2. 3. 4.
1
26 28
5. 6.
Strafzumessung Konkurrenzen
III.
Missbrauch von Personen in psychotherapeutischer Behandlung (Absatz 2) Objektiver Tatbestand 30 a) Geschützte Personen; Täter 36 b) Tathandlungen 38 Subjektiver Tatbestand Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzu39 messung; Konkurrenzen
1.
2. 3.
IV.
Verjährung
40
I. Normzweck 1 § 174c Abs. 1 schützt die sexuelle Selbstbestimmung kranker, suchtkranker und behinderter Personen.4 Bei Taten zu Lasten von geistig oder seelisch Behinderten oder Erkrankten wird oft 1 Degener Streit 1996 99; Heinz-Grimm in Walter (Hrsg.) Sexualität und geistige Behinderung, S. 430, 437 ff; Noack/ Schmid S. 134 f. 2 BRDrucks. 656/93 S. 2; s. zur Gesetzgebungsgeschichte Zauner S. 7 ff. 3 BTDrucks. 13/8267 S. 4 f. 4 BGHSt 61 208, 215; 1 BGH BeckRS 2017 102994; Bungart S. 215 f; Fischer Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1; Renzikowski MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1. Hörnle
88
I. Normzweck
§ 174c
die Fähigkeit, Situationen angemessen einzuschätzen, über ein sexuelles Ansinnen anderer selbstbestimmt zu entscheiden und Übergriffe abzuwehren, generell eingeschränkt gewesen sein. Auch Suchtkranke können durch die Sucht in ihrer Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit beschränkt sein. Entscheidend ist die Kombination individueller Beeinträchtigungen mit dem Umstand, dass das Opfer auf die Beratung, Behandlung oder Betreuung des Täters angewiesen war. Dies begründet ein Machtungleichgewicht und eine besondere psychische Abhängigkeit (BTDrucks. 13/8267 S. 4). Umstr. ist, ob Interessen der Allgemeinheit eine wichtige Rolle bei der Beschreibung des Normzwecks spielen, so der BGH: Der Tatbestand schütze auch „das hohe Berufsethos der Heilberufe und das öffentliche Interesse an einem funktionierenden Gesundheitswesen“ (BeckRS 2017 102994 unter Verweis auf BT-Drucks. 13/2203, S. 5; aA die h.M. in der Lit.5). Dies ist als Beschreibung einer erwünschten Nebenfolge überzeugend, erfordert aber keine eigenständige Rechtsgutsbeschreibung (§ 174a Rdn. 6). Nach der Neugestaltung von § 177 erfasst § 174c Abs. 1 als Tatbestand mit eigenständiger 2 Bedeutung Fälle, in denen § 177 nicht anzuwenden ist. Ein sexueller Übergriff nach § 177 liegt nicht vor, wenn kein entgegenstehender Wille bestand oder ein solcher nicht erkennbar war (s. § 177 Abs. 1), und Umstände nach § 177 Abs. 2 fehlen. § 174c erweitert in solchen Fällen den Schutz. Dies ist damit zu erklären, dass die Obliegenheit, ggf. Ablehnung zu äußern, die das „Nein heißt Nein“-Modell in § 177 Abs. 1 mit sich bringt (§ 177 Rdn. 8), auf Verhältnisse der sozialen Gleichordnung zugeschnitten ist. Innerhalb von Abhängigkeitsverhältnissen der in § 174c beschriebenen Art, wenn es also nicht um Menschen geht, die sich „auf Augenhöhe“ gegenüberstehen (s. dazu BGHSt 61 208, 216), ist dagegen ein stärkerer Schutz angemessen. Wegen der Besonderheiten der Täter-Opfer-Beziehung ist selbst eine faktisch vorliegende Zustimmung der behandelten, beratenen oder betreuten Person irrelevant, anders als nach § 177 Abs. 2 Nr. 2. In den Konstellationen des § 174c treffen oft zwei Faktoren zusammen, die Selbstbestimmung entgegenstehen: zum einen die Beeinträchtigung von Entscheidungskompetenz durch Krankheit oder Behinderung (was allerdings bei körperlichen Krankheiten nicht immer der Fall sein muss, Rdn. 5, 21), zum anderen zusätzlich ein zwischen Täter und Opfer bestehendes Abhängigkeitsverhältnis. Bei einer doppelten Beeinträchtigung der Voraussetzungen für sexuelle Selbstbestimmung ist es vertretbar, eine Zustimmung in der Regel als unbeachtlich einzustufen. Der Anwendungsbereich erschöpft sich nicht in Fällen, in denen § 177 nicht eingreift: Tat- 3 einheit mit § 177 ist möglich. Auch beim Vorliegen eines sexuellen Übergriffs, ggf. mit Qualifikationen, erhöht die Ausnutzung des Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnisses das Tatunrecht. Bei Patienten in psychotherapeutischer Behandlung (Absatz 2) ist nicht ohne Weiteres 4 davon auszugehen, dass sie kognitive oder sonstige Defizite aufweisen. Zwar gibt es Überschneidungen zwischen § 174c Abs. 1 und Abs. 2, nämlich dann, wenn sich eine seelisch kranke Person in psychotherapeutische Behandlung begeben hat. Im Übrigen ist aber die Einschätzung ungenau, dass Absatz 2 „vor allem der Klarstellung“ (BTDrucks. 13/8267 S. 7)6 diene. Psychotherapeutische Behandlung wird auch wegen Verhaltensauffälligkeiten unterhalb der Krankheitsschwelle oder aus sonstigen Beweggründen in Anspruch genommen; unter solchen Umständen erweitert Absatz 2 den Anwendungsbereich im Vergleich mit Absatz 1. Die Fähigkeit der Patienten zu sexueller Selbstbestimmung wird durch Besonderheiten beeinträchtigt, die das Verhältnis zwischen Psychotherapeuten und ihren Patienten kennzeichnen.7 Hierzu zählt vor allem die Notwendigkeit, dass sich Patienten ihrem Psychotherapeuten in weitreichender Weise anvertrauen und dadurch in starke psychische Abhängigkeit geraten (BTDrucks. 13/2203 S. 5). Untersuchungen zu sexuellen Übergriffen beschreiben die Mechanismen, die eine besondere Ver5 Fischer Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1; Renzikowski MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1. 6 Ebenso Bungart S. 219; Frommel NK Rdn. 12; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 5; Mildenberger Streit 1999 12. 7 S. dazu Gutmann u.a. MedR 2019 18, 21 f und zur Häufigkeit von Grenzüberschreitungen Riemer/Schneider Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 2006 406, 409 f. 89
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Sexueller Mißbrauch bei Beratung, Behandlung oder Betreuung
wundbarkeit von Patienten (vor allem Patientinnen) gerade in der Psychotherapie begründen, nämlich die „induzierte Regression, auf die der Patient sich einlassen muss, wenn er von der Behandlung profitieren will“.8 Sie zeigen Faktoren, die Therapeuten dazu bewegen können, diese Abhängigkeit auszunutzen, und schädliche Auswirkungen für die Betroffenen, denen es infolge des Missbrauchs typischerweise nach der Beendigung der Beziehung zum Therapeuten schlechter geht als vor der Aufnahme der Therapie.9 Die Erweiterung des Verbots in Absatz 1 auf körperlich kranke oder behinderte Personen 5 durch das SexualdelÄndG v. 27.12.2003 wird kritisiert.10 Nicht jede körperliche Krankheit oder Behinderung beeinträchtigt Fähigkeiten, die für selbstbestimmtes sexuelles Handeln erforderlich sind. § 174a Abs. 2 stellt zwar ebenfalls auf Krankheit ab, setzt aber zusätzlich die Aufnahme in eine Einrichtung voraus, was die Spielräume für selbstbestimmtes Verhalten einschränkt (§ 174a Rdn. 3). Bei ambulanten Behandlungs-, Beratungs- und Betreuungsverhältnissen ist die Sachlage anders. Es kann durchaus Umstände geben, die körperlich erkrankte Patienten und körperlich Behinderte in besonderem Maße verwundbar oder abhängig machen (s. Rdn. 20). Jedoch liegen nicht in allen Fällen zwangsläufig Begleitumstände vor, die in erheblichem Umfang die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung einengen. Die Reformkommission zum Sexualstrafrecht empfiehlt deshalb, Einschränkungen des Tatbestandes einzuführen, soweit es um Personen geht, die dem Täter nur wegen einer körperlichen Krankheit oder körperlichen Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut sind.11 De lege lata kommt der Missbrauchsklausel die Funktion zu, Fälle auszuschließen, in denen die Rahmenbedingungen sexueller Selbstbestimmung nicht entgegenstanden (Rdn. 20 f).
II. Missbrauch von kranken oder behinderten Personen (Absatz 1) 1. Objektiver Tatbestand 6 a) Geschützte Personen. Die Opfer müssen dem Täter wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung anvertraut sein. S. zu den Begriffen Krankheit und Behinderung § 177 Rdn. 67-69. Erfasst werden als geistige Behinderung irreversible Intelligenzdefizite, die genetisch bedingt sein können oder erworben (etwa infolge eines Sauerstoffmangels während der Geburt oder infolge einer späteren Erkrankung oder Verletzung des Gehirns).12 Auch Demenzerkrankungen werden als Behinderung erfasst.13 Eine trennscharfe Differenzierung zwischen temporärer Erkrankung und länger andauernder Behinderung (s. § 2 Abs. 1 SGB IX) ist nicht immer möglich, da auch ein zunächst nur als vorübergehend angesehener Krankheitszustand in eine länger anhaltende Behinderung übergehen kann. Für die Anwendung von § 174c spielt dies aber keine Rolle, da offengelassen werden kann, ob es sich noch um eine Krankheit oder schon um eine Behinderung handelt. 7 Die Bezeichnungen im StGB zur Erfassung von Störungen psychischer Gesundheit sind leider uneinheitlich.14 Während § 177 Abs. 2 Nr. 2 und z.B. § 1896 Abs. 1 BGB den zeitgemäßen Begriff „psychisch“ enthalten, findet sich im StGB (nicht nur in § 174c) noch die altmodischere 8 Ehlert-Balzer S. 131; s. ferner Becker-Fischer/Fischer S. 34 ff; Spenner S. 10 ff; Zauner S. 55 ff. 9 S. Becker-Fischer/Fischer S. 79 ff und die Forschungsübersichten bei Dietrich S. 111 ff; Ehlert-Balzer S. 130 ff; Moggi/Brodbeck Zeitschrift für Klinische Psychologie 1997 56; Moggi/Hercek S. 786 ff.
10 Fischer Rdn. 5; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 6; Renzikowski MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4a; Wolters SK Rdn. 2b. BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 338 f. Renzikowski MK Rdn. 14; s. ferner Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 7. Krit. dazu Schiemann NStZ 2018 211.
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II. Missbrauch von kranken oder behinderten Personen (Absatz 1)
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Terminologie „geistig“ oder „seelisch“ zur Charakterisierung einer Beeinträchtigung. Das Merkmal „geistige Krankheit“ in § 174c wurde in Anlehnung an den früheren fachlichen Sprachgebrauch aufgenommen (BTDrucks. 13/8267 S. 7). Ein Unterschied zur seelischen Krankheit besteht nicht, eine Differenzierung zwischen geistiger Krankheit und seelischer Krankheit ist nicht erforderlich. Es empfiehlt sich eine Orientierung an der Auslegung des Begriffs der geistigen Krankheit in § 226 Abs. 1 Nr. 3 (Schiemann NStZ 2018 211). Insoweit hat der BGH klargestellt, dass „sämtliche krankheitswertige Schäden an der psychischen Gesundheit erfasst werden“ (BGH NStZ 2018 102, 103 m. Anm. Schiemann NStZ 2018 211). Bei § 226 Abs. 1 Nr. 3 wird allerdings als weiterer Filter eine objektiv bestehende Erheblichkeit des pathologischen Zustands vorausgesetzt (BGH NStZ 2018 102, 103), was bei § 174c nicht erforderlich ist. Die Anforderungen an das Vorliegen einer geistigen oder seelischen Erkrankung sind niedrig anzusetzen.15 Auf die objektive Schwere kommt es schon deshalb nicht an, weil bei § 174c schon das Anvertrautsein wegen eines Krankheitsverdachts ausreicht (Rdn. 15). Suchtkrankheit setzt voraus, dass der Betroffene von potenziell suchtbegründenden Subs- 8 tanzen (vor allem Alkohol und Drogen, BTDrucks. 13/8267 S. 6, aber auch Medikamenten) körperlich oder psychisch abhängig ist, wobei aber bei leichteren Formen der Abhängigkeit von bestimmten Substanzen (etwa Nikotin) zu prüfen wäre, ob diese Krankheitswert hat. Nicht substanzgebundene Verhaltensauffälligkeiten, die umgangssprachlich als „Sucht“ eingeordnet werden (etwa Mager- oder Spielsucht), werden vereinzelt auch unter „Suchtkrankheit“ gefasst.16 Richtigerweise sind diese jedoch als seelische Krankheit einzuordnen, wenn sie Krankheitswert haben.17 Eine körperliche Krankheit besteht, wenn körperliche Funktionen von dem für das Le- 9 bensalter typischen Zustand in negativer Weise abweichen, und eine körperliche Behinderung, wenn dieser Zustand über einen längeren Zeitraum anhält. Auch eine vergleichsweise geringfügige und schnell wieder abklingende körperliche Beeinträchtigung (etwa ein grippaler Infekt) ist eine Krankheit;18 s. zur Bedeutung der Missbrauchsklausel in diesen Fällen Rdn. 20 f. Es genügt die Möglichkeit, dass eine Krankheit bestehen könnte. Deshalb sind auch Vorsorgeuntersuchungen erfasst, BGHSt 65 313, 315 ff; zustimmend Eisele JR 2021 536 f).
b) Täter. Dem Täter muss das Opfer zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut 10 sein. Der Gesetzgeber hat auf eine Aufzählung bestimmter Berufsgruppen verzichtet, weil von einer Vielzahl in Betracht kommender Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsformen sowie von unterschiedlichsten Qualifikationen ausgegangen wurde (BTDrucks. 13/8267 S. 7). Die eine Beratung, Behandlung oder Betreuung übernehmenden Personen müssen nicht eine dafür geeignete Ausbildung genossen haben. Täter kann z.B. auch ein Arzt sein, dem die Approbation entzogen wurde (BGH BeckRS 2020 10184), außerdem wer ohne die nach § 1 HeilprG erforderliche Erlaubnis als Heilkundiger auftritt oder wer behauptet, Diagnosen aufgrund übersinnlicher Fähigkeiten zu stellen.19 Nur bei Absatz 2 setzt der BGH die Berechtigung zur Führung des Titels „Psychotherapeut“ voraus (dazu und zur Kritik Rdn. 30), nicht aber bei den in Absatz 1 erfassten behandelnden, beratenden und betreuenden Personen. Täter kann nicht nur sein, wer beruflich Beratung, Behandlung oder Betreuung anbietet, sondern auch Personen, die im Einzelfall die Betreuung z.B. eines geistig oder körperlich Behinderten übernommen haben.20
15 So auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 6. 16 Wolters SK Rdn. 2a. 17 Bungart S. 175; Fischer Rdn. 4; Frommel NK Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2b; Renzikowski MK Rdn. 16; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 4; Zauner S. 133. 18 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2c. 19 Corrêa Camargo ZStW 134 (2022) 351, 388; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 8. 20 Bungart S. 219. AA Frommel NK Rdn. 16. 91
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Sexueller Mißbrauch bei Beratung, Behandlung oder Betreuung
Beratung liegt vor, wenn vor diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen über diese ein Gespräch stattfindet,21 ferner dann, wenn bei Suchtkranken oder seelisch oder geistig Erkrankten oder Behinderten statt einer Therapie i.e.S. (die Krankheit beseitigen oder lindern soll) die Unterstützung bei der Lebensbewältigung (etwa durch Sozialarbeiter) im Vordergrund steht. Im Schrifttum wird es darüber hinaus als ausreichend angesehen, dass während einer Therapie ratgebende Begleitung gegeben wird.22 Unter solchen Umständen muss allerdings der Ratgebende mit dem Anspruch auftreten, über einen Wissensvorsprung zu verfügen und die weiteren Maßnahmen sachkundig beurteilen zu können – die allgemein psychisch unterstützende Begleitung, die Freunde, Bekannte, Angehörige oder Seelsorger im Krankheitsfall gewähren, begründet kein § 174c unterfallendes Beratungsverhältnis. Eine Empfehlung zur Bewältigung persönlicher Probleme, die in einem freundschaftlichen Kontext gegeben wird, begründet nicht schon deshalb ein Beratungsverhältnis, weil der Empfehlende von Beruf Psychologe ist.23 Behandlung umfasst auch Vorsorgeuntersuchungen (BGH NJW 2021 2223, 2224), diagnostische Untersuchungen bei Krankheitsverdacht24 und Rehabilitationsmaßnahmen.25 Beratung und Behandlung erfolgen nicht nur durch Ärzte und Psychologen, sondern etwa auch durch Heilpraktiker, Physio- und sonstige Bewegungstherapeuten26 sowie Sprachtherapeuten, Masseure, Röntgenassistenten, Krankenpfleger und Sprechstundenhilfen, die z.B. Blut abnehmen, Sozialarbeiter in der Suchtberatung usw. 12 Zur Betreuung s. § 174a Rdn. 14, 45. Der Begriff ist weder im engeren Sinne der §§ 1896 ff BGB zu verstehen noch entspricht er der „Betreuung in der Lebensführung“ nach § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. Es genügt vielmehr jede Form der fürsorgerischen Tätigkeit, etwa durch Pflegepersonal, aber auch durch andere Personen, die de facto Fürsorgepflichten übernommen haben (etwa ein Busfahrer, der geistig Behinderte von einer Werkstatt nach Hause bringt und dabei über das Fahren hinaus Aufsichtspflichten erfüllt, s. BTDrucks. 13/8267 S. 7; LG Ravensburg NStZ-RR 2012 44).27 Anvertraut kann das Opfer dem Täter aufgrund hoheitlicher Anordnung sein (etwa bei 13 einer Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus), aufgrund von Absprachen mit Dritten (etwa mit Eltern des Betroffenen oder einem Betreuer gem. §§ 1896 ff BGB) oder aufgrund eigenen Wunsches bzw. eigener Initiative der beratenen, behandelten oder betreuten Person (BTDrucks. 13/8267 S. 6; BGHSt 61 208, 213 f; BGH NStZ 2016 529, 530).28 Wurde das Opfer dem Täter von einem Dritten oder aufgrund hoheitlicher Anordnung anvertraut, kommt es weder auf das Wissen noch auf das Wollen des Schützlings an.29 Die einseitige Ankündigung, jemanden zu beraten, zu behandeln oder zu betreuen, begründet kein Anvertrautsein.30 Auf den Abschluss eines Vertrags kommt es nicht an, wenn ein faktisches Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis sowohl von demjenigen, der sich selbst oder einen Dritten anvertraut hat, als auch vom Täter gewollt ist.31 Ebenso wenig spielt es eine Rolle, ob das Verhältnis auf längere Dauer angelegt ist oder nicht (eine einmalige Behandlung genügt)32 und ob die Behandlung entgeltlich oder unentgeltlich ist.33 Angehörige einer Person, die zur geschützten Personengruppe nach § 174c gehören, sind (dem Täter) nicht selbst auch zur Behandlung, Beratung oder 11
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Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Renzikowski MK Rdn. 20. Renzikowski MK Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Wolters SK Rdn. 3. BGH NStZ 2016 529, 530. BTDrucks. 13/8267 S. 11. Renzikowski MK Rdn. 20; Wolters SK Rdn. 3. S. BGH StV 2005 439. Renzikowski MK Rdn. 25. Fischer Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Wolters SK Rdn. 3. Fischer Rdn. 8. Renzikowski MK Rdn. 22; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Zauner S. 92. BGHSt 61 208, 213 f; BGH NStZ 2012 440, 441; BeckRS 2020 10184; KG NStZ-RR 2014 178; Bungart S. 217 f; Fischer Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 22; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Zauner S. 94, 135. AA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Wolters SK Rdn. 5. 32 BGH NStZ 2012 440, 441; OLG Celle NStZ-RR 2011 274. 33 KG NStZ-RR 2014 178. AA bzgl. „reiner Gefälligkeitsverhältnisse“ Zauner S. 95, 136. Hörnle
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II. Missbrauch von kranken oder behinderten Personen (Absatz 1)
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Betreuung anvertraut, und zwar auch dann nicht, wenn ihnen regelmäßig über Fortschritte des Patienten berichtet wird (BGH NStZ 2016 529, 530; aA für die nächsten Angehörigen von Patienten in der Psychotherapie, die mit einbezogen werden müssten, Gutmann u.a. MedR 2019 18, 20 f). Derjenige, der einem anderen zur Beratung, Betreuung oder Behandlung anvertraut ist, ist diesem oft untergeordnet. Notwendige Bedingung für die Anwendung des § 174c ist ein Verhältnis der Über- und Unterordnung jedoch nicht.34 Beratung, Behandlung und Betreuung können in ambulanter Form stattfinden (z.B. beim 14 Besuch von ärztlichen oder psychologischen Praxen, Zentren für ambulante Therapie, Suchtberatungsstellen, bei Hausbesuchen und häuslicher Pflege), aber auch bei Aufenthalten in teilstationären (etwa Tageskliniken oder Tageseinrichtungen für Behinderte) oder stationären Einrichtungen (etwa Krankenhäuser oder Wohngruppen für Behinderte); s. zu den Konkurrenzen mit § 174a Abs. 2 bei teilstationärer oder stationärer Versorgung Rdn. 29. Irrelevant ist, ob die sexuellen Handlungen in den für Beratung, Behandlung oder Betreuung vorgesehenen Räumen oder an anderen Orten, während vereinbarter Termine oder zu anderen Zeiten stattfinden.35 Der strafrechtliche Schutz erstreckt sich auf die gesamte Zeit,36 in der die Person dem Täter 15 wegen Krankheit oder Behinderung anvertraut ist: vom ersten Krankheitsverdacht bis zu letzten Untersuchungen oder einer Ruhephase nach einer Therapie. Die Vermutung einer Krankheit oder Behinderung oder ein rein subjektiver Bedarf nach Behandlung, Betreuung oder Beratung reichen aus.37 § 174c Abs. 1 kann anzuwenden sein, wenn sich zu einem späteren Zeitpunkt herausstellt, dass eine Krankheit oder Behinderung nie vorgelegen hatte38 und wenn mit einem als geheilt eingestuften Kranken ein Abschlussgespräch geführt wird. Das Anvertrautsein endet mit dem regulären, dem vorgesehenen Ablauf entsprechenden 16 Abschluss der Beratung, Therapie oder Betreuung, nicht aber bei einer nur formalen Unterbrechung oder einer verfrühten Beendigung, die dem Zweck dienen soll, sexuelle Handlungen zu ermöglichen (BTDrucks. 13/8267 S. 7).39
c) Tathandlungen. Der Täter muss an der geschützten Person erhebliche sexuelle Handlun- 17 gen mit Körperkontakt vornehmen oder das Opfer solche Handlungen am Körper des Täters vornehmen lassen. In letzterem Fall kann es unter bestimmten Umständen genügen, wenn der Täter ohne explizite eigene Aufforderung sexuelle Handlungen des Opfers an seinem Körper passiv hinnimmt, ohne dagegen einzuschreiten. Entscheidend ist die Frage, ob der Täter gegenüber dem Opfer eine Garantenstellung innehat, die ihn auch dazu verpflichtet, zu verhindern, dass die andere Person in nicht selbstbestimmter Weise ihm gegenüber sexuell aktiv wird (Vor § 174 Rdn. 62). Passivität ist dann strafbar, wenn der Täter gegenüber dem Opfer eine Garantenstellung hat (§ 174a Rdn. 21). Nicht erfasst sind sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt. Seit dem 1.7.2021 (s. Entstehungsgeschichte) sind auch sexuelle Handlungen mit Körperkontakt zu Dritten erfasst, wenn der Täter das Opfer dazu bestimmt hat. Eine sexuelle Handlung liegt nicht vor, wenn eine Untersuchung, Behandlung oder Pflegemaßnahme, die intime Körperregionen einbezieht, von einer fachlich zuständigen Person fachgerecht vorgenommen wird.40 Eine den üblichen Gepflogenheiten der gynäkologischen Praxis entsprechende Untersuchung einer Frau
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Fischer Rdn. 7. BTDrucks. 13/8267 S. 7; Mildenberger Streit 1999 12. KG NStZ-RR 2014 178. BGH NStZ 2012 440, 441; BeckRS 2020 10184; Bungart S. 217; Fischer Rdn. 8; Renzikowski MK Rdn. 13; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 5; Wolters SK Rdn. 2a; Zauner S. 137. AA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2. 38 BGH NStZ 2012 440, 441. 39 LG Offenburg NStZ-RR 2005 74; Fischer Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. AA Frommel NK Rdn. 4. 40 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Renzikowski MK Rdn. 24; Wolters SK Rdn. 4. 93
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Sexueller Mißbrauch bei Beratung, Behandlung oder Betreuung
durch einen Arzt ist keine „mehrdeutige Handlung“.41 Bei Handlungen de lege artis kommt es weder darauf an, ob der Betroffene ordnungsgemäß ärztlich aufgeklärt wurde,42 noch darauf, welche subjektiven Intentionen und Motive beim Handelnden vorliegen.43 Eine gynäkologische Behandlung oder Untersuchung erfolgt allerdings nicht fachgerecht, wenn der Behandelnde vorher zu sexuellen Zwecken die äußeren Umstände der Untersuchungssituation heimlich manipuliert hat, etwa um Fotos aufnehmen zu können (BGHSt 65 313, 318 f; zustimmend Eisele JR 2021 536, 537 f). Auch das heimliche Anfertigen von Bildaufnahmen bei einer ärztlichen Untersuchung oder Behandlung im Intimbereich, ohne Abweichung vom Normalen beim Untersuchungsvorgang als solchem, macht für einen objektiven Beobachter die Sexualisierung deutlich (Eisele JR 2021 536, 539).
18 d) Missbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses. Erforderlich ist, dass die sexuelle Handlung mit einem Missbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses verbunden ist. Ein solcher Missbrauch soll nach den Materialien zur ursprünglichen Fassung des § 174c bereits dann vorliegen, wenn der Täter die Gelegenheit, die seine durch das Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnis begründete Vertrauensstellung bietet, unter Verletzung der damit verbundenen Pflichten bewusst zu sexuellen Kontakten ausnutzt. Entbehrlich sei der praktisch schwierige und für das Opfer belastende Beweis, dass es vom Täter abhängig war oder der Täter gerade eine krankheitsbedingte Bedürftigkeit oder Hilflosigkeit ausgenutzt hat (BTDrucks. 13/8267 S. 7; diese Vorgabe bezog sich auf seelische und geistige Erkrankungen und Behinderungen sowie Suchtkrankheiten, s. Entstehungsgeschichte). Ein Teil des Schrifttums versteht dies so, dass der Verstoß gegen berufliche Pflichten gegenüber seelisch oder geistig Erkrankten oder Behinderten zwangsläufig einen Missbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bedeute.44 Das Tatbestandsmerkmal „Missbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses“ wäre jedoch überflüssig, wenn sich der Missbrauch schon ausnahmslos aus dem Anvertrautsein und den damit verbundenen beruflichen Pflichten ergeben würde (BGHSt 61 208, 214 f). 19 Es besteht allerdings eine starke Missbrauchsvermutung im Fall von seelischen und geistigen Erkrankungen und Behinderungen.45 Eine solche Vermutung ist begründet wegen des Zusammenspiels von seelischen, geistigen oder suchtbedingten Defiziten der Betroffenen mit der Überlegenheit des Täters und dem bestehenden Abhängigkeitsverhältnis. Diese Missbrauchsvermutung ist nicht deshalb entkräftet, weil ein faktisches Einverständnis vorlag oder weil die Initiative vom Patienten ausging, oder weil der Täter „nur“ zum Hilfspersonal gehörte. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen kann ein Missbrauch verneint werden, etwa wenn sich ein Patient mit nur leichten Intelligenzdefiziten in den behandelnden Physiotherapeuten verliebt oder sich eine wegen Depressionen behandelte Patientin und der beratende Sozialarbeiter gegen Abschluss der Behandlung beiderseits verlieben und eine Beziehung eingehen (OLG Zweibrücken BeckRS 2021 6465). Kein Missbrauch liegt auch vor, wenn ein Patient das sexuelle Interesse eines privat bekannten Arztes kennt und ein freundschaftliches Verhältnis oder eine Affäre beginnt, wobei ärztliche Leistungen (etwa das Verschreiben von Medikamenten) nicht im Vordergrund stehen, sondern unentgeltlich auf freundschaftlicher Basis oder infolge von 41 42 43 44
AA Zauner S. 102 f. Insoweit aA Renzikowski MK Rdn. 24. So aber Zauner S. 102 f. Dagegen zu Recht Eisele JR 2021 536, 537; Renzikowski MK Rdn. 24. Wolters SK Rdn. 9. Für therapeutische Verhältnisse gehen Fischer Rdn. 10b und Renzikowski MK Rdn. 29 davon aus, dass Sexualkontakte stets strafbar seien, während es (so Fischer a.a.O.) bei Beratung und Betreuung auf den Einzelfall ankomme. 45 Ähnlich wie hier Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 17 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6a; s. zur besonderen Missbrauchsanfälligkeit geistig Behinderter aufgrund ihrer Sehnsüchte nach einer Beziehung mit Nichtbehinderten Trost S. 33. Hörnle
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II. Missbrauch von kranken oder behinderten Personen (Absatz 1)
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ausnutzendem Verhalten des Patienten erfolgen (BGHSt 61 208, 216 f). Entscheidend ist in all diesen Fällen, dass kein Abhängigkeitsverhältnis (mehr) bestand. Bei körperlichen Behinderungen und Krankheiten bedarf es in jedem Fall einer Analyse 20 der konkreten Tathintergründe, damit ein Missbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses festgestellt werden kann.46 Erfolgte sexueller Körperkontakt gegen oder ohne den Willen der körperlich kranken oder behinderten Person, wird oft Tateinheit mit einem sexuellen Übergriff nach § 177 Abs. 1, Abs. 2 vorliegen. Der Missbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1 kann unter solchen Umständen darin liegen, dass der Täter den Protest von Patienten gegen sexuelle Berührungen ignoriert (BeckRS 2020 10184) oder behandlungsbezogene Vorteile verspricht bzw. Nachteile ankündigt,47 oder darin, dass er in sonstiger Weise seine überlegene Stellung und berufliche Autorität eingesetzt hat, um das Opfer zur Duldung zu veranlassen. Außerdem kann ein Missbrauch vorliegen, wenn der Täter fehlendes Wissen ausnutzt, etwa wenn er den sexuellen Charakter verschleiert und dem Opfer z.B. eine „gymnastische Übung“ aufträgt (aA BGH NStZ 2009 324, 325) oder den Anschein einer medizinischen Untersuchung schafft,48 wenn Patienten durch schnellen Zugriff überrumpelt werden, der Täter krankheitsbedingte körperliche Immobilität ausnutzt oder das Opfer mit Narkosemitteln ruhigstellt.49 Ferner kann ein Missbrauch darin liegen, dass physische Rahmenbedingungen der behandelnden oder betreuenden Tätigkeit ausgenutzt werden (etwa indem dem Opfer, das sich weisungsgemäß für eine Untersuchung oder Behandlung entkleidet hat, durch diese Nacktheit das Verlassen des Raumes erschwert wird; s. den Sachverhalt, der BGH StV 2005 439 zugrunde lag).50 Zustimmung zum sexuellen Körperkontakt schließt auch bei körperlichen Erkrankungen 21 nicht zwangsläufig eine Strafbarkeit nach § 174c aus (BGHSt 56 226, 229 ff m. Anm. Renzikowski NStZ 2011 696). Nicht überzeugend ist es aber, davon auszugehen, dass „im Regelfall“, also unabhängig von einer Differenzierung zwischen körperlichen und psychischen Erkrankungen, von einem Missbrauch auszugehen sei, auch wenn die beratene, behandelte oder betreute Person dem sexuellen Körperkontakt zugestimmt hat (so aber BGHSt 56 226, 229 ff; wie hier Renzikowski NStZ 2011 696, 697 f). Eine Reduktion des „fehlenden Missbrauchs“ auf Ehe- und Liebesverhältnisse (BGHSt 56 226, 234) wäre zu eng.51 Eine Regelfallvermutung passt nicht bei körperlichen Erkrankungen. Es kommt auf die Schwere und Dauer einer Erkrankung und Behinderung an, auf das Ausmaß der Abhängigkeit vom individuellen Behandelnden oder Betreuenden und die konkreten Umstände der Interaktion. Die Begründung zum SexualdelÄndG v. 27.12.2003 weist darauf hin, dass zwischen Therapeuten und insbesondere mehrfach behinderten Patienten eine Abhängigkeit bestehen könne, die durch Überlegenheit des Therapeuten und besonderes Vertrauen des hilfesuchenden Patienten gekennzeichnet sei (BTDrucks. 15/350 S. 16). Wenn dagegen jemand wegen einer Erkältung oder einer ähnlichen, temporären Erkrankung eine Praxis aufsucht, ist nicht davon auszugehen, dass sich dieser Umstand restriktiv auf die Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung ausgewirkt hat und ein Einverständnis als unbeachtlich gelten muss. Ein Missbrauch kann dagegen dann vorliegen, wenn der Täter durch Täuschung darüber, dass Sexualkontakt medizinisch notwendig oder therapeutisch sinnvoll sei, die Zustimmung erschlichen hat (BGHSt 56 226, 234). Anders wäre ein solcher Fall zu beurteilen, wenn der Behandelnde nicht manipulativ vorgeht, sondern erläutert hat, dass das Vorgehen nicht schulmedizinischen Vorgaben entspricht.52 46 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 18; Renzikowski MK Rdn. 30; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6b; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 610; Wolters SK Rdn. 10. AA Zauner S. 139 ff. Fischer Rdn. 10a; Wolters SK Rdn. 10. S. LG Frankfurt BeckRS 2020, 44959. S. BGH NStZ-RR 1997 98. In BGH StV 2005 439 finden sich keine Ausführungen zu § 174c. Renzikowski NStZ 2011 696, 698. Renzikowski NStZ 2011 696, 697.
47 48 49 50 51 52 95
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§ 174c
Sexueller Mißbrauch bei Beratung, Behandlung oder Betreuung
2. Subjektiver Tatbestand 22 Hinsichtlich aller Merkmale des objektiven Tatbestandes ist jedenfalls bedingter Vorsatz erforderlich, aber auch ausreichend.53 Der Begriff „Missbrauch“ setzt, anders als gelegentlich im Schrifttum angenommen,54 nicht direkten Vorsatz voraus. Der Vorsatz des Täters muss sich auf das Anvertrautsein wegen Krankheit oder Behinderung erstrecken, nicht aber auf das tatsächliche Vorliegen einer Erkrankung oder Behinderung.55 Nimmt der Täter in den Konstellationen, in denen der Missbrauch wegen einer Einwilligung der geschützten Person zu verneinen ist (bei körperlich Kranken oder körperlich Behinderten, Rdn. 21, u.U. auch bei nur leichter geistiger oder seelischer Beeinträchtigung, Rdn. 19), irrtümlich an, dass eine solche Einwilligung vorliegt, entfällt sein Vorsatz hinsichtlich des Merkmals Missbrauch.
3. Täterschaft und Teilnahme 23 Es handelt sich um ein Sonderdelikt. Die erforderliche Sonderstellung des Täters ergibt sich allerdings nicht aus einer beruflichen Stellung:56 Eine spezielle Ausbildung ist nicht erforderlich (Rdn. 10); Täter kann auch eine unqualifizierte, ihre Eignung zu Behandlung, Beratung oder Betreuung nur vortäuschende Person sein.57 Entscheidend ist die Eingrenzung auf Täter, denen das Opfer zur Beratung, Betreuung oder Behandlung anvertraut ist. Eine Bestrafung als Mittäter oder mittelbarer Täter ist möglich. Es handelt sich nicht um ein eigenhändiges Delikt (§ 174a Rdn. 31). Das Opfer wird als notwendiger Teilnehmer nicht bestraft, auch dann nicht, wenn es den 24 Täter zu der sexuellen Handlung bestimmt hat (Vor § 174 Rdn. 68).58 Für andere Teilnehmer ist § 28 Abs. 1 nicht anwendbar.59
4. Versuch 25 Der Versuch ist gem. Absatz 3 strafbar. Ein untauglicher, aber strafbarer Versuch liegt vor, wenn der Täter irrtümlicherweise annimmt, dass die andere Person ihm im Sinne von § 174c Abs. 1 oder Abs. 2 anvertraut ist.60 S. ferner § 174a Rdn. 33.
5. Strafzumessung 26 Zum gesetzlichen Strafrahmen s. § 174a Rdn. 34. Freiheitsstrafe zwischen drei und sechs Monaten ist nur unter den Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 zulässig. § 70 eröffnet die Möglichkeit eines Berufsverbots, § 181b lässt Führungsaufsicht zu. Es verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot, wenn dem Täter vorgeworfen wird, seinen Berufsstand in Misskredit gebracht zu haben (BGH bei Pfister NStZ-RR 2018 2 f).
53 Fischer Rdn. 11; Frommel NK Rdn. 13; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Wolters SK Rdn. 6. So Renzikowski MK Rdn. 30. Fischer Rdn. 11. AA Frommel NK Rdn. 16. Wolters SK Rdn. 8. Renzikowski MK Rdn. 32; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12; Zauner S. 39 ff. AA Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 13; Renzikowski MK Rdn. 32. Renzikowski MK Rdn. 33.
54 55 56 57 58 59 60
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III. Missbrauch von Personen in psychotherapeutischer Behandlung (Absatz 2)
§ 174c
Das Tatunrecht bestimmt sich zum einen danach, wie gewichtig die sexuelle Handlung 27 war und ob diese unter Umständen erfolgte, die für das Opfer schmerzhaft oder demütigend waren; ferner ist das zeitliche Ausmaß des gesamten Missbrauchsgeschehens zu berücksichtigen. Kommt es zu nachweisbaren Folgeschäden beim Opfer, sind diese als verschuldete Auswirkungen der Tat (§ 46 Abs. 2) strafschärfend einzubeziehen.61 Zum anderen kommt es darauf an, in welchem Maß der Täter auf die geschützte Person einwirken musste. Ist das Einverständnis der geschützten Person für die Tatbestandsmäßigkeit irrelevant (Rdn. 19, 21), liegt darin auch bei der Strafzumessung kein eigenständiger Strafmilderungsgrund.62 Drohendes und einschüchterndes Verhalten erhöht aber das Tatunrecht, ebenso täuschendes oder sonstiges das Opfer manipulierende Verhalten. Der Umstand, dass der Täter selbst mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte,63 kann sich schuldmindernd auswirken.64
6. Konkurrenzen Bei mehreren selbstständigen, gegen dieselbe Person gerichteten sexuellen Handlungen ist von 28 Tatmehrheit auszugehen (Vor § 174 Rdn. 73 ff). Im Verhältnis zum spezielleren Verbot in Absatz 2 tritt Absatz 1 zurück.65 Tateinheit ist möglich mit den §§ 174, 174b,66 176 bis 176d, 177, 180, 182, 223 ff, 240. Umstr. ist das Verhältnis zwischen § 174a Abs. 2 und § 174c. Da § 174c auch Fälle der 29 stationären und teilstationären Behandlung und Betreuung einschließt (Rdn. 14), ergeben sich Überschneidungen mit § 174a Abs. 2. Zum Teil wird vertreten, dass § 174a Abs. 2 als subsidiär geltende Norm zurücktrete.67 Nach h.M. kommt Tateinheit in Betracht.68 Überzeugender ist es jedoch, aus § 174a Abs. 2 zu verurteilen, hinter den § 174c zurücktritt.69
III. Missbrauch von Personen in psychotherapeutischer Behandlung (Absatz 2) 1. Objektiver Tatbestand a) Geschützte Personen; Täter. Geschützt werden Personen in psychotherapeutischer Be- 30 handlung. Psychotherapie ist der Oberbegriff für alle Formen der Behandlung von Störungen, Krankheiten und Leidenszuständen mit psychologischen Mitteln.70 Es kommt nicht darauf an, ob die psychotherapeutische Behandlung objektiv indiziert ist – es genügt die Aufnahme einer Behandlung aufgrund der Präferenzen des zu Behandelnden.71 Nach der Rspr. des BGH soll eine psychotherapeutische Behandlung allerdings nur dann vorliegen, wenn der Täter gem. § 1 PsychThG berechtigt ist, die Bezeichnung „Psychotherapeut“ zu führen (BGHSt 54 169, 173 ff m. krit. Anm. Renzikowski NStZ 2010 694).72 Dies überzeugt schon deshalb nicht, weil bei 61 62 63 64 65
Renzikowski MK Rdn. 35. Renzikowski MK Rdn. 35. S. dazu als Risikofaktor bei Psychotherapeuten Moggi/Hercek S. 783 f. Renzikowski MK Rdn. 35. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 24; Renzikowski MK Rdn. 34. AA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Zauner S. 112 f (Tateinheit). 66 Renzikowski MK Rdn. 34; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13. AA Wolters SK Rdn. 9. 67 Renzikowski MK Rdn. 34. 68 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 12; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Wolters SK Rdn. 9; Zauner S. 112 f. 69 So auch Bungart S. 222. 70 Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 268. Aufl. (2020), Stichwort „Psychotherapie“. 71 Renzikowski MK Rdn. 21; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. 72 Krit. auch Corrêa Camargo ZStW 134 (2022) 351, 388; Gutmann u.a. MedR 2019 18, 20; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 11; Renzikowski MK Rdn. 22 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. 97
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§ 174c
Sexueller Mißbrauch bei Beratung, Behandlung oder Betreuung
sog. „alternativen Formen“ der Psychotherapie die Missbrauchsgefahr höher zu sein scheint.73 Außerdem stellt das Gesetz nicht auf die berufs- und sozialrechtlichen Hintergründe ab und verwendet nicht die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut“, sondern die Tätigkeitsbeschreibung „psychotherapeutische Behandlung“.74 Es genügt deshalb, dass jemand eine Behandlung übernimmt, die funktional als Psychotherapie einzuordnen ist, unabhängig von Approbationen und sozialversicherungsrechtlichen Hintergründen. Die Reformkommission zum Sexualstrafrecht empfiehlt angesichts der verfehlten Rspr. des BGH eine Klarstellung im Gesetz, dass es nicht auf die Definitionen im Psychotherapeutengesetz ankommt.75 Erforderlich ist, dass eine sich selbst als Therapeut definierende Person eine Leitungsfunktion übernimmt – Gesprächskreise und Selbsthilfegruppen werden genauso wenig erfasst wie die Einwirkung durch Angehörige oder Bekannte.76 Dass in Absatz 2 der Begriff „Beratung“ nicht auftaucht, hat keine Bedeutung: Weil psychotherapeutische Beratung und psychotherapeutische Behandlung nicht voneinander abgegrenzt werden können, ist der Begriff der Behandlung in Absatz 2 weit auszulegen. Hierzu gehören Gespräche, die man im allgemeinen Sprachgebrauch als „Beratung“ bezeichnen könnte.77 Abgrenzungsprobleme entstehen zum einen im Hinblick auf therapeutische Ansätze, bei 31 denen die Verbesserung von sozialen Fähigkeiten im Vordergrund steht. Manche Verfahren, die unstreitig unter „psychotherapeutische Behandlung“ fallen (etwa Verhaltenstherapie), streben vorrangig eine Änderung des äußeren Verhaltens an. Es kann aber nicht jedes auf Verhaltensänderungen abzielende Programm (etwa Eltern- oder Ernährungsberatung, Kurse zu Stressmanagement oder Mitarbeiterführung) als Psychotherapie bezeichnet werden.78 Zum anderen fällt die Grenzziehung zwischen Psychotherapie und den Aktivitäten religiöser und weltanschaulicher Vereinigungen nicht leicht, wenn Letztere eine Verbesserung des seelischen Wohlbefindens der Gläubigen und Mitglieder anstreben.79 Während etwa bei Angeboten einer pseudoreligiösen Vereinigung wie Scientology oder anderen Gruppen, die sich Methoden der intensiven psychischen Beeinflussung bedienen, die Einstufung als Psychotherapie naheliegt,80 ist eine Abgrenzung zwischen Psychotherapie und der allgemeinen Betreuung und Lebensberatung durch kirchliche Organisationen erforderlich. Der Verweis darauf, dass die Behandlung der Feststellung, Behebung oder Linderung eines konkreten psychischen Leidens dienen müsse (so Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8), ist kein taugliches Abgrenzungskriterium. Das Vorliegen einer Psychotherapie ist nicht davon abhängig, dass ihr objektiv festgestelltes Leiden zugrunde liegt. 32 Die Einstufung als Psychotherapie ist aber in Abgrenzung zu seelsorgerischen Gesprächen oder allgemeiner Lebensberatung möglich, wenn folgende Elemente vorliegen: systematische, auf Persönlichkeitsveränderungen ausgerichtete Interventionen, wobei die Anbieter behaupten, kraft überlegenen Wissens und mittels besonderer Techniken die seelische oder geistige Verfassung der Klienten verändern zu können. Keine Psychotherapie liegt vor, wenn in erster Linie Informationen zu einem bestimmten Lebensbereich vermittelt werden sollen oder wenn ohne manipulative Techniken Geistliche mit Mitgliedern ihrer Glaubensgemeinschaft unterstützende Gespräche führen.81
73 74 75 76 77 78
Becker-Fischer/Fischer S. 58. Renzikowski NStZ 2010 694, 695 f. BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 340 f. S. zu Letzterem Dietrich S. 78. Zauner S. 23. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Zauner S. 89. Auch Renzikowski MK Rdn. 23 schließt „Workshops und Kurse, die allein der Erlernung und Erhöhung sozialer Kompetenz dienen“ aus, was aber die Frage der Abgrenzung zu der von ihm als Psychotherapie anerkannten „Sozialtherapie“ aufwirft. 79 Dazu Dietrich S. 78 ff. 80 Renzikowski MK Rdn. 23. 81 AA bzgl. Seelsorge, wenn diese über einmalige Beratung hinausgeht, Dietrich S. 206. Hörnle
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III. Missbrauch von Personen in psychotherapeutischer Behandlung (Absatz 2)
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Zur Begründung des Anvertrautseins s. Rdn. 13 und zu den möglichen Modalitäten der 33 Therapieausführung (ambulant, teilstationär oder stationär) Rdn. 14. Noch mehr als etwa bei der Betreuung geistig Behinderter spielt bei der Psychotherapie das Anvertrautsein eine Rolle, da oft nicht die vorgegebene Konstitution der geschützten Person und objektiv feststellbare Erkrankungen für Defizite bei der Selbstbestimmung sorgen, sondern die spezifischen Interaktionsstrukturen innerhalb von Psychotherapien.82 Beratungsgespräche, in denen nur die Möglichkeit einer Psychotherapie erörtert wird, und der Abschluss eines Behandlungsvertrages genügen noch nicht. Anvertraut ist der Klient dem Therapeuten erst mit dem Beginn der eigentlichen Behandlung.83 Anvertraut sind Patienten ihrem Psychotherapeuten, solange die Therapie nicht abge- 34 schlossen ist, und zwar auch dann, falls sich ergibt, dass aus objektiv-fachlicher Sicht kein Bedarf an Therapie besteht. Erfasst ist auch hier (s. Rdn. 15) der gesamte Therapieumfang einschließlich eines Abschlussgesprächs. In der Gesetzesbegründung findet sich der Hinweis, dass die Strafbarkeit bei einer nur pro forma vorgenommenen Beendigung der Therapie nicht entfalle (BTDrucks. 13/8267 S. 7). Was „pro forma“ bedeutet, ist offen für Interpretation. Vereinzelt wird diese Vorgabe so ausgelegt, dass damit eine informelle Fortführung der Therapie (etwa außerhalb des regulären Terminplans oder ohne Niederschriften in der Patientenkartei) gemeint sei oder dass jedenfalls nach wie vor eine Behandlungserwartung des Klienten bestehen müsse.84 Vorzugswürdig ist aber eine andere Auslegung. Nur pro forma beendet ist eine Behandlung auch dann, wenn sich beide Seiten darüber einig sind, dass es keine Fortsetzung geben soll, es sich aber um einen nicht sachgerechten Abbruch handelt. Bei einem aus therapeutischer Sicht bestehenden Bedarf an einer Fortsetzung der Therapie ist der Patient trotz einer formalen Zustimmung zum Behandlungsabbruch nach wie vor anvertraut. Anders ist der planmäßige Abschluss der Therapie zu beurteilen. Kommt es, nachdem die 35 bewilligte oder anvisierte Anzahl von Therapiestunden vollständig in Anspruch genommen wurde und eine Verlängerung nicht mehr erforderlich ist, zu sexuellen Handlungen, unterfallen diese nicht mehr § 174c.85 Dass die zeitliche Beschränkung des Verbots sexueller Handlungen sachgerecht ist, kann aus kriminalpolitischer Sicht in Frage gestellt werden. Die extreme Abhängigkeit der Patienten, die der Grund für das Verbot ist, besteht auch unmittelbar nach Abschluss der Therapie noch.86 De lege lata ergibt sich jedoch aus dem Wortlaut von § 174c Abs. 2, dass sexuelle Handlungen nach dem regelgerechten Abschluss der psychotherapeutischen Behandlung nicht strafbar sind.87
b) Tathandlungen. S. zu den erforderlichen sexuellen Handlungen mit Körperkontakt 36 Rdn. 17. Irrelevant ist, ob die sexuellen Handlungen außerhalb der Therapieräume und/oder der Therapiestunden stattfinden.88 Die Behauptung, dass in Psychotherapien Sexualkontakte „de lege artis“ sein könnten,89 beruht vermutlich auf dem in der psychotherapeutischen Literatur anzutreffenden sehr weiten Verständnis dessen, was (aus therapeutischer Sicht zu unterlassende) „sexuelle Kontakte“ sind: Dazu sollen Küsse, Streicheln und Umarmungen jenseits von Trösten, ferner anzügliche Blicke und Bemerkungen zählen.90 Dies entspricht nicht der strafrechtli82 83 84 85 86 87 88 89 90
S. auch Wolters SK Rdn. 11. Zauner S. 96. Zauner S. 99 f. LG Offenburg NStZ-RR 2005 74. Zust. Fischer Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. Becker-Fischer/Fischer S. 106, 142 f; Brown Psychotherapy 1988 255; Dietrich S. 214 f; Gutmann u.a. MedR 2019 19; Zauner S. 71 f. Zauner S. 97 f. Zauner S. 70, 106. So Fischer Rdn. 9; Zauner S. 104 f. Moggi/Brodbeck Zeitschrift für Klinische Psychologie 1997 50 f.
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Sexueller Mißbrauch bei Beratung, Behandlung oder Betreuung
chen Definition einer sexuellen Handlung. Im Rechtssinne sind verbale Grenzüberschreitungen belanglos und es ist nicht jeder intensive, die Grenzen des Sozialüblichen überschreitende Körperkontakt eine sexuelle Handlung.91 Irrig wäre es, eine „Holding“-Therapie (bei der der Therapeut den Körper des Patienten fest und eng an sich drückt) oder sonstige therapeutische Körperarbeit als erhebliche sexuelle Handlungen gem. § 184h Nr. 1 einzustufen.92 Nicht strafrechtlich relevant sind auch Massagen und Streicheln des Körpers jenseits der Intimzonen.93 Die Grenze ist erst dann überschritten, wenn es zu Zungenküssen oder genitalen Kontakten kommt oder wenn der Therapeut gezielt die Brüste einer Klientin betastet. 37 Im Kontext einer psychotherapeutischen Behandlung bedeutet jeder Sexualkontakt einen Missbrauch des Behandlungsverhältnisses.94 Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob dieser gegen oder ohne Willen der Klienten stattfindet oder auf deren ausdrücklich erklärten Wunsch (BTDrucks. 13/826 S. 7). Das Bedürfnis nach intensiver, intimer Zuwendung gehört zu den häufigen, der Dynamik psychotherapeutischer Beziehungen entsprechenden Begleiterscheinungen.95 Der Therapeut darf diesem Bedürfnis nicht nachkommen.96 Eine Ausnahmeklausel für „echte Liebesbeziehungen“ kommt deshalb nicht in Betracht.97
2. Subjektiver Tatbestand 38 Hinsichtlich der Tatumstände genügt bedingter Vorsatz. Nimmt der Täter irrigerweise an, dass (etwa bei vorliegendem Einverständnis einer Klientin) der Sexualkontakt kein Missbrauch des Behandlungsverhältnisses sei, handelt es sich um einen (in aller Regel vermeidbaren) Verbotsirrtum.
3. Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzumessung; Konkurrenzen 39 S. Rdn. 23 ff.
IV. Verjährung 40 S. § 174a Rdn. 58. Bei länger anhaltenden Beziehungen etwa zwischen Psychotherapeuten und Klientinnen kann die fünfjährige Verjährungsfrist zu kurz sein, weil sie für jede Handlung separat läuft und weil Betroffene nach dem endgültigen Abbruch der Sexualkontakte oft Zeit zur Verarbeitung des Geschehenen benötigen.98 Das Gesetz erlaubt jedoch (anders als bei minderjährigen Tatopfern, § 78b Abs. 1 Nr. 1) Klienten, die zum Tatzeitpunkt volljährig waren, keine zusätzliche Bedenkzeit.
91 92 93 94 95 96
Spenner S. 42. So aber Zauner S. 104 f. Ähnlich wie hier Dietrich S. 220. AA für großflächiges Streicheln Dietrich S. 226. Gutmann u.a. MedR 2019 18, 22 ff; Fischer Rdn. 10a; Renzikowski MK Rdn. 27; Zauner S. 106 ff. Ehlert-Balzer S. 135 f; ferner Renzikowski MK Rdn. 27; Zauner S. 55 ff. OLG Düsseldorf NJW 1990 1543; Dietrich S. 67 ff; Ehlert-Balzer S. 125 ff; Moggi/Hercek S. 777 ff; Zauner S. 59 f,
68.
97 Zauner S. 108 ff. 98 Becker-Fischer/Fischer S. 141 f; Zauner S. 113. Hörnle
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§ 175 Homosexuelle Handlungen (weggefallen) § 175 wurde gestrichen, vgl. die Ausführungen bei § 182, Entstehungsgeschichte, sowie Laufhütte LK11 § 182 Entstehungsgeschichte.
§ 176 Sexueller Missbrauch von Kindern (1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, 2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, 3. ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht. (2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
Schrifttum 1. Allgemein Bezjak Grundlagen und Probleme des Straftatbestandes des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 StGB (2015); Beulke/Swoboda Beschützergarant Jugendamt, Festschrift Gössel (2002) 73; Bringewat Kommunale Jugendhilfe und strafrechtliche Garantenhaftung, NJW 1998 944; Brockmann Das Rechtsgut des § 176 StGB (2015); Bussweiler Sexueller Kindesmissbrauch und Kinderpornografie – alles Verbrecher? ZRP 2021 84; Eisele Neues Gesetz zur Bekämpfung von sexuellem Missbrauch von Kindern, DRiZ 2021 184; Franzke Der ,einvernehmliche Missbrauch‘ von Kindern durch Jugendliche und Heranwachsende (2021); Frühsorger Der Straftatbestand des sexuellen Kindesmissbrauchs gemäß § 176 StGB (2011); Gerlach Sex-Tourismus und Strafverfolgung, NStZ 1993 71; Hörnle Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie, NJW 2008 3521; dies. Sexueller Missbrauch von Kindern: Reges Interesse in der Politik und den Sozialwissenschaften; unzureichende Schutzzweckdiskussion in der Strafrechtswissenschaft, Festschrift Eisenberg (2009) 321; dies. Das „Reformpaket zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder“, ZIS 2020 440; Hoven/Obert Kindesmissbrauch – ein Übersichtsbeitrag, JA 2021 441; Isfen Eine Urlaubsbekanntschaft mit Folgen, Jura 2010 14; JägerHelleport Konstruktive Tatverarbeitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Strafrecht (2002); Kett-Straub Ausweiskontrolle vor dem Urlaubsflirt? Der einvernehmliche Missbrauch von Kindern durch Jugendliche, ZRP 2007 260; Kreuzer Kindesmissbrauch und Kinderpornografie, KriPoZ 2020 263; Laue Sexueller Missbrauch von Kindern – Die Lösung des BMJ, NJOZ 2020 1441; Lederer Nein heißt nein…zu populistischer Kriminalpolitik und punitiven Tendenzen im Gesetz „zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt“, StV 2021 322; Luczak Schärfere Strafen bei Kindesmissbrauch, DRiZ 2020 382; Martens Schärfere Strafen bei Kindesmissbrauch, DRiZ 2020 383; Rebehn Strafverschärfungen allein greifen zu kurz, DRiZ 2020 330; Renzikowski Der Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, KriPoZ 2020 308; Rörig Gesetz gegen Kindesmissbrauch: Ein Entwurf mit Schwächen, DRiZ 2021 94; Rostalski Reform der Straftaten sexualisierter Gewalt gegen Kinder, GA 2021 198; Tomiak Der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil als Strafmilderungsgrund beim sexuellen Missbrauch von Kindern, HRRS 2018 18; Tröndle Verordnung von Kontrazeptiva an Minderjährige – eine Straftat? MedR 1992 329; Turhan „Sexualisierte Gewalt“ statt „Sexueller Missbrauch“? KriPoZ 2021 1; Wolters Das Lebensalter als tatbestandliches Merkmal im dreizehnten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB, Festschrift Fischer (2018) 583.
101 https://doi.org/10.1515/9783110490121-006
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§ 176
Sexueller Missbrauch von Kindern
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Pädophilie, Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch: Die Berliner Dissexualitätstherapie (2018); ders. Die Zukunft einer Pandemie – Sexueller Kindesmissbrauch als weltweite Herausforderung, ZRP 2020 255; Behruzi Taterleben und Mitteilungsprozesse bei sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (2018); Bickler Sexueller Missbrauch als Thema der neueren Kinder- und Jugendliteratur (2011); Biedermann/Rüdiger Der sexuelle Missbrauch von Kindern und kinderpornografische Delikte – Längerfristige Entwicklungsverläufe und ein empirischer Vergleich verschiedener Fallgruppen, MSchrKrim 2021 375; Bieneck/Stadler/Pfeiffer Erster Forschungsbericht zur Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011 (2012); Boney-McCoy/Finkelhor Prior Victimization: A Risk Factor for Child Sexual Abuse, Child Abuse & Neglect 1995 1401; Braun Täterinnen beim sexuellen Missbrauch von Kindern, Kriminalistik 2002 23; Briere/Elliot Prevalence and Psychological Sequelae of Self-Reported Childhood Physical Abuse and Sexual Abuse, Child Abuse & Neglect 2003 1205; Brockhaus/Kolshorn Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen: Mythen, Fakten, Theorien (1993); Bundschuh Pädosexualität. Entstehungsbedingungen und Erscheinungsbilder (2001); Burnett (Hrsg.) Wrongful Allegations of Sexual and Child Abuse (2016); Clauß u.a. (Hrsg.) Sexuelle Entwicklung – Sexuelle Gewalt (2010); Cohen u.a. Heterosexual Male Perpetrators of Childhood Sexual Abuse: A Preliminary Neuropsychiatric Model, Psychiatric Quarterly 2002 313; Colton/Roberts/Vanstone Sexual Abuse by Men Who Work with Children, Journal of Child Sexual Abuse 2010 345; Cromer/Goldsmith Child Sexual Abuse Myths, Journal of Child Sexual Abuse 2010 618; Dawid/Elz/Haller Kooperation von öffentlicher Jugendhilfe und Strafjustiz bei Sexualdelikten gegen Kinder (2010); Deegener Kindesmissbrauch (2014); Dorahy/Clearwater Shame and Guilt in Men Exposed to Childhood Sexual Abuse, Journal of Child Sexual Abuse 2012 155; Falardeau Kontexte und Hintergründe sexueller Gewalt an Kindern (2001); Egle u.a. (Hrsg.) Sexueller Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung (3. 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Würzburg 2000; Hazelwood Wives of Child Molesters within the Family (2015); Hoese/Orth Paradoxes Verhalten von Kindern als Opfer sexuellen Missbrauchs, MSchrKrim 2005 174; Hofmann/Wehrstedt/Stark ‚Missbrauchsmythen‘ – Unrealistische Überzeugungen zu sexuellem Kindesmissbrauch, MSchrKrim 2003 44; Homes Von der Mutter missbraucht (2004); Jenks Kindheitsbilder und der Diskurs über den sexuellen Missbrauch, ZSchr f. Sexualforschung 1997 208; Jordan u.a. Are There Any Biomarkers for Pedophilia and Sexual Child Abuse? Frontiers in Psychiatry 2019 940; Julius/Boehme Sexuelle Gewalt gegen Jungen (1997); Karlén Commercial Sexual Exploitation of Children (2011); Kavemann Sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Jungen, in Elz (Hrsg.) Täterinnen (2009) 135; Kavemann u.a. Erinnern, Schweigen und Sprechen nach sexueller Gewalt in der Kindheit (2016); Klecha Die Grünen zwischen Empathie und Distanz in der Pädosexualitätsfrage (2017); Klemm/Röhrig Skandalisierung sexuellen Kindesmissbrauchs im interkulturellen Vergleich (2011); Klimke/Lautmann Die mediale Konstitution der Moralpanik um die Missbrauchsdelikte, in dies. (Hrsg.) Sexualität und Strafe (2016) 223; Kröber Sind Pädophile Sadisten? MSchrKrim 2000 407; Lange Sexuelle Gewalt gegen Mädchen (1998); Lautmann Die Lust am Kind (1994); Lüdders Sexuelle
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2. Kriminologisches, soziologisches und rechtsmedizinisches Schrifttum
§ 176
Gewalterfahrungen von Mädchen und Jungen (2012); Maikovich-Fong/Jaffee Sex Differences in Childhood Sexual Abuse Characteristics and Victims' Emotional and Behavioral Problems, Child Abuse & Neglect 2010 429; Maniglio Child Sexual Abuse in the Etiology of Anxiety Disorders, Trauma, Violence & Abuse 2013 96; McAlinden Children as ‘Risk’. Sexual Exploitation and Abuse by Children and Young People (2018); Meier/Stolte Legalbewährung nach leichter und mittelschwerer Sexualkriminalität an Kindern, MSchrKrim 2005 351; Mendez u.a. Pedophilia and Temporal Lobe Disturbances, Journal of Neuropsychiatry and Clinical Neurosciences 2000 71; Mosser Wege aus dem Dunkelfeld. Aufdeckung und Hilfesuche bei sexuellem Missbrauch an Jungen (2009); Mosser/Lenz (Hrsg.) Sexualisierte Gewalt gegen Jungen (2014); K.-S. 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Verführung – Trauma – Missbrauch (1997); Rieske u.a. (Hrsg.) Aufdeckungsprozesse männlicher Betroffener von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend (2018); Rutschky Erregte Aufklärung. Kindesmißbrauch: Fakten & Fiktionen (1992); Rutschky/Wolff Handbuch sexueller Missbrauch (1999); Salter Organised Sexual Abuse (2014); Schetsche Das „sexuell gefährdete“ Kind (1993); ders. Der ‚einvernehmliche Mißbrauch‘, MSchrKrim 1994 201; Scheufele Sexueller Missbrauch – Mediendarstellung und Medienwirkung (2005); Schinaia Pädophilie (2018); G. Schmidt Über die Tragik pädophiler Männer, ZSchr f. Sexualforschung 1999 133; Schuhmann/Neutze/Osterheider Rückfälle nach sexuellem Kindesmissbrauch und Kinderpornografiedelikten in Deutschland, MSchrKrim 2016 58; Schorsch Kinderliebe – Veränderungen der gesellschaftlichen Bewertung pädosexueller Kontakte, MSchrKrim 1989 141; Smaal/Kaladelfos/Finnane The Sexual Abuse of Children (2016); Spitzer/ Grabe (Hrsg.) Kindesmisshandlung. Psychische und körperliche Folgen im Erwachsenenalter (2013); Solbach Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum sexuellen Missbrauch – eine rechtstatsächliche Analyse, Diss. Bielefeld 2002; Stadler/Bieneck/Pfeiffer Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011 (2012); Steinhage Sexueller Mißbrauch an Mädchen (1989); Stelzmann/Ischebeck (Hrsg.) Child Sexual Abuse and the Media (2021); Stein-Hilbers/ Bundschuh Zur Propagierung und Entkriminalisierung von Pädosexualität, KrimJournal 1998 299; Stekl Sexueller Kindesmissbrauch: eine kriminologische Studie (2000); Stiels-Glenn Therapie mit Pädophilen? (2016); Stöckel Pädophilie: Befreiung oder sexuelle Ausbeutung von Kindern: Fakten, Mythen, Theorien (1998); Stompe/Laubicher/ Schanda (Hrsg.) Sexueller Kindesmissbrauch und Pädophilie (2013); Tenbergen u.a. The Neurobiology and Psychology of Pedophilia: Recent Advances and Challenges, Frontiers in Human Neuroscience 2015 344; Tishelman/Geffner Forensic, Cultural, and Systems Issues in Child Sexual Abuse Cases, Journal of Child Sexual Abuse 2010 609; Tocker u.a. Predictors of Clinical Outcomes in Sexually Abused Adolescents, Journal of Child Sexual Abuse 2017 487; TrubeBecker Mißbrauchte Kinder (1992); Urban/Fiebig Pädosexueller Missbrauch: wenn Opfer zu Tätern werden, Zeitschrift für Soziologie 2011 42; Volbert Vorschläge zur Belastungsreduktion für minderjährige Geschädigte in Strafverfahren aus rechtspsychologischer Sicht, in Fastie (Hrsg.) Opferschutz im Strafverfahren (2017) 317; Walter/Wolke Zur Funktion des Strafrechts bei ‚akuten sozialen Problemen‘ – am Beispiel des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen, MSchrKrim 1997 93; Walter/Klecha/Hensel Die Grünen und die Pädosexualität (2014); Weingraber Sexueller Missbrauch – Disclosureprozesse von Kindern mit Migrationshintergrund (2021); Wetzels Prävalenz und familiäre Hintergründe sexuellen Kindesmißbrauchs in Deutschland, Sexuologie 1997 89; Whittier The Politics of Child Sexual Abuse (2009); Winter Tausend Tode und ein Leben: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder (2015); Witte/ Walper/Fegert Geschwister im Kontext von sexuellem Missbrauch, Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 2018 136; Wyss Unzucht mit Kindern. Untersuchungen zur Frage der sogenannten Pädophilie (1967). S. außerdem die Schrifttumsangaben Vor § 174.
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Hörnle
§ 176
Sexueller Missbrauch von Kindern
Entstehungsgeschichte Älteren Rechtsordnungen waren Spezialvorschriften fremd, die Kinder vor sexuellen Handlungen schützen sollen.1 Im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten v. 1794 war Unzucht mit unter zwölf Jahre alten Mädchen eine Variante der „Nothzucht“ (2. Theil, 20. Titel, §§ 1053, 1054); bei „Sodomiterey und andren dergleichen unnatürlichen Sünden“ wurde für die ohnehin harschen Strafen nicht nach dem Alter der Opfer differenziert (§§ 1069 bis 1072). Das RStGB v. 15.5.1871 (Vor § 174 Rdn. 3) sah in der allgemeinen Verbotsnorm gegen unzüchtige Handlungen auch (in § 176 Abs. 1 Nr. 3 a.F.) Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren für diejenigen vor, die mit Personen unter 14 Jahren unzüchtige Handlungen vornahmen oder dieselben zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Handlungen verleiteten. Das Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches v. 4.9.19412 eröffnete die Option („wenn der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Sühne es erfordern“), die Todesstrafe zu verhängen. Die Rückkehr zum alten Strafrahmen erfolgte durch das 3. StÄG v. 25.8.1953.3 Einen eigenen Straftatbestand mit der Überschrift „Sexueller Missbrauch von Kindern“ gibt es in § 176 erst seit der Neugestaltung des Sexualstrafrechts durch das 4. StrRG v. 23.11.1973 (Vor § 174 Rdn. 6). Dieses Gesetz hat die Handlungsbeschreibungen differenziert. Seither wird zwischen Handlungen mit Körperkontakt zum Täter, Handlungen mit Körperkontakt zu Dritten und sexuellen Aktivitäten ohne Körperkontakt unterschieden. Die damals mildere Bewertung des Unrechtsgehalts zeigte sich nicht nur darin, dass das Delikt zu einem Vergehen mit der Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe herabgestuft wurde, sondern auch in dem Umstand, dass nicht nur für Handlungen ohne Körperkontakt, sondern auch im Übrigen für minder schwere Fälle die Verhängung einer Geldstrafe (ab fünf Tagessätzen) möglich war. Nicht verändert wurde die Definition des Kindes: Es blieb (bis heute) bei der Altersgrenze von 14 Jahren. Im 6. StrRG v. 26.1.1998 (Vor § 174 Rdn. 17) schlug sich die wachsende Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema sexueller Missbrauch von Kindern und die Tendenz zu einer strengeren Bewertung solcher Delikte nieder, die wiederum auf einer Veränderung des Blicks auf Kindheit und der Wahrnehmung der ganz besonderen Schutzwürdigkeit von Kindern beruht (dazu Hörnle FS Eisenberg 321 ff). Das 6. StrRG führte statt des vorherigen Sonderstrafrahmens für besonders schwere Fälle einen neuen Tatbestand (§ 176a a.F.) mit der Überschrift „Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern“ ein, der zahlreiche Qualifikationen enthält (§ 176c Entstehungsgeschichte). Auch die Verursachung des Todes eines missbrauchten Kindes wird seither in einem eigenen Tatbestand (zunächst § 176b, nun § 176d) erfasst. Für Handlungen ohne Körperkontakt blieb es bei Geldstrafe als unterste Grenze des Strafrahmens, nur die Höchststrafe wurde auf fünf (statt vorher drei) Jahre erhöht. Die Abkehr vom milden Ansatz des 4. StrRG setzte sich in der nächsten Gesetzesänderung fort, dem SexualdelÄndG v. 27.12.2003 (Vor § 174 Rdn. 21).4 Zwar wurde damals die Forderung5 noch nicht umgesetzt, § 176 Abs. 1 u. Abs. 2 (nunmehr § 176 Abs. 1 Nr. 1 u. Nr. 2) zum Verbrechen heraufzustufen. In § 176 Abs. 3 a.F. wurde aber für unbenannte schwere Fälle ein von einem Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe reichender Strafrahmen vorgesehen. Gleichzeitig wurde die zuvor in § 176 Abs. 1 a.F. für minder schwere Fälle vorgesehene Möglichkeit gestrichen, eine Geldstrafe zu verhängen. Den Wegfall des Strafrahmens für minder schwere Fälle begründen die Gesetzesmaterialien damit, dass es „eine nicht unerhebliche seelische Belastung“ für die Opfer bedeute, wenn die gegen ihre Person gerichtete Tat als „minder schwer“ eingestuft werde (BTDrucks. 15/350 S. 17). Bei allem Verständnis für ein Opferinteressen Rechnung tragendes Strafrecht:6 Diese Argumentation ist absurd.7 Opfer werden gekränkt, wenn Unrecht nicht angemessen gewertet wird, nicht aber, wenn objektiv geringes Erfolgsunrecht auch als solches bezeichnet wird. Das SexualdelÄndG hat außerdem die Mindeststrafe für Taten ohne Körperkontakt (§ 176 Abs. 4 a.F.) auf drei Monate Freiheitsstrafe erhöht und neue Tatbestände eingeführt, die Verhalten im Vorfeld eines Sexualkontaktes erfassen. Zum einen wurde das sog. Cyber-Grooming u.ä. als Straftat definiert (damals § 176 Abs. 4 Nr. 3, nunmehr § 176b) und das Anbieten und Versprechen des Nachweises eines Kindes sowie die Verabredung zum Missbrauch unter Strafe gestellt (§ 176 Abs. 5 a.F., nun § 176 Abs. 1 Nr. 3, § 176a Abs. 2, § 176b Abs. 2). Größere Änderungen erfolgten mit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 (Vor § 174 Rdn. 29). Von zentraler Bedeutung für die politische Entscheidung, trotz des dichten Netzes an
1 2 3 4
S. für einen Überblick zur geschichtlichen Entwicklung Bezjak S. 17 ff; Brockmann S. 151 ff. RGBl. 1941 S. 549. BGBl. I S. 1083. Zur Gesetzgebungsgeschichte Amelung/Funcke-Auffermann StraFo 2004 114, 116; krit. Rzepka KrimJournal 2003 234 ff. 5 BTDrucks. 15/29 S. 1. 6 Dazu Hörnle JZ 2006 950. 7 Krit. auch Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1065, 1066; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 5. Hörnle
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Übersicht
§ 176
Verbotsnormen diesen Bereich neu zu gestalten, war die Frage der Strafhöhe. Anlass waren mehrere Tatserien, bei denen Gruppen von Tätern schweren Kindesmissbrauch begingen und Missbrauchsbilder in einschlägigen Foren austauschten. In den Medien wurde ausführlich berichtet und erheblicher Druck ausgeübt, noch schärfere Strafen vorzusehen.8 Bei Kenntnis der Rechtslage war dies nicht nachvollziehbar: Die einschlägigen Strafrahmen in § 176a a.F. erlaubten eine unrechtsangemessene Strafe (bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe; tatsächlich wurden für die Tatkomplexe Freiheitsstrafen in der Nähe der Höchststrafe verhängt9). Bei dem in hohem Maß durch Emotionalisierung geprägten Thema wuchs aber jenseits von juristisch-rationalen Überlegungen schnell der politische Wille, Tatkraft zu demonstrieren.10 Der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (BTDrucks. 19/23707) sowie der gleichlautende Entwurf der Bundesregierung (BTDrucks. 19/24901) sahen zunächst vor, in den Überschriften der §§ 176a– 176d den Begriff „sexueller Missbrauch“ durch „sexualisierte Gewalt“ zu ersetzen (BTDrucks. 19/23707 S. 5). Die emotionale Drastik der Debatte schlug sich in der Sprache der Gesetzesbegründung nieder, die darauf verwies, dass „jede sexuelle Handlung mit einem Kind als sexualisierte Gewalt zu brandmarken“ sei und man „sexualisierter Gewalt gegen Kinder mit aller Kraft entgegentreten“ müsse (BTDrucks. 19/23707 S. 22). Neue, auf „Gewalt“ verweisende Überschriften hätten das Tatunrecht in unpräziser, irreführender Weise bezeichnet und zu weiteren systematischen Unstimmigkeiten im 13. Abschnitt geführt. Der Vorschlag stieß sowohl in der Stellungnahme des Bundesrats (BTDrucks. 19/24901 S. 17 f) als auch in den Stellungnahmen der Sachverständigen bei der Anhörung im Rechtsausschuss auf Widerspruch.11 In der verabschiedeten Fassung fand die sprachliche Symbolik nur noch in der Überschrift für das gesamte Gesetz Ausdruck, während bei den einzelnen Tatbeständen die (international anerkannte)12 Bezeichnung als Missbrauch beibehalten wurde. Ausgewirkt hat sich der medial aufgebaute Druck aber beim gesetzlichen Strafrahmen in § 176: Die Mindeststrafe liegt nun bei einem Jahr (zuvor sechs Monate), die Höchststrafe bei 15 Jahren (s. zu der Diskussion um den Strafrahmen Rdn. 34–36). Damit wurde der Sonderstrafrahmen für besonders schwere Fälle in § 176 Abs. 3 a.F. überflüssig (und aufgehoben), da nun für alle Fälle des sexuellen Missbrauchs der Strafrahmen anzuwenden ist, der zuvor nur für besonders schwere Fälle vorgesehen war. Handlungen ohne Körperkontakt mit dem Kind und Vorbereitungsdelikte wurden in zwei neue Tatbestände (§§ 176a und 176b) verschoben. Während diese Strukturierungsentscheidung grundsätzlich sinnvoll ist, erstaunt ein auffälliger Verstoß gegen Grundregeln der Logik und Gesetzessystematik: Ein unverkennbares Vorbereitungsdelikt, nämlich Anbieten und Nachweis eines Kindes, blieb in § 176 Abs. 1 Nr. 3 stehen.
Übersicht I.
Normzweck
II.
Altersgrenze
III.
Handlungen mit Körperkontakt nach Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 Objektiver Tatbestand a) Handlungen an Kindern (Absatz 1 Nr. 1 1. 7 Alt.) b) Handlungen von Kindern am Täter (Ab12 satz 1 Nr. 1 2. Alt.) c) Bestimmen zu sexuellen Handlungen mit 14 Dritten (Absatz 1 Nr. 2) 19 Subjektiver Tatbestand
1.
2.
1
3. 4.
5
5. 6.
24 Täterschaft und Teilnahme Versuch a) Bei Taten nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 b) Bei Taten nach § 176 Abs. 1 Nr. 2 30 c) Rücktritt vom Versuch 31 Absehen von Strafe (Absatz 2) Strafzumessung 34 a) Gesetzlicher Strafrahmen 37 b) Weitere Rechtsfolgen c) Bestimmung der Tatschwere 38 aa) Erfolgsunrecht 46 bb) Handlungsunrecht cc) Schuldmindernde Faktoren
27 29
48
8 S. zu den Hintergründen der Reform Hörnle ZIS 2020 440; Kreuzer KriPoZ 2020 263, 264; Renzikowski KriPoZ 2020 308 f.
9 12 Jahre Freiheitsstrafe für den Haupttäter im Verfahren vor dem LG Köln, s. BGH BeckRS 2021 18224; 14 Jahre im Verfahren vor dem LG Münster, s. LTO v. 6.7.2021.
10 Krit. zu den Hintergründen der Gesetzesänderung Kreuzer KriPoZ 2020 263, 264 f; Hoven/Obert JA 2021 441, 442 f; s. aber auch Rostalski GA 2021 198, 209 ff.
11 S. zur einhelligen Kritik in der Lit. Bussweiler ZRP 2021 84; Hörnle ZIS 2020 440, 444 f; Hoven/Obert JA 2021 441, 444; Kreuzer KriPoZ 2020 263, 266; Laue NJOZ 2020 1441; Lederer StV 2021 322, 325 ff; Rebehn DRiZ 2020 330 f; Renzikowski KriPoZ 2020 308, 309 f; Rörig DRiZ 2021 94 f; Turhan KriPoZ 2021 1 ff. 12 Hörnle ZIS 2020 440, 445; Turhan KriPoZ 2021 1, 5. 105
Hörnle
§ 176
7.
Sexueller Missbrauch von Kindern
dd) Sonstige Strafzumessungs49 gründe ee) Unzulässige Strafzumessungs51 faktoren 53 d) Strafaussetzung zur Bewährung Konkurrenzen 54 a) Innerhalb des § 176 b) Verhältnis zu anderen 58 Tatbeständen
IV. 1. 2. 3. 4.
Vorbereitungsdelikte nach Absatz 1 Nr. 3 61 Systematik 64 Objektiver Tatbestand 70 Subjektiver Tatbestand; Versuch 71 Strafzumessung; Konkurrenzen
V.
Verjährung
73
I. Normzweck 1 Im 19. Jahrhundert wurde das Verbot sexueller Handlungen mit Kindern, wie alle Sexualdelikte, mit sexualmoralischen Schutzanliegen (Schutz der Sittlichkeit) gerechtfertigt, die auf „Geschlechtsehre“ und „sittliche Reinheit“ verwiesen.13 Spuren diesen Denkens zeigen sich noch, wenn zur Konkretisierung des Schutzzwecks auf die ungestörte sexuelle Entwicklung14 von Kindern verwiesen wird.15 Bedenken, dass die Maßstäbe für eine „normale Entwicklung“ unbekannt seien,16 sind zwar unbegründet: Sexualwissenschaftliche Studien (die auch die Meinung widerlegen, Kinder seien „asexuelle Wesen“) deuten auf Stadien der sexuellen Entwicklung, die in beschränktem Umfang Generalisierungen erlauben.17 Eine Beschreibung des Normzweckes, die auf die sexuelle Entwicklung abstellt, ist jedoch zu eng gefasst. Mögliche negative Konsequenzen für das spätere Leben der Betroffenen beschränken sich nicht auf Probleme im Sexualbereich, sondern schließen unspezifische psychische Auffälligkeiten wie Depressionen, Angstsymptome usw. ein. Näher liegt deshalb eine Formulierung, die sich bereits im Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform v. 14.6.1972 findet: Kinder sollen vor einer Beeinträchtigung ihrer Gesamtentwicklung geschützt werden.18 Die Annahme, dass sexueller Missbrauch häufig negative Auswirkungen hat, ist (entgegen der damals zurückhaltenden Einschätzung im Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BTDrucks. VI/3521 S. 34) mittlerweile gut gesichert. Zahlreiche Studien zeigen, dass sexueller Missbrauch die Wahrscheinlichkeit negativer Entwicklungen im Leben der Betroffenen erhöht:19 Phänomene wie negative Selbstwahrnehmung, Scham und Schuldgefühle nehmen ebenso zu20 wie das Risiko, psychische Auffälligkeiten zu entwickeln.21 In späteren Beziehungen und Partnerschaften sowie 13 Brockmann S. 160 ff, der allerdings auch darauf verweist, dass auch in älteren Strafrechtsordnungen die individuellen Folgen für junge Opfer bekannt waren und ernst genommen wurden, S. 173.
14 BGHSt 38 68, 69; 45 131, 132; 52 31, 34; 53 118, 119; BGH StV 2002 74, 75; NStZ-RR 2004 41; Frommel NK Rdn. 10; Frühsorger S. 18; Lackner/Kühl Rdn. 1; Molketin NStZ 1992 179; Schroeder FS Welzel 859, 870.
15 Die Überlegung, dass die „sexuelle Integrität von Kindern“ zu schützen sei (Brockmann S. 237 ff), ist eine moderne Formulierung, hinter der aber alte Vorstellungen von Unberührtheit stehen. S. zu religiös und ästhetisch geprägten Vorstellungen von „Reinheit der Kinder“ Hörnle FS Eisenberg 321, 331 ff. 16 Wolters SK Rdn. 3; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 607. 17 Dazu Brockmann S. 187 ff; Strauß Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2007 3 f; Volbert in Amann/Wipplinger (Hrsg.) S. 450 ff. 18 BTDrucks. VI/3521 S. 34; BGHSt 29 336, 340; BGH NJW 2000 3726; Bezjak S. 116; Franzke S. 90 ff; Kett-Straub ZRP 2007 260, 261. 19 Briere/Elliott Child Abuse & Neglect 2003 1217; Fergusson/Horwood/Lynskey J. Am. Acad. Child & Adolescent Psychiatry 1996 1368; Lauscher/Schulze ZSchr f. klinische Psychologie 1998 181; Moggi in Amann/Wipplinger (Hrsg.) S. 218; Richter-Appelt/Moldzio in Kockott/Fahrner (Hrsg.) S. 85; Spitzer/Grabe (Hrsg.) Kindesmisshandlung (2013). S. für einen Überblick auch Brockmann S. 198 ff. 20 Dorahy/Clearwater Journal of Child Sexual Abuse 2012 155. 21 Fergusson/McLeod/Horwood Child Abuse & Neglect 2013 664; Maniglio Violence & Abuse 2013 96; Tocker u.a. Journal of Child Sexual Abuse 2017 487. Hörnle
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I. Normzweck
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durch die Vermeidung solcher Bindungen können sich die Prägungen durch Kindesmissbrauch ebenfalls negativ auswirken.22 Trotz der vorhandenen empirischen Befunde wäre es aber nicht überzeugend, das Unrecht 2 ausschließlich mit Verweis auf das erhöhte Risiko später eintretender Folgen zu umschreiben.23 Auch bei der Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225) liegt das primäre Unrecht nicht in diesen Risiken, sondern unmittelbar in der die körperliche Integrität verletzenden Handlung. Dasselbe gilt für § 176: Solche Taten verletzen zum Zeitpunkt der Handlung Rechte der Betroffenen. Spätfolgen erhöhen den Erfolgsunwert, aber auch ohne den Nachweis solcher Konsequenzen liegt eine strafwürdige Tat vor. Wer am Körper des Kindes sexuelle Handlungen vornimmt oder vornehmen lässt oder wer das Kind zu sexuellen Aktivitäten veranlasst, verletzt das Recht des Kindes auf Achtung seiner Intimsphäre und seiner sexuellen Selbstbestimmung (Vor § 174 Rdn. 44-46). Kritiker dieser Beschreibung des Schutzanliegens bringen vor, dass eine Missachtung von Selbstbestimmung nur dann vorliege, wenn gegen den Willen einer anderen Person gehandelt werde.24 Das ist jedoch keine angemessene Definition von Selbstbestimmung. Auch bei faktisch vorliegendem Wollen kann eine Entscheidung fremdbestimmt sein. Kinder können sexuellen Aktivitäten nicht wirksam zustimmen, entweder weil ihnen noch das Wissen um die soziale Bedeutung sexueller Handlungen fehlt oder weil sie im Verhältnis zu Erwachsenen und Jugendlichen nicht in der Lage sind, ihre eigenen Interessen und mögliche Manipulationen anderer zu erkennen, oder weil sie ihre erkannten Bedürfnisse nicht gegen andere durchsetzen können.25 Bei Kindern wird unabhängig von individuellen Persönlichkeitsmerkmalen und unabhängig vom konkreten Kontext generell vermutet, dass Duldung und Vornahme sexueller Handlungen nicht auf einer selbstbestimmten Entscheidung beruhen. Hieraus ergibt sich, dass Taten nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 keine Gefährdungsdelikte, sondern Verletzungsdelikte sind.26 § 176 Abs. 1 Nr. 3 (Anbieten oder Versprechen des Nachweises eines Kindes) kann dage- 3 gen nur mit der Gefährlichkeit der beschriebenen Verhaltensweisen als abstraktes Gefährdungsdelikt gerechtfertigt werden. Bei der Einführung dieses Tatbestands (§ 176 Abs. 5 a.F.) wurde kritisiert, dass die Strafbarkeit unverhältnismäßig weit ins Vorfeld ausgedehnt wurde.27 Es gehört zu den Dogmen der deutschen Strafrechtstradition, dass Vorbereitungsdelikte nicht oder nur in Ausnahmefällen legitim seien, weshalb auch die Strafbarkeit von Kommunikation, die unter § 30 fällt, umstritten ist (dazu Schünemann/Greco LK § 30 Rdn. 5 ff; § 30 wird sogar als „polizeirechtlicher Fremdkörper“ kritisiert, so Zaczyk NK § 30 Rdn. 1). Mit Blick auf neue Technologien bedarf es allerdings einer genaueren Bewertung, die Gefahrenpotentiale infolge von grundlegend geänderten Kommunikationswegen ernst nimmt. Personen, die am sexuellen Missbrauch von Kindern interessiert sind, können sich heute ohne regionale Beschränkungen in sehr viel größeren Netzwerken und in pseudonymisierter Form austauschen. Es ist davon auszugehen, dass die neuen Formen der Kommunikation sozialpsychologische Phänomene der Bestärkung und Aufstachelung begünstigen, dazu Bock/Harrendorf ZStW 126 (2014) 337, 338 ff. Ein grundsätzliches Verdikt gegen die Strafbarkeit tatvorbereitender Kommunikation ist nicht (mehr) überzeugend.28 Kriminalpolitisch ist aber zu fordern, dass die tatbestandliche Handlungsbeschreibung nur Verhalten erfassen sollte, das riskant ist, weil bei Kommunikationsteilnehmern Spiralen wechselseitiger Bestärkung und Aufstachelung entstehen können. Diese Überlegungen sollten bei der Auslegung von § 176 Abs. 1 Nr. 3 ebenfalls angestellt werden, 22 Barker u.a. Journal of Marital and Family Therapy 2021 1. 23 Finkelhor Am. Journal of Orthopsychiatry 1979 693 ff; Hörnle FS Eisenberg 321, 334 ff; Renzikowski MK Rdn. 3; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 607. So Brockmann S. 224 ff; Frühsorger S. 17. Ähnlich Bezjak S. 108 ff. Finkelhor Am. Journal of Orthopsychiatry 1979 694 ff; Lenz S. 253 ff. AA Bezjak S. 127; Frühsorger S. 23: abstrakte Gefährdungsdelikte. Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1065, 1067. So auch Bezjak S. 139 ff.
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wenn der ein Kind Anbietende oder den Nachweis Versprechende dies nicht ernst meint (Rdn. 66 ff).29 Am geltenden Recht ist zu kritisieren, dass ein Vorbereitungsdelikt im falschen Tatbestand steht (§ 176b wäre passend) und der Strafrahmen überhöht ist (Rdn. 71). 4 Die Bezeichnung der Delikte in den §§ 176 ff ist ebenfalls Gegenstand von Debatten. Der Begriff „Missbrauch“ wurde in der deutschen Literatur teilweise als unpassend eingestuft, weil er vermeintlich „Gebrauch“ als notwendigen Gegenbegriff habe.30 Das ist allerdings auf sprachlicher Ebene nicht zwingend, und in der zeitgenössischen internationalen Diskussion wird bei einer sprachsensiblen Überprüfung der Begriff „sexual abuse“ nicht kritisiert.31 Der 2020 im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Begriff „sexualisierte Gewalt“ (Entstehungsgeschichte) wäre missverständlich gewesen und hätte das Unrecht nicht angemessen erfasst.32 Die umgangssprachlich sich immer weiter durchsetzende Gewohnheit, jede Missachtung des Willens anderer kurzerhand als „Gewalt“ zu bezeichnen, verschleift erhebliche Unterschiede in der Art der Einwirkung auf Tatopfer.
II. Altersgrenze 5 Kinder sind nach der Legaldefinition in § 176 Abs. 1 Nr. 1 Personen unter 14 Jahren. Sexuelle Handlungen am 14. Geburtstag fallen nicht mehr unter § 176 (BGH NStZ-RR 2010 205), sondern nur Handlungen bis zum Vortag des 14. Geburtstags, 24.00 Uhr.33 Bei jungen Menschen an der Schwelle zum Jugendalter, also bei zwölf- und dreizehnjährigen Mädchen und Jungen, kann die pauschale Unterstellung der Strafwürdigkeit jedweden Intimkontakts (dazu gehören etwa Zungenküsse, Rdn. 9) fragwürdig sein. Da die Pubertät zunehmend früher einsetzt,34 liegt es auf der Hand, dass die Lebensrealität komplexer ist als die Altersgrenze in § 176. Die meisten Vierzehnjährigen haben bereits Erfahrungen mit ersten intimen Körperkontakten wie Küssen.35 Nicht nur ist die Altersgrenze aus deskriptiv-soziologischer Sicht hoch angesetzt, sondern sie ist auch aus normativer Sicht unangemessen. Die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Entscheiden entsteht nicht spontan, sondern setzt einen Prozess voraus, der regelmäßig Körpererfahrung einschließt (so auch BTDrucks. 19/23707 S. 38), um eigene Bedürfnisse sowie das Verhalten anderer verstehen und bewerten zu können. Erfahrungen in jugendtypischen Freundschaften und ersten Liebesbeziehungen ohne große, Selbstbestimmung gefährdende Alters- und Machtgefälle müssen möglich sein.36 Aus der Perspektive des Strafrechts gibt es zwar gute Gründe, an starren Altersgrenzen festzuhalten:37 Die Alternative, nämlich eine Einzelfallprüfung der psychischen Entwicklung, wäre belastend für die Tatopfer und aus verfahrenspraktischen Gründen ausgeschlossen, zum einen, weil es dafür nicht genügend Sachverständige gäbe, zum anderen, weil eine solche Prüfung retrospektiv bei zeitlichem Abstand zwischen Tat und Strafverfahren nicht mehr möglich wäre. Die Altersgrenze im deutschen Strafrecht (Vollendung des 14. Lebensjahres) wird als grundsätzlich gut vertretbar angesehen.38 Jedoch erfordert die Erkenntnis, dass es entwicklungsbiologische und -psychologische Un6 terschiede gibt, sowie die Gerechtigkeit in Einzelfällen, dass eine relativ hoch angesetzte Al-
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Bezjak S. 142 ff. Fischer Vor § 174 Rdn. 8. Hörnle ZIS 2020 440, 444 f; Turhan KriPoZ 2021 1, 3 ff. Hörnle ZIS 2020 440, 444 f; Turhan KriPoZ 2021 1, 5 ff. Bezjak S. 152; Brockmann S. 284. Holzer Journal für Gynäkologische Endokrinologie 2021 77. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Jugendsexualität (2015) S. 97 ff; Franzke S. 38 ff. Kett-Straub ZRP 2007 260, 261 f; Wolters FS Fischer 583, 589 f. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 3; Renzikowski/Schmidt KriPoZ 2018 325, 328. S. dazu BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 107 ff.
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tersgrenze durch Ausnahmeklauseln ergänzt wird.39 Diesen auch in anderen Rechtsordnungen bekannten Ansatz (s. § 206 Abs. 4 StGB Österreich; Art. 187 Abs. 3 StGB Schweiz) hatte auch die Reformkommission zum Sexualstrafrecht empfohlen.40 Mit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 wurden solche Überlegungen aufgegriffen. Nunmehr können Gerichte bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen, geringem Altersunterschied und geringen Unterschieden im Entwicklungs- oder Reifegrad von Strafe absehen, § 176 Abs. 2 (Rdn. 31 ff). Zu kritisieren ist an dieser Lösung, dass die überzeugendere Form einer Ausnahmeklausel nicht nur fakultativ ein Absehen von Strafe ermöglichen, sondern die Strafbarkeit ausschließen würde.41
III. Handlungen mit Körperkontakt nach Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 1. Objektiver Tatbestand a) Handlungen an Kindern (Absatz 1 Nr. 1 1. Alt.). Täter kann, wie in allen Varianten des 7 § 176, auch eine Frau sein. Beim Opfer muss es sich um ein Kind, d.h. um eine Person unter 14 Jahren (Rdn. 5) handeln. Handlungen an einem toten Kind werden nicht erfasst. Der Täter muss sexuelle Handlungen mit körperlichem Kontakt zum Kind vornehmen. Mangels sexueller Handlung liegt kein Sexualdelikt vor, wenn mit der subjektiven Absicht sexueller Annäherung der bekleidete Oberkörper eines Jungen berührt wird (BGH NStZ 2013 708). Am sexuellen Charakter fehlt es auch bei Mädchen, wenn Berührungen nur bis „kurz unter die Brust“ vordrangen.42 Die Abgrenzung ist in solchen Fällen (Berührungen in der Nähe tabuisierter Körperzonen) nicht ganz einfach. Beim Streicheln „oberhalb des Genitalbereichs“ wurde eine sexuelle Handlung bejaht (BGH NStZ-RR 2017 277). Das Ausziehen eines Schlafanzugs etc. ohne Berührung der Genitalien ist bei einem Kind keine Handlung, die ein Beobachter als „sexuelle Handlung“ einstufen würde43 (s. dazu auch § 177 Rdn. 20). Nicht erforderlich ist, dass der Täter mit seinem eigenen Körper den Körper des Kindes berührt: Es genügt, dass mit einem Gegenstand oder sogar mit aus einem Schlauch spritzenden Wasser der Kontakt zu Genitalien oder Anus hergestellt wird (s. zu Letzterem BGH NStZ-RR 2022 244, 245 – entgegen dem BGH ist allerdings bei dem groben, peinlichen Hervorrufen von Stuhlgang durch Wasser nicht evident, dass dies über die offensichtliche Misshandlung eines Schutzbefohlenen nach § 225 hinaus auch eine sexuelle Handlung ist). Aus dem Umstand, dass Kinderpornographie hergestellt wurde (§ 184b Abs. 1 Nr. 3), ergibt sich nicht zwangsläufig, dass eine Tat nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 begangen wurde, nämlich dann nicht, wenn es sich um Inhalte nach § 184b Abs. 1 Nr. 1 b und c handelt (s. BGH BeckRS 2022 3552). Die Tat ist vollendet, wenn eine die Erheblichkeitsschwelle (§ 184h Nr. 1) übersteigende 8 Berührung stattgefunden hat, auch wenn weitergehende Aktivitäten geplant waren. Beim Körperkontakt mit Kindern ist eine Handlung eher erheblich als bei Erwachsenen. Es kann etwa das Streicheln oder Berühren von Genitalien über der Kleidung (BGH NJW 2001 2984), auch mit einem Gegenstand (BGH NStZ 2013 708), eine erhebliche sexuelle Handlung sein. Dasselbe gilt für das Streicheln der bekleideten Brust eines Mädchens (BGH NStZ 2007 700).44 Bei einer nur kurzen, flüchtigen Berührung des bekleideten Körpers ist dagegen die Erheblichkeit zu vernei39 Renzikowski/Schmidt KriPoZ 2018 325, 328. AA Brockmann S. 290 ff, der die mildere Behandlung Jugendlicher nach dem Jugendstrafrecht als ausreichend ansieht.
40 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 313 ff. 41 So auch Hoven/Obert JA 2021 441, 446; Kett-Straub ZRP 2007 260, 261 f; Renzikowski KriPoZ 2020 308, 313 f; Wolters FS Fischer 583, 591. 42 BGH bei Pfister NStZ-RR 2005 361. 43 BGH NStZ-RR 2017 140 f; StV 2017 39. 44 Anders BGH NStZ 1999 45 zu kurzen Griffen an die Brust oder das Gesäß über der Kleidung. 109
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nen (BGH NStZ 2017 527; StV 2019 550; BeckRS 2020 12562). In solchen Fällen ist an § 184i zu denken, der auch bei Belästigungen von Kindern anwendbar ist (s. BGH BeckRS 2020 10457). Bei spärlicher, dünner Bekleidung (Bikinihöschen) wurde wiederum trotz nur kurzer Berührung eine erhebliche sexuelle Handlung bejaht (BGH NStZ 2017 527). 9 Ein Kuss auf die Wange ist keine erhebliche sexuelle Handlung,45 aber ein Zungenkuss (BGHSt 56 223 224 f; BGH NJW 2000 672).46 Nicht ausreichend zur Darstellung eines sexuellen Bezugs ist die vage Beschreibung „Streicheln oberhalb der Kleidung am ganzen Körper“.47 Verneint wurde eine erhebliche sexuelle Handlung bei einer Umarmung in Badekleidung, auch wenn spürbarer Kontakt zum Penis des Beschuldigten bestand (BGH NStZ 2017 528, 529). Das unaufgefordert-spielerische, das Verhalten eines Babys nachahmende Saugen an einer weiblichen Brust durch Kinder ist keine sexuelle Handlung (OLG Oldenburg NStZ-RR 2010 240 f).48 Es ist weder erforderlich, dass das Opfer die Handlung wahrnimmt, noch dass es deren 10 sexuelle Bedeutung erkennt: Die Intimsphäre kann auch verletzt werden, wenn die Betroffenen dies nicht bemerken.49 Erfasst werden deshalb Handlungen an schlafenden Kindern; ebenso Handlungen an Kindern oder von Kindern am Täter, wenn die Kinder wegen ihres jungen Alters sexuelle Handlungen nicht als solche erkennen (BGHSt 29 336, 338 f; 38 68, 69). Unbeachtlich ist, ob das Kind faktisch einverstanden ist. Erfasst werden sowohl Handlungen gegen den Willen des Opfers (Tateinheit mit § 177 ist möglich, wenn Umstände gem. § 177 Abs. 1 oder Abs. 2 vorlagen) als auch Handlungen mit Wollen oder ohne Willensbildung des Kindes. Die Handlungsbeschreibung „sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt“ setzt akti11 ves Tun voraus, allerdings nicht notwendigerweise eine selbst ausgeführte Berührung. Es handelt sich entgegen der h.M. nicht um ein eigenhändiges Delikt50 (aA aber die Rspr. und h.M.),51 s. Vor § 174 Rdn. 57. Mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft sind nicht ausgeschlossen, ggf. ist aber der speziellere Tatbestand in § 176 Abs. 1 Nr. 2 vorrangig. Da § 176 Abs. 1 Nr. 2 voraussetzt, dass der Täter bestimmend auf das Kind einwirkt, bleibt ein Anwendungsbereich für Taten nach § 176 Abs. 1 Nr. 1, in denen der Täter selbst keinen sexuellen Körperkontakt hat, aber ihm ein solcher Körperkontakt wegen mittelbarer Täterschaft oder Mittäterschaft zuzurechnen ist. Eine solche Konstellation liegt vor, wenn der Täter nicht kommunikativ oder körperlich auf das Kind einwirkt, sondern in anderer Weise als Mittäter Tatherrschaft hat, oder wenn sich seine Einwirkung auf die Manipulation eines vorsatz- oder schuldlos handelnden menschlichen Werkzeugs beschränkt. Solange die Rspr. an der Einordnung als eigenhändiges Delikt festhält, führt dies zu Inkonsistenzen bei manchen Formen mittäterschaftlichen Handelns (s. den Sachverhalt in NStZ 2020 408; im konkreten Fall war der Missbrauch des Säuglings nicht allzu eingriffsintensiv, aber jedenfalls bei schwereren sexuellen Attacken wäre der Verzicht auf die Verurteilung als Mittäter fragwürdig).
12 b) Handlungen von Kindern am Täter (Absatz 1 Nr. 1 2. Alt.). Die zweite Alternative „an sich von dem Kind vornehmen lässt“ ist erfüllt, wenn der Täter in kommunikativer Weise auf das Kind eingewirkt und es zum Handeln gebracht hat (etwa mit Befehlen oder Überreden). Es werden außerdem Sachverhalte erfasst, in denen ein Kind von sich aus mit sexualisierten
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OLG Zweibrücken NStZ 1998 357 m. Anm. Michel. Bezjak S. 168; Frühsorger S. 45. BGH StV 2000 19. AA Bezjak S. 163. BGHSt 38 68, 69; Bezjak S. 167; Frühsorger S. 51 ff. Meine in der Voraufl. vertretene Ansicht gebe ich auf. BGHSt 42 242, 243 m. krit. Anm. Schroeder JR 1996 211; BGHSt 59 28, 32; BGH NStZ-RR 2019 341; NStZ 2020 408; Bezjak S. 172 f; Fischer Rdn. 33; Frühsorger S. 73; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 35; Renzikowski MK Rdn. 30; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; gegen eine solche Einschränkung Auerwald Die eigenhändigen Delikte, S. 200; Frommel NK Rdn. 28. Hörnle
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Berührungen beginnt und der Täter explizit zum Weitermachen auffordert oder durch sein Verhalten das Kind zum Weitermachen ermuntert.52 Wenn ein sehr junges Kind z.B. beim gemeinsamen Baden in unbeeinflusst-spielerischer Weise Genitalien berührt, kann es am Verständnis von Reaktionen als Ermunterung fehlen. Ältere Kinder können aber in der Regel auch nonverbale Signale als Bestärkung seitens des betroffenen Erwachsenen (oder Jugendlichen) deuten. Umstr. ist, ob sich Täter auch dann strafbar machen, wenn sie sich vollkommen passiv 13 verhalten. Man könnte dies nach dem Wortlaut unter „vornehmen lassen“ subsumieren. Der Gesetzeswortlaut ist mehrdeutig (Brockmann JZ 2015 155). Die h.M. geht davon aus, dass es nicht strafbar sei, wenn Erwachsene oder Jugendliche in rein passiver Weise die sexuelle Berührung eines Kindes dulden.53 Nach der hier vertretenen Auffassung sollte jedoch danach differenziert werden, ob die ältere Person kraft Garantenpflicht gehalten ist, fortgesetzte sexuelle Berührungen zu verhindern (s. zur Bedeutung von Garantenpflichten Vor § 174 Rdn. 62). Davon ist bei Beschützergaranten generell auszugehen, ebenso nach einer vorangegangenen pflichtwidrigen Gefahrschaffung. Eine pflichtwidrige Gefahrschaffung läge z.B. dann vor, wenn das vermeintlich spielerische Verhalten eines Kindes auf pornographische Inhalte zurückgeht, die der Täter ihm vorgeführt hat (§ 176a Abs. 1 Nr. 3). Wurde derjenige, der sexuellen Körperkontakt mit einem Kind hat, seinerseits von einem Dritten genötigt, die Aktivitäten des Kindes passiv zu erdulden (s. den Sachverhalt, der OLG Brandenburg NJW 2000 3579 zugrunde lag), kann auch bei Bestehen einer Garantenstellung eine Pflicht zum Einschreiten deshalb zu verneinen sein, weil dies unmöglich oder unzumutbar wäre (s. zur Zumutbarkeit einer Handlung Weigend LK § 13 Rdn. 68 f).
c) Bestimmen zu sexuellen Handlungen mit Dritten (Absatz 1 Nr. 2). Es genügt nicht für 14 die Vollendung einer Tat nach Absatz 1 Nr. 2, dass das Kind zu sexuellen Aktivitäten überredet oder sonst bestimmt werden konnte. Vielmehr muss eine sexuelle Handlung stattgefunden haben.54 Die erste Alternative in § 176 Abs. 1 Nr. 2 setzt voraus, dass das Kind aktiv sexuelle Handlun- 15 gen an einem Dritten vornimmt. Nicht erforderlich ist, dass der Dritte diese wahrnimmt: Handlungen an einem Schlafenden sind tatbestandsmäßig.55 Bei der zweiten Alternative genügt es, dass das Kind passiv die Handlungen des Dritten erduldet. Auch für Absatz 1 Nr. 2 gilt, dass das Kind weder den Sexualbezug erkennen noch, bei der zweiten Alternative, die Handlung wahrnehmen muss. Der Dritte ist Täter nach § 176 Abs. 1 Nr. 1, soweit er vorsätzlich und schuldhaft handelt. Seine Strafbarkeit ist allerdings nicht Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Absatz 1 Nr. 2. Erfasst werden auch Fälle, in denen der Dritte ebenfalls ein Kind ist56 oder nicht weiß, dass die andere Person noch nicht das 14. Lebensjahr vollendet hat.57 Der Täter muss das Kind zu seinem Tun oder Dulden bestimmt haben. Dies ist der Fall, 16 wenn der Täter etwas getan hat, was einem Bestimmen nach § 26 entspricht, d.h. wenn er in kommunikativer Weise auf den Willen des Kindes eingewirkt hat, um dieses zu einem Verhalten zu bringen, zu dem es sich ohne die Einwirkung nicht entschlossen hätte.58 Tathandlungen können Überreden, Versprechen von Geschenken, aber auch Drohung und Täuschung sein. 52 BGH BeckRS 2014 17464 (Rdn. 10, in BGHSt 59 263 nicht abgedruckt); BGH bei Pfister NStZ-RR 2016 362; Renzikowski MK Rdn. 32; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4.
53 BGH BeckRS 2014 17464 (Rdn. 10, in BGHSt 59 263 nicht abgedruckt); BGH NStZ-RR 2016 10; Bezjak S. 176 ff; Matt/Renzikowski/Eschelbach § 176 Rdn. 12; Renzikowski MK Rdn. 32; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. AA Brockmann S. 309; Frühsorger S. 70; Lackner/Kühl Rdn. 2 i.V.m. § 174 Rdn. 13; Wolters SK Rdn. 5. 54 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 8. 55 Frühsorger S. 78; Renzikowski MK Rdn. 35; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. 56 BGHSt 45 41, 42; BGH bei Pfister NStZ-RR 2006 362. 57 BGH NStZ 2005 152. 58 BGHSt 9 111, 113; BGH NJW 1985 924; s. zum Begriff des Bestimmens auch BGHSt 45 373, 374. 111
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Auch das Wecken von Neugier ist erfasst.59 Ob das Kind zunächst ablehnend reagiert oder von sich aus an sexuellen Handlungen Interesse zeigt, spielt keine Rolle:60 Entscheidend ist, dass der Täter den endgültigen Entschluss (mit-)verursacht hat (s. zu den Anforderungen bei § 26 Schünemann/Greco LK § 26 Rdn. 17 sowie BGHSt 45 373, 374). Die Einwirkung auf das Kind kann auch durch einen Kommunikationsmittler erfolgen, der entweder selbst nach § 176 Abs. 1 Nr. 2 zu bestrafen ist oder straffrei bleibt, etwa wenn ein anderes Kind die Mittlerrolle übernimmt (s. dazu Vor § 174 Rdn. 65).61 Anders als beim Bestimmen nach § 174, wo der betroffene Jugendliche wissen muss, von wem das Ansinnen ausgeht (nämlich von einem Obhutspflichtigen, s. § 174 Rdn. 16), spielt es für § 176 Abs. 1 Nr. 2 keine Rolle, ob das Kind erkennt, dass hinter dem Kommunikationsmittler eine andere Person steht. 17 Umstr. ist, ob Absatz 1 Nr. 2 nur bei Willensbeeinflussung anzuwenden ist.62 Der BGH legt das Wort „bestimmen“ zu Recht weiter aus: Es genügt das Verursachen eines Sexualkontaktes zwischen dem Kind und Dritten durch Einwirkung auf das Kind, gleich mit welchem Mittel (BGHSt 41 242, 246). Ansonsten würden Kleinkinder, die noch keinen eigenen Willen bilden können und dem Dritten einfach übergeben werden, aus dem Anwendungsbereich fallen (BGHSt 41 242, 245; 45 373, 375).63 Mit dem allgemeinen Sprachgebrauch ist diese Auslegung vereinbar: Man kann einen Menschen auch bestimmen, indem er faktisch zu einem Dulden gebracht wird. Das Merkmal „bestimmen“ setzt nach dem Wortlaut zwingend eine Einwirkung durch ak18 tives Tun voraus (Vor § 174 Rdn. 65). Unter § 176 Abs. 1 Nr. 2 fallen deshalb keine Sachverhalte, in denen es jemand unterlässt, gegen eine Tat nach Absatz 1 Nr. 1 einzuschreiten.64 Dies gilt auch im Falle einer Garantenstellung (etwa wenn eine Mutter nichts gegen den Missbrauch ihrer Kinder durch einen Lebensgefährten oder Bekannte unternimmt, obwohl sie anwesend ist). Ein passiv bleibender Beschützergarant kann aber nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 13 als Täter eines Unterlassungsdelikts bestraft werden, da sexuelle Handlungen nicht eigenhändig vorgenommen werden müssen (Rdn. 13).
2. Subjektiver Tatbestand 19 Hinsichtlich des Alters des Kindes muss der Täter entweder wissentlich oder mit bedingtem Vorsatz handeln, d.h. er muss wissen oder es jedenfalls für möglich halten, dass das Kind das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.65 Bei einem nicht geständigen Angeklagten und Kindern, die fast die Altersgrenze erreicht haben, ist anhand ihrer körperlichen Entwicklung und des äußeren Erscheinungsbilds darzulegen, warum von Vorsatz ausgegangen werden kann.66 Nahm der Täter irrtümlich an, es mit einer unter 14 Jahre alten Person zu tun zu haben, 20 liegt ein untauglicher (aber strafbarer, s. § 23 Abs. 3) Versuch vor (BGH NStZ 2006 405, 406). Die fälschliche Annahme, dass das Kind schon 14 Jahre alt oder älter sei, ist ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1). Zu verurteilen ist ggf. aus § 174 oder aus § 182.67 Hielt es der Täter bei Fehleinschätzung des Alters immerhin für möglich, dass es sich um eine
59 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. AA Frühsorger S. 82 f; Renzikowski MK Rdn. 34. 60 Frühsorger S. 84 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. 61 Bezjak S. 182; Fischer Rdn. 7. AA (gegen die Strafbarkeit sog. Kettenbestimmung) Frühsorger S. 89 f; Renzikowski MK Rdn. 64; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 10. 62 So Bezjak S. 186 ff; Renzikowski MK Rdn. 33 f; Wolters SK Rdn. 10. 63 Ebenso Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. 64 Bezjak S. 182; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 14; Renzikowski MK Rdn. 36. 65 BGH bei Miebach NStZ 1998 131. 66 BGH bei Miebach NStZ 1998 131; BGH StV 2003 393; BGH bei Pfister NStZ-RR 2007 362; NStZ-RR 2011 361, 362; NStZ-RR 2012 329, 330. 67 BGHSt 42 27, 29; 42 51, 55. Hörnle
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III. Handlungen mit Körperkontakt nach Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2
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Person unter sechzehn Jahren handelte, ist für die Verurteilung aus § 182 Abs. 3 zwar nicht erforderlich, dass die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung nachgewiesen wird (insoweit gilt die Vermutung des § 176; aA wohl BGH NStZ 2007 329). Aber es muss die subjektive Vorstellung des Täters, fehlende Selbstbestimmungsfähigkeit ausgenutzt zu haben, belegt werden.68 Hätte sich ein Täter über das Alter des Sexualpartners keinerlei Vorstellungen gemacht, 21 wäre bedingter Vorsatz zu verneinen.69 Allerdings ist derartiges Vorbringen kritisch zu würdigen – bei Handlungen mit Körperkontakt ist es wenig wahrscheinlich, dass das mögliche Alter in keiner Weise, auch nicht am Rande des Bewusstseins, registriert wurde (plausibel kann dies aber bei exhibitionistischen Akten sein).70 Von derartigen Fällen sind solche zu unterscheiden, in denen dem Täter das Alter gleichgültig ist, obwohl er „unter 14 Jahren“ immerhin für möglich hält. Gleichgültigkeit ist eine Form des für bedingten Vorsatz ausreichenden Billigend-inKauf-Nehmens, BGH NStZ-RR 2004 105. Die übrigen Tatmerkmale in Absatz 1 Nr. 1 werden in der Regel von sicherem Wissen (Ein- 22 stufung der Handlung als sexuelle) und Absicht (Vornahme der Handlung) getragen. Eigene sexuelle Motive des Täters sind nicht erforderlich. Es genügt, dass der Täter zur Vorbereitung fotografischer Aufnahmen die Genitalien des Kindes berührt (BGH NStZ 2003 661, 662). Bei Handlungen des Kindes muss dieses die sexuelle Bedeutung nicht erkannt haben (Rdn. 10), es bedarf deshalb auch keines entsprechenden Vorsatzes des Täters. Da für das Bestimmen nach § 26 dolus eventualis ausreicht (BGHSt 44 99, 100 ff; Schüne- 23 mann/Greco LK § 26 Rdn. 58 m.w.N.), ist auch für § 176 Abs. 1 Nr. 2 davon auszugehen.71 Geht die Handlung des Bestimmten in ihrer Intensität über das hinaus, was sich der Täter vorgestellt hatte, ist ihm bei der Strafzumessung das Tatunrecht nur nach seinem Vorsatz zuzurechnen (vgl. Schünemann/Greco LK § 26 Rdn. 85).
3. Täterschaft und Teilnahme Täter können (männliche oder weibliche) Jugendliche oder Erwachsene sein, eine besondere 24 Pflichten- oder Autoritätsstellung ist nicht erforderlich. Entgegen der h.M. und der in der Voraufl. vertretenen Ansicht ist nicht davon auszugehen, dass Taten nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 eigenhändige Delikte sind (Rdn. 11). Mittäterschaft, mittelbare Täterschaft sowie die Bestrafung duldender Garanten als Unterlassungstäter sind möglich (die h.M. geht von aus, dass Garanten nur wegen Beihilfe zu einer Tat nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 durch Unterlassen bestraft werden können72). Zumutbarkeit des Einschreitens ist auch zu bejahen, wenn Taten durch den eigenen Ehemann zu erwarten sind und Untätigkeit auf das Interesse an der Erhaltung der Ehe zurückzuführen ist (BGH NStZ 1993 584). Mitarbeiter von Jugendämtern sind als Beschützergaranten verpflichtet, Straftaten zu Lasten von betreuten Kindern zu verhindern, Informationen ggf. an andere Jugendämter weiterzuleiten und die Tätigkeit von freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe zu überwachen.73 Übernimmt ein Mitarbeiter eines nicht-staatlichen Trägers der Kinderund Jugendhilfe Betreuungsaufgaben, entsteht ebenfalls eine Garantenstellung.74 Unterlässt es
68 69 70 71
Darauf stellte letztlich auch BGH NStZ 2007 329 ab. BGH NJW 1953 152 f. Die Entscheidung des BGH in der vorstehenden Fußnote bezog sich auf exhibitionistische Handlungen. BGH bei Miebach NStZ 1998 131; Fischer Rdn. 30; Frühsorger S. 91 ff. Ebenso nunmehr auch Renzikowski MK Rdn. 37. 72 BGHSt 41 242, 246 f; BGH NStZ 1993 584; BGH bei Miebach NStZ 1996 121; BGH NStZ 2007 699; Fischer Rdn. 33; Renzikowski MK Rdn. 65; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 25. 73 Beulke/Swoboda FS Gössel 73, 83 ff; Bringewat NJW 1998 946; Habenicht Die Beteiligung an sexuellen Gewaltdelikten, S. 207 f. 74 Beulke/Swoboda FS Gössel 73, 91; Bringewat NJW 1998 944, 947. 113
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§ 176
Sexueller Missbrauch von Kindern
ein Beschützergarant, erwartete, aber zeitlich noch nicht näher konkretisierte sexuelle Handlungen des Haupttäters zu verhindern, ist er oder sie nur wegen eines Unterlassungsdelikts zu verurteilen.75 Hingegen liegt Tatmehrheit vor, wenn ein Garant bei verschiedenen Anlässen passiv bleibt, in denen jeweils die Umstände auf einen konkret bevorstehenden Missbrauch hindeuten.76 25 Taten nach § 176 Abs. 1 Nr. 2 sind nicht auf eigenhändiges Bestimmen beschränkt (BGH BeckRS 2021 38232). Täter kann auch sein, wer sich eines Kommunikationsmittlers bedient (Rdn. 16). 26 Teilnahme ist nach den allgemeinen Regeln möglich. Wer Personen unter 14 Jahren Verhütungsmittel verkauft oder verordnet, begeht Beihilfe zu einer Tat nach Absatz 1 Nr. 1, wenn er das Alter der am Sexualkontakt Beteiligten kennt oder die relevanten Daten ernsthaft für möglich hält.77 Allerdings ist an eine Rechtfertigung nach § 34 zu denken, da das Interesse an der Vermeidung einer Schwangerschaft deutlich überwiegen kann.78 Handelt derjenige, der den objektiven Tatbestand in § 176 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 erfüllt, wegen eines Irrtums über das Alter des Opfers ohne Vorsatz, kommt mangels rechtwidriger Haupttat Teilnahme des besser informierten Helfers nicht in Betracht. Es ist aber mittelbare Täterschaft zu prüfen (s. Schünemann/Greco LK § 25 Rdn. 102).
4. Versuch 27 a) Bei Taten nach § 176 Abs. 1 Nr. 1. Der Versuch ist strafbar, § 23 Abs. 1, da sexueller Missbrauch nunmehr ein Verbrechen ist. Der Täter muss zu den sexuellen Handlungen unmittelbar angesetzt (§ 22) haben. Versuchsbeginn liegt nicht immer vor, wenn der Täter begonnen hat, auf das Kind verbal (oder durch Geschenke oder in sonstiger Weise) einzuwirken (BGHSt 35 6, 7 ff; offen gelassen in BGH bei Pfister NStZ-RR 2003 354), sondern nur dann, wenn im unmittelbaren Anschluss ohne zeitliche Verzögerung und wesentliche Zwischenschritte die sexuelle Handlung folgen soll.79 Allerdings erlaubt die Feststellung, dass eine „Verführung“ angestrebt war, nicht die Folgerung, dass es am Ansetzen zum Versuch fehle, wenn sexuelle Themen angesprochen werden und das misstrauisch gewordene Kind davonläuft (so aber BGHSt 35 6, 9). Erhoffte der Täter, durch ein kurzes Gespräch die Bereitschaft zu an Ort und Stelle anschließenden sexuellen Handlungen feststellen zu können, kann im Gesprächsbeginn bereits ein Ansetzen zur Tat liegen. 28 Hat der Täter begonnen, das Kind zum späteren Tatort zu transportieren, kommt wegen der nach § 22 sehr eingeschränkten Versuchsstrafbarkeit ein Versuch erst in Betracht, wenn der Zielort fast erreicht wurde und der Beginn des sexuellen Geschehens unmittelbar bevorsteht (s. dazu BGH NStZ 2019 79). Wenn der Täter mit dem Kind noch nicht in der Nähe des vorgesehenen Tatorts angekommen ist oder weitere Zwischenakte geplant sind, erlaubt das geltende deutsche Recht keine Bestrafung wegen versuchten sexuellen Missbrauchs (Murmann LK § 22 Rdn. 131). Entführt der Täter (ohne geplante Drohung gem. § 239b) über Stunden oder Tage ein Kind für einen geplanten sexuellen Missbrauch, liegt hierin nur eine Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1) oder eine Kindesentziehung (§ 235 Abs. 1). Dies ist inkonsistent im Vergleich mit den sehr weit ausholenden Vorbereitungsdelikten in § 176 Abs. 1 Nr. 3, § 176a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und § 176b, bei denen das Kind (und/oder seine Angehörigen) nicht Furcht und Schrecken erleiden muss.
75 76 77 78 79
BGH NStZ 1993 584; NStZ 2000 83; NStZ 2009 443 f. BGH NStZ 2000 83. Bezjak S. 206 ff; Tröndle MedR 1992 320, 321; aA Fischer Rdn. 33. Bezjak S. 211; Kett-Straub ZRP 2007 260, 262 f; aA Tröndle MedR 1992 320, 323. Renzikowski MK Rdn. 68; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24; Wolters SK Rdn. 13.
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III. Handlungen mit Körperkontakt nach Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2
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b) Bei Taten nach § 176 Abs. 1 Nr. 2. Der Versuch ist strafbar, Rdn. 27. Es bedarf zur Tatvoll- 29 endung einer sexuellen Handlung mit Dritten (Rdn. 14), die relevante Handlung des Täters liegt aber im Bestimmen. Die h.M. geht davon aus, dass die kommunikative Beeinflussung des Kindes maßgeblich sei: Es seien die für § 30 Abs. 1 entwickelten Regeln entsprechend heranzuziehen.80 Nach dieser Auffassung setzt der Versuch bei § 176 Abs. 1 Nr. 2 (wesentlich) früher an als bei § 176 Abs. 1 Nr. 1 (BGHSt 35 6, 9 f).81 Eine solche Diskrepanz beim Versuchsbeginn überzeugt nicht. Ein unmittelbares Ansetzen ist auch bei Taten nach § 176 Abs. 1 Nr. 2 nur zu bejahen, wenn sexuelle Handlungen direkt im Anschluss stattfinden sollen. Wer auf Ähnlichkeiten mit § 30 Abs. 1 verweist, verkennt, dass dort die Vorverlagerung der Strafbarkeit mit einer Rahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 verbunden ist. Soll es ohne Verzögerung und Zwischenschritte im Anschluss an die Bestimmungshandlung zum sexuellen Körperkontakt zwischen dem Kind und einem Dritten kommen, ist ein Ansetzen zur Tat mit dem Ansetzen zur kommunikativen Beeinflussung oder zum sonstigen Einwirken auf das Kind möglich. Entscheidend ist unter solchen Umständen, wie zeitintensiv nach der Vorstellung des Täters das bestimmende Einwirken ausfallen muss. Nicht zwingend erforderlich sind einschlägige sexuelle Themen; ein Gespräch über Unverfängliches könnte genügen (aA Schünemann/Greco LK § 30 Rdn. 19), falls der Täter davon ausging, schnell zum Bestimmen übergehen zu können. c) Rücktritt vom Versuch. Wenn es noch nicht zu einer sexuellen Handlung gekommen ist 30 und der Täter sein Vorhaben aufgibt, ist zu prüfen, ob ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch (§ 24 Abs. 1 S. 1 1. Alt.) vorlag. Hierbei ist entscheidend, ob der Täter davon ausging, auch ohne Übergang zur sexuellen Nötigung gem. § 177 sein Vorhaben noch erreichen zu können, etwa durch eine erneut vorgetragene Aufforderung.82 Bei einer kategorischen, als endgültig anzusehenden Weigerung des Kindes ist von einem fehlgeschlagenen Versuch auszugehen.83 Akzeptiert der Täter aber die Ablehnung eines dem Kind gemachten ersten Angebots sofort, obwohl er weitere Kommunikation für erfolgversprechend hält, kommt ein Rücktritt in Betracht (BGH bei Pfister NStZ-RR 2003 354). Der Rücktritt von einer Tat nach § 176 Abs. 1 Nr. 1, 22 scheidet nicht deshalb aus, weil der Täter zu Masturbation vor dem Kind (§ 176a Abs. 1 Nr. 1) übergeht (BGH NStZ-RR 2009 230, 231). 5. Absehen von Strafe (Absatz 2) Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 hat eine sinn- 31 volle, auch von der Reformkommission zum Sexualstrafrecht empfohlene Neuerung eingeführt (Entstehungsgeschichte), nämlich die Möglichkeit, unter bestimmen Umständen von Strafe abzusehen (§ 176 Abs. 2). Dies bedeutet, dass Strafverfahren in solchen Fällen nicht durchgeführt werden müssen, weil Staatsanwaltschaften nach § 153b Abs. 1 StPO von einer Anklage absehen können. Zugeschnitten ist die Norm auf Situationen, in denen zwei Personen miteinander einen jugendtypischen Sexualkontakt haben (§ 176 Abs. 2 gilt nur für Handlungen nach § 176 Abs. 1 Nr. 1). Solche Fälle sind in der Strafverfolgungspraxis nicht ganz selten.84 Absehen von Strafe ist möglich, wenn drei Voraussetzungen (Rdn. 32 f) kumulativ vorliegen. Rechtspolitisch ist anzumerken, dass ein Tatbestandsausschluss statt eines nur fakultativen Verzichts auf Bestrafung die vorzugswürdige Lösung wäre – wenn die angeführten Voraussetzungen vorliegen, fehlt es an strafwürdigem Unrecht. In seltenen Fällen kann § 176 Abs. 2 analog angewendet 80 81 82 83 84 115
Fischer Rdn. 32; Renzikowski MK Rdn. 69; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24; enger Wolters SK Rdn. 13. Vogler FS Stree/Wessels 285, 294. BGH NStZ-RR 1996 161; NStZ-RR 2009 230, 231. S. aber auch BGH StV 1995 634; StV 1996 372, 373. Franzke S. 217 ff. Hörnle
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Sexueller Missbrauch von Kindern
werden, wenn es in einer Jugendfreundschaft zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kommt (§ 176c Abs. 1 Nr. 2), § 176c Rdn. 42. 32 Die Anwendung von Absatz 2 setzt erstens voraus, dass der Sexualkontakt einvernehmlich war. Im Fall von Handlungen gegen oder ohne den Willen der Person unter 14 Jahren kann nicht von Strafe abgesehen werden. Zweitens muss im Hinblick auf Alter und individuelle Entwicklung der Unterschied zwischen den Beteiligten gering sein. Die in Absatz 2 verwendete Formulierung „Entwicklungsstand oder Reifegrad“ bedarf der Auslegung. Die Formulierung ist nicht ganz gelungen, da der Zusatz „oder Reifegrad“ entbehrlich ist. Es ist nicht ersichtlich, und erschließt sich auch nicht aus der Begründung des Gesetzes, warum diese Doppelung gewählt wurde. Aus der Begründung wird deutlich, dass es auf die Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung ankommt. Daraus ergibt sich, dass nicht der körperliche Entwicklungszustand ausschlaggebend ist, sondern die psychische Entwicklung und die psychosoziale Kompetenz. Im Hinblick auf das Lebensalter ist in der Gesetzesbegründung mehrfach von „annähernd Gleichaltrigen“ die Rede (BTDrucks. 19/23707 S. 38). Auf die numerische Festsetzung eines noch als unbedenklich angesehenen Altersunterschieds wurde verzichtet, was sinnvoll ist. Die Zahl der Lebensjahre ist zwar ein wichtiger Anhaltspunkt, der aber nicht starr und schematisch anzeigt, wann von hinreichender Selbstbestimmung ausgegangen werden kann. Die Bedeutung einer Lebensaltersdifferenz ergibt sich im Zusammenhang mit der individuellen psychischen und psychosozialen Entwicklung der Betroffenen sowie dem sozialen Kontext der sexuellen Begegnung. Als Faustregel wird man davon ausgehen dürfen, dass ein Altersunterschied von bis zu drei Jahren als „etwa gleichaltrig“ zu werten ist. Aber auch ein etwas größerer Altersunterschied (fünf oder sechs Jahre) muss nicht notwendigerweise einem Absehen von Strafe entgegenstehen. Eine Rolle kann der Umstand spielen, dass schon im statistischen Durchschnitt bei Mädchen die Pubertät und damit verbundene psychische Entwicklungen etwa zwei Jahre früher als bei Jungen beginnen.85 Schon deshalb ist vorstellbar, dass z.B. ein 13 Jahre altes Mädchen im Einzelfall in der Lage sein kann, sich eigenständig und hinreichend reflektiert für Intimkontakte innerhalb einer Liebesbeziehung mit einem siebzehn- oder achtzehnjährigen Freund zu entscheiden. Aber auch in anderen Konstellationen kann sich im Einzelfall aus den Beziehungen zwischen den Beteiligten ein Gesamtkontext ergeben, der es erlaubt, von einer hinreichend selbstbestimmten Entscheidung der jüngeren Person auszugehen. 33 Drittens muss nach den Vorgaben in § 176 Abs. 2 geprüft werden, ob nicht der Täter die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung ausgenutzt hat. Dieses Element in Absatz 2 ist ebenfalls nicht sehr gut formuliert und lässt Missverständnisse bei den Rechtsanwendern befürchten. „Fähigkeit“ könnte als persönliche, dispositionelle Eigenschaft verstanden werden. Bei dieser Auslegung wäre die „es sei denn“-Klausel jedoch überflüssig, denn der individuelle Entwicklungsstand wird bereits mit der zweiten Voraussetzung erfasst. Die einzig sinnvolle Auslegung ist, dass die „es sei denn“-Klausel besondere situative Umstände erfassen soll, vor allem solche, die sich aus dem Verhalten des Beschuldigten ergeben. In der Gesetzesbegründung wird auf „unlauteres Verhalten des Täters“ verwiesen (BTDrucks. 19/ 23707 S. 38). Es kann Umstände geben, die sexuelle Selbstbestimmung ausschließen, obwohl die anderen Kriterien (einvernehmlich, annähernd gleichaltrig, gleicher Entwicklungsstand) vorliegen, etwa weil sich die schon strafmündige Person durch manipulatives Verhalten das Einverständnis des anderen erschlichen hat.
6. Strafzumessung 34 a) Gesetzlicher Strafrahmen. Seit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 ist der sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 ein Verbrechen. 85 Werny/Schlatt in Brandes u.a. (Hrsg.) Physiologie des Menschen32 S. 977. Hörnle
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III. Handlungen mit Körperkontakt nach Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2
§ 176
Die Mindeststrafe liegt bei einem Jahr Freiheitsstrafe, der Strafrahmen reicht bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe. Die Hochstufung zum Verbrechen war zuvor mehrfach von der Fraktion der CDU/CSU gefordert worden,86 allerdings kombiniert mit einer niedrigeren Mindeststrafe für minder schwere Fälle. Die Reformkommission zum Sexualstrafrecht hatte das Gegenteil dessen empfohlen, was Gesetz wurde, nämlich, einen Normalstrafrahmen mit der Mindeststrafe von sechs Monaten mit einem niedriger ansetzenden Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle zu kombinieren.87 Empörung in der Öffentlichkeit und eine stark emotionalisierte Debatte waren jedoch wirkkräftiger als juristischer Sachverstand (Entstehungsgeschichte). Die Mindeststrafe wurde erhöht, ohne dass für ungewöhnliche Fälle der Strafrahmen nach unten durch einen Sonderrahmen für minder schwere Fälle flexibel gehalten wird. Die Möglichkeit des Absehens von Strafe in § 176 Abs. 2 (Rdn. 31 ff) und die damit verbundene Ausnahme vom Zwang zur Strafverfolgung (§ 153b StPO) entschärfen zwar das Strafzumessungsproblem. Trotzdem bedeutet die deutliche Hochsetzung der Mindeststrafe, dass nicht mehr in allen Fällen eine Reaktion möglich ist, die verhältnismäßig zum Tatunrecht ausfällt. Auch jenseits der Voraussetzungen in § 176 Abs. 2 kann es Sachverhalte geben, in denen 35 das Unrecht der Tat es erforderlich machen würde, beim Strafmaß unter einem Jahr Freiheitsstrafe zu bleiben. Die Gesetzesbegründung gibt aber zu erkennen, dass expressive Symbolik dem Grundsatz proportionalen Strafens vorgezogen wurde. Bezweckt werde „das klare Signal, dass sexuelle Handlungen mit Kindern nie als leichte Fälle eingeordnet werden können“ (BTDrucks. 19/23707 S. 38).88 Damit wird verkannt, dass die Skala des gesetzlichen Strafrahmens für sämtliche denkbaren Fälle eine unrechts- und schuldangemessene Strafe erlauben muss. Selbst wenn man davon ausgeht, dass für typische Fälle des sexuellen Missbrauchs nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 die Einstufung als Verbrechen angemessen ist89 (wobei die Vorstellungen vom Typischen durch den Einfluss medialer Darstellungen oft verzerrt sind90), müsste auch an atypische Fälle gedacht werden. Für manche Sachverhalte bedürfte es wie auch in den anderen Verbrechenstatbeständen des Besonderen Teils (und in § 177 Abs. 9) einer abgesenkten Untergrenze (Hörnle ZIS 2020 440, 443; Renzikowski KriPoZ 2020 308, 312 f).91 Weil die Schwelle der Erheblichkeit sexueller Handlungen bei kindlichen Opfern vergleichsweise niedrig angesiedelt ist (Rdn. 8 f), gibt es ein breites Spektrum an tatbestandsmäßigen Handlungen. Im untersten Bereich dieser Schwereskala (etwa bei einem einzigen Zungenkuss) und beim Fehlen sonstiger unrechtserhöhender Merkmale ist die jetzige Mindeststrafe auch für Taten mit Körperkontakt zu hoch92 (dasselbe gilt in noch stärkerem Maß für das Vorbereitungsdelikt in § 176 Abs. 1 Nr. 3).93 Die Anhebung der Strafrahmenobergrenze in § 176 Abs. 1 auf fünfzehn Jahre (in § 176 36 Abs. 1 a.F.: zehn Jahre) erfolgte ebenfalls ohne sachliche Notwendigkeit.94 Schwerste Sexualdelikte gegen kindliche Opfer, für die eine unrechtsangemessene Sanktionierung Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren verlangen, dürften ausnahmslos unter § 176c und/oder § 177 Abs. 5 bis Abs. 8 fallen.
86 BTDrucks. 14/6709 S. 3; 15/29 S. 5. S. auch Luczak DRiZ 2020 382. 87 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 316 f. 88 S. dazu auch Rostalski GA 2021 198, 209 ff, die davon ausgeht, dass die Strafverschärfung eine angemessene Reaktion auf ein geändertes Rechtsbewusstsein sei. 89 So Hoven/Obert JA 2021 441, 443; Rostalski GA 2021 198, 202 ff. Krit. zur Erhöhung Hörnle ZIS 2020 440, 443; Martens DRiZ 2020 383; Rebehn DRiZ 2020 330 f; Renzikowski KriPoZ 2020 308, 312. 90 Hörnle ZIS 2020 440, 442. 91 Rostalski GA 2021 198, 205 f, schlägt vor, die Voraussetzungen für eine niedrigere Mindestfreiheitsstrafe an engere Voraussetzungen als die übliche pauschale Vorgabe „minder schwer“ zu knüpfen; ebenso Hoven/Obert JA 2021 441, 446. 92 So auch Rebehn DRiZ 2020 330, 331. 93 Renzikowski KriPoZ 2020 308, 313: völlig überzogen. 94 Hörnle ZIS 2020 440, 442 f; Renzikowski KriPoZ 2020 308, 313. 117
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Sexueller Missbrauch von Kindern
37 b) Weitere Rechtsfolgen. Nach § 181b kann Führungsaufsicht angeordnet werden (u.U. unbefristet verlängerbar, § 68c Abs. 3 Nr. 2), und nach den §§ 66 ff Sicherungsverwahrung. Eine Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht, in unregelmäßigen Abständen auf Anweisung des Bewährungshelfers elektronische Speichermedien auf kinderpornographische Inhalte überprüfen zu lassen, ist rechtswidrig (OLG Zweibrücken NStZ 2017 291, 292). Bei der Entscheidung gegen Sicherungsverwahrung genügt es nicht, lediglich darauf abzustellen, dass der Täter keine Gewalt angewendet hat (BGHSt 52 31, 34; BGH NStZ 2007 464; StV 2014 136 m. Anm. Renzikowski). Für die erforderliche Prognose ist darauf zu achten, dass zulässiges Verteidigungsverhalten nicht negativ gewertet wird.95 S. zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt BGH NStZ-RR 1997 67; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 365. Hat der Täter unter Ausnutzung seiner beruflichen Stellung gehandelt, etwa als Erzieher oder Lehrer, kommt (ggf. zusätzlich zu beamtenrechtlichen Konsequenzen) ein Berufsverbot (§ 70) in Betracht.96 Insbesondere die disziplinarrechtlichen Konsequenzen sind regelmäßig einschneidend.97 Eine Verurteilung nach § 176 zieht ferner nach § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 JArbSchG98 das Verbot der Beschäftigung, Beaufsichtigung, Anweisung und Ausbildung von Jugendlichen nach sich. Erfolgte die Tat im Kontext einer medizinischen Behandlung, kann dem Täter die Approbation als (Zahn-)Arzt entzogen werden.99 Der BGH hob allerdings ein lebenslanges Berufsverbot für einen Arzt auf, der Kinder mit ihm beruflich zugänglichen Medikamenten betäubt hatte (BGH NStZ-RR 2020 75). Möglich ist auch die Verhängung eines Kontaktverbots (VGH München NJW 2016 2968). Die Verwendung eines Kraftfahrzeugs, um das Opfer an einen abgelegenen Ort zu verbringen, bedeutet nicht, dass der Täter ungeeignet für das Führen von Kraftfahrzeugen i.S.v. § 69 Abs. 1 S. 1 ist.100
c) Bestimmung der Tatschwere 38 aa) Erfolgsunrecht. Wesentliche Bedeutung kommt der Eingriffsintensität der sexuellen Handlung zu. Berührungen der Brust oder des Genitalbereichs sind nach Dauer und Intensität zu bewerten. Niedriges Erfolgsunrecht liegt bei Berührungen vor, die nur knapp die Erheblichkeitsschwelle überschreiten. Im Vergleich zum „bloßen Anfassen“ wiegen intensivere manuelle Manipulationen an den Genitalien und oral-genitaler Kontakt schwerer. Zu beachten ist auch ein besonders erniedrigender Charakter des konkreten Vorgehens. Unrechtserhöhend wirkt es ferner, wenn das Kind Schmerzen empfunden hat. S. zur Bewertung penetrierender Sexualakte und gemeinschaftlichen Handelns § 176c Rdn. 45-47. Früher wurde gelegentlich vertreten, dass homosexuelle Handlungen schwerer wiegen als entsprechende Handlungen durch einen Täter des anderen Geschlechts.101 Als pauschale Annahme vermag dies nicht zu überzeugen: Im Hinblick auf gewandelte Einstellungen, die sich auch in rechtlichen Regelungen niedergeschlagen haben (Aufhebung des § 175; Ermöglichung gleichgeschlechtlicher Ehen102), können homosexuelle Handlungen nicht per se als unrechtserhöhend gewertet werden. Eine andere Bewertung ist dann möglich, wenn anhand konkreter Umstände dargelegt werden kann, dass die ge-
95 BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 365; BGH NStZ-RR 2008 304; StV 2008 140, 141. 96 BGH NStZ 2002 198; BGH bei Pfister NStZ-RR 2008 368. 97 S. z.B. BVerwG NVwZ-RR 2019 867; 2020 983; OVG Koblenz BeckRS 2020 7926; VGH München BeckRS 2020 30418. 98 Jugendarbeitsschutzgesetz v. 12.4.1976 (BGBl. I S. 965), zuletzt geändert am 16.6.2021 (BGBl. I S. 1810). 99 OVG Bremen NJW 2003 1886, 1887. 100 BGH NStZ-RR 1998 271; BGH bei Pfister NStZ-RR 2005 369. 101 So BGH NStZ 1993 591; Schroeder JR 1996 40, 41. AA aber BGH NStZ 1993 537 sowie die h.L.: Fischer Rdn. 37; Renzikowski MK Rdn. 75; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29a; Stephan Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen (2002) S. 118 f. 102 Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts v. 20.7.2017, BGBl. I S. 2787. Hörnle
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III. Handlungen mit Körperkontakt nach Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2
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schlechtlichen Umstände der sexuellen Interaktion von konkret Betroffenen als zusätzliche Demütigung wahrgenommen wurden und dies vom Vorsatz der Täter umfasst war.103 Außerdem kommt es auf die Häufigkeit der Sexualkontakte an: Wiederholte Handlungen 39 an demselben Opfer bedeuten im Vergleich mit ähnlichen, aber nur einmaligen Übergriffen größeres Erfolgsunrecht,104 da das Leiden des Kindes größer ausfällt, wenn es über längere Zeit mit neuen Übergriffen rechnen muss und dadurch erheblicher Angst und Verunsicherung ausgesetzt wird. Daher kann das Gesamtunrecht größer ausfallen als die Summe der Unrechtsteile. Bedauerlicherweise wies die Rspr. bislang in eine andere Richtung: Danach könne bei Wiederholungstaten wegen der angeblich „mit Verübung der ersten Tat überwundenen Hemmschwellen“ von geminderter Schuld auszugehen sein.105 Diese Konstruktion überzeugt nicht: Entscheidend für die Strafzumessung sollte das den Opfern angetane Unrecht sein. Skeptischer zum Argument „abgesenkte Hemmschwelle“ ist nunmehr auch neuere Rspr. (BGH NStZ 2018 537, 538). Der Notwendigkeit, bei vielen Einzeltaten die Proportionalität der letztlich verhängten Strafe im Blick zu behalten, ist bei der Gesamtstrafenbildung Rechnung zu tragen. Voraussetzung für die strafschärfende Berücksichtigung ist, dass die Taten so bestimmt festgestellt sind, dass sie nach ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt beurteilt werden können. Bleibt offen, welche und wie viele Taten der Angeklagte über die abgeurteilten hinaus begangen hat, dürfen ihm diese nicht bei der Strafzumessung zur Last gelegt werden.106 Bei der Strafzumessung sind aber festgestellte Varianten sexueller Handlungen zu berücksichtigen, auch wenn sie nicht einem bestimmten Datum zugeordnet werden konnten (BGH NStZ 2009 444). Ein weiterer wichtiger Umstand ist, ob ein geäußerter entgegenstehender Wille missach- 40 tet und ob sowie ggf. in welchem Ausmaß das Kind genötigt wurde. Zwar wirkt ein faktisch vorhandenes Einverständnis des Kindes nicht unrechtsausschließend (Rdn. 10). Hieraus ist jedoch nicht zu schließen, dass die Willensrichtung des Opfers auch für die Strafzumessung irrelevant wäre: Missachtet der Täter den Willen des Opfers, fallen Demütigung und Leiden des Kindes größer aus. Der Einsatz von Gewalt wirkt sich strafschärfend aus; fehlerhaft ist es aber, fehlende Gewalt als Strafmilderungsgrund anzuführen (BGH NStZ-RR 2012 143). Wegen des Machtgefälles zwischen Kindern und Erwachsenen bzw. Jugendlichen können Einwirkungen stärker nötigend wirken als bei erwachsenen Opfern, z.B. der Hinweis auf Benachteiligungen innerhalb von Erziehungsverhältnissen oder auf sonstige Konsequenzen, die sich aus der Perspektive eines Kindes dieser Altersgruppe als bedrohlich darstellen. Auch die Ankündigung nicht bedrohlicher Konsequenzen (etwa der Wegfall von Begünstigungen) ist als Einsatz willensbeugender Elemente zu berücksichtigen.107 Unklar ist, welche Bedeutung dem Alter des Kindes beigemessen wird. Die Vorgaben der 41 Rspr. sind nicht klar. Der Schuldgehalt sei „jedenfalls nicht erhöht“, wenn das Lebensalter nur noch Monate von der Schutzaltersgrenze entfernt war.108 Fehlerhaft sei es, bei einem zwölf Jahre und zwei Monate alten Kind von einem „sehr jungen Opfer“ zu sprechen und dies zu Lasten des Angeklagten zu gewichten,109 ähnlich eine neuere Entscheidung zu einem Fall, in dem die Geschädigte zwischen elf und zwölf Jahren alt war (BGH BeckRS 2021 43363). In einer schon etwas älteren Entscheidung wurde dagegen bei einem elf Jahre alten Mädchen die strafschärfen-
103 Bezjak S. 223 f. 104 Bezjak S. 222; Rohleder Die Folgen des Wegfalls der fortgesetzten Tat, S. 540; aA Renzikowski MK Rdn. 75; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 29a. 105 BGH NJW 1995 2234; NStZ 1996 187; StV 1997 76; StV 2006 689; StV 2007 76; NStZ-RR 2009 72, 73; NStZ-RR 2016 368; NStZ-RR 2021 207; ThürOLG Jena JR 1995 510, 511 m. Anm. Terhorst. Krit. Renzikowski MK Rdn. 75; Rohleder Die Folgen des Wegfalls der fortgesetzten Tat, S. 513 f, 516 f. 106 BGH bei Pfister NStZ-RR 2004 359; NStZ-RR 2005 368; BGH NStZ-RR 2009 306; StV 2015 552 m. Anm. Staudinger; StV 2017 32. 107 AA BGH StV 1999 489, 490. 108 BGH bei Miebach NStZ 1993 225. 109 BGH bei Pfister NStZ-RR 2005 368. 119
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de Bezeichnung als „sehr jung“ nicht beanstandet.110 Bei zwölf- und dreizehnjährigen Jungen wurde deren „zunehmendes Alter“ als strafmildernd berücksichtigt.111 Dass die sexuellen Handlungen an einem noch ganz kleinen Kind vorgenommen wurden, wurde (nach altem Recht) als Grund gegen die Annahme eines minder schweren Falles angeführt.112 Aus der im Schrifttum zu findenden Vorgabe, dass das Alter des Kindes ein Faktor für die Schwere der Schuld und damit für die Strafzumessung sei,113 geht ebenfalls nicht hervor, welche Altersstufen welche Relevanz haben. Klare Hinweise sind auch empirischen Studien nicht zu entnehmen. Anhand der vorliegenden Forschungsergebnisse lässt sich nicht sagen, ob früh oder spät im Leben des Kindes einsetzender sexueller Missbrauch zu intensiveren Folgeschäden führt.114 Pauschale Annahmen der Art, dass umso größeres Unrecht gegeben sei, je jünger das Opfer war, sind unfundiert. 42 Die Relevanz des Alters ist nur bei einer differenzierten, die konkrete Bedeutung im Einzelfall erfassenden Betrachtung zu beurteilen. Z.B. spielt das Alter bei der Frage eine Rolle, ob das Kind einen der Tat entgegenstehenden Willen bilden konnte und durch das Übergehen seines Willens gedemütigt wurde – aus diesem Grund kann dieselbe Handlung (etwa ein Griff an die Genitalien) bei einem schon älteren Kind, das den Übergriff erkannt hat, schwerer wiegen als bei einem Säugling. Aus physiologischen Gründen führen allerdings erhebliche Eingriffe, vor allem Penetrationen (§ 176c Abs. 1 Nr. 2) bei Kleinkindern oft zu noch schwereren Körperverletzungen als bei körperlich (fast) ausgereiften Kindern und deshalb zu gesteigertem Erfolgsunrecht. Das Alter des Täters, d.h. ein großer Altersunterschied zwischen Täter und Opfer, soll nach der Rechtsprechung nicht berücksichtigt werden dürfen, da es sich um einen typischen Umstand handle (BGH BeckRS 2019 32914; BeckRS 2021 45780; NStZ-RR 2022 204, 205). Auch insoweit ist jedoch auf die konkrete Bedeutung im Einzelfall zu achten. Es kann z.B. für die Bewertung einen Unterschied machen, wenn das Kind angibt, bei einem sehr viel älteren Täter wegen des sehr großen Altersunterschieds Ekel empfunden zu haben. 43 Manche höchstrichterliche Urteile verlangten Ausführungen dazu, wie die – insbesondere sexuelle – Entwicklung der Opfer vor der Tat verlaufen war, welche sexuellen Vorerfahrungen sie gegebenenfalls hatten und wie das Verhalten des Angeklagten diese Entwicklung beeinflusste.115 Das Abstellen auf sexuelle Vorerfahrungen wäre jedoch nur dann nachvollziehbar, wenn die „geschlechtliche Reinheit“ von Kindern geschützt werden soll. Für den Schutz sexueller Selbstbestimmung und den Schutz von Kindern vor negativen Folgen kommt es nicht auf die „Unschuld“ vor der Tatbegehung an. Sexuelle Vorerfahrungen des Kindes, zumal solche, die auf vorangegangenem Missbrauch beruhen, mindern das Unrecht nicht (aA BGH NStZ-RR 2009 307).116 44 Das Erfolgsunrecht fällt höher aus, wenn das Kind in Folge der Tat an psychischen oder psychosomatischen Störungen leidet oder Verhaltensauffälligkeiten bestehen. Für Tatrichter ist es nicht einfach, solche Entwicklungen festzustellen und mit hoher Plausibilität auf den Missbrauch zurückzuführen. Bloße Vermutungen genügen nicht (BGH NStZ 2020 345). In einem zeitnahen Strafverfahren sind manche Folgen noch nicht absehbar, und Vermutungen werden teilweise als Fehler bei der Strafzumessung eingestuft.117 Selbst wenn Auffälligkeiten im Verhalten oder psychische Probleme festgestellt werden können, kann es schwierig sein, diese auf das
110 BGH NStZ-RR 2006 104. Krit. dazu Bezjak S. 220. 111 BGH NStZ-RR 2009 72; ebenso BGH NStZ-RR 2009 307 für Geschädigte knapp unter der Altersgrenze von 14 Jahren. 112 BGH Urteil vom 15.10.1991 – 4 StR 336/91. 113 Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung, Rdn. 1610. S. auch Fischer Rdn. 36a; Renzikowski MK Rdn. 75. 114 Kendall-Tackett/Williams/Finkelhor in Amann/Wipplinger (Hrsg.) S. 192. 115 BGH NJW 1995 2234, 2235; BGH bei Miebach NStZ 1998 132. 116 Bezjak S. 221 f. 117 BGH StV 1998 656; StV 2002 74, 75; NStZ-RR 2004 41, 42; aA BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 367. Hörnle
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Missbrauchsgeschehen zurückzuführen, besonders in Umgebungen, die durch generelle Vernachlässigung und ungünstige familiäre Konstellationen gekennzeichnet sind.118 Außerdem hängt die Verarbeitung des Geschehens von der Persönlichkeit des Opfers und den Reaktionen seiner Umgebung ab.119 Falls es aber gelingt, negative Folgen konkret festzustellen, sind diese gem. § 46 Abs. 2 (verschuldete Auswirkungen der Tat) zu berücksichtigen.120 Die Feststellung muss nicht durch Vernehmung der Kinder erfolgen; es genügt die Befragung anderer Personen.121 Sind bei wiederholten Handlungen Folgeschäden nicht eindeutig einem Teilakt zuzuordnen, sind sie nur einmal, etwa bei der Gesamtstrafenbildung, zu berücksichtigen.122 Zu berücksichtigende negative Konsequenzen können auch vom Bekanntwerden der Tat herrühren, etwa in Form einer sozialen Isolation der Geschädigten,123 oder von psychischen Folgen des Verdrängens und Verschweigens in der Familie.124 Die Möglichkeit, nachgewiesene Folgeschäden strafschärfend zu berücksichtigen, sollte 45 aber nicht den Blick dafür verstellen, dass das Erfolgsunrecht nicht in erster Linie dadurch geprägt wird, sondern vielmehr mit Blick auf den Tatzeitpunkt zu bestimmen ist. Eine nach Bewertung des Tatunrechts adäquate Strafe ist nicht deshalb zu mindern, weil zum Urteilszeitpunkt keine seelischen Beeinträchtigungen feststellbar sind. Insbesondere erlauben die notwendigerweise oberflächlichen Eindrücke, die das Tatgericht vom Opfer gewonnen hat, keine Feststellungen zu langfristigen Folgen. Die Beschreibung, dass das Opfer die Tat „heute nicht mehr als so schlimm“ empfinde und „natürliche Gelassenheit“ vermittle, ist nicht geeignet, das dauerhafte Ausbleiben schädlicher Folgen zu belegen (aA BGH NStZ-RR 2007 71, 72 f).
bb) Handlungsunrecht. Ein unrechtserhöhender Faktor ist die Ausnutzung von Vertrauen 46 und Abhängigkeit des Kindes, insbesondere bei familiären und engen sozialen Beziehungen zwischen Täter und Opfer.125 Soweit die Tat auch unter § 174 fällt, ist dieser Aspekt bei der Bemessung der Strafe nach § 52 zu berücksichtigen. Ist die Tat nach § 174 verjährt, wirkt sich der Missbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses bei der Strafzumessung aus § 176 strafschärfend aus, allerdings nicht mit demselben Gewicht wie ein nicht verjährtes Delikt nach § 174.126 Im Schrifttum wird vertreten, dass strafmildernd zu berücksichtigen sei, wenn das Kind 47 selbst die Initiative ergriffen hat.127 Erforderlich ist jedoch eine differenzierende Bewertung. Eine derartige Beteiligung ist nur von mittelbarer Bedeutung, nämlich als Hinweis darauf, dass
118 Bange in Körner/Lenz (Hrsg.) S. 80; Briere/Elliott Child Abuse & Neglect 2003 1218; Fegert Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2007 80; Fergusson/Horwood/Lynskey J. Am. Acad. Child & Adolescent Psychiatry 1996 1366; Putnam J. Am. Acad. Child & Adolescent Psychiatry 2003 271; Wetzels Sexuologie 1997. 119 Arntzen ZRP 1980 287; Fergusson/Horwood/Lynskey J. Am. Acad. Child & Adolescent Psychiatry 1996 1373; Putnam J. Am. Acad. Child & Adolescent Psychiatry 2003 269. 120 BGH StV 2020 4; NStZ 2020 345; Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung, Rdn. 1610; Fischer Rdn. 36; Renzikowski MK Rdn. 74; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29. Wolters SK Rdn. 16 will die Berücksichtigung von Folgeschäden auf „besonders schwere“ begrenzen. S. zur Bedeutung von psychischen Folgen in der Strafzumessungspraxis Streng FS Schwind 447, 464. In älteren Urteilen (BGH bei Miebach NStZ 1998 131; BGH bei Janssen NStZ-RR 1998 326; BGH StV 1998 656 und 657) wurde die Berücksichtigung von Tatfolgen teilweise anders beurteilt. 121 BGH StV 1998 333, 334. 122 BGH NStZ-RR 1998 107; NStZ-RR 2014 340; NStZ-RR 2022 111. 123 BGH NJW 2001 2983 m. krit. Anm. Wolters StV 2002 76. 124 BGH bei Pfister NStZ-RR 2004 36; Fischer Rdn. 36. 125 Renzikowski MK Rdn. 76; Rohleder Die Folgen des Wegfalls der fortgesetzten Tat, S. 514 ff; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29. 126 BGH bei Miebach NStZ 1997 120; BGH NStZ-RR 1998 175; BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 322; NStZ-RR 2002 360; NStZ-RR 2021 361, 365; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29. 127 Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung, Rdn. 862; s. auch BGH StV 1989 433. AA Renzikowski MK Rdn. 68. 121
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es an einer unrechtserhöhenden Missachtung des Opferwillens (Rdn. 40) fehlte. Falsch wäre es aber, aus dem äußeren Geschehen auf teilweise bereits vorhandene Selbstbestimmungsfähigkeit zu schließen. Ein sich bei oberflächlicher Betrachtung als „Verführung“ darstellendes Verhalten kann auf besondere Unreife schließen lassen oder Folge eines früher schon stattgefundenen Missbrauchs sein.128 Kein Grund zur Strafminderung ist, dass ein in seiner Familie emotional vernachlässigtes Kind Zuneigung zu einem wesentlich älteren Täter bekundet.129 Generell ist bei einem signifikanten Altersunterschied die Einordnung als „Liebesbeziehung“ und eine darauf beruhende Strafmilderung unangemessen (s. BGH bei Pfister NStZ-RR 2019 38).
48 cc) Schuldmindernde Faktoren. Psychische Störungen der in den §§ 20, 21 bezeichneten Art können auch dann strafzumessungsrelevant sein, wenn sie für einen Schuldausschließungsgrund oder eine Strafrahmenmilderung nicht erheblich genug ausfallen. Zu beachten ist aber, dass nicht jede Form sexueller Devianz, die mit der Bezeichnung „Pädophilie“ versehen wird, eine andere schwere seelische Abartigkeit i.S.v. §§ 20, 21 bedeutet. Es bedarf vielmehr einer differenzierten psychiatrischen Diagnose.130 Auch die Feststellung einer dissozialen oder antisozialen Persönlichkeitsstörung begründet nicht ohne weiteres die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit (BGHSt 49 45; BGH NStZ-RR 2008 70, 71; NStZ-RR 2008 104). Bei älteren, bislang strafrechtlich unauffälligen Tätern ist zu erwägen, ob hirnorganische Veränderungen vorliegen. Anlass zur Prüfung besteht, wenn neben der bisherigen Straffreiheit weitere Besonderheiten festzustellen sind.131 Irrelevant ist, ob der Täter Unzufriedenheit mit seinen ehelichen sexuellen Beziehungen äußert.132
49 dd) Sonstige Strafzumessungsgründe. Ein Geständnis, das dem Kind eine Aussage erspart, mindert nicht die Tatschuld – nichtsdestotrotz kann dieser Umstand als Strafzumessungsfaktor jenseits von Unrecht und Schuld zu Gunsten des Täters berücksichtigt werden.133 Entscheidend ist, dass ein Schuldeingeständnis Genugtuung für das Opfer bedeutet.134 Dies gilt grds. auch dann, wenn der Angeklagte nach Bestreiten im Ermittlungsverfahren erst in der Hauptverhandlung gesteht135 – allerdings ist die strafmindernde Wirkung geringer als bei einem von vornherein geständigen Täter. Umstr. ist, ob ein längerer zeitlicher Abstand zwischen Tat und Urteil wie bei anderen 50 Delikten strafmildernd zu berücksichtigen ist. Bei Taten gegen Minderjährige, insbesondere innerhalb des Familienverbandes, wurde argumentiert, dass Zeitablauf weniger Bedeutung habe, wofür auf § 78b Abs. 1 Nr. 1 verwiesen werden kann.136 Der Große Senat für Strafsachen hat jedoch entschieden, dass ein zeitlicher Abstand zwischen Tat und Urteil bei sexuellem Missbrauch von Kindern nicht anders zu bewerten ist als bei anderen Straftaten (BGHSt 62 184 m. zust. Anm. Renzikowski NJW 2017 3541; aA Schiemann NStZ 2016 336; Tomiak HRRS 2018 18,
128 Bosinski Sexuologie 1997 72; Richter-Appelt/Moldzio in Kockott/Fahrner (Hrsg.) S. 80 f, 89; s. dazu auch Volbert in Clauß u.a. (Hrsg.) S. 38.
129 Anders noch BGHR § 176 Abs. 3 Strafrahmenwahl 5; vgl. auch BGH StV 2005 387 f. 130 BGH NJW 1998 2753; NStZ 2001 243 m. Anm. Nedopil NStZ 2001 474; BGH NStZ-RR 2004 201; NStZ-RR 2007 337; NStZ-RR 2014 8. 131 BGH NStZ 1999 297 m. Anm. Kröber; NStZ-RR 2005 167, 168; NStZ-RR 2006 38; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 361. S. aber auch BGH NStZ 2007 328, 329. 132 S. aber auch BGH StV 1998 656, 657. 133 Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung, Rdn. 1610; Hauer Geständnis und Absprache (2007) S. 81 ff. 134 S. BGH NStZ 2000 366. 135 BGH NStZ 2000 366. 136 BGH NStZ 2006 393; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29b. Hörnle
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23).137 Die Begründbarkeit einer Strafmilderung sei einzelfall- und nicht deliktsgruppenabhängig zu beurteilen (BGHSt 62 184, 200). Insbesondere komme eine niedrigere Strafe in Betracht, wenn es keine Rückfalltaten gab und sich die „Tat durch den Zeitablauf als einmalige Verfehlung des Täters erwiesen“ habe (BGHSt 62 184, 193). Es wäre nicht überzeugend, nur bei Kindesmissbrauch den Zeitablauf anders zu bewerten als bei anderen Delikten gegen die Person. Allerdings ist bei schwerwiegenden Taten gegen die Person, wozu vor allem auch Delikte nach § 176c gehören, generell die These diskussionswürdig, ob durch Zeitablauf stets das Strafbedürfnis signifikant abnimmt.138
ee) Unzulässige Strafzumessungsfaktoren. Zu vermeiden sind allgemein moralisierende 51 Formulierungen ohne Bezug zum konkreten Ausmaß des Unrechts, etwa, dass die Geschädigten „als Sexualobjekte behandelt“ wurden, dass der Angeklagte das Kind „schamlos ausgebeutet“ habe oder er sich „aus eigensüchtigen Motiven zur Befriedigung seiner sexuellen Interessen über die körperliche Integrität des Opfers hinweggesetzt“ habe.139 Die berufliche Stellung des Täters, etwa als Beamter, ist nicht strafschärfend zu werten, wenn sich hieraus kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis des betroffenen Kindes ergeben hat.140 Zulässiges Verteidigungsverhalten ist kein strafschärfender Umstand, ebenso wenig das Unterlassen einer Therapie.141 Gegen das Doppelverwertungsverbot verstößt es, wenn auf die abstrakte Gefahr von Folgeschäden für kindliche Opfer verwiesen wird.142 Nach der h.M. soll innerhalb des Rahmens der schuldangemessenen Strafe eine Strafschär- 52 fung aus Gründen der negativen Generalprävention zulässig sein.143 Unzulässig ist es aber jedenfalls, die Dunkelziffer im Bereich der Sexualdelikte gegen Kinder als Strafschärfungsgrund anzuführen144 oder eine in Anbetracht des Tatunrechts überhöhte Strafe zu verhängen, um die Voraussetzungen für Sicherungsverwahrung zu schaffen.145 d) Strafaussetzung zur Bewährung. Strafaussetzung zur Bewährung ist nicht für bestimmte 53 Deliktsgruppen des sexuellen Missbrauchs von Kindern gem. § 56 Abs. 3 (Verteidigung der Rechtsordnung) generell ausgeschlossen.146
7. Konkurrenzen a) Innerhalb des § 176. Nimmt der Täter (oder ein Dritter) an demselben Kind innerhalb 54 eines einheitlichen, zeitlich eng umgrenzten Geschehens (natürliche Handlungseinheit, Vor § 174 Rdn. 74) mehrere unterschiedliche sexuelle Handlungen vor, so liegt nur eine Tat nach Absatz 1 Nr. 1 vor,147 wobei die einzelnen Teilakte bei der Unrechtsbewertung zu veranschlagen sind (v. Heintschel-Heinegg MK § 52 Rdn. 113). Wenn der Täter sowohl sexuelle Handlungen am 137 Ebenso BGH NStZ 2018 413; NStZ-RR 2018 71; Fischer Rdn. 35a; Renzikowski MK Rdn. 70. 138 Hörnle FS Beulke 115, 118 f; Tomiak HRRS 2018 18, 22 f. 139 BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 359; BGH NStZ-RR 2004 105; BGH bei Pfister NStZ-RR 2005 368; NStZ-RR 2008 367; BGH NStZ 2014 409 f; NStZ-RR 2019 8; BeckRS 2021 5751. BGH bei Theune NStZ 1986 496. BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 362. BGH StV 2002 75; Fischer Rdn. 36. Maier MK § 46 Rdn. 53; krit. Hörnle Tatproportionale Strafzumessung (1999) S. 27 ff. BGH StV 1994 424; BGH bei Miebach NStZ 1995 222 f; BGH StV 1996 431; ebenso Fischer Rdn. 37; Renzikowski MK Rdn. 77; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29a. 145 BGH NStZ 2001 595. 146 BGH NStZ-RR 2005 38. 147 BGH NStZ-RR 2000 139.
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Kind vornimmt als auch solche vom Kind an sich selbst vornehmen lässt, gilt dasselbe. Können die sexuellen Handlungen dagegen wegen der zeitlichen Abstände nicht als natürliche Handlungseinheit zusammengefasst werden, ist von Tatmehrheit auszugehen. 55 Handlungen nach Absatz 1 Nr. 1 und nach Absatz 1 Nr. 2, die zu einem einheitlichen sexuellen Geschehen mit Körperkontakt des Kindes zum Täter und dem Dritten gehören, stehen, wenn sie im Rechtssinn eine Handlung sind (natürliche Handlungseinheit), zueinander im Verhältnis der Tateinheit:148 Dieselbe Handlung verletzt mehrere Strafgesetze (§ 52 Abs. 1); dies sollte im Schuldspruch und bei der Strafzumessung zum Ausdruck kommen. In der Lit. wird zwar vertreten, dass es sich „nur um eine Tat“ handle.149 Dies überzeugt jedoch nicht. Bei der Verletzung zweier Strafgesetze könnte eine Alternative zu Tateinheit nur in der Annahme von Gesetzeskonkurrenz liegen – dann müsste aber erklärt werden, warum § 176 Abs. 1 Nr. 2 hinter § 176 Abs. 1 Nr. 1 zurücktrete. Dies ist nicht überzeugend zu begründen. Wird das Kind sowohl durch sexuellen Körperkontakt mit dem Täter in seinen Rechten verletzt als auch durch den Körperkontakt mit einem Dritten, der auf das Bestimmen des Täters zurückgeht, ist das Unrecht größer als bei Vorgehen nur nach § 176 Abs. 1 Nr. 1. 56 Hat der Täter gem. § 176 Abs. 1 Nr. 2 ein Kind mit einer einzigen Bestimmungshandlung dazu gebracht, zu unterschiedlichen Zeitpunkten sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von diesem an sich vornehmen zu lassen, hat er durch dieselbe Handlung mehrfach dasselbe Strafgesetz verletzt (§ 52 Abs. 1). Der mehrfache sexuelle Missbrauch ist als Tateinheit zu beurteilen. 57 Die Rspr. fasst bei engem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang sexuelle Handlungen zu Lasten unterschiedlicher Kinder mit der Figur der Tateinheit zusammen.150 Dies überzeugt nicht (dazu Vor § 174 Rdn. 72), es ist von Tatmehrheit auszugehen.
58 b) Verhältnis zu anderen Tatbeständen. Im Verhältnis zu § 176c tritt § 176 in manchen, aber nicht in allen Fällen zurück, § 176c Rdn. 74 f. § 182 Abs. 3 kommt im Verhältnis zu § 176 keine eigenständige Bedeutung zu; dieser Tatbestand tritt deshalb zurück (BGHSt 42 27).151 Tateinheit ist möglich mit § 174 Abs. 1 und Abs. 2; ferner mit den §§ 173, 174a bis 174c, 59 177.152 Bei Tateinheit zwischen sexuellem Übergriff, sexueller Nötigung oder Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch von Kindern ist in der Entscheidungsformel das allgemeinere Delikt des § 177 voranzustellen. Tateinheit kommt außerdem in Betracht mit 180 Abs. 2,153 183a, 184b, 211, 212, 223 ff, 235,154 236, 240. Der BGH geht davon aus, dass im Verhältnis zu § 176 nicht nur § 182 Abs. 3,155 sondern auch 60 § 182 Abs. 1, 2 zurücktreten (BGHSt 42 51; BGH NStZ-RR 1997 66; NJW 2001 2186). Allerdings sollen im Rahmen der Verurteilung aus § 176 die Modalitäten gem. § 182 Abs. 1, 2 strafschärfend berücksichtigt werden können.156 Dies ist nicht überzeugend: Damit wird verkannt, dass § 182 Abs. 1, 2 zusätzliche Unrechtselemente aufweisen. 148 BGHSt 26 167, 174; Fischer Rdn. 43; Lackner/Kühl Rdn. 10. S. auch BGH NStZ 1996 599 (Tateinheit zwischen §§ 176 Abs. 1, 180 Abs. 2 2. Alt.). 149 Renzikowski MK Rdn. 71; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 26. 150 BGHSt 43 366, 367; BGH bei Miebach NStZ 1995 222; BGH NStZ-RR 1999 322; NStZ-RR 2000 139; BGH bei Pfister NStZ-RR 2003 354 f; NStZ-RR 2005 362; BGH BeckRS 2020 492. Zust. Fischer Rdn. 43; Lackner/Kühl Rdn. 10; Renzikowski MK Rdn. 71; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 26. Wie hier für Tatmehrheit Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 36. 151 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 36. 152 BGH NJW 1998 2753; NJW 1999 802; NStZ-RR 2000 139; NStZ 2004 440, 441. AA für § 177 Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 36. 153 BGH NStZ 1996 599. 154 BGH NStZ 1996 333, 334. 155 BGHSt 42 27; BayObLG NStZ 1995 500. 156 BGH NStZ-RR 1996 355. Hörnle
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IV. Vorbereitungsdelikte nach Absatz 1 Nr. 3
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IV. Vorbereitungsdelikte nach Absatz 1 Nr. 3 1. Systematik Dieser Tatbestand wurde mit dem SexualdelÄndG v. 27.12.2003 in § 176 Abs. 5 a.F. eingeführt.157 61 Anstoß war ein Fall, der für öffentliches Aufsehen gesorgt hatte: Ein Paar hatte einem über das Internet kontaktierten (vermeintlichen) Interessenten angeboten, ein Kind für sadistische Praktiken einschließlich Vergewaltigung und Tötung zu beschaffen.158 Da die Ernsthaftigkeit des Angebots zweifelhaft blieb, schied eine Verurteilung wegen Verabredung eines Verbrechens (§ 30 Abs. 2) aus.159 Nach der ursprünglichen Fassung war in § 176 Abs. 5 a.F. auch die Verabredung zum sexuellen Kindesmissbrauch erfasst. In § 176 Abs. 1 Nr. 3 fehlt diese Tatvariante, aber nur deshalb, weil mit der Hochstufung auch des einfachen sexuellen Missbrauchs zum Verbrechen die Verabredung dazu unter § 30 Abs. 2 fällt (BTDrucks. 19/23707 S. 38). Merkwürdig, weil systematisch offensichtlich unstimmig, ist die Verortung des Vorberei- 62 tungsdelikts in § 176 Abs. 1 Nr. 3.160 Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 differenziert zwischen Missbrauch mit und ohne Körperkontakt (§§ 176, 176a) einerseits, der Vorbereitung sexuellen Missbrauchs (§ 176b) andererseits. Folgerichtig hätte der Tatbestand, der jetzt Teil von § 176 Abs. 1 ist, in § 176b aufgenommen werden müssen. Mit Blick auf den Strafrahmen ist zu kritisieren, dass die Kommunikation mit möglichen 63 anderen Missbrauchstätern (§ 176 Abs. 1 Nr. 3) mit derselben Strafe geahndet werden soll wie ein tatsächlich stattgefundener Missbrauch.161 Das ist auch dann, wenn man sozialpsychologische Folgen von Aktivitäten in Chatrooms und im Darknet ernst nimmt (dazu Rdn. 3), nicht zu rechtfertigen. Die Schaffung von Risiken muss milder bestraft werden als der tatsächliche sexuelle Missbrauch eines Kindes. Eine weitere Unstimmigkeit zeigt sich im Vergleich zu dem Vorbereitungsdelikt, das in § 176b Abs. 1 angesiedelt ist. Dort geht es um die Einwirkung auf ein Kind, das Opfer eines sexuellen Missbrauchs werden soll. Der Strafrahmen für dieses Vorbereitungsdelikt in § 176b ist, wie es der notwendigen Unterscheidung von Verletzung und Gefährdung sexueller Selbstbestimmung entspricht, niedriger als in § 176. Damit ist es aber doppelt merkwürdig, dass Handlungen nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 bestraft werden wie realer sexueller Missbrauch, nämlich als Verbrechen. Bei der Einwirkung auf ein Kind, § 176b Abs. 1, ist nämlich die Gefährdung regelmäßig schon konkreter (und damit das Tatunrecht im Vergleich größer) als bei den Chats etc., die unter § 176 Abs. 1 Nr. 3 fallen. Erklärbar sind diese evidenten Inkonsistenzen nicht. Die Gesetzesmaterialien enthalten nur den inhaltsleer moralisierenden Verweis, dass Handlungen nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 „besonders verwerflich“ seien (BTDrucks. 19/23707 S. 22, 37 f).
2. Objektiver Tatbestand Angebot und Versprechen des Nachweises müssen sich auf Taten nach § 176 Abs. 1 Nr. 1, 2 64 beziehen, ohne dass die Modalitäten der Tatausführung feststehen müssen.162 Kurioserweise enthalten zwar die §§ 176a, 176b vergleichbare Strafbarkeitsausdehnungen (§ 176a Abs. 2, § 176b Abs. 2), nicht aber § 176c (schwerer sexueller Missbrauch). Da aber die Tatvarianten in § 176c auf den Grundtatbestand in § 176 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 verweisen, ist davon auszugehen, dass auch 157 Krit. Amelung/Funcke-Auffermann StraFo 2004 265, 267; Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1065, 1068. 158 Es wurde nicht in der knappen Gesetzesbegründung der damaligen Regierungsfraktionen, aber in der Begründung eines nur wenig älteren Entwurfs der damaligen Opposition auf diesen Fall Bezug genommen, BTDrucks. 15/ 29 S. 10. 159 BGH NStZ 1998 403 = JR 1999 425 m. krit. Anm. Geerds. 160 Renzikowski KriPoZ 2020 308, 311. 161 Renzikowski KriPoZ 2020 308, 311 f. 162 Fischer Rdn. 23; Renzikowski MK Rdn. 58; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20. 125
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das Anbieten oder Versprechen des Nachweises eines Kindes für einen schweren sexuellen Missbrauch nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 zu bestrafen ist.163 Dasselbe gilt, wenn bei der Umsetzung von Ankündigungen tateinheitlich andere Tatbestände (etwa § 177) erfüllt wären.164 Das Anbieten muss sich auf ein bestimmtes Kind beziehen, wobei weder persönliche Bekanntschaft mit diesem noch die Preisgabe seiner Identität gegenüber dem Angebotsempfänger vorausgesetzt wird.165 Die Kommunikation zwischen dem Täter und einem Dritten kann in direktem mündlichen oder fernmündlichen Kontakt, durch einen Boten (auch das Kind selbst kann das Angebot übermitteln, Wolters SK Rdn. 48) oder in Textnachrichten aller Art erfolgen. Der Täter muss erklären, dass er dem Kommunikationspartner oder einer weiteren Person für sexuelle Handlungen nach § 176 Abs. 1 Nr. 1, 2 ein Kind zuführen kann. Besteht bereits Kontakt zwischen dem Dritten und dem Kind, kann es auch genügen, dass der Täter sich bereit erklärt, seinen Einfluss auf das Kind geltend zu machen.166 Das Angebot muss dem Adressaten zugegangen sein.167 Irrelevant ist, welche Intentionen der Empfänger des Angebots hat und wie er darauf reagiert.168 In der knappen Gesetzesbegründung wird für das Versprechen des Nachweises eines Kindes festgestellt, dass Ernstlichkeit des Versprechens nicht erforderlich sei (BTDrucks. 15/350 S. 18; krit. Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1065, 1068). Es liegt nahe, dass dies auch für die Tatmodalität „anbieten“ gelten sollte. Diese Auffassung hat der BGH in einer Entscheidung zu § 176 Abs. 5 a.F. übernommen (BGH NStZ 2013 224, 225): Es reiche aus, wenn das Angebot als ernst gemeint erscheinen könne und der Täter dies in seinen (bedingten) Vorsatz aufgenommen habe.169 Nicht erfasst sind auch nach der Rspr. des BGH Kommunikationen, von denen beide Seiten wissen bzw. vermuten, dass es sich um Phantasien handelt, und Scheinangebote, die nach der subjektiven Vorstellung des Täters auch vom Kommunikationsempfänger als solche verstanden würden. Im Übrigen sind auf der Basis dieser Auslegung aber Äußerungen erfasst, die keine realisierbare Basis haben, solange der Kommunizierende es nur für ernstlich möglich hält, dass die andere Person das Angebot ernst nehmen wird. Überzeugend ist dies nicht,170 sondern es müsste differenziert werden – nicht zuletzt auch, weil das geltende Recht einen deutlich höheren Strafrahmen vorsieht als § 176 Abs. 5 a.F. Durch nicht ernst gemeinte Angebote wird kein Kind gefährdet.171 Man kann zwar argumentieren, dass in bestimmten Kontexten (in einschlägigen Internetforen, wenn dort mehrere oder viele Personen Zugang zur Kommunikation haben) auch objektiv substanzloses Prahlen andere Personen beeinflussen kann. Auf solche Fälle einer Kommunikation mit gruppendynamischen Risiken ist der Tatbestand aber nicht zugeschnitten – er erfasst auch Gespräche, SMS etc. nur zwischen zwei Personen. Es sollten deshalb nur solche Fälle unter § 176 Abs. 1 Nr. 3 gefasst werden, in denen es der Täter jedenfalls in Erwägung zieht und in der Lage wäre, sein Angebot umzusetzen, womit immerhin für ein individuelles Kind eine abstrakte Gefahr entsteht.172 Das Versprechen, ein Kind nachzuweisen, sollte nach der Gesetzesbegründung nur die Bekundung des Täters voraussetzen, willens und in der Lage zu sein, selbst oder über einen Dritten den Kontakt mit (irgend-)einem Kind herzustellen (BTDrucks. 15/350 S. 10). Dies ist zweifelhaft: Eine Erklärung ohne Erklärungsempfänger ist kein Versprechen. Es bedarf einer bestimmten Per163 164 165 166 167 168 169 170
Fischer Rdn. 22; Renzikowski MK Rdn. 58. Fischer Rdn. 27. Bezjak S. 286; Renzikowski MK Rdn. 58; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; Wolters SK Rdn. 46. Fischer Rdn. 22; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20. Bezjak S. 287 f; Frühsorger S. 214 f; Renzikowski MK Rdn. 58; aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20. Renzikowski MK Rdn. 58; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; Wolters SK Rdn. 46. Ebenso Fischer § 176 Rdn. 22; für die Strafbarkeit von Scheinangeboten auch Frühsorger S. 239 ff. So auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 28; Renzikowski MK Rdn. 58; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20a; Wolters SK Rdn. 47. 171 Bock/Harrendorf ZStW 126 (2014) 337, 372. 172 Bezjak S. 294; Bock/Harrendorf ZStW 126 (2014) 337, 372 f; Renzikowski MK Rdn. 63; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20a; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 612 f; Wolters SK Rdn. 47. Hörnle
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V. Verjährung
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son, an die sich das Versprechen richtet. Zu weit geht jedoch die Auslegung, wonach eine beiderseitige Vereinbarung und damit das Einverständnis des Versprechensempfängers erforderlich sei173 – ein Versprechen kann man auch jemandem geben, der kein Interesse am Versprochenen hat und auf die Äußerung nicht reagiert. Das Versprechen muss sich auf die erfolgreiche Vermittlung des Kontaktes zu einem 69 Kind beziehen (aA die h.L., derzufolge es genügen soll, wenn Bemühen versprochen wird).174 Versprechen, die sich lediglich auf die Nennung günstiger Gelegenheiten ohne Vermittlung der eigentlichen Kontaktaufnahme mit einem Kind erstrecken, sind nicht erfasst.175 Ob der Versprechensempfänger selbst das Kind sexuell missbrauchen oder der Kontakt für einen sexuellen Missbrauch durch eine weitere Person ausgenutzt werden soll, spielt keine Rolle.176 Nach der Gesetzesbegründung (zu § 176 Abs. 5 a.F.) sollte nicht erforderlich sein, dass der Täter beabsichtige, sein Versprechen zu erfüllen (BTDrucks. 15/350 S. 18). In Anbetracht des deutlich erhöhten Strafrahmens ist es jedoch nicht mehr zu rechtfertigen, auch nicht ernstgemeinte Versprechen, also tatsächlich ungefährliche Kommunikation als Verbrechen zu bestrafen177 (Rdn. 67).
3. Subjektiver Tatbestand; Versuch Der Täter muss mit mindestens bedingtem Vorsatz handeln. Anbieten und Versprechen setzen 70 nicht die Absicht voraus, dass es zu Taten nach Absatz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 kommt; vielmehr genügt bedingter Vorsatz. Der Versuch ist strafbar, § 23 Abs. 1, da auch § 176 Abs. 1 Nr. 3 ein Verbrechen ist.
4. Strafzumessung; Konkurrenzen Die Höhe des Strafrahmens (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis 15 Jahren) ist mit dem Grundsatz 71 schuldangemessenen Strafens nicht vereinbar (Rdn. 63). Bei der Strafzumessung im Einzelfall sind, wenn es über verbale Ankündigungen hinaus nicht zu einer Gefährdung des Kindes kommt, grundsätzlich Strafen am unteren Ende des Strafrahmens angemessen, wobei es auch darauf ankommt, wie konkret das Anbieten oder Versprechen im Hinblick auf das geplante spätere Geschehen war. Vorbereitungsdelikte nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 treten hinter solche nach § 176 Abs. 1 Nr. 1, 72 Nr. 2 zurück.178
V. Verjährung Taten nach § 176 verjähren gem. § 78 Abs. 3 Nr. 2 nach 20 Jahren. Die erste Vernehmung des 73 Beschuldigten (§ 78c Abs. 1 Nr. 1) unterbricht die Verjährung auch dann, wenn den Ermittlungsbehörden zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Einzeltaten bekannt sind, die zu einem Tatkomplex gehören (BGH NJW 2000 2829). Die Verjährung ruht bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers (§ 78b Abs. 1 Nr. 1). 74 Die Regelung zum Ruhen der Verjährung gilt auch für Taten, die vor dem Inkrafttreten der 173 174 175 176 177
So Bezjak S. 295 ff; Frühsorger S. 222 f; Renzikowski MK Rdn. 59; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21. Fischer Rdn. 26; Renzikowski MK Rdn. 59; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21. Fischer Rdn. 27; Renzikowski MK Rdn. 59. Fischer Rdn. 27. Bezjak S. 298 geht davon aus, dass de lege lata nicht ernst gemeinte Versprechen bestraft werden müssen. Wie hier Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 30. 178 Renzikowski MK Rdn. 71. AA Fischer Rdn. 43: Tatmehrheit. 127
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Sexueller Missbrauch von Kindern
Änderungen des § 78b begangen wurden, sofern sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt waren;179 ferner für Taten, die in der ehemaligen DDR begangen wurden (BGHSt 47 245, 248).180 S. zu der Konstellation, dass eine tateinheitlich begangene Tat nach § 174 schon verjährt war, § 174 Rdn. 89.
179 St. Rspr., s. BVerfG NJW 2000 1554, 1555; BGH NStZ 2005 89; NStZ-RR 2013 373. 180 AA bzgl. Taten in der DDR LG Frankfurt NJW 2001 3064. Hörnle
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§ 176a Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind (1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, 2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder 3. auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt. (2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet. (3) 1Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. 2Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.
Schrifttum S. die Angaben bei § 176.
Entstehungsgeschichte Das 4. StrRG v. 23.11.1973 (Vor § 174 Rdn. 6), das erstmals einen eigenen Tatbestand mit der Überschrift „Sexueller Missbrauch von Kindern“ einführte (§ 176 Entstehungsgeschichte), hat auch differenzierte Handlungsbeschreibungen eingeführt. Seither wird zwischen Handlungen mit Körperkontakt zum Täter (§ 176 Abs. 1 a.F., nunmehr § 176 Abs. 1 Nr. 1) sowie Dritten (§ 176 Abs. 2 a.F., jetzt § 176 Abs. 1 Nr. 2) und sexuellen Aktivitäten ohne Körperkontakt (zunächst § 176 Abs. 5, dann Abs. 4 a.F., heute § 176a) unterschieden. Der Strafrahmen für sexuellen Missbrauch ohne Körperkontakt reichte damals von Geldstrafe bis drei Jahre Freiheitsstrafe. Das 6. StrRG v. 26.1.1998 (Vor § 174 Rdn. 17) erhöhte die Höchststrafe auf fünf Jahre. Außerdem wurde für Handlungen ohne Körperkontakt das zuvor enthaltene Tatbestandsmerkmal „Absicht, sich, das Kind oder einen anderen sexuell zu erregen“ gestrichen. Dies war praktisch wichtig, da ansonsten die Produzenten kinderpornographischer Angebote nicht strafbar wären, wenn sie ohne sexuelle Berührungen und ohne eigene sexuelle Interessen Kinder posieren lassen (BTDrucks. 13/ 9064 S. 11). In § 174 Abs. 3 Nr. 1 hat eine ähnliche Klausel leider überlebt, die auf einem überholten Verständnis des Unrechts beruht (§ 174 Rdn. 59). Das SexualdelÄndG v. 27.12.2003 (Vor § 174 Rdn. 21) erhöhte die Mindeststrafe für Handlungen ohne Körperkontakt auf drei Monate Freiheitsstrafe. Das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie v. 31.10.2008 (Vor § 174 Rdn. 22) hat die Handlungsbeschreibung neu gefasst, die jetzt in § 176a Abs. 1 Nr. 2 steht (zuvor wortgleich in § 176 Abs. 4 Nr. 2 a.F.). Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 (Vor § 174 Rdn. 29) verschob die Missbrauchshandlungen ohne Körperkontakt in § 176a und erhöhte erneut den Strafrahmen, der jetzt von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe reicht. Bei den Handlungsbeschreibungen wurde Absatz 1 Nr. 1 durch den Passus „oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt“ ergänzt1 und Absatz 1 Nr. 3 sprachlich modernisiert, in Anpassung an das 60. StÄG vom 30.11.2020 (Vor § 174 Rdn. 28), das u.a. bei den Pornographiedelikten den Verweis auf Schriften (§ 11 Abs. 3) durch den Verweis auf Inhalte ersetzt hat. Außerdem wurde die Versuchsstrafbarkeit (Absatz 3) für die Fälle des Einwirkens durch pornographische Inhalte ausgeweitet.
1 Damit wurde eine Empfehlung der Reformkommission zum Sexualstrafrecht umgesetzt, BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 317; s. zur Lücke nach alter Rechtslage Frühsorger S. 102 ff. 129 https://doi.org/10.1515/9783110490121-007
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§ 176a
Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind
Übersicht I.
Normzweck und Deliktstypus
1
II. 1.
Handlungen nach Absatz 1 Objektiver Tatbestand a) Sexuelle Handlungen vor einem Kind (Ab6 satz 1 Nr. 1) b) Bestimmen zu sexuellen Handlungen (Ab10 satz 1 Nr. 2) c) Einwirkung durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Abs. 3) oder durch entsprechen15 de Reden (Absatz 1 Nr. 3)
2. 3. 4. 5. 6.
20 Subjektiver Tatbestand 22 Täterschaft und Teilnahme 23 Versuch 24 Strafzumessung Konkurrenzen a) Innerhalb des § 176a und mit § 176 b) Verhältnis zu anderen Tatbestän28 den
III.
Handlungen nach Absatz 2
IV.
Verjährung
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30
I. Normzweck und Deliktstypus 1 Die Verbotsnormen in § 176a Abs. 1 schützen negative sexuelle Selbstbestimmung, d.h. das Abwehrrecht dagegen, fremdbestimmt in sexuelle Interaktionen einbezogen und zu sexuellen Handlungen herangezogen zu werden. Eine selbstbestimmte Entscheidung ist auch dann erforderlich, wenn es bei der sexuellen Interaktion oder Handlung nicht zum Körperkontakt mit einem anderen Menschen kommt. Da bei Kindern davon ausgegangen wird, dass sie nicht selbstbestimmt über sexuelle Vorgänge entscheiden können, ist es konsequent, auch Handlungen ohne Körperkontakt als sexuellen Missbrauch unter Strafe zu stellen. Die Intimsphäre wird missachtet, wenn ein Kind zum Zuschauer bei sexuellen Aktivitäten gemacht (§ 176a Abs. 1 Nr. 1) oder pornographischen Inhalten ausgesetzt wird (§ 176a Abs. 1 Nr. 3).2 2 Bei Erwachsenen wird ebenfalls die Intimsphäre gegen ungewollten Kontakt mit Pornographie und die belästigende Wahrnehmung sexueller Aktivitäten anderer geschützt, § 184 Abs. 1 Nr. 6, §§ 183, 183a. Man kann in Frage stellen, ob das Anliegen des Konfrontationsschutzes Kriminalstrafe erforderlich macht (die Alternative wäre eine Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit).3 Bei Kindern ergibt sich jedoch die gesteigerte Wichtigkeit von Verbotsnormen aus der Kombination von Schutz der Intimsphäre und noch fehlender Kompetenz zu selbstbestimmten Entscheidungen. Die Normen in § 176a Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 sollen sowohl eine ungewollte Konfrontation als auch eine faktisch gewollte Wahrnehmung sexueller Handlungen und pornographischer Inhalte verhindern. Die ungewollte Wahrnehmung kann Kinder besonders verstören und verunsichern. Aber auch, wenn Kinder Neugier und Interesse zeigen, ist (anders als bei Erwachsenen) eine Verbotsnorm gut zu begründen. Jugendschützende Verbote (dazu gehört u.a. auch § 184) sollen Minderjährige davor bewahren, durch verzerrte Bilder menschlicher Sexualität negativ beeinflusst zu werden.4 3 Der Schutz sexueller Selbstbestimmung ist auch dann wichtig, wenn Kinder aufgrund der Einwirkung anderer Personen mit ihrem eigenen Körper sexuelle Handlungen vollziehen (§ 176a Abs. 1 Nr. 2). In § 176a Abs. 1 Nr. 2 sind allerdings auch Handlungen erfasst, die ein Kind auf Aufforderung des Täters allein und unbeobachtet ausführt (Rdn. 10). Unter solchen Umständen ist fraglich, ob die Intimsphäre verletzt wird. Für unbeobachtetes Handeln des Kindes wird die Strafwürdigkeit bezweifelt,5 was vor allem dann nahe liegt, wenn ein Jugendlicher eine ge2 Hörnle Grob anstößiges Verhalten (2005) S. 147 ff; dies. FS Eisenberg 321, 335. 3 Dazu Hörnle MK § 183a Rdn. 1, § 184 Abs. 8. 4 Für Jugendliche ist es nicht unstreitig, inwieweit diese vor gewollter Suche nach Pornographie geschützt werden müssen, s. dazu Lenz Die Jugendschutztatbestände im Sexualstrafrecht (2017) S. 300 ff.
5 Hörnle NJW 2008 3521, 3522; Matt/Renzikowski/Eschelbach § 176 Rdn. 3, 20; Renzikowski MK § 176 Rdn. 42; Sch/ Schröder/Eisele § 176 Rdn. 13b. Hörnle
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II. Handlungen nach Absatz 1
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ringfügig jüngere, laut der gesetzlichen Definition als „Kind“ geltende Person zur unbeobachteten Exploration des eigenen Körpers anregt. Grundsätzlich kann zwar von einer Missachtung sexueller Selbstbestimmung ausgegangen werden, wenn der Täter das Kind zu seinem Tun bestimmt hat. Bei der Konstellation „Minderjährige sprechen miteinander über Masturbation“ ist § 176 Abs. 2 analog heranzuziehen (Rdn. 26).6 Es handelt sich bei Taten nach § 176a, ebenso wie bei solchen nach § 176 (§ 176 Rdn. 2), um 4 Verletzungsdelikte, zu denen das Element der Gefährdung hinzukommt. Die Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung und die Missachtung der Intimsphäre der betroffenen Kinder fällt allerdings bei Handlungen ohne Körperkontakt im Regelfall weniger intensiv aus als bei Handlungen mit Körperkontakt. Die v.a. für die Strafzumessung relevante Frage, inwieweit mit negativen Folgen für die individuelle psychische Entwicklung zu rechnen ist, dürfte noch stärker von den Umständen des Einzelfalls abhängen, vor allem davon, wie verstörend ein ungewollter Kontakt mit sexuellem Geschehen und sexuellen Inhalten auf das betroffene Kind wirkt, wie oft es zu solchen Taten kam und ob ein wichtiges Vertrauensverhältnis und Abhängigkeitsverhältnis missbraucht wurde. Man kann darüber diskutieren, ob die abstrakten Gefährdungsdelikte in Absatz 2 erfor- 5 derlich sind. Wenn die Handlung, die vorbereitet werden soll, nur ein Vergehen ist, ist dies auch unter Berücksichtigung der Gefahren durch internetbasierte tatvorbereitende Kommunikation (§ 176 Rdn. 3) nicht offensichtlich. Die Reformkommission zum Sexualstrafrecht hat empfohlen, jedenfalls dann die Strafbarkeit von Anbieten eines Kinds etc. (§ 176 Abs. 5 a.F., jetzt § 176a Abs. 2) abzuschaffen, wenn der Plan lediglich wäre, dem Kind pornographische Inhalte zu zeigen (§ 176a Abs. 1 Nr. 3).7 In systematischer Hinsicht ist unverständlich, warum im Zuge der neuen Systematisierung der §§ 176 ff. nicht sämtliche Vorbereitungsdelikte im entsprechend betitelten § 176b verortet wurden (§ 176 Rdn. 62). Auch die Strafrahmengestaltung ist nicht gelungen: Verletzungsdelikte und bloße Gefährdung durch Tatvorbereitung oder substanzloses Gerede über die Verfügbarkeit eines Kindes sollten nicht im selben Tatbestand mit demselben Strafrahmen erfasst werden (§ 176 Rdn. 63).
II. Handlungen nach Absatz 1 1. Objektiver Tatbestand a) Sexuelle Handlungen vor einem Kind (Absatz 1 Nr. 1). Erfasst werden zum einen Hand- 6 lungen des männlichen oder weiblichen Täters an sich selbst (etwa Masturbation oder andere als sexuell einzustufende Manipulationen am eigenen Körper), wenn diese von einem Kind zeitgleich (visuell oder akustisch) tatsächlich wahrgenommen werden. Körperliche Anwesenheit am selben Ort oder räumliche Nähe sind nicht erforderlich. Es genügt, dass der Täter per Telefon (oder einem anderen Übertragungsweg) geräuschvoll masturbiert (BGHSt 60 44, 46)8 oder hörbar andere sexuelle Handlungen vornimmt,9 oder dass bei einer simultanen Bildübertragung (etwa mittels einer Webcam über das Internet) das Kind die sexuellen Handlungen des Täters beobachten kann (BGHSt 53 283, 285 ff).10 Nicht erforderlich ist, dass das Kind den sexuellen Charakter des Geschehens erkennt (BTDrucks. VI/3521 S. 37; BGHSt 60 44, 49). Die bloße Möglichkeit der Wahrnehmung durch ein Kind genügt nicht (§ 184h Nr. 2). Wegen der Probleme mit 6 Renzikowski MK § 176 Rdn. 42 und Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 13b schlagen vor, höhere Anforderungen an die Erheblichkeit zu stellen. Ähnlich Brockmann S. 316 f. 7 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 318 ff. Ebenso Bezjak S. 285. AA Frühsorger S. 212 f. 8 Krit. zu diesem Urteil Krehl NStZ 2015 29 f; Auffermann/Vogel StV 2015 490. 9 Bezjak S. 235 f. 10 AA Frühsorger S. 118 ff; dagegen Bezjak S. 234 f. 131
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§ 176a
Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind
entsprechenden Feststellungen scheiden Handlungen vor Säuglingen in der Regel aus. Zum anderen fallen von einem Kind wahrgenommene sexuelle Handlungen unter den Tatbestand, die der Täter an einer dritten Person vornimmt, wobei unerheblich ist, ob die dritte Person freiwillig teilnimmt. Bei nur wahrgenommenen, nicht aber vom Kind am eigenen Körper gespürten Handlungen wird man die Erheblichkeitsschwelle etwas höher ansetzen müssen: Der Sexualbezug muss von außen deutlich sein, eine flüchtige Berührung der dritten Person genügt insoweit nicht. 7 Seit der Änderung durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 (Entstehungsgeschichte) ist nicht nur aktives sexuelles Tun des Täters strafbar, sondern es ist auch erfasst, wenn der Täter sexuelle Handlungen einer dritten Person an sich vor dem Kind vornehmen lässt.11 Wie alt die dritte Person ist und ob sie schuldhaft handelt, spielt keine Rolle. Die Handlungsbeschreibung „vornehmen lassen“ erfasst unterschiedliche Tatvarianten (§ 176 Rdn. 12 f). Zum einen fallen unter § 176a Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. Sachverhalte, in denen der bei der eigentlichen sexuellen Handlung passiv Bleibende die dritte Person zuvor aufgefordert oder zum Weitermachen ermuntert hat. Zum anderen können sich Personen wegen einer Garantenstellung auch dann als Täter eines Delikts nach § 176a Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. strafbar machen, wenn sie passiv, ohne Aufforderung oder Ermunterung, hinnehmen, dass die dritte Person an ihnen sexuelle Handlungen vornimmt (§ 176 Rdn. 13). 8 Der Gesetzeswortlaut setzt nicht mehr die Absicht des Täters voraus, sich, das Kind oder einen anderen sexuell zu erregen. Das 6. StrRG v. 26.1.1998 hat die alte Rechtslage geändert, die eine derartige Absicht erfordert hatte.12 Zu einer Einschränkung des Anwendungsbereichs kommt aber die Rspr.: Es sei erforderlich, dass der Täter das Kind in der Weise in das sexuelle Geschehen einbeziehe, dass für ihn die Wahrnehmung durch das Opfer von Bedeutung sei (BGHSt 49 376 m. krit. Anm. Schroeder JR 2005 258).13 Im Ergebnis kommt dies einer Wiedereinführung der vom Gesetzgeber abgeschafften Absichtsklausel nahe. Der Täter müsse die Wahrnehmung des Kindes beabsichtigen, wenn auch das Motiv ein anderes als die Erzielung sexueller Erregung sein könnte14 (etwa: Ärgern der Erziehungsberechtigten). Eine einschränkende Auslegung mag in manchen Fällen nachvollziehbar sein, für die der Strafrahmen in § 176a hoch erscheint, etwa wenn der Täter unter Inkaufnahme der Wahrnehmung durch ein Kind eine Tür nicht abschließt (OLG Stuttgart NStZ 2002 34: Masturbation im Badezimmer bei nicht verschlossener Tür). Der in BGHSt 49 376 wiedergegebene, vom 4. Strafsenat entschiedene Fall war anders gelagert, und das Urteil überzeugt weder in der Begründung noch im Ergebnis. Die Urteilsgründe verweisen auf Stimmen in der Lit.,15 die befürchteten, dass es seit dem 6. StrRG strafbar sei, wenn Eltern vor ihren Kindern Zärtlichkeiten austauschen (BGHSt 49 376, 379). Derartige Befürchtungen sind unbegründet: Umarmungen, Küsse und dergleichen sind keine sexuellen Handlungen; bei Berührungen sexuellen Charakters bliebe die Erheblichkeitsschwelle zu prüfen. Selbst erhebliche sexuelle Handlungen in der Familienwohnung können wegen Sozialadäquanz straflos sein,16 etwa wenn Kleinkinder im Schlafzimmer der Eltern untergebracht sind oder in hellhörigen Wohnungen akustische Wahrnehmungen schwer zu vermeiden sind. Eine Einschränkung mittels subjektiver Kriterien ist zum Ausschluss solcher Konstellationen nicht erforderlich. Erfreulicherweise wendet sich der 3. Strafsenat in neueren Entscheidungen gegen
11 Nach der vorherigen Rechtslage war dies nicht strafbar, s. für einen solchen Fall BGH NStZ 2010 32, 33. Krit. zur Strafbarkeitslücke Frühsorger S. 102 ff.
12 S. zur Änderung BTDrucks. 13/9064 S. 11. 13 Ebenso BGHSt 60 44, 49; BGH NStZ 2011 633; BGH NStZ 2016 467; OLG Stuttgart NStZ 2002 34; OLG Hamm NStZ-RR 2005 110 f; Fischer § 176 Rdn. 9a; Renzikowski MK § 176 Rdn. 55; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 18. Krit. zur h.M. Bezjak S. 315 ff; Brockmann S. 311 ff; Frühsorger S. 115 ff. 14 AA Wolters SK § 176 Rdn. 25. 15 Bussmann StV 1999 619; Renzikowski NStZ 1999 440; ebenso Funcke-Auffermann Symbolische Gesetzgebung im Lichte der positiven Generalprävention (2007) S. 149. 16 Renzikowski MK § 176 Rdn. 39; Schroeder JR 2005 258. Hörnle
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II. Handlungen nach Absatz 1
§ 176a
die Auslegung, dass es dem Täter auf die Wahrnehmung durch das Opfer ankommen müsse (BGH NStZ 2013 278; NStZ 2019 203 f). Die praeter legem vorgenommene Einschränkung des Tatbestands in § 176a Abs. 1 Nr. 1 in 9 einem Fall wie BGHSt 49 376 ist mit dem Schutzzweck des § 176 unvereinbar. Das siebenjährige Kind wurde Augenzeuge, als seine Mutter von seinem Vater mit einem Messer bedroht, gefesselt und vergewaltigt wurde. Dass es dem Täter nicht auf die Anwesenheit des Kindes ankam, ist für die Bewertung des dem Kind zugefügten Unrechts irrelevant. Die ungewollte Wahrnehmung gerade von gewaltsam erzwungenen, eingriffsintensiven Sexualkontakten ist ein massiver Einbruch in die Intimsphäre mit traumatischer Wirkung.17 Während einfache exhibitionistische Handlungen, bei denen es dem Täter auf die Anwesenheit des Zuschauers ankommt und die unstreitig unter § 176a Abs. 1 Nr. 1 fallen, vergleichsweise harmlos sein können, ist bei der vom BGH zu beurteilenden Vorgehensweise das Gefährdungspotential ungleich größer. Es ist deshalb nicht darauf abzustellen, ob es dem Täter auf die Wahrnehmung durch das Kind ankam.
b) Bestimmen zu sexuellen Handlungen (Absatz 1 Nr. 2). Diese Strafvorschrift ist mehr- 10 fach geändert worden. Bis zum 6. StrRG v. 26.1.1998 musste das Kind zu sexuellen Handlungen vor dem Täter oder einem Dritten bestimmt werden. Dann urteilte der BGH, dass „vor dem Täter“ nur handle, wer sich in räumlicher Nähe befinde, weshalb ein Täter, der Mädchen am Telefon mittels erpresserischer Täuschungen dazu gebracht hatte, auf seine Anweisung zu masturbieren, nicht strafbar gehandelt habe (BGHSt 41 285). Um derartige Fälle einzubeziehen, wurde der Tatbestand durch das 6. StrRG in „ein Kind dazu bestimmt, Handlungen an sich vorzunehmen“ umformuliert (BTDrucks. 13/9064 S. 11). Diese Fassung schuf eine neue Lücke: Nicht zu erfassen war, dass ein Kind vor einem Fotografen zur Herstellung von Kinderpornographie sexuell aufreizende Posen einnimmt, dabei aber nur mit seinem Körper, nicht an seinem Körper agiert (BGHSt 50 370).18 Das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie v. 31.10.2008 führte die heute noch geltende Beschreibung ein: „sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist“.19 Damit werden strafwürdige Konstellationen wie sexualisiertes Posieren (BGH StV 2017 39, 40) und andere sexuelle Aktivitäten vor dem Täter erfasst, allerdings auch Fälle, bei denen niemand anders anwesend ist (Rdn. 3). Die Handlungen des Kindes müssen durch ihr äußeres Erscheinungsbild einen Sexualbe- 11 zug erkennen lassen.20 Manipulationen an den eigenen Genitalien, etwa in Form von Masturbieren, sind sexuelle Handlungen, ebenso sexueller Kontakt mit Tieren oder Gegenständen. Eine sexuelle Handlung des Kindes liegt auch dann vor, wenn es bei nacktem Unterkörper die Beine spreizt, um die Genitalien oder den Anus zur Schau zu stellen (BGHSt 43 366, 368; OLG Koblenz NJW 1979 1467). Unter Umständen kann bei körperlich entwickelten Mädchen ein Zurschaustellen des entblößten Busens ausreichen, insoweit kommt es jedoch auf den Kontext an.21 Selbst akustische Beiträge können tatbestandsmäßig sein, die z.B. bei Telefonsex lediglich vorge-
17 S. zu den negativen Konsequenzen, die die Wahrnehmung von häuslicher Gewalt für Kinder hat, Gelles in Heitmeyer/Hagan (Hrsg.) Internationales Handbuch der Gewaltforschung (2002) S. 1043, 1058; Ostbomk-Fischer Kindschaftsrechtliche Praxis 2004 8. 18 Ebenso BGH StV 2007 184; NStZ-RR 2008 170. 19 Dazu Hörnle NJW 2008 3521 f. 20 BGH NJW 1992 325. 21 BGH NStZ 1985 24. 133
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täuschte Berührungen begleiten.22 Nicht erforderlich ist, dass das Kind den objektiv bestehenden sexuellen Charakter der auf Anweisung ausgeführten Handlungen erkennt.23 12 Gehen und Turnen etc. im nackten Zustand sind keine sexuellen Handlungen (OLG Jena NStZ-RR 1996 294, 295), auch nicht das Einnehmen von Posen, solange es sich um „natürliche, normale Posen“ handelt (BGHSt 41 366, 367 f), also sozialübliche Körperstellungen. Nicht erfasst sind Fälle, in denen Kinder auf Anweisung einer anderen Person Fotos von ihrem nackten Körper oder Körperteilen machen, wenn zuvor keine als sexualisiert zu beschreibende Bewegung (wie das vorstehend erwähnte Spreizen der Beine) erfolgte,24 etwa wenn die Zoom-Funktion einer Kamera oder andere technische Hilfsmittel genutzt werden. Der sexuelle Charakter ist auch zu verneinen, wenn das Kind Gesäß, Busen oder Genitalregion präsentiert, dabei aber Unterwäsche, Badekleidung oder andere Verhüllungen trägt.25 Wenn das Kind vom Täter bestimmt wird, mit einem Gegenstand laszive Posen einzunehmen, kann darin eine sexuelle Handlung liegen, wenn der sexuelle Charakter auch für einen eher phantasielosen Betrachter unmittelbar erkennbar ist. Der BGH hat dies verneint, wenn das (voll bekleidete) Kind angewiesen wurde, eine Gurke in den Mund zu nehmen (BGH NStZ 2011 570, 571 m. zust. Anm. Weigend NStZ 2011 572 ff). Es kommt unter solchen Umständen maßgeblich auf die Details des Einzelfalls an. 13 Das Kind muss aktiv etwas tun. Soweit es nur passiv bleibt oder schläft und der Täter z.B. den kindlichen Körper durch Spreizen der Beine o.ä. „arrangiert“, liegt keine Handlung des Kindes vor (BGHSt 43 366, 369).26 Auch wenn das Kind die Anweisung befolgt, sich nicht zu bewegen, liegt darin keine eigene sexuelle Handlung des Kindes.27 Das bloße Betrachten von sexuellen Aktivitäten dritter Personen ist ebenfalls keine sexuelle Handlung.28 Außerdem muss der Täter das Kind zu seinem Tun bestimmt haben. Da § 176a Abs. 1 Nr. 2 14 im Gegensatz zu § 176 Abs. 1 Nr. 2 eine aktive Handlung des Kindes voraussetzt, kann der Begriff „bestimmen“ nur als Hervorrufung eines Handlungsentschlusses verstanden werden29 (Vor § 174 Rdn. 66). Die Aufforderung durch einen Fotografen stellt ein solches Bestimmen dar (BGHSt 45 41, 42). Setzt das Kind Instruktionen um, so ist genauso wenig wie in anderen Konstellationen erforderlich, dass es den Sexualbezug erkennt. Das Bestimmen muss nicht eigenhändig erfolgen (BGH BeckRS 2021 38232) und es ist Kettenbestimmung möglich (Vor § 174 Rdn. 65; insoweit aA BGH BeckRS 2021 38232).
15 c) Einwirkung durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Abs. 3) oder durch entsprechende Reden (Absatz 1 Nr. 3). Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 hat die vorherige, umständliche Aufzählung der Medien für Einwirkung (Abbildungen, Darstellungen) durch den Verweis auf „Inhalte (§ 11 Abs. 3)“ ersetzt. Das entspricht den Anpassungen, die das 60. StÄG v. 30.11.2020 (Entstehungsgeschichte) in § 11 Abs. 3 und bei vielen Mediendelikten des StGB vorgenommen hat. § 11 Abs. 3 erfasst in der modernisierten Form zum einen verkörperte Inhalte (etwa auf einem Datenspeicher gespeicherte Fotos und Filme, Texte in Papierform),30 zum anderen unabhängig von einer Speicherung alle Inhalte, die mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden. In Worte gefasste
22 BGHSt 41 285, 287; Fischer § 176 Rdn. 12; aA Renzikowski MK § 176 Rdn. 42, der verkennt, dass der BGH explizit akustische Vorgänge an der angegebenen Stelle erwähnt. 23 BGHSt 29 336; Fischer § 176 Rdn. 11; Renzikowski MK § 176 Rdn. 41. 24 Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 13a; Wolters SK § 176 Rdn. 29. 25 BGH NJW 1992 325 f. 26 Bezjak S. 243; Röder NStZ 2010 113, 117 f. 27 AA Frühsorger S. 131. 28 Hörnle NJW 2008 3521, 3522; Renzikowski MK § 176 Rdn. 41; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 13a. 29 Matt/Renzikowski/Eschelbach § 176 Rdn. 19. 30 S. Bezjak S. 267 ff dazu, ob vor dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 Texte erfasst waren. Hörnle
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II. Handlungen nach Absatz 1
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Botschaften in Chats, SMS etc. sowie in Telefonaten sind Inhalte, da sie mit Kommunikationstechnik übertragen werden. Nach der neuen Fassung ist offensichtlich, dass räumliche Nähe zwischen Täter und Opfer nicht mehr erforderlich ist. Handlungsbeschreibungen wie „vorzeigen“, die dies nach der alten Fassung suggerieren konnten, sind nach jetzt geltendem Recht31 nicht mehr Teil des Tatbestands. Inhalte sind nicht schon deshalb pornographischer Natur, weil sie sexuelle Vorgänge zeigen; s. zur Definition von Pornographie Hörnle MK § 184 Rdn. 20 ff. Das Foto eines nicht erigierten Penis ist kein pornographischer Inhalt (BGH BeckRS 2018 29180). Die Grundlagen der Einordnung als „pornographisch“ müssen im Urteil mitgeteilt werden. Die schlichte Zusammenfassung nur mit dem Wort „pornographisch“ genügt nicht (BGH NStZ 2011 455), wobei aber eine kursorische Skizzierung der gezeigten sexuellen Aktivitäten in einem Satz als ausreichend angesehen wird (BGH NStZ-RR 2015 74; BeckRS 2018 19227). Gesprochene Worte (Reden) fallen unter die zweite Variante in § 176a Abs. 1 Nr. 3, wenn sie entweder nicht durch Informations- und Kommunikationstechnik übertragen werden oder wenn z.B. Reden am Telefon nicht die Schwelle zu Pornographie erreicht hat. Das Gesetz verlangt lediglich Ähnlichkeit mit Pornographie („entsprechend“), nicht aber zwingend das Erfüllen aller Merkmale von Pornographie.32 Bei individualisiertem Reden ist nicht zwingend erforderlich, dass die Herstellung des Inhalts (durch Sprechen) dazu dient, Adressaten sexuell zu erregen, aber die Sexualisierung des Inhalts muss ausgeprägt sein. Nicht ausreichend sind einzelne vulgäre Worte innerhalb von ansonsten nicht auf sexuelle Provokation angelegten Sprachäußerungen. Ein Einwirken i.S.v. § 176a Abs. 1 Nr. 3 liegt aber dann vor, wenn explizit sexuelle Vorschläge und explizit sexuelle Beschreibungen gegenüber Kindern geäußert werden (BGH bei Pfister NStZ 2012 329, 330 f; OLG Dresden NStZ-RR 2009 371). Ein Einwirken durch pornographische Reden liegt auch dann vor, wenn die in Anwesenheit von Kindern geäußerten Worte an eine dritte Person adressiert sind.33 Auch Sprechgesang (etwa extreme Formen von Rap) ist erfasst, nicht aber akustische Gehalte anderer Art, etwa Stöhnen.34 Der Täter muss auf das Kind einwirken. Bei den Vorbereitungshandlungen, die in § 176b Abs. 1 beschrieben werden, muss die Einwirkung auf ein bestimmtes Ziel hin erfolgen. Das ist in § 176a Abs. 1 Nr. 3 nicht der Fall, was die Auslegung entscheidend beeinflusst. Einwirken i.S.v. § 176a Abs. 1 Nr. 3 liegt bereits vor, wenn das Kind den Inhalt oder die Äußerung wahrgenommen hat. Der Täter muss diese Wahrnehmung bewirkt oder ermöglicht haben. Ob er Verfügungsgewalt über den pornographischen Inhalt hat, spielt keine Rolle: Es würde auch genügen, das Kind auf eine von anderen gestartete, laufende Übertragung pornographischer Inhalte oder entsprechendes Reden aufmerksam zu machen.35 Die technische Frage, ob ein Bild „übersendet“ oder nur „gezeigt“ wurde (darauf stellte BGH NStZ-RR 2015 139 ab), ist nicht entscheidend. Nicht ausreichend ist dagegen, wenn ohne die Möglichkeit der unmittelbaren Wahrnehmung nur aufgezeigt wird, wo pornographische Inhalte zu finden wären.36 Erforderlich ist zudem, dass die Wahrnehmung eine gewisse Intensität erreicht hat. Ein nur flüchtiger Eindruck des Kindes genügt nicht.37 Das Äußern eines einzigen Satzes oder obszönen Wortes ist nicht tatbestandsmäßig (BGH NStZ 1991 485; NStZ 2018 603), auch nicht das Vorhalten eines Bildes, das nur wenige Sekunden währt, oder eines Bildes, das die Genitalien des Täters, aber keine Handlungen zeigt (BGH bei Pfister NStZ-RR 2019 362). Bei Bildern oder Filmen kommt es darauf an, wie lange das Kind den Inhalten ausgesetzt war. Nicht erforderlich 31 32 33 34 35 36 37
Anders vor dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021. Fischer § 176 Rdn. 19. AA Bezjak S. 281. Frühsorger S. 107 f. Matt/Renzikowski/Eschelbach § 176 Rdn. 26. Frühsorger S. 178 ff. Bezjak S. 263; Renzikowski MK § 176 Rdn. 51. BGH bei Dallinger MDR 1974 546; BGH NStZ 1991 485; Bezjak S. 263; Renzikowski MK § 176 Rdn. 51; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 17; Wolters SK § 176 Rdn. 41. 135
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ist, dass das Kind, das den Inhalt wahrgenommen hat, dabei auch den sexuellen Bezug erkennt38 oder in bestimmter Weise reagiert.39 An einer Wahrnehmung des Inhalts würde es allerdings fehlen, wenn dieser nur sprachlich vermittelt wurde (Reden oder schriftlich festgehaltene Texte), das Kind aber die verwendete Sprache nicht beherrscht oder nicht lesen kann.40 Ebenso wenig ist Voraussetzung, dass der Täter beabsichtigt, beim Kind sexuelles Interesse zu schaffen oder dass er in sonstiger Weise sexuell motiviert ist:41 Tatbestandsmäßig handelt, wer z.B. ein Kind ärgern oder erschrecken möchte.
2. Subjektiver Tatbestand 20 Der Täter muss hinsichtlich des Alters des Kindes mindestens bedingten Vorsatz haben. Auch für die übrigen Tatbestandsmerkmale in § 176b Abs. 1 genügt bedingter Vorsatz (etwa für Absatz 1 Nr. 2 hinsichtlich des Bestimmens42 und der Vornahme sexueller Handlungen durch das Kind; für Absatz 1 Nr. 3 hinsichtlich der Wahrnehmung durch das Kind). Den pornographischen Charakter muss der Täter in einer laienhaften Bewertung erfasst haben. Der BGH geht davon aus, dass bei Delikten nach Absatz 1 Nr. 1 (Handlungen vor dem 21 Kind) für den Täter gerade die Wahrnehmung durch das Opfer von Bedeutung sein müsse, was jedoch verkennt, dass das Tatunrecht nicht dadurch geprägt wird, sondern durch die Schwere des Einbruchs in die Intimsphäre des Kindes (Rdn. 8 f). Auch insoweit genügt bedingter Vorsatz. Nicht überzeugend ist ferner die in der Lit. zu findende Ansicht,43 dass Absatz 1 Nr. 3 eine sexuelle Motivation des Täters voraussetze. Das ist nicht überzeugend: Wenn der Täter ein Kind verstören oder sich über dessen Reaktionen in nicht-sexueller Weise amüsieren möchte, bedeutet dies im Vergleich zu einer sexuellen Motivation kein geringeres Tatunrecht.
3. Täterschaft und Teilnahme 22 Die Vornahme sexueller Handlungen muss nicht eigenhändig geschehen (Vor § 174 Rdn. 57 ff), was auch für Handlungen vor dem Kind nach § 176a Abs. 1 Nr. 1 gilt.44 Wenn z.B. ein mittelbarer Täter eine hochgradig alkoholisierte oder aus anderen Gründen schuldunfähig handelnde andere Person dazu bringt, vor dem Kind sexuelle Handlungen vorzunehmen, fällt diese unter § 176a Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. Dasselbe gilt für eine Beteiligung als Mittäter oder unterlassenes Einschreiten, wenn der Täter im Verhältnis zum Kind Beschützergarant ist oder ihn eine Garantenstellung aus Gefahrschaffung trifft (§ 176 Rdn. 24). Auch das Bestimmen nach § 176a Abs. 1 Nr. 2 (vgl. § 176 Rdn. 25) und Einwirken nach § 176a Abs. 1 Nr. 3 setzen keine eigenhändige Vornahme voraus.
4. Versuch 23 Der Versuch ist für Taten nach Absatz 1 Nr. 1 und 2 in allen Konstellationen strafbar, Absatz 3 S. 1. Absatz 3 S. 2 sieht für Taten nach Absatz 1 Nr. 3 (Einwirken durch pornographische Inhal38 39 40 41
Fischer § 176 Rdn. 18. Renzikowski MK § 176 Rdn. 39. Frühsorger S. 191 ff. Brockmann S. 322 f. AA Bussmann StV 1999 619; Fischer § 176 Rdn. 16a; Renzikowski NStZ 1999 441; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 17; Wolters SK § 176 Rdn. 42. 42 AA Frühsorger S. 128. 43 So Bussmann StV 1999 619; Fischer § 176 Rdn. 16a; Renzikowski NStZ 1999 441; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 18; Wolters SK § 176 Rdn. 42. 44 AA Bezjak S. 320. Hörnle
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II. Handlungen nach Absatz 1
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te und Reden) nur eine eingeschränkte Versuchsstrafbarkeit vor. Strafbar ist nur eine spezifische Form eines untauglichen Versuchs: wenn der Täter irrig annimmt, mit einem Kind zu kommunizieren. Dies ist eine durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 eingeführte Neuerung. Sie lehnt sich ersichtlich an die Versuchsregelung beim sog. Cybergrooming (§ 176b Abs. 3) an, die kurz vorher beschlossen wurde (§ 176b Entstehungsgeschichte). Die Gesetzesmaterialien führen zum untauglichen Versuch in § 176a Abs. 3 S. 2 aus, dass eine Strafbarkeitslücke zu schließen sei (BTDrucks. 19/23707 S. 39). Die Gleichsetzung mit dem untauglichen Versuch beim Cybergrooming ist jedoch nicht überzeugend.45 Die besondere Gefährlichkeit von Cybergrooming ergibt sich daraus, dass die Akteure den sexuellen Missbrauch von Kindern oder die Produktion von Kinderpornographie planen, weshalb verdeckte Ermittlungen erforderlich sind. Bei Tätern, die pornographische Bilder verschicken, ohne damit weitergehende Pläne zu verfolgen, ist die Gefahrenlage jedoch weniger ausgeprägt.
5. Strafzumessung Der Strafrahmen reicht seit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 24 16.6.2021 von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Bei der Frage einer Strafaussetzung zur Bewährung ist im Fall von exhibitionistischen Handlungen vor Kindern § 183 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 zu beachten.46 Entscheidend für die Bewertung der Tatschwere ist das Ausmaß, mit dem die Intimsphä- 25 re des Kindes verletzt wurde. Bei Taten nach Absatz 1 Nr. 1 und 2 hängt dies vor allem von der Intensität der sexuellen Handlung und bei mehreren Vorfällen von deren Häufigkeit ab. Ist eine Schädigung des Kindes durch die Taten festzustellen, wäre dies ggf. als unrechtserhöhender Faktor zu berücksichtigen. Ferner wird das Unrecht geprägt durch die Intensität, mit der ein möglicherweise entgegenstehender Wille des Kindes gebeugt oder ein Vertrauensverhältnis ausgenutzt wurde. Sind Taten nach Absatz 1 Nr. 3 zu beurteilen, kommt es zum einen auf die Inhalte der pornographischen Darstellungen an. Das Vorzeigen von Pornographie nach den §§ 184a, 184b (Gewalt-, Kinder- und Tierpornographie) wiegt schwerer als das Vorzeigen einfacher Pornographie, da die Wahrnehmung solcher Vorgänge besonders geeignet ist, Ängste und Ekel hervorzurufen. Zum anderen ist entscheidend, wie oft das Kind Pornographie ausgesetzt wurde, insbesondere, ob häufige Einwirkung ein verzerrtes Bild von Sexualität und dem Verhältnis der Geschlechter zu schaffen droht. S. zu schuldmindernden Umständen und unzulässigen Strafzumessungserwägungen § 176 Rdn. 48 ff. § 176a enthält keine Regelung, die wie § 176 Abs. 2 ein Absehen von Strafe erlaubt. § 176 26 Abs. 2 ist jedoch in ähnlich gelagerten, ungewöhnlichen Konstellationen analog heranzuziehen. Das Unrecht von Taten ohne Körperkontakt ist niedriger als das von Handlungen mit Körperkontakt, wie auch im niedrigeren Strafrahmen des § 176a erkennbar. Deshalb ist erst recht an ein Absehen von Strafe und den Verzicht auf Strafverfolgung (§ 153b Abs. 1 StPO) zu denken, falls die Rahmenbedingungen, für die § 176 Abs. 2 Straffreiheit erlaubt (einvernehmlich, geringer Unterschied in Alter und Entwicklung, keine Manipulation, s. § 176 Rdn. 32 f), vorliegen. Dies ist bei Handlungen vor einer etwas jüngeren Person (§ 176a Abs. 1 Nr. 1) im Rahmen von jugendtypischen Freundschaften und ersten Liebesbeziehungen oder bei Gesprächen mit Nachahmungseffekten (§ 176a Abs. 1 Nr. 2) vorstellbar.
45 Hörnle ZIS 2020 440, 444; Renzikowski KriPoZ 2020 308, 310. 46 BGH NStZ-RR 1996 57; NJW 1998 3428; NStZ-RR 2003 73. 137
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6. Konkurrenzen 27 a) Innerhalb des § 176a und mit § 176. Zwischen allen Handlungen nach Absatz 1 ist Tateinheit möglich. Wenn bei Handlungen nach § 176a Abs. 1 Nr. 3 pornographische Nachrichten über mehrere Stunden verteilt, aber im selben Chat am gleichen Tag versendet werden, liegt natürliche Handlungseinheit und damit Tateinheit vor (BGH NStZ-RR 2015 139, 140). Finden im Rahmen eines einheitlichen Geschehens zu Lasten desselben Kindes sowohl Handlungen nach § 176 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 als auch solche nach § 176a Abs. 1 statt, so sollen nach der h.M. Delikte ohne Körperkontakt wegen Gesetzeskonkurrenz zurücktreten (BGHSt 43 366, 368; BGH NStZ 1996 383, 384; BeckRS 2019 3385).47 Es sollte jedoch differenziert werden. Nur bei einem Vorbereitungstatbestand wie § 176b Abs. 1 überzeugt die Folgerung, dass dieser gegenüber tatsächlich erfolgten Delikten subsidiär ist.48 Die Tathandlungen nach § 176a Abs. 1 können dagegen eine zusätzliche Beeinträchtigung bedeuten, etwa wenn ein Kind erst einen pornographischen Film betrachten muss und im Anschluss daran sexuell missbraucht wird. Unter solchen Umständen ist Tateinheit überzeugender. Bleibt die Tat nach § 176 Abs. 1 im Versuchsstadium, so geht auch die h.M. von Tateinheit aus.49 Wenn in einem einheitlichen Geschehen Handlungen nach § 176 Abs. 1 zu Lasten eines Kindes mit Handlungen nach § 176a Abs. 1 zu Lasten eines anderen Kindes zusammentreffen, geht der BGH von Tateinheit aus.50 Dies überzeugt jedoch ebenfalls nicht: Taten zu Lasten unterschiedlicher Opfer stehen zueinander in Tatmehrheit (Vor § 174 Rdn. 72).
28 b) Verhältnis zu anderen Tatbeständen. Kommen beim Cybergrooming (§ 176b Abs. 1) pornographische Inhalte zum Einsatz, besteht Tateinheit zwischen § 176a Abs. 1 Nr. 3 und § 176b Abs. 1 (BGH NStZ-RR 2015 139, 140). Taten nach § 176a Abs. 1 Nr. 1 und 2 können mit § 174 Abs. 3 in Tateinheit stehen, ferner mit den §§ 180 Abs. 2, 183a und 184b (BGHSt 43 366, 368 f). § 184 Abs. 1 Nr. 1 wird von § 176a Abs. 1 Nr. 3 verdrängt.51 Umstr. ist das Verhältnis von § 183 Abs. 1 zu § 176a Abs. 1 Nr. 1. Da in § 183 mehr vorausgesetzt wird als in § 176a Abs. 1 Nr. 1, nämlich eine Belästigung, wird dieser Tatbestand nicht verdrängt, sondern es ist von Tateinheit auszugehen.52
III. Handlungen nach Absatz 2 29 S. zur Kritik an diesem Tatbestand Rdn. 5. Der Strafrahmen ist zu hoch, weil er den Unterschied zwischen einer Verletzung und einer bloßen Gefährdung nivelliert. Zu den Tathandlungen Anbieten und Versprechen des Nachweises eines Kindes § 176 Rdn. 65 ff; zum Verabreden Schünemann/Greco LK § 30 Rdn. 61 ff. Für den subjektiven Tatbestand genügt bedingter Vorsatz. Der Versuch ist nicht strafbar.
47 Fischer § 176 Rdn. 43; Lackner/Kühl/Heger § 176 Rdn. 10; Renzikowski MK § 176 Rdn. 71; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 26.
48 Renzikowski MK § 176 Rdn. 71; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 26. 49 BGH bei Dallinger MDR 1974 722; Fischer § 176 Rdn. 43; Lackner/Kühl/Heger § 176 Rdn. 10; Renzikowski MK § 176 Rdn. 71; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 26.
50 BGH bei Pfister NStZ-RR 2003 354. 51 BGH NJW 1976 1984; BeckRS 2018 22019. 52 BGH NStZ-RR 1999 298; Renzikowski MK § 176 Rdn. 72; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 26. AA Fischer § 176 Rdn. 44. Hörnle
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IV. Verjährung
§ 176a
IV. Verjährung Taten nach § 176a Abs. 1 und Abs. 2 verjähren gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 nach zehn Jahren. S. zur 30 Unterbrechung durch die erste Vernehmung des Beschuldigten § 176 Rdn. 73. Die Verjährung ruht bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers (§ 78b Abs. 1 Nr. 1, s. dazu § 176 Rdn. 74).
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Hörnle
§ 176b Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (1) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer auf ein Kind durch einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) einwirkt, um 1. das Kind zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder an oder vor einer dritten Person vornehmen oder von dem Täter oder einer dritten Person an sich vornehmen lassen soll, oder 2. eine Tat nach § 184b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 oder nach § 184b Absatz 3 zu begehen. (2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet. (3) Bei Taten nach Absatz 1 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.
Schrifttum Alexiou Cyber-Grooming (2018); Baumhöfener Versuchtes Cybergrooming, MMR 2021 30; Chiang/Grant Deceptive Identity Performance: Offender Moves and Multiple Identities in Online Child Abuse Conversations, Applied Linguistics 2019 675; Choo Online Child Grooming (2009); Caffo Online Child Sexual Exploitation (2021); Davidson/Gottschalk Online Groomers (2010); Eisele Tatort Internet: Cyber-Grooming und der Europäische Rechtsrahmen, Festschrift Heinz (2012) 698; Hornor Online Sexual Solicitation of Children and Adolescents, Journal of Pediatric Health Care 2020 610; Hube Die Strafbarkeit des „Cyber-Groomings“, Kriminalistik 2011 71; Joleby u.a. Offender Strategies for Engaging Children in Online Sexual Activity, Sexual Abuse & Neglect 2021 Epublishing; Kuhle Sexual Online Grooming of Children (2022); Martellozzo Online Child Sexual Abuse (2012); May-Chahal/ Kelly Online Child Sexual Victimisation (2020); Ost Child Pornography and Sexual Grooming (2009); Quayle/ Ribisl (Hrsg.) Understanding and Preventing Online Sexual Exploitation of Children (2012); Rüdiger Die onlinebasierte Anbahnung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes (2020); Schneider Versuchsstrafbarkeit von Cybergrooming, KriPoZ 2020 137; Stoiber „Cyber-Grooming“ aus empirischer und strafrechtlicher Sicht (2020); van Enderen Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Einwirkung auf ein Kind. Zur Versuchsstrafbarkeit des Cybergroomings, NJW 2020 1033; von Weiler Im Netz: Tatort Internet (2014); Webster/Davidson/Bifurco Online Offending Behaviour and Child Victimisation (2015); Wolf/Pruitt Grooming Hurts, Too, Journal of Child Sexual Abuse 2019 345; Ziemann/Ziethen Die neue EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornographie, ZRP 2012 168.
Entstehungsgeschichte Das SexualdelÄndG v. 27.12.2003 (Vor § 174 Rdn. 21) hat Tatbestände eingeführt, die Verhaltensweisen erfassen, welche sexuellen Missbrauch ermöglichen können. Dazu gehört (§ 176 Abs. 4 Nr. 3 a.F.) auch das Verbot von Kommunikation, die als Cybergrooming bezeichnet wird. Die Gesetzesbegründung verwies auf Presseberichte aus dem Jahr 1999, die über Entwicklungen im (damals noch relativ neuen) Internet berichteten, denen zufolge „sich amerikanische Internetnutzer in so genannten Chatrooms („Plauderräumen“) mit Kindern zu sexuellen Begegnungen verabreden“ (BTDrucks. 15/350 S. 17). Das 49. StÄG v. 21.1.2015 (Vor § 174 Rdn. 23) ergänzte die ursprüngliche Kommunikationsmodalität „durch Schriften (§ 11 Abs. 3)“ in § 176 Abs. 4 Nr. 3 a.F. durch den Passus „oder mittels Informations- und Kommunikationstechnik“ und die Beschreibung der Ziele des Täters durch den Verweis auf § 184b Abs. 1 Nr. 3, § 184b Abs. 3. Das 57. StÄG v. 3.3.20201 (Vor § 174 Rdn. 26) führte eine beschränkte Versuchsstrafbarkeit ein: Strafbar ist seitdem (nur) der untaugliche Versuch, der deshalb nicht zur Vollendung führen kann, weil der Kommunikationspartner tatsächlich kein Kind ist. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 (Vor § 174 Rdn. 29) wurde die Verbotsnorm in § 176b verschoben und dabei leicht verändert – die Einwirkung muss nun „durch einen Inhalt (§ 11 Abs. 3)“ erfolgen.
1 BGBl. I S. 2460. Hörnle https://doi.org/10.1515/9783110490121-008
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I. Normzweck und Deliktstypus
§ 176b
Übersicht I.
Normzweck und Deliktstypus
II. 1. 2.
Handlungen nach Absatz 1 5 Objektiver Tatbestand 10 Subjektiver Tatbestand
III.
Handlungen nach Absatz 2
1
14
IV. 1. 2. 3. 4. 5.
Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzumessung; Konkurrenzen; Verjährung 15 Täterschaft und Teilnahme 16 Versuch 17 Strafzumessung 18 Konkurrenzen 19 Verjährung
I. Normzweck und Deliktstypus Auch der Tatbestand in § 176b Abs. 1 Nr. 1 dient (wie alle Tatbestände in den §§ 176–176c) dem 1 Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, der Intimsphäre und körperlichen Integrität von Kindern. § 176b Abs. 1 Nr. 2 soll Kinder zudem davor schützen, dass ihre Persönlichkeitsrechte durch die Herstellung und Weitergabe kinderpornographischer Abbildungen missachtet werden. Es handelt sich allerdings bei Taten nach § 176b nur um Vorbereitungsdelikte, also Gefährdungsdelikte. Bei fortgeschrittener Einwirkung kann u.U. bereits ein individuelles Kind einer konkreten 2 Gefahr ausgesetzt worden sein. Typischerweise bleibt es jedoch bei abstrakten Gefährdungen und Distanzdelikten. Das Anliegen ist, Cybergrooming zu verhindern. Damit ist das Vorgehen von potentiellen Missbrauchstätern und Sammlern von Internetpornographie gemeint, die auf Plattformen und in Netzwerken, die bei Minderjährigen beliebt sind, Kontakt zu Kindern suchen, z.B. mittels der Chatfunktion von Online-Spielen. Diese Zugangswege erlauben es, unter Verschleierung der eigenen Identität Kinder kennen zu lernen, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie durch scheinbare Freundlichkeit, aber z.T. auch durch nötigende Methoden zu manipulieren.2 Der Tatbestand in § 176b Abs. 1 ist auch dann erfüllt, wenn es nach dem Chatten etc. weder zu einem Treffen im realen Leben noch zur Herstellung oder dem Versand kinderpornographischer Inhalte kommt, und auch dann, wenn die Kommunikation als solche objektiv sozialadäquat war und sich ein Rechtswidrigkeitsurteil allein auf die subjektiven Intentionen des Täters stützen kann. Die Vorverlagerung der Strafbarkeit durch Einführung von § 176 Abs. 4 Nr. 3 a.F. im Jahr 3 2003 stieß auf Kritik,3 auch weil unklar ist, warum beim Missbrauch von Kindern, nicht aber bei schwerwiegenderen Straftaten wie Mord Vorbereitungshandlungen strafbar sind, und weil auch Verhalten erfasst wird, das objektiv sozialadäquat ist und nur wegen subjektiver Absichten bestraft wird.4 Außerdem kann die Anbahnung eines Missbrauchs durch Ausnutzung des persönlichen Zugangs zu Kindern im Bekannten- und Familienkreis oder durch gezieltes Face-toFace-Ansprechen und Manipulieren unbekannter Kinder gefährlicher sein als Kontaktaufnahme über Computernetze, die oft mit großer räumlicher Distanz verbunden ist.5 Zu erklären ist die Existenz dieses speziellen Vorbereitungsdelikts sicherlich damit, dass über Cybergrooming für
2 S. zu den Methoden und Gefahren durch Cybergrooming die Homepage des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Missbrauchs: https://beauftragter-missbrauch.de/praevention/sexuelle-gewalt-mittels-digita ler-medien/cybergrooming; BTDrucks. 19/13836 S. 8; Alexiou S. 72 ff; Webster/Davidson/Gottschalk S. 58 ff. Zu den psychischen Folgen, die vor allem bei nötigend-kontrollierenden Formen der Manipulation beträchtlich sein können, Wolf/Pruitt Journal of Child Sexual Abuse 2019 345, 353 f. 3 Alexiou S. 281 ff; Amelung/Funcke-Auffermann StraFo 2004 265; Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1065, 1067 f; Funcke-Auffermann S. 145; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 618; Stoiber S. 243 ff. 4 Ziemann/Ziethen ZRP 2012 168, 171 schlagen vor, dass ein angemessener Tatbestand gegen Cybergrooming täuschendes Verhalten erfordern sollte. 5 Eisele FS Heinz 697, 701 f; Frühsorger S. 249 f; Fischer § 176 Rdn. 15; Renzikowski MK § 176 Rdn. 19. 141
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§ 176b
Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern
sexuellen Missbrauch geforscht und öffentlich berichtet wird, weshalb solche Praktiken als soziales Problem wahrgenommen werden, während Tatvorbereitung bei anderen Delikten stärker einzelfallspezifisch ist. Prinzipiell illegitim ist die Existenz von Vorbereitungsdelikten jedoch nicht, die auf geänderte Mediennutzungsgewohnheiten und die dadurch geschaffenen Risiken reagieren.6 De lege ferenda wird vorgeschlagen, dass der Tatbestand über die rein subjektiven Pläne des Täters hinaus konkretere Maßnahmen der Vorbereitung sexueller Handlungen erfordern sollte.7 § 176b Abs. 2 dehnt das Feld der Strafbarkeit für Gefährdungen noch einen Schritt weiter 4 aus: Es ist danach bereits strafbar, ein Kind anzubieten oder den Nachweis eines Kindes zu versprechen, auf das dann die andere Person später einwirken könnte, oder sich zu einem solchen Einwirken zu verabreden. Diese Tatbestandsvariante ist entbehrlich (so auch die Reformkommission zum Sexualstrafrecht)8 und zu kritisieren ist auch hier die Strafrahmengestaltung: für Verhalten, das tatsächlich praktiziertem Cybergrooming weit vorverlagert ist, sollte nicht derselbe Strafrahmen zur Anwendung kommen.9
II. Handlungen nach Absatz 1 1. Objektiver Tatbestand 5 Tathandlung ist das Einwirken auf ein Kind. Dieses Tatbestandsmerkmal wurde § 180b Abs. 1 S. 2 a.F. nachgebildet (BTDrucks. 15/350 S. 17 f), der mittlerweile aufgehoben wurde. Zur Auslegung des Begriffs gaben jedoch Rspr. und Lit. zu § 180b a.F. Anhaltspunkte. Insoweit hat der BGH auf eine unmittelbare psychische Beeinflussung abgestellt, die sich durch eine gewisse Hartnäckigkeit auszeichne, etwa wiederholtes Drängen, Überreden, Versprechungen, Wecken von Neugier, Einsatz von Autorität, Täuschung, Einschüchterung, Drohung und Gewalt (BGHSt 45 158, 161; BGH NStZ 2000 86).10 Der Inhalt der Kommunikation muss weder sexueller Natur sein, noch muss sich daraus ergeben, dass der Täter sexuelle Zwecke verfolgt11 (für erfolgreiche Kontaktanbahnung verschleiern viele Täter anfangs ihre Ziele und wählen unverfängliche Themen12). Die Einwirkung muss lediglich zum Gegenstand haben, das Kind zu einem Zwischenschritt auf dem Weg zu zukünftigen sexuellen Handlungen zu bewegen, etwa zu einer Verabredung. Da eine „psychische Einflussnahme tiefergehender Art“ gefordert wird (BGH NStZ 2011 455; NStZ-RR 2015 139, 140), genügt es nicht, wenn der Täter einmalig dem Kind vorschlägt, sich zu treffen, oder wenn er dem Kind einmal ein pornographisches Bild zeigt.13 Es bedarf entweder wiederholter Ansätze, die als „Drängen“ oder „Überreden“ einzuordnen wären, oder einer Verbindung des Vorschlags mit Anreizen (Versprechungen, Wecken von Neugier) oder mit Inhalten, die einschüchternd oder nötigend wirken sollen. Durch Unterlassen kann eine Straftat nach § 176b nicht begangen werden.14 Umstr. ist, ob Fälle erfasst sind, in denen mehrfach oder lange kommuniziert wurde, aber der Täter weder ein Treffen vorgeschlagen noch die Inhalte
6 So auch Hoven/Obert JA 2021 441, 447. 7 Alexiou S. 343 ff; Stoiber S. 283 ff. 8 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 318 f; ebenso Bezjak S. 285. AA Frühsorger S. 212 f.
9 Fischer § 176 Rdn. 1: unverhältnismäßig. 10 Bezjak S. 249 f. AA Frühsorger S. 152 ff, der sich gegen das Abstellen auf Hartnäckigkeit ausspricht. 11 Eisele FS Heinz 697, 699; Fischer § 176 Rdn. 14; Renzikowski MK § 176 Rdn. 45. AA Baumhöfener MMR 2020 30, 31; Frühsorger S. 140 ff (sexueller Inhalt erforderlich); Wolters SK § 176 Rdn. 37 (Körperbezug erforderlich); ebenso Alexiou S. 343 ff. 12 S. zu unterschiedlichen Strategien Alexiou S. 73 ff. 13 BGH NStZ 2011 455; NStZ-RR 2015 139, 140. 14 Bezjak S. 249; Matt/Renzikowski/Eschelbach § 176 Rdn. 24; Renzikowski MK § 176 Rdn. 45. Hörnle
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II. Handlungen nach Absatz 1
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der Kommunikation sexualisiert hat.15 In solchen Fällen kann es schwierig sein, nachzuweisen, dass tatsächlich die subjektive Absicht bestand, später den Kontakt zu sexuellen Handlungen auszunutzen. Wenn ein solcher Nachweis aber gelingt, und die Anbahnungsbemühungen eine gewisse Intensität erreicht hatten, entspricht eine Bestrafung aus § 176b der Konstruktion dieses Gefährdungsdelikts. Der Tatbestand setzt nicht zwingend voraus, dass der Täter ein einzelnes Kind individuell 6 anspricht.16 In der Gesetzesbegründung ist zwar vom „gezielten Ansprechen eines konkreten Kindes“ die Rede (BTDrucks. 15/350 S. 18). Es ergibt sich aus dieser Passage aber nicht, dass die Möglichkeit einer breiteren Streuung von Botschaften bedacht und verworfen wurde. Wer z.B. mittels der Chat-Funktion eines Online-Spiels gleichzeitig auf mehrere Kinder einwirkt, macht sich ebenfalls strafbar. Es genügt auch, dass der Täter nicht sicher weiß, aber es nur für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass sich unter den Adressaten seiner Botschaften auch Kinder befinden. Das Medium der Einwirkung müssen Inhalte (§ 11 Abs. 3) sein. Die Aussage, die sich aus 7 dem Verweis auf § 11 Abs. 3 ergibt, ist für Juristen nachvollziehbar, dürfte allerdings für andere Leser schwer verständlich sein. Man hätte § 176b Abs. 1 klarer formulieren können. Die ursprüngliche Fassung des § 176 Abs. 4 Nr. 3 a.F. aus dem Jahr 2003 stieß auf Kritik,17 weil damals auf „Schriften (§ 11 Abs. 3)“ verwiesen wurde. Dem Gesetzgeber kam es allerdings schon bei der Einführung des § 176 Abs. 4 Nr. 3 a.F. primär darauf an, internetbasierte Aktivitäten zu erfassen (BTDrucks. 15/350 S. 17). Die technische Entwicklung hat zudem in der Zwischenzeit noch mehr Kanäle für anonyme, räumlich unbeschränkte Kommunikation eröffnet. Das 49. StÄG v. 21.1.2015 (Entstehungsgeschichte) hatte wegen der vielfältigen Probleme, welche die Definition von „Schriften“ in § 11 Abs. 3 a.F. verursacht hatte,18 in § 176 Abs. 4 Nr. 3 a.F. den ursprünglichen Verweis auf „mittels Schriften (§ 11 Abs. 3)“ durch „oder mittels Informations- und Kommunikationstechnik“ ergänzt. Die Knappheit der jetzigen Formulierung „durch einen Inhalt“ wurde ermöglicht, weil das 8 60. StÄG v. 30.11.202019 endlich die Definition in § 11 Abs. 3 geändert hat, die heutzutage für Äußerungs- und Kommunikationsdelikte von zentraler Bedeutung ist. § 11 Abs. 3 enthält nun die wichtige Klarstellung, dass es nicht darauf ankommt, ob, wie und wo übermittelte Inhalte gespeichert werden. Tatbestandsmäßig nach § 176b Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 3 sind alle Formen der technisch ermöglichten Kommunikation, darunter Internetplattformen wie z.B. Facebook sowie jede Variante von Messengerdiensten, z.B. WhatsApp. Nach der Neufassung von § 11 Abs. 3 ist auch telefonische Einwirkung („durch Kommunikationstechnik“, s. § 11 Abs. 3) erfasst.20 Nur die Beeinflussung des Kindes in einer direkten persönlichen Kommunikation ist nicht tatbestandsmäßig (s. zur Kritik daran Rdn. 3). Die geltende Fassung schließt nach wie vor auch Schriften und Abbildungen im traditionellen Sinn ein, s. § 11 Abs. 3, erster Satzteil. Es ist deshalb auch nach geltendem Recht strafbar, wenn der Täter durch schriftliche Botschaften in Papierform auf das Kind einwirkt.21 Vorstellbar (aber wohl kaum praktisch relevant) wäre die Einwirkung durch Botschaften in Briefen, während es für eine Einwirkung i.S.v. § 176b Abs. 1
15 16 17 18
Gegen eine Strafbarkeit Brockmann S. 320. Frühsorger S. 163; aA Bezjak S. 250 f; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 14d. S. z.B. Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2014 1065, 1067 f. Die in § 11 Abs. 3 a.F. noch stärkere Betonung der Verkörperung von Gedankeninhalten, die vom traditionellen Begriff der „Schrift“ herrührte, warf bei Nutzung neuer Kommunikationswege Auslegungsfragen und Probleme auf, s. dazu BTDrucks. 19/19859 S. 16 ff. 19 BGBl. I S. 2600. 20 Renzikowski MK § 176 Rdn. 45. 21 S. BGH bei Pfister NStZ-RR 2015 362. 143
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§ 176b
Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern
nicht genügen würde, wenn jemand ein Kind nur durch Schenken von Büchern oder anderer Schriften freundlich stimmen will.22 9 Vollendet ist die Tat, wenn das Kind den Inhalt der Schrift oder der Schriften zur Kenntnis genommen hat.23 Es kommt nicht darauf an, ob dies Erfolg zeigt: Ein Einwirken liegt auch dann vor, wenn das Kind nicht in der vom Täter gewünschten Weise reagiert.24 Irrelevant ist, ob das Kind unabhängig von der Einwirkung des Täters zu einer sexueller Handlung bereit gewesen wäre.25
2. Subjektiver Tatbestand 10 Der Täter muss hinsichtlich des Alters des Kindes mindestens bedingten Vorsatz haben, ebenso muss der Täter mit bedingtem Vorsatz handeln, was die Charakterisierung seines Verhaltens als „einwirken“ betrifft. Zusätzlich wird eine über den objektiven Tatbestand hinausgehende Absicht verlangt: Der Täter muss anstreben, dass das Kind sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet (§ 176b Abs. 1 Nr. 1) oder kinderpornographische Inhalte produziert (§ 176b Abs. 1 Nr. 2). 11 Bei den angestrebten sexuellen Handlungen nach § 176b Abs. 1 Nr. 1 gibt es sechs Varianten: sexueller Körperkontakt zwischen dem Kind und dem Täter, den das Kind vornehmen oder dulden soll; sexueller Körperkontakt zwischen dem Kind und einer dritten Person (s. dazu § 176 Rdn. 15), den das Kind vornehmen oder dulden soll; sexuelle Handlungen des Kindes vor dem Täter oder dem Dritten, also aktive Handlungen, die der Täter oder die dritte Person wahrnimmt. Da die Wahrnehmung solcher Handlungen (vor einem anderen) auch mittels technischer Übertragung erfolgen kann (s. § 176a Rdn. 6), fällt es unter § 176b Abs. 1 Nr. 1, wenn der Plan des Täters ist, dass das Kind live vor einer Webcamera sexuelle Handlungen vornehmen soll, bei denen er oder andere zusehen. Auch bei fotografisch vom anwesenden Täter oder einer dritten Person festzuhaltenden sexuellen Handlungen läge in der Regel eine Handlung vor dem Täter oder der dritten Person vor. 12 Nicht strafbar ist die Tatvorbereitung durch Einwirken dagegen, wenn der Täter anstrebt, sich selbst exhibitionistisch zu betätigen bzw. sonstige sexuelle Handlungen vor dem Kind vorzunehmen oder dies Dritten zu ermöglichen.26 Nicht tatbestandsmäßig nach § 176b Abs. 1 Nr. 1 ist auch die Einwirkung auf das Kind, um dieses zu sexuellen Handlungen mit dem oder am eigenen Körper zu bringen, wenn während der sexuellen Handlung das Kind allein und unbeobachtet ist.27 Außerdem ist eine Einwirkung straffrei, wenn der Täter nur beabsichtigt, das Kind dafür zu gewinnen, später z.B. im Chat explizit-sexuelle Inhalte in Worten auszutauschen. 13 § 176b Abs. 1 Nr. 2 beschreibt Täterziele, die sich auf kinderpornographische Inhalte beziehen (diese Ergänzung hat das 49. StÄG v. 21.1.2015 eingeführt, Entstehungsgeschichte). Selbstständige Bedeutung hat dies erstens, wenn Täter planen, dass das Kind von sexuellen Handlungen, die allein und unbeobachtet erfolgen sollen, Aufnahmen machen und an den Täter schicken soll. Dasselbe gilt, wenn das Kind nicht sexuelle Handlungen (§ 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) aufnehmen, sondern posieren oder Genitalien oder Gesäß abbilden soll (s. § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b, c). Hersteller solcher kinderpornographischer Inhalte wäre dann der Einwirkende als mittelbarer Täter, d.h. er handelt, um selbst eine Tat nach § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 zu begehen. Zweitens sind Tatvarianten erfasst, in denen nicht die Herstellung neuer kinderpornographi22 So auch Eisele FS Heinz 697, 705 f; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 14b. Anders Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2014 1065, 1068; Renzikowski MK § 176 Rdn. 457. 23 Renzikowski MK § 176 Rdn. 45. 24 Enger Frühsorger S. 151: Das Einwirken müsse jedenfalls objektiv geeignet sein, das geschützte Rechtsgut zu gefährden. 25 Frühsorger S. 156 ff. 26 Krit. Bezjak S. 318. 27 Krit. Wolters SK § 176 Rdn. 38. Hörnle
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IV. Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzumessung; Konkurrenzen; Verjährung
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scher Inhalte geplant ist, sondern das Kind, auf das eingewirkt wird, bereits existierende kinderpornographische Inhalte weiterleiten oder (z.B. in einer Cloud) bereitstellen soll, womit dem Täter ermöglicht würde, diese Inhalte abzurufen oder sich den Besitz daran zu verschaffen (§ 184b Abs. 3).
III. Handlungen nach Absatz 2 § 176b Abs. 2 verlegt die Strafbarkeit nochmals einen großen Schritt weiter in den Bereich der 14 bloßen Tatvorbereitung. Strafbar ist danach, wenn sich Personen verabreden, um auf Kinder mit den in Absatz 1 aufgeführten Zielen einzuwirken, oder wenn jemand ein Kind anbietet oder nachzuweisen verspricht (§ 176 Rdn. 65 ff), auf das die andere Person dann einwirken soll. S. zur Kritik an der Vorverlagerung und am nicht unrechtsangepassten Strafrahmen Rdn. 4. Nicht erfasst ist, wenn einem potentiellen Missbrauchstäter angekündigt wird, ein Kind aus dem eigenen Bekannten- oder Familienkreis von Angesicht zu Angesicht zu beeinflussenden Gesprächen vorzustellen – das geplante Einwirken auf das Kind müsste durch Informations- und Kommunikationstechnik (oder andere Inhalte nach § 11 Abs. 3) erfolgen.
IV. Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzumessung; Konkurrenzen; Verjährung 1. Täterschaft und Teilnahme Das Einwirken nach § 176b Abs. 1 ist kein eigenhändiges Delikt, d.h. mittelbare Täterschaft 15 und Mittäterschaft sind möglich. Dasselbe gilt für Anbieten und Versprechen des Nachweises. Da bei einem Verabreden allerdings die Verbindlichkeit (und damit Gefährlichkeit) der Vereinbarung stark personengebunden ist, ist hier die Vertretung durch einen Tatmittler nicht möglich. Da Einwirken wie Bestimmen eine Tathandlung ist, die nicht durch Unterlassen begangen werden kann (Unterlassen entspricht hier Tun nicht, § 13),28 ist auch ein Beschützergarant, der die Einwirkung nicht verhindert, nur wegen Beihilfe durch Unterlassen zu bestrafen.
2. Versuch Beim Cybergrooming war zunächst der Versuch nicht strafbar, weil der Gesetzgeber im Jahr 16 2003 wegen der ohnehin weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit dafür offenbar kein Bedürfnis sah. In der Strafverfolgungspraxis zeigte sich allerdings, dass es bestimmte Konstellationen des untauglichen Versuchs gibt, bei denen Straflosigkeit als problematisch angesehen wird, nämlich wenn der Täter auf eine andere Person i.S.d. § 176b Abs. 1 einwirkt, von der er glaubt, dass es sich um ein Kind handelt, während tatsächlich Ermittlungsbeamte mit einer Alias-Identität nach potentiellen Sexualstraftätern suchen oder der Gesprächspartner z.B. ein Jugendlicher ist, der den Vorgang den Ermittlungsbehörden anzeigt (BTDrucks. 19/13836 S. 9). Angesichts des Gefahrenpotentials durch Täter, die in der Anonymität des Netzes systematisch nach Kindern suchen, führte das 57. StÄG in § 176 Abs. 6 S. 2 a.F. (nunmehr § 176b Abs. 3) die Strafbarkeit für diese Variante des untauglichen Versuchs ein.29 Voraussetzung ist, dass der Täter irrig annahm, auf ein Kind einzuwirken und nur deshalb die Tat nicht vollenden konnte. Die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen (abgeschlossenes Einwirken und die erforderlichen Absichten des Täters, Rdn. 10 ff) müssen tatsächlich vorliegen. Nicht erforderlich für die Versuchsstrafbarkeit ist, dass die Kommunikationsakte des Täters, die gegenüber einem Kind Einwirken i.S.v. § 176b 28 Renzikowski MK § 176 Rdn. 45. 29 Krit. Baumhöfener MMR 2021 30, 31 ff; Schneider KriPoZ 2020 137, 141 ff; van Enderen NJW 2020 1033, 1034 ff. 145
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Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern
Abs. 1 wären, von einem Menschen unmittelbar wahrgenommen werden – es würde genügen, wenn ein Computerprogramm mit dem Täter kommuniziert und ihm vortäuscht, dass er es mit einem Kind zu tun habe.
3. Strafzumessung 17 Der Strafrahmen in § 176b sieht nach wie vor, wie schon § 176 Abs. 4 Nr. 3 nach dem SexualdelÄndG v. 27.12.2003, Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. Bei der Bewertung des Gefährdungsunrechts (bzw. des Handlungsunrechts beim strafbaren untauglichen Versuch) im Einzelfall kommt es zum einen auf die subjektiven Absichten des Täters an, d.h. darauf, wie eingriffsintensiv geplante sexuelle Handlungen wären. Geplante erhebliche Missbrauchstaten am Kind wiegen deutlich schwerer als die Absicht, sich ein Foto von einem posierenden Kind schicken zu lassen. Zum anderen kommt es auf die Intensität der erfolgten Einwirkung an. Bei einer Verurteilung nach § 176b Abs. 2 ist zu berücksichtigen, wie konkret Anbieten oder Versprechen im Hinblick auf nachfolgende Aktivitäten nach Abs. 1 waren.
4. Konkurrenzen 18 Soweit die durch Einwirkung vorbereitete Missbrauchstat tatsächlich ausgeführt wird, tritt das subsidiäre Vorbereitungsdelikt in § 176b Abs. 1, Abs. 2 hinter eine Tat nach § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 1 Nr. 2, § 176c zurück.30 Dies gilt allerdings dann nicht, wenn das Einwirken mittels pornographischer Inhalte erfolgte, da hierin zusätzliches Unrecht liegt (insoweit aA BGH BeckRS 2019 3385). Wenn eine Verabredung nach § 176b Abs. 2 nicht nur zur Einwirkung, sondern auch zu einem Missbrauchsdelikt nach § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 1 Nr. 2, § 176c geführt hat, bleibt die Strafbarkeit wegen der Verabredung auch für den Täter des Missbrauchsdelikts bestehen, da die Involvierung oder Bestärkung weiterer Personen Gefahren oder Rechtsverletzungen vergrößert. Zwischen § 176b Abs. 1 und § 176a Abs. 1 Nr. 3, § 184 Abs. 1 Nr. 1 und § 184b Abs. 1 Nr. 2 ist Tateinheit möglich, ebenso mit den §§ 240, 241.
5. Verjährung 19 Taten nach § 176b verjähren gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 nach fünf Jahren. Die Anordnung des Ruhens von Verjährung in § 78b Abs. 1 Nr. 1 schließt auch Delikte nach § 176b ein.
30 BGH bei Pfister NStZ-RR 2019 362; Renzikowski MK § 176 Rdn. 71; Sch/Schröder/Eisele § 176 Rdn. 26. Hörnle
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§ 176c Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (1) Der sexuelle Missbrauch von Kindern wird in den Fällen des § 176 Absatz 1 Nummer 1 und 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn 1. der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist, 2. der Täter mindestens achtzehn Jahre alt ist und a) mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, oder b) das Kind dazu bestimmt, den Beischlaf mit einem Dritten zu vollziehen oder ähnliche sexuelle Handlungen, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, an dem Dritten vorzunehmen oder von diesem an sich vornehmen zu lassen, 3. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird oder 4. der Täter das Kind durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt. (2) Ebenso wird bestraft, wer in den Fällen des § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2, des § 176a Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 oder Absatz 3 Satz 1 als Täter oder anderer Beteiligter in der Absicht handelt, die Tat zum Gegenstand eines pornographischen Inhalts (§ 11 Absatz 3) zu machen, der nach § 184b Absatz 1 oder 2 verbreitet werden soll. (3) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer das Kind in den Fällen des § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt. (4) 1In die in Absatz 1 Nummer 1 bezeichnete Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. 2 Eine Tat, die im Ausland abgeurteilt worden ist, steht in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 einer im Inland abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine solche nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 wäre.
Schrifttum von Danwitz Strafschärfungen für Rückfalltaten: Ein Rückfall des vorgewarnten Gesetzgebers? KritV 2005 255; Eschelbach/Krehl Art. 103 Abs. 3 GG und Rechtsanwendung, Festschrift für Kargl, 2. Aufl. (2020) 81; Folkers §§ 176a II Nr. 1, 177 II 2 Nr. 2, JR 2007 11; Labitzky Die Strafrahmenschärfung bei Rückfall nach § 176a Abs. 1 StGB, Diss. Bochum 2006; Strauß Anmerkung zu BGHSt 66 105, JR 2022 265. Vgl. außerdem die Schrifttumsangaben bei § 176 und Vor § 174.
Entstehungsgeschichte Ein eigener Verbrechenstatbestand mit der Überschrift „Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern“ (nun § 176c, vormals § 176a) wurde durch das 6. StrRG vom 26.1.1998 geschaffen (Vor § 174 Rdn. 17). Zuvor gab es in § 176 a.F. einen von einem Jahr bis zu zehn Jahren reichenden Strafrahmen für besonders schwere Fälle (§ 176 Abs. 4 a.F.), der zwei Regelbeispiele enthielt (Vollzug des Beischlafs und schwere körperliche Misshandlung). Die Regelbeispielstechnik wurde aufgegeben und stattdessen zahlreiche Qualifikationen eingeführt, überwiegend mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe, die Höchststrafe wurde von zehn auf fünfzehn Jahre angehoben. Neu war, dass Wiederholungstaten Verbrechen wurden (§ 176a Abs. 1 Nr. 4 i.d.F. des 6. StrRG). Außerdem wurde ein neuer Tatbestand geschaffen, der zwei Jahre Freiheitsstrafe als Mindeststrafe vorsieht, wenn die Tat Gegenstand einer pornographischen Schrift (§ 11 Abs. 3 a.F.) werden soll, und eine mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Qualifikation bei schwerer körperlicher Misshandlung des Kindes oder der Herbeiführung einer Todesgefahr eingeführt. Seit dem SexualdelÄndG v. 27.12.2003 (Vor § 174 Rdn. 21) gilt eine Mindeststrafe von zwei Jahren (statt zuvor einem Jahr) Freiheitsstrafe für die Qualifikationen, die nunmehr in § 176c Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 4 enthalten sind (Beischlaf
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§ 176c
Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern
und ähnliche sexuelle Handlungen; gemeinschaftliche Begehung; Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer Schädigung der Entwicklung). Ein Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle wurde zunächst in Absatz 4 a.F. beibehalten, allerdings nicht für die Taten, die Gegenstand eines kinderpornographischen Inhalts werden sollten. Die nächsten Änderungen erfolgten mit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 (Vor § 174 Rdn. 29). Aus § 176a wurde § 176c. Zum Erschwerungsgrund „Beischlaf oder ähnliche sexuelle Handlungen mit dem Täter“ kam die Variante „Bestimmen zum Beischlaf oder ähnlichen sexuellen Handlungen mit Dritten“ hinzu, § 176c Abs. 1 Nr. 2 b. Damit wurde eine Empfehlung der Reformkommission zum Sexualstrafrecht umgesetzt.1 Die Mindeststrafe im Sonderstrafrahmen für einschlägig vorverurteilte Täter wurde von einem auf zwei Jahre Freiheitsstrafe verdoppelt, und die vormaligen Absätze 1 und 2 zu einem Absatz (§ 176c Abs. 1) zusammengefasst. Eine weitere Straferhöhung ergibt sich daraus, dass der Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle (vormals § 176a Abs. 4) aufgehoben wurde.
Übersicht I.
Qualifikation und Grundtatbestand
II. 1.
Die qualifizierenden Umstände in Absatz 1 Die Rückfallklausel (Absatz 1 Nr. 1) 2 a) Normzweck 5 b) Objektiver Tatbestand 13 c) Subjektiver Tatbestand; Schuld Eindringen in den Körper (Absatz 1 Nr. 2) 14 a) Normzweck 16 b) Objektiver Tatbestand 23 c) Subjektiver Tatbestand Gemeinschaftliche Begehung der Tat (Absatz 1 Nr. 3) 24 a) Normzweck 25 b) Objektiver Tatbestand 28 c) Subjektiver Tatbestand Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung (Absatz 1 Nr. 4) 29 a) Normzweck 30 b) Objektiver Tatbestand 35 c) Subjektiver Tatbestand Täterschaft und Teilnahme 36 a) § 176c Abs. 1 Nr. 1 37 b) § 176c Abs. 1 Nr. 2–4 40 Versuch Strafzumessung 42 a) Gesetzlicher Strafrahmen b) Bestimmung der Tatschwere 44 aa) § 176c Abs. 1 Nr. 1
2.
3.
4.
5.
6. 7.
1 8. III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. IV.
bb) § 176c Abs. 1 Nr. 2 cc) § 176c Abs. 1 Nr. 3, 4 Fassung des Schuldspruchs
45 47 48
Absicht, die Tat zum Gegenstand eines pornographischen Inhalts zu machen (Absatz 2) 49 Normzweck 51 Objektiver Tatbestand 53 Subjektiver Tatbestand 57 Täterschaft und Teilnahme 61 Versuch 62 Schuldspruch und Strafzumessung
3. 4. 5. 6.
Schwere körperliche Misshandlung; Gefahr des Todes (Absatz 3) 63 Normzweck 64 Objektiver Tatbestand 65 a) Zeitliche Grenzen 66 b) Schwere körperliche Misshandlung 69 c) Gefahr des Todes 70 Subjektiver Tatbestand 71 Täterschaft und Teilnahme 72 Versuch 73 Schuldspruch und Strafzumessung
V. 1. 2. 3.
Konkurrenzen 74 Verhältnis zum Grunddelikt 76 Innerhalb des § 176c Verhältnis zu anderen Tatbeständen
VI.
Verjährung
1. 2.
77
78
I. Qualifikation und Grundtatbestand 1 § 176c enthält eine Reihe von Qualifikationen zu § 176. Diese Qualifikationen beschreiben Verbrechen (§ 12 Abs. 1). § 176c Abs. 1 und Abs. 3 nennen als Grundtatbestände § 176 Abs. 1 Nr. 1 1 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 320 f. Hörnle
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II. Die qualifizierenden Umstände in Absatz 1
§ 176c
und Nr. 2, also nur die Varianten, in denen sexueller Körperkontakt des Opfers mit dem Täter oder Dritten bestand. § 176c Abs. 2 (pornographische Absichten) schließt außerdem Taten ohne Körperkontakt nach § 176a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ein, auch in der Form eines Versuchs.
II. Die qualifizierenden Umstände in Absatz 1 1. Die Rückfallklausel (Absatz 1 Nr. 1) a) Normzweck. Sexueller Missbrauch von Kindern, der unter § 176 Abs. 1 oder Abs. 2 fällt, führt 2 zu einer verdoppelten Mindeststrafe (nunmehr zwei Jahre, zuvor ein Jahr Freiheitsstrafe), wenn der Täter eine einschlägige Vorstrafe aufweist. Der Rechtsausschuss, der bei den Beratungen zum 6. StrRG v. 26.1.1998 die Rückfallklausel vorschlug, begründete nicht, warum eine Einstufung als Verbrechen erforderlich sei (BTDrucks. 13/9064 S. 11). Die Reformkommission zum Sexualstrafrecht hat sich zu dieser Straferhöhungsklausel kritisch geäußert, weil es sich um einen systemwidrigen Fremdkörper im StGB handelt.2 Eine Strafrahmenerhöhung für Rückfalltäter kennt das StGB außer in § 176c seit Langem nicht mehr. Die allgemeine Rückfallvorschrift in § 48 a.F. wurde 1986 abgeschafft.3 Es trifft nicht zu, dass ein Rückfall den Unrechtsgehalt der aktuell zu beurteilenden Tat steigere.4 Das Unrecht wird durch das Ausmaß der Schädigung und ggf. der konkreten Gefährdung oder Demütigung des Kindes geprägt, nicht aber durch vergangene Vorfälle. Die Argumentation, dass es aus präventiven Gründen vertretbar sei, bei Intensivtätern das Unrecht höher zu bewerten (so Frommel NK Rdn. 9), verwechselt die Kategorien. Unrechtsbewertung ist von präventiven Kriterien unabhängig. In der Begründung des Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 wird zur Verdoppelung der Mindeststrafe angeführt, dass von Rückfalltätern „in der Regel eine besondere Gefahr ausgehe, die sich aus spezialpräventiven Gründen in einer erhöhten Strafdrohung widerspiegeln soll“ (BTDrucks. 19/23707 S. 39). Zu den empirischen Annahmen, die in dieser Behauptung stecken (besondere Gefahr; präventive Effizienz durch Individualabschreckung), gibt es weder nähere Ausführungen noch einen Verweis auf empirische Forschung. Ob eine solchermaßen oberflächliche Begründung ausreicht, ist spätestens dann fraglich, wenn Tatgerichte wegen der Bindung an eine hohe Mindeststrafe nicht mehr schuldangemessen strafen können. Die Grenzen des verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatzes werden erreicht, wenn bei einer nur knapp über der Erheblichkeitsschwelle liegenden, einmaligen sexuellen Berührung eines Kindes eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt werden muss.5 Angreifbar ist auch die Annahme, dass eine einschlägige Vorstrafe die Schuld des Täters 3 erhöhe.6 Zu der vormaligen allgemeinen Rückfallvorschrift in § 48 a.F. hatte zwar das BVerfG angemerkt, dass eine Verurteilung „Hemmungsimpulse setze“ und deshalb der Täter, der danach erneut straffällig werde, mit vermehrter Schuld handle (BVerfGE 50 125, 134). Als Beschreibung realer Handlungsbedingungen ist dies jedoch schwerlich plausibel. Man überschätzt die verhaltenssteuernde Kraft einer strafgerichtlichen Verurteilung, wenn man sich davon für die Zukunft Tatbarrieren verspricht. An anderer Stelle legt die Rspr. die gegenteilige Annahme zugrunde, dass Gewöhnung Hemmschwellen absenke (s. z.B. BeckRS 2021 13974; zur Hemmschwellentheorie § 176 Rdn. 39). Die Verpflichtung, sich an Strafnormen zu halten und Kinder 2 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 322 f. Krit. auch Sch/Schröder/ Eisele § 176a Rdn. 3. 3 Mit dem 23. StÄG v. 13.4.1986, BGBl. I S. 393. 4 von Danwitz KritV 2005 258. 5 Hoven/Obert JA 2021 441, 448 schlagen als kriminalpolitische Lösung vor, die Vorverurteilung zu einem Regelbeispiel zu machen, was erlauben würde, atypische Fälle unrechtsangemessen zu bestrafen. 6 von Danwitz KritV 2005 258 f; Funcke-Auffermann Symbolische Gesetzgebung im Lichte der positiven Generalprävention (2007) S. 141 f; Hörnle Tatproportionale Strafzumessung (1999) S. 161 ff. 149
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§ 176c
Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern
nicht sexuell zu missbrauchen, ist nicht steigerbar – sie besteht stets im selben Maße, für potenzielle Täter ohne Vorstrafen genauso wie für die mit solchen. Das „Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung“ anzuführen7 bedeutet, Straferhöhungen mehr oder weniger offen mit der stark verbreiteten Abneigung gegen bestimmte Tätergruppen („Kinderschänder“) zu argumentieren. 4 Mit der Intention, den Anwendungsbereich von § 176c Abs. 1 Nr. 1 einzuschränken, wird in der Lit. eine Prüfung des Einzelfalles gefordert: Maßgeblich sei, ob dem Angeklagten im Hinblick auf Art und Umstände der Tat vorzuwerfen sei, dass er sich frühere Verurteilungen nicht habe zur Warnung dienen lassen (Renzikowski NStZ 1999 441).8 Zur Begründung wird auf das Urteil des BVerfG zu § 48 a.F. verwiesen, demzufolge die Vereinbarkeit dieser Norm mit dem Schuldgrundsatz davon abhänge, ob die Missachtung der „Hemmschwelle“, die eine frühere Verurteilung angeblich aufstelle, vorwerfbar war (BVerfGE 50 125, 136). Der Vorschlag, mit einer Einzelfallkontrolle die Anwendung von § 176c Abs. 1 Nr. 1 ggf. abzuwenden, führt allerdings nicht viel weiter: Da § 176c Abs. 1 Nr. 1 (anders als § 48 a.F.) eine in relativ knappem zeitlichen Abstand verhängte Vorstrafe wegen desselben Delikts voraussetzt, würde in der Regel eine warnende Wirkung bejaht.9
5 b) Objektiver Tatbestand. Der als Wiederholungstat zu beurteilende sexuelle Missbrauch muss unter § 176 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 fallen; d.h., es ist sexueller Körperkontakt mit dem Kind erforderlich. Taten nach § 176 Abs. 1 Nr. 3, § 176a und § 176b sind auch bei einschlägigen Vorverurteilungen nicht von § 176c Abs. 1 Nr. 1 erfasst.10 Die Art des Delikts, das der vorangegangenen Verurteilung zugrunde liegen muss, wird 6 ebenfalls mit Verweis auf § 176 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 beschrieben („wegen einer solchen Straftat“ heißt es in § 176c Abs. 1 Nr. 1). Eine Vorverurteilung wegen einer Handlung ohne Körperkontakt fällt also nicht unter die Qualifikation in § 176c Abs. 1 Nr. 1. Der Wortlaut besagt allerdings nicht explizit, ob auch ein zurückliegendes Urteil nach § 176c oder § 176d genügt, um bei einem erneuten Delikt ggf. die Rechtsfolge des § 176c Abs. 1 Nr. 1 auszulösen. Dies ergibt sich aber bei allen Missbrauchstaten mit Körperkontakt, für die eine frühere Verurteilung vorliegt, aus einem argumentum a fortiori: Auch die Verurteilung wegen eines schweren sexuellen Missbrauchs und sexuellen Missbrauchs mit Todesfolge führen bei einer nachfolgenden Tat zur Anwendbarkeit von § 176c Abs. 1 Nr. 1. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre aus § 176c Abs. 2 verurteilt wurde und dabei nur Missbrauch ohne Körperkontakt Gegenstand eines pornographischen Inhalts wurde oder werden sollte. 7 Vorverurteilungen wegen Teilnahme an einem sexuellen Missbrauch genügen für die Anwendung von § 176c Abs. 1 Nr. 1.11 Die Gesetzesmaterialien setzen eine Vorverurteilung als Teilnehmer einer solchen als Täter gleich (BTDrucks. 13/9064 S. 11) und auch die Rspr. deutet in diese Richtung (BGH NStZ 2002 198, 199). Dafür spricht, dass das Gesetz ansonsten auch nicht immer zwischen eigenen sexuellen Handlungen und Unterstützungshandlungen differenziert: § 176 Abs. 1 Nr. 2 erfasst (als täterschaftliches Handeln) mit gleichem Strafrahmen wie für § 176 Abs. 1 Nr. 1 Verhalten, das der Sache nach nur Unterstützung von sexuellem Missbrauch durch einen anderen ist. Ferner genügt eine Vorverurteilung wegen einer versuchten Tat.12 In den Gesetzesmaterialien findet sich die klare Aussage, dass auch Vorverurteilungen wegen Versuchs eingeschlossen seien (BTDrucks. 13/9064 S. 11). 7 So die Stellungnahme des Bundesrates zum 6. StrRG, BTDrucks. 13/8587 S. 58. 8 Ebenso Renzikowski MK § 176a Rdn. 14; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 3. AA Lackner/Kühl/Heger § 176a Rdn. 2; Wolters SK § 176a Rdn. 7; Wolters GA 2008 735. 9 BGH NStZ 2002 198, 199; Amelung/Funcke-Auffermann StraFo 2004 266; Wolters GA 2008 735. 10 BGH bei Pfister NStZ-RR 2007 362. 11 Fischer § 176a Rdn. 3; Lackner/Kühl/Heger § 176a Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 4. AA Frommel NK § 176a Rdn. 9; Renzikowski MK § 176a Rdn. 15; Wolters SK § 176a Rdn. 7. 12 Lackner/Kühl/Heger § 176a Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 4. Hörnle
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II. Die qualifizierenden Umstände in Absatz 1
§ 176c
Die Vorverurteilung muss rechtskräftig sein. Bei einem noch laufenden Rechtsmittelverfahren ist für einen nachfolgenden sexuellen Missbrauch § 176c Abs. 1 Nr. 1 nicht anzuwenden (BGH NJW 2010 2742 f). Ob der Täter zu Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt wurde, spielt keine Rolle (BTDrucks. 13/9064 S. 11). Auch Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts werden erfasst.13 Tilgungsreife Vorstrafen dürfen nicht berücksichtigt werden (BGH NStZ 2016 468), was angesichts der langen Tilgungsfristen in § 46 Abs. 1 Nr. 1a bis Nr. 3 BZRG keine große praktische Relevanz mehr haben dürfte. Es genügt, dass in den zurückliegenden fünf Jahren gegen einen schuldunfähigen Täter eine Maßregel verhängt wurde.14 Zwar verwendet § 176c Abs. 1 Nr. 1 den Begriff „verurteilt“, was gegen die Einbeziehung von Maßregelanordnungen sprechen könnte, da in den §§ 63 ff zwischen „zu Strafe verurteilen“ und „Maßregeln anordnen“ differenziert wird. In § 176c Abs. 4 S. 2 findet sich aber der weitere Begriff „abgeurteilt“. Innerhalb des vom BVerfG skizzierten Konzepts (BVerfGE 50 125, 134 ff) kommt es nur auf Schuldfähigkeit bei der Wiederholungstat an. Entscheidend soll sein, dass der nunmehr Schuldfähige sich nicht durch das Wissen habe warnen lassen, dass er schon einmal etwas Rechtswidriges getan hat und ihm diese rechtswidrige Tat durch ein Gericht zur Last gelegt wurde (auch eine Maßregelverhängung beinhaltet ein Unwerturteil wegen einer rechtswidrigen Tat).15 Das vorangegangene Strafurteil muss nicht von einem deutschen Gericht gefällt worden sein. Gem. Absatz 4 Satz 2 steht eine Aburteilung im Ausland dem inländischen Urteil gleich, wenn der Sachverhalt nach deutschem Recht unter § 176 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 zu fassen gewesen wäre. Nicht erforderlich ist, dass der Täter Deutscher ist oder sonst ein Anknüpfungspunkt bestand, der bei der zurückliegenden Tat die Anwendung deutschen Rechts ermöglicht hätte. Die in der Vergangenheit abgeurteilte Tat ist für die Anwendung des § 176c Abs. 1 Nr. 1 allein unter dem Aspekt der „Warnungsfunktion“ relevant. Missverständlich ist deshalb der Verweis auf einen „hypothetischen Weltrechtsgrundsatz“.16 Damit aus einem ausländischen Schuldspruch eine Warnung abgeleitet werden kann, muss das damalige Verfahren bestimmten Qualitätsansprüchen genügt haben: Die Feststellungen müssen nachvollziehbar sein und rechtsstaatliche Mindeststandards beachtet worden sein;17 außerdem muss die Entscheidung zu Rechtskraft führen. Zwischen der zu beurteilenden Tat und der vorausgegangenen Verurteilung dürfen nicht mehr als fünf Jahre liegen. Unbeachtlich ist, ob die der Vorverurteilung zugrunde liegenden Taten vor der Einführung des § 176c (§ 176a a.F. im 6. StrRG v. 26.1.1998) begangen wurden.18 Umstr. ist, ab welchem Zeitpunkt diese Frist beginnt. Teilweise wird angenommen, dass es auf die letzte Tatsachenverhandlung ankomme.19 Jedoch liegt § 176c Abs. 1 Nr. 1 die Annahme zugrunde, dass der Schuldspruch eine Hemmschwelle vor erneuter Straffälligkeit errichte. Deshalb ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem ein wirksamer Schuldspruch vorlag, was beim Eintritt der Rechtskraft der Fall ist.20 Wird der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt, beginnt die Fünf-Jahres-Frist erst am Tag der Entlassung (Abs. 4 Satz 1). Eine Verwahrung kann Untersuchungshaft, Vollzug von Freiheits- und Jugendstrafe, Jugendarrest oder Unterbringung im Maßregelvollzug sein, aber auch eine Unterbringung nach Landesrecht. Folgte allerdings auf Untersuchungshaft in anderer Sache ein Freispruch, so hemmt die dort verbrachte Zeitspanne nicht den Fristablauf, sondern ist einer Bewährung in Freiheit gleichzusetzen.
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Lackner/Kühl/Heger § 176a Rdn. 2; Wolters SK § 176a Rdn. 9. AA Fischer § 176a Rdn. 2; Renzikowski MK § 176a Rdn. 16; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 4. So auch Frommel NK § 176a Rdn. 9. So Fischer § 176a Rdn. 3. Wie hier Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 4a. Renzikowski MK § 176a Rdn. 18; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 4a. BGH bei Pfister NStZ-RR 2007 362. Fischer § 176a Rdn. 2; Renzikowski MK § 176a Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 5. Frommel NK § 176a Rdn. 9; Wolters SK § 176a Rdn. 11. Hörnle
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Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern
13 c) Subjektiver Tatbestand; Schuld. Damit die Konstruktion eines erhöhten Schuldvorwurfs aufgrund der Warnfunktion einer rechtskräftigen Vorverurteilung in sich stimmig (wenn auch kritikwürdig, Rdn. 2 f) ist, muss der Täter insoweit Wissen gehabt haben. Bedingter Vorsatz würde nicht ausreichen.21 War die Schuldfähigkeit des Täters bei der aktuell zu beurteilenden Wiederholungstat wegen eines Zustands nach § 21 erheblich gemindert, ist § 176c Abs. 1 Nr. 1 nicht anzuwenden. Bei geminderter Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit wird vermutet, dass der Täter durch die Warnfunktion einer Vorverurteilung nicht zu erreichen wäre (BVerfGE 50 125, 136).
2. Eindringen in den Körper (Absatz 1 Nr. 2) 14 a) Normzweck. Beischlaf und beischlafsähnliche sexuelle Praktiken erhöhen das Erfolgsunrecht beträchtlich. Bereits das Eindringen in den Körper eines anderen bedeutet (unabhängig von zusätzlich erlittenen Verletzungen und Schmerzen) einen intensiven Einbruch in die Intimsphäre und eine besonders gewichtige Missachtung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung. Geschützt wird außerdem das Recht auf körperliche Integrität und Gesundheit. Dieser Aspekt ist bei Kindern noch wichtiger als bei körperlich ausgereiften Opfern von Sexualdelikten, da bei ihnen Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit (etwa Risse in den Schleimhäuten) und Schmerzen oder körperliches Unbehagen mit größerer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. 15 Anders als bei den Regelbeispielen in § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 sind in § 176c ähnliche erniedrigende Handlungen nicht erfasst, obwohl diese Intimsphäre und Menschenwürde ebenfalls erheblich verletzen können. Wenig sinnvoll ist auch, dass die Selbstpenetration des Opfers auf Anweisung des Täters zwar unter § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, aber nicht unter § 176c Abs. 1 Nr. 2 fällt,22 obwohl bei der Verwendung entsprechender Gegenstände erhebliche Verletzungen entstehen können. Hinter der unterschiedlichen Behandlung solcher Umstände in § 176c einerseits, § 177 andererseits steht kein erkennbarer Sinn. Im Ergebnis lassen allerdings die hohen Strafrahmen in § 176 und § 176a genügend Spielraum, um bei der Bewertung des Unrechts einer konkreten Tat erniedrigende und gefährliche Tatmodalitäten angemessen zu berücksichtigen.
16 b) Objektiver Tatbestand. Täter eines Verbrechens nach § 176c Abs. 1 Nr. 2 können nur Personen über achtzehn Jahren sein.23 Dass jugendliche Täter nicht erfasst werden, ist nachvollziehbar.24 Anderenfalls wäre der beiderseitig gewollte Oral- oder Geschlechtsverkehr z.B. von Vierzehnjährigen mit ihrer dreizehnjährigen Freundin oder ihrem dreizehnjährigen Freund mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu bestrafen (s. BTDrucks. 13/8587 S. 32). Wenn Jugendliche an einem wehrlosen, deutlich jüngeren Kind nicht einvernehmliche penetrierende Handlungen vornehmen, ist bei der Bemessung einer Jugendstrafe wegen einer Tat nach § 176 Abs. 1 zu berücksichtigen, dass die Gründe der Privilegierung jugendlicher Täter in § 176c Abs. 1 Nr. 2 nicht zutreffen. 17 Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 hat in § 176c Abs. 1 Nr. 2 b eine Ergänzung eingeführt, wenn der Täter das Kind zum Beischlaf mit einem Dritten bestimmt, oder dazu, andere Formen des Eindringens an einem Dritten vorzunehmen oder von dem Dritten an sich vornehmen zu lassen.25 Dabei handelt es sich um eine sinnvolle Ergänzung, die dem Umstand Rechnung trägt, dass es für die Missachtung des Rechts auf sexu21 22 23 24 25
Renzikowski MK § 176a Rdn. 19. AA Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 6. Wagner NStZ 2021 592, 596. S. zum Vorschlag, diese Altersgrenze auf 21 Jahre anzuheben, Franzke S. 341. S. aber auch Gössel Das neue Sexualstrafrecht § 6 Rdn. 40: Es handle sich um eine fragwürdige Privilegierung. S. zu einem entsprechenden Vorschlag Wolters FS Fischer 583, 592.
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II. Die qualifizierenden Umstände in Absatz 1
§ 176c
elle Selbstbestimmung keine Rolle spielt, wer den körperlichen Vollzug vornimmt. Dritter kann auch ein Kind oder eine schuldfähige Person sein (§ 176 Rdn. 15). Nach altem Recht hatte der BGH geurteilt, dass volljährige Täter, die ein Kind zum Beschlaf mit einem Dritten bestimmen, nicht nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 a.F. zu bestrafen seien, wenn der Vollzug des Beischlafs durch einen Jugendlichen erfolgte (BGH NStZ 2005 152, 153; NStZ 2020 408). Diese Rspr. ist durch die Änderung des Gesetzes überholt. Der Beischlaf ist vollzogen, wenn das männliche Glied in die weibliche Scheide oder den 18 Scheidenvorhof26 (dazu § 177 Rdn. 232) eingedrungen ist. Eine ähnliche sexuelle Handlung setzt nicht unbedingt äußerliche Ähnlichkeit mit dem Bewegungsablauf beim Beischlaf voraus, sondern es ist entscheidend, dass das Ausmaß der Verletzung der Intimsphäre mit einem Beischlaf vergleichbar ist (BGHSt 59 263, 270)27 und diese ebenfalls von einem Eindringen in den Körper herrührt. Ein Beispiel ist Analverkehr.28 Nicht jede Form dessen, was alltagssprachlich „Oralverkehr“ genannt wird, fällt unter § 176c Abs. 1 Nr. 2: Entscheidend ist, ob damit ein Eindringen in den Körper verbunden ist (BGH NStZ 2000 27, 28; BGHSt 53 118, 119). Dies ist bei Betätigung am männlichen Geschlechtsorgan der Fall, wenn dieses in den Mund genommen wird. Bei oraler Betätigung an weiblichen Genitalien kommt es darauf an, ob der von den inneren Schamlippen umschlossene Scheidenvorhof berührt wird29 (§ 177 Rdn. 232). Ferner kann es genügen, dass das Eindringen in den Körper mit einem Finger30 oder einem 19 anderen Körperglied oder einem Gegenstand31 erfolgt, und zwar auch, wenn dabei Stoff aus der Kleidung des Opfers mit in die Vagina oder eine andere Körperöffnung gedrückt wird.32 Während sich bei der Penetration der weiblichen Sexualorgane oder dem Eindringen eines Penis in eine sonstige Körperöffnung die sexuelle Bedeutung von selbst ergibt, muss bei einem Eindringen im Übrigen der objektive Sexualbezug festgestellt werden (ein nur subjektiv vom Täter hergestellter Bezug würde nicht ausreichen). Außerdem ist zu prüfen, ob es sich um eine dem Beischlaf vergleichbare, erhebliche Verletzung der Intimsphäre handelte.33 Zu verneinen ist Letzteres bei einem Zungenkuss (BGHSt 56 223, 224 ff; NJW 2000 672),34 anders zu beurteilen wäre das Eindringen mit der Zunge in Vagina oder Anus. Nicht erfasst ist das Eindringen mit einem Finger in den Mund (BGH StV 2019 536). Eindringen in den Körper können außer dem Penis des Täters, anderen Körperteilen oder 20 festen Gegenständen auch weiche Substanzen und Flüssigkeiten (der Wortlaut des Gesetzes setzt nicht voraus, dass der Täter mit seinem eigenen Körper in das Opfer eindringt, sondern nur, dass etwas in den Körper des Opfers gelangt, BGHSt 59 263, 268). Wenn es sich um eine erhebliche sexuelle, beischlafähnliche (Rdn. 18) Handlung handelt, liegt auch unter solchen Umständen eine Tat nach § 176c Abs. 1 Nr. 2 vor. Dies ist der Fall, wenn der Täter (ohne Eindringen des Penis) in den Mund des Opfers Sperma spritzt (BGHSt 53 118, 120 f; BGHSt 59 263, 268) oder in den Mund uriniert (BGHSt 59 263, 267 ff); dasselbe gilt für das Eindringen von Körperflüssigkeiten in andere Körperöffnungen.35 Erforderlich ist, dass Sperma oder andere Flüssigkeiten als bewusster Teil des Sexualgeschehens eingesetzt werden – nicht erfasst ist, 26 BGHSt 16 175, 177; 37 153, 154; 46 176; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 354 f; NStZ-RR 2004 354. 27 Fischer § 176a Rdn. 7; Renzikowski NStZ 2000 367; Renzikowski MK § 176a Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 8b. AA Eschelbach/Krehl FS Kargl 81, 88 f; Wolters SK § 176a Rdn. 18. 28 Ebenso BGH NJW 2000 672; BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 353; Eschelbach/Krehl FS Kargl 81, 88. 29 S. BGH NStZ-RR 2007 195, 196; Beck-RS 2022 1814. 30 BGHSt 56 223, 224 f; 59 263, 269; BGH NJW 2000 672; NStZ 2004 440, 441; NStZ 2005 152, 153; NStZ-RR 2007 195, 196; NStZ 2008 474. AA Folkers JR 2007 15. 31 BGHSt 59 263, 269; BGH BeckRS 2014 7394 (Vibrator); LG Bonn BeckRS 2019 33843 (Möhre). 32 BGH NJW 2000 672. 33 Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 8b; generell gegen eine Subsumtion unter § 176c Abs. 1 Nr. 2 beim Eindringen in den Mund Renzikowksi NStZ 2000 367; ders. MK § 176a Rdn. 23. 34 Brockmann S. 323 ff; Eschelbach/Krehl FS Kargl 81, 88; Fischer § 176a Rdn. 8a; Renzikowski MK § 176a Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 8b; Wolters SK § 176a Rdn. 18. 35 AA Eschelbach/Krehl FS Kargl 81, 88 ff; Wolters SK § 176a Rdn. 18. 153
Hörnle
§ 176c
Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern
wenn als Nebenfolge anderer sexueller Handlungen Sekrete in eine Körperöffnung des Opfers laufen (BGH StV 2020 472). 21 Aus der Formulierung „an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt“ ergibt sich, dass aktives und passives Verhalten erfasst werden.36 § 176c Abs. 1 Nr. 2 umfasst sowohl die aktive Vornahme von Beischlaf und Analverkehr durch den Täter als auch Konstellationen, in denen Kinder zu vergleichbarem Eindringen in den Körper des Täters oder der Täterin oder eines Dritten (mit eigenen Körperteilen oder Gegenständen) bestimmt werden. Dasselbe gilt für Oralverkehr: Der Tatbestand ist erfüllt, wenn der Täter sein Glied in den Mund eines Jungen oder Mädchens einführt oder das Kind dies tun lässt; ebenso, wenn das Glied eines Jungen in den Mund des Täters gelangt (BGHSt 45 131, 133 m. zust. Anm. Hörnle NStZ 2000 310).37 Es ist nicht erforderlich, dass die penetrierende sexuelle Handlung gegen den faktischen 22 Willen des Opfers erfolgt.38 Zwar wurde erwogen, unter solchen Umständen § 176c Abs. 1 Nr. 2 nicht anzuwenden.39 Der strafrechtliche Schutz von Kindern beruht aber auf dem Prinzip der starren Altersgrenze, und sexuelle Selbstbestimmung ist nicht schon zu bejahen, wenn eine (noch) nicht urteilsfähige Person etwas faktisch wünscht oder keinen Widerwillen empfindet. Deshalb ist auch nicht erforderlich, dass die Handlung unangenehm für das Kind ist. Auch wenn z.B. ein Junge im Beischlaf mit einer Frau oder durch das Einführen seines Gliedes in den Körper eines Mannes körperliche Befriedigung findet, erfüllt der volljährige Beteiligte den Tatbestand in § 176c Abs. 1 Nr. 2 (BGHSt 45 131, 133). Innerhalb des Strafrahmens ist aber dieser Umstand strafmildernd zu berücksichtigen.
23 c) Subjektiver Tatbestand. Erforderlich ist mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der qualifizierenden Tatumstände, wobei meist Absicht i.e.S. vorliegen wird.
3. Gemeinschaftliche Begehung der Tat (Absatz 1 Nr. 3) 24 a) Normzweck. Die Begründung zum 6. StrRG v. 26.1.1998, das diesen Verbrechenstatbestand einführte, verweist nur kurz darauf, dass man sich an § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 a.F. orientiert habe (BTDrucks. 13/8587 S. 31 f). Zu § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 a.F. wurde ausgeführt, dass die Abwehrchancen des Opfers geringer seien und es regelmäßig zu besonders massiven sexuellen Handlungen komme (BTDrucks. 13/2463 S. 7). Im Zusammenhang mit § 176c Abs. 1 Nr. 3 sind „verminderte Abwehrchancen“ nicht mit „Chancen in einem körperlichen Kampf“ gleichzusetzen, da sexueller Missbrauch kein Nötigungsdelikt sein muss. Entscheidend ist vielmehr, dass die psychische Widerstandskraft des Kindes regelmäßig stärker beeinträchtigt ist, wenn ihm mehrere Personen gegenüberstehen. Außerdem wird seine Stellung als Objekt und der erniedrigende Charakter des sexuellen Missbrauchs durch die Übermacht der Tatausführenden betont,40 und wegen möglicher gruppendynamischer Prozesse drohen zusätzliche Gefahren.41
36 Brockmann S. 323. 37 Fischer § 176a Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger § 176a Rdn. 2; Renzikowski MK § 176a Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 8b; Wolters SK § 176a Rdn. 18. AA Bauer StraFo 2000 196. 38 Lackner/Kühl/Heger § 176a Rdn. 2; Renzikowski MK § 176a Rdn. 22; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 8a; Wolters SK § 176a Rdn. 20. 39 LG Oldenburg NStZ 1999 408. 40 S. auch Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 9. 41 Auf erhöhte Gefährlichkeit oder erhöhte Schutzlosigkeit des Opfers stellen auch Fischer § 176a Rdn. 9; Renzikowski MK § 176a Rdn. 25 ab. Hörnle
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II. Die qualifizierenden Umstände in Absatz 1
§ 176c
b) Objektiver Tatbestand. Täter gemeinschaftlichen Tuns können neben volljährigen Perso- 25 nen Jugendliche sein, aber auch schuldunfähige Kinder.42 Nehmen mehrere Personen im Rahmen eines einheitlichen Tatgeschehens jeweils selbst sexuelle Handlungen am Kind vor oder lassen das Kind solche an ihnen vornehmen, greift unstreitig § 176c Abs. 1 Nr. 3 ein. Außerdem genügt es, wenn ein Täter, der das Kind zu sexuellen Handlungen bestimmt hat (§ 176 Abs. 1 Nr. 2), bei den sexuellen Handlungen des anderen Täters anwesend ist, der sich nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 strafbar macht (BGHSt 59 28, 32).43 Beschränkt sich aber der Täter nach § 176 Abs. 1 Nr. 2 darauf, durch Überreden das Kind zu bestimmen, und findet erst danach in seiner Abwesenheit der eigentliche Missbrauch statt, liegt keine „gemeinschaftliche Tat“ i.S.v. § 176c Abs. 1 Nr. 3 vor.44 Die Rspr. geht für die gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4) davon aus, dass bei zwei Mittätern beide am Tatort anwesend sein müssen (BGH NStZ 2006 572, 573; noch offen gelassen in BGHSt 47 383, 387). Bei zeitlich versetzten Aktivitäten fehlt es an der verstärkten Präsenz der Angreifer, die das Unrecht vergrößert (Rdn. 24). Wenn ein Mittäter nicht physisch am Tatort anwesend ist, aber zeitgleich über eine Webcam aktiv beteiligt ist, liegt dagegen gemeinschaftliches Tun vor (aA wohl BGH NStZ-RR 2019 341: Zusammenwirken vor Ort sei erforderlich). Unter solchen Umständen besteht die Möglichkeit wechselseitiger Beeinflussung und Anstachelung. Wenn jemand als Gehilfe am Tatort den Täter unterstützt, ohne das Kind zu bestimmen 26 (§ 176 Abs. 1 Nr. 2), soll dies nach der h.M. nicht ausreichen, um § 176c Abs. 1 Nr. 3 anzuwenden. Nur täterschaftliche Begehung falle unter § 176c Abs. 1 Nr. 3 (BGHSt 59 28, 32).45 Die Einbeziehung von Teilnahmehandlungen wird abgelehnt, weil § 176c Abs. 1 Nr. 3, anders als § 224 Abs. 1 Nr. 4, das Wort „Beteiligter“ nicht enthält.46 Es ist allerdings den Materialien zum 6. StrRG v. 26.1.1998, das beide Tatbestände geschaffen hat, kein Hinweis zu entnehmen, dass die unterschiedlichen Formulierungen aufgefallen sind, geschweige denn, dass damit eine Absicht verbunden war. Der Schutzzweck der Norm in § 176c Abs. 1 Nr. 3 legt eine an der Rspr. zu § 224 Abs. 1 Nr. 4 orientierte Auslegung nahe. Die Anwesenheit eines Gehilfen genügt, wenn dieser die Wirkung der Handlung bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage für den Verletzten verschlechtern kann (BGHSt 47 383). Dies wäre etwa zu bejahen, wenn er den Täter zum Weitermachen auffordert, oder wenn derjenige, der das Geschehen mit einer Kamera aufnimmt, das Skript vorgibt oder „Regieanweisungen“ erteilt (s. den Sachverhalt BGH NStZ 2020 408; der BGH verneinte allerdings die Anwendbarkeit von § 176c Abs. 1 Nr. 3). Nicht anzuwenden wäre § 176c Abs. 1 Nr. 3 dagegen dann, wenn sich die Unterstützung durch einen Gehilfen nicht auf das Ausmaß des Unrechts auswirkt, etwa wenn dieser vor der Tür steht, um vor herannahenden Personen zu warnen. Unstreitig ist auch, dass Beihilfe durch Unterlassen nicht genügt, um die Tat nach § 176c Abs. 1 Nr. 3 zu qualifizieren.47 Zusammenwirken, das für alle Strafbarkeit aus § 176c Abs. 1 Nr. 3 begründet, ist ferner beim 27 Bestimmen gem. § 176 Abs. 1 Nr. 2 möglich (etwa wenn zwei Personen das Kind gemeinsam überreden).48 Da es bei § 176c Abs. 1 Nr. 3 nicht nur um verminderte Chancen in einer körperlichen Auseinandersetzung geht, sondern auch um die Einwirkung auf junge Menschen mit fehlender Selbstbestimmungsfähigkeit, genügt gemeinschaftliche Einflussnahme im Vorfeld der sexuellen Handlung.
42 Renzikowski MK § 176a Rdn. 25; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 9. 43 Ebenso BGH NStZ-RR 2017 142; NStZ-RR 2019 341; NStZ 2020 408, 409; Brockmann S. 328 ff; Fischer § 176a Rdn. 9; Renzikowski MK § 176a Rdn. 25; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 9; aA Wolters SK § 176a Rdn. 19. 44 So auch Fischer § 176a Rdn. 9. 45 Ebenso Fischer § 176a Rdn. 9; Renzikowski MK § 176a Rdn. 25; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 9; Wolters SK § 176a Rdn. 19. 46 Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 9. 47 Renzikowski MK § 176a Rdn. 25; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 9. 48 Wolters SK § 176a Rdn. 21. 155
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§ 176c
Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern
28 c) Subjektiver Tatbestand. § 176c Abs. 1 Nr. 3 setzt koordinierte Aktivitäten voraus. Deshalb muss hinsichtlich der Gemeinschaftlichkeit direkter Vorsatz ersten oder zweiten Grades (Absicht oder Wissen) vorliegen.
4. Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung (Absatz 1 Nr. 4) 29 a) Normzweck. Taten nach § 176c Abs. 1 Nr. 4 sind Verletzungsdelikte, bei denen zu der Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung sowie der Intimsphäre und der generellen Gefährdung durch sexuellen Missbrauch (§ 176 Rdn. 2 f) eine weitere Gefährdung der Gesundheit oder der körperlichen oder seelischen Entwicklung des Kindes hinzutritt. Es handelt sich um eine Kombination aus Verletzungs- und konkretem Gefährdungsdelikt in Form eines gefahrerfolgsqualifizierten Delikts.49
30 b) Objektiver Tatbestand. Bei den in § 176c Abs. 1 Nr. 4 beschriebenen Gefahren muss es sich um konkrete Gefahren handeln. Der Tatbestand ist auch erfüllt, wenn sich eine der Gefahren verwirklicht.50 Die Gefahr muss durch die Tat geschaffen worden sein, wobei der Begriff der Tat nicht 31 auf die gesetzlichen Anforderungen in § 176 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 zu verengen ist, sondern die Begleitumstände der sexuellen Handlungen einschließt,51 etwa eine damit verbundene körperliche oder seelische Misshandlung. S. zu den zeitlichen Grenzen, die durch die Merkmale „durch die Tat“ oder „bei der Tat“ gezogen werden, § 177 Rdn. 307. Die Gefahr kann auch durch Bestimmen gem. § 176 Abs. 1 Nr. 2 geschaffen werden,52 was vor allem relevant wird, wenn der Bestimmende physischen Zwang auf das Kind ausübt. Die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung liegt vor, wenn dem Opfer eine erns32 te, langwierige Krankheit (BTDrucks. 13/8587 S. 27 f) oder eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit droht (der Verweis in BTDrucks. 13/8587 S. 27 f auf die „erhebliche Beeinträchtigung der Arbeitskraft“ passt für Kinder nicht). Dies ist der Fall, wenn eine körperliche Misshandlung erhebliche Ausmaße annimmt,53 der Täter mit einer ansteckenden Krankheit infiziert ist oder die sonstigen Tatumstände geeignet sind, ernsthafte Erkrankungen herbeizuführen (etwa wenn das unbekleidete Kind längere Zeit kaltem Wetter ausgesetzt wurde). S. im Einzelnen § 177 Rdn. 297 ff. Abhängig vom körperlichen Entwicklungsstand des Kindes kann bei einem Eindringen in seinen Körper die Gefahr von Vaginalrissen und anderen Verletzungen bestehen, s. dazu, dass dies die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung begründen kann, § 177 Rdn. 298. Erfasst wird auch eine schwere Schädigung der psychischen Gesundheit,54 also etwa die Gefahr des Hervorrufens oder der Steigerung einer depressiven Erkrankung oder einer anderen psychiatrisch diagnostizierbaren Störung. Hinsichtlich der Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen 33 Entwicklung verwies die Begründung zum 6. StrRG v. 26.1.1998 auf dasselbe Tatbestandsmerkmal in § 170d a.F., nunmehr § 171 (BTDrucks. 13/8587 S. 32). Im Rahmen des § 171 sind vielfältige Konstellationen möglich, in denen Erziehungspflichtige die körperliche Entwicklung gefährden, etwa durch unzureichende Ernährung oder unterlassene medizinische Betreuung. Anders ver49 Zu gefahrerfolgsqualifizierten Delikten Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen (1986) S. 280; Vogel LK § 18 Rdn. 15. 50 Fischer § 176a Rdn. 12; Renzikowski MK § 176a Rdn. 29. 51 Fischer § 176a Rdn. 12. AA Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 10. 52 Wolters SK § 176a Rdn. 22. 53 Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 10. 54 Renzikowski MK § 176a Rdn. 26. Hörnle
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II. Die qualifizierenden Umstände in Absatz 1
§ 176c
hält es sich aber bei § 176c Abs. 1 Nr. 4. Als Folge einer Sexualstraftat fällt es schwerer, sich einen Anwendungsbereich für „Störungen der körperlichen Entwicklung“ vorzustellen. Zu denken wäre eventuell an eine Verzögerung der geschlechtlichen Reifung oder eine Wachstumsstörung. Da allerdings schon bei eingetretenen Störungen ein Zusammenhang mit der Tat schwierig nachzuweisen sein wird, gilt dies umso mehr für entsprechende Gefahren. Probleme bereitet ferner die Qualifizierung des Grundtatbestandes in § 176 Abs. 1 Nr. 1 und 34 Nr. 2 wegen der „Gefahr einer erheblichen Schädigung der seelischen Entwicklung“.55 Untersuchungen zu den Folgen sexuellen Missbrauchs belegen, dass schädliche Folgen (Verhaltensauffälligkeiten, sexuelle Probleme, Suchtneigung, Versagen in der Schule etc.) häufig auftreten, wenn es sich um einen erheblichen Eingriff gehandelt hat (Vor § 174 Rdn. 42; § 176 Rdn. 1). Die Anwendung von § 176 Abs. 1 Nr. 4 sollte auf Fälle begrenzt werden, in denen sich entweder eine entsprechende Störung tatsächlich manifestiert hat oder jedenfalls ein zusätzliches Gefahrenpotential festzustellen ist. Die Lebensumstände des Opfers und/oder die Beziehung zwischen Täter und Opfer müssen den Schluss tragen, dass diese das statistisch feststellbare Durchschnittsrisiko noch weiter erhöhen. Dies ist etwa der Fall, wenn schon vor der Tat eine psychische Labilität des Kindes oder schwierige soziale Umstände vorlagen, die die Tatbewältigung erschweren und die Gefahr einer Schädigung erhöhen. Dasselbe gilt, wenn das Verhalten des Täters das Kind in besonderer Weise verstört oder verunsichert hat oder wenn der Täter in massiver Weise Vertrauen und Abhängigkeit ausgenutzt hat (hieran ist bei über viele Jahre praktiziertem Missbrauch durch zentrale Bezugspersonen zu denken).
c) Subjektiver Tatbestand. Der Täter muss mindestens bedingten Vorsatz hinsichtlich der 35 konkreten Gefährdung des Kindes gehabt haben; § 18 ist nicht anzuwenden (BGH BeckRS 2020 9038, s. auch BGHSt 46 225 zu § 177 Abs. 4 Nr. 2 a.F.).56 Bei Gefahren für die seelische Entwicklung muss sich der Vorsatz auf die Umstände erstreckt haben, die ein besonderes Risiko für das individuell betroffene Kind (Rdn. 34) begründen.
5. Täterschaft und Teilnahme a) § 176c Abs. 1 Nr. 1. Da eine Vorverurteilung ein besonderes persönliches Merkmal ist57 36 und weil es sich um ein strafschärfendes Merkmal handelt, ist § 28 Abs. 2 anzuwenden. Dies bedeutet, dass Mittäter und Teilnehmer ohne einschlägige Vorverurteilung nur aus § 176 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2, ggf. i.V.m. §§ 26, 27, zu bestrafen sind.58 Erfüllt nur ein Teilnehmer die Voraussetzungen des § 176c Abs. 1 Nr. 1, nicht aber der Täter, so ist gem. § 28 Abs. 2 ersterer aus § 176c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 26, 27 zu bestrafen, der Täter aus § 176 Abs. 1 Nr. 1.
b) § 176c Abs. 1 Nr. 2–4. § 176c Abs. 1 Nr. 2–4 beschreiben tatbezogene Umstände; § 28 ist nicht 37 einschlägig. Da Taten nach § 176 Abs. 1 nicht eigenhändig begangen werden müssen (§ 176 Rdn. 24 f), muss dasselbe auch für die Qualifikationen in § 176c Abs. 1 Nr. 2 gelten (aA BGH NStZ 2020 408). Wenn Mittäter den Tatbestand des § 176 Abs. 1 erfüllen und einer von ihnen zusätzlich den Beischlaf vollzieht oder eine ähnliche sexuelle Handlung vornimmt bzw. an sich selbst vornehmen lässt, sind alle (bei entsprechendem gemeinschaftlichem Tatplan) wegen schwerem sexu55 Krit. auch M. Jäger in Inst. für Kriminalwissenschaften (Hrsg.) Irrwege der Strafgesetzgebung (1999) S. 49, 60; Renzikowski MK § 176a Rdn. 28.
56 Fischer § 176a Rdn. 12; Frommel NK § 176a Rdn. 13 (s. aber auch ebd. Rdn. 8: „wissen kann“); Lackner/Kühl/ Heger § 176a Rdn. 2; Renzikowski MK § 176a Rdn. 30; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 11. 57 BGH NStZ-RR 2017 140, 141. 58 Fischer § 176a Rdn. 3; Renzikowski MK § 176a Rdn. 41. 157
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§ 176c
Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern
ellen Missbrauch (§ 176c Abs. 1 Nr. 2) zu bestrafen. Auch die Bestrafung als Täter gem. § 176c Abs. 1 Nr. 3 setzt nicht voraus, dass jeder Mittäter selbst Körperkontakt mit dem Kind nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 hat. Dass eigener Körperkontakt keine Voraussetzung ist, ergibt sich schon daraus, dass § 176c auch Täter erfasst, die den Grundtatbestand in § 176 Abs. 1 Nr. 2 erfüllen. 38 Bei Mittätern wird die Schaffung einer Gefahr nach § 176a Abs. 1 Nr. 4 zugerechnet.59 Wenn dagegen nur der Teilnehmer einer Tat nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 die in § 176c Abs. 1 Nr. 4 genannte Gefahr schafft, führt dies nicht zu einer Anwendung der Qualifikation auf das Handeln des Täters (vgl. die anders lautende Formulierung in § 250 Abs. 1 Nr. 1c: Täter oder ein anderer Beteiligter). Teilnahme ist nach den allgemeinen Regeln möglich. Beihilfe zu einer Tat nach § 176c Abs. 1 39 Nr. 2 oder 4 ist durch Unterlassen möglich (§ 176 Rdn. 24), ebenso Beihilfe durch Unterlassen zu einer Tat nach Abs. 1 Nr. 3, wenn mindestens zwei andere Personen aktiv gemeinschaftlich agiert haben. Verursacht der Teilnehmer eine Gefahr gem. § 176c Abs. 1 Nr. 4, ist er nur aus den §§ 176 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2, 26 oder 27 zu verurteilen, wobei die Gefahrverursachung aber bei der Strafzumessung innerhalb des Rahmens strafschärfend zu berücksichtigen ist.
6. Versuch 40 Der Versuch ist strafbar, §§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1. Bei der auf Rückfallverschärfung abstellenden Qualifikation in § 176c Abs. 1 Nr. 1 ergibt sich der Versuchsbeginn aus dem Versuchsbeginn beim Grunddelikt (§ 176 Rdn. 27 ff), ebenso in Fällen des § 176c Abs. 1 Nr. 3. Der Versuch beginnt bei § 176c Abs. 1 Nr. 2 mit Handlungen, die nach dem Tatplan dem Eindringen in den Körper unmittelbar vorausgehen. 41 Bei dem gefahrerfolgsqualifizierten Delikt in § 176c Abs. 1 Nr. 4 kann zum einen eine versuchte Erfolgsqualifizierung (Murmann LK Vor § 22 Rdn. 125) vorliegen, wenn der Täter eine Folge nach § 176c Abs. 1 Nr. 4 in seinen Vorsatz aufgenommen hat, diese aber ausbleibt.60 Zum anderen kommt ein erfolgsqualifizierter Versuch (vgl. Murmann LK Vor § 22 Rdn. 117) in Betracht, wenn der Versuch des Grunddelikts zu einer der umschriebenen Gefahren (oder einer Schädigung) geführt hat und diese Folge vom Vorsatz des Täters umfasst war.61 S. zur allgemeinen Debatte um den erfolgsqualifizierten Versuch § 178 Rdn. 14. Entscheidend ist, ob die Strafschärfung an die Gefährlichkeit der Handlung anknüpft oder nur an Gefahren, die vom Erfolg des Grunddelikts herrühren (Murmann LK Vor § 22 Rdn. 120, 114). Für § 176c Abs. 1 Nr. 4 gilt Ersteres: Die Norm soll auch Handlungsgefahren abwehren. Gesundheitsschädigungen können durch Handlungen entstehen, die dem sexuellen Körperkontakt vorausgehen, etwa beim Festhalten des Kindes. Traumatische Erlebnisse im Vorfeld der sexuellen Handlung können Schädigungen der seelischen oder körperlichen Entwicklung bewirken. Ein erfolgsqualifizierter Versuch des § 176c Abs. 1 Nr. 4 ist deshalb möglich, auch wenn die sexuelle Handlung ausgeblieben ist. S. zum Rücktritt vom Versuch § 178 Rdn. 15.
7. Strafzumessung 42 a) Gesetzlicher Strafrahmen. Der Strafrahmen reicht seit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 für alle Qualifikationen in § 176 Abs. 1 von zwei Jahren bis zu 15 Jahren (§ 38 Abs. 2) Freiheitsstrafe. Da gleichzeitig der in § 176a Abs. 4 a.F. noch vorgesehene Strafrahmen für minder schwere Fälle abgeschafft wurde,62 muss stets eine Freiheitsstra59 60 61 62
Renzikowski MK § 176a Rdn. 40. Renzikowski MK § 176a Rdn. 44. AA Renzikowski MK § 176a Rdn. 44. Krit. dazu Hörnle ZIS 2020 440, 444.
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II. Die qualifizierenden Umstände in Absatz 1
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fe von mindestens zwei Jahren verhängt werden. Dies kann in seltenen Fällen bei einer Verurteilung nach § 176c Abs. 1 Nr. 1, unter Umständen auch nach § 176c Abs. 1 Nr. 3, zu Konflikten mit dem Grundsatz unrechts- und schuldangemessener Strafen führen, nämlich dann, wenn eine sexuelle Handlung nur knapp über der (bei Kindern niedrig angesetzten) Erheblichkeitsschwelle liegt, etwa wenn der Täter dem Kind einen Zungenkuss gab. Rechtspolitisch ist der Vorschlag bedenkenswert, statt einer generellen Regel für unbenannte minder schwere Fälle einen Sonderstrafrahmen einzuführen, der auf sexuelle Handlungen geringer Erheblichkeit beschränkt ist (dafür Rostalski GA 2021 198, 208 f). Unter ungewöhnlichen Umständen kann ferner selbst bei Geschlechtsverkehr (§ 176c Abs. 1 Nr. 2) die Frage der gerechten Reaktion auftreten. Die bewusste, durchdachte Entscheidung einer Dreizehnjährigen kann den Anforderungen an eine selbstbestimmte Entscheidung genügen, wenn der Partner ihr gerade volljährig gewordener Freund ist. Auch für solche Fälle ist eine angemessene Reaktion erforderlich, die der hohe Strafrahmen ohne Öffnung für atypische minder schwere Fälle nicht zulässt (Renzikowski KriPoZ 2020 308, 313). Wenn die andere Person die Schwelle zur Volljährigkeit nur knapp überschritten hat und es sich um ein einvernehmliches, manipulationsfreies Geschehen im Rahmen einer Jugendfreundschaft handelt,63 kommt eine analoge Anwendung von § 176 Abs. 2 (Absehen von Strafe; zur analogen Anwendung bei § 176a, Taten ohne Körperkontakt, s. § 176a Rdn. 26) in Betracht. Kurioserweise wird in § 176c Abs. 1 Nr. 4 die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädi- 43 gung niedriger gewichtet als in § 177 Abs. 7 Nr. 3 (dort beginnt der Strafrahmen bei drei Jahren Freiheitsstrafe). Eine nachvollziehbare Rahmensystematik ist nicht erkennbar.
b) Bestimmung der Tatschwere aa) § 176c Abs. 1 Nr. 1. Entscheidend für die Tatschwere ist auch bei Taten nach § 176c Abs. 1 44 Nr. 1 in erster Linie das konkrete Erfolgs- und Handlungsunrecht des unter § 176 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 fallenden sexuellen Missbrauchs (dazu § 176 Rdn. 38). Liegt nur eine einschlägige Vorstrafe vor, ist die Tatsache der Vorverurteilung als solche (jenseits der Anwendung des in § 176c Abs. 1 Nr. 1 vorgeschriebenen Strafrahmens) nicht weiter strafzumessungsrelevant. Es verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3), wenn sowohl § 176c Abs. 1 Nr. 1 zugrunde gelegt als auch bei der Bemessung der konkreten Strafe noch einmal darauf verwiesen wird, dass der Täter schon einmal wegen eines entsprechenden Delikts verurteilt worden war (BGH NStZ 2002 198, 199). Eine besonders hohe Vorstrafe oder eine größere Zahl von Vorstrafen dürfen hingegen innerhalb des Rahmens von § 176c Abs. 1 Nr. 1 strafschärfend berücksichtigt werden.64
bb) § 176c Abs. 1 Nr. 2. Zur Bestimmung des konkreten Tatunrechts ist darauf abzustellen, in 45 welchem Umfang die Intimsphäre, Menschenwürde und körperliche Integrität beeinträchtigt wurden. Zu den schwerwiegenden Tatvarianten gehört Analverkehr,65 aber auch vaginaler Geschlechtsverkehr. Im Einzelnen kommt es auf die Dauer der Penetration an, die Brutalität der Vorgehensweise, entstandene Verletzungen, das Ausmaß der vom Kind empfundenen Schmerzen und die Gefahr einer Infizierung mit einer Krankheit. Strafschärfend ist zu berücksichtigen, wenn Beischlaf ungeschützt ausgeführt wurde. Dies gilt nicht nur bei schon empfängnisfähigen Mädchen wegen der Gefahr einer Schwangerschaft, sondern auch bei jüngeren Kindern, weil bereits der ungeschützte Verkehr als solcher die Intimsphäre zusätzlich (im Vergleich zu Verkehr mit Kondom) beeinträchtigt.66 Samenerguss bedeutet eine weitere Intensivierung des Unrechts63 S. zu solchen Fällen Franzke S. 12. 64 BGH NStZ-RR 2004 71; BGH bei Detter NStZ 2008 267; Renzikowski MK § 176a Rdn. 48. 65 BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 353; NStZ-RR 2004 36; krit. zur Annahme einer unrechtserhöhenden Wirkung Renzikowski MK § 176a Rdn. 48. 66 Renzikowski MK § 176a Rdn. 48. 159
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gehalts, nicht nur bei Vaginalverkehr, sondern auch bei Analverkehr.67 Beanstandet wird ein pauschaler Verweis auf die Gefahr von Geschlechtskrankheiten, wenn nach den konkreten Lebensumständen (anderweitige Sexualkontakte des Täters) die Möglichkeit einer Erkrankung fern liegt (BGH BeckRS 2018 17699). Wenn es sich beim Beischlaf um eine von einer dreizehnjährigen Person gewollte Begegnung innerhalb eines intensiv-freundschaftlichen Verhältnisses mit einer nur wenige Jahre älteren Person handelt, muss dies auf jeden Fall strafmindernd berücksichtigt werden (BGH NStZ-RR 2013 291; StV 2017 40), wenn eine analoge Anwendung von § 176 Abs. 2 (Rdn. 42) abgelehnt wird. 46 Wegen der zumeist fehlenden Verletzungen bei Oralverkehr, der mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, kann das Unrecht niedriger zu gewichten sein als bei analer oder vaginaler Penetration. Aber auch insoweit sind die konkreten Umstände zu berücksichtigen (Dauer, Behandlung des Kindes, körperliche Reaktionen des Kindes). Ekelgefühle und Samenerguss in den Mund steigern das Unrecht. Ein vom Täter am Kind vollzogener Oralverkehr kann für dieses weniger belastend sein als ein Oralverkehr des Kindes am Täter gewesen wäre (BGH NStZ-RR 2009 307), wobei es aber im Einzelnen auf die Umstände und Modalitäten ankommt. Das Eindringen mit einem Finger wiegt zumeist weniger schwer als das Eindringen des Gliedes. Bei Gegenständen kommt es auf deren Beschaffenheit an. Kombinationen der möglichen Begehungsformen oder Wiederholungen erhöhen das Erfolgsunrecht. S. zur Berücksichtigung psychischer Folgen § 176 Rdn. 44 f und zu Tatwiederholungen § 176 Rdn. 39.
47 cc) § 176c Abs. 1 Nr. 3, 4. Das Unrecht von Delikten nach § 176c Abs. 1 Nr. 3 hängt davon ab, inwieweit sich die gemeinschaftliche Tatbegehung in einer größeren Gefährdung des Kindes oder massiverer psychischer Einwirkung ausgewirkt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 176c Abs. 1 Nr. 4 vor, ist das Ausmaß der Gefahr entscheidend, bei eingetretener Gesundheitsschädigung oder Schädigung der Entwicklung deren Ausmaß. Eine tatsächlich eingetretene Schädigung bedeutet erheblich höheres Unrecht als die bloße Gefahr einer solchen. Wie bei allen Varianten des schweren sexuellen Missbrauchs hängt die Bewertung der Tat außerdem von den Umständen ab, die das Erfolgsunrecht und Handlungsunrecht hinsichtlich des Grundtatbestands in § 176 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 prägen, s. § 176 Rdn. 38 ff.
8. Fassung des Schuldspruchs 48 Die Verurteilung wegen schweren Missbrauchs ist in der Urteilsformel kenntlich zu machen (BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 355). Der Angeklagte ist des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (nicht: des sexuellen Missbrauchs eines Kindes „im schweren Fall“) schuldig;68 s. ferner zur Fassung des Schuldspruchs bei unterschiedlichen Varianten des § 176c BGH bei Pfister NStZ-RR 2007 363.
III. Absicht, die Tat zum Gegenstand eines pornographischen Inhalts zu machen (Absatz 2) 1. Normzweck 49 Bei Taten nach § 176c Abs. 2 wird das Unrecht des sexuellen Missbrauchs durch das Risiko zusätzlicher Rechtsverletzungen gesteigert. Die Existenz und die Zirkulation eines kinderpornographischen Inhalts (typischerweise Abbildungen des Kindes, die mit Informations- und Kommuni67 BGH bei Pfister NStZ-RR 2004 36. 68 BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 354. Hörnle
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III. Absicht, kinderpornographische Inhalte zu produzieren
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kationstechnik übertragen werden) verletzen Menschenwürde und Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Kinder. Wurde das kinderpornographische Produkt tatsächlich verbreitet oder hergestellt, ist dem Täter des sexuellen Missbrauchs, der mit einer entsprechenden Intention gehandelt hat, diese zusätzliche Verletzung zuzurechnen. Ist es nicht soweit gekommen, wird sein Verhalten trotzdem von § 176c Abs. 2 erfasst, da bereits die Absicht eine Gefahr für die betroffenen Kinder schafft. Außerdem gefährdet der Markt für Kinderpornographie, den der Täter mit seiner Handlung unterstützen will, weitere, in ihrer Identität noch unbestimmte Kinder, die in der Zukunft missbraucht werden (Vor § 174 Rdn. 54; Hörnle MK § 184b Rdn. 1). Die Strafbarkeit wird allerdings durch das Abstellen auf die bloße Absicht in den Bereich der nur abstrakten Gefährdung weit vorverlagert. Es ist weder erforderlich, dass ein pornographischer Inhalt überhaupt hergestellt wird (der Tatbestand ist auch dann erfüllt, wenn aus technischen Gründen die beabsichtigte Aufnahme oder Übertragung nicht zustande kam), noch dass der Täter den Inhalt erfolgreich verbreitet oder dazu angesetzt hat. Während grundsätzlich ein Sonderstrafrahmen für Täter, die kinderpornographische Pro- 50 dukte herstellen wollen, gerechtfertigt ist, ist fraglich, ob dies auch für den ausnahmslos anzuwendenden hohen Strafrahmen mit der Mindeststrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe gilt (bereits das SexualdelÄndG v. 27.12.2003 hat den mehr Flexibilität erlaubenden Strafrahmen für minder schwere Fälle abgeschafft, den es zuvor gab). Die Kombination von sexuellem Missbrauch und Kinderpornographie bedeutet meistens hohes und sehr hohes Tatunrecht, aber es bedarf wie immer bei der Strafzumessung der Aufmerksamkeit für den Einzelfall. Es können vergleichsweise leichte Fälle des sexuellen Missbrauchs unter § 176c Abs. 2 fallen, etwa wenn nur ein angekleidetes Kind zu sehen ist, das dem Täter bei sexuellen Handlungen zusieht (§ 176a Abs. 1 Nr. 1) oder wenn der Täter plant, nach einer nur knapp die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Handlung gem. § 176a Abs. 1 Nr. 2 (Posieren des Kindes) einer einzigen anderen Person ein Foto davon zu überlassen (Verbreitung nach § 184b Abs. 1 Nr. 2). Unter solchen Umständen kann die Mindestfreiheitsstrafe in § 176c Abs. 2 zu hoch sein. Die Reformkommission zum Sexualstrafrecht empfiehlt deshalb die Ergänzung um einen minder schweren Fall.69
2. Objektiver Tatbestand Der Grundtatbestand für die Qualifikation in § 176c Abs. 2 ist ein sexueller Missbrauch nach 51 § 176 Abs. 1 oder 2, außerdem Handlungen ohne Körperkontakt nach § 176a Abs. 1 Nr. 1 und 2, und zwar auch dann, wenn zum Grunddelikt angesetzt, aber dieses nicht vollendet wurde. Der Versuch des Missbrauchs ohne Körperkontakt (§ 176a Abs. 3 S. 1) wird in § 176c Abs. 2 ausdrücklich erwähnt. Mit einem Erst-Recht-Schluss ist davon auszugehe, dass auch der versuchte Missbrauch mit Körperkontakt (strafbar, da Verbrechen, § 23 Abs. 1) als Grundtatbestand für § 176c Abs. 2 genügt. Auch für eine nach § 176c Abs. 1 qualifizierte Tat ist die weitere Qualifikation in § 176c Abs. 2 anwendbar (BGHSt 66 105, 108). Bei einem Delikt nach § 176a Abs. 1 Nr. 1 („Handlung vor einem Kind“) genügt es nicht, 52 dass nur die Aktivitäten des Täters Gegenstand des geplanten oder hergestellten kinderpornographischen Inhalts sein sollen oder sind. Die bloße Anwesenheit von Kindern bei der Produktion pornographischer Bilder erfüllt nicht den Tatbestand. Es muss vielmehr die Wahrnehmung der sexuellen Handlungen durch ein Kind Teil des pornographischen Skripts sein.70 Ist der Grundtatbestand § 176a Abs. 1 Nr. 2, muss der Täter das Kind zu den sexuellen Handlungen bestimmt haben. Das gilt auch bei Anwendung von § 176c Abs. 2. Nicht erforderlich ist jedoch,
69 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 321 f. 70 Fischer § 176a Rdn. 16. 161
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dass dieser Bestimmungsakt auch im kinderpornographischen Inhalt erkennbar ist bzw. erkennbar wäre.71
3. Subjektiver Tatbestand 53 Das spezifische gesteigerte Unrecht von Taten nach § 176c Abs. 2, d.h. die weiteren drohenden Rechtsverletzungen für das missbrauchte Kind (und abstraktere Gefahren für andere Kinder), erschließt sich über den subjektiven Tatbestand. Der Täter muss in der Absicht handeln, den sexuellen Missbrauch zum Gegenstand eines kinderpornographischen Inhalts zu machen. Absicht liegt unstreitig bei zielgerichtetem Wollen vor. Will also der Täter jedenfalls als notwendiges Zwischenziel, dass die Tat in einem pornographischen Inhalt festgehalten wird, so ist der subjektive Tatbestand gegeben. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn er kein Eigeninteresse an der Produktion des Endprodukts hat, aber z.B. seine Bezahlung als „Darsteller“ daran geknüpft ist. Fraglich ist, ob es ausreicht, dass der Täter weiß, dass sein Vorgehen aufgenommen wird, aber ihm dies egal ist, weil er nur zu seiner eigenen sexuellen Befriedigung handelt. Die h.M. geht für § 176c Abs. 2 davon aus, dass Wissen nicht ausreiche.72 Dies ist jedoch nicht überzeugend. Der Verwendung des Wortes „Absicht“ im Besonderen Teil des StGB liegt kein konsistentes Muster zugrunde (s. Vogel/Bülte LK § 15 Rdn. 87 f). Entscheidend für die Auslegung von § 176c Abs. 2 ist, dass die dort geforderte Absicht erforderlich ist, um individuellen sexuellen Missbrauch und den Markt für Kinderpornographie zu verbinden, nicht aber, weil mentale Zustände als solche für das Unrecht ausschlaggebend wären. Es genügt deshalb Wissen des missbrauchenden Täters, dass die Tat Gegenstand eines kinderpornographischen Inhalts werden soll.73 § 176c Abs. 2 verweist auf einen Inhalt i.S.v. § 11 Abs. 3 (dazu § 176a Rdn. 15), erfasst also 54 Bildträger und Datenspeicher aller Art ebenso wie die Live-Übertragung mittels Informationsund Kommunikationstechnik. Vorhaben, das Sexualdelikt später in Worten zu beschreiben (z.B. gegenüber Gleichgesinnten, die sich in einschlägigen Internetforen treffen), fallen nicht unter § 176c Abs. 2, weil damit nicht unmittelbar die Tat, sondern nur die Erinnerung des Täters zum Gegenstand eines Inhalts nach § 11 Abs. 3 würde.74 Nicht erforderlich ist, dass der Täter des sexuellen Missbrauchs beabsichtigt, die kinderpor55 nographischen Inhalte selbst zu produzieren. Täter nach § 176c Abs. 2 kann ein erwachsener (oder jugendlicher) Akteur in einem kinderpornographischen Film oder auf entsprechenden Fotos sein, auch wenn Aufnahme oder Weiterleitung technischen Helfern überlassen ist. Bei arbeitsteiligem Vorgehen ist zu prüfen, ob diese technischen Helfer Anstifter oder Gehilfen der Tat nach § 176 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 oder § 176a Abs. 1 Nr. 1, 2 sind, was zur Verurteilung als Täter eines schweren sexuellen Missbrauchs nach § 176c Abs. 2 ausreicht. Der Täter muss in der Absicht handeln, dass die Inhalte nach § 184b Abs. 1 oder Abs. 2 56 verbreitet werden sollen. Zielgerichtetes Wollen ist nicht erforderlich, Wissen um eine solche spätere Verbreitung genügt (Rdn. 53). Der Gesetzestext macht deutlich, dass nicht „verbreiten“ im engeren Sinne des § 184b Abs. 1 Nr. 1 gemeint ist, sondern im weiteren Sinn der Überschrift
71 Anders noch nach einer älteren Fassung von § 184b, die auf die Handlungsmodalitäten in § 176 verwies, s. dazu BGHSt 45 41. Seit dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie v. 31.10.2008 (Vor § 174 Rdn. 22) werden in § 184b kinderpornographische Inhalte ohne Verweis auf die Tathandlungen des § 176 definiert. Ob das Bestimmen i.S.v. § 176a Abs. 1 Nr. 2 im kinderpornographischen Inhalt sichtbar wurde oder nicht, spielt seither keine Rolle mehr. 72 Renzikowski MK § 176a Rdn. 33; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 12; Wolters SK § 176a Rdn. 24. 73 Zu einem anderen Ergebnis käme man mit dem Ansatz von Vogel/Bülte LK § 15 Rdn. 89, die in allen Tatbeständen Absicht als Absicht i.e.S. auslegen wollen. 74 AA Renzikowski MK § 176a Rdn. 33; anders auch noch die Voraufl. Hörnle
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III. Absicht, kinderpornographische Inhalte zu produzieren
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von § 184b.75 Darunter fällt auch, wenn ein kinderpornographischer Inhalt nach der Herstellung in den Besitz einer anderen Person gelangen soll (Verbreitung nach § 184b Abs. 1 Nr. 2). Darüber hinaus genügt sogar die Herstellungsabsicht, auch wenn keine andere Person den kinderpornographischen Inhalt wahrnehmen soll: § 176c Abs. 2 verweist nicht nur auf § 184b Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, sondern auch auf § 184b Abs. 1 Nr. 3. Missbrauchstäter, die ausschließlich für den Eigengebrauch eine Aufnahme machen (wollen), machen sich deshalb aus § 176c Abs. 2 i.V.m. § 184b Abs. 1 Nr. 3 strafbar. Dasselbe gilt für Mittäter oder Gehilfen, selbst wenn diese weder den kinderpornographischen Inhalt produzieren noch sich selbst oder Dritten Zugang zu den entstandenen oder geplanten kinderpornographischen Inhalten verschaffen wollen. Es kommt in allen Konstellationen nicht darauf an, ob eine dritte, nicht am Missbrauch beteiligte Person Zugang zum kinderpornographischen Inhalt bekommen soll (s. BGHSt 66 105, 112 ff; zustimmend Strauß JR 2022 265, 267 f) oder ob bei mehreren Beteiligten die nach § 176c Abs. 2 bestrafte Person selbst Zugang zu diesem Inhalt hatte.
4. Täterschaft und Teilnahme Mittäter eines nach § 176c Abs. 2 qualifizierten Delikts kann sein, wer selbst die erforderliche Absicht hat. § 176c Abs. 2 erfasst auch diejenigen, die als mittelbare Täter andere als menschliche Werkzeuge für den sexuellen Missbrauch eines Kindes benutzen (§ 176 Rdn. 24) und das Missbrauchsgeschehen aufnehmen. Teilnehmer am Grunddelikt des sexuellen Missbrauchs von Kindern werden zu Tätern eines schweren sexuellen Missbrauchs gem. § 176c Abs. 2, wenn sie auch (oder nur sie selbst) mit der dort vorausgesetzten Absicht handeln. Der Wortlaut in § 176c ist eindeutig: Der Qualifikationstatbestand ist auch auf andere am sexuellen Missbrauch Beteiligte anzuwenden. Die für Gehilfen beim einfachen sexuellen Missbrauch vorzunehmende Rahmenmilderung (§ 27 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1) entfällt deshalb, wenn sie selbst den Tatbestand in § 176c Abs. 2 erfüllen. Bei der Bemessung der Strafe innerhalb des Rahmens von § 176c Abs. 2 ist aber auch die Intensität der Beteiligung am sexuellen Geschehen zu berücksichtigen.76 Fehlt die in § 176c Abs. 2 vorausgesetzte Absicht beim Teilnehmer am sexuellen Missbrauch, hat er aber bedingten Vorsatz bzgl. der Absichten des Haupttäters, wird er nicht als Täter, aber als Teilnehmer an einer Tat nach § 176c Abs. 2 i.V.m. §§ 26, 27 bestraft. § 28 Abs. 2 ist nicht anzuwenden.77 Im Gegensatz zu Absichten, die nur Motive beschreiben und als persönliche Merkmale gelten (s. zu den Absichten in § 211 als besondere persönliche Merkmale Schünemann/Greco LK § 28 Rdn. 74), sind Pläne nach § 176c Abs. 2 tatbezogen, da sie auf eine Ausweitung des Tatunrechts zielen. Wer erst nach Vollendung der sexuellen Vorgänge an der Herstellung der kinderpornographischen Inhalte mitwirkt, ist kein Gehilfe beim sexuellen Missbrauch und weder Täter nach § 176c Abs. 2 noch Teilnehmer.
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5. Versuch Für die Anwendung von § 176c ist versuchter sexueller Missbrauch dem vollendeten gleichge- 61 stellt (Rdn. 51). Eine auf § 23 Abs. 2 gestützte Strafrahmenmilderung bei nur versuchtem Grunddelikt scheidet deshalb aus. Im Hinblick auf die spezifischen Umstände, die die Tat zum Verbrechen nach § 176c Abs. 2 qualifizieren, kann es keinen Versuch geben, da diese ausschließlich im subjektiven Bereich liegen (lag Absicht vor, ist der Qualifikationstatbestand vollendet). We75 Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 12b. 76 Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 12c. 77 Wolters SK § 176a Rdn. 27. 163
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gen der Gleichsetzung von Versuch und Vollendung bezüglich des Grundtatbestands in Kombination mit der rein subjektiven Fassung der qualifizierenden Umstände wird § 176c Abs. 2 als unechtes Unternehmensdelikt bezeichnet.78 Die Verabredung eines sexuellen Missbrauchs zur Herstellung von Kinderpornographie oder die versuchte Anstiftung dazu sind strafbar (§ 30). Ein Rücktritt vom Versuch einer Tat nach § 176 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder § 176a Abs. 1 Nr. 1, 2 beseitigt auch die Strafbarkeit aus § 176c Abs. 2.79
6. Schuldspruch und Strafzumessung 62 Die Bezeichnung als „besonders schwerer sexueller Missbrauch von Kindern“ ist auf Absatz 3 zu beschränken (BGH NStZ 2021 225, 226). Für Taten nach § 176c Abs. 2 lautet der Schuldspruch „schwerer sexueller Missbrauch“. Die Anwendung von § 176c Abs. 2 führt zu einem von zwei Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmen. Der Tatbestand umfasst Vorgänge mit sehr unterschiedlichem Unrechtsgehalt: Missbrauch mit und ohne Körperkontakt; tatsächlich erfolgte Verbreitung von Kinderpornographie und die bloße Absicht, dies zu tun; versuchter und vollendeter sexueller Missbrauch; Täterschaft und Teilnahme. Deshalb ist die Abschaffung des Strafrahmens für minder schwere Fälle im SexualdelÄndG (s. Entstehungsgeschichte) auch mit Blick auf § 176c Abs. 2 problematisch. Es bleibt nur die Möglichkeit, Unterschieden im Tatunrecht bei der Bemessung der Strafe innerhalb des gesetzlichen Rahmens Rechnung zu tragen. Dabei ist zum einen auf das Gewicht des sexuellen Missbrauchs abzustellen (§ 176 Rdn. 38 ff) und die Intensität, mit der Täter oder Beteiligte am eigentlichen sexuellen Missbrauch beteiligt waren. Zum anderen ist zu gewichten, in welchem Ausmaß Rechte von Kindern verletzt oder gefährdet wurden, die durch die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie zusätzlich zum sexuellen Missbrauch tangiert werden (Rdn. 49).
IV. Schwere körperliche Misshandlung; Gefahr des Todes (Absatz 3) 1. Normzweck 63 Nach früherer Rechtslage war die schwere körperliche Misshandlung (§ 176 Abs. 5 a.F.) ein Regelbeispiel für besonders schwere Fälle; der Strafrahmen reichte von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Seit dem 6. StrRG v. 26.1.1998 handelt es sich um eine Qualifikation. Der Strafrahmen wurde deutlich erhöht (auf fünf bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe) und als neues Tatbestandsmerkmal die Verursachung einer Todesgefahr eingeführt. Die Begründung verweist auf die identische Strafrahmenregelung beim schweren Raub (BTDrucks. 13/8587 S. 32). Sowohl unter dem Stichwort „Harmonisierung der Strafrahmen“ als auch bei einer Bewertung des Erfolgsunwerts war diese Anhebung nachvollziehbar. Im Fall einer schweren körperlichen Misshandlung liegt eine doppelte Verletzung vor: Zur Verletzung von sexueller Selbstbestimmung und Intimsphäre tritt eine schwere Verletzung des körperlichen Wohlbefindens. Die zweite Variante ist eine Kombination von Verletzungs- und Gefährdungsdelikt in Form eines gefahrerfolgsqualifzierten Delikts.
2. Objektiver Tatbestand 64 Voraussetzung für das Eingreifen der Qualifikationen in Absatz 3 ist, dass der Täter den Grundtatbestand des § 176 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 erfüllt. Lag eine auf § 176 Abs. 1 und Abs. 2 aufbau78 Fischer § 176a Rdn. 16; Renzikowski NStZ 1999 442; Wolters SK § 176a Rdn. 28. 79 So wohl auch Wolters SK § 176a Rdn. 28. Hörnle
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IV. Schwere körperliche Misshandlung; Gefahr des Todes (Absatz 3)
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ende Tatvariante nach § 176c Abs. 1 oder Abs. 2 vor, ist § 176c Abs. 3 ebenfalls anzuwenden. Handlungen ohne Körperkontakt (§§ 176 Abs. 1 Nr. 3, 176a, 176b) genügen dagegen nicht.
a) Zeitliche Grenzen. S. zur Bedeutung von „durch die Tat“ und „bei der Tat“ § 177 Rdn. 307. 65 b) Schwere körperliche Misshandlung. „Körperliche Misshandlung“ ist jede „üble, unange- 66 messene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden mehr als unerheblich beeinträchtigt“ (st. Rspr., z.B. BGH NStZ 2007 218). Eine schwere körperliche Misshandlung liegt vor, wenn das Opfer erheblich verletzt und/oder sein körperliches Wohlbefinden schwer beeinträchtigt wurde. Letzteres ist der Fall, wenn das Opfer bei der Tat erhebliche Schmerzen erlitt,80 etwa durch die Durchführung von Analverkehr (BGHSt 60 89, 91 ff). Eine Ohrfeige genügt nicht, aber heftige Schläge, wenn diese mit Schmerzen verbunden sind,81 oder längeres die Blutzirkulation hinderndes Festhalten oder Fesseln.82 Zu weiteren Bsp. s. § 177 Rdn. 316. Maßgeblich sind die körperlichen Beeinträchtigungen des Opfers, nicht aber die Bedeutung des Geschehens als Demütigung oder Erniedrigung83 oder seelisches Leiden (dies wird von § 176c Abs. 1 Nr. 4 erfasst). Feststellungen zur Gefühllosigkeit des Täters, wie für die Anwendung des § 225 Abs. 1 („roh misshandeln“) erforderlich, dürften zumeist nicht schwer fallen – sie sind aber bei § 176c Abs. 3 entbehrlich.84 Auch ohne tatsächlich vom Opfer empfundene erhebliche Schmerzen ist eine schwere körperliche Misshandlung zu bejahen, wenn das Kind unter Schock stand oder schnell Bewusstlosigkeit eintrat, und wenn ohne diese Zustände mit erheblichen Schmerzen zu rechnen gewesen wäre (§ 177 Rdn. 317). Verletzungen, Schmerzen oder Misshandlungen können entweder bei der Ausführung der eigentlichen sexuellen Handlung auftreten, beim Bestimmen zu dieser Tat (§ 176 Abs. 1 Nr. 2) oder bei einer Gewaltanwendung davor oder danach,85 sofern diese zum einheitlichen Lebenssachverhalt gehört (s. dazu auch § 178 Rdn. 5). Im Schrifttum wird es teilweise als ausreichend angesehen, dass der Täter erhebliche nega- 67 tive Folgen für die Gesundheit des Opfers verursacht.86 Demgemäß würde es z.B. unter § 176c Abs. 3 fallen, wenn das bei Kälte entkleidete Kind Tage später an einer Lungenentzündung leidet. Es ist jedoch zwischen körperlicher Misshandlung und Gesundheitsschädigung zu differenzieren (BGH NJW 2000 3655); nur erstere ist von § 176c Abs. 3 2. Alt. erfasst;87 s. dazu § 177 Rdn. 318. Für die Unrechtsbewertung leuchtet es zwar nicht ein, zwischen einer später erlittenen erheblichen und langwierigen Krankheit (nur § 176c Abs. 1 Nr. 4) und einer schmerzhaften Behandlung bei der Tat (§ 176c Abs. 3) zu differenzieren. Jedoch erlaubt es auch der Strafrahmen in § 176c Abs. 1, der von zwei Jahren bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe reicht, eine tatsächlich eingetretene schwere Gesundheitsschädigung (in Abgrenzung zur bloßen Gefahr einer solchen) angemessen zu ahnden. Bei Vorgehen nach § 176c Abs. 1 Nr. 2 ist wegen der in Absatz 3 deutlich höheren Strafdro- 68 hung eine Abgrenzung erforderlich. Es ist zu erwarten, dass Penetrationen für körperlich unreife Kinder mit Schmerzen verbunden sind und zu Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität
80 Vgl. BGH NStZ 1998 461 zu § 250 Abs. 2 Nr. 3a. 81 BGH NStZ 1998 461 f; Kudlich JR 2001 379, 381; Renzikowski MK § 176a Rdn. 35; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 14. 82 Renzikowski MK § 176a Rdn. 35. 83 BGH NJW 2000 3655, 3656 zu § 177 Abs. 4 Nr. 2a a.F. m. zust. Anm. Kudlich JR 2001 379; Fischer § 176a Rdn. 19; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 14; Wolters SK § 177 Rdn. 111. 84 Fischer § 176a Rdn. 18; Renzikowski MK § 176a Rdn. 35. 85 Fischer § 176a Rdn. 19; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 14. AA Renzikowski MK § 176a Rdn. 36: nur Gewalthandlungen zur Erzwingung der sexuellen Handlung bzw. bis zum Abschluss derselben. 86 Lackner/Kühl/Heger § 250 Rdn. 4; Renzikowski MK § 176a Rdn. 35. 87 So auch Fischer § 176a Rdn. 19; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 14; Wolters SK § 177 Rdn. 111. 165
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Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern
führen. Die Verletzung muss für eine Anwendung des § 176c Abs. 3 stärker ausgeprägt sein als in typischen Fällen des § 176c Abs. 1 Nr. 2 (dazu auch Kudlich JR 2001 379, 380 f). Hieran ist bei Verletzungen durch das Einführen von großen oder scharfkantigen Gegenständen zu denken, aber auch bei Wunden im Genital- oder Analbereich.
69 c) Gefahr des Todes. Die zweite Variante in § 176c Abs. 3 setzt voraus, dass der Täter das Kind in die Gefahr des Todes bringt. Erforderlich ist eine konkrete Lebensgefahr.88 Diese kann von der Intensität der sexuellen Einwirkung herrühren (etwa bei schwerwiegenden Taten nach § 176c Abs. 1 Nr. 2 an Säuglingen), aber auch auf Entwicklungen im Gefolge der sexuellen Handlung zurückzuführen sein, etwa eine HIV-Infektion89 oder die Infektion mit anderen durch Körperkontakt übertragenen lebensgefährdenden Erregern; eine lebensbedrohliche Schwangerschaft90 oder die konkrete Gefahr eines Suizids.91 Wie bei der körperlichen Misshandlung genügt es, dass die Lebensgefahr durch Elemente der Tat i.S.d. einheitlichen Lebenssachverhalts geschaffen wurde.92 Erfasst wird lebensbedrohliche nötigende Gewalt vor der sexuellen Handlung oder einschüchternde Gewalt danach (etwa Würgen oder die Zufügung lebensgefährlicher Verletzungen). Unter Absatz 3 fallen dagegen nicht Gefahren, die in keinem Risikozusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch stehen (z.B. wenn in dem Haus, in dem die Tat stattfindet, ein Brand ausbricht).
3. Subjektiver Tatbestand 70 Der Täter muss hinsichtlich der körperlichen Misshandlung und der Gefahr des Todes mit (mindestens bedingtem) Vorsatz handeln,93 wobei dieser sich im ersteren Fall auch auf die Schwere der Misshandlung beziehen muss.94 Aus dem Wissen um die Empfängnisfähigkeit eines Mädchens kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass der Täter auch mit der Möglichkeit einer lebensbedrohlichen Schwangerschaft gerechnet hat.
4. Täterschaft und Teilnahme 71 Die körperliche Misshandlung muss durch den Täter des Delikts nach § 176 Abs. 1 oder Abs. 2 erfolgen und die Gefahr des Todes ebenfalls durch den Täter geschaffen werden. Zwar taucht das Wort „Täter“ in § 176c Abs. 3 nicht auf. Aus der Umschreibung „wer in den Fällen des § 176 Abs. 1 Nummer 1 oder Nummer 2“ ergibt sich aber, dass derjenige gemeint ist, der in eigener Person die Tathandlungen vornimmt. Die Qualifikation greift nicht ein, wenn nur ein Teilnehmer am Grunddelikt sie erfüllt; dasselbe gilt für Absatz 3 2. Alt.95 Teilnahme an einer nach § 176c Abs. 3 qualifizierten Missbrauchstat ist nach den allgemeinen Regeln möglich. Für Teilnehmer gilt § 28 Abs. 2 nicht, da die qualifizierenden Merkmale tatbezogen sind.
88 89 90 91 92
Wolters SK § 177 Rdn. 113. Renzikowski MK § 176a Rdn. 37. Fischer § 176a Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 15. Fischer § 176a Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 15. AA Renzikowski MK § 176a Rdn. 37; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 15: Die Lebensgefahr müsse unmittelbar durch die sexuelle Handlung entstehen. 93 Fischer § 176a Rdn. 19, 21; Renzikowski NStZ 1999 440, 442; Wolters SK § 177 Rdn. 111, 113. 94 Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 14. 95 Renzikowski MK § 176a Rdn. 40. Hörnle
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V. Konkurrenzen
§ 176c
5. Versuch Der Versuch einer Tat nach § 176c Abs. 3 1. Alt. ist möglich, wenn der Täter das Grunddelikt 72 vollendet, zur schweren körperlichen Misshandlung aber nur nach § 22 angesetzt hat. Dann besteht Tateinheit zwischen vollendetem sexuellen Missbrauch nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 und dem Versuch eines schweren sexuellen Missbrauchs nach § 176c Abs. 3 1. Alt. Ein Versuch ist aber auch in der Weise möglich, dass sowohl zum sexuellen Missbrauch als auch zur körperlichen Misshandlung nur angesetzt wurde. Beim gefahrerfolgsqualifizierten Delikt in § 176c Abs. 3 2. Alt. ist ein Versuch in der Form der versuchten Erfolgsqualifizierung möglich,96 aber auch in der Form des erfolgsqualifizierten Versuches97 (Rdn. 41).
6. Schuldspruch und Strafzumessung Der Schuldspruch lautet (nur) in den Fällen des Absatz 3 „besonders schwerer sexueller Miss- 73 brauch von Kindern“ (BGH NStZ 2021 225, 226; BeckRS 2022 1881). Der Strafrahmen reicht von fünf Jahren bis zu 15 Jahren (§ 38 Abs. 2) Freiheitsstrafe. Anders als bei sexuellen Übergriffen und sexuellen Nötigungen (§ 177 Abs. 8, 9) gibt es keinen Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle, wobei ein Grund für die unterschiedliche Strafrahmengestaltung nicht ersichtlich ist.98 Der Einstieg für die Bestimmung der Tatschwere liegt bei der Bewertung des Grunddelikts, entscheidend ist sodann das Ausmaß der körperlichen Misshandlung oder das Ausmaß der Todesgefahr.
V. Konkurrenzen 1. Verhältnis zum Grunddelikt Die bislang h.M. geht davon aus, dass vollendete Delikte nach § 176c stets § 176 im Wege der 74 Gesetzeskonkurrenz verdrängen, wenn wegen des engen räumlich-zeitlichen Zusammenhangs ein einheitlicher Lebenssachverhalt vorliegt.99 In einer neueren Entscheidung geht der BGH jedoch davon aus, dass Tateinheit möglich ist, nämlich dann, wenn der Täter zusätzlich zum Beischlaf oder einer ähnlichen Handlung weitere sexuelle Manipulationen gem. § 176 vornimmt (BGH NStZ-RR 2016 109; ebenso Renzikowski MK § 176a Rdn. 44). Dies ist überzeugend, wenn zusätzlich Handlungen den Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung und die Intimsphäre vertiefen (BGH NStZ-RR 2018 14). Wurde die qualifizierte Tat nur versucht, besteht Tateinheit im Verhältnis zu vollendeten 75 Taten, die den Grundtatbestand erfüllen.100 In der Lit. wird vertreten, dass Handlungen, die ausschließlich der Vorbereitung eines Eindringens i.S.v. § 176c Abs. 1 Nr. 2 dienen (etwa ein zu diesem Zwecke erfolgtes Berühren der äußeren Geschlechtsorgane), im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktreten.101 Aber auch in diesen Fällen ist zur präzisen Umschreibung des Unrechts ein Schuldspruch wegen vollendeten einfachen sexuellen Missbrauchs in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch angemessen. 96 97 98 99
So auch Renzikowski MK § 176a Rdn. 44. AA Renzikowski MK § 176a Rdn. 44. Krit. auch Wolters SK § 176a Rdn. 29. BGH NStZ 2005 90; s. auch schon BGH NStZ 1996 383; Fischer § 176a Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 16; Wolters SK § 176a Rdn. 30. 100 BGH bei Pfister NStZ-RR 2003 354; NStZ-RR 2004 354; Fischer § 176a Rdn. 23; Renzikowski MK § 176a Rdn. 46; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 16; Wolters SK § 176a Rdn. 30. 101 Folkers JR 2007 17. 167
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§ 176c
Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern
2. Innerhalb des § 176c 76 Teile des Schrifttums gehen davon aus, dass nur wegen einer Tat des schweren sexuellen Missbrauchs zu verurteilen sei, auch wenn das Verhalten unter mehrere Deliktsvarianten zu subsumieren ist. Anzuwenden sei der Absatz in § 176c, der den höchsten Strafrahmen vorsehe.102 Dies überzeugt jedoch nur insoweit, als die betroffenen Rechtsgüter identisch sind und das Unrecht der niedriger bewerteten Tat in dem der höher bewerteten Tat vollständig aufgeht. Dementsprechend verdrängt Absatz 3 1. Alt. (körperlich schwer misshandeln) Abs. 1 Nr. 4 1. Alt. (Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung),103 soweit es um dieselben Handlungen geht. In den meisten Konstellationen stehen hinter den Tatbeständen jedoch unterschiedliche Unrechtsaspekte, was in der Urteilsformel durch vollständige Nennung der Tatbestände zum Ausdruck kommen sollte. Es macht einen relevanten Unterschied, ob der Täter z.B. nur wegen einer Vorstrafe aus § 176c Abs. 1 Nr. 1 zu bestrafen ist oder ob er zusätzlich auch noch Geschlechts- und Analverkehr (§ 176c Abs. 1 Nr. 2) durchgeführt und das Geschehen für eine kinderpornographische Darstellung gefilmt hat (§ 176c Abs. 2). Deshalb ist von Tateinheit auszugehen, wenn mehrere Tatbestände aus § 176c erfüllt wurden (BGHSt 66 105, 114 f; BGH NJW 2010 2742, 2743; BeckRS 2016 2246; BeckRS 2020 31971). Bei einem Zusammentreffen von Umständen nach Absatz 1 und Absatz 2 ist die Tat als „schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes/von Kindern in kinderpornographischer Absicht“ zu bezeichnen (BGH NStZ-RR 2016 109).
3. Verhältnis zu anderen Tatbeständen 77 Tateinheit ist möglich mit den §§ 173, 174, 174a bis 174c, 180 Abs. 2, 182 Abs. 1 und Abs. 2 (dazu § 176 Rdn. 60) sowie mit § 177. § 176c Abs. 2 kann in Tateinheit mit § 184b Abs. 1 oder Abs. 2 stehen (BGHSt 66 105 115; BGH BeckRS 2020 8432).104 Soweit es um das Herstellen von Kinderpornographie geht (§ 184b Abs. 1 Nr. 3), bildet die Aufnahme des sexuellen Missbrauchs regelmäßig eine Tat mit § 176c Abs. 2. Der BGH hat dies auch für das Versenden von Bildern des Missbrauchs am gleichen Tag bejaht (BGH bei Pfister NStZ-RR 2015 362). Das mit größerem Zeitabstand nachfolgende Versenden von Bildern (§ 184b Abs. 1 Nr. 2) ist jedoch eine neue Tat und steht in Tatmehrheit mit § 176c Abs. 2 (BGH BeckRS 2019 21987; 2020 8432). Das Besitzdelikt in § 184b Abs. 3 kann nicht verschiedene Taten des sexuellen Missbrauchs, die Gegenstand der kinderpornographischen Inhalte sind, zu einer Tat verklammern (BGH BeckRS 2020 2437; 2022 5358). Zwischen § 176c Abs. 1 Nr. 2 und § 223 ist Tateinheit möglich (BGH BeckRS 2022 768), während § 176c Abs. 3 1. Alt. die einfache Körperverletzung (§ 223) verdrängt.105 § 176c Abs. 3 2. Alt. kann § 224 Abs. 1 Nr. 5 verdrängen.106
VI. Verjährung 78 Taten nach § 176c verjähren gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 nach 20 Jahren. Die Verjährung ruht nach § 78b Abs. 1 Nr. 1 bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers. Dies gilt auch für Taten, die vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift am 30.6.1994 bzw. der Gesetze, die die Ruhensfrist ausgeweitet haben, begangen wurden, es sei denn, diese Taten waren zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt (§ 176 Rdn. 74).
102 103 104 105 106
Renzikowski MK § 176a Rdn. 45. Fischer § 176a Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 16. Fischer § 176a Rdn. 23: Renzikowski MK § 176a Rdn. 44; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 16. Fischer § 176a Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 16. Fischer § 176a Rdn. 23. AA Sch/Schröder/Eisele § 176a Rdn. 16.
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§ 176d Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge Verursacht der Täter durch den sexuellen Missbrauch (§§ 176 bis 176c) mindestens leichtfertig den Tod des Kindes, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.
Schrifttum S. die Schrifttumsangaben bei § 176 und § 178.
Entstehungsgeschichte Bis zum 6. StrRG v. 26.1.1998 (Vor § 174 Rdn. 17) enthielt § 176 Abs. 4 a.F. die Erfolgsqualifikation der leichtfertigen Verursachung des Todes des Kindes, die mit fünf bis fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden konnte. Neben der Wiedereinführung eines eigenen Tatbestandes verschärfte das 6. StrRG den Strafrahmen (auf zehn bis fünfzehn Jahre oder lebenslängliche Freiheitsstrafe; dieser Rahmen war vor dem 4. StrRG, Vor § 174 Rdn. 6, bereits vorgesehen) und erweiterte den Anwendungsbereich, der auf leichtfertiges Handeln beschränkt gewesen war, auf die „wenigstens leichtfertige“ Verursachung des Todes. Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.20211 ersetzte den Begriff „wenigstens leichtfertig“ durch „mindestens leichtfertig“.
Übersicht I.
Normzweck
1
IV.
Versuch
II.
Tatbestand
2
V.
Strafzumessung
III.
Täterschaft und Teilnahme
VI.
Konkurrenzen
9
10 11 12
I. Normzweck Die Schutzfunktion ist offensichtlich: Zu den Schutzzwecken des Grunddelikts (§ 176 Rdn. 1 ff) 1 kommt der Schutz des Lebens hinzu. Es handelt sich um ein erfolgsqualifiziertes Delikt.
II. Tatbestand Soll der Täter aus § 176d bestraft werden (s. zu der Versuchsvariante Rdn. 10), ist ein vollende- 2 ter Missbrauch nach den §§ 176 bis 176c erforderlich.2 Es muss sich im Tod des Kindes (der Tod einer anderen Person ist nicht erfasst) eine dem Grunddelikt spezifische Gefahr verwirklicht haben (dazu Rdn. 4 ff; Vogel/Bülte LK § 18 Rdn. 32).3 Die Erfolgsqualifikation kann sowohl in einer Variante von Fahrlässigkeit, nämlich leicht- 3 fertig, als auch vorsätzlich verwirklicht werden. Mit der Formulierung „wenigstens leichtfertig“ wurde klargestellt, dass die vorsätzliche Todesverursachung unter § 176b a.F. (jetzt § 176d) fällt (BTDrucks. 13/9064 S. 11). Die Änderung in „mindestens leichtfertig“ mit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 war offenbar nicht mit der Intention verbunden, dass sich hieraus Folgen für die Anwendung ergeben sollen. Aus der Gesetzesbegründung (BTDrucks. 19/23707 S. 40) wird nicht ersichtlich, warum diese Änderung für erforder1 BGBl. I S. 1810. 2 S. dazu Hardtung S. 133 f. 3 Renzikowski MK § 176b Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 2; Wolters SK § 176b Rdn. 2. 169 https://doi.org/10.1515/9783110490121-010
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§ 176d
4
5
6
7
Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge
lich oder sinnvoll gehalten wurde, zumal damit von der Formulierung in § 178 abgewichen wird. Es findet sich nur der Hinweis, dass es sich um eine „kleine Folgeänderung“ handle (a.a.O.). Einfache Fahrlässigkeit genügt nicht (es kommt aber eine Bestrafung aus § 222 oder § 227 in Betracht,4 auch aus § 176c Abs. 3 2. Alt., wenn der Täter zwar bedingten Vorsatz hinsichtlich der Gefahr hat, aber in nicht leichtfertiger Weise auf den Nichteintritt des Erfolgs vertraut).5 Leichtfertig handelt, wer die sich ihm aufdrängende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs aus besonderem Leichtsinn oder aus besonderer Gleichgültigkeit außer Acht lässt (BGHSt 33 66, 67; s. auch BGHSt 43 158, 168; Vogel/Bülte LK § 15 Rdn. 297). Dies muss anhand der konkreten Tatumstände geprüft werden. Pauschale Feststellungen etwa zur Gefährlichkeit von Taten nach § 176c genügen nicht.6 Eine dem sexuellen Missbrauch eines Kindes spezifisch anhaftende Gefahr hat sich unstreitig verwirklicht, wenn die sexuelle Handlung die unmittelbare Todesursache war (also etwa das kindliche Opfer durch eine Penetration seines Körpers, § 176c Abs. 1 Nr. 2, schwere innere Verletzungen davon trägt und daran stirbt); ferner, wenn der Tod Folge einer sonstigen im Gesetz erwähnten Modalität ist, etwa einer schweren körperlichen Misshandlung (§ 176c Abs. 3 1. Alt.).7 Außerdem soll es genügen, dass die Komplikationen einer frühen Schwangerschaft zum Tod führen8 – da allerdings die körperlichen Folgen auch bei gerade erst geschlechtsreifen schwangeren Mädchen nicht so problematisch auszufallen pflegen, wäre Leichtfertigkeit zu verneinen.9 Dasselbe gilt für den Abbruch einer Schwangerschaft. Eine Tat nach § 176d kann bei einem Suizid des Opfers vorliegen. Da seelische Beeinträchtigungen häufige Folgen jedenfalls eines erheblichen sexuellen Missbrauchs sind (Vor § 174 Rdn. 42), kann bei entsprechenden Taten ein deliktsspezifischer Zusammenhang bestehen,10 und auch Leichtfertigkeit kann unter Umständen bejaht werden (insbesondere bei einem sich über einen längeren Zeitraum hinziehenden multiplen Missbrauch), wenn dem Täter eine bestehende Labilität oder eine anwachsende psychische Belastung bekannt war.11 Wenn das Opfer infolge von Gewaltanwendung stirbt, kann dies ebenfalls unter § 176d fallen. Gewalt nach den sexuellen Handlungen kann genügen, soweit sie noch in unmittelbarem Zusammenhang damit steht,12 etwa wenn das Kind im Hinblick auf eine Strafanzeige eingeschüchtert werden soll. S. zu Gewalt nach Abschluss der sexuellen Handlungen § 177 Rdn. 172. Im Schrifttum wird allerdings vertreten, dass spezifische Gefahren nicht solche sein könnten, die sich aus Begleitumständen ergeben, die im Tatbestand nicht vorausgesetzt werden. Da weder § 176 noch § 176c (mit Ausnahme von § 176c Abs. 3 1. Alt.) Gewalt erfordern, sei Gewaltanwendung unterhalb der Schwelle des § 176c Abs. 3 1. Alt. für die Anwendung von § 176d nicht ausreichend.13 Gegen eine solche enge Auslegung sprechen jedoch sowohl die Fassung der Norm als auch ihr Zweck. § 176d verweist auf „durch den sexuellen Missbrauch“, d.h. es sollen sämtliche Tatvarianten genügen. Die meisten Taten nach § 176 und § 176c sind, wenn man nur die Tatbestandsvoraussetzungen im Gesetz betrachtet, nicht lebensgefährlich. Die Entscheidung, auch sexuellen Missbrauch ohne Körperkontakt (§ 176 Abs. 1 Nr. 3; § 176a, § 176b), Rückfalltaten (§ 176c Abs. 1 Nr. 1) oder Taten zur Gewinnung kinderpornographischer Schriften 4 5 6 7
Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 3. Fischer § 176b Rdn. 4. AA Wolters/Noltenius SK § 178 Rdn. 4. Renzikowski MK § 176b Rdn. 11. Lackner/Kühl/Heger § 176b Rdn. 1; Renzikowski MK § 176b Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 2; Wolters SK § 176b Rdn. 2. 8 Rengier S. 230; Renzikowski MK § 176b Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 2; Wolters SK § 176b Rdn. 2. 9 Renzikowski MK § 176b Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 2. 10 Fischer § 176b Rdn. 3; Frommel NK § 176b Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger § 176b Rdn. 1; Rengier S. 195 f; Renzikowski MK § 176b Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 2; Wolters SK § 176b Rdn. 2. 11 AA Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 2. 12 AA Renzikowski MK § 176b Rdn. 5. 13 Ferschl S. 223 ff; Hardtung S. 134 f; Renzikowski MK § 176b Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 2; Wolters SK § 176b Rdn. 2. Hörnle
170
VI. Konkurrenzen
§ 176d
(§ 176c Abs. 2) für eine Bestrafung aus § 176d ausreichen zu lassen, bringt es mit sich, dass die „grunddeliktsspezifische Gefahr“ sich aus der konkreten Vorgehensweise ergeben muss. Erfasst sind auch Konstellationen, in denen das Kind bei Flucht- oder Verteidigungsbe- 8 mühungen ums Leben kommt.14 Die Frage des eigenverantwortlichen Verhaltens (Vogel/Bülte LK § 18 Rdn. 36 ff) stellt sich bei kindlichen Opfern nicht. Ein spezifischer Gefahrzusammenhang kann auch dann bejaht werden, wenn infolge von schmerzhaften Verletzungen durch schweren sexuellen Missbrauch das Opfer schreit oder weint und der Täter beim Versuch, es zum Schweigen zu bringen, eine tödliche Verletzung zufügt (aA BGH NStZ 2012 694, 695).
III. Täterschaft und Teilnahme Sind am sexuellen Missbrauch zwei oder mehr Personen als Mittäter beteiligt, so genügt es, 9 dass eine von ihnen den tödlichen Erfolg verursacht. Der Tod wird auch den anderen Tätern zugerechnet, wenn diesen wenigstens Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist (BGH NJW 1998 3361, 3362 zu § 251).15 S. zu der Herbeiführung des Todes durch einen Gehilfen und zur Bestrafung von Teilnehmern bei Todesverursachung durch den Täter § 178 Rdn. 12 f.
IV. Versuch Ein Versuch kann in Form der versuchten Erfolgsqualifizierung vorliegen (wenn der Täter Vor- 10 satz hinsichtlich der tödlichen Folge hat, diese aber ausbleibt). Umstr. ist die Möglichkeit eines erfolgsqualifizierten Versuchs, wenn der Versuch des Grunddelikts den Tod verursacht hat und der Täter leichtfertig oder vorsätzlich hinsichtlich der Folge handelte; s. dazu und zur Frage des Rücktritts § 178 Rdn. 14 f.
V. Strafzumessung Die Schwere der Tat ergibt sich oft primär aus dem Tötungsunrecht. Vorangegangene massive 11 sexuelle Misshandlungen und entsprechendes Leiden des Kindes sind aber ebenfalls zu berücksichtigen.16 Die Rspr. erlaubt die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe auch bei nur leichtfertiger Todesverursachung17 (BGH NStZ-RR 2006 75 mit krit. Anm. Beckschäfer ZIS 2006 259). Dies kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn das wegen des fehlenden Vorsatzes geringere Handlungsunrecht durch außergewöhnlich hohes Erfolgsunrecht, d.h. intensives sexuelles Quälen des Kindes vor Eintritt des Todes, kompensiert wird. S. zu den sonstigen Rechtsfolgen § 176 Rdn. 37.
VI. Konkurrenzen Wegen der überragenden Bedeutung des mit einer Tat nach § 176d verwirklichten Erfolgsun- 12 rechts treten nach h.M. die Delikte nach den §§ 176 bis 176c zurück.18 Nicht überzeugend ist dies allerdings für die Qualifikationen in § 176c, insbesondere auch § 176c Abs. 2, der auch noch 14 15 16 17
Renzikowski MK § 176b Rdn. 7; Wolters SK § 176b Rdn. 2. AA Rengier S. 223; Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 2. AA Renzikowski MK § 176b Rdn. 10. Fischer § 176b Rdn. 5. AA Renzikowski MK § 176b Rdn. 16. So auch Fischer § 176b Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger § 176b Rdn. 1; dagegen Renzikowski NStZ 1999 377, 384 (zu § 178); ders. MK § 176b Rdn. 16; Frommel NK § 176b Rdn. 4; Wolters SK § 178 Rdn. 7. 18 Fischer § 176b Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 5; Wolters SK § 176b Rdn. 5. 171
Hörnle
§ 176d
Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge
andere Rechtsgüter schützt. Es ist deshalb von Tateinheit zwischen § 176c und § 176d auszugehen. Tateinheit ist möglich mit den zusätzliche Unrechtselemente aufweisenden §§ 174 bis 174c. § 222 wird verdrängt.19 Anders verhält es sich mit § 227, da Fälle des § 176d ohne vorsätzliche Körperverletzung zwar selten sein dürften, aber vorstellbar sind, weshalb eine Klarstellung sinnvoll ist.20 Tateinheit ist möglich mit den §§ 212, 21121 sowie mit § 178.22
19 Renzikowski MK § 176b Rdn. 15; Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 3, 5; Wolters SK Rdn. 5. 20 Frommel NK § 176b Rdn. 5. AA Renzikowski MK § 176b Rdn. 15; Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 3, 5. 21 BGHSt GS 39 100 für § 251; Fischer § 176b Rdn. 4; Frommel NK § 176b Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger § 176b Rdn. 1; Renzikowski MK § 176b Rdn. 15; Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 5. 22 Fischer § 176b Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele § 176b Rdn. 5. Hörnle
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§ 176e Verbreitung und Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern (1) Wer einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht, der geeignet ist, als Anleitung zu einer in den §§ 176 bis 176d genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, und der dazu bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, als Anleitung zu einer in den §§ 176 bis 176d genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder 2. öffentlich oder in einer Versammlung zu einer in den §§ 176 bis 176d genannten rechtswidrigen Tat eine Anleitung gibt, um die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen. (3) Wer einen in Absatz 1 bezeichneten Inhalt abruft, besitzt, einer anderen Person zugänglich macht oder einer anderen Person den Besitz daran verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (4) Absatz 3 gilt nicht für Handlungen, die ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung von Folgendem dienen: 1. staatlichen Aufgaben, 2. Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle ergeben, oder 3. dienstlichen oder beruflichen Pflichten. (5) Die Absätze 1 und 3 gelten nicht für dienstliche Handlungen im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, wenn 1. kein kinderpornographischer Inhalt, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt oder der unter Verwendung einer Bildaufnahme eines Kindes oder Jugendlichen hergestellt worden ist, einer anderen Person oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, verbreitet oder einer anderen Person der Besitz daran verschafft wird, und 2. die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. (6) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 3 bezieht, werden eingezogen. § 74a ist anzuwenden.
Entstehungsgeschichte § 176e wurde durch das „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten, Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Verbesserung der Bekämpfung verhetzender Inhalte sowie Bekämpfung von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ v. 14.9.2021 (BGBl. I 4250) eingeführt; in Kraft trat die Änderung am 22.9.2021. In dem ursprünglich von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (BTDrucks. 19/28678) ging es nur um die sog. Feindeslisten, also die Einführung des neuen § 126a. Die Idee eines weiteren Straftatbestands, der sich gegen Missbrauchsanleitungen richtet, entstand während der Beratungen, s. die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (BTDrs. 19/30943). Erläuterungen zu § 176e finden sich im Bericht des Ausschusses v. 23.6.2021 (BTDrs. 19/31115 S. 10 ff).
Übersicht I.
Normzweck
1
II.
Handlungen nach Absatz 1 und Absatz 2
173 https://doi.org/10.1515/9783110490121-011
1.
Objektiver Tatbestand 6 a) Absatz 1 10 b) Absatz 2 Hörnle
§ 176e
Verbreitung und Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern
2. 3.
Subjektiver Tatbestand 12 Tatbestandsausschluss nach Absatz 5
III. 1. 2. 3.
Handlungen nach Absatz 3 17 Objektiver Tatbestand 19 Subjektiver Tatbestand Tatbestandsausschluss nach Absatz 4 und 20 Absatz 5
IV.
Täterschaft und Teilnahme; Versuch
V.
Strafzumessung und weitere 22 Rechtsfolgen
VI.
Konkurrenzen
21
14
24
VII. Verjährung und Prozessuales
25
I. Normzweck 1 § 176e soll dazu beitragen, Handlungen nach den §§ 176 bis 176d zu verhindern. Diese Normen schützen die Rechte von Kindern auf Achtung ihrer Intimsphäre, ihrer sexuellen Selbstbestimmung und ihrer körperlichen Integrität sowie die Gesundheit (s. § 176 Rdn. 1 ff; § 176c Rdn. 14) gegen Handlungen, die diese Rechte missachten oder gefährden. § 176e beschreibt abstrakte Gefährdungsdelikte. Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Notwendigkeit einer weiteren Strafnorm damit begründet, dass im Internet (vor allem im sog. Darknet) solche Anleitungen kursieren. Außerdem hätten Strafverfolgungsbehörden davon berichtetet, dass „nicht selten“ bei Beschuldigten in Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs solche Anleitungen gefunden würden (BTDrucks. 19/31115 S. 10). Es sei zu befürchten, dass „eine allgemeine subjektive Geneigtheit“ gefördert werde, sexuellen Missbrauch nach den §§ 176 bis 176d zu begehen (BTDrucks. 19/31115 S. 11). Damit ist wohl gemeint, dass potentiell tatinteressierte Personen, die in einschlägigen Foren kommunizieren, durch das Bereitstellen von tatrelevantem Wissen zur Begehung von Missbrauchstaten gebracht werden könnten. In den Gesetzesmaterialien wird eingeräumt, dass eine „sehr weit vorgelagerte Strafbarkeit“ begründet werde, was aber geboten sei, „um Kinder effektiv zu schützen“ (BTDrucks. 19/31115 S. 12). 2 § 176e steht offensichtlich in engem sachlichen Zusammenhang mit § 130a, der breiter gefassten Norm, die die Anleitung zu Straftaten unter Strafe stellt. Die nahe liegende Frage, warum neben § 130a eine Sondernorm in § 176e geschaffen wurde, wird im Bericht des Rechtsausschusses nicht explizit thematisiert. Man hätte erwägen können, Anleitungen zum sexuellen Missbrauch von Kindern in § 130a i.V.m. § 126 zu erfassen. Dies hätte allerdings erfordert, dass die Delikte des sexuellen Missbrauchs von Kindern in § 126 (z.B. in § 126 Abs. 1 Nr. 2) aufgenommen werden – § 130a enthält keine eigenständige Auflistung der zu verhindernden Delikte, sondern verweist auf § 126 Abs. 1. Dagegen sprach aber vermutlich erstens, dass § 126 Abs. 1 nur besonders schwere Delikte aufführt, etwa bei Taten nach § 177 nur solche, die unter die Absätze 4 bis 8 fallen. Die Aufnahme sämtlicher Handlungen nach den §§ 176 ff, darunter auch Vergehen (§§ 176a, 176b) in § 126 wäre offensichtlich systemfremd. Zweitens zielt § 126 auf andere Handlungsformen, nämlich Androhungen, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören – soweit es um den Missbrauch von Kindern geht, ist das Phänomen öffentlichkeitswirksamer Androhungen nicht zu erwarten. Wegen der Verweisungstechnik in § 130a ist es im Ergebnis nachvollziehbar, warum eine Sondernorm in § 176e geschaffen wurde. 3 Die Folge ist allerdings, dass die Vorverlagerung der Strafbarkeit besonders weit ausgedehnt wird, vor allem dann, wenn sich Anleitungen auf Verhalten beziehen, das Kinder nur abstrakt gefährdet (etwa Cybergrooming, § 176b, oder die Verabredung von Straftaten,1 § 176 i.V.m. § 30, §§ 176a Abs. 2, 176b Abs. 2). Damit entsteht die Frage, ob die punktuelle Ausweitung des Strafrechts auf die Gefahr von gefährlichen Aktivitäten systematisch stimmig ist. Dieselbe phänomenologische Ausgangslage, nämlich dass bestimmte Vorbereitungshandlungen im Kreis potentieller Täter als effektiv bekannt und verbreitet sind, kann für andere schwere, in § 126 Abs. 1 gelistete Straftaten (etwa Raub oder politisch motivierter Mord) ebenso bestehen. Nach 1 Krit. dazu Kubiciel jurisPR-StrafR 13/2021 Anm. 1. Hörnle
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II. Handlungen nach Absatz 1 und Absatz 2
§ 176e
der Logik des § 176e müsste generell die Anleitung zu typisierten Formen effektiver Tatvorbereitung unter Strafe stehen. Eine beträchtliche Ausweitung der Strafbarkeit im Vergleich zum allgemeinen Verbot 4 der Anleitung zu Straftaten (§ 130a) ergibt sich außerdem aus § 176e Abs. 3. Die Tathandlungen in § 130a und in § 176e Abs. 1, Abs. 2 (verbreiten, der Öffentlichkeit zugänglich machen, öffentlich, in einer Versammlung) setzen Breitenwirkung der anleitenden Aktivitäten voraus. § 176e Abs. 3 erfasst aber zusätzlich auch Vorfälle, in denen der Täter nur mit einer einzigen anderen Person in Kontakt steht (Inhalte einer anderen Person zugänglich macht oder ihr den Besitz daran verschafft). Darüber hinaus werden sogar Handlungen erfasst, in denen es keinen Kontakt zu anderen gab: Strafbar ist es nach § 176e Abs. 3 bereits, für sich selbst einen Inhalt abzurufen und einen solchen zu besitzen. Eine solche Ausweitung der Strafbarkeit gibt es in § 130a auch für Delikte nicht, die noch viel gravierendere Folgen haben können, man denke etwa an terroristische Anschläge mit vielen Todesopfern. Dass eine derart weitreichende, die Systematik im StGB ignorierende Sonderregel für Anlei- 5 tungen zum sexuellen Missbrauch von Kindern eingeführt wurde, ist nur verständlich, wenn man die besonders intensive moralische Empörung über Taten nach den §§ 176 ff kennt. In der Begründung zu § 176e kommt die moralschützende Komponente zum Ausdruck, mit dem Hinweis, dass Missbrauchsanleitungen auch deshalb zu beanstanden seien, weil darin eine „menschenverachtende Sprache“ verwendet werde (BTDrucks. 19/31115 S. 11). Schließlich wurde eine „Störung des öffentlichen Friedens“ befürchtet, weil „der Schutz der Rechtsordnung und ihre Legitimität in Frage gestellt“ würden (BTDrucks. 19/31115 S. 11). Der Verweis auf den öffentlichen Frieden hat allerdings keine eigenständige Bedeutung: Die relevante Störung des Friedens liegt in der abstrakten Gefährdung von Kindern, die damit verbundene Missachtung der Rechtsordnung ist ein Sekundäreffekt.
II. Handlungen nach Absatz 1 und Absatz 2 1. Objektiver Tatbestand a) Absatz 1. Tatobjekte sind Inhalte nach § 11 Abs. 3. Inhalte können verkörpert sein, nämlich 6 in „Schriften, auf Ton- oder Bildträgern, in Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Verkörperungen“ (§ 11 Abs. 3). Die Verkörperung ist aber keine notwendige Bedingung. Nach der gesetzlichen Definition in § 11 Abs. 3 sind Inhalte auch solche, die „unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden“. Der einzige Unterschied zwischen § 176e Abs. 1 und dem allgemeinen Verbot der Anleitung 7 zu Straftaten in § 130a Abs. 1 liegt darin, dass die Anleitung (dazu Krauß LK § 130a Rdn. 10 f) sich auf Taten nach den §§ 176 bis 176d beziehen muss. Es genügt die Vermittlung nützlicher Kenntnisse für die Vorbereitung oder Durchführung sexuellen Missbrauchs. Nicht erforderlich ist, dass sich aus dem Inhalt ein Billigen oder Auffordern ergibt (BTDrucks. 19/31115 S. 12). Explizite Empfehlung oder Anpreisung ist also kein notwendiges Merkmal, eine im Ton sachlich gehaltene Beschreibung von Vorgehensweisen genügt. Erfasst sind nicht nur Anleitungen zu sexuellem Missbrauch im engeren Sinn, also zu Handlungen mit sexuellem Körperkontakt, sondern Anleitungen zu sämtlichen Handlungen, die in den §§ 176–176d erfasst sind, und zur Vorbereitung solcher Straftaten. Strafbar macht sich also auch, wer Tipps dazu gibt, wie man Kontakt zu Kindern aufnimmt, ohne die eigene Identität preiszugeben (BTDrucks. 19/31115 S. 12), oder dazu, wo man Gleichgesinnte findet, mit denen man sich zu zukünftigen Missbrauchstaten verabreden kann, oder wer erfolgversprechende Strategien des Cybergroomings (§ 176b Abs. 1) schildert. Außerdem liegt eine Anleitung auch dann vor, wenn sich Informationen nur auf das Nachtatverhalten beziehen (BTDrucks. 19/31115 S. 12), wenn also z.B. beschrieben wird, wie Kinder davon abgehalten werden können, über die Tat zu sprechen.
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§ 176e
Verbreitung und Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern
Die übrigen im Tatbestand angeführten Anforderungen an die Anleitung (geeignet, als Anleitung zu dienen, und dazu bestimmt, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen) sind identisch mit den Formulierungen in § 130a, s. dazu Krauß LK § 130a Rdn. 12 f, 16 ff. Für das Tatbestandsmerkmal „dazu bestimmt“ kommt es nicht nur auf den Inhalt im engeren Sinn an, sondern auch auf den Kontext der Kommunikation, etwa die angesprochene Zielgruppe (BTDrucks. 19/31115 S. 12; enger aber Fischer Rdn. 4). Unter Umständen fallen Informationen, die auch für andere illegale Aktivitäten (etwa, wie man in das sog. Darknet kommt oder sich K.O.-Tropfen verschafft) oder sogar für legale Zwecke nützlich wären (etwa, wie man Fotos bearbeitet oder einen Messengerdienst benutzt) unter § 176e Abs. 1. Davon ist dann auszugehen, wenn der Kontext, etwa vorherige Chatinhalte, für einen objektiven Beobachter eindeutig erkennen lässt, dass diese Information dem Zweck dient, eine Tat nach den §§ 176-176d zu erleichtern. Mit „Bereitschaft“ anderer ist nicht das Verursachen eines konkreten Tatentschlusses gemeint (BTDrucks. 19/31115 S. 12). Es genügt vielmehr, dass die Verfügbarkeit einschlägiger Informationen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass interessierte Personen entsprechende Delikte begehen. 9 Die Tathandlungen in § 176e Abs. 1 (verbreiten oder der Öffentlichkeit zugänglich machen) sind ebenfalls identisch mit denen in § 130a Abs. 1, s. dazu Krauß LK § 130 Rdn. 91 ff, 100 ff. Der Tatbestand setzt nicht voraus, dass Adressaten den Inhalt zur Kenntnis genommen haben oder sich davon beeinflussen ließen.
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10 b) Absatz 2. § 176e Abs. 2 Nr. 1 bezieht sich ebenfalls auf Inhalte nach § 11 Abs. 3. Der Unterschied zwischen § 176e Abs. 2 Nr. 1 und § 176e Abs. 1 liegt darin, dass sich das Verbot in Absatz 1 auf Informationen bezieht, die dazu bestimmt sind, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken. Absatz 2 enthält in der Nummer 1 einen Auffangtatbestand, der Inhalte erfassen soll, die ersichtlich zu einem anderen, neutralen Zweck produziert wurden, aber bei zweckentfremdendem Gebrauch tatrelevante Informationen vermitteln. Die Gesetzesmaterialien verweisen als Beispiel auf „eine medizinische Abhandlung über die Besonderheiten der Geschlechtsorgane eines Kindes“ (BTDrucks. 19/31115 S. 11). Wenn allerdings aus dem Kontext der Kommunikation ein Bezug zu Missbrauchstaten eindeutig erkennbar ist, greift bereits Absatz 1 ein (Rdn. 8). Das Anwendungsfeld für Absatz 2 Nr. 1 beschränkt sich auf im konkreten Kontext mehrdeutig interpretierbare Gedankeninhalte. 11 § 176 Abs. 2 Nr. 2 erfasst mündliche Informationen, die nicht mit Informations- und Kommunikationstechnik übertragen, sondern öffentlich oder in einer Versammlung zum Ausdruck gebracht werden. In den Gesetzesmaterialien findet sich hierzu die Angabe, dass Absatz 2 Nr. 2 „nicht verkörperte Äußerungen“ erfassen solle (BTDrucks. 19/31115 S. 13). Das ist missverständlich. Seit dem Inkrafttreten des 60. StÄG2 am 1.1.2021, das § 11 Abs. 3 grundlegend geändert hat, sind von der Definition in § 11 Abs. 3 auch nicht verkörperte Inhalte erfasst; § 176e Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 erfassen deshalb auch nicht verkörperte Inhalte, etwa eine mündliche Anleitung – sofern diese mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden. § 176e Abs. 2 Nr. 2 ist nur dann heranzuziehen, wenn mündliche Anleitungen ohne eine solche Übertragung bei physischer Anwesenheit anderer vorgetragen werden. S. zu den Merkmalen „öffentlich“ und „in einer Versammlung“ Krauß LK § 130a Rdn. 31, 32.
2. Subjektiver Tatbestand 12 In § 176e Abs. 1 wird in subjektiver Hinsicht weniger gefordert als in Absatz 2. Für alle Tatbestandsmerkmale in Absatz 1 genügt bedingter Vorsatz. Der Täter muss es mindestens ernstlich für möglich halten und dies akzeptieren, dass die Schrift andere nicht nur eventuell beeinflus2 BGBl. I S. 2600. Hörnle
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III. Handlungen nach Absatz 3
§ 176e
sen könnte, sondern nach dem objektiven Erklärungsgehalt im konkreten Kontext sogar dazu bestimmt ist. In Absatz 2 wird jedoch zusätzlich die Absicht (dolus directus 1. Grades) vorausgesetzt, die 13 Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken (BTDrucks. 19/31115 S. 13; Fischer Rdn. 10). Diese gesteigerten subjektiven Anforderungen ergeben sich daraus, dass die Tendenz, andere zu beeinflussen, bei der Variante in Absatz 1 bereits in den Inhalten selbst angelegt sein muss („dazu bestimmt, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken“).
3. Tatbestandsausschluss nach Absatz 5 Für Tathandlungen nach Absatz 1 gilt der Tatbestandsausschluss nach Absatz 5, wenn es 14 sich um dienstliche Handlungen für strafrechtliche Ermittlungsverfahren handelt. Die Fassung orientiert sich ersichtlich am Tatbestandsausschluss, der gilt, wenn Kinderpornographie verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht wird (§ 184b Abs. 6). Nicht ersichtlich ist, ob bei der Einführung von § 176e bedacht wurde, dass es nicht ganz dasselbe ist, ein künstlich generiertes Bild zu verbreiten (darum geht es bei § 184b Abs. 6) und eine Anleitung zum sexuellen Kindesmissbrauch zu verbreiten. Durch die Voraussetzung „künstlich geschaffen“ wird in § 184b Abs. 6 ein Teil des Unrechts eliminiert – es wird kein Persönlichkeitsrecht eines echten Kindes verletzt. Eine Anleitung zum sexuellen Kindesmissbrauch, die vielen Personen zugänglich gemacht wird, die vor allem in entsprechenden Nischen digitaler Netze aktiv sind, verliert dagegen durch Umstände nach § 176e Abs. 6 nichts an objektivem Gefährdungspotential. Hintergrund des Tatbestandsausschlusses in § 176e Abs. 5 ist (insofern genauso wie bei 15 § 184b Abs. 6), dass es für verdeckt ermittelnde Polizeibeamte erforderlich werden kann, sich im Kontakt mit möglichen Tatverdächtigen „angepasst“ zu verhalten und als „Eintrittskarte“ (oft als „Keuschheitsprobe“ bezeichnet) auch Material zu verbreiten oder zugänglich zu machen, das objektiv als Anleitung zum sexuellen Missbrauch zu verstehen ist. In den Gesetzesmaterialien wird darauf verwiesen, dass eine Erlaubnis, Missbrauchsanleitungen zu verbreiten, deshalb notwendig sei, weil Anpassungsleistungen in kriminellen Gruppen zu erwarten sind (BTDrucks. 19/31115 S. 14). Würde sich in den entsprechenden Foren herumsprechen, dass Polizeibeamte zwar kinderpornographische Bilder, aber keine Missbrauchsanleitungen verbreiten dürfen, sei damit zu rechnen, dass zukünftig Missbrauchsanleitungen zur gängigen „Eintrittskarte“ würden – was ohne entsprechenden Tatbestandsausschluss verdeckte Ermittler faktisch ausschließen würde. § 176e Abs. 5 erlaubt auch, dass Teil der Anleitungen Bilder sein dürfen, sofern diese computergeneriert sind. Der Tatbestandsausschluss gilt nicht für Handlungen nach Absatz 2 – was daran liegen dürfte, dass eine subjektive Absicht, bei anderen die Bereitschaft zu sexuellem Missbrauch zu wecken oder zu fördern, bei dienstlich handelnden Ermittlungspersonen nicht vorliegen wird. Die einschränkende Klausel in § 176e Abs. 5 Nr. 2 ist dann bedeutsam, wenn Handlungen 16 von Ermittlungspersonen nach Absatz 1 vorliegen, die wegen ihrer Breitenwirkung gefährlicher sind als solche nach Absatz 3. Wenn es nur um den Besitz von Anleitungen geht (Absatz 3), z.B. als Teil einer Ermittlungsakte, sind keine strengeren Anforderungen zu stellen als bei anderen Personen, die wegen der Erfüllung staatlicher Aufgaben nach § 176e Abs. 4 straffrei gestellt werden. Insoweit können sich natürlich auch Ermittlungsbeamte auf Absatz 4 Nr. 1 berufen.
III. Handlungen nach Absatz 3 1. Objektiver Tatbestand Die Tathandlungen, die in § 176e Abs. 3 beschrieben sind, sind in § 130a nicht enthalten. In der 17 Spezialnorm für Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern steckt deshalb eine deutli177
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§ 176e
Verbreitung und Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern
che Ausweitung der Strafbarkeit. Während es nachvollziehbar ist, dass z.B. das Verbreiten von Anleitungen zu Missbrauch in größeren Foren des Darknets eine abstrakte Gefahr für Kinder bedeutet, ist dies beim bloßen Besitz einer entsprechenden Schilderung durch eine Einzelperson (die etwa eine von anderen erhaltene Nachricht nur nicht gelöscht hat) weniger offensichtlich. 18 Die Handlungsbeschreibungen (abrufen, besitzen, einer anderen Person zugänglich machen, einer anderen Person den Besitz verschaffen) entsprechen dem, was in § 184b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 erfasst ist. Allerdings wurde immerhin in § 176e Abs. 3 im Gegensatz zu § 184b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 auf die Ausgestaltung als Unternehmensdelikt verzichtet, weshalb der Versuch nicht strafbar ist. S. zu den Handlungsbeschreibungen Nestler LK § 184b Rdn. 38 ff, 43 ff, 27 f, 29.
2. Subjektiver Tatbestand 19 Hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale genügt bedingter Vorsatz (Rdn. 12; Fischer Rdn. 12).
3. Tatbestandsausschluss nach Absatz 4 und Absatz 5 20 Der Anwendungsbereich des Tatbestandsausschlusses in Absatz 4 ist einerseits enger als der nach Absatz 5: Er gilt nur für Handlungen nach Absatz 3. Andererseits ist er weiter als der Tatbestandsausschluss nach Absatz 5 (dazu Rdn. 14 ff). Auch Personen, die nicht strafrechtlich ermitteln, können sich nach Absatz 4 auf die rechtmäßige Erfüllung von staatlichen Aufgaben oder dienstliche bzw. berufliche Pflichten berufen. So dürfen etwa Rechtsanwälte und ihre Berufshelfer (Büroangestellte) entsprechende Inhalte besitzen, die zu einer Mandantenakte gehören. S. zu weiteren Anwendungsfällen Hörnle MK § 184b Rdn. 50 ff.
IV. Täterschaft und Teilnahme; Versuch 21 Für Täterschaft und Teilnahme gelten die allgemeinen Regeln. Es handelt sich nicht um eigenhändige Delikte (Fischer Rdn. 14). Die Tathandlung muss vollendet sein, wobei (da abstraktes Gefährdungsdelikt) die Begehung einer Tat nach den §§ 176-176d oder die psychische Beeinflussung einer anderen Person nicht erforderlich ist. Der Versuch ist nicht strafbar, s. § 23 Abs. 1.
V. Strafzumessung und weitere Rechtsfolgen 22 Der gesetzliche Strafrahmen reicht von Geldstrafe bis zu zwei Jahren (Taten nach Absatz 3) oder drei Jahren (Taten nach Absatz 1 und Absatz 2) Freiheitsstrafe. Basis für die Bestimmung des Tatunrechts im Einzelfall sind vor allem drei Umstände: Erstens kommt es darauf an, wie gravierend der sexuelle Missbrauch ausfällt, auf den sich die Anleitung bezieht. Wer Anleitungen zu besonders massiven Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs (§ 176c Abs. 3) verbreitet, schafft deutlich höheres Gefährdungsunrecht als jemand, der eine Anleitung zu exhibitionistischem Verhalten vor Kindern (§ 176a Abs. 1 Nr. 1) verbreitet. Zweitens spielt für das Ausmaß eines geschaffenen Risikos eine Rolle, wieviele andere Personen den Inhalt zur Kenntnis genommen haben bzw. zur Kenntnis nehmen konnten (hieraus ergibt sich auch der Unterschied der Höchststrafe zwischen Absatz 1 und 2 einerseits, Absatz 3 andererseits). Drittens kommt es darauf an, wie explizit und detailliert die Anleitung ausfiel, wie „nützlich“ sie aus der Perspektive eines Tatinteressierten wäre, und wie sehr der Inhalt geeignet war, andere effektiv zu motivieren.
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VII. Verjährung und Prozessuales
§ 176e
Die Anleitungen müssen eingezogen werden, Absatz 6. Durch den Verweis auf § 74a ist 23 sichergestellt, dass Anleitungen abweichend von § 74 Abs. 3 S. 1 auch dann obligatorisch einzuziehen sind, wenn diese „zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht dem Täter oder Teilnehmer gehören oder zustehen“ (BTDrucks. 19/3115 S. 14).
VI. Konkurrenzen Tateinheit ist möglich mit Handlungen nach den §§ 184a, 184b oder 184c sowie § 131, vor allem, 24 wenn Anleitungen mit Bildern versehen werden, außerdem mit den §§ 176 Abs. 1 Nr. 3, 176a Abs. 2, 176b Abs. 2. Ferner kann, wenn Anleitungen mit hinreichend konkretisierten Aufforderungen verbunden werden, Tateinheit mit öffentlicher Aufforderung zu Straftaten (§ 111) vorliegen, oder, wenn begangene Delikte des sexuellen Missbrauchs gebilligt werden, Tateinheit mit § 140 Nr. 2.
VII. Verjährung und Prozessuales Taten nach § 176e verjähren gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 nach fünf Jahren. Die Gesetzesmaterialien 25 weisen darauf hin, dass die Ruhensregel in § 78b Abs. 1 Nr. 1 anwendbar sei (BTDrucks. 19/31115 S. 11), aber auch darauf, dass Anleitungen sich in der Regel nicht auf ein bestimmtes Individuum beziehen, weshalb dies ohne praktische Bedeutung bleiben wird. Polizeibeamte, die für Ermittlungen darauf angewiesen sind, Missbrauchsanleitungen ein- 26 zusetzen, um Zugang zu Tatverdächtigen zu bekommen (Rdn. 15), brauchen eine gerichtliche Zustimmung, wenn sie diese Anleitungen verbreiten oder der Öffentlichkeit zugänglich machen (§ 176e Abs. 1), § 110d S. 1 StPO. Bei Gefahr im Verzug genügt die Zustimmung der Staatsanwaltschaft, § 110d S. 3 StPO. Wenn sie dagegen nur einer anderen Person solche Inhalte zugänglich machen oder dieser den Besitz verschaffen (§ 176e Abs. 3), und wenn darin keine kinderpornographischen Bilder enthalten sind, ist dies nicht erforderlich – § 110d S. 1 StPO bezieht sich nur auf Handlungen, die unter § 176e Abs. 1 fallen.3
3 BeckOK/Ziegler § 176e Rdn. 17 geht davon aus, dass es sich um ein Versehen des Gesetzgebers handle. 179
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§ 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn 1. der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, 2. der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, 3. der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, 4. der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder 5. der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht. (5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter 1. gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, 2. dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder 3. eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist. (6) 1In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. 2Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn 1. der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder 2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird. (7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter 1. eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, 2. sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder 3. das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. (8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter 1. bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder 2. das Opfer a) bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder b) durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt. (9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
Hörnle https://doi.org/10.1515/9783110490121-012
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1. Schrifttum zur Rechtslage vor dem 50. StÄG
§ 177
Schrifttum 1. Schrifttum zur Rechtslage vor dem 50. StÄG Baurmann Sexuelle Gewalttätigkeit in der Ehe, in Dt. Richterakademie (Hrsg.) Gewalt an Frauen – Gewalt in der Familie (1990) 37; Balthasar Die Tatbestände der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung (2001); Becker Vergewaltigung in Deutschland (1996); Behm Die Außerehelichkeit der Vergewaltigung – ein Rechtsproblem? MDR 1986 886; Bittmann/Meschky Erste Erfahrungen mit § 177 StGB, NJ 1998 461; Bottke Mißlungener oder fehlgeschlagener Vergewaltigungsversuch bei irrig angenommenem Einverständnis? JZ 1994 71; Bundesministerium der Justiz (Hrsg.) Gewalt gegen Frauen in der Ehe – Ergebnisse einer Umfrage (1986); Burkhardt Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (2005); Engel Warum eine Reform der §§ 177, 178 StGB und der dazugehörenden Vorschriften der StPO? Streit 1984 50; dies. „Neue“ Tendenz in der Rechtsprechung des 2. Strafsenats des BGH = Neue Hürde für vergewaltigte Frauen, StV 1988 505; Fischer Sexuelle Selbstbestimmung in schutzloser Lage, ZStW 112 (2000) 75; Folkers Die Reform der Notzuchttatbestände in den Jahren 1997 und 1998, NJW 2000 3317; dies. Anmerkung zu BGH NStZ 2000 254, NStZ 2000 471; dies. Ausgewählte Probleme bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung aus der Sicht der Praxis (2004); dies. Schutzlos – widerstandsunfähig – und trotzdem vergewaltigt? NStZ 2005 181; Frommel Wie kann die Staatsgewalt die Frauen vor sexueller Gewalt schützen? ZRP 1987 242; dies. Das klägliche Ende der Reform der sexuellen Gewaltdelikte, ZRP 1988 233; dies. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Vergewaltigung und sexuellen Nötigung – unverfroren und unbeirrbar, in Böllinger/Lautmann (Hrsg.) Vom Guten, das noch stets das Böse schafft (1993) 113; dies. Zaghafte Versuche einer Reform der sexuellen Gewaltdelikte, KJ 1996 164; dies. Die Reform der Sexualdelikte 1997/98, in Künzel (Hrsg.) 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ZRP 1985 265; Huhn Nötigende Gewalt mit und gegen Sachen (2007); Inescu Feministische Signale durch Strafzumessung? Der Streit um die Mindeststrafe bei Vergewaltigungen, StV 1988 469; M. Jäger Symbolisches Strafrecht – expressive Kriminalpolitik: Die Reform der Sexualdelikte, in Inst. für Kriminalwissenschaften (Hrsg.) Irrwege der Strafgesetzgebung (1999) 49; Kieler Tatbestandsprobleme der sexuellen Nötigung, Vergewaltigung sowie des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen (2003); Kratzer Die Geschichte des Vergewaltigungstatbestandes – Aufbruch contra Konservierung, KritV 2010 83; Kruse/Sczesny Vergewaltigung und sexuelle Nötigung – bagatellisierende Auslegung und Scheitern einer Reform, KJ 1993 336; Lembke „Vergebliche Gesetzgebung“. Die Reform des Sexualstrafrechts 1997/ 1998 als Jahrhundertprojekt und ihr Scheitern in und an der sog. Rechtswirklichkeit, ZfRSoz 2014 223; Lenckner Das 33. Strafrechtsänderungsgesetz – das Ende einer langen Geschichte, NJW 1997 2801; Limbach Zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, ZRP 1985 289; Maiwald Viktimodogmatik und das Prinzip der Zumutbarkeit – am Beispiel der §§ 177 Abs. 1 Nr. 3 und 240 StGB, Festschrift Kühl (2014) 539; Mildenberger Schutzlos – hilflos – widerstandsunfähig (1998); dies. Änderungen im 13. Abschnitt des StGB durch das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts, Streit 1999 3; Mitsch Die Strafbarkeit der Ehegattenvergewaltigung im geltenden Recht, JA 1989 484; Mösl Ist eine Reform der „sexuellen Gewaltdelikte“ notwendig? ZRP 1989 49; Müting Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung (§ 177 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2010); Nelles Ansätze für eine Reform des Sexualstrafrechts, in WE Kriminalpolitikforschung (Hrsg.) Zur Reform des Sexualstrafrechts (1994) 35; dies. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Streit 1995 91; dies. Der Gesetzgeber und die Interessen der Frauen, in Koreuber/Mager (Hrsg.) Recht und Geschlecht (2004) 81; Oberlies Die Rechtspolitik frömmelt – ein Beitrag zum Ende der Mindeststrafendiskussion bei den sexuellen Gewaltdelikten, Streit 1989 13; dies. Selbstbestimmung und Behinderung, ZStW 114 (2002) 130; Otto Die Neufassung der §§ 177–179 StGB, Jura 1998 210; Paeffgen Unzeitgemäße (?) Überlegungen zum Gewaltund Nötigungs-Begriff, Festschrift Grünwald (1999) 433; Paetow Vergewaltigung in der Ehe (1989); Pott Rechtsgutsgedanke versus Freiheitsverletzung. Zum Begriff des Unrechts bei der Vergewaltigung nach dem 6. Strafrechtsreformgesetz, KritV 1999 91; Reichenbach Irrungen und Wirrungen. Einige Anmerkungen zur Interpretation des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aus verfassungsrechtlicher Perspektive, KritV 2002 243; ders. Elegie für junge Liebende. Über die Berücksichtigung einer vorangegangenen Intimbeziehung im Rahmen der Strafzumessung wegen sexueller Nötigung, NStZ 2004 128; ders. Die Strafbarkeit sexuell motivierter Übergriffe in schutzloser Lage – verfassungswidrig? JR 2005 405; Renzikowski Das Sexualstrafrecht nach dem 6. Strafrechtsreformgesetz, NStZ 1999 370; Reuter-Stracke Gewalt oder Drohung gegen Dritte als (qualifizierte) Nötigung, Diss. Münster 1993; Rössner Gewaltbegriff und Opfer181
Hörnle
§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
perspektive bei der Vergewaltigung, Festschrift Leferenz (1983) 527; Röthlein Der Gewaltbegriff im Strafrecht unter besonderer Berücksichtigung der Sexualdelikte, Diss. München 1986; Sankol Der „minder schwere Fall des besonders schweren Falles“ einer sexuellen Nötigung nach § 177 StGB, StV 2006 607; Schapira Die Rechtsprechung zur Vergewaltigung – über die weit gezogenen Grenzen der erlaubten Gewalt gegen Frauen, KJ 1977 221; Schünemann Die Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung des Ehepartners als kriminalpolitisches Problem, GA 1996 307; ders. Zum Schutz von Ehe und Familie durch das Strafrecht und vor dem Strafrecht, Festschrift Pawlowski (1996) 275; Shaw Entwicklung und Reform zur Vergewaltigung in der Ehe gemäß § 177 StGB (2005); Sick Zweierlei Recht für zweierlei Geschlecht, ZStW 103 (1991) 43; dies. Sexuelles Selbstbestimmungsrecht und Vergewaltigungsbegriff (1993); dies. Die sexuellen Gewaltdelikte, MSchrKrim 1995 281; Weßlau Reform des Vergewaltigungsparagraphen, DuR 1989 36; Wetzel Die Neuregelung der §§ 177–179 StGB unter besonderer Berücksichtigung des ehelichen Bereichs und ausländischer Rechtsordnungen (1998).
2. Schrifttum zur Reform durch das 50. StÄG und zum geltenden Recht Bezjak Der Straftatbestand des § 177 StGB (Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung) im Fokus des Gesetzgebers, KJ 2016 557; dies. „Nein-heißt-Nein“ im Strafrecht, SchlHA 2017 371; Blume/Wegner Reform des § 177 StGB? – Zur Vereinbarkeit des deutschen Sexualstrafrechts mit Art. 36 der „Istanbul-Konvention“, HRRS 2014 357; Corrêa Camargo Sexuelle Selbstbestimmung als Schutzgegenstand des Strafrechts, ZStW 134 (2022) 351; Deckers Zur Reform des Sexualstrafrechts durch das StÄG 2016, StV 2017 410; Denzel/Kramer de la Fonseca Calixto Strafbarkeit und Strafwürdigkeit der sexuellen Täuschung, KriPoZ 2019 347; Eisele Notwendigkeit einer Reform des Sexualstrafrechts? DRiZ 2017 398; ders. Ausnutzen eines Überraschungsmoments bei sexuellem Übergriff, JR 2019 537; El-Ghazi Der neue Straftatbestand des sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 StGB n.F., ZIS 2017 157; Fischer Sexuelle Nötigung: Schutzlücken oder Schutzlücken-Fantasien? StraFo 2014 485; ders. Noch einmal: § 177 StGB und die Istanbul-Konvention. Entgegnung auf Hörnle, ZIS 2015, 206, ZIS 2015 312; ders. Normative Tatbestandsausweitung bei sexuellem Übergriff – Zur Anwendung von § 177 Abs. 1 StGB bei aktivem Handeln der geschädigten Person, NStZ 2019 580; Franzke Zur Strafbarkeit des so genannten „Stealthings“, BRJ 2019 114; Frommel Muss der Verbrechenstatbestand der sexuellen Nötigung/Vergewaltigung – § 177 StGB reformiert werden? Festschrift Ostendorf (2015) 321; dies. Hat der Vergewaltigungs-Paragraph Schutzlücken? NKrimP 2015 292; Gaede Die Vergewaltigung von Prostituierten, NStZ 2002 238; Geneuss/Bublitz/Papenfuß Zur Strafbarkeit des „Stealthing“, JR 2021 189; Gerhold Der Einfluss der Rechtsprechung des EGMR, der Istanbul-Konvention und weiterer völkerrechtlicher Verträge auf die Auslegung des Merkmals der schutzlosen Lage in § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB, JR 2016 122; Herning/Illgner „Ja heißt Ja“ – Konsensorientierter Ansatz im deutschen Sexualstrafrecht, ZRP 2016 77; Herzog „Stealthing“: Wenn Männer beim Geschlechtsverkehr heimlich das Kondom entfernen. Eine Sexualstraftat? Festschrift Fischer (2018) 351; Hoffmann Zum Problemkreis der differenzierten Einwilligung (Einverständnis) des Opfers im Bereich des § 177 StGB nach dem Strafrechtsänderungsgesetz 2016. Ein Kurzbeitrag zur strafrechtlichen Einordnung des sogenannten „Stealthing“, NStZ 2019 16; Högl/Neumann Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht. Zur Verankerung des Grundsatzes „Nein heißt Nein!“ im deutschen Strafrecht, RuP 2016 155; Hörnle Der Irrtum über das Einverständnis des Opfers bei einer sexuellen Nötigung, ZStW 112 (2000) 356; dies. Wider das Dogma vom Finalzusammenhang bei Raub und sexueller Nötigung, Festschrift Puppe (2011) 1143; dies. Menschenrechtliche Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention. Gutachten zur Reform des § 177 StGB für das Dt. Institut für Menschenrechte (2015); dies. Warum § 177 Abs. 1 StGB durch einen neuen Tatbestand ergänzt werden sollte, ZIS 2015 206; dies. Wie § 177 StGB ergänzt werden sollte, GA 2015 313; dies. Besserer Schutz vor sexuellen Übergriffen, Streit 2016 3; dies. Die geplanten Änderungen der §§ 177, 179 StGB – ein kritischer Blick, KriPoZ 2016 19; dies. Das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes sexueller Selbstbestimmung, NStZ 2017 13; dies. Sexueller Übergriff (§ 177 Abs. 1 StGB) bei aktivem Handeln von Geschädigten? NStZ 2019 439; Hoven Der Einfluss der Medienberichterstattung auf die Reform des Sexualstrafrechts, MSchrKrim 2017 161; dies. Das neue Sexualstrafrecht – Der Prozess einer Reform, KriPoZ 2018 2; dies. Anm. zu BGHSt 63, 220, StV 2019 542; dies. Das neue Sexualstrafrecht – Ein erster Überblick, NStZ 2020 578; Hoven/Weigend „Nein heißt Nein“ – und viele Fragen offen. Zur Neugestaltung der Strafbarkeit sexueller Übergriffe, JZ 2017 182; dies. Zur Strafbarkeit von Täuschungen im Sexualstrafrecht, KriPoZ 2018 156; Isfen Zur gesetzlichen Normierung des entgegenstehenden Willens bei Sexualdelikten, ZIS 2015 217; Jerouschek Der irrtumsgeneigte Vergewaltigungstäter, JZ 1992 227; Kempe Lückenhaftigkeit und Reform des deutschen Sexualstrafrechts vor dem Hintergrund der Istanbul-Konvention (2018); Keßler Sexuelle Täuschungen (2022); Kölbel Sexualstrafgesetzgebung, Kriminalpolitik und Strafrechtsaffinität in der Kriminologie, Festschrift Eisenberg (2019) 61; Kratzer-Ceylan Finalität, Widerstand, „Bescholtenheit“. Zur Revision der Schlüsselbegriffe des § 177 StGB (2015); Krüger Praxiskommentar [zum gefährlichen Werkzeug], NStZ 2019 273; Lamping Die Rationalisierung und Überregulierung der Sexualität, JR 2017 347; Lederer Sexualstrafrecht heute – eine kritische Bilanz der Reform, AnwBl 2017 514; Linoh/Wettmann Sexuelle Interaktionen als objektuale Vertrauensbeziehung. Eine juristisch-soziologische Untersuchung des Phänomens Stealthing, ZIS 2020 383; Löffelmann Verfassungswidrigkeit des Hörnle
182
3. Kriminologisches, soziologisches und psychologisches Schrifttum
§ 177
neuen § 177 StGB? StV 2017 413; Makepeace „I’m not sure this is rape, but…“. Zur Strafbarkeit von „Stealthing“ nach dem neuen Sexualstrafrecht, KriPoZ 2021 10; May Die Voraussetzungen der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1, Abs. 6 StGB n.F., JR 2019 130; Mitsch Die erkennbare Willensbarriere gem. § 177 Abs. 1 StGB, KriPoZ 2018 334; Ost/ Weil Stealthing: Entwürdigend, aber auch strafbar? jM 2021 346; Papathanasiou Das reformierte Sexualstrafrecht – Ein Überblick über die vorgenommenen Änderungen, KriPoZ 2016 133; Pisal/Freudenberg Stellungnahme des Dt. Juristinnenbundes zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer Anpassung des Sexualstrafrechts (insbesondere § 177 StGB) an die Vorgaben der Konvention des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) von 2011 (2014); Pschorr Auf das Kondom kommt es an, StraFo 2021 279; Rabe/Normann Schutzlücken bei der Strafverfolgung von Vergewaltigungen. Gutachten für das Dt. Institut für Menschenrechte (2014); Renzikowski Nein! – Das neue Sexualstrafrecht, NJW 2016 3553; ders. Die Reform des Sexualstrafrechts – einstweilen vertagt? ZRP 2017 161; Rettenberger/Dessecker (Hrsg.) Sexuelle Gewalt als Herausforderung für Gesellschaft und Recht (2017); Satzger/Linder Gesetzgeberische Fehlgriffe beim „sexuellen Übergriff“, Gedächtnisschrift Tröndle (2019) 981; Scheidegger Balancing Sexual Autonomy, Responsibility, and the Right to Privacy: Principles for Criminalizing Sex by Deception, German Law Journal 2021 769; Schönauer Zum Beweis des entgegenstehenden Willen des Opfers des sexuellen Übergriffs, wenn dieses sexuelle Handlungen ohne Nötigungsverhalten des Täters vornimmt, JR 2020 30; Schulz Der „erkennbare Wille“ gem. § 177 Abs. 1 StGB, StraFo 2017 447; Schumann/Schefer Das sog. Stealthing als Prüfstein des § 177 StGB n.F., Festschrift Kindhäuser (2019) 811; Sick/ Renzikowski Lücken beim Schutz der sexuellen Selbstbestimmung aus menschenrechtlicher Sicht, Festschrift Rössner (2015) 928; Steinl Der Einfluss der Istanbul-Konvention auf das deutsche Strafrecht, ZStW 133 (2021) 819; Vavra Täuschungen als strafbare Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung? ZIS 2018 611; dies. Die Strafbarkeit nichteinvernehmlicher sexueller Handlungen zwischen erwachsenen Personen (2020); Wagner Durch Täuschung veranlasste Selbstpenetration als Vergewaltigung? NStZ 2021 592; Walter Zu früh und zu weit – der aktuelle Referentenentwurf eines Gesetzes zur „Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“, JR 2016 361; ders. Feministische Kriminalpolitik? ZStW 129 (2017) 492; Wißner „Stealthing“: ein besorgniserregender Trend? MSchrKrim 2020 315; ders. Das Phänomen „Stealthing“, KriPoZ 2021 279; Wollmann/Schaar Alles nur eine Frage der Kampagne? NK 2016 268; Wolters Das gesetzliche Merkmal „gegen den erkennbaren Willen“ in der Neufassung des § 177 Abs. 1 StGB, Festschrift Merkel (2020) 951.
3. Kriminologisches, soziologisches und psychologisches Schrifttum Allroggen u.a. Prävalenz sexueller Gewalt, Dt. Ärzteblatt 113 (2016) 107; Anderson u.a. (Hrsg.) Rape Narratives in Motion (2019); Banyard Toward the Next Generation of Bystander Prevention of Sexual and Relationship Violence (2015); Barton Wenn Aussage gegen Aussage steht – die justizielle Bewältigung von Vergewaltigungsvorwürfen, Festschrift Ostendorf (2015) 41; Baurmann Sexualität, Gewalt und Folgen für das Opfer (1996); Bergen Issues in Intimate Violence (1998); Biedermann/Volbert Empirische Erkenntnisse zur Reform des Sexualstrafrechts in Bezug auf die §§ 177 und 184i StGB und daraus resultierende Schlussfolgerungen für die Vernehmungsgestaltung, MschrKrim 2020 250; Bohner Vergewaltigungsmythen (1998); Brill/Dombrowski/Friedrich Vorgetäuschte Vergewaltigungen – Fiktion und Fakten, Kriminalist 1998 75; Brownmiller Gegen unseren Willen (1980); Burgheim/Friese Unterscheidungsmerkmale realer und vorgetäuschter Sexualdelikte, Kriminalistik 2006 510; Butzmühlen Vergewaltigung. Die Unterdrückung des Opfers durch Vergewaltiger und Gesellschaft (1978); Campbell/Raja Secondary Victimization of Rape Victims, Violence and Victims 1999 261; Campbell u.a. Preventing the Second Rape, Journal of Interpersonal Violence 2001 1239; Carline/Gunby/Murray Rape and the Criminal Trial (2020); Chambers/Horvath/ Kelly A Typology of Multiple Perpetrator Rape, Crim Justice and Behavior 2010 1114; Czuy Levine Rape by the Numbers. Producing and Contesting Scientific Knowledge about Sexual Violence (2021); DeKeseredy/Schwartz Male Peer Support and Violence against Women (2013); Drießen Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Kriminalist 2003 415; Eder-Rieder Behandlung des Opfers eines sexuellen Missbrauchs im Strafprozess und Befriedigung seines Schmerzensgeldanspruches, Festschrift Gössel (2002) 565; Ellis Why Some Sexual Assaults Are not Committed by Men, in Anderson/Struckman-Johnson (Hrsg.) Sexually Aggressive Women (1998) 105; Elsner/Steffen Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen in Bayern (2005); Elz Legalbewährung und kriminelle Karrieren von Sexualstraftätern: Sexuelle Gewaltdelikte (2002); dies. Verfahrenseinstellungen nach § 170 II StPO in Fällen sexueller Gewalt (2021); Fehrmann u.a. Das Mißtrauen gegen vergewaltigte Frauen (1986); Feldmann Vergewaltigung und ihre psychischen Folgen (1992); Finkelhor/Yllo License to Rape. Sexual Abuses of Wives (1987); Flothmann/Dilling Vergewaltigung. Erfahrungen danach (1987); Flowe/Carline Alcohol and Remembering Rape (2021); Frommel Begünstigen Opferschutzkampagnen Falschaussagen in Verfahren wegen sexueller Nötigung/Vergewaltigung? Festschrift Kerner (2013) 679; Füllgrabe Vergewaltigung und Täterprofil, Kriminalistik 2006 80; Gebauer Strafzumessung bei Vergewaltigung (2020); Germerott/Bode-Jänisch/Thali Ergebnisse körperlicher und gynäkologischer Untersuchungen bei weiblichen Opfern sexueller Gewalt unter besonderer Berücksichtigung des Anzeigeverhaltens, ArchKrim. 2012 88; Gerstmann Campus 183
Hörnle
§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Sexual Assault: Constitutional Rights and Fundamental Fairness (2018); Graß u.a. K.O.-Tropfen-Beibringung und sexuelle Übergriffe, Kriminalistik 2008 113; Greger Strafzumessung bei Vergewaltigung, MSchrKrim 1987 261; Grieger u.a. „Was Ihnen widerfahren ist, ist in Deutschland nicht strafbar.“ Fallanalyse zu bestehenden Schutzlücken in der Anwendung des deutschen Sexualstrafrechts bezüglich erwachsener Betroffener (2014); Grundies Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten, Festschrift Albrecht (2021) 885; Goedelt Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Untersuchung der Strafverfahrenswirklichkeit (2010); Groth/Bernbaum Men Who Rape (2001); Gysi/Rüegger (Hrsg.) Handbuch sexualisierte Gewalt. Therapie, Prävention und Strafverfolgung (2018); Haas/Kilias Sind Vergewaltiger normale Männer? BewHi 2001 211; Habenicht Gründe für eine veränderte Sichtbarkeit sexueller Gewalt, NKrimP 2002 101; Hansen Traumatisierung von Frauen durch Gewalt (1999); Harrendorf Rückfälligkeit und kriminelle Karrieren von Gewalttätern: Ergebnisse einer bundesweiten Rückfalluntersuchung (2007); Hellmann/Pfeiffer Epidemiologie und Strafverfolgung sexueller Gewalt gegen Frauen in Deutschland, MSchrKrim 2015 527; Heiliger/ Engelfried Sexuelle Gewalt: Männliche Sozialisation und potentielle Täterschaft (1995); Heinrichs (Hrsg.) Vergewaltigung. Die Opfer und die Täter (1986); Henry/Beyer „Blaming the victim“. Die Schuldumkehr in Vergewaltigungsprozessen, MSchrKrim 1985 340; Henry/Powell (Hrsg.) Preventing Sexual Violence. Interdisciplinary Approaches to Overcoming a Rape Culture (2014); Heynen Vergewaltigt: Die Bedeutung subjektiver Theorien für Bewältigungsprozesse nach einer Vergewaltigung, 2. Aufl. (2015); Hörnle Taten nach § 177 StGB in der Polizeilichen Kriminalstatistik – Zusammenhänge mit Zuwanderung, KriPoZ 2018 218; dies. #MeToo – Implications for Criminal Law? Bergen Journal of Criminal Law and Criminal Justice 2018 115; dies. Evaluating #MeToo: The Perspective of Criminal Law Theory, German Law Journal 2021 833; Hoppmann Vergewaltigung mit Todesfolge, Kriminalistik 2014 495; Horvath/ Brown The Role of Drugs and Alcohol in Rape, Medicine, Science and the Law 2006 219; Humphreys Perceptions of Sexual Consent: The Impact of Relationship History and Gender, Journal of Sex Research 2007 307; Ihm/SteffesEnn/Schätz Tathergangsbetrachtung und Risikomanagement im Bereich schwerer sexueller Gewalttaten, BewH 2018 172; Jozkowski u.a. Gender Differences in Heterosexual College Students’ Conceptualizations and Indicators of Sexual Consent, Journal of Sex Research 2014 904; King/Mezey Male Victims of Sexual Assault (2000); Köhler (Sexual-)Straftaten im Zusammenhang mit der unbemerkten Beibringung von „K.O.-Tropfen“, Kriminalistik 2017 564; Kölbel Migration und amtlich erfasste Sexualdelinquenz, NK 2020 321; ders. “Progressive” Criminalization? A Sociological and Criminological Analysis Based on the German “No Means No” Provision, German Law Journal 2021 817; Koss/Cook Facing the Facts: Date and Acquaintance Rape, in Bergen (Hrsg.) Issues in Intimate Violence (1998) 147; Krahé Aggression von Männern und Frauen in Partnerschaften, in Lamnek/Boatcă (Hrsg.) Geschlecht – Gewalt – Gesellschaft (2003) 369; dies. Sexuelle Aggression und Opfererfahrung unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Psychologische Rundschau 2009 173; dies. Zum Zusammenhang kindlicher Missbrauchserfahrungen mit sexueller Aggression und Viktimisierung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter, in Briken u.a. (Hrsg.) Sexuell grenzverletzende Kinder und Jugendliche (2010) 46; dies. Soziale Reaktionen auf primäre Viktimisierung: Zum Einfluss sterotyper Urteilsmuster, in Barton/Kölbel (Hrsg.) Ambivalenzen der Opferzuwendung des Strafrechts (2012) 159; dies. Pornografiekonsum, sexuelle Skripts und sexuelle Aggression im Jugendalter, Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie 2011 133; dies. Sexuelle Opfererfahrungen und seelische Gesundheit, Report Psychologie 2017 108; Krahé u.a., Prevalence and Correlates of Young People's Sexual Aggression Perpetration and Victimisation in 10 European Countries, Culture, Health &; Sexuality 2015 682; Krahé/Berger Longitudinal Pathways of Sexual Victimization, Sexual Self-esteem, and Depression in Women and Men, Psychological Trauma: Theory, Research, Practice, and Policy 2017 147; dies. Correlates of Victim-Perpetrator Overlap in Sexual Aggression among Men and Women, Psychology of Violence 2020 564; Krahé/Scheinberger-Olwig Sexuelle Aggression: Verbreitungsgrad und Risikofaktoren bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (2002); Loddo/Beike/Rothschild [Gamma]-Hydroxybuttersäure (GHB) als K.O.-Mittel und sexuelle Delinquenz, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2009 287; Lovett/ Kelly Different Systems, Similar Outcomes? Tracking Attrition in Reported Rape Cases Across Europe (2009); Maier Rape, Victims and Investigations (2016); Marnie u.a. Causes of Rape (2005); Möller Fallschwund bei Vergewaltigungsvorwürfen und polizeiliche Ermittlungstätigkeit (2018); Müller/Schröttle Gewalt gegen Frauen in Deutschland, in Heitmeyer (Hrsg.) Gewalt (2006) 77; Müller-Isberner/Gonzalez Cabeza/Eucker Die Vorhersage sexueller Gewalttaten mit dem SVR-20 (2000); Nahleen u.a. Memory Consistency for Sexual Assault Events, Psychology of Consciousness: Theory, Research, and Practice 2021 52; O’Donohue/Schwewe (Hrsg.) Handbook of Sexual Assault and Sexual Assault Prevention (2019); Oshodi u.a. Immediate and Long-Term Mental Health Outcomes in Adolescent Female Rape Survivors, Journal of Interpersonal Violence 2020 252; Peterson u.a. Sexual Attitudes and Behaviors among Men who are Victims, Perpetrators, or both Victims and Perpetrators of Adult Sexual Assault, Psychology of Violence 2019 221; Pollich u.a. Sexuelle Gewalt gegen Frauen (2019); Powell/Henry Sexual Violence in a Digital Age (2019); Rieß Zur Aburteilungspraxis bei sexueller Gewaltkriminalität, Festschrift Tröndle (1989) 369; Röder Soziale Beziehungen von Sexualopfern: Eine Sekundäranalyse zu den Auswirkungen sexueller Übergriffe (2011); Rohmann Das neue Sexualstrafrecht – eine aussagepsychologische Perspektive, Praxis der Rechtspsychologie 2017 7; Romero-
Hörnle
184
Entstehungsgeschichte
§ 177
Sánchez u.a. Alcohol-related Victim Behavior and Rape Myth Acceptance as Predictors of Victim Blame in Sexual Assault Cases, Violence Against Women 2018 1052; Ruch Dunkelfeld und Anzeigeverhalten bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (2011); Russell Rape in Marriage (1990); Scharbius „Aussage gegen Aussage“ in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (2017); Scharfetter Allgemeine Psychopathologie (8. Aufl. 2020); H.-J. Schneider Vergewaltigung in kriminologischer und viktimologischer Sicht, Festschrift Blau (1985) 341; ders. Die Situation des Vergewaltigungsopfers, Festschrift Kaiser (1998) 377; ders. Ursachen der Vergewaltigung, Festschrift Lenckner (1998) 847; Scholz/Greuel Zur Beurteilung der Qualität von Glaubhaftigkeitsgutachten in Vergewaltigungsprozessen, MSchrKrim 1992 321; dies. Polizei und Justiz im Umgang mit vergewaltigten Frauen, MSchrKrim 1992 328; Scully Understanding Sexual Violence: A Study of Convicted Rapists (2013); Seifarth/Ludwig Dunkelfeld und Anzeigeverhalten bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, MSchrKrim 2016 237; Steck/Pauer Verhaltensmuster bei Vergewaltigung in Abhängigkeit von Täter- und Situationsmerkmalen, MSchrKrim 1992 187; Steffen Sexuelle Gewalttaten an Frauen: Geschlechtsrollenstereotype und sekundäre Viktimisierungen im polizeilichen Ermittlungsverfahren, Festgabe Göppinger (1990) 265; dies. Zum Problem der sexuellen Gewalt an Frauen und Mädchen und des polizeilichen Umgangs mit ihren Opfern, in Egg (Hrsg.) Brennpunkte der Rechtspsychologie (1991) 39; dies. Polizeiliches Verhalten bei Opfern von Sexualstraftaten am Beispiel der Opfer von Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen, in Barton/ Kölbel (Hrsg.) Ambivalenzen der Opferzuwendung des Strafrechts (2012) 141; Steinhilper Definitions- und Entscheidungsprozesse bei sexuell motivierten Gewaltdelikten (1986); Strathausen Vergewaltigung (1989); Straub/Witt Polizeiliche Vorerkenntnisse von Vergewaltigern, Kriminalistik 2003 19; dies. Polizeiliche Vorerkenntnisse von Vergewaltigern (2004); Süssenbach Vergewaltigungsmythen und Entscheidungen in Vergewaltigungsfällen, R & P 2016 35; Tausendteufel/Bindel-Kögel/Kühnel Vergewaltigungen durch deliktunspezifische Mehrfachtäter (2006); Teays Analyzing Violence Against Women (2019); Thom Langfristige psychosoziale Folgen bei Vergewaltigungsopfern, Diss. Kiel 1992; Thornhill/Palmer A Natural History of Rape (2000); Torenz The Politics of Affirmative Consent: Considerations from a Gender and Sexuality Studies Perspective, German Law Journal 2021 718; Travis (Hrsg.) Evolution, Gender and Rape (2003); Trost Sexualität und sexueller Missbrauch bei Menschen mit geistiger Behinderung, in Clauß u.a. (Hrsg.) Sexuelle Entwicklung – sexuelle Gewalt (2010) 22; Uhlig Die Vergewaltigung durch einen fremden Täter (2015); Treibel Nein heißt nein – auch unausgesprochen? Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2014 298; Uhlig/Wirth Kriminalistische Standardversion des fremden Vergewaltigers, Kriminalistik 2019 587; dies. Opfergegenwehr bei Vergewaltigungen durch Fremde, Kriminalistik 2019 203; dies. Vortäuschung von Vergewaltigungen, Kriminalistik 2019 420; Vasquez u.a. The Object of my Aggression: Sexual Objectification increases Physical Aggression toward Women, Aggressive Behavior 2018 5; Volbert Sekundäre Viktimisierung, in Volbert/Steller (Hrsg.) Handbuch der Rechtspsychologie (2008) 198; Weber Die soziale Wirklichkeitskonstruktion von Vergewaltigungsmythen und der Realitätsbezug (2010); Weis Die Vergewaltigung und ihre Opfer (1982); Wetzels/Pfeiffer Sexuelle Gewalt gegen Frauen im öffentlichen und privaten Raum (1995); Wolf/Werner Victims’ Rights Looking Good on Paper — How Criminal Prosecution in Germany Fails Victims of Sexual Violence, German Law Journal 2021 800. S. auch die Schrifttumsangaben Vor § 174.
Entstehungsgeschichte Art. 119 der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. v. 1532 (Constitutio Criminalis Carolina) definierte „nottzucht“ in folgender Weise: „Item so jemandt eyner vnuerleumbten ehefrawen, witwenn oder jungkfrawen, mit gewalt und wider jren willen, jr jungkfrewlich oder frewlich ehr neme, der selbig übelthetter hat das leben verwürckt“. Die Modalität „Drohung“ kam erst später hinzu, etwa im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten v. 1794, wobei dort aber noch im Strafmaß deutlich zwischen Notzucht durch unwiderstehliche Gewalt (§ 1052, 2. Theil, 20. Titel) und durch gefährliche Bedrohungen von Leben oder Gesundheit (§ 1051) unterschieden wurde.1 Das RStGB v. 15.5.1871 (Vor § 174 Rdn. 3) setzte diese Nötigungsmodalitäten gleich. § 176 Abs. 1 Nr. 1 RStGB stellte es unter Strafe, mit Gewalt unzüchtige Handlungen an einer Frauensperson vorzunehmen oder dieselbe durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung unzüchtiger Handlungen zu nötigen („schwere Unzucht“). § 177 Abs. 1 RStGB erfasste die Nötigung einer Frauensperson zur Duldung des außerehelichen Beischlafs durch Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Diese Strafnormen galten ohne erhebliche Modifizierungen bis 1973. Sie prägten mit dem Erfordernis einer Nötigung bis zum 50. StÄG v. 4.11.2016 das deutsche Recht. Das zunächst in § 176 Abs. 3 und § 177 Abs. 3 RStGB vorgesehene Antragserfordernis wurde mit Gesetz v. 26.2.1876 wieder aufgehoben. Das Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches v. 4.9.19412
1 S. für einen rechtsgeschichtlichen Überblick Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 26 ff; Kieler S. 8 ff sowie Ort Die Notzucht (1933) S. 51 ff; zur Entwicklung seit der Constitutio Criminalis Carolina Kratzer-Ceylan S. 81 ff. 2 RGBl. 1941 S. 549. 185
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
sah die Möglichkeit vor, statt einer Zuchthausstrafe die Todesstrafe zu verhängen. Das 3. StÄG v. 25.8.19533 führte zum alten Strafrahmen zurück (Zuchthaus bis zu zehn Jahren in § 176, bis zu fünfzehn Jahren in § 177). Einige Änderungen erfolgten durch das 4. StrRG v. 23.11.1973 (Vor § 174 Rdn. 6). Die Tatbestände im 13. Abschnitt des StGB verwenden seitdem den Begriff „sexuelle Handlungen“ statt des veralteten Begriffs „unzüchtige Handlungen“. § 176 erfasst seither ausschließlich den sexuellen Missbrauch von Kindern. Der Missbrauch einer willenlosen, bewusstlosen oder geisteskranken Frau, der zuvor unter § 176 Abs. 1 Nr. 2 fiel, wurde in § 179 verschoben. Die gegen sexuelle Nötigungen gerichteten Verbotsnormen finden sich seit dem 4. StrRG in den §§ 177, 178. § 178 i.d.F. des 4. StrRG stellte es als sexuelle Nötigung unter Strafe (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren), einen anderen mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu nötigen, außereheliche sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen. § 177 erfasste die Nötigung einer Frau zum außerehelichen Beischlaf. Ergänzt wurde der Tatbestand um die Nötigung zum außerehelichen Beischlaf mit einem Dritten, außerdem wurde die Mindeststrafe auf zwei Jahre Freiheitsstrafe erhöht. Insgesamt blieb trotz sprachlicher Modernisierung und Umstellungen die Grundstruktur erhalten, insbesondere die Fokussierung auf Gewalt und Drohung, weshalb die Einschätzung nicht richtig ist, dass das 4. StrRG die „Notzuchttatbestände des RStGB grundlegend abgeändert“ habe (so Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1; wie hier Kratzer KritV 2010 83, 84 f; Kratzer-Ceylan S. 184 f, 194). Bei (noch) bestehender Ehe blieben Vergewaltigung und sexuelle Nötigung straflos4 (BTDrucks. VI/3521 S. 39: eine knappe Mehrheit lehnte im Sonderausschuss des Deutschen Bundestags für die Strafrechtsreform eine Änderung ab). Die Begründung, dass „die Pönalisierung der Ehegattennotzucht sich in strafrechtlicher Hinsicht kaum auswirken dürfte, da geschlechtliche Beziehungen zum Wesen einer Ehe gehören“ (BTDrucks. VI/3521 S. 39), war lebensfremd. Sie blendete die Scheidungsziffern aus und die Tatsache, dass Trennungen in der Regel Zerwürfnisse vorausgehen, die teilweise mit großer Brutalität auch in Form von sexuellen Attacken ausgetragen werden (s. z.B. BGHSt 49 376). Es war nicht nachvollziehbar, dass die „Chance, die Ehe zu retten“ (BTDrucks. VI/3521 S. 39) wichtiger sein sollte als der Schutz des schwächeren Partners vor dem Aggressionspotenzial, das Eheprobleme und Trennungen freisetzen können.5 Wenige Jahre nach der Verabschiedung des 4. StrRG setzte eine neue Reformdiskussion ein (dazu Helmken ZRP 1985 171 f), die darauf abzielte, die Begrenzung auf außereheliche Handlungen aufzuheben6 und dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ungewollter Anal- und Oralverkehr die sexuelle Selbstbestimmung und Menschenwürde nicht minder beeinträchtigt als Beischlaf.7 Das 33. StÄG v. 1.7.1997 (Vor § 174 Rdn. 16)8 änderte schließlich die §§ 177, 178. Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung wurden in einem Tatbestand (§ 177) zusammengefasst. Der personelle Anwendungsbereich (die Opferdefinition) wurde in zweifacher Hinsicht erweitert. Zum einen ist seitdem mit einer geschlechtsneutralen Formulierung auch die Vergewaltigung von Männern unter Strafe gestellt, zum anderen wurde die Beschränkung auf außereheliche sexuelle Handlungen aufgehoben. Zuvor war intensiv diskutiert worden, ob bei Sexualdelikten innerhalb einer Ehe dem Opfer ein Widerspruchsrecht einzuräumen oder eine andere Form von „Versöhnungsklausel“ vorzusehen sei.9 Eine solche Widerspruchsoption wurde jedoch nicht Teil des Gesetzes.10 Erweitert wurden außerdem die Tat-
3 BGBl. I S. 1083. 4 S. für einen rechtsgeschichtlichen Überblick zur Stellung der Ehefrau Helmken Vergewaltigung in der Ehe, S. 13 ff; Paetow S. 83 ff; Wetzel S. 33 ff.
5 Für die Erfassung ehelicher sexueller Nötigung und Vergewaltigung plädierten u.a. Frommel ZRP 1988 236 f; Helmken Vergewaltigung in der Ehe, S. 37 ff; ders. ZRP 1980 171; ders. ZRP 1985 170; Nelles Streit 1995 97; Paetow S. 177 ff; krit. u.a. im Hinblick auf die Pflichten aus § 1353 BGB Horn ZRP 1985 265 (dagegen überzeugend Limbach ZRP 1985 289 f); Lenckner NJW 1997 2803; Mösl ZRP 1989 49; Schünemann GA 1996 307; ders. FS Pawlowski 275. 6 BRDrucks. 411/83 (Gesetzesantrag der Freien und Hansestadt Hamburg); BTDrucks. 10/585 S. 3, 5 (Gesetzentwurf der Fraktion der SPD); BTDrucks. 10/562 (Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN). 7 BTDrucks. 10/6137 S. 9, 36 f (Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN). S. zur Diskussion in den achtziger Jahren Frommel ZRP 1988 236 ff; Weßlau DuR 1989 36 ff; Nelles in Koreuber/Mager (Hrsg.) S. 84 ff; Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 325 ff. Weitere Gesetzentwürfe in der zwölften und dreizehnten Wahlperiode, die anstrebten, sexuelle Nötigungen unter Ehepartnern und anale und orale Penetration zu erfassen: BTDrucks. 12/1818 (Gesetzentwurf der Fraktion der SPD); BTDrucks. 12/2167 (Gesetzentwurf des Bundesrates); BTDrucks. 12/3303 S. 3 ff (Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN); BTDrucks. 13/199 (Gesetzentwurf des Bundesrates). 8 Zugrunde lag ein Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BTDrucks. 13/2463. 9 S. Müting S. 208 ff; Frommel ZRP 1988 239 f. Krit. zum Verzicht auf Ausweichmöglichkeiten Lenckner NJW 1997 2803; für die Umgestaltung von § 177 zu einem Antragsdelikt Folkers NJW 2000 3319. 10 Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BTDrucks. 13/5011. Hörnle
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Entstehungsgeschichte
§ 177
handlungen. Zwar blieb zu diesem Zeitpunkt die Forderung noch unbeachtet, alle Verletzungen des sexuellen Selbstbestimmungsrechts, d.h. alle sexuellen Handlungen gegen den Willen des Opfers, unter Strafe zu stellen.11 Dem tatbestandlichen Erfordernis von Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben wurde aber eine dritte, neue Variante zur Seite gestellt: Nötigung unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Damit sollten Schutzlücken geschlossen werden, die in Fällen bestanden, in denen Täter und Opfer bewusst war, dass das Opfer Gewalt nicht entkommen könnte, und deshalb weder tatsächliche Gewalt noch eine ausgedrückte Drohung erforderlich waren. Außerdem wurde die Definition von Vergewaltigung verändert, die zuvor (§ 177 Abs. 1 a.F.) Beischlaf erforderte: Seither sind alle Handlungen als Vergewaltigung zu bezeichnen, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Vergewaltigung ist nur ein Unterfall der Kategorie „besonders erniedrigende Handlungen“, die wiederum nur ein Regelbeispiel für besonders schwere Fälle ist. Weitere Änderungen erfolgten durch das 6. StrRG v. 26.1.1998 (Vor § 174 Rdn. 17). Dieses Gesetz sollte Wertungswidersprüche beseitigen, die beim Vergleich von Sexual- und Eigentumsdelikten auffielen.12 Tatbestandsbeschreibungen und Strafrahmen in § 177 wurden an § 250 (schwerer Raub) angeglichen, um zu verhindern, dass die gewaltsame Wegnahme von (u.U. unbedeutenden) Eigentumswerten schwerer sanktioniert wird als eine sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung unter vergleichbaren Rahmenbedingungen. Unverändert blieben die Strafrahmen für sexuelle Nötigung, Beischlaf und ähnliche besonders schwere Fälle. Erhöht wurden Strafdrohungen, wenn Täter in einer Weise vorgehen, die Gesundheit oder Leben der Opfer verletzt oder gefährdet. Dies betrifft zum einen Handlungen, mit denen Täter Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringen (Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren statt zuvor nicht unter zwei Jahren), sie körperlich schwer misshandeln oder in die Gefahr des Todes bringen (Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren statt zuvor nicht unter zwei Jahren) oder leichtfertig den Tod des Opfers verursachen (§ 178: lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren statt Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren). Zum anderen wurden Qualifikationen eingeführt, wenn Täter Waffen, gefährliche Werkzeuge oder sonstige Werkzeuge bzw. Mittel zur Verhinderung und Überwindung von Widerstand bei sich führen oder Waffen oder gefährliche Werkzeuge verwenden. Das 33. StÄG und das 6. StrRG haben bei der Formulierung der Qualifikationen Inkonsistenzen im Vergleich mit § 176c (damals noch § 176a) geschaffen; s. auch Renzikowski MK Rdn. 16. Beischlaf und andere Formen der Penetration sowie die gemeinschaftliche Tatbegehung sind z.T. Qualifikationen (§ 176c Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3), in § 177 aber Regelbeispiele. Der Einsatz von Waffen und gefährlichen Werkzeugen wird in § 177 als Qualifikation angeführt, nicht aber in § 176c. Ferner ist nicht überzeugend, dass die Absicht, eine Tat zum Gegenstand eines pornographischen Inhalts zu machen, gem. § 176c Abs. 2 zu einer erheblichen Strafrahmenanhebung führt, nicht aber bei einer Tat nach § 177. Auch nach dem 33. StÄG und dem 6. StrRG hielt Kritik an der Fassung von § 177 an.13 Nicht überzeugend war die traditionelle Konstruktion, die nur sexuelle Nötigung unter Strafe stellte und damit ein zweiaktiges Geschehen (Gewalt oder eine nötigende Aktivität des Täters, danach sexuelle Handlungen) erforderte. Dieser aus dem RStGB stammenden Grundstruktur entsprach § 177 auch noch nach dem 6. StrRG. Von vorkonstitutionellen Strafgesetzen ist nicht zwingend zu erwarten, dass sie den Anforderungen einer grundrechtsorientierten Verfassung gerecht werden. Nachdem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sexuelle Selbstbestimmung auch von Frauen grundrechtlich anerkannt war (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG), lag es nahe, diesen Paradigmenwechsel durch eine Überarbeitung älterer Normen im Sexualstrafrecht abzubilden und alle nicht konsentierten sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen.14 Vorbereitet wurde die Gesetzesreform, die im Jahr 2016 erfolgte, durch die Kritik an Schutzlücken, also evidenten Verletzungen sexueller Selbstbestimmung, die von § 177 a.F. in der Auslegung durch den BGH nicht erfasst wurden (s. für eine Auflistung der Schutzlücken und entsprechender Urteile BTDrucks. 18/8210 S. 9 ff).15 Dazu gehö-
11 Dazu Mildenberger Schutzlos – hilflos – widerstandsunfähig, S. 24 ff. 12 BTDrucks. 12/6164 (Antrag der Fraktion der SPD) S. 2 f; BTDrucks. 13/8587 (Entwurf der Bundesregierung) S. 19 f, 32; BTDrucks. 13/9064 (Bericht des Rechtsausschusses) S. 12 f. 13 Kratzer KritV 2010 84 ff; Kratzer-Ceylan S. 424 ff; Lembke ZRechtsSoz 2014 223; Sick/Renzikowski FS Rössner 930 ff. 14 Hörnle ZStW 127 (2015) 851, 860 ff; dies. ZIS 2015 206, 208 f; dies. GA 2015 313 ff. 15 S. zu Schutzlücken außerdem Grieger u.a.; Pisal/Freudenberg; Kempe S. 61 ff; Kratzer-Ceylan S. 195 ff; Isfen ZIS 2015 217 ff; Hörnle ZIS 2015 206, 210 ff; Herning/Illgner ZRP 2016 77, 78 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. Krit. zum Verweis auf Schutzlücken Fischer StraFo 2014 485, 490 ff; Frommel FS Ostendorf 321; dies. NK 2015 292; Wollmann/ Schaar NK 2016 268. 187
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
ren erstens sexuelle Übergriffe, die das Opfer überraschen (was eine vorangegangene Nötigung überflüssig macht). Schutzlücken bestanden zweitens, wenn Täter die anhaltende Wirkung von Gewalt nutzen, ohne bereits bei der Gewaltausübung die sexuellen Handlungen geplant zu haben (fehlender Finalzusammenhang). Drittens erfasste § 177 Abs. 1 Nr. 2 a.F. nicht alle Drohungen mit einem empfindlichen Übel. Viertens unterstellte der BGH mit einer sehr restriktiven Auslegung von § 177 Abs. 1 Nr. 3 a.F., dass eine schutzlose Lage Angst vor Tötung oder Körperverletzungen voraussetze (s. zu einschlägigen Fällen BTDrucks. 18/8210 S. 11). Fünftens hatte die Rspr. des BGH zu § 179 a.F., die „gänzliche Widerstandsunfähigkeit“ verlangte, zur Folge, dass die sexuelle Erniedrigung geistig behinderter Menschen, etwa durch sich wechselseitig aufstachelnde Tätergruppen, nicht strafbar war, wenn die Opfer zwar ihren entgegenstehenden Willen bekundeten (womit sie als „nicht völlig widerstandsunfähig“ galten), aber die Täter weder Gewalt noch Drohungen anwenden mussten.16 Die Bereitschaft, § 177 grundlegend zu reformieren, wurde wesentlich durch das Übereinkommen des Europarats zur Verhü tung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt v. 11.5.2011 (IstanbulKonvention)17 gefördert. Nach Art. 36 Abs. 1 Istanbul-Konvention ist jede nicht einverständliche sexuelle Handlung unter Strafe zu stellen. Umstritten war, inwieweit die Unterzeichnung der Konvention eine völkerrechtliche Verpflichtung begründete, das deutsche Recht zu ändern. Dies wäre dann nicht der Fall gewesen, wenn die deutsche Rspr. § 177 Abs. 1 a.F., insbesondere § 177 Abs. 1 Nr. 3 a.F., in einer Weise ausgelegt hätte, die im Ergebnis alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen erfasst hätte18 (s. dazu, dass eine wörtliche Übernahme von Art. 36 Istanbul-Konvention nicht zwingend ist, die Erläuterungen in der Konvention Rdn. 191, 193).19 Angesichts der sehr restriktiven, täterfreundlichen Auslegungspraxis des BGH und der daraus resultierenden Straflosigkeit vieler nicht einverständlicher sexueller Handlungen war eine Gesetzesänderung jedoch unvermeidbar, um zu erreichen, dass alle Konstellationen nicht einverständlicher sexueller Handlungen bestraft werden können.20 Die Überlegungen im BMJV durchliefen mehrere Etappen.21 Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung sah zunächst vor, § 177 a.F. im Wesentlichen unverändert zu lassen, aber einige Schutzlücken zu schließen, indem § 179 auf die Ausnutzung besonderer Umstände ausgeweitet werden sollte (BTDrucks. 18/8210 S. 9 ff). Gesetzentwürfe der Fraktionen Bündnis 90/DIE GRÜNEN (BTDrucks. 18/5384) und DIE LINKE (BTDrucks. 18/7719) gingen das Problem dagegen direkt an. Sie schlugen die Einführung eines Tatbestands mit dem Titel „sexuelle Misshandlung“ (BTDrucks. 18/5384 S. 3) bzw. „nichteinvernehmliche sexuelle Handlungen“ (BTDrucks. 18/7719 S. 6) in einer Neufassung von § 177 Abs. 1 vor. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzte sich nicht durch, weil er nur einen ersten Schritt in die richtige Richtung ging (so die zutreffende Beurteilung in der Stellungnahme des Bundesrats, BRDrucks. 162/16 S. 1). In den Beratungen des Rechtsausschusses fiel die Entscheidung, eine „Nein heißt Nein“-Lösung zu implementieren und § 177 entsprechend zu ändern: Es müsse ausreichen, dass der entgegenstehende Wille des Opfers erkennbar ist und der Täter sich darüber hinwegsetzt (BTDrucks. 18/9097 S. 2). Gelegentlich ist zu lesen, dass die Gesetzesänderung durch Medienberichterstattung zu Sexualdelikten in der Silvesternacht 2015/2016 („Kölner Silvesternacht“) und den Fall Gina-Lisa Lohfink, über den im Frühjahr 2016 viel berichtet wurde, angestoßen worden sei.22 Als Beschreibung von Kausalzusammenhängen ist diese Zusammenfassung nicht ganz präzise. Über die Konsequenzen, die sich aus der Istanbul-Konvention ergaben, war zuvor schon intensiv debattiert worden,23 und das BMJV war bereits im Jahr 2015 tätig geworden.24 Plausibel ist aber die Vermutung, dass sich die Empörung über das Verhalten von Männergruppen v.a. nordafrikanischer und arabischer Her-
16 17 18 19 20
S. z.B. BGH BeckRS 2018 1282. ETS 210; ratifiziert mit G. v. 17.7.2017, BGBl. 2017 II S. 1026. S. zu den Spielräumen, die bestanden hätten, Isfen ZIS 2015 217, 225 ff. So auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Wolters/Noltenius SK Rdn. 4. Blume/Wegner HRRS 2014 357 ff; Isfen ZIS 2015 217, 227. AA Lamping JR 2017 347, 351 und Frommel NK Fn. 217, die eine konventionskonforme Auslegung des alten Rechts für möglich hielten und zivilrechtliche Regelungen betonten – was sowohl an der Realität der Rspr. des BGH vorbeiging als auch die Möglichkeiten zivilrechtlicher Konfliktregelung überschätzte. 21 S. für einen Überblick Bezjak SchlHA 2017 317; Bezjak/Bumke in Rettenberger/Dessecker (2017) S. 19 ff. 22 Hoven/Weigend JZ 2017 182; Hoven KriPoZ 2018 2, 6 f. 23 S. Pisal/Freudenberg (2014); Rabe/Normann (2014); Hörnle (2015) sowie den Hinweis in BTDrucks. 18/2601 (Gesetzentwurf der CDU/CSU und SPD) v. 23.9.2014, S. 1 („ist noch Gegenstand der Prüfung“) und den Gesetzentwurf der GRÜNEN BTDrucks. 18/5384 v. 1.7.2015. 24 S. dazu Walter JR 2016 361; Hörnle KriPoZ 2016 19; Herning/Ilgner ZRP 2016 77. Hörnle
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Übersicht
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kunft, die in der Kölner Silvesternacht Frauen im öffentlichen Raum um den Kölner Hauptbahnhof angriffen,25 auf die bereits laufende Diskussion um eine Änderung des Sexualstrafrechts ausgewirkt hat. Es handelte sich Anfang 2016 nicht mehr um ein randständiges Thema, sondern um ein Reformvorhaben, das ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt war. Dies sicherte die Bereitschaft von Abgeordneten des Bundestags, fraktionsübergreifend, konsensorientiert, schnell und in Abweichung vom vorliegenden Gesetzesvorschlag der Bundesregierung § 177 grundlegend zu ändern.26 Nicht richtig ist die Einschätzung, dass eine strafrechtliche Bewertung der Ereignisse der Kölner Silvesternacht „nicht das Geringste“ mit der Reform des § 177 zu tun habe (so aber Renzikowski MK Rdn. 30). Es zeigten sich Strafbarkeitslücken, wenn im unübersichtlichen Gedränge einer Menschenmenge überraschend zugegriffen wird. In der Anhörung im Rechtsausschuss am 1.6.2016 wurde nicht mehr über die laut Tagesordnung zu beratenden Gesetzesvorlagen gesprochen, sondern über einen fraktionsübergreifenden Vorschlag (s. dazu Högl/Neumann RuP 2016 155, 157). Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BTDrucks. 18/9097 S. 6 ff) war am 7.7.2016 Gegenstand der Abstimmung im Bundestag. Die neue Fassung des § 177 StGB wurde einstimmig, ohne Gegenstimmen und Enthaltungen, angenommen. Im Plenarprotokoll ist festgehalten, dass sich nach der Bekanntgabe des Ergebnisses die Abgeordneten erhoben und anhaltender Beifall zu hören war.27 Das 50. StÄG v. 4.11.2016, das diese Änderungen enthielt, trat am 10.11.2016 in Kraft (Vor § 174 Rdn. 24). Die Grundtatbestände sind nunmehr mit „Sexueller Übergriff“ betitelt. Der Gesetzgeber hat sich nicht dafür entschieden, die Formulierung in Art. 36 Abs. 1 Istanbul-Konvention „non-consensual“ als Tatbestandsmerkmal (etwa mit den Worten „nicht einverständlich“) zu übernehmen.28 Stattdessen wurde bewusst ein „Nein heißt Nein“-Modell gewählt, das nicht an das Fehlen einer erklärten Zustimmung anknüpft. Für § 177 Abs. 1 wurde mit dem Tatbestandsmerkmal „gegen den erkennbaren Willen“ eine Formulierung aus BTDrucks. 18/7719 (Gesetzentwurf DIE LINKE, dort S. 6) aufgegriffen. In § 177 Abs. 2 sind weitere Varianten sexueller Übergriffe erfasst, deren gemeinsamer Nenner ist, dass das Opfer keinen entgegenstehenden Willen bilden oder äußern konnte (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, 3) oder die Fähigkeit zur Bildung oder Äußerung eines solchen Willens eingeschränkt war (§ 177 Abs. 2 Nr. 2) oder dem Täter der entgegenstehende Wille bereits bekannt war (§ 177 Abs. 2 Nr. 4, 5). Die Umstände, die vormals den Grundtatbestand ausmachten (Gewalt, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, Ausnutzung einer schutzlosen Lage), sind nun (mit Umformulierungen, Rdn. 158) qualifizierende Umstände in Absatz 5. Weil § 177 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Sachverhalte erfassen, die nach altem Recht unter § 179 fielen, konnte dieser Tatbestand aufgehoben werden (BTDrucks. 18/9097 S. 23). Im Kontext eines nicht mehr auf körperliche Überwältigung, sondern auf Selbstbestimmung abstellenden Strafrechts ist es folgerichtig, nicht mehr Widerstandsunfähigkeit (wie in § 179 a.F.) in den Mittelpunkt zu stellen.29 Unverändert blieben Beschreibungen und Strafrahmen für die besonders schweren Fälle und Regelbeispiele, zu denen Vergewaltigung gehört (vormals Absatz 2, nun Absatz 6), sowie die weiteren Qualifikationstatbestände (zuvor Absatz 3 und 4, jetzt Absatz 7 und 8).
Übersicht I. 1. 2.
Normzweck und Systematik 1 Normzweck Systematik a) Die Kategorie „sexueller Übergriff“ als Pa6 radigmenwechsel b) Entscheidung für ein „Nein heißt Nein“8 Modell c) Kritik an der neuen Fassung 9 aa) Verfehlte Fundamentalkritik
bb) Systematische Schwächen bei den 10 Grundtatbeständen cc) Probleme bei den Qualifikatio12 nen 15 dd) Systematik des 13. Abschnitts II. 1.
Sexueller Übergriff nach Absatz 1 Objektiver Tatbestand
25 S. zu den Geschehnissen den Schlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV, Landtag NRW Drucks. 16/14450. 26 S. zur Kritik am sehr hastig durchgeführten Gesetzgebungsverfahren Hoven/Weigend JZ 2017 162; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 2. 27 Plenarprotokoll 18/183, 18015. 28 Dafür Kempe S. 233 ff. 29 So auch Renzikowski MK Rdn. 66. 189
Hörnle
§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
a)
2. III. 1. 2.
Sexuelle Handlungen 16 aa) Sexuelle Handlungen des Täters am 22 Opfer bb) Sexuelle Handlungen des Opfers am 23 Täter cc) Sexuelle Handlungen eines Dritten am Opfer oder des Opfers an einem 25 Dritten dd) Weitere sexuelle Handlungen des Op27 fers ee) Sexuelle Handlungen vor dem Op28 fer b) Gegen den erkennbaren Willen 29 aa) Entgegenstehender Wille 37 bb) Willensänderung 40 cc) Erkennbarkeit des Willens (1) Opfer kommuniziert 41 Ablehnung (2) Täter wendet Gewalt an oder nutzt eine schutzlose Lage 43 aus (3) Unklare oder mehrdeutige 44 Kommunikation dd) Bei tatsächlich vorliegendem zustimmenden Willen kommt es auf 46 Erkennbarkeit nicht an ee) Vom Täter erkannter, aber für Beobachter nicht erkennbarer 47 entgegenstehender Wille 48 Subjektiver Tatbestand
Sexuelle Übergriffe gem. Absatz 2 53 Systematik Ausnutzung von Unfähigkeit zur Willensäußerung oder Willensbildung (Absatz 2 Nr. 1) a) Objektiver Tatbestand 54 aa) Sexuelle Handlungen bb) Unfähigkeit zur 55 Willensbildung cc) Unfähigkeit zur Willensäußerung (1) Objektiv-körperliche Kommuni60 kationshindernisse (2) Unfähigkeit als Selbstbeschrei61 bung der Betroffenen (3) Unfähigkeit zur Willensäußerung als Folge von Gewalt und 62 schutzloser Lage? dd) Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit zur Willensbildung oder Willensäuße63 rung 65 b) Subjektiver Tatbestand 66 c) Qualifikation nach Absatz 4 aa) Unfähigkeit beruht auf Krankheit 67 oder Behinderung 70 bb) Subjektiver Tatbestand
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3.
4.
5.
6.
IV. 1. 2.
3.
4.
Ausnutzung einer erheblichen Einschränkung bei Willensäußerung oder Willensbildung (Absatz 2 Nr. 2) 71 a) Das neue Regelungsmodell b) Objektiver Tatbestand 75 aa) Sexuelle Handlungen bb) Zustände, die Willensbildung oder Willensäußerung stark einschrän76 ken cc) Strafbarkeit entfällt, wenn sich der Tä81 ter der Zustimmung versichert 84 dd) Fehlende Ausnutzung 86 c) Subjektiver Tatbestand Ausnutzung eines Überraschungsmoments (Absatz 2 Nr. 3) a) Objektiver Tatbestand 87 aa) Sexuelle Handlungen 88 bb) Überraschungsmoment 94 cc) Ausnutzung 95 b) Subjektiver Tatbestand Ausnutzung einer Lage, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht (Absatz 2 Nr. 4) a) Objektiver Tatbestand aa) Kommunizierte Drohung nicht erfor96 derlich 99 bb) Empfindliches Übel 106 cc) Ausnutzung der Lage 108 b) Subjektiver Tatbestand Drohung mit einem empfindlichen Übel (Absatz 2 Nr. 5) a) Objektiver Tatbestand aa) Drohung mit einem empfindlichen 109 Übel bb) Zur Vornahme oder Duldung der sexu114 ellen Handlung genötigt 116 b) Subjektiver Tatbestand Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzumessung; Konkurrenzen 117 Täterschaft und Teilnahme Vollendung, Versuch und Rücktritt 120 a) Vollendung und Versuchsbeginn 124 b) Rücktritt Strafzumessung 126 a) Bestimmung des Unrechts 135 b) Schuldmindernde Faktoren 141 c) Verhalten des Täters nach der Tat d) Unzulässige Strafzumessungsfakto142 ren e) Minder schwere Fälle 144 (Absatz 9 1. Alt.) 149 f) Sonstige Rechtsfolgen Konkurrenzen a) Innerhalb des § 177 Abs. 1, Abs. 2
190
Übersicht
b)
aa) Handlungen zu Lasten desselben 150 Opfers bb) Handlungen zu Lasten unterschiedli154 cher Opfer 155 Mit anderen Delikten 157
V.
Qualifikation nach Absatz 4
VI. 1. 2.
Qualifikationen nach Absatz 5 158 Die Änderungen durch das 50. StÄG Anwendung von Gewalt gegenüber dem Opfer (Absatz 5 Nr. 1) 159 a) Anzuwendender Grundtatbestand b) Objektiver Tatbestand 160 aa) Gewaltbegriff 161 (1) Kraftentfaltung (2) Körperlich wirkende Zwangs163 lage bb) Gewalt gegen oder von Dritten; 167 Gewalt gegen Sachen cc) Zeitpunkt der Gewaltanwen168 dung (1) Gewalt vor den sexuellen Hand169 lungen (2) Gewalt während und nach den 171 sexuellen Handlungen dd) Einverständnis des Opfers mit der 173 Gewalt 175 c) Subjektiver Tatbestand Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (Absatz 5 Nr. 2) 177 a) Anwendbare Grundtatbestände b) Objektiver Tatbestand aa) Drohung mit Gefahr für Leib oder 178 Leben bb) Drohung mit gegenwärtiger 181 Gefahr 183 cc) Zeitpunkt der Drohung 186 c) Subjektiver Tatbestand Ausnutzung einer schutzlosen Lage (Absatz 5 Nr. 3) 187 a) Systematik b) Objektiver Tatbestand 188 aa) Schutzlose Lage 194 bb) Einwirkung cc) Ausnutzung der schutzlosen 195 Lage 199 c) Subjektiver Tatbestand 200 Schuldspruch 201 Täterschaft und Teilnahme 205 Versuch und Rücktritt Strafzumessung 208 a) Gesetzlicher Strafrahmen 209 b) Bestimmung des Tatunrechts c) Schuldmindernde Faktoren und Verhalten 215 des Täters nach der Tat
3.
4.
5. 6. 7. 8.
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§ 177
d)
9.
Unzulässige Strafzumessungsfakto216 ren e) Minder schwere Fälle 217 (Absatz 9 2. Alt.) Konkurrenzen 219 a) Innerhalb des § 177 223 b) Mit anderen Delikten
VII. Besonders schwere Fälle (Absatz 6) 1. Die Regelbeispiele a) Vergewaltigung und andere besonders erniedrigende Handlungen (Absatz 6 Satz 2 Nr. 1) aa) Normzweck und Normstruk226 tur bb) Vergewaltigung 231 (1) Beischlaf (2) Andere Formen des Eindringens 234 in den Körper (3) Schuldspruch bei Vergewaltigung und versuchter Vergewalti243 gung (4) Täterschaft und Teil247 nahme cc) Sonstige besonders erniedrigende se249 xuelle Handlungen b) Gemeinschaftliche Begehung der Tat 251 (Absatz 6 Satz 2 Nr. 2) 255 c) Subjektive Voraussetzungen 256 2. Unbenannte besonders schwere Fälle 3. Verneinung eines besonders schweren Falles trotz Vorliegens eines Regelbeispiels a) Abweichung von der Vermutung des besonders schweren Falles; Anwendung von Ab258 satz 9 1. Alt b) Fallgruppen aa) Begründeter Verzicht auf die Einordnung als besonders schwerer 260 Fall bb) Problematischer Verzicht auf die Einordnung als besonders schwerer 262 Fall 4. Strafzumessung innerhalb des Rahmens in 267 Absatz 6 5. Strafzumessung bei versuchter Vergewalti274 gung 276 6. Konkurrenzen VIII. Qualifikationen nach Absatz 7 und 8 1. Allgemeines 279 a) Normzweck und Normstruktur b) Zeitliche Grenzen für die Erfüllung einer 282 Qualifikation 2. Objektiver Tatbestand
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§ 177
a)
b)
c) d)
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs (Absatz 7 Nr. 1) 284 aa) Waffe bb) Anderes gefährliches 286 Werkzeug 290 cc) Beisichführen Beisichführen eines sonstigen Mittels oder Werkzeugs (Absatz 7 Nr. 2) 292 aa) Mittel; Werkzeug 296 bb) Beisichführen Gefahr einer schweren Gesundheitsschädi297 gung (Absatz 7 Nr. 3) Verwenden einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs (Absatz 8 Nr. 1) 301 aa) Waffe, gefährliches Werkzeug
3. 4. 5. 6. 7.
8.
307 bb) Bei der Tat 310 cc) Verwenden e) Schwere körperliche Misshandlung 314 (Absatz 8 Nr. 2a) f) Gefahr des Todes (Absatz 8 Nr. 2b) 320 Subjektiver Tatbestand 321 Täterschaft und Teilnahme 325 Versuch 327 Schuldspruch Strafzumessung a) Innerhalb des Rahmens in 328 Absatz 7, 8 b) Minder schwerer Fall 330 (Absatz 9 3. Alt.) 339 Konkurrenzen
319
I. Normzweck und Systematik 1. Normzweck 1 § 177 schützt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als Abwehrrecht (negative sexuelle Selbstbestimmung), d.h. die Freiheit des Einzelnen, nicht gegen den eigenen Willen sexuelle Körperkontakte mit anderen dulden oder sexuelle Handlungen vornehmen zu müssen.30 Selbstbestimmung bedeutet nicht nur, gegen Nötigungen anderer geschützt zu sein.31 Außerdem soll § 177 Gesundheit und Leben vor Gefährdungen und Verletzungen schützen (s. insbesondere die Qualifikationen in Absatz 7 und 8). Hinter dem unumstrittenen Verweis auf sexuelle Selbstbestimmung steht das Recht auf Achtung der Intimsphäre und der Menschenwürde (Vor § 174 Rdn. 34 ff). Sexuelle Selbstbestimmung bedeutet, sich nach eigenen Präferenzen mit einem konkreten Sexualkontakt einverstanden oder nicht einverstanden erklären zu können. Gegen alle sexuellen Aktivitäten, die nicht dem aktuellen eigenen Willen entsprechen, besteht ein Abwehrrecht. Kurios und abzulehnen ist die Ansicht, dass es Motive für die Verweigerung von Sexualkontakten gebe, die missbräuchlich seien, weshalb die Missachtung eines „Neins“ nicht immer strafwürdig sei.32 Sexualkontakte dürfen nach freiem Belieben abgelehnt werden. Die wirksame Zustimmung aller beteiligten Personen bedeutet dagegen, dass die sexuelle Handlung nicht rechtswidrig ist.33 2 Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird weder durch ein generelles Interesse an sexuellen Handlungen (etwa bei Prostituierten oder promiskuitivem Lebensstil; s. Rdn. 214) noch durch ein früher erklärtes Einverständnis zum Sexualkontakt mit derselben Person (etwa einem Lebensgefährten) eingeschränkt (s. Rdn. 129). Insbesondere folgt aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 1. Hs. BGB („Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet“) nicht das Recht eines Ehepartners, einseitig Zeit, Ort und Umstände eines Sexualkontaktes zu bestimmen. Versucht ein Partner, sexuelle Bedürfnisse durchzusetzen, und nutzt er zu diesem Zweck Vertrauen und geminderte Abwehrbereitschaft des anderen aus, so verletzt er damit in erheblicher Weise seine Pflichten. Bei derartigem, grob ehewidrigem Verhalten steht dem anderen Ehepartner dasselbe, sich aus seinem Selbstbestimmungsrecht ergebende Abwehrrecht zu 30 Umfassend zum Konzept der Selbstbestimmung Vavra S. 108 ff; s. ferner Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 82 ff; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 608; Pott KritV 1999 111; Hörnle ZStW 127 (2015) 851; Fischer Rdn. 1; Renzikowski MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Wolters/Noltenius SK Rdn. 8. 31 So aber Hoven/Weigend JZ 2017 182, 183 f. 32 So Löffelmann StV 2017 413, 414; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 26. 33 S. zur transformativen Wirkung einer Zustimmung Vavra S. 120 ff; dies. ZIS 2018 611, 613. Hörnle
192
I. Normzweck und Systematik
§ 177
wie gegenüber anderen Personen.34 Art. 46 a) Istanbul-Konvention stellt darüber hinaus klar, dass ein Vertrauensbruch bei Sexualdelikten im sozialen Nahfeld das Unrecht erhöht (Rdn. 129). Eine selbstbestimmte Entscheidung setzt zwingend voraus, dass die Beteiligten den sexuel- 3 len Charakter einer Interaktion erfassen. Sofern Irrtümer und Täuschungen dazu führten, dass ein Betroffener das Bevorstehen einer sexuellen Handlung oder deren Art nicht erkennt, oder wenn überraschend der Sexualpartner ausgewechselt wurde, ist eine Entscheidung nicht selbstbestimmt.35 Nach neuem Recht können solche Fälle teilweise nach § 177 Abs. 1 (Rdn. 35), teilweise nach § 177 Abs. 2 Nr. 3 (Rdn. 91 ff) bestraft werden. Moralphilosophische Analysen von sexueller Selbstbestimmung ordnen darüber hinaus das tatsächliche Vorliegen sämtlicher Umstände (auch im Motivbereich), die für Beteiligte notwendige Entscheidungsgrundlage waren, als Voraussetzung für wirksame Zustimmung ein.36 Das geltende Strafrecht ist jedoch aus guten Gründen zurückhaltender, insbesondere, was die Relevanz von Motivirrtümern betrifft. § 177 schützt nicht ausschließlich die Abwehrdimension von sexueller Selbstbestimmung, 4 sondern berücksichtigt in einer Tatbestandsvariante (§ 177 Abs. 2 Nr. 2) auch positive sexuelle Selbstbestimmung i.w.S. Die in § 177 Abs. 2 Nr. 2 vorausgesetzten erheblichen Einschränkungen der Fähigkeit zur Willensbildung schließen zwar selbstbestimmte Entscheidungen i.e.S. aus. Jedoch haben auch Personen, die zu Selbstbestimmung im vollen Sinn nicht fähig sind, weil dauerhaft oder zeitweise die dafür erforderlichen geistigen Fähigkeiten fehlen, berechtigte und schützenswerte Interessen am Erleben von Sexualität mit einem anderen Menschen. Es darf nicht von geistig schwer behinderten oder schwer dementen Personen verlangt werden, nie (oder nie mehr) diese elementaren körperlichen und emotionalen Freuden erleben zu können. § 179 a.F. enthielt für solche Lebenslagen keine klare Lösung, was die Frage aufwarf, ob wenigstens die Einwilligung von Betreuern ein Sexualleben ermöglichen konnte (s. dazu Hörnle LK12 § 179 Rdn. 52). Es ist zu begrüßen, dass es nunmehr eine Regelung gibt, die klarstellt, dass bei faktischer Zustimmung und entsprechender Vergewisserung der anderen Person Sexualkontakt nicht tatbestandsmäßig ist. Die Gesetzesmaterialien zum 50. StÄG verweisen explizit darauf, dass ein sog. „natürlicher Wille“ genügt, weil es allen Menschen möglich sein soll, Sexualität zu erfahren (BTDrucks. 18/9097 S. 24). Gleichzeitig schützt die neue Fassung des § 177 geistig behinderte und psychisch er- 5 krankte Menschen besser gegen ungewollte Übergriffe als der mit dem 50. StÄG aufgehobene § 179 a.F. Das alte Recht in § 179 a.F. erfasste nicht Konstellationen, in denen Dritte den sexuellen Körperkontakt vornahmen. Das war lebensfremd, weil die sexuelle Demütigung behinderter Menschen nicht selten durch mehrere Angreifer geschieht.37 Ein wesentliches Problem war die Rspr. zum Merkmal „widerstandsunfähig“ in § 179 a.F., die hohe Anforderungen stellte und damit nicht alle sexuellen Übergriffe auf behinderte Menschen erfasste. So hatte der BGH die erstinstanzliche Verurteilung wegen eingriffsintensiver sexueller Angriffe mehrerer Peiniger auf einen jungen Mann, der wegen einer mittelgradigen Behinderung in sozialer Kompetenz und Intelligenz einem etwa neun bis zehn Jahre alten Kind entsprach, aufgehoben, weil er immerhin durch Kopfschütteln seinen Willen kommuniziert hatte und deshalb nicht zweifelsfrei widerstandsunfähig gewesen sei (BGH BeckRS 2018 1282).38 S. zum jetzt geltenden Recht Rdn. 71 ff.
34 Renzikowski MK Rdn. 2. AA Schünemann GA 1996 307, 310 ff; ders. FS Pawlowski 297, 298 mit einer Differenzierung zwischen „Wahl des Sexualpartners“ und der „Bestimmung der zeitlichen, örtlichen und sachlichen Modalitäten“; ähnlich Horn ZRP 1985 265; Mösl ZRP 1989 49; Schroeder JZ 1999 828. 35 Dazu Hörnle ZStW 127 (2016) 851, 880 f; Vavra S. 368 ff; dies. ZIS 2018 611; Hoven/Weigend KriPoZ 2018 156, 157 f. 36 S. zur moralphilosophischen Perspektive Vavra S. 368 ff; dies. ZIS 2018 611, 613 ff. 37 S. z.B. die Sachverhalte in BGH BeckRS 2018 1282; NStZ-RR 2019 377. 38 S. für die sehr restriktive Linie bei der Annahme von Widerstandsunfähigkeit auch BGH NStZ 2011 210. 193
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
2. Systematik 6 a) Die Kategorie „sexueller Übergriff“ als Paradigmenwechsel. Das 50. StÄG hat die Systematik des § 177 grundlegend geändert. Im Vergleich zur alten Rechtslage ist der entscheidende Unterschied, dass die Verletzung sexueller Selbstbestimmung bereits dann strafbar ist, wenn der entgegenstehende Wille erkennbar war, und nicht erst dann, wenn zusätzlich auch noch eine Drohung ausgesprochen, Gewalt angewendet oder eine schutzlose Lage ausgenutzt wurde.39 Die Bedeutung des Paradigmenwechsels wird beim Rückblick auf ältere Begründungen von Sexualstrafrecht und die Entwicklung der historisch gesehen relativ neuen Idee individueller Selbstbestimmung deutlich. § 177 StGB entsprach trotz einiger Modernisierungen bis zum 50. StÄG in der Grundstruktur der Rechtslage im RStGB v. 1871, dessen Konstruktion wiederum bis ins Mittelalter zurückverfolgt werden kann.40 Diese Normen schützten nicht sexuelle Selbstbestimmung, sondern die Verfügungsrechte von Vätern und Ehemännern über Töchter und Ehefrauen. Die Vorstellung eines individuellen Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung konnte sich erst im 20. Jahrhundert durchsetzen. Es liegt auf der Hand, dass Normen, die den Willen (auch von Frauen) gegen Fremdbestimmung schützen sollen, anders gestaltet werden müssen als die traditionellen, auf Nötigung durch Gewalt fokussierten Tatbestände.41 7 Absätze 1 und 2 enthalten neue Grundtatbestände, die Varianten sexueller Übergriffe beschreiben. Die alte Systematik des 13. Abschnitts, mit der Zweiteilung in entweder Nötigungsoder Missbrauchsdelikte, wurde damit aufgelöst. Sexuelle Übergriffe sind eine eigenständige Kategorie. Es ist missverständlich, dass in der Lit. die Delikte in § 177 Abs. 1 und Abs. 2 als „Missbrauchsdelikte“ charakterisiert werden.42 Sexuelle Übergriffe sind dadurch gekennzeichnet, dass die Handlungen gegen oder ohne den Willen des Opfers erfolgen. Ein Missbrauch setzt dagegen voraus, dass bestimmte Umstände selbst erwachsenen Personen selbstbestimmtes Entscheiden unmöglich gemacht haben und deshalb ein Missbrauch auch dann vorliegt, wenn sie mit den sexuellen Handlungen einverstanden sind, ja diese sogar aus eigenem Entschluss initiieren (s. § 174a Rdn. 26, 50 § 174b Rdn. 16, § 174c Rdn. 19–21, 37). Die Grundtatbestände in § 177 Abs. 1 und Abs. 2 werden durch Qualifikationen (Absätze 4, 5, 7, 8)43 und einen Strafrahmen für unbenannte besonders schwere Fälle und Regelbeispiele (Absatz 6) sowie einen Strafrahmen für minder schwere Fälle (Absatz 9) ergänzt.
8 b) Entscheidung für ein „Nein heißt Nein“-Modell. Die Materialien zum 50. StÄG heben hervor, dass dem neu formulierten § 177 ein „Nein heißt Nein“-Modell zugrunde liegt.44 Der mehrfache Verweis auf „Nein heißt Nein“ in den Gesetzesmaterialien hat zwei Funktionen. Damit wird zum einen der Unterschied zum alten Recht betont, zum anderen die Alternative „Nur Ja heißt Ja“ verworfen.45 Nach einem „Nur Ja heißt Ja“-Modell wäre jede sexuelle Handlung ohne erklärte Zustimmung aller Beteiligten unter Strafe zu stellen.46 Praktisch wichtig ist der Unterschied dann, wenn aus der Sicht eines hypothetischen objektiven Beobachters eine den sexuellen Handlungen vorausgegangene persönliche Interaktion als unklar oder ambivalent beurteilt würde. Ambivalenz oder Unklarheit liegt vor, wenn die Umstände und das Verhalten der
39 40 41 42 43
BTDrucks. 18/9097 S. 21. Zur Geschichte des § 177 Sick S. 37 ff; Kratzer/Ceylan S. 81 ff. Hörnle ZIS 2015 206, 208 f. So Fischer Rdn. 5; Renzikowski MK Rdn. 10 f; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2. AA Frommel NK Rdn. 103 (die weiteren Qualifikationen würden sich nur auf den Tatbestand in Abs. 5 beziehen; diese Auffassung ignoriert jedoch Gesetzeswortlaut und Gesetzesmaterialien, s. zur Anwendbarkeit der Qualifikationen auch auf sexuelle Übergriffe BTDrucks. 18/9097 S. 28 f). 44 BTDrucks. 18/9097 S. 2, 21, 22. 45 Für „Nur Ja heißt Ja“ Herning/Illgner ZRP 2016 77. 46 S. zum Unterschied zwischen den beiden Modellen Hörnle GA 2015 313, 319 ff; Isfen ZIS 2015 217, 228 ff. Hörnle
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I. Normzweck und Systematik
§ 177
Beteiligten so interpretiert werden könnten, dass Sexualkontakt dem Willen aller entsprach, aber dies letztlich nicht klar zu erkennen ist.47 Prämisse eines „Nein heißt Nein“-Modells ist, dass es Personen zumutbar ist, ggf. ihren entgegenstehenden Willen zum Ausdruck zu bringen (BTDrucks. 18/9097 S. 23). In anderen Worten: Beim strafrechtlichen Schutz sexueller Selbstbestimmung darf eine Obliegenheit vorausgesetzt werden, den eigenen Willen zu äußern, wenn sexuelle Handlungen unerwünscht sind.48 Die weiteren Tatbestände in § 177 Abs. 2 sind dagegen nicht Ausprägung des „Nein heißt Nein“-Ansatzes, sondern dessen notwendige Ergänzung für Konstellationen, in denen es dem Opfer entweder objektiv nicht möglich oder aber unzumutbar ist, seinen entgegenstehenden Willen zu erklären (BTDrucks. 18/9097 S. 23). S. zur punktuellen Geltung eines „Nur Ja heißt Ja“-Modells Rdn. 74.
c) Kritik an der neuen Fassung aa) Verfehlte Fundamentalkritik. Die teilweise an der neuen Fassung von § 177 geäußerte 9 Fundamentalkritik,49 insbesondere der Verweis auf „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“,50 ist unbegründet.51 Sie beruht weitgehend auf einer Verwechslung dessen, was Rechtsanwender in ihrer juristischen Ausbildung zum alten Recht gelernt hatten (etwa, dass es über sehr lange Zeit nur zwei Kategorien gab, nämlich Missbrauch oder Nötigung), mit dem, was verfassungsrechtlich dem Gesetzgeber zwingend vorgegeben ist. Berechtigt ist allerdings rechtspolitische Kritik, die auf Mängel bei der Detailausführung verweist. bb) Systematische Schwächen bei den Grundtatbeständen. Die Schnelligkeit, mit der im 10 Bundestag in Abweichung vom Gesetzentwurf aus dem BMJV ein neuer Tatbestand formuliert wurde, hat dazu geführt, dass nicht über alle Details der Neufassung intensiv nachgedacht wurde. Die Tatbestände in Absatz 2 hätten besser systematisiert werden können. Überraschungsangriffe (§ 177 Abs. 2 Nr. 3) hätten auch unter den Tatbestand der „Unmöglichkeit einer Willensbildung oder Willensäußerung“ gefasst werden können.52 Ein Hinweis in den Gesetzesmaterialien hätte genügt (allerdings schadet die Klarstellung auch nicht, die der separate Tatbestand in Absatz 2 Nr. 3 bewirkt). Ein echtes Problem liegt darin, dass nicht klar ist, unter welchen Grundtatbestand die 11 nicht seltenen Sachverhalte zu fassen sind, in denen Opfer deshalb nicht kommunizieren, weil sie unter dem Eindruck vorangegangener Gewalt stehen oder sich in einer schutzlosen Lage befinden. Diese Umstände sind als Qualifikation genannt (§ 177 Abs. 5 Nr. 1, 3) und es ist offensichtlich, dass und wie (nämlich aus dem Strafrahmen in Absatz 5) solche Fälle zu bestrafen sind. Dem Informationsgebot gegenüber Bürgern (Art. 103 Abs. 2 GG) wird damit genügt, aber für Rechtsanwender bleibt die Frage, welcher Grundtatbestand zusammen mit Absatz 5 anzuführen ist. Ein solcher Grundtatbestand ist erforderlich, da § 177 Abs. 5 Nr. 1 keine vollständige Handlungsbeschreibung enthält, sondern nur einen unrechtserhöhenden Umstand anführt.53 Nur für die Qualifikation „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ (§ 177 Abs. 5 Nr. 2) ist ein passender Grundtatbestand offensichtlich (§ 177 Abs. 2 Nr. 5). Manche Attacken in schutzlosen Lagen oder mit Gewalt sind gleichzeitig auch Überraschungsangriffe (§ 177 Abs. 2 47 Hörnle GA 2015 313, 325. 48 S. zur Opferobliegenheit auch Wolters FS Merkel 951, 955 ff. Krit. Schulz StraFo 2017 450. 49 Wollmann/Schaar NK 2016 268; Lederer AnwBl 2017 515; Fischer Rdn. 4; Frommel NK Rdn. 96 ff; Kölbel FS Eisenberg 61, 77 f; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2 ff; Satzger/Linder GS Tröndle 981, 997 f. 50 Lamping JR 2017 347, 352 ff; Löffelmann StV 2017 413 ff; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2. 51 So zu Recht Renzikowski NJW 2016 3553; Bezjak SchlHA 2017 371, 374 f. 52 Bezjak KJ 2016 557, 564. 53 AA Renzikowski MK Rdn. 98. 195
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Nr. 3), aber nicht alle. De lege lata gibt es zwei Optionen: Entweder man bejaht für diese Konstellationen auch bei einem schweigenden, nicht kommunizierenden Opfer die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens (§ 177 Abs. 1, so die hier vertretene Auslegung, Rdn. 43) oder fasst sie unter § 177 Abs. 2 Nr. 1 (Rdn. 62).
12 cc) Probleme bei den Qualifikationen. Bei der Reform durch das 50. StÄG lag der Fokus auf einer Neufassung der Grundtatbestände. Die Systematik der Konstellationen, in denen erhöhtes oder gemindertes Unrecht vorliegt, hätte mehr Aufmerksamkeit und eine übersichtlichere sowie besser durchdachte Fassung verdient.54 Die vom BMJV im Februar 2015 eingesetzte Reformkommission zum Sexualstrafrecht empfiehlt, die Übergriffstatbestände und die Nötigungstatbestände in getrennten Vorschriften zu erfassen,55 was Übersichtlichkeit und Verständlichkeit verbessern würde. Die Begründung des Verbrechenstatbestands in Absatz 4 (Krankheit oder Behinderung des 13 Opfers als Qualifikation) ist in sich unschlüssig und sachlich nicht gerechtfertigt (Rdn. 67 f). Mit Blick auf Absatz 5 ist in Frage zu stellen, ob Nr. 3 (Ausnutzen einer schutzlosen Lage) innerhalb der Neukonzeption des § 177 notwendig ist. Die Funktion einer Schließung von Schutzlücken, die der 1997 eingeführte § 177 Abs. 1 Nr. 3 a.F. hatte, ist mit der Einführung neuer Grundtatbestände in Absatz 1 und Absatz 2 entfallen.56 Wenn zum sexuellen Übergriff Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben hinzukommen, ist die Strafrahmenanhebung in § 177 Abs. 5 Nr. 1, Nr. 2 jedoch gut begründbar. Die unveränderte Übernahme der Strafrahmen in Absatz 8 und Absatz 9 aus der alten 14 Fassung von § 177 ist ebenfalls nicht stimmig, da bei sexuellen Übergriffen das Unrecht (bei ähnlichen sexuellen Handlungen) typischerweise niedriger ausfällt als bei sexueller Nötigung, weshalb auch die Rahmen in Absatz 7 und 8 an das stärker diversifizierte Unrechtsspektrum hätten angepasst werden müssen. Vor allem für das abstrakte Gefährdungsdelikt „Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs“ (Absatz 7 Nr. 1) ist die Mindeststrafe zu hoch, wenn der Grundtatbestand nur ein einfacher Übergriff ist, der keine Nötigung voraussetzt.57
15 dd) Systematik des 13. Abschnitts. Bei der Reform wurden die Tatbestände in den §§ 174a bis 174c nicht einbezogen, was sinnvoll gewesen wäre.58 Der Anspruch eines durchdachten, konsistenten Systems zum Schutz sexueller Selbstbestimmung müsste sämtliche Tatbestände einbeziehen, was auch der Auftrag an die Reformkommission Sexualstrafrecht war (Vor § 174 Rdn. 31). Dies gilt u.a. für die Art der erfassten sexuellen Handlungen.59 In § 177 ist nunmehr das Spektrum sexueller Handlungen vollständig erfasst, d.h. nicht nur Handlungen mit Körperkontakt zu Dritten, sondern auch sexuelle Handlungen des Opfers ohne Körperkontakt mit einer anderen Person. Seit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.202160 ist immerhin auch in den §§ 174–174c sexueller Körperkontakt mit Dritten tatbestandsmäßig. Es bleibt aber die Frage, warum § 177 (seit 2016) Handlungen ohne Körperkontakt einschließt, die keineswegs stets trivial sind (Rdn. 27), aber nicht die §§ 174a–174c.
54 S. zur Kritik Deckers StV 2017 410, 411; Renzikowski MK Rdn. 6 ff. 55 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 295. 56 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 301; Bezjak ZStW 130 (2018) 303, 315 f.
57 Bezjak KJ 2016 557, 567; Eisele DRiZ 2017 398, 401; Hoven/Weigend JZ 2017 182, 188; Hörnle NStZ 2017 13, 20; Löffelmann StV 2017 413, 416; Walter ZStW 129 (2017) 492, 507 f; Renzikowski MK Rdn. 8.
58 Renzikowski MK Rdn. 11 f. 59 Bezjak ZStW 130 (2018) 303, 310; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. 60 BGBl. I S. 1810. Hörnle
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II. Sexueller Übergriff nach Absatz 1
§ 177
II. Sexueller Übergriff nach Absatz 1 1. Objektiver Tatbestand a) Sexuelle Handlungen. Sexuelle Handlungen sind Handlungen, die objektiv als sexuell zu 16 erkennen sind. Entscheidend ist, ob die Handlung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild einen Sexualbezug aufweist. Auf Beweggründe kommt es nicht an.61 Gleichgültig ist, ob der Täter körperliche Befriedigung oder die Befriedigung sadistischer Neigungen anstrebt, ob ihn Rachegefühle motivieren oder die Intention, das Opfer zu verspotten. Die sexuelle Handlung muss von einiger Erheblichkeit sein, § 184h Nr. 1. Fraglich ist, ob 17 die Einführung von § 184i (sexuelle Belästigung) zur Folge hat, dass in § 177, auch beim einfachen sexuellen Übergriff, die Erheblichkeitsschwelle anzuheben ist.62 Nicht intendiert ist eine grundlegende Änderung: Der Tatbestand der sexuellen Belästigung soll in erster Linie die Fälle erfassen, die bisher straflos waren, weil sie unterhalb der Erheblichkeitsschwelle liegen (BGH NStZ 2018 91, 92). In Grenz- und Zweifelsfällen bei der Beurteilung der Erheblichkeit ist es aber angemessen, nur wegen sexueller Belästigung zu bestrafen. Wenig hilfreich für die Bestimmung der Erheblichkeit ist die als Eingrenzung gemeinte Aussage, dass Geschmacklosigkeiten kein sexueller Übergriff seien.63 Distanzloses, sozial ungeschicktes Verhalten ist nämlich meist schon deshalb irrelevant, weil es keinen objektiven Sexualbezug aufweist (etwa ein Tätscheln des Armes oder eine sozial unpassende Begrüßung durch Umarmung). Eine erhebliche sexuelle Handlung liegt bei einem festen Griff an die Genitalien über der 18 Kleidung vor64 oder wenn der Täter mit seinem entblößten Penis den Körper des Opfers berührt65 oder wenn sich der Täter auf das bekleidete Opfer setzt und ankündigt, auf dessen Körper ejakulieren zu wollen;66 nicht aber schon beim Streicheln des Oberschenkels.67 Umstrittene Grenzfälle sind der Griff an die weibliche Brust und Küsse. Bejaht wird die Erheblichkeit bei Berührungen der unbekleideten Brust (etwa Griffen unter die Bekleidung68 oder Küssen der nackten Brüste69), aber auch bei wiederholtem Anfassen der Brust über der Kleidung und Kniffen in die Brust (BGHSt 51 276, 277 f). Die Rspr. verneint dagegen die Erheblichkeit bei flüchtigen Berührungen der bekleideten Brust.70 Im Hinblick auf die Mindeststrafe (Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten) ist es angemessen, ein nur flüchtiges, kaum spürbares Berühren der Brust auszunehmen und als sexuelle Belästigung nach § 184i zu ahnden. Dasselbe gilt für einen Kuss auf geschlossene Lippen71 und den vergeblichen Versuch, eine andere Person zu küssen.72 Die Erheblichkeitsschwelle ist überschritten bei einem gezielten, festen Zugriff („Busengrapschen“) oder einem Zungenkuss (BGH NJW 2019 2040, insoweit in BGHSt 64 55 nicht abgedruckt).73 Bei
61 BGH bei Miebach NStZ 1994 226; BGH NStZ-RR 2008 339, 340; NStZ 2009 29; NStZ 2015 33, 35; NStZ 2015 457; Hörnle MK § 184h Rdn. 3. 62 S. dazu El-Ghazi ZIS 2017 157, 160 f; ders. StV 2018 250, 253 f. 63 So Renzikowski MK Rdn. 47; Wolters/Noltenius SK Rdn. 11. 64 BGHSt 51 276, 277 f; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 364; BGH NStZ-RR 2007 12, 13; aA BGH NStZ-RR 2003 168. 65 BGH NStZ-RR 2018 305; BeckRS 2018 33392. 66 BGH bei Miebach NStZ 1997 179. 67 BGH NStZ 2001 370, 371; aA Lindenau JR 2002 72, 74. 68 BGH NStZ 1983 553; NStZ 2018 91, 92; OLG Koblenz NJW 1974 871 f; Renzikowski MK Rdn. 53; Wolters/Noltenius SK Rdn. 11. 69 BGH NJW 1998 2987. 70 BGH NStZ 1983 553; BGH bei Miebach NStZ 1994 226; BGH BeckRS 1999 30055608. 71 So auch LG Kleve StraFo 1998 63. Auf die spezifischen Umstände des Falles abstellend BGH NStZ-RR 2007 12, 13. 72 BGH NStZ 2001 370, 371; insoweit zust. Lindenau JR 2002 72, 74. 73 BGH NStZ-RR 2017 242; Renzikowski MK Rdn. 47; Wolters/Noltenius SK Rdn. 11; anders für ein nur kurzes Eindringen mit der Zunge in den Mund OLG Brandenburg NStZ-RR 2010 45. 197
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einem flüchtigen Berühren oder einem kurzzeitigen Kontakt der Zunge mit dem Mund74 kann dagegen eine sexuelle Belästigung nach § 184i vorliegen. 19 Bisse, Schläge und andere Verletzungen während anderer sexueller Handlungen sind in diesem Kontext ebenfalls als sexuelle Handlungen zu werten,75 ebenso andere Verletzungen in einem erkennbar sexualsadistischen Kontext. Ob das Entkleiden einer Person durch den Täter eine sexuelle Handlung ist, hängt vom 20 Kontext ab: Es kommt darauf an, ob der Vorgang nach seinem äußeren Erscheinungsbild einen Bezug zu Sexualität aufweist. Der Sexualbezug fehlt unter besonderen Umständen (z.B. wenn die Handlung erkennbar der Krankenversorgung oder Körperpflege bei Bettlägerigen dient). Er ist im Übrigen aber regelmäßig zu bejahen,76 wenn Unterwäsche entfernt wird (so auch BGH NStZ 2015 457 für das Entfernen von Hose und Slip; ebenso BGH NStZ-RR 2020 312; aA BGH StV 2017 386, 387) oder die weibliche Brust entblößt (aA für das Ausziehen eines T-Shirts BGH BeckRS 2016 112928). Irrelevant ist, ob das Entkleiden nach der Vorstellung des Täters nur der Vorbereitung weiterer sexueller Handlungen dient. Für das Vorliegen einer sexuellen Handlung spielt es keine Rolle, ob Täter dabei Erregung empfinden (BGH NStZ 2015 457; Hörnle MK § 184h Rdn. 6). 21 Durch die geschlechtsneutrale Fassung ist klargestellt, dass weibliche wie männliche Täter und weibliche wie männliche Opfer erfasst werden, ebenso Personen mit anderer Geschlechtsidentität. Sowohl hetero- wie auch homosexuelle Handlungen können unter sämtliche Tatvarianten in § 177 fallen. Ist das Opfer verstorben, fallen sexuelle Handlungen an der Leiche nicht unter § 177. Hat der Täter den Tod des Opfers nicht bemerkt, kommt ein (untauglicher) Versuch des sexuellen Übergriffs in Betracht.77
22 aa) Sexuelle Handlungen des Täters am Opfer. Der Tatbestand erfasst erstens Handlungen des Täters am Opfer, also aktives Tun des Täters, das Körperkontakt zwischen Täter und Opfer herstellt. Sexueller Körperkontakt bedeutet nicht notwendigerweise, dass es zu einem Haut-zu-Haut-Kontakt kam.78 Gelingt dem Täter wegen Gegenwehr die angestrebte sexuelle Berührung nicht, kommt nur die Bestrafung wegen Versuchs in Betracht.79 Sexuelle Handlungen müssen nicht zwingend eigenhändig vorgenommen werden (s. dazu Rdn. 117 sowie Vor § 174 Rdn. 58). Soweit der Tatbeitrag eines Mittäters oder mittelbaren Täters darin lag, auf das Opfer einzuwirken, ist die speziellere Beschreibung einschlägig, die auf Duldung sexueller Handlungen von einem Dritten oder Vornahme an einem Dritten abstellt. Wenn es an einer Einwirkung auf das Opfer fehlt, ist beim Zusammenwirken mehrerer Personen ggf. zu prüfen, ob derjenige, der nicht persönlich den sexuellen Körperkontakt hatte, als mittelbarer Täter oder Mittäter der sexuellen Handlung zu bestrafen ist (Rdn. 117, Vor § 174 Rdn. 60).
23 bb) Sexuelle Handlungen des Opfers am Täter. Zweitens fallen sexuelle Handlungen des Opfers am Körper des Täters unter § 177 Abs. 1 StGB, wenn der Täter diese Handlungen vornehmen lässt. Erforderlich ist eine kommunikative Einwirkung des Täters, der zur Vornahme der konkreten sexuellen Handlung explizit aufgefordert haben muss. § 177 enthält kein echtes, ei-
74 OLG Brandenburg NStZ-RR 2010 45, 46: keine erhebliche sexuelle Handlung nach § 177. 75 BGH NStZ 2019 407, 408. 76 Ebenso Renzikowski MK Rdn. 46; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; Wolters/Noltenius SK Rdn. 10. AA BGH NStZ 1993 78; BGH NStZ-RR 1997 292; BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 357; NStZ-RR 2017 368; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 24. 77 BGH NJW 2003 2036, 2037. 78 BGH NStZ 1992 433; Renzikowski MK Rdn. 52. 79 BGH NStZ 2007 217, 218. Hörnle
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genständiges Unterlassungsdelikt80 (Vor § 174 Rdn. 62), d.h. die ausschließlich passive Hinnahme (ohne implizite Ermunterung) wird nicht erfasst. Falls eine Obhutsgarantenstellung vorliegt, könnte nach den allgemeinen Regeln (§ 13) eine Bestrafung als Unterlassungstäter in Betracht kommen (Vor § 174 Rdn. 62) – da allerdings schwer vorstellbar ist, dass bei einer ohne jede Aufforderung oder Ermunterung eigeninitiativ agierenden Person deren entgegenstehender Wille erkennbar ist, dürfte aus diesem Grund § 177 Abs. 1 nicht einschlägig sein. Wenn eine Aufforderung des Täters vorliegt, wird im Schrifttum trotzdem in Frage gestellt, ob 24 ein sexueller Übergriff möglich sei, wenn sich Täter auf verbales Insistieren beschränken, ohne Drohung oder Gewalt. Teilweise wird vermutet, dass diese Handlungsvariante „kaum einen eigenständigen Anwendungsbereich erlangen“ dürfte (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16), oder es sogar als logisch inkonsistent angesehen, einen sexuellen Übergriff zu bejahen, wenn das Opfer den aktiven Part beim sexuellen Körperkontakt übernommen hat (Renzikowksi MK Rdn. 55).81 Danach wären sexuelle Übergriffe nur gegenüber passiv duldenden Opfern möglich, was offensichtlich dem Wortlaut des § 177 Abs. 1 widerspricht. Dahinter steht die Annahme, dass das aktive Ausführen einer Handlung zwangsläufig bedeute, dass dies dem eigenen Willen entspreche. Eine solche Annahme ist jedoch nicht richtig (BGH NStZ-RR 2020 276).82 Sie beruht auf einem Denkfehler, nämlich der Gleichsetzung von „Wille“ und „Handlungsentschluss“ (Rdn. 31). Der Umstand, dass eine Person Anweisungen befolgt und aktiv etwas tut, erlaubt nicht zwangsläufig die Schlussfolgerung, dass sie ihren eigenen Willen geändert hat. Es gibt mehrere stimmige psychologische und entwicklungspsychologische Erklärungen dafür, warum Menschen bereit sind, Aufforderungen nachzukommen, obwohl sich ihr eigener entgegenstehender Wille nicht geändert hat.83 Beschreibungen des Täterverhaltens mit Worten wie „überreden“ oder „verführen“ sind nur in manchen Kontexten stimmig, wobei ggf. aus der Perspektive des objektiven Beobachters (Rdn. 44) untersucht werden muss, ob in der konkreten Situation eine solche Willensänderung nahelag. Der BGH schließt bei sich aktiv bewegenden Opfern die Anwendbarkeit von § 177 Abs. 1 nicht kategorisch aus, sondern konzentrierte sich in dem zu beurteilenden Fall (dem Bamberger Chefarzt-Fall) auf die Frage des Vorsatzes. Die Umstände, aus denen ein Täter schließen konnte, dass die Handlung gegen den Willen des Opfers erfolgte, seien eingehend zu würdigen (BGH NStZ 2019 717, 718).
cc) Sexuelle Handlungen eines Dritten am Opfer oder des Opfers an einem Dritten. 25 § 177 schließt Sachverhalte ein, in denen der Täter das Opfer bestimmt hat, sexuelle Handlungen mit Körperkontakt zu einem Dritten zu vollziehen oder solche Handlungen eines Dritten zu dulden. Nicht erforderlich ist, dass der Dritte freiwillig oder schuldhaft handelt (dritte Person kann ein Kind sein oder jemand, der ebenfalls Opfer eines sexuellen Übergriffs wurde).84 Bestimmen liegt immer vor, wenn der Täter das Opfer zu der sexuellen Handlung aufgefordert hat. Für die Untervariante „zur Vornahme sexueller Handlungen an einem Dritten bestimmt“ ist eine kommunikative Einwirkung durch explizite Aufforderung notwendige Bedingung (Vor § 174 Rdn. 65 f; zum Erfordernis einer kommunikativen Einwirkung für das wortgleiche Merkmal „bestimmen“ bei der Anstiftung, § 26, Schünemann/Greco § 26 Rdn. 2 ff). Nötigender Zwang ist nicht erforderlich:85 Es kommt nach § 177 Abs. 1 allein darauf an, dass der entgegenstehende Wille erkennbar war. Wenn zwischen der Aufforderung des Täters, die auf einen erkennbar entgegenstehenden Willen stieß, und der tatsächlichen sexuellen Handlung mit der dritten Person eine 80 Renzikowski MK Rdn. 55. 81 So auch Corrêa Camargo ZStW 134 (2022) 351, 372; Fischer NStZ 2019 580; ders. Rdn. 15 ff; Löffelmann StV 2017 413, 415; Mitsch NK 2018 334, 335; Wolters FS Merkel 951, 968; Wolters/Noltenius SK Rdn. 13. So bereits Hörnle NStZ 2019 439; ebenso Schönauer JR 2020 33, 34; Ziegler NStZ 2019 718, 719. Bezjak SchlHA 2017 371, 375. Renzikowski MK Rdn. 59. So auch Fischer Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. AA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Renzikowski MK Rdn. 55, 60; Wolters/Noltenius SK Rdn. 14.
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längere Zeitspanne verstrichen ist, ist zu prüfen, ob der entgegenstehende Wille zum Zeitpunkt des Sexualkontakts immer noch bestand. Wenn sich der Wille in der Zwischenzeit geändert hat, liegt kein Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung vor – es spielt dann keine Rolle, dass zum Zeitpunkt der Einwirkung ein „Nein“ kommuniziert worden war. 26 Wenn ein Sachverhalt unter das Merkmal „zur Duldung sexueller Handlungen von einem Dritten bestimmt“ zu subsumieren ist, ist zu beachten, dass ein wesentlicher Umstand anders ist: Bei einer bloßen Duldung ist kein Handlungsentschluss und keine eigene Körperbewegung des Opfers erforderlich. Die aus sachlogischen Gründen bei eigenen Körperbewegungen des Opfers zwingende Einengung der Definition von „bestimmen“ auf „kommunikative Einwirkung“ ist hier nicht erforderlich. Erfasst wird hier jede Form der Einwirkung auf das Opfer, die es dem Dritten ermöglicht, eine sexuelle Handlung am Körper des Opfers zu vollziehen, auch vis absoluta (Vor § 174 Rdn. 67). Täter ist danach z.B., wer das protestierende Opfer festhält, um einem Kumpan dessen sexuelle Handlung zu ermöglichen.
27 dd) Weitere sexuelle Handlungen des Opfers. Schließlich fallen seit der Umformulierung des Tatbestands durch das 50. StÄG sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt unter § 177, sofern das Opfer diese auf Anweisung des Täters vornimmt, etwa sexualisiertes Posen oder Manipulationen am eigenen Körper. Derartige Sachverhalte sind keineswegs stets trivial, sondern können erheblich demütigende Vorfälle sein, etwa, wenn Täter oder Tätergruppen Opfer zur Selbstpenetration mit Gegenständen bestimmen (s. BGH StV 2011, 160; NStZ-RR 2012 241, 242; NStZ-RR 2020 276, 277). Auch sexuelle Handlungen mit Tieren sind eingeschlossen. Keine notwendige Voraussetzung ist, dass die Handlung vor dem Täter oder vor einem Dritten erfolgt. Erfasst sind auch Handlungen, die das Opfer in Abwesenheit des Täters und anderer Personen vornimmt (NStZ-RR 2020 276, 277).86
28 ee) Sexuelle Handlungen vor dem Opfer. Nicht nach § 177 strafbar ist es, wenn eine Person ohne eigene sexuelle Handlung und ohne eigenen sexuellen Körperkontakt gegen ihren Willen zum passiven Zuschauer bei sexuellen Handlungen gemacht wird. Solche Fälle sind bei volljährigen Opfern nur nach den §§ 183, 183a, ggf. auch § 240, zu erfassen, bei minderjährigen Opfern ist § 176a Abs. 1 Nr. 1 und § 174 Abs. 3 Nr. 1 zu prüfen.
b) Gegen den erkennbaren Willen 29 aa) Entgegenstehender Wille. Ein sexueller Übergriff nach § 177 Abs. 1 liegt vor, wenn sexuelle Handlungen gegen den Willen einer beteiligten Person erfolgen und wenn außerdem dieser entgegenstehende Wille erkennbar war (zur Erkennbarkeit Rdn. 40 ff). Das erste Element, der entgegenstehende Wille, beschreibt einen innerpsychischen Zustand. Es handelt sich um eine wertende innere Einstellung zu einem Ereignis, die zum Urteil „unerwünscht“ kommt.87 Diese wertende Einstellung muss nicht reflektiert-abwägend oder bewusst formuliert ausfallen. Es genügt ein intuitiv ausgebildeter Wille, der z.B. in abwehrenden Bewegungen, Weinen oder Schreien zum Ausdruck kommt, was auch bei Kindern möglich ist (nur bei Kleinstkindern kann dies zweifelhaft sein, s. dazu Wolters/Noltenius SK Rdn. 10). § 177 Abs. 1 erfordert nur einen faktischen entgegenstehenden Willen, d.h. die innere Einstellung, die eine konkrete sexuelle Handlung als „unerwünscht“ einordnet. Es kommt nicht darauf an, ob die betroffene Person Rechtsgeschäfte abschließen oder z.B. in eine ärztliche Behandlung wirksam einwilligen könn-
86 Fischer Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. 87 AA Wolters FS Merkel 951, 952. Hörnle
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te.88 Die Gleichbehandlung von Menschen mit geistigen Behinderungen oder Einschränkungen und Menschen ohne Behinderung war eines der gesetzgeberischen Anliegen, die mit der Aufhebung von § 179 und der Neufassung von § 177 verfolgt wurden (BTDrucks. 18/9097 S. 21). Die von einem faktischen Willen getragene Ablehnung der sexuellen Vorhaben eines anderen muss stets respektiert werden.89 Der Wille muss den konkreten sexuellen Handlungen entgegenstehen.90 Der (wohl bei den meisten Menschen) gegebene generelle, nicht situationsspezifische Wille, sich nicht jederzeit von beliebigen Personen sexuell berühren zu lassen, wird durch das Verbot von Überraschungsangriffen (§ 177 Abs. 2 Nr. 3) und das Verbot von Übergriffen auf Personen in willensunfähigem Zustand (§ 177 Abs. 2 Nr. 1) geschützt. Die innere Bewertung der konkreten sexuellen Handlung als unerwünscht muss eindeutig ausfallen, damit von einem entgegenstehenden Willen gesprochen werden kann. Wenn in Zeugenaussagen die eigene Haltung zu erwarteten sexuellen Aktivitäten so geschildert wird, dass sie mit Begriffen wie unklar, unentschlossen oder gleichgültig zusammenzufassen wäre, fehlt es an einem entgegenstehenden Willen und damit an einem sexuellen Übergriff. Ein entgegenstehender Wille kann sich auf Teilelemente eines sexuellen Geschehens beschränken, wenn diese als abgrenzbare sexuelle Einzelhandlungen beschrieben werden können, etwa Bisse oder Schläge während des Verkehrs.91 Der Wille als wertende innere Einstellung ist vom Handlungsentschluss abzugrenzen. Der Entschluss, eine Körperbewegung auszuführen (etwa den Arm auszustrecken oder Finger in bestimmter Weise zu bewegen), kann auch dann gefasst werden, wenn die sexuelle Interaktion unerwünscht ist. Der Unterschied zwischen dem simplen Entschluss zur Ausführung einer Körperbewegung und der Bewertung, die mit „Wille“ zusammengefasst wird, ist zu betonen, weil in der Lit. (s. die Nwe. in Rdn. 24) vielfach Handlungsentschluss und Wille gleichgesetzt werden.92 Eine andere Frage ist, aus welchen Gründen jemand wissentlich und willentlich eine Körperbewegung ausführt, die er selbst als unerwünscht bewertet, oder die Handlungen anderer duldet. Für die Einordnung als sexueller Übergriff nach § 177 Abs. 1 spielen diese Gründe keine Rolle mehr, anders als nach altem Recht, wo es auf das durch Nötigung geschaffene Motiv „Furcht“ ankam. Für die Prüfung des Merkmals „gegen den Willen“ sind die mit sexuellen Handlungen verfolgten Zwecke und die Motive irrelevant.93 Insbesondere wäre es falsch, eine sexuelle Handlung nur dann als gewollt anzusehen, wenn sich die involvierten Personen davon eine körperlich oder psychisch angenehme Erfahrung versprechen. Die Gegenbegriffe zu „unerwünscht“ sind vielfältig: Sie reichen von „erwünscht“ oder „angestrebt“ bis zu „akzeptabel“ oder „tolerabel“. Auch körperlich oder emotional unbefriedigende Sexualkontakte können gewollt sein, etwa wenn sich jemand dafür entscheidet, um dem Partner einen Gefallen zu tun,94 um sich soziale oder berufliche Vorteile zu verschaffen oder um Geld zu erhalten. Es ist auch nicht erforderlich, dass Personen überhaupt einen Zweck beschreiben können: Auch zweckfreies, motivloses Sich-treiben-Lassen kann gewollt sein. Nicht gewollt ist eine sexuelle Handlung auch dann, wenn sich ein den Sexualkontakt erkennbar ablehnendes Opfer teilweise kooperativ verhält, nämlich um die Intensität der kör88 89 90 91 92
El-Ghazi ZIS 2017 157, 163 f; May JR 2019 130, 133. BGH NStZ 2018 13; NStZ-RR 2017 240, 241. Mitsch KriPoZ 2018 334, 335; Fischer Rdn. 9a. BGH NStZ 2019 407, 408. Hoven NStZ 2020 578, 579 f; Wolters FS Merkel 951, 966 ff; Renzikowski MK Rdn. 55 setzt Handlungsgründe und Wille gleich. 93 AA Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 26, der davon auszugehen scheint, dass die Entscheidung gegen sexuelle Interaktionen hinterfragt werden müsse, wenn die Verweigerung von Sex auf „fragwürdigen“ Gründen beruhe. Gegen diese absurde Verzerrung sexueller Selbstbestimmung zu Recht Renzikowski MK Rdn. 50. 94 Der Einwand geht fehl, dass § 177 Abs. 1 sozialadäquate Handlungen, etwa Sexualkontakt aus „partnerschaftlichem Pflichtbewusstsein“ erfasse, so Löffelmann StV 2017 413, 415. Das ist nicht der Fall – Handeln aus Pflichtbewusstsein ist gewollt. 201
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perlichen und psychischen Beeinträchtigung gegenüber dem Plan des Täters abzumildern. Z.B. bedeutet der Umstand, dass das Opfer um eine schonendere Form einer sexuellen Handlung oder die Verwendung eines Kondoms bittet, nicht, dass schon deshalb der Sexualkontakten entgegenstehende Wille oder die Erkennbarkeit des Willens entfällt.95 Dasselbe gilt, wenn äußerlich kooperatives Verhalten darauf zurückzuführen war, dass das Opfer damit die Zeitspanne physischen und psychischen Leidens verkürzen wollte. Ein entgegenstehender Wille ist auch in Konstellationen gegeben, in denen ein Nachgeben gegenüber dem Insistieren des Täters allein darauf zurückzuführen ist, dass das Opfer, etwa aus früheren ähnlichen Erfahrungen mit dem Täter, weiß, dass es nicht gelingen wird, den eigenen entgegenstehenden Willen durchzusetzen. Dass es unter bestimmten Umständen, vor allem in Macht- und Autoritätsverhältnissen, rational sein kann, Aufforderungen zu befolgen, ändert nichts daran, dass die sexuelle Handlung nicht gewollt ist.96 Entscheidend für die Anwendbarkeit von § 177 Abs. 1 ist in solchen Situationen, ob der entgegenstehende Wille für einen objektiven Beobachter erkennbar blieb. 34 Motivirrtümer haben keine Bedeutung für die Feststellung des Willens. Auch wenn im individuellen Willensbildungsprozess ein Motiv (etwa der Wunsch nach Liebe oder einer „festen Beziehung“, oder erwartete finanzielle bzw. soziale Vorteile) notwendige Bedingung für den positiven Willen war, sich auf sexuelle Handlungen einzulassen, kommt es allein auf diesen Willen an. Auch bei einem negativen Willen spielt es keine Rolle, wenn dieser auf einem Irrtum beruhen sollte – er muss, wenn erkennbar, immer respektiert werden.97 Ausschlaggebend ist, dass ein Wille geformt wurde, dem die konkrete sexuelle Interaktion entspricht, nicht aber, warum dies geschah. Aus rechtspolitischer Sicht wäre eine Änderung und Ausweitung der Strafbarkeit auch nicht zu empfehlen.98 Aus moralischer Sicht mag es Gründe für einen grundsätzlich bestehenden Anspruch auf Wahrheit in privaten Beziehungen geben (wobei sich aber auch für moralische Bewertungen die schwierige Frage stellt, wo die Grenzen liegen und wie weit bei Intimkontakten und in Beziehungen Ansprüche auf Transparenz reichen). Jedenfalls wäre es nicht vertretbar, dass der Staat mit den Mitteln des Strafrechts einen kategorischen Anspruch auf Wahrheit durchsetzt und Personen dazu zwingt, alle für andere wichtigen privaten Details offen zu legen. Dem stünde das verfassungsrechtliche Recht von Menschen auf Achtung ihrer Privatsphäre entgegen (Scheidegger German Law Journal 2021 769, 780 ff; Corrêa Camargo ZStW 134 [2022] 351, 378 ff).99 Eine strafrechtlich relevante Diskrepanz zwischen Willen und Ereignis besteht aber dann, 35 wenn (typischerweise wegen Täuschungen oder Manipulationen anderer) die geschädigte Person die Beschaffenheit des Sexualkontakts in seinen physischen Dimensionen nicht erfasst und deshalb die konkrete sexuelle Handlung gegen ihren Willen geschah. Ein entgegenstehender Wille liegt vor, wenn das Einverständnis mit sexuellem Körperkontakt sich nur auf eine bestimmte Variante bezieht und die tatsächlich vorgenommene sexuelle Handlung davon in einer Weise abweicht, die objektiv zu einer erheblichen Veränderung der Art und Eingriffsintensität des Sexualakts führt. Dies ist z.B. der Fall, wenn Analverkehr statt des konsentierten Vaginalverkehrs vollzogen wird.100 Eine nicht mehr vom Willen gedeckte Änderung der sexuellen Handlung liegt vor, wenn der Täter statt des konsentierten Verkehrs mit Kondom absprachewidrig und vorsätzlich Geschlechtsverkehr oder andere sexuelle Handlungen ohne Kondom
95 BGH bei Dallinger MDR 1953 147; BGHSt 39 244 f. S. zu einem entsprechenden amerikanischen Fall (in dem die Jury deshalb freisprach) Luz/Weckerly UCLA Women's Law Journal 1993 95. 96 S. auch Schönauer JR 2020 33, 34 f dazu, dass Selbstbestimmung nicht mit dem Kriterium „rational choice“ definiert werden kann. 97 Mitsch KriPoZ 2018 334, 336. 98 Zur Relevanz von Täuschungen Hoven/Weigend KriPoZ 2018 156, 158; Wolters FS Merkel 951, 964 f; Fischer Rdn. 2a; Renzikowski MK Rdn. 52. 99 S. zu einem weitergehenden Ansatz Vavra S. 365 ff. 100 Vavra S. 423 f; Wolters FS Merkel 951, 964. Hörnle
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durchführt (sog. Stealthing),101 und zwar auch dann, wenn nach erfolgter sexueller Berührung das Eindringen in den Körper nicht gelingt.102 Auch Geschlechtsverkehr mit Samenerguss im Körper der anderen Person ist eine andere Handlung als Verkehr, für den „kein Samenerguss im Körper“ vereinbart worden war. Auch diese sexuelle Vorgehensweise verstößt gegen den erkennbaren Willen der anderen Person.103 Nicht unter § 177 Abs. 1 fällt es dagegen, wenn jemand unausgesprochen die Benutzung eines Kondoms erwartet, aber dies nicht zum Ausdruck kommt – dann ist der einem Verkehr ohne Kondom entgegenstehende Wille nicht erkennbar.104 Wenn im umgekehrten Fall abredewidrig eine tatsächlich vorgenommene Handlung weniger intensiv die Körper- und Intimsphäre tangiert als die vereinbarte sexuelle Aktivität (etwa: Sex mit Kondom, obwohl „ohne Kondom“ vereinbart war, oder Verzicht auf Penetration), wäre diese Abweichung als strafrechtlich nicht erheblich und deshalb strafrechtlich irrelevant einzustufen.105 Unbeachtlich im Rahmen des § 177 (und allenfalls in manchen Fällen als Körperverletzung zu erfassen) sind Täuschungen, die sich nicht auf die sexuelle Handlung, sondern auf die Beschaffenheit des Körpers beziehen, etwa die Infizierung mit Krankheitserregern oder die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft.106 Nicht als sexueller Übergriff zu erfassen ist die Missachtung einer Vereinbarung, auch wenn diese für eine der beteiligten Personen wichtige Begleitumstände betraf (etwa: kein Filmen), ohne dass aber dieser Umstand den Sexualkontakt in seinen physischen Dimensionen verändert.107 Wenn im Strafverfahren widersprüchliche Angaben zum tatsächlichen Wollen mutmaßlich 36 Geschädigter zu bewerten sind, müssen in der Beweiswürdigung alle Umstände abgewogen werden. Verfehlt wäre es, isoliert von den konkreten Umständen allein darauf abzustellen, dass die geschädigte Person aktiv Körperbewegungen vornahm, etwa sich auf Aufforderung entkleidete oder den ihr aufgetragenen Oralverkehr vollzog (s. Rdn. 31). Aktivitäten des mutmaßlichen Opfers sind ein Umstand, der im Kontext gewürdigt werden muss. Aktive Mitwirkung kann unter bestimmten Umständen ein Indiz dafür sein, dass kein entgegenstehender Wille vorlag, aber in vielen Lebenssachverhalten ist eine aktive Mitwirkung des Opfers damit vereinbar, dass ein entgegenstehender Wille vorlag. Menschen sind nicht immer in der Lage, ihren eigenen Willen umzusetzen, auch wenn dieser eindeutig und stabil ist.108 Die Gründe können zum einen in der Persönlichkeit der Betroffenen liegen (etwa große Schüchternheit oder anerzogene Gehorsamshaltungen gegenüber dominant auftretenden Personen). Zum anderen erschweren es bestimmte soziale Kontexte, Aufforderungen anderer zu ignorieren. Dies kann der Fall sein, wenn die Person, der gegenüber der eigene Wille durchgesetzt werden müsste, im beruflichen, sozialen oder familiären Kontext oder wegen einer Amtsstellung als übergeordnet oder überlegen wahrgenommen wird; s. z.B. den Sachverhalt BGH NStZ 2015 337: sexuelle Aufforderungen des Fallmanagers im Arbeitsamt gegenüber Klienten.
101 Stealthing fällt nach h.M. unter § 177 Abs. 1: OLG Schleswig NStZ 2021 619 f; BayObLG NStZ-RR 2022 43 f; Geneuss/Bublitz/Papenfuß JR 2021 189; Herzog FS Fischer 351, 357; Hoffmann NStZ 2019 16, 17; Hoven NStZ 2020 578, 581; Keßler S. 340 ff.; Linoh/Wettmann ZIS 2021 383, 395; Makepeace KriPoZ 2021 10, 12 ff; Pschorr StraFo 2021 279, 284 ff; Vavra S. 424; Wißner MSchrKrim 2020 315, 326 f; Wolters FS Merkel 951, 964; Fischer Rdn. 9b; Renzikowski MK Rdn. 51. AA Schumann/Schefer FS Kindhäuser 811, 822 ff; Franzke BRJ 2019 114, 118 ff; Denzel/Kramer de la Fonseca Calixto KriPoZ 2019 347, 353 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. 102 BayObLG NStZ-RR 2022 43. 103 KG BeckRS 2020 18243, OLG Hamm BeckRS 2022 4047. 104 Keßler S. 338 f. 105 Corrêa Camargo ZStW 134 (2022) 351, 375; Hoffmann NStZ 2019 16, 17; aA Keßler S. 343 f; Pschorr StraFo 2021 279, 285. 106 Hoffmann NStZ 2019 16, 17; Renzikowski MK Rdn. 51; weitergehend (u.U. sei auch Täuschung über bestehende Infektionen erfasst) Fischer Rdn. 9b. 107 Vavra S. 424 f. 108 S. dazu Hörnle ZIS 2015 206, 211 f. 203
Hörnle
§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
37 bb) Willensänderung. Der entscheidende Zeitpunkt, auf den sich Feststellungen zum entgegenstehenden Willen beziehen müssen, ist der Beginn der sexuellen Handlung bzw. der Beginn der sexuellen Interaktion, die aus einer Kette ineinander übergehender sexueller Handlungen bestand. Wenn es nach oder während anfangs konsentierter sexueller Handlungen zu einer Willensänderung kommt, die für den Sexualpartner erkennbar kommuniziert wird, liegt in der Fortsetzung sexueller Aktivitäten trotz des nunmehr erkennbar entgegenstehenden Willens ein sexueller Übergriff (BGH NStZ-RR 2022 73 f).109 Auch hier ist auf die Einschätzung eines objektiven Beobachters abzustellen. Wenn während eines zunächst einvernehmlich begonnenen Sexualakts der Beschuldigte dem Geschehen durch sadistisch-gewalttätige Handlungen (schmerzhafte Bisse, Fixierung des Halses) einen grundlegend anderen Charakter gab und die Geschädigte sich verbal klar ablehnend äußerte, zum Aufhören aufforderte und vor Schmerzen schrie, ist es absurd, ein Einverständnis mit „Sex an sich“ zu vermuten (so aber BGH NStZ 2019 407; s. nun aber BGH NStZ-RR 2022 73 f). Sexualgewalt lässt sich nicht in „an sich konsentierten“ Geschlechtsverkehr und unerwünschte Begleitumstände aufsplitten. Es ist unter solchen Umständen offensichtlich, dass bei überraschenden schmerzhaft-sadistischen Attacken die Aufforderung, aufzuhören, und Versuche, den anderen wegzudrücken, einen weiterem Sexualkontakt entgegenstehenden Willen ausdrücken. 38 Selbstverständlich gehört auch eine Willensänderung in umgekehrter Richtung (zunächst Ablehnung, dann doch innere Zustimmung) zum Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (BTDrucks. 18/9097 S. 23). Eine solche Willensänderung hebt allerdings die Strafbarkeit von zuvor begangenen sexuellen Handlungen nicht auf. Unproblematisch festzustellen ist ein Meinungsumschwung, wenn ihn die zunächst ablehnende Person verbal oder nicht verbal, aber hinreichend klar ausgedrückt hat. Verhalten, das alltagssprachlich als „Verführung“ beschrieben wird und eine Willensänderung bewirkt, ist in der Regel gut zu erkennen (anschaulich El-Ghazi ZIS 2017 157, 167 f). Schwieriger wird die Beweiswürdigung, wenn schwache oder widersprüchliche Indizien zu bewerten sind und die Frage aufkommt, ob Passivität oder Befolgen von Aufforderungen einen geänderten Willen indizieren. Unter bestimmten Umständen kann bereits die Zeitspanne seit einer ablehnenden Äußerung ernsthafte Zweifel daran begründen, ob unmittelbar vor der sexuellen Handlung noch ein entgegenstehender Wille bestand, etwa, wenn viele Stunden oder Tage verstrichen sind. Bei einer nur 30 Minuten dauernden Abwesenheit, nach vorangegangenem Streit, klaren Aussagen, keinen Sexualkontakt zu wollen, und Gewalt des Täters, können objektive Beobachter dagegen auch bei passivem Verhalten des eingeschüchterten Opfers den entgegenstehenden Willen immer noch gut erkennen (s. den Sachverhalt, der BGH NStZ 2010 570 zugrunde lag). 39 Zweifel am immer noch entgegenstehenden Willen können aufkommen, wenn es nach einer ablehnenden Äußerung weitere Kommunikation oder Kontakte gab, die möglicherweise als echtes Überreden beschrieben werden könnten. In solchen Fällen müssen alle Umstände gewürdigt werden, z.B. wie explizit und dezidiert der entgegenstehende Wille geäußert wurde; wie Insistieren des mutmaßlichen Täters formuliert war (Bitte oder Befehl?); ob zwischen den Beteiligten ein hierarchisches, durch soziale Macht und Autorität geprägtes Verhältnis bestand, das Aufforderungen besonderen Nachdruck verlieh; ob es eine eigene sexuelle Initiative des mutmaßlichen Opfers gab, die über die Befolgung von Anordnungen hinausging; ob es zwischen den Beteiligten vorausgegangene Kontakte nach dem Skript „Verführungszwischenspiel“ gegeben hatte.110 Führt die Beweiswürdigung zum Ergebnis, dass der entgegenstehende Wille stabil war und zum Beginn der sexuellen Handlungen noch bestand, bleibt zu prüfen, ob auch der Täter den entgegenstehenden Willen erkannt hat (dies stellte der BGH im Bamberger Chefarztfall in Frage, BGH NStZ 2019 717, 718). 109 Renzikowski MK Rdn. 49. 110 S. dazu Hörnle NStZ 2019 439, 441 f; aA Fischer ZIS 2019 580, 584, der trotz einer explizit geäußerten Ablehnung davon ausgeht, dass jede nachfolgende sexuelle Handlung dem Willen der aktiv handelnden Person entspreche, solange kein empfindliches Übel droht (§ 177 Abs. 2 Nr. 4, 5). Hörnle
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II. Sexueller Übergriff nach Absatz 1
§ 177
cc) Erkennbarkeit des Willens. Sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person sind nur 40 dann nach § 177 Abs. 1 strafbar, wenn der Wille als innerpsychischer Zustand aus der Außenperspektive erkennbar war.111 Dem Merkmal „erkennbar“ kommt eine wichtige Filterfunktion zu: Handeln gegen den Willen einer betroffenen Person ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Strafbarkeit.112 In der Beweiswürdigung ist zunächst (soweit wie möglich) zu ermitteln, wer was gedacht, gesagt und gemacht hat. Auf dieser Basis ist dann erstens zu urteilen, ob ein entgegenstehender Wille vorlag, und zweitens, ob dieser erkennbar war. Wenn sich ein entgegenstehender Wille auf die konkrete Ausgestaltung der sexuellen Handlung bezog (etwa: kein Geschlechtsverkehr ohne Kondom, Rdn. 35), muss diese Bedingung zum Ausdruck gekommen sein. (1) Opfer kommuniziert Ablehnung. Ein sexueller Übergriff nach § 177 Abs. 1 liegt vor, wenn 41 in zeitlicher Nähe zu den sexuellen Handlungen Ablehnung verbal ausgedrückt wurde. Die Gesetzesmaterialien verweisen darauf, dass es auch ausreicht, wenn Opfer durch Gesten und andere Formen des Ausdrucks innerer Zustände (als Beispiel wird Weinen genannt) ihren entgegenstehenden Willen ausdrücken.113 Wenn Ablehnung kommuniziert wurde und der Täter danach eine Drohung ausspricht, die das Opfer zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen oder sogar zu einem durch die Drohung abgerungenen „Ja“ motiviert, ist § 177 Abs. 1 anwendbar. § 177 Abs. 2 Nr. 5 hat nur dann eigenständige Bedeutung, wenn die Drohung ausgesprochen wurde, bevor das Opfer den entgegenstehenden Willen ausgedrückt hatte.114 Wenn es keinerlei Willensbekundungen der Geschädigten gab, ist die Erkennbarkeit ei- 42 nes entgegenstehenden Willens in der Regel zu verneinen.115 Die Entscheidung für ein „Nein heißt Nein“-Modell bedeutet, dass Personen grundsätzlich zugemutet wird, ggf. einen entgegenstehenden Willen auszudrücken (BTDrucks. 18/9097 S. 23). Wenn sich betroffene Personen weder verbal noch nonverbal geäußert haben, dürfen Strafverfolgungsorgane die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens nicht deshalb bejahen, weil sie aus ihrer Einschätzung der erotischen Attraktivität von Beschuldigten und/oder Situationen ableiten, dass dieser Sexualkontakt unmöglich gewollt gewesen sein konnte.116 Fälle, in denen die Erklärung von Ablehnung unmöglich oder erheblich erschwert oder überflüssig ist, werden in Absatz 2 erfasst.
(2) Täter wendet Gewalt an oder nutzt eine schutzlose Lage aus. Vom Grundsatz, dass 43 beim Fehlen jeglicher Kommunikation des mutmaßlichen Opfers § 177 Abs. 1 nicht anwendbar ist, kann eine eng begrenzte Ausnahme gemacht werden, nämlich dann, wenn der Täter zuvor Gewalt angewendet oder eine schutzlose Lage ausgenutzt hat. Dann ist das Verstummen des Opfers allein dem Täter zuzurechnen und es ist überflüssig, klarzustellen, dass ein Sexualkontakt nicht gewünscht ist. Die beim Verweis auf „Nein heißt Nein“ in den Gesetzesmaterialien angesprochene Opferobliegenheit (Rdn. 8) besteht unter diesen Umständen nicht. Gewalt oder schutzlose Lagen sind zudem äußere Umstände, die einfacher mit intersubjektiver Gültigkeit festzustellen sind als Versuche, die Erkennbarkeit eines entgegenstehenden Willens aus der fehlenden Attraktivität des Täters abzuleiten (Rdn. 42). Zuzugestehen ist, dass es schwer fällt, eine
111 AA Frommel NK Rdn. 105 ff, die den Gesetzeswortlaut ignoriert und kurzerhand ihre eigene Präferenz für ein Tatbestandsmerkmal „erkannter Wille“ als vermeintlich geltendes Recht ausgibt. 112 El-Ghazi ZIS 2017 157, 162. 113 BTDrucks. 18/9097 S. 22 f. 114 El-Ghazi ZIS 2017 157, 164 f. 115 Hörnle NStZ 2017 13, 15. 116 Hörnle NStZ 2017 13, 15. Bezjak SchlHA 2017 371, 373, geht dagegen davon aus, dass das Wort „erkennbar“ mehr Spielraum für eine Einbeziehung situativer Faktoren lasse. 205
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
dem geltenden Recht gerecht werdende, systematisch stimmige Lösung zu finden (Rdn. 11).117 Wenn die Konstellationen „Gewalt; schutzlose Lage“ unter § 177 Abs. 1 gefasst werden, müsste an sich dasselbe für eine Drohung gelten, für die der Gesetzgeber allerdings in § 177 Abs. 2 Nr. 5 einen eigenen Grundtatbestand vorgesehen hat. De lege lata gibt es aber keine bessere Lösung, weil für die Qualifikationen „Gewalt; Ausnutzen einer schutzlosen Lage“ ein offensichtlich passender Grundtatbestand fehlt.118 Die Vorhersehbarkeit für Bürger wird durch § 177 Abs. 5 Nr. 1, Nr. 3 gewährleistet.
44 (3) Unklare oder mehrdeutige Kommunikation. Von den Konstellationen „keinerlei Willensbekundung“ sind Sachverhalte zu unterscheiden, in denen sich das mutmaßliche Opfer zum sexuellen Ansinnen geäußert hat, aber Ablehnung möglicherweise nicht ernst gemeint oder schwankend war, also der Inhalt des Kommunizierten interpretationsbedürftig ist. Vor allem in solchen Fällen erlangt die Maßstabsfigur des objektiven Dritten (BTDrucks. 18/ 9097 S. 22) Relevanz. Entscheidend ist dann, zu welchen Folgerungen eine hypothetische Person in der Rolle eines objektiven Beobachters käme, der die Interaktion und Kommunikation wahrnehmen konnte. Der hypothetische objektive Dritte müsste, damit § 177 Abs. 1 angewendet werden kann, zum Ergebnis kommen, dass ein entgegenstehender Wille eindeutig zu erkennen war.119 Wenn die Kommunikation in der sehr kurzen Zeitspanne unmittelbar vor der sexuellen Handlung diese Eindeutigkeit vermissen lässt, sind ggf. Interaktionen in den Stunden davor einzubeziehen. Soweit in der Lit. darüber hinaus auch älteres sog. „Sonderwissen“ des Täters (etwa aus zeitlich weiter zurückliegenden Gesprächen über die Möglichkeit sexueller Kontakte) als relevant angesehen wird,120 ist dem zu widersprechen. Um echtes Wissen handelt es sich nicht: Die Bewertung der sexuellen Attraktivität bekannter Personen ist kein stabiles Faktum, sondern kann sich ändern. Deshalb sind in der Vergangenheit liegende Einschätzungen unzuverlässig. 45 Eine nicht einfach zu beantwortende Frage ist, wie man sich Vorannahmen des objektiven Beobachters vorstellen sollte, wenn Kommunikation auf der Basis kulturell geprägter Interpretationsmuster entschlüsselt werden muss. Unter dem Stichwort „Vergewaltigungsmythen“ wurden Annahmen, die vor allem Frauen doppeldeutiges Verhalten unterstellen, vielfach kritisiert.121 Das Wort „Mythen“ deutet auf grob verzerrende Zuschreibungen, die mangels empirischer Fundiertheit selbstverständlich vermieden werden müssen. Und selbst wenn sich aus soziologischer Sicht beschreiben ließe, dass Angehörige einer Subkultur Sexualautonomie (oder: Sexualautonomie für Frauen) grundsätzlich nicht anerkennen und vor diesem Hintergrund Verhalten von Gruppenmitgliedern anders interpretieren, darf dies bei verfassungswidrigen normativen Grundannahmen nicht die Perspektive des objektiven Beobachters prägen.122 Es bleibt die Frage, welche Relevanz es für die Auslegung von § 177 Abs. 1 hat, dass auch jenseits von Subkulturen gewisse Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei der Einordnung von Situationen nachgewiesen wurden.123 Der Frage „für wen objektiv erkennbar?“ ist nicht ganz zu entgehen.
117 Ich hatte deshalb in NStZ 2017 13, 16 befürwortet, § 177 Abs. 2 Nr. 1 anzuwenden, wenn Gewalt angewendet oder eine schutzlose Lage ausgenutzt werde, s. zu dieser möglichen Lösung unten Rdn. 62. Meine Meinung habe ich revidiert. 118 S. dazu auch Vavra S. 456 f, die vorschlägt, auf § 177 Abs. 2 Nr. 4 abzustellen. 119 El-Ghazi ZIS 2017 157, 166. 120 May JR 2019 130, 137. 121 Kratzer-Ceylan S. 23 ff. 122 S. zur ähnlichen Problematik bei der Bestimmung niedriger Beweggründe Schneider MK § 211 Rdn. 112. 123 Humphreys Journal of Sex Research 2007 307; Jozkowski Journal of Sex Research 2014 904. Hörnle
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II. Sexueller Übergriff nach Absatz 1
§ 177
Es läge nahe, bei der Bewertung „war für den männlichen Täter erkennbar“ einzubeziehen, ob andere Männer dasselbe Verhalten in derselben Situation ebenfalls als „klares Zustimmungssignal“ einordnen. Weil es in Strafverfahren allerdings nicht möglich ist, Fragen einer geschlechtsspezifischen Interpretation fundiert empirisch zu untersuchen, ist die Schlussfolgerung: In Grenzfällen ist von Mehrdeutigkeit auszugehen und deshalb die objektive Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens zu verneinen.
dd) Bei tatsächlich vorliegendem zustimmenden Willen kommt es auf Erkennbarkeit 46 nicht an. Wenn alle beteiligten Personen mit den sexuellen Handlungen einverstanden waren, d.h. diese ihrem faktischen Wollen entsprachen, fehlt es am Tatbestandsmerkmal „gegen den Willen einer anderen Person“. Sollten diejenigen, die zunächst als mutmaßliche Opfer eines sexuellen Übergriffs eingestuft worden waren, ihren Willen als „nicht entgegenstehend“ beschreiben, scheidet eine Bestrafung wegen eines vollendeten sexuellen Übergriffs aus. Dies gilt auch dann, wenn dieser tatsächlich zustimmende Wille nicht erkennbar war, d.h. ein objektiver Beobachter die Situation als sexuellen Übergriff einordnen würde.124 Falls in einer objektiv ambivalenten Situation Täter eingestehen sollten, einen entgegenstehenden Willen ernstlich für möglich gehalten zu haben, wären sie wegen eines (untauglichen) Versuchs eines sexuellen Übergriffs zu bestrafen (§ 177 Abs. 1, 3, § 22).125 In der Verfahrenspraxis sind allerdings solche Eingeständnisse kaum zu erwarten.
ee) Vom Täter erkannter, aber für Beobachter nicht erkennbarer entgegenstehender 47 Wille. Eine vermutlich theoretisch bleibende Auslegungsfrage ist, ob § 177 Abs. 1 einschlägig wäre, wenn Beschuldigte den entgegenstehenden Willen erkannten, dieser aber für einen objektiven Beobachter (Rdn. 44) nicht erkennbar war.126 Es ist wenig wahrscheinlich, dass eine solche Konstellation Ermittlungsbehörden beschäftigen wird. Unerklärbare mentale Fähigkeiten wie Gedankenlesen sind nicht zu erwarten, solange sich Verfahren gegen Erdenbewohner richten. Es bliebe erstens die Möglichkeit, dass ein Beschuldigter, weil er die andere Person länger und gut kannte, einen Beurteilungsvorsprung gehabt haben könnte. Echtes, diesen Namen verdienendes „Sonderwissen“ gibt es allerdings bei der Beurteilung des aktuellen Wollens anderer Menschen nicht (Rdn. 44). Bereitschaft zu oder Ablehnung von Sexualkontakt hängt in der Regel von der konkreten Situation und Stimmung ab, und Stimmungen können sich ändern. Zweitens könnte es zu einer Divergenz i.S.v. „objektiv nicht erkennbar, aber dem Täter bekannt“ kommen, wenn ein besonders einfühlsamer Beschuldigter minimale negative Signale der anderen Person lesen konnte, die für einen objektiven Beobachter zu subtil wären. Aus psychologischer Sicht wäre es jedoch überraschend, dass sich ausgerechnet ein Individuum, dem beim Sex der Wille anderer gleichgültig ist, durch besonders ausgeprägtes Einfühlungsvermögen auszeichnet. Wäre tatsächlich ein solcher Fall zu beurteilen, könnte ein Erst-Recht-Schluss angewendet werden. Danach ist „erkennbar“ eine Mindestvoraussetzung, die auch dann erfüllt ist, wenn der Täter den entgegenstehenden Willen kannte.127
124 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. 125 Wolters FS Merkel 951, 963; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. 126 Dazu Renzikowski MK Rdn. 48: rein akademische Frage; anders Hoven/Weigend JZ 2017 182, 187 (zu opferunfreundlich); Mitsch KriPoZ 2018 334, 335; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 26 (Strafbarkeitslücke).
127 So Hoven/Weigend KriPoZ 2018 156, 158; Drohsel NJOZ 2018 1521, 1522; Ziegler BeckOK Rdn. 9. AA Fischer Rdn. 12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 26; Mitsch KriPoZ 2015 334, 335. 207
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
2. Subjektiver Tatbestand 48 Sowohl für die sexuelle Handlung als auch für den entgegenstehenden Willen ist Vorsatz erforderlich (BTDrucks. 18/9097 S. 23).128 § 177 enthält kein Fahrlässigkeitsdelikt.129 Im Hinblick auf den sexuellen Charakter eines Körperkontaktes handeln Täter in der Regel mit Absicht, und zwar auch dann, wenn sie nicht körperliche Befriedigung oder körperliche Erregung anstreben, sondern eine Erniedrigung und Demütigung des Opfers, da sich diese Demütigung aus der sexuellen Bedeutung des Geschehens ergibt. Nur wenn ein Täter andere Ziele als die eigene sexuelle Stimulation oder die Erniedrigung des Opfers verfolgt, wäre es vorstellbar, dass es ihm auf den sexuellen Charakter nicht ankommt (etwa, wenn er in der Vagina einer Frau einen Gegenstand sucht, BGH NStZ 2009 29). Aber auch unter solchen Umständen gilt: Bei Manipulationen an den Genitalien des Opfers liegt regelmäßig Wissen um den objektiven Sexualbezug vor.130 Wissen oder jedenfalls ein ernsthaftes Fürmöglichhalten (bedingter Vorsatz) genügen. Nur unter sehr ungewöhnlichen Bedingungen (z.B. wenn jemand im Dunkeln nicht erkennt, welchen Körperteil er berührt) würde Vorsatz hinsichtlich des sexuellen Charakters fehlen. Fällt die sexuelle Handlung in ihrer Art abweichend von den Vorstellungen des Täters aus, entfällt deshalb nicht der Vorsatz; für die Tatbestandsmäßigkeit genügt der Vorsatz, dass irgendeine sexuelle Handlung geschehen soll oder geschehen wird.131 Auch für den entgegenstehenden Willen genügt bedingter Vorsatz.132 Der Täter muss ei49 nen entgegenstehenden Willen ernstlich für möglich halten, der ihm aber gleichgültig ist (BGH NStZ 2002 446, 447) oder in Kauf genommen wird (s. zu den Anforderungen der Rspr. an bedingten Vorsatz Vogel/Bülte § 15 Rdn. 103 ff). Es ist mit bedingtem Vorsatz vereinbar, dass ein Einverständnis (nur) für möglich gehalten wurde (BGH NStZ-RR 2022 211, 213). Der positive, aber irrtümliche Glaube, dass die andere Person innerlich einverstanden gewesen sei, ist ein Tatbestandsirrtum, der nach § 16 Abs. 1 S. 1 zu Straffreiheit führt.133 Selbst wenn ein solcher Irrtum auf der leichtfertigen Verkennung eines objektiv eindeutigen Protestes beruht, scheidet de lege lata die Bestrafung wegen eines Sexualdelikts aus, da das deutsche Recht selbst leichtfertige Situationsverkennungen nicht erfasst.134 Wenn die sexuelle Nötigung mit einer körperlichen Misshandlung i.S.v. § 223 Abs. 1 1. Alt. verbunden ist, ist bei einem fahrlässigen Irrtum über die Einwilligung des Opfers gem. § 16 Abs. 1 S. 2 nach § 229 zu strafen (Jerouschek JZ 1992 231).135 50 Bei der Beweiswürdigung sind Behauptungen des Angeklagten, er habe irrtümlich ein Einverständnis angenommen, kritisch zu prüfen, da mit nachträglichen neutralisierenden Umdeutungen und verfahrensstrategischen Schutzbehauptungen zu rechnen ist (Hillenkamp StV 1986 152). Ältere Entscheidungen hielten Tätern in zu großzügiger Weise einen Irrtum zugute – selbst dann, wenn das Opfer eindeutig seinen entgegenstehenden Willen zum Ausdruck gebracht hatte und wenn die Umstände, vor allem die distanzierten sozialen Beziehungen zwischen den 128 El-Ghazi ZIS 2017 157, 165; Vavra S. 418 f; Fischer Rdn. 17; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 29; Renzikowksi MK Rdn. 62; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 129 Ein Fahrlässigkeitsdelikt vermutet Lamping JR 2017 347, 353. S. auch Bezjak SchlHA 2017 371, 373: „in die Nähe eines Fahrlässigkeitsdelikts gerückt“. 130 Dies wird verkannt in BGH NStZ 2009 29: In dieser Entscheidung werden Motiv und Wissen verwechselt. 131 AA BGH bei Miebach NStZ 1992 227; zu Recht krit. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 132 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21. AA Frommel NK Rdn. 106 ff. 133 BGHSt 39 244; BGH NStZ 1983 71; NStZ-RR 2003 325; Fischer Rdn. 54; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 134 Krit. aus kriminalpolitischer Sicht Hörnle ZStW 112 (2000) 361 ff. Anders ist die Rechtslage in England und Schweden. Nach englischem Recht (Sect. 1 ff Sexual Offences Act England and Wales 2003) schließt nur ein vernünftiger Irrtum über das Einverständnis des Opfers die Strafbarkeit wegen „rape“ und „sexual assault“ aus, nicht aber ein unvernünftiger Irrtum. S. zur Strafbarkeit für grob fahrlässige Situationsverkennungen nach schwedischem Recht Wegerstad German Criminal Law Journal 2018 734, 742. S. für eine rechtsvergleichende Analyse Hörnle (Hrsg.) Sexual Assault: Law Reform in a Comparative Perspective (2023). 135 Renzikowski MK Rdn. 63. Zur Einordnung von Vergewaltigungen als körperliche Misshandlungen Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 309 f. Hörnle
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III. Sexuelle Übergriffe gem. Absatz 2
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Beteiligten, ein Einverständnis mit sexuellen Handlungen keineswegs nahelegten, sondern solche Annahmen geradezu als absurd erscheinen ließen.136 Der Bereitschaft des Opfers, die Wohnung des Täters aufzusuchen, Bekannte bei sich übernachten zu lassen oder nicht-sexuellen Körperkontakt zuzulassen, hat die Rspr. in der Vergangenheit bei der Beweiswürdigung zum Irrtum über ein Einverständnis teilweise zu große Bedeutung beigemessen.137 Situationsverkennungen im Vorfeld des Sexualkontaktes sind bedeutungslos, wenn die ablehnende Haltung vor dem relevanten Tatgeschehen zum Ausdruck kam. Bei einer massiven Drohung („alle Knochen brechen“) liegt es fern, anzunehmen, dass der Täter davon ausging, es liege ein Einverständnis vor (BGH NStZ-RR 2020 355, 356). Der objektive Beobachterblick auf das Geschehen (Rdn. 44) wird in vielen Fällen auch ein Indiz dafür ergeben, dass das beschuldigte Individuum den entgegenstehenden Willen für „ernstlich möglich“ gehalten hatte. Ein Irrtum des Täters kann jedoch dann plausibel sein, wenn es inkonsistente oder ambivalente Elemente in der tatnahen Kommunikation des Opfers gab. Falls sich Beschuldigte auf kultur- oder geschlechtsspezifische Besonderheiten berufen, die für die Maßstabsfigur des „objektiven Beobachters“ keine Rolle spielen, muss auch bei der Prüfung des subjektiven Tatbestands sorgfältig geprüft werden, ob es sich um eine Schutzbehauptung handelt. Wenn Gewalt, Drohungen oder das erkannte Risiko von Gewalttätigkeiten ein Opfer dazu 51 brachten, wahrheitswidrig ein Einverständnis vorzuspielen, läge ein Tatbestandsirrtum vor, falls der Angeklagte dieses Verhalten so interpretiert, dass das Opfer tatsächlich aus freien Stücken mit der sexuellen Handlung einverstanden sei (s. BGH bei Dallinger MDR 1973 191; BGHSt 39 244).138 Es bedarf allerdings in solchen Fällen einer besonders kritischen Bewertung, da solche Umstände ein gewichtiges Indiz dagegen sind, dass sich der Täter wirklich als „erfolgreicher Verführer“ verstand.139 Umstr. ist, ob sich der Vorsatz auch auf die objektive Erkennbarkeit des entgegenstehen- 52 den Willens erstrecken muss.140 Dies ist nicht der Fall.141 Die Erkennbarkeit des Willens ist ein Merkmal mit filternder Funktion im objektiven Tatbestand. Sollte ein Beschuldigter einräumen (was kaum zu erwarten ist), selbst einen entgegenstehenden Willen ernstlich für möglich gehalten zu haben, während andere dies nicht gekonnt hätten, wäre dies irrelevant.
III. Sexuelle Übergriffe gem. Absatz 2 1. Systematik Absatz 2 ergänzt das Verbot in Absatz 1 (s. dazu BTDrucks. 18/9097 S. 23). Es handelt sich um 53 Auffangtatbestände für Situationen, in denen die grundsätzlich bestehende Opferobliegenheit, den entgegenstehenden Willen zu kommunzieren (Rdn. 8), wegen besonderer situativer Umstände nicht besteht. Vorrangig ist Absatz 1 zu prüfen: Lag ein entgegenstehender, erkennbarer Wille vor, müssen Umstände nach Absatz 2 nicht mehr geprüft werden (BGH NStZ-RR 2020 141). Die Tatbestände in § 177 Abs. 2 erfassen zum einen Fälle, in denen Willensbildung und/oder Kommunikation objektiv unmöglich (Nr. 1, Nr. 3) oder erheblich erschwert (Nr. 2) ist. Zum ande-
136 S. z.B. HansOblG Hamburg JR 1950 408 (die Kundin eines Schneiders wehrte sich deutlich gegen dessen unerwartete Zudringlichkeiten bei einer Anprobe; trotzdem nahm das Gericht an, dass er subjektiv von einem Einverständnis ausging); BGH NStZ 1982 26 (massive Gewaltanwendung gegenüber einer Taxifahrerin). Krit. zur Rspr. Kratzer-Ceylan S. 361 ff. 137 S. etwa BGH NStZ 1983 71; NStZ 2002 494, 495. S. nun aber auch BGH NStZ-RR 2022 211. 138 Krit. Renzikowski MK Rdn. 57; Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 167 f. 139 Bottke JZ 1994 72; Renzikowski MK Rdn. 63. 140 So El-Ghazi ZIS 2017 157, 167; Mitsch KriPoZ 2018 334, 337; May JR 2019 130, 140; Vavra S. 420; Fischer Rdn. 17; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 29; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 141 Ebenso Kempe S. 276 ff; Renzikowski MK Rdn. 62. 209
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ren sind in Absatz 2 Situationen erfasst, in denen es nicht zumutbar und überflüssig ist, den vorliegenden entgegenstehenden Willen auszudrücken. Unter solchen Umständen (Drohung oder Ausnutzung einer Lage, in der ein Übel droht, Nr. 4, Nr. 5) ist nicht nur Schweigen, sondern auch ein abgenötigtes, nicht dem eigenen Willen entsprechendes „Ja“ kein Grund, der Strafbarkeit ausschließt (BTDrucks. 18/9097 S. 23). S. zu den in Absatz 2 aufgeführten sexuellen Handlungen (die Beschreibungen entsprechen denen in Absatz 1) Rdn. 16 ff.
2. Ausnutzung von Unfähigkeit zur Willensäußerung oder Willensbildung (Absatz 2 Nr. 1) a) Objektiver Tatbestand 54 aa) Sexuelle Handlungen. In den meisten Fällen, die unter § 177 Abs. 2 Nr. 1 fallen, wird es sich um Handlungen des Täters oder eines Dritten am Opfer handeln. Bei Bewusstseinsverlust (Rdn. 56) ist dies notwendigerweise der Fall. Wenn Dritte die sexuellen Handlungen am Körper des Opfers ausführen, muss der Täter das Opfer zur Duldung bestimmt haben. Für Absatz 2 Nr. 1 bedeutet dies, dass der Täter den Zustand des Opfers vorsätzlich herbeigeführt haben muss, etwa durch Verabreichung psychoaktiver Substanzen.142 Ist das Bewusstsein nicht völlig ausgeschaltet, kann auch die Variante Handlungen des Opfers am Täter oder einem Dritten in Betracht kommen. Es ist möglich, dass das Opfer zwar unfähig zur Bildung eines Willens war, d.h. nicht in der Lage, sexuelle Ansinnen anderer selbst zu bewerten und eine eigene Einstellung dazu zu bilden, aber noch imstande, auf Aufforderung einfache Körperbewegungen auszuführen. Auch an dieser Stelle ist vor dem in der Literatur zu findenden Fehlschluss zu warnen, der Willensbildung und Handlungsentschluss gleichsetzt (Rdn. 24, 31).
55 bb) Unfähigkeit zur Willensbildung. Wichtig ist der Hinweis in der Gesetzesbegründung, dass das Opfer absolut unfähig sein muss, einen Willen zu bilden oder zu äußern – unterhalb dieser Schwelle, bei Einschränkung der Fähigkeiten, kommt eine Strafbarkeit nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 in Betracht. Es ist deshalb nicht richtig (so aber Fischer Rdn. 27, 55),143 dass schwer geistig behinderte Menschen nach wie vor von legaler Sexualität ausgeschlossen seien, s. dazu Rdn. 71 ff. Zustände, die eine absolute Unfähigkeit zur Willensbildung bewirken (etwa Koma oder Vollnarkose), verhindern typischerweise auch, dass ein (umsetzbares) Bedürfnis nach sexuellen Handlungen aufkommen kann. Störungen des Bewusstseins können zur Unmöglichkeit einer Willensbildung führen. Von 56 einer absoluten Unfähigkeit zur Willensbildung ist immer auszugehen, wenn das Bewusstsein für längere Zeit oder für einen gewissen Zeitraum (z.B. Koma, Vollnarkose, natürlicher Schlaf) vollkommen ausgeschaltet ist. Auch ein erhebliches quantitatives Nachlassen des Bewusstseins (Sopor, Somnolenz)144 macht Willensbildung unmöglich. Neben quantitativen Störungen des Bewusstseins können qualitative Beeinträchtigungen wie starke Verwirrtheit und Delirium145 die Willensbildung unmöglich machen. Bei einem schlafenden Opfer liegt auch dann ein sexueller Übergriff vor, wenn das Opfer infolge der sexuellen Berührungen erwacht.146 Durch welche Ursachen quantitative und qualitative Störungen des Bewusstseins verur57 sacht wurden, spielt für die Tatbestandsmäßigkeit nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 keine Rolle – krankhafte Zustände ohne menschlichen Verursacher sind genauso erfasst wie die Verursachung 142 143 144 145 146
AA wohl Wolters/Noltenius SK Rdn. 23. S. zu Bedenken auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 25. S. zu den Stufen der quantitativen Bewusstseinsstörung Scharfetter S. 63 ff. Scharfetter S. 66 ff. S. BGH NStZ-RR 2019 223, 224.
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durch das Opfer selbst, den Täter oder Dritte. Ursachen für Bewusstseinsstörungen sind pathologische Zustände hirnphysiologischer Art (etwa ein Schlaganfall), darunter auch solche, die durch psychoaktive Substanzen verursacht wurden147 (z.B. Alkohol, andere Freizeitdrogen oder Betäubungsmittel wie die sog. K.O.-Tropfen). Für die Anwendung von § 177 Abs. 2 Nr. 1 sind die Wirkungen auf das Bewusstsein genau zu beschreiben. Ein pauschaler Verweis auf K.O.-Tropfen u.ä. würde nicht genügen. Die chemisch präzise Bezeichnung einer benutzten psychoaktiven Substanz ist nicht erforderlich, aber es müssen die Auswirkungen festgestellt werden. Es kommt nicht darauf an, ob Opfer bewusstseinstrübende Mittel gewollt konsumiert haben oder ob sie ihnen ohne ihr Wissen verabreicht wurden. Im letzteren Fall greift die Qualifikation in § 177 Abs. 5 Nr. 1 ein (Rdn. 164).148 Bei der Strafzumessung ist, wenn § 177 Abs. 5 Nr. 1 nicht einschlägig ist, innerhalb des Strafrahmens in § 177 Abs. 2 zu berücksichtigen, wenn der Täter den pathologischen Zustand mitverursacht hat, etwa durch Täuschungen beim gemeinsamen Konsum von Alkohol oder Drogen.149 Psychopathologische Störungen, die § 20 neben Bewusstseinsstörungen mit den Merkmalen 58 „krankhafte seelische Störung, Intelligenzminderung, schwere andere seelische Störung“ umschreibt, können unter extremen Umständen auch dazu führen, dass Willensbildung unmöglich wird, etwa bei starken Wahnzuständen.150 Das ist aber nicht als zwangsläufige Folge diagnostizierter schwerer psychischer Erkrankungen oder einer deutlichen Intelligenzminderung zu unterstellen.151 Die Einordnung möglicher sexueller Handlungen als angenehm/erwünscht oder aber als unangenehm/unerwünscht ist weder in kognitiver noch in evaluativer Hinsicht kompliziert. Explizites Anliegen des Gesetzgebers war bei der Neugestaltung des § 177 und Abschaffung von § 179 a.F., dass auch Menschen mit schweren kognitiven und anderen mentalen Einschränkungen ihrem natürlichen Willen folgend Sexualität erfahren können (BTDrucks. 18/9097 S. 23). Die Fähigkeiten, die für § 177 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 relevant sind, sind nicht die komplexeren Fähigkeiten, die benötigt würden, wenn mittel- und langfristige soziale und persönliche Folgen von Sexualkontakten abzuschätzen oder moralisch zu bewerten wären. Mit dem Verweis auf den „natürlichen Willen“ hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch eine intuitive, nicht in klare Gedanken gefasste Einstellung zu erlebten oder erwarteten emotionalen und körperlichen Empfindungen ausreicht. Unfähigkeit, einen solchen Willen zu bilden, besteht nur bei extremsten Ausprägungen von Krankheiten und Intelligenzminderung, wenn Betroffene nicht in der Lage sind, ein auch nur rudimentäres Verständnis dafür zu entwickeln, was sexuelle Körpererfahrungen sind, oder wenn grundlegende evaluative Fähigkeiten völlig fehlen. Fragwürdig ist, dass in BGH NStZ 2022 39 § 177 Abs. 2 Nr. 1 bejaht wurde, obwohl das Opfer zwar als „geistig behindert“, aber auch als „Hilfskraft in einem Seniorenwohnheim und Arbeitskollegin des Angeklagten“ beschrieben wird. In Fällen, in denen geistig behinderte Personen manipuliert und getäuscht werden, ist regelmäßig § 177 Abs. 2 Nr. 2 zu prüfen, nicht § 177 Abs. 2 Nr. 1. Der Tatbestand in § 177 Abs. 2 Nr. 1 ist auch bei sehr jungen Kindern erfüllt152 (s. zum 59 Konkurrenzverhältnis Rdn. 155).
cc) Unfähigkeit zur Willensäußerung (1) Objektiv-körperliche Kommunikationshindernisse. Unfähigkeit zur Willensäußerung 60 liegt vor, wenn Opfer aufgrund ihrer körperlichen Verfassung oder körperlich wirkender Blockaden nicht kommunizieren können, etwa wenn die betroffene Person infolge körperlicher Lähmungen weder hörbare Worte sprechen noch gestikulieren kann, oder wenn der Täter sie 147 148 149 150 151 152 211
Scharfetter S. 65. Renzikowski MK Rdn. 70; Wolters/Noltenius SK Rdn. 21. AA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 87: In solchen Fällen sei Absatz 5 Nr. 3 anzuwenden. S. zur Phänomenologie von Wahn Scharfetter S. 212 ff. So auch Vavra S. 433 f. AA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28. Hörnle
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fesselt und knebelt, oder sexuelle Handlungen an einem so vorgefundenen Opfer vornimmt. Sprachunfähigkeit kann ferner hirnorganische oder andere psychopathologische Ursachen haben, z.B. Mutismus.153
61 (2) Unfähigkeit als Selbstbeschreibung der Betroffenen. Wenn Betroffene hätten sprechen oder gestikulieren können, aber ihr Schweigen mit einer subjektiv empfundenen, konkret-situativen Unfähigkeit erklären („ich war wie erstarrt“, „ich war sprachlos“), fällt dies nicht unter § 177 Abs. 2 Nr. 1.154 Eine Analyse von sozialen und psychologischen Umständen würde in der Regel aufzeigen können, warum Gefühle der Hilflosigkeit und Überforderung entstanden, die den Ausdruck eines entgegenstehenden Willens verhinderten. Aber für die strafrechtliche Bewertung auf der Basis eines „Nein heißt Nein“-Modells genügt dies nicht. Eine Unfähigkeit zur Willensäußerung muss sich aus objektiven Umständen ergeben, die über eine Selbstbeschreibung der eigenen psychischen Lage hinausgehen, was in nur extremen Fällen der Fall sein kann, die aus psychiatrischer Sicht als Stupor bezeichnet werden.155
62 (3) Unfähigkeit zur Willensäußerung als Folge von Gewalt und schutzloser Lage? In den Gesetzesmaterialien wird als ein Anwendungsfall für § 177 Abs. 2 Nr. 1 auch auf den Zustand „starr vor Schreck“ verwiesen, in Verbindung mit einer schutzlosen Lage („nachts in einem einsamen Park“, BTDrucks. 18/9097 S. 27 f). Auch bei Gewaltanwendung könnte eine solche Reaktion eintreten. Für diese Auslegung kann angeführt werden, dass § 177 Abs. 2 Nr. 1 im Gegensatz zu Absatz 2 Nr. 2 nicht voraussetzt, dass die Gründe für unterlassene Willensäußerung in einem „körperlichen oder psychischen Zustand“ des Opfers liegen. Das könnte dafür sprechen, ggf. auf situative Umstände abzustellen und den Grundtatbestand für die Qualifikationen nach § 177 Abs. 5 Nr. 1, 3 in § 177 Abs. 2 Nr. 1 zu suchen.156 Das ist aber nicht die bestmögliche Lösung.157 Es ist auch nach dem Erleben von Gewalt oder in einer schutzlosen Lage meist möglich, den eigenen ablehnenden Willen zu äußern. Die entscheidenden Gesichtspunkte sind andere: eine solche Kommunikation mag möglich sein, ist aber erstens überflüssig und zweitens unzumutbar. Die überzeugendere Lösung für solche Fälle liegt de lege lata darin, bei Gewalt oder Ausnutzung einer schutzlosen Lage § 177 Abs. 1 als Grundtatbestand zur Qualifikation in Absatz 5 Nr. 1, 3 anzuwenden. Maßgeblich ist, dass Opferobliegenheiten bei einem solchen Vorgehen des Täters entfallen, und dass die entscheidenden äußeren Umstände für einen objektiven Beobachter sichtbar sind. Unter diesen Umständen ist auch bei einem schweigenden Opfer die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens zu bejahen (Rdn. 43).
63 dd) Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit zur Willensbildung oder Willensäußerung. In den meisten Fällen, die unter § 177 Abs. 1 Nr. 1 fallen, hat das Merkmal „ausnutzt“ keine eigenständige Bedeutung. Ist das Opfer ohne Bewusstsein oder aus sonstigen Gründen zur Bildung eines Willens absolut unfähig, bedeutet dies ein gravierendes Ungleichgewicht in der Relation zum Täter. Dies rechtfertigt es im Regelfall, sein Tun als Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit einzuordnen. Ausnahmen sind nur vorstellbar, wenn die andere Person in noch wachem Zustand eine hinreichend konkretisierte Zustimmung gegeben hat (BGH BeckRS 2020
153 154 155 156 157
Scharfetter S. 147 ff. AA Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 37: Es komme auf die Umstände des Einzelfalls an. Scharfetter S. 170 ff. So noch Hörnle NStZ 2017 13, 16 – ich gebe diese Ansicht aber auf. So auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27; Wolters/Noltenius SK Rdn. 20.
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III. Sexuelle Übergriffe gem. Absatz 2
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3552).158 Eine allgemeine, aber im Anbahnungsstadium noch nicht weiter differenzierte Bereitschaft zu Körperkontakt (etwa: sich entkleiden) genügt dafür nicht.159 An einem Ausnutzen kann es ferner fehlen, wenn innerhalb einer schon länger bestehen- 64 den sexuellen Beziehung ein generelles Einverständnis vorlag, was allerdings voraussetzt, dass sexuelle Berührungen am Körper des schlafenden Partners zur etablierten, beidseits gewünschten Praxis gehörten. Die Rspr. scheint in großzügiger Weise zu unterstellen, dass bei vorausgegangenen Sexualkontakten ein Einverständnis mit Sexualakten im Schlaf vorliege. Das ist nicht überzeugend. Insbesondere ist nicht aus dem Umstand eines „intensiven Sexuallebens“ abzuleiten, dass deshalb ein generelles Einverständnis bestehe, im Schlaf penetriert zu werden (so aber BGH NStZ-RR 2021 218). Der Umstand, dass die geschädigte Person nachträglich das Verhalten des ihr bekannten Täters „nicht so schlimm“ fand (BGH NStZ-RR 2021 218, 219), ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, bedeutet aber nicht, dass kein sexueller Übergriff vorlag. Auch die Wiederholung von Übergriffen im Schlaf, ohne dass das Opfer sofort Strafanzeige erstattet, begründet keine implizite Zustimmung, die ein Ausnutzen ausschließt. Ein nur mutmaßliches Einverständnis ist nicht für die Strafbarkeit relevant, sondern allenfalls bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.160 Aus diesem Grund liegt auch kein Strafbarkeit ausschließender Irrtum vor, wenn der Täter geglaubt haben sollte, das Opfer akzeptiere die wiederholten Übergriffe während seines Schlafes (aA BGH NStZ-RR 2013 316 f zu § 179 a.F.; BGH NStZ-RR 2021 218). Bei der Tatvariante „unfähig zur Willensäußerung“ würde es an einem Ausnutzen fehlen, wenn eine Person bei „Fesselspielen“ geknebelt wurde und es vorausgehende konkrete Absprachen gab (wenn sich der Handelnde daran hielt – anders bei abredewidrigen sexuellen Handlungen).
b) Subjektiver Tatbestand. Der Täter muss es ernstlich für möglich gehalten und in Kauf 65 genommen haben (bedingter Vorsatz), dass die andere Person zur Willensbildung oder Willensäußerung unfähig war. Aus dem Merkmal „Ausnutzen“ ergibt sich, entgegen anders lautender Ansichten in der Literatur161 nicht, dass dolus directus erforderlich sei. Es spielt außerdem keine Rolle, ob der Täter glaubt, dass das Opfer, wäre es bei Bewusstsein, seine sexuellen Handlungen möglicherweise nicht zurückweisen würde (BGH BeckRS 2020 3552).162 Ein nur hypothetischer oder vermuteter Wille ändert nichts am Umstand, dass real zum Zeitpunkt der sexuellen Handlung die Willensbildung nicht möglich war. c) Qualifikation nach Absatz 4. Ist das Opfer wegen einer Krankheit oder Behinderung unfä- 66 hig, einen Willen zu bilden oder zu äußern, ist der höhere Strafrahmen in § 177 Abs. 4 (ein Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe) anzuwenden. aa) Unfähigkeit beruht auf Krankheit oder Behinderung. Zur Erläuterung des Begriffs 67 „Krankheit“ verweist die Gesetzesbegründung auf die Definition durch Sozialgerichte: Es handle sich um einen „regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der Behandlungsbedürftigkeit und/ oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat“ (BTDrucks. 18/9097 S. 26). Im Standardwerk der Medizin 158 Vavra S. 430 f; Wolters FS Merkel 951, 958; Renzikowski MK Rdn. 72; Wolters/Noltenius SK Rdn. 22. 159 BGH NStZ-RR 2018 244 (zu § 179 a.F.). 160 AA Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 41; Renzikowksi MK Rdn. 72; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 30; Wolters/Noltenius SK Rdn. 22. 161 Vavra S. 431; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 44; Renzikowksi MK Rdn. 74; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 31; Wolters/Noltenius SK Rdn. 24. 162 AA zu § 179 a.F. BGH NStZ-RR 2014 108, 109; aA auch für § 177 Abs. 2 Nr. 1 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 44. 213
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(Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch) wird allerdings Krankheit anders definiert, nämlich als „Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im gesamten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen und/oder objektiv feststellbaren körperlichen, geistigen oder seelischen Veränderungen. Krankheit wird von der Befindlichkeitsstörung ohne objektivierbare medizinische Ursache abgegrenzt“.163 Warum sich die Gesetzesmaterialien auf einen engeren Krankheitsbegriff festlegen, wird aus den weiteren Erläuterungen deutlich. Dort heißt es, dass die Qualifikation nicht anzuwenden sei, wenn sich Personen, „zum Beispiel durch Rauschmittel oder Alkohol in einen Zustand der absoluten Unfähigkeit zur Willensbildung oder -äußerung bringen“ (BTDrucks. 18/9097 S. 26). Überzeugend begründet wird dies nicht. Die gängige medizinische Krankheitsdefinition umfasst pathologische Zustände aller Art, die zu objektiv feststellbaren körperlichen und geistigen Veränderungen führen, auch wenn diese auf Intoxikation beruhen. Außerdem führt die Idee, auf eine sozialrechtliche Definition abzustellen, nicht zwingend zum Ergebnis, Zustände nach Konsum von Rauschmitteln oder Alkohol auszuschließen. Eine Alkohol- oder Rauschmittelvergiftung, die zur Willensbildung oder Willensäußerung unfähig macht, muss massiver ausfallen als verbreitete Formen der Berauschung und kann auch zu Behandlungsbedürftigkeit führen. 68 Für die Rechtsanwendung führt allerdings kein Weg an der konkreten und klaren Vorgabe in der Gesetzesbegründung vorbei, dass Alkohol- und Rauschmittelvergiftungen nicht unter Absatz 4 gefasst werden sollen (BTDrucks. 18/9097 S. 26; BGH BeckRS 2018 22537). Offenbar gelten im Vergleich mit ungewollt erkrankten und behinderten Opfern Personen, die den pathologischen Zustand selbst verschuldet haben, als weniger schutzwürdig. Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass der Täter beim Eingreifen von Absatz 4 besonderes Unrecht verwirkliche, weil Krankheit oder Behinderung eine besondere Schutzbedürftigkeit begründen (BTDrucks. 18/9097 S. 26). Notwendiges Pendant ist die (unausgesprochene) Annahme, dass die Konsumenten großer Mengen von Alkohol oder anderen Rauschmitteln weniger schutzwürdig seien, wenn sie freiwillig solche Substanzen einnehmen und sich damit wissentlich Risiken aussetzen. Rechtspolitisch fragwürdig164 ist dies allerdings dann, wenn pathologische Zustände auf die ungewollte Einnahme von Substanzen zurückzuführen sind, z.B. wenn heimlich K.O.Tropfen in ein Getränk gegeben wurden. Genauso wenig ist zu erklären, warum das Ausnutzen einer Vollnarkose weniger strafwürdig sein soll als das Ausnutzen eines krankheitsbedingten Bewusstseinsverlusts. Findet der Täter dieses Opfer im Zustand einer Vollnarkose vor, verwirklichen sexuelle Handlungen kein geringeres Unrecht als dasselbe Geschehen gegenüber einer Person, die nach einem Schlaganfall bewusstlos ist. Die Reformkommission Sexualstrafrecht empfiehlt, Absatz 4 aufzuheben.165 Immerhin fallen Fälle, in denen der Täter zu Bewusstseinsverlust führende Mittel eingesetzt hat, um einen sexuellen Übergriff zu ermöglichen, unter die Qualifikation in Absatz 5 Nr. 1 (Rdn. 164), sodass in diesen Fällen derselbe Strafrahmen wie in Absatz 4 zur Anwendung kommt.166 Zur Erläuterung des Merkmals Behinderung verweist die Gesetzesbegründung auf § 2 69 SGB IX: Eine Person sei behindert, „wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“ (BTDrucks. 18/9097 S. 26).
70 bb) Subjektiver Tatbestand. Der Täter muss, damit die Qualifikation zur Anwendung kommt, es ernstlich für möglich gehalten haben (bedingter Vorsatz), dass der Zustand des Opfers auf
163 Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 268. Aufl. 2020, Stichwort „Krankheit“. 164 Bezjak KJ 2016 557, 565; Eisele DRiZ 2017 398, 399; Hörnle NStZ 2017 13, 18; Vavra S. 454; Fischer Rdn. 53; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 46; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 63.
165 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 299 f. 166 Renzikowski MK Rdn. 70. Hörnle
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III. Sexuelle Übergriffe gem. Absatz 2
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Krankheit oder Behinderung beruhte.167 Nahm er irrig an, dass das Opfer durch Alkohol oder Rauschmittel beeinflusst worden war, kann nur aus dem Strafrahmen des Grundtatbestands in § 177 Abs. 2 Nr. 1 verurteilt werden.
3. Ausnutzung einer erheblichen Einschränkung bei Willensäußerung oder Willensbildung (Absatz 2 Nr. 2) a) Das neue Regelungsmodell. Eine rechtspolitische Herausforderung bei der Reform des 71 Sexualstrafrechts im Jahr 2016 lag darin, der Situation und den unterschiedlichen Interessen von Menschen gerecht zu werden, die vorübergehend, für längere Zeit oder dauerhaft mit erheblichen geistigen Einschränkungen leben müssen. Dabei sind mehrere Situationen zu unterscheiden. Erstens gibt es Fälle, in denen die Betroffenen keinen Sexualkontakt wollen und dies auch zum Ausdruck bringen. Zweitens sind die Sachverhalte zu erfassen, in denen keine Ablehnung erklärt wird, es aber auch kein Zeichen für Zustimmung gibt. Drittens bedarf es einer Lösung für anders gelagerte Lebenslagen, in denen zwar eine erhebliche geistige Einschränkung vorliegt, aber der Sexualkontakt den tatsächlichen Wünschen aller Beteiligten entspricht.168 Zur ersten Gruppe: Trotz erheblicher geistiger Einschränkungen ist es möglich, eine ableh- 72 nende Haltung gegenüber den sexuellen Vorhaben anderer zu bilden und auszudrücken. Unter solchen Umständen gibt es keinen Grund, spezielle Normen vorzusehen, die nach den allgemeinen kognitiven Fähigkeiten der Opfer differenzieren. Die Missachtung eines ausgedrückten Willens ist bei allen Menschen strafwürdig. Wenn ein faktischer entgegenstehender Wille erkennbar ist, ist § 177 Abs. 1 anzuwenden, auch bei z.B. stark betrunkenen Opfern (BGH BeckRS 2020 3855). Selbst sexuelle Übergriffe gegenüber Personen, die nahezu komatös sind, aber noch murmeln und den Kopf bewegen können (BGH NStZ 2018 13) und so Ablehnung ausdrücken, fallen unter § 177 Abs. 1. Das ist eine Verbesserung, weil nach altem Recht bei sexuellen Übergriffen gegen behinderte (und erheblich erkrankte oder alte Menschen) eine Schutzlücke bestand, da nach § 177 Abs. 1 a.F. ein erklärtes „Nein“ nicht ausreichte, während gleichzeitig die Rspr. die Schwelle für Widerstandsunfähigkeit in § 179 a.F. hoch angesetzt hatte.169 In der zweiten Gruppe kann ein entgegenstehender Wille geformt worden sein, wobei es 73 am Ausdruck fehlt, oder es wurde keine hinreichend klare wertende innere Einstellung zur konkreten sexuellen Handlung gebildet. Unter diesen Umständen kommt Strafbarkeit nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 in Betracht. Die Aussage, dass § 177 Abs. 2 Nr. 2 Taten erfasse, die einen identischen Unrechtskern aufweisen wie die nach § 179 a.F. (BGH NStZ 2017 407; NStZ-RR 2018 107), ist ungenau. Es gibt größere Überschneidungen, aber auch einen wichtigen Unterschied.170 Im Gegensatz zur alten Rechtslage nach § 179 a.F., für welche die Rspr. „gänzliche Unfähigkeit zu Widerstand“ forderte (s. z.B. BGH NStZ 2009 324, 325; BeckRS 2018 1282), genügt nunmehr eine unterhalb dieser Schwelle liegende erhebliche Einschränkung kognitiver und anderer Fähigkeiten, die für Willensbildung und Willensäußerung erforderlich sind. Die Rspr. zu § 179 a.F., die darauf verwies, dass geistig behinderte Menschen nicht immer völlig widerstandsunfähig seien, ist obsolet. Nach geltendem Recht sind geistig behinderte Personen besser gegen ungewollten Sexualkontakt geschützt. Für diese Gruppe der geschützten Personen lag auf der Hand, dass das „Nein heißt Nein“-Modell modifiziert werden musste: Die Opferobliegenheit, die essentieller Bestandteil eines „Nein heißt Nein“-Ansatzes ist (Rdn. 8), ist nicht angemessen, wenn es zwischen Täter und Opfer bezüglich kognitiver und anderer geistiger Fähigkeiten einen erheblichen
167 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 47; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 65. 168 S. zum Thema „Behinderung und Sexualität“ Clausen/Herrath (Hrsg.) Sexualität leben ohne Behinderung (2013). 169 S. z.B. die Sachverhalte in BGH NStZ 2012 650; NStZ-RR 2016 78; BeckRS 2018 1282. 170 S. dazu auch Bezjak KJ 2016 557, 563. 215
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Unterschied gibt. Deshalb ist § 177 Abs. 2 Nr. 2 so gefasst, dass das Opfer keiner Obliegenheit unterliegt, einen entgegenstehenden Willen zu äußern. 74 Drittens war es gesetzgeberisches Anliegen, für die grundlegend anders gelagerten Fälle, in denen die Betroffenen den Sexualkontakt tatsächlich wollen, Barrieren zu vermeiden, die es geistig behinderten oder an Demenz erkrankten Menschen grundsätzlich und dauerhaft unmöglich machen, Sexualkontakte zu haben (BTDrucks. 18/9097 S. 24).171 Aus diesem Grund gilt für diese Personengruppe eine Zustimmungslösung. Entgegen krit. Stimmen in der Lit. und in der Reformkommission Sexualstrafrecht zu § 177 Abs. 2 Nr. 2172 ist festzuhalten, dass eine angemessene Kompromisslösung gefunden wurde. Es gilt ausnahmsweise eine „Nur Ja heißt Ja“-Regel, wenn eine beteiligte Person in der Bildung oder Äußerung ihres Willens erheblich eingeschränkt ist. Die andere Person muss bei fehlender Erklärung eine Stellungnahme zur Erwünschtheit des Sexualkontakts (in Worten oder in eindeutiger nicht verbaler Weise) einholen (Rdn. 81 ff). Geschieht dies nicht, liegt auch dann ein sexueller Übergriff vor, wenn kein „Nein“ zum Ausdruck kam. Gleichzeitig wird sexueller Körperkontakt auch für Menschen mit geistigen Behinderungen, Demenzerkrankungen und sonstigen psychischen Störungen möglich, wenn die andere Person verantwortungsvoll mit der Situation umgeht und sich versichert, dass ein faktischer positiver Wille vorliegt.
b) Objektiver Tatbestand 75 aa) Sexuelle Handlungen. Sexuelle Handlungen können wie bei § 177 Abs. 1 sowohl solche sein, die der Täter oder ein Dritter ausführt, als auch solche, die das Opfer ausführt,173 s. Rdn. 22 ff. Weil nunmehr auch der Körperkontakt mit Dritten eingeschlossen ist, sind anders als nach § 179 Abs. 1 a.F. (dazu BGH NStZ-RR 2019 377) alle Personen, die nach einem gemeinsamen Tatplan auf das Opfer einwirken, Mittäter, auch wenn sie nicht in eigener Person sexuellen Körperkontakt haben. Vorstellbar ist, dass bei Vorliegen einer Garantenstellung (Rdn. 23) auch die rein passive Hinnahme sexueller Berührungen (ohne Aufforderung oder Ermunterung) unter § 177 Abs. 2 Nr. 2, § 13 fällt – es wird unter solchen Umständen aber oft eine Zustimmung vorliegen.
76 bb) Zustände, die Willensbildung oder Willensäußerung stark einschränken. Erfasst sind körperliche und psychische Zustände. Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass „psychisch“ dasselbe bedeute wie „seelisch“ in § 20 und die abweichende Wortwahl lediglich der Vermeidung einer altmodischen Terminologie dient (BTDrucks. 18/9097 S. 24). Insbesondere wird ausdrücklich klargestellt, dass nur Zustände gemeint sind, die mit medizinisch-psychologischen Kriterien zu fassen sind (a.a.O.). Beispiele sind angeborene starke Intelligenzminderung und krankheitsbedingte schwere Störungen kognitiver Funktionen, etwa Demenzerkrankungen,174 sowie andere Formen psychischer Erkrankungen, die das Urteilsvermögen stark beeinträchtigen, z.B. in der Form von Halluzinationen und Wahnvorstellungen.175 Eine weitere praktisch wichtige Gruppe sind Bewusstseinsstörungen und Störungen der Informationsverar171 Dies verkennt Fischer Rdn. 33a, der entgegen den klaren Vorgaben im Gesetzgebungsverfahren eine Zustimmung geistig behinderter und dementer Menschen als irrelevant einstuft. 172 Krit. Bezjak ZStW 130 (2018) 303, 314; Hoven/Weigend JZ 2017 182, 187 f; Renzikowski NJW 2016 3553, 3555; Vavra S. 439 f; Fischer Rdn. 28 ff; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 49 ff; Renzikowksi MK Rdn. 75, 81. In der Reformkommission Sexualstrafrecht sprach sich eine 2/3-Mehrheit für die Streichung von § 177 Abs. 2 Nr. 2 aus: BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 297. 173 AA Renzikowski MK Rdn. 86. 174 Scharfetter S. 156 ff. 175 Scharfetter S. 195 ff, 246 ff. Hörnle
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beitung, die sich aus dem Konsum von Alkohol, Freizeitdrogen oder anderen psychoaktiven Substanzen, etwa auch Medikamenten, ergeben. Relevante körperliche Zustände könnten gravierende motorische Störungen sein, die etwa aufgrund eines frühkindlichen Hirnschadens bestehen bzw. angeboren oder die Folgen eines Schlaganfalls176 oder einer neurodegenerativen Erkrankung sind, wenn diese motorischen Störungen Äußerungen erheblich erschweren. Ein sich auf Willensbildung oder Willensäußerung auswirkender körperlicher Zustand kann auch in Form einer massiven Erschöpfung infolge extremer Anstrengung oder langen Schlafentzugs, oder als ausgeprägter Stresszustand nach Viktimisierung durch eine vorausgegangene schwere Straftat vorliegen.177 S. zu psychopathologischen Störungen der Sprachfähigkeit Rdn. 60. Die Willensäußerungsfähigkeit kann auch durch Umstände eingeschränkt sein, die psychologisch als Persönlichkeitsstörung oder Phobie infolge von früheren traumatischen Ereignissen zu beschreiben sind, wenn dies bei einer sonst sozial unauffällig lebenden Person dazu führt, dass sie auf Berührungen mit einem inneren Erstarren reagiert (BGH NStZ-RR 2012 216, 217). In solchen Fällen muss allerdings genau geprüft werden, ob der Täter derartig ungewöhnliche psychische Ursachen für passives Verhalten erkannt hat. Von einer eingeschränkten Willensbildungs- und Willensäußerungsfähigkeit ist z.B. auch dann auszugehen, wenn ein nahezu erblindeter, sehr betagter Mensch aus dem Schlaf geweckt wird (s. den Sachverhalt in BGH NStZ-RR 2016 78). Kommunikationsprobleme, die sich aus der fehlenden Kenntnis von Sprachen ergeben, sind nicht erfasst,178 da nonverbale Gesten der Zustimmung und Ablehnung interkulturell verständlich sind. Normalpsychologische Phänomene, etwa Aufregung, Unkonzentriertheit, extreme Schüchternheit179 u.ä. fallen ebenfalls nicht unter § 177 Abs. 2 Nr. 2. Im Gegensatz zu § 179 a.F. ist nicht vollkommene Unfähigkeit (dort erforderte der Tatbestand Widerstandsunfähigkeit) erforderlich (Rdn. 73), sondern nur erhebliche Einschränkungen, die das Denk- und Urteilsvermögen in deutlichem Maß herabsetzen. Der Tatbestand ist bereits und immer dann anwendbar, wenn beim Opfer erhebliche Intelligenzminderungen oder andere Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten vorliegen und es am Merkmal „sich der Zustimmung versichert hat“ fehlt. Leichte bis mittelschwere Verhaltensveränderungen nach dem Konsum von Alkohol oder Drogen, die als Enthemmung u.ä. zu charakterisieren wären, genügen dagegen nicht. Ein apathischer, schon dem Koma naher Zustand ist aber nicht erforderlich, und es ist mit einer erheblichen Einschränkung zu vereinbaren, dass die betroffene Person noch zu koordinierten Handlungen fähig ist. Es genügt, dass die Person in ihrem äußeren Verhalten aus der Sicht eines objektiven Beobachters offensichtlich als stark betrunken beschrieben würde (BTDrucks. 18/9097 S. 24; OLG Hamm BeckRS 2021 3844). Auch insoweit erweitert § 177 Abs. 2 Nr. 2 den Schutz gegen ungewollten Sexualkontakt im Vergleich zu § 179 a.F. (s. zu den höheren Anforderungen, die mit Blick auf „völlige Widerstandsunfähigkeit“ nach § 179 a.F. gestellt wurden, BGH NStZ-RR 2018 150). Fraglich ist, ob bei der Prüfung von § 177 Abs. 2 Nr. 2 eine Orientierung an Blutalkoholwerten notwendig oder sinnvoll ist, die als Anhaltspunkte für die Anwendung von § 21 herangezogen werden.180 Angesichts der unterschiedlichen Rechtsfolgen und Kontexte ist dies nicht zwingend. Für die Anwendung eines „Nur Ja heißt Ja“-Modells genügt es, dass äußere Zeichen (etwa Erbrechen, Sprachschwierigkeiten, taumelnder Gang und ähnliche Symptome) darauf hindeuten, dass eine erhebliche Beeinträchtigung mentaler Funktionen vorliegt.
176 177 178 179 180
S. den Sachverhalt, der BGH NStZ 2012 209 zugrunde lag. Renzikowski MK Rdn. 78. Renzikowski MK Rdn. 78. Renzikowski MK Rdn. 78. So Renzikowski NJW 2016 3553, 3554 f; ders. MK Rdn. 76; Eisele DRiZ 2017 398, 399 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34. S. zur bedingten Aussagekraft des Blutalkohols für Fragen der Schuldfähigkeit BGHSt 43 66; 57 247 sowie Verrel/Linke/Koranyi LK § 21 Rdn. 16 f. 217
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81 cc) Strafbarkeit entfällt, wenn sich der Täter der Zustimmung versichert. Auch wenn eine erhebliche Einschränkung der Willensbildungs- oder Willensäußerungsfähigkeit vorliegt, kann unter zwei Bedingungen eine Strafbarkeit ausscheiden: entweder, weil sich der Beschuldigte der Zustimmung der anderen Person versichert hat, oder weil es am Merkmal „Ausnutzen“ fehlt. Basis der Zustimmung ist ein natürlicher Wille. Die anspruchsvolleren Bedingungen, die für eine wirksame Einwilligung erfüllt sein müssen (s. zum Rechtsinstitut der Einwilligung und den subjektiven Wirksamkeitsvoraussetzungen Rönnau Vor §§ 32 ff Rdn. 191 ff), sind für eine Zustimmung nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 nicht erforderlich. Für einen natürlichen Willen genügt es, dass ein Mensch körperliche oder emotionale Bedürfnisse spürt, die Sexualkontakt subjektiv erwünscht machen. Solche sexuellen Bedürfnisse, die der sie Empfindende positiv wertet, sind auch bei erheblichen intellektuellen und kognitiven Beeinträchtigungen möglich. Es ist deshalb keine zutreffende Beschreibung, dass unter den Voraussetzungen in § 177 Abs. 2 Nr. 2 der betroffenen Person eine Zustimmung „nicht zugetraut“ werden könne (so Wolters/Noltenius SK § 177 Rdn. 28). Das vom Gesetzgeber neu eingeführte Merkmal der Zustimmung ist mit Blick auf die Kompetenzen des Zustimmenden voraussetzungsarm. 82 Die Zustimmung muss persönlich zum Ausdruck gebracht werden: Die Erklärungen anderer (Betreuer, Angehörige) spielen keine Rolle (BTDrucks. 18/9097 S. 25). Mit dem Merkmal „sich der Zustimmung versichern“ wird die Straffreiheit wegen Zustimmung begrenzt. Das faktisch bestehende Einverständnis genügt nur dann, wenn dieser faktische Wille auch klar und deutlich nach außen sichtbar gemacht wurde (BTDrucks. 18/9097 S. 24). Wenn dies spontan und eigeninitiativ gegenüber dem Beschuldigten in einer Weise geschah, die keine Zweifel am positiven Willen ließ, ist den Anforderungen für Straffreiheit nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 letzter Halbsatz Genüge getan. Das Merkmal „sich versichern“ spielt aber dann eine eigenständige Rolle, wenn die Situation zunächst unklar war. Unter solchen Umständen muss die Situation aktiv aufgeklärt und die innere Einstellung des anderen zu sexuellen Handlungen überprüft werden. Geschieht dies nicht, besteht Straffreiheit nicht schon deshalb, weil retrospektiv die andere Person angibt, die sexuelle Handlung sei auch von ihr faktisch gewollt gewesen (BTDrucks. 18/9097 S. 25).181 Allerdings kann dies ggf. als Strafmilderungsgrund berücksichtigt werden. 83 Die Gesetzesmaterialien verweisen ausdrücklich darauf, dass jeder einzelnen sexuellen Handlung vorab zugestimmt werden müsse, und zwar innerhalb derselben geschlechtlichen Begegnung (BTDrucks. 18/9097 S. 25).182 Es genügt also nicht, eine pauschale Zustimmung einzuholen, um eine Abfolge unterschiedlicher sexueller Handlungen zu legitimieren. Allerdings wird man, wenn man dem Anliegen gerecht werden will, Sexualkontakt zu ermöglichen, dieses Erfordernis in einem realistischen Maß halten müssen. Die Zustimmung zu relativ eingriffsintensiven Handlungen (etwa Geschlechtsverkehr) schließt die Zustimmung zu vorgelagerten Handlungen (z.B. Streicheln der Genitalien) mit ein.
84 dd) Fehlende Ausnutzung. Die Tatbestandsmäßigkeit kann außerdem dann entfallen, wenn das Merkmal „Ausnutzen“ fehlt. In der Praxis dürfte fehlendes Ausnutzen bei § 177 Abs. 2 Nr. 2 häufiger vorkommen als bei den anderen Tatvarianten in § 177 Abs. 2, und zwar vor allem in objektiv ambivalenten Situationen ohne erklärte Zustimmung, wenn beide Beteiligte durch Alkohol, Behinderung oder in sonstiger Weise kognitiv stark beeinträchtigt sind. Wenn zwei in ähnlicher Weise schwer berauschte oder geistig stark eingeschränkte Personen Sexualkontakt haben, fällt dies nicht unter § 177 Abs. 2 Nr. 2, auch wenn sich keiner der Beteiligten der Zustimmung des jeweils anderen vergewissert hat. Die Notwendigkeit, sich der Zustimmung des anderen zu versichern, ist auf Sachverhalte zugeschnitten, in denen der Täter der betroffenen Person geistig überlegen ist. Wenn ein solcher Täter eine „günstige Gelegenheit“ ergreift,
181 Krit. Renzikowski MK Rdn. 83. 182 Krit. Renzikowski MK Rdn. 83. Hörnle
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nutzt er die Situation und die andere Person aus. Die Beschreibung als „Ausnutzen“ trifft aber nicht zu, wenn es keine solche Überlegenheit gibt. Vorstellbar ist außerdem, wie bei § 177 Abs. 2 Nr. 1, dass deshalb kein Ausnutzen vorliegt, 85 weil die Beteiligten sich sehr gut kennen und der Handelnde auf dieser Basis erfahrungsgetragen von einer generalisierten Zustimmung ausgehen durfte.183 Dies kommt nur in Betracht, wenn die betroffene Person in der Vergangenheit in kompetentem Zustand zugestimmt hatte und wenn die konkrete sexuelle Handlung dem entspricht, was die Beteiligten aufgrund früherer Erfahrungen als konsentiert ansehen dürfen (Rdn. 64).
c) Subjektiver Tatbestand. Der Täter muss bei Vornahme der sexuellen Handlung bedingten 86 Vorsatz haben, dass die Willensbildung oder Willensäußerung der anderen Person erheblich eingeschränkt ist (nicht erforderlich ist es, den genauen Grund dafür zu kennen) und dass es an einer Zustimmung fehlt.184 Wenn eine eingeschränkte Willensäußerungsfähigkeit auf traumatischen Ereignissen in der Jugend des Opfers beruht und die relevante Persönlichkeitsstörung oder Phobie (s. BGH NStZ-RR 2012 216) für Laien nicht erkennbar ist, wird regelmäßig der Vorsatz fehlen.
4. Ausnutzung eines Überraschungsmoments (Absatz 2 Nr. 3) a) Objektiver Tatbestand aa) Sexuelle Handlungen. Bei dieser Variante eines sexuellen Übergriffs wird die sexuelle 87 Handlung in der Regel vom Täter oder einem Dritten ausgeführt. Bei sexuellen Handlungen eines Dritten kann das Bestimmen durch den Täter darin liegen, dass dieser die Situation gestaltet, die es dem Dritten ermöglicht, die Überraschung des Opfers auszunutzen.185 Wenn der Täter überraschend die Hand des Opfers nimmt und auf seine Genitalien führt, muss nicht entschieden werden, ob dies eine sexuelle Handlung des Täters oder eine solche des Opfers ist, denn auch Letzteres wäre erfasst. bb) Überraschungsmoment. Mit dem Merkmal des Überraschungsmoments werden Sachver- 88 halte erfasst, in denen das Opfer nicht mit einer sexuellen Handlung gerechnet hat (BTDrucks. 18/9097 S. 25), also von der sexuellen Berührung überrascht wurde. Unter § 177 Abs. 2 Nr. 3 fallen sowohl Fälle, in denen das Opfer die Sexualisierung einer Alltagssituation erst bemerkt, als die sexuelle Handlung bereits geschehen ist, als auch solche, in denen kurz vor der Handlung noch ein konkreter entgegenstehender Wille gebildet wird, der aber nicht mehr rechtzeitig geäußert werden kann (BTDrucks. 18/9097 S. 25). Wenn ein entscheidendes Merkmal des Tathergangs war, dass eine geistig erheblich behinderte Person infolge ihrer Behinderung überrumpelt werden konnte, ist nicht § 177 Abs. 2 Nr. 3 anzuwenden (BGH NStZ 2022 39), sondern § 177 Abs. 2 Nr. 2 (insoweit aA BGH NStZ 2022 39: § 177 Abs. 2 Nr. 1). In typischen Überraschungs- und Überrumpelungsfällen gehen Täter in einer Weise vor, 89 die es unmöglich macht, die Annäherung vor der Berührung zu erkennen. Opfer werden durch die besondere Schnelligkeit des Zugriffs überrascht oder es werden eingeschränkte Wahrnehmungsmöglichkeiten ausgenutzt (Annäherung im Rücken des Opfers oder unübersichtliche räumliche Verhältnisse, etwa Menschenansammlungen). Sexuelle Übergriffe, die auf dem Modus „Überrumpelung“ beruhen, bestehen oft nur aus kurzzeitigem, wenige Sekunden dauern183 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 39. AA Renzikowski MK Rdn. 85. 184 Fischer Rdn. 35; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 57; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 40. 185 AA Renzikowski MK Rdn. 89; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 41, die Handlungen eines Dritten ausschließen. 219
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den Körperkontakt. Es ist aber auch möglich, dass das überraschende Moment so intensiv wirkt, dass wegen des tiefen Erschreckens der überrumpelten Person eine etwas längere Zeitspanne für eine Penetration genutzt werden kann186 (s. zu einem solchen Sachverhalt BGH NStZ 2012 268 – nach altem Recht wurde Strafbarkeit verneint). Außerdem sind Fälle erfasst, in denen das Opfer die Anwesenheit einer übergriffigen Person und das sexuelle Vorhaben noch erkennt, bevor die sexuelle Handlung beginnt, aber infolge des überraschenden Auftauchens eines Angreifers oder der unerwarteten Sexualisierung einer Alltagssituation überrumpelt und deshalb sprachlos ist (s. BGHSt 64 55: Taxifahrer bremst abrupt und wirft sich auf den weiblichen Fahrgast). In solchen Konstellationen kann das Grunddelikt in § 177 Abs. 2 Nr. 3 mit Qualifikationen (§ 177 Abs. 5 Nr. 1, 3) verbunden sein, etwa wenn der überraschend sich in den Weg stellende Täter dies an einem einsamen Ort (in einer schutzlosen Lage) tut oder das Opfer festhält. § 177 Abs. 2 Nr. 3 erfasst auch Fälle, in denen eine soziale Interaktion konsentierten Körperkontakt einschließt (etwa medizinische Behandlung, Massage u.ä.), aber die Sexualisierung dieses Körperkontakts für das Opfer überraschend kam. Solche Konstellationen werden meist als „Täuschung über den sexuellen Charakter einer Handlung“ thematisiert. In der Lit. wird teilweise die Anwendbarkeit von § 177 bei Täuschungen durch den Täter pauschal verneint,187 ohne dass die Anwendbarkeit von § 177 Abs. 2 Nr. 3 für die Untergruppe „Überraschungsangriff“ gesehen wird. Ein Überraschungsangriff kann ferner vorliegen, wenn zwar eine sexuelle Handlung beidseitig konsentiert ist, aber der Täter überraschend eine andere sexuelle Handlung vornimmt.188 Das kann in der Form geschehen, dass ein beidseitig gewollter Sexualkontakt ohne Absprache in einen sadistischen Sexualkontakt umgewandelt wird, indem der Täter der anderen Person überraschend Schläge oder Verletzungen zufügt (angedeutet in OLG Karlsruhe NStZ 2019 350). Unter solchen Umständen liegt nicht nur eine „zusätzliche“ Körperverletzung vor, sondern eine grundlegende, einseitige und überraschende Änderung der Art der sexuellen Handlung, die das Geschehen zu einem sexuellen Übergriff macht. Eine weitere Fallgruppe, in denen der Tatmodus ein Überraschungsmoment einschließt, bilden Konstellationen, in denen Opfer zwar mit einer sexuellen Handlung rechneten und sexueller Körperkontakt konsentiert wäre, aber mit einem anderen Sexualpartner. Solche Sachverhalte werden mit dem Stichwort „Identitätstäuschung“ verbunden, wobei umstr. ist, ob diese unter § 177 fallen.189 Entscheidend für die Strafbarkeit ist, ob in der Tatsituation die Auswechslung des Sexualpartners für das Opfer überraschend war, z.B. weil die Wahrnehmung des Opfers durch Dunkelheit oder verbundene Augen eingeschränkt war. Unter solchen Umständen wurde ein Überraschungsmoment ausgenutzt und das Vorgehen fällt unter § 177 Abs. 2 Nr. 3.
94 cc) Ausnutzung. Das Überraschungsmoment muss den Sexualkontakt ermöglicht oder zumindest erleichtert haben (BGHSt 64 55, 60; dort wurde allerdings nur die subjektive Tatseite geprüft, s. Rdn. 95). Das Merkmal „Ausnutzen“ hat auch hier eine objektiv filternde Funktion. Es soll Konstellationen aussondern, in denen die andere Person mit der sexuellen Handlung einverstanden ist. Am Ausnutzen des Überraschungsmoments würde es dann fehlen, wenn ein generelles Einverständnis mit genau dieser Art sexueller Handlungen bestand (was nur bei längeren Sexualbeziehungen vorstellbar ist,190 in denen z.B. über entsprechende Phantasien gesprochen wurde oder bestimmte Umgangsformen etabliert waren). Die Vermutung eines nur
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Renzikowski MK Rdn. 90. AA Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 62; Lederer AnwBl 2017 514, 517 f. Hoven/Weigend KriPoZ 2018 156, 159. Eisele DRiZ 2017 398, 400; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 42. Verneinend Hoven/Weigend KriPoZ 2018 156, 159; aA Renzikowski MK Rdn. 52. Vavra S. 443 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 44.
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„mutmaßlichen Interesses“ der anderen Person genügt dagegen nicht, um ein Ausnutzen zu verneinen.191
b) Subjektiver Tatbestand. Erforderlich ist bedingter Vorsatz hinsichtlich der Begehung ei- 95 ner sexuellen Handlung. Versehentliches Berühren etwa der Genitalien in einer Menschenmenge u.ä. ist nicht erfasst.192 Der Täter muss außerdem die äußeren Umstände erkannt haben, aus denen sich ergibt, dass das Opfer nicht mit einem sexuellen Übergriff rechnet oder dies allenfalls im letzten Moment bemerkt und wegen der Schnelligkeit des Geschehens keinen Willen bilden oder äußern kann (BGHSt 64 55, 60). Der BGH fordert zu Recht nur bedingten Vorsatz, was den subjektiv vom Täter hergestellten Konnex zwischen Überraschung und sexueller Handlung betrifft: Der Täter muss es zumindest für möglich halten, dass die Überraschung den Sexualkontakt ermöglicht oder erleichtert (BGHSt 64 55, 60 m. zust. Anm. Eisele JR 2019 537, 543; insoweit aA Renzikowski MK Rdn. 92: dolus directus sei erforderlich). Das ist eine geringere Anforderung als ein Finalzusammenhang, der einen absichtlich geplanten Einsatz des Überraschungsmoments voraussetzen würde.193 Außerdem muss der Täter es (nur) für möglich halten, dass er die Situation ausnutzt, was dann nicht der Fall wäre, wenn das Opfer mit dieser sexuellen Handlung einverstanden wäre (BGHSt 64 55, 70; Eisele JR 2019 537, 543). Ein Irrtum über das Ausnutzen kann nicht vorliegen, wenn sich Täter und Opfer nicht oder nur flüchtig kennen, da dann Handelnde mit dem Unwillkommensein ihres Tuns rechnen müssen (BGHSt 64 55, 60).194 5. Ausnutzung einer Lage, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht (Absatz 2 Nr. 4) a) Objektiver Tatbestand aa) Kommunizierte Drohung nicht erforderlich. S. zu den sexuellen Handlungen 96 Rdn. 16 ff. Der Unterschied von § 177 Abs. 2 Nr. 4 zu § 177 Abs. 2 Nr. 5 liegt darin, dass der Täter in der konkreten Tatsituation keine Drohung (verbal oder konkludent) aussprechen muss. Liegt eine ausdrückliche oder konkludente Drohung vor, ist § 177 Abs. 2 Nr. 5 anzuwenden.195 Hat das Opfer einen entgegenstehenden Willen erkennbar gemacht, greift § 177 Abs. 1 ein. Für § 177 Abs. 2 Nr. 4 bleiben Fälle, in denen eine solche Kommunikation (Drohung des Täters oder Ablehnung durch das Opfer) fehlt, aber für alle Beteiligten ersichtlich ist, dass es in der Hand des Täters liegt, ein empfindliches Übel herbeizuführen. Die Begründung führt als wichtiges Beispiel („insbesondere“) „Klima der Gewalt“-Fälle an (BTDrucks. 18/9097 S. 25). Mit diesem Begriff sind Sachverhalte gemeint, in denen es eine längere Vorgeschichte mit vom Täter ausgeübter Gewalt gibt, typischerweise in Ehen, Partnerschaften oder Familien. Bei etablierten Verhaltensmustern ist allen Beteiligten bekannt, welche Folgen es hat, wenn das Opfer Aufforderungen nicht nachkommt. Es spielt unter solchen Umständen keine Rolle, ob vergangene Gewalt der Erzwingung sexueller Handlungen diente. Die restriktivere Auslegung, die die Rspr. zur Frage einer konkludenten Drohung nach § 177 Abs. 1 Nr. 2 a.F. entwickelt hatte, ist nicht auf § 177 Abs. 2 Nr. 4 zu übertragen. Insbesondere ist nicht zwischen früherer „allgemeiner“ Gewalt und Gewalt zur Erzwingung sexueller Handlungen zu differenzieren.196 Aus der Perspektive der Op191 192 193 194 195 196 221
AA Renzikowski MK Rdn. 91. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 63. So wohl Hoven NStZ 2020 578, 581. AA Fischer Rdn. 40. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 55. So zu § 177 Abs. 1 Nr. 2 a.F. (Drohung) BGH NStZ 2003 424, 425; NStZ 2005 268. Hörnle
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fer ist zu erwarten, dass jemand, der mit brutalen Methoden absolute Kontrolle über das Leben von Familienmitgliedern etabliert,197 sexuelle Aufforderungen ebenfalls mit Gewalt durchsetzt. Es kann die vorangegangene wiederholte Misshandlung eines Familienmitglieds genügen, wenn damit auch für alle anderen Familienmitglieder die Erwartung absoluten Gehorsams zum Ausdruck kommt.198 97 Die Anwendung von § 177 Abs. 2 Nr. 4 ist nicht auf „Klima der Gewalt“-Fälle beschränkt. Auch in anderen Sachverhalten ist es möglich, dass allen Beteiligten bewusst ist, was geschehen würde, wenn das Opfer ein „Nein“ zum Ausdruck brächte. Unter solchen Umständen ist es weder erforderlich noch zumutbar, dass das Opfer Ablehnung ausdrückt. Zum Beispiel kann die Prognose, dass dem Opfer Gewalt droht, darauf gestützt werden, dass der Täter zuvor seine Fähigkeit und Bereitschaft zu brutalem Vorgehen demonstriert hat (s. BGH NStZ 2013 279: der Täter hatte in der Wohnung seiner von ihm getrennt lebenden Frau deren Freund erschossen). 98 Dem Opfer muss laut der Tatbestandsformulierung bei Widerstand ein empfindliches Übel drohen. Leider hat wohl die sehr schnelle Formulierung des 50. StÄG (Entstehungsgeschichte) dazu geführt, dass der veraltete und missverständliche Begriff „Widerstand“ nicht kritisch reflektiert wurde, der als „körperlicher Widerstand“ verstanden werden könnte. Es gibt allerdings keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber damit körperlichen Widerstand gemeint hat. Entscheidend ist, dass das empfindliche Übel bei einer Weigerung des Opfers zu erwarten ist.199
99 bb) Empfindliches Übel. Die Gesetzesbegründung verweist zur Definition des empfindlichen Übels auf die gängige, der Kommentierung von Sch/Schröder/Eisele zu § 240 entnommene Definition „jede – über bloße Unannehmlichkeiten hinausgehende – Einbuße an Werten oder Zufügung von Nachteilen […], was dann als empfindlich zu betrachten ist, wenn der drohende Verlust oder der zu befürchtende Nachteil geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen“ (BTDrucks. 18/9097 S. 25). Im Kontext von § 177 Abs. 2 Nr. 4 muss „mit der Drohung erstrebt“ hinweggedacht werden, da ja keine Drohung des Täters erforderlich ist. Im Übrigen entsprechen die Anforderungen an „Übel“ und „empfindlich“ aber dem, was bei § 240 Abs. 1 vorausgesetzt wird (Altvater LK12 § 240 Rdn. 80 ff). Die Anwendung von Gewalt ist ein empfindliches Übel, s. den Verweis auf „Klima der Gewalt“-Fälle in der Gesetzesbegründung, Rdn. 96. Andere empfindliche Übel können der Verlust der Arbeitsstelle oder die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen, negative schulische, berufliche oder dienstliche Bewertungen oder ausländerrechtliche Folgen sein.200 Auch der Wegfall oder die Verschlechterung ambulanter Pflege und ein drohender Heimaufenthalt sind erhebliche Übel.201 Ärger im privaten Bereich, etwa Unterbleiben einer Urlaubsreise oder Streit mit dem Partner 100 (BTDrucks. 18/8219 S. 17, ist dagegen regelmäßig kein empfindliches Übel i.S. des Strafrechts. Ob der Abbruch einer Beziehung ein empfindliches Übel ist, hängt von den damit verbundenen sozialen Konsequenzen ab. Wenn eine Trennung vom Partner zu erwarten ist, kann dies ein empfindliches Übel sein, etwa weil eine Ehe mit ökonomischer Abhängigkeit verbunden ist oder weil es gemeinsame Kinder gibt. Dasselbe gilt, wenn eine Trennung schwerwiegende andere, etwa ausländerrechtliche Folgen hätte.202 Zu vermeiden ist eine auf psychologisch-persön-
197 Vgl. die Einzelheiten des Sachverhalts BGH NStZ 2005 268. 198 Auch dies verkennt BGH NStZ 2005 268, 269: Die laufende Misshandlung der Mutter machte Verhaltenserwartungen und Sanktionswillen deutlich.
199 Hoven/Weigend JZ 2017 182, 188; Renzikowski MK Rdn. 94; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 48; Wolters/Noltenius SK Rdn. 39.
200 AA zu einer drohenden Kündigung T. Walter JR 2019 361, 364 f; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 68, die auf zivil- und verwaltungsrechtlichen Rechtsschutz verweisen und deshalb ein empfindliches Übel ablehnen – was realitätsfremd ist. 201 S. den Sachverhalt in BGH NStZ 2012 570. 202 Renzikowski MK Rdn. 100. Hörnle
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III. Sexuelle Übergriffe gem. Absatz 2
§ 177
liche Umstände zugeschnittene Betrachtung, die die Empfindlichkeit eines Übels allein an die persönlichen Emotionen oder die Persönlichkeit des Opfers koppelt (aA OLG Karlsruhe NStZ 2019 350).203 Fälle nach § 177 Abs. 2 Nr. 4 sind dadurch gekennzeichnet, dass nach einer Weigerung eine Reaktion darauf zu erwarten ist, in Form einer Bestrafung oder eines Racheakts. Diese Reaktion kann entweder vom Täter, der am sexuellen Geschehen beteiligt ist (ggf. mit Involvierung unbeteiligter Dritter, z.B. bei Personal- oder Verwaltungsentscheidungen), oder von einer dritten Person (etwa: einem Zuhälter, BTDrucks. 18/8219 S. 17)204 drohen. Es kommt nicht darauf an, ob der Täter, der die sexuelle Handlung vornimmt oder entgegennimmt, also etwa der Kunde einer Prostituierten, selbst die spätere Zufügung des Übels in Gang setzen würde205 (es würde genügen, wenn Prostituierte und Kunde wissen, dass ggf. andere Personen dem Zuhälter von einer Weigerung berichten würden). Nicht erfasst sind von Bestrafungs- und Racheakten unabhängige Übel, für die der Kausalverlauf bereits in Gang gesetzt wurde (etwa eine aus anderen Gründen schon eingeleitete Kündigung oder Ausweisung).206 Zwar kann in solchen Situationen, wenn das erwartete Unheil bereits nahe ist, der psychologische Druck auf die betroffene Person groß sein. Von Racheakten unabhängige Übel fallen jedoch nach dem klaren Wortlaut nicht unter § 177 Abs. 2 Nr. 4, der nur Übel berücksichtigt, die bei Widerstand drohen. Diese Einschränkung ist auch im Hinblick auf das geschützte Recht auf sexuelle Selbstbestimmung überzeugend. Das Eingehen auf Versuche, durch sexuelle Gefälligkeiten bevorstehende negative Veränderungen abzuwenden, tangiert nicht das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (u.U. handelt es sich aber um ein Korruptionsdelikt). Zu sexueller Selbstbestimmung gehört es auch, Sexualität instrumentell, unabhängig von körperlichen Bedürfnissen und Zuneigung, zur Verbesserung der eigenen Lebenslage einzusetzen (s. dazu auch BTDrucks. 18/8210 S. 17). Explizit betont die Gesetzesbegründung, dass das Übel objektiv drohen muss (BTDrucks. 18/9097 S. 25). Nur subjektive Befürchtungen der betroffenen Person ohne relevante Anhaltspunkte in der Wirklichkeit, die ein solches Übel wahrscheinlich machen, genügen nicht.207 Da allerdings niemand perfekt vorhersagen kann, was bei Verweigerung des Sexualkontakts tatsächlich passieren würde, muss es genügen, dass ein mit allen Umständen vertrauter objektiv Urteilender (der hypothetische Beobachter) zum Ergebnis käme, dass das empfindliche Übel vermutlich eintreten würde.208 Ob der Täter wirklich beabsichtigt oder in der Lage ist, das Übel herbeizuführen, spielt keine Rolle, solange ein objektiver Beobachter die Einschätzung des Opfers teilen würde, dass unter den konkreten Umständen damit gerechnet werden muss.209 Das kann bei konflikthaften, gewaltbelasteten Beziehungen dann fraglich sein, wenn es auch harmonische Phasen des Zusammenlebens gab und sich der zu beurteilende Vorfall in einer solchen längeren und bereits hinreichend stabilisierten friedlichen Phase abspielte.210 Eine nur abstrakt-theoretisch bestehende Möglichkeit, Maßnahmen zum Nachteil der anderen Person vorzunehmen, reicht nicht aus.211 Deshalb reicht eine hierarchische Beziehung, 203 204 205 206
Wie hier Hoven NStZ 2020 578, 582. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 48. Eisele DRiZ 2017 398, 400; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 50. AA Renzikowski MK Rdn. 95. BTDrucks. 18/8210 S. 16 f; Renzikowski MK Rdn. 94; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 51. Anders wohl Fischer Rdn. 44a, der auf „Naturgewalten“ verweist, wobei nicht ganz klar ist, warum bei Naturgewalten der Eintritt eines Übels von der Weigerung, sexuellen Ansinnen nachzukommen, abhängen könnte. 207 Anders noch BTDrucks. 18/8210 S. 5 mit einer rein subjektiven Formulierung „ein empfindliches Übel befürchtet“; dafür aus kriminalpolitischer Sicht auch Bezjak KJ 2016 557, 564; dies. ZStW 130 (2018) 303, 314; dagegen T. Walter JR 2016 361, 364. 208 Renzikowski MK Rdn. 95 und Wolters/Noltenius SK Rdn. 39 stellen auf die Opferperspektive ab. 209 AA Renzikowski MK Rdn. 95, der auch nach geltendem Recht eine subjektivierende Auslegung befürwortet. 210 Hörnle NStZ 2017 13, 18; Vavra S. 448 f. 211 Fischer Rdn. 44; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10. 223
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
etwa zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder in Ausbildungsverhältnissen,212 nicht aus, um daraus ein drohendes Übel abzuleiten. Auch in beruflichen oder anderen sozialen Hierarchien kann unter bestimmten Umständen Sexualkontakt und die Bekundung eines entsprechenden Interesses sozialadäquat sein. Zusätzlich zur Möglichkeit, ein empfindliches Übel vorzunehmen oder zu veranlassen, bedarf es eines Hinweises auf den Willen, dies zu tun. Entscheidend in den „Klima der Gewalt“-Fällen ist nicht die abstrakte Möglichkeit, Familienmitglieder abzustrafen, sondern die durch Verhalten gezeigte Disposition. Es fehlt an einem objektiv drohenden Übel, wenn es keinerlei individuellen Anhaltspunkt dafür gibt, dass z.B. ein Vorgesetzter eine Kündigung aussprechen oder andere Nachteile zufügen würde, falls die andere Person abweisend auf Annäherung reagiert. 105 Da § 177 Abs. 2 Nr. 4 keine Gegenwärtigkeit des Übels voraussetzt, ist ein enger zeitlicher Zusammenhang nicht erforderlich. Es würde genügen, dass im Weigerungsfall mit zeitlichem Abstand eine Kündigung oder Abschiebung droht (BTDrucks. 18/8210 S. 17).
106 cc) Ausnutzung der Lage. Ausnutzen setzt bei Konstellationen nach § 177 Abs. 2 Nr. 4 voraus, dass das Opfer es ernstlich für möglich hält, dass der Täter oder andere bei Weigerung das empfindliche Übel als Racheakt herbeiführen. Nur unter dieser Bedingung liegt eine Lage vor, die den Verzicht auf erklärte Ablehnung (eine an sich bestehende Opferobliegenheit, Rdn. 8) rechtfertigt. Wenn zwar objektiv mit einer Vergeltungsaktion zu rechnen ist, aber das Opfer selbst dies nicht erkennt, fehlt die persönliche Not, die das Wegfallen der Opferobliegenheit trägt. Ausnutzen wäre außerdem dann zu verneinen, wenn zwar die Neigung eines Beteiligten 107 bekannt ist, auf Nichtbefolgung seiner Wünsche mit einem empfindlichen Übel zu reagieren, aber trotzdem die andere Person unabhängig davon, eigenen Bedürfnissen folgend, den Sexualkontakt wollte und selbst die Initiative ergriff.213 In klaren „Klima der Gewalt“-Sachverhalten ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich, dass trotz erheblicher und regelmäßiger Gewalt eigene sexuelle Bedürfnisse noch verhaltensleitend wirken. Entsprechende Behauptungen Beschuldigter müssten kritisch geprüft werden.
108 b) Subjektiver Tatbestand. Der Täter muss mindestens bedingten Vorsatz gehabt haben, dass dem Opfer im Weigerungsfall ein empfindliches Übel droht. An dieser Stelle wird vermutlich das Anliegen des Gesetzgebers, „Klima der Gewalt“-Fälle besser zu erfassen, in der Praxis oft scheitern.214 Es ist damit zu rechnen, dass die Selbstwahrnehmung von Tätern, die zu autoritärem Verhalten und/oder Gewaltausbrüchen neigen, verzerrt ist. Wenn jemand die eigene Gewaltneigung verdrängt, liegt es nahe, dass er davon ausgegangen ist, dass dem Opfer durch seine Person kein empfindliches Übel drohte. Außerdem muss der Täter es ernstlich für möglich gehalten haben, dass dieser Umstand die Entscheidung des Opfers verursachte, keine Ablehnung auszudrücken oder sogar Zustimmung zu formulieren.215 Dolus directus ist nicht erforderlich (Rdn. 95).216
212 S. Wolters/Noltenius SK Rdn. 40: Scheitern einer Promotion. 213 Enger Fischer Rdn. 42; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 51; Wolters/Noltenius SK Rdn. 41, die allein auf ein inneres Einverständnis abstellen. 214 Hörnle NStZ 2017 13, 18. 215 Fischer Rdn. 47; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 52. 216 AA Renzikowski MK Rdn. 97; Wolters/Noltenius SK Rdn. 42. Hörnle
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III. Sexuelle Übergriffe gem. Absatz 2
§ 177
6. Drohung mit einem empfindlichen Übel (Absatz 2 Nr. 5) a) Objektiver Tatbestand aa) Drohung mit einem empfindlichen Übel. Die Tatvariante in Absatz 2 Nr. 5 ist dann anzu- 109 wenden, wenn das bedrohte Opfer den entgegenstehenden Willen nicht erkennbar ausgedrückt hatte. Ist dies der Fall, ist vorrangig Absatz 1 anzuwenden.217 S. zu den sexuellen Handlungen Rdn. 16 ff. Eine Drohung stellt ein Übel in Aussicht, dessen Eintritt aus der Sicht des Opfers vom 110 Willen des Drohenden abhängt. Die Rspr. geht davon aus, dass die Herbeiführung oder Verhinderung des angekündigten Übels tatsächlich oder scheinbar in der Macht der Person stehen muss, die das Übel ankündigt.218 Diese Einschränkung ergibt sich jedoch nicht aus dem Wortlaut. Es genügt der drohende, zur Willensbeugung eingesetzte Hinweis auf zukünftige Übel, unabhängig davon, wer oder was dieses Übel auslöst, sofern dem Opfer angeboten oder suggeriert wird, dieses Übel durch die sexuelle Handlung abwenden zu können.219 Irrelevant ist, ob der Täter die Drohung tatsächlich umsetzen kann oder will.220 Der Inhalt von vagen oder mehrdeutigen Äußerungen ist vom Empfängerhorizont aus zu erschließen.221 Ausschlaggebend ist nicht, wie das individuelle Opfer eine Äußerung tatsächlich verstanden hat, sondern wie eine verständige Person in der Situation des Opfers diese verstehen würde.222 Die Drohung kann ausdrücklich formuliert werden, aber auch „zwischen den Zeilen“ (Altvater LK12 § 240 Rdn. 77). Eine implizite Drohung liegt z.B. vor, wenn gegen den Lebensgefährten des Opfers oder andere am Tatort anwesende Personen Gewalt angewendet wird (BGH BeckRS 2017 115067). Wenn das Verhalten des Täters zunächst objektiv keine Drohung enthielt, er aber einen entsprechenden Irrtum des Opfers erkennt und durch sein weiteres Verhalten nährt, kann hierin eine konkludente Drohung liegen.223 Ist der Täter rechtlich verpflichtet, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, kann eine Drohung auch in einem Unterlassen liegen.224 Eine früher zur Erzwingung sexueller Handlungen erfolgte Gewaltanwendung kann im Zeit- 111 raum danach als konkludente Drohung fortwirken.225 Von einer konkludenten Drohung ist auszugehen, wenn der Täter auf früher ausgeübte Gewalt anspielt oder in Gesten oder Auftreten einschüchternd auftritt. Die Rspr. legte bei der Prüfung einer konkludenten Drohung uneinheitliche und teilweise zu restriktive Maßstäbe zugrunde, was den Zeitraum zwischen Gewaltanwendung und sexuellen Handlungen betrifft. Verneint wurde eine konkludente Drohung in einem Fall, in dem der Täter nach der ersten Vergewaltigung die in der Wohnung eingeschlossene Geschädigte nur eine halbe Stunde allein gelassen hatte.226 Dagegen wurde eine anhaltende Wirkung der früheren Gewalt als konkludente Drohung eingestuft, als eine Frau noch frisch unter dem Eindruck des eine Stunde zuvor (ohne sexuelle Zielsetzung) veranstalteten gewalttätigen Tobens ihres Zuhälters stand227 und als Faustschläge gegen den Kopf ein bis zwei Tage zurücklagen.228 Bei sexuellen Übergriffen von Vätern verneinte die Rspr. nach alter Rechtslage Taten nach § 177 Abs. 1 Nr. 2 a.F., auch wenn das Familienklima durch regelmäßige körperliche
217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227 228 225
El-Ghazi ZIS 2017 157, 164 f; Vavra S. 452. BGHSt 31 195, 201; BGH NStZ 2008 16; NStZ-RR 2020 276, 277. Krit. zur Rspr. des BGH auch Wagner NStZ 2021 592, 595. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 74; Renzikowski MK Rdn. 99. Renzikowski MK Rdn. 99. Mildenberger Schutzlos – hilflos – widerstandsunfähig, S. 38 f, 45. AA Renzikowski MK Rdn. 99. Renzikowski MK Rdn. 99. Renzikowski MK Rdn. 99. BGH NStZ 1986 409; BGH bei Miebach NStZ 1994 224; BGH NStZ-RR 2003 42, 43. BGH NStZ 1995 229, 230. BGH NJW 1984 1632. BGH NStZ 2000 419, 420. Hörnle
§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Misshandlungen gekennzeichnet war.229 Nach geltendem Recht ist, wenn in der konkreten Tatsituation das Vorliegen einer konkludenten Drohung zweifelhaft ist, aber ein „Klima der Gewalt“ bestand, § 177 Abs. 2 Nr. 4 anzuwenden. 112 Anders als nach altem Recht können nun auch Drohungen mit einem empfindlichen Übel, das nicht in einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben liegt (so § 177 Abs. 1 Nr. 2 a.F., nunmehr Qualifikation gem. Absatz 5 Nr. 2), als Sexualdelikt sanktioniert werden. S. zum empfindlichen Übel Rdn. 99 ff. Es genügt, dass der Täter eine Drohung mit einem empfindlichen Übel ausspricht, das eine dritte Person treffen würde, wenn das Opfer die Lebens- oder Gesundheitsgefahr für die dritte Person selbst als Übel empfindet.230 Nicht erforderlich ist, dass der bedrohte Dritte dem Opfer der sexuellen Handlung nahesteht.231 Entscheidend ist allein, ob die genötigte Person ein wie auch immer geartetes Eigeninteresse hat, dass der Dritte nicht einem empfindlichen Übel ausgesetzt wird, etwa wenn sie sich z.B. wegen beruflicher Pflichten um den Dritten sorgt,232 und selbst dann, wenn Betroffenheit auf Einfühlung in die Lage von unbekannten Menschen beruht. Es kann auch genügen, dass der Täter droht, sich selbst etwas anzutun, falls das Opfer sich seinen sexuellen Bedürfnissen verweigert.233 113 § 177 Abs. 2 Nr. 5 setzt nicht voraus, dass das angedrohte Übel nicht anders abwendbar sein darf. Es muss nicht geprüft werden, ob das Opfer sich z.B. durch Inanspruchnahme staatlicher Hilfe schützen könnte. Eine gesonderte Prüfung von Verwerflichkeit wie in § 240 Abs. 2 ist ebenfalls nicht erforderlich: Die Nötigung zu sexuellen Handlungen ist stets verwerflich.234
114 bb) Zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung genötigt. Nötigen bedeutet, eine andere Person gegen ihren Willen zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen zu bestimmen (BVerfG NJW 2004 3768, 3769; BGHSt 45 253, 258). Zwischen der Drohung mit einem empfindlichen Übel und den sexuellen Handlungen muss ein Kausalzusammenhang bestehen.235 Wenn die andere Person nicht durch die Drohung beeinflusst wurde und eine sexuelle Handlung aus anderen Gründen vornimmt, fehlt es am erforderlichen Kausalzusammenhang. Drohungen nach der Begehung eines sexuellen Übergriffs, der unter § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 fällt, qualifizieren diese Tat entweder nach § 177 Abs. 5 Nr. 2 (bei Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) oder fallen unter § 240. 115 Zum Zeitpunkt der Drohung muss die sexuelle Handlung hinreichend konkretisiert sein: Der Wortlaut spricht von „der Handlung“, nicht von „einer Handlung“. Es genügt deshalb nicht, dass sich die Drohung auf unbestimmte zukünftige sexuelle Handlungen bezieht. Die Bedrohung mit dem Ziel, eine Person zu nötigen, sich in der Zukunft zu prostituieren, fällt nicht unter § 177 Abs. 2 Nr. 5.236
116 b) Subjektiver Tatbestand. Es genügt bedingter Vorsatz, auch im Hinblick auf die Kausalität der Drohung für die sexuelle Handlung. In vielen Sachverhalten wird ein sog. Finalzusammenhang vorliegen, nämlich wenn die Drohung in der Absicht ausgesprochen wird, dadurch die
229 BGH NStZ 1992 587; NStZ 2003 424, 425; NStZ 2005 268. 230 BGH NStZ 1994 31; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 76. 231 Offen gelassen in BGH NStZ 1994 31; NStZ-RR 1998 270; wie hier Renzikowski MK Rdn. 101. AA Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 56. 232 BGH NStZ 1987 222, 223. 233 BGH NStZ 1982 286; BGH bei Miebach NStZ 1995 223; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 56. AA Renzikowski MK Rdn. 101. 234 Renzikowski MK Rdn. 100; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 53. 235 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 58. 236 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 57. AA Renzikowski MK Rdn. 98. Hörnle
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IV. Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzumessung; Konkurrenzen
§ 177
sexuelle Handlung zu ermöglichen. Notwendig ist dies aber nicht:237 Es kann Fälle geben, in denen eine Drohung mehreren Zwecken dient und der Täter es nur ernstlich für möglich hält, dass er damit unter anderem auch sexuelle Anliegen durchsetzen kann. Gelingt dies, liegt der Erfolg „genötigt“ vor.
IV. Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzumessung; Konkurrenzen 1. Täterschaft und Teilnahme Täter sind nach den tatbestandlichen Handlungsbeschreibungen diejenigen, die selbst sexu- 117 ellen Körperkontakt mit dem Opfer haben oder dieses zu sexuellem Körperkontakt mit Dritten bestimmen oder auf das Opfer einwirken, damit dieses andere sexuelle Handlungen vornimmt (Rdn. 22 ff). Darüber hinaus können Personen nach den allgemeinen Regeln der Täterschaft (Mittäterschaft, mittelbarer Täterschaft) als Täter verurteilt werden, auch dann, wenn sie weder eigenen sexuellen Körperkontakt hatten noch unmittelbar auf das Opfer eingewirkt haben. Sexuelle Übergriffe sind keine eigenhändigen Delikte (aA Teile der Lit.,238 s. zur Begründung, warum dies nicht überzeugt, Vor § 174 Rdn. 58). Mehrere Personen können auf der Basis eines gemeinsamen Tatplans und Herrschaft über das Geschehen auch dann Mittäter sein, wenn sie selbst weder sexuell noch unmittelbar beeinflussend auf das Opfer einwirken. Auch mittelbare Täterschaft ist möglich (BGH NStZ 2021 92),239 etwa wenn ein Hintermann mit Tatherrschaft einen Schuldunfähigen als Werkzeug für einen sexuellen Übergriff einsetzt. Wenn es an eigener Tatherrschaft fehlt, ist als Gehilfe zu bestrafen, wer beim Vollzug der sexuellen Handlung oder bei der Schaffung von Umständen nach Absatz 2 Hilfe geleistet hat. Derjenige, der ohne eigene Drohung sexuellen Körperkontakt mit dem Opfer hat, ist Täter 118 gem. § 177 Abs. 2 Nr. 5, wenn ihm die Drohung eines anderen nach den Regeln der Mittäterschaft oder mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden kann. Die bloße Anwesenheit bei der Drohung genügt nicht.240 Ein Obhutsgarant, der sexuelle Übergriffe passiv hinnimmt, kann als Täter eines Unterlas- 119 sungsdelikts bestraft werden (Vor § 174 Rdn. 62), während bei einer Überwachergarantenstellung Beihilfe durch Unterlassen vorliegen kann. Die Leitung einer Vollzugsanstalt trägt Überwachungspflichten für Gefangene, deren Neigung zu erneuten schweren Sexualdelikten auf der Hand liegt.241 Ferner ist an eine Garantenstellung wegen Ingerenz zu denken, die denjenigen zum Handeln verpflichtet, der durch pflichtwidriges Verhalten die Risiken für das Opfer erhöht hat, etwa indem er eine Situation nach § 177 Abs. 2 Nr. 1–5 geschaffen hat. Das Innehaben einer Wohnung begründet regelmäßig keine Pflicht i.S.v. § 13, darin verübte Straftaten zu verhindern.242
2. Vollendung, Versuch und Rücktritt a) Vollendung und Versuchsbeginn. Ein sexueller Übergriff ist vollendet, wenn der Täter 120 eine sexuelle Handlung vorgenommen hat, und zwar auch dann, wenn der Tatplan weitere
237 AA Renzikowski MK Rdn. 102; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 59. 238 Renzikowski MK Rdn. 46, 180. AA jedoch Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 165; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 127.
239 AA Renzikowski MK Rdn. 180. 240 BGH NStZ 1985 70, 71. 241 S. zu Amtspflichten und entsprechenden Schadensersatzansprüchen OLG Karlsruhe NJW 2002 445; Ullenbruch NJW 2002 416.
242 BGHSt 30 391; Weigend LK § 13 Rdn. 52; aA Habenicht S. 204 f. 227
Hörnle
§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
sexuelle Aktivitäten vorsah (BGH NStZ 1996 31, 32).243 Im Entkleiden des Opfers liegt in der Regel bereits eine sexuelle Handlung (Rdn. 20). Der freiwillige Verzicht auf weitere sexuelle Handlungen ist bei Deliktsvollendung zwar nicht als Rücktritt zu werten, zu erwägen ist jedoch, ob ein minder schwerer Fall (Absatz 9) vorliegt. Vollendet einer von mehreren Mittätern die sexuelle Handlung, sind alle wegen vollendeten sexuellen Übergriffs zu bestrafen, auch wenn eigenes Ansetzen im Versuchsstadium blieb. 121 Der Versuch ist strafbar, § 177 Abs. 3. Er beginnt beim unmittelbaren Ansetzen zur sexuellen Handlung und im Falle von § 177 Abs. 2 Nr. 5 mit dem Ansetzen zur Drohung (auch dann, wenn das Opfer deren Zweck noch nicht erkennt).244 Wenn die sexuellen Handlungen an oder von einem Dritten vorgenommen werden sollen, beginnt der Versuch mit der Aufforderung, dies zu tun, wenn es im unmittelbaren Anschluss zur sexuellen Handlung kommen sollte. Muss der Täter erst in den Raum gelangen, in dem sich das Opfer befindet, kommt es darauf an, ob der Täter danach ohne Zeitverzögerung einen sexuellen Übergriff begehen will.245 Sind Zwischenakte geplant (z.B. wenn sich der Täter erst in den Räumen verstecken und dem später eintreffenden Opfer auflauern will), handelt es sich um Tatvorbereitung. 122 Die Rspr. wendet bei der Frage des Versuchsbeginns uneinheitliche Maßstäbe an: Ein Täter, der Geld stehlen und ein Sexualdelikt begehen will, soll bei erfolglosem Bemühen, ein Fenster aufzustemmen, zwar wegen versuchten Diebstahls (in einem besonders schweren Fall), nicht aber wegen des Versuchs einer Tat nach § 177 zu bestrafen sein (so BGH NStZ 2000 418 mit krit. Anm. Bellay NStZ 2000 591). Dieses Ergebnis überzeugt nicht. Maßgeblich kann nur sein, ob es nach der Vorstellung des Täters ohne erhebliche zeitliche Verzögerung zu sexuellen Handlungen kommen soll. 123 Wegen Versuches ist trotz vollzogener sexueller Handlung zu bestrafen, wenn der Täter irrtümlich glaubt, entgegen dem Willen des Opfers zu handeln; wenn er irrtümlich davon ausgeht, dass die Person nicht zur Willensbildung fähig oder in der Willensbildung erheblich eingeschränkt war (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, 2) oder dass eine Lage nach § 177 Abs. 2 Nr. 4 vorlag; oder wenn er eine verstorbene Person noch für lebend hält.
124 b) Rücktritt. Ein Rücktritt gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. ist möglich, wenn der Täter die Ausführung der Tat aufgibt. Hieran fehlt es, wenn der Täter (innerhalb eines räumlich-zeitlichen Zusammenhangs) lediglich von einer zunächst geplanten sexuellen Handlung zu einer anderen Variante sexuellen Tuns übergeht.246 Nimmt der Täter aber von sexuellen Handlungen Abstand, kann er vom Versuch zurücktreten, und zwar auch dann, wenn eine Drohung nach § 177 Abs. 2 Nr. 5 bereits vollendet war.247 Von Aufgeben i.S.v. § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. kann nur die Rede sein, wenn die Handlung noch vorgenommen werden könnte, der Versuch also nicht fehlgeschlagen ist. Ein Rücktritt scheidet aus, wenn das Vorhaben an Erektionsproblemen scheitert248 oder wenn aus anderen physiologischen Gründen die geplante sexuelle Handlung nicht durchgeführt werden kann. Die Rspr. ist zurückhaltend bei der Annahme eines fehlgeschlagenen Versuches. Trotz Verkrampfens des Opfers, das den Geschlechtsverkehr unmöglich machte, liege kein Fehlschlag vor249 und es soll vom Versuch des Geschlechtsverkehrs auch nach vorzeitigem Samenerguss noch ein Rücktritt möglich sein (BGH NStZ 2009 86). Derartige Annahmen über 243 244 245 246 247
Renzikowski MK Rdn. 182; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 123. BGH bei Dallinger MDR 1972 924 f. Enger BGH NStZ 2000 418 mit zu Recht krit. Anm. Bellay NStZ 2000 591. S. BGHSt 33 142 m. Anm. Streng NStZ 1985 359; Renzikowski MK Rdn. 187; aA BGH bei Miebach NStZ 1998 187. AA Streng FS Küper 629, 633 ff, der bei mehraktigen Delikten einen Rücktritt nur zulassen will, wenn der Täter von allen Teilakten noch zurücktreten konnte – dagegen spricht aber die Formulierung „weitere Ausführung der Tat“ in § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. Weitere Ausführung bedeutet, dass ein Teil schon ausgeführt sein kann. 248 S. BGH bei Miebach NStZ 1997 178 f; Renzikowski MK Rdn. 187. 249 BGH NStZ-RR 1998 103. Hörnle
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IV. Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzumessung; Konkurrenzen
§ 177
eine vermeintlich nach wie vor bestehende Möglichkeit, die geplante sexuelle Handlung zu vollziehen, sind zweifelhaft. An einer freiwilligen Aufgabe fehlt es, wenn äußere Hemmnisse die Entscheidung be- 125 stimmt haben. Zu kritisieren ist die Rspr. zur Tataufgabe infolge von Gegenwehr des Opfers: Diese geht selbst dann von einem freiwilligen Rücktritt aus, wenn der Täter körperlich in der Lage gewesen wäre, sich bei noch größerem Krafteinsatz durchzusetzen.250 Der Verzicht auf die weitere Ausführung des Tatplans ist unfreiwillig, wenn der Täter Gegenwehr als äußeres Hindernis empfindet, das die Sache zu mühsam macht. Ein die Freiwilligkeit beseitigendes Hemmnis liegt auch vor, wenn der Täter bemerkt, dass das Opfer seine Identität erkannt hat251 oder wenn er sich durch dessen physische Verfassung (Menstruation, tatsächliche oder behauptete Erkrankungen etc.) gestört fühlt. Beweggründe wie plötzliche moralische Skrupel, Mitleid usw. machen dagegen den Rücktritt zu einem freiwilligen (Murmann LK § 24 Rdn. 275).
3. Strafzumessung a) Bestimmung des Unrechts. Ein wichtiger Umstand bei der Bewertung des Erfolgsunrechts 126 ist die Eingriffsintensität der sexuellen Handlung. Berührungen der Brust oder des Genitalbereichs sind nach ihrer Dauer und danach zu bewerten, wie stark in die Intimsphäre eingegriffen wurde. Wurde die Erheblichkeitsschwelle (§ 184h Nr. 1) nur geringfügig überschritten, handelt es sich in der Regel um einen minder schweren Fall, Absatz 9. Fälle der „gewöhnlichen“ sexuellen Übergriffe sind solche, die einerseits über minder schwere Fälle hinausgehen, andererseits aber unterhalb der Schwelle des Vaginal-, Oral- oder Analverkehrs und anderer besonders erniedrigender Vorgehensweisen (§ 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1) bleiben. Der Strafrahmen in Absatz 1 ist z.B. anzuwenden auf manuelle Manipulationen, die das Opfer an den Genitalien des Täters (oder eines Dritten) vornehmen oder an den eigenen Genitalien erdulden musste, und auf oralgenitalen Kontakt (soweit diese Vorgänge nicht mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind). Ferner ist an geschlechtsverkehrsähnliche, aber nicht penetrierende Handlungen zu denken (sog. Schenkel- oder Brustverkehr) und an ein Ejakulieren auf den Körper des Opfers nach Masturbation des Täters. Irrelevant ist, ob es sich um homo- oder heterosexuelle Handlungen gehandelt hat. Neben der Intensität der sexuellen Handlung erhöhen Wiederholungen das Tatunrecht.252 Bei Tatserien sind festgestellte Varianten sexueller Handlungen, die nicht eindeutig einem zeitlich fixierten Tatgeschehen zugeordnet werden konnten, strafschärfend zu berücksichtigen (BGH NStZ 2009 444). Psychische Probleme, die bei einem Opfer nach der Tat auftreten (etwa anhaltende 127 Angstzustände), können bei der Strafzumessung als verschuldete Auswirkungen (§ 46 Abs. 2 Satz 2) berücksichtigt werden253 (wenn sie nicht sogar eine schwere Schädigung der psychischen Gesundheit bedeuten, die unter § 177 Abs. 7 Nr. 3 fällt). Derartige Entwicklungen sind zwar nicht nur von der Tatschwere abhängig, sondern auch von der Persönlichkeit des Opfers und seinen individuellen Fähigkeiten der Tatbewältigung. Trotzdem dürfen solche Auswirkungen in Rechnung gestellt werden, da das Risiko erkennbar ist. Zu kritisieren ist, dass die Rspr. aus dem Auftreten der Geschädigten vor Gericht auf das Ausbleiben von nachhaltigen psychischen Schäden schließt.254 Erkenntnisse über komplexe und langfristige psychische Entwicklungen können nicht ohne Weiteres der Selbsteinschätzung Betroffener zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung entnommen werden. Auch psychosoziale Folgen wie die Vermeidung von 250 BGHSt 33 142, 144; BGH NStZ 1997 385; NStZ-RR 1997 259 f; NStZ-RR 2002 168, 169; BGH bei Pfister NStZ-RR 2003 357; aA aber BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 360. 251 BGHSt 9 48. 252 Renzikowski MK Rdn. 197; Schäfer/Sander/van Gemmeren Rdn. 1624. 253 S. BGH NStZ-RR 1997 304; Fischer Rdn. 115; Renzikowski MK Rdn. 197; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 143. 254 BGH StV 2002 20; NStZ 2003 202. 229
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Sexualität und von intimen Kontakten sind strafschärfend zu berücksichtigen. Wenn sich der Strafausspruch auf mehrere Taten bezieht und die psychischen Folgen kumulativ entstanden sind, also nicht einer Tat zuzuordnen sind, sind sie bei der Gesamtstrafenbildung zu berücksichtigen.255 Ein strafschärfender Umstand ist es, wenn Übergriffe junge Opfer betreffen. Dies gilt nicht nur für Kinder (insoweit besteht Idealkonkurrenz mit Delikten nach § 176 ff), sondern auch für Jugendliche, und zwar auch dann, wenn (etwa bei Tätern unterhalb der Altersschwelle in § 182 Abs. 3) der sexuelle Übergriff nicht mit einem Missbrauchsdelikt in Tateinheit steht. Litt das Opfer einer Tat nach § 177 Abs. 1 oder § 177 Abs. 2 Nr. 3–5 an einer Krankheit oder Behinderung und hat sich dieser Umstand bei der Begehung der Tat in Form größerer Schutzlosigkeit ausgewirkt, kann erhöhtes Unrecht vorliegen, s. die Wertung in Absatz 4. Wenn zwischen Täter und Opfer vor der Tat oder zum Tatzeitpunkt eine Ehe oder Lebenspartnerschaft bestand, wenn sie zusammenlebten, oder wenn das Opfer ein Familienmitglied war, ist Art. 46 a) Istanbul-Konvention (s. Entstehungsgeschichte), zu beachten. Art. 46 a) Istanbul-Konvention gibt der nationalen Gesetzgebung vor, sicherzustellen, dass solche Tathintergründe strafschärfend berücksichtigt werden können.256 Damit ist klargestellt, dass sie regelmäßig nicht strafmildernd berücksichtigt werden dürfen. Eine Ausnahme von dieser Regel wäre nur in Grenzfällen vorstellbar. Soweit es sich um Verhalten innerhalb von Beziehungen handelte, für das von einem allgemeinen Konsens auszugehen war (bei überraschenden sexuellen Handlungen oder Handlungen, während ein Partner schläft), ist u.U. das Tatbestandsmerkmal „Ausnutzen“ zu verneinen (Rdn. 94). Im Übrigen käme allenfalls bei einfachen sexuellen Übergriffen am untersten Rand der Tatschwereskala (etwa ein Griff an die Brust oder kurzes Berühren der Genitalien) eine Strafminderung in Betracht, mit der Überlegung, dass bei solchen Berührungen ein Eingriff in die Intimsphäre intensiver ausfällt, wenn er durch Fremde erfolgt. Bei sexuellen Übergriffen, die deutlich jenseits der Schwelle zur erheblichen sexuellen Handlung liegen, sowie bei allen sexuellen Nötigungen und Vergewaltigungen ist jedoch von einer Strafmilderung abzusehen. Im Regelfall wirkt sich der Vertrauensbruch, den der Täter begeht, unrechtserhöhend aus.257 Die Rspr., die bei Taten zwischen Eheleuten und in intimen Beziehungen strafmildernde Umstände annimmt,258 ist abzulehnen. Insbesondere ist es abwegig, darauf abzustellen, dass das Opfer dem Täter „nicht frühzeitig klare Grenzen aufgezeigt“ habe (in BGH NStZ-RR 2020 355, 356 wird dagegen die Berücksichtigung einer „Mitverursachung“ des Opfers nicht generell ausgeschlossen). Der Ruf des Opfers, insbesonders auch der Umstand, dass es der Prostitution nachging, darf keine Rolle spielen (s. dazu, inbes. zur teilweise a.M. in der Rspr., Rdn. 214). Eine Steigerung des Handlungsunrechts ergibt sich nicht schon aus Besonderheiten des Tatorts (etwa bei einer Tat in einer Kirche).259 Eine sorgfältige Vorbereitung wird teilweise wegen „erhöhter krimineller Energie“260 oder wegen ihrer Heimtücke als unrechtserhöhend gewertet.261 Hierbei bedarf es jedoch einer genaueren Begründung: Relevant ist, ob die Tatvorbereitung eine besonders bedrohliche Situation geschaffen hat;262 im Übrigen spielt es aber keine Rolle, ob die Tat geplant oder spontan begangen wurde.263 Keinen Einfluss auf das Unrecht und die Schuld hat es, wenn Dritte unachtsamerweise die Tatgenese begünstigt haben (aA bei
255 256 257 258
BGH NStZ-RR 2014 340; StV 2017 35. S. dazu Steinl ZStW 133 (2021) 819, 835 ff. So zu Recht Kratzer-Ceylan S. 408; Steinl ZStW 133 (2021) 819, 836 f. BGH NStZ-RR 2010 9; StV 2017 43, 44. S. aber auch BGH NStZ-RR 2016 203: Ablehnung einer Strafmilderung bei Taten mit Bestrafungscharakter. 259 AA BGH bei Dallinger MDR 1973 16; Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung Rdn. 1623. 260 Krit. zu dieser Argumentationsfigur Hörnle Tatproportionale Strafzumessung (1999) S. 57 ff. 261 Renzikowski MK Rdn. 197; Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung Rdn. 1623. 262 Hörnle Tatproportionale Strafzumessung (1999) S. 275 f. 263 BGH NStZ-RR 2003 110, 111. AA aber BGH StV 1993 130, 132; StV 2001 453; OLG Hamm NStZ-RR 2001 271. Hörnle
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IV. Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzumessung; Konkurrenzen
§ 177
Mitverantwortung staatlicher Entscheidungsträger BGH NStZ-RR 2009 167). Ein gegenüber dem Opfer begangener Vertrauensbruch (etwa bei Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen nach den §§ 174 bis 174c, aber auch im Rahmen von persönlichen Beziehungen unter Erwachsenen, Rdn. 129) vergrößert das Tatunrecht.264 Auch eine systematische Ausnutzung sozialer Abhängigkeit, etwa durch sexuelle Übergriffe zu Lasten von Untergebenen und Arbeitnehmern, erhöht das Tatunrecht.265 Umstr. ist, ob das Unrecht gemindert ist, wenn Geschädigte im Vorfeld der Tat Selbst- 132 schutzobliegenheiten verletzt haben.266 In der Rspr.267 wird verkannt, dass Strafminderung wegen Opferverhaltens den Geschädigten teilweise Verantwortung für das Geschehen zuschreibt und dass eine solche Zuschreibung begründungsbedürftig ist. Eine Strafminderung kommt nicht in Betracht, wenn Opfer von ihrer Selbstbestimmungsfreiheit Gebrauch gemacht haben.268 Dazu gehören nicht nur – unabhängig von der Tageszeit – der Aufenthalt an einsamen Orten, in Gaststätten usw., das Betreten von Wohnungen, sondern auch das Einsteigen in einen Pkw zur Mitfahrt, das Annehmen von Einladungen, das Tragen von leichter Bekleidung usw.269 Auch Freundlichkeit und in der Öffentlichkeit ausgetauschte Vertraulichkeiten bedeuten keine Verletzung von Selbstschutzobliegenheiten, wenn das Opfer vor sexuellen Handlungen seinen entgegenstehenden Willen zum Ausdruck bringt (aA BGH bei Pfister NStZ-RR 2008 363). Teilweise wird eine Obliegenheit unterstellt, eine „objektiv nicht veranlasste Situation der Vertraulichkeit“ zu vermeiden, etwa in der Wohnung eines nur flüchtig bekannten Mannes zu übernachten.270 Gegen die strafmindernde Berücksichtigung riskanten Opferverhaltens sind Einwände zu erheben. Zum Beispiel sind Hausbesuche, die Prostituierte bei unbekannten Männern absolvieren, riskant – dies rechtfertigt aber nicht die Annahme gemilderten Handlungsunrechts seitens der Täter.271 Der Umstand, dass das Opfer wegen selbst gewählten Konsums von Alkohol und Drogen 133 zur Willensbildung unfähig oder in seinen Fähigkeiten eingeschränkt war, ist bei der Strafzumessung nach § 177 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 nicht strafmindernd zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber ging (in kritikwürdiger Weise, Rdn. 67 f) davon aus, dass der Unterschied zwischen Krankheit und Behinderungen einerseits, Sichbetrinken andererseits den Sonderstrafrahmen in § 177 Abs. 4 rechtfertige, sodass schon deshalb eine erneute Berücksichtigung beim Strafmaß nach § 177 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 nicht in Betracht kommt. Geht der Tat ein Streit zwischen Täter und Opfer mit wechselseitigen Beschimpfungen und/ 134 oder Gewalttätigkeiten voraus, so ergibt sich hieraus kein unrechtsminderndes Mitverschulden des Opfers. Eine teilweise Zuschreibung zu Lasten des Opfers wäre allenfalls dann angemessen, wenn es sich um einen Fall der Absichtsprovokation handelt, d.h. wenn das Opfer bezweckte, den Täter zu einem sexuellen Übergriff zu verleiten.
b) Schuldmindernde Faktoren. Irrelevant ist, wenn der Täter vorbringt, er habe ein „echtes 135 Liebesverhältnis“ angestrebt.272 Genauso wenig ist es ein Schuldminderungsgrund, wenn ein 264 265 266 267
Harbeck S. 62 f; Renzikowski MK Rdn. 197. So etwa im Bamberger Chefarzt-Fall, dazu Hörnle NStZ 2019 439; aA Fischer Rdn. 52. S. dazu ausführlich Kratzer-Ceylan S. 411 ff. BGH NStZ 1983 119; StV 1986 149 m. krit. Anm. Hillenkamp; StV 2006 523, 524; BGH bei Pfister NStZ-RR 2008 363; LG Berlin NJ 1998 382 m. krit. Anm. Mildenberger. 268 Harbeck S. 66; Hillenkamp StV 1986 153 f; Kieler S. 119 f; Renzikowski MK Rdn. 205; Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 242 f. AA Kühne/Ammer JuS 1986 390 f. 269 S. dazu auch Fischer Rdn. 169. 270 So Fischer Rdn. 169; krit. Kratzer-Ceylan S. 417 f. 271 Gaede NStZ 2002 241. 272 AA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 27; Sankol StV 2006 609. Wie hier Sch/Schröder/Eisele Rdn. 149; Renzikowski MK Rdn. 206. 231
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Täter der Auffassung ist, dass ihm „als Mann“ nach einer Bekanntschaft sexueller Körperkontakt zustehe.273 Die Rspr. berücksichtigt es teilweise als strafmindernd, dass der Täter aus einem anderen Kulturkreis stammt274 und einem traditionellen Rollenverhältnis verhaftet sei, demzufolge etwa von einer Ehefrau Unterordnung und Gehorsam erwartet werde.275 Die Sozialisation in einer anderen Umgebung kann allenfalls relevant sein, soweit dies nachweisbar die Fähigkeit eingeschränkt hat, das Unrecht einzusehen.276 Stereotypen und Klischees sind zu vermeiden, vor allem in der Version, die eine Herkunft z.B. aus Südeuropa, der Türkei oder anderen Ländern mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung mit einer geminderten Einsichtsfähigkeit gegenüber dem Unrecht eines sexuellen Übergriffs gleichsetzt. Ein „traditionelles Rollenverständnis“ oder „auf dem Islam basierende Wertvorstellungen“ bedeuten keineswegs, dass es dem Täter erschwert wäre, zu erkennen, dass sexueller Gehorsam nicht erzwungen werden darf.277 Kulturelle Unterschiede, die das Verhältnis der Geschlechter betreffen, erlauben nicht die Vermutung, dass in den Herkunftsländern ein sexueller Übergriff als geringeres Unrecht gewertet wird. Eine Strafmilderung käme nur in Betracht, wenn die Rechtsordnung im Herkunftsland des Täters das Unrecht deutlich milder bewertet und wenn ihm wegen einer noch kurzen Aufenthaltsdauer abweichende Wertungen des deutschen Rechts nicht bekannt waren (s. BGH NStZ 1996 80; NStZ-RR 1998 298; NStZ-RR 2007 86). 136 Bei der Bewertung der Steuerungsfähigkeit waren in der Rspr. gelegentlich klischeehafte Behauptungen zu finden, die Tätern einen „Triebstau“ oder einen „sexuellen Notstand“ zugutehielten.278 Derartige Spekulationen zur Genese von Sexualstraftaten sind schon deshalb oft verfehlt, weil viele Täter nicht aus sexuellen Motiven, sondern zur Aggressionsabfuhr gegenüber Frauen im Allgemeinen oder zur Demütigung des individuellen Opfers handeln (Sick ZStW 103 [1991] 67).279 Aber auch bei einem primär sexuell motivierten Delikt ist eine „Dampfkesseltheorie“ unhaltbar, derzufolge mangelnde Sexualkontakte die Steuerungsfähigkeit einschränken.280 Dies gilt auch dann, wenn der Täter Erwartungen aufgebaut hat und erst kurz vor dem 137 Ansetzen erkennt, dass das Opfer einen Sexualkontakt ablehnt.281 Die infolge einer Situationsverkennung zunächst gehegte, dann aber enttäuschte Hoffnung, es werde zu einverständlichen sexuellen Kontakten kommen, rechtfertigt nicht die Bejahung eines Schuldminderungsgrunds.282 Enttäuschung kann nachvollziehbar sein – dies ist aber nicht mit einer Beschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit gleichzusetzen. Fehlerhaft wäre es, unter Rückgriff auf laienpsychologische Unterstellungen zum männlichen Sexualverhalten zu vermuten, dass schon die Aussicht auf sexuelle Aktivitäten Steuerungsfähigkeit in relevanter Weise einschränke.283 Nur in Ausnahmefällen gibt es Anlass, eine geminderte Steuerungsfähigkeit anzunehmen (etwa wenn mit sexuellen Handlungen bereits begonnen und das zunächst gegebene Einver-
273 AA BGH MDR 1963 62. 274 BGH StV 2002 20; NStZ-RR 2007 137, 138; ebenso Sankol StV 2006 609; s. ferner BGH NStZ-RR 1997 1. AA BGH NStZ-RR 1998 298; NStZ-RR 2007 86; BGH bei Pfister NStZ-RR 2007 367. 275 BGH StV 2002 20. 276 Renzikowski MK Rdn. 198. 277 AA BGH StV 2002 20. 278 S. BGH MDR 1980 240; BGH bei Theune NStZ 1986 496. 279 Ebenso Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 236 ff; Fischer Rdn. 171. 280 Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung Rdn. 1623; Sick ZStW 103 (1991) 43, 66 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 144. 281 Insoweit aA Hillenkamp StV 1986 152 f. 282 AA BGH NStZ 1983 71; StV 1993 639; BGH bei Pfister NStZ-RR 2008 363; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 144; s. auch Fischer Rdn. 165; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 27; Sankol StV 2006 609. Zu Recht abweichend OLG Frankfurt StV 1988 389, 390; krit. zur Rspr. auch Kratzer-Ceylan S. 399 ff. 283 Gaede NStZ 2002 241; Mildenberger NJ 1998 383; Reichenbach NStZ 2004 128 f. Hörnle
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IV. Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzumessung; Konkurrenzen
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ständnis zu einem Zeitpunkt zurückgezogen wurde, als eine ausgeprägte Fixierung auf die Fortsetzung des sexuellen Geschehens vorlag).284 Bei Wiederholungstaten zu Lasten desselben Opfers geht die Rspr. teilweise davon aus, 138 dass die „Hemmschwelle“ des Täters sinke und deshalb seine Schuld abnehme;285 s. auch § 176 Rdn. 39. Dies überzeugt nicht. Die Tatsache, dass infolge der mangelnden Durchsetzungskraft oder des Konfliktvermeidungsverhaltens des Opfers Gelegenheit zu neuen Taten entstand, kann die Hoffnung des Täters begründen, dass er für sein Verhalten nicht belangt werde. Mit einer verringerten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ist dies jedoch nicht gleichzusetzen. Im Gegenteil ist bei Tatserien zu berücksichtigen, dass eine Unrechtssteigerung vorliegen kann (Rdn. 126). Die Rspr. wertet bestimmte Charakterzüge des Täters als „andere schwere seelische Abar- 139 tigkeit“ und gewährt eine Rahmenmilderung gem. § 21;286 dies etwa bei „sexuell-sadistischen Bestrafungsritualen“, bei denen eine zusammenfassend als „Eifersuchtswahn“ bezeichnete Persönlichkeitsstörung die Steuerungsfähigkeit erheblich gemindert habe,287 oder bei Persönlichkeitsstörungen, für die ein „Mangel an Empathie und Einfühlen in die emotionale Befindlichkeit anderer“ charakteristisch sei.288 Aus kriminalpolitischer Sicht ist kritisch nachzufragen, warum die Neigung zu sadistischem Verhalten und der Mangel an Empathie mit einem Strafnachlass prämiert werden sollte289 (s. dazu auch Verrel/Linke/Koranyi LK § 20 Rdn. 174). Erwägungen dazu, dass der Täter als Ausländer besonders strafempfindlich sei, sollten 140 generell unterbleiben (die Rspr. lässt dagegen solche Überlegungen unter besonderen Umständen wie Sprachschwierigkeiten zu, BGH NStZ-RR 2010 237; NStZ-RR 2010 337, 338).
c) Verhalten des Täters nach der Tat. Das Verhalten des Täters nach der Tat (etwa Bemühen 141 um Schadenswiedergutmachung und um einen Ausgleich mit der oder dem Geschädigten) kann sich strafmindernd auswirken (§§ 46 Abs. 2 Satz 2, 46a). Ein Täter-Opfer-Ausgleich setzt einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus290 und regelmäßig ein Geständnis (BGHSt 48 134). Irrelevant ist die zivilrechtliche Verurteilung zu Schmerzensgeld.291 Kommt es innerhalb von Ehen, Lebensgemeinschaften oder Partnerschaften zu einer Versöhnung und weiterem Zusammenleben, so kann dies berücksichtigt werden.292 Hierbei sind aber die Umstände des Einzelfalles zu beleuchten: Ein Verbleib in der gemeinsamen Wohnung ohne echte Aussöhnung, etwa aus finanziellen Gründen, wäre unbeachtlich. Erspart der Täter dem Opfer eine belastende Aussage im Strafverfahren, ist dies in beschränktem Umfang strafmindernd anzurechnen (Nachtatverhalten spielt in Relation zum Tatunrecht eine sekundäre Rolle). d) Unzulässige Strafzumessungsfaktoren. Gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 142 Abs. 3) verstößt es, Merkmale des Tatbestandes als strafschärfende Faktoren zu berücksichtigen. Fehlerhaft wäre es, den entgegenstehenden Willen des Opfers als Strafzumessungsumstand an-
284 Für eine Unrechtsminderung bei zurückgezogenem Einverständnis auch Hillenkamp StV 1986 153; Renzikowski MK Rdn. 204; zu erwägen ist eine Unrechtsminderung nach vorangegangenem Einverständnis mit „Kuscheln“ bei jugendlichen Tätern, BGH NStZ 2009 450. 285 BGH NStZ 1988 126; StV 2000 123, 124; aA aber BGH NStZ-RR 2003 110, 111: strafschärfende Berücksichtigung einer Tatserie. 286 S. zu den Anforderungen an die Feststellung relevanter Persönlichkeitsstörungen BGH NStZ-RR 2005 137; NStZ-RR 2006 335, 336. 287 BGH NStZ-RR 2002 165 f. 288 BGH StV 1998 76. 289 So auch Renzikowski MK Rdn. 210. 290 BGH NJW 2002 3264, 3265; StV 2008 463. 291 Renzikowski MK Rdn. 198. 292 BGH bei Miebach NStZ 1998 133; Schäfer/Sander/van Gemmeren Rdn. 1621. 233
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
zuführen293 oder das Ausbleiben eines freiwilligen Rücktritts.294 Zu vermeiden sind allgemeine moralisierende Formulierungen,295 etwa der folgenden Art: Der Täter habe allein seine egoistischen Wünsche in den Vordergrund gestellt,296 das Opfer zum Sexualobjekt erniedrigt oder es als Sexualobjekt betrachtet,297 sexuelle Triebregungen unter Missachtung der Selbstbestimmung anderer befriedigt,298 ohne Rücksicht auf die Wünsche seiner Partnerin gehandelt,299 sich schäbig verhalten300 oder das Opfer schamlos ausgenutzt.301 Auch die berufliche Stellung des Täters darf nicht strafschärfend gewertet werden, wenn kein Zusammenhang mit der Tat besteht.302 Genauso unzulässig ist es, seine religiösen Überzeugungen anzuführen und darauf hinzuweisen, dass er mit seinem Verhalten diesen nicht entsprochen habe – dass der Täter eigenen, besonders anspruchsvollen religiösen oder ethischen Maßstäben nicht gerecht wurde, ist nicht Gegenstand eines rechtlichen Unwerturteils.303 Mangelnde Reue darf dem Angeklagten nicht vorgeworfen werden,304 ebenso wenig, dass 143 er die Tat leugnet oder sein Vorgehen beschönigt, dass er dem Opfer eine Vernehmung nicht erspart hat oder dass er versucht hat, ein Einverständnis vorzutäuschen.305 Negative Aussagen über das Opfer sind allerdings nur insoweit zulässiges Verteidigungsverhalten, als sie notwendiges Korrelat des Abstreitens des Tatvorwurfs sind. Im Übrigen können Angriffe auf die Ehre strafschärfend gewertet werden.306 Deshalb wirkt es sich strafschärfend aus, wenn der Täter wahrheitswidrig behauptet, es handle sich beim Opfer um eine Prostituierte.307
144 e) Minder schwere Fälle (Absatz 9 1. Alt.). Für minder schwere Fälle reicht der Strafrahmen von drei Monaten bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Die Verhängung einer Geldstrafe ist in Fällen am untersten Ende der Schwereskala unter den Voraussetzungen von § 47 möglich. 145 Zur Feststellung eines minder schweren Falles ist nach st. Rspr. darauf abzustellen, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Elemente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle so weit abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint.308 Die Orientierung am „Durchschnitt“ ist allerdings schon deshalb problematisch, weil nicht damit zu rechnen ist, dass alle Tatrichter in statistisch relevantem Umfang Erfahrungen mit Sexualstraftaten haben. Außerdem lädt der Verweis auf das „gesamte Tatbild“ zu Begünstigungen auf unklarer normativer Basis ein. Statt einer intuitiven „Gesamtabwägung“ ist darauf zu achten, dass die Umstände im Hinblick auf ihre Bedeutung für Tatunrecht und Schuld präzise erfasst und gewürdigt werden. Insbesondere ist bei einer Bewertung der Täterpersönlichkeit auf den Bezug zur Tat zu ach293 294 295 296 297
Renzikowski MK Rdn. 196. BGH NStZ 1983 217 f; BGH bei Miebach NStZ 1997 179; Renzikowski MK Rdn. 196; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 141. BGH NStZ 2002 646; Renzikowski MK Rdn. 196; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 141. S. z.B. BGH StV 1987 62; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 363; NStZ-RR 2004 359. BGH bei Theune NStZ 1986 496; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 363; BGH NStZ 2002 646; BGH bei Pfister NStZRR 2008 367. 298 BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 366 f. 299 BGH NStZ-RR 2002 165. 300 BGH bei Pfister NStZ-RR 2008 367. 301 BGH NStZ-RR 2020 141. 302 BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 361, 362 f. 303 So zu Recht BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 361, 362 f. 304 BGH bei Pfister NStZ-RR 2008 367. 305 BGH StV 1999 657, 658; NStZ 2001 419; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 366; BGH NStZ-RR 2002 236 f; StV 2002 599, 600; BGH bei Detter NStZ 2008 266. 306 BGH NStZ 1995 78 (krit. Jahn StV 1996 259); NStZ 2001 419, 420; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 366. 307 BGH StV 1996 259; NStZ 2001 419, 420. 308 BGH NStZ 1983 119; NStZ-RR 1998 298; NStZ 2000 254; NStZ 2009 37; NStZ-RR 2021 11; StV 2021 302. Krit. zur Vorgabe des BGH Horn GedS A. Kaufmann 573, 581 ff; Frisch/Bergmann JZ 1990 944; Wolters GA 2008 726. Hörnle
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IV. Täterschaft und Teilnahme; Versuch; Strafzumessung; Konkurrenzen
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ten.309 Die Tatsache, dass der Täter schwer- oder gehbehindert ist,310 ist nicht ohne weiteres ein maßgeblicher Strafzumessungsgrund, genauso wenig Arbeitslosigkeit oder eine gescheiterte Ehe. Entscheidend muss sein, ob wegen des Zusammentreffens von Gründen, die Erfolgsunrecht, Handlungsunrecht und/oder Schuld betreffen, Unrecht und Verschulden eine so geringe Intensität erreichen, dass der Normalstrafrahmen nicht angebracht ist. Ein minder schwerer Fall eines sexuellen Übergriffs kommt vor allem in Betracht, wenn die 146 Handlung nur wenig über der Erheblichkeitsschwelle (§ 184h Nr. 1) liegt,311 etwa bei einem Griff an die Brust oder einer flüchtigen Berührung der Genitalien oder bei Berührungen über der Kleidung.312 Damit ist Konstellationen Rechnung zu tragen, in denen ein durch soziale Inkompetenz geprägtes Täterverhalten zu unerwünschten ersten sexuellen Annäherungen geführt hat. Geht das Verhalten des Täters über erkundende, als Annäherung gemeinte Berührungen hinaus, ist ambivalentes Opferverhalten im Vorfeld kein Grund für die Einstufung als minder schwerer Fall.313 Verfehlt ist es, unabhängig von der Tatschwere einen minder schweren Fall allein deshalb 147 anzunehmen, weil Täter und Opfer sich kannten oder in der Vergangenheit sexuelle Beziehungen hatten oder verheiratet sind (Rdn. 129). Auch der Umstand, dass der Täter sich Hoffnung auf einvernehmliche Sexualkontakte gemacht hat, rechtfertigt nicht die Annahme eines minder schweren Falles.314 Die Rspr. wertet fehlende Vorstrafen als Grund für die Bejahung eines minder schweren 148 Falles, weil die „Warnfunktion“ einer strafgerichtlichen Verurteilung den Täter nicht erreicht habe.315 Der BGH hält es selbst dann für vertretbar, einen minder schweren Fall anzunehmen, wenn der angeklagten Tat andere einschlägige Sexualdelikte vorausgingen, die aber von den Opfern nicht angezeigt wurden.316 Dies überzeugt jedoch nicht. Ein „Strafrabatt“ ist angebracht, wenn man dem Täter zugutehalten kann, dass es sich (hoffentlich) um eine einmalige Entgleisung gehandelt hat. Steht jedoch fest, dass nicht eine Ersttat mit Ausnahmecharakter, sondern eine Wiederholungstat vorliegt, entfällt der Grund für eine mildere Beurteilung.
f) Sonstige Rechtsfolgen. Ein Kraftfahrzeug kann eingezogen werden, wenn es über die 149 Funktion als Tatort hinaus eine herausgehobene Bedeutung bei der Tatbegehung hatte, etwa wenn der Täter durch Herumfahren, starkes Beschleunigen etc. das Opfer eingeschüchtert und an der Flucht gehindert hat (BGH NStZ-RR 2012 74).
4. Konkurrenzen a) Innerhalb des § 177 Abs. 1, Abs. 2 aa) Handlungen zu Lasten desselben Opfers. Für das Verhältnis von § 177 Abs. 1 und 150 Abs. 2 gilt: Wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, also bei der sexuellen Handlung ein entgegenstehender Wille erkennbar war, ist wegen eines sexuellen Übergriffs nach
309 Krit. gegenüber einer auch die Täterpersönlichkeit einbeziehenden „Gesamtwertung“ Harbeck S. 69. 310 So BGH NStZ 1983 119; StV 1986 149, mitgeteilt in der Anm. von Hillenkamp StV 1986 151. 311 S. BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 358; BGH NStZ-RR 2003 205, 206; NStZ-RR 2021 11, 12; Schäfer/Sander/van Gemmeren Rdn. 1627; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 32; Renzikowski MK Rdn. 204. 312 BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 358. 313 Im Schrifttum wird dies teilweise anders gesehen: Fischer Rdn. 165, 169; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 27; Matt/ Renzikowski/Eschelbach Rdn. 32; s. auch BGH NStZ-RR 2009 308, 309. 314 AA Schäfer/Sander/van Gemmeren Rdn. 1626; Fischer Rdn. 166. 315 BGH NStZ-RR 1998 207; Schäfer/Sander/van Gemmeren Rdn. 1626. 316 BGH NStZ-RR 1998 207. 235
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
§ 177 Abs. 1 zu verurteilen. Für die Bezeichnung der Straftat kommt es nicht darauf an, ob dieselbe Handlung auch noch einen Tatbestand nach § 177 Abs. 2 erfüllt. § 177 Abs. 2 benennt Auffangtatbestände, die nur dann Grundlage der Verurteilung werden, wenn kein entgegenstehender Wille erkennbar war (BGHSt 64 55, 61).317 Bei der Strafzumessung kann es aber eine Rolle spielen, ob weitere in Absatz 2 aufgeführte unrechtserhöhende Momente vorlagen, etwa eine Drohung mit einem empfindlichen Übel. Wenn bei derselben sexuellen Handlung mehrere der in Absatz 2 aufgeführten Modalitäten vorliegen, ist nur wegen eines sexuellen Übergriffs zu verurteilen. Absatz 2 Nr. 1 und Absatz 2 Nr. 2 schließen sich gegenseitig aus, die speziellere Norm in Absatz 2 Nr. 5 verdrängt Absatz 2 Nr. 4.318 Absatz 2 Nr. 3 verdrängt Absatz 2 Nr. 2,319 dasselbe gilt für Absatz 2 Nr. 5. 151 Wenn der Täter kurz hintereinander mehrere sexuelle Handlungen vornimmt, können diese als natürliche Handlungseinheit bewertet werden. Voraussetzung ist, dass das gesamte Tätigwerden für einen Dritten bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches Tun erkennbar ist (Rissing-van Saan LK12 Vor § 52 Rdn. 10 m.w.N.). Bei einem einheitlichen Tatentschluss und engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang sind mehrere sexuelle Handlungen, die eine natürliche Handlungseinheit bilden, als ein sexueller Übergriff abzuurteilen, auch wenn sie unterschiedliche Tatbestände aus § 177 Abs. 1 und Abs. 2 erfüllen, etwa wenn der Täter für die erste sexuelle Handlung einen Überrumpelungseffekt ausnutzt (§ 177 Abs. 2 Nr. 3) und im Anschluss trotz Protest des Opfers (§ 177 Abs. 1) weitere sexuelle Handlungen vornimmt (BGHSt 64 55, 62 f; Eisele JR 2019 537, 544). Bei der Strafzumessung ist die Mehrzahl an sexuellen Handlungen strafschärfend zu berücksichtigen (BGHSt 64 55, 60). Natürliche Handlungseinheit ist auch dann anzunehmen, wenn es zu einer kürzeren Pause zwischen den Sexualakten kommt – auch wenn sich Täter und Opfer vom ersten Tatort räumlich entfernen –, das Opfer aber die ganze Zeit unter dem Einfluss des Täters bleibt.320 Sind dagegen mehrere Stunden oder eine ganze Nacht zwischen den Handlungen verstrichen, oder ergibt sich aus dem Täterverhalten eine deutliche Zäsur (etwa wenn der Täter duldet, dass das Opfer sich zwischenzeitlich entfernt), liegt die Annahme von Tatmehrheit nahe.321 Auch beim Fehlen von natürlicher Handlungseinheit (etwa bei erheblichen zeitlichen Ab152 ständen zwischen den sexuellen Vorgängen) verurteilte die Rspr. zu § 177 Abs. 1 a.F. bei teilidentischen Ausführungshandlungen (dieselbe Gewalt oder Drohung) wegen einer sexuellen Nötigung.322 Dies wäre auf Fälle nach § 177 Abs. 2 Nr. 5 zu übertragen. Anders wurde jedoch für Taten nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 a.F. (Ausnutzung einer schutzlosen Lage) entschieden:323 Da das Ausnutzen der schutzlosen Lage keine eigenständige Handlung ist, sondern nur ein Begleitumstand, fehlt es an einer gemeinsamen Ausführungshandlung, die unterschiedliche sexuelle Handlungen zu einer Tat verklammern könnte.324 Dies führte zu inkonsistenten Wertungen.325
317 318 319 320 321
AA für § 177 Abs. 2 Nr. 4, 5 Satzger/Linder GS Tröndle 981, 992, die vertreten, dass § 177 Abs. 1 zurücktrete. Satzger/Linder GS Tröndle 981, 992 f. Satzger/Linder GS Tröndle 981, 992 f. BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 326. BGH NStZ 1996 333, 334; NStZ 1999 505; NStZ-RR 2007 235; aA BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 360 (Tateinheit bei sexuellen Handlungen an zwei Tagen); NStZ-RR 2003 360 (Tateinheit bei mehreren sexuellen Handlungen, zwischen denen längere Zeitabschnitte lagen). 322 BGH bei Holtz MDR 1981 99; BGH NStZ 1999 83; NStZ 2000 419, 420; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 364; NStZRR 2001 362; BGH NJW 2002 381; BGH bei Pfister NStZ-RR 2005 363 f; NStZ-RR 2007 365. 323 BGH NJW 2002 319, 320. 324 Reichenbach JR 2004 387. 325 Trotz beträchtlicher Ähnlichkeiten zwischen den Fällen BGH NStZ 2000 419 und BGH NJW 2002 381 wurden im ersten Fall (fortwirkende Gewalt gegenüber einer einige Tage eingesperrten Frau) mehrere sexuelle Übergriffe als Tateinheit gewertet, während im zweiten Fall (Ausnutzung der schutzlosen Lage einer einige Tage eingesperrten Frau) wegen mehrerer sexueller Nötigungen in Tatmehrheit verurteilt wurde. Hörnle
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V. Qualifikation nach Absatz 4
§ 177
Vorzugswürdig ist es, bei zeitlich getrennten sexuellen Übergriffen konsequent Tatmehrheit anzunehmen. 153 Tateinheit infolge von Fortsetzungszusammenhang wird nicht mehr anerkannt.
bb) Handlungen zu Lasten unterschiedlicher Opfer. Die Rspr. nimmt auch bei Sexualdelik- 154 ten zu Lasten unterschiedlicher Opfer Tateinheit an, wenn sich das Geschehen bei engem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang als natürliche Handlungseinheit darstellt oder wenn Ausführungshandlungen identisch waren.326 Dies vermag nicht zu überzeugen. Das Unrecht wird nicht angemessen beschrieben, wenn Angriffe auf unterschiedliche Personen zu einer Tat zusammengefasst werden (in diesem Sinn auch BGH NStZ 2006 284, 285 f). Bei Delikten gegen unterschiedliche Geschädigte ist stets von Tatmehrheit auszugehen (Vor § 174 Rdn. 72). Dasselbe gilt, wenn der Täter selbst sexuelle Handlungen vornahm und das Opfer zur Duldung sexueller Handlungen eines Dritten bestimmte. b) Mit anderen Delikten. Tateinheit ist möglich mit anderen Sexualdelikten (§§ 173, 174327 155 bis 174c, 176 bis 176c,328 182) und Zwangsprostitution (§ 232a).329 Bei der Anfertigung von Bildaufnahmen kann Tateinheit mit § 201a und § 184k vorliegen.330 Eine Freiheitsberaubung (§ 239) kommt nicht zum Tragen, soweit die Fortbewegungsfreiheit nur für die Dauer der sexuellen Handlung beschränkt wird.331 Eine darüber hinausgehende Freiheitsberaubung steht dagegen zu sexuellen Übergriffen im Verhältnis der Tateinheit, und zwar auch dann, wenn die Freiheitsberaubung nicht zur Begehung eines Sexualdelikts begonnen, aber dafür ausgenutzt wurde.332 Bei einer zeitlichen Zäsur zwischen zwei sexuellen Übergriffen ist eine einfache Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1) nicht geeignet, alles zu einer Tat zusammenzufassen, da zwei schwerere Delikte nicht durch ein leichteres zur Handlungseinheit verklammert werden können;333 anderes soll für den Verbrechenstatbestand in § 239 Abs. 3 gelten.334 § 240 tritt hinter § 177 Abs. 2 Nr. 5 zurück, soweit die Drohung nur die sexuellen Handlun- 156 gen erzwingen sollte. Eine Verurteilung auch wegen Beleidigung kommt in Betracht, wenn zu der sexuellen Handlung eine weitere Kundgabe von Missachtung hinzukommt. Entschließt sich der Täter nach dem sexuellen Übergriff (oder einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung), das Opfer zur Verdeckung des Sexualdelikts zu töten, besteht Tatmehrheit mit der Tat nach § 211 (BGH NJW 2013 3735). Tateinheit ist möglich mit den §§ 223 ff.
V. Qualifikation nach Absatz 4 Die straferhöhenden Umstände in Absatz 4 beziehen sich ausschließlich auf sexuelle Übergriffe, 157 die unter § 177 Abs. 2 Nr. 1 fallen. S. Rdn. 66 ff.
326 BGH bei Miebach NStZ 1994 224; BGH NStZ-RR 1998 103, 104; NStZ-RR 2000 139 f; BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 326; BGH NStZ 2000 419, 420; StraFo 2003 281, 282.
327 BGH NStZ 1997 337. 328 BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 360; BGH NStZ 2004 440, 441. 329 S. Zur Konkurrenz mit § 232 BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 356; BGH NStZ-RR 2000 326; BGH bei Pfister NStZRR 2001 361. 330 BGH NStZ-RR 2008 339, 340. 331 BGH NStZ-RR 2003 168; BGH bei Pfister NStZ-RR 2007 365; NStZ-RR 2019 363. 332 BGH bei Miebach NStZ 1995 224; BGH NStZ 1999 83; NStZ 2000 419, 420; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 360; NStZ-RR 2001 362; Fischer Rdn. 187. 333 BGH bei Miebach NStZ 1993 226; BGH NStZ 2008 209, 210; Fischer Rdn. 187. 334 BGH NStZ-RR 1998 234, 235. 237
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
VI. Qualifikationen nach Absatz 5 1. Die Änderungen durch das 50. StÄG 158 Gewaltanwendung, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben sowie Ausnutzung einer schutzlosen Lage sind (anders als in § 177 Abs. 1 a.F.) keine notwendigen Bedingungen für Strafbarkeit, sondern qualifizierende Umstände, die auf die Grundtatbestände in § 177 Abs. 1 und Abs. 2 aufbauen.335 Von großer Bedeutung sind inhaltliche Änderungen, die das 50. StÄG vorgenommen hat. Das Verb „nötigen“, das in § 177 Abs. 1 a.F. zentrales Tatbestandselement war, ist entfallen und eine nötigende Einwirkung des Täters auf das Opfer ist keine notwendige Voraussetzung für die Anwendung von Absatz 5 (BGHSt 63 220, 223 ff).336 Gewalt, Drohung und Ausnutzung einer schutzlosen Lage sind nicht mehr nur als Mittel zum Zweck erfasst, die sexuellen Handlungen durch Einschüchterung des Opfers zu ermöglichen, sondern als unrechtserhöhende Begleitumstände. Da das Opfer nicht mehr genötigt werden muss, ist auch Gewalt gegenüber Bewusstlosen oder Schlafenden erfasst.337
2. Anwendung von Gewalt gegenüber dem Opfer (Absatz 5 Nr. 1) 159 a) Anzuwendender Grundtatbestand. Gewalt als unrechtserhöhender Umstand ist mit allen Formen eines sexuellen Übergriffs nach Absatz 1 und Absatz 2 kombinierbar. Liegen keine besonderen in Absatz 2 beschriebenen Umstände vor, und wird Gewalt zur Nötigung eingesetzt (etwa zur Überwältigung durch vis absoluta), ist auch bei einem dies nicht ausdrücklich kommunizierenden Opfer der entgegenstehende Wille nach § 177 Abs. 1 erkennbar (s. dazu Rdn. 43).
b) Objektiver Tatbestand 160 aa) Gewaltbegriff. Das RG hatte zur Beschreibung von Gewalt maßgeblich auf die Intensität des Täterhandelns abgestellt, d.h. die Anwendung körperlicher Kraft.338 Offensichtlich ist jedoch in modernen Gesellschaften eine Fokussierung auf Muskeleinsatz unpassend, da auch ohne nennenswerte Kraftaufwendung eine intensive Einwirkung auf den Körper eines anderen möglich ist. Der BGH stellt deshalb auf die körperliche Zwangswirkung beim Opfer ab, die z.B. beim heimlichen Beibringen von Betäubungsmitteln zu bejahen ist.339 Zu einer angemessenen Beschreibung von „Gewalt“ gelangt man, wenn man diesen Begriff als Typusbegriff versteht.340 Sowohl Kraftentfaltung als auch körperliche Zwangswirkung aus der Perspektive des Opfers sind Bestandteil des Typus „Gewalt“, wobei die schwache Ausprägung oder das Fehlen eines Merkmals durch die intensive Ausprägung des anderen kompensiert werden kann.341 Hieraus ergeben sich folgende Fallgruppen:
335 336 337 338 339
AA wohl Frommel NK Rdn. 103, 119. Zust. Hoven StV 2019 542 f. AA Renzikowski MK Rdn. 107 ff; Wolters/Noltenius SK Rdn. 53. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 77. RGSt 64 113, 115; 77 81, 82. BGHSt 1 145; 8 102; BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 323; ebenso Renzikowski MK Rdn. 118; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 72. 340 Zu Vorsatz als Typusbegriff Puppe GedS Arm. Kaufmann 15, 31; Schünemann FS Hirsch 363 ff. 341 S. Puppe GedS Arm. Kaufmann 15, 25 ff; Schünemann FS Arth. Kaufmann 299, 303 ff; ders. FS Hirsch 363, 372 f; Duttge Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003) S. 103, 114 ff. Hörnle
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VI. Qualifikationen nach Absatz 5
§ 177
(1) Kraftentfaltung. Schlägt, tritt oder würgt der Täter oder versetzt er dem Opfer eine Ohrfei- 161 ge, so wird Gewalt angewendet (zur Ohrfeige als Gewalt BGH bei Dallinger MDR 1975 196; BGH NStZ-RR 2006 139, 140), ebenso bei anderen Formen körperlicher Misshandlung.342 Gewalt liegt außerdem vor, wenn der Täter das Opfer auf den Boden, ein Bett oder anderes Möbelstück niederstößt343 oder es trotz dessen körperlicher Gegenwehr zum Tatort trägt.344 Gewalt übt ferner aus, wer einem anderen den Mund zuhält,345 ihm ein Kissen ins Gesicht drückt346 oder ihn am Hals festhält,347 wer das Opfer fesselt oder es an den Haaren zieht.348 Die Beschreibung, dass sich aufgrund des Sträubens des Opfers ein „Gerangel“ ergab, genügt für die Annahme von Gewalt,349 ferner etwa, wenn ein Opfer nur durch Festhalten entkleidet oder zur Duldung einer Berührung gebracht werden kann.350 Ebenso genügt die Überwindung einer Muskelanspannung, etwa wenn Beine auseinandergedrückt werden.351 Gewalt wendet auch an, wer die Hand des Opfers mit festem Griff umfasst und auf seine Genitalien legt.352 An einer Gewaltanwendung fehlt es bei Handlungen ohne besondere Kraftentfaltung, so- 162 fern diese in gleicher Weise beim einvernehmlichem Kontakt mit einem körperlich passiv Bleibenden notwendig wären (etwa wenn der Handelnde Kleidungsstücke entfernt oder den Körper des anderen in eine bestimmte Position schiebt,353 anders, wenn die Ausübung von Druck zur Überwindung von Muskelwiderstand erforderlich ist, s. Rdn. 161).
(2) Körperlich wirkende Zwangslage. Auch ohne Kraftaufwand wendet Gewalt an, wer eine 163 körperlich wirkende Zwangslage schafft. Dies ist etwa der Fall, wenn eine deutlich größere oder schwerere Person sich auf eine andere legt354 oder wenn der Täter unter einem Vorwand das (sich wegen der Täuschung nicht wehrende) Opfer mit einem Gurt fixiert.355 Eine körperlich wirkende Zwangslage liegt auch dann vor, wenn der Täter die Hand des Opfers ergreift und festhält, um Manipulationen an seinem Penis (oder andere sexuelle Handlungen) vorzunehmen.356 Sperrt der Täter das Opfer durch das Verschließen der Zugänge zu einem Raum ein (BGHSt 63 220, 227) oder versperrt er auf sonstige Weise (etwa durch In-den-Weg-Stellen oder das Drücken des Nothalteknopfes in einem Aufzug357) den Weg, wendet er auch dann Gewalt an, wenn der Kraftaufwand minimal ist.358 Die h.M. hält es allerdings für entscheidend, aus welchen Gründen der Täter das Opfer einsperrt: Schließe sich der Täter mit dem Opfer in einem 342 S. z.B. BGH NStZ-RR 2006 139, 140. 343 BGH bei Miebach NStZ 1995 224; BGH NStZ 1999 506; NStZ-RR 2003 42, 43; NStZ-RR 2006 139, 140; NStZ-RR 2007 173; BGH bei Pfister NStZ-RR 2008 362. 344 BGH NStZ 1985 71. 345 In der Entscheidung des LG Meiningen, die Gegenstand der Revisionsentscheidung in BGHSt 50 359 war, war Gewalt verneint worden, obwohl der Angeklagte dem Opfer den Mund zugehalten hatte, s. a.a.O. 361. Im veröffentlichten Urteil des BGH wird dazu nicht Stellung genommen. 346 BGH NStZ 1985 71; NStZ 1999 506. 347 BGH NStZ-RR 2007 12, 13. 348 BGH NStZ-RR 2007 173. 349 BGH bei Miebach NStZ 1995 224. 350 BGH BeckRS 2018 35127. 351 BGH bei Miebach NStZ 1997 120; BGH bei Pfister NStZ-RR 2008 362; BGH NStZ-RR 2020 312. 352 BGH BeckRS 2019 7662 (Rdn. 41, in BGHSt 64 55 nicht abgedruckt). 353 BGH NStZ 1985 70; NJW 1989 3028. 354 BGH NStZ 1995 230. 355 OLG München 5 St RR 143/07, insoweit in NStZ 2008 632 nicht abgedruckt. 356 Anders nach alter Rechtslage, die das Tatbestandsmerkmal „nötigen“ einschloss, s. dazu BGH bei Pfister NStZRR 2013 362 f. 357 BGH bei Miebach NStZ 1996 124. 358 BGH NStZ 1993 340; NStZ 1996 31; NStZ 1999 83; NStZ-RR 2003 42, 43. AA Paeffgen FS Grünwald 433, 454 f; Hoven NStZ 2020 578, 583; Fischer Rdn. 74b; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 89. 239
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Raum ein, um die Entdeckung durch andere Personen zu verhindern, so liege keine Gewalt vor, sondern nur dann, wenn das Einsperren des Opfers dem Zweck diene, sein Entkommen zu verhindern.359 Dies war schon nach alter Rechtslage nicht überzeugend und passt nach neuem Recht, das keine Nötigung mehr für erforderlich hält, erst recht nicht mehr. Gelingt es dem Täter, auf andere Weise eine körperlich wirkende Zwangslage (etwa infolge von völliger Erschöpfung) herbeizuführen, so genügt auch dies (BGH NStZ 1996 276: Veranlassung zu einem mehrstündigen Waldlauf).360 Verbringt der Täter das Opfer an einen anderen Ort, kommt es für das Vorliegen einer körperlich wirkenden Zwangslage auf die Umstände des Einzelfalls an.361 Wird das Opfer gegen seinen Willen gewaltsam in ein Fahrzeug gebracht, liegt bereits hierin die Anwendung von Gewalt.362 Wurde die Fahrt einvernehmlich begonnen, hält der Täter dann aber durch weiteres, dem Mitfahrer unerwünschtes Umherfahren diesen gegen seinen Willen im Fahrzeug, ist eine körperlich wirkende Zwangslage ebenfalls zu bejahen.363 Eine körperliche Zwangswirkung liegt auch vor, wenn betäubende Stoffe (Alkohol, Dro164 gen, K.O.-Tropfen) verabreicht werden (s. dazu auch Rdn. 305). Es kommt nicht darauf an, ob der Täter das Mittel gewaltsam beibringt (so in BGHSt 14 81) oder ob er ohne Wissen des Opfers ein Getränk etc. mit betäubenden Zusätzen versieht (BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 323; NStZRR 2004 355; NStZ-RR 2009 278; NStZ-RR 2015 363; so auch BGHSt 1 145 zu § 249).364 Eine Gewaltanwendung scheidet jedoch aus, soweit die betroffene Person Drogen oder Alkohol freiwillig konsumiert365 oder wenn sie sich freiwillig vom Täter hypnotisieren lässt. Wie nach bisherigem Recht ist Gewalt durch Unterlassen vorstellbar, wenn dies zu einer 165 körperlichen Einwirkung auf die geschützte Person führt und der Täter zu einem Tun rechtlich verpflichtet ist (§ 13).366 In Betracht käme etwa die Verweigerung von Nahrung oder Medikamenten gegenüber einer Person, für die der Täter Beschützergarant ist, oder das Unterlassen der Aufhebung einer Freiheitsberaubung.367 Die Bedrohung mit einer Waffe (oder einem gefährlichen Werkzeug) fällt unter die Dro166 hungsalternative in § 177 Abs. 5 Nr. 2.368 Zwar hat die Rspr. beim Vorhalten einer entsicherten Pistole aus nächster Nähe Gewalt bejaht (BGHSt 23 126, 127 zu § 249). Die bei derartigem Vorgehen körperlich feststellbaren Stressanzeichen sind jedoch Begleiterscheinungen psychischen Druckes.369
167 bb) Gewalt gegen oder von Dritten; Gewalt gegen Sachen. § 177 Abs. 1 Nr. 1 a.F. setzte nur „mit Gewalt“ voraus. Die Formulierung im Qualifikationstatbestand (§ 177 Abs. 5 Nr. 1) ist detaillierter: Der Täter muss gegenüber dem Opfer Gewalt anwenden. Daraus ergibt sich, dass Gewalt gegen Dritte nicht ausreicht,370 worauf auch die Gesetzesbegründung ausdrücklich hinweist (BTDrucks. 18/9097 S. 27). Auch Gewalt gegen Sachen ist nach der neuen Formulierung
359 360 361 362 363 364 365
BGH bei Miebach NStZ 1996 123; BGH NStZ-RR 2003 42, 43; NStZ-RR 2011 311. AA Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 91. S. BGH NStZ 1990 335; NStZ 1994 429. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 72. AA BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 6. Fischer Rdn. 70; Renzikowski MK Rdn. 118; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 74. AA Paeffgen FS Grünwald 433, 444. BGH JR 1959 345 (freiwillige Äthernarkose) m. krit. Anm. Mittelbach; Fischer ZStW 112 (2000) 97; Fischer Rdn. 70; Renzikowski MK Rdn. 118; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 74. 366 Huhn S. 133 ff. AA Renzikowski MK Rdn. 120. 367 S. Altvater LK12 § 240 Rdn. 72 ff. 368 Renzikowski MK Rdn. 118. 369 Krit. zur BGH-Rspr. Geilen JZ 1970 521 ff; Paeffgen FS Grünwald 433, 447; Wolter NStZ 1985 245, 248; wie hier auch Renzikowski MK Rdn. 118. 370 Renzikowski MK Rdn. 121; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 70. Hörnle
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VI. Qualifikationen nach Absatz 5
§ 177
nicht tatbestandsmäßig.371 Nicht erfasst ist auch die Billigung oder nachträgliche Ausnutzung von Gewalt, die Dritte ausgeübt haben.372 In der Gewalt gegen anwesende Dritte kann aber eine implizite Bedrohung (§ 177 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 5 Nr. 2) der Person liegen, die durch die Wahrnehmung dieser Gewaltakte zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlung genötigt wird (BGH BeckRS 2017 115067). Gewaltausübung durch eine andere Person kann zudem nach den Regeln der mittelbaren Täterschaft oder Mittäterschaft zugerechnet werden.373
cc) Zeitpunkt der Gewaltanwendung. Das 50. StÄG hat eine wesentliche Änderung bei der 168 Formulierung der Variante „Gewalt“ vorgenommen. Während in § 177 Abs. 1 Nr. 1 a.F. „mit Gewalt nötigt“ Tatbestandsmerkmal war, heißt es nunmehr im Qualifikationstatbestand nur „gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet“. Damit wurde eine Erweiterung eingeführt, die intendiert ist. In der Gesetzesbegründung wird darauf verwiesen, dass die Gewaltanwendung den sexuellen Handlungen nicht vorausgehen muss, und dass es bei vorausgegangener Gewalt nicht darauf ankommt, ob der Täter diese zu dem Zweck einsetzte, sexuelle Handlungen zu ermöglichen (BTDrucks. 18/9097 S. 27). Unter § 177 Abs. 5 Nr. 1 kann jede Form der Gewaltanwendung vor, während und nach der sexuellen Handlung fallen, wenn es sich um ein zusammengehöriges, einheitliches Tatgeschehen handelt.374 Falls Gewalt und sexuelle Handlungen durch eine Nötigungsabsicht des Täters verknüpft sind (s. Rdn. 169), genügt dies. In anderen Fällen muss Gewalt nur in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit den sexuellen Handlungen stehen, damit sich ein einheitliches Tatgeschehen ergibt.375
(1) Gewalt vor den sexuellen Handlungen. Eine Variante von Gewaltanwendung liegt in 169 nötigender Gewalt, was vermutlich nach wie vor eine häufige Erscheinungsform unrechtserhöhenden Täterverhaltens nach § 177 Abs. 5 Nr. 1 ist. Nötigende Gewalt soll Opfer einschüchtern (vis compulsiva) oder durch überwältigende Gewalt die sexuelle Handlung ermöglichen oder erleichtern (vis absoluta). Bei nötigender Gewalt kommt es nicht darauf an, ob der Täter eine genaue Vorstellung hatte, wie die abzunötigenden sexuellen Handlungen ausfallen, und es kann ein zeitlicher Abstand zwischen nötigender Gewalt und sexuellen Handlungen bestehen. Es kann genügen, dass Zuhälter durch Gewalt zukünftige sexuelle Handlungen von Prostituierten mit Kunden erzwingen (BGH NStZ 2004 682, 683).376 Nach neuem Recht sind auch andere Formen der vorausgegangenen Gewaltanwen- 170 dung erfasst, bei denen eine nötigende Intention (der sog. Finalzusammenhang) fehlt, den die Rspr. nach altem Recht vorausgesetzt hatte.377 Nunmehr haben Gesetzgeber und BGH klargestellt (BTDrucks. 18/9097 S. 27; BGHSt 63 220, 223 f),378 dass auch Fälle unter § 177 Abs. 5 Nr. 1 fallen, bei denen kein Finalzusammenhang besteht, etwa wenn der Täter das Opfer zur Aggressionsabfuhr oder zur Begehung eines Raubs mit Gewalt angreift und erst danach beschließt, die Gewaltwirkung für sexuelle Handlungen auszunutzen. Der 4. Senat des BGH fasst allerdings den Zeitraum für eine Anwendung des § 177 Abs. 5 Nr. 1 bei vorangegangener Gewalt enger: Es 371 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 70. AA Renzikowski MK Rdn. 121, wenn dies eine mittelbare Zwangwirkung auf das Opfer ausübe. 372 Renzikowski MK Rdn. 127. 373 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 86; Renzikowski MK Rdn. 127. 374 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 92. AA Renzikowski MK Rdn. 128; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 69: Gewalt nach Abschluss der sexuellen Handlung sei nicht erfasst. 375 El-Ghazi ZIS 2017 157, 160; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 96. 376 AA Fischer Rdn. 105. 377 S. zum (überholten) alten Recht BGH NStZ 2012 34; NStZ 2013 79; NStZ-RR 2017 338, 339. Krit. zur Lehre vom Finzalzusammenhang Hörnle FS Puppe 1143; Jakobs FS Eser 323; Kratzer-Ceylan S. 350 ff. 378 Ebenso OLG Hamm BeckRS 2020 35111; Vavra S. 459; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 84; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 75. Krit. Fischer Rdn. 74a, 74b; Renzikowski MK Rdn. 107 ff, 122; Wolters/Noltenius SK Rdn. 53, 73. 241
Hörnle
§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
müsse bereits das Versuchsstadium des sexuellen Übergriffs erreicht gewesen sein, einschließlich eines entsprechenden Tatentschlusses, damit Gewalt unter § 177 Abs. 5 Nr. 1 falle (BGHSt 63 220, 225 ff m. zust. Anm. Ziegler NStZ 2019 673; BGH JR 2022 141 m. zust. Anm. Renzikowski).379 Diese Beschränkung des zeitlichen Rahmens überzeugt nicht. Es ist widersprüchlich, zunächst (überzeugend) das Erfordernis eines Finalzusammenhangs explizit abzulehnen (BGHSt 63 220, 223 f), dann aber mit dem Kriterium „Versuchsbeginn; Voraussetzung: Entschluss zum sexuellen Übergriff“ zum selben Ergebnis zu kommen. Es ist nach der Gesetzesänderung durch das 50. StÄG nicht angemessen, die Rspr. zum älteren Recht fortzusetzen, die Gewalt vor der sexuellen Handlung ohne Finalzusammenhang nicht ausreichen ließ. Die neue Gesetzesformulierung setzt nicht voraus, dass der Täter während der sexuellen Handlungen Gewalt anwendet. Erforderlich ist nur, dass ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang Gewalt und sexuelle Handlung zu einem einheitlichen Tatgeschehen verbindet. Das kann auch dann der Fall sein, wenn der Täter noch nicht zur sexuellen Handlung angesetzt hat, also insoweit noch nicht das Stadium des Versuchs erreicht wurde, als die Gewalt zum Einsatz kam.
171 (2) Gewalt während und nach den sexuellen Handlungen. Gewalt während der sexuellen Handlung fällt unter § 177 Abs. 5 Nr. 1. Sadistische, in ihrer Brutalität verstörende,380 durch Aggression und das Bestreben nach Demütigung motivierte Gewaltakte während und nach der sexuellen Handlung prägen einen nicht kleinen Teil der veröffentlichten Sachverhalte. Nach alter Rechtslage wurden diese wegen des Pochens auf einen vermeintlich erforderlichen Finalzusammenhang von der h.M. nicht unter § 177 Abs. 1 Nr. 1 a.F. gefasst. Verletzungen des Opfers an den Genitalien deuten auf die Anwendung von Gewalt nach § 177 Abs. 5 Nr. 1.381 Solche Sachverhalte sind nunmehr als sexuelle Nötigung einzustufen (BTDrucks. 18/9097 S. 27). Nach altem Recht wurde § 177 Abs. 1 Nr. 1 a.F. auch nicht angewendet, wenn der Täter eine Tür abschließt oder in sonstiger Weise den Handlungsort versperrt, um die Wahrnehmung durch Dritte zu vermeiden.382 Nunmehr genügt Einschließen während der sexuellen Handlung für die Anwendung von § 177 Abs. 5 Nr. 1 (BGHSt 63 220, 225 ff). 172 Ebenso ist Gewalt nach Abschluss der sexuellen Handlung ein Anwendungsfall für den Qualifikationstatbestand, z.B. wenn Täter Frustration und Wut über nicht verwirklichte sexuelle Ziele oder ausgebliebene Befriedigung durch körperliche Misshandlungen am Opfer auslassen (s. BGH BeckRS 2018 33392) oder wenn Gewalt nach der sexuellen Handlung kalkuliert-nötigend eingesetzt wird, um das Opfer von einer Anzeigeerstattung abzuhalten.383
173 dd) Einverständnis des Opfers mit der Gewalt. Vorstellbar ist, dass das Opfer mit einer Gewaltanwendung einverstanden war, etwa wenn es sich freiwillig vom Täter einsperren, fesseln oder unter Alkohol bzw. Drogen setzen ließ, ohne dass die Übereinkunft sexuelle Handlungen vorsah. Unter solchen Umständen ist nur wegen eines einfachen sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 oder Abs. 2 zu bestrafen.
379 Ebenso Hoven NStZ 2020 578, 583. 380 S. z.B. BGH NStZ 2005 268, 269 (der BGH stufte nach altem Recht das Einführen eines Schraubendrehers in die Vagina zur Weitung des Muttermundes nicht als Vergewaltigung ein); s. für Beispiele von besonders brutalen sexuellen Attacken BGH StV 2020 475; BeckRS 2020 412. 381 Anders zu § 177 Abs. 1 Nr. 1 a.F. BGH NStZ-RR 2017 371. 382 BGH bei Miebach NStZ 1996 123; BGH NStZ-RR 2003 42, 43. Der BGH hatte sogar Vergewaltigung verneint, nachdem der Täter das Opfer über viele Stunden in der Wohnung einschloss und dies zu wiederholten schweren sexuellen Übergriffen nutzte, dabei aber als Motiv für das Einschließen angab, „die frühere Freundin zurückbekommen zu wollen“ (BGH NStZ 1995 229 f). 383 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 96. AA Eisele DRiZ 2017 398, 401; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 69. Hörnle
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VI. Qualifikationen nach Absatz 5
§ 177
Zu vermeiden ist die Formulierung „vis haud ingrata“, die auf das angebliche Phänomen 174 nicht unwillkommener Gewalt verweisen soll.384 Festzuhalten ist, dass die Strafbarkeit auch dann nicht entfallen würde, wenn jemand die kuriose Vorstellung hegt, dass durch eine erste gewaltsame sexuelle Handlung die Bereitschaft zu weiteren, dann konsentierten sexuellen Handlungen geweckt werden könne. Wer sich auf solche „Strategien“ einlässt, hat Vorsatz, dass die erste Handlung ein sexueller Übergriff unter qualifizierten Umständen ist. Überholt sind Urteile, die „ein bisschen Gewalt“ zum Zwecke der Erregung als straffrei eingestuft hatten.385 In der Regel wird es allerdings um Beweiswürdigung gehen, wenn Beschuldigte behaupten, dass trotz der Anwendung von Gewalt die sexuelle Handlung dem Willen der anderen Person entsprach, oder wenn sie vorbringen, dass jedenfalls sie selbst das geglaubt hätten. Solchen Angaben ist bei der Beweiswürdigung mit Skepsis zu begegnen.386 Ältere Urteile sind zum Teil wenig überzeugend. Wurde festgestellt, dass „Angriffe gegen das sich wehrende Mädchen so brutal waren, dass sie erhebliche Schmerzen bereiteten“ und wies das Opfer noch „Tage nach dem Vorfall blaue Flecken“ auf (BGH GA 1964 377), so fragt sich, wie das Gericht zu der Schlussfolgerung gelangen konnte, dass „sehr wohl denkbar sei“, dass sie „wirklich in den Geschlechtsverkehr eingewilligt“ habe. Auch vermeintliche Irrtümer, auf die sich Beschuldigte berufen, dürften in der Regel unplausibel sein. Nach heutigen Maßstäben wird von Frauen und Mädchen kein „schamhaftes Sträuben“ erwartet, und die Vorstellung, dass ausgerechnet gewaltsames Vorgehen Einverständnis mit Sexualkontakt herstellen könne, ist regelmäßig zu absurd, um als tatsächlich von Beschuldigten zum Tatzeitpunkt gehegte Fehlvorstellung durchzugehen.
c) Subjektiver Tatbestand. Es genügt, dass der Täter es ernstlich für möglich hält und billi- 175 gend in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz), dass sein Vorgehen Gewaltanwendung bedeutet. Absicht oder sicheres Wissen ist keine notwendige Voraussetzung. Aus dem gegenüber § 177 Abs. 1 Nr. 1 a.F. geänderten Wortlaut von § 177 Abs. 5 Nr. 1 ergibt sich, dass für die Anwendung des Qualifikationstatbestands kein Finalzusammenhang erforderlich ist (Rdn. 168, 170). Die Anwendung von Gewalt während eines andauernden sexuellen Geschehens erfolgt 176 vorsätzlich, wenn der Täter weiß, dass er körperliche Kraft entfaltet und körperlichen Zwang ausübt, auch wenn sein Endziel darin besteht, die sexuelle Handlung bis zum Samenerguss fortsetzen zu können (aA BGH NStZ 1991 431):387 Dass der Täter „lieber gewaltlos“ zum Höhepunkt gekommen wäre, ist unbeachtlich, wenn die Ruhigstellung des Opfers notwendiges Zwischenziel ist. 3. Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (Absatz 5 Nr. 2) a) Anwendbare Grundtatbestände. Der Qualifikationstatbestand in § 177 Abs. 5 Nr. 2 greift 177 ein, wenn die Drohung nach § 177 Abs. 2 Nr. 5 entsprechend massiv ausfällt, aber auch, wenn das Opfer Ablehnung kommuniziert hat, sodass § 177 Abs. 1 der anzuwendende Grundtatbestand ist. Auch eine Kombination mit den anderen Tatbeständen in § 177 Abs. 2 ist möglich,
384 Krit. zur Figur der „vis haud ingrata“ Goy/Lohstöter StV 1982 20; Jerouschek JZ 1992 227; Kruse/Sczesny KJ 1993 336, 345; Sick ZStW 103 (1991) 43, 57 ff; dies. Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 164 ff; Kratzer KritV 2010 83, 87 f; Kratzer-Ceylan S. 362 ff; Renzikowski MK Rdn. 151. 385 So noch BGH GA 1968 84, 85 (s. aber auch BGH NJW 1965 1284, 1285). Ausführliche Kritik bei Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 182 ff. 386 Renzikowski MK Rdn. 151; Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 172 ff. 387 Krit. zur Entscheidung des BGH Sick JR 1993 166. 243
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
etwa wenn nach einem Überraschungsangriff (§ 177 Abs. 2 Nr. 3) das Opfer von Verfolgung oder Anzeige durch eine Drohung abgehalten werden soll.388
b) Objektiver Tatbestand 178 aa) Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben. Eine Drohung setzt voraus, dass der Drohende vorgibt, selbst Einfluss auf den Eintritt einer Gefahr zu haben. Eine Warnung vor einem Übel, das von anderen drohe, ist auch dann nicht erfasst, wenn der „Warnende“ in manipulativer und täuschender Weise ein vermeintlich bevorstehendes Übel erfindet (BGH NStZ-RR 2020 276, 277). Die Drohung kann verbal, aber auch in konkludenter Form erfolgen, etwa durch das Vorzeigen einer Waffe, eine Bezugnahme auf frühere Gewalt oder eine drohende Körperhaltung. Sie muss sich gegen das Opfer richten. Nicht ausreichend ist die Bedrohung einer dritten Person (BTDrucks. 18/9097 S. 27)389 oder die Androhung des Täters, sich selbst etwas anzutun.390 Erfasst wird die Ankündigung tödlicher Handlungen, etwa die Drohung des Täters, er werde 179 das Opfer umbringen,391 und die Ankündigung eines Vorgehens, das zu einer Gesundheitsschädigung führen könnte. Nicht erforderlich ist, dass der Täter eine körperliche Verletzung androht: Es genügt, wenn er lebens- oder gesundheitsgefährdendes Verhalten ankündigt. Dies wäre z.B. der Fall, wenn er droht, das Opfer aus einem fahrenden Wagen zu stoßen, oder wenn er sexuelle Handlungen ohne Kondom und dabei die Gefahr einer Infizierung androht. Drohungen mit einer körperlichen Misshandlung i.S.v. § 223 Abs. 1 1. Alt., deren geringe Intensität keine Gesundheitsschädigung befürchten lässt (etwa die Ankündigung, die Haare des Opfers abzuschneiden),392 fallen nur unter den Grundtatbestand in § 177 Abs. 2 Nr. 5. Nicht von § 177 Abs. 5 Nr. 2 erfasst wird auch die Drohung mit einer Freiheitsberaubung, es sei denn, diese wäre mit Gesundheitsschäden verbunden. Wenn der Täter in unspezifischer Weise kundtut, er werde das Opfer schlagen oder ihm 180 „eine knallen“, genügt dies entgegen der h.M.,393 da damit stets die Gefahr einer Verletzung verbunden ist. Bei einem kindlichen oder knapp jugendlichen Opfer liegt in der Ankündigung, es zu vergewaltigen, wenn es nicht „freiwillig“ mitmache, die Androhung einer erheblichen Verletzung der körperlichen Integrität.394 In der Androhung einer Vergewaltigung steckt aber auch dann, wenn sie gegenüber körperlich ausgereiften Personen erhoben wird, die Möglichkeit von Verletzungen; dasselbe gilt für die Bedrohung mit Analverkehr.395 Dies genügt für die Einordnung als Drohung nach § 177 Abs. 5 Nr. 2.396
181 bb) Drohung mit gegenwärtiger Gefahr. Unproblematisch ist Gegenwärtigkeit zu bejahen, wenn der Täter ankündigt, seine Drohung sofort umzusetzen, oder wenn sich aus den Umständen schließen lässt, dass mit einer umgehenden Umsetzung zu rechnen ist. Fraglich ist, wie groß die Zeitspanne sein darf, wenn der Täter den Zeitpunkt, zu dem er seine Drohung umsetzen will, präzisiert und diesen in die Zukunft setzt. Bei Raubdelikten geht die Rspr. davon aus, 388 AA wohl Sch/Schröder/Eisele Rdn. 84, der nur auf § 177 Abs. 2 Nr. 5 und Nr. 4 als mögliche Grundtatbestände verweist. 389 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 101; Renzikowski MK Rdn. 134; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 83. AA Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 15. 390 Fischer Rdn. 77; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 101; Wolters/Noltenius SK Rdn. 62. 391 BGH NStZ-RR 2003 42, 43. 392 Zu § 223: BGH NJW 1966 1763. 393 S. BGH StV 1994 127; BGH bei Miebach NStZ 1995 223; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 354; Fischer Rdn. 76. Wie hier Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 101; Renzikowski MK Rdn. 132. 394 BGH NStZ 2001 246; anders aber BGH NStZ 2001 370, 371; krit. Lindenau JR 2002 74 f. 395 S. BGH NStZ-RR 2003 42, 43; NStZ-RR 2009 230; Fischer Rdn. 76. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 104. 396 AA BGH NStZ 2001 370, 371. Hörnle
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dass die Ankündigung für den folgenden Tag ausreiche.397 In einer Entscheidung zu § 177 wurde dagegen offengelassen, ob eine Gefahr bereits gegenwärtig ist, wenn der Täter zu ihrer Umsetzung erst in eine andere Ortschaft fahren müsste.398 Dies wäre zu bejahen. Selbst wenn nach dem vom Täter skizzierten Vorgehen bis zum Schadenseintritt mehrere Stunden oder auch einige Tage verstreichen sollen, ist dies noch unter „gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben“ zu fassen.399 Die Grenze zu einer nur zukünftigen, nicht mehr gegenwärtigen Gefahr ist erreicht, wenn der Schaden erst binnen Monats- oder Jahresfrist eintreten soll.400 Ferner genügt es, wenn sich aus den Äußerungen des Täters eine Dauergefahr ergibt.401 182 Eine Dauergefahr ist dadurch gekennzeichnet, dass der Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht genau zu bestimmen ist, aber die Gefahr jederzeit, also auch alsbald, in einen Schaden umschlagen kann (BGH NStZ 2004 682; Zieschang LK § 34 Rdn. 70). Bei Raubdelikten dürfte die Drohung mit einer Dauergefahr selten sein, weil der Kontakt zwischen den beteiligten Personen meist auf die Tatsituation begrenzt ist. In Fällen der sexuellen Nötigung verhält es sich aber oft anders: Kennen sich Täter und Opfer, bestehen familiäre oder sonstige soziale Kontakte, ist der Bedrohte auch mit zeitlich unbestimmten, aber jederzeit umsetzbaren Drohungen zu beeindrucken.
cc) Zeitpunkt der Drohung. Auch die Qualifikation in § 177 Abs. 5 Nr. 2 enthält trotz Gemein- 183 samkeiten mit dem vormaligen Grundtatbestand in § 177 Abs. 1 Nr. 2 a.F. wichtige Änderungen im Wortlaut. In § 177 Abs. 1 Nr. 2 a.F. hieß das Tatbestandsmerkmal „durch Drohung…nötigt“. Damit kam zum Ausdruck, dass die Drohung der sexuellen Handlung zeitlich vorangehen musste und dass die Drohung entweder kausal für die sexuellen Handlungen werden musste402 oder der Täter subjektiv mit der Drohung sexuelle Handlungen ermöglichen wollte (Finalzusammenhang; davon ging die h.M. zu § 177 Abs. 1 Nr. 2 a.F. aus403). Die Änderung soll sicherstellen, dass kein Finalzusammenhang erforderlich ist und dass eine Drohung aus anderen Gründen ausreicht (BTDrucks. 18/9097, S. 27).404 Wie beim Merkmal Gewaltanwendung werden zeitlich länger zurückliegende Drohungen 184 erfasst, wenn diese der Nötigung des Opfers dienten (Rdn. 169).405 Im Übrigen, bei nicht zur Nötigung ausgesprochenen Drohungen, ist ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang mit den sexuellen Handlungen erforderlich (Rdn. 170). Ob der Täter bei einer zeitnahen Drohung bereits Vorsatz hinsichtlich sexueller Handlungen hatte oder ob diese Drohung nach seiner Vorstellung zunächst einem anderen Zweck dienen sollte, spielt keine Rolle. Aus der Neuformulierung ergibt sich, dass auch Drohungen während der sexuellen Hand- 185 lung erfasst sind, ebenso Drohungen nach Abschluss der sexuellen Handlungen,406 wenn ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht. Auch insoweit kommt es auf die Motive und Absichten des Täters nicht an – eine nachfolgende Drohung kann, genauso wie Gewalt, expressiver Ausdruck von Aggression und Herabwürdigung sein, oder zweckrational eingesetzt, um das Opfer dazu zu bewegen, über die sexuellen Handlungen zu schweigen (Rdn. 172). 397 BGH MDR 1957 691. 398 BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 3. 399 S. OLG Schleswig StraFo 2002 232: Es genüge Schadenseintritt am nächsten Tag; s. auch Wolters/Noltenius SK Rdn. 61. 400 BGH MDR 1957 691; BGH bei Holtz MDR 1982 447. 401 BGH NStZ 2004 682; Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 203 ff; Renzikowski MK Rdn. 131. 402 So die Voraufl. Rdn. 81 zum alten Recht. 403 BGH NStZ 2007 31, 32; NStZ 2007 468. 404 So auch Vavra S. 460 f; Fischer Rdn. 75; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 108; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 84. AA Wolters/Noltenius SK Rdn. 53. 405 Fischer Rdn. 79. 406 Vavra S. 461; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 100. AA Fischer Rdn. 84; Renzikowski MK Rdn. 131, 136. 245
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
186 c) Subjektiver Tatbestand. Es genügt bedingter Vorsatz, dass eine Äußerung als explizite Drohung oder Verhalten als konkludente Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben verstanden werden könnte.407 Irrelevant ist, ob der Täter die Drohung umsetzen könnte oder möchte. Es spielt keine Rolle, was der Täter mit der Drohung zu erreichen beabsichtigt; ein Finalzusammenhang i.S. der Ermöglichung der sexuellen Handlung ist keine Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Qualifikation (Rdn. 175).
4. Ausnutzung einer schutzlosen Lage (Absatz 5 Nr. 3) 187 a) Systematik. Der Gesetzgeber hatte § 177 Abs. 1 Nr. 3 a.F. („unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgesetzt ist“) mit dem 33. StÄG v. 1.7.1997 eingefügt. Es sollten Fälle erfasst werden, „in denen Frauen vor Schrecken starr oder aus Angst vor der Anwendung von Gewalt durch den Täter dessen sexuelle Handlungen über sich ergehen lassen“ (BTDrucks. 13/7324 S. 6), ohne dass es Gewalt oder einer Drohung bedurfte. Nach jetziger Rechtslage ist die Ausnutzung einer schutzlosen Lage kein Grundtatbestand mehr, sondern ein Umstand, der bei sexuellen Übergriffen nach § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, Nr. 4 und Nr. 5 (regelmäßig nicht nach Absatz 2 Nr. 1, Nr. 3, s. Rdn. 198) das Unrecht erhöht. Ob diese Qualifikation und der damit verbundene höhere Strafrahmen zur angemessenen Erfassung des Tatunrechts wirklich erforderlich sind, ist zweifelhaft. Die Reformkommission Sexualstrafrecht empfiehlt die Aufhebung.408 Allerdings ist die Einschätzung nicht richtig, dass es keinen Unterschied zwischen dem Ausnutzen einer Lage nach § 177 Abs. 2 Nr. 4 und nach § 177 Abs. 5 Nr. 3 gebe (so Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 109). Aus einer Opferperspektive sind Furcht und akute Beunruhigung bei der erkannten Möglichkeit von Gewalt (Rdn. 197) vermutlich meist (allerdings nicht immer) ausgeprägter als bei anderen drohenden Übeln. Bei der Auslegung von § 177 Abs. 5 Nr. 3 ist zu beachten, dass mit dem 50. StÄG das frühere Tatbestandsmerkmal „nötigen“ weggefallen ist. Das geltende Recht umfasst Fälle, in denen Opfer genötigt werden, aber das ist keine notwendige Bedingung mehr. Es ist nicht präzise, dass in der Lit.409 nach wie vor Begriffe wie „Zwang“ und „Zwangswirkung“ i.S.v. notwendigen Bedingungen verwendet werden.
b) Objektiver Tatbestand 188 aa) Schutzlose Lage. Eine schutzlose Lage liegt vor, wenn sich das Opfer dem überlegenen Täter allein gegenübersieht und mit fremder Hilfe nicht rechnen kann (BGHSt 65 62, 67). Ob dies der Fall war, muss durch die Analyse der Tatsituation entschieden werden, wobei einzelne Umstände (z.B. Ort und Zeit, körperliche Verfassung und Alter) nicht isoliert den Ausschlag geben können, sondern stets im Gesamtkontext zu beurteilen sind (BGHSt 65 62, 67 f). Entscheidend ist eine Gesamtwürdigung aller äußeren und in der Person der Beteiligten liegenden Umstände (BGHSt 50 359, 360 f; 65 62, 67). Auch für die Beurteilung der Schutzlosigkeit des Opfers ist auf einen objektiven Beobachter (Rdn. 44) abzustellen. 189 Die schutzlose Lage muss unter Berücksichtigung der individuellen und situativen Umstände objektiv bestehen410 (BGHSt 50 359, 362): Es genügt nicht, dass das Opfer sich schutzlos fühlt. In der Lit. wird zwar teilweise auf die subjektive Opferperspektive abgestellt.411 De lege lata scheidet eine solche Auslegung aber aus: § 177 Abs. 5 Nr. 3 setzt voraus, dass das Opfer 407 408 409 410 411
BGH NJW 1984 1632; NStZ 1986 409; NStZ 2005 268, 269. BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 301 f. So etwa Fischer Rdn. 90; Renzikowski MK Rdn. 145 ff. Fischer Rdn. 93; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 110; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 88. Maiwald FS Kühl 539, 552; Gerhold JR 2016 122, 125 f; Renzikowski NStZ 1999 379; ders. MK Rdn. 140; Renzikowski/Sick NStZ 2013 468, 469; Wolters/Noltenius SK Rdn. 64. Hörnle
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„ausgeliefert ist“. Die schutzlose Lage muss nicht vom Täter geschaffen worden sein (BGHSt 45 253, 257; BGH NJW 2002 381, 382; BGHSt 65 62, 67, 74).412 Es genügt, dass das Opfer von sich aus einen Ort aufgesucht hat, an dem es zufällig dem Täter begegnet und ihm schutzlos ausgeliefert ist. Unerheblich ist, aus welchen Faktoren sich die schutzlose Lage ergibt. Es genügen grundsätzlich Umstände, die vorwiegend in der Person des Opfers begründet sind (BGHSt 45 253, 256).413 Ist das Opfer durch eine körperliche Beeinträchtigung (Verletzung, Erkrankung oder Behinderung, Erschöpfung414) an einer effektiven Abwehr oder Flucht gehindert (und kann es mit fremder Hilfe nicht rechnen), so befindet es sich in einer schutzlosen Lage (BGHSt 45 253). Wurde Schutzlosigkeit durch Alkohol oder Drogen (mit-)verursacht, kommt es nicht darauf an, ob das Opfer unbeeinflusst oder auf Veranlassung oder infolge einer Täuschung des Täters diese Mittel konsumiert hat. Neben körperlichen können auch psychische Faktoren zu Schutzlosigkeit führen.415 Eine schutzlose Lage wäre zu verneinen, wenn das Opfer den Täter abwehren oder fliehen könnte. Der BGH betont, dass eine schutzlose Lage nicht das „gänzliche Beseitigen jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten“ voraussetze.416 In den am häufigsten vorkommenden Konstellationen (männlicher Täter, weibliches Opfer) ist das Opfer oft körperlich unterlegen. Neben den physischen Kräfteverhältnissen kommt es auf die örtlichen Umstände an, z.B. auf eine Minderung der Verteidigungschancen in räumlich beengten Verhältnissen (etwa in einem Pkw) und darauf, ob verschlossene Türen und andere Hindernisse, mangelnde Orientierung, unwegsames Gelände u.ä. eine Flucht erschweren. Der Annahme einer Fluchtmöglichkeit steht auch entgegen, dass sich das Opfer (etwa für eine medizinische Behandlung) entkleidet hat und deshalb gezwungen wäre, nackt zu entkommen.417 Weil Opfer sich oft nicht effektiv verteidigen oder fliehen können, ist das zweite Element praktisch bedeutsam: die Frage, ob es mit fremder Hilfe rechnen konnte (BGHSt 44 228, 232; 45 253, 256). Eine schutzlose Lage besteht, wenn sich Täter und Opfer außerhalb einer Ortschaft an abgelegener Stelle befinden, auch wenn das nächste Wohnhaus in Sichtweite ist.418 Eine schutzlose Lage kann ebenso vorliegen, wenn das Opfer innerhalb einer Räumlichkeit, etwa einer Wohnung, allein mit dem Täter ist (BGHSt 45 253; BGH NStZ-RR 2003 42, 44). In der Rspr. wird allerdings teilweise vertreten, dass es nicht ausreiche, wenn sich die Beteiligten in der gemeinsamen Wohnung aufhalten. Unter solchen Umständen bedürfe es weiterer Faktoren (etwa Abschließen der Tür), um jegliche Fluchtmöglichkeit abzuschneiden.419 Die schutzlose Lage ist nicht deshalb zu verneinen, weil möglicherweise dritte Personen alarmiert oder aufgesucht werden könnten. Die Rspr. zu § 177 Abs. 1 Nr. 3 a.F. legte zu optimistische Annahmen hinsichtlich der Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft fremder Personen zugrunde.420 So wurde verlangt, dass bei nächtlichen Geschehnissen auf einem Autobahnrastplatz geprüft werden müsse, ob sich Dritte in Rufweite befanden;421 auf einem Campingplatz wurde eine schutzlose Lage verneint;422 ebenso in Mehrfamilienhäusern mit Nachbarn, die in der Vergangenheit auf Schreie reagiert hatten.423 All dies überzeugt nicht. Abwegig ist es, wegen der 412 413 414 415
Fischer Rdn. 92; Renzikowski MK Rdn. 142; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 87. AA Folkers NJW 2000 3318. Fischer Rdn. 97; Renzikowski NStZ 1999 379; ders. MK Rdn. 142; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 87. Vgl. BGH NStZ 1996 276. Aus den Gesetzesmaterialien zum 33. StÄG ergibt sich, dass angestrebt wurde, den Schutz geistig und körperlich behinderter Menschen zu stärken (BTDrucks. 13/7663 S. 5). 416 BGHSt 44 228, 232; 45 253, 256; 65 62, 67; BGH NJW 2003 2250, 2251; NJW 2007 2341, 2343. 417 Dies wurde in BGH StV 2005 439 nicht berücksichtigt. 418 BGHSt 44 228, 232 f. 419 BGH NStZ 2005 267, 268; NStZ 2006 165; NStZ-RR 2006 139. 420 Krit. zur Rspr., die zu hohe Anforderungen an Schutzlosigkeit stellt, Maiwald FS Kühl 534, 546. 421 BGH NStZ 2005 380. Zust. Folkers NStZ 2005 184. 422 BGH NStZ 2003 424, 425. 423 BGH NStZ 2013 466, 467 m. krit. Anm. Renzikowski/Sick NStZ 2013, 468. 247
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Anwesenheit eines jungen Kindes eine schutzlose Lage zu verneinen.424 In den Gesetzesmaterialien zum 50. StÄG findet sich nun eine klare Aussage, die zur Änderung der Rspr. auffordert: Das Opfer müsse sich nicht „gegenüber Dritten in seiner vulnerablen Situation offenbaren“ (BTDrucks. 18/9097 S. 28). Zu verneinen ist eine schutzlose Lage nur dann, wenn sich tatsächlich schutzbereite und zu effektivem Schutz auch fähige Personen wie z.B. Polizeibeamte in unmittelbarer Nähe befinden.425
194 bb) Einwirkung. Fraglich ist, was Einwirkung bedeutet. Es gibt mehrere Auslegungsmöglichkeiten: Einwirkung könnte „sexueller Übergriff“ bedeuten, oder „Gewalt“ (für Letzteres BGHSt 65 62, 68), oder besonders intensive Formen der Gewalt, die körperliche Verletzungen oder Tötung bewirken (so nach alter Rechtslage BGHSt 51 280, 284).426 Es wäre mit dem Wortlaut und der Systematik vereinbar, die Qualifikation in § 177 Abs. 5 Nr. 3 so zu lesen, dass das Opfer dem sexuellen Übergriff schutzlos ausgeliefert gewesen sein muss. Dagegen sprechen zwei Gründe. Erstens verweist ein Satz in den Gesetzesmaterialien auf ältere Rspr. (das Opfer müsse Verletzung oder Tötung befürchtet haben, BTDrucks. 18/9097 S. 27). Das ist allerdings ein eher schwaches Argument, denn es liegt nahe, dass beim sehr schnellen Abfassen der Gesetzesbegründung übersehen wurde, dass die schlichte Übernahme älterer Rspr. zur Neufassung nicht mehr passt.427 Zweitens, und das ist die wichtigere Überlegung, muss die Beeinträchtigung der Opfer in Form von Befürchtungen und Beunruhigungen (Rdn. 197) ein gewisses Gewicht erreicht haben, um den höheren Strafrahmen zu rechtfertigen.428 Dies spricht dafür, die erforderliche Einwirkung nicht als „sexuellen Übergriff“, sondern als „Einwirkung durch Gewalt“ zu definieren.429 Nicht überzeugend ist es hingegen, über einfache Gewalt hinaus auf Verletzungen oder Tötungen abzustellen (so aber BTDrucks. 18/9097 S. 27). Die Anforderungen an die befürchtete Einwirkung in schutzloser Lage sind nicht höher als die Anforderungen an eine tatsächlich erfolgte Einwirkung nach § 177 Abs. 5 Nr. 1, für die jede Form der Gewalt ausreicht. Damit ist auch klargestellt, dass soziale Zwangslagen und Abhängigkeiten keine schutzlose Lage i.S.v. § 177 Abs. 5 Nr. 3 sind.430
195 cc) Ausnutzung der schutzlosen Lage. Der Täter muss unter Ausnutzung der schutzlosen Lage handeln. Der BGH verlangte für § 177 Abs. 1 Nr. 3 a.F. Kausalität zwischen dem Bemerken der schutzlosen Lage und Verhalten des Opfers (BGHSt 50 359, 364, 365 f).431 Eine nachweisbare Beeinflussung des Verhaltens des Opfers ist spätestens seit der Gesetzesänderung durch das 50. StÄG (Wegfall des früheren Tatbestandsmerkmals „nötigen“) nicht mehr erforderlich. Die ältere Rspr. ist überholt.432 Nach geltendem Recht genügt es, dass die Betroffenen aufgrund des
424 So aber BGH NStZ 2006 165: keine Schutzlosigkeit des zehnjährigen Mädchens, weil sich der siebenjährige Bruder in einem anderen Raum der Wohnung befand. 425 S. den Sachverhalt in BGHSt 50 359: Die Mutter des Opfers schlief im Nebenzimmer. 426 Ebenso BGH NJW 2003 2250, 2251; NStZ 2006 165; NStZ 2009 443; NStZ-RR 2011 116, 117; NStZ 2012 268; NStZRR 2019 309; Fischer Rdn. 90; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 88. 427 Krit. auch Renzikowski MK Rdn. 137 („völlig unklar, welche Bedeutung diese Alternative außerhalb eines Nötigungskontexts haben soll“). 428 Renzikowski MK Rdn. 138. 429 Renzikowski MK Rdn. 138 f. 430 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 89; s. zu § 177 Abs. 1 Nr. 3 a.F. BGHSt 51 280, 284; BGH NStZ 2009 263; NStZ 2009 443. 431 BGHSt 50 359, 366; ebenso BGH NJW 2003 2250, 2251; BGH NStZ 2005 380; StV 2006 14, 15; NStZ 2005 267, 268; BeckRS 2020 6137. 432 Dies verkennt Fischer Rdn. 104 ff, der nach wie vor eine Zwangswirkung für erforderlich hält. Hörnle
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VI. Qualifikationen nach Absatz 5
§ 177
Erkennens der schutzlosen Lage Grund zu Angst oder Beunruhigung hatten, ohne dass Überlegungen zu möglichem Widerstand anzustellen sind.433 Umstr. ist, ob es eine notwendige Bedingung für die Anwendung von § 177 Abs. 5 Nr. 3 ist, 196 dass das Opfer die bedrohliche Situation erkannt hat. Der BGH hatte § 177 Abs. 1 Nr. 3 a.F. nicht angewendet, wenn der Täter schnell vorgeht und das Opfer überrascht (BGHSt 50 359, 368). Auch in anderen Fallkonstellationen wurde es als erforderlich angesehen, dass das Opfer seine schutzlose Lage erkennt (BGH bei Pfister NStZ-RR 2015 363). Nach altem Recht ergab sich dies aus dem Tatbestandsmerkmal „nötigen“ in § 177 Abs. 1 Nr. 3 a.F. Für das jetzt geltende Recht geht der BGH davon aus, dass bereits das Bestehen einer objektiv schutzlosen Lage für die Anwendung von § 177 Abs. 5 Nr. 3 ausreiche, auch wenn das Opfer diese nicht erkannt hat (BGHSt 65 62, 67 ff). Diese Festlegung in BGHSt 65 62 ist nicht überzeugend. Der Strafrahmenunterschied zwi- 197 schen einfachem sexuellen Übergriff (§ 177 Abs. 1, Abs. 2) und einem nach § 177 Abs. 5 Nr. 3 zu bestrafenden Verbrechen setzt einen erheblichen Unterschied im Ausmaß des Unrechts voraus. Eine solche Unrechtssteigerung liegt dann vor, wenn die schutzlose Lage Folgen hatte,434 und zwar solche Folgen, die die Beeinträchtigung des Opfers intensivierten. Aus der Opferperspektive wirkt sich die schutzlose Lage dann, aber nur dann, aus, wenn sich die Betroffenen der Lage bewusst sind. Das Erkennen der eigenen Schutzlosigkeit bedeutet typischerweise eine intensivere Beeinträchtigung, weil dann die Situation wesentlich durch Angst oder Beunruhigung geprägt wurde. Das Abstellen auf die psychologische Situation ist nicht dasselbe wie die Bezugnahme auf einen Nötigungszusammenhang (dies wird in BGHSt 65 62, 68 ff verkannt). Nötigung stellt auf Verhalten des Opfers ab, während es nach der hier vertretenen Auslegung nur auf die in der Regel zu erwartenden negativen Emotionen wie Angst und Beunruhigung ankommt. Das Merkmal „Ausnutzen“ in § 177 Abs. 5 Nr. 3 sollte so ausgelegt werden, dass das Opfer seine eigene Schutzlosigkeit erkannt haben muss.435 Das Gefühl, dass etwas nicht stimmt und Gefahren drohen, kann auch ein sechsjähriges Kind entwickeln, wenn es vom Täter an einen einsamen Ort verbracht wird – deshalb ist das Ergebnis in BGHSt 65 62 (Anwendung von § 177 Abs. 5 Nr. 3) für den entschiedenen Sachverhalt überzeugend.436 Anders gelagert sind Fälle, in denen die Umstände zwar aus einer Täterperspektive die 198 Tatbegehung erleichtern, weil nicht mit der Intervention Dritter zu rechnen war, ohne dass aber dem Opfer diese Umstände bewusst waren. Dies betrifft regelmäßig sexuelle Übergriffe nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 (schlafendes und bewusstloses Opfer)437 und Nr. 3 (überraschtes Opfer). Schlafende, bewusstlose und abgelenkte Opfer eines sexuellen Übergriffs erfahren durch die objektiv schutzlose Lage keine zusätzliche Beeinträchtigung, die erschwerend zum Unrecht des sexuellen Übergriffs hinzukommt. Dasselbe gilt bei Kleinkindern, die die objektiv bestehende Schutzlosigkeit einer Lage nicht erkennen können. In diesen Fällen ist § 177 Abs. 5 Nr. 3 nicht anzuwenden. Die Kombination von § 177 Abs. 2 Nr. 1 mit Absatz 5 Nr. 3 ist jedoch in Ausnahmefällen vorstellbar, nämlich wenn das durch Alkohol oder andere psychoaktive Substanzen in die Bewusstlosigkeit abgleitende Opfer noch seine schutzlose Lage erkennt, aber bei Beginn der sexuellen Handlung bereits bewusstlos ist.
433 Renzikowski/Sick NStZ 2013 468 weisen zu Recht darauf hin, dass Opfer keiner Obliegenheit unterliegen, körperlichen Widerstand zu leisten.
434 Insoweit ist Fischer NStZ 2020 665, 667 zuzustimmen. 435 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 89; Wolters/Noltenius SK Rdn. 64. 436 AA Renzikowski MK Rdn. 146, der aber darauf abstellt, dass ein Kind keinen effektiven Widerstand leisten könne – darauf kommt es nicht an. Wolters/Noltenius SK Rdn. 64 wollen ebenfalls Kinder aus dem Anwendungsbereich von § 177 Abs. 5 Nr. 3 herausnehmen, wobei aber verkannt wird, dass es für das konkrete Unrecht eine Rolle spielt, ob ein Kind in einer schutzlosen Lage Furcht durchleben musste. 437 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 94. 249
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
199 c) Subjektiver Tatbestand. Der Täter muss bedingten Vorsatz hinsichtlich des Bestehens einer schutzlosen Lage gehabt haben. Ebenso muss sich der bedingte Vorsatz darauf erstreckt haben, dass das Opfer die Lage erkannt hat. In Rspr. und Lit. werden teilweise Formulierungen verwendet, die mehr voraussetzen als bedingten Vorsatz bezüglich der schutzlosen Lage und deren Einfluss auf das Opfer: Erforderlich sei, dass der Täter sich die schutzlose Lage bewusst zunutze gemacht habe,438 oder es wird Absicht und eine finale Verknüpfung verlangt.439 Nach der hier vertretenen Auffassung beschreibt das Merkmal „Ausnutzen“ lediglich besondere Anforderungen an die Opferperspektive (Erkennen der schutzlosen Lage). Es genügt, dass der Täter es nur für ernsthaft möglich hält, dass das Opfer seine Schutzlosigkeit auch wahrgenommen hat (s. dazu, dass bedingter Vorsatz ausreicht, auch BGHSt 65 62, 73 f).
5. Schuldspruch 200 Umstr. ist, wie der Schuldspruch zu formulieren ist, wenn wegen eines Tatgeschehens nach § 177 Abs. 1 oder Abs. 2 i.V.m. mit Absatz 5 verurteilt wird. Die gesetzliche Überschrift von § 177 („Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung“) deutet darauf hin, dass „sexuelle Nötigung“ einer von drei praktisch wichtigen Deliktstypen ist, der in der Strafverfahrenspraxis bei den Schuldsprüchen entsprechend verwendet werden sollte. Dem würde es nicht gerecht, wenn lediglich Taten nach § 177 Abs. 2 Nr. 5440 entsprechend bezeichnet würden. Der Gesetzgeber wollte ersichtlich die in der Praxis wichtigen Qualifikationen in § 177 Abs. 5 erfassen. Für solche Verurteilungen sollte der Tenor deshalb „sexuelle Nötigung“ lauten, trotz der Änderungen, die § 177 Abs. 5 gegenüber § 177 Abs. 1 a.F. aufweist (so auch BGH BeckRS 2019 21904; BeckRS 2021, 17755).441 Entscheidend für die Wahl einer Tenorierung ist, ob damit das Unrecht gegenüber Täter, Opfer und Allgemeinheit anschaulich und verständlich442 umrissen wird. Der Umstand, dass Gewalt oder eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eingesetzt wurde, oder eine schutzlose Lage ausgenutzt, genügt, damit der Schuldspruch „sexuelle Nötigung“ ein hinreichend passendes Bild des Unrechts ergibt. Da die Grundtatbestände in § 177 Abs. 1, 2 durch den Qualifikationstatbestand verdrängt werden, taucht neben der sexuellen Nötigung im Tenor der Begriff „sexueller Übergriff“ nicht auf (BGH BeckRS 2019 7662).
6. Täterschaft und Teilnahme 201 Täter einer sexuellen Nötigung kann auch sein, wer nicht selbst die sexuelle Handlung vornimmt443 (es handelt sich nicht um eigenhändige Delikte, Rdn. 117). Nicht erforderlich ist für die Strafbarkeit desjenigen, der Gewalt oder Drohung oder eine Bestimmungshandlung unter den Umständen in § 177 Abs. 5 Nr. 3 einsetzt, dass er bei dem nachfolgenden sexuellen Geschehen mit dem Dritten anwesend ist. Allerdings ist bei Verstreichen einer erheblichen Zeitspanne zu prüfen, ob bei den sexuellen Handlungen mit dem Dritten immer noch ein entgegenstehender Wille bestand. Wenn dies der Fall ist, macht sich ein Zuhälter, der im Vorfeld des Kontaktes der (unfreiwillig tätigen) Prostituierten mit noch unbekannten „Freiern“ nach § 177 Abs. 5 vor-
438 BGHSt 45 253, 257; BGH NJW 2003 2250, 2251; BGH bei Pfister NStZ-RR 2004 356; BGH NStZ 2005 380, 381; StV 2005 439, 440; Fischer Rdn. 108; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 16; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 92.
439 Renzikowski MK Rdn. 149; Wolters/Noltenius SK Rdn. 71. 440 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 154. 441 Renzikowski MK Rdn. 222. S. dazu auch Hörnle NStZ 2017 13, 19. AA Fischer Rdn. 116; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 84. 442 Meyer-Gossner StPO § 260 Rdn. 23. 443 Renzikowski MK Rdn. 180; Wolters/Noltenius SK Rdn. 76. Hörnle
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VI. Qualifikationen nach Absatz 5
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geht, wegen sexueller Nötigung strafbar.444 Die Bestrafung als Täter setzt nicht voraus, dass die Dritten, die danach die sexuellen Handlungen vornehmen, von der vorausgegangenen Nötigung wissen. Mehrere Personen können auf der Basis eines gemeinsamen Tatplans Mittäter sein, auch 202 wenn nur einer von ihnen eigenhändig Gewalt anwendet oder droht445 oder nur einer der Täter sexuellen Körperkontakt mit dem Opfer hat. Vollendet einer von mehreren Mittätern die sexuelle Handlung, sind alle wegen vollendeter sexueller Nötigung zu bestrafen. Derjenige, der ohne eigene Gewaltanwendung oder Drohung sexuellen Körperkontakt mit dem Opfer hat, ist Täter gem. § 177 Abs. 5 Nr. 1 oder 2, wenn ihm der Einsatz des qualifizierten Nötigungsmittels nach den Regeln der Mittäterschaft oder mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden kann. Die bloße Anwesenheit bei der Gewaltanwendung oder Drohung genügt nicht.446 Geprüft werden muss, ob in der Anwesenheit eine psychische Unterstützung lag und ob es einen gemeinsamen Tatplan gab.447 Fehlte es an einem gemeinsamen Tatplan, wird gelegentlich als Entscheidungskriterium 203 darauf verwiesen, ob der die sexuellen Handlungen Vornehmende ein vorangegangenes Geschehen „bewusst ausgenutzt“ habe.448 Eine Zurechnung der von fremder Hand zunächst ohne gemeinsamen Tatplan angewandten Gewalt oder Drohung ist aber nur dann möglich, wenn es sich um sukzessive Mittäterschaft handelt. Wurden Gewalt oder Drohung bereits vom ersten Täter in der Absicht eingesetzt, einer zweiten Person sexuelle Handlungen zu ermöglichen, wird diese zweite Person Mittäter, wenn sie im Wissen um diese Zusammenhänge sexuelle Handlungen vornimmt.449 Für den Anschluss an den vom ersten Täter entworfenen Tatplan ist nicht erforderlich, dass dieser anwesend ist: Es genügt, dass die zweite Person nach abgeschlossener Gewaltanwendung ein an sie gerichtetes „Angebot“ konkludent (durch die Vornahme der sexuellen Handlung) annimmt.450 Der BGH verlangt allerdings, dass der sich später mit sexuellen Handlungen in den Tatplan Integrierende bereits zuvor, zum Zeitpunkt der Gewaltanwendung, diese gebilligt haben müsse.451 Dies überzeugt nicht: Hat der eigenhändig Gewalt gegen das Opfer Anwendende mit Blick auf mehrere potentielle Sexualtäter gehandelt („nach mir sind die anderen an der Reihe“) und nimmt einer der anderen dieses Angebot durch eigene sexuelle Handlungen an, so wird er Mittäter einer sexuellen Nötigung. Ist einem „Freier“ bekannt, dass der Sexualkontakt mit einer Prostituierten auf den Einsatz von Gewalt oder Drohung durch einen Zuhälter zurückgeht, macht er sich durch seine sexuelle Handlung zum Mittäter. Sukzessive Mittäterschaft liegt nicht vor, wenn die zweite Person nicht auf eine für sie vom ersten Täter bewusst geschaffene Lage reagiert, sondern eine zufällig vorgefundene Situation zu eigenen sexuellen Handlungen ausnutzt. Unter solchen Umständen ist die zweite Person nicht aus § 177 Abs. 1 oder Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 1 oder 2 zu bestrafen, in Betracht kommt aber ein nach Abs. 5 Nr. 3 qualifizierter sexueller Übergriff, da unter solchen Umständen naheliegt, dass das Opfer Gewalt befürchtet. Beihilfe zur sexuellen Nötigung kann vorliegen, wenn bei den Modalitäten nach § 177 204 Abs. 5 oder beim Vollzug der sexuellen Handlung Hilfe geleistet wird. Beihilfe, aber auch Täterschaft (bei Obhutsgaranten) sind durch Unterlassen möglich (Rdn. 119).
444 445 446 447 448 449 450 451
BGH NStZ 2004 682; Wolters/Noltenius SK Rdn. 76. BGH NJW 1999 2909, 2910. BGH NStZ 1985 70, 71. BGH NStZ 1985 70, 71; NJW 1999 2909, 2910. BGH NStZ 1985 71. BGH NStZ 1985 71; NJW 1999 2909, 2910. AA Renzikowski MK Rdn. 181; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 131. BGH NJW 1999 2909, 2910: Ein zunächst das gewalttätige Vorgehen seiner Kompagnons Missbilligender übte nach einem Stimmungswechsel selbst auch den Geschlechtsverkehr aus. 251
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
7. Versuch und Rücktritt 205 Der Versuch einer Tat nach § 177 Abs. 5 ist strafbar, s. §§ 12 Abs. 1, 23 Abs. 1. Er beginnt entweder mit dem unmittelbaren Ansetzen zur sexuellen Handlung oder mit dem Ansetzen zu Gewalt oder Drohung, wenn nach dem Tatplan diese Handlungen der sexuellen Handlung vorausgehen. Ein Täter, der das Opfer fesselt, knebelt und in ein Auto zerrt, macht sich wegen versuchter sexueller Nötigung strafbar, auch wenn zwischen diesem Angriff und sexuellen Handlungen noch die Fahrt zu einem geeigneten Tatort liegen sollte (BGH NStZ 2019 79 m. Anm. Eidam). Wegen eines Versuchs ist trotz vollzogener sexueller Handlung zu bestrafen, wenn der Täter nicht erkannte, dass ein Opfer bewusstlos war oder schlief und deshalb eine schutzlose Lage nicht ausgenutzt werden konnte. 206 Ein Rücktritt (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt.) ist möglich, wenn der Täter die Ausführung der Tat aufgibt, und zwar auch dann, wenn Gewaltanwendung oder Drohung bereits vollendet wurden;452 ggf. ist aus § 240 zu bestrafen.453 Bei erfolgten sexuellen Handlungen führt ein freiwilliger Verzicht auf Gewalt oder Drohung zu einem Rücktritt vom Versuch der sexuellen Nötigung und zur Bestrafung wegen sexuellen Übergriffs. Kein Rücktritt liegt vor, wenn der Täter, nachdem er zu Gewalt oder Drohung gem. § 177 Abs. 5 Nr. 1 und 2 angesetzt hat, auf den Einsatz dieser Mittel verzichtet, weil er bemerkt, dass er die hilflose Lage des Opfers ausnutzen kann (§ 177 Abs. 5 Nr. 3). Ein fehlgeschlagener Versuch liegt vor, wenn das Opfer auf eine Drohung mit Gewalt nicht reagiert. Daran ändert die Möglichkeit nichts, die Drohung wiederholen zu können (aA BGH NStZ-RR 2009 230, 231). S. im Übrigen zu fehlgeschlagenen Versuchen und der Freiwilligkeit der Aufgabe Rdn. 124 f. Beim freiwilligen Rücktritt bleibt eine bereits vollendete Körperverletzung oder Nötigung strafbar.454 Der ursprüngliche, weitergehende Vorsatz darf bei der Bestrafung aus diesen Tatbeständen nicht strafschärfend berücksichtigt werden.455 207 Ein Rücktritt von einer versuchten Tat nach § 177 Abs. 1, Abs. 5 ist möglich, wenn ein Opfer vortäuscht, dass die sexuelle Handlung doch seinem Willen entspräche (was eine nachvollziehbare Strategie sein kann, um einen als potentiell gefährlich eingestuften Angreifer von Gewalt abzuhalten). Voraussetzung ist aber, dass der Täter (in der Hoffnung auf einen späteren einvernehmlichen Sexualkontakt) das Opfer aus seinem Einflussbereich entkommen lässt. Nutzt der Täter dagegen das vermeintliche Einverständnis lediglich als einen Umstand, der die wie geplant an Ort und Stelle vorgenommene sexuelle Handlung erleichtert, ist § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. mangels Aufgabe der Tat nicht anzuwenden (BGHSt 39 244, 247 f).456
8. Strafzumessung 208 a) Gesetzlicher Strafrahmen. Der gesetzliche Strafrahmen beginnt bei einem Jahr Freiheitsstrafe und endet bei 15 Jahren Freiheitsstrafe (§ 38 Abs. 2); s. zu minder schweren Fällen Rdn. 217 f. Nach § 181b kann Führungsaufsicht angeordnet werden und nach den §§ 66 ff Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 3 ist anwendbar, da es sich um ein Verbrechen handelt). Die Anordnung einer Maßregel scheidet nicht deshalb aus, weil von wiederholten sexuellen 452 AA Streng FS Küper 629, 633 ff, der bei mehraktigen Delikten einen Rücktritt nur zulassen will, wenn der Täter von allen Teilakten noch zurücktreten konnte – dagegen spricht aber die Formulierung „weitere Ausführung der Tat“ in § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. 453 BGH bei Miebach NStZ 1994 225. 454 BGH NStZ 1990 490; BGH bei Miebach NStZ 1994 225. 455 BGH NStZ 1990 490; BGH bei Miebach NStZ 1992 227; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 362; BGH NStZ-RR 2001 199. 456 Bottke JZ 1994 74 f; Jäger Der Rücktritt vom Versuch als zurechenbare Gefährdungsumkehr (1996) S. 74 ff; Streng NStZ 1993 582, 583. AA Amelung ZStW 120 (2008) 205, 224. Hörnle
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VI. Qualifikationen nach Absatz 5
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Nötigungen „nur“ die Ehefrau des Täters betroffen war (BGH JR 1996 290, 291). S. zur Entziehung der Fahrerlaubnis bei Taten unter Benutzung eines Kraftfahrzeugs BGH NStZ 1995 229; NStZ-RR 2005 307, 308 sowie zur Einziehung eines PKW als Tatwerkzeug BGH NStZ-RR 2012 74.
b) Bestimmung des Tatunrechts. Auch bei der sexuellen Nötigung kommt es in erster Linie 209 auf das Erfolgsunrecht an, d.h. auf die Eingriffsintensität der sexuellen Handlung, ebenso ggf. auf Wiederholungen des Tatunrechts. Ein länger andauerndes Muster wiederholter sexueller Nötigungen bedeutet besondere Angst und Demütigung für das Opfer und damit erhöhtes Gesamtunrecht. Weitere für das Erfolgsunrecht relevante Faktoren sind das Ausmaß, in dem durch Ge- 210 walt, Drohung oder Ausnutzung einer schutzlosen Lage auf das Opfer eingewirkt wurde. Eine unrechtserhöhende Wirkung ergibt sich bei Idealkonkurrenz mit Körperverletzungen und Freiheitsberaubungen. Drohungen sind oft im Vergleich zu erheblicher Gewalteinwirkung als geringeres Unrecht einzustufen. Im Einzelnen kommt es allerdings auf die konkreten Umstände an: Eine in drastischer Weise vorgebrachte Todesdrohung wiegt schwerer als z.B. kurzzeitiges Festhalten. In Relation zum Einsatz von Gewalt kann die Ausnutzung einer schutzlosen Lage geringeres Unrecht bedeuten, aber auch insoweit sind die Einzelheiten des Sachverhalts maßgeblich. Ein das Unrecht prägender Faktor ist, wie bedrohlich sich das Geschehen aus einer objektiven Opferperspektive darstellt457 (s. etwa den Sachverhalt, der dem Urteil LG Hamburg MDR 1995 1057 zugrunde lag: Eindringen in die Häuser allein wohnender Frauen zu nächtlicher Stunde). Umstr. ist, wie Fälle zu beurteilen sind, in denen der Täter sowohl eine schutzlose Lage 211 ausgenutzt als auch Gewalt oder Drohungen eingesetzt hat. In der Lit. wird teilweise vertreten, dass § 177 Abs. 5 Nr. 3 dann in der Regel bei der Unrechtsbewertung keine Rolle spiele.458 Das ist nicht überzeugend: Es bedarf stets einer Würdigung der konkreten Umstände und des konkreten Ausmaßes der Beeinträchtigung des Opfers. In einer Fallgruppe geht die schutzlose Lage Drohungen oder Gewaltanwendungen voraus. Dies ist z.B. möglich, wenn der Täter eine schutzlose Lage des Opfers vorfindet (etwa bei zufälligen Begegnungen) und die beim Erkennen des Tatplans einsetzende Furcht des Opfers ausnutzt, zusätzlich aber auch noch Gewalt einsetzt. Die Rspr. nimmt in solchen Konstellationen zu Recht eine unrechtserhöhende Wirkung der Kombination von § 177 Abs. 5 Nr. 1 und Abs. 5 Nr. 3 an (BGH NStZ-RR 2003 42, 44; s. auch BGH NStZ 1999 505). Dies ist nicht nur für Gewalt richtig, sondern auch für Drohungen unter Ausnutzung einer bestehenden schutzlosen Lage: Es wirken unterschiedliche Faktoren mit sich verstärkender Wirkung zusammen.459 Wenn der Täter durch eine eigene Handlung (etwa: die Entführung des Opfers) eine schutzlose Lage schafft und danach (weitere) Gewalt und Drohungen anwendet, erhöht dies ebenfalls das Unrecht. In einer anderen Fallgruppe wendet der Täter Gewalt an, um Flucht- und Widerstandschancen zu schwächen (etwa das Versperren einer Tür, s. zur Einordnung als Gewalt Rdn. 163, oder Fesseln). Entsteht die schutzlose Lage erst durch diese Gewaltanwendung, kommt ihr neben der Gewaltanwendung in der Regel keine eigenständige Bedeutung zu. Entscheidend ist, dass bei der Strafzumessung das Gewicht der Gewalt angemessen erfasst wird.460
457 458 459 460
S. auch BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 367. Fischer Rdn. 112; Renzikowski MK Rdn. 197; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 91. Für Drohungen aA BGH NStZ 2009 207. Bzgl. der Strafzumessung des Landgerichts in dem Fall, der BGH NStZ 1999 242 zugrunde lag, ist zu bezweifeln, ob die massive Gewaltanwendung hinreichend gewürdigt wurde, da die Strafe trotz weiterer unrechtserhöhender Momente mit drei Jahren Freiheitsstrafe niedrig ausfiel. 253
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Psychische Probleme, die bei einem Opfer nach der Tat auftreten (etwa anhaltende Angstzustände und Probleme mit und in intimen Beziehungen), können bei der Strafzumessung berücksichtigt werden (Rdn. 127). 213 Eine der Tat vorausgehende Bekanntschaft, Beziehung oder Ehe zwischen Täter und Opfer bedeutet keine Minderung des Erfolgsunrechts. Das Erfolgsunrecht kann unter solchen Umständen erhöht sein, wenn das aggressive Vorgehen eines Ex-Partners, Ex-Freundes oder Noch-Ehemannes bedrohlich oder besonders erniedrigend ausfiel. Wegen des Vertrauensbruchs ist bei Sexualdelikten im Kontext von Familien, Ehen und Partnerschaften von einer Erhöhung des Handlungsunrechts auszugehen (Rdn. 129). Verfehlt ist es, auf den Ruf des Opfers oder seinen Lebenswandel abzustellen.461 Ent214 scheidungen des vierten und fünften Senats des BGH gehen zwar davon aus, dass die grundsätzlich bestehende Bereitschaft zu sexuellen Handlungen gegen Entgelt bedeute, dass das Unrecht einer zu Lasten von Prostituierten begangenen sexuellen Nötigung gemindert sei.462 Es wird ohne nähere Begründung auf ein „kriminologisches Gesamtspektrum“ verwiesen.463 Versucht man, die dahinterstehenden Annahmen zu rekonstruieren, so könnte ihnen eine Differenzierung zwischen „unbescholtenen“ und „bescholtenen“ Frauen zugrunde liegen. Diese in älteren Rechtssystemen464 gebräuchliche Unterscheidung kollidiert mit heutigen normativen Vorgaben. Eine andere mögliche Erklärung für die Urteile des vierten und fünften Senats könnte die Annahme sein, dass Prostituierte an Sex mit Fremden gewöhnt sind und dies als weniger belastend empfinden oder dass ihnen zumindest bestimmte Praktiken vertraut sind (so offenbar BGH NJW 2001 2185, 2186). Dieser Überlegung folgend, muss jedenfalls bei erzwungenen Handlungen, die nicht vom Serviceangebot einer Prostituierten umfasst werden, eine Strafminderung abgelehnt werden (so BGH NStZ 2001 646). In neueren Entscheidungen wird darauf verwiesen, dass die Hemmschwelle des Täters gegenüber Prostituierten abgeschwächt sei (BGH BeckRS 2019 3304) oder es kommt die Geringschätzung von Prostituierten in Entscheidungen dadurch zum Ausdruck, dass qualifizierende Umstände verneint werden (so in BGH JR 2022 421). All diesen Überlegungen ist zu widersprechen. Das Unrecht eines Sexualdelikts ist nicht dadurch abgeschwächt, dass das Opfer anderen Personen Sexualkontakt gegen Geld anbietet. Eine „grundsätzliche“, aber an Bedingungen geknüpfte Bereitschaft zu sexuellen Handlungen liegt bei den meisten Menschen vor. Sie ist für die Strafzumessung wegen sexueller Nötigung genauso irrelevant wie die „grundsätzlich bestehende“ Bereitschaft, einen Gegenstand zu veräußern, für eine Bestrafung wegen Raubes. Der erniedrigende Charakter einer Behandlung hängt nicht davon ab, ob das Opfer dieselbe Aktivität schon freiwillig ausgeübt hat. Auch Argumente zu „abgesenkten Hemmschwellen“, die manche Täter gegenüber bestimmten, von ihnen verachteten Personengruppen faktisch haben mögen, sind in strafrechtlichen Urteilen deplatziert. Zuzustimmen ist dem zweiten Senat, der Strafminderungen bei Taten gegen Prostituierte ablehnt.465 212
461 Das ist die h.M. in der Lit., s. dazu Hillenkamp StV 1986 154; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 605; Gaede NStZ 2002 238; Kratzer KritV 2010 83, 98 f; Kratzer-Ceylan S. 390 f, 409 ff; Fischer Rdn. 168; Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 162; Renzikowski JR 2022 423, 425; ders. MK Rdn. 201; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 149; Schäfer/Sander/van Gemmeren Rdn. 1621. 462 BGH bei Dallinger MDR 1973 555 (4. Senat); BGH StV 1995 635; StV 1996 26 (4. Senat); NStZ 2001 29 (5. Senat) m. krit. Anm. Hörnle StV 2001 454; NJW 2001 2185 (4. Senat). Für die Berücksichtigung bei der Strafzumessung auch Folkers Ausgewählte Probleme, S. 87. 463 BGH NStZ 2001 29. 464 S. etwa das Notzuchtsverbot in der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. von 1532, das nur unverleumdete Frauen schützte. S. dazu, dass in einem Strafrechtssystem, das Geschlechtsehre schützt, die Strafe bei Vergewaltigung einer „Dirne“ gemindert wird, Ort Die Notzucht (1933) S. 13. 465 BGH bei Janssen NStZ-RR 1998 326; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 358; BGH NStZ 2009 207; in dieselbe Richtung weist der 3. Senat, BGH NStZ 2001 646; offen gelassen in NStZ 2008 74. Hörnle
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VI. Qualifikationen nach Absatz 5
§ 177
c) Schuldmindernde Faktoren und Verhalten des Täters nach der Tat. S. Rdn. 135 ff.
215
d) Unzulässige Strafzumessungsfaktoren. S. dazu auch Rdn. 142 f. Gegen das Doppelver- 216 wertungsverbot (§ 46 Abs. 3) verstößt es, wenn die abstrakten Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes als strafschärfende Faktoren angeführt werden. Dies gilt etwa für die unspezifische Feststellung, die Tat sei mit körperlicher Gewalt vollzogen worden466 oder der Täter habe die Hilflosigkeit des Opfers ausgenutzt.467 Zwar ist das Ausmaß der Gewalt ein wichtiger Faktor für die Quantifizierung des Erfolgsunrechts; das Tatgericht muss jedoch den konkreten Zuschnitt der Gewalt beschreiben und bewerten. Genauso verfehlt wäre es, das Fehlen eines Einverständnisses als Strafzumessungsumstand anzuführen oder das Ausbleiben eines freiwilligen Rücktritts. Als unzulässig wird auch die Berücksichtigung der Gegenwehr des Opfers angesehen.468 Dies überzeugt jedoch nicht. Gegenwehr ist kein notwendiges Merkmal der Tatbestandsverwirklichung. Es verstößt deshalb nicht gegen § 46 Abs. 3, wenn das Niederringen der abwehrenden Anstrengungen des Opfers bei der Quantifizierung des Erfolgsunrechts veranschlagt wird.
e) Minder schwere Fälle (Absatz 9 2. Alt.). Für minder schwere Fälle reicht der Strafrahmen 217 von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. S. zu den allgemeinen Vorgaben für die Feststellung eines minder schweren Falls und dazu, dass die Gesamtbetrachtung, auf die die Rspr. abstellt, nicht überzeugt, Rdn. 145. Ein minder schwerer Fall der sexuellen Nötigung kommt vor allem dann in Betracht, wenn die Intensität der sexuellen Handlung nur wenig über der Erheblichkeitsschwelle (§ 184h Nr. 1) liegt,469 etwa bei einem Griff an die Brust oder einer flüchtigen Berührung der Genitalien oder bei Berührungen über der Kleidung.470 Wendet der Täter Gewalt an, die zu Verletzungen, Schmerzen oder anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat, sollte kein minder schwerer Fall angenommen werden (aA BGH StV 2021 302). Ein minder schwerer Fall der sexuellen Nötigung liegt nicht deshalb vor, weil Täter und 218 Opfer sich kannten oder in der Vergangenheit sexuelle Beziehungen hatten oder verheiratet sind. Die Annahme, dass ein minder schwerer Fall bei Bestehen einer längeren intimen Beziehung in Betracht käme (Fischer Rdn. 166), verstößt gegen die Wertungen in Art. 46 a) Istanbul-Konvention (Rdn. 129). 9. Konkurrenzen a) Innerhalb des § 177. S. zur natürlichen Handlungseinheit Rdn. 151. Nach st. Rspr. sollen 219 teilidentische Ausführungshandlungen für die Annahme von Handlungseinheit genügen, also auch dann, wenn dieselbe Gewaltanwendung oder Drohung (§ 177 Abs. 5 Nr. 1, 2) zu zeitlich getrennten sexuellen Handlungen geführt hat.471 Widersprüche treten allerdings auf, wenn man dies mit Urteilen zu § 177 Abs. 1 Nr. 3 a.F. vergleicht. Bei Ausnutzung derselben länger andauernden schutzlosen Lage des Opfers (z.B. beim mehrtägigen Einschließen in einer Wohnung) wurde wegen mehrerer sexueller Nötigungen in Tatmehrheit verurteilt (BGH NJW 2002 319, 320). Die unterschiedliche Behandlung von mehreren sexuellen Nötigungen nach § 177 Abs. 5 Nr. 1 und 2 466 467 468 469 470 471
Dagegen zu Recht BGH NStZ-RR 2002 136, 137. S. BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 366. BGH bei Miebach NStZ 1997 179. BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 358; BGH NStZ-RR 2003 205, 206; OLG Koblenz NJW 1974 870, 871. BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 358. BGH NStZ 1999 83; NStZ 2000 419, 420; NStZ-RR 2007 365; NStZ-RR 2013 19; NStZ-RR 2015 277; NStZ-RR 2018 223; BeckRS 2019 9934. 255
Hörnle
§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
einerseits, Nr. 3 andererseits bedeutet eine inkonsistente Unrechtswertung.472 Der Schwerpunkt des Unrechts liegt bei den sexuellen Handlungen, weshalb eine Verklammerungswirkung der Gewalt oder Drohung abzulehnen ist. Die Verurteilung wegen nur einer sexuellen Nötigung trotz mehrfacher sexueller Übergriffe bringt das Unrecht nicht klar zum Ausdruck. Die überzeugendere Lösung liegt darin, für zeitlich getrennte sexuelle Handlungen Tatmehrheit anzunehmen. 220 Wenn ein Täter mehrere sexuelle Handlungen begeht, die wegen des engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs zu einer natürlichen Handlungseinheit zusammenzufassen sind, und nur eine der Handlungen nach § 177 Abs. 5 qualifiziert ist, lautet der Schuldspruch für das gesamte Geschehen auf „sexuelle Nötigung“.473 Das Ausnutzen einer schutzlosen Lage wurde zunächst als „Auffangtatbestand“ charakteri221 siert;474 seit einiger Zeit geht die Rspr. aber zu Recht davon aus, dass diese Tatvariante zu denen in Nr. 1 und Nr. 2 nicht im Verhältnis der Subsidiarität steht (BGHSt 44 228, 230 f; 45 253, 259). Dies wirkt sich zwar nicht im Urteilstenor aus, aber bei der Strafzumessung (Rdn. 211). Ausnutzen einer schutzlosen Lage steht mit Drohungen oder Gewaltanwendung (z.B. Festhalten, Schläge) in Tateinheit und wirkt unrechtssteigernd (BGH NStZ-RR 2021 106). Bei sexuellen Nötigungen zu Lasten unterschiedlicher Opfer ist von Tatmehrheit auszu222 gehen (Rdn. 154).
223 b) Mit anderen Delikten. Tateinheit ist möglich mit den §§ 173, 174475 bis 174c, 176, 176a, 176c;476 182. In der Entscheidungsformel ist das Verbrechen der sexuellen Nötigung Missbrauchsdelikten voranzustellen.477 Tateinheit kann auch mit Zwangsprostitution (§ 232a) vorliegen.478 Von einer zur sexuellen Nötigung im Verhältnis der Tateinheit stehenden Körperverletzung i.S.d. §§ 223 ff ist auszugehen, wenn der Täter die Gesundheit des Opfers schädigt oder wenn die körperliche Misshandlung über den sexuellen Körperkontakt oder die Gewaltanwendung hinausgeht,479 etwa wenn das Opfer geschlagen wird (BGH NStZ-RR 2022 73 f). Würgt der Täter das Opfer, kann Tateinheit mit § 224 Abs. 1 Nr. 5 vorliegen.480 S. zu Freiheitsberaubung (§ 239) Rdn. 155 und zu Beleidigung Rdn. 156. Die Vorbereitung einer späteren sexuellen Nötigung durch eine Geiselnahme unterfällt 224 § 239b, wenn der Täter das Opfer entführt (BGHSt GS 40 350, 359).481 Kommt es im Anschluss an die Entführung zu der sexuellen Nötigung, ist von Tateinheit auszugehen.482 Für ein SichBemächtigen i.S.v. § 239b genügt es nicht, wenn der Täter etwa durch Vorhalten einer Waffe eine sexuelle Handlung erzwingt.483 Eine mit der sexuellen Nötigung in Tateinheit stehende Geiselnahme ist aber dann zu bejahen, wenn die Bemächtigungslage bereits eine gewisse Stabilität erreicht hat, bevor der Täter ein qualifiziertes Nötigungsmittel einsetzt.484 Eine nur wenige Minuten dauernde Bemächtigungslage kann genügen, da es nicht auf die Dauer ankommt, son-
472 473 474 475 476 477 478 479 480 481
BGH NJW 2002 381, 382. BGH BeckRS 2019 7662 (Rdn. 40–42, insoweit in BGHSt 64 55 nicht abgedruckt). BGH NStZ 1999 30. BGH NStZ 1997 337. BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 360; BGH NStZ 2004 440, 441. BGH NStZ 2002 656. BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 356; BGH NStZ-RR 2000 326; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 361. BGH bei Miebach NStZ 1995 224; BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 355; NStZ-RR 2008 339, 340. BGH NJW 2002 3264, 3265. BGH bei Miebach NStZ 1997 181; BGH NStZ 2001 247, 248; NStZ-RR 2002 108 f; BGH bei Pfister NStZ-RR 2007
365.
482 BGH NStZ 2001 247, 248; NStZ-RR 2003 45, 46; Renzikowski JR 1995 349, 350. 483 Renzikowski MK Rdn. 194. 484 BGHSt GS 40 350, 359; BGH NStZ 2008 209, 210; StV 2019 545, 546; BeckRS 2019 412. Hörnle
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VII. Besonders schwere Fälle (Absatz 6)
§ 177
dern auf die Intensität.485 Ein Bemächtigen liegt im Abschließen der Wohnung, außerdem in einer Bedrohung mit dem Tode (BGH StV 2019 545, 546). § 240 tritt hinter § 177 Abs. 5 zurück, wenn der Täter nur die vorgenommenen sexuellen 225 Handlungen durch Drohung oder Gewalt erreichen wollte; dagegen ist von Tateinheit auszugehen, wenn auch noch andere Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen bewirkt wurden.486 Tateinheit ist auch mit § 241 möglich; die von Gesetzeskonkurrenz ausgehende Rspr.487 überzeugt nicht, da § 177 Abs. 5 Nr. 2 nicht die Bedrohung mit einem Verbrechen voraussetzt. Taten nach § 177 Abs. 5 Nr. 1, 2 können mit Raub (oder räuberischer Erpressung und verwandten Delikten) in Tateinheit stehen, wenn beides auf dieselbe Gewaltanwendung zurückzuführen ist.488
VII. Besonders schwere Fälle (Absatz 6) 1. Die Regelbeispiele a) Vergewaltigung und andere besonders erniedrigende Handlungen (Absatz 6 Satz 2 Nr. 1) aa) Normzweck und Normstruktur. In § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 werden Vorgehensweisen be- 226 schrieben, die nicht nur die Intimsphäre in besonderem Ausmaß missachten, sondern bei denen auch die Verletzung der Menschenwürde des Opfers besonders deutlich wird (s. BTDrucks. 13/2463 S. 6: „brutale Erniedrigung des Opfers“). Penetrierende Handlungen können außerdem körperliche Integrität und Gesundheit verletzen oder gefährden: Das Eindringen in den Körper kann zu Verletzungen führen, ist oft schmerzhaft und riskant im Hinblick auf geschlechtlich übertragbare Krankheiten (BGHSt 45 131, 133 f) oder eine Schwangerschaft. Bis zum 33. StÄG v. 1.7.1997 war die Vergewaltigung ein Qualifikationstatbestand (so immer 227 noch in § 176c Abs. 1 Nr. 2), seither handelt es sich nur noch um ein Regelbeispiel für besonders schwere Fälle. Seit dem 50. StÄG v. 4.11.2016 bezieht sich das Regelbeispiel auf sexuelle Übergriffe nach § 177 Abs. 1 und Abs. 2 ebenso wie auf Nötigungen nach § 177 Abs. 5. Allerdings bleibt es, wenn der Grundtatbestand ein sexueller Übergriff ist, bei der Einordnung als Vergehen, s. § 12 Abs. 2, 3, was als wenig durchdacht kritisiert wird (Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3). Die Kombination von Vergewaltigung mit sexuellen Übergriffen nach § 177 Abs. 1, Abs. 2 bedeutet eine Ausweitung der Reichweite des Begriffs der Vergewaltigung. Eine Vergewaltigung setzt seither in Abkehr von historischen Wurzeln (Entstehungsgeschichte) weder Gewalt noch Angst des Opfers vor Gewalt voraus,489 wobei allerdings der traditionelle, auch sprachlich abgebildete Zusammenhang zu gewaltsamem Vorgehen bereits mit der Drohungsvariante und der Ausweitung auf die Ausnutzung einer schutzlosen Lage abgeschwächt worden war. Außerdem erweiterte das 50. StÄG die Reichweite des Tatbestands im Hinblick auf die Art der erfassten sexuellen Handlungen: Nunmehr erfasst das Regelbeispiel auch sexuelle Handlungen des Opfers mit Dritten oder an sich selbst (Rdn. 231, 247). Das (leider übermäßig kompliziert formulierte) Regelbeispiel in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 ent- 228 hält eine übergreifende Handlungsbeschreibung: sexuelle Handlungen, die das Opfer besonders erniedrigen. Die außerdem verwendete Formulierung „ähnliche sexuelle Handlungen“ warf die Frage auf, worauf sich diese Ähnlichkeit bezieht. Man könnte erwägen, das Regelbeispiel nur zu bejahen, wenn der Bewegungsablauf beischlafsähnlich ist. Zu beachten ist jedoch 485 486 487 488
BGH NStZ 2007 32, 33. BGH NStZ-RR 1996 227, 228; NStZ-RR 2002 235 f; NStZ 2008 209, 210; NStZ-RR 2014 139. BGH GA 1977 306; NStZ-RR 2002 235; BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 355; BGH BeckRS 2019 23557. BGH bei Miebach NStZ 1993 226; NStZ 1994 225, 226; NStZ 1998 187; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 360; NStZRR 2001 362. 489 Krit. Bezjak KJ 2016 557, 566; dies. ZStW 130 (2018) 303, 316; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 114. 257
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
der Unterschied zwischen § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 und § 176c Abs. 1 Nr. 2. Der Vergleichsmaßstab in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 ist nicht „den Beischlaf vollzieht“, sondern das maßgebliche Kriterium lautet: Handlungen, die das Opfer besonders erniedrigen.490 Es fallen also unter das Regelbeispiel in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 erstens Vergewaltigungen (das besonders erniedrigende Eindringen in den Körper), zweitens andere besonders erniedrigende sexuelle Handlungen.491 Der Klammerzusatz „Vergewaltigung“ bezieht sich nur auf die Eindringensvariante.492 Eine weitere Gruppe für die Anwendung des Strafrahmens in § 177 Abs. 6 bilden die unbenannten besonders schweren Fälle (Rdn. 256). 229 Nicht einheitlich ist die Rspr. zu der Frage, inwieweit bei Eindringen in den Körper zusätzlich noch geprüft werden muss, ob das Opfer besonders erniedrigt wurde. Nach einer Entscheidung des vierten Senats sind zwar Oral- und Analverkehr (also das Eindringen mit dem Glied) regelmäßig erniedrigend, im Übrigen müssten aber jeweils die Umstände des Einzelfalles benannt werden, die die Annahme der besonderen Erniedrigung stützen.493 Ein wenig später ergangenes Urteil des ersten Senats interpretierte das Wort „insbesondere“ in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 aber im Sinne von „vor allem“ (BGH NStZ 2001 598), was darauf hindeuten würde, dass sämtliche Formen des Eindringens notwendigerweise erniedrigen. Aus dem Wort „insbesondere“ ist aber nur zu schließen, dass Eindringen in den Körper ein typisches Beispiel für eine besonders erniedrigende Behandlung ist, nicht aber, dass damit zwangsläufig die besondere Erniedrigung zu bejahen ist.494 Es sind sehr ungewöhnliche Fallgestaltungen vorstellbar, in denen trotz eines Eindringens in den Körper eine besonders erniedrigende Wirkung zu verneinen ist (BGH NStZ 2000 254, 255). Einer Erörterung, ob die Handlung das Opfer besonders erniedrigt habe, bedarf es aber in typischen Konstellationen von Manipulationen in der Vagina oder dem After des Opfers nicht.495 Die Erniedrigung muss dem Tatopfer gelten. Es würde nicht ausreichen, wenn (etwa im Rahmen von sado-masochistischen Spielen) der Täter sich selbst oder eine dritte Person erniedrigt. Maßstab bei der Feststellung einer „besonderen Erniedrigung“ können nicht die Empfindungen der konkret betroffenen Geschädigten sein. In einem an Gleichheit und Gerechtigkeit orientierten Strafrechtssystem verbietet es sich, den Strafrahmen von persönlichen Empfindlichkeiten abhängig zu machen. Stattdessen muss das Maß der Erniedrigung aus einer objektiven Sicht, aus der Perspektive einer weder besonders empfindsamen noch besonders robusten Person bestimmt werden.496 Das 50. StÄG hat die als Vergewaltigung zu bezeichnenden Tathandlungen ausgedehnt. 230 Mit der Einführung der Beschreibungen „vollziehen lässt“ und „vornehmen lässt“ ist klargestellt, dass Täter auch ist, wer auf das Opfer einwirkt, damit dieses z.B. den Beischlaf eines Dritten duldet oder Gegenstände in den eigenen Körper einführt (Rdn. 231, 247). Zwar taucht das Wort „Dritte“ in § 177 Abs. 6 nicht auf, aber in den Gesetzesmaterialien wird auf diese Variante ausdrücklich verwiesen (BTDrucks. 18/9097 S. 28).
bb) Vergewaltigung 231 (1) Beischlaf. Beischlaf ist eine Variante in der Kategorie „Vergewaltigung“. Er ist vollzogen, wenn das männliche Glied in die weibliche Scheide eingedrungen ist. Irrelevant ist, ob die Geschlechtsorgane der Beteiligten von Geburt an vorhanden oder erst infolge einer operativen Geschlechtsumwandlung entstanden sind (aA LG Mannheim NStZ 1997 85 zur Vergewaltigung
490 491 492 493 494 495 496
Dazu, dass es nicht auf „Beischlafsähnlichkeit“ ankommen kann, Renzikowski NStZ 1999 381. Folkers Ausgewählte Probleme, S. 83 ff; dies. JR 2007 12 ff; Renzikowski NStZ 2000 368. AA Renzikowski MK Rdn. 155; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 99; Wolters/Noltenius SK Rdn. 93. BGH NJW 2000 672, 673; krit. Renzikowski NStZ 2000 367 f. AA Renzikowski NStZ 2000 368; ders. MK Rdn. 158. BGH NStZ 2000 254, 255; NStZ 2001 598; NStZ 2004 440, 441. Gaede NStZ 2002 240; Renzikowski NStZ 1999 381.
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VII. Besonders schwere Fälle (Absatz 6)
§ 177
eines Opfers, das sich einer Mann-zu-Frau-Operation unterzogen hatte).497 Es genügt, dass der Täter während eines zunächst einverständlich begonnenen Beischlafs nach einem Widerruf der Zustimmung diesen fortsetzt.498 Erfasst ist zum einen der Vaginalverkehr des männlichen Täters mit dem weiblichen Opfer und einer weiblichen Täterin mit einem männlichen Opfer, zum anderen diese Konstellationen auch zwischen dem Opfer und einer dritten Person (Rdn. 247). „Vollziehen lassen“ bedeutet wie die Merkmale „vornehmen lassen“ und „bestimmen“ in § 177 Abs. 1 und Abs. 2, dass der Täter das Opfer entweder zur aktiven Vornahme des Beischlafs mit einer dritten Person oder zu aktivem Verkehr mit ihm selbst aufgefordert hat, oder es zur Duldung entsprechender Aktivitäten bewogen hat, unter Missachtung des erkennbar entgegenstehenden Willens des Opfers. Es genügt nach st. Rspr. ein Eindringen in den sog. Scheidenvorhof.499 Dies wird im 232 Schrifttum kritisiert und als „Vorverlagerung“ der Strafbarkeit bezeichnet,500 was aber an unpräzisen Vorstellungen von anatomischen Details liegen dürfte.501 Auch dem Gesetzgeber ist insofern mangelnde Präzision vorzuwerfen, als in der Begründung zum SexualdelÄndG v. 27.12.2003 (zu § 176 Abs. 3 a.F.) ausgeführt wird, dass „Manipulationen im äußeren Genitalbereich, etwa am Scheidenvorhof“ erfasst werden sollen (BTDrucks. 15/350 S. 17). Der Scheidenvorhof gehört nicht zu den äußeren Genitalien. Während „Vulva“ die Gesamtheit der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane bezeichnet, nimmt der Begriff „Scheidenvorhof“ auf eine kleinere Region Bezug, die von den kleinen oder inneren Schamlippen abgegrenzt wird. Der zwischen den kleinen oder inneren Schamlippen liegende Bereich des weiblichen Körpers ist nicht mit der Vagina identisch: Diese mündet vielmehr, wie auch die Harnröhre, in den Scheidenvorhof.502 Mit Scheidenvorhof wird also ein Teil der weiblichen Geschlechtsorgane beschrieben, der im Grenzbereich zwischen Körperoberfläche und „im Körper“ liegt. Wird eine Entscheidung zwischen „noch außen“ oder „schon innen“ erforderlich, ist von Letzterem auszugehen, da der Scheidenvorhof durch die kleinen oder inneren Schamlippen verdeckt wird und am unbekleideten Körper nicht sichtbar ist, sondern erst, wenn die inneren Schamlippen auseinandergedrückt werden. Sobald das männliche Glied oder ein anderes Objekt zwischen die inneren Schamlippen gedrungen ist, liegt ein Eindringen in den Körper vor. Anders verhält es sich aus anatomischen Gründen, wenn nur die Klitoris berührt wird (BGH NStZ-RR 2021 105, 106). Die Prüfung einer besonderen Erniedrigung ist beim Beischlaf in der Regel entbehrlich.503 233 Dies gilt auch dann, wenn Tatopfer ein Mann ist, der z.B. durch Nötigung dazu gebracht wird, gegen seinen Willen Beischlaf mit einer Frau auszuführen. Auch dann, wenn eine atypische Opfersituation vorliegt, weil bei einer phänomenologischen Beschreibung des sexuellen Vorgangs das Opfer den körperlich aktiven Part übernommen hat, liegt in der Regel eine Erniedrigung vor. Die von anderen gesteuerte Reduzierung der eigenen Person auf ein physiologischmechanisch (mehr oder weniger) funktionierendes Reiz-Reaktions-Wesen ist bei fehlendem Wollen des Sexualkontakts erniedrigend. Sollte allerdings ein männliches Opfer in solchen atypischen Konstellationen angeben, dass er trotz des entgegenstehenden Willens den physiologischen Vorgang nicht als erniedrigend empfunden habe, könnte ein besonders schwerer Fall 497 Zu Recht krit. Reinhard NStZ 1997 86, 88 ff. Wer einen solchen Sachverhalt nicht unter „Beischlaf“ subsumiert, müsste jedenfalls ein besonders erniedrigendes Eindringen in den Körper bejahen, Wetzel S. 213. BGH NStZ 2003 165, 167; Wolters/Noltenius SK Rdn. 89; anders Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 115. BGHSt 16 175, 177; 37 153, 154; 46 176; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 354 f; NStZ-RR 2004 354. Folkers JR 2007 12 f; Fischer Rdn. 121 ff; Renzikowski MK Rdn. 156. Eine Ausnahme bildet die Argumentation von Folkers JR 2007 12 f. Zweifelhaft ist auch, ob die physiologischen Umstände in tatrichterlichen Entscheidungen korrekt beschrieben werden. Wenn der Täter „mit seinem Penis gegen die Scheide kommt“ (so die Beschreibung in BGH NStZ 2003 602, dort nur als einfache sexuelle Nötigung gewertet), müsste er in den Scheidenvorhof bereits eingedrungen sein. 502 S. die Stichwörter „Vulva“ und „Scheidenvorhof“ in Dressler (Bearb.) Pschyrembel Wörterbuch Sexualität (2003). 503 Renzikowski MK Rdn. 158; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 100; Wolters/Noltenius SK Rdn. 85. AA für die Rechtslage nach dem 50. StÄG Fischer Rdn. 128; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 115.
498 499 500 501
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
abgelehnt werden. Umstr. ist, ob das abredewidrige Weglassen oder Abstreifen eines Kondoms bedeutet, dass Beischlaf nicht nur als sexueller Übergriff (dazu Rdn. 35), sondern als Vergewaltigung zu bewerten ist. Wenn man davon ausgeht, dass Verkehr ohne Kondom eine andere Form der penetrativen sexuellen Handlung als Verkehr mit Kondom ist, scheint es (nicht nur für Beischlaf, sondern für alle Formen der Penetration) nahezuliegen, einen Regelfall nach Absatz 6 Satz 2 Nr. 1 anzunehmen.504 Allerdings ist es gut zu vertreten, den eigenmächtigen Verzicht auf das Kondom nicht als besondere Erniedrigung der anderen Person zu werten – Missachtung des erklärten Willens führt zur Einordung als sexueller Übergriff (Rdn. 35), aber nicht jedes Ignorieren des Willens der anderen Person erniedrigt diese in besonderer Weise; s. auch Rdn. 261.
234 (2) Andere Formen des Eindringens in den Körper. Bei manchen Varianten des Eindringens in den Körper bedarf es ebenfalls keiner besonderen Prüfung, ob diese besonders erniedrigend sind, nämlich dann, wenn eine männliche Person mit dem Glied in andere Körperöffnungen als die Vagina des Opfers eindringt, etwa in Form von Analverkehr505 oder durch ein Eindringen des Gliedes in den Mund des Opfers.506 Nicht nur Anal-, sondern auch Oralverkehr ist für das Opfer quälend und demütigend.507 Opfer kann auch ein Mann sein (Rdn. 233). Es kommt nicht darauf an, ob der Täter aktiv sein Glied bewegt oder ob er, beim Sexualkontakt passiv bleibend, das Opfer zur Einführung des Glieds nötigt: Der Gesetzeswortlaut umfasst sexuelle Handlungen „an dem Opfer“ ebenso wie solche, die der Täter „von ihm [dem Opfer] vornehmen lässt“.508 Seit dem 50. StÄG sind insbesondere auch die in der Praxis nicht seltenen Fälle erfasst, in denen das Opfer keinen Körperkontakt mit einem anderen Menschen hat, sondern im Kontext eines durch extreme Formen der Demütigung geprägten Geschehens dazu gebracht wird, Objekte in den eigenen Körper einzuführen (s. z.B. die Sachverhalte in BGH bei Pfister NStZ-RR 2010 363; NStZ-RR 2012 45; BGH NStZ-RR 2012 241, 242). Das Regelbeispiel umfasst auch Oralverkehr und Analverkehr, die das Opfer an einer dritten Person ausführt, was vor dem 50. StÄG nicht erfasst war.509 Zu beachten ist allerdings, dass nicht jede Form dessen, was alltagssprachlich „Oralver235 kehr“ genannt wird, auch eine Vergewaltigung ist. Entscheidend ist, ob damit ein Eindringen in den Körper verbunden ist (s. BGH NStZ 2000 27, 28 zu § 176a Abs. 2 Nr. 1 a.F., nun § 176c Abs. 1 Nr. 2). Dies ist bei Betätigung am männlichen Geschlechtsorgan nur der Fall, wenn dieses in den Mund genommen wird, d.h. zwischen die Lippen des Opfers (oder des Täters bzw. eines Dritten, Rdn. 230) eindringt.510 Werden mit Lippen und/oder Zunge die Genitalien eines weiblichen Opfers berührt, liegt eine Vergewaltigung vor, wenn der aktive Teil damit jedenfalls in den von den inneren Schamlippen umschlossenen Scheidenvorhof (Rdn. 232) gelangt.511 Oralverkehr
504 Dafür Makepeace KriPoZ 2021 10, 14; Ost/Weil jM 2021 346, 350; angedeutet in KG BeckRS 2020 17857 Rn. 41. 505 BTDrucks. 13/2463 S. 7; 13/7324 S. 6; BGH NJW 2000 672, 673; NStZ 2000 254; BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 353; BGH NStZ-RR 2009 238; Folkers NStZ 2000 471; Renzikowski MK Rdn. 158; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 101; Wolters/Noltenius SK Rdn. 88. 506 BTDrucks. 13/2463 S. 7; 13/7324 S. 6; BGH NJW 2000 672, 673; NStZ 2000 254; BGH NStZ-RR 2009 238; OLG Hamm NStZ-RR 2001 270, 271; Folkers NStZ 2000 471; Renzikowski MK Rdn. 158; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 101; Wolters/Noltenius SK Rdn. 88. 507 Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 227; dies. ZStW 103 (1991) 55 ff; Streng NStZ 1985 359, 360. 508 Das 33. StÄG v. 1.7.1997 hatte zunächst nur Handlungen des Täters „an dem Opfer“ in das Regelbeispiel aufgenommen. Für den Zeitraum bis zum Inkrafttreten des 6. StrRG war umstr., inwieweit Oralverkehr, für dessen Durchführung das Opfer aktiv werden musste, unter das Regelbeispiel zu fassen war, s. BGH JR 2000 475 m. krit. Anm. Kudlich JR 2000 476. 509 S. zum alten Recht BGH bei Pfister NStZ-RR 2010 361. 510 Etwas restriktiver Folkers JR 2007 12: wenn die Zahnreihe passiert wurde. 511 AA Folkers Ausgewählte Probleme, S. 89. Hörnle
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VII. Besonders schwere Fälle (Absatz 6)
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im weiteren Sinne, d.h. der nicht penetrierende Oralkontakt mit Genitalien, ist aber in der Regel eine andere besonders erniedrigende sexuelle Handlung, die ebenfalls das Regelbeispiel erfüllt. Obwohl der vierte Senat des BGH betont, dass sich der erniedrigende Charakter von Oralund Analverkehr von selbst verstehe, will er bei Prostituierten eine andere Betrachtung zugrunde legen.512 Bei Taten gegen Prostituierte ist jedoch das Unrecht nicht gemindert (Rdn. 214) und es ist außerdem inkonsequent, nur bei dieser Opfergruppe auf (angeblich) geminderte Empfindlichkeit abzustellen. Würde man die Erniedrigung konkret-individuell bestimmen, müsste bei allen Tatopfern deren persönliche Einstellung etwa zu Oral- und Analverkehr ermittelt werden. Auch das Eindringen eines Gegenstands in den Körper kann erniedrigen (BTDrucks. 13/ 2463 S. 7; 13/7324 S. 6). Eine Vergewaltigung begeht, wer z.B. eine Flasche,513 eine Kerze,514 einen Schraubendreher oder einen sonstigen metallischen Gegenstand,515 einen Brillenbügel,516 eine Banane517 oder andere Gegenstände in die Vagina oder den Anus des Opfers einführt. Dasselbe gilt, wenn der Täter ein Tier zur Penetration benutzt (BGH NStZ-RR 2008 370). Besonderer Feststellungen zur Erniedrigung bedarf es nicht, wenn Vagina oder Anus betroffen sind.518 Auch Körpersekrete, andere Flüssigkeiten oder weiche Substanzen können in den Körper eindringen, etwa wenn der Täter in den Mund des Opfers ejakuliert (BGHSt 53 118, 120 f; 59 263, 268 ff). Nach der Änderung durch das 50. StÄG sind auch Fälle erfasst, in denen das Opfer dazu gebracht wird, selbst mit einem Gegenstand den eigenen Körper zu penetrieren oder Eindringen durch Dritte zu dulden, s. z.B. BGH NStZ-RR 2020 276, 277. Unter Umständen, wenn die Selbstpenetration ohne Zuschauer erfolgt und vergleichsweise wenig intensiv ausfällt (s. z.B. Rdn. 239: Eindringen mit einem Finger), kann die Regelfallwirkung verneint werden.519 Wenn das Opfer genötigt oder sonst gegen seinen Willen dazu gebracht wird, mit einem Gegenstand in den Körper des Täters oder eines Dritten einzudringen, kann es an einer besonderen Erniedrigung fehlen.520 Es bedeutet eine etwas geringere Verletzung der eigenen Intimsphäre, wenn man nicht mit eigenen intimen Körperteilen ungewollten Verkehr mit einem ungewollten Sexualpartner oder Fremdkörper hat. Die Rspr. zum Eindringen mit einem Finger ist nicht einheitlich, jedenfalls insoweit nicht, als es um ein Eindringen in die Vagina des Opfers geht (anders beim Einführen eines Fingers in den Anus: Subsumtion unter § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1521). Der vierte Senat hatte bei einem kindlichen Opfer § 176a Abs. 2 Nr. 1 a.F. bejaht, aber bei der Prüfung von § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 befunden, dass hierfür nicht ausreiche, wenn der Täter über der Kleidung zugreife und diese mit seinem Finger in die Scheide hineindrücke (BGH NJW 2000 672, 673 m. krit. Anm. Renzikowski NStZ 2000 367). Neuere Entscheidungen kommen aber zu dem Ergebnis, dass auch das Eindringen mit dem Finger in die Vagina eine besonders erniedrigende sexuelle Handlung ist.522 Zu beachten ist aber bei der Strafzumessung, dass das Eindringen mit dem Finger in die Vagina oft am unteren Rand der Schwereskala möglicher Vergewaltigungen liegt. Kommen weitere mildernde Umstände hinzu, wäre die Einstufung als besonders schwerer Fall nicht mehr angemessen. 512 BGH NJW 2001 2185, 2186; aA wegen der Tatumstände BGH NStZ-RR 2008 74. Krit. Fischer Rdn. 136; Gaede NStZ 2002 238 ff; Renzikowski MK Rdn. 159; Wolters/Noltenius SK Rdn. 88. BGH StV 2002 80; NStZ-RR 2008 339, 340. Vgl. BGH NStZ 2000 140. BGHSt 46 225, 226. Vgl. BGH NStZ 2005 268. BGH StV 2002 80. Renzikowski Rdn. 158; aA Fischer Rdn. 134; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 100. Wagner NStZ 2021 592, 595. Renzikowski MK Rdn. 155; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 102. BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 325; NStZ-RR 2021 105. BGH NStZ 2000 254, 255; NStZ 2001 598; NStZ 2004 440, 441; NStZ 2008 209, 210; NStZ-RR 2021 105. Ebenso LG Augsburg NStZ 1999 307, 308; OLG Frankfurt NStZ 2021 173, 174. AA Folkers NStZ 2000 471 f.
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Führt der Täter andere Körperteile, etwa eine Faust, in den Körper des Opfers ein, fällt dies ebenfalls unter § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1.523 Bei einem Zungenkuss ist zwar eine erhebliche sexuelle Handlung zu bejahen (Rdn. 18); in der Regel wird jedoch eine besondere Erniedrigung i.S.v. § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 zu verneinen sein.524 Die Frage, ob das Einführen eines Gegenstands oder eines Fingers in den Mund des Op241 fers unter § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 fällt, stellt sich dann nicht, wenn ein objektiver Sexualbezug und damit eine sexuelle Handlung zu verneinen ist. Sollte sich aus dem Kontext ein Sexualbezug ergeben, so bleibt zu berücksichtigen, dass Gegenständen bzw. Fingern im Mund eines Menschen keine herausgehobene Bedeutung im Sinne von „verletzter Intimsphäre“ zukommt. Meist wird deshalb ein Regelbeispiel ausscheiden;525 für ein anderes Ergebnis bedürfte es ungewöhnlicher Umstände. Verletzt der Täter aus sadistischen Motiven eine andere Person in einer äußerlich nicht als 242 Sexualakt erkennbaren Weise (etwa durch einen Stich mit einer Nadel oder einem Messer, der dem bekleideten Opfer versetzt wird), fehlt es an einer sexuellen Handlung. Ist der sexuelle Kontext erkennbar, so fallen derartige Konstellationen unter § 177 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5, nicht aber unter das Merkmal „Eindringen“ – es kann sich aber um eine andere besonders erniedrigende Handlung oder einen unbenannten besonders schweren Fall eines sexuellen Übergriffs oder einer sexuellen Nötigung handeln.526
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243 (3) Schuldspruch bei Vergewaltigung und versuchter Vergewaltigung. Der Täter ist, wenn ein Eindringen in den Körper vorliegt, „wegen Vergewaltigung“ zu verurteilen.527 Die Verwendung des Begriffs „Vergewaltigung“ in der Gesetzesüberschrift auch nach den Änderungen durch das 50. StÄG bedeutet, dass an der in Alltags- und Rechtssprache fest verankerten Tatbezeichnung festgehalten werden sollte. § 260 Abs. 4 Satz 2 StPO verweist auf die gesetzliche Überschrift des anzuwendenden Straftatbestandes zur Bezeichnung der Tat in der Urteilsformel. Die Nebenklage kann allerdings, weil § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 nur eine Rechtsfolgenbestimmung ist und § 400 Abs. 1 StPO insoweit die Rechtsmittelbefugnis verwehrt, ein Urteil nicht deshalb angreifen, weil der Täter nicht wegen Vergewaltigung verurteilt wurde.528 „Wegen Vergewaltigung“ wird auch verurteilt, wenn mehrere sexuelle Handlungen begangen wurden, die jeweils unter § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 fallen.529 Der BGH spricht sich für die Urteilsformel „wegen Vergewaltigung“ auch dann aus, wenn ausnahmsweise ein Eindringen in den Körper nicht mit einer besonderen Erniedrigung verbunden war.530 Dies überzeugt nicht: Die Definition des Begriffs in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 a.E. bezieht sich auf einen Unterfall der erniedrigenden Handlungen. Eine nicht erniedrigende Vergewaltigung kann es deshalb nicht geben.531 Wenn das Regelbeispiel der Vergewaltigung vorlag, kommt es für die Urteilsformel nicht darauf an, ob der Tatrich-
523 OLG Celle NStZ-RR 2005 263, 264. 524 S. BGH NJW 2000 672 (zu § 176a Abs. 2 Nr. 1 a.F.); BeckRS 2020 34567; Fischer Rdn. 135; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 102. Ebenso i.Erg. Renzikowski NStZ 1999 381; ders. NStZ 2000 367; ders. MK Rdn. 157: Es fehle die dem Beischlaf vergleichbare Erheblichkeit. 525 Renzikowski NStZ 2000 367; ders. MK Rdn. 157; anders für das Beispiel eines Dildos Folkers Ausgewählte Probleme, S. 87; Harbeck S. 45. 526 Fischer Rdn. 131; Renzikowski MK Rdn. 157. 527 St. Rspr., s. z.B. BGH NJW 1998 2987, 2988; NStZ-RR 2003 358; BeckRS 2017 115067; NStZ-RR 2019 13; BeckRS 2019 3387; BeckRS 2019 34386; Fischer Rdn. 145; Renzikowski MK Rdn. 223; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 106; Wolters/ Noltenius SK Rdn. 92. 528 BGH NStZ-RR 2003 306; BeckRS 2021 20683. 529 BGH NJW 1999 1041, 1042; NStZ-RR 1999 78. 530 BGH NStZ-RR 2003 306. 531 Fischer Rdn. 146; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 106. Hörnle
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VII. Besonders schwere Fälle (Absatz 6)
§ 177
ter aufgrund anderer ungewöhnlicher mildernder Umstände den Strafrahmen in Absatz 6 nicht anwendet.532 Liegt zusätzlich zum Eindringen in den Körper gemeinschaftliches Handeln gem. Abs. 6 244 Satz 2 Nr. 2 vor, soll es nach einer in der Lit. vertretenen Ansicht beim Schuldspruch „wegen Vergewaltigung“ bleiben.533 Präziser ist allerdings ein Schuldspruch „wegen gemeinschaftlich begangener Vergewaltigung“. Bei der Kombination von sexueller Nötigung mit Vergewaltigung beschränkt sich der Schuldspruch dagegen auf „Vergewaltigung“, wenn das Geschehen eine natürliche Handlungseinheit bildet (BeckRS 2019 3387). Wenn weder eine sexuelle Nötigung bzw. ein sexueller Übergriff noch die angestrebte Ver- 245 gewaltigung zur Vollendung gelangt sind, ist auf „versuchte Vergewaltigung“ zu erkennen.534 Dies gilt auch bei vollzogenem Beischlaf (oder einer anderen Form des Eindringens), wenn der Täter eine Vergewaltigung beabsichtigte, dann aber (etwa wegen entsprechenden Verhaltens des Opfers) irrtümlich glaubte, dass das Opfer einverstanden sei. S. zu Fragen des Rücktritts Rdn. 206 f. Blieb die angestrebte Vergewaltigung im Versuchsstadium stecken, nachdem eine sexu- 246 elle Nötigung bereits vollendet war, soll nach der Rspr. nur auf sexuelle Nötigung zu erkennen sein,535 weil „neben dem vollendeten Grundtatbestand im Schuldspruch für den Versuch der Verwirklichung eines Regelbeispiels kein Raum mehr“ sei (BGH NJW 1998 2987, 2988; BGH NStZ-RR 2020 211; NStZ-RR 2020 312). Dasselbe müsste für die Kombination eines vollendeten sexuellen Übergriffs und versuchter Vergewaltigung gelten. Der Schuldspruch „wegen sexuellem Übergriff/sexueller Nötigung und versuchter Vergewaltigung“ beschreibt das Tatunrecht jedoch präziser und ist deshalb zu empfehlen.536
(4) Täterschaft und Teilnahme. Täter können (wie Opfer) männlichen oder weiblichen Ge- 247 schlechts sein; oder eine andere geschlechtliche Identität (angenommen) haben. Seit dem 50. StÄG schließt die Beschreibung der Handlungen in § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 das Merkmal „vornehmen lassen“ ein. Damit kann (anders als nach altem Recht)537 Mittäter einer Vergewaltigung sein, wer ohne eigene sexuelle Handlung auf das Opfer eingewirkt hat (BGH NStZ 2019 275; BGH BeckRS 2020 412). Außerdem erfasst § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 seit der Erweiterung durch das 50. StÄG in weiterem Umfang Fälle, in denen die Opfer penetrierende oder sonstwie besonders demütigende Handlungen vollziehen oder vornehmen. Während nach altem Recht bei Aktivitäten des Opfers entscheidend war, ob es zu Sexualkontakt zwischen Täter und Opfer kam, ist das Regelbeispiel nun auch dann einschlägig, wenn das Opfer am Körper eines Dritten oder am eigenen Körper penetrierende und andere erniedrigende Akte vornimmt. Soweit in solchen Fällen Täter auf das Opfer einwirken, ergibt sich dies aus dem gesetzlichen Merkmal „vornehmen lassen“. Die Diskussion, ob als allgemeine Regel sexuelle Handlungen eigenhändige Begehung erfordern, kann allerdings nach wie vor bei der Prüfung von Mittäterschaft oder mittelbarer Täterschaft eine Rolle spielen. Dies ist dann der Fall, wenn die Person, die wegen ihrer dominanten Rolle nach allgemeinen Regeln Mittäter oder mittelbarer Täter ist, nicht selbst auf das 532 BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 353; NStZ-RR 2000 357; NStZ-RR 2001 356; NStZ-RR 2002 356; NStZ-RR 2003 358; BGH NStZ-RR 2020 313; Schäfer/Sander/vanGemmeren Praxis der Strafzumessung Rdn. 1618; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 106. AA Renzikowski MK Rdn. 223. 533 Fischer Rdn. 145. 534 BGH NJW 1998 2987, 2988; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 356; NStZ-RR 2004 356; BGH StV 2005 135; BGH bei Pfister NStZ-RR 2006 367; Reichenbach Jura 2004 264 ff; Fischer Rdn. 147; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 21; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 106; Wolters/Noltenius SK Rdn. 92. AA Renzikowski MK Rdn. 223. 535 BGH NJW 1998 2987, 2988; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 355; BGH NStZ 2003 602; BeckRS 2018 15168. Zust. Fischer Rdn. 147; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 106. 536 S. auch Maatz NStZ 1995 209, 212; Reichenbach Jura 2004 264 ff; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 21; Wolters/Noltenius SK Rdn. 92. 537 S. zur Rechtslage vor Inkrafttreten des 50. StÄG BGH NStZ-RR 2009 278; NStZ-RR 2012 45; NStZ 2013 658. 263
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Opfer eingewirkt hat. Da das Konstrukt „Eigenhändigkeit“ abzulehnen ist (Vor § 174 Rdn. 57 ff), ist auch unter diesen Umständen Mittäterschaft oder mittelbare Täterschaft zu bejahen. Mittelbarer Täter einer Vergewaltigung kann sein, wer das Eindringen in den Körper des Opfers einem schuldlos Handelnden überlässt (s. den Sachverhalt in OLG Brandenburg NJW 2000 3579: Vergewaltigung einer Frau durch einen auf Geheiß der Täter handelnden dreizehnjährigen Jungen). Mittäter kann sein, wer ohne eigenen Opferkontakt durch seine Planung und Beherrschung des Geschehens Tatherrschaft hat. 248 Wer zu einer Vergewaltigung nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 angestiftet oder dabei Hilfe geleistet hat, ist wegen Anstiftung bzw. Beihilfe zur Vergewaltigung zu bestrafen. Die Verurteilung wegen Beihilfe setzt nicht voraus, dass der Gehilfe bei der sexuellen Handlung anwesend ist (BGH bei Pfister NStZ-RR 2021 3). Es gelten die allgemeinen Akzessorietätsregeln, wenn ein Regelbeispiel (einem Qualifikationstatbestand vergleichbar) unrechtssteigernde Tatmodalitäten beschreibt.538
249 cc) Sonstige besonders erniedrigende sexuelle Handlungen. Das Regelbeispiel des besonders schweren Falles des sexuellen Übergriffs oder der sexuellen Nötigung (Absatz 6 Satz 2 Nr. 1) ist auch dann erfüllt, wenn eine nicht penetrierende Handlung besonders erniedrigend ist. Eine Fallgruppe hierfür sind orale Praktiken, bei denen das Eindringen in den Körper fehlt: wenn das Opfer sich am Glied des Täters betätigen muss oder wenn der Täter oder Dritte dies an den Genitalien des Opfers tun. Besonders erniedrigend kann ferner der Einsatz bestimmter Substanzen sein, die auf den Körper des Opfers gebracht werden oder mit denen es sonst in Berührung kommt (etwa Urin, Kot, Sperma).539 Wenn der Täter in das Gesicht des Opfers ejakuliert, ist eine besondere Erniedrigung zu bejahen,540 ebenso, wenn er das Opfer dazu zwingt, Ejakulat zu schlucken.541 Dasselbe gilt für Handlungen, die der Täter in einem sadistischen Kontext vornimmt (Fesseln, Schlagen, das Opfer unterwerfende „Rollenspiele“). Seit der Neufassung durch das 50. StÄG genügt es, dass das Opfer erniedrigende sexuelle Handlungen am oder mit dem eigenen Körper vornimmt. Eine Erniedrigung kann auch darin liegen, dass der Täter das Opfer über den Vollzug der sexuellen Handlung hinaus zu Nacktheit zwingt, etwa wenn er das Opfer nach der Tat am Ankleiden hindert.542 Der Schuldspruch lautet in solchen Fällen „sexueller Übergriff“ oder „sexuelle Nötigung“. 250 Der Begriff „Vergewaltigung“ in der Gesetzesüberschrift und in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 bezieht sich nur auf das Eindringen in den Körper. Im Übrigen wirkt sich die Erfüllung eines Regelbeispiels nach Absatz 6 Satz 2 Nr. 1 nicht auf die Tenorierung aus.543
251 b) Gemeinschaftliche Begehung der Tat (Absatz 6 Satz 2 Nr. 2). Bei diesem Regelbeispiel gab es keine Änderungen durch das 50. StÄG. In älteren Gesetzesmaterialien wurde ausgeführt, dass gemeinschaftliche Tatbegehung die Abwehrchancen des Opfers vermindere und es regelmäßig zu besonders massiven sexuellen Handlungen komme (BTDrucks. 13/2463 S. 7). Für Letzteres ist auf mögliche gruppendynamische Prozesse zu verweisen. Unproblematisch ist das Regelbeispiel zu bejahen, wenn mindestens zwei Personen als Mittäter sexuelle Handlungen am Opfer vornehmen oder an sich vornehmen lassen. Es fällt aber auch unter § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2, wenn ein Mittäter bei anderen notwendigen Elementen von Taten nach § 177 Abs. 1, 2, 5 538 539 540 541 542 543
Kindhäuser NK § 243 Rdn. 50; Renzikowski MK Rdn. 182. Folkers Ausgewählte Probleme, S. 92; Kieler S. 47; Wolters/Noltenius SK Rdn. 88. Folkers Ausgewählte Probleme, S. 92; Wolters/Noltenius SK Rdn. 88. OLG Hamm NStZ-RR 2001 270, 271; Folkers Ausgewählte Probleme, S. 92; Wolters/Noltenius SK Rdn. 88. Folkers Ausgewählte Probleme, S. 92. BGH bei Pfister NStZ-RR 2006 365; BGH NStZ 2008 623, 624; Fischer Rdn. 145; Harbeck S. 48. AA Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 106; Wolters/Noltenius SK Rdn. 93. Hörnle
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VII. Besonders schwere Fälle (Absatz 6)
§ 177
mitwirkt, etwa der kommunikativen Einwirkung auf das Opfer, der Überraschung des Opfers oder bei Drohungen bzw. Gewalt. Es genügt sukzessive Mittäterschaft.544 Anders zu beurteilen sind Fälle, in denen eine zweite Person lediglich im Vorfeld zur Tat 252 beigetragen hat, ohne am Tatort in zeitlicher Nähe zum sexuellen Übergriff mitzuwirken.545 Wenn die Bedrohlichkeit der Tat aus Opferperspektive nur durch die eine anwesende Person geprägt wurde, fehlt die erhebliche Unrechtssteigerung, die für den Strafrahmen in § 177 Abs. 6 erforderlich wäre. Dies genügt nicht zur Erfüllung des Regelbeispiels. Zwar kann unter Umständen durch besonders raffinierte arbeitsteilige Vorbereitung (etwa wenn das Opfer von einer mit dem Täter zusammenwirkenden Person in eine Falle gelockt wurde) die Bedrohungslage für das Opfer signifikant gesteigert worden sein. Diesem Umstand kann jedoch ggf. durch Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls Rechnung getragen werden. Sind am Tatort mindestens zwei Personen aktiv geworden, so kann auch einem abwesenden weiteren Mittäter das Tatgeschehen gem. § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 zugerechnet werden. Die h.M. (so auch BGH NStZ 2017 580 f) geht davon aus, dass nur Mittäter, nicht aber 253 Gehilfen unter § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 fallen, weil dort, anders als in § 224 Abs. 1 Nr. 4, das Wort „Beteiligter“ fehlt.546 Es ist allerdings den Materialien zur Normgenese nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die unterschiedlichen Formulierungen mit Bedacht gewählt hat. Der mit § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 identische § 176c Abs. 1 Nr. 3 wurde wie § 224 Abs. 1 Nr. 4 mit dem 6. StrRG v. 26.1.1998 eingeführt (damals als § 176a Abs. 2 Nr. 2), wobei auf die kleine Wortlautabweichung in den Gesetzesmaterialien nicht eingegangen wurde (s. § 176c Rdn. 26). Inhaltliche Bedeutung lässt sich der abweichenden Formulierung nicht entnehmen. Der Schutzzweck der Norm legt es nahe, unter bestimmten Umständen auch Gehilfen einzubeziehen. Entscheidend ist, ob der Gehilfe am Tatort anwesend war und durch seine Beteiligung den Täter in einer Weise unterstützt hat, die den bedrohlichen Charakter der Situation für das Opfer deutlich erhöhte. Dies wäre etwa zu bejahen, wenn der Gehilfe den Täter zum Weitermachen anfeuerte, aber auch dann, wenn sich der Gehilfe in unmittelbarer Nähe befand und dem Täter assistierte (aA BGH NStZ 2017 580). Der Gehilfe, der selbst keinen sexuellen Körperkontakt mit dem Opfer hatte, ist nur wegen Beihilfe zum sexuellen Übergriff oder zur sexuellen Nötigung zu bestrafen; er wird wegen der gemeinschaftlichen Begehung nicht zum Mittäter.547 Beteiligung durch Unterlassen genügt nicht für die Anwendung von § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 auf das Tun des Täters.548 Auch bei Vorliegen des Regelbeispiels in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 soll der Schuldspruch 254 nach h.M. „wegen sexuellen Übergriffs“ bzw. „wegen sexueller Nötigung“ lauten; das Merkmal „gemeinschaftlich“ gehöre nicht in die Tenorierung.549 Passender ist jedoch die Bezeichnung „gemeinschaftlich begangener sexueller Übergriff“ bzw. „gemeinschaftlich begangene sexuelle Nötigung“ oder „gemeinschaftlich begangene Vergewaltigung“. Kommt zu einer Verurteilung wegen einer Tat nach § 177 Abs. 1, 2 oder 5 Beihilfe oder Anstiftung zur Vergewaltigung hinzu, ist dies in den Schuldspruch „wegen gemeinschaftlich begangenem sexuellen Übergriff/sexueller Nötigung in Tateinheit mit Beihilfe/Anstiftung zur Vergewaltigung“ aufzunehmen.
544 BGH NJW 1999 2909, 2919; aA Renzikowski MK Rdn. 161. 545 Für die Beschränkung auf am Tatort anwesende Mittäter auch Fischer Rdn. 140; Renzikowksi NStZ 1999 382; ders. MK Rdn. 161; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 108; Schroth JZ 2003 215, 216; Wolters/Noltenius SK Rdn. 95.
546 Fischer Rdn. 140; Renzikowksi NStZ 1999 382; ders. MK Rdn. 160; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 108; Wolters/Noltenius SK Rdn. 95. Ähnlich wie hier Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 120.
547 BGH NStZ-RR 2009 10 zu § 224 Abs. 1 Nr. 4. 548 Renzikowski MK Rdn. 160; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 108; Wolters/Noltenius SK Rdn. 95. 549 BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 357; NStZ-RR 2008 363; Renzikowski MK Rdn. 223; Wolters/Noltenius SK Rdn. 95. Für die Möglichkeit der hier vorgeschlagenen Tenorierung auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 108. 265
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
255 c) Subjektive Voraussetzungen. Die Regelbeispiele in § 177 Abs. 6 Satz 2 sind im Hinblick auf die subjektive Tatseite wie Tatbestandsmerkmale zu behandeln.550 Sie kommen nur zur Anwendung, wenn der Täter um die angeführten Umstände wusste oder jedenfalls auch insoweit mit dolus eventualis handelte.
2. Unbenannte besonders schwere Fälle 256 Neben den in § 177 Abs. 6 Satz 2 aufgeführten Regelbeispielen sind unbenannte besonders schwere Fälle möglich. Da eine erhebliche Beeinträchtigung durch den Sexualakt als solchen regelmäßig mit der Beschreibung „besonders erniedrigen“ in Absatz 6 Satz 2 Nr. 1 erfasst wird und massive Gewalt oft unter Absatz 7 Nr. 3, Absatz 8 Nr. 2 fällt, verbleiben für unbenannte besonders schwere Fälle nicht viele Konstellationen. Zu denken ist etwa an eine besonders grausame Vorgehensweise.551 Wird ein Kind Opfer eines sexuellen Übergriffs oder einer sexuellen Nötigung, ergibt sich bereits aus der Konkurrenz mit § 176 oder § 176c eine Straferschwerung. Der zusätzlichen Einstufung als unbenannter besonders schwerer Fall i.S.v. § 177 Abs. 6 bedarf es deshalb nicht.552 Ein unbenannter besonders schwerer Fall wäre anzunehmen, wenn es ohne Eindringen in den Körper zu einer Schwangerschaft käme (etwa wenn der Täter auf den sog. Scheidenvorhof, Rdn. 232, ejakuliert), außerdem auch dann, wenn der Täter einen sexuellen Übergriff oder eine sexuelle Nötigung mit deutlich demütigendem Charakter gefilmt hat.553 Verurteilt wird bei unbenannten besonders schweren Fällen „wegen sexuellem Übergriff“ 257 bzw. „wegen sexueller Nötigung“, nicht wegen Vergewaltigung.554
3. Verneinung eines besonders schweren Falles trotz Vorliegens eines Regelbeispiels 258 a) Abweichung von der Vermutung des besonders schweren Falles; Anwendung von Absatz 9 1. Alt. Liegen Tatumstände gem. § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 oder 2 vor, muss entschieden werden, ob ein besonders schwerer Fall vorliegt. Das Gesetz begründet eine entsprechende Vermutung. Da das Regelbeispiel in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 eine besondere Erniedrigung des Opfers voraussetzt, wird damit Unrecht indiziert, das der Verneinung eines besonders schweren Falles meistens entgegensteht. Das Gericht kann es bei der Feststellung des Vorliegens eines Regelbeispiels bewenden lassen, sofern nicht Besonderheiten nahelegen, die gesetzliche Vermutung eines besonders schweren Falles zu überprüfen und zu begründen.555 Nur gewichtige Milderungsgründe rechtfertigen die Nichtanwendung des Regelstrafrahmens (BGH NStZ 2009 444; NStZ-RR 2009 203). In der Praxis wurde die Unrechtsschwere, die die Verwirklichung des Regelbeispiels in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 bedeutet, allerdings oft nicht ernst genommen, und fragwürdige Ausnahmen wurden von der Vermutung eines besonders schweren Falles gemacht, wenn Täter und Opfer bekannt oder verheiratet waren (Rdn. 263). Wird trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ausnahmsweise ein besonders schwerer Fall ver259 neint, ist der Strafrahmen in Absatz 1 bis 5 zugrunde zu legen. Die Tendenz zu einer nachsichtigen Haltung in der strafrichterlichen Praxis zeigt sich auch darin, dass sogar die Anwendung des Strafrahmens in Absatz 9 1. Alt. für Taten nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 erlaubt wird: Bei einer Fülle von gewichtigen Milderungsgründen soll eine doppelte Strafrahmenverschiebung 550 551 552 553 554 555
BGH NStZ-RR 2004 262. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 121; Renzikowski MK Rdn. 154. AA Renzikowski MK Rdn. 154. Renzikowski MK Rdn. 154. BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 356; NStZ-RR 2006 365. BGH NStZ-RR 2003, 110.
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VII. Besonders schwere Fälle (Absatz 6)
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möglich sein.556 Dies ist nicht überzeugend. Wurde eine erhebliche Erniedrigung des Opfers festgestellt, muss es regelmäßig beim Strafrahmen in Absatz 6 bleiben. Umstände, unter denen trotz einer erheblich erniedrigenden Tat eine zweifache Rahmenmilderung angemessen wäre, sind kaum vorstellbar.557 Die Rspr. privilegierte auch an dieser Stelle Täter, die Vergewaltigungen zu Lasten früherer Intimpartnerinnen begehen.558 Derartige doppelte Strafrahmenmilderungen sind zu vermeiden. Sie stehen in deutlichem Widerspruch zu Art. 46 a) der Istanbul-Konvention.
b) Fallgruppen aa) Begründeter Verzicht auf die Einordnung als besonders schwerer Fall. Der Verzicht 260 auf die Einstufung als besonders schwerer Fall ist begründet, wenn leichtes Erfolgsunrecht (sexuelle Handlungen, die die Erheblichkeitsschwelle nur knapp überschreiten) gemeinschaftlich (§ 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2) verwirklicht wurde. Eine Ahndung als Normalfall ist unter ungewöhnlichen Umständen auch dann möglich, 261 wenn eine sexuelle Handlung zwar als erniedrigend eingestuft wurde, es sich aber ebenfalls um einen Grenzfall handelte (etwa bei einem kurzzeitigen Eindringen eines Fingers in die Vagina). Wenn der abredewidrige Verzicht auf ein Kondom oder das Abstreifen eines Kondoms (Stealthing, s. Rdn. 35) unter § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 gefasst wird (Rdn. 233), kann trotzdem auf die Einstufung als besonders schwerer Fall verzichtet werden, wenn das Opfer keine Folgen (weder Infektionen noch Schwangerschaft) zu tragen hatte.559 bb) Problematischer Verzicht auf die Einordnung als besonders schwerer Fall. Proble- 262 matisch ist es, ohne Berücksichtigung der Eingriffsintensität der sexuellen Handlung einen besonders schweren Fall zu verneinen.560 Die Rspr. verweist gelegentlich auf Auflistungen von (manchmal nur vermeintlichen) Milderungsgründen,561 ohne zu erörtern, ob diese angesichts erheblichen Erfolgsunrechts wirklich die Einstufung als „nicht besonders schwerer Fall“ tragen. Bei gravierendem Tatunrecht ist der Verzicht auf die Einordnung als besonders schwerer Fall regelmäßig unangemessen. Insbesondere ist es nicht überzeugend, bei eingriffsintensiven sexuellen Handlungen, die weit über der Erheblichkeitsschwelle liegen und das Opfer erheblich erniedrigen, nur wegen des Fehlens von Umständen nach Absatz 5 auf die Einstufung als besonders schwerer Fall zu verzichten.562 Die Praxis führt Faktoren als mildernd an, die weder das Unrecht noch die Schuld abschwä- 263 chen und deshalb nicht zur Verneinung eines besonders schweren Falles herangezogen werden sollten. So sind Hoffnungen auf einen einverständlichen Sexualkontakt, die der Täter im Vorfeld gehegt hat, irrelevant, wenn er den entgegenstehenden Willen vor der Vergewaltigung (oder der sonstigen besonders erniedrigenden sexuellen Handlung) erkannt hat. Die Regelbeispielsvermutung ist nicht deshalb aufgehoben, weil Täter und Opfer sich kannten. Die Rspr. stellt zu häufig trotz Vorliegens eines Regelbeispiels (einer Vergewaltigung) einen besonders
556 BGH NStZ 1999 615; NStZ 2001 366, 367; NStZ-RR 2006 6; StV 2006 523; NStZ-RR 2007 373; NStZ-RR 2017 312; Folkers NStZ 2000 472 f; Fischer Rdn. 142; Renzikowski MK Rdn. 208. 557 Wie hier Dessecker NStZ 1998 2. 558 S. BGH NStZ-RR bei Pfister 2000 356: „wesentlicher Umstand“; BGH StV 2006 523, 524; StV 2013 743 f. 559 Hoffmann NStZ 2019 16, 18; Wißner KriPoZ 2021 279, 286; aA Makepeace KriPoZ 2021 10, 14; Ost/Weil jM 2021 346, 350. 560 So BGH NStZ-RR 2006 104. 561 S. z.B. BGH StV 2006 525. 562 Dies erwägen Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; May JR 2019 130, 142. 267
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schweren Fall in Frage.563 Eine der Tat vorausgehende Bekanntschaft zwischen Täter und Opfer beeinflusst die Deliktsschwere nicht, die in erster Linie durch das Ausmaß des ausgeübten Drucks und das Ausmaß der Demütigung durch besonders erniedrigende Akte geprägt wird. Der Vergleich einer Vergewaltigung durch einen Bekannten mit demselben Vorgehen durch einen fremden Täter kann zwar ergeben, dass die vom Opfer beim Überfall eines Fremden erlittene (Todes-)Angst das Erfolgsunrecht erhöht, jedoch wirkt sich im ersteren Fall wiederum der Bruch des Vertrauensverhältnisses, der bei einem Sexualverbrechen beträchtlich ist, unrechtserhöhend aus.564 Dies gilt insbesondere auch, wenn die Beteiligten nicht nur Bekannte, sondern verheiratet 264 waren oder eine sexuelle Beziehung hatten. War die frühere Beziehung durch Trennung beendet (es genügt die faktische Trennung, auch bei einem pragmatisch, etwa finanziell motivierten Verbleib in derselben Wohnung565), so sind die Beteiligten keine „vertrauten Intimpartner“ (darauf weist zu Recht BGH NStZ 2000 254 hin; ebenso BGH NStZ-RR 2007 300 zu Racheakten nach einer Trennung). Zu betonen bleibt aber, dass auch vor einer endgültigen Trennung eine Strafrahmenoder Strafmilderung bei Taten gegen Ehefrauen, Lebensgefährtinnen und Freundinnen nicht angebracht ist.566 Selbst wenn Reste von Vertrautheit noch phasenweise bestanden, wird dieser Umstand dadurch konterkariert, dass gerade dann ein eingriffsintensiver sexueller Übergriff einen erheblichen Vertrauensbruch bedeutet.567 Offensichtlich ist dies bei Tätern, die Sexualdelikte als brutal ausgeführte Bestrafung vornehmen (so auch BGH NStZ-RR 2016 203). Aber auch in anderen Fällen ist nachdrücklich auf Art. 46 a) Istanbul-Konvention (Entstehungsgeschichte) hinzuweisen. Art. 46 a) Istanbul-Konvention listet es als einen Strafschärfungsgrund auf, wenn Straftaten gegen eine frühere oder derzeitige Ehefrau oder Partnerin, einen früheren oder derzeitigen Ehemann oder Partner, von einem Familienmitglied oder einer mit dem Opfer zusammenlebenden Person begangen werden. Damit ist es unvereinbar, auf „verminderte Hemmschwellen“ zu verweisen (krit. zu dieser Floskel auch BGH NStZ-RR 2016 203) und die Regelbeispielswirkung des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 zu ignorieren. 265 Stehen hinter einem „problematischen Beziehungsgeflecht“ übermäßiger Alkoholkonsum des Ehemannes und Gewalttätigkeiten gegenüber der Partnerin und den Kindern, so wirkt dies nicht strafmildernd (BGH NStZ-RR 2003 110, 111). In der Rspr. wird verschiedentlich auf „ambivalentes Verhalten des Opfers“ als vermeintlichen Milderungsgrund verwiesen.568 Dies ist verfehlt. Dass Geschädigte nach früheren Vorfällen Versöhnungsversuche zugelassen oder etwa der Kinder zuliebe eine Trennung aufgeschoben haben, bedeutet nicht, dass bei erneuten Vergewaltigungen Unrecht oder Schuld gemindert wären. Hat sich das Opfer um eine Aussöhnung bemüht, ist im Gegenteil ein erneutes Sexualdelikt als besonders schwerer Vertrauensbruch zu werten. Erfolgte die Sexualstraftat als Racheakt unmittelbar nach einer vorangegangenen Auseinandersetzung, ist die Relation zwischen Anlass und Racheakt zu bedenken. Eine massive sexuelle Attacke in Form einer Vergewaltigung bedeutet eine erhebliche Erniedrigung und einen gewichtigen Angriff auf die Menschenwürde. Ein vorangegangener Streit unter Bekannten 563 BGH StV 1998 76; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 356; BGH NStZ 2001 366; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 357 f; BGH NStZ-RR 2003 168; NJW 2003 2036, 2037; BGH bei Pfister NStZ-RR 2004 356 f, 359; BGH NStZ-RR 2006 26; BGH bei Pfister NStZ-RR 2006 365, 369; BGH NStZ-RR 2009 277, 278; NStZ-RR 2009 308; BGH bei Pfister NStZ-RR 2015 363; LG Berlin NJ 1998 382 m. Anm. Mildenberger. Krit. Mildenberger Streit 1999 6; Reichenbach NStZ 2004 128 f; Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 239 ff; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 605. S. zu Urteilen, in denen Bekanntschaft oder Ehe zwischen Opfer und Täter nicht strafmildernd gewertet wurde: BGH NStZ-RR 1997 354; NStZ 2000 254; NStZ-RR 2003 110, 111; NStZ-RR 2007 300. 564 S. zur Beeinträchtigung des Opfers bei Vergewaltigungen durch bekannte Täter Baurmann S. 144, 432 f; Finkelhor/Yllo S. 71 f; Gerstendörfer Streit 1996 104; Kieler S. 112, 115 f; Schneider FS Kaiser 384; Sick MSchrKrim 1995 292. 565 BGH NStZ 2000 254; NStZ-RR 2003 110, 111. 566 AA BGH NStZ-RR 1997 195, 196; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 357 f; BGH StV 2004 479; StV 2013 743 f; StV 2017 43, 44. 567 Reichenbach GA 2003 559; ders. NStZ 2004 128 f; Wetzel S. 210. 568 BGH NStZ-RR 1997 195; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 357 f; BGH StV 2004 479. Hörnle
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oder (Ehe-)Partnern ist kein Grund, deshalb einen besonders schweren Fall nach § 177 Abs. 6 zu verneinen.569 Bei Vergewaltigungen ist ein besonders schwerer Fall nicht deshalb abzulehnen, weil das 266 Opfer der Prostitution nachgeht oder einen promiskuitiven Lebenswandel pflegt (Rdn. 214).
4. Strafzumessung innerhalb des Rahmens in Absatz 6 Der gesetzliche Strafrahmen reicht von zwei Jahren bis zu 15 Jahren (§ 38 Abs. 2) Freiheitsstrafe. Das Doppelverwertungsverbot ist auch bei der Bewertung von Taten zu beachten, die ein Regelbeispiel nach § 177 Abs. 6 Satz 2 erfüllen.570 Unspezifische Ausführungen zur Erniedrigung sind bei der Strafzumessung deshalb zu vermeiden. Die Tatsache, dass das Opfer erniedrigt wurde, wird bereits für die Erfüllung des Regelbeispiels vorausgesetzt.571 Die verhängte Strafe muss der anhand von Erfolgsunrecht und Handlungsunrecht zu ermittelnden Tatschwere entsprechen. Zur Erfassung des Unrechts einer Vergewaltigung ist insbesondere auf das konkrete Ausmaß der dem Opfer zugefügten Demütigung, ferner auf Schmerzen abzustellen. Kombinationen mit sexueller Nötigung nach § 177 Abs. 5 sind strafschärfend zu berücksichtigen (BGH BeckRS 2019 3387). Eine Tatserie von Vergewaltigungen, die ein Muster der Erniedrigung und Demütigung ergibt, erhöht das Unrecht von Einzeltaten.572 S. zu psychischen Tatfolgen Rdn. 127. Fehlerhaft ist es, strafmildernd darauf zu verweisen, dass keine Verletzungen entstanden sind (BGH NStZ-RR 2010 337). Die mehrfache Erfüllung eines Regelbeispiels (etwa bei Kombinationen von Beischlaf, Oral- und Analverkehr) ist strafschärfend zu berücksichtigen.573 Dies trifft auch auf Kombinationen von § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 zu.574 Außerdem wirken sich zu einer Vergewaltigung hinzukommende sexuelle Handlungen, die bei isolierter Betrachtung ein sexueller Übergriff oder eine sexuelle Nötigung wären, bei der Verurteilung wegen Vergewaltigung strafschärfend aus.575 Das Eindringen mit einem Finger ist typischerweise weniger gewichtig als das Eindringen mit dem Glied,576 während es beim Einführen von Gegenständen auf deren Materialbeschaffenheit und Größe sowie die Intensität des Vorgehens ankommt. Der Verlust des Status „Jungfräulichkeit“ ist für sich genommen nicht strafschärfend anzurechnen. Ergeben sich hieraus allerdings für das konkret betroffene Opfer in seiner sozialen Umgebung psychische und sonstige Probleme, so kann dies (wenn es für den Täter vorhersehbar war) als verschuldete Auswirkung der Tat berücksichtigt werden. Bei der Frage, wie ungeschützter (ohne Kondom) vorgenommener Vaginal-, Oral- oder Analverkehr zu bewerten ist, ist zu differenzieren. Verwendet der Täter ein Kondom, so wirkt sich unrechtsmildernd aus, dass das Opfer nicht dem besonders demütigenden unmittelbaren Haut- bzw. Schleimhautkontakt und den wegen möglicher Gesundheitsfolgen bestehenden Ängsten ausgesetzt wurde.577 Samenerguss in oder auf den Körper des Opfers erhöht das Unrecht, und zwar beim Beischlaf (BGHSt 37 153)578 wie auch in anderen Fällen des Eindringens579 569 570 571 572 573 574 575 576 577 578
S. zu problematischen Annahmen bzgl. eines Opfermitverschuldens BGH StV 2001 453. BGH NStZ-RR 2004 262. BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 361. BGH NStZ-RR 2003 110, 111; Renzikowski MK Rdn. 197. BGH NJW 1999 1041, 1042; NStZ-RR 1999 294; NStZ 2001 646; NStZ-RR 2003 110, 111; NStZ-RR 2007 235. BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 365. BGH NStZ-RR 1999 293, 294. Folkers NStZ 2000 471. BGH NStZ 1999 505, 506. Ebenso BGH bei Detter NStZ 2000 188; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 365; krit. Neumann StV 1991 256; Weßlau StV 1991 259. 579 BGH NStZ-RR 2003 111: Analverkehr ohne Kondom. 269
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oder bei sonstiger erniedrigender Vorgehensweise. Dass der Täter im oder auf den Körper des Opfers ejakuliert, mag häufig vorkommen. Es handelt sich aber nicht um einen notwendigen Begleitumstand. Ausschlaggebend ist nicht allein, dass eine Schwangerschaft entstehen oder der Täter eine Krankheit übertragen könnte.580 Auch wenn die Zeugung von Kindern ausscheidet und das Sperma keine Gesundheitsrisiken birgt, ist von einer Unrechtssteigerung auszugehen.581 Im Austausch von Körperflüssigkeit liegt eine Steigerung des Intimitätsgrades des sexuellen Kontakts, wobei bei ungewollten Kontakten das Ausmaß der Demütigung mit dem Ausmaß der erzwungenen Intimität wächst.582 An der Demütigung durch aufgezwungene Aufnahme oder Kontakt mit Sperma (so auch BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 365) ändert sich nichts, wenn der Täter weiß, dass das Opfer z.B. empfängnisverhütende Mittel einnimmt oder wenn das Opfer von dem ihm bekannten Täter keine Gesundheitsgefahren befürchtet. Zwingt der Täter das Opfer beim Oralverkehr, Ejakulat zu schlucken, liegt hierin ebenfalls ein unrechtserhöhender Umstand.583 Eine tatsächlich eingetretene Schwangerschaft ist eine verschuldete Auswirkung der 272 Tat.584 Vor allem bei sehr jungen Opfern sind die Herbeiführung einer ungewollten Schwangerschaft und die daraus resultierenden Probleme ein Umstand, der das Unrecht der Tat beträchtlich erhöht (s. den Sachverhalt in BGH StV 2019 544), während das Auslösen einer Allergie ungewöhnlich und deshalb nicht vorhersehbar ist.585 Hat der Täter das Opfer mit einer Krankheit infiziert, so ist die Vorhersehbarkeit586 zu bejahen, wenn der Täter jedenfalls den Verdacht hatte, selbst an einer übertragbaren Krankheit zu leiden. Unter derselben Voraussetzung (Risikobewusstsein des infizierten Täters) ist auch dann von einer Unrechtserhöhung auszugehen, wenn der Sexualkontakt nicht zu einer nachweisbaren Übertragung der Erreger geführt hat. Das konkrete Risiko einer Infektion genügt.587 Wegen des verbleibenden Restrisikos ist eine Gefährdung des Opfers selbst beim Einsatz von Kondomen zu berücksichtigen, aber in schwächerem Maß als beim ungeschützten Verkehr. Kann die Infektion zu einer schwerwiegenden Krankheit führen, sind § 177 Abs. 7 Nr. 3 und unter Umständen sogar Absatz 8 Nr. 2b einschlägig. 273 Auch bei der Zumessung innerhalb des Strafrahmens für besonders schwere Fälle sind die Wertungen in Art. 46 a) Istanbul-Konvention zu beachten (Rdn. 129), d.h. dass Ehen, Partnerschaften, familiäre Beziehungen und Zusammenleben von Opfer und Täter keine Strafmilderungsgründe, sondern Strafschärfungsgründe sind.
5. Strafzumessung bei versuchter Vergewaltigung 274 Blieb es bei einer versuchten Vergewaltigung, ist der Strafrahmen dem Rahmen für den Grundtatbestand (versuchter oder vollendeter sexueller Übergriff, versuchte oder vollendete sexuelle Nötigung) zu entnehmen (BGH NStZ 2003 602; NStZ-RR 2016 138).588 Sollte bei einem nur versuchten Grunddelikt die nach § 23 Abs. 2 mögliche Strafminderung zur Folge haben, dass 580 Weßlau StV 1991 261 wendet ein, dass das nur abstrakte Risiko einer Krankheitsübertragung nicht genügen könne. 581 AA wegen der Fokussierung auf Schwangerschaft und Angst vor Krankheiten BGHSt 37 153, 157; BGH NStZ 1999 505, 506; NStZ-RR 1997 195, 196; BGH bei Pfister NStZ-RR 2006 368. S. aber auch BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 365. 582 Ebenso Renzikowski MK Rdn. 199. 583 OLG Hamm NStZ-RR 2001 270, 271. 584 Renzikowski MK Rdn. 199. 585 BGH NStZ-RR 2003 110, 111. 586 BGH bei Miebach NStZ 1996 123. 587 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 145. 588 So auch Franzke NStZ 2018 566, 571; Renzikowski MK Rdn. 186; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 98. Meine in der Voraufl. vertretene, teilweise andere Ansicht gebe ich auf. Hörnle
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das Unrecht einer versuchten Vergewaltigung nicht mehr angemessen abgebildet werden könnte, ist auf diese Rahmenminderung zu verzichten. Dies wäre vor allem dann zu empfehlen, wenn der geminderte Strafrahmen nach den §§ 177 Abs. 1 oder Abs. 2, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 3 (Untergrenze: Geldstrafe) dem konkreten Tatunrecht nicht entspricht, z.B. wenn das ersichtliche Bevorstehen einer (dann fehlgeschlagenen) Vergewaltigung zu erheblichen Ängsten mit längeren psychischen Folgen für das Opfer geführt hat. Wenn ein Täter bei einer sexuellen Nötigung und dem Ansetzen zur Vergewaltigung besonders brutal vorging, ist ferner die Einstufung als unbenannter besonders schwerer Fall möglich, sodass der ungemilderte Strafrahmen des § 177 Abs. 6 zur Anwendung kommen kann. S. zum Rücktritt Rdn. 124 f. Ist der Täter vom Versuch einer Vergewaltigung zurückgetreten, 275 darf bei der Strafzumessung (etwa wegen eines bereits vollendeten sexuellen Übergriffs oder einer sexuellen Nötigung) der auf die Begehung der Vergewaltigung gerichtete Vorsatz nicht strafschärfend berücksichtigt werden.589 Verzichtet der Täter lediglich auf eine Modalität des Eindringens in den Körper des Opfers, um zu einer anderen Form der Vergewaltigung oder zu einer anderen besonders erniedrigenden sexuellen Handlung überzugehen, scheidet ein Rücktritt aus.
6. Konkurrenzen S. zu Handlungseinheit oder Handlungsmehrheit bei mehreren sexuellen Teilakten oben 276 Rdn. 150 ff und zu Konkurrenzen bei mehreren Opfern Rdn. 154. Nur eine Tat der Vergewaltigung liegt vor, wenn bei Handlungseinheit dasselbe Regelbeispiel mehrfach erfüllt wurde.590 Das Eindringen in den Körper (§ 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1) ist in den meisten Fällen auch eine 277 körperliche Misshandlung i.S.v. § 223 Abs. 1 1. Alt. Ausnahmen sind möglich (etwa wenn nur kurz und behutsam mit dem Finger eingedrungen wird);591 Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Betroffenen (ebenso Analverkehr oder ein Eindringen in Vagina oder Anus mit größeren Gegenständen) ist aber eine üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt,592 und auch im oralen Eindringen kann, insbesondere bei rücksichtslosem Vorgehen, eine körperliche Misshandlung liegen.593 Die für § 223 erforderliche „Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens“ tritt durch ungewollten Verkehr als solchen ein. Sie setzt weder anhaltende Schmerzen voraus noch Spuren am Körper des Opfers (aA BGH NStZ 2007 218; BeckRS 2019 3387). § 223 wird allerdings hinsichtlich der unvermeidbaren Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens konsumiert, wenn wegen Vergewaltigung zu verurteilen ist. Tateinheit zwischen § 177 und den §§ 223 ff ist aber möglich, wenn der Täter die Gesundheit des Opfers geschädigt hat oder wenn er über den Vollzug der Penetration hinaus (etwa durch eine schmerzhafte Vorgehensweise beim Sexualakt oder Schläge) das Opfer körperlich misshandelt (BGH NStZ-RR 2022 73 f).594 Kommt es während einer Freiheitsberaubung zu mehreren, durch zeitliche Zäsuren ge- 278 trennten Vergewaltigungen, so stehen diese zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit. Die Freiheitsberaubung als Dauerdelikt ist nicht geeignet, in ihrem Unwerturteil schwerere Delikte miteinander zu verklammern (Rdn. 155), auch wenn die Freiheitsberaubung, die den Hintergrund
589 BGH NStZ-RR 2001 199. 590 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 137. 591 S. zur fehlenden Körperverletzung bei einer nicht ärztlichen Gepflogenheiten entsprechenden Tastuntersuchung OLG München 5 St RR 143/07 (in NStZ 2008 632 ohne ausführlichen Sachverhalt). 592 Jerouschek JZ 1992 229 f; auf eine Feststellung der üblen, unangemessenen Behandlung im Einzelfall auch bei Beischlaf stellt dagegen BGH NStZ 2007 218 ab. 593 BGH NStZ 1996 188. 594 So auch BGH NStZ 2000 419, 420; BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 355. 271
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§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
mehrerer Vergewaltigungen bildet, länger als eine Woche gedauert hat (§ 239 Abs. 3 Nr. 1). S. zum Zusammentreffen mit § 239b und mit anderen Tatbeständen Rdn. 224 f.
VIII. Qualifikationen nach Absatz 7 und 8 1. Allgemeines 279 a) Normzweck und Normstruktur. Die in § 177 Abs. 7 und Abs. 8 aufgeführten Umstände erhöhen das Unrecht, weil zum Grunddelikt eine abstrakte (Absatz 7 Nr. 1, 2, Absatz 8 Nr. 1) oder konkrete (Absatz 7 Nr. 3, Absatz 8 Nr. 2b) Gefährdung des Opfers hinzutritt. Die schwere körperliche Misshandlung (Absatz 8 Nr. 2a) erhöht das Erfolgsunrecht dagegen nicht aufgrund eines Gefahrenurteils, sondern weil das Opfer unmittelbar beeinträchtigt wird. Das 50. StÄG hat diese Qualifikationen nicht inhaltlich verändert. 280 Qualifikationstatbestände sind im Interesse einer detaillierten Erfassung des Tatunrechts im Gesetzestext grundsätzlich zu begrüßen.595 Allerdings kann die Akzentuierung von gefährlichen Begleitumständen eine angemessene Unrechtsbewertung im konkreten Einzelfall erschweren. Dies gilt vor allem dann, wenn das Grunddelikt nur ein sexueller Übergriff ist, § 177 Abs. 1, Abs. 2: In Relation zum Strafrahmen für diese Grundtatbestände fallen die Mindeststrafen in Absatz 7 und Absatz 8 sehr hoch aus.596 Besonders auffällig und dem Unrecht unangemessen fällt der Sprung der Mindeststrafe in § 177 Abs. 7 Nr. 1 (Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs) im Vergleich zu § 177 Abs. 1, Abs. 2 aus.597 Ist eine Vergewaltigung zu ahnden, sind die Strafrahmenanhebungen beim Vorliegen der qualifizierenden Umstände dagegen überwiegend angemessen. Allenfalls beim Verwenden einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs als bloßes Drohinstrument, also ohne Absicht des tatsächlichen Einsatzes als Verletzungsinstrument, kann der Sprung von zwei Jahren (Absatz 6) auf fünf Jahre Freiheitsstrafe (Absatz 8) zu groß ausfallen. Diesen Überlegungen ist bei der Anwendung von Absatz 9 2. Alt. Rechnung zu tragen. Erforderlich ist aber eine differenzierte Bewertung der Tatschwere unter maßgeblicher Berücksichtigung des Gewichts, das dem Tatkern, der sexuellen Handlung, zukommt. Die Empfehlung, „die durch Absatz 9 erweiterten Möglichkeiten der Strafzumessung weit auszuschöpfen“,598 ist zu pauschal gefasst. Die Qualifikationen entsprechen weitgehend denen in den §§ 244 Abs. 1 Nr. 1a, 1b; 250 Abs. 1 281 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 3. Hinsichtlich des Täter- und Opferkreises sind die § 177 Abs. 7 und 8 allerdings teilweise enger gefasst: Von einer Folge gem. § 177 Abs. 7 Nr. 3, Abs. 8 Nr. 2 muss das Opfer der Sexualstraftat betroffen sein (§ 250 Abs. 1 Nr. 1c, Abs. 2 Nr. 3: eine andere Person), die Handlungen gem. § 177 Abs. 7 Nr. 1, 2, Abs. 8 Nr. 1 müssen vom Täter vorgenommen werden (§§ 244 Abs. 1 Nr. 1a, 1b; 250 Abs. 1 Nr. 1a, 1b, Abs. 2 Nr. 1: vom Täter oder einem anderen Beteiligten).
282 b) Zeitliche Grenzen für die Erfüllung einer Qualifikation. Die Qualifikationstatbestände legen teilweise (§ 177 Abs. 8) ausdrücklich fest, dass der Umstand „bei der Tat“ vorgelegen haben oder „durch die Tat“ geschaffen worden sein muss. Vor dem 50. StÄG enthielt auch § 177 Abs. 3 Nr. 3 a.F. das Merkmal „durch die Tat“. Die Umformulierung hat keine Bedeutung 595 Krit. Renzikowski NStZ 1999 383; Schroeder JZ 1999 829. 596 Krit. Hoven KriPoZ 2018 2, 8; Fischer Rdn. 124; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 123 f; Renzikowski MK Rdn. 8; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 109. 597 Die Reformkommission Sexualstrafrecht empfiehlt, die Anwendbarkeit von § 177 Abs. 7 Nr. 1 de lege ferenda auf Fälle zu beschränken, in denen der Täter Gewalt anwendet oder droht, dies zu tun, und außerdem, für Fälle ohne Gewalt oder Drohung, auch in § 177 Abs. 7 Nr. 2, Abs. 8 Nr. 1 einen geringeren Strafrahmen vorzusehen: BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 303, 305. 598 So Sch/Schröder/Eisele Rdn. 110. Hörnle
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VIII. Qualifikationen nach Absatz 7 und 8
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für die Rechtsanwendung: Die Gesetzesbegründung hebt explizit hervor, dass die Voraussetzungen in § 177 Abs. 7 denen in § 177 Abs. 3 a.F. „inhaltlich vollständig“ entsprechen (BTDrucks. 18/9097 S. 28). Die Festlegung der zeitlichen Grenzen erfordert bei § 177 Abs. 7 und 8 andere Überlegungen als etwa in typischen Raubfällen (§ 250 Abs. 1, 2). Beim schweren Raub wird in Lit. und Rspr. gefordert, die Qualifikationen auf die Zeitspanne vom Versuchsbeginn bis zur Vollendung zu begrenzen.599 Allerdings bestehen zwischen Raub und sexueller Nötigung Unterschiede. Beim Raub ist mit der Wegnahme das Geschehen meist für alle Beteiligten erkennbar vollendet, während sexuelle Nötigungen häufig dadurch gekennzeichnet sind, dass Täter die über das Opfer erlangte Herrschaft zu mehraktigen sexuellen Übergriffen ausnutzen. Unterschiedlich ist auch das Gewaltrisiko. Bei Eigentumsdelikten soll Gewalt meist zweckrational die Wegnahme ermöglichen, bei Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen ist dagegen nicht selten die sexuelle Handlung nur eine Form des Ausdrucks von Wut, Rache oder Sadismus, weshalb aus dem Abschluss einer sexuellen Handlung nicht geschlossen werden kann, dass das Risiko weiterer Gewaltanwendung deutlich absinkt. Die Qualifikationstatbestände in § 177 Abs. 7, 8 sind deshalb auch nach der Vollendung 283 einer sexuellen Handlung anzuwenden.600 Von einem Abschluss der Tat kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Angriffe auf sexuelle Selbstbestimmung, Entscheidungsfreiheit und körperliche Integrität erkennbar und endgültig beendet sind. Ein Indiz hierfür ist, dass der Täter das Opfer aus seinem Einflussbereich entlassen hat. Bis zu diesem Zeitpunkt qualifizieren Modalitäten oder Folgen gem. § 177 Abs. 7, Abs. 8 das Grunddelikt (BGHSt 51 276), s. dazu auch Rdn. 168 ff. Dies gilt z.B., wenn ein Täter nach der sexuellen Handlung das Opfer mit einer Waffe oder einem gefährlichen Werkzeug verletzt oder es körperlich schwer misshandelt, weil dies seinen sadistischen Antrieben entspricht.
2. Objektiver Tatbestand a) Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs (Absatz 7 Nr. 1) aa) Waffe. Waffen sind körperliche Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und 284 ihrem Zustand zur Zeit der Tat bei bestimmungsgemäßer Verwendung geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen (BVerfG NJW 2008 3627, 3628 f; BGHSt 48 197, 200). Bei der Bestimmung des Tatbestandsmerkmals bietet das Waffenrecht Orientierung, ohne dass allerdings der Waffenbegriff des StGB zwingend an das WaffG601 gebunden ist.602 Zu den Waffen gehören Schusswaffen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 WaffG), wenn sie geladen sind603 oder ohne weiteres durch Einsetzen mitgeführter Munition funktionsbereit gemacht werden können.604 Waffen sind auch Gas- und Schreckschusspistolen, sofern Explosionsdruck den Lauf verlässt605 und die Waffe deshalb geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen.606 599 BGHSt 53 234, 236 f; BGH NStZ 2018 148; Mitsch ZStW 111 (1999) 65, 104 f; Sander MK § 250 Rdn. 35. 600 Offen gelassen in BGH bei Pfister NStZ-RR 2006 366; in BGHSt 51 276, 278 wird die Zeitspanne aber mit „zwischen Versuchsbeginn und Beendigung“ beschrieben. AA Renzikowski NStZ 1999 383; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 140. 601 Waffengesetz v. 11.10.2002, BGBl. I S. 3970, zuletzt geändert durch Art. 228 der Verordnung v. 19.7.2020 (BGBl. I S. 1328). 602 BVerfG NJW 2008 3627, 3628 f; BGHSt 48 197, 203 ff. 603 Ungeladene Waffen sind nicht erfasst, BGHSt 44 103, 105 f; BGH NStZ-RR 2004 169. 604 BGH NStZ 1985 547; Sch/Schröder/Eser § 244 Rdn. 3a; offen gelassen in BGH NJW 1998 3130; aA aber BGH NStZ-RR 2006 205: keine Waffe, obwohl das geladene Magazin griffbereit war; Sander MK § 250 Rdn. 14. 605 BGHSt 45 92, 93; BGH NStZ 2002 31, 33. 606 BGHSt GS 48 197; BGH NStZ-RR 2004 169; NStZ 2011 702; NStZ 2012 445; NStZ-RR 2015 111; BeckRS 2015 16746; BeckRS 2017 108312; StV 2019 106. 273
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Waffen sind ferner andere tragbare Gegenstände, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen. Objekte werden erfasst, die dazu bestimmt sind, unter unmittelbarer Ausnutzung der Muskelkraft durch Hieb, Stoß, Stich, Schlag oder Wurf Verletzungen beizubringen sowie Gegenstände zum Drosseln (s. Anlage 1 zum WaffG, Abschnitt 1, Unterabschnitt 2, 1.1., 1.2.6.). Hierunter fallen z.B. Schlagstöcke aus Gummi,607 Teleskoptotschläger,608 ferner Säbel, Macheten, Schlagringe, Wurfringe etc. Vom WaffG werden ferner bestimmte Kategorien von Messern erfasst (Anlage 1 zum WaffG, Abschnitt 1, Unterabschnitt 2, 2.1.), nämlich Spring- und Fallmesser sowie Faustund Butterflymesser. Derartige, zu Kampfzwecken konstruierte Messer fallen auch unter den Begriff „Waffe“ in § 177.609 Ferner sind Waffen Gegenstände, die unter Ausnutzung einer anderen als mechanischen Energie Verletzungen beibringen (z.B. Elektroimpulsgeräte; s. Anlage 1 zum WaffG, Abschnitt 1, Unterabschnitt 2, 1.2.1.); Elektroschocker sind also Waffen.610 Unter den Waffenbegriff sind auch Gegenstände zu fassen, die Reizstoffe versprühen oder ausstoßen (Anlage 1 zum WaffG, Abschnitt 1, Unterabschnitt 2, 1.2.2, 1.2.3 a), z.B. Pfeffersprays611 oder Sprühgefäße mit Tränengas, flammenwerfende Gegenstände sowie solche, deren gesundheitsschädliche Wirkung z.B. auf elektromagnetischer Strahlung beruht (Anlage 1 zum WaffG, Abschnitt 1, Unterabschnitt 2, 1.2.4, 1.2.3 b).
286 bb) Anderes gefährliches Werkzeug. Voraussetzung für die Einstufung als „gefährliches Werkzeug“ ist, dass ein beweglicher Gegenstand (zum Merkmal „beweglich“ BGHSt 52 89) das Potenzial hat, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Der Gesetzgeber beabsichtigte, Objekte wie Salzsäure und Teppichmesser zu erfassen, ferner eine Handgranate (BTDrucks. 13/9064 S. 18); letztere wäre allerdings schon unter den Begriff „Waffe“ zu subsumieren. Verwiesen wurde auf die anerkannte Auslegung des Begriffs „gefährliches Werkzeug“ in § 224 Abs. 1 Nr. 2 (BTDrucks. 13/9064 S. 18): „Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art der Benutzung im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Verletzungen herbeizuführen“.612 Jedoch fehlt es beim bloßen Beisichführen an der in dieser Formel vorausgesetzten „Benutzung im Einzelfall“. Mittlerweile wird die Einbeziehung anderer gefährlicher Werkzeuge in § 244 Abs. 1 Nr. 1a als „missglückt“ bezeichnet (BGHSt 52 257, 266). Mit überzeugenden Argumenten hat der BGH die im Schrifttum vertretenen Ansätze613 zurückgewiesen, die darauf abstellen wollen, ob der Täter die Absicht habe, den Gegenstand in bestimmter Weise einzusetzen. Da in § 177 Abs. 7 Nr. 2 (wie in den §§ 244 Abs. 1 Nr. 1b, 250 Abs. 1 Nr. 1b) Verwendungsabsicht vorausgesetzt wird, aber nicht in § 177 Abs. 7 Nr. 1, kann die Gefährlichkeit nicht unter Rückgriff auf einen intendierten Einsatz begründet werden.614 Es bedarf objektiver Kriterien, um zu bestimmen, welche Werkzeuge gefährliche Werkzeuge sind. Die bloße Möglichkeit, mit einem Gegenstand erhebliche Verletzungen zuzufügen, kann 287 nicht genügen. Da nur wenige Objekte als Verletzungsinstrument vollkommen ungeeignet sind, würde fast jeder Täter, der dem Opfer nicht schon nackt begegnet, die Qualifikation in § 177 Abs. 7 Nr. 1 erfüllen. Ausscheiden müssen Gegenstände, die eindeutig eine harmlose Primär607 608 609 610 611
BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 358. BGH NStZ 2004 111, 112. S. BGH NJW 2008 2861, 2864. Für die Einstufung als gefährliches Werkzeug BGH NStZ-RR 2004 169; NStZ-RR 2015 310. S. zu Pfeffersprays BGH NStZ-RR 2004 169; NStZ-RR 2007 375; NJW 2008 3651; NStZ 2018 711: Es wurde in diesen Entscheidungen offengelassen, ob Waffe oder gefährliches Werkzeug; für die Einordnung als Waffe auch Folkers Ausgewählte Probleme, S. 139; aA Jesse NStZ 2009 364, 365. Für die Einordnung als gefährliches Werkzeug BGH NStZ-RR 2012 308. 612 St. Rspr., z.B. BGH NStZ 2002 86. 613 S. z.B. Erb JR 2001 206, 207; Küper JZ 1999 187, 192 ff; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 25; Renzikowski MK Rdn. 164 (Notlösung). 614 BGHSt 52 257, 267 ff; ferner BGH NStZ-RR 2021 107, 108. Hörnle
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VIII. Qualifikationen nach Absatz 7 und 8
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funktion haben, sodass ihre Eignung, erhebliche Verletzungen hervorzurufen, erst bei einer Zweckentfremdung zutage träte, die ein gewisses Maß an Erfindungsreichtum erfordern würde. Beispiele sind Schlüssel oder Kugelschreiber (die dem Opfer ins Auge gebohrt werden könnten), Gürtel und Schals (die der Täter zum Würgen nutzen könnte). Umstr. sind die rechtlichen Konsequenzen beim Beisichführen von evident verletzungs- 288 tauglichen, aber in der konkreten Situation multifunktional einsetzbaren Objekten. In diese Gruppe fallen Gegenstände, für die einerseits eine mögliche Verwendung als Schlag- oder Stichinstrument auf der Hand liegt, bei denen aber andererseits ein objektiver Betrachter damit rechnen könnte, dass sie zu einem anderen Zweck mitgeführt wurden – etwa ein Eisenstück, das zum Einschlagen eines Fensters verwendbar ist, aber auch zur Verletzung eines Menschen von Nutzen wäre, oder ein Taschenmesser. Bei solchen Objekten ist auf Waffenähnlichkeit aufgrund von Funktionsweise und Beschaffenheit abzustellen.615 Wenn andere Gegenstände als Messer (Rdn. 289) zu beurteilen sind, sind strenge Anforderungen an die Waffenähnlichkeit zu stellen. Waffenähnlichkeit kann aus zwei Perspektiven bejaht werden: entweder, weil einfache Handhabung bei großer Verletzungswirkung für Täter die Versuchung erhöht, den Gegenstand zu verwenden, oder weil aus Opferperspektive die furchteinflößende Wirkung besonders ausgeprägt ist. Waffenähnliche Gegenstände und damit gefährliche Werkzeuge sind Messer (soweit nicht 289 schon Waffen) und andere Schneidewerkzeuge, und zwar in der Regel auch Taschenmesser (BGHSt 52 257, 270; OLG Köln NStZ 2012 327). Es kann die Beschaffenheit (besondere Schärfe, wie bei Teppich- oder Rasiermessern) die Verletzungseignung prägen; meist ist aber die furchteinflößende Wirkung ausschlaggebend. Aus einer Opferperspektive macht es keinen Unterschied, ob der Täter ein Brotschneidemesser zur Hand hat616 oder eines der in der Anlage zum WaffG aufgezählten Spring- oder Butterflymesser: Es kommt auf Schärfe und Klingenlänge an. Bei kleinen Taschenmessern mit nur wenige Zentimeter langen Klingen oder einem wenig scharfen Essbesteck ist die Waffenähnlichkeit zu verneinen. Weitere furchteinflößende und deshalb waffenähnliche Gegenstände sind Äxte und Beile617 und ein abgebrochener, scharfkantiger Flaschenhals.618 Weniger furchteinflößend als Schneide- und Hackinstrumente sind stumpfe Objekte, auch wenn diese für einen Hieb eingesetzt werden können. Insoweit sind als waffenähnlich nur Gegenstände einzuordnen, die wegen ihrer Handlichkeit einer Hiebwaffe im technischen Sinn gleichstehen. Nicht jeder schwere und harte Gegenstand ist waffenähnlich, sondern nur ein griffiges Schlagwerkzeug, etwa eine schwere Eisenstange oder ein Baseballschläger.619 Alltäglich zu Reparaturen eingesetzte Gegenstände wie Schraubendreher sind keine waffenähnlichen Gegenstände und deshalb beim bloßen Beisichführen nicht unter § 177 Abs. 7 Nr. 1 zu fassen.620 AA BGH JR 2022 421, 422, wobei in diesem Fall aber richtigerweise von Verwenden (§ 177 Abs. 8 Nr. 1) auszugehen wäre, Rdn. 311.
cc) Beisichführen. Der relevante Zeitraum für die Verwirklichung der Qualifikation reicht vom 290 Beginn der sexuellen Handlungen oder einer vorgelagerten (kommunikativen) Einwirkung auf das Opfer bis zur endgültigen Beendigung des Angriffs (Rdn. 282 f). Es genügt, dass der Täter die Waffe oder den gefährlichen Gegenstand während eines Teils dieser Zeitspanne bei sich führt. Der Täter muss nicht beabsichtigen, die Waffe oder den anderen gefährlichen Gegenstand 615 Dencker JR 1999 33, 35 f; Mitsch ZStW 111 (1999) 61, 79 f; Sander MK § 250 Rdn. 28 ff; Wolters/Noltenius SK Rdn. 102. 616 S. zum Brotmesser als gefährliches Werkzeug BGH NStZ 2000 254. 617 BGH BeckRS 2016 13021. 618 Kindhäuser NK § 244 Rdn. 16; Schroth NJW 1998 2863. 619 BGH NStZ 2008 687; Boetticher/Sander NStZ 1999 292, 293. 620 BGH NStZ 2012 571 (zu § 244 Abs. 1 Nr. 1a) verlangt immerhin Feststellungen dazu, warum ein Schraubendreher geeignet sei, erhebliche Verletzungen zu verursachen. 275
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
als Nötigungsmittel einzusetzen. Ausreichend ist, dass er z.B. einen solchen Gegenstand für die sexuelle Handlung benutzen möchte (BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 358) oder dass sich der Gegenstand aus sonstigen Gründen in greifbarer Nähe befindet.621 Das Opfer muss ihn nicht zu Gesicht bekommen und der Täter muss ihn nicht einsatzbereit in der Hand haben. Er muss ihn aber ohne Schwierigkeiten und ohne nennenswerten Zeitaufwand greifen können. Dies setzt voraus, dass sich das Objekt in seiner Kleidung, einer mitgeführten Tasche oder einem anderen Behältnis oder ansonsten zugänglich im Umkreis von wenigen Metern befindet. Darauf, ob bei einer am Körper mitgeführten Tasche erst ein Verschluss geöffnet werden muss, kommt es nicht an.622 Wenn sich bei einem sexuellen Übergriff in einem Pkw die Waffe oder das gefährliche Werkzeug im Kofferraum befindet, genügt dies nicht für die Anwendung von § 177 Abs. 7 Nr. 1,623 anders aber bei Aufbewahrung im Handschuhfach oder Fahrgastraum. 291 Der Gegenstand muss nicht vom Täter an den Tatort mitgebracht worden sein. Es genügt, dass er ihn dort findet und an sich nimmt.624 Dagegen fehlt es am Beisichführen, wenn sich zwar am Tatort gefährliche Werkzeuge befinden (etwa Messer bei der Tatbegehung in einer Küche), der Täter sich aber keinen solchen Gegenstand (durch Ergreifen und Einstecken, Benutzen oder Bereitlegen an geeigneter Stelle) zugeordnet hat (BGH StV 2019 105).625
b) Beisichführen eines sonstigen Mittels oder Werkzeugs (Absatz 7 Nr. 2) 292 aa) Mittel; Werkzeug. Sonstige Werkzeuge oder Mittel sind solche, die nicht objektiv waffenähnlich sind.626 Werkzeuge und Mittel müssen bewegliche Gegenstände sein. Nicht erfasst ist, wenn es dem Täter gelingt, das Opfer in einem vor Ort befestigten größeren Gegenstand (z.B. einer Sonnenbank) einzuklemmen (BGH NStZ 2008 445). Es ist nicht erforderlich, dass das Werkzeug oder Mittel gefährlich für Leib oder Leben werden könnte – es genügt die Absicht, Widerstand zu überwinden oder zu verhindern (BGH NStZ 2016 215), etwa in Form einer Drohung mit dem Gegenstand oder dem Einsatz bei der Anwendung von Gewalt. 293 Beispiele für Mittel oder Werkzeuge zur Verhinderung oder Überwindung von Widerstand mit Gewalt sind Stricke und Schnüre,627 Kabel von Elektrogeräten,628 Handschellen,629 Kabelbinder630 oder Klebeband631 zur Fesselung und Klebeband oder Tücher632 zur Knebelung sowie chemische Mittel zur Ruhigstellung einer Person wie Äther, Chloroform,633 Reizgas.634 Unter den Begriff des Mittels in § 177 Abs. 7 Nr. 2 fallen unstreitig auch betäubende Substanzen (Drogen, Medikamente, sog. K.O.-Tropfen; dazu, dass diese entgegen der h.M. auch ein gefährliches Werkzeug sind, Rdn. 305). Wenn der Täter sedierende Substanzen verwendet hat, genügt es, dass er dies bewusst und in der Absicht getan hat, das Opfer ruhigzustellen und so zu verhin621 St. Rspr., s. z.B. BGHSt 30 105; BGH NStZ 1997 137; NStZ 2000 254; NStZ 2004 111, 112; Renzikowski MK Rdn. 165.
622 AA BayObLG NStZ 1999 460, 461: Messer in verschlossenem Rucksack. 623 AA BGH NStZ 2004 111, 112 für bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln. 624 BGH NStZ 1999 242, 243; NStZ-RR 2003 202; NStZ-RR 2011 275; NStZ-RR 2013 244; NStZ 2015 85; Matt/Renzikowsk/Eschelbach Rdn. 138. 625 Ebenso Matt/Renzikowsk/Eschelbach Rdn. 130; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 112. AA Renzikowski Rdn. 165, der „zufällige Griffnähe am Tatort“ als ausreichend ansieht. 626 Krit. wegen der in manchen Konstellationen fehlenden abstrakten Gefährlichkeit Renzikowski MK Rdn. 167. 627 BGH NJW 1989 2549; BGH bei Pfister NStZ-RR 2004 357. 628 BGH NStZ 1999 242, 243. 629 BGH NStZ 2001 246; NStZ-RR 2009 198. 630 BGH NStZ 2006 181. 631 BGH NStZ-RR 1999 15; NStZ-RR 2003 328, 329; NStZ-RR 2016 339, 340. 632 BTDrucks. 13/9064 S. 18. 633 OLG Hamm StV 1997 242, 243. 634 BGH NStZ-RR 2005 373. Hörnle
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VIII. Qualifikationen nach Absatz 7 und 8
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dern, dass es auf Aktivitäten des Täters reagieren kann. Es kommt nicht darauf an, ob zu dem Zeitpunkt, als das Mittel verabreicht wurde, der Täter bereits sexuelle Handlungen plante (aA BGH BeckRS 2018 4886). Der Tatbestand setzt lediglich die Absicht des Täters voraus, Widerstand des Opfers zu verhindern – das kann nach seiner ursprünglichen Vorstellung z.B. auch der erwartete Widerstand gegen eine Durchsuchung oder Widerstand gegen eine Wegnahme von Gegenständen gewesen sein. Werkzeuge oder Mittel zur Begründung oder Unterstreichung einer Drohung sind auch 294 ungeladene Schusswaffen,635 nicht funktionsfähige Schusswaffen636 und Waffenimitate.637 Bei den nach der Vorstellung des Täters als Waffenimitat einzusetzenden Gegenständen ist allerdings zu differenzieren: Objektiv vollkommen harmlose und außerdem nach ihrem äußeren Erscheinungsbild keinerlei Ähnlichkeit mit einer echten Waffe aufweisende Objekte, die nur aufgrund einer Täuschung Drohwirkung entfalten konnten, sind nicht erfasst.638 Anders zu beurteilen sind dagegen Sachverhalte, in denen der Täter mit einem grundsätzlich verletzungsgeeigneten, allerdings vom Opfer nur teilweise gesehenen oder identifizierbaren Gegenstand droht (BGH NStZ 2017 581 f), und Sachverhalte, in denen das präsentierte Objekt ungefährlich war, aber ein objektiver Beobachter dies nicht hätte erkennen können (BGH NStZ 2011 278; NStZ 2015 215). Nicht unter den Tatbestand fällt die Mitnahme von Alkohol oder Drogen, wenn das Opfer 295 durch freiwilligen Genuss gefügig gemacht werden soll,639 oder eine Maskierung des Täters, die seine Identität verschleiern soll (anders ist zu urteilen, wenn die Maskierung – was in den meisten Fällen nahe liegt – auch einschüchternd wirken soll).640
bb) Beisichführen. Zum Beisichführen s. Rdn. 290 f. Es genügt, dass der Täter einen zunächst 296 zu anderen Zwecken mitgebrachten oder vorgefundenen Gegenstand umwidmet.641 Erfasst wird nicht nur das Beisichführen, sondern auch der tatsächliche Einsatz, da es für die „sonstigen Mittel und Werkzeuge“, anders als bei Waffen und gefährlichen Werkzeugen in Absatz 8, keine eigene Norm für das Verwenden gibt.642 Auch wenn eine Fesselung mit einem Strick, Handschellen etc. zunächst einverständlich erfolgte, fällt eine anschließende sexuelle Nötigung unter Ausnutzung der Fesselung unter § 177 Abs. 7 Nr. 2.643
c) Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung (Absatz 7 Nr. 3). Die schwere Gesund- 297 heitsschädigung muss nicht eingetreten sein (wenn dies der Fall ist, fällt dies auch unter § 177 Abs. 7 Nr. 3); es genügt, dass die Tat die konkrete Gefahr einer solchen Folge begründet hat. Mit dem Attribut „schwer“ macht das Gesetz deutlich, dass nicht jede Gesundheitsschädigung i.S.v. § 223 Abs. 1 ausreicht. Der Anwendungsbereich für „schwere Gesundheitsschädigung“ ist aber nicht mit dem für „schwere Körperverletzung“ (§ 226) deckungsgleich. Vielmehr hat der Begriff „schwere Gesundheitsschädigung“ ein weiteres Anwendungsfeld (BTDrucks. 13/8587 635 BGH NStZ-RR 2006 205. 636 BGH BeckRS 2016 2160. 637 Scheinwaffen, BTDrucks. 13/9064 S. 12 f, 18; BGH NJW 1998 2914, 2915. Renzikowski MK Rdn. 212 will bei Verwendung von Scheinwaffen stets einen minder schweren Fall zugrundelegen. Dies ist nicht angebracht: Die bedrohliche Einwirkung auf das Opfer kann z.B. auch bei einem Schusswaffenimitat beträchtlich sein; s. Folkers Ausgewählte Probleme, S. 155. 638 Vgl. BTDrucks. 13/9064 S. 18; BGH NStZ-RR 2008 311; NStZ 2011 703; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 113. 639 Folkers Ausgewählte Probleme, S. 169. 640 Hörnle Jura 2001 44, 46. 641 BGH NStZ-RR 2003 202. 642 BGH NStZ 1999 242, 243; NStZ 2001 246 f. 643 BGH NStZ 2001 246 f; Matt/Renzikowsk/Eschelbach Rdn. 144. 277
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
S. 27 f; dies ist heute allgemein anerkannt).644 Tritt eine schwere Folge i.S.v. § 226 auf (etwa Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit, § 226 Abs. 1 Nr. 1) oder bestand eine entsprechende Gefahr, ist § 177 Abs. 7 Nr. 3 anzuwenden.645 298 Gesundheitsschädigungen können durch Gewaltanwendung entstehen. Nicht erfasst ist, wenn der Täter in einer Weise vorgeht, die zu minimalen Quetschungen, Prellungen, Abschürfungen und kleinen Wunden führt (oder führen könnte), die ambulant zu versorgen sind und ohne Schmerzen oder sonstige Beeinträchtigungen verheilen.646 Anders sind Einwirkungen zu beurteilen, die intensivmedizinische Maßnahmen647 (Einsatz eines Notarztes oder Aufenthalt auf der Intensivstation), Operationen oder einen stationären Krankenhausaufenthalt erforderlich machen (könnten). Bei häuslicher Versorgung der Geschädigten kommt es darauf an, ob eine mehrwöchige Krankschreibung erforderlich war bzw. wäre, ob länger anhaltende Schmerzen auftreten oder anhaltende Verhaltensumstellungen geboten sind. Bei Verletzungen der Vagina (oder sonstigen Verletzungen an Genitalien und Anus) ist an die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung zu denken, wenn Risse entstanden sind (die zu schmerzhaften und langwierigen Entzündungen führen können).648 Absatz 7 Nr. 3 kann ferner anzuwenden sein, wenn der Täter das Opfer mit K.O.-Tropfen oder ähnlichen Substanzen betäubt hat, deren Wirkweise mangels genauer Dosierung oder mangels genauer Kenntnis der Wirkstoffkonzentration nicht präzise steuerbar ist (s. aber BGH NStZ 2009 505, wo dies nicht erörtert wird). 299 Besteht die konkrete Gefahr einer Gesundheitsschädigung, weil der Täter mit durch Körperkontakt übertragbaren Krankheitserregern infiziert ist, ist § 177 Abs. 7 Nr. 3 anwendbar. Dies gilt nicht nur für HIV, sondern auch für andere Geschlechtskrankheiten (wenn diese zu Unfruchtbarkeit oder anderen erheblichen gesundheitlichen Folgen führen können) sowie sonstige ansteckende Haut- und Infektionskrankheiten erheblicher Natur, z.B. Affenpocken. In den Materialien zum 50. StÄG wurde als Beispiel ein an Tuberkulose erkrankter Täter angeführt (BTDrucks. 18/9097 S. 28 f). Es kommt nicht darauf an, ob Krankheitssymptome ggf. durch Antibiotika oder andere Mittel bekämpft werden könnten. § 177 Abs. 7 Nr. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn ein infizierter Täter ein Kondom oder ein anderes Schutzmittel benutzt hat, da ein Restrisiko bleibt. Allerdings ist bei der Strafzumessung innerhalb des Rahmens von Absatz 7 (und evtl. bei der Entscheidung über einen minder schweren Fall, Absatz 9) eine bewusste Risikominimierung zu berücksichtigen. 300 Ferner genügt die Gefahr einer schweren Schädigung der psychischen Gesundheit.649 Insoweit sind allerdings konkrete Gefahren schwieriger festzustellen. Es ist zwar zutreffend, auf die Gefahr einer „erheblichen Traumatisierung des Opfers“ durch einen „massiven sexuellen Übergriff“ zu verweisen.650 Da aber jede nicht triviale Sexualstraftat dieses Risiko mit sich bringt, müssen zusätzliche Umstände genannt werden. Faktoren, die die Anwendung von § 177 Abs. 7 Nr. 3 rechtfertigen, liegen erstens vor, wenn beim betroffenen Opfer tatsächlich infolge der Tat erhebliche psychische Probleme auftreten, die Krankheitswert haben. Zweitens kann die Qualifikation einschlägig sein, wenn in der Person des Opfers Umstände vorliegen, die das allgemeine Risiko erheblicher Langzeitfolgen erhöhen. Dies ist der Fall bei Taten zu Lasten von bereits psychisch anfälligen Menschen, etwa wenn depressive Störungen bestanden, die durch das traumatische Ereignis verstärkt werden könnten. Es kommt unter solchen Umständen nicht darauf an, ob das Opfer in der Hauptverhandlung momentanes Wohlbefinden bekundet – punktuelle Eindrücke sind nicht geeignet, um die Gefahr der Verschlimmerung einer festgestellten 644 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 25; Matt/Renzikowsk/Eschelbach Rdn. 146; Renzikowski NStZ 1999 383; ders. MK Rdn. 168; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 114; Wolters/Noltenius SK Rdn. 105. Schroth NJW 1998 2861, 2865. S. BGH NJW 2000 3655, 3656. Renzikowski MK Rdn. 168; Schroth NJW 1998 2861, 2865. Vgl. BGH bei Pfister NStZ-RR 2007 364 f. BGH bei Pfister NStZ-RR 2019 364; Matt/Renzikowsk/Eschelbach Rdn. 147; Schroth NJW 1998 2861, 2865. Renzikowski NStZ 1999 383; ders. MK Rdn. 169.
645 646 647 648 649 650
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VIII. Qualifikationen nach Absatz 7 und 8
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psychischen Vorbelastung zu verneinen. Drittens kann sich ein gesteigertes Risiko psychischer Erkrankung ergeben, wenn auffällige Besonderheiten der Tatausführung oder der Beziehung zwischen Täter und Opfer vorliegen (etwa mehrfache Vergewaltigungen, die mit einer längeren Gefangenschaft verbunden waren; sonstige, auf langfristige Unterjochung ausgerichtete Tatserien; oder ein massiver Missbrauch eines Vertrauensverhältnisses bei jungen oder labilen Opfern).
d) Verwenden einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs (Absatz 8 Nr. 1) aa) Waffe, gefährliches Werkzeug. Zum Begriff der Waffe s. Rdn. 284 f. Anders als beim Bei- 301 sichführen ist beim Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs nicht erforderlich, dass dieses objektiv waffenähnlich ist. Vielmehr genügen auch Gegenstände mit harmloser Primärfunktion, wenn diese nach der konkreten Art der Verwendung geeignet sind, erhebliche Verletzungen zu verursachen (z.B. eine Nähnadel, die der Täter dem Opfer unter die Zehennägel sticht,651 eine auf der Haut ausgedrückte brennende Zigarette652 oder ein Feuerzeug, das benutzt wird, um Haare des Opfers anzuzünden653). Es kommt auf den konkreten Einsatz des Gegenstandes an. Eine Flasche, ein Dildo654 und andere nicht waffenähnliche Objekte können bei gewaltsamer Penetration Verletzungen verursachen, sodass von einem gefährlichen Werkzeug auszugehen ist. Gefährliche Werkzeuge sind Messer,655 und zwar auch kleine Taschenmesser mit einer kur- 302 zen Klinge, wenn diese drohend gegen empfindliche Körperregionen wie den Halsbereich gehalten werden,656 sowie andere zum Zustechen geeignete Gegenstände wie eine spitze Haushaltsschere,657 eine langzinkige Fleischgabel,658 unter Umständen auch Schlüssel659 oder spitze Gegenstände, die der Täter dem Opfer an den Hals setzt,660 ebenso eine Injektionsspritze.661 Andere gefährliche Werkzeuge, die Stich- oder Schnittwunden verursachen können, sind Schraubendreher,662 scharfkantige Objekte wie eine Metallfigur663 oder ein zur Zufügung zahlreicher Schnittwunden eingesetzter Einmalrasierer.664 Wenn eine Schere oder ein anderes Werkzeug scharf genug ist, um Kleidungsstücke zu zerschneiden, ist dies ein Indiz dafür, dass damit auch erhebliche Verletzungen zugefügt werden könnten.665 Bei Gegenständen wie einem dem Opfer gegen den Hals gedrückten Kugelschreiber oder einem Schlüssel muss geprüft werden, ob Festigkeit, Schärfe der Spitze usw. die Zufügung erheblicher Verletzungen erlaubt hätten.666 Gefährliche Werkzeuge sind ferner solche, die zum Schlagen eingesetzt werden: ein Stock;667 ein Besenstiel;668 zum Schlagen geeignete Metallgegenstände;669 ein Stiefel mit Absatz.670 651 652 653 654 655 656 657 658 659 660 661 662 663 664 665 666 667 668 669 670 279
BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 357. BGH NStZ 2002 30, 86; Laubenthal NStZ 2001 367 f. BGH BeckRS 2018 28848. BGH BeckRS 2018 28848; BeckRS 2020 412. BGH NStZ 2001 369. BGHSt 51 276, 277 f. BGH bei Pfister NStZ-RR 2006 366. BGH bei Pfister NStZ-RR 2006 366 f. BGH NStZ-RR 2007 12, 13. BGH NStZ-RR 2003 202; StV 2004 201. BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 359. BGH bei Pfister NStZ-RR 2008 364; BGH JR 2022 421, 422. BGHSt 46 225. BGH NStZ 2002 431. AA BGH NStZ 2005 35. BGH StV 2004 201 f. BGH NStZ-RR 2007 173. BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 355. Etwa ein Winkeleisen, BGH NStZ-RR 2002 108. BGH NStZ 2000 419. Hörnle
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Erfasst sind außerdem Stricke, Schnüre, Gürtel und andere Gegenstände, die zum Würgen verwendet671 oder eng um den Hals des Opfers geschlungen werden.672 Nicht erfasst sind mangels Eignung zur Verursachung erheblicher Verletzungen Schnüre, Klebeband, Kabelbinder u.ä., die zum Zusammenbinden von Hand- oder Fußgelenken oder zum Fixieren des Opfers verwendet werden.673 Selbst weiche Objekte wie ein Kissen oder andere Textilien können bei entsprechendem Einsatz (z.B. Pressen auf Mund und Nase, BGH NStZ 2015 213, 214) zu gefährlichen Gegenständen werden. Dasselbe gilt für (Haushalts-)Chemikalien, etwa wenn dem Opfer aus einer Sprühflasche Haushaltsreiniger ins Gesicht gesprüht wird.674 § 177 Abs. 8 Nr. 1 ist ferner einschlägig, wenn der Täter einen (Kampf-)Hund zur Bedrohung 304 einsetzt675 oder wenn er zum Eindringen in den Körper einen Hund676 einsetzt; dies ist auf andere Tiere zu übertragen, die Biss- und andere Verletzungen verursachen können. Praktisch wichtig ist die Frage, ob betäubende Mittel (Drogen, Medikamente, sog. K.O.305 Tropfen), die dem Opfer verabreicht werden, als gefährliche Werkzeuge i.S.v. § 177 Abs. 8 Nr. 1 eingeordnet werden können. Bei oraler Verabreichung (typischerweise durch heimliches Verabreichen in Getränken) ist die Frage in der Rspr. nicht endgültig geklärt.677 Bejaht wurde die Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs beim Legen einer intravenösen Infusion, die der Täter zur Verabreichung eines ruhigstellenden Medikaments nutzte (BGH NStZ 2019 273). Der Wortlaut zwingt nicht dazu, den Begriff des Werkzeugs auf Objekte mit mechanisch-kinetischer Wirkung zu begrenzen (aA aber die h.M., auch zu § 224 Abs. 1 Nr. 2, s. Krüger NStZ 2019 274, 275; Grünewald LK12 § 224 Rdn. 20), und es wurde im Gesetzgebungsverfahren zum 6. StrRG Salzsäure als ein Beispiel für ein gefährliches Werkzeug erwähnt (BTDrucks. 13/9064 S. 18). Der Begriff „Werkzeug“ ist als Synonym für „Gegenstand“ zu verstehen und darunter sind auch betäubende Substanzen zu fassen. Gefährlichkeit ist regelmäßig zu bejahen, da die Wirkung von psychoaktiven Substanzen meist nicht genau vorhersehbar ist, diese schwierig zu dosieren sind und Zustände wie Benommenheit und Bewusstlosigkeit (jedenfalls außerhalb kenntnisreicher medizinischer Betreuung) mit erheblichen Risiken verbunden sind. Die Verwendung solcher Substanzen mit dem Ergebnis einer länger andauernden Bewusstlosigkeit ist gefährlicher und eingriffsintensiver als etwa das Vorhalten eines Messers als Drohinstrument. Sie ist als Tat nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 einzuordnen (so auch BGH NStZ-RR 2019 43). Das Werkzeug muss objektiv geeignet sein, erhebliche Verletzungen zu bewirken. Es ge306 nügt nicht, dass das Opfer aufgrund unzureichender Wahrnehmung oder einer expliziten Täuschung des Täters irrtümlich meint, es mit einem verletzungstauglichen Gegenstand zu tun zu haben.678 303
307 bb) Bei der Tat. Die Waffe oder das gefährliche Werkzeug muss bei der Tat verwendet worden sein. Unter Tat sind alle Vorgänge zu verstehen, die in engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der sexuellen Handlung stehen. Ein Finalzusammenhang, d.h. der Einsatz als Nötigungsinstrument vor der sexuellen Handlung und zur Erzwingung der sexuellen Handlung, war schon nach altem Recht (vor dem 50. StÄG) nicht erforderlich (BGH NJW 2014
671 BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 359; nicht Stricke u.ä., die lediglich zum Fesseln genutzt werden, BGH NStZ 1999 242, 243. BGH bei Pfister NStZ-RR 2004 357; BGH NStZ 2011 211, 212. BGH NStZ 2002 594; BGH bei Pfister NStZ-RR 2004 357. BGH NStZ-RR 2011 275 f. BGH NStZ-RR 1999 174; Boetticher/Sander NStZ 1999 292, 293. BGH NStZ-RR 2008 370: Wach- und Zwingerhund. Für die Einordnung als gefährliches Werkzeug BGH BeckRS 2017 113350, offengelassen in BGH BeckRS 2018 4886; NStZ 2019 273. Gegen die Einordnung als gefährliches Werkzeug BGH NStZ 2009 505 f. S. ferner BGH NStZRR 2018 141 (es komme darauf an, ob es zu erheblichen Gesundheitsrisiken kommen könne). 678 BGH NStZ-RR 2001 199; NStZ-RR 2003 202; StV 2004 201 f m. Anm. Deiters.
672 673 674 675 676 677
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VIII. Qualifikationen nach Absatz 7 und 8
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2134). Der BGH legt allerdings das Merkmal „bei der Tat“ etwas enger aus und stellt darauf ab, wann der Täter den Entschluss zum sexuellen Übergriff gefasst hat. Dies wirkt sich in den nicht selten vorkommenden Fällen aus, in denen ein länger andauernder Gewaltausbruch erst im Lauf des Geschehens unter anderem auch in sexualisierte Gewalt mündet. Der BGH fasst die Verwendung einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs nicht unter § 177 Abs. 8 Nr. 1, wenn während des Gewaltgeschehens der Täter die sexualisierte Komponente spontan einbaut, nachdem der Gegenstand bereits zum Einsatz gekommen ist (BGH BeckRS 2019 3161; BeckRS 2020 412).679 Das ist nicht überzeugend. Bei Tätern, die Waffen und gefährliche Werkzeuge einsetzen, ist die Sexualisierung oft nur ein Element innerhalb eines im Einzelnen nicht genau geplanten oder vorhersehbaren Aggressionsausbruchs. „Bei der Tat“ sollte deshalb so ausgelegt werden, dass lediglich eine objektive, zeitliche und räumliche Eingrenzung und der allgemeine Entschluss, das Opfer angreifen zu wollen, erforderlich sind.680 Nach der engeren Auffassung des BGH ist jedenfalls zu prüfen, ob die Waffe oder das ge- 308 fährliche Werkzeug, das zuvor für andere Zwecke eingesetzt wurde, beim Sexualdelikt noch greifbar war (BeckRS 2020 412), was für § 177 Abs. 7 Nr. 1 ausreicht.681 Falls auch dem Opfer eine weiterhin bestehende Verfügbarkeit bewusst war, ist zudem zu prüfen, ob der Täter z.B. ein neben ihm liegendes Messer nicht auch beim sexuellen Teil des Geschehens als Mittel einer konkludenten Drohung verwendet.682 Erfasst ist außerdem, wenn die Waffe oder das gefährliche Werkzeug nach der sexuellen 309 Handlung zum Einsatz kommt, solange es sich um einen zusammengehörenden Angriff handelt (Rdn. 172).683
cc) Verwenden. Nutzt der Täter die Waffe oder das Werkzeug zur Einwirkung auf den Körper 310 des Opfers, fällt dies unter das Merkmal „Verwenden“. Eine solche Gewaltanwendung kann in zweckrational-instrumenteller Weise der Erzwingung der sexuellen Handlung dienen, dies muss aber nicht der Fall sein. Insbesondere sind die Konstellationen erfasst, in denen der Täter bei der sexuellen Handlung eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug gebraucht, etwa wenn ein Messer, eine Hiebwaffe684 oder scharfkantige Gegenstände in den Körper des Opfers eingeführt werden (BGHSt 46 225, 228 f), oder wenn der Täter vor oder nach der sexuellen Handlung Aggressionen auslebt.685 Verwendet der Täter bei einem sexuellen Übergriff ohne Bedrohung und ohne Einwirkung auf den Körper des Opfers z.B. ein Messer, um die Kleidung des Opfers aufzuschneiden, kann hierin eine konkludente Drohung liegen.686 Dies liegt nahe, wenn der Vorgang auf Gegenwehr stieß oder es beim Aufschneiden der Kleidung zu Verletzungen des Opfers kam.687 Wenn aber der Vorgang weder vom Opfer wahrgenommen (etwa bei Bewusstlosigkeit, § 177 Abs. 2 Nr. 1) noch auf den Körper unmittelbar eingewirkt wurde, fehlt es an einer Unrechtssteigerung im Vergleich zu Handlungen nach § 177 Abs. 7 Nr. 1. Es wäre dann nur dieser Tatbestand anzuwenden. Verwenden liegt auch dann vor, wenn der Gegenstand als Mittel zur Bedrohung eingesetzt 311 wird.688 Bei Waffen und erkennbar verletzungsgeeigneten Gegenständen genügt die wortlose 679 Ebenso Renzikowski MK Rdn. 174; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 119. 680 Enger, was den zeitlichen Zusammenhang betrifft, Hoven NStZ 2020 578, 585: Verwendung des Werkzeugs zwischen Versuchsbeginn und Beendigung des Sexualdelikts. BGH NStZ 2000 254. Folkers NStZ 2000 472. AA Wolters/Noltenius SK Rdn. 107 f. BGH StV 2002 80 f (Schlagstock). AA Renzikowski MK Rdn. 174; Wolters/Noltenius SK Rdn. 106. BGH NStZ 2005 35. Insoweit aA BGH NStZ 2005 35. S. dazu, dass der Einsatz als Drohmittel genügt, BGH NStZ 1999 301; NStZ-RR 1999 102; NStZ 2000 254; NStZ 2001 369; NStZ-RR 2011 142 f; Fischer Rdn. 157.
681 682 683 684 685 686 687 688
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Präsentation als Drohung.689 Es ist nicht erforderlich, dass der Einsatz des Instruments schon weiter (etwa durch Zielen auf den Körper) konkretisiert wurde (aA Renzikowski MK Rdn. 175; Schroth NJW 1998 2861, 2864). Zu kritisieren ist die Rspr., die das Hervorholen und Präsentieren eines gefährlichen Gegenstands nicht als Verwenden i.S.v. § 177 Abs. 8 Nr. 1 wertet. Wenn ein Täter einen 25 cm langen Schraubenzieher unter seinem Fahrersitz hervorholt und während des zuvor mittels brutaler Gewalt erzwungenen Oralverkehrs für das Opfer sichtbar in der Hand hält (so der Sachverhalt in BGH JR 2022 421 mit Anm. Renzikowski), ist dies auch ohne explizite verbale Ankündigung, zuzustechen, als Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs zu werten. Die Verneinung des Merkmals „verwenden“ und die mildere Bestrafung aus Absatz 7 Nr. 1 im konkreten Fall dürfte darauf zurückzuführen sein, dass das Opfer in BGH JR 2022 421 (4. Senat) eine Prostituierte war und der Senat dazu neigt, diesen Umstand strafmildernd zu werten (dazu und zur Kritik Rdn. 214). Eine Bedrohung liegt auch vor, wenn der Täter die Waffe oder das gefährliche Werkzeug unter der Kleidung, aber sichtbar präsentiert.690 Der Einsatz von Waffen und gefährlichen Werkzeugen zur Bedrohung des Opfers wird häufig zur Erzwingung der sexuellen Handlung erfolgen, eine notwendige Bedingung ist dies jedoch nicht (BGH NJW 2014 2134, 2135). Erfasst sind auch Bedrohungen aus anderen Gründen, etwa zur Bestrafung des Opfers, zur Aggressionsabfuhr oder aus sadistischen Motiven. Nicht überzeugend ist die Einschätzung, dass nur ein zweckgerichteter, auf nötigende Beeinflussung angelegter Einsatz einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs ein erhöhtes Gefahrenpotential für das Tatopfer begründe (so BGH JR 2022 421, 422). Vielmehr sind gerade Täter besonders gefährlich, die nicht in zweckrational-kontrollierter Weise bis zur Erreichung eines Zieles nötigen, sondern denen Dominanz, Erniedrigung und Gewalt Selbstzwecke sind. Aus welchen Motiven der Täter eine Waffe oder einen anderen verletzungsgeeigneten Gegenstand sichtbar präsentiert, spielt keine Rolle. Entscheidend ist die für einen objektiven Beobachter nachvollziehbare bedrohliche Wirkung aus einer Opferperspektive. Es genügt außerdem, dass der Täter verbal auf tatsächlich vorhandene Waffen oder gefährliche Werkzeuge hinweist, auch wenn das Opfer den Gegenstand z.B. wegen Dunkelheit nicht sehen kann (BGH NStZ 2021 229), oder wenn das Opfer taktil wahrnimmt, dass der Täter einen gefährlichen Gegenstand oder eine Waffe bereit hält (BGH NStZ 2018 278, 279). 312 Die Strafschärfung wegen „Verwendens einer Waffe“ setzt auch bei der Verwendung als Drohmittel voraus, dass die Waffe einsatzbereit war, ansonsten handelt es sich um einen ungefährlichen Gegenstand. Schusswaffen und Schreckschusswaffen müssen geladen sein;691 ansonsten kommt ggf. Absatz 7 Nr. 2 zur Anwendung. Anders als beim Beisichführen einer ungeladenen Schusswaffe samt Munition (dazu Rdn. 284) ist die Qualifikation in § 177 Abs. 8 Nr. 1 nicht schon deshalb anzuwenden, weil der Täter die passende Munition griffbereit hat.692 Der Wortlaut des § 177 Abs. 8 setzt nicht voraus, dass die Handlung gegenüber dem Opfer 313 der sexuellen Handlung erfolgt. Es genügt, dass der Täter schutzbereite Dritte durch Verwendung einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs vertreiben will, um sein sexuelles Vorhaben umsetzen zu können (BGH BeckRS 2019 31361).
314 e) Schwere körperliche Misshandlung (Absatz 8 Nr. 2a). S. zum Merkmal „bei der Tat“ Rdn. 307. Ein Finalzusammenhang wurde schon nach altem Recht, vor dem 50. StÄG, nicht vorausgesetzt (BGH NStZ 2010 150). Entscheidend ist vielmehr der zeitliche und räumliche Zusammenhang mit den sexuellen Handlungen. Auch Handlungen vor der Tat, die von einem
689 690 691 692
BGH NStZ 2008 687, 688. BGH NStZ-RR 1999 7; Folkers Ausgewählte Probleme, S. 186. AA Schroth NJW 1998 2861, 2864. BGH bei Pfister NStZ-RR 2008 363; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 154; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 117. BGHSt 45 249; BGH NStZ-RR 2006 205; NStZ-RR 2008 342.
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VIII. Qualifikationen nach Absatz 7 und 8
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allgemeinen, noch nicht sexualisierten Entschluss zur Misshandlung des Opfers geprägt waren, sind erfasst, ebenso Misshandlungen nach der Tat (aA BGH NStZ 2010 150 f; StV 2013 746 f).693 Bei der Anwendung des Qualifikationstatbestandes in § 177 Abs. 8 Nr. 2a kommt dem Merk- 315 mal „schwer“ große Bedeutung zu. Eine einfache körperliche Misshandlung, d.h. eine üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden mehr als unerheblich beeinträchtigt,694 ist mit vielen sexuellen Angriffen, insbesondere Vergewaltigungen, verbunden. Um den erheblichen Strafrahmensprung zu begründen, bedarf es einer schweren körperlichen Misshandlung. Eine solche ist immer (aber nicht nur dann, Rdn. 317) anzunehmen, wenn durch Gewalt, die unmittelbar auf den Körper des Opfers einwirkt, das körperliche Wohlbefinden stark beeinträchtigt wurde, d.h., wenn das Opfer bei der Begehung der Tat erhebliche Schmerzen empfand (st. Rspr.).695 Es muss nicht geprüft werden, ob ein „rohes“ Vorgehen wie in § 225 vorlag696 (wobei dies in der Regel der Fall sein wird). Die Intensität der Gewalteinwirkung und die Schmerzen sind in diesen Fällen entscheidend. Es genügt nicht, auf eine Herabwürdigung des Opfers zu verweisen.697 Die Anwendung von § 177 Abs. 8 Nr. 2a kommt z.B. in Betracht bei heftigen Schlägen (BGH 316 NStZ 1998 461 f; BGH bei Pfister NStZ-RR 2007 364 f; BGH NStZ 2010 150); dem Ausreißen von Haaren;698 festen Tritten gegen empfindliche Körperteile; einer länger andauernden, erhebliche Schmerzen bewirkenden Fesselung; der Zufügung schmerzhafter Wunden und bei ausgeprägten Schmerzen, die das Opfer durch eine Vergewaltigung erlitten hat, die sich in ihrer Dauer (etwa bei Wiederholungen durch mehrere Täter) und/oder der beim Sexualakt angewandten besonderen Brutalität von anderen Vergewaltigungen abhebt. Bei der Bewertung der Erheblichkeit von Schmerzen kann nicht ausschließlich auf das subjektive Empfinden des Opfers abgestellt werden, jedenfalls dann nicht, wenn Anhaltspunkte für eine gesteigerte individuelle Empfindlichkeit vorliegen. Festgestellte Verletzungen sind ein gewichtiges Indiz für die Intensität der Einwirkung und das Ausmaß der Schmerzen.699 Bei einer Kombination von Schlägen, besonders langem, schmerzhaften Verkehr, Ausreißen von Haaren und Würgen liegt die Anwendung von § 177 Abs. 8 Nr. 2a nahe (anders das Tatgericht für den Sachverhalt, der BGH NStZ-RR 2022 73 f zugrunde lag). Es kann Konstellationen geben, in denen der Täter das Opfer körperlich schwer misshan- 317 delt, ohne dass dieses Schmerzen empfindet, etwa dann, wenn es schnell das Bewusstsein verliert, wenn es wegen eines Schocks schmerzunempfindlich ist oder betäubt wird. Führt z.B. die erste gewaltsame Einwirkung auf den Kopf zur Bewusstlosigkeit und fährt der Täter anschließend fort, auf Kopf oder Körper des Opfers einzuschlagen, so liegt hierin eine schwere körperliche Misshandlung (BGH BeckRS 2018 29667). Urteile, die davon ausgehen, dass beträchtliche Schmerzen eine notwendige Bedingung für schwere körperliche Misshandlung seien (BGHSt 60 89, 92; BGH NStZ-RR 2021 209, 210),700 sind nicht überzeugend. Beträchtliche Schmerzen sind eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung. Bei massiven Gewaltanwendungen gegen den Körper wie heftigem Würgen liegt eine schwere körperliche Misshandlung vor (aA BGH NStZ-RR 2018 243).
693 AA (Gewalt nach Vollendung der sexuellen Handlung nicht erfasst) Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 157; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 120. 694 S. zu dieser Definition der st. Rspr. und Lehre z.B. BGH NStZ 2007 218; Grünewald LK12 § 223 Rdn. 21. 695 BGH NJW 2000 3655; NStZ-RR 2010 44, 45; StV 2019 545, 546; NStZ-RR 2021 209. 696 BGH NJW 2000 3655; Kudlich JR 2001 381; Laubenthal NStZ 2001 368; Renzikowski NStZ 1999 383; ders. MK Rdn. 176. 697 Das Unrecht der Erniedrigung wird von § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 erfasst: BGH NJW 2000 3655; Kudlich JR 2001 379, 380. 698 BGH bei Pfister NStZ-RR 2007 364 f. 699 Kudlich JR 2001 379, 380. 700 So auch Fischer Rdn. 161; Wolters/Noltenius SK Rdn. 111. Wie hier Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 157; Renzikowski MK Rdn. 177. 283
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Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Teilweise wird es auch als ausreichend angesehen, dass erhebliche Folgen für die Gesundheit auftreten (BGH NStZ 1998 461; NStZ-RR 2011 337, 338; offen gelassen in BGH NJW 2000 3655).701 Sofern damit allerdings auch Fälle eingeschlossen werden sollen, in denen es sowohl an einer intensiven und unmittelbaren Gewalteinwirkung als auch an Schmerzen fehlte, ist diese Auffassung abzulehnen. Damit würde der in § 223 angelegte Unterschied zwischen einer körperlichen Misshandlung (für die auf den Zeitpunkt der Einwirkung abzustellen ist) und einer Gesundheitsschädigung (für die es auf die Handlungsfolgen ankommt) verwischt. Allein mit dem Verweis auf eine schwere Tatfolge gem. § 226 könnte deshalb eine schwere körperliche Misshandlung nicht bejaht werden. Es können zwar aus der Perspektive des Opfers Komplikationen, die einer zunächst nicht besonders schmerzhaften Einwirkung nachfolgen (etwa Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit wegen einer nicht rechtzeitig erkannten Geschlechtskrankheit), schlimmer sein als ein heftiger, aber vorübergehender Schmerz während der Tat. Derartige Fälle lassen sich aber nicht unter § 177 Abs. 8 Nr. 2a subsumieren. Eine bedenkliche Strafbarkeitslücke besteht deswegen nicht: Der weite Strafrahmen in § 177 Abs. 7 Nr. 3 (der von drei Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe reicht) erlaubt es, eine tatsächlich eingetretene schwere Gesundheitsschädigung angemessen zu erfassen, d.h. mit höherer Strafe als für die bloße Gefahr einer solchen.
319 f) Gefahr des Todes (Absatz 8 Nr. 2b). Der Täter muss durch die Tat (dazu Rdn. 307) eine konkrete Lebensgefahr geschaffen haben.702 Diese kann von der Intensität angewandter Gewalt (auch als Begleitumstand oder einschüchternde Gewalt nach der sexuellen Handlung703) herrühren, etwa Würgen bis zur Bewusstlosigkeit (BGHSt 46 225, 230), oder durch potentiell tödlich wirkende Betäubungsmittel erzeugt worden sein. Ferner kann die Todesgefahr von der Brutalität der sexuellen Einwirkung herrühren (BGHSt 46 225, 226 ff: starker Blutverlust infolge einer ausgedehnten Schnittwunde in der Vagina) oder von einer Infektion mit HIV704 oder anderen durch Körperkontakt übertragenen lebensgefährdenden Erregern. Ferner kann ein Selbstmordversuch des Opfers den Tatbestand erfüllen (s. aber dazu, dass der Täter Vorsatz bzgl. der Qualifikation gehabt haben muss, Rdn. 320).
3. Subjektiver Tatbestand 320 Hinsichtlich aller Merkmale in Absatz 7 und Absatz 8 ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muss in den Fällen des Absatz 7 Nr. 1, Absatz 8 Nr. 1 die Gefährlichkeit des Werkzeugs erfasst haben (BGHSt 46 225, 229 f). Beim Beisichführen einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs (§ 177 Abs. 7 Nr. 1) muss ihm die räumliche Nähe des Gegenstandes bewusst gewesen sein, wobei es bei regelmäßig mitgeführten Alltagsgegenständen wie einem am Schlüsselbund befestigten Taschenmesser oder einem für Arbeitszwecke mitgeführten Messer möglich ist, dass der Täter an diesen Umstand zum Tatzeitpunkt nicht mehr gedacht hat.705 Unter solchen Bedingungen muss der Vorsatz sorgfältig geprüft werden. Bei Personen, die aus beruflichen Gründen Waffen tragen, ist allerdings davon auszugehen, dass ihnen die Tatsache der Bewaffnung normalerweise bewusst ist.706 Das Beisichführen eines Werkzeugs oder Mittels, um Widerstand zu überwinden oder zu verhindern (Absatz 7 Nr. 2), setzt keinen unbedingten Einsatzwillen voraus. Es genügt das Vorhaben, den Gegenstand notfalls einzusetzen. Auch die Gefahr einer schweren Gesund701 702 703 704 705 706
Ebenso Renzikowski NStZ 1999 383; ders. MK Rdn. 176. AA Fischer Rdn. 161. Fischer Rdn. 162; Renzikowski MK Rdn. 178. AA für § 250 Abs. 2 Nr. 3b BGHSt 55 79. Renzikowski MK Rdn. 178. Krit. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 158 wegen der Behandelbarkeit von HIV. BGH NStZ 2022 100. Folkers Ausgewählte Probleme, S. 151.
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heitsschädigung und die Gefahr des Todes (Absatz 7 Nr. 3, Absatz 8 Nr. 2b) müssen vom Vorsatz umfasst worden sein. Dies ergibt sich zwar nicht zwingend aus dem Wortlaut, ist aber mittlerweile allgemein anerkannt (BGHSt 46 225, 226 f).707 Bedingter Vorsatz genügt.
4. Täterschaft und Teilnahme Anders als in den §§ 244 Abs. 1 Nr. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1 wird in § 177 Abs. 7 Nr. 1, 2 vorausgesetzt, dass der Täter (und nicht: ein anderer Beteiligter) den Gegenstand bei sich führt. Hat ein Gehilfe oder Mittäter die Waffe, den gefährlichen Gegenstand oder ein anderes Mittel in der Hand, in seiner Tasche o.ä., führt auch der (Mit-)Täter diese bei sich, wenn er davon weiß und die räumlichen Verhältnisse so beschaffen sind, dass er sich in unmittelbarer Nähe befindet und selbst ohne Schwierigkeiten darauf zugreifen oder darüber verfügen könnte (s. BGHSt GS 48 189, 194). Wenn aber der eine Waffe tragende Gehilfe sich während des gesamten Tatgeschehens in einiger Entfernung aufhält und die Waffe sich deshalb außerhalb der Reichweite des Täters befindet, ist Absatz 7 Nr. 1 oder 2 nicht anwendbar (s. BGHSt GS 48 189, 194). Das Beisichführen durch einen Mittäter ist auch anderen Mittätern, die nicht problemlos selbst nach dem Gegenstand greifen könnten, zuzurechnen. Aus dem Fehlen des Verweises auf „andere Beteiligte“ ergibt sich nicht, dass die allgemeine Zurechnungsregel in § 25 Abs. 2 eingeschränkt werden soll. Der erste Senat des BGH hatte beim bewaffneten Handel mit Betäubungsmitteln zwar eine Zurechnung gem. § 25 Abs. 2 verneint708 (allerdings angedeutet, dass bei § 177 Abs. 3 Nr. 1 a.F. anders zu entscheiden sei).709 Die abstrakte Gefährdung des Opfers ist ein tatbezogener Umstand, der allen Mittätern anzulasten ist (so nunmehr nicht nur für § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG, sondern auch für § 177 BGHSt GS 48 189, 195 m. zust. Anm. Altenhain NStZ 2003 437). Bei den anderen Tatvarianten in § 177 Abs. 7 Nr. 3 und Abs. 8 (eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwenden; das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder des Todes bringen; es körperlich schwer misshandeln) ist eine Handlung des Täters erforderlich. Täter muss aber nicht in allen Fällen derjenige sein, der selbst die sexuelle Handlung vornimmt (s. Rdn. 117). Bei Mittätern (§ 25 Abs. 2) werden die vom gemeinsamen Tatplan umfassten Handlungen wechselseitig zugerechnet (BGHSt GS 48 189, 195 zu § 177 Abs. 4 Nr. 1 a.F.). Wenn ein Mittäter entgegen der ursprünglichen Absprache eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug verwendet, so kann hierin eine wechselseitig gebilligte Tatplanerweiterung liegen, wenn die anderen Beteiligten im Anschluss weiter an der Vollendung mitwirken.710 Treten die Gefahr einer Gesundheitsschädigung, erhebliche Schmerzen infolge einer körperlichen Misshandlung oder die Todesgefahr aufgrund der kumulativen Effekte mittäterschaftlicher Handlungen ein, sind sie allen Mittätern zuzurechnen.711 Teilnahme an einer gem. § 177 Abs. 7, 8 qualifizierten Haupttat ist nach den allgemeinen Regeln möglich.
707 BGH NJW 2003 2036, 2037; NStZ-RR 2018 188; Laubenthal NStZ 2001 368; Renzikowski NStZ 1999 383 f; ders. MK Rdn. 179; Fischer Rdn. 162; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 26; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 121; Wolters/Noltenius SK Rdn. 105. 708 BGHSt 42 368 zu § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG, bestätigt in BGH NStZ 2002 600. AA zu § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG der dritte Senat (BGH NJW 2002 1437, 1439 f), der auch für § 177 Abs. 3 a.F. explizit die Zurechenbarkeit bejaht. 709 BGH NStZ 2002 600. Innerhalb des vom ersten Senat vertretenen Ansatzes ist eine Differenzierung zwischen § 30 Abs. 2 Nr. 2 BtMG und § 177 Abs. 7 Nr. 1 wenig überzeugend, so zu Recht Weber NStZ 2002 601, 602; s. auch Altenhain NStZ 2003 437. 710 BGH NStZ-RR 2002 9. 711 BGH bei Pfister NStZ-RR 2007 364 f. 285
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5. Versuch 325 Wegen Versuches ist gem. § 177 Abs. 7 Nr. 1, 2, Abs. 8 Nr. 1, 2a i.V.m. § 22 zu bestrafen, wenn ein entsprechender Tatentschluss vorlag und der Täter zur Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes angesetzt hat. Delikte nach § 177 Abs. 7 Nr. 3 und Abs. 8 Nr. 2b können zum einen in der Weise versucht werden, dass bei vollendetem Grunddelikt die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder die Gefahr des Todes vom Vorsatz des Täters umfasst waren, aber diese Folgen nicht eingetreten sind (Versuch einer Erfolgsqualifizierung). Zum anderen kann ein erfolgsqualifizierter Versuch vorliegen, nämlich wenn es nicht zu der geplanten sexuellen Handlung kam, aber die schwere Folge bereits eingetreten ist. S. dazu und zur Möglichkeit des Rücktritts vom Versuch, wenn der Täter freiwillig die Ausführung der sexuellen Handlung aufgegeben hat, § 178 Rdn. 14 f. 326 Ein Rücktritt vom Versuch einer Qualifikation gem. Absatz 8 Nr. 1 (Teilrücktritt) ist möglich, wenn der Täter entgegen dem ursprünglichen Plan darauf verzichtet, eine Waffe oder einen anderen gefährlichen Gegenstand zu verwenden und er zwar zur Begehung der Tat damit schon angesetzt, aber den Gegenstand noch nicht verwendet hat (Murmann LK § 24 Rdn. 580 f m.w.N.). Hat der Täter dagegen eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug bereits verwendet, ist auch beim freiwilligen Verzicht auf einen weiteren Einsatz ein Teilrücktritt vom Qualifikationstatbestand nicht mehr möglich. Durch den Gebrauch des Gegenstandes ist § 177 Abs. 8 Nr. 1 vollendet und die qualifikationsbegründende Gefahr bereits eingetreten (BGHSt 51 276, 279).712 Ein Teilrücktritt liegt ferner vor, wenn der Täter von der schweren körperlichen Misshandlung (Absatz 8 Nr. 2a) oder einer lebensgefährlichen Ausführungsweise (Absatz 8 Nr. 2b) oder von Modalitäten, die zu einer schweren Gesundheitsschädigung führen könnten (Absatz 7 Nr. 3), nach dem Ansetzen zu einem entsprechend geplanten sexuellen Übergriff, einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung Abstand nimmt, ohne dass es bereits zu einer Gefährdung oder Misshandlung des Opfers gekommen ist. Hat der Täter dagegen nach Versuchsbeginn eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug oder ein Werkzeug oder Mittel nach § 177 Abs. 7 Nr. 1, 2 bei sich geführt, kommt wegen der Vollendung dieser Qualifikationstatbestände ein Rücktritt nicht mehr in Betracht, auch wenn der Täter sich vor der sexuellen Handlung des Gegenstands entledigt hat (Murmann LK § 24 Rdn. 582 m.w.N.).
6. Schuldspruch 327 Zur angemessenen Beschreibung des Unrechts im Schuldspruch erfolgt die Verurteilung in den Fällen des § 177 Abs. 7 wegen schwerem sexuellen Übergriff, schwerer sexueller Nötigung oder schwerer Vergewaltigung.713 Kommt § 177 Abs. 8 zur Anwendung, sollte der Schuldspruch besonders schwerer sexueller Übergriff, besonders schwere sexuelle Nötigung oder besonders schwere Vergewaltigung lauten.714 Dies gilt auch dann, wenn ein minder schwerer Fall nach Absatz 9 3. Alt. bejaht wird (BGH NStZ-RR 2014 172, 174). Bei unterlassener Verurteilung wegen einer der Qualifikationen in Absatz 7 und Absatz 8 ist eine Revision der Nebenklage zulässig.715
712 Zust. von Heintschel-Heinegg JA 2007 656 f; Streng JZ 2007 1089, 1092. 713 BGH bei Pfister NStZ-RR 2003 359; NStZ-RR 2004 357 f; NStZ-RR 2005 365; BGH NStZ-RR 2009 198; BGH bei Pfister NStZ 2021 361, 363. AA noch BGH NStZ 2000 254, 255; NStZ-RR 2002 357. Andeutung der Änderung in BGH NStZ 2002 656. 714 BGH bei Pfister NStZ-RR 2003 359; NStZ-RR 2004 358; NStZ-RR 2005 365; NStZ-RR 2006 367; NStZ-RR 2007 173; NStZ-RR 2008 338, 339. 715 BGH NStZ 2001 420. Hörnle
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VIII. Qualifikationen nach Absatz 7 und 8
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7. Strafzumessung a) Innerhalb des Rahmens in Absatz 7, 8. Der gesetzliche Strafrahmen beginnt bei Freiheits- 328 strafe von drei Jahren (Absatz 7) oder Freiheitsstrafe von fünf Jahren (Absatz 8) und reicht bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Bei der Strafzumessung innerhalb des Rahmens kommt es (neben dem Gewicht der sexuellen Handlung, s. dazu Rdn. 126 ff, 268 ff) auf das Ausmaß der Gefährdung oder Misshandlung an. Bei der nur abstrakten Gefahr gem. Absatz 7 Nr. 1 sind insoweit die Unterschiede zwischen typischen Sachverhalten vergleichsweise gering, da allen Waffen und gefährlichen Werkzeugen gemeinsam ist, dass sie geeignet sein müssen, erhebliche Verletzungen zu verursachen. Bei der Anwendung von Absatz 7 Nr. 2 kann es dagegen größere Unrechtssprünge geben, vor allem im Vergleich der Fälle, in denen der Täter sonstige Mittel zum Fesseln, Knebeln usw. nur bei sich führt, und solchen, in denen er diese verwendet. Abstufungen des Unrechts gibt es ferner bei der Modalität des Verwendens (Absatz 8 Nr. 1): Es bedeutet einen Unterschied, ob eine Waffe oder ein anderer gefährlicher Gegenstand nur zur Bedrohung oder aber für die Einwirkung auf den Körper des Opfers verwendet wird. Ferner fällt das Erfolgsunrecht deutlich höher aus, wenn eine Gesundheitsschädigung verursacht als wenn nur die Gefahr einer solchen begründet wird (Absatz 7 Nr. 3). Bei der Todesgefahr (Absatz 8 Nr. 2b) kommt es darauf an, wie wahrscheinlich der Tod des Opfers ist. Die Bewertung einer körperlichen Misshandlung (Absatz 8 Nr. 2a) hängt vom Ausmaß der Gewalteinwirkung und/oder der Schmerzen ab. Kombinationen unterschiedlicher qualifizierender Elemente und Kombinationen von Qua- 329 lifikationen und Regelbeispielen sind bei der Strafzumessung innerhalb des schwersten verwirklichten Rahmens zu berücksichtigen. Kommt einer der in Absatz 7 oder Absatz 8 genannten Umstände zu einem Regelbeispiel gem. § 177 Abs. 6 hinzu, so sind sowohl die Verwirklichung des Regelbeispiels als auch der Tatmodus nach Absatz 7 oder Absatz 8 bei der Unrechtsbewertung zu berücksichtigen.716 Genauso wirkt es sich unrechtserhöhend aus, wenn der Täter sowohl einen Qualifikationstatbestand nach Absatz 7 als auch einen nach Absatz 8 verwirklicht (z.B. wenn er ein gefährliches Werkzeug verwendet und das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, oder eine Waffe bei sich führt und das Opfer körperlich schwer misshandelt, oder eine Waffe, Absatz 8 Nr. 1, und zusätzlich ein sonstiges Mittel gem. Absatz 7 Nr. 2 einsetzt717) oder mehrere Modalitäten aus demselben Absatz erfüllt.
b) Minder schwerer Fall (Absatz 9 3. Alt.). In minder schweren Fällen von Taten, die unter 330 die Absätze 7 und 8 zu fassen sind, liegt der Strafrahmen bei einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (Absatz 9 3. Alt.). Dass die Höchststrafe in Absatz 9 3. Alt. geringer ausfällt als die in Absatz 5 für eine sexuelle Nötigung ohne qualifizierende Umstände, wird als inkonsequent kritisiert (Renzikowski NStZ 1999 384). Es gibt allerdings Fälle, für die die Strafrahmengestaltung stimmig ist, nämlich soweit bei sexuellen Übergriffen geringfügige sexuelle Handlungen zu bestrafen sind. Solche Sexualdelikte fallen ohne qualifizierende Umstände unter Absatz 9 1. Alt. (drei Monate bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe) und, wenn Begleitumstände nach Absatz 7 oder Absatz 8 vorliegen, unter Absatz 9 3. Alt. (ein Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe). Wenig überzeugend ist die Festsetzung der Höchststrafe in Absatz 9 3. Alt. allerdings, wenn das Gericht eine Vergewaltigung (oder eine andere besonders erniedrigende sexuelle Handlung) zu beurteilen hat – Handeln unter qualifizierenden Umständen hat dann zur Folge, dass die Höchststrafe niedriger ist, als wenn diese Umstände nicht vorliegen würden. Die Rspr. fordert auch für die Anwendung von Absatz 9 3. Alt. eine Gesamtwürdigung aller 331 Umstände;718 s. zur Kritik an diesem Ansatz Rdn. 145. Statt einer diffus-intuitiven „Gesamtabwä716 BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 358. 717 BGH bei Pfister NStZ-RR 2003 359. 718 BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 359; NStZ-RR 2001 360; BGH NStZ-RR 2008 338, 339. 287
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gung“ sollte in erster Linie erörtert werden, ob das Tatunrecht (ggf. unter Berücksichtigung schuldmindernder Faktoren) die Einstufung als minder schwerer Fall trägt. Mit Blick auf die qualifizierenden Umstände (bei vergleichbaren sexuellen Geschehnissen) lässt sich begründen, dass es in Fällen des Absatzes 7 eher als in solchen des Absatzes 8 möglich ist, einen minder schweren Fall anzunehmen.719 Es liegt in diesem Kontext kein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot vor, wenn z.B. auf das „Verwenden einer Waffe“ (im Kontrast zum bloßen Beisichführen) abgestellt wird.720 Für die Einstufung als minder schwerer Fall gem. Absatz 9 3. Alt. ist vor allem an die beträchtlichen Unrechtsunterschiede anzuknüpfen, die der Vergleich sexueller Handlungen ergibt.721 Sinn und Zweck des Absatz 9 3. Alt. ist es vor allem, eine unrechtsangemessene Strafe zu ermöglichen, wenn der Strafrahmen in Absatz 7 oder Absatz 8 für einen in der sexuellen Komponente vergleichsweise harmlosen Übergriff (im Vergleich zu sexueller Nötigung oder Vergewaltigung) zu hoch ausfällt. In Absatz 7 und Absatz 8 wird nicht danach differenziert, ob ein einfacher sexueller Übergriff oder aber eine sexuelle Nötigung oder eine Vergewaltigung (bzw. eine andere besondere Erniedrigung) vorliegt. Bei einem sexuellen Übergriff, der gem. Absatz 7 Nr. 1 oder Nr. 2 wegen des Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs oder anderer Mittel qualifiziert ist, liegt der Strafrahmen deutlich höher als der für eine sexuelle Nötigung vorgesehene – unter solchen Umständen ist stets an eine Rahmenminderung nach Abs. 9 3. Alt. zu denken (in den Materialien, BTDrucks. 18/9097 S. 29, wird als Beispielsfall auf das alltägliche, etwa berufsbedingte Beisichführen eines Werkzeugs bei einem sexuellen Übergriff minderer Schwere verwiesen). Von einem minder schweren Fall gem. Absatz 9 3. Alt. ist auch auszugehen, wenn bei einer sexuellen Nötigung die tatsächliche Beeinträchtigung des Opfers (die Art der sexuellen Handlung ebenso wie die konkrete Vorgehensweise) wenig gewichtig ausfiel. Ein minder schwerer Fall nach Absatz 9 3. Alt. wäre dagegen nicht hinreichend mit dem Verweis darauf begründet, dass die neben einer vollendeten sexuellen Nötigung angestrebte Vergewaltigung nicht vollendet wurde.722 Es bedarf vielmehr stets einer Bewertung des Unrechtsgehalts der konkreten sexuellen Handlung und der konkreten Begleitumstände. Problematischer als bei einfachem sexuellem Übergriff oder sexueller Nötigung ist die Annahme eines minder schweren Falles gem. Absatz 9 3. Alt. bei einer Vergewaltigung (oder einer ähnlichen, das Opfer besonders erniedrigenden Handlung). Die Rspr., die von einer unbestimmten „Gesamtabwägung“ ausgeht (Rdn. 145), nimmt an, dass das Regelbeispiel in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 der Annahme eines minder schweren Falles nicht grundsätzlich (aber immerhin häufig) entgegenstehe.723 Auch bei der Anwendung von Absatz 9 3. Alt. werden in der deutschen Rspr. Täter privilegiert, die zu Lasten von früheren Intimpartnerinnen handeln,724 was der Wertung in Art. 46 a) Istanbul-Konvention widerspricht. Es darf nicht strafmildernd berücksichtigt werden, dass eine Tat im sozialen Nahraum begangen wurde (Rdn. 129). Zu rechtfertigen ist eine Strafzumessung aus Absatz 9 3. Alt. bei Vergewaltigungen nur in ungewöhnlichen Fällen, nämlich wenn das konkrete, ungewöhnlich niedrige Erfolgs- und Handlungsunrecht (ggf. auch unter Berücksichtigung schuldmindernder Umstände) einen mit drei oder fünf Jahren Freiheitsstrafe ansetzenden Rahmen als zu hoch erscheinen lässt. Vorstellbar wäre dies, wenn die Erniedrigung im Vergleich mit anderen Vergewaltigungen am untersten Rand der Schwereskala anzusiedeln ist (etwa beim kurzzeitigen Eindringen mit einem Finger in die Vagina) und das qualifizierende Element lediglich eine abstrakte Gefahr begründet hat (Absatz 7 Nr. 1, z.B. wegen des Taschenmessers, das der Täter bei sich führt). Beim Eintritt einer 719 Renzikowski MK Rdn. 212; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 152. 720 S. dazu Kudlich NStZ 2019 264, 265. 721 S. zur Bedeutung der Art der abgenötigten sexuellen Handlung auch BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 359; NStZRR 2006 367. 722 BGH bei Pfister NStZ-RR 2006 366 f. 723 BGH bei Pfister NStZ-RR 1999 355; BGH NStZ 2000 419; NStZ 2004 32, 33; BGH bei Pfister NStZ-RR 2019 365. 724 S. die erstinstanzlichen Urteile, die BGH NStZ 2000 254; BeckRS 2018 29824 zugrunde lagen. Hörnle
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VIII. Qualifikationen nach Absatz 7 und 8
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erheblichen Gesundheitsschädigung, bei einer schweren körperlichen Misshandlung des Opfers oder einer konkreten Lebensgefahr, die zu einer Vergewaltigung hinzutreten, kommt die Anwendung von Absatz 9 3. Alt. dagegen in aller Regel nicht in Betracht.725 Es ist nicht nachvollziehbar und zu kritisieren, in welchem Umfang die Rspr. bei gravierendem Tatunrecht, etwa trotz massiver Gewaltanwendung, Verwendung einer Waffe und erheblichen sexuellen Handlungen, von geminderten Strafrahmen ausgeht (s. z.B. den als „minder schwerer Fall“ bewerteten Sachverhalt in BGH NStZ-RR 2011 141: Oralverkehr, bis das Opfer sich erbricht; versuchter Vaginalverkehr, der an der Gegenwehr des Opfers scheitert; mehrfache Schläge mit einem Schlagring ins Gesicht und auf den Kopf; stark blutende Kopfwunde; Ausnutzung von Vertrauen). Der BGH verlangt allerdings immerhin, dass bei Vergewaltigungen, wenn nach § 177 Abs. 9 336 3. Alt. gemindert wird, die Untergrenze des Absatzes 6 beachtet werden müsse.726 Die Mindeststrafe des Absatz 9 3. Alt. liegt bei einem Jahr Freiheitsstrafe, also niedriger als in Absatz 6 (dort sind zwei Jahre Freiheitsstrafe vorgesehen). Nur bei „Vorliegen von ganz außergewöhnlichen mildernden Umständen“ soll es deshalb nach der Rspr. erlaubt sein, die in Absatz 6 vorgesehene Mindeststrafe bei Vergewaltigungen mit qualifizierenden Begleitumständen zu unterschreiten.727 Diese Beschränkung auf „ganz ungewöhnliche“ Fälle ist ernst zu nehmen. Die Kombination von Vergewaltigung oder sonstiger besonderer Erniedrigung des Opfers mit einer Qualifikation gem. Absatz 7 oder 8 bedeutet, dass gewichtiges Tatunrecht vorliegt. Besonderen unrechts- oder schuldmindernden Umständen ist regelmäßig schon mit der Absenkung der Mindeststrafe auf zwei (statt drei oder fünf) Jahre Freiheitsstrafe und einer Zumessung innerhalb dieses Rahmens an der Untergrenze angemessen Rechnung zu tragen. Da die Anwendung von Absatz 9 3. Alt. nur bei den innerhalb der Kategorie „Vergewalti- 337 gung“ am unteren Schwererand anzusiedelnden Delikten in Betracht kommt, ist die Übernahme der höheren Strafobergrenze aus Absatz 6 (offen gelassen in BGH bei Pfister NStZ-RR 2003 359) nicht zwingend. § 177 Abs. 9 3. Alt. sieht für Taten nach Absatz 7 eine geringere Absenkung der Mindeststrafe 338 vor als bei Anwendung des § 49 Abs. 1 wegen eines im Allgemeinen Teil vorgesehenen Strafmilderungsgrunds (etwa §§ 21, 23 Abs. 2) möglich ist. § 177 Abs. 7 i.V.m. § 49 Abs. 1 führt zu einer Mindeststrafe von sechs Monaten, § 177 Abs. 9 3. Alt. zu einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe. Bei Taten nach Absatz 8 liegt die Mindeststrafe in Kombination mit § 49 Abs. 1 dagegen bei zwei Jahren Freiheitsstrafe. Bei der Entscheidung zwischen Milderung gem. § 49 Abs. 1 und Annahme eines minder schweren Falles ist für den Einzelfall zu untersuchen, für welche der jeweils möglichen Strafrahmenalternativen das konkrete Ausmaß der Unrechtsund/oder Schuldminderung spricht.
8. Konkurrenzen Absatz 8 verdrängt bei der Fassung des Schuldspruchs Absatz 7.728 Auch wenn innerhalb von 339 Absatz 7 oder von Absatz 8 mehrere Varianten verwirklicht wurden, ist nur wegen eines schweren bzw. besonders schweren sexuellen Übergriffs (BGHSt 64 55 62) bzw. schwerer oder besonders schwerer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung zu verurteilen.729 Zwischen einer vollendeten Tat nach § 177 Abs. 1, 2, 5, 6 und einer versuchten Tat nach Absatz 7 oder 8 ist
725 726 727 728 729 289
Renzikowski MK Rdn. 212. BGH NStZ 2000 419; NStZ 2001 646; NStZ 2003 202, 203; NStZ 2004 32, 33; NStZ-RR 2008 338. BGH StV 2002 20; NStZ 2004 32, 33; NStZ-RR 2011 141, 142; BeckRS 2018 29824. S. BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 357; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 28. Renzikowski MK Rdn. 191; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 138. Hörnle
§ 177
Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung
Tateinheit möglich.730 § 223 tritt hinter § 177 Abs. 8 Nr. 2a zurück;731 allerdings nur insoweit, als es sich um dieselbe Gewalthandlung handelt, auf die sich die Anwendung von § 177 Abs. 8 Nr. 2a stützt. Davon abgesehen kann zwischen Körperverletzungsdelikten und Delikten nach § 177 Abs. 7, 8 Tateinheit vorliegen.732 Zwischen § 177 Abs. 8 Nr. 2a, 2b und § 224 Abs. 1 Nr. 5 ist Tateinheit möglich,733 ebenso im Verhältnis aller Qualifikationen zu § 222. S. im Übrigen zu den Konkurrenzen Rdn. 150 ff, 219 ff.
730 731 732 733
Lackner/Kühl/Heger Rdn. 28; Renzikowski MK Rdn. 191; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 138. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 139. BGH NStZ 2015 213, 214. BGH bei Pfister NStZ-RR 2002 355; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 139; aA BGH bei Pfister NStZ-RR 2016 364 zum Verhältnis von § 224 Abs. 1 Nr. 5, 177 Abs. 8 Nr. 2b; Fischer Rdn. 186. Hörnle
290
§ 178 Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge Verursacht der Täter durch den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung (§ 177) wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.
Schrifttum Bacher Versuch und Rücktritt vom Versuch beim erfolgsqualifizierten Delikt (1999); Beckschäfer Anmerkung zu BGH NStZ-RR 2006 75, ZIS 2006 259; Ferschl Das Problem des unmittelbaren Zusammenhangs beim erfolgsqualifizierten Delikt (1999); Hardtung Versuch und Rücktritt bei den Teilvorsatzdelikten des § 11 Abs. 2 StGB (2002); Herzberg Zum Merkmal „durch den Raub“ in § 251 und zum Rücktritt vom tödlichen Raubversuch, JZ 2007 615; Küpper Der „unmittelbare“ Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt (1982); Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen (1986); Wolters Der Rücktritt beim ‚erfolgsqualifizierten Delikt‘, GA 2007 65.
Entstehungsgeschichte Bis zum 4. StrRG v. 23.11.1973 (Vor § 174 Rdn. 6) sah § 178 a.F. für die fahrlässige Verursachung des Todes des Opfers einer Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe vor. Danach galt ein deutlich abgesenkter Strafrahmen (Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren) bei leichtfertiger Verursachung des Todes, §§ 177 Abs. 3, 178 Abs. 3 a.F. Auch das 33. StÄG v. 1.7.1997 (Vor § 174 Rdn. 16) blieb zunächst bei dieser Regelung, platziert in § 177 Abs. 4 a.F. Das 6. StrRG v. 26.1.1998 (Vor § 174 Rdn. 17) kehrte zum alten Strafrahmen (Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe) und der Verortung in § 178 zurück. Der Anwendungsbereich, der zuvor auf leichtfertiges Handeln beschränkt war, wurde durch die Formulierung „wenigstens leichtfertig“ um vorsätzliche Handlungen erweitert. Das 50. StÄG v. 4.11.2016 (Vor § 174 Rdn. 24) passte § 178 an die neue Fassung von § 177 an.
Übersicht I.
Normzweck
1
IV.
Versuch
II.
Tatbestand
2
V.
Strafzumessung
III.
Täterschaft und Teilnahme
VI.
Konkurrenzen
12
14 16 17
I. Normzweck Neben der sexuellen Selbstbestimmung (§ 177 Rdn. 1) wird das Leben geschützt. Es handelt sich 1 um ein erfolgsqualifiziertes Delikt, im Falle von Leichtfertigkeit um ein erfolgsqualifiziertes Delikt i.S. einer Vorsatz-Fahrlässigkeit-Kombination.
II. Tatbestand Für die Bestrafung aus § 178 muss ein vollendeter sexueller Übergriff, eine vollendete sexu- 2 elle Nötigung oder Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1, 2, 4–8 vorliegen (s. zur Versuchsstrafbarkeit Rdn. 14). Unerheblich ist, wann der Tod eintritt – erfasst sind auch Sachverhalte, in denen das während des Sexualdelikts verletzte Opfer erst zu einem späteren Zeitpunkt stirbt. Vor dem 50. StÄG waren von § 177 Abs. 1 a.F. auch Nötigungshandlungen gegen eine dritte Person erfasst, sodass auch deren Tod unter § 178 fallen konnte, was nach der neuen Fassung 291 https://doi.org/10.1515/9783110490121-013
Hörnle
§ 178
3
4
5
6
Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge
des § 177 Abs. 5 nicht mehr der Fall ist.1 Die zu Tode gekommene Person muss das Opfer des Sexualdelikts sein.2 Neben dem Kausalzusammenhang zwischen dem Sexualdelikt und dem Todeseintritt setzt eine Verurteilung aus § 178 zweierlei voraus. Zum einen muss sich im Tod des Opfers eine für das Grunddelikt spezifische Gefahr verwirklicht haben (dazu Vogel/Bülte LK § 18 Rdn. 32 ff);3 s. dazu im Einzelnen Rdn. 7 ff. Zum anderen muss der Täter mindestens leichtfertig gehandelt haben. Anders als nach der allgemeinen Regel in § 18 genügt einfache Fahrlässigkeit für § 178 nicht (ggf. ist gem. § 222 oder § 227 zu bestrafen). Dies bedeutet, dass einfache Vorhersehbarkeit des Todeserfolges für § 178 nicht ausreicht. Leichtfertig handelt, wer die sich ihm aufdrängende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs aus besonderem Leichtsinn oder aus besonderer Gleichgültigkeit außer Acht lässt (BGHSt 33 66, 67; s. auch BGHSt 43 158, 168; Vogel/Bülte LK § 15 Rdn. 294 f).4 Diese Definition umfasst zwei Formen leichtfertigen Handelns: Leichtfertigkeit kann sowohl bei fehlendem Gefahrbewusstsein vorliegen (wenn sich der drohende Eintritt des Todes aufdrängt, oder, in anderer Formulierung, wenn die Umstände diese Möglichkeit besonders nahelegen)5 als auch bei Handeln mit Gefahrenbewusstsein (wenn der Täter die von ihm erkannte Todesgefahr wegen besonderen Leichtsinns oder besonderer Gleichgültigkeit verdrängt). Unbewusste Leichtfertigkeit, die auf der Verdrängung eines beträchtlichen Risikos infolge rücksichtsloser Bedenken- und Gedankenlosigkeit beruht, steht in ihrem Unrechtsgehalt bewusster Leichtfertigkeit nicht nach (Paeffgen NK § 18 Rdn. 50; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1). Die Leichtfertigkeit muss im Einzelfall festgestellt werden: Es genügt nicht, auf die Erfüllung des Grundtatbestandes zu verweisen.6 Mit der Formulierung „wenigstens leichtfertig“ hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch die vorsätzliche Herbeiführung des Todes unter § 178 fällt (BTDrucks. 13/9064 S. 11). Der Tod muss „durch den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung“ herbeigeführt werden. Der Konnex mit einer Sexualstraftat fehlt, wenn der Täter das Opfer tötet, um durch die Tötung (ohne sexuelle Handlung) seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen oder um sexuelle Handlungen an der Leiche zu begehen. Wenn eine sexuelle Handlung vorlag, bedarf es eines zeitlich-örtlichen Zusammenhangs zwischen einer den Grundtatbestand erfüllenden Handlung und der Verursachung des Todes (s. BGHSt 51 276, 278). Dieser Zusammenhang besteht nicht mehr, wenn das Geschehen, das als sexueller Übergriff, Nötigung oder Vergewaltigung zu werten ist, erkennbar und endgültig beendet ist. § 178 ist nach h.M. auch dann nicht anzuwenden, wenn der Täter in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Sexualdelikt einen neuen Tatentschluss in Form von Tötungsabsicht fasst und das Opfer tötet, um die Sexualstraftat zu verdecken (BGH NStZ-RR 1999 170; s. auch BGH bei Pfister NStZ-RR 2000 361).7 In solchen Fällen sei (nur) wegen Verdeckungsmord und dem Sexualdelikt zu bestrafen, nicht aber wegen sexuellem Übergriff etc. mit Todesfolge.8 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Tötungsabsicht eine relevante Zäsur bewirkt und der Tod infolgedessen durch eine neue Tat eintritt. Zwingend ist die Annahme einer solchen Zäsurwirkung allerdings nicht, und es ist fraglich, warum bei einer Tötung in Verdeckungsabsicht im Anschluss an eine Geiselnahme Tateinheit zwischen §§ 211 und 239b
1 2 3 4 5
S. zur alten Fassung des § 178 Bacher S. 129 f; Ferschl S. 216. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1. Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Renzikowski MK Rdn. 5 ff. Fischer Rdn. 6; Renzikowski NStZ 1999 384; ders. MK Rdn. 12; Wolters/Noltenius SK Rdn. 3. S. zum Einschluss der unbewusst leichtfertigen Tatbegehung Duttge MK § 15 Rdn. 192; Radtke FS Jung 737, 750; Vogel/Bülte LK § 15 Rdn. 295. 6 Renzikowski NStZ 1999 384; ders. MK Rdn. 12; Wolters/Noltenius SK Rdn. 3. 7 Fischer Rdn. 5; Renzikowski MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2. 8 BGH NStZ-RR 1999 170. Hörnle
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II. Tatbestand
§ 178
Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 3 angenommen wird,9 nicht aber bei der Verdeckungstötung im Anschluss an ein Sexualdelikt nach § 177. Allerdings hat wegen der lebenslangen Freiheitsstrafe für Verdeckungsmord die Frage der Tateinheit mit § 178 keine Bedeutung für das Ergebnis der Strafzumessung. Unproblematisch ist die Verwirklichung einer spezifischen, dem Grunddelikt anhaftenden 7 Gefahr gegeben, wenn eine erhebliche Gewaltanwendung, z.B. Schläge auf den Kopf, Würgen oder das versehentliche Abfeuern einer als Drohmittel eingesetzten Schusswaffe,10 den Tod des Opfers bewirkt hat.11 Die Anwendung von § 178 ist nicht auf Sachverhalte beschränkt, in denen Gewalt zur Erzwingung von sexuellen Handlungen eingesetzt wurde. Wie für die Anwendung von § 177 Abs. 5 Nr. 1 genügt es, wenn der Täter bei der sexuellen Handlung oder im Anschluss daran gewaltsam auf das noch seinem Einfluss unterworfene Opfer einwirkt (§ 177 Rdn. 168), z.B. aus sadistischen Motiven oder um ein schreiendes Opfer zum Schweigen zu bringen oder um es durch Einschüchterung von einer Strafanzeige abzuhalten.12 Es kommt nicht darauf an, ob der Tod durch unterbliebene oder fehlerhafte Versorgung des schwer verletzten Opfers befördert wurde.13 Leichtfertigkeit ist in von § 177 Abs. 8 erfassten Konstellationen regelmäßig zu bejahen.14 Die Anwendung des § 178 ist allerdings nicht auf Fälle beschränkt, in denen ein Nötigungs- 8 mittel gem. § 177 Abs. 5 Nr. 1 zum Einsatz kam. Auch bei einem sexuellen Übergriff kann es zu tödlichen Folgen kommen (aA Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1), etwa wenn der Täter eine besondere Schwächung des Opfers nach § 177 Abs. 2 Nr. 1, 2 ausgenutzt hat. Unter § 178 können ferner Fälle fallen, in denen das Opfer eines sexuellen Übergriffs oder einer sexuellen Nötigung z.B. infolge eines Überraschungsangriffs (§ 177 Abs. 2 Nr. 3) oder einer Drohung (§§ 177 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 5 Nr. 2) ums Leben kommt, etwa wenn es einen Herzinfarkt oder Schock erleidet.15 Allerdings muss, damit Leichtfertigkeit bejaht werden kann, die einschüchternde Wirkung besonders ausgeprägt gewesen sein, was nicht bei jeder tatbestandsmäßigen Drohung und bei jedem Überraschungsangriff zu bejahen wäre.16 Erfasst sind außerdem die tödlichen Folgen von sexuellen Handlungen, bei denen der 9 Täter dem Opfer z.B. bei der Penetration oder durch die Verwendung von gefährlichen Werkzeugen und Objekten Verletzungen zufügt (s. die Sachverhalte in BGHSt 46 225; BGH NStZ 2010 389).17 Kommt das Opfer auf diese Weise ums Leben, verwirklicht sich eine für das Grunddelikt typische Gefahr. Für die Frage der Leichtfertigkeit kommt es darauf an, ob sich z.B. wegen der Vorgehensweise und/oder Beschaffenheit des Gegenstandes die Möglichkeit einer schweren Verletzung aufdrängte. Unter solchen Umständen spielt es keine Rolle, wann das Opfer stirbt, d.h. es ist sowohl Verbluten am Tatort erfasst als auch der Tod aufgrund von Infektionen, wenn Wunden zugefügt werden. Wenn Täter erhebliche Verletzungen verursachen, bei denen sich das Risiko möglicher tödlicher Folgen aufdrängt, spielt es keine Rolle, ob nachfolgende Behandlungsfehler zum Todeseintritt beigetragen haben.18 Angesichts der geringen Mortalitätszahlen bei Abtreibungen und Schwangerschaften begründet Geschlechtsverkehr mit Samenerguss keine spezifische Todesgefahr;19 wenn es zu einem Tod infolge eines Schwangerschaftsabbruchs
9 BGH NStZ 1994 481, 482; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 30. 10 BGHSt 20 269, 279. 11 Ferschl S. 217; Renzikowski MK Rdn. 7. 12 AA Renzikowski MK Rdn. 6; Wolters/Noltenius SK Rdn. 5. 13 AA für ärztliche Kunstfehler Renzikowski MK Rdn. 10. 14 Fischer Rdn. 6; Renzikowski NStZ 1999 384; ders. MK Rdn. 12; Wolters/Noltenius SK Rdn. 3. 15 BGHSt 20 269, 270; Küpper S. 99; Renzikowski MK Rdn. 7. 16 AA Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen I § 18 Rdn. 25: Bei Tod durch Herzinfarkt sei Leichtfertigkeit stets zu verneinen. 17 Renzikowski NStZ 1999 384; ders. MK Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; Wolters/Noltenius SK Rdn. 2. 18 Renzikowski MK Rdn. 10. 19 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; s. auch Fischer Rdn. 5. AA Ferschl S. 218 f. 293
Hörnle
§ 178
Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge
oder bei der Entbindung kommen sollte, wäre Leichtfertigkeit des Täters in der Regel zu verneinen (anders evtl. bei sehr jungen oder gesundheitlich stark vorgeschädigten Personen).20 10 Eine dem Grunddelikt anhaftende spezifische Gefahr hat sich auch dann verwirklicht, wenn das Opfer versucht zu fliehen und dabei ums Leben kommt.21 Es muss allerdings geprüft werden, ob die Möglichkeit einer Flucht sich aufdrängte (was meist zu bejahen sein wird) und ob es sich nach den konkreten räumlichen und situativen Umständen außerdem aufdrängte, dass das Opfer bei der Flucht ums Leben kommen wird (was oft schwieriger zu begründen ist). Ein Selbstmord des Opfers kann unter bestimmten Umständen die Verwirklichung einer 11 sexuellen Übergriffen, Nötigungen oder Vergewaltigungen anhaftenden Gefahr sein,22 etwa wenn das Opfer durch eine Serie von sexuellen Übergriffen oder einen besonderen Vertrauensbruch im Täter-Opfer-Verhältnis psychisch besonders beeinträchtigt wurde oder wenn besondere Umstände in der Person des Opfers vorlagen. Diese können in einer gesteigerten psychischen Labilität bestehen (etwa bei bereits vorhandener Depression) oder in einer besonderen Verwundbarkeit aufgrund des sozio-kulturellen Hintergrundes, etwa wenn das familiäre Umfeld dem Opfer einer Vergewaltigung „Entehrung“ vorhält und es so in den Selbstmord treibt.23 Soweit ein Selbstmord durch persönliche Vorbelastungen befördert wurde, müssen diese dem Täter bekannt gewesen sein, damit Leichtfertigkeit bejaht werden kann. Auch bei der Tötung des Opfers zur „Rettung der Familienehre“ muss Leichtfertigkeit des Täters festgestellt werden.
III. Täterschaft und Teilnahme 12 Sind am sexuellen Übergriff, der sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung zwei oder mehr Personen als Mittäter beteiligt, so genügt es, dass einer von ihnen den Tod des Opfers verursacht. Der Tod wird Mittätern zugerechnet, wenn diesen wenigstens Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist (BGH NJW 1998 3361, 3362 zu § 251).24 Fraglich ist, ob dies auch gilt, wenn lediglich ein Gehilfe eine todesverursachende Handlung vornimmt. Insoweit sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Die erste liegt vor, wenn die todesursächliche Handlung des Gehilfen dem Täter zurechenbar ist und dem Täter vorgeworfen werden kann, im Hinblick auf das Verhalten des Gehilfen leichtfertig gewesen zu sein. Unter diesen Umständen ist für den Täter § 178 anzuwenden und der Gehilfe wird gem. den §§ 178, 27, 49 Abs. 1 bestraft. In der zweiten Konstellation ist die todbringende Handlung des Gehilfen für den Täter nicht in hohem Maße vorhersehbar, so dass der Täter insoweit nicht leichtfertig war. Dann ist der Täter nicht gem. § 178 zu bestrafen, und auch für den Gehilfen bleibt es bei der Strafbarkeit wegen Beihilfe zu § 177 in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung.25 Hat der Täter die tödliche Folge verursacht, werden auch Teilnehmer (Anstifter und Gehil13 fen) des Grunddelikts gem. § 178 i.V.m. § 26 oder § 27 bestraft (s. § 11 Abs. 2),26 falls ihnen mindestens Leichtfertigkeit zur Last zu legen ist (dazu Schünemann/Greco LK § 26 Rdn. 95, § 27 Rdn. 72).
20 Renzikowski MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. 21 Frommel NK Rdn. 2; Renzikowski MK Rdn. 8. AA Küpper S. 100; Wolters/Noltenius SK Rdn. 5. 22 Ferschl S. 220 f; Fischer Rdn. 5; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 10; Renzikowski MK Rdn. 8; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 3; aA Küpper S. 100; Wolters/Noltenius SK Rdn. 5. 23 Renzikowski MK Rdn. 8. 24 Renzikowski MK Rdn. 11. 25 S. Rengier S. 250; aA für die zweite Konstellation BGHSt 19 339 zu § 251. 26 Renzikowski MK Rdn. 13. Hörnle
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IV. Versuch
§ 178
IV. Versuch Versuch einer Tat kann in Form der versuchten Erfolgsqualifizierung (Murmann LK Vor §§ 22 ff 14 Rdn. 125) erstens vorliegen, wenn der Täter das Grunddelikt vollendet und Vorsatz hinsichtlich der tödlichen Folge hatte, die aber ausblieb; zweitens, wenn zum sexuellen Übergriff, zur sexuellen Nötigung oder zur Vergewaltigung nur angesetzt wurde und ebenfalls Vorsatz bezüglich der (nicht eingetretenen) tödlichen Folge vorlag (BGH NJW 2022 254, 255). Drittens ist ein erfolgsqualifizierter Versuch möglich, wenn die nur versuchte Tat des Grunddelikts den Tod verursacht hat und der Täter leichtfertig oder vorsätzlich hinsichtlich der Folge handelte27 (Murmann LK Vor §§ 22 ff Rdn. 117 ff). In der Lit. wird vereinzelt angenommen, dass bei der Verursachung des Todes durch Gewaltanwendung oder Drohung trotz Ausbleibens der sexuellen Handlung bereits ein vollendetes Delikt nach § 178 zu bejahen sei (so Wolters GA 2007 65 ff für § 251 und § 178).28 Gegen diesen Ansatz spricht jedoch, dass die Annahme eines vollendeten Delikts nach § 178 bei fehlenden sexuellen Handlungen die Option ausschließt, ggf. mittels einer Strafrahmenminderung nach § 23 Abs. 2 Unrechtsunterschiede zu würdigen.29 Umstr. ist, ob ein strafaufhebender Rücktritt vom erfolgsqualifizierten Versuch möglich 15 ist (s. dazu Murmann LK § 24 Rdn. 540). Der BGH bejaht dies für § 251 (BGHSt 42 158; BGH NStZ 2003 34). Bei sexuellem Übergriff oder sexueller Nötigung dürfte es sich in der Regel um fehlgeschlagene Versuche handeln, von denen ein Rücktritt nicht möglich ist: Wenn das Opfer am Tatort stirbt oder der Täter es für tot hält, ist ein Sexualdelikt (objektiv oder jedenfalls aus der Sicht des Täters) nicht mehr möglich (eine sexuelle Handlung wäre eine – nicht von § 177 erfasste – Leichenschändung).30 Ist das Opfer schwer verletzt, wird meist ebenfalls ein fehlgeschlagener Versuch oder ein unfreiwilliger Rücktritt vorliegen, wenn der Täters infolge des physischen Zustands des Opfers nicht mehr in der Lage oder Stimmung ist, eine sexuelle Handlung auszuführen (s. BGHSt 46 158, 161). In Konstellationen, in denen der Täter den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung vornehmen könnte, darauf aber freiwillig verzichtet, ist von einem Rücktritt gem. § 24 Abs. 1 S. 1 1. Alt. auszugehen.31 Man kann zwar in Frage stellen, ob der Täter diese Privilegierung verdient.32 Das Gesetz gibt in § 24 Abs. 1 S. 1 1. Alt. („auf die weitere Ausführung der Tat verzichtet“) aber vor, dass der Verzicht auf die zweite Unrechtskomponente, also die sexuelle Handlung, ausreicht, auch wenn ein Teil des Tatbestands (Verursachung des Todes) bereits erfüllt wurde. Es bleibt die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung mit dem in § 222 sehr viel niedrigeren Strafrahmen. In vielen Fallkonstellationen, in denen dieses Ergebnis als unangemessen erscheinen mag, findet allerdings § 227 Anwendung.33 Der von drei Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe reichende Rahmen in § 227 erlaubt eine unrechtsadäquate Sanktionierung, vor allem wenn berücksichtigt wird, dass der Täter den Tod des Opfers nicht nur fahrlässig herbeigeführt hat, sondern leichtfertig.
27 BGH NStZ 2000 420; Fischer Rdn. 7; Paeffgen NK § 18 Rdn. 120; Renzikowski MK Rdn. 14 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Wolters/Noltenius SK Rdn. 6. AA Hardtung S. 191 ff; Hoffmann-Holland MK § 23 Rdn. 11 Fn. 15; Herzberg FS Amelung 159 ff. 28 Dagegen Herzberg JZ 2007 615. 29 Außerdem müsste man, wenn man Wolters Ansatz folgt, auch gem. § 177 Abs. 6, Abs. 7 Nr. 1 wegen vollendeter schwerer Vergewaltigung verurteilen, wenn beim Versuch einer Vergewaltigung die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bereits eingetreten ist. Dieser Schuldspruch würde den Tathergang nicht zutreffend bezeichnen. 30 Bacher S. 236 f. 31 Fischer Rdn. 7; Hardtung MK § 18 Rdn. 85; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 13; Paeffgen NK § 18 Rdn. 131; Renzikowski MK Rdn. 14. 32 Die Kritik, die Jäger NStZ 1998 161, 164 f; Roxin AT II § 30 Rdn. 289 ff; Streng FS Küper 629, 632 ff; Ulsenheimer FS Bockelmann 405, 412 ff zur Gewährung von Straffreiheit wegen eines Rücktritts äußern, ist aus rechtspolitischer Sicht gut begründet. So auch Paeffgen NK § 18 Rdn. 131. 33 Sowada Jura 1995 644, 653. 295
Hörnle
§ 178
Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge
V. Strafzumessung 16 Der gesetzliche Strafrahmen sieht Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bis zu 15 Jahren (§ 38 Abs. 2) oder lebenslängliche Freiheitsstrafe vor. Da das durch den Tod verwirklichte Erfolgsunrecht in allen Fällen dasselbe ist, hängt die Wahl zwischen zeitiger oder lebenslanger Freiheitsstrafe von anderen Faktoren ab. Die Details des sexuellen Angriffs sind bei der Strafzumessung gem. § 178 zu berücksichtigen, weil das Grunddelikt aus § 177 hinter § 178 zurücktritt (Rdn. 17).34 Zum einen ist zu berücksichtigen, ob dem Tod eingriffsintensive sexuelle Handlungen und entsprechendes Leiden des Opfers vorausgingen. Zum anderen kommt es auf das Ausmaß des Handlungsunrechts an, d.h. vor allem auch auf den Unterschied zwischen Leichtfertigkeit und Vorsatz. Die Rspr. lässt lebenslängliche Freiheitsstrafe auch bei nur leichtfertiger Todesverursachung zu35 (BGH NStZ-RR 2006 75 mit krit. Anm. Beckschäfer ZIS 2006 259). Dies ist überzeugend, da bei leichtfertigem Handeln kein wesentlich kleineres Unrecht vorliegt als bei bedingtem Vorsatz (ähnlich Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1).
VI. Konkurrenzen 17 Der Täter wird wegen sexuellem Übergriff, sexueller Nötigung oder Vergewaltigung mit Todesfolge verurteilt. § 177 Abs. 1, 2, 5 und 6 treten zurück, ebenso § 177 Abs. 7 Nr. 3 und Abs. 8 Nr. 2b.36 Dies gilt nicht für die anderen Tatbestände in § 177 Abs. 7 und Abs. 8,37 da z.B. durch eine Verurteilung wegen „schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge“ das Tatunrecht präziser gekennzeichnet wird. Tateinheit ist möglich mit den §§ 174 bis 174c und § 176d.38 § 222 wird verdrängt.39 Im Verhältnis zu § 227 besteht Tateinheit, wenn wegen eines Versuchs einer Tat nach § 178 zu bestrafen ist,40 aber auch bei vollendetem sexuellem Übergriff bzw. vollendeter sexueller Nötigung oder Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 176d Rdn. 12).41 Tateinheit ist möglich mit den §§ 212, 211.42
34 AA Renzikowski MK Rdn. 17. 35 Ebenso Fischer Rdn. 8; aA Renzikowski NStZ 1999 384; ders. MK Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Wolters/ Noltenius SK Rdn. 7. 36 Fischer § 177 Rdn. 184. 37 Fischer § 177 Rdn. 184. AA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; teilweise anders differenzierend Wolters/Noltenius SK Rdn. 8. 38 Fischer Rdn. 9; Renzikowski MK Rdn. 16. 39 Fischer Rdn. 9; Frommel NK Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 16; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Wolters/Noltenius SK Rdn. 8. 40 BGH NStZ 2000 420; ebenso BGHSt 46 24 m. Anm. Kudlich StV 2000 669; Kindhäuser NStZ 2001 32 zum versuchten Raub mit Todesfolge; Fischer Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Wolters/ Noltenius SK Rdn. 8. AA Renzikowski MK Rdn. 16. 41 Frommel NK Rdn. 3; Kindhäuser NStZ 2001 32, 33 (zu 251). AA BGHSt 46 24, 26 (zum Verhältnis von § 251 und § 227); Fischer Rdn. 9; Renzikowski MK Rdn. 16; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Wolters/Noltenius SK Rdn. 8. 42 BGHSt GS 39 100 für § 251; Fischer Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Renzikowski MK Rdn. 16; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 6; Wolters/Noltenius SK Rdn. 8. Hörnle
296
§ 179 (weggefallen) § 179 wurde durch das 50. StÄG v. 4.11.2016 (Vor § 174 Rdn. 24 f) aufgehoben. S. zum geltenden Recht, das auf vormals von § 179 erfassten Sachverhalte anzuwenden ist, § 177 Rdn. 71 ff.
§ 180 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (1)
1
Wer sexuellen Handlungen einer Person unter sechzehn Jahren an oder vor einem Dritten oder sexuellen Handlungen eines Dritten an einer Person unter sechzehn Jahren 1. durch seine Vermittlung oder 2. durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit Vorschub leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 2Satz 1 Nr. 2 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt; dies gilt nicht, wenn der Sorgeberechtigte durch das Vorschubleisten seine Erziehungspflicht gröblich verletzt. (2) Wer eine Person unter achtzehn Jahren bestimmt, sexuelle Handlungen gegen Entgelt an oder vor einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, oder wer solchen Handlungen durch seine Vermittlung Vorschub leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) Im Fall des Absatzes 2 ist der Versuch strafbar.
Schrifttum Becker/Ruthe Das Erzieherprivileg nach dem 4. StrRG, FamRZ 1974 508; Dreher Die Neuregelung des Sexualstrafrechts – eine geglückte Reform? JR 1974 45; Hartmann Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei – Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006); Häbel Minderjährigenprostitution, Erziehungshilfe und § 180 StGB, ZfJ 1992 457; Horstkotte Kuppelei, Verführung und Exhibitionismus nach dem Vierten Gesetz zur Reform des Strafrechts, JZ 1974 84; Münder Sexualstrafrecht bei Fremderziehung und Fremdbetreuung, ZfJ 1986 353; Müller-Emmert Kuppelei, Prostitutionsförderung und Zuhälterei als Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, DRiZ 1974 93; F.-C. Schroeder Das „Erzieherprivileg“ im Strafrecht, Festschrift Lange (1976) 391; Wolters Das Lebensalter als tatbestandliches Merkmal im dreizehnten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, Festschrift für Fischer (2018) 583. Vgl. außerdem die Schrifttumsangaben Vor § 174.
Entstehungsgeschichte In der bis zum Inkrafttreten des 4. StrRG v. 23.11.1973 (Vor § 174 Rdn. 6) geltenden Fassung stellten die §§ 180, 181 Kuppelei unter Strafe; s. zur Gesetzgebungsgeschichte Hartmann. Als Kuppelei wurden Handlungen bezeichnet, mit denen der Täter durch Vermittlung oder durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit der Unzucht zwischen Dritten Vorschub leistete. Als Unzucht galt außerehelicher Beischlaf, auch Beischlaf zwischen Verlobten (BGHSt 6 46; 17 230), ferner andere sexuelle Handlungen, die „das Anstands- und Sittlichkeitsgefühl auf geschlechtlichem Gebiet gröblich verletzen“ (OLG Celle GA 1971 251). Strafbar war Kuppelei, wenn der Täter gewohnheitsmäßig oder aus Eigensucht handelte (§ 180 Abs. 1 a.F.); als Form der Kuppelei galt die Unterhaltung eines Bordells oder bordellartigen Betriebes (§ 180 Abs. 2 a.F.). § 181 a.F. bedrohte Kuppelei mit Strafe, wenn „hinterlistige Kunstgriffe“ angewendet wurden oder wenn der Täter zur besonderen Fürsorge verpflichtet war. Die letztgenannte Vorschrift, welche u.a. die Verkuppelung der Ehefrau unter Strafe stellte, beruhte auf der sog. „Lex Heinze“ (Gesetz v. 30.6.1900, RGBl. I S. 301; dazu Hartmann S. 72 ff). Die gesellschaftlichen Wertmaßstäbe haben sich seit den (auch seinerzeit schon umstrittenen, vgl. Bindokat GA 1955 167, 168) Entscheidungen des BGH zum Verlobtenbeischlaf grundlegend geändert. Das 4. StrRG v. 23.11.1973 hob § 181 auf (die Verkuppelung von Ehegatten aus kommerziellen Gründen wird von § 181a Abs. 3 erfasst) und veränderte den Charakter des § 180: Diese Norm dient nunmehr nicht dem Moralschutz im Allgemeinen, sondern erfasst nur Handlungen zu Lasten Minderjähriger. Allerdings finden sich Spuren der alten Basis des Kuppelei-Tatbestandes, des Schutzes moralischer Anschauungen, noch in § 180 Abs. 1 Nr. 2. Dieses Verbot impliziert, dass Vierzehn- und Fünfzehnjährige keinerlei sexuellen Kontakt haben sollen, wobei missachtet wird, dass bei dieser
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Hörnle
§ 180
Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger
Altersgruppe (abhängig vom konkreten Partner und vom Kontext) von einer teilweise schon vorhandenen Selbstbestimmungsfähigkeit ausgegangen werden kann (Rdn. 1). Es ist zu bedauern, dass sich das konsequent auf den Schutz Minderjähriger vor dem Abgleiten in die Prostitution ausgerichtete Konzept des AE BT (Sexualdelikte)1 nicht durchgesetzt hat. Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.20212 hat § 180 Abs. 3 a.F. (Bestimmen zu Handlungen an oder vor Dritten unter Missbrauch von Abhängigkeitsverhältnissen) aufgehoben und die dort zuvor enthaltenen Verbotsnormen nach § 174 Abs. 1 Satz 2 und § 174 Abs. 2 Satz 2 verschoben, wohin sie sachlich gehören. Bedauerlicherweise wurde nicht, derselben einfachen Logik folgend, § 180 Abs. 2 ebenfalls aufgehoben und dieser Tatbestand zu § 182 Abs. 2 Satz 2 gemacht.
Übersicht I. 1. 2.
Normzweck § 180 Abs. 1 § 180 Abs. 2
II.
Förderung sexueller Handlungen von Personen unter sechzehn Jahren (Absatz 1) Objektiver Tatbestand 5 a) Täter; geschützte Personen; Dritte 8 b) Sexuelle Handlungen 12 c) Vorschubleisten aa) Vorschubleisten durch Vermittlung 13 (Absatz 1 Nr. 1) bb) Vorschubleisten durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit 16 (Absatz 1 Nr. 2) d) Einschränkung des Tatbestandes bei 19 eigenen sexuellen Absichten? e) Das Erzieherprivileg 20 (Absatz 1 Satz 2) 28 Subjektiver Tatbestand
1.
2.
1 4
30
3. 4. 5. 6.
Täterschaft und Teilnahme 33 Versuch 34 Strafzumessung 35 Konkurrenzen
III.
2. 3. 4. 5. 6.
Bestimmen und Vorschubleisten bei sexuellen Handlungen gegen Entgelt (Absatz 2) Objektiver Tatbestand 36 a) Täter; geschützte Personen; Dritte b) Sexuelle Handlungen gegen 37 Entgelt 40 c) Bestimmen 43 d) Vorschubleisten durch Vermittlung 44 Subjektiver Tatbestand 45 Täterschaft und Teilnahme 46 Versuch 48 Strafzumessung 49 Konkurrenzen
IV.
Verjährung
1.
51
I. Normzweck 1. § 180 Abs. 1 1 Die Handlungen in § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 stammen aus dem alten Kuppeleiverbot (s. Entstehungsgeschichte). Den Anforderungen eines modernen Jugendschutzrechts werden sie nur teilweise gerecht.3 Die Pönalisierung einer fördernden Handlung (Vorschub leisten) ergibt nur Sinn, wenn es das eigentliche Ziel ist, die sexuellen Handlungen zu unterbinden. Hinter Absatz 1 steht die Annahme, dass nicht nur Kinder, sondern auch jüngere Jugendliche keine sexuellen Kontakte haben sollen. Der Gesetzgeber ging im Jahr 1973 davon aus, dass durch verfrühte Sexualität Gefahren entstünden (Horstkotte JZ 1974 84, 86) und dieser Altersgruppe die psychische Reife für sexuelle Betätigung fehle (Müller-Emmert DRiZ 1974 93). Der 1 Baumann u.a. (Hrsg.) AE BT, Sexualdelikte (1968) S. 7. 2 BGBl. I S. 1810. 3 Krit. auch Brüggemann S. 539 ff; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1 ff; Nelles Streit 1995 95; Renzikowski MK Rdn. 3; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 612; Weigend ZStW 129 (2017) 513, 524; Wolters FS Fischer 583, 593; ders. SK Rdn. 2. Hörnle
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I. Normzweck
§ 180
Verweis auf eine „ungestörte geschlechtliche Entwicklung Minderjähriger“ als Schutzgut4 vermag jedoch nicht zu überzeugen.5 Das Bild einer sexualitätsfreien Jugend entspricht nicht der Realität: Die Mehrheit der Fünfzehnjährigen hat bereits erste sexuelle Erfahrungen gemacht.6 Zwar wäre die Häufigkeit solcher Kontakte nicht per se geeignet, deren Unschädlichkeit zu beweisen. Führt man sich allerdings vor Augen, dass „sexuelle Handlungen“ nicht nur Beischlaf bedeuten, sondern auch „niedrigschwellige“ Aktivitäten (wie Zungenküsse, „Petting“ u.ä.), die die Mehrheit der ersten Erfahrungen ausmachen,7 ist eine pauschale Prognose von Gefahren schwer nachvollziehbar. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass in Jugendfreundschaften gemachte, sich in ihrer Intensität allmählich steigernde Erfahrungen notwendige Schritte in der Persönlichkeitsentwicklung sind. Vierzehn- und Fünfzehnjährige können in entwicklungsgerechte Sexualkontakte wirksam einwilligen (s. auch BTDrucks. 12/4584 S. 7). Deshalb ist das Verbot in § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit) problematisch, soweit Situationen erfasst werden, in denen eine ältere Person oder ein Gleichaltriger dem Jugendlichen selbstbestimmte und unschädliche sexuelle Erfahrungen ermöglicht.8 Der zu breite Anwendungsbereich ist de lege lata, soweit möglich, durch das Erzieherprivileg in § 180 Abs. 1 Satz 2 (Rdn. 20 ff) und durch strenge Anforderungen an die Erheblichkeit der sexuellen Handlung (Rdn. 8) zu korrigieren. Kriminalpolitisch ist eine Einengung oder die Aufhebung des Kuppeleitatbestands zu fordern – Letzteres ist eine Empfehlung der Reformkommission zum Sexualstrafrecht.9 Eine Zusammenschau von § 180 Abs. 1 und § 182 Abs. 3 ergibt kein konsistentes Rege- 2 lungsmodell.10 § 180 Abs. 1 erfasst auch Konstellationen, in denen die sexuelle Handlung des Dritten keinen Straftatbestand erfüllt. Es kann sich um selbstbestimmte erste Sexualkontakte unter Gleichaltrigen handeln. Der Strafrechtsschutz in § 182, der neueren Datums ist als die geltende Fassung des § 180 Abs. 1 (s. § 182, Entstehungsgeschichte), ist dagegen enger auf den Schutz sexueller Selbstbestimmung zugeschnitten. Die Anwendungsbereiche des § 180 Abs. 1 und des § 182 Abs. 3 sollten angeglichen werden, vor allem durch Einengung des § 180 Abs. 1 auf Fälle fehlender Selbstbestimmung des Minderjährigen.11 Allerdings sind Vierzehn- und Fünfzehnjährige nicht stets zu wirksamen Einwilligungen in 3 der Lage. Es kann Fälle geben, in denen eine Bestrafung nach § 180 Abs. 1 dem Schutz des Minderjährigen dient, d.h. dem Schutz seiner sexuellen Selbstbestimmung.12 Vor allem für die Variante „vermitteln“ (Absatz 1 Satz 1 Nr. 1) liegt nahe, dass derartige Einflüsse der Selbstbestimmung nicht dienlich sind (sollen erste sexuelle Erfahrungen selbstbestimmt erfolgen, gehört hierzu der wichtige Schritt der Partnerwahl). Außerdem kann es jenseits der in den §§ 174, 176 erfassten Bedingungen Umstände geben, in denen Minderjährige unfähig sind, im Verhältnis zu Personen, die ihnen altersmäßig oder psychologisch überlegen sind, eine wirksame Einwilligung zu erteilen. Unter solchen Umständen ist es berechtigt, nicht nur missbrauchende Dritte zu bestrafen, sondern auch diejenigen, die das Geschehen fördern.
4 BGH NJW 2005 2933; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1a; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1. Krit. Nelles Streit 1995 95. 5 So auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1; Renzikowski MK Rdn. 1. 6 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.) Jugendsexualität. Ergebnisse der Repräsentativbefragung 2005 (2006) S. 74: 78 % der Mädchen und 83 % der Jungen.
7 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.) Jugendsexualität. Ergebnisse der Repräsentativbefragung 2005 (2006) S. 75 f.
8 Weigend ZStW 129 (2017) 513, 524. 9 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht S. 330 f; ebenso Wolters FS Fischer 583, 593. 10 So auch Renzikowski MK Rdn. 7; Schroeder ZRP 1992 295, 297; ders. JZ 1999 827, 832. 11 Gegen eine Eingrenzung der Anwendung von § 180 Abs. 1 de lege lata bei Inkonsistenzen im Verhältnis zu § 182 BGH NJW 2005 2933, 2934. 12 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2. 299
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§ 180
Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger
2. § 180 Abs. 2 4 Dieses Verbot ist gut begründbar. Es soll sexuelle Aktivitäten von Minderjährigen gegen Entgelt unterbinden und pönalisiert zu diesem Zweck Bestimmen und Vorschubleisten. Es ist ein berechtigtes Anliegen, Minderjährige vor Prostitution als Lebensstil, aber auch vor gelegentlichen entgeltlichen Sexualkontakten zu bewahren (§ 182 Rdn. 4 f). Der Gesetzgeber hat 2008 die Schutzaltersgrenze einheitlich in § 182 Abs. 2 wie zuvor schon in § 180 Abs. 2 bei 18 Jahren angesetzt (§ 182 Entstehungsgeschichte). Einige Inkonsistenzen sind allerdings geblieben. Während nach § 182 Abs. 2 derjenige, der entgeltliche sexuelle Dienstleistungen Minderjähriger in Anspruch nimmt, nur zu bestrafen ist, wenn er volljährig ist, kann Täter nach § 180 Abs. 2 auch ein Jugendlicher sein. Ferner macht sich nach § 180 Abs. 2 strafbar, wer einen Minderjährigen zu sexuellen Handlungen vor zahlenden Kunden bestimmt (ohne Körperkontakt), während dieselbe Handlung für den Kunden nicht strafbar ist, weil § 182 Abs. 2 nur sexuelle Handlungen mit Körperkontakt erfasst (krit. dazu § 182 Rdn. 10). Kriminalpolitisch ist zu fordern, diese Inkonsistenzen durch Anpassung des § 182 zu beseitigen. Außerdem läge es zur Verbesserung der Systematik und Übersichtlichkeit des 13. Abschnitts nahe, dem sachlichen Zusammenhang folgend das Verbot im jetzigen § 180 Abs. 2 an das Verbot in § 182 Abs. 2 StGB anzuhängen.13 Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 hat eine solche Überarbeitung bei § 180 Abs. 3 a.F. vorgenommen (Aufhebung und Verschiebung des Inhalts nach § 174 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2), aber leider nicht für § 180 Abs. 2.
II. Förderung sexueller Handlungen von Personen unter sechzehn Jahren (Absatz 1) 1. Objektiver Tatbestand 5 a) Täter; geschützte Personen; Dritte. Für die Täter enthält § 180 Abs. 1 keine Altersbeschränkung. Dies bedeutet, dass Förderungshandlungen von Jugendlichen untereinander, die bei altersgerechten sexuellen Kontakten sozialüblich und harmlos sind, vom Wortlaut erfasst werden. Für solche Fälle ist auf die Einstellungsmöglichkeiten in den §§ 45, 47 JGG zu verweisen. 6 Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die geschützten Personen vierzehn- und fünfzehnjährige Jugendliche sind (BTDrucks. VI/3521 S. 44).14 Der Wortlaut erfasst jedoch auch Kinder. Es kann Konstellationen geben, in denen dies praktisch relevant wird:15 Wenn z.B. eine Bestrafung wegen Beihilfe zu einem Delikt nach § 176 Abs. 1 am fehlenden Tätervorsatz hinsichtlich des Alters des Kindes scheitert, kann der Gehilfe aus § 180 Abs. 1 zu bestrafen sein. Bei Taten zu Lasten von Kindern gilt das Erzieherprivileg (§ 180 Abs. 1 Satz 2) nicht.16 Dritter i.S.v. § 180 kann eine Person beliebigen Alters sein (Kind, Jugendlicher oder Erwach7 sener). Der Tatbestand setzt nicht voraus, dass der Dritte sich durch die sexuelle Handlung strafbar macht.
8 b) Sexuelle Handlungen. Die geschützte Person muss entweder an einem Dritten – also mit Körperkontakt – sexuelle Handlungen vornehmen oder an sich von demselben – ebenfalls mit Körperkontakt – vornehmen lassen oder vor einem Dritten sexuelle Handlungen vornehmen. Da § 180 Handlungen ohne Körperkontakt einschließt, sind Posieren für pornographische Auf13 Eine Zusammenfassung von § 180 Abs. 2 und § 182 Abs. 2 empfiehlt auch die Reformkommission zum Strafrecht: BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 332 f.
14 Hanack NJW 1974 5 Fn. 53. 15 Dreher JR 1974 51; Fischer Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 16 Renzikowski MK Rdn. 20. Hörnle
300
II. Förderung sexueller Handlungen von Personen unter sechzehn Jahren (Absatz 1)
§ 180
nahmen und sexuelle Handlungen vor einer live übertragenden Kamera erfasst. Nicht erfasst sind sexuelle Handlungen Dritter vor dem Minderjährigen (ist Letzterer ein Kind, so kann derjenige, der das Geschehen fördert, wegen Beihilfe zu einer Tat nach § 176a Abs. 1 Nr. 1 zu bestrafen sein). Für die Beurteilung der Erheblichkeit von sexuellen Handlungen zu Lasten von Minderjäh- 9 rigen kommt es auf das Alter der Betroffenen, ihre Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung und die Begleitumstände an. Bezieht sich das Vorschubleisten nach § 180 Abs. 1 auf Handlungen Jugendlicher im Rahmen freundschaftlicher Beziehungen unter Gleichaltrigen, sind hohe Anforderungen an die Erheblichkeit zu stellen. Jugendtypische Aktivitäten wie Zungenküsse oder intensives Schmusen sind auszunehmen.17 Die Tathandlungen gem. § 180 müssen sich auf sexuelle Vorgänge beziehen, die in einigen, 10 wenn auch nicht in allen Details bereits bestimmt sind. Feststehen muss die Person des beteiligten Minderjährigen (KG NJW 1998 3791, 3792), wobei aber ausreichend ist, wenn dieser zu einer kleineren Gruppe von Jugendlichen unter 16 Jahren gehört.18 Außerdem müssen Ort und Zeit hinreichend konkretisiert sein,19 d.h., die Vorstellung, es werde irgendwann einmal zu sexuellen Handlungen unter Beteiligung eines noch nicht 16 Jahre alten Minderjährigen kommen (KG NJW 1998 3791, 3792), genügt nicht. Es ist aber weder erforderlich, dass der Täter sich Gedanken über die Beschaffenheit der sexuellen Handlungen im Einzelnen macht, noch dass er die Identität des Dritten kennt.20 Wegen eines vollendeten Delikts ist nur zu bestrafen, wenn es tatsächlich zu sexuellen 11 Handlungen kam.21 Das ist allerdings umstr. Der Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform ging mit der älteren Rspr. zur Kuppelei22 davon aus, dass dies nicht der Fall sein müsse (BTDrucks. VI/3521 S. 44).23 Auch heute gehen Teile des Schrifttums von einer vollendeten Tat nach § 180 Abs. 1 aus, wenn das Vorschubleisten einen Minderjährigen gefährdet hat, ohne dass die sexuelle Handlung stattgefunden haben muss.24 Eine solche Auslegung ist jedoch nicht überzeugend. Der Wortlaut des § 180 Abs. 1 ist mehrdeutig, was insbesondere klar wird, wenn man ihn mit den Vorschriften vergleicht, die auf „bestimmen“ abstellen (§§ 174 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, 176 Abs. 1 Nr. 2, 182 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2). Bei diesen Bestimmungshandlungen ist unstreitig, dass die bloße Einflussnahme noch keine vollendete Tat ist (s. z.B. § 176 Rdn. 14). Es ist systemwidrig, bei § 180 Abs. 1 früher anzusetzen. Außerdem nimmt die h.M. für § 180 Abs. 2 (entgeltliche Handlungen) an, dass es einer tatsächlich stattgefundenen sexuellen Handlung bedarf (Rdn. 37).
c) Vorschubleisten. Tathandlungen sind wie im älteren Verbot der Kuppelei das Vorschubleis- 12 ten durch Vermittlung oder durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit. Diese Handlungen überschneiden sich mit dem Merkmal „Hilfe leistet“ in § 27; der Anwendungsbereich ist aber nicht identisch.25 Es ist unerheblich, in wessen Interesse und auf wessen Initiative der Täter handelt, ob er also den Jugendlichen oder den Dritten unterstützen will.26 Ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken mit dem Jugendlichen oder dem Dritten ist nicht erforderlich:
17 18 19 20 bar
21 22 23 24 25 26 301
Renzikowski MK Rdn. 23. Renzikowski MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. Fischer Rdn. 6; Renzikowski MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Wolters SK Rdn. 13. Renzikowski MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. AA Wolters SK Rdn. 13: Dieser müsse zumindest bestimmsein. Wie hier Fischer Rdn. 8; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 12; Renzikowski MK Rdn. 27 f. BGHSt 24 249 zu § 181 Abs. 1 Nr. 2 a.F. Hanack NJW 1974 5. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Sch/Schröder Eisele Rdn. 6; Wolters SK Rdn. 4, 7. AA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4. Renzikowski MK Rdn. 25; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. Hörnle
§ 180
Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger
Es fällt unter die Verbotsnorm, wenn der Täter Gelegenheit verschafft, auch wenn die an der sexuellen Handlung Beteiligten davon nichts wissen. Das Vorschubleisten muss erfolgreich gewesen sein (Rdn. 11).
13 aa) Vorschubleisten durch Vermittlung (Absatz 1 Nr. 1). Vermittlung bedeutet Partnervermittlung. Partnervermittlung ist zum einen durch das Bekanntmachen von einander bislang unbekannten Personen möglich, zum anderen dadurch, dass einander aus anderen Kontexten bekannte Personen in der Rolle von Sexualpartnern zusammengeführt werden. Die Erleichterung eines von den Beteiligten gewünschten, bereits auf individualisierte Personen bezogenen Kennenlernens genügt nicht.27 Nicht erforderlich ist, dass schon zum Zeitpunkt der Vermittlung die Beteiligten zu sexuellen Handlungen motiviert sind. Die Bereitschaft dazu kann auch erst nach der Kontaktaufnahme entstehen.28 Der Kontakt muss das Ergebnis einer Tätigkeit des Täters sein, die im Zusammenbringen 14 von individualisierten Personen besteht. Die bloße Aufforderung, sich einen Partner zu suchen, reicht nicht aus,29 ebenso wenig das Aufgeben einer Anzeige.30 Die strafbare Handlung muss nicht in einem persönlichen Bekanntmachen bestehen. Es fällt unter § 180 Abs. 1, wenn der Täter dem Dritten die Kontaktdaten eines Jugendlichen mitteilt oder umgekehrt dem Minderjährigen entsprechende Angaben zur Person des Dritten macht.31 Sind derartige Informationen öffentlich zugänglich (etwa die Adresse eines Bordells, die über Werbung bekannt gemachte Telefonnummer oder sonstige, etwa über das Internet beworbene Kontaktdaten), genügt ein Hinweis an einen Minderjährigen nicht.32 Nicht unter den Tatbestand fällt es, wenn nur Treffen einer größeren Zahl von Personen organisiert werden (Partys, Jugendreisen u.ä.), auch wenn der Organisator bedingten oder direkten Vorsatz hat, dass es unter den Teilnehmern zu (in ihrer konkreten Zusammenstellung noch unbestimmten) sexuellen Kontakten kommen wird.33 Hinsichtlich des Vorschubleistens durch Vermittlung scheidet eine Bestrafung wegen Un15 terlassens (§ 13) aus. Dieses Merkmal setzt aktives Handeln voraus, das ein Zusammenführen der Partner zum Gegenstand hat.34
16 bb) Vorschubleisten durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit (Absatz 1 Nr. 2). Die Tathandlung liegt in der Schaffung äußerer Bedingungen, die unmittelbar geeignet sind, sexuelle Handlungen zu fördern, d.h. sexuelle Handlungen zu erleichtern oder zu ermöglichen (KG NJW 1998 3791, 3792).35 Die Handlungen des Täters müssen sich wie die Hilfeleistung nach § 27 als rechtlich missbilligte, kausale Risikosteigerung ausgewirkt haben (dazu Schünemann/Greco LK § 27 Rdn. 2 ff). Das Tatbestandsmerkmal „Gelegenheit“ bedeutet allerdings insoweit eine Einschränkung gegenüber der Beihilfe, als äußere Bedingungen geschaffen werden müssen. Psychische Unterstützung wird nicht erfasst.36 Von § 180 Abs. 1 Nr. 2 erfasst wird zum einen die Förderung der sexuellen Handlung in örtlicher Hinsicht, insbesondere, wenn ein Raum zur Verfügung gestellt wird. Die Förderung muss sich auf ein konkretes Gesche-
27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
Renzikowski MK Rd. 29; Wolters SK Rdn. 8. Fischer Rdn. 4. Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. KG NJW 1977 2223, 2225. KG NJW 1977 2223, 2225; Renzikowski MK Rdn. 29. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 19; Renzikowski MK Rdn. 29; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. Renzikowski MK Rdn. 29; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. Renzikowski MK Rdn. 35; Wolters SK Rdn. 11. Fischer Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Renzikowski MK Rdn. 31; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. Renzikowski MK Rdn. 31; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Wolters SK Rdn. 12. AA zu § 180 Abs. 1 a.F. BGHSt 9 71, 77; BGH NJW 1959 1284. Hörnle
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II. Förderung sexueller Handlungen von Personen unter sechzehn Jahren (Absatz 1)
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hen beziehen.37 Es genügt nicht, dass derjenige, der einem anderen auf dessen Bitte Räume überlässt, die allgemeine Neigung dieser Person zu Sexualkontakten mit Minderjährigen kennt. Dass es irgendwann in den Räumlichkeiten zu sexuellen Kontakten mit Minderjährigen unter 16 Jahren kommen wird, reicht nicht aus (KG NJW 1998 3791, 3792). Zum anderen fällt es unter § 180 Abs. 1 Nr. 2, wenn der Täter für sonstige Bedingungen sorgt, die unmittelbare Voraussetzung für das Zustandekommen der sexuellen Interaktion sind. Dies ist z.B. der Fall, wenn er Geld zur Bezahlung von Prostituierten stellt,38 wenn er für die Entfernung oder Ablenkung einer Aufsichtsperson sorgt (BGHSt 9 71, 76)39 oder die Beteiligten zu dem Ort fährt, an dem die sexuelle Handlung stattfinden soll (BGH GA 1966 337).40 Nicht unter § 180 Abs. 1 fallen Handlungen, die lediglich Rahmenbedingungen des sexuellen Kontaktes verbessern, also Dienstleistungen, die die Räumlichkeiten oder die Zusammenkunft angenehmer gestalten41 und unterstützende Leistungen, die sich auf die sexuelle Handlung beziehen (etwa Verhütungs- oder andere Hilfsmittel)42 oder deren Vorbereitung dienen (wie der Besuch eines Arztes, der Empfängnisverhütung verordnet).43 Auf eine Abgrenzung der beiden Varianten „gewähren“ und „verschaffen“ kommt es 17 im Ergebnis nicht an. Sucht man nach einem Differenzierungskriterium, liegt es nahe, für das Merkmal „gewähren“ an die Bitte eines oder beider Beteiligten anzuknüpfen (so BGH NJW 1959 1284).44 Die Tat kann durch Unterlassen begangen werden (KG NJW 1998 3791, 3792), wenn eine 18 garantenpflichtige Person untätig bleibt45 und z.B. duldet, dass Jugendliche in der eigenen Wohnung Sexualkontakte haben. Personensorgeberechtigte sind Beschützergaranten, z.B. Eltern gegenüber minderjährigen Kindern (Weigend LK § 13 Rdn. 26; auch Pflegeeltern, BGH NJW 1956 679). § 180 Abs. 1 Satz 2 stellt es zwar in das (nur im Falle einer gröblichen Verletzung der Erziehungspflicht eingegrenzte) Ermessen der Sorgeberechtigten, Jugendlichen sexuelle Kontakte zu erlauben. Wenn aber das Erzieherprivileg nicht eingreift (Rdn. 24 f), bleibt zu prüfen, ob ein Einschreiten möglich und zumutbar war. Hieran kann es fehlen, wenn Jugendliche sich effektiv der Autorität der Eltern entziehen.46 Die Garantenpflicht der Eltern erstreckt sich unter solchen Umständen nicht darauf, polizeiliche Hilfe gegen ihr Kind in Anspruch zu nehmen.47 Garantenpflichtig können zudem unter Umständen die Mitarbeiter des Jugendamtes sein, ferner Lehrer und andere Personen, die Aufsichtspflichten übernommen haben (Weigend LK § 13 Rdn. 30 ff).48 Die in § 174 Abs. 1 genannten sozialen Rollen verpflichten nur teilweise dazu, die Schutzbefohlenen in ihrem Sexualleben zu überwachen. Für Ausbilder ist dies zweifelhaft, und auch bei Betreuungsverhältnissen kommt es auf die konkreten Umstände an. Einen Wohnungsinhaber trifft keine allgemeine Verpflichtung, gegen dort stattfindende sexuelle Handlungen mit einem Minderjährigen einzuschreiten; dies gilt erst recht für den Vermieter von Räumen (KG NJW 1998 3791, 3792; Weigend LK § 13 Rdn. 52). Ehepartner sind nur dann verpflichtet, sexuelle Handlungen des Ehemannes oder der Ehefrau mit Jugendlichen unter 16 Jahren zu verhindern, wenn ihnen gegenüber dem Jugendlichen eine Garantenpflicht obliegt.49 37 38 39 40 41 42 43 44 45
Münder ZfJ 1986 354. Renzikowski MK Rdn. 32 Wolters SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. Renzikowski MK Rdn. 32; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Wolters SK Rdn. 12. Renzikowski MK Rdn. 33; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. So auch schon RGSt 29 108, 109. Renzikowski MK Rdn. 32; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. AA BGH NJW 1959 1284. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. AA Renzikowski MK Rdn. 34; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Wolters SK Rdn. 14. Fischer Rdn. 9; Münder ZfJ 1986 354 f; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 14; Renzikowski MK Rdn. 35 f; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 20 ff. 46 Renzikowski MK Rdn. 37. 47 Renzikowski MK Rdn. 37; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 21, 23. 48 Münder ZfJ 1986 353, 354; Renzikowski MK Rdn. 36. 49 S. zur fehlenden Überwachungspflicht gegenüber dem Ehegatten Weigend LK § 13 Rdn. 28. 303
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19 d) Einschränkung des Tatbestandes bei eigenen sexuellen Absichten? Es ist umstr., wie Sachverhalte zu beurteilen sind, in denen der Täter nicht nur im Vorfeld des eigentlichen sexuellen Geschehens vermittelt oder Gelegenheit verschafft bzw. gewährt, sondern darüber hinaus gemeinsam mit dem Dritten und einer/einem vierzehn- oder fünfzehnjährigen Jugendlichen sexuell aktiv wird. Im Schrifttum wird gefordert, die Strafbarkeit nach § 180 Abs. 1 einzuschränken, wenn Täter Dritte zu eigenen sexuellen Zwecken einbeziehen oder die Dritten beim Sexualkontakt des Täters mit dem Jugendlichen in den Hintergrund treten (wenn sie z.B. nur zusehen).50 Der BGH lehnt derartige Beschränkungen zu Recht ab (BGH NJW 2005 2933, 2934; auch schon BGHSt 11 94 zu § 180 a.F.), ebenso die h.L.51 Unter solchen Umständen liegt es im Gegenteil noch ferner als bei anderen Formen von Handlungen nach § 180 Abs. 1, dass die Vierzehnund Fünfzehnjährige selbstbestimmt handelten.
20 e) Das Erzieherprivileg (Absatz 1 Satz 2). Personensorgeberechtigte machen sich nicht strafbar, wenn sie sexuellen Handlungen von Jugendlichen durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit Vorschub leisten, es sei denn, dass sie damit ihre Erziehungspflicht gröblich verletzen (sog. Erzieherprivileg). In Anspruch nehmen kann das Privileg jeder, der nach den Regeln des Familienrechts zur Sorge für die Person berechtigt ist. Das Erzieherprivileg gilt nur für Aktivitäten von oder an vierzehn- und fünfzehnjährigen Jugendlichen, nicht für sexuelle Handlungen mit Kindern (BTDrucks. VI/3521 S. 45). 21 In den Gesetzgebungsmaterialien findet sich der Hinweis, dass die Anwendbarkeit des § 1666 BGB durch § 180 Abs. 1 Satz 2 nicht ausgeschlossen werden sollte (BTDrucks. VI/3521 S. 46; Horstkotte JZ 1974 87). Aus diesem Grund wird das Erzieherprivileg teilweise als Strafunrechtsausschließungsgrund eingeordnet, der die Rechtswidrigkeit im Lichte der Gesamtrechtsordnung unberührt lasse.52 Diese Überlegungen zum Verhältnis von § 1666 BGB und § 180 Abs. 1 Satz 2 StGB überzeugen jedoch nicht. Bei geringfügigen Erziehungsfehlern, die vom strafrechtlichen Erzieherprivileg abgedeckt werden, greift auch § 1666 BGB nicht ein.53 Die Rechtsordnung muss zum Schutz der Familie vor umfassenden staatlichen Interventionen (Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG) darauf verzichten, punktuelles, wenig gewichtiges Erziehungsversagen als „rechtswidrig“ zu brandmarken. § 180 Abs. 1 Satz 2 engt demgemäß die Anwendbarkeit des objektiven Tatbestandes mit der Folge ein, dass das erfasste Verhalten rechtmäßig ist.54 Der Sorgeberechtigte, der seine Erziehungspflichten nicht gröblich verletzt, macht sich auch dann nicht strafbar, wenn er zum Handeln eines anderen nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Hilfe leistet (§ 27) oder gegen eine solche Tat nicht einschreitet (Rdn. 18). 22 Der Sinn des Erzieherprivilegs erschließt sich, wenn man auf die Bewertung jugendlicher Sexualität verweist, die stark vom Kontext abhängig ist, insbesondere vom Verhältnis der Beteiligten zueinander und deren persönlicher Reife. Es sind drei Fallgruppen zu unterscheiden: erstens Handlungen, die von der sich entwickelnden Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung umfasst sind und einer gelungenen Entwicklung der Persönlichkeit dienen; zweitens als Gegenpol Situationen, in denen ein Minderjähriger überlegenen Personen nicht selbstbestimmt begegnen kann oder in denen jugendliches Sexualverhalten der Persönlichkeitsentwicklung schadet; und drittens Grenzfälle, bei denen nicht eindeutig ist, ob sie noch zur ersten Gruppe gehören. 23 § 180 Abs. 1 Satz 2 gewährleistet, dass Personensorgeberechtigte Handlungen der ersten und der dritten Gruppe fördern dürfen. Im Hinblick auf die erste Fallgruppe dient das Erzieher50 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. 51 Fischer Rdn. 3; Horstkotte JZ 1974 86; Renzikowski MK Rdn. 22. 52 Renzikowski MK Rdn. 43 mit Verweis auf Günther Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß (1983) S. 89 ff, 265 ff; ebenso Wolters SK Rdn. 15.
53 Lugani MK-BGB8 § 1666 Rdn. 52; zur Notwendigkeit der Gefahr einer erheblichen Schädigung Staudinger/Coester § 1666 Rdn. 82, 84 (Stand 2020).
54 Becker/Ruthe FamRZ 1974 508, 511; Fischer Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. Hörnle
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privileg sowohl dem Recht der Eltern, im Umgang mit ihren Kindern von staatlicher Einmischung verschont zu bleiben (Art. 6 Abs. 2 GG), als auch den Interessen des Jugendlichen selbst. In den Beratungen zum 4. StrRG war zwar umstr., ob verantwortungsbewusste Erziehungsberechtigte durch die Förderung sexueller Handlungen das Wohl der Jugendlichen fördern können (BTDrucks. VI/3521 S. 44 f; VI/1552 S. 23). In den seither verstrichenen Jahren haben sich jedoch die Bewertungsmaßstäbe verschoben.55 Die Position, dass 14 und 15 Jahre alten Jugendlichen jedwede sexuelle Erfahrung untersagt werden müsste, würde heute wenig Befürworter finden (s. Rdn. 1). Trotz der parallel verwandten Formulierung sind die Erzieherprivilege in § 180 Abs. 1 Satz 2 und § 184 Abs. 2 unterschiedlich zu begründen. § 184 Abs. 2 dient nur dazu, eine Einmischung des Staates bei leichterem Erziehungsversagen zu verhindern. Zur Entwicklung von Minderjährigen trägt die Konfrontation mit pornographischem Material nichts Positives bei; für Sexualaufklärung gibt es pädagogisch geeignetes Material.56 § 180 Abs. 1 Satz 2 erfasst dagegen auch Fälle, in denen Personenberechtigte verantwortungsbewusste, pädagogisch richtige Entscheidungen treffen, weshalb das Erzieherprivileg hier besonders wichtig ist. Wie § 184 Abs. 2 stellt § 180 Abs. 1 Satz 2 außerdem Verhalten der Erziehungsberechtigten frei, die aus pädagogischer Sicht fragwürdig sind, da wegen des Rechts der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Straffreiheit geboten ist. Das Erzieherprivileg gilt nicht für diejenigen, die durch das Vorschubleisten ihre Erzie- 24 hungspflicht gröblich verletzen. Im Schrifttum ist verschiedentlich in Frage gestellt worden, ob eine Abgrenzung von gröblichen und nicht gröblichen Verletzungen der Erziehungspflicht überhaupt möglich sei.57 Teilweise wurde sogar angenommen, dass die Ausgestaltung des Erzieherprivilegs verfassungsrechtlich fragwürdig sei.58 Derartige Bedenken sind jedoch unbegründet. Mit dem Merkmal „gröbliche Verletzung“ lassen sich Situationen erfassen, in denen eine Missachtung des Selbstbestimmungsrechts oder eine drohende Verwahrlosung auf der Hand liegt. In Extremfällen fällt es nicht schwer, sich darüber zu verständigen, dass dies schädlich und schlechthin unvertretbar ist.59 Sorgeberechtigte dürfen nicht Handlungen fördern, die als Sexualdelikte (z.B. nach den 25 §§ 174, 176, 182) strafbar sind.60 Auch das Fördern sexueller Handlungen mit einer vom Jugendlichen als Intimpartner abgelehnten Person ist ein gröblicher Verstoß gegen Erziehungspflichten.61 Dasselbe gilt, wenn der Sorgeberechtigte selbst an den sexuellen Handlungen teilnimmt oder dabei zusieht. Ferner wird die Erziehungspflicht gröblich verletzt, wenn die geförderten Zustände die Gefahr begründen, dass Jugendliche in Prostitution abgleiten (Horstkotte JZ 1974 84, 86),62 wenn die sexuellen Handlungen der Produktion von Pornographie dienen63 oder wenn der Sorgeberechtigte selbst Gewinn aus der Förderung zieht.64 Als schädlich für die Entwicklung wird man es auch einstufen müssen, wenn Jugendliche als Kunden von Prostituierten auftreten und auf diese Weise Kontakte zu diesem Milieu knüpfen. Als weiteren Anwendungsfall für die Ausnahmeklausel in § 180 Abs. 1 Satz 2 wird auf pro- 26 miskuitives Verhalten verwiesen.65 Insoweit bedarf es allerdings einer Betrachtung des Einzel55 56 57 58
Dazu G. Schmidt Das Verschwinden der Sexualmoral (1996). Hörnle MK § 184 Rdn. 77. Dreher JR 1974 45, 51; Fischer Rdn. 11; Renzikowski MK Rdn. 41; Wolters SK Rdn. 17. Becker/Ruthe FamRZ 1974 508, 510; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; krit. zu dieser Behauptung Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13. 59 S. zum Abstellen auf „schlechthin unvertretbar“ Fischer Rdn. 11; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 24; Renzikowski MK Rdn. 49. 60 Fischer Rdn. 12; Renzikowski MK Rdn. 49; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16; Wolters SK Rdn. 17. 61 Vgl. Fischer Rdn. 12. 62 Becker/Ruthe FamRZ 1974 508, 510; Renzikowski MK Rdn. 49; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16; Wolters SK Rdn. 17. 63 Fischer Rdn. 12. 64 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9. 65 Becker/Ruthe FamRZ 1974 508, 510; Horstkotte JZ 1974 84, 86 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Renzikowski MK Rdn. 49; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16. 305
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falles, da es auf die Umstände und Häufigkeit des Partnerwechsels ankommt. Einerseits wird man von Jugendlichen bei den ersten Erkundungen ihrer Sexualität mit Gleichaltrigen nicht jahrelange Treue verlangen können. Andererseits ist die Schwelle zu einer gröblichen Verletzung von Erziehungspflichten überschritten, wenn Sorgeberechtigte dulden, dass Jugendliche in halt- und wahlloser Weise agieren. Überholt ist die Vorstellung, dass homosexuelle Kontakte die Entwicklung des Jugendlichen schädigen; deshalb wäre es fehlerhaft, aus diesem Grund die Förderung als gröbliche Verletzung der Erziehungspflicht einzuordnen.66 Umstr. ist, wie Fälle zu behandeln sind, in denen neben Sorgeberechtigten weitere Personen 27 in das Gewähren (oder Verschaffen) einer Gelegenheit involviert sind, etwa wenn ein Familienangehöriger auf Anordnung der abwesenden Eltern den Freund der 15 Jahre alten Tochter zur Übernachtung willkommen heißt. Mit der h.M. ist davon auszugehen, dass das Erzieherprivileg auch für denjenigen gilt, der auf eine einzelfallbezogene Weisung des Erziehungsberechtigten67 oder aufgrund einer einzelfallbezogenen Einwilligung handelt.68 Dem steht nicht entgegen, dass im Gesetzgebungsverfahren das zunächst vorgesehene sog. verlängerte Erzieherprivileg gestrichen wurde (s. BTDrucks. 7/1166 S. 2). Aus dieser Entscheidung ergibt sich zwar, dass eine temporäre, generelle Übertragung von Ermessen auf andere (etwa Internatsleiter oder Verwandte bei längerer Abwesenheit der Eltern, Pflegeeltern bei Schüleraustausch u.ä.) nicht ausreicht, um diesen das Privileg aus § 180 Abs. 1 Satz 2 zu verschaffen.69 Bedauerlicherweise ist vorstellbar, dass sich diese Personen auch dann strafbar machen, wenn ihre Entscheidung pädagogisch nicht zu beanstanden ist. Die Ausführung von einzelfallbezogenen Weisungen des Sorgeberechtigten hält sich aber im Rahmen dessen, was das Gesetz zulässt.
2. Subjektiver Tatbestand 28 Der Täter muss zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen (bedingter Vorsatz), es mit einer Person unter 16 Jahren zu tun zu haben. Außerdem muss sich sein Vorsatz auf das Zustandekommen einer hinreichend konkretisierten sexuellen Handlung richten (es genügt nicht die Erwartung, dass es irgendwann zu sexuellen Handlungen kommen könnte, KG NJW 1998 3791, 3792) und darauf, dass er dieser durch Handlungen gem. § 180 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 oder unterlassenes Einschreiten (Rdn. 18) Vorschub leistet. In Fällen der Unterlassung (§§ 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 13) muss sich der Täter der Umstände bewusst sein, die ihn zum Handeln verpflichten.70 Geht der Täter trotz Kenntnis der Umstände, die die Anwendbarkeit des § 180 Abs. 1 begrün29 den, davon aus, dass sein Verhalten rechtmäßig war (weil ihm das Verbot unbekannt ist oder er sich über die Grenzen, insbesondere die Reichweite des Tatbestandsausschlusses in § 180 Abs. 1 Satz 2, irrt), ist wegen dieses Verbotsirrtums § 17 anzuwenden. Glaubt er allerdings, eine einzelfallbezogene Anweisung des Erziehungsberechtigten umzusetzen (dazu Rdn. 27), handelt er vorsatzlos.71 Macht sich ein Sorgeberechtigter bei grober Verletzung seiner Erziehungspflicht strafbar, muss er die Umstände kennen, die diese Einordnung tragen.72 Bewertet er ihm bekannte Tatsachen falsch und handelt er deshalb ohne Unrechtsbewusstsein, so ist ebenfalls § 17 an-
66 Fischer Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 17. AA noch Dreher JR 1974 45, 51. 67 Becker/Ruthe FamRZ 1974 508, 511; Fischer Rdn. 13; Horstkotte JZ 1974 84, 87; Renzikowski MK Rdn. 45; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 17; Wolters SK Rdn. 18. AA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 13.
68 Münder ZfJ 1986 353, 355; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Wolters SK Rdn. 18. 69 Horstkotte JZ 1974 84, 87; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 29; Renzikowski MK Rdn. 45; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18.
70 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27. 71 Fischer Rdn. 13. 72 Fischer Rdn. 20; Renzikowski MK Rdn. 50; Wolters SK Rdn. 19. Hörnle
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zuwenden.73 Um ein straffreies sog. Wahndelikt (Murmann LK § 22 Rdn. 258) handelt es sich, wenn der Täter irrigerweise glaubt, dass auch Sechzehn- und Siebzehnjährige durch § 180 Abs. 1 geschützt würden (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1967 14).
3. Täterschaft und Teilnahme Anstiftung und Beteiligung an einer Tat nach § 180 Abs. 1 sind für Jugendliche nach einhelliger 30 Ansicht straffrei, soweit sie selbst die einzig involvierten Minderjährigen sind (Vor § 174 Rdn. 68).74 Sind allerdings nicht nur der Jugendliche selbst, sondern weitere Minderjährige von Förderungshandlungen betroffen, die in sexuelle Handlungen zu Lasten ihrer sexuellen Selbstbestimmung münden, begründet diese Involvierung eine Strafbarkeit des Jugendlichen.75 Umstr. ist, ob ein strafmündiger Dritter i.S.v. § 180 Abs. 1, der von der Förderungshandlung 31 profitiert hat, wegen Beihilfe oder Anstiftung belangt werden kann. Für den alten Kuppeleitatbestand hatte dies der BGH bejaht.76 Die heute h.M. lehnt aber zu Recht eine Bestrafung des Dritten aus den §§ 180 Abs. 1, 26 oder 27 ab.77 Wenn sich der Dritte selbst als Täter eines Sexualdelikts strafbar macht, tritt die Teilnehmerstrafbarkeit ohnehin dahinter zurück. Wenn die eigentliche sexuelle Handlung aber nicht strafrechtlich verboten ist, wird dies meist daran liegen, dass sie vom Selbstbestimmungsrecht des Jugendlichen umfasst war (dann muss auch die Beteiligung an der Förderung der Handlung straflos bleiben). Die Beteiligung an der Tat eines Sorgeberechtigten, der seine Erziehungspflichten nicht 32 gröblich verletzt, ist mangels Haupttat straffrei. Dies gilt auch, wenn der Teilnehmer irrtümlich davon ausgeht, dass eine gröbliche Verletzung der Erziehungspflicht vorliege.78 Der Personensorgeberechtigte selbst bleibt auch dann straflos, wenn er nur Teilnehmer an der Tat eines Dritten gem. § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 war,79 es sei denn, er handelte grob erziehungspflichtwidrig. Hierauf kommt es etwa im Falle einer Beihilfe durch Unterlassen an. Für das Vorliegen einer groben Pflichtwidrigkeit ist allein maßgeblich, wie die sexuelle Handlung vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts und des Wohles des Minderjährigen zu beurteilen ist. Eine Pflichtwidrigkeit ergibt sich nicht schon daraus, dass der Sorgeberechtigte einen anderen, der sich nicht mit ihm abgesprochen hat, mit fördernden Handlungen gewähren lässt (aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 33).
4. Versuch Der Versuch ist nicht strafbar (s. Absatz 3). Da es für die Tatvollendung einer sexuellen Hand- 33 lung bedarf (Rdn. 11), bleibt derjenige, der einen Beitrag nach § 180 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 geleistet hat, beim Ausbleiben einer solchen straffrei. 73 Fischer Rdn. 20; Renzikowski MK Rdn. 50; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27; Wolters SK Rdn. 19. 74 BTDrucks. VI/1552 S. 22; Fischer Rdn. 23; Gropp Deliktstypen mit Sonderbeteiligung (1992) S. 317; Horstkotte JZ 1974 87; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 14; Renzikowski MK Rdn. 74; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 31; Sowada Die „notwendige Teilnahme“ (1992) S. 225 f; Wolters SK Rdn. 25. 75 Gropp Deliktstypen mit Sonderbeteiligung (1992) S. 317; Renzikowski MK Rdn. 74; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 31. 76 Vgl. zu dieser Debatte BGHSt 10 386; 15 377, 382 (für eine Bestrafung des Verkuppelten wegen Anstiftung) sowie die Nachw. bei Sowada Die „notwendige Teilnahme“ (1992) S. 226 ff. 77 Fischer Rdn. 23; Herzberg GA 1971 1, 10; Renzikowski MK Rdn. 69; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 32; Sowada Die „notwendige Teilnahme“ (1992) S. 236; Wolters SK Rdn. 26. AA oder teilweise aA (für eine Bestrafung im Fall der Anstiftung) Dreher JR 1974 45, 52; Gropp Deliktstypen mit Sonderbeteiligung (1992) S. 319 Fn. 17; Horstkotte JZ 1974 84, 87. 78 Becker/Ruthe FamRZ 1974 508, 512; Dreher JR 1974 45, 52; Fischer Rdn. 13; Renzikowski MK Rdn. 73; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 33; Wolters SK Rdn. 25. 79 Becker/Ruthe FamRZ 1974 508, 510; Dreher JR 1974 45, 52; Renzikowski MK Rdn. 72; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 33; Wolters SK Rdn. 25. AA Schroeder FS Lange 391, 400. 307
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5. Strafzumessung 34 Der gesetzliche Strafrahmen reicht von Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe; bei Freiheitsstrafen unter sechs Monaten ist § 47 zu berücksichtigen. Die konkrete Tatschwere bemisst sich in erster Linie danach, in welchem Ausmaß die geförderte sexuelle Handlung die Selbstbestimmung des Minderjährigen verletzt. Außerdem spielt es eine Rolle, mit welcher Intensität die sexuelle Handlung gefördert wurde und ob der Täter aus egoistischen oder aus altruistischen Beweggründen gehandelt hat. Führungsaufsicht (§ 181b) und Sicherungsverwahrung (s. insbes. § 66 Abs. 3) wäre für sämtliche Tatvarianten in § 180 möglich; ernsthaft in Erwägung zu ziehen ist dies aber allenfalls für schwere Straftaten nach Absatz 2.
6. Konkurrenzen 35 Bei Handlungseinheit zwischen Taten nach § 180 Abs. 1 und solchen nach § 180 Abs. 2 tritt das leichtere Delikt in Absatz 1 zurück (BGH NStZ-RR 1998 299).80 Dasselbe gilt im Verhältnis zu § 182 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2.81 Tateinheit ist möglich mit § 17182 und zwischen eigenen Taten z.B. nach den §§ 174, 176 und Vorschubleisten gem. § 180 Abs. 1 (BGH NStZ 1996 599). Nach h.M. soll auch Tateinheit zwischen § 180 Abs. 1 und Beihilfe (§ 27) zu einer Tat nach den §§ 173 ff vorliegen.83 Überzeugender ist jedoch die Annahme, dass eine Verurteilung gem. § 180 Abs. 1 kein eigenständiges Unrecht kennzeichnet, wenn gleichzeitig auch Beihilfe zu einer Sexualstraftat vorlag, weshalb § 180 Abs. 1 wegen Gesetzeskonkurrenz zurücktritt.
III. Bestimmen und Vorschubleisten bei sexuellen Handlungen gegen Entgelt (Absatz 2) 1. Objektiver Tatbestand 36 a) Täter; geschützte Personen; Dritte. Auch § 180 Abs. 2 enthält keine Altersbeschränkung für Täter. Da anders als in Absatz 1 sozialadäquate Handlungen nicht erfasst sind, ist die Einbeziehung jugendlicher Täter der Sache nach unproblematisch, allerdings inkonsistent, da in § 182 Abs. 2 die Kunden von Prostituierten sich nur strafbar machen, wenn sie volljährig sind.84 Im Vergleich zu Absatz 1 ist der Kreis der geschützten Personen weiter: Auch sechzehnund siebzehnjährigen Jugendliche werden erfasst. Zu Dritten s. Rdn. 7.
37 b) Sexuelle Handlungen gegen Entgelt. Bei § 180 Abs. 2 ist (anders als bei Absatz 1, Rdn. 11) allgemein anerkannt, dass die sexuelle Handlung tatsächlich geschehen sein muss (BGH NJW 1997 334, 335; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 362).85 Tatbestandsmäßig sind zum einen Handlungen mit Körperkontakt an einem Dritten oder von dem Dritten am Minderjährigen. Die dritte Person muss den Körperkontakt weder wahrgenommen noch die sexuelle Bedeutung erfasst 80 81 82 83
Fischer Rdn. 24; Renzikowski MK Rdn. 77; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34; Wolters SK Rdn. 27. Renzikowski MK Rdn. 78; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34. Renzikowski MK Rdn. 78; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34. In BGH NStZ 1996 599 wird die Möglichkeit einer solchen Tateinheit nicht ausgeschlossen. Dafür auch Fischer Rdn. 24; Renzikowski MK Rdn. 78; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34; Wolters SK Rdn. 27. 84 Wolters FS Fischer 583, 597 spricht sich dafür aus, die Altersgrenze für Täter (Strafbarkeit nur für Volljährige) aus § 182 Abs. 2 beizubehalten und § 180 Abs. 2 daran anzupassen. 85 Fischer Rdn. 16; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 35; Renzikowski MK Rdn. 59; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21, 25; Wolters SK Rdn. 40. Hörnle
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III. Bestimmen etc. bei Handlungen gegen Entgelt
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haben. Die hohen Anforderungen, die bei Absatz 1 zum Ausschluss jugendtypischer Aktivitäten an die Erheblichkeit zu stellen sind (Rdn. 9), gelten bei entgeltlichen Handlungen nicht. Ein Körperkontakt, den man innerhalb von Jugendfreundschaften als noch nicht erhebliches Schmusen bezeichnen kann, unterfällt § 180 Abs. 2, wenn er Bestandteil entgeltlicher sexueller Animation ist (etwa in Bars, die sog. Lap-Dance anbieten). Zum anderen erfasst § 180 Abs. 2 sexuelle Handlungen des Minderjährigen vor einem Drit- 38 ten (etwa im Rahmen von Stripteasedarbietungen, Table-Dance, Peepshows, auch übertragen durch Informations- und Kommunikationstechnik; außerdem bei Filmaufnahmen, wenn Minderjährige in sexuell aufreizender Weise posieren oder sexuelle Handlungen an sich selbst vornehmen). Insoweit besteht nach geltendem Recht ein Wertungswiderspruch im Vergleich mit § 182 Abs. 2 (Rdn. 4): Entgeltliche Darbietungen ohne Körperkontakt sind zwar für denjenigen strafbar, der den Minderjährigen dazu bestimmt hat, nicht aber für Kunden und diejenigen, die z.B. Filmaufnahmen machen. Rechtspolitisch wäre es sinnvoll, so auch die Reformkommission zum Sexualstrafrecht, bei allen Normen, die entgeltliche Handlungen mit Minderjährigen verhindern sollen, Handlungen ohne Körperkontakt aufzunehmen.86 Handlungen vor einem anderen müssen von diesem wahrgenommen worden sein, § 184h Nr. 2; nicht erforderlich ist aber, dass der Dritte den sexuellen Charakter erkennt. Zum Begriff des Entgelts s. die Legaldefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 9 („jede in einem Vermö- 39 gensvorteil bestehende Gegenleistung“) und § 182 Rdn. 28 ff. Unbeachtlich ist, ob der Täter oder der Dritte mit dem Jugendlichen die Vereinbarung über den entgeltlichen Sexualkontakt trifft und wer das Entgelt später erbringen soll. Der Täter muss auch nicht anstreben, selbst ein Entgelt zu erhalten:87 Ob das als Gegenleistung für die sexuelle Handlung entrichtete Entgelt (ganz oder teilweise) dem Jugendlichen oder dem ihn bestimmenden Täter (etwa einem Zuhälter) oder einer weiteren Person zufließen soll, ist gleichgültig (BGH NStZ 1995 540).88 Ein Entgelt muss nicht tatsächlich gewährt worden sein (§ 182 Rdn. 33), selbst eine mit Täuschungsabsicht gemachte Zusage fällt unter den Tatbestand (BGH NStZ 2004 683).89 Im Schrifttum wird angenommen, dass der Minderjährige durch den Vermögensvorteil „wenigstens mitmotiviert“90 worden sein muss.91 § 180 Abs. 2 erfasst aber auch Drei-Personen-Konstellationen, in denen der Bestimmende die Zentralfigur des Geschehens ist und der Minderjährige (ohne eigene auf das Entgelt gerichtete Motivation) seinem Einfluss unterworfen ist.
c) Bestimmen. Eine typische Variante des Bestimmens liegt im Einwirken auf die Motivation 40 des Jugendlichen, um ihn zu sexuellen Handlungen gegen Entgelt zu bringen, zu denen er sich ohne die Einwirkung nicht entschlossen haben würde (BGH NJW 1985 924).92 Bestimmen durch Unterlassen ist nicht möglich93 (Vor § 174 Rdn. 65). Die Einwirkung muss ursächlich für den Entschluss des Minderjährigen gewesen sein, was nicht der Fall ist, wenn sich dieser bereits zur Vornahme der konkreten Handlung entschlossen hatte. Nicht ausgeschlossen ist eine Tat nach § 180 Abs. 2 aber, wenn Jugendliche generell zu sexuellen Handlungen gegen Entgelt bereit waren (BGH bei Holtz MDR 1977 809).94 Es ist ausreichend, dass der Täter auf den Jugendlichen bei einer bestimmten Gelegenheit erfolgreich einwirken konnte. Die sexuellen Handlungen müs86 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 333 f. AA Wolters FS Fischer 583, 597, der vorschlägt, § 180 Abs. 2 einzuschränken, um Konsistenz mit § 182 Abs. 2 herzustellen. Horstkotte JZ 1974 87. Fischer Rdn. 15; Renzikowski MK Rdn. 53; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24; Wolters SK Rdn. 31. Renzikowski MK Rdn. 53. BGH NStZ 2004 683; NStZ 2006 444 (jeweils zu § 182 Abs. 1 Nr. 1 a.F.). Fischer Rdn. 15; Renzikowski MK Rdn. 53; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24; Wolters SK Rdn. 31. Horstkotte JZ 1974 87; Renzikowski MK Rdn. 53 f; Wolters SK Rdn. 32. Renzikowski MK Rdn. 57; Wolters SK Rdn. 38. Fischer Rdn. 14; Renzikowski MK Rdn. 55; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19; Wolters SK Rdn. 32.
87 88 89 90 91 92 93 94
309
Hörnle
§ 180
Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger
sen nicht im Einzelnen vom Täter konkretisiert worden sein; auch eine Individualisierung des als Sexualpartner ins Auge gefassten Dritten ist nicht erforderlich (BGH NJW 1985 924). Eine täterschaftliche „Kettenbestimmung“ ist nicht nur in mittelbarer Täterschaft, sondern auch bei Einschalten eines voll deliktisch handelnden Kommunikationsmittlers möglich95 (s. § 176 Rdn. 16). 41 Die Gesetzesüberschrift „Förderung sexueller Handlungen“ bedeutet nicht, dass nur faktisch von Minderjährigen gewollte Aktivitäten erfasst würden. „Bestimmen“ gem. § 180 Abs. 2 ist auch durch Drohungen und Einschüchterung möglich. Während dies unstreitig ist, wird im Schrifttum vis absoluta ausgeschlossen.96 Die Rspr. fasst dagegen unter den Begriff „bestimmen“ bei Minderjährigen, in Abgrenzung zu § 26, neben der Willensbeeinflussung auch andere Formen des Verursachens eines Sexualkontaktes zwischen dem Minderjährigen und Dritten (BGHSt 41 242, 246). Dem ist zuzustimmen: Auch für § 180 Abs. 2 ist jedes aktive Verhalten ausreichend, das auf das Opfer zielt, etwa wenn der Täter unter Ausübung physischen Zwangs auf den Minderjährigen zugreift und ihn dem zahlenden Dritten aushändigt oder ihn festhält (Vor § 174 Rdn. 67). 42 Schon die Bestimmungshandlung muss sich auf eine sexuelle Handlung gegen Entgelt beziehen.97 Hieran fehlt es, wenn sich die Einwirkung auf eine sexuelle Handlung ohne vermögenswerte Gegenleistung bezieht, und zwar auch dann, wenn der Minderjährige vom Sexualpartner danach ein Entgelt fordert98 und der Bestimmende dies billigt.99
43 d) Vorschubleisten durch Vermittlung. Diese Handlungsalternative basiert auf den Begriffen der Vermittlung und des Vorschubleistens des Absatzes 1 (nicht eingeschlossen ist Vorschubleisten durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit). Diese sind wie dort auszulegen (Rdn. 12–15). Es fällt unter § 180 Abs. 2 2. Alt., wenn der Täter einen Bordellbetrieb organisiert und dadurch (auch) Minderjährigen den Zugang zu Freiern ermöglicht (BGH NStZ-RR 2011 79). Das bloße Vermieten eines Raumes oder ähnliche Handlungen, die nur unter § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 fallen, werden von Absatz 2 nicht erfasst. Die Partnervermittlung muss sich auf eine entgeltliche Interaktion beziehen.100 Insoweit verlangt auch die h.M. (im Unterschied zur Auslegung von Absatz 1, Rdn. 11), dass eine sexuelle Handlung tatsächlich vorgenommen wurde (BGH NJW 1997 334, 335; BGH bei Pfister NStZ-RR 2001 362).101
2. Subjektiver Tatbestand 44 Der Täter muss mindestens bedingten Vorsatz hinsichtlich der Minderjährigkeit gehabt haben. Dieser muss sich außerdem darauf gerichtet haben, dass die Einwirkung oder die Partnervermittlung für eine sexuelle Handlung des Minderjährigen an oder vor einem Dritten oder am Minderjährigen ursächlich werden wird und dass ein Entgelt als Gegenleistung erbracht werden wird. Die Beweggründe des Täters sind für die Prüfung des subjektiven Tatbestandes irrelevant. Er muss nicht beabsichtigen, sich zu bereichern: Erfasst sind auch Fälle, in denen der Täter nicht des Entgelts (oder Teilen des Entgelts) wegen handelt.
95 AA Renzikowski MK Rdn. 67; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21; Wolters SK Rdn. 33. 96 Renzikowski MK Rdn. 54. 97 Fischer Rdn. 15; Renzikowski MK Rdn. 56; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 98 Renzikowski MK Rdn. 56; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 99 Wolters SK Rdn. 34. 100 Fischer Rdn. 16; Renzikowski MK Rdn. 58; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 25. 101 Fischer Rdn. 16; Renzikowski MK Rdn. 59; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 25; Wolters SK Rdn. 40. Hörnle
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III. Bestimmen etc. bei Handlungen gegen Entgelt
§ 180
3. Täterschaft und Teilnahme Auch für Absatz 2 ist unstreitig, dass der Minderjährige sich nicht als Teilnehmer strafbar 45 macht, und auch dann nicht, wenn er den Täter zur Partnervermittlung angestiftet hat.102 Der Dritte, der selbst an der sexuellen Interaktion beteiligt ist, kann sich aus § 182 Abs. 2 strafbar machen. Nicht überzeugend ist die Annahme, dass Dritte bei § 180 Abs. 2 als notwendige Teilnehmer straffrei bleiben müssten,103 wobei aber die Beteiligung an der Tat nach § 180 Abs. 2 hinter die Täterstrafbarkeit aus § 182 Abs. 2 zurücktritt. Falls allerdings zum Sexualakt noch nicht unmittelbar angesetzt wurde, aber wegen versuchten Bestimmens schon gem. den §§ 180 Abs. 2, 22 zu bestrafen ist, dann kann auch der Dritte, der am Bestimmen als Teilnehmer beteiligt war, entsprechend sanktioniert werden.
4. Versuch Der Versuch ist strafbar, Absatz 3. Das Ansetzen zum Bestimmen ist noch kein Versuchsbe- 46 ginn, wenn die sexuellen Handlungen erst nach weiteren Zwischenschritten und/oder Zeitverzögerung erfolgen sollen (aA die h.M.104). War aber das Bestimmen nach der Vorstellung des Täters den sexuellen Handlungen unmittelbar vorgelagert, kann bei Ausbleiben der sexuellen Handlung wegen Versuches bestraft werden: wenn der Täter entweder den Minderjährigen zur Beteiligung an den sexuellen Vorgängen bereits motiviert hat oder wenn er dazu jedenfalls angesetzt hat. Dasselbe gilt für die Variante „durch seine Vermittlung Vorschub leistet“, wenn die vorgesehenen sexuellen Handlungen nicht stattfanden. Es reicht nicht aus, dass einer der beiden potentiellen Sexualpartner das Vermittlungsangebot des Täters erhalten hat.105 Erforderlich sind für ein Ansetzen zur Tat vielmehr Aktivitäten unmittelbar im Vorfeld des sexuellen Geschehens. War es zu diesem Zeitpunkt zu einer erfolgreichen Partnerzusammenführung gekommen, ist wegen Versuches zu bestrafen, ebenso, wenn der Vermittlungserfolg unmittelbar bevorstand und es nach der Vorstellung des Täters sogleich zum sexuellen Vollzug gekommen wäre. Vom Versuch ist gem. § 24 bis zur Vollendung, d.h. bis zum Beginn der sexuellen Handlung, 47 ein Rücktritt möglich.106 Sind Einwirkung oder Partnervermittlung abgeschlossen und der Versuch deshalb beendet, muss der Täter zur Erlangung von Straffreiheit nach § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. oder Satz 2 Gegenmaßnahmen entfalten.
5. Strafzumessung Der gesetzliche Strafrahmen beginnt wie in Absatz 1 mit Geldstrafe, die Höchststrafe liegt aber 48 mit fünf Jahren Freiheitsstrafe höher. Für die Strafzumessung kommt es auf das Gewicht der sexuellen Handlung an,107 wobei Handlungen mit Körperkontakt meist (aber nicht immer) schwerer wiegen als Handlungen vor Dritten. Außerdem bemisst sich das Erfolgsunrecht danach, in welchem Ausmaß der Täter sexuelle Selbstbestimmung übergeht; in diesem Zusammenhang wird auch das Alter des Opfers relevant.108 Der „Verkauf“ eines jungen Opfers, das dabei keine Mitsprache hatte, und ein gewaltsames Bestimmen bedeuten größeres Unrecht als die Kundenvermittlung auf Bitte einer Siebzehnjährigen. Ein weiterer Strafzumessungsfaktor 102 103 104 105 106 107 108 311
Fischer Rdn. 23; Renzikowski MK Rdn. 74; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 31. So aber Lackner/Kühl/Heger Rdn. 14. Fischer Rdn. 22; Renzikowski MK Rdn. 76; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28; ähnlich Wolters SK Rdn. 44. AA Renzikowski MK Rdn. 76; Wolters SK Rdn. 44. Renzikowski MK Rdn. 76; Wolters SK Rdn. 44. Renzikowski MK Rdn. 81. Vgl. dazu auch Renzikowski MK Rdn. 81. Hörnle
§ 180
Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger
sind die Beweggründe des Täters: Wiederholte und durch finanziellen Eigennutz motivierte Kuppeleihandlungen rechtfertigen höhere Strafen als einmalige Vorfälle und Konstellationen, in denen der Täter nicht selbst vom Entgelt profitiert, sondern nur dem Jugendlichen einen Gefallen erweisen will.109 Zu Sicherungsverwahrung und Führungsaufsicht Rdn. 34.
6. Konkurrenzen 49 Liegt eine Tat nach Absatz 2 vor, tritt § 180 Abs. 1 zurück (BGH NStZ-RR 1998 299).110 Wenn durch eine Handlung des Bestimmens oder Vorschubleistens (etwa durch das Zurverfügungstellen von Räumen) mehrere sexuelle Handlungen des Minderjährigen ermöglicht werden, liegt nur eine Tat nach § 180 Abs. 2 vor (BGH NStZ-RR 2011 79). S. zur Kombination von einer Bestimmungshandlung und mehrfachen nachfolgenden sexuellen Handlungen § 176 Rdn. 56. Mit anderen Sexualdelikten, bei denen es auf „bestimmen“ ankommt (§ 174 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Nr. 2, § 176 Abs. 1 Nr. 2), kann Tateinheit vorliegen. Bestimmen und nachfolgende eigene sexuelle Handlungen stehen nicht im Verhältnis der Tatmehrheit, sondern der Tateinheit, wenn sich das gesamte Tätigwerden als einheitliches Tun im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit darstellt (BGH NStZ 1996 599). Ferner kann Tateinheit zwischen der Teilnahme an Taten nach den §§ 174 ff und der eigenen Tat nach § 180 Abs. 2 vorliegen (BGH NStZ 1996 599).111 Dasselbe gilt für Taten nach den §§ 174 ff, wenn die Täter solcher Taten diese vor Dritten nach § 180 Abs. 2 ausführen. 50 Mit Tatbeständen, die Prostituierte schützen (§§ 180a, 181a) kommt Tateinheit in Betracht. Von den spezielleren Strafvorschriften gegen Zwangsprostitution in § 232a Abs. 1 bis Abs. 4 wird § 180 Abs. 2 verdrängt. Die Tathandlungen, die unter der Überschrift „Menschenhandel“ in § 232 Abs. 1 angeführt werden (anwerben, befördern etc.) sind den konkreteren Bestimmungshandlungen nach § 180 Abs. 2 vorgelagert. Insoweit kann Tateinheit bestehen (aA zur alten Fassung von § 232 BGH NStZ-RR 2010 78; unklar BGH BeckRS 2022 1806). Umgekehrt verdrängt § 180 Abs. 2 § 182 Abs. 3 Nr. 2.112 Wenn neben der Entgeltzahlung allerdings auch noch eine Zwangslage ausgenutzt wird, ist im Verhältnis von § 180 Abs. 2 und § 182 Abs. 1 Nr. 2 von Tateinheit auszugehen.113 Wenn der Täter der fortgesetzten Prostitution Minderjähriger durch seine Vermittlung Vorschub leistet, indem er Kontaktmöglichkeiten in einem Bordell organisiert, liegt nur eine Tat nach § 180 Abs. 2 2. Alt. vor, auch wenn mehrere Sexualkontakte mit unterschiedlichen Freiern stattfanden (BGH NStZ-RR 2011 79, 80).
IV. Verjährung 51 Taten nach § 180 verjähren in fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4). Die Verjährung der Taten ruht nicht nach § 78b, da § 180 dort nicht aufgezählt wird. Das ist für § 180 Abs. 2 nicht stimmig, da § 182 in den Katalog des § 78b Abs. 1 Nr. 1 aufgenommen wurde. Vor diesem Hintergrund sollte für Taten nach § 180 Abs. 2, die in engem Sachzusammenhang mit § 182 Abs. 2 stehen, ebenfalls ein Ruhen der Verjährung vorgesehen werden (zu verweisen ist auch auf die Parallele zu den Bestimmungshandlungen, die von § 180 Abs. 3 a.F. im Jahr 2021 nach § 174 verschoben wurden, s. Entstehungsgeschichte, für die nunmehr § 78b gilt).
109 110 111 112 113
Renzikowski MK Rdn. 81. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 15; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 49; Renzikowski MK Rdn. 77. Fischer Rdn. 24; Renzikowski MK Rdn. 78. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34. Renzikowski MK Rdn. 78; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34.
Hörnle
312
§ 180a Ausbeutung von Prostituierten (1) Wer gewerbsmäßig einen Betrieb unterhält oder leitet, in dem Personen der Prostitution nachgehen und in dem diese in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. einer Person unter achtzehn Jahren zur Ausübung der Prostitution Wohnung, gewerbsmäßig Unterkunft oder gewerbsmäßig Aufenthalt gewährt oder 2. eine andere Person, der er zur Ausübung der Prostitution Wohnung gewährt, zur Prostitution anhält oder im Hinblick auf sie ausbeutet.
Schrifttum Gössel Das neue Sexualstrafrecht: Eine systematische Darstellung für die Praxis (2005); Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten (2012); Schroeder Das neue Sexualstrafrecht: Entstehung, Analyse, Kritik (1975).
Entstehungsgeschichte § 180a ist aus der alten Kuppeleivorschrift (§ 180 a.F.) hervorgegangen. Im Einzelnen kann insoweit auf die Ausführungen zu § 180 in der 11. Auflage verwiesen werden. Während § 180 n.F. zu einer Vorschrift zum Schutz der Jugend (Abs. 1 und 2) und zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung abhängiger Jugendlicher (Abs. 3) ausgestaltet worden ist (siehe die Kommentierung dort), wurde in § 180a in der Fassung des 4. StrRG1 der kriminalpolitisch bedeutsame Rest der alten Kuppeleivorschriften überführt.2 Der Gesetzgeber hatte in § 180a („Förderung der Prostitution“) diejenigen Verhaltensweisen pönalisiert, die geeignet sind, die Prostitution zu fördern oder aufrechtzuerhalten. Ergänzt wurde die Vorschrift durch § 180 (dort insbesondere Abs. 2). Der Gesetzgeber sah die Prostitution für denjenigen, der sie ausübt, als Übel an3 und wollte deshalb mit den Mitteln des Strafrechts solchen Maßnahmen Dritter entgegentreten, die andere, insbesondere junge Menschen, in die Prostitution verstricken und es ihnen erschweren, sich aus ihr wieder zu lösen. Aufgrund einer Anhörung von Sachverständigen war, um dieses Ziel zu erreichen, der Regierungsentwurf in den Abs. 3 und 4 durch Bestimmungen gegen die Förderung der Prostitution durch gewerbsmäßige Anwerbung zur Prostitution und die Förderung der Prostitution junger Menschen erheblich erweitert worden.4 Abs. 3 bis 5 wurden durch das 26. StrÄndG vom 14.7.19925 aufgehoben und in § 180b neu gefasst. Durch das 37. StrÄndG vom 11.2.20056 wurde diese Vorschrift ihrerseits aufgehoben und durch § 232 ersetzt. § 180a Abs. 2 Nr. 2 wurde durch das 6. StrRG vom 26.1.19987 sprachlich geringfügig geändert, indem die Worte „einen anderen“ jeweils durch „eine andere Person“ mit den entsprechenden sprachlichen Folgeänderungen ersetzt wurden. Durch das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten8 (ProstG) vom 20.12.2001,9 wurde der Tatbestand der Förderung der Prostitution (Abs. 1 Nr. 2 a.F.) aufgehoben und die gesetzliche Überschrift entsprechend geändert. Durch das ProstG wollte der Gesetzgeber die rechtliche Stellung der Prostituierten stärken.10 Die Prostitutionstätigkeit wird nicht mehr als gegen die guten Sitten verstoßend gewertet.11 Durch die Streichung von § 180a Abs. 1 Nr. 2 soll den Prostituierten die Möglichkeit gewährt werden, rechtlich abgesichert und unter guten Arbeitsbedingungen
1 Siehe Entstehungsgeschichte zu § 181a; eingehend auch Renzikowski MK Rdn. 10 ff. 2 Geerds JR 1979 343. 3 BT-Drucks. VI/1552 S. 18, 25; vgl. Schroeder FS Welzel 875; im Einzelnen Horstkotte JZ 1974 84, 87. 4 Vgl. BT-Drucks. VI/3521 S. 48; BT-Drucks. 7/514 S. 10. 5 BGBl. I 1992 S. 1255. 6 BGBl. I 2005 S. 239. 7 BGBl. I 1998 S. 164. 8 Zu dessen Gesetzgebungsgeschichte Rautenberg NJW 2002 650. 9 BGBl. I 2001 S. 3983; in Kraft getreten am 1.1.2002. 10 BT-Drucks. 14/5958 S. 4. 11 So auch Finger KJ 2007 73, 77 ff; aA noch Majer NJW 2008 1926, 1927; für das Gewerberecht Pauly GewArch 2002 217, 218 f; zur allmählichen Umorientierung von Literatur und Praxis in diesem Bereich siehe BT-Drucks. 16/ 4146 S. 36 ff. 313 https://doi.org/10.1515/9783110490121-015
Nestler
§ 180a
Ausbeutung von Prostituierten
tätig zu sein. Die Streichung ist auf Kritik gestoßen.12 Ein Problem wird darin gesehen, dass die ausbeuterische Zuhälterei und die Ausbeutung von Prostituierten schwer nachweisbar sind, während die Förderung der Prostitution wegen der objektiven Kriterien leicht feststellbar war. Es wurde auch befürchtet, dass die Strafverfolgungsbehörden nach der Gesetzesänderung keinen zureichenden Anlass für Kontrollen im Rotlichtmilieu haben und deshalb auch schwerere Delikte nicht mehr aufgedeckt werden.13 In einem Gesetzentwurf des Bundesrates vom 9.6.2005,14 der die Kritik aufgegriffen hat, wurde deshalb vorgeschlagen, die Änderung des § 180a rückgängig zu machen. Die damalige Bundesregierung war dem unter Hinweis darauf, dass empirische Untersuchungen eine Erschwerung der Verfolgung des Menschenhandels und anderer schwerer Delikte nicht bestätigt hätten,15 entgegengetreten. Es sei, so Teile der Lit.,16 nicht Aufgabe des Strafrechts, überholte moralische Vorstellungen durchzusetzen oder Interventionsmöglichkeiten und Ermittlungsansätze für die Polizei zu schaffen. Geprüft werden sollte allerdings die Abschaffung des „Vermieterprivilegs“ in § 180a Abs. 2 Nr. 2;17 außerdem wurden eine Verbesserung des Minderjährigenschutzes und eine Regelung der Strafbarkeit von Freiern von Zwangsprostituierten18 ins Auge gefasst.19 Durch das Opferrechtsreformgesetz vom 24.6.200420 wurde § 180a in den Katalog der Nebenklagedelikte des § 395 Abs. 1 Nr. 1a StPO a.F. aufgenommen und findet sich jetzt in § 395 Abs. 1 Nr. 1 StPO.21
Übersicht I.
Geschütztes Rechtsgut
1
II. 1. 2. 3. 4.
3 Tatbestand des Abs. 1 Der Prostitution nachgehen 6 Betrieb 7 Halten in Abhängigkeit 9 Tathandlungen
III.
Tatbestand des Abs. 2 Nr. 1
11
IV.
Tatbestand des Abs. 2 Nr. 2
14
V.
Subjektiver Tatbestand
VI.
Täterschaft und Teilnahme
18 21
4 22
VII. Vollendung VIII. Sanktion IX.
Konkurrenzen
24 25
I. Geschütztes Rechtsgut 1 § 180a dient nicht der Verhinderung der Prostitution als solcher, will also keinen Schutz vor Prostitution bieten.22 § 180a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 dienen dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung,23 indem Verhaltensweisen pönalisiert werden, die typischerweise geeignet sind, 12 Zur ambivalenten Rezeption der Neubewertung der Prostitution durch das Prostitutionsgesetz Renzikowski MK Rdn. 15 m.w.N. 13 Vgl. Schmidbauer NJW 2005 872 f. 14 BT-Drucks. 15/5657; neu eingebracht als Gesetzentwurf vom 26.4.2006, BT-Drucks. 16/1343. 15 BT-Drucks. 16/4146 S. 29 f. 16 Renzikowksi ZRP 2005 213, 216. 17 BT-Drucks. 16/4146 S. 32, 44. 18 Dazu Renzikowski ZRP 2005 213; Merk ZRP 2006 250. Vgl. auch BT-Drucks. 15/4048; BT-Drucks. 16/1343; BTDrucks. 16/4146 S. 32 f, 44. 19 Zur supranationalen Dimension der Frage nach der Sanktionierung und Regulierung von Prostitution eingehend Renzikowski MK Rdn. 16 ff. 20 BGBl. I 2004 S. 1354; in Kraft getreten am 1.9.2004. 21 Geändert durch das 2. Opferrechtsreformgesetz v. 29.7.2009 – BGBl. I 2009 S. 2280. 22 Fischer Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 2; Wolters SK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1a. 23 So auch Heger StV 2003 350, 351; Renzikowski ZRP 2005 213, 216; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1a; Wolters SK Rdn. 1; Renzikowski MK Rdn. 1; Ziegler BeckOK Rdn. 2; ähnlich Fischer Rdn. 2 f; vgl. auch BT-Drucks. VI/1552 S. 25, 29, BTDrucks. VI/3521 S. 47 und ferner BVerfG NJW 1993 1911, BGHSt 38 95. Anders Frommel NK §§ 180, 180a Rdn. 19. Nestler
314
II. Tatbestand des Abs. 1
§ 180a
Prostituierte in eine Lage zu bringen, in der sie nicht mehr frei über ihr Sexualleben – dazu gehört auch die Freiheit, die Prostitution auszuüben oder sich von der Prostitutionsausübung zu lösen – entscheiden können. § 180a Abs. 2 Nr. 1 dient dem Jugendschutz.24 Jungen Menschen wird eine Schutzzone bis zur Reifung ihrer eigenen Persönlichkeit garantiert, da Minderjährige, die der Prostitution in fremden Räumlichkeiten nachgehen, häufig in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Hausrechtsinhaber geraten können.25 § 180a Abs. 1 will also die persönliche und wirtschaftliche Freiheit Einzelner dadurch schüt- 2 zen, dass sie Handlungsweisen bekämpft, die typischerweise die Unabhängigkeit der Prostituierten beeinträchtigen oder aufheben. Der Abhängigkeit von Prostituierten entgegenwirken will auch die dem früheren Recht (§ 180 Abs. 3 a.F.) entsprechende Bestimmung des § 180a Abs. 2 Nr. 2. Die besonderen Gefahren, die die Prostitutionsausübung für junge Menschen mit sich bringt, berücksichtigt § 180a Abs. 2 Nr. 1.
II. Tatbestand des Abs. 1 § 180a Abs. 1 stellt das gewerbsmäßige Unterhalten oder Leiten eines Betriebs unter Strafe, in 3 dem Personen der Prostitution nachgehen und in dem diese in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden.26
1. Der Prostitution nachgehen Der Begriff der Prostitution deckt sich im Wesentlichen mit dem im früheren Recht verwandten 4 Merkmal der gewerbsmäßigen Unzucht (§ 181a Abs. 1 a.F., dort verwandt für die Prostitution der Frau). Er bezeichnet das Verhalten von Männern und Frauen, die sich gegen Entgelt (§ 11 Abs. 1 Nr. 9) einem individuell nicht bestimmten Kreis von Männern oder Frauen zu Sexualkontakten mit wechselnden Partnern preisgeben oder preisgeben wollen.27 Erfasst wird gleichermaßen die hetero- wie die homosexuelle Prostitution.28 Prostitution liegt nicht schon deshalb vor, weil in einem Einzelfall der Wille auf die Erlangung eines Entgelts für sexuelle Preisgabe gerichtet ist. Auch die Wahllosigkeit des Verkehrs bedeutet noch nicht Prostitution. Erforderlich ist vielmehr die Absicht, sich einer Vielzahl von anderen Sexualpartnern, nicht aber nur bestimmten einzelnen Personen sexuell preiszugeben.29 Gleichgültig ist dabei, wer das Entgelt erhält,30 es muss aber (mit-)ursächlich für die Bereitschaft des Opfers zum Sexualkontakt sein.31 Der Annahme von Prostitution steht nicht entgegen, wenn Sexualkontakte immer nur mit Mitgliedern eines festen Kundenstammes vorgenommen werden.32 Bei den sexuellen Betätigungen braucht es nicht zum Geschlechtsverkehr zu kommen. Denkbar ist auch die Prostitution durch sonstige sexuelle Handlungen mit Körperkontakt und zwar durch solche, die an anderen Personen vorgenommen werden33 oder die der oder die Prostituierte von anderen an sich vornehmen lässt.34 24 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1a; Wolters SK Rdn. 15; Renzikowski MK Rdn. 4; Ziegler BeckOK Rdn. 2; aA Gössel § 5 Rdn. 2: Freiheit der Willensbildung und -betätigung im sexuellen Bereich; Jugendschutzwirkung als bloßer Reflex.
25 Schroeder FS Welzel 859, 870; krit. Renzikowski MK Rdn. 4. 26 Zur Entwicklung der Norm und Rechtsprechung ausführlich noch Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 2 f. 27 Vgl. RGSt 45 264; BGHSt 6 98; BGH NStZ 2000 86; BGH NStZ 2000 368 f; BGH NStZ-RR 1997 294; Renzikowski MK Rdn. 21; Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1a; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; krit. Kühne ZRP 1975 184. 28 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Renzikowski MK Rdn. 21. 29 BGHSt 6 98, 99. 30 BT-Drucks. VI/1552 S. 25; Fischer Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 23. 31 So zutreffend und ausf. zum Entgelterfordernis Renzikowski MK Rdn. 23. 32 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald § 21 Rdn. 7; Schroeder S. 55; Renzikowski MK Rdn. 22. 33 OLG Köln NJW 1974 1830. 34 Vgl. KG NJW 1976 813; Wolters SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 315
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§ 180a
Ausbeutung von Prostituierten
Von Prostitution kann grds. noch nicht gesprochen werden, wenn lediglich sexuelle Handlungen vor anderen bezweckt sind.35 Strippen ist deshalb nicht als Prostitution anzusehen.36 Anders ist es, wenn die sexuellen Handlungen jeweils vor einzelnen Personen vorgenommen werden sollen. Der Begriff des Prostituierens (i.S.v. Bloßstellen) würde zwar auch sexuelle Handlungen vor vielen erfassen. Ein Sichprostituieren (i.S.v. Sichpreisgeben), von dem das Tatbestandsmerkmal Prostitution abzuleiten ist, setzt aber ein Preisgeben an im jeweiligen Einzelfall individualisierbare Partner voraus, zu denen eine – wenn auch nur kurze und emotional indifferente – Beziehung aufgenommen wird.37 Partner i.d.S. muss nicht eine einzige Person sein, es kommen auch mehrere, allerdings von der oder dem Prostituierten als einzelne akzeptierte Personen in Frage. Telefonsex und online-Angebote werden aber nicht erfasst, weil es an der räumlichen Nähe fehlt, ebenso wenig mit einer Webcam live im Internet übertragene sexuelle Darbietungen (siehe aber die Kommentierung zu den Pornografiedelikten). 5 Das Merkmal der Prostitution „nachgehen“ erfasst Handlungen, die unmittelbar auf eine sexuelle Betätigung abzielen, die – wenn sie ausgeführt würden – als Prostitution zu bezeichnen wären.38 Es braucht also nicht tatsächlich zu sexuellen Handlungen zu kommen.39 Auch ein länger andauerndes Verhalten ist nicht erforderlich; vielmehr meint nachgehen in diesem Kontext schlichtes Ausüben der Prostitution, welches bereits durch eine Handlung verwirklicht werden kann.40 Telefonate zur Anbahnung eines Hausbesuchs bei einem Freier allein reichen aber genauso wenig41 wie bloße Verhandlungen potentieller Prostituierter mit einem Bordellbetreiber.42
2. Betrieb 6 Der Betrieb i.S.d. § 180a Abs. 1 hat eine organisatorische und eine räumliche Komponente.43 Organisatorisch verlangt er eine nicht nur vorübergehende Zusammenfassung von mindestens zwei Prostituierten44 zum Zwecke der Gewinnerzielung.45 An einer solchen organisatorischen Zusammenfassung fehlt es, wenn Räume an Prostituierte vermietet werden, die ihrer Tätigkeit selbständig nachgehen.46 Es bedarf deshalb der organisatorischen Zusammenfassung von mindestens zwei Prostituierten mit dem Ziel, den gemeinsamen Verdienst oder den des Betriebes zu erhöhen.47 Eine typische betriebliche Organisationsform liegt vor, wenn die Besucher bestimmten Prostituierten zugewiesen werden. Damit ist zugleich die räumliche Komponente,48 die dem Begriff des Betriebes innewohnt, angesprochen. Der Betrieb muss einen räumlichen 35 So auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Fischer Rdn. 5; Renzikowski MK Rdn. 21; Wolters SK Rdn. 4. 36 Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1a. 37 So auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Fischer Rdn. 5; restriktiver und solche Handlungen unabhängig von einem Individualisierungsverhältnis aus dem Tatbestand nehmend Renzikowski MK Rdn. 21. In diese Richtung wohl auch Renzikowski MK Rdn. 24. BGHSt 23 167, 173; OLG Karlsruhe MDR 1974 858. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Renzikowski MK Rdn. 24; Gössel § 5 Rdn. 6; aA Wolters SK Rdn. 6. Wie hier Wolters SK Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 24; aA BayObLG MDR 1989 181 mit abl. Anm. Behm JZ 1989 301. 42 BGH NStZ-RR 1997 294; Renzikowski MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1a. 43 Wolters SK Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 25. 44 BGH NJW 2000 1732, 1736; BGH NStZ 1995 179; Wolters SK Rdn. 3; Ziegler BeckOK Rdn. 4; Fischer Rdn. 7; BayObLG NJW 1994 2370. 45 Renzikowski MK Rdn. 25; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. 46 Ziegler BeckOK Rdn. 4; Fischer Rdn. 7; OLG Frankfurt NJW 1978 386; Renzikowski MK Rdn. 25; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 4. 47 OLG Frankfurt NJW 1978 386. 48 Dieses Erfordernis fließt sowohl aus der Entstehungsgeschichte als auch dem Gesetzeswortlaut („in“), so auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4.
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II. Tatbestand des Abs. 1
§ 180a
Mittelpunkt haben und nicht lediglich eine Telefonzentrale49 sein, die Kontaktgespräche an einzelne Prostituierte vermittelt, die in eigenen Räumlichkeiten ihren Tätigkeiten nachgehen. Nicht unbedingt notwendig ist es, dass die Prostitution selbst in Räumen des Betriebes ausgeführt werden kann; es genügt die Anbahnung in den Räumen des Betriebes.50 Eine typische Betriebsform liegt allerdings vor, wenn der Betrieb auch die Räume für die Prostitutionsausübung selbst zur Verfügung stellt. Der Betrieb muss nicht als Ganzes der Prostitution dienen. So spielt es keine Rolle, ob neben der Prostitution auch andere Leistungen angeboten werden.51 Der Tatbestand erfasst auch Mischformen, in denen die Förderung der Prostitution von anderen legalen Zwecken verdeckt wird; dass der Betrieb eine eigenständige Einrichtung sein müsste, wird weder vom Gesetzeswortlaut noch vom Schutzzweck der Norm gefordert.52
3. Halten in Abhängigkeit Abs. 1 setzt voraus, dass zumindest eine53 der Personen, die in dem Betrieb der Prostitution 7 nachgehen, in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten wird.54 Die Vorschrift umschreibt das klassische Bordell.55 Persönliche Abhängigkeit liegt vor, wenn die betroffene Person in ihrer Lebensführung entscheidend vom Betrieb bestimmt wird. Erforderlich ist dabei, dass sie im Rahmen der Ausübung ihrer Tätigkeit weitgehend zu eigener Disposition nicht befugt und einem anderen unterworfen ist.56 Nicht erfasst sind Weisungen des Arbeitgebers, etwa betreffend die Zeit der Tätigkeit oder die zu tragende Kleidung, im Rahmen eines einvernehmlich begründeten Beschäftigungsverhältnisses.57 Wirtschaftliche Abhängigkeit ist gegeben, wenn die Person in ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit in einer Weise beschränkt wird, dass ihr ein Abstandnehmen von der Prostitutionsausübung entscheidend erschwert wird.58 Das liegt schon vor, wenn ihr die Einnahmen aus der Prostitutionstätigkeit ganz oder zu einem erheblichen Teil vorenthalten werden mit der Folge, dass sie keine Rücklagen bilden oder Vorsorge für die Zukunft treffen kann, so dass sie im Extremfall täglich aufs Neue auf Einnahmen aus der Prostitutionstätigkeit angewiesen ist, um zu existieren.59 Der Feststellung einer Ausbeutung 49 Callgirl-Ringe werden nicht erfasst, eine Strafbarkeit kann aber aus § 181a Abs. 2 folgen, vgl. BT-Drucks. VI/1552 S. 20, BT-Drucks. VI/3521 S. 42, 50, Wolters SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Ziegler BeckOK Rdn. 5; Fischer Rdn. 8; Maurach/Schroeder/Maiwald I § 21 Rdn. 11. Damit unterfällt die Organisation einzelner Formen von Straßenprostitution nicht dem Tatbestand; erfasst werden kann sie aber, wenn diese in räumlich-organisatorischer Hinsicht den Anforderungen eines Betriebes genügt, so zutreffend Fischer Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 26; Frommel NK §§ 180, 180a Rdn. 19; dagegen von Galen Rechtsfragen der Prostitution, S. 327 f; Gössel § 5 Rdn. 10; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4. 50 Wie hier Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Renzikowski MK Rdn. 26; Gössel § 5 Rdn. 10; Schroeder S. 56; vgl. auch BTDrucks. 6/1552 S. 26; aA Wolters SK Rdn. 3. 51 Fischer Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 27. 52 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Renzikowski MK Rdn. 27; dagegen Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4. 53 BGH NJW 1995 1687; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Renzikowski MK Rdn. 28; Wolters SK Rdn. 8. 54 BGH NStZ 1995 179. 55 Vgl. RGSt 62 341, 342. 56 Dies ist bspw. der Fall, wenn etwa vorgeschrieben wird, mit wem die prostituierte Person zu welchem Entgelt zu verkehren oder welche sexuellen Leistungen sie zu erbringen hat, oder wenn ihr verboten wird, der Prostitution auf eigene Rechnung außerhalb des Betriebes nachzugehen. Siehe zum Ganzen auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Fischer Rdn. 11; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Renzikowski ZRP 2005 216; Renzikowski MK Rfn. 28. 57 Renzikowski MK Rdn. 28; Heger StV 2003 351; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 8. 58 So in der Sache auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8 unter Rekurs auf Heger StV 2003 351; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 8. 59 Vgl. OLG Köln NJW 1974 1830, 1831 (allerdings zu § 180a Abs. 1 Nr. 2): Entgeltaufteilung 80 % für Betriebsinhaber, 20 % für Prostituierte „nicht mehr hinnehmbare Einschränkung“; anders KG NJW 1976 813: bei 50 bis 80 DM Einnahmen 20 DM Abgaben keine Abhängigkeit (zweifelhaft); auch KG MDR 1977 862: Bei einer Aufteilung 30:70 keine Abhängigkeit (zweifelhaft). 317
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§ 180a
Ausbeutung von Prostituierten
(dazu § 181a Abs. 1 Nr. 1) bedarf es nicht.60 Wirtschaftliche Abhängigkeit ist vielmehr bereits dann gegeben, wenn die betroffene Person – ohne dass ein Ausbeuten vorliegt – in ihren Rechten so beschränkt ist, dass sie sich dem Betrieb nicht oder nur schwer entziehen kann. 8 Die Prostituierten müssen in dem Betrieb in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden. Damit ist gemeint, dass Maßnahmen vorliegen müssen, die es den Prostituierten durch Druck oder sonstige gezielte und fortdauernde Einwirkung einseitig, d.h. gegen den freien Willen der betreffenden Personen, erschweren, sich aus dem Betrieb, von dem sie persönlich oder wirtschaftlich abhängig sind, zu lösen,61 bspw., wenn sie den Betrieb nur in Begleitung verlassen dürfen,62 ihnen der Lohn nicht ausgezahlt wird63 oder Ausländern die Ausweispapiere weggenommen werden.64 Ein einvernehmlich begründetes und auch jederzeit beendbares (!) Beschäftigungsverhältnis, aus dem sich die Prostituierten jederzeit ohne dramatische Konsequenzen lösen können, reicht auch dann nicht, wenn die Arbeitsumstände persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit begründen.65 Die Einwirkungen müssen von dem Verantwortlichen des Betriebes entweder getroffen oder jedenfalls von ihm mitverantwortet worden sein.66 Es reicht nicht aus, dass bestehende Abhängigkeiten von außenstehenden Dritten, die den Betrieb weder unterhalten noch leiten, lediglich geduldet werden.67 Die Abhängigkeit muss also von dem Betrieb bestehen, somit von den Personen, die diesen unterhalten oder leiten.68 Das ist auch gegeben, wenn frühere Abhängigkeitsverhältnisse übernommen und für die Zukunft in eigener Verantwortlichkeit fortgeführt werden.69 Entsprechendes gilt beim Wechsel des Inhabers oder Leiters des Betriebes. Das Ausnutzen früherer Abhängigkeit bei der Einstellung in den Betrieb, ohne Fortführung oder Erneuerung des alten Abhängigkeitsverhältnisses bei der Prostitutionsausübung, reicht nicht aus.
4. Tathandlungen 9 Erfasst durch Abs. 1 sind nur Betriebe, die bestimmte die Freizügigkeit der Prostituierten einschränkende Maßnahmen treffen. Täter kann dabei nur der sein, der Verantwortung für den Betrieb hat, nämlich derjenige, der den Betrieb gewerbsmäßig unterhält oder leitet. Einen Betrieb unterhält der Inhaber, der an Gewinn und Verlust teilnimmt und der bestimmenden Einfluss auf die Betriebsführung hat.70 Eine nach außen wirkende aktive Tätigkeit ist nicht notwendig.71 Inhaber in diesem Sinne kann auch eine Personengruppe sein, und zwar auch eine solche, die zwar nicht formal als Inhaberin auftritt, aber tatsächlich bestimmenden Einfluss auf die Betriebsführung nimmt, wie etwa die Zuhälterorganisation,72 die im Hintergrund bleibt, aber tatsächlich hinter der formal als Inhaber auftretenden Person die Geschicke des Betriebes lenkt. 60 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 8; Renzikowski MK Rdn. 29; Maurach/Schroeder/Maiwald I § 21 Rdn. 12. 61 Vgl. BT-Drucks. 14/5958, S. 5; BGH StV 2003 617; BayObLG StV 2004 210, 211; OLG Düsseldorf StV 2003 165; Wolters SK Rdn. 8; abw. Heger StV 2003 351. 62 BGH NJW 2000 1732, 1736. 63 BGH Beschl. v. 19.11.2002 – 1 StR 313/02. 64 BGH NStZ 1995 179, 180. 65 Differenzierend wie hier Renzikowski MK Rdn. 30. Den Schwerpunkt auf der jederzeitigen und konsequenzenlosen Beendigungsmöglichkeit sehen auch BT-Drucks. 14/5958 S. 5; BGH StV 2003 617; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; s. auch Gössel § 5 Rdn. 16; Wolters SK Rdn. 9. Auf das freiwillige Eingehen abstellend BGH StV 2003 617. 66 BGH NStZ 1995 179, 181; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; differenzierend Fischer Rdn. 18 f. 67 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. 68 BT-Drucks. 7/514 S. 9; Renzikowski MK Rdn. 31; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 8; vgl. Fischer Rdn. 17. 69 BT-Drucks. VI/1552 S. 25; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Renzikowski MK Rdn. 31. 70 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Renzikowski MK Rdn. 32; Ziegler BeckOK Rdn. 6. 71 BGH Beschl. v. 14.10.1977 – 2 StR 192/77; auch Renzikowski MK Rdn. 32. 72 BT-Drucks. VI/3521 S. 48; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Renzikowski MK Rdn. 32. Nestler
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III. Tatbestand des Abs. 2 Nr. 1
§ 180a
In solchen Fällen unterhält den Betrieb sowohl die formal als Inhaber auftretende Person als auch die tatsächlich führende Personengruppe. Leiter des Betriebes ist derjenige, dem die Geschäftsführung verantwortlich übertragen ist oder der sie faktisch übernimmt73 und der dementsprechend auch selbständig an Stelle des Betriebsinhabers handelt. Der Begriff des Leitens betont daher stärker die Direktionsbefugnis und ist unabhängig von der Teilhaberschaft.74 Das Unterhalten oder Lenken des Betriebes muss gewerbsmäßig geschehen. Gewerbsmäßig- 10 keit setzt voraus, dass sich der Täter durch wiederholte Begehung der Tat eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen will.75 Bei dem Dauerdelikt des § 180a ist Gewerbsmäßigkeit schon dann gegeben, wenn sich der Täter aus wiederholter Begehung von Teilakten des Dauerdeliktes eine Einnahmequelle verschaffen will. Liegt ein derartiges Gewinnstreben vor, ist schon die erste der ins Auge gefassten Tathandlungen als gewerbsmäßig anzusehen, auch wenn es nicht zu weiteren Straftaten kommt.76 Die Entscheidung des BGHs in StraFo 2008 477 steht dem nicht entgegen. Der dort ausgeurteilte Menschenhandel ist kein Dauerdelikt, sondern mit der Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder der Vornahme sexueller Handlungen beendet. Nicht erforderlich ist, dass der Täter beabsichtigt, seinen Lebensunterhalt allein oder überwiegend durch die Begehung von Straftaten zu bestreiten, etwa bei Verwendung des erlangten Geldes zur Abtragung alter Verbindlichkeiten.77 Mittelbare Vorteile reichen aus.78 Gewerbsmäßigkeit setzt eigennütziges Handeln voraus.79 Fließen die Einnahmen einer Gesellschaft zu, muss der Täter entweder direkten Zugriff auf sie haben oder sie müssen ihm mittelbar, als Gehaltszahlung oder Gewinnbeteiligung, zufließen.80
III. Tatbestand des Abs. 2 Nr. 1 § 180a Abs. 2 Nr. 181 schützt Jugendliche. Die Vorschrift setzt voraus, dass ihnen Wohnung, ge- 11 werbsmäßig Unterkunft oder gewerbsmäßig Aufenthalt gewährt wird, und zwar zur Ausübung der Prostitution. Das Merkmal der Wohnungsgewährung setzt die (entgeltliche oder unentgeltliche) Überlassung eines Raumes – auch einer Schlafstelle82 – zum längeren Gebrauch voraus.83 Gleichgültig ist, ob ein rechtlich verbindlicher Mietvertrag geschlossen ist und ob ein solcher von der oder dem Prostituierten selbst oder von Dritten vereinbart ist.84 Polizeiliche Meldung ist nicht erforderlich.85 Das Wohnheim der Prostituierten ist Wohnung, wenn es der Mittelpunkt des Lebens der oder des Prostituierten ist und nicht nur für die Ausübung der Sexualkontakte benutzt wird. Anders ist es beim Absteigequartier oder einem Hotelzimmer, das nur für kurze Zeit aufgesucht wird. Werden solche Räumlichkeiten, auf welcher rechtlichen Basis auch immer, überlassen, so wird Unterkunft gewährt, sodass als Unterkunft auch zum Übernachten geeignete, aber nur kurzzeitig benutzte Räumlichkeiten anzusehen sind.86 Aufenthalt wird gewährt in Räumlichkeiten, in denen sich Personen nur vorübergehend aufzuhalten pflegen, wie 73 Vgl. BGHSt 31 118. 74 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Renzikowski MK Rdn. 32; Fischer Rdn. 20; Wolters SK Rdn. 10; vgl. auch BGH NJW 1993 3210. 75 BGHSt 1 383; BGHSt 49 177, 181; BGH NStZ 2007 638. 76 BGHSt 49 177, 181. 77 BGH NStZ 2004 265. 78 BGH NStZ 1983 262. 79 BGH NStZ 2008 282. 80 BGH wistra 2008 104; BGH wistra 2008 261. 81 Normkritisch Wolters SK Rdn. 15. 82 RGSt 71 293, 294. 83 RGSt 62 221; BGH MDR/D 1952 273; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12; Fischer Rdn. 24; Renzikowski MK Rdn. 34. 84 BGHSt 10 192, 193; Renzikowski MK Rdn. 35; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13. 85 BGH MDR/D 1952 273. 86 Renzikowski MK Rdn. 34; Fischer Rdn. 22; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12; aA Frommel NK §§ 180, 180a Rdn. 31. 319
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§ 180a
Ausbeutung von Prostituierten
etwa in Bars, Massagesalons, aber auch in sonstigen zu Zwecken der Ausübung von Sexualkontakten kurzfristig aufgesuchten geschlossenen Räumen, die nicht notwendig überdacht zu sein brauchen.87 Dass damit Minderjährige auf die Straßenprostitution angewiesen sind, hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen.88 12 Das Überlassen der Räumlichkeiten ist nur dann tatbestandsmäßig, wenn es zur Ausübung der Prostitution geschieht. Das Merkmal der Prostitutionsausübung bezeichnet alle Handlungen, die mit der Prostitution89 in unmittelbarem Zusammenhang stehen, also die Vornahme der sexuellen Handlung selbst, die ihrer Vorbereitung dienenden, wie die Anbahnung des Kontaktes,90 aber auch Handlungen, die ihr nachfolgen, wie die Entgegennahme des Entgeltes. Der Tatbestand erfordert eine Übereinkunft zwischen dem Jugendlichen und dem Überlasser des Raumes, die nicht rechtlich verbindlich zu sein braucht und auch konkludent geschlossen sein kann, mit dem Inhalt, dass die Wohnung zur Ausübung der Prostitution zur Verfügung steht und dass die Prostitution gerade darin ausgeübt werden soll.91 Verheimlicht der Minderjährige dem Überlassenden sein Prostitutionsvorhaben, scheidet eine Strafbarkeit aus.92 Die Tat kann deshalb auch nicht durch Unterlassen begangen werden. Zwar kann die Gewährung der Räumlichkeit auch in einem Unterlassen bestehen, wenn der Jugendliche nicht zur Rückgabe aufgefordert wird. Stets muss jedoch die Vereinbarung hinzukommen, dass der Raum zur Ausübung der Prostitution belassen bleibt.93 Die Prostitution muss mit „Wissen und Wollen“94 des Überlassers der Räumlichkeit in dieser – und nicht anderswo – ausgeübt werden.95 Da der Begriff der Ausübung der Prostitution alle Handlungen erfasst, die mit der sexuellen Handlung in unmittelbarem Zusammenhang stehen, insbesondere auch die Anbahnung, reicht es aus, dass die Räumlichkeit zu Zwecken der Ermöglichung von Handlungen, die der sexuellen Handlung vorausgehen oder ihr unmittelbar nachfolgen, zur Verfügung gestellt wird, gänzlich ungeachtet der tatsächlichen Prostitutionsausübung.96 Deshalb handelt auch der Inhaber einer Bar tatbestandsmäßig, der Jugendlichen in der Bar Möglichkeiten zur Anbahnung von Sexualkontakten gibt.97 Anders als das Gewähren von Wohnung ist das Gewähren von Unterkunft oder Aufenthalt 13 nur erfasst, wenn es gewerbsmäßig geschieht. Gewerbsmäßig handelt derjenige, der sich aus wiederholter Gewährung von Unterkunft oder Aufenthalt eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen will.98 Dabei muss es ihm nicht darum gehen, gerade aus der Unterkunftsgewährung usw. zu Prostitutionszwecken in Bezug auf Minderjährige
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Wolters SK Rdn. 16; Renzikowski MK Rdn. 34; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. Vgl. BT-Drucks. VI/1552 S. 27; zu Recht krit. Schroeder JR 2002 409; Wolters SK Rdn. 16. Siehe Rdn. 5. So ausdrücklich auch Renzikowski MK Rdn. 36; Wolters SK Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13. BGH v. 30.9.1980 – 1 StR 419/80; Renzikowski MK Rdn. 36; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 809. 92 Renzikowski MK Rdn. 36; Wolters SK Rdn. 17. 93 Dass die geforderte Übereinkunft konkludent erfolgen kann, steht außer Frage. Schwerlich möglich ist aber, dass die erforderliche Abrede durch schlichte Duldung zustande kommt (so bereits die Vorauflage; ebenso Matt/ Renzikowski/Eschelbach Rdn. 15; anders BT-Drucks. 7/514 S. 9; Renzikowski MK Rdn. 36; Wolters SK Rdn. 19). Folgt man der Gegenauffassung und lässt ein bloßes Dulden ausreichen, so kann der Tatbestand auch Konstellationen erfassen, in denen der minderjährige Prostituierte die Wohnung „heimlich“ zu sexuellen Dienstleistungen nutzt, woraufhin der Wohnungsinhaber, dem dies zur Kenntnis gelangt, die Räumlichkeit schlicht nicht herausverlangt. Für Barbetreiber wird dies mit Blick auf § 3 Abs. 3 JÖSchG diskutiert (dafür Renzikowski MK Rdn. 36; dagegen u.a. die Vorkommentierung und Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13). 94 So BGHSt 9 71, 75. 95 BGHSt 9 71, 75; BT-Drucks. 6/3521 S. 48; Fischer Rdn. 23; Renzikowski MK Rdn. 36; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13. 96 Renzikowski MK Rdn. 36; Wolters SK Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Fischer Rdn. 23. 97 BT-Drucks. 7/514 S. 9; so auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13 unter Rekurs auf den jugendschützenden Telos der Norm. Anders Renzikowski MK Rdn. 38, der diese Konstellation vorwiegend über eine Unterlassensstrafbarkeit regeln möchte. 98 Vgl. Rdn. 11. Nestler
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IV. Tatbestand des Abs. 2 Nr. 2
§ 180a
Gewinn zu erzielen; vielmehr muss es aus teleologischen Gesichtspunkten ausreichen, wenn der Täter überhaupt gewerbsmäßig zu Prostitutionszwecken Unterkunft oder Aufenthalt gewährt und dabei auch nur einmal eine Person unter 18 Jahren bei sich aufnimmt.99 § 180a Abs. 2 ist Dauerstraftat, soweit es sich um die Förderung der Prostitution einer einzigen Person handelt. Bei der Förderung der Prostitution einer einzigen Person ist Gewerbsmäßigkeit schon dann gegeben, wenn sich der Täter in immer neuen Teilen der Dauerstraftat die Einnahmequelle sucht. Da der Tatbestand die Gewährung von Räumlichkeit zu Zwecken der Prostitutionsausübung voraussetzt, muss der Täter für möglich halten und billigen, dass er im Ergebnis aus dieser seine Einnahme hat. Das Zurverfügungstellen des Raumes braucht allerdings nicht entgeltlich zu sein.100 Für die Gewerbsmäßigkeit in Bezug auf das Gewähren einer Räumlichkeit zu Zwecken der Prostitutionsausübung reicht es aus, wenn die vom Täter erwarteten Einnahmen nur mittelbar aus der Prostitutionsausübung kommen sollen.101 Es genügen deshalb die von einem Barbesitzer erwarteten Umsatzsteigerungen.102
IV. Tatbestand des Abs. 2 Nr. 2 Die Vorschrift betrifft die Gewährung einer Wohnung103 – nicht von Unterkunft oder Aufent- 14 halt104– zur Ausübung der Prostitution.105 Dies ist strafbar, wenn der Gewährende denjenigen, dem er Wohnung gewährt, zur Prostitution anhält oder im Hinblick auf sie ausbeutet. Der Begriff des Anhaltens, den das Gesetz bereits in § 180 Abs. 3 StGB a.F. verwandt und 15 in der Erwartung gleicher Auslegung unverändert in § 180a Abs. 2 Nr. 2 übernommen hat,106 setzt eine andauernde und nachdrückliche Beeinflussung voraus, die nicht nur in gelegentlichen Äußerungen besteht, wobei die Grenze zur Nötigung noch nicht überschritten sein muss.107 Inhaltlich muss sich das Anhalten auf die Erfüllung des Zwecks der Vermietung, mithin der Ausübung der Prostitution in der Wohnung richten.108 Das bloße Beharren auf dem Verlangen nach Prostitutionsausübung kann tatbestandsmäßig sein, wenn es oft und nachdrücklich geschieht.109 Anhalten setzt voraus, dass die betreffende Person jedenfalls auf Prostitution gerichtete Handlungen vornimmt und damit dem Anliegen des die Wohnung Gewährenden ernsthaft nachkommt.110
99 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 810; auch Renzikowski MK Rdn. 40. 100 Wolters SK Rdn. 18; Renzikowski MK Rdn. 40; Fischer Rdn. 24. 101 Vgl. Rdn. 11. 102 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; Wolters SK Rdn. 18; Renzikowski MK Rdn. 40. 103 Dazu Rdn. 11. 104 BGHSt 10 192, 193; siehe auch BT-Drucks. 7/514 S. 9 f; BGH NStZ 1983 220; Renzikowski MK Rdn. 41; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 15.
105 Dazu Rdn. 12. 106 BT-Drucks. VI/1552 S. 27. 107 Renzikowski MK Rdn. 42; BGH NStZ 1983 220; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 812; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 16. 108 So Renzikowski MK Rdn. 42; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 812; Wolters SK Rdn. 26. 109 BGH NStZ 1983 220. 110 Ähnlich wie hier Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16 mit dem schlichten Verweis auf die Fragwürdigkeit der Bestrafung bei „erfolglosem“ Anhalten; dezidierter Renzikowski MK Rdn. 43, der mit Verweis auf die Selbstbestimmtheit der vorgenommenen Handlung bei einer so niedrigen Einwirkungsschwelle ein strafbarkeitsbegrenzendes Förderlichkeitskriterium fordert; ähnlich auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 20. Anders wohl Wolters SK Rdn. 26; so auch Fischer Rdn. 26 und Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 813, die davon ausgehen, dass das Anhalten nicht erfolgreich gewesen sein muss. 321
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§ 180a
Ausbeutung von Prostituierten
Das Merkmal des Ausbeutens ist auch in § 181a Abs. 1 Nr. 1 verwandt. Die dort zur Auslegung herangezogenen Kriterien sind nicht ohne weiteres auf § 180a Abs. 2 Nr. 2 übertragbar,111 weil in § 180a Abs. 2 Nr. 2 das für § 181a Abs. 1 Nr. 1 spezifische Abhängigkeitsverhältnis fehlt. Der BGH112 hat als Ausbeuten i.S.d. § 180a Abs. 2 Nr. 2 schon das gewinnsüchtige Ausnutzen der Prostitution als Erwerbsquelle bezeichnet. Dieser weiten Auslegung ist nicht zuzustimmen.113 Der Definition fehlen die zu § 181a Abs. 1 Nr. 1 entwickelten einengenden Kriterien: Nach diesen wird man von Ausbeuten i.S.d. § 180a Abs. 2 Nr. 2 nur sprechen dürfen, wenn der Täter durch planmäßiges und eigensüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle114 eine spürbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der (oder des) Prostituierten herbeiführt.115 Diese Merkmale des Begriffes der Ausbeutung in § 181a116 müssen auch auf § 180a Abs. 2 Nr. 2 übertragen werden, da eine unterschiedliche Auslegung des Tatbestandsmerkmals „ausbeuten“ in § 180a und § 181a nur insoweit angebracht ist, als dies durch die Unterschiedlichkeit der Vorschriften gerechtfertigt ist: Das gilt für das in § 181a zusätzlich entwickelte Merkmal der Ausbeutung „auf der Grundlage eines Abhängigkeitsverhältnisses“. Dieses einschränkende Kriterium ist auf § 180a Abs. 2 Nr. 2 nicht übertragbar; denn hier ist Grundlage der Ausbeutung nicht das in § 181a Abs. 1 Nr. 1 bezeichnete Abhängigkeitsverhältnis.117 Sie erfolgt vielmehr im Hinblick auf die Wohnungsgewährung zur Prostitutionsausübung. Das Opfer wird in Beziehung auf diese ausgebeutet, wenn der Täter das Bedürfnis der Prostituierten, der Prostitution irgendwo nachgehen zu können, ausnutzt.118 Ob die Prostituierte dem Wohnungsgewährenden selbst Leistungen erbringt oder dies ein Dritter tut, ist gleichgültig,119 wenn nur die Tatsache, dass überhöhte Leistungen erbracht werden müssen, im Ergebnis zu einer spürbaren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Prostituierten führt, etwa deshalb, weil der zahlende Dritte der Prostituierten Abzüge macht. Im Einzelnen ist zu dem Merkmal der Ausbeutung noch Folgendes auszuführen: Planmäßiges 17 und eigensüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle bedeutet, dass die von der (oder dem) Prostituierten (u.U. von einem Dritten) erlangten Vorteile mit der Prostitution in ursächlichem Zusammenhang stehen. Angemessene Aufschläge auf die Raummiete erfüllen das Merkmal der Ausnutzung noch nicht.120 Neben der reinen Raummiete ist eine Vergütung für beson-
16
111 Wie hier auch Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 814; aA Wolters SK Rdn. 28; Fischer Rdn. 27; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17. Siehe auch Renzikowski MK Rdn. 44, Fn. 123 („im Ergebnis nicht anders“). 112 MDR/D 1974 722. 113 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7. 114 Das ist die Formulierung, die der BGH StV 1984 334; BGH NStZ 1983 220 zu § 181a entwickelt hat. Diese Formulierung wird auch in neueren Entscheidungen verwendet, etwa BGH NStZ 1989 67; BGH Urt. v. 3.3.1999 – 2 StR 608/98; BGH Beschl. v. 20.4.2004 – 4 StR 67/04. Andere Entscheidungen benutzen andere Formulierungen, so das Urt. v. 27.4.1982 – 1 StR 62/82 (planmäßiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung in gewinnsüchtiger Absicht) oder jenes v. 24.2.1981 – 1 StR 715/80 (eigensüchtig und planmäßig als Erwerbsquelle missbraucht). Die hier nicht übernommenen Kriterien enthalten eine zusätzliche subjektive (Absichts-)Komponente oder eine Missbrauchsklausel, die nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift nicht erforderlich ist und die auch die Rechtsprechung zur alten Fassung des § 181a (eigensüchtige Ausnutzung) nicht verwandt hat (BGHSt 15 37, 40). 115 BGH GA 1987 261; Fischer Rdn. 27; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Renzikowski MK Rdn. 46. Dass die Ausbeutung zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Prostituierten führen muss, entspricht bei § 181a inzwischen ganz herrschender Meinung (Wolters SK § 181a Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele § 181a Rdn. 4; Fischer § 181a Rdn. 7). Der BGH hat das Erfordernis in einer Reihe von Entscheidungen festgeschrieben (BGH MDR/D 1974 546, 722, 723; BGH MDR 1977 282; BGH MDR 1983 91; BGH NStZ 1982 507; BGH NStZ 1983 220; BGH NStZ 1989 67; BGH NStZ-RR 2007 46, 47; BGH Beschl. v. 20.4.2004 – 4 StR 67/04. Für § 180a Abs. 2 ist das Gleiche zu fordern (vgl. aber BGHSt 10 192, 194: keine Bedrängnis notwendig). 116 Dort Rdn. 3 ff. 117 Dagegen Schroeder S. 57. 118 Siehe auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Fischer Rdn. 27. 119 BGHSt 10 192; Renzikowski MK Rdn. 47. 120 Krit. hierzu Renzikowski MK Rdn. 45 mit Verweis auf die strukturell höheren Mieten bei gewerblicher Vermietung. Nestler
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VI. Täterschaft und Teilnahme
§ 180a
dere Leistungen zulässig; auch ein mäßiger Unbequemlichkeitszuschlag für die Entwertung anderer Räume, das Schädigen des Rufs, den Verkehr mit zweifelhaften Personen oder ähnliches, ist zulässig.121 Sind die Aufschläge überhöht und erfüllen sie das Merkmal der planmäßigen und eigensüchtigen Ausnutzung, so sind sie, wie ausgeführt, nur tatbestandsmäßig, wenn sie zu einer spürbaren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der (oder des) Prostituierten führen.122
V. Subjektiver Tatbestand Sämtliche Tatbestandsalternativen verlangen – zumindest bedingten – Vorsatz, bei einzelnen 18 Merkmalen ist Absicht erforderlich. Im Einzelnen gilt Folgendes: Die Tatbestandsmerkmale des Abs. 1 müssen, abgesehen von dem der Gewerbsmäßigkeit,123 19 welches das Absichtselement enthält, dass sich der Täter eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen will,124 zumindest mit bedingtem Vorsatz erfüllt sein. Soweit Merkmale in Frage stehen, die eine Bewertung erforderlich machen (Abhängigkeit), muss der Täter die Umstände für möglich halten und billigen, die sein Verhalten zum tatbestandsmäßigen machen. Entsprechendes gilt für Abs. 2. Das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit125 verlangt Absicht, 20 ebenfalls der Begriff zur Ausübung der Prostitution,126 der ein zielgerichtetes Verhalten voraussetzt. Bezüglich der anderen Elemente des Tatbestandes genügt dolus eventualis. So muss der Täter bei Abs. 2 Nr. 1 nur für möglich halten und billigen, dass er Einnahmen aus der Prostitutionsausübung bezieht. Beim Merkmal des Anhaltens in Abs. 2 Nr. 2 erfordert der Vorsatz mindestens das Fürmöglichhalten und die Billigung der Umstände, die das Verhalten des Täters zu einer andauernden und nachdrücklichen Beeinflussung machen.127 Entsprechendes gilt bei der Ausbeutung. Dort muss der Täter die Umstände für möglich halten und billigen, nach denen sein Verhalten als planmäßiges und eigensüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle zu bewerten ist. Dass es zu einer spürbaren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der oder des Prostituierten kommt, muss er für möglich halten, und er muss damit einverstanden sein.128 Das gilt auch für das Erfordernis, dass der Täter den (weiblichen oder männlichen) Prostituierten im Hinblick auf die Wohnungsgewährung ausbeutet.
VI. Täterschaft und Teilnahme Täter (auch mittelbarer Täter) kann – abgesehen von Abs. 1129 – jedermann sein. Bei Abs. 1 kann 21 Täter nur sein, wer den Betrieb gewerbsmäßig unterhält oder leitet. Mittelbare Täterschaft ist nicht
121 RGSt 62 341, 345; RGSt 63 166; BGH Urt. v. 11.2.1959 – 2 StR 597/58; BayObLG NJW 1955 1198; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 17; Fischer Rdn. 27; krit. Renzikowski MK Rdn. 45; abl. Becker FamRZ 1956 8 ff; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 21. 122 Vgl. dazu § 181a. 123 Rdn. 10. 124 BGHSt 1 383; BGHSt 49 177, 181; BGH MDR/D 1975 725; so auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18. 125 Rdn. 13. 126 Rdn. 12. 127 Krit. und zielgerichtetes Handeln fordernd Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; Renzikowski MK Rdn. 48; Gössel § 5 Rdn. 25. 128 BGH MDR 1983 91; in diese Richtung auch Renzikowski MK Rdn. 49; abermals krit. und zielgerichtetes Handeln fordernd Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18. 129 Siehe Rdn. 9. 323
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§ 180a
Ausbeutung von Prostituierten
ausgeschlossen,130 denn die Vorschrift ist kein Sonderdelikt,131 das an bestimmte formale Positionen anknüpft.132 Die Strafbarkeit des Teilnehmers richtet sich nach den allgemeinen Regeln; Prostituierte sind als diejenige, die durch die Vorschrift geschützt sind, als notwendige Teilnehmer stets straflos.133 Teilnahme ist auch durch Unterlassen möglich, sofern man eine entsprechende Garantenstellung annehmen will.134 Dies hat der BGH bejaht für den Leiter eines Ordnungsamtes, dem nach dem Gaststättengesetz das ordnungspolizeiliche Vorgehen gegen Betriebe, die die Prostitutionsausübung fördern, obliegt.135 Keine Garantenpflicht hinsichtlich der Verhinderung künftiger Prostitutionsausübung haben dagegen Beamte der Kriminal- oder Schutzpolizei, die von der Förderung der Prostitutionsausübung außerdienstlich erfahren.136 Der BGH ist in diesen Fällen ohne weiteres von Beihilfe ausgegangen. Die Gewerbsmäßigkeit ist ein besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1.137 § 28 Abs. 1 gilt dagegen nicht für die sonstigen Merkmale der Tatbestandsvarianten. Soweit das Gesetz an die Stellung des Täters (Abs. 1) oder die Eigenschaft als Wohnungsinhaber (Abs. 2) anknüpft, nimmt es keine außerstrafrechtlichen Sonderpflichten in Bezug.138 Die Beschränkung des Täterkreises ergibt sich vielmehr „aus der Beschaffenheit des vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Wirklichkeitsausschnittes“.139 Kunden sind auch bei Kenntnis der Tatumstände keine Teilnehmer, wenn ihr Verhalten nicht über bloße Beihilfe oder Anstiftung hinausgeht.140 Siehe hierzu aber die Kommentierung bei § 181a.
VII. Vollendung 22 Abs. 1 ist vollendet, sobald eine Handlung, die die prostituierte Person in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit hält, stattgefunden hat.141 Beendet ist die Tat des Abs. 1, die – soweit sie sich gegen eine Person richtet – Dauerdelikt ist,142 erst mit dem letzten jeweils eine Prostituierte betreffenden Akt.143
130 Dagegen Fischer Rdn. 30. 131 Wie hier Renzikowski MK Rdn. 50; anders Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 803; Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 11, 17, 23. 132 Rdn. 9. 133 BT-Drucks. 6/1552 S. 22; Renzikowski MK Rdn. 54; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; Wolters SK Rdn. 12. 134 Differenzierend und mit dem krit. Hinweis, dass dies nur in Betracht kommt, wenn die im Grundsatz weit gefassten verwaltungsrechtlichen Pflichtenkreise hier auf Individualschutz verengt werden und es zu einer Ermessensreduktion auf Null kommt, im Grundsatz aber zust. Renzikowski MK Rdn. 55 ff. 135 BGH NStZ 1986 503 mit abl. Anm. Winkelbauer JZ 1986 1119 und Rudolphi JR 1987 336 sowie krit. Anm. Wagner JZ 1987 705, 712 und Ranft JZ 1987 908, 914. 136 BGH JR 1989 430 (insoweit in NStZ 1989 223 nicht abgedruckt) mit Anm. Bottke; BGHSt 38 388 mit abl. Anm. Mitsch und Bergmann StV 1993 518 sowie Anm. Laubenthal JuS 1993 907. Der BGH bejaht in der letztgenannten Entscheidung grundsätzlich eine Garantenstellung von Polizeibeamten für Individualrechtsgüter, schränkt die Verpflichtung zum Eingreifen jedoch dahin ein, dass der Beamte nach seiner konkreten Dienstpflicht örtlich und sachlich für das geschützte Rechtsgut verantwortlich und ihm die Straftat dienstlich bekanntgeworden sein muss, es sei denn, dass den betroffenen Rechtsgütern besonderes Gewicht zukommt. 137 Vgl. BGH StraFO 2009 429, 430; BGH NJW 1987 199; BGHR StGB § 260 gewerbsmäßig 2; BGH Beschl. v. 27.8.1993 – 2 StR 394/93; Roxin LK10 § 2 Rdn. 18; Fischer Rdn. 31; Renzikowski MK Rdn. 53; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; Wolters SK Rdn. 12, 20; abw. Puppe NK §§ 28, 29 Rdn. 25. 138 So i.E. auch Renzikowski MK Rdn. 53; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; aA betreffend Abs. 2 Wolters SK Rdn. 29. 139 Dazu näher Roxin LK11 § 28 Rdn. 67; vgl. auch BGHSt 39 326, 329. 140 Fischer Rdn. 30; Renzikowski MK Rdn. 52, der dafür ein eingebunden Sein in die für die Förderung der Prostitution maßgeblichen Strukturen fordert. 141 Renzikowski MK Rdn. 58; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19. 142 Rdn. 23. 143 Renzikowski MK Rdn. 58; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19; vgl. auch BGH NStZ 1990 80, 81. Nestler
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IX. Konkurrenzen
§ 180a
Entsprechendes gilt für Abs. 2, der ebenfalls Dauerdelikt ist.144 Vollendet ist Abs. 2 Nr. 1 mit 23 dem Beginn des Gewährens von Raum,145 Abs. Nr. 2 mit dem ersten Akt des Anhaltens oder Ausbeutens.146 Der Versuch ist nicht strafbar.
VIII. Sanktion Die für die Abs. 1 und 2 angedrohten Strafen, Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, 24 sind – insbesondere für § 180a Abs. 2 Nr. 2, eine mit § 181a Abs. 1 vergleichbare Vorschrift – unverhältnismäßig gering.147 Für die Strafzumessung kommt es wesentlich auf die Art und Weise an, wie die Prostituierten unter Druck gesetzt werden.148 Die Verwirklichung beider Abhängigkeitsformen, die Abs. 1 unverändert alternativ erfordert, kann entgegen Heger149 strafschärfend berücksichtigt werden. Strafschärfend ist ferner zu berücksichtigen, wenn sich der Täter an einer entwürdigenden Behandlung des Opfers beteiligt hat, ob das Opfer zu besonders erniedrigenden Sexualpraktiken gezwungen wurde und über welchen Zeitraum sich seine Ausbeutung als Prostituierte erstreckte. Weitere Gesichtspunkte sind die Höhe der Bereicherung des Täters sowie der Grad der Organisation (bandenmäßige Begehung).150
IX. Konkurrenzen Die Ausbeutung von Prostituierten ist, soweit sie sich gegen eine Person richtet, ein Dauerde- 25 likt,151 wenn der Täter den strafrechtlich relevanten rechtswidrigen Zustand aufrechterhält und ununterbrochen weiterverwirklicht (Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1) oder wenn er den Tatbestand durch immer neue Akte erfüllt (Abs. 2 Nr. 2). Das Dauerdelikt endet mit der Beendigung des rechtswidrigen Zustandes oder dem letzten den Tatbestand erfüllenden Akt.152 Es ist verfahrensrechtlich als eine Einheit zu betrachten, das mit der Aburteilung eines Teilstücks – bis Urteilserlass – abgeurteilt ist. Der Tatbestand ist mehrfach verwirklicht, wenn sich die Tat gegen mehrere Personen rich- 26 tet.153 Idealkonkurrenz ist bei einem Zusammentreffen eines Aktes mit einem anderen gegeben.154 Andere Taten, die in Idealkonkurrenz verwirklicht werden, stehen in Realkonkurrenz zueinander, wenn sie schwerer sind oder teils schwerer und gleich schwer.155 Ist eine der mit der Dauerstraftat ideal konkurrierenden Taten schwerer als diese, die andere hingegen minderschwer, liegt nur eine Tat vor.
144 Rdn. 23. 145 Renzikowski MK Rdn. 59; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19. 146 Dagegen nach dem Erfolgsunwert der beiden Tatalternativen differenzierend Renzikowski MK Rdn. 59; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 18. Schroeder Das neue Sexualstrafrecht S. 57: „skurriles Vermieterprivileg“. Renzikowski MK Rdn. 65. Heger StV 2003 350, 351. So ausdr. und zutreffend Renzikowski MK Rdn. 65. BGH NJW 2004 865, 867; BGH Urt. v. 20.5.1981 – 2 StR 784/80, insoweit in NJW 1981 2071 nicht abgedruckt; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19, 21; Renzikowski MK Rdn. 5, 60 m.w.N. 152 BGH NStZ 1990 80, 81. 153 BGH NStZ 1990 80, 81; BGH StV 2003 617, 618; BGH Beschl. v. 15.10.1977 – 2 StR 192/77: „Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter“; so auch Renzikowski MK Rdn. 60; abw. BGH NStZ 1998 187 (nur ein einziges Vergehen). 154 BGH StV 2003 617, 618; Fischer Rdn. 32; Renzikowski MK Rdn. 60; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21. 155 BGHSt 29 288, 291 f; BGHSt 36 151; BGHSt 39 390; BGHR StGB § 180a Abs. 1 Konkurrenzen 2; BGH NStZ 1998 187.
147 148 149 150 151
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§ 180a
27
Ausbeutung von Prostituierten
Zwischen den einzelnen Tatbeständen der Vorschrift ist Idealkonkurrenz möglich, außerdem mit den §§ 181a,156 182, 223 ff,157 232, 240, 184e, 184f, 291, 332.158, 159
156 157 158 159
BGHR StGB § 180a Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 1; BGH StV 2003 617, 618. BGH NJW 2004 865, 867. BGH NStZ 1986 503. Ausführlich zum Verhältnis zu anderen Tatbeständen Renzikowski MK Rdn. 62 ff.
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§§ 180b und 181 (weggefallen) § 181a Zuhälterei (1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer: 1. eine andere Person, die der Prostitution nachgeht, ausbeutet oder 2. seines Vermögensvorteils wegen eine andere Person bei der Ausübung der Prostitution überwacht, Ort, Zeit, Ausmaß oder andere Umstände der Prostitutionsausübung bestimmt oder Maßnahmen trifft, die sie davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben, und im Hinblick darauf Beziehungen zu ihr unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. (2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer die persönliche oder wirtschaftliche Unabhängigkeit einer anderen Person dadurch beeinträchtigt, dass er gewerbsmäßig die Prostitutionsausübung der anderen Person durch Vermittlung sexuellen Verkehrs fördert und im Hinblick darauf Beziehungen zu ihr unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. (3) Nach den Absätzen 1 und 2 wird auch bestraft, wer die in Absatz 1 Nr. 1 und 2 genannten Handlungen oder die in Absatz 2 bezeichnete Förderung gegenüber seinem Ehegatten oder Lebenspartner vornimmt.
Schrifttum Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten (2012).
Entstehungsgeschichte Die Zuhälterei wurde durch Gesetz vom 25.6.19001 unter Strafe gestellt. Auslöser für die Einführung der Strafbestimmung war der Fall „Heinze“,2 der große Unruhe in der Bevölkerung verursacht und Bestrebungen ausgelöst hatte, einer „verworfenen Menschenklasse“ zu Leibe zu rücken.3 Der Tatbestand hatte zum Ziel, den Zuhälter als „Schmarotzer der Dirne“ zu treffen, da das Zuhältertum als Nährboden für Verbrechen aller Art angesehen wurde.4 Als Hauptfall des Zuhälterwesens wurde der Tatbestand der ausbeuterischen Zuhälterei geschaffen.5 Neben dem ausbeuterischen Zuhälter bedrohte die damalige Vorschrift den gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz handelnden, schutzgewährenden oder sonst förderlichen Zuhälter. Die Tatbestandsfassung war so weit, dass die Rspr. alsbald eingrenzende Kriterien entwickelt hatte, die sie aus dem im Gesetzestext beigefügten Klammerbegriff „Zuhälter“ herleitete.6 Das Merkmal Zuhälter bezeichnete nach dieser Rspr. einen Mann, der zu einer der gewerbsmäßigen Unzucht ergebenen Frau in einem auf eine gewisse Dauer berechneten, besonders gearteten persönlichen Verhältnis stand, das erkennen ließ, dass er in ihrem unzüchtigen Gewerbe zu ihr hielt7 und, soweit es sich um die ausbeuterische Zuhälterei handelte, gemeinsam mit ihr daran und an dessen Erträgen interessiert war.8 Eine Abhängigkeit oder Hörigkeit der „Dirne“ war nicht erforderlich; ebenso wenig war entscheidend, wenn auf längere Zeit geplante Beziehungen alsbald entdeckt und unterbrochen wurden.9 Selbst der Ehemann konnte Zuhälter sein.10 Auch das
1 RGBl. I S. 301, sog. Lex Heinze. Dazu auch Laubenthal Handbuch Sexualstrafrecht Rdn. 815; Renzikowski MK Rdn. 12.
2 Dazu Androulakis ZStW 78 432, 433. 3 Zit. nach Kaiser Das Wesen der Zuhälterei und ihre kommunalpolitische Beurteilung, 1937. 4 RGSt 73 183, 184. 5 Vgl. BGHSt 21 272, 274. 6 RGSt 73 183. 7 BGH v. 28.8.1959 – 5 StR 298/59. 8 BGHSt 43 16; BGHSt 15 37; BGHSt 21 272. 9 BGH NJW 1964 116; RGSt 34 74, 78; vgl. auch RGSt 72 126. 10 BGHSt 2 273; RGSt 71 199. 327 https://doi.org/10.1515/9783110490121-016
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§ 181a
Zuhälterei
Verlöbnis11 oder Liebesbeziehungen12 standen nicht entgegen, es sei denn, es ging dem Mann nur um die Liebesbeziehung als solche.13 Entscheidend war das Gesamtbild der Beziehungen.14 Das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26.1.199815 änderte die Vorschrift sprachlich nur geringfügig, indem die Worte „einen anderen“ durch die Worte „eine andere Person“ mit entsprechenden sprachlichen Folgeänderungen ersetzt wurden. Das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) vom 20.12.200116 fügte in Abs. 2 die Klausel „Beeinträchtigung der persönlichen oder wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit der Prostituierten“ ein.17 Diese Klausel änderte das Gesetz zur Änderung der Vorschriften gegen die sexuelle Selbstbestimmung und anderer Vorschriften vom 27.12.200318 wiederum ab, indem es das Wort „Bewegungsfreiheit“ durch das Wort „Unabhängigkeit“ ersetzte. § 181a ist inzwischen in dem Katalog der Nebenklagedelikte aufgenommen.19
Übersicht I.
Geschütztes Rechtsgut
1
II. 1. 2.
Zuhälterei und Ausbeutung, Abs. 1 Nr. 1 3 Ausbeutung 6 Unterhalten von Beziehungen
III. 1. 2. 3. 4. 5.
Dirigierende Zuhälterei, Abs. 1 Nr. 2 9 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 11 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 12 Abs. 1 Nr. 2 Var. 3 13 Vollendungszeitpunkt 14 Vermögensvorteil
IV.
Gewerbsmäßige Förderung der Prostitutionsaus15 übung, Abs. 2
V.
Ehegattenzuhälterei
VI.
Subjektiver Tatbestand
2 20 21
8 VII. Vollendung und Versuch VIII. Täterschaft und Teilnahme IX.
Konkurrenzen
22 23
25
I. Geschütztes Rechtsgut 1 § 181a dient nach früherer Auffassung in der Rspr. dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmungsfreiheit,20 nach jüngerer Ansicht dem Schutz der sich prostituierenden Personen in ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit.21 Formen der Zuhälterei, wie sie in § 181a unter Strafe gestellt sind, beschneiden die persönliche Freiheit von Prostituierten. Das gilt sowohl für das Verhalten des ausbeutenden (männlichen oder weiblichen) Zuhälters (Abs. 1 Nr. 1) wie auch für das des „Managers“ (Abs. 1 Nr. 2),22 aber auch für das des Vermittlers nach Abs. 2,23 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
RGSt 45 264. BGHSt 15 37. BGH NJW 1954 1294. BGH GA 1962 307. BGBl. I S. 164. BGBl. I S. 2983. Dazu Heger StV 2003 350 f. BGBl. I S. 3007. Opferrechtsreformgesetz vom 24.6.2004, BGBl. I S. 1354. BGHSt 42 179 ff; Renzikowski MK Rdn. 1; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2. Ähnlich aber mit Fokus auf dem Ausbeutungsaspekt Ziegler BeckOK Rdn. 2 (Selbstbestimmungsrecht der Prostituierten). 21 BGH 42 183; BGH NStZ 1996 188; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; SSW/Wolters Rdn. 2; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 818; Renzikowski MK Rdn. 1. 22 Krit. zu dieser Variante Renzikowski MK Rdn. 2 mit dem Einwand, im Vergleich zum Arbeitsrecht i.Ü. könne letztlich nicht jede freiwillige Unterwerfung der Prostituierten unter den sie dirigierenden Zuhälter strafbewehrt sein. 23 Die Klausel in Abs. 2, die persönliche oder wirtschaftliche Bewegungsfreiheit der Prostituierten müsse beeinträchtigt sein, hat das Schutzgut nicht verändert, so Wolters SK § 181a Rdn. 1. Nestler
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II. Zuhälterei und Ausbeutung, Abs. 1 Nr. 1
§ 181a
der eine sich prostituierende Person in die Gefahr bringen kann, in die stärkeren Formen der Abhängigkeit nach Abs. 1 zu geraten.24 Für Abs. 3 gilt nichts anderes.
II. Zuhälterei und Ausbeutung, Abs. 1 Nr. 1 Abs. 1 Nr. 1 bedroht die ausbeuterische Zuhälterei mit Strafe. Die Vorschrift setzt voraus, dass 2 der männliche oder weibliche Täter eine männliche oder weibliche andere Person, die der Prostitution nachgeht25 (dazu bei § 180a), ausbeutet und im Hinblick darauf Beziehungen zu dem anderen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen.
1. Ausbeutung Der Begriff der Ausbeutung verlangt ein planmäßiges und eigensüchtiges Ausnutzen der Prosti- 3 tutionsausübung als Erwerbsquelle, das zu einer spürbaren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der oder des Prostituierten führt.26 Eine solche spürbare Verschlechterung der Vermögensverhältnisse kann sich dabei auf einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum beschränken.27 Eine Gefährdung des Existenzminimums braucht mit ihr nicht verbunden zu sein.28 Die Beantwortung der Frage, ob eine spürbare Verschlechterung eingetreten ist, setzt grds. 4 Feststellungen zur Höhe der Einnahmen und der Abgaben der sich prostituierenden Person29 und eine Saldierung der Einnahmen und Ausgaben voraus, die auf ein wirtschaftliches Missverhältnis30 schließen lassen. Das bloße Abstellen auf Prozentanteile ist regelmäßig nicht ausreichend.31 Eine spürbare Verschlechterung liegt etwa vor bei der – wegen der Abgabe an den Zuhälter – bestehenden Unmöglichkeit, Schulden zu tilgen32 oder bei der Unmöglichkeit, Ersparnisse zu machen.33 Bei Abgaben von 50 % der Einnahmen34 liegt eine spürbare Verschlechterung selbst bei hohen Einnahmen stets nahe, ist aber nicht zwingend,35 es sei denn, dass der oder dem Prostituierten wegen der Abgaben an Bordellbetreiber und Zuhälter nur noch 25 % verbleiben.36 Bei gemeinsamer Wirtschaftsführung liegt ein Ausbeuten nicht schon deshalb vor, weil der Täter mehr verbraucht als er einbringt.37 Eine Beteiligung an Getränkeeinnahmen kann der Annahme der späteren Verschlechterung der Vermögenslage entgegenstehen. Liefert die oder der Prostituierte den gesamten Erlös ab und steht es im Belieben des Empfängers, wieviel 24 BT-Drucks. VI/3251, S. 50. 25 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. 26 BGH NStZ 1989 67; BGH NStZ 1996 188; BGH StV 1994 244. So auch Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 831; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Ziegler BeckOK Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 8; Renzikowski MK Rdn. 26; SSW/Wolters Rdn. 4. 27 BGH NJW 1964 16. 28 BGH v. 15.1.1975 – 3 StR 312/74; BGH v. 24.2.1981 – 1 StR 715/80; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. 29 BGH StV 1984 334; BGH NStZ 1989 67; BGH NStZ 1994 226; BGH StV 2003 163; BGH v. 20.4.2004 – 4 StR 67/04. So auch bei Ziegler BeckOK Rdn. 4. 30 Vgl. auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 9. Nur auf die Opferseite abstellend Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 834. Renzikowski MK Rdn. 27 stellt dabei (konsequent angesichts der ausdrücklichen Einordnung der Tatvariante als Erfolgsdelikt) auch auf die Täterseite ab. 31 So auch KG NJW 1977 2223, 2226; KG MDR 1977 862. 32 BGH MDR 1977 282; BGH v. 16. Februar 1993 – 5 StR 673/92. 33 BGH StV 1984 334. 34 BGH MDR 1977 282. 35 BGH NStZ 1989 67. Ähnlich Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 12 (hohe Abgaben als Indiz für die Ausbeutung); weitergehend SSW/Wolters Rdn. 4 („in der Regel schon bei Abgaben im hälftigen Umfang … gegeben“). 36 BGH NStZ 1999 349, 350. 37 BGH StraFo 2007 340; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; vgl. aber Renzikowski MK Rdn. 27. 329
Nestler
§ 181a
Zuhälterei
davon wieder zurückgegeben wird, so ist i.d.R. eine spürbare Verschlechterung anzunehmen.38 Unerheblich ist, ob und in welchem Maß der Zuhälter seinen Lebensunterhalt durch die Abgaben bestreitet. Zentral ist stets, dass es der sich prostituierenden Person angesichts der Ausbeutung bzw. Verschlechterung erschwert wird, sich ggf. aus der Prostitution zurückzuziehen39 und dass der Zuhälter durch den Vermögenszuwachs seine wirtschaftliche Freiheit auf Kosten des Opfers erweitert.40 Hinzukommen muss das planmäßige und eigensüchtige Ausnutzen41 der Prostitutionsaus5 übung gerade als Erwerbsquelle – mit der Folge der spürbaren Verschlechterung der Vermögenslage – wobei dies auf der Grundlage eines Abhängigkeitsverhältnisses erfolgen muss;42 das bloße Ausgehaltenwerden reicht nach dem Sinn der Vorschrift selbst bei erheblichen Leistungen nicht aus.43 § 181a richtet sich nicht mehr gegen die „parasitäre Lebensform des Zuhälters“. Vielmehr will die Vorschrift den sozialschädlichen aktiven Täter treffen, der im Hinblick auf die Ausbeutung Beziehungen zu der prostituierten Person unterhält.44 Als Beziehungen kommen nach diesem Sinn der Vorschrift nur solche in Frage, durch die die prostituierte Person in Abhängigkeit von dem Täter gehalten wird.45 Unerheblich ist, wie das Abhängigkeitsverhältnis entstanden ist und wie es aufrechterhalten wird.46 Es ist auch dann gegeben, wenn der Täter zu seiner Begründung keinen Druck ausübt und während der Beziehung keinerlei Gewalt47 oder sonstige Druckmittel anwendet, die prostituierte Person sich vielmehr aus freien Stücken der Abhängigkeit unterwirft.48 Dies war zwar nach Erlass des Prostitutionsgesetzes (s.o.) in Frage gestellt. Inzwischen ist durch die Rspr. aber geklärt, dass das Bestimmen im Rahmen des Abs. 1 Nr. 2 eine Einflussnahme voraussetzt, die geeignet ist, die prostituierte Person in Abhängigkeit vom Täter zu halten, das Opfer zu nachhaltiger Prostitutionsausübung anzuhalten oder seine Entscheidungsfreiheit in sonstiger Weise nachhaltig zu beeinflussen.49 Ein solches Verhalten erfordern auch die anderen Varianten des Abs. 1 Nr. 2. Auf Abs. 1 Nr. 1 lässt sich dies zwar nur begrenzt übertragen. Freiwillige Unterwerfung der ausgebeuteten prostituierten Person erfüllt aber den Tatbestand, wenn der Täter seine stärkere Position, gleichgültig worauf sie beruht, als Mittel einsetzt, um wirtschaftliche Vorteile daraus zu ziehen.50 Das Abhängigkeitsverhältnis kann auch in Abwesenheit des Täters51 aufrechterhalten werden.
38 BGH NStZ 1994 32; BGH v. 18.1.1977 – 1 StR 388/76; ähnlich auch BGH v. 16.2.1993 – 5 StR 673/92 („gemeinsame“ Kasse, über die der Täter bestimmte).
39 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. 40 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. 41 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 827; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 42 BGH MDR 1983 9; BGH NStZ 1983 220; BGH v. 27.4.1982 – 1 StR 62/82. Die Formulierung „auf der Grundlage eines …“ ist auch gedeckt durch BGH Urteil vom 24.2.1981 – 1 StR 715/80. Die in NStZ 1982 507 abgedruckte Entscheidung des BGH ist scheinbar enger gefasst. Sie spricht von dem „Ausnützen eines irgendwie gearteten Herrschaftsoder Abhängigkeitsverhältnisses“. Ein Unterschied ist aber ersichtlich nicht gewollt, was sich schon daraus ergibt, dass die genannte Entscheidung das Urteil vom 27.4.1982 – 1 StR 62/82 – zitiert. 43 BGH MDR 1983 91; BGH NStZ 1982 507; BGH NStZ 1983 220; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 44 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 818; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 45 BGH NStZ 1983 220. Siehe auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2. 46 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 47 Wie in BGH MDR 1983 793. 48 BGH NStZ 1985 453; BGH NStZ 1994 32; BGH v. 23.11.1976 – 1 StR 269/76; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; differenzierend Renzikowski MK Rdn. 23; ähnlich Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 13 (Ausschluss der Ausbeutung bei Freiwilligkeit nicht zwingend). 49 BGHSt 48 315, 317. 50 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; so i.E. wohl auch Renzikowski MK Rdn. 23. 51 BGH NStZ 1982 379; BGH v. 24.11.1984 – 2 StR 535/84 (internationaler Call-Girl-Ring). Nestler
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III. Dirigierende Zuhälterei, Abs. 1 Nr. 2
§ 181a
2. Unterhalten von Beziehungen Der Täter muss Beziehungen zu der prostituierten Person unterhalten. Diese Beziehungen müs- 6 sen dem Wortlaut nach zwar keine besonders zuhälterischen sein.52 Erforderlich ist jedoch, dass die Beziehungen mit den sonstigen Tatbestandsmerkmalen des Abs. 1 in Bezug zu setzen sind (vgl. den Wortlaut „im Hinblick darauf“).53 Der Täter muss demnach ein Einvernehmen mit der prostituierten Person herstellen, das an die Prostitutionsausübung anknüpft und das ihm die Möglichkeit der Bereicherung auf der Grundlage des Abhängigkeitsverhältnisses eröffnet und erhält.54 Diesem Einvernehmen steht es gleich, wenn sich die prostituierte Person der überlegenen Stellung des Täters beugt. Die Beziehungen müssen über den Einzelfall hinausgehen.55 Das der Eingrenzung des Tat- 7 bestands dienende Merkmal „über den Einzelfall hinausgehen“ schließt kurzfristige Kontakte aus, selbst wenn sie wiederholt vorkommen, etwa zu Taxifahrern oder Hotelportiers,56 und zu gelegentlichen Geschäftspartnern, die wegen des hohen Einkommens der prostituierte Person überhöhte Forderungen stellen. Es kommt entscheidend darauf an, dass die Beziehungen auf eine gewisse Dauer angelegt sind. Nicht erforderlich ist, dass es sich um sexuelle Beziehungen handelt. Es braucht nicht einmal zu persönlichen Kontakten zu kommen. Die rein wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Leiter eines Zuhälterrings, der die Ausbeutung der von ihm abhängigen prostituierte Person, auch durch Mittelsmänner,57 geschäftsmäßig betreibt, reichen aus, selbst wenn die oder der Prostituierte den Täter gar nicht kennt und Kontakte zu ihm nur über Mittelsmänner hergestellt werden.58
III. Dirigierende Zuhälterei, Abs. 1 Nr. 2 Abs. 1 Nr. 2 enthält drei Varianten, die sich durch die Art der vom Täter getroffenen Maßnahmen 8 unterscheiden: das Überwachen bei der Prostitutionsausübung, das Bestimmen zur Prostitutionsausübung und das Treffen von Maßnahmen gegen die Aufgabe der Prostitutionsausübung. Der BGH hat zur 2. Var. des Bestimmens verlangt, dass sich die prostituierte Person den Weisungen der Zuhälterin oder des Zuhälters aufgrund wirtschaftlicher oder persönlicher Abhängigkeit nicht entziehen kann.59 Diese einschränkende Interpretation ist bei allen Varianten des Abs. 1 Nr. 2 bei der Auslegung des bestimmenden Charakters des Einflusses des Zuhälters zu berücksichtigen. Bloße Direktionen eines (Bordell-)Arbeitsverhältnisses reichen deshalb allein nicht aus.60
1. Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 Bei der ersten Variante überwacht der Täter eine andere Person bei der Ausübung der Prostituti- 9 on. Den Begriff der Prostitutionsausübung verwendet das Gesetz auch in § 180a Abs. 2 Nr. 2 (vgl. 52 Vgl. zur Entstehungsgeschichte dieses Wortlauts noch Laufhütte/Roggenbuck LK11. 53 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12; in diese Richtung auch Renzikowski MK Rdn. 32 (wirtschaftliche Beziehungen genügen). 54 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4. 55 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 821; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4, 6; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12; Ziegler BeckOK Rdn. 3. 56 BT-Drucks. VI/3521 S. 51; Horstkotte JZ 1974 84, 89. 57 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4; Wolters SK Rdn. 5. 58 BT-Drucks. VI/3521 S. 50. 59 BGHSt 48 314, 319; BGH v. 17.3.2004 – 2 StR 474/03 (insoweit in NStZ-RR 2004 233 nicht abgedruckt). Siehe auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 15; vgl. auch Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 841. 60 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Fischer Rdn. 13a. 331
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§ 181a
Zuhälterei
die Kommentierung dort). Das Merkmal schließt sämtliche Tätigkeiten ein, die mit den sexuellen Handlungen, die Gegenstand der Prostitution sind, in unmittelbarem Zusammenhang stehen, darunter auch die Aktionen, die der Anbahnung des sexuellen Kontakts dienen. Der Begriff der Überwachung bezeichnet also ein die sich prostituierende Person kontrollierendes Verhalten.61 Erforderlich ist ein Handeln des Täters, das geeignet ist, die prostituierte Person in Abhängigkeit zu ihm zu halten, ihre Selbstbestimmung zu beeinträchtigen, sie zu nachhaltiger Prostitutionsausübung anzuhalten oder ihre Entscheidungsfreiheit in sonstiger Weise zu beeinflussen.62 Bloßes schützendes Verhalten scheidet dagegen aus. Das Merkmal Überwachen ist nicht mit dem Begriff des Bewachens gleichzusetzen. Es setzt vielmehr ein Beaufsichtigen voraus, das nicht gegeben ist, wenn der prostituierten Person lediglich Hilfe geleistet wird, etwa vor Übergriffen Dritter, von Freiern oder von anderen Prostituierten oder Zuhältern, die das „Revier“ streitig machen.63 Ein beaufsichtigendes Überwachen setzt keine Anweisungen voraus; es kann schon in der Kontrolle der Einnahmen64 oder in der Kontrolle der Verweildauer in den Separees einer Bar65 liegen. Eine Maßnahme des Überwachens ist auch gegeben, wenn die sich prostituierende Person mit der Ankündigung von Stichproben verpflichtet wird, Aufzeichnungen über die Zahl der Freier und die Einnahmen zu machen, oder wenn täglich „abkassiert“ wird.66 Die überwachenden Maßnahmen müssen solche sein, denen sich die prosituierte Person wegen des bestimmenden Einflusses des Überwachenden nicht ohne weiteres zu entziehen vermag oder denen sie oder er sich wegen des bestimmenden Einflusses des Zuhälters freiwillig unterworfen hat.67 Ein Überwachen kann auch in für sich genommen unerheblichen Handlungen liegen, wie in Wäschetransporten,68 im Mieten einer Wohnung,69 in Empfehlungen, aber auch in Bitten und im Schutzgewähren, wenn diese Aktivitäten bei der Gesamtwürdigung aller Maßnahmen in Wahrheit eine Kontrolle darstellen.70 Auch nach Einführung des ProstSchG wurde Abs. 1 Nr. 2 nicht geändert. Der Gesetzgeber hat 10 darauf deshalb verzichtet, weil er davon ausging, dass „eine freiwillig getroffene Vereinbarung über Ort und Zeit der Prostitutionsausübung, also ein einvernehmlich begründetes rechtlich wirksames Beschäftigungsverhältnis, das Prostituierten eine jederzeitige Loslösung aus dieser vertraglichen Beziehung ermöglicht“, nicht vom Tatbestand erfasst wird.71 Bei der Prostitution handelt es sich um eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit – allerdings mit insoweit eingeschränktem Direktionsrecht, § 3 Abs. 2 ProstG. Überwachungsmaßnahmen, die sich im Rahmen dieses Direktionsrechts halten, erfüllen den Tatbestand nicht.72 Nach §§ 24 ff. ProstSchG obliegen dem Betreiber eines Prostitutionsgewerbes zudem umfassende Kontrollmaßnahmen als Teil betrieblicher Compliance, etwa die Kontrolle von Personaldokumenten und Anmeldebescheinigungen, Hinweis61 BGH NStZ 1989 67; BGH NJW 1986 596 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 16; Ziegler BeckOK Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4a; Renzikowski MK Rdn. 42.
62 BGH v. 12.2.1985 – 1 StR 835/84; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4a. 63 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4a; siehe auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 16. 64 BGH NStZ 1982 379; BGH NJW 1986 596 („Bon-System“); Renzikowski MK Rdn. 42; siehe auch Ziegler BeckOK Rdn. 8. Nicht ausreichend ist aber nach BGH v. 12.2.1985 – 1 StR 835/84 das Führen einer Strichliste zur Kontrolle der Abführung des „Strichgeldes“. 65 BGH NJW 1986 596, 597. 66 BayObLG NJW 1977 1209, 1210. 67 BGH NStZ 1985 453; weitergehend BGH NStZ 1994 32, wonach sich die Prostituierte durch Zwang oder Drohung in der Prostitution festgehalten fühlen muss. Siehe auch Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 841 ff (mit Beispielen). 68 BayObLG NJW 1977 1209. 69 BGH MDR 1974 722, 723. 70 Geerds JR 1978 81, 83. 71 BT-Drucks. 14/5958, S. 5. 72 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8a und 8b; Renzikowski MK Rdn. 42; ähnlich Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 16; ferner Ziegler BeckOK Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4 (jedenfalls bei „Einwilligung der Prostituierten“); SSW/ Wolters Rdn. 12. Nestler
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III. Dirigierende Zuhälterei, Abs. 1 Nr. 2
§ 181a
pflichten auf gesundheitliche Beratung etc. Dies gilt nach Auffassung der Rspr. nicht nur bei legalen, sondern auch bei rechtswidrigen Beschäftigungsverhältnissen.73 Auch diese Rspr. ist bei Auslegung und Anwendung von Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 zu berücksichtigen.74
2. Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 Bei der zweiten Variante (Bestimmen zur Prostitutionsausübung) bestimmt der Täter Ort, Zeit, 11 Ausmaß oder andere Umstände der Prostitutionsausübung. Der Tatbestand setzt voraus, dass der Täter bestimmenden Einfluss auf die Ausübung der Prostitution nimmt und diese nicht lediglich unterstützt. Auch hier kommt es nicht darauf an, wie sich der Täter den bestimmenden Einfluss verschafft hat und wie er ihn aufrechterhält.75 Es reicht also aus, dass sich die oder der Prostituierte dem bestimmenden Einfluss des Täters unterworfen hat.76 Bloße Bitten und Ratschläge reichen nicht aus, sofern es sich nach den Umständen des Einzelfalls nicht in Wahrheit um in höfliche Form gekleidete Anweisungen handelt. Auch bei Auslegung und Anwendung der 2. Var. sind allerdings ProstG und ProstSchG zu berücksichtigen (siehe Rdn. 10).77 Als zulässige dirigierende Maßnahmen kommen die Festsetzung des Ortes oder Platzes, an die sich prostituierende Person ihrer Tätigkeit nachzugehen hat, das Festlegen der Zeit, die Festsetzung eines Einsatzplanes, die Festsetzung des Preises für den sexuellen Kontakt oder die Bewilligung oder Ablehnung von Urlaubswünschen in Betracht.78 Unzulässig sind demgegenüber das Festlegen der Häufigkeit oder der Dauer der sexuellen Kontakte und das Festlegen von deren Art und Ausmaß.79 In den Anwendungsbereich des Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 fallen aufgrund des Eingriffs in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht auch Weisungen, bestimmte Kunden anzunehmen, vgl. § 26 Abs. 1 ProstG.80
3. Abs. 1 Nr. 2 Var. 3 Die dritte Variante setzt ebenso wie die beiden ersten bestimmenden Einfluss des Täters voraus, 12 der es ihm ermöglicht, Maßnahmen zu treffen, die die sich prostituierende Person davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben. Eine Maßnahme ist mehr als ein bloßer Rat oder eine Bitte (wenn dies nicht in Wahrheit Anweisungen sind, siehe oben81). Maßnahmen sind Pressionen und pressionsähnliche Einwirkungen, die zwar unterhalb der Schwelle der Nötigung liegen können. Sie müssen aber geeignet sein, das Opfer in seiner Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen.82 Der Begriff „gezielte Einwirkung von einiger Erheblichkeit“, den der Regierungsentwurf verwandt hatte,83 ist zu undeutlich, weil er auch hartnäckige Bitten erfasst. Da von der Norm aber nur solche Einwirkungen erfasst sind, die mit Rücksicht auf den bestimmenden Einfluss des Täters geeignet 73 74 75 76 77
BGHSt 48 321. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8b. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4b. Anders BGH NStZ 1994 32, wonach sich die Prostituierte Zwang oder Drohung ausgesetzt sehen muss. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9a; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 17; Ziegler BeckOK Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4b. 78 Renzikowski MK Rdn. 45. Anders KG NJW 1977 2223, 2226. 79 Renzikowski MK Rdn. 45; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9b; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 18; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4b. Anders wohl SSW/Wolters Rdn. 12 (zu Var. 1). 80 Näher zu dieser Tatvariante und den (un)zulässigen Weisungen Renzikowski MK Rdn. 45 ff. 81 Geerds JR 1978 81, 83. 82 BGH StV 2003 163; Renzikowski MK Rdn. 48; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4c. Siehe aber Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 19, der eine Unterlassungsstrafbarkeit für möglich hält, wenn bei bestehender Garantenstellung aus Ingerenz eine „ausländerspezifische Hilfslosigkeit“ vorliegt. 83 BT-Drucks. VI/1552 S. 30. 333
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Zuhälterei
sind, die Entscheidungsfreiheit der sich prostituierenden Person einzuschränken,84 bleibt (zumindest für Var. 3) bei Lichte betrachtet nichts anderes als ein Rekurs auf den Erheblichkeitsgedanken.85 Maßnahmen i.S.d. Abs. 1 Nr. 2 Var. 3 können der Entzug von Geld, die Verhinderung persönlicher Beziehungen oder von Kontaktaufnahmen, etwa zu Fürsorgeeinrichtungen sein. Das bloße Ziel des Täters, das Opfer an sich zu binden, reicht nicht aus,86 das Opfer soll durch die Maßnahmen gerade an die Prostitution gebunden werden. Nicht erforderlich ist, dass die sich prostituierende Person bereits beschlossen hat, sich aus der Prostitution zu lösen. Rein vorsorgliche Maßnahmen genügen daher.87 Die Maßnahmen müssen nicht erfolgreich sein.88
4. Vollendungszeitpunkt 13 Bei den einzelnen Tatvarianten ist die Frage, ob die getroffenen Maßnahmen für die Tatvollendung Erfolg gehabt haben müssen, unterschiedlich zu beantworten.89 Die Maßnahme des Überwachens muss vom Täter durchgeführt und von der sich prostituierenden Person aufgrund seines bestimmenden Einflusses hingenommen werden. Das Bestimmen in der zweiten Variante verlangt ebenfalls ein Befolgen der Anordnungen. Dem steht nicht entgegen, dass sich die sich prostituierende Person dem gelegentlich entzieht. Die dritte Tatvariante ist schon dann vollendet, wenn sie geeignet ist, ihren Zweck zu erreichen. Es ist unerheblich, wenn sich die betroffene Person der an sich geeigneten Maßnahme entzieht und die Prostitution aufgibt.
5. Vermögensvorteil 14 Alle Tatvarianten des Abs. 1 Nr. 2 setzen voraus, dass der Täter oder die Täterin seines oder ihres Vermögensvorteils wegen handelt. Das Merkmal Vermögensvorteil erfasst Sachen und Rechte sowie sonstige rechnerisch erfassbare Vorteile aller Art mit messbarem wirtschaftlichen Wert. Des Vermögensvorteils „wegen“ handelt der Täter, wenn die Aussicht auf diesen ihn motiviert hat; einziges Motiv braucht die Aussicht auf Gewinn nicht zu sein, solange sie im Rahmen eines Motivbündels zumindest mitbestimmend war. Aufgrund des ProstG genügt das Anstreben eines Geschäftsgewinns aus dem legalen Bordellbetrieb nicht, da dessen Inhaber gerade auch zur Erfüllung der Ansprüche der Prostituierten verpflichtet ist.90 Eingetreten zu sein braucht der Vorteil nicht.91 Der erwartete oder tatsächlich eingetretene Vorteil muss nicht unmittelbar aus dem Prostitutionserlös kommen.92
IV. Gewerbsmäßige Förderung der Prostitutionsausübung, Abs. 2 15 Abs. 2 trägt dem Anliegen Rechnung, die gewerbsmäßige Vermittlung außerehelicher sexueller Beziehungen unter Strafe zu stellen, und zwar in kriminalpolitisch sinnvoller Weise93 zur Unter-
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Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Ziegler BeckOK Rdn. 11. So i.E. auch Renzikowski MK Rdn. 47; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 20. BGH NStZ-RR 2002 203. Renzikowski MK Rdn. 49; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Ziegler BeckOK Rdn. 11; Heger StV 2003 353; siehe auch Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4c. 88 Renzikowski MK Rdn. 49. 89 Vgl. Renzikowski MK Rdn. 3 ff zur Einordnung des § 181a als Erfolgs- oder Tätigkeitsdelikt. 90 Ziegler BeckOK Rdn. 12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. 91 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11. 92 OLG Hamm NJW 1972 882. 93 Zur kriminalpolitischen Bedeutung von § 181a Renzikowski MK Rdn. 11. Nestler
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V. Ehegattenzuhälterei
§ 181a
bindung von Verhaltensweisen, die Prostituierte in ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit beschränken können.94 Die Vorschrift setzt die gewerbsmäßige Förderung der Prostitutionsausübung durch Vermittlung sexuellen Verkehrs voraus. Das Merkmal der Prostitutionsausübung entspricht dem in § 180a Abs. 2 Nr. 2 (siehe dort). Die Prostitutionsausübung wird gefördert bei der Schaffung von Bedingungen, die diese begünstigen. Abs. 2 setzt voraus, dass es tatsächlich zur Ausübung der Prostitution kommt.95 Der bloße erfolglose Hinweis auf Gelegenheit reicht deshalb nicht aus. Das Fördern muss dadurch geschehen, dass der Täter sexuellen Verkehr vermittelt. Den Begriff des sexuellen Verkehrs verwendet das Gesetz nur an dieser Stelle. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift meint er nicht nur den Geschlechtsverkehr, sondern sexuelle Handlungen, die den Begriff des Sichprostituierens erfüllen, also sexuelle Handlungen mit Körperkontakt, aber auch sexuelle Handlungen vor anderen, soweit nur einzelne Personen einbezogen sind.96 Sexuelle Handlungen in einem Lokal, einer Bar oder einem Strip-Club vor anderen sind also nicht erfasst.97 Gewerbsmäßig handelt derjenige, der sich aus wiederholter Förderung der Prostitutionsausübung eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschafft. Es ist gleichgültig, von wem die Vorteile stammen sollen. Mittelbare Vorteile reichen aus. Tatbestandsmäßig handelt nur der Vermittler, der zu der sich prostituierenden Person „im Hinblick darauf“, also im Hinblick auf tatbestandsmäßiges Handeln, Beziehungen von einiger Dauer unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. Die Vermittlung bedeutet die Herstellung des Kontakts zwischen der oder dem sich Prostituierenden und ihrem Sexualpartner.98 Sie kann auch durch Mittelsleute geschehen. Im Hinblick auf die Vermittlungstätigkeit müssen Beziehungen zwischen dem Vermittler und der sich prostituierenden Person bestehen, die über den Einzelfall hinausgehen. Die einmalige Vermittlung eines Sexualkontakts reicht deshalb nicht aus. Aufgrund der Vermittlungstätigkeit muss die persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit der sich prostituierenden Person beeinträchtigt sein. Die Einfügung dieses Merkmals verdeutlicht die schon früherem Recht zu entnehmende Einschränkung, dass gerade die Beziehung und die auf ihr beruhende Vermittlung zur Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit des Opfers führt. Die Vermittlung von freiwillig eingegangenen Sexualkontakten unterfällt der Vorschrift nicht.99 Das Merkmal ist im Hinblick auf die Anerkennung der Prostitution durch ProstG und ProstSchG restriktiv auszulegen.100
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19a
V. Ehegattenzuhälterei Abs. 3 stellt die Ehegattenzuhälterei unter Strafe. Die Vorschrift verweist auf die Tatbestände 20 der Abs. 1 und 2 mit Ausnahme der Beziehungsklausel, auf die es bei Ehegatten nicht ankommt. Die Ehe begründet bereits Beziehungen, die über den Einzelfall hinausgehen. Auf den Nachweis, dass diese im Hinblick auf tatbestandsmäßiges Handeln i.S.d. Abs. 1 und 2 unterhalten
94 Vgl. aber noch BT-Drucks. VI/3521, S. 50. Die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit sei nur i.S.e. „letztlich vernachlässigbaren Nebenreflexes“ (Bottke JR 1987 33) mitgeschützt. Relevantes Schutzgut war nach damaliger Auffassung die sexuelle Selbstbestimmung. 95 BGH NStZ 1999 615; StV 2000 309; BGH, Beschluss vom 13.7.2005 – 1 StR 218/05; Renzikowski MK Rdn. 56; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 14. 96 Renzikowski MK Rdn. 57; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. Anders wohl Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 24 sowie Wolters SK Rdn. 18. 97 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; i.E. ebenso Renzikowski MK Rdn. 57. 98 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. 99 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16. 100 BT-Drucks. 14/7174, S. 10; so auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16. 335
Nestler
§ 181a
Zuhälterei
werden, kommt es nicht an.101 Die Vorschrift schließt neben der Ehe auch Lebenspartnerschaften ein. Nicht erfasst werden lediglich eheähnliche oder lebenspartnerschaftsähnliche Beziehungen, die nicht mit dem formalen gesetzlichen Personenstatus verbunden sind. Dies gilt aufgrund des Analogieverbots selbst bei langjährigen (unehelichen) Beziehungen.
VI. Subjektiver Tatbestand 21 Sämtliche Tatbestände des § 181a verlangen zumindest bedingten Vorsatz, soweit nicht einzelne Merkmale Absichtselemente enthalten (Gewerbsmäßigkeit; seines Vermögensvorteils wegen).102 Das Bestimmen i.S.v. Abs. 1 Nr. 2 setzt voraus,103 dass der Täter erkennt und billigt, dass der oder die sich prostituierende Person sich den Weisungen aufgrund wirtschaftlicher oder persönlicher Abhängigkeit nicht entziehen kann. Soweit der Begriff Ausbeutung betroffen ist, muss der Täter die Umstände für möglich halten und billigen, aus denen sich ergibt, dass sein Verhalten auf der Grundlage eines Abhängigkeitsverhältnisses104 als planmäßiges und eigensüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle zu bewerten ist. Dass es zu einer spürbaren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der oder des Prostituierten kommt, muss er für möglich halten, und er muss damit einverstanden sein. Entsprechendes gilt für die Beeinträchtigung der persönlichen oder wirtschaftlichen Unabhängigkeit.
VII. Vollendung und Versuch 22 Die Vorschrift erhält ihren Charakter dadurch, dass sie jeweils Beziehungen von einer gewissen Dauer voraussetzt; in Abs. 3 bedarf es nicht der Feststellung solcher Beziehungen, da die Vorschrift an die durch die Ehe oder Lebenspartnerschaft begründeten Beziehungen, die den Dauerdeliktscharakter auch hier begründen, anknüpft. Die Tat ist vollendet mit dem ersten Akt der Ausbeutung, der dirigierenden Maßnahmen oder der erfolgreichen Vermittlung.105 Der Versuch ist nicht unter Strafe gestellt.
VIII. Täterschaft und Teilnahme 23 Täter des Abs. 1 und Abs. 2 kann jeder sein. Abs. 3 richtet sich als Sonderdelikt lediglich an Ehegatten und Lebenspartner. 24 Täter ist, wer die Beziehungen zu der oder dem Prostituierten unterhält, auch wenn sie durch andere vermittelt werden, und wer die Tat, wenn auch mit Hilfe Dritter, zum tatbestandlichen Erfolg führt. Die Strafbarkeit der Beihilfe und der Anstiftung richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Die sich prostituierende Person ist stets (strafloser) notwendiger Teilnehmer;106 ebenfalls die Freier, wenn sie nicht steuernd eingreifen, also über bloße Beihilfe oder Anstiftung hinausgehen.107 Maßnahmen des Freiers, die sich als Unterstützung der Tat charakterisieren lassen, sind deshalb grds. nicht Beihilfe, und ein Verhalten, das sich als Aufforderung zur Zu101 BT-Drucks. VI/3521, S. 51. So auch Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 821; Renzikowski MK Rdn. 61; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19. In diese Richtung auch Ziegler BeckOK Rdn. 14; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 28.
102 Renzikowski MK Rdn. 52; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; siehe auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 27. 103 Fischer Rdn. 24 verlangt insoweit Absicht. 104 BGH NStZ 1983 220. 105 Eingehend dazu Renzikowski MK Rdn. 65. 106 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 29; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 23. 107 Vgl. Renzikowski MK Rdn. 64. Nestler
336
Führungsaufsicht
§ 181b
führung einer oder eines sich Prostituierenden bewerten lässt, ist nicht schon deshalb Anstiftung.108 Anders ist es, wenn ein Beteiligter das Geschehen, ohne Täter zu sein – weil es an notwendigen Merkmalen der Täterschaft (etwa Unterhalten von Beziehungen) fehlt – beherrscht, steuert oder wesentlich mitsteuert, und deshalb so beeinflusst, dass sein Verhalten nicht als im Tatgeschehen untergeordnet anzusehen ist, das strafwürdige Geschehen vielmehr charakterisiert. Zu diesen besonderen persönlichen Merkmalen i.S.d. § 28 Abs. 1 gehört auch die Gewerbsmäßigkeit und das Handeln „seines Vermögensvorteils wegen“.109
IX. Konkurrenzen Die Taten sind, soweit sie sich gegen eine sich prostituierende Person richten, Dauerdelikte.110 25 Innerhalb des Tatbestands verdrängt Abs. 1 den Abs. 2. Im Übrigen sind die Einzelakte innerhalb einer Beziehung zu einer Tat zusammengefasst. Tateinheit kann gegeben sein, wenn der Täter durch ein und dieselbe Handlung Maßnahmen gegen verschiedene sich prostituierende Personen ergreift.111 Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 177, 178, mit Nötigung, Körperverletzung,112 Erpressung oder Raub. Mehrere gegenüber § 181a schwerere Taten können aber durch § 181a nicht zu einer Tat verklammert sein, sondern sie stehen in Tatmehrheit zueinander, jeweils in Tateinheit mit § 181a.
§ 181b Führungsaufsicht In den Fällen der §§ 174 bis 174c StGB, 176 bis 180, 181a, 182 und 184b kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1). Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.19981 wurde der Anwendungsbereich des § 181b auf §§ 174 bis 174c, 180 und 182 erweitert. Durch das 37. StrÄndG vom 11.2.20052 wurde die Vorschrift redaktionell an die Änderung der Vorschriften zum Menschenhandel angepasst. Zum 1.7.2021 ist die Vorschrift aufgrund des Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder um einen Verweis auf § 184b ergänzt worden.3 Führungsaufsicht kann auch bei Versuch und Teilnahme (auch versuchter Teilnahme) angeordnet werden. Die Anordnung ist fakultativ.
108 109 110 111
Renzikowski MK Rdn. 63. Ziegler BeckOK Rdn. 17. BGHSt 39 390; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2; Renzikowski MK Rdn. 3; Ziegler BeckOK Rdn. 16. BGH 48 314; BGH NStZ 1989 67, 68; BGH NStZ 1990 80, 81; BGH NStZ 1992 228; BGH StV 2003 617; BGH NStZRR 2007 46. 112 BGH v. 16.2.1993 – 5 StR 673/92 (mehrere Körperverletzungen werden durch das jeweils tateinheitliche Dauerdelikt der Zuhälterei untereinander zur Tateinheit verbunden). 1 BGBl. I S. 160. 2 BGBl. I S. 239. 3 BGBl. I S. 1810. 337 https://doi.org/10.1515/9783110490121-017
Nestler
§ 181c (aufgehoben) § 182 Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen (1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage 1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder 2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird eine Person über achtzehn Jahren bestraft, die eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt. (3) Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch mißbraucht, daß sie 1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder 2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, und dabei die ihr gegenüber fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (4) Der Versuch ist strafbar. (5) In den Fällen des Absatzes 3 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. (6) In den Fällen der Absätze 1 bis 3 kann das Gericht von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist.
Schrifttum Bruns Zur geplanten einheitlichen Jugendschutzvorschrift, ZRP 1991 166; ders. Schutz der Moral unter dem Vorwand des Jugendschutzes, ZRP 1993 232; Drobac Sexual Exploitation of Teenagers (2016); Frommel Zur Aufhebung von § 175 StGB und § 182 StGB, KJ 1992 80; Hörnle Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie, NJW 2008 3521; dies. Der lückenhafte Schutz jugendlicher Opfer im Sexualstrafrecht, FS Schöch (2010) 401; Hörnle/Klingbeil/Rothbart Sexueller Missbrauch von Minderjährigen: Notwendige Reformen im Strafgesetzbuch (2014); Kusch Gespaltenes Sexualstrafrecht im vereinten Deutschland, MDR 1991 99; Kusch/Mössle Verschärfter Jugendschutz. Zur Auslegung des neuen § 182 StGB, NJW 1994 1504; Lenz Die Jugendschutztatbestände im Sexualstrafrecht (2017); Leutheusser-Schnarrenberger Jugendsexualität und Strafrecht, Kind, Jugend, Gesellschaft 1993 96; Oberlies Unausgereift und aus Mangel an Erfahrung, Streit 1992 99; C. Schäfer „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182 a.F. StGB) (2008); Schetsche Der ‚einvernehmliche‘ Mißbrauch, MSchrKrim 1994 201; F.-C. Schroeder Der sexuelle Mißbrauch von Jugendlichen nach § 149 DDRStGB, DtZ 1991 240; ders. Die Reform der Straftaten gegen die Entwicklung des Sexuallebens, ZRP 1992 295; ders. Das 29. Strafrechtsänderungsgesetz – §§ 175, 182, NJW 1994 1501; ders. Gesetzestechnische Mängel im Gesetz zur Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie, GA 2009 213; Sick Zweierlei Recht für zweierlei Geschlecht, ZStW 103 (1991) 43; Steinmeister Zur Aufhebung von § 175 StGB und § 182 StGB und Einführung einer einheitlichen Jugendschutzvorschrift für sexuelle Handlungen, KJ 1991 197; dies. „Jugendschutz“ gegen Jugendliche? ZRP 1992 87; Stephan Sexueller Missbrauch von Jugendlichen (2002); Tönnies Symbolische Gesetzgebung: Zum Beispiel § 175 StGB, ZRP 1992 411; Tröndle Ideologie statt Jugendschutz? ZRP 1992 297; Wolters Das Lebensalter als tatbestandliches Merkmal im dreizehnten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, Festschrift für Fischer (2018) 583. Vgl. außerdem die Schrifttumsangaben Vor § 174.
Hörnle https://doi.org/10.1515/9783110490121-018
338
Entstehungsgeschichte
§ 182
Entstehungsgeschichte § 182 StGB in der Fassung des RStGB v. 15.5.1871 (Vor § 174 Rdn. 3) bedrohte die Verführung eines unbescholtenen, noch nicht sechzehnjährigen Mädchens zum Beischlaf mit Strafe. Schutzzweck war es, die Jungfräulichkeit und Geschlechtsehre von Mädchen zu schützen (Sick ZStW 103 [1991] 43, 74 f). Gewaltlose heterosexuelle Handlungen mit männlichen Jugendlichen waren nicht strafbar, aber jegliche Form der „widernatürlichen Unzucht zwischen Personen männlichen Geschlechts“ (§ 175 a.F.; s. zu den historischen Grundlagen Schäfer S. 17 ff). Aus dem allgemeinen Verbot homosexueller Handlungen wurde mit dem 1. StrRG v. 25.6.1969 (Vor § 174 Rdn. 6) eine Vorschrift zum Schutz männlicher Minderjähriger. Das 4. StrRG v. 23.11.1973 (Vor § 174 Rdn. 6) nahm in § 182 und in § 175 nur kleine Änderungen vor. Während das Merkmal „unbescholten“ in § 182 gestrichen wurde, blieb es bei der Begrenzung der Opfer auf Mädchen unter 16 Jahren, der Tathandlung „Beischlaf“, der milden Höchststrafe (nur ein Jahr Freiheitsstrafe) und der Straffreiheit von heterosexuellen Handlungen mit männlichen Jugendlichen. § 175 sollte männliche Jugendliche unter 18 Jahren vor homosexuellen Handlungen schützen. Nach der Vereinigung Deutschlands am 3.10.1990 bekam das Anliegen einer Reform der §§ 175, 182 neuen Auftrieb. In den neuen Bundesländern galten diese Vorschriften nicht, sondern der gegenüber § 175 a.F. mildere, gegenüber § 182 a.F. strengere § 149 StGBDDR.1 Der BGH stufte „für eine befristete Übergangszeit“ die Existenz unterschiedlicher Regelungen als unbedenklich ein, bekräftigte damit aber die Notwendigkeit einer Reform.2 Diese erfolgte mit dem 29. StÄG v. 31.5.1994 (Vor § 174 Rdn. 14, s. dazu Stephan S. 5 ff). § 175 wurde aufgehoben, § 182 geschlechtsneutral gefasst. Die opferbezogene Altersgrenze aus § 182 a.F. wurde zunächst beibehalten, d.h. geschützt wurden nur Minderjährige unter 16 Jahren. Täter mussten nach dem 29. StÄG mindestens 18 Jahre (§ 182 Abs. 1 a.F.) oder 21 Jahre (§ 182 Abs. 2 a.F.) alt sein. Die wichtigste Änderung liegt darin, dass das Unrecht nicht durch sexuelle Handlungen als solche verwirklicht wird, sondern durch die begleitenden Umstände: Der Täter muss entweder eine Zwangslage ausnutzen oder ein Entgelt entrichten oder die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzen. Hierdurch wird klarer als bei § 180 Abs. 1 (zu dieser Problematik § 180 Rdn. 1 ff) herausgestellt, dass Jugendliche nicht generell an sexueller Betätigung gehindert werden sollen, sondern lediglich ihr noch nicht voll entwickeltes Urteils- und Durchsetzungsvermögen kontextabhängig des Schutzes gegen Ausbeutung bedarf. Verändert hat sich seit den Beratungen um das 29. StÄG die Bewertung von Prostitution durch Minderjährige. Zum Übereinkommen der Vereinten Nationen v. 20.11.1989 über die Rechte des Kindes3 hat die Bundesrepublik Deutschland das Fakultativprotokoll betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie v. 25.5.2000 unterzeichnet.4 Nach Art. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes ist Kind jeder Mensch, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Denselben Ansatz verfolgt der Europäische Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie v. 22.12.2003.5 Auch dort liegt die Schutzaltersgrenze bei 18 Jahren (Art. 1 lit. a) und es muss die Vornahme sexueller Handlungen strafbar sein, soweit „Geld oder sonstige Vergütungen oder Gegenleistungen“ angeboten werden (Art. 2 lit. c iii).6 Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie v. 31.10.2008 § 182 geändert.7 Erstens wurde bei sexuellen Handlungen unter Ausnutzung einer Zwangslage und gegen Entgelt das Schutzalter auf 18 Jahre angehoben. Zweitens wurden die Alternativen „unter Ausnutzung einer Zwangslage/gegen Entgelt“ auf zwei Absätze verteilt (§ 182 Abs. 1, 2), der vormalige Absatz 2 wurde Absatz 3. Drittens wurde die Beschränkung auf volljährige Täter insoweit aufgehoben, als Delikte nach Absatz 1 (unter Ausnutzung einer Zwangslage) auch von jugendlichen Tätern begangen werden können (anders in Absatz 2). Viertens wurde die Versuchsstrafbarkeit eingeführt.
1 Das Schutzalter war in § 149 StGB-DDR auf 16 Jahre begrenzt. Strafbar waren der Geschlechtsverkehr und geschlechtsverkehrähnliche Handlungen, sofern der junge Mensch dazu unter Ausnutzung seiner moralischen Unreife durch Geschenke, Versprechungen oder in ähnlicher Weise missbraucht worden war. Die Höchststrafe betrug zwei Jahre Freiheitsstrafe. S. BTDrucks. 12/4584 S. 6; Schäfer S. 255 ff. 2 BGH NStZ 1992 383 mit abl. Anm. Kusch. 3 BGBl. II S. 121, in Kraft in der Bundesrepublik Deutschland seit dem 5.4.1992. 4 Gesetz zu dem Fakultativprotokoll vom 25.5.2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie v. 31.10.2008, BGBl. I S. 1222. 5 ABl. L 13 v. 22.12.2003 S. 44. 6 ABl. L 13 v. 22.12.2003 S. 45. 7 BGBl. I S. 2149; s. BTDrucks. 16/9646 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses); ferner BTDrucks. 16/3439 (Gesetzentwurf). 339
Hörnle
§ 182
Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen
Eine im Umfang kleine, in der Bedeutung aber wichtige Änderung hat das 49. StÄG v. 21.1.2015 (Vor § 174 Rdn. 23) eingeführt. Während zuvor „die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung“ ausgenutzt werden musste, heißt es nun „die ihr gegenüber fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung“, also die gegenüber dem Täter fehlende Selbstbestimmung8 (vorgeschlagen wurde dies in Hörnle/Klingbeil/ Rothbart S. 138). Dadurch wird klargestellt, dass bei Jugendlichen Selbstbestimmungsfähigkeit stark kontextabhängig ist (Rdn. 58).
Übersicht I.
Normzweck
II.
Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Zwangslage und gegen Entgelt (Absatz 1 und Absatz 2) Objektiver Tatbestand a) Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Zwangslage (Absatz 1) 7 aa) Geschützte Personen 8 bb) Täter 9 cc) Dritte 10 dd) Tathandlungen 14 ee) Ausnutzung einer Zwangslage 23 ff) Missbrauch b) Sexueller Missbrauch gegen Entgelt (Absatz 2) 24 aa) Geschützte Personen 25 bb) Täter 26 cc) Tathandlungen 28 dd) Entgelt 37 ee) Missbrauch 39 Subjektiver Tatbestand 41 Täterschaft und Teilnahme 42 Versuch 43 Strafzumessung
1.
2. 3. 4. 5.
1
6.
Konkurrenzen 46 a) Innerhalb des § 182 b) Das Verhältnis zu anderen Tatbestän49 den
III.
2. 3. 4. 5. 6. 7.
Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung (Absatz 3) Objektiver Tatbestand 51 a) Geschützte Personen 52 b) Täter 53 c) Dritte 54 d) Tathandlungen e) Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung 56 gegenüber dem Täter 66 Subjektiver Tatbestand 68 Täterschaft und Teilnahme 69 Versuch 70 Erfordernis eines Antrags 73 Strafzumessung 76 Konkurrenzen
IV.
Verjährung
1.
78
I. Normzweck 1 Vor der Änderung des § 182 durch das 29. StÄG v. 31.5.1994 wurde der Einwand formuliert, dass damit „Jugendsexualität kriminalisiert“ werde,9 und Kritiker der Änderung durch das Gesetz v. 31.10.2008 brachten ähnliche Bedenken vor.10 Im Schrifttum wurde teilweise die ersatzlose Abschaffung des § 182 gefordert.11 Die geltende Fassung basiert jedoch weder auf überholten sexualmoralischen Vorstellungen noch ist sie Ausdruck einer gesellschaftlichen Doppelmoral (so Fischer Rdn. 2a). § 182 zielt nicht darauf ab, sexuelle Handlungen Minderjähriger generell zu unterbinden. Die Kontakte Vierzehn- und Fünfzehnjähriger mit gleichaltrigen und geringfügig älteren Partnern werden nicht strafrechtlich beanstandet, und selbst Handlungen mit deut8 Krit. zu dieser Änderung Renzikowski MK Rdn. 27. 9 Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung MSchrKrim 1992 226 (zum Referentenentwurf v. 21.10.1991, der die Merkmale „gegen Entgelt/Ausnutzung einer Zwangslage“ nicht enthielt).
10 S. BTDrucks. 16/9646 S. 17 f, 24 ff, 31 f; Fischer Rdn. 3. 11 Sick ZStW 103 (1991) 43, 76; Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung MSchrKrim 1992 228; Stephan S. 189. Krit. auch Harzer in Inst. für Kriminalwissenschaften (Hrsg.) Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts (1995) 31, 44. Hörnle
340
I. Normzweck
§ 182
lich älteren Personen (über 21 Jahren) bleiben straffrei, wenn Minderjährige sich selbstbestimmt dafür entschieden haben (§ 182 Abs. 3). Die Norm verfolgt das berechtigte Anliegen, die sexuelle Selbstbestimmung Minderjähriger zu schützen (BGHSt 42 51, 53; BayObLG NStZ 1995 500, 501).12 Im Schrifttum und teilweise auch in der Rspr. wird auf den Schutzzweck „ungestörte sexuelle Entwicklung“ verwiesen.13 Eine solche Umschreibung ist jedoch ungenau. „Ungestört“ kann nicht „keinerlei Einwirkungen“ bedeuten, da § 182 Jugendlichen positive Freiheit zur sexuellen Entfaltung zugesteht. Sexuelle Selbstbestimmung wird in Form eines Abwehrrechts geschützt (Vor § 174 Rdn. 46 f): Wenn die in § 182 umschriebenen Umstände vorliegen, besteht mangels echter Selbstbestimmung keine positive Freiheit zu Sexualkontakten und in den Mittelpunkt rückt die negative Freiheit, vor nicht selbstbestimmten Sexualkontakten verschont zu bleiben. Dieses Abwehrrecht gegen Dritte und deren Interessen schützt das Strafrecht allerdings in teilweise paternalistischer Weise, wenn Jugendliche faktisch den Sexualkontakt wollen (etwa zur Erzielung von Einkünften, § 182 Abs. 2). Gegenüber Minderjährigen ist jedoch in bestimmten Kontexten ein paternalistischer, ihren faktischen Willen ignorierender Schutz erlaubt (sog. weicher Paternalismus).14 § 182 Abs. 1 (Ausnutzung einer Zwangslage) schützt die Freiheit, selbstbestimmt über die Aufnahme sexueller Beziehungen zu entscheiden (BTDrucks. 12/4584 S. 8; BGHSt 42 51, 54). Auch bei Erwachsenen führen bestimmte Zwangslagen, nämlich die in den §§ 174a bis 174c aufgeführten, zu der Bewertung, dass diese Selbstbestimmung verhindern. Bei Jugendlichen kann noch nicht von einer vollständigen Ausreifung der für Selbstbestimmung erforderlichen Fähigkeiten ausgegangen werden. Bei ihnen gilt deshalb jede Zwangslage als Faktor, der ihre Urteils- und Durchsetzungsfähigkeit überfordert.15 Diese macht ein tatsächlich vorliegendes Einverständnis rechtlich unbeachtlich. Der Gesetzgeber hat bei der Rechtfertigung des Verbots in § 182 Abs. 2 (gegen Entgelt) u.a. darauf abgestellt, dass ein „Abgleiten in eine häufig mit Begleitkriminalität verbundene ‚Szene‘ zu befürchten“ sei (BTDrucks. 12/4584 S. 8). Dasselbe Argument findet sich in den (älteren) Materialien zu § 180 Abs. 2: Es soll vermieden werden, dass Minderjährige in ein durch Prostitution geprägtes Milieu geraten (BTDrucks. VI/3521 S. 46). Der Verweis auf Gefahren, die eine frühe Festlegung auf Prostitution mit sich bringt, ist überzeugend: Die Erfahrung, schnell Geld verdienen zu können, kann Jugendliche dazu verlocken, auf Ausbildung zu verzichten, wobei derartige Weichenstellungen spätere Handlungsoptionen zunichte machen oder erheblich erschweren können. Angesichts der gesundheitlichen Risiken und der langfristig meist negativen sozioökonomischen Folgen einer frühen Festlegung auf Prostitution ist es nachvollziehbar, die Entscheidung für Prostitution bei Jugendlichen (anders als bei Erwachsenen) als nicht selbstbestimmt zu werten (Lenz S. 368 f). Jugendliche sind noch nicht in vollem Umfang in der Lage, Folgen für die langfristige Lebensgestaltung angemessen zu beurteilen und sich in abgewogener Weise zu entscheiden.16 Allerdings fallen unter § 182 Abs. 2 auch Vorfälle, in denen ein Jugendlicher einmalig oder gelegentlich einen ihm angebotenen Vorteil akzeptiert, ohne deshalb einen vom „Rotlichtmilieu“ geprägten Lebensstil anzunehmen. Die h.M. verweist außerdem darauf, dass die Erfahrung der Käuflichkeit die ungestörte sexuelle Entwicklung negativ beeinflusse17 oder die Integration 12 Fischer Rdn. 2; Frommel NK Rdn. 4; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2; Renzikowski MK Rdn. 1 f; Stephan S. 70 ff.
13 BGH NJW 2000 3726; Kusch/Mössle NJW 1994 1504, 1505; Schetsche MSchrKrim 1994 201, 202; Schroeder NJW 1994 1501, 1502; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1. 14 S. zur Diskussion um die Grenzen eines weichen Paternalismus Lenz S. 223 ff. 15 Renzikowski MK Rdn. 6. 16 Hörnle NJW 2008 3522; s. auch Renzikowski MK § 180 Rdn. 4; Wolters SK Rdn. 2. 17 BTDrucks. 12/4584 S. 8; BGH NJW 2000 3726; NStZ 2004 683; NStZ 2006 444; Renzikowski MK Rdn. 7; Schroeder NJW 1994 1501, 1502. 341
Hörnle
2
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§ 182
Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen
der Sexualität in die Persönlichkeit störe.18 Es ist eine gut vertretbare Annahme, dass die Instrumentalisierung und Materialisierung von Sexualität bei Vereinbarung eines Do-ut-des-Verhältnisses (echte Geschenke scheiden aus, s. Rdn. 30) einer gelungenen Persönlichkeitsentwicklung nicht dienlich ist. Dies ist nicht so zu verstehen, dass es eines Schadensnachweises bedarf. Entscheidend ist nicht, wie die betroffenen Minderjährigen eine derartige Erfahrung verarbeiten, sondern, dass entgeltlicher Sexualkontakt generell nicht zu den Handlungen gehört, die Jugendliche frei wählen dürfen. 6 § 182 Abs. 3 dient ebenfalls dem Schutz sexueller Selbstbestimmung in Kontexten, in denen Jugendliche in ihrer Urteils- und Durchsetzungsfähigkeit dem Täter deutlich unterlegen sind. Auch wenn die Gegner dieses im Gesetzgebungsverfahren umstrittenen Verbots darauf verweisen, dass Feststellungen dazu schwierig sind (BTDrucks. 12/7035 S. 9; BTDrucks. 12/7044 S. 2), führt dies nicht zu der Schlussfolgerung, dass die Norm unzulässig sei.19 Die Umstände, unter denen Minderjährige nicht adäquat urteilen und entscheiden können, sind vielfältig. Sie können nur teilweise typisiert werden (so wie in Absatz 1 und 2 mit „Zwangslage“ und „Entgelt“), im Übrigen bedarf es einer Generalklausel.
II. Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Zwangslage und gegen Entgelt (Absatz 1 und Absatz 2) 1. Objektiver Tatbestand a) Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Zwangslage (Absatz 1) 7 aa) Geschützte Personen. Da nach internationalen Vorgaben der Begriff „Kind“ weiter gefasst wird als im deutschen Rechtskreis üblich, wurde die Schutzaltersgrenze für Handlungen gegen Entgelt im Jahr 2008 erhöht (s. Entstehungsgeschichte). Auch für die Variante „Ausnutzung einer Zwangslage“ hat der deutsche Gesetzgeber entschieden, dass alle Personen bis zum Alter von 18 Jahren zu schützen sind (nicht nur Jugendliche, sondern auch Kinder, BGHSt 42 51, 55; zum Verhältnis zu § 176 Rdn. 50). Dies wird weder von Art. 2 lit. b des UN-Fakultativprotokolls noch von Art. 2 lit. c des Europäischen Rahmenbeschlusses vorgegeben: Nach den dortigen Definitionen ist „Ausnutzen einer Zwangslage“ kein Fall von Kinderprostitution. Trotzdem ist das deutsche Recht überzeugend. Sechzehn- und Siebzehnjährige können zwar in der Regel im sexuellen Bereich eigenverantwortlich handeln (BTDrucks. 12/4584 S. 7), aber eine Zwangslage engt Entscheidungsspielräume in einer Weise ein, die bei Minderjährigen eine wirksame Zustimmung ausschließt.
8 bb) Täter. Seit dem 29. StÄG v. 31.5.1994 können auch Frauen und Personen mit anderer Geschlechtsidentität Täter sein (zuvor war der Täterkreis durch das Merkmal „Beischlaf“ auf Männer beschränkt).20 Bis zum Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie v. 31.10.2008 konnten Täter nur Personen über 18 Jahren sein. Einen überzeugenden Grund, jugendliche Täter zu privilegieren, gab es aber nicht: Grund der Strafbarkeit ist eine Zwangslage
18 Wolters SK Rdn. 2. 19 AA Brüggemann S. 546 f. 20 Krit. zur Ausweitung Gesellschaft für Sexualforschung MSchrKrim 1992 226; Oberlies Streit 1992 99, 101; Tröndle ZRP 1992 297, 299. Hörnle
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des Opfers, die auch dann vorliegen kann, wenn kein Altersgefälle zwischen den Beteiligten besteht. Es war deshalb konsequent, die Altersgrenze für Täter aufzuheben.21
cc) Dritte. Dritte i.S.v. § 182 Abs. 1 Nr. 2 können männliche oder weibliche Personen beliebigen 9 Alters sein (auch ein Kind). Es kommt nicht darauf an, ob sich der Dritte selbst durch die sexuelle Handlung strafbar macht.22
dd) Tathandlungen. Absatz 1 Nr. 1 erfasst sexuelle Handlungen des Opfers am Täter oder des 10 Täters am Opfer, also jeweils Handlungen mit Körperkontakt, Absatz 1 Nr. 2 dementsprechende sexuelle Handlungen des Opfers an einem Dritten oder des Dritten an ihm. Nicht erfasst werden Handlungen ohne Körperkontakt. Das sollte geändert werden. Handlungen ohne Körperkontakt für die Herstellung pornographischer Bilder nehmen zu. Manche Handlungen ohne Körperkontakt mit anderen gehen über bloßes Posieren weit hinaus und führen zu erheblichen Verletzungen der Intimsphäre und u.U. sogar zu Körperverletzungen, etwa beim Einführen von Gegenständen in den eigenen Körper (s. z.B. zu gruppendynamischen Prozessen, die massive Formen derartiger Demütigung einschließen, § 177 Rdn. 27). Bezüglich der Erfassung aller Varianten sexueller Handlungen ist der 13. Abschnitt nach wie vor nicht systematisch durchdacht. Dass in § 174 sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt unter Strafe gestellt sind, nicht aber in § 182, ergibt keinen Sinn. Die Erheblichkeit der sexuellen Handlung ist nach den üblichen Maßstäben für den sexu- 11 ellen Missbrauch Minderjähriger zu bestimmen (§ 174 Rdn. 7). Der Gesetzgeber hat nicht das in § 149 StGB-DDR enthaltene engere Konzept übernommen, das nur Geschlechtsverkehr und ähnliche Handlungen umfasste (BTDrucks. 12/4584 S. 9). Im Schrifttum wurde vereinzelt gefordert, den Begriff der sexuellen Handlung in § 182 eng auszulegen und nur Geschlechts-, Anal- und Oralverkehr zu ahnden (Kusch/Mössle NJW 1994 1506; aA BGHSt 42 51, 53).23 Eine restriktive Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle ist zwar gem. § 184h Nr. 1 im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut möglich, jedoch nur bei jugendtypischen Aktivitäten geboten, die von § 180 Abs. 1 erfasst werden (dazu § 180 Rdn. 9). Handlungen unter Ausnutzung einer Zwangslage oder gegen Entgelt (§ 182 Abs. 1, 2) fallen in eine andere Kategorie als harmlose Erkundungen in Jugendbeziehungen. § 182 Abs. 1 Nr. 1 setzt voraus, dass der Täter entweder aktiv Handlungen am Körper des 12 Minderjährigen vornimmt oder vom Minderjährigen am eigenen Körper vornehmen lässt. Bei der ersten Variante kann der Täter auch andere Menschen als Werkzeuge für sexuelle Handlungen am Körper des Opfers einsetzen (Vor § 174 Rdn. 58 ff). Es handelt sich nicht um ein eigenhändiges Delikt.24 Der Tatbestand ist erfüllt, wenn der Täter den Minderjährigen auffordert oder wenn er ihn ermuntert, von diesem aus eigenem Antrieb begonnene sexuelle Handlungen fortzusetzen.25 Umstr. ist, ob auch Passivität ausreichen kann. In der Lit. wird vertreten, dass der Tatbestand nicht durch Unterlassen erfüllt werden kann.26 Überzeugender ist es aber, zu differenzieren: Entscheidend sollte sein, ob der Täter als Garant verpflichtet ist, Verhalten des Minderjährigen zu unterbinden, das wegen der Zwangslage nicht als selbstbestimmt gelten kann (Vor § 174 Rdn. 62). Wenn der Täter eine Garantenstellung hat, entweder als Beschützergarant gegenüber dem betroffenen Minderjährigen oder aufgrund von vorangegangenem rechtswidrigen Tun, das die Zwangslage begründet hat, muss er sexuelle Berührungen durch den 21 22 23 24 25 26 343
Fischer Rdn. 4. Krit. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 5. Fischer Rdn. 8; Renzikowski MK Rdn. 45; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. AA auch Renzikowski MK Rdn. 47; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Stephan S. 92 f. AA Fischer Rdn. 7. Fischer Rdn. 7. Fischer Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele § 184h Rdn. 19. Hörnle
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Minderjährigen ablehnen. Wenn es an einer solchen Garantenstellung fehlt, ist dagegen die ausschließlich passive Hinnahme von sexuellen Berührungen straffrei. 13 § 182 Abs. 1 Nr. 2 ist anzuwenden, wenn der Täter den Minderjährigen bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen. Für die Tatvollendung ist erforderlich, dass diese sexuellen Handlungen tatsächlich stattgefunden haben.27 Der Täter muss dies durch aktives Tun ermöglicht haben (Vor § 174 Rdn. 65). Bestimmen i.S.v. § 182 Abs. 1 Nr. 2 liegt unstreitig immer dann vor, wenn der Täter in kommunikativer Weise auf den Willen des Minderjährigen eingewirkt hat.28 Ob darüber hinaus auch andere Formen der Einwirkung erfasst werden, bedarf einer differenzierenden Antwort (Vor § 174 Rdn. 66 f). In der Variante „zur Duldung von Handlungen eines Dritten bestimmen“ kann jede Form der Einwirkung genügen, auch vis absoluta,29 sofern dies in einer Weise geschieht, mit der die Zwangslage ausgenutzt wird. Wenn der Minderjährige dagegen selbst aktiv werden soll, muss das Bestimmen notwendigerweise eine kommunikative Einwirkung sein, die den Handlungsentschluss hervorruft. War der Minderjährige bereits zur Vornahme sexueller Handlungen entschlossen, fehlt es am Bestimmen.30 Kettenbestimmung ist möglich,31 s. § Vor 174 Rdn. 65.
14 ee) Ausnutzung einer Zwangslage. Eine Zwangslage ist durch eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis des Opfers gekennzeichnet (BTDrucks. 12/4584 S. 8).32 Die Zwangslage muss nicht existenzbedrohend (BTDrucks. 12/4584 S. 8), aber sie muss ernst sein. In einer Situation der ernsten persönlichen Bedrängnis sind wegen der damit typischerweise verbundenen Gefühlszustände wie Panik, Verwirrung, Angst, Sorge usw. von Minderjährigen rationale Beurteilungen und Entscheidungen nicht mehr zu erwarten. Es spielt keine Rolle, ob die Situation für den Minderjährigen vermeidbar war; auch ist gleichgültig, ob der Täter diese geschaffen hat oder ob er lediglich eine vorhandene Situation ausnutzt (BTDrucks. 12/4584 S. 8).33 Die Erfüllung des Tatbestandes hängt nicht davon ab, ob der Täter oder der Minderjährige die Initiative ergreift.34 15 Eine Zwangslage liegt vor, wenn sich Jugendliche in einer akuten Notsituation befinden, z.B. drogenabhängige oder von zu Hause fortgelaufene Jugendliche, BTDrucks. 12/4584 S. 8. Der Anwendungsbereich des Begriffs „Zwangslage“ reicht weiter als der Anwendungsbereich von § 177 Abs. 5 Nr. 3: Es kommt nicht darauf an, ob das Opfer in der konkreten räumlichen Lage körperlich entkommen könnte.35 Liegt die in § 177 Abs. 5 Nr. 3 erfasste schutzlose Lage vor, ist allerdings bei einem minderjährigen Opfer auch von einer Zwangslage i.S.v. § 182 Abs. 1 auszugehen. Selbst wenn das Opfer keine Gewalt von Seiten des Täters befürchtet, kann bei Ausnutzung örtlicher Besonderheiten eine Notsituation für den Minderjährigen entstehen. Dies wäre z.B. der Fall, wenn sich das Opfer durch das Verbringen an einen einsamen Ort in eine Falle gelockt sieht und sich nicht aufgrund von Furcht, sondern aufgrund von Verwirrung und Bestürzung passiv verhält (s. BGH NStZ-RR 2008 238)36 oder wenn der Täter ein geistig behindertes minderjähriges Opfer unter einem Vorwand in seine Wohnung gelockt hat (BGH NStZ 2021 223). Es reicht für eine Zwangslage aus, wenn bei einem Aufenthalt im Ausland Jugendliche vom 27 28 29 30 31 32
Fischer Rdn. 8; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. Renzikowski MK Rdn. 42; Sch/Schröder/Eisele § 184h Rdn. 19; Wolters SK Rdn. 11. AA Renzikowski MK Rdn. 42; Wolters SK Rdn. 11. Wolters SK Rdn. 11. AA Wolters SK Rdn. 11. Ebenso BGHSt 42 399, 400; BGH NStZ-RR 2008 238; NStZ 2021 223, 224; Fischer Rdn. 5; Kusch/Mössle NJW 1994 1504, 1506; Renzikowski MK Rdn. 37; Wolters SK Rdn. 6. 33 Fischer Rdn. 5; Renzikowski MK Rdn. 38; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Wolters SK Rdn. 6. 34 Renzikowski MK Rdn. 39, 40; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Wolters SK Rdn. 7. 35 Fischer Rdn. 5; Renzikowski MK Rdn. 41. 36 In dieser Entscheidung wurde allerdings das Ausnutzen einer Zwangslage mit der Begründung verneint, dass das Opfer situationsadäquat reagierte und die sexuellen Übergriffe beenden konnte. Hörnle
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Täter abhängig sind, weil dieser für ihren Unterhalt aufkommt, sie die Sprache des Landes nicht verstehen und sie keine sonstigen Kontakte haben (s. BGH NStZ-RR 2013 10, 12). Eine persönliche Bedrängnis kann auch vorliegen, weil der Minderjährige nachteilige Konsequenzen befürchtet, wenn der Täter sein Wissen über Handlungen des Minderjährigen oder einen diesen betreffenden Zustand weitergeben würde (etwa wenn er die Erziehungsberechtigten über die Drogenabhängigkeit oder den Aufenthaltsort des Jugendlichen oder Strafverfolgungsbehörden über eine Straftat informieren oder anderweitige sexuelle Aktivitäten des Jugendlichen bekannt geben könnte, BGHSt 42 399, 403 f, oder wenn der Minderjährige sonst von einem Verhalten des Täters negative Folgen erwartet, etwa elterliche oder schulische Sanktionen).37 Zwischen der Befürchtung nachteiliger Konsequenzen und einer sexuellen Handlung bedarf es eines Bindeglieds. Oft wird dies eine ausdrückliche oder konkludente Drohung des Täters sein, aber § 182 Abs. 1 ist auch ohne Drohungen des Täters anwendbar. Es genügt die beiden Seiten bewusste Möglichkeit einer für den Minderjährigen nachteiligen Handlung. Auch psychische Beeinträchtigungen können eine Zwangslage begründen,38 nämlich wenn infolge eines körperlichen oder psychischen Zustands, der Selbstbestimmung erschwert (etwa eine zu Verwirrung oder Orientierungslosigkeit führende Berauschung oder eine psychische Erkrankung),39 eine akute Notlage für den Minderjährigen entstanden ist. Nicht unter den Begriff der Zwangslage zu fassen ist jenseits von akuten Notlagen ein moderater, nicht zu schwerem Rausch führender Alkoholkonsum oder die Übernachtung in einer fremden Wohnung als Gast (BGH BeckRS 2019 7674), ebenso wenig geistige Behinderung als solche (ggf. ist § 182 Abs. 3 zu prüfen). Wenn aber besondere situative Umstände, die normalerweise keine Zwangslage begründen würden, die Überforderung eines geistig behinderten Minderjährigen verstärken, kann § 182 Abs. 1 anzuwenden sein (s. dazu BGH NStZ 2021 223, 224). Diffuse psychische Verwundbarkeit, die geeignet ist, das Eingehen sexueller Kontakte zu begünstigen, begründet dagegen keine Zwangslage i.S.v. § 182 Abs. 1. Nicht ausreichen würde es, dass Jugendliche sich einsam oder traurig fühlen, dass sie das Bedürfnis nach einem Gesprächspartner haben oder sich Zärtlichkeiten wünschen. Es fehlt auch am Ausnutzen einer Zwangslage, wenn der Täter das Opfer überrascht oder das Fehlen einer Bezugsperson oder pubertätsbedingte sexuelle Neugier ausnutzt (BGHSt 42 399, 401).40 Parallel zu § 232 Abs. 1 stellt sich auch bei § 182 Abs. 1 die Frage, ob schlechte soziale Verhältnisse und insbesondere Armut in der Herkunftsfamilie des Minderjährigen eine Zwangslage bedeuten.41 Dies ist nicht schon deshalb zu bejahen, weil die Familieneinkünfte unterdurchschnittlich sind, staatliche Fürsorgeleistungen in Anspruch genommen werden oder der Minderjährige in seinem Konsumverhalten mit Altersgenossen nicht mithalten kann. Vielmehr kann von einer wirtschaftlichen Zwangslage nur die Rede sein, wenn die Erziehungspflichtigen nicht willens oder nicht in der Lage sind, Grundbedürfnisse des von ihnen abhängigen Minderjährigen (z.B. ausreichende Nahrung oder der Jahreszeit angepasste Bekleidung) zu erfüllen. Die Umstände, durch die sich der Minderjährige bedrängt fühlt, müssen nicht tatsächlich vorliegen. Erfasst sind zum einen Konstellationen, in denen der Täter dem Minderjährigen Bedingungen vortäuscht, die, wenn sie tatsächlich gegeben wären, diesen in eine persönliche Bedrängnis bringen würden,42 zum anderen aber auch eine vom Opfer nur irrtümlicherweise vorgestellte Bedrängnis.43 Anders als bei § 177 Abs. 5 Nr. 3, wo der Wortlaut erfordert, dass das Opfer dem Täter tatsächlich schutzlos ausgeliefert ist (s. § 177 Rdn. 189), ergibt sich die Bedeu37 38 39 40 41
Renzikowski MK Rdn. 37, 38; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. Fischer Rdn. 5. AA Frommel NK Rdn. 8. Wolters SK Rdn. 6. Fischer Rdn. 5; Frommel NK Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Wolters SK Rdn. 6. Im Kontext des § 232 Abs. 1 geht es um die sozialen und ökonomischen Verhältnisse im Heimatland. Für eine Anerkennung als Zwangslage Sch/Schröder/Eisele § 232 Rdn. 15. AA Fischer § 232 Rdn. 5. 42 Renzikowski MK Rdn. 38 ff; Stephan S. 94 f. 43 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 7. 345
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tung der Zwangslage gem. § 182 Abs. 1 allein aus dem Effekt auf die Entscheidungsfreiheit des Minderjährigen. Maßgeblich ist die Wirkung, die die Vorstellung der misslichen Lage auf die noch nicht voll entwickelte Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung hat. 20 Die Bewertung, ob die vom Minderjährigen zugrunde gelegten Tatsachen eine gravierende persönliche Bedrängnis begründen, kann allerdings nicht alleine den individuellen Maßstäben der Betroffenen folgen. Der Begriff „Zwangslage“ erfordert einen gewissen Ernst der Situation. Umstände, die von verständigen Dritten (auch mit Empathie für jugendtypische Beweggründe) als vergleichsweise trivial eingeordnet würden, können nicht als „Zwangslage“ bezeichnet werden. Auch wenn Jugendliche subjektiv erheblich daran leiden, Schönheitsidealen nicht zu entsprechen oder ein bestimmtes Konsumgut nicht zu besitzen, befinden sie sich nicht in einer Zwangslage i.S.v. § 182 Abs. 1.44 Der Täter muss unter Ausnutzung der Zwangslage gehandelt haben. Dies setzt voraus, 21 dass das Opfer durch Kenntnis oder Annahme einer Zwangslage motiviert wurde, sexuelle Handlungen vorzunehmen bzw. zu dulden. S. Rdn. 40 dazu, dass bedingter Vorsatz des Täters hinsichtlich dieses Motivationszusammenhangs ausreicht. Erforderlich ist für ein Ausnutzen, dass es ohne die Zwangslage nicht zu der sexuellen Handlung gekommen wäre. Da bei psychologischen Zusammenhängen Kausalbeziehungen schwierig aufzuklären sind, genügt es, wenn die Zwangslage den Sexualkontakt jedenfalls erleichtert hat.45 Erfolgt die erste sexuelle Handlung für den Minderjährigen überraschend, fehlt es insoweit am Ausnutzen der Zwangslage. Gelingt es dem Opfer danach, weitere Übergriffe abzuwehren, liegt kein sexueller Missbrauch gem. § 182 Abs. 1 vor (vgl. BGH NStZ-RR 2008 238).46 Hat der Täter allerdings, nachdem das Opfer seine Absichten und die eigene Zwangslage erkannt hat, zu weiteren Handlungen angesetzt, kommt ein versuchter sexueller Missbrauch in Betracht. Probleme kann das Merkmal „ausnutzen“ bereiten, wenn einerseits in zeitlicher Nähe zur 22 sexuellen Handlung eine Zwangslage des Minderjährigen bestand, andererseits aber zwischen den Beteiligten eine durch wechselseitige emotionale Bindungen charakterisierte, längere Beziehung vorlag. In solchen Fällen gilt: Wenn für alle Beteiligten die Liebesbeziehung der ausschließliche Beweggrund für die Vornahme der sexuellen Handlung war, hat sich die Zwangslage nicht auf die Willensbildung des Opfers ausgewirkt und es fehlt am Ausnutzen derselben.47
23 ff) Missbrauch. Der Wortlaut des § 182 Abs. 1 setzt außerdem voraus, dass der Täter eine Person unter 18 Jahren missbraucht. In Verbindung mit der „Ausnutzung einer Zwangslage“ enthält dieses Merkmal keine weitere Eingrenzung: Nutzt der Täter eine Zwangslage aus, missbraucht er zwangsläufig das Opfer. Für die gedanklich bestehende Möglichkeit, dass trotz solcher Umstände in Ausnahmefällen ein Missbrauch verneint werden könnte,48 lassen sich keine Anwendungsfälle finden.49 Eine „echte Liebesbeziehung“ schließt schon das Ausnutzen einer Zwangslage aus50 (Rdn. 22).
44 So auch Fischer Rdn. 6. 45 Fischer Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Renzikowski MK Rdn. 39; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 46 Aus der knapp gehaltenen Begründung: „Die Geschädigte konnte, obwohl der Angeklagte sie zu einem Waldstück gebracht hatte, situationsadäquat reagieren und die sexuellen Übergriffe des Angeklagten beenden“ ergibt sich allerdings nicht zweifelsfrei, ob es nicht in der Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Situation und dem Verzicht des Täters auf weitere Übergriffe bereits sexuelle Handlungen gegeben hatte, denen das Opfer (das „sich hilflos fühlte, zunehmend Angst bekam und schließlich weinte“) wegen der Besonderheiten der Situation ausgeliefert war. 47 Renzikowski MK Rdn. 40; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 8; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 48 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11. 49 Fischer Rdn. 17; Kusch/Mössle NJW 1994 1507; Renzikowski MK Rdn 46; Stephan S. 82 f. 50 Wolters SK Rdn. 9. Hörnle
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b) Sexueller Missbrauch gegen Entgelt (Absatz 2) aa) Geschützte Personen. Das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der 24 Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie v. 31.10.2008 hat das deutsche Recht an internationale und europäische Vorgaben angepasst (s. Entstehungsgeschichte), indem die Schutzaltersgrenze auf 18 Jahre heraufgesetzt wurde. Dies ist unabhängig von internationalen Festlegungen zu begrüßen. Der zuvor bestehende Strafbarkeitsverzicht für die Kunden von sechzehn- und siebzehnjährigen Prostituierten war mit „pragmatischen“ Überlegungen begründet worden.51 Zu Recht wurde dies in der Lit. kritisiert,52 nicht nur, weil ein Widerspruch zu § 180 Abs. 2 bestand (der auch vor 2008 Bestimmungshandlungen zu Lasten von 16 und 17 Jahre alten Personen erfasste), sondern auch, weil es keinen einleuchtenden Grund für eine Privilegierung der „Freier“ gibt. Bei entgeltlichen Sexualhandlungen ist es zumutbar, sich über die Volljährigkeit desjenigen zu vergewissern, der entsprechende Dienstleistungen vornimmt.53
bb) Täter. Nach § 182 Abs. 2 machen sich nach wie vor nur volljährige Täter strafbar. Der 25 Entwurf zum Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union (Rdn. 24) hatte zwar vorgesehen, auch bei Handlungen gegen Entgelt die Altersgrenze für Täter aufzuheben (BTDrucks. 16/3439 S. 5, 8). Dies wäre sinnvoll.54 Die Gründe dafür, das Abgleiten von Minderjährigen in Prostitution zu verhindern, sind unabhängig vom Alter desjenigen, der als Kunde sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Es wurden jedoch in der Presse Bedenken gegen die Einbeziehung jugendlicher Täter geäußert. So wurde behauptet, dass sozialtypische Verhaltensweisen Jugendlicher wie die Einladung eines oder einer Gleichaltrigen ins Kino (in der Hoffnung, dass dort sexuelle Berührungen erfolgen könnten) strafbar würden.55 Derartige Berichterstattung beruhte auf unzutreffenden Vorstellungen zum Tatbestandsmerkmal „gegen Entgelt“: Damit sind durch Einladungen u.ä. geschaffene „gute Gelegenheiten“ nicht erfasst; es bedarf vielmehr einer Do-ut-des-Vereinbarung (Rdn. 30). Bedauerlicherweise ließ sich der Rechtsausschuss von sachlich unzutreffenden Einwänden beeinflussen.56 cc) Tathandlungen. S. zu den Handlungsvarianten Rdn. 10–12. Nicht erfasst werden Handlun- 26 gen ohne Körperkontakt (zur Kritik Rdn. 10).57 Jugendliche sind deshalb nach wie vor nicht vollständig vor kommerzialisierter sexueller Ausbeutung geschützt. Es fällt nicht unter § 182 Abs. 2 (und auch nicht unter ein anderes Verbot in § 182), wenn Jugendliche vor einem anderen in sexueller Weise posieren oder in sonstiger Weise sexuelle Handlungen an sich selbst vornehmen, und diese andere Person für das Betrachten bezahlt oder gegen Bezahlung Filmaufnahmen herstellt. Das bedeutet u.a., dass sich nicht strafbar macht, wer Minderjährige für Film- und Fotoaufnahmen von sexuellen Handlungen ohne Körperkontakt bezahlt. Dies steht in Wi51 52 53 54
Horstkotte JZ 1974 87. Fischer § 180 Rdn. 16; Schroeder NJW 1994 1501, 1502. Hörnle NJW 2008 3521, 3522 f. Die Aufhebung der Altersgrenze auf Täterseite empfiehlt auch die Reformkommission Sexualstrafrecht: BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 333 f. Krit. zur Altersgrenze auch Matt/ Renzikowski/Eschelbach Rdn. 10; Renzikowski MK Rdn. 7. 55 Vgl. auch Vormbaum JZ 2008 244 f. 56 In der Begründung des Rechtsausschusses wird darauf verwiesen, dass Jugendliche „Schutzobjekt der Vorschrift“ seien und deshalb nicht bestraft werden sollten, BTDrucks. 16/9646 S. 37. Dies erklärt nicht, warum in Absatz 1 jugendliche Täter erfasst werden. 57 Die Reformkommission zum Sexualstrafrecht empfiehlt ebenfalls, dass in § 182 Abs. 2 sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt erfasst werden sollten, BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 333. 347
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derspruch zu § 184c: Während jugendpornographische Schriften den kinderpornographischen Schriften gleichgestellt sind, machen sich diejenigen, die derartige Produkte mit Jugendlichen produzieren und diese dafür bezahlen, nicht in allen Fällen wegen sexuellen Missbrauchs nach § 182 strafbar. 27 Auch im Verhältnis zu § 180 Abs. 2 bestehen Widersprüche.58 § 180 Abs. 2 schließt im Gegensatz zu § 182 Abs. 2 Handlungen ohne Körperkontakt ein. Dies bedeutet, dass derjenige, der Jugendliche zur Mitwirkung bei sexuell aufreizenden Film- und Fotoaufnahmen oder Live-Darbietungen ohne Körperkontakt lediglich durch einen Tipp in Sachen Verdienstmöglichkeit motiviert hat, sich aus § 180 Abs. 2 strafbar macht, während der zahlende Fotograf oder Betrachter nicht aus § 182 Abs. 2 bestraft werden kann.
28 dd) Entgelt. Der Begriff des Entgelts ist in § 11 Abs. 1 Nr. 9 als „jede in einem Vermögensvorteil bestehende Gegenleistung“ definiert. Neben einer Geldzahlung ist an Vermögensvorteile in Form von Waren (Kleidung, Elektronikartikel und andere vermögenswerte Sachgüter) zu denken, an Zugang zu kostenpflichtigen Freizeitveranstaltungen (BGH NStZ 2006 444), Reisen, Unterkunft, Mahlzeiten und Getränke sowie Drogen (BGH NJW 1997 334).59 Die Höhe des Vermögensvorteils ist nicht ausschlaggebend: Es genügen geringfügige Zuwendungen, etwa Süßigkeiten (BGH NStZ 2006 444), eine Mahlzeit oder eine Übernachtung.60 Keine Rolle spielt, wer die Frage des Entgelts thematisiert hat (dies kann auch der Minderjährige gewesen sein, BGH bei Pfister NStZRR 2006 367) oder ob der Empfänger des Entgelts zuvor selbst Aufwendungen erbracht hat (Hilgendorf LK § 11 Rdn. 101). 29 Tatbestandsmäßig sind nicht nur vermögenswerte Leistungen, die der Täter selbst erbringt. Es genügt, wenn z.B. ein Freund des Täters oder eine andere Person die Bezahlung übernimmt. Das Entgelt muss nicht zwingend der Minderjährige erhalten:61 Zu unterbindende Kinder- und Jugendprostitution ist auch in der Weise möglich, dass ein den Minderjährigen dominierender Dritter diesen „als Ware verkauft“ (und damit sexuelle Selbstbestimmung missachtet), um das Entgelt in voller Höhe für sich zu behalten. Wesentlich ist das Bestehen eines Do-ut-des-Verhältnisses.62 Das Entgelt muss die Gegen30 leistung für die sexuelle Handlung sein. Nicht erforderlich ist, dass bei bezahlten Manipulationen am Körper (vermeintliche medizinische Untersuchungen oder Experimente) die Minderjährigen den sexuellen Charakter erkennen (BGHSt 61 173, 179). Nicht erfasst sind Geschenke, wenn ein von allen Beteiligten erkanntes Austauschverhältnis fehlt, etwa Geschenke an den Minderjährigen zur Pflege des persönlichen Kontaktes (BGHSt 42 399, 402) oder um seine Zuneigung zu gewinnen, Geschenke zu Anlässen wie Geburtstagen oder eine Entlohnung für von dem Minderjährigen geleistete Hilfsdienste (BGHSt 42 399, 402).63 Es bedarf einer Vereinbarung zwischen den Beteiligten, die ein bestimmtes Entgelt einer bestimmten sexuellen Gegenleistung zuordnet, wobei eine faktische Übereinkunft genügt (auf die zivilrechtliche Wirksamkeit kommt es nicht an).64 Die Vereinbarung kann sich auf Austauschverhältnisse von gewisser Zeitdauer richten65 (etwa wenn während einer vom Täter finanzierten gemeinsamen Reise der Minderjährige mehrfach sexuelle Gegenleistungen erbringen soll). Es genügt nicht, dass einer der beiden Sexualpartner nach seinen inneren, unausgespro31 chenen Vorstellungen einen Konnex zwischen einer vermögenswerten Begünstigung und se58 59 60 61 62 63 64 65
Krit. auch Renzikowski MK Rdn. 12; Schroeder GA 2009 213, 216; Sick/Renzikowski FS Schroeder 603, 612. Renzikowski MK Rdn. 50; Wolters SK Rdn. 14. Fischer Rdn. 10b; Frommel NK Rdn. 9; Kusch/Mössle NJW 1994 1504, 1506; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. So auch Renzikowski MK Rdn. 51. Renzikowski MK Rdn. 52; Kusch/Mössle NJW 1994 1506; Stephan S. 101. Renzikowski MK Rdn. 51; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Wolters SK Rdn. 14. BGH NStZ 2004 683; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5a; Wolters SK Rdn. 14. Kusch/Mössle NJW 1994 1504, 1506.
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II. Sexueller Missbrauch in Zwangslagen und gegen Entgelt
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xuellen Handlungen herstellt. § 182 Abs. 2 ist nicht anzuwenden, wenn jemand zu kostenpflichtigen Freizeitveranstaltungen oder zum Konsum von Getränken, Mahlzeiten oder Drogen einlädt und sich erhofft, dass es bei diesen Gelegenheiten zu sexuellen Handlungen kommen wird (s. Rdn. 25 zu unrichtigen Behauptungen in der Presse während der Beratungen zur Gesetzesänderung v. 31.10.2008). Verführung (auch mit materiellen Anreizen) ist von Sexualkontakten „gegen Entgelt“ abzugrenzen: Verführung liegt vor, wenn die Thematisierung und Einforderung von vereinbarten Gegenleistungen vermieden wird. Mangels Vereinbarung eines konkreten Austauschverhältnisses fällt es auch nicht unter § 182 Abs. 2, wenn in einer längeren Beziehung eine Person mehrfach echte, d.h. nicht an sexuelle Zwecke gebundene Geschenke macht, selbst wenn der minderjährige Empfänger ohne diese Geschenke den Kontakt vermutlich nicht aufrechterhalten hätte.66 Die erforderliche Vereinbarung muss vor oder spätestens während des Sexualkontakts getroffen werden (BGH NStZ 2004 683; NStZ 2006 444).67 Absprachen „während des sexuellen Kontaktes“ genügen, wenn sie sich auf die Fortsetzung desselben beziehen. Nicht erforderlich ist, dass das Entgelt erst nach der Absprache entrichtet wird: Tatbestandsmäßig sind auch Konstellationen, in denen der Minderjährige einen Vermögensvorteil erhalten hat und danach ein Austauschverhältnis vereinbart sowie im Anschluss die sexuelle Handlung vollzogen wird. Gleichgültig ist, ob ein vereinbartes Entgelt tatsächlich gewährt wird oder nicht. Die Zusage genügt, und zwar auch, wenn diese nur zur Täuschung des Minderjährigen abgegeben wird (BGH NStZ 2004 683).68 Umstr. ist, ob die Entgeltvereinbarung der ausschlaggebende Grund für die Bereitschaft des Minderjährigen zum Sexualkontakt gewesen sein muss (so BTDrucks. VI/1552 S. 24).69 Überzeugender ist es, als ausreichend anzusehen, dass dieser durch den Vermögensvorteil „wenigstens mitmotiviert“ wurde ((BGHSt 61 173, 178; BGH NStZ 2004 444; NStZ 2006 683).70 Bei Motivbündeln (etwa wenn der Minderjährige angibt, auch neugierig oder eingeschüchtert gewesen zu sein) ist es schwierig, das relative Gewicht der einzelnen Beweggründe zu rekonstruieren. Es muss deshalb die Feststellung genügen, dass das Entgelt jedenfalls ein motivierender Faktor war. Gleichgültig ist, ob der Jugendliche schon vorher der Prostitution nachgegangen war, da auch das Verbleiben im Prostitutionsmilieu verhindert werden soll (BGH bei Holtz MDR 1977 809). Nicht erfasst sind immaterielle Vorteile71 wie das Mitspielen in einer Sportmannschaft oder die Beteiligung an anderen Freizeitaktivitäten, persönliche Beziehungen, Zugehörigkeit zu einer Jugendclique u.ä. Wenn einem Minderjährigen angeboten wird, an einem Auswahlverfahren für Musiker, Schauspieler, Modells etc. (sog. Castings) teilzunehmen, ist zu differenzieren.72 Wird für den Fall der Auswahl eine Bezahlung der darstellerischen Leistung versprochen und dem Minderjährigen suggeriert, dass er nur noch eine Eignungsprüfung absolvieren müsse, aber bereits mit einer bezahlten Rolle als Darsteller rechnen könne, so ist dies (so wohl in BGH NStZ 2004 683) erfasst. Handelt es sich bei dem in Aussicht gestellten Casting dagegen um einen echten Wettbewerb, bei dem aus vielen Teilnehmern ausgewählt wird, ist die Teilnahme als solche noch kein vermögenswerter Vorteil; anders aber, wenn bereits für die Teilnahme Vergütung, Waren oder andere vermögenswerte Vorteile versprochen werden. Die Ausgrenzung immaterieller Vorteile stieß auf Kritik. Ihre motivierende Kraft kann bei Jugendlichen beträchtlich sein, für die der Status innerhalb ihrer sozialen Umgebung besonders 66 67 68 69 70
Kusch/Mössle NJW 1994 1504, 1506. Wolters SK Rdn. 14. Fischer Rdn. 10c; Renzikowski MK Rdn. 51; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Wolters SK Rdn. 14. Hanack NJW 1974 5. Fischer Rdn. 10b; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 12; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Stephan S. 101; Wolters SK Rdn. 14. 71 Schroeder NJW 1994 1501, 1502; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Wolters SK Rdn. 14. 72 Wolters SK Rdn. 14 ordnet die Teilnahme an einem Casting als materiellen Vorteil ein. 349
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wichtig sein kann.73 Allerdings würde die Einbeziehung aller immateriellen Vorteile zu Anwendungsproblemen führen. Es kann nicht Aufgabe des Strafrechts sein, Jugendliche gegen jeglichen emotionalen Druck abzuschirmen, zumal dies wegen der Notwendigkeit, Gefühle und persönliche Verwundbarkeit offenzulegen, die Ausforschung ihrer Intimsphäre zur Folge hätte. Zu erwägen wäre allerdings, eine nur möglicherweise zu erwartende Vermögensmehrung einzuschließen (Castings u.ä., Rdn. 35).
37 ee) Missbrauch. In den meisten Fällen hat das Merkmal „missbraucht“ auch für § 182 Abs. 2 keine praktische Bedeutung, da bei Handlungen „gegen Entgelt“ in der Regel ein Missbrauch vorliegt. Bei den im Gesetzgebungsverfahren angeführten Beispielen für fehlenden Missbrauch sind bereits andere Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt. „Geschenke im Rahmen einer echten Liebesbeziehung“ oder ein „völlig in den Hintergrund tretender Vermögensvorteil“ (BTDrucks. 12/4232 S. 5) sind kein Entgelt.74 Dasselbe gilt für die von Schroeder (NJW 1994 1501, 1504) benannten Beispiele „bloßes Ausnutzen von Chancen“ und „Geschlechtsverkehr nach gemeinsamer Feier mit Alkoholgenuss“. Allerdings gibt es vereinzelte Konstellationen, in denen „missbraucht“ eine Filterfunktion 38 haben kann. Dies betrifft zum einen Entgeltvereinbarungen, die auf Betreiben des Minderjährigen erst nach der sexuellen Handlung abgeschlossen werden75 (etwa, wenn der Minderjährige danach Bezahlung fordert und sich der Sexualpartner darauf einlässt). Eine Beschränkung der Bestrafung in solchen Fällen ergibt sich weder aus dem Merkmal „gegen Entgelt“ noch aus dem Schutzzweck der Norm (die auch bereits in Prostitution verstrickte Minderjährige schützt), aber daraus, dass der Tatbestand voraussetzt, dass der Täter den Minderjährigen durch die sexuelle Handlung missbraucht. Hieran fehlt es, wenn dem Täter der Prostitutionskontext erst nach der sexuellen Handlung bewusst wird. Zum anderen liegt kein Missbrauch des Jugendlichen vor, wenn die Rollen von Kunden und Prostituierten vertauscht sind,76 d.h. wenn volljährige Prostituierte an jugendlichen Kunden sexuelle Handlungen vornehmen.
2. Subjektiver Tatbestand 39 Hinsichtlich des Alters des Minderjährigen ist mindestens bedingter Vorsatz erforderlich. Handelt der Täter unter den in § 182 Abs. 1, Abs. 2 benannten Umständen gegenüber einem Kind, dies aber in der Annahme, es mit einem Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren zu tun zu haben, scheidet zwar wegen § 16 Abs. 1 Satz 1 eine Bestrafung aus § 176 aus. Er ist aber aus § 182 Abs. 1 oder Abs. 2 zu bestrafen.77 Nimmt der Täter irrtümlich an, ein Jugendlicher sei noch ein Kind, macht er sich wegen des Versuchs einer Tat nach § 176 in Tateinheit mit § 182 Abs. 1 oder Abs. 2 strafbar78 (s. zur Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses zwischen § 176 und § 182 durch die Rspr. Rdn. 50). Bedingter Vorsatz genügt ebenfalls für die anderen Tatbestandsmerkmale, auch für das 40 Merkmal „Ausnutzen“ einer Zwangslage gem. § 182 Abs. 1.79 In der Literatur wird zwar teilweise angenommen, dass der Täter bewusst und willentlich einen Konnex zwischen der Bedrängnis, in der sich der Minderjährige befindet, und dessen Bereitschaft zu einer sexuellen Handlung hergestellt haben müsse. Er müsse mit direktem Vorsatz in Form von Absicht oder sicherem 73 74 75 76 77 78 79
Schroeder NJW 1994 1501, 1502. Renzikowski MK Rdn. 53; Wolters SK Rdn. 14. So auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 13; aA Renzikowski MK Rdn. 53. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 13; Renzikowski MK Rdn. 52; Fischer Rdn. 10; Wolters SK Rdn. 16. BGHSt 42 51, 55; Fischer Rdn. 19; Wolters SK Rdn. 5. Fischer Rdn. 19; Wolters SK Rdn. 5. Frommel NK Rdn. 12; Renzikowski MK Rdn. 54.
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Wissen gehandelt haben.80 Dies überzeugt jedoch nicht: „unter Ausnutzung“ charakterisiert die Wahrnehmung und Motivation des Opfers, nicht aber besondere Intentionen des Täters.
3. Täterschaft und Teilnahme Die Tathandlungen müssen nicht eigenhändig vorgenommen werden81 (Vor § 174 Rdn. 58 ff). 41 Die Minderjährigen sind unabhängig vom Gewicht ihrer Beteiligung nicht als Teilnehmer zu bestrafen (Vor § 174 Rdn. 68). Der Dritte in § 182 Abs. 1 Nr. 2 kann sich durch die sexuellen Handlungen selbst nach Absatz 1 Nr. 1 strafbar machen.82 Täterstrafbarkeit verdrängt ggf. eine Bestrafung als Teilnehmer an den Bestimmungshandlungen gem. § 182 Abs. 1 Nr. 2 oder § 180 Abs. 2.
4. Versuch Vollendet sind Taten nach § 182 Abs. 1, Abs. 2, wenn mit der sexuellen Handlung begonnen 42 wurde.83 Der Versuch ist seit dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie v. 31.10.2008 strafbar. S. zu der Frage, wann zum „Bestimmen“ (§ 182 Abs. 1 Nr. 2) angesetzt wird, § 176 Rdn. 29 ff. Kein wesentlicher Zwischenakt, der den Versuchsbeginn hinausschieben würde, liegt darin, dass die minderjährige Person nach der Vorstellung des Täters den Vorschlag annehmen müsste, einvernehmliche sexuelle Handlungen vorzunehmen oder zu dulden. An einem unmittelbaren Ansetzen zum Versuch würde es nur dann fehlen, wenn das Herstellen von Einvernehmen und die sexuellen Handlungen zeitlich getrennte Vorgänge sein sollten. Sollte es dagegen unmittelbar nach einer erhofften positiven Reaktion des Minderjährigen zum Sexualkontakt kommen, liegt in der Kommunikation schon das Ansetzen zu sexuellen Handlungen (aA BGH NStZ-RR 2021 335; BeckRS 2021 34646).
5. Strafzumessung Der gesetzliche Strafrahmen reicht für die eigene Beteiligung an sexuellen Handlungen (§ 182 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2) ebenso wie für das Bestimmen eines Minderjährigen zu solchen Handlungen mit Dritten (§ 182 Abs. 1 Nr. 2) von Geldstrafe bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Die Bewertung des Tatunrechts hängt zum einen davon ab, wie intensiv die sexuelle 44 Handlung ausfiel und mit welcher Häufigkeit solche Handlungen stattfanden. Für das Bestimmen (§ 182 Abs. 1 Nr. 2) ist maßgeblich, in welchem Ausmaß auf die Motivation des Minderjährigen eingewirkt wurde. Zum anderen kommt es beim Ausnutzen einer Zwangslage darauf an, wie bedrohlich diese aus Sicht des Minderjährigen und wie verwerflich deshalb ihre Ausnutzung durch den Täter war. Außerdem wirkt es unrechtserhöhend, wenn der Täter die Zwangslage geschaffen hat, um sie anschließend für eine sexuelle Handlung ausnutzen zu können.84 Bei der Tatbestandsvariante „gegen Entgelt“ ist dagegen die Höhe des im Einzelfall bezahlten Entgelts unwichtig: Es spielt keine Rolle, ob das Opfer großzügig oder eher mager entlohnt wurde. Maßgeblich ist dagegen, wie intensiv der Täter das Opfer in Prostitution verstrickt hat, d.h. die Anzahl der entgeltlichen Sexualkontakte. 80 81 82 83 84 351
Fischer Rdn. 20; Stephan S. 98 f. S. auch Wolters SK Rdn. 8. AA Fischer Rdn. 7 (für Handlungen nach Absatz 1 Nr. 1); Wolters SK Rdn. 15 (für Handlungen nach Absatz 2). Darauf verweisen auch Renzikowski MK Rdn. 70; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; Wolters SK Rdn. 12. Renzikowski MK Rdn. 71; Sch/SchröderEisele Rdn. 17; Wolters SK Rdn. 4, 10, 14. Renzikowski MK Rdn. 78; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21. Hörnle
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Absatz 6 ermöglicht es, von Strafe abzusehen. Diese Vorschrift ist auch für versuchte Taten anzuwenden, obwohl Absatz 4 nicht angeführt ist. Geeignete Anwendungsfälle für ein Absehen von Strafe dürften selten sein.85 Anders als bei § 174 Abs. 5 (§ 174 Rdn. 83) sind „echte Liebesbeziehungen“ kein möglicher Grund, von Strafe abzusehen: Liegt eine solche vor und war dies kausal für die sexuellen Handlungen, fehlt es am Merkmal „Ausnutzen der Zwangslage“ oder „gegen Entgelt“.86 Ist zweifelhaft, ob die sexuelle Handlung durch eine Liebesbeziehung zustande kam oder doch durch eine Zwangslage des Minderjährigen, ist in dubio pro reo zu entscheiden.87 Das Unrecht der in Absatz 1 und Absatz 2 angeführten Handlungen ist nicht geringer, wenn die Initiative zum Sexualkontakt vom Opfer ausging oder dieses sich bereits prostituiert hat.88 Das 49. StÄG v. 27.1.2015 hat bei § 174 Abs. 5 den Passus „bei Berücksichtigung des Verhaltens des Schutzbefohlenen“ gestrichen, was überzeugend ist. Bei fehlender Selbstbestimmung der betroffenen Jugendlichen mindert deren durch Unreife geprägtes Verhalten das vom Täter verwirklichte Unrecht nicht. Leider hat der Gesetzgeber versäumt, auch in § 182 Abs. 6 eine entsprechende Änderung vorzunehmen. Schuldminderungsgründe sind unbeachtlich, da § 182 Abs. 6 allein auf das Unrecht abstellt.89 Ein Absehen von Strafe kann dann in Betracht gezogen werden, wenn bei wenig gewichtigen sexuellen Vorfällen das Opfer knapp vor Vollendung des 18. Lebensjahres stand.90
6. Konkurrenzen 46 a) Innerhalb des § 182. § 182 Abs. 1 und Abs. 2 verdrängen Absatz 3.91 Die Annahme von Tateinheit wäre nur begründet, wenn Taten nach Absatz 3 ein Unrechtselement aufweisen würden, das nicht auch bei Taten nach Absatz 1 und Absatz 2 vorliegt. Hierfür käme allenfalls die in Absatz 3 vorausgesetzte Altersdifferenz zwischen Täter und Opfer in Betracht. Dieses Merkmal charakterisiert jedoch nicht per se Unrecht, sondern hat nur die Funktion eines Indizes dafür, dass der Minderjährige in der konkreten Interaktion nicht selbstbestimmt handeln konnte. Wenn in Konstellationen mit mehr als zwei Beteiligten ein Täter unter Ausnutzung einer 47 Zwangslage den Minderjährigen zu sexuellen Handlungen mit einem Dritten bestimmt (§ 182 Abs. 1 Nr. 2) und sich an den sexuellen Aktivitäten auch selbst beteiligt (§ 182 Abs. 1 Nr. 1), ist beim Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit (enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang) von Tateinheit (§ 52 Abs. 1) auszugehen92 (§ 176 Rdn. 55). Dasselbe gilt bei der Variante „gegen Entgelt“ für Bestimmen gem. § 180 Abs. 2 und eigener Beteiligung gem. § 182 Abs. 2. Führt das Bestimmen gem. § 182 Abs. 1 Nr. 2 zu mehreren zeitlich auseinander liegenden sexuellen Handlungen, ist von Tateinheit auszugehen (§ 176 Rdn. 56). Sind mehrere Jugendliche an einem Tatgeschehen beteiligt, für das ein Täter aus § 182 Abs. 1 oder Abs. 2 zu bestrafen ist, ist wegen des Angriffs auf höchstpersönliche Rechtsgüter nicht von einer Tat, sondern von Tatmehrheit auszugehen (Vor § 174 Rdn. 72).93 Wird eine Zwangslage oder eine einmalige Entgeltzahlung zu mehreren, in zeitlichem Ab48 stand voneinander vorgenommenen sexuellen Handlungen ausgenutzt, genügt die Teilidenti85 86 87 88
Schroeder NJW 1994 1501, 1504. Renzikowski MK Rdn. 81; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21a. Renzikowski MK Rdn. 81; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21a; Stephan S. 130. Kusch/Mössle NJW 1994 1504, 1507; Renzikowski MK Rdn. 81; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21a; Wolters SK Rdn. 13, 18. AA Schroeder NJW 1994 1501, 1504. 89 Fischer Rdn. 25; Frommel NK Rdn. 14; Renzikowski MK Rdn. 80; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21a; Wolters SK Rdn. 13. 90 Renzikowski 3, 81. 91 Frommel NK Rdn. 15; Renzikowski MK Rdn. 73; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19; so auch Wolters SK Rdn. 26 für Absatz 1 und 3. 92 Fischer Rdn. 26; Frommel NK Rdn. 15; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19; Wolters SK Rdn. 26. AA Renzikowski MK Rdn. 73. 93 AA Renzikowski MK Rdn. 73; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19. Hörnle
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III. Sexueller Missbrauch bei Unfähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung
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tät der Delikte nicht für die Annahme von Tateinheit. Vielmehr ist von Tatmehrheit auszugehen. Dies ist auch die Position der Rspr. beim Ausnutzen einer Zwangslage für mehrere sexuelle Handlungen (Tatmehrheit wurde nicht beanstandet in BGHSt 42 399, 402 f; darauf weist BGH NJW 2002 381, 382 ausdrücklich hin). Auch für die Variante „einmalige Entgeltzahlung“ stehen wiederholte sexuelle Handlungen nur dann zueinander im Verhältnis der Tateinheit, wenn sie in engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang erfolgen (aA BGH NStZ-RR 2021 45: Tateinheit, es sei denn, es liegen getrennte Entschlüsse hinsichtlich der sexuellen Handlungen vor).
b) Das Verhältnis zu anderen Tatbeständen. Tateinheit kann vorliegen mit § 177 Abs. 1, 49 § 177 Abs. 2 Nr. 2, 3, 4, 5 (auch mit den Qualifikationen des § 177, die zu den genannten Grundtatbeständen hinzutreten),94 und mit den §§ 171, 173, 174a bis 174c. Soweit Umstände, die eine Zwangslage nach § 182 Abs. 1 begründen, identisch sind mit den Umständen, die ausgenutzte Abhängigkeit nach § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 begründen, tritt § 182 hinter § 174 zurück (NStZ-RR 2014 46, 47). Im Übrigen ist Tateinheit zwischen den §§ 182 Abs. 1, 2 und § 174 Abs. 1, 2 möglich, ebenso mit Prostitutionsdelikten (§§ 180a, 181a, 232a) und Tatbeständen, die die Herstellung von Kinder- und Jugendpornographie unter Strafe stellen (§§ 184b Abs. 1 Nr. 3, 184c Abs. 1 Nr. 3). § 180 Abs. 1 tritt hinter § 182 Abs. 1 Nr. 2 zurück.95 Die Rspr. des BGH zum Verhältnis von § 182 Abs. 1 und Abs. 2 zu § 176 ist konfus. Zu- 50 nächst befand der erste Senat, dass von Tateinheit auszugehen sei (BGHSt 42 27, 29 f). Abweichend kam der dritte Senat zum Ergebnis, dass § 182 Abs. 1 und Abs. 2 (Ausnutzung einer Zwangslage; gegen Entgelt) hinter § 176 zurücktreten (BGHSt 42 51); dem schloss sich kurz darauf der erste Senat unter Aufgabe seiner zuvor geäußerten Ansicht an (BGH NStZ-RR 1997 66; ebenso der vierte Senat, BGH NJW 1997 1590, 1591).96 Es folgte ein Meinungsumschwung in einem weiteren Beschluss des dritten Senats, der in dieser Entscheidung darauf hinwies, dass bei einem Zusammentreffen von § 182 Abs. 2 (gegen Entgelt) und § 176 der Unrechtsgehalt nicht durch eine Verurteilung aus § 176 erschöpft wird (BGH NJW 2000 3726; BGH v. 22.12.2000, 3 StR 323/00). Dem ist zuzustimmen: Ein Täter, der als Kunde Kinderprostitution fördert, missachtet fehlende Selbstbestimmung des Kindes unter erschwerenden Umständen, weil sexuelle Handlungen gegen Entgelt die Gefahr des Abgleitens in die Prostitution begründen oder jedenfalls der Persönlichkeitsentwicklung in besonderem Maße abträglich sind. Vorzugswürdig ist deshalb die Annahme von Idealkonkurrenz statt Gesetzeseinheit.97 Jedoch hat der dritte Senat bedauerlicherweise seine in NJW 2000 3726 formulierten Erkenntnisse wieder zurückgestellt und von einer Vorlage an den Großen Senat abgesehen (BGH NJW 2001 2186). III. Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung (Absatz 3) 1. Objektiver Tatbestand a) Geschützte Personen. Geschützt werden alle Personen unter 16 Jahren. Das Gesetz zur 51 Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie v. 31.10.2008 hat die Schutzaltersgrenze unverändert gelassen. Tatbestandsmäßig nach Absatz 3 sind auch Handlungen zum Nachteil von Kindern (BGHSt 42 27, 29; BGH NStZ 2007 329). Da der Tatbestand eine einzelfallspezifische Prüfung von fehlender Selbstbestimmungsfähigkeit in der konkreten Interaktion er94 95 96 97 353
AA für die Anwendung von vis absoluta Renzikowski MK Rdn. 76. Renzikowski MK Rdn. 77. S. auch BGH NStZ-RR 2003 73. Ebenso Renzikowski MK Rdn. 75; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19; Wolters SK Rdn. 5. Fischer Rdn. 19, 26. Hörnle
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Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen
fordert (Rdn. 58 ff), wäre es vorstellbar, alle Minderjährigen einzubeziehen und eine umfassende Jugendschutzvorschrift zu schaffen (so Wolters FS Fischer 583, 594).
52 b) Täter. Täter kann sowohl für Handlungen nach § 182 Abs. 3 Nr. 1 als auch beim Bestimmen nach § 182 Abs. 3 Nr. 2 nur ein Erwachsener über 21 Jahren sein. Eine beträchtliche Altersdifferenz zwischen Täter und Opfer erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine nicht gleichrangige Beziehung handelt und Jugendliche nicht selbstbestimmt agieren konnten (s. zur Vermutung eines Machtgefälles BTDrucks. 12/4584 S. 8). Allerdings ist aus rechtspolitischer Sicht einzuwenden, dass eine starre Altersgrenze für Täter zu schematisch ist. Auch Heranwachsende und Jugendliche können unter Umständen erheblichen Einfluss auf Vierzehn- oder Fünfzehnjährige ausüben, dem diese nicht gewachsen sind. Da § 182 Abs. 3 in jedem Fall eine dem Einzelfall gerecht werdende Analyse der Täter-Opfer-Interaktion voraussetzt, wäre es vorzugswürdig, wenn das Gesetz auf ein notwendiges Mindestalter für Täter verzichten würde. Stattdessen wäre für die konkrete Interaktion (unter Würdigung großer Altersunterschiede als Indiz für fehlende Selbstbestimmung des Jüngeren) zu prüfen, ob der oder die Jugendliche wirksam zustimmen konnte.98
53 c) Dritte. Der Dritte i.S.v. § 182 Abs. 3 Nr. 2 muss nicht über 21 Jahre alt sein; auch insoweit genügen Handlungen mit Kindern oder Jugendlichen als dritte Personen, s. Rdn. 9.
54 d) Tathandlungen. Absatz 3 verlangt sexuelle Handlungen des Opfers am Täter oder des Täters am Opfer, also Handlungen mit Körperkontakt (Nummer 1), oder entsprechende Handlungen mit einem Dritten (Nummer 2), s. dazu Rdn. 10–13. Im Schrifttum wird vertreten, dass nur einverständliche Handlungen erfasst werden.99 Dies ergibt sich aus der Norm nicht. Vielmehr sind auch Fälle erfasst, in denen das Opfer mit den sexuellen Handlungen nicht einverstanden war und dies entweder (nur) verbal bekundet oder sich passiv verhalten hat. Je schwächer die Durchsetzungsfähigkeit des Jugendlichen im Verhältnis zum Täter war, um so eher ist mit schweigender Unterordnung trotz fehlendem Einverständnis zu rechnen. Da fehlende Selbstbestimmungsfähigkeit sich in Passivität äußern kann, kann unter § 182 55 Abs. 3 auch die Anwendung von vis absoluta fallen. Dies gilt nicht nur für eigene sexuelle Handlungen des Täters am Opfer (Absatz 3 Nr. 1), sondern auch für das Bestimmen zur Duldung sexueller Handlungen Dritter (Absatz 3 Nr. 2). Der Begriff „Bestimmen“ kann bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen weiter ausgelegt werden als in § 26, s. dazu Vor § 174 Rdn. 67.
56 e) Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung gegenüber dem Täter. In den ersten Überlegungen zur Reform der jugendschützenden Normen des Sexualstrafrechts100 lautete die Umschreibung: „Ausnutzung von Unreife oder Unerfahrenheit der Person unter 16 Jahren“ (BTDrucks. 12/954 S. 1). Kritik richtete sich insbesondere gegen das Merkmal „Unerfahrenheit“, da dies zu opferbelastenden Erforschungen des Vorlebens führen würde.101 Das geltende Recht folgt einer anderen Logik. Maßgeblich ist, ob der Täter die ihm gegenüber fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausgenutzt hat. Dies muss für den Einzelfall festgestellt werden;102 fehlerhaft wäre es, nur auf den Altersunter98 So auch Wolters FS Fischer 583, 594. 99 Fischer Rdn. 11a f. 100 Im Vorfeld des 29. StÄG v. 31.5.1994. 101 Oberlies Streit 1992 99, 100. 102 Anders Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 17. Hörnle
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III. Sexueller Missbrauch bei Unfähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung
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schied zwischen Täter und Opfer zu verweisen.103 Ein großer Altersunterschied kann allerdings ein Indiz für fehlende Durchsetzungsfähigkeit des Jugendlichen in der konkreten Interaktion sein (BGH NStZ 2021 224, 225; Rdn. 60). Vor dem 49. StÄG v. 21.1.2015 (Entstehungsgeschichte) war das zentrale Tatbestandsmerkmal in § 182 Abs. 3 die „fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung“. Man konnte diesen Verweis auf dem Opfer fehlende Fähigkeit als Verweis auf einen kontextunabhängigen Zustand interpretieren, in dem ein Minderjähriger generell (aufgrund eines in seiner Person liegenden Entwicklungsrückstands) unfähig sei, in sexuelle Handlungen rechtswirksam einzuwilligen.104 In der Begründung des Entwurfs für das 29. StÄG v. 31.5.1994 wurde auf Konstellationen verwiesen, in denen eine noch nicht 16 Jahre alte Person nicht in der Lage ist, Bedeutung und Tragweite sexueller Handlungen angemessen zu erfassen und ihr Handeln danach auszurichten (BTDrucks. 12/4584 S. 8; s. auch BGH NStZ 2007 329). Allerdings ist vorwiegend bei Kindern an derartige Ahnungslosigkeit zu denken, während es bei Vierzehn- und Fünfzehnjährigen selten sein dürfte, dass diese generell nicht in der Lage sind, Sexualität zu erkennen und einzuordnen. Mit der Einfügung der Worte „ihm gegenüber“ erfolgte eine wichtige Klarstellung. Damit wird betont, dass es nicht isoliert auf den Entwicklungsstand des Opfers ankommt, sondern es einer situationsspezifischen Analyse bedarf (BTDrucks. 18/2601 S. 15, 29; Hörnle/Klingbeil/Rothbart S. 136 ff). Dies ist zu betonen, weil in der Lit. teilweise immer noch vertreten wird, dass es auf ein „Reifedefizit“ ankomme.105 Das ist nicht überzeugend. Auffälligkeiten in der persönlichen Entwicklung des konkreten Tatopfers sind, falls sie vorliegen, ein Indiz für Ausnutzung, aber keine notwendige Bedingung für die Anwendung von § 182 Abs. 3. Auch Jugendliche, die in ihrem Entwicklungsstand dem Durchschnitt ihrer Altersgruppe entsprechen, können in einer konkreten Interaktion unfähig sein, selbstbestimmt gegenüber einem deutlich überlegenen Erwachsenen zu agieren. Die zur alten Rechtslage geäußerte Befürchtung, dass es auf Sachverständigengutachten zum individuellen Entwicklungsstand ankomme,106 müsste damit ausgeräumt sein. Die Entscheidung hängt von einer Bewertung der Beziehungen und Interaktionen zwischen den Beteiligten und des Verhaltens des Täters ab. Diese Bewertung obliegt dem Tatgericht; sie kann nicht an Sachverständige delegiert werden.107 In der Rspr. wurde es als wichtiges Indiz gewertet, wenn Jugendliche bereits sexuelle Erfahrungen gemacht hatten (BGH NStZ 1997 386 f – insoweit nicht in BGHSt 42 399 abgedruckt –; NStZRR 1997 98). Vor einer Verwertung dieses Umstandes ist jedoch zu warnen. Aus der Tatsache, dass Jugendliche bereits im Rahmen von Freundschaften oder auch Prostitution Sexualkontakt hatten, ist nur abzuleiten, dass sie die Bedeutung sexueller Kontakte kannten und insoweit nicht im Zustand der Naivität handelten. Wissensmängel sind aber ohnehin bei Jugendlichen nur selten zu erwarten (Rdn. 57). Für die Frage, ob ein Jugendlicher wirksam eingewilligt hat, kommt es auf die Einzelheiten des konkreten Zusammentreffens an, d.h. darauf, wie dominant oder manipulativ der Erwachsene agierte. Die Bedeutung dieser Umstände ist von sexuellen Vorerfahrungen der Jugendlichen unabhängig.108 Eine wichtige Fallgruppe ist durch Dominanz des Täters gekennzeichnet, die es dem Minderjährigen erschwert, sein Bedürfnis, in Ruhe gelassen zu werden, durchzusetzen. In den Gesetzesmaterialien war die Rede davon, dass „eine Beziehung auf Beherrschung des jugendlichen Opfers angelegt“ sei oder der Täter „sich unlauterer Mittel der Willensbeeinflussung bedient“ 103 BGHSt 42 27, 28; BGH NStZ 2007 329; StV 2008 238, 239; NStZ-RR 2020 344; BeckRS 2020 20932; NStZ 2021 224, 225; Fischer Rdn. 12, 12a; Renzikowski MK Rdn. 56; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13. AA Kusch/Mössle NJW 1994 1504, 1507. 104 Krit. zu dieser Auslegung Hörnle FS Schöch 401, 415 f; Hörnle/Klingbeil/Rothbart S. 134 ff. 105 So Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 17. 106 So noch Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele27 Rdn. 11. 107 Fischer Rdn. 13; Renzikowski MK Rdn. 61. 108 S. auch Renzikowski MK Rdn. 60 („völlig irrelevant“); Wolters SK Rdn. 20. 355
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(BTDrucks. 12/4584 S. 8). Entscheidend ist, inwieweit der Täter über Autorität gegenüber dem Opfer verfügt. Ein Indiz dafür ist ein beträchtlicher Altersunterschied (BGH NStZ-RR 2020 344, 346), wobei es aber zusätzlich einer Analyse des Verhaltens der Beteiligten bei der Anbahnung des Sexualkontakts bedarf (s. BGH NStZ 2021 224). Handelt es sich bei dem Täter zudem um eine Figur, die im sozialen Umfeld dem Opfer übergeordnet ist (etwa der Freund der Mutter), so ist in der Regel davon auszugehen, dass Vierzehn- oder Fünfzehnjährige im Verhältnis zu ihm nicht selbstbestimmt agieren konnten. Unter solchen Bedingungen ist vom Ausnutzen fehlender sexueller Selbstbestimmung auszugehen (dies wird verkannt in BGH StV 2008 238, 239). Bei § 182 Abs. 3 kommt es aber nicht allein auf ein Machtgefälle an, das sich aus einem Betreuungsverhältnis ergeben könnte. Auch wenn die soziale Rolle des Täters für eine Bestrafung aus § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 nicht ausreicht (etwa bei gelegentlichem Sporttraining ohne Betreuung in der Lebensführung, s. § 174 Rdn. 30), kann in Kombination mit anderen Umständen, etwa einer leichten kognitiven oder psychischen Beeinträchtigung eines Vierzehnjährigen, eine Kombination von Machtgefälle und Manipulation entstanden sein, die zu fehlender sexueller Selbstbestimmung des Minderjährigen gegenüber dem Täter geführt hat (BGH NStZ-RR 2018 75 f). 61 Fehlende sexuelle Selbstbestimmung im konkreten Kontext ist auch möglich, wenn vor der Tat keine bereits etablierte Machtposition des Erwachsenen bestand. In solchen Fällen ist die gesamte soziale Interaktion umfassend zu würdigen, um Dominanz oder Manipulation durch die ältere Person festzustellen (BGH NStZ-RR 2020 344, 346; NStZ 2021 224). Eine unterhalb der Schwelle des § 240 bleibende Einwirkung kann genügen, um die fragile Fähigkeit von Jugendlichen zu sexueller Selbstbestimmung aufzuheben. Sind mehrere Täter beteiligt, kann in gruppendynamischen Prozessen die Ursache dafür liegen, dass die betroffenen Jugendlichen nicht mehr selbstbestimmt agieren konnten. Außerdem ist an Fälle zu denken, in denen ein Erwachsener auf die Willensbildung des Jugendlichen Einfluss nimmt, indem er ihn in versteckter Weise manipuliert. Dies kann der Fall sein, wenn Leichtgläubigkeit oder Vertrauensseligkeit des Opfers zu Täuschungen genutzt wird. 62 Zu eng ist der Ansatz von Wolters, der einen Missbrauch i.S.v. § 182 Abs. 3 nur verneint, wenn ein Entwicklungsrückstand beim Täter festgestellt werden kann (so Wolters SK Rdn. 22). Auch zwischen z.B. einem normal entwickelten jungen Mann und einem vierzehn- oder fünfzehnjährigen Mädchen sind sexuelle Beziehungen möglich, die beiderseits selbstbestimmt sind, etwa wenn das Mädchen für Ausmaß und Intensität des sexuellen Kontakts Vorgaben macht, die vom anderen beachtet werden. Es ist auch nicht jede Form der Einflussnahme des Älteren strafbar, jedenfalls außerhalb von Autoritätsverhältnissen. Wenn jenseits eines sozialen Machtgefälles eine ältere Person durch zurückhaltendes Überreden wirbt, unter Respektierung der Grenzziehungen und Fähigkeiten des anderen, führen sexuelle Kontakte mit dem umworbenen Jugendlichen nicht notwendigerweise zur Strafbarkeit nach § 182 Abs. 3. 63 Ausnutzen setzt voraus, dass die jugendspezifische Schwäche wesentlich für das Zustandekommen des Sexualkontakts war.109 Ein Einwirken des Täters auf das Opfer ist typisch, aber keine zwingende Voraussetzung. Auch wenn sich eine Entwicklungsstörung oder bereits vorhandene soziale Fehlentwicklungen ausgewirkt haben, kann ein Ausnutzen vorliegen.110 Keine notwendige Bedingung für Ausnutzen ist, dass die sexuellen Handlungen einvernehmlich erfolgen. Ausnutzen fehlender sexueller Selbstbestimmung liegt vielmehr auch dann vor, wenn das Opfer seinen erkennbar entgegenstehenden Willen nicht gegenüber dem Täter durchsetzen kann (BGH NStZ-RR 2014 10, 11; NStZ 2014 573, 574). Durch Nötigungshandlungen wird ein Ausnutzen nicht ausgeschlossen111 und auch nicht durch die Anwendung von vis absoluta, wenn der Jugendliche dem Übergriff aufgrund seiner eingeschränkten Durchsetzungsfähigkeiten hilflos ausgeliefert war. 109 Fischer Rdn. 14 verlangt Kausalität, s. aber zu den Problemen des Kausalnachweises Rdn. 23; wie hier Renzikowski MK Rdn. 62 und Wolters SK Rdn. 22 („begünstigt“).
110 Renzikowski MK Rdn. 64; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; Stephan S. 111. 111 So aber Wolters SK Rdn. 22. Hörnle
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III. Sexueller Missbrauch bei Unfähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung
§ 182
Teilweise wird verlangt, dass der Täter die jugendspezifische Schwäche erkennt und zielge- 64 richtet für seine Pläne einsetzt.112 Dies überzeugt jedoch nicht: Es genügt bedingter Vorsatz (Rdn. 66). Die Annahme, „Ausnutzen“ erfordere, dass sexuelle Handlungen beim ersten oder zweiten persönlichen Kontakt erfolgen (Kusch/Mössle NJW 1994 1504, 1507), ist unbegründet. Auch im Rahmen länger dauernder Bekanntschaften ist ein Ausnutzen jugendtypischer Schwächen möglich.113 Das Merkmal „missbraucht“ in § 182 Abs. 3 hat (wie beim Ausnutzen einer Zwangslage, 65 Rdn. 23) keine eigenständige Bedeutung. Wurde fehlende Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung ausgenutzt, liegt hierin ein Missbrauch.114 Ob ein Täter, der die ihm gegenüber fehlende Fähigkeit des Opfers zu sexueller Selbstbestimmung ausgenutzt hat, seine eigenen Emotionen mit „Liebesbeziehung“ beschreibt, spielt für seine Strafbarkeit keine Rolle.115
2. Subjektiver Tatbestand Es genügt bedingter Vorsatz. Der Täter muss insbesondere zumindest bedingten Vorsatz hin- 66 sichtlich der Umstände haben, aus denen sich ergibt, dass das Opfer in der konkreten Interaktion zur sexuellen Selbstbestimmung nicht in der Lage ist (BGH NStZ 2007 329). Außerdem muss er es ernstlich für möglich halten und billigend in Kauf nehmen, dass diese Umstände den Kontakt begünstigt haben. Nicht erforderlich ist, dass der Täter die Wertung nachvollzieht, aus der sich ergibt, dass ein faktisch vorliegendes Einverständnis keine wirksame Zustimmung ist. Ist der Minderjährige ein Kind, d.h. noch nicht 14 Jahre alt, kann der Täter nicht aus § 176 67 Abs. 1 oder Abs. 2 bestraft werden, falls er diesen Umstand nicht kennt. Ist ihm allerdings bewusst, dass der Minderjährige jedenfalls jünger als 16 Jahre ist, kann § 182 Abs. 3 anzuwenden sein. Insoweit muss bei der Prüfung des objektiven Tatbestandes die fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung nicht festgestellt werden, da das Gesetz in § 176 für diese Altersgruppe eine unwiderlegbare Vermutung enthält (Fischer Rdn. 13a; aA BGH NStZ 2007 329). Bei der Prüfung des Vorsatzes ist in derartigen Irrtumsfällen aber nachzuweisen, dass sich dieser (zumindest als bedingter Vorsatz) auf die Begleitumstände bezog, aus denen zu schließen ist, dass das Opfer in die konkrete Handlung nicht wirksam eingewilligt hat (BGH NStZ 2007 329).116
3. Täterschaft und Teilnahme S. Rdn. 41. Wegen Teilnahme kann auch ein Gehilfe oder Anstifter bestraft werden, der noch 68 nicht 21 Jahre alt ist.117 Dem jüngeren Teilnehmer kommt § 28 Abs. 1 nicht zugute, weil das Alter lediglich Indiz für das Machtgefälle ist, es aber keine besonderen Pflichten erzeugt.118 Der Dritte in § 182 Abs. 3 Nr. 2 kann sich durch die sexuellen Handlungen selbst gem. § 182 Abs. 3 Nr. 1 strafbar machen, wenn er über 21 Jahre alt ist. Dann verdrängt die Täterstrafbarkeit eine Bestrafung als Teilnehmer an der Bestimmungshandlung nach § 182 Abs. 3 Nr. 2. Wenn der den Sexualkontakt vornehmende Dritte die Altersgrenze selbst noch nicht überschritten hat, er aber im Vorfeld eine ältere Person zu einer Bestimmungshandlung (§ 182 Abs. 3 Nr. 2) angestiftet hat, macht er sich wegen der Beteiligung am Bestimmen strafbar.119 112 113 114 115 116 117 118 119 357
Fischer Rdn. 14, 20, 21; aA Renzikowski MK Rdn. 67. Fischer Rdn. 15; Renzikowski MK Rdn. 64; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14a. Fischer Rdn. 18; Kusch/Mössle NJW 1994 1507; Renzikowski MK Rdn. 66. S. dazu Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 18. Fischer Rdn. 13a; Wolters SK Rdn. 22. Wolters SK Rdn. 23. Frommel NK Rdn. 13; Renzikowski MK Rdn. 70. AA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; Wolters SK Rdn. 23. Renzikowski MK Rdn. 70. Hörnle
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Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen
4. Versuch 69 S. Rdn. 42.
5. Erfordernis eines Antrags 70 Absatz 5 legt fest, dass Taten nach § 182 Abs. 3 (anders als solche nach § 182 Abs. 1 und Abs. 2) nur auf Antrag verfolgt werden, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung annimmt. Im Schrifttum wird das Erfordernis eines Strafantrages teilweise kritisiert.120 Vor der Änderung durch das 49. StÄG (Entstehungsgeschichte) wurde darauf abgestellt (BTDrucks. 12/4584 S. 9), dass die Durchführung eines Strafverfahrens für die betroffenen Jugendlichen besonders belastend sei.121 Dies war plausibel, solange auf persönliche Defizite und Rückstände des betroffenen Minderjährigen abgestellt wurde. Da es jedoch nach der jetzigen Rechtslage auf eine kontextspezifische Analyse von Selbstbestimmung ankommt, ist nicht mehr gut erklärbar, warum für Taten nach § 182 Abs. 3 ein Antrag erforderlich sein soll, nicht aber für andere Missbrauchsdelikte. 71 Antragsberechtigt ist nach § 77 Abs. 1 der Verletzte. Allerdings enthält § 77 Abs. 3 eine Erweiterung des Kreises der Antragsberechtigten. Bei geschäftsunfähigen oder beschränkt geschäftsfähigen Personen (also bei Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, § 106 BGB) können Personensorgeberechtigte den Strafantrag stellen. Die Formulierung „können“ im Gesetzestext legt die Auslegung nahe, dass sowohl der Jugendliche als auch der Personensorgeberechtigte antragsbefugt sind, wobei man als zusätzliches Erfordernis verlangen muss, dass der Jugendliche einsichtsfähig ist (Schwarz/Sengbusch NStZ 2006 673). Die h.M. sieht dies allerdings anders und spricht die Befugnis, einen Strafantrag zu stellen, ausschließlich den sorgeberechtigten Personen zu (BGH NStZ 1981 479; NJW 1994 1165).122 Praktisch relevant wird dies, wenn Minderjährige und Sorgeberechtigte unterschiedliche Meinungen zur Frage der Strafverfolgung haben. Wenn der Minderjährige Strafantrag stellt, die Eltern ein Strafverfahren aber für nicht opportun halten, geht die h.M. vom Fehlen eines Strafantrages aus. Vorzugswürdig ist es jedoch, bei minderjährigen, aber einsichtsfähigen Verletzten diesen die Entscheidung zu überlassen. Wollen die Eltern (oder andere Sorgeberechtigte) Strafantrag stellen, obwohl der Jugendliche die ihn belastende gerichtliche Tataufklärung verhindern will, sind sie hieran nach der h.M. nicht zu hindern. Auch insoweit sollte aber die Entscheidungsbefugnis der Eltern eingeschränkt werden, sofern einsichtsfähige Verletzte ausdrücklich erklären, dass sie kein Interesse an der Strafverfolgung haben (Schwarz/Sengbusch NStZ 2006 673, 679 f).123 Die Ausnahmeklausel in Absatz 5, die bei einem besonderen öffentlichen Interesse an 72 der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen ermöglicht, sollte restriktiv angewandt werden. Rücksichtsloses oder besonders verwerfliches Vorgehen allein genügt nicht, um entgegen der Entscheidung des Betroffenen von Amts wegen ein Strafverfahren einzuleiten.124 Ein besonderes öffentliches Interesse ist zu bejahen, wenn das Geschehen über einen Einzelfall hinausgeht, etwa wenn der Täter in systematischer Weise seine Machtposition ausgenutzt und mehrere Jugendliche missbraucht hat.
120 Frommel NK Rdn. 14; Kusch/Mössle NJW 1994 1504, 1507; Renzikowski MK Rdn. 84; Schroeder NJW 1994 1501, 1504; Wolters SK Rdn. 25; Hörnle/Klingbeil/Rothbart S. 140 f. 121 Für die Ausdehnung de lege ferenda auch auf § 182 Abs. 1 und Abs. 2 Stephan S. 122. 122 Eisenberg GA 1998 32, 33; Fischer Rdn. 24; Renzikowski MK Rdn. 85. Wie hier Schwarz/Sengbusch NStZ 2006 673. 123 S. auch Fischer Rdn. 24 und Eisenberg GA 1998 32, 38 f für die Erhebung der Nebenklage. AA Stephan S. 125. 124 AA Fischer Rdn. 23; Renzikowski MK Rdn. 86; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20. Hörnle
358
III. Sexueller Missbrauch bei Unfähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung
§ 182
6. Strafzumessung Die gesetzliche Strafdrohung des Absatzes 3 (Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe) 73 ist in der Höchststrafe niedriger als in den Absätzen 1 und 2. Dies stößt im Schrifttum teilweise auf Kritik, weil der Missbrauch durch Ausnutzung fehlender Selbstbestimmungsfähigkeit nicht weniger strafwürdig sei als die Ausnutzung einer Zwangslage oder die Zahlung eines Entgeltes.125 Nicht überzeugend ist nach der jetzt geltenden Rechtslage eine Begründung des Strafmaßunterschiedes, die darauf verweist, dass der Täter bei Delikten nach § 182 Abs. 3 lediglich einen Zustand ausnütze, den er vorgefunden habe126 – fehlende Selbstbestimmung des Jugendlichen ist auch auf das Verhalten des Täters in der Tatsituation zurückzuführen (Rdn. 56 ff). Zu erklären ist die niedrigere Höchststrafe aber damit, dass das Ausnutzen einer Zwangslage ein unrechtserhöhender Umstand ist, und damit, dass im Fall von Prostitution die Auswirkungen schädlicher sein können als bei Vorfällen, die nur unter Absatz 3 fallen. Bei der Bewertung des Tatunrechts kommt es, wie bei Taten nach Absatz 1 und 2 74 (Rdn. 44), auf das Gewicht der sexuellen Handlungen an; ferner auf die Intensität, mit der der Täter auf den Jugendlichen eingewirkt hat, um jugendtypische Schwächen auszunutzen, oder auf das Ausmaß der Ausnutzung eines bestehenden Machtgefälles. Ein Absehen von Strafe (Absatz 6; damit ist die Möglichkeit der Einstellung gem. § 153b 75 StPO verbunden) kommt in Ausnahmefällen in Betracht,127 wenn Erfolgs- und Handlungsunrecht gering waren. Leider hat der Gesetzgeber, anders als in § 174 Abs. 5 (s. dazu § 174 Rdn. 83), in Absatz 6 den Passus „bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet“ nicht gestrichen.128 An ein Absehen von Strafe ist vor allem dann zu denken, wenn die sexuelle Handlung nur geringfügig über der Erheblichkeitsschwelle (§ 184h Nr. 1) liegt und der Täter nicht in manipulativer oder dominanter Weise vorgegangen ist.129 Erhebliche Sexualakte (z.B. Oral- oder Geschlechtsverkehr) rechtfertigen allerdings auch unter solchen Umständen ein Absehen von Strafe nicht. Obwohl Absatz 6 nicht auf Absatz 4 verweist, ist ein Absehen von Strafe auch beim Versuch einer Tat nach § 182 Abs. 1 bis Abs. 3 möglich. Irrelevant ist genauso wie bei Handlungen nach Absatz 1 und 2, ob die Initiative vom Opfer ausging oder dieses sich bereits prostituiert hat,130 und ob die Schuld des Täters gemindert war (Rdn. 45).
7. Konkurrenzen S. zum Konkurrenzverhältnis von Absatz 1 und 2 einerseits und Absatz 3 andererseits Rdn. 46, 76 von Absatz 3 Nr. 1 und Nr. 2 Rdn. 47 und zum Verhältnis zu anderen Tatbeständen, insbes. § 177, Rdn. 49. Tateinheit mit § 177 kommt auch dann in Betracht, wenn der Täter vis absoluta angewandt hat.131 Liegen die in § 174 Abs. 1, Abs. 2 umschriebenen Umstände vor, ist zu berücksichtigen, dass im Verhältnis dazu die in § 182 Abs. 1 und Abs. 2 genannten Umstände eine eigenständige Unrechtsdimension beschreiben. Dasselbe gilt für § 176.132 In diesen Fällen ist von Tateinheit auszugehen. Wenn jedoch § 182 Abs. 3 und § 174 Abs. 1, Abs. 2 konkurrieren, tritt
125 126 127 128 129 130 131 132 359
Renzikowski MK Rdn. 79; Stephan S. 116 f. So Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21. Fischer Rdn. 25; Renzikowski MK Rdn. 80. S. zur Kritik an solchen „Lolita“-Klauseln Lenz S. 353 ff. AA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21a; Stephan S. 128. Stephan S. 129. AA Fischer Rdn. 11b; Renzikowski MK Rdn. 76. Brockmann S. 278. Hörnle
§ 182
Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen
§ 182 Abs. 3 zurück (aA BGH NStZ 2001 194). Dasselbe gilt für das Verhältnis von § 182 Abs. 3 und § 176: § 182 Abs. 3 wird verdrängt.133 § 182 Abs. 3 Nr. 2 tritt hinter § 180 Abs. 2 zurück.134 77 Ist die geschützte Person ein Kind und findet § 176 Anwendung, wird § 182 Abs. 3 von § 176 verdrängt (BGHSt 42 27; BGH NJW 2000 3726; NStZ 2001 194; BayObLG NStZ 1995 500).135 Wie bei § 176 ist der Schutzzweck des § 182, Minderjährige, die altersbedingt noch nicht zu sexueller Selbstbestimmung in der Lage sind, vor einer Involvierung in sexuelle Aktivitäten zu bewahren. Anders als § 182 Abs. 1 und Abs. 2 (Rdn. 50), die potentiell besonders schädliche Varianten eines Angriffes auf das Selbstbestimmungsrecht anführen, benennt Absatz 3 kein über § 176 hinausweisendes Unrechtselement. Bei kindlichen Opfern ist § 176 deshalb das speziellere Gesetz.136
IV. Verjährung 78 Taten gem. § 182 verjähren in fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4). Seit dem 49. StÄG v. 21.1.2015 (Entstehungsgeschichte) gilt die Regelung, die das Ruhen der Verjährung bis zum 30. Lebensjahr des Opfers anordnet, auch für alle Tatvarianten in § 182. Wie bei allen Delikten gegen Minderjährige ist auch bei § 182 davon auszugehen, dass die Betroffenen vor einer Entscheidung für oder gegen ein Strafverfahren zunächst Zeit benötigen, um Distanz zum Geschehenen zu gewinnen (BTDrucks. 18/2601 S. 23).137 Die Ruhensregel in § 78b Abs. 1 Nr. 1 gilt auch für Taten, die vor dem 27.1.2015 begangen wurden, es sei denn, diese waren zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt (BGH NStZ 2019 141; BeckRS 2020 6137).
133 Brockmann S. 278 f. 134 Renzikowski MK Rdn. 77. 135 Fischer Rdn. 26; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 24; Renzikowski MK Rdn. 75; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19; Stephan S. 133; Wolters SK Rdn. 3. AA Schroeder JR 1996 40, 41.
136 BGHSt 42 27, 29; Fischer Rdn. 26; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19; Schroeder JR 1996 40, 41. AA BayObLG NStZ 1995 500: Konsumtion.
137 S. dazu Hörnle/Klingbeil/Rothbart S. 23 f. Hörnle
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§ 183 Exhibitionistische Handlungen (1) Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. (3) Das Gericht kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe auch dann zur Bewährung aussetzen, wenn zu erwarten ist, daß der Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr vornehmen wird. (4) Absatz 3 gilt auch, wenn ein Mann oder eine Frau wegen einer exhibitionistischen Handlung 1. nach einer anderen Vorschrift, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht, oder 2. nach § 174 Absatz 3 Nummer 1 oder § 176a Abs. 1 Nr. 1 bestraft wird.
Schrifttum Bottke Exhibitionistische Handlungen und Erregung öffentlichen Ärgernisses, Festschrift Szwarc (2009) 297; Görgen Rückfallgefährdung und Gewaltrisiko bei exhibitionistischen Tätern – Forschungsstand und Forschungsbedarf, 2003; Heger Reform des Exhibitionismustatbestands, ZRP 2018 118; Heimann Exhibitionismus, Kriminalistik 2001 90; Hörnle, Strafzumessungspraxis und angemessene Strafzumessung bei exhibitionistischen Handlungen, MSchrKrim 2001 212; Kett-Straub Ist „Flitzen“ über ein Fußballfeld strafbar?, JR 2006 188; Sander Zur Beurteilung exhibitionistischer Handlungen, 1996; Schur Diskriminierung von Männern in der Gesetzgebung und Rechtsprechung des BVerfG, NJOZ 2021 1185; Sick Zweierlei Recht für zweierlei Geschlecht. Wertungswidersprüche im Geschlechterverhältnis am Beispiel des Sexualstrafrechts, ZStW 103 (1991) 43.
Entstehungsgeschichte Eine frühere Fassung der Norm bestrafte denjenigen, der durch eine „unzüchtige Handlung öffentlich ein Ärgernis erregt“. Davon wurden neben den exhibitionistischen Handlungen auch solche Handlungen erfasst, bei denen die dem Merkmal der Unzucht ansonsten innewohnenden subjektiven Kriterien fehlten,1 wie bspw. das pantomimische Darstellen des Beischlafvollzugs zum Zwecke der Verspottung.2 Handlungen, die nicht in erster Linie sexuell ausgerichtet waren, wie z.B. das Entblößen und Waschen des nackten Körpers,3 konnten von § 183 nur erfasst werden, wenn der Täter beim Zuschauenden geschlechtliche Vorstellungen erwecken wollte.4 Mit dem 4. StrÄndG erfolgte eine an den Alternativ-Entwurf des Strafgesetzbuches (Sexualdelikte, Besonderer Teil, 1968)5 angelehnte Änderung dahingehend, dass nur noch die Vornahme exhibitionistischer Handlungen sanktioniert wird.6 Mit dem 6. StrÄndG wurde Abs. 4 Nr. 2 an die Änderung des § 176 angepasst, indem der Verweis auf § 176 Abs. 5 Nr. 1 durch § 176 Abs. 3 Nr. 1 ersetzt wurde. Die erneute Änderung des § 176 wurde letztendlich durch das Gesetz zur Umsetzung des EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31.10.20087 nachgeholt, wenn auch zunächst redaktionell übersehen.
1 2 3 4 5 6 7
BGHSt 15 118, 124; vgl. zur Entstehungsgeschichte ausführlich auch die Vorauflage Laufhütte/Roggenbuck LK11. RGSt 23 233; RGSt 28 77, 80; RGSt 68 193; RGSt 70 159. BGH Urteil v. 5.2.1953 – 3 StR 465/52. BGH NJW 1954 520. Eingehend zur Entstehungsgeschichte Laufhütte/Roggenbuck LK11. Näher dazu Hörnle MK Rdn. 4. BGBl. I S. 2149.
361 https://doi.org/10.1515/9783110490121-019
Nestler
§ 183
Exhibitionistische Handlungen
Übersicht I.
Geschützes Rechtsgut
1
II. 1. 2.
2 Tathandlung Exhibitionistische Handlung 4 Belästigung
III.
Subjektiver Tatbestand
IV.
Schuldfähigkeit
V.
Täterschaft und Teilnahme
VI.
Rechtsfolgen
VII. Strafantrag
8 10
3 VIII. Erweiterte Aussetzungsmöglichkeiten nach 11 § 183 Abs. 4 5 IX.
Konkurrenzen
14
6 7
I. Geschützes Rechtsgut 1 § 183 dient der Bewahrung des Einzelnen vor ungewollter Konfrontation mit möglicherweise schockierenden sexuellen Handlungen anderer.8 Damit wird dem Recht der sexuellen Selbstbestimmung Rechnung getragen und gerade nicht, wie früher vertreten, dem Allgemeininteresse.9 Dies verdeutlicht bereits das in § 183 n.F. verankerte Strafantragserfordernis.10 Durch exhibitionistische Handlungen kann das Wohlbefinden des Betroffenen bis zum Grad der Körperverletzung beeinträchtigt werden.11 Im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG, den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das in Art. 103 Abs. 2 GG normierte Bestimmtheitsgebot („belästigt“) wird § 183 vom BVerfG für verfassungsgemäß gehalten.12
II. Tathandlung 2 Tathandlung des § 183 besteht in der exhibitionistischen Handlung eines Mannes, durch die eine andere Person – egal ob weiblichen oder männlichen Geschlechts – belästigt wird. Allein Abs. 4 greift den seltenen Exhibitionismus einer Frau auf.
1. Exhibitionistische Handlung 3 Unter exhibitionistischen Handlungen versteht man ein Verhalten, mit dem ein Mann einer anderen Person ohne deren Einverständnis sein entblößtes Geschlechtsteil vorweist, um sich entweder allein dadurch oder zusätzlich durch Beobachten der Reaktion der anderen Person bzw. durch Masturbieren sexuell zu befriedigen oder zu erregen oder eine vorhandene ge-
8 BTDrucks. VI/1552 S. 10; BayObLGSt 1993 132, 134; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 719; Ziegler BeckOK Rdn. 2. 9 BGHSt 4 303; 11 282; Ziegler BeckOK Rdn. 2. 10 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1. 11 BTDrucks. VI/3521 S. 53. 12 Kammerbeschluss v. 22.3.1999 – 2 BvR 398/99; zur Sinnhaftigkeit der Bestrafung exhibitionistischer Handlungen siehe Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 1 in der Vorauflage; zu den Fallzahlen und verhängten Sanktionen kann auf Elz/Jehle/Kröber/Elz Exhibitionistische Handlungen S. 32 ff verwiesen werden. Nestler
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II. Tathandlung
§ 183
schlechtliche Erregung zu steigern.13 Voraussetzung ist neben dieser äußeren Handlung, dass der Täter mit sexueller Motivation handelt,14 auch wenn er diesen Entschluss erst zu einem Zeitpunkt fasst, zu dem er bereits entblößt ist – wie beim Nacktbaden oder Urinieren.15 Das Vorzeigen eines Kunstpenis16 oder das Bespritzen mit Sperma17 reichen dagegen nicht aus. Genauso wenig fällt darunter ein schlichtes Entblößen zur Provokation18 oder eine bloße Demonstration der Nacktheit wie das Nacktjoggen19 oder ein bloßes Urinieren.20 Erforderlich ist eine gleichzeitige körperliche Anwesenheit, sodass bloßes Vorzeigen von Bildern oder das Abspielen von Filmaufnahmen usw. ebenfalls nicht ausreichen.21 Ob die Handlung öffentlich erfolgt, ist irrelevant, da die Schockwirkung gerade in Räumlichkeiten oder im Privatbereich eine noch größere sein kann als bei einer im Freien durchgeführten Tat.22 Die Grenze des Wortlauts ist jedoch überschritten, wo es dem Täter nicht mehr auf die Wahrnehmung der Entblößung ankommt.23 Stellt sich der Täter bspw. hinter das Opfer und entblößt sich, erfüllt dies den Tatbestand selbst dann nicht,24 wenn er in Kauf nimmt, dass der andere die sexuelle Manipulation am Geschlechtsteil sieht.25 Sucht der Täter körperlichen Kontakt, um sich sexuell zu befriedigen und dient die Entblößung des Gliedes lediglich der Vorbereitung dazu, liegt gerade kein tatbestandsmäßiges Verhalten vor.26 In Betracht kommt allenfalls eine versuchte Vergewaltigung oder einer sexuellen Nötigung, wenn der Täter den sexuellen Kontakt mit den Mitteln des § 177 erstrebt; anderenfalls bleibt eine etwaige Beleidigung.27 Anders kann dies sein, wenn es dem Täter nicht nur auf die Konfrontation des anderen mit seiner eigenen sexuellen Betätigung ankommt, sondern er sich durch das Entblößen zugleich einen engeren freiwilligen sexuellen Kontakt mit seinem Opfer erhofft bzw. auf dessen Erregung abzielt,28 da auch hier das geschützte Rechtsgut in gleicher Weise betroffen ist.29 Die Entfernung spielt für § 183 keine Rolle, sofern und soweit der Betroffene den exhibitionistischen Charakter der Handlung erkannt hat.30
2. Belästigung Durch diese exhibitionistische Handlung muss eine andere Person belästigt worden sein. Bei 4 der anderen Person kann es sich um einen männlichen oder weiblichen Erwachsenen oder
13 BTDrucks. VI/3521 S. 53; BGH NStZ-RR 2007 374; BGH bei Holtz, MDR 1983 622; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Fischer Rdn. 5; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 723; so auch schon Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 2. Siehe aber BGH NStZ-RR 2019, 44 (Vorbereitung eines späteren Sexualdelikts nicht ausreichend). 14 BGH NStZ-RR 2019, 44; BGH NStZ-RR 2007 374; Fischer Rdn. 5. 15 BGH NStZ 15 228; aber auch BayObLG NJW 1999 73. Anders jedoch, wenn der Lustgewinn nicht bereits durch das Entblößen an sich, sondern erst durch ein späteres Sexualdelikt eintritt, vgl. BGH NStZ-RR 2019, 44. 16 LG Koblenz NStZ-RR 1997 104; vgl. auch OLG Köln NZV 2004 423. 17 AG Lübeck v. 8.6.2011 – 61 Ds 61/11; kann aber von § 183a erfasst werden. 18 Zum unbekleideten „Flitzen bei Sportereignissen“ Kett-Straub JR 2006 189. 19 Zum Nacktjoggen als Ordnungswidrigkeit OLG Karlsruhe NStZ-RR 2000 309. 20 Hörnle MK Rdn. 6. 21 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Fischer Rdn. 5. 22 Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 2. 23 Fischer Rdn. 5; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 530; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2. 24 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3 unter Verweis auf BGH, Beschluss v. 20.6.2007 – 2 StR 181/07, BeckRS 2007, 11380. 25 OLG Düsseldorf NJW 1977 262; zweifelnd Fischer Rdn. 7. 26 BayObLG NJW 1999 72. 27 Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 3. 28 BGH NStZ 15 338; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. 29 Fischer Rdn. 6; Hörnle MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; offen gelassen von BayObLG NJW 1999 73. 30 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. 363
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§ 183
Exhibitionistische Handlungen
auch um ein Kind handeln. Ausreichend dafür ist jede negative Gefühlsempfindung von einigem Gewicht,31 die umso näher liegt, je weniger der Täter die sonst charakteristische Distanz zum Opfer wahrt.32 Entscheidend ist dabei, dass die andere Person die Handlung und die sexuelle Tendenz tatsächlich wahrgenommen hat,33 unabhängig davon, ob es sich um diejenige Person handelt, auf die es dem Täter auch ankam.34 Nicht abschließend kann hier beispielsweise das Hervorrufen eines Schocks, Angstzuständen, Ekel, Wut, Scheu, ferner ein Verletzen des Scham- oder Anstandsgefühls, genannt werden.35 Als Gegenbeispiele sei auf Reaktionen wie Mitleid, Verwunderung oder gar Vergnügen verwiesen, da die bloße Eignung zur Belästigung gerade nicht ausreicht.36 Eine unwesentliche Abweichung liegt vor, wenn nicht derjenige auf dessen Zusehen es dem Täter ankommt, belästigt wird, sondern ein daneben stehender Dritter.37 Eine bloße Vermutung, dass andere Personen die exhibitionistische Handlung beobachtet haben und sich dadurch belästigt fühlen, reicht nicht aus.38 Eine Belästigung kann auf der Hand liegen, wenn sich der Täter nicht nur auf das Vorzeigen des entblößten Gliedes beschränkt, sondern er beispielsweise einer Frau zwischen die Beine oder an die Brust langt oder er vor den Augen seines Opfers masturbiert.39 Die Handlung muss zur Belästigung grundsätzlich objektiv geeignet sein. Zwar sieht die Lit. dies teilweise mit Blick auf das Erfordernis einer konkret eingetretenen Belästigung anders,40 allerdings hilft auch an anderer Stelle allein der Eintritt eines Erfolges nicht über mangelnde Adäquanzerfordernisse oder Bagatellschwellen hinweg.41
III. Subjektiver Tatbestand 5 Steht das Merkmal des Exhibitionismus in Frage, wird eine sexuelle Tendenz verlangt. Der Täter muss dabei beabsichtigen, dass ein anderer den Vorgang sieht.42 Hinsichtlich der Wahrnehmung durch eine andere Person bedarf es direkten Vorsatzes, so dass es nicht genügt, wenn der Täter lediglich mit der Wahrnehmung durch Dritte rechnet.43 Bezüglich der Belästigung reicht bedingter Vorsatz.44
31 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 728; Wolters SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; kritisch Hören ZRP 1987 21. 32 BGH NStZ 1993 227; Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; zur Verfassungsmäßigkeit BVerfG, Beschluss v. 22.3.1999 – 2 BvR 398. 33 BGH NJW 1970 1855. 34 Wolters SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Ziegler BeckOK Rdn. 5. 35 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Fischer Rdn. 6; Hörnle MK Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 3. 36 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Bottke FS Szwarc 297, 304 f. 37 Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. 38 BGH NStE Nr. 2; Hörnle MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. 39 BGH bei Miebach NStZ 1993 227; Laufhütte/Roggenbuck LK12 Rdn. 4. 40 So Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 4. 41 I.E. ebenso Hörnle MK Rdn. 12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3. 42 OLG Düsseldorf NStZ 1998 412, 413; Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 726. 43 BGH 8.8.2007 – 2 StR 235/07, BGH NStZ-RR 2007 374; OLG Bamberg 22.2.2011 – 3 Ss 136/10, BeckRS 2011 07219; Fischer Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 726; Ziegler BeckOK Rdn. 6; anders Hörnle MK Rdn. 13 unter Verweis auf OLG Düsseldorf 24.2.1998 – 5 Ss 409/97, OLG Düsseldorf NStZ 1998 412, 413; anders auch noch Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 4. 44 BGH 8.8.2007 – 2 StR 235/07, BGH NStZ-RR 2007 374; Fischer Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 5; anders Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 7 (direkter Vorsatz); kritisch Bottke FS Szwarc 297, 308. Nestler
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VI. Rechtsfolgen
§ 183
IV. Schuldfähigkeit Gerade bei Exhibitionisten muss ein besonderes Augenmerk auf die Schuldfähigkeit gelegt wer- 6 den, da diese vielfach an neurotischen Störungen leiden und diese Störungen als schwere seelische Abartigkeit eingestuft werden können, was unmittelbar zu einer starken Einschränkung der Steuerungsfähigkeit führen kann, §§ 20, 21.45 Im Ergebnis muss jedoch ermittelt werden, ob sich diese Paraphilie auch wirklich auf die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat, da diese Fälle des § 20 in der Praxis doch recht selten erscheinen.46 Häufig kommt jedoch eine erhebliche Verminderung des Hemmungsvermögens nach § 21 in Betracht,47 was auch durch den Umstand eines planmäßigen und folgerichtigen Verhaltens nicht ausgeschlossen wird.48
V. Täterschaft und Teilnahme Als Täter kommen nur Männer in Betracht.49 Teilnahme ist an sich – auch als Frau – möglich. 7 Ob aber einer Anstifterin oder einer Gehilfin der § 28 Abs. 1 zugute kommt, weil es sich bei dem Geschlecht um ein besonderes persönliches Merkmal oder ein tatbezogenes Unrechtsmerkmal handelt, ist umstr.50 Aufgrund der Ausgestaltung als eigenhändiges Delikt scheidet eine mittelbare Täterschaft aus.51
VI. Rechtsfolgen Die Strafe des § 183 beläuft sich auf eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Dies 8 wurde vom Gesetzgeber bewusst gewählt, um deutlich zu machen, dass es sich strafrechtlich bei exhibitionistischen Handlungen um kein schwerwiegendes Unrecht handelt und dadurch eine Sicherungsverwahrung gänzlich unmöglich gemacht wird;52 wegen § 62 und in Ermangelung der Erwartung erheblicher rechtswidriger Taten i.d.R. auch eine Unterbringung nach § 63.53 Damit soll in erster Linie erreicht werden, den Täter in die Lage zu versetzen, sich einer therapeutischen Behandlung zu unterziehen, um künftig straffrei zu leben.54 Ein Anwenden von Freiheitsstrafe führt hier wohl weniger zu Erfolgen, wohl auch nicht bei wiederholter Tatbegehung.55 Dementsprechend sollte der Tatrichter auch immer die §§ 20, 21 StGB berücksichtigen,
45 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Hörnle MK Rdn. 14; vgl. auch OLG Zweibrücken StV 1986 436. 46 Nach Schätzungen sind 10 % der erwachsenen Exhibitionisten schuldunfähig, Hörnle MK Rdn. 14; OLG Zweibrücken 9.10.1085 – 1 Ss 160/85, OLG Zweibrücken StV 1986 436; so auch Witter FS Würtenberger 333, 339; zurückhaltend BGH 5 StR 610/62 v. 19.2.1963. 47 BGH 28 357; OLG Zweibrücken StV 1986 436; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Fischer Rdn. 8; Hörnle MK Rdn. 14; Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 8; Witter FS Lange 730. 48 OLG Zweibrücken StV 1986 436; dazu ausführlich Hörnle MK Rdn. 14. 49 Krit. dazu Schur NJOZ 2021 1186 f. 50 Vgl. Fischer Rdn. 16 m.w.N.; gegen eine Anwendbarkeit Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Bottke FS Szwarc 297, 309; Hörnle MK Rdn. 15. 51 Hörnle MK Rdn. 15; kritisch Herzberg GA 1991 145, 169. 52 BTDrucks. VI/3521 S. 55; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Hörnle MK Rdn. 27; Fischer Rdn. 11; vgl. auch BGH NStZ-RR 2005 11. 53 Vgl. BGH NJW 1998 3429; BGH NStZ 1995 228; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Fischer Rdn. 11; Horstkotte JZ 1974 84, 90. 54 Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 8. 55 Horstkotte JZ 1974 84, 90. 365
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§ 183
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da es häufig zu einer Minderung des Hemmungsvermögens kommt.56 Größtenteils wird den Umständen entsprechend auf eine Geldstrafe zurückzugreifen sein,57 wodurch ein Rückgriff auf nur kurze Freiheitsstrafen (§ 47) wohl eher selten der Fall sein dürfte. 9 Kommt es dennoch zur Verhängung einer Freiheitsstrafe, so gewährt § 183 Abs. 3 erweiterte Möglichkeiten der Strafaussetzung.58 Daraus folgt eine Sonderregelung für die Zukunftsprognose nach § 56 Abs. 1,59 womit die Strafaussetzung trotz ungünstiger Zukunftsprognose60 gewährt werden kann, wenn zu erwarten ist, dass der Täter aufgrund länger- oder kurzfristiger Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr begehen wird.61 Damit darf der Richter die Vollstreckung der Freiheitsstrafe auch dann zur Bewährung aussetzen, wenn er noch mit der Begehung weiterer exhibitionistischer Taten rechnet,62 er aber davon ausgeht, dass die nach der Verurteilung beginnende Therapie erfolgreich sein und zu einem straffreien Lebenswandel führen wird.63 Dies soll selbst dann gelten, wenn die exhibitionistische Handlung mit einer anderen Straftat zusammenfällt und bei isolierter Betrachtung der anderen Tat eine Wiederholung nicht zu erwarten ist;64 nicht jedoch, wenn nach den konkreten Umständen die Gefahr schwerwiegender Sexualdelikte im Raum steht.65 Weitere Voraussetzungen der §§ 56 ff. bleiben unberührt. Insbesondere gilt dies für § 56c Abs. 3. Weisungen im Hinblick auf Heilbehandlungen, die mit einem körperlichen Eingriff oder einer stationären Behandlung verbunden sind, können nur mit einer Einwilligung des Täters erteilt werden und führen bei einer Verweigerung zur Unanwendbarkeit des § 183 Abs. 3.66 In Einzelfällen muss jedoch geprüft werden, ob sich der Täter einer notwendigen Heilbehandlung auch ohne Weisung unterzieht.67 Bei zu erwartenden negativen Folgen für seinen Gesundheitszustand oder Unzumutbarkeit, darf der Täter auch etwaige Behandlungsmethoden ablehnen.68 Ferner hat § 183 Abs. 3 Auswirkungen bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung (§§ 63, 66 Abs. 1 Nr. 3), da das Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen die Gefahr der Wiederholung, mithin die drohende Gefahr weiterer gefährlicher Delikte für die Allgemeinheit, hinnimmt.69 Die Strafe darf auch ausgesetzt werden, wenn der Täter mit der Behandlung einverstanden ist, auch wenn ein Therapieplatz noch nicht sicher vorliegt.70
56 57 58 59
Vgl. BGHSt 28 357, 258; OLG Zweibrücken StV 1986 436. Horstkotte JZ 1974 84, 90; zur Strafzumessungspraxis siehe Hörnle MschrKrim 2001 212. Zur Anwendung des § 183 Abs. 3 siehe Schall JR 1987 397 und Müller-Dietz GedS Meyer 735. BGHSt 28 357, 359; BGHSt 34 150, 151 mit Anmerkung Rössner bei EzSt. Nr. 2 zu § 183; BGH NStZ 1991 485; BGH StV 1996 605, 606; BGH NStZ 1998 408, 409; BGH StV 2003 389. 60 Vgl. BGHSt 34 150; BGHSt NStZ 2008 92; OLG Düsseldorf NStZ 1984 263; OLG Stuttgart MDR 1974 685; Horstkotte JZ 1974 84, 90. 61 BGHSt 34 150, 153; BGH NJW 1998 3429; NStZ-RR 2003 73, 110; OLG Stuttgart StV 2007 190; OLG Stuttgart MDR 1974 685; zur zeitlichen Grenze der Behandlungsdauer vgl. BGHSt 34 150; ähnlich Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 540. 62 BGHSt 34 150, 153; OLG Stuttgart StV 2007 189; OLG Düsseldorf NStZ 1984 263; BayObLG Beschluss vom 11.1.1995 – 2 StRR 237/94. 63 Laufhütte/Roggenbuck LK11, Rdn. 9. 64 OLG Stuttgart StV 2007 189, 190. 65 BGH NStZ 2008 92; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. 66 Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 9. 67 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11. 68 Vgl. BGHSt 34 150, 153; Schall JR 1987 397. 69 BGH NStZ-RR 2005 11, 12; BGH 1999 298; BGH NStZ 1998 408, 409; BGH NStZ 1995 228; Nach BGH Beschlüssen v. 8.8.2007 – 2 StR 235/07 NStZ-RR 2007 374 und 22.8.2007 – 2 StR 263/07 NStZ 2008 92 f. reicht die Gefahr zukünftiger exhibitionistischer Handlungen nicht für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aus. 70 BGH NJW 1998 3429. Nestler
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VIII. Erweiterte Aussetzungsmöglichkeiten nach § 183 Abs. 4
§ 183
VII. Strafantrag Nach Abs. 2 wird die Tat grundsätzlich nur auf Antrag verfolgt, der von dem oder der Verletzten 10 zu stellen ist. Bei einem besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung, kann die Strafverfolgungsbehörde auch von Amts wegen einschreiten. Dies scheint vor allem bei einer Rückfallgefahr angebracht; der aber auch mit Abs. 3 Rechnung getragen werden kann.71 Ansonsten muss der Täter ein Verhalten an den Tag gelegt haben, das erheblich über dem bei exhibitionistischen Handlungen Üblichen liegt, also bei einer erheblichen Anzahl an Taten oder bei einem besonders drastischen Vorgehen.72
VIII. Erweiterte Aussetzungsmöglichkeiten nach § 183 Abs. 4 Mit § 183 Abs. 4 wird die erweiterte Aussetzungsmöglichkeit auf Taten erstreckt, die als exhibiti- 11 onistische Handlung eines Mannes oder einer Frau unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt strafbar sind. In Frage kommen hier insbesondere §§ 123, 183a, 185, 241 und § 323a i.V.m § 183, also Delikte mit einem Höchstmaß an Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe (Abs. 4 Nr. 1), oder auch § 174 Abs. 3 Nr. 1 und § 176a Abs. 1 Nr. 1 (Abs. 4 Nr. 2).73 Dahinter steckt der Gedanke, dass eine kriminalpolitisch wünschenswerte Aussetzung (i.V.m. einer Behandlung) nicht an rechtlich verschiedenen Einordnungen des Exhibitionismus scheitern zu lassen.74 Erfasst sind allein exhibitionistische Handlungen, nicht aber solche, die darüber hinaus gehen, wie etwa Merkmale des sexuellen Missbrauchs von Kindern.75 Abs. 4 gilt sowohl dann, wenn die Voraussetzungen des anderen Tatbestands neben denen des § 183 gegeben sind, als auch dann, wenn der Täter nur aus einer anderen Strafbestimmung i.S.d. Abs. 4 bestraft wird, weil eine Frau Täterin ist, kein Strafantrag gestellt wurde und es im Ergebnis es zu keiner Verurteilung nach § 183 kommt.76 Bei Abs. 4 Nr. 1 handelt es sich wie aufgezeigt um Delikte, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe 12 bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androhen. Dabei wurde insbesondere an die Beleidigung gedacht, die nur deswegen nicht ausdrücklich genannt wurde, um diese nicht als Sexualbeleidigung mit § 185 in Verbindung zu bringen.77 Liegen die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 mit vor, kommt es trotz Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu einer Aussetzung nach dieser Vorschrift.78 Abs. 4 Nr. 2 erfasst dagegen, wie ausdrücklich genannt, § 174 Abs. 3 Nr. 1 oder § 176a Abs. 1 13 Nr. 1. Auch wenn der Strafrahmen von § 176a Abs. 1 Nr. 1 durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und gefährlichen Straftaten und durch das SexualdelÄndG erhöht wurde, kann daraus nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber exhibitionistischen Handlungen vor Kindern als gefährlicher ansieht.79 Auf Abs. 3 kann auch zurückgegriffen werden, wenn eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren nach § 56 Abs. 2 ausgesetzt werden soll.80 Die in § 174 Abs. 3 Nr. 1 und in § 176a Abs. 1 Nr. 1 mit Strafe bedrohten Handlungen sind nicht fortwährend exhibitionistische, da nur Handlungen als exhibitionistisch angesehen werden können, bei denen es
71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 367
Vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 55; Fischer Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. Hörnle MK Rdn. 28. Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 11. Fischer Rdn. 15; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. BGHR StGB § 183 Abs. 1 Exhibitionistische Handlung 1). Vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 56; Fischer Rdn. 15; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. Vgl. BTDrucks. 7/514 S. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13. BGHSt 34 150; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 545; Schall JR 1987 401. BGH NStZ-RR 2005 12; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14. BGH 28 357; Fischer Rdn. 15a; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10; Wolters SK Rdn. 18; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14. Nestler
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dem Täter um die eigene sexuelle Befriedigung oder Erregung geht.81 Geht es jedoch um die Erregung des Opfers oder eines Dritten, kann nicht auf § 183 Abs. 4 Nr. 2 zurückgegriffen werden. Wird wegen einer Tat nach Abs. 4 Nr. 2 eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verhängt, müssen auch die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 vorliegen.82
IX. Konkurrenzen 14 Zwischen § 183 und § 174 oder § 176a kann Tateinheit bestehen,83 da von den Tatbeständen eine andere Schutzrichtung als von § 183 ausgeht, mithin der Schutz der ungestörten geschlechtlichen Entwicklung Minderjähriger und von ihnen gerade kein tatbestandsmäßiger Erfolg in Form einer Belästigung vorausgesetzt wird.84 Daneben kann Tateinheit mit §§ 123, 185 ff, 240 oder auch 241 angenommen werden;85 auch mit § 184i, sofern der Täter das Opfer zusätzlich in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt.86 § 183 verdrängt § 185.87 § 183a ist kraft ausdrücklicher Regelung im Verhältnis zu § 183 subsidiär.88 Kommt es zu einer Belästigung mehrerer Personen durch eine exhibitionistische Handlung, so liegt Idealkonkurrenz vor.89
Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 13. BGHSt 28 357; BGH NJW 1998 3428, 3429. BGH NStZ-RR 1999 298; Fischer Rdn. 17. Fischer Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11; Gössel Sexualstrafrecht § 7 Rdn. 28; aA Wolters SK Rdn. 10. 85 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; Fischer Rdn. 17; anders noch Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 14, nach dem § 240 den § 183 verdrängen soll. 86 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. 87 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; aA OLG Stuttgart MDR 1974 685; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11. 88 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. Ziegler BeckOK Rdn. 8 (§ 183 StGB sei spezieller). 89 BayObLGSt 1993 132, 134; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; aA BGHSt 4 303 zu § 183 a.F.
81 82 83 84
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§ 183a Erregung öffentlichen Ärgernisses Wer öffentlich sexuelle Handlungen vornimmt und dadurch absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 183 mit Strafe bedroht ist.
Schrifttum Bottke Exhibitionistische Handlungen und Erregung öffentlichen Ärgernisses, Festschrift Szwarc (2009) 297; DehneNiemann Zur Erstreckung des bedingten Strafantragserfordernisses aus § 183 Abs. 2 StGB auf § 183a StGB, HRRS 2018 280; Esser An den Grenzen des Strafrechts: Der Tatbestand der Erregung öffentlichen Ärgernisses, JA 2016 561; Hörnle Grob anstößiges Verhalten. Strafrechtlicher Schutz von Moral, Gefühlen und Tabus (2005); Kett-Straub Ist „Flitzen“ über ein Fußballfeld strafbar? JR 2006 188; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten (2012); Rathgeber/ Krug Rechtliche Probleme bei der Erregung öffentlichen Ärgernisses, StraFo 2016 309; Sick/Renzikowski Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, Festschrift Schroeder (2006) 603.
Entstehungsgeschichte Die Erregung öffentlichen Ärgernisses fand sich bis zum 4. StrRG vom 23.11.19731 in § 183 a.F. („Wer durch eine unzüchtige Handlung öffentlich ein Ärgernis gibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“). In der Öffentlichkeit begangene sexuelle Handlungen stellen zum großen Teil allenfalls bloße „Ungehörigkeiten“ dar, die einer Ahndung durch das Strafrecht nicht bedürfen.2 Der Gesetzgeber ging davon aus, dass ein solches Verhalten i.d.R. auch als sog. Sexualbeleidigung strafbar ist, und gab daher dem Anliegen, die Norm zu streichen oder ins Ordnungswidrigkeitenrecht zu verlagern,3 nicht nach.4 Stattdessen versuchte der Gesetzgeber die Vorschrift über den subjektiven Tatbestand einzuengen und sprachlich zu modernisieren.
Übersicht I. 1. 2.
Geschütztes Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut 2 Deliktsstruktur
II.
Tatbestand
1
1. 2.
Objektiver Tatbestand Subjektiver Tatbestand
III.
Täterschaft und Teilnahme
IV.
Konkurrenzen
3 8 10
11
I. Geschütztes Rechtsgut 1. Geschütztes Rechtsgut Jedermann hat Anspruch auf Achtung seiner Anschauungen. Daher wird es als legitim angese- 1 hen, gravierende Verletzungen dieses Anspruchs durch provozierende Vornahme sexueller Handlungen in der Öffentlichkeit unter Strafe zu stellen.5 Die Vorschrift schützt diesen An1 BGBl. I S. 1725. 2 Vgl. bereits das Protokoll des Sonderausschusses des deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, 6. Wahlperiode S. 1781 ff, 1783.
3 Vgl. Hanack NJW 1974 9 sowie Reformkommission Sexualstrafrecht, Empfehlung Nr. 54 sowie S. 239 ff. Für eine Ausgestaltung als Ordnungswidrigkeit Esser JA 16 568; Fischer Rdn. 2a; Hörnle S. 459; Sick/Renzikowski FS Schroeder 611; Weigend ZStW 129 519 ff. 4 BT-Drucks. VI/3521 S. 57, dem Vorschlag des Regierungsentwurfs aus der 6. Wahlperiode folgend (BT-Drucks. VI/ 1552 S. 32). 5 Horstkotte JZ 1974 84, 90. Krit. von Hören ZRP 1987 19, 22. 369 https://doi.org/10.1515/9783110490121-020
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§ 183a
Erregung öffentlichen Ärgernisses
spruch des Einzelnen vor ungewollter Konfrontation mit dem sexuellen Verhalten des Täters6 und nicht – wie § 183 StGB a.F.7 – das Allgemeininteresse,8 was sich schon daraus ergibt, dass die Vorschrift individuelles Ärgerniserregen verlangt. Die sexuelle Selbstbestimmungsfreiheit ist von Verhaltensweisen nach § 183a nicht zwingend tangiert.9
2. Deliktsstruktur 2 § 183a ist ein Erfolgsdelikt10 sowie ein Verletzungsdelikt im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut. Die Vorschrift enthält eine Subsidiaritätsklausel gegenüber § 183. Anders als § 183 ist § 183a zudem kein Antragsdelikt. Beides kann sich nachteilig auf Fälle exhibitionistischer Handlungen auswirken, die nicht nach § 183 strafbar sind (Exhibitionismus durch Frauen), aber von § 183a erfasst werden. In solchen Fällen ist § 183 Abs. 2 analog anzuwenden. Bei fehlender Strafanzeige eines Betroffenen sollte zudem von den §§ 153, 153a StPO großzügig Gebrauch gemacht werden. Ohnehin sind die praktische und kriminalpolitische Bedeutung der Norm gering.11
II. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand 3 Die Vorschrift setzt zunächst die öffentliche Vornahme sexueller Handlungen voraus. Sexuelle Handlungen sind die des § 184h Nr. 1 (vgl. die Kommentierung dort). Es kommen sexuelle Handlungen – nicht sexuelle Reden12 – mit und ohne Körperkontakt in Frage. Maßgeblich dafür, ob eine Handlung eine sexuelle ist, ist das äußere Erscheinungsbild, das sie als sexualbezogen erkennen lässt.13 Auszuscheiden sind daher die Handlungen, denen dies fehlt, wie das Nacktbaden,14 das Urinieren15 oder das Entblößen und Waschen des nackten Körpers.16 Auf die subjektive sexuelle Tendenz kommt es nicht an.17 Eine dem äußeren Erscheinungsbild nach sexualbezogene Handlung ist deshalb auch dann vom Tatbestand erfasst, wenn es dem Handelnden nicht auf die eigene sexuelle Erregung, die eines Partners oder die eines Dritten ankommt, sondern auf die Provokation Zuschauender. Die Erheblichkeitsschwelle der äußerlich sexualbezogenen Handlung liegt bei § 183a allerdings hoch.18 Ein sich in der Öffentlichkeit küssendes Liebespaar begeht keine – im Hinblick auf das in § 183a geschützte Rechtsgut – erhebliche sexualbezogene
6 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; SSW/Wolters Rdn. 1; Ziegler BeckOK Rdn. 2. Hörnle MK Rdn. 1 sieht dies als Teil der Privatsphäre an; ebenso Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1, der allerdings zugleich auf das Recht verweist, von „fremdbestimmten sexuellen Implikationen in Ruhe gelassen zu werden“. 7 BGHSt 4 303; BGHSt 11 282, 284. 8 So aber Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; wie hier Horstkotte JZ 1974 84, 90; Wolters SK Rdn. 1; vgl. auch Fischer GA 1989 445, 458; Fischer Rdn. 2 f. 9 Hörnle MK Rdn. 1; aA Bottke FS Szwarc 297, 312. 10 Hörnle MK Rdn. 1. 11 Hörnle MK Rdn. 3. 12 BGHSt 2 42. Ebenso Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. 13 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Esser JA 16 563, 565. 14 BGH JR 1962 26. 15 BGH NJW 1954 520; RGSt 7 168. 16 BGH v. 5.2.1953 – 3 StR 465/52. Siehe auch Hörnle MK Rdn. 4. 17 Hörnle MK Rdn. 4. 18 Vgl. Hörnle MK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. Nestler
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II. Tatbestand
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Handlung, selbst wenn es weiß, dass es bei prüden Zuschauern Anstoß erregt.19 Anders ist es bei einem in der Öffentlichkeit vollzogenen Geschlechtsakt.20 Die Handlung muss öffentlich vorgenommen werden. Das ist der Fall, wenn sie nach den 4 örtlichen Verhältnissen von unbestimmten und unbestimmt vielen Personen wahrgenommen wird oder wahrgenommen werden kann, ohne dass der Täter in der Lage wäre, dies zu verhindern.21 Es kommt nicht darauf an, dass die unbestimmte Vielheit von Personen zur Stelle ist, die Handlung also tatsächlich wahrgenommen hat.22 Die Öffentlichkeit des Ortes alleine genügt nicht; eine auf öffentlicher Straße vorgenommene sexuelle Handlung ist daher nicht ohne weiteres öffentlich i.S.d. § 183a,23 jedenfalls dann nicht, wenn der Täter Vorkehrungen trifft, um eine Kenntnisnahme durch Dritte zu verhindern. Eine versteckt begangene sexuelle Handlung fällt nicht unter § 183a.24 Andererseits kann ein Verhalten erfasst sein, auch wenn der Ort, an dem es vorgenommen wird, nicht in der Öffentlichkeit liegt. So kann die Handlung auch an einem Fenster25 oder in einem Zimmer26 oder einem Pkw27 begangen werden, sofern sie von jedermann gesehen werden kann.28 Es ist nicht erforderlich, dass der Beobachter Einzelheiten erkennen kann, wenn er nur das Verhalten als solches wahrnehmen und zutreffend als sexuelle Handlung deuten kann.29 Vorsichtsmaßregeln schließen den Öffentlichkeitsvorsatz nicht ohne weiteres aus. Eine andere Beurteilung ist allerdings geboten, wenn der Täter sein Verhalten so einrichtet, dass er nach seinem Willen und nach seiner Vorstellung von anderen nicht gesehen werden kann.30 Auch Handlungen, die nur von einem fest umrissenen Personenkreis wahrgenommen wer- 5 den können, können öffentlich vorgenommen sein. Ausgeschlossen ist das Merkmal der Öffentlichkeit hier nur dann, wenn die Handlung vor Personen vorgenommen worden ist, die insbesondere nach der Art und dem Zweck ihres Zusammenseins durch ein inneres Band wechselseitiger persönlicher Beziehungen verbunden sind, und zwar von Beziehungen, die die betroffenen Personen als einen in sich geschlossenen Personenkreis kennzeichnen.31 An der Öffentlichkeit der Handlungsvornahme fehlt es in solchen Fällen dann, wenn ein Mitglied des geschlossenen Personenkreises die sexuelle Handlung vornimmt.32 Öffentlich ist die Handlung aber auch dann nicht, wenn eine außenstehende, nicht dem geschlossenen Personenkreis angehörende Person die Handlung vornimmt und diese nur in dem geschlossenen Personenkreis wahrgenommen werden kann.33 Es fehlt dann das Merkmal der Wahrnehmungsmöglichkeit für unbestimmte Personen, das dem Begriff der Öffentlichkeit immanent ist. Die Anforderungen, die an den Begriff des geschlossenen Personenkreises zu stellen sind, sind nicht allzu hoch anzusetzen. Sie sind auch erfüllt bei einem geschlossenen Club oder bei eingeladenen Mitgliedern einer Abendveranstaltung, bei einem kleinen Gewerbebetrieb mit kleinem, persönlich ver-
19 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. 20 Siehe RGSt 23 233, 234: auch von Ehepaaren. 21 Vgl. KG NStZ 1985 220. Ferner Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 4; SSW/Wolters Rdn. 3; Ziegler BeckOK Rdn. 4. RGSt 73 90; BGHSt 11 282; BGHSt 12 42, 46; BGHSt 15 118, 124; BGH NJW 1969 853. BGH NJW 1969 853. Siehe auch Hörnle MK Rdn. 6. RGSt 7 385. BGHSt 11 282; BGH NStZ-RR 2007 374. BGH v. 12.10.1965 – 1 StR 262/65. OLG Köln NZV 2004 423. Hörnle MK Rdn. 6. BGH v. 21.6.1968 – 4 StR 111/68. So bereits BGH NJW 1969 853. Siehe auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4. BGHSt 11 282, 284; vgl. auch KG NStZ 1985 220; ferner Hörnle MK Rdn. 7; Ziegler BeckOK Rdn. 4. Schröder JR 1970 429; Blei JA 1971 25 unter Hinweis auf RGSt 49 147, 148. Hörnle MK Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; aA Schröder JR 1970 429; Blei JA 1971 25.
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bundenen Mitarbeiterstamm, grds. aber nicht bei den Beschäftigten einer Fabrik,34 den Besuchern einer Bar35 oder den Mitgliedern eines größeren Vereins.36 Die bloße Verbindung von Personen, die beruflichen Kontakt miteinander haben oder die durch den Besuch einer jedermann oder vielen unbestimmten Personen zugänglichen Veranstaltung oder auch durch Vereinsmitgliedschaft miteinander verbunden sind, führt nicht zur Annahme der persönlichen und privaten Verbundenheit, die beim geschlossenen Personenkreis vorhanden sein muss. Auch Liveübertragungen über das Internet können das Merkmal der Öffentlichkeit erfüllen.37 Zum Tatbestand gehört absichtliches oder wissentliches Ärgerniserregen. Das Ärgernis 6 muss i.S.e. Taterfolges erregt sein. Es genügt also nicht, dass es dem Täter lediglich darauf ankommt, Ärgernis zu erregen. Voraussetzung ist, dass ein anderer den Vorgang als solchen wahrgenommen hat.38 Der andere muss ihn aber auch in seinem sexuellen Bezug erkannt haben.39 Außerdem muss der Vorgang tatsächlich Ärgernis und nicht nur Belustigung oder Desinteresse erregt haben. Das Ärgernis braucht nicht bei der Person erregt zu werden, die der Täter bei Vornahme der sexuellen Handlungen im Auge hatte. Derjenige, bei dem das Ärgernis erregt wird, muss allerdings anwesend sein und den Vorgang in Erkenntnis des sexuellen Bezugs wahrgenommen haben. Es genügt nicht, dass er sich das Ereignis von einer Person, die möglicherweise daran Vergnügen empfunden hat, lediglich erzählen lässt und er dann Ärgernis nimmt. 7 Da die Vorschrift nicht die Allgemeinheit, sondern den Einzelnen davor schützt, in seinen Anschauungen respektiert und nicht öffentlich wider Willen mit sexuellen Vorgängen konfrontiert zu werden, ist das Merkmal der Ärgerniserregung in objektiver Hinsicht einzugrenzen. Die Handlung muss zunächst objektiv überhaupt geeignet sein, an dem Ort, an dem sie vorgenommen wird, als ärgerniserregend empfunden zu werden.40 Das ist nicht der Fall in Bars, die in ihrer Werbung auf die sexuellen Vorgänge abstellen, die in ihnen vorgenommen werden.41 Objektiv kann von Verletzung der Anschauungen der Besucher, welche die Bar besuchen, um mit diesen Vorgängen konfrontiert zu werden, nicht die Rede sein. Aus diesem Grund ist auch das unbekleidete „Flitzen“ bei Sportereignissen nicht vom Tatbestand erfasst.42 Weiter einschränkend ist zu fordern, dass der Betrachter mit dem Vorgang ungewollt konfrontiert wird.43 Das Einverständnis des Betrachters lässt den Tatbestand entfallen.44 Objektiv ärgerniserregende Handlungen sind dann nicht tatbestandsmäßig, wenn der Besucher Vergnügen an ihnen empfindet, ein Ärgernis also tatsächlich nicht erregt wird. Das gilt auch, wenn zwar keine positiven Gefühlsregungen durch die Handlung hervorgerufen werden, negative Empfindungen aber ausbleiben, etwa weil der Beobachter gleichgültig bleibt oder zwar erstaunt, letztlich aber nicht betroffen ist. Diese Einschränkung betrifft auch Fälle, bei denen sexuelle Handlungen an Orten vorgenommen werden, an denen zwar nicht ohne weiteres mit ihnen zu rechnen ist, ihre Vor-
34 35 36 37 38 39 40 41
Vgl. BGHSt 11 282, 285. OLG Celle GA 1971 251; krit. Marx JZ 1972 112. Anders OLG Köln NJW 1970 670 bei einem Verein von 800 Mitgliedern. OLG Karlsruhe BeckRS 2016 06862; Hörnle MK Rdn. 7; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; SSW/Wolters Rdn. 4; Ziegler BeckOK Rdn. 4. BGH NJW 1970 1855; vgl. auch BGH MDR 1970 898; KG JR 1965 29. Ferner Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3. Esser JA 2016 561, 565; Fischer Rdn. 5; Hörnle MK Rdn. 8; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 5. Vgl. auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5 (mit Blick auf „überempfindliche“ Personen, die § 183a gerade nicht erfassen will). Ähnlich Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3 („nicht überspanntes Wertgefühl“). Siehe auch Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 4; SSW/Wolters Rdn. 4. 42 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 43 BT-Drucks. VI/3521, S. 57. 44 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 5; Ziegler BeckOK Rdn. 6. Ähnlich Hörnle MK Rdn. 8, die allerdings die Zustimmung des Betrachters unter Bezugnahme auf Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 5 als Einwilligung einordnet. Nestler
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IV. Konkurrenzen
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nahme aber vorher angekündigt wird und die Möglichkeit des Sichentfernens besteht. Derjenige, der dennoch bleibt, weil er neugierig ist oder sich ärgern will, ist nicht geschützt.45
2. Subjektiver Tatbestand Der Täter muss, soweit nicht Absicht oder Wissentlichkeit verlangt wird (siehe sogleich), mit 8 mindestens bedingtem Vorsatz handeln. Dieser muss sich auch auf die sexuelle Handlung erstrecken.46 Soweit das Merkmal der Öffentlichkeit in Frage steht,47 muss sich der zumindest bedingte Vorsatz auf die Umstände erstrecken, die den Begriff des öffentlichen Handelns erfüllen. Dem Täter muss es gerade auf die Ärgerniserregung ankommen („absichtlich“) oder er muss 9 das Ärgernis wissentlich erregen; notwendig ist diesbezüglich Dolus directus 1. oder 2. Grades.48 Fälle, in denen der Täter die Möglichkeit des Zusehens durch andere lediglich in Kauf nimmt,49 sind deshalb vom subjektiven Tatbestand nicht erfasst. An der Wissentlichkeit fehlt es i.d.R. auch, wenn der Täter Vorkehrungen gegen die Wahrnehmung durch Dritte trifft.50 Ein nur unerhebliches Abweichen vom Kausalverlauf liegt vor, wenn bei der Person, die der Täter provozieren wollte, gar kein Ärgernis erregt wird, dafür aber bei anderen, die ungewollt mit der sexuellen Handlung des Täters konfrontiert sind.51 Dass auch andere Personen als die, die der Täter provozieren wollte, den Vorgang wahrnehmen und in ihrem sexuellen Bezug erkennen, braucht lediglich vom bedingten Vorsatz des Täters erfasst zu sein, da sich das Erfordernis eines Dolus directus nicht auf das Merkmal der Öffentlichkeit bezieht. Der Täter muss dies daher nur für möglich halten, und es muss ihm gleichgültig sein.
III. Täterschaft und Teilnahme Der Täter braucht die sexuelle Handlung nicht selbst vorzunehmen.52 Der Organisator einer von 10 anderen vorgenommenen sexuellen Handlung ist selbst jedenfalls mittelbarer53 Täter.54 Die Teilnahme richtet sich nach allgemeinen Regeln. Gehilfe kann sein, wer dem Veranstalter oder dem Ausführenden bei der Darbietung oder ihrer Vorbereitung Hilfe leistet.
IV. Konkurrenzen § 183a ist gem. ausdrücklicher Regelung subsidiär55 gegenüber § 183, außerdem – wie § 183 – 11 gegenüber den §§ 174, 176. Sind Handlungen, die nach § 183 Abs. 1 strafbar sind, wegen Fehlens 45 BT-Drucks. VI/3521, S. 57; Hörnle MK Rdn. 8; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 752 f; Esser JA 2016 561, 565; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 46 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. 47 BGH NJW 1969 853; OLG Bamber BeckRS 2011 07219; Hörnle MK Rdn. 9. 48 Hörnle MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. 49 Vgl. BT-Drucks. VI/3521, S. 57. 50 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4. 51 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 6. 52 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; siehe auch Hörnle MK Rdn. 10, die mittelbare Täterschaft für möglich hält; aA (eigenhändiges Delikt) Esser JA 2016 561, 564; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 7; Ziegler BeckOK Rdn. 8; ähnlich Fischer Rdn. 3. 53 BGHSt 40 218; BGHSt 42 65. 54 Anders Fischer Rdn. 3; Wolters SK Rdn. 6. 55 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; SSW/Wolters Rdn. 7; aA BT-Drucks. 7/514, S. 10, Hörnle MK Rdn. 11 und Ziegler BeckOK Rdn. 9, die von Spezialität ausgehen. 373
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§ 183a
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der Voraussetzungen nach § 183 Abs. 2 nicht verfolgbar, so können sie auch nicht nach § 183a verfolgt werden.56 Sonst würde das mit § 183 Abs. 2 angestrebte gesetzgeberische Ziel unterlaufen. § 185 wird bei Handlungen, die mit dem Erscheinungsbild des § 183a i.d.R. verbunden sind, durch § 183a verdrängt.57 Wird das Ärgernis durch ein und dieselbe Handlung bei mehreren Personen erregt, so liegt gleichartige Idealkonkurrenz vor.58 Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 184e, 184g.
56 Sehr str. Tat bei fehlendem Strafantrag nicht nach § 183a verfolgbar: Hörnle MK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Esser JA 2016 561, 565; 9. Anders (Tat gleichwohl nach § 183a verfolgbar): Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 758; SSW/Wolters Rdn. 7; Wolters SK Rdn. 8; Ziegler BeckOK Rdn. 9; ebenso noch in der Vorauflage Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 9. 57 Siehe aber Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5 (Tateinheit mit § 185 möglich). 58 Anders BGHSt 4 303; Fischer Rdn. 7. Nestler
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§ 184 Verbreitung pornographischer Inhalte (1) Wer einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) 1. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht, 2. an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, zugänglich macht, 3. im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, im Versandhandel oder in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln einem anderen anbietet oder überläßt, 3a. im Wege gewerblicher Vermietung oder vergleichbarer gewerblicher Gewährung des Gebrauchs, ausgenommen in Ladengeschäften, die Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können, einem anderen anbietet oder überläßt, 4. im Wege des Versandhandels einzuführen unternimmt, 5. öffentlich an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, oder durch Verbreiten von Schriften außerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel anbietet oder bewirbt, 6. an einen anderen gelangen läßt, ohne von diesem hierzu aufgefordert zu sein, 7. in einer öffentlichen Filmvorführung gegen ein Entgelt zeigt, das ganz oder überwiegend für diese Vorführung verlangt wird, 8. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält oder einzuführen unternimmt, um diesen im Sinne der Nummern 1 bis 7 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder 9. auszuführen unternimmt, um diesen im Ausland unter Verstoß gegen die dort geltenden Strafvorschriften zu verbreiten oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen oder eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) 1Absatz 1 Nummer 1 und 2 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt; dies gilt nicht, wenn der Sorgeberechtigte durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen seine Erziehungspflicht gröblich verletzt. 2Absatz 1 Nr. 3a gilt nicht, wenn die Handlung im Geschäftsverkehr mit gewerblichen Entleihern erfolgt.
Schrifttum Altenhain Die strafrechtliche Verantwortung für die Verbreitung mißbilligter Inhalte in Computernetzen, CR 1997 485; ders. Die gebilligte Verbreitung mißbilligter Inhalte – Auslegung und Kritik des § 5 Teledienstegesetz, AfP 1998 (457) 457; Amelung/Funcke-Auffermann Die erneute Reform des Sexualstrafrechts, StraFo 2004 114, 265; Barton MultimediaStrafrecht (1999); Behm Einfuhr pornografischer Schriften gemäß § 184 Abs. 1 Nr. 4 StGB – eine anachronistische Vorschrift, AfP 2002 22; Beisel Die Verfassungsmäßigkeit des Verbots von Schriften sodomitischen Inhalts, ZUM 1996 859; Beisel/Heinrich Die Strafbarkeit der Ausstrahlung pornografischer Sendungen in codierter Form durch das Fernsehen, JR 1996 95; dies. Die Strafbarkeit der Ausstrahlung jugendgefährdender Fernsehsendungen, NJW 1996 491; Bettinger/ Freytag Privatrechtliche Verantwortlichkeit für Links, CR 1998 545; Bleisteiner Rechtliche Verantwortlichkeit im Internet (1999); Bode Das Providerprivileg aus §§ 7, 10 TMG als gesetzliche Regelung der Beihilfe durch „neutrale Handlungen“, ZStW 127 (2015) 937; Bornemann Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder, NJW 2003 787; Bornemann Der „Verbreitensbegriff“ bei Pornografie in audiovisuellen Mediendiensten, straferweiternd im Internet und strafverkürzend im Rundfunk? MMR 2012 157; ders. Aktuelle Entwicklungen der Pornografiestrafbarkeit, JZ 2022, 180; Bröhl Rechtliche Rahmenbedingungen für neue Informations- und Kommunikationsdienste, CR 1997 73; Cramer Zur strafrechtlichen Beurteilung der Werbung für Pornofilme AfP 1989 611; Dreher Die Neuregelung des Sexualstrafrechts eine geglückte Reform? JR 1974 45; Duttge/Hörnle/Renzikowski Das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, NJW 2004 1065; Eckstein Pornographie und Versandhandel, wistra 1997 47; ders. Besitz als Straftat (2001); ders. Grundlagen und aktuelle Probleme der Besitzdelikte – EDV, EU, Strafrechtsände-
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§ 184
Verbreitung pornographischer Inhalte
rungsgesetze, Konkurrenzen, ZStW 117 (2005) 107; Eisele Pornografische Inhalte in modernen Kommunikationsmedien, RdJB 2013 212; Erdemir Filmzensur und Filmverbot (2000); ders. Neue Paradigmen der Pornografie? MMR 2003 628; ders. Jugendschutzprogramme und geschlossene Benutzergruppen – Zu den Anforderungen an die Verbreitung entwicklungsbeeinträchtigender und jugendgefährdender Inhalte im Internet, CR 2005 275; Gercke Die strafrechtliche Verantwortung für Hyperlinks, CR 2006 844; Greco Strafbare Pornografie im liberalen Staat – Grund und Grenzen der §§ 184, 184a–d, RW 2011 275; Gercke Einführung in das Internetstrafrecht, Jura 2007 839; ders. Defizite des „Schriften“Erfordernisses in Internet-bezogenen Sexual- und Pornographiedelikten, CR 2010 798; Greger Die Video-Novelle 1985 und ihre Auswirkungen auf das StGB und GjS, NStZ 1986 8; Haft/Eisele Zur Einführung: Rechtsfragen des Datenverkehrs im Internet, JuS 2001 112; dies. Zur systematischen Stellung des § 5 TDG bei der Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Internet-Providern, in: Regulierung in Datennetzen, Beiträge zur juristischen Informatik, Bd. 23, 2000, 53 ff; Hanack Die Reform des Sexualstrafrechts und der Familiendelikte, NJW 1974 1; M. Heinrich Zum Verhältnis von Jugendschutz und Konfrontationsschutz im Rahmen des § 184 StGB, Festschrift Ostendorf (2015) 399; ders. Beiträge zum Medienstrafrecht, ZJS 2016 17, 132, 297, 414, 569, 698, ZJS 2017, 25; Herkströter Rundfunkfreiheit, Kunstfreiheit und Jugendschutz, AfP 1992 23; Hilgendorf/Valerius Computer- und Internetstrafrecht (2021); Hoeren Das Telemediengesetz, NJW 2007 801; Hörnle Neue Medienangebote und alte Pornographieverbote, KritV 2003 299; ders. Grob anstößiges Verhalten. Strafrechtlicher Schutz von Moral, Gefühlen und Tabus (2005); ders. Pornografische Schriften im Internet, NJW 2002 1008; von der Horst Rollt die Euro-Pornowelle? ZUM 1993 227; Kudlich Die Neuregelung der strafrechtlichen Verantwortung von Internetprovidern, JA 2002 798; Laufhütte Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts, JZ 1974 46; Liesching Das neue Jugendschutzgesetz, NJW 2002 3281; ders. Pornografieverbote in Staaten der Europäischen Union, MMR 2003 156; Liesching/v. Münch Die Kunstfreiheit als Rechtfertigung für die Vertreibung pornographischer Schriften, AfP 1099 37; Lober Jugendschutz im Internet und im Mobile Entertainment, K&R 2005 65; Mahrenholz Brauchen wir einen neuen Pornographie-Begriff? ZUM 1998 525; Matzky Dialer als wirksame Zugangshinderung für einfache Pornografie, Jura 2004 339; Möller Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Postident-Verfahren, NJW 2005 1605; Ostendorf Zur Forderung nach einem neuen Pornografiebegriff, MschrKrim 2001 372; Popp Die strafrechtliche Verantwortung von Internet-Providern (2002); Ramberg Erfahrungen bei der Strafverfolgung der Verbreitung von Pornographie via Satellit, ZUM 1994 140; Renzikowski Entwicklungslinien des Sexualstrafrechts – vom Moralschutz zum Rechtsgüterschutz, und wieder zurück?, AL 2022 93; Sobota/Gercke Zur Strafbarkeit des unaufgeforderten „Dickpic“-Versands, JR 2022 237; Schreibauer Das Pornographieverbot des § 184 StGB (1999); F. C. Schroeder Das „Erzieherprivileg“ im Strafrecht, Festschrift Lange 391; ders. Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit (1992); ders. Besitz als Straftat, ZIS 2007 444; Schulz/Korte Jugendschutz bei non-fiktionalen Fernsehautomaten, ZUM 2002 719; Stettner Der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – eine Problemsicht, ZUM 2003 425; Strauß Beim Tatbestand der Besitzverschaffung an kinderpornographischen Schrifte kann „Anderer“ auch ein Beteiligter an dem in einer kinderpornographischen Schrift dargestellten sexuellen Missbrauch sein, JR 2022 262; Walther Zur Anwendbarkeit der Vorschriften des strafrechtlichen Jugendmedienschutzes auf im Bildschirmtext verbreitete Mitteilungen, NStZ 1990 523; Weigend Strafrechtliche Pornographieverbote in Europa, ZUM 1994 133; Würkner Die Freiheit der Kunst in der Rechtsprechung von BVerfG und BVerwG, NVwZ 1992 1.
Entstehungsgeschichte Die nunmehr in §§ 184 bis 184e normierten Pornografieverbote fußen inhaltlich im Wesentlichen auf § 184 i.d.F. 4. StRG sowie den Ausweitungen durch das 27. StrÄndG.1 § 184 a.F. enthielt ein umfassendes Verbreitungsverbot für unzüchtige Schriften. Daneben war unter Strafe gestellt: Das Überlassen und Anbieten von unzüchtigen Schriften an Personen unter 16 Jahren gegen Entgelt, die Werbung für Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt sind, und zwar an Orten, die dem Publikum zugänglich sind, die Werbung in einer Sitte oder Anstand verletzenden Weise für Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten oder zur Verhütung der Empfängnis dienen sowie die öffentliche Ankündigung mit dem Ziel, unzüchtigen Verkehr herbeizuführen. Der Entwurf eines 4. StrRG (BTDrucks. VI/1552) griff Anregungen zur Einschränkung der Strafbarkeit auf und wollte zunächst, einem Vorschlag Hanacks folgend,2 eine Strafbarkeit für die Weitergabe pornographischer Schriften
1 Wolters/Greco SK Rdn. 1. Zur Geschichte der Pornografieverbote vgl. unter anderem Schroeder Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit S. 1 ff; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 31 ff. 2 Der Entwurf eines Strafgesetzbuches der Großen Strafrechtskommission aus dem Jahre 1962 (E 1962) schlug zur Vermeidung strafrechtlicher Lücken technische Verbesserungen vor und wollte die unzüchtige Schaustellung unter Strafe stellen, um „der Ausbreitung dieser Verfallserscheinung mit einer Strafdrohung entgegenzutreten“ (Begr. S. 384). Die Vorschläge wurden jedoch heftig kritisiert. Der Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches (Besonderer Nestler
376
Entstehungsgeschichte
§ 184
vorsehen.3 Das 27. StrÄndG vom 23.7.19934 sah dementsprechend in § 184 Abs. 3 a.F. (nunmehr § 184b) eine Erhöhung des Strafrahmens für die Verbreitung usw. von kinderpornografischen Schriften sowie zugleich die Anhebung der Mindeststrafe in dem neu geschaffenen § 184 Abs. 4 a.F. (nunmehr § 184b Abs. 2) vor. Eingefügt wurde außerdem § 184 Abs. 5 a.F. (nunmehr § 184b Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3), wonach – bei den ein tatsächliches Geschehen wiedergebenden Darstellungen – neben dem Besitz selbst auch die Besitzverschaffung von Kinderpornografie mit Strafe bedroht sein sollte.5 Veranlasst durch Auswüchse auf dem damals aufkommenden Videokassettenmarkt, wurde durch das Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vom 25.2.19856 in § 184 Abs. 1 Nr. 3a i.V.m. Abs. 4 Satz 2 a.F. ein eingeschränktes Vermietverbot für pornographische Videoerzeugnisse eingeführt. Das ursprünglich vorgesehene absolute Vermietverbot7 wurde u.a. aufgrund erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken nicht umgesetzt.8 Durch das 27. StrÄndG wurden zudem die Einziehung von kinderpornographischen Darstellungen und die Abschöpfung des Gewinns erleichtert.9 Damit verbunden waren erhöhte Mindeststrafen;10 es folgten weitere Änderungen durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994.11 Durch das am 1.8.1997 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste vom 22.7.199712 wurden einzelne Tatbestände sodann auf solche Darstellungen ausgedehnt, die lediglich ein wirklichkeitsnahes (und kein wirkliches) Geschehen wiedergeben, da diese infolge von digital erzeugbaren Darstellungen nicht länger mit Sicherheit von den ein tatsächliches Geschehen wiedergebenden Darstellungen zu differenzieren waren.13 Mit dem 6. StrRG wurden die Strafrahmen für die Fälle sog. harter Pornografie angehoben.14 Durch das SexualdelÄndG vom 27.3.200315 wurden die bis dahin in § 184 normierten unterschiedlichen Pornografietatbestände auf §§ 184 bis 184c verteilt, um auf diese Weise die jeweiligen Erscheinungsformen von Pornografie den unterschiedlichen Inhalten entsprechend voneinander abzugrenzen.16 Wesentliche inhaltliche Änderungen
Teil, Sexualdelikte, 1968) schlug dann die Entkriminalisierung im gesamten vom E 1962 erfassten Bereich vor. Hanack hatte in seinem Gutachten für den 47. Deutschen Juristentag (Empfiehlt es sich, die Grenzen des Sexualstrafrechts neu zu bestimmen? 1968) erwogen, die Abwehr in jedem Fall auf „pornographische“ Schriften zu beschränken (Rdn. 360) und allenfalls deren anstößige Werbung und Zurschaustellung, evtl. deren gewerbsmäßige Herstellung und Einfuhr (Rdn. 364) zu poenalisieren (Rdn. 361 ff). Alle übrigen vom E 1962 vorgeschlagenen Vorschriften sollten nach Hanack in das Recht der Ordnungswidrigkeiten verwiesen werden (Rdn. 368 ff). 3 Die früher in § 184 Abs. 1 Nrn. 3, 3a, 4. StGB a.F. enthaltenen Regelungen sind zum Teil in Art. 2 des 4. StrRG (BGBl. 1973 I S. 1725, Änderungsgesetz 1974, BGBl. I S. 469, 502) als Ordnungswidrigkeiten beibehalten. 4 BGBl. I S. 1346. 5 Vgl. BTDrucks. 12/3001 S. 4; BTDrucks. 12/4883 S. 6 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2. 6 BGBl. I S. 425. 7 BTDrucks. 10/722. 8 BTDrucks. 10/2546 S. 23 ff. 9 Anlass der Gesetzesänderung war die Erkenntnis, dass die bestehenden Vorschriften gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern (§ 176) und die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie (§ 184 Abs. 3) die Entstehung und Ausbreitung des Videomarktes für Kinderpornographie und den damit verbundenen sexuellen Missbrauch von Kindern nicht hatten verhindern oder eindämmen können. Vgl. zur Entstehung der Reformbemühungen anlässlich einer Veröffentlichung der Illustrierten „Stern“ Schroeder ZRP 1990 299 und NJW 1993 2581 m.w.N.; zur Begründung siehe auch BTDrucks. 12/709 (überfraktioneller Gruppenantrag „Maßnahmen gegen Kinderpornographie“), BTDrucks. 12/3001 (Gesetzentwurf der Bundesregierung, S. 4) und BTDrucks. 12/4883 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, S. 6). 10 Die Anhebung insb. der Mindeststrafen wurde für erforderlich gehalten, weil „bekanntlich die Praxis dazu neigt, die zu verhängenden Strafen an der unteren Strafrahmengrenze anzusiedeln“ (Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks. 12/3001 S. 7). Geldstrafen sollten zurückgedrängt und „übermäßiger gerichtlicher Milde“ ein Riegel vorgeschoben werden (BT-PlProt. 12/111, S. 9474 ff; vgl. auch BTPlProt. 12/163 S. 14060 ff). Vgl. zu den Motiven BTDrucks. 12/4883 S. 6. 11 BGBl. I S. 3186. 12 BGBl. I S. 1870. 13 Vgl. BTDrucks. 13/7385 S. 60, 72; BTDrucks. 13/7934 S. 41; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2. 14 Wolters/Greco SK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2. 15 Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.2003, BGBl. I S. 3007 ff. 16 BTDrucks. 15/350 S. 19. 377
Nestler
§ 184
Verbreitung pornographischer Inhalte
waren insoweit nicht vorgesehen.17 Nunmehr erfasste § 184 die Fälle sog. einfacher Pornografie (bisher § 184 Abs. 1). Die zuvor in § 184 Abs. 3 bis Abs. 5 normierte sog. harte Pornografie war nun für gewalt- und tierpornografischer Schriften in § 184a, für kinderpornografischer Schriften in § 184b geregelt.18 Nach § 184c – später § 184d, heute aufgegangen im Schriftenbegriff des § 11 Abs. 3 – sollten §§ 184 bis 184b – heute §§ 184 bis 184c – auch bei einer Verbreitung durch Rundfunk, Medien- und Teledienste Anwendung finden.19 Das am 5.11.2008 in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie vom 31.10.2008 fügte für die Verbreitung etc. von jugendpornografischen Inhalten § 184c neu ein.20 Durch das 49. StrÄndG21 wurde neben weiteren geringen inhaltlichen Anpassungen insbesondere in § 184b Abs. 1 Nr. 1 lit. a bis lit. c sowie § 184c Abs. 1 Nr. 1 lit. a und lit. b das sog. Posing bei kinder- und jugendpornografischen Schriften näher geregelt. In §§ 184b Abs. 1 Nr. 3, 184c Abs. 1 Nr. 3 ist zudem auch die Herstellung von kinderpornografischen Schriften, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, in denjenigen Fällen unter Strafe gestellt, in denen keine Absicht einer anschließenden Verbreitung gegeben ist. Hinsichtlich des Besitzes kinderpornografischer Schriften wurde in § 184b Abs. 3 der Strafrahmen von zwei auf drei Jahre angehoben. Daneben wurde der Tatbestandsausschluss in Abs. 5 ausgeweitet, um auch die rechtmäßige Erfüllung staatlicher Aufgaben explizit einzubeziehen. Dieser Tatbestandsausschluss wurde 2020 noch einmal erweitert, um Ermittlern nunmehr die Abgabe von sog. Keuschheitsproben zu gestatten.22 Eingefügt wurde zudem der Abruf kinder- und jugendpornografischer Schriften in § 184d Abs. 2, sodass sich Unklarheiten hinsichtlich der Besitzstrafbarkeit weitgehend erledigt haben dürften. Schließlich sind in § 184e die Veranstaltung und der Besuch kinder- und jugendpornografischer Live-Darbietungen unter Strafe gestellt.23 Mit Wirkung zum 1.1.202124 wurde das Pornografiestrafrecht erneut reformiert. Die Tatmodalitäten des § 184 erhielten ihre hier kommentierte Fassung, die sich, wie nun auch die Legaldefinition des § 11 Abs. 3 auf Inhalte anstatt auf Schriften bezieht,25 und § 184d wurde aufgehoben.26
Übersicht I.
Kriminalpolitische Bedeutung und internationa1 le Bezüge
II. 1. 2.
Normstruktur Geschütztes Rechtsgut 6 Deliktscharakter
III. 1.
Pornografie Begriff der Pornografie – Definitionsversu8 che 19 Verhältnis von Pornografie und Kunst
2.
4
3.
IV. 1.
24 Pornografische Inhalte a) Verbreitungsmedien des § 184d a.F b) Modalitäten des § 184d Abs. 2 a.F
28 30
Tathandlungen Minderjährigen anbieten, überlassen oder zu31 gänglich machen, Abs. 1 Nr. 1 32 a) Anbieten 33 b) Überlassen 34 c) Zugänglichmachen
17 18 19 20 21
Wolters/Greco SK Rdn. 1. Wolters/Greco SK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Hörnle MK Rdn. 14. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. Wolters/Greco SK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. Mit dem 49. StrÄndG wurde die Richtlinie 2011/93/EU zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2004/68/ JI umgesetzt, vgl. ABl. EU 2011 L 335 v. 17.12.2011 S. 1 mit Berichtigung ABl. EU 2012 L 18 v. 21.1.2012 S. 7; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 3a. 22 „Der Deutsche Bundestag hat am 17.1.2020 die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Polizeibeamte i.R.v. Ermittlungsverfahren, welche insbesondere Kinderpornografie-Foren im Darknet zum Gegenstand haben, zur Aufrechterhaltung ihrer Tarnung selbst unter engen Voraussetzungen Kinderpornografie posten können“, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/138/1913836.pdf. 23 Vgl. BTDrucks. 18/2601 S. 29 ff; BTDrucks. 18/3202 S. 27. 24 Gesetz vom 30.11.2020, BGBl. I S. 2600. 25 Ausführlich Rdn. 24 ff. 26 Siehe dazu Hopf/Braml ZUM 2021 421, 423. Nestler
378
I. Kriminalpolitische Bedeutung und internationale Bezüge
2.
3.
4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
d) Erzieherprivileg 38 Zugänglich machen an einem Ort, der Minderjährigen zugänglich ist oder von ihnen eingese42 hen werden kann, Abs. 1 Nr. 2 a) Für Personen unter achtzehn Jahren zu43 gängliche Orte 45 b) Einsehbarkeit 46 c) Tathandlung: Zugänglichmachen Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen 49 […], Abs. 1 Nr. 3 50 a) Restriktion 53 b) Einzelhandel 54 c) Versandhandel 57 d) Verleih 59 e) Anbieten oder Überlassen 60 Gewerbliche Vermietung, Abs. 1 Nr. 3a Unternehmen der Einfuhr im Wege des Versand68 handels, Abs. 1 Nr. 4 70 Öffentliche Werbung, Abs. 1 Nr. 5 Ohne Aufforderung an einen anderen gelangen 78 lassen, Abs. 1 Nr. 6 Öffentliche Filmvorführung gegen Entgelt, 82 Abs. 1 Nr. 7 Vorbereitung des Verbreitens, Abs. 1 86 Nr. 8 93 Unternehmen der Ausfuhr, Abs. 1 Nr. 9
§ 184
95
V.
Subjektiver Tatbestand
VI.
Rechtswidrigkeit
VII. 1. 2. 3.
97 Haftungsregelungen der §§ 7 ff. TMG 99 Telemedien 101 Diensteanbieter Rechtsnatur der Haftungsbeschrän104 kung 105 Haftungssystem 106 a) Haftung für eigene Informationen b) Haftungsbeschränkung für fremde Informationen aa) Haftungs des Acces- und Network Pro111 viders bb) „Cache-Privileg“ gem. § 9 114 TMG 116 cc) Haftungsregelung § 10 TMG
4.
VIII. Beteiligung
96
121 123
IX.
Konkurrenzen
X.
Verjährung
124
XI.
Einziehung
125
I. Kriminalpolitische Bedeutung und internationale Bezüge § 184 bedroht die Verbreitung von einfachen pornografischen Inhalts – sog. weiche Pornogra- 1 fie – in den Tatsituationen der Nrn. 1 bis 9 mit Strafe. Demgegenüber enthalten die §§ 184a bis 184c mit Blick auf tier-, gewalt-, kinder- und jugendpornografische Inhalte – sog. harte Pornografie – ein vollständiges Verbreitungsverbot, wobei §§ 184b, 184c neben der Verbreitung kinder- und jugendpornografischer Inhalte zugleich deren Erwerb und Besitz pönalisieren.27 § 184e betrifft das Veranstalten sowie den Besuch von kinder- und jugendpornografischen Darstellungen. Die kriminalpolitische und außenpolitische Bedeutung von § 184 ist so gering, dass die Zahl 2 der nach § 184 Verurteilten in der Strafverfolgungsstatistik nicht mehr gesondert ausgewiesen wird.28 In der Polizeilichen Kriminalstatistik werden die wegen Taten nach § 184 Verdächtigen als 0,0 bzw. 0,1 % der Gesamtkriminalität ausgewiesen.29 Außenpolitische Relevanz kann jedoch zumindest Abs. 1 Nr. 9 zugeschrieben werden, der 3 ein anderes Ziel verfolgt als die übrigen Tatbestände des § 184. Insoweit geht es um den Schutz von außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, die gefährdet werden könnten, wenn entgegen den Strafvorschriften anderer Staaten pornographische Inhalte exportiert
27 SSW/Hilgendorf Rdn. 1. 28 Im Jahr 2011 verurteilten die deutschen Gerichte 116 Personen, im Jahr 2012 waren es 154. Für 2013 sind 158 Verurteilte erfasst. Für das Jahr 2020 werden 2.820 Verurteilungen wegen Taten nach § 184 bis 184e StGB (insgesamt) gemeldet. 29 Die PKS 2021 differenziert zwischen dem Zugänglichmachen mittels Rundfunk oder Telemedien (35 Fälle), dem „sonstigen Zugänglichmachen“ (3.032 Fälle) und der Verbreitung pornografischer Erzeugnisse an Personen unter 18 Jahren gem. § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2, 5 StGB (2.476 Fälle). 379
Nestler
§ 184
Verbreitung pornographischer Inhalte
würden. Dieser Straftatbestand wird von der Lit. gleichwohl als entbehrlich angesehen.30 Da weite Teile des Pornografiestrafrechts auf übernationalen Abkommen basieren und daher ein recht weiter Grundkonsens über die Reichweite der Strafbarkeit besteht, ist auch der Anwendungsbereich dieser Norm denkbar gering.
II. Normstruktur 1. Geschütztes Rechtsgut 4 In Ermangelung eines umfassenden Herstellungs- und Verbreitungsverbots für Pornografie in § 184 ist dessen Schutzzweck nicht einheitlich.31 Früher sah man den Zweck der Vorschrift im Schutz der Sexualmoral i.S.e. Schutzes des Scham- und Sittlichkeitsgefühls eines normalen Menschen, was in der aktuellen Fassung des Gesetzes aber keinen Rückhalt findet.32 Im älteren Schrifttum wurde auch vertreten, dass u.a. die auf Ehe und Familie ausgerichtete Sexualverfassung (Art. 6 Abs. 1 GG) geschützt werden soll.33 Ein Anhaltspunkt dafür könnte in dem Erzieherprivileg des Abs. 2 liegen. Dies überzeugt jedoch nicht: Aus der besonderen Stellung von Ehe und Familie im GG kann nicht abgeleitet werden, dass andere Formen sexueller Betätigung durch strafrechtliche Verbote bekämpft werden müssen.34 Zudem kommt Eltern im Hinblick auf die Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung ihrer Kinder keine Stellvertreterrolle zu.35 5 Verstanden i.d.S. beabsichtigen jedenfalls die Vorschriften des Abs. 1 Nr. 1 bis 5, 7, 8 der gesetzgeberischen Konzeption zufolge ausschließlich bzw. in erster Linie den Jugendschutz.36 In Anbetracht der weitgehenden und freien Verfügbarkeit pornografischer Inhalte über sog. neue Medien wirkt das Postulat reichlich überzogen und geradezu unrealistisch. Ohnehin lassen sich nicht alle Verbote des Abs. 1 anhand des Schutzguts „Jugendschutz“ legitimieren. Den Schutz des Einzelnen vor ungewollter Konfrontation mit Pornografie sichert vorwiegend § 184 Abs. 1 Nr. 6,37 daneben aber auch die Nrn. 3 bis 5, 7, 8.38 Schutzgut ist insoweit das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung,39 das das Recht einschließt, vor ungewollter Konfrontation verschont zu bleiben. Zweifelhaft erscheinen Verbote, sofern sich der Wahrnehmung auf unkomplizierte Weise entzogen werden kann, wie z.B. bei ungewollt überlassenen Inhalte (Nr. 6), die leicht zu entsorgen sind, oder bei einer Seite im Internet, die ohne weiteres geschlossen werden
30 31 32 33 34 35 36
Hörnle MK Rdn. 10. Hierzu Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1. So noch Tröndle/Fischer49 Rdn. 4. Krit. noch Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 1 m.w.N.; Wolters/Greco SK Rdn. 2. Bottke FS Buchner 141, 146. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 3. Hörnle MK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 889; Ziegler BeckOK Rdn. 2; ferner Erdemir MMR 2003 628, 630. Die unterschiedlichen strafrechtlichen Konsequenzen bei Bestrafung „einfacher“ und „harter“ Pornographie sind wegen der unterschiedlichen Gefährdung Jugendlicher gerechtfertigt. Das Risiko der Gefährdung für Jugendliche bei Kenntnisnahme einfacher Pornographie wird als „überwiegend gering eingeschätzt“ (BTDrucks. VI/3521 S. 58). Die im Gesetzgebungsverfahren Angehörten hatten damals schädliche Auswirkungen durchweg als i.d.R. nicht wahrscheinlich angesehen. Dementsprechend ist ein Totalverbot, das auch die Verbreitung von Pornographie an Erwachsene (im Interesse des Jugendschutzes) verbietet, nicht gerechtfertigt. Vgl. Jahn Protokoll der Sitzung des Bundestages, 7. Wahlperiode S. 2175. Der Schutz Erwachsener ist deshalb vom Gesetzgeber zu Recht auf die Fälle ungewollter Konfrontation (vergleichbar mit den Fällen des § 183a) beschränkt worden. 37 BGH NStZ-RR 2005 309; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Fischer Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 8. 38 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 5; Ziegler BeckOK Rdn. 2. 39 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Hörnle MK Rdn. 8. Nestler
380
III. Pornografie
§ 184
kann.40 Etwas anderes gilt aber, soweit eine Konfrontation an öffentlichen Orten – Fußgängerzonen oder Bushaltestellen – in Frage steht, der nicht derart unkompliziert ausgewichen werden kann.41 Ähnliches muss gelten, wenn sich Webseiten oder gar Werbemeldungen „aufdrängen“, obwohl sie bereits ausgeblendet oder geschlossen wurden. Abs. 1 Nr. 9 wurde aus außenpolitischen Gründen für notwendig gehalten, wobei letztlich Konflikte der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ausland vermieden werden sollen.42 Dort ist ein Verhalten mit Strafe bedroht, soweit es im Ausland strafbar ist, selbst wenn dies im Inland straflos ist. Dem muss insoweit ein Rechtsgedanke aus § 6 Nr. 9 zugrunde liegen. Die Schutzrichtung des § 184 umfasst damit jedenfalls eine Trias aus Jugendschutz, Konfrontationsschutz und Schutz gemeinsamer Interessen der Staatengemeinschaft.
2. Deliktscharakter Unter Berücksichtigung der geschützten Rechtsgüter handelt es sich in allen Fällen des § 184 6 um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, sodass ohne Bedeutung ist, inwieweit tatsächlich im Einzelfall eine konkrete Gefahr entsteht.43 Insbesondere bedarf es nicht des Nachweises der Gefährdung einer einzelnen Person. Die- 7 ser wäre bei Berücksichtigung der strittigen Frage der Wirkung von Pornographie im Einzelfall auch schwerlich zu führen. Bestimmte, vom Gesetz – wie hier – generell als gefährlich eingestufte Verhaltensweisen werden stattdessen unabhängig von einer im Einzelfall gegebenen Gefährdung pönalisiert. Dazu ist der Gesetzgeber berechtigt.44 Die Versuche, die abstrakten Gefährdungsdelikte im Wege teleologischer Auslegung so einzugrenzen,45 dass im Einzelfall nicht gefährdende Handlungen ausgeschlossen werden, entsprechen Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Gesetzes nicht. Deshalb kann es lediglich bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, wenn im Einzelfall die Gefährdung eines anderen nicht nahe liegt.
III. Pornografie 1. Begriff der Pornografie – Definitionsversuche §§ 184 ff setzen das Vorliegen pornografischer Inhalte voraus. Jedoch wird der Begriff der Porno- 8 grafie nicht legaldefiniert.46 Bei der Auslegung des Pornografiebegriffs kann daher neben Wortlaut, Systematik und Telos zunächst nur aus historischer Perspektive auf den in § 184 a.F. verwendeten Terminus der unzüchtigen Schrift als Ausgangspunkt Bezug genommen werden (was für sich genommen freilich noch wenig hilfreich, mit Blick auf die sich wandelnden gesellschaftlichen Vorstellungen ggf. sogar verfehlt47 erscheint). Die Rspr. rekurrierte bei Auslegung des Begriffs der unzüchtigen Schrift ursprünglich da- 9 rauf, inwieweit die Schrift objektiv geeignet war, das „Scham- und Sittlichkeitsgefühl eines nor-
40 Köhne JR 2012 325, 327; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Hörnle MK Rdn. 8. Krit. auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 5. 41 Hörnle MK Rdn. 8. 42 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Ziegler BeckOK Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1. Nach Lüttger (FS Jescheck 121, 168 ff) ist der Schutz der deutschen auswärtigen Beziehungen bloß ein gesetzgeberisches Motiv, während nach Wortlaut und Sinn der Straftatbestand die ausländische Sexualordnung schützt. 43 Ziegler BeckOK Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 44 BVerfGE 83 130, 141. 45 Hörnle MK Rdn. 5, vgl. dort auch Rdn. 32 (Übergabe an ein kleines Kind). 46 Krit. mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 18. 47 Siehe Köhne JR 2012 325 ff. 381
Nestler
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Verbreitung pornographischer Inhalte
mal empfindenden Menschen in geschlechtlicher Beziehung gröblich zu verletzen“.48 Ausgehend davon nahm der BGH im „Fanny Hill“-Urteil eine wesentliche Einschränkung vor und charakterisierte als unzüchtig nur solche Schriften, die geschlechtliche Vorgänge in aufdringlicher, vergröbernder oder anreißerischer Weise schildern und damit Belange der Gemeinschaft stören oder ernsthaft gefährden.49 Dabei verwies er darauf, dass es nicht Sache des Strafrechts ist, auf „geschlechtlichem Gebiet einen moralischen Standard des erwachsenen Bürgers durchzusetzen“; vielmehr habe es die Sozialordnung der Gemeinschaft vor Störungen und groben Belästigungen zu schützen. Daher sei die strafrechtliche Verfolgung von Schriften nur insoweit vom Gesetzeszweck gedeckt, als „sexuelle Vorgänge in übersteigerter, anreißerischer Weise ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen geschildert werden“.50 Anhaltspunkte dafür ergäben sich etwa aus einer „aufdringlichen, verzerrenden, unrealistischen Darstellung geschlechtlicher Vorgänge, aus der Verherrlichung von Ausschweifungen oder Perversitäten und aus der obszönen Ausdrucksweise“. 10 Als Reaktion auf die dann folgende Gesetzesänderung entstand ein breites Spektrum von Definitionsversuchen, darunter eine als Realismus-Konzeption bezeichnete Definition,51 die jedoch unrealistische Darstellungen nicht erfasst, weil Verfremdungen, Übersteigerungen und Verzerrungen als besondere Stilmittel gerade eine Distanzierung und auch eine künstlerische Überhöhung zum Ausdruck bringen können.52 Darüber hinaus privilegiert diese Definition zu Unrecht realistische fotografische Aufnahmen. Alle anderen Umschreibungsversuche sind entweder zu eng oder sie knüpfen wiederum an auslegungsbedürftige Begriffe an, wie der von Giese53, der den Begriff der Pornographie auf eine Fehlhaltung beschränkt, die sich zu einer sexuellen Perversion entwickelt oder diese vortäuscht. Wieder andere Definitionsansätze bringen nur Teilaspekte zum Ausdruck, die sich für eine alle Formen der Pornographie umfassende Definition nicht eignen, wie die Umschreibung von Mertner-Mainusch54 („kotig, schmutzig, ekelerregend, garstig, unflätig, ekelhaft, anstößig, zotig“), von Rosenkranz55 („absichtliche Verletzung der Scham“), von Sigusch/Trillhaas56 („Körper ist nur noch Lustobjekt“), von Scheuch57 („Handlungen von Maschinen“) oder von Ermecke58 („Exhibitionismus in Wort und Bild“). Gleichwohl sind diese Formeln, insbesondere die vom BGH entwickelte, nicht gänzlich ohne Bedeutung. Sie zeigen Indizien dafür auf, ob die Anforderungen der Tendenzklausel59 vorliegen. 11 Der Gesetzgeber des heutigen § 184, der auch den Pornografiebegriff in der Norm installierte, hatte indes eine Neuorientierung dahingehend vor Augen, dass mit dem Begriff solche Darstellungen gemeint seien, die „zum Ausdruck bringen, dass sie ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes bei dem Betrachter abzielen, und dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes eindeutig überschreiten“.60 Wesentliche Merkmale von Pornografie sind dieser
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BGHSt 3 295, 296. BGHSt 23 40. BGHSt 23 40, 44. Schroeder Das neue Sexualstrafrecht S. 65. Vgl. BGH NJW 1975 1882; OLG Köln MDR 1981 247; OLG Stuttgart 1976 628, 629. Giese Das obszöne Buch S. 15. Mertner-Mainusch Pornotopia S. 38. Zit. nach Mertner-Mainusch a.a.O. S. 39. Prot., 6. Wahlperiode S. 1906 f. Prot., 6. Wahlperiode S. 1906. Prot., 6. Wahlperiode S. 1906 f. Deren Inhalt zielt bei ganzheitlicher Betrachtung auf das lüsterne Interesse an sexuellen Dingen ab (US-Supreme Court: Memoirs./.Mass., 383 US 413. 60 BTDrucks. VI/3521 S. 60; BGHSt 37 55, 60; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Sobota/Gercke JR 2022 237 (im Zusammenhang mit sog. Dickpics). Nestler
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sog. Tendenzkonzeption zufolge die Stimulierungstendenz sowie die Anstandsverletzung.61 Diesbezüglich entscheidend ist die sich einem objektiven Betrachter erschließende Funktion, nicht hingegen die subjektiven Motive des Herstellers.62 Dieser Definition zufolge ist neben der Voraussetzung, dass die Darstellung objektiv auf die Erregung des sexuellen Reizes abzielt, auch die eindeutige Überschreitung der nach allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstands erforderlich.63 Insoweit ist letztlich der gesellschaftliche Wandel zu beachten, mit der Folge, dass Inhalte, die in vorausgegangenen Urteilen noch als pornografisch eingeordnet wurden, inzwischen möglicherweise einer anders lautenden Beurteilung unterliegen.64 Diese Begriffsbestimmung der Pornografie mittels der Tendenzkonzeption hat zwar Zustim- 12 mung gefunden,65 ist allerdings insoweit auf Ablehnung gestoßen, als die dortigen normativen Elemente keine geeigneten Abgrenzungskriterien böten.66 Die Verwendung einer dahingehenden Terminologie lässt sich indes angesichts der starken normativen Prägung des Begriffs zur Definition der Pornografie nicht vermeiden; schließlich unterliegen die diesbezüglichen gesellschaftlichen Wertvorstellungen nicht nur einem steten Wandel, sondern weisen eine solche Vielfalt auf, dass sich ein einheitlicher Maßstab nur schwerlich finden lässt.67 Alternativ zur herrschenden Tendenzkonzeption wird innerhalb der Lit. teilweise die sog. 13 Objektkonzeption vertreten und danach gefragt, inwieweit der pornografische Charakter der Darstellung primär aus der Inhumanität der konkreten Darstellung resultiert.68 Entscheidend sei eine grobe sowie direkte Präsentation des Sexuellen, die den Menschen zu einem bloßen Objekt geschlechtlicher Begierde oder sexueller Betätigung jeglicher Art degradiert.69 Jene Objektkonzeption versucht die objektive Art sowie den Gehalt einer Darstellung zu analysieren. Erforderlich ist gerade die Negierung der Subjektqualität bzw. der Autonomie eines Menschen, indem er zu einem für andere verfügbaren – und damit auswechselbaren – Objekt herabgewürdigt wird. Bedeuten Darstellungen sexueller Handlungen oder die im Zusammenhang mit ihnen präsentierten Verhaltensweisen bzw. Einstellungen eine Verletzung der Menschenwürde,70 liegt Pornografie vor. Dieses restriktive Verständnis der Objektkonzeption würde insoweit zwar Abgrenzungsprobleme überwiegend beseitigen, hätte jedoch zugleich eine zu weitgehende Ein61 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 907 ordnet auch die Rspr. des BGH dahingehend ein: Der BGH orientiere sich jedoch weg von der Anstandsverletzung hin zum Aufdringlichkeitskriterium. Danach seien Darstellungen pornografisch, „die unter Hintansetzung sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise in den Vordergrund rücken und ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung sexueller Reize abzielen.“ (hier unter Verweis auf BGHSt 37 59 f). Damit stelle der BGH nicht auf die Anstandsverletzung ab, die ebenso wie der Begriff der allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen zu unbestimmt bleibe, um eine brauchbare Richtlinie für die praktische Handhabung zu liefern. Zwar bringe das Kriterium der Überschreitung von Anstandsgrenzen zum Ausdruck, dass sich Pornografie ohne Rücksicht auf veränderliche zeitbedingte Anschauungen auf sexuellem Gebiet letztlich nicht definieren lässt. Ein Abstellen auf eine „vorherrschende Moralauffassung“, also auf außerrechtliche sexualmoralische oder sexualethische Wertmaßstäbe, mache jedoch den Pornografiebegriff dem Terminus der unzüchtigen Schriften kaum überlegen. 62 OLG Düsseldorf NJW 1974 1474, 1475; OLG Karlsruhe NJW 1974 2015, 2016; KG NStZ 2009 446, 447; Hörnle MK Rdn. 20; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 900; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Sobota/Gercke JR 2022 238. 63 BTDrucks. VI/3521 S. 60; OLG Düsseldorf NJW 1974 1474, 1475; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 21; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 19. 64 Fischer Rdn. 7a; Hörnle MK Rdn. 21; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. 65 OLG Düsseldorf NJW 1974 1474, 1475; OLG Düsseldorf NStE § 184 Nr. 5; OLG Koblenz NJW 1979 1467; OLG Schleswig SchlHA 1976 168; vgl. auch Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2. 66 OLG Karlsruhe NJW 1974 2015, 2016; Fischer Rdn. 7; siehe auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 19 („Dilemma der Toleranzgrenze“ mit Verweis auf Heinrich ZJS 2016 132, 133). 67 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 901. In diese Richtung auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 19. 68 Dreher JR 1974 45, 56; näher und krit. hierzu Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Hörnle MK Rdn. 24. 69 Hierzu eingehend Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 908; ferner Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 20 („Reiz-Reaktions-Wesen“). 70 Schumann FS Lenckner 565, 576 ff; Mahrenholz ZUM 1998 525, 527. 383
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grenzung des Anwendungsbereichs des § 184 Abs. 1 zur Folge. Schließlich bliebe ein Anwendungsbereich insoweit wohl lediglich mit Blick auf die sog. harte Pornografie i.S.d. §§ 184a bis 184c.71 14 Schließlich verweisen Teile der Literatur zur Bestimmung von „Pornografie“ auf den Schutzzweck „Jugendschutz“ und definieren Darstellungen als pornografisch, die unter anderem Gewaltdelikte, Sexualität mit Kindern, Inzest, Werbung für Prostitution, die entwürdigende Darstellung des anderen Geschlechts, die Überbewertung von Sexualität und die Loslösung der Sexualität von anderen Lebensäußerungen zum Gegenstand haben.72 Eine dahingehende an den Rechtsgütern des § 184 orientierte teleologische Auslegung wird zwar weitestgehend zu denselben Ergebnissen führen, zu denen etwa auch die herrschende Tendenzkonzeption gelangt.73 Ein relativer Pornografiebegriff74 kommt innerhalb des § 184 aber schon deshalb nicht in Betracht, weil zum einen für die Jugendschutztatbestände die Schilderung von Sexualdelikten und Prostitution, die entwürdigende Einstellung zum anderen Geschlecht, eine Überbewertung der Sexualität und ihre Loslösung von anderen Lebensräumen etc. maßgeblich sein soll, im Rahmen von Nr. 6 jedoch die Verletzung des sexuellen Anstands als entscheidend angesehen wird.75 An welcher Stelle die sog. Toleranzgrenze verläuft, wird demnach auch durch einen relativen Pornografiebegriff nicht klar.76 15 Lit. und Rspr. machen sich letztlich verschiedene Kriterien als Indikatoren für den pornografischen Charakter zunutze.77 Als Indizien werden insoweit etwa das Fehlen eines Sinnzusammenhangs der sexualbezogenen Einzeldarstellungen oder der Mangel eines sozialen Bezugs zum wirklichen individuellen oder gesellschaftlichen Leben, die Darstellung einer Fantasiewelt mit hemmungslosem und unaufhörlichem sexuellem Genuss, die Darstellung von Triebhaftigkeit und Begierde, die Beschränkung auf den Lustgewinn als einziges Ziel, das Fehlen eines über die bloße Beschreibung eines sexualbezogenen Vorgangs hinausgehenden gedanklichen Inhalts, Promiskuität und Anonymität, Verfall in Sinnlichkeit, hohe Frequenz der sexuellen Betätigung bei parallel sinkender Satisfaktion, Süchtigkeit und dranghafte Unruhe, Darstellungen, in denen Beteiligte zum reinen Lustobjekt erniedrigt werden, Exhibitionismus in Wort und Bild, beliebige Auswechselbarkeit der Beteiligten sowie Isolierung der Sexualität vom Humanen beschrieben.78 16 Jedenfalls wird einer Darstellung nicht allein angesichts der Abbildung des Nackten einschließlich der Genitalien sowie sexueller Vorgänge inklusive des Geschlechtsverkehrs insgesamt ein pornografischer Charakter zukommen,79 soweit nicht weitere Gesichtspunkte wie obige Indizien hinzutreten. Im Ergebnis ist stets auf das Wesen des Gesamtwerks abzustellen.80 Fraglich bleibt dabei aber, wie mit der Rechtslage umzugehen ist, dass nach dem 50. StrÄndG jede sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit gegen den entgegenstehenden Willen des Opfers strafbar ist. Zu Recht wird daher in der Lit. die Frage aufgeworfen, ob dies Einfluss auch auf den Pornografiebegriff haben muss und daher z.B. bereits die mit Stimulierungstendenz erfolgende
71 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 915; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. 72 Unter anderem Schroeder Pornographie, Kunstfreiheit und Jugendschutz S. 21 ff; Maurach/Schroeder/Mailwald I S. 249 f. 73 Hörnle MK Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. 74 M. Heinrich ZJS 2016 133 ff; Schreibauer Das Pornographieverbot des § 184 S. 126 ff. 75 Krit. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; auch Schumann FS Lenckner 582; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 914. 76 So krit. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 914. 77 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 19. 78 Zu den Einzelnen Kriterien zusammenfassend Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 919 mit Verweis auf OLG Düsseldorf, NJW 1974 1474; Giese Das obszöne Buch S. 21; Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 14. 79 BGHSt 23 40, 43; OLG Frankfurt, NJW 1987 454, 455; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 920; Hörnle MK Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. 80 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 920; Hörnle MK Rdn. 25; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. Nestler
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Darstellung solcher nun strafbarer Handlungen als Pornografie einzuordnen ist, während dies früher nur auf andere Formen sexueller Betätigung zugetroffen hat.81 Der pornografische Charakter einer Darstellung kann demnach bei fotografischem Bildma- 17 terial bejaht werden, soweit es den organisch-physiologischen Aspekt der Sexualität in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund stellt82 oder bei einer großen Vielzahl sexueller Abbildungen in ihrer Gesamtheit, unabhängig davon, dass diese für sich genommen die Grenze des grob Aufdringlichen noch nicht überschreiten.83 Ferner ist ein pornografischer Charakter bei aus Text und Bildmaterial zusammengesetzten Darstellungen aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung und der sich aus dem Werk ergebenden Gesamttendenz denkbar,84 soweit nicht der Text, den die Abbildungen illustrieren sollen, die Darstellung insgesamt aus dem Bereich der Pornografie heraushebt, z.B. bei sexualwissenschaftlichen Werken mit entsprechenden Illustrationen.85 Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der pornografische Charakter den Inhalten selbst innewohnen muss, ist insoweit nur deren Inhalt entscheidend, nicht aber die außerhalb liegenden Begleitumstände.86 In der Folge sind Zweck und Art der Verwendung ebenso ohne Bedeutung wie der Leser- oder Nutzerkreis der jeweiligen Inhalte.87 Der Pornografiebegriff von § 184 Abs. 1 gilt grds.88 auch für § 184a bis § 184c. Der Umstand, 18 dass „einfache“ Pornographie i.S.v. § 184 Abs. 1 zugänglich bleibt und es im Wesentlichen (abgesehen von § 184 Abs. 1 Nr. 9) nur verboten ist, diese Unwilligen und Unmündigen aufzudrängen,89 der Zugang zur „harten“ Pornographie dagegen generell unterbunden ist, könnte zu dem Bestreben führen, den Kreis der in § 184a bis § 184c erfassten Inhalte durch eine im Verhältnis zu § 184 Abs. 1 einengende Begriffsbestimmung des Merkmals Pornographie restriktiv zu ziehen.90 So ließe sich der Zugang zu dieser Art von Pornographie für denjenigen (Erwachsenen), der ihn wünscht, grds. offen halten. Eine solche einengende Interpretation ist bei der jetzt vertretenen Auslegung der Begriffe Kunst und Pornographie (Rdn. 26 ff), die sowohl bei „einfacher“ als auch, wenn auch eingeschränkt, bei „harter“ Pornographie eine Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz erforderlich macht, nicht notwendig. Bei der Abwägung ist allerdings zu bedenken, dass die Stellen mit den in § 184a bis § 184c bezeichneten Merkmalen der Inhalte insgesamt das Gepräge harter Pornographie geben,91 auch wenn dies eine im Einzelfall sehr schwierige Abwägung notwendig macht, ob bestimmte sexuelle Vorgänge oder die Art ihrer Ausführung den Charakter der Inhalte bestimmen.
2. Verhältnis von Pornografie und Kunst Als problematisch erweist sich die Unterscheidung (oder Übereinstimmung) zwischen Porno- 19 grafie und Kunst, die im Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG liegt. Die früher h.M. vertrat zum Verhältnis von Pornografie und Kunst lange Zeit die Exklusivitätsthese,92 wonach sich 81 82 83 84
Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 23. OLG Düsseldorf NJW 1974 1474; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 920. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 920. KG NStZ 2009 446, 447; Hörnle MK Rdn. 25; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 920; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 10. 85 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 920. 86 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 922. 87 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 922. 88 Strauß JR 2022 265 weist auf die mangelnde Einheitlichkeit des Begriffs hin. 89 Vgl. BVerwGE 39 197 (Rn. 33). 90 Siehe dazu oben Rdn. 21 sowie Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 22 f. 91 BGHSt 37 55, 65. 92 Vgl. zur Exklusivitätstheorie BGHSt 5 349; anstatt vieler Schroeder Das neue Sexualstrafrecht S. 65. Das Merkmal Kunst sei ein normativer Begriff (Würtenberger NJW 1982 610, 614), und – zumindest durch Festlegung von Mindestkriterien – der Definition zugänglich (aA Zechlin NJW 1984 1091 f). Als grundlegendes Begriffsmerkmal für den 385
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Pornografie und Kunst bereits begrifflich ausschließen sollten. Zum Wesen der Kunst gehöre die Übermittlung von Gedankeninhalten, eine Durchgeistigung und Sublimierung des Werks. Betrachte man Pornografie hingegen als Darstellung geschlechtlicher Vorgänge ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensbereichen unter Ausklammerung intellektueller Bezüge oder schöpferischer Gestaltung, könne Kunst zwar obszön sein, jedoch nicht pornografisch. Die Exklusivitätsthese basierte jedoch auf dem materialen Kunstbegriff, der durch den „formalen“, offenen Kunstbegriffs durch das BVerfG abgelöst wurde.93 Ausgehend davon ist nach Auffassung des BGH die Exklusivität von Kunst und Pornografie nunmehr zwar noch der Regelfall, jedoch sind in Ausnahmefällen innerhalb eines Grenzbereichs Überschneidungen denkbar.94 Das Problem liegt indes darin, dass es schon unmöglich ist, Kunst generell zu definieren.95 20 Das BVerfG bekennt sich zu dem Standpunkt, dass nur ein weiter Kunstbegriff zu angemessener Lösung führt.96 Vor diesem Hintergrund bewegt sich die Rechtsprechung des BVerfG in den Augen der Lit. zunehmend auf einen „offenen, bloß ,formalen‘ Kunstbegriff“ zu,97 wobei jedoch den Kategorien „offen“ und „formal“ (sowie „materiell“) von ihren Verwendern wiederum jeweils differierende Ebenen zugewiesen werden.98 Als gesichert kann jedenfalls gelten, dass die Kunstfreiheitsgarantie nicht nur die künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerkes (Wirkbereich) als kunstspezifischen Vorgang erfasst.99 Danach kann ein Kunstwerk bereits dann vorliegen, wenn die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps der Kunst erfüllt sind. Handelt es sich aber schon um Kunst, wenn sich jemand einer Mediensprache bedient, die den herkömmlichen Gestaltungsformen der Kunst entspricht, dann ist für eine begriffliche Exklusivität von Kunst und Pornographie von vornherein kein Raum, da es allein auf die formgebende Äußerung, aber nicht auf die Übermittlung irgendwelcher gedanklicher Inhalte ankommt. Doch selbst wenn man einen materiellen Kunstbegriffs zugrunde legt, kann die Exklusivitätsthese nicht aufrecht erhalten werden, da jede künstlerische Tätigkeit ein Ineinandergreifen von bewussten und unbewussten Vorgängen ist,
Bereich der Kunst wurde das Merkmal der „geistige(n) Auseinandersetzung mit der Welt“ verstanden und – i.S.d. Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 30 173 ff), die das künstlerische Schaffen als ein Zusammenwirken von Intuition, Phantasie und Kunstverstand begreift – ein Machwerk, das durch Dilettantismus und Stümperhaftigkeit gekennzeichnet ist, aus diesem Bereich ausgeschieden (Würtenberger NJW 1982 610, 614 f; krit. Zechlin NJW 1984 1091, Fn. 14). Nach dieser Auffassung ließen Darstellungen, die ausschließlich oder überwiegend auf die Auslösung „lüsternen Interesses“ gerichtet sind, die für den Begriff der Kunst zu fordernde Auseinandersetzung mit der Welt vermissen und sind, selbst wenn sie technisch perfekt hergestellt sind, grds. nicht Kunst. Die damit in der Theorie vorhandene Grenze zwischen Kunst und Pornographie könne lediglich zum obszönen Kunstwerk fließend sein. Das Obszöne, das heißt das das ästhetische und moralische Gefühl Verletzende, sei im Unterschied zur Pornographie in der Lage, „sich vom Bezirk des primitiv Sinnlichen zu befreien, ohne ihn zu verlassen“ (Mertner-Mainusch Pornotopia S. 39). 93 BVerfGE 67 213; BVerfGE 75 369; BVerfGE 81 278; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 925; hierzu Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 11. 94 BGHSt 37 55. Kunst und Pornografie schließen sich nach ganz h.M. nicht aus: Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 26; Maiwald JZ 1990 1141; aA Liesching/von Münch AfP 1999 37, 38; vgl. zum pornografischen Roman „Josefine Mutzenbacher“ BVerfGE 83 130. 95 Eingehend zum Kunstbegriff Radtke LK-StGB, § 166 Rdn. 38 m.w.N. 96 BVerfGE 67 213, 224 ff; ferner BVerfG NJW 2008 39. 97 So ausdrücklich Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11. 98 Der nach hiesiger Deutung gravierendste Unterschied zwischen formalem und offenem Kunstbegriff liegt darin, dass erstgenannter zugunsten formaler Kriterien auf jede Niveaukontrolle verzichtet, während letztgenannter gerade ein hinreichendes Niveau für eine „fortgesetzte Interpretation“ verlangt. Siehe zu den verschiedenen Kunstbegriffen LK-StGB/Radtke § 166 Rdn. 38. 99 BVerfG NJW 2008 39, 40. Nestler
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die rational nicht aufzulösen sind und eine Niveaukontrolle nicht stattfindet.100 Eine strikte begriffliche Trennung beider Kategorien ist danach nicht mehr durchführbar.101 Dass Pornografie Kunst sein kann, nicht aber sein muss, macht zunächst eine Abgrenzung 21 der reinen Pornografie von pornografischer Kunst erforderlich.102 Während erstgenannte stets von den Strafvorschriften erfasst ist, ist das bezüglich letztgenannter nicht zwingend der Fall.103 Jedenfalls ist die Kunsteigenschaft eines pornografischen Werks dabei umso eher zu bejahen, je weiter und offener der Kunstbegriff als solcher interpretiert wird.104 Sofern Pornografie zugleich Kunst ist, ist diese zwar von § 184 erfasst; in der Folge ist allerdings die Frage einer Rechtfertigung unmittelbar nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu klären.105 Demnach ist vorbehaltlose, nicht jedoch schrankenlose Kunstfreiheit mit den Grundrechten anderer und mit sonstigen Rechtsgütern, die gleichermaßen Verfassungsrang haben, abzuwägen.106 Bei § 184 zählt hierzu zwar der Jugendschutz,107 nicht aber das Schutzobjekt des Abs. 1 Nr. 9.108 Mit Blick auf den Jugendschutz gebührt jedoch weder diesem noch der Kunstfreiheit von generell der Vorrang.109 Als Abwägungsfaktoren110 werden auf Seiten der Kunstfreiheit genannt, inwieweit die je- 22 weilige Schilderung „künstlerisch gestaltet und in die Gesamtkonzeption des Kunstwerks eingebettet ist“,111 das Ansehen eines Werks, sein Echo und seine Wertschätzung in öffentlicher Kritik und Wissenschaft.112 Auf der Seite des Jugendschutzes sei von Bedeutung, welches Maß an Jugendgefährdung von den fraglichen Inhalten ausgehen kann,113 ob sie lediglich aus einer Aneinanderreihung von detaillierten Schilderungen sexueller Handlungen der verschiedensten Art besteht,114 das Maß der Akzeptanz erotischer Darstellungen als sozialpsychologisches Phänomen,115 das Maß der Einbettung von Darstellungen mit Sexualbezug in eine künstlerische Gesamtkonzeption116 oder ob es sich um einfache oder sog. harte Pornografie (§§ 184 bis 184c) handelt.117 Keine Rolle dürfen Begleitumstände spielen, die außerhalb des Werks liegen.118 Vornehmlich mit Blick auf Kinderpornografie wird die Kunstfreiheit regelmäßig zurücktreten, wobei
100 BVerfGE 83 130, 139. 101 So BGHSt 37 55 sowie BVerfGE 83 130, 138 ff; Hörnle MK Rdn. 24; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 26; ebenso schon früher Seetzen NJW 1976 497, 498; Meyer-Cording JZ 1976 737, 739. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 930; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 930; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 930; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 930; Hörnle MK Rdn. 30; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11 f; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 27; aA Liesching/von Münch AfP 1999 37, 38, 41; Wieder aA Herkströter AfP 1992 23, 27 für ein generelles Entfallen der Strafbarkeit. 106 Hörnle MK Rdn. 30; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 27; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11. 107 BVerfGE 83 139 sowie BGHSt 37 62 f m.w.N. 108 Rdn. 93 f. 109 BVerfGE 83 143; BGHSt 37 64; BVerwG NJW 1993 1490, 1491; Maiwald JZ 1990 1142; Geis JZ 1993 793; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 930; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Hörnle MK Rdn. 30; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 27; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2. 110 Näher hierzu Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 931. 111 BVerfGE 83 147 f. Krit. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12: was in der Sache jedoch eine Anleihe bei einem materiellen Kunstbegriff ist und dem Grundsatz von BVerfGE 75 377 widerspricht, wonach eine „Niveaukontrolle, also eine Differenzierung zwischen ‚höherer‘ und ‚niederer‘ … (und deshalb nicht oder weniger schutzwürdiger) Kunst“ auf „eine verfassungsrechtlich unstatthafte Inhaltskontrolle“ hinausliefe. 112 BVerfGE 83 147 f; Schroeder Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit S. 56. 113 BVerfGE 83 147 BGHSt 37 64, 65. So auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 27. 114 BGHSt 37 55, 64. 115 BGHSt 37 55, 64 f. 116 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 27 unter Verweis auf BGHSt 37 55, 65. 117 BGHSt 37, 55, 64 f. 118 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 27.
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Verbreitung pornographischer Inhalte
Ausnahmen nach z.T. vertretener Auffassung wohl bei ersichtlich fiktiven kinderpornografischen Werken möglich erscheinen sollen.119 23 In der älteren Lit. ist an dem Abwägungserfordernis und den von der Rspr. aufgestellten Abwägungskriterien für den Vorrang der widerstreitenden Verfassungswerte von verschiedenen Autoren Kritik geübt worden. So weist Schroeder120 etwa darauf hin, dass die Differenzierung zwischen guter und schlechter Kunst, die es nach dem weiten Kunstbegriff des BVerfG gerade nicht geben solle, sich nun im Rahmen der Abwägung wiederfinde.121 Die Frage nach der Wertschätzung durch das Publikum setze voraus, dass das Veröffentlichungsverbot unterlaufen wurde. Dass das Ausmaß der sittlichen Gefährdung von Kindern und Jugendlichen durch pornographische Inhalte (damals Schriften) nicht empirisch nachgewiesen werden könne, habe das BVerfG selbst eingeräumt,122 verlange aber dennoch deren Feststellung im Einzelfall. Den Gerichten werde erhebliche zusätzliche Arbeit aufgebürdet.123 Ein Irrtum des Angeklagten dürfte zum Regelfall werden. Schroeder spricht sich deshalb dafür aus, einzelne Tatbestandsalternativen, bei denen der Gesetzgeber über das Ziel hinausgeschossen sei, für verfassungswidrig zu erklären.124 Eine rein bereichsdogmatische Lösung der Kollisionsproblematik zwischen Art. 1 Abs. 1, 6 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ohne Rückgriff auf materiale Werturteile und Abwägungen bezüglich der Qualität des in Frage stehenden Kunstwerks schlug bereits d’Heur125 vor: Ausgangspunkt sei die in Rspr. und Schrifttum entwickelte These der abgestuften Einschränkbarkeit, unterschieden nach Eingriffen in den Werk- und in den Wirkbereich. Während der Werkbereich grds. frei garantiert sei, also die Freiheit des Schaffens und die Existenz des vorhandenen Kunstwerks nicht beeinträchtigt werden dürften, könne es im Wirkbereich bei der Verbreitung, Präsentation und Kommunikation des Kunstwerks zu Einschränkungen kommen. Zur sachspezifischen Eigenart der Kunst gehöre es bspw. nicht, dass Kinder und Jugendliche an deren Präsentation teilhaben. Diesen Kritiken ist Rechnung zu tragen, soweit es um das Erfordernis der Einzelfallabwägung für offensichtlich besonders jugendgefährdende pornographische Schriften bzw. Inhalte geht. Hier erlaubt es der neben der Kunstfreiheit grundgesetzlich verankerte Schutz der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen dem Gesetzgeber, bestimmte für besonders gefährlich angesehene Schriften (Inhalte) und besonders jugendgefährdende Darbietungen zu verbieten. Für „harte“ Pornographie sind deshalb an die Abwägung keine allzu großen Anforderungen zu stellen.
3. Pornografische Inhalte 24 Die Formulierung des § 184 Abs. 1, die von pornografischen Inhalten spricht, nimmt Bezug auf die neue Formulierung des § 11 Abs. 3, der sich nun ebenfalls nicht mehr auf Schriften, sondern auf Inhalte bezieht. Der Gesetzgeber unternahm damit den Versuch, u.a. die Regelung des § 184d obsolet zu machen, die der Verbreitung illegaler Inhalte auf sog. neuen Medien Rechnung tragen mussten.126 Insbesondere erfasst der Begriff der Inhalte nun auch nicht gespeicherte bzw. nicht dauerhaft verkörperte Pornografika.
119 Beisel Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen S. 328 f; ferner Böse FS Schroeder 758 f; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 932; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. 120 Schroeder Pornographie, Kunstfreiheit und Jugendschutz S. 56 ff. 121 In diese Richtung krit. auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 27. 122 BVerfGE 83 130, 141. 123 Vgl. dazu auch Maiwald JZ 1990 1141, 1143. 124 Hörnle MK Rdn. 24 sieht eine Abwägung als ausgeschlossen an, wenn nur das außenpolitische Interesse Grund für die Strafbarkeit ist. 125 d’Heur StV 1991 165, 167. 126 BT-Drucks. 19/19859 S. 31 f. Krit. zum antiquierten Schriftenbegriff Strauß NStZ 2020 708, 709 f. sowie Bornemann JZ 2022 181. Nestler
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III. Pornografie
§ 184
Der Wortlaut des § 184 Abs. 1 sprach ursprünglich von pornografischen Schriften. Diesem 25 Begriff der Schriften wurden von § 11 Abs. 3 a.F. weitere Medien gleichgestellt; den Oberbegriff bildete insoweit die Darstellung.127 Schriften sind stofflich verkörperte sinnlich wahrnehmbare Gedankenäußerungen mittels Buchstaben, Bildern oder Zeichen.128 Darstellung meint stofflich verkörperte, sinnlich wahrnehmbare Zeichen, die einen Vorgang oder sonstigen gedanklichen Inhalt vermitteln sollen und deren Verkörperung von gewisser Dauer ist.129 Ohne Belang ist, ob eine Wahrnehmung unmittelbar möglich ist oder es technischer Hilfsmitteln bedarf.130 Unter Berücksichtigung des Merkmals der dauerhaften Verkörperung waren nach h.M. indes Theateraufführungen, Rundfunk- oder Fernsehsendungen ebenso wie sonstige Live-Darstellungen als Tatobjekt des § 184 Abs. 1 a.F. nicht erfasst.131 Der Begriff der Darstellung i.S.d. § 11 Abs. 3 a.F. erfasste außerdem die auf Datenträgern wie 26 Festplatten, CD-ROMs oder Arbeitsspeichern gespeicherten Daten, welche die jeweiligen Inhalte nur zeitweise vorhalten.132 Dies wurde von Seiten des Gesetzgebers im Rahmen der durch Art. 4 Nr. 1 des Informations- und Kommunikationsdienste- Gesetzes von 1997 vorgenommenen Änderung des § 11 Abs. 3 a.F. durch Einfügen des Begriffs „Datenspeicher“ zum Ausdruck gebracht. Demnach entsprachen den Schriften auch elektronische, elektromagnetische, optische, chemische oder sonstige Datenspeicher, welche gedankliche Inhalte verkörpern und unter Zuhilfenahme technischer Geräte wahrnehmbar machen. § 11 Abs. 3 a.F. galt daher im Bereich der offline stattfindenden wie auch bei der online stattfindenden Kommunikation.133 Angesichts der Tatsache, dass der Schriftenbegriff i.S.d. § 11 Abs. 3 a.F. eine gewisse Datenfixierung von wenigstens minimaler Dauer voraussetzte, waren keine Inhalte erfasst, die unmittelbar in Echtzeit oder der Echtzeit entsprechend übermittelt werden.134 Dem Begriff der Darstellung wohnte daher eine Auffangfunktion inne, während die im Gesetz explizit benannten Schriften und Datenspeicher, Ton- und Bildträger sowie deren Abbildungen Unterfälle waren.135 Mit der Neufassung zum 1.1.2021 stellt der Gesetzgeber nun pauschal auf Inhalte ab. Dieser 27 Begriff gestatte es, die zahlreichen, zuletzt mit dem 49. StrÄndG nochmals erweiterten Spezialvorschriften zur Tatbegehung mittels moderner Medien zu streichen.136 Inhalte i.d.S. sind solche, die in Schriften, auf Ton- oder Bildträgern, in Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Verkörperungen enthalten sind oder – insoweit die wesentliche Neuerung – auch unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden.137 Der Begriff bezieht damit auch Liveübertragungen oder Livedarbietungen ein. Damit ist nicht nur die Regelung des § 184d obsolet geworden, sondern darüber hinaus der Anwendungsbereich des § 184 auf Livedarbietungen ausgeweitet worden.
127 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 895; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. 128 BGHSt 13 375; Lackner/Kühl/Heger § 11 Rdn. 27; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 894; Sch/Schröder/Eisele § 11 Rdn. 72. 129 BT-Drucks. 13/7385 S. 36; Fischer Rdn. 34; Lackner/Kühl/Heger § 11 Rdn. 28; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 895; Hörnle MK Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Sieber JZ 1996 495. 130 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 896; Sch/Schröder/Hecker § 11 Rdn. 72. 131 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 896. 132 BGHSt 47 55, 58 f; Lindemann/Wachsmuth JR 2002 206; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 895; Hörnle MK Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. Krit. zum früheren Schriftenbegriff bereits Strauß NStZ 2020 208, 209. 133 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 896. 134 BT-Drucks. 13/7385 S. 36; Hilgendorf/Valerius Computer- und Internetstrafrecht Rdn. 173; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 896; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. 135 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 896. 136 BT-Drucks. 19/19859, S. 31. 137 Vgl. BT-Drucks. 19/19859, S. 26. 389
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Verbreitung pornographischer Inhalte
28 a) Verbreitungsmedien des § 184d a.F. Der Begriff des Rundfunks in § 184d a.F. musste weit ausgelegt werden und umfasste alle für die Allgemeinheit bestimmten Ton- und Bildübertragungen (auch Formen des Pay-TV138), egal ob öffentlich-rechtlich, privatrechtlich oder durch Amateurfunk.139 Nach § 2 Abs. 1 S. 1 RStV a.F.140 fielen darunter auch alle Angebote, die verschlüsselt verbreitet werden. Ferner kam es nicht auf die Art der Übertragung an (z.B. via Satellit, Funk oder Datenleitungen).141 Auch konnten die Inhalte vorproduziert und abgespielt werden.142 Selbst Live-Streaming, d.h. als ausschließliche Übertragung von Rundfunk über das Internet sowie Webcasting, d.h. als zusätzliche Übertragung von Rundfunkprogrammen über das Internet oder das Near-Video-on-Demand-Verfahren, d.h., dass der Startzeitpunkt vom Anbieter bestimmt wird und nicht auf einen individuellen Abruf des Nutzers erfolgt, waren davon erfasst.143 29 Das Begriffspaar Medien- und Teledienste wurde durch den Begriff der Telemedien ersetzt144: Unter Telemedien können nach § 1 Abs. 1 S. 1 TMG alle elektronischen Informationsund Kommunikationsdienste gefasst werden, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 TMG, die ganz der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 TMG oder Rundfunk nach § 2 RStV a.F. waren.145 Daraus folgte, dass Telemedien von anderen Diensten negativ abgegrenzt werden mussten.146 Telekommunikationsdienste, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, waren nicht mit einbezogen.147 Anders sollte dies jedoch sein, wenn sie überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen und wenn daneben auch inhaltliche Dienstleistungen (z.B. Internet-Portale, Internet-Zugang oder E-Mail-Verwaltung) angeboten werden.148 Zu den Telemedien gehören auch OnlineAngebote von Waren- bzw. Dienstleistungen mit unmittelbarer Bestellmöglichkeit, Newsgroups, Chatrooms, elektronische Presse und Werbemails; Internet-Telefonie (VoIP) dagegen zur Telekommunikation.149 Die damit einhergehenden Lücken und Abgrenzungsschwierigkeiten hätte der Gesetzgeber – im Einklang mit Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie und Art. 20 Abs. 1 der LanzaroteKonvention – vermeiden können, indem er die Begriffe der „Informations- und Kommunikationstechnologie“ verwendet hätte.150
30 b) Modalitäten des § 184d Abs. 2 a.F. Die von § 184d Abs. 2 a.F. erfassten Tatmodalitäten sind nunmehr in § 184b Abs. 3 n.F. und § 184c Abs. 3 n.F. aufgegangen.
138 BVerwG 20.2.2002 – 6 C 13/01, NJW 2002 2966, 2968; VG München ZUM 2003 160, 162; Fischer Rdn. 2; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1107; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Ziegler BeckOK Rdn. 4.1. 139 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1107; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Hörnle MK Rdn. 24; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 2; aA (Amateurfunk ausgenommen) Fischer Rdn. 2; Wolters/Greco SK Rdn. 4; Ziegler BeckOK Rdn. 4.1; Laufhütte/Roggenbuck LK11, Vor Rdn. 2. 140 Aufgehoben mit Ablauf des 6.11.2020 durch Art. 2 Nr. 1 Medienordnung-Modernisierungsstaatsvertrag v. 14.4.2020. 141 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1107; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Hörnle MK Rdn. 24; vgl. Fischer Rdn. 2; Wolters/Greco SK, Rdn. 4; M. Heinrich ZJS 2016, 297, 314. 142 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Hörnle MK Rdn. 25. 143 BTDrucks. 16/3078 S. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Fischer Rdn. 2. 144 Zu den Begriffen der Medien- und Teledienste siehe Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1108 f.; Laufhütte/Roggenbuck LK11, Vor Rdn. 3 in der Vorkommentierung. 145 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Wolters/Greco SK, Rdn. 4; näher dazu Hoeren NJW 2007 801, 802. 146 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Wolters/Greco SK, Rdn. 4. 147 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Schuster CR 2016, 173; aA VG Köln 11.11.2015 – 21 K 450/15, MMR 2016 141; Kühling/ Schall CR 2015, 641; differenzierend Hörnle MK Rdn. 9. 148 BTDrucks. 13/7385 S. 16; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. 149 BTDrucks. 16/3078 S. 13 f.; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; vgl. Wolters/Greco SK, Rdn. 4. 150 Hörnle MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Eisele Schriftliche Stellungnahme BT-Rechtsausschuss S. 21. Nestler
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IV. Tathandlungen
§ 184
IV. Tathandlungen 1. Minderjährigen anbieten, überlassen oder zugänglich machen, Abs. 1 Nr. 1 Nach Abs. 1 Nr. 1 wird bestraft, wer gegen Entgelt einer Person unter achtzehn Jahren pornogra- 31 fische Erzeugnisse anbietet, überlässt oder zugänglich macht. Diese Tathandlungen eröffnen Minderjährigen die unmittelbare Möglichkeit der Kenntnisnahme pornografischer Inhalte oder stellen diese in Aussicht.151 Damit umfasst der Tatbestand eine Vielzahl von Sachverhalten, wobei eine Einschränkung angesichts des insoweit eindeutigen Wortlauts auch dann abzulehnen ist, wenn eine Gefahr für die ungestörte sexuelle Entwicklung im Einzelfall augenscheinlich nicht besteht. Insoweit ist lediglich eine Berücksichtigung innerhalb der Strafzumessung denkbar.152
a) Anbieten. Anbieten i.S.d. § 184 Abs. 1 Nr. 1 1. Var. meint ein Verhalten, durch das einer unter 32 achtzehn Jahre alten Personen ein konkretes Angebot in Form einer ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung der Bereitschaft zur Besitzübertragung gemacht wird, sich der Täter also dazu bereit erklärt, dem Minderjährigen das Material zu überlassen.153 Weder muss es sich hierbei um einen Vertrag oder ein Vertragsangebot im bürgerlich-rechtlichen Sinn handeln154 noch muss das Angebot durch den Adressaten angenommen werden.155 Die angebotenen pornografischen Inhalte müssen jedoch tatsächlich liefer- und verfügbar sein.156 Das schlichte Auslegen von Ware in einem Schaufenster genügt ebenso wenig wie Zeitungsangebote oder das Angebot auf einer Seite im Internet.157 Schließlich muss es sich bei dem Adressaten um eine bestimmte Person oder jedenfalls einen bestimmten Personenkreis handeln. Ferner ist im Fall einer bloßen invitatio ad offerendum nicht klar, inwieweit der Betreffende die Ware überhaupt an einen Minderjährigen abgeben würde.158 Soweit es an einer Individualisierung des Angebotsempfängers mangelt, kommen jedoch Nr. 2 oder Nr. 5 in Frage.159 Angesichts des Charakters als abstraktes Gefährdungsdelikt (Rdn. 13) muss zwar der konkrete Adressat nicht realisieren, dass es sich um pornografisches Material handelt.160 Prinzipiell muss aber ein durchschnittlich interessierter und verständiger Betrachter den pornografischen Charakter der Schrift erkennen können.161 Für die Erkennbarkeit kommt es auf das Verständnis eines durchschnittlich interessierten und infor-
151 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 934; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; ähnlich Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 31.
152 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 935. 153 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 33; Ziegler BeckOK Rdn. 4. 154 BGHSt 34 98; OLG Hamburg NJW 1992 1184; Eckstein wistra 1997 41; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 936.
155 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 936; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14. 156 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 936; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 33. 157 BGHSt 34 94, 98; OLG Hamburg, NJW 1992 1184; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 937; Hörnle MK Rdn. 31; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14. 158 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 937; Hörnle MK Rdn. 31; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14. 159 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 937; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14. 160 Hörnle MK Rdn. 31; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; Wolters/Greco SK Rdn. 28; so auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 33. 161 BGHSt 23 98 f; BGHSt 34 94, 98 f.; Ziegler BeckOK Rdn. 4; dazu Meier NJW 1987 1610; BGH NStZ 1989 77. Begründung bei Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 939: „…selbst wenn es eines Angebots gem. § 145 BGB nicht bedarf, so folgt schon aus dem natürlichen Sinngehalt des Begriffs ‚anbieten‘, dass die Erklärung des Täters ihrem Adressaten den Tatgegenstand zumindest als pornografisch identifizierbar macht“. AA Hörnle MK Rdn. 31; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14. 391
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§ 184
Verbreitung pornographischer Inhalte
mierten Betrachters an; von Bedeutung ist, wie die betreffende Werbung in der Verkehrsanschauung verstanden wird. Die Beurteilung hat der Tatrichter zu treffen.162
33 b) Überlassen. Ein Überlassen i.S.d. § 184 Abs. 1 Nr. 1 2. Var. liegt vor, soweit der Täter dem Minderjährigen den Gewahrsam an den pornografischen Inhalten zu dessen eigener Verfügung oder zu eigenem, wenngleich lediglich zeitweisen Gebrauch verschafft.163 Damit genügt es, dass der Minderjährige den Gegenstand kurzzeitig zur eigenen Verfügung oder zum Gebrauch erhält.164 Insofern handelt es sich um einen Sonderfall des Zuglänglichmachens.165 Angesichts der Voraussetzung der selbständigen Verfügungsmöglichkeit ist kein Überlassen i.d.S. gegeben, soweit die Übergabe an den Minderjährigen nur als Bote für einen Erwachsenen stattfindet. Für diesen Fall kann allerdings Nr. 3 greifen.166 Ein Überlassen erfordert ferner nicht, dass der Minderjährige die pornografische Eigenschaft der Schrift erkennt bzw. zu erkennen vermag.167 Im Gegensatz zur Variante des Anbietens erfordert der Wortsinn des Überlassens nämlich nicht, dass der Inhalt der Offerte einem durchschnittlichen und verständigen Dritten ersichtlich ist oder sein kann; vielmehr genügt die Übertragung der bloßen Sachherrschaft.168
34 c) Zugänglichmachen. Ein Zugänglichmachen i.S.v. Nr. 1 Var. 3 kann auf zwei Arten erfolgen: zum einen, indem der Täter dem Jugendlichen Zugang zu dem Material selbst verschafft, zum anderen, indem der Täter Zugang lediglich zu dem Inhalt der pornografischen Materialien verschafft.169 Bei erster Alternative bringt der Täter das pornografische Erzeugnis seiner Substanz nach derart in den Wahrnehmungs- oder Herrschaftsbereich eines Minderjährigen, sodass dieser die unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf die Sachsubstanz selbst erlangt hat.170 Exemplarisch seien das unbeaufsichtigte Liegenlassen oder sogar das Wegwerfen171 von Pornografika bei sich in der Nähe befindlichen Minderjährigen172 sowie die Übergabe einer unverschlossener Schriften an einen Minderjährigen zum Transport oder zur Aufbewahrung genannt.173 Für die zweite, mit Blick auf sog. neue Medien praktisch wesentlich relevantere Alternative genügt es, wenn der Minderjährige die Möglichkeit hat, den Inhalt zu betrachten.174 Genannt werden von der Lit. hier das Vorlesen aus einer pornografischen Schrift, das Vorzeigen von Bildern175 bzw. das Abspielen pornografischen Videomaterials, ohne dass ein tatsächliches Hinsehen oder Zu-
162 BGHSt 34 94, 99. 163 BGHSt 26 15; BGHSt 28 294; Ziegler BeckOK Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 940; Hörnle MK Rdn. 34; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; SSW/Hilgendorf Rdn. 14. 164 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 940; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 34. 165 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 34. 166 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 940; Hörnle MK Rdn. 34; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 34; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. 167 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 940; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 34; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. 168 Str., so aber Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 941. 169 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 942; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 35; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16. 170 OLG Karlsruhe NJW 1984 1975; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 943; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16. 171 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 35. 172 Näher Horn NJW 1977 2335; auch Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 943; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16. 173 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 943; Hörnle MK Rdn. 32. 174 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 35; Ziegler BeckOK Rdn. 6. 175 BGH NJW 1976 1984. Nestler
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IV. Tathandlungen
§ 184
hören des Minderjährigen erforderlich wäre.176 Erforderlich ist jedoch, dass für einen verständigen Dritten der pornografische Inhalt erkennbar ist.177 Stehen objektive Hindernisse einer Kenntnisnahme des Inhalts durch den Minderjährigen 35 entgegen und kann sich der Minderjährige allein bei Überwindung dieser Zugang zum Inhalt verschaffen, liegt kein Zugänglichmachen i.d.S. vor.178 Ausreichend für ein das Zugänglichmachen ausschließendes Hindernis ist insoweit das Einschließen der Schrift, die Sicherung von gespeicherten Daten auf dem Rechner durch ein Passwort, auch wenn dies für einen technisch versierten Minderjährigen zu umgehen ist,179 oder die Aufbewahrung in einem verschlossenen Kuvert oder einer verschlossenen Plastiktüte.180 Beide Formen des Zugänglichmachens erfordern, dass sich der Minderjährige in einem Be- 36 reich befindet, in dem ein Zugriff auf die Inhalte bzw. die Wahrnehmung dieser Inhalte tatsächlich möglich ist.181 Eine Konkretisierung des Betreffenden in Form einer konkreten Person des Adressaten ist insoweit nicht erforderlich. Ein Zugänglichmachen liegt demnach auch vor, sofern der Täter Angebote lediglich an die Allgemeinheit richtet, ohne diese entsprechend gegen die Kenntnisnahme durch Jugendliche zu sichern.182 Die Gegenauffassung trägt zwar dem Gedanken restriktiver Tatbestandsinterpretation Rechnung, findet im Wortlaut – abgesehen von der Formulierung „einer Person“, die für das Gesetz auch an anderer Stelle nur eine übliche Umschreibung unspezifischer Tatopfer ist183 – aber keine Stütze. Auch der Begriff des Zugänglichmachens verlangt, anders als das an den zivilrechtlichen Vorgang angelehnte Anbieten, eine solche Restriktion nicht. Ein Zugänglichmachen ist auch mittels elektronischer Medien bzw. Computer und Internet 37 möglich. Bei objektiven Hindernissen scheidet ein Zugänglichmachen mittels elektronischer Medien aus, so etwa bei Dateien, die auf dem Rechner passwortgeschützt sind,184 ebenso bei IDoder Pass-Kontrollen. Nr. 1 Var. 3 erfasst jedoch etwa das Zeigen von pornografischen Darstellungen auf dem Computerbildschirm,185 die Bereitstellung von entsprechenden Darstellungen auf Datenspeichern wie (externen) Festplatten, USB-Sticks, CD-ROM oder DVD, das freie Abrufbar machen von Livestreams186 sowie das Versenden einschlägiger Emails.187 Ein Zugänglichmachen liegt indes nicht vor, soweit nur der Internetzugang für sich genommen zur Verfügung gestellt wird. Dieses im Grunde sozialadäquate Verhalten erfüllt den Tatbestand prinzipiell nicht,188 solange nicht zugleich weitergehende Handlungen erfolgen, wie z.B. das Überlassen von Passwörtern oder der Zugriff auf einen Browser, der diese Passwörter gespeichert hat.
176 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 945; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 35; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16. 177 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 945. Wohl aA noch Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 19. 178 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 944; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 37; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16; ferner Heinrich ZJS 2016 132, 145; aA Walther NStZ 1990 524. 179 Hörnle MK Rdn. 33; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 947; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17. 180 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 944; aA Hörnle MK Rdn. 33; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16. 181 Laubenthal Sexualstraftaten S. 232; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 945; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16. 182 Beisel/Heinrich NJW 1996 495; Hilgendorf/Valerius Computer- und Internetstrafrecht Rdn. 293 f.; SSW/Hilgendorf Rdn. 16; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; aA Fischer Rdn. 10; Hörnle MK Rdn. 32 (einem „bestimmten“ Minderjährigen); Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 37 (kein Zugänglichmachen, da „ein jugendlicher Adressat in einem unbegrenzten Nutzerkreis nicht individualisiert oder individualisierbar ist“). 183 So macht sich bspw. nach § 223 Abs. 1 StGB („eine Person“) auch derjenige strafbar, der, ohne konkret zu zielen, mit einer Maschinenpistole in eine Menschenmenge feuert. 184 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 947; Hörnle MK Rdn. 33. 185 Hörnle MK Rdn. 32; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17. 186 Vgl. nur Fischer Rdn. 10; Liesching/Günther MMR 2000 262; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 948. 187 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17. 188 Hilgendorf/Valerius Computer- und Internetstrafrecht Rdn. 295; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 948; Liesching/Gü nther MMR 2000 262; vgl. auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 37. 393
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Verbreitung pornographischer Inhalte
38 d) Erzieherprivileg. Nach § 184 Abs. 2 S. 1 1. Hs. ist Nr. 1 nicht anzuwenden, soweit der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt. Nach Abs. 2 S. 1 2. Hs. gebührt die Privilegierung jedoch demjenigen nicht, der durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen seine Erziehungspflicht in gröblicher Weise verletzt. Dieses sog. Erzieherprivileg stellt insoweit einen Tatbestandsausschluss189 dar, so dass auch etwaige Teilnehmer straflos bleiben.190 Über die Legitimation eines dahingehenden Erzieherprivilegs besteht jedoch Streit. Weder 39 die zur Sexualerziehung gehörende Aufklärung von Jugendlichen über die Wertlosigkeit von Pornografie mithilfe von Anschauungsmaterial191 noch die zunehmend bedeutsamere Vermittlung von Medienkompetenz192 vermögen einen dahingehenden Ausschluss zu rechtfertigen. Wenig sachgerecht erscheint zugleich die Erklärung, wonach das Erzieherprivileg daraus folge, dass in der Person des Sorgeberechtigten eine abstrakt gefährliche Handlung „abstrakt ungefährlich“ werde.193 Schließlich trägt auch der Hinweis auf die Nichtbeweisbarkeit schädlicher Auswirkungen194 von Pornografie auf Minderjährige nicht;195 dies zugrunde gelegt müsste der gesamte Straftatbestand letztlich entfallen. Daher wird das Erzieherprivileg teilweise auf die Erwägung gestützt, dass Fehler des Sorgeberechtigten bis zu einer gewissen Schwelle insoweit toleriert werden müssten, als staatliche Interventionen mit der verfassungsrechtlich geschützten familiären Privatsphäre kollidieren und daher eine Abwägung notwendig sei.196 Nach Abs. 2 S. 1 2. Hs. scheidet die Privilegierung aus, soweit der Personensorgeberechtigte 40 durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen seine Erziehungspflicht gröblich verletzt. Hieran schließt sich allerdings die mit erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten behaftete Frage an, wann eine Pflichtverletzung gegeben ist und wann diese gröblich ist. I.d.R. schließen eindeutige erzieherische Motive die gröbliche Pflichtverletzung aus.197 Auch muss pädagogisch zwar fragwürdiges, jedoch noch nicht eindeutig negativ zu bewertendes oder unvertretbares Handeln aus dem Anwendungsbereich der Missbrauchsklausel ausscheiden.198 Den Erziehungsberechtigten eröffnet sich hier ein weiter Spielraum.199 Schlicht erzieherisch bedenkliches bzw. zweifelhaftes Verhalten genügt demnach nicht, um das Erzieherprivileg entfallen zu lassen.200 Bezüglich des Merkmals der Gröblichkeit werden in der Literatur etwa die Häufigkeit des Kontakts mit pornografischem Material201 sowie das Verfolgen eigener sexueller Interessen seitens des Personensorgeberechtigten genannt.202 Auch Verhaltensweisen, die zu einem Abgleiten des Minderjährigen in strafbares Verhalten, Prostitution oder deviante Sexualpraktiken beitragen, können eine grobe Pflichtverletzung bedeuten.203 Hingegen soll – trotz des Fehlens jeglicher erzieherischer Motive – die bloß gelegentliche unsorgfältige Verwahrung nicht ausreichend
189 Für Ausschluss der Tätereigenschaft Ziegler BeckOK Rdn. 7 („Täter … kann nicht sein, wer…“). 190 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 949. In diese Richtung deutet auch das Verständnis von Ziegler BeckOK, Rdn. 7 (siehe Fn. 169). 191 BTDrucks. 6/1552 S. 34. 192 BTDrucks. 15/350 S. 20; kritisch etwa Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20. 193 In diesem Sinne Schroeder Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit S. 399. 194 BTDrucks. 15/350 S. 20; so noch Wolters SK8 Rdn. 22; krit. auch Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004, 1069. 195 Krit. Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1069; Hörnle MK Rdn. 74; Wolters/Greco SK Rdn. 32. 196 Hörnle MK Rdn. 74; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20. 197 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 40. 198 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21; ferner Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 40. 199 Wolters/Greco SK Rdn. 32; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 951. 200 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 951. 201 Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1069; Hörnle MK Rdn. 99; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 21. 202 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21. 203 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 40. Nestler
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sein.204 Maßgeblich sind die Umstände des konkreten Einzelfalls, die im Rahmen einer wertenden Gesamtschau zu betrachten sind. Teilweise wird vertreten, dass der Personensorgeberechtigte seine Entscheidungsfreiheit 41 auch auf Dritte übertragen kann, mit der Folge, dass auch dem Dritten das Erzieherprivileg gebühre.205 Eine dahingehende Übertragbarkeit auf Dritte findet jedoch keinen Anhaltspunkt im Gesetz. Die Idee, auch Handlungen, die im Einverständnis des Sorgeberechtigten vorgenommen werden, aus dem Tatbestand auszunehmen, sehen manche zwar als im Gesetzgebungsverfahren verankert an, mahnen dabei aber zurecht eine Schutzzielverlagerung des Tatbestands an.206 Mit Blick auf ein „Recht auf ungestörte Erziehung“ lässt sich die Vorschrift allerdings nicht legitimieren. Soweit zum Teil eine Übertragung auf Dritte nur insoweit befürwortet wird, als es lediglich um die Ausführung einer vom Personensorgeberechtigten getroffenen Entscheidung geht,207 ist ohnehin fraglich, ob die Entscheidungsfreiheit des Personensorgeberechtigten beinhaltet, dass dieser den Weg der Ausführung seiner Entscheidungen durch Dritte wählen kann, sodass auch der Dritte straflos bleibt. Der eindeutige Gesetzeswortlaut impliziert jedenfalls, dass zumindest Entscheidungen über das „Ob“ der Konfrontation des Minderjährigen mit pornografischen Erzeugnissen ausschließlich dem Personensorgeberechtigten obliegen.208 Soweit der Personensorgeberechtigte nicht tatbestandsmäßig handelt, bleiben auch Dritte als Teilnehmer straflos,209 wobei ein Rückgriff auf das Erzieherprivileg mit Blick auf den Dritten als Teilnehmer mangels Haupttat nicht erforderlich ist. Handelt umgekehrt der Personensorgeberechtigte nur als Teilnehmer, ist er nicht strafbar, sofern zu seinen Gunsten das Erzieherprivileg anwendbar ist.210
2. Zugänglich machen an einem Ort, der Minderjährigen zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, Abs. 1 Nr. 2 Nach § 184 Abs. 1 Nr. 2 macht sich derjenige strafbar, der eine pornografische Schrift an einem 42 Ort, der für Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, zugänglich macht. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bereits die abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den Minderjährigen als ausreichend erachtet wird, werden mit Nr. 2 der Nr. 1 vorgelagerte Fälle pönalisiert.211 Verhindert werden soll so, dass es überhaupt zu einer Tatsituation i.S.v. Nr. 1 kommt. Entscheidend ist insoweit, ob der Täter bewusst dem Zufall überlässt, dass dieser Zustand eintritt.212
204 Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1069; Hörnle MK Rdn. 99; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 21. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 953: „Bei den genannten Kriterien handelt es sich jedoch nicht um Anhaltspunkte, die erst die Gröblichkeit der Pflichtverletzung begründen, sondern sie bilden vielmehr Indizien bereits für die Verletzung der Erziehungspflichten als solche. Weitere Anzeichen jeweils sowohl für die Pflichtverletzung als auch für das Merkmal ‚gröblich‘ können im Alter oder dem Charakter des Minderjährigen, der Beschaffenheit des pornografischen Materials, der Art und Weise der Konfrontation usw. liegen. Da sich weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur eine klare Argumentationsstruktur herausgebildet hat, wird die Schwelle für das Eingreifen der Missbrauchsklausel im Zweifel eher hoch anzusetzen sein“. 205 So noch Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 47. 206 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 39. 207 Hörnle MK Rdn. 73; Wolters/Greco SK Rdn. 34; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 208 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 955; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 209 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 210 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 955. 211 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 957; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 23; ähnlich Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 41; Ziegler BeckOK, Rdn. 8. 212 Beisel/Heinrich JR 1996, 97; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 41; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 957. 395
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43 a) Für Personen unter achtzehn Jahren zugängliche Orte. Zugänglich für Personen unter achtzehn Jahren ist jeder Ort, der von ihnen ohne Überwindung rechtlicher oder tatsächlicher Hindernisse betreten werden kann,213 mithin Grundstücke, Plätze, Kaufhäuser, Tankstellen, oder Gebäude, die jedermann offen stehen.214 Demgegenüber findet Nr. 2 keine Anwendung auf das Internet selbst; erfasst sind grds., d.h. vorbehaltlich der sonstigen Voraussetzungen der Norm, aber Orte, von denen aus Zugang zum Internet möglich ist.215 Ebenfalls gemeint sind Orte, die lediglich zum Betreten durch einen beschränkten Personenkreis bestimmt sind, sofern hierzu jedenfalls auch Minderjährige zählen.216 Keine Anwendung findet Nr. 2, wenn Orte für unter achtzehn Jahre alte Personen nicht ohne Überwindung tatsächlicher oder rechtlicher Schranken betreten oder eingesehen werden können.217 Zwar kommen diesbezüglich auch lediglich rechtliche Zugangsverbote in Betracht, bei denen der Raum ansonsten ohne Probleme betreten werden kann.218 Entsprechend der Nr. 1 ist insoweit jedoch eine objektive Barriere erforderlich, für deren Einhaltung entsprechend Sorge getragen wird. Das Verbot muss also jedenfalls physisch bzw. tatsächlich wirken.219 Zugänglich sind daher Räume, hinsichtlich derer Untersagungen nicht tatsächlich durchgesetzt oder gemeinhin nicht beachtet werden.220 Sobald sich Minderjährige unter Überwindung bestehender Hindernisse Zugang zum jeweiligen Ort verschafft haben, ist dieser damit faktisch zugänglich und von Nr. 2 erfasst.221 In zeitlicher Hinsicht ist erforderlich, dass Minderjährige gerade in dem Moment Zugang zu 44 dem Ort haben, in dem sich dort pornografisches Material befindet.222 Grundsätzlich tatbestandsmäßiges Verhalten an einem grds. für Minderjährige zugänglichen Ort unterfällt daher nicht Nr. 2, solange sichergestellt ist, dass Minderjährige den Ort nicht zur fraglichen Zeit betreten.223
45 b) Einsehbarkeit. § 184 Abs. 1 Nr. 2 erfasst schließlich Orte, die zwar für Minderjährige nicht zugänglich sind, ihrerseits jedoch von Minderjährigen eingesehen werden können. Erforderlich ist, dass Minderjährige Zugang zu einem Ort haben, von dem aus das Einsehen möglich ist.224 Eine solche Einsehbarkeit fehlt bei Orten, die für Minderjährige Bemühungen zur Einsehbarkeit erfordern, der Minderjährige also bspw. an ein Fenster klettern oder sich technischer Hilfsmittel wie etwa eines Fernrohrs bedienen muss, um den Ort einzusehen.225 Nicht erfasst sind aufgrund des klaren Wortlauts außerdem Orte, die nicht visuell einsehbar sind, selbst wenn eine dort stattfindende pornografische Vorführung aber akustisch an einem für Minderjährige zugänglichen Ort wahrnehmbar ist; entscheidend ist insoweit allein die visuelle Wahrnehmbarkeit.226
213 214 215 216
Hörnle MK Rdn. 36; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 44; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24; Ziegler BeckOK Rdn. 9. Etwa Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24. Ziegler BeckOK Rdn. 8; ferner Fischer Rdn. 11a. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 959; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 44; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24. 217 Fischer Rdn. 11; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 960; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24. 218 OLG Celle MDR 1985 693; Fischer Rdn. 11; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 960; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 24. 219 Ziegler BeckOK Rdn. 9 unter Verweis auf BGH NJW 1988, 272; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 44; ähnlich Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 960; Hörnle MK Rdn. 37; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24. 220 OLG Hamburg NJW 1992 1183; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 44; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24. 221 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 960; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24; Wolters/Greco SK Rdn. 38. 222 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24. 223 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 961; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24. 224 Wolters/Greco SK Rdn. 39. 225 Hörnle MK Rdn. 38; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 964; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 25; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 5; Ziegler BeckOK Rdn. 10. 226 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 964; Ziegler BeckOK Rdn. 10. Nestler
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Die Einsehbarkeit fehlt auch, wenn beim Öffnen einer Tür lediglich flüchtige Eindrücke wahrnehmbar sind.227
c) Tathandlung: Zugänglichmachen. Tathandlung der Nr. 2 bildet das Zugänglichmachen 46 pornografischer Inhalte. Durch das 49. StrÄndG wurde auf die bis dahin das Zugänglichmachen exemplarisch beschreibenden Tathandlungen des Ausstellens, Anschlagens und Vorführens verzichtet, ohne dass hierdurch inhaltliche Änderungen vorgesehen waren.228 Beim Ausstellen, Anschlagen und Vorführen wird ohne Weitergabe des pornografischen Materials selbst der gedankliche bzw. bildliche Inhalt der pornografischen Inhalte optisch und/oder akustisch wahrnehmbar und damit der möglichen Kenntnisnahme zugeführt.229 Ein Zugänglichmachen in Gestalt des Ausstellens ist daher z.B. bei offenem Auslegen einen pornografischen Magazins in einer Buchhandlung, nicht aber bei der Auslage in einem neutralem Umschlag in einem Schaufenster, gegeben. Ein Zugänglichmachen in Form des Vorführens umfasst neben der visuellen auch die (bloß) akustische Wiedergabe des pornografischen Inhalts sowie das digitale Versenden pornografischer Filme.230 Entsprechend Nr. 1 kann die Verwirklichung des Tatbestandes bei effektiven Vorkehrungen 47 und Hindernissen gegen die Wahrnehmung durch Minderjährige ausscheiden. Dies erfordert wirksame technische Barrieren, die den visuellen und akustischen Zugang Minderjähriger zu dem Inhalt der pornografischen Inhalte verhindern.231 Hierzu zählen das Verschlüsseln von Fernsehsendungen, Streams oder Dateien,232 eine Überprüfung der Volljährigkeit anhand einer Kontrolle des Personalausweise sowie die Ausgabe der notwendigen Decodiergeräte und/oder PIN-Codes lediglich an volljährige Kunden.233 Das Erzieherprivileg des § 184 Abs. 2 S. 1 galt bis zur Gesetzesänderung im Jahr 2021234 aus- 48 drücklich nur für § 184 Abs. 1 Nr. 1. Angesichts des gestuften Verhältnisses von Nr. 1 und Nr. 2 in zeitlicher Hinsicht wurde allerdings schon zuvor vertreten, dass dieses erst recht auf Abs. 1 Nr. 2 Anwendung finden musste. Die Anwendung des Erzieherprivilegs erforderte für diesen Fall jedoch, dass der Ort, an dem die pornografischen Inhalte (damals Schriften) zugänglich gemacht sind, nur für diejenigen Minderjährigen zugänglich bzw. einsehbar waren, die der Personensorge des Handelnden unterlagen.235
3. Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen […], Abs. 1 Nr. 3 Nach § 184 Abs. 1 Nr. 3 macht sich derjenige strafbar, der pornografische Inhalte in den in der 49 Norm gelisteten Vertriebsformen einem anderen anbietet oder überlässt. Hinsichtlich des Vertriebs im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die Kunden i.d.R. nicht betreten, sah der Gesetzgeber ein besonders hohes Gefährdungspotential insoweit, als dort eine zuverlässige Alterskontrolle nicht garantiert bzw. ausreichend überwacht werden kann.236 227 228 229 230 231
OLG Stuttgart MDR 1987 1047; Ziegler BeckOK Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. BTDrucks. 18/2601 S. 29 mit Verweis auf S. 24 zu § 130 Abs. 2. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 966. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 966; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 26. BGHSt 48 285; BGH, NJW 2008 1882; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 968; Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 46; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 26. 232 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. 233 BVerwGE 116, 14; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 968. 234 Gesetz vom 30.11.2020, BGBl. I S. 2600, siehe oben Rdn. 24. 235 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 958; Hörnle MK Rdn. 40; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 47; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27. 236 BTDrucks. 6/3251 S. 60; so auch Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 971. 397
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50 a) Restriktion. Ungeachtet der eher weit ausgedehnten Schutzrichtung erscheint eine restriktive Auslegung der Norm unter mehreren Gesichtspunkten geboten. Schließlich erfordern Aspekte des Jugendschutzes ein strafrechtliches Verbot – anders als im Fall des Versandhandels, wo trotz Kontrollen eine sichere Altersprüfung nur schwerlich möglich ist – nicht ohne Weiteres mit Blick auf den Einzelhandel.237 Im Bereich des Versandhandels normiert § 1 Abs. 4 JuSchG eine abweichende Regelung für 51 Fälle, in denen durch „technische oder sonstige Vorkehrungen sichergestellt ist, dass kein Versand an Kinder und Jugendliche erfolgt“. Teilweise wird darauf verwiesen, der Gesetzeswortlaut des § 184 Abs. 1 Nr. 3 gehe über den Gesetzeszweck hinaus. Schließlich begründe sich die Schutzrichtung ausschließlich im Jugendschutz, die Regelung begrenze jedoch auch den Einzelhandel, soweit eine Gefahr bezüglich des Jugendschutzes nicht zu erblicken sei. Dementsprechend müsse Abs. 1 Nr. 3 unter anderem ausscheiden, soweit der Vertrieb an abgeschlossenen Orten vorgenommen wird, die für Minderjährige nicht betretbar bzw. zugänglich sind. Soweit dort etwa pornografische Inhalte ausgestellt werden könnten, müsse zugleich das Angebot durch einen ambulanten Händler gestattet sein.238 52 Jene Argumentation ist indes mit Blick auf den Charakter des § 184 als abstraktes Gefährdungsdelikt insoweit problematisch, denn diese Deliktsstruktur lässt auch die nur generelle Gefahr ausreichen. Ferner findet die beschriebene teleologische Reduktion keinen Anker im Gesetz, so dass eine restriktive Auslegung239 abzulehnen ist und vielmehr lediglich innerhalb der der Strafzumessung Berücksichtigung finden kann.240
53 b) Einzelhandel. Bestraft wird das Anbieten oder Überlassen pornografischer Darstellungen im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen. Einzelhandel ist das gewerbsmäßige Anschaffen oder Herstellen von Waren sowie deren Feilbieten an den Endverbraucher.241 Das Merkmal „außerhalb“ von Geschäftsräumen stellt klar, dass der Vertrieb in Geschäftsräumen – z.B. Buchläden oder Sex-Shops – erlaubt bleibt.242 Ein Vertrieb außerhalb von Geschäftsräumen liegt ferner nicht vor, soweit der Vertrieb von einem Geschäftsraum aus erledigt wird, also aufgrund von schriftlicher oder telefonischer Bestellung,243 wobei dann die 3. Var. in Betracht kommt.244 Der Vertrieb von pornografischen Schriften muss nicht der einzige oder überwiegende Geschäftszweck sein; ausreichend ist, dass zumindest auch gerade aus dem Umsatz solcher Erzeugnisse Gewinn erzielt werden soll.245 Nr. 3 1. Alt. erfasst daher sämtliche Formen des ambulanten Handels,246 insbesondere also Kioske sowie offene Verkaufsstände auf der Straße oder auf Jahrmärkten, die Kunden nicht zu betreten pflegen.247 Schließlich sind pornografische Inhalte für Minderjährige an diesen Orten unter erleichterten Bedingungen erreichbar, da Käufe zumeist im Vorbeigehen vorgenommen werden.248 Angedacht wird teilweise eine teleologische Reduktion dahingehend, dass der Tatbestand nicht erfüllt sein soll, wenn pornografisches Material zwar außerhalb von Geschäftslokalen gehandelt wird, dies aber an Orten erfolgt, an denen
237 OLG Hamburg WRP 1987 487; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29. Krit. Insoweit auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 48. 238 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29. 239 Dafür Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29; Wolters/Greco SK Rdn. 46. 240 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 974. 241 BayObLG NJW 1958 1746; BayObLG 74 2060. 242 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 976; ähnlich Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 49. 243 BGHSt 9 270; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 976; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 30. 244 Hörnle MK Rdn. 44; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 976; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 30. 245 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 976; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 30. 246 Hörnle MK Rdn. 44; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 977. 247 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 977; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 31. 248 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 977. Nestler
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eine zuverlässige Alterskontrolle möglich ist.249 Offen bleibt aber, welche Orte diese Anforderungen erfüllen sollen, ohne eine Verkaufsstelle zu sein, die Kunden nicht zu betreten pflegen.
c) Versandhandel. Abs. 1 Nr. 3 pönalisiert den Vertrieb pornografischer Darstellungen im Ver- 54 sandhandel. Die Begriffsbestimmung des Versandhandels orientiert sich an § 1 Abs. 4 JuSchG.250 Dementsprechend ist Versandhandel jedes entgeltliche Geschäft, das im Wege der Bestellung und Übersendung der Ware durch Postversand oder elektronischen Versand ohne persönlichen Kontakt zwischen Lieferant und Besteller oder ohne dass durch technische oder sonstige Vorkehrungen sichergestellt ist, dass kein Versand an Kinder und Jugendliche erfolgt, vollzogen wird.251 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 unterfallen demnach nicht allein die eigentlichen Versandunternehmen, sondern vielmehr alle, bei denen der Vertrieb nach den für den Versandhandel charakteristischen Formen vorgenommen wird.252 Unter Abs. 1 Nr. 3 fällt daher auch derjenige, dessen Betrieb nicht überwiegend auf Versandhandel ausgerichtet ist, wenn er sich im Einzelfall dieser Vertriebsform bedient.253 Auch die Versendung zur gewerblichen Vermietung kann den Tatbestand verwirklichen.254 Angesichts des klaren Wortlauts der Nr. 3, der sich auf die pornografischen Inhalte selbst 55 bezieht, ist der Versandhandel mit Decodern und Decoderkarten nicht erfasst, selbst wenn insoweit der Schlüssel für den Zugang zu pornografischen Filmen geliefert wird.255 Gleichermaßen ist das Eröffnen des Zugriffs auf pornografische Computerdateien gegen Entgelt über das Internet durch Vergabe eines Passworts nicht von Nr. 3 Alt. 2 erfasst, vielmehr ist Nr. 1 einschlägig.256 Existieren effektive, d.h. wirksame Sicherheitsvorkehrungen – etwa eine Altersüberprüfung 56 durch persönliche Anmeldung sowie Ausweiskontrolle im sog. Postident-Verfahren – scheidet der Tatbestand angesichts der § 1 Abs. 4 JuSchG zugrundeliegenden Wertung aus.257 Notwendig ist jedoch zusätzlich eine Absicherung dahingehend, dass die pornografischen Inhalte dem volljährigen Kunden persönlich ausgehändigt und nicht von Minderjährigen angenommen werden.258 d) Verleih. § 184 Abs. 1 Nr. 3 betrifft den heute faktisch nicht mehr relevanten Vertrieb porno- 57 grafischer Inhalte in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln. Gewerbliche Leihbüchereien sind sämtliche Unternehmen, die Bücher gegen Entgelt zum zeitlich befristeten Gebrauch überlassen und bei denen die Gewinnerzielung Haupt- oder Nebenzweck der Tätigkeit ist.259 Öffentliche Bibliotheken sind daher auch dann nicht von Nr. 3 erfasst, wenn sie für den Verleih
249 250 251 252 253 254
So Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 51 unter Verweis auf Heinrich ZJS 2016 297. OLG München NJW 2004 3346; Heinrich ZJS 2016 298; Liesching NJW 2004 3304. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 32. BVerfG NStZ 1982 285; Beisel/Heinrich JR 1996 97; Eckstein wistra 1997 48 ff. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 32. BVerfG NStZ 1982 285; Fischer Rdn. 12c; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 32; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 984; aA Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1069. 255 Schreibauer Das Pornographieverbot des § 184 S. 228; aA Beisel/Heinrich JR 1996 97 f; Horst ZUM 1993 229. 256 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 985; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 32; aA wohl Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 55. 257 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 33; Hörnle MK Rdn. 46; Heinrich ZJS 2016 298; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 53; aA Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 979 ff. 258 BGHZ 173 206 (Versendung als „Einschreiben eigenhändig“); OLG München NJW 2004 3304. Anders Hörnle MK Rdn. 46 (Versendung der Ware in einem verschlossenen Umschlag an den Beststeller ausreichend). 259 Ziegler BeckOK Rdn. 11.4; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 987; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34. 399
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Verbreitung pornographischer Inhalte
ein Entgelt verlangen, da ihr Hauptzweck nicht auf den Erwerb finanzieller Vorteile zielt.260 Unternehmen, die einen Film-„Verleih“ betreiben, sind entsprechend des Gesetzeswortlauts ebenso nicht von Nr. 3 erfasst wie sog. Sex-Shops, die pornografische Schriften vermieten.261 Insoweit ist jedoch § 184 Abs. 1 Nr. 3a einschlägig.262 58 Schließlich gilt § 184 Abs. 1 Nr. 3 für solche Unternehmen nicht, die von Anfang an lediglich Erwachsenen zugänglich bleiben. Anderenfalls ergäben sich Konflikte zu Nr. 3a, die solche Unternehmen gleichermaßen nicht erfasst.263 In Abgrenzung zu den Leihbüchereien zeichnet sich der gewerbliche Lesezirkel dadurch aus, dass hier nicht Bücher, sondern periodisch erscheinende Zeitschriften oder sonstige Druckerzeugnisse an einen größeren Leserkreis vermietet werden, indem das Unternehmen jene Produkte diesem durch einen Umlauf zugänglich macht.264
59 e) Anbieten oder Überlassen. § 184 Abs. 1 Nr. 3 erfordert als Tathandlung ein Anbieten oder Überlassen der pornografischen Schrift, wobei nichts anderes als im Rahmen von § 184 Abs. 1 Nr. 1 gilt.265
4. Gewerbliche Vermietung, Abs. 1 Nr. 3a 60 § 184 Abs. 1 Nr. 3a pönalisiert das Anbieten oder Überlassen pornografischer Inhalte im Wege gewerblicher Vermietung oder vergleichbarer gewerblicher Gewährung des Gebrauchs. Die Tatbestandsvariante sollte damit in erster Linie die Vermietung („Verleih“) in Videotheken einschließlich vergleichbarer mietähnlicher Geschäfte erfassen, die nicht unter Nr. 3 fallen.266 Nr. 3a nimmt lediglich Ladengeschäfte aus, die Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich sind bzw. von ihnen nicht eingesehen werden können und bezweckt demnach eine Konzentration des Vermietgeschäfts pornografischer Inhalte ausschließlich auf für Minderjährige nicht zugängliche Ladengeschäfte mit eigenem Eingang.267 § 184 Abs. 1 Nr. 3a basiert auf dem Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit von 1985,268 wonach dem damaligen Gesetzgeber zufolge der aufgekommene Videokassettenmarkt ein eingeschränktes Vermietverbot von pornografischen Inhalten (damals: Schriften) notwendig machte und eine Gesetzeslücke bestand, da § 184 Abs. 1 Nr. 3 nicht die Vermietung von Pornografika in Geschäftsräumen erfasste.269 Nr. 3a setzt das gewerbliche Anbieten oder Überlassen pornografischer Inhalte voraus. Ein 61 Anbieten oder Überlassen ist gewerblich, soweit dies entgeltlich zum Zweck der Gewinnerzielung und in der Absicht geschieht, sich aus der fortlaufenden Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle zu verschaffen.270 Vermietung ist die nur vorübergehende Ge260 Schreibauer Das Pornographieverbot des § 184 S. 224; Hörnle MK Rdn. 47; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 57; so auch schon Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 25; ferner Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34; Wolters/Greco SK Rdn. 37; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 987. 261 BGHSt 27 52; Laufhütte JZ 1974 48; aA OLG Karlsruhe NJW 1974 2015. 262 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 987; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34. 263 Greger NStZ 1986 12; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34. Krit. zu der Norm im Hinblick auf die Möglichkeit einer Alterskontrolle auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 56. 264 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 989; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 58; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34. 265 Rdn. 39 f. 266 Ziegler BeckOK Rdn. 12 (mit Verweis auf Umgehungsgeschäfte: Verkauf mit Rückkaufsvorbehalt; Austausch im beitragspflichtigen Videoclub). 267 BT-Drucks. 10/2456 S. 17, 25. 268 BGBl. 1985/I S. 425. 269 BT-Drucks. 10/2546 S. 16 ff. 270 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 62; Ziegler BeckOK Rdn. 12; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 37; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 993; Hörnle MK Rdn. 49. Nestler
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brauchsüberlassung,271 wobei zugleich Geschäfte mit vergleichbarer Gewährung des Gebrauchs, also auch mietähnliche Umgehungsverträge, erfasst sind.272 Für die Frage der Vergleichbarkeit ist insoweit der Charakter des dem Kunden eingeräumten Rechts zum Gebrauch sowie seiner Rückgabeverpflichtung der pornografischen Materialien nach Ablauf der vereinbarten Nutzungsdauer entscheidend.273 In der Neufassung, die nur noch auf die Inhalte und nicht mehr auf die Schriften abstellt, ebenfalls erfasst, ist der online-„Verleih“ („Video-on-Demand“) von pornografischem Filmmaterial über das Internet. Die Rspr. hatte dies bereits vor der Gesetzesänderung unter Überschreitung der Wortlautgrenze274 in den Tatbestand einbezogen.275 Zwar kann hier die Einschränkung, dass Ladengeschäfte ausgenommen bleiben, die Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können, dem Wortlaut nach nicht eingreifen. Gleichwohl muss in entsprechender Anwendung dieser Klausel dasselbe für den online-„Verleih“ gelten, sofern der Zugriff durch Minderjährige durch wirksame Barrieren verhindert wird.276 Nach (zur a.F. der Norm) vertretener a.A. sollte Nr. 3a auf das Video-on-Demand-Verfahren, bei dem zwar entsprechende Filme gegen Bezahlung durch Datenübertragung auf dem Bildschirm des Bestellers angesehen werden können, keine Anwendung finden. Sofern der Kunde jedoch nur pornografische Inhalte wahrnimmt und nicht über den Datenspeicher selbst verfügen kann, sei eine vergleichbare Gewährung des Gebrauchs kaum zu begründen.277 Dieser Auffassung ist mit der Gesetzesänderung die Grundlage entzogen. Explizit ausgenommen von § 184 Abs. 1 Nr. 3a sind Ladengeschäfte, die Jugendlichen prinzipiell nicht zugänglich sind und auch nicht von ihnen eingesehen werden können. Ladengeschäfte sind i.d.R. räumlich sowie organisatorisch selbständig und verfügen über einen separaten Zugang von der Straße oder von einer allgemeinen Verkehrsfläche her.278 Zwar genügt es demnach nicht, dass im Innenbereich des Geschäfts ein einzelner, von den anderen Geschäftsräumen rein optisch abgegrenzter und von dort aus zugänglicher Raum befindlich ist (sog. Schmuddelecke). Ausreichend ist es jedoch, wenn sich mehrere eigenständige Geschäfte innerhalb eines Einkaufszentrums oder innerhalb einer Ladenpassage befinden. Letzteres ist schlicht eine verselbständigte Abteilung – sog. Shop in the Shop.279 Dem Anwendungsbereich des § 184 Abs. 1 Nr. 3a unterfallen Ladengeschäfte unter der Voraussetzung nicht, dass das Betreten des jeweiligen Ladengeschäfts für Minderjährige durch ein eindeutiges Verbot280 untersagt ist und der Inhaber für dessen Einhaltung tatsächlich Sorge trägt. Erforderlich ist jedoch zudem, dass eine dahingehende Kontrolle vor dem Betreten des Geschäftsraums nicht erst beim Bezahlvorgang an der Kasse erfolgt.281 Die Art und Weise der Überprüfung ist nicht entscheidend, sodass grds. auch technische Kontrollmechanismen genügen, sofern sich das Personal vergewissert, dass jene einwandfrei funktionieren und pornografische Erzeugnisse tatsächlich nicht für Minderjährige greifbar
271 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 994. 272 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 37. 273 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 994 (maßgeblich sei, ob dem Kunden hierdurch die höheren Aufwendungen erspart bleiben als bei Vollerwerb des Produkts). 274 Krit. auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 62. 275 BGHSt 47 55, 58 (allgemein zur Gleichstellung von Daten und Datenträgern). 276 So zur a.F. bereits Hörnle MK Rdn. 49. 277 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 995; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 37; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 43. 278 BGHSt 48 278, 281; Greger NStZ 86 12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Hörnle MK Rdn. 50; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 38; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 996. 279 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 38; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 997. 280 OLG Hamburg NJW 1992 1195. 281 BGH, NJW 1988 272, Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 998; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 39. 401
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sind.282 Jedoch setzen weder der Begriff des Ladengeschäfts noch das Zugangshindernis zwingend die Anwesenheit von Personal voraus, wenn technische Sicherungsmaßnahmen einen gleichwertigen Jugendschutz wie die Überwachung durch Ladenpersonal gewährleisten.283 Der Gedanke des § 1 Abs. 4 JuSchG, wonach ebenso „technische oder sonstige Vorkehrungen“ ausreichend sein können, deutet jedenfalls an, dass technische Kontrollmechanismen in bestimmten Fällen den Tatbestand ausschließen können. Dazu wird in der Lit. (allerdings zur a.F.) teilweise vertreten, Kontrollmechanismen in Zusammenhang mit § 1 Abs. 4 JuSchG seien nicht auf den Zugang zu einer Lokalität bezogen, sondern vielmehr auf die Aushändigung der pornografischen Inhalte selbst. Verglichen mit § 184 Abs. 1 Nr. 3 bestünde in den von § 184 Abs. 1 Nr. 3a fokussierten Ladengeschäften ein weitaus geringeres Maß an Anonymität und damit einhergehend weniger Umgehungsmöglichkeiten und -risiken. Technische Kontrollmechanismen erwiesen sich demnach mit Blick auf einen Ausschluss der Nr. 3a eher als hinreichend als bei Nr. 3. Dennoch erfordere der Ausschluss von Nr. 3a eine entsprechende Überprüfung der Mechanismen von Seiten des Personals.284 Diese Auffassung kann für die n.F. allerdings keine Geltung mehr beanspruchen, wenn – wie nach hiesiger Auffassung – von Nr. 3a auch das Video-onDemand-Verfahren erfasst wird. 66 Das Ladengeschäft darf für Minderjährige zudem nicht einsehbar sein, um nicht die Entwicklung von Interesse für pornografische Inhalte bei Minderjährigen zu fördern. Erforderlich sind daher Vorkehrungen, wobei das bloße Errichten von Sichtblenden oder anderen optisch wirkenden Vorrichtungen nach z.T. vertretener Auffassung noch nicht ausreichen soll,285 sehr wohl aber das Errichten einer „Schleuse“, die (auch) eine Einsehbarkeit verhindert.286 Dabei war umstritten, ob generell die Einsehbarkeit des Geschäftsraums287 oder lediglich die Einsehbarkeit des pornografischen Materials ausgeschlossen bleiben muss.288 Die Frage hat heute kaum noch Relevanz. Nach § 184 Abs. 2 S. 2 gilt Nr. 3a schließlich dann nicht, wenn die Handlung im Geschäfts67 verkehr mit gewerblichen Entleihern erfolgt. Soweit demnach pornografische Inhalte zu gewerblichen Zwecken angemietet werden, ist Nr. 3a nicht einschlägig, z.B. bei Vorführung eines pornografischen Films in Nachtbars usw.289 Nach Abs. 2 S. 2 ist Nr. 3a hier selbst dann nicht anwendbar, wenn das Überlassen o.ä. im Wege der Vermietung in Geschäftsräumen vorgenommen wird, die für Minderjährige zugänglich sind. Diesbezüglich kommt allerdings Nr. 2 in Betracht.
5. Unternehmen der Einfuhr im Wege des Versandhandels, Abs. 1 Nr. 4 68 Nach § 184 Abs. 1 Nr. 4 macht sich derjenige strafbar, der es unternimmt, pornografische Darstellungen im Wege des Versandhandels einzuführen. Die Ausgestaltung der Vorschrift als Unternehmensdelikt führt dazu, dass die in § 184 Abs. 1 Nr. 4 beschriebenen Auslandstaten bzgl. einfacher Pornografie strafbar sind, selbst wenn § 6 Nr. 6 die Norm des § 184 nicht listet. § 184
282 BGHSt 48 282, 285; zust. Hörnle NStZ 2004 150; siehe auch LG Stuttgart NStZ-RR 2004 76; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 39; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 999. 283 Ziegler BeckOK Rdn. 13 hält mit Verweis auf BGHSt 48 278 „Automatenvideotheken“ ggf. für zulässig. Wie hier auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 39. 284 So Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 999. 285 Ziegler BeckOK Rdn. 13. 286 Vgl. BGHSt 48 288. 287 So OLG Hamburg NJW 1992 1184 f. 288 In diese Richtung LG Essen NJW 1985 2841. Krit. dazu Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 61. 289 Vgl. BTDrucks. 10/2546 S. 24. Nestler
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Abs. 1 Nr. 4 dehnt damit letztlich das Weltrechtsprinzip auf ausländische Versandhäuser auch im Fall einfacher Pornografie aus.290 Während im Rahmen des § 184 Abs. 1 Nr. 3 das schlichte Anbieten durch Prospekte aus- 69 reicht, betrifft die Unternehmung nach § 184 Abs. 1 Nr. 4 das Absenden der pornografischen Inhalte selbst.291 Die Vorschrift erfasst lediglich das Einführen im Wege des Versandhandels, d.h. den unmittelbaren Versand aus dem Ausland an einen Letztabnehmer. Einführer ist daher allein der Händler, der den Versand der Pornografika in das Inland veranlasst.292 Derjenige, der pornografische Ware lediglich abnimmt, ist kein Einführer i.S.d. § 184 Abs. 1 Nr. 4 und somit nicht Täter.293 Da lediglich die Einfuhr im Rahmen des „Versand“-handels erfasst wird, bleiben bloße Datenübertragungen dem Wortlaut nach ausgenommen, selbst wenn ein solcher Vorgang prinzipiell als Einfuhr zu qualifizieren ist, vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AWG.294
6. Öffentliche Werbung, Abs. 1 Nr. 5 § 184 Abs. 1 Nr. 5 bestraft als Werbeverbot295 denjenigen, der pornografische Schriften öffentlich 70 an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, oder durch Verbreiten von Schriften außerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel anbietet oder bewirbt. Telos der Vorschrift ist, bestimmten Werbungsformen angesichts ihrer Breitenwirkung sowie ihres nicht überschaubaren Wirkungsbereichs entgegenzutreten. Kinder und Jugendliche sollen weder auf Bezugsquellen aufmerksam werden noch soll der Zugang zu pornografischen Erzeugnissen ihr Interesse dafür wecken.296 § 184 Abs. 1 Nr. 5 nennt als Tathandlung das Anbieten und das Bewerben. Unter den Begriff 71 des Anbietens gehören in diesem Kontext alle entsprechenden Erklärungen an das (auch minderjährige) Publikum.297 Dabei kommt es nicht darauf an, ob Minderjährige diese Erklärungen auch tatsächlich zur Kenntnis nehmen oder ihnen folgen.298 Erfasst sind auch Fälle, in denen das pornografische Material dann tatsächlich nur an Erwachsene abgegeben wird und das jeweilige Angebot dies auch deutlich macht. Über den Begriff des Anbietens in § 184 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 hinaus sind daher auch Plakate, Auslagen in einem Schaufenster299 oder das bloße Aufstellen von Automaten300 erfasst. Durch das 49. StrÄndG wurden die bisherigen Tathandlungen des Ankündigens und des 72 Anpreisens durch das Bewerben ersetzt, ohne dass damit inhaltliche Änderungen einhergehen sollten.301 Als ankündigen galt jede Kundgabe, durch die auf die Gelegenheit zum Bezug oder zur Wahrnehmung von Pornografie aufmerksam gemacht wird.302 Anpreisen war die lobende und empfehlende Erwähnung und Beschreibung eines bestimmten pornografischen Erzeugnisses, z.B. das Hervorheben seiner Vorzüge.303 Ein Anpreisen bedarf weder eines konkreten Hin290 Ziegler BeckOK Rdn. 15; Fischer Rdn. 15; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 41; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1002. 291 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1003. 292 BayObLG MDR 1979 941; OLG Stuttgart NJW 1969 1545. 293 OLG Hamm NJW 2000 1965; LG Freiburg NStZ-RR 1998 11; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 68 (mit Verweis auf Nr. 8); Sch/Schröder/Eisele Rdn. 42; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1003. 294 Anders Hörnle MK Rdn. 52; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 67. 295 BGHSt 34 94, 98. 296 BGHSt 48 289. So auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 70. 297 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1005. 298 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 70. 299 BGHSt 34 98. 300 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1005; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 45. 301 BT-Drucks. 18/2601 S. 29 mit Verweis auf S. 24 zu 130 StGB. Siehe auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 74. 302 RGSt 37 142. 303 RGSt 37 142. 403
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weises auf etwaige Bezugsquellen, noch der Absicht, die pornografischen Darstellungen einem Erklärungsempfänger zugänglich zu machen.304 73 Ungeachtet der Form des Werbens ist eine Absicht der Gewinnerzielung jedenfalls nicht erforderlich.305 Die Werbung muss nicht ausdrücklich erfolgen und kann ebenso konkludent oder verdeckt geschehen.306 Unter Berücksichtigung des Zwecks des Werbeverbots – zu verhindern, dass Minderjährige für pornografisches Material interessiert und auf die möglichen Bezugsquellen aufmerksam gemacht werden307 – ist erforderlich, dass das Werben nicht allein zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema anregen will, sondern vielmehr beabsichtigt, die wohlwollende Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen.308 Als Werbung einzuordnen sind auch Verhaltensweisen, die eine versteckte Werbung unter dem „Deckmantel der Ablehnung“309 darstellen. Demgegenüber handelt es sich nicht um Werbung, wenn die Darlegungen einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema dienen oder sich auf die bloße Existenz von pornografischem Material beschränken.310 Ferner muss das Objekt der Werbung tatsächlich pornografisch sein.311 Nicht ausreichend ist lediglich neutrale Werbung, ohne dass der pornografische Charakter des Werbeobjekts für den durchschnittlich interessierten und informierten Betrachter erkennbar ist.312 Der pornografische Charakter des beworbenen Materials muss sich dabei unmittelbar aus der Werbemaßnahme ergeben; allerdings reicht es aus, dass etwa das jeweilige Filmtheater einen entsprechenden Firmennamen führt.313 Demgegenüber genügt das pauschale Ankündigen eines „Sex-Films“ oder eines entsprechenden Filmtitels nicht,314 da diese ungeachtet ihrer Bezeichnung nicht zwingend pornografisch sein müssen.315 Nicht ausreichend ist daher auch der Verweis auf das bestehende Werbeverbot oder die Bezeichnung des Produkts als „nur für Erwachsene“.316 Das Anbieten von pornografischem Material gem. § 184 Abs. 1 Nr. 5 muss öffentlich erfol74 gen, das heißt von einem größeren, individuell nicht feststehenden oder jedenfalls durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis wahrgenommen werden können.317 Dazu gehört das Werben mittels Plakaten oder Lautsprechern für pornografische Inhalte auf öffentlichen Plätzen, Schaufensterreklame, Fernseh- oder Rundfunkwerbung sowie Werbung im Internet,318 wobei letztgenanntes Werbefeld heute wohl die größte praktische Relevanz hat. Nicht öffentlich i.S.d. Vorschrift ist das Ansprechen einer unbestimmten Anzahl von Perso75 nen auf der Straße durch den Werbenden, weil die Werbung selbst – trotz des öffentlichen Ortes – gezielt gegenüber bereits individualisierten Adressaten erfolgt.319 Daher ist auch das
304 OLG Hamburg, NStZ 2007 487; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1006; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 45a. 305 BGHSt 34 219. 306 BGHSt 34 219. 307 BGHSt 34 1998, BGHSt 34 210; OLG Hamburg NStZ 2007 487. 308 Hörnle MK Rdn. 55; Ziegler BeckOK Rdn. 17; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1007; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 46. 309 Ziegler BeckOK Rdn. 17. 310 BGHSt 34 218, 220 f sowie Ziegler BeckOK Rdn. 17 unter Verweis auf die Meinungs- und Pressefreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG. 311 OLG Hamburg MDR 1978 506. 312 BGH NJW 1977 1695; BGHSt 34 98 ff, 100; BGH NStZ 1989 77; OLG Stuttgart MDR 1977 246; Schumann NJW 1978 1135 f; Meier NStZ 1985 341; Fischer Rdn. 16; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 46; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1007. 313 Etwa „Porno-Palast“, vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 46. 314 BGH NJW 1989 409. 315 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 46. 316 OLG Stuttgart MDR 1977 246; Mayer NJW 1987 1610. 317 Hörnle MK Rdn. 57; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1010. 318 Hörnle MK Rdn. 57; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 47. 319 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 47. Nestler
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Werben vor Jugendlichen oder an einem für Jugendliche zugänglichen Ort nicht erfasst, soweit dies nicht öffentlich erfolgt und sich lediglich an einen geschlossenen und individualisierten Personenkreis richtet.320 § 184 Abs. 1 Nr. 5 bestraft zudem das Werben durch die Verbreitung von Schriften außerhalb 76 des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel. Anlass der Bestrafung des beschriebenen Verhaltens ist die Perpetuierung des gedanklichen Inhalts sowie der damit einhergehenden fehlenden Kontrollierbarkeit der Verbreitung der werbenden Schriftstücke. Demzufolge ist das Werben durch Verbreiten von Schriften innerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel ausgenommen. Die Ausnahme erfasst nicht nur die Anbahnung oder Fortsetzung geschäftlicher Beziehungen mit Personen, die bereits pornografische Erzeugnisse verkaufen, sondern auch Fälle, in denen überhaupt ein Händler adressiert ist, ohne dass dieser auf Pornografika spezialisiert zu sein braucht.321 Ausreichend ist auch, wenn ein Händler überhaupt erst dazu bewogen werden soll, sich diesem Tätigkeitsfeld zu widmen.322 Ein Werben außerhalb des Geschäftsverkehrs liegt daher nur vor, sofern es sich nicht ausschließlich an Fachhändler richtet.323 Für das Verbreiten (vgl. die Kommentierung zu § 184b Abs. 1 Nr. 1) von Werbung ist es auch 77 in der Neufassung des Gesetzes beim Schriftenbegriff geblieben. Dieser Begriff ist nun allerdings nicht mehr in § 11 Abs. 3 definiert. Bereits vor der Gesetzesänderung waren hier jedoch angesichts des bereits damals fehlenden Verweises auf § 11 Abs. 3 a.F. nur Schriftstücke i.e.S., nicht hingegen Datenspeicher erfasst. Der Verweis auf § 11 Abs. 3 a.F. am Anfang des § 184 a.F. habe nur die pornografischen Schriften betroffen, nicht jedoch die werbende Schrift.324 Dies war bereits nach der damaligen Rechtslage zweifelhaft, da einleuchtender Grund dafür, den Begriff der Schriften im Rahmen von § 184 Abs. 1 Nr. 5 a.F. anders auszulegen, als denjenigen des § 184 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 9 a.F. nicht ersichtlich war.325 Mit der Neufassung hat sich daran jedoch nichts geändert; im Gegenteil spricht die Unterscheidung in der Terminologie zwischen Schriften und Inhalten sogar dafür, diese Lesart beizubehalten.
7. Ohne Aufforderung an einen anderen gelangen lassen, Abs. 1 Nr. 6 Nach § 184 Abs. 1 Nr. 6 ist zu bestrafen, wer pornografische Inhalte an einen anderen gelangen 78 lässt, ohne von diesem hierzu aufgefordert worden zu sein. Hierbei steht der Schutz vor ungewollter Konfrontation im Vordergrund.326 Gelangenlassen meint ähnlich des zivilrechtlichen Begriffs des Zugangs, dass die pornografischen Erzeugnisse derart in den Verfügungsbereich eines anderen geraten, dass dieser von deren Inhalt Kenntnis nehmen kann, wobei eine tatsächliche Kenntnisnahme nicht erforderlich ist.327 Die pornografischen Inhalte müssen sich dabei selbst und – soweit der Beschaffenheit nach möglich – gegenständlich im Verfügungsbereich befinden, sodass bei verkörpertem Material (z.B. bei Schriften i.e.S.) ein Gewahrsam an den Gegenständen erforderlich ist.328 Erfasst ist jedoch gleichermaßen das Versenden von Emails, sofern als Attachment pornografische Inhalte angehängt sind.329 Eine unmittelbare Konfrontation liegt
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Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1011; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 47. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 50. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1013. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1013. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 49; Hörnle MK Rdn. 58. So zur a.F. bereits Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1014. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 76. BGH NStZ-RR 2005 309; Fischer Rdn. 17; Hörnle MK Rdn. 66; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 52; Ziegler BeckOK Rdn. 18 f. 328 BGH NStZ-RR 2005 309; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 78. 329 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 78. 405
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allerdings dann nicht vor, wenn der Empfänger die Inhalte erst mittels Link aufrufen muss.330 Ein bloßes Vorführen oder anderweitige ungewollte Konfrontationen mit den pornografischen Darstellungen, die erfolgen, ohne dass die Verfügungsmöglichkeit auf den Empfänger übergeht, reichen nicht.331 79 Eine Verwirklichung durch Unterlassen ist denkbar, soweit pornografische Darstellungen unbeaufsichtigt an Orten zurückgelassen werden, an denen sich auch andere Personen aufhalten.332 Dies gilt insbesondere für ein Liegenlassen in der Wohnung einer anderen Person, anders als beim Liegenlassen an öffentlich zugänglichen Orten. Während das Gelangenlassen an einen anderen von diesem keinerlei Tätigwerden erfordert, bedarf es im Fall des bloßen Liegenlassens in der Öffentlichkeit einer zusätzlichen eigenständigen Handlung des anderen, um die Verfügungsgewalt über die liegengelassenen pornografischen Inhalte zu erlangen.333 § 184 Abs. 1 Nr. 6 wäre dann nur dadurch zu legitimieren, dass man seinen Zweck im Schutz vor ungewollter Konfrontation mit pornografischen Erzeugnissen auch in der Öffentlichkeit sieht. Das macht den Tatbestand zwar zu weit; dies entspricht aber offenbar dem Willen des Gesetzgebers, der eine solche Einschränkung auch in der Neufassung nicht vorgesehen hat. Denkbar ist allenfalls ein Fehlen des Vorsatzes.334 80 Die Verwirklichung des Tatbestands setzt seitens des Täters ein Handeln ohne eine vorausgegangene, ausdrückliche oder konkludente Aufforderung voraus. Schließlich beabsichtigt die Norm lediglich den Schutz des Empfängers vor einer ungewollten Konfrontation mit pornografischen Erzeugnissen.335 Ein Auffordern verlangt mehr als das bloße Dulden, sondern setzt die Bitte des Empfängers voraus, entsprechendes Material zur Verfügung gestellt zu bekommen.336 Die Aufforderung zur Übersendung stellt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis dar.337 Die Einordnung als rechtfertigende Einwilligung würde aber bedeuten, dass das Verhalten auch mit Zustimmung des Empfängers Unrechtsgehalt aufweist – was bei einfacher Pornografie gerade nicht der Fall ist. Nr. 6 liegt daher nicht vor, soweit ein Übersenden im Anschluss auf Anfragen auf ein diesbezügliches Angebot hin erfolgt.338 81 Die Erklärung kann ausdrücklich oder konkludent,339 jedoch lediglich vor der Tat340 erteilt werden. Der Empfänger muss somit vor der Tat zum Ausdruck bringen, dass er mit dem Gelangen von pornografischen Erzeugnissen in seinen Gewahrsam einverstanden ist. Das bloß vermutete Einverständnis wirkt ebenso wenig tatbestandsausschließend wie eine nachträgliche Genehmigung.341
8. Öffentliche Filmvorführung gegen Entgelt, Abs. 1 Nr. 7 82 Nach § 184 Abs. 1 Nr. 7 wird bestraft, wer pornografische Inhalte in einer öffentlichen Filmvorführung gegen Entgelt zeigt, das ganz oder überwiegend für eben diese Vorführung verlangt wird. Die Vorschrift erfasst Filmvorführungen jeder Art, hat aber durch neue Medien erheblich an praktischer Relevanz verloren. Von Bedeutung ist weder, wie der Film gestartet wird, noch 330 331 332 333 334 335 336 337
Fischer Rdn. 17; Hörnle MK Rdn. 60; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 52; Ziegler BeckOK Rdn. 19. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 52; ähnlich Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 78. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1018. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 52. So Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1018. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1020. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 77. Hörnle MK Rdn. 66 („wirkt tatbestandsausschließend“). So auch Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1020; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 53. 338 BGH NStZ-RR 2005 309. 339 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 77. 340 Hörnle MK Rdn. 62; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 53; Ziegler BeckOK Rdn. 18. 341 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1020; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 77. Nestler
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auf welche Weise er präsentiert wird.342 Erfasst wird demnach jedes Vorführen von Filmen, Filmsequenzen oder schnellen Bildfolgen über Video, DVD, Dateien, auf Leinwänden, Bildschirmen, TV etc.343 Öffentlich ist eine Filmvorführung, sofern sie von einem größeren, individuell nicht feststehenden oder jedenfalls durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis gleichzeitig wahrgenommen werden kann.344 Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei bestehenden „Jugendverboten“, selbst wenn sich so durch eine Kontrolle der Besucherkreis auf Erwachsene begrenzt.345 Öffentlichkeit i.S.d. Norm liegt hingegen nicht vor bei einem individuellen Einzelabruf von Filmen im sog. Video-on-Demand-Verfahren,346 bei dem Aufstellen eines Filmautomaten in einer Videothek, bei dem die Filmvorführung jeweils nur von einer Person oder von unbestimmt vielen Einzelpersonen nacheinander verfolgt werden kann; ebenso bei geschlossenen Veranstaltungen z.B. eines Vereins für Vereinsmitglieder soweit es sich nicht um „Massenvereine“ handelt.347 Erforderlich ist, dass das Zeigen pornografischer Inhalte in einer öffentlichen Filmvorfüh- 83 rung gegen ein Entgelt vorgenommen wird, das ganz oder überwiegend für diese Vorführung verlangt wird. Diese Entgeltklausel zieht jedoch entgegen der Vorstellung des Gesetzgebers kaum lösbare Abgrenzungsfragen und Beweisschwierigkeiten nach sich.348 Zudem ist sie kein geeignetes Mittel um den Jugendschutz durch Abschreckung zu gewährleisten.349 Straffrei bleibt die Vorführung eines pornografischen Filmmaterials aber jedenfalls, soweit sie unentgeltlich z.B. durch einen Gastwirt zur Steigerung seines Umsatzes angeboten wird.350 Ebenso ist der SexShop-Betreiber straffrei, der den unentgeltlichen Zutritt zu einer Filmvorführung an den Erwerb von Waren eines Mindestbetrags knüpft, soweit kein Anteil vom Verkaufspreis Entgelt für die Filmvorführung ist.351 Nr. 7 Alt. 1 (Entgelt ganz für die Vorführung) betrifft die Konstellation, dass es sich bei der 84 jeweiligen Filmvorführung um die einzige vom Kunden bezahlte Leistung handelt, z.B. PayTV in Form des „Pay-per-view“. Entscheidend ist dabei nicht, ob ein Entgelt ausdrücklich als Gegenleistung für die Filmvorführung verlangt wird oder versteckt bspw. auf Getränkepreise aufgeschlagen wird.352 Auch bei Verknüpfung der Filmvorführung mit einer Nebenleistung ist der für die Filmvorführung erhobene Anteil des Gesamtentgelts dann als „ganz für die Vorführung verlangt“ anzusehen, soweit zwischen ihr und der Nebenleistung kein sachlicher Zusammenhang gegeben ist.353 Nr. 7 Alt. 2 (Entgelt überwiegend für die Vorführung) meint den Fall, dass zwischen der 85 Filmvorführung und einer damit verbundenen Nebenleistung ein sachlicher Zusammenhang gegeben ist.354 Ein solcher liegt insb. bei mit der Verabreichung von Getränken usw. verbundenen Mischformen von herkömmlichem Kino- und Barbetrieb. Nach welchem „Berechnungsmodus“ sich das Überwiegen des Anteils richtet, ist nicht recht eindeutig.355 Die nominelle Deklaration der Preisanteile kann jedenfalls nicht entscheidend sein, obgleich Nr. 7 an sich 342 KG NStZ 1985 220. 343 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 81. 344 BayObLG NJW 1976 528; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 82; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 56; Ziegler BeckOK Rdn. 56. KG JR 1978, 166; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1023. Hörnle MK Rdn. 65; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 56. KG NStZ 1985 220. Kritisch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 57; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1025 ff. Unter anderem Sch/Schröder/Eisele Rdn. 57; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1025 ff. OLG Koblenz MDR 1978 776; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 83. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 57. BVerfGE 47 121 f, 125 f; OLG Hamm MDR 1978 775; KG JR 1977 379, OLG Koblenz MDR 78 776. BVerfGE 47 122, 126; BGHSt 29 71. BVerfGE 47 122; BGH 29 71, Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6d, Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1031; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 86 („Verzehrzwang“); Sch/Schröder/Eisele Rdn. 59; Ziegler BeckOK Rdn. 21. 355 BGH MDR 1978 769.
345 346 347 348 349 350 351 352 353 354
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§ 184
Verbreitung pornographischer Inhalte
nur auf das „verlangte“ Entgelt abstellt.356 Herrschend ist daher, auf das angemessene und übliche Entgelt für beide Teilleistungen abzustellen,357 wobei zur Berechnung zunächst der Gesamtpreis mindestens das Doppelte des Entgelts für einen herkömmlichen Film betragen muss; anderenfalls ist Nr. 7 abzulehnen. Zudem ist der Wert der Nebenleistung zu bestimmen. Soweit dieser die Hälfte des Gesamtpreises übersteigt, wird für den Film das überwiegende Entgelt verlangt.358
9. Vorbereitung des Verbreitens, Abs. 1 Nr. 8 86 § 184 Abs. 1 Nr. 8 bestraft bestimmte Vorbereitungshandlungen zu den Taten nach Nrn. 1–7. Bestraft wird danach das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten und das Unternehmen des Einführens pornografischer Inhalte usw. zur eigenen oder fremden Verwendung i.S.d. Nrn. 1–7. Notwendig ist nicht die Verwendung der jeweiligen Produkte selbst; vielmehr ist ausreichend, dass lediglich die aus ihnen resultierenden Kopien odgl. verwendet werden sollen, der Täter also schlicht das „Mutterstück“ herstellt usw.359 Dazu gehören solche Stücke, die die unmittelbare technische Gewinnung des Endprodukts ermöglichen, z.B. Platten, Drucksätze, Matrizen, Negative, Scans und Kopien.360 Problematisch ist, inwieweit auch Manuskripte, Drehbücher usw. erfasst sind, die nur als Vorlage für den Inhalt der für die Verwendung i.S.d. Nrn. 1–7 gedachten Stücke dienen sollen. Der BGH hat dies für den Tatbestand des Herstellens in § 131 Abs. 1 Nr. 4 a.F. (jetzt § 131 Abs. 1 Nr. 3) mit der Einschränkung bejaht, dass ein für den Druck bestimmtes Manuskript erst dann i.S.d. Vorschriften hergestellt ist, „wenn der zu veröffentlichende Inhalt feststeht und der Weg zur technischen Vervielfältigung freigegeben ist“.361 Soweit man Manuskripte nicht schlechthin ausnehmen will, mit der Folge, dass jeder Verfasser nur noch Teilnehmer an der fremden Herstellung sein könnte, so ist eine solche Einschränkung der zu weitgehenden Vorfeldtatbestände der §§ 131 Abs. 1 Nr. 3, 184 Abs. 1 Nr. 8 bzw. §§ 184a Nr. 2, 184b Abs. 1 Nr. 4, 184c Abs. 1 Nr. 4, im Rahmen derer es bereits ausreicht, dass eine Verwendung durch Dritte ermöglicht werden soll, tatsächlich erforderlich.362 Die Problematik hat sich mit der Neufassung des Gesetzes noch verschärft, da der Begriff der pornografischen Inhalte weiter ist als derjenige der Schriften. Dementsprechend größer ist auch der Kreis der erfassten „Mutterstücke“. Dahingehende Restriktionen können auch bei den anderen Begehungsmodalitäten erforderlich werden. In Erweiterung von BGHSt 32, 1 wird daher vertreten, dass bei Manuskripten usw., aus denen die für die Verwendung vorgesehenen Stücke nicht unmittelbar gewonnen werden können, die Gefahr der jederzeit möglichen Verwendung „bereits ganz nahe gerückt ist“.363 87 Herstellen bedeutet das Anfertigen pornografischer Inhalte, die entweder selbst oder als „Mutterstück“ für eine Verwendung i.S.d. Nrn. 1–7 vorgesehen sind.364 Hergestellt sind
356 BVerfGE 47 111; BGH MDR 1978 768; OLG Stuttgart NStZ 1981 263; Fischer Rdn. 19; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 87; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 59.
357 BGHSt 29 68, 70; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 59; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1035; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 88. 358 OLG Stuttgart NStZ 1981 263; ferner BGHSt 29 71 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 59. 359 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 60; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1039; Ziegler BeckOK Rdn. 22. 360 BGHSt 32 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 60. 361 BGHSt 32 1. 362 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 60. Anders Ziegler BeckOK Rdn. 22, der Manuskripte als erfasst ansieht. 363 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1041; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 60. In diese Richtung auch Ziegler BeckOK Rdn. 22 („Weg zur technischen Vervielfältigung freigegeben“). 364 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 93; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 61. Nestler
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IV. Tathandlungen
§ 184
die Inhalte erst mit Erreichen eines Zustands, in dem sie für den fraglichen Zweck geeignet ist.365 Beziehen meint das Erlangen tatsächlicher eigener Verfügungsgewalt durch abgeleiteten Erwerb, also nicht eigenmächtiges Sichverschaffen von einem anderen, unabhängig davon, ob dies entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt.366 Liefern erfasst den entsprechenden Vorgang auf der Gegenseite und meint die Übergabe der Sache zur eigenen Verfügungsgewalt des Bestellers.367 Vorrätighalten meint das Bereitstellen zu einem bestimmten Verwendungszweck368 und wird i.d.R. dem Herstellen oder Beziehen zeitlich nachfolgen. Dabei genügen (mittelbarer) Besitz ebenso wie das Abspeichern von Dateien. Ein „Vorrat“ ist nicht erforderlich; es reicht aus, dass einzelne Stücke zur Disposition stehen.369 Darüber hinaus muss der Täter eigene Verfügungsgewalt besitzen, d.h. über den Absatz jedenfalls mitbestimmen können.370 Einführen bezeichnet das Verbringen der Sache über die Grenze, soweit dies nicht im Wege des der Nr. 4 unterfallenden Versandhandels an den Letztbezieher geschieht.371 Uneinigkeit besteht über den Begriff des Einführers. Teilweise wird vertreten, Einführer solle nur derjenige sein, der die Sache entweder selbst über die Grenze bringt oder in dessen Auftrag dies geschieht. Ein inländischer Versandhändler, der sich von einem ausländischen Hersteller beliefern lässt, sei hingegen nicht selbst Einführer i.S.d. Norm.372 Die Auffassung argumentiert dahingehend, dass sich der Betreffende, für den Fall, dass er die pornografischen Inhalte bei einem inländischen Hersteller bezieht, nach § 184 Abs. 1 Nr. 8 2. Alt. wegen des Beziehens von pornografischen Inhalten bei Erlangen der Gegenstände strafbar machen würde. Nicht überzeugend sei daher, dass er als Einführer i.S.v. Nr. 8 5. Alt. bei einem Bezug aus dem Ausland schon wesentlich früher wegen eines Unternehmensdelikts strafbar sein soll.373 Angesichts der Tatsache, dass der Unrechtgehalt bei Einfuhrdelikten insbesondere daraus folgt, dass das betreffende Produkt überhaupt auf Veranlassung des Täters auf den inländischen Markt gelangt, erscheint es jedoch gerechtfertigt, auch denjenigen als „Einführer“ anzusehen, der als inländischer Versandhändler von einem ausländischen Hersteller beliefert wird.374 Mit Blick auf den außenwirtschaftsrechtlichen Einfuhrbegriff (§ 2 Abs. 10 S. 1 Nr. 2 AWG) und die Neufassung der Vorschrift, die nur noch auf Inhalte abstellt und damit nicht verkörperte Pornografika einschließt, bedeutet Einfuhr im Fall von digitalem Material dessen Übertragung in das Inland einschließlich seiner Bereitstellung auf elektronischem Weg. Neben dem Vorsatz ist außerdem erforderlich, dass der Täter handelt, um die hergestellten usw. pornografischen Erzeugnisse oder aus ihnen gewonnene Stücke (z.B. Nachdrucke, Abzüge, Dateikopien usw.) i.S.d. Nrn. 1–7 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen.375 Mit Blick auf und in Abgrenzung zu Nr. 4 ist auch für das Unternehmen des Einführens diese besondere subjektive Komponente erforderlich, da Nr. 8 auch Verhalten unterhalb der Schwelle des Versandhandels erfasst. Handelt der Täter, um einem anderen die Verwendung zu ermöglichen, muss diese nicht selbst beabsichtigt zu sein; ausreichend ist, eine
365 366 367 368 369 370 371 372 373 374 375 409
Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1042; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 93. RGSt 77 118, Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1043. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1043; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 95. RGSt 42 210. Siehe auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 96. RGSt 42 210; RGSt 62 396; siehe auch Ziegler BeckOK Rdn. 22.4. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1044. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1045. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 65. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 65. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1046; Hörnle MK Rdn. 70. BGH NStZ 2005 309. Nestler
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Verbreitung pornographischer Inhalte
Situation zu schaffen, in der der andere die jeweiligen Gegenstände i.S.d. Nrn. 1–7 verwenden kann.376
10. Unternehmen der Ausfuhr, Abs. 1 Nr. 9 93 § 184 Abs. 1 Nr. 9 bestraft das Unternehmen der Ausfuhr einschließlich der Durchfuhr pornografischer Inhalte, um diese selbst oder aus ihnen gewonnene Stücke im Ausland entgegen der dort geltenden Strafvorschriften zu verbreiten, öffentlich zugänglich zu machen oder eine solche Verwendung zu ermöglichen.377 Der Begriff der Ausfuhr erfordert bei körperlichen Gegenständen, dass diese die Staatsgrenze des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland überschreiten. Ein Unternehmen der Ausfuhr liegt allerdings bereits bei entsprechenden Bestrebungen vor, z.B. soweit der Täter das pornografische Material zunächst in einen Drittstaat als Durchfuhrland verbringt, in dem die beabsichtigte Verwendung erlaubt wird, und die pornografischen Erzeugnisse entsprechend seines Tatplans erst im Anschluss in das Zielland verbracht werden sollen.378 Der Ausfuhrbegriff erfasst prinzipiell allerdings auch die Übertragung von Software und Technologie einschließlich ihrer Bereitstellung auf elektronischem Weg, vgl. § 2 Abs. 3 AWG. Da die Neufassung des § 184 nicht mehr auf Schriften, sondern schlicht auf Inhalte abstellt, muss entsprechendes für die Ausfuhr im Rahmen des Nr. 9 gelten. Wer also im Inland pornografische Inhalte zum Abruf im Ausland bereitstellt, erfüllt die Anforderungen an das Unternehmen der Ausfuhr i.S.d. Nr. 9. Die Durchfuhr durch ein Drittland, in dem keine Strafandrohung besteht, lässt die Strafbarkeit nach Nr. 9 nicht entfallen.379 § 184 Abs. 1 Nr. 9 erfordert die Absicht des Täters, das pornografische Material unter Verstoß 94 gegen Verbote ausländischer Strafvorschriften zu verbreiten, öffentlich zugänglich zu machen oder einem anderen eine derartige Verwendung zu ermöglichen. Entsprechend des eindeutigen Wortlauts („um … zu“) ist ein zielgerichtetes Handeln gegen eine ausländische Strafnorm nötig. Soweit der Täter sein beabsichtigtes Handeln im Zielland lediglich irrtümlicherweise für strafbar hält, ist Nr. 9 unter Berücksichtigung des Normzwecks der Vermeidung außenpolitischer Konflikte nicht anzuwenden.380 Die Absicht muss sich auf das Verbreiten oder öffentliche Zugänglichmachen bzw. auf die Ermöglichung einer solchen Verwendung beziehen.
V. Subjektiver Tatbestand 95 Ausreichend ist grds. bedingter Vorsatz, es sei denn, die einzelnen Tatbestandsvarianten der Nrn. 1–9, insb. Nrn. 8 und 9 erfordern eine besondere Absicht. Der jedenfalls bedingte Vorsatz muss sich auf den pornografischen Charakter der Inhalte usw. beziehen381 sodass entsprechende Bedeutungskenntnis i.S.d. einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ erforderlich wird.382 Ein schlichter Subsumtionsirrtum liegt demgegenüber vor, wenn der Täter den pornografischen Sinnbezug der betreffenden Inhalte zwar erkennt, jedoch unrichtige Vorstellungen davon hat, wie Pornografie zu definieren ist, weil er z.B. etwa annimmt, lediglich sich auf Kinder- oder Gewaltpornografie beziehende Handlungen seien erfasst.383
376 377 378 379 380 381 382 383
Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1047. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 67. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1050. Ziegler BeckOK Rdn. 23. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1051; Hörnle MK Rdn. 73; aA Wolters/Greco SK Rdn. 83. BGHSt 37 65. So auch Ziegler BeckOK Rdn. 24. Hörnle MK Rdn. 77. Hörnle MK Rdn. 77; Ziegler BeckOK Rdn. 24.
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VII. Haftungsregelungen der §§ 7 ff. TMG
§ 184
VI. Rechtswidrigkeit Im Rahmen des § 184 kommt als Rechtfertigungsgrund die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 96 Satz 1 GG in Betracht, soweit man unter Zugrundelegung des offenen Kunstbegriffs annimmt, dass pornografische Darstellungen zugleich Kunst sein können.
VII. Haftungsregelungen der §§ 7 ff. TMG Für den praktisch wahrscheinlichsten Fall, dass die Verbreitung pornografischer Inhalte über 97 moderne Kommunikationsmedien vorgenommen wird, gelten die besonderen Haftungsbeschränkungen der §§ 7 ff. TMG für Diensteanbieter von Telemedien. §§ 7 ff. TMG bezwecken, nicht absehbare Strafbarkeitsrisiken bei Betrieb und Benutzung von Kommunikationsmedien für Diensteanbieter auszuschalten und die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern.384 Das TMG ersetzt die Vorgängerregelungen der §§ 8 ff. TDG und der §§ 6 ff. MDStV.385 98 §§ 8 ff. TDG a.F. setzten dabei die Vorgaben der EG-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr um,386 die eine Anpassung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten zum Abbau von Hemmnissen der Informationsgesellschaft im Binnenmarkt intendierte.387
1. Telemedien Die Haftungsprivilegierungen der §§ 7 ff. TMG kommen ausschließlich Diensteanbietern von Te- 99 lemedien zugute. Als Telemedien bezeichnet § 1 Abs. 1 TMG „alle elektronischen Informationsund Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 des Telekommunikationsgesetzes, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 des Telekommunikationsgesetzes oder Rundfunk nach § 2 des Rundfunkstaatsvertrages sind“. Informations- und Kommunikationsdiensten steht demnach eine Privilegierung zu, soweit es sich nicht ausschließlich um Telekommunikationsdienste oder Rundfunk handelt. Es bedarf daher einer Abgrenzung von Telemediendiensten und Telekommunikationsdiens- 100 ten. Letztere beschränken sich allein auf die Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze und werden ausschließlich vom TKG erfasst.388 Soweit jedoch daneben auch eine inhaltliche Dienstleistung erbracht wird, genießen diese ebenfalls den Status privilegierter Telemediendienste.389 Daneben existieren telekommunikationsgestützte Dienste, welche gem. § 3 Nr. 25 TKG keinen räumlich und zeitlich trennbaren Leistungsfluss herbei führen, die Inhaltsleistung wird vielmehr noch während der Telekommunikationsverbindung erfüllt.390 Keine Privilegierung nach §§ 7 ff. TMG gebührt ferner dem (ausschließlichen) Rundfunk. § 2 Abs. 1 S. 1 des Rundfunkstaatsvertrags definiert als Rundfunk „die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters“. Dies erfasst insbe-
384 BTDrucks. 13/7385 S. 16. 385 Art. 1 des Gesetzes zur Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationsdienste vom 26.2.2007, BGBl. I 2007, S. 179; dazu BT-Drucks. 16/3078 S. 15. 386 ABl. EG 2000, Nr. L 178 S. 1. 387 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1118. 388 BT-Drucks. 16/3078 S. 13. 389 BT-Drucks. 16/3078 S. 13; Hoeren NJW 2007 802. 390 Hoeren NJW 2007 802. 411
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§ 184
Verbreitung pornographischer Inhalte
sondere den herkömmlichen Rundfunk (z.B. Radio), Live-Streaming sowie Webcasting.391 Als Telemedien gelten neben Online-Angeboten von Waren oder Dienstleistungen mit unmittelbarer Bestellmöglichkeit, die kommerzielle Verbreitung von Informationen über Waren- bzw. Dienstleistungsangebote mit elektronischer Post (insb. Werbemails), Newsgroups, Chatrooms oder elektronische Presse.392 Auch erfasst ist Video-on-Demand, sofern die Leistung nicht zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt ist – dann handelt es sich um Rundfunk – sondern auf individuellen Abruf erbracht wird.393
2. Diensteanbieter 101 Die telemedienrechtlichen Haftungsprivilegierungen stehen lediglich dem Diensteanbieter, nicht jedoch dem bloßen Nutzer zu. § 2 Nr. 1 TMG definiert den Diensteanbieter als „jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt.“ Demgegenüber definiert § 2 Nr. 3 TMG als Nutzer jede natürliche oder juristische Person, „die Telemedien nutzt, insbesondere um Informationen zu erlangen oder zugänglich zu machen.“ Nach § 2 S. 2 TMG sind rechtsfähige Personengesellschaften ebenfalls von den Begriffsbestimmungen erfasst. Streit herrscht bezüglich der Einordnung von Unternehmen, Universitäten, Schulen, Biblio102 theken und sog. Internet-Cafés, die ihren Mitarbeitern, Studierenden, Schülern oder Kunden einen Internetzugang zur Verfügung stellen. Hier bleibt fraglich, ob diese Institutionen dann als Diensteanbieter anzusehen sind oder ob es sich um bloße Nutzer handelt, die das von dritter Seite erlangte Internetangebot an Unternutzer weitergeben.394 § 2 TMG beschränkt seinen Anwendungsbereich nicht auf gewerbliche oder über bestimmte technische Einrichtungen verfügende Anbieter. Zudem soll die Einrichtung von Internetzugängen in Schulen, Universitäten, Bibliotheken oder Unternehmen dem Gesetzeszweck nach eher gefördert als behindert werden. Teilweise wird daher vertreten, diese Institutionen (auch dann) zu privilegieren, wenn der Internetzugang dem jeweiligen Adressatenkreis nicht nur zur Erfüllung konkreter dienstlicher, schulischer oder sonstiger zweckgebundener Aufgaben, sondern auch zu allgemeineren oder privaten Zwecken zur Verfügung steht.395 Soweit Privatpersonen ein WLAN betreiben, gelten sie nicht als privilegierte Diensteanbie103 ter, selbst wenn das Netz ungesichert bzw. unzureichend gesichert ist.396 Sie erhalten daher kein Haftungsprivileg. Nach wohl vorherrschender Auffassung ist jedoch das Betreiben eines offenen WLAN als sozialadäquates Verhalten einzuordnen und hat mangels objektiver Zurechenbarkeit bzw. fehlender Sorgfaltspflichtverletzung beim Fahrlässigkeitsdelikt auch bei Missbrauch durch Dritte nicht per se eine strafrechtliche Haftung zur Folge.397
3. Rechtsnatur der Haftungsbeschränkung 104 Umstritten ist auch die Rechtsnatur der Haftungsbeschränkungen an sich. Teilweise werden §§ 7 ff. TMG als rechtsgebietsübergreifender „Vorfilter“ angesehen, der der strafrechtlichen Prü391 392 393 394 395
BT-Drucks. 16/3078 S. 13. BT-Drucks. 16/3078 S. 13. BT-Drucks. 16/3078 S. 13. Näher Bleisteiner Rechtliche Verantwortlichkeit im Internet S. 159 ff.; Liesching/Günter MMR 2000 260 ff. Ähnlich Schreibauer Das Pornographieverbot des § 184, S. 343; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 76; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1126; aA Barton Multimedia-Strafrecht S. 242; Kudlich JA 2002, 798, 803; Liesching/Günter MMR 2000, 260, 264 f; Liesching/Knupfer MMR 2003 562 ff. 396 BGHZ 185 337. 397 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 77. Nestler
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VII. Haftungsregelungen der §§ 7 ff. TMG
§ 184
fung vorgelagert sein soll.398 Teilweise werden die Regelungen auch im allgemeinen System der Strafbarkeitsvoraussetzungen verortet, wobei deren genauer Standort wiederum umstritten ist.399 Vorzugswürdig erscheint es jedoch, die Regelungen des TMG in das strafrechtliche Haftungssystem zu integrieren. So kann den für das jeweilige Rechtsgebiet geltenden Anforderungen eher Rechnung getragen werden. Für den Bereich des (Pornografie-)Strafrechts werden die Haftungsbegrenzungen des TMG nicht selten innerhalb des Tatbestands, dort im Rahmen der objektiven Zurechnung, berücksichtigt.400
4. Haftungssystem §§ 7 ff. TMG enthalten ein abgestuftes System der Verantwortlichkeit für rechtswidrige Informati- 105 onen.401 Der Begriff der Informationen resultiert dabei aus der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr und ist deckungsgleich mit dem in § 5 TDG a.F. noch verwendeten Begriff des Inhalts. Erfasst sind alle Angaben, die im Rahmen des jeweiligen Teledienstes übermittelt oder gespeichert werden.402 Gem. § 7 Abs. 2 TMG sind Diensteanbieter i.S.d. §§ 8 bis 10 TMG nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten bzw. gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf rechtswidrige Aktivitäten hinweisen. Nicht von Bedeutung für das Strafrecht ist die in § 7 Abs. 3 TMG normierte Verpflichtung zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen.403
a) Haftung für eigene Informationen. Nach § 7 Abs. 1 TMG sind Diensteanbieter für eigene 106 Informationen, die sie zur Nutzung bereithalten, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich. Insoweit stellt § 7 Abs. 1 TMG für sog. Content-Provider klar, dass alles, was offline strafbar ist, auch online bestraft wird. Ein Diensteanbieter ist demnach für online gestellte eigene Informationen ebenso verantwortlich wie er dies etwa für gedruckte Erzeugnisse wäre.404 Eigene Informationen i.S.d. § 7 Abs. 1 TMG liegen vor, soweit der Diensteanbieter diese 107 selbst erstellt oder sich dieser fremde Informationen durch bewusste Übernahme zu eigen macht.405 Die Frage eines Zueigenmachens fremder Informationen ist durch objektive Betrachtung unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls zu beantworten.406 Soweit einer Information nicht zu entnehmen ist, dass sie von einem anderen stammt, ist im Zweifel von einem Zueigenmachen auszugehen.407 Unter Berücksichtigung der Wertung des § 10 S. 1 TMG reicht hingegen das Wissen um die Speicherung einer fremden Datei auf einem eigenen Server für sich genommen nicht für ein Zueigenmachen aus.408 Gleiches gilt für das schlichte Betreiben 398 Altenhain AfP 1998 458; Bleisteiner Rechtliche Verantwortlichkeit im Internet Rdn. 157; Engel-Flechsig/Maennel/Tettenborn NJW 1997 2984; Park GA 2001 29. 399 Verortung auf Tatbestandsebene: Spindler/Schuster/Hoffmann/Volkmann Vor §§ 7 ff TMG Rdn. 31; Valerius BeckOK Providerhaftung Rdn. 6; zu § 5 TDG a.F.: Haft/Eisele Regulierung in Datennetzen S. 61 ff. Für eine Verortung auf Rechtfertigungsebene: Zu § 9 TDG Walther LK11, Vor § 13 Rdn. 151; zu § 5 TDG a.F. Popp Die strafrechtliche Verantwortung von Internet-Providern S. 94, 97. Für eine Einordnung als Schuldausschließungsgrund: Zu § 5 TDG a.F. LG München I NJW 2000 S. 1051 f. 400 Haft/Eisele JuS 2001 117 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7a; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 72. 401 BT-Drucks. 14/6098 S. 23. 402 BT-Drucks. 14/6098 S. 23. 403 BT-Drucks. 13/7385 S. 20 f.; Haft/Eisele JuS 2001 117; Hilgendorf/Valerius Computer- und Internetstrafrecht Rdn. 215 ff.; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 78. 404 Haft/Eisele JuS 2001 116. 405 BGH MMR 2015 728; BGH NJW 2008 1883; Altenhain AfP 1998 459; Haft/Eisele JuS 2001 116. 406 BT-Drucks. 13/7385 S. 19 f; BGH MMR 2015 728, BGH MMR 2010 557. 407 So Hilgendorf/Valerius Computer- und Internetstrafrecht Rdn. 200. 408 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 80. 413
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§ 184
Verbreitung pornographischer Inhalte
eines Gästebuchs oder eines Blogs, es sei denn der Anbieter kommentiert die Informationen zustimmend.409 Entsprechend der Rspr. des EuGH soll sich der Betreiber eines Online-Marktplatzes auf die Haftungsprivilegierung nur berufen können, soweit er keine aktive Rolle übernimmt, die ihm Kenntnis über die gespeicherten Daten oder eine Kontrolle über sie ermöglicht.410 Eine aktive Rolle hat der EuGH etwa bejaht, soweit auf der Plattform der Vertrieb dadurch gefördert wird, dass die Präsentation der Verkaufsangebote optimiert oder beworben wird.411 Ein Bereithalten von Informationen ist gegeben, sofern eigene Informationen auf einem 108 eigenhändig kontrollierten Server gespeichert werden, so dass Nutzer darauf Zugriff haben.412 Ausreichend ist jedoch zugleich, dass auf fremden Datenspeichern Angebote – etwa eine Webseite beim Host-Provider – abgelegt werden, solange ein Zugriffs- oder Nutzungsrecht vorliegt und die Informationen im Ergebnis der eigenen Kontrolle unterliegen.413 Soweit es an einem Bereithalten zur Nutzung von Informationen mangelt, greift zwar § 7 TMG nicht ein. Da aber auch §§ 8 bis 10 TMG greifen, gelten gleichwohl die allgemeinen Haftungsgrundsätze.414 Mit Blick auf Hyperlinks ist fraglich, inwieweit Diensteanbieter für diejenigen Inhalte haf109 ten, auf die sich der Link bezieht. Weder die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr415 noch der deutsche Gesetzgeber haben für die Haftung bei Hyperlinks konkrete Vorgaben geschaffen.416 Dabei können Hyperlinks im Rahmen eines einzelnen Dokuments bzw. eines einheitlichen Angebots gesetzt werden (sog. Text- oder Sprungmarken) oder zur Herstellung einer Verbindung zu fremden Anbietern dienen.417 Soweit es sich im erstgenannten Fall bei den auf der Seite enthaltenen Informationen um eigene i.S.d. § 7 Abs. 1 TMG handelt, kommt eine Haftungsprivilegierung nicht in Betracht.418 Ausscheiden kann eine Privilegierung auch bei Webseiten, auf die der Anbieter mittels externer Hyperlinks verweist oder die von ihm gezielt empfohlen werden.419 Eine Haftung besteht jedoch ausschließlich für die Inhalte der unmittelbar in Bezug genommenen ersten Linkebene. Soweit ansonsten keine Auswahl- und Kontrollentscheidung getroffen wird,420 besteht keine Verantwortung. Die Auswahlentscheidung betrifft ausschließlich die zum Zeitpunkt der Einbeziehung bestehenden Inhalte und Seiten, und nicht solche, die später geändert werden, sodass maßgeblicher zeitlicher Anknüpfungspunkt der Moment der Linksetzung ist.421 Zugleich wird bei nachfolgender Änderung i.d.R. der Vorsatz
409 OLG Düsseldorf MMR 2012 119. 410 EuGH MMR 2010 320; EuGH MMR 2011 602 f. 411 EuGH MMR 2011 603. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 80 („Insgesamt werden die Haftungsprivilegierungen so deutlich eingeengt und Geschäftsmodelle mit Internetplattformen beschränkt … plausibler ist es, ein Zueigenmachen (nur) anzunehmen, wenn der Betreiber „tatsächlich und nach außen sichtbar die inhaltliche Verantwortung“ für die publizierten Inhalte übernimmt, weil er die Kontrolle hinsichtlich der Vollständigkeit und Richtigkeit der Inhalte ausübt“; mit Verweis auf BGH MMR 2015 728 sowie BGH MMR 2010 557; Hamburg MMR 2011 49; weitergehend aber LG Hamburg MMR 2010 833 (für Filme auf YouTube). 412 Altenhain AfP 1998 458 f. 413 Altenhain MK Vor §§ 7 TMG Rdn. 43; Sieber/Höfinger Handbuch Multimediarecht Teil 18.1 Rdn. 80. 414 Altenhain MK § 7 TMG Rdn. 3. 415 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt (Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr). 416 BTDrucks. 14/6098 S. 37. 417 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1134 m.w.N. 418 LG Karlsruhe MMR 2009 419. 419 Fischer Rdn. 28b; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 82; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1134. 420 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1134. 421 Haft/Eisele JuS 2001 117; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 82; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1135. aA Spindler MMR 2002 503. Nestler
414
VII. Haftungsregelungen der §§ 7 ff. TMG
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fehlen. Im Falle der nachträglich erlangten Kenntnis ist lediglich eine Haftung wegen unterlassener Löschung des Links denkbar.422 Bei Suchmaschinen wird i.d.R. kein Zueigenmachen gegeben sein, da fremde Informationen 110 typischerweise nur technisch-algorithmisch gesucht und aufgelistet, nicht aber (quasi-manuell) gezielt zusammengestellt und redaktionell bearbeitet werden.423
b) Haftungsbeschränkung für fremde Informationen aa) Haftungs des Acces- und Network Providers. Diensteanbieter sind nach § 8 Abs. 1 TMG 111 für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, unter bestimmten Voraussetzungen nicht verantwortlich. Ein Diensteanbieter haftet danach nicht, sofern dieser die Übermittlung funktionsunspezifisch424 nicht veranlasst (Nr. 1), den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt (Nr. 2) und die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert hat (Nr. 3). Nach § 8 Abs. 2 TMG umfasst die Übermittlung von Informationen nach Abs. 1 und die Vermittlung des Zugangs zu ihnen auch die automatische kurzzeitige Zwischenspeicherung dieser Informationen, soweit dies nur zur Durchführung der Übermittlung im Kommunikationsnetz geschieht und die Informationen nicht länger gespeichert werden, als für die Übermittlung üblicherweise erforderlich ist. Die Haftungsbeschränkung des § 8 TMG basiert insoweit auf der Erwägung, den sog. Ac- 112 cess-Provider nicht mit einer in technischer Hinsicht kaum zu realisierenden Kontrollpflicht in Bezug auf die durch seine Einrichtungen laufenden Datenmassen zu behindern.425 Das Privileg des § 8 Abs. 1 S. 1 TMG erfasst auch Unternehmen, Universitäten, Schulen, Bibliotheken und sog. Internet-Cafés, die ihren Mitarbeitern, Studenten, Schülern etc. Zugang zum Internet vermitteln, ob mittels LAN oder WLAN. Durch § 8 Abs. 3 TMG, eingefügt durch Gesetz v. 21.7.2016,426 hat der Gesetzgeber dies gerade für WLAN-Providing (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2a TMG) ausdrücklich klarstellt.427 Die Privilegierung nach § 8 TMG erfasst etwa Anbieter von Peer-to-Peer-Systemen sowie Anbieter von E-Mail-Verteilerlisten, soweit diese nicht moderiert sind.428 § 8 Abs. 1 S. 3 TMG enthält schließlich einen Ausschlusstatbestand mit Blick auf ein kollusi- 113 ves Zusammenwirken von Diensteanbieter und Nutzer zur Begehung rechtswidriger Handlungen. Aus einem Umkehrschluss zu § 8 Abs. 1 S. 3 TMG folgt, dass die schlichte Kenntnis von rechtswidrigen fremden Informationen als solchen ohne Zusammenwirken die Haftungsbeschränkung nicht entfallen lässt.429
bb) „Cache-Privileg“ gem. § 9 TMG. Nach § 9 Abs. 1 TMG sind Diensteanbieter für eine auto- 114 matische, zeitlich begrenzte Zwischenspeicherung, die allein dem Zweck dient, die Übermittlung fremder Informationen an andere Nutzer auf deren Anfrage effizienter zu gestalten, unter bestimmten Voraussetzungen nicht verantwortlich. Damit enthält § 9 TMG das sog. Cache-Privileg und hat die Zwischenspeicherung von Daten im Blick, die unabhängig von dem individuellen Kommunikationsvorgang erfolgt und der beschleunigten Übermittlung von Informationen
422 423 424 425 426 427
Sch/Schröder/Eisele Rdn. 82. Unter anderem Sch/Schröder/Eisele Rdn. 82. Kudlich JA 2002 801. Fischer Rdn. 29; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 87. BGBl. 2016/I S. 1766. BT-Drucks. 18/6745 S. 10; BT-Drucks. 18/8645 S. 10; vgl. aber auch EuGH MMR 2016 760; zum Ganzen etwa Nordemann GRUR 2016 1097; zu abzugrenzenden ungesicherten WLANs von Privatpersonen vgl. Rdn. 110. 428 Spindler NJW 2002 923; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 87. 429 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 89. 415
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Verbreitung pornographischer Inhalte
über das Internet dient.430 Cache bezeichnet eine Methode, um Inhalte, die bereits einmal vorlagen, beim nächsten Zugriff schneller zur Verfügung zu stellen, oder in naher Zukunft benötigte Daten vorab vom langsamen Hintergrundmedium zu laden und bereitzuhalten.431 Die Haftungsprivilegierung folgt hier aus dem Umstand, dass die Speicherung ausschließlich dem Zweck dient, die Übermittlung der fremden Information an andere Nutzer auf deren Anfrage hin effizienter abzuwickeln.432 Die Privilegierung nach § 9 TMG gewinnt insoweit an Bedeutung, als die Diensteanbieter die 115 Informationen nicht verändern (Nr. 1), die Bedingungen für den Zugang zu den Informationen beachten (Nr. 2) und die Regeln für die Aktualisierung der Information, die in weithin anerkannten und verwendeten Industriestandards festgelegt sind, wahren (Nr. 3). Schließlich darf die erlaubte Anwendung von Technologien zur Sammlung von Daten über die Nutzung der Information, die in allgemein anerkannten und verwendeten Industriestandards festgelegt sind, nicht beeinträchtigt werden (Nr. 4) und der Diensteanbieter muss unverzüglich tätig werden, um die entsprechenden gespeicherten Informationen zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren, sobald er Kenntnis davon erhalten hat, dass die Informationen am ursprünglichen Ausgangsort der Übertragung aus dem Netz entfernt bzw. der Zugang zu ihnen gesperrt wurde oder ein Gericht respektive eine Verwaltungsbehörde die Entfernung oder Sperrung angeordnet hat (Nr. 5). § 9 S. 2 TMG verweist auf die in § 8 Abs. 1 S. 2 TMG enthaltene Kollusionsregel, die damit im Bereich des Cache-Privilegs ebenfalls Anwendung findet.
116 cc) Haftungsregelung § 10 TMG. § 10 S. 1 TMG enthält schließlich eine Haftungsprivilegierung für sog. Hosting-Provider, soweit diese fremde Informationen für Nutzer speichern, wenn sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben (Nr. 2 1. Alt.) oder unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen bzw. den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben (Nr. 2 2. Alt.). Die Haftungsbeschränkung des § 10 TMG gewinnt insoweit für Hosting-Provider an Bedeutung, als eine systematische Inhaltskontrolle der auf ihren Rechnern gespeicherten erheblichen Datenmengen weder technisch noch wirtschaftlich ernsthaft möglich ist.433 Mit der Fassung der Vorschrift hat der Gesetzgeber hinsichtlich des bei § 5 Abs. 2 TDG a.F. 117 umstrittenen Begriffs der „Kenntnis“ klargestellt, dass ein positiven Wissens um die rechtswidrige Handlung oder Information erforderlich ist.434 Notwendig ist daher zumindest die Kenntnis der genauen Fundstelle der rechtswidrigen Information aufgrund eigener Recherche oder durch fremde Hinweise.435 Nach § 10 S. 2 TMG findet die Privilegierung nicht für Diensteanbieter Anwendung, denen 118 der adressierte Nutzer untersteht oder von denen er beaufsichtigt wird. Schließlich ist die technische Möglichkeit und Zumutbarkeit erforderlich, die zwar von § 10 119 S. 1 TMG nicht länger ausdrücklich gefordert wird, von Seiten des Gesetzgebers allerdings aus dem allgemeinen Grundsatz gefolgert wird, dass technisch Unmögliches bzw. Unzumutbares nicht verlangt werden darf.436 Der Verlauf der Grenze des Zumutbaren ist insoweit eine Frage des konkreten Einzelfall sowie der Wertigkeit des gefährdeten Rechtsguts.437 Ist dem Hosting-
430 431 432 433 434 435
Fischer Rdn. 30; Spindler NJW 2002 923; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 90. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1147. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 90. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1152. BT-Drucks. 14/6098 S. 25. Hilgendorf/Valerius Computer- und Internetstrafrecht Rdn. 208; Kudlich JA 2002 801; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7a; Fischer Rdn. 31; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 85. 436 BT-Drucks. 14/6098 S. 23, S. 25. 437 BT-Drucks. 14/6098 S. 23, S. 25; Hilgendorf/Valerius Computer- und Internetstrafrecht Rdn. 209. Nestler
416
IX. Konkurrenzen
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Provider jedoch Adresse sowie Inhalt der betreffenden Webseite bekannt, wird diesem eine Sperrung oder Löschung der rechtswidrigen Information ohne weiteres möglich sein.438 § 10 S. 1 TMG bewirkt, dass in den betroffenen Fällen i.d.R. lediglich eine Strafbarkeit wegen 120 Unterlassens der Löschung bzw. Sperrung rechtswidriger Informationen denkbar ist. Solange keine positive Kenntnis des Hosting-Providers über die konkrete rechtswidrige Information vorliegt, ist auch das Einrichten sowie Betreiben des Dienstes nicht rechtswidrig. Auch nach Erlangung der Kenntnis wäre die Einstellung des gesamten Dienstes regelmäßig unzumutbar, so dass der Bereich des erlaubten Risikos nicht bereits durch die aktive Aufrechterhaltung des Diensteangebots verlassen wird.439 Es bedarf daher einer Garantenstellung des Diensteanbieters, welche jedoch angesichts des durch § 10 TMG flankierten rechtmäßigen Vorverhaltens nicht aus Ingerenz, sondern allenfalls in engen Grenzen aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultieren kann.440
VIII. Beteiligung Für die Teilnahme im Bereich des § 184 gelten die allgemeinen Grundsätze, § 28 Abs. 1 findet 121 keine Anwendung.441 Soweit auf den Gewahrsam desjenigen abgestellt wird, der die Pornografie zugänglich macht, kann Täter nur der Gewahrsamsinhaber sein.442 In Bezug auf das Herstellen i.S.d. Nr. 8 ist jeder Täter, der zur Fertigstellung beigetragen hat, sofern die dort dargestellten Voraussetzungen vorliegen.443 Straffrei ist als geschützte Person der Minderjährige, der einen anderen dazu bestimmt, 122 ihm pornografische Schriften zu überlassen.444 Straflos ist ferner die notwendige Teilnahme. Dementsprechend nimmt die h.M. an, dass auch erwachsene Konsumenten, denen eine Schrift überlassen oder angeboten wird, als notwendige Teilnehmer straffrei sind.445 Aus der Rechtsfigur der notwendigen Teilnahme ergibt sich das jedoch nicht zwangsläufig. Zudem hält Nachfrage in gleichem Maße wie Angebote einen illegalen Markt aufrecht. Es ist daher nur mit Pragmatismus und mit Blick auf die anderenfalls drohende Massenkriminalisierung vergleichsweise harmloser Handlungen zu erklären, dass das Marktgeschehen bei einfach pornografischen Inhalten nur partiell unter Strafe gestellt wird.446 Sofern ein Interessent jedoch über das Wahrnehmen einer Gelegenheit hinausgeht und z.B. einen Verkäufer zur Beschaffung von Ware auf strafbarem Weg überredet, ist er wegen Anstiftung zu bestrafen.447
IX. Konkurrenzen Bei einer Handlung nach Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 6 besteht gleichartige Idealkonkurrenz, soweit 123 mehrere Personen betroffen waren.448 Weder Nr. 3 noch Nr. 3a treten hinter Nr. 1 zurück, soweit 438 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 86. 439 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7a; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 85; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1154 m.w.N.
440 Bode ZStW 2015 972 ff; Haft/Eisele Regulierung in Datennetzen S. 67 ff. 441 Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 51; Hörnle MK Rdn. 78; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 91; aA Wolters/Greco SK Rdn. 70. 442 Hörnle MK Rdn. 78; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 91. 443 Hörnle MK Rdn. 78; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 91. 444 Fischer Rdn. 44; Hörnle MK Rdn. 79; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 91; Ziegler BeckOK Rdn. 25. 445 OLG Hamm NJW 2000 1965, 1966; LG Freiburg NStZ-RR 1998 11; Fischer Rdn. 44; Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 51; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 91; SSW/Hilgendorf Rdn. 52; Ziegler BeckOK Rdn. 25. 446 Hörnle MK Rdn. 79. 447 SSW/Hilgendorf Rdn. 52. 448 Hörnle MK Rdn. 80; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 92. 417
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Verbreitung pornographischer Inhalte
die Person, der eine Schrift angeboten oder überlassen wurde, minderjährig war. Nr. 1 verdrängt allerdings Nr. 2, soweit der Ort nur dem konkret betroffenen Minderjährigen zugänglich war,449 ebenso Nr. 6, sofern die Handlung nur gegenüber einem Minderjährigen erfolgte.450 Ist eine Filmvorführung Minderjährigen frei zugänglich, verdrängt Nr. 2 Nr. 7.451 Angesichts der möglichen Beeinträchtigung weiterer Minderjähriger durch öffentliche Handlungen ist zwischen Nr. 1 und Nr. 5 Var. 1 bzw. Nr. 7 Tateinheit gegeben,452 auch wenn der einzige Zuschauer minderjährig war. Hinter die täterschaftlich Erfüllung von Nr. 1 bis Nr. 7 treten die Vorbereitungshandlungen nach Nr. 8 zurück, soweit mit dem gesamten Bestand der Schriften nach Nr. 1 bis Nr. 7 verfahren wurde.453 Werden mehrere Varianten innerhalb desselben Einzeltatbestandes erfüllt, ist lediglich eine Tat gegeben.454
X. Verjährung 124 Die Verjährung beträgt nach § 78 Abs. 3 Nr. 5 drei Jahre. Mit Ausnahme der Nr. 5 2. Alt. handelt es sich, weil nur bestimmte Vertriebsformen betreffend und die Verbreitung nicht schlechthin untersagend, um keine Presseinhaltsdelikte mit einer nach Landesrecht kürzeren Verjährung.455
XI. Einziehung 125 Die Einziehung pornografischer Materialien richtet sich insbesondere nach § 74d Abs. 3.
449 450 451 452 453 454 455
Hörnle MK Rdn. 80; Wolters/Greco SK Rdn. 34. Hörnle MK Rdn. 80; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 80; aA Fischer Rdn. 46. Hörnle MK Rdn. 80. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 92; Hörnle MK Rdn. 80; aA für Nr. 5 Var. 1 Fischer Rdn. 46. BGH BeckRS 2009 25652; Fischer Rdn. 46; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11; Hörnle MK Rdn. 80. BGHSt 5 381, 383 ff; Hörnle MK Rdn. 80; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 92. Fischer Rdn. 45; Hörnle MK Rdn. 88; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 93.
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§ 184a Verbreitung gewalt- oder tierpornographischer Inhalte 1
Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einen pornographischen Inhalt (§ 11 Abs. 3), der Gewalttätigkeiten oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand hat, 1. verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder 2. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen. 2 In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 ist der Versuch strafbar.
Schrifttum Beisel Die Verfassungswidrigkeit des Verbots von Schriften sodomitischen Inhalts, ZUM 1996 859; Lang Sodomie und Strafrecht: Geschichte der Strafbarkeit des Geschlechtsverkehrs mit Tieren, 2009. Vgl. weiterhin das Schrifttum zu § 184.
Entstehungsgeschichte Durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.20031 wurde der Inhalt des § 184 Abs. 3 a.F.2 in § 184a verschoben. Eine sprachliche Anpassung erfolgte zum 27.1.2015 durch das 49. StrÄndG vom 21.1.2015, wobei auch die Versuchsstrafbarkeit in Satz 2 ergänzt wurde.3 Zum 1.1.20214 erhielt die Norm ihre hier kommentierte Fassung. Dabei wurde insbesondere der Schriftenbegriff durch den Begriff der Inhalte ersetzt.
Übersicht I.
Geschützes Rechtsgut
1
II. 1. 2.
Pornografische Inhalte i.S.d. § 184a 5 Gewaltpornografie (1. Alt.) 9 Tierpornografie
III.
Tathandlungen
IV.
Subjektiver Tatbestand
10
4
V.
Versuchsstrafbarkeit
VI.
Täterschaft und Teilnahme
VII. Konkurrenzen
13 14
15
VIII. Auslandsbezug und Verjährung
16
11
I. Geschützes Rechtsgut § 184a beinhaltet als abstraktes Gefährdungsdelikt Konfrontationsschutz.5 Die Norm soll nach 1 überwiegender Ansicht in ihrer 1. Alt. (Gewaltpornografie) zum einen den Kinder- und Jugendschutz im Fokus haben, da nicht auszuschließen sei, dass der Konsum solcher Inhalte zu sexuellen und psychischen Fehlentwicklungen junger Menschen führen kann.6 Zum anderen soll damit aber auch eine mögliche Gewöhnung an gewalttätige Sexualpraktiken verhindert werden, 1 2 3 4 5 6
BGBl. 2003/I S. 3007. Zur Entstehungsgeschichte § 184 Rdn. 1 ff. BGBl. 2015/I S. 10. Gesetz vom 30.11.2020, BGBl. 2020/I S. 2600. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1 f. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Hörnle MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Fischer Rdn. 2.
419 https://doi.org/10.1515/9783110490121-022
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§ 184a
Verbreitung gewalt- oder tierpornographischer Inhalte
um der Gefahr einer Nachahmung zu Lasten potentieller Sexualpartner zu begegnen.7 Gerade die Darstellung von Vergewaltigungen und Misshandlungen könne sich auf die Orientierung junger Menschen auswirken und weise damit im Vergleich zur einfachen Pornografie ein ausgeprägtes Schadenspotential auf.8 Dementsprechend gelten auch die Privilegierungen des § 184 Abs. 2 für § 184a nicht. Mag dieser negative Lerneffekt für junge Menschen noch einleuchten, so erscheint es doch fraglich, weshalb selbst das vollkommen einvernehmliche Anfertigen gewaltpornografischer Inhalte durch Erwachsene, mit dem Ziel, diese innerhalb der Szene z.B. in Tauschbörsen an „Gleichgesinnte“ weiterzugeben, von der Norm erfasst wird, während die betreffenden Handlungen als solche in den Grenzen des § 228 legal sind (vgl. auch Rdn. 7). Hierfür lässt sich jedenfalls nicht mehr auf den Jugendschutz verweisen und selbst ein allgemeiner Konfrontationsschutz Erwachsener davor, ggf. verstörende Inhalte betrachten zu müssen, trägt die Reichweite der Norm nicht. Allenfalls die aggressionsfördernde Wirkung und mögliche Nachahmungseffekte zum Nachteil potentieller Sexualpartner lassen sich mit dem Ziel einer Verhinderung von Taten nach § 177 f. sowie von Gewaltkriminalität im Allgemeinen9 fruchtbar machen. 2 Die 2. Alt. (Tierpornografie) geht dagegen von pornografischen Inhalten aus, die sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben. Anders als bei der 1. Alt. liegen hier die Gewöhnungs- oder Nachahmungseffekte eher fern.10 Darüber hinaus kann der Kinderoder Jugendschutz nur schwerlich als Schutzgut herhalten, da keine fundierten Erkenntnisse darüber existieren, ob und inwieweit der Konsum von Tierpornografie negativen Einfluss auf die Entwicklung Jugendlicher hat.11 Manche diskutieren zwar, ob der Darstellerschutz vor Verletzungen der Menschenwürde im Vordergrund stehen kann, lehnen dies aber mangels zureichender Anhaltspunkte im Normtext ab.12 Im Ergebnis wird man hier lediglich von der Sanktionierung eines unmoralischen Verhaltens ausgehen müssen, da sexuelle Handlungen mit Tieren an sich gerade nicht strafbar, sondern bloß Ordnungswidrigkeiten nach §§ 18 Abs. 1 Nr. 4, 3 S. 1 Nr. 13 TierSchG sind und die Alt. 2 daher auch nicht dem Tierschutz dienen kann.13 Im Hinblick darauf sprach sich auch die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der Reformkommission für eine Streichung der Tatalternative des Verbreitens tierpornografischer Inhalte, nicht aber für eine Streichung der Tatalternative des Verbreitens gewaltpornografischer Inhalte aus.14 Unabhängig von der Rechtsgutsdebatte bestehen, u.a. unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, ernsthafte Zweifel an der Existenzberechtigung der 2. Alt. Eine Eignung des Verbots, einen unerwünschten Nachahmungseffekt zu verhindern, ist – ebenso wie dieser Effekt selbst – weder belegt noch sonstwie erkennbar. Wünschenswert mag zwar eine Stärkung des Tierschutzaspekts 7 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1054; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Hörnle MK Rdn. 1; vgl. auch BMJV Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht 2017 S. 243; nach Greco RW 2011 275, 296 sowie Wolters/Greco SK Rdn. 2 soll beim Dokumentieren einer realen Vergewaltigung oder eines anderen realen sexuellen Übergriffs auch der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und die Menschenwürde des abgebildeten Opfers mit umfasst sein. Nicht erfasst sei jedoch der Darstellerschutz, so Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1. 8 Hörnle MK Rdn. 1 unter Verweis auf empirische Studien zur Wirkung von gewalttätiger Pornografie. Krit. zur jugendschützenden Funktion Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2. 9 So jedenfalls Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2. 10 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1055; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1a; ähnlich Hörnle MK Rdn. 2; Matt/ Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4; Schroeder NJW 1993 2581, 2583. 11 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1a; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1055; Fischer Rdn. 2. 12 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4. 13 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1055; Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1a; Sick/Renzikowksi FS Schroeder (2006) 603, 616; Wolters/Greco SK Rdn. 2; anders Hörnle MK Rdn. 2, die aufgrund der Erweiterung des TierSchG im Jahr 2013, gemeint ist § 3 S. 1 Nr. 13 TierSchG, auf den Tierschutz verweist und vor dieser Änderung gar die Streichung der Norm gefordert hatte (Hörnle Grob anstößiges Verhalten, S. 431); für Verfassungswidrigkeit Beisel 1996, S. 859 ff. 14 BMJV Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht 2017 S. 242; ähnlich Fischer Rdn. 4. Nestler
420
II. Pornografische Inhalte i.S.d. § 184a
§ 184a
sein, jedoch ist angesichts der geringen Fallzahlen im Bereich des § 184a15 nicht ersichtlich, inwiefern dieses Ziel gerade über ein Verbreitungsverbot für Tierpornografie erreicht werden sollte. Insofern lässt sich auch hierfür bereits an der Eignung des Verbots zweifeln. Soweit die Handlungsformen des § 184a denen des § 184 entsprechen, handelt es sich um 3 eine Qualifikation; i.Ü. stellt die Norm einen eigenständigen Straftatbestand dar.16
II. Pornografische Inhalte i.S.d. § 184a Der Pornografiebegriff des § 184 gilt auch für § 184a.17 Der höhere Strafrahmen des § 184a wird 4 allein durch den besonderen Charakter der Inhalte begründet.18 Das bedeutet, dass sich der in § 184a bezeichnete Inhalt gerade in den dargestellten sexuellen Verhaltensweisen widerspiegeln muss. Handelt es sich dabei jedoch um Verhaltensweisen, die nicht den in § 184a umschriebenen Charakter aufweisen, können diese allein von § 184 oder gegebenenfalls von § 131 erfasst werden.19 Eine Abgrenzung zwischen § 184 und § 184a kann sich im Einzelfall schwierig gestalten, insbesondere soweit es um Gewaltpornografie geht. Sie ist nach dem Sinngehalt der Darstellung vorzunehmen, wobei es auf den inhaltlichen Zusammenhang ankommt.20 § 184a betrifft Inhalte i.S.d. § 11 Abs. 3.21
1. Gewaltpornografie (1. Alt.) Von der Gewaltpornografie werden Inhalte umfasst, die Darstellungen von Gewalttätigkeiten 5 zum Gegenstand haben. Irrelevant ist dabei jedoch, ob es sich um ein reales oder ein fiktives (bspw. Zeichnungen, Comics, Erzählungen usw.) Geschehen handelt.22 Gewalttätigkeiten setzen ein aggressives, aktives Tun voraus, durch das unter Einsatz physischer Kraft unmittelbar oder mittelbar auf den Körper eines Menschen in einer dessen körperliche oder seelische Unversehrtheit beeinträchtigenden oder konkret gefährdenden Weise eingewirkt wird.23 Zwar gibt es hier eine gewisse Parallele zur Definition der „Gewalt gegen eine Person“, nämlich den Einsatz physischer Kraft, die sich gegen den Körper eines Menschen richtet. Im Gegensatz zur „Gewalt gegen eine Person“ soll nach wohl h.M. aber die Einwirkungsintensität im Rahmen des § 184a höher, der Begriff der Gewalttätigkeit also enger sein.24 Demnach bedarf es einer aggressiven Handlung, die die körperliche oder seelische Unversehrtheit des Opfers zumindest konkret gefährdet. Ob davon auch Bedrohungen erfasst werden, ist umstr. Der BGH verneint dies jedenfalls bei Bedrohungen, die nicht mit einer gleichzeitigen oder künftigen Gewaltanwendung verbun-
15 Die PKS 2021 weist lediglich 384 Fälle aus. 16 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 6. 17 Fischer Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1056; zum Pornografiebegriff des § 184 siehe die Kommentierung zu § 184 Rdn. 15 ff. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1056; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; Fischer Rdn. 3. Fischer Rdn. 3. Fischer Rdn. 3 (mit Beispielen); ferner Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 7. Siehe die Kommentierung zu § 184 Rdn. 24 ff. BGH NStZ 2000 307, 309; Hörnle MK Rdn. 7; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1057; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 12 (Eindruck der Echtheit nicht erforderlich); Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Fischer Rdn. 5; kritisch Greco RW 2011 275, 296 f. 23 BGH NJW 1980 65, 66; OLG Köln NJW 1981 1458, 1458; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Hörnle MK Rdn. 5. 24 Grundlegend dazu BVerfGE 92 1 ff. Siehe ferner Fischer Rdn. 5; Hörnle MK Rdn. 5; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 10.
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Nestler
§ 184a
Verbreitung gewalt- oder tierpornographischer Inhalte
den sind.25 Dagegen will das BVerfG auch mittelbare Einwirkungen ausreichen lassen, die nur die seelische Unversehrtheit konkret gefährden, womit auch eine massive Bedrohung erfasst werden soll.26 Dies schafft erhebliche Abgrenzungsprobleme und wirft die Fragen nach einer Verwässerung des Gewaltbegriffs und einer Rechtfertigung des Strafrahmens des § 184a StGB auf. 6 Zwischen der Gewalttätigkeit und den sexuellen Handlungen muss ein Zusammenhang bestehen, d.h. die Gewalttätigkeit muss mit diesen verbunden sein oder gerade ihrer Durchführung dienen.27 Beispielhaft können hier Vergewaltigungen, Sexualmorde, sexuelle Nötigungen, sexualbezogene Folter, sadistische Handlungen oder auch sonstige Verletzungen der körperlichen Integrität genannt werden.28 Resultiert der sexuelle Bezug dagegen allein aus der Fantasie des Täters oder tauchen Gewalttätigkeiten auf, die im Handlungsablauf von einfach-pornografischen Elementen isoliert sind, reicht dies nicht aus.29 Anders verhält es sich bei rein fingierten Handlungen,30 da diese ebenfalls eine Gefahr von Gewöhnungs- oder Nachahmungsaffekte in sich bergen und damit nach wohl h.M. gleichermaßen das Schutzgut gefährden. Daher wird auch die Suggestion, dass das Opfer die aufgezwungene Gewalttätigkeit als angenehm empfinde, von § 184a erfasst, da hier massive Formen der Gewalt noch viel stärker verharmlost oder verherrlicht werden.31 Sind die Gewalttätigkeiten allerdings durch Übersteigerungen, Situationskomik oder andere Stilmittel so verfremdet, dass sie nicht mehr als aggressive Handlungen empfunden werden, so fehlt es am Tatbestand. 7 Selbst ein einvernehmliches Handeln der betroffenen Person vermag nach umstr. aber wohl h.M. den Tatbestand nicht auszuschließen.32 Diese zweifelhafte Auffassung hat das Nachahmungsrisiko im Blick, ohne dabei zu berücksichtigen, dass nachahmendes Verhalten ohne die Verfilmung in den Grenzen des § 228 StGB straflos ist.33 Halten lässt sich die h.M. allenfalls mit Blick auf das (ebenfalls umstr.) geschützte Rechtsgut (Rdn. 1), das jedenfalls kein Individualrechtsgut des betreffenden Darstellers ist und daher nicht zu Disposition des jeweiligen Sexualpartners steht. Bei dem Objekt der Einwirkung muss es sich um einen lebenden Menschen handeln, sodass 8 menschenähnliche Wesen sowie Puppen oder animierte Figuren nicht ausreichen.34 Nach dem Sinn der Regelung müssen allerdings nicht nur gegen andere Menschen, sondern auch gegen den eigenen Körper gerichtete Gewalthandlungen erfasst sein (Selbstverstümmelung).35
25 BGH NJW 1980 65, 66; BGH NStZ 2000 307, 309; OLG Köln NJW 1981 1458, 1459; auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Ziegler BeckOK Rdn. 4; anders OLG GA 1977 246. 26 BVerfGE 87 209, 227 (zu § 131 Abs. 1 und im Zusammenhang der Frage nach der hinreichenden Bestimmtheit iSv. Art. 103 Abs. 2 GG des Begriffs „Gewalttätigkeit“). 27 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1059; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3a; Hörnle MK Rdn. 6; Ziegler BeckOK Rdn. 4. 28 BGHSt. 50 91; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3a; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1059. 29 Hörnle MK Rdn. 6. 30 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1058; Ziegler BeckOK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Hörnle MK Rdn. 7. 31 Vgl. Hörnle MK Rdn. 8. 32 BGH NStZ 2000 307, 309; OLG Köln NJW 1981 1458, 1458; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3a; Fischer Rdn. 6; differenzierend Hörnle MK Rdn. 9; Wolters/Greco SK Rdn. 3. Anders Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 10 mit Blick auf den Schutzzweck, allerdings unter Verweis auf Greco RW 2011 275, 297. 33 In diese Richtung auch Hörnle MK Rdn. 9. 34 BGH NStZ 2000 307 f; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1058; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; aA Hörnle MK Rdn. 7, allerdings mit Verweis auf BGH NStZ 2000 307, 309, der nach hiesiger Interpretation jedenfalls bzgl. § 131 gerade der hier vertretenen Gegenauffassung folgt (Analogieverbot steht der Einbeziehung „menschähnlicher Weisen auf der Opferseite“ entgegen). 35 Fischer Rdn. 4; Hörnle MK Rdn. 9; Wolters/Greco SK Rdn. 3; Greco RW 2011 275, 297. Nestler
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IV. Subjektiver Tatbestand
§ 184a
2. Tierpornografie Die Tierpornografie oder auch Sodomiepornografie betrifft sexuelle Handlungen von (leben- 9 den36) Menschen mit oder an lebenden oder toten37 Tieren. Davon sind Darstellungen umfasst, bei denen es zu einem körperlichen Kontakt zwischen Mensch und Tier kommt,38 gleichgültig, ob es sich um ein reales oder fiktives Geschehen handelt.39 Keine Rolle spielen dabei auch das Geschlecht und das Alter der beteiligten Personen40 sowie Beischlafsähnlichkeit der Situation.41 Die Handlungen müssen nur als Ausübung menschlicher Sexualität erscheinen.42
III. Tathandlungen Als Tathandlungen kommen nach Nr. 1 das Verbreiten und der Öffentlichkeit Zugänglichmachen 10 sowie nach Nr. 2 gewisse Vorbereitungshandlungen zu diesen Verhaltensweisen, nämlich das Herstellen, das Beziehen, das Liefern, das Vorrätighalten, das Anbieten, das Bewerben oder das Unternehmen, die Inhalte ein- oder auszuführen, um sie i.S.d. Nr. 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen. Die Tathandlungen entsprechen weitgehend denjenigen des § 184 (insbesondere Nr. 8).43 Vgl. i.Ü. die Kommentierung zu § 184b.
IV. Subjektiver Tatbestand § 184a setzt mindestens bedingten Vorsatz voraus, der sich insbesondere auf den gewalt- oder 11 tierpornografischen Charakter der Inhalte beziehen muss.44 Hierbei muss der Täter aufgrund laienhafter Parallelwertung den wesentlichen Bedeutungsinhalt des Geschehens bzw. des pornografischen Materials erfassen. Fehlt dem Täter dieser Vorsatz, kommt lediglich eine Strafbarkeit nach § 184 in Betracht.45 S. 1 Nr. 2 verlangt zudem ein Handeln in der Absicht, den pornografischen Inhalt i.S.d. Nr. 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen.46 Die Fehlvorstellung, es handle sich um gewalt- oder tierpornografische Inhalte, führt ggf. 12 zu einer Strafbarkeit nach §§ 184a S. 1 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 bzw. allenfalls zu einer Strafbarkeit nach § 184, da für § 184a S. 1 Nr. 2 keine Versuchsstrafbarkeit normiert ist.47
36 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 16. 37 Wolters/Greco SK Rdn. 4; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1061; Fischer Rdn. 8; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Hörnle MK Rdn. 10.
38 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1061; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 15; Wolters/Greco SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Ziegler BeckOK Rdn. 4; Fischer Rdn. 4; nach Hörnle MK Rdn. 10 muss sich der Körperkontakt auf den Intimbereich von Mensch und/oder Tier erstrecken. 39 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. 40 Wolters/Greco SK Rdn. 4. 41 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1061; Wolters/Greco SK Rdn. 4; Fischer Rdn. 4. 42 Ziegler BeckOK Rdn. 4; Fischer Rdn. 4. 43 Siehe die Kommentierung zu § 184, dort Rdn. 87 (Herstellen), Rdn. 88 (Beziehen), Rdn. 89 (Liefern), Rdn. 90 (Vorrätighalten), Rdn. 91 (Unternehmen der Ein- oder Ausfuhr). 44 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Ziegler BeckOK Rdn. 7; Hörnle MK Rdn. 13; Fischer Rdn. 10. 45 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Fischer Rdn. 10. 46 Hörnle MK Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Ziegler BeckOK Rdn. 7; Fischer Rdn. 10. 47 Fischer Rdn. 10; Ziegler BeckOK Rdn. 7. 423
Nestler
§ 184a
Verbreitung gewalt- oder tierpornographischer Inhalte
V. Versuchsstrafbarkeit 13 Der Versuch ist nur in den Fällen des S. 1 Nr. 1 strafbar. Da die Verhaltensweisen der Nr. 2 Vorbereitungshandlungen darstellen, läge eine Versuchsstrafbarkeit zu weit im Vorfeld strafrechtlich relevanten Unrechts. Umgekehrt entstünden ohne die in S. 2 normierte Versuchsstrafbarkeit für Fälle des S. 1 Nr. 1 Wertungswidersprüche zu Nr. 2.48
VI. Täterschaft und Teilnahme 14 Für Täter und Teilnehmer gelten die allgemeinen Regeln. Der Abnehmer der Inhalte ist als notwendiger Teilnehmer straflos, kann aber bei Vorliegen eines Verbreitungsvorsatzes den Tatbestand (des S. 1 Nr. 2) als Täter erfüllen.49 Abs. 1 Nr. 2 stuft eigentliche Beihilfehandlungen zu selbstständigen Delikten herauf.50 Ein Ausschluss nach §§ 7 ff. TMG scheidet für Gewalt- und Tierpornografie aus.
VII. Konkurrenzen 15 Tateinheit mit § 131 ist möglich.51 § 184a ist gegenüber § 184 Abs. 1 mit Ausnahme der Nrn. 1 und 6 lex specialis.52 Werden vom Täter mehrere Varianten innerhalb des S. 1 Nr. 1 erfüllt, liegt nur eine Tat vor.53 Genauso sind mehrere vorbereitende Handlungen nach S. 1 Nr. 2 nur eine einzige Straftat.54 § 184b verdrängt § 184a, soweit kinderpornografische Inhalte zugleich solche nach § 184a sind; Tateinheit ist aber möglich soweit sich die Tat auf Inhalte jeweils nach § 184a und § 184b bezieht.55
VIII. Auslandsbezug und Verjährung 16 Es gilt der Weltrechtsgrundsatz nach § 6 Nr. 6. Damit ist das deutsche Strafrecht nicht nur für Inlandstaten, sondern unabhängig vom Recht am Tatort auch auf Auslandstaten anzuwenden. Dennoch geht die Rspr. davon aus, dass aus völkerrechtlichen Gründen ein legitimierender Anknüpfungspunkt (genuine link) erforderlich ist, der einen Bezug zum Inland herstellt.56 Als Beispiel lässt man hier allerdings ein Verbreiten über das Internet, durch Fernseh- oder Hörfunksender ausreichen, bei denen als Anknüpfungspunkt auf die bloße Zugangs- oder Empfangsmöglichkeit in Deutschland abgestellt wird.57 Die Verjährungsfrist beträgt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 fünf Jahre. Die absoluten Verbreitungs17 verbote in § 184a Nr. 1 sind Presseinhaltsdelikte.58 Ein solches Delikt liegt vor, wenn die Verbreitung eines Druckwerks schlechthin verboten ist. Für Presseinhaltsdelikte gelten jedoch nach 48 BTDrucks. 18/2601 S. 25, 27; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Fischer Rdn. 11; krit. Wolters/Greco SK Rdn. 11. Ziegler BeckOK Rdn. 8; Wolters/Greco SK Rdn. 11. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 25. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Hörnle MK Rdn. 15. Fischer Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Hörnle MK Rdn. 15. Siehe zudem oben Rdn. 4. Hörnle MK Rdn. 15. BGHSt 5 381; Ziegler BeckOK Rdn. 9. Ziegler BeckOK Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Fischer Rdn. 13. BGHSt 27 30; BGHSt 34 334; BGH NStZ 1994 232, 233; BGH NStZ 1999 236; BGH NStZ 1999 396, 397; ferner Hörnle MK Rdn. 16; so auch schon Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 17 in der Vorauflage. 57 Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 17 in der Vorauflage. 58 BGHSt 45 41, 43; BGH NJW 1977 1695; Hörnle MK Rdn. 18; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9.
49 50 51 52 53 54 55 56
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VIII. Auslandsbezug und Verjährung
§ 184a
den meisten Pressegesetzen abgekürzte Verjährungsfristen.59 In vielen Landespressegesetzen sind gleichwohl Ausnahmeklauseln für Gewaltpornografie enthalten, sodass sich die Verjährung allein nach § 78 richtet.60
59 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Hörnle MK Rdn. 18. 60 Hörnle MK Rdn. 18; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Ziegler BeckOK Rdn. 12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. 425
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§ 184b Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte (1)
(2)
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(7)
1
Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. einen kinderpornographischen Inhalt verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht; kinderpornographisch ist ein pornographischer Inhalt (§ 11 Absatz 3), wenn er zum Gegenstand hat: a) sexuelle Handlungen von, an oder vor einer Person unter vierzehn Jahren (Kind), b) die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder c) die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes, 2. es unternimmt, einer anderen Person einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zugänglich zu machen oder den Besitz daran zu verschaffen, 3. einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, herstellt oder 4. einen kinderpornographischen Inhalt herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 oder der Nummer 2 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, soweit die Tat nicht nach Nummer 3 mit Strafe bedroht ist. 2 Gibt der kinderpornographische Inhalt in den Fällen von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 4 kein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und gibt der Inhalt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Wer es unternimmt, einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen oder wer einen solchen Inhalt besitzt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 Nummer 1 strafbar. Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 3 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung von Folgendem dienen: 1. staatlichen Aufgaben, 2. Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle ergeben, oder 3. dienstlichen oder beruflichen Pflichten. Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 und Satz 2 gilt nicht für dienstliche Handlungen im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, wenn 1. die Handlung sich auf einen kinderpornographischen Inhalt bezieht, der kein tatsächliches Geschehen wiedergibt und auch nicht unter Verwendung einer Bildaufnahme eines Kindes oder Jugendlichen hergestellt worden ist, und 2. die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 1 Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 oder 3 oder Absatz 3 bezieht, werden eingezogen. 2§ 74a ist anzuwenden.
Nestler https://doi.org/10.1515/9783110490121-023
426
Entstehungsgeschichte
§ 184b
Schrifttum Baier Die Bekämpfung der Kinderpornografie auf der Ebene von Europäischer Union und Europarat, ZUM 2004 39 ff; Baumann Besitz an Daten, § 184b Abs. 4 StGB im Lichte neuer Medien (2015); Bock/Harrendorf Strafbarkeit und Strafwürdigkeit tatvorbereitender computervermittelnder Kommunikation, ZStW 126 (2014) 337; Böse Die Europäisierung der Strafvorschriften gegen Kinderpornografie, Festschrift Schroeder (2006) 751; Bussweiler Sexueller Kindesmissbrauch und Kinderpornografie – alles Verbrecher? ZRP 2021 84; Eckstein Besitz als Straftat (2001); ders. Grundlagen und aktuelle Probleme der Besitzdelikte – EDV, EU, Strafrechtsänderungsgesetze, Konkurrenzen, ZStW 117 (2005) 107; Eisele/Franosch Posing und der Begriff der Kinderpornografie in § 184b StGB nach dem 49. Strafrechtsänderungsgesetz, ZIS 2016 519; Frühsorger Der Straftatbestand des sexuellen Kindesmissbrauchs gemäß § 176 StGB (2011); Gercke Die EU Richtlinie zur Bekämpfung von Kinderpornografie, CR 2012 520; ders. Lex Edathy? Der Regierungsentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts, CR 2014 687; ders. Die Entwicklung des Internetstrafrechts 2019/2020, ZUM 2020 948; Gropp Besitzdelikte und periphere Beteiligung, Zur Strafbarkeit der Beteiligung an Musiktauschbörsen und des Besitzes von Kinderpornografie, Festschrift Otto (2007) 249; Harms Ist das „bloße“ Anschauen von kinderpornographischen Bildern im Internet nach geltendem Recht strafbar? NStZ 2003 646; Haustein Europarechtliche Bezüge des Kinder- und Jugendpornografiestrafrechts, ZIS 2014 348; Heinrich Neue Medien und klassisches Strafrecht – § 184b IV StGB im Lichte der Internetdelinquenz, NStZ 2005 361; ders. Beiträge zum Medienstrafrecht, ZJS 2016 297, 569, 698; Hopf/Braml Virtuelle Kinderpornographie vor dem Hintergrund des Online-Spiels Second Life, ZUM 2007 354 ff; Hörnle Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie, NJW 2008 3521; dies. Straf- und disziplinarrechtliche Konsequenzen von Verurteilungen wegen Kinderpornografie, Festschrift Streng (2017) 35 ff; König Kinderpornografie im Internet (2004); Krause Kinderpornografie im Internet, MMR 2016 665; Kreutz Der Fall Tauss oder: Wie weit darf ein Abgeordneter bei Recherchen gehen? DÖV 2010 599; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten (2012); Matzky Kinderpornografie im Internet, ZRP 2003 167; Mitsch Fehlvorstellungen über das Alter der Darsteller bei Kinder- und Jugendpornografie, §§ 184b, c StGB, ZStW 124 (2012) 323; Palm Kinder- und Jugendpornographie (2012); Popp Strafbarer Bezug von kinder- und jugendpornografischen „Schriften“, Zeit für einen Paradigmenwechsel im Jugendschutzstrafrecht, ZIS 2011 193; Reinbacher/Wincierz Kritische Würdigung des Gesetzentwurfs zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendpornografie, ZRP 2007 195; Ritlewski Virtuelle Kinderpornografie in Second Life, K&R 2008 94; Röder Nach der letzten Änderung des § 184b StGB: Ist das Verbreiten sog. „Posing“-Fotos weiterhin straflos? NStZ 2010 113; Rückert/Goger Neue Waffe im Kampf gegen Kinderpornografie im Darknet, MMR 2020 373; Scheffler Zur Strafbarkeit des Betrachtens kinderpornografischer Internet-Seiten auf dem PC, Festschrift Herzberg (2008) 627; Schroeder Besitz als Straftat, ZIS 2007 444; ders. Gesetzestechnische Mängel im Gesetz zur Umsetzung des EURahmenbeschlusses zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie, GA 2009 213; Schumann Verbreitungsverbot für Nabokovs „Lolita“? ZIS 2015 234; Soiné Verdeckte Ermittler als Instrument zur Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet, NStZ 2003 225; Stolzenwald Besitz von Kinderpornografie, NK 2010 56; Wüstenberg Strafrechtliche Änderungen betreffend pornografische Schriften mit Kindern und Jugendlichen in Deutschland, UFITA 2009 497; ders. Zum Vorsatz bei digitalen Besitzstraftaten, StraFo 2009 233; Ziemann/Ziethen Die neue EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie, ZRP 2012 168 ff. Siehe weiter das Schrifttum zu § 184.
Entstehungsgeschichte Aus dem Kanon der Pornografietatbestände hat § 184b die bewegteste Vergangenheit. Die geltende Fassung erhielt die Vorschrift zum 1.7.2021 durch Gesetz vom 16.6.2021.1 Bereits zum 1.1.2021 war die Norm im Zuge der Modernisierung des Schriftenbegriffs neu gefasst worden.2 Davor war zum 13.3.20203 mit dem 57. StrÄndG in Abs. 5 S. 2 a.F., nunmehr Abs. 64 der Vorschrift, für Ermittlungsbehörden die Möglichkeit geschaffen worden, digital erstelltes kinderpornografisches Material in Foren für sog. Keuschheitsproben einzusetzen (siehe dazu Rdn. 53 ff). Darüber hinaus wurde zum 1.7.2021 Abs. 1 und Abs. 3 zu einem Verbrechen heraufgestuft, soweit es sich um Realpornografie handelt, mit einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren.5 Für Kinderpornografie, die kein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, enthält Abs. 1 S. 2 weiterhin einen Strafrahmen von drei Monaten bis
1 2 3 4 5
Art. 1 des Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, BGBl. 2021/I S. 1810 ff. Gesetz vom 30.11.2020, BGBl. 2020/I S. 2600. Gesetz vom 3.3.2020, BGBl. 2020/I S. 431. BGBl. 2020/I S. 1810. Vgl. dazu die Initiativen von CDU/CSU und SPD BR-Drucks. 634/20 S. 4 f; BT-Drucks. 19/23707 S. 8. Krit. dazu Bussweiler ZRP 2021 84, 86.
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Nestler
§ 184b
Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte
zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Auch für Fälle banden- oder gewerbsmäßiger Tatbegehung nach Abs. 2 wurde der Strafrahmen auf nicht unter zwei Jahre heraufgesetzt. Insgesamt gab es seit der Überführung in einen eigenständigen Straftatbestand im Jahr 2003 weitere sechs Änderungen an der Vorschrift.6 Die Norm als solche geht zurück auf das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und anderer Vorschriften vom 27.12.2003.7 Ziel des Gesetzgebers war es, die Bekämpfung der Kinderpornografie in eigenständigen, d.h. von anderen Formen der Pornographie losgelösten Strafvorschriften zu regeln.8 Mit § 184b ging bereits damals eine Anhebung des Strafrahmens einher. Der Rahmenbeschluss 2004/68/JI der Europäischen Union vom 22.12.2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie9 erforderte die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Strafvorschriften gegen Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften auf sexuelle Handlungen von Jugendlichen (d.h. Personen zwischen vierzehn und siebzehn Jahren). Dies geschah durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses vom 31.10.2008.10 Durch dieses Gesetz wurde § 184c abgespalten.11 Vgl. zur Entstehungsgeschichte i.Ü. die Entstehungsgeschichte bei § 184.12
Übersicht I.
Struktur und geschütztes Rechtsgut und krimi1 nalpolitische Bedeutung
II. 1. 2.
Kinderpornografische Inhalte i.S.d. § 184b 3 Pornografische Inhalte 7 Kind
III. 1.
Abs. 1 Nr. 1 Gegenstand der Inhalte nach Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. a) Sexuelle Handlungen nach Abs. 1 Nr. 1 11 2. Hs. lit. a b) Geschlechtsbetonte Körperhaltung nach 13 Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. b c) Sexuell aufreizende Wiedergabe nach 17 Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. c 20 Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 1
2.
IX. 1.
2.
23 Abs. 1 Nr. 2 Gegenstand der Inhalte nach Abs. 1 24 Nr. 2 26 Tathandlungen des Abs. 1 Nr. 2
V.
Abs. 1 Nr. 3
1. 2.
2. IV. 1.
VI. 1.
Gegenstand der Inhalte nach Abs. 1 29 Nr. 3 Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 3
30
Abs. 1 Nr. 4 Gegenstand der Inhalte nach Abs. 1 31 Nr. 4 Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 4
32
VII. Qualifikation nach Abs. 2
33
35 VIII. Abs. 3 37 1. Abrufen, Abs. 3 Var. 1 2. Sichverschaffen des Besitzes, Abs. 3 40 Var. 2 42 3. Besitzen, Abs. 3 Var. 3 Tatbestandsausschluss nach Abs. 5 und Abs. 6 47 Erfasste Bereiche nach Abs. 5 48 a) Staatliche Aufgaben, Abs. 5 Nr. 1
6 Vgl. nur das Gesetz vom 27.12.2003, BGBl. 2003/I S. 3007. Zu den Änderungen der Vorschrift BGBl. 2008/I S. 2149; BGBl. 2015/I S. 10; BGBl. 2017/I S. 872; BGBl. 2020/I S. 431; BGBl. 2020/I S. 2600; BGBl. 2021/I S. 1810. Zu den Änderungen auch SSW/Hilgendorf Rdn. 4 ff. 7 BGBl. 2003/I S. 3007. Zur Gesetzgebungsgeschichte im Einzelnen Amelung/Funcke-Auffermann StraFo 2004 114. 8 BT-Drucks. 15/350 S. 19. 9 ABl. EU L13 vom 20.1.2004, S. 44. Zur Umsetzung Hörnle NJW 2008 3521 ff; Wüstenberg UFITA 2009 497 ff. Vgl. dazu auch Baier ZUM 2004 39 ff. 10 BGBl. 2008/I S. 2149. 11 Die Probleme zum früheren Recht haben sich damit erledigt; vgl. dazu noch BGHSt 45 41; Renzikowski NStZ 2000 28. Zur Abspaltung von § 184c StGB auch Stolzenwald NK 2010 56 ff. 12 Zur späteren Umsetzung Richtlinie 2011/93/EU vom 13.12.2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates (ABlEU Nr. L 335 v. 17.12.2011 S. 1, korrigiert durch ABlEU Nr. L 18 v. 21.1.2012 S. 7) vgl. Gercke CR 2012 520 ff; Ziemann/Ziethen ZRP 2012 168 ff. Nestler
428
§ 184b
II. Kinderpornografische Inhalte i.S.d. § 184b
b)
2.
Vereinbarungen mit einer zuständigen 49 staatlichen Stelle, Abs. 5 Nr. 2 c) Dienstliche oder berufliche Pflichten, 50 Abs. 5 Nr. 3 53 Ausschlusstatbestand des Abs. 6
X.
Subjektiver Tatbestand
57
XI.
Versuchsstrafbarkeit, Abs. 4 60
XII. Einziehung, Abs. 7 XIII. Verjährung XIV. Konkurrenzen
59
61 62
I. Struktur und geschütztes Rechtsgut und kriminalpolitische Bedeutung Das abstrakte Gefährdungsdelikt dient zunächst, wie §§ 184, 184a, dem Kinder- und Jugend- 1 schutz.13 Darüber hinaus dient die Norm dem Schutz von Kindern, die Darsteller in kinderpornografischen Schriften sind und dabei sexuell missbraucht werden.14 Dahinter steht die Idee, mit umfassenden Verbreitungs-, Besitzverschaffungs- und Besitzverboten den Markt für kinderpornografische Inhalte auszutrocknen.15 Neben dem unmittelbaren Schutz der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Kinder soll nach verbreiteter Auffassung verhindert werden, dass Betrachter kinderpornografischer Darstellungen zum Missbrauch angeregt werden.16 Ausgehend von der Zahl der Verurteilungen ist § 184b verglichen mit den übrigen Vorschrif- 2 ten des Pornografiestrafrechts (siehe § 184 Rdn. 8 ff) von größter Praxisrelevanz, wobei zugleich ein stetiger Anstieg an Verurteilungen zu verzeichnen ist. 2016 lag die Zahl der Verurteilungen noch bei 1.847, 2017 betrug diese 1.909. Im Jahr 2018 wurden 2.078 Personen verurteilt, 2019 gar 2.247.17
II. Kinderpornografische Inhalte i.S.d. § 184b 1. Pornografische Inhalte Die fraglichen Inhalte müssen einen pornografischen Charakter aufweisen. Sowohl hinsichtlich 3 des Begriffs der Inhalte als auch in Bezug auf deren pornografischen Charakter gilt das zu § 184 Gesagte18 (siehe aber Rdn. 7). Der Begriff der Inhalte lehnt sich damit an die neue Formulierung des § 11 Abs. 3 an und erfasst insbesondere nicht gespeicherte bzw. nicht dauerhaft verkörperte Pornografika. Gegenstand der Inhalte muss eine sexuelle Handlung oder ein sog. Posing sein. Die Inhalte 4 müssen nach dem insoweit klaren Wortlaut der Norm demnach selbst einen pornografischen
13 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2 (Kinderschutz); SSW/Hilgendorf Rdn. 2; Ziegler BeckOK Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2. Zum Schutzzweck eingehend auch Gropp FS Otto 249 ff.
14 BT-Drucks. 12/3001 S. 4; BT-Drs. 12/4883, S. 8; Hörnle MK Rdn. 1; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2. Siehe auch BGHSt 45 45; 47 61; LG Stuttgart NStZ 2003 36; VGH Mannheim NJW 2008 3084; Böse FS Schroeder 754; Harms NStZ 2003 646; Wolters/Greco SK Rdn. 1. 15 BT-Drucks. 12/3001 S. 5, 12; BT-Drucks. 12/4883 S. 7 f; Hörnle MK Rdn. 1; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2 mit Verweis auf Harms NStZ 2003 646 f; Heinrich NStZ 2005 363. 16 BT-Drucks. 12/3001 S. 6; VGH Mannheim NJW 2008 3084; ähnlich Schroeder ZIS 2007 444, 446. Krit. dagegen mit Blick auf den fehlenden empirischen Nachweis Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4; Heinrich NStZ 2005 363; Hörnle MK Rdn. 1; Scheffler FS Herzberg 636; ähnlich Ziegler BeckOK Rdn. 2 („Anreiz- und Nachahmungswirkung“). Siehe auch Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1 („nicht auszuschließende[n] kriminogene[n] und sozial desintegrierende[n] Wirkung“). 17 Jeweils zu den Jahren 2016 – 2019 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3, 2.1 Abgeurteilte und Verurteilte nach Art der Straftat und Altersgruppen. 18 Dort Rdn. 15 ff, 31 ff. 429
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§ 184b
Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte
Charakter aufweisen.19 In einem früheren Entwurf der Vorschrift war vorgesehen, das Merkmal „pornografisch“ zu streichen.20 5 Nicht gänzlich klar war bis zu dieser Neufassung der Maßstab, an dem sich der pornografische Charakter der Inhalte bemisst. Der BGH ging davon aus, die Anforderungen an den Pornografiebegriff seien im Rahmen des § 184b insofern herabgesenkt, als es keiner „vergröberndreißerischen“ Darstellung bedürfe, damit die Darstellung sexueller Handlungen mit oder an Kindern pornografischen Charakter aufweist.21 Dieser Entscheidung ist nur i.E. beizupflichten, die Begründung überzeugt aber nicht. Entscheidend ist, dass die Inhalte einen pornografischen Charakter aufweisen. Die Norm selbst legaldefiniert als kinderpornografisch nur einen „pornografischen Inhalt“. Dafür kommt es allein auf die allgemeinen Merkmale des Pornografiebegriffs an, die freilich, weil Sexualität mit, an oder vor Kindern eben nicht in der Form natürlich ist wie bei erwachsenen oder auch heranwachsenden Menschen, durchaus leichter erfüllt sein werden. Anders formuliert: Es wird sich keine Darstellung sexueller Handlungen mit, an oder vor Kindern finden, die nicht in einer „vergröbernd-reißerischen“ Art und Weise das Kind zum Objekt für fremde sexuelle Zwecke degradiert, beim empfänglichen Konsumenten kein Interesse an nicht zur sexuellen Selbstbestimmung fähigen Darstellern weckt und damit keinen pornografischen Charakter aufweist.22 Lediglich soweit durch die Vermittlung anderer Gedankeninhalte das Material bereits keinen pornografischen Charakter aufweist, etwa bei Darstellungen für medizinische Lehrbücher oder bei der Erörterung kindlicher Sexualität in der Literatur23 sowie bei sonstiger wissenschaftlicher Fachliteratur,24 sind Ausnahmen denkbar.25 Strafbarkeitslücken schließt hier Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. c (siehe Rdn. 18 ff). Sind Szenen mit Kindern in einem insgesamt pornografischen Werk enthalten, so ist nach 6 h.M. keine Häufung derartiger Szenen erforderlich, damit es sich um Kinderpornografie handelt.26 Es genügt bereits eine einzelne Szene, damit – diese – als Kinderpornografie i.S.d. § 184b eingestuft werden kann.
2. Kind 7 Abs. 1 Nr. 1 definiert als Kind alle Personen unter 14 Jahren, wobei entscheidend der Zeitpunkt der Herstellung der fraglichen Inhalte ist.27 Andere Altersgrenzen z.B. im Ausland sind für die Tatbestandsverwirklichung irrelevant.28 Die Darstellung muss erkennen lassen, dass es um ein Kind geht.29 Bei Darstellungen eines 8 tatsächlichen Geschehens ist dies der Fall, wenn die gezeigte Person von einem objektiven, 19 Anders insoweit BGHSt 59 177 ff zu § 184b a.F. 20 BT-Drucks. 18/2601 S. 10, 37. Dagegen und für eine Beibehaltung des Merkmals aber Eisele Schriftliche Stellungnahme BT-Rechtsausschuss, S. 16 f. So dann übernommen in BT-Drucks. 18/3202 S. 27.
21 BGHSt 59 177 ff zu § 184b a.F.; ebenso Krause MMR 2016 666; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 14; Fischer Rdn. 4; in diese Richtung wohl auch Ziegler BeckOK Rdn. 3. Anders Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 14; Schumann ZIS 2015 242. Vgl. ferner Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2 zu der von § 184 StGB abweichenden Legaldefinition. 22 I.E. wie hier Hörnle MK Rdn. 14; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2. Ferner die Definition des Rahmenbeschlusses 2004/ 68/JI, die ebenfalls „jegliches Material mit Darstellungen eines Kindes, das an realen oder simulierten eindeutig sexuellen Handlungen beteiligt ist“, erfasst. 23 Bsp. bei Schroeder GA 2009 215. 24 Hörnle MK Rdn. 15 unter Nennung eines Bsp. 25 Zum Ausschluss einer möglichen Rechtfertigung durch die Kunstfreiheit im Fall von Kinderpornografie Matt/ Renzikowski/Eschelbach Rdn. 15. 26 Fischer Rdn. 4; Hörnle MK Rdn. 15. 27 BayVGH MMR 2009 315, 352; Hörnle MK Rdn. 11; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 8; Mitsch ZStW 124 (2012) 323, 325. 28 So bereits in der Vorauflage Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 2; ferner Hörnle MK Rdn. 11. 29 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1067; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3b; Wolters/Greco SK Rdn. 3. Nestler
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III. Abs. 1 Nr. 1
§ 184b
gewissenhaft urteilenden Beobachter als Kind eingeordnet würde.30 Handelt es sich tatsächlich um ein Kind, so ist § 184b einschlägig, selbst wenn das Kind älter wirkt.31 Sieht ein Kind älter aus oder wird es älter dargestellt, so sind sowohl unwahre Behauptungen über das Alter als auch die Art der Darstellung irrelevant und die Norm findet trotzdem Anwendung.32 Werden ältere Darsteller so inszeniert, dass sie aus der Sicht eines verständigen Betrachters eindeutig als Kind wirken (sog. Scheinkind), so soll § 184b mit Blick auf den Schutzzweck der Norm ebenfalls eingreifen.33 Dies erscheint kritisch mit Blick auf die Wortlautgrenze, da die Vorschrift zwar auf die kinderpornografischen Inhalte abstellt und nicht auf das Kind selbst, dann aber in Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. Kinderpornografie so legaldefiniert, dass eine Person unter 14 Jahre dargestellt sein muss.34 Allerdings bezieht sich auch die Legaldefinition lediglich auf den Gegenstand der Darstellung und verlangt nicht, dass tatsächlich Personen unter 14 Jahren zur Erstellung der Inhalte herangezogen wurden. § 184b erfasst auch Fiktivpornografie.35 Bei animierten oder sonst virtuell dargestellten In- 9 halten sind explizite oder konkludente Altersangaben maßgeblich. Anderenfalls ist nicht davon auszugehen, dass Kinder dargestellt werden,36 es sei denn im Fall einer realitätsnahen optischen Aufmachung wirkt die dargestellte Person auf einen objektiven Betrachter eindeutig kindlich.37 Lässt sich das Alter der dargestellten Person auch unter Berücksichtigung des Kontexts 10 (Darstellung spielt z.B. in einem Kinder- oder Klassenzimmer, Darsteller hat Spielzeug oder Kuscheltiere bei sich oder trägt erkennbar Kinderkleidung) nicht ermitteln, so kommt § 184b mit Blick auf den Zweifelssatz nicht in Betracht.38 Umgekehrt erhält jedoch die Darstellung einer erkennbar älteren Person nicht dadurch einen kinderpornografischen Charakter, dass diese Person entsprechend kindlich inszeniert wird, solange sie nicht als Scheinkind wirkt.39
III. Abs. 1 Nr. 1 1. Gegenstand der Inhalte nach Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. a) Sexuelle Handlungen nach Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. a. Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. a betrifft sexu- 11 elle Handlungen von, an oder vor Kindern. Dabei gilt die Legaldefinition des § 184h Nr. 1,40 30 BGHSt 47 55, 62; so auch Hörnle MK Rdn. 12 mit Verweis u.a. auf BVerfG MMR 2009 178; ferner Mitsch ZStW 124 (2012) 323, 329; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; Wolters/Greco SK Rdn. 6; Ziegler BeckOK Rdn. 7. Anders Reinbacher/Wincierz ZRP 2007 197 (durch die „Aufmachung des jungen Darstellers“ müsse suggeriert werden, dass es sich um ein Kind handelt). 31 Hörnle MK Rdn. 12; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 9; Liesching MMR 2009 354; Ziegler BeckOK Rdn. 7. Anders wohl BayVGH MMR 2009 351, 353. 32 Krit. im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm, den Markt für Kinderpornografie auszutrocknen, bei Produkten, die für Pädophile offensichtlich uninteressant sind Lindemann/Wachsmuth JR 2002 209. Wie hier Hörnle MK Rdn. 12; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1067 (mit Verweis auf die Umgehungsgefahren). 33 BGHSt 47 55 (sofern die Person auf einen objektiven Betrachter wie ein Kind wirkt); Hörnle MK Rdn. 13; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1068; Liesching MMR 2009 354; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; Ziegler BeckOK Rdn. 7; aA Fischer Rdn. 13; Mitsch ZStW 124 (2012) 232, 236; anders wohl auch BayVGH MMR 2009 351, 353. Anders (im Zusammenhang mit § 184c StGB) AG Villingen-Schwennigen BeckRS 2019 20117. 34 So auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 10. 35 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1068. 36 Hörnle MK Rdn. 11. 37 BGHSt 47 55, 62; BGH NStZ 2000 309; Hörnle MK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1068. In diese Richtung auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 11. 38 So i.E. auch BVerfG MMR 2009 178; Hörnle MK Rdn. 13. 39 VG Augsburg MMR 2008 772, 773. 40 Siehe insoweit die Kommentierung dort. 431
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§ 184b
Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte
wonach sexuelle Handlungen nur solche Handlungen sind, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind. Zwar ist Körperkontakt nicht erforderlich.41 Bloße Belästigungen erfasst allenfalls § 184i; die Darstellung kann aber nicht als Kinderpornografie strafbar sein.42 12 Sexuell aufreizendes Posieren wurde schon vor der Gesetzesänderung durch das 49. StÄndG43 als sexuelle Handlung „von“ einem Kind erfasst.44 Dafür musste die eingenommene Körperhaltung gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild objektiv einen eindeutigen Sexualbezug aufweisen.45 Da der Wortlaut von einer Handlung spricht, kommt zudem lediglich aktives Verhalten des Kindes in Betracht.46 Daher erfasst Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. a weder bloße Bildaufnahme eines nackten Kindes bzw. eines Geschlechtsteils noch Aufnahmen schlafender Kinder oder Aufnahmen in „natürlicher“ Position. Selbst Nahaufnahmen von Geschlechtsorganen im Kontext sexueller Handlungen waren nicht strafbar, sofern nicht die sexuelle Handlung zugleich mit abgebildet wurde.47 Diese Strafbarkeitslücken sind mit Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. b und c weitgehend geschlossen.
13 b) Geschlechtsbetonte Körperhaltung nach Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. b. Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. b betrifft die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung. Die Gesetzesformulierung entstammte mit der Wendung „unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ zunächst § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 JMStV, § 15 Abs. 2 Nr. 4 JuSchG,48 wurde aber durch das 60. StrÄndG49 zum 1.1.2021 durch die Formulierung „aufreizend geschlechtsbetonte Körperhaltung“ ersetzt. Man hoffte so auch Fälle zu erfassen, in denen das Kind (z.B. im Schlaf) zwar in einer natürlichen, gleichwohl aber sexuell aufreizenden Pose verharrt.50 Die Formulierung erfasst inhaltlich mehr oder weniger die für die sexuelle Handlung nach 14 Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. a entwickelten Fälle.51 Über die lit. a hinaus geht Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. b allerdings insoweit, als eine sexuelle Handlung gerade nicht erforderlich ist.52 Dadurch werden auch sog. Model-Serien vom Tatbestand umfasst, bei denen Kinder in Reiz- oder Unterwäsche sexualbezogene, für Kinder untypische stimulierende Posen einnehmen.53
41 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1066; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 17; ebenso bei BGH BeckRS 2022 3552.
42 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. Siehe auch Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2. 43 BGBl. 2015/I S. 10 ff. 44 BT-Drucks. 16/3439 S. 9; BGHSt 43 368; Hörnle MK Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Ziegler BeckOK Rdn. 4 (mit dem Hinweis, es komme nicht darauf an, ob das Kind den Sexualbezug erkennt); krit. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 18; Gropp FS Kühne 683. 45 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9 mit Verweis auf BGH NStZ 2009 29; BGH NStZ-RR 2008 340; BGH StV 2015 494. 46 BT-Drucks. 16/3439 S. 9; BGH NStZ 2011 571; BGH NStZ 2014 221; BGH NStZ-RR 2014 108. Krit. Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 9 f; Eisele/Franosch ZIS 2016 520 f mit Blick auf die früheren Strafbarkeitslücken. Differenzierend zur a.F. Röder NStZ 2010 113, 117 f. 47 Krit. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9 f mit Verweis auf Renzikowski FS Beulke 526 sowie Röder NStZ 2010 118 f. Vgl. zur a.F. auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 21. 48 BT-Drucks. 18/2601 S. 30. 49 BGBl. 2020/I S. 2600 ff. 50 BT-Drucks. 19/19859 S. 21. Krit. zur a.F. noch mit Blick auf das Analogieverbot Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13 unter Verweis auf Krause MMR 2016 667. Siehe dazu auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 19. 51 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 19; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11; ähnlich Gercke CR 2014 687, 688; Ziegler BeckOK Rdn. 5. 52 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11 unter Verweis auf Krause MMR 2016 667. Ferner Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 19; Ziegler BeckOK Rdn. 5a. 53 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11 unter Verweis auf Eisele/Franosch ZIS 2016 521. Nestler
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III. Abs. 1 Nr. 1
§ 184b
Der Wortlaut verlangt, dass das Kind ganz oder teilweise unbekleidet ist.54 Mit Blick auf den 15 Schutzzweck der Norm wird es sich um die Darstellung eines teilweise unbekleideten Kindes nur dann handeln, wenn jedenfalls Genitalien, Brust oder Gesäß abgebildet werden.55 In anderen Fällen sind die Voraussetzungen der lit. b nicht erfüllt, wobei es sich hier ohnehin schon nicht um einen „pornografischen“ Inhalt handeln dürfte. I.d.R. muss das Kind eine aufreizend geschlechtsbetonte Körperhaltung einnehmen. Dies 16 setzt ein Posieren voraus, bei dem z.B. obszöne Stellungen, wie etwa das Spreizen der Beine, eingenommen werden56 oder der Oberkörper bzw. Geschlechtsteile entblößt sind.57 Entscheidend ist, dass ein objektiver Betrachter den Inhalt als sexualisierte Pose einordnen würde, unabhängig davon, ob es sich um einen Film oder eine Fotografie handelt.58 Darstellungen unbekleideter Kinder in Posen, die einen derart aufreizenden Charakter nicht aufweisen, wie bspw. Aufnahmen von spielenden Kindern am Strand, in der Badewanne, bei der Körperpflege, beim An- oder Umkleiden, unterfallen dem Tatbestand grds. nicht.59 Als problematisch eingestuft wurden nach der a.F. der Vorschrift vor allem eingefrorene Momentaufnahmen aus längeren Filmen, in denen der Eindruck entstehen konnte, die eigentlich natürliche Bewegung sei eine unnatürliche.60 Die Problematik ist durch die Neufassung nur teilweise entschärft, da nach wie vor durch das Einfrieren eines Videos zu einem Standbild der Eindruck entstehen kann, das Kind habe eine aufreizende Pose eingenommen, obgleich dies in der fraglichen Situation tatsächlich nicht der Fall war. Nur bedingt hilfreich ist dabei die Frage, ob die Haltung als altersunangemessen zu qualifizieren ist.61 Zentraler ist der Blick auf den Wortlaut der Vorschrift, nach dem sich die Beschreibung als aufreizend gerade auf die Körperhaltung des Kindes und – anders als bei lit. c – nicht auf die Art und Weise der Wiedergabe bezieht.
c) Sexuell aufreizende Wiedergabe nach Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. c. Lit. c erfasst die sexuell 17 aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes. Die Variante dient der Schließung von Strafbarkeitslücken, die anderenfalls vor allem mit Blick auf die a.F. von Nr. 1 2. Hs. lit. b bestanden hätten.62 Die durch die Regelung umgesetzte Richtlinie begreift als Kinderpornografie „jegliche Darstellung der Geschlechtsorgane eines Kindes für primär sexuelle Zwecke“, Art. 2 lit. c ii),63 was durch Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. lit. b a.F. nur unzureichend erfasst war. In objektiver Hinsicht muss die Wiedergabe die unbekleideten Genitalien bzw. das unbe- 18 kleidete Gesäß enthalten. Entscheidender Unterschied zwischen lit. a und b einerseits und lit. c andererseits ist das Verhältnis zwischen dem Ersteller der Aufnahme und dem dargestellten Kind zum Zeitpunkt der Aufnahme, das für lit. c irrelevant ist.64 Maßgeblich ist allein die sexuell aufreizende Wiedergabe der Aufnahme gegenüber dem Betrachter. Verfolgt der Handelnde dabei primär sexuelle Zwecke, so sind die Voraussetzungen des Tatbestands erfüllt, unabhängig davon, wie die Aufnahme zustande gekommen ist und ob die durch das Kind eingenommene 54 Krit. dazu Fischer Rdn. 8; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 20 mit Blick auf die relative Unbestimmtheit des Begriffs. 55 Fischer Rdn. 8; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 20; Krause MMR 2016 668. 56 BT-Drucks. 16/3439 S. 9; Röder NStZ 2010 113, 116. 57 BGH NStZ 1985 24; Krause MMR 2016 668; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 20. 58 In diese Richtung auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 21, (Haltung die „nicht altersgemäß“ erscheint, allerdings zur a.F.). 59 Vgl. BGH StV 2015 494; ferner Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Hörnle MK Rdn. 20. Anders SSW/Hilgendorf Rdn. 7. 60 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13 unter Verweis auf Eisele Schriftliche Stellungnahme BT-Rechtsausschuss S. 14; Eisele/Franosch ZIS 2016 520. 61 So bereits zur a.F. sowie auch zur Neufassung Hörnle MK Rdn. 19; ferner Krause MMR 2016 668. 62 Vgl. dazu Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14. 63 Eingehend dazu Haustein ZIS 2014 351 f. 64 BGH NStZ 2021 41. 433
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§ 184b
Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte
Pose selbst sexuell aufreizenden Charakter hat.65 Dies schließt Wiedergaben aus, die zu künstlerischen, medizinischen, wissenschaftlichen oder sonst allgemein anerkannten Zwecken erfolgen. Am sexuell aufreizenden Charakter der Wiedergabe wird es auch fehlen, wenn Genitalien oder Gesäß in der Gesamtaufnahme in den Hintergrund treten.66 Für die Einordnung können Bildkomposition, Kameraperspektive, gewählter Bildausschnitt oder die Haltung des Kindes von Bedeutung sein.67 Dem Wortlaut nach handelt es sich bei der sexuell aufreizenden Wiedergabe um ein objekti19 ves Tatbestandsmerkmal, auf das sich auch der Vorsatz beziehen muss. Sexuell aufreizend ist die Wiedergabe der pornografischen Inhalte daher, wenn sie beim Betrachter68 nicht den Gedanken an ein medizinisches Lehrbuch oder eine künstlerische Darstellung, sondern eher an die sexuelle Erregung Pädophiler erweckt. Dies kann auch aus den Rahmenbedingungen, den Gesamtumständen und dem Kontext der Wiedergabe folgen.69
2. Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 20 Nach Abs. 1 Nr. 1 1. Hs. macht sich strafbar, wer einen kinderpornografischen Inhalt verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht. Die 1. Alt. des Verbreitens entspricht dem bereits in § 184 enthaltenen Begriff und verlangt, dass der Täter den Inhalt an einen größeren Personenkreis gelangen lässt.70 Es genügt nicht, wenn andere Personen die Möglichkeit gehabt hätten, auf den kinderpornografischen Inhalt zuzugreifen, ohne dass nachweislich tatsächlich ein Zugriff erfolgt ist.71 Die n.F. der Vorschrift, die nur noch auf Inhalte i.S.d. § 11 Abs. 3 abstellt, erfasst auch digita21 le Formen des Verbreitens. Die nach der a.F. umstrittene Frage, ob auch ein bloßes Betrachten ohne Speicherung auf dem eigenen Rechner die Voraussetzungen der Norm erfüllt, ist geklärt.72 Bereits das Betrachten der Inhalte, egal ob auf Papier oder auf einem Bildschirm erfüllt die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals. Unklar ist, ob bereits das Versenden von Emails genügt. Sofern schon als Attachment pornografische Inhalte angehängt sind, reicht dies jedenfalls für das an einen anderen Gelangenlassen i.S.d. § 184 aus.73 Insofern ist eine parallele Einordnung für den Begriff des Verbreitens denkbar. Eine unmittelbare Konfrontation liegt aber dann nicht vor, wenn der Empfänger die Inhalte erst mittels Link aufrufen muss.74 Erachtet
65 BGH NStZ 2021 41; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. 66 BGH NStZ 2021 41 („sexuell konnotierte Fokussierung auf die näher bezeichneten unbekleideten Körperregionen eines Kindes“). Ebenso Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 22; Ziegler BeckOK Rdn. 6; ferner Krause MMR 2016 669 der als Bsp. die Aufnahme mehrerer Kinder am FKK-Strand nennt; dies aufgreifend Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16. 67 BGH NStZ 2021 41 (mit Verweis auf BR-Drucks. 127/14 S. 12); Ziegler BeckOK Rdn. 6. 68 BT-Drucks. 18/3202 S. 27 stellt dabei auf einen „durchschnittlichen Betrachter“ ab. Freilich nicht gemeint sein kann damit, dass von einer objektiven Durchschnittsperson die fraglichen Abbildungen der Geschlechtsorgane von Kindern als sexuell aufreizend empfunden werden, sondern dass die Inhalte in den Augen dieser Maßstabsperson bei einem fiktiven Pädophilen in diese Richtung wirksam sind. Vgl. dazu auch Hörnle MK Rdn. 20. Krit. hinsichtlich der Maßstabsperson Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17 sowie Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 23. 69 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17 mit dem Hinweis darauf, dass daher auch gewöhnliche Nacktaufnahmen bspw. im Besitz von Eltern der abgebildeten Kinder weiterhin straflos bleiben. 70 Vgl. BGH BeckRS 2015 04138; BGHSt 13 257 f (Empfängerkreis „nicht mehr kontrollierbar“); vgl. auch Hörnle MK Rdn. 21, 23; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 26; Ziegler BeckOK Rdn. 9 (mit Hinweis auf die Möglichkeit einer „Kettenverbreitung“ durch Weitergabe an einzelne Personen, sofern der Täter „damit rechnet, dass der Empfänger selbst … die Inhalte einer größeren, nicht mehr zu kontrollierenden Zahl von Personen zugänglich machen werde). 71 Hörnle MK Rdn. 21. 72 Siehe insoweit die Kommentierung zu § 184 Rdn. 31 ff, 35 f, 83 f. 73 Vgl. die Kommentierung zu § 184 Rdn. 85. 74 § 184 Rdn. 85. Nestler
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IV. Abs. 1 Nr. 2
§ 184b
man gerade diese Konfrontation mit dem kinderpornografischen Material für das Merkmal des Verbreitens als zentral, dann genügt das Versenden von Links gerade nicht. Anders als für das Verbreiten reicht es für das der Öffentlichkeit Zugänglichmachen, dass 22 Inhalte im Internet oder unter Nutzung sonstiger Informations- und Kommunikationstechnik zum Betrachten oder sonstiger Wahrnehmung oder zum Herunterladen bereitgestellt werden.75 Dabei genügt bereits die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme, ohne dass Dritte die Inhalte tatsächlich wahrnehmen müssen. Öffentlich erfolgt das Zugänglichmachen, wenn jeder beliebige Nutzer einer Informations- oder Kommunikationstechnik Zugriff auf den Inhalt nehmen könnte.76 Hierfür genügt bereits das Versenden von Links per Email an eine unbestimmte Vielzahl von Personen.77 Werden Links nur an einzelne ausgewählte Personen oder einen geschlossenen engen Teilnehmerkreis verschickt, so erfüllt dies die Anforderungen des Merkmals nicht.78 Sofern der Nutzerkreis nicht abgeschlossen ist, weil die Zugangshindernisse zu leicht zu überwinden bzw. einer unbestimmten Vielzahl von Personen bekannt sind oder eine Teilnehmerfluktuation wie bspw. in Chatforen sogar gewünscht ist, sind die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals erfüllt.79 Ein unzureichend gesichertes WLAN alleine genügt jedoch nicht.80
IV. Abs. 1 Nr. 2 Nach Abs. 1 Nr. 2 macht sich strafbar, wer es unternimmt, einer anderen Person einen kinder- 23 pornografischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zugänglich zu machen oder den Besitz daran zu verschaffen.
1. Gegenstand der Inhalte nach Abs. 1 Nr. 2 Die Vorschrift bezieht sich auf ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen mit kinder- 24 pornografischem Charakter. Dies erfordert, dass die abgebildeten Handlungen entweder realiter so stattgefunden haben (tatsächliches Geschehen) oder jedenfalls nicht ausschließlich fiktionalen Charakter aufweisen, sondern an der Realität zumindest orientiert sind (wirklichkeitsnahes Geschehen).81 Durch die Einbeziehung wirklichkeitsnaher Geschehen werden Nachweisprobleme umgangen,82 die sich allerdings wegen der prinzipiellen Einbeziehung von Scheinkindern in den Anwendungsbereich der Norm83 eher auf den pornografischen Charakter an sich beziehen dürften. Hintergrund ist, dass auch lediglich wirklichkeitsnahe Aufnahmen bei entsprechend
75 BGH NStZ-RR 2014 47; Hörnle MK Rdn. 24; Ziegler BeckOK Rdn. 12. 76 BGHSt 47 55, 60; BGH BeckRS 2012 06061; BGH NStZ-RR 2014 47; LG München NJW 2000 1051; LG Wuppertal NStZ 2008 463 f; Hörnle MK Rdn. 24; Hörnle NJW 2002 1009; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 28; Kudlich JZ 2002 311; Lindemann/Wachsmuth JR 2002 208; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24; Ziegler BeckOK Rdn. 11. 77 Zum Zugänglichmachen durch das Setzen von Links Heinrich ZJS 2016 698 700 (Zugänglichmachen stets dann, wenn „der Linksetzer die betreffenden Inhalte in das eigene ‚Angebot‘ mit einbezieht, sie sich also zu eigen macht“). 78 Hörnle MK Rdn. 24; SSW/Hilgendorf Rdn. 12; Ziegler BeckOK Rdn. 12. Vgl. zum Versenden von Links im Rahmen von Nr. 2 auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 32. 79 Vgl. BGH BeckRS 2010 06061; LG Kiel BeckRS 2010 26923; Hörnle MK Rdn. 24; SSW/Hilgendorf Rdn. 12 (für Facebook-„Freunde“). 80 BGH MMR 2010 565 f; Hörnle MK Rdn. 24 mit Verweis auf Sch/Schröder/Eisele § 184 Rdn. 77. 81 Hörnle MK Rdn. 25; Strauß NStZ 2020 708, 712; Spindler/Schuster/Gercke Rdn. 20 („wenn das Geschehen real wirkt, jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich tatsächlich um ein fiktives Geschehen handelt“). 82 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1089; Hörnle MK Rdn. 27 unter Verweis auf die vom Bundesrat zunächst geforderte Streichung des „tatsächliche[n] Geschehens“, BT-Drucks. 13/7385 S. 60, 72 bzw. BT-Drucks. 13/ 7934 S. 19, 41. Ferner SSW/Hilgendorf Rdn. 9. 83 Rdn. 10. 435
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§ 184b
Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte
veranlagten Personen das Interesse an kinderpornografischem Material wecken können.84 Zudem sollte die Einbeziehung von wirklichkeitsnahen Geschehen Beweisprobleme beseitigen, die daraus resultieren können, dass nicht nachzuweisen ist, ob das Geschehen so tatsächlich stattgefunden hat.85 25 Nicht erforderlich ist ein dokumentierender Charakter oder eine nüchterne Art der Darstellung. Auch spielerische Inszenierungen, eine Nachbearbeitung der Aufnahmen oder grafische Elemente schließen nicht aus, dass das Geschehen als tatsächliches oder wirklichkeitsnahes einzuordnen ist.86 Bloße Fiktion, die z.B. schriftlich etwa in den Chats einschlägiger Foren entsteht, genügt jedoch selbst dann nicht, wenn sie den Anschein erweckt, ein reales Geschehen wiederzugeben.87 Beim bloßen Austausch von Fantasien über geplanten oder vorgestellten Kindesmissbrauch fehlt es am Merkmal „Wiedergabe“.88 Dies gilt nach der Gesetzesbegründung zum 60. StrÄndG selbst dann, wenn der fragliche Vorgang tatsächlich so erfolgt ist und lediglich nacherzählt wird.89 Ebenfalls nicht ausreichend sind Darstellungen, die schon aufgrund ihrer Aufmachung (Comic, Animation,90 offenkundig fiktive Wesen) kein reales Geschehen wiedergeben können.91
2. Tathandlungen des Abs. 1 Nr. 2 26 Tathandlungen des Abs. 1 Nr. 2 sind das Zugänglichmachen und das Besitzverschaffen, wobei es dem Wortlaut nach ausreicht, dass der Täter dies unternimmt. Die Vorschrift ist demnach als Unternehmensdelikt ausgestaltet; dass das Zugänglichmachen oder das Besitzverschaffen gelingt, ist nicht erforderlich.92 Die Strafbarkeit wird dadurch recht weit ins Vorfeld der eigentlichen Wahrnehmung der kinderpornografischen Inhalte gerückt. Anderer i.S.d. Norm kann nach der Rspr. des BGH93 auch ein Beteiligter an dem in den kinderpornographischen Inhalten dargestellten Geschehen sein, dem vom Hersteller dieser Inhalte der (erstmalige) Besitz daran verschafft wird. 27 Der Begriff des Zugänglichmachens entspricht grds. demjenigen des Abs. 1 Nr. 1, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass für Abs. 1 Nr. 2 das Unternehmen des Zugänglichmachens genügt. Dementsprechend reicht für die Verwirklichung des Tatbestands jedes Verhalten aus, das darauf ausgerichtet ist, dass Inhalte zum Betrachten, zu sonstiger Wahrnehmung oder zum Herunterladen bereitgestellt werden, ohne dass die eine tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme erfolgreich eingeräumt wird.94 Zudem genügt es für Abs. 1 Nr. 2, wenn die Möglichkeit
84 So jedenfalls Böse FS Schroeder 751, 754. 85 Eingehend zu den Erwägungen im Gesetzgebungsverfahren Hörnle MK Rdn. 27 unter Verweis auf BT-Drucks. 13/ 7934 S. 19, 41. 86 Hörnle MK Rdn. 25. Krit. zum Fehlen einer klaren Grenze zwischen Wirklichkeitsnähe und Wirklichkeitsferne und für eine insoweit restriktive Auslegung Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1090. 87 Hörnle MK Rdn. 26. 88 Hörnle MK Rdn. 26 mit Verweis auf den krit. Kommentar von Popp jurisPR-ITR 5/2012 Anm. 2. In diese Richtung auch Strauß NStZ 2020 708, 712. Anders BGH BeckRS 2011 06964. 89 BT-Drucks. 19/19859 S. 30. So bereits zur a.F. der Norm BGHSt 58 197, 201 f; Strauß NStZ 2020 708, 712; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 29. Krit. dazu Hörnle MK Rdn. 26 insbesondere mit Blick auf den neuen Wortlaut und den Terminus der Inhalte, der solche Erzählungen eben durchaus einschließen kann. 90 Strauß NStZ 2020 708, 712; Hörnle MK Rdn. 27 mit Verweis auf Hopf/Braml ZUM 2007 360 (krit. im Hinblick auf den Ausschluss von Computerspielen). Zu Kinderpornografie in Computerspielen ferner Ritlewski K&R 2008 94 ff. 91 Hörnle MK Rdn. 27. 92 Krit. zur damit verbundenen Vorverlagerung der Strafbarkeit Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. 93 BGHSt 66 105; zust. Strauß JR 2022 267 mit Blick auf den Schutzzweck der Norm. 94 Vgl. auch Ziegler BeckOK Rdn. 13. Nestler
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V. Abs. 1 Nr. 3
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der Kenntnisnahme lediglich einer einzigen anderen Person eingeräumt wird oder eingeräumt werden soll. Als Besitzverschaffen genügt jede Handlung, die den Inhalt so an eine andere Person wei- 28 terleitet, dass diese die vollständige Verfügungsgewalt darüber erlangt.95 Soweit es sich bei den Pornografika um körperliche Gegenstände, wie bspw. Fotos oder entsprechende Trägermedien (USB-Stick, CD-ROM etc.), handelt, muss der Empfänger Besitz an dem körperlichen Gegenstand erlangen.96 Soweit die Inhalte eine digitale Form annehmen, hat die andere Person Besitz erlangt, wenn entsprechender (körperlicher, str.) Zugriff auf die betreffenden Dateien besteht, sie also bspw. auf einem ihr zugeordneten Datenspeicher abgespeichert sind.97 Da es um den Vorgang des Besitzverschaffens geht, müssen die Empfänger vom Sender ausgewählt worden sein.98 Ob die Zusendung entsprechend angefordert wurde oder unaufgefordert erfolgt, ist gleichgültig.99 Zu berücksichtigen ist auch für das Besitzverschaffen wiederum, dass es dem Wortlaut der Vorschrift nach ausreicht, wenn der Täter es unternimmt, einer anderen Person den Besitz zu verschaffen. Dass diese andere Person tatsächlich Verfügungsgewalt an den Inhalten bzw. dem Datenträger begründet, ist nicht notwendig.
V. Abs. 1 Nr. 3 1. Gegenstand der Inhalte nach Abs. 1 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 3 betrifft kinderpornografische Inhalte, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben. 29 Erfasst wird vom Wortlaut der Vorschrift ausschließlich Realpornografie mit echten Kindern, d.h. Personen, die zum Zeitpunkt der Aufnahme tatsächlich noch nicht 14 Jahre alt sind. Bloß wirklichkeitsnahes Geschehen genügt nicht.
2. Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 3 Die Vorschrift enthält ein echtes Herstellungsverbot, was im Kontext der Pornografiedelikte eine 30 gewisse Sonderstellung einnimmt. Strafbar macht sich derjenige, der Kinderpornografie i.d.S. herstellt, gleichgültig, ob die Herstellung zum Eigengebrauch oder zur Weitergabe an Dritte erfolgt.100 Problematisch sind Fälle, in denen lediglich eine Reproduktion eines bereits vorhandenen Inhalts erfolgt, bspw. als Kopie eines bereits existierenden Fotos oder Videos. Der Gesetzgeber ging aber bei Schaffung der Norm durch das 49. StrÄndG davon aus, dass Täter, die lediglich vorgefundene kinderpornografische Bilder oder Filme reproduzieren, nicht unter Abs. 1 Nr. 3, sehr wohl aber unter Abs. 1 Nr. 4 fallen sollen.101 Dies stellt zugleich das Verhältnis zu Abs. 3 der Vorschrift klar, der Personen erfasst, die es unternehmen, einen kinderpornografi95 Hörnle MK Rdn. 29. Ziegler BeckOK Rdn. 14 verlangt demgegenüber die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt. 96 BGH NStZ 2005 444 f; BGH BeckRS 2013 10642; BayObLG NJW 2000 2911 f; OLG Hamburg NStZ-RR 1999 329; Hilgendorf/Valerius Computerstrafrecht Rdn. 311; Fischer Rdn. 23; Hörnle MK Rdn. 29; Hörnle NJW 2002 1012. 97 Hörnle MK Rdn. 29 nennt das Beispiel eines E-Mail-Kontos, bei dem jeder, der über dieses verfügt, auch die Verfügungsgewalt über die dort eingehenden Nachrichten samt Anhängen hat. Ziegler BeckOK Rdn. 13 lässt das Versenden einer Email ausreichen. 98 Ziethen/Ziemann AnwK Rdn. 17; so auch bei Hörnle MK Rdn. 29. 99 Hörnle MK Rdn. 29; krit. im Hinblick auf die mit der nur behaupteten Opferrolle verbundenen Verfolgungshindernisse Fischer Rdn. 24. 100 Vgl. insoweit BGH NStZ-RR 2009 378 (zum Fehlen einer entsprechenden Verwendungsabsicht). Ebenso Ziegler BeckOK Rdn. 15. 101 BT-Drucks. 18/2601 S. 30; so auch Hörnle MK Rdn. 31; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 33; ähnlich Ziegler BeckOK Rdn. 15, der dann aber mit BGH NStZ-RR 2019 341 f das Anfertigen von Screenshots ausreichen lassen will. 437
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§ 184b
Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte
schen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen (siehe Rdn. 36 ff). Der höhere Strafrahmen des Abs. 1 Nr. 3 greift damit lediglich für Fälle der Neuherstellung von Realpornografie mit Kindern.102
VI. Abs. 1 Nr. 4 1. Gegenstand der Inhalte nach Abs. 1 Nr. 4 31 Abs. 1 Nr. 4 betrifft sämtliche kinderpornografische Inhalte, unabhängig davon, ob sie ein wirkliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben.
2. Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 4 32 Die Vorschrift betrifft Vorbereitungshandlungen zu Taten nach Abs. 1 Nr. 1. Die Tathandlungen entsprechen denjenigen des § 184 (siehe die Kommentierung dort: Herstellen Rdn. 94, Beziehen Rdn. 95, Liefern Rdn. 96, Vorrätighalten Rdn. 97, Anbieten Rdn. 78, 80, Bewerben Rdn. 79 f, Unternehmen der Einfuhr Rdn. 98). Abs. 1 Nr. 4 verzichtet, anders als § 184 Abs. 1 Nr. 5, jedoch auf das Merkmal der Öffentlichkeit.
VII. Qualifikation nach Abs. 2 33 Abs. 2 enthält einen Qualifikationstatbestand, der das gewerbsmäßige oder bandenmäßige Handeln betrifft. Sanktioniert wird damit die intensive Mitwirkung am Marktgeschehen, die über ein Handeln zur Deckung des Eigenbedarfs hinausgeht. Für die Merkmale der Gewerbsmäßigkeit und der Bandenmäßigkeit gelten die allgemeinen Grundsätze, die auch für andere Normen maßgeblich sind.103 Der Gesetzgeber hielt allerdings die Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds bei der jeweiligen Tathandlung nicht für erforderlich, weil sich die „besondere Gefährlichkeit der bandenmäßig begangenen Verbreitung von Kinderpornographie vornehmlich aus der Existenz der Bande als solcher, nicht aus der Tatausführung durch mehrere Personen ergibt“.104 Dementsprechend verzichtet der Wortlaut, anders als z.B. § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB, auf die Formulierung „unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds“. Der erhöhte Strafrahmen des Abs. 2 bezieht sich ausdrücklich nur auf die Taten nach Abs. 1, nicht auf diejenigen des Abs. 3. 34 Der Qualifikationstatbestand des Abs. 2 verlangt außerdem, dass sich die Tat auf ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen bezieht. Abs. 1 Nrn. 1 und 4 schließen ansonsten auch Fiktivpornografie ein, die für Abs. 3 nicht ausreicht. Der Wortlaut belässt es allerdings bei einer Bezugnahme auf ebendiese Nrn. 1 und 4, während für Abs. 1 Nr. 3 auch im Rahmen der Qualifikation ein tatsächliches Geschehen zugrunde liegen muss.105
102 Hörnle MK Rdn. 31. 103 Vgl. insb. die Kommentierung zu § 243 Krit. im Hinblick auf die bei Kinderpornografie oftmals fehlende Gewinnerzielungsabsicht Hörnle MK Rdn. 34. 104 BT-Drucks. 12/3001 S. 5. Ebenso mit Blick auf die sich dadurch etablierende Marktsituation Hörnle MK Rdn. 33; Fischer Rdn. 28; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 33. 105 BT-Drucks. 18/2601 S. 31; Hörnle MK Rdn. 33. Nestler
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VIII. Abs. 3
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VIII. Abs. 3 Der zum 1.1.2021106 neu gefasste Abs. 3 betrifft Fälle, in denen der Täter es unternimmt, einen 35 kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen. Gegenstand der Pornografie nach Abs. 3 ist also nur ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen; Fiktivpornografie genügt nicht. In Umsetzung unionsrechtlicher107 bzw. internationaler Vorgaben108 stellt Abs. 3 sicher, 36 dass nicht erst der Besitz von, sondern bereits der Zugriff auf kinderpornografisches Material strafbar ist. Der Begriff des Besitzes erscheint im Hinblick auf moderne Medien und Kommunikationstechnologie ohnehin reichlich überholt. Dem trägt die Vorschrift Rechnung, indem sie andere Formen des Zugriffs explizit aufgreift.
1. Abrufen, Abs. 3 Var. 1 Inhalte werden nach Auffassung des Gesetzgebers abgerufen, wenn der Nutzer die Übertragung 37 der Daten veranlasst und sich dadurch die Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafft hat.109 Das Abrufen setzt demnach eine tatsächliche Übertragung voraus, wobei es unerheblich ist, ob die Inhalte dadurch zugleich auf dem Bildschirm wahrnehmbar werden oder nur die Datei erlangt wurde.110 Allerdings ist die Vorschrift als Unternehmensdelikt ausgestaltet, weshalb es nicht darauf ankommt, ob diese Übertragung gelingt, abgebrochen wird oder aber infolge von technischen Problemen ausbleibt.111 Das Abrufen unternimmt, wer objektiv feststellbar Bestrebungen zeigt, eine entsprechende Datenübertragung zu initiieren. Demgegenüber genügt es nicht, wenn der Täter lediglich erfolglos im Internet nach Kinderpornografie sucht.112 Abrufen setzt eine mehr oder weniger gezielte Aktivität des Täters voraus. Es genügt nicht, 38 dass automatisch durch Pop-Up-Fenster oder sonstige technische, nicht vom Nutzer initiierte Vorgänge, kinderpornografische Inhalte auf dem Bildschirm erscheinen.113 Dasselbe gilt, wenn der passive Empfänger entsprechende Inhalte auf seinem Bildschirm gezeigt bekommt. Das bloße Betrachten ohne eigene Aktivitäten, um einen Abruf der kinderpornografischen Inhalte zu unternehmen, erfüllt den Tatbestand nicht.114 Im Ergebnis nicht nach Abs. 3 strafbar ist daher auch, wer nach versehentlichem Aufruf die 39 erscheinende Abbildung betrachtet. Das objektive Tatbestandsmerkmal des Abrufs ist zwar erfüllt, der Abruf erfolgt jedoch unvorsätzlich, wenn der Täter z.B. in der Annahme handelt, nur einfach-pornografische Inhalte abzurufen. Auf einen gezielten Abruf dieser Inhalte kann nicht
106 Gesetz vom 30.11.2020, BGBl. 2020/I S. 2600. 107 Art. 5 Abs. 3 RiL 2011/93/EU: „Der bewusste Zugriff auf Kinderpornografie mittels Informations- und Kommunikationstechnologie wird mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bestraft“. Zusätzlich nennt Abs. 2 der Vorschrift Erwerb und Besitz von Kinderpornografie. 108 Art. 20 Abs. 1 lit. f des Übereinkommens des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Lanzarote-Konvention): „wissentlicher Zugriff auf Kinderpornographie mit Hilfe der Informations- und Kommunikationstechnologien“. 109 BT-Drucks. 18/2601 S. 34. 110 BT-Drucks. 18/2601 S. 34. 111 Ähnlich Hörnle MK Rdn. 37, 40; siehe auch Ziegler BeckOK Rdn. 18. 112 Hörnle MK Rdn. 40; Heinrich NStZ 2005 364; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 36. Anders insoweit noch hier in der Vorauflage Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 10. 113 Hörnle MK Rdn. 38. 114 Hörnle MK Rdn. 39. 439
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Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte
allein daraus geschlossen werden, dass kinderpornografische Fotos auf der Festplatte gefunden werden.115
2. Sichverschaffen des Besitzes, Abs. 3 Var. 2 40 Strafbar nach Abs. 3 ist auch das Sichverschaffen des Besitzes von Kinderpornografie (bzw. das entsprechende Unternehmen). Besitz meint ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis.116 Der Begriff hat einen körperlichen Gegenstand zum Bezugspunkt und geht ersichtlich davon aus, dass kinderpornografische Inhalte entweder in Papierform oder auf einem Trägermedium abgespeichert sind. Erfasst sind allerdings auch Fälle, in denen entsprechende Dateien lediglich auf einem in den Rechner oder das Mobiltelefon des Täters integrierten Datenspeicher, z.B. der Festplatte, vorhanden sind, sofern der Täter die tatsächliche Verfügungsgewalt über diesen innehat und sich den Besitz daran auch verschafft hat.117 Dies soll nach z.T. vertretener Auffassung auch dann der Fall sein, wenn die entsprechenden Dateien auf einer dem Täter zugeordneten Cloud liegen, bei der es in der Hand des Täters liegt, diese Inhalte wahrnehmbar zu machen. Dass hinsichtlich der Cloud beim Täter keine physische Sachherrschaft vorliegt, soll hier irrelevant sein.118 Diese Auffassung ist eine dogmatische Behelfskonstruktion, die früheren aus der Unzulänglichkeit des Besitz-Begriffs resultierenden Strafbarkeitslücken Rechnung getragen hat. Existenzberechtigung hat die Auffassung heute allenfalls noch insoweit, als der Begriff des Abrufs Aktivität seitens des Täters voraussetzt und daher mit Nachweisschwierigkeiten verbunden sein kann, falls ebenjenes Tätigwerden nicht beweisbar ist, gleichwohl aber entsprechende Inhalte in der Cloud gefunden werden (siehe aber sogleich Rdn. 42). 41 Sichverschaffen (des Besitzes) setzt ein gezieltes Verhalten des Täters voraus, das darauf gerichtet ist, den Besitz an den kinderpornografischen Inhalten zu erlangen.119 Soweit Inhalte ohne gezieltes Zutun des Täters z.B. durch Verlinkung mit anderen Webseiten heruntergeladen und gespeichert werden, sind schon die objektiven Voraussetzungen eines Sichverschaffens nicht erfüllt. Darüber hinaus fehlt es in diesen Fällen am Vorsatz.120 Krit. aufgrund dieses Wortlauts ist es daher, wenn es die Rspr. als Indiz für das Herunterladen und Abspeichern ansieht, wenn sog. Thumbnails („Vorschaubilder“) auf dem Rechner gefunden werden.121 Dies bedarf sicherlich einer Prüfung im Einzelfall. Das nach früherer Rechtslage teilweise dem Sichverschaffen des Besitzes (str.) zugeordnete Surfen,122 bei dem im Cache betrachtete Inhalte automatisch zwischengespeichert werden, unterfällt nun dem Abrufen (siehe aber Rdn. 45).
115 Entscheidend für die Beweiswürdigung seien die Zahl der Bilder und die Dauer der Verbindungszeit; so Hörnle MK Rdn. 38 unter Verweis auf LG Aachen MMR 2008 764.
116 Vgl. nur BT-Drucks. 12/3001 S. 5; BGHSt 53 69 f; OLG Schleswig NStZ-RR 2007 41 f; Hörnle MK Rdn. 41; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1097; Ziegler BeckOK Rdn. 18.
117 AG Villingen-Schwenningen BeckRS 2019 20117. Ähnlich BGH NStZ 2007 95; OLG Düsseldorf NStZ 2015 654 f; BayVGH BeckRS 2014 59387; OLG Hamburg NStZ-RR 1999 329; Hilgendorf/Wolf K&R 2006 544; Müller MMR 2010 345; Liesching NJW 2010 1897; Hörnle MK Rdn. 41 (mit Hinweis auf die Fehlinterpretation von BGH 16.3.2011 – 5 StR 581/10); Sch/Schröder/Eisele Rdn. 39; Wolters/Greco SK Rdn. 32; SSW/Hilgendorf Rdn. 17; Ziegler BeckOK Rdn. 18. 118 So noch die Vorauflage Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 8; ferner AG Villingen-Schwenningen BeckRS 2019 20117 („Google Fotos“); Hörnle MK Rdn. 41; Popp ZIS 2011 202. Physische Sachherrschaft über den Datenspeicher voraussetzend hingegen Eckstein Besitz als Straftat S. 111 f; Eckstein ZStW 117 (2005) 125; Fischer Rdn. 37; Matt/ Renzikowski/Eschelbach Rdn. 25; Müller MMR 2010 345; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 41. 119 Hörnle MK Rdn. 42 („finale Zwecksetzung“); ebenso Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 39. 120 In diese Richtung auch Hörnle MK Rdn. 42 unter Verweis auf Heinrich NStZ 2005 365 für vom Täter später wahrgenommene Zufallsfunde, z.B. nach unvorsichtigem Anklicken von Links. 121 So aber OLG Düsseldorf NStZ 2015 654 f mit krit. Stellungnahme von Gercke ZUM 2015 772, 781. 122 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 40; ähnlich Hörnle MK Rdn. 46, 48. Nestler
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VIII. Abs. 3
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3. Besitzen, Abs. 3 Var. 3 Abs. 3 erfasst außerdem den Besitz kinderpornografischer Inhalte. Für diese Tatvariante des 42 Abs. 3 fehlt der unmittelbare Zusammenhang mit der Förderung des Marktgeschehens (Rdn. 4, 34), da nicht auf Beschaffungshandlungen abgestellt wird. Es handelt sich um ein reines Besitzdelikt, dessen Existenz mit Nachweisschwierigkeiten gerechtfertigt sein soll, wenn die aktive und gezielte Mitwirkung an der Besitzverschaffung nicht beweisbar ist.123 Worin der Unrechtsgehalt dieses Tatbestands liegen soll, ist nicht klar. Kritisch wird es 43 dabei vor allem gesehen, dass zwar das (nicht strafbare) Betrachten von Bildern eines realen Missbrauchs die Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Kinder verletzt, der (strafbare) Besitz der Bilder aber nicht ohne Weiteres.124 Dem Tatbestand kommt damit lediglich eine Auffangfunktion zu, wenn die – persönlichkeitsrechtsverletzenden – Beschaffungshandlungen nicht nachweisbar sind. Besitz verlangt die tatsächliche Sachherrschaft an den Inhalten selbst oder an dem Daten- 44 träger, auf dem die Inhalte gespeichert sind sowie einen entsprechenden Besitz- oder Herrschaftswillen.125 Dies trifft auf jeden (Mitbenutzer) zu, der Zugang zu und vollständige Kontrolle über die entsprechenden Inhalte hat.126 Bei der Einordnung von Rspr. zum Besitz an digitalen Inhalten ist aufgrund der mehrfachen Gesetzesänderungen Vorsicht geboten.127 Soweit es sich um Behelfskonstruktionen zur Schließung von Strafbarkeitslücken handelt, sind diese keineswegs unreflektiert auf Abs. 3 Var. 3 übertragbar (siehe bereits Rdn. 41): Für den Besitz genügen Thumbnails (automatisch gespeicherte Vorschaubilder),128 wobei es in diesem Fall am Vorsatz fehlen kann. Die Strafbarkeit setzt dann allerdings voraus, dass mehr Zeit verstrichen ist, als für eine zumutbare Beseitigung oder die Weiterleitung an Strafverfolgungsbehörden erforderlich gewesen wäre.129 Das folgt daraus, dass im Fall des versehentlichen oder unbemerkten Besitzerlangens dem Täter nur ein Unterlassen der Löschung zum Vorwurf gemacht werden kann.130 Dies setzt jedoch voraus, dass es dem Täter möglich und zumutbar gewesen wäre, die fragliche Handlung vorzunehmen. Hierbei kann auch maßgeblich sein, wo und in welcher Form die Daten auf dem Rechner fortbestehen und ob ein Zugriff darauf dem durchschnittlichen Computernutzer problemlos möglich ist oder nicht. Dies ist bei Dateien im Papierkorb der Fall, bei im
123 So BT-Drucks. 12/3001 S. 4, 6; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 40. Krit. dazu Jäger FS Schüler-Springorum 229, 232 f; Hörnle MK Rdn. 45; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 37. Anders Eckstein Besitz als Straftat, S. 258 f. Zur Förderung des Marktgeschehens durch Schriftenverbreitung im Wege digitaler Kommunikation Bock/Harrendorf ZStW 126 (2014) 337, 354. 124 Hörnle MK Rdn. 45; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 37; Wolters/Greco SK Rdn. 31. In diese Richtung auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 6 (Verletzung der Persönlichkeitsrechte und der Menschenwürde „beim Konsum“). 125 BGH NStZ 2005 155; OLG Hamburg StV 2009 469 f; Eckstein Besitz als Straftat S. 240; Eckstein ZStW 117 (2005) 114; Fischer Rdn. 40; Hörnle MK Rdn. 47; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 38; ähnlich Ziegler BeckOK Rdn. 19, 21 („bedingter Besitzwille“). 126 Ebenso Hörnle MK Rdn. 49 mit dem Hinweis, dass allein die sozial übergeordnete Stellung z.B. des Vorgesetzten nicht ausreicht. Entscheidend ist die volle Verfügungsgewalt. Anders Sch/Schröder/Eisele Rdn. 41 (Zugang zum Rechner ausreichend). 127 Vgl. nur zum Besitz an Daten vor Inkrafttreten von § 184d StGB a.F.: BGHSt 58 197, 199 f; OLG Hamburg NJW 2010 1893, 1896 ff; OLG Schleswig NStZ-RR 2007 41. 128 Hörnle MK Rdn. 46; Ziegler BeckOK Rdn. 18. 129 Hörnle MK Rdn. 46. In eine ähnliche Richtung wohl Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 41, der „wegen der allzu großen Flüchtigkeit“ das Laden aus dem Arbeitsspeicher nicht ausreichen lassen will; ebenso SSW/Hilgendorf Rdn. 17. Zwischen dem Arbeitsspeicher und dem Cache differenziert auch Fischer Rdn. 34, der nur für letztgenannten den Besitz bejaht. Anders hinsichtlich des Caches AG Bocholt BeckRS 2017 143766 („mangels Funktionsherrschaft“ kein Besitz an Daten im Browser-Cache). 130 Wolters/Greco SK Rdn. 30. Insg. krit. dazu Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7. 441
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§ 184b
Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte
System verborgenen und schwer zugänglichen Dateien mangels Zugriffsmöglichkeit jedoch nicht.131 45 Die Anforderungen an den notwendigen Besitz- oder Herrschaftswillen sind umstr. Teilweise wird vertreten, dabei handle es sich um eine einschränkende Auslegung des Tatbestands im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm. Gefordert wird dabei teilweise Besitzabsicht oder jedenfalls das sichere Wissen um die Existenz des Materials,132 teilweise wird die bloße Kenntnis jedoch als nicht ausreichend erachtet.133 Dolus eventualis hinsichtlich des Besitzes genügt nach verbreiteter Ansicht jedenfalls nicht.134 Richtigerweise handelt es sich dabei um eine Frage des subjektiven Tatbestands (Rdn. 58 f), in Bezug auf den zwar der Wortlaut keinerlei Anhaltspunkte für die gesteigerten Anforderungen enthält; die Einschränkung erscheint aber aufgrund der Weite des objektiven Merkmals und insbesondere im Vergleich zu den anderen Tatvarianten des Abs. 3, die beide schon objektiv ein zielgerichtetes Handeln voraussetzen, dringend geboten. Gerade falls es sich um automatisch gespeicherte Abbildungen oder Miniaturansichten handelt, kann es am Wissen hinsichtlich des Besitzes fehlen.135 46 Die h.M. stellt bei diesen Fragen (Möglichkeit und Zumutbarkeit des Löschens bzw. Wissen um das Vorhandensein der Inhalte) allerdings nicht durchgehend auf einen durchschnittlichen Nutzer als Maßstabsperson ab. So wird etwa davon ausgegangen, dass bei Personen, die ausdauernd und systematisch Kinderpornografie sammeln, technische Kenntnisse vermutet werden können, die auch Browser-Cache-Funktionen einschließen.136 Indizien sollen dabei schon die „regelmäßig wiederholte ‚Säuberung‘ der Festplatte“,137 die Zahl der kinderpornografischen Abbildungen, die Bezeichnungen von Bilddateien sowie anschließendes Aufrufen, Verschieben, Umbenennen oder Kopieren138 sein. Umgekehrt deuten wenige Bilder und eine kurze Verbindungsdauer darauf hin, dass Nutzer das Herunterladen nicht bemerkt haben.139
IX. Tatbestandsausschluss nach Abs. 5 und Abs. 6 1. Erfasste Bereiche nach Abs. 5 47 Abs. 5 normiert einen Tatbestandsausschluss für bestimmte, dort abschließend genannte Fälle des Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3.140 Es handelt sich um eine Einschränkung bereits auf Tatbestandsebene (Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 „gelten nicht“) für Handlungen, die ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung der dort genannten Aufgaben dienen. Das Erfordernis der Ausschließlichkeit stellt sicher, dass die fragliche Aufgabenerfüllung der einzige Grund für die Besitzverschaffung usw. ist.141
131 Hörnle MK Rdn. 46; ebenso AG Bocholt BeckRS 2017 143766 und Ziegler BeckOK Rdn. 19 (jeweils zu Daten im Browser-Cache) unter Verweis auf BGH BeckRS 2018 14123. 132 Hörnle MK Rdn. 47. 133 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 38. 134 Hörnle MK Rdn. 47; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 38. Restriktiv wohl auch Fischer Rdn. 40 (Besitzwillen hinsichtlich der Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf den Inhalt). Anders BGH BeckRS 2015 15770; OLG Oldenburg MMR 2011 118 sowie Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 43 (bedingter Vorsatz soll ausreichen). 135 Hörnle MK Rdn. 47; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 38. 136 Hörnle MK Rdn. 48 mit Verweis auf OLG Hamburg NJW 2010 1893 f. Zu den mit dem Rückschluss auf die Wissenskomponente verbundenen praktischen Problemen Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 41. 137 Hörnle MK Rdn. 48. 138 Wüstenberg StraFo 2009 234. 139 LG Aachen MMR 2008 764. 140 Vgl. BT-Drucks. 18/2601 S. 31. 141 BT-Drucks. 12/4883 S. 8 f. So auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 42. Nestler
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IX. Tatbestandsausschluss nach Abs. 5 und Abs. 6
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a) Staatliche Aufgaben, Abs. 5 Nr. 1. Staatliche Aufgaben i.S.d. Nr. 1 sind in erster Linie 48 sämtliche Tätigkeiten, die mit der Strafverfolgung im einschlägigen Bereich zusammenhängen. Darüber hinaus erfasst der Ausschlusstatbestand Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Prüfung jungendgefährdender Schriften nach dem JuSchG.142 b) Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle, Abs. 5 Nr. 2. Abs. 5 Nr. 2 49 betrifft Bereiche, in denen Private in die Erfüllung der staatlichen Aufgaben z.B. der Strafverfolgung einbezogen sind und die staatlichen Stellen dabei unterstützen. Beispielhaft genannt werden dabei etwa Internet-Beschwerdestellen, die Meldungen über kinderpornografische Inhalte entgegennehmen, an die Strafverfolgungsbehörden weiterleiten und/oder die Löschung betreiben.143 Zudem besteht im Rahmen von §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 2 JMStV ein gesetzlicher Auftrag für Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle.144 In den Anwendungsbereich der Vorschrift dürften aber auch Konstellationen gehören, in denen die Strafverfolgungsbehörden bei der Rekonstruktion des Vorgangs und der Entschlüsselung des Materials auf die Mitwirkung Dritter angewiesen sind.
c) Dienstliche oder berufliche Pflichten, Abs. 5 Nr. 3. In den Anwendungsbereich des 50 Abs. 5 Nr. 3 fallen Sachverständige, Anwälte, Strafverteidiger, Ärzte oder Psychologen, letztgenannte insbesondere, soweit es sich um Inhalte handelt, die zur Diagnose und Therapie von Relevanz sind. Ferner gehört die Forschung in den Anwendungsbereich der Norm,145 wobei sowohl Forschungsvorhaben im Hochschulbereich als auch privater Forschungsinstitute erfasst sind. Berufliche Pflichten sind sowohl solche, die von dritter Seite auferlegt werden, als auch die freie Entscheidung eines Wissenschaftlers, Journalisten oder Abgeordneten.146 Kinderpornografische Inhalte aus den Akten der Staatsanwaltschaft müssen jedoch nicht 51 unbedingt durch den Verteidiger an den Mandanten oder einen beauftragten Sachverständigen weitergegeben werden.147 Hier steht im Hinblick auf Art. 6 EMRK der Verteidigung ein Beurteilungsspielraum zu.148 Der Strafbarkeitsausschluss nach Abs. 5 verlangt eine eingehende Prüfung, ob und inwie- 52 weit die fraglichen Handlungen allein von der beruflichen Tätigkeit geprägt sind.149 2. Ausschlusstatbestand des Abs. 6 Zum 13.3.2020 eingefügt wurde ein weiterer Ausschlusstatbestand, zunächst in Abs. 5 S. 2 53 a.F.,150 nunmehr in Abs. 6.151 Der Ausschluss erfasst Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4 sowie Abs. 1 S. 2, soweit die fraglichen Handlungen im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren stattfinden und sich auf einen kinderpornografischen Inhalt beziehen, der kein tatsächliches Ge142 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 43. 143 BT-Drucks. 18/2601 S. 31; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 44. 144 BT-Drucks. 18/2601 S. 32 nennt z.B. den Verband der Deutschen Internetwirtschaft e.V. (eco) sowie die Freiwillige Selbstkontrolle Multi-Mediadiensteanbieter e.V. (fsm). Ähnlich der Hinweis bei Ziegler BeckOK Rdn. 20. 145 Vgl. BT-Drucks. 12/4883 S. 8 f; Wolters/Greco SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 45; Fischer Rdn. 42 f; ferner Schroeder NJW 1993 2583. 146 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 45. 147 So aber BGH NStZ 2014 514; dazu krit. Jahn JuS 2014 1046; Ziemann StV 2014 299. Dagegen Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 45. 148 Jahn JuS 2014 1046. 149 Hörnle MK Rdn. 47; aA Kreutz DÖV 20105 99 ff. 150 BGBl. 2020/I S. 431; s. dazu Rückert/Goger MMR 2020 373. 151 BGBl. 2020/I S. 1810. Zum Gesetzgebungsverfahren Rückert/Goger MMR 2020 373, 375. 443
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Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte
schehen wiedergibt und auch nicht unter Verwendung einer Bildaufnahme eines Kindes oder Jugendlichen hergestellt worden ist und sofern anderenfalls die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre; ein Vorgehen nach Abs. 6 ist somit nur zulässig, wenn es alternativlos ist. 54 Abs. 6 eröffnet die Möglichkeit, digital bzw. animiert hergestellte kinderpornografische Inhalte zu Ermittlungszwecken als Lockangebote zu verwenden, sie zu diesem Zweck zu verbreiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.152 I.d.R. werden entsprechende Materialien insbesondere im Darknet als sog. Keuschheitsprobe verlangt, um Zugang zu den Plattformen zu erhalten.153 Abs. 6 gestattet ausschließlich die Verwendung von Fiktivpornografie. Collagen oder ver55 fremdete echte Aufnahmen sind nicht zulässig.154 Nach z.T. vertretener Auffassung soll es jedoch gestattet sein, die zur Programmierung genutzte Software mit echten Bildern zu „trainieren“.155 Abs. 6 stellt insofern die konsequente Fortführung der Praxis dar, im Rahmen der Ermittlungen im Umfeld der Kinderpornografiedelikte verstärkt auf die Infiltration der einschlägigen Netzwerke zu setzen. Bereits bisher kommen hier verstärkt verdeckte Ermittler zum Einsatz,156 denen nun ein zusätzliches Instrument an die Hand gegeben ist bzw. deren Vorgehen nun über eine rechtliche Grundlage verfügt. Gem. § 110b StPO bedarf ein Vorgehen nach Abs. 6 der richterlichen Zustimmung. Bei Ge56 fahr im Verzug genügt die Zustimmung der Staatsanwaltschaft.
X. Subjektiver Tatbestand 57 Grds. genügt zur Tatbestandsverwirklichung der bedingte Vorsatz. Dieser muss den kinderpornografischen Charakter der Inhalte einschließlich des Alters der Darsteller im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre umfassen.157 Ebenfalls vom Vorsatz umfasst sein muss die Tathandlung, wobei insoweit deren jeweilige Besonderheiten zu berücksichtigen sind (siehe insbesondere Rdn. 43 ff). Soweit die Tatbestände ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen betreffen, muss sich der Vorsatz auch auf die Umstände erstrecken, aus denen sich dies ergibt. Abs. 1 Nr. 4 erfordert zusätzlich die spezifische Absicht, die Inhalte i.S.d. Nrn. 1 oder 2 zu 58 verwenden bzw. einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen.
XI. Versuchsstrafbarkeit, Abs. 4 59 Abs. 4 regelt die Versuchsstrafbarkeit für die nicht zu einem Verbrechen heraufgestuften Fälle des Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 Nr. 1. Die Unternehmensdelikte des Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 beziehen ohnehin den Versuch mit ein, § 11 Abs. 1 Nr. 6. Abs. 1 Nr. 4 enthält mit den dort adressierten Vorbereitungshandlungen einen Vorfeldtatbestand, der keine zusätzliche Versuchsstrafbarkeit duldet. Daher war die Klarstellung in Abs. 4 2. Hs. entbehrlich. Die in Abs. 4 normierte Versuchsstrafbarkeit beseitigt nach Auffassung des Gesetzgebers den Wertungswiderspruch, dass im 152 BT-Drucks. 19/16543 S. 11. 153 Vgl. dazu auch Ziegler BeckOK Rdn. 20a; ferner SSW/Hilgendorf Rdn. 21; Rückert/Goger MMR 2020 373 f; Wittmer/Steinebach MMR 2019 650. Zu den geschlossenen Nutzergruppen in diesem Umfeld bereits Matzky ZRP 2003 167 ff. 154 BT-Drucks. 19/16543 11. Dies betonend Gercke ZUM 2020 948, 952. Vgl. auch Ziegler BeckOK Rdn. 20a. 155 BT-Drucks. 19/16543 S. 11. Zu den technischen Möglichkeiten Wittmer/Steinebach MMR 2019 650, 651 f. 156 Eingehend zum Einsatz verdeckter Ermittler im Umfeld von Kinderpornografie Soiné NStZ 2003 225 ff, insb. 227 f zu den zulässigen Handlungen. 157 Zu Irrtümern Mitsch ZStW 124 (2012) 329 ff. Vgl. auch Ziegler BeckOK Rdn. 21. Nestler
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XIV. Konkurrenzen
§ 184b
Rahmen der Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 sowie Abs. 1 Nr. 4 die Vorbereitung (i.w.S.) strafbar war, der Versuch des Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 Nr. 1 aber nicht.158
XII. Einziehung, Abs. 7 Nach Abs. 7 S. 1 werden Tatgegenstände der Straftaten nach Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 oder 3 bzw. Abs. 3 60 eingezogen. Dabei gelten prinzipiell die allgemeinen Vorschriften einschließlich des in § 74f Abs. 1 S. 1 normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.159 Abs. 7 S. 2 verweist zudem auf die Einziehung bei Dritten gem. § 74a.
XIII. Verjährung § 78 Abs. 3 Nr. 4 normiert für Taten nach Abs. 1 und Abs. 3 eine Verjährungsfrist von fünf Jahren; 61 § 78 Abs. 3 Nr. 3 sieht für Taten nach Abs. 2 eine Verjährungsfrist von zehn Jahren vor. Das gilt aufgrund der im Landespresserecht vorgesehenen Ausnahmen für Kinderpornografie auch für die Presseinhaltsdelikte der Verbreitungstatbestände. Soweit die Tatbestände des § 184b vom Verbreiten unabhängig sind, bleibt es bei der allgemeinen Regelung des § 78.160
XIV. Konkurrenzen Lädt der Täter während einer Internetsitzung aufgrund eines einzigen Tatentschlusses verschie- 62 dene kinderpornografische Inhalte aus dem Internet, ist zwischen diesen Handlungen Tateinheit anzunehmen; im Falle von zeitlich aufgrund eines eigenständigen Tatentschlusses auseinanderfallenden Beschaffungsvorgängen ist hingegen Tatmehrheit zwischen den Einzeldelikten anzunehmen.161 § 184b Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 tritt hinter § 184 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 4 zurück.162 Der Besitz nach Abs. 3 Var. 3 tritt hinter den Abruf nach Abs. 3 Var. 1 und die Besitzver- 63 schaffung nach Abs. 3 Var. 2 zurück, weil der dem Abruf sowie der Besitzverschaffung zwingend nachfolgende Besitz weniger gefährdungsintensiv ist.163 Die Besitzstrafbarkeit nach Abs. 3 Var. 3 kann daher nicht mehrere Verschaffensakte verklammern.164 Der Besitz als Dauerdelikt verklammert angesichts des enormen Strafrahmenunterschieds zwischen Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 auch nicht die vorausgegangene Beschaffung und das nachfolgende Dritt-Verschaffen dieses Inhalts nach Abs. 1 Nr. 2 zu einer Tat.165 Erfolgt eine Verurteilung allein wegen des Besitzes nach Abs. 3 Var. 3, weil weder ein Abruf noch ein Sich-Verschaffen nachweisbar ist, so ist der Täter nur
158 BT-Drucks. 18/2601 S. 31. Krit. da dies nur zutrifft, wenn der Vorbereitende selbst die Tat begeht Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 48.
159 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 51 mit dem Hinweis, dass die Löschung der Daten milderes Mittel sein kann. 160 BT-Drucks. 12/3001 S. 6; Hörnle MK Rdn. 69; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 52; Wolters/Greco SK Rdn. 36. 161 BGH NStZ 2009 208; BeckRS 2013 18827; BeckRS 2014 17465; BGH StV 2015 494 f; BGH NStZ-RR 2016 198 f; OLG Rostock MMR 2010 348; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 49; SSW/Hilgendorf Rdn. 25; Hörnle MK Rdn. 61; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 10. 162 LG Wuppertal NStZ 2008 463, 464; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 49; Hörnle MK Rdn. 61. 163 BGH BeckRS 2021 43181; BGH NStZ 2009 208 OLG Rostock MMR 2010 348, 349; BGH NStZ-RR 2016 198; BGH NStZ-RR 2017 142; BGH BeckRS 2018 19227; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 49; SSW/Hilgendorf Rdn. 25; Hörnle MK Rdn. 61. 164 BGH NStZ 2022 407 (Tateinheit); BGH NStZ 2009 208; BGH NStZ-RR 2016 198; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 49; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10; Hörnle MK Rdn. 61. 165 BGH NStZ 2009 208, Eckstein ZStW 117 (2005) 136, 140; Hörnle MK Rdn. 61; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10. 445
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§ 184b
Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte
wegen eines Besitzes zu verurteilen, wenngleich dieser gleichzeitig verschiedene Datenträger mit kinderpornografischen Inhalten besitzt.166 64 § 176a Abs. 3 steht ebenso wie Handlungen nach § 176 in Tateinheit mit der Herstellung von Kinderpornografie nach Abs. 1 Nr. 3.167 § 184a tritt hinter § 184b zurück, sofern den gewalt- oder tierpornografischen Inhalten überdies kinderpornografischer Gehalt zukommt. Im Übrigen ist Tateinheit möglich.168
166 BGH BeckRS 2013 10642; BGH BeckRS 2018 14123; BGH BeckRS 2018 23225; BGH BeckRS 2019 23557; BGH NStZ-RR 2020 172, 173.
167 BGH NStZ 2003 661, 662; BGHSt 43 366, 368 f; Hörnle MK Rdn. 62; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 49. 168 Fischer Rdn. 45; SSW/Hilgendorf Rdn. 26; Ziegler BeckOK Rdn. 26. Nestler
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§ 184c Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Inalte (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. einen jugendpornographischen Inhalt verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht; jugendpornographisch ist ein pornographischer Inhalt (§ 11 Absatz 3), wenn er zum Gegenstand hat: a) sexuelle Handlungen von, an oder vor einer vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person, b) die Wiedergabe einer ganz oder teilweise unbekleideten vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder c) die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes einer vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person, 2. es unternimmt, einer anderen Person einen jugendpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zugänglich zu machen oder den Besitz daran zu verschaffen, 3. einen jugendpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, herstellt oder 4. einen jugendpornographischen Inhalt herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 oder 2 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, soweit die Tat nicht nach Nummer 3 mit Strafe bedroht ist. (2) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und gibt der Inhalt in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1, 2 und 4 ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. (3) Wer es unternimmt, einen jugendpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen, oder wer einen solchen Inhalt besitzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (4) Absatz 1 Nummer 3, auch in Verbindung mit Absatz 5, und Absatz 3 sind nicht anzuwenden auf Handlungen von Personen in Bezug auf einen solchen jugendpornographischen Inhalt, den sie ausschließlich zum persönlichen Gebrauch mit Einwilligung der dargestellten Personen hergestellt haben. (5) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 1 Nummer 2 und 4 sowie Absatz 3. (6) § 184b Absatz 5 bis Absatz 7 gilt entsprechend.
Schrifttum Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten (2012). Siehe weiter das Schrifttum zu § 184 und § 184b.
Entstehungsgeschichte Die Vorschrift fußt ursprünglich auf dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie vom 31.10.2008,1 in Kraft getreten am 5.11.2008. Art. 3 dieses Rahmenbeschlusses2 verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Herstellung, den Ver-
1 BGBl. 2008/I S. 2149. 2 ABl. Nr. L 13 v. 20.1.2004 S. 44. 447 https://doi.org/10.1515/9783110490121-024
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§ 184c
Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Inalte
trieb, die Verbreitung, die Weitergabe, das Anbieten und das sonstige Zugänglichmachen von Kinderpornografie sowie den Erwerb und Besitz von solcher unter Strafe zu stellen. Da Art. 1 lit. a des Rahmenbeschlusses zufolge jede Person unter achtzehn Jahren als Kind gilt, waren für von § 184b nicht erfasste Jugendliche zwischen vierzehn und achtzehn Jahren Modifikationen notwendig. Auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 lit. c des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20.11.1989 über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie, das die Vertragsstaaten verpflichtet, die Herstellung, das Vertreiben, Verbreiten, Einführen, Ausführen, Anbieten, Verkaufen und Besitzen von Kinderpornografie unter Strafe zu stellen, bestand Umsetzungsbedarf, denn Art. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes3 bezeichnet als „Kind“ jeden Menschen unter achtzehn Jahren, soweit nicht die Volljährigkeit früher eintritt. Entsprechende Regelungen enthalten auch Art. 2 lit. a der Richtlinie 2011/93/EU zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI4 und Art. 3 lit. a des Übereinkommens zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch.5 Die nationale Umsetzung der supranationalen Vorgaben barg jedoch Probleme. Sah der Gesetzentwurf der Bundesregierung6 vom 1.9.20067 noch vor, § 184b mit unverändertem Strafrahmen um die Altersgruppe der 14 bis 18jährigen, die im deutschen Strafrecht üblicherweise als „Jugendliche“ bezeichnet werden, während als „Kinder“ nur Personen unter 14 Jahren gelten, zu erweitern,8 wurde der Bereich der Jugendpornographie aufgrund der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses9 vom 18.6.2008 letztlich doch in § 184c eigenständig geregelt. Dabei wurden die Strafrahmen im Vergleich zur Kinderpornographie angesichts des geringeren Unrechtsgehalts solcher Taten10 deutlich gesenkt. Mit dem 49. StrÄndG11 wurde die Vorschrift mit den Änderungen an § 184b harmonisiert. Ihre aktuelle Fassung erhielt die Norm zum 1.7.2021 durch Gesetz vom 16.6.2021.12 Bereits zum 1.1.2021 war die Vorschrift im Zuge der Modernisierung des Schriftenbegriffs neu gefasst worden.13 Letztlicht reicht § 184c StGB in seiner derzeitigen Ausgestaltung in vielerlei Hinsicht über den obligatorischen Jugendschutz des Rahmenbeschlusses hinaus.14
Übersicht I.
Geschütztes Rechtsgut und kriminalpolitische 1 Bedeutung
II. 1. 2. 3.
Abs. 1 Jugendpornographische Inhalte 7 Jugendliche 11 Tathandlungen
III.
Qualifikation nach Abs. 2
IV.
Abs. 3
V. 1. 2. 3.
15 Privilegierung nach Abs. 4 16 Privilegierter Personenkreis Ausschließlich persönlicher Gebrauch 20 Einwilligung
VI.
Subjektiver Tatbestand
19
3
VII. Versuch und Beteiligung
21 23
12 VIII. Verweise auf § 184b Abs. 5 und Abs. 6
24
13
3 4 5 6 7 8
In Kraft getreten am 5.4.1992, BGBl. 1992/II S. 990. ABl. Nr. L 335 v. 17.12.2011 S. 1 mit Berichtigung ABl. Nr. L 18 v. 21.1.2012. Europarats-Konvention Nr. 201, sog. Lanzarote-Konvention. Dazu kritisch Thiée NK 2006 131; Reinbacher/Wincierz ZRP 2007 195. BR-Drucks. 625/06. In Abs. 1 sollten die Worte: „die den sexuellen Missbrauch von Kindern (§§ 176 bis 176b) zum Gegenstand haben (kinderpornographische Schriften)“ durch den Passus: „die sexuelle Handlungen von, an oder vor Personen unter achtzehn Jahren zum Gegenstand haben (kinder- und jugendpornographische Schriften)“ ersetzt werden. In den Abs. 2, 3 und 4 S. 1 sollte „kinderpornographisch“ jeweils durch „kinder- und jugendpornographisch“ ersetzt werden. 9 BT-Drucks. 16/9646. 10 BT-Drucks. 16/9646 S. 38; ausführlich Hörnle MK Rdn. 6; zu verfassungsrechtlichen Bedenken Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 3. 11 BGBl. 2015/I S. 13. 12 Art. 1 des Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, BGBl. 2021/I S. 1810 ff. 13 Gesetz vom 30.11.2020, BGBl. 2020/I S. 2600. 14 BT-Drucks. 16/9652 S. 5. Siehe aber Rdn. 8. Nestler
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II. Abs. 1
§ 184c
I. Geschütztes Rechtsgut und kriminalpolitische Bedeutung Die Vorschrift dient, wie § 184b,15 dem Jugendschutz sowie dem Schutz der jugendlichen Dar- 1 steller.16 Hinsichtlich der Darsteller intendiert die Norm allerdings nicht den Schutz vor sexuellem Missbrauch,17 sondern abstrakt vor der kommerziellen Beteiligung am Pornografiegewerbe.18 Soweit pornografische Inhalte tatsächlich jugendliche Darsteller zeigen, wird ferner der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bzw. des Rechts am eigenen Bild bezweckt.19 Die kriminalpolitische Bedeutung von § 184c StGB ist vergleichsweise gering. Im Jahr 2016 2 betrug die Zahl der verurteilten Personen 142. 2017 wurden 143 Personen verurteilt. 2018 belief sich die Zahl auf 177 und 2019 auf 158 verurteilte Personen.20
II. Abs. 1 1. Jugendpornographische Inhalte Als jugendpornografischer Inhalt gilt jeder pornografische Inhalt (§ 11 Abs. 3), der sexuelle Hand- 3 lungen21 von, an oder vor einer vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person (lit. a), die Wiedergabe einer ganz oder teilweise unbekleideten solchen Person in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung (lit. b) oder die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes einer solchen Person (lit. c) zum Gegenstand hat. Der Pornografiebegriff des § 184 gilt auch für § 184c.22 Ebenso wie bei den kinderpornografischen Inhalten des § 184b reicht es nicht, wenn die fraglichen Darstellungen die in § 184c Abs. 1 genannten sexuellen Handlungen oder Posen nur beinhalten, sofern die Inhalte nicht selbst einen pornografischen Charakter besitzen.23 Die Inhalte bzw. im Rahmen des Abs. 1 lit. c die Wiedergabe müssen also auf die Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachter abzielen und dabei die im Einklang mit allgemeinen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes eindeutig überschreiten. Insofern gilt das zu § 184b Gesagte. Die Frage, wie damit umzugehen ist, dass Jugendliche zwar vom Gesetzgeber als in gleicher Weise schutzwürdig eingestuft werden, jedoch anders als Kinder mit beginnender Adoleszenz selbst bereits Zugang zur eigenen Sexualität suchen, weshalb eine bestimmte Pose oder eine spezifische Körperhaltung nicht zwangsläufig unnatürlich erscheinen muss, ist mit der Änderung des Wortlauts zum 1.1.2021 irrelevant geworden. Die Norm stellt nun in Abs. 1 lit. b auf die aufreizend geschlechtsbetonte Körperhaltung ab, für die es nicht mehr darauf ankommt, ob eine Pose unnatürlich i.S.d. a.F. der Vorschrift erscheint. 15 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; SSW/Hilgendorf Rdn. 5. 16 BT-Drucks. 16/9646 S. 38. 17 BT-Drucks. 16/9652 S. 5; Reinbacher/Wincierz ZRP 2007 197; Wüstenberg UFITA 2009 512 f. Anders (gleichwohl aber krit.) Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2, der „Missbrauchsprävention durch Austrocknung des Marktes“ als Schutzzweck erkennen will. Ähnlich Ziegler BeckOK Rdn. 2. 18 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2 unter Verweis auf Hörnle NJW 2008 3523; siehe auch BT-Drucks. 16/9646 S. 18 (Schutz Jugendlicher vor der Ausbeutung in der Pornographie); krit. aber Baier ZUM 2004 45; Böse FS Schroeder 757 f; Reinbacher/Wincierz ZRP 2007 196; Wüstenberg UFITA 2009 512. Ziegler BeckOK Rdn. 2 ordnet § 184c als Qualifikation zu § 184 ein und sieht daher dieselben Rechtsgüter wie im Rahmen des § 184 als geschützt an. 19 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; Greco RW 2011 299 f; Popp ZIS 2011 202 f; in besonderem Maße betonen dies auch Wolters/Greco SK Rdn. 4. 20 Jeweils zu den Jahren 2016 – 2019 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3, 2.1 Abgeurteilte und Verurteilte nach Art der Straftat und Altersgruppen. 21 Dazu die Kommentierung bei § 184h sowie § 184b Rdn. 13 ff. 22 So auch SSW/Hilgendorf Rdn. 6. Zum Pornografiebegriff siehe § 184 Rdn. 15 ff. Zum Streitstand hinsichtlich des Maßstabs § 184b Rdn. 7. 23 BT-Drucks. 16/9646 S. 38; Hörnle NJW 2008 3524; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1069; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; aA Frommel NK § 184e Rdn. 11. 449
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§ 184c
Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Inalte
„Zum Gegenstand haben“ bedeutet, wie auch bei § 184b, nicht, dass ein reales Geschehen wiedergegeben werden muss. Die Norm erfasst auch Fiktivpornografie. Dies folgt u.a. sowohl im Umkehrschluss daraus, dass § 184c Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 jeweils auf ein tatsächliches bzw. wirklichkeitsnahes Geschehen abstellen als auch aus dem (insoweit umstr.24) Schutzzweck der Vorschrift.25 Tatobjekte nach Abs. 1 Nr. 1 müssen damit nicht einmal den Anschein erwecken, ein tatsächliches Geschehen wiederzugeben. Vielmehr genügen für Abs. 1 Nr. 1 Darstellungen, deren fiktionaler Charakter erkennbar ist. Die Inhalte entsprechen denen des § 184b,26 beziehen sich allerdings auf Jugendliche und 5 nicht auf Kinder. Für die Variante des Abs. 1 Nr. 1 lit. a Var. 3 der sexuellen Handlung „vor“ Jugendlichen ergeben sich ganz grundsätzliche Zweifel, ob die Einbeziehung von sexuellen Handlungen vor Jugendlichen in den Tatbestand überhaupt erforderlich war, intendiert die Norm doch im Wesentlichen den Darstellerschutz vor Verstrickung in das Pornografiegewerbe. Jedenfalls der Rahmenbeschluss, der nach Art. 1 lit. b (i) für den Bereich der „Kinderpornographie“ zumindest die passive Beteiligung an einer eindeutig sexuellen Handlung voraussetzt, legt dies nicht nahe.27 Auch der gegenüber § 184b verringerte Strafrahmen28 vermag dies allein nicht auszugleichen. Ob der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Darstellers die Einbeziehung in Gänze rechtfertigt, bleibt zweifelhaft. Ungeachtet dieser grundsätzlichen Kritik müssen die Inhalte erkennen lassen, dass vor dem Jugendlichen sexuelle Handlungen stattfinden, die dieser auch wahrnimmt (§ 184h Nr. 2), wobei sowohl die sexuelle Aktivität als auch der wahrnehmende Jugendliche gezeigt werden muss.29 Mit der Neufassung der Norm genügt, wie bei § 184b, auch eine Detailaufnahme, die nur 6 die Genitalien oder das Gesäß des Jugendlichen wiedergibt.30 Zu der a.F. hatte der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfohlen, „im Hinblick auf die wachsende sexuelle Selbstbestimmung junger Menschen, die auch ein sexuelles Ausprobieren beinhaltet, von der Erweiterung der Definition der kinderpornographischen Schriften in § 184b Abs. 1 Nummer 1 Buchstabe c StGB-E Abstand zu nehmen“.31 Zum Teil wurde dazu vertreten, falls sich die Bildaufnahmen auf die Darstellung von Geschlechtsorganen beschränken, liege ein Bezug zum „sexuellen Ausprobieren“ fern, weshalb die Richtlinie 2011/93/EU zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie insofern nur defizitär umgesetzt gewesen sei.32 Mit der n.F. ist dieser Kritik Rechnung getragen.
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2. Jugendliche 7 Jugendliche sind Personen zwischen 14 und 18 Jahren. Wurde das 18. Lebensjahr vollendet, handelt es sich nicht mehr um Jugendliche.33 Der durch ein Redaktionsversehen bedingte missverständliche Wortsinn der a.F. („bis achtzehn“), der Personen einschloss, die das 18., aber noch nicht das 19. Lebensjahr vollendet haben, wurde dadurch bereinigt, dass der Wortlaut nun auf „noch nicht achtzehn Jahre alte[n] Person“ abstellt.
24 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15 (Tatbestand gehe insoweit an dieser Stelle über das mit Blick auf den Schutzzweck Erforderliche hinaus). Siehe § 184b Rdn. 11. § 184b Rdn. 5 ff. Hörnle NJW 2008 3523 f; krit. Reinbacher/Wincierz ZRP 2007 195. BT-Drucks. 16/9646 S. 38 verweist hierzu auf den geringeren Unrechtsgehalt. Siehe auch Rdn. 1. Hörnle MK Rdn. 14 sowie § 184b Rdn. 17. Krit. zur a.F. noch Hörnle MK Rdn. 14; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. BT-Drucks. 18/3202 S. 27. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; krit. auch Eisele/Franosch ZIS 2016 524 und Fischer Rdn. 3. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Hörnle MK Rdn. 8.
25 26 27 28 29 30 31 32 33
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II. Abs. 1
§ 184c
Dass ein Jugendlicher bereits älter aussieht (sog. Scheinerwachsener), ist für den Tatbe- 8 stand unschädlich.34 Nach der Ratio des § 184c sollen Jugendliche strukturell vom pornografischen Gewerbe ferngehalten werden. Bei Personen, die tatsächlich noch Jugendliche sind, ist daher allein auf die tatsächliche Sachlage abzustellen. Entscheidend ist, wie bei § 184b (dort Rn. 9) das Alter zum Zeitpunkt der Aufnahme; das Alter zum Zeitpunkt des Verbreitens oder bei Vornahme anderer Tathandlungen ist irrelevant.35 Kennt der Konsument das Alter des Scheinerwachsenen nicht, kann im Einzelfall der Vorsatz entfallen.36 Ist umgekehrt der Darsteller bereits volljährig, sieht aber wie ein Jugendlicher aus (sog. 9 Scheinjugendlicher), soll die Norm, genau wie § 184b für Scheinkinder (dort Rn. 10), ebenfalls eingreifen.37 Die Einbeziehung Scheinjugendlicher in den Tatbestand der Norm fuße dabei auf einer Entscheidung des Gesetzgebers, der diese bewusst nur in Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3, die auf ein tatsächliches Geschehen abstellen, von der Strafbarkeit ausgenommen hat.38 Damit habe der deutsche Gesetzgeber von der Option des Art. 5 Abs. 7 der Richtlinie, bei solchen Personen, die zum Zeitpunkt der Abbildung in Wirklichkeit 18 Jahre alt oder älter sind, umfassend von der Pönalisierung abzusehen, nur partiell Gebrauch gemacht und bekenne sich so zur Grundentscheidung der Richtlinie, die in Art. 2 lit. c iii) Personen mit „kindlichem Erscheinungsbild“ miteinbezieht. Mit Blick auf den Wortlaut der Vorschrift soll aber lediglich eine Bestrafung aus Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4, Abs. 2 in Betracht kommen,39 nicht aber aus Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, die den tatsächlichen Einsatz von Minderjährigen voraussetzen. Bemerkenswert an dieser Diskussion ist zunächst, dass sie – in dieser differenzierten Form – nur für Jugendliche, nicht aber für Kinder geführt wird,40 und dass sie für Abs. 1 Nr. 1 nicht zwischen lit. a und lit. b einerseits sowie lit. c andererseits differenziert. Letzteres ist wohl dem Umstand geschuldet, dass lit. c erst zum 1.1.2021 eingefügt wurde und sich ein ausdifferenziertes Bild in der Rspr. noch nicht abzeichnet. Will man mit Blick auf die Legaldefinition des Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. Scheinjugendliche in den Anwendungsbereich der Vorschrift einbeziehen, so kann es jedenfalls nicht darauf ankommen, ob der Wortlaut ein tatsächliches Geschehen voraussetzt, da Bezugspunkt der Tatsächlichkeit lediglich das Geschehen, nicht aber der jugendpornografische Charakter der Inhalte ist. Während die Einbeziehung von Scheinkindern im Rahmen von § 184b unter dem Aspekt einer Missbrauchsvorbeugung noch nachvollziehbar erscheinen mag,41 wirkt die damit verbundene Erweiterung des Tatbestands für Jugendliche im Rahmen des § 184c problematisch, da es bspw. mit den Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren eben durchaus sowohl (legale, weil volljährige) Konsumenten als auch Darsteller pornografischer Inhalte geben kann, für die sexuelles Interesse an Jugendlichen eben keineswegs abnormal wirkt. Insofern kann maßgeblich für dieses weite Normverständnis allein der Schutz potentieller jugendlicher Darsteller sein. Dieser Schutzzweck greift aber nicht ein, wenn es sich tatsächlich nur um einen Scheinjugendlichen handelt.
34 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1074; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Hörnle NJW 2008 3524; Wolters/ Greco SK Rdn. 8. So auch BVerfG MMR 2009 178; Hörnle MK Rdn. 10; Ziegler BeckOK Rdn. 6; vgl. (zu § 184b) auch BGHSt 47 62. Krit. BT-Drucks. 16/9646 S. 18. 35 Hörnle MK Rdn. 10; BayVGH MMR 2009 351, 352. 36 Zu Vorsatz- und Irrtumskonstellationen siehe Rdn. 23 f. 37 § 184b Rdn. 10. So für § 184c bspw. auch Ziegler BeckOK Rdn. 6; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 12. Grundlegend dazu BVerfG 6.12.2008 – 2 BvR 2369/08, 2 BvR 2380/08, MMR 2009 178 sowie BayVGH 23.3.2011 – 7 BV 09.2517, MMR 2011 559. Zum differenzierenden Schrifttum siehe Fn. 38. 38 BT-Drucks. 16/9646 S. 38. 39 Kudlich Jugendmedienschutz, S. 93; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Wolters/Greco SK Rdn. 3; Spindler/Schuster/Erdemir JMStV § 4 Rdn. 42 f. zu § 4 Abs. 1 Nr. 9 JMStV; differenzierend auch Hörnle MK Rdn. 11, die diesen Umstand der mangelnden Reduktion auf das „tatsächliche Geschehen“ als gesetzgeberische Inkonsequenz rügt; aA Haustein ZIS 2014 350 f. Vgl. dazu auch BT-Drucks. 18/2601 S. 32. 40 Soweit ersichtlich nicht einmal im Rahmen von § 184b Abs. 1 Nr. 3, der ein tatsächliches Geschehen voraussetzt, ein wirklichkeitsnahes Geschehen demgegenüber nicht ausreichen lässt. 41 § 184b Rdn. 4. 451
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Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Inalte
Ankommen soll es für die Einordnung darauf, ob der Darsteller für einen aufmerksamen, objektiven, mithin verständigen Betrachter unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Kontexts, insbesondere seiner körperlichen Entwicklung oder Inszenierung eindeutig wie ein Jugendlicher wirkt.42 Das Vorliegen eines Scheinjugendlichen verlangt dabei den Eindruck, dass der Betreffende „ganz offensichtlich“ noch nicht volljährig ist.43 Dies kann sich sowohl aus seinem (fast) kindlichen Auftreten ergeben, was die Inhalte in die Nähe der Scheinkinderpornographie i.S.d. § 184b StGB rückt,44 als auch aus der bewussten oder gezielten Inszenierung von Jugendlichkeit. Dies soll selbst dann gelten, wenn deutlich und zutreffend die Volljährigkeit angegeben ist.45 Ist das Erscheinungsbild weder eindeutig jugendlich noch erwachsen, handelt es sich nicht um einen Scheinjugendlichen; es bleibt allein das tatsächliche Alter maßgebend.46
3. Tathandlungen 11 Die Tathandlungen des Abs. 1 entsprechen im Prinzip denen des § 184b (vgl. insoweit die Kommentierung dort). Abs. 1 Nr. 1 erfasst das Verbreiten und der Öffentlichkeit Zugänglichmachen jugendpornografischer Inhalte. Da die Vorschrift auch Fiktivpornografie erfasst, wird die Richtlinie, die den Fokus mit ihrem Art. 2 lit. c auf den Darstellerschutz legt, insoweit überschießend umgesetzt.47 Ob es sich tatsächlich um pornografisches Material handelt, sei „sorgfältig“ zu prüfen.48 Abs. 1 Nr. 2 ist als Unternehmensdelikt ausgestaltet und stellt die Besitzverschaffung von Jugendpornografie für einen anderen unter Strafe.49 Dem Wortsinn folgend unterfallen lediglich solche Inhalte dem objektiven Tatbestand, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen50 wiedergeben („sog. Realpornografie“); reine Fiktivpornografie ist nicht erfasst. Abs. 1 Nr. 3 betrifft das Herstellen jugendpornografischer Inhalte, die ein tatsächliches Geschehen51 wiedergeben, ohne Verbreitungsabsicht. Für Abs. 1 Nr. 3 normiert Abs. 4 einen Strafbarkeitsausschluss. Unter den Tatbestand des Abs. 1 Nr. 4 fallen diverse Vorbereitungshandlungen,52 sofern der Täter mit Verbreitungsabsicht handelt. Mit Eisele53 überzeugt die Weite des Tatbestands aus teleologischer Sicht nicht. Die dem Wortsinn der Norm unterfallende Fiktivpornografie tangiert weder den bezweckten Darstellerschutz noch den Schutz vor Verstrickung in das Pornografiegewerbe. Abs. 1 Nr. 4 sollte daher de lege ferenda restriktiver ausgestaltet werden.54 Siehe insoweit auch Rn. 7.
42 BVerfG MMR 2009 178; ferner BayVGH MMR 2009 352; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Wolters/Greco SK Rdn. 3; krit. Schroeder GA 2009 218. So auch hier in der Vorauflage Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 4. 43 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1076. 44 BVerfG MMR 2009 178; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1076; Matt/ Renzikowski/Eschelbach Rdn. 5. 45 So auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1076; aA BayVGH MMR 2009 352. Krit. dazu Liesching MMR 2009 354. Wird wahrheitsgemäß auf Volljährigkeit hingewiesen, sei dieser Umstand lediglich bei der Gesamtbewertung der Betrachterperspektive einzubeziehen, so Hörnle MK Rdn. 11; ebenso Liesching MMR 2009 354. BayVGH MMR 2009 353 und BayVGH MMR 2011 559 schließen bei korrekter Angabe der Volljährigkeit des „Models“ trotz jüngeren Aussehens und trotz optisch inszenierter Minderjährigkeit einen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 JMStV aus. 46 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 1076; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; vgl. auch Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 7. 47 BT-Drucks. 16/9652 S. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12; Hörnle NJW 2008 3524; Hörnle MK Rdn. 6. 48 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4 unter Verweis auf BT-Drucks. 16/9652 S. 5 und mit krit. Hinweis auf die immensen Materialmengen im Internet. 49 Zu § 184b Abs. 1 Nr. 2 siehe § 184b Rdn. 27 ff. 50 Vgl. § 184b Rdn. 25 f. 51 § 184b Rdn. 31. 52 Ausführlich dazu § 184 Rdn. 93 ff und § 184b Rdn. 33. 53 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. 54 Vgl. auch BT-Drucks. 16/9652 S. 5; Hörnle NJW 2008 3524. Nestler
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V. Privilegierung nach Abs. 4
§ 184c
III. Qualifikation nach Abs. 2 Die Qualifikation des Abs. 2 pönalisiert ein gewerbs- oder bandenmäßiges Vorgehen in den Fäl- 12 len des Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4, wenn die Schrift ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt.55
IV. Abs. 3 Abs. 3 versieht das Unternehmen, jugendpornografische Inhalte herunterzuladen, die ein tat- 13 sächliches Geschehen wiedergeben, ebenso sich den Besitz an solchen Inhalten zu verschaffen56 oder solche Inhalte zu besitzen mit einer gesonderten Strafandrohung.57 Anders als für § 184b stellt der Gesetzgeber hier lediglich auf ein tatsächliches Geschehen ab und schließt wirklichkeitsnahe Geschehen aus dem Tatbestand. Nach legislativer Auffassung war eine solche Ausweitung des Tatbestandes weder aus der Warte des unmittelbaren noch aus jener des mittelbaren Darstellerschutzes geboten.58 Entscheidend ist demnach, dass die dargestellten sexuellen Handlungen von Jugendlichen tatsächlich vorgenommen wurden.59 Täuschend echt wirkende Animationen genügen ebenso wenig wie Fiktivpornografie. Zu den Tathandlungen vgl. § 184 Rn. 36 ff. Abs. 3 entfaltet eine Sperrwirkung hinsichtlich der Teilnehmerstrafbarkeit, soweit zum 14 Zweck der eigenen Besitzerlangung von Inhalten mit bloß wirklichkeitsnahem Geschehen eine Anstiftung zu einer Tat des Lieferanten nach Abs. 1 Nr. 2 vorliegt.60
V. Privilegierung nach Abs. 4 Abs. 4 enthält eine auf Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie und Art. 20 Abs. 3 der Lanzarote-Konvention fuß- 15 ende61 Privilegierung, nach der Abs. 1 Nr. 3 (auch i.V.m. Abs. 5) und Abs. 3 nicht auf Handlungen von Personen in Bezug auf solche jugendpornographischen Inhalte anzuwenden sind, die sie ausschließlich zum persönlichen Gebrauch mit Einwilligung der dargestellten Personen hergestellt haben. Im Umkehrschluss bleiben solche Tathandlungen aber, selbst bei Einwilligung des Darstellers, ggf. nach Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 1 Nr. 4 strafbar.62 Hinter dem Privilegierungstatbestand steht die Überlegung, dass der Austausch pornografischer Inhalte zwischen Jugendlichen, die diese selbst innerhalb einer sexuellen Beziehung im gegenseitigen Einvernehmen von sich herstellen, nicht strafwürdig ist.63 Der Privilegierungstatbestand war allerdings unumstritten: Er fehlte in der aktuellen Form im ursprünglichen Gesetzesentwurf64 und wurde erst auf die Empfehlung des Rechtsausschusses hin, die Strafbarkeit in Einklang mit dem Ausnahmetatbestand in Art. 3 Abs. 2 55 Dazu § 184b Rdn. 34 f. 56 Kritisch zu unterschiedlichen Strafhöhen für „anderen verschaffen“ und „sich verschaffen“ Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1069 f. 57 An der Legitimation des Straftatbestands zweifelnd Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17 unter Rekurs auf den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen BT-Drucks. 16/9652 S. 5 und Hörnle NJW 2008 3524. 58 BT-Drucks. 16/9646 S. 38. 59 Nicht strafbar sei dagegen der Besitz solcher pornografischer Inhalte, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Erwachsenen mit jugendlichem Erscheinungsbild, also Scheinjugendlichen, wiedergeben; so auch die Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses in BT-Drucks. 16/9646 S. 38; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Fischer Rdn. 8; Hörnle MK Rdn. 11; anders noch die Vorauflage Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 7; aA auch Matt/ Renzikowski/Eschelbach Rdn. 7. 60 So zutreffend Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17 m.w.N. 61 BT-Drucks. 18/2601 S. 33. 62 So auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18 und Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 9. 63 BT-Drucks. 16/3439 S. 9; SSW/Hilgendorf Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; krit. Fischer Rdn. 9. 64 Krit. insoweit Reinbacher/Wincierz ZRP 2007 197. 453
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Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Inalte
lit. b des Rahmenbeschlusses einzuschränken, mit aufgenommen.65 Ob der Strafbarkeitsausschluss tatsächlich sämtliche der nicht strafwürdigen Fälle erfasst, erscheint zweifelhaft. Versenden Jugendliche bspw. pornografische Aufnahmen von sich selbst an Dritte, so scheitert eine Strafbarkeit nach Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2. Richtiger wäre es jedoch, ein solches Verhalten ausschließlich dem Schutz vor ungewollter Konfrontation mit pornografischem Material z.B. nach § 184 Abs. 1 Nr. 6 zu überlassen, falls die Zusendung ungefragt geschieht.
1. Privilegierter Personenkreis 16 Die Privilegierung des Abs. 4 gilt ausweislich des Wortlauts nur für den Hersteller, was gleich in mehrfacher Hinsicht unglücklich erscheint. Erstens erscheint es nicht überzeugend, den jugendlichen Darsteller zu bestrafen, der lediglich Besitz an seinen eigenen pornografischen Inhalten erlangt. Lässt der Jugendliche einen Dritten von sich pornografisches Material anfertigen, das er danach für sich selbst erlangt, so fällt dies de lege lata nicht unter den Privilegierungstatbestand, da der Jugendliche nicht Hersteller seines eigenen Bildes ist. Zweitens liegt es nicht im Anwendungsbereich des Strafbarkeitsausschlusses, wenn Jugendliche pornografische Inhalte von sich selbst (bspw. sog. Dickpics oder sog. Sexting) an Dritte versenden. Hier kann eine Strafbarkeit nach Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 in Betracht kommen. Siehe zur passenderen Verortung der Strafbarkeit jedoch oben Rdn. 15. Und drittens erfasst der Strafbarkeitsausschluss sogar solche Sachverhalte nicht, in denen Jugendliche von sich und dem Partner angefertigte pornografische Inhalte diesem an der Darstellung mitwirkenden Partner zukommen lassen. Auch hier fällt die Besitzverschaffung nicht unter den Tatbestand der Privilegierung, da der Partner eben nicht Hersteller ist. 17 In den genannten Konstellationen erscheint es jedoch vollkommen widersinnig, die durch die Strafvorschrift zu Schützenden (jugendlichen Darsteller) selbst der Strafandrohung auszusetzen,66 da der intendierte Gedanke des Darstellerschutzes hier gerade nicht durchschlägt.67 Zur Lösung des Problems stehen verschiedene Möglichkeiten offen: Zum einen ließe sich der Tatbestand teleologisch dahingehend reduzieren, dass Darsteller generell aus dem Täterkreis ausgenommen bleiben müssen.68 Zum anderen ist für die zuvor genannten Fälle eine Analogie zu Abs. 4 in Erwägung zu ziehen. Danach soll die Restriktion analog bspw. für Inhalte eingreifen, die allein vom jugendlichen Darsteller selbst, etwa als Präsent für seinen Intimpartner, angefertigt wurden.69 Weshalb dieser – dem Gesetzgeber bekannte70 – Missstand im Zuge nachfolgender Gesetzesänderungen nicht behoben wurde, bleibt unklar. 18 Zwar verweist die Gesetzesbegründung ausdrücklich auf: „Jugendliche innerhalb einer sexuellen Beziehung“.71 Diese Einschränkung kommt jedoch im Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck und betrifft auch Selbstaufnahme ohne die Mitwirkung eines Partners nicht. Der Wortlaut behält
65 So SSW/Hilgendorf Rdn. 9. 66 Zu Recht krit. Hörnle MK Rdn. 19. 67 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22 daher unter Verweis auf BT-Drucks. 16/3439 S. 9 sowie BT-Drucks. 16/9646 S. 39 für eine teleologische Reduktion. Auch Fischer Rdn. 9; Hörnle NJW 2008 3524 und Wolters/Greco SK Rdn. 14 wollen den Tatbestand teleologisch reduzieren, unabhängig davon, ob die Inhalte von einem Dritten gefertigt wurden oder der Darsteller sich selbst abbildet. Letzteres kommt mit Blick auf die dann bestehende Herstellereigenschaft des Darstellers insbesondere für Taten nach Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4 in Betracht. 68 Hörnle MK Rdn. 21 (mit dem zutreffenden Hinweis, dass die Norm zwar paternalistische Elemente beinhaltet, diese i.d.R. jedoch lediglich die Bestrafung anderer, nicht aber der vor sich selbst geschützten Jugendlichen zulassen); Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22; Wolters/Greco SK Rdn. 8. Siehe zu den Grundsätzen der notwendigen Teilnahme Rdn. 25. 69 So Ziegler BeckOK Rdn. 16; wohl auch SSW/Hilgendorf Rdn. 11. 70 Siehe BT-Drucks. 19/19859 S. 68. 71 BT-Drucks. 18/3202 S. 25. Nestler
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V. Privilegierung nach Abs. 4
§ 184c
Abs. 4 jedenfalls nicht nur den Akteuren einer Beziehung vor;72 maßgebend bleibt die tatsächliche Einwilligung des Jugendlichen (Rn. 22). Im Zuge des 49. StrÄndG wurde der Privilegierungstatbestand maßgeblich erweitert. War davor noch eine, unionsrechtlich nicht gebotene, Beschränkung auf jugendliche Täter vorgesehen, werden nunmehr auch Erwachsene erfasst.73 Zwar sollte diese Altersgrenze lediglich klarstellen, dass der jugendliche Hersteller die Inhalte auch dann noch straffrei besitzen darf, wenn er volljährig wird.74 Dies führte in der a.F. jedoch zu dem einigermaßen kuriosen Ergebnis, dass die Norm eine gerade volljährig gewordene Person, die von ihrem noch siebzehnjährigen Geschlechtspartner pornografische Inhalte anfertigte, nicht mehr privilegierte, obwohl ihr dies sowohl zuvor (als sie noch minderjährig war) als auch kurze Zeit danach (wenn der Partner dann ebenfalls volljährig wird) nach dem Gesetz gestattet war.75 Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen wurde auf das Alterserfordernis verzichtet.76
2. Ausschließlich persönlicher Gebrauch Der Ausschließungsgrund greift nur ein, wenn die Herstellung ausschließlich zum persönlichen 19 Gebrauch erfolgt. Richtigerweise ist dabei auf den persönlichen Gebrauch des Herstellers abzustellen.77
3. Einwilligung Abs. 4 ist nur bei Einwilligung der dargestellten Personen in die Herstellung der Schrift ein- 20 schlägig. Die Einwilligung der dargestellten Person muss nach allgemeinen Grundsätzen wirksam sein.78 Dementsprechend muss die einwilligende Person in der Lage sein, Bedeutung und Tragweite der Einwilligung zu erkennen und im Hinblick auf die betroffenen Rechtsgüter sachgerecht zu urteilen. Inwieweit dies einem Jugendlichen im Hinblick auf das Recht am eigenen Bild und die betroffenen Aspekte sexueller Selbstbestimmung möglich ist, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls. Die Einwilligung fehlt jedenfalls in sämtlichen Konstellationen, in denen die Herstellung der Aufnahme mit einem Missbrauch verbunden war. Auch eine durch Täuschung oder Drohung erwirkte Einwilligung leidet an Willensmängeln und genügt daher den Anforderungen nicht.79 Die Einwilligung kann sich zudem ausschließlich auf die vom (ggf. analog angewandten) Ausschlusstatbestand erfassten Tathandlungen erstrecken, jedoch nicht auf andere von § 184c erfasste Verhaltensweisen.
72 Hörnle MK Rdn. 19; Gercke ZUM 2009 528; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18. 73 BT-Drucks. 18/3202 S. 27 f; vgl. dazu auch Eisele Schriftliche Stellungnahme BT-Rechtsausschuss, S. 20 f sowie Hörnle MK Rdn. 19. 74 BT-Drucks. 16/9646 S. 18. 75 So SSW/Hilgendorf Rdn. 10. 76 BT-Drucks. 18/3202 S. 27 f. 77 Vgl. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 35. Siehe hierzu, insbesondere unter Diskussion des Wortlauts des Art. 20 Abs. 3 der Lanzarote-Konvention, Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20. 78 So auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21 und Fischer Rdn. 9. Siehe aber Hörnle MK Rdn. 19 sowie NJW 2008 3521, 3523, die unter Rekurs auf die strukturelle Einwilligungsunfähigkeit Minderjähriger in die Herstellung pornografischer Aufnahmen ein faktisches Einverständnis genügen lassen will. In diese Richtung wohl auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2, der Jugendlichen die Fähigkeit abspricht, die im Medienzeitalter irreversiblen „Langzeitfolgen“ einer „Verbreitung von Jugendsünden“ einzuschätzen. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1 fordert (allerdings mit Verweis auf Hörnle NJW 2008 3521, 3523) ebenfalls die Wirksamkeit der Einwilligung. 79 Vgl. BGH BeckRS 2021 5122 zu täuschendem oder in sonstiger Weise „unlauterem Einwirken“ des Täters. 455
Nestler
§ 184c
Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Inalte
VI. Subjektiver Tatbestand 21 Es genügt bedingter Vorsatz, der sich auf das jugendliche Alter des Darstellers und auf die Eigenschaft der Inhalte als Jugendpornografie beziehen muss. Ersteres bedarf vor allem dann genauerer Erörterung, wenn der Jugendliche bereits erwachsen aussieht. 22 Hält der Täter ein Kind i.S.d. § 184b irrig für einen Jugendlichen, so kommt über § 16 Abs. 2 eine Bestrafung wegen eines vollendeten Delikts nach § 184c in Betracht.80 Hält der Täter umgekehrt einen Jugendlichen für ein Kind, so beinhaltet der Vorsatz in Bezug auf § 184b nach h.M. auch jenen hinsichtlich § 184c.81 Der untaugliche Versuch einer Tat nach § 184b tritt dann dahinter zurück. Verkennt der Täter, die Eigenschaft der Inhalte als Jugendpornographie und geht er von einfacher Pornografie mit volljährigen Darstellern aus, unterliegt er einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum.82 Glaubt er umgekehrt irrtümlich daran, Jugendpornografie zu konsumieren, während es sich tatsächlich nur um einfache Pornografie handelt, ist er wegen eines (untauglichen) Versuchs aus Abs. 5 zu bestrafen. Die fehlerhafte Annahme, Scheinjugendliche oder Scheinerwachsene seien vom Tatbestand nicht erfasst, ist ein nach den Regeln des Verbotsirrtums gem. § 17 zu behandelnder Subsumtionsirrtum.
VII. Versuch und Beteiligung 23 Auch die Versuchsstrafbarkeit wurde im 49. StrÄndG reformiert. Seither ist wie bei § 184b in Abs. 5 1. Hs. der Versuch grds. strafbar. Dies gilt allerdings nicht für Taten nach Abs. 1 Nrn. 2 und 4 sowie Abs. 3.83 Unklar ist, wie sich die Grundsätze der notwendigen Teilnahme, wonach abgebildete Darsteller als notwendige Teilnehmer straflos bleiben müssten,84 zu dem nur selektiven und beschränkten Ausschlusstatbestand des Abs. 4 verhalten. Darsteller sind allerdings nur beim Herstellungsprozess als notwendige Teilnehmer einzuordnen, während bei den anschließenden Handlungsformen, insbesondere beim Verbreiten oder Besitzverschaffen, die Mitwirkung nicht notwendig ist und eine Strafbarkeit daher grds. gegeben sein kann. Abs. 4 beschränkt sich seinem Wortlaut nach auf den Herstellungsprozess und verhält sich daher kongruent zu den Grundsätzen der notwendigen Teilnahme, erfasst analog angewandt aber auch das Besitzverschaffen nach Abs. 3 zum persönlichen Gebrauch durch den mitwirkenden Darsteller und geht insofern über die Grundsätze der notwendigen Teilnahme hinaus.
VIII. Verweise auf § 184b Abs. 5 und Abs. 6 24 Über Abs. 6 gilt bzgl. der Delikte nach Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 sowie Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4 auch die Privilegierung der § 184b Abs. 5, Abs. 6.85 Hinsichtlich der Einziehung verweist Abs. 5 auf § 184b Abs. 6.86
80 Mitsch ZStW 124 (2012) 337 ff; Wolters/Greco SK Rdn. 12; Fischer Rdn. 6a; Hörnle MK Rdn. 19; Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 31.
81 Fischer Rdn. 6a; Mitsch ZStW 124 (2012) 334 f; Hörnle MK Rdn. 22; zu weiteren Irrtumskonstellationen Mitsch ZStW 124 (2012) 337 ff. 82 Mitsch ZStW 124 (2012) 339; Hörnle MK Rdn. 22. 83 Siehe dazu § 184b Rdn. 60. 84 So Fischer Rdn. 9; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 38. 85 § 184b Rdn. 48 ff, 54 ff. 86 § 184b Rdn. 61. Nestler
456
§ 184d Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien; Abruf kinder- und jugendpornographischer Inhalte mittels Telemedien (aufgehoben) (1) 1Nach den §§ 184 bis 184c wird auch bestraft, wer einen pornographischen Inhalt mittels Rundfunk oder Telemedien einer anderen Person oder der Öffentlichkeit zugänglich macht. 2In den Fällen des § 184 Absatz 1 ist Satz 1 bei einer Verbreitung mittels Telemedien nicht anzuwenden, wenn durch technische oder sonstige Vorkehrungen sichergestellt ist, dass der pornographische Inhalt Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich ist. 3§ 184b Absatz 5 und 6 gilt entsprechend. 1 (2) Nach § 184b Absatz 3 wird auch bestraft, wer es unternimmt, einen kinderpornographischen Inhalt mittels Telemedien abzurufen. 2Nach § 184c Absatz 3 wird auch bestraft, wer es unternimmt, einen jugendpornographischen Inhalt mittels Telemedien abzurufen; § 184b Absatz 5 und 6 Satz 1 gilt entsprechend. § 184c a.F. war ursprünglich durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten 1 gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.20031 eingefügt worden. Von der Vorschrift wurden die Medien- und Teledienste umfasst; zudem wurde die Regelung des § 184 Abs. 2 a.F. übernommen, die sich auf die Verbreitung pornografischer Darbietungen durch den Rundfunk bezog.2 Die Verbreitung, der Erwerb und der Besitz jugendpornografischer Schriften wurde durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie vom 31.10.20083 unter Strafe gestellt. § 184c a.F. wurde in § 184d umbenannt und in Satz 1 um die Bezugnahme auf § 184c n.F. erweitert.4 Durch das 49. StrÄndG vom 21.1.20155 trat die Vorschrift zum 27.1.2015 in Kraft und fungierte bis zur neuerlichen Gesetzesänderung als zentrale Norm des Pornografiestrafrechts, da sie gerade auf Pornografie im Internet zugeschnitten worden war.6 Durch das am 1.1.2021 in Kraft getretene 60. StrÄndG zur Modernisierung des Schriftenbe- 2 griffs vom 30.11.20207 wurde § 184d aufgehoben. Da §§ 184 ff nun einheitlich auf Inhalte anstatt auf Schriften abstellen, war die Norm obsolet.8 Die frühere Rechtslage hat allenfalls noch für Altfälle Bedeutung; insoweit wird auf die Vorauflage verwiesen.
1 BGBl. I S. 3007. 2 BT-Drucks. 15/350 S. 21; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Ziegler BeckOK Rdn. 1. 3 BGBl. 2008/I S. 2149. Vgl. dazu den Rahmenbeschluss 2004/68/JI vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie, ABl. L 13 vom 20.1.2004, S. 44.
4 Ebenso Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Ziegler BeckOK Rdn. 1; Wolters/Greco SK Rdn. 1. 5 Hörnle MK Rdn. 1. 6 Hörnle MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Wolters/Greco SK Rdn. 1; Gercke CR 2014 687, 689 („Paradigmenwechsel“); Ziegler BeckOK Rdn. 1; Fischer Rdn. 1.
7 BGBl. 2020/I S. 2600. 8 Vgl. BT-Drucks. 19/19859 S. 68. 457 https://doi.org/10.1515/9783110490121-025
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§ 184e Veranstaltung und Besuch kinder- und jugendpornographischer Darbietungen (1) Nach § 184b Absatz 1 wird auch bestraft, wer eine kinderpornographische Darbietung veranstaltet. Nach § 184c Absatz 1 wird auch bestraft, wer eine jugendpornographische Darbietung veranstaltet. (2) 1Nach § 184b Absatz 3 wird auch bestraft, wer eine kinderpornographische Darbietung besucht. 2Nach § 184c Absatz 3 wird auch bestraft, wer eine jugendpornographische Darbietung besucht. § 184b Absatz 5 Nummer 1 und 3 gilt entsprechend.
Schrifttum Siehe das Schrifttum zu § 184 und § 184b.
Entstehungsgeschichte § 184e wurde durch das 49. StrÄndG vom 21.1.2015,1 mit Wirkung zum 27.1.2015 neu eingeführt. Die Begründungen der beiden norminhärenten Absätze divergieren. Abs. 2 (Besuch von kinder- oder jugendpornographischen Darbietungen) wird im Wesentlichen mit der Umsetzung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/93/EU vom 13.12.2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornographie2 begründet,3 der den Mitgliedstaaten vorschreibt, es unter Strafe zu stellen, wenn jemand wissentlich an pornographischen Darbietungen teilnimmt, an denen ein Kind (Person unter 18 Jahren, Art. 2 Buchst. a) beteiligt ist. Demgegenüber gründet das Verbot des Abs. 1 (Veranstalten von kinder- oder jugendpornographischen Darbietungen) nicht auf einer supranationalen Determinante. Hier steht die „Vermeidung grober Wertungswidersprüche“4 im Vordergrund, die entstünden, wenn Zuschauen strafbar ist, das Veranstalten aber nicht. § 184e intendiert(e) vorrangig, die mit dem früheren Schriftenbegriff verbundenen Strafbarkeitslücken zu schließen.5 Da in Offline-Konstellationen die §§ 184b bis 184d und §§ 180, 180a mitunter nicht ohne weiteres greifen,6 betrifft der Anwendungsbereich des § 184e sog. Live-Darstellungen, die nicht über Informations- und Kommunikationsmittel übertragen werden.7 Nach Ersetzung des Schriftenbegriffs durch den Begriff der Inhalte8 behält § 184e eigenständige Bedeutung nur, wenn kinder- und jugendpornografische Darbietungen nicht telemedial übertragen, sondern vor Ort unmittelbar wahrgenommen werden. Ferner bietet § 184e Abs. 1 die Möglichkeit, auch bei Internetdelikten diejenigen zu bestrafen, die zwar an dem Geschehen mitwirken, jedoch nicht an der telemedialen Übertragung.9
Übersicht I.
Geschütztes Rechtsgut und kriminalpolitische 1 Bedeutung
II.
Objektiver Tatbestand
1. 2.
Kinder- und Jugendpornographische Darbietun3 gen (Tatgegenstand) Tathandlungen
1 BGBl. 2015/I S. 10; dazu Gercke CR 2014 687. Siehe auch Art. 21 Abs. 1 lit. c des Übereinkommens des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch. ABl. Nr. L 335 v. 17.12.2011 S. 1; ABl. Nr. L 18 v. 21.1.2012 S. 7. BT-Drucks. 18/2601 S. 35. BT-Drucks. 18/2601 S. 35. BT-Drucks. 18/2601 S. 35; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2, vgl. auch SSW/Hilgendorf Rdn. 2. Hörnle MK Rdn. 2 zweifelt dabei zutreffend unter Verweis auf die mangels Anonymität geringe praktische Relevanz von Live-Darstellungen, das i.Ü. auch die Gesetzesbegründung nicht darlegt, am Bedürfnis für einen eigenen Tatbestand. Ebenso zweifelnd Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1. 6 Weiterführend Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2. 7 BT-Drucks. 18/2601 S. 35. 8 Zum Verhältnis zu § 184d a.F. Hörnle MK Rdn. 2 und tiefergehend Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. 9 Hörnle MK Rdn. 2.
2 3 4 5
Nestler https://doi.org/10.1515/9783110490121-026
458
§ 184e
II. Objektiver Tatbestand
3.
a) Veranstalten 8 9 b) Besuchen Tatbestandsausschluss
11
III.
Subjektiver Tatbestand
12
13
IV.
Versuch und Beteiligung
V.
Konkurrenzen und Prozessuales
15
I. Geschütztes Rechtsgut und kriminalpolitische Bedeutung Hinsichtlich des geschützten Rechtsguts ergeben sich keine Unterschiede zu § 184b Abs. 1, 3 1 und § 184c Abs. 1, 3.10 Die Norm dient also insbesondere dem Darstellerschutz, bzw. bei Jugendlichen dem Schutz vor Verstrickung in das Pornografiegewerbe. Im Jahr 2016 und 2017 wurden 4 Personen aus § 184e verurteilt; im Jahr 2018 betrug die 2 Zahl der verurteilten Personen 2; 2019 hingegen erneut 4.11
II. Objektiver Tatbestand 1. Kinder- und Jugendpornographische Darbietungen (Tatgegenstand) Der objektive Tatbestand des § 184e verlangt eine kinder- oder jugendpornografische Darbie- 3 tung. In diesem Kontext meint Darbietung, im Einklang mit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie, die (zielgerichtete)12 Live-Zurschaustellung für ein Publikum, bei der eine Verkörperung in einem Medium nicht stattgefunden hat und der Inhalt unmittelbar wahrgenommen wird.13 Die Beschränkung allein auf Live-Vorstellungen folgt der gesetzgeberischen Intention.14 Vom Begriff der Inhalte aus § 11 Abs. 3 unterscheidet sich die Darbietung insoweit, als sie sich nur auf den Moment der unmittelbaren Kenntnisnahme eines Geschehensverlaufs bezieht.15 Eine Darbietung liegt nur vor, wenn bewusst16 für Zuschauer agiert wird. Aus dem Tatbe- 4 stand scheidet damit Verhalten Minderjähriger oder Verhalten unter Einbeziehung Minderjähriger aus, das die Akteure lediglich unter Inkaufnahme der Beobachtung durch Dritte vornehmen.17 Aus dem Sinn und Zweck der §§ 184b, 184c, 184e folgt ferner, dass mindestens ein vom Veranstalter bzw. Organisator personenverschiedener Zuschauer anwesend sein muss, der die Live-Handlung wahrnimmt.18 Aus dem Tatbestand heraus fallen damit Konstellationen, in denen der Darsteller einer anderen Person eine einschlägige Darbietung gibt, ohne dass eine weitere Person als Veranstalter beteiligt ist.19 In solchen Fällen kommen zwar andere Tatbestände 10 Zu den Schutzgütern von § 184b und § 184c siehe § 184b Rdn. 4 und § 184c Rdn. 3. Wie hier Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Hörnle MK Rdn. 2; weiter Ziegler BeckOK Rdn. 2 und SSW/Hilgendorf Rdn. 2 unter Rekurs auf die Schutzgüter der §§ 184 bis 184d (a.F.). 11 Jeweils zu den Jahren 2016–2019 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3, 2.1 Abgeurteilte und Verurteilte nach Art der Straftat und Altersgruppen. 12 Dazu Rdn. 6. 13 BT-Drucks. 18/2601 S. 35. So, ausdrücklich und zutreffend, Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; Fischer Rdn. 3. Ähnlich auch Hörnle MK Rdn. 4, die auf das Vorliegen sexueller Handlungen von, an oder vor Minderjährigen und das Posieren von ganz oder teilweise unbekleideten Minderjährigen abstellt. Siehe auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4 („flüchtige Kundgabe von Gedankeninhalten“). 14 Siehe Rdn. 1. 15 So zu § 11 Abs. 3 a.F. SSW/Hilgendorf Rdn. 3; Fischer Rdn. 3. 16 Hörnle MK Rdn. 5 verlangt, dass „absichtlich“ für Zuschauer agiert wird und schließt damit Zufallsdarbietungen aus dem Anwendungsbereich aus. 17 So Hörnle MK Rdn. 5 am Beispiel des AG Augsburg BeckRS 2015 15024. 18 Hörnle MK Rdn. 5. 19 Hörnle MK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2. 459
Nestler
§ 184e
Veranstaltung und Besuch kinder- und jugendpornographischer Darbietungen
aus dem Kanon der Sexualstraftaten in Betracht; § 184e setzt aber immer eine drei-PersonenKonstellation voraus. 5 Eine Einschränkung auf tatsächliche sexuelle Handlungen enthält § 184e nicht. Daher werden vom Tatbestand auch wirklichkeitsnahe sexuelle Aktivitäten, insbesondere solche durch Scheinjugendliche20 und erkennbar fiktive Handlungen erfasst. Für die Beurteilung des Vorliegens eines kinder- oder jugendpornografischen Inhalts gilt 6 das zu § 184b21 bzw. § 184c22 Gesagte. Die Darbietung muss in Gänze als pornografisch einzuordnen sein.23 Der Pornografiebegriff 7 des § 184 beansprucht demnach auch hier Geltung.24 Die Begriffsbestimmung hat dabei insbesondere für die Abgrenzung zu künstlerischer Betätigung Stellenwert. Aufführungen mit Charakteren, die laut Rolle minderjährig sind, unterfallen § 184e nicht schon deshalb, weil sexuelle Handlungen wirklichkeitsnah gespielt werden. Auch provozierend-sexualisierte, reißerische Inszenierungen auf Theaterbühnen sind typischerweise nicht ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes gerichtet und deshalb nicht pornografisch i.d.S.25
2. Tathandlungen 8 a) Veranstalten. Gem. § 184e Abs. 1 wird nach § 184b Abs. 1 bzw. § 184c Abs. 1 bestraft, wer eine kinder- (S. 1) oder jugendpornografische (S. 2) Darbietung veranstaltet. Das Merkmal des Veranstaltens umschreibt dabei in Anlehnung an § 184 die unmittelbare Öffnung der Darbietung für das Publikum unter Organisation der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen;26 lediglich unterstützende Tätigkeiten, wie bspw. die Bereitstellung von Hilfsmitteln für die Darbietung eines anderen, genügen nicht.27 Organisator ist nur derjenige, der die Gesamtplanung in den Händen hält.28 Entgeltlichkeit der Darbietung ist nicht erforderlich.29 Sofern gleichwohl mindestens drei Personen an dem Geschehen mitwirken (Rdn. 6), können Veranstalter und Darsteller sogar personenidentisch sein, etwa wenn der Veranstalter im Rahmen der Darbietung selbst sexuelle Missbrauchshandlungen vornimmt.30
9 b) Besuchen. Gem. § 184e Abs. 2 wird nach § 184b Abs. 3 bestraft, wer eine kinderpornografische Darbietung besucht (S. 1), bzw. nach § 184c Abs. 3 bestraft, wer eine jugendpornografische Darbietung besucht (S. 2). Besuchen meint in diesem Zusammenhang das räumliche Aufsuchen der Darbietung zur unmittelbaren Wahrnehmung.31 Das bloße Ansehen der Darbietung via Telemedien ist nicht tatbestandsmäßig,32 ggf. kommt aber eine Strafbarkeit nach §§ 184b, 184c in 20 21 22 23 24 25 26
Hörnle MK Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; vgl. auch SSW/Hilgendorf Rdn. 3. § 184b Rdn. 5 ff. § 184c Rdn. 5 ff. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 5. Dazu § 184 Rdn. 15 ff. So ausdrücklich Hörnle MK Rdn. 4. BayObLG NJW 1993 2821; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; i.E. ebenso Hörnle MK Rdn. 6; SSW/Hilgendorf Rdn. 4; Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Wolters/Greco SK Rdn. 3; siehe auch Gaede NK § 284 Rdn. 17. 27 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Hörnle MK Rdn. 6. 28 So ausdrücklich Hörnle MK Rdn. 6. Ebenso Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 8. 29 Hörnle MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2. 30 Zutreffend Hörnle MK Rdn. 6. 31 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Fischer Rdn. 4; SSW/Hilgendorf Rdn. 4; Hörnle MK Rdn. 7; Wolters/Greco SK Rdn. 3. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 9 lässt demgegenüber die räumliche Anwesenheit am Tatort ausreichen, ohne auf den Vorgang des „Aufsuchens“ abzustellen. 32 So auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. Zutreffend stellt Hörnle MK Rdn. 7 insoweit auf den zu engen Wortsinn des Abs. 2 ab. Nestler
460
III. Subjektiver Tatbestand
§ 184e
Betracht. Zwar soll nach zum Teil vertretener Ansicht für das Besuchen ein „gezieltes“ Aufsuchen der Räumlichkeit erforderlich sein,33 eine besondere Motivation des Besuchs, etwa zur sexuellen Erregung, sei gleichwohl nicht notwendig; vielmehr genüge auch ein Besuch bspw. zu Informationszwecken.34 Nach hier vertretener Auffassung genügt für das Besuchen das physische Erscheinen am Ort der Darbietung, das freilich vorsätzlich erfolgen muss (siehe Rdn. 14). Umstr. ist die Behandlung von Fällen, in denen der Besucher erst nach Aufsuchen der Dar- 10 bietung deren Charakter als kinder- oder jugendpornografisch erkennt. In Betracht kommen soll hier eine Unterlassungsstrafbarkeit, wenn sich der Betreffende nicht entfernt, wobei es sich in diesem Fall bei Abs. 2 um ein echtes Unterlassungsdelikt handeln soll, so dass § 13 keine Anwendung findet und nicht nach einer Garantenpflicht zu suchen ist.35 Dies ergibt sich jedoch weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik der Vorschrift, die eben kein Gebot, sondern ein Verbot normiert. Verwiesen wird hier von der Lit. auf eine Parallele zur Besitzstrafbarkeit,36 was allerdings außer Acht lässt, dass der Tätigkeits- und Unrechtsschwerpunkt beim Besuchen auf dem aktiven Aufsuchen des betreffenden Ortes, d.h. in erster Linie auf dem Herbeiführen des Zustands liegt, während der Besitz (anders als das sich Besitz verschaffen) schlicht das Innehaben der tatsächlichen Sachherrschaft und damit gerade die „unmittelbar erfolgsursächliche Untätigkeit als ‚passives Tun‘“37 einschließt. Daher besteht beim Besitz eine Pflicht zum Löschen, wenn die Dateien erst später bemerkt werden.38 Für das Besuchen liegt dies jedoch nicht in gleicher Weise nahe. Wurde der Ort zu einem anderen Zweck oder grundlos aufgesucht und wird die Anwesenheit trotz der kinder- oder jugendpornografischen Darbietung fortgesetzt, kann dies allenfalls nach den Grundsätzen des § 13 als unechtes Unterlassungsdelikt strafbar sein.39 Angesichts der praktisch weitgehenden Irrelevanz dieses Tatbestands dürfte dieser Streit aber überwiegend akademischer Natur sein.
3. Tatbestandsausschluss Für die Tathandlungen des Abs. 2, nicht für jene des Abs. 1, verweist Abs. 2 S. 3 auf § 184b Abs. 5 11 Nr. 1 und Nr. 3.40 Eine Anpassung des Tatbestandsausschlusses nach der Einfügung des § 184b Abs. 5 S. 2 ist redaktionsversehentlich unterblieben.
III. Subjektiver Tatbestand Es genügt Eventualvorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale,41 insbesondere 12 bzgl. des kinder- oder jugendpornografischen Charakters der Darbietung. Eine besondere 33 So ausdrücklich Hörnle MK Rdn. 7. 34 Fischer Rdn. 4. 35 So Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Fischer Rdn. 4; SSW/Hilgendorf Rdn. 4. Anders Hörnle MK Rdn. 7, die insoweit das Erfordernis des „gezielten Aufsuchens“ darbietungsbezogen und damit weit versteht. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 9 ordnet demgegenüber das Besuchen wohl als Dauerdelikt ein („räumlich anwesend“ sein genügt, siehe Fn. 30), verlangt mit Hörnle aber trotzdem ein gezieltes Aufsuchen. 36 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. 37 Sch/Schröder/Bosch vor §§ 13 ff Rdn. 134 mit Verweis auf Streng ZStW 122 (2010) 2 ff und eingehend zur Abgrenzung der echten von den unechten Unterlassungsdelikten. 38 Siehe § 184b Rdn. 45. 39 So i.E. auch Hörnle MK Rdn. 7 allerdings mit abweichender Begründung (vgl. dazu oben Rdn. 11). 40 Siehe hierzu § 184b Rdn. 49, 51 ff. 41 So Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; SSW/Hilgendorf Rdn. 5. Anders aber Hörnle MK Rdn. 9, die in Bezug auf das „Veranstalten“ und „Besuchen“ einen vom Wortsinn nach hiesiger Auffassung nicht zwingend geforderten direkten Vorsatz verlangt. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 11 hält mit den Tathandlungen „praktisch nur direkte[n] Vorsatz vereinbar“. 461
Nestler
§ 184e
Veranstaltung und Besuch kinder- und jugendpornographischer Darbietungen
Zweck- oder Zielrichtung des Besuchs ist nicht erforderlich (vgl. Rdn. 11). Die Ausführungen zu Vorsatz und Irrtum betreffend § 184b42 und § 184c43 gelten entsprechend.
IV. Versuch und Beteiligung 13 Abs. 1 S. 1 verweist auf § 184b Abs. 1, der nunmehr eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vorsieht. Eine Versuchsstrafbarkeit für diesen Verbrechenstatbestand ist daher nach allgemeinen Grundsätzen gegeben, § 23 Abs. 1. Demgegenüber ist für die Vergehen nach Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 eine Versuchsstrafbarkeit nicht gesondert angeordnet. Der Versuch dieser Taten ist damit nicht strafbar. 14 Täter kann jeder sein, der eine entsprechende Darbietung veranstaltet oder besucht. Eine Teilnahme ist nach allgemeinen Regeln möglich.
V. Konkurrenzen und Prozessuales 15 § 184e kann strukturell in Idealkonkurrenz mit §§ 174 ff, § 180a, oder § 181a, aber auch mit §§ 232 ff treten. Ebendies gilt auch für Veranstaltungen nach Abs. 1 im Verhältnis zu § 184b Abs. 1 und § 184c Abs. 1, wenn zugleich Aufnahmen hergestellt oder verbreitet werden. Tateinheit besteht auch, wenn der Besucher i.S.d. Abs. 2 zugleich Aufnahmen herstellt.44 Gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 verjähren Taten nach § 184e in fünf Jahren. 16
42 § 184b Rdn. 58. 43 § 184c Rdn. 24. 44 So Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11; siehe auch Hörnle MK Rdn. 11. Nestler
462
§ 184f Ausübung der verbotenen Prostitution Wer einem durch Rechtsverordnung erlassenen Verbot, der Prostitution an bestimmten Orten überhaupt oder zu bestimmten Tageszeiten nachzugehen, beharrlich zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft.
Schrifttum Cornils Kampf gegen die Prostitution (Schweden), Neue Kriminalpolitik 1999 Heft 3, 5; Finger Sperrgebietsverordnungen zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes, KJ 2007 73; Frickel Prostitution – ein Milieu mit Problemen, Kriminalistik 1990 243; Gleß Die Reglementierung der Prostitution in Deutschland (1999); GraalmannScheerer Die Privilegierung des Freiers im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, GA 1995 349; Hamdorf/Lernestedt Die Kriminalisierung des Kaufes sexueller Dienste in Schweden, KJ 2000 352; Hartmann Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei (2006); Heger (Straf-)rechtliche Konsequenzen schwankender Zahlen – Eine Fallstudie zu § 120 OWiG und § 184f StGB in: Innovatives Denken zwischen Recht und Markt, Festschrift für Hans-Peter Schwintowski (2018) 904; Kreuzer Das älteste Gewerbe, Kriminalistik 1990 237; Kutscher Umgang mit Segregationsformen am Beispiel der dänischen „Anti-Ghetto-Strategie“, ZAR 2020 320; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten (2012); Leo Die strafrechtliche Kontrolle der Prostitution, Diss. Kiel 1995; Malkmus Prostitution in Recht und Gesellschaft (2005); Molloy Prostitution, Job-Beruf-Arbeit, in: 17. Strafverteidigertag 1993, 123; Schneider Prostitution, in: Schneider (Hrsg.) Kriminalität und abweichendes Verhalten Bd. 1 (1983), 565; Schneider Neuere kriminologische Forschungen zur Prostitution, Middendorf-Festschrift (1986) 257; Trede Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) auf das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (2007).
Entstehungsgeschichte Vorläuferin der Vorschrift war § 361 Nr. 6c a.F. In der bis zum Inkrafttreten des Fünften Strafrechtsänderungsgesetzes vom 24.6.1960 (BGBl. I S. 447) geltenden Fassung bedrohte § 361 Nr. 6c denjenigen mit Strafe,1 der „gewohnheitsmäßig zum Erwerbe Unzucht trieb“ und dem in einer Gemeinde mit weniger als 20.000 Einwohnern nachging, in der die Ausübung der Unzucht durch eine im Interesse des Jugendschutzes oder des öffentlichen Anstandes erlassene Anordnung der obersten Landesbehörde verboten war. Durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.20032 wurde § 184a umbenannt in § 184d, durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31.10.20083 in § 184e. Ihre heutige Fassung in § 184f verdankt die Vorschrift dem 49. StrÄndG vom 21.1.2015.4
Übersicht I.
Deliktscharakter und geschütztes Rechts1 gut
II. 1. 2.
Tatbestand Objektiver Tatbestand Subjektiver Tatbestand
III.
Täterschaft und Teilnahme
IV.
Konkurrenzen
8
10
3 7
1 In Ergänzung von § 361 Nr. 6a und 6b a.F.: Die Vorschriften bedrohten mit Strafe, wer gewohnheitsmäßig zum Erwerbe Unzucht trieb und diesem Erwerbe nachging: in der Nähe von Kirchen oder in Wohnungen, in denen Kinder oder Jugendliche zwischen 3 und 18 Jahren wohnten (Nr. 6a), oder in der Nähe von Schulen oder anderen zum Besuch durch Kinder oder Jugendliche bestimmten Orten oder in Häusern, in denen Kinder oder Jugendliche zwischen 3 und 18 Jahren wohnten, in einer diese Minderjährigen sittlich gefährdenden Weise (Nr. 6b). 2 BGBl. I S. 3007. 3 BGBl. I S. 2149. 4 BGBl. I S. 10. 463 https://doi.org/10.1515/9783110490121-027
Nestler
§ 184f
Ausübung der verbotenen Prostitution
I. Deliktscharakter und geschütztes Rechtsgut 1 Die kriminalpolitische Bedeutung der Vorschrift ist gering. So gab es 2016: 114, 2017: 93, 2018: 91 Verurteilungen nach der Vorschrift.5 Ohnehin ist fraglich, worin das verwirklichte Unrecht gesehen werden kann.6 Ob die Vorschrift überhaupt kriminelles Unrecht betrifft, wurde schon seit ihrer Schaffung zu Recht in Zweifel gezogen.7 Sie ist die strafrechtliche Fortsetzung zu § 120 OWiG, der Zuwiderhandlung gegen das Verbot, der Prostitution in Sperrbezirken nachzugehen, mit Geldbuße bedroht. Was die Blankettnorm,8 die zu ihrer Ausfüllung auf die jeweiligen Sperrbezirksverordnun2 gen verweist, schützt, ist nicht ganz klar. Diskutiert werden ein Schutz vor der „Moralwidrigkeit der Prostitution“,9 Jugendschutz sowie der Schutz der Allgemeinheit oder Einzelner vor Belästigungen.10 Realistischer ist jedoch die Einordnung als Fall der Sanktionierung von bloßem Verwaltungsungehorsam.11 Die Vorschrift ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, da sie – sofern man den Schutz der Jugend oder den Schutz vor „Belästigung“ überhaupt heranziehen will – eine Kenntnisnahme durch Dritte nicht voraussetzt.
II. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand 3 Das Merkmal „der Prostitution nachgehen“ entspricht dem des § 180a Abs. 1 (vgl. die Kommentierung dort). Prostitution bedeutet, sich gegen Entgelt einem individuell nicht bestimmten Kreis von Personen zu Sexualkontakten preiszugeben oder preisgeben zu wollen,12 wobei gleichgültig ist, wer das Entgelt erhält.13 Erforderlich ist die Absicht, sich einer Vielzahl von anderen Sexualpartnern, nicht aber nur bestimmten einzelnen Personen sexuell preiszugeben.14 Es handelt sich daher um ein Tätigkeitsdelikt, das auch Aktionen erfasst, die lediglich erst auf die Vornahme sexueller Handlungen abzielen, wie das Sichanbieten, das Anwerben oder Verhandeln mit Freiern beim „Straßenstrich“.15
5 Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung, Tab. 2. Ab 2019 erfolgt ein gesonderter Ausweis des Delikts nicht mehr. Vgl. dazu auch Hörnle MK Rdn. 2.
6 Hörnle MK Rdn. 2 ordnet die Vorschrift als „die fragwürdigste Verbotsnorm im 13. Abschnitt des StGB“ und als ein „strafrechtliches Verbot, das nur auf die abstrakte Gefahr geringfügiger Belästigungen und Gefährdungen verweisen kann“, ein. Krit. auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1 (mit Verweis auf die Anerkennung der Prostitution durch das ProstG); ferner Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1 („jedenfalls überflüssig und entbehrt einer überzeugenden Legitimation“). 7 Hanack JR 1980 435. Für die Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit hat sich auch die vom Niedersächsischen Justizministerium eingesetzte Kommission zur Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts ausgesprochen, DRiZ 1993 252; krit. auch Hörnle Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 463 f; Trede Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) auf das Straf-und Ordnungswidrigkeitenrecht, 2007, S. 222 f. 8 Hörnle MK Rdn. 1; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 860; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 2. 9 Vgl. BVerfG v. 28.4.2009 – 1 BvR 224/07, NVwZ 2009 905, 906 f. mit dem Hinweis, dass dies nicht aus dem Begriff des „öffentlichen Anstands“ in Art. 297 EGStGB geschlossen werden könne; ablehnend auch Hörnle MK Rdn. 2. 10 Vgl. BVerfG NVwZ 2009 905, 906 ff; Behm JZ 1989 301; Finger KritJ 2007 79 (Jugendschutz); Wolters SK Rdn. 1; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 864; Ziegler BeckOK Rdn. 2. 11 Hörnle MK Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1. 12 Vgl. bereits RGSt 45 264; BGHSt 6 98; siehe auch § 1 ProstG v. 20.12.2001, BGBl. I S. 3983. 13 BT-Drucks. VI/1552 S. 25. 14 BGHSt 6 98, 99. 15 Hörnle MK Rdn. 4; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Ziegler BeckOK Rdn. 3 f. Nestler
464
II. Tatbestand
§ 184f
Erforderlich ist eine wirksame und hinreichend bestimmte16 Sperrbezirksverordnung. Von 4 dem Inhalt der Verordnungen hängt es ab, ob die Ausübung der Prostitution in einer Gemeinde überhaupt verboten oder nur an bestimmten Orten oder zu bestimmten Tageszeiten verboten bzw. zulässig ist. Ist das Nachgehen der Prostitution generell untersagt, so kommt es darauf, ob die Handlung öffentlich oder auffällig geschieht, nicht an.17 Die Norm erfasst daher auch Hausbesuche bei Freiern;18 mit Blick auf das geschützte Rechtsgut ausgeschlossen bleiben aber telefonische Anbahnungsgespräche ausgehend von einer Wohnung im Sperrgebiet,19 bei denen die Gefahr einer Belästigung generell ausgeschlossen ist.20 Vorausgesetzt ist die Wirksamkeit des durch Rechtsverordnung erlassenen Verbots.21 Gegen 5 deren Ermächtigungsgrundlage bestehen, auch aus dem Gesichtspunkt ausreichender Bestimmtheit, keine verfassungsrechtlichen Bedenken.22 Art. 297 EGStGB enthält eine abschließende Regelung23 und darf vom Landesgesetzgeber nicht erweitert werden. Die Norm ermächtigt nicht nur zum Erlass einer Verordnung, um die strafrechtliche Blankettnorm des § 184f auszufüllen.24 Das durch eine solche Rechtsverordnung geregelte Verbot der Prostitution hat auch präventiv polizeilichen Charakter. Unter Strafe gestellt ist nur eine beharrliche Zuwiderhandlung gegen das Verbot, in Sperrbe- 6 zirken der Prostitution nachzugehen. Das Merkmal der Beharrlichkeit setzt zunächst eine wiederholte Begehung voraus.25 Es ist zwar nicht notwendig, dass gegen den Täter schon einmal ein Bußgeld festgesetzt worden ist. Der vorherige Verstoß muss aber auf der Basis derselben Rechtsverordnung abgemahnt worden sein,26 weil nur bei vorheriger Abmahnung der Vorwurf erhöhter Pflichtwidrigkeit, den das Merkmal der Beharrlichkeit voraussetzt, überhaupt möglich ist. Ein einmaliger Verstoß reichte auch nach früherer Rspr. nur dann aus, wenn in ihm besondere Hartnäckigkeit und gesteigerte Gleichgültigkeit zum Ausdruck kommen27 – wobei die Kriterien dafür unklar bleiben. Die h.Lit. sieht einen einmaligen Verstoß demgegenüber zurecht als nicht ausreichend an.28 Beharrlichkeit ist jedenfalls nicht schon bei bloßer Wiederholung eines vorsätzlichen Verstoßes gegeben. Das Merkmal der Beharrlichkeit verlangt vielmehr eine nicht nur in der Wiederholung liegende, gesteigerte Pflichtwidrigkeit i.S.e. Gleichgültigkeit bzw. Widersetzlichkeit gegenüber der Norm29 – was auch immer das bedeuten mag.30 Daran wird es fehlen, wenn etwa frühere Verstöße lange zurück- oder jeweils weit auseinanderliegen.31 Es
16 17 18 19 20
Ziegler BeckOK Rdn. 4. BayObLG MDR 1989 181; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. BayObLG MDR 1989 181; siehe auch BGHSt 23 167, 174. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. Anders aber BayObLG MDR 1989 181. Krit. allerdings Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4 mit Verweis auf die Abgrenzungsschwierigkeiten. Siehe dazu auch den Hinweis bei Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 3, der „diskrete Vorgänge“ daher aus dem Tatbestand ausschließen will. 21 Hörnle MK Rdn. 3. 22 BVerwG NVwZ 2004 743; BayVerfGH NJW 1983 2188; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; aA Gurlit/Oster GewArch 2006 361. 23 BGHSt 11 31. 24 VGH Kassel NJW 1984 505. 25 Hörnle MK Rdn. 5; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Ziegler BeckOK Rdn. 5. 26 Wie hier Wolters SK Rdn. 3; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4; aA Fischer Rdn. 5. 27 Nach früherer Auffassung konnten Teilakte einer fortgesetzten Handlung zur Feststellung des Merkmals der Wiederholung genügen, vgl. BGH NStZ 1992 594. Siehe aber Ziegler BeckOK Rdn. 5 („zumindest einen vorangegangenen vorsätzlichen Verstoß“). 28 Hörnle MK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 29 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Ziegler BeckOK Rdn. 5. 30 Krit. zu dem Merkmal auch Hörnle MK Rdn. 5, die mindestens zwei Übertretungen für erforderlich hält; ferner Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4 („ab dem dritten Verstoß“). 31 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4. 465
Nestler
§ 184f
Ausübung der verbotenen Prostitution
muss der Schluss naheliegen, dass der Täter auch in Zukunft das Verbot hartnäckig missachten wird.
2. Subjektiver Tatbestand 7 Der Tatbestand verlangt zumindest bedingten Vorsatz. Der Täter muss es für möglich halten und es muss ihm gleichgültig sein, dass er der Prostitution im verbotenen Bezirk oder zur verbotenen Zeit nachgeht.32 Zudem muss der Täter die Umstände kennen und billigen, die der Wertung, es liege ein beharrlicher Verstoß vor, zugrunde liegen. Dazu ist erforderlich, dass ihm die vorherige Abmahnung zur Kenntnis gelangt ist. Fehlende Kenntnis von der Sperrbezirksverordnung begründet nach allgemeinen Regeln über den Irrtum bei Blanketten lediglich einen Verbotsirrtum. Demgegenüber kann die Vorstellung, die begangene Handlung habe außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Sperrbezirksverordnung stattgefunden, einen Tatbestandsirrtum darstellen.33
III. Täterschaft und Teilnahme 8 § 184f ist ein eigenhändiges Delikt.34 Täter kann nur diejenige Person sein, die der Prostitution in der verbotenen Weise nachgeht. Der Sexualpartner des Täters ist wie ein notwendiger Teilnehmer zu behandeln,35 so dass seine Mitwirkungshandlungen straflos sind.36 Die Mitwirkung stellt auch keine Ordnungswidrigkeit nach § 120 OWiG dar.37 Im Übrigen gelten für die Teilnahme die allgemeinen Regeln. Das Merkmal der Beharrlichkeit ist, da es eine gesteigerte Pflichtwidrigkeit voraussetzt, besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 14 Abs. 4 OWiG.38 Es muss deshalb bei dem Teilnehmer gegeben sein. Fehlt es an dem Merkmal, so können dennoch die Voraussetzungen des § 120 OWiG vorliegen.39 Teilnahme an § 184f ist auch möglich, wenn der Täter selbst nicht beharrlich handelt. 9 Ob Beihilfe auch durch Gewähren einer Wohnung geleistet werden kann, ist str.40 Der ablehnenden Auffassung, die darauf gestützt ist, dass das Wohnungsgewähren an Prostituierte nur unter den Voraussetzungen des § 180a Abs. 2 mit Strafe bedroht ist, ist zwar entgegenzuhalten, dass die §§ 180a Abs. 2 und 184e unterschiedliche Rechtsgüter schützen und § 180a daher insoweit keine abschließende Regelung darstellen kann.41 Angesichts des ohnehin fraglichen Unrechtsgehalts des § 184f ist dieses grds. richtige, sozialethisch aber kaum haltbare Ergebnis allenfalls über die Grundsätze der neutralen Beihilfe aufzulösen.42 32 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Ziegler BeckOK Rdn. 6. 33 Vgl. auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 5. 34 Hörnle MK Rdn. 7; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 865; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Ziegler BeckOK Rdn. 7.
35 Wobei – anders als bei „echten“ Fällen einer notwendigen Teilnahme – die Teilnahme des Freiers zur Deliktsverwirklichung gerade nicht notwendig ist; vgl. dazu Graalmann-Scheerer GA 1995 352; siehe auch Hörnle MK Rdn. 8. 36 Strafbarkeit ablehnend auch Hörnle MK Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 8; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Leo S. 208 ff. 37 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 8. 38 Hörnle MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. Ziegler BeckOK Rdn. 7 nennt nur § 28 Abs. 2 StGB. 39 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. 40 Bejahend BayObLG NJW 1981 2766; so auch Hörnle MK Rdn. 7; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 866; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 8; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; verneinend Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Wolters SK Rdn. 5; Fischer Rdn. 7. 41 Vgl. dazu auch Hörnle MK Rdn. 7; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 866; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. 42 In diese Richtung auch Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 866. Nestler
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IV. Konkurrenzen
§ 184f
IV. Konkurrenzen Bei Handlungen im engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang liegt nur eine Tatbe- 10 standsverwirklichung vor, auch wenn verschiedene Personen betroffen sind. Dies folgt aus der Schutzrichtung der Vorschrift, die nicht höchstpersönliche Rechtsgüter betroffener Einzelner schützt, sondern abstrakten Gefahren vorbeugen will. § 120 OWiG tritt hinter § 184f zurück (§ 21 OWiG). Idealkonkurrenz ist möglich mit § 183a und § 184g,43 in Fällen der Teilnahme auch mit § 180a, § 181a.
43 Hörnle MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. 467
Nestler
§ 184g Jugendgefährdende Prostitution Wer der Prostitution 1. in der Nähe einer Schule oder anderen Örtlichkeit, die zum Besuch durch Personen unter achtzehn Jahren bestimmt ist, oder 2. in einem Haus, in dem Personen unter achtzehn Jahren wohnen, in einer Weise nachgeht, die diese Personen sittlich gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Schrifttum Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten (2012). Siehe ferner das Schrifttum zu § 184f.
Entstehungsgeschichte Vorläuferin des § 184g war § 361 Nr. 6b a.F. Diese Vorschrift ist durch das – insoweit nicht in Kraft gesetzte – 2. StrRG in § 184c neu gefasst und durch das 4. StrRG (Entstehungsgeschichte zu § 184) als § 184b verabschiedet worden. Mit dem 4. StrRG ersatzlos weggefallen ist § 361 Nr. 6a a.F. (siehe die Kommentierung zu § 184f Fn. 1) Das dort mit Strafe bedrohte Verhalten hat der Gesetzgeber nicht als pönalisierungswürdig angesehen.1 Die Prostitutionsausübung in der Umgebung von Orten, an denen sich Jugendliche aufhalten, stellt kein strafwürdiges Unrecht dar, wenn eine „sittliche Gefährdung“ der Jugendlichen nicht nachzuweisen ist. Durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.20032 wurde § 184b umbenannt in § 184e, durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31.10.20083 in § 184f. Mit dem Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht v. 21.1.2015,4 in Kraft seit 27.1.2015, wurde die Vorschrift von § 184f zu § 184g.
Übersicht I.
Deliktscharakter und geschütztes Rechts1 gut
1. 2.
Objektiver Tatbestand Subjektiver Tatbestand
3 8
II.
Tathandlung
III.
Täterschaft und Teilnahme, Konkurren9 zen
I. Deliktscharakter und geschütztes Rechtsgut 1 Die Vorschrift dient dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor „sittlicher Gefährdung“. Sie soll verhindern, dass die sittlichen Wertvorstellungen von Minderjährigen durch Zurschaustellung der Prostitutionsausübung negativ beeinflusst werden.5 Angesichts des zweifelhaften Schutzguts und der mangelnden praktischen Bedeutung6 wird in der Lit. teilweise vorgeschlagen, die Vorschrift zu streichen oder jedenfalls in das Ordnungswidrigkeitenrecht zu verlagern.7 1 2 3 4 5 6
BT-Drucks. V/4095 S. 48, 49. BGBl. I S. 3007. BGBl. I S. 2140. BGBl. I S. 10. In diese Richtung wohl auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1 und Ziegler BeckOK Rdn. 2. 2016: 23 Verurteilungen, 2017: 16 Verurteilungen, 2018: 5 Verurteilungen; vgl. Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung, Tab. 2. Ein gesonderter Ausweis des Delikts erfolgt inzwischen nicht mehr. 7 Reformkommission Sexualstrafrecht, Abschlussbericht S. 366. Nachweise auch bei Hörnle MK Rdn. 1. Nestler https://doi.org/10.1515/9783110490121-028
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II. Tathandlung
§ 184g
§ 184g ist ein konkretes Gefährdungsdelikt8 und damit auch ein Erfolgsdelikt. Zwischen der 2 Prostitutionsausübung und der sittlichen Gefährdung muss daher ein kausaler Zusammenhang bestehen.
II. Tathandlung 1. Objektiver Tatbestand Die Vorschrift setzt voraus, dass der Täter der Prostitution nachgeht (vgl. insoweit die Kommentierungen zu § 180a und § 184f). Nr. 1 der Vorschrift erfasst Fälle, in denen der Täter der Prostitution in der Nähe einer Schule oder anderen Örtlichkeit, die zum Besuch durch Personen bis zu 18 Jahren bestimmt ist, nachgeht. Fortbildungseinrichtungen für Erwachsene scheiden aus. Die gesetzliche Formulierung stellt klar, dass Schulen vom Tatbestand nur dann erfasst sind, wenn sie zum Besuch (auch) durch Personen unter 18 Jahren bestimmt sind. Bei den anderen Örtlichkeiten handelt es sich nicht nur um Gebäude (Kindergärten, Jugendheime), sondern auch um offene Einrichtungen, wie Spielplätze, Sportplätze, auch solche, die nur vorübergehend bestehen (Zeltlager).9 Die Einrichtungen müssen zum Besuch von Jugendlichen bestimmt sein. Maßgeblich ist die Entscheidung desjenigen, der den Verwendungszweck verantwortlich festgelegt hat.10 Eine Bestimmung für Jugendliche liegt noch nicht darin, dass bestimmte Orte vorwiegend von Jugendlichen aufgesucht werden, wie Diskotheken, Eisdielen oder sonstige Lokale mit vielen minderjährigen Kunden.11 Vielmehr kommt es darauf an, dass sich das Angebot speziell und in erster Linie an Minderjährige richtet. Das Merkmal „in der Nähe“ erfasst auch Handlungen „in“ der Einrichtung.12 Es bezieht die Örtlichkeiten ein, die von den für Jugendliche bestimmten Örtlichkeiten eingesehen werden können,13 nicht dagegen die Örtlichkeiten, die Jugendliche passieren, wenn sie die Einrichtung erreichen wollen.14 Nr. 2 betrifft Fälle, in denen der Täter der Prostitution in einem Haus nachgeht, in dem Personen unter 18 Jahren wohnen. Das Merkmal des Wohnens deckt sich inhaltlich mit dem der Wohnung in § 180a Abs. 2. Es setzt die Überlassung eines Raumes – auch einer Schlafstelle15 zum längeren Gebrauch – voraus.16 Die Wohnung muss längere Zeit Lebensmittelpunkt sein.17 Anders verhält es sich bei einem Absteigequartier oder einem Hotelzimmer, das nur für kurze Zeit aufgesucht wird. Werden solche Räumlichkeiten überlassen, handelt es sich um Unterkunft. Aufenthalt wird gewährt in Räumlichkeiten, in denen sich Personen nur vorübergehend aufzuhalten pflegen. Die Fälle der Unterkunft und des Aufenthalts werden von dem Merkmal des Wohnens nicht erfasst. Auf die Zahl der im Hause wohnenden Jugendlichen kommt es nicht an. Der Täter muss der Prostitution in einer Weise nachgehen, die „diese Personen“ – das sind die minderjährigen Besucher der in Nr. 1 genannten Örtlichkeiten und die minderjährigen Bewohner nach Nr. 2 – sittlich gefährdet. Das Merkmal „in einer Weise nachgehen“ bedeutet, dass Verhaltensweisen, die so angelegt sind, dass sie eine Gefährdung von Minderjährigen i.d.R. aus8 Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; SSW/Wolters Rdn. 1; anders Hörnle MK Rdn. 1 (abstraktes Gefährdungsdelikt). 9 Hörnle MK Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; SSW/Wolters Rdn. 2. 10 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. 11 Hörnle MK Rdn. 2. 12 Hörnle MK Rdn. 2; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 883; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. 13 SSW/Wolters Rdn. 2 sowie Wolters SK Rdn. 3. 14 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 5. 15 So bereits RGSt 71 293, 294. 16 Siehe bereits RGSt 62 221; BGH MDR 1952 272. 17 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. 469
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§ 184g
Jugendgefährdende Prostitution
schließen, nicht tatbestandsmäßig sind, selbst wenn – unvorhergesehen – ein Jugendlicher doch Kenntnis nimmt.18 Geht der Täter der Prostitution ohne solche Vorsichtsmaßregeln nach, so verlangt der Tatbestand, dass die sittliche Gefährdung mindestens eines Minderjährigen tatsächlich eingetreten ist. Das setzt zunächst Beobachtung oder die akustische Wahrnehmung durch einen Minderjährigen voraus.19 An dieser Konkretisierung der Gefahr fehlt es, wenn der Minderjährige die Handlung, die ihn hätte gefährden können, gar nicht bemerkt. Der Minderjährige muss zudem die Handlung in ihrer Bedeutung erkennen, d.h. er muss jedenfalls eine ungefähre, seinem Alter entsprechende Vorstellung von der Ausübung der Prostitution haben. Umgekehrt scheidet eine Gefährdung (siehe sogleich) aber aus, wenn der Jugendliche bereits eine hinreichende sittliche Reife aufweist und das Verhalten dementsprechend einzuordnen weiß.20 Das Merkmal der sittlichen Gefährdung entspricht dem Begriff der Gefährdung des sittli7 chen Wohls in § 170d a.F. Der letztgenannte Begriff wurde in den Beratungen zum Entwurf des 4. StrRG als zu wenig aussagekräftig angesehen21 und durch folgende Umschreibung ersetzt: in die Gefahr bringt, in seiner … psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen. Mit dem Merkmal der erheblichen Schädigung der psychischen Entwicklung sollten22 nur Verantwortlichkeiten für solche Fehlentwicklungen erfasst werden, die mit medizinisch-psychologischen Kriterien zu umschreiben sind. Diese Auslegung ist im Grundsatz auch auf § 184g übertragbar. Die sittliche Gefährdung verlangt deshalb den Eintritt der konkreten Gefahr der Schädigung der psychischen Entwicklung eines bestimmten Minderjährigen.23 Dies ist bspw. gegeben, wenn der Jugendliche in die konkrete Gefahr gerät, selbst der Prostitution nachzugehen. Diese Gefahr kann auch bei bereits gefährdeten (verwahrlosten) Jugendlichen vorliegen, wenn die Gefährdung durch die Tat vergrößert wird.24
2. Subjektiver Tatbestand 8 § 184g verlangt zumindest bedingten Vorsatz. Dieser muss sich auch auf die in § 184f genannten Örtlichkeiten sowie auf die Weise des Nachgehens der Prostitution beziehen und auch die Gefährdung des Jugendlichen umfassen.25
III. Täterschaft und Teilnahme, Konkurrenzen 9 Siehe die Kommentierung zu § 184f.
18 Hörnle MK Rdn. 3; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3. 19 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2 f; Wolters SK Rdn. 5; Hörnle MK Rdn. 3; anders Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 20 In diese Richtung auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. Siehe aber Hörnle MK Rdn. 3 mit dem Hinweis, dass auch bereits „sittlich verdorbene“ Minderjährige noch gefährdet werden können.
21 Vgl. die Anhörung von Sachverständigen im Protokoll des Sonderausschusses des deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, 6. Wahlperiode, S. 1253 sowie BT-Drucks. VI/3521 S. 16. 22 BT-Drucks. VI/3521 S. 16; krit. Hanack NJW 1974 1, 2. 23 Wohl schwächer aber auch eine konkrete Gefahr verlangend SSW/Wolters Rn. 3 sowie Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5: „Prognose, dass die Entwicklung ethischer Wertvorstellungen gerade bei diesem Jugendlichen … beeinträchtigt werden kann. In diese Richtung auch Ziegler BeckOK Rdn. 4 und Fischer Rdn. 4. Krit. zu der anzustellenden Prognose Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 3. Anders Hörnle MK Rdn. 3, die zwar keine konkrete Gefahr verlangt, gleichwohl aber die „diskrete Wohnungsprostitution“ aus dem Tatbestand ausschließt und nur Verhaltensweisen unter das Merkmal subsumiert, die „über sozial unverfängliche Verhaltensweisen hinausgehen“. 24 Hörnle MK Rdn. 3. Anders SSW/Wolters Rdn. 3. 25 SSW/Wolters Rdn. 4; Ziegler BeckOK Rdn. 5. So auch schon BGH MDR 1964 772. Nestler
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§ 184h Begriffsbestimmungen Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind, 2. sexuelle Handlungen vor einer anderen Person nur solche, die vor einer anderen Person vorgenommen werden, die den Vorgang wahrnimmt.
Schrifttum Beck Die sexuelle Handlung, Diss. Tübingen 1988; Binding Unzüchtige Handlungen und unzüchtige Schriften ZStW 2 (1882) 450; Laubenthal Sexuelle Handlungen und deren „Begriffsbestimmungen“ nach § 184h StGB, Festschrift Streng (2017) 87; ders. Handbuch Sexualstraftaten (2012); Renzikowski Die böse Gesinnung macht die Tat, Festschrift Beulke (2015) 521.
Entstehungsgeschichte Der Begriff der sexuellen Handlung wurde durch das 4. StrRG vom 23.11.19731 in das StGB eingeführt und löste die Begriffe „Unzucht“ und unzüchtige Handlung“ im früheren Recht ab. Der Begriff der Unzucht war durch die frühere Auslegung der Rspr. – bspw. außerehelicher Geschlechtsverkehr von Verlobten als unzüchtige Handlung2 – so stark vorbelastet, dass seine Verwendung politisch nicht ratsam erschien. Dass der stattdessen verwendete Begriff der sexuellen Handlung sehr viel weiter ist, wurde dabei in Kauf genommen. Die notwendige Einschränkung sollte dadurch erfolgen, dass nur Handlungen erfasst wurden, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind.3 Durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.20034 wurde § 184c a.F. ohne inhaltliche Änderungen umbenannt in § 184f a.F., durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31.10.20085 in § 184g a.F. und schließlich durch das 49. StrÄndG vom 21.1.20156 in § 184h.
Übersicht I. 1. 2.
Nr. 1 Sexuelle Handlung 8 Erheblichkeit
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II. 1. 2.
Nr. 2 Handlung „vor“ einer anderen Person Handlung „an“ einer anderen Person
16 20
I. Nr. 1 1. Sexuelle Handlung Der Begriff der sexuellen Handlung hat den der unzüchtigen Handlung abgelöst. In diesem 1 Zusammenhang enthielt das frühere Recht eine Reihe von Ausdrücken und Deutungen (gewerbsmäßige Unzucht, zur Unzucht missbraucht, unzüchtige Schriften, unzüchtiger Verkehr, Gegenstände zu unzüchtigem Gebrauch u.a.), die das Merkmal Unzucht aufgriffen. Es bedeutete eine Handlung, die geschlechtliche (sexuelle) Beziehungen hat, auch wenn diese ohne Kenntnis
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BGBl. I S. 1725. BGHSt 6 46; BGHSt 17 230. Vgl. BT-Drucks. VI/1552 S. 15. BGBl. I S. 3007. BGBl. I S. 2149. BGBl. I S. 10.
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von Willensrichtung und Gesinnung des Täters nicht ohne weiteres erkennbar sind,7 subjektiv einer geschlechtlichen (sexuellen) Absicht entspringt (nämlich: der Absicht, den Geschlechtstrieb oder die Geschlechtslust zu erregen oder zu befriedigen) und objektiv das Anstands- und Sittlichkeitsgefühl auf geschlechtlichem Gebiet gröblich verletzt. 2 Vor diesem Hintergrund sind sexuelle Handlungen zunächst nur solche, die objektiv nach dem äußeren Erscheinungsbild Sexualbezug aufweisen.8 Für solche Handlungen kommt es nicht mehr darauf an, ob der Täter sexualisierende oder andere Absichten verfolgt; die Motivlage ist dann irrelevant.9 Berührungen von zwei oder mehr Personen sind nicht erforderlich.10 Es kommen nur Handlungen am Körper oder des Körpers11 in Frage; bloßes Reden reicht nicht aus. Nicht notwendig ist es, dass der Bestimmende oder der Handelnde eine „wollüstige Absicht“ hat.12 Der Begriff sexuelle Handlung enthält keine „moralische Komponente“, erfasst somit auch sozialethisch nicht zu beanstandende Handlungen. Das Merkmal stimmt insoweit nicht mit dem der unzüchtigen Handlung überein; es ist wegen des Fehlens der dem Begriff der Unzucht innewohnenden moralischen und subjektiven Komponente weiter.13 Das Gesetz verwendet i.d.R. den Begriff „sexuelle Handlung“ in der Mehrzahl. Zur jeweiligen Tatbestandserfüllung reicht allerdings schon eine Handlung aus. Den objektiven Sexualbezug können auch objektive Umstände aus dem Gesamtkontext herstellen, so bspw. das Entkleiden, wenn währenddessen sexualisierende Gespräche geführt werden.14 3 Umstr. ist die Auslegung des Begriffs „sexuelle Handlung“ bei Aktionen, die objektiv nicht ohne weiteres als sexuelle zu erkennen sind, denen aber ein sexuelles Motiv zugrunde liegt. Der Alternativentwurf eines Strafgesetzbuchs15 wollte stets nur an das äußere Erscheinungsbild anknüpfen. Andere verstehen den Begriff der sexuellen Handlung ebenfalls objektiv, lassen es aber genügen, wenn die Sexualität einer Handlung nicht durch ihr äußeres Erscheinungsbild ermittelt werden kann, aber von der geschützten Person erkannt wird.16 Während der Beratungen des 4. StrRG wurde für ambivalente Handlungen eine gemischt objektiv-subjektive Auslegung für richtig gehalten.17 Richtigerweise sind hier ambivalente Handlungen von objektiv neutralen Handlungen zu unterscheiden. Eine ambivalente Handlung liegt vor, wenn die erkennbaren Begleitumstände den Verdacht begründen, dass es sich um ein sexuelles Geschehen handeln könnte, ohne dass sich dies aus der Beobachterperspektive klären lässt.18 Solche ambivalenten Handlungen sind sexuelle Handlungen i.S.d. Nr. 1, sofern diese Deutung nicht nur objektiv theoretisch möglich ist, sondern auch nach umfassender Bewertung des Gesamtvorgangs naheliegt19 und
7 BGHSt 1 168; BGHSt 2 212; BGHSt 17 280. 8 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Vgl. auch BGHSt 29 336, 338; BGH StraFo 2008 172; vgl. auch Lenckner JR 1983 159, 160; BGH NStZ 1983 167; BGH v. 26.8.2008 – 4 StR 373/08; BGH v. 20.12.2007 – 4 StR 459/07; (unberechtigte) Zweifel am Sexualbezug BGH NStZ-RR 1999 357 (Nr. 49) beim Griff zwischen die Beine eines am Unterkörper unbekleideten flüchtenden 7-jährigen Mädchens. 9 BGHSt 29 336, 338; BGHSt 63 98, 102; BGH NStZ 1983 167; BGH NStZ 1985 24; BGH NJW 1992 325; BGH NStZ-RR 2008 339, 340; BGH NStZ 2015 33, 35; BGH NStZ 2015 457; Hörnle MK Rdn. 2 f; Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 103; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. 10 Vgl. BGH BeckRS 2022 3552. 11 Zur Unterscheidung von sexuellen Handlungen mit dem Körper und am Körper vgl. BGHSt 50 370; BGH StV 2007 184. 12 BGHSt 29 336, 338; BGH NJW 1993 2252, 2253; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. Unzutreffend bei BGH v. 31.10.1984 – 2 StR 392/84. Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 105 stellt stattdessen ausdrücklich auf die „Sozialschädlichkeit“ des Verhaltens ab. 13 Sturm JZ 1974 1, 4. 14 Hörnle MK Rdn. 3. 15 Vgl. dazu noch Dreher JR 1974 45, 47; ferner Wolters SK Rdn. 2 und SSW/Wolters Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 2 ff. 16 Maurach/Schroeder/Maiwald StR BT I § 17 Rn. 30 f. 17 So auch Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3 sowie i.E. Fischer Rdn. 4. 18 So die Definition von Hörnle MK Rdn. 4. 19 Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 108. Nestler
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beim Täter eine entsprechende Motivlage gegeben ist.20 Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob das betroffene Opfer den sexuellen Kontext erkennt.21 In Fällen eines Motivbündels genügt das bloße „Mitschwingen“ sexueller Motive neben anderen nicht, um aus der ambivalenten Handlung eine solche mit Sexualbezug zu machen.22 Demgegenüber sind objektiv neutrale Handlungen solche, die äußerlich völlig unverfäng- 4 lich – und nicht etwa doppeldeutig – daherkommen, jedoch aufgrund der subjektiven Intention des Täters in einen sexuellen Kontext rücken. Solche Handlungen stellen keine sexuellen Handlungen i.S.d. Nr. 1 dar, sofern Handlung und Kontext objektiv und von außen betrachtet keine solche Interpretation zulassen und sich die Handlungen im Rahmen des Üblichen halten. Dies gilt selbst dann, wenn der Täter subjektiv einen solchen Sexualbezug herstellt.23 Dieses Ergebnis ist nur nicht mit Blick auf das Schutzgut des Abschnitts richtig, da allein durch die verwerflichen Gedanken des Täters daran keinerlei Schaden entstehen kann. Es entspricht zugleich dem Charakter des Tatstrafrechts. Auch der allgemeine Sprachgebrauch legt nahe, an einen äußerlich sichtbaren, für einen Betrachter als sexuelle Handlung erkennbaren Vorgang anzuknüpfen und nicht an Lebenssachverhalte, die ihren sexuellen Bezug nur in Tendenzen des Handelnden haben. Innere Vorgänge, die nicht nach außen wirken, sind nicht pönalisierungswürdig. Deshalb sind weder Berührungen der Geschlechtsorgane durch einen Gynäkologen24 noch sonstige „normale“ Handlungen – wie Züchtigungen, Säuberungen eines anderen, Urinieren, Umarmungen und Küsse bei Begrüßungen oder Verabschiedungen – sexuelle. Ob neutrale Handlungen ohne (objektiven) Sexualbezug oder (objektiv) ambivalente Hand- 5 lungen vorliegen, kann nur anhand der (objektiven) Gesamtumstände des Einzelfalles geklärt werden. Dies gilt für Handlungen wie etwa das Entblößen des Oberkörpers25 oder des Geschlechtsteils,26 das Einnehmen sexualbezogener Posen durch bekleidete27 oder unbekleidete Kinder,28 starkes Waschen im Genitalbereich, das Urinieren eines Kindes in den Mund des Täters29 oder das Urinieren des Täters auf den Körper einer Frau,30 das Urinieren in ein Feuer.31 Ähnlich verhält es sich auch bei sadistischen32 oder masochistischen Handlungen, also für körperliche Züchtigungen, die der sexuellen Erregung des Züchtigenden oder des Opfers dienen. Handlungen eines Arztes können sexuelle dann sein, wenn sie in der Form, in der sie vorgenommen werden, medizinisch nicht indiziert oder nicht „lege artis“ ausgeführt sind,33 so dass der Charakter des ärztlichen Eingriffs durch den Sexualbezug überlagert ist. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob eine an sich ambivalente Handlung in Wahrheit eine sexuelle ist, ist nicht das subjektive Urteil der geschützten Person,34 sondern das eines objektiven Betrachters,
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Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Ziegler BeckOK Rdn. 3.3. So Hörnle MK Rdn. 4. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. Fischer Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. In diese Richtung auch Hörnle MK Rdn. 4 und Ziegler BeckOK Rdn. 3. Bei Manipulationen an den Geschlechtsorganen durch eine Person, die nicht Arzt ist, liegt nach dem äußeren Erscheinungsbild eine sexuelle Handlung vor; anders aber BGH NStZ-RR 2005 367. 25 BGH NStZ 1985 24. 26 BGH v. 31.10.1984 – 2 StR 392/84; anders BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 3; BGH NStZ 1994 225; offen gelassen von BGH NStZ-RR 2004 356. 27 BGHR StGB § 184c Nr. 1, Erheblichkeit 5. 28 BGHSt 43 366, 368; BGHSt 50 370, 371; BGH StV 2007 184. Ferner BGHSt 43 366, 367 (zum Fotografieren eines nackten Kindes); BGHSt 50 370, 371 (wenn der Täter es bestimmt, sexuelle Handlungen vorzunehmen, die nicht mit Manipulationen an seinem Körper verbunden sind); BGH StV 2007 184. 29 BGH MDR 1980 454. 30 BGH v. 8.12.1982 – 3 StR 446/82. 31 Abgelehnt von BGH v. 23.2.1982 – 5 StR 667/81. 32 BGH v. 21.8.1979 – 1 StR 405/79; Maurach/Schroeder/Maiwald StR BT I § 18 Rdn. 16. 33 Vgl. OLG Hamm NJW 1977 1499; BGH NStZ 2004 630, 631. 34 Anders Maurach/Schroeder/Maiwald StR BT I § 17 Rdn. 31. 473
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der alle Umstände des Einzelfalles kennt.35 Auf sexuelle Absichten des Täters kann es nur ankommen, wenn diese für den objektiven Betrachter erkennbar sind.36 6 Eine – entsprechend diesen Kriterien – nach dem äußeren Erscheinungsbild als sexualbezogen zu bezeichnende Handlung bleibt auch bei fehlenden subjektiven sexuellen Tendenzen eine sexuelle Handlung.37 Eine pornographische Live-Show besteht deshalb aus sexuellen Handlungen, selbst wenn ihnen kein sexuelles Motiv, sondern lediglich Geschäftsinteresse zugrunde liegt. Sexuelle Handlungen verlieren ihren sexuellen Bezug auch nicht, wenn sie aus Scherz, Aberglaube, Neugierde oder aus wissenschaftlichen, künstlerischen oder sexualpädagogischen Zwecken vorgenommen werden.38 Das Vorliegen der sexuellen Handlung muss – wie jedes Tatbestandsmerkmal – vom Vorsatz 7 des Täters umfasst sein.39 Das bedeutet, dass der Täter, wenn er nicht mit direktem Vorsatz einen der Tatbestände des Abschnittes verwirklicht, wenigstens mit dolus eventualis handeln muss. Das ist der Fall, wenn er den Bedeutungsinhalt der Handlung mit ihrem sexuellen Bezug wenigstens nach Laienart erkennt40 und die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält und billigt.41 Die Vorsatzfrage wirft keine Probleme auf bei Taten, bei denen es dem Täter nur auf die sexuelle Handlung ankommt, wohl aber bei Taten, die auf ein Motivbündel42 zurückzuführen sind. Bei diesen muss der Täter zwar nicht mit „wollüstiger Absicht“ handeln. Er muss aber den sexuellen Bezug der Handlung im Sinne des dolus eventualis erkennen und die Tatbestandsverwirklichung billigen. Das kann auch vorliegen, wenn er aus Wut handelt.43
2. Erheblichkeit 8 Die Erheblichkeit der sexuellen Handlung ist im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut zu ermitteln. Dies ist mit Schwierigkeiten vor allem deshalb verbunden, weil durch etliche Tatbestände des Abschnitts auch mehrere und obendrein vollkommen indifferente Rechtsgüter geschützt werden sollen. Generell gilt, dass unerhebliche Handlungen, also das bloß Unanständige, Unangebrachte, Anstößige, Geschmacklose, Unschamhafte, Widerwärtige – soweit es sich dabei nach dem äußeren Erscheinungsbild überhaupt um sexuelle Handlungen handelt –, ohne weiteres als nicht tatbestandsmäßig ausgeschieden werden können.44 Es können hier auch bloße sexuelle Zudringlichkeiten ausscheiden, wobei sich der früher zur unzüchtigen Handlung geltende Maßstab hier verändert haben dürfte. Vielmehr soll es auf sämtliche Begleitumstände einschließlich der Beziehung zwischen Täter und Opfer, dem Alter des Opfers, dem Verkehrskreis etc. ankommen. Die Abgrenzung ist Tatfrage und entbehrt in der Praxis einer klaren Systematik. 9 Die gesetzgeberische Lösung, dass sich die Erheblichkeit einer sexuellen Handlung – abgesehen von den überhaupt nicht pönalisierten Geringfügigkeiten – nach dem jeweils geschützten Rechtsgut richtet,45 knüpft an die Rspr. zum Begriff der Unzucht an, die bei den aus Sinnenlust
35 BGH NStZ 2002 431 432; BGH StV 1997 524; BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 5. 36 BGH NStZ 2002 431, 432; BGH StV 1997 524; vgl. aber BGH NStZ-RR 2005 367. 37 BT-Drucks. VI/3521 S. 36; BGH NStZ-RR 2008 366; BGH NJW 1993 2252, 2253. So auch die h.Lit., vgl. Hörnle MK Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. Wolters SK Rdn. 2; Fischer Rdn. 4. BGH NStZ 2009 29; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. BGH NJW 1993 2252, 2253. Kaum nachvollziehbar sind die BGH NStZ 2009 29 zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen (Einführen des Fingers in die Scheide als „Suchvorgang“). 42 BGHSt 13 138, 140. 43 BGH NStZ 1983 167. 44 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15b. Ähnlich Ziegler BeckOK Rdn. 5 mit dem Hinweis, dass sich auch die Einführung von § 184i auf die Auslegung des Erheblichkeitsbegriffs nicht auswirkt. 45 Krit. dazu Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15.
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vorgenommenen Handlungen46 differenzierte, ob sie gegenüber Kindern oder Erwachsenen vorgenommen wurden. Bei Erwachsenen richtete sich die Wertung darüber hinaus nach der in Betracht kommenden Strafvorschrift und den näheren Tatumständen. An welchen Kriterien die Erheblichkeit für das jeweils geschützte Rechtsgut gemessen wer- 10 den soll, lässt das Gesetz offen und gewährt stattdessen einen breiten Beurteilungsspielraum.47 In der Lit. werden daher auf Grundlage des Gesetzeswortlauts verschiedene Kriterien für die Erheblichkeit herangezogen, so bspw. eine quantitative Komponente einerseits und der Rechtsgutsbezug bzw. eine relative Komponente andererseits.48 Eine Ausrichtung ausschließlich nach dem Grad der Gefährdung oder dem Grad der Beein- 11 trächtigung des Rechtsguts stößt jedenfalls dann auf Bedenken, wenn der Nachweis verlangt würde, dass die Rechtsgüter eines bestimmten Einzelnen durch starke oder weniger starke Eingriffe konkret gefährdet oder beeinträchtigt werden. Dieser Nachweis würde beim Jugendschutz schon deshalb auf Schwierigkeiten stoßen, weil von Fall zu Fall verschieden sein kann, ob und inwieweit eine Handlung die sexuelle Entwicklung eines Jugendlichen beeinträchtigt. Obendrein sind etliche Tatbestände des Abschnitts abstrakte Gefährdungsdelikte, bei denen eine konkrete Gefahr für oder gar eine Verletzung des Rechtsguts überhaupt nicht verlangt wird. Bei der Würdigung, ob eine Handlung im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut erheblich ist, wird man demnach also grds. auf das objektive Gewicht der Handlung abzustellen haben, das sich wiederum aus quantitativen (Dauer, Häufigkeit, Anzahl der Wiederholungen etc.) wie auch aus qualitativen (Intensität der Handlung, Deutlichkeit des Sexualbezugs, Alter des Opfers etc.) Kriterien ergeben kann. Beim Jugendschutz ist insoweit zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Schutz nach 12 dem jeweiligen Alter abstuft. Wenn Handlungen, die gegenüber einem Siebzehnjährigen begangen wurden, strafrechtlich noch hingenommen werden können, können diese, wenn sie sich gegen einen Dreizehnjährigen richten, von Erheblichkeit sein.49 Generell ist eine sexuell getönte Handlung gegenüber einem Kind eher erheblich als gegenüber einem Erwachsenen.50 Soweit das Rechtsgut sexuelle Selbstbestimmung betroffen ist, ist die Erheblichkeitsschwelle gegenüber Personen, deren Abwehrfähigkeit beschränkt ist, eher überschritten als gegenüber Personen, die sich gegen sexuelle Zudringlichkeiten zur Wehr setzen können. Bei Schutzbefohlenen liegt die Schwelle niedriger.51 Notwendig ist stets eine umfassende Wertung,52 bei der auch die Begleitumstände der Handlung zu berücksichtigen sind. Soweit es um den Schutz vor Belästigungen geht, sind schließlich strengere Anforderungen zu stellen als bei Handlungen, welche unmittelbar die sexuelle Selbstbestimmung betreffen und deren Verletzung die Rechtsposition des Einzelnen im Kern berührt.53 Im Übrigen ist bei der Prüfung, ob die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, Art, Dauer und Intensität der sexuellen Handlung54 sowie der Handlungsrahmen und die Beziehung der Beteiligten zueinander,55 ergänzend auch die Intensität des Begleitgeschehens56 zu berücksichtigen und zu fragen, ob die mit der Bejahung der Erheblichkeit gegebene Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der angedrohten Strafe steht.57 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55
BGHSt 18 169 (Zungenküsse). Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; ferner Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 111. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15 ff; ferner Laubenthal Handbuch Sexualstraftaten Rdn. 112 ff. Vgl. BT-Drucks. V/3521 S. 30. BGH NStZ 2007 700; BGH NStZ 1999 45. BGH StV 1983 415. BGH StV 2006 416, 418; BGH StV 1983 415, 416. Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16. Vgl. BGH NStZ 1999 432; BGH 1985 24. Siehe auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15a. BGH NStZ 1999 432; BGH NStZ-RR 1999 357; BGH StV 2006 416, 418; BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4 und 6. 56 BGH StV 2006 416, 418; BGH NJW 1989 3029. 57 Vgl. BGHSt 17 280, 288. 475
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Der Vorsatz des Täters muss auch die Erheblichkeit umfassen. Vorsätzlich handelt der Täter nur dann, wenn er die Umstände kennt, die dazu führen, die Handlung als erhebliche anzusehen. 14 Bejaht wurde die Erheblichkeit der Handlung bei einem gezielten Griff an das bekleidete Geschlechtsteil mit leichtem Drücken,58 bei einem Griff unter den Schlüpfer an den unteren Teil des Bauches,59 beim Griff an das nackte Geschlechtsteil.60 Berührung61 oder Zurschaustellung des unbedeckten Geschlechtsteils sprechen i.d.R. für die Erheblichkeit der sexuellen Handlung. Erheblichkeit ist auch gegeben beim Posieren nackter Kinder,62 während beim Fotografieren bekleideter Kinder in sexualbezogenen Posen das Vorliegen einer objektiv sexuellen Handlung fraglich sein soll.63 Erheblichkeit soll auch vorliegen beim Griff in die Schambehaarung.64 Sexuell motivierte Körperverletzungen sind i.d.R. erhebliche sexuelle Handlungen, ebenso wie die gewaltsame Entblößung des Geschlechtsteils durch Herunterreißen der Kleidung, die für das Opfer körperlich spürbar ist.65 15 Als unerheblich wurde angesehen das Aufsichwerfen des bekleideten Täters auf das bekleidete Opfer,66 der flüchtige Griff an die Außenseite des Oberschenkels eines Kindes,67 das Umfassen der Hüfte oder Streicheln des Körpers ohne Berührung des Geschlechtsteils,68 das Küssen auf Gesicht und Hals,69 das Umfassen des Opfers verbunden mit Küssen auf Nacken, Haar und Kopf und dem festen Drücken von dessen Hand auf das bedeckte Geschlechtsteil des Täters,70 soweit es sich um einen kurzen Vorgang handelt; ähnlich wurde früher auch das kurze Betasten des nackten Gesäßes eines achteinhalbjährigen Kindes, das auf dem Schoß des Täters saß, als nicht erheblich eingeordnet.71 Die Rspr. hat insoweit die Formel entwickelt, dass kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen nicht tatbestandsmäßig sind.72 Daher hat die 13
58 BGH MDR 1974 366. Ebenso BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4. Erheblichkeit hat der BGH auch bejaht für den festen Griff über der Hose an die Scheide eines 9-jährigen Mädchens (BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 6), für heftige Berührungen über der Hose an Scheide und After eines nicht ganz 8-jährigen Mädchens (BGH NStZ 1983 228), für eine Berührung über der Kleidung am Geschlechtsteil (BGH NStZ-RR 2000 358; BGH v. 11.9.2008 – 4 StR 284/08; vgl. aber BGH StraFo 2005 510, 511); für eine kräftige und nachhaltige Berührung über der Kleidung im Schambereich (BGH NStZ-RR 2001 364 und bei grobem Griff zwischen die Beine und Bewegen der Finger im Bereich der Vagina einer erwachsenen Frau (BGH StV 2006 416, 417) sowie bei Griffen an das Geschlechtsteil in und über der Badehose BGH NStZ-RR 2003 354. Erheblichkeit liegt regelmäßig auch nahe beim Streicheln der bedeckten Brust eines Kindes (BGH NStZ 2007 700). 59 BGH v. 26.9.1974 – 4 StR 420/74. 60 BGHSt 35 76, 78; BGH NStZ 2003 661; BGH v. 17.8.1993 – 1 StR 492/93. 61 Eindeutige Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle bei Oralverkehr: BGH NStZ 1997 181. 62 BGHSt 50 370, 371; BGHSt 43 366, 368; BGH StV 2007 184; BGH NStZ 2008 623, 624. 63 BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 5. 64 Vgl. BGH StV 1983 415. Zu hohe Anforderungen bei BGH v. 15.2.1990 – 4 StR 655/89 (Erheblichkeit eines Bisses in die Brust eines 15-jährigen Mädchens abgelehnt). 65 BGH v. 31.10.1984 – 2 StR 392/84; aA BGH NStZ 1990 490; 1993 78; BGH NStZ-RR 1997 292; vgl. auch BGH NStZRR 2002 357. 66 BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 3. 67 BGH MDR 1974 545. 68 Vgl. auch BGH NStZ-RR 1999 357. 69 Siehe bereits BGH v. 19.9.1978 – 5 StR 514/78; vgl. auch BGH StV 2006 416, 418. Erheblich sind hingegen Küsse auf die unbedeckten Brüste (BGH NStZ 1998 510) oder auf das Genital eines Kleinkindes (BGH v. 4.4.2007 – 4 StR 345/06, insoweit in NJW 2007 2341 nicht abgedruckt). 70 BGH NStZ 1993 182; anders für das Erzwingen der Berührung des bedeckten Geschlechtsteils des Täters BGH NStZ 2001 370, 371. 71 Siehe bereits BGH v. 12.12.1979 – 2 StR 460/79. 72 BGH StV 1983 415; BGH NStZ 1994 226. Nestler
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II. Nr. 2
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Rspr. auch das Betasten der Brüste über der Kleidung „für einige Augenblicke“ mit spürbarem Griff nicht ausreichen lassen.73
II. Nr. 2 1. Handlung „vor“ einer anderen Person Sexuelle Handlungen vor einem anderen sind nach § 184h Nr. 2 nur solche, die vor einer Person – je nach Sachlage vor dem Täter, Opfer oder einem Dritten – vorgenommen werden, die den Vorgang wahrnimmt. Damit wird klargestellt, dass hier die bloße Anwesenheit eines anderen nicht ausreicht. Handlungen vor dem Unaufmerksamen oder Schlafenden sind also nicht erfasst. Gleichgültig ist, wie der Vorgang wahrgenommen wird. Neben der optischen reicht also die akustische Wahrnehmung aus.74 Der Wahrnehmende muss sich nicht in räumlicher Nähe befinden.75 Ausschlaggebend ist die unmittelbare, gleichzeitige Wahrnehmung des Opfers von dem äußeren Vorgang der sexuellen Handlung.76 Es reicht daher die Wahrnehmung über eine Telefonverbindung oder eine simultane Bildübertragung, etwa mittels Webcam. Führt das Opfer sexuelle Handlungen vor einem anderen aus, so muss es sich – was in § 184h zwar nicht ausgesprochen ist, was aber aus dem Sinn der Vorschrift folgt – der Tatsache, dass ein anderer Kenntnis nimmt, bewusst sein.77 Derjenige, der sich unbeobachtet glaubt, handelt deshalb nicht tatbestandsmäßig. Fraglich ist, ob ein Dritter, der den Vorgang wahrnimmt, dessen sexuellen Bezug erkennen muss. Auch dies wird zwar von dem jeweiligen Tatbestand und dem geschützten Rechtsgut abhängen. Bei Tatbeständen, die voraussetzen, dass ein Dritter in den sexuellen Vorgang – mit und ohne Körperkontakt – eingeschaltet ist, kommt es aber i.d.R. nicht darauf an, dass dieser den sexuellen Bezug der wahrgenommenen Handlung erkennt. Insbesondere wenn kleine Kinder Opfer des Verhaltens sind, kann es darauf nicht ankommen. Der Schutzzweck der Tatbestände ist schon dann verletzt, wenn ein Dritter in sexuelle Handlungen des Opfers einbezogen ist. Es kommt in solchen Fällen nur darauf an, dass der sexuelle Bezug vom Täter erkannt wird; was das Opfer über die Handlung denkt, ist irrelevant. Etwas anderes gilt aber, wenn Tatbestände, wie bspw. § 183a, voraussetzen, dass sich ein Dritter durch den Sexualbezug beeinträchtigt fühlt. Der Täter muss diesbzgl. vorsätzlich handeln, er muss also den Vorgang, einschließlich der Umstände, die das Erheblichkeitsmerkmal ausfüllen, in seiner sexuellen Bedeutung erkannt und zumindest gebilligt haben.78
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2. Handlung „an“ einer anderen Person Im Gegensatz zu den Handlungen vor einer anderen Person i.S.d. Nr. 2 setzen die von den Tatbe- 20 ständen des Abschnitts teilweise geforderten Handlungen an einer anderen Person Körperkon-
73 Vgl. hierzu noch die ausführliche Darstellung der Rspr. kurz nach Schaffung der Vorschrift bei Laufhütte/Roggenbuck LK11. Hörnle MK Rdn. 13. BGH v. 21.4.2009 – 1 StR 105/09; Hörnle MK Rdn. 14. BT-Drucks. VI/3521 S. 37; so auch Hörnle MK Rdn. 15 f. Nicht erforderlich ist hingegen, dass ein etwaiges Opfer die beobachtenden Dritten wahrnimmt; vgl. Hörnle MK Rdn. 16 unter Verweis auf die abweichende Ansicht von Fischer Rdn. 9. Anders auch noch in der Vorauflage Laufhütte/Roggenbuck LK11 Rdn. 18. 78 Vgl. zur Intention des Täters in diesen Fällen aber Hörnle MK Rdn. 15.
74 75 76 77
477
Nestler
§ 184h
Begriffsbestimmungen
takt (ggf. auch durch die Kleidung) voraus.79 Dabei kommt es, wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 184h Nr. 2 ergibt, nicht darauf an, ob die andere Person die Handlung wahrnimmt, erst recht nicht darauf, ob sie den Sexualbezug erkennt.80
79 Hörnle MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; Ziegler BeckOK Rdn. 6. 80 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18. Nestler
478
§ 184i Sexuelle Belästigung (1) Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist. (2) 1In besonders schweren Fällen ist die Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. 2Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird. (3) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
Schrifttum Adelmann Die Straflosigkeit des „Busengrapschens“, Jura 2009 24; Bertram Die Grenzen des Rechts im Schutz vor sexueller Belästigung, in Foblets/Hanschel/Höland (Hrsg.) Grenzen des Rechts (2018) 187; Burghardt/Steinl Anmerkung (zu BGHSt 63, 98), JZ 2018 1110; Corrêa Camargo Die Strafbarkeit der sexuellen Belästigung durch körperliche Berührung, ZStW 131 (2019) 595; Eggert-Weyand Belästigung am Arbeitsplatz (2010); Eisele Praxiskommentar (zu BGHSt 63, 98), NStZ 2019 25; Lembke Sexuelle Belästigung: Recht und Rechtsprechung, APuZ 2014 35; dies. Sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum, KJ 2016 3; Lin Sexuelle Belästigung im Strafrecht (2019); Mitsch Sexuelle Belästigung (§ 184i StGB) und Straftaten aus Gruppen (§ 184j StGB), KriPoZ 2019 355; Pörner Das sog. Catcalling – Strafwürdiges Unrecht oder bloße Bagatelle? NStZ 2021 336; Pohlreich Die Strafbarkeit des „Grapschens“ als sexuelle Belästigung im Sinne von § 184i StGB? HRRS 2019 16; Renzikowski Anmerkung (zu BGHSt 63, 98), StV 2019 555; Schaefer/ Wolf Strafbarkeitslücke sexuelle Belästigung – regelungsbedürftig oder politisch gewollt? ZRP 2001 27; K. Schumann Überlegungen zum Anwendungsbereich des § 184i StGB, Festgabe Faria Costa (2020) 373; Sick Die Rechtsprechung zur Sexualbeleidigung, JZ 1991 330. S. auch das Schrifttum Vor § 174.
Entstehungsgeschichte Das 50. StÄG v. 4.11.20161 hat einen neuen Straftatbestand zum Schutz vor sexueller Belästigung eingeführt; s. ausführlich zur Vorgeschichte des 50. StÄG und zum Gesetzgebungsverfahren § 177 Entstehungsgeschichte. Im Referentenentwurf aus dem Jahr 2015, der zum Regierungsentwurf v. 25.4.2016 (BTDrucks. 18/8210) wurde und laut Tagesordnung der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss v. 1.6.2016 dort hätte beraten werden sollen, war noch kein solcher Tatbestand vorgesehen. Erst im folgenden, mit großer Geschwindigkeit abgeschlossenen parlamentarischen Verfahren wurde § 184i konzipiert und in die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses v. 6.7.2016 (BTDrucks. 18/9097) aufgenommen. § 184i soll Strafbarkeitslücken schließen, die zuvor bei der Anwendung von § 177 a.F. einerseits, § 185 andererseits im Fall von sexuellen Handlungen mit vergleichsweise geringer Intensität bestanden. Bei sexuellen Berührungen fehlten entweder, etwa bei Überraschungsangriffen, die tatbestandlichen Voraussetzungen für sexuelle Nötigung (s. dazu § 177 Entstehungsgeschichte) oder es wurde die Erheblichkeit der sexuellen Handlung (§ 184h Nr. 1) verneint. Verletzungen sexueller Selbstbestimmung, etwa in der Form von Busengrapschen,2 konnten deshalb nicht als Sexualdelikt verfolgt werden. S. zu den Strafbarkeitslücken BTDrucks. 18/9097 S. 29 f. Angesichts der hohen Mindeststrafe in § 177 Abs. 1 a.F. (mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe) war es zwar nachvollziehbar, dass die Erheblichkeitsschwelle für diesen Tatbestand hoch angesetzt war, aber es fehlte ein ergänzender Tatbestand mit niedrigerem Strafrahmen für die weniger gravierenden Fälle der Missachtung sexueller Selbstbestimmung. Hinzu kam, dass manche ältere Urteile den Tatbestand der Beleidigung sehr restriktiv ausgelegt hatten. Der BGH vertrat, dass § 185 „kein Auffangtatbestand“ sei, der bei Taten unterhalb der für § 177 erforderlichen Erheblichkeitsschwelle eingreife (BGHSt 36 145, 148 ff).3 Andere Urteile bejahten eine Beleidigung bei sexuellen Berührungen durch unbekannte Personen (BGH NStZ 1992 33; OLG Bamberg NStZ 2007 96; OLG Karlsruhe NJW 2003 1263, 1264 f).
1 BGBl. I S. 2460. 2 BGH NStZ 1983 553; BGH bei Miebach NStZ 1994 226; BGH BeckRS 1999 30055608. 3 Für eine enge Auslegung auch BGH NStZ 1993 182; NStZ 2007 218; OLG Zweibrücken NJW 1986 2960. Anders noch BGHSt 35 76. 479 https://doi.org/10.1515/9783110490121-030
Hörnle
§ 184i
Sexuelle Belästigung
Die restriktive Rspr. verdiente Kritik.4 Die Engführung des Begriffes Beleidigung auf das Nachsagen von Mängeln oder Makeln, unter Ausklammerung tätlicher Demütigung durch eine sexuelle Handlung, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des § 185. Beleidigen kann man nicht nur mit negativen Werturteilen in Worten oder Gesten, sondern auch durch Erniedrigung mittels sexueller Handlungen. Die in solchen Zugriffen liegenden Demütigungen und Erniedrigungen sind besonders ausgeprägte Formen einer Beleidigung, kein aliud. Nach geltendem Recht hat diese Diskussion jedoch ihre Bedeutung verloren. § 185 tritt bei sexuellen Berührungen zurück, die nun als Sexualdelikt nach § 184i geahndet werden können. Verbale Belästigungen durch sexualisierte Kommunikation können unter Umständen eine Beleidigung sein; für die Sachverhalte des sog. Catcalling, bei denen das umstr. ist, gibt es rechtspolitische Forderungen nach der Einführung eines weiteren Straftatbestands (Vor § 174 Rdn. 31 Fn. 61).
Übersicht I.
Normzweck
1
II. 1. 2.
Objektiver Tatbestand 3 Körperliche Berührung 6 In sexuell bestimmter Weise a) Fallgruppe 1: Objektiv klar als sexuelle Be7 rührung erkennbar b) Fallgruppe 2: Äußerlich ambivalente Be8 rührungen c) Fallgruppe 3: Äußerlich sozialadäquate 11 oder neutrale Handlungen
13
3.
Belästigung der anderen Person
III.
Subjektiver Tatbestand
IV.
Täterschaft und Teilnahme
V.
Konkurrenzen, Subsidiaritätsklausel
VI.
Strafzumessung
17 18 20
23
VII. Strafantrag und Verjährung
25
I. Normzweck 1 § 184i schützt, ebenso wie § 177, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.5 Das Unrecht einer sexuellen Belästigung liegt darin, dass der Täter sexuelle Handlungen vornimmt, ohne dass sich das Opfer dafür entschieden hat, oder dass er sich über eine ablehnende Entscheidung hinwegsetzt (BTDrucks. 18/9097 S. 30). Man hätte sexuelle Berührungen als eine mildere Form des sexuellen Übergriffs in § 177 erfassen können, mit abgesenktem Strafrahmen, unter Streichung von § 184h Nr. 1. Der Gesetzgeber hat sich aber dazu entschlossen, einen Auffangtatbestand6 einzuführen, um Fälle zu erfassen, bei denen die Erheblichkeit der sexuellen Handlungen nicht für eine Bestrafung nach § 177 ausreicht (BTDrucks. 18/9097 S. 29 f; BGH NStZ-RR 2017 277, 278; NStZ 2018 91, 92). Leider wurde dabei der altmodische Begriff „belästigen“ in den Tatbestand aufgenommen (s. dazu Rdn. 15). Es wäre vorzugswürdig gewesen, bei der Formulierung von § 184i, parallel zu § 177, den unter dem Aspekt „Selbstbestimmung“ entscheidenden Umstand besser zu erfassen, nämlich die Ungewolltheit des Körperkontakts, was, wenn erforderlich und möglich, kommuniziert werden muss (s. § 177 Rdn. 8). 2 In der Lit. wird teilweise vertreten, dass § 184i mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip oder der Vorstellung von Strafrecht als Ultima Ratio nicht vereinbar sei.7 Dies ist als pauschale Kritik
4 Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht, S. 313 f. Gegen ein Ausweichen auf Beleidigungsdelikte Renzikowski MK Rdn. 2. 5 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Noltenius SK Rdn. 2; Renzikowski MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1. 6 S. zur Bezeichnung „Auffangtatbestand“ BGH NStZ-RR 2017 277, 278; NStZ 2018 91, 92; Eisele NStZ 2019 47; Renzikowski StV 2019 555. AA Pohlreich HRRS 2019 16, 21. 7 Krit. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; Lamping JR 2017 347, 354. Hörnle
480
II. Objektiver Tatbestand
§ 184i
nicht überzeugend.8 Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird durch jede Form des unerwünschten sexuellen Körperkontakts verletzt, und ein Strafrahmen, der bei Geldstrafe ansetzt, erlaubt es, auch auf Taten angemessen zu reagieren, die am untersten Ende der Schwereskala von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung angesiedelt sind. Die zuvor bestehende Straffreiheit von ungewollten sexuellen Berührungen war nicht mit der Verpflichtung in Art. 40 Istanbul-Konvention9 vereinbar (s. zur Istanbul-Konvention § 177 Entstehungsgeschichte). Dort wird zwar nicht zwingend strafrechtliche Sanktionierung vorausgesetzt, aber andere Vorschriften, vor allem solche, die am Arbeitsplatz vor sexueller Belästigung schützen (s. §§ 3 Abs. 4, 12 Abs. 1 AGG), können nur einen Teilausschnitt sozialer Interaktionen erfassen. Bei sexualisierten Angriffen außerhalb von Arbeits- und Dienstverhältnissen, z.B. „Grapschen“ im öffentlichen Raum, ist Sozialkontrolle auf allgemeine Verbote angewiesen.10 De lege ferenda wäre es vorstellbar, die Strafbarkeit auf solche Konstellationen zu begrenzen, in denen das Verhalten demütigend und erniedrigend ist.11
II. Objektiver Tatbestand 1. Körperliche Berührung Der Tatbestand setzt voraus, dass der Körper des Opfers berührt wurde. Nach dem insoweit 3 klaren und eindeutigen Gesetzeswortlaut ist verbale Belästigung nicht erfasst (so auch explizit BTDrucks. 18/9097 S. 30). Es spielt keine Rolle für die Tatbestandsmäßigkeit, ob der berührte Körperteil bekleidet oder unbekleidet ist.12 Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass § 184i u.a. deshalb eingeführt wurde, um das Berühren von Genitalien oder im Vaginalbereich über der Kleidung zu erfassen (nach alter Rechtslage teilweise straffrei, BTDrucks. 18/9097 S. 30). Es genügt, dass der Täter die Unterwäsche des Opfers herunterzieht und so dessen Genitalbereich entblößt (BGH BeckRS 2021 10457). Das Berühren des Körpers des Opfers mit einem Gegenstand kann unter § 184i fallen.13 4 Bei anderen Sexualdelikten genügt ebenfalls die Berührung mit einem Gegenstand (Vor § 174 Rdn. 56). Bei den Fällen nach § 177, in denen Täter Flaschen, Schraubendreher, Dildos etc. für Penetration und andere sexuelle Handlungen nutzen (§ 177 Rdn. 237, 301), wirkt dieser Umstand sogar straferschwerend (bei gefährlichen Gegenständen, § 177 Abs. 8 Nr. 1). In den Gesetzesmaterialien zu § 184i findet sich allerdings der Satz, dass „Kontakt des Täters mit seinem eigenen Körper am Körper des Opfers erforderlich“ sei (BTDrucks. 18/9097 S. 30). Aus dem Kontext ergibt sich jedoch, dass Sinn des zitierten Satzes die Abgrenzung zu verbaler sexueller Belästigung war. Die zitierten Beispiele für körperliche Berührungen geben typische Fälle wieder (Küsse, Begrapschen des Gesäßes), und in typischen Fällen setzen Täter Teile ihres Körpers ein, in der Regel ihre Hände. An ungewöhnliche Fälle, in denen Gegenstände benutzt werden, hat beim Abfassen der knapp gehaltenen, in kürzester Zeit verfassten Beschlussempfehlung (BTDrucks. 18/9097) offensichtlich niemand gedacht. Entscheidend ist, welche Teile des Körpers des Opfers 8 Wie hier Bezjak KJ 2016 557, 568; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Renzikowski MK Rdn. 1. 9 Art. 40 lautet: „Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass jede Form von ungewolltem sexuell bestimmtem verbalem, nonverbalem oder körperlichem Verhalten mit dem Zweck oder der Folge, die Würde einer Person zu verletzen, insbesondere wenn dadurch ein Umfeld der Einschüchterung, Feindseligkeit, Erniedrigung, Entwürdigung oder Beleidigung geschaffen wird, strafrechtlichen oder sonstigen rechtlichen Sanktionen unterliegt.“ 10 S. zur Kritik an der Rechtslage vor dem 50. StÄG Lembke KJ 2016 3, 11 f. 11 Dafür Lin Sexuelle Belästigung, S. 56 ff. 12 Fischer Rdn. 3; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4; Noltenius SK Rdn. 4; Renzikowski MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. 13 Fischer Rdn. 3; Lin Sexuelle Belästigung, S. 66; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4; Noltenius SK Rdn. 4; Renzikowski MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. 481
Hörnle
§ 184i
Sexuelle Belästigung
berührt werden. Ergibt sich hieraus der sexuelle Charakter des Geschehens, kommt es nicht darauf an, ob der Täter eigene Körperteile oder Gegenstände einsetzt. 5 Der Satz, dass „Kontakt des Täters mit seinem eigenen Körper am Körper des Opfers erforderlich“ sei (BTDrucks. 18/9097 S. 30), wird außerdem in der Lit. herangezogen, um zu begründen, dass es sich um ein eigenhändiges Delikt handle.14 Es gibt eine parallele Diskussion bei § 177 (§ 177 Rdn. 117). Genauso wie dort ist es nicht überzeugend, die allgemeinen Regeln für Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft außer Kraft zu setzen (s. Vor § 174 Rdn. 58 ff). Auch bei der Tathandlung „körperlich berühren“ ist es möglich, dass die physischen Aktivitäten eines menschlichen Werkzeugs (etwa eines Schuldunfähigen) einem Hintermann mit Tatherrschaft zugerechnet werden. Dasselbe gilt, wenn Tatherrschaft in der Form von Mittäterschaft vorliegt. Es ist deshalb nicht von einem eigenhändigen Delikt auszugehen.
2. In sexuell bestimmter Weise 6 Die Formulierung „in sexuell bestimmter Weise“ ist nicht sehr klar. Die Entscheidung, nicht den im 13. Abschnitt gängigen Begriff der „sexuellen Handlung“ zu verwenden, ergab sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung, § 184h Nr. 1 unverändert beizubehalten. Da § 184i die Handlungen unter Strafe stellen soll, bei denen die Einstufung als sexueller Übergriff (§ 177) an der Erheblichkeitsschwelle scheitert (BTDrucks. 18/9097 S. 29), wurde zur Vermeidung von Missverständnissen darauf verzichtet, in § 184i genauso wie in § 177 Abs. 1, Abs. 2 das Tätervorgehen als „sexuelle Handlung“ zu beschreiben. Gut gelungen ist diese Formulierung nicht: „in sexuell bestimmter Weise“ ist ein mehrdeutiges, auslegungsbedürftiges Tatbestandsmerkmal. Es ergibt sich aus dem Wortlaut nicht eindeutig, ob auf eine äußerlich erkennbare, objektive Sexualisierung der Berührung oder auf die subjektiven sexuellen Absichten des Täters15 oder auf eine Kombination objektiver und subjektiver Elemente abzustellen ist. Leider ist auch an diesem Punkt die Gesetzesbegründung kurz und nicht sehr klar. Dort wird zunächst ausgeführt, dass eine körperliche Berührung sexuell bestimmt sei, „wenn sie sexuell motiviert ist“ (BTDrucks. 18/9097 S. 29). Dies scheint zu suggerieren, dass ausschließlich die subjektiven Intentionen des Täters ausschlaggebend seien. Im nächsten Satz werden jedoch zur Verdeutlichung Beispiele genannt, in denen der sexuelle Charakter der Berührung objektiv eindeutig zu erkennen ist. Die Relevanz von Intentionen und Motiven einerseits, objektivem Sexualbezug andererseits bedarf einer nach Fallgruppen differenzierenden Analyse.
7 a) Fallgruppe 1: Objektiv klar als sexuelle Berührung erkennbar. Wenn aus einer Beobachterperspektive die sexuelle Bedeutung einer Berührung klar zu erkennen ist, sind die Beweggründe des Täters irrelevant. Sexuell bestimmt sind in jedem Fall Berührungen im Genitalbereich16 oder der weiblichen Brust,17 das Befühlen des Pos,18 Berührungen in unmittelbarer Nähe der Genitalregion oder der weiblichen Brust sowie Küsse auf den Mund19 oder den Hals.20 Zur Bestimmung eines objektiv feststellbaren Sexualbezugs in Grenzfällen empfiehlt sich die Testfrage, ob dieser Körperkontakt nur im Rahmen einer bereits bestehenden intimen Beziehung 14 Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 14; Noltenius SK Rdn. 9; Renzikowski MK Rdn. 16; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. Krit. zur Einstufung als eigenhändiges Delikt Mitsch KriPoZ 2019 355, 356; ders. NStZ 2021 38, 39 ff. 15 So Pohlreich HRRS 2019 16, 19 ff. 16 BTDrucks. 18/9097 S. 30; BGHSt 63 98, 104; Renzikowski MK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. 17 Renzikowski MK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. 18 BTDrucks. 18/9097 S. 30; Lin Sexuelle Belästigung, S. 63. 19 BTDrucks. 18/9097 S. 30; Lin Sexuelle Belästigung, S. 63; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. 20 BTDrucks. 18/9097 S. 30. Hörnle
482
II. Objektiver Tatbestand
§ 184i
als sozialadäquat gilt.21 Ist dies zu bejahen, liegt eine sexuelle Belästigung nach § 184i vor. Auf eine derartige Fallkonstellation (Griff an die Vagina) bezieht sich die Entscheidung in BGHSt 63 98. Dort wird hervorgehoben, dass es bei äußerlich eindeutiger Sexualbezogenheit nicht auf eine sexuelle Motivation i.S.v. empfundenem oder angestrebtem Lustgewinn ankommt, sondern auch Handlungen erfasst werden, deren Antrieb z.B. Wut, Sadismus oder Demütigung des Opfers ist (BGHSt 63 98, 101 f). Diese Auslegung ist überzeugend und wird in der Lit. überwiegend geteilt.22 Sexuelle Selbstbestimmung wird immer verletzt, wenn eine objektiv sexualisierte Berührung vorliegt, die von den Betroffenen nicht gewollt war. Die Überlegungen des BGH kann man so zusammenfassen, dass es eine hinreichende Bedingung ist, wenn die Sexualbezogenheit äußerlich eindeutig erkennbar ist.
b) Fallgruppe 2: Äußerlich ambivalente Berührungen. BGHSt 63 89, 103 geht, obwohl dies 8 für den beurteilten Fall nicht relevant war, auch auf die Fallgruppe der „äußerlich ambivalenten Berührungen“ ein. Das Urteil begründet für diese Konstellation, dass Eindeutigkeit des Sexualbezugs keine notwendige Bedingung ist. Damit allerdings eine Berührung als „ambivalent“ eingeordnet werden kann, muss es eine Einwirkung auf den Körper des Opfers gegeben haben, die einen Sexualbezug andeutet, wobei es sich aber um einen nicht eindeutigen Fall handelt. Eine Untergruppe bilden Handlungen, die möglicherweise sexualisiert, vielleicht aber 9 auch vollkommen harmlos sind. Als Beispiel nennt das Urteil des BGH das „Herandrängen an eine andere Person in öffentlichen Verkehrsmitteln“ (BGHSt 63 98, 103). Gemeint sind damit wohl Fälle des Verdachts auf sog. Frottage (Täter reiben sich an den Genitalien oder dem Busen einer anderen Person, oder ihre Genitalien an Körperteilen der anderen Person). In solchen Fällen geht es um Fragen der Beweiswürdigung, z.B. wenn Beschuldigte vorbringen, nicht aktiv gehandelt zu haben, sondern selbst Opfer von Geschiebe und Gedränge geworden zu sein. Der BGH verweist darauf, dass es auf das Urteil eines objektiven Beobachters ankomme, der alle Umstände des Einzelfalls kenne. Es müssten der gesamte Handlungsrahmen, u.a. auch flankierende Äußerungen, und der soziale Sinngehalt einbezogen werden (BGHSt 63 98, 103). Es bleibt also auch nach dieser Rspr. bei dem Grundsatz, dass es auf die äußerliche Erkennbarkeit ankommt, wobei aber bei fehlender Eindeutigkeit ergänzend die Motive des Handelnden herangezogen werden dürfen.23 Gegen eine Einbeziehung sexueller Absichten innerhalb der Beweiswürdigung bei ambivalenten Handlungen ist nichts einzuwenden. Zu kritisieren ist nur, wenn ausschließlich auf subjektive Absichten abgestellt wird (Fallgruppe 3, Rdn. 11 f). Eine zweite Untergruppe des äußerlich ambivalenten Verhaltens bilden grenzwertige Be- 10 rührungen. Die Begründung im Bericht des Rechtssauschusses verweist darauf, dass „bloße Ärgernisse, Ungehörigkeiten oder Distanzlosigkeiten wie zum Beispiel das einfache In-den-ArmNehmen oder der schlichte Kuss auf die Wange“ nicht die sexuelle Selbstbestimmung verletzen (BTDrucks. 18/9097 S. 30). Ob Verhalten als nicht strafbare „bloße Ungehörigkeit“ oder als „sexuelle Belästigung“ einzuordnen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Nicht unter § 184i sind Berührungen zu fassen, die auch außerhalb von Intimbeziehungen üblich sind, etwa ein Kuss auf die Wange24 unter Bekannten, ein Kuss auf die Hand auch unter Fremden sowie kurze Berührungen von Händen, Armen und Rücken.25 Es kommt bei grenzwertigen Berührungen entscheidend auf den Kontext und die Begleitumstände an. Bei grenzwertigen Berührungen kann auch darauf abgestellt werden, dass diese von sexualisierten verbalen Äußerungen 21 BTDrucks. 18/9097 S. 30; Hörnle NStZ 2017 13, 20. 22 Fischer Rdn. 5; Lin Sexuelle Belästigung, S. 65; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 6; Eisele NStZ 2019 25, 26; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. AA Pohlreich HRRS 2019 16, 19 ff.
23 Hörnle MK § 184h Rdn. 4. 24 Noltenius SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. AA für Küsse auf die Wange Renzikowski NJW 2016 3553, 3557; ders. MK Rdn. 11.
25 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. 483
Hörnle
§ 184i
Sexuelle Belästigung
begleitet wurden.26 Bei Umarmungen ist nicht nur die Dauer entscheidend, sondern auch, ob damit ein Pressen oder Reiben von Genitalien und Brust verbunden ist. Zu den ambivalenten Handlungen gehört ferner der „Klaps auf den Po“.27 Dieser kann in bestimmten Kontexten (z.B. beim Foppen unter Freunden oder als tadelnde Geste in der Familie) eine nicht sexualisierte Bedeutung haben und fällt dann nicht unter § 184i; anders aber, wenn dieselbe Handlung durch einen Fremden erfolgt (s. LG Kleve BeckRS 2021 17354). Betätscheln von Knie oder Oberschenkel kann unter Umständen, vor allem, wenn die betroffene Person keine oder nur dünne Bekleidung trägt, eine sexuell bestimmte Handlung i.S.v. § 184i sein (so auch OLG Hamm BeckRS 2019 2137 m. Anm. Kudlich JA 2019 551: jedenfalls dann, wenn das Bein nur mit einer dünnen Strumpfhose bekleidet ist).
11 c) Fallgruppe 3: Äußerlich sozialadäquate oder neutrale Handlungen. Eine wichtige Auslegungsfrage ist, ob § 184i auch angewendet werden soll, wenn das äußere Verhalten zwar grenzwertig, aber noch nicht sexuell ist, oder sogar äußerlich offensichtlich neutral, aber sich aus den Beweggründen des Handelnden ein Sexualbezug ergibt. Diese Frage stellt sich zum einen, wenn die Berührung der Anbahnung eines erhofften einvernehmlichen Sexualkontakts dienen soll, z.B. wenn jemand mit diesem Ziel die Hand auf die Schulter oder den Rücken einer anderen Person legt. Es ist vorstellbar, dass die berührte Person sich deshalb belästigt fühlt, weil sie nicht an Sexualkontakt interessiert ist. Strafbar sollten solche Handlungen aber dann nicht sein, wenn das „Herantasten“ an einvernehmlichen Sexualkontakt unterhalb der Schwelle einer sexualisierten Berührung bleibt.28 12 Zum anderen gibt es Sachverhalte mit Berührungen, die in jeder Hinsicht nach dem äußeren Erscheinungsbild sozial unauffällig sind (z.B. das Berühren von Füßen bei der Anprobe von Schuhen; das Schneiden von Haaren beim Friseur; eine fachgerechte Untersuchung durch einen Gynäkologen29), wobei aber der Handelnde aufgrund einer eigentümlichen Sexualpräferenz Stimulierung empfindet. Auch solche Sachverhalte sollten nicht unter § 184i gefasst werden. Es reicht nicht aus, wenn die Handlung nur nach den subjektiven Vorstellungen des Täters einen Sexualbezug aufweist.30 Auch bei der Frage, ob eine sexuelle Handlung z.B. nach § 176a Abs. 1 Nr. 2 vorliegt, schließt die Rspr. neutrale Handlungen wie Turnübungen (Radschlagen) aus.31 BGHSt 63 98, 100 f verweist ausdrücklich darauf, dass die Auslegungskriterien zu „sexuelle Handlung“ bei der Interpretation von „sexuell bestimmt“ (§ 184i) heranzuziehen sind. Was nach dem äußeren Erscheinungsbild nicht ambivalent, sondern eindeutig sozialadäquat und neutral ist, wird nicht schon deshalb eine sexuelle Handlung, weil der Handelnde damit sexuelle Empfindungen verbindet. § 184i ist auch nicht einschlägig, wenn objektiv neutrale oder nur grenzwertige Handlungen von der berührten Person aufgrund ihrer persönlichen Bewertung als sexualisiert eingeordnet werden.32 Soweit es sich um eine objektiv eindeutig neutrale, nicht ambivalente Berührung handelt (etwa das Schütteln der Hand zur Begrüßung), wird diese auch nicht durch die Verbindung mit sexualisierten Äußerungen zu einer sexuellen Belästigung.
26 Burghardt/Steinl JZ 2018 1110 f; Corrêa Camargo ZStW 131 (2019) 595, 619; Renzikowski MK Rdn. 11. 27 Für die Einordnung als sexuelle Belästigung Renzikowski NJW 2016 3553, 3557. 28 Burghardt/Steinl JZ 2018 1110, 1111; Hörnle NStZ 2017 13, 20; Hoven/Weigend JZ 2017 182, 189; Pohlreich HRRS 2019 16, 23.
29 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. 30 Bezjak KJ 2016 557, 568; Burghardt/Steinl JZ 2018 1110; Eisele NStZ 2019 25, 26; Fischer Rdn. 5a (mit dem Bsp. des Fußfetischisten); Hoven/Weigend JZ 2017 182, 189; Renzikowski/Schmidt KriPoZ 2018 325, 328; Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. AA Pohlreich HRRS 2019 16, 22 f. 31 S. zu Turnübungen eines Kindes OLG Jena NStZ-RR 1996 294. 32 Fischer Rdn. 5a. Hörnle
484
II. Objektiver Tatbestand
§ 184i
3. Belästigung der anderen Person Der Täter muss durch die sexuelle Berührung die andere Person belästigt haben. Die Bezeich- 13 nung des Effekts als „Belästigung“ setzt voraus, dass die andere Person nicht einverstanden war. Entsprach eine Berührung dem Willen der berührten Person, handelt es sich nicht um eine Belästigung.33 Bei der Auslegung des Merkmals „belästigt“ in § 184i liegt es nahe, sich am gleichlautenden Tatbestandsmerkmal in § 183 zu orientieren.34 Dort ist Voraussetzung, dass die andere Person das Geschehen wahrnimmt und darauf mit negativen Gefühlen wie z.B. Schrecken, Verärgerung, Ekel oder Scham reagiert (s. Hörnle MK § 183 Rdn. 11). In den Gesetzesmaterialien zu § 184i wird als Erläuterung angegeben, dass die Handlung das Opfer „in seinem Empfinden nicht unerheblich beeinträchtigt“ haben müsse (BTDrucks. 18/9097 S. 30). Die negativen Emotionen müssen unmittelbar und zeitnah durch die sexualisierte Berührung verursacht worden sein. Es genügt nicht, wenn Gefühle wie Ärger oder Scham durch Erinnerung an den Vorfall oder durch die Reaktionen anderer Personen hervorgerufen werden.35 Säuglinge und Kleinkinder, die Konzepte wie Privatsphäre und Sexualität noch nicht verstehen, können keine Belästigung empfinden. Sie sind deshalb keine tauglichen Opfer für Taten nach § 184i.36 Nicht erforderlich ist dagegen, dass die negativen Gefühle zum Tatzeitpunkt ausgedrückt wurden.37 Bei der Anwendung von § 184i kommt es also, wie bei § 183, auf das tatsächliche Auftreten 14 oder Ausbleiben negativer Empfindungen an.38 Die Empfindungen müssen festgestellt werden – das Gericht darf sie nicht unterstellen, auch nicht bei Kindern als Opfer.39 Die teilweise in der Lit. vertretene Ansicht, dass jede sexuell bestimmte Berührung ohne Einverständnis der betroffenen Person allein wegen des fehlenden Einverständnisses den Tatbestand erfülle,40 ist mit dem Wortlaut des geltenden Rechts nicht vereinbar. In den Gesetzesmaterialien findet sich ein kurzer Verweis auf § 177: Wenn die Berührung gegen den erkennbaren Willen der anderen Person oder „unter Ausnutzung bestimmter Situationen“ erfolge (gemeint sind offenbar solche nach § 177 Abs. 2 Nr. 2–5), sei in der Regel vom Vorliegen einer Belästigung auszugehen (BTDrucks. 18/9097 S. 30). Der Verweis auf „in der Regel“ ergibt im Hinblick auf Beweiswürdigung Sinn: Wenn der entgegenstehende Wille erkennbar war oder die Person überrascht wurde, ist es wahrscheinlich, dass die betroffene Person tatsächlich mit negativen Empfindungen reagiert. Aber es sind andere Sachverhalte vorstellbar. Wenn z.B. die berührte Person überrascht wurde, aber bei der Vernehmung aussagt, ohne negative Gefühle reagiert zu haben, schließt das Fehlen empfundener Belästigung eine Verurteilung nach § 184i aus (bei § 177 Abs. 2 Nr. 3 sind dagegen die Empfindungen des Opfers kein Tatbestandsmerkmal). Im Ergebnis ist es akzeptabel, wenn bei den weniger eingriffsintensiven Verletzungen sexueller Selbstbestimmung der Handelnde ggf. vom glücklichen Zufall profitiert, dass sich die andere Person als psychisch besonders robust oder gleichgültig erweist.41 Problematischer kann das Abstellen auf den subjektiven Zustand „sich belästigt fühlen“ im 15 umgekehrten Fall sein, nämlich wenn kein in § 177 Abs. 1, Abs. 2 angeführter Begleitumstand vorlag, die betroffene Person aber angibt, sich durch die sexuelle Berührung belästigt gefühlt zu haben. Die Unterscheidung zwischen „Nein heißt Nein“ und „Nur Ja heißt Ja“, die beim Entwurf von § 177 entscheidend war (§ 177 Rdn. 8), ist in § 184i nicht abgebildet. Wenn
33 Burghardt/Steinl JZ 2018 1110, 1111; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 12; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. So auch Eisele NStZ 2019 25, 26; Renzikowski StV 2019 555, 556 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. Fischer Rdn. 6; Lin Sexuelle Belästigung, S. 67; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7. Mitsch KriPoZ 2019 355 f. So Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 7. El-Ghazi StV 2018 250, 252; Fischer Rdn. 7. BGH StV 2021 307, 308 f. Corrêa Camargo ZStW 131 (2019) 595, 623; Renzikowski NJW 2016 3553, 3557. Krit. zur zentralen Rolle der Emotionen des Opfers Hoven/Weigend JZ 2017 182, 189 f.
34 35 36 37 38 39 40 41
485
Hörnle
§ 184i
Sexuelle Belästigung
nicht erkennbar war, dass eine Berührung unerwünscht ist, obwohl Kommunikation möglich und zumutbar gewesen wäre, und wenn die betroffene Person nicht überrascht wurde, scheidet beim schwereren Delikt des sexuellen Übergriffs schon der objektive Tatbestand aus (§ 177 Rdn. 42). Bei sexueller Belästigung genügt dagegen die Angabe des Opfers, sich geärgert zu haben.42 Das ist ungereimt und ein Bruch in der Gesetzessystematik. Allerdings ist Vorsatz zu verneinen, wenn es nach dem Kontext des Geschehens plausibel erscheint, dass ein Beschuldigter irrtümlich glaubte, die andere Person sei mit der Berührung einverstanden (Rdn. 17). 16 In BGHSt 63 98, 104 f wird diskutiert, ob zusätzlich zum individuellen Empfinden geprüft werden müsse, ob die Handlung auch objektiv geeignet war, belästigend zu wirken, wie dies für § 183 vertreten wird.43 Die Parallele zu § 183 führt allerdings nicht viel weiter. Exhibitionistische Handlungen sind Distanzdelikte,44 für die in Ausnahmefällen, z.B. bei schlechten Sichtverhältnissen, die objektive Eignung zur Belästigung fehlen kann (Hörnle MK § 183 Rdn. 12). Bei ungewollter sexualisierter Berührung ist dagegen die objektive Eignung zur Belästigung in aller Regel anzunehmen. Der BGH verweist in BGHSt 63 98, 105 darauf, dass in der Gesetzesbegründung „bloße Ärgernisse, Ungehörigkeiten oder Distanzlosigkeiten“ ausgeschlossen wurden, etwa das „einfache In-den-Arm-Nehmen“ (BTDrucks. 18/9097 S. 30). Unter solchen Umständen ist jedoch bereits das Merkmal „sexuell bestimmt“ zu verneinen (Rdn. 10).45 Wenn es sich um eine sexualisierte Berührung handelt, ist davon auszugehen, dass diese auch objektiv geeignet ist, belästigend zu wirken – eine gelassene, amüsierte oder gleichgültige Reaktion dürfte ungewöhnlich sein.46
III. Subjektiver Tatbestand 17 Bedingter Vorsatz ist notwendig, aber auch ausreichend. Die Formulierung, dass Täter sich des sexuellen Charakters ihres Tuns „bewusst sein“ müssten (BGHSt 63 98, 105),47 ist missverständlich. Es genügt, dass sie es ernstlich für möglich halten (und in Kauf nehmen), bei einer körperlichen Berührung die Grenze zu einer sexuellen Berührung zu überschreiten. Praktisch wichtiger ist die Prüfung des Vorsatzes hinsichtlich des Merkmals „belästigt“. Wenn aufgrund einschlägiger vorheriger Kommunikation zwischen den Beteiligten der Handelnde davon ausgehen durfte, dass es nach beidseitigem Wollen zu diesem Zeitpunkt zu einvernehmlichen Sexualkontakten kommen solle, ist davon auszugehen, dass er eine Belästigung durch eine sexualisierte Berührung nicht ernstlich für möglich hielt (BGH bei Pfister NStZ-RR 2019 37). Auch innerhalb von bestehenden, nicht durch akute Konflikte gestörten Beziehungen ist es möglich, dass eine tatsächlich eingetretene Belästigung nicht vom bedingten Vorsatz des Täters umfasst war.48 Wenn es dagegen keine vorausgehende Interaktion gab oder keine Anhaltspunkte innerhalb einer solchen Interaktion, aus denen auf Interesse an sexuellem Körperkontakt mit dem Täter zu schließen war, ist es fernliegend, davon auszugehen, dass dieser Täter eine Belästigung nicht wenigstens für ernstlich möglich hielt.49 Es genügt für bedingten Vorsatz, dass es dem Täter gleichgültig ist, ob die andere Person sein Vorgehen als belästigend empfinden wird (s. zu Gleichgültigkeit Joecks/Kulhanek MK § 15 Rdn. 64).
42 AA Renzikowski MK Rdn. 12, der auch für § 184i fordert, dass Widerwille ausgedrückt werden müsse. Dies wäre sachlich angemessen, passt aber nicht zum Wortlaut und zur Systematik der §§ 183, 177, 184i.
43 Für eine solche Prüfung auch BGH BeckRS 2020 12562; Lin Sexuelle Belästigung, S. 69; Noltenius SK Rdn. 6; Renzikowski StV 2019 555, 557; Schumann FS Faria Costa 373, 384 ff. AA Pohlreich HRRS 2019 16, 24. 44 Darauf verweist auch Renzikowski StV 2019 555, 557. 45 Burghardt/Steinl JZ 2018 1110, 1111. 46 Renzikowski NJW 2016 3553, 3557. 47 Ebenso Renzikowski MK Rdn. 14. 48 Fischer Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. 49 AA Fischer Rdn. 9 f. Wie hier Renzikowski MK Rdn. 14, Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. Hörnle
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VI. Strafzumessung
§ 184i
IV. Täterschaft und Teilnahme Da es sich entgegen der h.M. nicht um ein eigenhändiges Delikt handelt (Rdn. 5), ist Mittäter- 18 schaft möglich. Dasselbe gilt für mittelbare Täterschaft, etwa wenn ein Hintermann einen anderen Menschen als vorsatzlos handelndes Werkzeug einsetzt. Anstiftung und Beihilfe sind nach den allgemeinen Regeln möglich. Der Versuch einer sexuellen Belästigung ist nicht strafbar, s. § 23 Abs. 1. Wenn das Opfer 19 nicht mit negativen Empfindungen reagierte (Rdn. 13 f), scheidet eine Strafbarkeit deshalb auch dann aus, wenn der Handelnde Absicht oder bedingten Vorsatz hinsichtlich der belästigenden Wirkung seines Tuns hatte.
V. Konkurrenzen, Subsidiaritätsklausel In der ursprünglichen Fassung von § 184i Abs. 1 lautete die Subsidiaritätsklausel „wenn nicht 20 die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist“. Auch zu diesem Punkt waren die Gesetzesmaterialien unklar. Einerseits wurde darauf verwiesen, dass die verdrängende Strafvorschrift eine „vergleichbare Schutzrichtung aufweisen“ müsse. Andererseits wurde Subsidiarität gegenüber sexuellen Handlungen, die die Erheblichkeitsschwelle nach § 184h Nr. 1 übersteigen, nur als ein wichtiger Anwendungsfall bezeichnet („insbesondere“, BTDrucks. 18/9097 S. 30), weshalb die Annahme nicht fernliegend war, dass § 184i auch gegenüber Normen aus anderen Abschnitten des StGB subsidiär sein könne. Der BGH hob eine Verurteilung deshalb auf, weil vermutlich auch der Tatbestand der Körperverletzung verwirklicht war (BGHSt 63 98, 106 f).50 Dies stieß auf Kritik, weil auch bei Tateinheit mit Körperverletzung im Schuldspruch die Verletzung sexueller Selbstbestimmung zum Ausdruck kommen sollte (so auch BTDrucks. 19/13836 S. 9 f).51 Auf Anregung der Reformkommission zum Sexualstrafrecht52 verlieh das (schwerpunktmä- 21 ßig anderen Themen gewidmete) 51. StÄG v. 3.3.202153 der Subsidiaritätsklausel die nunmehr geltende Fassung, beschränkt auf andere Delikte des 13. Abschnitts. Genau genommen ist sie damit überflüssig. Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung versteht es sich, dass sexualisierte Handlungen, die sich nur wegen geringerer Erheblichkeit von den sexuellen Handlungen unterscheiden, die der 13. Abschnitt im Übrigen erfasst, hinter letztere zurücktreten. Die Klarstellung durch Gesetzesänderung war aber, insbesondere wegen der kritikwürdigen Entscheidung in BGHSt 63 98, 106 f, sinnvoll. Tateinheit zwischen sexueller Belästigung und den §§ 185, 223, 240 ist möglich, ebenso mit 22 § 184j.54
VI. Strafzumessung Der gesetzliche Strafrahmen in § 184i Abs. 1 reicht von Geldstrafe bis zu zwei Jahren Freiheits- 23 strafe, in besonders schweren Fällen nach § 184i Abs. 2 von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Für besonders schwere Fälle wird nur ein Regelbeispiel genannt, nämlich gemeinschaftliches Handeln. Der Strafrahmen für besonders schwere Fälle wird vielfach als zu
50 51 52 53 54 487
Dem BGH zustimmend Pohlreich HRRS 2019 16, 24 ff; Renzikowski StV 2019 555, 557. Burghardt/Steinl JZ 2018 1110, 1112; Eisele NStZ 2019 25, 26. BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 310. BGBl. I S. 431. AA im Verhältnis zu § 184j Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 15. Hörnle
§ 184i
Sexuelle Belästigung
hoch kritisiert.55 Dieser Kritik ist nicht zuzustimmen. Stehen mehrere Personen dem Opfer am Tatort in feindseliger Weise gegenüber, kann sowohl die einschüchternde Wirkung als auch die Demütigung durch ungewollte sexualisierte Berührungen deutlich gesteigert sein. 24 Bei der Strafzumessung im Einzelfall kommt es auf die Art der sexualisierten Berührung und die Häufigkeit solcher Vorfälle an. Straferschwerend ist zu berücksichtigen, wenn das Verhalten in besonderem Maße erniedrigend war. Vorhersehbare psychische oder körperliche Folgen können ebenfalls das Erfolgsunrecht erhöhen. Erhöhtes Verhaltensunrecht kann dann vorliegen, wenn der Täter gezielt Demütigung und Erniedrigung anstrebt oder wenn besondere soziale Abhängigkeit oder ein Vertrauensverhältnis ausgenutzt wird.56
VII. Strafantrag und Verjährung 25 Sexuelle Belästigung wird im Regelfall nur auf Antrag verfolgt, § 184i Abs. 3. Dieser ist innerhalb von drei Monaten nach der Tat zu stellen (§ 77b Abs. 1 S. 1). In der Gesetzesbegründung wird das Antragserfordernis damit begründet, dass die Tat „in erster Linie die Intimsphäre und damit einen ausgesprochenen Privatbereich“ tangiere und deshalb das Opfer entscheiden solle (BTDrucks. 18/9097 S. 30). Wenn es tatsächlich um Opferinteressen ginge und Verfügungshoheit bei Vorfällen, die die Intimsphäre besonders betreffen, befürwortet wird, läge es nahe, mehr Antragsdelikte im 13. Abschnitt vorzusehen, etwa auch bei sexuellen Übergriffen (§ 177 Abs. 1, Abs. 2). In Ausnahmefällen ist ein Einschreiten von Amts wegen möglich, wenn die Strafverfolgungsbehörde ein besonderes öffentliches Interesse bejaht.57 Dies wäre dann der Fall, wenn gehäufte sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum die öffentliche Sicherheit gefährden.58 Die Tat verjährt nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 in fünf Jahren.
55 BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 311; Bezjak KJ 2016 557, 568; Fischer Rdn. 15; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 10; Noltenius SK Rdn. 11; Renzikowski NJW 2016 3553, 3557; ders. MK Rdn. 19; Renzikowski/Schmidt KriPoZ 2018 325, 327 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. 56 Renzikowski MK Rdn. 18. 57 Krit. dazu Renzikowski NJW 2016 3553, 3557; ders. MK Rdn. 21; Noltenius SK Rdn. 12; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. 58 Lin Sexuelle Belästigung, S. 71. Hörnle
488
§ 184j Straftaten aus Gruppen Wer eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn von einem Beteiligten der Gruppe eine Straftat nach den §§ 177 oder 184i begangen wird und die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.
Schrifttum Aichele/Renzikowski Wollt ihr das totale Strafrecht? Über eine neuerdings auftretende rechtsstaatsferne Tendenz in der deutschen Strafgesetzgebung am Beispiel von § 184j StGB, Festschrift Fischer (2018) 491; Bauer Der Gruppentatbestand § 184j StGB-E im verabschiedeten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung, RuP 2017 46; Bezjak Der Straftatbestand des § 177 StGB (Vergewaltigung; Sexuelle Nötigung) im Fokus des Gesetzgebers, KJ 2016 557; dies. Reformüberlegungen für ein neues Sexualstrafrecht, ZStW 130 (2018) 303; Bock Mitgegangen – mitgehangen? Die Beteiligung an gefährlichen Gruppen i.S.d. § 184j StGB, in Papathanasiou/ Schumann/Schneider/Godinho (Hrsg.) Kollektivierung als Herausforderung für das Strafrecht. Normentheoretische Betrachtungen (2021) 49; Deckers Zur Reform des Sexualstrafrechts durch das StÄG 2016, StV 2017 410; Eisele Das neue Sexualstrafrecht, RPsych 2017 7; El-Ghazi Der neue Straftatbestand des sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 StGB n.F., ZIS 2017 157; ders. Fünf Jahre Reform des Sexualstrafrechts – eine erste Bestandsaufnahme, StV 2021 314; Fischer „Straftaten aus Gruppen“ (§ 184j StGB) – Ein Lehrstück zwischen Horden, Dogmatik und deren Simulation, Festschrift Neumann (2017) 1089; Högl/Neumann Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht. Zur Verankerung des Grundsatzes „Nein heißt Nein!“ im deutschen Strafrecht, RuP 2016 155; Hofmann Das neue Sexualstrafrecht – ein Konjunkturprogramm für Strafverteidiger und eine große Herausforderung an die Justiz, Praxis der Rechtspsychologie 2017 7; Hörnle Das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes sexueller Selbstbestimmung, NStZ 2017 13; dies. § 184j (Straftaten aus Gruppen) – Ein verfassungswidriger Tatbestand? BRJ 2017 57; dies. Sexualstrafrecht – Der Prozess einer Reform. Kommentar zum Beitrag von J.-Prof. PD Dr. Elisa Hoven, KriPoZ 2018 12; Hoven Reform des Sexualstrafrechts – Ad-hoc-Gesetzgebung und Diskursstrategien, NKrimP 2018 392; dies. Das neue Sexualstrafrecht – Der Prozess einer Reform, KriPoZ 2018 2; Hoven/Weigend „Nein heißt Nein“ – und viele Fragen offen, JZ 2017 182; Kunz Was heißt noch Ja? Eine skeptische Betrachtung des neuen Sexualstrafrechts, jM 2016 433; Lamping Die Rationalisierung und Überregulierung der Sexualität. Zur aktuellen Reform des Sexualstrafrechts, JR 2017 347; Lederer Sexualstrafrecht heute – Eine kritische Bilanz der Reform, AnwBl. 2017 514; Mitsch Sexuelle Belästigung (§ 184i StGB) und Straftaten aus Gruppen (§ 184j StGB), KriPoZ 2019 355; Papathanasiou Das reformierte Sexualstrafrecht – Ein Überblick über die vorgenommenen Änderungen, KriPoZ 2016 133; Pichler Straftaten aus Gruppen heraus – ein Vergleich zwischen § 231 StGB und dem neuen § 184j StGB, StRR 2016 4; Reformkommission zum Sexualstrafrecht, in BMJV (Hrsg.) Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (2017); Renzikowski Nein! Das neue Sexualstrafrecht, NJW 2016 3553; ders. Entwicklungslinien des Sexualstrafrechts – vom Moralschutz zum Rechtsgüterschutz, und wieder zurück? Ad Legendum 2022 93; ders./Schmidt Nach der Reform ist vor der Reform. Zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, KriPoZ 2018 325; Roxin § 184j im Streit der Meinungen, Festschrift Merkel (2020) 973; Schmidt Zum Zusammenhang von Recht, Moral, Moralpolitik und Moralpanik am Beispiel der Reform des Sexualstrafrechts, ZfRSoz 2018 244; Spillecke Das neue Sexualstrafrecht. Die Neuregelungen unter Berücksichtigung der Empfehlungen der Reformkommission – eine erste Bestandsaufnahme der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, StraFo 2018 361; Stuckenberg Straftaten aus Gruppen (§ 184j StGB) – die unbemerkte Wiederkehr des Landfriedensbruchs alter Art, Festschrift Rengier (2019) 353.
Entstehungsgeschichte Die am 10.11.2016 in Kraft getretene Vorschrift wurde durch das 50. StRÄndG – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung v. 4.11.2016 (BGBl. I S. 2460) in das Strafgesetzbuch eingefügt. Der Tatbestand stellt eine Reaktion auf die Vorkommnisse der Nacht vom 31.12.2015 auf den 1.1.2016 dar,1 in der es maßgeblich im Bereich
1 Exemplarisch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; ders. RPsych 2017 7, 26; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Kindhäuser/Hilgendorf Rdn. 1; Joecks/Jäger Rdn. 1; Laue HK-GS Rdn. 1; Noltenius SK Rdn. 1; Renzikowski MK Rdn. 8 m. deutlicher Kritik in Rdn. 2; SSW/Wolters Rdn. 1; Ziegler BeckOK Rdn. 1; Hoven KriPoZ 2018 2, 10; dies. NKrimP 2018 392, 405. Näher zur Entstehungsgeschichte Bauer RuP 2017 46, 50 u. 52 ff; Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49 ff; Fischer FS Neumann 1089, 1090 ff; Kölbel FS Eisenberg (2019) S. 61, 66 ff; Schmidt ZfRSoz 2018 244, 250 ff; 489 https://doi.org/10.1515/9783110490121-031
Berghäuser
§ 184j
Straftaten aus Gruppen
des Kölner Hauptbahnhofs, des Bahnhofsvorplatzes und der Domplatte, aber auch in anderen Städten aus Gruppen heraus zu einer Vielzahl sexueller Übergriffe kam, die verschiedentlich mit der Begehung von Eigentums- oder Vermögensdelikten kombiniert waren.2 Nachdem die Gesetzentwürfe zu einer Reform des Sexualstrafrechts zunächst weder eine Strafbarkeit wegen sexueller Belästigung noch eine solche wegen Straftaten aus Gruppen vorgesehen hatten,3 zogen die Stellungnahme des BR (BTDrucks. 18/8626 S. 6) und ein in der öffentlichen Anhörung vor dem BTRAussch. am 1.6.2016 vorgelegtes Eckpunktepapier der Großen Koalition4 erhebliche Änderungen des Regierungsentwurfs (BTDrucks. 18/8210) nach sich. In Abweichung vom ursprünglichen Entwurf ist gem. der Beschlussempfehlung des BTRAussch. (BTDrucks. 18/9097 S. 10 f, 31 f) so letztlich nicht nur eine Strafbarkeit wegen sexueller Belästigung (§ 184i), sondern auch eine solche wegen Straftaten aus Gruppen (§ 184j) Gesetz geworden. Leitbild der Tatbestandsbildung waren gem. der Erfahrung aus der zurückliegenden Silvesternacht Geschehensabläufe, in denen eine Gruppe eine andere Person bedrängt, etwa um die Begehung eines Diebstahls zu ermöglichen, und im Zuge derer es zu einer Sexualstraftat (§§ 177 oder 184i) kommt.
Gesetzesmaterialien BTDrucks. 18/1969 (Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen); BTDrucks. 18/5384 (Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen); BTDrucks. 18/7719 (Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke); BRDrucks. 91/ 16(B) (Entschließung des BR); BTDrucks. 18/8210 (Gesetzentwurf der BReg.); BTDrucks. 18/8626 (Stellungnahme des BR und Gegenäußerung der BReg.); BTDrucks. 18/9097 (Beschlussempfehlung und Bericht des BTRAussch.).
Übersicht I. 1. 2.
3.
II. 1.
Allgemeines 1 Rechtsgut 4 Bedeutung der Vorschrift; Deliktsnatur a) „Neues und gewichtiges Phäno5 men“ 7 b) Deliktsnatur 9 c) Kriminalpolitische Bedeutung 10 Kritik 11 a) Schuldgrundsatz 13 b) Bestimmtheitsgrundsatz 14 c) Beweisschwierigkeiten 15 d) Systematische Einbettung aa) Delikt gegen die öffentliche Ord16 nung bb) Vorschrift des Allgemeinen 17 Teils 20 e) Symbolgesetzgebung Objektiver Tatbestand Zur Straftatbegehung bedrängende Personen22 gruppe
2. 3.
23 Personengruppe 28 Bedrängen Bedrängen durch die Personen30 gruppe d) Bedrängen einer anderen Person e) Zur Begehung einer Straftat an ihr 36 Sich-Beteiligen 38 Dadurch eine Straftat fördern
III.
Subjektiver Tatbestand
IV. 1. 2.
Objektive Bedingung der Strafbarkeit 44 Bedingungseintritt Opfer der Tatbegehung nach den §§ 177 oder 45 184i 47 Rechtswidrige Tatbegehung Zeitliches Verhältnis von Sich-Beteiligen und Be50 dingungseintritt
a) b) c)
3. 4.
V.
Täterschaft und Teilnahme
32 34
41
51
Zohlnhöfer/Saalfeld/Wenzelburger/Staff Zwischen Stillstand, Politikwandel und Krisenmanagement. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2013–2017 (2019) S. 549, 558 ff; krit. zu einer am Einzelfall orientierten Gesetzgebung Fischer Rdn. 2; Kubiciel ZStW 131 (2019) 1115, 1117 f; Hoven/Weigend JZ 2017 182, 191; Weigend ZStW 129 (2017) 513, 526. 2 Ausführl. zu den Vorkommnissen in Köln der Schlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV vom 23.3.2017, LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 15 ff. 3 BTDrucks. 18/5384; 18/7719; 18/8210. 4 Högl/Winkelmeier-Becker/Ferner/Widmann-Mauz/Reimann/Maag/Fechner/Rix Eckpunktepapier zur Reform des Sexualstrafrechts – mit dem Grundsatz „Nein heißt Nein“ v. 1.6.2016 (Tischvorlage zur 101. Sitzung des BTRAussch.) S. 3 f, 8, https://www.bundestag.de/resource/blob/425890/08ddc9a8cced2c4ca8305b5ec2dccace/tischvorlage-data.pdf (zuletzt aufgerufen am 30.8.2021). Berghäuser
490
I. Allgemeines
VI. 1. 2.
Rechtsfolgen und Konkurrenzen 52 Strafrahmen 53 Formelle Subsidiarität
57
VII. Prozessuales VIII. Sonstiges
§ 184j
60
I. Allgemeines 1. Rechtsgut In Überstimmung mit ihrer systematischen Einbettung in den 13. Abschnitt des StGB und den 1 von ihr in Bezug genommen §§ 177, 184i soll die Vorschrift das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung schützen.5 Geschützt wird die sexuelle Selbstbestimmung derjenigen Person, die zum Opfer einer in der objektiven Strafbarkeitsbedingung vorausgesetzten Sexualstraftat wird, ebenso wie die sexuelle Selbstbestimmung all jener Personen, die durch eine zur Straftatbegehung bedrängende Personengruppe abstrakt gefährdet werden (vgl. zu § 231 BGH NStZ 2015 270, 274; Eschelbach BeckOK § 231 Rdn. 1). Dieser Schutzrichtung liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass Gruppen, wel- 2 che eine andere Person zur Straftatbegehung bedrängen, ein typischerweise erhöhtes Gefahrenpotenzial für aus der Gruppe heraus begangene (Sexual-)Straftaten in sich bergen.6 Begründet wird dies in den Gesetzesmaterialien zum einen mit den Verteidigungs- oder Fluchtchancen eines Opfers, die im Fall der Konfrontation mit einer Vielzahl von Personen stark eingeschränkt sind. Zum anderen reagiert der Gesetzgeber auf das Gefahrenpotenzial gruppendynamischer Prozesse, in denen sich die Mitglieder der Gruppe gegenseitig bestärken, sodass anderenfalls be- oder entstehende Hemmungen überwunden oder gar nicht erst entwickelt werden (BTDrucks. 18/9097 S. 31).7 In diesem Kontext hat der Abschlussbericht der Bund-Länder-Projektgruppe „Silvester“ v. 26.8.20168 außerdem darauf hingewiesen, dass das Gefühl der Anonymität in der Masse zu einer enthemmenden Wirkung beitrage; die Gruppendruckphänomene seien „durch Konformitätsdruck, Verstärkerwirkungen und ein[e] höher[e] Risikobereitschaft“ gekennzeichnet.9 Weil die durch die Gruppe hergestellte Unübersichtlichkeit der Situation das Eingreifen der Sicherheitsbehörden in der Silvesternacht 2015/16 erschwerte und die Strafverfolgung vielfach unmöglich machte, habe sich überdies ein weiterer die Straftatenbegehung fördernder Gruppeneffekt manifestiert: Eine mangels effektiver Kontrolle faktisch in Aussicht gestellte Straffreiheit habe die Wahrscheinlichkeit der Straftatbegehung einschließlich der Begehung von Sexualstraftaten erhöht.10
5 BTDrucks. 18/9097 S. 29; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Joecks/Jäger Rdn. 2; Ziegler BeckOK Rdn. 2; Papathanasiou KriPoZ 2016 133, 137; zw. SSW/Wolters Rdn. 2; abl. Frommel NK Rdn. 2; Renzikowski MK Rdn. 1 („lediglich vorgeschoben“). 6 Ziegler BeckOK Rdn. 2; jew. reduziert um die Beschränkung auf Sexualstraftaten Hörnle NStZ 2017 13, 21; dies. KriPoZ 2018 12, 14; Stuckenberg FS Rengier 353, 361; abl. Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 60; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2; Fischer Rdn. 20; ders. FS Neumann 1089, 1102 (s. ebda. aber auch zur gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative); Noltenius SK Rdn. 2, 13; Renzikowski MK Rdn. 1; ders. NJW 2016 3553, 3557; SSW/Wolters Rdn. 12; Bauer RuP 2017 46, 57 f; Bezjak ZStW 130 (2018) 303; dies. KJ 2016 557, 570. 7 Zust. Ohlenschlager Stellungnahme in der öffentlichen Anhörung im BTRAussch. v. 1.6.2016, S. 6 f, https:// www.bundestag.de/webarchiv/Ausschuesse/ausschuesse18/a06/anhoerungen/Archiv/stellungnahmen-424638 (zuletzt aufgerufen am 30.8.2021, zit. Ohlenschlager bzw. Stellungnehmender Stellungnahme BTRAussch. v. 1.6.2016). S. ferner ders. BTRAussch. Prot. 18/101 S. 32; Anl. 8 zu LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 1275, 1320 („gegenseitiges Anstacheln“); Högl/Neumann RuP 2016 155, 161. 8 Anl. 8 zu LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 1275 ff. 9 Dazu und Zitat aus Anl. 8 zu LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 1275, 1320. 10 Bezugnahmen auf den sog. Routine Activity Approach in Anl. 8 zu LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 1275, 1320; auf einen ursächlichen Zusammenhang von „Unordnung“ und Kriminalität gem. der Broken Windows-Theorie im 491
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§ 184j
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Straftaten aus Gruppen
Ausgehend von einer solchen Einschätzung des Gefahrenpotenzials einer eine andere Person zur Straftatbegehung bedrängenden Personengruppe begreift der Gesetzgeber das vorsätzliche Sich-Beteiligen an einer solchen Gruppe als sozialinadäquaten und strafwürdigen11 Beitrag zu einer abstrakten Gefährdung fremder Rechtsgüter einschließlich des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung. Unter dem Eindruck der Silvesternacht 2015/16 befindet er dieses Verhaltensunrecht jedoch nur dann für strafbedürftig, wenn eine von ihm benannte besondere Folge eingetreten ist, nämlich aus der Gruppe heraus eine Straftat nach den §§ 177 oder 184i begangen wurde. Während das individuelle Verhaltensunrecht des Täters (Grund der Strafbarkeit) allgemeiner gefasst ist, folgt die spezifische Ausgestaltung als Sexualdelikt der – vom Täter nicht notwendigerweise verantworteten – objektiven Strafbarkeitsbedingung, also der in § 184j gewählten Grenze der Strafbedürftigkeit.12
2. Bedeutung der Vorschrift; Deliktsnatur 4 Ausgehend von der so begründeten Annahme eines erhöhten Gefahrenpotenzials der Gruppenbeteiligung soll der Tatbestand des § 184j eine postulierte Schutzlücke im StGB schließen, welche auch der Straferschwerungsgrund des gemeinschaftlichen Handelns nach § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 2 nicht zu schließen wisse (BTDrucks. 18/9097 S. 31). Zu diesem Zweck wird in bestimmten, für strafbedürftig befundenen Fällen bereits die Beteiligung an einer eine andere Person zur Straftatbegehung bedrängenden Gruppe unter Strafe gestellt. Zwischen der Bedeutung, die der Gesetzgeber der Strafbarkeitslücke im Gesetzgebungsverfahren beigemessen hat, und jener, die sich seit Inkrafttreten der Vorschrift in den tatsächlichen Fall- und Verurteilungszahlen niedergeschlagen hat, sind dabei Unterschiede zu verzeichnen.
5 a) „Neues und gewichtiges Phänomen“. Nach Dafürhalten des Gesetzgebers, der dies in der Entwurfsbegründung nicht weiter ausgeführt hat, handelte es sich bei dem durch § 184j strafbewehrten Verhalten um ein gleichermaßen neues wie gewichtiges Phänomen (BTDrucks. 18/9097 S. 31). Dabei sind weder sexuelle Beleidigungen und Übergriffe durch mehrere Täter noch das Bedrängen durch eine Gruppe zur Straftatbegehung erstmals zum Jahreswechsel 2015/ 16 zur Kenntnis gelangt.13 Letzteres wurde vielmehr schon im Jahr 2013 als neue Begehungsform von Eigentumsdelikten festgestellt und seit 2014 unter dem Schlagwort des sog. Antanzens geführt.14 Das ursprünglich beschriebene Tatbild des „Antanzens“ nahm allerdings noch auf die Begehung von Diebstählen und anderen verwandten Delikten Bezug, die teils von Körperverletzungen begleitet wurden (dazu u. zum Nachfolgenden Bauer RuP 2017 46, 53 f). Demnach näherten sich die Täter dem Opfer im öffentlichen Raum, indem sie an es herantanzten o.ä.; die so hergestellte räumliche Nähe wurde sodann zur Entwendung des Portemonnaies oder anderer
Gutachten des Sachverständigen Egg, Anl. 7 zu LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 1221, 1272 f. Zur sozialpsychologischen Betrachtung gruppendynamischer Prozesse s. unten Rdn. 18. 11 Die Strafwürdigkeit in Frage stellend aber Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 71 ff. 12 Krit. insoweit Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1 („Fremdkörper im 13. BT-Abschnitt“), Vorbem. § 174 Rdn. 15; Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 60 f zum damit verbundenen „Labeling“; Hörnle NStZ 2017 13, 21 („systemwidrig platziert“); dies. BRJ 2017 57, 61; dies. Anl. D.II.10.a zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht S. 1016, 1035, https://www.bmjv.de/abschlussbericht-reformkommission-sexualstrafrecht (zuletzt aufgerufen am 30.8.2021); krit. auch SSW/Wolters Rdn. 2; abl. Roxin FS Merkel 973, 977. 13 So auch die Parlamentarierinnen Högl/Neumann RuP 2016 155, 161; die Neuheit des Phänomens daher verneinend Fischer Rdn. 2; Lederer AnwK Rdn. 1; Renzikowski MK Rdn. 2; SSW/Wolters Rdn. 1; Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, 500; Pichler StRR 2016 4, 7; Clemm BTRAussch. Prot. 18/101 S. 35; zw. auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1 („angeblich“); Noltenius SK Rdn. 2. 14 LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 915; 16/6857. Berghäuser
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§ 184j
I. Allgemeines
Gegenstände verwendet.15 In der Silvesternacht 2015/16 erfuhr dieses Phänomen öffentlichkeitswirksam eine andere Ausrichtung, nämlich wurde in einen Zusammenhang mit der Begehung von sexuellen Beleidigungen und Übergriffen eingebettet16 (Sachverhalte des „Begrabschens“ bis hin zu versuchten oder vollendeten Vergewaltigungen durch Einführen der Finger in Körperöffnungen17). Nach einem Gutachten des Sachverständigen Egg zu den Strafanzeigen aus der Kölner Silvesternacht etwa betrafen 29,6 % der angezeigten Straftaten allein Sexualdelikte, 17,2 % neben Sexualdelikten auch Eigentumsdelikte, 46,5 % allein Eigentumsdelikte und 6,7 % sonstige Delikte.18 Die Begehung von Sexualdelikten traf mithin zeitlich und räumlich mit derjenigen von Eigentumsdelikten zusammen, sei es, dass sie nur nebeneinander erfolgten, dass Sexualdelikte bei Gelegenheit zusätzlich zu Eigentumsdelikten begangen wurden oder dass sie das Mittel zur Ablenkung bei Begehung von Eigentumsdelikten bildeten (wie im Fall eines sexuell bedrängenden Antanzens, um das hierdurch abgelenkte Opfer leichter bestehlen zu können).19 Die konstatierte Kumulation oder Kombination bereits bekannter Erscheinungsformen der Kriminalität vermochte den Grund für die gesetzgeberische Einschätzung von einem „neuen Phänomen“ zu legen. Entsprechend war auch das Urteil über die „Gewichtigkeit“ dieses Phänomens den beson- 6 deren Umständen der Ereignisse in der Silvesternacht geschuldet, die von Augenzeugen als „massenhaftes Attackieren von Passantinnen im öffentlichen Raum“ beschrieben wurden, welche „aus großen Ansammlungen von Männern heraus“ begangen wurden.20 So wurde z.B. über eine Gruppe von min. tausend überwiegend männlichen Personen auf dem Vorplatz des Kölner Hauptbahnhofs und dem angrenzenden Treppenaufgang zur Domplatte berichtet, aus der heraus eine Vielzahl von Delikten begangen wurde.21 In absoluten Zahlen wurde in 302 Fällen Strafanzeige allein wegen Sexualdelikten, in 175 Fällen wegen Sexual- und Eigentumsdelikten und in 474 Fällen allein wegen Eigentumsdelikten erstattet.22 Diese Dimension des Geschehens, die sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung erschwerte bis teils unmöglich machte, verlieh dem Tatbild das ihm vom Gesetzgeber zuerkannte besondere Gewicht.
b) Deliktsnatur. Konfrontiert mit einer dergestalt für neu und gewichtig befundenen Er- 7 scheinungsform der Kriminalität ergänzte der Gesetzgeber das StGB in § 184j um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.23 Dabei orientierte sich die Wahl der Deliktsnatur am Vorbild des
15 LT NRW-Drucks. 16/6857 S. 1 f; LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 915; Bauer RuP 2017 46, 53 m Fn. 51. 16 Bauer RuP 2017 46, 54 m.w.N. Zur Erhebung der Fallzahlen reiner Sexualdelikte in fünf deutschen Großstädten (Stuttgart, Frankfurt a.M., Hamburg, Düsseldorf, Köln) s. Anl. 8 zu LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 1275, 1285.
17 LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 363 f. 18 Anl. 7 zu LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 1221, 1232 f, 1246 ff. 19 Nach einem Gutachten des Sachverständigen Egg zu den Strafanzeigen aus der Kölner Silvesternacht blieb offen, ob die Sexualdelikte bei Gelegenheit zusätzlich zu den Eigentumsdelikten begangen wurden oder ob sie zur Ermöglichung der Diebstähle u.A. dienten; Anl. 7 zu LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 1221, 1246 ff. Diff. zu den deliktischen Schwerpunkten der Begehung von Sexual- und Eigentumsdelikten in fünf deutschen Großstädten Anl. 8 zu LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 1275, 1292. 20 Darauf hinweisend und Zitate aus Hörnle NStZ 2017 13, 21; dies. Anl. D.II.10.a zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 1016, 1033 f. 21 LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 15 m.w.N. 22 Weitere 69 Strafanzeigen betrafen sonstige Delikte; Anl. 7 zu LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 1221, 1233 (relative Zahlen s.o. Rdn. 5 m. Fn. 18). Zu Fallzahlen aus fünf deutschen Großstädten s. Anl. 8 zu LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 1275, 1285 ff. 23 Renzikowski MK Rdn. 6; SSW/Wolters Rdn. 5; Stuckenberg FS Rengier 353, 362 (abstraktes Gefährdungsdelikt); abl. BMJV/Reformkommission zum Sexualstrafrecht Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht S. 313; Bezjak ZStW 130 (2018) 303, 317; dies. KJ 2016 557, 570; aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9 (notw. Förderungserfolg); Frommel NK Rdn. 1 (konkretes Gefährdungsdelikt). 493
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§ 184j
Straftaten aus Gruppen
§ 231.24 In der Folge weisen nunmehr beide Vorschriften ein bestimmtes sozialinadäquates Verhalten – in § 231 das Sich-Beteiligen an einer Schlägerei oder einem von mehreren verübten Angriff, in § 184j das Sich-Beteiligen an einer zur Straftatbegehung bedrängenden Gruppe – aufgrund der ihm eigenen Gefährlichkeit als strafwürdig aus. Ebenfalls in Parallele zu § 231 entschied der Gesetzgeber, das tatbestandsmäßige (weil zum Gefahrenpotenzial der Gruppe beitragende) Verhalten nur ausschnittsweise mit dem Mittel der Strafe zu verfolgen, wenn sich eine von ihm benannte besondere Folge realisiert. Im Wege der objektiven Strafbarkeitsbedingung befindet er die Gruppenbeteiligung in § 184j nur dann für strafbedürftig, wenn sich die von ihm angenommene Gefährlichkeit der bedrängenden Personengruppe realisiert, aus der Aktivität der Gruppe also die Begehung einer Straftat nach den §§ 177 oder 184i hervorgeht.25 Wenigstens in einem Reflex schafft die Vorschrift zugleich auffangweise die Möglichkeit 8 einer Strafverfolgung wegen abstrakter Gefährdung, wo der Nachweis einer Beteiligung an der Sexualstraftat i.S.d. §§ 25 Abs. 2, 26, 27 im Einzelfall erschwert sein kann.26 Weil die Begehung einer Straftat nach den §§ 177 oder 184i in die objektive Bedingung der Strafbarkeit integriert ist, können nunmehr auch solche Gruppenbeteiligte bestraft werden, die eine aus der Gruppe heraus erfolgte Sexualstraftat weder unmittelbar oder mittäterschaftlich begangen noch mit einem hins. der Haupttat hinreichend konkretisierten Gehilfenvorsatz gefördert haben. Denn ungeachtet dessen, dass der einzelne Gruppenbeteiligte an der Begehung der Sexualstraftat nicht als Täter oder Teilnehmer mitgewirkt haben mag, hat er mit seinem Sich-Beteiligen an der bedrängenden Gruppe bereits einen vorsätzlichen Beitrag zu einer physischen Konfrontation geleistet, in der die Verteidigungs- und Fluchtchancen des Gegenübers der Gruppe typischerweise reduziert sind, während sich ein potenzieller Täter durch die gruppendynamischen Prozesse in seinem Handeln bekräftigt sehen kann. Keine Verletzung, sondern bereits die so definierte abstrakte Gefährdung wird dem Täter nach § 184j vorgeworfen – was unterschiedlich als legitime Strafbewehrung eines Gefährdungsbeitrags oder als gegen den Schuldgrundsatz verstoßende Umgehung der Zurechnungsregeln der §§ 25 Abs. 2, 26, 27 (Rdn. 11 f) bewertet wird.27
9 c) Kriminalpolitische Bedeutung. Ungeachtet der gesetzgeberischen Einschätzung von einem neuen, gewichtigen Phänomen und einer insoweit bestehenden Schutzlücke kann in der Polizeilichen Kriminalstatistik und Strafverfolgungsstatistik seit Inkrafttreten der Vorschrift indes nur eine geringe kriminalpolitische Bedeutung nachvollzogen werden (PKS 2021: 16 erfasste
24 Eine Gestaltung des Tatbestands nach dem Vorbild des § 231 wurde in der Sachverständigenanhörung des BTRAussch. v. 1.6.2016 von den Sachverständigen Hörnle und Ohlenschlager angeregt; BTRAussch. Prot. 18/101 S. 26 (Hörnle), S. 19 (Ohlenschlager); Hörnle Stellungnahme BTRAussch. v. 1.6.2016 S. 13; Ohlenschlager Stellungnahme BTRAussch. v. 1.6.2016 S. 7; s. auch Fischer FS Neumann 1089, 1098; abl. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1; Renzikowski MK Rdn. 3. 25 Vgl. zum Strafgrund und zur Deliktsnatur des § 231 (§ 227 a.F.) etwa BGHSt 33 100, 103; 16 130, 132; Hohmann MK § 231 Rdn. 2; Popp LK12 § 231 Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 231 Rdn. 1; Pichler StRR 2016 4, 6; ders. Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB) (2010) S. 23 ff. Zur Begründung des § 231 mit der Überwindung von Nachweisschwierigkeiten s. außerdem BTDrucks. 13/8587 S. 61. 26 Stuckenberg FS Rengier 353, 361 („Reflex, nicht einzigem Zweck der Norm“). Weitergehend zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten als alleinigem oder eigentlichem Zweck des § 184j Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4, 5; Fischer Rdn. 4; Lederer AnwK Rdn. 2; Noltenius SK Rdn. 2; Renzikowski MK Rdn. 1; ders. Handbuch des Strafrechts IV § 11 Rdn. 78; ders. NJW 2016 3553, 3557; ders. Ad Legendum 2022 93, 102; SSW/Wolters Rdn. 2; Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, 492 u. 501; Bezjak KJ 2016 557, 569; Pichler StRR 2016 4, 7; Eisele Stellungnahme BTRAussch. v. 1.6.2016 S. 22; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 948; zur Rechtfertigung prozessualer Zwangsmaßnahmen Frommel NK Rdn. 7 f. 27 Für letzteres Fischer Rdn. 20; s. auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 13; Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, 492 u. 500; Hofmann Praxis der Rechtspsychologie 2017 7, 23. Berghäuser
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I. Allgemeines
§ 184j
Fälle; 2020: 12; 2019: 32; 2018: 47; 2017: 37;28 Strafverfolgung 2020: 5 Verurteilungen; 2019: 2; 2018: 4; 2017: 329).
3. Kritik In der Literatur sieht sich § 184j unterschiedlich weitgehender, teils äußerst harscher Kritik aus- 10 gesetzt,30 die mitunter auch den Vergleich mit den Gesetzen einer „totalitären Diktatur“ nicht scheut (wohlgemerkt hins. des Ergebnisses, nicht hins. des Prozesses der Gesetzgebung).31 Gegenstand der Kritik sind maßgeblich die fragliche Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Schuldund Bestimmtheitsgrundsatz sowie fortbestehende Beweisschwierigkeiten, die (weiterhin) eine nur geringe praktische Bedeutung der Vorschrift in Aussicht stellen. Damit verbunden ist der Vorwurf einer negativ konnotierten Symbolgesetzgebung, die überdies systemwidrig im 13. Abschnitt des StGB platziert worden sei. Die Kritik mündet vielfach, wenngleich mit unterschiedlichen Akzenten, in die Äußerung verfassungsrechtlicher Bedenken32 und wird durch die Empfehlung der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, die Vorschrift zu streichen, gestützt.33
a) Schuldgrundsatz. Am schwersten wiegen Vorwürfe von der Art, dass die Vorschrift mit dem 11 aus dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG abgeleiteten Schuldgrundsatz34 nicht vereinbar sei.35 Dies müssen zum einen jene annehmen, die vertreten, dass § 184j bereits die
28 Bundeskriminalamt PKS Tab. 01 Fälle Bund (Version 1.0) für die Jahre 2021, 2020, 2019; PKS Jahrbuch 2018, Bd. 4, S. 17 m. Tab. 01 Fallentwicklung und Aufklärung (Version 3.0).
29 Statistisches Bundesamt (Destatis) Fachserie 10, Reihe 3, Strafverfolgung 2019; 2018; 2017 jew. S. 32 f m. Tab. 2.1.
30 Sehr deutlich beispielsweise Fischer FS Neumann 1089, 1104 („Beispiel für eine medial hysterisierte Simulation von Strafrechtsdogmatik“); Renzikowski MK Rdn. 8; ders. NJW 2016 3553, 3557 (jew.: „eine der schlimmsten Verirrungen des Gesetzgebers“, die „mit einem rechtsstaatlichen Strafrecht nichts zu tun [habe]“); entspr. Aichele/Renzikowski FS Fischer 491; krit. auch Bezjak KJ 2016 557, 571 („Missgriff“); El-Ghazi StV 2021 314, 322 („eindeutige gesetzgeberische Fehlleistun[g]“); Hoven KriPoZ 2018 2, 10; gleichlautend dies. NKrimP 2018 392, 405 (Norm „mit etlichen ‚handwerklichen‘ Mängeln“); Mitsch KriPoZ 2019 355, 358 („wahrlich kein Musterbeispiel hochentwickelter Gesetzgebungskunst“); weitere Nachw. bei Spillecke StraFo 2018 361, 366 m. Fn. 70. 31 Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, die in ihrer Rede von einem „totalen Strafrecht“ eingangs gleichzeitig klarstellen, dass „der Bundestag trotzdem bei weitem nicht der Sportpalast“ sei u. dass weder ein absichtlicher Bruch des Gesetzgebers mit dem Rechtsstaatsprinzip unterstellt oder suggeriert noch die Moralität der gesetzgeberischen Motive in Zweifel gezogen werden solle. 32 S. die Nachw. in Fn. 35 (zu einem Verstoß gegen den Schuldgrundsatz) u. Fn. 44 (zu einem solchen gegen den Bestimmtheitsgrundsatz); ferner Lederer AnwK Rdn. 10; Bauer RuP 2017 46, 55 ff; Bezjak KJ 2016 557, 571; Hoven/ Weigend JZ 2017 182, 191; Pichler StRR 2016 4, 7 ff; Renzikowski NJW 2016 3553, 3558; aA vorbehaltlich einer restriktiven Auslegung Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; ders. RPsych 2017 7, 26. 33 BMJV/Reformkommission zum Sexualstrafrecht Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht S. 16 m. Empfehlung Nr. 12, S. 92, 312 im Anschluss an Eisele Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 955; zust. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 4; Lederer AnwK Rdn. 2; Renzikowski MK Rdn. 9; ders. Handbuch des Strafrechts IV § 11 Rdn. 83; ders./Schmidt KriPoZ 2018 325, 328 u. 333; Bezjak ZStW 130 (2018) 303, 317; Hoven KriPoZ 2018 2, 10; dies. NKrimP 2018 392, 406; mit Blick auf die mangelnde praktische Relevanz ebenso El-Ghazi StV 2021 314, 322. 34 S. etwa BVerfGE 20 323, 331; 25 269, 285; 95 96, 140; 133 168, 197 f; Jarass/Pieroth Art. 20 Rdn. 148. 35 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1, 16; Fischer Rdn. 20 (mildere Bewertung noch ders. FS Neumann 1089, 1101 f); Frommel NK Rdn. 6; Laue HK-GS Rdn. 3; Noltenius SK Rdn. 2, 13; Renzikowski MK Rdn. 1, 4 f, 9; ders. Ad Legendum 2022 93, 103; Renzikowski/Schmidt KriPoZ 2018 325, 328; SSW/Wolters Rdn. 3; Roxin FS Merkel 973, 978; Bezjak ZStW 130 (2018) 303, 317; dies. KJ 2016 557, 570; Deckers StV 2017 410, 412; El-Ghazi StV 2021 314, 321; ders. ZIS 2017 157, 168; Hoven KriPoZ 2018 2, 10; dies. NKrimP 2018 392, 405; Kunz jM 2016 433, 436; Lamping JR 2017 495
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§ 184j
Straftaten aus Gruppen
bloße Anwesenheit in einer eine andere Person bedrängenden Gruppe sanktioniere.36 Wäre dies der Fall und schiede auch eine verfassungskonforme Auslegung aus (dagegen aber Rdn. 37), verstieße der Tatbestand fraglos gegen das Schuldprinzip, nach dem eine Person nur wegen einer solchen Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung bestraft werden darf, welche ihr auch individuell zugerechnet werden kann.37 Aber auch hins. des nach § 184j sanktionierten Aktivtäters wird ein solcher Verstoß bemüht, weil die Begehung einer Straftat nach den §§ 177 oder 184i für ihn gleichermaßen ein „zufälliges“ Ereignis darstelle, das in keinem notwendigen Zusammenhang mit seinem eigenen tatbestandsmäßigen Verhalten stehe.38 Obwohl er selbst weder Täter (§ 25 Abs. 2) noch Teilnehmer (§§ 26, 27) einer Straftat nach den §§ 177 oder 184i ist, die Sexualtat mithin einen Exzess eines anderen Gruppenbeteiligten bilde, werde er wegen dieses von einem anderen zu verantwortenden Exzesses bestraft.39 Einem solchen Vorbringen einer strafrechtlichen Zufalls- und Exzesshaftung kann jedoch 12 entgegengehalten werden, dass die Tatbegehung nach den §§ 177 oder 184i dem nach § 184j sanktionierten Täter nicht haltlos vorgeworfen wird, sondern im Gegenteil sogar zu dessen Gunsten berücksichtigt wird. Die Strafbarkeit wegen § 184j knüpft an dessen vorsätzliches SichBeteiligen an einer eine andere Person zur Straftatbegehung bedrängenden Gruppe, mithin an eigenes Unrecht, den sozialinadäquaten Verhaltensbeitrag zu einer abstrakten Gefährdung, an.40 Wie in anderen Tatbeständen mit objektiver Strafbarkeitsbedingung41 bereitet damit ein dem Täter individuell zurechenbares Unrecht den Grund der Strafbarkeit, während der nicht individuell verantwortete Eintritt einer objektiven Bedingung die dadurch begründete Strafbarkeit nur eingrenzt (anstatt sie mit oben wiedergegebener Kritik auszudehnen).42 Im Zurechnungsgefüge der §§ 25 Abs. 2, 26 f mag die Begehung einer Sexualstraftat aus der Gruppe heraus für den Einzelnen also einen Exzess darstellen, sodass er nicht wegen eines Verletzungsdelikts (§§ 177 oder 184i) belangt werden kann. Innerhalb des § 184j hingegen steht gerade kein Exzess mehr in Frage (Hörnle BRJ 2017 57, 60; dies. KriPoZ 2018 12, 14), sondern vollzieht sich eine der Gruppenbeteiligung zugemessene abstrakte Gefährdung, die der Gesetzgeber allgemein (d.h. auch ohne Eintritt der Strafbarkeitsbedingung) für strafwürdig befindet, die er zugunsten des Täters aber nur ausschnittsweise mit dem Mittel der Strafe verfolgt (für strafbedürftig hält), wenn sich die von ihm benannte besondere Folge realisiert. Eine solche Konstruktion, in der eine unrechtsneutrale, d.h. nicht individuell verantwortete Strafbarkeitsbedingung nur über die Strafbedürftigkeit, nicht über die Strafwürdigkeit des Verhaltens entscheidet, ist grundsätzlich
347, 353; Schmidt ZfRSoz 2018 244, 266; aA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5, Vorbem. § 174 Rdn. 15; Hörnle BRJ 2017 57, 60; Stuckenberg FS Rengier 353, 361. 36 S. dazu und zur Gegenansicht die Nachw. in Fn. 122. 37 Zurückhaltender Noltenius SK Rdn. 2 („im Hinblick auf das Schuldprinzip problematisch“). 38 Vorwürfe einer mit dem Schuldgrundsatz unvereinbaren „Zufallshaftung“ bei Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 16; Fischer Rdn. 20; Noltenius SK Rdn. 2, 13; Bezjak KJ 2016 557, 570; Deckers StV 2017 410, 412; Hoven KriPoZ 2018 2, 10; dies. NKrimP 2018 392, 405; Kunz jM 2016 433, 435 f; Lamping JR 2017 347, 353. 39 Zum Vorwurf der strafrechtlichen Anlastung eines Exzesses s. bereits die Nachw. in Fn. 35; ferner Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 4; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 949; Lederer AnwK Rdn. 4, 10; Bezjak ZStW 130 (2018) 303, 317; Hoven/Weigend JZ 2017 182, 191. 40 Hörnle BRJ 2017 57, 60; dies. NStZ 2017 13, 21; dies. KriPoZ 2018 12, 14; aA Frommel NK Rdn. 2 (Anknüpfung an die „Beteiligung in einer Gruppe, eine neutrale Handlung“). 41 Allg. zu objektiven Bedingungen der Strafbarkeit Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 58; Schmidhäuser ZStW 71 (1959) 545, 561; zu § 330a a.F. BGHSt 16 124, 125 f; jew. zu § 231 (§ 227 a.F.) Geisler Zur Vereinbarkeit objektiver Bedingungen der Strafbarkeit (1998) S. 360 f; ders. GA 2000 166 ff; Bedenken an der Rechtsfigur bei Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 2 m.w.N. 42 Zu dieser „Abzugsthese“ bei § 184j Hörnle BRJ 2017 57, 59; bei § 231 Geisler GA 2000 166, 167; demgegenüber für eine (faktisch) strafbarkeitserweiternde Wirkung der objektiven Bedingung in § 184j z.B. Kunz jM 2016 433, 436; Mitsch KriPoZ 2019 355, 359. Berghäuser
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verfassungsrechtlich zulässig.43 Davon unberührt bleibt die Kritik an der spezifischen Ausrichtung des Bedingungseintritts auf die Begehung einer Sexualstraftat (dazu Rdn. 17 ff).
b) Bestimmtheitsgrundsatz. Unter Hinweis auf die Verwendung unklarer Begriffe wie den 13 der Personengruppe, des Bedrängens zur Begehung einer Straftat, des Sich-Beteiligens und Förderns wird wenigstens eine Unschärfe, wenn nicht sogar eine Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes gerügt.44 In diesem Zusammenhang wird ferner auch die wiederholte Verwendung des Begriffs der Straftat in § 184j bemüht, die nicht zu erkennen gebe, in welcher Beziehung die verschiedenen Bezugnahmen auf den Begriff stehen sollen.45 Darüber hinaus konstatiert man bei Auslegung der Norm verschiedentlich eine Verschränkung der einzelnen Tatbestandsmerkmale, wovon die vorliegende Kommentierung nicht ausgenommen ist, wenn sie für die Bildung einer Personengruppe i.S.d. § 184j eine konstitutive Bedeutung des Bedrängens oder Bedrängenwollens festhält (Rdn. 24 ff).46 Solange derlei Verschränkungen nicht dazu führen, dass einzelne Merkmale vollständig in anderen Merkmalen aufgehen, d.h. mit diesen zwangsläufig verwirklicht werden, obwohl der Gesetzgeber ihnen eine eigenständige strafbarkeitsbegrenzende Bedeutung zugemessen hat,47 hat man es zwar nicht mit einer gegen Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 verstoßenden Verschleifung oder Entgrenzung von Tatbestandsmerkmalen zu tun. Der Eindruck, dass die Norm „in ihrer Terminologie und ihrer Regelungsstruktur sehr diffus und kaum fassbar“48 ist, wird durch solche Verschränkungen aber jedenfalls (nochmals) bestätigt. Ebenso verstößt die sonstige Weite der Tatbestandsmerkmale nicht per se gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt muss jedoch festgestellt werden, dass in der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale jeweils noch verschiedene Interpretationen nebeneinandertreten, ohne dass sich – soweit ersichtlich – diesbezüglich eine etablierte und leitgebende Rechtsprechung oder Literaturauffassung herausgebildet hätte. Ohne die Leistung der notwendigen Konkretisierung aber scheint es ausgeschlossen, dass der Normadressat erkennen kann, welches Verhalten strafbar ist und welches nicht. Wenn in der rechtswissenschaftlichen Literatur schon zu lesen ist, dass die Vorschrift „kaum fassbar“ sei, fragt man sich, wie der nicht juristisch vorgebildete Laie – noch dazu in weiten Teilen ohne ihn leitende Konkretisierungshilfen in Rechtsprechung und Literatur – eine entsprechende Klarheit erlangen soll.
c) Beweisschwierigkeiten. Ebenso ist fraglich, ob die Vorschrift im Angesicht des erschwer- 14 ten Nachweises einer Beteiligung nach den §§ 25 Abs. 2, 26 f als Auffangtatbestand wirken kann 43 Ausführl. Betrachtung sowohl des § 231 als auch des § 184j unter diesem Gesichtspunkt durch die Wissenschaftlichen Dienste des BT, WD 7 – 3000 – 113/16 S. 25 ff; gegen eine solche Differenzierung von strafwürdigem und (erst qua Bedingungseintritt) strafbedürftigem Verhalten aber Geisler GA 2000 166, 168 u. 169 ff; Jakobs AT 10/5. 44 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 11 (zum Merkmal „zur Begehung einer Straftat an ihr“); Hoven/Weigend JZ 2017 182, 190 u. 191 (zur Gruppe und Gruppenbeteiligung); allg. für das nach § 184j tatbestandsmäßige Verhalten Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 1, 3, 5; Frommel NK Rdn. 4 ff; Lederer AnwK Rdn. 2, 6; El-Ghazi StV 2021 314, 321; Hofmann Praxis der Rechtspsychologie 2017 7, 22; Renzikowski MK Rdn. 5, 10, der a.a.O. in Rdn. 10 die Möglichkeit einer Gesetzesauslegung bestreitet („völlig unklar und […] auch inkonsistent und unverständlich“); entspr. Noltenius SK Rdn. 3, nach der eine „sinnvolle Kommentierung […] kaum möglich“ erscheint. 45 Lederer AnwK Rdn. 7; Noltenius SK Rdn. 3; s. auch Fischer Rdn. 5 zu einem insoweit „überaus unübersichtlichen und unscharfen Regelungsinhalt“. 46 Vgl. auch andernorts exemplarisch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 12 a.E. zum Vorgriff auf eine Tatbegehungsabsicht bei Bestimmung der Personengruppe; ders. a.a.O. Rdn. 8 zur Charakterisierung der „Personengruppe im Sinne des Straftatbestands nur durch ein subjektives Zusammengehörigkeitsgefühl, die gemeinsame Handlung des Bedrängens und das Ziel der Straftatbegehung“. 47 Vgl. zum verfassungsrechtlichen Verschleifungsverbot BVerfG NJW 2013 365, 366; BVerfGE 87 209, 229; 92 1, 16 f; 126 170,198. 48 Zitat aus Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 51; vgl. außerdem die Nachw. in Fn. 44, 45. 497
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oder in ihrer konkreten Form nicht ihrerseits Beweisschwierigkeiten produziert.49 Auch wenn die Tatbegehung nach den §§ 177 oder 184i in eine objektive Bedingung der Strafbarkeit integriert ist, bedarf es neben der Identifizierung der möglichen Gruppenbeteiligten immer noch des Nachweises eines vorsätzlichen aktiven Sich-Beteiligens an einer Personengruppe, die eine andere Person zur Straftatbegehung bedrängt, was u.a. eine Beweisführung über ein diesbezügliches Übereinstimmen (Rdn. 24 f), nach verschiedentlich vertretener Ansicht sogar über einen Tatplan der Gruppe und/oder die Straftatabsicht ihrer einzelnen Mitglieder (Rdn. 35) notwendig macht. Auf der subjektiven Tatseite muss außerdem Vorsatz hins. des fördernden Sich-Beteiligens am zweckgerichteten Bedrängen durch die Gruppe und, soweit man das Bewirken eines besonderen Förderungserfolgs durch die Tathandlung verlangt, auch diesbezügliches Wissen und Wollen nachgewiesen werden (Rdn. 41 f). Die Schwierigkeiten der Beweisführung, von denen der Rechtsanwender vermittels einer objektiven Strafbarkeitsbedingung enthoben wird, leben an anderer Stelle fort und lassen erwarten, dass der Vorschrift auch künftig eine eher geringe Bedeutung zukommen wird.
15 d) Systematische Einbettung. Bedenken sieht sich außerdem die Ausgestaltung der Vorschrift gerade als Sexualdelikt ausgesetzt (Rdn. 1 ff). Alternativ hätte eine Zuordnung zu den Delikten gegen die öffentliche Ordnung oder auch die Diskussion einer neuen Beteiligungsform im Allgemeinen Teil erwogen werden können.
16 aa) Delikt gegen die öffentliche Ordnung. Aufgrund der Strafbewehrung eines Verhaltens, das in einen gruppendynamischen Prozess eingebettet ist und kraft dieser Einbettung ein spezifisches Gefahrenpotenzial entfaltet, wird verschiedentlich eine Parallele zum Landfriedensbruch nach § 125 RStGB bemüht (ausführl. Stuckenberg FS Rengier 353, 357 ff).50 Der Strafbarkeit nach § 125 RStGB51 lag die Einschätzung von der Gefährlichkeit der Teilnahme an einer Menschenmenge zugrunde, die sich öffentlich zusammengerottet hat und mit vereinten Kräften gegen Personen oder Sachen Gewalttätigkeiten begeht. Dabei wurde die Verübung von Gewalttätigkeiten verschiedentlich noch als objektive Strafbarkeitsbedingung verstanden, in welcher sich das Gefahrenpotenzial der Menschenmenge realisierte52 (vgl. die Begehung einer Sexualstraftat in § 184j). Entsprechend wird vertreten, dass § 184j systematisch auch den Delikten gegen die öffentliche Ordnung zugeordnet werden könnte.53
49 Zu fortbestehenden Nachweisschwierigkeiten BMJV/Reformkommission zum Sexualstrafrecht Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht S. 313; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; ders. RPsych 2017 7, 28; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 954; Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 4, 5; Lederer AnwK Rdn. 2; SSW/Wolters Rdn. 4; Ziegler BeckOK Rdn. 2; Fischer FS Neumann 1089, 1103; Hofmann Praxis der Rechtspsychologie 2017 7, 23; Hörnle NStZ 2017 13, 21; dies. Anl. D.II.10.a zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 1016, 1035; Stuckenberg FS Rengier 353, 356. 50 S. auch Renzikowski MK Rdn. 4; zw. SSW/Wolters Rdn. 3. 51 § 125 Abs. 1 RStGB: „Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und mit vereinten Kräften gegen Personen oder Sachen Gewaltthätigkeiten begeht, so wird jeder, welcher an dieser Zusammenrottung Theil nimmt, wegen Landfriedensbruches mit Gefängniß nicht unter drei Monaten bestraft.“ 52 Nachw. bei Stuckenberg FS Rengier 353, 358. Verfassungsrechtliche Bedenken (BTDrucks. VI/502 S. 8) führten zur Umgestaltung in ein individuelles Tätigkeitsdelikt durch das 3. StrRG v. 20.5.1970 (BGBl. I S. 505); Stuckenberg a.a.O. 53 Ziegler BeckOK Rdn. 2; vgl. Stuckenberg FS Rengier 353, 361 (strukturell keine Sexualstraftat, sondern ein Rottendelikt). Zum Vorstoß einer alternativen Orientierung der Vorschrift am Tatbestand des § 125 vgl. Eisele Stellungnahme BTRAussch. v. 1.6.2016 S. 22; ders. BTRAussch. Prot. 18/101 S. 27. Berghäuser
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bb) Vorschrift des Allgemeinen Teils. Insb. von Hörnle wurde früh vorgebracht, dass die 17 Anknüpfung der Strafbarkeit an ein gruppenspezifisches Gefahrenpotenzial Gelegenheit geboten hätte, alternativ über die Einführung einer weiteren Beteiligungsform im Allgemeinen Teil zu diskutieren (Hörnle NStZ 2017 13, 21; dies. BRJ 2017 57, 61; dies. KriPoZ 2018 12, 14).54 In Zusammenhang damit stehen Assoziationen eines für das deutsche Strafrecht neuen systemischen Zurechnungsmodells (dazu, wenn auch i.Erg. abl. Papathanasiou/Schumann/Schneider/ Godinho/Bock S. 49, 62 f, 67 ff).55 Tatsächlich wäre es wenig plausibel, das abstrakte Gefahrenpotenzial, welches der Grup- 18 penbeteiligung nach Dafürhalten des Gesetzgebers anhaften soll, auf die Begehung von Sexualstraftaten zu beschränken.56 Vielmehr ist anzunehmen, dass eine Reduzierung von Flucht- und Verteidigungschancen in der direkten Konfrontation mit einer Gruppe die Wahrscheinlichkeit jeder Art von Tatbegehung erhöht, ebenso wie die gruppendynamischen Prozesse einer wechselseitigen Bestärkung und eines Abbaus etwaiger Hemmungen tatindifferent ist. Auch andere Taten können der „Situationsausnutzung durch einzelne Gruppenmitglieder“ entspringen, wie z.B. Körperverletzungen, Nötigungen, Eigentumsdelikte.57 Nicht nur, aber v.a. hins. der Begehung von Körperverletzungen erfährt eine solche Annahme Unterstützung durch eine sozialpsychologische Betrachtung gruppendynamischer Prozesse.58 Demnach können, grob umrissen, jedenfalls in größeren Menschenmengen (der Effekt wiegt umso schwerer, je größer die Menschenmenge ist) Gruppeneinflüsse zu einer sog. Deindividuation führen, d.h. zu einer Reduktion oder einem Verlust der Selbstaufmerksamkeit und Selbstregulation einer Person. Das durch die Gruppenmitgliedschaft erlebte Gemeinschaftsgefühl vermag an die Stelle einer Selbstwahrnehmung als individuelle, sich selbst beobachtende Person zu treten; schwindet in der Gruppe die Aussicht, identifiziert zu werden und Rechenschaft für das eigene Tun ablegen zu müssen, gehe mit der erlebten Anonymität auch ein schwindendes Gefühl individueller Verantwortung einher; gleichzeitig erhöhe sich die Bereitschaft, Gruppennormen zu befolgen und andere Normen zu ignorieren. Mögliche Folgen sind Enthemmung, Verstärkung antinormativen Verhaltens sowie Steigerung von Aggressionen.59 Indes stellt der Gesetzgeber in § 184j gar nicht in Frage, dass das strafwürdige Verhalten 19 des Täters auch andere Rechtsgüter als das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung betreffen kann. Indem er das Delikt in ein abstraktes Gefährdungsdelikt mit objektiver Strafbarkeitsbedingung kleidet, schränkt er vielmehr erst sein Urteil über die Strafbedürftigkeit (i.S.v. kriminalpolitischer Notwendigkeit der Bestrafung) des Verhaltens auf solche Sachverhalte ein, in denen sich das allgemein erkannte Gefahrenpotenzial gerade in einer Tat nach den §§ 177 oder 184i niederschlägt und konkretisiert. Die Frage geht damit weniger dahin, ob der Gesetzgeber das Gefahrenpotenzial der Gruppeninteraktion vollständig erfasst hat, sondern dahin, ob der kon54 S. ferner Hörnle Anl. D.II.10.a zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 1016, 1035; zust. Mitsch KriPoZ 2019 355, 358 f; unter Vorbehalt (der Bejahung einer strafwürdigen abstrakt gefährlichen Gruppenbeteiligung) für „folgerichtig“ erachtend SSW/Wolters Rdn. 3; abl. Fischer FS Neumann 1089, 1101; Stuckenberg FS Rengier 353, 362. 55 Bock schließt u.a. auch einen Vergleich zur völkerstrafrechtlichen Figur der Beteiligung an einem „joint criminal enterprise“ an; Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 63 ff m.w.N. Von § 184j unterscheidet sich diese Figur allerdings insoweit grundlegend, als sie dem Einzelnen Mitverantwortung für die im Zweckverband begangene Tat – und nicht nur eine abstrakt gefährliche Gruppenbeteiligung – anlastet. 56 Hörnle NStZ 2017 13, 21; dies. BRJ 2017 57, 61; dies. Anl. D.II.10.a zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 1016, 1035; s. auch SSW/Wolters Rdn. 3; Stuckenberg FS Rengier 353, 361 f. Pichler schreibt gar von einem Verstoß gegen das Willkürverbot; ders. StRR 2016 4, 8; zurückhaltender Papathanasiou/ Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 68 („wirkt […] willkürlich“, kursive Hervorhebung nur hier). 57 So u. Zitat aus Hörnle NStZ 2017 13, 21; dies. BRJ 2017 57, 61; dies. KriPoZ 2018 12, 14. 58 Darauf hinweisend Stuckenberg FS Rengier 353, 361 m.w.N. 59 Überblick bei Bierhoff Sozialpsychologie, 6. Aufl. (2006) S. 427 ff; Aronson/Wilson/Sommers Social Psychology 10. Aufl. (2021) S. 296 f; Walther ZIS 2014 393 ff; Schwind § 13 Rdn. 24 über Gruppendruckphänomene; zusf. Stuckenberg FS Rengier 353, 361 m. Fn. 96. 499
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krete Erfahrungswert aus der Silvesternacht 2015/16 die vorgenommene Eingrenzung der Strafbedürftigkeit (nicht Strafwürdigkeit) zu rechtfertigen weiß. Bedenkt man, dass schon vor dem fraglichen Jahreswechsel über eine aufkommende Erscheinungsform der Kriminalität diskutiert worden war, in welcher das sog. „Antanzen“ zur Begehung von Vermögensdelikten gemeinsam mit der Begehung von Körperverletzungen auftritt, tun sich diesbezüglich Zweifel auf, ebenso wenn man an die weiteren Tatbestände denkt, welche in der fraglichen Silvesternacht verwirklicht wurden.60 Vor diesem Hintergrund hätte es in der Tat nahegelegen, die Perspektive zu weiten und in der Gesetzgebung auch anderes Fallaufkommen zu berücksichtigen, das im Zusammenhang mit der Interaktion von Gruppen, die eine andere Person zur Straftat bedrängen, auffällig geworden ist (Entwurf einer alternativen Gesetzesformulierung bei Papathanasiou/ Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 67; i.Erg. abl. a.a.O. S. 71 ff). Mit Einnahme einer geweiteten Perspektive hätte auch die (in der Tenorierung durch die gesetzliche Überschrift „Straftaten aus Gruppen“ unzulänglich kaschierte) Stigmatisierung des Täters als Sexualstraftäter vermieden werden können, die aus dem Grunde bedenklich bleibt, weil das in § 184j strafbewehrte Verhalten zwar allgemein abstrakt rechtsgutsgefährdend ist, das Verhaltensunrecht des Täters aber weder objektiv noch subjektiv einen spezifischen Sexualbezug aufweisen muss.61
20 e) Symbolgesetzgebung. Nicht nur, aber auch die (erwartbar) geringe praktische Relevanz der Vorschrift bietet schließlich der Kritik einen Anhalt, die in § 184j eine negativ konnotierte Symbolgesetzgebung verwirklicht sieht.62 Dabei zielt eine solche Kritik nicht auf denjenigen symbolischen Charakter, der jedem positiv-generalpräventiv ausgerichteten Strafgesetz eigen ist, das sich zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes kommunikativer (den Wert eines Rechtsguts und das Unrecht eines Verhaltens verdeutlichender) Wirkmechanismen bedient.63 Die Rede von der Symbolgesetzgebung impliziert hier vielmehr ein Strafgesetz, das nur nach außen hin vorgibt, dem Rechtsgüterschutz zu dienen, während es diesbezüglich tatsächlich aber ineffektiv oder – nach einem engeren Verständnis symbolischer Gesetzgebung64 – normativ unwirksam gestaltet ist. Nun wird man § 184j nicht als normativ unwirksam bewerten können. Insoweit ist es ausweislich der statistischen Zahlen (Rdn. 9) zwar zutreffend, dass der Tatbestand seinem manifesten Zweck des Rechtsgüterschutzes durch Verhaltenssteuerung nur in wenigen Fällen nachkommt, insoweit aber durchgesetzt wird und mithin die Handlungsoptionen des Gesetzgebers tatsächlich erweitert, wenn auch nur in einem sehr überschaubaren Maße.65 Dementsprechend wurde die Schaffung eines einschlägigen Tatbestands im Gesetzgebungsverfahren „aus Sicht der Strafverfolgungspraxis“ denn auch für wünschenswert befunden, um sexuelle Übergriffe aus der Gruppe heraus umfassend strafrechtlich ver-
60 Dazu Hörnle KriPoZ 2018 12, 14: „Der Verweis auf die Straftaten in der Kölner Silvesternacht legt es nicht nahe, sich nur auf Sexualstraftaten zu konzentrieren – es wurden schließlich auch eine Reihe anderer Delikte begangen“.
61 Krit. unter schuldstrafrechtlichen Gesichtspunkten Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 60 f; s. auch die Nachw. in Fn. 12.
62 Allg. Vorwurf der Symbolgesetzgebung bei Lederer AnwK Rdn. 1; El-Ghazi ZIS 2017 157, 168; Hoven KriPoZ 2018 2, 10; dies. NKrimP 2018 392, 405; im Zusammenhang m. einer geringen praktischen Relevanz Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 3; Fischer Rdn. 2; ders. FS Neumann 1089, 1104; Eisele Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 955. 63 Zur Identifizierung der kommunikativ wirkenden Strafandrohung und Strafe mit einem symbolischen Element s. etwa Gärditz Staat und Strafrechtspflege (2015) S. 21 ff; Hassemer Strafrecht. Sein Selbstverständnis, seine Welt (2008) S. 104 ff, 108; zusf. u. weitere Nachw. bei Berghäuser Das Ungeborene im Widerspruch (2015) S. 788 f. 64 So vertreten von Neves Symbolische Konstitutionalisierung (1998) S. 49 f. 65 Krit. zu Vorwürfen der Symbolgesetzgebung, die auf der Anwendungshäufigkeit einer Norm gründen, Hörnle BRJ 2017 57, 61; Stuckenberg FS Rengier 353, 356. Zur Wirksamkeit einer Norm qua Befolgung oder – für den Fall des Zuwiderhandelns – Durchsetzung s. Neves (Fn. 64) S. 43 f. Berghäuser
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folgen zu können.66 Jedoch scheint ein Vorwurf der Ineffektivität67 nicht haltlos zu sein, wenn man erstens die bereits thematisierte „diffuse und kaum fassbare“ bis „völlig unklare“ Formulierung der gesetzlichen Voraussetzungen (Rdn. 13), zweitens die fortbestehenden Schwierigkeiten des Tatnachweises (Rdn. 14) und drittens den durch die uneingeschränkte Subsidiaritätsklausel beschnittenen Wirkungsbereich (Rdn. 53 ff) bedenkt. All dies zusammengenommen lässt den Eindruck entstehen, dass § 184j von vornherein so formuliert ist, dass weder seine Befolgung noch seine Durchsetzung in einem relevanten Maße dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dienen kann, dass nämlich die geringe praktische Bedeutung der Norm womöglich weniger durch die Rechtstreue der Normadressaten als durch die konkrete (eigentümliche bis mangelhafte und letztlich ineffiziente) Konstruktion der Vorschrift bedingt ist. Insoweit ist also in Betracht zu ziehen, dass der manifeste Zweck des Rechtsgüterschutzes 21 durch andere latente (nicht unmittelbar sichtbare) Zielsetzungen des Gesetzgebers verdrängt worden ist,68 wie sie eine Bekräftigung sozialer Werte und eine sog. Alibigesetzgebung darstellen. Eingebettet in die Normfindung zum 50. StRÄndG, das einen Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht herbeiführte, mag es dem Gesetzgeber zum einen ein besonderes Anliegen gewesen sein, nicht erst durch die effektive Rechtsanwendung, sondern schon durch die Existenz einer Norm den Wert des in der Silvesternacht 2015/16 beeinträchtigten Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung zu stärken. § 184j unterstriche demnach schon auf dem Papier die mit dem 50. StRÄndG einhergehende Kohäsionsgeste einer Gesellschaft, die sich mit der sexuellen Selbstbestimmung als Wertvorstellung identifiziert.69 Darüber hinaus und vor allem räumt die Vorschrift dem Rechtsanwender die Möglichkeit ein, bereits das vorsätzliche Sich-Beteiligen an einer bedrängenden Gruppe zu ahnden, und weist den Staat auf diesem Wege (wieder) als handlungsfähig aus, nachdem dessen Schwierigkeiten, Straftaten aufzuklären und mit den Mitteln des Strafrechts zu verfolgen, im Nachgang der Silvesternacht 2015/16 offenbar geworden waren.70 Damit steht also letztlich auch der Eindruck einer Alibigesetzgebung im Raum, die vielleicht nicht effektiv wirkt, aber den Anschein einer Lösung schafft, der die durch den Erfahrungswert eines bestimmten Jahreswechsels gestörten Erwartungen der Normadressaten wiederherstellen sollte.71 Die zeitlichen Zusammenhänge sprechen dafür, dass der Großen Koalition eine Demonstration vorgeblicher Handlungsfähigkeit auch deshalb ein besonderes Bedürfnis gewesen sein dürfte, weil sie zum Zeitpunkt der Gesetzesentstehung bereits auf dem Gebiet der Asylpolitik entsprechender Kritik (an ihrer fehlenden Handlungsfähigkeit) ausgesetzt war.72
66 Dazu und Zitat aus Ohlenschlager Stellungnahme BTRAussch. v. 1.6.2016 S. 6; s. auch ders. BTRAussch. Prot. 18/101 S. 31 f.
67 Zur Ineffektivität einer Norm s. Neves (Fn. 64) S. 46 f. 68 Erläuternd zum Gegenüber von manifesten und latenten Zwecken Hassemer NStZ 1989 553, 555 ff, insb. 556; Neves (Fn. 64) S. 43; Voß Symbolische Gesetzgebung (1989), S. 60 ff jew. m.w.N. 69 Vgl. allg. zur Bekräftigung sozialer Werte in einer symbolischen Gesetzgebung Lauterwein Symbolische Gesetzgebung (2006) S. 52 f; Neves (Fn. 64) S. 36 ff; zusf. u. weitere Nachw. bei Berghäuser (Fn. 63) S. 792 ff. 70 Spöttisch formuliert bei Fischer FS Neumann 1089, 1104: „Nachweis der steten Kampfbereitschaft deutscher Rechtspolitiker“; Renzikowski MK Rdn. 13; Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, 506: „damit […] der Staat sein furchterregendes, strafbarkeitslückenloses Gebiss zeige und sich alle, die ihm angehören, sicher und behütet fühlen mögen“. 71 Vgl. allg. zur Alibigesetzgebung in einer symbolischen Gesetzgebung Voigt/Kindermann Symbole der Politik, Politik der Symbole (1989) S. 257 ff; Neves (Fn. 64) S. 38 ff; Lauterwein (Fn. 69) S. 51 f; zusf. u. weitere Nachw. bei Berghäuser (Fn. 63), S. 794 ff. 72 Bauer RuP 2017 46, 54 mit instruktivem Hinweis auf Entstehungsgeschichte und Begründung des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern v. 11.3.2016 (BGBl. I S. 394). Auch dieses Gesetz war durch die Erfahrungen aus der Silvesternacht 2015/16 unmittelbar motiviert (BTDrucks. 18/7537 S. 5); vgl. Kölbel StV 2020 340 m. Fn. 8; ders. FS Eisenberg (2019) 61, 70; Schmidt ZfRSoz 2018 244, 257 f (zur Erweiterung der Ausweisungsgründe durch das 50. StRÄndG). Über eine Berichterstattung unter ausländerbezogenen Vorzeichen Arendt/Brosius//Hauck Publizistik 2017 135 ff. 501
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§ 184j
Straftaten aus Gruppen
Dass man den weit überwiegenden Anteil der sog. Antänzer bereits dem äußeren Erscheinungsbild nach dem nordafrikanischen oder arabischen Raum zuordnete,73 dürfte dazu beigetragen haben, dass man sich durch die Einfügung des § 184j nicht nur den Beweis staatlicher „Stärke“ im Allgemeinen erhoffte, sondern im Besonderen auch demonstrieren wollte, dass man auf bestehende Sorgen um etwaige Folgen der Migration reagiert.74 Die Kritik, die in § 184j eine negativ konnotierte Symbolgesetzgebung verwirklicht sieht, lässt sich mithin plausibel begründen, vorbehaltlich dessen, dass man hierfür bereits eine Ineffektivität der Norm genügen lässt und nicht deren normative Unwirksamkeit verlangt.
II. Objektiver Tatbestand 1. Zur Straftatbegehung bedrängende Personengruppe 22 § 184j setzt eine Personengruppe voraus, die eine andere Person zur Straftatbegehung an ihr bedrängt. Weil Willensbildung oder Handlungsvollzug für die Verbindung mehrerer Personen zu einer Gruppe maßgeblich sein können, werden die insoweit verschränkten (Rdn. 13) Tatbestandsmerkmale der Personengruppe und des Bedrängens, ebenso wie der Gruppenzweck der Straftatbegehung, gemeinsam unter dem Oberbegriff einer zur Straftatbegehung bedrängenden Personengruppe erläutert.
23 a) Personengruppe. Eine Personengruppe i.S.d. § 184j setzt in einem ersten Schritt eine Anzahl von min. drei Personen voraus (BTDrucks. 18/9097 S. 31), die situativ zusammentreffen, d.h. sich gleichzeitig an einem Ort befinden.75 Weil diese ersten äußeren (zahlenmäßigen wie Zeit und Ort betreffenden) Kriterien jedoch 24 nicht hinreichen, um die Personengruppe von einer nicht tatbestandsmäßigen zufälligen Menschenansammlung abzugrenzen, bedarf es in einem zweiten Schritt weiterer begriffsdefinierender Kriterien. Diese können sich wiederum nach äußerlichen Gegebenheiten richten (objektive Kriterien), das Innere der beteiligten Personen für maßgeblich erklären (subjektive Kriterien) oder auch beides (objektive und subjektive Kriterien) miteinander kombinieren.76 In der Literatur wird bislang überwiegend einem subjektivem Kriterium gefolgt, wenn man neben der situativen Übereinstimmung für die Bejahung einer Personengruppe einen inneren Zusammenhalt oder eine innere Zugehörigkeit, ein Empfinden der (situativen) Zusammengehörigkeit oder eine Willensübereinstimmung verlangt.77 Ein solches inneres Zusammenhalten, Zusammengehören, 73 LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 15. Zu den verschiedenen (insg. zwölf) Staatsangehörigkeiten der identifizierten Täter, die überwiegend algerischer (11 v. 48), afghanischer, marokkanischer (jew. 7 v. 48) und irakischer (6 v. 48), aber u.a. auch deutscher Nationalität (4 v. 48) waren, s. Abb. 2 in Anl. 8 zu LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 1275, 1289. 74 Vgl. Fischer FS Neumann 1089, 1103 zu einem „unangenehme[n] Moment fremdenfeindlicher Stigmatisierung“; ders. Rdn. 2 zu einer Gesetzgebung, die „medial offen rassistisch konnotiert“ worden sei; Kölbel StV 2020 340 m. Fn. 8 zum „Eindruck einer rassistisch getönten ‚Moral Panic‘“; Renzikowski MK Rdn. 2, nach dem sich die Vorschrift „zwanglos in das beliebte Flüchtlingsbashing ein[reiht], wie man es sich ganz Rechtsaußen nicht schöner vorstellen könnte“; zust. Roxin FS Merkel 973, 981. 75 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 6; Fischer Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Lederer AnwK Rdn. 4; Joecks/Jäger Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 11; SSW/Wolters Rdn. 6; Ziegler BeckOK Rdn. 3. 76 Zur Definition der Gruppe nach inneren (subjektiven) oder rein äußerlichen (objektiven) Kriterien bereits Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, 501. 77 S. zu einem situativen und inneren Zusammenhalt Noltenius SK Rdn. 6; inneren Zusammenhalt Joecks/Jäger Rdn. 3; einer situativen und inneren Zusammengehörigkeit Lederer AnwK Rdn. 4; zum Empfinden einer (situativen) Zusammengehörigkeit Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 6; Fischer Rdn. 7; ders. FS Neumann 1089, 1094; zu entspr. Zusammenhalt und Empfinden Ziegler BeckOK Rdn. 3; zur Willensübereinstimmung Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 11. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
§ 184j
Empfinden oder Übereinstimmen sei maßgeblich, weil in objektiver Hinsicht zwischen der bloßen Ansammlung von Menschen und einer Personengruppe kein Unterschied ausgemacht werden könne.78 Weil der tatbestandsspezifische Gruppenbegriff des § 184j nicht irgendeinen Zusammenschluss von Personen meint, sondern einen solchen, der eine vom Täter verschiedene Person „zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt“, wird man diese Ansicht weiter dergestalt konkretisieren können, dass Gegenstand des bemühten inneren Zusammenhalts etc. gerade das Bedrängen (Einzelheiten in Rdn. 28 ff) sein muss (Übereinstimmen über das Bedrängen). Eine Personengruppe i.S.d. § 184j wäre demnach eine situativ zusammentreffende Anzahl von min. drei Personen, die sich insoweit von der bloßen Ansammlung unterscheidet, als sie ein tatbestandsspezifischer (das Bedrängen durch die Gruppe betreffender) innerlicher Zusammenhalt etc. verbindet.79 Die damit einhergehende Verschränkung der Tatbestandsmerkmale der Personengruppe und des Bedrängens (s. schon oben Rdn. 13) klingt auch bereits in der Gesetzesbegründung an, welche die Personengruppe als eine „Mehrheit von mindestens drei Personen, die eine andere Person bedrängt“ definiert (BTDrucks. 18/9097 S. 31).80 Die Verschränkung der Tatbestandsmerkmale wird auch an anderer Stelle aufgegriffen, 25 wenn dem Merkmal des gemeinsamen Bedrängens eine konstitutive Bedeutung für eine Personengruppe i.S.d. § 184j beigemessen wird (Roxin FS Merkel 973, 975; zust. SSW/Wolters Rdn. 6). Anders als nach der vorstehend wiedergegebenen Ansicht scheint das Merkmal des Bedrängens im Zusammenhang mit dem Gruppenbegriff nunmehr aber objektiv verortet zu werden (so jedenfalls SSW/Wolters Rdn. 6;81 vgl. auch schon die Formulierung in BTDrucks. 18/9097 S. 31).82 Das weist darauf hin, dass das Bedrängen in der Definition der Personengruppe nicht nur den Gegenstand des inneren Zusammenhalts etc. betreffen, sondern auch als dynamisches externes Kriterium zur Anwendung kommen kann.83 Eine Personengruppe i.S.d. § 184j bestimmte sich dann nicht nach einer irgendwie gearteten Willensübereinstimmung der Gruppe über das Bedrängen, sondern könnte womöglich bereits dem äußerlichen Erscheinungsbild der Personen folgen, die situativ zusammentreffend dieselbe Handlung, nämlich das Bedrängen, vollziehen und denen aufgrund dieses übereinstimmenden Auftretens (Übereinstimmen im Bedrängen) die Gruppeneigenschaft zugeschrieben würde. Bedenkt man allerdings, dass die Personengruppe in § 184j als bedrängende Einheit auftritt (Rdn. 30), überzeugt es weniger, für die Verbindung mehrerer zu einer Gruppe bereits das (ggf. zufällige) äußerliche Nebeneinander gleichförmig (bedrängend) handelnder Personen genügen zu lassen. In Anlehnung an den Tatbestand des § 231 (WD 7 – 3000 – 113/16 S. 14 u. 15), in dem die Handlungen mehrerer Personen gleichsam
78 Fischer Rdn. 6 („unterscheidet sich […] allein subjektiv“; „auf objektiver Ebene nicht möglich“); zurückhaltender noch ders. FS Neumann 1089, 1094 („Unterscheidung […] vor allem aus subjektivem Blickwinkel“; „Unterscheidung auf objektiver Ebene […] kaum möglich“; kursive Hervorhebungen nur hier); zust. Lederer AnwK Rdn. 4; vgl. auch Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 12 im Vorgriff auf eine Tatbegehungsabsicht der Gruppe. 79 Entspr. bereits die Erwägung in WD 7 – 3000 – 113/16 S. 14. 80 Krit. Noltenius SK Rdn. 6 m. Fn. 12; vgl. aber dies. SK Rdn. 10, wenn nicht schon im Bedrängen, aber im Merkmal „zur Begehung einer Straftat an ihr“ (Zweck des Bedrängens) ein Teil der Gruppenkonstitution gesehen wird. 81 „Gruppenkonstituierend ist demnach nicht ein gemeinsamer Wille, sondern das gemeinsame (objektive) Bedrängen“; SSW/Wolters Rdn. 6 (kursive Hervorhebung nur hier). Außerhalb der Gruppenkonstitution setzt Wolters für das Bedrängen ein willentliches Zusammenwirken voraus; ders. a.a.O. Rdn. 7. 82 Die Ausführungen Roxins lassen indes Raum für ein Verständnis von der Gruppenkonstitution durch Bedrängen, das auch subjektive Elemente einschließen würde: „Es genügt, dass jemand sich dem bedrängenden Verhalten anderer anschließt, ohne dass die einzelnen ‚Bedränger‘ sich abgesprochen haben müssen“ (Roxin FS Merkel 973, 975); vgl. Rdn. 31 m. Fn. 93 zum Einpassen in den betätigten Einschluss eines anderen als Art des Übereinstimmens über das Bedrängen, nicht nur in demselben. 83 Zur Unterscheidung verschiedener Arten der objektiv bestimmten Gruppenzugehörigkeit nach äußerlichen Kennzeichen (z.B. Tragen übereinstimmender Kleidungsstücke), rein räumlichen oder dynamischen externen Kriterien Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, 501. 503
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§ 184j
Straftaten aus Gruppen
einen (einheitlichen) Angriff produzieren,84 sollten für die notwendige Einheit der bedrängenden Gruppe vielmehr zumindest gegeben sein: ein einheitliches Bedrängen, ein einheitliches Objekt des Bedrängens und ein einheitlicher Wille zum Bedrängen. 26 Gleich, welcher der hier skizzierten möglichen Auslegungen des Begriffs der Personengruppe man nun folgt, können als Gemeinsamkeiten der verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten jedenfalls festgehalten werden, dass sie erstens jeweils ein (äußerlich nach dem Verhalten und/ oder innerlich nach den Beweggründen bestimmtes) Übereinstimmen für maßgeblich halten und dass zweitens den Gegenstand dieses Übereinstimmens eingedenk der tatbestandsspezifischen Eigenart der Personengruppe das Bedrängen einer vom Täter verschiedenen Person bilden muss. Die Unterschiede zwischen den vorgestellten Begriffsinterpretationen verwischen um ein Weiteres, wenn man bedenkt, dass auf ein ggf. verlangtes inneres Zusammenhalten in der Praxis regelmäßig nur aus dem äußerlichen Verhalten wird geschlossen werden können, ein äußerlich erkennbarer Vollzug inneren Zusammenhalts mithin regelmäßig als Anknüpfungspunkt für eine Schlussfolgerung auf sein Bestehen dienen wird.85 27 So gelangen i.Erg. alle hier skizzierten Ansätze letztlich zu dem vom Gesetzgeber vorausgesetzten Befund, dass sich nicht gem. § 184j strafbar macht, wer beispielsweise die U-Bahn nutzt, während ein anderer Mitfahrer die räumliche Enge in der Bahn zur Begehung einer Straftat ausnutzt. Das gilt auch dann, wenn man von einem so gearteten Verhalten eines anderen Mitfahrers Kenntnis erlangen sollte (BTDrucks. 18/9097 S. 31). In diesem Fall ist der Einzelne Teil einer bloßen Ansammlung von Passagieren eines öffentlichen Verkehrsmittels, sei es, dass man dieses Ergebnis auf einen Mangel an einem gruppenkonstituierenden inneren Zusammenhalt, an äußerlich gleichförmigen Handlungen des Bedrängens oder an einem einheitlichen Bedrängen, Bedrängensobjekt und Bedrängenswillen zurückführt. Im Übrigen herrscht, soweit ersichtlich, Einigkeit darüber, dass sich die der Gruppe angehörenden Personen weder für längere Zeit zusammenschließen noch eine sonstige engere Verbindung aufweisen müssen. Sie müssen einander auch nicht kennen. Das Merkmal der Personengruppe kann damit auch bei spontanen Zusammenkünften von min. drei Personen oder in sog. ad hoc-Gruppen (z.B. auf Veranstaltungen) gegeben sein.86
28 b) Bedrängen. Ausweislich der Gesetzesmaterialien bedrängt die Personengruppe eine andere Person, wenn sie diese mit Nachdruck an der Ausübung ihrer Bewegungsfreiheit oder ihrer sonstigen freien Willensbetätigung hindert. Hinreichend ist, dass die Gruppe mit einer gewissen Hartnäckigkeit auf die Person einwirkt (BTDrucks. 18/9097 S. 31). Die Einwirkung muss also die Grenze sozialadäquater oder bagatellartiger Beeinträchtigung überschreiten.87 Diesen Anforderungen genügt das nur kurzfristige Versperren des Weges nicht. Gleiches gilt für eine kurzfristige Einschüchterung durch die lautstarke Präsenz einer beispielsweise grölenden Gruppe (a.a.O. S. 31). 29 Die Literatur füllt diese Vorgaben der Gesetzesbegründung weiter aus, indem sie klarstellt, dass es weder eines Umringens oder Umdrängens noch einer körperlichen Berührung der be-
84 Einheitlichkeit des Angriffs, des Angriffsgegenstandes und des Angriffswillens; BGHSt 2 160, 162 f; 31 124, 126 f; 33 100, 102; Eschelbach BeckOK § 231 Rdn. 9; Hohmann MK § 231 Rdn. 12; Popp LK12 § 231 Rdn. 12; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben § 231 Rdn. 3. Demgegenüber abgewandelt bei Paeffgen/Böse NK § 231 Rdn. 3: Gleichgerichtetheit des Angriffs und des Angriffswillens, Einheitlichkeit des Angriffsopfers, wobei offenbleibt, ob in Abweichung von der „Ursprungsformel“ damit auch das Nebeneinander gleichgerichteter Handlungen genügen soll. 85 Gegen einen problematischen Schluss von rein äußerlichen Kriterien auf innere Einstellungen Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, 502. 86 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 6; Fischer Rdn. 7; ders. FS Neumann 1089, 1095; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Noltenius SK Rdn. 6; SSW/Wolters Rdn. 6. 87 Zur notw. Überschreitung der Grenze des Sozialadäquaten Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 9; Ziegler BeckOK Rdn. 4; des Bagatellartigen Lederer AnwK Rdn. 6; Renzikowski MK Rdn. 11; SSW/Wolters Rdn. 7. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
§ 184j
drängten Person bedarf.88 Nicht erforderlich ist auch eine tatbestandsmäßige Freiheitsberaubung oder Nötigung.89 Jedoch setzt das Merkmal des Bedrängens den Eintritt eines gruppenbezogenen Bedrängenserfolgs voraus (Hinderung an der Ausübung der Bewegungsfreiheit oder sonstigen freien Willensbetätigung). Die Literatur konkretisiert dies, indem sie den Erfolg mit einer Einschränkung von Flucht- und Abwehrmöglichkeiten oder der Herstellung einer verletzungsfördernden Situation körperlicher Unterlegenheit identifiziert: Bedrängen setze ein „körperlich ausgeführtes Verhalten“ voraus, „das eine andere Person in ihrer Flucht- oder Abwehrmöglichkeit einschränkt oder in eine Situation körperlicher Unterlegenheit bringt, welche die Verletzung ihrer Rechtsgüter objektiv oder subjektiv erleichtert“ (Fischer Rdn. 9; ähnl. Matt/ Renzikowski/Eschelbach Rdn. 8; Hofmann Praxis der Rechtspsychologie 2017 7, 15 f). Beide (in den Gesetzesmaterialien – Rdn. 28 – und der Literatur) vorgestellten Definitionen fokussieren damit nur einen Aspekt des unterstellten erhöhten Gefahrenpotenzials einer bedrängenden Gruppe: die Beeinflussung der Betätigung des (jedenfalls aktuellen; vgl. § 23990) Willens einer anderen Person durch die Einschränkung ihrer Flucht- und Verteidigungsmöglichkeiten. Demgegenüber bilden die Definitionen nicht ab, dass bereits die wechselseitige Bestätigung und Enthemmung der Gruppenbeteiligten Teil des vom Gesetzgeber angenommenen erhöhten Gefahrenpotenzials ist (Rdn. 2). Entsprechendes gilt für sozialpsychologische Erkenntnisse zu einer möglichen straftatfördernden Deindividuation (Rdn. 18). Beides hätte gute Gründe geboten, um das Bedrängen i.S.d. § 184j dergestalt zu begreifen, dass es unabhängig von einer Einflussnahme auf die körperliche Fortbewegungsfreiheit oder sonstigen Freiheit zur Betätigung eines entgegenstehenden Willens bejaht werden kann, sodass das Gesetz auch das Bedrängen derjenigen Person erfasste, die aufgrund ihrer individuellen Konstitution allgemein körperlich unterlegen ist (sodass sie nicht erst durch die Übermacht der Gruppe in eine Situation körperlicher Unterlegenheit gebracht wird) und von vorherein über keinerlei Flucht- und Abwehrmöglichkeiten verfügt (sodass sie diesbezüglich durch die Gruppe nicht weiter eingeschränkt werden kann). So aber wird das gruppenspezifische Gefahrenpotenzial verkürzt abgebildet, der Anwendungsbereich der Vorschrift gemessen am Gesetzeszweck beschnitten.
c) Bedrängen durch die Personengruppe. Weil der Gesetzeswortlaut voraussetzt, dass die 30 Gruppe selbst und nicht nur Einzelne aus der Gruppe eine andere Person bedrängen („sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person […] bedrängt“), muss die Personengruppe i. B. auf das Bedrängen als Einheit (bedrängende Personengruppe) begriffen werden können.91 Insofern wird neuerlich die Verschränkung des einer unterschiedlichen Auslegung zugänglichen Begriffs der Personengruppe mit dem des Bedrängens offenbar: Erforderlich ist ein Bedrängen, das Gegenstand eines inneren Zusammenhalts der Gruppe ist („subjektive“ Auslegung: Übereinstimmen über das Bedrängen; Rdn. 24), das äußerlich gleichförmig von den Gruppenmitgliedern vollzogen wird („objektive“ Auslegung: Übereinstimmen im Bedrängen) oder bezüglich dessen in Anlehnung an § 231 sowohl ein einheitliches Bedrängen als auch ein ein-
88 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 949; Noltenius SK Rdn. 9; zum entbehrlichen Körperkontakt Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 8; Fischer Rdn. 9; Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 53. 89 Renzikowski MK Rdn. 11; Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 53 f; zur Entbehrlichkeit einer „Nötigungskomponente“ Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. S. aber auch Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, 503 zu einer praktischen Ununterscheidbarkeit von Nötigung und Freiheitsberaubung einerseits, Bedrängen andererseits. 90 Zum Schutz jedenfalls der aktuellen, nach h.M. auch der potenziellen Fortbewegungsfreiheit durch § 239 s. etwa Sch/Schröder/Eisele § 239 Rdn. 1; Wieck-Noodt MK § 239 Rdn. 3 jew. m.w.N. 91 Vgl. Noltenius SK Rdn. 8, die für eine solche Einheit eine einheitliche Willensbildung hins. des Bedrängens voraussetzt; Fischer Rdn. 8 („von der Gesamtheit der Gruppe getragene Handlung des Bedrängens“); diesbezügl. für eine zumindest konkludent hergestellte Übereinstimmung Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5 u. auch 6. 505
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§ 184j
Straftaten aus Gruppen
heitliches Objekt des Bedrängens wie ein einheitlicher Wille zum Bedrängen festgestellt werden können (jew. Rdn. 25). 31 Hierzu kann weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien unmittelbar entnommen werden, welche näheren Anforderungen an das notwendige Übereinstimmen oder einheitliche Wollen zu stellen sind. Jedoch halten die Materialien wenigstens hins. des Sich-Beteiligens an der Gruppe ausdrücklich fest, dass es hierfür keines bewussten und gewollten Zusammenwirkens i.S.d. § 25 Abs. 2 bedarf (BTDrucks. 18/9097 S. 31). Gemeinsam mit dem Tatbild, das der Tatbestandsbildung zugrunde liegt, erlaubt dies entgegen anderslautenden Stimmen den Schluss, dass nicht nur die von § 184j vorausgesetzte Tathandlung des einzelnen Täters (SichBeteiligen), sondern auch das von der Vorschrift in Bezug genommene bedrängende Vorgehen der Personengruppe nicht in Umsetzung eines gemeinsamen Tatplans erfolgen muss.92 Denn das Tatbild des § 184j ist geprägt von einem unkoordinierten, sich dynamisch entwickelnden Geschehen, das nicht notwendigerweise von einer gemeinsamen Absprache getragen ist. Selbst wenn im Einzelfall ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken vorliegen sollte, wäre im Übrigen der Nachweis eines solchen Tatplans im einen wie im anderen Falle (Tatplan über das bedrängende Vorgehen der Gruppe einerseits, über das Sich-Beteiligen des Täters an der Gruppe andererseits) erschwert, sodass der willkommene Reflex der Vorschrift, Beweisschwierigkeiten zu vermeiden (Rdn. 14), verfehlt würde. Bedarf es einer mittäterschaftlichen Verbindung demnach nicht, müssten für ein subjektiv verstandenes Überstimmen (über das Bedrängen) auch nur koordiniert93 vorgenommene bedrängende Handlungen genügen, die in einem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, sodass sie als äußerlich erkennbarer Vollzug eines einschlägigen inneren Zusammenhalts gedeutet werden können.94 Ein rein äußerliches Übereinstimmen im Bedrängen könnte darüber hinaus auch bedrängende Handlungen mehrerer genügen lassen, die nur situativ zusammentreffen (kumulieren), ohne dass diesbezüglich eine Koordination oder gar Kooperation festgestellt werden kann. Für ein einheitliches Bedrängen mit einheitlichem Willen zum Bedrängen genügte dies wiederum nicht.95
32 d) Bedrängen einer anderen Person. Der Gesetzeswortlaut lässt es grundsätzlich zu, dass die bedrängte „andere Person“ selbst Mitglied der Gruppe ist96 (s. aber sogleich Rdn. 33). Zwar setzt ein Relativsatz die „andere Person“ in eine unmittelbare Beziehung zur – durch diesen Relativsatz näher bestimmten – Personengruppe („an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person […] bedrängt“). Weil die Personengruppe als solche (als Personengesamtheit) aber keine Person ist, kann sie ungeachtet dessen schwerlich einer „anderen Person“ unterscheidend gegenübergestellt werden (anders, wenn man von der einen Personengruppe A und der anderen Personengruppe B oder von der einen Person A und der anderen Person B schrie92 Vgl. Hoven/Weigend JZ 2017 182, 190, welche die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien zu einer verneinten Anwendung des § 25 Abs. 2 schon auf das Bestehen einer Gruppe selbst beziehen; aA Noltenius SK Rdn. 8 (für die Notwendigkeit eines gemeinsamen Tatentschlusses zum Bedrängen); Fischer Rdn. 9 f (für Tatentschluss und Zurechnung gem. § 25 Abs. 2); SSW/Wolters Rdn. 7 (für ein willentliches Zusammenwirken). 93 Koordiniert i.S.v. „sich dem betätigten Entschluss der anderen einpassen[d]“, ohne dass hieraus ein gemeinsamer Tatplan erwächst; Zitat aus Stuckenberg FS Rengier 353, 355. Nach aA genügte ein so verstandenes „koordiniertes“ Handeln allerdings bereits den Anforderungen der Mittäterschaft; s. etwa Jakobs AT 21/43; ders. Theorie der Beteiligung (2014) S. 24 f; Lesch ZStW 105 (1993) 271, 283 ff; weitere Nachw. bei Stuckenberg a.a.O. m. Fn. 21. 94 Vgl. Stuckenberg FS Rengier 353, 355: „eine aus dem Verhalten erkennbare Absicht, also […] objektiv manifestierte Finalität des Schwarmverhaltens“. 95 Vgl. BGHSt 31 124; Hohmann MK § 231 Rdn. 12; anders ggf., wenn man einen gleichgerichteten Angriff und Angriffswillen bei Einheitlichkeit des Angriffsopfers verlangt (vgl. die Formulierung bei Paeffgen/Böse NK § 231 Rdn. 3 u. s. schon oben Fn. 84). 96 Fischer Rdn. 8; SSW/Wolters Rdn. 7; ein tatbestandsmäßiges Bedrängen eines Gruppenmitglieds abl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 7; Renzikowski MK Rdn. 11; ebenso abl. schon WD 7 – 3000 – 113/16 S. 17. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
§ 184j
be). In einer alternativen Lesart ist daher die „andere“ Person von dem im einleitenden Relativsatz zur Erwähnung gelangenden Täter („Wer eine Straftat dadurch fördert, dass […]“) abzugrenzen, zu dem immerhin eine mittelbare Beziehung ausgemacht werden kann, wenn die Beschreibung dessen fördernden Verhaltens im modalen Nebensatz („dadurch fördert, dass […]“) den Begriff der Personengruppe einschließt, an welchen subordiniert die „andere“ Person angeschlossen ist. Der Wortlaut stellte demnach zunächst (s. Rdn. 33) nur klar, dass sich das bedrängende Gruppenvorgehen gegen eine vom Täter verschiedene Person richten muss (i.Erg. übereinstimmend Fischer Rdn. 8; SSW/Wolters Rdn. 7). Notwendig bleibt aber eine Übereinstimmung der Gruppe im oder über das Bedrängen oder 33 eine Einheitlichkeit von Bedrängen, Bedrängensobjekt und -willen, welche die Personengruppe jeweils erst als Subjekt des Bedrängens ausweist (Rdn. 24 f). Da die bedrängte Person eine solche Übereinstimmung oder Einheitlichkeit, die ihr eigenes Bedrängtwerden einschließt, nicht teilen wird, kann das Bedrängen eines (ehemaligen) Gruppenmitglieds nur dann tatbestandsmäßig sein, wenn min. drei weitere (vom bedrängten Mitglied zu unterscheidende) Beteiligte dies wollen bzw. ihre bedrängenden Handlungen auf das ehemalige Mitglied richten.97 Denn nur für diesen Fall vermögen die min. drei weiteren Beteiligten kraft der hergestellten Übereinstimmung oder Einheitlichkeit wiederum eine Gruppe i.S.d. § 184j zu bilden, deren Bedrängen nunmehr gegen ein früheres Mitglied ihrer Gruppe gerichtet ist. Weil dieses frühere Mitglied an der neu gebildeten Übereinstimmung oder Einheit nicht teilhat, ist es selbst nicht Teil der sich gegen es formierenden Gruppe, sondern gehört allenfalls einer weiter gefassten Personengesamtheit an, in welche die tatbestandsmäßige Personengruppe eingebettet ist. Mithin setzt § 184j nicht notwendigerweise eine bedrängende Hinwendung auf einen von vornherein außenstehenden Dritten voraus, der zu keinem Zeitpunkt in die tatbestandsmäßige Gruppe und deren Personenumfeld eingebunden gewesen wäre. Innerhalb einer Personengesamtheit können sich infolge eines Wechsels des gruppenkonstituierenden Übereinstimmens, Handelns oder Wollens vielmehr Gruppen bilden und auch wieder auflösen, sodass z.B. ein Mitglied (Person A) der einen Gruppe (A, B, C), die Person D bedrängt, zum Objekt des Wollens oder Handelns einer neu gebildeten anderen Gruppe (B, C, D) werden kann, die zwischenzeitlich über bzw. in einem Bedrängen seiner eigenen Person (A) übereinstimmt oder ihr einheitliches Bedrängen gegen es wendet.98
e) Zur Begehung einer Straftat an ihr. Die Personengruppe muss eine andere Person außer- 34 dem „zur Begehung einer Straftat an ihr“ bedrängen. Diese „Straftat“ ist nicht mit dem Bedrängen identisch.99 Sie ist außerdem von der Tat nach den §§ 177 oder 184i zu unterscheiden, welche in den Tatbestand des § 184j als objektive Strafbarkeitsbedingung integriert ist. Mithin bedarf es keines Bedrängens gerade zum Zweck der Begehung eines Sexualdelikts.100 Während die vergleichsweise sperrig anmutende Formulierung von der „Begehung einer Straftat an ihr“ zunächst Assoziationen des Inhalts weckt, dass sich die in Bezug genommene Straftat gegen den Körper der anderen Person richten müsste (sodass sie buchstäblich „an ihr“ begangen würde),101 soll die Vorschrift ausweislich des in der Silvesternacht 2015/16 offenbar gewordenen Tatbilds und des hieran anknüpfenden Gesetzeszwecks aber gleichsam die vielfältigen Möglichkeiten eines Zusammentreffens von Eigentums- und Sexualdelikten abbilden (Rdn. 5). Entsprechend nennt die unter dem Eindruck der Silvesternacht 2015/16 verfasste Gesetzesbegründung 97 Entspr. SSW/Wolters Rdn. 7. 98 Ähnl. Fischer FS Neumann 1089, 1096. 99 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 10; Noltenius SK Rdn. 10; Renzikowski MK Rdn. 12. 100 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 10; Fischer Rdn. 12; Noltenius SK Rdn. 10; Ziegler BeckOK Rdn. 5. 101 Dies erwägend Fischer FS Neumann 1089, 1096; vgl. auch ders. Rdn. 12, der einerseits von Taten schreibt, die „sich in irgendeiner Weise gegen den Körper der bedrängten Person richten“ (i.S. e weiten Verständnisses, sodass auch ein Diebstahl erfasst wäre), andererseits aber auch Delikte wie Betrug und Beleidigung nicht ausschließt. 507
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§ 184j
Straftaten aus Gruppen
als typischen Bezugspunkt des Bedrängens nicht nur die Begehung von Körperverletzungsdelikten, sondern ebenso diejenige von Vermögensdelikten (BTDrucks. 18/9097 S. 31). Mit Blick hierauf wird man der Formulierung „an ihr“ in § 184j keine Bedeutung beimessen dürfen, die über die Bezeichnung der Person hinausginge, welche von der „an ihr begangenen“ oder „gegen sie gerichteten“ Straftat betroffen ist.102 Hinreichender Zweck ist die Begehung irgendeiner rechtswidrigen Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5) zulasten eines Rechtsguts der bedrängten Person („an ihr“).103 Für diese Zwecksetzung ist nach dem Gesetzeswortlaut, nach dem die Personengruppe eine 35 vom Täter verschiedene Person zur Begehung einer Straftat bedrängt, wiederum die Gruppe selbst maßgeblich (Gruppenzweck; vgl. schon zum Bedrängen Rdn. 30 f). Als Gegenstand eines für die Gruppe konstitutiven innerlichen Übereinstimmens über das Bedrängen (Rdn. 24) oder einheitlichen Willens zum Bedrängen (Rdn. 25) genügte mithin nicht jegliches Bedrängen zu einem beliebigen Zweck, sondern nur solches, das gerade auf die Begehung einer Straftat gerichtet ist. Da es eine „Absicht“ des Gruppenkollektivs oder der Gruppeneinheit als solche nicht gibt,104 die Gruppe selbst ihren Zweck also nicht findet, sondern darauf angewiesen ist, dass ihr dieser von anderen zugedacht wird, wäre man in einer durch Willensbildung oder über einen einheitlichen Willen vermittelten Gruppenkonstitution letztlich auf die Gruppenmitglieder zurückgeworfen, die einen solchen – das Merkmal der bedrängenden Personengruppe konkretisierenden105 – Finalzusammenhang durch ihre Willensbildung herstellen.106 Entsprechend wird in der einschlägigen Kommentarliteratur unterschiedlich ein auf die Straftatbegehung gerichteter Tatplan der Gruppenmitglieder oder die Absicht jedes einzelnen Gruppenmitglieds – also von min. drei Personen – zur Begehung einer Straftat verlangt.107 Aber auch Autoren, denen zufolge schon ein äußerliches Übereinstimmen im Bedrängen zur Konstitution einer Personengruppe genügen könnte (Rdn. 25), schreiben von einem gemeinsamen Tatplan oder der Absicht der Gruppenmitglieder;108 teils soll sogar schon die Deliktsabsicht nur eines Gruppenmitglieds oder mehrerer genügen.109 Dabei ginge die Notwendigkeit eines Tatplans darüber hinweg, dass es nach dem gesetzgeberischen Willen auf ein gemeinschaftliches Wollen der Gruppenmitglieder gerade nicht ankommen soll (Rdn. 31); das Absichtserfordernis wiederum brachte als strafbegründende Voraussetzung solches in das Gesetz ein, was § 184j immerhin ausweislich seines Wortlauts nicht verlangt: die der Tatbestandsverwirklichung vorausgesetzte Zweckfindung 102 Zur Gleichstellung von „an ihr“ und „gegen sie“ s. WD 7 – 3000 – 113/16 S. 17 f; Fischer FS Neumann 1089, 1096; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 10; Renzikowski MK Rdn. 12; SSW/Wolters Rdn. 8.
103 Explizit von irgendeiner vorsätzlichen rechtswidrigen Tat schreibend Noltenius SK Rdn. 10; von irgendeiner Straftat Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Renzikowski MK Rdn. 12; Ziegler BeckOK Rdn. 5; Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, 503; vgl. zum Begriff der Straftat die Ausführungen in Rdn. 47 nebst Hinweis in Fn. 170. 104 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 11; Fischer FS Neumann 1089, 1095; Hoven/Weigend JZ 2017 182, 190; so auch Roxin FS Merkel 973, 976. 105 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Noltenius SK Rdn. 10, nach der „die Absicht, eine Straftat zu begehen“, gar „Teil der Gruppenkonstitution [ist], so dass die Wendung wohl ein objektives Merkmal darstellt“; ähnl. Renzikowski MK Rdn. 13 („[e]rst die deliktische Absicht konstituiert die Personengruppe“). 106 WD 7 – 3000 – 113/16 S. 19. 107 Aus der an ein inneres Übereinstimmen anknüpfenden Kommentarliteratur Fischer Rdn. 11 (für einen Tatplan der Gruppenmitglieder u. ein „Ziel des Bedrängens“); ders. FS Neumann 1089, 1095 f (für eine „Straftatabsicht“ nach der „subjektive[n] Zielsetzung der einzelnen Gruppenmitglieder“); Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 10 u. Ziegler BeckOK Rdn. 5 (jew. für „Absicht jedes einzelnen Gruppenmitglieds“); unter Vorbehalt einer Einheitlichkeit des Bedrängungswillens für die Absicht jedes einzelnen Gruppenmitglieds WD 7 – 3000 – 113/16 S. 19; jenseits dieser Kategorien auch für die deliktische Absicht einer Gruppe Renzikowski Handbuch des Strafrechts IV § 11 Rdn. 79 („in der Sache der gemeinsame Tatplan bei Mittäterschaft“); entspr. Renzikowski MK Rdn. 13; Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, 503. 108 SSW/Wolters Rdn. 8 für einen „gemeinsamen Tatplan bei der Mittäterschaft“ und m. Zust. zum Absichtserfordernis bei Fischer FS Neumann 1089, 1095 f. 109 Roxin FS Merkel 973, 976 („schon die Deliktsabsicht eines Gruppenmitglieds oder mehrerer Mitglieder zur Tatbegehung ausreich[end]“). Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
§ 184j
gleich Zielsetzung der Gruppenindividuen.110 Beide Voraussetzungen führen den Rechtsanwender außerdem auf Beweisschwierigkeiten zurück, deren Vermeidung dem Gesetzgeber anlässlich der Einfügung des § 184j in das StGB wenigstens willkommen war (s.o. Rdn. 14). Als Folge des gewählten Gesetzeswortlauts, nach dem die Präposition „zu“ eine finale Verbindung zu etwas subjektiv Erstrebtem herstellt und keine kausal-konsekutive Beziehung zwischen dem Mittel des Bedrängens und einem objektiv tatsächlich eintretenden Ergebnis benennt (i.S.v. eine andere Person bedrängen, um eine Straftat an ihr zu begehen; nicht: eine andere Person bedrängen, sodass deshalb eine Straftat begangen wird),111 ist dies hinzunehmen, eine Objektivierung des Merkmals ausgeschlossen. Ebenso muss es wohl ausscheiden, den Gruppenzweck aus der Perspektive eines objektiven Beobachters, der die Richtung der äußerlich bedrängenden Handlungen betrachtet, bestimmen zu wollen. Denn aus einer solchen Außenperspektive mag man den Anschein des Zwecks fremden Verhaltens beurteilen können, nicht aber den tatsächlichen Zweck finden, was den die Handlung Ausführenden vorbehalten bleibt.112
2. Sich-Beteiligen Der Täter muss sich an der Personengruppe beteiligen, die im oben dargestellten Sinne eine ande- 36 re Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt. Der Begriff des Sich-Beteiligens soll wie im Rahmen des § 231113 nicht i.S.d. §§ 25 bis 27 zu verstehen sein, sondern bestimmt sich nach einem „umgangssprachlichen Verständnis“. D.h., in Abgrenzung zu einer Beteiligung als Täter oder Teilnehmer (vgl. § 28 Abs. 2) bedarf es gerade keines bewussten und gewollten Zusammenwirkens (§ 25 Abs. 2), wie die Gesetzesmaterialien ausdrücklich erläutern (BTDrucks. 18/9097 S. 31), und aufgrund der Bezugnahme auf die §§ 26, 27 ebenso keines Verhaltens, das den Voraussetzungen einer Anstiftungs- oder Beihilfehandlung genügen würde. Indem der Gesetzgeber von einem „umgangssprachlichen Verständnis“ schreibt,114 grenzt er das Sich-Beteiligen gem. § 184j (wie auch schon das Sich-Beteiligen gem. § 231115) also negativ von einer Beteiligung gem. den Zurechnungsnormen der §§ 25 bis 27 ab. Mit Blick auf das von § 184j zu erfassende Tatbild,116 in dem sich Täter spontan formieren, ohne notwendig eine gemeinsame Abrede zu treffen oder ihr Tun auf das Unrecht eines Anderen auszurichten, ist dies folgerichtig. § 184j normiert ein eigenständiges täterschaftliches Unrecht; entsprechend muss die Tathandlung auch nicht an die für eine Zurechnung fremden Unrechts erforderlichen Voraussetzungen gebunden sein. Die durch § 184j einerseits und § 27 andererseits sanktionierten Handlungen mögen einander so zwar häufig in ihrem äußeren Er110 Darauf auch hinweisend Renzikowski MK Rdn. 13; Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, 503. 111 Vgl. Duden Dt. Universalwörterbuch S. 2112 m. Stichwort „zu“ (Präposition mit Dativ), Ziff. 5 zur finalen Bedeutung der Präposition (Ausdruck eines Ziels), Ziff. 6 zur kausalen Bedeutung (Kennzeichnung des Ergebnisses einer Handlung). 112 Vgl. aber auch Eisele, der etwas uneindeutig von einem „Gruppenzweck bzw. [der] Intention der Gruppenmitglieder“ schreibt, die „bei objektiver Betrachtung auf eine Straftat gerichtet sein muss“; Zitat aus Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 6 (kursive Hervorhebungen nur hier); entspr. ders. RPsych 2017 7, 26; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 949. Ein Verweis u.a. auf Fischer nebst dem Verlangen einer zumindest konkludent hergestellten Übereinstimmung a.a.O. lässt allerdings annehmen, dass die ggf. auch aus den objektiven Umständen abgeleitete Intention der einzelnen Mitglieder und nicht die objektive Drittzuschreibung eines Zwecks der Personengesamtheit gemeint ist. 113 Fischer § 231 Rdn. 8; Hohmann MK § 231 Rdn. 15; Popp LK12 § 231 Rdn. 15; Pichler StRR 2016 4, 5. 114 Krit. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 3, 11, 13; Bezjak KJ 2016 557, 569; Lederer AnwBl. 2017 514, 515. 115 In historischer Hinsicht weist Pichler darauf hin, dass das umgangssprachliche Verständnis des Sich-Beteiligens in § 231 auf eine entsprechende Änderung der preußischen Vorgängernorm im Jahre 1856 zurückgeht. Zielsetzung dieser Änderung war es gerade, das Sich-Beteiligen an einer Schlägerei von den Teilnahmeformen der Anstiftung und Beihilfe abzugrenzen (Materialien GA 1856, 117); Pichler StRR 2016 4, 5. 116 Vgl. Hörnle Anl. D.II.10.a zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 1016, 1034. 509
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§ 184j
Straftaten aus Gruppen
scheinungsbild entsprechen, sind darüber hinaus aber unterschiedlich ausgerichtet, wenn die eine eigenes täterschaftliches Unrecht verwirklicht, während die andere eine Hilfeleistung zu fremdem Unrecht (vorsätzliche rechtswidrige Haupttat) ist. Vor diesem Hintergrund ist es auch wenigstens irreführend, § 184j verfassungskonform auslegen zu wollen, indem man das tatbestandsmäßige Sich-Beteiligen den Voraussetzungen des § 27 unterwürfe.117 Denn vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung zwischen der Judikative und der unmittelbar demokratisch legitimierten Legislative (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) „darf (…) verfassungskonforme Auslegung das gesetzgeberische Ziel [nicht] in einem wesentlichen Punkte verfehlen oder verfälschen“;118 auf diesem Weg würde aber die ausdrücklich angestrebte Unterscheidung zwischen dem Sich-Beteiligen nach § 184j und der Beihilfe nach § 27 aufgegeben. 37 Allerdings vermisst man in den Gesetzesmaterialien Angaben dazu, wie ein Sich-Beteiligen i.S.d. Vorschrift positiv (d.h. über die negative Abgrenzung zu den §§ 25 bis 27 hinaus) zu verstehen ist. Vor dem Hintergrund der obenstehenden Erläuterungen ist jedenfalls ein einseitiges Sich-Beteiligen hinreichend.119 Der Täter kann sich an den bedrängenden Aktionen einer Gruppe aus min. drei Personen beteiligen oder auch erst die für eine Personengruppe notwendige Mindestanzahl an drei bedrängenden Gruppenmitgliedern komplettieren, indem er mit zwei anderen Mitgliedern eine andere Person bedrängt.120 Wendet man den Blick wiederum vergleichend auf § 231 und bringt die dort entwickelten Grundsätze zum Sich-Beteiligen an einer Schlägerei oder einem von mehreren verübten Angriff entsprechend zur Anwendung,121 wird man außerdem einen aktiven Beitrag des Täters zum Bedrängen einer anderen Person durch die Gruppe fordern müssen, der physisch oder – wie im Falle des Anfeuerns – auch psychisch wirken kann.122 Wer hingegen lediglich anwesend ist (bzw.: sich nicht entfernt), das Bedrängen durch die Gruppe nur still betrachtet oder diesem sogar entgegenzuwirken sucht, verwirklicht die Voraussetzungen an ein tatbestandsmäßiges Sich-Beteiligen nicht, weil er auf diesem Weg noch keinen Anteil an dem Gefahrenpotenzial hat, das dem Bedrängen aus der Gruppe anhaftet.123 Da sein Verhalten die von der bedrängenden Personengruppe ausgehende Gefährdung weder begründet noch verstärkt oder im Fall des schlichtenden Eingreifens sogar verringert, kann es nicht zum Begehungstatbestand des § 184j zugerechnet werden.124 Entsprechend genügt ein inaktives „Dasein“ auch dem Tatbestand des § 125 (Landfriedensbruch) nicht.125 117 Bezjak ZStW 130 (2018) 303, 317; dies. KJ 2016 557, 570. 118 BVerfGE 8 28, 34. 119 Vgl. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 14; Hörnle NStZ 2017 13, 21; Eisele RPsych 2017 7, 26; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 949; Fischer FS Neumann 1089, 1095. 120 Fischer FS Neumann 1089, 1095. 121 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 231 Rdn. 4; einschr. Popp LK12 § 231 Rdn. 15 f, 18. 122 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Eisele RPsych 2017 7, 27; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 950; Bezjak KJ 2016 557, 570 (jew. verfassungskonforme Auslegung); Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 14 (jedoch mit Zweifeln an der Unterscheidbarkeit von Aktivität und Anwesenheit im Rahmen des § 184j); zw. SSW/Wolters Rdn. 9; aA wohl Fischer Rdn. 13 („jede räumliche Einfügung in die Gruppe“). 123 So i.Erg. zur Anwesenheit Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Eisele RPsych 2017 7, 26 f; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 14; Renzikowski MK Rdn. 16; auch Bezjak KJ 2016 557, 570; Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/ Bock S. 49, 55; Roxin FS Merkel 973, 975; aA noch Laue HK-GS Rdn. 2; Bauer RuP 2017 46, 56; Renzikowski NJW 2016 3553, 3557 (jew. m. daran anknüpfender Kritik); zw. Fischer Rdn. 13 hins. des „bloße[n] ‚Dabeistehen[s]‘“ oder einer Person, die „sich nicht entfernt“; uneindeutig Noltenius SK Rdn. 2 („genügt für seine Strafbarkeit die bloße Anwesenheit, sein Dasein“), 7 („rein körperliche [passive] Anwesenheit nicht ausreichen[d]“); SSW/Wolters Rdn. 9 („bleibt unklar“), 12 („passives Dabeistehen genügen[d]“). 124 Zurechnung i.S. e. Realisierung der Gefährlichkeit der Gruppeninteraktion (keine individuelle Zurechnung); vgl. klarstellend Popp LK12 § 231 Rdn. 27. 125 Diesbzgl. Vergleich von § 184j und § 125 bei Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Eisele RPsych 2017 7, 27; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 951. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
§ 184j
3. Dadurch eine Straftat fördern Während der erste Entwurf eines „sexuellen Missbrauchs aus Gruppen“ im Eckpunktepapier 38 v 1.6.2016 noch kein Merkmal des Förderns enthielt,126 setzt § 184j nunmehr voraus, dass der Täter eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer eine andere Person zur Straftatbegehung bedrängenden Personengruppe beteiligt. Schaut man allein auf den Gesetzeswortlaut, bleibt dabei zunächst offen, ob es des Eintritts eines besonderen, von der vorgenannten Gruppenbeteiligung zu unterscheidenden Förderungserfolgs bedarf.127 Denn mit dem Adverb „dadurch“ kann einerseits ein Mittel oder Verfahren benannt werden, das zum Erreichen eines nachfolgend eintretenden Erfolgs zur Verwendung kommt (durch die Inanspruchnahme eines Mittels tritt ein Erfolg ein, z.B., ein Patient hat ein Medikament eingenommen und wird, wie gesondert festgestellt wird, dadurch wieder gesund).128 Es kann andererseits aber auch (häufig synonym zu „indem“ verwendet) die Art und Weise eines wirkungsbehafteten Verhaltens umschreiben bzw. den Grund für eine Wirkung bezeichnen, die diesem Grund unmittelbar anhaftet, sich also gleichzeitig mit ihm realisiert (indem oder dadurch, dass eine Person etwas macht, tritt unmittelbar eine Wirkung ein, z.B., indem oder dadurch, dass jemand Blumen verschenkt, bringt er seinen Dank zum Ausdruck; indem oder dadurch, dass eine Lehrkraft andere unterrichtet, lernt sie selbst noch einiges dazu).129 Während man den Fokus im zuerst genannten Fall auf einen sich sukzessiv verwirklichenden Zusammenhang von Ursache und Wirkung legt, man also nach dem Warum oder Wodurch (der Ursache) eines gesondert eintretenden Erfolgseintritts fragt, richtet sich der Blick im zweiten Fall auf das Wie oder die Art und Weise, auf die eine dem Verhalten unmittelbar anhaftende Eigenschaft verwirklicht wird. Im vorstehend gewählten Sprachbeispiel betrachtete man also nicht den Lernerfolg, der (wodurch?) durch ein Unterrichten erzielt worden ist und den man gesondert feststellt, indem man etwa nach der Unterrichtsstunde den Wissensstand der Lehrkraft überprüft, sondern brachte zum Ausdruck, dass das Unterrichten selbst lehrreich ist, dem Vollzug der Handlung selbst also unmittelbar eine wissensmehrende Eigenschaft (Art und Weise) anhaftet. Für die grammatikalische Auslegung des § 184j heißt das zunächst, dass der Wortlaut des Gesetzes sowohl ein solches Verständnis der Vorschrift deckt, nach dem selbige den Eintritt eines besonderen, von der Gruppenbeteiligung des Täters zu unterscheidenden Förderungserfolgs verlangt, als auch ein solches, nach dem § 184j nur klarstellend die (straftatfördernde) Wirkung zum Ausdruck bringt, welche dem SichBeteiligen des Täters an der bedrängenden Gruppe unmittelbar anhaftet. Beide grammatikalisch hergeleiteten Normverständnisse werden in der Literatur – in 39 unterschiedlicher Ausformung – vertreten. Dem ersteren Verständnis von einem notwendigen Förderungserfolg folgt insb. jene Auslegung, welche für die Verwirklichung des § 184j die Förderung (Erleichterung, vgl. § 27) einer rechtswidrigen Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5)130 verlangt, die mindestens in das Stadium eines strafbaren Versuchs gelangt sein muss (Renzikowski MK Rdn. 15).131 Ebenso verlangt einen eigenständigen unrechtsbegründenden Förderungserfolg, 126 Högl/Winkelmeier-Becker u.a. Eckpunktepapier zur Reform des Sexualstrafrechts (Fn. 4) S. 8. 127 Für einen diesbezügl. offenen Wortlaut auch Hoven/Weigend JZ 2017 182, 190; aA Renzikowski MK Rdn. 16, welcher der Gegenansicht eine Korrektur des Gesetzeswortlauts zum Vorwurf macht.
128 Duden Dt. Universalwörterbuch S. 396 m. Stichwort „dadurch“, Ziff. 2 lit. a. 129 Vgl. Duden Dt. Universalwörterbuch S. 396 m. Stichwort „dadurch“, Ziff. 2 lit. b, u. S. 928 m. Stichwort „indem“, Ziff. 1. 130 Zum (umstrittenen) Begriff der Straftat wird vergleichend auf die Ausführungen in Rdn. 47 nebst Fn. 170 hingewiesen. 131 Ebenso Renzikowski Handbuch des Strafrechts IV § 11 Rdn. 79 (s. aber auch die insoweit krit. Betrachtungen bei Aichele/Renzikowski FS Fischer 491, 504 f); tendenziell Lederer AnwK Rdn. 8; s. auch SSW/Wolters Rdn. 10, demzufolge ein solcher Förderungserfolg allerdings bei jeder Beteiligung an einer bedrängenden Gruppe naheliegt. Insoweit steht Wolters, obwohl er explizit eine versuchte Tat als Förderungserfolg verlangt, i.Erg. wieder der Gegenansicht nah, die dem Fördern nur klarstellende Bedeutung beimisst (Fn. 134). 511
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§ 184j
Straftaten aus Gruppen
wer zusätzlich zur Gruppenbeteiligung des Täters zumindest ein Vorschubleisten in Entsprechung zu den §§ 180, 233a verwirklicht wissen will (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9, 11). Demnach beinhalte § 184j zwar die Notwendigkeit eines Erfolgseintritts, lasse hierfür aber bereits das Schaffen günstigerer Bedingungen für irgendeine, durch die Gruppenbeteiligung nach Ort und Zeit konkretisierte Straftat genügen,132 die mit der Straftat nach den §§ 177 oder 184i, deren Begehung die objektive Strafbarkeitsbedingung voraussetzt, nicht identisch sein müsse.133 Demgegenüber folgt einem Normverständnis, nach dem das Fördern in § 184j kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal ist, jene Auslegung, die bereits aus der Gruppenbeteiligung zwingend auf das Fördern einer Straftat schlussfolgert, dem Merkmal des Förderns also eine allein klarstellende Bedeutung (Klarstellung der straftatfördernden Wirkung des SichBeteiligens) zuerkennt,134 wobei überwiegend offengelassen wird, ob die klargestellte fördernde Eignung auf die Begehung irgendeiner rechtswidrigen Tat oder speziell einer Straftat nach den §§ 177 oder 184i bezogen sein soll.135 In einer kritischen Betrachtung der verschiedenen Ansätze wird der zuletzt genannten 40 Auslegung maßgeblich vorgehalten, dass sie die Merkmale des Sich-Beteiligens und Förderns verschleife.136 Allerdings verliert der Hinweis auf eine fördernde Wirkung der Gruppenbeteiligung im ersten Halbsatz der Vorschrift nach ihr nicht gänzlich an Bedeutung,137 ebenso wenig wie ein rein klarstellendes Verständnis dem Merkmal des Förderns eine vom Gesetzgeber zugedachte eingrenzende Bedeutung rauben muss. Denn anders als etwa der Zusammenhang zwischen der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231) und der Schaffung eines abstrakten Gefahrenpotenzials für die körperliche Integrität und das Leben ist die gesetzgeberische Annahme, dass die in § 184j beschriebene, unterhalb der §§ 25 Abs. 2, 26, 27 angesiedelte Gruppenbeteiligung abstrakt rechtsgutsgefährdend und strafwürdig ist, nicht unumstritten; ebenso wird in Zweifel gezogen, dass sich in der Begehung einer Sexualstraftat nach den §§ 177 oder 184i das abstrakte Gefahrenpotenzial einer solchen Gruppenbeteiligung realisiert,138 während dies für das Verhältnis zwischen einer Beteiligung an einer Schlägerei und dem Eintritt der in § 231 normierten besonderen Folge außer Frage steht. Vor diesem Hintergrund einer umstrittenen Parallelität zu § 231, d.h. eines min. für nicht selbstverständlich genommenen, teils bestrittenen hinreichenden Gefahrenpotenzials des Sich-Beteiligens an einer bedrängenden Gruppe ist eine Klarstellung der vom Gesetzgeber bejahten straftatfördernden Wirkung nicht obsolet. Entsprechend liest man denn auch zum Gesetzgebungsverfahren, dass das Merkmal des Förderns aufgrund einer „nicht
132 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11; Eisele RPsych 2017 7, 27 f; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 953; abl. Renzikowski MK Rdn. 15.
133 Eisele Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 952. Darüber hinaus wurde auch erwogen, dass Förderungserfolg des § 184j die objektive Mitverursachung der Sexualstraftat nach den §§ 177 oder 184i sei, wobei sich diese Mitverursachung bereits aus der objektiven Kausalbeziehung zwischen dem Bedrängen der Gruppe, an welcher sich der Täter beteiligt, und dem Eintritt der Strafbarkeitsbedingung ergebe; Fischer FS Neumann 1089, 1100 f. Inwieweit sich hieraus jedoch eine eigenständige Bedeutung des Förderungsmerkmals ergeben sollte, erschließt sich nicht, weil der Tatbestand ohnedies sowohl das Sich-Beteiligen an der bedrängenden Gruppe als auch die Kausalität zwischen dem Bedrängen der Gruppe und der Tat nach den §§ 177 oder 184i voraussetzt. In der Sache schien dem Fördern nach diesem Ansatz entgegen anderslautenden Bekundungen (Fischer a.a.O. S. 1099 f) vielmehr nur eine klarstellende Funktion zuzukommen. 134 WD 7 – 3000 – 113/16 S. 22; Bauer RuP 2017 46, 58; Hoven/Weigend JZ 2017 182, 190; Noltenius SK Rdn. 11; Roxin FS Merkel 973, 976; Stuckenberg FS Rengier 353, 354; tendenziell Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 55 f; offengelassen bei Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 13 (der aber konstatiert, dass Gruppenbeteiligung und Tatförderung „praktisch in eins [fallen]“); Fischer Rdn. 14. 135 Vgl. die Nachw. in Fn. 134; ausdrücklich Fischer Rdn. 14a („nicht klar“); demgegenüber das Fördern auf eine Straftat nach den §§ 177 oder 184i beziehend Högl/Neumann RuP 2016 155, 161; Mitsch KriPoZ 2019 355, 359. 136 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Fischer FS Neumann 1089, 1099 f. 137 So aber Eisele Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 951 f; Stuckenberg FS Rengier 353, 355. 138 S. nur die Nachw. in Fn. 6, 11. Berghäuser
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III. Subjektiver Tatbestand
§ 184j
konsensfähig[en]“ Analogie zu § 231 und unter Rücksichtnahme auf Bedenken hins. des Bestimmtheitsgrundsatzes eingefügt worden sei;139 dieses Motiv ließe sich mit einer rein klarstellenden Funktion des Merkmals vereinbaren. Vor allem aber, und dies dürfte entscheidend sein, trägt eine Lesart des § 184j, die das Fördern rein klarstellend versteht, dafür Sorge, dass das Sich-Beteiligen des Täters in Übereinstimmung mit dem Willen des Gesetzgebers nicht die Anforderungen der §§ 25 bis 27 erfüllen muss (BTDrucks. 18/9097 S. 31). Die Gegenansicht mit dem Verlangen nach vorsätzlicher Erleichterung einer tatsächlich begangenen (auch versuchten) rechtswidrigen Straftat140 unterläuft diesen Willen, indem sie über das Merkmal des Förderns solche Voraussetzungen in den Tatbestand des § 184j einführt, die für eine akzessorische Beihilfe kennzeichnend sind.141 Soweit der Wortlaut des Gesetzes dies zulässt (Rdn. 38), sollten Auslegungen, die dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, aber verworfen werden. Einem entsprechenden Vorwurf – des Unterlaufens des gesetzgeberischen Willens – sähe sich die Ansicht, die als Förderungserfolg ein Vorschubleisten (vgl. §§ 180, 233a) genügen lässt,142 zwar nicht ausgesetzt. Weil unter ein solches Vorschubleisten auch erfolglose (sofern nur nicht untaugliche) Hilfeleistungen gefasst werden können,143 würden die Voraussetzungen der Beihilfe, auf die es nach dem Gesetzgeber im Rahmen des § 184j nicht ankommen soll, willensgemäß unterschritten. Der Überzeugungskraft dieser Ansicht abträglich ist allerdings wiederum die Wortwahl des Gesetzgebers, der in § 184j nicht auf den aus § 180 oder auch § 233 bekannten Begriff des Vorschubleistens zurückgreift,144 sondern den abweichenden Begriff des Förderns bevorzugt hat. Diesen kennt man aus anderem Zusammenhang – in der gesetzlichen Überschrift des zwischenzeitlich nichtigen § 217 a.F. – vielmehr bereits als (Ober-)Begriff, mittels dessen der Gesetzgeber (nur) die abstrakte Gefährlichkeit des von ihm strafbewehrten Verhaltens unterstreicht. Wenn vorliegend daher auch der Auslegung der Vorzug gegeben wird, die einen zwingenden Schluss von der Gruppenbeteiligung auf das Fördern zieht, bleibt als maßgebliches Fazit doch festzuhalten, dass das Merkmal des Förderns in § 184j bis dato noch sehr unterschiedlich ausgelegt wird (Fördern als eigenständiges Tatbestandsmerkmal oder nicht, Erfordernis einer tatsächlich begangenen Straftat oder nicht, Bezug auf irgendeine Straftat oder die nach den §§ 177 oder 184i). Die Unschärfe des Tatbestands (Rdn. 14) manifestiert sich auch hier.
III. Subjektiver Tatbestand In Ermangelung der Normierung einer besonderen Vorsatzform setzt § 184j voraus, dass der 41 Täter zumindest mit Eventualvorsatz handelt (BTDrucks. 18/9097 S. 31). Legt man dem die vorstehend erläuterten Ansichten zugrunde, muss sich der Eventualvorsatz zum einen darauf beziehen, dass eine Personengruppe eine vom Täter verschiedene Person zur Begehung einer (d.h. irgendeiner, nicht einer bestimmten145) Straftat bedrängt, und zum anderen darauf, dass sich
139 Högl/Neumann RuP 2016 155, 161; krit. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 13. 140 S. Fn. 131. 141 Wie Vertreter der Gegenansicht selbst ausführen; so Renzikowski MK Rdn. 15 f. Zur hier geübten Kritik s. auch Stuckenberg FS Rengier 353, 354; vgl. Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 55 f.
142 S. Fn. 132. 143 Vgl. zur Einbeziehung der erfolglosen Beihilfe Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11; Eisele RPsych 2017 7, 28; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 953; zu § 180 Sch/Schröder/Eisele § 180 Rdn. 6; aA Fischer § 180 Rdn. 8; Hörnle LK § 180 Rdn. 12; zum Ausschluss untauglicher Handlungen Wolter SK § 180 Rdn. 4. 144 Renzikowski MK Rdn. 15. 145 BTDrucks. 18/9097 S. 31; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 17; Fischer Rdn. 15; Hörnle BRJ 2017 57, 60; aA Noltenius SK Rdn. 12. 513
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§ 184j
Straftaten aus Gruppen
der Täter an dieser zweckgerichtet bedrängenden Gruppe beteiligt. Vorsatz bezüglich eines Bedrängens nicht zur Straftatbegehung, sondern zum Selbstzweck (Bedrängen um des Bedrängens wegen) genügt der subjektiven Tatseite nicht; insoweit sind Nachweisschwierigkeiten vorhersehbar.146 42 Ausweislich der Gesetzesmaterialien „muss [der Täter] eine Straftat dadurch fördern, dass er sich an der Personengruppe beteiligt und mindestens billigend in Kauf nimmt, dass aus der Gruppe heraus Straftaten begangen werden“ (BTDrucks. 18/9097 S. 31). Misst man dem Merkmal des Förderns eine klarstellende Bedeutung zu (Rdn. 39 f), bedarf es eines Wissens und Wollens, das auch diese fördernde Eigenart des eigenen Verhaltensbeitrags zur abstrakt rechtsgutsgefährdenden Gruppeninteraktion erfasst. Ein notwendiger Bezug zu einer Straftat nach den §§ 177 oder 184i muss nicht hergestellt werden und würde anderenfalls die Tatbestandskonstruktion unterlaufen, die es genügen lässt, dass die Begehung einer Sexualstraftat die unrechtsneutrale objektive Bedingung der Strafbarkeit erfüllt.147 Wer entgegen hier vertretener Ansicht zur Verwirklichung des objektiven Tatbestands den Eintritt eines durch die Gruppenbeteiligung bewirkten Förderungserfolgs verlangt (Rdn. 39), muss auch diesbezüglich vorsätzliches Handeln fordern.148 Verschiedentlich wird vorausgesetzt, dass sich der Förderungsvorsatz des Täters und die Tatbegehungsabsicht der Gruppenmitglieder oder sonstige Willensübereinstimmung in der Gruppe (Rdn. 35) auf dieselbe Straftat beziehen müssen.149 Wiederum gilt es jedenfalls hervorzuheben, dass der Vorsatz hins. des Erleichterns einer Straftat oder des Schaffens günstiger Bedingungen nicht auf eine (rechtswidrige) Tat nach den §§ 177 oder 184i bezogen sein muss.150 Soweit man eine Straftatbegehungsabsicht der einzelnen Gruppenmitglieder verlangt 43 (Rdn. 35), wird die Frage angeschlossen, ob auch der sich an der bedrängenden Gruppe beteiligende Täter diese Straftatabsicht aufweisen muss.151 Die Frage ist folgerichtig, wenn man davon ausgeht, dass der Täter mit seiner Beteiligung Teil der Personengruppe wird, deren Mitglieder mit Straftatabsicht eine andere Person bedrängen.152 Allerdings ist dies zumindest keine notwendige Folge des Sich-Beteiligens, das schon dann gegeben sein kann, wenn der Täter die bedrängende Gruppe in ihrem Tun nur irgendwie durch einen aktiven Verhaltensbeitrag unterstützt (Rdn. 37), ohne dass er selbst die andere Person bedrängen müsste. Soweit sein eigenes Verhalten die gruppenkonstituierende Voraussetzung des übereinstimmenden Bedrängens oder Bedrängenwollens nicht erfüllt (Rdn. 24 f), wird er auch nicht zum Teil der (durch das Bedrängen definierten, von ihm aber nur unterstützten) Gruppe und muss deren konkrete Zwecksetzung („zur Begehung einer Straftat an ihr“) nicht teilen.153
146 Hierzu etwa Hörnle NStZ 2017 13, 21; dies. Anl. D.II.10.a zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 1016, 1035.
147 Vgl. BTDrucks. 18/9097 S. 31; Ziegler BeckOK Rdn. 7. 148 Dazu etwa Renzikowski Handbuch des Strafrechts IV § 11 Rdn. 81. 149 Noltenius SK Rdn. 12; Renzikowski MK Rdn. 18; SSW/Wolters Rdn. 11; aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Matt/ Renzikowski/Eschelbach Rdn. 17; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. 150 Sch/Schröder/Eisele § 184j Gliederungspunkt III; Eisele RPsych 2017 7, 28; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 953 f; Renzikowski MK Rdn. 18; SSW/Wolters Rdn. 11; vgl. auch Fischer FS Neumann S. 1089, 1100 f. 151 Diese Frage aufwerfend Fischer FS Neumann 1089, 1097; für die Übereinstimmung des Vorsatzes des Täters mit einer „Absicht der Personengruppe“ SSW/Wolters Rdn. 11 a.E. 152 So Fischer Rdn. 16, wenn er eine fortbestehende Unklarheit darüber bemängelt, wie ein absichtsloser Täter Mitglied einer Gruppe sein könne, die sich durch die Absicht der Straftatbegehung definiere. 153 I. Erg. eine notwendige Straftatabsicht des Täters verneinend Roxin FS Merkel 973, 976; Matt/Renzikowski/ Eschelbach Rdn. 11; Fischer Rdn. 15 bei andauernd bemängelter Unklarheit (Fn. 152). Berghäuser
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IV. Objektive Bedingung der Strafbarkeit
§ 184j
IV. Objektive Bedingung der Strafbarkeit 1. Bedingungseintritt Objektive Bedingung der Strafbarkeit nach § 184j (vgl. auch die Gesetzesstruktur der §§ 186, 231, 44 323a sowie § 283 Abs. 6) ist die Begehung einer Straftat nach den §§ 177 oder 184i durch einen Beteiligten der Gruppe (BTDrucks. 18/9097 S. 31).154 Insoweit muss diese Straftatbegehung also weder kausal auf den individuellen Verhaltensbeitrag des sich beteiligenden Täters zurückzuführen sein, noch muss sie objektiv vorhersehbar gewesen sein oder muss der nach § 184j zu sanktionierende Täter diesbezüglich vorsätzlich oder schuldhaft gehandelt haben.155 Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Gruppenaktion als solcher und der Straftat nach den §§ 177 oder 184i genügt,156 wobei das Gefahrenpotenzial des Bedrängens durch die Gruppe sich in der Strafbarkeitsbedingung realisieren muss,157 insb. eine zeitliche und räumliche Nähe zum Gruppengeschehen erforderlich ist.158 Auf diese Weise bildet der Gesetzgeber zum einen das abstrakte Gefahrenpotenzial ab, welches nach seinem Dafürhalten bereits dem Sich-Beteiligen an einer zur Straftatbegehung bedrängenden Gruppe anhaftet (Rdn. 2, 7), und begegnet zum anderen möglichen Beweisschwierigkeiten, die dem Rechtsanwender anlässlich des Nachweises einer Beteiligung des Einzelnen an der Sexualstraftat begegnen können (Rdn. 8). Wie in § 323a159 schließt die objektive Strafbarkeitsbedingung auch in § 184j den strafbaren Versuch einer Sexualstraftat (§ 177 Abs. 3) ein.160
2. Opfer der Tatbegehung nach den §§ 177 oder 184i Das Opfer der Tatbegehung nach den §§ 177 oder 184i muss nicht identisch mit der durch die 45 Gruppe bedrängten Person sein.161 Hinreichend ist auch die Tatbegehung zulasten eines anderen Beteiligten der Gruppe.162 § 184j ermöglicht gar die Sanktionierung desjenigen Beteiligten der Gruppe, der selbst zum einzigen Opfer einer aus der Gruppe heraus begangenen Sexualstraftat geworden ist.163 154 Im Eckpunktepapier der Großen Koalition war eine solche objektive Strafbarkeitsbedingung noch nicht enthalten; vgl. Högl/Winkelmeier-Becker u.a. Eckpunktepapier zur Reform des Sexualstrafrechts (Fn. 4) S. 8. 155 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Eisele RPsych 2017 7, 28; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 954; jew. zu Vorsatz und Fahrlässigkeit Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 15; Fischer Rdn. 18; Noltenius SK Rdn. 13; Hörnle BRJ 2017 57; dies. NStZ 2017 13, 21; dies. Anl. D.II.10.a zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 1016, 1034; jew. zum Vorsatz BTDrucks. 18/9097 S. 31; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Kindhäuser/Hilgendorf Rdn. 6; Joecks/Jäger Rdn. 6; SSW/Wolters Rdn. 12; Ziegler BeckOK Rdn. 6 u. 7. 156 Vgl. zu § 227 a.F. BGHSt 14 132, 135; 16 130, 132; 33 100, 103. 157 Zur notwendigen Gefahrrealisierung vgl. Lackner/Kühl/Kühl § 231 Rdn. 5; Popp LK12 § 231 Rdn. 27 ff; Stree FS Schmitt 215, 221; Rengier FS Roxin (2001) 811, 816; i.Erg. entspr. Hohmann MK § 231 Rdn. 27 (Indiz für die Gefährlichkeit). 158 Vgl. Hoven/Weigend JZ 2017 182, 190. 159 BGH NJW 1953 1442; Dallmeyer BeckOK § 323a Rdn. 9; Sch/Schröder/Hecker § 323a Rdn. 13; Lackner/Kühl/Heger § 323a Rdn. 6. 160 Zw. WD 7 – 3000 – 113/16 S. 23, wonach der Gesetzeswortlaut zwar den strafbaren Versuch nach § 177 Abs. 3 nicht ausschließt, mit der Bezugnahme auf die Begehung einer Straftat aber ggf. eine Unterscheidung vom Versuch einer solchen Straftatbegehung treffe. 161 Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 16; Fischer Rdn. 19; ders. FS Neumann 1089, 1099, Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Lederer AnwK Rdn. 10; Renzikowski MK Rdn. 17; ders. Handbuch des Strafrechts IV § 11 Rdn. 80; SSW/Wolters Rdn. 12; Ziegler BeckOK Rdn. 7; Hofmann Praxis der Rechtspsychologie 2017 7, 16; Hoven/Weigend JZ 2017 182, 190 f. 162 Fischer Rdn. 19; ders. FS Neumann 1089, 1099; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Noltenius SK Rdn. 14; SSW/Wolters Rdn. 12; Hoven/Weigend JZ 2017 182, 190 f. 163 Fischer Rdn. 19; ders. FS Neumann 1089, 1099; SSW/Wolters Rdn. 12; die Fragestellung nach der Opferwerdung des Täters nach § 184j offenlassend Hoven KriPoZ 2018 2, 10 m. Fn. 76; Hoven/Weigend JZ 2017 182, 191 m. Fn. 94. 515
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§ 184j
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Straftaten aus Gruppen
Dies mutet zunächst kontraintuitiv an, wenn man in Rechnung stellt, dass Selbstschädigung und -gefährdung sowie die Teilnahme an einer solchen nach dem StGB straflos sind, der Bedingungseinritt hier aber allein zulasten des gruppenbeteiligten Täters geht.164 Indes erklären sich Bedenken dieser Art aus der Assoziation mit Verletzungsdelikten und den hierfür geltenden Zurechnungsgrundsätzen. § 184j aber setzt als abstraktes Gefährdungsdelikt mit objektiver Strafbarkeitsbedingung weder den Bedingungseintritt an einer Person voraus, die sich von einem individuell ursächlich handelnden Täter unterschiede, noch ist die Strafbarkeitsbedingung mit einem individuellen Verursachungsbeitrag in einen Kausal- und Zurechnungszusammenhang eingebettet. Stattdessen bewertet § 184j bereits das Sich-Beteiligen an einer Personengruppe der bezeichneten Art als Beitrag zu einem gruppenspezifischen Gefahrenpotenzial. Diesen Beitrag zu einer abstrakten Fremdgefährdung durch die Gruppe sanktioniert das Gesetz für den Fall des Eintritts der Strafbarkeitsbedingung (Tat nach den §§ 177 oder 184i) als individuelles Verhaltensunrecht. Dabei ist der Bedingungseintritt Ausweis des durch den Gesetzgeber unterstellten Gefahrenpotenzials der Gesamtheit der Gruppe. Als solcher, d.h. als Realisierung oder Indiz der Gefährlichkeit der Gruppeninteraktion, wird er durch ein selbstgefährdendes Verhalten des einzelnen Gruppenmitglieds nicht in Frage gestellt.165 Entsprechend wird auch zu § 231 ganz überwiegend vertreten, dass sich strafbar macht, wer als Beteiligter einer Schlägerei oder eines Angriffs mehrerer selbst schwer verletzt wird.166 In beiden Fällen, § 184j wie § 231, sind dann jedoch die Voraussetzungen eines Absehens von Strafe nach § 60 zu prüfen (ebenfalls in Betracht kommt eine Verfahrenseinstellung gem. § 153b StPO)167 oder ist die Opferwerdung jedenfalls in der (sonstigen) Strafzumessung zu berücksichtigen.168
3. Rechtswidrige Tatbegehung 47 Die „Straftat“ nach den §§ 177 oder 184i muss tatbestandsmäßig und rechtswidrig verwirklicht worden sein.169 Weitergehend wird verschiedentlich vertreten, dass die Strafbarkeitsbedingung des § 184j170 auch eine schuldhafte Tatbegehung voraussetze.171 Für letzteres streite in einer systematischen Auslegung der Wortlaut der Norm. Hierzu weist Mitsch darauf hin, dass der Gesetzgeber in § 184j vom Wortlaut anderer Normen172 abweicht, wenn er von der Begehung 164 Vgl. zu selbstschädigendem Verhalten im Rahmen des § 231 Popp LK12 § 231 Rdn. 30 m.w.N.; Günther JZ 1985 585, 586 f; Rengier FS Roxin (2001) 811, 817.
165 AA zu § 231 Popp LK12 § 231 Rdn. 30; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen § 11 Rdn. 9 (mangels „Verwirklichung der spezifischen Gefahr des Angriffs“); Rengier FS Roxin (2001) 811, 817.
166 S. zu § 227 a.F. RGSt 32 33, 37 f; zu § 231 (§ 227 a.F.) BGHSt 33 100, 104; Matt/Renzikowski/Engländer § 231 Rdn. 7; Eschelbach BeckOK § 231 Rdn. 18, 18.1; Fischer § 231 Rdn. 6; ders. FS Neumann 1089, 1099 m. Fn. 59; Hohmann MK § 231 Rdn. 23; Lackner/Kühl/Kühl § 231 Rdn. 5; Paeffgen/Böse NK § 231 Rdn. 20; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 231 Rdn. 7; Geisler (Fn. 41) S. 321 u. 326; Jäger BT Rdn. 126; Stree FS Schmitt 215, 226 f; zur aA s. die Nachw. in Fn. 165. 167 Fischer § 231 Rdn. 6; Hohmann MK § 231 Rdn. 23, 33; Paeffgen/Böse NK § 231 Rdn. 23; Popp LK12 § 231 Rdn. 45; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 231 Rdn. 7; Geisler (Fn. 41) S. 322; Stree FS Schmitt 215, 225; allg. zu § 60 Kett-Straub JA 2009 53. 168 BGH NStZ-RR 2015 274 f; Hohmann MK § 231 Rdn. 23; Paeffgen/Böse NK § 231 Rdn. 23; Popp LK12 § 231 Rdn. 45; weiterführend zur Relevanz von Tatfolgen in der Strafzumessung Streng FS Jung 959. 169 WD 7 – 3000 – 113/16 S. 17; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 16; Fischer FS Neumann 1089, 1098; Renzikowski MK Rdn. 17, dem Mitsch allerdings eine nur ungenaue Formulierung im MK zuschreibt (Mitsch KriPoZ 2019 355, 358). 170 Mitsch erläutert seine sich gegen den Begriff der „Straftat“ richtende Kritik am Beispiel der objektiven Strafbarkeitsbedingung; Mitsch KriPoZ 2019 355, 358. Aufgrund der dreifachen Verwendung des Begriffs der Straftat in § 184j könnte sie bereits für die Zwecksetzung des Bedrängens („zur Begehung einer Straftat“) sowie einen ggf. verlangten Förderungserfolg (geförderte „Straftat“) vorgebracht werden; vgl. SSW/Wolters Rdn. 4 u. 8. 171 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Mitsch KriPoZ 2019 355, 358; in der Konsequenz wohl auch SSW/Wolters Rdn. 4 (ebda. aber zur geförderten „Straftat“), 8 (zum Merkmal „zur Begehung einer Straftat“); explizit gegen ein Erfordernis schuldhafter Tatbegehung Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 16. 172 Vgl. etwa den Wortlaut der §§ 26, 27, 63, 64, 69, 70 und auch § 323a. Berghäuser
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IV. Objektive Bedingung der Strafbarkeit
§ 184j
einer Straftat nach den §§ 177 oder 184i und nicht von einer „rechtswidrigen Tat“ (§ 11 Abs. 1 Nr. 5) schreibt, um die Entbehrlichkeit schuldhafter Verwirklichung auszudrücken (Mitsch KriPoZ 2019 355, 358). Die „Begehung einer Straftat“ in § 184j sei damit anders als die einer „rechtswidrigen Tat“ zu verstehen, nämlich setze eine schuldhafte Tatbegehung voraus.173 Für den Anwendungsbereich der Vorschrift hätte eine solche Auslegung, die dem variierten Sprachgebrauch in § 184j entscheidende Bedeutung beimisst, eine nicht unerhebliche Einschränkung zur Folge: In jedem Fall, in dem nicht ausgeschlossen werden könnte, dass ein schuldunfähiger Gruppenbeteiligter die Tat nach den §§ 177 oder 184i begangen hat, wäre zugunsten eines möglichen Täters anzunehmen, dass die fragliche Tat schuldlos begangen wurde, sodass eine Strafbarkeit nach § 184j in dubio pro reo ausschiede. Weil die Einbindung alkoholisierter Täter in zur Straftatbegehung bedrängende Gruppen nicht fernliegt (auch in der Kölner Silvesternacht 2015/16 wurden die Gruppenbeteiligten als „zum Großteil stark alkoholisiert“ beschrieben174), könnte eine solche Einschränkung vorhersehbar praktische Relevanz erlangen.175 Den Rechtsanwender belüde der Gesetzgeber so neuerlich mit Nachweisschwierigkeiten,176 obwohl § 184j ihn (zumindest reflexhaft) gerade von solchen entlasten soll (Rdn. 8). Für eine schuldhafte Tatbegehung als Strafbarkeitsbedingung stritte ferner auch nicht der 48 vordergründige Gesetzeszweck, nach dem § 184j dem erhöhten Gefahrenpotenzial zur Straftatbegehung bedrängender Gruppen begegnen soll. Insoweit mutete es zwar noch plausibel an, wenn man annähme, dass der gruppenspezifische Abbau von Hemmungen in Bezug auf einen schuldunfähigen Sexualstraftäter an Bedeutung verliert, weil dessen Fähigkeiten zur Einsicht und Verhaltenssteuerung bereits aus anderen Gründen ausgeschlossen sind (§ 20). Auf das Opfer aber wirkte sich die spezifische Konfrontation mit einer es bedrängenden Gruppe unverändert nachteilig aus, indem sie dessen Flucht- und Verteidigungschancen minderte, ebenso wie das Gruppenumfeld auch einen bereits enthemmten, weil schuldunfähigen Täter noch zusätzlich zu bestärken vermag. Die Strafwürdigkeit eines Verhaltensbeitrags zum gruppenspezifischen Gefahrenpotenzial wird mithin nicht dadurch in Frage gestellt, dass die aus ihr heraus begangene Straftat schuldlos begangen worden ist. Wenn die Strafbarkeitsbedingung einer schuldhaften Tatbegehung demnach aber nicht den 49 Zweck des Gesetzes wiedergäbe, des Weiteren einer Entlastung von Beweisschwierigkeiten hinderlich wäre und den Anwendungsbereich der Vorschrift ungewollt einschränken würde, muss sich die Frage anschließen, ob eine solche Auslegung durch den Begriff der „Straftat“ überhaupt zwingend vorgegeben ist. Insoweit wird man bereits festhalten können, dass auf das Erfordernis schuldhafter Tatbegehung nach den §§ 177 oder 184i nur aus einer systematischen Gegenüberstellung mit solchen Vorschriften des StGB geschlussfolgert wird, die den Begriff der „rechtswidrigen Tat“ verwenden, um die Entbehrlichkeit schuldhafter Verwirklichung anzuzeigen. Nicht nur der allgemeine Sprachgebrauch dürfte hins. des Straftatbegriffs aber weiter reichen177 und wird auch nicht durch eine Legaldefinition der Straftat verdrängt. Der Begriff der Straftat meint synonym eine strafbare Handlung oder ein Delikt,178 wobei nicht vorgegeben ist, dass strafbares (i.S. e. gegen das Gesetz verstoßendes und unter Strafe gestelltes179) Handeln tatbezogen typisiert oder im konkreten Einzelfall personenbezogen festgestellt sein muss. Man kann mittels des Begriffs also einerseits typisierend ausdrücken, dass grundsätzlich eine Straftat begeht, wer z.B. eine andere Person körperlich berührt und dadurch belästigt; ebenso kann man sich zur Sanktionierung einer bestimmten Person äußern, die wegen eines solchen Unrechts 173 Mitsch KriPoZ 2019 355, 358; zu entspr. (das Erfordernis schuldhafter Tatbegehung einschließenden) Begriffsdefinitionen s. Grützner/Jakob Compliance u. Weber/Werner jew. m. Stichwort „Straftat. LT NRW-Drucks. 16/14450 S. 15. Mitsch KriPoZ 2019 355, 358 u. 359; zust. SSW/Wolters Rdn. 4 (ebda. aber zur geförderten „Straftat“). Dies als Konsequenz seiner Auslegung erkennend Mitsch KriPoZ 2019 355, 359. Vgl. den Hinweis auf den Begriff der Straftat in den §§ 22, 25, 211 Abs. 2 bei WD 7 – 3000 – 113/16 S. 17. Duden Dt. Universalwörterbuch S. 1729 m. Stichwort „Straftat“. Duden Dt. Universalwörterbuch S. 1728 m. Stichwort „strafbar“.
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§ 184j
Straftaten aus Gruppen
nur bestraft werden kann, wenn sie es auch individuell schuldhaft verwirklicht hat. Sind es demnach allenfalls180 systematische Gründe, die für ein personenbezogenes Erfordernis schuldhafter Straftatbegehung (in Abgrenzung zur bloßen „rechtswidrigen Tatbegehung“) streiten, während die Wortlautgrenze ein solches Verständnis der Strafbarkeitsbedingung jedenfalls nicht gebietet, ist es möglich, die systematische Begriffsauslegung in den Grenzen des Wortlauts zurücktreten zu lassen, um einer Auslegung, die dem Gesetzeszweck und Willen des Gesetzgebers Geltung verschafft, den Vorrang einzuräumen.
4. Zeitliches Verhältnis von Sich-Beteiligen und Bedingungseintritt 50 In Entsprechung zu § 231 stellt sich auch in § 184j die Frage, ob solche Beteiligte sanktioniert werden dürfen, die ihre Beteiligung an der Gruppe noch vor Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung eingestellt haben oder ihre Gruppenbeteiligung erst nachträglich (nach Bedingungseintritt) aufgenommen haben. Im Rahmen des § 231 (§ 227 a.F.) tritt die h.M. maßgeblich aufgrund zu vermeidender Beweisschwierigkeiten dafür ein, dass es unerheblich sein soll, in welchem zeitlichen Zusammenhang der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung und das Sich-Beteiligen des Täters an der Gruppe (vor, während oder nach dem Bedingungseintritt) stehen.181 Mit Blick auf den Strafzweck der Vorschriften, welche jeweils die abstrakte Gefährlichkeit des Sich-Beteiligens an einer Schlägerei, einem Angriff mehrerer (§ 231) oder einer bedrängenden Gruppe (§ 184j) sanktionieren, sind mit der Gegenansicht jedoch solche Fälle von der Strafbarkeit auszunehmen, in denen sich jenes Sich-Beteiligen auf den Eintritt der Strafbarkeitsbedingung offenkundig nicht hat auswirken können. Demnach macht sich nicht strafbar, wer sich erst nach dem Bedingungseintritt an der bedrängenden Gruppe beteiligt, während die Strafbarkeit einer Gruppenbeteiligung vor oder bei Eintritt der Bedingung grundsätzlich zu bejahen ist.182 Für das Tatverhalten im Vorfeld gilt dies auch dann, wenn der Täter seine Beteiligung an der Gruppe noch vor Bedingungseintritt einstellt oder gar den Entschluss fasst, sein Verhalten „wiedergutzumachen“, sodass er im Anschluss an sein Sich-Beteiligen schlichtend einzugreifen versucht.183 In diesen Fällen vermag der Beitrag zum abstrakt gefährlichen Gruppenwirken, der mit der früheren, zwischenzeitlich eingestellten Beteiligung geleistet worden ist, trotz der Verhaltensänderung fortzuwirken und legt so den Grund für eine Strafbarkeit. Ausgenommen sind Konstellationen, in denen nach dem Einstellen der Gruppenbeteiligung nur noch zwei weitere bedrängende Personen verbleiben, sodass es an der von der objektiven Strafbarkeitsbedingung vorausgesetzten Straftatbegehung durch den Beteiligten einer (min. drei Personen voraussetzenden) Gruppe mangelt.184
V. Täterschaft und Teilnahme 51 Täter ist, wer sich an der eine andere Person bedrängenden Gruppe durch einen eigenen aktiven Verhaltensbeitrag (Rdn. 37) beteiligt. Im Übrigen kommen Anstiftung und auch Beihilfe zu einer
180 S. aber die Nachw. in Fn. 177. 181 RGSt 72 73, 75; BGHSt 16 130, 132 f; BGH NStZ-RR 2014 178; Hohmann MK § 231 Rdn. 25; Wessels/Hettinger/ Engländer Rdn. 326 f jew. m.w.N.
182 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; vgl. Paeffgen/Böse NK § 231 Rdn. 9 ff; Popp LK12 § 231 Rdn. 20; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 231 Rdn. 9 m.w.N.; Eisele BT 1 Rdn. 421; Jäger BT Rdn. 126; aA Ziegler BeckOK Rdn. 7 (Strafbarkeit auch bei Beteiligung erst nach Bedingungseintritt). 183 Vgl. Hoven/Weigend JZ 2017 182, 190; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 14; SSW/Wolters Rdn. 9; zu § 231 (§ 227 a.F.) BGHSt 14 132, 135; Paeffgen/Böse NK § 231 Rdn. 11; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 231 Rdn. 9; aA zu § 231 Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 347. 184 Vgl. zu § 231 (§ 227 a.F.) BGHSt 14 132, 135; Popp LK12 § 231 Rdn. 22; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 231 Rdn. 9. Berghäuser
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VI. Rechtsfolgen und Konkurrenzen
§ 184j
Tat nach § 184j in Betracht.185 Für den Bereich aktiver Beihilfe in der unmittelbaren Tatsituation fällt es im Angesicht der zurückgenommenen Anforderungen an ein (gleichsam aktives) SichBeteiligen gem. § 184j indes schwer, sich einen Fall vorzustellen, in dem eine Person Hilfe zu „Straftaten aus Gruppen“ leistet, ohne durch diese Hilfeleistung selbst zum sich beteiligenden Täter zu werden. Denkbar sind Unterstützungshandlungen eines nicht am Tatort Anwesenden (z.B., indem verhindert wird, dass Polizeibeamte oder andere Sicherheitskräfte zum Ort des Geschehens gelangen)186 oder Hilfeleistungen im Vorfeld eines sich nicht spontan, sondern vorbereitet formierenden Tatgeschehens (z.B. Beschaffungsmaßnahmen, Beförderung der Täter zum Tatort).187
VI. Rechtsfolgen und Konkurrenzen 1. Strafrahmen Taten nach § 184j werden mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe sanktio- 52 niert.188 Der Strafrahmen entspricht dem des § 184i Abs. 1 und unterschreitet den des § 177 Abs. 1 (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren). Ebenso wird der Strafrahmen des § 231 (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) unterschritten, der anders als § 184j das Eintreten einer schweren Folge wie z.B. die Erblindung des Opfers voraussetzt (BTDrucks. 18/9097 S. 31). Ob die unterschiedlichen Strafandrohungen des § 184j und § 231 das zwischen den beiden Vorschriften bestehende Gefälle angemessen abbilden, wird in Frage gestellt, weil die Vorschriften als objektive Strafbarkeitsbedingung einerseits eine sexuelle Belästigung genügen lassen, welche die Erheblichkeitsschwelle des § 184h nicht erreicht (§ 184j), andererseits eine schwere Körperverletzung oder gar den Tod eines Menschen voraussetzen (§ 231).189 Auf Kritik stoßen auch die übereinstimmenden Strafrahmen der §§ 184i Abs. 1 und 184j. Weil § 184i Abs. 1 eine individuell zurechenbare sexuelle Belästigung verlangt, während die Sexualstraftat in § 184j nur objektive Strafbarkeitsbedingung ist, sei es unverhältnismäßig, in beiden Fällen dieselbe Höchststrafe anzudrohen.190 Diese Kritik übergeht allerdings das eigenständige und spezifische Gefährdungsunrecht, welches der Täter gerade mit seiner Gruppenbeteiligung verwirklicht und welches der Gesetzgeber als solches berücksichtigen muss. Geeigneter Vergleichsmaßstab dürfte daher eher das in § 184i Abs. 2 S. 2 normierte Regelbeispiel sein, mit welchem der Gesetzgeber ebenfalls auf ein Wirken mehrerer, nämlich auf die gemeinschaftliche Tatbegehung, reagiert (Stuckenberg FS Rengier 353, 356). Im Verhältnis hierzu ist die Strafandrohung des § 184j nachvollziehbar formuliert, nämlich unterschreitet unter Rücksichtnahme auf das fehlende mittäterschaftliche Element die in § 184i Abs. 2 S. 1 vorgesehene Mindest- wie Höchststrafe (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren).
185 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 19; Noltenius SK Rdn. 15; Ziegler BeckOK Rdn. 9.
186 Vgl. Hohmann MK § 231 Rdn. 30; Popp LK12 § 231 Rdn. 42; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 231 Rdn. 11. 187 Noltenius SK Rdn. 15; Ziegler BeckOK Rdn. 9; vgl. Renzikowski MK Rdn. 16. 188 Nicht Gesetz geworden ist die für das abstrakte Gefährdungsdelikt noch völlig überzogene Androhung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, wie sie im Eckpunktepapier zur Reform des Sexualstrafrechts formuliert war; vgl. Högl/Winkelmeier-Becker u.a. Eckpunktepapier zur Reform des Sexualstrafrechts (Fn. 4) S. 8; abl. Rabe BTRAussch. Prot. 18/101 S. 20. 189 So die Kritik bei Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7. 190 Fischer Rdn. 21; zum Fall der Beihilfe (§ 27 Abs. 2 S. 2) Pichler StRR 2016 4, 8; krit. auch Papathanasiou/Schumann/Schneider/Godinho/Bock S. 49, 67. 519
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§ 184j
Straftaten aus Gruppen
2. Formelle Subsidiarität 53 Die Vorschrift ist formell subsidiär, d.h., der schuldige Täter wird nur dann gem. § 184j bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist (§ 184j a.E.). Die Gesetzesbegründung führt als Beispielsfall der Subsidiarität an, dass der Täter gleichzeitig als Mittäter oder Gehilfe den Tatbestand des § 177 Abs. 1 erfüllt (BTDrucks. 18/9097 S. 31), dessen Strafandrohung sich für den Gehilfen aufgrund der obligatorischen Strafmilderung in den §§ 27 Abs. 2 S. 2, 49 Abs. 1 zwar reduziert, aber immer noch schwerer wiegt als die Strafandrohung des § 184j. 54 Eine Beschränkung der Subsidiarität auf Straftaten mit übereinstimmender Schutzrichtung sehen weder Gesetzeswortlaut noch Gesetzesbegründung vor. Anders als in der durch das 57. StRÄndG v. 3.3.2020 (BGBl. I S. 431) eingeschränkten Subsidiaritätsklausel des § 184i Abs. 1 schreibt der Gesetzgeber in § 184j gerade nicht von „anderen Vorschriften dieses Abschnitts“, welche die Bestrafung nach § 184j zurücktreten lassen, wenn die Tat in ihnen mit schwerer Strafe bedroht ist.191 Die abweichende Formulierung der Subsidiaritätsklauseln, von denen der Gesetzgeber nur diejenige in § 184i (zunächst in der Gesetzesbegründung zum 50. StRÄndG,192 sodann im durch das 57. StRÄndG korrigierten Gesetzeswortlaut193) auf Vorschriften mit vergleichbaren Schutzgütern eingeschränkt hat, gibt unmissverständlich zu erkennen, dass sich der Gesetzgeber bewusst für eine jeweils andere Reichweite der Subsidiarität entschieden hat. Im Übrigen hindert nach der Rechtsprechung des BGH bereits die Wortlautgrenze die Einschränkung einer Subsidiaritätsklausel, wo eine solche Einschränkung im Gesetzestext keinen Ausdruck gefunden hat.194 Während die sexuelle Belästigung kraft gesetzlicher Anordnung also nur hinter die Vorschriften des 13. Abschnitts des StGB zurücktritt, wird § 184j de lege lata von jeder anderen Strafvorschrift mit schwererer Strafandrohung verdrängt, auch dann, wenn sie kein Sexualdelikt normiert. Mit Blick auf das Tatbild des § 184j betrifft dies neben einer Beteiligung i.S.d. §§ 25 ff an Taten nach § 177 (zu § 184i s. Rdn. 56) typischerweise das Verhältnis zu Freiheitsberaubungen, Nötigungen, Bedrohungen, Körperverletzungen (übliche Taten in Ausführung des Bedrängens), Diebstählen u.a. (übliche Straftaten, über deren Begehung die Gruppe übereingekommen ist) sowie zur Teilnahme an den vorstehend genannten Delikten.195 Die uneingeschränkte Subsidiarität des § 184j wird der Vorschrift zumindest insoweit ge55 recht, als jene reflexhaft auch Beweisschwierigkeiten eindämmen soll (Rdn. 8). Die Vorschrift tritt eben dann zurück, wenn die Sanktionierung des Täters aufgrund des gelungenen Nachweises der Verwirklichung eines anderen Straftatbestandes gewährleistet ist. Dem eigentlichen Zweck der Vorschrift, in für strafbedürftig erkannten Sachverhalten der Begehung einer Sexualstraftat auf ein erhöhtes Gefahrenpotenzial des gruppendynamischen Prozesses zu reagieren, leistet die Subsidiaritätsklausel indes keine guten Dienste. Das spezifische Unrecht der Förderung einer Straftatbegehung aus der Gruppe heraus kommt im Schuldspruch z.B. eines Diebstahls nicht zum Ausdruck, erst recht nicht die Betroffenheit des Opfers in seinem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.196 Eine entsprechende Kritik führte seinerzeit dazu, dass die Subsidiaritätsklausel in der Vorschrift des Landfriedensbruchs (§ 125), welche der BGH auch dort un-
191 Vgl. die Ausführungen in der Gesetzesbegründung zur eingeschränkten Subsidiaritätsklausel des § 184i einerseits, zur uneingeschränkten des § 184j andererseits; BTDrucks. 18/9097 S. 30 (zu § 184i), 31 (zu § 184j). 192 BTDrucks. 18/9097 S. 30; dazu auch Hörnle NStZ 2017 13, 20. 193 BTDrucks. 19/13836 S. 1 f, 13. 194 BGH NJW 2018 2655, 2657 f (zu § 184i vor dem 57. StRÄndG). 195 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16; Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 18; Fischer Rdn. 22; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Kindhäuser/Hilgendorf Rdn. 7; Noltenius SK Rdn. 18; Renzikowski MK Rdn. 20; ders. Handbuch des Strafrechts IV § 11 Rdn. 82; SSW/Wolters Rdn. 13; Stuckenberg FS Rengier 353, 356; für formelle Subsidiarität auch Joecks/ Jäger Rdn. 8; aA Mitsch KriPoZ 2019 355, 360. 196 Krit. auch Mitsch KriPoZ 2019 355, 360: Formelle Subsidiarität sei „zumindest dann inkonsequent, wenn zugleich die ‚sexuelle Selbstbestimmung‘ als das von § 184j StGB geschützte Rechtsgut angegeben wird“. Berghäuser
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VII. Prozessuales
§ 184j
ter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut formell verstand,197 gestrichen wurde.198 Der Gesetzgeber befand darauf, dass „das spezifische Unrecht dieser Taten – es handelt sich um ein gruppenmäßiges Auflehnen durch Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise – […] im Urteilstenor zum Ausdruck [kommen soll]“.199 Entsprechendes wäre auch für § 184j zu empfehlen, wenngleich die Tenorierung („Straftaten aus Gruppen“) die Betroffenheit in der sexuellen Selbstbestimmung nicht unmittelbar zu erkennen gäbe. Ein Klarstellungsbedürfnis klingt schließlich auch in der Diskussion über das Verhältnis 56 von Taten nach § 184i Abs. 1 und § 184j an. Weil die sexuelle Belästigung – soweit kein besonders schwerer Fall des § 184i Abs. 2 vorliegt – denselben Strafrahmen wie § 184j aufweist, gilt diesbezüglich die Subsidiaritätsklausel des § 184j a.E. nicht. Stattdessen wird verschiedentlich Tateinheit zwischen § 184i Abs. 1 und § 184j für möglich gehalten.200 Hierfür spricht, dass die Annahme von Tateinheit ermöglichte, das durch die Tat nach § 184j verwirklichte besondere gruppendynamische Unrecht neben der sexuellen Belästigung zum Ausdruck zu bringen. Dem aber kann entgegengehalten werden, dass der Gesetzgeber eine entsprechende Klarstellung für das Verhältnis zwischen § 177 und dem hierzu subsidiären § 184j nach geltendem Recht augenscheinlich gerade nicht anstrebt (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16). Befindet man sie in der Folge auch für das Verhältnis zu § 184i Abs. 1 für entbehrlich, wäre § 184i Abs. 1 materiell vorrangig, weil sich mit dem Nachweis einer Tat nach § 184i Abs. 1 die Sanktionierung mithilfe eines Auffangtatbestands erübrigt.201 Demgegenüber soll eine Beihilfe zu § 184i Abs. 1 infolge der obligatorischen Strafmilderung in § 27 Abs. 2 S. 2 hinter die Täterschaft nach § 184j zurücktreten;202 auch diesbezüglich ginge aber eine Klarstellung verloren (hier hins. der Teilnahme an einer Sexualstraftat einschließlich des dafür notwendigen Gehilfenvorsatzes).
VII. Prozessuales Die Tat ist – anders als die von ihr als objektive Strafbarkeitsbedingung vorausgesetzte sexuelle 57 Belästigung gem. § 184i Abs. 3 (relatives Antragsdelikt) – ein Offizialdelikt.203 Die Tat verjährt nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 in fünf Jahren. § 184j berechtigt den Verletzten (d.h. den Inhaber des Rechts auf sexuelle Selbstbestim- 58 mung204) gem. § 395 Abs. 1 Nr. 1 StPO zum Anschluss im Wege der Nebenklage (BTDrucks. 18/ 9097 S. 33).205 Unter den in § 397a Abs. 1 Nr. 1a oder Nr. 4 StPO genannten Voraussetzungen ist auf Antrag des Nebenklägers ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen (BTDrucks. 18/9097 S. 34). Wegen der seitens des Gesetzgebers unterstellten generellen Schutzbedürftigkeit von Opfern von Sexualverbrechen206 ist dies zum einen der Fall (§ 397a Abs. 1 Nr. 1a StPO), wenn der Nebenkläger durch eine Straftat nach § 184j verletzt ist und der Begehung dieser Straftat ein Verbrechen nach § 177 (§ 177 Abs. 4 bis 5, 7 bis 8) oder ein besonders schwerer Fall eines Vergehens nach § 177 Abs. 6 zugrunde liegt.207 Zum anderen sind die Voraussetzungen einer Beiordnung gegeben, wenn der Nebenkläger durch eine rechtswidrige Tat nach § 184j verletzt ist und er zur Zeit 197 198 199 200 201
BGH NJW 1998 465, 466. Dazu Fischer § 125 Rdn. 20. BTDrucks. 18/11161 S. 10. Bejaht v. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; in Erwägung gezogen v. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16. So Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16; ders. Anl. D.II.6.f zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Fn. 12) S. 947, 955; Lederer AnwK Rdn. 12; Noltenius SK Rdn. 18; Renzikowski MK Rdn. 20. 202 So u. zum Nachfolgenden Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8. 203 Krit. Matt/Renzikowski/Eschelbach Rdn. 20; Renzikowski MK Rdn. 22. 204 Valerius MK-StPO § 395 Rdn. 50; vgl. zum Verletztenbegriff Walther KK § 395 Rdn. 3. 205 S. dazu auch Lederer AnwK Rdn. 13; Renzikowski MK Rdn. 23; Weiner BeckOK-StPO § 395 Rdn. 21. 206 Weiner BeckOK-StPO § 397a Rdn. 5. 207 Zur Einfügung des Vergehenstatbestands § 177 Abs. 6 in § 397a Abs. 1 Nrn. 1, 1a StPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019 (BGBl. I S. 2121, 2123) s. Weiner BeckOK-StPO § 397a Rdn. 2. 521
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§ 184j
Straftaten aus Gruppen
der Tat das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte (§ 397a Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 StPO)208 oder seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann (§ 397a Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 StPO). Anders als in § 397a Abs. 1 Nr. 1a ist es hier hinreichend, dass der Tatbegehung nach § 184j nur ein Vergehen nach § 177 Abs. 1, 2 oder § 184i zugrunde liegt. Sind die Voraussetzungen für eine Bestellung nicht gegeben, kann unter den Voraussetzungen des § 397a Abs. 2 StPO Prozesskostenhilfe gewährt werden. 59 Um Opfern die belastende wiederholende Vernehmung zu ersparen, können Bild-Ton-Aufzeichnungen einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung unter den Voraussetzungen des § 255a Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung verwendet werden.209 Bereits vor dem Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019 (BGBl. I S. 2121) sollte gem. § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StPO die Vernehmung eines Zeugen audiovisuell aufgezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn damit schutzwürdige Interessen solcher Personen besser gewahrt werden können, die als Kinder oder Jugendliche durch eine der in § 255a Abs. 2 StPO genannten Straftaten – u.a. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – verletzt worden sind. Seit der Gesetzesänderung muss dies gem. § 58a Abs. 1 S. 3 StPO nunmehr zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen aller Personen, die durch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184j) verletzt worden sind, geschehen, vorbehaltlich dessen, dass der zu vernehmende Zeuge der Aufzeichnung zugestimmt hat (vgl. § 255a Abs. 2 S. 1 StPO). Diese Muss-Vorschrift findet also gleichermaßen auf (zur Tatzeit) minderjährige wie auch auf erwachsene Verletzte eines Sexualdelikts Anwendung.210
VIII. Sonstiges 60 Zu Beschäftigungs- und Betrauungsverboten sowie zur Eintragung in ein (erweitertes) Führungszeugnis vgl. Berghäuser LK § 184k Rdn. 58.
208 Weiner BeckOK-StPO § 397a Rdn. 12. 209 Lederer AnwK Rdn. 13. 210 BTDrucks. 19/15161; BTDrucks. 19/14747 S. 16 f, 24 f; Huber BeckOK-StPO § 58a Rdn. 11 f. Berghäuser
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§ 184k Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. absichtlich oder wissentlich von den Genitalien, dem Gesäß, der weiblichen Brust oder der diese Körperteile bedeckenden Unterwäsche einer anderen Person unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt, soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind, 2. eine durch eine Tat nach Nummer 1 hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht oder 3. eine befugt hergestellte Bildaufnahme der in der Nummer 1 bezeichneten Art wissentlich unbefugt einer dritten Person zugänglich macht. (2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. (3) Absatz 1 gilt nicht für Handlungen, die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen. (4) 1Die Bildträger sowie Bildaufnahmegeräte oder andere technische Mittel, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. 2§ 74a ist anzuwenden.
Schrifttum Berghäuser Upskirting und ähnliche Verhaltensweisen. Unbefugte fotografische oder filmische Aufnahmen unter der Oberbekleidung, ZIS 2019 463; dies. Upskirting und Co.: Spannen und unbefugte Bildaufnahmen – nicht nur unter Frauenröcken, in Hirte (Hrsg.) Gender, Macht und Recht. Beiträge zu Musik, Recht und Geschichte (2020) 42; Bonnin/Berndt Voyeurismus im Strafrecht de lege lata und de lege ferenda. Unter besonderer Betrachtung des sog. Upskirting, HRRS 2019 450; dies. Rechtsdogmatische Überlegungen zum Phänomen des Upskirting – zugleich eine kritische Betrachtung aktueller Entwicklungen, NJOZ 2020 129; Dalzell/Victor Sex Slang (2008); Eisele/Straub Strafbarkeit der Bildaufnahmen des Intimbereichs durch sog. Upskirting, KriPoZ 2019 367; Kötz Upskirting und Downblousing, IPRB 2020 143; Kubiciel Das Verbot des Upskirting. Schutz der sexuellen Selbstbestimmung oder des Persönlichkeitsrechts? jurisPR-StrafR 23/2019 Anm. 1; Mengler Strafwürdigkeit voyeuristischer „Upskirt“-Aufnahmen, ZRP 2019 224; Renzikowski Entwicklungslinien des Sexualstrafrechts – vom Moralschutz zum Rechtsgüterschutz, und wieder zurück? Ad Legendum 2022 93; Walter Kleines Beispiel, große Fragen. Ultima-ratio-Prinzip und Bestimmtheitsgrundsatz bei der Erweiterung des § 201a StGB, ZRP 2020 16; Wolf Zur Strafbarkeit unbefugter Bildaufnahmen. Der neue § 184k StGB („Upskirting“), Berliner AnwBl. 2020 307.
Entstehungsgeschichte Die am 1.1.2021 in Kraft getretene Vorschrift wurde durch das 59. StRÄndG – Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen v. 9.10.2020 (BGBl. I S. 2075) in das Strafgesetzbuch eingefügt. Ihren Gegenstand bildet das unbefugte – nicht zwingend, aber typischerweise heimlich erfolgende – Fotografieren oder Filmen unter der Oberbekleidung oder anderen Körperbedeckung einer anderen Person, durch das eine Bildaufnahme hergestellt oder übertragen wird, welche mindestens eine in Absatz 1 Nr. 1 aufgezählte sexuell konnotierte Körperpartie oder die diese Partie bedeckende Unterwäsche zeigt. Nicht nur in der Umgangssprache, sondern auch in Berichterstattung und Gesetzgebungsverfahren haben sich für derlei Verhaltensweisen die schlagwortartig verkürzten, aber anschaulichen Bezeichnungen als „Upskirting“ (englisch „up“ für „nach oben“ und „skirt“ für „Rock“)1 bzw. „Downblousing“ (englisch „down“ für „nach unten“ und „blouse“ für „Bluse“)2 durchgesetzt. Im Anschluss eröffnen moderne Kommunikationsformen Möglichkeiten, wie Täter die Aufnahmen (beispielsweise auf einer Internetplattform) Drit-
1 „[A] type of voyeurism devoted to seeing what is beneath a woman’s skirt (US, 1995)“; Dalzell/Victor Stichwort „upskirt“. Die hergestellte usw. Bildaufnahme bezeichnet man als „upskirt“.
2 „[A] type of voyeurism devoted specifically to seeing a woman’s breasts looking down her blouse (US, 1994)“; Dalzell/Victor Stichwort „downblouse“. 523 https://doi.org/10.1515/9783110490121-032
Berghäuser
§ 184k
Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen
ten zugänglich machen können.3 Nachdem ähnlich beschriebenes Verhalten auf Betreiben einer Petentin in England und Wales durch den Voyeurism (Offences) Act 2019 unter Strafandrohung verboten worden war,4 stieß auch hierzulande die Petition zweier Frauen („Verbietet #Upskirting in Deutschland“) ein Gesetzgebungsverfahren an, in welchem vergleichsweise zeitnah mehrheitlich auf die Lückenhaftigkeit der vor Inkrafttreten des 59. StRÄndG geltenden Strafgesetze befunden wurde.5 Um die konstatierte Schutzlücke zu schließen, wurde u.a. die Prüfung einer Änderung des Tatbestands der sexuellen Belästigung (§ 184i) angeregt,6 die Einfügung eines neuen Sexualdelikts (§ 184k) in das StGB7 oder eine Erweiterung des § 201a vorgeschlagen.8 Letztlich wurde die Formulierung der Vorschrift in ihren wesentlichen Grundzügen dem Gesetzentwurf der BReg. v. 11.3.2020 (BTDrucks. 19/17795) entnommen. Anders als im Regierungsentwurf noch vorgesehen, wurde das Verbot aufgrund der Beschlussempfehlung des BTRAussch. (BTDrucks. 19/20668) jedoch nicht in § 201a Abs. 1 integriert. Stattdessen wurde mit § 184k ein neuer Tatbestand in den 13. Abschnitt des StGB über Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung eingefügt. Maßgeblich hierfür war die Einschätzung, dass im Vordergrund die Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts stehe.9 Weiterreichende Vorstöße, die unbefugte Aufzeichnung nackter (erwachsener) Personen oder solcher in Badekleidung auch außerhalb von visuellen Schutzbereichen (Oberbekleidung, Räume u.A.) durch § 184k,10 § 201a11 oder einen neu einzufügenden § 201b StGB-E12 zu pönalisieren, haben keinen Anklang gefunden.
Gesetzesmaterialien BTDrucks. 19/11113 (Entschließungsantrag der FDP-Fraktion); BRDrucks. 423/19 (Entschließungsantrag der Länder Rheinland-Pfalz, Bremen); BRDrucks. 443/19 (Gesetzesantrag der Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Saarland); BTDrucks.19/15825 (Gesetzentwurf des BR); BRDrucks. 8/20 (Gesetzentwurf der BReg.); BRDrucks. 8/1/20 (Empfehlungen der Ausschüsse); BTDrucks. 19/17795 (Gesetzentwurf der BReg.); BTDrucks. 19/18980 (Gesetzentwurf der AfD-Fraktion); BTDrucks. 19/20748 (Änderungsantrag der Fraktion Die Linke); BTDrucks. 19/20752 (Änderungsantrag der FDP-Fraktion); BTDrucks. 19/20668 (Beschlussempfehlung und Bericht des BTRAussch.).
Übersicht I. 1. 2.
Allgemeines 1 Rechtsgut Bedeutung der Vorschrift
a) b)
5 Empirische Daten Rechtslage vor dem 59. StRÄndG
7
4
3 Berghäuser ZIS 2019 463 f; Hirte/Berghäuser S. 42, 45 f. 4 Sexual Offences Act 2003 Section 67A Subsections 1–4 gem. Änderung durch den Voyeurism (Offences) Act 2019 v. 12.2.2019. Zu den Unterschieden zu § 184k s. vorliegend Rdn. 14, Rdn. 16 m. Fn. 65, Rdn. 43 m. Fn. 175.
5 AA DAV Stellungnahme in der öffentlichen Anhörung im BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4, 10, https://www.bundes tag.de/ausschuesse/a06_Recht/anhoerungen/stellungnahmen-697308 (zuletzt aufgerufen am 2.8.2021, zit. DAV bzw. Stellungnehmender Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020). 6 BRDrucks. 423/19 Anl. S. 4; Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme 19-16 v. 11.7.2019 S. 2 (neben der Anregung zur Prüfung einer Änderung des § 201a), https://www.djb.de/presse/stellungnahmen (zuletzt aufgerufen am 9.7.2021). 7 BTDrucks.19/15825; BRDrucks. 443/19; zust. Rebmann Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 2; alternativer Entwurf eines § 184k StGB-E bei Bonnin/Berndt HRRS 2019 450, 456 f. 8 BTDrucks. 19/17795; 19/18980. Alternativ wurde in der Literatur die Einfügung eines neuen § 201b StGB-E (Verletzung der Intimsphäre durch Bildaufnahmen) oder eine ersatzlose Streichung der räumlichen Beschränkung in § 201a Abs. 1 Nr. 1 empfohlen; für ersteres Eisele/Straub KriPoZ 2019 367, 369; für letzteres Mengler ZRP 2019 224, 226. 9 BTDrucks. 19/20668 S. 15; so schon BTDrucks.19/15825 S. 1 f, 9; BRDrucks. 443/19 S. 2, Anl. S. 4 f; zust. BTDrucks. 19/20748 S. 2; gegenteilige Einschätzung von einer maßgeblichen Verletzung des Rechts am eigenen Bild noch BTDrucks. 19/17795 S. 3, 11; der Intimsphäre BTDrucks. 19/17795 S. 1, 10; ferner BTDrucks. 19/18980 S. 1 f, 10. 10 Vgl. § 184k Abs. 1 StGB-E gem. BTDrucks. 19/20748; § 184k Abs. 1 S. 1 StGB-E gem. BTDrucks. 19/20752 jew. im Anschluss an Hoven Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 3, 7; für eine dahingehende Prüfung zwischenzeitlich wieder BTDrucks. 19/30750 S. 205, 211. 11 Vgl. § 201a Abs. 3 StGB-E gem. BTDrucks. 19/18980 S. 1 f, 7, 12 m. abl. Anm. Rebmann Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 43 ff m.w.N.; Hoven Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 6. 12 Vgl. § 201b Abs. 1 Nr. 1 StGB-E gem. Eisele Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 8 f; ders./Straub KriPoZ 2019 367, 373 f. Berghäuser
524
I. Allgemeines
3.
Kritik
II. 1.
Objektiver Tatbestand 12 Tatgegenstand 13 a) Bildaufnahme 15 b) Gegenstand der Bildaufnahme 16 aa) Geschützte Körperteile bb) Diese Körperteile bedeckende Unter20 wäsche 21 cc) Einer anderen Person 24 dd) Gegen Anblick geschützt 31 Tathandlungen a) Unbefugtes Herstellen oder Übertragen 32 (Absatz 1 Nr. 1) b) Gebrauchen oder Zugänglichmachen unbefugt hergestellter Bildaufnahme (Absatz 1 35 Nr. 2)
2.
10
c)
Unbefugtes Zugänglichmachen befugt hergestellter Bildaufnahme (Absatz 1 38 Nr. 3)
III.
Subjektiver Tatbestand und Irrtum
IV.
Tatbestandsrestriktion (Absatz 3)
V.
Vollendung und Versuch
VI.
Rechtsfolgen
44
47
51 53
VIII. Prozessuales Sonstiges
40
49
VII. Konkurrenzen
IX.
§ 184k
56
I. Allgemeines 1. Rechtsgut Schutzgut der Vorschrift ist ausweislich ihrer (kontrovers diskutierten) systematischen Einbet- 1 tung in den 13. Abschnitt des StGB und der Gesetzesmaterialien zuvörderst das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (Kritik in Rdn. 10 f), präzise die negative Selbstbestimmungsfreiheit i.S. e. Abwehrrechts gegen Zugriffe anderer. Daneben soll § 184k das Recht am eigenen Bild schützen,13 ebenso wie die Vorschrift dem Recht auf Wahrung der Intimsphäre dient (vgl. § 201a).14 Bestimmend für die Einordnung als Sexualdelikt ist nicht, dass notwendig eine sexuelle 2 Tatmotivation vorliegen müsste (Rdn. 3, 43). Maßgeblich ist die äußerliche Sexualbezogenheit des inkriminierten Verhaltens, nämlich eine sexuelle Konnotation, welche den unbefugt abgebildeten Körperteilen und der sie bedeckenden Unterwäsche allgemein zugeschrieben wird.15 Im Anschluss an die umfassende Reform des deutschen Sexualstrafrechts durch das 50. StRÄndG v. 4.11.2016 (BGBl. I S. 2460),16 die maßgeblich vom Grundsatz „Nein heißt Nein“ geprägt war,17 schenkt § 184k dem erkennbaren entgegenstehenden Willen des Opfers in einem weiteren Zusammenhang Beachtung: Eine Person, die ihre sexuell konnotierten Körperteile oder die diese Körperteile bedeckende Unterwäsche vor ungewolltem Anblick abschirmt, indem sie Oberbekleidung trägt oder die fraglichen Körperpartien mit einer sonstigen gegen Anblick schützenden 13 BTDrucks. 19/20668 S. 15; zust. Ziegler BeckOK Rdn. 2; Grieser Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 3; Hoven Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 3 f. Zur sexuellen Selbstbestimmung schon BTDrucks.19/15825 S. 1 f, 9; BRDrucks. 443/19 S. 2, Anl. S. 4 f; allg. zur Unterscheidung negativer und positiver Selbstbestimmungsfreiheit Hörnle LK12 Vorbem. § 174 Rdn. 28; Renzikowski Ad Legendum 2022 93, 95 m.w.N. 14 Der Entwurf der BReg., der die gesetzliche Neuregelung noch in § 201a verankern wollte, sah die Verletzung des Rechts am eigenen Bild sowie eines solchen auf Wahrung der Intimsphäre gar im Vordergrund; BTDrucks. 19/17795 S. 3, 11 (zum Recht am eigenen Bild), S. 1, 10 (zur Intimsphäre); krit. auch Fischer Rdn. 2; Renzikowski MK Rdn. 3 (Intimsphäre als die „eigentlich von § 184k geschützte Rechtsposition“); Eisele Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4 f. 15 BTDrucks. 19/20668 S. 15; vgl. auch Hoven/Weigend JZ 2017 182, 189; Renzikowski Hdb. des Strafrechts/4 § 11 Rdn. 74 jew. zu § 184i; Hörnle MK § 184h Rdn. 2 ff und Wolters SK § 184h Rdn. 3 jew. zur sexuellen Handlung gem. § 184h, deren Sexualbezogenheit sich nicht (Wolters) oder nur hilfsweise bei äußerlich ambivalenten Handlungen (Hörnle) nach den Motiven des Täters bestimme. 16 Im Einzelnen krit. Hörnle NStZ 2017 13; Hoven/Weigend JZ 2017 182; Renzikowski NJW 2016 3553. 17 BTDrucks. 18/9097 S. 2, 22; Hörnle NStZ 2017 13 f. 525
Berghäuser
§ 184k
Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen
Sichtbarriere verdeckt, erfährt nunmehr auch hinsichtlich dieser erkennbaren Willensmanifestation den Schutz des Sexualstrafrechts (Berghäuser ZIS 2019 463, 465). Dabei schützt § 184k allerdings nicht vor jedem „visuellen Zugriff“,18 sondern nur vor demjenigen, der nach Vorstellung des Gesetzgebers vermittels des Merkmals der Bildaufnahme die Grenze zur Strafwürdigkeit überschreitet, nämlich sich in einer solchen Aufnahme perpetuiert.19 Diese Perpetuation macht es möglich, den gewonnenen visuellen Eindruck durch Übertragung der Bildaufnahme unmittelbar an Dritte weiterzugeben oder ihn im Falle der Herstellung dauerhaft festzuhalten, sodass er wiederholt gebraucht oder Dritten zugänglich gemacht werden kann. Während dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung im Gesetzgebungsverfahren das Recht zugeordnet wurde, nicht gegen seinen Willen zum Objekt sexuellen Begehrens anderer gemacht zu werden,20 schützt § 184k also ausschnittsweise das Recht, „selbst darüber zu entscheiden, ob und in welcher Weise man durch Abbildung [des] Intimbereichs zum Gegenstand sexuell konnotierter Betrachtung durch andere werden will“.21 Die äußerliche Sexualbezogenheit der inkriminierten Verhaltensweisen wird nach Annahme 3 des Gesetzgebers dadurch unterstrichen, dass der Tatbegehung nach § 184k regelmäßig (wenn auch nicht notwendig) eine sexuelle Motivation zugrunde liege, d.h., dass der Täter entweder bereits aus der Aufnahmesituation einen sexuellen Lustgewinn ziehen will oder einen solchen sich oder Dritten mittels Betrachtung der angefertigten Aufnahme verschaffen will.22 Schließlich reagiert der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 184k in den 13. Abschnitt des StGB auf das verschiedentlich kommunizierte Bedürfnis betroffener Personen, die Tat als Verletzung ihrer sexuellen Selbstbestimmung zu kennzeichnen (Opferinteressen).23 In diesem Zusammenhang wird auch von Opferreaktionen im Nachgang der Tat berichtet, welche als typisch für das Erleben von Sexualdelikten bezeichnet werden (z.B. Entwicklung eines Schuld- oder Schamgefühls, Einübung in selbstschützendem Vermeidungsverhalten, Auftreten psychosomatischer Beschwerden24).
2. Bedeutung der Vorschrift 4 Die Bedeutung des neu in das StGB eingefügten Sexualdelikts erschließt sich aus einer Einschätzung der praktischen Relevanz des inkriminierten Verhaltens einerseits und einer Subsumtion des mehraktigen25 Fehlverhaltens unter die Tatbestände des StGB und OWiG vor dem 59. StRÄndG andererseits.
18 Zitat aus BTDrucks. 19/15825 S. 14, 15; BRDrucks. 443/19 Anl. S. 13; ähnl. BTDrucks. 19/15825 S. 10; BRDrucks. 443/19 Anl. S. 5: „visuelles Eindringen in den körperlichen Intimbereich einer anderen Person“.
19 Zw. noch Berghäuser ZIS 2019 463, 473 f u. 474. 20 BTDrucks.19/15825 S. 2, 9; BRDrucks. 443/19 S. 2 u. Anl. S. 4 f im Anschluss an Sch/Schröder/Eisele § 174 Rdn. 1. 21 Zitat aus BTDrucks. 19/20668 S. 15; 19/15825 S. 14; BRDrucks. 443/19 S. 13 (Kursivschreibung durch die Verfasserin); nahezu wortgleich BTDrucks. 19/15825 S. 2, 9; BRDrucks. 443/19 S. 2, Anl. S. 5; krit. hins. der zitierten Formulierung Renzikowski Ad Legendum 2022 93, 103. 22 BTDrucks. 19/20668 S. 15; 19/15825 S. 2, 9; BRDrucks. 443/19 S. 2, Anl. S. 5; zust. Grieser Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 3. 23 BTDrucks. 19/20668 S. 15; 19/15825 S. 14; BRDrucks. 443/19 Anl. S. 6, 13; zust. Rebmann Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 9 ff; krit. Kubiciel jurisPR-StrafR 23/2019 Anm. 1, Ziff. II.1; Renzikowski MK Rdn. 2. 24 Seidel/Sassenberg Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020; Renzikowski MK Rdn. 8; Berghäuser ZIS 2019 463, 466; Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 3; zu Auswirkungen auf den Umgang mit Kleidung BTDrucks. 19/15825 S. 10; BRDrucks. 443/19 Anl. S. 6; 423/19 Anl. S. 1. Ausführungen zu Tatfolgen bei Opfern sexueller Gewalt m.w.N. bei Vavra Die Strafbarkeit nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen (2020) S. 68 ff. 25 Unterscheidung dreier Teilakte (Beobachten, Herstellen oder Übertragen, Zugänglichmachen) bei Berghäuser ZIS 2019 463, 465 f; Hirte/Berghäuser S. 42, 47. Diese Mehraktigkeit wäre noch um den Gebrauch einer unbefugt hergestellten Bildaufnahme zu vervollständigen. Berghäuser
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I. Allgemeines
§ 184k
a) Empirische Daten. In Ermangelung einer statistischen Erhebung, die sich speziell den inkri- 5 minierten Verhaltensweisen widmen würde, konnte zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens nicht verlässlich beziffert werden, wie viele Personen in Deutschland hiervon tatsächlich betroffen sind, ebenso wenig wie ein fundiertes Profil von Tätern und Opfern gezeichnet werden konnte.26 Dies wurde so ausdrücklich eingeräumt (BTDrucks. 19/15825 S. 10; BRDrucks. 443/19 Anl. S. 6). Einschlägiges Bildmaterial, das im Internet veröffentlicht oder auf sichergestellten und durchgesehenen Mobiltelefonen gefunden worden ist, lässt jedenfalls solange nur eingeschränkt eine Schlussfolgerung auf Fallzahlen zu, wie man einvernehmlich angefertigtes pornografisches Bildmaterial nicht sicher von unbefugt erstelltem unterschieden hat.27 Soweit sich Upskirt-Fotografen u.a. laut Medienberichten in Foren über geeignete Aufnahmegeräte und -situationen austauschen sollen (BRDrucks. 443/19 Anl. S. 6), ist zu bedenken, dass ein solcher Austausch u.U. nicht nur der straflosen Vorbereitung zur Tat (ohne notwendigerweise nachfolgende Tatbegehung), sondern v.a. auch einem Spannen mit Hilfsmitteln (Rdn. 14) dienen kann, das nach der gesetzgeberischen Entscheidung strafrechtlich irrelevant ist. Ebenso können Einschätzungen zum Fallaufkommen im Ausland (beispielsweise in Japan28 oder England und Wales29) nicht ohne Weiteres auf die Situation in Deutschland übertragen werden.30 Vor diesem Hintergrund besteht weiterhin ein Bedarf für die Förderung empirischer Studien zu den inkriminierten Verhaltensweisen in Deutschland. In der Polizeilichen Kriminalstatistik können seit Inkrafttreten der Vorschrift immerhin 543 erfasste Fälle nachvollzogen werden, in denen die weit überwiegende Anzahl der Opfer (524 von 609) weiblichen Geschlechts ist (Bundeskriminalamt PKS 2021 Tab. 01 Fälle Bund u. Tab. 91 Opfer insg., jew. Version 1.0). Handlungsleitend für den Gesetzgeber waren demnach keine nachvollziehbaren empiri- 6 schen Daten, sondern eine nach seinem Dafürhalten plausibel anmutende Schlussfolgerung von der Gelegenheit auf die (Bedeutung der) Tat: Insoweit nehmen die Gesetzesmaterialien Bezug auf die zunehmende Verfügbarkeit von Kameras mit hoher Bildqualität in Alltagsgeräten, insb. in Mobiltelefonen. Diese ermöglichen einfach und unauffällig, Bilder von sexuell konnotierten Körperregionen einer anderen Person zu fertigen, die den Blicken fremder Menschen nach dem Willen der abgebildeten Person gerade entzogen sein sollen.31
b) Rechtslage vor dem 59. StRÄndG. Ausgehend von einer solchen Plausibilität beanspru- 7 chenden Schlussfolgerung von der Gelegenheit auf die Tat (Rdn. 6) soll der Tatbestand des § 184k eine Strafbarkeitslücke schließen, die in den strafgesetzlichen Vorschriften zum Schutz des Rechts der sexuellen Selbstbestimmung, des Rechts auf Wahrung der Privat- und Intimsphäre und des Rechts am eigenen Bild besteht.32 Während die sexuelle Belästigung gem. § 184i
26 Berghäuser ZIS 2019 463. 27 Berghäuser ZIS 2019 463, 464; vgl. Renzikowski MK Rdn. 9 a.E. (zu einer erwarteten Ineffektivität der Aufklärung und Strafverfolgung); andere Einschätzung bei BTDrucks. 19/15825 S. 10; BRDrucks. 443/19 S. 1 f u. Anl. S. 4, 6. Nachw. zur medialen Berichterstattung über die Fallrelevanz in Japan bei Berghäuser ZIS 2019 463 f m. Fn. 8. Darauf verweisend BRDrucks. 443/19 Anl. S. 6; weiterer Nachw. bei Berghäuser ZIS 2019 463 f m. Fn. 8. S. aber BRDrucks. 443/19 Anl. S. 6. BTDrucks. 19/17795 S. 1; 19/15825 S. 1, 9, 10; BRDrucks. 443/19 S. 1 u. Anl. S. 4, 6; 423/19 Anl. S. 1; zust. Rebmann Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 7 m.w.N. zum Verhältnis von Recht und technischer Entwicklung; Grieser Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 1. Vgl. auch schon zur Änderung des § 201a durch das 49. StRÄndG v. 21.1.2015 (BGBl. I S. 10, 14) in BTDrucks. 18/2601 S. 36; Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 1; Kindhäuser/Hilgendorf § 201a Rdn. 1; Valerius Hdb. des Strafrechts/4 § 13 Rdn. 1. 32 Ausführl. zur nachfolgend dargestellten Strafbarkeit vor dem 59. StRÄndG u. deren Lücken Berghäuser ZIS 2019 463, 466–471; Hirte/Berghäuser S. 42, 48–55; Bonnin/Berndt HRRS 2019 450, 451 ff; BTDrucks. 19/15825 S. 10–13; BRDrucks. 443/19 Anl. S. 7–11; 423/19 Anl. S. 2–4.
28 29 30 31
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Berghäuser
§ 184k
Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen
eine vorsätzliche körperliche, das Opfer belästigende Berührung voraussetzt,33 zeichnen sich Sachverhalte der Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen34 regelmäßig dadurch aus, dass sich kein körperlicher, sondern ein rein visueller Zugriff vollzieht oder nach dem Willen des Täters vollziehen soll. Der Tatbestand einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen gem. § 201a Abs. 1 Nr. 1 wiederum schirmt Angelegenheiten des höchstpersönlichen Lebensbereichs bzw. der Intimsphäre (einschließlich solche der Sexualität oder Nacktheit35) nur in bestimmten Rückzugsbereichen ab, namentlich in einer Wohnung oder in einem besonders gegen Einblick geschützten Raum wie einer Toilette oder Umkleidekabine. Die Regelfälle des Upskirting oder Downblousing, die sich im öffentlichen Raum ereignen, sind dem Verbot somit entzogen; darüber hinaus kann im Falle intimer Detailaufnahmen eine mangelnde Identifizierbarkeit der abgebildeten Person (durch Dritte oder durch das mögliche Opfer selbst36) eine Strafbarkeit hindern. Soweit die angefertigten Bildaufnahmen nur einen kleinen Ausschnitt des menschlichen Körpers zeigen, der möglicherweise nicht durch besondere Merkmale gekennzeichnet und gemeinhin durch Kleidung der unmittelbaren Sicht entzogen ist, können mögliche Täter auch nicht wegen eines unbefugten Zugänglichmachens an Dritte gem. §§ 33, 22 KunstUrhG oder § 201a Abs. 2 belangt werden, weil sowohl der Bildnisbegriff (§ 22 KunstUrhG) als auch das Merkmal der Bildaufnahme in § 201a Abs. 2 die Möglichkeit der Identifizierung des abgebildeten Opfers voraussetzen.37 Wegen einer gelungenen oder wenigstens gewollten Heimlichkeit des Fehlverhaltens ver8 mochte die sich so offenbarende Schutzlücke üblicherweise auch nicht über eine Sanktionierung als Beleidigung geschlossen zu werden, weil § 185 die vorsätzliche Kundgabe eines mit der unbefugten Beobachtung oder Abbildung verbundenen Werturteils voraussetzt.38 In den Fällen, in denen das Fehlverhalten (zwecks Wirkung als Provokation, Imponiergehabe o.Ä.) bemerkt werden soll, bedürfte es wiederum einer über die nicht-einvernehmliche Tathandlung hinausreichenden herabsetzenden Bewertung des Opfers (z.B. in den die Aufnahmehandlung begleitenden Äußerungen), um eine Verletzung gerade des Rechtsguts der Ehre darzulegen.39 Dies gilt für den Herstellungsakt; das Zugänglichmachen der Bildaufnahmen an Dritte kann die äußere Ehre der fotografierten oder gefilmten Person (also ihr Ansehen und ihren guten Ruf in der Gesellschaft40) bereits dann nicht verletzen, wenn der Empfänger einer bildlichen Äußerung nicht erkennen kann, auf welche – ihm nicht notwendigerweise bekannte – Person sich diese Äußerung bezieht.41
33 Für diese gem. § 184i notwendige körperliche Berührung wird unterschiedlich der unmittelbare Kontakt zwischen Körper des Täters und dem des Opfers vorausgesetzt oder auch der durch Gegenstände vermittelte Kontakt für hinreichend befunden; für ersteres BTDrucks. 18/9097 S. 30; Lederer AnwK § 184i Rdn. 2; Ziegler BeckOK § 184i Rdn. 3; für letzteres Sch/Schröder/Eisele § 184i Rdn. 4; Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184i Rdn. 4; Fischer § 184i Rdn. 3; Noltenius SK § 184i Rdn. 4; Renzikowski MK § 184i Rdn. 10. 34 Intimbereich i.S. der in Absatz 1 S. 1 des § 184k aufgeführten Körperteile und der sie bedeckenden Unterwäsche. 35 BTDrucks. 15/2466 S. 5; Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 3. 36 Durch Dritte: Graf MK § 201a Rdn. 30; Hoyer SK § 201a Rdn. 15; ders. ZIS 2006 1, 2 f; durch das Opfer selbst: BGH NStZ 2015 391; Fischer § 201a Rdn. 5; Kargl NK § 201a Rdn. 14 a.E.; Valerius LK12 § 201a Rdn. 11; ders. Hdb. des Strafrechts/4 § 13 Rdn. 47; offen gelassen von BGH NStZ-RR 2019 143. 37 Zu § 22 KunstUrhG BGHZ 143 214, 228; BGH NJW 1979 2205; NJW 1965, 2148 f; Erbs/Kohlhaas/Kaiser § 33 Rdn. 5; Dreier/Schulze/Specht-Riemenschneider § 22 KunstUrhG Rdn. 3 f jew. m.w.N. Für § 201a Abs. 2 muss Entsprechendes gelten, weil § 201a Abs. 2 neben dem Merkmal der Bildaufnahme außerdem noch deren Eignung zur Schädigung des Ansehens der abgebildeten Person vorsieht und über das (äußerlich gebildete) „Ansehen“ einer Person erst die Wert- oder Geringschätzung Dritter entscheidet; Berghäuser ZIS 2019 463, 469; Hirte/Berghäuser S. 42, 53. 38 OLG Nürnberg NStZ 2011 217, 218; zu den Voraussetzungen der Kundgabe einschl. der Kenntnisnahme BGHSt 9 17, 19; Hilgendorf LK § 185 Rdn. 20; Valerius BeckOK § 185 Rdn. 19; Zaczyk NK § 185 Rdn. 13. 39 Vgl. BGHSt 36 145, 150; OLG Karlsruhe NJW 2003 1263, 1264. 40 Zur Unterscheidung von äußerer und innerer Ehre im Rahmen der §§ 185 ff s. Valerius BeckOK § 185 Rdn. 2, 14. 41 Vgl. zur Beleidigung durch Weitergabe von Aktlichtbildern BGHSt 9 17, 18 f. Berghäuser
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I. Allgemeines
§ 184k
Letztlich verblieb vor Inkrafttreten des 59. StRÄndG in vielen Fällen nur die Ahndung einer 9 Belästigung der Allgemeinheit gem. § 118 Abs. 1 OWiG, die anders als §§ 184i, 185 auch heimliches Vorgehen sanktioniert, solange es sich an einem allgemein zugänglichen Ort ereignet und in einer Weise, dass eine Wahrnehmung durch andere nicht gänzlich ausgeschlossen ist.42 Weil § 118 Abs. 1 OWiG aber nur dem Schutz der öffentlichen Ordnung verpflichtet ist,43 ist die Vorschrift weder dazu bestimmt noch geeignet, das Bedürfnis Betroffener nach Anerkennung individuell erfahrenen Unrechts zu befriedigen. Darüber hinaus erfahren Gebrauch und Zugänglichmachen einer hergestellten Bildaufnahme so keine Anerkennung als eigenständiges Tatunrecht und spiegelt die Rechtsfolge des Ordnungswidrigkeitenrechts (nicht Strafe, sondern nur Geldbuße) eine relative Geringschätzung des verwirklichten Unrechts wider. Einer positiv-generalpräventiven Zielsetzung des Inhalts, ein Wert- und Unrechtsbewusstsein entsprechend den Strafandrohungen in § 184i (für die Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung) oder § 201a (für die Verletzung des Rechts auf Wahrung der Intimsphäre sowie des Rechts am eigenen Bild) zu vermitteln, wüsste § 118 Abs. 1 OWiG jedenfalls nicht zu genügen.
3. Kritik Damit bedient § 184k eine Gesetzeslücke, deren praktische Bedeutung zwar noch nicht abschlie- 10 ßend nachvollzogen worden ist, die sich in der Rechtslage vor dem 59. StRÄndG aber systematisch insb. in direkter Gegenüberstellung mit § 201a Abs. 1 Nrn. 1, 4 und 5 offenbarte. Während die durch den Vorhang einer Umkleidekabine bewirkte Sichtbarriere den Schutz des Strafrechts zu vermitteln wusste, vermochte dies das Tragen einer Oberbekleidung nicht, wenngleich ein mögliches Opfer auf diesem Wege gleichermaßen zum Ausdruck bringt, dass es die von Textilien verborgenen bzw. bedeckten Körperregionen keinem Dritten zeigen will.44 Bereits aufgrund dieser systematisch sich offenbarenden Lücke konnte ein Handlungsbedarf des Gesetzgebers bejaht werden.45 Die Einfügung des Sexualdelikts in seiner konkreten Form mutet allerdings eher reflexhaft denn reflektiert an.46 Entgegen einer Grundregel der Gesetzestechnik, nach welcher das zu schützende Rechtsgut „Ausgangspunkt und Leitgedanke der Tatbestandsbildung“ ist,47 wurde im Wesentlichen eine am Schutzgut des § 201a ausgerichtete, weil hierfür bestimmte Formulierung des Strafgesetzes in den Tatbestand des § 184k implantiert.48 Entstanden ist so ein Hybridtatbestand, der nach der Gesetzesbegründung und ausweislich seiner systematischen Einbettung zwar primär das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung schützt, dessen dem § 201a entlehnten Voraussetzungen aber eine andere Rechtsgutsverletzung nachzeichnen (Hirte/
42 S. etwa VGH München BeckRS 2009, 43260 m. Rdn. 10; VG München BeckRS 2009 48325. 43 Senge KK-OWiG § 118 Rdn. 2. 44 BTDrucks. 19/17795 S. 3; so schon Berghäuser ZIS 2019 463, 471 f; vgl. zur Funktion des Rocks VG München BeckRS 2009 48325.
45 Krit. Walter ZRP 2020 16, 19 u. 20; weiterführend Mengler ZRP 2019 224; Wolf Berliner AnwBl. 2020 307, 308; Renzikowski MK Rdn. 11; Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 2 f jew. zur Frage eines Regelungsbedarfs nach der von der BRD im Oktober 2017 ratifizierten Istanbul-Konvention (Gesetz v. 17.7.2017 zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11.5.2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt; BGBl. II S. 1026). 46 Vgl. die Erörterung sog. „Ad-hoc-Gesetzgebung“ i. Allg. bei Hillenkamp FS Eisenberg (2019) 655, ebda. 666: „Strafgesetzgebung braucht […] Reflexion statt Reflex“; krit. zu § 184k Kubiciel ZStW 131 (2019) 1115, 1118; zur Begr. der Ziele des § 184k Kaspar KriPoZ 2020 14, 17. 47 Dazu und Zitat aus Jescheck/Weigend S. 256. 48 BTDrucks. 19/20668 S. 5, 15; 19/17795. Bereits der BR hatte das von ihm vorgeschlagene neue Sexualdelikt (§ 184k StGB-E) in enger Anlehnung an den Tatbestand des § 201a konzipiert; BTDrucks.19/15825 S. 2; ehem. BRDrucks. 443/19 Anl. S. 1. 529
Berghäuser
§ 184k
Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen
Berghäuser S. 42, 58 m. Fn. 63).49 Es handelt sich um eine Form des gesetzgeberischen Patchworks, in der man nicht nur einzelne Voraussetzungen einer ggf. verwandten Vorschrift entlehnt, sondern die wesentlichen Voraussetzungen eines primär dem Schutz eines anderen Rechtsguts dienenden Tatbestands in einen anderen Abschnitt des Strafgesetzbuchs verpflanzt hat. Eine solche Patchwork-Technik mag der faktischen Konsensfindung dienlich sein, verbürgt aber nicht, dass dieser Konsens auch nach rationalen Prinzipien gefunden wurde. Insbesondere muss man sich fragen, ob der Gesetzgeber anlässlich der Normierung des § 184k in seiner konkreten Form hinreichend zwischen dem betrachtenden und dem abbildenden Teilakt entsprechenden Verhaltensweisen unterschieden hat.50 Denn das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, das ausweislich der Gesetzesmaterialien ein Abwehrrecht des Einzelnen beinhalten soll, nach dem dessen Körper nicht gegen seinen Willen zum Objekt sexuellen Begehrens anderer gemacht werden dürfe,51 würde durch jedes „visuell[e] Eindringen in den körperlichen Intimbereich einer anderen Person“52 tangiert, unabhängig davon, ob der Täter es mit der Anfertigung einer Bildaufnahme kombiniert oder nicht. Wenn der Gesetzgeber die Strafbarkeit nach dem Vorbild des § 201a gleichwohl an das Merkmal der Bildaufnahme knüpft, muss er sich fragen lassen, ob er nicht eigentlich eine Verletzung der Intimsphäre und des Rechts am eigenen Bild sanktioniert und diese systematisch nur als strafwürdige Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung etikettiert (Hirte/Berghäuser S. 42, 57 f; dies. ZIS 2019 463, 474). Der „Kern der Strafbarkeit“ scheint immerhin in der Herstellung usw. einer Bildaufnahme und nicht in der Vornahme einer sexuellen oder sexualbezogenen Handlung zu liegen (Eisele/Straub KriPoZ 2019 367, 373; Renzikowski MK Rdn. 3).53 Diese Etikettierung der inkriminierten Verhaltensweisen als solche, die vordergründig das 11 Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und nur daneben das Recht am eigenen Bild sowie jenes auf Wahrung der Intimsphäre (vgl. § 201a) schützen, verschiebt in der Folge neuerlich die Grenzen des Sexualstrafrechts. Denn mit dem Verzicht auf das Erfordernis einer körperlichen Berührung54 in § 184k senkt der Gesetzgeber die Anforderungen an die Bejahung eines Sexualdelikts ein weiteres Mal herab, nachdem er erst 2016 den Tatbestand der sexuellen Belästigung in das StGB eingefügt hat,55 welcher an die in § 184h Nr. 1 normierte Erheblichkeitsgrenze für die Ahndung sexueller Handlungen nicht gebunden ist.56 Wenngleich der Gesetzgeber die tatbestandlichen Voraussetzungen der neuen Strafbarkeit in § 184k eng umschreibt, wird im Angesicht einer weiten Spannbreite potenziell belästigender Verhaltensweisen, deren Strafbedürftigkeit diskutiert werden kann (und mit dem sog. Catcalling aktuell bereits diskutiert wird57), 49 Zu einer hybridartigen Ahndung bereits im Gesetzentwurf des BR (§ 184k StGB-E) Berghäuser ZIS 2019 463, 474; DAV Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 6 m. Fn. 8. 50 Vgl. schon Hirte/Berghäuser S. 42, 57 zum Entwurf eines § 184k StGB-E durch den BR (BTDrucks. 19/15825); dies. ZIS 2019 463, 474 zum Entwurf der Länder Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Saarland (BRDrucks. 443/19). 51 BTDrucks.19/15825 S. 2, 9; BRDrucks. 443/19 S. 2 u. Anl. S. 4 f im Anschluss an Sch/Schröder/Eisele § 174 Rdn. 1. 52 BTDrucks. 19/15825 S. 6 f; BRDrucks. 443/19 Anl. S. 5; krit. zum Sprachgebrauch DAV Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 5. 53 So auch DAV Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 6; aA wohl Hoven Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 2 m. Fn. 1. 54 Zur körperlichen Prägung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts vgl. Vavra (Fn. 24) S. 172. 55 50. StRÄndG v. 4.11.2016 (BGBl. I S. 2460). 56 BTDrucks. 18/9097 S. 29 f; Renzikowski/Schmidt KriPoZ 2018 325, 327; zust. Lackner/Kühl/Heger § 184i Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele § 184i Rdn. 1; krit. Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184i Rdn. 1; Fischer § 184i Rdn. 2; Frommel NK § 184i Rdn. 4; Lederer AnwK § 184i Rdn. 1; Noltenius SK § 184i Rdn. 2; SSW/Wolters § 184i Rdn. 3. 57 djb Stellungnahme (Fn. 6) 21-09 v. 14.4.2021, Policy Paper „Catcalling“, S. 6 m. der Forderung nach Einfügung eines eigenen Straftatbestands oder einer Ordnungswidrigkeit der unzumutbar aufgedrängten Sexualität in das StGB (neben Einführung einer Qualifikation der Beleidigung und Ergänzung des § 46 Abs. 2 S. 2 um das Merkmal geschlechtsspezifischer Beweggründe); Runge/Schneider RuP 2022, 167, 179 f; demgegenüber einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf verneinend Pörner NStZ 2021 336; Windsberger NKrimP 2022 342, 356. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
§ 184k
abzuwarten sein, inwiefern der Verzicht auf die Körperlichkeit in § 184k den Weg für weitere Vorstöße ebnet, nicht erst das unbefugte Perpetuieren sexuell konnotierter Körperpartien in einer Bildaufnahme, sondern auch schon das Spannen, sonstige aufdringliche Blicke, eine offensive Wortwahl oder das bedrängende Aufrücken in öffentlichen Verkehrsmitteln mit den Mitteln des Strafrechts zu ahnden.58 In diesem Zusammenhang mahnt der ultima ratio-Grundsatz vor einer evtl. schrittweise verwirklichten Ausdehnung des in besonderer Weise stigmatisierenden Sexualstrafrechts auf nicht-körperliche Tathandlungen zur Vorsicht (Hirte/Berghäuser S. 42, 56 f; vgl. Berghäuser ZIS 2019 463, 473 f).59
II. Objektiver Tatbestand 1. Tatgegenstand Tatgegenstand des § 184k ist in allen Tatbestandsvarianten des Absatzes 1 eine Bildaufnahme 12 der im Gesetz näher beschriebenen schutzwürdigen Körperteile oder der sie bedeckenden Unterwäsche. Anders als in § 201a Abs. 1 Nr. 160 ist nicht vorausgesetzt, dass eine andere Person in einem räumlichen Schutzbereich wie einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum abgebildet wird. Tatbestandsmäßig sind auch Bildaufnahmen einer anderen Person, die sich in der Öffentlichkeit befindet.
a) Bildaufnahme. Wie in § 201a fallen unter den Begriff der Bildaufnahme zum einen Abbil- 13 dungen (einzelne Bilder oder Bildfolgen wie im Film), die auf einem Aufnahmemedium (Filmmaterial, Datenträger jeglicher Art) aufgezeichnet worden sind.61 Weil § 184k wie § 201a auch die Tatvariante des Übertragens einer Bildaufnahme kennt, genügen darüber hinaus auch solche Aufnahmen dem Tatbestand, die nicht oder jedenfalls nicht dauernd abgespeichert sind, sondern ggf. mit Zwischenspeicherung z.B. mittels Webcams oder Spycams in Echtzeit oder leicht verzögert zu anderen Geräten, Computern oder in das Internet übertragen werden.62 Für nähere Ausführungen wird auf die Kommentierung des § 201a hingewiesen (Valerius LK § 201a Rdn. 25). Indem das Gesetz die Bildaufnahme zum Tatbestandsmerkmal erhebt, lässt der Gesetzgeber 14 in § 184k wie auch schon in § 201a das bloße Beobachten (umgspr. Spannen) straflos.63 Das ist auch dann der Fall, wenn sich die Betrachtung der geschützten Körperteile oder Unterwäsche 58 Einen Überblick über nicht-körperliche belästigende Verhaltensweisen bietet Frankreichs (allerdings ordnungsrechtliche) Ahndung der sog. Straßenbelästigung (le harcèlement de rue); Nachw. bei Berghäuser ZIS 2019 463, 473. Vgl. auch die Reichweite des Begriffs sexueller Belästigung in der Alltagssprache; Corrêa Camargo ZStW 131 (2019) 595, 598 f. 59 Krit. bereits zur gegenwärtigen Verfolgung der sexuellen Belästigung im Wege der Strafe Matt/Renzikowski/ Eschelbach § 184i Rdn. 1; Fischer § 184i Rdn. 2, 12; Frommel NK § 184i Rdn. 4; hierin ebenfalls eine Tendenz zur Ausdehnung des Sexualstrafrechts erkennend Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 10 Rdn. 21. 60 § 184k ist im Lichte seines primären Schutzguts, des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung, auszulegen. Im Übrigen – d.h. vorbehaltlich der Eigenheiten, die dieser primäre Schutzzweck notwendig macht – wird eingedenk der Anlehnung des § 184k an § 201a Abs. 1 Nrn. 1, 4 u. 5 nachfolgend auf die zu § 201a entwickelten Grundsätze zurückgegriffen bzw. hierzu abgegrenzt. Zur Anlehnung des § 184k an § 201a Abs. 1 Nrn. 1, 4, 5 ausweislich der Gesetzesgeschichte, Grammatik und Systematik s.o. Rdn. 1, 10 u. die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. 61 Fischer Rdn. 3; vgl. zu § 201a BTDrucks. 15/2466 S. 5; 15/1891 S. 7; Fischer § 201a Rdn. 4; Graf MK § 201a Rdn. 24; Valerius LK § 201a Rdn. 25. 62 Fischer Rdn. 3; vgl. zu § 201a BTDrucks. 15/2466 S. 5; 15/1891, S. 7; SSW/Bosch § 201a Rdn. 4; Fischer § 201a Rdn. 4; Graf MK § 201a Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 6; Valerius LK12 § 201a Rdn. 9 (keine notw. dauerhafte Speicherung) u. ders. LK § 201a Rdn. 25 (keine notw. Speicherung). 63 Renzikowski MK Rdn. 16; vgl. zu § 201a BTDrucks. 15/1891 S. 6; 15/2466 S. 4; Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 13; Flechsig ZUM 2004 605, 607; Graf MK § 201a Rdn. 25; Heuchemer BeckOK § 201a Rdn. 16; Hoyer SK § 201a Rdn. 13; 531
Berghäuser
§ 184k
Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen
mit mechanischen oder technischen Hilfsmitteln vollziehen sollte, sodass derjenige, der sich unter Verwendung des Zoom-Objektivs eines Aufnahmegeräts unbefugt einen flüchtigen Blick auf fremde Körper verschafft, den Tatbestand der Vorschrift nicht verwirklicht. Dies gilt so lange, wie er den sich ihm darbietenden Anblick nicht in einer Bildaufnahme perpetuiert, nämlich nicht den Auslöser der Kamera bedient (Rdn. 2). Insoweit bleibt die deutsche Regelung hinter der „Vorreiterregelung“ in England und Wales (Voyeurism Offences Act 2019) zurück, die bereits die unbefugte Bedienung von Geräten unter der Kleidung einer anderen Person zwecks Betrachtung bestimmter Körperteile oder Unterwäsche (also das Spannen mit Hilfsmitteln) unter Strafe stellt.64
15 b) Gegenstand der Bildaufnahme. Absatz 1 Nr. 1 benennt für alle Tathandlungen den notwendigen Gegenstand der Bildaufnahme, deren Herstellen, Übertragen, Gebrauchen oder Zugänglichmachen strafbar ist. Erfasst sind bestimmte Körperteile oder die diese Körperteile bedeckende Unterwäsche einer anderen Person, soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind.
16 aa) Geschützte Körperteile. Zu den Körperteilen einer anderen Person, die möglicher Gegenstand der Bildaufnahme sind, zählen ausweislich der Aufzählung in Absatz 1 Nr. 1 Genitalien, Gesäß und weibliche Brust einer anderen Person.65 In Übereinstimmung mit dem Zweck der Vorschrift, die primär das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung schützen soll (Rdn. 1), beschränkt das Gesetz den Kanon schutzwürdiger Körperteile auf solche, denen nach allgemeinem Dafürhalten eine sexuelle Konnotation eigen ist, d.h. unabhängig von persönlichen Vorlieben ein erotischer Reiz beigemessen wird.66 Dies gilt für die Genitalien als primäre Geschlechtsmerkmale, das sekundäre Geschlechtsmerkmal der weiblichen Brust und wird vom Gesetzgeber auch für das Gesäß bejaht. Überdies ist den abschließend aufgeführten Körperteilen gemein, dass sie hierzulande im öffentlichen Raum üblicherweise bedeckt werden, was neben der bloßen Gebräuchlichkeit ebenso dem Schamgefühl wie der Rücksichtnahme auf eine Erwartung anderer, nicht ungewollt mit dem Anblick intimer Körperbereiche konfrontiert zu werden, geschuldet ist.67 Der Begriff der Genitalien (Geschlechtsorgane) bedarf nach dem Zweck der Vorschrift wei17 terer Präzisierung. Da sich das Verbot des § 184k gegen die Herstellung, Übertragung oder sonsLackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 4; Valerius LK § 201a Rdn. 73; ders. Hdb. des Strafrechts/4 § 13 Rdn. 46; krit. Safferling MLR 2008 36, 40 f m. Blick auf Schutzrichtung und Strafbarkeit des Übertragens; zu letzterem auch Fischer § 201a Rdn. 17; Kargl NK § 201a Rdn. 15. 64 Voyeurism Offences Act 2019 Section 2 (1) (a) v. 12.2.2019 (s.o. zur Entstehungsgeschichte m. Fn. 4). 65 Über die zu schützenden Körperteile herrschte im Gesetzgebungsverfahren noch Uneinigkeit. Im Entwurf eines § 184k StGB-E durch den BR wurde in Absatz 1 als Tatbestandsmerkmal der Oberbegriff „Intimbereich“ gewählt (BTDrucks. 19/15825 S. 7), der ausweislich der Begründung (a.a.O. S. 16) den „Bereich der Genitalien, des Gesäßes oder unmittelbar angrenzende Bereiche der Oberschenkel“ erfassen sollte (entspr. schon BRDrucks. 443/19 Anl. S. 1 m. Begr. a.a.O. Anl. S. 17); zust. Rebmann Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 17 f; krit. Berghäuser ZIS 2019 463, 474; DAV Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 7. Mit der Einbeziehung der weiblichen Brust in den Kanon geschützter Körperteile reicht § 184k nunmehr weiter als die geltende Regelung in England und Wales, die auf Genitalien, Gesäß und diese Körperteile bedeckende Unterwäsche („genitals, buttocks or underwear“) Bezug nimmt; Voyeurism (Offences) Act 2019 v. 12.2.2019 (s.o. zur Entstehungsgeschichte m. Fn. 4). Über eine Strafbarkeit des Downblousing wird allerdings auch dort bereits diskutiert; https://www.walesonline.co.uk/news/uk-news/down blouse-images-deepfakes-made-illegal-19918481 (zuletzt aufgerufen am 9.7.2021). 66 Die Frage nach der Schutzwürdigkeit auch anderer, nicht sexuell konnotierter Körperpartien aufwerfend Kubiciel jurisPR-StrafR 23/2019, Anm. 1, Ziff. II.2. 67 Soweit Nacktheit den Grund für eine Belästigung der Allgemeinheit gem. § 118 OWiG legt oder sich mit einer exhibitionistischen oder sexuellen Handlung verbindet, steht gar eine Ordnungswidrigkeit oder Strafbarkeit gem. § 183 oder § 183a im Raum. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
§ 184k
tige Verwendung von Bildaufnahmen des gegen Anblick geschützten Körperäußeren richtet, kann das Gesetz nur die äußeren, nicht die inneren Genitalien einer anderen Person meinen. Zu den äußeren Genitalien zählen die Vulva (als Oberbegriff für Schamhügel, Schamlippen, äußerlich sichtbaren Teil der Klitoris und sog. Scheidenvorhof), Penis und Skrotum bzw. Hodensack.68 Das Gesäß bzw. der Hintern als Hinterseite des Körpers, auf dem man sitzt, ist wiederum von den unmittelbar angrenzenden Bereichen der Oberschenkel zu unterscheiden, welche der Gesetzentwurf des BR noch von dem Verbot erfasst wissen wollte (BTDrucks. 19/15825 S. 16),69 die aber letztlich keinen Eingang in die abschließende Aufzählung geschützter Körperteile in § 184k Abs. 1 Nr. 1 gefunden haben. Des Weiteren ist nicht die männliche, sondern nur die weibliche Brust Gegenstand des 18 von § 184k inkriminierten Bildinhalts. Aufgrund der fehlenden Eigenschaft als sekundäres Geschlechtsmerkmal wird die männliche Brust vom Gesetzgeber für „weniger schützenswert“, nämlich für nicht schutzwürdig im Rahmen des § 184k befunden.70 Nachdem die Zugehörigkeit zur Gruppe der sekundären Geschlechtsmerkmale (zu denen u.a. auch die Körperbehaarung einschließlich der Behaarung der männlichen Brust zählt71) augenscheinlich aber keinen hinreichenden Grund für die Aufnahme in den Kanon schutzwürdiger Körperteile bildet, dürfte die unterschiedliche Bewertung der weiblichen und männlichen Brust vielmehr der andersartigen Sexualisierung und Tabuisierung in der hiesigen Gesellschaft geschuldet sein. Jene führt einerseits (ggf. noch) zu einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung an die regelmäßige Bedeckung der weiblichen Brust im öffentlichen Raum (eine Erwartungshaltung, die bezüglich der männlichen Brust jedenfalls nicht in einem vergleichbaren Maße besteht) (Rdn. 16),72 bedingt andererseits aber auch eine besondere Erwartung der einzelnen Person, dass ihre Verhüllung dieses sexualisierten wie tabuisierten Körperbereichs nicht unterwandert wird. Dabei soll Gegenstand der von § 184k vorausgesetzten Bildaufnahme nach dem Willen des 19 Gesetzgebers auch die Brust einer Person sein können, welche zwar formal dem männlichen Geschlecht zuzuordnen ist, sich aber erkennbar dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlt (wie im Falle einer Transgenderfrau).73 Tragend für deren Einbeziehung in den Kanon schutzwürdiger Körperteile nach § 184k war die in den Gesetzesmaterialien beispielhaft festgehaltene Erwägung, dass ein Fertigen von Bildaufnahmen zu Lasten einer aus Tätersicht weiblichen Person nicht allein wegen einer formal abweichenden Geschlechtszuschreibung straflos bleiben soll.74 Die grammatikalische Formulierung der Vorschrift, in welcher bewusst nicht von der Brust einer Frau, sondern von der weiblichen Brust einer anderen Person geschrieben wird, lässt eine solche Auslegung grundsätzlich zu.75 Denn das Adjektiv weiblich meint nicht zwingend „dem gebärenden Geschlecht angehörend“76 oder „zur Frau als Geschlechtswesen gehörend“,77 sondern kann auch nur auf etwas hinweisen, das „von einer Art [ist], wie es für das weibliche Geschlecht 68 Schöller/Pschyrembel Redaktion Pschyrembel Online (12.2016) m. Stichwort „Genitale“. 69 Entspr. bereits BRDrucks. 443/19 Anl. S. 17 (s. auch schon Fn. 65). 70 BTDrucks. 19/17795 S. 13; zust. Bonnin/Berndt NJOZ 2020 129, 131; Hoven Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4.
71 Schöller/Pschyrembel Redaktion Pschyrembel Online (04.2016) m. Stichwort „Geschlechtsmerkmale“. 72 Zw. Fischer Rdn. 4, 4a. Vorstöße zu einer Entsexualisierung der weiblichen Brust haben gleichsam die Annahme einer bestehenden Sexualisierung dieses Teils des weiblichen Körpers zur Voraussetzung (anderenfalls sie sich hiergegen nicht wenden müssten). Ein Beispiel bildet aktuell (2021/22) u.a. die Diskussion über Möglichkeiten des „Oben ohne-Badens“ aller Geschlechter in dt. Schwimmbädern. 73 BTDrucks. 19/17795 S. 13; abl. Kötz IPRB 2020 143, 146; die Klarheit des Gesetzestextes bemängelnd Bonnin/ Berndt NJOZ 2020 129, 131. Demgegenüber zust., aber in Sorge um die Einbeziehung von inter* Personen in den Schutzbereich der Norm Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4. 74 BTDrucks. 19/17795 S. 13. 75 Insoweit die Reichweite des Wortlauts verkennend Kötz IPRB 2020 143, 146; zu eng auch Bonnin/Berndt NJOZ 2020 129, 131. 76 Duden Dt. Universalwörterbuch S. 2027 m. Stichwort „weiblich“, Ziff. 1. 77 Duden Dt. Universalwörterbuch S. 2027 m. Stichwort „weiblich“, Ziff. 2. 533
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als typisch, charakteristisch gilt“.78 Im ersteren Sinn dieser doppelten Wortbedeutung nähme eine „weibliche Brust“ mithin auf die zu einer Frau als Geschlechtswesen gehörende Brust Bezug, im zweiten Sinn auf eine Brust, deren Erscheinungsbild dem Äußeren einer Frau ab Einsetzen des Brustwachstums in der Pubertät entspricht, ohne dass die zugehörige Person selbst dem weiblichen Geschlecht zugeordnet sein muss. Hält man sich weiter an die Gesetzesbegründung, die explizit betont, dass das Adjektiv weiblich „allein auf die Brust und nicht auf das Geschlecht des [folgerichtig geschlechtsneutral als ‚andere Person‘ bezeichneten] Opfers“ bezogen sein soll,79 scheint der Gesetzgeber den zuerst genannten Wortsinn verworfen und stattdessen im zuletzt genannten Wortsinn das für das weibliche Geschlecht Charakteristische im Auge gehabt zu haben. Dies harmoniert mit dem Schutzzweck der Vorschrift, welche die weibliche Brust nicht etwa deshalb in den Anwendungsbereich des § 184k einbezieht, weil sie (irgend-)ein Körperteil einer Frau ist, sondern weil sie in ihrem typischen äußeren Erscheinungsbild allgemein mit einer sexuellen Konnotation versehen ist, welche die Verbindung zum Recht auf sexuelle Selbstbestimmung herstellt (Rdn. 2, 18). Weil Absatz 1 Nr. 1 das auf die Charakteristik verweisende Adjektiv „weiblich“ auf einen Körperteil bezieht („weibliche Brust“),80 setzte das Gesetz gem. dieser Auslegung außerdem voraus, dass die Brust selbst in ihrem Erscheinungsbild an das weibliche Geschlecht angeglichen ist, wie es sich z.B. für die Brust einer Transgenderfrau im Anschluss an eine Behandlung mit Sexualhormonen darstellen kann. Vom Körper unabhängige Annäherungen an das typische Erscheinungsbild einer weiblichen Brust, wie sie sich beispielsweise im Tragen eines Büstenhalters (einem nur von außen an den Körper herangetragenen Gegenstand) ausdrücken können, scheinen demgegenüber der Wortbedeutung nicht zu genügen; denn in diesen Fällen wäre nicht der Körperteil selbst, sondern nur dessen Verhüllung „weiblich“ ausgestaltet. Vor dem Hintergrund einer solchen Annäherung an die Bedeutung des Gesetzeswortlauts bliebe aber wiederum unbeantwortet, ob oder wie das Gesetz etwa diejenige Brust zu erfassen vermag, die beispielsweise infolge einer krankheitsbedingten Amputation (ohne Brustaufbau) das für eine Frau typische Erscheinungsbild eingebüßt hat. Bezieht man das Adjektiv weiblich nämlich mit der Gesetzesbegründung „allein auf die Brust“, wäre es nicht nur möglich, Transgenderfrauen – und andere Personen mit nichtbinärer Geschlechtsidentität81 – in den Kreis potenzieller Opfer nach § 184k einzubeziehen (vorbehaltlich dessen, dass die Brust die für das weibliche Geschlecht typische Charakteristik aufweist). Man könnte darüber hinaus auch zur (mutmaßlich ungewollten82) Schlussfolgerung gelangen, dass brustamputierte Frauen von dem Kreis potenziell Betroffener auszuschließen wären. Wenngleich die Erwägung eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz83 so lange voreilig sein dürfte, wie 78 Duden Dt. Universalwörterbuch S. 2027 m. Stichwort „weiblich“, Ziff. 3 (Klammerzusatz durch die Verfasserin eingefügt). 79 Zitat aus BTDrucks. 19/17795 S. 13 (Klammerzusatz durch die Verfasserin eingefügt). Diese gewollt geschlechtsneutrale Umschreibung des Opfers in § 184k unterscheidet sich etwa von der bewusst nicht geschlechtsneutral verfassten Täterumschreibung in § 183 Abs. 1; krit. zu letzterer Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme 19-06 v. 7.3.2019 S. 9 f, https://www.djb.de/presse/stellungnahmen (zuletzt aufgerufen am 9.7.2021). Ebda. entnimmt man dem geltenden Gesetzeswortlaut als Täter nämlich nicht eine Person, die ihr männliches Genital entblößt (der Gesetzgeber kennzeichnet also nicht die Eigenschaft eines Körperteils unter Verwendung des Adjektivs männlich). Stattdessen setzt der Tatbestand als Täter ausdrücklich einen Mann voraus (Hörnle MK § 183 Rdn. 5), der eine solche exhibitionistische Handlung vornimmt, d.h. integriert das Substantiv Mann in die Tatbeschreibung. 80 Auf die Gefahr einer ggf. diskriminierenden und entwürdigenden Beweisaufnahme hinweisend Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4. 81 Zw. aber Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4. 82 Tragend für die Einbeziehung der Brust einer Transgenderfrau in den Kanon schutzwürdiger Körperteile nach § 184k scheint nach der Gesetzesbegründung jedenfalls die umgekehrte Sachverhaltskonstellation gewesen zu sein, in der die betroffene Person formal dem männlichen Geschlecht zugeordnet ist, äußerlich aber bereits einen weiblich geformten Körper aufweist; s.o. Rdn. 19 m. Fn. 74 u. BTDrucks. 19/17795 S. 13. 83 Die Fragestellung aufwerfend Ziegler BeckOK Rdn. 3.1; von Bestimmtheitsbedenken schreibend Bonnin/Berndt NJOZ 2020 129, 131. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
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der gesetzliche Wortlaut Raum zur weiteren (notwendigen) Auslegung lässt, deuten die hier skizzierten ersten Ansätze einer Auslegung (die sich noch auf eine Betrachtung des Wortlauts und gesetzgeberischen Willens beschränken) doch darauf hin, dass, wenn schon nicht die Wortwahl des Gesetzes, so aber die zugrundeliegende Begründung und deren Folgen womöglich nicht vollständig durchdacht worden sind.
bb) Diese Körperteile bedeckende Unterwäsche. Hinreichender Gegenstand der Bildauf- 20 nahme ist auch die Unterwäsche einer anderen Person, welche deren Genitalien, Gesäß oder weibliche Brust bedeckt. Der Begriff der Unterwäsche ersetzt den noch im Regierungsentwurf vorgesehenen Begriff der Unterbekleidung (vgl. § 201a Abs. 1 S. 4 StGB-E in der Fassung gemäß BTDrucks. 19/17795 S. 7). Als vorgeblich prägnanterer Begriff soll er ausweislich der Beschlussempfehlung (BTDrucks. 19/20668 S. 16), die insoweit einem Hinweis in der Anhörung des BTRAussch.84 folgt, einer zu weiten Auslegung des Gesetzes entgegenwirken. Ob der gewählte Begriff diese Zielsetzung zu verwirklichen mag, kann im Angesicht seiner synonymen Verwendung indes bezweifelt werden. Nach allgemeinem Sprachgebrauch bezeichnen sowohl der Begriff der Unterwäsche als auch der der Unterbekleidung die unmittelbar auf dem Körper getragene Wäsche (gleich Kleidungsstücke)85 und nehmen über das Präfix „Unter-“ gleichermaßen Bekleidungsstücke in Anspruch, die unter anderen Kleidungsstücken getragen werden. Im Einklang mit diesem allgemeinen Sprachgebrauch ist es zielführender, die Zugehörigkeit von Kleidungsstücken zur Unterwäsche (synonym Unterbekleidung86) nach deren Funktion (unmittelbare Bedeckung des Körpers) sowie dem Gesetzeszweck zu bestimmen, nach dem § 184k die sexuelle Selbstbestimmung der Person über die Abbildung ihrer sexuell konnotierten Körperbereiche schützen soll (Rdn. 1 f). In der Folge wären unter den Begriff der Unterwäsche solche Kleidungsstücke zu fassen, denen nicht notwendig bereits nach ihrer allgemeinen Zweckbestimmung, aber nach ihrer konkreten Verwendung im Einzelfall erkennbar die Funktion zukommt, die in Absatz 1 Nr. 1 genannten Körperteile unmittelbar zu bedecken oder zu verbergen. In der Folge würde man also nicht nur – in Übereinstimmung mit ihrer allgemeinen Zweckbestimmung und konkreten Nutzung – direkt auf der Haut getragene Unterhosen, Büstenhalter oder Unterhemden zur Unterwäsche zählen können, sondern auch solche Kleidungsstücke, welche im konkreten Einzelfall erkennbar als Äquivalent (also als gleichwertiger Ersatz) dieser typischen „Repräsentanten“ der Unterwäsche zur Verwendung kommen, sodass ihre unbefugte Abbildung die Intimsphäre des Opfers gleichermaßen berührt,87 wie wenn dessen gegen Anblick geschützter Slip oder Büstenhalter aufgezeichnet würde. Ausgehend davon wiese der im konkreten Einzelfall z.B. im Karneval oberhalb eines T-Shirts getragene Büstenhalter nicht die spezifische Funktion einer Unterwäsche auf,88 während etwa eine die Unterhose substituierende Bade- oder Radlerhose unter den Tatbestand zu fassen wäre.89 Entsprechend könnte dies für eine Zweitunterhose zu beurteilen sein, wenn diese den Sichtschutz, welche die unmittelbar auf dem Körper getragene Unterhose vermittelt, immerhin noch weiter verstärken soll.90 Demgegenüber überzeugt es nicht, wenn vertreten wird, dass eine blickdichte Strumpfhose nicht unter den Begriff der Unterwäsche soll subsumiert werden können, weil sie teilweise (typischerweise im Bereich der Unterschenkel) für Außenste-
84 Eisele Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 6; vgl. bereits Eisele/Straub KriPoZ 2019 367, 371. 85 Duden Dt. Universalwörterbuch S. 1893 m. Stichwort „Unterwäsche“, S. 1885 m. Stichwort „Unterbekleidung“, S. 2014 m. Stichwort „Wäsche“, Ziff. 2. 86 Duden Dt. Universalwörterbuch, S. 1885 m. Stichwort „Unterbekleidung“. 87 Zur Berührung der Intimsphäre durch die Abbildung von Unterbekleidung vgl. BTDrucks. 19/17795 S. 13. 88 Insoweit zu weitgehend Ziegler BeckOK Rdn. 3, nach dessen Dafürhalten Unterhose, Unterhemd und Büstenhalter unproblematisch Unterwäsche i.S.d. Gesetzes darstellen. 89 So i.Erg. auch Ziegler BeckOK Rdn. 3. 90 Dafür i.Erg. Ziegler BeckOK Rdn. 3. 535
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hende sichtbar sei.91 Denn eine solche Argumentation verschleift das Tatbestandsmerkmal der Unterwäsche mit dem Merkmal „gegen Anblick geschützt“. Zu erwägen wäre stattdessen, dass die Eigenschaft eines Kleidungsstücks, als Unterwäsche zu fungieren bzw. eine solche zu substituieren, auch nur für einen Teil des Kleidungsstücks bejaht werden kann, wie im Fall der Strumpfhose für deren Höschenteil. Erfüllt das Tragen des Höschenteils im konkreten Fall die spezifischen Funktionen einer Unterwäsche (z.B., weil das mögliche Opfer keine Unterhose trägt, sodass der Höschenteil der Strumpfhose ersatzweise Genitalbereich und Gesäß textil verhüllen soll), hieße das, dass die Strumpfhose insoweit Unterwäsche i.S.d. gewählten Gesetzeswortlauts darstellt; dass der davon zu unterscheidende Beinteil sichtbar ist, wäre unschädlich.92 Demgegenüber unterschiede sich eine unter dem Rock getragene Jeanshose nach Zuschnitt, Textilart und Zweckbestimmung wiederum so sehr von den typischen Eigenschaften einer Unterhose, dass der unter dem Rock verborgene Teil der Jeanshose wohl auch dann nicht als deren gleichwertiger Ersatz begriffen werden könnte, wenn das mögliche Opfer die Jeans direkt auf der Haut tragen sollte. Hier fehlte es an einer hinreichenden Entsprechung zwischen den Eigenschaften eines Textils, das bereits nach allgemeiner Zweckbestimmung Unterwäsche ist, und denen des Substituts, das einen gleichwertigen (äquivalenten) Ersatz darstellen muss, um im konkreten Fall als Unterwäsche fungieren zu können. Im Einzelnen lassen sich aufgrund der funktionellen Austauschbarkeit verschiedener Kleidungsstücke noch viele weitere Grenzfälle erdenken,93 für welche der Begriff der Unterwäsche der vorhersehbar strittigen Konturierung durch Rechtsprechung und Literatur harrt.
21 cc) Einer anderen Person. Die Bildaufnahme muss die Körperteile oder die diese Körperteile bedeckende Unterwäsche einer anderen Person zeigen. Eine Person i.S.d. § 184k ist ein real existierender und z.Z. der Aufnahme lebender Mensch jedweden Geschlechts.94 Verstirbt die abgebildete Person nach dem Herstellungsakt (Absatz 1 Nr. 1), können die Tatbestände des Gebrauchens oder Zugänglichmachens der Aufnahme an Dritte (Absatz 1 Nr. 2, Nr. 3) weiterhin verwirklicht werden.95 Mangels gesetzlicher Anordnung eines Übergangs des Antragsrechts auf die Angehörigen eines verstorbenen Verletzten (Rdn. 54) bedarf die Strafverfolgung in diesen Fällen jedoch der Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses durch die Strafverfolgungsbehörden. Davon unberührt bleibt ein postmortal gewährleisteter Persönlichkeitsschutz unter den Voraussetzungen der §§ 33, 22 S. 3 KunstUrhG.96 22 Das Tatbestandsmerkmal der Bildaufnahme i.S.v. § 184k verlangt – abweichend vom Bildnisbegriff des § 22 KunstUrhG97 und der Auslegung des Merkmals der Bildaufnahme in § 201a durch Teile der Literatur98 (Rdn. 7) – nicht, dass die abgebildete Person auf der Aufnahme von 91 So aber Ziegler BeckOK Rdn. 3 („zumindest nicht zweifelsfrei“); für vergleichbare Kleidungsstücke Eisele Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 6; Eisele/Straub KriPoZ 2019 367, 371; Renzikowski MK Rdn. 14 a.E.
92 Indes dürfte vielfach der notwendige Vorsatz nicht gegeben sein oder jedenfalls der Nachweis der subjektiven Tatseite Schwierigkeiten bereiten. 93 Zur funktionellen Austauschbarkeit unterschiedlicher Bekleidungsarten. auch Fischer Rdn. 5. 94 Renzikowski MK Rdn. 13. Vgl. Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 5; Hoyer SK § 201a Rdn. 14; SSW/Bosch § 201a Rdn. 5; Fischer § 201a Rdn. 5; Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 3; Valerius LK § 201a Rdn. 30; außerdem Graf MK § 201a Rdn. 27 ff m.w.N. zum Meinungsstand im Rahmen des § 201a bis zur zum 1.1.2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung (BGBl. I S. 2075), durch welche der persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift in § 201a Abs. 1 Nr. 3 punktuell auf verstorbene Personen erweitert wurde. 95 Vgl. Graf MK § 201a Rdn. 28; aA zu § 201a Flechsig ZUM 2004 605, 613; wohl Hoyer SK § 201a Rdn. 55. 96 Zum KunstUrhG Flechsig ZUM 2004 605, 613; Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 6. 97 BGHZ 143 214, 228; BGH NJW 1979 2205; NJW 1965 2148 f; Erbs/Kohlhaas/Kaiser § 33 KunstUrhG Rdn. 5; Dreier/ Schulze/Specht-Riemenschneider § 22 KunstUrhG Rdn. 3 f jew. m.w.N. 98 Offen gelassen von BGH NStZ-RR 2019 143; aus der Betroffenheit des höchstpersönlichen Lebensbereichs auf eine notwendige Erkennbarkeit schlussfolgernd Graf MK § 201a Rdn. 30; Hoyer SK § 201a Rdn. 15; ders. ZIS 2006 1, 2 f. Berghäuser
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Dritten erkannt werden kann.99 Dies ergibt sich bereits daraus, dass § 184k den notwendigen Gegenstand der Bildaufnahme auf einzelne Ausschnitte des Körpers einer anderen Person beschränkt, die gemeinhin durch Kleidung der unmittelbaren Sicht entzogen, ggf. nicht durch besondere Merkmale gekennzeichnet und in der Folge regelmäßig nicht zur Identifizierung durch Dritte geeignet sind.100 Daraus folgt, dass man allenfalls eine Erkennbarkeit für das Opfer selbst, nicht für Dritte würde verlangen können.101 Nach Vorstellung des Gesetzgebers setzt § 184k aber auch eine Erkennbarkeit für das Opfer selbst nicht voraus. Gestützt wird dieser Verzicht auf jegliches Erfordernis der Erkennbarkeit auf die primäre Schutzrichtung der Vorschrift (Rdn. 1), die ein von der Identifizierungsmöglichkeit unabhängiges Recht auf sexuelle Selbstbestimmung schützen soll.102 Ausgeschlossen bleiben nach dem Gesetzeswortlaut Aufnahmen von solch minderer Bildqualität oder mit so verfremdetem Gegenstand, dass sie nicht die Feststellung ermöglichen, dass es sich überhaupt um die Abbildung einer (anderen) Person handelt.103 Selbstaufnahmen sind weder von Absatz 1 Nr. 1 noch von dem „an eine Tat nach Num- 23 mer 1“ anknüpfenden Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 2 erfasst.104 Demgegenüber nimmt Absatz 1 Nr. 3 nicht auf eine Tat nach Nummer 1, sondern auf eine Bildaufnahme „der in der Nummer 1 bezeichneten Art“ Bezug. In Übereinstimmung mit der neueren Rechtsprechung des BGH zum Tatbereich des § 201a Abs. 1 Nr. 5 (n.F.)105 wird eine andere Person demnach zwar betreff des Inhalts der Bildaufnahme vorausgesetzt (sodass jene eine vom Täter verschiedene Person zeigt), nicht aber betreff des der Bildentstehung zugrunde liegenden Herstellungsakts. Gegenstand einer Tat nach Absatz 1 Nr. 3 können mithin auch solche Aufnahmen sein, die von der abgebildeten Person selbst hergestellt wurden.106
dd) Gegen Anblick geschützt. Der Gesetzeswortlaut stellt klar, dass Absatz 1 Nr. 1 die ge- 24 nannten Bereiche des Körpers nur insoweit erfasst, als sie gegen Anblick geschützt sind. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers wie Schutzrichtung des Gesetzes vermittelt jenes Merkmal das maßgebliche Handlungsunrecht des Täters, der entgegen dem objektiv erkennbaren, nämlich im Schutz gegen Anblick erkennbar werdenden Willen des Opfers in dessen körperliche Intimsphäre visuell eindringt bzw. ein willenswidrig sichtbar gemachtes Abbild hiervon zum Gegenstand seines Begehrens macht.107 Maßgeblich für die Tatbestandsverwirklichung ist eine objektiv, d.h. für einen außenstehen- 25 den Dritten erkennbare Manifestation des Willens des Opfers, die von § 184k geschützten Körperteile oder die sie bedeckende Unterwäsche vor den Blicken Dritter zu verbergen.108 In den Worten der Gesetzesmaterialien bedarf es einer nicht nur, aber regelmäßig „durch die Be99 BTDrucks. 19/15825 S. 10, 16 f; BRDrucks. 443/19 S. 1 f u. Anl. S. 4 u. 6; Fischer Rdn. 3. 100 BTDrucks. 19/15825 S. 12 (zu § 22 KunstUrhG), 16 f; Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4, 5.
101 Vgl. zu Nahaufnahmen von Körperteilen (z.B. Geschlechtsmerkmalen) einer Person im Rahmen des § 201a BGH NStZ 2015 391; Fischer § 201a Rdn. 5; Kargl NK § 201a Rdn. 14 a.E.; Valerius LK § 201a Rdn. 29; ders. Hdb. des Strafrechts/4 § 13 Rdn. 47. 102 BTDrucks. 19/15825 S. 17; Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4 f; entspr. für den Schutz der Intimsphäre Eisele Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4; ders./Straub KriPoZ 2019 367, 369 f. 103 BTDrucks. 19/15825 S. 17; vgl. zu § 201a BGH NStZ-RR 2019 143; Fischer § 201a Rdn. 5; Kargl NK § 201a Rdn. 14 a.E.; Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 4; Valerius LK § 201a Rdn. 29. 104 Vgl. Graf MK § 201a Rdn. 30; Valerius LK § 201a Rdn. 28. 105 BGH NJW 2020 3608, 3609 m. zw. Anm. Busch NJW 2020 3609 f; zust. Kudlich JA 2020 952, 953; abl. Schork ZUM 2021 360, 361 f. 106 Vgl. Sch/Schröder/Eisele § 201 a Rdn. 33; Mitsch Jura 2006 117, 119; Valerius LK § 201a Rdn. 28; zw. SSW/Bosch, § 201 a Rdn. 5; aA Hoyer SK § 201a Rdn. 37. 107 BTDrucks. 19/17795 S. 13; 19/15825 S. 1, 9; Renzikowski MK Rdn. 15. Für eine klarstellende Einfügung des Willensmerkmals in den Gesetzeswortlaut eintretend Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 6. 108 Ziegler BeckOK Rdn. 4; vgl. im Kontext des § 201a auch schon Mengler ZRP 2016 224, 226. 537
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kleidung nach außen hin dokumentierte[n] Bestrebung des Opfers […], diese Körperteile fremden Anblicken zu entziehen“ (BTDrucks. 19/17795 S. 13). Dabei ist es hinreichend, wenn die Wahl der Bekleidung oder einer anderen bedeckenden Sichtbarriere durch einen solchen Willen mitbedingt ist; das Hinzutreten oder auch Überwiegen anderer Absichten (z.B. Schutz vor Wettereinwirkungen) ist unerheblich.109 26 In Unterscheidung statt Verschleifung der Anwendungsbereiche der §§ 201a Abs. 1 Nr. 1 und 184k verlangt § 184k das Unterwandern eines solchen Schutzes gegen Anblick, der durch die Verhüllung der Person selbst bewirkt wird.110 Während in Sachverhalten, die § 201a Abs. 1 Nr. 1 unterliegen, ein Raum gegen Einblick111 schützt, d.h. das Sehen in den Raum hinein auf die darin befindliche Person unterbinden soll, wendet sich in Sachverhalten des § 184k eine sonstige, direkt am Körper des Opfers befindliche Sichtbarriere gegen den Anblick,112 d.h. setzt der unmittelbaren Darbietung für das Auge ein Hindernis. Die Verhüllung der Person selbst wirkt als mobile sichtschützende Enklave in der Öffentlichkeit wie innerhalb von Räumlichkeiten.113 In eine Faustformel des Inhalts „unter der Kleidung statt hinter der Tür“ übersetzt, verbirgt das Opfer einer Tat nach § 184k seine sensiblen Körperpartien unter114 einer gegen Anblick schützenden Oberbekleidung oder sonstigen direkt am Körper getragenen Sichtbarriere, während sich das Opfer einer Tat nach § 201a Abs. 1 Nr. 1 hinter115 die äußerlichen Umgrenzungen eines gegen Einblick besonders schützenden Raumes zurückzieht.116 Im Übrigen lässt § 184k in Abweichung von den umgangssprachlichen Begriffen des Upskirting und Downblousing – die auf bestimmte, typischerweise der Damenbekleidung zugeordnete Kleidungsstücke Bezug nehmen – und eingedenk der Verpflichtung der Gesetzesfassung zu einer geschlechtsneutralen Bezeichnung von Tat, Tätern und Opfern offen, durch welche Art der Oberbekleidung oder sonstigen Sichtbarriere das Opfer die geschützten Körperpartien vor fremden Blicken abschirmt.117 Typische Manifestationen eines Willens zur Verhüllung der eigenen Person sind das Tragen von Oberbekleidung oder das Nutzen anderer Sichtschutz spendender Objekte wie eines Handtuchs.118 Dabei müssen improvisierte Barrieren gegen Anblick wie die, die mittels des Überwerfens eines Handtuchs hergestellt werden, den Körper vergleichbar einem Kleidungsstück unmittelbar bedecken, um dem Tatbestand des § 184k zu unterfallen. Wird vermittels ihrer stattdessen
109 Vgl. Fischer Rdn. 6 („Nebeneffekt“ des Sichtschutzes hinreichend); Ziegler BeckOK Rdn. 4; zu § 201a Rahmlow HRRS 2005 84, 87. 110 Vgl. Renzikowski MK Rdn. 15 (durch die Bekleidung vermittelter Sichtschutz). Für eine gesetzliche Gleichstellung von Bekleidung und geschützten Räumen im Gesetzgebungsverfahren eintretend Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 6. 111 Einblick i.S.v. (Außenstehenden ermöglichter) Blick in etwas hinein; Duden Dt. Universalwörterbuch S. 488 m. Stichwort „Einblick“. 112 Anblick i.S.v. etwas, was sich dem Auge darbietet; Duden Dt. Universalwörterbuch S. 144 m. Stichwort „Anblick“. Die Gesetzesmaterialien verfolgen die gesetzliche Unterscheidung zwischen „Einblick“ und „Anblick“ indes nicht konsequent, sondern verwenden den Begriff des Einblicks vereinzelt als Synonym hinsichtlich der i.S.d. § 184k gegen Anblick schützenden Oberbekleidung; so BTDrucks. 19/17795 S. 13 („Einblicke in weit ausgeschnittene Blusen“); 19/15825 S. 16 („Einblicke in den Intimbereich“). 113 Zum Begriff der Enklave bereits Berghäuser ZIS 2019, 463, 471 f; Hirte/Berghäuser S. 42, 59; Mengler ZRP 2019 224, 226; parallel zur Gewahrsamsenklave nach § 242 Kubiciel jurisPR-StrafR 23/2019, Anm. 1, Ziff. I m. Fn. 1. 114 Unter, d.h. von etwas darüber Befindlichem unmittelbar bedeckt oder berührt; Duden Dt. Universalwörterbuch S. 1885 m. Stichwort „unter“, Ziff. 1 lit. d. 115 Hinter, d.h. auf der Rückseite oder auf der abgewandten Seite von etwas; Duden Dt. Universalwörterbuch S. 879 m. Stichwort „hinter“, Ziff. 1. 116 Zur Tateinheit von Taten nach § 184k und solchen nach § 201a Abs. 1 Nr. 1 s. vorliegend Rdn. 52. 117 BTDrucks. 19/17795 S. 12; 19/15825 S. 16; BRDrucks. 443/19 Anl. S. 17; 423/19 Anl. S. 4; Berghäuser ZIS 2019 463, 464 f; Hirte/Berghäuser S. 42, 47. 118 BTDrucks. 19/17795 S. 13; Renzikowski MK Rdn. 15; vgl. zur Funktion des Rocks als Sichtbarriere VG München BeckRS 2009 48325. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
§ 184k
vorübergehend ein Raum abgegrenzt,119 in den sich das Opfer zurückziehen kann (z.B., indem an Stecken angebrachte Handtücher eine Sichtschutzkabine formen), beurteilt sich die Unterwanderung der äußeren Umgrenzungen dieses improvisierten Raumes gegen Einblick nach § 201a Abs. 1 Nr. 1.120 Neben der Bejahung der generellen Eignung eines Kleidungsstücks oder einer anderen den 27 Körper bedeckenden Barriere, als Sichtschutz zu wirken, verlangt das Merkmal „gegen Anblick geschützt“ außerdem, dass diese Eignung auch im konkreten Einzelfall (in Abhängigkeit von Zuschnitt, Verwendungszweck der Textilien u.A.) festgestellt werden kann. Eingedenk des Potenzials einer ungewollten Förderung der Neutralisierungstechniken von Tätern und einer sekundären Viktimisierung des Opfers durch Dritte (Berghäuser ZIS 2019 463, 466, 472; Hirte/ Berghäuser S. 42, 60),121 welches die Frage nach der konkreten Eignung eines Kleidungsstücks oder einer anderen „mobilen“ Barriere zum Sichtschutz beinhaltet (welches Kleidungsstück vermag nach seinem Zuschnitt in welcher Körperhaltung und in welchem Bewegungsvorgang einen Schutz gegen Anblick i.S.d. § 184k zu entfalten?122) ist deren Beantwortung streng an der Ermittlung des sich erkennbar ausdrückenden Opferwillens und nicht unmittelbar an den Maßstäben Dritter auszurichten.123 In Parallele zum Schutz gegen Einblick i.S.d. § 201a Abs. 1 Nr. 1 bedarf es keines lückenlosen und mithin perfekten Sichtschutzes,124 aber eines solchen, der erstens objektiv den Anblick erschwert, also selbigem zumindest irgendein Hindernis setzt, und zweitens objektiv erkennbar so gestaltet ist, das aus dem geschaffenen Hindernis auf den Willen des Opfers zur Verdeckung der fraglichen Körperpartien geschlussfolgert werden kann.125 Etwaige weitergehende Anforderungen, wie sie das Merkmal eines „besonderen“ Schutzes notwendig machen könnte,126 stellt der Gesetzgeber an den Schutz gegen Anblick i.S.d. § 184k nicht. In der Folge unterfallen Körperteile und Unterwäsche insoweit nicht dem Schutz des § 184k, 28 als sie entweder gar nicht bedeckt sind127 oder nach dem erkennbaren Willen des Opfers in bestimmten Körperhaltungen oder Bewegungsabläufen sichtbar werden dürfen. Beispielhaft 119 Zur Unterscheidung von Kleidung und Raum als, wenn auch ggf. gleichsam nur temporär bestehende, so doch feste Eingrenzung einer Ausdehnung in Länge, Breite, Höhe (Duden Dt. Universalwörterbuch S. 1447 m. Stichwort „Raum“), in dem sich nach allgemeinem Sprachgebrauch außerdem eine Person „befinden“ i.S.v. aufhalten kann, Berghäuser ZIS 2019 463, 469; zust. Eisele/Straub KriPoZ 2019 367, 369; aA wohl noch Flechsig ZUM 2004 605, 610. 120 SSW/Bosch § 201a Rdn. 9; Kargl NK § 201a Rdn. 6. 121 Zust. Renzikowski MK Rdn. 15; dazu auch Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 5 f, 6 f; Grieser Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4. Zur Neutralisierungstechnik des „Denial of the Victim“ (einschließlich der Abwertung des Opfers und der Schuldzuweisung an dasselbe) Sykes/Matza American Sociological Review 22 (1957) 664, 668; zum sog. Victim Blaming i.Z.m. Sexualstraftaten Lembke ZfRSoz 2014 253, 263 ff.; Vavra (Fn. 24) S. 85 f; Weis Die Vergewaltigung und ihre Opfer (1982) S. 138. 122 Eine entsprechende Fragestellung nach der Funktionalität der sichtschützenden räumlichen Umgrenzungen eines Grundstücks wird im Rahmen des § 201a Abs. 1 Nr. 1 etwa dergestalt beantwortet, dass ein im Bereich eines vergleichsweise niedrigen Gartentores von außen einsehbares Grundstück keinen besonderen Schutz gegen Einblick i.S.d. Vorschrift leistet; Graf MK § 201a Rdn. 43. Entsprechendes gilt für einen Büroraum mit vorhanglosem Fenster; OLG Karlsruhe NJW-RR 2006 987, 988; Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 11. 123 Vgl. auch den Bedeutungsgehalt des Schutzguts des 13. StGB-Abschnitts, der bereits ausweislich seiner Überschrift keine vorgeblich allgemeine Sittlichkeit (und damit Maßstäbe Dritter), sondern die individuelle Autonomie des Einzelnen schützt; zur Änderung der Überschrift durch das 4. StrRG v. 27.11.1973 (BGBl. I S. 1725, 1726) s. Hörnle LK12 Vorbem. § 174 Rdn. 6, 27; F.-C. Schroeder ZRP 1971 14 f; Vavra (Fn. 24) S. 153 f; dies. ZIS 2018 611, 612. 124 Renzikowski MK Rdn. 15; vgl. zu § 201a Rahmlow HRRS 2005 84, 88. 125 Vgl. Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 11 (objektiver vom Opfer genutzter Sichtschutz, auf dessen abschirmende Wirkung das Opfer vertraut); Hoyer SK § 201a Rdn. 19; Rahmlow HRRS 2005 84, 87 f (Sichtschutz, der das willkürliche Hineinsehen zumindest erschwert u. zum Zweck des Blickschutzes errichtet wurde o. min. verwendet wird). 126 Vgl. zum Merkmal eines „gegen Einblick besonders geschützten Raums“ in § 201a Hoyer SK § 201a Rdn. 19; Rahmlow HRRS 2005 84, 88; Valerius LK § 201a Rdn. 37; ders. Hdb. des Strafrechts/4 § 13 Rdn. 51. 127 Zu Vorstößen, die unbefugte Aufzeichnung nackter (erwachsener) Personen auch außerhalb von visuellen Schutzbereichen (Oberbekleidung, Räume u.A.) durch § 184k, § 201a oder einen neu einzufügenden § 201b StGB-E zu pönalisieren, s.o. die Nachw. in Fn. 10–12. 539
Berghäuser
§ 184k
Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen
verweisen die Gesetzesmaterialien auf Aufnahmen am Strand, auf denen im Hintergrund Personen mit nur teilweise bedecktem Gesäß zu sehen sind, ebenso auf Bildaufnahmen bei sportlichen Ereignissen wie beispielsweise dem Eiskunstlauf, in deren Rahmen die Unterbekleidung (i.S.v. Unterwäsche) bei regelkonformer Ausführung des Sports sichtbar und somit nicht gegen Anblick geschützt ist.128 Weil die Sichtbarkeit von Körperteilen oder Unterwäsche in diesen Fällen vorhersehbar ist, mangelt es bei gleichwohl nicht hinreichendem Schutz gegen Anblick an einer Manifestation des maßgeblichen Opferwillens, jene Körperpartien den Blicken Dritter zu entziehen, sodass sich der Täter über einen solchen Willen auch nicht i.S.d. Strafgesetzes hinwegsetzen kann. Entsprechend erfahren jene Partien des Körpers oder der ihn bedeckenden Unterwäsche nicht den Schutz des § 184k, die das mögliche Opfer objektiv erkennbar für andere gewollt offenlegt. So bringt beispielsweise die Trägerin eines Dekolletés durch ihre Kleidungswahl zum Ausdruck, dass sie den für Dritte sichtbar bleibenden Teil der weiblichen Brust aus Gründen des Brauchtums (Stichwort Dirndl), modischen oder sonstigen Gründen gerade nicht gegen Anblick schützen will, sondern im Gegenteil den Blicken Dritter darbietet.129 Demgegenüber ist der Tatbestand erfüllt, soweit der Täter die Reichweite des für ihn sicht29 baren Ausschnitts der geschützten Körperpartie durch eine Veränderung seines Blickwinkels manipuliert, sodass er aus seinem veränderten Blickwinkel eine Bildaufnahme von einem Körperbereich herstellen oder übertragen kann, der in der üblichen Körperhaltung und -bewegung von Oberbekleidung bedeckt ist, d.h. seinem Blick nach dem objektiv erkennbaren Willen des möglichen Opfers gerade entzogen sein soll. Derlei Manipulationen der Sicht des Täters können sich durch den Einsatz mechanischer und technischer Hilfsmittel (wie Drohnen,130 Schuhkameras131 o.Ä.) vollziehen, welche dem Täter die Einnahme eines Blickwinkels ermöglichen, den das Auge eines menschlichen Gegenübers nicht hätte.132 Im Einklang mit der Vorstellung des Gesetzgebers können sie darüber hinaus auch dem Ausnutzen einer Position im Raum entspringen, wenn sich der Täter etwa in erhöhter Position auf einer Leiter,133 einer Rolltreppe134 oder im oberen Stockwerk eines Treppenhauses befindet und von dort aus Bereiche der weiblichen Brust fotografiert oder filmt, auf welche er als direktes Gegenüber des bekleideten Opfers nicht blicken könnte.135 In § 184k wie in § 201a136 muss das Opfer den Anblick seiner geschützten Körperbereiche und Unterwäsche nicht unmöglich machen, sodass sie tatsächlich nicht einsehbar sind – was eine unerfüllbare, jedenfalls die Freiheit der Bekleidungswahl unerträglich einschränkende Forderung wäre, sondern muss für Außenstehende nur objektiv erkennbar markieren, welche Körperbereiche nach seinem Willen für Dritte nicht einsehbar sein sollen. Dieser entgegenstehende Wille ist aber auch für den Täter ersichtlich, der sich auf einer Leiter oder in einem höher gelegenen Stockwerk befinden muss (ggf. sich sogar zunächst noch in diese bestimmte Position im Raum begeben muss), um Körperpartien zu fotografieren oder zu filmen,
128 BTDrucks. 19/17795 S. 14; Renzikowski MK Rdn. 15; Ziegler BeckOK Rdn. 4. 129 Krit. bis abl. zur Strafbarkeit oder praktischen Relevanz des Downblousing Eisele/Straub KriPoZ 2019 367, 372; Fischer Rdn. 4, 4a; Walter ZRP 2020 16; Renzikowski MK Rdn. 15 m. Fn. 27; DAV Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 7; Grieser Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4 f; Rebmann Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 30 ff; zw. Eisele Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 6. 130 Vgl. Graf MK § 201a Rdn 44; daran anschließend Berghäuser ZIS 2019 463, 472. 131 BTDrucks. 19/15825 S. 13; BRDrucks. 443/19 Anl. S. 10 (auf Schuhen aufgebrachte Miniaturkameras). 132 BTDrucks. 19/15825 S. 16; Ziegler BeckOK Rdn. 4. 133 Vgl. Graf MK § 201a Rdn. 44; anschließend Berghäuser ZIS 2019 463, 472. 134 BTDrucks. 19/17795 S. 10; daran anknüpfend die Forderung des BR nach einer Einschränkung der Strafbarkeit auf der subjektiven Tatseite, ebda. S. 16. Vgl. auch VG München BeckRS 2009 48325 für den umgekehrten Fall des Upskirting im Wege des Ausnutzens einer unteren Position auf der Rolltreppe. 135 BTDrucks. 19/15825 S. 16; Eisele Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 5; aA Walter ZRP 2020 16; Ziegler BeckOK Rdn. 4; Rebmann Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 30 f; krit. Grieser Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4. 136 Rahmlow HRRS 2005 84, 88. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
§ 184k
die seiner Sicht als Gegenüber des möglichen Opfers entzogen wären.137 Nicht hinreichend strafwürdige Fälle werden nach dem Willen des Gesetzgebers über den subjektiven Tatbestand ausgeschieden (Rdn. 40). Entsprechend bleiben von § 184k geschützte Körperteile und die sie bedeckende Unterwäsche 30 i.S.d. Gesetzes gegen Anblick geschützt, wenn das Opfer den Blick auf sie erkennbar unbeabsichtigt freigibt. Der sich im Tragen einer Oberbekleidung oder anderen Sichtbarriere manifestierende Opferwille zur Verhüllung der eigenen Person dauert grundsätzlich – vorbehaltlich einer sich manifestierenden Willensänderung – auch dann fort, wenn die gewählte Verhüllung in bestimmten (z.B. hockenden oder nach vorne gebeugten) Körperhaltungen oder Körperbewegungen (wie beim Aussteigen aus dem Auto) verrutschen sollte.138 Indes obliegt es dem Rechtsanwender, im Einzelfall den objektiv erkennbaren Opferwillen ebenso wie eine etwaige sich manifestierende Willensänderung zu ermitteln, d.h. ein versehentliches Verrutschen der Oberbekleidung vom gewollten Präsentieren der nicht mehr bedeckten Körperteile oder Unterwäsche abzugrenzen. Diesbezügliche Zweifel sind zugunsten des Beschuldigten zu entscheiden. Auch bei strenger Orientierung an einer Ermittlung des maßgeblichen Opferwillens (Rdn. 27) bietet das Merkmal „gegen Anblick geschützt“ so einen Anhalt für „opferbeschuldigend[e] Verteidigungsstrategien“ (Renzikowski MK Rdn. 15) oder Argumentationen der Rechtsfindung, die geeignet sind, ein Opfer neuerlich zu viktimisieren, wenn sich dessen Wille zur Verhüllung des eigenen Körpers in den äußeren Tatumständen nicht erkennbar niedergeschlagen haben sollte (Berghäuser ZIS 2019 463, 466, 472; Hirte/Berghäuser S. 42, 60).139 Darüber hinaus setzt wiederum der subjektive Tatbestand (Rdn. 40) der Strafbarkeit Grenzen.
2. Tathandlungen Tathandlungen sind die Tatbestandsvarianten des unbefugten Herstellens oder Übertragens ei- 31 ner Bildaufnahme des oben näher bezeichneten Inhalts (Absatz 1 Nr. 1), des Gebrauchens oder Zugänglichmachens einer durch eine Tat nach Nummer 1 hergestellten Bildaufnahme (Absatz 1 Nr. 2) sowie des unbefugten Zugänglichmachens einer befugt hergestellten Bildaufnahme der in der Nummer 1 bezeichneten Art an eine dritte Person (Absatz 1 Nr. 3).
a) Unbefugtes Herstellen oder Übertragen (Absatz 1 Nr. 1). Herstellen, d.h. Hervorbrin- 32 gen, einer Bildaufnahme (vgl. Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 4) meint alle Handlungen, mit denen die Aufnahme auf einem Bild- oder Datenträger abgespeichert wird.140 Die Tatvariante erfasst nicht die Erzeugung sog. Deep Fakes,141 welche erst durch die nachträgliche Bearbeitung einer Bildaufnahme entstehen.142 Nach Vorstellung des Gesetzgebers wird das von § 184k primär geschützte Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, nach dem der Einzelne selbst darüber bestimme, ob seine Körperansicht zum Gegenstand des Begehrens eines anderen wird (Rdn. 1 f), durch die bildliche Perpetuation des flüchtigen Blicks auf seinen Körper (Herstellung einer Bildauf137 Entgegen Ziegler BeckOK Rdn. 4 handelt es sich gerade nicht um einen vom Verhüllungswillen ausgenommenen „Alltagsblickwinkel“, wenn der Täter für den gewünschten Anblick eine vom Opfer abweichende Position im Raum einnehmen muss, während ihm der Anblick im direkten Kontakt mit dem Opfer verwehrt bliebe. 138 BTDrucks. 19/17795 S. 16; 19/15825 S. 16; Renzikowski MK Rdn. 15; Ziegler BeckOK Rdn. 4; Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 6. 139 Auf Abgrenzungsschwierigkeiten gleichsam hinweisend DAV Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 8; Grieser Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 7. 140 Vgl. BTDrucks. 15/2466 S. 5; 15/1891 S. 7; Kargl NK § 201a Rdn. 14; Hoyer SK § 201a Rdn. 12; Fischer § 201a Rdn. 15; Heuchemer BeckOK § 201a Rdn. 16. 141 Meinicke DSRITB 2020 981, 987; Lantwin MMR 2020 78, 79. 142 Vgl. Meinicke DSRITB 2020 981, 987 zur Herstellensvariante des § 201a Abs. 1 Nr. 1; zur nachträglichen Bearbeitung Fischer Rdn. 9; Graf MK § 201a Rdn. 33. 541
Berghäuser
§ 184k
Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen
nahme von der realen Körperansicht) tangiert. Entsprechendes gilt für den strafwürdigen Unrechtskern einer Verletzung des Rechts auf Wahrung der Intimsphäre, den der Gesetzgeber in § 201a Abs. 1 an das bildliche Festhalten einer vergänglichen äußeren Erscheinung einer anderen Person knüpft.143 Die Verfremdung einer Aufnahme, die im Wege einer Verfälschung visueller oder auditiver Inhalte u.A. nur den fälschlichen Eindruck erwecken soll, dass ein solcher Blick perpetuiert worden sei, lässt ein solches Recht unberührt.144 Davon ungeachtet ist eine Strafbarkeit wegen der Verbreitung eines Deep Fakes nach dem UrhG oder KunstUrhG zu prüfen.145 Im Übrigen wird auf die Ausführungen zur gleichbedeutenden Herstellensvariante des § 201a hingewiesen (Valerius LK § 201a Rdn. 67). 33 Übertragen einer Bildaufnahme erfasst die Übermittlung von Bildinformationen zu anderen Geräten oder in das Internet, die ggf. mit Zwischenspeicherung, aber ohne dauernde Speicherung in Echtzeit oder leicht verzögert z.B. durch Webcams oder Spycams erfolgt.146 Weder im Fall des Herstellens noch im Fall des Übertragens einer Bildaufnahme bedarf die Vollendung der Tat einer tatsächlichen Kenntnisnahme des Bildinhalts (Rdn. 47).147 Im Übrigen wird auf die Ausführungen zur gleichbedeutenden Übertragensvariante des § 201a verwiesen (Valerius LK § 201a Rdn. 71). Das Herstellen oder Übertragen der Bildaufnahme muss unbefugt erfolgen. Das Merkmal 34 „unbefugt“, das nach der Syntax des Gesetzes in die Absicht oder das Wissen des Täters einbezogen ist, weist auf die Möglichkeit eines den Tatbestand ausschließenden Einverständnisses der abgebildeten Person hin (Renzikowski MK Rdn. 21; vgl. Fischer Rdn. 8).148 Während ein Verzicht auf Oberbekleidung oder eine andere sichtschützende Körperbedeckung also bereits das Merkmal „gegen Anblick geschützt“ (Rdn. 28 ff) – und nicht erst die Unbefugtheit wegen konkludent erklärten Einverständnisses mit dem Ablichten149 – entfallen lässt, schafft das Gesetz mit dem Merkmal der Unbefugtheit Raum für jene Einverständniserklärungen, die auf anderem Wege, trotz des Tragens von Kleidung o.Ä., geäußert werden. Tatbestandsausschließende Wirkung kommt einem solchen Einverständnis zu, weil mit seinem Vorliegen bereits der typisierte Unrechtsgehalt der Rechtsgüterverletzung nach Absatz 1 Nr. 1 entfällt, der – sowohl hinsichtlich des primär geschützten Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung150 als auch hinsichtlich Intimsphäre und Recht am eigenen Bild151 – aus einem Handeln entgegen dem (sich regelmäßig im Tragen von Oberbekleidung o.Ä. manifestierenden) Willen der betroffenen Person herrührt 143 Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 4; Kühl AfP 2004 190; Heuchemer BeckOK § 201a Rdn. 16. 144 Demgegenüber ist die Herstellung kinder- oder jugendpornografischer Deep Fakes zwecks Unterbindung des Anreizes zur Nachahmung gem. §§ 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 4, 184c Abs. 1 Nr. 4 unter Strafe gestellt; vgl. Meinicke DSRITB 2020 981, 987 f; Lantwin MMR 2020 78, 80. 145 Ausführl. zur Frage der Strafbarkeit von Deep Fakes Meinicke DSRITB 2020 981; insb. zur Strafbarkeit der Verbreitung nach UrhG, KunstUrhG ders. a.a.O. 988 f. 146 Vgl. zu § 201a BTDrucks. 15/2466 S. 5; 15/1891 S. 7; Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 11; Fischer § 201a Rdn. 17; Hoyer SK § 201a Rdn. 13; Kargl NK § 201a Rdn. 15; Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 5; Heuchemer BeckOK § 201a Rdn. 17. 147 Vgl. Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 13; Graf MK § 201a Rdn. 115; Hoyer SK § 201a Rdn. 13; Kargl NK § 201a Rdn. 15; Valerius LK § 201a Rdn. 71, 116; zur Tatvariante des Herstellens BTDrucks. 15/1891 S. 7; Fischer § 201a Rdn. 16; Popp AnwK § 201a Rdn. 10; des Übertragens Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 5; Rahmlow HRRS 2005 84, 90; Valerius Hdb. des Strafrechts/4 § 13 Rdn. 69. 148 Nach aA beinhaltet das Merkmal der Unbefugtheit einen deklaratorischen Verweis auf die allgemeinen Rechtfertigungsgründe, insb. auf eine rechtfertigende Einwilligung des Betroffenen; Eisele Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 7. 149 AA Fischer Rdn. 8 zu konkludenten, sich im Tragen knapper Bekleidung ausdrückenden Einwilligungen, die das Merkmal der Unbefugtheit antasten sollen. 150 Vgl. zum Einverständnis im Rahmen der §§ 177, 184i Lackner/Kühl/Heger § 184i Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele § 184i Rdn. 8, 10; Fischer § 184i Rdn. 13; Renzikowski MK § 184i Rdn. 15. 151 Vgl. zum Einverständnis im Rahmen des § 201a Graf MK § 201a Rdn. 38, 85; Tag HK-GS § 201a Rdn. 7; aA Sch/ Schröder/Eisele § 201a Rdn. 17 f; Joecks/Jäger § 201a Rdn. 12; Kargl NK § 201a Rdn. 26, 28; Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 9. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
§ 184k
(Rdn. 2, 25 ff). Das Einverständnis muss bereits zum Zeitpunkt der Tathandlung vorliegen. Eine nachträgliche Zustimmung berührt die Tatbestandsmäßigkeit nicht, sondern gibt dem Opfer der Tat nach Absatz 1 Nr. 1 nur Anlass zum Absehen vom nach Absatz 2 erforderlichen Strafantrag, der vorbehaltlich einer Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung aber entbehrlich sein kann (Rdn. 53). Im umgekehrten Falle des Widerrufs einer z.Z. der Tat nach Absatz 1 Nr. 1 vorliegenden Zustimmung ist hinsichtlich einer etwaigen Weitergabe der Bildaufnahme Absatz 1 Nr. 3 zu prüfen, d.h. eine Strafbarkeit wegen des unbefugten Zugänglichmachens einer befugt hergestellten Bildaufnahme an eine dritte Person zu erwägen (Renzikowski MK Rdn. 21). Entsprechend sind Selbstaufnahmen (mangels Aufzeichnung der Körperteile oder Unterwäsche einer „anderen Person“) von Absatz 1 Nr. 1 nicht erfasst (Rdn. 23), können aber zum Gegenstand einer Tat nach Absatz 1 Nr. 3 werden (Rdn. 38).
b) Gebrauchen oder Zugänglichmachen unbefugt hergestellter Bildaufnahme (Ab- 35 satz 1 Nr. 2). Die Tathandlungen des Absatzes 1 Nr. 2 setzen eine „durch eine Tat nach Nummer 1 hergestellte Bildaufnahme“ voraus, d.h., sie knüpfen an die rechtswidrige, nicht notwendig schuldhafte Verwirklichung des Tatbestands des Absatzes 1 Nr. 1 durch unbefugtes Herstellen an.152 Strafgrund ist die Perpetuierung des durch das Herstellen verwirklichten Unrechts, welches durch das Gebrauchen oder Zugänglichmachen an eine dritte Person nochmals vertieft wird. Selbstaufnahmen sind von dem „an eine Tat nach Nummer 1“ anknüpfenden Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 2 nicht erfasst (Rdn. 23). Gebrauchen meint alle Handlungen, mit denen der Täter die technischen Möglichkeiten 36 des Bild- oder Datenträgers nutzt, indem er die Bildaufnahme z.B. archiviert, speichert, kopiert, zur Erstellung einer Fotomontage verwendet oder auch nur für sich sichtbar macht.153 Diese Nutzung kann durch einen anderen als den Hersteller der Bildaufnahme, aber auch durch diesen selbst erfolgen.154 Die Tatvariante des Zugänglichmachens setzt voraus, dass einer dritten Person der Zugriff auf die Aufnahme oder die Kenntnisnahme vom Inhalt der Aufnahme ermöglicht wird.155 Weder im Fall des Gebrauchens noch im Fall des Zugänglichmachens einer Bildaufnahme 37 bedarf die Vollendung der Tat einer tatsächlichen Kenntnisnahme des Bildinhalts (Rdn. 47).156 Darüber hinaus knüpft Absatz 1 Nr. 2 zwar an ein unbefugtes (Rdn. 34) Herstellen der Bildaufnahme an, setzt seinerseits aber nicht voraus, dass die Tathandlungen des Gebrauchens oder Zugänglichmachens unbefugt erfolgen. In der Folge schließt die Zustimmung der abgebildeten Person in diese Tathandlungen, welche das gem. Absatz 1 Nr. 1 verwirklichte Unrecht regelmä152 Vgl. BTDrucks. 15/1891 S. 7; Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 27; Fischer § 201a Rdn. 22; Kargl NK § 201a Rdn. 25; Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 6; Popp AnwK § 201a Rdn. 14; Valerius LK § 201a Rdn. 74; enger Hoyer SK § 201a Rdn. 27 (weder vorsätzlich noch schuldhaft). 153 Vgl. zu § 201a BTDrucks. 15/2466 S. 5; 15/1891 S. 7; Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 28; Fischer § 201a Rdn. 24; Heuchemer BeckOK § 201a Rdn. 19; Valerius Hdb. des Strafrechts/4 § 13 Rdn. 79. Verneinend bis zw. für das bloße Betrachten Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 14 (verneinend); SSW/Bosch § 201a Rdn. 20; ders. JZ 2005 377, 380; Sch/Schröder/Eisele a.a.O.; Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 6; Valerius a.a.O.; ders. LK § 201a Rdn. 76 (einschränkend); Joecks/Jäger § 201a Rdn. 13 f (zw.); demgegenüber bejahend Kindhäuser/Hilgendorf § 201a Rdn. 9. 154 Vgl. zu § 201a BTDrucks. 15/2466 S. 5 („insbesondere durch einen anderen als den Hersteller“); Sch/Schröder/ Eisele § 201a Rdn. 28; Heuchemer BeckOK § 201a Rdn. 19; Joecks/Jäger § 201a Rdn. 13; Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 6. 155 Vgl. zu § 201a BTDrucks. 15/2466 S. 5; Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 29; Kargl NK § 201a Rdn. 18; Lackner/ Kühl/Kühl § 201a Rdn. 7; Valerius LK § 201a Rdn. 78. 156 Vgl. Kargl NK § 201a Rdn. 18; Popp AnwK § 201a Rdn. 16 f (zur Tatvariante des Gebrauchens); Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 14, 15; Fischer § 201a Rdn. 24, 25; Kargl NK § 201a Rdn. 18 (zu den Varianten des Gebrauchens und Zugänglichmachens); Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 29; Graf MK § 201a Rdn. 115; Kindhäuser/Hilgendorf § 201a Rdn. 9; Valerius LK § 201a Rdn. 78, 116; ders. Hdb. des Strafrechts/4 § 13 Rdn. 80 (zur Variante des Zugänglichmachens). 543
Berghäuser
§ 184k
Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen
ßig nochmals vertiefen, nicht bereits den Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 2 aus. Nach den allgemeinen Grundsätzen einer rechtfertigenden Einwilligung kann sie aber rechtfertigende Wirkung entfalten.157 Im Übrigen wird auf die Ausführungen zu den gleichbedeutenden Varianten des Gebrauchens und Zugänglichmachens gem. § 201a Abs. 1 Nr. 4 verwiesen (Valerius LK § 201a Rdn. 75, 78, 83).
38 c) Unbefugtes Zugänglichmachen befugt hergestellter Bildaufnahme (Absatz 1 Nr. 3). Die Tatvariante des unbefugten Zugänglichmachens gem. Absatz 1 Nr. 3 erfasst maßgeblich solche Sachverhalte privater oder auch geschäftsmäßiger Beziehungen, in denen sich die Herstellung einer Bildaufnahme der in Absatz 1 Nr. 1 bezeichneten Art noch befugt vollzogen hat, die abgebildete Person aber allgemein oder für den konkreten Einzelfall nicht – bzw. im Falle eines wirksamen Widerrufs ihrer Zustimmung nicht mehr – damit einverstanden ist, dass eine dritte Person Zugriff auf die Aufnahme oder Kenntnis vom Bildinhalt erhält.158 In Entsprechung zur neueren Rechtsprechung des BGH zu § 201a Abs. 1 Nr. 5 (n.F.)159 können Gegenstand einer Tat nach Absatz 1 Nr. 3 dabei auch solche Aufnahmen sein, die von der abgebildeten Person selbst hergestellt wurden (sog. Selbstaufnahmen); insoweit unterscheidet sich Absatz 1 Nr. 3 von Absatz 1 Nrn. 1 und 2 (Rdn. 23, 34 f). 39 Anders als in Absatz 1 Nr. 2 schließt der Täter mit dem unbefugten Zugänglichmachen an eine dritte Person nicht an ein bereits nach Absatz 1 Nr. 1 verwirklichtes Unrecht an, sondern verwirklicht im Anschluss an einen sozial üblichen, weil befugten, Herstellungsvorgang erstmals Unrecht. Folgerichtig hat der Gesetzgeber das Merkmal „unbefugt“ abweichend von Absatz 1 Nr. 2 in den Gesetzeswortlaut integriert; ebenda weist es im Angesicht des erstmalig noch zu begründenden Unrechts und als Bezugspunkt der Wissentlichkeit des Täters auf die Möglichkeit eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses hin.160 Entgegen verschiedentlich vertretener Ansicht bedarf es zur Tatbestandsverwirklichung keiner ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung des einer Verbreitung entgegenstehenden Willens des Opfers.161 Im Übrigen wird auf die Ausführungen zur gleichbedeutenden Variante des unbefugten Zugänglichmachens des § 201a Abs. 1 Nr. 5 hingewiesen (Valerius LK § 201a Rdn. 84 ff).
III. Subjektiver Tatbestand und Irrtum 40 Zur Verwirklichung des Tatbestands des Absatzes 1 Nr. 1 ist dolus directus ersten Grades (Absicht) oder dolus directus zweiten Grades (Wissentlichkeit) erforderlich. Die Beschränkung der Strafbarkeit auf bestimmte Vorsatzformen soll den Anwendungsbereich der Norm auf hinreichend strafwürdige Verhaltensweisen begrenzen und etwaigen Anwendungsproblemen in der Praxis entgegenwirken, die sich maßgeblich in Abhängigkeit vom Standort und Blickwinkel des potenziellen Täters oder dem Bewegungsverhalten des möglichen Opfers ergeben können (zur
157 Vgl. Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 31; Valerius LK § 201a Rdn. 83; ders. Hdb. des Strafrechts/4 § 13 Rdn. 81; aA Fischer Rdn. 8; Tag HK-GS § 201a Rdn. 9 (Tatbestandslosigkeit). 158 Fischer Rdn. 12; vgl. zu § 201a LG Kiel NJW 2007 1002; SSW/Bosch § 201a Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 35; Hoyer SK § 201a Rdn. 38; Popp AnwK § 201a Rdn. 19; Valerius LK § 201a Rdn. 84, s. ebda. aber auch Rdn. 85; ders. Hdb. des Strafrechts/4 § 13 Rdn. 82. 159 BGH NJW 2020 3608, 3609 m.w.N. in Fn. 102. 160 Fischer Rdn. 8; vgl. ders. § 201a Rdn. 35; SSW/Bosch § 201a Rdn. 26; Kargl NK § 201a Rdn. 25; Lackner/Kühl/ Kühl § 201a Rdn. 8; Valerius LK § 201a Rdn. 86; ders. Hdb. des Strafrechts/4 § 13 Rdn. 91; zw. Joecks/Jäger § 201a Rdn. 18; aA Hoyer SK § 201a Rdn. 41 (Rechtfertigung). 161 Fischer Rdn. 8; vgl. ders. § 201a Rdn. 35; Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 17; SSW/Bosch § 201a Rdn. 26; Valerius LK § 201a Rdn. 84; aA Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 8. Berghäuser
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III. Subjektiver Tatbestand und Irrtum
§ 184k
objektiven Tatbestandsmäßigkeit s.o. Rdn. 29).162 Schlussfolgerungen von den äußeren Tatumständen auf eine bestimmte Vorsatzform sollen durch die Wahl eines bestimmten Bildausschnitts, eine heimlich-verdeckende Herstellungsweise oder auch eine hohe Anzahl beim Täter vorgefundener Aufnahmen erleichtert werden.163 Geht der Täter irrtümlich von einem Einverständnis des Abgebildeten in die Herstellung oder Übertragung der Bildaufnahme aus, handelt er hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „unbefugt“ (Rdn. 34) nicht vorsätzlich und bleibt straflos.164 Absatz 1 Nr. 2 lässt in Ermangelung der Normierung einer besonderen Vorsatzform genü- 41 gen, dass der Täter hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale zumindest mit bedingtem Vorsatz handelt. Dies schließt allerdings den Vorsatz ein, dass die „durch eine Tat nach Nummer 1 hergestellte Bildaufnahme“ absichtlich oder wissentlich unbefugt zur Entstehung gelangt ist.165 Geht der Täter also irrtümlich von einer befugten Herstellung der Abbildung aus, entfällt der für eine Verwirklichung des Absatzes 1 Nr. 2 erforderliche Vorsatz.166 Demgegenüber ist eine Zustimmung in das Gebrauchen oder Zugänglichmachen nach den Grundsätzen der rechtfertigenden Einwilligung zu beurteilen (Rdn. 37), weshalb eine diesbezüglich irrige Tatsachenwahrnehmung einen Erlaubnistatbestandsirrtum begründet.167 Absatz 1 Nr. 3 verlangt Wissentlichkeit des Täters im Hinblick auf das unbefugte Zugäng- 42 lichmachen an eine dritte Person. Der Begriff „unbefugt“ ist ein Tatbestandsmerkmal (Rdn. 39), auf das sich der direkte Vorsatz des Täters beziehen muss. Eine diesbezügliche Fehlvorstellung schließt den Vorsatz aus.168 Entgegen verschiedentlich vertretener Ansicht genügt dabei nicht, dass der Täter nur um das Fehlen einer ausdrücklichen Zustimmung weiß.169 Die Gegenansicht ist zwar dem prozessualen Nachweis des Vorsatzes und damit dem effektiven Schutz durch die Vorschrift dienlich (Bosch JZ 2005 377, 382), setzt die Vorsatzanforderungen entgegen dem Gesetzeswortlaut aber zulasten des Täters herab. Eine sexuelle Motivation des Täters ist nicht erforderlich. Der Gesetzgeber unterstellt 43 zwar, dass der Tatbegehung nach § 184k regelmäßig eine sexuelle Motivation zugrunde liege (Rdn. 3), erhebt dies aber wie in § 184i170 nicht zum notwendigerweise zu verwirklichenden 162 BTDrucks. 19/17795 S. 16; Joecks/Jäger Rdn. 2. Unter Beschränkung auf die Vorsatzform des dolus directus ersten Grades BTDrucks. 19/15825 S. 7, 17; BRDrucks. 443/19 Anl. S. 1, 18; zust. Rebmann Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 21 f; Grieser Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 5, 7; krit. Bonnin/Berndt HRRS 2019 450, 456; abl. Eisele Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 7; ders./Straub KriPoZ 2019 367, 372; abl. Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 9. 163 BTDrucks. 19/15825 S. 17; BRDrucks. 443/19 Anl. S. 18; zust. Rebmann Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 22; zw. Eisele Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 7 f; ders./Straub KriPoZ 2019 367, 371. Zur Bedeutung des gewählten Bildausschnitts für die Beweiswürdigung s. auch schon Mengler ZRP 2019 224, 225. 164 Renzikowski MK Rdn. 23 unter Hinweis auf die geringe praktische Relevanz dieses Irrtums; vgl. auch Valerius LK § 201a Rdn. 105 (zum Ausschluss einer vorsätzlichen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs in § 201a). Wer das Merkmal „unbefugt“ der Rechtswidrigkeit zuordnet (Rdn. 34 m. Fn. 148, 151), muss innerhalb des § 184k eine irrige Tatsachenwahrnehmung nach den Grundsätzen des Erlaubnistatbestandsirrtums bewerten. 165 Renzikowski MK Rdn. 24; Eisele/Straub KriPoZ 2019 367, 373 jew. m. dem Hinweis auf diesbezügliche Nachweisschwierigkeiten; vgl. SSW/Bosch § 201a Rdn. 22; Graf MK § 201a Rdn. 109; Kargl NK § 201a Rdn. 24. 166 Vgl. SSW/Bosch § 201a Rdn. 22; Kargl NK § 201a Rdn. 24. 167 Vgl. Valerius LK § 201a Rdn. 106; Kargl NK § 201a Rdn. 24. 168 Vgl. Fischer § 201a Rdn. 39; Graf MK § 201a Rdn. 110; Kargl NK § 201a Rdn. 25 m.w.N.; Valerius LK § 201a Rdn. 107; für einen vorsatzausschließenden Erlaubnistatbestandsirrtum Hoyer SK § 201a Rdn. 37. 169 Vgl. Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 36; Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 8; Valerius LK § 201a Rdn. 107; aA SSW/Bosch § 201a Rdn. 28; ders. JZ 2005 377, 382; Kargl NK § 201a Rdn. 25; Tag HK-GS § 201a Rdn. 15; zw. Safferling MLR 2008 36, 43. 170 Entgegen der auf eine sexuelle Motivation Bezug nehmenden Gesetzesbegründung (BTDrucks. 18/9097 S. 30) bestimmt sich eine in sexuell bestimmter Weise erfolgende Berührung i.S.d. § 184i nicht notwendigerweise nach den Motiven des Täters, sondern nach ihrem äußeren Sexualbezug; BGHSt 63 98, 101 f; Sch/Schröder/Eisele § 184i Rdn. 5; Fischer § 184i Rdn. 4a; Hörnle NStZ 2017 13, 20; Hoven/Weigend JZ 2017 182, 189; Lederer AnwK § 184i Rdn. 3; Noltenius SK § 184i Rdn. 5. 545
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§ 184k
Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen
Tatbestandsmerkmal. In der Folge können die inkriminierten Verhaltensweisen einer Reihe anderer Motivationen geschuldet sein,171 wie rein kommerziellen Interessen etwa zum Zweck der Verwertung im Internet,172 dem Bestreben, eine Mutprobe zu bestehen,173 eine andere Person zu erpressen,174 zu demütigen, verängstigen oder zu quälen.175 Damit unterscheiden sich die Tatvarianten des § 184k auch von voyeuristischen Verhaltensweisen im eigentlichen Sinne, bei denen sich qua Definition ein Voyeur (umgangssprachlich „Spanner“) sexuell erregt oder befriedigt, indem er andere Personen bei Intimitäten wie Entkleiden oder sexuellen Aktivitäten beobachtet.176
IV. Tatbestandsrestriktion (Absatz 3) 44 Absatz 3 enthält eine Regelung zur Sozialadäquanz, die an § 86 Abs. 4 und § 201a Abs. 4 angelehnt ist. Demnach gilt Absatz 1 nicht für Handlungen, die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen. Die nur beispielhafte Aufzählung ggf. überwiegender berechtigter Interessen („namentlich“) lässt Raum für weitere „ähnliche“, d.h. vergleichbare Zwecke, die ein den ausdrücklich aufgezählten Beispielinteressen vergleichbares Gewicht aufweisen müssten, damit sie die von § 184k betroffenen Schutzgüter nach der Vorstellung des Gesetzgebers (s. aber u. Rdn. 46) überwiegen können. 45 Ausweislich des Gesetzeswortlauts („Absatz 1 gilt nicht“) und mit der h.A. zu § 86 Abs. 4177 und § 201a Abs. 4178 ist die Regelung als Tatbestandsrestriktion und nicht als Rechtfertigungsgrund einzuordnen. Anders als ein Rechtfertigungsgrund lässt Absatz 3 nicht vereinzelt Ausnahmen vom typisierten tatbestandlichen Verbot zu, sondern ordnet als Sozialadäquanzklausel bereits an, dass die tatbestandsimmanente Grenze des sozial Üblichen oder Nützlichen nachvollzogen wird,179 die für den jeweiligen Einzelfall in einer Abwägung berechtigter Interessen mit den Schutzgütern des § 184k zu konkretisieren ist.
171 172 173 174 175
Vgl. schon Berghäuser ZIS 2019 463. BTDrucks. 19/15825 S. 10; Hoven Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4 m. Fn. 6. BTDrucks. 19/20668 S. 15; ähnl. Grieser Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 3: „Reiz des Verbotenen“. Ziegler BeckOK Rdn. 15; Hoven Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 4 m. Fn. 6. Neben anderen Absichten finden solche zu demütigen, zu verängstigen oder zu quälen („humiliating, alarming or distressing“) in England und Wales explizite Erwähnung im Gesetz; Voyeurism (Offences) Act 2019 Section 2 (3) (b) v. 12.2.2019; vgl. auch Grieser Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 3 unter Anführung des Motivs der „Machtausübung“. 176 Definition bei Völkel Pschyrembel Online (04.2020) m. Stichwort „Voyeurismus“; vgl. auch Duden Dt. Universalwörterbuch S. 1996 m. Stichwort „Voyeur“. Auch die umgangssprachlichen Begriffe des Upskirting und Downblousing, die zur Bezeichnung der durch § 184k inkriminierten Verhaltensweisen genutzt werden, beschreiben ursprünglich Arten des (sexuell motivierten) Voyeurismus (s.o. zur Entstehungsgeschichte m. Fn. 1, 2). 177 Ehem. § 86 Abs. 3; neuer Abs. 4 geänd. m.W.v. 22.9.2021 (BGBl. I S. 4250). Für Tatbestandsausschluss bzw. -einschränkung BGHSt 47 278, 282 f; 46 36, 43 f; Anstötz MK § 86 Rdn. 37; Ellbogen BeckOK § 86 Rdn. 28; Lackner/Kühl/ Kühl § 86 Rdn. 8; Zöller SK § 86 Rdn. 15; zw. Fischer § 86 Rdn. 17; Streng JZ 2001 205, 208; aA für Rechtfertigung Greiser NJW 1969 1155, 1156; Stegbauer JR 2003 74, 75; diff. Paeffgen NK § 86 Rdn. 38 m.w.N. 178 Für Tatbestandsausschluss bzw. -restriktion Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 25; SSW/Bosch § 201a Rdn. 32; Fischer § 201a Rdn. 41; Graf MK § 201a Rdn. 101; Joecks/Jäger § 201a Rdn. 21; Kargl NK § 201a Rdn. 23; Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 9c; Tag HK-GS § 201a Rdn. 13; Heuchemer BeckOK § 201a Rdn. 24; aA für Rechtfertigung Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 53; Hoyer SK § 201a Rdn. 51. 179 Grundlegend zur Lehre von der sozialen Adäquanz Welzel ZStW 58 (1939) 491, 517 f; zu § 201a Abs. 4 Kargl NK § 201a Rdn. 23. Berghäuser
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VI. Rechtsfolgen
§ 184k
Mangels näherer Ausführungen in der Gesetzesbegründung bleiben Anwendungsbereich 46 und praktische Relevanz der Sozialadäquanz-Klausel in Absatz 3 indes unklar.180 Dies gilt umso mehr, als § 201a Abs. 4 für die Tatbestände des § 201a Abs. 1 Nr. 1 (sowie Tatbestände nach § 201a Abs. 1 Nr. 4, Nr. 5, soweit sie an Taten nach § 201a Abs. 1 Nr. 1 anschließen) nicht gilt,181 welche den engsten Rückzugsbereich einer anderen Person (Wohnung oder besonders gegen Einblick geschützten Raum) schützen. § 184k aber ist nicht nur in Anlehnung an § 201a formuliert, sondern soll u.a. gerade die Strafbarkeitslücke schließen, die sich durch die Beschränkung des § 201a Abs. 1 Nr. 1 auf Räumlichkeiten ergibt. Das visuelle Eindringen unter gegen Anblick schützende Oberbekleidung oder sonstige am Körper getragene Sichtbarrieren berührt die Intimsphäre des Opfers gleichermaßen wie das visuelle Eindringen in einen besonders gegen Einblick geschützten Raum (Rdn. 10). Vor diesem Hintergrund mutet es wertungswidersprüchlich an, wenn der Gesetzgeber in Absatz 3 eine Regelung zur Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen vorsieht, während er die Anwendung des § 201a Abs. 4 auf die vergleichbaren Fälle des § 201a Abs. 1 Nr. 1 von vornherein ausgeschlossen hat. Für die zugrunde liegende Abwägung von Interessen kann es schwerlich einen Unterschied machen, ob das mögliche Opfer den Vorhang einer Umkleidekabine verschließt (dann Anwendung des § 201a Abs. 1 Nr. 1 ohne Sozialadäquanzklausel) oder denselben Vorhang als Rock um die Hüften drapiert (dann Anwendung des § 184k mit Sozialadäquanzklausel).182
V. Vollendung und Versuch Unabhängig von einer tatsächlichen Wahrnehmung des Bildinhalts tritt mit Herstellung, Über- 47 tragung oder Gebrauch der Bildaufnahme Tatvollendung ein, sofern der Bildinhalt nur sichtbar gemacht werden kann (Rdn. 33, 37). Entsprechend genügt für ein vollendetes Zugänglichmachen der Bildaufnahme an eine dritte Person die Möglichkeit der Kenntnisnahme (Rdn. 37). Auf eine Anordnung der Versuchsstrafbarkeit (§§ 12 Abs. 2, 23 Abs. 1) hat der Gesetzgeber – 48 wie auch in § 184i183 und § 201a184 – verzichtet. Mit Blick auf die Androhung einer vergleichsweise geringen Höchststrafe,185 aber auch unter Rücksichtnahme auf die erwartbaren Beweisschwierigkeiten im Falle einer Vorverlagerung der Strafbarkeit ist dies sachgerecht. Denn nur im Fall der Vollendung steht eine bereits hergestellte, übertragene, gebrauchte oder zugänglich gemachte Bildaufnahme als Beweismittel zur Verfügung, während über ein unmittelbares Ansetzen z.B. zum Fotografieren kaum jemals wird Beweis geführt werden können.186
VI. Rechtsfolgen Taten nach § 184k werden mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe sanktio- 49 niert. Der Strafrahmen der Vorschrift, die sowohl das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (allerdings vor einem visuellen statt vor einem körperlichen Zugriff) als auch das Recht auf Wah-
180 Renzikowski MK Rdn. 22 („schlechterdings keine Anwendungsfälle vorstellbar“); ders. MK Rdn. 5 u. Ad Legendum 2022 93, 103 („Fehlleistung“ bzw. „haarsträubende Fehlleistung“); Eisele/Straub KriPoZ 2019 367, 372 („sehr selten der Fall“); Fischer Rdn. 14 zum unklaren Verhältnis zwischen „Unbefugtheit“ und „berechtigten Interessen“. 181 § 201a Abs. 4 geänd. m.W.v. 22.9.2021 (BGBl. I S. 4250): „Absatz 1 Nummer 2 und 3, auch in Verbindung mit Absatz 1 Nummer 4 oder 5, Absatz 2 und 3 gelten nicht für Handlungen, die […].“. 182 Zum vergleichbaren Unrechtsgehalt jener Sachverhalte bereits Berghäuser ZIS 2019 463, 471. 183 Lackner/Kühl/Heger § 184i Rdn. 3. 184 Graf MK § 201a Rdn. 114; Heuchemer BeckOK § 201a Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 4. 185 Entspr. Bonnin/Berndt HRRS 2019 450, 456 („wegen der vergleichsweise geringen Eingriffsintensität“); vgl. zu § 201a BTDrucks. 15/2466 S. 4. 186 Vgl. BTDrucks. 19/17795 S. 11; zu § 201a Eisele JR 2005 6, 11. 547
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§ 184k
Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen
rung der Intimsphäre und das Recht am eigenen Bild schützen soll (Rdn. 1), entspricht den Strafandrohungen des § 184i Abs. 1 und des § 201a Abs. 1 bis 3; er übersteigt das Höchstmaß des § 33 KunstUrhG (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe). 50 Die Regelung des Absatzes 4 entspricht § 201a Abs. 5.187 Absatz 4 S. 1 ermöglicht (Ermessen des Gerichts) die Einziehung von Bildträgern sowie Bildaufnahmegeräten oder anderen technischen Mitteln, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, neben und über § 74 Abs. 1 hinaus (vgl. § 74 Abs. 3 S. 2). In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 oder Nr. 3 gebrauchte oder einer dritten Person zugänglich gemachte Bildträger können als Beziehungsgegenstände eingezogen werden (§ 74 Abs. 2). Durch den Verweis des Absatzes 4 Satz 2 auf § 74a besteht abweichend von § 74 Abs. 3 auch die Möglichkeit, täterfremde Gegenstände, die zur Zeit der Entscheidung keinem Tatbeteiligten gehören oder zustehen, unter den Voraussetzungen des § 74a einzuziehen.188 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 74f) gebietet es zu prüfen, ob gegenüber einer Einziehung des Bildaufnahmegeräts die Löschung der Dateien ein milderes Mittel ist.189 Zur Einziehung des durch oder für eine rechtswidrige Tat nach § 184k Erlangten (wie Honorare oder Gewinne aus der Bildveröffentlichung) s. § 73 (vgl. Valerius § 201a Rdn. 122).
VII. Konkurrenzen 51 Herstellen (Hervorbringen einer Bildaufnahme durch Speicherung auf Bild- oder Datenträger) und Übertragen einer Bildaufnahme (ggf. mit Zwischenspeicherung, aber ohne dauernde Speicherung) schließen einander i. B. auf dieselbe Bildaufnahme aus (vgl. Fischer § 201a Rdn. 17, 44).190 Der Eigengebrauch einer unbefugt hergestellten Bildaufnahme durch den Hersteller bildet i.d.R. eine mitbestrafte Nachtat zur Herstellung.191 Lag der Entschluss des Zugänglichmachens bereits zum Zeitpunkt des Herstellens vor, ist eine einheitliche Tat des Zugänglichmachens gegeben.192 Bei nachträglich gefasstem Entschluss, die hergestellte Aufnahme einer dritten Person zugänglich zu machen, liegt Tatmehrheit vor.193 Ebenso wird für den Fall des mehrfachen Gebrauchens und Zugänglichmachens derselben Aufnahme Realkonkurrenz anzunehmen sein.194 52 Zu einer Tat nach § 33 KunstUrhG steht das Herstellen aufgrund der unterschiedlichen Schutzgüter im Verhältnis der Tatmehrheit,195 das Zugänglichmachen im Verhältnis der Tateinheit.196 Mit Taten nach § 238, §§ 184 ff (Rdn. 7), §§ 185 ff (Rdn. 8) ist Tateinheit möglich,197 eben187 Fischer Rdn. 16. 188 Renzikowski MK Rdn. 28; Ziegler BeckOK Rdn. 18; vgl. zu § 201a Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 27. 189 Renzikowski MK Rdn. 28; vgl. zu § 201a BGH BeckRS 2016 19422; NStZ-RR 2014 274; Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 27; Popp AnwK § 201a Rdn. 30.
190 AA Valerius LK § 201a Rdn. 124; ders. Handbuch des Strafrechts IV § 13 Rdn. 69. 191 Vgl. Kargl NK § 201a Rdn. 34; Valerius LK § 201a Rdn. 125; aA Fischer § 201a Rdn. 44; Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 54 (einheitliche Tat).
192 Vgl. Kargl NK § 201a Rdn. 34; Hoyer SK § 201a Rdn. 55; Valerius LK § 201a Rdn. 125; SSW/Bosch § 201a Rdn. 34; aA Ziegler BeckOK Rdn. 17. 193 Ziegler BeckOK Rdn. 17; vgl. Fischer § 201a Rdn. 44; Hoyer SK § 201a Rdn. 55. 194 Vgl. Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 54; Valerius LK12 § 201a Rdn. 44; Kindhäuser/Hilgendorf § 201a Rdn. 18. 195 Ziegler BeckOK Rdn. 17; vgl. Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 28; SSW/Bosch § 201a Rdn. 34; Sch/Schröder/Eisele § 201a Rdn. 54; Fischer § 201a Rdn. 45; Heuchemer BeckOK § 201a Rdn. 31.1; Kargl NK § 201a Rdn. 34; Kindhäuser/Hilgendorf § 201a Rdn. 18; Lackner/Kühl/Kühl § 201a Rdn. 11; Valerius LK § 201a Rdn. 126. 196 Ziegler BeckOK Rdn. 17; vgl. Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 28; SSW/Bosch § 201a Rdn. 34; Valerius LK § 201a Rdn. 126. 197 Zum Verhältnis zwischen Taten nach § 184k u. solchen nach §§ 184b f Ziegler BeckOK Rdn. 17; vgl. zum Verhältnis zwischen Taten nach § 201a u. solchen nach § 238, §§ 184 ff Matt/Renzikowski/Altenhain § 201a Rdn. 28; SSW/ Bosch § 201a Rdn. 34; Fischer § 201a Rdn. 45; Valerius LK § 201a Rdn. 127; solchen nach §§ 185 ff Valerius LK § 201a Rdn. 127. Berghäuser
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VIII. Prozessuales
§ 184k
so mit einer Tat nach § 201a (Rdn. 7, 26), wenn der Täter sowohl den Sichtschutz eines besonders gegen Einblick geschützten Raums als auch eine am Körper getragene Sichtbarriere überwindet (z.B., indem er mit technischen Hilfsmitteln nicht nur hinter den Vorgang einer Umkleidekabine, sondern auch unter die Kleidung einer darin befindlichen Person filmt).
VIII. Prozessuales Absatz 2 gestaltet die Tat – entsprechend dem relativen Antragserfordernis bei der sexuellen Be- 53 lästigung gem. § 184i Abs. 3 und bei Taten nach § 201a gem. § 205 Abs. 1 S. 2198 – als relatives Antragsdelikt aus. Dies macht es möglich, einen fehlenden Antrag dadurch zu ersetzen, dass die Staatsanwaltschaft ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht (Ermessen).199 Zugleich liegt es damit nicht allein in der Hand des Verletzten zu entscheiden, ob ein Strafverfahren in Gang gesetzt wird; insb. kennt § 184k, wie auch schon § 184i,200 kein Widerspruchsrecht (vgl. § 194 Abs. 1 S. 4).201 Ein besonderes öffentliches Interesse sehen die Gesetzesmaterialien vor allem im Fall der Verfolgung von Wiederholungstaten,202 die regelmäßig kombiniert sind mit einer Vielzahl aufgefundener Bilder, dem Verbreiten der Bilder auf Plattformen u.Ä., gewerbsmäßigem Vorgehen oder solchem in Gewinnerzielungsabsicht. Grund zur Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses könnte außerdem die Minderjährigkeit der Opfer oder ein Handeln aus rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründen geben.203 Antragsberechtigt ist nach den allgemeinen Grundsätzen des § 77 Abs. 1 der Verletzte, d.h. 54 die Person, deren Körperteile oder Unterwäsche auf der tatgegenständlichen Bildaufnahme abgebildet sind, im Falle der Geschäftsunfähigkeit (§ 104 BGB) oder beschränkten Geschäftsfähigkeit (§ 106 BGB) die nach bürgerlichem Recht zuständigen gesetzlichen Vertreter oder Personensorgeberechtigten gem. § 77 Abs. 3. Einen Übergang des Strafantragsrechts für den Fall des Versterbens (§ 77 Abs. 2) bestimmt § 184k nicht.204 Insoweit bleibt § 184k hinter dem Entwurf der BReg. (BTDrucks. 19/17795) zurück. Bei Integration des neuen Tatbestands in § 201a hätte § 205 Abs. 2 S. 1 den Rechtsübergang angeordnet. Die Tat verjährt nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 in fünf Jahren. Eine Verfolgung der Tat im Wege der 55 Privatklage ist nicht möglich (§ 374 StPO). § 184k berechtigt gem. § 395 Abs. 1 Nr. 1 StPO zum Anschluss im Wege der Nebenklage.205 Unter den in § 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO genannten Voraussetzungen kann auf Antrag des Nebenklägers ein Rechtsanwalt als Beistand bestellt werden.206 Um Opfern die belastende wiederholende Vernehmung zu ersparen, können Bild-Ton-Aufzeichnungen einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung nach § 255a Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung verwendet werden. Gem. § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO soll in den Fällen des § 184k die Bild-Ton-Aufzeichnung einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung erfolgen, wenn damit
198 Das relative Antragserfordernis für Taten nach § 201a wurde mit Wirkung v. 27.1.2015 durch das 49. StRÄndG v. 21.1.2015 (BGBl. I S. 10) eingeführt. Vormals waren die Taten noch als absolute Antragsdelikte ausgestaltet, um dem Verletzten die Entscheidung zu belassen, ob er Delikte gegen seinen höchstpersönlichen Lebensbereich verfolgt wissen will. Demgegenüber werden Taten nach § 33 Abs. 1 KunstUrhG nur auf Antrag verfolgt (§ 33 Abs. 2 KunstUrhG). 199 Vgl. die gesetzgeberische Zielsetzung anlässlich der Änderung des § 205 Abs. 1 durch das 49. StRÄndG; BTDrucks. 18/2601 S. 39. 200 Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184i Rdn. 13; krit. Laue HK-GS § 184i Rdn. 4; Noltenius SK § 184i Rdn. 12; Renzikowski MK § 184i Rdn. 21; ders. NJW 2016 3553, 3557; Eisele RPsych 2017 7, 25 f. 201 Krit. Renzikowski MK Rdn. 30. 202 BTDrucks. 19/15825 S. 18 zu § 184k Abs. 3 StGB-E; Grieser Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 6. 203 Zu vorstehend genannten Gründen Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 7. 204 Darauf ebenfalls hinweisend Fischer Rdn. 15. 205 Weiner BeckOK-StPO § 395 Rdn. 21. 206 Weiner BeckOK-StPO § 397a Rdn. 12. 549
Berghäuser
§ 184k
Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen
die schutzwürdigen Interessen von Personen unter 18 Jahren sowie von Personen, die als Kinder oder Jugendliche verletzt worden sind, besser gewahrt werden können.
IX. Sonstiges 56 Auf dem Zivilrechtsweg besteht die Möglichkeit, eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB, analog § 1004 Abs. 1 BGB, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) oder eines Schutzgesetzes (§ 823 Abs. 2 BGB) geltend zu machen.207 Dabei greift das allgemeine Persönlichkeitsrecht für den Fall der nicht erkennbaren Abbildung nackter Personen als Auffangrecht im Verhältnis zu §§ 33, 22 KunstUrhG.208 Es obliegt den Opfern, die Rechtsverletzung nachzuweisen. Zu den weiteren notwendigen Schritten eines effektiven Opferschutzes zählt die Etablierung 57 einer effektiven Verpflichtung der Anbieter sozialer Netzwerke zur Sperrung und Löschung der inkriminierten Bildinhalte auf ihren Plattformen. Insbesondere ist § 184k anders als § 201a gegenwärtig noch nicht im Katalog des § 1 Abs. 3 NetzDG enthalten (vgl. Wolf Berliner AnwBl. 2020 307, 308); dies hat weder durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität v. 30.3.2021 (BGBl. I S. 441) noch durch das Gesetz zur Änderung des NetzDG v. 3.6.2021 (BGBl. I S. 1436) eine Änderung erfahren. Rechtskräftig verurteilten Tätern ist es gem. § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 JArbSchG für die Dauer 58 von fünf Jahren seit der Rechtskraft ihrer Verurteilung untersagt, Jugendliche zu beschäftigen (Beschäftigung durch die Personensorgeberechtigten ausgenommen gem. § 25 Abs. 3 JArbSchG). Der vorsätzliche oder fahrlässige Verstoß gegen dieses Verbot bildet gem. § 58 Abs. 2 JArbSchG eine Ordnungswidrigkeit (Renzikowski MK Rdn. 32). Rechtskräftig verurteilte Täter dürfen außerdem gem. § 44 Abs. 3 S. 3 AsylG nicht in Aufnahmeeinrichtungen für die Unterbringung Asylbegehrender beschäftigt werden, wenn die Beschäftigung die Beaufsichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger oder Tätigkeiten, die in vergleichbarer Weise geeignet sind, Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen, zum Gegenstand hat. Entsprechendes gilt für die Betrauung Ehrenamtlicher mit diesen Tätigkeiten. Weitere Beschäftigungs- und Betrauungsverbote gelten für öffentliche Jugendhilfe gem. § 72a Abs. 1 S. 1 SGB VIII, Eingliederungshilfe gem. § 124 Abs. 2 S. 3 SGB IX und Sozialhilfe gem. § 75 Abs. 2 S. 3 SGB XII. Zur Eintragung in ein (erweitertes) Führungszeugnis s. §§ 32 Abs. 5, 34 Abs. 2, 41 Abs. 2 S. 2 BZRG, m.W.v. 1.7.2022 § 46 Abs. 1 Nr. 1a BZRG (vormals § 46 Abs. 1 Nr. 2 lit. d BZRG).209
207 Berghäuser ZIS 2019 463, 470 m.w.N. in Fn. 75 u. 76; vgl. Valerius LK § 201a Rdn. 10. Zur Verletzung eines Schutzgesetzes vgl. Johansen Allgemeines Persönlichkeitsrecht u. allgemeines Persönlichkeitsvermögensrecht (2022) S. 82 (noch betreffs einer Erweiterung des § 201a gem. BTDrucks. 19/17795). 208 Dreier/Schulze/Specht-Riemenschneider § 22 KunstUrhG Rdn. 6, Vorbem. § 22 KunstUrhG Rdn. 3. 209 S. schon BTDrucks. 19/15825 S. 8, 18; Rebmann Stellungnahme BTRAussch. v. 27.5.2020 S. 14 f. Zur Änderung des § 46 BZRG gem. Art. 4, 10 Abs. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021 s. BGBl. I S. 1810; ausführl. BTDrucks. 19/23707 S. 24, 49 ff. Berghäuser
550
§ 184l Inverkehrbringen, Erwerb und Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild (1)
(2)
(3) (4)
(5)
1
Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer 1. eine körperliche Nachbildung eines Kindes oder eines Körperteiles eines Kindes, die nach ihrer Beschaffenheit zur Vornahme sexueller Handlungen bestimmt ist, herstellt, anbietet oder bewirbt oder 2. mit einer in Nummer 1 beschriebenen Nachbildung Handel treibt oder sie hierzu in oder durch den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes verbringt oder 3. ohne Handel zu treiben, eine in Nummer 1 beschriebene Nachbildung veräußert, abgibt oder sonst in Verkehr bringt. 2 Satz 1 gilt nicht, wenn die Tat nach § 184b mit schwererer Strafe bedroht ist. 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer eine in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 beschriebene Nachbildung erwirbt, besitzt oder in oder durch den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes verbringt. 2Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist der Versuch strafbar. Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und Absatz 2 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung staatlicher Aufgaben oder dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen. 1 Gegenstände, auf die sich die Straftat bezieht, werden eingezogen. 2§ 74a ist anzuwenden.
Schrifttum Eisele Neues Gesetz zur Bekämpfung von sexuellem Missbrauch von Kindern, DRiZ 2021 184; Faehling Die Strafbarkeit von fiktionaler und wirklichkeitsnaher Kinderpornografie in § 184b StGB sowie der neue Straftatbestand des § 184l StGB (Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild; u.a. BTDrucks. 19/23707, 19/24901, 19/27928) – Darstellung, Reichweite der Normen und (kritische) Würdigung, in: KriPoZ Junges Publizieren (JuP), Sexualstrafrecht – dogmatische und kriminalpolitische Fragen (Sammelband 2021) 157; Frommel Die neue Strafbarkeit des Besitzes auf Kind gemachter Sexpuppen, NKrimP 2021 150; Lederer Nein heißt nein? zu populistischer Kriminalpolitik und punitiven Tendenzen im Gesetz „zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt“, StV 2021 322; Renzikowski Der Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, KriPoZ 2020 308.
Psychologie, Maschinenethik u.a. Behrendt Reflections on Moral Challenges Posed by a Therapeutic Childlike Sexbot, in Cheok/Levy (Hrsg.) Love and Sex with Robots. Third International Conference LSR 2017 (2018) 96; Bendel Sexroboter aus Sicht der Maschinenethik, in ders. (Hrsg.) Handbuch Maschinenethik (2019) 335; ders. Liebespuppen, in Gabler Wirtschaftslexikon (2019), https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/liebespuppen-121148/version-384585 (zuletzt aufgerufen am 5.4.2022); ders. Eine Annäherung an Liebespuppen und Sexroboter. Grundbegriffe und Abgrenzungen, in Bendel (Hrsg.) Maschinenliebe. Liebespuppen und Sexroboter aus technischer, psychologischer und philosophischer Perspektive (2020) 3; ders. Liebespuppen und Sexroboter in der Moral. Die Perspektive der Maschinenethik und der Bereichsethiken, in Bendel (Hrsg.) Maschinenliebe (2020) 125; ders. Trans-Formers. Die Metamorphosen der Liebespuppen und Sexroboter, in Bendel (Hrsg.) Maschinenliebe (2020) 185; Brown/Shelling Exploring the implications of child sex dolls, Trends & issues in crime and criminal justice 570 (März 2019) 1; Chatterjee Child sex dolls and robots: challenging the boundaries of the child protection framework, International Review of Law, Computers & Technology 34 (2020) 22; Coursey/Pirzchalski/McMullen/Lindroth/Furuushi Living with Harmony: A Personal Companion System by Realbotix™, in Zhou/Fischer (Hrsg.) AI Love You. Developments in Human-Robot Intimate Relationships (2019) 77; Danaher Robotic Rape and Robotic Child Sexual Abuse: Should They be Criminalised? Criminal Law and Philosophy 11 (2017) 71; ders. Regulating Child Sex Robots: Restriction or Experimentation? Medical Law Review 27 (2019) 553; Harper/Lievesley Sex Doll Ownership: An Agenda for Research, Current Psychiatry Reports 22:54 (2020) 1; Maras/Shapiro Child Sex Dolls and Robots: More Than Just an Uncanny Valley, Journal of Internet Law 2017 3; Moen/Sterri Pedophilia and Computer-Generated Child Pornography, in Boonin (Hrsg.) The Palgrave Handbook of Philosophy and Public Policy (2018) 369; Morin Can Child Dolls Keep Pedophiles from Offending? The 551 https://doi.org/10.1515/9783110490121-033
Berghäuser
§ 184l
Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
Atlantic v. 11.1.2016, https://www.theatlantic.com/health/archive/2016/01/can-child-dolls-keep-pedophiles-from-of fending/423324/ (zuletzt aufgerufen am 5.4.2022); Rutkin Could sex robots and virtual reality treat paedophilia? New Scientist 2016, https://www.newscientist.com/article/2099607-could-sex-robots-and-virtual-reality-treat-paedophi lia/ (zuletzt aufgerufen am 5.4.2022); Strikwerda Legal and Moral Implications of Child Sex Robots, in: Danaher/ McArthur (Hrsg.) Robot Sex. Social and Ethical Implications (2017) 133; Weber Die besseren Sexworker? Ein Interview mit Evelyn Schwarz zur Sexarbeit im BorDoll, in Bendel (Hrsg.) Maschinenliebe (2020) 93; Zhou/Fischer (Hrsg.) AI Love You. Developments in Human-Robot Intimate Relationships (2019).
Entstehungsgeschichte Die am 1.7.2021 in Kraft getretene Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.6.2021 (BGBl. I S. 1810) in das StGB eingefügt. Ihren Gegenstand bilden Inverkehrbringen, Erwerb und Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild (englisch „Childlike Sex Dolls“, kurz „CLSD“1). Nachdem der Tatbestand im RefE des BMJV vom 31.8.2020 noch nicht vorgesehen war,2 fand er erstmals Eingang in den – später für erledigt erklärten (vgl. BTDrucks. 19/27928 S. 4, 11) – Regierungsentwurf vom 21.10.2020,3 auf den der gleichlautende Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 29.10.2020 (BTDrucks. 19/23707) folgte. Hintergrund der Aufnahme des § 184l in den Gesetzentwurf bildete neben der Formulierung eines Verbotsbegehrens in einer Online-Petition4 zum einen die Berichterstattung über das Angebot von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild auf Verkaufsplattformen im Internet, zum anderen der Umstand, dass solche Puppen i.R. v. Ermittlungen in Missbrauchsfällen gefunden wurden (Rdn. 2). Letztlich wurde gem. der Beschlussempfehlung des BTRAussch. (BTDrucks. 19/27928) eine geänderte Fassung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen beschlossen (BRDrucks. 285/21).5 Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, das eine Verbesserung des Kinderschutzes nicht nur vermittels Maßnahmen der Prävention, bes. Qualifizierung der Justiz und effektiven Gestaltung der Strafverfolgung anstrebt,6 sondern sich auch deutlicher Erweiterungen und Verschärfungen des StGB bedient (v.a. der Hochstufung des sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie der Verbreitung, des Erwerbs oder Besitzes kinderpornografischer Inhalte zum Verbrechen7), erfuhr so seine Ergänzung um einen weiteren Verbotstatbestand.
Gesetzesmaterialien BTDrucks. 19/23707 (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD); BRDrucks. 634/1/20 (Empfehlungen der Ausschüsse); BTDrucks. 19/24901 (Gesetzentwurf der BReg.); BTDrucks. 19/27928 (Beschlussempfehlung und Bericht des BTRAussch.); BRDrucks. 285/21 (Gesetzesbeschluss BT).
1 Begriff entnommen bei Wissenschaftliche Dienste des BT, WD 7 – 3000 – 072/20 S. 4; vgl. Chatterjee International Review of Law, Computers & Technology 34 (2020) 22 ff. Auch Sexroboter mit kindlichem Erscheinungsbild, englisch „Child sex robots“ (zu den verwendeten Begrifflichkeiten vgl. Chatterjee a.a.O.), können unter den Tatbestand gefasst werden (s.u. Rdn. 14). Demgegenüber findet der allgemeinere Begriff der „Sexbots“ bzw. „Childlike Sexbots“ so Verwendung, dass er nicht nur körperliche Nachbildungen i.S.d. Gesetzes, sondern auch Softwarevarianten und Hologramme einschließen kann; vgl. Bendel/Bendel Handbuch Maschinenethik S. 335, 337. 2 RefE des BMJV v. 31.8.2020: Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, https:// www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Bekaempfung_sex_Gewalt_Kinder.html;jsessionid=E3E2699 1D5B21C771E46CE8A53260952.1_cid297?nn=6704238 (zuletzt aufgerufen am 5.4.2022). 3 RegE v. 21.10.2020: Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder (Fn. 2) (zuletzt aufgerufen am 5.4.2022); später BTDrucks. 19/24901. 4 https://www.change.org/p/verbieten-sie-kindersexpuppen-in-deutschland-es-geht-um-den-schutz-unserer-kinde r-bmjv-bund-bmfsfj-sexpuppen-missbrauch-kindesmissbrauch (zuletzt aufgerufen am 5.4.2022); s. auch Fischer Rdn. 2: „typisches Kampagnen-Ergebnis“. 5 Weiterführend zu einer Analyse des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen (maßgeblich von Bündnis 90/Die Grünen u. FDP) Frommel NKrimP 2021 150, 155 ff. 6 Vgl. nicht abschließend, aber beispielsweise die Änderungen zur persönlichen Anhörung des Kindes im Verfahren gem. § 159 FamFG; der Aufnahme- u. Tilgungsfristen m.W.v. 1.7.2022 gem. §§ 34, 46 BZRG (Prävention); bes. Qualifizierung der Familienrichter gem. § 23b Abs. 3 GVG sowie der Jugendrichter gem. § 37 JGG; zu erweiterten strafprozessualen Ermittlungsbefugnissen im Bereich der Telekommunikationsüberwachung gem. § 100a StPO, Online-Durchsuchung gem. § 100b StPO, der Erhebung v. Verkehrsdaten gem. § 100g StPO; zur bes. Schutzbedürftigkeit von Zeugen u. zur Beschleunigung gem. § 48a StPO. 7 Vgl. §§ 176, 184b. Berghäuser
552
§ 184l
I. Allgemeines
Übersicht I. 1. 2.
3.
II. 1.
2.
Allgemeines 1 Rechtsgut; Bedeutung der Vorschrift 4 Deliktsnatur; abstrakte Gefährdungen 5 a) Gesetzgeberische Einschätzung 8 b) Kritik Persönlichkeitsrechtsverletzungen nachgebilde11 ter Personen Objektiver Tatbestand 12 Tatgegenstand 13 a) Körperliche Nachbildung b) Eines Kindes oder eines Körperteils eines 15 Kindes c) Nach ihrer Beschaffenheit zur Vornahme 18 sexueller Handlungen bestimmt d) Kein Erfordernis pornografischer Darstel19 lung 20 Tathandlungen nach Absatz 1 Satz 1 a) Vorbereitungshandlungen (Abs. 1 S. 1 22 Nr. 1) 23 aa) Herstellen bb) Werbendes Verhalten. Anbieten; Be25 werben b) Eigennützige Betätigungen. Handeltreiben; 28 hierzu Verbringen (Abs. 1 S. 1 Nr. 2) c) Uneigennützige Betätigungen. Veräußern; Abgeben; sonstiges Inverkehrbringen 31 (Abs. 1 S. 1 Nr. 3)
3.
Tathandlungen nach Absatz 2 Satz 1 36 a) Erwerben; Besitzen 40 b) Verbringen
III.
Subjektiver Tatbestand und Irrtum
IV. 1. 2. 3.
Tatbestandsrestriktion (Absatz 4) 43 Überblick 45 Voraussetzungen Einzelne Anwendungsbereiche
V.
Versuch (Absatz 3)
VI.
Rechtfertigung
35
42
47
51 52
VII. Rechtsfolgen 54 1. Strafrahmen 2. Einziehung (Absatz 5)
55
VIII. 1. 2. 3.
Konkurrenzen 56 Tatvarianten des § 184l Formelle Subsidiarität und § 184b 60 § 33 KunstUrhG
IX.
Prozessuales
X.
Sonstiges
57
61 62
I. Allgemeines 1. Rechtsgut; Bedeutung der Vorschrift Die Vorschrift dient – wie schon § 184b, dessen konstatierte Strafbarkeitslücken sie schließen 1 soll – dem Kinder- und Jugendschutz.8 Insoweit soll das gem. Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 2 subsidiär geltende Verbot Straf- 2 barkeitslücken schließen, die sich aus § 184b hinsichtlich des Umgangs mit Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild ergeben (BTDrucks. 19/23707 S. 23, 42; näher dazu u. zur Subsidiarität Rdn. 57 ff). Zur praktischen Bedeutung dieser Lückenschließung im StGB9 verweisen die Materialien darauf, dass – wie vorliegend schon zur Entstehungsgeschichte angemerkt worden ist – auf gängigen Marktplattformen im Internet ein niedrigschwellig zugängliches Angebot von solchen Sexpuppen nachvollzogen werden konnte, das ebenda auch offen beworben wurde.10 8 Ziegler BeckOK Rdn. 2; vgl. Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger § 184b Rdn. 1; SSW/Hilgendorf § 184b Rdn. 2; Nestler LK § 184b Rdn. 1; Ziegler BeckOK § 184b Rdn. 2, § 184 Rdn. 2 (Kinder- und Jugendschutz); Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184b Rdn. 2; Hörnle MK § 184b Rdn. 1 (Kinderschutz). 9 Zur Bedeutung und Rechtslage im Ausland s. die weiterführenden Ausführungen bei WD 7 – 3000 – 072/20 S. 5 ff. 10 Vgl. BTStenBer. PlenProt. 19/187 S. 23559 (Luczak); WD 7 – 3000 – 072/20 S. 4 mit Verweis u.a. auf Stepanek Kindersexpuppen auf Amazon sorgen für Entsetzen, futurezone.at v. 19.2.2020, https://futurezone.at/digital-life/ kindersexpuppen-auf-amazon-sorgen-fuer-entsetzen/400759206 (zuletzt aufgerufen am 5.4.2022). 553
Berghäuser
§ 184l
Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
Die fortschreitenden Möglichkeiten der realitätsnahen Gestaltung von Sexpuppen11 erstrecken sich dabei auch auf die körperlichen Nachbildungen von Kindern oder deren Körperteilen (BTDrucks. 19/23707 S. 23). Dass solchen Nachbildungen in der Praxis Relevanz zukommt, wurde außerdem aus dem Umstand geschlussfolgert, dass sie zunehmend in Ermittlungsverfahren wegen Kindesmissbrauchs (u.a. in Bergisch Gladbach, Münster) sichergestellt wurden. Sie sollen von Missbrauchstätern dort „quasi als Übungsobjekte“ für die später an Kindern verübten Tathandlungen genutzt worden sein.12 Ungeachtet dessen ging man im Gesetzgebungsverfahren schätzweise davon aus, dass sich 3 die zu erwartende jährliche Anzahl von Ermittlungsverfahren auf den zweistelligen Bereich beschränken werde (BTDrucks. 19/23707 S. 31). Insoweit bestand wohl die begründete Erwartung, dass jedenfalls das offene Bewerben usw. der tatgegenständlichen Nachbildungen mit Inkrafttreten des Verbots eingestellt werden würde.
2. Deliktsnatur; abstrakte Gefährdungen 4 Die Vorschrift ist als abstraktes Gefährdungsdelikt konzipiert (Fischer Rdn. 2), das sich durch eine weite Vorverlagerung der Strafbarkeit auszeichnet (Rdn. 6) und sich anders als § 184b uneingeschränkt gegen fiktive Verkörperungen wendet (Rdn. 7).
5 a) Gesetzgeberische Einschätzung. Nach der gesetzgeberischen Einschätzung besteht die Gefahr, dass Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild die Hemmschwelle zum sexuellen Missbrauch senken und damit zur sexualisierten Ausbeutung von Kindern mittelbar beitragen. Durch die Nutzung solcher Objekte könne der Wunsch geweckt bzw. verstärkt werden, die an dem Objekt eingeübten sexuellen Handlungen in der Realität an einem Kind vorzunehmen. Hierdurch werde die Gefahr für Kinder, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden, gesteigert (BTDrucks. 19/23707 S. 23, 42).13 Ausgehend von dieser Prämisse soll die Vorschrift insb. einem diesbezüglich bestehenden Markt die Grundlage entziehen und jeder möglichen Belebung des Marktes entgegenwirken. Vorbereitungshandlungen und auf den Endverbraucher zugeschnittene Verhaltensweisen wie das Besitzen, die nach Dafürhalten des Gesetzgebers die Nachfrage nach kindlich gestalteten Sexpuppen erheblich fördern, sind von dem Verbot ebenfalls erfasst. Schließlich soll die Regelung ein Signal für die Gesellschaft setzen, dass Kinder – auch vermittels ihrer körperlichen Nachbildung – nicht zum Objekt sexueller Handlungsweisen gemacht werden dürfen (BTDrucks. 19/23707 S. 23). 6 Die Vorschrift wendet sich damit gegen abstrakte Gefährdungen unterschiedlicher Art (zur Kritik Rdn. 8ff): erstens gegen einen potenziell missbrauchsfördernden Einfluss, dem sich der Nutzer selbst im Umgang mit Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild aussetzt, und zweitens gegen den Einfluss, welcher ein durch die Nachfrage der Nutzer etablierter Markt auf Dritte auszuüben vermag. Ein solcher Markt legt Dritten die (für potenziell missbrauchsfördernd befundene) 11 WD 7 – 3000 – 072/20 S. 4; Chatterjee International Review of Law, Computers & Technology 34 (2020) 22; zu sog. „real dolls“ s.u. Rdn. 14.
12 Dazu und Zitat aus Bussweiler Stellungnahme in der öffentlichen Anhörung im BTRAussch. v. 7.12.2020, S. 15, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw50-pa-recht-schutz-kinder-808830 (zuletzt aufgerufen am 5.4.2022, zit. Bussweiler bzw. Stellungnehmender Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020). Vgl. ferner BTStenBer. PlenProt. 19/187 S. 23561 (Hoffmann), 23554 (Pantel); dazu auch Lederer StV 2021 322, 328 m. Fn. 80; Renzikowski KriPoZ 2020 308, 315. 13 Entsprechende, wenn auch vorsichtig formulierte Einschätzung in WD 7 – 3000 – 072/20 S. 4: „Überwiegend wird eher für plausibel gehalten, dass durch den Umgang mit und das Ausleben sexueller Praktiken an CLSD Hemmschwellen sinken könnten und im Wege einer Eskalationsspirale die Gefahr eher gesteigert werden könnte, dass einschlägig Veranlagte in der Folge auch tatsächlich Kinder missbräuchten“. Grdl. Brown/Shelling Trends & issues 570 (März 2019) 1, 8; Maras/Shapiro Journal of Internet Law 2017 3, 17. Berghäuser
554
I. Allgemeines
§ 184l
Nutzung nahe und ermöglicht sie in praktischer Hinsicht, ebenso wie seine Existenz die tatgegenständlichen Nachbildungen womöglich normalisiert. Damit einher geht eine Vorverlagerung der Strafbarkeit14 sowohl hinsichtlich möglicher künftiger Missbrauchshandlungen des Nutzers selbst (der für eine etwaige gefahrverursachende Enthemmung usw. seiner devianten sexuellen Präferenz bestraft wird) als auch hinsichtlich möglicher künftiger Missbrauchshandlungen Dritter, denen eine Belebung des einschlägigen, überdies normalisierend wirkenden Marktes ggf. Vorschub leisten könnte. Insoweit nimmt § 184l also nicht nur ein Maß an Verantwortung für etwaige eigene künftige Taten, sondern auch die für die etwaigen künftigen Taten Dritter vorweg. Die Wertungen zu einer nur reduzierten Gefährlichkeit der (als solche erkennbaren) Fiktiv- 7 pornografie, die den Gesetzgeber bewogen haben, hinsichtlich kinderpornografischer Inhalte, die weder ein tatsächliches noch ein wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben, u.a. auf eine Strafandrohung für die Weitergabe an einen individualisierbaren Personenkreis (vgl. § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 4 im Gegensatz zu § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Nr. 4) oder den Besitz (vgl. § 184b Abs. 3) zu verzichten, werden in § 184l bewusst nicht übernommen.15 Bzgl. Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild soll der Tatbestand vielmehr eben diese Lücken schließen und auch rein fiktive Verkörperungen erfassen (BTDrucks. 19/23707 S. 23). Augenscheinlich misst der Gesetzgeber, ohne dies allerdings weiter darzulegen, gegenständlichen Masturbationshilfen im Vergleich zur erkennbar fiktiven Pornografie ein größeres Gefahrenpotenzial zu, obwohl die tatgegenständlichen Puppen von entsprechend fiktionaler Art sind.16
b) Kritik. Allen vorstehend dargelegten Schutzrichtungen des Gesetzes liegt die gesetzgeberi- 8 sche Einschätzung von einer missbrauchsfördernden Wirkung des Inverkehrbringens, Erwerbs und Besitzes von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild zugrunde. Jedoch ist dieser – vom Gesetzgeber unterstellte, aber nicht hinterfragte – Effekt umstritten.17 Entsprechend verwundert es nicht, dass bereits die Zustimmung zur gesetzgeberischen Annahme entweder ohne weitergehende Begründung oder aber sehr zurückhaltend und vorsichtig formuliert ist.18 Gegenstimmen verweisen sogar auf die umgekehrte Möglichkeit, dass die tatgegenständlichen Nachbildungen missbrauchshemmend wirken könnten, indem sie dem Nutzer die Vornahme einer sexuellen Ersatzhandlung ermöglichen, welche an die Stelle der strafbaren sexuellen Handlung an oder von einem Kind gesetzt werden kann.19 Es liegt in der Konsequenz einer solchen Einschätzung, dass man auf ihrer Grundlage – entgegengesetzt zum deutschen Gesetzgeber – ein Verbot der fraglichen Nachbildungen sogar als abträglich für den Kinder- und Jugendschutz erachten und stattdessen etwa deren Verwendung zu therapeutischen Zwecken nahelegen wür-
14 Vgl. die Ausführungen v. Hörnle MK § 184b Rdn. 2 zur Vorverlagerung der Strafbarkeit i.R.d. § 184b; im Anschluss daran krit. Faehling KriPoZ JuP 2021 157, 170. 15 Kritik bei Faehling KriPoZ JuP 2021 157, 173 f. 16 Zur Fiktionalität Fischer Rdn. 2; vgl. auch BGHSt 58 197, 201 f (betreffs Texte); Hörnle MK § 184b Rdn. 27 (betreffs Texte, auch naturgetreuer Zeichnungen, Zeichentrickfilme und Computerspiele); Hopf/Braml ZUM 2007 354, 360 (betreffs Computerspiele). 17 Einen Überblick über die einschlägige Diskussion bieten Cheok/Levy/Behrendt S. 96 ff; Brown/Shelling Trends & issues 570 (März 2019) 1 ff. 18 Ohne weitergehende Begründung Kindhäuser/Hilgendorf Rdn. 1; Ziegler BeckOK Rdn. 2. Nur zurückhaltend zust. Bussweiler Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 15: „Auch wenn den Strafverfolgungsbehörden keine abschließenden empirischen Erkenntnisse zu der Auswirkung der Verwendung solcher Objekte im Zusammenhang mit tatsächlichen Missbrauchshandlungen an Kindern vorliegen, besteht […] der Eindruck, dass zumindest das Risiko besteht, dass durch die Nutzung solcher Kindersexpuppen die Hemmschwelle bei pädophil veranlagten Personen zur Durchführung realer Missbrauchshandlungen an Kindern gesenkt wird […]“; Hervorhebungen u. Auslassungen durch die Verf. 19 So Ron Arkin bei Rutkin New Scientist 2016; diff. nach verschiedenen Nutzergruppen Michael Seto bei Morin The Atlantic v. 11.1.2016. 555
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§ 184l
Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
de.20 Indes sind weder die These eines missbrauchsfördernden Effekts noch die einer missbrauchshemmenden Wirkung empirisch belegt,21 worauf schon im Gesetzgebungsverfahren wiederholt hingewiesen wurde.22 9 In einer solchen von Unsicherheit geprägten Entscheidungssituation müssen dem Strafgesetzgeber, auch wenn er über die Androhung der ultima ratio der juristischen Mittel befindet, nun nicht die Hände gebunden sein. Vielmehr obliegt es ihm, auf dem Boden des gegenwärtigen Stands der Forschung eine plausible und nachvollziehbare Hypothese zum Gefährdungspotenzial der tatgegenständlichen Nachbildungen zu treffen und auf der Grundlage dieser Hypothese in Abwägung mit den Rechten der zu sanktionierenden Täter über die Strafbedürftigkeit und Strafwürdigkeit des in Frage stehenden Verhaltens zu entscheiden. Dies hat das BVerfG anlässlich seiner Entscheidung v. 26.2.2020 über die Verfassungswidrigkeit des § 217 a.F. (Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung), innerhalb dessen gleichsam die Plausibilität der gesetzgeberischen Gefährlichkeitsannahmen in Frage stand, nochmals ausdrücklich festgehalten.23 Demnach soll es dem Gesetzgeber in Anbetracht der Bedeutung des zu schützenden Rechtsguts auch dann zustehen, „Gefahren für hochrangige Rechtsgüter zu begegnen“, wenn diese „aufgrund fehlender gesicherter wissenschaftlicher oder empirischer Erkenntnisse nicht exakt einschätzbar sind“.24 Hinsichtlich des Verbots von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild allerdings vermisst man bereits eine zu erwartende Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand, wie Hörnle anlässlich der Sachverständigenanhörung gerügt hat: „[...] in der Begründung wird nicht ansatzweise der Versuch unternommen, solche Hypothesen ernsthaft zu entwickeln, geschweige denn den Stand der Forschung zu erfassen“.25 Insoweit ist es also schon oder vornehmlich der Weg, auf dem der Gesetzgeber zu seiner Entscheidung über ein strafbewehrtes Verbot in § 184l gefunden hat, der deutlich zu kritisieren ist26 und der die Vorschrift letztlich auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht angreifbar macht. Diese Kritik verdichtet sich nochmals, wenn man bedenkt, dass der fehlende empirische Nachweis für die Richtigkeit der gesetzgeberischen Gefährdungsprämisse eine Durchführung empirischer Studien dringend notwendig machte,27 das Gesetz selbst die rechtmäßige Durchführung solcher empirischer Studien in § 184l aber erschwert, indem es eine Abgabe der tatgegenständlichen Nachbildungen an nicht gem. Abs. 4 privilegierte Studienteilnehmer sowie eine den Teilnehmern eingeräumte Besitzposition nicht (explizit) vom tatbestandlichen Verbot ausnimmt (s.u. Rdn. 49). 20 Ron Arkin bei Rutkin New Scientist 2016; Boonin/Moen/Sterri The Palgrave Handbook S. 369 ff; dazu auch Chatterjee International Review of Law, Computers & Technology 34 (2020) 33. Aus Herstellersicht Shin Tagaki (Unternehmen Trottla) bei Morin The Atlantic v. 11.1.2016. Gleichsam auf ein mögliches Konterkarieren des formulierten Ziels eines verbesserten Schutzes von Kindern hinweisend Lederer StV 2021 322, 329; die Bedeutung weiterer Forschung aus diesem Grund hervorhebend Danaher Criminal Law and Philosophy 11 (2017) 71, 95; zw. bis abl. hingegen ders. Medical Law Review 27 (2019) 553, 567 ff. 21 Brown/Shelling Trends & issues 570 (März 2019) 1, 8; Harper/Lievesley Current Psychiatry Reports 22:54 (2020) 1, 4 f. 22 WD 7 – 3000 – 072/20 S. 11 f. Aus der Sachverständigenanhörung etwa BRAK Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 4; Kinzig Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 17; Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 7; s. auch schon die sehr zurückhaltende Formulierung bei Bussweiler Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 15 (zitiert o. Fn. 18). In späteren Besprechungen der Norm weisen darauf z.B. hin Lederer StV 2021 322, 328; Faehling KriPoZ JuP 2021 157, 163. 23 BVerfGE 153 182, 268 m. Rdn. 224 ff. 24 Zitat aus BVerfGE 153 182, 285 m. Rdn. 271 unter Verweis auf Appel Verfassung und Strafe (1998) S. 572 f; Jäger JZ 2015 875, 882. Vgl. zu einem „beträchtlichen Beurteilungsspielraum“ des Staates auch Hilgendorf Hdb. des Strafrechts/1 § 17 Rdn. 172. 25 Hörnle Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 13; entspr. Kritik bei Lederer StV 2021 322, 328. 26 Hörnle Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 13: es sei „erschreckend und einer rechtsstaatlichen Rechtsordnung nicht angemessen, dass auf Basis von wenigen Sätzen mit nicht recherchierten Aussagen zu menschlichem Verhalten Kriminalstrafe geschaffen werden soll“. 27 Zu dieser Notwendigkeit Kinzig Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 17; Wersig/Steinl (djb) Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 7. Berghäuser
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I. Allgemeines
§ 184l
Vor diesem Hintergrund verfestigt sich der in der Sachverständigenanhörung sowie im 10 Schrifttum wiederholt kundgetane Eindruck, dass die gesetzgeberische Entscheidung für ein Verbot des Inverkehrbringens, Erwerbs und Besitzes von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild weniger einer zweckrationalen Erklärung, nämlich nachvollziehbar dargelegten und wohl abgewogenen Erwägungen zum Rechtsgüterschutz, entsprungen ist, als dass sie maßgeblich von moralischen Vorstellungen und Empfindungen geprägt gewesen sein könnte.28 Die unzureichende bis fehlende Darlegung der Notwendigkeit gerade eines strafbewehrten Verbots einschließlich der Annahme eines unbelegten Gefährdungszusammenhangs tastet auf dem Boden des gegenwärtigen Forschungsstands die Trennung von Recht und Moral an und zieht in der Folge die Verhältnismäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit des strafbewehrten Verbots zumindest in Zweifel.29
3. Persönlichkeitsrechtsverletzungen nachgebildeter Personen Über die vom Gesetzgeber unterstellten abstrakten Gefährdungen hinaus ist außerdem denkbar, 11 dass die Tathandlungen des § 184l das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer körperlich nachgebildeten Person verletzen. Dies ist der Möglichkeit (nicht: Regel) geschuldet, Sexpuppen im Herstellungsprozess in der Weise zu personalisieren, dass das Bildnis einer Person auf eine Sexpuppe übertragen wird. Insoweit bedroht wegen Verletzung des Rechts am eigenen Bild zwar bereits § 33 i.V.m. § 22 KunstUrhG u.a. denjenigen mit Strafe, der eine personalisierte Sexpuppe mit kindlichem Erscheinungsbild ohne (wirksame) Einwilligung verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt. Der Hersteller macht sich nach § 33 KunstUrhG nicht nur strafbar, wenn er die Abbildung einer dergestalt personalisierten Sexpuppe ohne Einwilligung des Abgebildeten beispielsweise in seiner Webpräsenz veröffentlicht (öffentlich zur Schau stellt30), sondern auch, wenn er die personalisierte Puppe (die oder deren Gesicht wegen der Personalisierung selbst ein Bildnis darstellt31) an einen Erwerber versendet (verbreitet32). Den spezifischen Sexualbezug des Handelns (resultierend daraus, dass der nachgebildete Körper einer Person ohne wirksame Einwilligung zum Objekt des sexuellen Begehrens anderer gemacht wird33) weiß eine Strafbarkeit nach § 33 KunstUrhG indes nicht abzubilden, der außerdem insb. Erwerb oder Besitz nicht unter Strafe stellt. Insoweit kommt § 184l eine klarstellende Funktion zu, der jedenfalls Dritte vor der abstrakten Gefährdung durch künftige Missbrauchshandlungen, im (Sonder-)Fall personalisier28 Auszugsweise – teils harsche – Kritik aus der Sachverständigenanhörung: BRAK Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 4 („Pönalisierung anstößigen und ‚moralisch verachtenswerten‘ Verhaltens“); Hörnle Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 12 („Die wahrscheinlichste Erklärung für diese kriminalpolitische Forderung ist eine moralisch-ästhetische: Die Vorstellung, dass solche Gegenstände existieren und benutzt werden, ist abstoßend“); Kinzig Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 17 („als ‚Schmuddelkram‘ angesehen“), 19 („Kriminalpolitik nach den Vorgaben der Boulevardpresse“); Lederer Ergänzende Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 4 („bloße Machtgeste einer moralisierenden Ächtung“); aus dem Schrifttum: Frommel NKrimP 2021 150 („Zeichen einer staatlichen Moralpolitik“); Lederer StV 2021 322, 329 („Boulevardisierung und Moralisierung der Kriminalpolitik“); Renzikowski KriPoZ 2020 308, 316 („Letztlich soll hier nur noch ein unmoralisches Verhalten pönalisiert werden“). 29 So Kinzig Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 17; BRAK Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 5; vgl. aber auch Danaher Criminal Law and Philosophy 11 (2017) 71; Danaher/McArthur/Strikwerda Robot Sex 133, 135 ff, 146 f (für eine Bestrafung v. Verletzungen der Moral). 30 Dreier/Schulze/Specht-Riemenschneider § 22 KunstUrhG Rdn. 10a. 31 Dem Bildnisbegriff genügen alle erdenklichen Arten der Darstellungen, u.a. auch Zeichnungen und Skulpturen; Dreier/Schulze/Specht-Riemenschneider § 22 KunstUrhG Rdn. 1 m.w.N. 32 Anders als das öffentliche Zurschaustellen lässt die erste Tatalternative des § 33 KunstUrhG ein Verbreiten an Einzelpersonen, auch nur im privaten Bereich, genügen. Demnach ist das bildnisrechtliche Schutzbedürfnis bereits mit dem Übergang des Bildnisses in die Verfügungsgewalt eines anderen gegeben; Dreier/Schulze/Specht-Riemenschneider § 22 KunstUrhG Rdn. 9; Schricker/Loewenheim/Götting § 22 KunstUrhG Rdn. 36. 33 Vgl. zu § 184k BTDrucks. 19/15825 S. 2, 9. 557
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§ 184l
Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
ter Sexpuppen aber auch ein körperlich nachgebildetes Kind in seinen Persönlichkeitsrechten schützt.34
II. Objektiver Tatbestand 1. Tatgegenstand 12 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 definiert den Tatgegenstand des § 184l – für den die Gesetzesüberschrift den verkürzenden Begriff der Sexpuppe mit kindlichem Erscheinungsbild wählt – als körperliche Nachbildung eines Kindes oder eines Körperteiles eines Kindes, die nach ihrer Beschaffenheit zur Vornahme sexueller Handlungen bestimmt ist. Absatz 2 Satz 1 verweist auf diese Definition („eine in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 beschriebene Nachbildung“), sodass der Tatgegenstand in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 für alle Tatvarianten der Vorschrift einheitlich beschrieben wird.
13 a) Körperliche Nachbildung. Vorausgesetzt ist erstens eine körperliche Nachbildung; eine bildliche Darstellung genügt nicht (BTDrucks. 19/23707 S. 42). Bildliche Darstellungen (z.B. Fotografien) von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild werden stattdessen – vorbehaltlich der Erfüllung der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen – von § 184b erfasst, der verschiedentlich sowohl wirklichkeitsnahe als auch erkennbare Fiktivpornografie sanktioniert.35 Vorgaben zur Art oder Qualität der körperlichen Nachbildung formuliert das Gesetz – jenseits 14 der Erkennbarkeit des nachgebildeten Gegenstands (hier eines kindlichen menschlichen Körpers oder Körperteils, Rdn. 15 ff) – nicht; die Materialien führen aus, dass es unerheblich sei, ob es sich um eine „wirklichkeitsnahe“ körperliche Nachbildung handelt (BTDrucks. 19/23707 S. 42).36 Der Begriff ist damit geeignet, sowohl aufblasbare Gummipuppen als auch lebensecht gestaltete Puppen („real dolls“ oder „love dolls“) zu erfassen, des Weiteren Roboter, die über die körperliche Nachbildung der menschlichen Gestalt hinaus bestimmte Funktionen eines Menschen auszuführen vermögen.37 Im Angesicht des technischen Fortschritts ist also nicht nur an die verschiedenen Erscheinungsformen zur Bewegung oder Interaktion nicht fähiger Puppen, sondern auch an Roboter (Sexroboter, englisch „sex robot“38) zu denken, die zusätzlich zur gesetzlich vorausgesetzten körperlichen Nachbildung z.B. auch Bewegungen vollziehen können, mit künstlicher Intelligenz oder Sprachfähigkeit ausgestattet sind.39 Demgegenüber beurteilt sich die Strafrechts- oder Ordnungswidrigkeit des Umgangs z.B. mit kindlich gestalteten Avataren in Online-Spielen wie „Second Life“40 weiterhin nach § 184b, §§ 24 Abs. 1 lit. j, k i.V.m. 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 9, 10 JMStV.
15 b) Eines Kindes oder eines Körperteils eines Kindes. Die Nachbildung muss zweitens ein Kind oder ein Körperteil eines Kindes betreffen (BTDrucks. 19/23707 S. 42). Der Begriff des Kindes meint – wie in § 184b, dessen postulierte Strafbarkeitslücken § 184l schließen soll – Perso34 Vgl. zur Verletzung von Persönlichkeitsrechten der abgebildeten Kinder durch Besitz usw. realpornografischer Abbildungen Hörnle MK § 184b Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 2, 37; Wolters/Greco SK § 184b Rdn. 2; auch durch wirklichkeitsnahe Pornografie Faehling KriPoZ JuP 2021 157, 167. 35 WD 7 – 3000 – 072/20 S. 4; zum Verbot erkennbarer Fiktivpornografie nach § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 4, S. 2 Hörnle MK § 184b Rdn. 21 ff, 32; zum Verbot wirklichkeitsnaher Pornografie auch nach § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 Hörnle MK § 184b Rdn. 27, 33, 35; zu beidem Ziegler BeckOK § 184b Rdn. 9. 36 Zust. Eisele DRiZ 2021 184, 187; ders. Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 9; Kindhäuser/Hilgendorf Rdn. 2. 37 Vgl. zur Definition sog. Liebespuppen („love dolls“) Bendel/Bendel Maschinenliebe S. 3, 5 f; ders. Gabler Wirtschaftslexikon Ziff. 1 u. 2; ausführl. zu Sexrobotern Zhou/Fischer AI Love You. 38 S. bereits oben Fn. 1 m.w.N. 39 Vgl. Bendel/Bendel Maschinenliebe S. 3, 6; ders. Gabler Wirtschaftslexikon Ziff. 2. 40 Dazu etwa Hopf/Braml ZUM 2007 354; Ritlewski K&R 2008 94; Krick JMS 2013 6. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
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nen unter 14 Jahren (vgl. die Legaldefinition des Kindes in § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a). Da eine körperliche Nachbildung qua Darstellungsform von fiktionalem Charakter ist,41 kann sich das kindliche Erscheinungsbild nur aus der Perspektive eines objektiven Betrachters beurteilen. Unter Rücksichtnahme auf potenzielle Abgrenzungsschwierigkeiten ist in einer Gesamtbetrachtung des möglichen Tatgegenstands zu fordern, dass die nachgebildete menschliche Gestalt eindeutig kindlich wirken muss.42 Neben der Größe des nachgebildeten Körpers oder Körperteils,43 ggf. auch der Stimme eines sprachfähigen Sexroboters,44 kommt hierbei der Nachbildung nicht ausgereifter primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale (z.B. kleiner Schamlippen und einer noch nicht entwickelten weiblichen Brust) bes. und im Zweifelsfall entscheidende Bedeutung zu. Auf diesem Wege wären „Mischformen“ von Sexpuppen, die eine kindhafte Größe und zugleich ausgeprägte weibliche sekundäre Geschlechtsmerkmale aufweisen,45 vom Tatbestandsmerkmal der körperlichen Nachbildung eines Kindes auszunehmen. Dies gilt umso mehr, als in der Gesamtbetrachtung des möglichen Tatgegenstands auch die produktspezifischen Eigenheiten zu berücksichtigen sind. So sind beispielsweise in sog. „real dolls“ oder „love dolls“ Metallskelette integriert, um die Puppe lebensecht zu gestalten und ihr die Einnahme verschiedener Körperpositionen zu ermöglichen. Weil das Gewicht dieser Skelette bei Nachbildung einer durchschnittlich großen Person aber den Gebrauch behindern könnte, ist die äußere Gestalt der „real dolls“ regelmäßig kleiner als die einer erwachsenen Person von mittlerer Größe gehalten,46 ohne dass die Größe der Puppe einen Rückschluss auf die Kindlichkeit des präsentierten Körpers nahelegen soll. Beachtet man dies und nimmt das Erfordernis einer eindeutig kindlichen Wirkung hinzu, überzeugen Bedenken im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG an dieser Stelle nicht („erheblich[e] Bedenken“ aber bei Renzikowski KriPoZ 2020 308, 316). Das Erfordernis eines eindeutig kindlichen Erscheinungsbilds aus der Sicht eines objektiven 16 Betrachters gilt auch für solche Nachbildungen, die bereits einer fiktionalen Vorlage entlehnt sind (z.B. Sexpuppen in Gestalt eines Mangamädchens mit den für den japanischen Comic charakteristischen riesigen Augen; Elfenfiguren mit spitzen Ohren47). Weil das Gesetz ein Kind zur Strafbarkeitsvoraussetzung erhebt, wird das Augenmerk bei solchen Puppen insb. darauf zu legen sein, dass sie eindeutig eine menschliche und nicht nur eine menschenähnliche Gestalt nachahmen.48 Ist eine Phantasiefigur etwa so gestaltet, dass sie zwar als „verkleidet“ wahrgenommen wird, jenseits einzelner Merkmale eines Fabelwesens aber der menschlichen Anatomie entspricht (so im Falle eines Kindes, das z.B. nur Elfenohren „trägt“), wird man die körperliche Nachbildung eines Kindes noch bejahen können. Im Übrigen bleibt im Angesicht einer weiten 41 42 43 44 45
Zur Fiktionalität s.o. Fn. 16. Vgl. SSW/Hilgendorf § 184b Rdn. 3; Hörnle MK § 184b Rdn. 11; Nestler LK § 184b Rdn. 8. Fischer Rdn. 4. Zur möglichen Stimmfunktion von Sexpuppen und -robotern s. Bendel/Bendel Maschinenliebe S. 185, 195. Vgl. die Beschreibung einer bestimmten Sexpuppe bei Bendel/Bendel Handbuch Maschinenethik S. 335, 338 f. Die dort in Bezug genommene Sexpuppe ist „einen Meter groß und wiegt 12 kg, hat aber, im offensichtlichen Widerspruch dazu, Riesenbrüste“. 46 Bendel/Bendel Maschinenliebe S. 3, 5 f („meist klein, manchmal irritierend klein“); Bendel/Bendel Handbuch Maschinenethik S. 335, 338: „170 cm werden kaum überstiegen, üblich sind eher 135–160 cm“. Vgl. auch die verschiedenen Puppenbeschreibungen im Internetauftritt des Dortmunder Real Sex Dolls-Bordell „BorDoll“; https:// www.bordoll.de/Start/ (zuletzt aufgerufen am 5.4.2022). Die Mehrzahl der Puppen weist hier aktuell eine Größe von 158 cm auf, die größte Puppe 166 cm. Ausführl. zum „BorDoll“ auch Bendel/Weber Maschinenliebe S. 93 ff. 47 Zu deren Vorkommnis beispielhaft Bendel/Bendel Maschinenliebe S. 3, 6 u. 8; Bendel/Bendel Maschinenliebe S. 125, 127 u. 134; Bendel/Bendel Maschinenliebe S. 185, 198; Bendel/Bendel Handbuch Maschinenethik S. 335, 339; ders. Gabler Wirtschaftslexikon Ziff. 2; Bendel/Weber Maschinenliebe S. 93, 95 f. 48 Demgegenüber (allerdings ohne weitere Konkretisierung) auch „menschenähnliche Puppen“ einbeziehend Fischer Rdn. 4. Nicht nur hinsichtlich der Strafbarkeit nach § 184l, sondern auch bezüglich der Akzeptanz der Nutzer wird die Frage aufgeworfen, wie weit Liebespuppen oder Sexroboter von einer menschlichen Erscheinung abweichen dürfen; s. zu einer „Daisy Duck-Grenze“ Bendel/Bendel Maschinenliebe S. 125, 140; Bendel/Weber Maschinenliebe S. 93, 96 f. 559
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§ 184l
Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
Spannbreite von Fantasy-Figuren und ihrer jeweiligen Charakteristika (welche von einem objektiven Betrachter unterschiedlich noch als „Verkleidung“ der menschlichen Gestalt oder schon als Abweichung hiervon wahrgenommen werden) aber hier nun tatsächlich ein nicht unerheblicher Raum für Zweifel, über die im Einzelfall zugunsten des Täters zu entscheiden wäre. Dass man damit die Tür für versuchte oder gelingende Gesetzesumgehungen öffnet, ist in Anbetracht des Wortlauts und des auf Kinder (nicht Phantasiefiguren) bezogenen Gesetzeszwecks hinzunehmen. 17 Indem das Gesetz die Nachbildung eines Körperteils eines Kindes genügen lässt, fallen auch solche Masturbationshilfen unter den Tatbestand, die beispielsweise nur den Torso eines Kindes (BTDrucks. 19/23707 S. 42), dessen Unterleib (mit49 oder ohne Extremitäten) oder dessen Kopf50 nachahmen. Die Anforderungen an die eindeutige Erkennbarkeit der Kindlichkeit (Rdn. 15) bleiben von dieser Reduzierung auf einen Körperteil – infolge derer der konkreten Nachbildung die für eine kindliche Gestalt typischen Erscheinungsmerkmale (wie die noch nicht ausgereifte weibliche Brust) entzogen sein können – unberührt.
18 c) Nach ihrer Beschaffenheit zur Vornahme sexueller Handlungen bestimmt. Die körperliche Nachbildung muss nach ihrer Beschaffenheit, also objektiv, zur Vornahme sexueller Handlungen bestimmt sein. Nach Dafürhalten des Gesetzgebers kann sich dies insb. aus einer spezifischen Darstellung der Geschlechtsorgane und dem Vorhandensein von Körperöffnungen ergeben (BTDrucks. 19/23707 S. 42). Ob auf diesem Weg bereits eine zweifelsfreie Abgrenzung von anderen körperlichen Nachbildungen ermöglicht wird, die nicht unter die Vorschrift fallen sollen, ist indes fraglich, wenn man beispielsweise an medizinische Übungs-, Pflege- oder Stillpuppen denkt, die gleichsam über Körperöffnungen (u.a. zur Einübung des Stillens oder rektalen Fiebermessens bei Säuglingen oder Kleinkindern) verfügen, oder auch an Spiel- und Sammelpuppen, die anatomisch korrekt – einschließlich der Nachbildung der Genitalien – gestaltet sein können. Die Beschreibung des Tatgegenstands in den Gesetzesmaterialien ist daher dergestalt zu präzisieren, dass erstens die körperliche Nachbildung nach ihrer Beschaffenheit zur Vornahme sexueller Handlungen geeignet ist und zweitens diese objektive Eignung der abstrakten Zweckbestimmung der Nachbildung entspricht, die zur Ermöglichung eben solcher Handlungen angefertigt worden ist. Damit ist für eine Sexpuppe i.S.d. Tatbestandes – in Unterscheidung von anderen Puppen – weniger das bloße Vorhandensein als eine spezifische „Funktionstüchtigkeit“ der nachgebildeten Geschlechtsorgane und Körperöffnungen maßgeblich. Deren Gestaltung muss gerade an der bezweckten Vornahme sexueller Handlungen, insb. dem Eindringen mit Genitalien oder Fingern des Nutzers, ausgerichtet sein (vgl. auch Fischer Rdn. 5 zu einer Penetrationseignung und -bestimmung). Als Indizien für den notwendigen Sexualbezug können Maße (einschl. Tiefe), Dehnbarkeit usw. der Körperöffnungen Mund, Vagina und Analkanal dienen. Demgegenüber kann aus der zweckentfremdenden Verwendung eines Gegenstands im konkreten Einzelfall nicht auf eine zur Vornahme sexueller Handlungen bestimmte Nachbildung geschlussfolgert werden, sodass etwa eine medizinische Übungspuppe auch dann nicht unter die Vorschrift fiele, wenn der Einzelne sie in Abweichung von ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung zur Penetration gebrauchen würde.
19 d) Kein Erfordernis pornografischer Darstellung. Nicht erforderlich ist eine pornografische Gestaltung der Nachbildung, wie sie § 184b für kinderpornografische Inhalte voraussetzt. I. R. d. 49 Eine Abbildung (auch) eines kindlichen Unterleibs mit Beinen findet sich etwa bei Stepanek, futurezone.at v. 19.2.2020 (Fn. 10). 50 Bendel/Bendel Maschinenliebe S. 3, 8 f zum Angebot des Sexroboters „Harmony“ nicht nur als Ganzkörperversion, sondern u.a. auch als Kopfmodell, d.h. Roboterkopf; weiterführend zu „Harmony“ Zhou/Fischer/Coursey/Pirzchalski/ McMullen/Lindroth/Furuushi AI Love You S. 77 ff. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
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§ 184l muss die Nachbildung also weder die Wiedergabe eines unbekleideten Kindes in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung (vgl. § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) noch die aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes (§ 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. c) zum Gegenstand haben51 (BTDrucks. 19/23707 S. 23, 42).
2. Tathandlungen nach Absatz 1 Satz 1 Die Tathandlungen des Absatzes 1 sind typischerweise (s. aber Rdn. 24) auf den „gebenden“ 20 Part eines Händlers, Verkäufers, Anbieters usw. zugeschnitten. Der Gesetzgeber unterscheidet insoweit zwischen Vorbereitungshandlungen (Abs. 1 S. 1 Nr. 1), sog. eigennützigen (Abs. 1 S. 1 Nr. 2) und uneigennützigen (Abs. 1 S. 1 Nr. 3) Betätigungen des Täters. Anders als in § 184b, der die Weitergabe oder Vorbereitung der Weitergabe erkennbar fikti- 21 onaler Inhalte nur an einen nicht individualisierbaren Personenkreis unter Strafe stellt (vgl. § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 4 im Gegensatz zu § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Nr. 4), sanktioniert das Gesetz in Absatz 1 Satz 1 auch Handlungen, die auf eine Weitergabe der Puppe an einen individualisierbaren Personenkreis gerichtet sind. Dies gilt ausweislich der gesetzgeberischen Entscheidung ungeachtet des fiktionalen Charakters einer Puppe.52
a) Vorbereitungshandlungen (Abs. 1 S. 1 Nr. 1). Die Tathandlungen des Herstellens, Anbie- 22 tens und Bewerbens in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 entsprechen den gleichlautenden Tathandlungen in § 184 Abs. 1 Nr. 8 und § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 (BTDrucks. 19/23707 S. 42), für deren Erläuterung weiterführend auf die Ausführungen zu § 184 Abs. 1 Nr. 1 (Anbieten) und Nr. 5 (Anbieten, Bewerben) verwiesen wird.53 Wie in den §§ 184, 184b54 handelt es sich um Vorbereitungshandlungen, an welche das Gesetz eine eigenständige Strafbarkeit knüpft, die es aber – anders als in den §§ 184, 184b – prominent am Beginn der Vorschrift und damit vor statt nach den vorzubereitenden Taten platziert. Einer bes. Publikationsform bedarf es – anders als in § 184 Abs. 1 Nr. 5 – nicht, ebenso wenig der Absicht zu einer bestimmten weiteren Verwendung des Tatgegenstands, wie sie §§ 184 Abs. 1 Nr. 8, 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 voraussetzen.
aa) Herstellen. Im Übrigen (Rdn. 22) entspricht die Tathandlung des Herstellens (Var. 1) dem 23 in § 184 Abs. 1 Nr. 8 verwendeten Begriff (BTDrucks. 19/23707 S. 42). Sie meint das Anfertigen der körperlichen Nachbildung eines Kindes oder des Körperteils eines Kindes (vgl. Sch/Schröder/Eisele § 184 Rdn. 61; Nestler LK § 184 Rdn. 87). Dies schließt den Fall ein, dass die hergestellte Nachbildung als Muster für die Herstellung weiterer i.S.d. Tatbestandes zu verwendender Nachbildungen dient. Vervielfältigen ist eine Unterart des Herstellens; insoweit führen die Materialien ausdrücklich aus, dass der Herstellensbegriff auch die Serienproduktion erfasst, d.h. die Anfertigung weiterer Nachbildungen nach dem Muster einer bereits hergestellten Nachbildung (BTDrucks. 19/23707 S. 42). Hergestellt ist die körperliche Nachbildung mit Erreichen eines Zustands, in dem sie die für den Tatgegenstand notwendigen Merkmale aufweist (vgl. Eisele; Nestler; jew. a.a.O.), u.a. also eine Beschaffenheit aufweist, welche auf die Nachbildung gerade eines kindlichen Körpers oder Körperteils schlussfolgern lässt (Rdn. 15 ff) und zur Vornahme sexueller 51 Näher zu § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a bis c etwa Nestler LK § 184b Rdn. 11 ff; Wolters/Greco SK § 184b Rdn. 11 ff. 52 Zur Fiktionalität s.o. Fn. 16. 53 So Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 32; Nestler LK § 184b Rdn. 32 (jew. verweisend auf die Erläuterungen zu § 184 Abs. 1 Nr. 5); Ziegler BeckOK § 184b Rdn. 17; vgl. auch den direkten Verweis auf die Kommentierung des § 184 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 bei Ziegler BeckOK Rdn. 5 f. 54 Vgl. Hörnle MK § 184 Rdn. 71; SSW/Hilgendorf § 184 Rdn. 44, § 184b Rdn. 16; Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 32; Ziegler BeckOK § 184b Rdn. 17. 561
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Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
Handlungen bestimmt ist, insb. die produktspezifisch nachgebildeten Körperöffnungen aufweist (Rdn. 18). 24 Fraglich ist, ob das Herstellen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 auch die Selbstherstellung der tatgegenständlichen Nachbildung, d.h. deren Herstellung ausschließlich zum Zwecke des Eigengebrauchs, erfasst.55 Während die Vorschrift selbst diesen Fall nicht explizit von der Strafbarkeit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 ausnimmt, insb. keine Fremdverwendungsabsicht wie z.B. in § 184 Abs. 1 Nr. 8 normiert,56 streiten Sinn und (wenngleich in Absatz 2 Satz 1 Var. 3 durchbrochene, Rdn. 41) Systematik der Vorschrift hiergegen: Denn eine Selbstherstellung belebt weder den nach dem Gesetzeszweck einzudämmenden Markt für die tatspezifischen Nachbildungen, noch animiert der Nutzer hierdurch einen anderen zum Umgang mit dem inkriminierten Gegenstand bzw. trifft Vorbereitungen dazu. Insoweit ist nicht ersichtlich, welche erhöhte abstrakte Gefährdung von einer Selbstherstellung ausgehen soll, die es rechtfertigte, sie der (im Vergleich zu Absatz 2) höheren Strafandrohung des Absatzes 1 zu unterwerfen. Im Gegenteil setzte sich das Gesetz womöglich gar dem Vorwurf der nicht sachlich begründeten Ungleichbehandlung aus, wenn es den „Selbsthersteller“ nach Absatz 1 bestrafte, während derjenige Nutzer, der die körperliche Nachbildung von einem anderen bezieht (statt selbst herstellt), sich bezüglich dieses Bezugsakts auf die Grundsätze der notwendigen Teilnahme berufen könnte (sodass ihn auch keine aus Absatz 1 abgeleitete Strafbarkeit als etwaiger Anstifter oder Gehilfe nach den §§ 26, 27 ereilte57). In beiden Fällen – der Selbstherstellung wie des Einkaufs usw. – wird das Unrecht, welches der Gesetzgeber der persönlichen Verwendung des Tatgegenstands (basierend auf seiner Einschätzung eines vom Gebrauch ausgehenden Anreizes zu Missbrauchstaten; Rdn. 5 ff) beimisst (BTDrucks. 19/23707 S. 43), bereits durch die Besitz- bzw. Erwerbsstrafbarkeit nach Absatz 2 hinreichend abgebildet. Eines zusätzlichen Rückgriffs auf die erhöhte Strafandrohung des Absatzes 1 bedarf es – im einen wie im anderen Falle – nicht.
25 bb) Werbendes Verhalten. Anbieten; Bewerben. Mit den Tatvarianten des Anbietens und Bewerbens stellt der Gesetzgeber werbendes Verhalten unter Strafe.58 Der Werbecharakter der Varianten bedingt ein Verhalten, welches darauf ausgerichtet sein muss, das wohlwollende oder jedenfalls neutrale Interesse eines Gegenübers zu wecken; dagegen sollen Kritik oder Informationen im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung den Tatbestand nicht erfüllen.59 Dabei gilt es indes zu bedenken, dass auf die verlangte werbende Zielrichtung bereits von der Bejahung eines vorsätzlichen Anbietens (Rdn. 26) oder Bewerbens (Rdn. 27) zu schlussfolgern ist. Ggf. abweichende innere Haltungen oder begleitende kritische Äußerungen wissen diesbezüglich keine entkräftende Wirkung zu entfalten („das Ziel der Werbung [kann] auch unter dem Deckmantel der Ablehnung verfolgt werden“60). 26 Darauf aufbauend liegt ein Anbieten (Var. 2) – in Entsprechung zur Definition des Anbietens in § 184 Abs. 1 Nr. 5 – vor, wenn ein Täter ausdrücklich oder konkludent seine Bereitschaft erklärt, mit dem in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 näher benannten Tatgegenstand Handel zu treiben, ihn zu veräußern, abzugeben. Eines konkreten Angebots an bestimmte Personen bedarf es 55 Dafür wohl Eisele DRiZ 2021 184, 187; ders. Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 9. 56 Und auch kein Absehen von Strafe kennt wie etwa § 29 Abs. 5 BtMG. 57 Vgl. die Erwägungen zur Teilnahmestrafbarkeit (Strafbarkeit wegen Anstiftung durch Bestimmung zum Vertragsschluss gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG i.V.m. § 26 sowie wegen Beilhilfe durch Entgegennahme des abgegebenen Tatgegenstands gem. § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG i.V.m. § 27) bei Mitsch JR 2021 93, 94. Zur notwendigen Teilnahme in diesem Kontext Oğlakcıoğlu MK vor § 29 BtMG Rdn. 113; ders. Der Allgemeine Teil des Betäubungsmittelstrafrechts (2013) S. 547 ff. 58 Vgl. Ziegler BecKOK Rdn. 5 f, § 184 Rdn. 18; Sch/Schröder/Eisele § 184 Rdn. 45. 59 Vgl. BGHSt 34 218, 220 (zum Begriff der Werbung im früheren § 5 Abs. 2 GjS); Ziegler BecKOK Rdn. 5 f, § 184 Rdn. 18; Nestler LK § 184 Rdn. 73; M. Heinrich ZJS 2016 297, 303; zum Bewerben auch Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184 Rdn. 74; SSW/Hilgendorf § 184 Rdn. 39; Hörnle MK § 184 Rdn. 60. 60 Zitat aus BGHSt 34 218, 220. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
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nicht; hinreichend ist ein Anbieten in Form der invitatio ad offerendum (vgl. Matt/Renzikowski/ Eschelbach § 184 Rdn. 73; Hörnle MK § 184 Rdn. 60). Bewerben (Var. 3) ist ein Oberbegriff, unter den der Gesetzgeber – in Entsprechung zur 27 Tatbeschreibung in § 184 Abs. 1 Nr. 5 seit dessen redaktioneller Änderung durch das 49. StRÄndG61 – ankündigendes und anpreisendes Verhalten zusammenfasst. Dabei ist unter Ankündigen jede Erklärung zu verstehen, durch die auf die künftige Gelegenheit zum Bezug oder zum Zugang zu einer Sexpuppe mit kindlichem Erscheinungsbild aufmerksam gemacht wird.62 Anpreisen setzt voraus, dass der Tatgegenstand lobend und empfehlend beschrieben wird, z.B., indem dessen Vorzüge geschildert werden. Eines Hinweises auf etwaige Bezugsquellen oder die Absicht, die angepriesene Puppe einem anderen zugänglich zu machen, bedarf es hier nicht.63
b) Eigennützige Betätigungen. Handeltreiben; hierzu Verbringen (Abs. 1 S. 1 Nr. 2). An 28 die strafbaren Vorbereitungshandlungen schließt sich in Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 die Strafandrohung für eigennütziges64 Handeln, nämlich für das Handeltreiben oder das hierzu erfolgende Verbringen der tatgegenständlichen Nachbildung in oder durch den räumlichen Geltungsbereich des StGB an. Die Tathandlung des Handeltreibens (Var. 1) ist dem Betäubungsmittelrecht entlehnt (vgl. 29 §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG)65 und fasst dort als Oberbegriff alle Betätigungen, die sich auf den Umsatz desselben Tatgegenstands beziehen, zu einer Bewertungseinheit zusammen.66 Entsprechend soll der Begriff auch in § 184l jede eigennützige, auf Umsatz der tatgegenständlichen körperlichen Nachbildung gerichtete Tätigkeit beschreiben, auch wenn sich diese nur als gelegentlich, einmalig oder ausschließlich vermittelnd darstellt (BTDrucks. 19/23707 S. 42).67 Ein Umsatzgeschäft liegt dann vor, wenn der einverständliche Übergang des Tatgegenstands von einer Person auf eine andere bewirkt werden soll.68 Dabei bedarf es keiner Verfügungsgewalt des Handelnden über den Tatgegenstand, ebenso wie sich die räumliche Position des Tatgegenstands nicht ändern muss.69 Deshalb vermag auch eigennütziges Vermitteln des Tatgegenstands das Merkmal des Handeltreibens zu verwirklichen.70 Der Tatbestand ist bereits mit dem ersten Teilakt des Handeltreibens vollendet.71
61 49. StRÄndG v. 21.1.2015 (BGBl. I S. 10). Die früheren Tathandlungen des Ankündigens u. Anpreisens in § 184 Abs. 1 Nr. 5 wurden im Wege redaktioneller Änderung durch das Bewerben ersetzt; BTDrucks. 18/2601 S. 8, 29; Sch/ Schröder/Eisele § 184 Rdn. 45a; M. Heinrich ZJS 2016 297, 302. 62 Vgl. Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184 Rdn. 74; Lackner/Kühl/Heger § 184 Rdn. 5; Hörnle MK § 184 Rdn. 60; Sch/Schröder/Eisele § 184 Rdn. 45; Nestler LK § 184 Rdn. 72; zu § 184 auch M. Heinrich ZJS 2016 297, 302. 63 Vgl. Sch/Schröder/Eisele § 184 Rdn. 45a; Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184 Rdn. 74; Hörnle MK § 184 Rdn. 60; Nestler LK § 184 Rdn. 72; zu § 184 auch M. Heinrich ZJS 2016 297, 303. 64 Vgl. die Def. des Handeltreibens gem. Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Variante 1 (Rdn. 29), BTDrucks. 19/23707 S. 42; gem. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Var. 3 BtMG Weber/Kornprobst/Maier/Weber § 3 BtMG Rdn. 28, § 29 BtMG Rdn. 169. 65 Fischer Rdn. 6; Weber/Kornprobst/Maier/Weber § 3 BtMG Rdn. 28 („zentraler Begriff des Betäubungsmittelrechts“). 66 Zur notw. Ausrichtung auf Umsatz Becker BeckOK-BtMG § 29 BtMG Rdn. 59; Weber/Kornprobst/Maier/Weber § 29 BtMG Rdn. 169 m.w.N. Zur Bewertungseinheit BGH NStZ 2012 517; NStZ 2000 207; Weber/Kornprobst/Maier/Weber Vor § 29 Rdn. 588, 597 ff, § 29 Rdn. 171. 67 Vgl. die st. Rspr. im Betäubungsmittelrecht; s. die Nachw. bei Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak § 29 BtMG Rdn. 225. 68 Vgl. BGHSt 30 277; Weber/Kornprobst/Maier/Weber § 3 BtMG Rdn. 33, § 29 BtMG Rdn. 257 f. 69 Vgl. Weber/Kornprobst/Maier/Weber § 3 BtMG Rdn. 33, § 29 BtMG Rdn. 257, 284 f. 70 Vgl. zu §§ 3, 29 BtMG BTDrucks. 5/3551 S. 27; Weber/Kornprobst/Maier/Weber § 3 BtMG Rdn. 34, § 29 BtMG Rdn. 425 ff. 71 Vgl. Weber/Kornprobst/Maier/Weber § 29 BtMG Rdn. 170 f, 591. 563
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Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
Dem Handeltreiben gleichgestellt ist das Verbringen (Var. 2) einer tatgegenständlichen Nachbildung in oder durch den räumlichen Geltungsbereich des StGB, wenn sie zum Zwecke des Handeltreibens („hierzu“) erfolgt. Die Tathandlung des Verbringens entspricht der Ein- oder Durchfuhr (BTDrucks. 19/23707 S. 42 f). Räumlicher Geltungsbereich des Gesetzes ist das gesamte Gebiet innerhalb der völkerrechtlich anerkannten Grenzen, auf dem die Bundesrepublik Deutschland Hoheitsgewalt ausübt.72 Den Tatbestand erfüllt damit auch ein im Ausland ansässiger Absender, der eine tatgegenständliche Nachbildung aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland verbringt. Erfolgt die Tathandlung der Ein- bzw. Durchfuhr nicht zum Zwecke des Handeltreibens, soll sie nach den Gesetzesmaterialien der geringeren Strafandrohung des Absatzes 2 unterliegen (BTDrucks. 19/23707 S. 43;73 Rdn. 40 f).
31 c) Uneigennützige Betätigungen. Veräußern; Abgeben; sonstiges Inverkehrbringen (Abs. 1 S. 1 Nr. 3). Tatbestandsmäßig handelt ferner, wer, ohne Handel zu treiben (im vorliegenden Kontext verkürzt: uneigennützig74) eine in Nummer 1 beschriebene Nachbildung veräußert, abgibt oder sonst in Verkehr bringt. Auch diese Tathandlungen sind dem Betäubungsmittelrecht entlehnt (vgl. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG). 32 Veräußern (Var. 1) ist nach den Gesetzesmaterialien die uneigennützige Weitergabe an eine andere Person (BTDrucks. 19/23707 S. 43). Notwendig ist, dass der Täter dem Empfänger die freie Verfügungsgewalt an dem Tatgegenstand überträgt.75 Diese Übertragung muss gegen Entgelt erfolgen, wobei jeder vermögenswerte Vorteil (Geld, Zusage der Vornahme von Unterstützungshandlungen usw.) genügt. Im Unterschied zum Handeltreiben nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 handelt der veräußernde Täter allerdings nicht eigennützig, d.h., sein Tun wird nicht vom Streben nach Gewinn oder irgendeinem anderen persönlichen Vorteil geleitet, der ihn materiell oder auch immateriell (aber objektiv messbar) besserstellte.76 Beispiele sind der in den Materialien erwähnte (BTDrucks. 19/23707 S. 43) Verkauf zum – oder sogar unter dem – Selbstkostenpreis oder aber auch der Tausch des Tatgegenstands gegen einen gleichwertigen anderen Gegenstand.77 33 Demgegenüber meint Abgeben (Var. 2) – im Unterschied zum Veräußern – nicht die entgeltliche, sondern die unentgeltliche Übergabe an eine andere Person, beispielsweise im Wege der Schenkung (BTDrucks. 19/23707 S. 43). Wie im Falle des Veräußerns wird die tatsächliche Verfügungsgewalt vom Täter auf den Empfänger übertragen,78 jedoch ohne dass dem (wie beim Veräußern) ein auf Entgelt gerichtetes Rechtsgeschäft zugrunde liegen würde.79 Insoweit stellt das Veräußern also ein (durch die Entgeltlichkeit) qualifiziertes Abgeben dar.80 Die Tathandlung des sonstigen Inverkehrbringens (Var. 3) umfasst alle übrigen Handlun34 gen, durch welche die tatgegenständliche Nachbildung einer anderen Person zugänglich gemacht oder verschafft wird (BTDrucks. 19/23707 S. 43). Entsprechend dem sonstigen Inverkehrbringen in § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG81 handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der etwaige 72 Böse NK § 3 Rdn. 3; Ambos MK § 3 Rdn. 8; Werle/Jeßberger LK § 3 Rdn. 24; Anstötz MK § 91a Rdn. 2. 73 Aus der Erläuterung des Absatzes 1 in BTDrucks. 19/23707 S. 43: „Erfolgt die Tathandlung der Ein- beziehungsweise Durchfuhr nicht zum Zwecke des Handeltreibens, so unterliegt sie nur der geringeren Strafandrohung des Absatzes 2“. 74 Vgl. die Def. des Veräußerns gem. Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Variante 1 (Rdn. 32), BTDrucks. 19/23707 S. 43; gem. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Var. 6 BtMG Weber/Kornprobst/Maier/Weber § 3 BtMG Rdn. 43, § 29 BtMG Rdn. 1063. 75 Vgl. Barrot BeckOK-BtMG § 29 BtMG Rdn. 276; Spickhoff/Malek § 29 BtMG Rdn. 6. 76 Vgl. zu § 29 BtMG BGH NStZ 2020 552, 553; NStZ 2012 516; Spickhoff/Malek § 29 BtMG Rdn. 6. 77 Vgl. zu § 29 BtMG BGH NStZ-RR 2001 118; NStZ-RR 1997 49; Barrot BeckOK-BtMG § 29 BtMG Rdn. 279. 78 Vgl. zu § 29 BtMG BGH NStZ 2020 226; Barrot BeckOK-BtMG § 29 BtMG Rdn. 312. 79 Vgl. Barrot BeckOK-BtMG § 29 BtMG Rdn. 317; Oğlakcıoğlu MK § 29 BtMG Rdn. 837. 80 Vgl. zu § 29 BtMG BGH NStZ 1991 89; Barrot BeckOK-BtMG § 29 BtMG Rdn. 275; Spickhoff/Malek § 29 BtMG Rdn. 6. 81 Barrot BeckOK-BtMG § 29 BtMG Rdn. 345, 346; Weber/Kornprobst/Maier/Weber § 29 BtMG Rdn. 1153. Berghäuser
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II. Objektiver Tatbestand
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Strafbarkeitslücken anlässlich des Nachweises eines Handeltreibens, Veräußerns oder Abgebens schließen soll. Liegt weder ein Handeltreiben, Veräußern oder Abgeben vor, gibt der Täter die körperliche Nachbildung eines Kindes oder des Körperteils eines Kindes aber auf sonstige Weise an eine andere Person weiter – sodass er einen Wechsel der freien Verfügungsgewalt auf einen anderen verursacht82 –, kann dieses sonstiges Inverkehrbringen die Strafbarkeit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Variante 3 begründen (vgl. Ziegler BeckOK Rdn. 11). Bedeutung erlangt das maßgeblich in Sachverhalten des nichteinvernehmlichen Zusammenwirkens zwischen Täter und Empfänger.83
3. Tathandlungen nach Absatz 2 Satz 1 Mit den Tathandlungen des Erwerbens (Var. 1) und Besitzens (Var. 2) stellt der Gesetzgeber auch 35 Verhalten des Empfängers des inkriminierten Gegenstands unter Strafe. Mit dem Verbringen in oder durch den räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes (Var. 3) schließt sich eine Tathandlung an, welche nach dem gesetzgeberischen Willen die Lücken des insoweit speziellen Absatzes 1 Satz 1 schließen soll.
a) Erwerben; Besitzen. Anders als in § 184b Abs. 3, nach dem das Unternehmen, einen kinder- 36 pornografischen Inhalt abzurufen oder sich den Besitz zu verschaffen, oder das Besitzen als solches nur dann unter Strafe stehen, wenn der Inhalt ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, sanktioniert das Gesetz in Absatz 2 Satz 1 ungeachtet der erkennbaren Fiktionalität des Tatgegenstands84 auch das Erwerben oder Besitzen einer Sexpuppe mit kindlichem Erscheinungsbild. Erwerben (Var. 1) ist als das Herbeiführen eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses zu 37 verstehen. Der Begriff nimmt auf alle Erwerbs- und Gebrauchsüberlassungsgeschäfte (Kauf, Tausch, Miete, Leihe u.A.) Bezug, die der Begründung eines solchen tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses dienen (BTDrucks. 19/23707 S. 43). Gem. dem Wortsinn des Erwerbens vollzieht sich diese Erlangung der tatsächlichen Verfügungsmacht im Einvernehmen mit dem zuvor Verfügungsberechtigten, d.h. beruht – anders als bei einem sonstigen Sichverschaffen – auf Rechtsgeschäft.85 In Abgrenzung zum Erwerben, durch das ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis herbeige- 38 führt wird, meint die Tathandlung des Besitzens (Var. 2), dass ein solches aufrechterhalten wird. Umfasst sind die Fälle des unmittelbaren Besitzes, des mittelbaren Besitzes und der Besitzdienerschaft im zivilrechtlichen Sinne (BTDrucks. 19/23707 S. 43). Erforderlich ist eine nennenswerte Dauer des Besitzverhältnisses, das vom Herrschaftswillen bzw. Vorsatz zur Aufrechterhaltung getragen ist.86 Auf diesem Weg trägt der Gesetzgeber dafür Sorge, dass nicht nur die Entstehung tatsächlicher Sachherrschaft über den Tatgegenstand, sondern auch deren bewusstes Fortbestehen einer eigenständigen Strafbarkeit unterliegt. Unter den verschiedenen Strafandrohungen des § 184l ist dies sicherlich die empfindlichste, weil sie dem einzelnen jede Möglichkeit zur Nutzung der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 näher bestimmten Nachbildungen nimmt, dies auch dann, wenn sich die Nutzung ausschließlich privat und ohne Kenntnis fremder Personen 82 83 84 85
Vgl. RGSt 62 389; BGH StV 1981 127; Barrot BeckOK-BtMG § 29 BtMG Rdn. 347. Barrot BeckOK-BtMG § 29 BtMG Rdn. 346; Oğlakcıoğlu MK § 29 BtMG Rdn. 892. Zur Fiktionalität s.o. Fn. 16. Vgl. zum Erwerben nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG Barrot BeckOK-BtMG § 29 BtMG Rdn. 380; Oğlakcıoğlu MK § 29 BtMG Rdn. 947 f; Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak § 29 BtMG Rdn. 887; Weber/Kornprobst/Maier/Weber § 29 BtMG Rdn. 1197. 86 Vgl. zum Besitzen nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG Oğlakcıoğlu MK § 29 BtMG Rdn. 1066; Wettley BeckOK-BtMG § 29 BtMG Rdn. 484, 490. 565
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Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
vollziehen sollte87 (vgl. auch schon o. zur Selbstherstellung, Rdn. 24). Die Rechtfertigung dieses Eingriffs – der einen pädophilen Täter zwar nicht zur vollständigen Enthaltsamkeit, aber zum Verzicht auf eine an seine sexuelle Orientierung angepasste Masturbationshilfe bestimmt88 – zieht der Gesetzgeber aus seiner Einschätzung eines von der Nutzung ausgehenden Anreizes zur Begehung von Missbrauchstaten (Rdn. 5 f). 39 Zum Verhältnis der Tatvarianten des Besitzens und Erwerbens s.u. die Erläuterung der Konkurrenzen (Rdn. 56).
40 b) Verbringen. Die Tathandlung des Verbringens (Var. 3) in oder durch den räumlichen Geltungsbereich des StGB entspricht der Ein- oder Durchfuhr (BTDrucks. 19/23707 S. 43; s.o. Rdn. 30). Während das Gesetz für das spezielle Verbringen mit der Zielrichtung des Handeltreibens („hierzu“) in Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 eine höhere Strafandrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsieht, soll Absatz 2 Satz 1 ausweislich der Gesetzesmaterialien für jedes allgemeinere Verbringen eine niedrigere Strafandrohung von höchstens drei Jahre Freiheitsstrafe androhen. Die Verbringensvariante des Absatzes 2 Satz 1 erfasst in der Folge jede Ein- und Durchfuhr, gleich, ob sie auf der Seite eines Anbieters i.w.S. beispielsweise zum Zweck des uneigennützigen Veräußerns oder Abgebens (vgl. Absatz 1 Satz 1 Nr. 389) oder auf der Seite eines Empfängers zu seiner persönlichen Verwendung (etwa zum Zwecke des Besitzens, vgl. Absatz 2 Satz 1) erfolgt.90 Vollziehen sich Ein- oder Durchfuhr darüber hinaus mit der Zielrichtung des Handeltreibens, tritt das Verbringen nach Absatz 2 Satz 1 hinter das spezielle Verbringen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 zurück (s. auch Rdn. 56). 41 Dieses den Materialien zu entnehmende Normverständnis wird durch den Wortlaut der Vorschrift und die Ratio des Gesetzes weiter unterstrichen. So schränkt Absatz 2 Satz 1 die Tathandlung des Verbringens, anders als in Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, nicht durch ein bes. Merkmal ein, kennt insb. kein einschränkendes Merkmal „hierzu“. Der Gesetzgeber wiederum will hinsichtlich Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild in § 184l augenscheinlich ein umfassendes Verbot formulieren. Einzig die systematische Fassung der Vorschrift spiegelt dieses Verständnis unzureichend, wenn sie – im Übrigen anders als § 29 Abs. 1 S. 1 BtMG91 – vordergründig zwischen abstrakt gefährlichen Verhaltensweisen unterscheidet, die typischerweise die „gebenden“ Anbieter i.w.S. (geregelt in Absatz 1) oder aber die „nehmenden“ oder „habenden“ Nutzer (geregelt in Absatz 2) entfalten. Vermittels dieses vordergründigen Eindrucks kann die Gesetzessystematik zu einer Lesart verleiten, nach welcher Absatz 2 Satz 1 (ungeachtet seiner fehlenden grammatikalischen Einschränkung) nur das Verbringen zum Zwecke der gleichsam in Absatz 2 Satz 1 genannten Verhaltensweisen des Empfängers meinte, nicht aber ein Verbringen zum Zwecke des durch Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 sanktionierten Veräußerns oder Abgebens (auf der Seite eines Anbieters i.w.S.). Zwar träte eine so begründete systematische Auslegung in einer Gegenüberstellung mit dem Wortlaut des Gesetzes, seiner Ratio und Erläuterung in den Materialien i.Erg. als unerheblich zurück; sie zeigt aber auf, wie eine dem Anschein nach unbedacht gewählte Systematik den gesetzgeberischen Willen nicht unterstreicht, sondern im Gegen87 88 89 90
Abl. daher Frommel NKrimP 2021 150, 152. Zum damit einhergehenden Leidensdruck Lederer StV 2021 322, 329. S. o. Fn. 73. Vgl. aus der Erläuterung des Absatzes 2 in BTDrucks. 19/23707 S. 43: „Auch die Bestrafung des Erwerbs, des Besitzes sowie des Verbringens einer solcher Nachbildung in oder durch den räumlichen Geltungsbereich zur persönlichen Verwendung erscheint aus kriminalpolitischen Gründen sachgerecht, da zu befürchten ist, dass auch derjenige, der eine solche Nachbildung nur zur persönlichen Verwendung einführt, erwirbt oder besitzt, durch die Nutzung einer solchen Nachbildung zur Ausübung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder verleitet wird.“ 91 § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG bedroht etwa in einem gemeinsamen (Verhaltensweisen der Anbieter i.w.S. und Empfänger zusammenfassenden) Tatbestand denjenigen mit Strafe, der Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft. Berghäuser
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IV. Tatbestandsrestriktion (Absatz 4)
§ 184l
teil mit einem irreführenden Anhalt aufwartet, der zum Versuch der Infragestellung dieses Willens verwendet werden kann.
III. Subjektiver Tatbestand und Irrtum In Ermangelung der Normierung einer bes. Vorsatzform setzt § 184l voraus, dass der Täter zu- 42 mindest mit Eventualvorsatz handelt (Fischer Rdn. 9; Ziegler BeckOK Rdn. 17). Dies schließt ein, dass der Täter vorsätzlich hinsichtlich der objektiv-abstrakten Bestimmung der Puppe zur Vornahme sexueller Handlungen sowie hinsichtlich der körperlichen Nachbildung eines Kindes oder eines Körperteiles eines Kindes durch die Puppe handelt. Soweit die Gestaltung der Puppe diesbezüglich Raum für einen Irrtum (§ 16 Abs. 1) lässt, wird allerdings regelmäßig bereits der objektive Tatbestand nach dem Zweifelsgrundsatz zu verneinen sein (vgl. Rdn. 15 ff).
IV. Tatbestandsrestriktion (Absatz 4) 1. Überblick Gem. Absatz 4 gelten Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 (Verbot uneigennütziger Betätigungen) und Ab- 43 satz 2 (Verbot des Erwerbens, Besitzens, Verbringens zu anderen Zwecken als dem des Handeltreibens) nicht für Handlungen, die ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung staatlicher Aufgaben oder dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen. Ausweislich des Gesetzeswortlauts („gelten nicht“) und der Gesetzesmaterialien (BTDrucks. 19/23707 S. 43) ist die an § 184b Abs. 5 S. 1 Nr. 1 und 3 angelehnte, abschließend formulierte Regelung als Tatbestandsausschluss einzuordnen, mittels dessen der Rechtsanwender die tatbestandsimmanenten Grenzen des sozial Üblichen oder Nützlichen im Umgang mit den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 näher bestimmten körperlichen Nachbildungen soll nachvollziehen können. Der Gesetzgeber beschränkt den zur uneigennützigen Betätigung, Besitz usw. berechtigten 44 Personenkreis auf solche Personen, die mit den inkriminierten Nachbildungen aufgrund der ihnen obliegenden staatlichen Aufgaben, dienstlichen oder beruflichen Pflichten zu tun haben müssen. Als mögliche Anwendungsbereiche des Absatzes 4 führen die Gesetzesmaterialien beispielhaft für die Erfüllung staatlicher Aufgaben die Strafverfolgung92 sowie betreffs der Erfüllung dienstlicher oder beruflicher Pflichten Zwecke der Begutachtung an (BTDrucks. 19/23707 S. 43). Der Tatbestandsausschluss richtet sich damit an Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter, soweit sie zur Verfolgung von Straftaten tätig werden,93 sowie jeweils an deren Berufshelfer.94 Er ist ebenso auf Sachverständige anwendbar, welche eine im Auftrag der Ermittlungsbehörden oder des Gerichts beschlagnahmte tatgegenständliche Nachbildung bewerten.95 Entsprechend der Tatbestandsrestriktion in § 184b Abs. 5 vermag die Regelung außerdem – unter Berücksichtigung nachfolgend genannter (Rdn. 45 ff) Besonderheiten – vom Tatbestand des 92 Krit. Renzikowski KriPoZ 2020 308, 315. 93 Vgl. BTDrucks. 12/4883 S. 8 (zu § 184 Abs. 5 i.d.F. des 27. StRÄndG v. 23.7.1993); Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 43; Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184b Rdn. 46; Lackner/Kühl/Heger § 184b Rdn. 8; Hörnle MK § 184b Rdn. 50; Ziegler BeckOK § 184b Rdn. 21. 94 Vgl. zu § 184b Abs. 5 OLG Frankfurt a.M. NJW 2013 1107, 1108; Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184b Rdn. 46; Hörnle MK § 184b Rdn. 50. 95 Vgl. dazu und weitere Ausführungen bei BTDrucks. 12/4883 S. 8; Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 45; Lackner/ Kühl/Heger § 184b Rdn. 8; Hörnle MK § 184b Rdn. 51; Ziegler BeckOK § 184b Rdn. 21; ferner Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184b Rdn. 46, der a.a.O. Handlungen von Sachverständigungen allerdings § 184b Abs. 5 S. 1 Nr. 2 zuordnet, für den es in § 184l an einem Pendant mangelt. Da § 184b Abs. 5 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 im Verhältnis zu § 184b Abs. 5 S. 1 Nr. 3 nur klarstellender Charakter zukommt (BTDrucks. 18/2601 S. 31; Lackner/Kühl/Heger § 184b Rdn. 8), berührt dies die Schlussfolgerung von den Anwendungsfeldern des § 184b auf die des § 184l nicht. 567
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§ 184l
Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 und dem des Absatzes 2 auszuschließen: einschlägige Handlungen von Anwälten und ihren Berufshelfern (vgl. § 53a StPO) i.R.d. Erfüllung ihrer rechtsstaatlichen Aufgaben96 (s. aber Rdn. 45 zu § 147 StPO), von Wissenschaftlern in Erfüllung eines konkreten Forschungsauftrags sowie von Ärzten, Psychologen und deren Berufshelfern (vgl. § 53a StPO) im Rahmen diagnostischer oder therapeutischer Tätigkeit.97 Denkbar ist auch die Anwendung auf Handlungen zum Zwecke journalistischer Recherche,98 fernliegend die (erforderliche, Rdn. 45) Anwendung zugunsten von Abgeordneten i.S. e. rechtmäßigen Erfüllung staatlicher Aufgaben.99
2. Voraussetzungen 45 Es bedarf erstens einer rechtmäßigen Erfüllung staatlicher Aufgaben oder dienstlicher oder beruflicher Pflichten. Aufgrund des im Vergleich zum Akteneinsichtsrecht enger umrissenen Rechts zur Besichtigung von Beweismitteln, dem insb. ein regelmäßiges Mitgabeverbot Grenzen setzt (§ 147 StPO),100 sind die Möglichkeiten der Ausnahme rechtmäßiger anwaltlicher Pflichterfüllungen vom Tatbestand bereits aus strafprozessualen Gründen eingeschränkt. Vorausgesetzt ist zweitens, dass die vom Tatbestand auszunehmende Handlung ausschließlich der näher bestimmten Aufgaben- oder Pflichtenerfüllung dient, d.h., dass diese den einzigen Grund für die uneigennützige Betätigung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 oder den Erwerb usw. nach Absatz 2 bildet.101 Damit trägt der abschließend formulierte Absatz 4 zugleich Sorge dafür, dass der Tatbestandsausschluss auf die zur rechtmäßigen Erfüllung staatlicher Aufgaben, beruflicher oder dienstlicher Pflichten tätig werdenden Personen (einschließlich ihrer Berufshelfer) beschränkt bleibt, insb. die Weitergabe des inkriminierten Gegenstands sich innerhalb des privilegierten Kreises vollzieht. Jegliche abgeleitete Berechtigung eines Dritten und jede Weitergabe der Privilegierung soll gesetzlich ausgeschlossen werden102 (zu vorliegend geschlussfolgerten Einschränkungen für behandelnde Ärzte und die Wissenschaft Rdn. 47 ff). Drittens muss die fragliche Handlung zur Aufgaben- oder Pflichterfüllung erforderlich sein. Der Erforderlichkeitsvorbehalt bedarf im Einzelfall bes. Prüfung hinsichtlich der (bereits i.R.d. § 184b Abs. 5 als generell eher fraglich eingeschätzten) Notwendigkeit einschlägiger Handlungen von Abgeordneten,103 Jour96 Vgl. zu § 184b Abs. 5 OLG Frankfurt a.M. NJW 2013 1107, 1108 sowie die Ausführungen bei Matt/Renzikowski/ Eschelbach § 184b Rdn. 47; Hörnle MK § 184b Rdn. 50 (zu Anwälten bzw. Strafverteidigern und deren Berufshelfern); Ziegler BeckOK § 184b Rdn. 21 (zu Anwälten). 97 Vgl. Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 45; Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184b Rdn. 48, 51; SSW/Hilgendorf § 184b Rdn. 20; Hörnle MK § 184b Rdn. 51 (zu Wissenschaftlern, behandelnden Ärzten und Psychologen); BTDrucks. 12/ 4883 S. 8 f; Lackner/Kühl/Heger § 184b Rdn. 8; Ziegler BeckOK § 184b Rdn. 21 (zu Wissenschaftlern, behandelnden Ärzten). 98 Vgl. Hörnle MK § 184b Rdn. 52; unter Betonung des Erforderlichkeitsvorbehalts auch Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184b Rdn. 49. 99 Vgl. Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184b Rdn. 49; Hörnle MK § 184b Rdn. 52, welche eine tatbestandliche Ausnahme unter Hinweis auf den Erforderlichkeitsvorbehalt bereits i.R.d. § 184b Abs. 5 jew. für fernliegend o. unwahrscheinlich befinden. Eine berufliche Pflicht des Abgeordneten (§ 184b Abs. 5 Nr. 3) verneinend LG Karlsruhe BeckRS 2014 17125; Kreutz DÖV 2010 599, 602 f, wobei gem. Hörnle (a.a.O. m. Fn. 183) u.U. eine staatliche Aufgabenerfüllung (§ 184b Abs. 5 Nr. 1) in Betracht kommen kann (aA Kreutz DÖV 2010 599, 601 f zur dienstlichen Pflichterfüllung). 100 Jahn LR § 147 StPO Rdn. 127; Thomas/Kämpfer MK-StPO § 147 StPO Rdn. 37. 101 Vgl. BTDrucks. 12/4883 S. 9; Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 42; Lackner/Kühl/Heger § 184b Rdn. 8. 102 Vgl. OLG Frankfurt a.M. NJW 2013 1107, 1108 zum verneinten Recht auf Weitergabe kinderpornografischen Materials vom nach § 184b Abs. 5 privilegierten Verteidiger an den nicht privilegierten Mandanten; vgl. ebda. auch zur „Weitergabe (…) an einen von ihm beauftragten Dritten, der selber unter die Privilegierung fallen muss“; BGH NStZ 2014 514, 515 zur „Besitzverschaffung an Dritte innerhalb dieses [privilegierten] Personenkreises“; Hervorhebungen und Einfügungen jew. durch die Verf. 103 S. Fn. 99. Berghäuser
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IV. Tatbestandsrestriktion (Absatz 4)
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nalisten,104 aber auch von Ärzten, Psychologen105 und Wissenschaftlern (Rdn. 49). Im Fall des vom Verteidiger mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragen Sachverständigen lassen Absatz 4 wie § 147 StPO eine Überlassung des Beweisstücks allenfalls unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit dieser Überlassung zur Begutachtung zu.106 Wenn Täter die eigene Verpflichtung (Zugehörigkeit zum durch Absatz 4 privilegierten Per- 46 sonenkreis) oder die Rechtmäßigkeit und Erforderlichkeit ihrer Aufgaben oder Pflichten falsch bewerten, liegt ein (durch die Befragung einer rechtskundigen Person regelmäßig vermeidbarer) Verbotsirrtum (§ 17) vor.107
3. Einzelne Anwendungsbereiche Betreff der Teilhabe von behandelnden Ärzten und Psychologen am Tatbestandsausschluss ist 47 eingedenk der Anlehnung an § 184b Abs. 5 Nr. 3 anzumerken, dass vom Gesetzgeber ursprünglich beabsichtigt war, behandelnden Ärzten eines kindlichen Darstellers den Zugriff auf ihren Patienten betreffendes kinderpornografisches Material zu ermöglichen.108 Im Falle des § 184l, der regelmäßig die Verkörperung eines fiktiven Inhalts anstelle der Darstellung einer realen Person zum Tatgegenstand hat, kann eine ärztliche Behandlung aber nur auf den Nutzer der tatgegenständlichen Nachbildung bezogen sein. Insoweit bedarf es der Klarstellung, dass es die gesetzgeberische Annahme grds. ausschließt, die Nachbildung dergestalt in eine Therapie einzubinden (z.B. als Masturbationshilfe abzugeben),109 dass sie den ihr vom Gesetzgeber zugeschriebenen abstrakt gefährlichen (weil womöglich missbrauchsfördernden statt -hemmenden) Effekt (Rdn. 5 ff) entfalten kann. Folglich bedarf es der Unterscheidung: zwischen der Einbindung der tatgegenständlichen Nachbildung in die Diagnostik einerseits, so etwa, wenn ein Verhaltenstherapeut seiner Diagnose eine Besichtigung der von seinem Klienten verwendeten Puppe zugrunde legte, und einer therapeutisch motivierten Verwendung andererseits, die darauf ausgerichtet wäre, den Gebrauch einer tatgegenständlichen Nachbildung in das Sexualleben eines Patienten zu integrieren. Während nicht ausgeschlossen ist, dass ersteres (Besitz des Therapeuten zwecks Einbindung in die Diagnostik) vorbehaltlich einer nachvollziehbaren Erforderlichkeit am Tatbestandsausschluss des Absatzes 4 teilhat, überschritte die therapeutisch begründete Abgabe an einen die Puppe verwendenden Patienten ausweislich der abschließenden Formulierung des Absatzes 4 dann die Grenzen des sozial Üblichen und Nützlichen, wenn hierdurch ein tatbestandsmäßiger Besitz (Abs. 2 S. 1) des Nutzers herbeigeführt würde, der sich anders als sein Therapeut nicht auf die rechtmäßige Erfüllung einer beruflichen Pflicht (Abs. 4) berufen kann. Eine solche Abgabe an eine nicht privilegierte Person diente gerade nicht, wie von Absatz 4 vorausgesetzt, „ausschließlich“ der beruflichen Pflichterfüllung (Rdn. 45), sondern führte darüber hinaus den Besitz einschließlich der Möglichkeit des Patienten zur persönlich motivierten Verwendung der ihm überlassenen Sache herbei. Hierin kann auch schwerlich eine planwidrige Regelungslücke gesehen werden, die im 48 Wege der tatbestandlichen Reduktion des Tatbestands zu schließen wäre. Denn selbst wenn etwaige Therapien durch begleitende Maßnahmen (z.B. der Kontrolle, Aufsicht, Intervention)
104 S. Fn. 98. 105 Vgl. die Einschätzung einer generell „eher fernliegend[en]“ Erforderlichkeit i.R. v. diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen hinsichtlich des Beschuldigten bei Matt/Renzikowski/Eschelbach § 184b Rdn. 48. 106 Vgl. zu § 147 StPO AG Senftenberg DAR 2011 422; Jahn LR § 147 StPO Rdn. 129; Thomas/Kämpfer MK-StPO § 147 StPO Rdn. 37; Eisenberg NJW 1991 1257, 1260. 107 Vgl. Hörnle MK § 184b Rdn. 52; Fischer § 184b Rdn. 41; Kreutz DÖV 2010 599, 605 f. 108 So die gesetzgeberische Erläuterung in den Materialien zum 27. StRÄndG v. 23.7.1993 (BGBl. I S. 1346) hinsichtlich der neu eingefügten Ausnahme der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten; BTDrucks. 12/4883 S. 8 f. 109 Zu einem etwaigen (empirisch nicht belegten) therapeutischen Nutzen s.o. die Nachw. in Fn. 20. 569
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Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
der vom Gesetz unterstellten abstrakten Gefährdung entgegenzuwirken suchten, könnten sie diese nur reduzieren. § 184l soll die abstrakte Gefährdung nach dem gesetzgeberischen Willen aber regelmäßig ausschließen, indem der Umgang nicht gem. Abs. 4 privilegierter Personen mit den tatgegenständlichen Nachbildungen gerade nicht nur reglementiert und kontrolliert, sondern abschließend unterbunden wird (zu einer etwaigen ausnahmsweisen Rechtfertigung Rdn. 53). 49 Anders wäre dies ggf. für die Abgabe tatgegenständlicher Abbildungen von Wissenschaftlern an nicht gem. Absatz 4 privilegierte Probanden in Erfüllung eines konkreten Forschungsauftrags (z.B. einer Studie) zu beurteilen. Denn zwar gilt auch hier, dass der Gesetzgeber mittels des Ausschließlichkeitserfordernisses in Absatz 4 abgeleitete Berechtigungen Dritter und Weitergaben der Privilegierung hat ausschließen wollen (Rdn. 45). Für den Bereich der Forschung hätte dies in Anbetracht des gegenwärtig noch nicht abschließend geklärten Einflusses der Verwendung kindlich gestalteter Sexpuppen auf das Missbrauchsrisiko (Rdn. 8) jedoch zur Folge, dass sich die Vorschrift schlimmstenfalls gegen die ihr angetragenen Bedenken immunisierte, indem sie im Inland die wissenschaftlich begleitete Verwendung tatgegenständlicher Nachbildungen zwecks Erforschung der Auswirkungen auf das Sexualverhalten rechtlich unmöglich machte.110 Dies kann schwerlich dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, dem nicht nur eine plausible Begründung seiner Gefährdungshypothese obliegt, sondern der darüber hinaus angehalten ist, die Wirksamkeit des von ihm normierten Verbots zu beobachten respektive deren Überprüfung zu ermöglichen. Über den konkreten Einzelfall hinaus ist damit die grundsätzliche (schon auf Tatbestandsebene und nicht erst im Rahmen einer ausnahmsweisen Rechtfertigung zu beantwortende) Frage aufgeworfen, wie sich einschlägige Forschung rechtmäßig vollziehen kann, wenn ihr einerseits möglicherweise die vom Gesetzgeber unterstellten abstrakten Gefahren anhaften (die bei der Einbindung einer Mehrzahl von Studienteilnehmern sogar kumulieren), sie andererseits aber einen Beitrag zur Verifizierung oder Falsifizierung eben jener gesetzgeberischen Gefährlichkeitsannahmen zu erbringen vermag, an die das strafbewehrte Verbot des § 184l anknüpft. Mit Blick auf die bes. Bedeutung eines solchen Beitrags wird vorliegend erwogen, dass der in Art. 5 Abs. 3 GG garantierten Forschungsfreiheit ein genereller Vorrang einzuräumen wäre, indem man den Tatbestand der Vorschrift um die zu Forschungszwecken erforderliche Herbeiführung und Aufrechterhaltung des Besitzes der gem. Abs. 4 nicht privilegierten Studienteilnehmer reduzierte. Ein solcher genereller (tatbestandlicher) Vorrang stände unter dem Vorbehalt der Reaktionsfähigkeit einschlägiger Forschung, die durch begleitende Maßnahmen wie die Beobachtung, Kontrolle und bedarfsweise auch therapeutische Intervention sicherzustellen hätte, dass insb. auf eine sich abzeichnende Bestätigung der gesetzgeberischen Gefährlichkeitsannahmen unverzüglich reagiert werden kann. Eingedenk des Erforderlichkeitsvorbehalts (Rdn. 45), unter dem eine solche Forschung stände, wäre außerdem zu hinterfragen, inwieweit zunächst die Auswirkungen eines Umgangs mit Sexpuppen mit erwachsenem Erscheinungsbild erforscht sein müssen, bevor man darauf aufbauend das spezifische Gefährdungspotenzial kindlich gestalteter Puppen hinterfragen kann. Da letzteres bes. schutzbedürftige (wehrlose oder in ihrer Wehrhaftigkeit eingeschränkte) Kinder und Jugendliche beträfe, wäre der Rechtsanwender auch insoweit zu einer strengen Prüfung der Verhältnismäßigkeit verpflichtet. 50 Schließlich erfasst der Wortlaut des Absatzes 4 – in Entsprechung zu dem des § 184b Abs. 5 (dazu Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 45) – nicht den Fall des ursprünglich unvorsätzlichen Besitzers, d.h. des Besitzers, der unvorsätzlich in den Besitz der tatgegenständlichen Nachbildung gelangt ist und nach Erkennen derer produktspezifischer Beschaffenheitsmerkmale die Puppe vernichtet oder bei einer Behörde abgibt (so etwa, wenn er die Nachbildung im Glauben, es handle sich um eine gebräuchliche Spielpuppe, als Geschenk angenommen hat, und erst bei späterer Betrachtung der für eine Sexpuppe charakteristischen Liebesöffnungen oder der 110 Zu den unabhängig davon bestehenden Erschwernissen einschlägiger Forschung Kate Darling bei Rutkin New Scientist 2016 a.E.; Danaher Medical Law Review 27 (2019) 553, 567, 573 f. Berghäuser
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§ 184l
VII. Rechtsfolgen
spezifischen kindlichen Gestaltung gewahr wird). Im Angesicht der abschließenden Formulierung des Absatzes 4 muss die Tatbestandslosigkeit dieses Verhaltens – das nicht nur sozial üblich, sondern mit Erlangung des Wissens um die Beschaffenheit der Puppe sogar notwendige Voraussetzung andauernder Straflosigkeit ist111 – aus einer teleologischen Reduktion gefolgert werden (zutreffend zu § 184b Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 45).
V. Versuch (Absatz 3) Absatz 3 stellt den Versuch der Taten nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Nummer 3 unter 51 Strafe.
VI. Rechtfertigung Wie betreffs der Fiktivpornografie i.R.d. § 184b112 kommt auch hinsichtlich des Inverkehrbrin- 52 gens, Erwerbs und Besitzes von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild (§ 184l) als Rechtfertigungsgrund die durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG garantierte Kunstfreiheit in Betracht. Der Rechtfertigung vorausgesetzt ist eine infolge der künstlerischen Einkleidung nur schwache Ausprägung des Marktgeschehens (vgl. Hörnle MK § 184b Rdn. 57). Demgegenüber ist fraglich, inwieweit Herbeiführung und Aufrechterhaltung einer Besitzpo- 53 sition des Patienten als Teil einer ärztlichen Behandlung ausnahmsweise gerechtfertigt (nicht: regelmäßig vom Tatbestand ausgenommen; dazu o. Rdn. 47 f) werden können. Eine Rechtfertigung des therapeutischen Einsatzes gem. § 34 oder Art. 2 Abs. 2 GG dürfte gegenwärtig bereits aufgrund des noch ungeklärten Nutzens einer solchen Verwendung (Rdn. 8) ausscheiden. Im Übrigen stellte sich für eine Abwägung des von der Vorschrift bezweckten Kinder- und Jugendschutzes mit den im Einzelfall berührten Patienteninteressen die Frage, ob eine Herbeiführung und Aufrechterhaltung des inkriminierten Besitzes eingedenk der gesetzgeberischen Wertung, selbige in Absatz 4 gerade nicht vom Tatbestand auszuschließen, im Einzelfall ein verhältnismäßiges, d.h. auch angemessenes Mittel zur Abwendung einer Gesundheitsgefährdung darstellen kann.
VII. Rechtsfolgen 1. Strafrahmen Taten nach Absatz 1 werden mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe sanktioniert 54 (Abs. 1 S. 1). Hingegen sind Erwerb, Besitz oder das Verbringen in oder durch den räumlichen Geltungsbereich des StGB gem. Absatz 2 mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bedroht (Abs. 2 S. 1). Die Differenzierung einschl. erhöhter Strafandrohung des Absatzes 1 rechtfertigt sich aus dem bes. Beitrag zur Marktbelebung und Enttabuisierung bzw. Normalisierung der tatgegenständlichen Nachbildungen (Rdn. 5 f), welchen das drittbezogene Verhalten eines „gebenden“ Anbieters i.w.S. leistet, während ein solcher für das Verhalten eines typischerweise auf sich bezogenen – d.h. zur eigenen Verwendung tätig werdenden – Empfängers nicht oder (wie im Fall des Erwerbs) nur reduziert festgestellt werden kann.
111 Vgl. Wolters/Greco SK § 184b Rdn. 30; Eckstein ZStW 117 (2005) 107, 112. 112 Vgl. Hörnle MK § 184b Rdn. 57; Böse FS Schroeder (2006) 751, 758 f; aA Hopf/Braml ZUM 2007 358. 571
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§ 184l
Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
2. Einziehung (Absatz 5) 55 Absatz 5 bestimmt neben und über § 74 Abs. 1 hinaus (vgl. § 74 Abs. 3 S. 2), dass Gegenstände, auf die sich die Tat bezieht, einzuziehen sind. Die Einziehung ist obligatorisch, weil fortbestehender Besitz an der Sexpuppe mit kindlichem Erscheinungsbild die Strafbarkeit gem. Absatz 2 Satz 1 begründete. Indem Absatz 5 Satz 2 auf § 74a verweist, sorgt das Gesetz außerdem dafür vor, dass in Abweichung von § 74 Abs. 3 unter den Voraussetzungen des § 74a auch täterfremde Gegenstände, die zur Zeit der Entscheidung keinem Tatbeteiligten gehören oder zustehen, eingezogen werden (BTDrucks. 19/23707 S. 43). Zur Einziehung von Taterträgen (wie beispielsweise dem Gewinn aus dem Handeltreiben mit einer Sexpuppe mit kindlichem Erscheinungsbild) s. § 73.
VIII. Konkurrenzen 1. Tatvarianten des § 184l 56 Mehrere vorbereitende Handlungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bilden eine Straftat.113 Auch Handlungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Nummer 3 können sich als aufeinanderfolgende Teilakte zu einer einzigen Tat verbinden.114 Dabei werden vorbereitende Handlungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 von einer anschließenden (auf denselben Tatgegenstand bezogenen) Tathandlung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 oder 3 verdrängt; dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Durchführung gefährdungsintensiver als die Vorbereitung ist.115 Innerhalb des Absatzes 2 tritt die Tatvariante des Besitzens (Abs. 2 S. 1 Var. 2) hinter das Erwerben desselben Tatgegenstands (Abs. 2 S. 1 Var. 1) zurück, das als Betätigung am Markt wiederum gefährdungsintensiver ist.116 Eine eigenständige Bedeutung kann die Variante des Besitzens, die insoweit subsidiär zur Anwendung kommt, nur in den Fällen entfalten, in denen die Sexpuppe mit kindlichem Erscheinungsbild entweder ohne einen Erwerbsakt des Täters in dessen Besitz gelangt ist oder aber ein solcher Erwerbsakt zumindest nicht nachgewiesen werden kann (vgl. zur Kinderpornografie F.-C. Schroeder NJW 1993 2581, 2583). Der zum Erwerb subsidiäre Besitz vermag außerdem nicht den Erwerb und eine spätere – in Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, Nummer 3 geregelte – Weitergabe desselben Tatgegenstands zu einer Tat zu verklammern.117 Gibt der Täter aufgrund gesonderten Entschlusses den in seinem Besitz befindlichen Tatgegenstand weiter, verdrängt sein Handeln nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 oder Nummer 3 das ihm vorangegangene Besitzen.118 Das Verbringen nach Absatz 2 Satz 1 Variante 3 wird vom speziellen Verbringen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Variante 2 verdrängt (Rdn. 40).
113 Vgl. BGHSt 5 381, 383; Hörnle MK § 184a Rdn. 15. 114 Vgl. zur Bewertungseinheit beim Handeltreiben, Veräußern, Abgeben Oğlakcıoğlu MK § 29 BtMG Rdn. 445, 809, 862 m.w.N.
115 Dies gilt in Abweichung von §§ 184, 184a ungeachtet des Fehlens einer bes. Zielrichtung in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1. Vgl. zum Herstellen nach § 184 Abs. 1 Nr. 8 BGH BeckRS 2009 25652; Sch/Schröder/Eisele § 184 Rdn. 92; Hörnle MK § 184 Rdn. 85; Nestler LK § 184 Rdn. 123; Wolters/Greco SK § 184 Rdn. 81; zu den Vorbereitungshandlungen des heutigen § 184a S. 1 Nr. 2 BGH NJW 1999 1979, 1982; NJW 1976 720; Hörnle MK § 184a Rdn. 15. Vgl. aber auch zum Anbau als unselbstständigem Teilakt des Handeltreibens Oğlakcıoğlu MK § 29 BtMG Rdn. 79 f m.w.N. 116 Vgl. zu § 184b BGH NStZ-RR 2017 142; NStZ-RR 2016 198; NStZ 2009 208; OLG Rostock MMR 2010 348, 349; Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 49; Hörnle MK § 184b Rdn. 61; Nestler LK § 184b Rdn. 63. 117 Vgl. zu § 184b BGH NStZ 2009 208; OLG Rostock MMR 2010 348, 349; Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 49; Hörnle MK § 184b Rdn. 61; Nestler LK § 184b Rdn. 63; anders noch BGH NStZ 2005 444. 118 Vgl. zu § 184b OLG Rostock MMR 2010 348, 349 a.E. Berghäuser
572
VIII. Konkurrenzen
§ 184l
2. Formelle Subsidiarität und § 184b Gem. Absatz 1 Satz 2 ist die Vorschrift im Verhältnis zu § 184b (Verbreitung, Erwerb und Besitz 57 kinderpornographischer Inhalte) formell subsidiär, d.h., der schuldige Täter wird nur dann gem. § 184l bestraft, wenn die Tat nicht bereits nach § 184b mit schwererer Strafe bedroht ist. Absatz 2 Satz 2 bestimmt, dass die Subsidiaritätsklausel des Absatzes 1 Satz 2 entsprechend gilt. Auf diesem Weg misst das Gesetz § 184l die Funktion bei, Strafbarkeitslücken zu schließen, welche das in § 184b normierte Verbot im Hinblick auf Inverkehrbringen, Besitz und Erwerb von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild aufweise (BTDrucks. 19/23707 S. 23, 42). Dabei ging man im Gesetzgebungsverfahren augenscheinlich davon aus, dass eine Sexpup- 58 pe unter den ehem. in § 184b verwendeten Schriftenbegriff (§ 11 Abs. 3) gefasst werden kann,119 an dessen Stelle m.W.v. 1.1.2021 der Begriff des Inhalts gem. § 11 Abs. 3 getreten ist.120 Seither bezieht der weit zu verstehende Ober- und Auffangbegriff der „anderen Verkörperungen“ in § 11 Abs. 3 – wie zuvor schon der Begriff der „andere[n] Darstellungen“ – solche körperlichen Gebilde in den Anwendungsbereich der Vorschrift ein, die sinnlich wahrnehmbar einen gedanklichen Inhalt vermitteln.121 Hierzu sind beispielsweise auch Plastiken zu zählen, soweit sie nicht schon Abbildungen i.S. d Vorschrift sind.122 Wenn man mit dem Gesetzgeber durch eine Sexpuppe einen gedanklichen Inhalt verkörpert sieht (s. aber sogleich Rdn. 59), knüpft also auch der Vorwurf des § 184b an die Puppe selbst an, dies allerdings nur vorbehaltlich einer Produktgestaltung, die den Kriterien des § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a bis c genügt (insb. die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes zum Gegenstand hat). Weitere Einschränkungen einer Strafbarkeit nach § 184b ergeben sich daraus, dass der fiktionale Charakter einer Puppe schon aus ihrer Form folgt,123 sodass selbige weder ein tatsächliches noch ein wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben kann. Das Unternehmen der Eigen- oder Drittbesitzverschaffung (vgl. § 184b Abs. 3, Abs. 1 S. 1 Nr. 2), die Herstellung (vgl. § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 3) und der Besitz einer Puppe (vgl. § 184b Abs. 3) blieben damit nach § 184b straflos.124 Demgegenüber vermag sich § 184l qua seines spezifischen Tatgegenstands uneingeschränkt gegen fiktive Verkörperungen zu richten, ebenso wie die Vorschrift keine dem § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a bis c entsprechenden einschränkenden Kriterien kennt (vgl. BTDrucks. 19/23707 S. 23, 42). Noch weiter reichten die verlautbarten, von § 184l zu schließenden Strafbarkeitslücken des 59 § 184b, wenn man schon die gesetzgeberische Annahme verneinte, dass eine Sexpuppe für sich genommen einen gedanklichen Inhalt verkörpert, nämlich die Puppe im Gegenteil mit einem inhaltslosen Körper gleichsetzt.125 Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang, dass das Gesetz selbst die wesensnotwendige Eigenschaft einer Sexpuppe mit der beschaffenheitsmäßigen Bestimmung zur Vornahme sexueller Handlungen identifiziert (Rdn. 18), mithin die Puppe über diese charakteristische Zweckbestimmung zu einer gegenständlichen Masturbationshilfe degradiert. Als ein solcher Gebrauchsgegenstand würde sie – wie andere Gebrauchsgegenstände und anders als z.B. eine Plastik – aber gerade keinen gedanklichen Inhalt transportieren, wie vom Tatbestand des § 184b vorausgesetzt. Der Tatgegenstand des § 184b wüsste nicht die Sexpuppe selbst zu erfassen, sondern nur deren Abbildung oder andere Verkörperung i.R.d. Wiedergabe eines fiktionalen oder ggf. auch wirklichkeitsnah nachgebildeten Ge119 Bejahend auch Bussweiler Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 14. 120 60. StRÄndG v. 30.11.2020; BGBl. I S. 2600. 121 BTDrucks. 19/19859 S. 25; Valerius BeckOK § 11 Rdn. 66; vgl. noch zur Rechtslage vor dem 60. StRÄndG Sch/ Schröder/Hecker § 11 Rdn. 72; Lackner/Kühl/Heger § 11 Rdn. 28; Radtke MK § 11 Rdn. 168; Saliger NK § 11 Rdn. 80. 122 Vgl. zur Rechtslage vor dem 60. StRÄndG Lackner/Kühl/Heger § 11 Rdn. 28; Saliger NK § 11 Rdn. 80. 123 Zur Fiktionalität s.o. Fn. 16. 124 S. auch Bussweiler Stellungnahme BTRAussch. v. 7.12.2020 S. 14. 125 So Renzikowski KriPoZ 2020 308, 315; Faehling KriPoZ JuP 2021 157, 162; zw. auch Fischer Rdn. 2, 8. 573
Berghäuser
§ 184l
Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
schehens,126 wie im Fall einer Fotografie, die sexuelle Handlungen an einer Sexpuppe zeigt, eine unbekleidete Sexpuppe in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung wiedergibt oder die unbekleideten Genitalien oder das unbekleidete Gesäß einer Puppe sexuell aufreizend wiedergibt (vgl. § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1).127 Demgegenüber beurteilten sich Inverkehrbringen, Besitz und Erwerb der Puppe selbst allein nach § 184l.
3. § 33 KunstUrhG 60 Taten nach dem spezifisch sexualbezogenen § 184l (Rdn. 11) treten zu solchen nach § 33 KunstUrhG in das Verhältnis der Tateinheit (wie im Falle des Verbreitens nach § 33 KunstUrhG und gleichzeitigen Inverkehrbringens nach § 184l Abs. 1 Nr. 3).
IX. Prozessuales 61 Die Tat ist ein Offizialdelikt. Die Tat verjährt nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 in fünf Jahren.
X. Sonstiges 62 Zu Beschäftigungs- und Betrauungsverboten vgl. Berghäuser LK § 184k Rdn. 58. Zur Eintragung in ein (erweitertes) Führungszeugnis s. m.W.v. 1.7.2022 §§ 32 Abs. 5, 34 Abs. 2, 41 Abs. 2 S. 2, 46 Abs. 1 Nr. 1a BZRG.128 Zu straf- und zivilrechtlichen Rechtsfolgen eines etwaigen Verstoßes gegen § 33 KunstUrhG (Rdn. 60) s. Dreier/Schulze/Specht-Riemenschneider § 33–50 KunstUrhG Rdn. 1 ff.
126 So i.Erg. wohl Renzikowski KriPoZ 2020 308, 315; Faehling KriPoZ JuP 2021 157, 162. 127 S. dazu auch o. Rdn. 13. 128 Art. 4, 10 Abs. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder v. 16.6.2021, BGBl. I S. 1810; ausführl. BTDrucks. 19/23707 S. 24, 49 ff. Berghäuser
574
VIERZEHNTER ABSCHNITT Beleidigung Vorbemerkungen zu den §§ 185 ff. Schrifttum Amelung Die Ehre als Kommunikationsvoraussetzung (2002); Androulakis Die Sammelbeleidigung (1970); Arzt Der strafrechtliche Ehrenschutz – Theorie und praktische Bedeutung, JuS 1982 717; Beck Internetbeleidigung de lege lata und de lege ferenda – Strafrechtliche Aspekte des „spickmich“-Urteils, MMR 2009 736; Bemmann Ehrverletzung und Strafbedürftigkeit, Festschrift Wolff (1998) 33; Binding Die Ehre und ihre Verletzbarkeit (1892); Brodowski Anonyme Ehrverletzungen in Internetforen: Ein Lehrstück strafrechtlicher (Fehl-)Regulierung, JR 2013 513; Ceffinato Hate Speech zwischen Ehrverletzungsdelikten und Meinungsfreiheit, JuS 2020 495; ders. Zur Regulierung des Internet durch Strafrecht bei Hass und Hetze auf online-Plattformen, ZStW 132 (2020) 544; Coing Ehrenschutz und Presserecht (1960); von der Decken Meinungsfreiheit und Recht der persönlichen Ehre, NJW 1983 1400; Dittrich Fußball, Ehre, Staatsgewalt – zum Verbot öffentlicher Kundgaben bei Spielen der Fußballbundesliga am Beispiel des Slogans „ACAB“, SpuRt 2016 16; Dörre/Kochmann Zivilrechtlicher Schutz gegen negative eBay-Bewertungen, ZUM 2007 30; Graf zu Dohna Unzucht und Beleidigung, DStR 8 34; Ehrhardt Kunstfreiheit und Strafrecht (1989); Engelhard Die Ehre als Rechtsgut im Strafrecht (1921); Engisch Beleidigende Äußerungen über dritte Personen im engsten Kreise, GA 1957 326; ders. Bemerkungen über Normativität und Faktizität im Ehrbegriff, Festschrift Lange (1976) 401; Engländer Die Änderungen des StGB durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, NStZ 2021 385; Gafus Beleidigung und Grundgesetz. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Verurteilung wegen beleidigender Werturteile, ZIS 2021 265; Gallas Der Schutz der Persönlichkeit im Entwurf eines Strafgesetzbuchs, ZStW 75 (1963) 16; Geisenhanslüke/Löhnig (Hrsg.) Infamie – Ehre und Ehrverlust in literarischen und juristischen Diskursen (2012); Geppert Straftaten gegen die Ehre, Jura 1983 530, 580; ders. Wahrnehmung berechtigter Interessen, Jura 1985 25; ders. Zur passiven Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften und von Einzelpersonen unter einer Kollektivbezeichnung, Jura 2005 244; ders. Zur Frage strafbarer Kollektivbeleidigung der Polizei oder einzelner Polizeibeamter durch Verwendung des Kürzels „a.c.a.b.“, NStZ 2013 553; Gillen Das Verhältnis von Ehren- und Privatsphärenschutz im Strafrecht (1999); Glaser Grundrechtlicher Schutz der Ehre im Internetzeitalter, NVwZ 2012 1432; Gössel Der Schutz der Ehre, Gedächtnisschrift Schlüchter (2002) 295; Großmann Der Beleidigungstatbestand: Partielle Reform oder grundlegende Revision? GA 2020 546; Hansen Ein harter Wahlkampf, JuS 1974 104; Haß Zur Frage der sogenannten Sexualbeleidigung, SchlHA 1975 123; Herdegen Lexikon des Rechts. Strafrecht, Strafverfahrensrecht, 2. Aufl. (1996) 90; Hilgendorf Die mißbrauchte Menschenwürde, Jahrbuch für Recht und Ethik (JRE) 7 (1999) 137; ders. Neue Medien und das Strafrecht, ZStW 2001, 650; ders. Beleidigung. Grundlagen, interdisziplinäre Bezüge und neue Herausforderungen, Erwägen, Wissen, Ethik 2008, 403; ders. Facetten des Ehrenschutzes, ebenda 456; ders. Strafrecht und Interkulturalität. Plädoyer für eine kulturelle Sensibilisierung der deutschen Strafrechtsdogmatik, JZ 2009 139; ders. Ehrenkränkungen („flaming“) im Web 2.0, ZIS 2010 208; ders., Identitätspolitik als Herausforderung für die liberale Rechtsordnung, JZ 2021 853; Hirsch Ehre und Beleidigung (1967); Hoeren Bewertungen bei eBay, CR 2005 498; Hong Apropos Künast-Fall. Das Bundesverfassungsgericht zum Schutz vor Beleidigungen im Netz, HRRS 2020 490; Hoven Zur Strafbarkeit von Fake News – de lege lata und de lege ferenda, ZStW 129 (2017) 718; Hoven/Witting Das Beleidigungsunrecht im digitalen Zeitalter, NJW 2021 2397; Ignor Der Straftatbestand der Beleidigung (1995); Jakobs Die Aufgabe des strafrechtlichen Ehrenschutzes, Festschrift Jescheck (1985) 627; ders. Beleidigung, Festschrift Maiwald (2010) 365; Kaufmann Zur Frage der Beleidigung von Kollektivpersönlichkeiten, ZStW 72 (1960) 418; Kern Die Äußerungsdelikte (1919); ders. Die Beleidigung, Festgabe Frank Bd. II (1930) 335; Kesper-Biermann/Ludwig/Ortmann (Hrsg.) Ehre und Recht. Ehrkonzepte, Ehrverletzungen und Ehrverteidigungen vom späten Mittelalter bis zur Moderne (2011); Kett-Straub Hat Porsche eine Ehre? Die passive Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften, ZStW 120 (2008) 759; Krause Das Gesetz zur Bekämpfung der Hasskriminalität – ein „Update“ DRiZ 2021 236; Krischker „Gefällt mir“, „Geteilt“, „Beleidigt“? – Die Internetbeleidigung in sozialen Netzwerken, JA 2013 488; ders. Das Internetstrafrecht vor neuen Herausforderungen (2014); Krug Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden (1965); Leipold Zur Beweislast beim Schutz der Ehre und des Persönlichkeitsrechts, Festschrift Hubmann (1985) 271; Kubiciel/Winter Globalisierungsfluten und Strafbarkeitsinseln – Ein Plädoyer für die Abschaffung des strafrechtlichen Ehrenschutzes, ZStW 113 (2001) 303; Liepmann Die Beleidigung, VDB Bd. IV (1906) 217; Marfels Von der Ehre zur Anerkennung? Die Bedeutung sozialphilosophischer Anerkennungstheorien für den strafrechtlichen Ehrbegriff (2011); Möller Der grundrechtliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit in Deutschland, England und den USA (2016); Nussbaum Die Beleidigung innerhalb sozialer Netzwerke – Zum Verhältnis von Äußerung und Weiterverbreitung ehrverletzender Werturteile de lege lata und lege ferenda, KriPoZ 2021 215; Otto Persönlichkeitsschutz durch strafrechtlichen Schutz der Ehre, Festschrift Schwinge (1973) 71; ders.
575 https://doi.org/10.1515/9783110490121-034
Hilgendorf
Vor § 185
Vorbemerkungen
Ehrenschutz in der politischen Auseinandersetzung, JR 1983 1; ders. Strafrechtlicher Ehrenschutz und Kunstfreiheit der Literatur, NJW 1986 1206; Petershagen Rechtsschutz gegen Negativkommentare im Bewertungsportal von Internetauktionshäusern. Einstweilige Verfügung oder Hauptsacheverfahren? NJW 2008 953; Pörner Das sog. Catcalling – Strafwürdiges Unrecht oder bloße Bagatelle? NStZ 2021 336; Pohlreich Strafrechtliche Grundfälle zur Meinungsfreiheit bei Ehrschutzdelikten, JA 2020 744; Praml Beleidigungsdelikte bei anwaltlicher Interessenvertretung, NJW 1976 1967; Reinbacher Die Beleidigung im Internet – Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, Neue Kriminalpolitik 32 (2020) 188; Rüthers Meinungsfreiheit und Ehrenschutz bei Kollektivurteilen – Zur Zulässigkeit von Pauschalbeleidigungen, NJW 2016 3337; Ritze Die „Sexualbeleidigung“ nach § 185 StGB und das Verfassungsgebot „nulla poena sine lege“, JZ 1980 91; Sahl/Bielzer NetzDG 2.0 – Ein Update für weniger Hass im Netz, ZRP 2020 2; Sajuntz Die Entwicklung des Presse- und Äußerungsrechts im Jahr 2019, NJW 2020 583; ders. Die Entwicklung des Presse- und Äußerungsrechts im Jahr 2020, NJW 2021 592; Schlosser Zur Beweislast im System des zivilrechtlichen Ehrenschutzes, JZ 1963 309; Schmitt Glaeser Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, JZ 1983 95; Schwinge Ehrenschutz im politischen Bereich, MDR 1973 801; Speitkamp Ohrfeige, Duell und Ehrenmord. Eine Geschichte der Ehre (2010); Stegbauer Rechtsprechungsübersicht zu den Propaganda- und Äußerungsdelikten, NStZ 2021 531; Steinl/Schemmel Der strafrechtliche Schutz vor Hassrede im Internet. Jüngste Reformen im Lichte des Verfassungsrechts, GA 2021 86; Tellenbach (Hrsg.) Die Rolle der Ehre im Strafrecht (2007); Tenckhoff Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände (1974); ders. Grundfälle zum Beleidigungsrecht, JuS 1988 199; Tettinger Der Schutz der persönlichen Ehre im freien Meinungskampf, JZ 1983 317; Valerius Der sogenannte Ehrenmord: Abweichende Wertvorstellungen als niedrige Beweggründe JZ 2008 912; ders. Kultur und Strafrecht. Die Berücksichtigung kultureller Wertvorstellungen in der deutschen Strafrechtsdogmatik (2011); Vogt/Zingerle (Hrsg.) Ehre. Archaische Momente in der Moderne (1994); Wagner Beleidigung eines Kollektivs oder Sammelbeleidigung? JuS 1978 674; A. Weber Das Recht der freien Meinungsäußerung im Lichte von §§ 192, 193 RStGB, JW 1927 2671; Chr. Weber/Meckbach Äußerungsdelikte in Internetforen, NStZ 2006 492; Wenzel Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. (2004); Winter Die Rolle der Ehre im Strafrecht in Deutschland, in Tellenbach (Hrsg.) Die Rolle der Ehre im Strafrecht (2007) 95; Windhöfel Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz bei Pauschalbeschimpfungen. Eine Kritik der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu „A.C.A.B.“ und „FCK CPS“, Gedächtnisschrift Tröndle (2019) 1000; Wolff Ehre und Beleidigung, ZStW 81 (1969) 886; Würtenberger Karikatur und Satire aus strafrechtlicher Sicht, NJW 1982 610; ders. Satire und Karikatur in der Rechtsprechung, NJW 1983 1144; Ziegelmayer Die Reputation als Rechtsgut, GRUR 2012 761; Zippelius Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht, Festschrift Hubmann (1985) 511; Zunkel Ehre, Reputation, Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, 4. Aufl. (1989) 1.
Übersicht I. 1. 2. 3. 4. 5.
II.
Die Ehre „Beleidigung“, „Ehre“, „Achtungsan1 spruch“ 2 Die Ehre als Aspekt der Personwürde 7 Normativer und faktischer Ehrbegriff Personaler und sozialer Geltungswert, Ehrmän13 gel Rückbindung des Ehrenschutzes an gesellschaft20 liche Interessen
1. 2. 3. 4.
24 Der einzelne Mensch 25 Personengemeinschaften Beleidigung unter einer Kollektivbezeich28 nung 33 Familienehre?
III.
Mittelbare Beleidigung?
IV.
Neue Fragestellungen
Die Träger der Ehre
V.
Das Verhältnis der Beleidigungstatbestände zuei44 nander
34 38
Alphabetische Übersicht Achtung Vorbem. § 185 21 – Anspruch auf ~ Vorbem. § 185 22 – begründete ~ Vorbem. § 185 10 – Maßstab Vorbem. § 185 21
Hilgendorf
– Recht auf ~ Vorbem. § 185 22; § 186 2 – Regeln der ~ Vorbem. § 185 21 – soziale ~ Vorbem. § 185 21
576
Alphabetische Übersicht
Achtungsanspruch Vorbem. § 185 1, 8, 24, 44; § 189 1; § 192 6 – Herleitung Vorbem. § 185 4 – minimaler ~ Vorbem. § 185 6, 21 f – Missachtung Vorbem. § 185 44; § 185 1 – sozialer ~ Vorbem. § 185 13 – verdienter ~ Vorbem. § 185, 5, 18; § 185 1; § 189 2; § 190 3 – Verletzung § 185 30 Achtungswürdigkeit Vorbem. § 185 8 Angriff auf die Ehre – Definition § 185 1 – Durch Tatsachenbehauptungen § 185 2 Anspielung § 185 16 Anstiftung § 185 31 Auslegung – Grundsätze § 185 15, 17 ff – s.a. objektiver Sinngehalt Beihilfe § 185 27; § 188 5 Bekanntgabe der Verurteilung § 199 8; § 200 – Antrag auf Anordnung der ~ § 200 6 – Strafverurteilung § 200 2 – ~ als strafähnliche Nebenfolge § 200 9 – ~ von Amts wegen § 200 2 Beleidigung Vorbem. § 185 1, 5 – Angriffsobjekt Vorbem. § 185 5, 9, 24 ff, 45 – Definition s. Angriff auf die Ehre – einfache ~ § 185 1 – Handlungsunrecht Vorbem. § 185 36 – indirekte ~ Vorbem. § 185 34 – mittelbare ~ Vorbem. § 185 34 – sexualbezogene Handlung s. Sexualbeleidigung – Tatbestand Vorbem. § 185 24, 37 f; § 185 27; s.a. Kundgabe – tätliche ~ s. Tätlichkeit – Wesen der ~ Vorbem. § 185 5 – ~ als Äußerungsdelikt § 185 10, 30 – ~ als Begehungsdelikt § 185 27 – ~ als Kundgabedelikt § 185 29 – ~ bei Hinzutreten besonderer Umstände Vorbem. § 185 35 f – ~ des elterlichen Personensorgeberechtigten s. Familienehre Beleidigung im Internet Vorbem. § 185 39 ff; 185 7, 10; 15 f; 19 f; 27; 42; 186 13; § 192 7 – Anwendungsbereich Vorbem. § 185 39 f – Erfolgsort Vorbem. § 185 39 – Handlungsort Vorbem. § 185 39 – Soziale Netzwerke Vorbem. § 185 41; 185 15 f, 27, 42 – territoriale Spezifizierung Vorbem. § 185 39 – Unrechtsgehalt Vorbem. § 185 41 – Qualifikation Vorbem. § 185 42; 186 13 Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises § 192 – äußerliche Verknüpfung von Werturteil und Tatsachenäußerung § 192 2
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Vor § 185
– – – – – – – –
Begriff § 192 1 Bewertung von Tatsachen § 192 3 ehrverletzende Reaktualisierung § 192 7 plus an Ehrherabsetzung § 192 1, 4 Publikationsexzess § 192 7 tatsachenadäquates Werturteil § 192 5 f, 9 Wahrheitsbeweis § 192 9 ~ als Beleidigung durch überschießende Tendenz § 192 4 Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung Vorbem. § 185 28 ff, 33; § 194 1 f – Beleidigung aller Angehöriger Vorbem. § 185 30; § 194 1 – Beleidigung bestimmter Personen Vorbem. § 185 28, 30, 32 – Beleidigung eines Einzelnen Vorbem. § 185 29, 32 – Beleidigung mehrerer Einzelner Vorbem. § 185 29 – Durchschnittsurteil Vorbem. § 185 30, 32 – Fallgruppen Vorbem. § 185 29 ff; 193 25 – Individualisierbarkeit Vorbem. § 185 30 f – Kollektivgebilde Vorbem. § 185 29 f – Kollektivurteil Vorbem. § 185 28, 30; § 194 1 – Miterklärung der Ausnahme Vorbem. § 185 30 – Pauschalurteil Vorbem. § 185 31 f – Personenmehrheit Vorbem. § 185 28, 32 – subjektiver Tatbestand Vorbem. § 185 31 – überschaubarerer Personenkreis Vorbem. § 185 29, 31 Beleidigungsfähigkeit Vorbem. § 185 24 f – Behörde Vorbem. § 185 24; § 186 5 – Familie Vorbem. § 185 33 – Psychisch Kranke Vorbem. § 185 24 – Kinder Vorbem. § 185 24 – Körperschaft Vorbem. § 185 24 – passive ~ Vorbem. § 185 25 – Personengemeinschaften Vorbem. § 185 25 ff – Polizei Vorbem. § 185 27 – Tiere Vorbem. § 185 24 – Verstorbene Vorbem. § 185 24 Beleidigungsstrafrecht Vorbem. § 185 23 – deutsches ~ Vorbem. § 185 20 – Legitimität Vorbem. § 185 22, 40 – Reichweite Vorbem. § 185 20, 37, 39 f – Schutzbereich Vorbem. § 185 20 – Sonderprobleme Vorbem. § 185 38 ff – substantielle Gleichheit Vorbem. § 185 44 f – Umfang Vorbem. § 185 20 Bericht § 185 16 Bestimmtheitsgrundsatz Vorbem. § 185 23, 25 Beweis der Wahrheit § 185 43 – bei (tatsachenadäquatem) Werturteil § 185 43 – Beweislastumkehr § 185 37 – der Faktor Zeitablauf § 185 43 – ~ als Strafausschließungsgrund § 185 43 Briefgeheimnis – Verletzung § 185 28
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Vor § 185
Vorbemerkungen
Chat-Raum – Äußerung Vorbem. § 185 41 – Beleidigungsadressat Vorbem. § 185 41 Ehebruch Vorbem. § 185 35, 36; § 185 34 – Eheschutz Vorbem. § 185 36 – Judikatur Vorbem. § 185 35 f Ehrbegriff Vorbem. § 185 4 ff, 25 f – faktisch Vorbem. § 185 10 – normativ Vorbem. § 185 9, 10 – normativ-faktisch Vorbem. § 185 7, 12 – personal Vorbem. § 185 14 Ehrdelikt Vorbem. § 185 20, 38 Ehre Vorbem. § 185 1 ff, 44 – äußere ~ Vorbem. § 185 9 – Bedeutungen Vorbem. § 185 11 – Definition Vorbem. § 185 9 f, 21 – dualistische Konzeption Vorbem. § 185 10, 38 – Herleitung Vorbem. § 185 23 – individuelle ~ Vorbem. § 185 28 – Inhalt Vorbem. § 185 7, 23 – innere ~ Vorbem. § 185 4, 9 – Kernbereich Vorbem. § 185 21, 33, 38 – Mangel § 185 35; s. Geltungs(wert)mangel – Missachtung § 185 34 – negativ Vorbem. § 185 5 – nicht steigerungsfähig Vorbem. § 185 9 – objektivierte ~ Vorbem. § 185 10 – Ruf Vorbem. § 185 10 – subjektive ~ Vorbem. § 185 10 – Umfang Vorbem. § 185 4 – verdiente ~ Vorbem. § 185 5 – ~ als Anerkennungsverhältnis Vorbem. § 185 13 – ~ als Aspekt der Personwürde Vorbem. § 185 9, 25, 33; § 185 34 – ~ als Attribut des Menschen Vorbem. § 185 9, 25, 33; § 185 34 – ~ als eigenständiger Wert von Verfassungsrang § 193 5, 9 – ~ als konturiertes Rechtsgut Vorbem. § 185 11 – ~ haben Vorbem. § 185 5 Ehrenmord Vorbem. § 185 38 Ehrenschutz Vorbem. § 185 23 f, 35; § 185 14; § 186 2 Ehrgefühl Vorbem. § 185 10 Ehrkonzept Vorbem. § 185 20 Ehrmängel Vorbem. § 185 9, 19 Ehrtheorien Vorbem. § 185 7, 23 – dualistisch Vorbem. § 185 21, 38 – faktisch Vorbem. § 185 7 f, 10 – normativ Vorbem. § 185 7 ff, 19, 22 – normativ-faktisch Vorbem. § 185 11, 21 – Sonderprobleme Vorbem. § 185 22 Ehrverletzung Vorbem. § 185 1 Ehrverständnis Vorbem. § 185 19, 21 – dualistisch Vorbem. § 185 21 f – Kommunikationsfähigkeit Vorbem. § 185 19 – Kommunikationsunfähige Vorbem. § 185 19
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Ehrvorstellungen Vorbem. § 185 20 f, 23, 38 – Homogenität der ~ Vorbem. § 185 38 – neue Heterogenität der ~ Vorbem. § 185 38 Eingriff – in eine rechtlich geschützte Beziehung § 185 29, 34 – in eine Rechtsposition § 185 29, 34 Einwilligung § 185 40 f – ~ als Rechtfertigungsgrund § 185 40 – ~ als tatbestandsausschließendes Einverständnis § 185 40 f Empfängerhorizont – s. objektiver Sinngehalt engster Familienkreis § 185 11 f – Äußerungen über Außenstehende § 185 11 f – ehrenrührige Äußerung § 185 11 f – Freundschaft § 185 13 – Kundgabe § 185 11 f – Lebenspartnerschaft § 185 13 – Theorien § 185 12 – Umstände des Einzelfalls § 185 13 Erfolgsunrecht Vorbem. § 185 44 Erklärungsempfänger § 185 20; § 186 9 Erklärungswert – mehrdeutiger ~ § 185 21, 36 Ethik – ethische Pflicht Vorbem. § 185 36 – Individual~ Vorbem. § 185 15 – Maßstäbe Vorbem. § 185 15 f Fakten § 185 2, 4, 20; § 186 8 – ehrenrührige ~ § 185 7 Fake News Vorbem. § 185 3, 41; 185 7, 34; 186 4; 193 21 Familienehre Vorbem. § 185 33 – elterliche Personensorgeberechtigte Vorbem. § 185 37 – Erziehungsrecht § 185 34 – Judikatur Vorbem. § 185 33, 37 Fotoaufnahme § 185 29 – Publikation § 185 29 – Weitergabe § 185 29 Geltungs(wert)mangel Vorbem. § 185 16 f, 24; § 185 29; § 186 10 – elementare menschliche Unzulänglichkeiten Vorbem. § 185 17 f; § 185 29, 36; § 194 1 – personaler ~ Vorbem. § 185 9, 17 Gerücht § 186 8 Gleichheitssatz Vorbem. § 185 4 Gleichstellung Vorbem. § 185 25 f Grundrecht – Verfassungsinterpretation § 193 9 – Wechselwirkung § 193 5, 7 – ~ der freien Meinungsäußerung § 185 2, 20; § 193 1, 4, 14, 20 – ~ der Kunstfreiheit § 193 1, 8 ff. – ~e als objektive Wertordnung § 193 4
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Alphabetische Übersicht
guter Ruf Vorbem. § 185 11 f Handlungsunrecht Vorbem. § 185 44 f Höflichkeit Vorbem. § 185 21 – Verletzung Vorbem. § 185 21 Internet – Publikation Vorbem. § 185 42 – s. Beleidigung im Internet Irrtum § 185 28, 39; § 186 5; § 189 4; § 193 31 – Erlaubnistatbestands~ § 185 40; § 193 31 – error in persona § 185 39 – Subsumtions~ § 186 11; § 193 31 – Tatbestands~ § 185 40 f – Verbots~ § 185 41; § 193 31 Kenntnisnahme – der Beleidigung § 185 10, 12, 19, 26 – der üblen Nachrede § 186 11 – der Verunglimpfung § 189 3 – per Videokamera § 185 28 kleines Sexualdelikt Vorbem. § 185 2; § 185 30 Kollektivbeleidigung Vorbem. § 185 25, 27, 28, 30 Kollektivlehre Vorbem. § 185 25 – zivilrechtliche Judikatur Vorbem. § 185 26 Konkurrenzen Vorbem. § 185 45 f; § 185 45; § 186 15; § 188 6; § 189 5 – Idealkonkurrenz, natürliche Handlungseinheit Vorbem. § 185 45 f; § 185 45 f; § 187 6 – lex generalis Vorbem. § 185 45 – Tateinheit (§ 52) Vorbem. § 185 46; § 185 30, 45 f; § 186 5, 15; § 187 3, 6; § 188 6; § 189 5; § 200 4 – Tatmehrheit (§ 53) § 185 45 Kundgabe § 185 10 ff – Begriff § 185 12 – Beispiele für ehrenrührige ~ § 185 35 f – ehrenrührige ~ § 185 27 ff, 35; § 192 1 – Erfordernis der Kommunikation § 185 10 – Erscheinungsformen § 185 15 – genereller Maßstab § 186 10 – künstlerische Äußerung s. künstlerische Ausdrucksform – Sachverhaltskern betreffender Aussagegehalt § 187 2 – Täter als Kommunikator § 185 10, 22, 25 – ~ der Missachtung § 185 15 f, 24 – ~ in Form symbolischen Handelns § 185 15 – ~ von Fakten § 185 5 künstlerische Ausdrucksform § 185 22 ff – Auslegungsvorgang § 185 25 – karikierende/satirische) Einkleidung § 185 25 – Empfängerhorizont § 185 24 f – Interpretation durch Gesamtschau § 185 24 f – Karikatur § 185 25; § 193 10 – Satire § 185 25; § 193 10 – Stilmittel der Verfremdung § 185 24 f – Verfremdung § 193 10 – Werke der Kunst § 185 24; § 193 8
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Vor § 185
Lückenbüßerfunktion Vorbem. § 185 2 Meinungsäußerung § 185 2 ff, 29 – Äußerungsumstände § 192 8 – Individualisierbarkeit § 185 13, 20 – ~ als letztes Refugium § 185 13 – ~ als Rechtsbegriff § 185 9 Menschenwert Vorbem. § 185 13 Menschenwürde Vorbem. § 185 18 ff, 38 – Interpretation Vorbem. § 185 7 – ~ als Ensemble subjektiver Rechte Vorbem. § 185 22 Missachtung als Beleidigung § 185 1 Moral Vorbem. § 185 15 objektive Bedingung der Strafbarkeit – Nichterweislichkeit der Wahrheit § 186 12; § 190 1 objektiver Sinngehalt einer Kundgabe § 185 17 ff, 29, 35 – allgemeine Bedeutung der Kundgabe § 185 19 – Auslegung § 185 18, 21 – Auslegungsregeln § 185 19 – (normativer) Empfängerhorizont § 185 20 f – Erkennbarkeit § 185 20 – Ermittlung § 185 17 – in der Erklärung § 185 17 – künstlerische Ausdrucksform s. künstlerische Ausdrucksform – objektiver Tatbestand § 185 22 – subjektiver Tatbestand § 185 20, 38 – Umstände des Falles § 185 23, 35 – Unterlassen s. Unterlassen Opferschutz – Gedanke des ~es § 185 8 personaler Geltungswert Vorbem. § 185 9 ff, 18, 21, 38; § 189 2, 3 – Geltungs-(Ehr)-mangel Vorbem. § 185 14, 16; § 186 2 – Mangel Vorbem. § 185 36; § 185 1, 25, 27, 29 – Maßstäbe Vorbem. § 185 15 – Minderung § 185 29 – Pflichterfüllung Vorbem. § 185 14 f – verdienter ~ § 185 18 – Vorwerfbarkeit Vorbem. § 185 14 Personwürde Vorbem. § 185 2 f, 8, 25 – Missachtung § 185 1 Persönlichkeit § 185 30, 31 – Missachtung Vorbem. § 185 11; § 185 1 – Verletzung Vorbem. § 185 12 Persönlichkeitsrecht – allgemeines ~ § 185 29, 34 – fortbestehendes ~ § 189 2 Pflicht – ethische ~ Vorbem. § 185 18; § 185 29 – rechtliche ~ Vorbem. § 185 18 – Verstoß Vorbem. § 185 16, 18; § 185 27, 34 – ~verletzung Vorbem. § 185 17 Prinzip der praktischen Konkordanz § 193 6
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Vor § 185
Vorbemerkungen
– einzelfallbezogene Gesamtabwägung § 193 6, 7 – Gesichtspunkt der reaktiven Verknüpfung § 193 7, 25 – kunstspezifische Gesichtspunkte § 193 10 – Relevanz aller sich ergebenden Bewertungsfaktoren § 193 17 – Vermutung § 193 7, 15, 20 – Vorrang eines Rechts § 193 6 – Vorzugstendenz § 193 6, 7, 17, 22 Rechtfertigungsgrund – Ehrennotwehr § 185 44 – persönlicher Strafausschließungsgrund § 185 43; § 186 12 – rechtfertigender Notstand § 185 44; § 187 5 Rechtsgut Vorbem. § 185 20, 22, 33, 44 f – ~sentzug Vorbem. § 185 22 – ~sverletzung Vorbem. § 185 22 – ~szusammenführung Vorbem. § 185 22 Scherz § 185 29 Schimpfwort Vorbem. § 185 17; § 185 36; § 192 6 Schuldprinzip § 186 4 Sexualbeleidigung § 185 15, 30 ff, 38 – Ansinnen sexuellen Verhaltens § 185 31 – körperliche Misshandlungen § 185 15 – sexualbezogene Handlung Vorbem. § 185 24, 34, 35 ff; § 185 30 f, 34 – ~ an psychisch Kranken § 185 31 – ~ an Kindern § 185 31 Sexualstraftat – Abgrenzung zur Beleidigung § 185 31 ff – Angriff auf das Recht zur sexuellen Selbstbestimmung § 185 33 – Beleidigung durch eine ~ § 185 30 ff – notwendige Verbundenheit der Beleidigung mit regelmäßigem Erscheinungsbild der ~ § 185 31 – Konkurrenzen § 185 45 Situationsethik Vorbem. § 185 15 – Ehrmangel Vorbem. § 185 15 moralische Integrität Vorbem. § 185 16 f; § 185 35; § 194 1 – Absprache von Verdiensten Vorbem. § 185 16; § 185 29 – Mangel an ~ § 185 29 sittliche Ordnung Vorbem. § 185 15 Sorgfaltswidrigkeit § 186 4 soziale Aufgabe § 185 36 soziale Funktion Vorbem. § 185 27 soziale Rolle Vorbem. § 185 14, 16; § 185 34 soziales Ansehen Vorbem. § 185 27, 33, 34 – Verletzung Vorbem. § 185 27 sozialer Geltungsanspruch Vorbem. § 185 9 ff – Sanktionierung Vorbem. § 185 13 – verdienter ~ Vorbem. § 185 13 sozialer Geltungswert Vorbem. § 185 9, 10, 11, 14, 21, 27, 34, 38; § 185 12; § 189 2 – Geltungs-(Ehr)-mangel s. Geltungs(wert)mangel
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– Maßstäbe Vorbem. § 185 15 – Minderung § 185 29 – verdienter ~ § 185 17 Sozialethik Vorbem. § 185 15 Sozialmoral Vorbem. § 185 16, 20 f, 23 Strafantrag § 194 – außerdienstliches Verhalten § 194 12 – Behörde § 194 13 – Dienstvorgesetzter § 194 11 – Gruppe § 194 5 – Ermächtigung § 194 14 f – politische Körperschaft § 194 14 – Privatklagedelikt § 194 4 – Prozesshindernis § 194 9 – Prozessvoraussetzungen § 194 2 – Stellvertretung § 194 3 – Teil der Bevölkerung § 194 6 – Tod als mittelbare Folge der Verfolgung § 194 10 – Verfahrensrechtlicher Charakter § 194 1 – Verfolgungen § 194 5 – Widerspruch § 194 9 – Zurücknahme § 194 3 – Zusammenhang von Beleidigung und Verfolgung § 194 7 – ~srecht als selbständiges Recht § 194 11 – ~srecht des Dienstvorgesetzten bei Ausübung des Diensts oder in Beziehung auf den Dienst § 194 12 straffreies Refugium § 185 14 – Güterabwägung § 185 14 – Rechtfertigungsgrund § 185 14 Tatbestand – objektiver ~ § 185 1 ff; § 186 5 ff; § 187 1 ff; § 188 2 ff; § 189 3; § 192 4 ff – subjektiver ~ § 185 38 f; § 186 11; § 187 4; § 188 5; § 189 4; § 192 4 ff Tatbestandsbestimmtheit Vorbem. § 185 Täterschaft – Mittäterschaft § 185 42; § 193 34 – mittelbare ~ § 185 42; § 186 5; § 193 34 – Teilnehmerschaft § 186 12; § 193 34 Tatrichter § 185 9, 21 Tatsache § 185 4; § 186 9 – Begriff § 185 4; § 186 6 f, 10 – Beweisbarkeit § 185 4, 7 – geschichtliche Existenz § 185 4 – innere ~ § 185 4 – Manipulation von ~n § 185 16 – Wahrnehmbarkeit § 185 4 – ~ als Rechtsbegriff § 185 9 Tatsachenbehauptung Vorbem. § 185 44; § 185 2 ff, 7, 28 – Abgrenzung zum Werturteil § 185 2 ff, 8 – Abgrenzung zur Tatsache § 185 2 – ggü. Betroffenem Vorbem. § 185 45 f; § 185 36 – ggü. Drittem Vorbem. § 185 45 f; § 185 1, 2, 5
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Alphabetische Übersicht
– grundrechtlicher Schutz § 185 2 – in Beziehung auf einen Anderen Vorbem. § 185 44; § 185 2 – pragmatische Überlegungen § 185 8 – Prognose als ~ § 185 4 – Übergang zu Meinungsäußerung und Werturteil § 185 5 – unwahre ~ § 185 2; § 193 24 – ~ als Rechtsbegriff § 185 9 Tatsachenurteil § 185 5 Tätlichkeit § 185 15 teleologische Reduktion § 185 12 Theorie des Anerkennungsverhältnisses Vorbem. § 185 13 Theorie des personalen Geltungswerts Vorbem. § 185 14 ff, 21, 25; § 185 14 – Zusammenfassung Vorbem. § 185 18 – s.a. personaler Geltungswert Theorie des sozialen Geltungsanspruchs – moderne Version Vorbem. § 185 13 Theorie des sozialen Geltungswerts Vorbem. § 185 14 ff, 21, 26 – s.a. sozialer Geltungswert Üble Nachrede § 186 – Abgrenzung zu Beleidigung/Verleumdung § 186 1, 5, 7, 9 – (eigene) Behauptung von ehrenrührigen Tatsachen § 186 1, 7 – Eignung zum Herabwürdigen/Verächtlichmachen § 186 10 – in Beziehung auf einen anderen § 186 1, 5 – Kenntnisnahme durch Dritte s. in Beziehung auf einen anderen – nicht erweislich wahr s. Wahrheitsbeweis – öffentlich begangen § 186 13 – qualifizierte üble Nachrede § 186 13 f – restriktive Auslegung § 186 4 – Schaffen einer kompromittierenden Sachlage § 186 7, 9 – tragfähige Verbotsmaterie der ~ § 186 3 – Unrechtsgehalt § 186 1, 4 – Unwahrheit s. Wahrheitsbeweis – Verbreiten von (fremden) ehrenrührigen Tatsachen § 186 1, 8, 9 – Wahrheitsbeweis § 186 1 f, 11, 12 – ~ als abstraktes Gefährdungsdelikt § 186 10 – ~ als Äußerungsdelikt mit Drittbezug § 186 9 – ~ als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB § 186 12 Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens § 188 – Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls § 188 4 – besondere Motivation des Täters § 188 5 – Beweisvermutung § 188 5 – Eignung zur Erschwerung des öffentlichen Wirkens § 188 4
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– Person des politischen Lebens § 188 2 – Tathandlung § 188 4 Umgangssprache Vorbem. § 185 3 Unhöflichkeit § 185 29 Unschuldsvermutung § 193 26 Unterlassen – Beleidigung als unechtes Unterlassungsdelikt § 185 27 – Beleidigung durch ~ § 185 27 – Garant § 185 27 – Ingerenz § 185 27 – konkludentes Handeln § 185 27 Verbreiten von Tatsachen – Missachtung durch ~ § 185 1 Verbreiten von Schriften § 186 14; § 187 6; § 194 4; § 200 5 Verhalten Vorbem. § 185 15, 17, 25; § 185 Verleumdung § 185 14; § 187 – Kreditgefährdung § 187 1, 3 – öffentlich begangen § 187 6 – qualifizierte Verleumdung § 187 6 – tatbestandlicher Aufbau § 187 1 – Unwahrheit § 187 2 Versammlung § 194 4 Versuch – der Beleidigung § 185 31 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener § 189; § 194 10; § 199 7 – fortbestehende Ehre § 189 2 – Pietätsgefühl § 189 1 – Rechtsgut § 189 1 f – Theorie des postmortalen Persönlichkeitsschutzes § 189 1 f – Verunglimpfung § 189 3 – Wahrheitsbeweis § 189 5 – ~ als Äußerungsdelikt § 189 3 – ~ als Beleidigungsfall § 189 4 – ~ als Delikt gegen die Ehre § 189 5 – ~ unter einer Kollektivbezeichnung § 189 3 Vollendung – der Beleidigung § 185 27 Vorsatz § 186 5 – bedingter ~ § 185 38 – gebotene Sorgfalt § 186 4 Vorspiegeln ehrenhafter Gesinnung Vorbem. § 185 19 Wahrheitsbeweis durch Strafurteil § 190 – Anfechtung (des Urteils) § 190 5 – Beweisführungslast § 190 4 – Beweisregeln § 190 6 ff – Freispruch vor Beleidigung § 190 8 – Grundsatz der Identität des Geschehens § 190 2 – nachträgliches Erfahren einer bereits bestandenen Tatsachengrundlage § 190 3 – Problematik § 190 2 – Tragweite § 190 3
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Vor § 185
Vorbemerkungen
– ~ als Strafausschließungsgrund § 190 1 Wahrnehmung berechtigter Interessen § 185 14, 34; § 186 4, 8; § 187 5; § 190 5; § 193 – Abwägung bei Meinungsäußerung § 193 4, 17 – Anwendungsbereich § 193 11 f – Anzeige § 193 22 – berechtigte Informationsinteressen § 193 20, 30 – „dazu Legitimierter“ (BVerfG) § 193 20 – Entfall der Rechtswidrigkeit ehrenrühriger Bekundung § 185 14 – Form und Umstände der Äußerung § 193 33 – Formalbeleidigung § 193 1, 33 – Informationspflicht § 193 21 – (echte/fiktive) Interessenkollision § 193 2, 17 – Leichtfertigkeit in Bezug auf die Wahrheit § 193 24 – Motivbündelung § 193 30 – Namensnennung § 193 29 – offenkundiger Wertungsexzess § 193 26, 33 – Petition § 193 22 – (aktuelle) Presse § 193 20, 23 – pressemäßige Sorgfalt § 193 23 – Rechtsnatur § 193 1 – sachliche Kritik § 193 13 – situations- und konfliktsabhängige Sorgfalt § 193 21 – Übermaßverbot § 193 27 – Wahrheit § 193 23 – zur Verschwiegenheit verpflichtet § 185 14 – ~ als Rechtfertigung § 185 14; § 186 9, 12; § 188 6; § 192 9; § 193 1 – ~ bzgl. der üblen Nachrede § 193 2 Wechselseitig begangene Beleidigungen § 199 – Anwendungsbereich § 199 7 – auf der Stelle erwidert § 199 6 – Aufrechnung § 199 1
– Ermessen des Gerichts § 199 7 – Ersttäter § 199 2 – Erweisbarkeit der Gegenbeleidigung § 199 4 – Erwiderung § 199 5 – irrender Zweitbeleidiger § 199 3 – psychische Situation § 199 1 f – psychischer Zusammenhang § 199 6 – reaktive Verknüpfung § 199 1 – vermeidbarer Irrtum § 199 3 – Zweittäter § 199 2 Weitergabe – eines Schriftstücks § 185 16 Wertbewusstsein – allgemein Vorbem. § 185 15 – differenziert Vorbem. § 185 15 Wertung – ehrenrührige Tatsachenbehauptung § 193 27 – Spielraum § 193 27 – ~sadäquanz § 185 6 Werturteil Vorbem. § 185 44 f; § 185 2 f, 6 – Definition § 185 3 – ehrenrühriges ~ § 185 35; § 192 5 – einseitig § 185 7 – Missachtung durch ~ § 185 1 – pragmatische Überlegungen § 185 8 – substantiiertes ~ § 185 7 – Tatsachenbasis § 185 6 ff – Wahrheitsbeweis § 190 3 – Wertungsexzess § 185 7 – ~ als Bestandteil der Tatsachenbehauptung § 185 5 – ~ als Rechtsbegriff § 185 9 Willensbildung Vorbem. § 185 25, 33 Würde – s. Menschenwürde
I. Die Ehre 1. „Beleidigung“, „Ehre“, „Achtungsanspruch“ 1 Das Wort „Beleidigung“ wird im 14. Abschnitt des StGB in einem doppelten Sinne verwendet. In der Abschnittsüberschrift, in § 194, § 199 und § 200 bezeichnet es einen Gattungsbegriff, der die Beleidigung im engeren Sinne (§ 185), die üble Nachrede (§§ 186, 188 Abs. 2), die Verleumdung (§§ 187, 188 Abs. 2) und die Verunglimpfung (§ 189) umfasst. Mit „Ehrverletzung“ ist der gesetzliche Begriff der „Beleidigung“ nicht völlig deckungsgleich. Die Kreditgefährdung (§ 187 Var. 3) ist ein Vermögensgefährdungsdelikt. Nach Meinung vieler schützt § 189 nicht die Ehre des Verstorbenen, sondern ein anderes Rechtsgut (vgl. § 189 Rdn. 1 f). Sieht man davon ab, so ist es in Rechtsprechung und Schrifttum fast unstreitig, dass die Straftaten, die der Begriff der Beleidigung in seinem allgemeineren Sinne umfasst, sich gegen die „Ehre“ richten. Sie, nur sie, ist das Rechtsgut, das geschützt werden soll, der ihr entsprechende Achtungsanspruch das Angriffs-(Hand-
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lungs-)objekt.1 Aber die Einigkeit in dieser Grundfrage besagt nicht viel. Auf die Frage, was unter der Ehre zu verstehen sei, „dem subtilsten, mit den hölzernen Handschuhen des Strafrechts am schwersten zu erfassenden … Rechtsgut unseres Strafrechtssystems“,2 gibt eine Fülle von Entscheidungen und Theorien unterschiedliche Antworten.3 Hier kann nur eine Skizze geboten werden. Für Details sei auf die Darstellungen von Hirsch, Tenckhoff, Ignor und Amelung verwiesen. Darüber hinaus ist das Verständnis von „Ehre“ und ihren möglichen Verletzungsformen in erheblichem Umfang kulturell geprägt.4 Das Wort hat heute für viele einen altmodischen Beiklang, doch die Rede von „Ehre“ und ihren Komposita wie „Ehrenamt, „Ehrenerklärung“, „Ehrenwort“, „Ehrenmann“ und „Ehrenfrau“, aber auch von „Ehrverlust“, „Kränkung“, „Beleidigung“, „Blamage“, „Schande“ usw. ist in unserer Gesellschaft nahezu allgegenwärtig, von Bezeichnungen wie „ehrlich“ oder „ehrenhaft“ und ihren Verneinungen ganz zu schweigen. Aus den USA treten neue Begriffe wie „Mikro-Aggression“ und „Hassrede“ hinzu. Ohne Übertreibung lässt sich feststellen, dass Ehre nach wie vor „eine Chiffre für Universalien des gesellschaftlichen Lebens“ darstellt.5 Es sei darauf hingewiesen, dass der Ausdruck „Ehre“ im Gesetzeswortlaut gar nicht vorkommt. Statt von „Ehre“ ließe sich auch von einem Anspruch auf Anerkennung und minimale Achtung, auf zumindest minimalen zwischenmenschlichen Respekt, sprechen. In unserer pluralisierten, nicht mehr durch eine fraglos vorausgesetzte gemeinsame Identität und eine allgemein akzeptierte Sozialmoral zusammengehaltenen Gesellschaft gewinnt die Sicherung von basalem Respekt zunehmend an Bedeutung.
2. Die Ehre als Aspekt der Personwürde Der Begriff der Ehre weist nicht nur „nach seinem ursprünglichen Sinn“, sondern auch im heuti- 2 gen Sprachgebrauch „einen personalen Bezug“ auf.6 Sie darf aber nicht mit der Personwürde oder Personalität gleichgesetzt werden. Die Ehre ist nur ein Aspekt der Personwürde,7 ein Attribut der Persönlichkeit, ein Teil ihrer „ideellen Sphäre“.8 Setzte man die Ehre mit der Personwürde gleich, verlöre sie ihren spezifischen Sinngehalt. Sie würde zu einem Gattungsbegriff, der auch andere personale Güter und Interessen umfasste,9 mit der Folge, dass die Abgrenzungsproblematik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf der Ebene des Tatbestands eine ausschlaggebende Bedeutung erlangte.10 Von Tatbestandsbestimmtheit könnte keine Rede mehr sein.11 Der „Beleidigung“ sollte außerdem keine „Lückenbüßerfunktion“ zukommen, indem sie zum Auffangtatbestand für im Übrigen nicht tatbestandsmäßig vertypte Handlungen ge1 In Auswahl: BGHSt 1 288, 289; 11 67, 70; 16 58, 62; BGH NStZ 1984 216; NStZ 1986 453, 454; NStZ 2018 603; RGSt 40 416; 71 159, 160; RG JW 1932 1742 Nr. 22; Geppert Jura 1983 531 ff; Hirsch S. 32, 145; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1; Tenckhoff S. 15, 19, 91, 181; anders jetzt Hoven NJW 2021 2399 f, die auch die Meinungsfreiheit als mitgeschützt ansieht. 2 Maurach BT § 17 I 1. 3 In Auswahl: BGHSt 1 288, 289; 11 67, 71; BGH NStZ 1986 453, 454; RG GA Bd. 38 (1890) 434; JW 1932 1742 Nr. 22; HRR 1933 348; DR 1943 189; BayObLGSt 1980 32; 1983 32, 34; 1986 91, 92; Engelhard JW 1932 1742, 1743; Engisch FS Lange 402, 416; Geppert Jura 1983 531 ff; Hirsch S. 1 ff, 45 ff; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Otto FS Schwinge 73 ff; Rogall SK Rdn. 1 bis 32; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1; Tenckhoff S. 35 ff; Überblick bei Marfels S. 69 ff; rechtshistorisch Kesper-Biermann/Ludwig/Ortmann (Hrsg.) Ehre und Recht. Ehrkonzepte, Ehrverletzungen und Ehrverteidigungen vom späten Mittelalter bis zur Moderne (2011). 4 Tellenbach Die Rolle der Ehre im Strafrecht; eingehend Valerius S. 116 ff, insb. 124 ff. 5 Vogt/Zingerle S. 9. 6 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1. 7 Hirsch S. 59; ausf. Hilgendorf JRE 1999 137, 148 f. 8 Vgl. BGHSt 36, 145; BGHZ 35 363, 368; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1. 9 Vgl. BGHZ 26 349; 30 7; 35 363; Stoll Jura 1979 576, 577. 10 Vgl. Hubmann Das Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl. (1967) S. 160. 11 Hirsch S. 60. 583
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Vorbemerkungen
macht wird. Der § 185 fungierte lange Zeit insbesondere als „kleines Sexualdelikt“12: Sexualbezogene Handlungen, die unterhalb der Schwelle der eigentlichen Sexualdelikte liegen, wurden nach § 185 bestraft. Darauf ist zurückzukommen (vgl. § 185 Rdn. 30 bis 33). 3 Ein jüngeres Phänomen, bei dem die Begrenzung des Schutzguts der Beleidigungsdelikte zur Straflosigkeit sozialschädlicher Verhaltensweisen führen kann, ist die Verbreitung sog. „Fake News“. Oftmals geht es dabei um die Verzerrung des politischen Diskurses durch die Streuung von Falschnachrichten oder die Dekontextualisierung eines Geschehens oder des Gesagten. Wenn bestimmbare (oftmals prominente) Individuen Gegenstand von Fake News sind, werden sie regelmäßig in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrechtsrecht verletzt. Mit der Schädigung der Reputation – etwa, wenn dem Betroffenen bestimmte politische Auffassungen „in den Mund gelegt“ werden – muss aber nicht unbedingt zugleich auch die Schwelle der Ehrenrührigkeit überschritten werden.13 4 In der Umgangssprache hat das Wort „Ehre“ viele Bedeutungen. Das belegen die Wörterbücher, in denen von Achtung, Anerkennung, Ansehen, Ruf, Rang, Status, Würde, Geltung, innerem Wert, Sittlichkeit, Ehrgefühl, Auszeichnung, Ehrung, Verdienst, Ruhm, zeremoniellem Aufwand, Lobpreisung die Rede ist. Diese Bedeutungen streuen noch breiter als die Gleichsetzung der Ehre mit der Personwürde (vgl. Rdn. 2). Für den Bereich des Rechts, jedenfalls für den Bereich des Strafrechts, hat der Siegeszug des Gleichheitssatzes entscheidend dazu beigetragen, die „Ehre“ von den „Ehren“ und „Ehrungen“ abzulösen. Stand, Beruf, Gruppenzugehörigkeit und Gruppenstatus, Geschlecht, Alter, religiöses Bekenntnis und wirtschaftliche Verhältnisse, körperliche und geistige Vorzüge, besondere Fähigkeiten und Leistungen sind danach für die Ehre weitgehend gleichgültig geworden (s. aber § 185 Rdn. 20).14 Eine auf Gleichheit, auf „egalité“ ausgerichtete Rechtsordnung musste aus dem Begriff der Ehre Merkmale entfernen, die ein Element der Ungleichheit enthalten. Die Vorstellungen einer besondere „Standesehre“ sind heute obsolet geworden. Dagegen scheinen die Vorstellungen einer besonderen Ehre einzelnen Gruppen oder „Identitäten“15 wieder stärker zu werden (siehe unten Rn. 43 und § 192a Rdn. 1 ff). 5 Der egalitären Tendenz tragen Aussagen Rechnung, die insbesondere von Binding und Hirsch formuliert worden sind: „Die Ehre ist ganz einerlei Art. Beim Höchsten wie beim Geringsten … bestimmt sie sich nach denselben Faktoren“.16 „Aus der Tatsache, dass die Ehre in der Personalität wurzelt, erklärt sich auch, … dass die Obergrenze des Rechtsguts mit dem Vorliegen der notwendigen Geltungsvoraussetzungen – dem Fehlen von Geltungsmängeln – erreicht und nicht noch darüber hinaus durch besondere Leistungen steigerungsfähig ist … Hervorragende Staatsmänner, Gelehrte und Geistliche haben kein Deut mehr Ehre als ein gewöhnlich Sterblicher. Sie haben höchstens größere Verdienste, mehr Ruhm und Ansehen“.17 Binding definiert: „Ehre ist der Wert, der einem Menschen als solchem und auf Grund seiner Handlungsweise, also kraft der Erfüllung seiner sittlichen und rechtlichen Pflichten, also seiner sittlichen und rechtlichen Unversehrtheit zukommt“.18 Heute verwendet man statt des Ausdrucks „sittlich“ eher das Wort „moralisch“. Seine „Ehrenhaftigkeit“ kann nur der Träger der Ehre selbst durch „ehrlose“ Handlungen antasten. Von anderen kann er verlangen, dass sie ihn „nicht nach Maß
12 Arzt JuS 1982 725. 13 Hoven ZStW 129 (2017) 718, insb. 725, 727; Hoven/Krause JuS 2017 1167, 1169; s. ferner Schünemann GA 2019 620; aus empirischer Perspektive Sängerlaub/Meier/Rühl Fakten statt Fakes – Verursacher, Verbreitungswege und Wirkungen von Fake News im Bundestagswahlkampf 2017 (2018); Steinebach/Bader/Rinsdorf/Krämer/Roßnagel (Hrsg.) Desinformation aufdecken und bekämpfen (2020), jeweils m.w.N; im Allgemeinen Uhle (Hrsg.) Information und Einflussnahme – Gefährdungen der Offenheit des demokratischen Willensbildungsprozesses (2018). 14 Dies gilt jedenfalls für das juristische Verständnis. Die Sozialmoral wertet anders. 15 Zur damit verbundenen Forderung nach „Identitätspolitik“ Hilgendorf JZ 2021 853. 16 Binding Lehrbuch I 137. 17 Hirsch S. 55, 57. 18 Binding Lehrbuch I 136. Hilgendorf
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nicht vorhandener Unehre“, sondern „als Ehrenmann“ behandeln. Nicht Minderung der Ehre macht aus dieser Perspektive das Wesen der Beleidigung aus, „sondern der Versuch, Ehre in Unehre zu verkehren“. Angriffsobjekt ist die „Achtungswürdigkeit“, denn „Ehre erzeugt einen Rechtsanspruch auf Achtung ihres Daseins“.19 Im Prinzip nicht anders äußert sich Hirsch: „Bei der Ehre geht es um den (nur) negativ quantifizierbaren Status, ohne Mängel an personalem Geltungswert zu sein“.20 „Die Ehre betrifft lediglich … den spezifischen Wertstatus des Fehlens geltungswertmindernder Umstände. Ehre haben heißt: frei sein von personalen Geltungswertmängeln. Aus diesem Aspekt der Person fließt der Anspruch, jede unverdiente Äußerung, dass der Geltungswert gemindert sei, zu unterlassen“.21 Angriffsobjekt der Beleidigung ist der verdiente Achtungsanspruch.22 Achtung kann nur nach dem Maß vorhandener Ehre gefordert werden.23 Der in der vorstehenden Rdn. skizzierte traditionelle Ansatz lässt sich aus einer stärker sozi- 6 alwissenschaftlich orientierten Perspektive ergänzen: Vorstellungen von „Ehre“ finden sich so gut wie in allen Gesellschaften.24 „Ehre“ meint dabei den Anspruch auf Respekt innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft, den man sich als Mitglied dieser Gemeinschaft nicht nur, aber vor allem durch die Einhaltung bestimmter Verhaltensstandards erworben hat. Die Standards unterscheiden sich je nach der sie tragenden Gemeinschaft, sie sind mithin zeit- und kulturabhängig. So unterscheiden sich etwa mediterrane Ehrvorstellungen nicht unerheblich von denen Nordeuropas.25 Die einen „Ehrenkodex“ bestimmenden Verhaltensstandards sind nicht zwingend identisch mit den jeweiligen moralischen, rechtlichen oder religiösen Standards; „die Ehre“ kann etwas anderes gebieten als die Moral oder das Recht, wie etwa die Geschichte des Duells zeigt.26 In der modernen pluralisierten Gesellschaft treffen ganz unterschiedliche Ehrvorstellungen aufeinander. Zudem konkurrieren sie mit moralischen, religiösen und den rechtlichen Vorgaben, die sie verstärken, denen sie aber auch widersprechen können. Die darin angelegten Unsicherheiten übertragen sich auf die Frage, was als Verletzung der Ehre und u.U. strafwürdige Beleidigung zu gelten hat. Was die Ehre der einen Person verletzt, kann für die andere als ehrenhaft und sogar moralisch geboten erscheinen. Unter der Geltung des Grundgesetzes ist nur der „Anspruch auf minimale Achtung“, die Respektierung des Anderen als Mitmensch, dem Meinungsstreit im Grundsatz entzogen, wobei auch hier zu klären ist, was als Verletzung dieses basalen Achtungsanspruches, also was als (in einem engen Sinne des Wortes) „menschenverachtendes“ Verhalten zu gelten hat. Der Gesetzgeber und in noch höherem Maße die Gerichte stehen vor der Aufgabe, den damit angedeuteten Problemen unter Berücksichtigung der sich derzeit rasch wandelnden gesellschaftlichen Wirklichkeit gerecht zu werden.
3. Normativer und faktischer Ehrbegriff Die Terminologie „normativer vs. faktischer Ehrbegriff“ ist missverständlich: Alle Rechtsbegriffe 7 beruhen auf wertungsgeleiteten Definitionen, also Festsetzungen des sprachlichen Sinns eines Begriffs, und sind insofern „normativ“. Um der Unterscheidung von „normativem“ und „faktischem“ Ehrbegriff einen Sinn zu geben, ist darauf abzustellen, wie Inhalt und Umfang der geschützten Ehre ermittelt werden sollen: Rein normative Ehrtheorien stützen sich ausschließlich auf die Auslegung einer Norm (hier: die Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG), während fakti19 20 21 22 23 24 25 26 585
Binding Lehrbuch I 141. Hirsch S. 72. Hirsch S. 59. Hirsch S. 29. Hirsch ZStW 90 (1978) 978, 982. Vogt/Zingerle S. 9: Ehre als „Universalie des gesellschaftlichen Lebens“. Vogt/Zingerle/Giordano S. 172 ff. Speitkamp Geschichte der Ehre (2010). Hilgendorf
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Vorbemerkungen
sche Ehrtheorien auf empirisch überprüfbare Sachverhalte wie den guten Ruf oder die Selbsteinschätzung des Betroffenen abstellen. Diese idealtypische Unterscheidung wird aber weder von den Vertretern der normativen Ehrtheorien noch von denen der faktischen Ehrtheorien durchgehalten: Der Ehrenschutz betrifft nur einen Aspekt der Menschenwürde, den Anspruch auf (minimale) Achtung.27 doch gehen die von §§ 185 ff sanktionierten Achtungsansprüche teilweise deutlich über das hinaus, was sich aus der Menschenwürde in einem nicht bloß assoziativ verstandenen Sinn des Wortes herleiten lässt. Deshalb ist es auch für Vertreter normativer Ehrtheorien nicht ausreichend, sich ausschließlich auf eine Interpretation von Art. 1 Abs. 1 GG zu stützen. 8 Die §§ 185 ff selbst sind im Hinblick auf Inhalt und Umfang der geschützten Ehre kaum ergiebig. Deshalb sind auch die Vertreter der normativen Theorien in erheblichem Maße gezwungen, zur Bestimmung von „Ehre“ auf nicht-normative Quellen zu rekurrieren. Die Vertreter der faktischen Ehrtheorien dagegen müssen aus der Vielzahl empirisch vorfindbarer Ehransprüche die strafrechtlich schutzwürdigen auswählen, wobei den (normativen) Vorgaben des Grundgesetzes, vor allem Art. 1 Abs. 1 GG, besondere Bedeutung zukommt. Außerdem wird auch nach Ansicht der Vertreter „faktischer“ Ehrtheorien nur die „verdiente“ Ehre geschützt (vgl. unten Rdn. 10). Im Ergebnis führt das dazu, dass der Unterschied zwischen „normativen“ und „faktischen“ Ansätzen zur Bestimmung von „Ehre“ weitaus geringer ist, als oft angenommen wird. 9 Für die dem normativen Ehrbegriff zugrunde liegende Theorie28 ist das Rechtsgut der Beleidigungstatbestände der dem Menschen auf Grund seiner Personwürde zukommende Geltungswert, die sog. „innere“ Ehre, ein Wert, der nicht steigerungsfähig ist, aber durch Ehrmängel gemindert werden kann. Ein vollständiger Verlust von Ehre ist allerdings ebenso wenig möglich wie ein Verlust von Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG. Angriffsobjekt beleidigender Erklärungen ist der aus der inneren Ehre abgeleitete, in seinem Umfang vom Maß der vorhandenen Ehre abhängige, verdiente Achtungsanspruch. Eine Beleidigung ist eine lokutionäre (sprachliche) oder illokutionäre (in Form einer Tätigkeit zum Ausdruck kommende) Äußerung, die den verdienten Achtungsanspruch verletzt: eine Kundgabe von Nichtachtung, Geringschätzung oder Missachtung.29 Oglakcioglu hat kürzlich das gesamte Gebiet strafbarer Äußerungen einer fundierten Analyse unterzogen und dabei die sprachakttheoretische Perspektive in den Mittelpunkt gestellt.30 10 Die sog. faktischen Ehrtheorien werden in ihren monistischen Fassungen kaum mehr vertreten. In ihrer dualistischen Ausformung besagen sie: Die Ehre besteht zum einen aus dem Ruf, der Wertschätzung (Geltung) im Urteil der Mitmenschen, dem gesellschaftlichen Ansehen – sog. „äußere“ oder „objektivierte Ehre“ –, und zum anderen aus dem Ehrgefühl. Nach Hirsch31, der sich auf Liepmann32 bezieht, handelt es sich dabei „um die (inaktuelle ebenso wie aktuelle) Vorstellung vom eigenen ehrrelevanten Wert, die Selbsteinschätzung und ihre Verknüpfung mit dem seelischen Bereich“ – sog. „subjektive Ehre“ als Gegenstand der gegenüber dem Betroffenen selbst begangenen Beleidigung.33 Diese landläufige Darstellung bedarf allerdings der Ergänzung. Nach maßgebenden Vertretern der Theorie des „doppelgesichtigen Rechtsguts“34 sind
27 Dazu Hilgendorf JRE 7 137, 148 f. 28 Vgl. dazu Engisch FS Lange 401, 412 ff; Hirsch S. 3, 29 f, 50; Otto FS Schwinge 73, 76 ff; Tenckhoff S. 35 ff, 181; ders. JuS 1988 199, 201 ff.
29 Das ist die auch in der Rechtsprechung – losgelöst von der Frage des Ehrbegriffs – gebrauchte Formel, vgl. die Nachweise in § 185 Rdn. 1. 30 Oglakcioglu Strafbare Äußerungen, S. 16 ff und passim. 31 Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 14 Anm. 2. 32 VDB Bd. IV (1906) 228, 239 ff, 246. 33 Engisch FS Lange 406 ff; Liepmann VDB Bd. IV (1906) 228, 245; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1; Tenkkhoff S. 54 ff. 34 Vgl. Maurach BT § 17 III A. Hilgendorf
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Ruf und „das Gefühl der eigenen Geltung“35 nur Reflexe, Wirkungen der Ehre.36 Gleichwohl wird ihnen die Funktion des Schutzobjekts eingeräumt, die ihnen jedoch ohne normative Begrenzung keinesfalls zuerkannt werden darf: Der Lump kann den Ruf eines Ehrenmannes haben, eine Verbrecherclique kann weit über den Kreis der Genossen hinaus in hohem Ansehen stehen, das Ehrgefühl ist unentrinnbar den „Techniken des Selbstbetrugs“37 ausgesetzt. Es wird aber dem Empfinden des Betroffenen nur insoweit rechtliche Bedeutung beigemessen, als er „begründete Achtung vor sich selbst“ haben darf; der gute Ruf findet „nur dort“ Verteidigung, „wo er es verdient“.38 Damit wird auch für die faktische Ehrtheorie die Frage entscheidend, wie der personale Geltungswert (die „innere Ehre“) zu umschreiben und die Kategorie der Geltungsmängel zu bestimmen ist. Auf diese Gesichtspunkte kommt es letzten Endes auch für die sog. normativ-faktische 11 Ehrauffassung an, die wie folgt differenziert: Die „innere Ehre“ (korrekter: der verdiente Achtungsanspruch) ist das Angriffsobjekt der einfachen Beleidigung (§ 185), weil nur ihr Tatbestand verwirklicht wird, wenn ehrenrührige Tatsachenbehauptungen lediglich gegenüber dem Betroffenen abgegeben werden oder die Missachtung nicht in Tatsachenbehauptungen geäußert wird. Der gute Ruf ist Gegenstand der üblen Nachrede und der Verleumdung. Aber die Einsicht, dass man nicht die tatsächliche Geltung in der Meinung anderer schützen, die Ehre nicht „zu einer bloßen Ehrattrappe veräußerlichen“ kann,39 hat längst dazu geführt, dass auch der „faktische“ Bestandteil des normativ-faktischen Ehrbegriffs eine wertbestimmende Begrenzung erfährt: Jedermann kann nur verlangen, dass er (auch was den guten Ruf betrifft) entsprechend seiner inneren Ehre behandelt werde. Dieser „normativ-faktische“ Ehrbegriff wird, mit unterschiedlichen Gewichtungen im Detail, seit langem von der Rechtsprechung vertreten.40 In der Leitentscheidung BGHSt 11 67, 70 f heißt es: „Angriffsobjekt der Beleidigung ist die dem Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommende innere Ehre, außerdem seine darauf beruhende Geltung, sein guter Ruf innerhalb der mitmenschlichen Gesellschaft. Wesentliche Grundlage der inneren Ehre und damit Kern der Ehrenhaftigkeit des Menschen ist die ihm unverlierbar von Geburt an zuteil gewordene Personenwürde, zu deren Unantastbarkeit sich das Grundgesetz der Bundesrepublik in Artikel 1 bekennt und deren Achtung und Schutz es ausdrücklich aller staatlichen Gewalt zur Pflicht macht. Aus der inneren Ehre fließt der durch § 185 StGB strafbewehrte Rechtsanspruch eines jeden, dass weder seine innere Ehre noch sein guter äußerer Ruf geringschätzig beurteilt oder gar völlig missachtet, dass er vielmehr entsprechend seiner inneren Ehre behandelt werde.“ Der Rechtsprechung wurde attestiert, sie nähere sich in neuen Entscheidungen dem rein „normativen“ Ehrverständnis an.41 In der Tat lässt sich (auch infolge der Unschärfe der zugrunde gelegten Terminologie, vgl. oben Rdn. 7) schon die Leitentscheidung BGHSt 11 67 als „normativ“ einstufen.42 Wichtiger ist, dass die Rechtsprechung die Ehre dualistisch konzipiert: sie umfasst zum einen den aus der Menschenwürde abzuleitenden Achtungsanspruch, zum anderen den (verdienten) „guten Ruf“ jedes Menschen, der nicht verletzt werden darf. Positiv gewendet, geht es in beiden Fällen um das Erfordernis eines Minimums an zwischenmenschlicher Anerkennung und Respekt.
35 36 37 38
Liepmann VDB Bd. IV (1906) 228. Graf zu Dohna DStR 8 35; Liepmann VDB Bd. IV (1906) 228. Allport Persönlichkeit2 S. 173. Graf zu Dohna DStR 8 36 f; vgl. auch Liepmann VDB Bd. IV (1906) 240, 245 f und Maurach BT § 17 I 3b: Der Richter, nicht der Verletzte entscheidet darüber, ob eine Äußerung den subjektiven Geltungsanspruch verletzt. 39 Hirsch S. 17. 40 BGHSt 1 288, 289; 11 67, 70 f; 36 145, 150; OLG Düsseldorf NJW 1989 3030; NJW 2001 3562, 3563; vgl. auch BVerfGE 75 369; Fischer Rdn. 3. 41 Zaczyk NK Rdn. 7. 42 Ignor Beleidigung, S. 95. 587
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Vorbemerkungen
Die Ideen- und Rechtsgeschichte von „Respekt“ und „Ehre“ reicht bis in die Antike zurück.43 Lässt man die verschiedenen Konzeptualisierungen von „Ehre“ und ihrer Verletzung Revue passieren, so lassen sich folgende Grundunterscheidungen feststellen:44 1. „Ehre“ kann a) statisch als feste Zuschreibung aufgrund von angeborenen Merkmalen oder der Zugehörigkeit zu einer Gruppe (einem Stand) aufgefasst werden, oder b) dynamisch als Ergebnis von Handlungen eines Subjekts, welches die normativen Erwartungen seiner Gruppe (seines Stands) in mehr oder minder hohem Maße erfüllen kann und dementsprechend „honoriert“ wird; 2. „Ehre“ setzt sich entweder a) aus äußeren Qualitäten wie Reputation, erhaltene Ehrungen usw. zusammen, oder bildet sich b) auf der Grundlage innerer Qualitäten (Einstellungen, Haltung), die von der Gruppe als „ehrenhaft“ bewertet werden. 3. „Ehre“ besteht in einer Auffassung vom eigenen Wert („Selbstwertauffassung“), die entweder a) von der Bewertung des Subjektverhaltens durch die Gruppe anhängt, oder b) ausschließlich „der im Gewissen verankerten Moralität der Person entspringt.“ 4. „Ehre“ kann a) gruppenspezifisch gedeutet werden und bezieht sich dann auf die „Lebensformen“ bestimmter Personenkreise, oder sie wird b) als Ausdruck einer allen Menschen in gleicher Weise zukommenden Menschenwürde verstanden. Die juristischen Konzeptualisierungen lassen sich nach diesen Unterscheidungen deuten, wobei in der Gegenwart vor allem die Kombinationen 1b (dynamisches Ehrverständnis, faktischer Ehrbegriff) in Kombination mit 4b (basale Ehre als Ausdruck von Menschenwürde, normativer Ehrbegriff) betont werden.
4. Personaler und sozialer Geltungswert, Ehrmängel 13 Eine moderne Version der Theorie des sozialen Geltungsanspruchs begreift die Ehre aus der Besonderheit des Menschen, dessen Konstitution „eigentlich ein Sich-Konstituieren“ sei.45 Ehre als „das die Selbständigkeit der Person ermöglichende Anerkennungsverhältnis“46 soll bewirken, dass jeder mit anderen Gemeinschaft haben kann, indem er als Person respektiert wird und ihm „in bestimmtem Rahmen Möglichkeiten gesichert werden, sich in der Gesellschaft personal zu entfalten“. Schutz für die Ehre gewähre das Recht dadurch, dass es den Anspruch der Person, als Person geachtet und nach ihren auf die Gemeinschaft bezogenen Werken eingeschätzt zu werden, sanktioniere.47 In diesen Werken manifestiere sich das wahre „Wesen“ der Person. Sie müsse deshalb auch in ihnen gewürdigt werden.48 Infolgedessen sei Wertmaßstab nicht nur der Personenwert, sondern auch das individuelle Verhalten der Person unter sozialethischen Gesichtspunkten. Dieser Wertmaßstab führe zu unterschiedlichen sozialen Geltungsansprüchen. Die Missachtung des verdienten sozialen Geltungsanspruchs sei Ehrverletzung. Sie stelle der Sache nach „eine Verletzung jenes Anerkennungsverhältnisses dar, das zugleich die Selbständigkeit und Verbundenheit des einzelnen in der Rechtsgesellschaft garantiere“. Mit der Sanktionierung des sozialen Geltungsanspruchs schütze das Recht die Möglichkeit menschlichen Zusammenlebens. Das Fundament einer Gesellschaft werde erschüttert, wenn dieser Schutz nicht mehr gewährleistet sei.49 Die Rechtsprechung hat den sozialen Wert als Aspekt der Ehre ebenfalls stets anerkannt. Sie spricht vom „sozialen Achtungsanspruch“ auch in Fällen, in denen „der Anspruch der Person, als Person geachtet zu werden“,50 nicht respektiert worden
43 Zunkel Ehre, Reputation (1989); zur Entwicklung in der Neuzeit Speitkamp Ohrfeige, Duell und Ehrenmord (2010); speziell zur Rechtsgeschichte Regge/Pegel MK Rn. 2. 44 Vogt/Zingerle S. 17. 45 Wolff ZStW 81 (1969) 896, ihm folgend und ihn weiterentwickelnd Zaczyk NK Rdn. 1. 46 Wolff ZStW 81 (1969) 901. 47 Otto FS Schwinge 81 f. 48 Otto FS Schwinge 78. 49 Otto FS Schwinge 80 ff; ders. NJW 1986 1206, 1210. 50 Otto FS Schwinge 82. Hilgendorf
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ist. Auch in der Literatur werden der soziale Geltungswert und der daraus abgeleitete soziale Geltungsanspruch weitgehend anerkannt.51 Auch für den personalen Ehrbegriff (die Theorie des personalen Geltungswerts) ist das 14 (nicht nur geringfügige) Versagen bei einer sozialen Aufgabe oder in einer sozialen Rolle für die Ehre von Bedeutung, wenn darin eine negative und vorwerfbare Qualität (Eigenschaft, Eigenart), Einstellung oder Motivation (Rücksichtslosigkeit, Schlamperei, Bestechlichkeit, Inhumanität, Parteilichkeit, Pfuscherei) zum Ausdruck kommt. Auch für diesen Begriff ist die mangelnde Eignung für eine soziale Rolle (oder Aufgabe) ein den personalen Geltungswert mindernder Mangel, wenn sie vorwerfbar ist, weil die Rolle (wie der Rollenträger erkannte oder erkennen konnte) trotz mangelnder Qualifikation übernommen oder beibehalten wurde oder weil nicht alles geschah, was hätte geschehen können, um den Rollenerwartungen gerecht zu werden. Ein sich auf den sozialen Wert beziehender Vorwurf ist also nicht stets, aber doch dann herabsetzend, wenn dem Ehrträger zu Unrecht nachgesagt wird, er habe gegen eine rollen(aufgaben-)spezifische Pflicht verstoßen, die nicht nur Bagatellcharakter hat. Der Verdacht schuldhaften Verhaltens wird mit den auf eine Pflichtwidrigkeit hindeutenden Fakten oder mit der ein vorwerfbares Handeln (Unterlassen) indizierenden Wertung konkludent erklärt.52 Wer den Betroffenen von einem Vorwurf freistellt, wird nicht versäumen, es zu sagen. Es ergibt sich also für die Theorien des personalen und des sozialen Geltungswerts eine Kongruenz der Ergebnisse in dem in der Praxis besonders wichtigen Bereich des nach ethischen Maßstäben bewerteten Verhaltens. Diese Maßstäbe sollen der Individual- und der Sozialethik und der allgemeinen „sittlichen 15 Ordnung“53 entnommen werden. Dabei ist einzuräumen, dass jenseits des Rechts, das einen wesentlichen Teil des sozialethischen Normenkomplexes abbildet, die Frage nach der geltenden Moral allenfalls für einen schmalen Kernbereich eindeutig beantwortet werden kann. Ein die Ehre berührender Tadel trifft eine Person nur, wenn sie die aus der Situation erwachsende Aufforderung zur tätigen Stellungnahme vorwerfbar nicht aufnimmt, sich bewusst der Situation, die ihren Einsatz gebietet, entzieht oder im Rahmen der Situationsbewältigung schuldhaft falsch handelt und der Pflichtverstoß nicht nur Bagatellcharakter hat. Nach allen in Betracht kommenden ethischen Maßstäben geht es um den einzelnen Menschen und das ihm Vorwerfbare.54 In der pluralisierten Gesellschaft ist allerdings zu beachten, dass die jeweiligen für die Ehre einer Person relevanten Verhaltensstandards je nach der Bezugsgruppe unterschiedlich sein können (siehe oben Rdn. 1, 6, 12). Für die Theorien des sozialen und des personalen Geltungswerts ergibt sich also eine weit- 16 gehende Kongruenz der Ergebnisse für das nach ethischen Maßstäben (Rdn. 15) bewertete Verhalten (Rdn. 14): Äußerungen, in denen dem Betroffenen unverdientermaßen nachgesagt wird, er habe in einer sozialen Rolle oder als ein in einer Situation (Lebenslage) Geforderter schuldhaft nicht so gehandelt, wie Recht oder Sozialmoral es gebieten, oder Äußerungen, in denen zu Unrecht behauptet wird, er habe sich vorwerfbar eine soziale Rolle, eine soziale Funktion oder eine soziale Aufgabe angemaßt, für die er sich nicht eignet, richten sich gegen die Ehre, wenn der nachgesagte Pflichtenverstoß soviel Gewicht hat, dass er die Integrität des Gemeinten in Frage stellt. Die sich aus ethischer Bewertung ergebenden, nicht nur geringfügigen und vorwerfbaren Pflichtenverstöße im gesamten sozialen Feld (insbesondere im beruflichen und politischen Bereich und innerhalb institutionalisierter Beziehungen) bilden nach jeder der beiden Theorien Geltungs-(Ehr-)mängel.55 Dagegen beleidigt nicht, wer einem anderen zu Unrecht (po51 In Auswahl und ohne die in Rdn. 12 und 13 bereits Genannten: BGHSt 6 186, 190 f; BGH NStZ 1986 453, 454; NStZ 1988 69; RGRspr. 1 28, 29; RG GA Bd. 38 (1890) 434, 435; JW 1932 1742 Nr. 22 m. Anm. Engelhard; HRR 1933 348; DR 1943 189; Geppert Jura 1983 532; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1. 52 Hirsch S. 80. 53 Hirsch S. 54, 74. Der Ausdruck erscheint heute fragwürdig. 54 AA Otto FS Schwinge 77 ff. 55 Vgl. Hirsch S. 78 ff. 589
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Vorbemerkungen
litische, wissenschaftliche, caritative oder andere für die Gemeinschaft nützliche) Verdienste abspricht, die zwar für sein gesellschaftliches Prestige, für sein Selbstwertgefühl oder für die Chance weiterer Entfaltung nicht gleichgültig sind, aber seine Integrität nicht berühren. „Eine große Ehre nicht haben, heißt nicht Unehre haben“.56 17 Die Theorie des personalen Geltungswerts begnügt sich allerdings nicht mit der Gleichung „Geltungsmangel = vorwerfbare, die moralische Integrität tangierende Pflichtverletzung“. Nach Ansicht maßgebender Vertreter dieser Theorie gibt es personale Mängel per se, unabhängig von sozialen Bezügen, wenn auch nicht unabhängig von den Wertungen unseres Kulturkreises. Es handelt sich um elementare menschliche Unzulänglichkeiten. In den alltäglichen Beleidigungen, den – wie Köstlin treffend formuliert hat – „gangbaren Münzen der Verachtung“,57 also in Schimpfworten wie „Trottel“, „Idiot“, „blöde Tussi“, „Schlampe“, „Esel“, „dummer Hund“, werden Minderungen des personalen Geltungswerts durch elementare Unzulänglichkeiten zum Ausdruck gebracht.58 18 Die Theorie des personalen Geltungswerts lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Die Ehre, die jedermann zukommt, kann durch andere nicht gemindert werden. Jedermann ist in ihrem Vollbesitz, es sei denn, dass er sie durch nicht nur geringfügige Verstöße gegen ethische oder rechtliche Pflichten selbst geschmälert hat. „In ihrem Kernbereich lässt sich Ehre als Ausdruck der jedem Menschen zukommenden, auch durch „unehrenhaftes“ Verhalten des Betroffenen selbst nicht zu schmälernden Menschenwürde verstehen („Recht auf minimale Achtung“)“. In dem Maß, in dem Ehre vorhanden ist, haben die Mitmenschen sie zu respektieren. Beleidigendes Handeln kommt in Betracht, wenn sie in herabsetzenden Äußerungen den verdienten Achtungsanspruch verletzen.“59 19 Die Diskussion um den Ehrbegriff wurde in jüngerer Zeit wesentlich bereichert durch Amelung, der in seiner Schrift „Die Ehre als Kommunikationsvoraussetzung“ (2002) unter deutlicher Abgrenzung zum „normativen“ Ehrbegriff für ein „wirklichkeitshaltigeres“, funktional orientiertes Ehrverständnis plädiert, in dessen Mittelpunkt die Kommunikationsfähigkeit steht. Ehre ist für ihn „die Fähigkeit eines Menschen, sich so zu verhalten, dass er den normativen Erwartungen gerecht wird, denen er gerecht werden muss, um als ebenbürtiger Partner von Kommunikationen akzeptiert zu werden“.60 Ehrenmängel werden nach dieser Konzeption durch Defizite gebildet, die Kommunikation erschweren oder verhindern, z.B. durch die Missachtung ethischer Normen oder intellektuelle oder physische Defizite.61 Die Diskussion dieser originellen, prägnant formulierten Theorie steht noch am Beginn. Kritische Einwände könnten sich aus der Schwierigkeit ergeben, Ehre von dem bloßen Vorspiegeln ehrenhafter Gesinnung zu unterscheiden: Die „Fähigkeit“ zu kommunikationserleichterndem Verhalten besitzen gerade (nach traditionellem Verständnis „unehrenhafte“) Betrüger und Blender in hohem Maße. Die scharfe Trennung von Menschenwürde und Ehre und der alleinige Rekurs auf Kommunikationsfähigkeit führen dazu, dass Behinderte eine verringerte Ehre besitzen sollen,62 Koma-Patienten und andere Kommunikationsunfähige gar keine (wohl aber Menschenwürde63). Diese Ergebnisse sind nur schwer mit dem herkömmlichen Verständnis von „Ehre“ in Recht und Gesellschaft zu vereinba-
56 Binding Lehrbuch I 145. 57 Das Zitat findet sich bei Liepmann VDB Bd. IV (1906) 277. 58 Jüngere Musterbeispiele grober Beleidigungen finden sich bei BGH NJW-RR 2016 1136 f und in der Fehlentscheidung LG Berlin MMR 2019 754 mit zutr. abl. Anm. Hufen JuS 2019 1130, 1131; Ihwas FD-StrafR 2019, 421509 („Fall Künast“; tlw. Selbstkorrektur durch LG Berlin BeckRS 2020 239); stets ist allerdings der Äußerungskontext zu berücksichtigen (kein Angriff auf den Achtungsanspruch daher durch die Bezeichnung als „Parkplatzschwein“, wenn dies allein als Kritik an rücksichtslosem Parkverhalten zu verstehen ist, s. AG Rostock NJW 2013 799, 800). 59 Herdegen LK10 Vorbem. 17. 60 Amelung S. 23. 61 Amelung S. 22. 62 Amelung S. 50. 63 Amelung S. 53. Hilgendorf
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ren, so dass die Gefahr besteht, das sich die Strafrechtsdogmatik zu weit von den gesellschaftlichen Basiswertungen entfernt.64
5. Rückbindung des Ehrenschutzes an gesellschaftliche Interessen Zu Recht wurde in jüngerer Zeit darauf hingewiesen, dass die Kontroverse um den Ehrbegriff 20 nicht nur an den unterschiedlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Ansätzen der Theorien leidet, sondern auch an einer außerordentlich uneinheitlichen Terminologie.65 Um wieder festen Grund zu gewinnen, können folgende Überlegungen hilfreich sein: Strafrecht dient dem Schutz bestimmter individueller und gesellschaftlicher Interessen. Derartige Interessen sind zunächst vorrechtlicher Natur. Greift die Rechtsordnung sie auf und stellt sie unter rechtlichen Schutz, so werden die vorrechtlichen Interessen zu Rechtsgütern. Dieser Begründungszusammenhang gilt auch für die Ehrdelikte. Die Ansprüche auf Achtung, die dem Einzelnen nach den Maßstäben der Sozialmoral und der unterschiedlichen Gruppenmoralen zugebilligt werden, sind vielfältig und miteinander nicht selten unvereinbar. Das gilt gerade in einer pluralistischen, durch gruppenspezifischen Wertewandel und Immigration gekennzeichneten Gesellschaft. Aus dem weiten Spektrum der gesellschaftlichen Ehrkonzepte greift die Rechtsordnung bestimmte Vorstellungen heraus und stellt sie unter ihren Schutz. Das deutsche Beleidigungsstrafrecht zeichnet sich dadurch aus, dass sein Schutzbereich durch die Tatbestandsumschreibungen der §§ 185 ff nur sehr ungenau festgelegt ist. Dies ist damit zu erklären, dass der Gesetzgeber des Jahres 1871 noch von relativ homogenen gesellschaftlichen Ehrvorstellungen ausgehen konnte. Heute hat sich die Situation gründlich gewandelt. Es ist deshalb erforderlich, mit Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit den Schutzbereich genauer zu bestimmen. Dies kann nicht allein durch (echte oder vermeintliche) begriffliche Deduktionen aus Leitwerten wie der „Menschenwürde“ geschehen, sondern es bedarf der empirischen Herausarbeitung der verschiedenen Ehrvorstellungen, der Klärung ihrer Implikationen und schließlich der Entscheidung über Umfang und Reichweite des strafrechtlichen Schutzes in diesem heiklen, von tiefgreifenden weltanschaulichen und kulturellen Differenzen durchzogenen Bereich. Die Definition der strafrechtlich zu schützenden Ehre steht zunächst unter den Vorgaben 21 des Grundgesetzes, insbesondere des grundrechtlichen Schutzes der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Entnimmt man der Menschenwürde ein Recht auf „minimale Achtung“ (vgl. oben Rdn. 6), so ergibt sich ein Kernbereich der auch strafrechtlich zu schützenden Ehre, der als personaler Geltungswert bezeichnet werden kann. Dieser Kernbereich ist vor allem dann betroffen, wenn ein anderer Mensch als prinzipiell minderwertig ausgegrenzt und verächtlich gemacht wird. Dieser personale Geltungswert ist, den Vorgaben des Grundgesetzes entsprechend, nach dem hier vertretenen Ansatz bei allen Menschen gleich. Dagegen ist der Begriff des sozialen Geltungswerts wesentlich weiter. Er beruht auf der jeweils herrschenden Sozialmoral und ist deshalb historisch wie gesellschaftlich wandelbar. Ihm entsprechen jene Ansprüche auf soziale Achtung, die im gesellschaftlichen Miteinander als Voraussetzung für ein Leben in der Gemeinschaft gefordert werden. Nicht alle derartigen Achtungsansprüche werden mit den Mitteln des Strafrechts geschützt. Besonders deutlich wird dies bei den Regeln einfacher Höflichkeit, deren Verletzung nicht rechtlich, sondern bloß gesellschaftlich sanktioniert wird. Auch die besonderen Ehrvorstellungen bestimmter kultureller oder ethnischer Gruppen, z.B. von in Deutschland lebenden, aber nach wie vor traditionalistisch orientierten Türken, sind nicht ohne
64 Dies gilt auch für den Versuch von Jakobs, Ehre mit informeller Sozialkontrolle und der Garantie zutreffender Information in Verbindung zu bringen (FS Jescheck I 627). Ehre ist nach Jakobs die „zugunsten einer Person angebrachte Zurechnung als verdienstlich“ (FS Jescheck I 639). Ablehnend auch Rogall SK Rdn. 28; Zaczyk NK Rdn. 6, beide m.w.N. 65 Regge/Pegel MK Rdn. 17. 591
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Weiteres strafrechtlich geschützt.66 Die Zuordnung zum strafrechtlich relevanten Bereich kann davon abhängig gemacht werden, welche Regeln der Achtung als unverzichtbar und welche Verletzungshandlungen demgemäß als unerträglich erscheinen. Maßstab ist auch hier die vorherrschende Sozialmoral, die freilich durch eine reichhaltige, inzwischen weit über einhundert Jahre zurückreichende Judikatur ergänzt und gestützt wird. Der damit umrissene realwissenschaftlich orientierte Ansatz kombiniert die Lehren vom personalen und vom sozialen Geltungswert und führt im Ergebnis zu einem Ehrverständnis, wie es auch von der Rechtsprechung vertreten wird. Man kann diese Konzeption als dualistisch oder auch „normativ-faktisch“ kennzeichnen (vgl. die Nachweise oben Rdn. 11). 22 Im Zusammenhang mit der eben skizzierten dualistischen Ehrkonzeption werden zwei Sonderprobleme diskutiert. (1.) In der Literatur wird vertreten, eine sich aus der Menschenwürde herleitende Ehre sei gar nicht verletzbar,67 so dass die Legitimität des Beleidigungsstrafrechts überhaupt in Frage gestellt wäre, wenn man mit der Rechtsprechung des BGH Ehrenschutz und Menschenwürde miteinander verknüpft. Dieser Kritik, die erst recht für rein normative Ehrkonzeptionen gilt, kann Folgendes entgegengehalten werden: Genauso wie die Menschenwürde selbst verletzt werden kann,68 kann auch die Ehre als ein Teilaspekt der Menschenwürde und des Persönlichkeitsschutzes verletzt werden. Es ist verfehlt, die (hier gegebene) Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung mit der (bei der Menschenwürde nicht gegebenen) Möglichkeit eines Rechtsgutsentzugs zu konfundieren.69 Die Folter nimmt dem Opfer nicht seine Würde, aber verletzt sie.70 Ebenso nimmt die Beleidigung dem Opfer nicht seine Ehre, aber verletzt sie. Das Missverständnis rührt wohl daher, dass man Menschenwürde und Ehre lediglich als Werte konzipiert und die daraus herleitbaren (und unzweifelhaft einer Verletzung fähigen) Rechte bzw. Ansprüche z.B. auf Achtung vernachlässigt. Das Problem lässt sich vermeiden, wenn man die Menschenwürde von vornherein als Ensemble subjektiver Rechte konzipiert, von denen eines das Recht auf (minimale) Achtung ist (vgl. oben Rdn. 6). (2.) Ein zweiter Vorwurf, der dem dualistischen Ehrverständnis der Rechtsprechung gemacht wird, geht dahin, es würden darin zwei (heterogene) Rechtsgüter zu Unrecht zusammengeführt.71 Nach der hier entwickelten Konzeption ist die Ehre, verstanden als Recht auf Achtung, durchaus ein einheitliches Rechtsgut, das sich allerdings aus zwei Quellen speist: zum einem aus dem minimalen Achtungsanspruch, den jeder Mensch kraft seiner Personwürde besitzt, und zum anderen aus jenen Ansprüchen auf Achtung, die gesellschaftlich als unverzichtbar eingestuft werden (oben Rdn. 21). Die Bedeutung der verschiedenen Theorien zu Inhalt und Herleitung von strafrechtlich ge23 schützter Ehre sollte nicht überschätzt werden, zumal sich die Theorien in ihren Ergebnissen sehr ähneln.72 Ein Grund hierfür ist, dass sämtliche bisher vorgebrachten Ehrbegriffe es dem Rechtsanwender in hohem Maße gestatten, das eigene Rechtsgefühl und rechtspolitische Vorverständnis zur Geltung zu bringen. Die Wertungsoffenheit des Beleidigungsstrafrechts und sein enger Bezug zur (sich wandelnden) Sozialmoral sind nicht nur wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes im Strafrecht problematisch, sondern auch mit Blick auf die fehlende Vorhersagbarkeit und Nachprüfbarkeit der Judikatur. Die reichhaltige Kasuistik vermag nur in Grenzen Abhilfe zu schaffen, da auch sie selbst im Lichte der sich wandelnden Ehrvorstellungen kontinuierlich neu bewertet wird. Die Herausarbeitung eines modernen, präzis formulierten und sozialwissenschaftlich informierten Konzepts des strafrechtlichen Ehrenschutzes bleibt daher ein Desiderat der rechtswissenschaftlichen Arbeit. 66 67 68 69 70 71 72
Eingehend zum Ganzen Valerius S. 116 ff. Gössel/Dölling § 29 Rdn. 13; Wolff ZStW 81 (1969) 889 f; Zaczyk NK Rdn. 5. Vgl. nur die Übersicht einschlägiger Fälle bei Kunig/Kotzur inv. Münch/Kunig GG Art. 1 Rdn. 53. So aber Gössel/Dölling § 29 Rdn. 13. AA offenbar Gössel/Dölling § 29 Rdn. 13. Gössel/Dölling § 29 Rdn. 6. Fischer Rdn. 2; vgl. auch Rengier BT 2 § 28 Rdn. 3: Auswirkungen der Kontroverse seien „nicht immer leicht auszumachen“. Hilgendorf
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II. Die Träger der Ehre
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II. Die Träger der Ehre 1. Der einzelne Mensch Jeder Mensch hat kraft seines Personseins personale Würde und Ehre als einen Aspekt dieser 24 Würde (Rdn. 2). Infolgedessen sind alle lebenden Menschen beleidigungsfähig, auch Kinder und psychisch Kranke.73 Kinder besitzen Personalität und Geltungswert entsprechend ihrer Altersstufe. Wer einem Kind etwas zumutet, ansinnt, vorwirft, was für ein Kind kein ihm anzulastendes pflichtwidriges Verhalten darstellt, beleidigt es noch nicht.74 Auch derjenige beleidigt ein Kind nicht, der es in ein von Dritten nicht wahrgenommenes Geschehen einbezieht, dessen Sinn es nicht versteht.75 Wer im Vollbesitz seiner Ehre psychisch krank wird, kann in seinem durch die Krankheit geschmälerten, aber auch in seinem für die Vergangenheit fortbestehenden ungeschmälerten Achtungsanspruch verletzt werden.76 Sexualbezogene Handlungen gegen Kinder und psychisch Kranke erfüllen nicht ohne Weiteres (auch) den Tatbestand der Beleidigung. Er wird vielmehr in aller Regel nicht verwirklicht, weil der Täter entweder einen Geltungsmangel nicht behauptet oder dem Opfer das Verständnis für das Geschehen fehlt. Diese Betrachtungsweise kann zu einer Strafbarkeitslücke bei sexualbezogenen Handlungen führen (vgl. § 184h). „Der Typus des Sexualdelikts ist etwas anderes als Ehrverletzung“.77 Zur Frage, ob der Verstorbene noch Ehre hat, vgl. die Anmerkungen zu § 189. Tiere sind nicht beleidigungsfähig.78 Aus § 194 Abs. 3 und Abs. 4 ist zu folgern, dass in den Ehrenschutz Behörden, sonstige Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, Behörden von Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts sowie politische Körperschaften einbezogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gegen einzelne Mitglieder, ja sogar die gegen alle Mitglieder gerichtete Beleidigung, nicht ohne Weiteres eine Beleidigung der Behörde oder der Körperschaft ist und dass andererseits der Tatbestand der Behörden- oder Körperschaftsbeleidigung das Betroffensein eines jeden Mitglieds nicht erfordert.79
2. Personengemeinschaften Die Frage, ob auch Personengemeinschaften beleidigt werden können, gehört zu den umstrit- 25 tensten des Beleidigungsrechts. In RGSt 70 140 ff gab das Reichsgericht seine restriktive Ansicht auf und bejahte die Beleidigungsfähigkeit von „Personenmehrheiten, die das Recht anerkennt und die mit staatlicher Billigung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu dienen bestimmt sind“. Der Bundesgerichtshof ist noch einen Schritt weitergegangen. In BGHSt 6 186 ff hat er ausgesprochen, jede Personengemeinschaft, die eine rechtlich anerkannte soziale Funktion erfüllt und einen einheitlichen Willen bilden kann, genieße ohne Rücksicht auf ihren rechtlichen Status Ehrenschutz. Inzwischen ist dieser Schutz z.B. einer „Bank als Kapitalgesellschaft“80, der „Mannheimer Polizei“81, einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft82 und
73 BGHSt 1 288; 7 129, 132; 23 3; RGSt 10 372; 27 368; 67 110; 70 246; 73 116 und 249; 75 179; RG JW 1935 526 Nr. 27; Fischer Rdn. 8; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Regge/Pegel MK Rdn. 42, 44. Rogall SK Rdn. 33. AA wohl RGSt 60 34. Welzel S. 305. Graf zu Dohna DStR 8 41; vgl. auch Hirsch S. 61 ff. Hilgendorf Erwägen, Wissen, Ethik 2008 456, 463. RGSt 4 45; 7 285; 7 382; 7 404; 41 170; 47 63; RG JW 1913 943 und JW 1914 369. OLG Köln NJW 1979 1723. OLG Frankfurt NJW 1977 1353; vgl. auch BGH StV 1982 222: Die Entscheidung verneint eine Beleidigung der Nürnberger Polizei aus tatsächlichen, nicht aus rechtlichen Gründen. 82 BayObLG StV 1982 576.
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einem katholischen Erzbistum83 und einem Klinikum84 zuteil geworden. Das Echo auf diese Rechtsprechung ist sehr unterschiedlich.85 Gegen die passive Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften lässt sich vorbringen, dass die von der Rechtsprechung angegebenen Voraussetzungen für die Zuerkennung von „Kollektivehre“ kaum eindeutige Ergebnisse zulassen. Die Fähigkeit, einen einheitlichen Willen zu bilden, kann – in der einen oder anderen Form – jede Personengruppierung haben, auch eine Skatrunde, ein Kegelclub oder ein Gesangsverein. Das Erfordernis der „rechtlich anerkannten Funktion“ eliminiert, was sich ohnehin versteht: Kollektivgebilde, die vom Recht missbilligte Zwecke verfolgen.86 Die Formeln der Judikatur lassen die Tatbestandsgrenzen weitgehend offen. Sie werden den Anforderungen kaum gerecht, die an die Bestimmtheit der Verbotsmaterie zu stellen sind. Ein weiterer Einwand wird aus dem Ehrbegriff selbst gewonnen. Für die Theorie des personalen Geltungswerts (vgl. Rdn. 2, 14) ist die Ehre Attribut des Menschen und Aspekt der Personwürde. Die „Kollektivehre“ ist eine Erscheinung anderer Art. Sie steht in funktionellem Zusammenhang mit (geschäftlichem) Ansehen, (Firmen-)Ruf, lauterem Wettbewerb, Abwehr von Diskreditierung. Infolgedessen geht es um eine (in § 194 Abs. 3 und Abs. 4 nicht gelöste, nicht einmal aufgeworfene) Frage nach dem Ob und dem Inwieweit einer Gleichstellung.87 Für die Theorie des sozialen Geltungswerts (Rdn. 13 ff) ergeben sich dagegen vom Ehrbegriff 26 her keine prinzipiellen Bedenken gegen eine Parallelisierung von Individuum und Personengemeinschaft. Allerdings sind die Einzelheiten auch bei Vertretern dieser Theorie nicht unumstritten.88 Die zivilrechtliche Judikatur, die Handelsgesellschaften (Kapital- und Personengesellschaften), rechtsfähigen und nichtrechtsfähigen Vereinen (Gewerkschaften, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften) Kollektivehre zubilligt,89 kann im Rahmen des geltenden Strafrechts nicht ohne Weiteres rezipiert werden. In dieser Judikatur wird ein Ansehen, Ruf und soziale Geltung, Kreditwürdigkeit und Entfaltungsmöglichkeit umfassender Ehrbegriff zugrunde gelegt.90 27 Nach dem hier vertretenen Ansatz, der mit der Rechtsprechung personalen und sozialen Geltungswert kombiniert, ist die Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften anzuerkennen. Derartige Gemeinschaften sind zwar als solche nicht Träger von (individueller) Würde, wohl aber können sie schutzwürdiges soziales Ansehen genießen, dessen vorsätzliche Verletzung strafrechtlich sanktionierbar ist. Der Gesetzgeber hat diese Möglichkeit in § 194 Abs. 3 und Abs. 4 gesetzlich festgeschrieben.91 Voraussetzung ist, dass die Personengemeinschaft eine anerkannte soziale Funktion erfüllt, einen einheitlichen Willen bilden kann und in ihrer Existenz nicht vom Wechsel ihrer Mitglieder abhängt (h.M.92). Die Rechtsprechung dehnt den Schutz von Personengemeinschaften allerdings teilweise bedenklich weit aus: z.B. auf die Bundeswehr93 83 BGH [Z] NJW 2006 601, 602. 84 BVerfG NJW 2006 3771. 85 Zustimmung äußern z.B. Bruns NJW 1955 689; Geppert Jura 1983 537; ders. Jura 2005 244, 245; Sch/Schröder/ Eisele/Schittenhelm Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; zu den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen BVerfG NJW 2006 3769, 3771. Vorbehalte hat z.B. Arzt JuS 1982 718. Ablehnend z.B. Fischer Rdn. 12a; Hirsch S. 113 ff; Kaufmann ZStW 72 (1960) 423 ff; Kett-Straub ZStW 120 (2008) 759, 776 ff; Krug S. 203 ff; Rogall SK Rdn. 36; Wagner JuS 1978 675 f; Welzel S. 306; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 425; Zaczyk NK Rdn. 12. 86 Hirsch S. 106. 87 Vgl. Hirsch S. 119 ff. 88 Vgl. Frank II 4; Liepmann VDB Bd. IV (1906) 350 ff. 89 Vgl. BGHZ 78 24, 26: Ehrenschutz, soweit der „soziale Geltungsanspruch“ einer Kommanditgesellschaft in ihrem Aufgabenbereich betroffen wird; BGHZ 78 274, 278; BGH NJW 1971 1655; NJW 1974 1762; OLG Stuttgart NJW 1976 628: Ehrenschutz, soweit der Geschäftszweck ihn erfordert. 90 Vgl. insbesondere BGHZ 78 24, 26; OLG Stuttgart NJW 1976 630. 91 BVerfGE 93 266, 291; NJW 2000 3421; krit. Fischer Rdn. 14. 92 Vgl. nur Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5. 93 BGHSt 36 88 mit Anm. Arzt JZ 1989 1367; OLG Frankfurt NJW 1989 1367; zu Recht krit. Giehring StV 1992 194; zusf. Dau NJW 1988 2650. Hilgendorf
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II. Die Träger der Ehre
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und auf Parteien und ihre Untergliederungen.94 Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 425 sprechen von „Rechtsfortbildung in malam partem“. Dagegen wurde die Beleidigungsfähigkeit der Polizei im Ganzen abgelehnt.95
3. Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung Von der „Kollektivbeleidigung“ (Rdn. 25 ff) hebt sich die Beleidigung unter einer Kollektivbe- 28 zeichnung dadurch ab, dass sie nicht die „Ehre“ einer Personenmehrheit angreift, sondern sich gegen die individuelle Ehre (eines Einzelnen, mehrerer oder vieler) richtet.96 Die Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung wirft stets die Frage auf, wer alles von der Äußerung des Täters betroffen wird. Sie stellt sich nicht, wenn der Täter verbaliter ein Kollektivurteil fällt, das sich nach den situativen Umständen seiner Erklärung oder nach dem Kontext eindeutig nur auf eine bestimmte Person (oder mehrere bestimmte Personen) bezieht.97 Sieht man von dieser Fallgestaltung ab, dann tritt die Beleidigung unter einer Sammelbezeichnung in folgenden zwei Formen in Erscheinung. Für jede gilt: Eine Art kollektiver Verbundenheit mehrerer Betroffener wird nicht hergestellt. Jeder von ihnen kann nur Strafantrag für sich selbst stellen, weil die Tat sich (auch) gegen ihn persönlich richtet. a) Die erste Fallgruppe zeichnet sich dadurch aus, dass der Täter seine Äußerung dem Wort- 29 laut nach zwar auf einen Einzelnen oder mehrere Einzelne bezieht, jedoch den oder die Gemeinten nicht individuell benennt, sondern nur eine Eigenschaft angibt, die eine weitere Konkretisierung nicht ermöglicht: die Zugehörigkeit zu einem Kollektivgebilde (z.B. einer Behörde, einem Gericht, einem Spruchkörper, einem Regierungsorgan, einer Firmenleitung). Er spricht z.B. von „einem Bundesminister“, von „einer Person der Chefetage“. Weil die Bezeichnung, die der Täter gebraucht, auf alle zutrifft, die dem Kollektivgebilde angehören, werden sie alle von der Äußerung betroffen.98 Der Täter braucht die breite Streuung seiner beleidigenden Äußerung nicht zu beabsichtigen. Es genügt, dass er damit rechnet.99 Für die Verwirklichung des äußeren Tatbestands gibt es jedoch eine nicht übersteigbare Schranke: Die Sammelbezeichnung muss einen verhältnismäßig kleinen, in Bezug auf die Individualität seiner Mitglieder ohne Weiteres deutlich überschaubaren Personenkreis umfassen. Richtet sich eine Verdächtigung gegen einen Einzelnen (oder gegen mehrere Einzelne) aus einem großen Personenkreis, dann verliert sie sich in der Vielzahl derer, die ihm angehören.100 Für das herabsetzende Werturteil gilt nichts anderes. b) In die zweite Fallgruppe gehören beleidigende Äußerungen, in denen der Täter eine Be- 30 grenzung auf einen Einzelnen oder auf mehrere Einzelne nicht vornimmt. Er fällt ein Kollektivurteil und bezieht verbaliter alle ein, die der von ihm genannten Personengruppe angehören. Ob „von Rechts wegen“ alle gemeint sind, hängt nicht nur vom Wortlaut der Äußerung ab. Die kollektive Bezeichnung muss einen Personenkreis erfassen, der sich deutlich aus der Allgemeinheit heraushebt. Wer alles ihm zuzurechnen ist, darf nicht zweifelhaft sein. Aber diese in der Rechtsprechung101 und in der Literatur102 verwendeten Formulierungen sind sehr vage.103 Sie 94 95 96 97 98
OLG Düsseldorf MDR 1979 692. BayObLG NJW 1990 1742; OLG Düsseldorf StraFo 2003 316. Rengier BT 2 § 28 Rdn. 13. Vgl. Geppert Jura 1983 540; ders. Jura 2005 244, 246; Liepmann VDB Bd. IV (1906) 348. Vgl. die Fallgestaltungen, die Gegenstand der Entscheidungen BGHSt 14 48, 19 235 und RGSt 23 246, 52 159 waren. 99 BGHSt 14 48, 50; 19 235, 236. 100 BGHSt 19 235, 238; KG JR 1978 423; OLG Düsseldorf MDR 1981 868; Geppert Jura 1983 539; ders. Jura 2005 244, 246; Rogall SK Rdn. 39; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 7b; vgl. dazu auch BVerfG NJW 2006 3769, 3771. 101 BGHSt 2 38, 39; 11 207, 208; RGSt 68 120, 124; KG JR 1978 423. 102 Vgl. Geppert Jura 1983 538; Rogall SK Rdn. 40. 103 Arzt JuS 1982 719; Geppert Jura 1983 538. 595
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Vorbemerkungen
hindern nicht, dass die Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung zur Beleidigung einer nicht überschaubaren Personengruppe wird, ohne dass die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen einer „Kollektivbeleidigung“ (vgl. Rdn. 25, 27) Beachtung finden. Diese Ausuferung ist nicht leicht zu durchschauen, weil das Strafantragsrecht den zum Kollektivgebilde gehörenden Einzelnen verbleibt, sie als Beleidigte fungieren. Folgende Überlegungen sind der zuweilen zu weit gehenden Rechtsprechung104 entgegenzusetzen: Kollektivurteile (es mag sich um Tatsachenbehauptungen oder Wertungen handeln) übertreiben und stereotypisieren. Eine pauschale Verdächtigung oder Herabsetzung ist ein Durchschnittsurteil, eine Verallgemeinerung, bei welcher die individuelle Ausnahme stets miterklärt ist, wenn die Kollektivbezeichnung eine nicht überschaubare Personenmenge umfasst und infolgedessen eine konkrete Beziehung der Nachrede oder des Werturteils des Täters auf bestimmte Personen und nur auf sie nicht erkennbar ist. Modernes Musterbeispiel, nicht nur aus den Fankurven der Republik105: „A.C.A.B“ („All Cops Are Bastards“). Es erübrigt sich, dass der Täter ausdrücklich sagt, er mache Ausnahmen,106 weil seine Äußerung ohnehin nicht anders zu verstehen ist. Er bezieht sich auf ein Abstraktum. Es bleibt offen, wer von denen, die diesem Abstraktum möglicherweise zugeordnet werden können, zu den „Schafen“ und wer zu den „Böcken“ gehört. Infolgedessen ist grundsätzlich (s. aber Rdn. 31) keiner von ihnen beleidigt.107 Die gegenteilige Auffassung besagt: Wenn der Täter nicht ausdrücklich erklärt, dass er nicht 31 alle meine, auf welche die Kollektivbezeichnung zutrifft, folge aus der Unmöglichkeit der Abgrenzung, dass die beleidigende Äußerung auf jeden bezogen werden kann, auf den die Bezeichnung passt.108 Es wird also ein Formerfordernis aufgestellt und von seiner Beachtung die dem Täter günstige Auslegung abhängig gemacht. Aber im Strafrecht muss der Grundsatz gelten: „Dubia in meliorem partem interpretari debent.“ („Zweifel sind zugunsten [des Angeklagten] auszulegen“) Das nur auf ein Abstraktum sich beziehende Pauschalurteil klassifiziert nicht, jedenfalls nicht erschöpfend, sondern gibt dem Zweifel Raum, was dem Täter zum Vorteil gereichen muss. Eine umfassende Klassifikation nimmt er lediglich dann vor, wenn seine Etikettierung die Beziehung seiner Äußerung auf bestimmte Personen und nur auf sie erkennbar macht. Das wird nur dort der Fall sein, wo die Kollektivbezeichnung eine kleine, überschaubare Personenmehrheit umschreibt. Es zeigt sich eine bis zur Kongruenz gehende strukturelle Nähe der beiden Fallgruppen der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung:109 Die Frage der Individualisierbarkeit (der erkennbaren Beziehung der Äußerung des Täters auf bestimmte Personen) ist in beiden Gruppen von ausschlaggebender Bedeutung. Deshalb begeht – mit dem Bundesverfassungsgericht und gegen Tendenzen in der obergerichtlichen Rechtsprechung – keine Beleidigung, wer auf T-Shirt oder Plakat den Ausspruch „A.C.A.B“ anbringt und sich dann in ein Fußballstadion, auf eine Demonstration oder in sonstiger Weise in eine Situation begibt, in der er vorhersehbar auf einzelne Polizisten trifft.110 In diesem Zusammenhang kann auch der 104 Vgl. insbesondere BGHSt 11 207; BGHZ 75 160; RGRspr. 1 292; RG JW 1932 3113 Nr. 67; s. aber auch Fn. 110 zur heute restriktiveren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, teilweise indes gegen Tendenzen der Oberlandesgerichte. 105 Ollech NStZ-RR 2016 278; eingehend Windhöfel GS Tröndle 1000. 106 AA BayObLG NJW 1953 554, 555. 107 BayObLG NJW 1953 554, 555; BayObLGSt 1958 34, 35; Liepmann VDB Bd. IV (1906) 349; Wagner JuS 1978 678; Welzel S. 308. 108 Bockelmann NJW 1953 554, 555 unter Berufung auf RGRspr. 1 292; RGSt 33 46; 45 138. 109 Arzt JuS 1982 719; aA OLG Düsseldorf MDR 1981 868. 110 BVerfG NJW 2015 2022 f mit zust. Anm. Muckel JA 2015 797 gegen OLG Celle Beschl. v. 11.3.2014 – 31 Ss 14/14 für das Tragen eines Ansteckers mit der Aufschrift „FCK CPS“; NJW 2016, 2643 mit zust. Anm. Ollech NStZ-RR 2016 278 f gegen OLG Karlsruhe BeckRS 2014 11644 für das Hochhalten eines Transparents im Stadion; NJW 2017 1092 mit Anm. Hufen JuS 2017 898 gegen OLG München Beschl. v. 8.6.2016 – 5 OLG 13 Ss 210/16 zum Aufnäher „A.C.A.B.“ auf einer Weste; NJW 2017 2607 mit Anm. Muckel JA 2017 876 (mit „A. C. A. B.“ bedruckter Stoffbeutel); Jahn JuS 2016 751, 753 f; Zöller ZJS 2013 102, 105 ff; wohl eher aA für Fußballstadion und Demonstration, nicht aber den öffentlichen Raum im Übrigen Kretschmer JR 2015 442, 445; eingehend zum Ganzen Windhöfel GS Tröndle 1000. Hilgendorf
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II. Die Träger der Ehre
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Umstand Bedeutung erlangen, dass der Betroffene vom Täter selbst individualisiert werden muss und die Personalisierung der Aussage nicht von denen vorgenommen werden kann, die sich beleidigt fühlen. Der notwendige Personenbezug ist deshalb auch dann noch nicht hergestellt, wenn der Äußernde von einem Mitglied des betroffenen Kollektivs (erfolglos) dazu aufgefordert wird, die kritische Plakatierung zu verdecken.111 Anderes kann gelten, wenn sich der Täter bewusst in die Nähe einzelner Gruppenangehöriger begibt und sich ihnen gegenüber aus den besonderen Umständen des Falls eine erkennbare personale Zuordnung des Ausspruchs ergibt.112 Zum subjektiven Tatbestand ist noch zu bemerken: Der Täter braucht zwar die Personen, auf die seine Äußerung sich bezieht, weder zu kennen noch sie sich vorzustellen.113 Er muss aber wollen oder doch damit rechnen,114 dass seine Behauptung oder herabsetzende Wertung (auch) auf diejenigen Personen bezogen wird, auf die sie nach den für den objektiven Tatbestand geltenden Maßstäben zu beziehen ist.115 Das kann auch eine Person oder eine bestimmte Anzahl von Personen sein, wenn der Täter sie durch Zusätze zur (im Übrigen abstrakten) Kollektivbezeichnung individualisiert hat.116 Die Rechtsprechung hat in vielen Fällen, wie schon angedeutet (Rdn. 30 f), der Eigenart des 32 Pauschal-(Durchschnitts-)urteils und dem Erfordernis, dass die beleidigende Äußerung eine erkennbare Beziehung auf bestimmte Personen aufweisen muss, nicht Rechnung getragen. Sie hat eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung z.B. bejaht bei herabsetzenden Äußerungen über „das Richtertum Preußens“117, über „die Großgrundbesitzer der Provinz Ostpreußen“118, über „die deutschen Ärzte“119, über „die in Deutschland lebenden Juden, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen waren“120, über „die Beamten der Schutz- und Kriminalpolizei“121, über „die Spitze der Großbanken“122. In einigen dieser Entscheidungen hält die Judikatur nur noch scheinbar daran fest, dass die Beleidigung ein gegen den Einzelnen gerichtetes Delikt ist. Die Kritik an ihr123 ist berechtigt. Die Möglichkeit einer sicheren Zuordnung zu der vom Täter genannten Personenmehrheit ist von der Rechtsprechung z.B. verneint worden bei herabsetzenden Äußerungen über „die an der Entnazifizierung Beteiligten“124, über „die Akademiker“, über „die Protestanten“125, über Justizangehörige („Robenknechte in Moabit und Tegel“126). Diesen Entscheidungen ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen.
111 BVerfG NJW 2017 2607. 112 BVerfG NJW 2017 1092; NJW 2017 2607 mit Anm. Muckel JA 2017 876, wo eine hinreichende Konkretisierung der angesprochenen Personengruppe darauf gestützt wurde, dass der Täter den Feststellungen des Tatgerichts zufolge einen mit „A. C. A. B.“ bedruckten Stoffbeutel „ostentativ“ und „nachgerade paradierend“ vor Polizeikräften „zur Schau stellte“; OLG Stuttgart NStZ-RR 2009 50, wo sich der notwendige Personenbezug durch eine Äußerung der Buchstabenkombination in Verbindung mit einem Fingerzeig auf den Betroffenen ergab. 113 RG JW 1928 806 Nr. 26. 114 Welzel S. 68. 115 Vgl. BGHSt 14 48, 50; RGSt 68 120, 123. 116 Vgl. BayObLGSt 1958 34, 36. 117 RGRspr. 1 292. 118 RGSt 33 46. 119 RG JW 1932 3113 Nr. 67; vgl. nunmehr aber OLG Karlsruhe [Z] NJW-RR 2007 1342, 1343. 120 BGHSt 11 207, 208; vgl. auch BGHSt 13 32, 38; 16 49, 57; 17 28, 35; 32 1, 9; BGH NJW 1952 1183, 1184; noch weitergehend BGHZ 75 160 ff. 121 OLG Düsseldorf MDR 1981 868. 122 OLG Hamm DB 1980 1250. 123 Vgl. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 8. 124 BGHSt 2 38, 39. 125 BGHSt 11 207, 209. 126 KG JR 1978 423. 597
Hilgendorf
Vor § 185
Vorbemerkungen
4. Familienehre? 33 Die Beleidigung ist grundsätzlich ein gegen den Einzelnen gerichtetes Delikt. Das folgt daraus, dass die Ehre in ihrem Kernbereich Teil der Personwürde, Attribut des Menschen ist. „Ehrenschutz“, der unter Einbeziehung von Ansehen, sozialer Geltung und anderen Werten Kollektivgebilden zuteil werden soll, kann nur unter besonderen Voraussetzungen gewährt werden (Rdn. 27). Der Gesetzgeber hat bisher eine „Familienehre“ als strafrechtlich geschütztes Rechtsgut nicht anerkannt. Er sollte es auch in der Zukunft nicht tun. Die strafwürdigen Fälle lassen sich als Beleidigungen unter einer Kollektivbezeichnung erfassen.127 Auch der Bundesgerichtshof hat die Beleidigungsfähigkeit der Familie verneint.128 Der erkennende Senat hat später auf Anfrage erklärt, dass er an seiner Auffassung festhalte, weil der Kreis der Familie nicht klar abgrenzbar sei und ihr die einheitliche Willensbildung fehle.129 Es ist also auf Gesichtspunkte abgestellt worden, die auch sonst für die Frage, ob Personengemeinschaften als solche beleidigt werden können, nach der Judikatur von ausschlaggebender Bedeutung sind (Rdn. 25, 27). Die Literatur hat sich nach und nach auf die Seite der Rechtsprechung gestellt, vor allem mit der Erwägung, dass die Familie kein korporativer Verband sei, der als Subjekt mit einheitlicher Willensbildung am sozialen Leben teilnehme.130 Die Kehrseite der „Familienehre“ wäre, das sollte man nicht übersehen, die Familienunehre, eine Art Sippenhaftung.131 Aus Überlegungen, die auf den konkreten Familienzusammenhang abstellen, „der die selbständige Familienehre als eine soziale Wirklichkeit“ erscheinen lasse, wenn er „in fester Organisation eine unerschütterliche Einheit mit ursprünglich bewegender und formender Kraft offenbart“,132 oder die den „existentiellen Charakter“ der Familie betonen,133 lassen sich ebenso wenig brauchbare rechtliche Kriterien gewinnen wie aus der in „völkischer Zeit“ getroffenen Feststellung des Reichsgerichts, dass „der Schimpf, den ein Mitglied erleidet, die Gemeinschaft trifft“.134 Ein Jahr später hat das Gericht allerdings nüchtern bemerkt, dass es eine den Mitgliedern einer Familie als Mehrheit zustehende Familienehre stets abgelehnt habe und dass kein Anlass bestünde, von dieser Judikatur abzuweichen.135 In Teilen der Bevölkerung mit Migrationshintergrund erlebt das Konzept der Familienehre derzeit eine Renaissance, dazu unten Rn. 38.
III. Mittelbare Beleidigung? 34 Eine herabsetzende Äußerung kann nicht nur in Fällen der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung mehrere Personen treffen. Wer einen anderen „Hurensohn“ nennt, beleidigt regelmäßig ihn und seine Mutter und zwar unmittelbar: Ihm wird durch diese Äußerung gesagt, er sei minderwertig. Das Attribut, das der Mutter jedenfalls bei wörtlicher Interpretation der in Frage stehenden Äußerung zuteil wird, bedarf keiner Explikation. Zu prüfen ist aber, ob sich der Vorsatz auch auf eine Beleidigung der Mutter bezieht. Es ist unnötig, in Fallgestaltungen, die dem Beispiel entsprechen, den Begriff der „mittelbaren Beleidigung“ zu verwenden. Auch der Begriff der „indirekten Beleidigung“136 ist irreführend. Sieht man von den sachlichen Bedenken gegen 127 128 129 130
BayObLGSt 1957 201 = MDR 1958 264; Valerius S. 127; Welzel MDR 1951 502. BGH NJW 1951 531 = JZ 1951 520 mit Anm. Mezger = MDR 1951 500 mit Anm. Welzel. BGHSt 6 186, 192. In Auswahl: Fischer Rdn. 11a; Geppert Jura 1983 538; ders. Jura 2005 244, 245; Hirsch S. 98; Rogall SK Rdn. 37; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 4; Welzel S. 306; anders z.B. Kaufmann ZStW 72 (1960) 441; Otto BT § 31 Rdn. 18. 131 Hirsch S. 99. 132 So Schaefer LK8 III 1 der Vorbemerkungen. 133 Kaufmann ZStW 72 (1960) 441. 134 RGSt 70 97. 135 RG JW 1937 1331 Nr. 30. 136 Hirsch S. 65 Anm. 47. Hilgendorf
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III. Mittelbare Beleidigung?
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die Konstruktion zunächst einmal ab, dann kann von „mittelbarer Beleidigung“ dort gesprochen werden, wo ein Geschehen sich zwar zwischen dem Täter und X abspielt, aber sich (auch oder nur) gegen den im „Kundgabeakt“ nicht angesprochenen Y „als Herabsetzung seiner Geltung“137 auswirkt. In praxi ging es vor allem um Fälle des Ehebruchs, um sexualbezogene Handlungen gegenüber und mit einer verheirateten Frau und um Eingriffe in das elterliche Personensorgerecht (oder um Sachverhalte, die als Missachtung dieses Rechts angesehen wurden). Die rechtliche Problematik wird überspielt, wenn in solchen Fällen in Übernahme der Terminologie des Reichsgerichts138 von einer „unmittelbaren“ Beleidigung des unbeteiligten Ehegatten oder des Personensorgeberechtigten die Rede ist. Die Entscheidung BayObLGSt 1957 200 (= MDR 1958 264) spricht in Würdigung eines Sachverhalts, der Modellcharakter hat, ausdrücklich von „mittelbarer Beleidigung“. Sie ist ein Relikt der iniuria mediata, nach welcher der Hausvater (Ehemann) durch „Injuriierung“ seines Kindes oder seiner Ehefrau als in seinen Rechten oder in seinem sozialen Geltungswert (Ansehen) verletzt angesehen wurde.139 In anderen Rechtskulturen finden sich auch heute noch vergleichbare Vorstellungen.140 Die Rechtsprechung sah im Ehebruch früher regelmäßig eine „Ehrenkränkung“ des unbe- 35 teiligten Ehegatten. In praxi ging es um die „Ehre“ des Mannes.141 Man nahm aber an, dass der Ehebruch in § 172 (die Vorschrift ist durch das Erste Strafrechtsreformgesetz vom 25.6.1969 aufgehoben worden) eine spezielle Regelung erfahren habe, die § 185 gewöhnlich verdränge und eine Bestrafung (auch) wegen Beleidigung nur zulasse, wenn sich eine (weitere) Ehrenkränkung des unbeteiligten Ehepartners aus besonderen begleitenden Umständen oder aus Sachverhaltselementen ergab, die zwar mit dem Ehebruch verbunden waren, aber für den Tatbestand keine Rolle spielten.142 Der Ehebruch als solcher konnte nur dann unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Beleidigung verfolgt werden, wenn der „verletzte“ Ehegatte kein Scheidungsrecht erlangt hatte.143 Die Verfolgung war also ausgeschlossen, wenn die Ehe wegen Ehebruchs geschieden wurde oder wenn der unbeteiligte Ehegatte ein Scheidungsrecht hatte und es nicht ausübte.144 Der „Ehrenschutz“ des Ehemannes wurde ausgeweitet. Er wurde als Betroffener bei allen gegenüber und mit der Ehefrau begangenen „unsittlichen“ Handlungen angesehen. Man verstieg sich sogar zu der These, dass nach „deutscher Familienauffassung“ jeder, der die Ehre einer Frau antaste, zugleich die des Ehemannes verletze.145 Das Einverständnis der Ehefrau, ihre „mittäterschaftliche“ Beteiligung störte nicht. Man nahm an, ihr Einverständnis lasse den Tatbestand unberührt und rechtfertige lediglich ihr gegenüber.146 Auch nach 1945 fuhr man, allerdings unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichberechtigung, dort fort, wo das Reichsgericht aufgehört hatte. In der Judikatur147 wurde die Ansicht vertreten, der Ehebruch oder eine sexuelle (sexualbezogene) Handlung beleidige den nicht beteiligten Ehegatten ohne Weiteres oder jedenfalls bei Hinzutreten besonderer Umstände (z.B. bei Ehebruch in dessen ehelicher Wohnung). Dieser Ansicht kann heute nicht mehr zugestimmt werden. Die Zweifel, die schon in Bay- 36 ObLGSt 1962 43 an der Strafbarkeit der Fälle geäußert werden, in welchen der beteiligte Ehegatte mit dem, was geschieht, einverstanden ist, sind nur allzu berechtigt. Aber es geht nicht nur 137 BGHSt 16 58, 60. 138 Vgl. RGSt 70 248; RG JW 1937 1331 Nr. 30; 1939 543 Nr. 9. 139 Hirsch S. 65; Jescheck GA 1956 110; Mommsen Römisches Strafrecht – Nachdruck der Ausgabe von 1899 – S. 786 und 798. 140 Siehe auch unten Rdn. 38. 141 RGSt 65 1; 75 259; BGH NJW 1952 476. 142 Vgl. RGSt 65 2; 75 151; 75 260. 143 Vgl. RGSt 75 260; BayObLGSt 1962 43 = GA 1963 20. 144 RGSt 74 380; BGH NJW 1952 476. 145 RGSt 70 97; 70 175. Durchaus vergleichbare Vorstellungen, bezogen allerdings auf die Ehre der Familie insgesamt, liegen dem Phänomen des „Ehrenmordes“ zugrunde, dazu Rdn. 38. 146 RGSt 70 97; Hirsch S. 68 Anm. 52a. 147 BGH NJW 1952 476; BayObLGSt 1957 200; 1962 41 = GA 1963 20; OLG Zweibrücken NJW 1971 1225. 599
Hilgendorf
Vor § 185
Vorbemerkungen
um Zweifel in solchen Fällen. Wer „die eheliche Gemeinschaft in ihrem Wesensgehalt“ durch sexuelle oder sexualbezogene Handlungen (vgl. § 184h Nr. 1) gegenüber oder mit einer verheirateten Frau (wegen der Überlieferung und zur sprachlichen Vereinfachung wird auf sie abgestellt) „antastet“148, der bekundet durch ein solches „Antasten“ in gar keinem Falle einen Mangel an personalem Geltungswert des Mannes dieser Frau. Er wirft ihm weder die Verletzung einer (sozial-)ethischen Pflicht noch eine elementare menschliche Unzulänglichkeit vor. Es mag sein, dass er „das Wesen der Ehe“ und die ideelle Persönlichkeitssphäre des anderen nicht respektiert oder dass er ihn kränkt (ihm seelischen Schmerz zufügt), aber er beleidigt ihn nicht. Und aus „besonderen Umständen“ kann sich eine Beleidigung nur ergeben, wenn der Ehestörer durch sie einen Mangel an Achtung zum Ausdruck bringt. Das tut er nicht schon deshalb, weil er den ehebrecherischen Akt in der Wohnung des hintergangenen Mannes vollzieht. Er verletzt allenfalls dessen Hausrecht.149 Die besonderen Umstände als solche müssen das Handlungsunrecht der Beleidigung vollständig enthalten. Wer anderer Meinung ist, sollte wenigstens aus der Aufhebung des § 172 die Konsequenzen ziehen: Die Tatsache, dass der Ehebruch nicht mehr mit Strafe bedroht ist, legt die Folgerung nahe, dass eine lückenfüllende Funktion des § 185 (die Vorschrift hat einen höheren Strafrahmen als die aufgehobene Bestimmung) auf dem „Sektor“ des Ehebruchs eine Verkehrung des Willens des Gesetzgebers zur Entpönalisierung bedeutete. Was für den Ehebruch gilt, muss auch für sexuelle Handlungen von „minderer Qualität“ gelten: § 185 kann nicht dazu dienen, durch Ausweitung des Schutzes der Ehre als Eheschutz zu fungieren. Die hier vertretene Auffassung hat sich weitgehend durchgesetzt.150 Zur neueren Rechtsprechung vgl. § 185 Rdn. 32 f. 37 Der elterliche Personensorgeberechtigte sollte insbesondere durch sexuelle (§ 184h Nr. 1) oder sexualbezogene Handlungen, die ein Dritter an bzw. mit seinem Kind vornimmt, beleidigt sein, wenn der Täter „wegen der besonderen Gestaltung der Tatumstände gleichzeitig das Ansehen der Eltern missachtet“ und dem Täter das bewusst ist.151 Eine Beleidigung des Personensorgeberechtigten sollte aber auch in Betracht kommen, wenn der Täter zwar keine „geschlechtsbezogenen“ Handlungen vornimmt, aber in Gegenwart des Personensorgeberechtigten (auf seine Präsenz wird durchaus nicht immer abgestellt) „das Erziehungsrecht missachtet“.152 Es ist in der Judikatur auch die Rede von „Mißachtung des Elternrechts“, des „Erziehungs- und Beaufsichtigungsrechts“,153 des „Erziehungswerks der besorgten Eltern“.154 Das alles ist in der Tat „ganz uferlos“,155 weit über den Rahmen des Beleidigungsrechts hinausgehend,156 „illegitim“157. Eine Verurteilung wegen Beleidigung des elterlichen Personensorgeberechtigten scheidet nicht nur aus subjektiven Gründen aus, weil „ein Täter, der den Erziehungsberechtigten nicht kennt, in aller Regel nicht daran denkt, dass er auch eine Missachtung der Eltern … zum Ausdruck bringt“.158 Sie kommt nicht in Betracht, weil dem Erziehungsberechtigten dadurch,
148 149 150 151
So BayObLGSt 1957 200. AA OLG Zweibrücken NJW 1971 1225. Vgl. Geppert Jura 1983 589; Hirsch S. 66 ff; Rogall SK Rdn. 45; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 185 Rdn. 10. BGHSt 16 58, 60; vgl. auch BGHSt 7 129, 131; BGH NJW 1951 531 = JZ 1951 520 mit Anm. Mezger = MDR 1951 500 mit Anm. Welzel; OLG Hamm NJW 1972 883 mit erfreulich restriktiver Tendenz. 152 BGHSt 16 58, 60; OLG Koblenz NJW 1955 602 Nr. 2. Weitere Judikatur: RGSt 70 248; 74 204; RG JW 1937 1331 Nr. 30; JW 1938 790 Nr. 6; JW 1939 543 Nr. 9; DR 1939 233; BayObLGSt 1957 200 = MDR 1958 264 (die Entscheidung hält den Vater eines 17-jährigen Mädchens für beleidigt, weil die Angeklagte dem Mädchen vorhielt, es „sei schon eingesperrt gewesen und laufe den Amerikanern und Negern nach“. Dieser Äußerung lasse sich der Vorwurf einer Vernachlässigung der Erziehungspflicht des Vaters entnehmen). 153 BGHSt 7 129, 131. 154 BGH NJW 1951 531. 155 Hirsch S. 64. 156 Jescheck GA 1956 110. 157 Welzel MDR 1951 502. 158 BGHSt 16 58, 61. Hilgendorf
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IV. Neue Fragestellungen
Vor § 185
dass ein anderer sich über ein „ausschließliches Recht“159 hinwegsetzt, das „Erziehungswerk in Frage stellt“,160 nichts an personalem Geltungswert abgesprochen wird. Die abweichende Auffassung lässt den Tatbestand der Beleidigung an Stelle eines Tatbestands (der Beeinträchtigung des Personensorgerechts und des elterlichen Erziehungswerks) fungieren, den es nicht gibt. Das Bemühen um eine Restriktion der ausgeuferten Rechtsprechung161 hat zu ihrer Aufgabe geführt. Wo eine echte Strafbarkeitslücke unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Kindes besteht, da mag der Gesetzgeber für Abhilfe sorgen. Für die Kränkung „des berechtigten Selbstgefühls“ des Vaters, dessen achtjähriger Sohn in seiner Gegenwart von der Lehrerin eine Ohrfeige erhält, weil er log,162 genügt es, das Zivilrecht zu bemühen. Die hier in Übereinstimmung mit Hirsch, Jescheck und Welzel vertretene Auffassung ist heute ganz h.M.163
IV. Neue Fragestellungen In den letzten Jahren sind im Zusammenhang mit den Ehrdelikten neue Fragestellungen aufge- 38 taucht. Ein erstes Problem betrifft die neue Heterogenität der Ehrvorstellungen (siehe oben Rdn. 1, 6, 12, 20).164 Wertewandel, Pluralisierung der Gesellschaft und Immigration haben dazu geführt, dass auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland heute ganz unterschiedliche Ehrvorstellungen anzutreffen sind. Während man noch bis in die 1970er Jahre hinein davon ausgehen konnte, über Leitbegriffe wie den „personalen Geltungswert“ eines Menschen jedenfalls hinsichtlich konkret ehrverletzender Handlungen meist relativ rasch Einigkeit zu erzielen, hat sich die Situation heute gründlich gewandelt. Abweichende Ehrvorstellungen lassen sich nicht mehr als „feudale Restvorstellungen“ marginalisieren oder gar als „Verbrecherehre“ usw. a priori abwerten. Vor allem in der türkisch geprägten Bevölkerung Deutschlands finden sich besondere Ehrvorstellungen, die gerade auch von jüngeren Menschen aktiv gelebt und verteidigt werden, im Extremfall bis hin zu „Ehrenmorden“ an denen, die sich diesen Vorstellungen nicht fügen wollten (dies wird bislang vor allem im Kontext der „niedrigen Beweggründe“ bei § 211 diskutiert)165. Es sind jedoch keineswegs alle „fremden“ Ehrvorstellungen negativ zu bewerten nur weil sie mit denen der Mehrheitsgesellschaft nicht übereinstimmen. Ehrvorstellungen können Identität stiften und auch außerhalb der durch sie geprägten Gemeinschaft positive soziale Folgen haben. Ob und inwieweit die Rechtsprechung diese besonderen Ehrvorstellungen berücksichtigen kann, ist noch nicht geklärt.166 Denkbar erscheint einerseits, einen individuellen bzw. gruppenspezifischen Maßstab anzulegen, der im Extremfall sogar einer besonderen „Ehrempfindlichkeit“ Einzelner Rechnung tragen könnte. Andererseits ließe sich unter Rückgriff auf eine (allerdings noch näher zu präzisierende) „Leitkultur“ auch der Versuch unternehmen, die Fiktion einer grundsätzlichen Homogenität der Ehrvorstellungen aufrechtzuerhalten. Diese Fragen sind in der Wissenschaft noch nicht ausreichend diskutiert worden. Nach der hier vertretenen dualistischen Ehrkonzeption ist der von der Menschenwürde geprägte Kerngehalt der Ehre (vgl. oben Rdn. 21) kulturunabhängig und steht in Form des „personalen Geltungswerts“ jedem mit grundsätzlich gleichem Inhalt und in gleichem Umfang zu. Dagegen erlaubt die Figur des primär gesellschaftlich geprägten „sozialen Geltungswerts“, auch Ehrvorstellungen zu berück-
159 160 161 162 163
OLG Koblenz NJW 1955 602 Nr. 2. RG JW 1938 790 Nr. 6, ähnlich RG JW 1939 543 Nr. 9. Vgl. BGHSt 16 58, 60, 62; OLG Hamm NJW 1972 883. OLG Koblenz NJW 1955 602 Nr. 2. Vgl. BayObLGSt 1986 91, 92; Rogall SK Rdn. 44 und 45; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 185 Rdn. 4b, 10; Tenckhoff S. 44. 164 Eingehend auch Valerius S. 116 ff. 165 Vgl. BGH NJW 2006 1008; NStZ 2004 332; NStZ 2002 369; NJW 1995 602; StV 1994 182; NJW 1980 537; zur Thematik Valerius JZ 2008 912; ders. Kultur und Strafrecht S. 60 ff. 166 Vgl. dazu Hilgendorf JZ 2009 139, 141 f; eingehend Valerius S. 116 ff. 601
Hilgendorf
Vor § 185
Vorbemerkungen
sichtigen, die von den Vorstellungen der deutschen Mehrheit abweichen, soweit sie nicht wesentlichen Vorgaben des Grundgesetzes (z.B. Art. 3 GG) zuwiderlaufen (Grundrechtsvorgaben als Minimalmaßstab). Auf diese Weise lässt sich auch Angehörigen fremder Kulturkreise ein angemessener Ehrenschutz gewähren. Äußerungen, die zwischen den Betroffenen (d.h. „Täter“ und „Opfer“) nicht als ehrenrührig gelten, erfüllen nicht den Tatbestand der Beleidigung, auch wenn sie nach den in der Mehrheitsgesellschaft vorherrschenden Ehrvorstellungen beleidigend sind.167 Ein anderer neuartiger Problemkreis, der im Grundsatz alle Beleidigungstatbestände be39 trifft, ist die Beleidigung im Internet. Problematisch ist zunächst der Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts: Wird eine beleidigende Äußerung irgendwo auf der Welt online gestellt, so ist sie im Grundsatz in sämtlichen Staaten, darunter auch in Deutschland, empfangbar. Da § 185 wegen des Zugangserfordernisses168 ein Erfolgsdelikt ist, ist der Erfolgsort (§§ 3, 9 Abs. 1 Var. 3) derartiger Beleidigungsdelikte (auch) Deutschland; zum Erfolgsort eines Telefaxschreibens bei der Verleumdung OLG Jena NStZ 2005 272. Um nicht in jedem Fall deutsches Strafrecht zur Anwendung bringen zu müssen, ist hier zusätzlich eine territoriale Spezifizierung zu fordern, d.h. das Delikt muss einen besonderen Bezug zu Deutschland aufweisen. In Frage kommen etwa die Verwendung der deutschen Sprache oder die Intention des Täters, gerade in Deutschland zu wirken, sofern diese Intention objektiv nachweisbar ist. Bei abstrakten Gefährdungsdelikten wie den §§ 186, 187 gibt es dagegen nach h.M. keinen tatbestandsmäßigen Erfolg im Sinne von § 9 Abs. 1 Var. 3, so dass zur Tatortbestimmung allein auf den Handlungsort abzustellen ist. Näher zum Ganzen Hilgendorf NJW 1997 1873; Hilgendorf/Kusche/Valerius Computerund Internetstrafrecht (2022) § 2 Rdn. 1; Busching MMR 2015 295; Kudlich/Berberich NStZ 2019 633. 40 Ein verwandtes Problem stellt sich mit Blick auf die Legitimation staatlicher Strafe, wenn der Täter von einem Land aus gehandelt hat, in dem entsprechende Publikationen erlaubt sind. Besonders virulent wird dieses Problem bei der (in Deutschland nach h.M. beleidigenden) Leugnung der nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Juden. Hier wird teilweise die deutsche Jurisdiktion von vornherein verneint,169 doch wird man richtigerweise auch hier deutsches Strafrecht zur Anwendung bringen können, sofern die Tat einen besonderen Bezug zu Deutschland aufweist.170 Gerade bei den Beleidigungsdelikten im Internet ist allerdings die Möglichkeit eines Verbotsirrtums besonders sorgfältig zu prüfen.171 Sonderprobleme stellen sich auch bei Fragen der dogmatischen Einordnung und der Subsumtion der verschiedenen Formen von Online-Kommunikation unter die Tatbestandsmerkmale der Beleidigungsdelikte. Darauf wird an gegebener Stelle eingegangen; näher Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht (2022) § 3 Rdn. 147 ff.172 41 Schließlich weist die Begehung von Ehrdelikten im Internet auch aus kriminologischer Perspektive einige Besonderheiten auf:173 Zwischenmenschliche Kommunikation hat sich – wie sich am Siegeszug von Facebook, Instagram, Twitter und Co. zeigt – in erheblichem Ausmaß vom 167 168 169 170
S. dazu auch Valerius S. 132 ff. Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 444. Kubiciel/Winter ZStW 113 (2001) 305, 327. Zu weitgehend allerdings BGHSt 46 224; vgl. aber auch BGH NStZ 2015 81 und bereits Hilgendorf ZStW 113 (2001) 650 sowie Busching MMR 2015 295; Kudlich/Berberich NStZ 2019 633. 171 Valerius NStZ 2003 345. 172 Zu kränkenden Äußerungen in Chat-Räumen, E-Mails in geschlossenen Benutzergruppen und bei anderen besonderen Kommunikationsformen des Internets außerdem Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 7 Rdn. 29 f; zur Ehrverletzung durch eine eBay-Bewertung AG Koblenz MMR 2004 638 mit zust. Anm. Ernst; NJW-RR 2006 1643, 1644 f; zum zivilrechtlichen Rechtsschutz gegen Bewertungen bei Internetauktionshäusern Dörre/Kochmann ZUM 2007 30; Hoeren CR 2005 498; Petershagen NJW 2008 953. Zur Zulässigkeit der Beschlagnahme in Folge ehrverletzender Beiträge in Internetforen Chr. Weber/Meckbach NStZ 2006 492, 493 ff. 173 Ähnlich zum Folgenden bereits Hilgendorf ZIS 2010 208; s. auch Beck MMR 2009 736; Krischker JA 2013 488, 489. Hilgendorf
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IV. Neue Fragestellungen
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persönlichen Gespräch in den digitalen Raum verlagert. Schon weil sich Diskussionsteilnehmer im World Wide Web nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und oftmals anonym agieren, verroht der Umgangston dort nur allzu leicht. Hinzu tritt, dass die Funktionslogiken großer sozialer Netzwerke oftmals nicht auf der Vermittlung von Wahrheiten, sondern Spontaneität, Emotionalisierung und Reichweitenmaximierung beruhen. Das schafft ein streitfreudiges Klima und senkt jedenfalls faktisch Hemmschwellen. Umgekehrt beeinträchtigen Beleidigungen im Internet den Betroffenen oftmals besonders hart. Ein mündlicher Ausspruch ist regelmäßig nur für einen begrenzten Personenkreis wahrnehmbar und verhallt umgehend. Im Internet liegen die Dinge schon im Grundfall umgekehrt:174 Ein „Post“ ist grundsätzlich dauerhaft und jedenfalls potentiell weltweit abrufbar – der Empfängerkreis also unbegrenzt. Mit einem Klick auf den „Like“- oder „Teilen“-Button ist eine ehrverletzende Äußerung dann sehr schnell auch durch den ursprünglichen Erklärungsempfänger weitergetragen und erschließt sich einem womöglich völlig neuen Adressatenkreis.175 Die Intensität der Rechtsgutsbeeinträchtigung einer im digitalen Raum begangenen Beleidigung kann jene in der analogen Welt in vielen Fällen also deutlich übersteigen. Über die besondere Betroffenheit des Einzelnen hinaus kann die sekundenschnelle Verbreitung von Informationen rund um den Globus auch den öffentlichen Diskurs massiv beeinträchtigen – sei es, weil Falschinformationen mangels Qualitätskontrolle ungefiltert ins Netz gelangen bzw. mit der Weiterverbreitung einer Information zumindest ihr Kontext aus dem Blickfeld gerät (Schlagwort: „Fake News“), oder, weil zB aufgrund unterschiedlicher kultureller Hintergründe (s. Rdn. 38) für den Einen zulässige Religionskritik ist, was nach Auffassung des Anderen eine tiefgreifende Ehrverletzung darstellt.176 Das letzte Jahrzehnt hat gezeigt, dass die Verrohung des Diskurses nicht auf der geistigen Wirkebene verbleiben muss, sondern sich in schwersten Straftaten gegen hochrangige Individualrechts- und Gemeinschaftsgüter niederschlagen kann. Verschärft wird die Problematik dadurch, dass insbesondere der Ehrenschutz im Dienste des Staates Tätiger in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhebliche Einschränkungen hinnehmen musste.177 Nach alledem ist es zu begrüßen, dass die Debatten um die Besonderheiten einer ehrverlet- 42 zenden Publikation im Internet178 jüngst vom Gesetzgeber aufgegriffen wurden.179 Neu ist des Weiteren der § 126a (Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten).180 Soweit heute auch eine Neukriminalisierung der Verbreitung von Fake News in Rede steht, stellt sich die Frage nach dem zu schützenden Rechtsgut (Rdn. 3).181 Ein schlüssiges Gesamtkonzept dürfte außerdem erfordern, auch die geltende Providerhaftung einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.182 Das Beleidigungsstrafrecht ist derzeit weiterhin einem bemerkenswerten Veränderungs- 43 druck ausgesetzt. Dabei wirken vier Faktoren zusammen: 1. Die Migrationsbewegungen der letz174 Hilgendorf ZIS 2010 208, 211 f. 175 Zur Funktion von „Like“- und „Teilen“-Button bei Facebook Krischker JA 2013 488, 489; Schulte/Kanz ZJS 2013 24 f.
176 S. bereits Hilgendorf ZIS 2010 208, 211 f. 177 Dazu § 193 Rdn. 6f, 15, 25. 178 Für einen Qualifikationstatbestand bereits Hilgendorf Erwägen Wissen Ethik 2008 403, 409 f; Beck MMR 2009 736, 738 ff; für eine Nutzung der Regelbeispielsmethode Krischker JA 2013 488, 490, 493; jedenfalls die Gefahren des Tatmittels Internets betonend auch Zaczyk NK Rdn. 22a; dagegen Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1a. Siehe ferner Sahl/Bielzer ZRP 2020 2, 4; zum Phänomen „Hate Speech“ Apostel KriPoZ 2019 287. 179 Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.3.2021 (BGBl. I S. 441), in Kraft getreten am 3.4.2021; vgl. auch den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 19/18470 sowie den Diskussionsentwurf des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz für ein Gesetz zur nachdrücklichen strafrechtlichen Bekämpfung der Hassrede und anderer besonders verwerflicher Formen der Beleidigung. Dazu Engländer NStZ 2021 385; Krause DRiZ 2021 236; Reinbacher NK 2020 186. 180 BGBl. I S. 4250. 181 Dazu etwa Schünemann GA 2019 620. 182 Dazu etwa Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht (2022) § 2 Rdn. 52 ff. 603
Hilgendorf
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Vorbemerkungen
ten Jahrzehnte haben dazu geführt, dass nicht wenige Bürgerinnen und Bürger heute ein Ehrverständnis besitzen, welches von dem der Mehrheitsgesellschaft abweicht. Zum einen werden der „Ehre“ und ihrem Schutz insgesamt eine hohe Bedeutung zugemessen, zum anderen werden bestimmte Facetten des Ehrenschutzes, zum Beispiel die Erforderlichkeit des Schutzes einer „Familienehre“, anders bewertet. Es sollte auf der Hand liegen, dass derartige Vorstellungen in einer Demokratie nicht ohne Weiteres vernachlässigt oder pauschal als irrelevant eingestuft werden dürfen. 2. Das Internet und insbesondere die sozialen Netzwerke ermöglichen immer neue Formen der Schmähung, Hetze und Beleidigung. Die Gesetzesänderung des Jahres 2021 erfasst nur einige davon. Eine neue Form massiver und möglicherweise strafwürdiger Respektlosigkeiten bilden gefälschte Audio- und vor allem Bildaufnahmen, die die Betroffenen in kompromittierenden Situationen zeigen. Besonders gefährlich sind Massenphänomene, etwa beleidigende „shitstorms“ als neue Form des Rufmords im Internet. Eine weitere Herausforderung stellen von Algorithmen („bots“) weitergeleitete, in Massen replizierte oder gar autonom erstellte beleidigende Inhalte dar. 3. In den letzten Jahren hat der politische Extremismus zugenommen und das Internet als Tatmedium entdeckt. „Hassrede“ ist vor allem in den sozialen Netzwerken ubiquitär. Ob die §§ 185 ff, 130 und 192a ausreichen, um dieser Entwicklung (in Kombination mit 2.) wirksam zu begegnen, bleibt abzuwarten. 4. In der Gegenwart gewinnen identitätspolitische Vorstellungen einen immer größeren Einfluss.183 Damit verbunden ist eine zunehmende Sensibilität gegenüber „verletzender Sprache“. Während diese Entwicklung in den USA zu Phänomenen wie einer gesteigerten „political correctness“ geführt hat,184 sind in Deutschland Forderungen nach neuen Strafvorschriften zugunsten gefährdeter Minderheiten zu erwarten (vgl. den neuen § 192a). Teilweise wird dies das Sexualstrafrecht betreffen, teilweise aber auch das Beleidigungsstrafrecht. Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung stehen vor der Aufgabe zu prüfen, ob diese (teilweise durchaus sinnvollen oder zumindest gut vertretbaren) Anliegen nicht auch schon durch eine entsprechende Interpretation des bestehenden Strafrechts Berücksichtigung finden können.
V. Das Verhältnis der Beleidigungstatbestände zueinander 44 Rechtsgut aller Tatbestände des 14. Abschnitts mit Ausnahme der Kreditgefährdung (§ 187 Var. 3) ist die Ehre. Darüber ist man sich, wenn man § 189 („Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“) außer Betracht lässt, einig (Rdn. 1). In der Nichtachtung oder Missachtung des aus der Ehre fließenden Achtungsanspruchs liegt die substantielle Gleichheit des tatbestandsmäßigen Verhaltens und seines Effekts in Fällen der einfachen Beleidigung (§ 185), der üblen Nachrede (§ 186) und der Verleumdung (§ 187). Die Tatbestände differieren allerdings in der Verbotsmaterie, um das Rechtsgut „Ehre“ und das Handlungsobjekt „Achtungsanspruch“ gegen unterschiedliche Angriffsweisen zu schützen, und damit im Handlungs- und Erfolgsunrecht. § 185 bedroht mit Strafe herabsetzende Meinungsäußerungen und Werturteile ganz allgemein, Tatsachenbehauptungen nur, wenn sie gegenüber dem Betroffenen selbst (und nur ihm gegenüber) abgegeben worden sind. § 186 richtet sich gegen das für den Achtungsanspruch besonders gefährliche Behaupten und Verbreiten ehrenrühriger Tatsachen „in Beziehung auf einen anderen“, also in Beziehung auf einen, der mit dem Empfänger der Äußerung nicht identisch ist. Auch für die qualifizierenden Tatbestände der §§ 187, 188 kommen nur „in Beziehung auf einen anderen“ behauptete oder verbreitete Tatsachen in Betracht. 45 Aus der substantiellen Gleichheit von Rechtsgut und Angriffsobjekt folgt: Der in unspezifischer Weise nur von „Beleidigung“ sprechende § 185 Var. 1 ist Grund- und Auffangtatbe-
183 Hilgendorf JZ 2021 853. 184 Hilgendorf Handbuch des Strafrechts, Bd. 4 (2019), § 12 Rn. 8: „political correctness“ als Kompensationsphänomen“ mangels strafrechtlichen Ehrenschutzes. Hilgendorf
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V. Das Verhältnis der Beleidigungstatbestände zueinander
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stand,185 lex generalis.186 Ist ein das Handlungsunrecht präziser beschreibender Tatbestand (§ 186 oder § 187) erfüllt, wird die einfache Beleidigung verdrängt. Das ist auch sachgerecht. Ehrenrührige Tatsachenbehauptungen, die zugleich an den Betroffenen und an Dritte gerichtet sind, enthalten kein gesteigertes Unrecht. Sie ermöglichen dem Betroffenen die sofortige Reaktion.187 Werturteile, die nur verbal zum Ausdruck bringen, was eine Tatsachenbehauptung ohnehin impliziert, erhöhen nicht den Unrechtsgehalt des Täterverhaltens, sind infolgedessen für die Subsumtion ohne Bedeutung. Haben allerdings Tatsachenbehauptung und Werturteil, die im Zusammenhang einer Handlung geäußert werden, eigenständige Bedeutung (weil das Werturteil weder den Akzent setzt noch eine offengelegte Implikation darstellt)188, dann lässt sich die Verschärfung des Ehrangriffs sachgerecht durch Annahme von Idealkonkurrenz erfassen.189 Die Rechtsprechung sieht die Dinge ähnlich. Sie nimmt ebenfalls an, dass § 186 (§ 187) als 46 spezielleres Gesetz § 185 grundsätzlich zurücktreten lässt. Idealkonkurrenz liege aber vor, wenn eine einheitliche Kundgebung die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen und zugleich „nicht oder nicht ausschließlich daraus ableitbare“,190 „davon verschiedene“191 herabsetzende Werturteile enthält. Anders als hier in Rdn. 45 vorgeschlagen soll Idealkonkurrenz auch dann vorliegen, wenn die ehrenrührige Tatsachenbehauptung nicht nur gegenüber Dritten, sondern auch gegenüber dem Betroffenen abgegeben wird.192 Tateinheitliches Zusammentreffen darf allerdings nicht angenommen werden, wenn der Täter nur mit der (sich realisierenden) Möglichkeit rechnet, dass der Betroffene außerhalb des Erklärungsakts von seiner Behauptung Kenntnis erlangt.193
185 Ausnahme: Die tatsächlich, aber nicht „erweislich“ wahre Tatsachenbehauptung ist nur ein Fall von § 186, nicht aber § 185, weil § 185 die Unwahrheit der Tatsache voraussetzt. 186 AA Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 448. 187 Hirsch S. 219 Anm. 19. 188 Vgl. BGHSt 12 287, 292. 189 Für Kumulation im Rahmen der Strafzumessung Hirsch S. 145 f und 238 Anm. 74. 190 BGHSt 12 287, 292. 191 RGSt 65 358, 359; BayObLGSt 1962 48, 50 = NJW 1962 1120. 192 RGSt 41 61, 66; 65 358, 359; BayObLGSt 1962 48, 50 = NJW 1962 1120; OLG Celle GA 1960 24. 193 BayObLGSt 1962 48, 51 = NJW 1962 1120. 605
Hilgendorf
§ 185 Beleidigung Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) oder mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Schrifttum Adelmann Die Straflosigkeit des „Busengrapschens“, Jura 2009 24; Arloth Die „beleidigungsfreie Sphäre“ bei Briefen im Strafvollzug, ZIS 2010 263; Arzt Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre (1970); ders. Der strafrechtliche Ehrenschutz – Theorie und praktische Bedeutung, JuS 1982 717; Si. Beck Lehrermobbing durch Videos im Internet – ein Fall für die Staatsanwaltschaft? MMR 2008 77; Su. Beck Täterschaft und Teilnahme in der Digitalisierung, in Hilgendorf/ Liang (Hrsg.) Schriften zum Ostasiatischen Strafrecht (im Erscheinen); von Becker Rechtsfragen der Satire, GRUR 2004 908; Bitzilekis Der Tatsachenbegriff im Strafrecht, Festschrift Hirsch (1999) 29; Fahl Böhmermanns Schmähkritik als Beleidigung, NStZ 2016 313; Faßbender Was darf die Satire? Bemerkungen aus der Perspektive des deutschen Verfassungsrechts, NJW 2019 705; Gaede Die Meinungsfreiheit des Strafverteidigers – Recht zur persönlich verletzenden Kritik auch an Richtern? Festschrift I. Roxin (2012) 569; Gärtner Was die Satire darf: eine Gesamtbetrachtung zu den rechtlichen Grenzen einer Kunstform (2009); Geppert Zur Systematik der Beleidigungsdelikte und zur Bedeutung des Wahrheitsbeweises im Rahmen der §§ 185 ff. StGB, Jura 2002 820; Gillen Das Verhältnis von Ehren- und Privatsphärenschutz im Strafrecht (1999); Hellmer Beleidigung und Intimsphäre, GA 1963 129; Hilgendorf Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht (1998); Hilgendorf/Hong Cyberstalking, Kommunikation und Recht 2003 168; Hillenkamp Zur Reichweite der Beleidigungstatbestände, Festschrift Hirsch (1999) 555; Hirsch Ehre und Beleidigung (1967); HoffmannHolland/Koranyi Translationsprozesse von der Literatur ins Strafrecht: Ein strafrechtsfreier Raum für die Satire, ZStW 130 (2018) 82; Ignor Der Straftatbestand der Beleidigung (1995); Jendrusch Beleidigung durch ausgestreckten Mittelfinger gegen eine Radaranlage, NZV 2007 559; Kretschmer Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in ihren strafrechtlichen und strafprozessualen Problemen, JR 2008 51; Küpper Grundprobleme der Beleidigungsdelikte, JA 1985 453; Lüthge-Bartolomäus Schluß mit der Lückenbüßerfunktion des § 185 auf dem Gebiet von Sitte und Anstand, MDR 1975 815; Oppermann Ehrensache Satire – Zur Frage satirischer Ehrbeeinträchtigungen im Strafrecht (2015); Peglau Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht (1997); Petri Mobbing: Strafbarkeit eines Phänomens? StraFo 2007 221; Ruhmannseder Die Vertrauensbeziehung zwischen Strafverteidiger und Mandant – (k)ein beschlagnahme- und beleidigungsfreier Raum? NJW 2009 2647; Schendzielorz Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre (1993); Schiff Meinungsfreiheit in mediatisierten digitalen Räumen, MMR 2018 366; Schmid Zum Ehrenschutz bei Tatsachenbehauptungen gegenüber dem Betroffenen, MDR 1981 15; Sendler Bereicherung oder Vergiftung der politischen Auseinandersetzung? NJ 1997 57; Stegmann Tatsachenbehauptung und Werturteil in der deutschen und französischen Presse (2004); Tenckhoff Grundfälle zum Beleidigungsrecht, JuS 1988 199, 457, 621, 793; 1989 35, 198; Tettinger Die Ehre – ein ungeschütztes Verfassungsgut? (1995); ders. Das Recht der persönlichen Ehre in der Wertordnung des Grundgesetzes, JuS 1997 769; Ujica/Loef Was darf die Kunst, was die Medien nicht dürfen?, ZUM 2010 670; Vasel Das Karlsruher Schweigen zur satirischen Schmähkritik, NJW 2022 740; Wenzel Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen, NJW 1968 2353; Zechlin Kunstfreiheit, Strafrecht und Satire, NJW 1984 1091. Vgl. auch die Angaben vor der Übersicht zu den Vorbemerkungen.
Übersicht I. 1. 2. 3.
Der objektive Tatbestand Unrechtsgehalt und Handlungsmodalitä1 ten Tatsachenbehauptungen, Werturteile, Mei2 nungsäußerungen 10 Die Kundgabe a) Ehrenrührige Äußerungen im engsten 11 Kreis b) Erscheinungsformen der Kundgabe
Hilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-035
c)
4. 15
Die Ermittlung des objektiven Sinnes einer 17 Kundgabe d) Sinnermittlung bei Werken der 24 Kunst e) Kundgabe durch Unterlassen, Vollendung 27 der Kundgabe Folgerungen aus dem Ehrbegriff und der Delikts29 struktur a) Beleidigung durch Sexualstraftaten oder 30 andere sexuelle Handlungen?
606
§ 185
I. Der objektive Tatbestand
b)
5. 6.
Beleidigung durch Missachtung der Person, Eingriffe in Rechte und rechtlich ge34 schützte Beziehungen? 35 Beispiele für ehrenrührige Kundgaben 37 Die Wahrheitsfrage in Fällen des § 185
II.
Der subjektive Tatbestand
38
III.
Tatbestandsausschluss durch Einverständ40 nis
IV.
Täterschaft, Wahrheitsbeweis, Rechtferti42 gung
V.
Konkurrenzen
45
I. Der objektive Tatbestand 1. Unrechtsgehalt und Handlungsmodalitäten Die (einfache) „Beleidigung“, die § 185 mit Strafe bedroht, ist nach einer vielgebrauchten Formel als 1 Angriff auf die Ehre eines anderen durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung zu umschreiben.1 Die aktuelle Fassung des § 185 geht zurück auf das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.3.2021, in Kraft getreten am 3.4.2021.2 Das Gesetz definiert die Voraussetzungen einer Beleidigung nicht, sondern verweist auf die jeweiligen gesellschaftlichen Standards. Ehrverletzungen sind massive Verletzungen des Respekts, den man anderen Menschen schuldet. Der Angriff auf die Ehre besteht im Zuwiderhandeln gegen den verdienten Achtungsanspruch des Anderen (Vor § 185 Rdn. 1). Infolgedessen verlangt die Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung eine Äußerung, die dem Betroffenen einen nicht vorhandenen Mangel an personalem Geltungswert ausdrücklich oder in Form einer Implikation nachsagt oder auf andere Weise eine massive Respektverletzung zum Ausdruck bringt. In der Rechtsprechung wird der Angriff auf die Ehre mit Formeln wie „Mißachtung der dem Menschen unverlierbar von Geburt an zuteilgewordenen Personenwürde“,3 „Mißachtung der Person“ oder „der Persönlichkeit“4 oder „Belastung des Persönlichkeitsbildes“5 umschrieben. Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung können durch Meinungsäußerungen, Werturteile oder durch Behaupten (Verbreiten) von Tatsachen zum Ausdruck gebracht werden. § 185 kommt aber nicht zur Anwendung, wenn eine Tatsachenbehauptung nur oder auch gegenüber Dritten vorgebracht worden ist.6 Zwar bekundet der Täter auch in einem solchen Falle entweder eigene Missachtung oder eigene Nichtachtung durch Ermöglichung fremder Missachtung. Aber die in den Vorschriften der §§ 186, 187 besonders vertypte Angriffsweise lässt diese Bestimmungen als speziellere Gesetze erscheinen. § 185 tritt zurück (Vor § 185 Rdn. 45, 46).7
2. Tatsachenbehauptungen, Werturteile, Meinungsäußerungen Es gilt zunächst, Tatsachen (Rdn. 4) von Tatsachenbehauptungen, also Behauptungen über Tatsa- 2 chen, zu unterscheiden.8 Tatsachenbehauptungen sind sprachliche Erscheinungen, die Tatsachen selbst nicht. Nur Tatsachenbehauptungen können wahr oder falsch sein, nicht aber Tatsachen (trotz des irreführenden Gesetzeswortlaufs in § 263). Des Weiteren müssen Tatsachenbehauptun1 BGHSt 1 288, 289; 16 58, 63; BGH NStZ 1984 216; RGSt 40 416; 71 159, 160; BayObLGSt 1976 88, 89; 1980 32; 1983 32, 34; BayObLG NJW 2005 1291, 1291; OLG Hamm NStZ-RR 2008 108; OLG Oldenburg NStZ-RR 2009 77. 2 BGBl. I S. 441. 3 BGHSt 11 67, 71. 4 BGHSt 9 17, 18; BGH NStZ 1987 21, 22; NStZ 1988 69; vgl. auch BGHSt 1 288, 289; 7 129, 130. 5 BayObLGSt 1957 200, 201. 6 Rogall SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1. 7 Rogall SK Vor § 185 Rdn. 52 und 53, § 185 Rdn. 2. 8 Hilgendorf S. 113. 607
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§ 185
Beleidigung
gen einerseits, Werturteile und Meinungsäußerungen andererseits voneinander abgegrenzt werden. Denn für die Subsumtion ist entscheidend, welcher Kategorie eine Kundgabe von Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung zuzuordnen ist, wenn nicht oder nicht nur der Betroffene Adressat der Kundgabe war (Rdn. 1). Doch gibt es noch weitere Gründe. Drei davon sollen erwähnt werden: (1.) Durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG wird zwar ein Grundrecht auf freie Äußerung der Meinung, nicht aber auf freies Behaupten und Verbreiten von Tatsachen gewährt. Selbst wenn man Tatsachenbehauptungen den grundrechtlichen Schutz nicht völlig versagt,9 ist er für sie nur von vergleichsweise geringer Bedeutung. (2.) Für das Gewicht des Schuldvorwurfs ist es nicht gleichgültig, ob der Täter lediglich etwas gemeint, seine subjektive Einstellung zur Person oder zum Verhalten eines anderen zum Ausdruck gebracht oder ob er Tatsachen behauptet hat. Das Behaupten von unwahren oder nicht erweislich wahren ehrenrührigen Tatsachen ist die gefährlichste Art des Angriffs auf die Ehre, wenn (auch) Dritte Äußerungsadressaten sind. Das deskriptive Urteil „in Beziehung auf einen anderen“ (§§ 186, 187) nimmt für sich Objektivität und Verifizierbarkeit in Anspruch. Tatsachen sprechen für sich. Wer ehrenrührige Sachverhalte behauptet, ermöglicht dem Aussageempfänger die faktengestützte Missachtung. (3.) Der Beweis der Wahrheit kommt nur für Faktenaussagen in Betracht. Aus ihnen kann sich dann allerdings die Richtigkeit einer Meinung oder eines Werturteils ergeben. 3 Wer etwas meint, bezieht Stellung, gibt ein problematisches Urteil ab, weil seine Erkenntnisgrundlage das Maß an Sicherheit nicht bietet, das nach der Lebenserfahrung für ein Wissen über etwas erforderlich ist, oder weil seiner Konklusion offensichtlich das Risiko des Fehlgehens anhaftet. Weiß er das, besteht Kongruenz zwischen objektiver und subjektiver Fragwürdigkeit des Meinens. Werturteile sind geistige Akte, in denen einem Objekt (im weitesten Sinne) Eigenschaften beigelegt werden, die nicht (nur) deskriptiv, sondern evaluativ sind (es wird z.B. ein Vorgang als moralisch verwerflich eingestuft)10, und die häufig eine subjektive Beziehung (insbesondere ein Gefühlsverhältnis) des Urteilenden zum Objekt ausdrücken. Meinungsäußerungen als Akte des Stellungnehmens, Fürwahrhaltens oder Dafürhaltens und Werturteile als Akte subjektiven, in Aussageform gekleideten Bewertens,11 sind ineinander übergehende Erscheinungen. Die Begriffe, die diese Erscheinungen bezeichnen, sind in der Regel austauschbar.12 Die Abhebung von den Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein. Denn die Akte des Stellungnehmens und der „Objektivierung“ von Vorstellungen und Gefühlen in Eigenschaftszuschreibungen schließen häufig feststellende Urteile in sich, weil sie sich auf Sachverhalte (im weitesten Sinne) beziehen, auf deskriptive Voraussetzungen stützen (vgl. Rdn. 6). Diese Akte können in Worten, aber auch in symbolischen Handlungen (Tippen an die Stirn; Anspucken), in bildlichen Darstellungen (Karikaturen) und in Tätlichkeiten vollzogen werden.13 Auf die Frage, was als „Tatsache“ Erklärungsinhalt einer ehrenrührigen Tatsachenbehaup4 tung sein kann, hat die Rechtsprechung konstant folgende Antwort gegeben: Der Begriff der Tatsache setzt etwas Geschehenes oder etwas Bestehendes voraus, das zur Erscheinung gelangt und in die Wirklichkeit getreten ist und das daher dem Beweise zugänglich ist.14 Auch innere Vorgänge und Zustände können unter den Begriff fallen, aber nur dann, wenn sie in erkennbare Beziehung gesetzt werden zu bestimmten äußeren Geschehnissen, durch die sie in das Gebiet der wahrnehmbaren äußeren Welt getreten sind.15 Dieser Tatsachenbegriff lässt drei Abgrenzungskriterien erkennen: (1.) Die Wahrnehmbarkeit. Die Richtigkeit einer Tatsachenbehaup9 Vgl. BVerfGE 54 208, 219; 61 1, 7 ff. 10 Vgl. BGH NJW 1982 2246, 2247. 11 Vgl. Engisch FS Lange 404 f. 12 Vgl. BVerfGE 61 1, 7; BGHSt 12 287, 291; RGSt 64 10, 12; 67 2. 13 Vgl. Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 468. 14 BGH NJW 1994 2614; BGH NJW 1998 3047 mit Anm. Dietlein JR 1999 246; NJW-RR 2017 98; RGSt 41 193; 55 129, 131; OLG Brandenburg NJW 1996 1002 und NJW 1999 3339; BayObLG JZ 2001 717 mit Anm. Otto; vgl. auch Hilgendorf S. 114. 15 BGH JR 1977 28, 29; RGSt 41 193 f; 55 129, 131. Hilgendorf
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I. Der objektive Tatbestand
§ 185
tung muss man entweder in unmittelbarer Wahrnehmung (Beobachtung) direkt einsehen oder aus wahrnehmbaren Fakten – mögen sie auch nur in der Erinnerung und der Aussage eines Zeugen bestehen – mit Hilfe von Erfahrungssätzen erschließen können. Einen anderen Weg gibt es nicht. Infolgedessen kann eine Äußerung eine Behauptung von Tatsachen (von konkreten Geschehnissen, Zuständen, Dingen und Umständen der äußeren Welt, von Vorgängen und Eigentümlichkeiten des Seelenlebens oder vom Bestehen oder Nichtbestehen von Zusammenhängen) nur sein, wenn sie eine empirische Wahrnehmungsbasis hat, die es ermöglicht, die Übereinstimmung der Äußerung mit der Realität (adaequatio intellectus et rei) festzustellen. Die Wahrnehmungsgrundlage findet sich für innere Tatsachen (z.B. Motive, Einstellungen, Absichten, Haltungen, Charakterzüge) in indiziellen, wahrgenommenen und vermittelbaren oder wahrnehmbaren äußeren Fakten.16 (2.) Die Beweisbarkeit. Eine Behauptung kann nicht als wahr gelten, wenn sie prozessualer Prüfung nicht zugänglich ist, mit den prozessualen Möglichkeiten nicht aufgeklärt werden kann.17 Denn Wahrheit in foro kann nur sein, was das Gericht „für wahr zu erachten“ vermag (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO; § 261 StPO besagt in der Sache nichts anderes). Eine Aufklärungsmöglichkeit fehlt auch dort, wo ein echter „Tatsachenkern“ nicht vorhanden ist, weil der Täter nur mit Hilfe einer entstellenden oder abwegigen Wertung eine Anlehnung an Fakten gewinnt.18 (3.) Die geschichtliche Existenz. Tatsache kann nach verbreitetem Sprachgebrauch nur sein, was ist oder war. Künftiges ist noch keine Tatsache, die Voraussage künftiger Ereignisse deshalb meist eine Meinungsäußerung.19 Eine Prognose kann sich aber auf Fakten (z.B. auf dem Beweise zugängliche Anlagen, Dispositionen, bereits abgelaufene Entwicklungen) stützen.20 Insoweit ist sie Tatsachenbehauptung. Zum anderen kann sich eine Behauptung auf künftige Ereignisse und Vorgänge beziehen; auch eine solche Behauptung ist eine Tatsachenbehauptung.21 Empirisch, also durch Rekurs auf Tatsachen gestützte Aussagen über Künftiges (Prognosen) können erheblich zuverlässiger sein als Aussagen über Gegenwärtiges oder Vergangenes. Der Übergang von den Tatsachenbehauptungen zu den Meinungsäußerungen und Wertur- 5 teilen ist fließend, die Abgrenzung im Einzelfall oftmals schwierig.22 Wie jede andere Tatsachenbehauptung ist auch die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen eine konstatierende Aussage, ein Tatsachenurteil, und sie enthält als Kundgabe von Fakten, welche die Ehre mindern, eine negative Wertung desjenigen, dem sie nachgesagt werden.23 Deshalb wäre es unangebracht, in einer Äußerung, die der Tatsachenbehauptung das Werturteil hinzufügt, das in der Behauptung steckt, mehr zu sehen als in einer Äußerung, welche die kontextuale Implikation nicht offenlegt. Solche Werturteile sind deshalb Bestandteil der Tatsachenbehauptung und damit, wenn (auch) ein Dritter Erklärungsadressat ist, der Handlung, die tatbestandsmäßig im Sinne von § 186 sein kann.24 Sie besitzen erst dort eigenen Unrechtsgehalt, wo das behauptete tatsächliche Geschehen nicht mehr tatsachenbezogen und tatsachenbegrenzt beurteilt wird, sondern eine Würdi-
16 BGHSt 12 287, 290 f; BGH JR 1977 28, 29; RGSt 64 10, 12; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; Sch/Schröder/ Eisele/Schittenhelm § 186 Rdn. 3; im Zweifel soll es sich bei Schlussfolgerungen über Beweggründe oder Absichten Dritter nach BVerfG BeckRS 2016 50714; BeckRS 2017 102107 und EGMR NJW 2015 1501 indes eher um Werturteile als beweiszugängliche Tatsachenbehauptungen handeln; so in der Folge auch OLG Bremen BeckRS 2018 31424 Rdn. 19. 17 BGHSt 12 287, 292; BGHZ 45 296, 304. 18 BGHSt 11 329, 331; 12 287, 292; BGH NJW 1955 311. 19 RGSt 67 2, 3; OLG Köln NJW 1962 1121 mit Anm. Schaper. 20 RGSt 67 2, 3; Engisch FS Lange 406; Kett-Straub ZStW 120 (2008) 759, 766. 21 Fischer § 186 Rdn. 2; näher Hilgendorf S. 143 ff. 22 Vgl. die Sachverhalte, die Gegenstand der Entscheidungen BGHSt 6 159; 11 329; 12 287; BGH NJW 1982 2246; RGSt 64 10, 12 waren. 23 Geppert Jura 1983 530, 541; Hansen JuS 1974 104; Hirsch S. 210. 24 BGHSt 12 287, 292; RGSt 64 10, 12; 68 120, 122; OLG Stuttgart JZ 1969 78. 609
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§ 185
Beleidigung
gung erfährt, die dazu außer Verhältnis steht, abwegig, unvertretbar ist, jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lässt.25 6 So wie ehrenrührige Tatsachenbehauptungen auf Grund ihres Bezugs auf Ehre und Achtungsanspruch Wertungen enthalten, so haben Werturteile vielfach eine Tatsachenbasis. Sie braucht nicht expressis verbis kenntlich gemacht zu werden, wenn es nach dem situativen Zusammenhang,26 dem Kontext einer Äußerung27 oder nach dem Wissensstand des Erklärungsempfängers28 auf der Hand liegt, dass eine Herabwürdigung zu bestimmten Vorgängen oder Geschehnissen in Beziehung gesetzt, aus ihnen hergeleitet wird.29 Es stellt sich die Frage der Wertungsadäquanz.30 Sie ist zu bejahen, wenn ein Abstraktum („Dieb“, „Schuft“, „gemeiner Mensch“, „Verbrecher“) die Wertung eines bestimmten Verhaltens zum Ausdruck bringen soll und der Erklärungsempfänger das weiß oder erkennt. Die Möglichkeit der einschränkenden Auslegung ist stets zu bedenken, weil Abstrakta in bestimmten Verwendungszusammenhängen konkrete Bedeutungen erlangen können. 7 Von einem substantiierten (tatsachenbezogenen und tatsachenbegrenzten) Werturteil kann keine Rede sein, wenn die Wertung einen Zusammenhang mit konkreten Vorgängen oder Geschehnissen nicht erkennen lässt, sondern sich mit vagen Andeutungen auf hoher Abstraktionsebene begnügt.31 Hier erlangt der Gesichtspunkt Bedeutung, dass Tatsachenäußerung nur sein kann, was – als bestimmte Beweisbehauptung – dem gerichtlichen Beweisverfahren zugänglich ist (Rdn. 4).32 Eine Tatsachenbasis, die diese Bezeichnung verdient, kann auch jenen Werturteilen nicht zuerkannt werden, in denen der Täter in einseitiger, verzerrender, ideologisch bestimmter Sicht Vorgänge, Zustände, kausale oder finale Zusammenhänge, denen nichts Ehrenrühriges anhaftet, einer abwegigen Wertung unterzieht.33 In Zeiten, in denen sich auch die Informationsvermittlung und –beschaffung in den digitalen Raum verlagern, erreicht die Bedeutung einer trennscharfen Abgrenzung von Tatsachenaussagen und Werturteilen neue Dimensionen. Durch die massenhafte Weiterverbreitung von Desinformationen über das Internet entstehen „Parallelwahrheiten“, bei deren Wiedergabe die Einstufung als Werturteil oder (falsche) Tatsachenbehauptung problematisch sein kann.34 Fehlt einem Werturteil die Tatsachenbasis oder setzt ein Wertungsexzess den maßgeblichen Akzent, weil die darin liegende Kundgabe von Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung schwerer wiegt als die bewerteten ehrenrührigen Fakten (vgl. Rdn. 5), dann bestimmt dieses Urteil die Subsumtion.35 Zur Frage, was gilt, wenn eine Äußerung die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen und zugleich „nicht
25 BGHZ 70 1, 6; BayObLGSt 1963 174, 177; BayObLG NStZ 1983 126, 127; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006 173; Herdegen Anm. zu BGHZ 70 1 in LM DRiG § 26 Nr. 15; Welzel S. 318. 26 Vgl. BGHZ 70 1. 27 Vgl. BGH NJW 1982 2246. 28 OLG Hamm NJW 1971 1852, 1853. 29 BGHSt 12 287, 291; BGH JR 1977 28, 29; RGSt 68 120, 122; OLG Frankfurt JR 1972 515 mit Anm. Hirsch; BayObLGSt 1963 174, 177; Geppert Jura 1983 530, 542; Hirsch S. 210 ff; Rogall SK § 186 Rdn. 8. 30 RGSt 68 120, 122; RG JW 1934 692 Nr. 12. 31 BGHSt 12 287, 292; BGH JR 1977 28, 29; RGSt 35 227, 232; 68 120, 122; OLG Hamm NJW 1971 1852, 1853; ähnlich KG NStZ-RR 2013 8, 9; weniger streng BGH NJW 1959 2011, 2012. 32 BGHZ 176 175, 182; BGH NJW 2005 279, 281; Arzt JuS 1982 719; v. Lilienthal VDB Bd. IV (1906) 392. 33 BGHSt 6 159, 162; 11 329, 330; 12 287, 292; BGH JR 1977 28, 29; NJW 1955 311; BayObLG NStZ 1983 126, 127; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1981 223, 225. 34 Zum Ganzen Hoven ZStW 129 (2017) 718; Hoven/Krause JuS 2017 1167, 1169; s. ferner Schünemann GA 2019 620; aus empirischer Perspektive Sängerlaub/Meier/Rühl Fakten statt Fakes – Verursacher, Verbreitungswege und Wirkungen von Fake News im Bundestagswahlkampf 2017 (2018); Steinebach/Bader/Rinsdorf/Krämer/Roßnagel (Hrsg.) Desinformation aufdecken und bekämpfen (2020), jeweils m.w.N; im Allgemeinen Uhle (Hrsg.) Information und Einflussnahme – Gefährdungen der Offenheit des demokratischen Willensbildungsprozesses (2018). 35 BGHSt 6 159, 162; 11 329, 331; 12 287, 292; BGH JR 1977 28, 29; NJW 1982 2246, 2247; BayObLG NStZ 1983 126, 127; OLG Hamm NJW 1961 1937; ähnlich KG NStZ-RR 2013 8, 9. Hilgendorf
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I. Der objektive Tatbestand
§ 185
oder nicht ausschließlich daraus ableitbare“, „davon verschiedene“, aber nicht den maßgebenden Akzent setzende Wertungen enthält, vgl. Vor § 185 Rdn. 45, 46. Die unscharfe Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen gestattet es der 8 Praxis, pragmatischen Überlegungen Rechnung zu tragen: Die Annahme eines Werturteils ohne Tatsachenbasis oder eines Werturteils, das die Akzente setzt und deshalb die Subsumtion bestimmt, lässt die Wahrheitsfrage (jedenfalls für den Schuldvorwurf) als unwesentlich erscheinen, wenn nicht schon zur Tatzeit vorhandene Fakten, die der Wertung eine ausreichende Grundlage geben, in bestimmten Beweisbehauptungen konkretisiert oder (z.B. in Beweisermittlungsanträgen) so dargelegt werden, dass das Aufklärungsgebot (§ 244 Abs. 2 StPO) zur Beweiserhebung zwingt.36 Andererseits kann die Zuordnung einer Äußerung zur Kategorie der Tatsachenbehauptungen es ermöglichen, sie sogleich als offenkundig unwahr zu behandeln.37 Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass bei der Entscheidung von Einordnungsproblemen (vor allem wegen der beweisrechtlichen Konsequenzen) der Gedanke des Opferschutzes nicht völlig gleichgültig sein kann.38 In der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte findet sich immer wieder der Satz, in ers- 9 ter Linie habe der Tatrichter die Frage zu beurteilen, ob die Äußerungen des Täters Tatsachenbehauptungen, Werturteile oder „Mischgebilde“ sind.39 Was damit gemeint sein soll, ist zweifelhaft. Die Begriffe der „Tatsache“, der „Tatsachenbehauptung“, des „Werturteils“ und der „Meinungsäußerung“ sind im Kontext des Beleidigungsstrafrechts Rechtsbegriffe.40 Natürlich hat das Tatgericht den Wortlaut einer Äußerung und ihren Sinn, damit auch ihren etwaigen Bezug auf Fakten, unter Berücksichtigung des situativen Zusammenhangs und des Kontextes festzustellen. Aber die rechtlichen Folgerungen – und dazu gehört die Subsumtion einer Kundgabe unter die genannten Rechtsbegriffe – unterliegen in vollem Umfange der revisionsgerichtlichen Kontrolle.41 In Fällen, in denen die Einstufung einer ehrenrührigen Kundgabe zweifelhaft ist, muss der Tatrichter, der § 186 anwendet, den Tatsachenkern durch Trennung der wertenden Erklärungsteile feststellen und darlegen.42 Das darf er aber wiederum nur, wenn dadurch der Sinn einer Äußerung unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes nicht verfälscht wird.43 An dieser Stelle relativiert das Bundesverfassungsgericht den mit der Ausgestaltung des § 186 verbundenen prinzipiellen Vorrang des präsumtiven Achtungsanspruchs des Betroffenen im Fall der Aufstellung einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung (§ 186 Rn. 2; § 193 Rn. 2) deutlich, da es „im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes“ die Annahme einer Meinungsäußerung verlangt, wenn eine sinnerhaltende Trennung von Tatsachenkern und Wertung nicht möglich ist.44 Der Tatrichter darf nicht außer Acht lassen, dass es für das Ergebnis einer Äußerungsanalyse darauf ankommen kann, welche prinzipielle Einstellung des Täters seiner Bekundung zugrunde liegt.45
36 Bemerkenswert in zivilrechtlichem Zusammenhang BVerfG NVwZ 2016 761 mit. krit. Anm. Sachs; Hufen JuS 2016 762, 764: Nach einem Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung und Körperverletzung, der darauf beruhte, dass nicht geklärt werden konnte, ob der Angeklagte oder sein „Opfer“ die Wahrheit sagte, sollen sich die „verschiedenen Wahrnehmungen als subjektive Bewertungen eines nicht aufklärbaren Geschehens dar[stellen], die nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern als Meinungen zu behandeln sind“. 37 Vgl. OLG Düsseldorf MDR 1980 868, 869. 38 Arzt JuS 1982 719. 39 BGH JR 1977 28; RGSt 64 10, 12; RG JW 1926 1184 Nr. 25; OLG Hamm NStZ-RR 2006 7, 7. 40 BGHSt 6 159, 162. 41 Vgl. BGHSt 6 357, 359; BGH NJW-RR 2017 98, 103. 42 BGHSt 6 157, 162; ähnlich KG NStZ-RR 2013 8, 9. 43 BVerfG ZUM 2013 793, 795; ZUM-RD 2016 629, 630 mit Anm. Muckel JA 2016 874; BGH NJW-RR 2017 98, 104. 44 BVerfG ZUM 2013 793, 795 mit krit. Anm. Ladeur; ZUM-RD 2016 629, 630 mit Anm. Muckel JA 2016 874; BeckRS 2016 50714. 45 BGHSt 6 157, 162; BayObLGSt 1963 174, 177. 611
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3. Die Kundgabe 10 Die Beleidigung ist in allen ihren Erscheinungsformen ein Äußerungsdelikt. Deshalb gehört es zu den Erfordernissen des objektiven Tatbestands, dass eine Kommunikation stattfindet, d.h., dass der „Täter“ (Kommunikator) einen gedanklichen Inhalt (und zwar ein herabsetzendes Werturteil oder eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung) äußert und dass ein anderer von der Manifestation der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung Kenntnis erlangt. Dem entsprechend muss der Täter die Kenntnisnahme durch einen anderen wollen (mit ihr rechnen). Es kommt aber nicht darauf an, ob die Kenntnisnahme sich so vollzieht, wie sie gewollt ist. Vielmehr ist für die Subsumtion gleichgültig, ob die (verkörperte) Kundgabe an den Erklärungsadressaten oder (zuvor) an einen Dritten gelangt.46 Hat der „Täter“ eine als ehrenrührige Äußerung in Betracht kommende Manifestation eines gedanklichen Inhalts nicht für die Wahrnehmung durch einen anderen bestimmt und rechnet er auch nicht mit der Wahrnehmung durch einen anderen (so kann es sein bei Selbstgesprächen, verborgen gehaltenen Tagebuchaufzeichnungen, Vermerken in Akten, die nicht der Einsicht anderer unterliegen, Gedanken- oder Gefühlsäußerungen in einer fremden Sprache)47, dann liegt eine tatbestandsmäßige (die Voraussetzungen der subjektiven Tatseite erfüllende) Kundgabe nicht vor,48 selbst wenn er einem anderen durch unsorgfältiges Verhalten die Kenntnisnahme ermöglicht.49 Die Kundgabe muss erkennen lassen, auf wen sie sich bezieht. Wenn die beleidigte Person nicht genannt ist, muss der Äußerungsempfänger sie individualisieren können. Sie braucht weder ihm noch dem Täter bekannt zu sein.50 Ebenso wenig ist erforderlich, dass der Äußerung entnommen werden kann, wer ihr Urheber ist.51 Im Internet bleiben viele Nutzer anonym oder agieren unter einem Pseudonym. Aus materiell-rechtlicher Perspektive ist dann allein die Identifizierbarkeit des Beleidigten erforderlich, die sich zB aus seiner Bestimmbarkeit im Fall der Verwendung eines „Nicknames“ ergeben kann.52
11 a) Ehrenrührige Äußerungen im engsten Kreis. Zunächst hat man vorwiegend danach gefragt, ob der engste Familienkreis ein Internum bildet und ob deshalb einer ehrenrührigen Äußerung über Außenstehende, die über das Internum nicht hinausdringen soll, der Kundgabecharakter fehlt. Das Reichsgericht war der Ansicht, dass bei solchen Äußerungen eine Kundgabe vorliege. Es genüge, dass ein Angehöriger des Kreises sie wahrnehme und der Äußernde das gewollt (damit gerechnet) habe.53 Zu einer teleologischen Reduktion des Tatbestands fand das Reichsgericht sich nicht bereit: „Vertrauliche beleidigende Äußerungen harmloser Art, die im engen Familienkreise gefallen sind, werden selten zur Strafverfolgung führen. Sind sie aber von erheblicherer Bedeutung …, so entspricht es, soweit nicht der § 193 StGB eingreift, sowohl dem Sittengebote wie auch dem gesunden Volksempfinden, sie gerichtlich abzuurteilen“.54 Heute ist man weitgehend anderer Meinung. Sie lässt sich auf folgenden kleinsten gemeinsamen Nenner bringen: Den Strafdrohungen der §§ 185, 186 unterfallen jedenfalls nicht ehrenrührige Äußerungen über Außenstehende im engsten Kreis der Familie (zwischen Ehegatten, zwischen Eltern
46 BGH bei Dallinger MDR 1954 335; RGSt 48 62, 63; 57 193, 195; 71 159, 160; RG JW 1924 911 Nr. 5 mit Anm. Alsberg; BayObLGSt 1976 88, 91 = MDR 1976 1036; 1983 32, 33 f = NJW 1983 2040; Geppert Jura 1983 530, 533. 47 Vgl. BGH NJW 1959 2011; RGSt 71 159, 160. 48 BGH NJW 1959 2011; RGSt 57 193, 195; 71 159, 160; BayObLGSt 1962 135; 1980 32, 33. 49 RGSt 71 159, 160. 50 BGHSt 9 17, 18. 51 BGH NStZ 1984 216. 52 Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht (2022) § 3 Rdn. 189. 53 RGSt 71 159, 161. 54 RGSt 71 159, 163. Hilgendorf
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und Kindern), die in der begründeten Erwartung gemacht werden, dass der Äußerungsempfänger sie nicht über diesen Kreis hinausträgt.55 Die Begründungen dafür divergieren. Überwiegend wird, allerdings mit Unterschieden im 12 Detail, eine teleologische Reduktion des Tatbestands befürwortet.56 Eine Ansicht meint, es fehle an einer Kundgabe. Der engste Familienkreis sei in der Tat ein Internum. Äußerungen über Außenstehende in diesem Kreis müssten bei normativer Betrachtung einem Selbstgespräch gleichgestellt werden. Nach anderer Auffassung muss man unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der § 185 und § 186 darauf abstellen, dass eine für den engsten Familienkreis bestimmte ehrenrührige Äußerung über einen Außenstehenden (Extraneus) sich nicht gegen sein Ansehen in der Allgemeinheit richte, seine soziale Geltung im Urteil der Mitmenschen nicht berühre,57 seinen Ehrachtungsanspruch in der Gemeinschaft nicht verletze.58 Eine dritte Meinung will den Kundgabevorsatz verneinen, wenn derjenige, der sich äußert, damit rechnet, dass er sich im engsten Familienkreis auf die Diskretion des Äußerungsempfängers verlassen kann.59 Diese Theorien befriedigen nicht. Der Begriff der Kundgabe ist deskriptiv (Rdn. 10). Bleibt man auf der deskriptiven Ebene, dann lässt sich nicht bestreiten, dass derjenige, der seinem Ehegatten, einem Elternteil oder einem Kind etwas Ehrenrühriges über einen nicht zur Familie zählenden Dritten sagt, eine Kenntnisnahme durch einen anderen bewirkt und will. Die Tatbestandsreduktion, welche nur auf die Wertgeltung des Betroffenen in der Allgemeinheit abstellt, ist für die Theorie des personalen Ehrbegriffs ohnehin nicht akzeptabel. Im Übrigen vernachlässigt diese Reduktion die Umstände des Einzelfalls. Ehrenrührige Äußerungen im Familienkreis über einen Nachbarn können ein Anerkennungsverhältnis (vgl. Vor § 185 Rdn. 13), das für ihn hohe Bedeutung hat, in Frage stellen oder zerstören, seine Wertgeltung dort mindern, wo er es am stärksten verspürt.60 Es ist zudem unangebracht, die Ehre von Familienangehörigen den Attacken von Insidern preiszugeben, auch wenn sie nicht gegen die Wertgeltung des Betroffenen in der Allgemeinheit gerichtet sind.61 Diese die Umstände des Einzelfalls betonenden Einwände müssen auf die Ausgangsthese 13 erstreckt werden, die besagt, dass die innere Verbundenheit von Mitgliedern der engeren Familie oder doch des engsten Familienkreises, dass das Verhältnis des Vertrauens, das zwischen ihnen bestehe, eine Privilegierung rechtfertige. Das ist eine idealtypische Betrachtungsweise, die dort nicht angebracht ist, wo ein Verhältnis des Vertrauens sich nicht gebildet hat, zerstört ist oder nach den Umständen des konkreten Falles keine Rolle spielt.62 Doch zuerst ist nach den Gründen zu fragen, die dafür sprechen, einen straffreien Raum für beleidigende Äußerungen über Dritte zu belassen, wenn sie im Rahmen bestimmter persönlicher Beziehungen gemacht werden. Die Antwort lautet: Der Mensch braucht Möglichkeiten des Sich-Aussprechens, des Wegerzählens, der Ableitung von Affekten nach außen, aber auch des bloßen Sich-Mitteilens, die frei sind von sozialer Kontrolle und Sanktion.63 Ihm muss, so wird mit Recht gesagt, „ein 55 In Auswahl: BVerfG NJW 2010 2937, 2939; OLG Oldenburg GA 1954 284; OLG Celle NdsRpfl. 1964 174; OLG Koblenz NJW-RR 2008 1316, 1316 f; Engisch GA 1957 326; Geppert Jura 1983 530, 534; Hansen JuS 1974 104, 106; Hellmer GA 1963 129; Mezger JW 1937 2329; Otto FS Schwinge S. 87 f; Rogall SK Vor § 185 Rdn. 47 ff; Sch/Schröder/ Eisele/Schittenhelm Vor § 185 Rdn. 9a; Welzel S. 308; nicht eindeutig Stellung beziehend BGH bei Dallinger MDR 1954 335; BayObLGSt 1955 204 = MDR 1956 182; 1976 88, 90 = MDR 1976 1036. 56 Gaede FS I. Roxin S. 569, 571; Gillen Das Verhältnis von Ehrenschutz und Privatsphärenschutz im Strafrecht S. 75; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 438 ff; Hillenkamp JuS 1997 821, 824; ders. FS Hirsch 555, 568; Lackner/ Kühl/Kühl Rdn. 9; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 24 Rdn. 33; Wasmuth NStZ 1995 100, 101; offen gelassen von BVerfG NJW 2010 2937, 2939. 57 Engisch GA 1957 331; Hellmer GA 1963 135 ff. 58 Welzel S. 308. 59 So schon Leppin JW 1937 2886. 60 Vgl. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Vor § 185 Rdn. 9a. 61 Geppert Jura 1983 530, 534. 62 Vgl. BayObLGSt 1955 204; OLG Celle NdsRpfl. 1964 174. 63 In diese Richtung auch BVerfG NJW 2010 2937, 2939. 613
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Beleidigung
letztes Refugium“ verbleiben,64 wo er sich „entäußern“, abreagieren, dem Mitteilungsbedürfnis freien Lauf lassen kann. Auf dieses Refugium hat auch Anspruch, wer es nicht im Kreise einer Familie zu finden vermag, wohl aber in einem nicht nur ephemeren, erprobten Verhältnis enger Freundschaft oder Lebenspartnerschaft, in dem man Vertrauen gewährt und in Anspruch nehmen kann.65 Auch Äußerungen einer Ärztin in einem der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht unterfallenden Gesprächskreis können privilegiert sein.66 Die Anerkennung eines straffreien Refugiums für ehrenrührige Äußerungen, die tatbe14 standsmäßig nach § 185 oder § 186 sind, bewertet gewisse vitale Interessen des „Beleidigers“ (Rdn. 13) höher als das Interesse des Betroffenen am lückenlosen Schutz seiner Ehre.67 Sie ist das Ergebnis einer Güterabwägung, Statuierung eines Rechtfertigungsgrundes.68 Einschlägige Norm ist § 193. Verleumderischen Verlautbarungen kann ein Freiraum nicht eröffnet werden. Nur bei ganz außergewöhnlich liegenden Sachverhalten kommt für sie eine Rechtfertigung nach § 193 in Betracht. Nur unter den Umständen, die nach dieser Vorschrift vorliegen müssen (sie rechtfertigt nicht Äußerungen auf Grund eines Interesses an Katharsis, sondern auf Grund des mit dem Inhalt einer Kundgabe verfolgten Zwecks), entfällt die Rechtswidrigkeit ehrenrühriger Bekundungen über Dritte, welche gegenüber Personen gemacht werden, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, etwa gegenüber Anwälten und Ärzten, wenn sich nicht eine persönliche Beziehung entwickelt hat, die enger Freundschaft vergleichbar ist.69 Umgekehrt gilt das nicht, weil nur Anwalt und Arzt, nicht aber auch Mandant und Patient zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, sodass die Vertraulichkeit ihnen gegenüber entäußerter Angriffe auf den Achtungsanspruch Dritter nicht gewährleistet ist.70 Der Ehrenschutz tritt nicht zurück, wenn im Einzelfall auf Grund seiner besonderen Konstellation auch in einem intakten und erprobten Vertrauensverhältnis Vertraulichkeit nicht gewährleistet ist71 oder wenn eine ehrenrührige Mitteilung einen Weg nehmen muss, der zur Kenntnisnahme eines anderen als des vertrauenswürdigen Kundgabeadressaten führen kann und führt.72 Es besteht kein Anlass, die Rechtfertigung auf Grund vitaler Interessen des sich Äußernden auf mündliche Spontanbekundungen zu be-
64 Rogall SK Vor § 185 Rdn. 47. 65 BVerfGE 90 255 mit zust. Anm. Wasmuth NStZ 1995 100; BVerfG NJW 2007 1194, 1195 für die Korrespondenz von Strafgefangenen; NJW 2010 2937, 2939; OLG Frankfurt NStZ 1994 404; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 7 Rdn. 26; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Vor § 185 Rdn. 9b; Rengier BT 2 § 28 Rdn. 27; Wessels/ Hettinger/Engländer Rdn. 443; Kretschmer JR 2008 51, 54 für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und eheähnliche Lebensgemeinschaften; ähnlich schon Engisch GA 1957 326, 331; wohl auch Geppert Jura 1983 530, 535; aA BayObLGSt 1976 88, 90 = MDR 1976 1036 unter Berufung auf BGH bei Dallinger MDR 1954 335. 66 OLG München NJW 1993 2998. 67 Ähnlich BVerfG NJW 2010 2937, 2939: „Unter solchen Umständen getroffene Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts nicht schutzwürdig wären, genießen in solchen Vertraulichkeitsbeziehungen als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht“; so auch OLG Frankfurt a.M. MMR 2019 381, 382. 68 So auch Otto FS Schwinge 87; Schendzielorz S. 214; aA Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Vor § 185 Rdn. 9a: Strafausschließungsgrund. 69 Wie hier, aber ohne Differenzierung OLG Stuttgart NJW 1963 119; Geppert Jura 1983 530, 535; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 24 Rdn. 33. OLG Hamm NJW 1971 1852, 1854 neigt wohl der hier vertretenen Auffassung zu. AA Praml NJW 1976 1967, 1968; vgl. auch Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Vor § 185 Rdn. 9b: Erstreckung des straffreien Refugiums auf sachbezogene „Vertrauensverhältnisse“; Erstreckung der „beleidigungsfreien Sphäre“ auf Äußerungen des Mandanten gegenüber seinem Verteidiger – nicht aber andersherum – angedeutet bei BVerfG NJW 2010 2937, 2939; offen gelassen von BGH NJW 2009 2690, 2692. 70 BVerfG NJW 2010 2937, 2939; BGH NJW 2009 2690, 2692 f mit zust. Anm. Barton JZ 2010 102; Gössel NStZ 2010 288 und krit. Anm. Norouzi StV 2010 670; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Vor § 185 Rdn. 9b; s. ferner Gaede FS I. Roxin 569; Ruhmannseder NJW 2009 2647. 71 Rogall SK Vor § 185 Rdn. 49; vgl. BayObLGSt 1955 204, 205. 72 BayObLGSt 1976 88, 91. Hilgendorf
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I. Der objektive Tatbestand
§ 185
schränken.73 Erfasst sind deshalb auch schriftliche Kurznachrichten, die zB über den Messenger WhatsApp verschickt werden.74
b) Erscheinungsformen der Kundgabe. Die Kundgabe ist in den meisten Fällen eine verbale 15 mündliche Äußerung. Die lesbare schriftliche Fixierung, heute oftmals über das Internet vermittelt, oder die wortersetzende Geste treten ergänzend hinzu. Ihnen gleichwertig sind symbolische Handlungen, bildliche Darstellungen (insbesondere Karikaturen) und Tätlichkeiten mit dem Sinngehalt der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung. Tätlichkeiten im Sinne von § 185 müssen auf den Körper des Betroffenen spürbar einwirken.75 Manche meinen, es genüge ein gegen den Körper gerichteter tätlicher Angriff.76 In der Tat kann das Ausholen zum Schlag, die fehlgehende Ohrfeige Kundgabe der Missachtung sein. Aber es handelt sich dann um eine Kundgabe, in der eine Beleidigung in Gestalt einer symbolischen Handlung, nicht in Gestalt einer Tätlichkeit zum Ausdruck kommt.77 Der den Körper nicht berührende Angriff ist noch keine Tätlichkeit.78 Beispiele für tätliche Beleidigungen: Schläge, Herumschubsen, Abschneiden der Haare oder des Barts, Anspucken. Die sog. Sexualbeleidigung wirft besonderer Probleme auf. (Rdn. 30 bis 33). Ob körperliche Misshandlungen den Tatbestand der Körperverletzung oder den der Beleidigung oder sowohl den einen als auch den anderen Tatbestand erfüllen, ist eine Frage, deren Beantwortung zunächst auf der Grundlage objektiver Umstände (des Geschehens und seines Hintergrunds, der beteiligten Personen und ihrer Beziehungen, des Umfelds) versucht werden muss. Eine beleidigende Kundgabe in Form symbolischen Handelns liegt vor, wenn ein nach außen in Erscheinung tretendes Verhalten Träger eines bestimmten Sinngehalts ist, der es als Ausdruck der Missachtung, der Geringschätzung oder Nichtachtung erweist. Beispiele: Tippen an die Stirn; Ausspucken vor einem anderen; Anspucken eines Bildes; Ausräuchern oder Abwischen eines Stuhls, auf dem derjenige saß, dem die Kundgabe der Missachtung gilt; Zeigen des ausgestreckten Mittelfingers.79 Im Rahmen der auf Spontaneität ausgelegten Kommunikation in sozialen Netzwerken wird die ausformulierte schriftliche Kommunikation zunehmend durch Kurzformeln, sog. „Emoticons“, ersetzt. Angesichts des geradezu inflationären Einsatzes dieser Kommunikationsmechanismen ist selbst dem Betätigen des grundsätzlich auf Bestätigung ausgelegten „Like-Button“ auf Facebook oder der „Double Tap To Like“-Mechanik bei Instagram nicht zwingend zu entnehmen, dass der Betätigende einer ehrverletzenden Stellungnahme eines Dritten zustimmt.80 Die Bedeutung eines „Likes“ kann sich im Einzelfall auch darin erschöpfen, dass auf die getätigte Aussage aufmerksam gemacht und eine streitige Diskussion angeregt werden soll.81 Für das bloße „Teilen“ eines Beitrags, also die kommentarlose Einbettung in das eigene Profil des Nutzers, gilt das erst recht. Auch im digitalen Raum gelten für die Ermittlung des Sinngehalts der Äußerung die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (Rdn. 17 ff).82 Ehrenrührige Äußerungen können mehr oder weniger kaschiert und fragmentarisch in Er- 16 scheinung treten. Eine solche Äußerung kann z.B. in einer Anspielung liegen. Der Betroffene braucht nicht genannt zu werden, es genügt, dass er individualisierbar ist (Rdn. 10).83 Ist (auch) 73 74 75 76 77 78 79 80
Geppert Jura 1983 535; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Vor § 185 Rdn. 9b. OLG Frankfurt a.M. MMR 2019 381, 382. RGSt 67 174; 70 250; RG GA Bd. 47 157; Rogall SK Rdn. 24; Welzel S. 311. Fischer Rdn. 18a; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 18. Rudolphi/Rogall SK7 Rdn. 24. OLG Karlsruhe NJW 2003 1261. BGH NStZ-RR 2009 172, 173; RG LZ 1915 60; OLG Koblenz NStZ-RR 2011 337. Steenhoff NVwZ 2013 1190, 1193; zum Regelfall der Zustimmung Krischker JA 2013 488, 490; zum in diesen Fällen problematischen Erfordernis der Kundgabe eigener Missachtung sogleich Rdn. 16. 81 Beck in Hilgendorf/Liang (im Erscheinen). 82 Vgl. Rüping/Kamp JuS 1976 660: Sinndeutung der Imitation von Hundegebell als Antwort auf eine Aufforderung. 83 RGSt 52 160. 615
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Beleidigung
der Beleidigte Kundgabeadressat, dann reicht eine Anspielung oder Anzüglichkeit aus, deren Sinngehalt er erfasst. Der Täter braucht den Betroffenen nicht zu kennen, ihn sich nicht einmal vorgestellt zu haben. Es genügt, dass er erst durch ein zukünftiges Ereignis individualisiert wird (der noch zu ermittelnde Sieger einer Springreiterkonkurrenz wird als „brutaler Tierquäler“ bezeichnet). Die Weitergabe eines Schriftstücks, das eine Beleidigung enthält, kann eine eigene Kundgabe der Missachtung des Weitergebenden implizieren, wenn er sich den ehrenrührigen Inhalt zu eigen macht, sich auf ihn bezieht, um seine Meinung zu äußern. Ist das nicht der Fall, kann in der vom Verfasser veranlassten Weiterleitung ein von ihm in mittelbarer Täterschaft begangener Kundgabeakt zu finden sein.84 In Berichten über eine öffentliche Gerichtsverhandlung oder eine öffentliche Versammlung kann der Schreiber eigene Missachtung oder Geringschätzung zum Ausdruck bringen, auch wenn er scheinbar nur über das tatbestandsmäßige Handeln eines anderen informiert.85 Selbst wenn die Weiterverbreitung ehrverletzender Beiträge in sozialen Netzwerken durch „Liken“ oder „Teilen“ als Zustimmung zum Beitrag des Urhebers auszulegen ist (Rdn. 15), muss noch geklärt werden, ob sie sich als Kundgabe eigener Missachtung oder bloß als Zustimmung zu fremder Missachtung darstellt. Gegen das tatbestandlich erforderliche „Zu Eigen-Machen“ wird vorgebracht, dass die ursprüngliche Rollenverteilung zwischen Urheber und Weiterverbreitendem ersichtlich bleibt.86 Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen der Ursprungsbeitrag – wie beim „Like“ – nicht in die eigene Profilseite des Nutzers eingebettet wird. Wer einen Beitrag „teilt“, inkorporiert ihn immerhin in die eigene Profilseite. Ein „Zueigen-Machen“ liegt dann zumindest näher als beim Like,87 setzt aber voraus, dass das „Teilen“ überhaupt als Zustimmung zum Ursprungsbeitrag gewertet werden kann (Rdn. 15). Ohne eigene kommentierende Stellungnahme des Teilenden ist das begründungsbedürftig. Soweit es um die Kenntnisnahme der Bestätigung des Ursprungsbeitrags durch Dritte geht, werden auch Tatherrschaftsüberlegungen gegen die Annahme einer täterschaftlichen Beleidigung durch den Weiterverbreitenden in Position gebracht (Rdn. 42). Eine beleidigende Äußerung kann sogar in der Form Gestalt annehmen, dass der Täter für etwas, was er tut, den Betroffenen als Akteur ausgibt, also durch Manipulation von Tatsachen eine Sachlage schafft, die einen anderen kompromittiert.88 In der Weigerung, eine Beleidigung zurückzunehmen, liegt nicht ohne Weiteres, aber doch möglicherweise, eine neue tatbestandsmäßige Handlung.89 Das Durchstreichen einer beleidigenden Bemerkung nimmt ihr nicht den Charakter der Kundgabe, wenn sie noch lesbar bleibt.
17 c) Die Ermittlung des objektiven Sinnes einer Kundgabe. Eine Äußerung ist beleidigend, wenn nach ihrem objektiven Sinngehalt einem anderen ein in Wahrheit nicht vorliegender Mangel oder Makel nachgesagt wird, der den verdienten Geltungswert mindern würde (vgl. Rdn. 1), wenn er vorläge.90 Damit werden jedoch nicht alle Fälle einer Beleidigung erfasst. Strafwürdige Respektverletzungen, also von Miss- oder Nichtachtung, können nicht bloß in Form von (expliziten oder konkludenten) Behauptungen über angebliche Mängel auftreten, sondern ebenso in einer Vielzahl anderer Formen.91 Eine Beleidigung liegt objektiv dann vor, wenn einer Person in eindeutiger Weise der Respekt versagt wird, den sie nach den zwischen den Beteiligten gel-
84 Vgl. RGSt 41 61, 64. 85 RGSt 46 356, 358. 86 Heckmann/Heckmann jurisPK-Internetrecht, Kap. 8 Rdn. 417; ähnlich Schulte/Kanz ZJS 2013 24, 26; iE so auch Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1; aA, also für Täterschaft, Zaczyk NK Vor § 185 Rdn. 22a.
87 Krischker JA 2013 488, 490 ff; umgekehrt vor zivilrechtlichem Hintergrund OLG Dresden MMR 2017 542. 88 BGH NStZ 1984 216; RG Recht 1910 3427. Zur Frage, ob das Vortäuschen einer Sachlage, um einen anderen zu kompromittieren, eine üble Nachrede sein kann, vgl. § 186 Rdn. 7.
89 RG LZ 1916 810. 90 BGH NStZ 2018 603. 91 Man denke an beleidigende Gesten, das Zeigen von Bildern, usw. Hilgendorf
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I. Der objektive Tatbestand
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tenden Verhaltensstandards erwarten darf. Dies können anzügliche Scherze oder Aufforderungen sein, nicht-verbale Ausdrücke des Ekels oder der Verachtung, Tätlichkeiten (Anspucken, Schlagen), aber auch die explizite oder konkludente Nichtachtung bzw. Herabwürdigung von körperlichen oder psychischen Eigenschaften eines Anderen, insbesondere solchen, die sich auf identitätsstiftende Merkmale der betroffenen Person beziehen. Der objektiv ehrenrührige Sinn muss in der Erklärung einen erkennbaren Ausdruck gefunden haben.92 Objektiver Kundgabesinn ist derjenige, den die Rechtsgemeinschaft insgesamt einer Erklärung beilegt. Es handelt sich hierbei um eine (vom Gericht festzulegende) Fiktion, die sich jedoch empirisch stützen lassen muss. Der objektive Kundgabesinn steht im begrifflichen Gegensatz zu dem Sinn, den der Erklärende meint, d.h. zum subjektiven Sinn und damit zum Vorsatz, wie auch zu dem Sinn, in welchem der Kundgabeempfänger die Äußerung auf Grund von Vorverständnissen oder Überlegungen versteht, die jenseits ihres Erklärungswerts liegen.93 Die Pluralisierung der Gesellschaft führt dazu, dass über den beleidigenden Charakter einer Äußerung in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Meinungen bestehen können. In derartigen Fällen sollte, wenn Täter und Opfer aus derselben Bevölkerungsgruppe stammen, grundsätzlich ihren Ehrvorstellungen Rechnung getragen werden, soweit dies den ordre public nicht verletzt.94 Eine Äußerung, die den intendierten ehrenrührigen Sinngehalt nicht erkennen lässt, wird weder dadurch zu einer Beleidigung, dass sie Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung der Ehre eines anderen manifest machen soll, noch dadurch, dass der Äußerungsempfänger sie als Manifestation des intendierten Sinngehalts versteht. Der ehrenrührige Inhalt muss erklärt, kundgegeben werden. Intention und Verständnis kön- 18 nen den – vom Richter durch Auslegung zu ermittelnden – objektiven Erklärungswert einer Kundgabe nicht ersetzen.95 Aber trotz des begrifflichen Gegensatzes besteht in der Wirklichkeit ein enger Zusammenhang zwischen dem Äußerungswillen und der Äußerungshandlung: Der gemeinte (gewollte) Sinn findet in der Regel durch die Äußerung erkennbaren Ausdruck, stimmt mit dem Sinn des Erklärten überein.96 Deshalb trifft es durchaus zu, dass „in erster Linie Sinn und Absicht des Sprechenden“ darüber entscheiden, „ob gewisse Worte den Tatbestand einer Beleidigung objektiv einschließen oder nicht“.97 Ebenso trifft es zu, dass die nach dem objektiven Sinn fragende Auslegung den Gedankeninhalt ermitteln möchte, den der sich Äußernde mit seiner „Entäußerung“ verbunden hat. Das Ergebnis der Interpretation wird ihm zugerechnet, wenn es an ausreichenden Indizien dafür fehlt, dass das Gesagte und das Gemeinte differieren. Infolgedessen steckt in der den objektiven Sinn ermittelnden Auslegung „ein Stück Beweiswürdigung“.98 Die (möglicherweise) beleidigende Kundgabe gewinnt ihren objektiven Sinn manchmal aus 19 der allgemeinen (regelmäßigen) Bedeutung der verbalen oder sonstigen Zeichen, die der Kommunikator verwendet, und zwar dann, wenn Indizien dafür fehlen, dass nicht das gemeint sein
92 BGHSt 19 235, 237; BGH NJW 1951 368; NJW 1971 1655, 1656; NJW 1978 1797, 1799; RG HRR 1940 1151; BayObLGSt 1957 126, 128 = NJW 1957 1607; 1980 32 = NJW 1980 1969; 1983 32, 34 = NJW 1983 2040; OLG Celle NdsRpfl. 1977 88; OLG Hamm NJW 1971 1852, 1853; NJW 1982 659, 660; KG JR 1984 165 m. Anm. Otto; OLG Köln NStZ 1981 183, 184; Rüping/Kamp JuS 1976 660; Rogall SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 8. 93 Kern Die Äußerungsdelikte S. 21; vgl. auch BVerfGE 93 266, 295; 114 339, 348; BVerfG ZUM-RD 2006 127, 128; BayObLG NJW 2005 1291, 1291. 94 Siehe auch Vor § 185 Rdn. 38. 95 BGHSt 16 49, 52; RGSt 48 230, 233; BayObLGSt 1957 126, 128, 131; 1963 141 = JR 1963 468 mit Anm. Schröder; 1980 32, 34 = NJW 1980 1969; Hirsch S. 86 Anm. 97; aA BGHSt 8 326. 96 RGSt 35 133, 134; Kern Die Äußerungsdelikte S. 21. 97 RGSt 18 142, 144; 41 49, 51. Es geht nicht nur um Worte. In RGSt 18 142 betraf die Interpretationsfrage ein Komma. Es konnte einen „disjunktiven Sinn“ haben oder Appositionen dem Substantiv zuordnen. Als „Appositionskomma“ gab es nach damaligem Verständnis (1888) dem Satz einen ehrenrührigen Inhalt. Er reihte einen Polizeikommissar unter „drei frühere Sozialdemokraten“ ein. 98 So schon Oetker JW 1928 1225. 617
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könnte, was die „Standardbedeutung“ besagt.99 Liegen Anzeichen vor, welche die Sinnidentität in Frage stellen, ist mit der urtümlichen Auslegungsregel „cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis quaestio“ (“Wenn in den Worten keine Zweideutigkeit liegt, darf nach dem Gemeinten nicht gefragt werden“), nichts anzufangen. Es gilt vielmehr die Maxime, dass es Äußerungen, die per se beleidigen, nicht gibt.100 Je nach den Umständen des Falles kann ein beschimpfender Ausdruck zu einer Kundgabe der Sympathie oder der Anerkennung werden (z.B. „ein geiler Typ“), kann eine Redewendung bald Träger einer ehrenrührigen, bald einer den Achtungsanspruch nicht tangierenden Bedeutung sein.101 Beleidigende Kundgaben müssen zur Kenntnis genommen und als ehrenrührige Äußerun20 gen begriffen werden, wenn es zur Vollendung einer Beleidigung in ihrem äußeren Tatbestand kommen soll (vgl. Rdn. 28). Infolgedessen zielt die Frage nach dem objektiven Sinngehalt einer Äußerung, die möglicherweise gegen die Ehre eines anderen gerichtet ist, auf das Verständnis des Erklärungsempfängers ab.102 Aber die Grundlagen dieses Verständnisses werden normativ bestimmt. Es wird nicht nur auf die Aussage als solche und auf die mit ihr im Zusammenhang stehenden (Neben-, Begleit-)Umstände abgestellt, die der Erklärungsempfänger perzipiert hat, sondern auch auf die Umstände, die als Fakten des Falles oder als allgemeine, aber für diesen Einzelfall Beachtung beanspruchende Sachverhaltsmomente erkennbar waren.103 Die Verwendung an sich neutraler Begriffe schließt zwar regelmäßig eine Ehrverletzung durch Tatsachenäußerung, nicht aber auch durch Werturteil aus.104 Richtet sich eine Kundgabe an viele oder an jedermann, muss ein aus den Gegebenheiten abstrahierter „Empfängerhorizont“ zugrunde gelegt werden. Die Rechtsprechung bezeichnet den Träger dieses Horizonts unterschiedlich. Es ist die Rede vom „durchschnittlichen“, „unbefangenen“, „verständigen“, „unvoreingenommenen“, vom „verständigen und unvoreingenommenen“, vom „unverbildeten“, „ruhig und sorgsam würdigenden“, aber auch vom „flüchtigen“, „einseitig eingestellten“, „nicht differen-
99 Vgl. RGSt 65 21; BGH bei Dallinger MDR 1955 396 und OLG Hamm JMBlNRW 1982 12 einerseits, BGH NJW 1971 1655, 1656 und KG JR 1984 165, 166 andererseits. 100 RGSt 60 34, 35; OLG Celle NdsRpfl. 1977 88; OLG Hamm NJW 1982 659, 660; NStZ-RR 2016 244; KG JR 1984 165, 166 mit Anm. Otto; Kern Die Äußerungsdelikte S. 15, 77. BVerfG NJW 2009 749; NJW 2009 3016, 3018 erwägen, dass „besonders schwerwiegende Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache“ – „möglicherweise“ kontextunabhängig stets als persönlich diffamierende Schmähung anzusehen sein könnten. Suchte man nach Beispielen, böten sich die Beschimpfungen an, die der (Fehl-) Entscheidung in LG Berlin MMR 2019 754 („Fall Künast“; tlw. Selbstkorrektur durch LG Berlin BeckRS 2020 239) zugrunde lagen. Besonders primitiv und bösartig waren die Inhalte des Gedichts „Schmähkritik“, das Jan Böhmermann an den Türkischen Staatspräsidenten Erdoğan richtete. Zugleich ist das Gedicht Musterbeispiel dafür, dass jede Äußerung in ihren Kontext eingebettet werden muss. Zum „Fall Böhmermann“ s. GenStA Koblenz AfP 2016 556 einerseits (Bestätigung der Einstellung des Strafverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO), OLG Hamburg ZUM-RD 2018 484 mit Anm. Hoßbach (tlw. Unterlassungsanspruch, bestätigt durch BGH VI ZR 231/18) andererseits; dazu ferner Christoph JuS 2016 599; Fahl NStZ 2016 313; Faßbender NJW 2019 705. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des OLG Hamburg wurde zu Recht gegen mangelnder Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG 1 BvR 2026/19, dazu kritisch, aber nicht überzeugend Vasel NJW 2022 740. 101 So sollen sich etwa dem Ausspruch des sog. „Götz-Zitats“ im schwäbischen Sprachraum nach AG Ehingen NStZ-RR 2010 143, 144 bis zu sieben sozialadäquate Erklärungsgehalte entnehmen lassen; für den Ausnahmefall so auch Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 8. 102 BGH NJW 1965 2395, 2396; NJW 1971 1655, 1656; RGSt 63 112, 115; 65 21, 22; BayObLGSt 1957 126, 131 = NJW 1957 1607; OLG Hamm NJW 1971 1852, 1853; NJW 1982 659, 660; NJW 1982 1656, 1658; Geppert JR 1985 431, 433 Fn. 19. 103 Vgl. OLG Hamm NJW 1971 1852, 1853; KG JR 1980 290 mit Anm. Volk; OLG Köln JMBlNRW 1983 36, 37; VGH München NJW 1984 1136, 1137; OLG Düsseldorf NJW 1989 3030 mit Anm. Laubenthal JR 1990 127; vgl. auch BVerfGE 93 266, 295. 104 OLG Hamm BeckRS 2017 104721; Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht (2022) § 3 Rdn. 181; aA womöglich LG Tübingen NStZ-RR 2013 10 und Fischer Rdn. 8c; s. dazu in Hinblick auf falsche Tatsachenbehauptungen auch Hoven ZStW 129 (2017) 718, 721 ff. Hilgendorf
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I. Der objektive Tatbestand
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zierenden“ Leser, Hörer, Betrachter.105 Der mit dem Empfängerhorizont gewonnene Maßstab hat einen bestimmten Zweck: Der Inhalt einer Äußerung soll für die richterliche Wertung kongruent mit dem Inhalt sein, den sie im Verständnis des Kreises, für den sie bestimmt war, erlangt hat.106 So muss etwa im Internet in besonderem Maße den spezifischen Umgangsformen einschlägiger Nutzerkreise Rechnung getragen werden.107 Sind die „angesprochenen Kreise“ nicht homogen, muss differenziert werden.108 Die Be- 21 rücksichtigung verschiedener „Empfängerhorizonte“ (z.B. von „verständigen Lesern“ und „Lesern einfacher Denkart“, von „einseitig eingestellten“ und „ruhig und sorgsam würdigenden, unbeteiligten Betrachtern“; von kulturell unterschiedlich geprägten Internetnutzern rund um den Globus), aber auch Gründe, die „horizontunabhängig“ sind – wie die Bedeutung eines Kommas,109 das fragwürdige tertium comparationis110 –, können dazu führen, dass der objektive Erklärungswert einer Äußerung mehrdeutig ist, ehrenrührig nach der einen, nicht ehrenrührig nach der anderen Interpretation. Ein Strafurteil verstößt in diesem Fall schon dann gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit, wenn das Gericht die zur Verurteilung führende Bedeutung zu Grunde legt, ohne vorher andere mögliche, nicht völlig fern liegende Deutungen mit schlüssigen Argumenten auszuschließen.111 Der Tatrichter muss sich in den Urteilsgründen mit den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten auseinandersetzen, um dem Revisionsgericht die Überprüfung der Freiheit von Rechtsfehlern zu ermöglichen. Sind aber mehrere Auslegungen denkbar, darf das Revisionsgericht die Bewertung des Tatrichters nicht durch seine eigene ersetzen.112 Wenn sich für die strafrechtlich nicht relevante Auslegung auch mit Hilfe der erkennbaren 22 Absichten und Vorstellungen des Kommunikators keine Präferenz ergibt,113 gilt Folgendes: Der objektive Tatbestand ist verwirklicht, falls ein „beachtlicher Teil“114, ein „nicht unerheblicher Teil“115 der „angesprochenen Kreise“ der Äußerung einen ehrenrührigen Sinn beilegt und dieser Sinn sich aus der Erklärung und den ihn mitbestimmenden, erkennbaren Umständen des Falles (Rdn. 19) entnehmen lässt.116 Auch der subjektive Tatbestand ist verwirklicht, wenn der Kommunikator wollte oder doch damit rechnete, dass ein Teil der Leser, Hörer oder Betrachter seine 105 BGHSt 3 346, 347; 16 49, 53; 19 235, 237; BGH NJW 1961 1913, 1914; NJW 1971 1655, 1656; NJW 1974 1762, 1764; NJW 1978 1797, 1799; NJW 1982 2246, 2248; NJW 1983 1194, 1195; NJW 2006 601, 602; RGSt 63 112, 115; 65 21, 22; BayObLG NJW 2005 1291, 1291; OLG Hamm NStZ 2008 631, 631; OLG Karlsruhe NStZ 2005 158, 158; NStZ-RR 2006 173; OLG Köln NStZ 1981 183; OLG Köln JMBlNRW 1983 36, 37; LG Frankfurt am Main NJW-RR 2006 1200, 1202; VGH München NJW 1984 1136, 1137. 106 RGSt 35 133, 135. 107 So auch Su. Beck MMR 2009 736; Regge/Pegel MK Rdn. 12. Die Konstruktion eines „rechtsfreien Raums“ darf daraus indes nicht resultieren, s. bereits Vor § 185 Rdn. 41. 108 Vgl. BGH NJW 1971 1655, 1656; NJW 1983 1194, 1195 mit Anm. Zechlin; RGSt 63 112, 115; OLG Hamburg MDR 1967 146, 147. 109 RGSt 18 142, 144. 110 RGSt 61 151, 154. 111 BVerfGE 82 43, 52; 93 266, 295 f; 94 1, 10 f; 107 275, 282; 114 339, 349; NJW 2005 3274, 3274; NJW 2009 3016, 3018; NJW 2014 3357, 3358; BerlVerfGH NJW-RR 2006 1704, 1706; OLG Hamm NStZ-RR 2007 140, 140; OLG Karlsruhe BeckRS 2019 27662 Rdn. 7; KG NStZ-RR 2013 8, 9. Diese Rechtsprechung findet allerdings keine Anwendung bei der Entscheidung über die Unterlassung zukünftiger Äußerungen, da sich hier der Äußernde in Zukunft eindeutig auszudrücken vermag, BVerfGE 114 339, 350 mit krit. Bespr. Teubel AfP 2006 20; BVerfG NJW 2006 3769, 3773; OLG Köln NJW-RR 2007 43, 44. 112 OLG Hamm NStZ 2008 631, 631; OLG Karlsruhe NStZ 2005 158, 158 zur strafrechtlichen Bewertung der Äußerung „Sie können mich mal …“. Vgl. auch BayObLG NJW 2005 1291, 1291 f zur Bezeichnung eines Polizeibeamten als „Wegelagerer“; kritisch hierzu Otto NJW 2006 575, 577. 113 Vgl. RGSt 18 142, 144; 41 49, 51; KG JR 1984 165, 166. 114 BGH NJW 1983 1194, 1195. 115 BGH NJW 1971 1655, 1656. 116 RGSt 35 133, 135; 61 151, 155; 63 112, 115; RG HRR 1933 348; RG DR 1939 1981, 1982; BGHSt 16 49, 52; OGHSt. 2 291, 311; BayObLGSt 1957 126, 131 = NJW 1957 1607; vgl. auch BGH NJW 1971 1655, 1656; s. dazu aus der Perspektive des § 186 auch Hoven ZStW 129 (2017) 718, 720 ff. 619
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Beleidigung
Kundgabe als Angriff auf die Ehre eines anderen versteht.117 Nichts im Begriff der Kundgabe oder des Kundgabevorsatzes nötigt oder berechtigt in solchen Fällen der Mehrdeutigkeit mit partiellem Konsens dazu, die strafrechtlich relevante Sinndeutung zu ignorieren, weil auch strafrechtlich irrelevante Interpretationen möglich sind.118 Es wäre verfehlt, unter Außerachtlassung des überwiegenden Sprachgebrauchs nach einer unverfänglichen Interpretation zu suchen, wenn die Beleidigung für einen „Normalsprecher“ auf der Hand liegt. Kann von einer Äußerung gesagt werden, dass sie verschiedene Sinngehalte ausdrückt, dann kann der Kommunikator sich von keinem davon distanzieren, wenn er jeden von ihnen in seinen Verwirklichungswillen aufgenommen hat. Zur Ermittlung des Sinngehalts von Aussagen, die sich künstlerischer Ausdrucksformen bedienen, insbesondere von Satiren und Karikaturen, vgl. Rdn. 24 und 25. 23 Die Umstände des Falles, die als Momente des Sachverhalts den Sinn einer Kundgabe (mit-)bestimmen, sofern sie als erkennbare Umstände der Erklärung anzusehen sind (Rdn. 19),119 lassen sich nicht erschöpfend aufzählen. Es kommen in Betracht: Situative und kontextuale Zusammenhänge, örtliche und zeitliche Verhältnisse und Vorgänge, Anschauungen, Gewohnheiten, Gebräuche und Sprachregelungen der Kreise, denen die an der Kommunikation Beteiligten angehören (speziell zu Anträgen von Strafverteidigern Wohlers StV 2001 420, 428), die Persönlichkeiten des Akteurs und des Betroffenen, ihre Beziehungen zueinander, der Wissensstand des Kundgabeempfängers (der insbesondere in Fällen der esoterischen Kommunikation und bei Anspielungen von Bedeutung sein kann), die gesellschaftliche Ebene, auf der agiert wird, der reaktive Gehalt einer Äußerung, andere argumentative Zusammenhänge, Absichten, Meinungsimplikationen, die Verwendung sprachlicher Ausdrücke oder von Darstellungen als Werkzeuge, mit denen man zweckbedingt und zweckbezogen operiert.120
24 d) Sinnermittlung bei Werken der Kunst. Auch bei der Ermittlung des Sinngehalts von Aussagen, die in künstlerischen Ausdrucksformen gemacht werden, ist nach dem Verständnis der Empfänger, nach dem Empfängerhorizont zu fragen. Künstlerische Äußerungen können, wenn es darum geht, ob sie in eindeutigem Bezug auf die Wirklichkeit (auch) Kundgaben der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung sind, auf der tatbestandlichen Ebene keine besonderen Interpretationsmaßstäbe für sich in Anspruch nehmen. Dort allerdings, wo der eindeutige Realitätsbezug fehlt, weil durch das Stilmittel der Verfremdung die Aussage von der Ebene des wirklichen Lebens abgehoben worden ist, wo das Faktische und das Poetische sich verbunden haben, muss auf kunstspezifische Betrachtung, Anwendung „werkgerechter Maßstäbe“ Bedacht genommen werden.121 Denn in dem Maße, in dem das Individuelle verfremdet wird, nur als Vehikel oder Paradigma „künstlerischer Wahrheit“ erscheint, schwindet die Gefahr, dass es von
117 RGSt 61 151, 155; 63 112, 115; 65 21, 22; BayObLGSt 1957 126, 131 = NJW 1957 1607. 118 Der Aufdruck „A.C.A.B“ auf einem Stoffbeutel kann sich deshalb auch dann in verfassungsrechtlich zulässiger Weise mit dem Ausspruch „All Cops Are Bastards“ gleichsetzen lassen, wenn unter dem Akronym der Schriftzug „All Cats Are Beautiful“ prangt, s. BVerfG NJW 2017 2607; Ollech NStZ-RR 2016 278. 119 Vgl. BGH NJW 1971 1655, 1656; RGSt 35 133, 135; 48 230, 232; OLG Düsseldorf NJW 1998 3214 mit Anm. Otto JK 9; OLG Hamm NJW 1971 1852, 1853; OLG Köln NStZ 1981 183; enger BayObLG NStZ-RR 2002 210 mit Anm. Zaczyk JR 2003 36. 120 BGHSt 12 287, 294; BGH NJW 1951 368; NJW 1971 1655, 1656; NStZ 1986 453, 454; RGSt 41 49, 51; 61 151, 154; 63 112, 115; 65 21, 22; BayObLGSt 1957 126, 128 = NJW 1957 1607; 1963 141 = JR 1963 468 mit Anm. Schröder; OLG Celle NdsRpfl. 1977 88; OLG Frankfurt JR 1972 515 m. Anm. Hirsch; OLG Hamm NJW 1982 659, 660; NJW 1982 1656, 1658; NStZ-RR 2016 244; OLG Köln NStZ 1981 183, 184; OLG Köln JMBlNRW 1983 36, 38; VGH München NJW 1984 1136, 1137; Kern Die Äußerungsdelikte S. 76 ff; Otto JR 1983 1, 7. 121 BVerfGE 30 173, 195; 67 213, 230; BVerfG NStZ 1988 21, 22; BGH NJW 1975 1882, 1884; NJW 1983 1194, 1195; Würtenberger NJW 1982 610, 611. Hilgendorf
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I. Der objektive Tatbestand
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ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen oder Werturteilen tangiert wird.122 Für ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, soll daraus auch bei Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit eine Vermutung für die Fiktionalität des Textes erwachsen.123 Nicht jedermann ist mit diesen Zusammenhängen vertraut. Deshalb muss in Fällen einer Verfremdung, die diesen Namen verdient,124 auf den „verständigen“, „differenzierenden“, gegenüber künstlerischen Erscheinungsformen „nicht völlig unbewanderten“ Durchschnittsleser (-hörer, -betrachter) abgestellt werden.125 Fehlt eine vom „Stoff“ der Realität distanzierende Verfremdung oder wird in plakativen Vereinfachungen gerade der „nicht differenzierende“, der „einseitig eingestellte“, der „naive“ oder der „flüchtige“ Betrachter (Leser, Hörer) angesprochen, muss auch sein „Empfängerhorizont“ Berücksichtigung finden. Die Interpretation einer künstlerischen Aussage erfordert eine Gesamtschau des Werks, insbesondere auch dort, wo der Sinngehalt durch mehrere Ausdrucksmittel (z.B. durch Bild und Text) geformt worden ist.126 Satire und Karikatur sind „spezifische Formen künstlerischen und literarischen Schaf- 25 fens“.127 Auf ihrem höchsten Niveau gelten sie als „Entlarvung der Seele“, geben sie „dem Menschen sein wahres Gesicht“ und erfassen sie das Typische am individuellen Beispiel.128 Sie waren und sind überragend wichtige Mittel der gesellschaftlichen Reflexion und Kritik. In kleiner Münze kursieren sie als Witz, Cartoon, Glosse oder Sottise. Ihre Stilmittel sind verzerrende Übertreibung, Verfremdung, Akzentuierung des Komischen, Grotesken oder Makabren an einem Verhalten, einer Absicht oder einer Erscheinung. Sie treiben auf die Spitze, führen ad absurdum, verkürzen und vereinfachen. Sie neigen dazu, dem Interessanten den Vorzug vor dem Wahren zu geben. Immer soll mit Hilfe der künstlerischen Form einem Gedanken, einer Meinung, einem Anliegen ein besonders wirksamer Ausdruck verschafft werden. Aber die Form, die Einkleidung der eigentlichen Aussage, hat nicht nur funktionelle Bedeutung. Auch sie ist eine Äußerung mit eigenem Erklärungswert. Deshalb geht es bei Satire und Karikatur um zwei Auslegungsvorgänge: Die Einkleidung, das karikierende oder satirische Gewand, und die eigentliche Aussage (der „Aussagekern“) müssen unterschieden, der objektive Sinn der einen und der anderen Komponente je für sich ermittelt werden.129 Der Aussagekern, das Ergebnis der Frage nach dem Sinngehalt der unverbrämten, der „prosaischen“ Äußerung, des „tatsächlich Gemeinten“, muss das Ergebnis einer Deutung sein, die dem Empfängerhorizont (Rdn. 20, 24) gerecht wird. Das Postulat ist schwer zu erfüllen. In einer Reihe von Entscheidungen erbringt der „differenzierende Leser“, der „verständige Betrachter“ und sogar der schlichte „Durchschnittsbeobachter“ unwahrscheinliche Interpretationsleistungen.130 Entpuppt sich der Aussagekern als eine nach sei122 OLG Stuttgart NJW 1976 629; Otto NJW 1986 1206, 1210; Zechlin NJW 1983 1195, 1196; s. dazu etwa BayVGH NJW 2011 793: verfremdete Darstellung des Papstes als Puppe mit homosexuellen Attributen keine Beleidigung. 123 BVerfGE 119 1, 28; OLG München NJW-RR 2009 477, 478; Dreier/Wittreck GG Art. 5 Abs. 3 Rdn. 56; v. Münch/ Kunig/Wendt GG Art. 5 Rdn. 151; Ujica/Loef ZUM 2010 670, 674 f. 124 Vgl. BGH NJW 1975 1882, 1884. 125 BVerfGE 67 213, 230; BGH NJW 1987 1194, 1195; OLG Köln JMBlNRW 1983 36, 37 f; Würtenberger NJW 1983 1144, 1146. 126 BVerfGE 67 213, 228; OLG Hamm NJW 1982 659, 660; OLG Köln JMBlNRW 1983 36, 38; Würkner NStZ 1988 23, 24. 127 Würtenberger NJW 1982 610. Zu den Erscheinungsformen der Satire von Becker GRUR 2004 908, 908 ff. Zu den rechtlichen Grenzen der Satire Gärtner S. 166 ff, insbesondere S. 197 ff zu den Ehrverletzungsdelikten; Oppermann S. 71 ff; aus verfassungsrechtlicher Perspektive Faßbender NJW 2019 705. 128 Radbruch Karikaturen der Justiz (1957) S. 14. 129 BVerfG NStZ 1988 21, 22 m. Anm. Würkner; BGH NJW 2004 596, 597; RGSt 62 183, 184; BayVGH NJW 2011 793, 794; BayObLGSt 1957 126, 128 = NJW 1957 1607; OLG Hamburg MDR 1967 146 und NJW 1985 1654 = JR 1985 429; OLG Hamm NJW 1982 659, 660; NJW-RR 2004 919, 920; OLG Köln JMBlNRW 1983 36, 37; Geppert JR 1985 430; Otto NJW 1986 1206, 1207; Würtenberger NJW 1982 610, 612 und 1983 1144, 1145; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 8a; kritisch gegenüber der Unterscheidung zwischen Einkleidung und Aussagekern in Anbetracht moderner Unterhaltungs- und „Comedy“-Formate von Becker GRUR 2004 908, 911 ff. 130 Vgl. BGH NJW 1983 1194, 1195; OLG Köln JMBlNRW 1983 36, 38; VGH München NJW 1984 1136, 1137. 621
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Beleidigung
nem objektiven Sinngehalt ehrenrührige Kundgabe, kann der Kommunikator dennoch vorbringen, er habe angenommen, der Mangel an Ernstlichkeit werde nicht verkannt, wenn er seine Äußerung so verpacke, wie er es getan habe. Spricht die Gesamtschau des Werks (Rdn. 24) für dieses Vorbringen, kann es den Beleidigungsvorsatz in Frage stellen.131 26 Die karikierende oder satirische Einkleidung ist das Element, das die Kunstformen der Satire und der Karikatur auszeichnet. Ohne Übertreibung, Verzerrung, Verkürzung, Vereinfachung, Verfremdung des Vertrauten können diese Kunstformen nicht leben. Das wissen der verständige Durchschnittsbetrachter und der differenzierende Durchschnittsleser (-hörer). Deshalb darf die Einkleidung „nicht nach allgemeinen Maßstäben“ gemessen werden.132 Grenzen gibt es auch für sie,133 denn auch die Satire „darf nicht alles“.134 Jedenfalls die Menschenwürde der Betroffenen bildet eine Grenze, deren Überschreitung zur Strafbarkeit führen kann.135 Die Maßstäbe für die Beurteilung satirischer Formen sind in der Regel aber weniger streng als für die Bewertung des Aussagekerns.136 Sie liegen etwa dort, wo der objektive Sinn der Einkleidung sie als Schmähung,137 Besudelung oder Diffamierung138 erweist, wo ihr Sinngehalt darin liegt, dem Betroffenen den personalen Status abzusprechen (§ 193 Rdn. 25).139 Auch insoweit ist auf Vorsatzebene indes erforderlich, dass der Äußernde in Kauf nimmt, dass die Einkleidung als ernstlicher Angriff auf den Geltungswert des Betroffenen verstanden wird.140
27 e) Kundgabe durch Unterlassen, Vollendung der Kundgabe. Die Beleidigung ist ein Begehungsdelikt. Der äußere Tatbestand verlangt eine ehrenrührige Kundgabe als ersten Tatumstand (Rdn. 10). Der Akt der Kundgabe kann sich darin manifestieren, dass etwas nicht getan wird. Auch in einem solchen Falle ist er durchaus Verlautbarung, Erklärung in der Form konkludenten Handelns.141 Die Beispiele, die in der Literatur geboten werden,142 sind gelegentlich nur Exempel für Missachtung der Konvention, für den Mangel an Bereitschaft zu positiven Achtungserweisen und für Indizien über Einstellungen des „Täters“, die in der ehrdifferenten Erklärung nicht zum Ausdruck kommen.143 Als unechtes Unterlassungsdelikt kann die Beleidigung in Fällen der Ingerenz in Erscheinung treten.144 Im Übrigen kann sich ein Garant, der eine Beleidigung durch einen Dritten nicht verhindert, nur der Beihilfe schuldig machen, weil Täter nur
131 Vgl. RGSt 12 141; 62 183, 184; Rogall SK Rdn. 7. 132 OLG Hamburg MDR 1967 146, 147; ebenso RGSt 62 183, 185; OLG Hamburg NJW 1985 1654; OLG Köln JMBlNRW 1983 36, 39; Geppert JR 1985 430, 431; Rogall SK Rdn. 7.
133 BVerfG NStZ 1988 21, 22; OLG Hamburg NJW 1985 1654; OLG Hamm NJW 1982 659, 660. 134 Hufen JuS 2022 897 (899). 135 Nicht überzeugend deshalb die Einstellungsverfügung der StA Berlin 231 Js 1906/20 vom 10.09.2020 zu einem journalistischen Beitrag, in welchem Polizisten pauschal als „Müll“ abqualifiziert und die Empfehlung ausgesprochen wurde, sie auf der Müllhalde zu entsorgen. Das gleiche gilt für das „Böhmermann-Gedicht“, dazu Christoph JuS 2016 599; Fahl NStZ 2016 313; Faßbender NJW 2019 705. Siehe auch oben Fn. 101. 136 BGH NJW 2004 596, 597; OLG Hamm NJW-RR 2004 919, 920. 137 BGH NJW 2004 596, 597; OLG Köln JMBlNRW 1983 36, 39. 138 OLG Hamm NJW 1982 659, 660; KG NStZ 1992, 385 mit Anm. Liesching/von Münch NStZ 1999 85. 139 Vgl. BVerfGE 67 213; Würkner NStZ 1988 23, 24. Zum Ganzen auch Erhardt Kunstfreiheit und Strafrecht (1989). 140 Abgelehnt im „Fall Böhmermann“ durch GenStA Koblenz AfP 2016 556; s. aber auch OLG Hamburg ZUM-RD 2018 484 mit Anm. Hoßbach (tlw. Unterlassungsanspruch, bestätigt durch BGH VI ZR 231/18); dazu ferner Christoph JuS 2016 599; Fahl NStZ 2016 313; Faßbender NJW 2019 705. 141 Rogall SK Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 12. 142 Unterlassung der Anrede „Herr“; Nichtverwendung einer im Briefverkehr üblichen Höflichkeitsformel; Nichterwidern eines Grußes; Nichtergreifen der dargebotenen Hand; das Wegsehen, Übersehen oder Weghören; das räumliche Distanzieren, vgl. Hirsch Ehre und Beleidigung S. 238 ff m.w.N.; Kern Die Äußerungsdelikte S. 70; Liepmann VDB Bd. IV (1906) 272 f. 143 Hirsch S. 239. 144 Geppert Jura 1983 660, 662; Hirsch S. 241; OLG Köln NJW 1996 2878. Hilgendorf
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I. Der objektive Tatbestand
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derjenige sein kann, der Subjekt der ehrenrührigen Äußerung ist.145 Soweit das Unterlassen der Löschung rechtswidriger Inhalte im Internet in Rede steht, wirft dies auch Fragen der Providerhaftung auf; dazu Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht (2022) § 2 Rdn. 52 ff; Zieschang GA 2020 57. Eine ehrenrührige Kundgabe und damit der äußere Tatbestand der Beleidigung ist vollen- 28 det, wenn ein anderer von ihr Kenntnis erlangt (Rdn. 10) und sie in ihrem ehrenrührigen Sinn wahrgenommen hat.146 Kenntnisnahme über das Medium einer Videokamera reicht aus.147 Nach früher herrschender Ansicht ist das Sinnverständnis nicht erforderlich.148 Das geistige Erfassen des ehrenrührigen Sinnes ist jedoch notwendig, weil eine nicht verstandene Äußerung so gut wie keine Äußerung ist.149 Auch beleidigende Kundgaben sind Akte inhaltlicher Kommunikation, nicht nur Auslöser physikalischer Vorgänge. Soll durch eine Tatsachenbehauptung fremde Missachtung hervorgerufen werden, ergibt sich aus der tatbestandlichen Struktur der Delikte (§§ 186, 187) das Erfordernis, dass der Kundgabeempfänger den Äußerungssinn versteht.150 Hat der Kundgebende alles getan, was der Akt der Kundgabe von ihm erfordert, wird durch einen bloßen Sinneswandel die Verwirklichung des äußeren Tatbestands nicht in Frage gestellt.151 Soll die Verwirklichung abgewendet werden, muss der Kundgebende den Erfolg (die Kenntnisnahme durch einen den Sinn seiner Äußerung verstehenden anderen) vereiteln.152 Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn jemand vom Inhalt einer schriftlich fixierten Beleidigung, die der Täter auf den Weg brachte oder bringen ließ, unter Verletzung des Briefgeheimnisses Kenntnis erlangt.153 In der Konsequenz dieser Auffassung liegt es, vollendete Beleidigung anzunehmen, wenn der Kundgebende die ehrenrührige Äußerung seiner Schreibkraft diktiert und sie „die ehrenkränkende Bedeutung“ des Diktats „richtig auffasst“, gleichgültig, wie der weitere Vorgang verläuft.154 Ein Irrtum des Täters über die Person seines (fernmündlichen) Gesprächspartners stellt weder die Verwirklichung des äußeren noch des inneren Tatbestands in Frage.155
4. Folgerungen aus dem Ehrbegriff und der Deliktsstruktur Die Beleidigung ist ein Kundgabedelikt. Die Äußerung, die der Tatbestand verlangt, muss in 29 ihrem objektiven Sinngehalt ehrenrührig sein (Rdn. 17). Das ist sie, wenn einem anderen ein in Wahrheit nicht vorliegender Mangel oder Makel nachgesagt wird, der den personalen oder sozialen Geltungswert minderte, wenn er vorläge, oder, allgemeiner gesprochen, wenn einer Person in eindeutiger Weise der Respekt versagt wird, den sie nach den zwischen den Beteiligten geltenden Verhaltensstandards erwarten darf. Es geht also um gesellschaftliche Standards, 145 Hirsch S. 242; Rogall SK Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 12. 146 BGHSt 9 17, 19; RGSt 65 21; BayObLGSt 1976 88, 91 = MDR 1976 1036; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2019 246; Binding Lehrbuch 145; Geppert Jura 1983 530, 533; Hirsch S. 16 Anm. 7 und 218 Anm. 39; Kern Die Äußerungsdelikte S. 25; Regge/Pegel MK Rdn. 38; Rengier BT 2 § 28 Rdn. 22; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 444; aA Schößler Anerkennung und Beleidigung S. 248; Schramm FS Lenckner S. 539, 560. 147 BayObLG NJW 2000 1584. 148 BGH NJW 1951 368; RGSt 29 398, 399; 60 34, 35; BayObLGSt 1957 126, 128 = NJW 1957 1607. 149 Kern Die Äußerungsdelikte S. 25; ähnlich OLG Zweibrücken NStZ-RR 2019 246, 248 (keine Beleidigung durch abwertende, umgangssprachliche Äußerung in einer Sprache, welche die Erklärungsempfängerin nicht beherrschte). 150 OLG Zweibrücken NStZ-RR 2019 246; Regge/Pegel MK Rdn. 38. 151 RGSt 48 62, 64. 152 RGSt 57 193, 195. 153 Vgl. RGSt 26 207; RG Recht 1917 129; BayObLGSt 1976 88, 91 = MDR 1976 1036. 154 RG JW 1924 911 Nr. 5, Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; aA Zaczyk NK Vor § 185 Rdn. 19. 155 BayObLGSt 1986 89, 90 = JR 1987 431 mit Anm. Streng, der der Frage nachgeht, wer in solchen Irrtumsfällen als Verletzter anzusehen ist, wenn die Tat sich gegen den Achtungsanspruch desjenigen richtete, den der Täter für den Angesprochenen hielt. 623
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§ 185
Beleidigung
die grundsätzlich einer empirischen Klärung zugänglich sind. Nicht tatbestandsmäßig ist z.B. das Absprechen von besonderen Verdiensten, Eigenschaften, Vorzügen, Leistungen, Vorrechten, der Angriff auf das gesellschaftliche Ansehen, die Nichtrespektierung von Rechtspositionen und von rechtlich geschützten Beziehungen (vgl. Rdn. 34), wenn und solange dem Betroffenen weder ein Mangel an Integrität infolge eines Verstoßes gegen (sozial-)ethische Pflichten, noch eine elementare menschliche Unzulänglichkeit nachgesagt wird (Vor § 185 Rdn. 16, 17). Gleiches gilt von Unhöflichkeiten, Taktlosigkeiten, Verstößen gegen die Konvention (vgl. Rdn. 23), Belästigungen, Foppereien156 oder Drohungen.157 Sie werden zu beleidigenden Akten, wenn in ihrem objektiven Sinngehalt zum Ausdruck kommt, der Betroffene sei moralisch oder auf Grund elementarer Unzulänglichkeiten minderwertig, weshalb man mit ihm sein „Spielchen“ treiben, sich ihm gegenüber flegelhaft oder provozierend benehmen könne,158 oder wenn auf andere Weise berechtigte Erwartungen basalen zwischenmenschlichen Respekts verletzt werden. Das gilt etwa, wenn ein Anderer als „Neger“ oder „dumme Kartoffel“ (für „Biodeutsche“) bezeichnet wird.159 Auch Scherze sind ehrenrührige Äußerungen nur unter dieser Voraussetzung,160 desgleichen die Behauptung beruflicher Defizite. Der an einen Richter adressierte Vorwurf zögerlicher Verfahrensführung ist zumeist noch nicht tatbestandsmäßig;161 etwas anderes gilt, wenn dem Richter willkürliches Vorgehen vorgeworfen wird.162 Auch eine Verletzung der gewählten Rolle oder Identität kann berechtigte Erwartungen von Respekt verletzen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn Männer (z.B. Politiker) gezielt und beharrlich mit einem weiblichen Vornamen angesprochen werden (oder Frauen mit einem männlichen). Dasselbe gilt für Fälle, in denen eine transsexuelle Person mit einem Vornamen des ihr „fremden“ Geschlechts (etwa einem früheren Namen) angesprochen wird; hier ist allerdings auf den Nachweis des Vorsatzes besonderer Wert zu legen. Schon an der Äußerung einer Meinung oder einer Tatsache fehlt es in der Regel, wenn jemand durch Eindringen in fremde Privatsphäre Neugierde befriedigen oder Informationen erlangen will. Im heimlichen Beobachten eines Liebespaars, das in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten austauscht, liegt daher keine Beleidigung.163 Dasselbe gilt für heimliche Fotoaufnahmen, selbst wenn sie den Betroffenen in peinlichen Situationen zeigen (vgl. auch den durch das 36. StRÄndG vom 30.7.2004 eingeführten § 201a). Dagegen kann in der Weitergabe derartiger Aufnahmen oder in ihrer Publikation in Zeitschriften oder im Internet eine Beleidigung zu sehen sein, etwa, wenn die Aufnahmen unter massiver Verzerrung des zugrundeliegenden Kontextes verwendet werden.164
30 a) Beleidigung durch Sexualstraftaten oder andere sexuelle Handlungen?165 Die Beleidigung ist ein Äußerungsdelikt, außerdem darf die Ehre nicht ohne Weiteres mit der Personwürde 156 Vgl. BayObLGSt 1963 141 = JR 1963 468 mit Anm. Schröder; 1980 32, 34 = NJW 1980 1969; OLG Bamberg DAR 2008 531 zur Bezeichnung eines Polizeibeamten als „komischer Vogel“; AG Berlin-Tiergarten NJW 2008 3233 zur Titulierung eines Polizeibeamten als „Oberförster“; Rogall NStZ 1981 102; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 10; Rüping/Kamp JuS 1976 660; OLG Düsseldorf JR 1990 345 mit Anm. Keller; Geppert Jura 2002 820, 825. 157 OLG Oldenburg NStZ-RR 2009 77. 158 Vgl. BayObLGSt 1963 141; 1980 32, 34; OLG Bremen BeckRS 2018 31424 Rdn. 24; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 10. 159 Differenzierend für die Bezeichnung als „Neger“ Fischer Rdn. 12b; wie hier OLG Rostock MMR 2021 488. 160 Vgl. RGSt 12 140, 141. 161 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5. 162 BGH NJW 2004 1541. 163 BayObLG NJW 1980 1969 mit Anm. Rogall NStZ 1981 102; OLG Nürnberg NStZ 2011 217. 164 S. dazu auch Hilgendorf ZIS 2010 208, 214; ferner Si. Beck MMR 2008 77, 80; Su. Beck MMR 2009 736, 738. 165 Mit den „anderen sexuellen Handlungen“ oder mit „sexuellen Handlungen, die den Tatbestand eines Sexualdelikts nicht erfüllen“ (die „keine Sexualstraftaten sind“), werden in Rdn. 30 bis 34 sexuelle Verhaltensweisen angesprochen, die zwar keine Straftat im Sinne des 13. Abschnitts bilden, die aber mit einem moralischen oder rechtlichen Makel behaftet sind, insbesondere deshalb, weil sie das Schamgefühl verletzen oder die geschlechtliche Selbstbestimmung des „Partners“ nicht respektieren. Hilgendorf
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I. Der objektive Tatbestand
§ 185
oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gleichgesetzt werden. Daraus ergeben sich tatbestandliche Grenzen.166 Besonders schwierig ist die Abgrenzung von Beleidigung und Verletzungen des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung. Zwei Fallgruppen können unterschieden werden: (1.) Der Täter hat ein Sexualdelikt oder den mit Strafe bedrohten Versuch eines Sexualdelikts tatsächlich begangen. (2.) Die Bestrafung wegen einer Sexualstraftat kommt nicht in Betracht, weil das sexuelle Geschehen nicht tatbestandsmäßig ist. Für die erste Fallgruppe wurde in Fortführung der reichsgerichtlichen Judikatur lange Zeit angenommen, dass das Sexualdelikt in seinem „regelmäßigen Erscheinungsbild“ auch den Tatbestand der Beleidigung „notwendigerweise“ verwirkliche. Aber § 185 trete zurück.167 Tateinheit mit Beleidigung sei zu bejahen, wenn der Täter einen „zusätzlichen“ Ehrangriff führe, der über das hinausgehe, was zur „regelmäßigen“ Begehung der Sexualstraftat erforderlich sei.168 Kann der Täter, der sich tatbestandsmäßig verhalten hat, wegen des Sexualdelikts nicht bestraft werden (etwa weil er mit strafbefreiender Wirkung vom Vergewaltigungsversuch zurückgetreten ist), sei dagegen § 185 auch in Fällen des „regelmäßigen Erscheinungsbilds“ anwendbar.169 Für die zweite Fallgruppe ließ man die Beleidigung als „kleines Sexualdelikt“170 fungieren: Sexuelle Handlungen, die den äußeren171 oder inneren172 Tatbestand einer Sexualstraftat nicht erfüllen, werden als Beleidigung aufgefasst und zwar ohne Weiteres oder jedenfalls doch unter der Voraussetzung, dass „die besonderen Begleitumstände, unter denen die sexuellen Handlungen angebahnt oder vorgenommen werden, oder die Art und Weise ihrer Vornahme das Verhalten des Täters … als einen Angriff gegen die Ehre erscheinen lassen“.173 Die These, dass Beleidigungen mit dem „regelmäßigen Erscheinungsbild“ von Sexualde- 31 likten, insbesondere mit Vergewaltigungen und sexueller Nötigung, „notwendigerweise verbunden sind“,174 trifft nicht zu. Gewiss respektiert derjenige die Persönlichkeit seines Opfers nicht, der es durch Gewalt oder Drohung zum Beischlaf oder zur Duldung (der Vornahme) sexueller Handlungen zwingt. Aber weder in einem solchen Zwang noch im Ausnutzen des mangelnden Verständnisses von Kindern und Geisteskranken zu sexueller Delinquenz liegt eo ipso eine Kundgabe, die besagt, dass das Opfer einen seine Ehre mindernden Mangel an personalem Geltungswert aufweise, oder eine sonstige Kundgabe von Miss- oder Nichtachtung. Eine solche Äußerung macht auch derjenige nicht, der andere als Statisten zur Befriedigung seines exhibitionistischen Dranges benötigt,175 ebenso wenig derjenige, der andere zum Objekt seines voyeuristischen Vorgehens wählt.176 Schon in der Methode seines Vorgehens gibt der Täter vielfach zu erkennen, dass er die moralische Integrität seines Opfers in Rechnung stellt und dass er deshalb täuscht, Gewalt anwendet, droht oder überrumpelt. U.U. kann die Behauptung eines Mangels an Ehre darin gesehen werden, dass der Täter einem anderen, der einsichts- und urteilsfähig ist, ein bestimmtes sexuelles Verhalten ansinnt. Aber man muss unterscheiden, ob der Täter wirklich (konkludent) erklärt, er schätze den Äußerungsadressaten als eine Person ein, der zuzutrauen sei, dass sie auf sein Ansinnen eingehe, oder ob er nur den Wunsch auf ein 166 Vgl. BGH NStZ 1986 453 = JR 1987 125 mit Anm. Hillenkamp; NStZ-RR 2012 206; NStZ 2018 603; BayObLGSt 1980 32 = NJW 1980 1969; 1986 91; OLG Hamm NJW 1972 883; OLG Zweibrücken MDR 1986 871. 167 BGH StV 1982 14, 15; NStZ 1987 21. 168 BGH StV 1982 14, 15; OLG Frankfurt NJW 1967 2075, 2076: Erzwingung des Geschlechtsverkehrs trotz Monatsblutung. 169 BGH StV 1982 14, 15. 170 Arzt JuS 1982 725. 171 BGH NStZ 1986 453; NStZ 1987 21; NStZ 1988 69; OLG Bamberg NStZ 2007 96; OLG Hamburg NJW 1980 2592; OLG Hamm NStZ-RR 2008 108. 172 BayObLGSt 1963 25 = MDR 1963 333; OLG Düsseldorf NJW 1977 262. 173 BGH NStZ 1986 453, 454; vgl. auch OLG Bamberg NStZ 2007 96; OLG Hamm NStZ-RR 2008 108, 108. 174 BGH StV 1982 14. 175 Haß SchlHA 1975 124 ff; aA OLG Düsseldorf NJW 1977 262. 176 LG Darmstadt NStZ-RR 2005 140: Blick über die Kabinentrennwand einer Damentoilette zur sexuellen Erregung. 625
Hilgendorf
§ 185
Beleidigung
solches Eingehen – ohne Werturteil über die Person des Kundgabeempfängers – zum Ausdruck bringt.177 Hirsch sagt mit Recht: Wäre das Ansinnen einer ehrenrührigen Handlung für sich allein schon eine Beleidigung, müssten alle Fälle der versuchten, am Nichtwollen des Adressaten scheiternden Anstiftung Verletzungen der Ehre darstellen und nach § 185 strafbar sein. Damit würden die engen Grenzen des mit Strafe bedrohten Versuchs der Beteiligung gesprengt.178 Andererseits können unter Zugrundelegung der hier vertretenen Konzeption von Beleidigung – nämlich Verletzung basalen zwischenmenschlichen Respekts – auch anzügliche Scherze, sexistische Aggressivitäten und körperliche Berühungen im Intimbereich die Voraussetzungen einer Beleidigung erfüllen. 32 Die Rechtsprechung hat sich seit den späten 80er Jahren in eine andere Richtung entwickelt. In BGHSt 36 145 (mit Bespr. Otto JZ 1989 803) wurde festgestellt, dass bei einem Sexualdelikt der Tatbestand einer Beleidigung nur vorliegt, wenn der geschlechtliche Angriff über das gewöhnliche Erscheinungsbild eines solchen Delikts hinausgeht und seinen gesamten Umständen nach zum Ausdruck bringt, der Betroffene weise einen ehrmindernden Mangel auf.179 Damit ist der BGH der Meinung, die Beleidigung sei nicht als „kleines Sexualdelikt“ anzuwenden (s.o. Rn. 31), gefolgt. Diese Rechtsprechung ist auch damit zu erklären, dass ansonsten der Wille des Gesetzgebers, der in den 80er und 90er Jahren die Sexualdelikte zurückgenommen hat, konterkariert worden wäre. Die Abgrenzung von Beleidigung und Sexualdelikten ist allerdings nach wie vor im Detail häufig unklar.180 Dies ist darauf zurückzuführen, dass Sexualdelikte nach den Maßstäben der Sozialmoral eben doch meist auch den dem Betroffenen zukommenden Achtungsanspruch verletzen.181 Der Gesetzgeber hat das Sexualstrafrecht in der jüngeren Vergangenheit erheblich ausgeweitet. So macht sich nach § 184i nun bereits strafbar, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt.182 Damit dürfte die Gefahr entschärft worden sein, die Sexualdelikte durch eine zu großzügige Anwendung des Beleidigungsstrafrechts zu unterlaufen. 33 Der gegenwärtige Stand der Diskussion lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Ansicht, dass die Beleidigung nicht dazu da ist und von Rechts wegen nicht dazu da sein kann, „die genau umgrenzten Tatbestände der Sittlichkeitsdelikte auszuweiten und zu ergänzen“,183 Lücken zu schließen, die moralisches Empfinden oder moralisierende Einstellung nicht hinnehmen möchten, hat in BGH NStZ 1986 453 (mit Anm. Hillenkamp JR 1987 126) und BGHSt 36 145 ihre grundsätzliche Anerkennung in der Rechtsprechung gefunden.184 In der Wissenschaft ist sie zur herrschenden Meinung geworden.185 Sie stützt sich auf die Ansicht, dass mit sexuellen Delikten in erster Linie ein Angriff auf das Recht zur sexuellen Selbstbestimmung oder auf das Rechtsgut der ungestörten geschlechtlichen Entwicklung verbunden ist.186 Es ist allerdings offenkundig, dass sich manche Formen massiv respektlosen Verhaltens, auch wenn sie in sexuali177 BGH NStZ-RR 2006 338, 339; OLG Hamm NStZ-RR 2008 108, 109; Geppert Jura 1983 580, 590; Hirsch S. 62 Anm. 41; Rogall SK Rdn. 14.
178 Hirsch S. 62 Anm. 41. 179 Vgl. auch BGH NStZ 1992 33 mit Anm. Keller JR 1992 246; NStZ 2007 218; NStZ-RR 2012 206; NStZ 2018 603; OLG Düsseldorf NJW 2001 3562; OLG Karlsruhe NJW 2003 1263; LG Darmstadt NStZ-RR 2005 140; LG Freiburg NJW 2002 3645 mit Bespr. Martin JuS 2003 300; Adelmann Jura 2009 24, 25; Hillenkamp NStZ 1989 529; Kiehl NJW 1989 3003; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Petri StraFo 2007 221, 224. 180 Vgl. vor allem BGH NJW 1986 2442, dazu Laubenthal JuS 1987 700; Sick JZ 1991 330. 181 Hilgendorf Erwägen, Wissen, Ethik 2008 403, 411. 182 Vgl. auch § 238 (eingefügt durch das 40. StÄG vom 22.3.2007) und bereits Hilgendorf/Hong K&R 2003 168. 183 Kern JZ 1958 618, 619. 184 Vgl. die Angaben Rn. 30. And. OLG Bamberg NStZ 2007 96; vgl. auch die Begründung von OLG Hamm NStZRR 2008 108, 109 für die Ausnutzung einer hoheitlichen Funktion. 185 Schrifttum, das sich dagegen wendet, die Beleidigung als „kleines Sexualdelikt“ fungieren zu lassen (in Auswahl): Arzt JuS 1982 725 f; Geppert Jura 1983 580, 588 ff; Haß SchlHA 1975 124 ff; Hillenkamp JR 1987 126; Hirsch S. 61 ff; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 4; Welzel S. 307. 186 Vgl. Hillenkamp JR 1987 126, 127. Hilgendorf
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I. Der objektive Tatbestand
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sierter Sprache erfolgen und mithin als „sexuelle Belästigung“ einzustufen sind, nicht ohne Weiteres als Sexualdelikt erfassen oder auch nur deuten lassen. Angenommen, ein 16jähriges Mädchen ruft einer älteren Frau hinterher „geiler Hintern, Oma!“, so ist dies eher als Beleidigung zu deuten denn als Sexualdelikt. Es ist schwer zu begründen, warum etwas anderes gelten sollte, wenn der Täter männlich ist und das Opfer eine junge Frau. Die sich seit einigen Jahren abzeichnende Tendenz, Ehrverletzungen dadurch strafrechtlich einzufangen, dass man sie als Sexualdelikte deutet, überzeugt nicht. Angesichts der Tatsache, dass die gesellschaftliche Sensibilität gegenüber „verletzender Sprache“ in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat,187 erscheint es deshalb angemessen, in derartigen Fällen dem Wortlaut der Norm und der gesetzgeberischen Intention entsprechend188 eine strafbare Beleidigung nicht von vornherein auszuschließen.189
b) Beleidigung durch Missachtung der Person, Eingriffe in Rechte und rechtlich ge- 34 schützte Beziehungen? Es ist schon wiederholt betont worden, dass die Ehre ein Attribut des Menschen, ein Aspekt der Personwürde ist. Ebenso gilt: Die Ehre ist nur eines der Rechts- und Lebensgüter, auf die sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht erstreckt. Sie wird nicht ohne Weiteres berührt, wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht (z.B. durch körperliche Misshandlung, Einsperren, Nötigung, Vergewaltigung, Verfälschung des Erscheinungsbildes, „Fake News“) verletzt wird. Es ist auch verfehlt, eine Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung der Ehre in der bloßen Verletzung anderer Rechte, von Ansprüchen, die aus solchen Rechten hergeleitet werden, und von institutionalisierten Beziehungen zu sehen. Daraus folgt: Weder im Ehebruch noch in einer anderen sexuellen oder sexualbezogenen Handlung, die sich zwischen einer verheirateten Person und einem Anderen abspielt, liegt schon deshalb eine Beleidigung des „gehörnten“ Ehegatten, weil solches Verhalten ehezerstörend oder mit dem Wesen der Ehe nicht zu vereinbaren ist (Vor § 185 Rdn. 36). Die Verletzung des Erziehungsrechts als solche impliziert in aller Regel nicht die Kundgabe eines ehrenrührigen Werturteils über den Erziehungsberechtigten (Vor § 185 Rdn. 37).
5. Beispiele für ehrenrührige Kundgaben Ehrenrührig, also beleidigend sind nur Kundgaben, die in ihrem objektiven Sinngehalt einen 35 erheblichen Mangel an geschuldetem Respekt zum Ausdruck bringen (Rdn. 10, 17). Nicht die allgemeine (regelmäßige) Bedeutung einer Äußerung ist entscheidend, sondern die Bedeutung, die sich aus den Umständen des Falles ergibt (Rdn. 19, 23). Die Umstände können einer „an sich“ beleidigenden Kundgabe den ehrenrührigen Erklärungswert nehmen. Er liegt vor allem vor, wenn die auf der Grundlage der Umstände des Falles interpretierte Äußerung dem Betroffenen vorwirft (oder ihm nachsagt), er sei nicht im Vollbesitz der Ehre, weil er seine moralische Integrität nicht gewahrt habe oder eine elementare menschliche Unzulänglichkeit aufweise. Die in diesem Vorwurf liegende Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung kann in Fällen des § 185 ein herabsetzendes Werturteil oder eine herabwürdigende Tatsachenbehauptung sein, wenn lediglich der Betroffene Äußerungsadressat ist. Ist (auch oder nur) ein anderer als der Betroffene Erklärungsadressat, sind nur ehrenrührige Werturteile tatbestandsmäßig im Sinne von § 185 (Rdn. 1). Von einem Vorwurf (oder einer Konstatierung) eines Mangels an Ehre kann keine Rede sein, wenn der Kommunikator den Betroffenen lediglich von ehrenrührigen Äußerungen Dritter unterrichtet, ohne dass er sich diese Äußerungen zu eigen macht.190 187 188 189 190 627
Vor § 185 Rdn. 43. Vor § 185 Rdn. 5 f. Möglicherweise wär aber eine gesetzliche Klarstellung sinnvoll. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1. Hilgendorf
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Beleidigung
Die moralische Integrität wird dem Betroffenen abgesprochen, wenn ihm ein bestimmter Verstoß gegen ethische oder rechtliche Pflichten, der nicht nur Bagatellcharakter hat, vorgeworfen wird, wenn in ihm unmoralisches oder kriminelles Verhalten „personalisiert“ wird („Dieb“, „Ehebrecher“, „Kinderschänder“) oder wenn über ihn ein die gesamte Persönlichkeit erfassendes Urteil moralischer Minderwertigkeit („Charakterlump“, „Rassist“) gefällt wird. So kann die (wörtliche oder abgewandelte bzw. verkürzte) Äußerung des Tucholsky-Zitats „Soldaten sind potentielle Mörder“ eine Beleidigung darstellen.191 Auch wenn im Grundsatz eine Beleidigung angenommen wird, bleibt die Unbestimmtheit des betroffenen Personenkreises problematisch.192 Die moralische Integrität wird auch durch Vorwürfe betroffen, die ein pflichtwidriges Versagen von Gewicht angesichts einer sozialen Aufgabe oder in einer sozialen Rolle zum Gegenstand haben (Vor § 185 Rdn. 14). Schimpfworte sind beleidigend, wenn sie dem Betroffenen die moralische Integrität in der eigenen Lebensführung oder im Verhalten zu anderen absprechen („Lump“, „Schuft“, „Schwein“) oder ihm eine elementare menschliche Unzulänglichkeit attestieren und ihm damit die Fähigkeit absprechen, moralisch integer zu handeln. Die folgenden Beispiele sind nach der Rechtsprechung Paradigmen für den objektiven Tatbestand. Die wichtige Rechtfertigungsfrage (§ 193) wird hier nicht gestellt. – OLG Hamm NJW 1982 1656, 1657: Die Worte „Künstler“ und „Werke“ werden in einem Flugblatt, das sich gegen einen Karikaturisten richtet, in Anführungszeichen gesetzt. – OLG Hamm NJW 1982 659, 660: In Bezug auf einen Kanzlerkandidaten werden in einer Karikatur die Worte „Faschismus“ und „Krieg“ gebraucht (zum Ineinandergreifen von zeichnerischer Darstellung und Text vgl. Rdn. 25, 26). – OLG Hamburg JR 1983 298: Der Buchstabe „ß“ im Namen des Betroffenen wird durch SSRunenzeichen ersetzt. – OLG Hamm JMBlNRW 1982 22: Polizeibeamte werden als „Bullen“ bezeichnet.193 – OLG Karlsruhe MDR 1978 421: Der Betroffene wird als „Jungfaschist“ tituliert. – BayObLGSt. 1983 32, 35 = NJW 1983 2040: Einem Captain der US-Army und einem farbigen Studenten wird ohne erkennbaren sachlichen Grund der Zutritt zu einer Diskothek verweigert. – OLG Schleswig SchlHA 1984 86: Der Angeklagte fährt mit einem Aufkleber herum, der folgende Szene zeigt: Ein Polizeibeamter, ausgerüstet mit Helm, Schutzschild und Schlagstock, beugt sich über eine am Boden liegende, aus dem Kopf blutende Person und holt zum Schlag aus. Das beigefügte Textwort lautet: „Polizeisportverein“. – OLG Düsseldorf JMBlNRW 1981 223, 224: Polizeibeamten wird der Vorwurf gemacht, sie neigten zu pflichtwidrigem, kriminellem Tun. – BGH bei Dallinger MDR 1955 396: Ein Urteil wird als „Terrorurteil“ hingestellt. – OLG Hamm NJW 1971 1852: In einem Brief an einen Rechtsanwalt (der die Verteidigung übernehmen sollte) wird von einem Richter behauptet, er sei „typisch voreingenommen“, habe „sehr einseitige Verhandlungspraktiken“ und habe sich mit dem Pflichtverteidiger abgesprochen, um den Briefschreiber „auf die billige Tour ins Zuchthaus zu schicken“.194 – BGH NStZ 1984 216: Beleidigung durch das Schaffen einer Sachlage, die den Beleidigten kompromittiert.
191 LG Frankfurt NStZ 1990 233; BayObLG NJW 1991 1493; OLG Frankfurt NJW 1991 2032; aA z.B. Giehring StV 1992 194, 199; Goerlich Jura 1993 471, 476; gegen die Annahme einer Beleidigung auch BVerfG NJW 1994 2943 mit krit. Bespr. Herdegen NJW 1994 2933; Grasnick JR 1995 162; Campbell NStZ 1995 329; Stark JuS 1995 689; zust. dagegen Lorenz NJ 1994 561; zurückhaltender BVerfGE 93 266, 297 mit krit. Bespr. Otto NStZ 1996 127. Zum Ganzen eindringlich Tettinger JuS 1997 769. Zur auf Bundeswehrsoldaten bezogenen Aussage „Morden, Ja“ siehe KG NJW 2003 685. 192 Vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1989 1367; BGHSt 36 83. 193 Zur Verwendung dieses Ausdrucks vgl. auch KG JR 1984 165; LG Regensburg NJW 2006 629. 194 Zu den Grenzen des Rechts der Presse, an einem Gericht Kritik zu üben, vgl. OLG Zweibrücken GA 1978 208; zur Freiheit des Richters, sich in den Entscheidungsgründen eindeutig zu artikulieren, vgl. BGHZ 70 1. Hilgendorf
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I. Der objektive Tatbestand
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§ 185
OLG Celle ZUM-RD 2004 471: Bezeichnung eines Kommunalpolitikers in einem Pressebericht als „Schleimer“. LG Hildesheim NJW-RR 2004 1418, 1419: ein Rechtsanwalt wird innerhalb der Verhandlung indirekt als Lügner und Betrüger dargestellt. BayObLG NJW 2005 1291: Bezeichnung eines Polizeibeamten bei einer Verkehrskontrolle als „Wegelagerer“. LG Bonn NJW-RR 2006 486: Vorwurf an den Vorstand einer Aktiengesellschaft während einer Hauptversammlung, er habe die Minderheitsaktionäre in der Vergangenheit so schwer belogen, betrogen und über das Ohr gehauen, dass er für alle Ewigkeit ohne Brot und Wasser in den Knast gehöre. BVerfG NJW 2005 3274: Gleichsetzung des Verhaltens von Polizeibeamten mit der nationalsozialistischen Zeit. OLG Oldenburg NStZ-RR 2008 201: Bezeichnung von Staatsanwälten als „Super-Ermittler“ und Vorwurf „entarteten Verhaltens“. BVerfG NJW 2009 749: Titulierung eines Stadtratmitglieds als „Dummschwätzer“. BGH NJW 2009 2690, 2692: Bezeichnung eines Richters als „unfähiger und fauler Richter“, „an dessen Verstand man mit Fug und Recht zweifeln muss“. BVerfG NJW 2009 3016, 3018: Bezeichnung eines Staatsanwalts als „durchgeknallt“. BVerfG NJW 2013 3021, 3022: Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei als „Winkeladvokatur“. OLG Bremen NStZ-RR 2013 276: Vorwurf gegenüber einem Richter, dieser vertrete Auffassungen, wie sie zuletzt in den Nürnberger Rassegesetzen vertreten worden seien. LG Karlsruhe BeckRS 2016 13439: Bezeichnung des Bayerischen Innenministers als „wunderbares Inzuchtprodukt“. BVerfG BeckRS 2017 102107: Vorwurf, ein Polizeibeamter habe bei einer Wohnungsdurchsuchung unerlaubte Substanzen deponiert. BVerfG NJW 2017 2607: Zur-Schau-Stellen eines mit dem Akronym „A.C.A.B“ bedruckten Stoffbeutels vor Polizeikräften. OLG München DVBl 2017 979, 980: Vergleich des Handelns von Richtern mit dem Vorgehen des Präsidenten des NS-Volksgerichtshofs Roland Freisler. Bezeichnung einer Politikerin als „altes … Dreckschwein“, „Fotze“ und „Sondermüll“, LG Berlin ZUM-RD 2020, 31.195 Bezeichnung einer anderen Person als „Neger“, OLG Rostock MMR 2021, 488.
6. Die Wahrheitsfrage in Fällen des § 185 Ehrenrührige Tatsachenbehauptungen, die „in Beziehung auf einen anderen“ aufgestellt wer- 37 den, sind als üble Nachrede in § 186 mit Strafe bedroht, wenn sie „nicht erweislich wahr sind“. Die Fassung des Gesetzes besagt, dass nicht nur ein in der Wahrheitsfrage negatives Beweisergebnis, sondern auch ein non liquet zu Lasten des Täters geht, und dass es gleichgültig ist, weshalb der Wahrheitsbeweis misslingt. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ greift nicht ein.196 Für ehrenrührige Tatsachenbehauptungen nur gegenüber dem Betroffenen – das sind Fälle des § 185 – gilt dagegen nach herrschender Auffassung etwas anderes. § 185 weist die Struktur des § 186 nicht auf. Deshalb darf die Beweislastumkehr, die § 186 statuiert, nicht in den Anwendungsbereich des § 185 ausgedehnt werden. Sie läuft Grundprinzipien des Strafrechts zuwider. Für Fälle des § 185 ist daher der Grundsatz „in dubio pro reo“ uneingeschränkt zu respektieren. Die Unwahrheit einer nur dem Betroffenen gegenüber geäußerten ehrenrührigen Tatsachenbehauptung ist also ein Tatbestandsmerkmal, auf das sich der Vorsatz erstrecken muss. Stehen 195 Dazu Höch K&R 2019 680 f; Hong HRRS 2020 490; Leeser IPRB 2020 166. 196 BGH bei Dallinger MDR 1954 335 und 1955 260. 629
Hilgendorf
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Beleidigung
die Unwahrheit oder vorsätzliches Handeln in Bezug auf die Unwahrheit nicht fest, scheitert eine Bestrafung nach § 185 schon am Nichtvorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen. Im Übrigen fehlt in Fällen des § 185 die sachliche Berechtigung für eine Beweislastumkehr: Ist nur der Betroffene Äußerungsempfänger, tritt keine Außenwirkung ein, wenn er sie nicht herbeiführt (auf diesen Gesichtspunkt hat schon RGSt 4 401, 402 bei der Interpretation der Worte „in Beziehung auf einen anderen“ hingewiesen).197
II. Der subjektive Tatbestand 38 Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz. Bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muss wissen oder damit rechnen, dass er über einen anderen etwas Ehrenrühriges äußert,198 und er muss wollen (damit rechnen), dass der Betroffene oder ein Dritter von seiner Äußerung Kenntnis erlangt.199 Es ist außerdem erforderlich, dass der Täter will (davon ausgeht) oder damit rechnet, dass der Kundgabeadressat seine Äußerung in ihrem ehrenrührigen Sinne versteht (Rdn. 28).200 Auf Kränkungsabsicht (animus iniuriandi) kommt es nicht an.201 Rechnet der Täter damit, dass seine in ihrem objektiven Erklärungswert ehrenrührige Äußerung als Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung verstanden werden kann, entfällt sein Vorsatz nicht deshalb, weil er ihr einen anderen Sinn beigelegt hat.202 Andererseits kann weder sein Wille noch die Sinndeutung durch Erklärungsempfänger bewirken, dass eine in ihrem objektiven Sinngehalt nicht beleidigende Äußerung für den äußeren Tatbestand genügt (Rdn. 17). Die objektiv mehrdeutige Äußerung wird in ihrem, von einem Teil der Erklärungsempfänger als ehrenrührig verstandenen Sinn vom Vorsatz umfasst, wenn der Kommunikator (auch) mit dieser Sinndeutung gerechnet hat (Rdn. 21). Zum Vorsatz bei Beleidigungen unter einer Kollektivbezeichnung vgl. Vor § 185 Rdn. 29, 31. 39 Da tatbestandsmäßiges Handeln nicht entfällt, wenn der Kommunikationsweg anders verläuft, als der Täter es sich vorgestellt hat (Rdn. 10), ist es ein unbeachtlicher error in persona, wenn er den Falschen mit einer Ohrfeige bedenkt oder (am Telefon) beschimpft.203 Ist eine Äußerung für einen Dritten, nicht aber für den gemeinten Kundgabeempfänger beleidigend, so erwächst aus dem error in persona kein Vorsatz.204 Erkennt der Äußerungsempfänger den Irrtum des Täters und bezieht er, weil er die Zusammenhänge durchschaut, die scheinbar ihm geltende ehrenrührige Kundgabe nicht auf sich, so ist das nur von Bedeutung für die Frage, wer in diesem Falle Verletzter ist.205 Bei ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen, von denen nur der Betroffene Kenntnis erlangen soll (die also nicht gegenüber einem Dritten „in Beziehung auf einen anderen“ gemacht werden, wie § 186 es voraussetzt), bewirkt der lediglich einen Fall des 197 Vertreter der Auffassung, dass für ehrenrührige Tatsachenbehauptungen nur gegenüber dem Betroffenen der Grundsatz „in dubio pro reo“ gelten müsse (in Auswahl): BayObLGSt 1958 244 = NJW 1959 57; OLG Köln NJW 1964 2121; OLG Koblenz MDR 1977 864; Geppert Jura 1983 580, 587; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 11; Schmid MDR 1981 15, 16; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 6; aA (Übertragung der Beweislastumkehr des § 186 auf Tatsachenbehauptungen gegenüber dem Betroffenen) OLG Frankfurt MDR 1980 495; Hansen JuS 1974 104 f; Hartung NJW 1965 1743; Hirsch S. 204 ff; Otto FS Schwinge 83 f; Welzel S. 310. 198 Siehe hierzu LG Regensburg NJW 2006 629 zur mundartlichen Bezeichnung von Polizeibeamten als „Bullen“. 199 BGHSt 1 288, 291; BGH GA 1963 50; RGSt 48 62, 63; 71 159, 160; BayObLGSt 1983 32, 33 = NJW 1983 2040; OLG Koblenz NJW 1978 1816, 1817; LG Kassel NZV 2008 310, 311; LG Regensburg NJW 2008 1094, 1095 mit Anm. Nierwetberg; AG Melsungen NZV 2007 585, 586 mit Bespr. Jendrusch NZV 2007 559; Rogall SK Rdn. 19; Sch/Schröder/Eisele/ Schittenhelm Rdn. 14. 200 BayObLG NStZ-RR 2002 212. 201 BGH NJW 2004 1541, 1542; OLG Koblenz NJW 1978 1816, 1817; vgl. auch BVerfG NJW 2006 3769, 3771. 202 RGSt 65 21, 22; OLG Köln OLGSt. § 185 S. 27; vgl. auch OLG Celle ZUM-RD 2004 471, 472. 203 RG HRR 1941 840; KG GA Bd. 69 S. 117; BayObLGSt 1986 89, 90 = JR 1987 431 mit Anm. Streng. 204 Welzel S. 309. 205 BayObLGSt 1986 89, 90 = JR 1987 431; Streng JR 1987 432; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 14. Hilgendorf
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III. Tatbestandsausschluss durch Einverständnis
§ 185
§ 185 umfassende Vorsatz, dass es bei der Anwendung dieser Vorschrift auch dann verbleibt, wenn es doch zur Kundgabe an einen Dritten kommt, z.B. deshalb, weil sich der Täter über die Person des Erklärungsempfängers irrt oder weil die (verkörperte) Erklärung fehlgeleitet wird.206 Auch wenn der Täter will (damit rechnet), dass der Betroffene von einer ehrenrührigen Tatsache Kenntnis erlangt, die in Beziehung auf ihn behauptet worden ist (Fall des § 186), kommt § 185 nicht zur Anwendung, falls sie nicht (auch) ihm gegenüber abgegeben worden ist (Vor § 185 Rdn. 46).207
III. Tatbestandsausschluss durch Einverständnis Die Ehre selbst kann nur ihr Träger durch „ehrlose“ Handlungen mindern. Anderen gegenüber 40 kann er darauf verzichten, den Anspruch auf Achtung seiner Ehre geltend zu machen. Das ist mehr als ein Verzicht auf Rechtsschutz. Die Preisgabe des Anspruchs führt zum Wegfall des Angriffs-(Handlungs-)objekts. Soweit die Preisgabe reicht, ist eine tatbestandsmäßige Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung nicht mehr möglich. Infolgedessen ist die Einwilligung in ein „an sich“ beleidigendes Verhalten als tatbestandsausschließendes Einverständnis aufzufassen.208 Nach anderer Ansicht ist die Einwilligung Rechtfertigungsgrund.209 Nach herrschender Meinung kann je nach Sachlage durch sie der Tatbestand ausgeschlossen oder die tatbestandsmäßige Handlung gerechtfertigt werden.210 Um Einverständnis soll es insbesondere in Fällen gehen, in denen der Betroffene einem ehrenrührigen Ansinnen nachkommt, selbst durch ein Tun oder Unterlassen seine Ehre mindert.211 Gedacht ist vor allem an „Preisgabe der Geschlechtsehre“. Aber die sog. Sexualbeleidigung ist in aller Regel schon aus anderen Gründen nicht tatbestandsmäßig (vgl. Rdn. 30 bis 33). Die Frage nach der Verortung einer Zustimmung im Tatbestand oder in der Rechtswidrigkeit hat vor allem für die Einordnung als Tatbestands- oder als Erlaubnistatbestandsirrtum Bedeutung. Das Einverständnis muss zur Zeit der Tat vorhanden sein. Die vorher erteilte Zustimmung 41 ist nur wirksam, wenn sie bei Tatbegehung noch fortbesteht. Bis dahin ist sie frei widerruflich. Auch die tatbestandsausschließende Einwilligung ist rechtlich nur beachtlich, wenn der Einwilligende die Bedeutung und Tragweite der Tat und seines Einverständnisses zu überschauen vermag.212 Die Einsichts- und Urteilsfähigkeit Jugendlicher in Bezug auf sexuelles Geschehen wird heute nur noch ausnahmsweise zu verneinen sein.213 Der Grundsatz, dass in eine sittenwidrige Tat nicht rechtswirksam eingewilligt werden kann, gilt für das Einverständnis nicht. Die Auswirkung von Willensmängeln hängt von den Umständen des Falles ab. Eine Täuschung, die dem Betroffenen das Ehrenrührige eines Geschehens verbirgt, schließt eine beachtliche Einwilligung aus.214 Auf sie wird es in solchen Fällen aber auch gar nicht ankommen. Eine erschlichene Einwilligung ist jedenfalls dann unwirksam, wenn sie auf einer rechtsgutsbezogenen Täuschung beruht.215 Die irrtümliche Annahme einer wirksamen Einwilligung kann Tatbestandsirrtum (so, wenn der Irrende einen zum Tatbestandsausschluss führenden Sachverhalt annimmt)
206 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 14; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 25 Rdn. 15; Welzel S. 309. BayObLG NJW 1962 1120. BGH GA 1963 50; RGSt 60 34, 35; Bockelmann JR 1954 327; Zaczyk NK Rdn. 14. BGHSt 11 67, 72; BGH NJW 1951 368; RGSt 45 344; 71 349; BayObLGSt 1963 25 = MDR 1963 333; Welzel S. 311. Rogall SK Rdn. 21; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 15. Hirsch S. 68 Anm. 52a; Rogall SK Rdn. 21. Vgl. BGHSt 5 361, 362; 8 357, 358; BGH GA 1956 317; GA 1963 50; BayObLGSt 1963 25; OLG Stuttgart NJW 1962 62. 213 Vgl. schon BGH DRiZ 1972 242, 243. 214 OLG Stuttgart NJW 1962 62. 215 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 12.
207 208 209 210 211 212
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Hilgendorf
§ 185
Beleidigung
wie auch Verbotsirrtum sein (so, wenn der Irrende meint, es komme nur darauf an, dass ein Kind freiwillig mitmache oder widerstandslos dulde).216
IV. Täterschaft, Wahrheitsbeweis, Rechtfertigung 42 Täter ist nur, wer eigene Missachtung zum Ausdruck bringt. Infolgedessen kann Mittäter nur sein, wer sich die ehrenrührige Äußerung zu eigen macht.217 Der Einsender eines beleidigenden Artikels und der Redakteur, der ihn veröffentlicht, können das Delikt mittäterschaftlich begehen. Bei der Beleidigung im Internet durch die Weiterverbreitung ehrverletzender Beiträge stellt sich selbst bei Annahme der Bekundung eigener Missachtung durch den Likenden oder Teilenden (Rdn. 15 f) die Frage nach Täterschaft und Teilnahme. Die überwiegende Auffassung stellt bei der Beurteilung darauf ab, dass der Verbreitungsakt von der Bildfläche verschwindet, wenn der Urheber den Ursprungsbeitrag löscht, er also akzessorisch ist. Mangels Tatherrschaft des Weiterverbreitenden soll deshalb nur Teilnahme in Frage kommen.218 Dann wird zunächst die Frage virulent, ob Teilnahme nach Tatvollendung möglich ist. Wer das bejaht, muss sich die Frage stellen, ob die Besonderheiten der Beleidigung im Internet (Vor § 185 Rdn. 41) nach einer Modifikation des Verständnisses der Beendigung der Tat verlangen.219 Wer sich eines anderen, der den Sinn einer beleidigenden Äußerung nicht versteht, zu ihrer Übermittlung bedient, ist mittelbarer Täter. 43 Der Beweis der Wahrheit ehrenrühriger Tatsachenbehauptungen (auf sie ist § 185 anzuwenden, wenn sie nur gegenüber dem Betroffenen geäußert worden sind) ist Strafausschließungsgrund, der nicht nur persönlich wirkt, sondern auch die Strafbarkeit eines Teilnehmers entfallen lässt (vgl. § 190 Rdn. 1). Da in Fällen des § 185 die Unwahrheit der Behauptung Tatbestandsmerkmal ist (Rdn. 37), wird durch den Beweis der Wahrheit die Tatbestandsmäßigkeit ausgeschlossen. Sind die bewiesenen Tatsachen so kundgegeben worden, dass sich aus der Form der Behauptung oder aus den Umständen der Äußerung ein ehrverletzendes Werturteil ergibt, vermag der Wahrheitsbeweis an der Erfüllung des Tatbestands durch dieses Urteil nichts zu ändern (vgl. die Erläuterungen zu § 192). Zu den Umständen gehört der Zeitablauf. Er kann bewirken, dass Tatsachen, die einmal die Ehre des Betroffenen minderten, mehr und mehr inaktuell, nichtssagend werden und schließlich jede Bedeutung verlieren. Wer sie dennoch dem Betroffenen vorwirft, handelt tatbestandsmäßig. Der Wahrheitsbeweis lässt die verfehlte Reaktualisierung unberührt.220 Er kann im Übrigen auch bei ehrenrührigen Werturteilen eine Rolle spielen. Sie können sich (ausdrücklich oder erkennbar) auf Tatsachen beziehen (Rdn. 6). Ist das der Fall, kann der Beweis der Wahrheit dieser Tatsachen den Grad des Verschuldens mindern, also für die Strafzumessung von Bedeutung sein,221 er kann aber auch zur Straflosigkeit führen, wenn die bewiesene Tatsachenbasis das Werturteil als tatsachenadäquat erscheinen lässt (vgl. Rdn. 6). Dem Täter kann nicht versagt werden, eine Tatsachenbasis im Prozess „nachzuliefern“. Denn entscheidungserheblich ist nicht die Frage, von welchem Kenntnisstand er ausgegangen ist, sondern ob die Ehre des Betroffenen tatsächlich gemindert war.222 Als Rechtfertigungsgründe kommen v.a. in Betracht: (1.) Ehrennotwehr. Sie ist erlaubt, 44 wenn der ehrenrührige Angriff fortdauert, die beleidigende Reaktion zur Abwendung erforder216 Vgl. BayObLGSt 1963 25, 26. 217 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 17. 218 Heckmann/Heckmann jurisPK-Internetrecht, Kap. 8 Rdn. 446 ff; zwischen „Liken“ und „Teilen“ diff. Krischker JA 2013 488, 490 ff.
219 Dazu Heckmann/Heckmann jurisPK-Internetrecht, Kap. 8 Rdn. 448; Krischker JA 2013 488, 491 f; Zieschang GA 2020 57, 68 f. 220 Ebenso Otto FS Schwinge 85 f. 221 RGSt 1 260, 262; 64 10, 11; RG HRR 1933 896; RG JW 1934 692 Nr. 12; OLG Hamm NJW 1961 1937. 222 Hirsch S. 215. Hilgendorf
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V. Konkurrenzen
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lich ist und zu diesem Zweck erfolgt.223 (2.) Rechtfertigender Notstand. (3.) Nicht missbräuchliche Ausübung des Erziehungsrechts.224 (4.) Wahrheitsgetreue Berichterstattung über öffentliche Sitzungen der Bundesversammlung, einer gesetzgebenden Körperschaft oder eines Ausschusses einer solchen Körperschaft (Art. 42 Abs. 3 GG; § 37). Der Schutz für Äußerungen in einer dieser Körperschaften oder in einem Ausschuss wird dagegen nur in Form eines persönlichen Strafausschließungsgrundes gewährt (Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG; § 36). (5.) Die in § 193 aufgeführten Gründe und „ähnliche Fälle“ (vgl. die Erläuterungen zu dieser Vorschrift. In ihrem Rahmen wird auch auf Art. 5 GG – Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit – eingegangen).
V. Konkurrenzen Das Verhältnis zu §§ 186, 187 ist schon erörtert worden (Rdn. 1; Vor § 185 Rdn. 45, 46). Die gegen 45 eine Person gerichtete Beleidigung kann unmittelbar ehrenrührig auch für einen Dritten sein (wer einen anderen „Hurensohn“ nennt, beleidigt nach der älteren Rspr. ihn und seine Mutter;225 Vor § 185 Rdn. 34). Das Ingangsetzen der Kundgabe durch einen Realakt (Absenden oder Übergeben oder Erscheinenlassen einer Schrift) ist ein alle ehrenrührigen Äußerungen, die Gegenstand der Kundgabe sind, erfassendes und tateinheitlich zusammenfassendes Handlungsmoment.226 Für mehrere beleidigende Äußerungen in einer Rede kann das nicht gelten. Hier fehlt ein einheitlicher Kundgabeakt. Es kann aber durchaus sein, dass sie eine natürliche Handlungseinheit bilden. Die Rechtsprechung vertritt folgenden Standpunkt: Beleidigungen mehrerer Personen an verschiedenen Stellen eines Schreibens oder einer Druckschrift bilden eine Einheit, wenn sie durch ihren inhaltlichen Zusammenhang oder durch die Fassung oder durch Inhalt und Fassung so verbunden sind, dass sie nach natürlicher Auffassung als Teile einer zusammengehörenden Äußerung erscheinen.227 Stehen sie in keinem oder in einem nur losen Zusammenhang, so besteht Tatmehrheit.228 Die nicht in einem materiellen Zusammenhang stehenden Beleidigungen mehrerer Personen in einer Schrift können aber durchaus Teile einer Tat im prozessualen Sinne (§ 264 Abs. 1 StPO) sein. Mehrere Beleidigungen derselben Person in einem Schriftstück treffen in der Regel tateinheitlich zusammen.229 Idealkonkurrenz ist möglich mit § 90b230, § 113231, § 166232, § 223233, § 333234. § 90 geht als 46 die speziellere Vorschrift vor,235 es bleiben jedoch die §§ 190, 192, 193, 200 anwendbar.236 Wenn der Täter bei Gelegenheit seines sexuellen Tuns in einem Verhalten, das nach seinem objektiven Erklärungswert Kundgabe eines herabsetzenden Werturteils oder einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung ist, tatsächlich die Ehre seines Opfers angreift, dann begeht er ein selbstständiges Delikt, das mit der Sexualstraftat tateinheitlich zusammentrifft. Zum Verhältnis zur Verhetzenden Beleidigung § 192a Rdn. 63.
223 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233
Vgl. BGHSt 3 218; RGSt 21 171; 29 240. Vgl. RGSt 73 116. RGSt 70 245 (248). Ebenso Rogall SK Rdn. 30. RGSt 66 1, 4; RG DJ 1939 623; RG HRR 1940 1147. RGSt 66 1, 4; RG JW 1935 2961. RGSt 62 84, 85. BGHSt 6 159, 160 f; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 90b Rdn. 10. RG JW 1928 1456; OLG Köln VRS 37 35. RGSt 23 105. BGH bei Dallinger MDR 1975 196; RGSt 64 118, 121, RG JW 1938 1389; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 223 Rdn. 70. 234 RG LZ 1916 681. 235 BGHSt 16 338. 236 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 90 Rdn. 11. 633
Hilgendorf
§ 186 Üble Nachrede Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Schrifttum Beling Wesen, Strafbarkeit und Beweis der üblen Nachrede (1909); Bemmann Was bedeutet die Bestimmung „wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist“ in § 186 StGB? MDR 1956 387; Bülte Möglichkeiten und Grenzen beweiserleichternder Tatbestandsfassungen im Strafrecht, JZ 2014 603; Bockelmann Ist die Weitergabe ehrverletzender Tatsachen strafbar, die der Beleidigte selbst mitgeteilt hat? JR 1954 327; Ceffinato Hate Speech zwischen Ehrverletzungsdelikten und Meinungsfreiheit, JuS 2020 495; ders. Zur Regulierung des Internet durch Strafrecht bei Hass und Hetze auf online-Plattformen, ZStW 132 (2020) 544; Geisler Zur Vereinbarkeit objektiver Bedingungen der Strafbarkeit mit dem Schuldprinzip (1998); Hansen Üble Nachrede im Interesse des Verletzten, JR 1974 406; Hartung Gefahr für den Ehrenschutz, NJW 1965 1743; Helle Die Unwahrheit und die Nichterweislichkeit der ehrenrührigen Behauptung, NJW 1964 841; Hilgendorf Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht (1998); Hirsch Grundfragen von Ehre und Beleidigung, Festschrift Wolff (1998) 125; Hochhuth Schatten über der Meinungsfreiheit. Der „Babycaust“Beschluss des BVerfG bricht mit der „Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede“, NJW 2007 192; Hoven Zur Strafbarkeit von Fake News – de lege lata und de lege ferenda, ZStW 129 (2017) 718; Jahn Zur Frage der Strafbarkeit wegen Beleidigungsdelikten und deren Rechtfertigung nach § 193 StGB durch unwahre Tatsachenbehauptungen in einer Anklageschrift, Festschrift Schiller (2014) 339; v. Lilienthal Üble Nachrede und Verleumdung, VDB Bd. IV (1906) 375; Miseré Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge (1997); Müller Üble Nachrede durch Strafanzeige? MDR 1966 629; Ranft Keine üble Nachrede durch Strafanzeige? MDR 1966 107; Roeder Wahrheitsbeweis und Indiskretionsdelikt usw., Festschrift Maurach (1972) 347; Satzger Die objektive Bedingung der Strafbarkeit, Jura 2006 108; Sängerlaub/Meier/Rühl Fakten statt Fakes – Verursacher, Verbreitungswege und Wirkungen von Fake News im Bundestagswahlkampf 2017 (2018); Schünemann Gefährden Fake News die Demokratie, wächst aber im Strafrecht das Rettende auch?, GA 2019 620; Steinebach/Bader/Rinsdorf/Krämer/Roßnagel (Hrsg.) Desinformation aufdecken und bekämpfen (2020); Stratenwerth Objektive Strafbarkeitsbedingungen im Entwurf eines StGB 1959, ZStW 71 (1959) 565; Streng Verleumdung durch Tatsachenmanipulation? GA 1985 214; Uhle (Hrsg.) Information und Einflussnahme – Gefährdungen der Offenheit des demokratischen Willensbildungsprozesses (2018); Veith Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und üble Nachrede, NJW 1982 2225; Zieschang Die Gefährdungsdelikte (1998). Vgl. auch die Angaben vor der Übersicht zu den Vorbemerkungen und vor der Übersicht zu § 185.
Übersicht I.
Anwendungsbereich und tatbestandlicher Auf1 bau
II. 1. 2. 3. 4. 5.
Der objektive Tatbestand „In Beziehung auf einen anderen“ 6 Tatsache 7 Behaupten 8 Verbreiten Verächtlichmachen, Herabwürdigen
Hilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-036
5
III.
Der subjektive Tatbestand
IV.
Wahrheitsbeweis, Rechtswidrigkeit
V.
Die qualifizierte üble Nachrede
VI.
Konkurrenzen
11 12 13
15
10
634
I. Anwendungsbereich und tatbestandlicher Aufbau
§ 186
I. Anwendungsbereich und tatbestandlicher Aufbau Im Unterschied zur einfachen Beleidigung erfasst der Tatbestand der üblen Nachrede das Be- 1 haupten oder Verbreiten von ehrenrührigen Tatsachen, wenn Kundgabeempfänger nicht oder nicht nur der Betroffene ist. Das ergibt sich aus den Worten „in Beziehung auf einen anderen“.1 Im Unterschied zur Verleumdung setzt die üble Nachrede nicht voraus, dass die Tatsachenbehauptung unwahr ist. Die Unwahrheit ist also kein Tatbestandsmerkmal der üblen Nachrede. Das folgt aus den Worten „wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist“ und der Stellung dieser Worte hinter der Tatbestandsbeschreibung. Dennoch unterfallen ihr unwahre Tatsachenbehauptungen, deren Unwahrheit der Behauptende oder Verbreitende nicht kannte oder nicht sicher kannte, weil die Verleumdung verlangt, dass der Täter eine unwahre Tatsache „wider besseres Wissen“ behauptet oder verbreitet. Zu beachten ist, dass genau genommen nur Tatsachenaussagen bzw. Tatsachenbehauptungen wahr oder unwahr (falsch) sein können, nicht aber die Tatsachen selbst.2 Gegenüber der einfachen Beleidigung – sofern sie nicht „mittels einer Tätlichkeit“ verübt wird – ist die üble Nachrede zwar nur in den Fällen, in denen der Täter sie öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Inhalten begeht, mit höherer Strafe bedroht. Aber sie ist bei abstrakter Betrachtung eindeutig das Delikt mit dem höheren Unrechtsgehalt. Denn im Vergleich zum unsubstantiierten Werturteil hat die (auch) gegenüber einem Dritten abgegebene Tatsachenäußerung als motiviertes Urteil mehr Gewicht. Das Werturteil ist in seiner Suggestivkraft vom Prestige des Täters abhängig. Tatsachen sprechen für sich. Das deskriptive Urteil „in Beziehung auf einen anderen“ erscheint als Ausdruck der Faktizität, als „Tatsache“, an der es nichts zu rütteln gibt, als schon verifiziert oder doch verifizierbar. Deshalb ist es besser als das Werturteil oder die Meinungsäußerung geeignet, den Kundgabeempfänger gegen den Betroffenen einzunehmen. Im Interesse eines wirksamen Ehrenschutzes bedroht das Gesetz in § 186 die ehrenrührige 2 Tatsachenbehauptung nicht erst mit Strafe, wenn sie unwahr ist, sondern schon dann, wenn sie „nicht erweislich wahr“ ist. Das bedeutet: Bis zum Beweis der Wahrheit der ehrenrührigen Tatsachenäußerung wird vermutet, dass der Betroffene frei von Mängeln ist, die seinen personalen Geltungswert minderten, und dass er deshalb die Achtung verlangen kann, die ungeschmälerter Ehre gebührt.3 Allerdings gehören wahre ehrenrührige Tatsachenäußerungen zu den normalen Ausdrucksformen des Soziallebens. Deshalb wird seit langem darauf hingewiesen, es sei „undenkbar“, „sozial unerträglich“, die Kundgabe ehrenrühriger Tatsachen schlechthin für tatbestandsmäßig und damit für verboten zu erklären.4 Ein solches Verbot mit der Konsequenz, dass die Wahrheitsfrage für den subjektiven Tatbestand gleichgültig sei, stelle auf einen unrechtsindifferenten Tatbestand ab und laufe auf eine Verletzung des Schuldprinzips hinaus.5 Die mit solchen Erwägungen begründete Sorge um eine tragfähige Verbotsmaterie des 3 § 186 löste schon früh verschiedene Vorschläge zu ihrer Umstrukturierung oder Komplettierung aus. Binding wollte die prozessuale Nichterweislichkeit als Tatbestandsmerkmal behandeln.6 Damit machte er ein Ereignis, das der Tathandlung mit erheblichem zeitlichen Abstand folgt, die Beweisbarkeit im Prozess, zu ihrem Bestandteil.7 Das Erfordernis des Bewusstseins der Nichterweislichkeit (oder das damit Rechnen) wäre aber in einem Ausmaß, das die Effektivität der Strafbestimmung verkümmern ließe, Ursache echter Tatbestandsirrtümer und Vorwand für 1 RGSt 4 401; 29 40; 41 61, 64; BayObLGSt 1958 244 = NJW 1959 57; OLG Celle GA 1960 247; OLG Koblenz MDR 1977 864; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 147 ff. 2 Hilgendorf Tatsachenaussagen und Werturteile, S. 113 ff. 3 Otto FS Schwinge S. 82; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1; Tenckhoff Bedeutung des Ehrbegriffs S. 80 f, 108; vgl. auch Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 7 Rdn. 19. 4 Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 154; Welzel S. 313; Wolff ZStW 81 (1969) 906. 5 Welzel S. 314 m.w.N. 6 Binding Lehrbuch II 158 f. 7 Bockelmann JZ 1954 328. 635
Hilgendorf
§ 186
Üble Nachrede
nicht widerlegbare Ausreden.8 Nagler hat die Lehre Bindings modifiziert: Es komme auf die Beweisbarkeit im Augenblick der Kundgabe an. Die Erweislichkeit im Prozess sei Klarstellung fehlender, die Nichterweislichkeit Konstatierung der Tatbestandsmäßigkeit.9 Dieser Ansatz ist für den objektiven Tatbestand allerdings ein bloßes „Spiel mit Worten“. Er ist beim Misslingen des Wahrheitsbeweises erfüllt und es ist kein glücklicher Gedanke, für ein Tatbestandsmerkmal, das letzten Endes irrelevant ist, Vorsatzkongruenz zu verlangen (mit der soeben aufgezeigten Folge für den Schutz der Ehre). Beling will die Unwahrheit zwar als Tatbestandsmerkmal behandeln. Sie und das Bewusstsein der Unwahrheit sollen aber im Prozess vermutet werden.10 Es ist jedoch keine akzeptable Lösung, dass jemand wegen vorsätzlich begangener, unwahrer übler Nachrede auf der Grundlage von Vermutungen verurteilt werden kann.11 Eine neuere Theorie lässt den objektiven Tatbestand unberührt, verlagert aber dennoch das 4 wesentliche Unrechts- und Schuldelement in die Wahrheitsfrage, indem sie fordert, dem Täter, der nicht vorsätzlich handele, müsse vorgeworfen werden können, er habe sich nicht mit der gebotenen Sorgfalt vergewissert, ob die von ihm behauptete oder verbreitete Tatsache wahr ist. Was bei der üblen Nachrede interessiere, sei nicht der Eintritt des Verletzungserfolgs – die Vorverlegung des Strafschutzes sei nicht zu beanstanden –, auch nicht der Umstand, dass das Rechtsgut in Gefahr geraten ist, sondern allein die riskante Handlung, die Abgabe einer ehrenrührigen Tatsachenäußerung, obwohl im Zeitpunkt der Kundgabe nach verständigem Urteil die Möglichkeit in Rechnung gestellt werden muss, dass die Äußerung unwahr ist. § 186 müsse restriktiv ausgelegt werden. Erst wenn in Bezug auf die Wahrheitsfrage Sorgfaltswidrigkeit gegeben sei, liege ein verbotenes Verhalten, ein Handlungsunwert vor.12 Eine Schwäche dieser Theorie liegt darin, dass bei gleichliegendem (grob) sorgfaltswidrigen Verhalten bald Strafe eintreten kann (weil die Beweisaufnahme in der Wahrheitsfrage mit einem non liquet endet), bald Bestrafung ausgeschlossen ist (weil der Wahrheitsbeweis gelingt). Ferner spricht gegen sie, dass der Täter, der glaubt, die von ihm behauptete oder verbreitete Tatsache sei wahr, auch durch § 193 geschützt werden könnte (§ 193 Rdn. 2 f, 21 f).13 Allerdings wird § 193 erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit geprüft. Es erscheint sehr fraglich, ob der Tatbestand ohne ein hinsichtlich der Unwahrheit der vorgebrachten Tatsachenäußerung wenigstens sorgfaltspflichtwidriges Handeln des Täters überhaupt einen Unrechtstypus umschreibt. Für die den § 186 restriktiv interpretierende, ein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten des Täters fordernde Ansicht spricht vor allem das Schuldprinzip. Sie verdient deshalb den Vorzug.14 Angesichts dessen, dass das Phänomen der „Fake News“ und deren Verbreitung in den sozialen Netzwerken des Internets zunehmend in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangen, ist denkbar, dass die Diskussion um das Erfordernis einer Sorgfaltspflichtverletzung wieder Fahrt aufnimmt. Bei deren Ausgestaltung müssen die Besonderheiten der auf Spontaneität und Aufmerksamkeit ausgerichteten Funktionslogiken der modernen Kommunikationsplattformen und Fragen der Medienkompetenz der Plattformnutzer berücksichtigt werden, ohne den einzelnen Nutzer von jeglicher Verantwortlichkeit freizustellen.15 Ein neuer Anwendungsbereich für § 186 sind auch sog. „shitstorms“ oder „hate storms“ im Internet. Es handelt sich um in der Regel über „soziale Medien“ ablaufende Formen 8 Bockelmann JZ 1954 328; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 161. 9 Schaefer LK8 § 186 Anm. II 4. 10 Beling S. 8 ff; ebenso Bemmann. 11 Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 166. 12 Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 168 ff; ders. FS Wolff 125, 144; ihm folgend z.B. Fischer Rdn. 13a; Wessels/ Hettinger/Engländer Rdn. 460; Kindhäuser Gefährdung als Straftat (1986) S. 298; Küpper JA 1985, 453; Geisler Zur Vereinbarkeit objektiver Bedingungen der Strafbarkeit mit dem Schuldprinzip (1998) S. 437; Regge/Pegel MK Rdn. 28; Rogall SK Rdn. 19; Streng GA 1985 214, 226; Welzel S. 314; Wolff ZStW 81 (1969) 907; Zaczyk NK Rdn. 19; in diese Richtung jedenfalls für die Verbreitung von „Fake News“ auch Hoven ZStW 129 (2017) 718, 726 f; aA Geppert Jura 2002 820; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7a; zur Diskussion auch Satzger Jura 2006 108, 110 f. 13 Herdegen LK10 Rdn. 4. 14 AA Herdegen LK10 Rdn. 4. 15 Dazu Hoven ZStW 129 (2017) 718, 725 ff. Hilgendorf
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II. Der objektive Tatbestand
§ 186
von massenhafter Kritik, oft verbunden mit Schmähungen und unzutreffenden Tatsachenbehauptungen („hate speech“16).
II. Der objektive Tatbestand 1. „In Beziehung auf einen anderen“ Die Worte „in Beziehung auf einen anderen“ bedeuten: Es genügt nicht, dass eine ehrenrühri- 5 ge Tatsache lediglich gegenüber dem Betroffenen behauptet wird. Von der Äußerung (sei es ein Behaupten, sei es ein Verbreiten) muss (auch oder nur) ein Dritter Kenntnis erlangen und der Täter muss das wollen oder doch damit rechnen. Wenn der Vorsatz des Täters nur auf Kundgabe an den Betroffenen gerichtet ist, verbleibt es bei der Anwendung des § 185 auch dann, wenn es doch dazu kommt, dass ein Dritter Kenntnis erlangt, z.B. deshalb, weil der Täter sich über die Person des Erklärungsempfängers irrt oder weil eine verkörperte Erklärung fehlgeleitet wird (vgl. § 185 Rdn. 39).17 Infolgedessen kann bei Beleidigung einer Behörde durch ehrenrührige Tatsachenbehauptungen Strafbarkeit aus § 186 nur eintreten, wenn Personen, die nicht zur Behörde gehören, Kundgabeempfänger sind und der Täter das will oder damit rechnet.18 Muss der Betroffene ein Schreiben, das die ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen enthält, in Erfüllung einer (dienstlichen) Pflicht an Dritte weitergeben und weiß der Täter das (oder rechnet er damit), so sind auch die Dritten Kundgabeempfänger; der Betroffene ist Werkzeug des Täters.19 Auch wenn der Betroffene von einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung Kenntnis erlangt, die in Beziehung auf ihn (also gegenüber Dritten) behauptet worden ist, kommt nur § 186 zur Anwendung, selbst wenn der Täter wollte oder damit rechnete, dass der Betroffene die Behauptung erfährt.20 War neben einem Dritten auch der Betroffene Erklärungsadressat, so soll nach herrschender Meinung Tateinheit zwischen übler Nachrede und einfacher Beleidigung anzunehmen sein (vgl. dazu Vor § 185 Rdn. 46).
2. Tatsache Eine Tatsache muss behauptet oder verbreitet werden. Zu ihr und der Abgrenzung vom Wertur- 6 teil und von der Meinungsäußerung vgl. § 185 Rdn. 2 ff. Nicht nur ein einzelner Vorgang, sondern auch eine Reihe fortlaufender, gleichartiger Geschehnisse kann in ihrer Gesamtheit als Tatsache angesehen und zum Gegenstand einer zusammenfassenden Behauptung gemacht werden.21 Das gilt insbesondere, wenn einer Person auf Grund bestimmter Handlungen eine Eigenschaft nachgesagt wird. Wenn sie in Anknüpfung an äußere Tatsachen konkret fassbar wird, kann die Behauptung einer dem Beweise zugänglichen Tatsache vorliegen.22 Allgemein lässt sich sagen, dass dem Tatsachenbegriff Abstraktionen zu unterstellen sind, die auf Einzelbeobachtungen und Einzelerfahrungen fußen und zu ihrer kategorialen Verarbeitung dienen.23 Zur Verknüpfung von Tatsachenbehauptungen mit Werturteilen vgl. § 185 Rdn. 5 f.
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Zum Phänomen „hate speech“ Ceffinato JuS 2020 495. RGSt 41 61, 64. RGSt 7 285; 56 100; RG GA Bd. 68 315. RGSt 41 61, 63 f; 65 358. BayObLGSt 1962 48, 51 f = NJW 1962 1120; OLG Celle NdsRpfl. 1960 92. RGSt 55 131. RGSt 55 132. Engisch FS Lange 406. Hilgendorf
§ 186
Üble Nachrede
3. Behaupten 7 Wer eine Tatsache behauptet, gibt sie als gegeben aus, erklärt (ausdrücklich oder in Form einer kontextualen Implikation), dass er sie für gewiss erachte.24 Es ist gleichgültig, ob er seine Behauptung auf eigene Wahrnehmungen (Beobachtungen) stützt oder ob er ein Tatsachenurteil aus Indizien ableitet (z.B. aus den Bekundungen und der Glaubwürdigkeit eines Gewährsmannes), die er kennt oder zu kennen meint.25 Es muss aber stets eigene Überzeugung des Behauptenden, dass etwas vorhanden oder geschehen sei, sein Wissen oder Fürwahrhalten zum Ausdruck kommen.26 Dagegen ist es nicht erforderlich, dass der Behauptende die Prämissen seiner Folgerung mitteilt.27 Wer nur Indizien liefert, die dem Äußerungsempfänger Gelegenheit zu eigenen Konklusionen geben, behauptet nur diese Indizien, nicht das Resultat der Überlegungen des Erklärungsadressaten.28 In der wahren Darlegung von Indizien kann aber zugleich eine Verbreitung unwahrer oder nicht erweislich wahrer Tatsachenaussagen liegen: Der Gewährsmann hat zwar gesagt, was der Kommunikator behauptet, aber er hat gelogen, halluziniert oder sich geirrt.29 Ein Behaupten kann im Aufwerfen einer Frage, in der Äußerung eines Verdachts oder einer Vermutung liegen,30 es kann in versteckter Form vorgebracht, in eine ausgeklügelte Wendung gekleidet, das „Beweismaß“ kann auf „wahrscheinlich“, „möglich“, ja sogar auf „unwahrscheinlich“ herabgestuft, die Wissensgrundlage als unsicher oder unbestimmt bezeichnet werden. In all diesen Fällen handelt es sich dennoch um ein Behaupten, wenn der objektive Sinngehalt der Äußerung – wie die Umstände ergeben (vgl. § 185 Rdn. 17, 23) – dahin geht, dem Kundgabeempfänger eine für den Betroffenen ehrenrührige Tatsache als ein bestehendes Faktum zu vermitteln.31 Eine Behauptung verliert ihren Charakter als Behauptung nicht zwingend dadurch, dass der Täter sie mit Wendungen einleitet wie „meines Erachtens“, „ich glaube“, „ich bin der Meinung“, „es muss wohl angenommen werden“.32 In vielen Fällen wird es aber so liegen, dass der Geltungsanspruch der Äußerung auch für den Äußerungsempfänger so gering ist, dass von einem „Behaupten“ nicht mehr ausgegangen werden kann.33 Wer einen von ihm mitgeteilten, unverfänglichen Sachverhalt erkennbar abwegig (entstellend) wertet und auf der Grundlage dieser Wertung zu einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung gelangt, begeht nur eine einfache Beleidigung. Aus dem kontextualen Zusammenhang wird deutlich, dass die „Tatsachen“ hier bloß subjektive Produkte sind (§ 185 Rdn. 7).34 Das Schaffen einer kompromittierenden Sachlage ist noch keine üble Nachrede und zwar entweder deshalb nicht, weil es an einer Äußerung und damit an einem Behaupten fehlt (z.B. im Falle des Versteckens von Diebesgut in der Tasche eines anderen) oder weil der erforderliche Drittbezug, das Behaupten „in Beziehung auf einen anderen“ (Rdn. 5), nicht zu erkennen ist: Der Täter gibt für etwas, was er tut, den Betroffenen als Akteur aus.35
24 RGSt 38 368; 60 373, 374; 67 268, 269; OLG Köln NJW 1963 1634. 25 RGSt 67 268, 270; Rogall SK Rdn. 13. 26 RGSt 38 368; 67 268, 270; OLG Köln NJW 1963 1634; Geppert Jura 1983 580; Hansen JuS 1974 104, 107; Sch/ Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 7. RGSt 67 268, 270. OLG Köln NJW 1963 1634. Vgl. Hansen JuS 1974 104, 107. BerlVerfGH NJW-RR 2006 1704, 1707; OLG Köln NJW 1962 1121; NJW 1963 1634; OLG München NJW 1993 2998, 2999; vgl. auch Kett-Straub ZStW 120 (2008) 759, 765; Stapper ZUM 1995 590, 596. 31 BGH JZ 1979 102; RGSt 38 368; 60 373, 374; 67 268, 269; OLG Celle MDR 1960 1032; OLG Köln NJW 1962 1121 mit Anm. Schaper; NJW 1963 1634. 32 RGSt 67 268, 270; OLG Köln NJW 1963 1634; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 7 Rdn. 14. 33 Hilgendorf S. 186, 188 ff. 34 BayObLG NStZ 1983 126, 127; Rogall SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 7. 35 BGH NStZ 1984 216; Rogall SK Rdn. 14; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 7. Rogall SK Rdn. 14 weist allerdings zu Recht darauf hin, dass im Falle BGH NStZ 1984 216 (der Ehemann lässt eine „Hostessenanzeige“ unter
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II. Der objektive Tatbestand
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4. Verbreiten Das Merkmal des Verbreitens erfasst das Weitergeben fremder (wirklicher oder angeblicher) Äu- 8 ßerungen über Tatsachen, das kein Behaupten ist, weil der Täter für die Richtigkeit nicht eintritt, weder ausdrücklich noch in Form einer kontextualen Implikation erklärt, dass er sie für wahr halte.36 Infolgedessen wird eine Tatsache verbreitet, wenn der Täter das Vorhanden- oder Geschehensein von etwas als Gegenstand fremden Wissens oder fremder Überzeugung hinstellt, ohne dass er es zum Gegenstand (auch) seines Wissens oder seines Fürwahrhaltens macht.37 Es genügt zum Verbreiten, wenn eine Mitteilung als (unbestätigtes oder unglaubwürdiges) Gerücht bezeichnet wird.38 (Faktische) Manipulationen zum Nachteil eines anderen genügen nicht.39 Wer eine ehrenrührige Tatsache weitergibt und ihr zugleich ernsthaft entgegentritt, hat sie zwar verbreitet, also tatbestandsmäßig gehandelt. Die Rechtswidrigkeit entfällt jedoch nach § 193, wenn die gesamte Äußerung (Mitteilung unter Entkräftung) im Interesse des Verletzten liegt, weil sie geeignet ist, seine Ehre zu schützen, und wenn nichts dafür zu ersehen ist, dass ihm an einem solchen Schutz (der mit dem Weitertragen einer für ihn ehrenrührigen Tatsache einhergeht) nichts liegt. Die Eignung zum Schutz der Interessen des Betroffenen kommt der Äußerung nur zu, wenn die ehrenrührige Tatsache durch Angabe von Fakten widerlegt oder entkräftet wird, nicht aber, wenn der Mitteilende nur unter Berufung auf seine Überzeugung Zweifel vorbringt.40 Da die Tathandlung, wenn sie öffentlich, in einer Versammlung oder unter Verbreitung ei- 9 nes Inhalts im Sinne von § 11 Abs. 3 geschieht, unter höhere Strafe gestellt ist, erfordert das Verbreiten nicht, dass die Tatsachenmitteilung an einen größeren Personenkreis gelangt oder gelangen soll. Die Mitteilung an nur einen Erklärungsempfänger reicht aus.41 In der Erörterung einer ehrenrührigen Tatsache unter Personen, die sie schon kennen, liegt in der Regel kein Verbreiten, wenn nicht der Kenntnisstand eines Gesprächspartners eine wesentliche Erweiterung erfährt oder Zweifel ausgeräumt werden.42 Die Mitteilung, dass ein anderer über einen Dritten ein ehrenrühriges Werturteil abgegeben habe, ist Verbreitung dieses Werturteils, das nicht deshalb zu einer Tatsache im Sinne von § 186 wird, weil der Urteilende für den Mitteilenden oder für den Äußerungsempfänger eine Person hohen Ansehens ist. Identifiziert sich der Mitteilende mit dem Werturteil, handelt es sich um einen Fall des § 185.43 Mitteilungen „unter dem Siegel der Verschwiegenheit“ oder unter ähnlichen Formulierungen sind Akte des Verbreitens.44 Das gilt auch für Mitteilungen im engsten Kreis. Sie sind jedoch möglicherweise nicht widerrechtlich (§ 185 Rdn. 11 bis 14). Das Weitergeben von Behauptungen, die nach § 193 gerechtfertigt sind, ist ebenfalls ein Verbreiten, das dem Tatbestand unterfällt. Es ist aber nicht widerrechtlich, wenn der Äußerungsempfänger dem Personenkreis angehört, dem gegenüber die ehrenrührige Tatsachenbehauptung gemacht werden darf, und der Mitteilende nicht UmAngabe des Vornamens und der Telefonnummer der nichtsahnenden Ehefrau, von der er getrennt lebt, erscheinen) nicht nur § 185 in Betracht kommt (wenn die Ehefrau von der Anzeige Kenntnis erlangt), sondern auch § 186 oder § 187 (auf Grund etwaiger Erklärungen beim Aufgeben des Inserats). 36 RGSt 38 368, 369; Geppert Jura 1983 580, 581; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 8. 37 RGSt 38 368, 369; OLG Köln NJW 1963 1634; Geppert Jura 1983 580, 581; Hansen JR 1974 406, 407; Sch/Schröder/ Eisele/Schittenhelm Rdn. 8. 38 BGHSt 18 182, 183; RGSt 22 221, 223; 38 368; OLG Hamm NJW 1953 596. 39 AA Streng GA 1985 214. 40 Hansen JR 1974 406, 409; Welzel S. 312: Handeln im Interesse des Verletzten. Rogall SK Rdn. 15 ist der Ansicht, dass § 186 nicht eingreift. Ein Verbreiten unter wirksamer Entkräftung liege außerhalb des Schutzzwecks der Vorschrift. Ebenso Geppert Jura 1983 580, 581. 41 RGSt 30 224; 31 63; 55 277; v. Lilienthal VDB Bd. IV (1906) 388; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 8. 42 OLG Neustadt MDR 1962 235; Rogall SK Rdn. 15; aA Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 8: Es handelte sich um ein Verbreiten, weil die Möglichkeit genügt, dass der Äußerungsempfänger in seinem Glauben bestärkt wird. 43 Zaczyk NK Rdn. 7; weitergehend RG Recht 1914 2790. 44 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 8. 639
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Üble Nachrede
stände kennt (z.B. die Unwahrheit der Tatsache), die der Erstreckung der Rechtfertigung auf das Verbreiten entgegenstehen.45 Nicht tatbestandsmäßig ist nach dem Schutzzweck des § 186 die Weitergabe einer vom Betroffenen selbst mitgeteilten Tatsache.46 Auch in der Tatbestandsalternative des Verbreitens ist die üble Nachrede ein Äußerungsdelikt mit Drittbezug (Rdn. 1). Das bedeutet: Es muss ein Kommunikator erkennbar sein (§ 185 Rdn. 10),47 der einem Äußerungsempfänger eine ehrenrührige Tatsache kundgibt (mitteilt), die einen Dritten betrifft. Das Schaffen einer den Betroffenen kompromittierenden Sachlage erfüllt diese Voraussetzungen nicht (Rdn. 7).
5. Verächtlichmachen, Herabwürdigen 10 Die behauptete oder verbreitete Tatsache muss geeignet sein, den Betroffenen „verächtlich zu machen“ oder „in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“. Mit dieser Dichotomie soll „alles getroffen werden, was an die Ehre geht“,48 sollen Angriffe auf „alle Aspekte des Ehrbegriffs“ erfasst werden.49 Dieses Erfassen ermöglicht der Begriff der ehrenrührigen Tatsache. Die Behauptung oder Verbreitung jedweder ehrenrührigen Tatsache (in Beziehung auf einen anderen) verwirklicht den äußeren Tatbestand. Wie die Dichotomie in das Gesetz kam, ist den Motiven nicht zu entnehmen. Möglicherweise hat der dem französischen Recht geläufige Gegensatz von honneur und consideration eine Rolle gespielt.50 Man sollte jedenfalls nicht länger darüber rätseln, ob das Verächtlichmachen und das Herabwürdigen sich qualitativ oder quantitativ unterscheiden lassen, etwa in der Form, dass das Verächtlichmachen sich (mehr) auf das Nachreden eines sittlichen Ehrmangels, das Herabwürdigen (mehr) auf einen Makel des sozialen Werts bezieht.51 Denn ein signifikanter Unterschied ergibt sich auch nicht daraus, dass das Herabwürdigen in Beziehung zur öffentlichen Meinung gesetzt ist. Darin liegt ein Hinweis, dass es für die Frage, ob eine Äußerung ehrenrührig ist, auf einen generellen Maßstab ankommt. Er ist in der Betrachtungsweise größerer Bevölkerungskreise, nicht in der Ansicht kleiner Gruppen zu suchen.52 In Fällen, in denen eine „öffentliche Meinung“ nicht feststellbar ist oder in denen sie im Widerspruch zum Recht steht, ist der generelle Maßstab den Wertungen der Rechtsordnung zu entnehmen.53 Es genügt die Eignung der behaupteten oder verbreiteten Tatsache, an der Ehre des Betroffenen zu rühren. Ein Erfolg (in Gestalt des Hervorrufens von Missachtung oder Geringschätzung) braucht nicht einzutreten.54 Die üble Nachrede ist abstraktes Gefährdungsdelikt.55 45 46 47 48 49 50 51
Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 12. KG JR 1954 355; Bockelmann JR 1954 327; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5. BGH NStZ 1984 216. V. Lilienthal VDB Bd. IV (1906) 393. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 5. V. Lilienthal VDB Bd. IV (1906) 394. Vgl. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 5. Da die Anhänger des personalen Ehrbegriffs den sozialen Geltungswert als Aspekt der Ehre nicht akzeptieren (vgl. Vor § 185 Rdn. 13 bis 19), schlagen sie vor, das Verächtlichmachen als einen hervorgehobenen Unterfall des Herabwürdigens aufzufassen (vgl. Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 147 Anm. 4; Welzel S. 312). 52 AA v. Lilienthal VDB Bd. IV (1906) 394: „Wer einem anderen etwas vorwirft, was ihn in den Augen seiner Standesgenossen herabwürdigt, schädigt ihn tatsächlich am schwersten“. 53 BGHSt 8 326; 11 329, 331; Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 5. Vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 2005 612, 614, wonach die (wahrheitswidrige) Äußerung, ein Arzt führe Abtreibungen durch, nicht geeignet sei, ihn als Person und Arzt in seinem Geltungsanspruch herabzuwürdigen bzw. ihn verächtlich zu machen; krit. hierzu die Anmerkung von Mosbacher NStZ 2005 576, 576 f. Zur Bezeichnung von Abtreibungen als „Babycaust“ auch BVerfG NJW 2006 3769 mit krit. Bespr. Hochhuth NJW 2007 192; s. ferner Hoven ZStW 129 (2017) 718, 721 ff. 54 AA Zaczyk NK Rdn. 6. 55 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1; einschränkend Zieschang Die Gefährdungsdelikte (1998) 301. Hilgendorf
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V. Die qualifizierte üble Nachrede
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III. Der subjektive Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand genügt dolus eventualis. Der Täter muss wissen oder damit 11 rechnen, dass er etwas Ehrenrühriges äußert.56 Ob er seine Äußerung als Tatsachenbehauptung, als Werturteil oder als Bekundung einer Meinung ansieht, ist gleichgültig. Ein Irrtum in diesem Punkt ist bloßer Subsumtionsirrtum. Der Täter muss außerdem wollen oder damit rechnen, dass (auch) ein Dritter von seiner Äußerung unmittelbar oder mit Hilfe des zur Weiterleitung verpflichteten Betroffenen Kenntnis erlangt (Rdn. 5), und er muss schließlich wollen (davon ausgehen) oder damit rechnen, dass der Kundgabeadressat seine Äußerung in ihrem ehrenrührigen Sinne versteht (vgl. § 185 Rdn. 38). Beleidigungsabsicht des Täters ist nicht erforderlich. Hinsichtlich der Wahrheitsfrage muss der Täter zumindest sorgfaltswidrig handeln (vgl. Rdn. 4).
IV. Wahrheitsbeweis, Rechtswidrigkeit Die Nichterweislichkeit der Tatsache ist objektive Bedingung der Strafbarkeit, der Beweis der 12 Wahrheit Strafausschließungsgrund, der nicht nur persönlich wirkt, sondern auch die Strafbarkeit des Teilnehmers entfallen lässt (Rdn. 2; § 190 Rdn. 1). Das Gericht hat die materielle Wahrheit von Amts wegen zu erforschen (§§ 155 Abs. 2, 244 Abs. 2 StPO); über offenkundige Tatsachen ist eine Beweiserhebung nicht erforderlich.57 Eine rücksichtslose Aufklärung der Wahrheitsfrage kann den Verletzten über Gebühr belasten, so dass manche Opfer auf gerichtlichen Schutz verzichten.58 Uferlose Beweisanträge sind deshalb zu unterbinden.59 Als Rechtfertigungsgrund kommt insbesondere die Wahrnehmung berechtigter Interessen in Betracht. Jedoch ist das Verbreiten einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung nicht schon deshalb nicht widerrechtlich, weil die Behauptung selbst nach § 193 gerechtfertigt ist (Rdn. 9). Auch ein Handeln im Interesse des Verletzten kann möglicherweise rechtfertigen (Rdn. 8). Nach RGSt 73 67 soll die Widerrechtlichkeit zu verneinen sein, wenn der Täter auf die unrichtige Auskunft einer zuständigen Behörde vertraut hat. Die Ansicht, dass hier ein Strafausschließungsgrund anzunehmen ist,60 verdient den Vorzug. In zivilrechtlichen Streitigkeiten hat § 186 als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zur Folge, dass der Äußernde die Wahrheit der von ihm behaupteten Tatsachen zu beweisen hat,61 sofern die Äußerung nicht durch berechtigte Interessenwahrnehmung gerechtfertigt ist.62
V. Die qualifizierte üble Nachrede Qualifiziert ist die üble Nachrede, wenn sie öffentlich, in einer Versammlung oder durch Ver- 13 breiten eines Inhalts (§ 11 Abs. 3) begangen wird. Das qualifizierende Merkmal „in einer Versammlung“ wurde erst im April 2021 in das Gesetz eingefügt.63 Öffentlich begangen ist die Tat nicht schon dann, wenn die ehrenrührige Kundgabe zwar an einem öffentlichen, dem Publikum zugänglichen und von ihm zur Tatzeit auch besuchten Ort erfolgt, sie aber tatsächlich oder nach
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BayObLG JZ 1989 700. BGHSt 40 99; BGH NJW 1995 340; NStZ 1994 140; OLG Celle MDR 1994 608; OLG Düsseldorf MDR 1992 500. Arzt JuS 1982 717, 721. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 16. BGH NJW 1996 1131, 1133; OLG Hamm ZUM-RD 2004 579, 584; ZUM-RD 2005 131, 135. Etwas anderes gilt für Berichtigungsansprüche, BGHZ 176 175, 184. 62 OLG Karlsruhe NJW-RR 2006 483, 483. 63 Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.3.2021, BGBl. I S. 441. 641
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Üble Nachrede
der Vorstellung des Täters nur von bestimmten Einzelnen wahrgenommen werden konnte.64 Öffentlich wird die Tat vielmehr verübt, wenn das Behaupten oder Verbreiten ein nach Zahl und Zusammensetzung unbestimmter oder ein nicht durch eine spezifische Beziehung verbundener größerer, wenn auch bestimmter Personenkreis unmittelbar wahrnehmen kann.65 Eine sukzessive Verbreitung z.B. durch wiederholtes „Herumerzählen“ genügt nicht. Ein Personenkreis, auf den das Gesagte zutrifft, muss im Falle mündlicher Äußerungen tatsächlich anwesend sein und die Möglichkeit zur Wahrnehmung haben. Es genügt nicht, dass er anwesend sein könnte oder dass ein paar Einzelne anwesend sind.66 Eine im Gerichtssaal oder in einem öffentlichen Verkehrsmittel verübte üble Nachrede ist infolgedessen nur dann öffentlich begangen, wenn sie von unbestimmt vielen und unbestimmt welchen, realiter vorhandenen Personen wahrgenommen werden konnte.67 Äußerungen vor einer Mitglieder-(Partei-)Versammlung sind öffentlich, wenn auch Dritte (Personen, die nicht zum Kreis der Mitglieder zählen) anwesend sind.68 Es genügt nicht, dass eine an einen bestimmten, durch eine spezifische Beziehung zusammenhängenden Personenkreis gerichtete Äußerung in die Öffentlichkeit gelangt, auch wenn der Täter damit gerechnet hat.69 Nicht von Bedeutung ist es, ob der Täter dem Personenkreis, vor dem er sich äußert, angehört oder zu ihm persönliche Beziehungen hat.70 Die Qualifikation ist bei Veröffentlichungen im Internet regelmäßig erfüllt.71 Eine schriftliche Beleidigung ist öffentlich begangen, wenn die Möglichkeit der Kenntnis14 nahme durch beliebige Dritte besteht, wie beim Plakat, beim Autoaufkleber,72 bei Wandschmierereien, bei einer offenen Postkarte.73 Bei Drucksachen in einem offenen Umschlag ist diese Möglichkeit nicht bejaht worden,74 auch nicht bei Broschüren auf dem Verkaufstisch, falls nicht die beleidigenden Stellen aufgeschlagen sind.75 Eine üble Nachrede ist nicht deshalb öffentlich verübt, weil sie in einem an eine Behörde gerichteten Schreiben oder in einem an eine Redaktion abgesandten Manuskript enthalten ist.76 Ist eine schriftliche Beleidigung nicht öffentlich begangen worden, gewinnt sie die Eigenschaft der öffentlichen Beleidigung nicht dadurch, dass sie von anderen als den Äußerungsadressaten gelesen und dadurch in der Öffentlichkeit bekannt wird.77 Das Verbreiten von Inhalten (zuvor: Schriften), Ton- und Bildträgern, Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Darstellungen (§ 11 Abs. 3) ist mit dem Verbreiten im Sinne des Grundtatbestands (Rdn. 8 f) nicht identisch. Der Inhalt muss einem größeren Personenkreis, sei er auch individuell bestimmt und in sich abgeschlossen,78 zumindest in Form der Bekanntgabe des Inhalts zugänglich gemacht werden.79
64 RGSt 3 361; 10 296; 21 254; 38 208. 65 RGSt 38 207; 42 112; 63 431; RG DR 1941 1838; OLG Hamm MDR 1980 159, 160; KG JR 1984 249; Rengier BT 2 § 29 Rdn. 20. RG HRR 1932 1798; 1939 917; OLG Hamm MDR 1980 159, 160. RGSt 58 53; 65 112; RG LZ 1914 1137. RG HRR 1939 917; OLG Köln OLGSt § 186 S. 14. RG JW 1938 2892; OLG Köln OLGSt § 186 S. 14; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 19. RGSt 42 114. Beck MMR 2009 736, 738; Fischer Rdn. 19; Hoven ZStW 129 (2017) 718, 720; zur früheren Rechtslage Hilgendorf/ Valerius Computer- und Internetstrafrecht2 (2012) Rdn. 302 ff. 72 Vgl. OLG Hamburg NStZ 1983 127 mit Anm. Franke NStZ 1984 126 = JR 1983 298 mit Anm. Bottke. 73 RG HRR 1932 1798. 74 RGSt 37 289. 75 KG JR 1984 249. 76 RG HRR 1941 518; OLG Stuttgart NJW 1972 2320. 77 RG JW 1938 2892. 78 BGHSt 13 257; RGSt 7 113; 9 71; 16 245; 30 224; BayObLGSt 1949/51 417, 422. 79 BGHSt 18 63, 64; OLG Hamburg NStZ 1983 127; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 20.
66 67 68 69 70 71
Hilgendorf
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VI. Konkurrenzen
§ 186
VI. Konkurrenzen Die Frage der Idealkonkurrenz zwischen einfacher Beleidigung und übler Nachrede ist bereits 15 erörtert worden (Vor § 185 Rdn. 45, 46; § 185 Rdn. 1), auch die Frage des Verhältnisses mehrerer den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllenden Äußerungen in einer Schrift oder Rede (§ 185 Rdn. 45). Die üble Nachrede kann tateinheitlich zusammentreffen mit § 90b,80 § 130,81 § 164, § 166. Zum Verhältnis zur Verhetzenden Beleidigung § 192a Rdn. 63.
80 BGHSt 6 159, 160 f. 81 OLG Hamburg NJW 1970 1649. 643
Hilgendorf
§ 187 Verleumdung Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Schrifttum Hoven Das Beleidigungsunrecht im digitalen Zeitalter, NJW 2021 2397; Koschmann Der Kredit als strafrechtlich geschützes Rechtsgut (1931); Lampe Geschäfts- und Kreditverleumdung, FS Oehler (1985) 275; Tiedemann Die strafrechtliche Verschwiegenheitspflicht des Bankiers, FS Kohlmann (2003) 307; ders. Neue Aspekte zum strafrechtlichen Schutz des Bankgeheimnisses, NJW 2003 2213; ders., Strafrechtliche Bemerkungen zu den Schutzgesetzen bei Verletzung des Bankgeheimnisses, ZIP 2004 294.
Übersicht I.
Der tatbestandliche Aufbau
1
II.
Die Unwahrheit als Tatbestandsmerkmal
III.
Die Eignung zur Kreditgefährdung
IV.
Der subjektive Tatbestand
2
3
V.
Fragen der Rechtfertigung
VI.
Qualifikation, Konkurrenzen
VII. Sonstiges
5 6
7
4
I. Der tatbestandliche Aufbau 1 § 187 enthält zwei Tatbestände und eine für beide geltende Qualifikation. Nur der eine Tatbestand umschreibt ein Delikt gegen die Ehre. Er ist gemeint, wenn von Verleumdung die Rede ist. Der andere, die „Kreditgefährdung“, umschreibt ein Vermögensgefährdungsdelikt. Von der üblen Nachrede hebt sich die Verleumdung objektiv und subjektiv ab: (1.) Die Unwahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache (bzw. Tatsachenaussage1) ist Tatbestandsmerkmal. (2.) Der Täter muss in der Wahrheitsfrage wider besseres Wissen handeln. Ist ein solches Handeln nicht erwiesen, kann der Tatbestand der üblen Nachrede verwirklicht sein (§ 186 Rdn. 1). Soweit die Verleumdung mit der üblen Nachrede übereinstimmt – das ist der Fall in den Merkmalen „in Beziehung auf einen anderen“, „Tatsache“, „behaupten“, „verbreiten“, „verächtlichmachen“, „herabwürdigen“, „Geeignetsein“ – kann auf die Erläuterungen zu § 186 (Rdn. 5 ff) verwiesen werden.
II. Die Unwahrheit als Tatbestandsmerkmal 2 Verleumdung und Kreditgefährdung kommen nur in Betracht, wenn die behauptete oder verbreitete Tatsachenaussage unwahr ist. Im Falle eines non liquet gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“. Eine Beweiserhebung in der Wahrheitsfrage darf nicht deshalb entfallen, weil fest1 Nur Tatsachenaussagen können wahr oder falsch sind, nicht hingegen Tatsachen. Der Gesetzeswortlaut ist insofern irreführend. Hilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-037
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IV. Der subjektive Tatbestand
§ 187
steht, dass der Angeklagte bestimmte Einzelheiten eines Geschehens wissentlich falsch dargestellt hat. Ihre Bedeutung und ihr Gewicht hängen von den wesentlichen Aspekten des Vorgangs ab. Erst das Beweisergebnis in Bezug auf diese Aspekte ermöglicht die zutreffende Beantwortung der Frage, ob die über den wesentlichen Vorwurf hinausgehenden Bekundungen des Angeklagten als ein selbstständiges Behaupten anzusehen sind, durch das der Tatbestand verwirklicht worden ist.2 Übertreibungen, welche die Qualität des Geschehens nur in geringem Maße verändern, oder widerlegte Nebensächlichkeiten können den Vorwurf der Verleumdung nicht tragen. Es kommt darauf an, ob die ehrenrührige (oder kreditgefährdende) Kundgabe in ihrem den Sachverhaltskern betreffenden Aussagegehalt unwahr ist.3 Eine bloß unvollständige Mitteilung reicht aus, um den Tatbestand zu erfüllen, wenn für den Empfänger der Mitteilung bei Hinzufügung der ausgelassenen Tatsachen eine andere Schlussfolgerung nahe gelegen hätte.4 Vertrauliche Äußerungen im engsten Lebenskreis (§ 185 Rdn. 11 ff) können in seltenen Fällen gerechtfertigt sein.5
III. Die Eignung zur Kreditgefährdung Die Kreditgefährdung ist ein Vermögensgefährdungsdelikt.6 Kredit ist das Vertrauen, das je- 3 mand hinsichtlich der Erfüllung seiner vermögensrechtlichen Verbindlichkeiten (in Bezug auf Leistungsfähigkeit und -willigkeit) genießt. Dieses Vertrauen benötigen vor allem Kaufleute und Unternehmer, aber nicht nur sie. Jedermann kann der Betroffene sein. Es ist nicht erforderlich, dass die behaupteten oder verbreiteten unwahren Tatsachen ehrenrührig sind.7 Es muss ihnen jedoch die Eignung innewohnen, das Vertrauen in die Fähigkeit oder in die Bereitschaft des Betroffenen zur Erfüllung vermögensrechtlicher Verbindlichkeiten zu erschüttern. Die Behauptung fehlender Kreditwürdigkeit ist Tatsachenbehauptung, da sie durch die Prüfung der Bereitschaft der Kreditinstitute, Kredit zu gewähren, empirisch überprüft werden kann.8 Eine fühlbare Schädigung braucht nicht einzutreten. Da die Kreditgefährdung ein Vermögensgefährdungsdelikt ist, kann jedes Kreditsubjekt – ohne Rücksicht auf seine Beleidigungsfähigkeit (vgl. dazu Vor § 185 Rdn. 25 f) – Betroffener sein, also z.B. alle juristischen Personen des privaten oder des öffentlichen Rechts, nichtrechtsfähige Vereine, nichtrechtsfähige (Handels-)Gesellschaften.9 Die Kreditgefährdung kann mit Verleumdung zusammentreffen. Es handelt sich dann um einen Fall von Tateinheit.10
IV. Der subjektive Tatbestand In Bezug auf die Wahrheitsfrage muss der Täter wider besseres Wissen handeln. In Bezug auf 4 die übrigen Merkmale der beiden objektiven Tatbestände genügt dolus eventualis. Wider besseres Wissen handelt der Täter, wenn er sichere (positive) Kenntnis von der Unwahrheit der von ihm behaupteten oder verbreiteten Tatsache hat. Es genügt nicht, dass er die Unwahrheit
2 RGSt 2 2, 5. 3 BGHSt 18 182, 183; RGSt 2 2, 5; 55 129, 132; 62 83, 95; 64 284, 286; OLG Hamm JMBlNRW 1958 112; Geppert Jura 1983 580, 581. 4 BGH NJW 2000 656. 5 Hillenkamp JuS 1997 821, 826; aA die h.M., z.B. Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 454; Regge/Pegel MK Rdn. 18 ff. 6 RGSt 44 158, 160; Geppert Jura 1983 580, 582; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 4; Welzel S. 315. 7 RGSt 44 158, 160. 8 Tiedemann FS Kohlmann 307, 316; ders. ZIP 2004 294, 297; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; aA OLG München ZIP 2004 19. 9 Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 4. 10 Geppert Jura 1983 580, 582; Rogall SK Rdn. 12; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 8. 645
Hilgendorf
§ 187
Verleumdung
vermutet oder mit ihr als einer Möglichkeit rechnet. Sie muss für ihn Faktizität sein.11 Das sichere Wissen um die Unwahrheit folgt nicht ohne Weiteres daraus, dass der Täter ein mit Strafe bedrohtes Verhalten des Betroffenen im Widerspruch zu einem ihm bekannten freisprechenden Urteil behauptet. Er kann nach wie vor von der Richtigkeit seines Vorwurfs überzeugt sein. Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich.
V. Fragen der Rechtfertigung 5 Die Verleumdung kann nach einer verbreiteten Auffassung durch Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht gerechtfertigt werden. In besonderen Fällen komme allenfalls eine Rechtfertigung nach § 34 in Betracht.12 Aber die Judikatur hält eine Rechtfertigung nach § 193 in Ausnahmefällen, insbesondere in Fällen der Rechtsverteidigung, zu Recht nicht für ausgeschlossen.13 Schon nach RGSt 48 414, 415 (und 58 39) rechtfertigt der Verteidigungszweck das sachliche Ableugnen von Tatsachen, die den Täter belasten, auch wenn ein solches Leugnen die wissentliche Behauptung einer unwahren ehrenrührigen Tatsache (z.B. den Vorwurf der falschen uneidlichen Aussage oder des Meineids) impliziert. Wider besseres Wissen aggressiv vorgehen darf ein Beschuldigter nicht. Insbesondere darf er in Kenntnis der Unwahrheit seiner Behauptung nicht die Verfolgung eines anderen bezwecken.14 In einigen Entscheidungen wird danach differenziert, ob der Angeklagte sich verdienter Strafe entziehen oder sich vor unverdienter schützen will.15 Diese Differenzierung kann für die Frage der Rechtfertigung nicht allein maßgebend sein. Die in RGSt 48 414 und 58 39 aufgestellten Kriterien verdienen deshalb den Vorzug.
VI. Qualifikation, Konkurrenzen 6 Verleumdung und Kreditgefährdung werden schwerer bestraft, wenn die Tat öffentlich (§ 186 Rdn. 13 f), in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts begangen wird. § 187 enthält einen speziellen Tatbestand der Beleidigung.16 Fälle der Idealkonkurrenz zwischen § 187 und § 185 oder § 186 sind denkbar, wenn gleichzeitig verschiedene Personen in ihrer Ehre angegriffen werden17 oder wenn in Äußerungen, die eine Handlungseinheit bilden (vgl. § 185 Rdn. 45), teils nicht erweislich wahre, teils unwahre ehrenrührige Tatsachen behauptet werden, die nicht nur Aspekte eines Komplexes sind. Die Rechtsprechung nimmt Tateinheit zwischen § 187 und § 185 auch an, wenn Kundgabeadressaten einer verleumderischen Tatsachenbehauptung der Betroffene und ein Dritter sind oder wenn eine Äußerung mit Drittbezug sowohl eine solche Behauptung als auch ein nicht daraus abgeleitetes ehrenrühriges Werturteil enthält (vgl. dazu Vor § 185 Rdn. 45, 46; § 185 Rdn. 1). § 187 kann tateinheitlich zusammentreffen mit § 153, § 154, § 156, und mit § 164.18 Zum Verhältnis zur Verhetzenden Beleidigung § 192a Rdn. 63.
11 BGH NJW 1964 1148, 1149; RGSt 32 302; 71 37; RG JW 1937 3215. 12 Regge/Pegel MK Rdn. 20; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 6; Welzel S. 321. 13 BGH NJW 1964 1148, 1149; RGSt 34 222; 48 414, 415; 58 39; 63 92, 94; OLG Hamm NJW 1971 853; dem folgend z.B. Fischer § 193 Rdn. 3. 14 RGSt 34 222, 223; 58 39; RG DJ 1936 517. 15 RG Recht 1906 250; 1910 3684. 16 RGSt 41 277, 286. 17 RG Recht 1912 1395: Der Täter behauptet wider besseres Wissen gegenüber der Ehefrau A, sie unterhalte zum verheirateten B ehebrecherische Beziehungen. Vgl. auch RG HRR 1940 1324. 18 RGSt 21 101, 102; 53 206, 208; RG HRR 1940 1324; OLG Hamburg HRR 1935 541. Hilgendorf
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VII. Sonstiges
§ 187
VII. Sonstiges Zur Verfolgung der Tat ist ein Strafantrag erforderlich, § 194. Es handelt sich um ein Privatklage- 7 delikt, § 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO. Sofern die Vorausetzungen von § 824 BGB erfüllt sind kommen zumal bei der Kreditgefährdung auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche in Betracht.
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Hilgendorf
§ 188 Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung (1)
1
Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Abs. 3) eine Beleidigung (§ 185) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. 2Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene. (2) Unter den gleichen Voraussetzungen wird eine üble Nachrede (§ 186) mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren und eine Verleumdung (§ 187) mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Schrifttum Bräuel Ehrverletzung und Ehrenschutz im politischen Leben (1984); Hartung Beleidigung von Personen, die im politischen Leben stehen, JR 1951 677; Nolte Beleidigungsschutz in der freiheitlichen Demokratie (1992); Hoven/ Witting Das Beleidigungsunrecht im digitalen Zeitalter, NJW 2021 2397; Schwinge Ehrenschutz im politischen Bereich, MDR 1973 801; ders. Ehrenschutz heute – Die Schutzlosigkeit der Führungskräfte (1988); Uhlitz Politischer Kampf und Ehrenschutz, NJW 1967 129.
Übersicht I.
Gesetzgebungsgeschichte und Bedeutung der 1 Vorschrift
II.
Der objektive Tatbestand
III.
Der subjektive Tatbestand
IV.
Sonstiges
5
6
2
I. Gesetzgebungsgeschichte und Bedeutung der Vorschrift 1 § 188 geht auf das Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.8.19511 zurück. Sie trat ursprünglich an die Stelle der Strafbestimmungen in Kap. III des 8. Teils der VO vom 8.12.1931.2 Durch Art. 1 Nr. 33 des 6. StrRG vom 26.1.19983 ist die Vorschrift unverändert als § 188 neu nummeriert worden. Durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.3.2021 wurde § 188 wesentlich umgestaltet.4 Die Vorschrift knüpft an die Tatbestände der Beleidigung, der üblen Nachrede (Möglichkeit des Wahrheitsbeweises) und der Verleumdung an. § 188 dient mit erhöhten Strafdrohungen dem verstärkten Ehrenschutz eines bestimmten Personenkreises. Die Stellung derjenigen, die ihm angehören, im politischen Leben ist der Begleitumstand, der mit Rücksicht auf mögliche nachteilige Folgen der Tat für ihr öffentliches Wirken den höheren Strafschutz rechtfertigt.5 § 188 will übersteigerten, in Verhetzung durch Ehrabschneidung ausartenden politischen Auseinandersetzungen entgegenwirken6 und so eine Vergiftung des politischen Lebens verhindern.7 Die Vorschrift verstößt nicht gegen Verfassungs1 2 3 4 5 6 7
BGBl. I S. 739. RGBl. I S. 742. BGBl. I S. 164. BGBl. I, S. 441. BGHSt 6 159, 161. BayObLGSt. 1982 56, 58 = NJW 1982 2511. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1.
Hilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-038
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§ 188
II. Der objektive Tatbestand
recht.8 Auch wegen der extensiven Interpretation der Meinungsfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. § 193 Rdn. 5 ff) kam ihr aber bislang nur geringe Bedeutung zu. Die jüngsten Reformen des Beleidigungsstrafrechts und insbesondere des § 188 selbst lassen den Willen des Gesetzgebers erkennen, den Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Ehre gerade auch in der politischen Auseinandersetzung zu verstärken.9 In der Tat hat der Hass in den sozialen Netzwerken eine Dimension angenommen, die für öffentlich sichtbare Persönlichkeiten fast unerträglich geworden ist.10 Stets besteht die Gefahr, dass online-Hetze in physische Gewalttätigkeiten übergeht. Wenn politische Ämter nur noch für die robustesten Persönlichkeiten attraktiv sind, ist die Demokratie in Gefahr. Eine konsequente Anwendung des § 188 könnte dem entgegenwirken. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die überaus weite Interpretation der Meinungsfreiheit gerade im politischen Bereich zurückgenommen wird,11 wie es einige neuere Entscheidungen des BVerfG zumindest andeuten.12
II. Der objektive Tatbestand „Im politischen Leben des Volkes“ steht eine Person nicht schon dann, wenn sie aktiv an 2 öffentlichen Angelegenheiten Anteil nimmt, an Zielsetzungen und der Bewältigung von Aufgaben des Gemeinwesens mitwirkt oder sich im Prozess der politischen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (als Journalist, Künstler oder Wissenschaftler) engagiert betätigt.13 Es genügt auch nicht, dass jemand ein Mandat zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch eine allgemeine Wahl erlangt hat.14 § 188 gewährt verstärkten Ehrenschutz denen, die sich für eine gewisse Dauer mit den grundlegenden, den Staat und seine internationalen Beziehungen, seine Verfassung, seine Gesetzgebung oder seine Verwaltung unmittelbar berührenden Angelegenheiten befassen und auf Grund ihrer Stellung und Funktion das politische Leben des Volkes, also der Gesamtheit oder eines Teils der Staatsbürger, erheblich beeinflussen.15 Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob diejenigen, die erheblichen Einfluss im politischen Leben ausüben, sich politisch betätigen, ob sie Repräsentanten (Organe) der Staatsgewalt sind oder ob sie institutionalisierte Kompetenzbereiche haben.16 Die jüngsten Reformen lassen den Willen des Gesetzgebers erkennen, wegen der zunehmenden Verrohung des politischen Diskurses auch Politiker auf kommunaler Ebene in den Schutz des § 188 einzubeziehen (§ 188 Abs. 1 S. 2).17 Ob jemand in dem dargelegten Sinne Einfluss auf das „politische Leben des Volkes“ ausübt, 3 muss in Zweifelsfällen auf Grund seiner Funktion und ihrer faktischen Bedeutung entschieden werden.18 Unzweifelhaft gehören zum geschützten Personenkreis der Bundespräsident, Regierungsmitglieder,19 die Mitglieder des Bundestags und der Landtage,20 Spitzenfunktionäre der politischen Parteien,21 der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und anderer großer Vereinigungen mit erheblichem politischen Einfluss, die Bundesverfassungsrichter wegen der Aus8 BVerfGE 4 352. 9 Zur jüngsten Entwicklung des Ehrenschutzes Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf/Hilgendorf BT § 7 Rn. 10 ff. 10 Dasselbe gilt für öffentlich sichtbare Minderheiten, vgl. dazu den neuen (2021) § 192a StGB. 11 Treffend dazu Hoven/Witting NJW 2021 2397, 2399; ähnlich schon Hilgendorf Erwägen, Wissen, Ethik (EWE), 2008 403 (408). 12 BVerfG NJW 2022 2622; 2629; 2631; 2636; dazu Ladeur JZ 2020 943; Steinl/Schemmel GA 2021 86 (88 ff). 13 Rogall SK Rdn. 3. 14 BayObLGSt. 1982 56, 57; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 2; aA Hartung JR 1951 678. 15 BGHSt 4 338, 339; BayObLGSt. 1982 56, 57 f; OLG Frankfurt NJW 1981 1569. 16 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 2. 17 S. etwa BTDrucks. 19/17741; 19/18470. 18 BayObLGSt. 1982 56, 60. 19 OLG Düsseldorf NJW 1983 1211, 1212. 20 BGHSt 3 73, 74; BGH NJW 1952 194. 21 OLG Düsseldorf NJW 1983 1211, 1212. 649
Hilgendorf
§ 188
Beleidigungsdelikte gegen Personen des politischen Lebens
wirkungen vieler ihrer Entscheidungen auf die Intentionen und Beschlüsse anderer Verfassungsorgane und auf das politische Leben.22 Auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments werden erfasst. Zum geschützten Personenkreis gehören nach der jüngsten Gesetzesreform trotz ihres regional begrenzten Einflusses auch Kommunalpolitiker, also Mitglieder von Kreistagen und Gemeindevertretungen,23 Landräte24 und einzelne Verwaltungsbeamte, sofern die oben skizzierten Voraussetzungen erfüllt sind. Politiker des Auslands gehören nicht zum geschützten Personenkreis. Dagegen können Journalisten, Hochschullehrer, Gewerkschafts- und Verbandsvertreter und u.U. auch Geistliche in den Schutzbereich der Norm fallen, wenn sie sich in prominenter Position öffentlich sichtbar mit Angelegenheiten des Staates oder der Allgemeinheit befassen.25 Die Tathandlung kann eine einfache Beleidigung, eine üble Nachrede oder eine Verleum4 dung sein. Die ehrenrührigen Äußerungen brauchen sich nicht auf die politische Betätigung des Betroffenen zu beziehen.26 Die Beleidigung, üble Nachrede oder die Verleumdung müssen entweder öffentlich (§ 186 Rdn. 13 f), in einer Versammlung27 oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 186 Rdn. 14) begangen werden. Die Tat muss geeignet sein, das öffentliche Wirken des Betroffenen erheblich zu erschweren. Auf den Erfolg kommt es nicht an. Nach Ansicht der Rechtsprechung bestimmt sich die Frage der Eignung nur nach dem Inhalt der Tatsachenäußerung.28 Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt es jedoch allgemein auf die Eignung der „Tat“ an,29 so dass alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, etwa auch die Glaubwürdigkeit des Verbreitenden, die Art der Verbreitung und die Größe des Adressatenkreises. Die Eignung ist zu bejahen, wenn die behauptete (verbreitete) ehrenrührige Tatsache den Betroffenen des Vertrauens unwürdig erscheinen lässt, dessen er für sein öffentliches Wirken bedarf.30 Ist von mehreren ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen eine erwiesen und genügt die bewiesene Tatsache, um dem Betroffenen das Vertrauen zu entziehen, so ist § 188 nicht anwendbar.31
III. Der subjektive Tatbestand 5 Zum subjektiven Tatbestand der Beleidigung (§ 185 Rdn. 38), der üblen Nachrede (§ 186 Rdn. 11) oder der Verleumdung (§ 187 Rdn. 4) muss hinzukommen (1.) der zumindest bedingte Vorsatz in Bezug auf die spezifischen objektiven Merkmale des § 188, (2.) eine besondere Motivation des Täters: Er muss die Beleidigung, die üble Nachrede oder die Verleumdung aus Beweggründen begehen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen. Es ist gleichgültig, ob der Täter politische Intentionen verfolgt, ob er aus persönlicher Gegnerschaft, Hass oder aus Besorgnis um das Gemeinwohl nachredet oder verleumdet. Er kann sich auch von geschäftlichen Gründen leiten lassen, z.B. die Erhöhung des Umsatzes einer Zeitschrift bezwecken. Wesentlich ist nur der motivatorische Zusammenhang seines tatbestandsverwirklichenden Verhaltens mit der politischen Stellung des Betroffenen.32 Eine presserechtliche Beweisvermutung erstreckt sich nicht auf die in § 188 vorausgesetzten Beweggründe. In BGHSt 9 187 ist die Beweisvermutung wie folgt interpretiert worden: Im Falle der Veröffentlichung 22 23 24 25 26 27 28 29
BGHSt 4 338, 339. Anders (unter Geltung der früheren Rechtslage) BayObLGSt. 1949/51 423; 1982 56, 60. OLG Frankfurt NJW 1981 1569; and. BayObLG JZ 1989, 699. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Rogall SK Rdn. 3; aA Zaczyk NK Rn. 5. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 4. Vgl. dazu RGSt 21 71, 75; OLG Düsseldorf JR 1982 299, 300 mit Anm. Merten. BGH NJW 1954 649; NStZ 1981 300; bei Holtz MDR 1980 455. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 6; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; vgl. auch Hoyer Die Eignungsdelikte (1987) 146; Zieschang Die Gefährdungsdelikte (1998) 306 f. 30 BGH bei Holtz MDR 1980 455. 31 BayObLGSt. 1949/51 423; Rogall SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 6. 32 BGHSt 4 119, 121; 9 187, 189. Hilgendorf
650
IV. Sonstiges
§ 188
eines Artikels (Leserbriefs) in einer periodischen Druckschrift, der ehrenrührige Tatsachenbehauptungen enthält, die sich gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person richten, kann der verantwortliche Redakteur zwar auf Grund der Präsumtion wegen übler Nachrede verurteilt werden, weil bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass er den Artikel (Leserbrief) in Kenntnis und Verständnis seines Inhalts veröffentlicht hat. Aber als Täter einer Straftat nach § 188 kommt er nicht in Betracht, wenn nicht bewiesen ist, dass er selbst aus den in § 188 vorausgesetzten Beweggründen gehandelt hat.33 Möglich ist allerdings, dass aus der (vermuteten) Kenntnis und aus dem (vermuteten) Verständnis eines ehrenrührigen Artikels (Leserbriefs) gefolgert wird, der verantwortliche Redakteur habe gewusst oder damit gerechnet, dass der Verfasser (Einsender) den in § 188 vorausgesetzten Beweggründen folgte. Dann stellt sich die Frage der Beihilfe zur Straftat nach § 188.34 Alle Bedenken gegen die presserechtliche Präsumtion entfallen, wenn sie dahin verstanden wird, dass das Gericht die Kenntnis vom ehrenrührigen Inhalt eines Artikels (Leserbriefs) auch aus dem Umstand entnehmen darf, dass der Täter verantwortlicher Redakteur ist, falls keine entgegenstehenden Anhaltspunkte vorliegen.35
IV. Sonstiges § 188 ist relatives Antragsdelikt (§ 194), das im Wege der Privatklage verfolgt werden kann (§ 374 6 Abs. 1 Nr. 2 StPO). § 193 ist anwendbar. In Fällen, in denen Tathandlung eine Beleidigung oder eine üble Nachrede ist, wird der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen in Frage kommen. Eine Rechtfertigung durch Einwilligung ist wegen des überindividuellen Rechtsguts ausgeschlossen.36 Die Massenmedien (Presse, Rundfunk, soziale Netzwerke) begründen keine erweiteren Rechtfertigungsmöglichkeiten.37 Gegenüber § 186 und § 187 ist § 188 lex specialis. Die Vorschrift tritt hinter § 90 zurück.38 Jeder der Absätze des § 188 kann mit § 90b tateinheitlich zusammentreffen.39
33 34 35 36 37 38 39 651
BGHSt 9 189. BGHSt 9 190. BayObLG NStZ 1983 126, 127. Zaczyk NK Rdn. 9; Regge/Pegel MK Rn. 19. Regge/Pegel MK Rn. 20 (zur Presse). BGHSt 16 338. BGHSt 6 159, 160 f; Rogall SK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 9. Hilgendorf
§ 189 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Schrifttum Bender Das postmortale allgemeine Persönlichkeitsrecht: Dogmatik und Schutzbereich, VersR 2001 815; Chen Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§§ 189 und 194 II S. 2 StGB) (1986); Helle Dissonanzen des postmortalen Persönlichkeitsrechts, AfP 2015 216; Hunger Das Rechtsgut des § 189 StGB (1996); Neumann-Duesberg Anmerkung zu BGHZ 50 133 (= JZ 1968 697), JZ 1968 703; Papst Der postmortale Persönlichkeitsschutz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 2002 999; Rüping Der Schutz der Pietät, GA 1977 299; Schack Weiterleben nach dem Tode – juristisch betrachtet, JZ 1989 609; Westermann Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach dem Tode, FamRZ 1969 561.
Übersicht I.
Die Frage nach dem Rechtsgut
II.
Der objektive Tatbestand
1 3
III.
Der subjektive Tatbestand
IV.
Sonstiges
4
5
I. Die Frage nach dem Rechtsgut 1 Für viele ist es fraglich, ob die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener in den 14. Abschnitt des Besonderen Teils gehört. Sie hat dort in der Tat nichts zu suchen, wenn man leugnet, dass § 189 ein Delikt gegen die Ehre umschreibt. Die herrschende Meinung konstatiert: Weil der Tote aufgehört habe, als Rechtssubjekt zu existieren, könne er nicht mehr Träger einer aktuellen Ehre, Subjekt des aus der Ehre abgeleiteten Achtungsanspruchs sein. Eine andere Formulierung besagt in der Sache dasselbe: Die Ehre ist Attribut (Eigenschaft) der Persönlichkeit. Mit dem Erlöschen des Lebens ende, was die Existenz der Person zur Voraussetzung habe.1 Welches Rechtsgut an die Stelle der Ehre zu treten habe, ist allerdings sehr umstritten. Angeboten werden insbesondere: (1.) das Pietätsgefühl der Angehörigen;2 (2.) das Pietätsgefühl der Angehörigen und der Allgemeinheit;3 (3.) die „Familienehre“;4 (4.) die Ehre der Familie und ihr Pietätsgefühl;5 (5.) die Ehre von Angehörigen;6 (6.) der Schutz öffentlicher Interessen an zutreffender Information über Verstorbene;7 (7.) die postmortale Respektierung der menschlichen und sozialen Leistung des Verstorbenen als Persönlichkeitsrecht eigener Art.8 (8.) BGHSt 40 97, 105 (mit krit. Anm. Jakobs StV 1994 540) hat die Frage nach dem Rechtsgut nicht abschließend entschieden, wohl aber in Anlehnung an Lenckner von der „Nachwirkung des Schutzes der Persönlichkeit“ gesprochen. Auch das Bundesverfassungsgericht neigt dem zu. Ohne die Rechtsgutsfrage ausdrücklich beantworten zu wollen, führt es im Rahmen einer bei § 189 zuweilen erforderlichen Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und geschütztem Rechtsgut aus, dass „zum einen der allgemeine Achtungsanspruch“ geschützt sei, „der dem Menschen kraft seines Personseins 1 2 3 4 5 6 7 8
RGSt 13 95; 26 34; Frank Anm. I; Geppert Jura 1983 580, 590; Rüping GA 1977 304; Rogall SK Rdn. 8. BayObLGSt 1949/51 455, 456; Rüping GA 1977 305. OLG Düsseldorf NJW 1967 1142; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1. Kohlrausch/Lange Anm. I. Frank Anm. I. Vgl. Rüping GA 1977 304; Zaczyk NK Rdn. 1. Rogall SK Rdn. 10. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1; LG Bonn NStZ-RR 2014 79.
Hilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-039
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I. Die Frage nach dem Rechtsgut
§ 189
zusteht“. Schutz genieße „aber auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat“.9 Zu diesen Auffassungen ist zu bemerken: Gefühle beziehen sich auf Werte, Rechts- und Lebensgüter. Sie sind mit ihnen nicht identisch. Auf das Pietätsgefühl von Angehörigen kann es auch deshalb nicht ankommen, weil die sozialethische Verwerflichkeit von tatbestandsmäßigen Verunglimpfungen nicht davon abhängt, ob Angehörige vorhanden sind. Eine Familienehre kann nicht anerkannt werden (Vor § 185 Rdn. 33). Für den Schutz der Ehre von Angehörigen Verstorbener braucht man keine besondere Vorschrift. In Bezug auf Wertvorstellungen gilt, was von den Gefühlen gesagt worden ist. Aus § 194 Abs. 2 Satz 2 ergibt sich kein Argument für die Anerkennung des Pietätsgefühls der Allgemeinheit als geschütztes Rechtsgut. Denn diese Vorschrift hat nichts mit dem Schutz einer vom Staat usurpierten Pietät zu tun.10 Im Übrigen ist das Pietätsgefühl der Allgemeinheit eine bloße Fiktion.11 Die Theorie des postmortalen Persönlichkeitsschutzes12 deckt sich in der Sache weitestgehend mit der hier vertretenen Auffassung: Sie geht dahin, dass das durch § 189 geschützte Rechtsgut die fortbestehende Ehre des 2 Verstorbenen ist.13 Nach in der Gesellschaft ganz vorherrschender Auffassung besitzt auch der Verstorbene noch Anspruch auf Respekt. Zivilrechtliche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs14 haben den Weg für die zutreffende Lösung der Rechtsgutsfrage bereitet: Die schutzwürdigen Werte der Persönlichkeit, ihr Ruf und damit auch der Bestand der Ehre überdauern die Rechtsfähigkeit. Zwar ist es unbestreitbar, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit dem Tode des Rechtssubjekts eine einschneidende Veränderung erfährt, weil alle „Ausstrahlungen“ enden, welche die Existenz einer handelnden, sich entfaltenden und in Kommunikation mit anderen stehenden Person bedingen.15 Aber das Lebensbild und damit auch die Ehre können nicht in dem Augenblick schutzlos werden, in dem der Mensch die Augen schließt. Es entspricht der Wertentscheidung des Grundgesetzes (insbesondere seinem Art. 1), dass Zivil- und Strafrecht das Bild des Lebens und Wirkens eines Verstorbenen für eine Zeitlang vor unangemessener Verzerrung bewahren.16 Denn „Menschenwürde und freie Entfaltung zu Lebzeiten sind nur dann im Sinne des Grundgesetzes ausreichend gewährleistet, wenn der Mensch auf einen Schutz seines Lebensbildes wenigstens gegen grob ehrverletzende Entstellungen nach dem Tode vertrauen und in dieser Erwartung leben kann“.17 Die Frage, wie sich das Zivilrecht mit dem Problem auseinandersetzt, das sich daraus ergibt, dass das fortbestehende Persönlichkeitsrecht eines Verstorbenen ein subjektloses Recht zu sein scheint, bedarf hier keiner Beantwortung.18 Für das Strafrecht ist es nicht zweifelhaft, dass „die Rechtsordnung Gebote und Verbote für das Verhalten der Rechtsgenossen zum Schutz verletzungsfähiger Rechtsgüter unabhängig vom Vorhandensein eines lebenden Rechtssubjekts vorsehen kann“.19 Die Ehre eines Verstorbenen kann nur retrospektiv erfasst werden. Der verdiente Achtungsanspruch bestimmt sich nach dem personalen und sozialen Geltungswert im Zeitpunkt des Todes.20 Die Auffassung, dass die – wenngleich in verminderter Intensität und mit eingeschränktem Schutzumfang – fortbestehende Ehre des Verstorbenen das geschützte Rechtsgut sei, macht die Vorschrift des § 189 9 BVerfG NJW 2018 770, 771. 10 Rüping GA 1977 305. 11 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1. 12 BVerfG NJW 2018 770, 771; vgl. aus zivilrechtlicher Perspektive auch BVerfG NVwZ 2008 549; BGH NJW 2009 751; BGHSt 40 97, 105; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1.
13 Ebenso Hirsch Ehre und Beleidigung S. 125 ff; Hunger S. 114; Welzel S. 305 und 315; de lege ferenda auch Müller Postmortaler Rechtsschutz (1996) S. 94. Vgl. BGHZ 15 259; 26 52, 67; 50 133, 136 ff = JZ 1968 697 mit Anm. Neumann-Duesberg. BGHZ 50 136. Neumann-Duesberg JZ 1968 704; v. Münch/Kunig/Kunig Bd. 1, Art. 1 GG Rn. 28. BGHZ 50 136, 139. Vgl. BGHZ 50 137; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 130 Anm. 19. BGHZ 50 136, 139. In diese Richtung auch BVerfG NJW 2018 770, 771.
14 15 16 17 18 19 20
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Hilgendorf
§ 189
Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener
nicht überflüssig. Die Bestimmung stellt klar, in welchem Umfang die Ehre Toter strafrechtlichen Schutz erfährt und setzt den Strafrahmen fest. Sie hat früher auch Fragen geregelt, die Verfolgungsvoraussetzungen prozessualer Art betrafen. Ihre Regelung findet sich nunmehr in § 194 Abs. 2.
II. Der objektive Tatbestand 3 Dem Verstorbenen steht der für tot Erklärte gleich.21 Das Andenken kann nur verunglimpft werden, wenn die ehrenrührige Äußerung von einem anderen wahrgenommen und in ihrem Sinngehalt verstanden wird.22 Beides ist auch deshalb erforderlich, weil die Verunglimpfung ebenso wie die einfache Beleidigung, die üble Nachrede und die Verleumdung ein Äußerungsdelikt ist, das erst vollendet wird, wenn ein anderer von der verunglimpfenden Kundgabe des Täters Kenntnis erlangt und sie versteht (§ 185 Rdn. 28). Infolgedessen können Tätlichkeiten am Leichnam den Tatbestand nur verwirklichen, wenn sie erkennbar sind und erkannt werden.23 Das Andenken bezieht sich auf den personalen Geltungswert des Verstorbenen im Zeitpunkt seines Hinscheidens (Rdn. 2). Daraus folgt: Wer am Leichnam manipuliert, ohne einen Makel an der vom Verstorbenen hinterlassenen Ehre zu äußern, verunglimpft nicht. Eine Verunglimpfung ist eine Beleidigung schwereren Grades in Form einer Tatsachenäußerung oder eines Werturteils.24 Nach einer anderen Formulierung ist „eine besonders schwere Herabsetzung“, „eine besonders schwere Ehrenkränkung“ erforderlich.25 Das Gewicht der Verunglimpfung kann eine ehrenrührige Äußerung aus ihrem Inhalt, ihrer Form, den Begleitumständen oder aus dem (erkennbar gewordenen) Beweggrund erlangen. Für die Verunglimpfung des Andenkens mehrerer Verstorbener unter einer Kollektivbezeichnung gelten die allgemeinen Grundsätze (Vor § 185 Rdn. 28 ff).26
III. Der subjektive Tatbestand 4 Für den subjektiven Tatbestand genügt bedingter Vorsatz.27 Die Lösung der Irrtumsfälle hängt davon ab, welche Position in der Rechtsgutsfrage (Rdn. 1 und 2) vertreten wird. Nach dem hier eingenommenen Standpunkt – das durch die Vorschrift des § 189 geschützte Rechtsgut ist die vom Verstorbenen hinterlassene Ehre – stellt sich die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener als ein Beleidigungsfall dar. Infolgedessen führt der Irrtum darüber, dass der Träger der Ehre lebt, oder darüber, dass er verstorben ist, nicht zur Straflosigkeit. Wenn der Täter irrtümlich annimmt, er beleidige einen Lebenden, wird er nach § 189 bestraft, wenn seine ehrenrührige Äußerung das Gewicht einer Verunglimpfung hat. Der dem Täter günstigere Strafrahmen, der Anwendung fände, wenn die Vorschrift des § 185 oder des § 186 zum Zuge käme, ist zu beachten.28 Trifft die Verunglimpfung entgegen der Annahme des Täters einen Lebenden, so ist er nach § 185 (§ 186, § 187) zu bestrafen. Über den Strafrahmen des § 189 darf das Gericht nicht hinausgehen. Die Begrenzung kann in Fällen des § 187 Bedeutung erlangen.29 Die „Nach-
21 22 23 24 25 26 27 28 29
Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1. Rogall SK Rdn. 14. BayObLGSt 1949/51 456 = JZ 1951 786; einschränkend Zaczyk NK Rdn. 5. BGHSt 12 364, 366; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 142 Anm. 39. BayObLG JZ 1951 786; NJW 1988 2902; Rogall SK Rdn. 12; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 2. BGH NJW 1955 800. BayObLGSt 1949/51 457. Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 142 Anm. 39. Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 143 Anm. 43.
Hilgendorf
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IV. Sonstiges
§ 189
wirkung des Schutzes der Persönlichkeit“30 ist der Sache nach ein nachwirkender Ehrenschutz, so dass die eben aufgezeigten Konsequenzen auch bei Zugrundelegung dieser Ansicht gelten. Wer dagegen der Meinung ist, § 189 schütze nicht die hinterlassene Ehre, muss in den dargelegten Fallgruppen des Irrtums zum Freispruch kommen: Das Delikt, das der Täter in seine Vorstellung und seinen Verwirklichungswillen aufgenommen hat, kann er nicht begehen und die Straftat, die er in ihrem äußeren Tatbestand verwirklicht, ist mit seiner Vorstellung und seinem Verwirklichungswillen nicht kongruent. Die Anhänger der Aliudtheorie ziehen die aufgezeigte Konsequenz.31 Sie ergibt sich auch dann, wenn zweifelhaft bleibt, ob die ehrenrührige Kundgabe vor oder nach dem Tode des Verunglimpften gemacht worden ist.
IV. Sonstiges Die Einordnung der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener in die Delikte gegen die Ehre 5 hat weitere praktische Konsequenzen: Bei Verunglimpfungen, die keine Verleumdungen darstellen, ist der Strafrahmen des § 185 (oder des § 186) einzuhalten. § 189 will die Ehre von Verstorbenen nicht stärker als die von Lebenden schützen.32 Das in der Verunglimpfung liegende Plus qualifiziert nicht den Unrechtsgehalt, sondern begründet ihn. Der Wahrheitsbeweis erfährt keine Einschränkung, wenn der Täter durch Äußerung von Tatsachen verunglimpft hat.33 § 193 ist anwendbar.34 Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Schutzbedürfnis des Verstorbenen in dem Maße schwindet, in dem die Erinnerung an ihn verblasst, sodass im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt.35 Da die Grundsätze der Kollektivbeleidigung gelten (oben Rdn. 3),36 kann ein und dieselbe Äußerung (z.B. bei der Auschwitzleugnung37), tateinheitlich Verstorbene verunglimpfen und Lebende beleidigen. Zum Strafantrag und der Fallgestaltung, bei der es eines Antrags nicht bedarf, vgl. § 194 Abs. 2. Zur Urteilsbekanntmachung vgl. § 200.
30 31 32 33 34 35 36 37
BGHSt 40 97, 105. Vgl. RGSt 26 33, 34; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4: „missliches Ergebnis“. BVerfG NJW 2018 770, 771. Rogall SK Rdn. 19; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3. LG Göttingen NJW 1979 1558, 1559; aA Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 4. BVerfG NJW 2018 770, 771. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2. Vgl. BGHSt 40 97, 103; BayObLG NStZ 1997 283 mit krit. Anm. Jakobs JR 1997 344; AG Schwerin, Urteil vom 16.8.2012 – 38 Ls 322/11, BeckRS 2012 22053. 655
Hilgendorf
§ 190 Wahrheitsbeweis durch Strafurteil 1
Ist die behauptete oder verbreitete Tatsache eine Straftat, so ist der Beweis der Wahrheit als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Tat rechtskräftig verurteilt worden ist. 2Der Beweis der Wahrheit ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Beleidigte vor der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen worden ist.
Schrifttum Geppert Zur Systematik der Beleidigungsdelikte und zur Bedeutung des Wahrheitsbeweises im Rahmen der §§ 185 ff StGB, Jura 2002 820; Helle Der Ehrenschutz des Freigesprochenen, GA 1961 166; Jansen Die Rechtsfolgenseite des § 190 Satz 2 StGB (2003); Regenfus Auswirkungen von Zeitablauf und Erkenntnisgewinn auf die Zulässigkeit der Verdachtsberichterstattung, ZUM 2020 278; Spendel Beweisverbote im Strafprozeß, NJW 1966 1102. Vgl. auch die Angaben vor der Übersicht zu § 186.
Übersicht I.
Die Bedeutung des Wahrheitsbeweises
II.
Problematik des Wahrheitsbeweises
III.
Tragweite des Wahrheitsbeweises
1
IV.
Verfahrensrechtliche Aspekte des Wahrheitsbe4 weises
V.
Die Beweisregeln des § 190
2 6
3
I. Die Bedeutung des Wahrheitsbeweises 1 Der Beweis der Wahrheit ist in Fällen der üblen Nachrede Strafausschließungsgrund.1 Das folgt aus der tatbestandlichen Interpretation dieses Delikts (§ 186 Rdn. 1 ff). Der Strafausschließungsgrund wirkt aber nicht nur persönlich. Er lässt auch die Strafbarkeit eines Teilnehmers entfallen. Zu der Ansicht, welche die Nichterweislichkeit der Wahrheit einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung als objektive Bedingung der Strafbarkeit auffasst,2 besteht nur ein terminologischer Unterschied.3 Was für die üble Nachrede gilt, gilt auch in Fällen ehrenrühriger Tatsachenbehauptungen nur gegenüber dem Betroffenen (vgl. § 185 Rdn. 37).
II. Problematik des Wahrheitsbeweises 2 „Der Wahrheitsbeweis dient nicht der Belastung des Beleidigten, sondern der Entlastung des Beleidigers … Es wäre eine gröbliche Verkennung des Verfahrenszwecks, wenn Versuche zugelassen würden, ganz allgemein die schmutzige Wäsche des Beleidigten zu waschen.“ Diese Sätze aus BGH bei Dallinger MDR 1955 269 umreißen die wesentliche Problematik des Wahrheitsbeweises. Mittelbar dient der Wahrheitsbeweis aber auch dem Interesse des Beleidigten, die beleidigende Aussage aus der Welt zu schaffen.4 Seinem Missbrauch soll vor allem mit dem Grundsatz der Identität des behaupteten und des zu beweisenden Geschehens begegnet wer1 RGSt 19 387; 62 83, 95; 65 425; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 186 Rdn. 13; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 171 und 203. 2 RGSt 69 81; BayObLGSt. 1964 129 = NJW 1965 58. 3 BGHSt 11 273, 274. 4 Regge/Pegel MK Rdn. 2 mit Verweis auf BGHSt 11 273 (276) nehmen weitergehend eine Gleichrangigkeit der Interessen von Beleidiger und Beleidigtem an. Hilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-040
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III. Tragweite des Wahrheitsbeweises
§ 190
den:5 Dem Täter soll es nicht freistehen, an Stelle unbeweisbarer Äußerungen mit anderen ehrenrührigen, beweisbaren Behauptungen aufzuwarten, um – wenigstens für die Zwecke der Strafzumessung – ein allgemeines Unwerturteil über den Betroffenen aufrechtzuerhalten. Der Wahrheitsbeweis dient nicht nur der Entlastung des Täters, sondern soll auch dem Verletzten die Chance geben, von den ehrenrührigen Vorwürfen freigestellt zu werden. Die Gleichwertigkeit oder Gleichartigkeit der behaupteten und der beweisbaren Tatsache genügt nicht.6 Der Grundsatz der Identität schließt aber nicht aus, dass der Angeklagte auf Vorkommnisse zurückgreift, die dem von ihm behaupteten Geschehen gleichartig oder ähnlich sind, wenn er damit bei widerstreitenden Zeugenaussagen (generell: in Fällen eines non liquet) Beweisanzeichen für die Richtigkeit seiner Darstellung erbringen kann.7 Es ist auch zulässig, den Wahrheitsbeweis auf Geschehnisse zu erstrecken, die weitere Belege für die Wahrheit einer Behauptung sein sollen, in der ein Einzelvorgang nur beispielhaft für einen allgemeinen Vorwurf erwähnt wurde.8 Doch hat der Täter keinen Freibrief, in äußerlicher Verbindung mit einem allgemeinen Vorwurf nicht beweisbare Einzeltatsachen nach Belieben zu behaupten. Sie können als selbstständige Beleidigungen anzusehen sein, deren Strafbarkeit auch dann nicht entfällt, wenn die Wahrheit des Gesamtvorwurfs bewiesen wird.9 Die Subjektivierung einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung („ich bin überzeugt, dass X gestohlen hat“) führt nicht dazu, dass die Überzeugung beweiserheblich wird. Es kommt allein darauf an, ob der behauptete Vorgang (der Diebstahl) beweisbar ist (vgl. § 186 Rdn. 7).
III. Tragweite des Wahrheitsbeweises Der Wahrheitsbeweis deckt auch die zur Charakterisierung ehrenrühriger Geschehnisse geäu- 3 ßerten Werturteile, wenn sie noch tatsachenbezogen und tatsachenbegrenzt sind (§ 185 Rdn. 5). Ist eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung mit einem Werturteil verknüpft, das nicht mehr tatsachenbezogen, sondern abwegig, unvertretbar ist, wird durch den Beweis der Wahrheit die Strafbarkeit auf das Plus an Ehrabsprechung begrenzt, das in der überschießenden negativen Bewertung liegt.10 Das ist einer der Fälle des § 192 (vgl. dort). Selbst für sehr vage, generalisierende Werturteile („Schuft“, „gemeiner Mensch“, „Verbrecher“) kann ein sie legitimierender Wahrheitsbeweis in Betracht kommen (§ 185 Rdn. 6). Die Wahrheitsfrage ist bei Werturteilen auch dann nicht gleichgültig, wenn der Täter erst nachträglich von einer – schon zur Tatzeit vorhandenen – Tatsachengrundlage erfährt und sich im Prozess darauf beruft. Denn nicht auf seine Kenntnis und Vorstellung im Zeitpunkt der Äußerung kommt es an, sondern auf ihren objektiven Aussagegehalt im Hinblick auf den wirklichen Status der Ehre des Betroffenen in diesem Zeitpunkt. Deshalb geht es nicht nur um die Relevanz nachträglich manifest gewordener ehrenrühriger Tatsachen für die Strafzumessung.11 Aus ihnen kann sich auch ergeben, dass der verdiente Achtungsanspruch nicht verletzt worden ist.12 Es ist nach allem unrichtig, wenn die Bedeutung der Wahrheitsfrage für Werturteile auf die Strafzumessung beschränkt wird, und es erscheint bedenklich, bei Äußerungen, die Tatsachenbehauptungen und darauf sich beziehende Werturteile enthalten, im Falle des Überwiegens der Wertung den Wahrheitsbeweis für die „unselbstständigen“ Tatsachenbehauptungen zu versagen.13 Er ist jedenfalls für die Strafzumes5 BGH VersR 1963 945; BGH bei Dallinger MDR 1955 269; RGSt 55 129, 133; 62 83, 95; 64 286. 6 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 186 Rdn. 15. 7 BGH VersR 1963 945. 8 BGH bei Dallinger MDR 1955 269; RGSt 55 129, 132; 62 83, 95. 9 RGSt 64 284, 286. 10 Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 210, 217. 11 Vgl. RG JW 1934 692 Nr. 12. 12 Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 215. 13 So OLG Hamm NJW 1961 1937; vgl. auch BGHSt 6 159, 162; 11 329, 331. 657
Hilgendorf
§ 190
Wahrheitsbeweis durch Strafurteil
sung von Bedeutung, es sei denn, die Tatsachenbehauptung bleibt für die Rechtsfolgenentscheidung außer Ansatz. Der Beweis der Wahrheit ist geführt, wenn die Tatsachenäußerung in ihrem wesentlichen Aussagegehalt (in ihrem Aussagekern) zutrifft. Einzelne Übertreibungen, unbewiesene oder widerlegte Nebensächlichkeiten sind unschädlich.14
IV. Verfahrensrechtliche Aspekte des Wahrheitsbeweises 4 Die Beweisführungslast trifft das Gericht. Es hat der Frage, ob die ehrenrührige Tatsache, die der Täter behauptete oder verbreitete, wahr ist, von Amts wegen nachzugehen (§ 244 Abs. 2 StPO). Aber ein non liquet geht zu Lasten des Täters, der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt nicht.15 Es ist gleichgültig, weshalb der Wahrheitsbeweis misslingt (etwa deshalb, weil ein Zeuge verstorben ist oder von einem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht). Beweisinitiative des Angeklagten darf erwartet werden. Beruft er sich nicht auf unmittelbar oder mittelbar relevante Tatsachen, so hat das Gericht, wenn sich im Laufe der Verhandlung keine deutlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Tatsachen ergeben, keine Veranlassung zur Beweiserhebung.16 Im Falle eines non liquet folgt ein straferschwerender Gesichtspunkt nicht daraus, dass der Angeklagte die von ihm für wahr gehaltene Behauptung aufrechterhält.17 5 Der Wahrheitsbeweis muss selbst dann erhoben werden, wenn im Falle der Nichterweislichkeit (etwa in Anwendung des § 193) freizusprechen oder wenn im Falle des Beweisgelingens (etwa deshalb, weil ein überschießendes Werturteil gefällt wurde) zu verurteilen ist. Denn das Strafverfahren darf den Schutz der Ehre des Betroffenen und die Wiederherstellung seines verdienten guten Rufs im Rahmen des Möglichen nicht außer Acht lassen. Für die Notwendigkeit, stets den Wahrheitsbeweis zu erheben, spricht zudem die Überlegung, dass sich ohne vollständige Aufklärung des Sachverhalts häufig nicht sicher beurteilen lässt, ob die ehrenrührige Behauptung leichtfertig und ob sie wirklich zur Wahrnehmung berechtigter Interessen aufgestellt worden ist.18 Der Verletzte kann ein tatrichterliches Urteil mit der Begründung anfechten, der Wahrheitsbeweis sei nicht oder nicht vollständig erhoben oder die Frage der Wahrheit des ehrenrührigen Angriffs sei sachlich-rechtlich nicht rechtsirrtumsfrei geprüft worden.19 Der ohne Klärung der Wahrheitsfrage freigesprochene, verfahrensrechtlich nicht beschwerte Angeklagte hat nicht die Möglichkeit, die Erhebung des Wahrheitsbeweises durch ein Rechtsmittel zu erzwingen.20 Der Grundsatz, dass der Wahrheitsfrage stets nachzugehen ist, sollte eine Einschränkung in Fällen erfahren, in denen der Betroffene diese Frage nicht aufgeworfen wissen möchte und ein Äußerungsexzess sich eindeutig abhebt.21
V. Die Beweisregeln des § 190 6 § 190 gehört zum Strafprozessrecht.22 Die Vorschrift enthält zwei Beweisregeln, die den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) verdrängen und die Beweislastregel des § 186 er-
14 BGHSt 18 182, 183; RGSt 55 129, 132; 62 83, 95; 64 284, 286; OLG Hamm JMBlNRW 1958 112; Sch/Schröder/Eisele/ Schittenhelm § 186 Rdn. 15. 15 BGH bei Dallinger MDR 1954 335 und 1955 260; RG DJ 1937 163; Geppert Jura 1983 580, 582. 16 Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 215 Anm. 32. 17 RGSt 38 208. 18 BGHSt 4 194, 198; 7 385, 392; 11 273, 274, 277; 27 290, 292; RGSt 64 10, 11; RG JW 1930 2541 Nr. 10 mit Anm. Engelhard; JW 1936 3461 Nr. 31; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 186 Rdn. 14. 19 BGHSt 11 273, 279. 20 Vgl. BGHSt 11 273, 278; 27 290, 292 f. 21 Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 225 Anm. 53; Welzel S. 319. 22 Regge/Pegel MK Rdn. 6. Hilgendorf
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V. Die Beweisregeln des § 190
§ 190
gänzen.23 Zweck dieser Beweisregeln ist es zu verhindern, dass strafrechtliche Vorwürfe, die Gegenstand eines rechtskräftigen Strafurteils waren, im Rahmen eines Beleidigungsverfahrens erneut überprüft werden müssen. Die Beweisregeln beugen widersprechenden Entscheidungen vor. Die erste erspart es dem Beleidiger, trotz Vorliegens eines Strafurteils, das für die Richtigkeit seiner ehrenrührigen Tatsachenbehauptung streitet, den Wahrheitsbeweis erbringen zu müssen (Rdn. 7). Die zweite ermöglicht es dem Beleidigten, seine Rechtsposition allein durch die Berufung auf den rechtskräftigen Freispruch zu wahren (Rdn. 8).24 Die Beweisregeln gelten auch für Fälle, in denen der Täter nur gegenüber dem Betroffenen behauptet, er, der Betroffene, habe eine Straftat begangen,25 mag sich in dieser Behauptung die ehrenrührige Äußerung erschöpfen oder nicht erschöpfen (vgl. Rdn. 3). Nicht billigenswert ist die Auffassung, die § 190 Satz 2 auch materiellrechtliche Bedeutung beilegt.26 § 190 Satz 1 schneidet jede Beweiserhebung über die Wahrheit des Straftatvorwurfs ab. Nur 7 durch einen Wiederaufnahmebeschluss (§ 370 Abs. 2 StPO) wird der Weg für den Wahrheitsbeweis wieder frei.27 § 190 Satz 1 setzt voraus, dass die rechtskräftige Verurteilung gerade wegen der dem Beleidigten nachgesagten Straftat erfolgte, gleichviel, ob es zur Verurteilung vor oder nach der Kundgabe kam, die den Gegenstand des Beleidigungsverfahrens bildete. Verurteilung durch Strafbefehl genügt.28 Ein Schuldspruch wegen der behaupteten (oder verbreiteten) Straftat reicht aus, ein Rechtsfolgenausspruch ist nicht erforderlich. § 190 Satz 1 trifft also auch dann zu, wenn nach § 199 für straffrei erklärt, nach § 59 mit Strafvorbehalt verwarnt oder nach § 60 von Strafe abgesehen worden ist.29 Tilgung oder Tilgungsreife einer Verurteilung schließen die Anwendung der Beweisregeln nicht aus (arg. § 51 Abs. 2 BZRG).30 Solange die Verurteilung wegen der behaupteten oder verbreiteten Straftat Bestand hat, kann selbst derjenige, der ihre Unrichtigkeit kennt, nicht wegen Verleumdung bestraft werden, wenn er dem Verurteilten nachsagt, er habe die Straftat begangen. Nach § 190 Satz 2 ist der Beweis der Wahrheit als Entlastungsbeweis für den Angeklagten 8 ausgeschlossen, wenn der Beleidigte vom Vorwurf der Straftat, die ihm der Angeklagte nachsagt, rechtskräftig freigesprochen worden ist. Der Freispruch muss vor der Behauptung oder Verbreitung der ehrenrührigen Tatsache erfolgt und rechtskräftig geworden sein. Es ist gleichgültig, ob der Beleidiger davon Kenntnis hatte oder nicht.31 Wenn die Beleidigung dem Freispruch vorausgeht, steht § 190 Satz 2 dem Wahrheitsbeweis nicht entgegen.32 Die Vorschrift hindert ihn nicht mehr, wenn ein Wiederaufnahmebeschluss ergangen ist (§ 370 Abs. 2 StPO). „Freigesprochen“ im Sinne von § 190 Satz 2 ist der Beleidigte nur, wenn durch eine Sachentscheidung festgestellt worden ist, dass er (möglicherweise) nicht tatbestandsmäßig, nicht rechtswidrig oder nicht schuldhaft gehandelt hat. Es genügen nicht die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung, wegen fehlenden Strafantrags, der Freispruch wegen Rücktritts vom Versuch oder wegen Vorliegens eines persönlichen Strafausschließungsgrundes, die Straffreierklärung nach § 199, die Ablehnung des Erlasses eines Strafbefehls.33 Grund hierfür ist, dass über die Wahrheit der in Frage stehenden Behauptungen gar nicht verhandelt wurde. Eine a.A. lässt jeden Freispruch i.S. einer Sachentscheidung genügen und beruft sich dabei auf den Wortlaut
23 24 25 26
BGHZ 95 212, 216; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1; weiter differenzierend Regge/Pegel MK Rdn. 7. BayObLGSt 1960 229, 230 = NJW 1961 85. BayObLGSt 1960 229, 230 = NJW 1961 85; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1. So BayObLGSt 1960 229, 231 in dem Bestreben, sich mit BayObLGSt 1958 244, 246 nicht in Widerspruch zu setzen. 27 RGSt 76 48; RGRspr. 10 430. 28 RGSt 36 313. 29 Rogall SK Rdn. 5. 30 Rogall SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 3; aA Dähn JZ 1973 51. 31 Kohler GA Bd. 47 203. 32 Rogall SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 4. 33 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 4; diff. Zaczyk NK Rdn. 3. 659
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§ 190
Wahrheitsbeweis durch Strafurteil
von § 190 S. 2.34 Wenn ein rechtskräftiges Urteil die Schuld verneint, ist auf Grund dieses Urteils § 190 Satz 2 anzuwenden, mag auch festgestellt sein, dass der Beleidigte tatbestandsmäßig gehandelt hat (z.B. im Falle eines Jugendlichen, dem die erforderliche Einsicht fehlt; vgl. § 3 Satz 1 JGG). Wenn allerdings die ehrenrührige Behauptung sich auf die Aussage beschränkt, dass der „Beleidigte“ eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige Handlung verübt habe, wenn also die Frage des schuldhaften Verhaltens ausdrücklich oder nach dem Sinngehalt der Äußerung ausgenommen worden ist, schließt ein Urteil, das lediglich die Schuld verneint hat, den Beweis der Tatbegehung nicht aus.35 Wenn der Täter die Unrichtigkeit des Freispruchs kennt, z.B. der Freigesprochene ihm gegenüber die Tat zugestanden hat, hindert § 190 Satz 2 dennoch den Wahrheitsbeweis. Das Wissen um den Freispruch schließt in der Regel die Berufung auf § 193 aus.36
34 Regge/Pegel MK Rn. 17. 35 Rogall SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 4. 36 Rogall SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 4. Helle GA 1961 166 ff will in einem solchen Falle § 193 stets ausschließen. Hilgendorf
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§ 191 (weggefallen) § 192 Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache schließt die Bestrafung nach § 185 nicht aus, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
Schrifttum Edenfeld Der Schuldner am Pranger. Grenzen zivilrechtlicher Schuldbeitreibung, JZ 1998 645; Oppe Ist eine Beleidigungsabsicht zur Strafbarkeit nach §§ 192, 193 StGB erforderlich? MDR 1962 947; Scheffler Zur Strafbarkeit der Schuldbeitreibung mittels „Schwarzen Mannes“, NJ 1995 573; Weber Die Bedeutung der Worte „das Vorhandensein einer Beleidigung“ in §§ 192, 193 StGB, ZStW 53 (1934) 196.
Übersicht I.
Begriff und Anwendungsbereich der Formalbe1 leidigung
II.
Der Tatbestand der Formalbeleidigung
III.
Publikationsexzess, Ehrverletzende Reaktualisie7 rung
IV.
Wahrheitsbeweis und Wahrnehmung berechtig9 ter Interessen
4
I. Begriff und Anwendungsbereich der Formalbeleidigung Zur Kennzeichnung dessen, was § 192 besagt, wird der Ausdruck „Formalbeleidigung“ oder 1 „Formbeleidigung“1 gebraucht. Früher wurde dieser Ausdruck aber auch zur Benennung aller Beleidigungen, die nicht Tatsachenäußerungen sind, verwendet.2 Im folgenden Text bedeutet er Beleidigung im Sinne von § 192. Die Vorschrift gilt für alle Fälle ehrenrühriger Tatsachenäußerungen, auch für diejenigen, die nach § 185 oder § 189 strafbar sind.3 Wenn eine solche Äußerung sich als wahr erweist, liegt in ihrem faktenbezogenen Inhalt keine strafbare Beleidigung. Eine solche Straftat kann sich aber daraus ergeben, dass Form oder Umstände einer ehrenrührigen Äußerung über den ehrrelevanten Erklärungswert der beweisbaren und bewiesenen Tatsachen hinausgehen und in ihrem objektiven Sinngehalt zusätzlich Missachtung, Nichtachtung oder Geringschätzung zum Ausdruck bringen. In ihnen liegt dann ein Plus an Herabsetzung der Ehre des Betroffenen, ein ungedecktes (exzessives) Mehr an ehrenrühriger Kundgabe, das den Tatbestand der einfachen Beleidigung (§ 185) erfüllt. Das und nichts anderes besagt § 192.4 Nicht mit dem Fall der Formalbeleidigung hat man es dort zu tun, wo mit einer erweislich 2 wahren Tatsachenäußerung ein Werturteil (z.B. eine Beschimpfung) nur äußerlich verknüpft ist. Sagt X zu einem anderen: „Y, der Rassist, hat mich bestohlen“, obgleich nur das Bestehlen zutrifft, im Übrigen aber weder objektiv noch in der Vorstellung des X für den „Rassisten““ eine 1 2 3 4
Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 217. Vgl. Kohlrausch/Lange § 185 Anm. IV 1. BayObLGSt 1958 244, 246 = NJW 1959 57; Rogall SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 2. Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 217 ff.
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§ 192
Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises
Tatsachengrundlage vorhanden ist, dann hat X bei Gelegenheit einer Tatsachenäußerung nach § 185 beleidigt. Schaefer LK8 Anm. II 1 sprach von einem „extensiven Exzess“. In seinem Falle kommt es auf § 192 und die Theorien zur Interpretation der Vorschrift nicht an.5 3 Ein Exzess im Sinne von § 192 liegt nicht schon dann vor, wenn die geäußerten ehrenrührigen und als wahr erwiesenen Tatsachen eine (ausdrückliche oder konkludente) Bewertung erfahren haben. Denn der Beweis der Wahrheit deckt auch die zur Charakterisierung ehrenrühriger Verhaltensweisen gefällten Werturteile, wenn sie nicht in einer Weise herabwürdigen, die zu den Fakten außer jedem Verhältnis steht. Halten sie sich im Rahmen der Adäquanz, dann sind sie Bestandteil der üblen Nachrede. Mit dem Beweis, dass die Tatsachenbehauptung zutrifft, entfällt auch ihre Strafbarkeit (§ 185 Rdn. 43). Bei der Prüfung der Frage, ob ein abwertendes Urteil über das noch Verhältnismäßige und damit Tatsachenadäquate hinausgegangen ist, darf die Grundanschauung des Urteilenden, falls sie „vertretbar und nicht offensichtlich abwegig“ ist, nicht völlig außer Betracht bleiben.6 Zur Frage der Behandlung des von Irrtum beeinflussten Wertungsexzesses vgl. § 193 Rdn. 31.
II. Der Tatbestand der Formalbeleidigung 4 Tatsachenäußerungen auf der einen Seite und Werturteile (zu denen auch konkludente Verhaltensweisen mit ehrenrührigem Sinngehalt gehören können) auf der anderen Seite bilden die Handlungen der Beleidigungsdelikte (§ 185 Rdn. 2). Wird § 192 diesem Schema eingeordnet, so können die „Form“ und die „Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung nichts anderes als eine Residualkategorie für das sein, was über den geäußerten Tatsacheninhalt hinaus den objektiven Erklärungsgehalt einer Kundgabe mitbestimmt, und zwar so – das folgt aus Rdn. 1 bis 3 –, dass es die ehrenrührigen Fakten mit einer Wertung verknüpft, die nicht nur additiv zu ihnen hinzutritt7 und die ein exzessives Mehr an Ehrherabsetzung enthält als tatsachenadäquater Bewertung entspräche. Bei solcher Einordnung der Vorschrift des § 192 in die große Gruppe der Beleidigungen durch überschießende Wertung kann die Beantwortung der Frage, ob die ehrenrührige Form oder die achtungsverletzenden Umstände die Tatbestandsverwirklichung selbst bewirken oder ob sie nur ein notwendiges Indiz (einen Beweisgrund, dem sie entnehmbar sein muss)8 für eine besonders festzustellende Beleidigungsabsicht darstellen, nicht zweifelhaft sein: Das tatsacheninadäquate Plus an Ehrabsprechung bildet den auch bei der Formalbeleidigung unerlässlichen,9 durch keine Beleidigungsabsicht ersetzbaren objektiven Tatbestand.10 „Entscheidend ist, dass eine Abwertung ausgedrückt wird, die über die vom Inhalt der Tatsachenäußerung gedeckte Minderung“ der Ehre des Betroffenen hinausgeht.11 Subjektiv genügt das Wissen des Täters, dass er tatsacheninadäquat (im Sinne von Rdn. 3) wertet. Dolus eventualis reicht im Übrigen aus. 5 Hat man den objektiven Tatbestand der Formalbeleidigung mithin darin zu sehen, dass die Form, in welcher eine Tatsachenäußerung erfolgt, oder die Umstände, unter denen sie gemacht wird, für sich allein ein ehrenrühriges Werturteil im Sinne von § 185 zum Ausdruck bringen, das nicht tatsachenadäquat ist, dann bietet der tatbestandliche Aufbau keine Besonderheiten. Wer dagegen mit dem Reichsgericht12 meint, in das Gesetz sei eine Beleidigungsabsicht hineinzuinterpretieren, der gibt § 192 (und dem Schlussteil des § 193) eine andere Deutung und eine andere Struktur: Wegen Formalbeleidigung macht sich nur derjenige strafbar, dem es darauf ankommt, den 5 Vgl. RGSt 21 157, 159; 33 50, 53. 6 BGHSt 6 159, 162; BGH NJW 1974 1762; NJW 1978 1797, 1798; BayObLGSt 1961 46, 48; 1963 174, 177 f. 7 Vgl. RGSt 21 157, 159; 34 80. 8 RGSt 6 421; 40 317, 318. 9 Vgl. RGSt 23 40; BayObLG 20 110. 10 Im Ergebnis wie hier z.B. Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 221 ff; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1. 11 Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 222. 12 Vgl. RGSt 1 317; 20 100; 23 40; 34 80; 40 317; 41 254; 59 414; RG DR 1943 189. Hilgendorf
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III. Publikationsexzess, Ehrverletzende Reaktualisierung
§ 192
Betroffenen zu beleidigen. Form oder Umstände sind die Beweisanzeichen, aus denen auf animus iniuriandi geschlossen werden kann. Das Abstellen auf eine Beleidigungsabsicht kann zu weit gehender Einschränkung der Straflosigkeit bei erweislich wahren Tatsachenäußerungen auf Grund der Form oder der Umstände vorbeugen.13 Denn aus ihrem indiziellen Gehalt ergibt sich in aller Regel kein zwingender Schluss auf animus iniuriandi.14 Aber die Beleidigungsabsicht wird als Korrektiv nicht benötigt, wenn anerkannt wird, dass die Formalbeleidigung den Unrechts- und Schuldgehalt der Beleidigung durch Werturteil erfordert, dass der „Form“ oder den „Umständen“ dieser Unrechts- und Schuldgehalt innewohnen und durch sie manifest werden muss. Es kann für die Subsumtion unter § 185 nicht zwei Kategorien von Beleidigungen mit unterschiedlichem tatbestandlichen Aufbau geben. Auch im Gesetzeswortlaut findet die Forderung nach einer Beleidigungsabsicht keine Stütze. Mit der heute ganz h.M.15 ist sie deshalb abzulehnen. Die Judikatur zur Beleidigungsabsicht, zu den sie indizierenden Beweisgründen und zu deren 6 Abgrenzung vom Inhalt der Tatsachenäußerung16 ist auch für die hier vertretene Auffassung von Interesse. Denn für sie gilt, dass dem Täter ein scharfer Ausdruck nicht als Formexzess vorgeworfen werden kann, wenn er inhaltlich das sagen wollte und sagen konnte, was sich aus dem Sinngehalt des Ausdrucks ergibt.17 Auch bei der hier eingenommenen Position stellt sich die Frage, wie sich der Täter (noch) tatsachenadäquat hätte artikulieren können und ob die außer Verhältnis stehende Abwertung des Betroffenen in der Persönlichkeit des Täters (seiner Gemütsart, seiner sprachlichen Fähigkeit) und in anderen Umständen des Einzelfalls (insbesondere im Anlass zur Äußerung) eine Erklärung findet, die dem Schluss auf vorsätzlich-tatsacheninadäquate Wertung entgegensteht.18 Im Übrigen kann nur in Zusammenfassung von schon Gesagtem noch einmal klargestellt werden: Ein Schimpfwort,19 eine persönlichkeitsbezogene negative Qualifizierung (z.B. „Lügner“ oder „dummdreiste Lüge“),20 die satirische Einkleidung (vgl. § 185 Rdn. 25 f), eine boshafte oder gehässige Wendung,21 der überlaute Ton22 und jedes andere, mit einer Tatsachenäußerung verknüpfte und sie ausdrücklich oder konkludent wertende Formmoment muss, wenn es als Formalbeleidigung in Betracht kommen soll, den Achtungsanspruch des Betroffenen so tangieren, dass trotz der Minderung der Ehre, die durch die wahre Tatsachenäußerung manifest geworden ist, eine Verletzung dieses Anspruchs eintritt. Nur unter dieser Voraussetzung können auch (situative, temporale, lokale, personale) Umstände23 tatbestandsverwirklichend sein, etwa die unsachliche Veröffentlichung längst vergangener Verfehlungen.24
III. Publikationsexzess, Ehrverletzende Reaktualisierung Gegenstand verschiedener Entscheidungen war die Frage, ob die Kundgabe ehrenrühriger Tat- 7 sachen in der Zeitung,25 durch öffentlichen Aushang in einem Schaukasten26 oder durch eine andere Art öffentlicher Verbreitung27 als Formalbeleidigung anzusehen ist. Von zunehmender 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 663
Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 220. RGSt 40 317, 319; RG JW 1938 1805 Nr. 6. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 26 Rdn. 21. Vgl. RGSt 40 317; RG JW 1938 1805 Nr. 6; BayObLG 20 108; BayObLGSt. 1961 41. Vgl. BGHZ 70 1, 5 f; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; Herdegen Anm. zu BGHZ 70 1 in LM DRiG Nr. 15 zu § 26. Vgl. insbesondere RGSt 40 318; RG JW 1936 3461 Nr. 31; BayObLG 20 110; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354. Vgl. RG JW 1934 905 Nr. 17 und 1934 1852 Nr. 6. Vgl. BGHZ 70 1. Vgl. RGSt 15 74; BayObLG 17 43. Vgl. RGSt 54 289. Vgl. dazu RGSt 21 157; 34 80. Tenckhoff JuS 1989 35, 38. Vgl. BayObLG 12 266. Vgl. OLG Frankfurt NJW 1948 226. Vgl. OLG Braunschweig MDR 1948 186. Hilgendorf
§ 192
Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises
Bedeutung sind in diesem Zusammenhang Publikationen im Internet (dazu allgemein Vor § 185 Rdn. 39 ff). Es geht bei dieser Frage um das Problem des Publikationsexzesses, eine ebenso aktuelle wie lange Zeit vernachlässigte Kategorie der Steigerung der Ehrverletzung auf ein den wahren ehrenrührigen Tatsachen nicht angemessenes Ausmaß durch die modalen Umstände der Äußerung.28 Es liegt eine Wertung darin, dass und wie ein ehrenrühriges Faktum publiziert wird (z.B. „in großer Aufmachung“ und unter Nennung des Namens). Der Kommunikator bringt zum Ausdruck, dass das berichtete Geschehen (Verhalten, Versagen) das Gewicht eines die Öffentlichkeit überhaupt oder sogar im Ausmaß der großen Aufmachung interessierenden Vorgangs hat. Das kann inadäquat sein, außer Verhältnis zum Gewicht der Tatsachen stehen und infolgedessen den Tatbestand der Formalbeleidigung durch anprangernde Überzeichnung eines Ehrmangels erfüllen. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an.29 Ein gewisser Ermessensspielraum muss eingeräumt werden. Deshalb kann von einem Publikationsexzess nur die Rede sein, wenn die Publizierung (oder die Aufmachung) in einem auffallenden Missverhältnis zum Gewicht der ehrenrührigen Tatsache steht.30 Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist das besonders auffällige Gebaren als „Schwarzer Mann“ beim Eintreiben von Schulden.31 Zu den Umständen, unter welchen eine Äußerung geschieht, gehören temporale Aspekte, 8 insbesondere der Zeitablauf. Er nimmt ehrenrührigen Tatsachen zunächst die Aktualität und sodann mehr und mehr ihr Gewicht. Wer sie reaktualisiert, kann eine ehrverletzende Handlung begehen.32 Stellt er die „verblasste“ ehrenrührige Tatsache so heraus, dass ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem geschrumpften Mangel an Ehre und seiner Verbalisierung besteht, erfüllt er den äußeren Tatbestand der Formalbeleidigung. Unterdrückt er das zeitliche Moment, dann behauptet oder verbreitet er eine Tatsache, die so, wie er sie kundmacht (als aktuelle, voll zu Buch schlagende), nicht gegeben ist. In einem solchen Falle kommt der Tatbestand der üblen Nachrede oder der Verleumdung in Frage, wenn die Äußerung nicht nur gegenüber dem Betroffenen gemacht worden ist.
IV. Wahrheitsbeweis und Wahrnehmung berechtigter Interessen 9 Erst wenn der Wahrheitsbeweis erbracht ist, steht die Frage der Formalbeleidigung zur Diskussion (§ 190 Rdn. 5).33 Glaubt der Täter, dass nach allgemein gebilligten Maßstäben seine (verbale, symbolische, in der Publizierung oder in einem anderen Moment der Form oder der Umstände liegende) Wertung durch die ehrenrührigen Tatsachen legitimiert sei, handelt er möglicherweise nicht vorsätzlich (vgl. § 193 Rdn. 31). § 193 ist anwendbar.34 Auch im Falle der Wahrnehmung berechtigter Interessen kann adäquat nur die Wertung sein, die zum ehrenrührigen Gehalt der Tatsachen nicht außer Verhältnis steht. Ist sie es nicht, entfällt eine Rechtfertigung nach § 193.35 Der Zweck der Wahrnehmung berechtigter Interessen ist jedoch für die Adäquanz einer in Form oder Umständen zum Ausdruck kommenden Bewertung nicht gleichgültig. Infolgedessen kann die Vorstellung, die der Täter in diesem Punkte hat, der Annahme eines auf inadäquate Wertung gerichteten (mit ihr rechnenden) Vorsatzes entgegenstehen (vgl. § 193 Rdn. 31).
28 29 30 31 32
Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 223 ff; Rogall SK Rdn. 9. Vgl. BGH NJW 1964 1471; LG Hamburg MDR 1992 522; Peglau ZRP 1998 249. Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 223 ff. LG Leipzig NJW 1995 3190; Scheffler NJ 1995 573, 575; Edenfeld JZ 1998 645, 648. Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 224; Otto FS Schwinge 71, 86; Rogall SK Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1. 33 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 7 Rdn. 28; Rogall SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 3. 34 Regge/Pegel MK Rdn. 12. 35 RG JW 1932 409 Nr. 12; Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 4; aA OLG Braunschweig NJW 1952 237. Hilgendorf
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§ 192a Verhetzende Beleidigung Wer einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, die Menschenwürde anderer dadurch anzugreifen, dass er eine durch ihre nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung bestimmte Gruppe oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, an eine andere Person, die zu einer der vorbezeichneten Gruppen gehört, gelangen lässt, ohne von dieser Person hierzu aufgefordert zu sein, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Schrifttum Adelberg Hassreden in sozialen Netzwerken: Reichweite und Grenzen der Pflichten und Rechte der Netzwerkbetreiber, Kommunikation & Recht 2022 19; Bredler/Markard Grundrechtsdogmatik der Beleidigungsdelikte im digitalen Raum: ein gleichheitsrechtliches Update der Grundrechtsabwägung bei Hassrede, JZ 2021 864; Brodnig Hass im Netz: Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können (2016); Carlson Hate Speech (2021); Ceffinato Zur Regulierung des Internet durch Strafrecht bei Hass und Hetze auf Onlineplattformen, ZStW 132 (2020) 544; ders. Hate Speech zwischen Ehrverletzungsdelikten und Meinungsfreiheit, JuS 2020 495; Demaske Free speech and hate speech in the United States: the limits of toleration (2021); Ebner/Kulhanek Verhetzende Beleidigung (§ 192a StGB), ZStW 133 (2021) 984; Eisenberg Den Hass kriminalisieren: Rechtsgrundlagen und Vollzugsdefizite bei der strafrechtlichen Verfolgung von Hassdelikten in den Vereinigten Staaten, ZStW 132 (2020) 644; Großmann Der Beleidigungstatbestand: Partielle Reform oder grundlegende Revision? GA 2020 546; Hestermann/Hoven/Autenrieth „Eine Bombe, und alles ist wieder in Ordnung“: Eine Analyse von Hasskommentaren auf den Facebook-Seiten reichweitenstarker deutscher Medien, KriPoZ 2021 204; Hilgendorf Instrumentalisierungsverbot und Ensembletheorie der Menschenwürde, in FS Puppe (2011) 1653; ders. Menschenwürdeschutz als Schutz vor Demütigung? Eine Kritik, in ders. (Hrsg.) Menschenwürde und Demütigung. Die Menschenwürdekonzeption Avishai Margalits (2013) 127; ders. Identitätspolitik als Herausforderung für die liberale Rechtspolitik – Versuch einer Orientierung, JZ 2021 853; ders. Identitätspolitische Verwirrungen – der neue § 192a StGB, NJW 2021 14; Hong Apropos Künast-Fall, HRRS 2020 490; Hoven/Witting Das Beleidigungsunrecht im digitalen Zeitalter, NJW 2021 2397; dies. Die Verhetzende Beleidigung in § 192a StGB – Zum Strafrechtlichen Umgang mit gruppenbezogenen Beleidigungen, NStZ 2022 589; Jansen Verhetzende Beleidigung – gelungene Erweiterung der Ehrdelikte? GA 2022, 94; Kaspar/Gräßer/Riffi (Hrsg.) Online Hate Speech: Perspektiven auf eine neue Form des Hasses (2017); Keller/Büsch/Bischoff (Hrsg.) Die Attraktion des Extremen: Radikalisierungsprävention im Netz (2021); Kriele Ehrenschutz und Meinungsfreiheit NJW 1994 1997; Krupna Das Konzept der „Hate Crimes“ in Deutschland. Eine systematische Untersuchung der Kriminalitätsform, der strafrechtlichen Erfassungsmöglichkeiten de lege lata und der Verarbeitung in der Strafrechtspraxis (2010); Ladeur Die Kollision von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz in der interpersonalen Kommunikation, JZ 2020 943; Limbourg/Graetz (Hrsg.) Meinungsmache im Netz: Fake News, Bots und Hate Speech (2018); Magen Kontexte der Demokratie: Parteien, Medien, Sozialstrukturen, VVdStR 77 (2018) 70; Mchangama Free Speech. A Global History from Socrates to Social Media (2022); Nussbaum Jenseits der Beleidigung unter Kollektivbezeichnung? Überlegungen zur Verhetzenden Beleidigung gem. § 192a StGB, KriPoZ 2021 335; Preuß Fake News: eine phänomenologische, kriminologische und strafrechtliche Untersuchung (2021); Reinbacher Social Bots aus strafrechtlicher Sicht, in Beck/Kusche/Valerius (Hrsg.) Digitalisierung, Automatisierung, KI und Recht (2020) 457; Reus Sprache in den Medien (2020); Rübsam Hate Speech gegen Politiker: der schmale Grat zwischen Meinungsfreiheit und Schmäkritik (2021); Sahin Hate Speech or free speech? Grenzen der Meinungsfreiheit im gesellschaftlichen Wandel, Kritische Justiz 53 (2020) 256; Schneider Opfer von Hassverbrechen: Fremdenfeindlichkeit in viktimologischer Perspektive, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 84 (2001), 357; Sponholz Hate Speech in den Massenmedien: Theoretische Grundlagen und empirische Umsetzung (2017); Steinl/Schemmel Der strafrechtliche Schutz von Hassrede im Internet. Jüngste Reformen im Lichte des Verfassungsrechts, GA 2021, 86; Valerius Hasskriminalität – Vergleichende Analyse unter Einschluss der deutschen Rechtslage, ZStW 132 (2020) 666; Völzmann Freiheit und Grenzen digitaler Kommunikation: digitale Gewalt als Herausforderung der bisherigen Meinungsfreiheitsdogmatik, MMR 24 (2021) 619; Wachs/Koch-Priewe/Zick (Hrsg.) Hate Speech – Multidisziplinäre Analysen und Handlungsoptionen: Theoretische und Empirische Annäherungen an ein interdisziplinäres Phänomen (2021); Waldron The Harm in Hate Speech (2014); Weitzel/Mündges (Hrsg.) Hate Speech: Definitionen, Lösungen, Ausprägungen (2022); Ziccardi Online Political Hate Speech in Europe. The Rise of New Extremism (2020); Zech Information als Schutzgegenstand (2012); Zivanovski Hate Speech. Yes or No and Why not: Multidisciplinary theoretical overview over US and European treatment of hate speech in political discourse (2015). 665 https://doi.org/10.1515/9783110490121-042
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§ 192a
Verhetzende Beleidigung
Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten, Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Verbesserung der Bekämpfung verhetzender Inhalte sowie Bekämpfung von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen vom 14.9.2021, in Kraft getreten am 22.9.2021, in das StGB eingefügt.1 § 192a war im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung noch nicht enthalten und wurde erst mit einem Änderungsantrag2 der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Teil des Gesetzgebungsverfahrens. Dem vorausgegangen war ein Diskussionsentwurf des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz.3
Gesetzesmaterialen BTDrucks. 19/28678 (Gesetzentwurf der Bundesregierung); Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – BTDrucks. 19/28678; BTDrucks. 19/29638 (Stellungnahme des Bundesrats); 19/29997 Nr. 1.14 (Unterrichtung betr. Überweisung an Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz); 19/30943 (Beschlußempfehlung); 19/31115 (Bericht). Siehe auch den Abschlussbericht des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroef fentlichungen/themen/sicherheit/abschlussbericht-kabinettausschuss-rechtsextremismus.html.
Übersicht I.
Vorbemerkungen
1
II.
Geschütztes Rechtsgut
III. 1. 2. 3. 4.
9 Tatbestand 10 Tatmittel: Verhetzender Inhalt 13 Geschützte Gruppen Beschimpfen, Verächtlich Machen, Verleum29 den 34 Angriff auf die Menschenwürde
IV.
Tathandlung
V.
Keine Aufforderung zur Inhaltsübermitt50 lung
VI. 7
Subjektiver Tatbestand
VII. Täterschaft und Teilnahme
53 54
56
VIII. Rechtfertigung 60
IX.
Irrtümer
X.
Schuld
XI.
Konkurrenzen
62 63
41 XII. Strafantrag
64
I. Vorbemerkungen 1 Es handelt sich nicht um eine Qualifikation des § 185, sondern um einen eigenständigen Straftatbestand.4 Ziel des Gesetzes ist der Schutz von Personen und Gruppen, die wegen ihrer nationalen, „rassischen“, religiösen oder ethnischen Herkunft, einer Behinderung oder ihrer sexuellen Orientierung beschimpft, verächtlich gemacht oder verleumdet werden. Dem Gesetzgeber
1 BGBl. I S. 4250. 2 Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – BTDrucks. 19/28678.
3 Gesetz zur nachdrücklichen strafrechtlichen Bekämpfung der Hassrede und anderer besonders verwerflicher Formen der Beleidigung vom 4.11.2019, https://www.justiz.bayern.de/media/pdf/gesetze/diske_by_modernisierung_be leidigungsdelikte.pdf, dazu Großmann GA 2020 546, 554 ff. 4 Ebner/Kulhanek ZStW 133 (2021) 984, 986. Hilgendorf
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I. Vorbemerkungen
§ 192a
ging es dabei um die Schließung einer Strafbarkeitslücke, die insbesondere dann auftreten sollte, wenn verletzende Schreiben direkt an die Betroffenen gerichtet werden. In diesen Fällen sollten weder die Tatbestandsvoraussetzungen einer Volksverhetzung (§ 130) vorliegen, da es an einer Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens fehle, noch eine strafbare Beleidigung (§§ 185 ff), die mangels konkreten Bezugs zu einer betroffenen Person oder einem betroffenen Personenkreis nicht anzunehmen sei (BTDrucks. 19/311151, 4 f). § 192a soll also vor allem diejenigen Fälle erfassen, in denen Menschen, die bestimmten, in § 192a näher aufgeführten Bevölkerungsteilen bzw. -Gruppen angehören, direkt beleidigende Nachrichten erhalten, ohne dass die Person des Empfängers vom Vorsatz des Absenders umfasst wäre. Ob die vom Gesetzgeber angegebene Lücke tatsächlich so bestand, erscheint fraglich. Es spricht einiges dafür, dass die Möglichkeiten, gruppenverhetzende Inhalte auch bei einem sehr kleinen Empfängerkreis über die von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze einer Beleidigung eines Kollektivs (einschließlich der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung, dazu Vor § 185 Rdn. 25 ff) zu erfassen, unterschätzt wurden.5 Hinzu kommt, dass § 130 Abs. 2 eine Eignung zur Friedenstörung nicht verlangt;6 dort verlagert sich das Problem auf die Frage, wann ein „Verbreiten“ anzunehmen ist.7 Die eher beiläufig während des Gesetzgebungsverfahrens konzipierte, aus Versatzstücken der §§ 130, 184 I Nr. 6 und 185 ff zusammengesetzte Strafnorm § 192a wirft insgesamt mehr Fragen auf als sie zu lösen vermag und muss deshalb als misslungen bezeichnet werden.8 § 192a verdankt seine Entstehung der Auseinandersetzung mit dem insbesondere durch die sozialen Medien massiv verstärken Phänomen der Hasskriminalität,9 im Bereich der Äußerungsdelikte also vor allem der „Hassrede“ („hate speech“). Hassverbrechen sind Straftaten, die in erster Linie durch die (verhasste) Gruppenzugehörigkeit des Opfers motiviert werden; unter Hassrede (als Unterfall des Hassverbrechens) versteht man hassgetriebene verletzende Äußerungen gegen Angehörige bestimmter Gruppen.10 Die Begriffe „hate speech“ (Hassrede) und „hate crime“ (Hassverbrechen) sind in den USA entstanden, wo die Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen haben.11 Dabei ist zu beachten, dass in den USA wegen des ersten Verfassungszusatzes („freedom of speech“) so gut wie kein Strafrecht zum Schutz der Persönlichkeitsrechte und insbesondere der persönlichen Ehre existiert. Folge ist eine erhebliche Verrohung des öffentlichen Diskurses. Konzepte wie das der „unangemessenen Rede“ („inappropiate speech“), der „Mikro-Aggression“ („micro-aggression“) oder der „politischen Korrektheit“ („political correctness“) verdanken ihre Entstehung dem nachvollziehbaren Bestreben der US-amerikanischen Zivilgesellschaft, (straf-)gesetzliche Lücken zumindest auf der Ebene der geltenden sozialen Normen zu schließen. Es handelt sich um Kompensationsphänomene, die spezifische Defizite des US-amerikanische Strafrechts ausgleichen sollen.12 Auf europäische und insbesondere auf deutsche Verhältnisse lassen sich sie sich kaum übertragen, da hierzulande ein im großen Ganzen immer noch wirksamer strafrechtlicher Schutz von Persönlichkeitsrechten und persönlicher „Ehre“ i.S. eines Schutzes des Anspruchs auf minimalen Respekt existiert, der in jüngster Zeit sogar deutlich an Bedeutung gewonnen hat (Vor § 185 Rdn. 43).
5 Hilgendorf NJW 2021 14; Jansen GA 2022 94, 103 ff; weniger kritisch Valerius BeckOK Rdn. 1. 6 Ebner/Kulhanek ZStW 133 (2021) 984 (986). 7 Jansen GA 2022 94, 103. 8 So schon Hilgendorf NJW 2021 14. 9 Eisenberg ZStW 132 (2020) 644; Krupna „Hate Crimes“ (2010). 10 Valerius ZStW 132 (2020) 666, 667 f. 11 Zivanovski Hate Speech, 70 f. 12 Hilgendorf Handbuch des Strafrechts Bd. 4 (2019), § 12 Rdn. 8. 667
Hilgendorf
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Allerdings werden gerade in Bezug auf gruppenbezogene Beleidigungen manche Fragen neu aufgeworfen13 und neue Pönalisierungsbedürfnisse formuliert.14 Dies hat damit zu tun, dass durch die Globalisierungseffekte der letzten Jahrzehnte, gerade auch durch das Aufkommen des Internet und die Pluralisierung der überkommenen Nationalstaaten, Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und kultureller Prägung aufeinanderstoßen. Auch der vormals „Fremde“ ist heute zu unserem unmittelbaren Nachbarn geworden. Das Recht ist dabei, sich dieser Entwicklung anzupassen. § 192a ist ein Ausdruck der darüber geführten, überaus wichtigen und noch lange nicht abgeschlossenen Debatten.
II. Geschütztes Rechtsgut 7 Schutzgut des § 192a ist die persönliche Ehre i.S. eines fundamentalen „Anspruchs auf Respekt“ (Vor § 185 Rdn. 1, 6, 11).15 Da der Anspruch auf Respekt in § 192a nur insofern geschützt ist, als die Beleidigungen an die Zugehörigkeit zu bestimmten, in § 192a näher aufgeführten Gruppen anknüpfen, sind mittelbar auch die § 192a genannten Gruppen und ihre gerechtfertigten Ansprüche auf Respekt und gesellschaftliche Teilhabe geschützt, zu ihnen Rdn. 13 ff. Mittelbar geschützt ist nach dem Wortlaut der Norm auch die individuelle Menschenwürde. Sieht man durch die Menschenwürde auch einen Kernbereich persönlicher Ehre als geschützt an (Vor § 185 Rdn. 18, 21), so erscheint dies stimmig. 8 Das Interesse der Allgemeinheit an einem friedlichen Zusammenleben kann zwar als gesetzgeberisches Motiv angesehen werden, ist jedoch in seiner Zielrichtung so allgemein, dass es nicht als spezifisches Rechtsgut des § 192a angesehen werden kann.16 Auch die Meinungsfreiheit ist nicht Schutzgut des § 192a, auch wenn zuzugeben ist, dass durch eine Verrohung des öffentlichen Diskurses bei vielen Menschen die Bereitschaft abnehmen dürfte, sich öffentlich zu äußern.17 Dies gilt insbesondere für marginalisierte Gruppen.18 Derartige Folgeerscheinungen einer grenzenlosen Meinungsfreiheit bilden ein starkes Argument dafür, den strafrechtlichen Persönlichkeitsrechtsschutz nicht zu vernachlässigen, insbesondere soweit vulnerable Gruppen betroffen sind, und die Grenzen der Meinungsfreiheit wieder stärker zu berücksichtigen.19 Dies allein macht die Meinungsfreiheit jedoch noch nicht zu einem Rechtsgut des § 192a.
III. Tatbestand 9 Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 192a sind teils der Strafnorm der Volksverhetzung, § 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1c, teils der Vorschrift über die Verbreitung pornographischer Inhalte (§ 184, insbes. Abs. 1 Nr. 6) und teils dem Strafrecht der Beleidigung, §§ 185 ff, entnommen. § 192a steht außerdem schon wegen des gemeinsamen Gesetzgebungsverfahrens in einem engen 13 Das gilt etwa für die bereits in den 80er und 90er Jahren intensiv diskutierten Einschüchterungseffekte, die auftreten, wenn die Meinungsfreiheit auf Kosten des Persönlichkeitsschutzes zu weit ausgedehnt wird, dazu etwa Kriele NJW 1994 1897. Heute wird dafür nicht selten der Begriff „silencing effect“ verwendet, der allerdings angesichts der oft viel weitergehenden körperlichen und seelischen Folgen verbaler Einschüchterung eher verharmlosend erscheint. 14 Etwa von Hoven/Witting NJW 2021 2397, 2401. 15 BTDrucks. 19/28678 S. 10 („bezweckter Ehrschutz“); Valerius BeckOK Rdn. 1 f. 16 AA Fischer StGB, § 192a Rn. 2. 17 So schon Kriele NJW 1995 1897, 1905. 18 Bredler/Markard JZ 2021 864, 668 ff plädieren deshalb dafür, die gleichheitsrechtliche Dimension des Persönlichkeitsrechtsschutzes zu verstärken. 19 In diese Richtung tendiert offenbar auch die neuere Rspr. des BVerfG, s. insbesondere die sog. „Mai-Beschlüsse“ des Gerichts vom 19.5.2020 (1 BvR 2397/19; 1 BvR 2459/19; 1 BvR 1094/19; 1 BvR 362/18). Dazu etwa Hong HRRS 2020 490; Ladeur JZ 2020, 943. Hilgendorf
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III. Tatbestand
§ 192a
Sachzusammenhang zu den §§ 126 (Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten) und 126a (Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten). Die Formulierung des Tatbestands von § 192a wurde zu Recht als „Satzungetüm“ kritisiert,20 als „verschachtelt und sehr unübersichtlich gestaltet“.21 Nicht zuletzt diese gesetzgeberischen Schwächen führen zu erheblichen Auslegungsschwierigkeiten.
1. Tatmittel: Verhetzender Inhalt Als Tatmittel kommt jeder Inhalt (§ 11 Abs. 3) in Betracht, welcher geeignet ist, die Menschen- 10 würde anderer Personen in näher bezeichneter Weise (Rdn. 29 ff) anzugreifen. Der Begriff „Inhalte“ wird in § 11 Abs. 3 für das Strafgesetzbuch legaldefiniert, wobei aller- 11 dings ein allgemeiner Inhaltsbegriff vorausgesetzt wird.22 Die Regelung zum Inhaltsbegriff wurde zum 1.1.2021 durch das 60. StÄG eingeführt.23 Davor wurde der Begriff „Darstellung“ als Oberbegriff verwendet, der aber nur verkörperte Informationen erfasste. Der Begriff „Inhalt“ ist nicht auf Darstellungen im genannten Sinn beschränkt, sondern umfasst neben Schriften, Tonund Bildträgern, Datenspeichern, Abbildungen und anderen Formen verkörperter Information auch nicht gespeicherte, flüchtige Information, die sich z.B. in einem Übertragungsvorgang befindet. Dies können z.B. Texte, aber auch Bilder oder Töne sein.24 Die Inhalte können mittels traditioneller Briefpost, aber auch über E-Mails, SMS, über Mes- 12 senger-Dienste usw. transportiert werden.25 Der Inhaltsbegriff ist weit genug, um neben der Übermittlung von Texten auch andere Kommunikationsformen zu erfassen, etwa visuelle Kommunikation in virtuellen Räumen. Auch verbal geäußerte Inhalte können für § 192a ausreichen, sofern sie über ein technisches Medium kommuniziert werden. Der Wortlaut des § 11 Abs. 3 schließt allerdings aus, Gedankenäußerungen, die ohne technische Mittel (das Gesetz spricht von „Informations- oder Kommunikationstechnik“) kommuniziert werden, zu erfassen. Dies hat die missliche Folge, dass verhetzende Ausrufe z.B. in einem Büro einer geschützten Gruppe nicht direkt erfasst werden können,26 sondern nur dann, wenn sie aufgenommen und ohne Aufforderung wieder abgespielt werden. Auch der Einsatz eines Lautsprechers dürfte nicht tatbestandsmäßig sein.
2. Geschützte Gruppen Erfasst werden nicht beliebige ehrverletzende Inhalte (hier ist das Strafrecht der Beleidigung 13 einschlägig, §§ 185 ff), sondern nur solche, die eine durch ihre nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung bestimmte Gruppe beschimpfen, böswillig verächtlich machen oder verleumden (Var. 1). Dasselbe soll gelten, wenn ein Einzelner wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen in entsprechender Weise angegriffen wird (Var. 2). Mit der Aufzählung möglicher Gruppenmerkmale orientiert sich § 192a an § 130 Abs. 1. Eine „Gruppe“ i.S.v. § 192a ist eine Mehrzahl von Menschen, die sich durch gemeinsame 14 äußere oder innere Merkmale von anderen Menschen unterscheiden.27 Es ist nicht erforderlich, 20 21 22 23 24 25 26 27 669
Ebner/Kulhanek ZStW 133 (2021) 984. Jansen GA 2022 94, 96. Fischer § 11 Rn. 33: der Begriff „Inhalte“ als solcher wird nicht definiert, sondern vorausgesetzt. BTDrucks. 19/19859 S. 24 f. Umfassend zum Informationsbegriff Zech, Information als Schutzgegenstand. BT Drucks. 19/31115, S. 15. Valerius BeckOK Rdn. 3; Jansen GA 2022 94, 105. BGH NStZ 2015 512, 513; OLG Celle JR 1998 79 mit Anm. Popp; OLG Stuttgart NStZ 2010 453 f. Hilgendorf
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dass die Gruppenangehörigen die Unterscheidungsmerkmale selbst als wichtig oder gar identitätsstiftend erleben. Da es unendlich viele potentiell gruppendefinierende Merkmale gibt, lassen sich Gruppen nach Belieben konstruieren. Der Gruppenbegriff des § 192a rekurriert deshalb auf freiwillig stattfindende Gruppenbildungen oder Zuordnungen zu Gruppen. Die Gruppe muss in Deutschland leben, d.h. Teil der inländischen Bevölkerung sein.28 Dass sich die Gruppe zeitweise im Ausland aufhält, ist unschädlich,29 ebenso die Existenz anderer Menschen mit denselben Gruppenmerkmalen im Ausland. Die Gruppe muss (noch) nicht in besonderer Weise marginalisiert oder bedroht („vulnerabel“) sein, um in den Schutzbereich des § 192a zu fallen.30 Auf die zahlenmäßige Größe der Gruppe kommt es ebenso wenig an wie auf ihren Organisationsgrad. Es werden deshalb sowohl kleine („die Juden der Stadt X“) als auch große Gruppen, u.U. sogar Mehrheitsgruppen,31 geschützt. Daher kann z.B. auch Hetze gegen „Christen“, „Moslems“, „Heterosexuelle“ oder „Deutsche“ („Almans“, „Kartoffeln“) durch § 192a erfasst sein. § 130 Abs. 1 Nr. 1 spricht von einer „nationale(n), rassische(n) oder „religiöse(n) Gruppe“, nur für die Ethnie wird auf die „Herkunft“ abgestellt. In § 192a, der sich hier ansonsten offenkundig an § 130 Abs. 1 Nr. 1 orientiert, werden auch die drei erstgenannten Gruppen über „Herkunft“ definiert. Ob damit eine inhaltliche Änderung intendiert war, ist aus den Gesetzesmaterialien nicht ersichtlich; möglicherweise handelt es sich bloß um ein Redaktionsversehen. Auch wenn ein inhaltlicher Unterschied vom Gesetzgeber wahrscheinlich nicht beabsichtigt wurde,32 muss die neue Umschreibung der Gruppen schon wegen der strengen Wortlautbindung im Strafrecht bei der Interpretation der Norm berücksichtigt werden. Eine Gruppe wird durch ihre nationale Herkunft bestimmt, wenn die Gruppenmitglieder als Angehörige oder Abkömmlinge einer bestimmten Nation angesehen und über dieses Merkmal als Gruppenangehörige definiert werden. Der Begriff „Nation“ verweist auf die klassischen Nationalstaaten wie Frankreich und England. Das Konzept meint eine politische Gemeinschaft, die sich durch das Bewusstsein politischer, historischer und kultureller Eigenständigkeit und einen Willen zur Zusammengehörigkeit in einem Staat auszeichnet. Der Begriff „Nation“ entwickelte sich seit dem 18. Jh. zu einem Kernbegriff des europäischen Staatsdenkens, ist aber auf außereuropäische Gemeinschaftsbildungen und Staaten nur mit großen Einschränkungen übertragbar.33 Das Merkmal der „rassischen“ Herkunft zielt auf Gemeinsamkeiten der „Rasse“. Auch dieses Merkmal hat der Gesetzgeber aus § 130 Abs. 1 übernommen, ohne zu bedenken, dass der Begriff „Rasse“ überaus problematisch ist. Es dürfte kaum ein in historischer Perspektive vergleichbar unheilvolles begriffliches Konzept geben; die schlimmsten Verbrechen des 19. und 20. Jahrhunderts sind eng mit dem „Rasse“-Begriff verknüpft.34 Seit Jahren gibt es deshalb Vorstöße, Ausdrücke wie „Rasse“ und „rassisch“ aus dem deutschen Recht, auch und gerade aus Art. 3 Abs. 3 GG, zu entfernen und durch besser geeignete Konzepte, etwa den Ausdruck „rassistisch“, zu ersetzen.35 Unter Zugrundelegung des heutigen naturwissenschaftlichen und insbesondere humanbiologischen Wissens ist außerdem zweifelhaft, welchen Anwendungsbereich der Ausdruck „rassische Herkunft“ über den ebenfalls in § 192a aufgeführten Begriff „ethnische Herkunft“ hinaus überhaupt haben könnte. Auch das Konzept der „religiöse(n) Herkunft“ wirft Probleme auf. In § 130 Abs. 1 Nr. 1 ist von einer „religiösen Gruppe“ die Rede, darunter lassen sich Christen, Juden, Moslems und
28 29 30 31 32 33
BGH NStZ 2015 81; 2017 146; OLG Hamm NStZ-RR 2018 292. OLG Düsseldorf NStZ 2019 347 mit Anm. Fischer. Kargl Jura 2001 71 (zu § 130). Mitsch JR 2011 380, 381 (für § 130); zweifelnd Fischer § 130 Rdn. 4. Jansen GA 2022 94, 99. Wie viele andere hält Thiele Allgemeine Staatslehre (2020), S. 45 ff, 282 ff den Nationalstaat für ein veraltetes und deshalb zu überwindendes Konzept. 34 Zum Konzept „Rasse“ Hilgendorf JZ 2021 853, 858 m.w.N. 35 „Rassistisch“ impliziert, anders als das Wort „rassisch“, eben nicht die Existenz von „Rassen“. Hilgendorf
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III. Tatbestand
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Angehörige anderer Religionen ohne Weiteres subsumieren.36 § 192a StGB spricht nicht von „religiöser Gruppe“ oder „Religion“, sondern stellt auf die „Herkunft“ aus einer Religion ab. Auf diese Weise lassen sich etwa jüdische Einrichtungen, die sich heute oft primär nicht mehr religiös, sondern über die jüdische Tradition und/oder die Volkszugehörigkeit definieren, erfassen. Dagegen steht z.B. bei christlichen und muslimischen Einrichtungen in aller Regel die Religion als solche im Mittelpunkt, nicht (nach Art eines „Traditionsvereins“) die religiöse Herkunft.37 Es stellt sich damit die Frage, ob Gruppen, die sich nicht über ihre religiöse Herkunft, son- 20 dern unmittelbar über ihre Religion definieren, von § 192a erfasst sind.38 Gegen eine Gleichsetzung von „religiöser Herkunft“ und „Religion“ lässt sich anführen, dass der Gesetzgeber in § 192a das Wort „Weltanschauung“ verwendet, und nicht von „weltanschaulicher Herkunft“ spricht. Andererseits lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen, dass zwar das Judentum, nicht aber andere Religionen geschützt sein sollen. Außerdem erschiene es merkwürdig, zwar einen muslimischen oder christlichen Traditionsverein, nicht aber eine sich aktiv zum muslimischen oder christlichen Glauben bekennende Gruppe zu schützen. Trotz des missglückten und irreführenden Wortlauts fallen deshalb auch religiöse Gruppen, die sich nicht oder jedenfalls nicht nur über ihre religiöse Herkunft definieren, sondern über ihren aktiv gelebten Glauben, in den Schutzbereich des § 192a.39 Das Konzept der „ethnische(n) Herkunft“ sollte, ebenso wie das der „religiösen Herkunft“, 21 entgegen seinem Wortlaut nicht primär im Sinne einer (biologischen oder kulturellen) Abstammungsgemeinschaft verstanden werden, sondern bezieht sich auf ethnische Gruppen, d.h. menschliche Gemeinschaften innerhalb größerer menschlicher Sozialverbände, die sich z.B. aufgrund bestimmter äußerer Merkmale, historischer Begebenheiten oder kultureller Eigenheiten als eigenständige, von anderen Gruppen des übergeordneten Sozialverbands abgrenzbare Gemeinschaften verstehen. In einem ähnlichen Sinne wurde das Konzept bereits von Max Weber verwendet.40 Anders als in der Alltagssprache ist das Konzept aus sozialwissenschaftlicher Perspektive durchaus problematisch.41 Seine Weite erlaubt es aber jedenfalls, auch nach „rassischen“ Gesichtspunkten bestimmte Gruppen darunter zu fassen,42 so dass die Verwendung des Begriffs „rassisch“ in § 192a überflüssig ist. „Weltanschauung“ ist jede „individuelle Deutungsauffassung vom Leben und von der Welt 22 als eines Sinnganzen.“43 In den ersten Stellungnahmen zu § 192a wurde bisweilen eine übergroße Unbestimmtheit des Konzepts kritisiert,44 dies jedoch zu Unrecht, da der Begriff z.B. im Zusammenhang mit Art 4 GG, aber auch im Kontext von § 166 StGB seit langem verwendet wird.45 Anders als beim Begriff „Religion“ herrscht im Schrifttum über die Bestimmung des Begriffs Weltanschauung weitgehend Einigkeit. Ein wesentlicher Unterschied zu „Religion“ besteht darin, dass Weltanschauungen keinen Rückgriff auf ein göttliches Wesen oder andere transzendente Entitäten beinhalten. Es handelt sich also um diesseitige Überzeugungskonstrukte,46 die 36 37 38 39
Rspr.-Nachweise bei Sch/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm § 130 Rdn. 3. Man denke etwa an den CVJM („Christlicher Verein Junger Menschen“). Skeptisch Hilgendorf NJW 2021 14. In der Pressemitteilung des BMJV vom 12. Mai 2021 ist ausdrücklich vom Schutz „muslimischer Gemeinden“ die Rede, https://www.bmj.de/SharedDocs/Artikel/DE/2021/0512_verhetzende_Beleidigungen.html. 40 „Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen‘ darstellen, ‚ethnische‘ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht.“ Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. 1980, S. 236. 41 Bös Ethnizität in Baur u.a. (Hrsg.) Handbuch Soziologie (2008) 55, 60 ff. 42 Auf Begriffe wie „Rasse“ oder „rassisch“ sollte, wie unter Rdn. 18 angesprochen, ganz verzichtet werden. 43 Radtke LK § 166 Rdn. 23. 44 Ebner/Kulhanek ZStW 133 (2021) 984, 989: „denkbar unbestimmt“. 45 Czermak/Hilgendorf Religions- und Weltanschauungsrecht, 2. Aufl. (2018) Rdn. 120 ff. 46 BVerfGE 32 98, 108; BVerwG 90 112, 115; Radtke LK § 166 Rdn. 26. 671
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allerdings eine gewisse systematische Durchdringung aufweisen müssen. Organisationsstrukturen, wie sie aus den großen (v.a. christlichen) Religionsgemeinschaften bekannt sind, sind nicht erforderlich.47 Beispiele für Weltanschauungen i.S.v. § 192a sind etwa der säkulare Humanismus und der Atheismus, aber auch die Anthroposophie oder der Pantheismus. Auch der theoretische Marxismus dürfte noch vom Begriff der Weltanschauung umfasst sein, nicht jedoch Auffassungen, die überwiegend lediglich politische Postulate enthalten, auch wenn sie sich quasi als „Hintergrundtheorie“ zu bestimmten Weltanschauungen bekennen. Das Merkmal der „Behinderung“ meint alle vom statistischen Durchschnitt der jeweiligen Altersgruppe negativ abweichenden körperlichen oder geistigen Gebrechen, die die Leistungsfähigkeit eines Menschen und sein Leben in den sozialen Rollen beeinträchtigen. Der Begriff sollte, soweit der Wortlaut es zulässt, weit verstanden werden; er umfasst nicht nur sachlich neutrale Beschreibungen, sondern auch und gerade umgangssprachliche und beleidigende Bezeichnungen (wie „Blöde“ oder „Spastis“). § 2 SGB IX kann der strafrechtlichen Interpretation als Orientierungshilfe dienen.48 (Höheres) Alter allein ist keine Behinderung, auch nicht die damit einhergehenden Gebrechen, sofern sie alterstypisch sind. Dasselbe gilt für körperliche und geistige Schwächen bei Kindern. Eine „Behinderung“ i.S.v. § 192a StGB kann auch dann anzunehmen sein, wenn sich die entsprechende Gruppe selbst nicht als „behindert“ einstuft. Wollte man dies anderes sehen, würden gerade moderne Behindertenorganisationen, die auf Inklusion und Gleichberechtigung ihrer Mitglieder abzielen, aus dem Schutzbereich des § 192a StGB herausgenommen. Ob die gesundheitlichen Defizite angeboren oder erworben sind, spielt keine Rolle. In Frage kommen etwa (äußere) Körperbehinderungen, Dauerschädigungen innerer Organe (wie Herz oder Lunge), sofern sie zu deutlich verminderter Leistungsfähigkeit führen, Schädigungen der Sinne (vor allem, aber nicht nur Sehen und Hören), starke Intelligenzminderungen und psychische Erkrankungen einschließlich Suchterkrankungen. Die Abgrenzung von Krankheit und Behinderung kann im Einzelfall schwierig sein.49 Zur „sexuellen Orientierung“ gehören dem Wortlaut nach sämtliche sexuellen Präferenzen, also nicht bloß sozial akzeptierte Neigungen wie konsensuale Hetero- oder Homosexualität, sondern auch nicht-konsensuale Formen von Sexualität, das suchtartige Verlangen nach regelmäßigem Pornographiekonsum, sowie die zahlreichen sonstigen Arten der Paraphilie, etwa Fetischismus, Exhibitionismus, Voyeurismus, Feeding, Sado-Masochismus, Pädophilie, Zoophilie, Nekrophilie und sexuell motivierter Kannibalismus. Nicht wenige dieser Verhaltensweisen dürften Krankheitswert aufweisen;50 einige sind in Deutschland strafrechtlich verboten (§§ 223 ff; §§ 212 f; §§ 174 ff; § 240). Unter dem Gesichtspunkt der „Einheit der Rechtsordnung“ erscheint es deshalb sinnvoll, das Konzept der „sexuellen Orientierung“ in § 192a teleologisch zu reduzieren und nur sozialethisch akzeptierte Neigungen zu schützen, also solche, die weder Anderen nicht konsentierte Gewalt antun noch als krankhaft einzustufen sind. Die Zuordnung ändert sich mit den gesellschaftlichen Anschauungen. Der vom Gesetzgeber gewählte Weg, einzelne Gruppen als besonders schutzwürdig auszuzeichnen, wirft die Frage auf, weshalb gerade die im Gesetz genannten Gruppen ausgezeichnet wurden, andere hingegen nicht. So überrascht, dass Frauen nicht als geschützte Gruppe aufgeführt werden, obwohl gerade Frauenorganisationen in besonderer Weise unter der Zusendung beschimpfender Inhalte leiden dürften. Dasselbe gilt für Gruppierungen, die sich für die Belange 47 Radtke LK § 166 Rdn. 26. 48 „Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können“, § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. 49 Die 6-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX kann immerhin als Anhaltspunkt dienen. 50 Vgl. das Diagnostic and Statistical Handbook of Mental Disorders, 5th. ed 2013 (DSM 5). Hilgendorf
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III. Tatbestand
§ 192a
„nicht-binärer“ sexueller Identitäten einsetzen. Sexuelle Orientierung und sexuelle Identität sind nicht dasselbe. Auch die in Deutschland mit Abstand am häufigsten angegriffene Gruppe, die Polizei, wird durch § 192a nicht erfasst. Dasselbe gilt für politische Gruppierungen, Parteien und NGOs. Eine Ausweitung der im Gesetz genannten Gruppenmerkmale auf „gleichartige“ Merkmale 28 im Wege der Analogie ist allerdings schon wegen Art 103 Abs. 2 GG, 1 StGB ausgeschlossen. Statt das Enumerationsprinzip zugrunde zu legen, hätte der Gesetzgeber die zu schützenden Gruppen auch abstrakt umschreiben können, etwa unter Rückgriff auf die zur Beleidigung von Kollektiven bei §§ 185 ff entwickelten Kriterien.51
3. Beschimpfen, Verächtlich Machen, Verleumden Die in Frage stehende Gruppe muss „beschimpft“, „verächtlich gemacht“ oder „verleumdet“ werden (Var. 1). Der Gesetzgeber greift auf die Beschreibung der Tathandlungen aus § 130 Abs. 1 Nr. 2 zurück. „Beschimpfen“ ist eine nach Form und Inhalt besonders verletzende Kundgabe von Missachtung.52 Unter „Verächtlichmachen“ fallen Äußerungen, die Einzelpersonen oder ganze Bevölkerungsteile als minderwertig („unwert“) und unwürdig hinstellen.53 „Verleumden“ bedeutet wider besseres Wissen unwahre Tatsachenbehauptungen aufzustellen, die geeignet sind, das Ansehen der betroffenen Personen herabzuwürdigen. Das Gesetz lässt es in § 192a Var. 2 genügen, wenn ein Einzelner wegen seiner Zugehörigkeit zu einer der vorbenannten Gruppen beschimpft, verächtlich gemacht oder verleumdet wird. Die ehrverletzenden Angriffe müssen dem Wortlaut nach („wegen“) durch die spezifische Gruppenzugehörigkeit des Opfers motiviert sein. Damit stellt sich die Frage, wie mit solchen Äußerungen umzugehen ist, in denen ein aus anderen Gründen verhasstes Opfer als Gruppenmitglied mit ehrverletzenden, z.B. rassistischen Gruppen-Kennzeichnungen und Stereotypen angegriffen wird, wie dies z.B. im „Böhmermann-Gedicht“ der Fall war.54 Da sich psychische Kausalitäten nur selten nachweisen lassen, eröffnet das Gesetz hier, vom Gesetzgeber sicherlich unbeabsichtigt, die Möglichkeit von kaum widerlegbaren Schutzbehauptungen des Täters. Auch die Einschüchterungswirkung auf die betroffene Gruppe als ganze ist nicht deswegen geringer, weil der Täter sein Opfer „eigentlich“ nicht wegen dessen Gruppenzugehörigkeit, sondern aus einem anderen Grund angreift. Wegen der strengen Wortlautbindung des Strafrechts scheidet eine Bejahung von § 192a trotzdem aus.55 Auch das Merkmal der „Zugehörigkeit“ zu einer bestimmten Gruppe ist nicht unproblematisch. Es umfasst zum einen solche Personen, welche die gruppendefinierenden Merkmale (z.B. bestimmte religiöse oder ethnische Herkunft, bestimmte Weltanschauung oder sexuelle Orientierung) selber aufweisen. Mit Blick auf den Schutzzweck der Norm wird man aber auch solche Personen zu berücksichtigen haben, die z.B. als Mitarbeiter (Bürokräfte, Assistenten, Reinigungspersonal) oder Unterstützer der jeweiligen Gruppe auftreten und deshalb zum „Lager“ der angegriffenen Gruppe gezählt werden. Von § 192a erfasst wäre danach etwa auch der Fall, dass eine antisemitische Hetzschrift an einen nicht-jüdischer Mitarbeiter einer jüdischen Organisation gelangt. In vielen derartigen Fällen wird der problematische Inhalt allerdings mit der Zustellung an das „Lager“ der angegriffenen Gruppe auch schon in den Verfügungsbereich von genuinen Gruppenmitglie51 Hilgendorf NJW 2021 14. 52 BGHSt 7 110; 46 212, 216; Kindhäuser/Hilgendorf LPK § 130 Rdn. 12. 53 BGHSt 3 346, 348; BGH NStZ-RR 2006 305, 306; Schäfer/Anstötz MK § 130 Rdn. 52; enger Kargl Jura 2001 176, 177.
54 GenStA Koblenz AfP 2016 556. Weitere Nachweise bei § 185 Fn. 100. 55 Durch eine Formulierung wie „als Zugehöriger zu einer der vorbezeichneten Gruppen … beschimpft“ usw. hätte das Problem leicht vermieden werden können. 673
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dern gelangt sein. Zum Problem eines Gelangenlassens an Nicht-Gruppenmitglieder oder Mitglieder anderer Gruppen unten Rdn. 48, 49.
4. Angriff auf die Menschenwürde 34 Der verhetzende Inhalt muss geeignet sein, die Menschenwürde einer anderen Person anzugreifen. Dadurch soll der Tatbestand auf besonders massive Ehrverletzungen beschränkt werden, welche die gegenüber § 185 erhöhte Strafandrohung rechtfertigen können.56 Es ist bemerkenswert, dass das Gesetz von einem „Angriff“ auf die Menschenwürde spricht, nicht von einer “Verletzung“. Ein Angriff auf die Menschenwürde liegt vor, wenn die Menschenwürde einer anderen Person durch menschliches Verhalten gefährdet wird. Zur Auslegung lässt sich auf die Rechtsprechung zu § 130 Abs. 2 Nr. 1c zurückgreifen. Danach liegt ein Angriff auf die Menschenwürde etwa dann vor, wenn dem Opfer das Lebensrecht in der Gemeinschaft bestritten wird,57 die Gleichwertigkeit als Mensch oder Staatsbürger geleugnet58 oder sonst der Kernbereich seiner Persönlichkeit und seiner gleichberechtigten Stellung in der Rechtsgemeinschaft ernsthaft bedroht wird.59 35 Das Gesetz flexibilisiert das Konzept des Angriffs, indem es die „Eignung“ zu einem Angriff ausreichen lässt. Darin liegt eine weitere Verlagerung des inkriminierten Verhaltens in das Vorfeld der Rechtsgutverletzung, ohne dass klar wäre, wie sich ein Inhalt, der zum Angriff auf die Menschenwürde geeignet ist, präzise von einem Inhalt, der die Menschenwürde angreift, abgrenzen ließe.60 Die Reichweite der Vorverlagerung ist auch deshalb unklar, weil der Inhalt vom Opfer ohnehin nicht zur Kenntnis genommen, sondern nur zu ihm „gelangen“ muss (siehe unten Rdn. 41).61 Um eine Menschenwürdeverletzung handelt es sich, wenn in den Schutzbereich der Men36 schenwürde bereits konkret eingegriffen wurde.62 Menschenwürdeverletzungen lassen sich meist, aber nicht immer auf menschliches Verhalten zurückführen.63 Der Menschenwürdeangriff muss im Rahmen des § 192a gerade durch den verhetzenden Inhalt erfolgen, nicht auf andere Weise (also etwa durch die Art oder den Zeitpunkt der Zusendung des Inhalts). Nicht hinreichend geklärt ist der Begriff „Menschenwürde“. Der Begriff taucht im Strafge37 setzbuch an verschiedenen Orten auf (§ 129 Abs. 1 „Würde des Menschen“, § 130 Abs. 1 Nr. 2, 130 Abs. 2 Nr. 1 c, § 30 Abs. 4 „Würde der Opfer“, § 131 Abs. 1 Nr. 1), ohne dass über seinen Inhalt hinlänglich Klarheit besteht. Die im Verfassungsrecht häufig verwendete „Objekt-Formel“, wonach die Menschenwürde dann verletzt ist, wenn eine andere Person zu einem „Objekt“ staatlichen Handelns gemacht wird,64 führt hier kaum weiter. Die durch derartige Anschreiben betroffenen Menschen sind als „Tatobjekte“ stets „Objekte der Tat“. Daraus allein lässt sich kein Angriff auf die Menschenwürde der Betroffenen herleiten. Außerdem geht es nicht um staatliches Handeln, sondern in aller Regel um das Handeln von privaten Personen. 38 Auch der vor allem im nichtjuristischen Schrifttum oft benutzte Topos von der „Instrumentalisierung“ ist kaum hilfreich. Instrumentalisiert soll ein Mensch sein, wenn er oder sie „bloß
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Jansen GA 2022 94 (96 f); vgl. auch BTDrucks. 12/6853 S. 12 und 12/8411, S. 6 (jeweils zu § 130 Abs. 1 Nr. 1c). OLG Celle NJW 1970 2257; OLG Frankfurt NJW 1995 143, 144. BGHSt 21 371, 373; 31 226, 231; 36 83, 90; 40 97, 100. Kindhäuser/Hilgendorf LPK § 130 Rdn. 13. Die Gesetzesmaterialien enthalten dazu nichts. Kritisch auch Hoven/Wittig NStZ 2022 589 (593 Fn. 56) Kritisch auch Jansen GA 2022 94, 98. Aufschlussreiche Übersicht über die Relevanz der Menschenwürdegarantie in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen bei Münch/Kunig/Kunig/Kotzur7 Art. 1 Rdn. 53. 63 Hilgendorf/Hilgendorf Menschenwürde und Demütigung, S. 135; vgl. auch Hoven/Wittig NStZ 2022 589 (593). 64 Münch/Kunig/Kunig/Kotzur7 Art. 1 Rdn. 33 f. Hilgendorf
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IV. Tathandlung
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als Mittel zum Zweck“65 verwendet wird. Eine derartige Instrumentalisierung liegt jedoch in aller Regel nicht vor, wenn jemand beschimpft wird. Der Beschimpfte ist nicht Mittel zu irgendeinem weitergehenden Zweck, vielmehr ist die Beschimpfung der jeweiligen Gruppe und des unmittelbar Betroffenen der Zweck des Täterhandelns.66 Vorzugswürdig dürfte sein, Menschenwürde als Ensemble aus mehreren subjektiven Rech- 39 ten zu verstehen, die basale Interessen des Menschen (und zwar aller Menschen) zu schützen bestimmt sind.67 Dazu gehört auch ein Recht auf minimale Achtung (Respekt), Vor § 185 Rdn. 1 ff. Angesichts der historischen Herleitung der Menschenwürdegarantie im Grundgesetz muss der Menschenwürde-Topos zurückhaltend eingesetzt werden; nicht jede Beschimpfung ist schon geeignet, über die Ehrverletzung hinaus die Menschenwürde des Adressaten anzugreifen. Vielmehr wird ein Recht auf minimale Achtung erst bei extremen Angriffen auf die Persönlichkeitsrechte einer anderen Person verletzt. Man beachte, dass Menschenwürdeverletzungen einer Rechtfertigung nicht zugänglich sind 40 (Rdn. 56 ff), Angriffe auf die Menschenwürde dagegen unter Umständen schon. Dies ergibt sich aus § 193, wo der Gesetzgeber den 192a explizit aufgenommen hat. Schon aus diesem Grund ist bei der Subsumtion konkreter Fälle genau zwischen der Eignung zum Angriff auf die Menschenwürde und der Verletzung der Menschenwürde zu unterscheiden.
IV. Tathandlung Die Tathandlung besteht darin, unaufgefordert bestimmte Inhalte (§ 11 Abs. 3) an eine Person, die zu einem der in § 192a näher bestimmten Personenkreise gehört, gelangen zu lassen. Das Gesetz orientiert sich hier am Zugangserfordernis des Zivilrechts.68 Das „Gelangenlassen“ kann durch Anbieten, Zusenden, Überlassen oder jedes sonstige Zugänglichmachen geschehen.69 Aktives Tun wird ebenso erfasst wie ein Unterlassen. Es handelt sich allerdings nicht um ein echtes, sondern ein unechtes Unterlassensdelikt; für ein strafbares Unterlassen ist also eine Garantenstellung erforderlich.70 Auch neue und neueste technische Übermittlungswege können tatbestandsmäßig sein, etwa die Übermittlung über E-Mail, einen Messenger-Dienst oder das Zur-Verfügung-Stellen in einem virtuellen Raum. Allerdings ist die Verwendung technischer Mittel nicht erforderlich; von einem „Gelangenlassen“ von Inhalten an den Betroffenen wird man auch sprechen können, wenn der Täter verkörperte Inhalte dem Opfer übergibt, zusteckt oder in den Briefkasten wirft (z.B. Hetzschriften, Datenträger mit verhetzenden Inhalten). Zum Inhaltsbegriff Rdn. 11 f. Für ein „Gelangenlassen“ reicht es aus, dass die betroffene Person den Gewahrsam am jeweiligen Inhalt erhält, dass der Inhalt also in einer Weise in ihren Verfügungsbereich gelangt, dass die Möglichkeit einer Kenntnisnahme besteht. Eine tatsächliche Kenntnisnahme und damit eine tatsächliche Ehrverletzung sind nicht erforderlich. Es handelt sich somit um ein konkretes Gefährdungsdelikt.71 Daraus folgt: Wird ein entsprechender Inhalt, nachdem er in den Verfügungsbereich des Betroffenen gelangt ist, vor dessen Kenntnisnahme gelöscht oder auf andere Weise vernichtet oder wieder aus dem Verfügungsbereich entfernt, liegt dennoch Tatvollendung vor, sofern nur die Möglichkeit einer Kenntnisnahme bestanden hat (Bsp: der keiner der genannten Gruppen 65 Hinter dieser Formulierung verbirgt sich offensichtlich ein Rückgriff auf Kants „Kategorischen Imperativ“, Kant Grundlegung der Metaphysik der Sitten (1785), Werkausgabe Bd. VII, hrsg. von W. Weischedel 1968, S. 61. 66 Hilgendorf FS Puppe 1653, 1655 ff. 67 Hilgendorf FS Puppe 1653, 1665 ff. 68 BTDrucks. 19/31115 S. 15. 69 BTDrucks. 19/31115 S. 15. 70 Fischer § 192a Rdn. 6. 71 BTDrucks. 19/31115 S. 15. 675
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angehörende wohlmeinende Besucher X vernichtet die frisch zugesandten Hetzschriften, die bereits auf dem Schreibtisch des Betroffenen liegen, um diesem den Ärger zu ersparen). Dasselbe dürfte auch dann anzunehmen sein, wenn eine entsprechende E-Mail vom spam-Filter des Betroffenen abgefangen wird. Im erstgenannten Beispiel kann tatbestandlich allerdings eine Beleidigung, § 185 (evtl. auch §§ 186, 187) der verhetzten Gruppe vorliegen, wobei sowohl eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung (Vor § 185 Rdn. 28 ff) als auch eine Beleidigung des betroffenen Kollektivs (Vor § 185 Rdn. 25 ff) in Frage kommt. Bei Zusendung entsprechender Inhalte als Anhang via email oder über einen MessengerDienst wie WhatsApp ist der Tatbestand auch dann erfüllt, wenn das Opfer die entsprechenden Dateien noch öffnen muss. Dasselbe gilt beim Zur-Verfügung-Stellen eines links zu einem gemeinsamen Speicher oder Arbeitsplatz in der cloud. Das bloße Bereithalten eines links auf einer Internetseite reicht dagegen noch nicht aus, um von einem „Gelangenlassen“ sprechen zu können,72 auch dann nicht, wenn der Betroffene auf die Interseite(n) hingewiesen wird, wohl aber das Zusenden des links zu einer konkreten unverschlüsselten Internetfundstelle.73 Ist der Zugang zum Speicher oder zur entsprechenden Datei mit einem Passwort verschlüsselt, so ist der Inhalt jedenfalls dann bereits in den Verfügungsbereich des Betroffenen gelangt, wenn der Täter das Passwort mitsendet. Ausschlaggebendes Kriterium ist stets die Leichtigkeit, mit der der Betroffene vom Inhalt Kenntnis nehmen könnte. Mit zunehmender Vernetzung und technischem Fortschritt74 wird es immer einfacher, entsprechende Inhalte an andere gelangen zu lassen. Wird das Passwort noch nicht mitgeschickt (etwa weil die Kenntnisnahme erst ab einem bestimmten Zeitpunkt möglich sein soll), so wird man von einem „Gelangenlassen in den Verfügungsbereich des Betroffenen“ und damit von einer Tatbestandsverwirklichung erst dann sprechen können, wenn das Opfer die Zugriffsmöglichkeit über das Passwort erhalten hat. Ausnahmen wird man allenfalls dann annehmen können, wenn der Passwortschutz nur eine sehr geringe Sicherheit bietet und der Betroffene mit minimalem Aufwand auch ohne das Passwort auf die Inhalte zugreifen könnte. Ein Sonderproblem ergibt sich dann, wenn die Person, in deren Verfügungsbereich der Inhalt gelangt, keiner der in § 192a genannten Gruppen angehört; (etwa weil sich der Täter über die Gruppenzugehörigkeit der von ihm anvisierten Person(en) geirrt hat (der Täter hält ein Männerwohnheim für eine jüdische Einrichtung) oder die Inhalte infolge eines Übermittlungsfehlers nicht an die vom Täter anvisierte(n) Person(n) gelangen, sondern an Dritte (ein Hetzschreiben wird von der Post fehlerhaft zugestellt und gelangt nicht an die als Adresse genannte jüdische Einrichtung, sondern an eine Privatperson [ohne spezifische Gruppenzugehörigkeit]). In derartigen Fällen ist der objektive Tatbestand des § 192a nicht erfüllt (näher zur Irrtumsproblematik unten Rdn. 60 f). Dagegen kann der Tatbestand einer Beleidigung, § 185 oder Volksverhetzung, § 130 gegeben sein. Problematisch ist auch, wenn die Person, in deren Verfügungsbereich der Inhalt gelangt, zwar einer der in § 192a genannten Gruppen angehört, jedoch nicht der Gruppe, gegen die gehetzt wird (Bsp.: ein gegen Juden gerichtetes Hetzschreiben wird aus Versehen einem Migranten aus dem Nahen Osten zugestellt). Da der Betroffene zu einer der in § 192a genannten Gruppen gehört, könnte man dem Wortlaut nach § 192a als erfüllt ansehen. Für dieses Ergebnis spricht auch der Normzweck, nämlich Strafbarkeitslücken zwischen den §§ 185 ff und § 130 zu schließen. Andererseits gehört jeder zumindest einer der in § 192a genannten Gruppen an, etwa als Inhaber (irgend)einer sexuellen Orientierung und Angehöriger einer Nation oder Ethnie. Man 72 Jansen GA 2022 94, 100 unter Berufung auf Hörnle MK § 184 Rdn. 65. 73 AA wohl Jansen GA 2022 94, 100. 74 Eine Zukunftstechnologie, welche die Dogmatik der Beleidigungsdelikte noch vor erhebliche Herausforderungen stellen wird, ist die „Virtuelle Realität“ („VR“), wo Menschen in Form von Avataren mit KI-gesteuerten „virtuellen Agenten“ interagieren werden. Ob und inwieweit letztere Subjekte von Beleidigungsdelikte sein können, ist noch ungeklärt. Hilgendorf
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VI. Subjektiver Tatbestand
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wird die Formulierung „an eine andere Person, die zu einer der vorbezeichneten Gruppen gehört, gelangen lässt“ deshalb so zu deuten haben, dass der Betroffene zu der Gruppe gehören muss, gegen die gehetzt wird.75 Trotz des erneut missverständlichen Wortlauts ist es unschädlich, wenn gegen einen Einzelnen gehetzt wird und die Person, auf die sich der Inhalt bezieht, identisch ist mit derjenigen, an die der Inhalt gelangt.76 Allerdings wird hier die Konkurrenzfrage zwischen § 192a und §§ 185 ff erneut relevant, vgl. Rdn. 63.
V. Keine Aufforderung zur Inhaltsübermittlung Der Inhalt muss an die entsprechende Person gelangen, ohne dass der Täter von dieser Person 50 hierzu aufgefordert wurde. Die betroffene Person muss mit dem Inhalt also ungewollt konfrontiert werden.77 Der Begriff der „Aufforderung“ ist weit zu verstehen und umfasst sämtliche Formen einer tatsächlichen Einwilligung.78 Eine Aufforderung liegt deshalb nicht nur dann vor, wenn das Opfer den Täter vor der Tat explizit um Überlassung der fraglichen Inhalte bittet oder die Überlassung einfordert. Eine Aufforderung kann auch die Gestalt einer expliziten oder konkludenten Zustimmung annehmen. Eine solche explizite oder konkludente Aufforderung bzw. Zustimmung zur Zusendung oder anderen Formen des „Gelangenlassens“ wirkt tatbestandsausschließend (Einverständnis). Eine nachträgliche Aufforderung bzw. eine nachträgliche Zustimmung wirkt dagegen weder tatbestandsausschließend noch rechtfertigend (siehe auch Rdn. 64 zum öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung). Die Aufforderung muss sich auf die konkret zugänglich gemachten Inhalte beziehen; eine Aufforderung zur Überlassung irgendwelcher Inhalte reicht nicht aus.79 Werden verhetzende Inhalte als Anhang einer email übermittelt und in der email auf die 51 Besonderheiten der Inhalte hingewiesen, stellt sich die Frage, ob ein Öffnen der Dateien im Wissen um ihren verhetzenden Inhalt als konkludentes Einverständnis in eine Konfrontation damit zu werten ist. Dasselbe gilt, wenn Dateien mit einem entsprechenden Warnhinweis versehen auf einem gemeinsamen Speicherplatz angelegt werden, evtl. sogar in verschlüsselter Form. Eine Zustimmung zur Konfrontation mit dem verhetzenden Inhalt wird jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn die Zielrichtung des Inhalts für den Betroffenen ohne weiteres erkennbar war. Unklar ist, wie es sich auswirkt, wenn die Aufforderung zur Zusendung nicht durch den 52 Betroffenen selbst, sondern durch andere Personen erfolgt ist. Man wird hier unterscheiden müssen: Steht die Person, von der die Aufforderung zur Zusendung ausgeht, „im Lager“ des Betroffenen, so ist dem Betroffenen diese Aufforderung zuzurechnen. Das gilt etwa dann, wenn ein Kollege oder der Vorgesetzte die Zusendung bestimmter Hetzmaterialien veranlasst, um sie zu prüfen, und die Materialien einem anderen Mitarbeiter übermittelt werden. Etwas anderes gilt dann, wenn ein Dritter die Zusendung veranlasst hat und keine Aufforderung durch den Betroffenen vorliegt. In solchen Fällen kommt eine Strafbarkeit des Veranlassers als Mittäter, § 25 Abs. 2, oder Gehilfe, § 27, in Betracht.
VI. Subjektiver Tatbestand Im subjektiven Tatbestand genügt dolus eventualis. Er muss sämtliche Merkmale des objektiven 53 Tatbestandes umfassen, also nicht nur das „Gelangenlassen“ des Inhalts an einen Repräsentan75 76 77 78 79 677
Valerius BeckOK Rdn. 6; Jansen GA 2022 94, 101. Jansen GA 2022 94, 102. BTDrucks. 19/31115 S. 15; Valerius BeckOK Rdn. 7. Ebner/Kulhanek ZStW 133 (2021) 984, 997. Fischer Rdn. 7. Hilgendorf
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ten einer geschützten Gruppe. Der Täter muss damit rechnen und billigend in Kauf nehmen, dass seine hetzerische Nachricht zur Kenntnis genommen wird. Hat der Täter den oder die Empfänger zumindest grob individualisiert,80 kommt auch eine Beleidigung des Empfängers bzw. der Empfänger in Betracht.
VII. Täterschaft und Teilnahme 54 Täter kann jeder sein, auch ein Angehöriger der Gruppe, gegen die sich die verhetzenden Inhalte richten. Es handelt sich nicht um ein eigenhändiges Delikt. Auch derjenige ist Täter, der in Netzwerken autonome Systeme („bots“) einsetzt, um gezielt bestimmte Inhalte zu übermitteln und an Angehörige geschützter Gruppen gelangen zu lassen. Je eigenständiger die eingesetzten autonomen Systeme über Inhalte, Zielgruppen, Übermittlungszeitpunkt und Übermittlungsform entscheiden können, desto problematischer wird die Täterposition dessen, der die bots programmiert oder aktiviert hat. Aktivitäten lernfähiger autonomer Systeme lassen sich demjenigen, der sie „freigesetzt“ hat, kaum zurechnen.81 Für die Beihilfe gelten keine Besonderheiten. Sie kann etwa dann vorliegen, wenn der Gehilfe 55 dem Täter die technischen Möglichkeiten zur Verfügung stellt, um die verhetzenden Inhalte an den Adressaten gelangen zu lassen. Auch Provider können (durch Tun oder durch Unterlassen) Täter oder Gehilfen sein, wenn sie wissentlich notwendige und zumutbare Schutzmaßnahmen unterlassen; die §§ 7 ff TMG stehen dem nicht entgegen.82
VIII. Rechtfertigung 56 Die Tat ist einer Rechtfertigung fähig, jedenfalls sofern die Menschenwürde bloß angegriffen und nicht verletzt wird. Verletzungen der Menschenwürde selbst sind nach zutreffender herrschender Meinung nicht rechtfertigungsfähig (siehe oben Rdn. 40). Eine Einwilligung wird in aller Regel als Rechtfertigungsgrund nicht infrage kommen, da eine Zustimmung des Betroffenen bereits tatbestandsausschließend wirkt (siehe oben Rdn. 50). Ein rechtfertigender Notstand, § 34, ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Als Rechtfertigungsgrund kommt § 193 (Wahrnehmung berechtigter Interessen) in Betracht. 57 In den Gesetzesmaterialen wird auf Fälle der Zuleitung zwecks Einleitung einer Strafverfolgung oder für die Presseberichterstattung verwiesen.83 Zumindest die erstgenannte Konstellation dürfte allerdings schon mit Blick auf den Schutzzweck der Norm aus dem Anwendungsbereich des § 192a herausfallen. Die Bedeutung des § 193 dürfte für § 192a deshalb minimal sein.84 Wie bei den §§ 185 ff allgemein kommt auch bei § 192a die Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 58 GG, nicht nur als Tatbestandskorrektiv in Betracht (Berücksichtigung einer „täterfreundlichen“ Interpretation der Äußerung, dazu §§ 185 ff Rdn. 21), sondern auch als Rechtfertigungsgrund, was eine Abwägung erforderlich macht (§ 193 Rdn. 1 ff). Bei Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale wird allerdings in aller Regel das Interesse am Ehren- und Menschenwürdeschutz der Opfer überwiegen.
80 Dazu dürfte eine örtliche und zeitliche Umschreibung ausreichen. Es erscheint deshalb fraglich, ob hier überhaupt eine relevante Strafbarkeitslücke vorlag, dazu auch Jansen GA 2022 94, 104 f. 81 Näher zum Einsatz von „social bots“ in Netzwerken Reinbacher, in Digitalisierung, Automatisierung, KI und Recht, 457 ff. 82 Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht, 3. Aufl. (2022), § 2 Rdn. 91 ff. 83 BTDrucks. 19/28678 S. 10. 84 Ebner/Kulhanek ZStW 133 (2021) 984, 999; ähnlich Valerius BeckOK Rdn. 1. Hilgendorf
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XI. Konkurrenzen
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Schwierige Fragen stellen sich im Hinblick auf die Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Bsp.: 59 Das als „Satire“ bezeichnete „Böhmermann-Gedicht“85 erfüllt wegen der darin enthaltenen rassistischen Stereotype grds. (siehe aber oben Rdn. 30) die Tatbestandsvoraussetzungen des § 192a; auch wenn man keine Menschenwürdeverletzung bejaht, dürfte doch ein Angriff auf die Menschenwürde (in diesem Fall: des türkischen Staatspräsidenten Erdogan) vorliegen. Im Kontext des neuen Tatbestandes § 192a dürfte der Ehren- und Menschenwürdeschutz des Opfers in derartigen Fällen stärker zu gewichten sein als die Kunstfreiheit.
IX. Irrtümer Nimmt der Täter irrig an, der Empfänger gehöre nicht zu der angegriffenen Gruppe, so scheidet 60 § 192a StGB aus. Stattdessen kommt eine Beleidigung nach §§ 185 ff in Betracht, sofern der Vorsatz hinreichend auf die Zielgruppe und den Empfänger individualisiert war. Geht der Täter irrig davon aus, der anvisierte Empfänger sei Angehöriger der geschützten Gruppe oder stünde zumindest in deren „Lager“, so handelt es sich um einen (nicht strafbaren) Versuch des § 192a. Entsprechendes gilt, wenn der Täter einen Schutzstatus der Gruppe irrtümlich für gegeben hält. Nimmt der Täter irrtümlich an, der Betroffene habe eine Aufforderung abgegeben oder zu- 61 mindest seine Zustimmung zur Zusendung entsprechender Inhalte erteilt, so handelt es sich um einen Tatbestandsirrtum, der nach § 16 den Vorsatz entfallen lässt. Wenn der Täter irrtümlich annimmt, die Voraussetzungen eines Notstandes lägen vor, etwa weil er annimmt, eine bestimmte Gruppe müsse sofort über das Auftreten neuer verletzender Inhalte informiert werden, um Gefahren von dieser Gruppe abzuwenden, kommt ein Erlaubnistatbestandsirrtum in Betracht, welcher nach herrschender Meinung den Tatbestands- bzw. den Schuldvorsatz entfallen lässt.86 Da eine fahrlässige Tatbegehung nicht möglich ist, muss in derartigen Fällen genau geprüft werden, ob es sich nicht bloß um eine Schutzbehauptung des Täters handelt. Oft werden sich derartige Behauptungen allerdings kaum widerlegen lassen.
X. Schuld Für die Schuldprüfung gelten keine Besonderheiten. Hass impliziert weder Schuldunfähigkeit 62 noch kann er als Schuldausschließungsgrund gewertet werden. Das Fehlen von Unrechtsbewusstsein beim Täter wird in den allermeisten Fällen als vermeidbar anzusehen sein, § 17, da die Sozialmoral die Zusendung oder das Überlassen verhetzender Inhalte keineswegs billigt. Das gilt auch dann, wenn sich der Täter auf Meinungsfreiheit beruft.
XI. Konkurrenzen Der Gesetzgeber hat § 192a geschaffen, um bei bestimmten Ehrangriffen Strafbarkeitslücken zwi- 63 schen den §§ 130 und 185 ff zu schließen. Dies spricht dafür, § 192a zurücktreten zu lassen, wenn die Tat als Beleidigung oder als Volksverhetzung strafbar ist.87 Dafür lässt sich auch anführen, dass die Strafhöhe bei 192a ohnehin der einer qualifizierten Beleidigung entspricht, wie sie beim Verbreiten von Inhalten regelmäßig gegeben ist. Der Strafrahmen von § 130 reicht über den von § 192a sogar hinaus.
85 GenStA Koblenz AfP 2016 556. 86 Zum Meinungsstreit Rönnau LK Vor §§ 32 ff Rdn. 95 f. 87 Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 4; aA Valerius BeckOK Rdn. 11. 679
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XII. Strafantrag 64 Die Tat setzt einen Strafantrag voraus, § 194 Abs. 1 S. 1. Nach § 194 Abs. 1 S. 3 kann die Tat auch ohne Strafantrag verfolgt werden, wenn die Strafverfolgungsbehörde ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung annimmt.88 Eine nachträgliche Zustimmung zur Zusendung der Inhalte ist ein starkes Indiz dafür, dass ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht besteht.89 Der Verletzte kann der Verfolgung widersprechen, § 194 Abs. 1 S. 4.
88 Dazu auch BVerfGE 50 216; ferner die Nachweise bei Fischer § 230 Rdn. 3f. 89 Ebner/Kulhanek ZStW 133 (2021) 984, 997. Hilgendorf
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§ 193 Wahrnehmung berechtigter Interessen Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, desgleichen Äußerungen oder Tathandlungen nach § 192a, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
Schrifttum Adam Die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Dienststrafverfahren, JR 1959 12; Bohnert Der beschuldigte Amtsträger zwischen Aussagefreiheit und Verschwiegenheitspflicht, NStZ 2004 301; Bredler/Markard Grundrechtsdogmatik der Beleidigungsdelikte im digitalen Raum – Ein gleichheitsrechtliches Update, JZ 2021 864; Brugger Hassrede, Beleidigung, Volksverhetzung, JA 2006 687; Christoph Die Strafbarkeit satirisch überzeichneter Schmähkritik, JuS 2016 599; Coing Ehrenschutz und Presserecht (1960); von der Decken Meinungsäußerungsfreiheit und Recht der persönlichen Ehre, NJW 1983 1400; Eser Wahrnehmung berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund (1969); Fahl Böhmermanns Schmähkritik als Beleidigung, NStZ 2016 313; Füglein Reduktion des Ehrenschutzes durch höchstrichterliche Rechtsprechung? (2012); Fuhrmann Die Wahrnehmung berechtigter Interessen durch die Presse, JuS 1970 70; Gaede Die Meinungsfreiheit des Strafverteidigers – Recht zur persönlich verletzenden Kritik auch an Richtern? Festschrift I. Roxin (2012) 569; Geppert Wahrnehmung berechtigter Interessen, Jura 1985 25; Gafus Beleidigung und Grundgesetz. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Verurteilung wegen beleidigender Werturteile, ZIS 2021 265; Graul Tatbestand vor Rechtswidrigkeit? – Zum Freispruch aus § 193 StGB, NStZ 1991 457; Groß Zur Pressefreiheit, JR 1995 485; Helle Die Rechtswidrigkeit der ehrenrührigen Behauptung, NJW 1961 1896; Heuchemer Die Bedeutung der Rechtsbeugung in der Strafverfolgungspraxis, NZWiSt 2018 131; Hong Apropos Künast-Fall. Das Bundesverfassungsgericht zum Schutz vor Beleidigungen im Netz, HRRS 2020 490; Hoven/Witting Das Beleidigungsunrecht im digitalen Zeitalter, NJW 2021 2397; Hufen, Die Kunstfreiheit (Art. 5 III Var. 1 GG), JuS 2022 897; Huff Der beleidigende Rechtsanwalt, NJW-Spezial 2015 574; Isensee Kunstfreiheit im Streit mit Persönlichkeitsschutz, AfP 1993 619; Jahn Zur Frage der Strafbarkeit wegen Beleidigungsdelikten und deren Rechtfertigung nach § 193 StGB durch unwahre Tatsachenbehauptungen in einer Anklageschrift, Festschrift Schiller (2014) 339; Kaiser Grundrechte als Rechtfertigung für Vergehen der üblen Nachrede? NJW 1962 236; Kastner Die Crux der Kritik in der Literatur, auf der Bühne und in der Musik, NJW 1995 822; Kern Die Beleidigung, Festgabe Frank Bd. II (1930) 335; Klein Das verfahrensrechtliche Äußerungsprivileg, NJW 2018 3143; Koch Die „fahrlässige Falschanzeige“ – oder: Strafrechtliche Risiken der Anzeigeerstattung, NJW 2005 943; Koebel Namensnennung in Massenmedien, JZ 1966 389; Kölbel Strafrechtliche Haftung für prozessbedingte sekundäre Viktimisierung, ZStW 119 (2007) 334; Lenckner Die Wahrnehmung berechtigter Interessen, ein „übergesetzlicher“ Rechtfertigungsgrund? Gedächtnisschrift Noll (1984) 243; Lobe Wahrnehmung berechtigter Interessen, Festschrift R. Schmidt (1932) 79; Löffler Die Sorgfaltspflicht der Presse und des Rundfunks, NJW 1965 942; Mafi-Gudarzi #MeToo: Wieviel Wahrheit ist erlaubt? NJOZ 2018 521; Merz Strafrechtlicher Ehrenschutz und Meinungsfreiheit (1998); Möller Der grundrechtliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit in Deutschland, England und den USA (2016); Muckel Meinungsfreiheit für drastische Äußerungen über Richter: Art. 5 I; §§ 185, 193 StGB, JA 2019 796; Neumann-Duesberg Keine Wahrnehmung berechtigter Interessen durch die Presse bei Mißbrauch der Pressefreiheit, JR 1957 85; Oglakcioglu Strafbare Äußerungen. Dogmatik und Legitimation pönalisierter Sprechakte. Habilitationsschrift 2021; Ossenbühl Die Interpretation der Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1976 2100; Otto Ehrenschutz in der politischen Auseinandersetzung, JR 1983 1; ders. Strafrechtlicher Ehrenschutz und Kunstfreiheit der Literatur, NJW 1986 1206; ders. Der strafrechtliche Schutz vor ehrverletzenden Meinungsäußerungen, NJW 2006 575; Pohlreich Strafrechtliche Grundfälle zur Meinungsfreiheit bei Ehrschutzdelikten JA 2020 744; Praml Beleidigungsdelikte bei anwaltlicher Interessenvertretung, NJW 1976 1967; Preuß Untersuchungen zum erlaubten Risiko im Strafrecht (1974); Putzke Strafbarkeit nach § 185 StGB und Meinungsfreiheit – oder: Zur Sorgfalt bei Gerichtsurteilen und Presseberichterstattung, NJ 2016 177; Rau Rechtlich und ethisch verantwortungsvolle Kriminalberichterstattung – Eine Analyse anhand der Spruchpraxis des Deutschen Presserats (2013); Raue Böhmermanns „Schmähkritik“ und die Justiz, Liber amicorum Oppenhoff (2017), 267; Rehbinder Die öffentliche Aufgabe und rechtliche Verantwortlichkeit der Presse (1962); Reinhardt Zivilrechtlicher Schutz des Ansehens und berechtigte Interessenwahrung, Festschrift H. Lange (1970) 195; Rodenbeck #MeToo vs. Persönlichkeitsrechte und Unschuldsvermutung, NJW 2018 1227; Roeder Der systematische Standort der Wahrnehmung berechtigter Interessen im Spiegel der Strafrechtsreform, Festschrift Heinitz (1972) 229; 681 https://doi.org/10.1515/9783110490121-043
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§ 193
Wahrnehmung berechtigter Interessen
Schaffstein Der Irrtum bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen, NJW 1951 691; Scheu Interessenwahrnehmung durch Rundfunk und Presse (1965); Schlosser Zur Beweislast im System des zivilrechtlichen Ehrenschutzes, JZ 1963 309; Schmid Freiheit der Meinungsäußerung und strafrechtlicher Ehrenschutz (1972); Schmidt Wahrnehmung berechtigter Interessen ein Rechtfertigungsgrund? JZ 1970 8; Schmitt Glaeser Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, JZ 1983 95; ders. Die Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 97 (1972) 60 und 276 sowie AöR 113 (1988) 52; Schwarz Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz, JA 2017 241; Schwinge Ehrenschutz im politischen Bereich, MDR 1973 801; Stark Die Ehre – das ungeschützte Verfassungsgut, Festschrift Kriele (1997) 235; Steinl/Schemmel Der strafrechtliche Schutz vor Hassrede im Internet. Jüngste Reformen im Lichte des Verfassungsrechts, GA 2021 86; Stern Ehrenschutz und „allgemeine Gesetze“, Festschrift Hübner (1984) 815; Stoll Freiheit der Meinungsäußerung und Schutz der Persönlichkeit in der neueren Rechtsprechung zur zivilrechtlichen Haftung, Jura 1979 576; ders. Der Persönlichkeitsschutz in der neuesten Entwicklung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, Jura 1981 135; A. Teichmann Der Schutz des Persönlichkeitsrechts gegenüber herabwürdigenden Meinungsäußerungen, JZ 2020 549; Tettinger Der Schutz der persönlichen Ehre im freien Meinungskampf, JZ 1983 317; Tröndle Das Bundesverfassungsgericht und sein Umgang mit dem „einfachen Recht“, Festschrift Odersky (1996) 264; Uhlitz Politischer Kampf und Ehrenschutz, NJW 1967 129; Vasel Das Karlsruher Schweigen zur satirischen Schmähkritik NJW 2022 740; Veith Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und üble Nachrede, NJW 1982 2225; Walchshöfer Ehrverletzende Äußerungen in Schriftsätzen, MDR 1975 11; Walter Ehrenschutz gegenüber Parteivorbringen im Zivilprozeß, JZ 1986 614; R. Weber Ehrenschutz im Konflikt mit der Pressefreiheit, Festschrift Faller (1984) 442; Westermann Der Anspruch auf Rücknahme ehrenkränkender, in Wahrnehmung berechtigter Interessen aufgestellter Behauptungen, JZ 1960 692; Würtenberger Karikatur und Satire aus strafrechtlicher Sicht, NJW 1982 610; ders. Satire und Karikatur in der Rechtsprechung, NJW 1983 1144; Zippelius Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht, Festschrift Hubmann (1985) 511; Zuck/Zuck Beschimpfungen und Beleidigungen – verfassungsrechtlich betrachtet, DVBl 2021 931.
Übersicht I.
Rechtsnatur
II.
Güter- und Interessenabwägung in Fällen der üblen Nachrede Echter oder präsumtiver Interessenkon2 flikt? 3 Der Gesichtspunkt des erlaubten Risikos
1. 2. III. 1. 2. 3.
1
VI.
Wahrnehmung berechtigter Interessen in Fällen ehrenrühriger Meinungsäußerungen Die Konsumtion von § 193 durch Art. 5 Abs. 1 4 Satz 1 GG Die Kollision von Meinungsfreiheit und Recht 5 der persönlichen Ehre Die Konsumtion von § 193 durch Art. 5 Abs. 3 8 Satz 1 GG
Ausführung oder Verteidigung von Rech15 ten
VII. Äußerungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen 17 1. Die Interessenkollision 2. Die Berechtigung des wahrgenommenen Interes18 ses 19 3. Die Berechtigung des Täters 21 4. Das situationsabhängige Risiko 5. Die Angemessenheit der Interessenwahrneh25 mung 30 6. Der vom Täter verfolgte Zweck 31 7. Irrtümer des Täters VIII. Rügen, dienstliche Anzeigen, ähnliche 32 Fälle
11
IV.
Anwendungsbereich des § 193
V.
Tadelnde Urteile über wissenschaftliche und an13 dere Leistungen
IX.
Formalbeleidigung
X.
Beteiligung mehrerer
33 34
I. Rechtsnatur 1 § 193 zählt Gründe auf, die dazu führen, dass wegen Beleidigung nicht bestraft wird. Nach dem systematischen Standort dieser Gründe und nach dem Gewicht, das ihnen zukommt, handelt es sich um sehr unterschiedliche Gesichtspunkte. „Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstHilgendorf
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II. Güter- und Interessenabwägung in Fällen der üblen Nachrede
§ 193
lerische oder gewerbliche Leistungen“ oder „Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten“ sind keine den Tatbestand einer Beleidigung verwirklichenden Handlungen, wenn sie sich im Rahmen sachlich (noch) vertretbarer Kritik halten.1 Gehen sie darüber hinaus, werden tadelnde Urteile und die anderen Äußerungsakte häufig den Charakter von Formalbeleidigungen haben (vgl. Rdn. 33) und deshalb strafbar sein. Für den mit Abstand wichtigsten Anwendungsfall des § 193, die „Äußerungen, welche … zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden“ (die „Äußerungen … zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten“ sind lediglich eine Unterart dieses Anwendungsfalls) streitet man über die Rechtsnatur. Nach herrschender Meinung handelt es sich um einen Rechtfertigungsgrund.2 Vereinzelt gebliebene Entscheidungen sprechen von einem Schuldausschließungsgrund.3 Auch in der Literatur werden von der herrschenden Meinung abweichende Auffassungen vertreten.4 Für das Zivilrecht ergeben sich aus den abweichenden Auffassungen, deren argumentative Grundlage hier übergangen werden muss, die (erstrebten) Konsequenzen für den Schutz der Ehre durch Unterlassungs- und Widerrufsansprüche. Er hängt in hohem Maße von der Beweislastverteilung ab. Für sie ist der systematische Standort der Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht gleichgültig.5 Für das Strafrecht wird die Einordnung der Wahrnehmung berechtigter Interessen unter die Schuldausschließungsgründe vor allem auf Überlegungen gestützt, die darauf abstellen, dass der Täter – wie sich aus dem nicht erbrachten Wahrheitsbeweis ergebe – Übelstände aufdecke, die „präsumtiv nicht bestehen“. Der Widerstreit der Interessen des Beleidigers und des Beleidigten sei nur fiktiv. Der Beleidiger sei aber entschuldigt, wenn er nach sorgfältiger Prüfung der Wahrheitsfrage das Vorhandensein eines nicht erweislich wahren Übelstands irrtümlich angenommen habe.6 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt, aber auch eine für alle Fälle geltende Antwort auf die Frage nach der Rechtsnatur der Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht ohne Weiteres gegeben werden. Es ist bei der Erörterung dieser Frage notwendig, zwischen der Behauptung (Verbreitung) ehrenrühriger Tatsachen und der Kundgabe herabsetzender Werturteile (Meinungsäußerungen) zu unterscheiden. Die Unterscheidung ist auch deshalb geboten, weil sich bei herabwürdigenden Meinungsäußerungen und Werturteilen die Rechtfertigung oder die Negation der Tatbestandsverwirklichung unabhängig von der Reichweite des § 193 aus den Grundrechten der Freiheit der Meinungsäußerung und der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 GG) ergeben kann.
II. Güter- und Interessenabwägung in Fällen der üblen Nachrede 1. Echter oder präsumtiver Interessenkonflikt? Die Wahrnehmung berechtigter Interessen ist in Fällen der üblen Nachrede ein Rechtfertigungs- 2 grund. Die Behauptung oder Verbreitung einer nicht erweislich wahren Tatsache erfüllt einen der
1 Geppert Jura 1985 25; Regge/Pegel MK Rdn. 10; Rogall SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 5; Fischer Rdn. 6.
2 In Auswahl: BVerfGE 12 113, 125; BVerfG NJW 1992 2815, 2816; JR 1995 160, 161; BGHSt 12 287, 293; 18 182, 184; BGHZ 31 308, 313; 95 212, 220; Geppert Jura 1985 25 ff; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Rogall SK Rdn. 1; Sch/Schröder/ Eisele/Schittenhelm Rdn. 1; Deutsch Haftungsrecht2 (1996) S. 180 ff differenziert: Die unwahre oder nicht erweislich wahre ehrenrührige Behauptung indiziert die Rechtswidrigkeit. Die Rechtswidrigkeit der abstrakten Beurteilung bedarf besonderer Feststellung. 3 So RGSt 6 405, 410; 64 23, 24; RG JW 1939 400 Nr. 2. 4 So z.B. von Erdsiek NJW 1966 1385 ff und JZ 1969 311 ff; Kern FG Frank II S. 353 f; Roeder FS Heinitz 229 ff; Schmidt JZ 1970 8 ff. 5 Vgl. Schmidt JZ 1970 11 f; Westermann JZ 1960 692, 694. 6 Roeder FS Heinitz 239 f. 683
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§ 193
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Verbotsmaterie nicht ermangelnden Tatbestand (§ 186 Rdn. 2 bis 4).7 Infolgedessen indiziert die nicht erweislich wahre herabsetzende Tatsachenkundgabe die Rechtswidrigkeit. Sie entfällt aus besonderem Grunde, ausnahmsweise, wenn der Täter Interessen wahrnimmt, die das Interesse des in seinem Achtungsanspruch Betroffenen am Schutz seiner Ehre überwiegen. Damit ist gesagt: Es wird eine Interessenkollision nach den Grundsätzen der Güter- und Interessenabwägung gelöst,8 nach Grundsätzen also, auf die sich „letztlich alle Rechtfertigungsgründe zurückführen lassen“.9 Gegen diese Betrachtung kann nicht eingewendet werden, dass die Interessen(Wert-)kollision im Grunde nur fiktiv sei, weil die nicht erweislich wahren Tatsachenbehauptungen entweder wahr oder unwahr sind, woraus folge, dass der „Täter“ im Falle ihrer Wahrheit nicht beleidige und dass im Falle ihrer Unwahrheit an ihrer Behauptung oder Verbreitung in aller Regel ein vom Recht anerkanntes Interesse nicht bestehe.10 Der Tatbestand der üblen Nachrede erstreckt den Schutzbereich der Ehre in die Sphäre des präsumtiven Achtungsanspruchs (§ 186 Rdn. 2), ermöglicht die Geltendmachung eines präsumtiven Interesses. Der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen „egalisiert“ diese Ausweitung durch Anerkennung eines widerstreitenden, wenngleich ebenfalls präsumtiven Interesses. Die Präsumtionen heben sich auf. Wenn und solange das non liquet in der Wahrheitsfrage besteht, ist bei der Abwägung von einem echten Interessenkonflikt auszugehen.11 Dieser Gedanke steht wohl auch hinter der Rechtsprechung, welche besagt, dass bei der Prüfung, ob der Beleidiger berechtigte Interessen wahrnehme, mangels gegenteiliger Feststellung die Wahrheit seiner Behauptung anzunehmen und auf der Grundlage dieser Unterstellung zu fragen sei, ob er seine ehrenrührige Äußerung zur Wahrung seines Interesses für geboten halten konnte.12 Ob diese Judikatur für das Zivilrecht das Richtige trifft, ist hier nicht zu erörtern.13 Im Strafprozess müssen in der Tat die nicht widerlegbaren Annahmen des Beleidigers zugrunde gelegt werden, wenn sie nicht die Folge eines vorwerfbaren Fehlverhaltens bei der Prüfung des Sachverhalts, also in der Wahrheitsfrage sind (Rdn. 31).14 Nach einer (auch hier vertretenen) Mindermeinung spielt eine sogfältige Prüfung der Wahrheitsfrage sogar schon für die Tatbestandsmäßigkeit der üblen Nachrede eine Rolle, siehe § 186 Rdn. 4. Es kann für einen Interessenkonflikt durchaus genügen, dass der Beleidiger, der sowohl Wahrheit als auch Unwahrheit seiner ehrenrührigen Tatsachenäußerung für möglich hält, die potentielle Unwahrheit in Rechnung stellt (Rdn. 3).
2. Der Gesichtspunkt des erlaubten Risikos 3 In Fällen der üblen Nachrede ist im Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen das Prinzip der Güterabwägung mit dem rechtfertigenden erlaubten Risiko verknüpft:15 Der Beleidiger hat die Wahrheitsfrage sorgfältig zu prüfen; er darf seinen Vorwurf nicht auf haltlose Vermutungen stützen.16 Das Maß der zu beachtenden Sorgfalt oder – was dasselbe besagt – die Höhe des Risikos, das in der Wahrheitsfrage eingegangen werden darf, ist situati7 Deutsch Haftungsrecht2 (1996) S. 181 f; Lenckner GedS Noll 245, 247; Reinhardt FS H. Lange 203 ff; Schlosser JZ 1963 309, 313; Schmidt JZ 1970 8, 10; Stoll Jura 1979 576, 580. 8 BVerfG NJW 2016 3360; BGHSt 18 182, 184; BGH NJW 1977 1288, 1289; NJW 1979 266, 267; BGH bei Dallinger MDR 1953 401; OLG Hamm NJW 1987 1034, 1035; krit. zur Güterabwägung Regge/Pegel MK Rdn. 2; Zaczyk NK Rdn. 2. 9 Geppert Jura 1985 25, 26. 10 Vgl. BGH NJW 1975 1882, 1883; NJW 1986 2503, 2504; Schlosser JZ 1963 309, 312. 11 BVerfG NJW 2016 3360, 3361. 12 BGHZ 37 187, 191 und BGH MDR 1986 43 unter Berufung auf RGSt 59 414, 415 und RG DR 1939 2009. 13 Vgl. Schlosser JZ 1963 312. 14 OLG Hamm NJW 1987 1034, 1035. 15 Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 201; Lenckner GedS Noll 249; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 8; Fischer Rdn. 2, 9; aA Rogall SK Rdn. 2; Joecks MK Rdn. 1. 16 BGHSt 14 48, 51; Geppert Jura 1985 25, 30 f; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 10; Rogall SK Rdn. 30; Sch/Schröder/Eisele/ Schittenhelm Rdn. 11; Fischer Rdn. 9. Hilgendorf
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
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ons- und konfliktsabhängig.17 Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Beleidiger sogar die mögliche Unwahrheit seiner ehrenrührigen Tatsachenäußerung in Rechnung stellen, also sehr riskant handeln darf (Rdn. 21). Das Prinzip der Güter- und Interessenabwägung wird aber durch den Aspekt des erlaubten Risikos nicht verdrängt. Gesichtspunkte, die bei der Abwägung als positive Vorzugstendenzen zu berücksichtigen sind und schwerer als die negativen wiegen, gestatten das zur Interessenwahrung erforderliche riskante Handeln (vgl. Rdn. 17). Soweit ausnahmsweise Wahrnehmung berechtigter Interessen in Fällen der Verleumdung in Betracht kommt (§ 187 Rdn. 5), ist offensichtlich, dass es um die Lösung echter Interessenkonflikte geht. Von bloßen Präsumtionen kann hier keine Rede sein. Der Gesichtspunkt des erlaubten Risikos spielt dann keine Rolle.
III. Wahrnehmung berechtigter Interessen in Fällen ehrenrühriger Meinungsäußerungen 1. Die Konsumtion von § 193 durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG In Fällen ehrenrühriger Werturteile oder Meinungsäußerungen hat § 193 seine konstitutive Be- 4 deutung fast völlig verloren.18 Er wurde in der Rechtsprechung durch die unmittelbare Prüfung der Meinungs- (und Kunst)freiheit ersetzt, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Diese vor allem seit Mitte der 90er Jahre Fahrt aufnehmende Praxis hat dazu geführt, dass der Schutz der persönlichen Ehre weit zurückgedrängt wurde; auch die Rechtsprechung der unteren Gerichte wurde deutlich „meinungsfreundlicher“19. Wo die Grenzen des Sagbaren liegen, ist unklar geworden. Eine Folge davon ist das Auftreten von hemmungsloser Hassrede („hate speech“) vor allem, aber nicht nur in den sozialen Medien. Im Internet lassen sich von jedermann Inhalte praktisch ohne Kontrolle verbreiten; klassische „Türhüter“ (etwa eine redaktionelle Kontrolle) sind weggefallen. Die Entwicklung ist so weit gegangen, dass einige den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Demokratie in Gefahr sehen.20 Schon lange wird gerügt, dass die Agressivität der Debatten zurückhaltendere Menschen davon abhalten dürfte, sich überhaupt öffentlich zu äußern.21 In jüngster Zeit scheint es zu einem Anschauungswandel zu kommen; der Wendepunkt war wohl der „Fall Künast“.22 Richtigerweise gilt Folgendes: Wer seine Meinung äußert, macht von einem Grundrecht Gebrauch, nimmt berechtigte Interessen wahr, wenn er sich an die ihm gesetzten Schranken hält (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG). Äußert er Ehrenrühriges über einen anderen, verletzt er das „Recht der persönlichen Ehre“. Die Verletzung ist nur gestattet, wenn das mit der Meinungsäußerung verfolgte Interesse das Interesse an der Achtung der Ehre überwiegt. Das Reichsgericht befand einst, dass das in der Verfassung garantierte Recht der freien Meinungsäußerung ohne Einfluss auf die Rechtswidrigkeit der Beleidigung sei.23 Aber das Bundesverfassungsgericht hat den Grundrechten neue Dimensionen und „Wirkkräfte“24 erschlossen. Sie sind danach nicht mehr nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, sondern auch „objektive Wertordnung“, „Wertsystem“, „Wertmaßstab“, „wertentscheidende Grundsatznormen“, „ver-
17 BGHSt 3 75; BGH NJW 1977 1288, 1289; Geppert Jura 1985 25, 30 f; Hansen JuS 1974 104, 107; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 200 Anm. 34; Lenckner GedS Noll 249.
18 Regge/Pegel MK Rdn. 36; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Lenckner GedS Noll 254; Reinhardt FS H. Lange 197 und 203; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1. Siehe auch oben Rdn. 5. Hoven/Witting NJW 2021 2397, 2398. Hilgendorf, EWE 2008 403, 408; Hoven/Witting NJW 2021 2397, 2399 sprechen von einem „silencing effect“. LG Berlin, Beschl. vom 9.9.2019 – 27 AR 17/19, K&R 2019 747 mit Anm. Höch, K&R 2019 680; Hong HRRS 2020 490. 23 RGSt 15 15, 17; 56 380, 384; Frank Anm. III 2a. 24 Vgl. BVerfGE 7 198, 207; 61 1, 6.
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§ 193
Wahrnehmung berechtigter Interessen
fassungsrechtliche Grundentscheidungen“, die für alle Bereiche des Rechts gelten.25 Infolgedessen strahlen sie in die gesamte übrige Rechtsordnung aus, determinieren und dirigieren den Gesetzgeber und den Gesetzesanwender.26 Der Wandel der Grundrechte oder ihres Verständnisses hat auch und vor allem das Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung und -verbreitung in eine „wertentscheidende Grundsatznorm“ transformiert.27 Sie liefert nicht nur den Maßstab für die Konkretisierung des § 193, sondern ist selbst der in Frage kommende Rechtfertigungsgrund.28 Zu beachten gilt dabei, dass Art. 5 Abs. 1 GG nur Meinungsäußerungen rechtfertigen kann, die Äußerung unwahrer Tatsachenaussagen fällt nicht in den Schutzbereich.29 Bei Äußerungen, die zugleich wertende und tatsächliche Elemente enthalten, kann jedoch die Unrichtigkeit der Tatsache, auf der das Werturteil beruht, bei der Abwägung berücksichtigt werden.30
2. Die Kollision von Meinungsfreiheit und Recht der persönlichen Ehre 5 Die Ausstrahlung der aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit abgeleiteten Grundsatznorm führt zu einer „Wechselwirkung in dem Sinne, dass die ,allgemeinen Gesetze‘ zwar dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 GG nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen“.31 Wörtlich oder dem Sinne nach übereinstimmende Aussagen finden sich in vielen Entscheidungen.32 Zwischen dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung und dem „Recht der persönlichen Ehre“ findet nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die gleiche Wechselwirkung statt.33 Das ist wenig überzeugend, weil es insoweit nicht um eine Beziehung des konstitutionellen zum subkonstitutionellen Recht geht, sondern um die Zuordnung von gleichrangigem Recht. Denn durch Art. 5 Abs. 2 GG ist die persönliche Ehre als „eigenständiger Wert von Verfassungsrang“ anerkannt, das „Recht der persönlichen Ehre“ von den „Vorschriften der allgemeinen Gesetze“ prononciert abgehoben worden.34 Darüber hinaus ist es als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt.35 In jüngster Zeit hat das BVerfG die Bedeutung der Ehre gegenüber der Meinungsfreiheit gestärkt oder zumindest klargestellt und dabei auch eine bestimmte Prüfstruktur vorgeschlagen.36 Wenn bei Meinungsäußerungen und Werturteilen das Grundrecht, das die Freiheit dieser 6 Äußerungsakte verfassungsrechtlich gewährleistet (sie verstünde sich allerdings auch ohne die-
25 26 27 28 29
BVerfGE 7 198, 205. Ossenbühl NJW 1976 2100, 2102. BVerfGE 7 198. Zust. OLG München DVBl 2017 979, 980; vgl. auch Otto NJW 2006 575, 575; aA Zaczyk NK Rdn. 6. BVerfG NJW 1993 916 mit Bespr. Hufen JuS 1994 165 und zur „Auschwitzlüge“ BVerfGE 90 241, 247 mit Bespr. Schulze-Fielitz JZ 1994 902. 30 BVerfG NJW 2003 1856; NJW 2004 277; LG Bochum NJW-RR 2006 121, 122. 31 BVerfGE 7 198, 208 f. 32 Beispiele: BVerfGE 12 113, 124 f; 42 143, 150; BVerfG NJW 2004 3619; NJW 2015 2022; NJW 2016 2643; NJW 2017 1092, 1093. 33 BVerfGE 42 143, 150; 93, 266, 290 ff; 99 185, 195; BVerfG NJW 2000 199, 200; NJW 2003 3760; NJW 2004 590. 34 Von der Decken NJW 1983 1400, 1402. 35 BVerfGE 54 153 ff; 93 266, 290; Schmitt Glaeser AöR 113 98; Stern FS Hübner 824: Die persönliche Ehre ist „Verfassungsrechtsgut“. Zum Vergleich der deutschen Beleidigungsdelikte mit dem strafrechtlichen Ehrenschutz in den USA Brugger JA 2006 687; Möller Der grundrechtliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit in Deutschland, England und den USA (2016). 36 BVerfG NJW 2020 2622; 2629; 2631; 2636; dazu Ladeur JZ 2020 943; Steinl/Schemmel GA 2021, 86 (88 ff); siehe auch Gafus ZIS 2021 265. Hilgendorf
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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen
§ 193
se Gewährleistung im Rechtsstaat von selbst)37, und das Recht der persönlichen Ehre kollidieren, gibt es keine abstrakten Präferenzen für eines dieser Rechte. Es kann nur eine Lösung nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz, der verhältnismäßigen Zuordnung in Betracht kommen: Beiden Rechten müssen Grenzen gezogen werden und zwar so, dass der nach den Umständen des Einzelfalls schonendste Ausgleich38 ermöglicht wird.39 Steht der Kernbereich des einen Rechts auf dem Spiel, muss das andere im Randbereich Einschränkungen hinnehmen. Aber auch im Rahmen des Prinzips der praktischen Konkordanz müssen Kollisionen vielfach dadurch behoben werden, dass dem einen Recht und den von ihm geschützten Interessen der Vorrang vor dem anderen Recht eingeräumt wird. Das Ausmaß der Betroffenheit des einen und des anderen Rechtsguts und damit das Ausmaß der Betroffenheit der ideellen Persönlichkeitssphäre des Beleidigers und des Beleidigten und andere wesentliche Gesichtspunkte – wie Motive und Zwecke, die hinter einer Äußerung stehen, der Grad des Informationsinteresses der Öffentlichkeit, das Maß der erzielten Außenwirkung, die Plumpheit oder Aggressivität formaler Entgleisungen40 – erlangen (wie in Fällen ehrenrühriger Tatsachenäußerungen) die ihnen gebührende Berücksichtigung in einer einzelfallbezogenen Gesamtabwägung,41 die den Rechts- und Rechtsgüterkonflikt in allen seinen positiven und negativen Vorzugstendenzen erfasst.42 Der Wertvorzug der persönlichen Ehre kann nach der Wertordnung des Grundgesetzes und nach den zu berücksichtigenden Vorzugstendenzen eindeutig sein. „Geistige Entfaltung und freie Artikulation“43, der Austausch von Ideen und Argumenten in einer „offenen Gesellschaft“ leiden nicht darunter, dass „reine Schmähungen“, „gehässige und böswillige Schmähkritik“, der Hetze dienende Diffamierung, Verunglimpfungen, die darauf abzielen, den Betroffenen „als Person zu entwerten“, marktschreierische Herabsetzungen oder polemische Ausfälle, „die jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lassen“, oder pure Beschimpfungen44 als tatbestandsmäßig-rechtswidrige Beleidigungen angesehen werden (s. Rdn. 25 f). Artikulationen dieser Art treffen die Ehre in ihrem Kernbereich. Der ihr zuteil werdende Schutz nimmt dem Grundrecht der Meinungsfreiheit nichts von seiner Substanz, beeinträchtigt es nicht einmal unter dem Aspekt der Begrenzung der Ausübung, wenn man sie unter den Standard des civiliter uti stellt. Im Gegenteil: Grenzenlose Meinungsfreiheit unterminiert die Meinungsfreiheit selbst; man könnte von einem „Paradox der Meinungsfreiheit“ sprechen.45 Durch die Zurückdrängung von Hassrede vermag das Beleidigungsstrafrecht die Meinungsfreiheit sogar zu schützen.46 Enthält die ehrverletzende Äußerung auch einen Angriff auf die Menschenwürde, so tritt die Meinungsfreiheit stets zurück.47 Auch wenn der „Wertvorzug“ der persönlichen Ehre weniger eindeutig ist, gestattet der 7 Rang des Rechtsguts keine Vermutung zugunsten des Rechtsguts der Freiheit der Meinungsäußerung. Vielmehr muss bei der Erfassung und Abwägung der positiven und negativen Vorzugstendenzen für die beiden Güter von Verfassungsrang penible Arbeit geleistet werden,48 jede 37 38 39 40 41
Vgl. A. Weber JW 1927 2671 ff. Vgl. BVerfGE 42 143, 152. Von der Decken NJW 1983 1400, 1402 f; Schmitt Glaeser AöR 113 91 ff; Stern FS Hübner 827 m.w.N. Vgl. BVerfGE 42 143, 151; BVerfG NJW-RR 2012 1002, 1003; NJW 2017 2606. BVerfGE 42 143, 152; BVerfG NStZ 1988 124; NJW 1992 2815 f; JR 1995 160 mit Anm. Grasnick; NJW 2000 199, 200; NJW 2010 2937, 2939. 42 Lenckner GedS Noll 248; Zippelius FS Hubmann 514 ff. 43 Von der Decken NJW 1983 1400, 1403. 44 Vgl. BVerfGE 75 369, 380; 82 272, 283; 93 266, 294; BVerfG NJW 1993 1462; BGHZ 143 199, 208 f; BayObLG NStZ 1983 265, 266; NJW 1991 1493; NJW 2000 3079; OLG Brandenburg NJW 1996 1002; NJW 1999 3339; OLG Frankfurt JR 1996 250 f mit Anm. Foth; OLG Hamm 1982 659, 660 f; OLG Koblenz NJW 1978 1816, 1817; OLG Celle NStZ 1998 88; KG NJW 2003 685, 687; Groß JR 1995 485, 487. 45 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf/Hilgendorf BT § 7 Rdn. 10b. 46 Hoven/Witting NJW 2021 2397, 2399; ähnlich schon Hilgendorf EWE 2008 403, 408. 47 BVerfGE 93 266, 293; BVerfG NJW 2019 2600. 48 Vgl. Stern FS Hübner 828 und auch BVerfG NStZ 1988 124, 125. 687
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präjudizierende Formel ist von Übel. Das Bundesverfassungsgericht ist anderer Ansicht: Handelt es sich um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann, so erklärt das Gericht, spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede.49 Dabei setzt die Anwendbarkeit dieser Vermutungsregel keine staatstragenden Auseinandersetzungen voraus, wie es der Duktus der Formulierung suggerieren mag. Sie greift in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vielmehr bereits bei „kleinteiligen Auseinandersetzungen zwischen Bürgern oder Bürger und Staat“.50 Die Vermutung wird allerdings verstärkt, wird fast zur praesumtio iuris et de iure, wenn es um ehrenrührige Äußerungen in Wahlkämpfen geht.51 Die Argumentationsfiguren der Vermutung und der Wechselwirkung, die zumindest dort unangebracht sind, wo eine Lösung für die Kollision gleichrangiger Rechtsgüter zu finden ist, sind – wie es bei Leerformeln häufig der Fall zu sein pflegt – Teil eines operativen Instrumentariums, dessen Gebrauch und Resultate nicht überzeugen. In Verbindung mit dem Nimbus, der bestimmten Zwecken der Meinungsäußerung in idealtypischer Betrachtung verliehen wird, und der Abwertung von Verlautbarungen desjenigen, der in privatum parliert oder gar „im wirtschaftlichen Verkehr eigennützige Zwecke verfolgt“,52 bewirken sie, dass „Ehrenschutz im öffentlichen Meinungskampf … im Zweifel nicht stattfindet, es sei denn, der Äußernde verbreitet unrichtige Tatsachenbehauptungen oder falsche Zitate“ (näher Rdn. 15, 25).53 Richtigerweise ist im methodischen Vorgehen an dem festzuhalten, was auch bei Anwendung des § 193 geboten wäre. Die Lösung ist mit Hilfe des Prinzips des überwiegenden Interesses zu suchen, also danach zu fragen, welche Interessen in Berücksichtigung aller Wertungsfaktoren (Vorzugstendenzen positiver und negativer Art) des Einzelfalls mehr Gewicht haben. Im Rahmen der Gesamtabwägung erlangt auch der Gesichtspunkt der reaktiven Verknüpfung einer Äußerung mit den „von der Gegenseite erhobenen Ansprüchen oder aufgestellten Behauptungen“, mit der Rolle, die der Beleidigte im Rahmen einer Auseinandersetzung oder eines Geschehens spielte, mit dem Verhalten, das er an den Tag legte,54 einen nicht geringen Stellenwert, weil die Veranlassung eines Interessenkonflikts in der Regel als ein wesentlicher negativer Bewertungsfaktor zu Buche schlägt.55 Wenn die Reaktion auf das Verhalten des Beleidigten „adäquat“ und vergleichbar formuliert56 ist, handelt es sich – wie das Attribut besagt – um eine tatsachenbezogene und tatsachenbegrenzte Wertung, die lediglich den evaluativen Gehalt der Fakten offenlegt. Sie kann infolgedessen nicht rechtswidrig sein (§ 185 Rdn. 6 und 7).57 Der Begriff der Adäquanz darf zwar nicht eng ausgelegt werden. Aber es versteht sich von selbst, dass nicht jede Reaktion adäquat ist (§ 185 Rdn. 6).58 Dieses Recht zum Gegenschlag erlaubt auch dem Verfahrensbeteiligten die Benutzung starker und eindringlicher Ausdrücke zur Unter49 BVerfGE 7 198, 212; 68 226, 232; vgl. auch BVerfGE 12 113, 127; 24 278, 282 f; 42 163, 170; 54 129, 137; 93 266, 193; BVerfG NJW 1992 2815; NJW 1999 2262; NJW 2009 3016, 3017; ähnlich BVerfG NJW 2019 2600. Hufen JuS 2014 89. BVerfGE 61 1, 11. Vgl. BVerfGE 7 198, 212; 42 163, 170; 54 129, 137; 61 1, 11; Otto NJW 1986 1206, 1210 m.w.N. Schmitt Glaeser JZ 1983 95; eingehend Füglein S. 166 ff; ähnlich Hufen JuS 2017 1232; Ladeur ZUM 2013 796, 797; Zaczyk NK Rdn. 33 (Proklamation eines „Rechts auf Unrecht“ in öffentlichen Auseinandersetzungen); Musterbeispiel eines jedenfalls aufgrund des Ausfalls einer Abwägung der widerstreitenden Interessen verfehlten Verständnisses der Reichweite der Meinungsfreiheit LG Berlin MMR 2019 754 mit zutr. abl. Anm. Hufen JuS 2019 1130, 1131; Ihwas FD-StrafR 2019 421509 („Fall Künast“; tlw. Selbstkorrektur durch LG Berlin BeckRS 2020 239); kritisch schon Kriele NJW 1994 1898; Tettinger Die Ehre – ein ungeschütztes Verfassungsgut? (1995) S. 28; Tröndle FS Odersky S. 266; Buscher NVwZ 1997 1057, 1059; Stark FS Kriele 235, 237. 54 Vgl. BVerfGE 12 113, 131; 24 278, 286; 54 129, 138; 61 1, 13; BVerfG NVwZ 2016 761; NJW 2017 1460, 1461; BGHSt 12 287, 294; 36 83; OLG Koblenz NJW 1978 1816. 55 BVerfGE 61 1, 13; Lenckner GedS Noll 250. 56 BVerfGE 75 369, 380. 57 BVerfGE 24 278, 282 f; 54 129, 138; BayObLG NStZ 1983 265, 266; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 164, 166; OLG Koblenz NJW 1978 1816; OLG Köln NJW 1977 398; Otto JR 1983 1, 7. 58 Vgl. BGH NJW 1974 1762 ff; OLG Hamm NJW 1982 659, 661.
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streichung seiner Rechtsposition.59 Scharfe und drastische Formulierungen ebenso wie die übertreibende und verallgemeinernde Kennzeichnung des Gegners können im Hinblick auf die Wechselwirkung zwischen Meinungsfreiheit und den allgemeinen Gesetzen auch außerhalb des Gegenschlags gerechtfertigt sein.60
3. Die Konsumtion von § 193 durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG Werke der Kunst sind in der Regel Äußerungen mit Sinngehalt. Erschließt er sich dem Betrachter 8 nur schwer oder nur mit Hilfe eines Kommentars, spricht man von „Reflexionskunst“. Der Sinngehalt kann ehrenrührig sein. Was gilt dann? Die Kunst ist frei, sagt Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Tucholsky und andere Künstler meinten, sie dürfe – jedenfalls in Gestalt der Satire – „alles“.61 „Alles“ ist des Guten zu viel. Wenn es einen „alles“ gestattenden Künstlerbonus62 gäbe, wenn man eine ehrenrührige Kundgabe „durch Einkleidung in eine besonders gelungene Form gegen Rechte anderer immun machen könnte“, würde das zu einer kaum erträglichen Privilegierung derjenigen führen, die in der Lage sind, ihre Äußerungen als Ausdruck künstlerischen Schaffens darzustellen.63 Das ist zwar, wenn man den Kunstbegriff des Bundesverfassungsgerichts zugrunde legt,64 nicht allzu schwer, denn eine Niveaukontrolle findet danach nicht statt. Aber es wird immerhin eine „freie schöpferische Gestaltung“ gefordert, und manche meinen, dieses Postulat bedinge eine geistige oder gar eine „vergeistigte“ Auseinandersetzung des Künstlers mit der Welt.65 Eine solche Auseinandersetzung ist nun freilich nicht jedermanns Sache, und man muss sich hüten, in Belangen der Ehre ein Zweiklassenrecht zu schaffen. Zwei Ausgangserwägungen dürften dem Streit der Meinungen entzogen sein: (1.) Allein mit 9 Hilfe des Kunstbegriffs lassen sich Kollisionen künstlerischer Aussagen mit der Ehre der von solchen Aussagen Betroffenen nicht lösen. (2.) Die Schranken der Kunstfreiheitsgarantie und des Grundrechts der Kunstfreiheit können Art. 5 Abs. 2 GG nicht entnommen werden.66 Daraus folgt: Die Schranken sind im Wege der Verfassungsinterpretation zu finden, auch wenn dies die Anwendung des Strafrechts mit erheblichen methodischen wie inhaltlichen Unsicherheiten belastet.67 Das Grundgesetz macht „die Beachtung bestimmter Werte und Sinnbezüge zur Pflicht“.68 Die Ehre wird von ihm unmittelbar, als Verfassungsrechtsgut, geschützt (Rdn. 5). Gerät eine künstlerische Aussage im „Werk- oder Wirkbereich“69 in Konflikt mit der „persönlichen Ehre“, handelt es sich um einen intrakonstitutionellen Konflikt. Er ist „nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems“ zu lösen.70 Das heißt: Auch die Freiheit der Kunst ist kein isolierter Höchstwert der verfassungsmäßigen Wertordnung, dem alle anderen Werte unterzuordnen wären.71 Viel59 BVerfG StV 1991 458, 459; NJW-RR 2012 1002. 60 BGH NJW 2000 3421; OLG Frankfurt NJW 1989 1367; NStZ 1991 493; LG Bochum NJW-RR 2006 121, 122; LG Bonn NJW-RR 2006 486, 487.
61 Vgl. BVerfGE 75 369; Geppert JR 1985 430; Würtenberger NJW 1982 610, 612; für eine Beschränkung auf zivilrechtliche Unterlassungsansprüche und damit zumindest einen „strafrechtsfolgenfreien Raum“ Hoffmann-Holland/ Koranyi ZStW 130 (2018) 82, 103. 62 Otto JR 1983 1, 10. 63 OLG Stuttgart NJW 1976 628, 629. 64 BVerfGE 30 173, 188 f; 67 213, 226; 75 369, 377; 81 298, 305; umfassend Würkner Das Bundesverfassungsgericht und die Freiheit der Kunst (1994); s. auch Faßbender NJW 2019 705. 65 Otto NJW 1986 1206, 1209; Würtenberger NJW 1982 610, 614 und 1983 1144, 1145 f. 66 Vgl. BVerfGE 30 173, 191, 200; 67 213, 228; 75 369, 377. 67 Klärend Hufen JuS 2022, 897. 68 Larenz Methodenlehre6 (1991) 346. 69 BVerfGE 30 173, 189; 67 213, 224; BVerfG NStZ 1988 124. 70 BVerfGE 30 173, 193; vgl. auch BVerfGE 67 213, 228; Isensee AfP 1993 619, 625. 71 BGHZ 50 133, 146. 689
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mehr sind die persönliche Ehre und die Freiheit der Kunst einander zuzuordnende Werte von gleichhohem (Verfassungs-)Rang. Die Entscheidung darüber, ob eine ehrenrührige künstlerische Aussage nicht tatbestandsmäßig oder zwar tatbestandsmäßig, aber gerechtfertigt ist, kann nur das Ergebnis einer Abwägung sein, die unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls72 nach Maßgabe des verfassungsrechtlichen Wertgefüges getroffen wird, das in der Würde des Menschen seinen obersten, nicht zur Disposition stehenden Wert hat.73 Es erfolgt eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip.74 Methodisch verläuft die Abwägung nicht anders als in Fällen der Kollision des Grundrechts der Meinungsfreiheit mit dem Recht der persönlichen Ehre (Rdn. 6 und 7).75 Aber die Abwägung spielt sich in aller Regel auf der Ebene des Tatbestands ab und in sie 10 sind kunstspezifische Gesichtspunkte einzubringen. Um die Frage der Tatbestandsverwirklichung geht es, weil (anders als in Fällen der Meinungsäußerung mit eindeutiger Schranke) ein Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht positiviert ist. Die Verletzung der Ehre durch eine künstlerische Äußerung indiziert nicht ohne Weiteres die Rechtswidrigkeit. Die Freiheit der künstlerischen Gestaltung schiebt in Relation zur jeweiligen künstlerischen Äußerungsform (§ 185 Rdn. 24 bis 26)76 die tatbestandlichen Grenzen hinaus.77 Damit wird nicht in Abrede gestellt, dass – wie in Fällen der Meinungsäußerung – der Wertvorzug der persönlichen Ehre eindeutig sein kann (Rdn. 6).78 Eine Verletzung der Menschenwürde kann dabei nie gerechtfertigt sein.79 Zu den für die Freiheit der künstlerischen Äußerungen sprechenden kunstspezifischen Vorzugstendenzen gehören die Eigenheiten, die eine Kunstgattung prägen, ein Bewertungsfaktor, der insbesondere bei Karikaturen und Satiren eine wesentliche Rolle spielt (§ 185 Rdn. 25 und 26).80 Zu den negativen Bewertungsfaktoren gehört die Nähe einer Kundgabe in künstlerischer Form zur direkten ehrenrührigen Äußerung, also zu einer Aussage, in der die Ebene der Lebenswirklichkeit nicht verlassen, ohne Verfremdung des Stoffes in eine aktuelle geistige (politische) Auseinandersetzung eingegriffen wird oder mit dem Anspruch der Dokumentation, der Evidenz oder der historischen Wahrheit Fakten behauptet werden. Denn der Verzicht auf Verfremdung, auf Umformung und Sublimierung der „Realien“81 und auf ihre Einbeziehung in eine „poetische Wirklichkeit“82 (§ 185 Rdn. 24) nimmt der künstlerischen Aussage den ästhetischen Aspekt. „Wo aber der Künstler auf der sozialen Wirklichkeitsebene verharrt und den ,Realitätsbezug‘ selbst als Gestaltungsmittel einsetzt, ist die dadurch herbeigeführte Konfliktsituation nicht unvermeidbar mit dem Wesen künstlerischer Gestaltung verknüpft, mag auch das so Geschaffene der Kunst zuzurechnen sein und der Autor sein Anliegen anders nicht verwirklichen können“.83 Nach anderer Auffassung ist Art. 5 Abs. 2 GG anzuwenden, wenn „die Meinungsäußerung des
72 73 74 75 76 77 78 79
BVerfGE 30 173, 195; BVerfG NStZ 1988 124. BVerfGE 30 173, 193 f; 75 369, 380. BVerfGE 81 278, 291 mit krit. Anm. Gusy JZ 1990 640; BGHSt 37 55; BayObLG MDR 1994 80, 81. Lenckner GedS Noll 249; Otto NJW 1986 1206, 1210; Würtenberger NJW 1982 610, 615. Vgl. BVerfGE 30 173, 189; 67 213, 224; 75 369, 378. BGHZ 50 133, 145; aA Geppert JR 1985 430, 431; eingehend Oppermann S. 99 ff. Vgl. BVerfGE 30 173, 193 f; 75 369, 380; BGHZ 50 133, 147. BVerfGE 75 369, 380 mit Bespr. Würkner NStZ 1988 23 (zur Darstellung eines Politikers als kopulierendes Schwein); OLG Karlsruhe NJW 1994 1963; BayObLG NJW 1994 952; NJW 1995 145, 146. Grenzfälle aus jüngerer Zeit bilden das Schmähgedicht des Fernsehentertainers Jan Böhmermann gegen den türkischen Staatspräsidenten Erdogan (dazu Christoph JuS 2016, 599; Fahl NStZ 2016 313; Raue Liber amicorum Oppenhoff [2017] 267) sowie die pauschale Bezeichnung von Polizisten als zu entsorgendem „Müll“ durch eine Publizistin in der Tageszeitung „taz“, dazu (wenig überzeugend) die Einstellungsverfügung der StA Berlin vom 10.9.2020, AZ 231 Js 1906/20. 80 BVerfGE 75 369, 378. 81 BVerfGE 30 173, 193. 82 Vgl. BVerfGE 30 173, 195 und 198; BGHZ 50 133, 146; BGH NJW 1975 1882, 1884; NJW 1983 1194, 1195 mit Anm. Zechlin; OLG Stuttgart NJW 1976 628, 629. 83 BGH NJW 1975 1882, 1884. Hilgendorf
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V. Tadelnde Urteile über wissenschaftliche und andere Leistungen
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Künstlers eindeutig vor der ästhetischen Wirkung des Kunstwerks steht“.84 Die höchstrichterliche Rechtsprechung teilt diese Ansicht allerdings nicht.85 Nicht in den Schutzbereich der Kunstfreiheit fällt die Kritik an künstlerischen Leistungen.86
IV. Anwendungsbereich des § 193 Die Gründe, die nach § 193 dazu führen, dass wegen Beleidigung nicht bestraft wird, kommen 11 bei allen Tatbeständen des 14. Abschnitts in Betracht (§ 187 Rdn. 5).87 Den primären Anwendungsbereich bilden die Fälle der ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen. Für die einfache Beleidigung durch Werturteil (Meinungsäußerung) hat § 193 allerdings seine konstitutive Bedeutung weitgehend verloren (Rdn. 4 bis 7). Dass sie – sei es nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, sei es nach § 19388 – gerechtfertigt sein kann, steht außer Frage.89 Den Bereich der formalen Beleidigung schließt § 193 selbst aus.90 § 193 gilt nicht für Straftaten, die keine Ehrverletzungsdelikte sind.91 Straftaten nach Vorschriften der Landespressegesetze machen keine Ausnahme.92 Eine Rechtfertigung nach § 193 erstreckt sich nicht auf ein mit der Beleidigung tateinheitlich zusammentreffendes Delikt. Allein aus diesem Zusammentreffen kann aber andererseits nicht abgeleitet werden, dass § 193 auf das Ehrverletzungsdelikt nicht anwendbar sei.93 § 193 kann erst angewendet werden, wenn der äußere und innere Tatbestand einer Beleidi- 12 gung nachgewiesen ist.94 In Fällen ehrenrühriger Tatsachenäußerung darf die Frage der Rechtfertigung nach § 193 erst gestellt werden, wenn die Wahrheit dessen, was behauptet oder verbreitet wurde, geprüft worden und der Wahrheitsbeweis gescheitert ist (§ 190 Rdn. 5).95
V. Tadelnde Urteile über wissenschaftliche und andere Leistungen Sachliche Kritik ist nicht tatbestandsmäßig. Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstleri- 13 sche oder gewerbliche Leistungen (und in „ähnlichen Fällen“) bedürfen der Rechtfertigung erst dann, wenn der Tadelnde dem, der die Leistung erbracht hat, einen Mangel an Ehre vorwirft bzw. den sich aus ihr ergebenden Achtungsanspruch verletzt.96 Nicht tatbestandsmäßig ist auch das zwar ehrenrührige, aber erwiesenen Tatsachen adäquate Werturteil (§ 185 Rdn. 5). Wird der perso-
84 85 86 87
Otto JR 1983 1, 10 m.w.N.; ders. NJW 1986 1206, 1210; vgl. auch OLG Stuttgart NJW 1976 628, 630. Vgl. BVerfGE 30 175, 191, 200; 67 213, 228; 75 369, 377; BVerfG NStZ 1988 124; BGHZ 50 133, 145. BVerfG NJW 1993 1462; Kastner NJW 1995 822, 827; Fischer Rdn. 37. § 189: BGH StV 1987 533, 534; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Fischer Rdn. 3; Zaczyk NK Rdn. 9; aA Rogall SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 2. 88 Vgl. BGHSt 12 287, 293. 89 Ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BGH NJW 1965 1476; NJW 1974 1762; BGH StV 1987 533; BayObLG 20 115; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; OLG Hamm GA 1974 62; NJW 1982 659, 660; OLG Koblenz NJW 1978 1816; OLG Köln NJW 1977 398; und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (z.B. BVerfGE 12 113 ff; 24 278 ff; 42 143 ff; 42 163 ff; 54 129 ff; 61 1 ff; 68 226 ff; 93 266 ff; 99 185 ff). 90 Vgl. dazu RGSt 60 335, 336; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; OLG Hamm NJW 1982 659, 661; OLG Koblenz NJW 1978 1817; Reinhardt FS H. Lange S. 203; Fischer Rdn. 3; aA Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3. 91 RGSt 10 272; 31 66; OLG Düsseldorf NJW 2006 630, 631; OLG Stuttgart NStZ 1987 121, 122; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Lenckner GedS Noll 243 ff – klare Darlegung des Diskussionsstands und überzeugende Stellungnahme; Rogall SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 3; Bohnert NStZ 2004 301, 305. 92 BGH bei Herlan GA 1955 79; RGSt 64 134, 135; BayObLGSt 1962 93, 94; aA OLG Hamburg NJW 1954 1297. 93 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 3; aA RGSt 39 182; 50 56. 94 BayObLGSt 1983 32, 35 = NJW 1983 2040, 2041; NJW 1999 1982; OLG Köln NJW 1964 2111; Fischer Rdn. 2a. 95 BGH NJW 1959 2011, 2013; OLG Frankfurt NJW 1989 1367; BayObLG NJW 1999 1982; aA Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Graul NStZ 1991 457. 96 Lenckner GedS Noll 246; Rogall SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 5; Fischer Rdn. 6. 691
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nale Geltungsanspruch durch eine ad personam zielende Kritik oder eine überschießende Wertung verletzt, fragt es sich, ob die Verletzung auf Grund der Umstände des Falles sich als eine noch erlaubte (gerechtfertigte) Form der Kritik (oder Meinungsäußerung) darstellt (Rdn. 6 und 7).97 14 Der Umfang dessen, was dem Bereich der wissenschaftlichen, künstlerischen oder gewerblichen Leistungen und dem der „ähnlichen Fälle“ zuzurechnen ist, war von jeher umstritten. Die Einbeziehung von Urteilen über Leistungen von Anwälten und Ärzten,98 von Krankenanstalten und versorgungsrechtlichen Untersuchungsstellen,99 von öffentlichen Verkehrsbetrieben,100 Landwirten, Kaufleuten, Artisten und Berufssportlern101 stieß nicht auf Widerspruch. Gegen die Qualifizierung richterlicher Urteile als wissenschaftliche Leistungen im Sinne des § 193 wandte sich das Reichsgericht102 jedoch ebenso wie gegen die Einbeziehung der „Dienstführung öffentlicher Behörden und Beamten“ in den Bereich der Kritikfreiheit. Die „sachgemäße Wirksamkeit“ behördlichen Tuns sei gewährleistet. Kritik gegenüber den Behörden und Beamten, die sich zu Beleidigungen „versteige“, könne das Ansehen untergraben und diene „nicht zum allgemeinen Besten“.103 Diese Zeiten sind auch in der Rechtsprechung lange vorbei. Unter dem Aspekt des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) ist eine Aktualisierung geboten, die den gesamten Bereich der Tätigkeit der öffentlichen Behörden und Beamten, der Gerichte und Richter, der Parlamente und Abgeordneten, der politischen Parteien und ihrer Funktionäre den tadelnden Urteilen bis zur Schranke der Formalbeleidigung eröffnet,104 wenn und soweit der Begriff der Leistung anwendbar ist. Unter diesem Begriff ist das auf einem bestimmten Sachgebiet erzielte Ergebnis menschlichen Wirkens zu verstehen, dessen sich der Leistende entäußert hat und das selbstständiger Gegenstand der Beurteilung durch andere sein kann (so die Begründung zu § 178 E 1962). Da das Gesetz selbst „ähnliche Fälle“ einbezieht, ist eine enge Interpretation fehl am Platze. Der Begriff setzt eine Verkörperung nicht unabdingbar voraus. Auch Unterlassungen können zu bewertbaren Ergebnissen führende Äußerungen sein. Gegenüber der Presse und anderen Massenmedien gilt „gewerbliche Leistungen“ erfassende Kritikfreiheit mindestens insoweit, wie die verbreiteten Äußerungen im Dienste des Informationsinteresses der Allgemeinheit stehen.105 Es spielt für die Kritikfreiheit keine Rolle, ob eine „richtige“ oder eine „falsche“, eine „wertvolle“ oder „wertlose“ Meinung vertreten wird. Die Meinung des Außenseiters und des Dilettanten hat nicht weniger Spielraum als die des Konformisten oder des Experten.106 Ob den Tadelnden der Gegenstand seiner Kritik „nahe angeht“ oder nicht, ist ohne Bedeutung.107 In Uneinsichtigkeit und Unsachlichkeit allein liegt noch keine Formalbeleidigung im Sinne von § 193.108
VI. Ausführung oder Verteidigung von Rechten 15 Zu den Äußerungen zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten gehören alle Handlungen, welche die Geltendmachung eines Rechts vorbereiten oder sichern oder der Abwehr eines einge97 OLG Hamm NJW 1982 1656, 1658; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 5. 98 RG JW 1913 940 Nr. 17. 99 BGH MDR 1956 735. 100 Vgl. RGSt 64 10, 13. 101 Vgl. Frank Anm. III 5; Welzel S. 323. 102 Vgl. RGSt 40 348. 103 RGSt 39 312; RG JW 1923 516 Nr. 1 mit Anm. Alsberg; RG HRR 1930 1776. 104 OLG Düsseldorf NJW 1992 1336; Rogall SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 5; Uhlitz NJW 1967 129, 133. 105 Vgl. BVerfGE 12 113, 131 f; BGHZ 45 296, 308 ff; wie hier Rogall SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 5. 106 BVerfGE 61 1, 7; BGHZ 45 296, 306; BGH NJW 1965 294; NJW 1974 1762. 107 Uhlitz NJW 1967 129, 132. 108 Vgl. BGHSt 19 311, 317. Hilgendorf
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VI. Ausführung oder Verteidigung von Rechten
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leiteten oder erwarteten Rechtsangriffs dienen sollen.109 Bei der Anwendung des § 193 sind die Ausstrahlung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und das Grundrecht der freien Meinungsäußerung zu berücksichtigen.110 Der Rechtfertigungsgrund gilt nicht nur für den, dessen Rechte ausgeübt oder verteidigt werden, sondern auch für seinen (gesetzlichen oder gewählten) Vertreter, insbesondere für den Prozessbevollmächtigten und den Verteidiger. Es kommt auch nicht darauf an, ob eine ehrenrührige Kundgabe sich gegen den Prozessgegner oder einen Dritten richtet.111 Parteien und Anwälte dürfen im Verfahren vortragen, was rechtserheblich sein kann, wenn seine „Unhaltbarkeit oder besondere Bedenklichkeit nicht von vornherein offen auf der Hand liegt“.112 „Unhaltbar“ ist außer dem unwahren Vortrag insbesondere das willkürliche, nicht auf Anhaltspunkte gestützte Vorbringen.113 Aus den vorgetragenen Tatsachen dürfen die mit dem Prozessgegenstand in Zusammenhang stehenden Folgerungen bis zur Grenze der Formalbeleidigung gezogen werden, sofern es sich nicht um haltlose (willkürliche) Vermutungen handelt.114 Solange diese Grenze nicht überschritten wird, dürfen Wertungen „auch in starken, eindringlichen Ausdrücken und sinnfälligen Schlagworten“ geäußert werden.115 Im „Kampf ums Recht“ spricht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Vermutung zugunsten der Zulässigkeit der freien Rede.116 Das Gewicht der Meinungsfreiheit ist demnach besonders hoch zu veranschlagen und erlaubt es nicht, den Äußerenden auf das Erforderliche zu beschränken – insbesondere, wenn sich die Äußerung auch als Kritik am Rechtsstaat begreifen lässt (s. auch Rdn. 25).117 Der Mandant darf sich gegenüber seinem Anwalt frei aussprechen. Er darf auch einen ungeprüften Verdacht äußern und sich darauf verlassen, dass der Anwalt sich Gedanken darüber macht, was schriftsätzlich verwertbar ist.118 Der Mandant kann aber eine Beleidigung in mittelbarer Täterschaft begehen, wenn er durch Irreführung seines Prozessbevollmächtigten erreicht, dass der Tatsachenvortrag unwahre oder haltlose ehrenrührige Behauptungen enthält.119 Der Anwalt seinerseits hat nur minimale Prüfungspflichten. Er kann „weitgehend“ auf der Grundlage der Informationen seines Mandanten argumentieren und darf sich sagen, dass der Gegner schon seine Sicht der Dinge vorbringe und der streitige Sachverhalt im gerichtlichen Beweisverfahren seine Klärung erfahren wird.120 Eine regelmäßige Kontrolle der vom Mandanten mitgeteilten Tatsachen ist nicht erforderlich, es sei denn, es liegen konkrete Anhaltspunkte für eine ehrverletzende Tatsachenbehauptung vor.121 Leichtfertig darf der Anwalt allerdings weder in Bezug auf die Tatsachengrundlage seiner Argumentation
109 Welzel S. 323. 110 BVerfG NJW 1991 2074, 2075; NJW 2000 199; KG StV 1997 485; OLG Düsseldorf NJW 1998 3214, 3215; OLG Frankfurt am Main NJW-RR 2007 162, 163; Fischer Rdn. 7.
111 Vgl. OLG Celle NJW 1961 231: Der Beklagte trägt im Unterhaltsprozess vor, der verheiratete X habe in der Empfängniszeit mit der Mutter des Kindes Geschlechtsverkehr gehabt; BayObLG 11 295: Anzweiflung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen; OLG Hamburg JW 1938 3104 Nr. 6; JR 1997 521: Angriffe gegen einen Zeugen. 112 RGZ 140 392, 397; ähnlich BGH NJW 1962 243, 244 = JZ 1962 486, 487 mit Anm. Weitnauer. Zu den Anforderungen an eine berufsrechtliche Rüge wegen Verwirklichung eines Ehrverletzungsdelikts BVerfG NJW 2008 2424, 2425 f. 113 BayObLGSt 1952 164 = JR 1953 192. 114 BGH NJW 1962 243, 244 = JZ 1962 486, 487; OLG Hamburg MDR 1980 953; OLG Hamm NStZ-RR 2006 7, 8. Nach Kölbel ZStW 119 334, 347 ff gibt hingegen die „funktionale Berechtigung“ den Ausschlag darüber, ob ein ehrverletzendes Prozessverhalten eine gerechtfertigte Ausführung von Rechten darstelle. 115 BVerfG NJW 2000 199, 200; NJW-RR 2012 1002; OLG Hamburg MDR 1984 940; OLG Hamm NStZ-RR 2006 7, 8; vgl. auch OLG Frankfurt am Main NJW-RR 2007 162, 164; OLG Hamm NStZ 2008 631, 632; OLG Oldenburg NStZ-RR 2008 201; OLG München DVBl 2017 979, 981. 116 BVerfG NJW-RR 2012 1002, 1003; in diese Richtung auch NJW 2013 3021, 3022; OLG München NJW 2016 2759, 2760. 117 BVerfG NJW 2013 3021, 3022; ZUM 2013 793, 796; NJW 2017 2606. 118 KG DStR 8 62; OLG Celle NJW 1961 232. 119 OLG Celle NJW 1961 232. 120 BGH NJW 1962 243, 244 = JZ 1962 486, 487; OLG Köln NJW 1979 1723. 121 BVerfG NJW 2003 3263, 3264. 693
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noch in seinen Folgerungen sein.122 Er muss insbesondere Tatsachenbehauptungen nachprüfen, wenn er konkrete Anhaltspunkte für ihre Unrichtigkeit oder Haltlosigkeit hat und die Überprüfung schnell und mit zuverlässigem Ergebnis vorgenommen werden kann. Ein Verteidiger darf in seinem Plädoyer dem Verteidigungsinteresse den Vorrang vor den Gefühlen der Opfer einräumen. Die nachdrückliche Wahrnehmung dieses Interesses kann auch Verunglimpfungen rechtfertigen.123 Werden neben wertenden Äußerungen auch ehrverletzende Tatsachen vorgetragen, so ist bei Überwiegen der wertenden Elemente auch eine drastische und polemische Sachverhaltsbehauptung zulässig, es sei denn, die Tatsachen werden bewusst unrichtig dargestellt, ihre Unhaltbarkeit liegt auf der Hand oder die wertenden Schlussfolgerungen stehen in keinem vertretbaren Verhältnis zur zutreffenden Tatsachenbehauptung.124 Für ehrenrührige Tatsachenbehauptungen, die ein Anwalt oder ein Dritter von sich aus 16 aufstellt, trägt er die volle Verantwortung.125 Dasselbe gilt für in den sozialen Medien stattfindende „Anklageverfahren“ (z.B. „me-too“). Die Verurteilung wegen übler Nachrede in einem Verfahren, das in der Wahrheitsfrage mit einem non liquet endete, steht der Wiederholung der ehrenrührigen Tatsachenäußerung in einer Klage nicht entgegen, wenn die Annahme der Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses nicht haltlos ist.126 Zur Aufrechterhaltung beleidigender Äußerungen im Sühnetermin und im Strafverfahren und zur Erweiterung (Vertiefung) des ehrenrührigen Vorwurfs vgl. BayObLGSt 1958 244, 245 und OLG Braunschweig GA 1962 83. Was ein Beschuldigter und sein Verteidiger im Rahmen der Stoffsammlung oder aus anderen auf das Verfahren bezogenen Gründen tun, gehört zur Rechtsverteidigung. Die Auskunft, die jemand erteilt, der von ihnen darum angegangen worden ist, gehört in die Kategorie der „ähnlichen Fälle“.127 Sie erstreckt sich auch auf die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen.128 Wer dem Angeklagten oder dessen Verteidiger eine Auskunft erteilt oder wer als Zeuge aussagt und dabei ehrenrührige Bekundungen über einen anderen macht, handelt nicht rechtswidrig, wenn die Bekundungen zur Sache gehören, dem Wissen oder der Überzeugung entsprechen und die Form oder die Umstände nicht den Tatbestand der Formalbeleidigung erfüllen. Für Auskünfte, die eine Prozesspartei zum Zwecke der Beschaffung von Prozessmaterial einholt, gilt nichts anderes.129
VII. Äußerungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen 1. Die Interessenkollision 17 Die Wahrnehmung berechtigter Interessen setzt nicht voraus, dass das Schutzgut, um das es dem Täter geht (es kann auch seine Ehre sein)130, höherwertig als der Anspruch des Betroffenen auf Achtung seiner Ehre ist. Die rechtfertigende Interessenkollision ist aber nicht zutreffend gekennzeichnet, wenn gesagt wird, das Interesse des Täters dürfe nicht geringer zu bewerten 122 OLG Hamburg MDR 1980 953. 123 BGH StV 1987 533, 534. 124 OLG Düsseldorf NJW 1998 3214; BayObLG JZ 2001 717 mit Anm. Otto; NStZ-RR 2002 40, 41 f; HansOLG Bremen NStZ 1999 621; Fischer Rdn. 28. 125 RG HRR 1941 840. 126 OLG Hamm NJW 1961 520. 127 RGSt 59 172, 174; BayObLGSt 1953 109; 1964 131. 128 BVerfG NJW-RR 2012 1002, 1003; NJW 2017 2606; BGH bei Dallinger MDR 1953 147; OLG Stuttgart NJW 1967 792 mit Anm. Roxin. 129 BayObLGSt 1953 109. Zum Problem des zivilrechtlichen Ehrenschutzes gegenüber Parteivorbringen und Zeugenaussagen im Zivilprozess vgl. BGH NJW 1962 243 = JZ 1962 486 mit Anm. Weitnauer; BGH NJW 1971 284; BGH MDR 1973 304; OLG Hamburg MDR 1984 940; Helle GRUR 1982 297; ders. NJW 1987 233; Walchshöfer MDR 1975 11; Walter JZ 1986 614. 130 RG JW 1926 1185 Nr. 27. Hilgendorf
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sein,131 es müsse zumindest gleichrangig sein,132 es müsse ein „vertretbares Verhältnis“ zwischen dem von ihm erstrebten Zweck und der Herabsetzung fremder Ehre bestehen,133 Mittel und Zweck dürften nicht in einem „auffälligen Missverhältnis“ zueinander stehen.134 Das Interesse des Täters muss überwiegen.135 Beim Interessenvergleich kommt es aber nicht nur auf die abstrakte Rangordnung der (in aller Regel nicht kommensurablen) Schutzgüter an, sondern auf alle sich aus den Umständen des Einzelfalls ergebenden Bewertungsfaktoren. Sie können das Gewicht kollidierender Werte verstärken oder abschwächen. Damit wird nicht geleugnet, dass Werte als solche von so überragender Bedeutung sein können, dass sie einer in jeder Abwägung liegenden Relativierung entzogen sind136 oder doch in aller Regel Vorrang beanspruchen dürfen.137 Ist abzuwägen, sind positive oder negative Vorzugstendenzen (Bewertungsfaktoren) z.B. aus der Schwere eines Vorwurfs oder Verdachts, aus dem Verbreitungsgrad und der Intensität der ehrenrührigen Äußerung des Täters, aus dem Risiko, das in der Wahrheitsfrage eingegangen werden muss (also aus der guten oder schlechten Fundierung einer Behauptung oder Meinungsäußerung), aus der reaktiven Verknüpfung, aus dem höheren oder geringeren Informationsinteresse der Öffentlichkeit, aus der persönlichen Nähe oder Distanz des Täters zu den wahrgenommenen Interessen, aus dem Zweck, den er verfolgt, abzuleiten (vgl. Rdn. 6 f).138
2. Die Berechtigung des wahrgenommenen Interesses Das wahrgenommene Interesse muss berechtigt sein. Es muss ein Zweck verfolgt werden, der 18 dem Recht oder den guten Sitten nicht zuwiderläuft.139 An der Erörterung eines Skandals oder einer Sensation kann ein echtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestehen. Es ist etwas missverständlich, wenn (in BGHSt 18 182, 187) gesagt wird, dass Berichte und Kommentare, denen es auf Skandal und Sensation ankomme, von vornherein ausscheiden. Neugier, Sensationslust und Gefallen am Klatsch allein begründen allerdings kein berechtigtes Informationsbedürfnis.140 Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über Angelegenheiten aus der Privat- und Familiensphäre kann nur in Ausnahmefällen und nicht allein schon deshalb, weil sie eine im öffentlichen Leben stehende Person betrifft, als berechtigt angesehen werden.141 Nicht anerkennenswert ist das Interesse an der Herbeiführung eines Verfahrens wegen Beleidigung, um in diesem Verfahren einen abgeschlossenen Rechtsstreit wieder „aufrollen“142 oder um mit Hilfe des erhofften Beweisergebnisses die Lage in einer anderen Rechtsangelegenheit verbessern zu können.143 Bei Prüfung der Frage, ob ein Interesse berechtigt ist, muss von den Vorstellungen des Täters ausgegangen werden, wenn sie nicht die Folge eines vorwerfbaren Fehlverhaltens bei Klärung des Sachverhalts, also in der Wahrheitsfrage sind (Rdn. 2).
131 132 133 134 135
So aber BGHSt 18 182, 184. OLG Frankfurt NJW 1991 2032, 2035. BGHZ 31 308, 313. Maurach BT § 19 II C 2b. BayObLG NJW 1995 2501, 2503; OLG Hamm NJW 1987 1034, 1935; Fischer Rdn. 9; Hubmann Persönlichkeitsrecht § 20; Lenckner GedS Noll 248 f; Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 12. 136 Vgl. BVerfGE 47 187, 227; 75 369, 380. 137 Vgl. BGH StV 1987 533, 534 zum Verteidigungsinteresse im Falle eines schweren Tatvorwurfs. 138 BVerG BeckRS 2017 102107; BGHZ 31 308, 313; 45 296, 309; 95 212, 219; BGH NJW 1974 1762, 1763; NJW 1975 1882, 1885; NJW 1977 1288, 1289; NJW 1978 1797, 1798; RGSt 62 83, 93; OLG Hamm NJW 1982 659, 660; NJW 1982 1656, 1658; NJW 1987 1034, 1035; Hubmann Persönlichkeitsrecht § 20; Zippelius FS Hubmann 514 f. 139 BGHZ 39 124, 128; RGSt 15 15, 17; 34 222, 223; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Rogall SK Rdn. 13. 140 BGHZ 24 200, 208; 39 124, 128. 141 BGHSt 18 182, 186; BGH JZ 1965 411, 413 mit Anm. Koebel; BGHZ 39 124, 128 f; 73 120, 122 ff. 142 RGSt 74 261. 143 BGH bei Dallinger MDR 1956 10. 695
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3. Die Berechtigung des Täters 19 Der Täter muss das anerkennenswerte Interesse als dazu Berechtigter wahrnehmen. Es muss ihn persönlich angehen. Es kann ein eigenes oder ein fremdes sein, dem er so nahe steht, dass er sich nach billiger und vernünftiger Beurteilung der Verhältnisse zu seinem Verfechter machen darf. Das wird insbesondere der Fall sein bei naher Verwandtschaft, enger Freundschaft, langjährigen Arbeitsverhältnissen.144 Die Wahrnehmung eigener Interessen kann einem anderen übertragen werden, z.B. einem Rechtsanwalt, einer Auskunftei, den Organen oder bestimmten Arbeitnehmern einer Gesellschaft, eines Vereins, eines Interessenverbandes.145 Die Befugnis zur Interessenwahrnehmung kann sich auch aus einer Amtsstellung (z.B. der des Vormunds oder der des Konkursverwalters) ergeben.146 Gemeinsame Interessen kann das Mitglied einer Gruppe (Personengemeinschaft) wahren, wenn ihr Kreis abgegrenzt und überschaubar ist. Dass Landtagsabgeordnete öffentliche Belange verfechten147 und Gemeinderatsmitglieder die Interessen der Gemeinde wahrnehmen dürfen,148 versteht sich heute von selbst. Ein Teil des Schrifttums lehnt einschränkende Kriterien ganz ab. Jedermann dürfe jedes berechtigte Interesse wahrnehmen, wenn er die im Übrigen der Interessenwahrnehmung gezogenen Grenzen beachtet.149 Diese weitgehende „Kompetenzerstreckung“ gilt zwar für die „tadelnden Urteile“ (Rdn. 13, 14), im Übrigen aber nur dort, wo Interessen der Allgemeinheit wahrgenommen werden. Für jeden Staatsbürger steht „seine Sache“ auf dem Spiel, wenn es um die staatlichen Funktionen (in allen ihren Bereichen und auf allen Ebenen), die politische Willensbildung, die Formung der öffentlichen Meinung, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit geht.150 Die Rechtsprechung des Reichsgerichts, die auch in „öffentlichen Angelegenheiten“ ein eigenes oder ihn nahe angehendes Interesse des Täters forderte, für die Presse und die anderen Massenmedien keine Ausnahme machte151 und nur die Anzeige strafbarer Handlungen oder von Beamtenverfehlungen bei der zuständigen Behörde für jedermann „freigab“, weil das Interesse an der Verwirklichung der Rechtsordnung und demgemäß an der Verfolgung solcher Handlungen jeden berühre,152 hat ihre Bedeutung verloren. 20 Massenmedien (etwa Rundfunk, Fernsehen und Film) nehmen keine Sonderstellung ein. Was sie im „Öffentlichkeitsbereich“ dürfen, darf jedermann (Weitnauer DB 1976 1413, 1415: „Ein Mensch kann unmöglich dadurch ein Mehr an Rechten erlangen, dass er in das Gewand eines Journalisten oder Verlegers schlüpft. Der Leserbrief in der Zeitung kann nicht mit anderen Maßstäben gemessen werden als ein vom Verfasser selbst vervielfältigter und in Umlauf gesetzter Rundbrief“).153 Dasselbe gilt für Publikatonen im Internet, etwa in den „sozialen Medien“. Das Bundesverfassungsgericht prädiziert dann und wann, dass die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede spreche, wenn ein „dazu Legitimierter“ einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage erbringe.154 Die Vermutung ist eine etwas mysteriöse Argumentationsfigur (Rdn. 7). Das Bundesverfassungsgericht ist der Ansicht, dass es für die Gewährleistung des Grundrechts der Meinungsfreiheit gleichgültig sei, ob eine Äußerung „wertvoll“ oder „wertlos“, „richtig“ oder „falsch“, „emotional“ oder „rational“
144 145 146 147 148 149 150
RGSt 63 229, 231; BayObLG NJW 1965 58; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Rogall SK Rdn. 15; Fischer Rdn. 11. Vgl. RGSt 30 42; OLG Hamm NJW 1987 1034, 1035; OLG Köln NJW 1979 1723; Rogall SK Rdn. 16; Fischer Rdn. 12. Rogall SK Rdn. 16. BGH bei Dallinger MDR 1955 270. BayObLGSt 1955 158 = NJW 1956 354. Frank Anm. III 2b; Welzel S. 321; differenzierend Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 13. Vgl. BVerfGE 12 113, 125; BGHSt 12 287, 293; 18 182, 187; BGHZ 31 308, 312; BayObLGSt 1961 47; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; Rogall SK Rdn. 17. 151 Vgl. RGSt 41 277, 285; 56 380, 383; 62 83, 93; 63 229, 231. 152 Vgl. RGSt 62 83, 93; 66 1. 153 BVerfGE 10 118, 121; 12 113, 125; BGHSt 18 182, 187; BGHZ 66 182, 187; Rogall SK Rdn. 18. 154 BVerfGE 7 198, 212; 61 1, 11. Hilgendorf
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VII. Äußerungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen
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begründet ist (vgl. auch Rdn. 14).155 Wir brauchen also nicht zu rätseln, welche Qualifikationen es sind, die den in besonderem Maße zur Meinungsäußerung Berufenen auszeichnen. Wenn die Presse und die anderen Massenmedien keine rechtliche, sondern nur eine faktische Sonderstellung auf dem Meinungsmarkt haben, dann kann es nicht darauf ankommen, ob eine Interessenwahrnehmung durch sie (genauer: durch den, der sich mit seiner Äußerung an das Publikum wendet) „im Rahmen ihrer öffentlichen Aufgabe“ liegt.156 Es kann sich nur darum handeln, ob berechtigte Informationsinteressen der Allgemeinheit wahrgenommen werden.157 Was in BVerfGE 20 174/175 zur öffentlichen Aufgabe der Presse gesagt ist, kennzeichnet den zentralen Bereich des Informationsinteresses. Es soll damit nicht abschließend umschrieben sein. Auch die Landespressegesetze stellen keine Beziehung zu § 193 in dem Sinne her, dass der Bereich des wahrnehmbaren Interesses und die öffentliche Aufgabe der Presse zur Deckung gebracht werden. In BVerfGE 34 269, 283 wird ausdrücklich klargestellt, dass die Pressefreiheit nicht auf die „seriöse“ Presse beschränkt ist.
4. Das situationsabhängige Risiko Ein berechtigtes Interesse, das der Täter wahrnehmen darf, gestattet den Angriff auf die Ehre 21 eines anderen nur, wenn ein zureichender Verdacht für das Vorliegen eines Mangels an Ehre besteht. Der Täter muss sorgfältig prüfen, ob er von einem solchen Verdacht ausgehen kann. Ihn trifft eine Informationspflicht.158 Erfüllt er diese, wird meist schon der Tatbestand einer üblen Nachrede nicht gegeben sein, vgl. § 186 Rdn. 2 ff, 12. Verhält er sich in der Verdachts(Wahrheits-)frage „leichtfertig“, ist sein Tun auch nicht gerechtfertigt.159 Es ist, wie schon in BayObLGSt 1956 13, 16 zutreffend ausgeführt wird, unrichtig, die These zu vertreten, „leichtfertig“ handele, wer von der Wahrheit eines Verdachts nicht überzeugt sei, sondern zweifele. Nicht in allen Fällen, in denen der Sachverhalt für den Täter ungewiss ist oder er sogar mit der Möglichkeit rechnen muss und rechnet, dass der Verdacht sich nicht bestätigt, kann von ihm verlangt werden, untätig zu bleiben, damit er nicht Gefahr laufe, fremde Ehre zu Unrecht herabzusetzen. Zum Eingehen dieses Risikos ermächtigt ihn § 193, wenn die Abwägung der widerstreitenden positiven und negativen Vorzugstendenzen für ein Handeln „hier und jetzt“ und für die Art und Weise der Kundgabe spricht.160 Daraus folgt: Die Sorgfalt, die der Täter in der Verdachts-(Wahrheits-)frage walten lassen muss (oder: die Höhe des Risikos, das er eingehen darf), ist situations- und konfliktsabhängig. Wer in definitiven Behauptungen einen schweren Vorwurf der Öffentlichkeit unterbreiten will, hat (wenn der Zeitfaktor keine Rolle spielt, keine Gefahr im Verzug ist) das Äußerste an Anstrengungen zu unternehmen, um das
155 BVerfGE 33 1, 14; 61 1, 7; 85 15; 90 241, 247; 93 266, 289; BVerfG NJW 2015 2022; NJW 2017 1460 f; NJW 2018 770.
156 AA BGHZ 31 308, 312; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Fischer Rdn. 33. 157 Vgl. BGHZ 24 200, 208; 39 124, 128; BGH JZ 1965 411, 413 mit Anm. Koebel; Rogall SK Rdn. 18; Sch/Schröder/ Eisele/Schittenhelm Rdn. 15. 158 Zunächst gänzlich, dann jedenfalls teilweise verkannt von LG Berlin MMR 2019 754, 755; BeckRS 2020 239 („Fall Künast“). Das Gericht meint in MMR 2019 754,755 gar, der in der Ehre Angegriffene müsse sich ein Falschzitat „zurechnen“ lassen, wenn es es sich dabei um eine denkbare (, aber keinesfalls naheliegende) Interpretation tatsächlich Gesagten handelt; abl. dazu auch Hufen JuS 2019 1130, 1131. 159 BVerfG NJW 2000 199; 200; NJW 2016 3360; BGHSt 14 48, 51; BGHZ 31 308, 313; BGH NJW 1966 647, 648; NJW 1977 1288, 1289; NJW 1986 2503, 2504; BayObLGSt 1956 13, 14; 1961 46, 48; LG Hildesheim NJW-RR 2004 1418, 1419: bei zivilrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Anwälten zählt der Blick in den Palandt zum Minimum an Sorgfalt; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 7 Rdn. 24; Geppert Jura 1985 25, 30 f; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 10; Lenckner GedS Noll 249; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 11; Fischer Rdn. 9. 160 BGHSt 3 73, 75; BGH NJW 1977 1288, 1289; Deutsch JZ 1967 95, 96; Hansen JuS 1974 104, 107. 697
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§ 193
Wahrnehmung berechtigter Interessen
Risiko auszuschalten. Für ihn wird gelten, dass er keinen Zweifel mehr haben dürfe.161 Aus der „Natur der Sache“ ergibt sich also, in welchem Ausmaß der Täter „sorgfältig zu prüfen“, sich „gewissenhaft zu erkundigen“162 hat, welchen „Mindestbestand an Beweistatsachen“ er „zusammentragen“ muss.163 Die Judikatur, die davon spricht, dass den Täter eine mehr oder weniger weit gehende Informationspflicht treffe und dass er rechtswidrig handele, wenn er „leichtfertig“, nur „auf haltlose Vermutungen hin“, beleidige, ist eine späte Frucht der Interpretation des Tatbestands der Wahrnehmung berechtigter Interessen. An Stelle der Informationspflicht fungierten zunächst andere Voraussetzungen, wie z.B. der gute, nicht mit Zweifeln behaftete Glaube.164 Dass es um die situations- und konfliktsadäquate Sorgfalt (um das nach der jeweiligen Sach22 lage erlaubte Risiko) geht, zeigt sich besonders bei der Anzeige von mit Strafe bedrohten Handlungen, von Dienstvergehen oder von Verstößen gegen Standesethik und Standesrecht. In der Tatsache, dass die Stelle angerufen wird, deren Aufgabe die Klärung des Sachverhalts ist (wozu der Anzeigende weder die Befugnis noch in der Regel vergleichbare Möglichkeiten hat), und in dem billigenswerten Ziel der Ermittlungen (Überführung eines Schuldigen oder Entkräftung des Verdachts) liegen Vorzugstendenzen für das Aufklärungsinteresse, die seine Wahrnehmung als gerechtfertigt erscheinen lassen, wenn für den Verdacht gewisse Anhaltspunkte gegeben sind, wenn er nicht jeder Grundlage entbehrt. Der Anzeigende braucht von der Berechtigung des Vorwurfs keineswegs überzeugt zu sein. Er darf allerdings nicht Tatsachen als gewiss behaupten, an deren Richtigkeit er zweifelt.165 Unter diesen Voraussetzungen liegt in der Mitteilung der Strafanzeige an einen Dritten keine strafbare Ehrverletzung.166 Was für Anzeigen gesagt wurde, gilt entsprechend für Petitionen nach Art. 17 GG. Sie lösen eine sachliche Prüfung aus. Auch im Übrigen sind auf ehrenrührige Behauptungen oder herabsetzende Werturteile in solchen Petitionen die Regeln des § 193 anzuwenden, wenn es um die Frage der Rechtfertigung aus Gründen der Interessenwahrnehmung geht.167 Art. 17 GG umschreibt nicht einen selbstständigen Rechtfertigungsgrund.168 Wer eine bereits gerichtlich oder von der zuständigen Stelle geprüfte und als unwahr festgestellte ehrenrührige Behauptung wiederholt, kann (wenn nicht wichtige Beweismittel unberücksichtigt geblieben sind) kaum mit einer Rechtfertigung seines Verhaltens rechnen. Er handelt zu riskant.169 Zum besonderen Fall, dass das frühere Verfahren wegen übler Nachrede betrieben wurde und in der Wahrheitsfrage mit einem non liquet endete, vgl. OLG Hamm NJW 1961 520. Mit dem Gesichtspunkt der überschrittenen Risikotoleranz lassen sich Querulantenreprisen erfassen. Denn dem Querulanten eignet die bona fides nicht weniger als der Angriffswille.170
161 Siehe auch BVerfGE 114 339, 353 f zur Behauptung, ein Ministerpräsident sei beim Staatssicherheitsdienst tätig gewesen. Ob sich diese Maßstäbe auf die Weiterverbreitung ehrverletzender Beiträge in sozialen Netzwerken („Fake News“) unbesehen übertragen lassen, bedarf der Diskussion. Für eine restriktive Tatbestandslösung de lege ferenda Hoven ZStW 129 (2017) 718, 725 ff. 162 BGHSt 14 48, 51. 163 BGH NJW 1977 1288, 1289; NJW-RR 2017 98, 103; ähnlich BVerfG NJW 2016 3360; vgl. außerdem OLG Hamburg ZIP 1992 117 zur Informationspflicht bei Berichten über inoffizielle „Stasimitarbeiter“; BGH NJW 1993 525 zur Prüfungspflicht bei einer betriebsinternen Warnung vor unlauteren Geschäftspartnern und OLG Dresden NJW 2004 1181 zur Informationspflicht bei Behördenauskünften. 164 Vgl. Graf zu Dohna JW 1930 1757 und 1930 2580. 165 Vgl. RGSt 29 54, 56; 62 83, 93; 66 1, 3; OLG Köln NJW 1997 1247 zur Aufklärungsanzeige; Sch/Schröder/Eisele/ Schittenhelm Rdn. 20; Fischer Rdn. 32; aA Koch NJW 2005 943, 945, wonach aufgrund der Wertentscheidung des § 164 eine fahrlässig falsche Strafanzeige bereits den Tatbestand des § 186 nicht verwirkliche. 166 AG Köln NJW-RR 2006 843 zur Bekanntgabe eines beabsichtigten Strafverfahrens gegen den eigenen Bevollmächtigten an die Haftpflichtversicherung der Gegenseite. 167 BGH bei Herlan GA 1959 338; OLG Düsseldorf NJW 1972 650, 652; OLG München NJW 1957 795. 168 OLG Düsseldorf NJW 1972 650, 651; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 21; aA Arndt NJW 1957 1073. 169 Vgl. BGH NJW 1966 647, 648; RG JW 1933 961 Nr. 16 mit Anm. Graf zu Dohna; BayObLGSt 1951 421. 170 Anm. Graf zu Dohna zu RG JW 1933 961 Nr. 16. Hilgendorf
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VII. Äußerungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen
§ 193
Information und Meinungsbeeinflussung müssen im Dienste der Wahrheit stehen. An „Ent- 23 hüllungen“, die falsch sind, besteht kein anerkennenswertes Interesse.171 Deshalb sind Presse, Rundfunk und Fernsehen zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung verpflichtet.172 Aber diese Aussage ist sogleich mit dem Zusatz „im Rahmen des Möglichen“ zu versehen.173 Die Methoden wissenschaftlicher oder gerichtlicher Wahrheitsermittlung kann die Presse (und für die anderen Massenmedien gilt Entsprechendes) auf Grund ihrer besonderen Arbeitsbedingungen in der Regel nicht praktizieren.174 Schon durch den Zwang, aktuell zu bleiben, sind ihre Mittel zur Ermittlung der Wahrheit verkürzt.175 Erforderlich ist „pressemäßige (berufsmäßige) Sorgfalt“, die Prüfung der Wahrheitsfrage mit „pressemäßigen Mitteln“.176 Erhöhten Informationsmöglichkeiten im Einzelfall entspricht – insbesondere im Vergleich zu den Recherchepflichten Privater – ein Mehr an Erkundigungspflicht.177 Die Schwere eines Vorwurfs und die Folgen seiner Verlautbarung in aller Öffentlichkeit müssen Anlass zu verstärkten Aufklärungsbemühungen sein. Gefahr im Verzug und der Zwang zur Aktualität sind risikofreundliche Faktoren. Im Bereich der Aufgabe, berechtigte Informationsinteressen wahrzunehmen und an der Bildung der öffentlichen Meinung mitzuwirken, kann es durchaus liegen, sogleich „auf einen Verdacht ehrenrühriger Vorgänge hinzuweisen, dem mit pressemäßigen Mitteln nicht rechtzeitig auf den Grund zu kommen ist, sofern der Mangel einer Bestätigung der Information der Leserschaft nicht vorenthalten wird“.178 In jedem Falle muss aber ein „Mindestbestand an Beweistatsachen“, die für die Richtigkeit einer Behauptung sprechen, „zusammengetragen“ sein.179 Mit pressemäßiger Sorgfalt ist es nicht zu vereinbaren, eine Mitteilung oder einen Bericht ohne Weiteres ungeprüft zu übernehmen.180 Auf die Richtigkeit von Behördenauskünften darf allerdings in der Regel vertraut werden.181 Nur den erwiesenermaßen unwahren Behauptungen kann die Rechtfertigung nach § 193 24 mit der Begründung versagt werden, der Täter habe sich in der Wahrheitsfrage leichtfertig verhalten. Das Merkmal der Leichtfertigkeit bezieht sich nicht auf die Erweislichkeit, sondern auf die Wahrheit einer Behauptung.182 Ist eine Behauptung möglicherweise wahr, kann dem Täter nicht vorgeworfen werden, er habe aus Mangel an Sorgfalt die Wahrheit verfehlt. Dass in Fällen des § 193 die Nichterweislichkeit der behaupteten ehrenrührigen Tatsache nicht zu Lasten des Täters gehen kann, ergibt sich auch aus folgender Überlegung: Wenn es nicht einmal dem Gericht gelingt, in der Wahrheitsfrage über ein non liquet hinauszukommen, kann dem Täter nicht der Vorwurf gemacht werden, dass er sich in einer für den „Erfolg“ (die Annahme einer Interessenkollision) ursächlichen Weise über seine Informationspflicht hinweggesetzt habe.183
171 Vgl. BGHZ 31 308, 318; BGH NJW 1974 1762; NJW 1975 1882, 1883; NJW 1986 2503, 2504. 172 BVerfGE 12 113, 130; BGHZ 31 308, 312 f; vgl. auch BGH JZ 1965 411, 413 mit Anm. Koebel; JZ 1967 94, 95 mit Anm. Deutsch; BGH NJW 1961 1913, 1914; NJW 1965 2395, 2396; NJW 1966 647, 648; NJW 1977 1288, 1289; NJW 1986 2503, 2504; OLG Düsseldorf NJW 1980 599 f; OLG Frankfurt NJW 1980 597, 598; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 11; Fischer Rdn. 33. 173 BVerfGE 12 113, 130. 174 Coing Ehrenschutz und Presserecht S. 27. 175 BGH NJW 1977 1288, 1289. 176 BGH NJW 1977 1288, 1289; OLG Frankfurt NJW 1980 597, 598; OLG Köln NJW 1963 1635; 1987 2682, 2683. 177 BVerfG NJW 2016 3360; BGH NJW-RR 2017 98 f. 178 BGH NJW 1977 1288, 1289; ähnlich BVerfG NJW 2016 3360; vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 1980 599, 600; OLG Köln NJW 1987 2682, 2683. 179 BGH NJW 1977 1288, 1289. 180 BGH NJW 1963 904; OLG Brandenburg NJW 1995 886, 888; zur Berufung auf privilegierte Quellen im Medienrecht, etwa Meldungen der dpa, Brost ZUM 2017 816. 181 BVerfG NJW-RR 2010 1195, 1197; BGH NJW 2014 2029, 2032; OLG Dresden NJW 2004 1181; Brost ZUM 2017 816, 819. 182 RGSt 63 92, 94; 66 1, 2; RG JW 1936 389 Nr. 21; vor allem BayObLGSt 1956 13, 14 f; OLG Celle NJW 1961 231. 183 In diese Richtung auch BVerfG NJW 2016 3360, 3361. 699
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§ 193
Wahrnehmung berechtigter Interessen
5. Die Angemessenheit der Interessenwahrnehmung 25 Der Angriff auf die Ehre eines anderen muss nach Inhalt, Form, begleitenden Umständen und nach seinen von diesen Faktoren abhängigen Auswirkungen das angemessene Mittel zur Wahrnehmung des verfolgten Interesses sein.184 Unangemessen sind ehrenrührige Äußerungen, die sich zur Interessenwahrnehmung nicht eignen oder die dazu nicht erforderlich (s. aber Rdn. 15 zum „Kampf ums Recht“) sind,185 herabsetzende Behauptungen, die den Sachverhalt verfälschen oder einseitig darstellen, die einen Verdacht als feststehendes Faktum erscheinen lassen oder die Umstände verschweigen, durch welche ein Verdacht entkräftet, erheblich abgeschwächt oder in Frage gestellt wird.186 Unangemessen sind Meinungsäußerungen, die reine Schmähungen, gehässige und böswillige Schmähkritik, der Hetze dienende Diffamierungen, pure Beschimpfungen oder aus anderen Gründen keine sachbezogenen Kundgaben, sondern lediglich „vorsätzliche Kränkungen“ sind (Rdn. 6).187 Wenn Schmähkritik vorliegt, ist der „Wertvorzug“ der persönlichen Ehre eindeutig (Rdn. 6 f); die Rechtsprechung hält eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für entbehrlich.188 Der Begriff der Schmähung ist deshalb eng auszulegen. In einer gängigen Formel der Rechtsprechung heißt es, dass sie nur dann vorliege, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Diffamierung der Person im „Vordergrund“ steht.189 Der Maßstab der Praxis ist allerdings besser getroffen, wenn darauf abgestellt wird, dass die persönliche Kränkung das sachliche Anliegen „völlig in den Hintergrund“ drängen muss.190 Der Spielraum, den die Judikatur dem Kritiker belässt, ist jedenfalls dort, wo es um „Beiträge zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage“ oder um die „Kritik staatlichen Handelns“ geht, groß. Das Bundesverfassungsgericht statuiert in diesem Bereich ein sehr klares Regel-Ausnahme-Prinzip, wonach Schmähkritik in der öffentlichen Auseinandersetzung kaum je anzunehmen ist.191 Das gilt zunächst für den Bereich der politischen Auseinandersetzung.192 Darüber hinaus steht aber auch die Kritik an staatlicher Machtausübung durch Exekutive oder Judikative unter besonderem Schutz der Meinungsfreiheit und soll deshalb in aller Regel nicht als Schmähkritik einzustufen sein. Bei der Bezeichnung von Soldaten als (potentielle) Mörder liegt eine nicht von 184 BVerfGE 12 113, 131; BGHZ 39 124, 129; Rogall SK Rdn. 25; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 9a; Fischer Rdn. 15.
185 BGH MDR 1956 735; OLG Köln NJW 1979 1723; RGSt 42 441, 443. 186 BVerfGE 114 339, 355; BGH NJW 1965 647, 648; NJW 1977 1288, 1289; NJW 2006 601, 603; OLG Düsseldorf NJW 1980 599 f; OLG Frankfurt NJW 1980 597, 598; OLG Köln NJW 1987 2682, 2683.
187 BVerfGE 42 163, 171; 61 1, 12; 82 272, 284; 85 1, 16; 93 266, 294; BVerfG ZUM-RD 2006 127, 128; BGH NJW 1974 1762, 1764; NJW 1978 1797, 1798; NJW 1982 2246, 2247.
188 BVerfG NJW 2009 749; NJW 2016 2870; NJW 2017 1460. Zuweilen wird diese Rechtsprechung dahingehend gedeutet, dass sich in ihr bereits eine Verneinung der Eröffnung des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit andeute, s. etwa Muckel JA 2016 797; Schwarz JA 2017 241, 242. 189 BVerfGE 82 272, 284; 93 266, 294; BVerfG NJW 2003 3760; NJW 2005 3274, 3274; NJW 2008 2424, 2425; NJW 2009 749, 750; ZUM 2013 793, 795; NJW 2019 2600, 2601; BayObLG NJW 2005 1291, 1292; KG NStZ 2005 693, 694; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2006 206; MMR 2006 553, 554; OLG Hamm NStZ-RR 2007 140, 141; NStZ 2008 631, 632; OLG Karlsruhe NJW 2005 612, 613; NStZ-RR 2006 173, 174; OLG Koblenz MMR 2008 54, 55; OLG Köln MMR 2009 265, 265; OLG München NJW 2016 2759. 190 BVerfG NJW 2009 3016, 3018; ZUM 2013 793, 795; NJW 2014 3357, 3358; OLG München NJW 2016 2759. 191 Siehe jetzt aber die „Klarstellung“ in BVerfG NJW 2020 2622; 2629, 2631; 2636; dazu Ladeur JZ 2020 943; Steinl/ Schemmel GA 2021 86 (88ff.); siehe auch Gafus ZIS 2021 265. 192 BVerfGE 93 266, 294; BVerfG NJW 2017 1460 mit abl. Anm. Hufen JuS 2017 899, 900 f und eher zust. Anm. Muckel JA 2017 475 (Bezeichnung des politischen Gegners als „Obergauleiter der SA-Horden“ keine Schmähkritik, da die Äußerung auch eine Versammlungsblockade durch den Betroffenen kommentierte); OLG Karlsruhe NJW 2005 612, 613; in der Sache zu weit gehend, aber jedenfalls in der Konsequenz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegend LG Berlin MMR 2019 754 mit zutr. abl. Anm. Hufen JuS 2019 1130, 1131; Ihwas FD-StrafR 2019 421509 („Fall Künast“; tlw. Selbstkorrektur durch LG Berlin BeckRS 2020 239); krit. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 15 f; Otto NJW 2006 575, 576 ff. Hilgendorf
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VII. Äußerungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen
§ 193
§ 193 oder Art. 5 Abs. 1 GG gerechtfertigte Schmähkritik nur dann vor, wenn dieser Äußerung ein über das moralische Meinen hinausgehender Tatsachenkern innewohnt, durch den eine bestimmbare Vielzahl von Personen als sittlich verachtenswert dargestellt wird.193 Die Verwendung der Akronyme „A.C.A.B.“ (für: „All Cops Are Bastards“) und „FCK CPS“ (für: „Fuck Cops“) in Fußballstadien und auf Demonstrationen wird sich regelmäßig jedenfalls auch als Kritik an staatlichen Repressionsmaßnahmen, zumindest aber als „allgemeine Ablehnung der Polizei“ und Ausdruck eines „Abgrenzungsbedürfnis[ses] gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht“ begreifen lassen und stellt, wenn nicht Besonderheiten des Einzelfalls hinzutreten, keine Schmähkritik dar.194 Über den Schutz von staatskritischen Äußerungen mit Gemeinschaftsbezug hinaus erstreckt sich der Vorrang der Meinungsfreiheit bei Äußerungen mit Öffentlichkeitsbezug in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch auf „kleinteilige Auseinandersetzungen zwischen Bürgern oder Bürger und Staat“.195 Insbesondere, wenn sich Staatskritik und „Kampf ums Recht“ vereinen, etwa bei der Kritik an staatsanwaltlichem oder richterlichem Handeln, lässt das Gericht sehr weiten Spielraum.196 Nur wenn tatsächliche Feststellungen dahingehend getroffen werden können, dass die ehrbeeinträchtigende Aussage unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten „von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes stand“, soll eine Einstufung als Schmähung gerechtfertigt sein.197 Das aber wird kaum je möglich sein, da sich für nahezu jede Beleidigung ein Anlass finden wird.198 Das Bundesverfassungsgericht selbst meint, dass Schmähkritik „eher auf die Privatfehde“ beschränkt bleibe.199 Seine Judikatur legt den Schluss nahe, dass sie schon dann ausgeschlossen ist, wenn ein Berufsträger, der öffentliche Aufgaben erfüllt, zumindest auch in seinem Anspruch auf Achtung des sozialen Geltungswerts getroffen wird.200 Bereits die rechtsfehlerhafte Einstufung einer Äußerung als Schmähkritik führt regelmäßig zur Aufhebung des 193 BVerfGE 93 266; BVerfG NJW 1994 2943. Teilweise wird vertreten, dass hier das durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinen überwiegt, s. Fischer Rdn. 22. Nach anderer Ansicht liegt eine unzulässige Schmähkritik vor, da Soldaten als Mörder diffamiert werden, s. BayObLG NJW 1991 1493, 1495; Herdegen NJW 1994 2933; Rogall SK Rdn. 31. 194 Deutlich gegen Schmähkritik, da von einem Abwägungserfordernis ausgehend, BVerfG NJW 2017 2607; zum staatskritischen Bedeutungsgehalt der Akronyme BVerfG NJW 2015 2022 mit Anm. Kretschmer JR 2015 442, 445 und Muckel JA 2015 797, 798; NJW 2016 2643; Ollech NStZ-RR 2016 278; Zöller ZJS 2013 102, 107; eingehend zum Ganzen Windhöfel GS Tröndle 1000. 195 Hufen JuS 2014 89; s. etwa auch OLG Bremen BeckRS 2018 31424 Rdn. 20. 196 BVerfG NJW 2009 3016 mit zust. Anm. Muckel JA 2010 672 („durchgeknallter Staatsanwalt“; zutr.); ZUM 2013 793, 795 (Verleihung eines „Denkzettels für strukturellen und systeminternen Rassismus“ an ein städtisches Rechtsamt und deren Sachbearbeiterin); NJW 2014 3357 mit krit. Anm. Hufen JuS 2015 283; Zaczyk NK Rdn. 33 f („schäbiges, rechtswidriges und eines Richters unwürdiges Verhalten“); NJW 2017 2606 mit Anm. Hufen JuS 2017 1232 (Vergleich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung mit dem „Musikantenstadl“); NJW 2019 2600 mit abl. Anm. Gostomzyk; Hufen JuS 2019 1130; Muckel JA 2019 796 (keine Schmähkritik durch Vergleich der richterlichen Verhandlungsführung mit nationalsozialistischen Sondergerichten und Hexenprozessen); s. in der Folge auch OLG München NJW 2016 2759 mit zust. Anm. Putzke; DVBl 2017 979 mit zust. Anm. Bünnigmann (keine Schmähkritik bei Vergleich des Handelns von Richtern mit dem Vorgehen des Präsidenten des NS-Volksgerichtshofs Freisler); aA Heuchemer NZWiSt 2018 131, 136 f. 197 BVerfG NJW 2016 2870, 2871 mit krit. Anm. Gostomzyk (Bezeichnung einer Staatsanwältin ua als „widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin“, „geisteskranke Staatsanwältin“ mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen zum Verwendungskontext keine Schmähkritik); anhand dieser Maßstäbe und unter Berücksichtigung des zugrundeliegenden Sachverhalts ist die vom OLG Bremen in BeckRS 2013 11359 vorgenommene Einstufung des gegenüber einem Richter geäußerten Vorwurfs, er vertrete Auffassungen, die zuletzt in den Nürnberger Rassegesetzen vertreten worden seien, als Schmähkritik kaum haltbar. 198 Gostomzyk NJW 2016 2871, 2872; mögliche Folge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: LG Berlin MMR 2019 754 mit zutr. abl. Anm. Hufen JuS 2019 1130, 1131; Ihwas FD-StrafR 2019 421509 („Fall Künast“; tlw. Selbstkorrektur durch LG Berlin BeckRS 2020 239); in diese Richtung auch Muckel JA 2020 155, 157. 199 BVerfG NJW 2013 3021; ZUM 2013 793, 795; NJW 2014 3357, 3358; NJW 2016 2870, 2871; NJW 2017 1460. 200 In diese Richtung Steinbach DVBl 2013 1383; Andeutungen auch bei BVerfG NJW 2009 3016, 3019; kritisch zu einer solchen Differenzierung Hufen JuS 2014 89, 90. 701
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§ 193
Wahrnehmung berechtigter Interessen
Urteils, da der Schutzgehalt der Meinungsfreiheit mangels umfassender Interessenabwägung verkürzt wird.201 Angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist den Instanzgerichten deshalb bei Äußerungen, die in einem – wenn auch vagen – Zusammenhang mit der Ausübung öffentlicher Gewalt stehen, regelmäßig von der Verwendung des Begriffs der „Schmähkritik“ abzuraten.202 Damit ist das Pendel indes noch nicht zugunsten der Meinungsfreiheit des Äußernden ausgeschlagen. Es müssen dann die Vorzugstendenzen positiver und negativer Art unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls gewichtet werden (s. Rdn. 7).203 Auch dabei soll indes, da es zum Kernbereich der Meinungsfreiheit gehört, staatliche Maßnahmen ohne Furcht vor Sanktionen kritisieren zu können, das Gewicht der Meinungsfreiheit bei Kritik an staatlichem Handeln besonders hoch zu veranschlagen sein (s. auch Rdn. 6, 15).204 Bei Äußerungen gegenüber Richtern sei dabei zu berücksichtigen, dass sie „schon von Berufs wegen in der Lage und auch gehalten“ sind, überpointierte Kritik an ihrer Arbeit beim „Kampf um das Recht“ auszuhalten.205 Im Allgemeinen gilt: Je gewichtiger die fragliche Angelegenheit für die Öffentlichkeit ist, desto eher überwiegt der Schutz der freien Meinungsäußerung.206 Wenn sie „nicht offensichtlich abwegig ist“, darf der Täter in abwertenden Urteilen seine Grundeinstellung und Grundanschauung nachdrücklich zur Geltung bringen, Angriffe auf sie, die er als unangemessen oder anstößig empfinden konnte, mit Schärfe abwehren.207 Gleiches gilt für andere reaktive Verknüpfungen, insbesondere für den „Gegenschlag“ (Rdn. 7).208 Die ehrenrührige Kritik desjenigen, der einen Beitrag zum geistigen (politischen) Meinungsstreit liefert, darf unsachlich, falsch, ungerecht, polemisch, banal, geschmacklos, übertreibend, schrill im Ton, ironisch-spöttisch, reißerisch, auf Blickfang bedacht, schonungslos, ausfällig sein, sie darf sich einprägsamer, starker Redewendungen bedienen, der Reizüberflutung durch plakative Formulierungen Rechnung tragen; in Wahrnehmung und Akzentuierung eines nicht völlig unsachlichen Standpunkts darf sich der Täter auch in der Wahl seiner Worte vergreifen.209 „Jedes Maß an Sachlichkeit“ darf er allerdings nicht vermissen lassen, „subjektiv weit über26 zogene abwegige Beurteilungen“, „offenkundige Wertungsexzesse“ werden weder nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG noch nach § 193 gerechtfertigt.210 Es ist nicht erforderlich, dass den Kundgabeempfängern Tatsachen mitgeteilt werden, die es ihnen ermöglichen, sich mit den Wertungen 201 BVerfG NJW 2009 749; NJW 2009 3016 mit zust. Anm. Muckel JA 2010 672; NJW 2013 3021; ZUM 2013 793, 795; NJW 2017 1460, 1461. 202 Gostomzyk NJW 2016 2871, 2872; in der Sache zu weit gehend, aber wohl in der Konsequenz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegend ist die Ablehnung von Schmähkritik bei LG Berlin MMR 2019 754 mit zutr. Anm. Hufen JuS 2019 1130, 1131; Ihwas FD-StrafR 2019 421509 („Fall Künast“; tlw. Selbstkorrektur durch LG Berlin BeckRS 2020 239). 203 Vollends verkannt von LG Berlin MMR 2019 754, 755 mit zutr. abl. Anm. Hufen JuS 2019 1130, 1131; Ihwas FDStrafR 2019 421509; tlw. Selbstkorrektur durch LG Berlin BeckRS 2020 239 („Fall Künast“); abl. auch Sajuntz NJW 2020 583: „äußerungsrechtlicher Black-Out“. 204 BVerfG ZUM 2013 793, 796 mit abl. Anm. Ladeur ZUM 2013 796, 797; s. aber auch die äußerst knapp gehaltene Verwerfung einer Rechtfertigung über § 193 bei BGH NJW 2009 2690; dazu Gaede FS I. Roxin 569. 205 OLG München NJW 2016 2759, 2760 mit zust. Anm. Putzke; DVBl 2017 979, 980 mit zust. Anm. Bünnigmann. 206 BGH NJW 1994 124, 126 f; OLG Frankfurt NJW 1989 1367, 1368; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 16. 207 BGHZ 45 296, 308; BGH NJW 1971 1655, 1657; NJW 1974 1762, 1763; BayObLGSt 1961 46, 48; 1963 174, 178; OLG Hamm NJW 1982 1656, 1658; OLG Köln NJW 1977 398. 208 BGH NJW 1974 1762, 1763; NJW 1978 1797, 1801; RGZ 140 392, 398 f; BayObLG NStZ 2005 215, 216; OLG Hamm NJW 1982 661; NJW 1982 1656, 1657. 209 BVerfGE 12 113, 131; 24 278, 286; 42 143, 151; 42 163, 171; 54 129, 139; 61 1, 9; 93 266, 289; BVerfG NJW 1992 2815, 2816; NJW 2003 3760; ZUM 2013 793, 795; NJW 2016 2870, 2871; BGH NJW 1974 1762, 1763; NJW 1978 1797, 1801; NJW 1994 124, 126; NJW 2019 2600; BayObLG NStZ 1983 265; NStZ 2005 215, 216; OLG Brandenburg NJW 1995 886, 887; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; OLG Hamm NJW 1982 1656, 1658; OLG Koblenz NJW 1978 1816, 1817; OLG Köln NJW 1977 398, 399; KG StV 1997 485, 486; NStZ-RR 1998 13; OLG München NJW 2016 2759. 210 BayObLG NStZ 1983 265, 266; vgl. auch BGH NJW 1974 1762, 1763; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; OLG Hamm NJW 1982 659, 661. Hilgendorf
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des Täters kritisch zu befassen. Meinung darf auch haben und äußern, wer die Meinungsadressaten im Unklaren über die faktischen Grundlagen seines Dafürhaltens lässt.211 Immerhin kann der Verzicht auf die Angabe von „Bezugspunkten“ ein Anzeichen für Diffamierungsabsicht des Kritikers sein.212 Auch droht ihm, wenn er zur Substantiierung außerstande ist, im zivilen Rechtsstreit der Prozessverlust.213 Für das Resultat besagt das Kriterium der Angemessenheit, dass die dem Betroffenen abverlangte Einschränkung des Schutzes seiner Ehre in einem (noch) vertretbaren Verhältnis zum Gewinn an Wertverwirklichung für die vom Täter verfolgten Interessen stehen muss.214 Die Frage nach diesem Verhältnis spielt eine Rolle, wenn sich der Täter mit seinen Behauptungen über die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK) hinwegsetzt.215 In Zusammenfassung der Gesichtspunkte, auf welche die Rechtsprechung abstellt (Rdn. 25, 27 26) und in Stellungnahme dazu lässt sich sagen: Ehrenrührige Tatsachenbehauptungen geben zu Wertungen Anlass. Wer darlegt, was sie implizit enthalten, greift die Ehre nicht stärker an als derjenige, der sich auf die Fakten beschränkt (§ 185 Rdn. 5). Wertungen muss ein Spielraum eingeräumt werden. Formulierungen, die diesen Spielraum umschreiben,216 führen dem Richter vor Augen, dass sich auch bei den Rechtfertigungsgründen der freien Meinungsäußerung und der Wahrnehmung berechtigter Interessen das Übermaßverbot auswirkt.217 Auf dieses Verbot sollte auch und gerade bei der Beurteilung ehrenrühriger Äußerungen, die im politischen Meinungskampf fallen, stärker Bedacht genommen werden. Bei Tatsachenbehauptungen steht die Sorgfalt in der Wahrheitsfrage (Rdn. 21 bis 24) im Vordergrund. Unangemessen ist die Verfälschung von Fakten (durch einseitige Auswahl, entstellende Akzentuierung oder Anreicherung) und das sinnentstellende Zitieren.218 Eine Wertung, die sich auf manipulierte Tatsachen stützt, ist nicht vertretbar. Der Bereich der nicht rechtswidrigen tadelnden Urteile ist größer als es der Wortlaut des § 193 andeutet (Rdn. 13, 14). In diesem Bereich bedarf es keiner Abwägung. Die Grenze liegt bei der Formalbeleidigung. Dort liegt sie aber stets. Der Gesichtspunkt der öffentlichen Meinungsbildung gewährt kein „publizistisches Verunglimpfungsrecht auf Gegenseitigkeit“.219 Die reaktive Verknüpfung (Rdn. 7) erwächst aus dem gemeinsamen Bezug auf die Sache,220 nicht aus der Anwendung der Maxime „wie du mir, so ich dir“. Sie hat ihren Platz in der Kompensation. Die „Flucht in die Öffentlichkeit“ in Angelegenheiten, für die nicht von vornherein ein be- 28 rechtigtes Informationsinteresse der Allgemeinheit besteht (im Falle OLG Braunschweig MDR 1948 186 war es bereits vorhanden), kommt in Ausnahmefällen in Betracht, z.B. dann, wenn Vorstellungen bei der zuständigen Behörde erfolglos geblieben sind oder von vornherein als nutzlos erscheinen.221 Die Information eines beliebigen Dritten kann in aller Regel nicht gebilligt werden.222 Wer ein berechtigtes privates Informationsinteresse hat, darf aber informiert werden. 211 212 213 214 215
BVerfGE 42 163, 170; BGH NJW 1974 1762, 1763; OLG Hamm NJW 1982 659, 661. BGH NJW 1974 1762, 1764. BGH NJW 1974 1710, 1711; NJW 1974 1762, 1764. BGH NJW 1977 1288, 1289; NJW 1978 1797, 1801. OLG Köln NJW 1987 2682, 2684; vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1980 597, 598 f; OLG Brandenburg NJW 1995 886; OLG Dresden NJW 2004 1181, 1182. 216 BGH NJW 1979 266, 267: Nur das Recht zur freien Meinungsäußerung ist geschützt, nicht ein Recht zu „freier“, nämlich bloß subjektiv für richtig gehaltener Meinungsmissdeutung; BGH NJW 1974 1762, 1763: Auch ein „Recht zum Gegenschlag“ gibt keinen Freibrief für polemische Ausfälle, die jedes Maß vermissen lassen; BayObLG NStZ 1983 265, 266: § 193 deckt nicht subjektiv weit überzogene Beurteilungen; OLG Hamm NJW 1982 659, 661: Weder Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG noch § 193 rechtfertigen offenkundige Wertungsexzesse. Vgl. auch BayObLGSt 1963 174, 177; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; LG Kaiserslautern NJW 1989 1369, 1371; LG Nürnberg-Fürth NJW 1998 3423 f. 217 OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354. 218 BVerfGE 54 208 ff; BGH NJW 1978 1797 ff; Stoll Jura 1981 135 ff. 219 Maurach BT § 19 II C 3b. 220 OLG Köln NJW 1977 398. 221 Vgl. BGHSt 18 182, 186; RGSt 15 15, 19; Rogall SK Rdn. 26; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 10. 222 RGSt 59 172, 173. 703
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Es ist gleichgültig, ob er die Information einholt oder ob der Täter von sich aus Mitteilung macht.223 Diese Ausnahme vom Grundsatz der Täterrelevanz des verfolgten Interesses ist aus zwei Gründen berechtigt: Wer nur informiert, überlässt das Weitere und Entscheidende dem Träger des Interesses. Das berechtigte Informationsinteresse des Einzelnen verdient nicht weniger Anerkennung als das der Allgemeinheit. Auch das berechtigte Informationsinteresse von Interessenverbänden darf erfüllt werden. Im Einzelfall bedarf es allerdings sehr kritischer Prüfung, ob es berechtigt ist.224 Wenn die Presse dem Informationsinteresse der Allgemeinheit genügen kann, ohne dass 29 sie denjenigen, über den ehrenrührige Fakten verbreitet werden, eindeutig oder erkennbar individualisiert, dann überschreitet die Namensnennung, die Abbildung225 oder die Individualisierung auf andere Weise die Angemessenheit.226 Auch an der Individualisierung – oder gerade an ihr227 – muss ein berechtigtes Informationsinteresse bestehen. Das gilt auch für die Gerichtsberichterstattung. Die Schwere oder Motivation228 der Tat, das Aufsehen, das sie hervorrief, die Öffentlichkeitssphäre, in welcher ein Angeklagter steht, können dieses Interesse begründen.229 Die Art der Anschuldigung, der Grad der Unsicherheit über den Verfahrensausgang, Gesichtspunkte der Resozialisierung (insbesondere bei Jugendlichen230 und Ersttätern) können entgegenstehen.231 Die Namensnennung im Rahmen der Verdachtsberichterstattung im Ermittlungsverfahren ist nur zulässig, wenn ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt, die Darstellung keine Vorverurteilung des Beschuldigten enthält und eine Stellungnahme des Beschuldigten eingeholt wurde.232 Generell gilt, dass nicht ohne Weiteres aus dem Interesse an der Unterrichtung über bestimmte Vorgänge ein berechtigtes Interesse an der Individualisierung von Personen folgt, die daran beteiligt waren oder davon betroffen sind.233
6. Der vom Täter verfolgte Zweck 30 Nach h.M. muss die Wahrnehmung berechtigter Interessen der vom Täter verfolgte Zweck seines Handelns sein.234 Dieser Auffassung wird entgegengehalten, dass es auch in Fällen des § 193 genügen müsse, wenn der Täter in Kenntnis der rechtfertigenden Sachlage handle. Das Prinzip des erlaubten Risikos begründe zwar eine besondere Pflicht zur Prüfung der Wahrheitsfrage (vgl. Rdn. 3, 21 bis 23), beschränke aber die Interessenwahrnehmung nicht auf absichtliches Handeln.235 Auch nach h.M. wird durch eine Motivbündelung (damit ist gemeint, dass für den Täter auch nicht anerkennenswerte Interessen oder verwerfliche Beweggründe wie Hass, Rache,
223 224 225 226
BayObLGSt 1953 109 f. Vgl. OLG Köln NJW 1958 802. OLG Köln NJW 1987 2682, 2684. BGH JZ 1965 411, 413 mit Anm. Koebel; OLG Frankfurt NJW 1980 597, 598; Rogall SK Rdn. 26; Sch/Schröder/ Eisele/Schittenhelm Rdn. 10; Fischer Rdn. 34a. 227 Vgl. BGHSt 19 235, 238. 228 OLG Rostock (Z) vom 25.3.2009, Az. 2 W 10/09, bejaht das Interesse an einer Namensnennung eines Angeklagten bei extremistisch motivierten Straftaten. 229 BVerfG NJW 2009 3357. 230 Allerdings ist es zulässig, trotz Strafunmündigkeit des Jugendlichen im Tatzeitpunkt bei seinen Handlungen von „Straftaten“ zu sprechen, KG NJW-RR 2004 843, 844. 231 Vgl. BGH NJW 1963 904; OLG Nürnberg NJW 1996 530. 232 BGH NJW 2000 1036 f m.w.N.; LG Berlin AfP 2008 216, 217; zur Zulässigkeit der Verdachtsberichtserstattung durch die Justizbehörden Gounalakis NJW 2012 1473; Lehr NJW 2013 728. 233 BGH JZ 1965 411, 413; Koebel JZ 1966 389. 234 BGHSt 18 182, 186; BGH bei Dallinger MDR 1953 401; Zaczyk NK Rdn. 46; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 478. 235 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9; Roxin/Greco AT I § 18 Rdn. 48; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 23. Hilgendorf
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Wille zur Schädigung mitbestimmend waren) die Rechtfertigung nicht ausgeschlossen.236 Sie entfällt aber, wenn für den Täter der Zweck der Wahrnehmung berechtigter Interessen überhaupt keine Rolle gespielt hat.237 Eine dritte Ansicht stellt das Erfordernis des subjektiven Rechtfertigungselements der auf Wahrnehmung berechtigter Interessen gerichteten Intention zwar nicht allgemein, aber doch für den Bereich des Informationsinteresses der Allgemeinheit in Frage. Entscheidend müsse sein, ob ein solches Interesse vorhanden gewesen sei und ob der Täter es in angemessener Weise wahrgenommen habe. Auf seine Absicht komme es nicht an. Halte man an ihr als einem subjektiven Tatbestandsmerkmal fest, dann führe das möglicherweise (bei der „seriösen“ Presse) zu positiven oder (bei der „Skandalpresse“) zu negativen, vereinfachenden Unterstellungen.238 Für das subjektive Rechtfertigungselement sprechen die besseren Gründe. Konstruktive Zwecke sind auf Dauer nur die, welche in den Mitteln präexistent sind. Das gilt auch für die Zwecke der Meinungsformung und der Information. Sie können nur präexistent sein, wenn der Täter sie verwirklichen will. Ehrenrührige Äußerungen, die nur bei Gelegenheit einer Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, weisen weder einen objektiven noch einen subjektiven Bezug zum Rechtfertigungsgrund auf.239
7. Irrtümer des Täters Nimmt der Täter irrtümlich die Voraussetzungen deskriptiver oder normativer Merkmale des 31 Rechtfertigungsgrunds der Wahrnehmung berechtigter Interessen an, liegt nach der eingeschränkten Schuldtheorie ein Erlaubnistatbestandsirrtum vor, der zwar den Vorsatz als Tatbestandsvorsatz unberührt lässt, aber den Vorsatz als Schuldform ausschließt.240 Durch einen Irrtum kann ein Erlaubnistatbestand nicht über seine Grenzen hinaus ausgedehnt werden. Auf Grund seiner Vorstellungen kommt der Täter zu der Annahme, er nehme als Berechtigter ein berechtigtes und überwiegendes Interesse angemessen wahr. Trifft diese Annahme auf der Basis des Vorgestellten zu, bleibt das Rechtfertigungsbewusstsein innerhalb des Erlaubnistatbestands. Ein Irrtum in den Vorstellungen führt zum Erlaubnistatbestandsirrtum. Trifft die Annahme auf der Basis des Vorgestellten nicht zu, liegt ein Subsumtionsirrtum vor, der in aller Regel einen Verbotsirrtum bewirken wird.241 Das bedeutet: Wenn sich der Täter über die Sachlage ein zutreffendes Bild macht, aber irrtümlich annimmt, sie rechtfertige seine ehrenrührige Tatsachenbehandlung oder sein ehrenrühriges Werturteil (hier und jetzt und in der Art der Kundgabe), dann wertet er falsch. Er befindet sich im Subsumtions-(Verbots-)irrtum. Er kann sich z.B. über die Erforderlichkeit oder die Eignung seiner Äußerung zur Wahrnehmung berechtigter Interessen irren, er kann ein nur vermeintliches Interesse verfolgen242 oder er kann einen Wertungsexzess begehen, also nicht im Rahmen dessen bleiben, was angemessen ist.243 Irrt der Täter über deskriptive oder normative Tatumstände (über die „Sachlage“) und entnimmt er den vorgestellten Umständen die Berechtigung zum Handeln, dann befindet er sich im Erlaubnistatbestandsirrtum, wenn die Berechtigung zu bejahen wäre, falls die Vorstellungen der Realität entsprächen. Ein Erlaubnistatbestandsirrtum darf aber, wenn er zur Straflosigkeit des Täters
236 Z.B. BGH NStZ 1987 554; RGSt 61 401; BayObLGSt 1956 13; OLG Köln NJW 1997 1247; OLG Hamburg JR 1952 203.
237 238 239 240 241 242 243 705
BGHSt 18 182, 187; BGHZ 39 124, 128; BGH NJW 1977 1288, 1289; RGSt 36 422, 423; 61 401. Dagtoglou DÖV 1963 636. RGSt 29 54, 57; BayObLGSt 1962 48, 50; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 23. Herdegen FS BGH 195, 206 ff; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 24. Herdegen FS BGH 195, 206 ff. Vgl. RGSt 25 355, 357. OLG Hamm NJW 1982 659, 661. Hilgendorf
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Wahrnehmung berechtigter Interessen
führen soll, nicht darauf zurückzuführen sein, dass der Täter sorgfaltswidrig zur Klärung der Wahrheitsfrage zu wenig oder nicht das Gebotene getan hat.244
VIII. Rügen, dienstliche Anzeigen, ähnliche Fälle 32 „Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten“ haben ihren Platz vor allem in (beamten)rechtlich geregelten Verhältnissen der Über- und Unterordnung. Zu den „ähnlichen Fällen“, die unter dem Vorhalte- und Rügeaspekt Bedeutung erlangen können, gehören der Tadel und die Ermahnung des Lehrherrn und des Lehrers, vgl. auch Rdn. 1. Bei den „dienstlichen Anzeigen oder Urteilen eines Beamten“ handelt es sich um Erklärungen, die er gemäß einer von ihm wahrzunehmenden öffentlich-rechtlichen Pflicht abgibt.245 Mit der Erwähnung der „ähnlichen Fälle“ ermächtigt das Gesetz zur analogen Anwendung der einzelnen Kategorien des § 193. Beispiele sind in Rdn. 14 und 16 genannt.
IX. Formalbeleidigung 33 Eine Formalbeleidigung im Sinne von § 193 liegt nicht vor, wenn eine Beleidigung bei Gelegenheit einer Interessenwahrnehmung begangen wird.246 Eine solche Beleidigung wird unmittelbar von § 185 erfasst. Mit den Schlussworten des § 193 ist ein für eine angemessene Interessenwahrnehmung nicht erforderliches Plus an Herabsetzung gemeint, das sich aus der Form (der Ausdrucksweise, nicht dem sachlichen Gehalt einer Äußerung, dem „Gewand, in das sie gekleidet wurde“) oder den begleitenden (situativen, temporalen, lokalen, personalen) Umständen247 ergibt. Es kann sein, dass die überschießende negative Wertung nur für einen Teil von dem, was der Täter sagt, gilt.248 Der Richter muss erörtern, wie der Täter (von seinem Standpunkt aus) das, was er zur Interessenwahrnehmung sagen wollte und sagen durfte, in der ihm zu Gebote stehenden Redeweise ohne inhaltliche Einbuße hätte ausdrücken sollen und ausdrücken können.249 Von einer Formalbeleidigung kann nicht gesprochen werden, wenn die Ausdrucksweise für den Sinngehalt der Äußerung notwendig ist, wenn der zu äußernde Gedanke eine „Einkleidung“ findet, ohne welche er nicht so vermittelt wird, wie er vermittelt werden soll. Die nicht unangemessene Wertung ehrenrühriger Tatsachen enthält kein exzessives Mehr an Ehrherabsetzung, sondern erst der Wertungsexzess.250 Es kann auf Grund der die rechtliche Würdigung bestimmenden Umstände des Falles nicht zu beanstanden sein, dass der Täter den Angegriffenen einen „Kurpfuscher“ nennt,251 dass ein Politiker als „zwiespältiger Charakter“ bezeichnet252 oder eine Wochenschrift als „eine Gattung von Publizistik, die auf dem Gebiet der Politik das ist, was die Pornographie auf dem Gebiet der Moral“,253 abgestempelt wird. Der politische Tageskampf und der Vorgang der Bildung der öffentlichen Meinung kommen ohne überspitzte, scharfe, schlagwortartige Formulierung nicht aus (vgl. Rdn. 25 bis 27). Die noch zulässige Niveauhöhe 244 BayObLGSt 1961 46, 48; OLG Hamm NJW 1987 1034, 1035; Geppert Jura 1985 25, 30; Schaffstein NJW 1951 691, 692; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 10; aA Zaczyk NK Rdn. 47. BayObLG 20 46, 48. Vgl. RGSt 29 54, 57; 33 50, 53. Vgl. RGSt 21 157, 158 f; 34 80; 40 317, 318; 44 111, 113; RG HRR 1941 164; BayObLGSt 1961 46, 49. RGSt 21 254; RG DJ 1936 1269. BGHZ 70 1, 5 f; RGSt 40 317, 318; 44 111, 114; RG HRR 1941 164; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; Herdegen Anm. zu BGHZ 70 1 in LM DRiG Nr. 15 zu § 26. 250 Vgl. BayObLG NStZ 1983 126, 127; NStZ 1983 265, 266; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; OLG Hamm NJW 1982 659, 661. 251 RG JW 1933 2045. 252 BGHSt 12 287, 293. 253 BVerfGE 12 113, 118, 132.
245 246 247 248 249
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X. Beteiligung mehrerer
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lässt sich nicht exakt bestimmen. Das verwerfliche Werturteil lebt vor allem von der Verzerrung der Tatsachen. Ihrer Enthüllung muss in erster Linie die Aufmerksamkeit des Richters gelten. Für Fälle der einfachen Beleidigung durch Werturteil (§ 185) spielen die den Tatbestand der Formalbeleidigung umschreibenden Schlussworte des § 193 keine Rolle. Eine einfache Beleidigung, die als Akt der Wahrnehmung berechtigter Interessen anzusehen ist, kann keine Formalbeleidigung mehr sein.254 Gesichtspunkte, die für eine Formalbeleidigung in Betracht kommen, können allerdings verhindern, dass eine einfache Beleidigung als Akt der Wahrnehmung berechtigter Interessen, als erlaubtes „tadelndes Urteil“ oder als bloße „Rüge“ eines Vorgesetzten akzeptiert werden kann. Es liegen dann die Voraussetzungen des § 193 schon an sich nicht vor.255 Im Falle einer Formalbeleidigung i.S.v. § 193 kommt nur Bestrafung nach § 185 in Betracht. Denn lediglich diese Beleidigung, das Plus an Ehrherabsetzung, ist strafbar.256 Hingewiesen wird auf § 192 Rdn. 1 bis 6. Das dort Gesagte gilt auch hier.
X. Beteiligung mehrerer Ist eine Beleidigung nach § 193 gerechtfertigt, so ist strafbare Teilnahme an ihr ausgeschlossen. 34 Es fehlt an einer Haupttat.257 Im Falle mittelbarer Täterschaft258 kommt es darauf an, ob die nach § 193 rechtfertigenden Voraussetzungen beim Täter vorliegen. Bei mehreren Tätern kann die Frage rechtmäßigen Handelns verschieden zu beantworten sein.259
254 255 256 257 258 259 707
Vgl. OLG Hamm GA 1974 62, 63. Graul NStZ 1991 457, 461; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 26. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 26; Fischer Rdn. 43; aA Zaczyk NK Rdn. 49; RG JW 1936 3461 Nr. 31. RGSt 64 23, 24; BayObLGSt 1962 93, 94. Vgl. RGSt 64 23, 24; OLG Celle NJW 1961 231. Vgl. RGSt 64 134, 135; BayObLGSt 1962 93, 94. Hilgendorf
§ 194 Strafantrag 1 Die Beleidigung wird nur auf Antrag verfolgt. 2Ist die Tat in einer Versammlung oder dadurch begangen, dass ein Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, so ist ein Antrag nicht erforderlich, wenn der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Beleidigung mit dieser Verfolgung zusammenhängt. 3In den Fällen der §§ 188 und 192a wird die Tat auch dann verfolgt, wenn die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. 4Die Taten nach den Sätzen 2 und 3 können jedoch nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn der Verletzte widerspricht. 5Der Widerspruch kann nicht zurückgenommen werden. 6Stirbt der Verletzte, so gehen das Antragsrecht und das Widerspruchsrecht auf die in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen über. (2) 1Ist das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, so steht das Antragsrecht den in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen zu. 2Ist die Tat in einer Versammlung oder dadurch begangen, dass ein Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, so ist ein Antrag nicht erforderlich, wenn der Verstorbene sein Leben als Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verloren hat und die Verunglimpfung damit zusammenhängt. 3Die Tat kann jedoch nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn ein Antragsberechtigter der Verfolgung widerspricht. 4Der Widerspruch kann nicht zurückgenommen werden. (3) 1Ist die Beleidigung gegen einen Amtsträger, einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einen Soldaten der Bundeswehr während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begangen, so wird sie auch auf Antrag des Dienstvorgesetzten verfolgt. 2Richtet sich die Tat gegen eine Behörde oder eine sonstige Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, so wird sie auf Antrag des Behördenleiters oder des Leiters der aufsichtführenden Behörde verfolgt. 3Dasselbe gilt für Träger von Ämtern und für Behörden der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts. (4) Richtet sich die Tat gegen ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes oder eine andere politische Körperschaft im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so wird sie nur mit Ermächtigung der betroffenen Körperschaft verfolgt.
(1)
Schrifttum Bertram Noch einmal: Die „Auschwitzlüge“ (usw.), NJW 1994 2397; Biletzki „Beamtenbeleidigung“ und ihre Folgen. Die Fürsorgepflicht als Schranke des Strafantragsrechts des Dienstvorgesetzten, ZBR 2007 151; Fischer Sind Behörden beleidigungsfähig? JZ 1990 68; Köhler Zur Frage der Strafbarkeit des Leugnens von Völkermordtaten, NJW 1985 2389; Ostendorf Die strafrechtliche Verfolgung der „Auschwitzlüge“, NJW 1985 1062; Vogelsang Die Neuregelung der sog. „Auschwitzlüge“. Beitrag zur Bewältigung der Vergangenheit oder „widerliche Aufrechnung“? NJW 1985 2386; Wehinger Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung (1994). Weitere Angaben bei §§ 130, 131.
Übersicht I.
Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte
II.
Strafantrag
1
III.
Strafverfolgung von Amts wegen in Fällen des Absatzes 1 Satz 2, 3 4
2
Hilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-044
708
§ 194
I. Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte
IV.
Strafverfolgung von Amts wegen in Fällen des 10 Absatzes 2 Satz 2
V.
Strafantrag des Dienstvorgesetzten
11
VI.
Beleidigung einer Behörde
13
VII. Beleidigung einer politischen Körper14 schaft
I. Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte Die Delikte des 14. Abschnitts (§§ 185–189, 192a) werden grds. nur auf Strafantrag verfolgt; es 1 handelt sich dabei um eine Prozessvoraussetzung.1 § 194 enthielt dementsprechend ursprünglich nur zwei Sätze: „Die Verfolgung einer Beleidigung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrags … ist zulässig.“ Durch Art. 19 Nr. 82 EGStGB wurde die Vorschrift erweitert, die Materie, die Gegenstand des § 189 Abs. 2 und Abs. 3 und der §§ 196, 197 war (Bestimmungen, die durch Art. 19 Nr. 79 und Nr. 83 EGStGB gestrichen oder aufgehoben wurden), ist einbezogen worden. Seine jetzige Fassung hat § 194 durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – [...] Verbesserung der Bekämpfung verhetzender Inhalte vom 14.9.2021 (BGBl. I S. 4250) erhalten. Der Gesetzgeber hat in Abs. 1 Satz 2, 4 und 5 und in Abs. 2 Satz 2 bis 4 eine Regelung getroffen, die es ermöglichen soll, „dem Leugnen des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft begangenen Unrechts strafrechtlich zu begegnen“ (BTDrucks. 10/3242 S. 8). Gemeint war vor allem die „Auschwitzlüge“, besser „Auschwitzleugnung“, also die Leugnung des fabrikmäßig durchgeführten Massenmordes an Juden in der Zeit des „Dritten Reiches“.2 Die Regelung hat verfahrensrechtlichen Charakter und beruht auf der Annahme, dass nach geltendem Recht ein solches Leugnen als Beleidigung derjenigen anzusehen ist, die Betroffene des Unrechts sind. Von dieser Annahme kann jedoch nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Nach materiellem Recht ist das Absprechen (Leugnen) eines besonders schweren Schicksals (es mag die Folge von Not, Krankheit, höherer Gewalt in irgendeiner Form oder von Verfolgung sein) nur unter erheblichen begrifflichen Verwerfungen als Beleidigung zu erfassen (§ 185 Rdn. 29),3 weil durch ein solches Absprechen weder die sittliche Integrität des Betroffenen in Frage gestellt, noch ihm eine elementare menschliche Unzulänglichkeit nachgesagt wird. Auch das äußere Ansehen der Betroffenen wird durch ein solches Absprechen nicht berührt. Eine strafrechtlich zu verfolgende Verletzung des Persönlichkeitsrechts „Ehre“ lässt sich allenfalls darin sehen, dass den betroffenen Gruppen eine für ihre heutige Identität wesentliche Unrechtserfahrung abgesprochen wird.4 Die zivilrechtliche Judikatur mag das mit Hilfe der Argumentationsmöglichkeiten, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht bietet, anders sehen.5 Die zweite materiellrechtliche Hürde, die durch die verfahrensrechtliche Lösung nicht aus dem Weg geräumt worden ist, ergibt sich aus den Grundsätzen, die für Beleidigungen unter einer Kollektivbezeichnung gelten: Es ist bei richtigem Verständnis von verbal weitgreifenden Kollektivurteilen kaum möglich, im Leugnen des durch Verfolgung auferlegten Schicksals einer Bevölkerungsgruppe eine Beleidigung aller ihrer Mitglieder zu sehen (Vor § 185 Rdn. 28 ff). In der politisch gut gemeinten, dogmatisch jedoch problematischen Ausweitung des § 194 liegt deshalb keine beifallswürdige Leistung des Gesetzgebers.6 Um die Leugnung des Massenmordes an Juden im „Dritten Reich“ strafrechtlich zu erfassen (wofür gute Gründe sprechen), wäre es besser gewesen, eine neue Strafnorm zu formulieren.
1 2 3 4
Regge/Pegel MK Rdn. 2. Umfassend Wehinger Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung (1994). Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 185 Rdn. 3. Es handelt sich hier aber möglicherweise eher um das Problem, ob und inwieweit Falschbehauptungen („fake news“) strafrechtlich erfasst werden können und sollten. 5 Vgl. BGHZ 75 160 ff. 6 Vgl. auch Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1. 709
Hilgendorf
§ 194
Strafantrag
II. Strafantrag 2 Die Vorschrift des § 194 Abs. 1 Satz 1 bezieht sich auf alle Delikte, die der 14. Abschnitt umschreibt. Zu ihrer Verfolgung ist ein Strafantrag erforderlich, wenn nicht eine der in Absatz 1 Satz 2, 3 und in Absatz 2 Satz 2 statuierten Ausnahmen vorliegt oder an die Stelle des Antrags die Ermächtigung (Absatz 4) tritt. Der Antrag kann nicht analog § 230 Abs. 1 durch eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft ersetzt werden.7 Auch die Erfordernisse der Ausnahmen sind Prozessvoraussetzungen. Sind sie nicht erfüllt und fehlt auch ein Strafantrag, muss das Verfahren eingestellt werden.8 Er kann vor Fristablauf auch noch in der Revisionsinstanz gestellt werden.9 Antragsberechtigt ist grundsätzlich der Verletzte, also der Beleidigte (§ 77 Abs. 1).10 Durchbrechungen dieses Grundsatzes ergeben sich aus Absatz 3. Sind mehrere unter einer Kollektivbezeichnung beleidigt worden, kann jeder der Betroffenen den Strafantrag nur für sich selbst stellen,11 für andere nur, wenn er zu ihrer Vertretung in der Erklärung12 oder auch in der Willenskonkretisierung13 bevollmächtigt ist.14 Infolgedessen kann der Vorstand eines Vereins Strafantrag wegen Beleidigung eines Vereinsmitglieds nur als dessen Bevollmächtigter stellen, nicht schon deshalb, weil er nach der Satzung die Standesinteressen der Mitglieder wahrnehmen soll.15 Für den Geschäftsunfähigen oder in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten trifft § 77 Abs. 3 die erforderliche Regelung. Ein bloßer Interessengegensatz zum Vertretenen beseitigt das Antragsrecht des nach dieser Vorschrift zur Antragstellung Berufenen nicht.16 Wenn man annimmt, dass nicht nur Behörden (vgl. Absatz 3) und politische Körperschaften (vgl. Absatz 4), sondern alle Personengemeinschaften, die eine rechtlich anerkannte soziale Funktion erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden können, beleidigungsfähig sind (vgl. dazu Vor § 185 Rdn. 25), dann muss man in Fällen der Beleidigung einer solchen Gemeinschaft das vertretungsberechtigte Organ als strafantragsberechtigt ansehen,17 allerdings nur für das Kollektivgebilde als solches, nicht für einzelne Mitglieder, die persönlich beleidigt worden sind.18 Ist das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, steht das Antragsrecht den in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen in der in dieser Vorschrift festgelegten Reihenfolge zu (Absatz 2 Satz 1). Der überlebende Ehegatte verliert das Antragsrecht nicht dadurch, dass er wieder heiratet. War die Ehe im Zeitpunkt des Todes bereits aufgelöst, erlangt der überlebende Ehegatte kein Antragsrecht.19 3 Die Erhebung der öffentlichen Klage (§ 376 StPO) hindert nicht die Zurücknahme des Strafantrags (die in § 77d geregelt ist). Durch Verzeihung oder durch Erklärung des Verzichts auf Strafverfolgung gegenüber dem Täter geht das Antragsrecht nicht verloren, wohl aber durch eine Verzichtserklärung gegenüber der mit der Strafverfolgung befassten Behörde.20 Zur Stellvertretung bei der Rücknahme und zur Rücknahme unter der Bedingung, dass dem Beleidigten keine Kosten zur Last fallen, vgl. BGHSt 9 149, 152 ff. In der Reihenfolge, die sich aus § 77 Abs. 2 ergibt, geht das Strafantragsrecht auf Angehörige über, wenn der Verletzte nach der Tat gestorben ist. Es geht nicht über, wenn der Verletzte wirksam auf Strafverfolgung verzichtet hat oder
7 BGHSt 7 256; krit. Günther FS Lüderssen 195, 215. 8 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 2. 9 BGHSt 3 73, 74; 6 155, 157; RGSt 68 120, 124. 10 BGHSt 31 207, 210. 11 OLG Frankfurt JR 1991 390 mit Anm. Hilger. 12 RGSt 21 231, 233. 13 Vgl. BGHSt 9 149, 152. 14 BGHSt 9 149, 151; RGSt 23 246, 248; 68 120, 124; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 3. 15 RGSt 37 37, 38. 16 BGHSt 6 155, 157. 17 BGHSt 6 186, 187. 18 Vgl. RGSt 40 164, 185 f; 47 63, 64; KG JR 1980 290. 19 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 9. 20 RGSt 14 202, 204; 76 345, 346. Hilgendorf
710
III. Strafverfolgung von Amts wegen in Fällen des Absatzes 1 Satz 2, 3
§ 194
die Strafverfolgung dem auf andere Weise erklärten Willen des Verstorbenen widerspricht (§ 77 Abs. 2 Satz 4).
III. Strafverfolgung von Amts wegen in Fällen des Absatzes 1 Satz 2, 3 Trotz der Strafverfolgung von Amts wegen, die Absatz 1 Satz 2 ermöglicht, bleibt die Tat Privat- 4 klagedelikt (§ 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO).). Vom Antragserfordernis sind Beleidigungen mit Breitenwirkung ausgenommen, nämlich die Äußerung in einer Versammlung oder das Verbreiten oder der Öffentlichkeit Zugänglichmachen eines Inhalts (§ 11 Abs. 3; s. etwa § 192a Rdn. 10). Eine Versammlung ist das Zusammensein einer größeren Anzahl von Personen zu einem bestimmten Zweck.21 Zum Merkmal des Verbreitens vgl. § 186 Rdn. 14. Das Merkmal des Zugänglichmachens umfasst namentlich das Ausstellen, Anschlagen und Vorführen,22 aber auch das Publizieren („posten“) im Internet, insbesondere in den sozialen Medien. Auch das „streamen“ wird erfasst. Um ein öffentliches Zugänglichmachen handelt es sich, wenn der Inhalt durch einen nach Zahl und Zusammensetzung der Personen unbestimmten Kreis oder durch einen nicht durch eine spezifische Beziehung verbundenen größeren, wenn auch bestimmten Personenkreis wahrgenommen werden kann (§ 186 Rdn. 13). Der Verletzte selbst muss auf Grund seiner Gruppenzugehörigkeit unter der nationalsozia- 5 listischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt worden sein. Es genügt nicht, dass er ein Nachkomme von Verfolgten ist.23 In seiner Eigenschaft als Gruppenangehöriger kann der Verletzte nur verfolgt worden sein, wenn die Gruppe insgesamt Verfolgungen ausgesetzt war. § 6 Abs. 1 VStGB zählt bestimmte Gruppen auf. § 194 Abs. 1 Satz 2 nimmt eine solche Beschränkung nicht vor. Die Vorschrift bezieht auch politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Gruppen und Gruppen des Widerstands ein. Unter einer Gruppe ist eine Mehrzahl von Personen zu verstehen, die gemeinsame Attribute haben, durch welche sie sich von der übrigen Bevölkerung abheben und durch die sie sich (im Sinne eines Wir-Bewusstseins, einer Identität) verbunden wissen.24 Die ausdrückliche Erwähnung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft verdeutlicht nicht nur den Schwerpunkt der Bestimmung, sondern auch, dass es im Übrigen um ihr „ebenbürtige“ Herrschaftssysteme geht, um Systeme der Macht, die sich über elementare Menschenrechte hinwegsetzen.25 Das frühere DDR-Regime war zwar weder Demokratie noch Rechtsstaat i.S. unseres Verfassungsverständnisses, es handelt sich jedoch nicht um eine so extreme Form von Gewalt– und Willkürherrschaft, dass sie mit dem NS-Staat gleichgesetzt werden könnte.26 Verfolgungen sind Akte des Unrechts von erheblicher Intensität (wie physische Quälereien oder Liquidation, KZ-Haft, Ausweisung, Absonderung, Verschleppung, schwere Diskriminierung, Entzug materieller oder seelischer Lebensgrundlagen). Eine Verfolgung kann auch in Gesetzesform stattfinden (z.B. Nürnberger Gesetze). Das Erfordernis, dass die Gruppe, als deren Mitglied der Verletzte verfolgt wurde, „Teil der 6 Bevölkerung“ sein muss, soll den Anwendungsbereich von Absatz 1 Satz 2 begrenzen: Noch zur Zeit der Tat muss die Gruppe existent sein. Das ist nicht der Fall, wenn die Gruppenmerkmale verlorengegangen sind, das Wir-Bewusstsein und Identitätsgefühl erloschen sind. Von einem
21 RGSt 21 71, 75; OLG Düsseldorf JR 1982 299, 300. 22 BTDrucks. 10/3242 S. 10. 23 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 5; vgl. auch Fischer Rdn. 17; anders BVerfGE 90 241, 251; NJW 1993 916, 917; BGHZ 75 160, 166; OLG Celle NJW 1982 1545 zur Beleidigung der heute in Deutschland lebenden Juden durch Leugnen der NS-Judenmorde. 24 Ähnlich Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 5. 25 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 5. 26 AA Zaczyk NK Rdn. 10 unter Berufung auf BGSt 39 1 ff (Mauerschützen); offen gelassen von Regge/Pegel MK Rdn. 13. 711
Hilgendorf
§ 194
Strafantrag
„Teil“ der Bevölkerung (des Inlands) kann nicht die Rede sein, wenn die einstmals verfolgte Gruppe nur noch wenige Mitglieder zählt.27 7 Die Beleidigung muss mit der Verfolgung zusammenhängen. Ein Zusammenhang besteht, wenn die Verfolgung für den Täter der Beleidigung motivatorisch eine Rolle spielte oder sein Bezugspunkt war. Das braucht im Wortlaut seiner Äußerung nicht zum Ausdruck zu kommen. Es genügt, wenn der Zusammenhang aus den Umständen, welche den Sinngehalt der Kundgabe mitbestimmen, erkennbar wird. Ein Zusammenhang besteht auch, wenn es nicht um Verfolgungsmaßnahmen und ihre Auswirkungen für den Betroffenen, sondern um die Gründe der Verfolgung geht. Der Täter muss sich des Zusammenhangs bewusst sein.28 Um den Exzessen der öffentlichen, vor allem internetgestützten Hetze gegen Personen des 8 politischen Lebens (dazu § 188 Rdn. 1) entgegenzutreten, wurde im Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.3.2021 (BGBl I S. 44, in Kraft getreten am 3.4.2021) festgelegt, dass eine Tat nach § 188 auch dann auf Antrag verfolgt wird, wenn die Strafverfolgungsbehörde ein besonderes öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung annimmt und deshalb ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Durch das Gesetz zur [...] Verbesserung der Bekämpfung verhetzender Inhalte vom 14.9.2021 wurde diese Regelung auf den neuen § 192a ausgeweitet. Sie findet sich nun in Absatz 1 Satz 3. Hat der Verletzte kein Interesse an einem Strafverfahren gegen den Täter, kann er der Ver9 folgung von Amts wegen widersprechen (Absatz 1 Satz 4). Der Widerspruch ist eine Prozesshandlung, die nicht zurückgenommen werden kann (Absatz 1 Satz 5). Sie umfasst den Verzicht auf das Antragsrecht. Infolgedessen ergibt sich aus dem Widerspruch ein definitives Prozesshindernis. Der Widerspruch kann formlos erklärt und auf das Verfahren gegen einen von mehreren Tätern beschränkt werden. Er ist bedingungsfeindlich und ist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens möglich. Widerspricht nur einer von mehreren Verletzten, ist das Verfahren fortzuführen. Das den Widersprechenden betreffende Tatgeschehen bleibt außer Betracht.29 Ist der Verletzte nach der Tat verstorben, geht das Widerspruchsrecht in der Reihenfolge, die § 77 Abs. 2 festlegt, auf die Angehörigen über (Absatz 1 Satz 6). Mehrere Angehörige gleichen Ranges können das Recht nur gemeinsam ausüben (§ 77d Abs. 2 Satz 2 analog). Ein Übergang ist ausgeschlossen, wenn die Verfolgung dem erklärten Willen des Verletzten widerspricht (§ 77 Abs. 2 Satz 4 analog).
IV. Strafverfolgung von Amts wegen in Fällen des Absatzes 2 Satz 2 10 Auch die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener ist grundsätzlich Antragsdelikt (Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1; Rdn. 2). Eines Strafantrags bedarf es jedoch nicht, wenn die Verunglimpfung (§ 189 Rdn. 3) in einer Versammlung oder durch Verbreiten oder der Öffentlichkeit Zugänglichmachen eines Inhalts begangen wurde, der Verstorbene sein Leben als Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft (Rdn. 5) verloren hat – das ist auch dann der Fall, wenn sein Tod die mittelbare Folge erlittener Verfolgung war (sie kann z.B. zum Freitod des Verfolgten geführt oder die physische Ursache für den Tod nach Beendigung der Gewaltherrschaft gesetzt haben)30 – und wenn die Verunglimpfung damit zusammenhängt (Rdn. 7). Widerspricht auch nur ein Antragsberechtigter, ist die Verfolgung von Amts wegen ausgeschlossen (Absatz 2 Satz 3).
27 28 29 30
Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 5a. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 6. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 6a. Vgl. Rogall SK Rdn. 15; Schafheutle JZ 1960 474; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 9a.
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V. Strafantrag des Dienstvorgesetzten
§ 194
V. Strafantrag des Dienstvorgesetzten Das Antragsrecht, das Absatz 3 Satz 1 dem Dienstvorgesetzten einräumt, ist ein selbstständi- 11 ges, im öffentlichen Interesse gewährtes Recht. Es ermöglicht dem Berechtigten, das durch die Tat (möglicherweise) mittelbar betroffene Ansehen der Behörde zu wahren, Aufklärungsinteressen und der Fürsorgepflicht Rechnung zu tragen.31 Im Hinblick auf das Kostenrisiko des Privatklägers (vgl. § 471 Abs. 2 StPO) ist das Strafantragsrecht des Dienstvorgesetzten auch von materieller Bedeutung. Es ist unabhängig davon, ob der Beleidigte selbst Strafantrag stellt oder ob er den gestellten Antrag zurücknimmt. Wird die Stellung eines Strafantrags vom Untergebenen versäumt, so kann er dem Verfahren auch nicht als Nebenkläger beitreten.32 Das Antragsrecht des Beleidigten muss aber zur Entstehung gelangt sein.33 Zudem kann die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht im Einzelfall gebieten, im Interesse des Beleidigten von einem Strafantrag abzusehen.34 Wenn der Dienstvorgesetzte Strafantrag stellt, erübrigt sich nicht die Prüfung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung (§ 376 StPO). Wird das öffentliche Interesse verneint, hat der Dienstvorgesetzte ein selbstständiges Privatklagerecht (§ 374 Abs. 2 Satz 1 StPO). Der Beleidigte muss ein Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter (§ 11 Abs. 1 Nr. 4) oder ein Soldat der Bundeswehr sein. Gleichgestellt sind Angehörige der NATO-Stationierungstruppen in der Bundesrepublik (§ 1 Abs. 2 Nr. 9 NTSG35). Der Amtsträger, besonders Verpflichtete oder Soldat muss zur Tatzeit noch im Dienst stehen.36 Ist das Antragsrecht des Dienstvorgesetzten einmal entstanden, erlischt es nicht durch den Tod oder das Ausscheiden des Beleidigten aus dem Dienst. Antragsberechtigt ist derjenige Dienstvorgesetzte, dem der Betroffene zur Zeit der Tat unterstellt war (§ 77a Abs. 1). Dienstvorgesetzter ist, wer in einem durch Bundes- oder Landesrecht organisatorisch festgelegten Verhältnis der Über- und Unterordnung das Recht und die Pflicht zur Aufsicht über das dienstliche Verhalten des Beleidigten hat und kraft seiner Kompetenz zur Entscheidung der Frage, ob das öffentliche Interesse die Strafverfolgung gebietet, berufen erscheint.37 Berufsrichter haben keinen Dienstvorgesetzten im beamtenrechtlichen Sinn. An seine Stelle tritt, wer die Dienstaufsicht über die Richter führt. Bei Soldaten ist Dienstvorgesetzter der Disziplinarvorgesetzte (§ 77a Abs. 1). Neben dem unmittelbaren Dienstvorgesetzten hat stets auch der mittelbare höhere Vorgesetzte ein selbstständiges Antragsrecht.38 Der Verletzte, der selbst nicht rechtzeitig Strafantrag gestellt hat, kann sich nicht als Nebenkläger der öffentlichen Klage anschließen, der ein Strafantrag des Dienstvorgesetzten zugrunde liegt.39 Das Antragsrecht des Dienstvorgesetzten (und des mittelbaren höheren Vorgesetzten) 12 kommt nur in Fällen in Betracht, in denen die Beleidigung eines Amtsträgers, eines besonders Verpflichteten oder eines Soldaten während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begangen wird. Die erste Alternative setzt voraus, dass die Beleidigung mit der Dienstverrichtung zeitlich zusammentrifft und zu ihr in einer örtlichen Beziehung steht. Es ist aber nicht erforderlich, dass der Täter während der Dienstausübung örtlich und zeitlich zugegen ist.40 Es kommt nicht darauf an, ob die dienstliche Verrichtung rechtmäßig ausgeübt wird.41 Die erste Alternative wird auch verwirklicht, wenn eine schriftliche Beleidigung den Betroffenen
31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 713
BGHSt 7 256, 260; RGSt 27 179; 67 49; 74 313. Regge/Pegel MK Rdn. 24; OLG Frankfurt a.M. JR 1991, 390 (391); aA Hilger JU 1991 391 (393). RG JW 1932 3267, 3268. Biletzki ZBR 2007 151, 152 ff. BGBl. I S. 491. RGSt 13 95; 27 193. RGSt 59 134; BayObLGSt 1956 227. RGSt 46 203; BayObLGSt 1956 230. BayObLGSt 1964 154. RGSt 76 366, 368. RGSt 3 185, 189. Hilgendorf
§ 194
Strafantrag
in seiner Dienststelle erreicht. Denn eine schriftliche Beleidigung ist auch dort begangen, wo sie dem Beleidigten zugeht.42 Die selbstständige Gutachtertätigkeit eines Hochschullehrers wird nicht dadurch zu einer Ausübung des Haupt- oder Nebenamts, dass sie mit seinen Lehr- oder Forschungsaufgaben in einem fachlichen Zusammenhang steht.43 Die zweite Alternative liegt vor, wenn die ehrenrührige Äußerung die dienstliche Tätigkeit oder die dienstliche Stellung erkennbar zum Gegenstand hat oder wenn ein sonstiger erkennbarer Zusammenhang zur Tätigkeit oder Stellung hergestellt wird.44 Betrifft ein ehrenrühriger Vorwurf außerdienstliches Verhalten, so ist die Beleidigung in Beziehung auf den Dienst des Betroffenen begangen, wenn das Verhalten mit der dienstlichen Stellung oder Tätigkeit im Zusammenhang steht oder in Zusammenhang gebracht wird.45 Nur insofern werden auch private Beleidigungen erfasst.46 Das ist namentlich der Fall, wenn der Vorwurf dahin geht, dass der Beleidigte sich seiner Stellung unwürdig erwiesen habe.47 Wird ein Zusammenhang nicht hergestellt, dann genügt es nicht, dass dem Betroffenen ein Verhalten nachgesagt wird, das ihn, träfe es zu, als amtsunwürdig erscheinen ließe.48 Allerdings ist die Beziehung der Beleidigung auf den Dienst kein Tatbestandsmerkmal. Infolgedessen reicht es aus, wenn die ehrenrührige Äußerung nach ihrem objektiven Sinngehalt den Zusammenhang impliziert.49
VI. Beleidigung einer Behörde 13 Richtet sich eine Beleidigung gegen eine Behörde oder eine sonstige Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, so wird sie auf Antrag des Behördenleiters oder des Leiters der Aufsicht führenden Behörde verfolgt (Absatz 3 Satz 2). Einzelne Behördenmitglieder sind nicht antragsberechtigt. Zum Begriff der Behörde vgl. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 93. Die Bundesregierung ist keine Behörde, ist aber dennoch als Kollektiv beleidigungsfähig; sie kann auf der Grundlage eines Regierungsbeschlusses durch einen Bevollmächtigten Strafantrag stellen.50 Die (als Person gedachte) Behörde muss beleidigt sein. Aus ihrer Beleidigung kann nicht ohne Weiteres auf eine Beleidigung auch (einzelner oder aller) ihrer Bediensteten geschlossen werden. Eine Beleidigung, die gegen Behördenangehörige gerichtet ist (sie mag einzelne, eine Mehrheit oder alle betreffen), ist nicht ohne Weiteres eine Beleidigung auch der Behörde.51 Den Behörden und sonstigen Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen (dazu gehören z.B. Krankenkassen und Berufsgenossenschaften), sind Behörden der Kirchen und der anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts gleichgestellt (Absatz 3 Satz 3). Aus § 1 Abs. 2 Nr. 9 NTSG ergibt sich die Gleichstellung von Dienststellen der in der Bundesrepublik stationierten NATO-Truppen.
VII. Beleidigung einer politischen Körperschaft 14 Wenn eine Beleidigung gegen ein Gesetzgebungsorgan oder eine andere politische Körperschaft im Geltungsbereich des Gesetzes begangen wird, tritt die Ermächtigung zur Strafverfolgung als
42 43 44 45 46 47 48 49 50 51
RGSt 76 366, 368. BayObLG JZ 1978 482; vgl. auch RGSt 32 276. RGSt 12 49, 52; 39 361; 66 128; BayObLG JZ 1978 482. RGSt 12 49, 52; 12 267, 269. Regge/Pegel MK Rn. 27. RGSt 3 244; 21 340; 44 191; 76 366, 369. RGSt 12 267, 269; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 14. RGSt 76 366, 369; Fischer Rdn. 7. Regge/Pegel MK Rdn. 33. RGSt 4 75, 76; 4 264, 266; 7 404, 408; 41 168, 170; 47 63, 64.
Hilgendorf
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VII. Beleidigung einer politischen Körperschaft
§ 194
Verfahrensvoraussetzung an die Stelle des Strafantrags (Absatz 4). Eine politische Körperschaft ist eine öffentlich-rechtliche Institution, die, ohne Behörde zu sein,52 berufen ist, staatliche Zwecke zu verwirklichen oder zu fördern.53 Zu den politischen Körperschaften gehören z.B. Parlamente, Kreistage, Stadt- und Gemeinderäte, Stadtverordnetenversammlungen,54 nicht aber Teile einer politischen Körperschaft (z.B. eine Parlaments- oder eine Rathausfraktion). Politische Parteien sind keine politischen Körperschaften im Sinne von Absatz 4.55 Die Beleidigung muss gegen die Körperschaft als solche gerichtet sein.56 Das ist z.B. der Fall, wenn ehrenrührige Äußerungen ihre Tätigkeit, ihre Entstehung, ihr Vorhandensein oder ihre Zusammensetzung betreffen.57 Die Beleidigung der Körperschaft hängt nicht davon ab, dass auch jedes ihrer Mitglieder beleidigt worden ist. Die gegen Mitglieder gerichtete Beleidigung kann zugleich eine Beleidigung der Körperschaft sein.58 Die Ermächtigung ist nichts anderes als die formwirksame Erklärung, dass der Wille der 15 Körperschaft der Strafverfolgung nicht entgegensteht.59 Die Strafverfolgungsbehörde hat von Amts wegen der beleidigten Körperschaft Gelegenheit zur Erklärung der Ermächtigung zu geben (Nr. 229 Abs. 3 Satz 3 RiStBV). Die Ermächtigung muss von der Körperschaft selbst erteilt werden. Ein Ausschuss kann sie nur erteilen, wenn er dazu die Befugnis ausdrücklich erhalten hat. In der die Ermächtigung betreffenden Beschlussfassung liegt in aller Regel kein Strafantrag einzelner Mitglieder der Körperschaft.60 Politische Körperschaften sind ständige, vom Wechsel ihrer Mitglieder unabhängige Institutionen. Es ist deshalb ohne Bedeutung, wenn sie im Zeitpunkt der Erklärung der Ermächtigung anders zusammengesetzt sind als zur Zeit der Tat.61 Das gilt auch für den Fall der Auflösung und Neukonstituierung. Die Ermächtigungsbefugnis einer Einzelperson geht jedoch nicht auf den Amtsnachfolger über.62 In Fällen der Ermächtigung gelten die Vorschriften der § 77 und § 77d entsprechend (§ 77e). Daraus folgt, dass die Ermächtigung (wie der Strafantrag) sachlich und persönlich teilbar ist und dass sie zurückgenommen werden kann. Die Ermächtigung ist jedoch nicht fristgebunden.
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RGSt 7 382, 384. Vgl. RGSt 33 66; 69 145; OLG Düsseldorf NJW 1966 1235. RGSt 40 184, 185; 41 168, 170. OLG Düsseldorf NJW 1966 1235; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 18. RGSt 40 184, 185; 41 168, 170; 47 63, 64; KG JR 1980 290. Vgl. RGSt 41 168, 170; 47 63, 64. RGSt 41 168, 170; 47 63, 64. RGSt 41 168, 171. RGSt 40 184, 186; 41 168, 171 f; KG JR 1980 290. RGSt 7 382, 386. BGHSt 29 282, 283. Hilgendorf
§ 195 (weggefallen) Aufgehoben durch das 3. StRÄndG v. 4.8.1953 (BGBl. I S. 735).
§§ 196 bis 198 (weggefallen) Aufgehoben durch Art. 19 Nr. 83 EGStGB. Vgl. jetzt § 194 Abs. 3 und 4 sowie § 77c.
§ 199 Wechselseitig begangene Beleidigungen Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären.
Schrifttum Baumann Die Beweislast bei § 199 StGB, NJW 1958 452; Kargl Beleidigung und Retorsion, Festschrift Wolff (1998) 189; Kern Grade der Rechtswidrigkeit, ZStW 64 (1952) 255; Kiehl Strafrechtliche Toleranz wechselseitiger Ehrverletzungen: zur ratio legis der §§ 199, 233 Strafgesetzbuch (1986); Küper Zur irrigen Annahme von Strafmilderungsgründen, GA 1968 321; ders. Die Grundlagen der Kompensation und die Voraussetzungen der Straffreierklärung nach § 199 StGB, JZ 1968 651; Küster Zum Wesen der strafrechtlichen Kompensation, NJW 1958 1659; Reif Vom Wesen und Anwendung der Kompensation, NJW 1958 982; Schwarz Erwiderung von Beleidigungen (§ 199 StGB), NJW 1958 19.
Übersicht I.
Grundlagen
1
II.
Voraussetzungen von Beleidigung und Gegenbe2 leidigung
III.
Besondere Voraussetzungen der Erwide5 rung
IV.
Reichweite und Rechtsfolgen
7
I. Grundlagen 1 § 199 handelt von der Straffreierklärung im Falle der sog. Aufrechnung (Kompensation oder Retorsion). Die gesetzliche Regelung beruht auf dem Gedanken, dass bei wechselseitigen Beleidigungen möglicherweise zugunsten beider Täter oder zugunsten eines der Täter Gründe vorliegen, die das Strafbedürfnis so weit reduzieren, dass von einer Bestrafung abgesehen werden kann. Dem Erstbeleidiger ist durch die Erwiderung des von seiner Beleidigung Betroffenen bereits ein Übel zugefügt worden, das Vergeltungscharakter hat, gewissermaßen als Surrogat der öffentlichen Strafe angesehen werden kann.1 Für den Zweitbeleidiger spricht die „reaktive Verknüpfung“: Seine Schuld ist gemindert, wenn er, provoziert durch den Ersttäter, in affektiver Erregung nach der Maxime verfährt „wie du mir, so ich dir“.2 Man mag bei ihm auch von einer Minderung des Unrechts sprechen,3 darauf hinweisen, dass seine Reaktion einen Übergangsfall zur Notwehr darstelle,4 dass der Erstbeleidiger durch seine Tat „die Schutzwürdigkeit seiner
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RGSt 7 100, 102; 70 329, 332; Küper JZ 1968 654; Rogall SK Rdn. 1. RGSt 7 100, 102; 38 339, 341; 70 329, 331; OLG Hamburg NJW 1965 1612; NJW 1966 1977, 1978. Küper JZ 1968 655 ff; Rogall SK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 1. Kern ZStW 64 (1952) 287.
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II. Voraussetzungen von Beleidigung und Gegenbeleidigung
§ 199
eigenen Ehre gemindert hat“.5 Entscheidend für die Kompensation ist die psychische Situation des Zweitbeleidigers: der Abbau der Hemmschwelle und der motivatorische Anstoß durch die Tat des Erstbeleidigers. Deshalb muss dieser Aspekt die Interpretation bestimmen.
II. Voraussetzungen von Beleidigung und Gegenbeleidigung Die Formulierung, dass beide Beleidigungen strafbar sein müssen,6 ist zumindest missverständ- 2 lich. Derjenige, der für straffrei erklärt werden soll, muss sich strafbar gemacht haben und seine Beleidigung muss verfolgbar sein. Fehlt es an einer Voraussetzung der Strafbarkeit oder der Verfolgbarkeit, ist er freizusprechen oder das Verfahren einzustellen. Da er ohnehin nicht bestraft werden kann, kommt, wenn es sich um den Erstbeleidiger handelt, auch eine das Strafbedürfnis reduzierende Ausgleichsfunktion der vom Zweittäter begangenen Beleidigung nicht in Betracht.7 Liegen beim Ersttäter die Voraussetzungen für eine Bestrafung vor, dann genügt es, um ihn für straffrei zu erklären, dass die gegen ihn gerichtete Beleidigung rechtswidrig ist.8 Er muss eine solche Beleidigung nicht von Rechts wegen hinnehmen. Sie hat auch Vergeltungscharakter.9 Liegen beim Zweittäter die Voraussetzungen für eine Bestrafung vor, dann reicht es ebenfalls aus, dass die Beleidigung, die sich gegen ihn richtete, tatbestandsmäßig und rechtswidrig ist, weil die nicht rechtmäßige Tat des Ersttäters durchaus provozierend ist und überdies auch den Gesichtspunkt der notwehrähnlichen Lage zum Tragen kommen lässt.10 Da aber für den Zweittäter der ausschlaggebende Gesichtspunkt in der psychischen Situation liegt, wird ihm eine Straffreierklärung zu versagen sein, wenn er wusste, dass der Erstbeleidiger schuldunfähig ist.11 In einem solchen Falle muss erwartet werden, dass er das beleidigende Verhalten des Ersttäters „affektiv verkraftet“.12 Aus diesen Grundsätzen folgt, dass ein Strafausschließungsgrund aufseiten des Gegners 3 (z.B. Indemnität, § 36) oder ein Verfolgungshindernis (z.B. Immunität oder Wegfall des Strafantragsrechts) der Straffreierklärung des Täters nicht entgegenstehen.13 In der Konsequenz dieser (in Rdn. 1 und 2 erörterten) Grundsätze liegt es aber auch, dem irrenden Zweitbeleidiger die Möglichkeit der Straffreierklärung nicht zu versagen, wenn nach seiner Sicht der Dinge das Verhalten des Ersttäters, das seine Erwiderung auslöst, eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige Tat darstellt und er den Ersttäter für schuldfähig hält.14 Es kann auch nicht darauf ankommen, ob der Irrtum vermeidbar war. Die psychische Situation des Zweittäters ist die Folge seiner Vorstellungen und damit auch seiner Irrtümer. Der Bagatellcharakter des Delikts erübrigt es, zwischen vermeidbaren und nicht vermeidbaren Irrtümern zu differenzieren.15 Ob der Richter in Fällen unschwer zu vermeidenden Irrtums von § 199 wirklich Gebrauch macht, ist Sache seines Ermessens. Die Frage, ob die Gegenbeleidigung erwiesen sein muss, wenn der Täter für straffrei er- 4 klärt werden soll, hat in BGHSt 10 373 (= JZ 1958 373 mit Anm. Kern) ihre zutreffende Beantwortung erfahren: § 199 gehört in den Bereich der Strafzumessung. Auch in diesem Bereich muss 5 Rogall SK Rdn. 1. 6 RG JW 1930 918 Nr. 22. 7 Küper JZ 1968 658. 8 OLG Hamm GA 1974 62, 63. 9 Küper JZ 1968 659; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 6. 10 Küper JZ 1968 660. 11 Vgl. auch BayObLG NJW 1991 2031; Kiehl S. 204. 12 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 7. 13 OLG Braunschweig SJZ 1948 769; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 7. 14 OLG Hamburg NJW 1965 1611; NJW 1966 1977, 1978; OLG Hamm GA 1972 29; GA 1974 62; aA Fischer Rdn. 4; Rogall SK Rdn. 8; Zaczyk NK Rdn. 6, der für eine analoge Anwendung des § 35 Abs. 2 plädiert. 15 AA mit unterschiedlicher Begründung OLG Hamburg NJW 1966 1977, 1978; Küper JZ 1968 660; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 7. 717
Hilgendorf
§ 199
Wechselseitig begangene Beleidigungen
ein Zweifel, der dahin geht, ob ein dem Täter günstiger Umstand vorliegt, pro reo entschieden werden. Mit Recht wird in BayObLGSt. 1958 244, 248 (= NJW 1959 57) darauf hingewiesen, dass auch ohne die Vorschrift des § 199 die (Möglichkeit der) Gegenbeleidigung bei der Strafzumessung berücksichtigt werden müsste, wenn und soweit sie für den Unrechtsgehalt der Tat und die Schuld des Täters Bedeutung hätte. Der Widerspruch aus kriminalpolitischen Erwägungen16 vermag an der eindeutigen Rechtslage nichts zu ändern.17 Ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Straffreierklärung ist es, wenn der Gegner schon rechtskräftig verurteilt wurde.18 Die Straffreierklärung des Zweitbeleidigers scheitert nicht daran, dass der Erstbeleidiger von dem Vorwurf, (zuerst) beleidigt zu haben, rechtskräftig freigesprochen worden ist (OLG Celle MDR 1959 511 mit dem zutreffenden Argument, dass die Rechtskraft auch den Freispruch desjenigen nicht hindere, der – möglicherweise – in Notwehr handelte, wenn im Verfahren gegen den „Angreifer“ ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff verneint wurde).
III. Besondere Voraussetzungen der Erwiderung 5 Eine Straffreierklärung kommt nur in Betracht, wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird. Von einer Erwiderung kann nur bei ursächlichem (reaktivem) Zusammenhang die Rede sein. Dass die Beleidigungen zwischen denselben Personen gewechselt worden sind, wird nicht verlangt. Der Zweitbeleidiger kann für den Ehepartner oder für einen nahen Angehörigen kompensieren.19 Nach OLG Hamburg NJW 1965 1611 genügt es, wenn der Ehebrecher einen Angriff auf die „Geschlechtsehre“ seiner Freundin erwidert, falls den Erstbeleidiger die ehebrecherischen Beziehungen nichts angehen. Die Gegenbeleidigung des Betroffenen oder des „Kompensationshelfers“ muss sich aber gegen den Ersttäter richten.20 Hat der Ersttäter mehrere Personen beleidigt, so kann er nicht für straffrei erklärt werden, wenn nur eine von ihnen erwidert hat, es sei denn, dass nur sie Strafantrag gestellt hat.21 Anders kann es sein, wenn von beleidigten Ehegatten nur der eine antwortet.22 Trifft mit einer der Beleidigungen eine andere Straftat (z.B. eine Bedrohung) tateinheitlich zusammen, so wird § 199 dadurch nicht ausgeschlossen. Es versteht sich von selbst, dass der Täter wegen der anderen Straftat bestraft werden kann.23 6 Auf der Stelle erwidert ist eine Beleidigung, wenn die Gegenbeleidigung durch die Gemütsbewegung hervorgerufen wurde, die durch die ehrenrührige Äußerung des Ersttäters ausgelöst worden ist.24 Erforderlich ist weder eine Erwiderung Zug um Zug,25 noch ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang. Es genügt ein psychischer (reaktiver) Zusammenhang in einem engen zeitlichen Rahmen.26 Der Umstand, dass die Beleidigungen schriftlich oder durch die Presse erfolgt sind, steht der Anwendung des § 199 nicht ohne Weiteres entgegen.27 Es ist nicht notwendig, dass der Zweittäter ausschließlich durch die Beleidigung, die ihn betroffen hat, motiviert wird. Andere, obgleich nicht beleidigende Äußerungen des Ersttäters können mitauslösend sein.28 16 Hartung NJW 1959 640. 17 Wie hier OLG Koblenz NStZ-RR 2011 337 und z.B. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 4; aA Schwarz NJW 1958 10. 18 OLG Hamm NJW 1957 392. 19 KG JW 1930 1316; JR 1957 388; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 8a. 20 OLG Hamm JR 1951 694. 21 RGSt 70 329, 331. 22 KG JW 1930 3002. 23 OLG Nürnberg NJW 1950 835. 24 RGSt 70 329, 331. 25 RGSt 38 341. 26 BGH StV 1995 23; OLG Schleswig SchlHA 1975 187; BayObLG NJW 1991 2031. 27 RGSt 2 281; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 9; Fischer Rdn. 6. 28 RGSt 2 281. Hilgendorf
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IV. Reichweite und Rechtsfolgen
§ 199
IV. Reichweite und Rechtsfolgen § 199 gilt für alle Delikte des 14. Abschnitts, auch für die Verunglimpfung, weil Angehörige als 7 Zweitbeleidiger kompensieren können (vgl. Rdn. 5).29 § 199 findet auch Anwendung, wenn eine der Beleidigungen auf Grund eines Strafantrags des Dienstvorgesetzten oder des Behördenleiters (§ 194 Abs. 3) verfolgt wird. Es ist keine Voraussetzung, dass beide Beleidigungen Gegenstand eines Verfahrens sind oder sein können. Der Straffreierklärung steht infolgedessen auch nicht entgegen, dass ein Beleidiger der inländischen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen ist. Das Gericht kann § 199 von sich aus anwenden. Die Urteilsgründe müssen ergeben, weshalb es entgegen einem Antrag nicht für straffrei erklärt hat (§ 267 Abs. 3 Satz 4 StPO). Ob es von der Befugnis Gebrauch machen will, einen oder beide Beleidiger für straffrei zu erklären, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.30 Das Ermessen muss sich an der ratio legis orientieren: Hat der Ersttäter die Erwiderung geradezu bezweckt, der Zweitbeleidiger nicht in affektiver Erregung gehandelt, wird von einer Straffreierklärung abzusehen sein. Wird § 199 angewendet, ergeht kein Freispruch. Es wird vielmehr wegen der begangenen Beleidigung ein Schuldspruch gefällt, aber für straffrei erklärt. Zur Kostenentscheidung vgl. § 468 StPO. Lehnt das Gericht die Anwendung des § 199 ab, so muss es dennoch die Gegenbeleidigung bei der Strafzumessung berücksichtigen, wenn sie nach Lage des Falles ein strafmildernder Umstand ist. Weil die Straffreierklärung die Schuldfrage unberührt lässt, entfällt nicht die Strafbarkeit eines Teilnehmers.31 Als Strafe, von der Abstand genommen werden kann, sind auch Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel des Jugendstrafrechts anzusehen.32 In Fällen der Straffreierklärung kann eine Anordnung nach § 200 nicht ergehen, weil diese 8 Vorschrift eine Hauptstrafe voraussetzt. Das gleiche gilt für die Einziehung, soweit sie Strafcharakter hat. Einziehung und Unbrauchbarmachung nach § 74d sind möglich.33
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Rogall SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 2. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; einschränkend Kiehl S. 207. RGSt 17 346. BayObLGSt 1961 171 = NJW 1961 2029. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 11. Hilgendorf
§ 200 Bekanntgabe der Verurteilung (1) Ist die Beleidigung öffentlich oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Abs. 3) begangen und wird ihretwegen auf Strafe erkannt, so ist auf Antrag des Verletzten oder eines sonst zum Strafantrag Berechtigten anzuordnen, daß die Verurteilung wegen der Beleidigung auf Verlangen öffentlich bekannt gemacht wird. (2) 1Die Art der Bekanntmachung ist im Urteil zu bestimmen. 2Ist die Beleidigung durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen, so soll die Bekanntmachung, wenn möglich, auf dieselbe Art erfolgen. 1 Durch das EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469) sind die Vorschriften im Strafgesetzbuch und im Nebenstrafrecht über die öffentliche Urteilsbekanntmachung einander angepasst worden. § 200 hat seine Fassung im Wesentlichen durch Art. 19 Nr. 84 EGStGB erhalten. Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 wurden durch das 60. StrÄndG vom 30.11.2020, BGBl. I S. 2600, an die Ersetzung des Schriften- durch den Inhaltsbegriff (§ 11 Abs. 3 StGB) angepasst. 2 Nach früherem Recht bekam der Verletzte lediglich die Befugnis zugesprochen, die Verurteilung auf Kosten des Beschuldigten öffentlich bekanntzumachen. Es blieb ihm überlassen, „sich sein Recht gewissermaßen selbst zu holen“.1 Nunmehr ordnet das Gericht auf Antrag die öffentliche Bekanntmachung von Beleidigungen an, die eine bestimmte Begehungsmodalität (mit der Folge der Breitenwirkung) aufweisen, und diese Anordnung wird auf Verlangen des Antragstellers von Amts wegen vollzogen (§ 463c Abs. 2 bis 4 StPO).2 Das Übergehen eines zulässigen Antrags auf Bekanntgabe der Verurteilung ist Revisionsgrund.3 Alle Beleidigungen, die einen der Tatbestände des 14. Abschnitts erfüllen (also auch Verunglimpfungen, § 189), und Beleidigungen, die nach § 90 Abs. 1 tatbestandsmäßig sind, kommen in Betracht.4 3 Die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung wegen Beleidigung ist – nach gewiss umstrittener Auffassung – keine „Nebenstrafe“,5 sondern eine strafähnliche Nebenfolge, die dem Verletzten Genugtuung verschaffen soll.6 Es geht hier also weniger um die zusätzliche Sanktionierung des Täters als eine spiegelbildliche Rehabilitation des Opfers, das breitenwirksam angegriffen wurde und nun auch ein Interesse an einer entsprechenden Kundgabe der Ahndung der Beleidigung aufweisen kann.7 Abzuwarten bleibt, ob der Vorschrift in der Zukunft gesteigerte Bedeutung zukommt. Denkbar wäre das jedenfalls, wenn sich in der angesichts der Zunahme von „Fake News“ und „Hate Speech“ aufkommenden strafrechtsdogmatischen Diskussion die Ansicht durchsetzen sollte, dass die Beleidigungsdelikte neben der Ehre auch dem Schutz der Meinungsäußerungs- und -bildungsfreiheit und der Funktionstauglichkeit des demokratischen Geweinwesens dienten.8 § 200 würde dann zum Korrektiv verzerrten öffentlichen Diskurses. 4 Gegen Jugendliche und bei Anwendung von Jugendstrafrecht auch gegen Heranwachsende darf die Bekanntmachung nicht angeordnet werden (§ 6 Abs. 1 Satz 2; § 105 Abs. 1 JGG). Auf sie kann erkannt werden, wenn die Beleidigung in Tateinheit mit einer anderen Straftat (z.B. Meineid) zusammentrifft und die Strafe dem anderen Gesetz zu entnehmen ist (§ 52 Abs. 4).9 Diese andere Straftat ist in der Bekanntgabe allerdings sprachlich auszusparen und nur die Tatsache 1 2 3 4
BTDrucks. 7/550 S. 235. Zur Zulässigkeit von Urteilsveröffentlichungen durch Private im Internet F. Flechsig AfP 2008 284. BGHSt 3 73; Valerius BeckOK Rdn. 6; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Regge/Pegel MK Rdn. 8. Valerius BeckOK Rdn. 2; einschränkend für § 90 Zaczyk NK Rdn. 2: nur, wenn in Idealkonkurrenz auch eine Beleidigung vorliegt. 5 So etwa Valerius BeckOK Rdn. 1; Regge/Pegel MK Rdn. 1; Zaczyk NK Rdn. 1: zusätzliche „Statusminderung“ des Täters. 6 BGHSt 10 306, 310; RGSt 73 24; BayObLGSt 1954 71; Fischer Rdn. 1; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Hoven/Wimmer/ Schwarz/Schumann NZWiSt 2014 241, 243. 7 Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann NZWiSt 2014 241, 243; aA Zaczyk NK Rdn. 1. 8 So Hoven/Witting NJW 2021 2397, 2399; ähnlich Kubiciel jurisPR-StrafR 24/2019 Anm. 1, 3. 9 BGHSt 10 306, 312; RGSt 73 148. Hilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-046
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Bekanntgabe der Verurteilung
§ 200
der Konkurrenz zu benennen.10 Zulässig ist dann also etwa die Mitteilung, dass die Beleidigung in Tateinheit „mit einer anderen Straftat“ begangen wurde.11 Bei Tatmehrheit ist die Bekanntgabe auf die Beleidigung zu beschränken.12 Wird ein verantwortlicher Redakteur nur wegen Verletzung seiner Überprüfungspflicht verurteilt, so kann § 200 nicht zum Zuge kommen, auch wenn die nicht überprüfte Druckschrift beleidigenden Inhalt hat.13 Die Beleidigung muss öffentlich (§ 186 Rdn. 13) oder durch Verbreiten von Inhalten (§ 186 5 Rdn. 14) begangen sein. Das Gericht muss auf Strafe erkannt haben. Infolgedessen entfällt die Anordnung der Bekanntmachung bei Straffreierklärung (§ 199 Rdn. 8) sowie bei Verwarnung unter Strafvorbehalt (§ 59 Abs. 1).14 Der Antrag auf Anordnung der Bekanntmachung kann vom Verletzten oder von einem sonst 6 zum Strafantrag Berechtigten gestellt werden (vgl. § 194 Rdn. 2 und 10). Der Staatsanwalt ist auch in Fällen des § 194 Abs. 1 Satz 2 und des § 194 Abs. 2 Satz 2 als antragsberechtigt anzusehen.15 In Fällen des § 194 Abs. 4 ist die betroffene Körperschaft zur Antragstellung befugt (§ 194 Rdn. 14; § 77e i.V.m. § 77 Abs. 1). Derjenige, der den Antrag nach Absatz 1 stellt, braucht mit dem, der den Strafantrag gestellt hat, nicht identisch zu sein. Es muss sich nur um einen zum Strafantrag Berechtigten handeln (infolgedessen kann der Verletzte den Antrag stellen, wenn der Strafantrag vom Dienstvorgesetzten angebracht worden ist). Den Vollzug der Anordnung (§ 463c Abs. 2 StPO) kann aber nur verlangen, wer sie innerhalb eines Monats nach Zustellung der rechtskräftigen Entscheidung beantragt hat oder wer antragsberechtigt geworden ist (vgl. § 77 Abs. 2 und Abs. 3). Von mehreren zum Strafantrag Berechtigten hat jeder ein selbstständiges Antragsrecht. Der Name des Beleidigten muss in die Urteilsformel aufgenommen werden. Bei der im Urteil 7 vorzunehmenden Bestimmung der Art und des Inhalts der Bekanntmachung kommt dem Gericht ein pflichtgemäß auszuübendes Ermessen zu.16 Relevante Entscheidungsfaktoren sind inbesondere die Breitenwirkung der Tat sowie das Ausmaß des Genugtuungsinteresses des Opfers und der mit der Bekanntgabe einhergehenden Belastungen des Täters.17 In Hinblick auf den Inhalt der Bekanntmachung kann sich das Gericht auf die Urteilsformel beschränken oder zusätzlich die Mitveröffentlichung der Gründe anordnen.18 Bei Beleidigungen durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Abs. 3) soll die Bekanntmachung nach § 200 Abs. 2 S. 2 StGB auf dieselbe Art wie die Beleidigung erfolgen. Bei einer in einer Zeitung oder in einem Podcast begangenen Beleidigung soll also auch die Bekanntmachung in einer Zeitung oder einem Podcast erfolgen – und zwar im Idealfall in der selben Zeitung und im selben Podcast.19 Darüber hinaus kann die Beleidigung auch in weiteren Medien angeordnet werden, insbesondere, wenn davon auszugehen ist, dass der Kreis derer, die die Beleidigung wahrgenommen haben, sich nicht (mehr) auf die Nutzer des die Beleidigung ursprünglich vermittelnden Kanals beschränkt.20 Allerdings sollte die Bekanntgabe keinen größeren Personenkreis als die Beleidigung selbst erreichen.21 Im Übrigen ist die Art und Weise der Bekanntmachung so konkret zu bestimmen, dass sie vollstreckbar ist. Das Gericht hat deshalb im Einzelnen zu bestimmen, in welchem Teil einer Zeitung oder Zeitschrift und in welchem Format (Schrift, Größe) die Bekannt-
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Zaczyk NK Rdn. 6. BGHSt 10 306, 312. Zaczyk NK Rdn. 6. RGSt 13 319; 66 33; Fischer Rdn. 1. Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm § 165 Rdn. 4; Ruß LK11 § 165 Rdn. 3. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rdn. 2. Valerius BeckOK Rdn. 8; Zaczyk NK Rdn. 6. Zaczyk NK Rdn. 6. Regge/Pegel MK Rdn. 8. Valerius BeckOK Rdn. 8; ähnlich Regge/Pegel MK Rdn. 10. OLG Stuttgart NJW 1972, 2320; Regge/Pegel MK Rdn. 10. Regge/Pegel MK Rdn. 8. Hilgendorf
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Bekanntgabe der Verurteilung
machung zu erfolgen hat.22 Bei einer Bekanntmachung im Fernsehen müssen also etwa Sender und Uhrzeit der Bekanntmachung bestimmt werden.23
22 Regge/Pegel MK Rdn. 10. 23 Zaczyk NK Rdn. 8. Hilgendorf
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FÜNFZEHNTER ABSCHNITT Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs Vorbemerkungen zu den §§ 201 ff. Schrifttum Allgemein Arzt Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre (1970); Brüggen Allgemeines Persönlichkeitsrecht 2.0: Braucht das APR im digitalen Zeitalter ein Update? ZJS 2021 436; Chirino Sánchez Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und seine Geltung im Strafverfahren pp. (1999); Dalakouras Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechtsproblematik sowie des griechischen Rechts (1988); Ehmann Zur Struktur des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, JuS 1997 193; Ernst Gleichklang des Persönlichkeitsschutzes im Bild- und Tonbereich, NJW 2004 1277; Evers Der Schutz des Privatlebens und das Grundrecht auf Datenschutz in Österreich, EuGRZ 1984 281; Gallas Der Schutz der Persönlichkeit im Entwurf eines Strafgesetzbuches (E 1962), ZStW 75 (1963) 16; Geis Der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts, JZ 1991 112; Grünhut Der Schutz der Persönlichkeitssphäre im englischen und amerikanischen Recht, ZStW 74 (1962) 319; Henkel Der Strafschutz des Privatlebens gegen Indiskretion, Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages, Band II S. D 59; Hilgendorf Der Schutz der Psyche angesichts neuer bildgebender Technologien, Festschrift Yenisey, Bd. 1 (2014), 913; ders. Ist ein Schutz der Privatsphäre noch zeitgemäß? Festschrift Neumann (2017) 1391; Hohenstein Der Schutz vor der Herstellung und Verbreitung von Nackt- und Intimaufnahmen (2020); Höfling Die Unantastbarkeit der Menschenwürde – Annäherung an einen schwierigen Verfassungsrechtssatz, JuS 1995 857; Marx Persönlichkeitsrechte und die Digitale Revolution des 21. Jahrhunderts: Wie das Internet unsere Vorstellung von Persönlichkeitsrechten wandelt (2021); Maschmann Mitarbeiterkontrolle in Theorie und Praxis, Festschrift Hromadka (2008) 233; Jarass Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz, NJW 1989 857; Kargl Zur Differenz zwischen Wort und Bild im Bereich des strafrechtlichen Persönlichkeitsschutzes, ZStW 117 (2005) 325; Kienapfel Privatsphäre und Strafrecht (1969); Krauß Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, Festschrift Gallas (1973) 365; Peglau Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht (1997); Rogall Beleidigung und Indiskretion, Festschrift Hirsch (1999) 665; Pollähne Lücken im kriminalpolitischen Diskurs – Zu den Gesetzesentwürfen zur Verbesserung des Schutzes der Intimsphäre, KritV 2003 387; Rohlf Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre. Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des Art. 2 Abs. 1 GG (1980); Roxin Großer Lauschangriff und Kernbereich privater Lebensgestaltung, Festschrift Böttcher (2007) 159; Rüpke Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatheit (1976); Gerhard Schmidt Zur Problematik des Indiskretionsdelikts, ZStW 79 (1967) 741; L. Schulz Genetische Datenbanken und Selbstbestimmung: Das Beispiel Island, DuD 25 (1991) 1; Schünemann Der strafrechtliche Schutz von Privatgeheimnissen, ZStW 90 (1978) 11; Süß Geheimsphäre und moderne Technik, Festschrift Lehmann Band I (1956) 189; Vassalli Der strafrechtliche Schutz der Persönlichkeitssphäre im technischen Zeitalter, ZStW 74 (1962) 447; Vogler Schutz fremder Geheimnisse, insbesondere des Amts- und Berufsgeheimnisses, in Materialien zur Strafrechtsreform, 2. Band, Rechtsvergleichende Arbeiten. II, Besonderer Teil 389.
Schrifttum Digitalisierung, Data Mining und Künstliche Intelligenz im Strafrecht Beck Grundlegende Fragen zum rechtlichen Umgang mit der Robotik, JR 2009 225; dies. Zum Einsatz von Robotern im Palliativ- und Hospizbereich, MedR 2018, 772; dies. Selbstfahrende Kraftfahrzeuge – aktuelle Probleme der (strafrechtlichen) Fahrlässigkeitshaftung, in Oppermann/Stender-Vorwachs (Hrsg.) Autonomes Fahren, 2. Aufl. (2020); Beck/Kusche/Valerius (Hrsg.) Digitalisierung, Automatisierung, KI und Recht. Festgabe zum 10jährigen Bestehen der Forschungssstelle RobotRecht (2020); Feldle Notstandsalgorithmen (2018); Gaede Künstliche Intelligenz – Rechte und Strafen für Roboter? (2019); Gleß/Weigend Intelligente Agenten und das Strafrecht, ZStW 126 (2014) 561; Gräwe Die Entstehung der Rechtsinformatik. Wissenschaftsgeschichtliche und –theoretische Analyse einer Querschnittsdisziplin (2011); Gruber/Bung/Ziemann (Hrsg.), Autonome Automaten. Künstliche Körper und artifizielle Agenten in der technisierten Gesellschaft (2014); Haagen Verantwortung für Künstliche Intelligenz (2021); Hilgendorf Autonome Systeme, künstliche Intelligenz und Roboter, Festschrift Fischer (2018) 99; ders. Dilemma-Probleme beim automatisierten Fahren. Ein Beitrag zum Problem des Verrechnungsverbots im Zeitalter der Digitalisierung, ZStW 130 (2018) 674; ders. Automatisiertes Fahren und das Strafrecht – der „Aschaffenburger Fall“, DRiZ 96 (2018) 66; ders. Zivil- und strafrechtliche Haftung für von Maschinen verursachte Schäden, in Bendel (Hrsg.), Handbuch Maschinenethik (2019) 437; ders. Digitalisierung, Virtualisierung und das Recht, in Kasprowicz/Rieger (Hrsg.) Handbuch Virtualität (2020) 405; ders. Digitalisierung und (Straf)Recht. Plädoyer für eine Perspektivenerweiterung, in Hoven/Kubiciel (Hrsg.) Zukunftsperspektiven des Strafrechts. Symposium Weigend (2020) 137; ders. Auf dem Weg
723 https://doi.org/10.1515/9783110490121-047
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Vorbemerkungen
zu einer digitalen Transformation der Medizin. Rechtlicher Rahmen und strafrechtliche Herausforderungen, in AG Medizinrecht im DAV/IMR (Hrsg.) Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht (2021) 71; Hörnle/Wohlers The Trolley Problem reloaded – Wie sind autonome Fahrzeuge für Leben-gegen-Leben-Dilemmata zu programmieren? GA 2018 12; Hornung (Hrsg.) Rechtsfragen der Industrie 4.0. Datenhoheit, Verantwortlichkeit, rechtliche Grenzen der Vernetzung (2018); Kubiciel Die Veränderung des Strafrechts durch die Digitalisierung der Lebenswelt, in Hoven/ Kubiciel (Hrsg.) Zukunftsperspektiven des Strafrechts. Symposium für Weigend (2020) 159; Lohmann Strafrecht im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz (2021); Mansdörfer Über die strafrechtliche Verantwortlichkeit beim Einsatz maschinell-autonomer cyberphysischer Systeme oder: Prolegomena zu einem Allgemeinen Teil des Cyberstrafrechts, FS Fischer (2018) 155; Piallat (Hrsg.) Der Wert der Digitalisierung. Gemeinwohl in der digitalen Welt (2021); Roßnagel/Hornung (Hrsg.) Grundrechtsschutz im Smart Car (2019); Simmler Smart Criminal Justice. Vom Einsatz von Algorithmen in der Polizeiarbeit und Strafrechtspflege (2021); Sommerer Personenbezogenes Predictive Policing (2020).
Entstehungsgeschichte Der 15. Abschnitt des StGB enthielt ursprünglich Vorschriften über den Zweikampf (§§ 201 bis 210 a.F.), die durch das 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) ersatzlos aufgehoben wurden. An ihrer Stelle fügte das EGStGB den Abschnitt über die „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“ ein. Diese Überschrift ist jedoch zu eng gefasst. Die Straftatbestände des Abschnitts beschränken sich nicht auf den Schutz der Persönlichkeitssphäre; sie erfassen auch den geschäftlichen und amtlichen Bereich (siehe §§ 203, 204, ferner die nur einen „Schutzmantel“ voraussetzenden §§ 202, 202a). Die durch das EGStGB eingefügten Vorschriften waren in ihrem Kern nicht neu. Die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201) war bereits zuvor in den §§ 298, 353d Abs. 1 a.F. unter Strafe gestellt; § 201 StGB fasste diese Bestimmungen zusammen, traf im Übrigen aber nur geringfügige Änderungen. Der Kern des Straftatbestandes, der auf § 183 E 1962 zurückgeht, blieb unberührt (vgl. § 201 Vor Rdn. 1). Strafvorschriften über die Verletzung des Briefund des Berufsgeheimnisses waren von Anfang an im StGB enthalten (§§ 299, 300 a.F.); die neuen §§ 202, 203 erweiterten den Schutzbereich der früheren Tatbestände jedoch beträchtlich (vgl. im Einzelnen § 202 Vor Rdn. 1). Eine § 204 – Verwertung fremder Geheimnisse – entsprechende Strafvorschrift kannte das StGB selbst noch nicht; Vorläufer fanden sich jedoch in zahlreichen Bestimmungen des Nebenstrafrechts (vgl. § 204 Rdn. 1). § 205 regelt für alle Tatbestände das – im Allgemeinen schon vorher bestehende – Antragserfordernis. Mit der Zusammenfassung der Vorschriften in einem besonderen Abschnitt des StGB unterstrich der Gesetzgeber die Bedeutung, die den hier geschützten Rechtsgütern nach heutigem Verständnis – im Lichte des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention – beizumessen ist (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 235). Zu der seitdem schrittweise durchgeführten Erweiterung des strafrechtlichen Schutzbereichs siehe Rdn. 13–15.
Übersicht I. 1. 2. 3.
II. 1. 2.
Verfassungsrechtlicher Hintergrund Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Sphären1 theorie 2 Kritik an der Spärentheorie Grundrecht auf informationelle Selbstbestim3 mung Überblick über die Schutzvorschriften und ihre 4 Funktion 5 Bürgerlich rechtlicher Schutz 6 Strafrechtliche Sanktionen a) Schwerpunktsetzung im 15. Abschnitt des 7 StGB 8 b) Viktimodogmatisches Prinzip
Hilgendorf/Schünemann
9 Sonstige Strafvorschriften Abweichungen in der Schutzgutsystema10 tik 11 Kriminalstatistik
c) d) 3. III. 1. 2. IV.
12 Reformfragen Technische und gesellschaftliche Entwicklun13 gen 15 Zur Frage des Indiskretionsdelikts Digitalisierung, Data Mining und Künstliche In16 telligenz im Strafrecht
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I. Verfassungsrechtlicher Hintergrund
Vor § 201
Alphabetische Übersicht Abwägungsbereich 1 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 1 Berufsgeheimnis 14 Bürgerlichrechtlicher Schutz 5 Caroline von Monaco 2 DDR Dienstleistungsgesellschaft 14 Digitalisierung 16 Ehewohnung – Gespräche in der – 2 Enthüllungsjournalismus 15 Geschäftsgeheimnis 9 Indiskretionsdelikt – Allgemeines 15 Informationelle Selbstbestimmung 4 Intimsphäre 1 Kernbereich 1–3 Kontingenz 3 Kriminalstatistik 11 Künstliche Intelligenz 16 Lauschangriff – Großer 2 Lügendetektor 2 Nachtsichtgerät 13 Öffentlichkeitssphäre 1 Persönlichkeitsschutz
– Grenzen 15 Privatsphäre 1 Recht auf informationelle Selbstbestimmung 4 Reform des 15. Abschnitts 11 Right – to be let alone 1 – to privacy 1 Schadensersatzanspruch 5 Selektivität – des Strafrechts 6 Sozialsphäre 1 Sphärentheorien 2 Strafverfahrensrecht 1 Tagebuch 2 Täterkreise – der einzelnen Delikte 14 Technik – Fortschritt d. – und Recht 13 Teleobjektiv 13 Überblick 4 Unterlassungsanspruch 5 Verfassungsrecht 1 Viktimodogmatisches Prinzip 8 Verantwortung für Sabotagesicherheit 17 Volkszählung 3
I. Verfassungsrechtlicher Hintergrund 1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Sphärentheorie Das Verständnis der strafrechtlichen Regelung, die notwendigerweise fragmentarische Züge auf- 1 weist, wird erleichtert, wenn man sie im größeren Zusammenhang, insbesondere im Blick auf die Wertentscheidungen des Grundgesetzes sieht (vgl. Schünemann S. 14). Bei den Tatbeständen des 15. Abschnitts geht es – entsprechend seiner gesetzlichen Bezeichnung – in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich um den Schutz verschiedener Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das in der Rechtsprechung des BVerfG als ein aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG abzuleitendes Grundrecht anerkannt und damit verfassungsrechtlich garantiert worden ist1 (vgl. ferner Art. 8 EMRK und dazu Evers S. 282, 283 ff). Zur Kennzeichnung des Schutzbereichs hat sich das Bundesverfassungsgericht anfangs an die Rechtsprechung des amerikanischen Supreme Court angelehnt, der ein right to privacy bzw. ein right to be let alone anerkennt, und ausgesprochen, dass jedem ein „Innenraum“ verbleiben müsse, „in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt“ (BVerfGE 27 1, 6; Wintrich Zur Problematik der Grundrechte [1957], S. 15 f; ferner Benda/Maihofer/Vogel/Benda Handbuch des Verfassungsrechts der Bun1 Und zwar unter Fortführung der richtungweisenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, vgl. BGHZ 13 334 ff; 24 72 ff; 26 349 ff; 27 284 ff; zur seitherigen Entwicklung Erman/Klass Anhang § 12; Ehmann JuS 1997 193 ff. Zur etwas später einsetzenden Rechtsprechung des BVerfG siehe BVerfGE 27 344, 350 f; 32 373, 379; 34 238, 245 f; 54 148, 153; 65 1 ff und zur Entwicklung Schmitt Glaeser HdbStR2 VI § 129 Rdn. 27 ff; v. Münch/Kunig/Kunig/Kämmerer Art. 2 GG Rdn. 51 ff; Kläver JR 2006 229 ff. 725
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Vorbemerkungen
desrepublik Deutschland2 [1994], § 6 Rdn. 25, 35 f; Schünemann S. 27 f; Krauß S. 380 ff). Die dogmatische Ausarbeitung ist dabei durch die Unterscheidung von zwei unterschiedlichen Schutzbereichen vorangetrieben worden, nämlich zwischen einem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung, der jedem fremden Zugriff absolut entzogen sei,2 und einem nur noch relativ geschützten Bereich („Abwägungsbereich“), in dem der einzelne Bürger in Kommunikation mit anderen tritt oder in anderer Weise einen Sozialbezug herstellt und in den der Staat im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingreifen dürfe.3 Eine weitere Untergliederung und Aufteilung im Rahmen dieser Sphärentheorie ist gelegentlich vom BVerfG,4 häufiger aber in der Lehre versucht worden. So werden etwa vor allem im zivilrechtlichen Schrifttum mindestens drei Sphären unterschieden, nämlich die Geheim- oder Intimsphäre, die den stärksten Schutz genießen und den Bereich umfassen sollen, in dem der Mensch ganz für sich sein will, ohne die Zudringlichkeit anderer befürchten zu müssen; die Privatsphäre, die das Leben in Familie, Freundschaft und Nachbarschaft unter Ausschluss der Allgemeinheit erfassen soll und in die nur bei überwiegenden Interessen der Allgemeinheit unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots eingegriffen werden dürfe; und die (teilweise selbst noch unterschiedene) Sozial- oder Öffentlichkeitssphäre, die den Kontakt zur Allgemeinheit betrifft und für die deshalb (nur) die allgemeinen Regeln des Freiheitsschutzes gelten, so dass hier ein Zugriff des Staates nach den allgemeinen Regeln der Verhältnismäßigkeit zulässig sei.5 Wieder anders wird von Wolter innerhalb des Kernbereichs für das besonders heikle Feld des Strafverfahrensrechts zwischen dem in Art. 1 GG verankerten unantastbaren Bereich und dem aus Art. 19 Abs. 2 GG abzuleitenden, ebenfalls unantastbaren Wesensgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterschieden.6
2. Kritik an der Spärentheorie 2 Den verschiedenen Sphärentheorien einschließlich derjenigen des BVerfG ist ein doppeltes Versagen vorgeworfen worden, weil eine auch nur einigermaßen brauchbare Abgrenzung der Sphären gegeneinander nicht möglich sei und weil die in Wahrheit viel wichtigere Differenzie2 Erstmals BVerfGE 6 32, 41; 6 389, 433; 27 344, 350 f; 32 373, 378 f; 34 238, 245; 54 142, 146; der verbalen Oberflächenstruktur nach auch noch 80 367, 373 f, deutlicher aber wieder BVerfGE 90 255, 260; 121 69, 90; BVerfG NJW 2016 1939; aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vor allem BGHSt 31 296. Weitere Nachweise zur Rechtsprechung und Literatur bis 1974 bei Scholz AöR 100 (1975) 80 ff, 265 ff; grundsätzlich zustimmend, aber im Einzelnen vielfache Modifizierungen vorschlagend; Dalakouras S. 86 ff, 268 ff; Rohlf S. 225 ff; Gössel NJW 1981 651, 655; ders. JZ 1984 361; Geppert JZ 1988 471, 473; Hofmann JuS 1992 587, 591 unter Hinweis auf BVerfGE 34, 238; Otto FS Kleinknecht 319, 320; Störmer NStZ 1990 397; Frank Die Verwertbarkeit rechtswidriger Tonbandaufnahmen Privater (1996) S. 73 ff; Peglau S. 16 ff. 3 Wobei das BVerfG und die im Ansatz zustimmenden Autoren (Nachweise in Fn. 2) nur darin übereinstimmten, dass überhaupt zwischen dem Kernbereich und dem Abwägungsbereich zu unterscheiden ist, während über den Verlauf der Abgrenzungslinie selbst weder Einigkeit noch auch nur eine klare Konzeption besteht. Während das BVerfG die Abgrenzung von Fall zu Fall vornehmen wollte und damit die ganze Unterscheidung streng genommen nach Art eines Inversionsschlusses handhabte, ist die einzige im Schrifttum vorgeschlagene generelle Abgrenzungsrichtlinie, die zwischen dem forum internum und der Kommunikation nach außen unterscheidet (Dalakouras S. 88, 264; Rohlf S. 227; w.N.b. Frank [Fn. 2], S. 102 f), zwar trennscharf und praktikabel, in der Sache aber nicht überzeugend, weil rechtlich erhebliches Verhalten regelmäßig Sozialbezug aufweist, so dass eine Beschränkung des Kernbereichs auf das forum internum dafür nur einen minimalen Anwendungsbereich lässt, was auch vom BVerfG in der zweiten Tagebuchentscheidung ausdrücklich für inadäquat erklärt worden ist (BVerfGE 80 367, 374; Frank [Fn. 2], S. 103 f). 4 BVerfGE 27 344, 350; 34 238, 245; 35 35, 39; 35 202, 220; ebenso Scholz AöR 100 (1975) 288; Rüpke S. 24; Hofmann JuS 1992 587, 591; Sachs/Rixen GG Art. 2 Rdn. 104. 5 Enneccerus/Nipperdey Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I S. 591; Hubmann Das Persönlichkeitsrecht2 (1967), S. 269; Maass Information und Geheimnis im Zivilrecht (1970) S. 22 ff; w.N.b. Schünemann S. 17 f. 6 Wolter NStZ 1993 1 ff. Hilgendorf/Schünemann
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I. Verfassungsrechtlicher Hintergrund
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rung nach dem Gewicht der Eingriffsinteressen und der Eingriffstiefe der verschiedenen Angriffsformen darin nicht untergebracht werden könne.7 Auch das BVerfG hat in der zweiten Tagebuchentscheidung nicht einmal ein intimste Selbstgespräche wiedergebendes Tagebuch zum unantastbaren Kern der Persönlichkeit gezählt und diesen infolgedessen auf eine Nullmenge reduziert8 sowie im Volkszählungsurteil anerkannt, dass es unter dem Aspekt des Datenschutzes kein belangloses Datum mehr gebe, weil wegen der durch die Datenverarbeitung ermöglichten Verknüpfbarkeit einzelner Daten auch an sich völlig „harmlose“ Daten für die Privatsphäre des Individuums gefährlich werden könnten (s. nun auch § 202d).9 Auch die (in dieser Hinsicht ohnehin stets schwankende)10 Rechtsprechung des BGH konnte für die Sphärentheorie schwerlich noch in Anspruch genommen werden, nachdem das einstmals aus der These des unantastbaren Kernbereichs der Menschenwürde abgeleitete Verbot des Einsatzes eines Lügendetektors11 auf die These seiner völligen Ungeeignetheit als Beweismittel reduziert12 und nachdem das „Paradebeispiel“, nämlich die Einordnung der Unterhaltung zwischen Eheleuten in der ehelichen Wohnung in den unantastbaren Kernbereich (BGHSt 31 296, 300), durch die Regelung des sog. Großen Lauschangriffs in § 100c Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 4 und 5, Abs. 3 StPO a.F. vom Gesetzgeber selbst13 in Frage gestellt wurde. Für die Sphärentheorie lässt sich allerdings anführen, dass es sich um ein den Problembereich strukturierendes und damit klärendes Modell handelt, dessen Grund sich aus der Tatsache ergibt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht Einschränkungen unterliegt, während die Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, nicht legal eingeschränkt werden kann. De lege lata macht die Unterscheidung von „Kernbereich“ und „Abwägungsbereich“ deshalb durchaus Sinn; fraglich ist nur, wie die jeweiligen Bereiche praktisch bestimmt werden.
7 Schünemann S. 17 ff; kritisch auch Rüpke S. 25; Kamlah DÖV 1970 362; Forsthoff FS DJT 45 ff; Fezer JR 1976 96; Kraus FS Gallas 378 ff; seither Plagemann NStZ 1987 570; Lorenz GA 1992 267; Ehmann JuS 1997 196 f; Dreier/Dreier GG Art. 2 I Rdn. 92 f; Sachs/Rixen Art. 2 GG Rdn. 105 ff; Schmitt Glaeser HdbStR2 VI § 129 Rdn. 14 ff; vgl. aber auch die Verteidigung bei Rogall ZStW 103 (1991) 907, 920 f und passim. 8 Wenn auch nur in einer 4:4 Entscheidung, siehe BVerfGE 80 367, 376 (Gründe, auf denen die Entscheidung gemäß § 15 Abs. 3 S. 3 BVerfGG beruht), 380 (abw. Meinung der vier anderen Richter); ähnlich die Zurücknahme des ursprünglich aus Art. 1 GG abgeleiteten Verbots des Lügendetektors, s. BVerfG NJW 1998 1938. Auch sonst spielte die Sphärentheorie in der Rechtsprechung von BVerfG und BGH zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das mit Vorliebe anhand von Prozessen der Prinzessin Caroline von Monaco entfaltet wurde, lange Zeit keine besondere Rolle mehr, vgl. etwa BGHZ 128 1; BVerfGE 101 361. Zu der gleichwohl anhaltenden, aber meist folgenlosen Beliebtheit der Sphärentheorie im Schrifttum vgl. Heldrich FS Heinrichs 319, 327 ff; Rehm AfP 1999 416. 9 BVerfGE 65 1, 42 ff; Weichert Informationelle Selbstbestimmung und strafrechtliche Ermittlung (1990) S. 13 ff; ders. NStZ 1999 490 f. 10 Vgl. einerseits BGHSt 31 296, 299 f, wo in seltener (und zweifelhafter, siehe bei Fn. 13) Weise ein staatlicher Eingriff in den Kernbereich konstatiert wurde, und andererseits das Tagebuchurteil BGHSt 34 397, 401, wo die Sphärentheorie nicht einmal erwähnt wurde. Auch das BVerfG hielt sich nicht einmal terminologisch konsequent an seine Unterscheidung von Kern- und Abwägungsbereich, vgl. beispielsweise den Kammerbeschluss BVerfG NJW 1996 2643. 11 BGHSt 5 332 ff, bestätigt durch BVerfG NStZ 1981 446 f; zustimmend die damals h.M., s. Meyer LR23 § 136a Rdn. 41; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 StPO § 136a Rdn. 24; Rogall SK-StPO § 136a Rdn. 92 f; Beulke/Swoboda Strafprozessrecht Rdn. 216; Eisenberg Beweisrecht der StPO Rdn. 696 ff; Peters ZStW 87 (1975) 663 ff; Frister ZStW 106 (1994) 303, 331; Schlüchter Das Strafverfahren Rdn. 98; in der Tendenz auch Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht § 25 IV Rdn. 17; Hanack LR25 § 136a Rdn. 56, 60; Achenbach NStZ 1984 350 ff; aA Undeutsch ZStW 87 (1975) 650 ff; ders. MschrKrim. 1979 228; Schwabe NJW 1979 576 ff; Kühne Strafprozeßlehre Rdn. 536.1–2; Amelung NStZ 1982 38 ff; Prittwitz MDR 1982 886 ff; Wegner Täterschaftsermittlung durch Polygraphie (1981) S. 183 ff; Delvo Der Lügendetektor im Strafprozeß der USA (1981) S. 374 ff; Dalakouras S. 172 ff; für eine Differenzierung durch Beschränkung des Lügendetektors auf das Ermittlungsverfahren Schünemann Kriminalistik 1990 131–132, 149–152. 12 BGHSt 44 308; dagegen die durchschlagende Kritik bei Schüssler Polygraphie im deutschen Strafverfahren (2002); vgl. auch Hilgendorf FS Yenisey (2014) 913; Roxin/Schünemann26 § 25 Rdn. 18. 13 Durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität v. 4.5.1998, BGBl. I S. 845. 727
Hilgendorf/Schünemann
Vor § 201
Vorbemerkungen
3. Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 3 Auch bei einem Verzicht auf die Sphärentheorie ließe sich den §§ 201 ff. das vom BVerfG im Volkszählungsurteil proklamierte spezielle Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung14 zuordnen, das man somit als die unmittelbare verfassungsrechtliche Basis für die §§ 201–206 ansprechen könnte. Die Problematik eines derartigen Grundrechts, „grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“ (BVerfGE 65 1, 42; ferner Benda a.a.O. § 6 Rdn. 26), liegt natürlich auf der Hand, da es stricto sensu nur für einen Robinson Crusoe passt, während für das Leben des Menschen in der Gesellschaft die Abwägung zwischen seinem etwaigen Interesse an Geheimhaltung und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht im Ausnahme-, sondern im Regelfall notwendig ist. Ähnlich wie die allgemeine Handlungsfreiheit als Schutzobjekt von Art. 2 Abs. 1 GG15 hat deshalb auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung keinen durch bloße Verfassungsinterpretation exakt angebbaren Schutzbereich, sondern ist auf die kaum je zu stringenten, sondern in der Regel nur zu kontingenten Ergebnissen führende Methode der Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall angewiesen.16 Die dogmatische Bedeutung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung liegt dann vor allem im kompetentiellen Bereich, weil dadurch jede Einschränkung unter einen Gesetzesvorbehalt gestellt wird, dem in vielen Bereichen noch kein Genüge getan worden ist (mit entsprechenden schwierigen Problemen für die Rechtfertigungsfrage auch bei den §§ 201 ff, siehe § 201 Rdn. 43 ff) und auch vielfach nur in Form von Generalklauseln Genüge getan werden kann (besonders ausgeprägt im Datenschutzrecht, siehe § 203 Rdn. 201). Für das Strafrecht bringt die verfassungsrechtliche Verankerung deshalb nur, aber immerhin den systematischen Gewinn, dass es dadurch möglich ist, den historisch aus ganz unterschiedlichen Bedürfnissen und auf unterschiedlichen Feldern entstandenen Tatbeständen der §§ 201–206 ein für alle geltendes gemeinsames, in den einzelnen Vorschriften lediglich aufgefächertes Rechtsgut zuzuschreiben, das man aber keinesfalls mit dem strafrechtlichen Schutzbereich identifizieren darf, der durch das ultima-ratio-Prinzip, das in dieser Deliktsgruppe vor allem in Gestalt der viktimodogmatischen Maxime in Erscheinung tritt (näher Rdn. 8), erheblich reduziert wird. Die Renaissance der Kernbereichslehre, die sich vor allem seit dem Urteil des BVerfG zum großen Lauschangriff (BVerfGE 109 279, 314) in Rechtsprechung (BVerfGE 113 348, 390 ff; 120 274, 335 ff; BGHSt 50 206, 212), Gesetzgebung (§ 100d StPO) und Schrifttum (instruktiv Roxin FS Böttcher 159 ff) findet, ist deshalb zwar weniger für die Interpretation der Straftatbestände der §§ 201 ff, wohl aber für die Zulässigkeit staatlicher Eingriffe und damit auf der Rechtswidrigkeitsebene von erheblicher Bedeutung.
14 BVerfGE 65 1 ff; zur (inzwischen abgeflauten) kontroversen Diskussion über dessen dogmatischen Wert siehe Dreier/Dreier Art. 2 I GG Rdn. 80; v. Sachs/Rixen Art. 2 GG Rdn. 72 f; Schmitt Glaeser HdbStR VI § 129 Rdn. 76 ff; Vogelgesang Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung? (1987); Höfelmann Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung anhand der Ausgestaltung des Datenschutzrechts pp. (1997); Rogall ZStW 103 (1991) 907, 921 ff. 15 So das BVerfG in ständiger Rechtsprechung seit dem Lüth-Urteil BVerfGE 6 32 ff, siehe dazu Dreier/Dreier Art. 2 I GG Rdn. 26 ff; Sachs/Rixen Art. 2 GG Rdn. 43 ff; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck GG Art. 2 Rdn. 8; Degenhart JuS 1990 161 ff; Pieroth AöR 115 (1990) 33 ff. 16 Die rechtstheoretischen und -methodologischen Arbeiten zur Güter- und Interessenabwägung sind Legion und hier nicht im Einzelnen zu behandeln, vgl. nur Alexy Theorie der juristischen Argumentation5 (2006); Sieckmann Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems (1990). Sie alle haben nichts daran ändern können, dass es nach Berücksichtigung aller Abwägungsgesichtspunkte in der Regel immer noch mehrere vertretbare Lösungen gibt, von denen dann schließlich eine von der letztentscheidenden Instanz durch einen im Kern politischen Akt ausgewählt und für verbindlich erklärt wird – was vor aller theoretischen Reflexion von der praktischen Alltagserfahrung jedes Juristen bestätigt wird, der die Kontingenz der Güter- und Interessenabwägung und ihre autoritative Entscheidung im gerichtlichen Instanzenzug täglich erfährt. Hilgendorf/Schünemann
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II. Überblick über die Schutzvorschriften und ihre Funktion
Vor § 201
II. Überblick über die Schutzvorschriften und ihre Funktion Aus der diffusen normativen Struktur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf 4 informationelle Selbstbestimmung als einer seiner wichtigsten Ausprägungen folgt also, dass nicht erst dessen Schranken, sondern schon der Schutzbereich selbst auf der Ebene des sog. einfachen Rechts bestimmt werden muss. Hierfür kommen eine Vielzahl von Vorschriften in Betracht:
1. Bürgerlich rechtlicher Schutz Eine umfassende Bedeutung kommt dem in der Rechtsprechung des BGH entwickelten bürger- 5 lichrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu, der auch den persönlichen Lebens- und Geheimbereich erfasst. Bei rechtswidrigen Eingriffen bestehen Ansprüche auf Unterlassung und ggf. Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens.17
2. Strafrechtliche Sanktionen Der Schutz durch das bürgerliche Recht reicht jedoch nicht aus. Bei besonders schwerwiegen- 6 den Verletzungen und für besonders sensible Bereiche bedarf es zusätzlicher strafrechtlicher Sanktionen.18
a) Schwerpunktsetzung im 15. Abschnitt des StGB. Der erforderliche strafrechtliche 7 Schutz ist über das ganze StGB verteilt (Übersicht bei Peglau S. 26 ff), jedoch mit den klaren Schwerpunkten im 14. Abschnitt (Beleidigung) und im 15. Abschnitt des StGB. Wenn sich auch die Vorschriften des 15. Abschnitts nicht nur mit dem persönlichen Lebens- und Geheimbereich befassen, so steht doch dessen Schutz in ihrem Mittelpunkt (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 235). Wie dieser Bereich abstrakt zu umschreiben ist, mag im Einzelnen zweifelhaft sein.19 Sicher ist: Das StGB bezweckt keinen umfassenden Schutz der Privatsphäre; es beschränkt sich vielmehr darauf, bestimmte unerträgliche Angriffsformen mit Strafe zu bedrohen.20 Durch diese Zurückhaltung ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich gelungen, relativ scharf konturierte Straftatbestände zu schaffen, obwohl sich das geschützte Rechtsgut einer präzisen Definition entzieht (vgl. Schünemann S. 13 f) und man das Fehlen einer Beschränkung vor einer „Datenhehlerei“ nach § 202d geschützten Daten z.B. auf solche, an denen seitens des Berechtigten ein wie auch immer geartetes „Schutzinteresse“ besteht, zumindest diskutieren kann (§ 202d Rdn. 5). Dabei wird der 17 Vgl. dazu im Einzelnen Erman/Klass BGB Anh. § 12 Rdn. 279 ff, 306 ff; Ehmann JuS 1997 193 ff; zur geschichtlichen Entwicklung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes vgl. Bussmann Reichen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen insbesondere im Hinblick auf die modernen Nachrichtenmittel aus, um das Privatleben gegen Indiskretion zu schützen?, Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages, Band I S. 1, 8 ff. 18 Vgl. zu dieser Notwendigkeit – auch unter Berücksichtigung des zivilrechtlichen Schutzes durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht – Henkel S. D 73 ff; Gallas S. 20 f; Neumann-Duesberg S. 863; Gerhard Schmidt S. 761 ff; Arzt S. 311 ff. 19 Vgl. allgemein Schünemann S. 27 ff; Krauß S. 367 ff, 384, 387; Kienapfel S. 13, 17, 18 ff, 23; Fezer JR 1976 95, 96; im Hinblick auf Art. 8 EMRK: Evers S. 284 ff; zum Versuch, einzelne Sphären zu unterscheiden, o. Rdn. 1 sowie Schünemann S. 17 ff; Kienapfel S. 18 ff; Arzt S. 102 ff; Henkel S. D 80 ff; Scholz AöR 100 80, 265, 266; zur geschichtlichen Entwicklung: Schünemann S. 15 ff; Kienapfel S. 14 ff; Süß S. 199 ff. 20 Dazu allgemein Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers/Schünemann Rechtsgutstheorie – Legitimationsbasis des Strafrechts oder dogmatisches Glasperlenspiel? (2003) S. 133 ff; von Hirsch/Seelmann/Wohlers/Schünemann Mediating Principles – Begrenzungsprinzipien bei der Strafbegründung (2006) S. 18 ff; Hilgendorf Handbuch des Strafrechts Bd. 1 (2019) § 27. 729
Hilgendorf/Schünemann
Vor § 201
Vorbemerkungen
strafrechtliche Schutz auf zwei Weisen verwirklicht (vgl. Schünemann S. 32 f): Einige Vorschriften stellen bereits das unbefugte Eindringen in den persönlichen Lebens- und Geheimbereich unter Strafe. Voraussetzung ist allerdings, dass das Eindringen in qualifizierter Form erfolgt oder dass besondere Schutzvorkehrungen getroffen wurden, die zu überwinden sind (vgl. §§ 201, 201a, 202, 202a; mit Abstrichen auch § 202d, da die geschützten Daten auch dort zumindest nicht „allgemein zugänglich“ sein dürfen). Sind dem Täter Tatsachen aus dem persönlichen Lebens- und Geheimbereich bereits bekannt, bedarf es somit keines Eindringens mehr, kann auch die unbefugte Weitergabe dieser Kenntnisse oder deren widerrechtliche Verwertung strafbar sein. Hier setzt der Tatbestand jedoch voraus, dass der Täter bestimmten, im Gesetz abschließend aufgeführten Personengruppen angehört und in dieser Eigenschaft zum Geheimnisträger wurde (§§ 203, 204).
8 b) Viktimodogmatisches Prinzip. Normativer Hintergrund der vom Gesetzgeber vorgenommenen Grenzziehung für den Strafrechtsschutz ist in allen Fällen das durch die Tatbestandsausgestaltung manifestierte viktimodogmatische Prinzip, demzufolge die Verhängung von Strafe als ultima ratio des Staates zur Verhütung von Sozialschäden dann nicht am Platze ist, wenn das Opfer keinen Schutz verdient und keines Schutzes bedarf, weil es von ohne Weiteres verfügbaren Selbstschutzmöglichkeiten ohne triftigen Grund keinen Gebrauch gemacht hat. Am Beispiel des § 202: Wer intime Dokumente unverschlossen herumliegen lässt, kann gegen die Kenntnisnahme durch Dritte ebenso wenig einen strafrechtlichen Schutz verlangen wie (am Beispiel des § 203) derjenige, der zur Behandlung seiner Leiden statt eines Arztes einen Wunderheiler aufsucht, der die Behandlungsgeschichte an die Boulevardpresse weitergibt. Die Bedeutung der Viktimodogmatik als regulatives Prinzip einer teleologischen Tatbestandsauslegung21 wird an vielen Einzelproblemen der §§ 201 ff deutlich.22 Zur fortbestehenden Grundsatzkontroverse vgl. nachfolgend § 203 Rdn. 28 ff.
9 c) Sonstige Strafvorschriften. Strafbestimmungen zum Schutz des persönlichen Geheimbereichs finden sich – des Zusammenhangs wegen – auch in anderen Gesetzen, die bestimmte Spezialgebiete ordnen (vgl. zur Zersplitterung der Materie in ausländischen Rechtsordnungen Vogler S. 390). So wird die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht der Vertrauensperson der Schwerbehinderten in § 237a f SGB IX mit Strafe bedroht. Nach § 120 Abs. 2 BetrVG macht sich ein Mitglied des Betriebsrats strafbar, das ein „fremdes Geheimnis eines Arbeitnehmers, namentlich ein zu dessen persönlichem Lebensbereich gehörendes Geheimnis“, unbefugt offenbart. Die unbefugte Verbreitung von Abbildungen einer Person ist nach § 33 KunstUrhG strafbar; auch sie stellt sich als ein rechtswidriger Eingriff in den persönlichen Lebensbereich dar (vgl. Hager in: v. Staudinger BGB § 823 C 151 ff; Henkel S. D 86 ff, 142; Süß S. 192). Weitere Strafvorschriften, die dem Schutz des Persönlichkeitsbereichs dienen, gibt es im Recht des Datenschutzes. Strafrechtlichen Schutz bietet insoweit beispielsweise § 42 BDSG. In räumlicher Beziehung wird die Privatsphäre durch § 123 StGB geschützt (vgl. Süß S. 205; Kienapfel S. 18, 44; Schünemann S. 32). Zu erwähnen sind schließlich Vorschriften, die, wenn sie auch vornehmlich eine andere Zielrichtung haben, jedenfalls mittelbar zum Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs beitragen: Dazu gehören etwa § 353b StGB (vgl. Vormbaum LK § 353b Rdn. 13, 34; zum geschützten Rechtsgut in § 353b dort Rdn. 2) und § 353d StGB (zum geschützten Rechtsgut Vormbaum LK § 353d Rdn. 2).
21 Für die Delikte des 15. Abschnitts begründet von Schünemann S. 32 f, 53 ff. 22 Vgl. § 201 Rdn. 22, 37; § 202 Rdn. 2 f, 18; § 203 Rdn. 28 ff. Hilgendorf/Schünemann
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III. Reformfragen
Vor § 201
d) Abweichungen in der Schutzgutsystematik. Der durch die Vorschriften des 15. Ab- 10 schnitts bezweckte Schutz erstreckt sich jedoch auch auf Gebiete, die über den persönlichen Lebens- und Geheimbereich im engeren Sinne hinausgehen (Vgl. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Vor §§ 201 ff Rdn. 2; Kienapfel S. 42 f; Gallas S. 22; Schünemann S. 11 ff). So verbietet § 201 auch die Tonaufnahme geschäftlicher Gespräche oder amtlicher Unterredungen (vgl. § 201 Rdn. 1, 6). In ähnlicher Weise erfasst § 202 auch Geschäftsbriefe oder behördliche Mitteilungen (§ 202 Rdn. 1, 11). § 202a beschränkt sich nicht auf den Schutz personenbezogener Daten. § 202d fehlt jegliche Einschränkung in Hinblick auf die als taugliche Tatobjekte geschützten Daten. Die §§ 203 und 204 erfassen ausdrücklich die Offenbarung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen; diese gehören zum Bereich der gewerblichen Betätigung, nicht zur Privatsphäre (vgl. BVerfGE 38 312, 320). § 184k (Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen) wurde vom Gesetzgeber23 im Jahr 2020 in den 13. Abschnitt (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung) eingefügt, passt aber im Hinblick auf seine Schutzrichtung (Schutz der Privat- und Intimsphäre) viel besser in den 15. Abschnitt. 3. Kriminalstatistik In der Kriminalstatistik traten die Delikte des 15. Abschnitts über lange Zeit kaum in Erschei- 11 nung (Pollähne S. 392 ff), was teils am heimlichen Charakter der Delikte, teils am Antragserfordernis lag und sich mit dem Ausbau des Datenschutzes im StGB durch die §§ 202a–202d Schritt für Schritt ändert.
III. Reformfragen Der Blick auf den bisherigen Gang der Gesetzgebung zeigt, dass der strafrechtliche Schutz des 12 persönlichen Lebens- und Geheimbereichs stetig fortentwickelt und ausgebaut wurde (vgl. Vor Rdn. 1 sowie die Ausführungen zur Entstehungsgeschichte bei den §§ 201, 201a, 202, 202a und 204). Ein Abschluss dieser Entwicklung ist noch nicht zu sehen.
1. Technische und gesellschaftliche Entwicklungen Anzeichen für einen künftigen Regelungsbedarf mag die zunehmende Empfindlichkeit gegen 13 Beeinträchtigungen der Persönlichkeit und ihrer Lebenssphäre sein, die in weiten Kreisen spürbar wird und ein verändertes Rechtsbewusstsein signalisiert (vgl. Henkel S. D 66). Eine qualitativ und quantitativ besonders wichtige Rolle spielt ferner der rasche Fortschritt in der Technik.24 Durch die Entwicklung elektronischer Geräte, die es erlauben, die Worte eines anderen heimlich auf Tonträger aufzunehmen oder dessen Gespräche abzuhören, war der Gesetzgeber gehalten, einen Straftatbestand zum Schutz der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201) zu schaffen (vgl. Henkel S. D 127 sowie die Nachweise § 201 Vor Rdn. 1). Bald zeigte sich jedoch, dass der durch diese Vorschrift gewährleistete Schutz unzureichend war. Das Gesetz zur Verhinderung des Missbrauchs von Sendeanlagen vom 27. Juni 1986 (BGBl. I S. 948) fügte deshalb zum Teil strafbewehrte Verbote für den Umgang mit Sendeanlagen in das FAG ein (s. § 148 TKG a.F.). Die neuen Vorschriften sollten den Missbrauch von Abhörgeräten, wie er durch die technische Entwicklung ermöglicht wurde, bereits im Vorfeld verhindern (vgl. BTDrucks. 10/1618 S. 6). Auch der 23 59. StÄG vom 9.10.2020 (BGBl. I S. 2075), vgl. auch BT-Drucks. 19/20668. 24 Vgl. dazu Henkel S. D 66; Kienapfel S. 9, 10 m.w.N. S. 10 Fn. 2; Gallas S. 18 ff; Benda/Maihofer/Vogel/Benda Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland2 [1994], § 6 Rdn. 44 ff S. 122; Gerhard Schmidt S. 764 f; Süß S. 190 f; Grünhut S. 319; Vassalli S. 454 f. 731
Hilgendorf/Schünemann
Vor § 201
Vorbemerkungen
Schutz des Briefgeheimnisses wurde erweitert, um zu verhindern, das mittels moderner Durchleuchtungseinrichtungen verschlossene Briefe gelesen würden (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 237). Der Widerspruch, dass zwar der Einsatz eines Abhörgerätes strafbar war, nicht aber das heimliche Fotografieren eines anderen, etwa mit Teleobjektiven oder mit Nachtsichtgeräten, obwohl dieses einen ebenso schwerwiegenden Einbruch in die Privatsphäre bedeuten kann (vgl. Schünemann S. 33; Kienapfel S. 45, 47; Ernst und Kargl, a.a.O.; Evers S. 282 für das österreichische Recht; zum zivilrechtlichen Blickwinkel v. Staudinger/Schäfer § 823 BGB C 158; OLG Hamm JZ 1988 308 mit abl. Anm. Helle)25, wurde durch Einfügung des § 201a aufgelöst. Der Aufbau von Datenbanken und Datenverarbeitungssystemen hat es erforderlich gemacht, in einem ersten Schritt das Ausspähen von Daten in einer besonderen Vorschrift (§ 202a) zu erfassen und in einem zweiten dessen Anwendungsbereich auszuweiten und durch die §§ 202b und 202c zu ergänzen. Die zunehmende Verlagerung des sozialen Lebens in die digitale Welt – mit der zuweilen eine gar überbordende Preisgabe persönlicher Informationen durch den Betroffenen selbst einhergeht – hat insoweit zu einem vorläufigen Höhepunkt der Entwicklung geführt, dass § 202d die Datenhehlerei ganz ohne Rücksicht auf ein materielles Schutzinteresse des Berechtigten der gehehlten Daten schützt. 14 Schließlich schafft auch die gesellschaftliche Entwicklung, die durch einen stetigen Ausbau des Sozial- und Dienstleistungssektors gekennzeichnet ist, neue Gefahren für den persönlichen und geschäftlichen Lebens- und Geheimbereich. Wer Leistungen des Sozialstaats oder Dienstleistungen Privater in Anspruch nehmen will, ist oft gezwungen, Einblick in seine persönlichen Verhältnisse zu gewähren. Das wachsende Bedürfnis, die Vertraulichkeit solcher Informationen zu schützen, könnte weiteren Anlass zu strafrechtlichen Anpassungen geben. Bereits das EGStGB hat den Täterkreis des § 300 a.F. im Rahmen des § 203 erheblich ausgeweitet (vgl. Gallas S. 23). Dabei ging der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform noch über die Vorschläge der Bundesregierung hinaus. Deren Entwurf (BTDrucks. 7/550 S. 21) hatte ursprünglich neben den Ärzten und Apothekern als zusätzliche Tätergruppen vorgesehen: Berufspsychologen (Nr. 2), Steuerbevollmächtigte, Organe oder Mitglieder eines Organs einer Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder Steuerberatungsgesellschaft (Nr. 3) und Ehe- und Erziehungsberater (Nr. 4). Auf Anregung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (vgl. BTDrucks. 7/1232 S. 45) kamen folgende Berufsgruppen hinzu: Tierärzte (Nr. 1), Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen (Nr. 4), staatlich anerkannte Sozialarbeiter oder staatlich anerkannte Sozialpädagogen (Nr. 5 a.F., jetzt Nr. 6) und Angehörige eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen Verrechnungsstelle (Nr. 6 a.F., jetzt Nr. 7). Das 5. StrRG (geändert durch das 15. StÄG) fügte schließlich unter Nr. 4a a.F. (jetzt Nr. 5) die Mitglieder oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach § 218b Abs. 2 Nr. 1 als mögliche Täter hinzu. Nachdem der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform schon bei den Gesetzgebungsarbeiten zum EGStGB auf ein Bedürfnis nach Ausweitung hingewiesen hat, diesen Punkt aber „aus Zeitgründen“ zurückstellte (BTDrucks. 7/1261 S. 16, 1), hat die Novellengesetzgebung mittlerweile eine weitere Ausdehnung gezeitigt (§ 203 Entstehungsgeschichte). Auffallend – wenn auch vom gegenwärtigen Aufbau des § 203 her folgerichtig – ist, dass etwa Heilpraktiker strafrechtlich nicht belangt werden können, wenn sie Geheimnisse ihrer Patienten preisgeben (Schünemann S. 51: „geradezu betulich wirkende Kasuistik“ des Gesetzes). Einige ausländische Rechtsordnungen umschreiben demgegenüber den Täterkreis allgemein (vgl. Vogler S. 393 sowie z.B. Art. 622 des italienischen Strafgesetzbuches; gegen einen „uferlosen Schutz jedes Berufsgeheimnisses“ indessen Schünemann S. 54).
25 Das EGStGB hatte insoweit auf eine Strafbestimmung verzichtet, weil die damit zusammenhängende Problematik so schwierig sei, dass es aus zeitlichen Gründen nicht möglich sei, in diesem Punkt eine befriedigende Lösung vorzuschlagen (BTDrucks. 7/550 S. 236). Hilgendorf/Schünemann
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III. Reformfragen
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2. Zur Frage des Indiskretionsdelikts Beeinträchtigungen des persönlichen Lebensbereichs werden besonders augenfällig, wenn sie 15 in Form von „Enthüllungen“ über das Privatleben anderer, insbesondere durch Berichte in den sozialen Medien oder der Sensationspresse, der Öffentlichkeit vorgeführt werden (vgl. Henkel S. D 99). Die Häufung solcher Fälle führt zu der Frage, ob ein allgemeines Indiskretionsdelikt geschaffen werden sollte, das – losgelöst von bestimmten Tätergruppen – die öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten unter Strafe stellt.26 § 182 E 1962 enthielt bereits einen entsprechenden – eingeengten – Vorschlag (kritisch insoweit z.B. Kienapfel S. 21; zu weiteren früheren Reformvorschlägen in dieser Richtung vgl. Gallas S. 24 ff sowie zu § 145 AE die ihm zugrunde liegende Monographie von Arzt und die daran anknüpfenden Vorschläge von Dähn Die öffentl. Bloßstellung in der Strafrechtsreformdiskussion pp. [1971], S. 137 ff). Das EGStGB hat auf die Einführung einer solchen Strafvorschrift verzichtet. Zur Begründung hieß es (BTDrucks. 7/550 S. 235 f): Ob es geboten sei, den insoweit schon bestehenden bürgerlich-rechtlichen Schutz durch eine Strafvorschrift zu verstärken, und wie eine solche Vorschrift tatbestandlich auszugestalten wäre, sei rechtspolitisch sehr umstritten; der Versuch, diese Fragen befriedigend zu lösen, würde die Gesetzgebungsarbeiten an dem Entwurf erheblich belasten; jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehe kein dringendes Bedürfnis, den strafrechtlichen Schutz der Privatsphäre in diesem Punkt zu erweitern; die Lösung der Frage müsse deshalb einer späteren Überprüfung überlassen bleiben (vgl. ferner Gallas S. 37, der – 1963 – ebenfalls meinte, die Zeit sei für einen derartigen umfassenden Diskretionsschutz „noch nicht reif“). Bei einer umfassenden Abwägung an den maßgeblichen Prinzipien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Strafrechtsschutzes sprechen jedoch auch weiterhin die besseren Gründe gegen die Einführung eines allgemeinen Indiskretionsdelikts (Schünemann S. 33 ff, 40 ff; Rogall FS Hirsch 665, 677 ff). Der einzelne lebt nicht allein, sondern mit anderen (vgl. – in diesem Zusammenhang – BVerfGE 47 15 f; 50 166, 175; 50 290, 353; Henkel S. D 85 f; Süß S. 206 f); als unteilbare Person bringt er stets ein Stück seiner selbst in die Öffentlichkeit ein (Evers S. 285). Die offene demokratische Gesellschaft bedarf, wenn sie funktionieren soll, der Information; es muss möglich bleiben, sie zu beschaffen und weiterzugeben. Zu berücksichtigen ist zudem der besondere Charakter des Strafrechts, das seiner Natur nach auf Zurückhaltung angelegt ist. Sollen seine Waffen nicht stumpf werden, muss es sich auf die Aufgabe beschränken, die wichtigsten Kernbereiche zu schützen (vgl. Henkel S. D 73 f; Schünemann S. 40). Es bedarf deshalb sorgfältiger Prüfung, ob und wie weit eine strafrechtliche Sanktionierung geboten ist. Hinzu kommt die Schwierigkeit, die strafwürdigen Verhaltensweisen in hinreichend bestimmte Tatbestände zu fassen (Art. 103 Abs. 2 GG, vgl. Henkel S. D 78; Gallas S. 20; Arzt S. 142 f). Die Grenzen des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs sind fließend; es sind vielfältige berechtigte Interessen möglich, die einen Eingriff in das geschützte Rechtsgut nicht als strafwürdiges Unrecht erscheinen lassen. Auch unter diesem Blickwinkel kann das Strafrecht nur einen sektoralen Schutz bieten (vgl. Schünemann S. 31; kritisch insoweit Kienapfel S. 47 ff). Das lässt sich insbesondere deshalb hinnehmen, weil die Privatsphäre nicht nur mit Mitteln des Strafrechts geschützt wird (vgl. oben Rdn. 5). Gerade in Grenzbereichen wird das bürgerliche Recht elastischer als „das schwere Geschütz des Strafrechts“ (Grünhut S. 320) auf neue Entwicklungen und Probleme reagieren können (vgl. Süß S. 207 ff; zur subsidiären Bedeutung des Strafrechts gegenüber dem Zivilrecht in ausländischen Rechtsordnungen vgl. Vogler S. 389). Vertretbar sind deshalb allein sektorale Lösungen nach dem Muster des § 201 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 (dazu § 201 Rdn. 38 ff).
26 Vgl. dazu z.B. schon Schünemann S. 33 ff; Gallas S. 23 ff; Henkel S. D 94 bis 111, 143; Gerhard Schmidt S. 741 ff; Neumann-Duesberg S. 863; zum österreichischen Recht Kienapfel S. 22 f, 39 f, 48. 733
Hilgendorf/Schünemann
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Vorbemerkungen
IV. Digitalisierung, Data Mining und Künstliche Intelligenz im Strafrecht 16 Die fortschreitende Digitalisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt stellt den Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs in zunehmendem Maße vor erhebliche Herausforderungen, geht darüber aber noch weit hinaus.27 Digitalisierung, also die Übersetzung von Information jeder Art in eine Folge von Nullen und Einsen, revolutioniert nicht bloss die Informationserhebung, -speicherung und –übertragung, sondern macht auch die Analyse von nahezu unbegrenzt großen Informationsmengen mit minimalem Zeitaufwand (sog. „Data-Mining“ bzw. „Big Data“-Analyse) möglich.28 Davon ist auch und gerade die Privatsphäre betroffen. Mittels künstlicher (besser: maschinengestützter) Intelligenz lassen sich selbst intimste Informationen erheben und nutzen, indem z.B. das Kaufverhalten, aber auch Mimik, Gestik und Stimme umfassend und pausenlos29 analysiert werden. Den zahlreichen Vorteilen der „digitalen Revolution“ stehen deshalb auch erhebliche Nachteile gegenüber, zu denen auch die massive Gefährdung des privaten Bereichs gehört. Große Internetanbieter, vor allem aus den USA, haben die Erhebung und Vermarktung privater Informationen zu ihrem Geschäftsmodell erhoben. Die noch vor 10 Jahren vor allem in der Wissenschaft starke Neigung, Internetanbieter z.B. über Haftungsprivilegien zu schützen, hat sich als problematisch herausgestellt und wird gerade auf EU-Ebene Schritt für Schritt korrigiert.30 Es treten vielfältige neue Angriffsformen auf, wobei nicht bloss das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern auch das Vermögen (vgl. § 263a StGB) und andere Rechtsgüter (vgl. §§ 269, 270 StGB) betroffen sind. Die Bereiche, die derzeit am stärksten von Digitalisierung und dem Einsatz von KI erfasst werden, sind die Industrielle Produktion31, die Mobilität32 und das Gesundheitswesen.33 Das Strafrecht ist nur eines der Rechtsgebiete, die von der skizzierten geradezu „disrupti17 ven“ Entwicklung herausgefordert werden. Ähnliche, wenn nicht noch größere Herausforderungen stellen sich für das Datenschutzrecht.34 Die traditionellen Grenzen zwischen den Rechtsgebieten werden durchlässig.35 Ein zunehmend wichtiges Themenfeld bildet die (zivil- und strafrechtliche) Verantwortung für Sabotagesicherheit36 und generell die Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit KI und Robotik.37 Diskutiert wird außerdem bereits die strafrechtliche Verantwortung von KI-Systemen;38 hier ist allerdings mit Blick auf die tradierten Leitwerte des deutschen Strafrechts große Zurückhaltung angebracht.39 Ein Regelungsfeld, das erst allmählich in den Blick strafrechtlicher Analyse gerät, ist die Virtuelle Realität: Angriffe auf Avatare und virtuelle Agenten könnten in näherer Zukunft genauso alltäglich werden wie Hackerangriffe auf Konten oder Datenbanken.40 Für das Computer- und Internetstrafrecht stellt sich die Frage, ob das gesamte Gebiet nicht grundlegend reformiert und u.U. in einem eigenen Abschnitt des StGB 27 Hilgendorf Symposium Weigend (2020) S. 137. 28 Davon kann auch die Polizeiarbeit profitieren, allerdings um den Preis prekärer Grundrechtsgefährdungen, dazu Simmler (2021); Sommerer (2020). 29 Man denke an die Nutzung „smarter“ Geräte in Privathaushalten, etwa das Sprachsteuerungssystem „Alexa“. 30 Die einschlägigen Reformvorhaben sind vor allem die 2021 vorgelegten Entwürfe eines „Digital Services Act“, einer „EU-Verordnung über Künstliche Intelligenz“ und eines „Data Act“. 31 Hornung/Schlinkert Rechtsfragen der Industrie 4.0 S. 65. 32 Hilgendorf ZStW 130 (2018) 774; Hörnle/Wohlers GA 2018 12. 33 Beck MedR 2018 772; DAV/IMR/Hilgendorf S. 71. 34 Dazu etwa Roßnagel/Hornung Grundrechtsschutz im Smart Car, 1 ff. (am Beispiel des vernetzten Fahrzeugs). 35 Dabei handelt es sich freilich um ein Phänomen, das seit Beginn der Digitalisierung bekannt ist. Zum (gescheiterten) Versuch, auf dieser Basis ein eigenständiges „Informationsrecht“ zu etablieren, nur Gräwe Rechtsinformatik, S. 162 ff. 36 Hornung/Hilgendorf S. 127 ff. 37 Dazu schon Beck JR 2009 225; ferner Hilgendorf DRiZ 96 (2018) 66. 38 Gaede Künstliche Intelligenz; vgl. auch Hilgendorf FS Fischer S. 99, 109 f. 39 Hilgendorf FS Fischer S. 99, 110. 40 Kasprowicz/Rieger/Hilgendorf S. 405. Hilgendorf/Schünemann
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IV. Digitalisierung, Data Mining und Künstliche Intelligenz im Strafrecht
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zusammengefasst werden sollte.41 In diesem Zusammenhang muss auch das Recht der strafrechtlichen Providerhaftung42 überdacht und neu geordnet werden.
41 Überlegungen zu einem „Allgemeinen Teil des Cyberstrafrechts“ schon bei Mansdörfer FS Fischer (2018) 155. 42 Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Eisele § 63 Rdn. 35 ff; Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht (2022) § 2 Rdn. 52 ff. 735
Hilgendorf/Schünemann
§ 201 Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (1)
(2)
(3)
(4) (5)
1
Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt 1. das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder 2. eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht. Ebenso wird bestraft, wer unbefugt 1. das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen mit einem Abhörgerät abhört oder 2. das nach Absatz 1 Nr. 1 aufgenommene oder nach Absatz 2 Nr. 1 abgehörte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen im Wortlaut oder seinem wesentlichen Inhalt nach öffentlich mitteilt. 2 Die Tat nach Satz 1 Nr. 2 ist nur strafbar, wenn die öffentliche Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. 3Sie ist nicht rechtswidrig, wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird. Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Amtsträger oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter die Vertraulichkeit des Wortes verletzt (Absätze 1 und 2). Der Versuch ist strafbar. Die Tonträger und Abhörgeräte, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden.
Schrifttum Alber Zum Tatbestandsmerkmal „nichtöffentlich“ in § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB, JR 1981 495; Altenburg/v. Reinersdorff/ Leister Telekommunikation am Arbeitsplatz, MMR 2005 135; Arzt Notwehr gegen Erpressung, MDR 1965 344; ders. Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre (1970); Baumann § 53 StGB als Mittel der Selbstjustiz gegen Erpressung, MDR 1965 346; S. M. Beck Lehrermobbing durch Videos im Internet, MMR 2008 77; Blei Strafschutzbedürfnis und Auslegung, in: Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift Henkel (1974) 109; Bottke Anfertigung und Verwertung heimlicher Wort- und Stimmaufzeichnungen auf Tonträger außerhalb des Fernmeldeverkehrs, Jura 1987 356; Bussmann Reichen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen insbesondere im Hinblick auf die modernen Nachrichtenmittel aus, um das Privatleben gegen Indiskretion zu schützen? Gutachten für den 42. Deutschen Juristentag, Bd. I 1. Teil S. 5, 147; Cornelius Strafrechtliche Verantwortlichkeiten bei der Strategischen Telekommunikationsüberwachung, JZ 2015 693; Eisele Compliance und Datenschutzstrafrecht: Strafrechtliche Grenzen der Arbeitnehmerüberwachung (2012); Filopoulos Der Schutz des vertraulichen Wortes im deutschen und griechischen Strafrecht, Diss. Tübingen 1990; Frank Die Verwertbarkeit rechtswidriger Tonbandaufnahmen Privater (1996); Gallas Der Schutz der Persönlichkeit im Entwurf eines Strafgesetzbuches (E 1962), ZStW 75 (1963) 16; Gola Das Mithören und Aufzeichnen von Call Center-Telefonaten, RDV 2005 105; Grobys Die Überwachung von Arbeitnehmern in Call Centern (2007); Haug Tonbandaufnahmen in Notwehr? NJW 1965 2391; ders. Notwehr gegen Erpressung, MDR 1974 548; Henkel Der Strafschutz des Privatlebens gegen Indiskretion, Gutachten für den 42. Deutschen Juristentag, Bd. II S. D 59; Hubmann Der zivilrechtliche Schutz der Persönlichkeit gegen Indiskretion, JZ 1957 521; Helle Der Telefonzeuge im Zivilprozess, JR 2000 353; Kargl Zur Differenz zwischen Wort und Bild pp., ZStW 117 (2005) 324; Kattanek Die Verletzung des Rechts am gesprochenen Wort durch das Mithören anderer Personen (2000); Kiper/Ruhmann Überwachung der Telekommunikaton, DuD 1998 155; Klug Konfliktlösungsvorschläge bei heimlichen Tonbandaufnahmen zur Abwehr krimineller Telefonanrufe, Festschrift Sarstedt (1981) 101; Knauth Zufallserkenntnisse bei der Telefonüberwachung im Strafprozeß, NJW 1977 1510; Kohlhaas Tonbandaufnahmen im Strafprozeß, DRiZ 1955 88; ders. Die Tonbandaufnahme als Beweismittel im Strafprozeß, NJW 1957 81; ders. Die neuen wissenschaftlichen Methoden der Verbrechensaufklärung und der Schutz der Rechte des Beschuldigten, JR 1960 246; ders. Das Mitschneiden von Telefongesprächen im Verhältnis zum Abhörverbot (§ 298 StGB) und dem Fernmeldegeheimnis, NJW 1972 238; Larenz Referat zum Thema „Reichen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung der modernen Nachrichtenmittel aus, um das Privatleben gegen Indiskretion zu schützen?“ Verhandlungen des 44. Deutschen Juristentages, Bd. II S. D 25; De Lazzer-Rohlf Der „Lauschangriff“, JZ 1977 207; Lenckner Zur „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“; § 201 StGB nach dem 25. Strafrechtsänderungsgesetz, Festschrift Baumann (1992) 135; Marxen Tonaufnahmen während der HauptverHilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-048
736
Übersicht
§ 201
handlung für Zwecke der Verteidigung, NJW 1977 2188; Mitsch Medienpräsenz und Persönlichkeitsschutz in der öffentlichen Hauptverhandlung, ZRP 2014 137; Mölter Überwachung und Informationsbeschaffung des Arbeitgebers: Strafrechtlicher Schutz der Privatsphäre des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz (2012); Müller Die Zulässigkeit der Videoüberwachung am Arbeitsplatz (2008); Praml Zur Zulässigkeit von Tonbandaufnahmen in der Hauptverhandlung, MDR 1977 14; Roggan Zur Strafbarkeit des Filmens von Polizeieinsätzen – Überlegungen zur Auslegung des Tatbestands von § 201 I Nr. 1 StGB, StV 2020 328; Roggemann Das Tonband im Verfahrensrecht (1962); ders. Tonbandaufnahmen während der Hauptverhandlung, JR 1966 47; Rohe Verdeckte Informationsgewinnung mit technischen Hilfsmitteln zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (1998); Rudolphi Grenzen der Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach den §§ 100a, b StPO, Festschrift Schaffstein (1975) 433; Rupprecht Vertraulichkeit des Wortes und seine heimliche Aufnahme, DVBl. 1974 579; Sankol Überwachung von Internet-Telefonie, CR 2008 13; Schilling Zur Anwendung des § 298 StGB bei der Aufzeichnung von Telefongesprächen, NJW 1972 854; ders. Verschärfter Strafschutz gegen Abhör- und Aufnahmegeräte? JZ 1980 7; Gerhard Schmidt Zur Problematik des Indiskretionsdelikts, ZStW 79 (1967) 741; Rudolf Schmitt Tonbänder im Strafprozeß – OLG Celle, NJW 1965 1677, JuS 1967 19; Schmitz, R. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 StGB, JA 1995 118; Schmitz, A. Strafrechtlicher Schutz vor Bildund Wortaufnahmen (2011); Schünemann Der strafrechtliche Schutz von Privatgeheimnissen, ZStW 90 (1978) 11; Suppert Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage“ (1973); Ullenboom Das Filmen von Polizeieinsätzen als Verletzung der Vertraulichkeit des Worts? NJW 2019 3108; Wölfl Rechtfertigungsgründe bei der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, Jura 2000 231; Wormer Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten. Eine Abhandlung zu § 201 StGB, Diss. Mannheim 1977.
Entstehungsgeschichte In ihrer jetzigen Fassung wurde die Vorschrift durch das EGStGB eingeführt. Sie fasst die zuvor in den §§ 298 und 353d Abs. 1 a.F. enthaltenen Regelungen zusammen. Dabei entspricht § 201 Abs. 3 der Sondervorschrift für Beamte, wie sie früher in § 353d Abs. 1 a.F. bestanden hatte. Die Vorläufer der Vorschrift waren durch das „Gesetz zum strafrechtlichen Schutz gegen den Missbrauch von Tonaufnahme- und Abhörgeräten“ vom 22. Dezember 1967 (BGBl. I S. 1360) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Sie regelten erstmals den strafrechtlichen Schutz in diesem Bereich (zu früheren Vorschriften, die etwa im Mittelalter das Lauschen an fremden Häusern untersagten, vgl. Wormer S. 20 f, dort auch S. 21 f, 58 ff über Regelungen in anderen Ländern; vgl. auch Suppert S. 147 ff; zum Abhören von Telefongesprächen im englischen und amerikanischen Recht ferner Grünhut ZStW 74 [1962] 319, 325 ff, 335 ff). Die §§ 298 und 353d Abs. 1 a.F. waren das Ergebnis eines langwierigen Gesetzgebungsverfahrens und eingehender Erörterungen, die die Gesetzgebung vorbereiteten und begleiteten (vgl. insbesondere Neumann-Duesberg Das gesprochene Wort im Urheber- und Persönlichkeitsrecht, 1949; die Weinheimer Tagung zum Thema „Tonbandaufnahmen, Zulässigkeit und Grenzen ihrer Verwendung im Rechtsstaat“ im November 1956 mit Referaten insbesondere von Coing, Freund und Henkel [1957]; der 42. Deutsche Juristentag [1957] mit Gutachten von Bussmann und Henkel sowie Referaten von Nipperdey und Larenz; Gallas und G. Schmidt a.a.O.; Süß FS Lehmann Bd. I 189). Zum Teil konnte der Gesetzgeber außerdem auf die von der Rechtsprechung – insbesondere des BGH – entwickelten Grundsätze zurückgreifen; die Gerichte hatten schon vorher, gestützt auf Art. 1 und 2 GG und das allgemeine Persönlichkeitsrecht, rechtliche Schranken für Tonbandaufnahmen aufgezeigt (vgl. insbesondere die Entscheidungen BGHSt 10 202, 205; BGHZ 27 284, 285 ff; BGHSt 14 339, 340 f; BGHSt 19 193, 194). Durch das 25. Strafrechtsänderungsgesetz vom 20.8.1990 (BGBl. I S. 1764) wurde der Tatbestand des § 201 Abs. 2 anlässlich des Auftauchens brisanter Abhörprotokolle der Stasi der DDR um die Variante der öffentlichen Mitteilung gemäß Nr. 2 ergänzt, um auch einen strafrechtlichen Schutz gegen besonders folgenreiche mittelbare Eingriffe in die Vertrauenssphäre zu schaffen. Damit hat sich eine Erweiterung des Tatbestandes durchgesetzt, die noch vom E 1962 abgelehnt (vgl. § 183 E 1962 sowie Amtl. Begr., S. 332), aber anschließend in Gesetzesentwürfen der Bundestagsfraktionen und des Bundesrates immer wieder gefordert worden war (vgl. BTDrucks. 8/2396; 8/2545; 9/719; 10/1618 und zuletzt den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 11/6714). Zur Deliktsstruktur dieser Tatbestandsvariante und zu den verfassungsrechtlichen Problemen der hierbei vom Gesetzgeber gewählten Methode der Unrechtsabgrenzung durch eine doppelte Generalklausel siehe unten Rdn. 40.
Übersicht I.
Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur
II.
Tatbestand
737
1
1.
Das nichtöffentlich gesprochene Wort 4 a) Wort 7 b) Das gesprochene Wort Hilgendorf
§ 201
2.
3. III. 1. 2.
Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
c) Nichtöffentlichkeit 8 d) Streitfragen zum Einverständnis Tathandlungen 17 a) Absatz 1 Nr. 1 (Aufnehmen) 21 b) Absatz 1 Nr. 2 29 c) Absatz 2 Nr. 1 d) Abs. 2 Nr. 2 (öffentliche Mitteilung) 42 Subjektiver Tatbestand
b) 12
Rechtswidrigkeit 43 Unbefugtheit 44 Rechtfertigungsgründe a) mutmaßlicher Einwilligung des Betroffe45 nen
c) 38
IV. 1. 2. 3. 4. 5.
besonderer gesetzlicher Vorschrift 46 aa) im Strafverfahren 49 bb) im Polizeirecht 51 cc) für Geheimdienste Allgemeine Rechtfertigungsgründe
Rechtsfolgen; Qualifikation 65 Strafe 67 Einziehung 68 Versuch Strafantragserfordernisse 70 Konkurrenzen
52
69
Alphabetische Übersicht Abhören 13, 29 ff. Abhörgerät 15, 20, 29 Abhörgesetz 51 Abschlussfunktion – der §§ 100a–c StPO 32, 47 Abspielen 24 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 1, 32 Amtsdelikt 66 Amtsträger Angestellte – Abhören – durch Chef 36 Ankündigung einer Straftat – Aufnahme der – 60 Anwesender – Aufnahme 19 Aufnahmevorrichtung 31 Aufnehmen 18 Bad Aibling – illegale Abhöreinrichtung 38 Bagatellklausel 40 Befugnis 16 Beleidigung – als fortdauernde Gefahr 59 – fehlender gegenwärtiger Angriff 59 Bericht – über den Inhalt 24 Bestimmtheitsgrundsatz 40 f Beweisinteresse – bloß bürgerlichen Rechts 60 Bürger Dauergefahr – in Hinblick auf § 34 StGB 59 Dienstsphäre 6 Drittverschaffung – zulässige – 16 Echelon 51 Eigene Gedanken 5 Eigenschutz
Hilgendorf
Einverständnis 13 ff Einwilligung – mutmaßliche – 32 Einziehung 67 Entstehungsgeschichte 1 Erlaubnistatbestandsirrtum 42 Erpresser – Aufnahme – durch Opfer 56 Ersteingriff 24 Faktische Öffentlichkeit 9 Flüchtigkeit des Wortes 3 Fremde Gedanken 5 Funkverkehr 10 Garant 33 Gebrauchen 23 ff Gedankeninhalt 11 Gegenwärtiger Angriff – bei Notwehr 59 Geisteskrankheit 6 Generalklausel 1 Geschäftssphäre 6 Gesetzgebungsmaterialien 8 Gesprochenes Wort 7 Gesungenes Wort 7 Heimlichkeit 8 Herrschaft – über den Grund des Erfolges 33 Herstellen 25 Hören – als Voraussetzung des Abhörens 31 – durch einen anderen 31 Hörfalle 32, 37, 47 Indiskretion 24 Indiskretionsdelikt 2 Informationszweck 5 Ingerenzgarantenstellung 33 Innere Tatseite 42 Interesse
738
Alphabetische Übersicht
– schutzwürdiges – des Täters 61 Interessenabwägung 40 Interessenverletzung – Eignung 40 Intimsphäre 6 Irrtum – über die Unbefugtheit 42 Justizvollzugsanstalt 11 Katalogstraftaten 37, 41 Kidnapping – als gegenwärtiger Angriff 56 Konkurrenzen 70 Kopie – Abspielen als Gebrauchmachen 25 Kopieren – im Gegensatz zum Aufnehmen 25 Lallen 4 Landesrecht – Eingriffsbefugnisse 47 Lauschangriff 2 – Großer – 47 – Kleiner – 47 Lauschen – an fremden Häusern 1 Lauscher 9 Lebendiges Wort 19 Medien – Missbrauch 22 Mehrheitsbeschlüsse – fehlendes Einverständnis 13 Missbrauch – rechtmäßiger Aufnahmen 22 – staatlicher Eingriffsbefugnisse 34 Misslingen – der Aufnahme als Versuch 68 Mithöreinrichtungen – Raumschaltungen 32 Mithörer – übliche – 32 Mithörvorrichtung 15 Mitteilung – über den Inhalt 24 – öffentliche – 38 Mittelbare Täterschaft 28 Nachtat 71 Nicht zur Kenntnis des Täters bestimmt 36 Nichtöffentlich gesprochenes Wort 4, 8 Nichtöffentlichkeit 8 Notstand (§ 34 StGB) 56 ff Notwehr (§ 32 StGB) 56 ff Notwehrähnliche Lage 56 ff, 60, 62 Öffentliches Interesse – überragendes – 41, 64 Öffentlichkeit 9 Offizialdelikt – bei Amtsträgern 66
739
§ 201
Ohr – kein Abhörgerät 32 Organisierte Kriminalität 47 Personenkreis – abgrenzbarer – 11 Polizeifunk 30 Polizeirecht – Eingriffsbefugnisse 47 Privatsphäre 5 Prozessbetrug – drohender – 60 Publikation – autorisierter Aufnahmen 39 – nichtautorisierter Aufnahmen 39 – vorzeitige – 39 Raumschaltung 32 Recht am aufgenommenen Wort 22 Rechtfertigung 43 ff Rechtfertigungsgründe – allgemein 6, 43 ff – statt Verfalltheorie 6 Rechtmäßige Aufnahmen 22 Rechtsfolgen 65 Rechtsgut 3, 38 Rechtswidrigkeit 43 ff Richtmikrophone 32 Rufnummererfassung 36 Schlaf 6 Schutzzweck der Norm 10 Seufzen 4 Skype-Telefonat 20 So hergestellte Aufnahme 17 Sozialadäquanz – als Rechtfertigungsgrund 57, 63 Spionage – durch die USA 51 – durch Großbritannien 51 Stammtischgerede 10 Strafantrag 69 Strafbare Äußerungen 6 Strafdrohung 63 Strafe 63 Subjektiver Tatbestand 42 Tateinheit – fehlende – mit §§ 94 ff, 185 StGB 72 Täter 28 Taxifunk 30 Technische Auswertung 25 Technische Geräte – Zwischenschaltung – 20 Tonkonserve 19 Tonträger 17 Trunkenheit 6 Übertragung – versehentliche – 10 Überwiegendes Interesse
Hilgendorf
§ 201
Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
– Lehre 57 Unbefangenheit 1 Unbefugtheit 12, 39 Unmittelbarkeit des Eingriffs 2 Unterlassen – als Tathandlung 33 USA – illegales Abhören in Deutschland 38 Verbotsirrtum 42 Verdächtiger 46 Verfahrenseinstellung 63 Verfalltheorie 6 Versuch 68 Vertragsverhandlungen 15 Vertraulichkeit 8 Verwertungshandlungen 48 Viktimodogmatik 22, 32, 37, 39
Vorbereitungshandlungen 68 Vorsatz 42 Wahrnehmung berechtigter Interessen 63 Wallraff 41 Weinheimer Tagung (1956) 1 Weitersagen – bloßes – 2 Werkzeug – gutgläubiges – 28 Wille des Sprechers 9 Wissen des Belauschten 10 Wort 4 Zugänglich machen 17, 21 Zusammentreffen – mit anderen Vorschriften 71 Zweck des Gesprächs 9
I. Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur 1 § 201 schützt die Unbefangenheit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes. Sie ist Teil der Persönlichkeitssphäre des Menschen, des Bereichs privater Lebensgestaltung des einzelnen, die in ihrem Kern durch Art. 1 und 2 GG absolut geschützt sind (BVerfGE 34 238, 245). In diesen Grundrechtsschutz werden auch solche Rechtspositionen einbezogen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit notwendig sind. Dazu gehört – in bestimmten Grenzen – das Recht am gesprochenen Wort (vgl. BVerfGE a.a.O. S. 246; BGHZ 27 284, 286 f; BGHSt 14 358, 359 f; 31 296, 299). Wesentliches Element privater Lebensgestaltung ist die Sprache und die Entscheidung des einzelnen darüber, was er zu wem in welcher Situation sagt. Private Gespräche müssen geführt werden können frei von Argwohn und frei von der Befürchtung, dass deren heimliche Aufnahme ohne die Einwilligung des Sprechenden oder gar gegen dessen erklärten Willen verwertet wird (BVerfGE a.a.O. S. 247). Dem trägt § 201 Rechnung. Der strafrechtliche Schutzbereich geht jedoch weiter als der verfassungsrechtliche (Tenckhoff JR 1981 225 f in Anmerkung zu KG JR 1981 254; vgl. ferner OLG Frankfurt NJW 1979 1172, 1173; Klug S. 116). So führt das BVerfG (BVerfGE a.a.O., S. 247) aus, dass bei gewissen Fallgruppen auch ohne Wissen des Sprechenden hergestellte Tonbandaufnahmen von vornherein aus dem durch die Verfassung gewährleisteten Schutz herausfielen, weil von einem Recht am eigenen Wort nicht mehr die Rede sein könne; bei bestimmten Mitteilungen im geschäftlichen Verkehr stehe der objektive Gehalt des Gesagten so sehr im Vordergrund, dass die Persönlichkeit des Sprechenden nahezu gänzlich dahinter zurücktrete und das gesprochene Wort damit seinen privaten Charakter einbüße. Eine entsprechende Auffassung hatte zuvor – unter dem Blickwinkel des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – auch der BGH vertreten (BGHZ 27 284, 286). § 201 erfasst dagegen, jedenfalls im Grundsatz, jedes gesprochene „Wort“. Insbesondere ist er nicht auf vertrauliche oder private Äußerungen beschränkt; auch geschäftliche und dienstliche Besprechungen oder Streitgespräche sind geschützt (vgl. OLG Karlsruhe JR 1979 466, 467 und dazu u. Rdn. 11; aA jedenfalls bei polizeilichen Maßnahmen mit Außenwirkung gegenüber dem Bürger Roggan StV 2020 328, 330). Die flüchtige Lebensäußerung des gesprochenen Wortes soll nicht in eine jederzeit reproduzierbare Tonkonserve verwandelt werden dürfen; die Unbefangenheit mündlicher Äußerungen soll gewährleistet bleiben (vgl. Klug S. 103 ff). § 201 Abs. 2 schützt die Vertraulichkeit des
Hilgendorf
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II. Tatbestand
§ 201
Worts unter einem weiteren Blickwinkel. Die Vorschrift soll verhindern, dass andere durch technische Gerätschaften in die Privatsphäre des Sprechenden einbrechen.1 § 201 bezweckt allerdings keinen umfassenden Schutz der Privatsphäre. In bewusster Ab- 2 kehr von den Vorstellungen des E 1962 hat der Gesetzgeber davon abgesehen, ein allgemeines Indiskretionsdelikt zu schaffen (vgl. die Begründung zu Art. 18 Nr. 80 E-EGStGB, BTDrucks. 7/ 550 S. 235 sowie Vorbemerkungen Rdn. 15), und lediglich bestimmte Eingriffe unter Strafe gestellt. Die besondere Verwerflichkeit der in § 201 bezeichneten Verhaltensweisen liegt in der Unmittelbarkeit des jeweiligen Eingriffs in die Privatsphäre, bei Absatz 1 in der unbefugten Aufnahme des gesprochenen Wortes und der unmittelbaren akustischen Wiedergabe, bei Absatz 2 in dem unbefugten „Lauschangriff“ mit einem Abhörgerät. Das bloße inhaltliche Mitteilen des Aufgenommenen oder des Abgehörten sollte nicht erfasst werden, weil es an der Unmittelbarkeit des Eingriffs in die Privatsphäre fehle und weil der Schutzcharakter der Norm sich nicht aus dem Inhalt des wiedergegebenen Gesprächs, sondern aus der Art seiner Fixierung bzw. der „Teilhabe“ an ihm herleite (vgl. BTDrucks. 10/1618, S. 11). Die Systematik und dementsprechend auch die Deliktsnatur des § 201 sind kompliziert, weil 3 das Gesetz einen zweistufigen Schutz gegen unterschiedliche Tathandlungen bereitstellt: Auf der ersten Stufe ist die Überwindung der natürlichen Grenzen des gesprochenen Wortes durch Abhören oder Aufnahme mit technischen Mitteln verboten (Abs. 2 Nr. 1 sowie Abs. 1 Nr. 1), auf der zweiten Stufe die Ausnutzung dieses Eingriffs vor allem durch weitere Verbreitung. Vielfach wird deshalb angenommen, dass erst die zweite Stufe die eigentliche Rechtsgutsverletzung enthalte, so dass es sich bei der ersten Stufe um abstrakte Gefährdungsdelikte handele (Wormer S. 124; Graf MK Rdn. 5). Richtigerweise ist jedoch die „Flüchtigkeit und Begrenztheit des gesprochenen Wortes“ das geschützte Rechtsgutsobjekt, so dass es sich in allen Formen um Verletzungsdelikte handelt (ebenso Kargl NK Rdn. 4; differenzierend Hoyer SK Rdn. 4 f).
II. Tatbestand 1. Das nichtöffentlich gesprochene Wort a) Wort. § 201 schützt in allen Begehungsweisen nur das gesprochene Wort. Schon nach dem 4 Gesetzeswortlaut entfällt daher ein Schutz für sonstige stimmliche Äußerungen wie Lallen oder Seufzen usw.2 Welcher Sprache das Wort entstammt, ist unerheblich. Wörter einer Kunstsprache oder einer zwischen wenigen Beteiligten vereinbarten Geheimsprache werden ebenfalls durch die Vorschrift geschützt. Es kommt ferner nicht darauf an, ob das Wort die Äußerung eigener Gedanken des Spre- 5 chers enthält: Das Gesetz schützt auch denjenigen, der etwa ein Gedicht vorträgt oder die Erklärung eines anderen verliest.3 Samson SK6 Rdn. 4 will eine Ausnahme machen, wenn die Wiedergabe fremder Äußerungen allein zu künstlerischen oder unterhaltenden Zwecken erfolge; hier trete der Informationszweck völlig zurück. Dem kann nicht gefolgt werden. Auf das Ziel einer Äußerung, insbesondere auf deren Informationszweck, stellt das Gesetz nicht ab; es schützt in erster Linie die Privatsphäre des Sprechenden, nicht dessen Geheimhaltungsinteresse. Im Übrigen kann der Intimbereich gerade in den von Samson angeführten Fällen durch unbefugte Ton1 Vgl. Arzt Intimsphäre S. 237, 240; Wormer S. 99 ff; zum geschützten Rechtsgut des § 201 vgl. eingehend Arzt Intimsphäre, S. 238 ff; Wormer S. 95 ff; Klug S. 103 ff; Graf MK Rdn. 2 ff; Kargl NK Rdn. 2 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; zu eng Hoyer SK Rdn. 1 („Vertraulichkeit“). 2 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Hoyer SK Rdn. 6; rechtspolitische Bedenken gegen diese Einschränkung bei Arzt Intimsphäre S. 243. 3 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Fischer Rdn. 3; Kargl NK Rdn. 7; Hoyer SK Rdn. 7; grundsätzlich auch Samson SK6 Rdn. 4; aA Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 69; Maiwald ZStW 91 (1979) 923, 951 f und Blei BT 2 § 31 II; ders. FS Henkel 109, 118. 741
Hilgendorf
§ 201
Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
bandaufnahmen empfindlich berührt werden, etwa wenn der Täter die künstlerisch gemeinte – unfreiwillig komische – Deklamation im engen privaten Bereich heimlich aufnimmt, um den Sprecher anderen gegenüber bloßzustellen (zust. Graf MK Rdn. 11). 6 Ohne Bedeutung ist auch, welchen Gedankeninhalt das Wort hat. Darauf kommt es schon nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht an. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass es sich um Worte handelt, welche die Intim- oder Privatsphäre des Sprechers betreffen.4 Das allgemeine Interesse, mündliche Erklärungen unbefangen abgeben zu können, besteht nicht nur bei Äußerungen, die dem engsten Persönlichkeitsbereich entstammen (Klug S. 114). Schutzwürdig sind deshalb beispielsweise auch geschäftliche und dienstliche Gespräche (vgl. OLG Frankfurt a.a.O. mit zust. Anm. Arzt; OLG Karlsruhe JR 1979 466 mit Anm. Ostendorf) sowie unbewusstes (Reden im Schlaf) oder zusammenhangloses Sprechen (z.B. eines Betrunkenen oder Geisteskranken, vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Fischer Rdn. 3). Auch die Aufnahme oder das Abhören von Äußerungen strafbaren Inhalts erfüllt den Tatbestand der Vorschrift.5 Dem lässt sich nicht entgegenhalten, in einem solchen Fall entfalte der Sprecher nicht seine Persönlichkeit, sondern lege im Gegenteil Zeugnis ab von ihrem Verfall, ihm stehe deshalb der Schutz vor der heimlichen Festlegung des Wortes nicht zu.6 Ein Rückgriff auf diese „Verfalltheorie“ (Tenckhoff S. 255) ist überdies unnötig, weil in Fällen besonderer Interessenlage die Rechtswidrigkeit von Tonbandaufnahmen aufgrund der allgemeinen Rechtfertigungsgründe ausgeschlossen sein kann (vgl. dazu unter Rdn. 52 bis 64).
7 b) Das gesprochene Wort. Das gesprochene Wort ist unabhängig von Modulationen in der Tonhöhe geschützt; das gesungene Wort (auch Rezitativ) unterfällt deshalb ebenfalls dem Tatbestand.7 Entscheidend ist, dass das Medium der menschlichen Stimme zum Ausdruck eines sprachlich fixierten Sinnes eingesetzt wird.
8 c) Nichtöffentlichkeit. Nicht nur das vertraulich gesprochene Wort ist geschützt (vgl. Rdn. 1). Auch Äußerungen bei geschäftlichen oder dienstlichen Unterredungen oder bei Streitgesprächen dürfen grundsätzlich nicht aufgenommen werden. § 201 greift aber nur ein, wenn das Wort „nichtöffentlich“ gesprochen wird. Wann ein Wort als „nichtöffentlich“ angesehen wird, ist umstritten.8 Den Gesetzgebungsmaterialien ist darüber wenig zu entnehmen; der Gesetzgeber wollte die Auslegung des Begriffs ersichtlich der Entwicklung in Rechtsprechung und Lehre überlassen.9 Grundfrage ist zunächst, ob auf die Vorstellungen des Sprechenden oder auf die objektiven 9 Umstände abzustellen ist. In der Rechtsprechung und im Schrifttum wird im Allgemeinen beides miteinander verbunden. Fischer (Rdn. 4) führt aus, dass hierfür „vor allem der Wille des Sprechers, daneben aber auch Zweck und Eigenart“ des Gesprächs von Bedeutung seien. Unter Beru4 Vgl. OLG Frankfurt JR 1978 168, 169 mit Anm. Arzt; OLG Karlsruhe JR 1979 466, 467 mit Anm. Ostendorf; Klug S. 113 f; Arzt Intimsphäre, S. 238 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; eingehend Suppert S. 185 ff, 203 ff; aA offenbar Kramer Jura 1980 396. Die Entscheidung BVerfGE 34 238, 247, auf die sich Kramer beruft [Fn. 27], betrifft jedoch ausschließlich den Umfang des durch die Verfassung gewährleisteten Schutzes der Persönlichkeit; § 201 greift insofern weiter, vgl. oben Rdn. 1. 5 Vgl. eingehend Suppert S. 183 ff, 195 ff; außerdem Tenckhoff JR 1981 255, 256 [Anm. zu KG JR 1981 254]; Klug S. 122 ff; Arzt Intimsphäre S. 97. 6 Vgl. KG JR 1981 254, 255 sowie – nicht im Zusammenhang mit der Auslegung der Strafbestimmung und vor deren Inkrafttreten – Rudolf Schmitt JuS 1967 19, 23; BGHSt 19 325, 331; wohl auch BGHSt 14 358, 361. 7 And. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; jetzt aber h.M., s. Fischer Rdn. 3; Graf MK Rdn. 10; Kargl NK Rdn. 7; Hoyer SK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 487. 8 Vgl. dazu eingehend Blei FS Henkel 109, 114 ff, und Blei BT 2 § 31; Graf MK Rdn. 14 ff. 9 Vgl. die Begründung zu § 183 E 1962 – Bundestagsvorlage – S. 331; ähnlich auch der Regierungsentwurf zum Gesetz zu Art. 10 GG, BTDrucks. V/1880 S. 14; Wormer S. 126. Hilgendorf
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II. Tatbestand
§ 201
fung hierauf hat der BGH (BGHSt 31 304, 306) die Anwendung der Vorschrift damit begründet, dass die aufgenommenen Gespräche „nach dem Willen“ des Sprechers „sowie nach ihrem Zweck und ihrer Eigenart“ nichtöffentlich gewesen seien. Das OLG Frankfurt hebt in einer Entscheidung (JR 1978 168, ebenso JR 1979 466) hervor, dass die Gespräche, die Gegenstand jenes Verfahrens waren, „objektiv und nach dem Willen des Sprechers“ nicht für einen unbestimmten Kreis von Personen wahrnehmbar gewesen seien. Das OLG Celle (JR 1977 338, 339 mit abl. Anm. von Arzt) meint, maßgeblich sei zunächst der Wille des Einzelnen, wobei der Zweck und die Eigenart der Unterredung Bedeutung hätten; selbst wenn jemand aber nichtöffentlich sprechen wolle, könne Öffentlichkeit des Wortes in Betracht kommen, wenn der Sprecher nicht die Kontrolle über die Reichweite seiner Äußerungen behalten habe oder ausüben könne; dabei komme es nicht darauf an, ob der Sprecher mögliche Zuhörer wahrgenommen habe.10 Auch Fischer geht davon aus, dass vom Sprecher unbemerkte Zuhörer eine „faktische Öffentlichkeit“ herstellen können;11 allerdings sei die Anwesenheit „unerbetener Lauscher“ hierfür nicht ausreichend (Fischer Rdn. 4). Bei der Auslegung des Merkmals „nichtöffentlich“ ist vom Schutzzweck der Vorschrift aus- 10 zugehen. Der einzelne soll in der Unbefangenheit seines Wortes dann besonders geschützt werden, wenn er keinen Anlass zu sehen braucht, im Hinblick auf die Anwesenheit verschiedener Personen Zurückhaltung in Form und Inhalt zu wahren (vgl. Blei BT 2 § 31 II; Blei FS Henkel 109, 114 f; OLG Celle JR 1977 338, 339). Maßgebend sind demnach grundsätzlich die Vorstellungen des Sprechenden. Weiß dieser nichts von der Anwesenheit anderer, bleibt sein Wort grundsätzlich geschützt. Will sich andererseits der Sprecher an die Öffentlichkeit wenden – etwa bei einer Wahlrede –, so dürfen seine Äußerungen auch dann mit einem Tonband aufgenommen werden, wenn tatsächlich nur wenige befreundete Zuhörer lauschen (vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7 sowie eingehend Wormer S. 132 ff). Trotz dieses subjektiven Ausgangspunkts bleiben die äußeren Umstände von Bedeutung. Äußert sich der Sprechende in einem Bereich, in dem er damit rechnen muss, dass seine Worte zur Kenntnis der „Öffentlichkeit“ gelangen – redet er etwa in einem vollbesetzten Gasthaus mit lauter, weithin vernehmbarer Stimme –, so macht er damit seine Worte zu „öffentlichen“, und zwar selbst dann, wenn er sich – im Beispielsfall – lediglich an seine Stammtischfreunde wendet.12 In besonders gelagerten Einzelfällen kann allerdings das nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Wort ohne Zutun des Sprechers seinen privaten Charakter verlieren und insoweit aus dem Schutzbereich der Strafvorschrift fallen. So wird etwa ein Privatgespräch öffentlichen Charakter annehmen, wenn es versehentlich im Rundfunk oder über eine Lautsprecheranlage übertragen wird. Gleiches gilt für den Polizei- und Taxifunkverkehr, sofern dieser durch einen einfachen Radioempfänger mitgehört werden kann (unten Rdn. 30). In solchen Fällen ist in dem unbefugten Aufnehmen des ohnedies in der Öffentlichkeit vernehmbaren Wortes keine – weitere – Verletzung der Privatsphäre zu sehen. Worte sind in diesem Sinne nichtöffentlich, wenn sie – nach der Vorstellung des Sprechen- 11 den – nur für einen kleineren, durch persönliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis wahrnehmbar sind.13 Der Begriff der persönlichen Beziehungen ist dabei nicht zu eng zu fassen. Es kommt darauf an, dass alle Personen des angesprochenen Kreises eine Gemeinsamkeit besitzen, die diesem Kreis einen in sich geschlossenen, nach außen bestimmt abgegrenzten Charakter gibt.14 Dies kann z.B. bei einem Gespräch unter Arbeitskollegen der Fall sein (Wormer S. 129), nicht aber bei einer Predigt, zu der Personen ohne Einlasskontrolle Zugang haben (OLG Bran10 11 12 13
Ähnlich Roggan StV 2020 328, 329. So unter Bezugnahme auf Fischer auch LG Kassel BeckRS 2019 38252 Rdn. 7. Vgl. Wormer S. 131; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; so jetzt auch LG Kassel BeckRS 2019 38252 Rdn. 8. Wormer S. 128; ähnliche Abgrenzungen bei OLG Düsseldorf ZUM-RD 2012 137, 141; Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 8; Graf MK Rdn. 14; Mitsch ZRP 2014 137, 139; Ullenboom NJW 2019 3108, 3109; vgl. hierzu eingehend Blei FS Henkel 109, 114 ff. 14 Wormer S. 128 f; RGSt 21 254, 256; ähnlich Hoyer SK Rdn. 11 f; kritisch hinsichtlich des Erfordernisses der persönlichen Verbundenheit Blei BT 2 § 31 II sowie in FS Henkel 109, 116. 743
Hilgendorf
§ 201
Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
denburg MMR 2008 184 f). Zur Öffentlichkeit des in der (öffentlichen) Hauptverhandlung gesprochenen Wortes des Zeugen Mitsch ZRP 2014 137. Auch Äußerungen im Rahmen von Videokonferenzen (z.B. via Zoom) erfolgen nicht öffentlich. Dass auch ein Beamter ein dienstliches Gespräch mit einem Bürger „nichtöffentlich“ führen kann, versteht sich im Ausgangspunkt von selbst15 und gilt auch umgekehrt zugunsten des Bürgers, z.B. bei einem Aufnahmegespräch in einer Justizvollzugsanstalt (BGHSt 34 39). Selbst das von einem Pressesprecher der Polizei in dieser Eigenschaft mit einem Medienvertreter geführte Telefonat, mit dessen zumindest inhaltlicher Verarbeitung der Amtsträger rechnen kann, erfolgt grundsätzlich nichtöffentlich.16 Bei Video- und Tonbandmitschnitten von Polizeieinsätzen durch (ggf. von der Maßnahme betroffene) Bürger wird hingegen zumindest bei offenkundigen Mithörmöglichkeiten für Dritte – etwa auf Demonstrationen – zunehmend Öffentlichkeit des vom Polizeibeamten gesprochenen Wortes angenommen.17
12 d) Streitfragen zum Einverständnis. Außerordentlich umstritten ist, ob es für den Tatbestand der Vorschrift darauf ankommt, ob der Sprecher des nichtöffentlichen Wortes weiß, dass seine Worte aufgenommen bzw. abgehört werden, und ob er möglicherweise sogar damit einverstanden ist.18 Richtigerweise schließt die bloße Kenntnis des Rechtsgutsträgers den Tatbestand nicht eo ipso aus,19 denn dessen Einschränkung auf die Fälle des ahnungslosen Opfers wird weder vom Wortlaut noch vom Schutzzweck der Vorschrift gefordert: Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass die Unbefangenheit des Sprechenden gerade dann in besonderem Maße beeinträchtigt wird, wenn er weiß, dass seine Worte gegen seinen Willen aufgenommen werden. Schwieriger ist die systematische Einordnung der Einwilligung bzw. des Einverständnisses zu beurteilen (instruktiv die gegen den Willen eines Polizeibeamten offen auf Diktaphon erfolgende Aufnahme seiner Äußerungen im Fall KG NStZ 2009 55). Zwar sah § 183 E 1962 nur solche Aufnahmen von Worten eines anderen als tatbestandsmäßig an, die „ohne dessen Einwilligung“ erfolgten (vgl. E 1962 – Bundestagsvorlage – S. 327 f, 332). Diese Fassung ist jedoch nicht Gesetz geworden. Statt dessen wird nunmehr darauf abgestellt, dass die Aufnahme „unbefugt“ hergestellt worden sein müsse. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch des StGB gehört diese Frage nicht zum Bereich der Tatbestandsmäßigkeit, sondern zur Rechtswidrigkeit (vgl. BGHSt 31 304, 306 sowie unten Rdn. 43). Der Gesetzgeber selbst hat zur Zuordnung des Merkmals nicht Stellung genommen und der Rechtsprechung die Klärung dieser Frage überlassen (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 236). Ihre praktische Bedeutung ist gering. Willigt der Sprecher in die Aufnahme ein und weiß der Aufnehmende davon, so bleibt er nach jeder Auffassung straffrei. Geht der Aufnehmende irrig von einer Einwilligung aus, so kann er – ebenfalls nach beiden Meinungen – nicht bestraft werden (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 236). Unterschiede ergeben sich nur, wenn der Täter von einer tatsächlich erteilten Einwilligung nichts weiß. Rechnet man das Fehlen der Einwilligung bereits zum Tatbestand, so kann der Täter in einem solchen Fall nur wegen Versuchs bestraft werden (vgl. Wormer S. 166 f; Rönnau LK Vorb. § 32 Rdn. 211). Bei Einordnung in die 15 OLG Karlsruhe NJW 1979 1513 = JR 1979 466; OLG Dresden ZUM-RD 2020 23, 24; gegen die ablehnende Anmerkung von Ostendorf JR 1979 468 zutreffend Alber JR 1981 495; Fischer Rdn. 4. 16 BVerfG NJW 2011 1859, 1862; Graf MK Rdn. 17; Kargl NK Rdn. 9 mit Fn. 43. 17 Per se für Öffentlichkeit des Wortes Roggan StV 2020 328; differenzierend Ullenboom NJW 2019 3108; s. dazu auch LG Kassel BeckRS 2019 38252; für Öffentlichkeit LG Osnabrück, Beschl. vom 24.9.2021, Az. Qs 49/21; für Nichtöffentlichkeit hingegen LG München I BeckRS 2019 22586. Zum Ganzen auch Sehl Legal Tribune Online vom 26.10.2021. 18 In allen Fällen für den Ausschluss des Tatbestandes Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13 f; Lenckner FS Baumann 147 f; AG Hamburg NJW 1984, 2111; für Tatbestandsausschluss im Fall der Einwilligung (bei der es sich dann terminologisch um ein „Einverständnis“ handeln würde) Wormer S. 154 ff; Graf MK Rdn. 41; in allen Fällen nur für (z.T. mutmaßliche) Einwilligung Fischer Rdn. 10; Kargl NK Rdn. 10, 23 f; Hoyer SK Rdn. 42; Joecks Rdn. 5; Küpper Teil I § 5 Rdn. 24; Otto BT § 34 Rdn. 11. 19 So auch Ullenboom NJW 2019 3108, 3109. Hilgendorf
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II. Tatbestand
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Rechtswidrigkeit wäre zwar nach einer Mindermeinung eine Bestrafung wegen vollendeter Tat möglich; nach zutr. und h.M. kommt aber auch beim Handeln in Unkenntnis einer Rechtfertigungslage nur (untauglicher) Versuch in Betracht (vgl. zum Meinungsstand Rönnau a.a.O. Vorbem. 90 f; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Vor § 32 Rdn. 52). Nach traditioneller Auffassung spielt die systematische Einordnung zwar für die rechtlichen 13 Anforderungen an die Wirksamkeit des Einverständnisses (es müsse nur tatsächlich vorliegen) bzw. die Einwilligung (sie müsse frei von wesentlichen Willensmängeln sein) eine Rolle.20 Auch dieser Unterschied ist jedoch nach dem neuesten Stand der Dogmatik nicht mehr zwingend, weil danach die Wirksamkeitsanforderungen entsprechend dem jeweiligen Regelungskontext bestimmt werden sollen (Roxin/Greco AT I § 13 Rdn. 32). Insgesamt sprechen die besseren Gründe dafür, in allen Tatbestandsvarianten ein Handeln gegen den Willen des Rechtsgutsträgers zu verlangen, widrigenfalls also ein tatbestandsausschließendes Einverständnis anzunehmen. Denn dies ergibt sich nach dem Wortlaut der Vorschrift für den Fall des Abhörens bereits daraus, dass das Gesetz hier ausdrücklich verlangt, dass das Wort nicht zur Kenntnis des Abhörenden bestimmt sein darf, was bei einem Einverständnis zwischen Handelndem und Rechtsgutsträger kaum vorstellbar ist. Dann erscheint aber die gleiche Lösung auch für die erste Tatbestandsalternative konsequent, zumal das Rechtsgut der Unbefangenheit der Äußerung nicht verletzt ist, wenn der Äußernde mit einer Aufzeichnung einverstanden ist (zutr. Graf MK Rdn. 41). Damit ergibt sich freilich entsprechend der modernen Auffassung über die tatbestandsspe- 14 zifischen Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Einverständnisses die Notwendigkeit, für § 201 eine spezielle „Einverständnisdogmatik“ zu entwickeln, die in vollständig ausgearbeiteter Form bisher nicht existiert. Folgende Lösungen erscheinen plausibel: Einverstanden sein muss der jeweilige Sprecher. Handelt es sich um eine Gesprächsrunde, kann jeder Teilnehmer nur das Einverständnis für sich erteilen; fehlt das Einverständnis eines Teilnehmers, dürfen dessen Äußerungen nicht aufgenommen werden (Hoyer SK Rdn. 42; Kargl NK Rdn. 23; aA Arzt Intimsphäre S. 246 f: Das Abhören sei erlaubt, falls auch nur einer der Teilnehmer einwillige). Das gilt auch bei Versammlungen, etwa bei Mitgliederversammlungen von Vereinen: Der bloße Mehrheitsbeschluss bindet den einzelnen Teilnehmer nicht (vgl. Roellecke BB 1959 514 für Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften; Wormer S. 167 f). Die Strafvorschrift greift allerdings nur ein, wenn die Versammlung nach ihrer Größe und Zusammensetzung so beschaffen ist, dass Wortmeldungen noch als nichtöffentlich angesehen werden können. Das Einverständnis kann auch konkludent erteilt werden (Samson SK6 Rdn. 24; Klug S. 116; 15 Rupprecht DVBl. 1974 579, 580). Soweit es z.B. im Geschäftsleben üblich geworden ist, bestimmte telefonische Mitteilungen, durch die eine schriftliche Information beschleunigt werden soll, auf Band aufzunehmen – Bestellungen, fernmündliche Durchsagen, Börsennachrichten –, wird unter Umständen davon auszugehen sein, dass der Sprecher mit dieser – ihm bekannten – Übung einverstanden ist.21 Ein stillschweigendes Einverständnis kann in der Regel auch dann angenommen werden, wenn der Sprechende weiß, dass ein Aufnahmegerät läuft, und gleichwohl weiterredet (vgl. Samson SK6 Rdn. 24; Klug S. 131; BGHSt 19 193, 195). Ein solcher Schluss ist jedoch nicht zwingend (aA wohl Samson SK a.a.O.). Nicht jede Kenntnis des Sprechers bedeutet, dass er auch mit der Aufnahme einverstanden ist; die Umstände des Einzelfalles können anderes ergeben (vgl. allgemein BGHSt 19 193, 194; ThürOLG JR 1996 297 m. Rezension Joerden 20 Grdl. Geerds Einwilligung und Einverständnis des Verletzten, 1953, 4 ff, 105 ff, 142 ff; heute etwa SternbergLieben Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht (1997), S. 74, m.w.N. S. 60 ff; ausf. zum Diskussionsstand Rönnau Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht (2001), S. 12 ff, 141 ff. 21 Vgl. Klug S. 116; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 30 geht hier von einer mutmaßlichen Einwilligung aus, vgl. dazu unten Rdn. 45; siehe ferner zu diesen Fallgruppen unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel BVerfGE 34 238, 247, und unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts BGHZ 27 284, 286; BGHSt 14 358, 363; viel zu weitgehend Coing (a.a.O. Rdn. 1) S. 34, 40: Bei Vertragsverhandlungen bestehe eine Verpflichtung, in Tonbandaufnahmen einzuwilligen; werde nicht ausdrücklich widersprochen, sei die Einwilligung zu vermuten. 745
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§ 201
Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
JR 1996 265). Weiß z.B. der Sprecher, dass seine Worte etwa von Privatdetektiven oder böswilligen Nachbarn mit Abhörgeräten belauscht werden, besagt das nicht, dass er mit dieser Lauschaktion einverstanden wäre. Entsprechendes gilt, wenn der Sprecher bei einer Verhandlung bemerkt, dass sein Gesprächspartner mit einem versteckten Tonbandgerät seine Worte zu fixieren versucht. In Fällen solcher Art wird das bloße Schweigen nicht als wirksames Einverständnis ausgelegt werden können (vgl. BGHSt 19 193, 194). Erst recht sind heimliche Tonaufnahmen von Vertragsverhandlungen grundsätzlich ebenso wenig von einem konkludenten Einverständnis gedeckt wie die Nutzung von Mithöranlagen (näher Rdn. 37). 16 Liegt ein Einverständnis vor, so handelt der Täter bei der Aufnahme „befugt“. Er ist durch § 201 Abs. 1 Nr. 2 nicht gehindert, die Aufnahme auch Dritten zugänglich zu machen; insoweit bedarf er keiner nochmaligen, ergänzenden Einwilligung.22 Auch wenn sich der Täter erst nach der Aufnahme für eine Verwertung entscheidet, die vom Sprecher missbilligt wird, liegt also keine Täuschung vor, so dass die vermittelte Befugnis nicht entfällt. Der Sprecher ist auch in solchem Falle hinreichend geschützt: Er kann wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts die weitere, nicht von seiner Einwilligung umfasste Verwertung nach bürgerlichrechtlichen Grundsätzen untersagen (vgl. KG NJW 1956 26, 27; Coing [a.a.O. Rdn. 1] S. 42 f). Problematisch sind dagegen diejenigen Fälle, in denen das Einverständnis durch Täuschung erschlichen bzw. durch Drohung erzwungen oder jedenfalls irrtumsbefangen ist. Naheliegend ist der Fall, dass der Aufnehmende vor der Aufzeichnung den Sprecher über die spätere Verwendung der Aufnahme getäuscht und dadurch dessen Einverständnis erreicht hat. Hier wird man zwischen den Begehungsformen von Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 einerseits, Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 andererseits differenzieren müssen: Bei Aufnahme oder beim Abhören mit Einverständnis (gleichgültig, ob durch Täuschung erlangt oder auf Irrtum beruhend) liegt keine Beeinträchtigung des spezifischen Rechtsguts der Flüchtigkeit der Äußerung vor, weil der Sprecher ja eine solche gerade nicht machen will, während es bei der Drohung entsprechend der im Schrifttum verbreiteten Abgrenzung zwischen Raub und Erpressung (dazu ausf. Sander MK § 253 Rdn. 13 ff) darauf ankommen sollte, ob das Einverständnis noch als eine eigene, wenn auch unter Nötigungsdruck getroffene Entscheidung des Sprechers qualifiziert werden kann; in diesem Fall greift zwar § 201 nicht ein, der notwendige Schutz ergibt sich aber aus § 240. Die tatbestandsausschließende Wirkung derartiger Einverständnisse ist aber im Hinblick auf Abs. 1 Nr. 2 sowie Abs. 2 Nr. 2 auf diejenigen Verwendungsformen beschränkt, von denen der Sprecher bei Abgabe seiner Äußerung ausging. Wird ihm also vorgespiegelt, durch die Aufnahme solle nur eine Gedächtnisstütze geschaffen werden, so bleiben deren anderweitiger Gebrauch oder die öffentliche Mitteilung des wesentlichen Inhalts gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 strafbar.
2. Tathandlungen 17 a) Absatz 1 Nr. 1 (Aufnehmen). Tathandlungen nach Absatz 1 sind das Aufnehmen auf einen Tonträger (Nr. 1) sowie das Gebrauchmachen oder Zugänglichmachen einer so hergestellten Aufnahme (Nr. 2). 18 Aufnehmen (Nr. 1) ist das Festhalten des gesprochenen Wortes auf einem Tonträger (Tonband, Schallplatte, Kassette oder digitale Speichermedien, s. Graf MK Rdn. 20) in der Weise, dass es wieder hörbar gemacht werden kann. Gelingt es nicht, das Wort auf dem Tonträger zu fixieren, liegt nur Versuch vor (vgl. Arzt Intimsphäre S. 260; Hoyer SK Rdn. 13; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 11). Ob es dem Täter dabei auf den Inhalt oder nur auf die Ermöglichung eines Stimmvergleiches ankommt, ist gleichgültig (BGHSt 34 39). 19 Nur wer die Worte des Sprechers aufnimmt, während dieser spricht, erfüllt den Tatbestand. Wer eine vorhandene Aufnahme kopiert, nimmt nicht auf, sondern gebraucht die bereits 22 Fischer Rdn. 6, 10; aA Lackner/Kühl/Kühlr Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29. Hilgendorf
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II. Tatbestand
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hergestellte Aufnahme (Abs. 1 Nr. 2).23 Für diese Auslegung spricht bereits der Wortlaut des Gesetzes, das unter Nr. 1 auf das gesprochene, nicht auf das mit technischen Mitteln aufgezeichnete Wort abstellt. Der Umgang mit Tonträgern wird ausschließlich von Nr. 2 erfasst. Diese Abgrenzung ist durch den Schutzzweck der Norm bedingt: Nur das Aufnehmen des gesprochenen „lebendigen“ Wortes enthält den von § 201 Abs. 1 Nr. 1 erfassten unmittelbaren Eingriff in die Privatsphäre des Sprechenden (vgl. oben Rdn. 1). Die bloße Vervielfältigung einer „Tonkonserve“ erfüllt diese Voraussetzung nicht. Da Nr. 2 ausreichenden Schutz gewährleistet, bedarf es einer ausdehnenden Auslegung der Nr. 1 nicht. Straflos bleibt danach allerdings, wer eine rechtmäßig hergestellte Aufnahme unbefugt kopiert, etwa eine Tonbandaufzeichnung, die der Sprecher selbst zuvor gefertigt hatte (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12). Diese Einschränkung ist jedoch sachgerecht (vgl. Blei BT 2 § 31 I; ders. in FS Henkel 109, 112 f sowie im Einzelnen Rdn. 22). Unerheblich ist, ob weitere technische Geräte zwischen Stimme und Aufnahmegerät zwi- 20 schengeschaltet werden. So wird grundsätzlich auch die Aufzeichnung eines Telefongesprächs vom Tatbestand erfasst,24 und zwar auch dann, wenn sie über eine Mithörvorrichtung erfolgt (vgl. BGHSt 31 304 f, 306; Klug S. 107 f). Entsprechendes gilt, wenn die Aufnahme des Abzuhörenden erst durch ein Abhörgerät ermöglicht wird.25 Auch die Speicherung eines mit SkypeSoftware geführten Internet-Telefonats fällt deshalb unter § 201,26 nicht aber diejenige der in Schriftform geführten Kommunikation in sog. Chatrooms.
b) Absatz 1 Nr. 2. Strafbar ist ferner, wer eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder ei- 21 nem Dritten zugänglich macht. Tatobjekt ist eine Aufnahme, die unter den Voraussetzungen der Nr. 1 („so“) hergestellt 22 wurde. Über den Umfang dieser Verweisung besteht Streit. Nach der einen Auffassung bezieht sich das „so“ allein auf die in Nr. 1 bezeichnete Art der Aufzeichnung, und zwar unabhängig davon, ob diese rechtmäßig oder rechtswidrig erfolgte (so Rudolphi S. 447; Suppert S. 209 ff; Wölfl Jura 2003 742; unterscheidend nach dem Grund für die Rechtmäßigkeit der Aufnahme Blei BT 2 § 31 II; ders. FS Henkel 109, 114). Nach der herrschenden Meinung bezieht die Verweisung auch das Merkmal „unbefugt“ ein mit der Folge, dass der Umgang mit rechtmäßig hergestellten Aufnahmen nicht unter den Tatbestand fällt.27 Dieser Auffassung ist zuzustimmen, jedoch mit der einschränkenden Präzisierung, dass die Aufnahme gegen den Willen des Betroffenen hergestellt worden sein muss (ähnlich Lenckner FS Baumann 147 ff, der dann jedoch schon die Tatbestandsmäßigkeit gem. Nr. 1 verneinen will und das die Differenzierung letztlich tragende viktimodogmatische Prinzip nicht nennt). Für sie spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift, der, wenn auch nicht eindeutig, eine einengende Interpretation jedenfalls nahelegt. Auch die Entstehungsgeschichte weist in diese Richtung (vgl. hierzu im Einzelnen Wormer S. 175 bis 177). So waren die Mitglieder der Großen Strafrechtskommission mit großer Mehrheit der Auffassung, dass der Gebrauch von Aufnahmen, die mit Einwilligung des Sprechers hergestellt wurden, nicht unter Strafe gestellt werden sollte (so u.a. Gallas, Simon, Baldus und Fritz; 23 Ebenso Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3 f; Hoyer SK Rdn. 8, 19; Wormer S. 150 ff; Arzt Intimsphäre, S. 240 Fn. 293; Blei BT 2 § 31 III 1.
24 OLG Karlsruhe JR 1979 466 mit insoweit zustimmender Anmerkung Ostendorf S. 468; zu § 298 Abs. 1 Nr. 1 a.F. teilweise aA Kohlhaas NJW 1972 238, 239 f; gegen Kohlhaas zutreffend Schilling NJW 1972 854.
25 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Wormer S. 152. 26 Unbeschadet dessen, dass die Einordnung in die strafprozessualen Instrumente zur Kommunikationsüberwachung nicht möglich ist, s. Sankol CR 2008 13 ff; Bruns KK § 100a Rdn. 17, weil der Zugriff nur durch eine onlineDurchsuchung beim sendenden oder empfangenden Computer erfolgen kann. Eine Rechtsgrundlage hierfür findet sich nunmehr in § 45 BKAG. 27 KG JR 1981 254, 255; OLG Düsseldorf NJW 1995 975; Arzt Intimsphäre S. 263 f; Gallas ZStW 75 (1963) 16, 40; Kargl NK Rdn. 12; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9a; Graf MK Rdn. 25; Hoyer SK Rdn. 16; Schmitz JA 1995 118, 119; einschränkend Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16; Wormer S. 175 ff mit zahlreichen Nachweisen S. 175 Fn. 1 und 2; Fischer Rdn. 6; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 505 f; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 73. 747
Hilgendorf
§ 201
Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
aA Lange, Fränkel und Dreher; vgl. die Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission Bd. 9 S. 400 bis 403). Werde eine befugt hergestellte Aufnahme missbraucht, so sei der Fall nicht anders zu beurteilen, als wenn schriftliche Aufzeichnungen, die vom Berechtigten selbst oder mit seiner Zustimmung gefertigt wurden, an die Öffentlichkeit gegeben würden. Ein Strafbedürfnis für solches – bloß indiskretes – Verhalten bestehe nicht. Danach erfasst Nr. 1 den „ersten Zugriff“ durch die Fixierung des Wortes, während Nr. 2 die zusätzliche Verwertung einer solchen Aufnahme unter Strafe stellt.28 Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, einen allgemeinen Indiskretionstatbestand in das Strafgesetzbuch einzufügen, und sich damit begnügt, besonders verwerfliche Eingriffe in die Privatsphäre mit Strafe zu bedrohen (vgl. BTDrucks. 7/550, S. 235 f; 10/1618 S. 11). Danach zu unterstellen, § 201 Abs. 1 Nr. 2 solle allgemein das Vertrauen auf den diskreten Umgang mit Tonaufnahmen schützen oder ein durch diese Vorschrift geschütztes „Recht am aufgenommenen Wort“ begründen, verfehlt die legislatorische Grundentscheidung. Auch von der Sache her liegt kein Bedürfnis für eine erweiternde Auslegung vor. Der Sprecher kann seine Tonbandaufnahme ebenso gegen Missbrauch sichern wie von ihm gefertigte schriftliche Aufzeichnungen, indem er sie entsprechend – etwa in einem verschlossenen Umschlag – verwahrt; zum Schutz des Tonbandes durch § 202a vgl. Möhrenschlager wistra 1986 123, 140. Gibt der Sprecher seine Aufnahme selbst aus der Hand, liegt es entsprechend der viktimodogmatischen Maxime an ihm, den Empfänger auf seine Vertrauenswürdigkeit zu prüfen. Dieselben Grundsätze gelten, wenn der Sprecher einem anderen erlaubt, seine Worte aufzunehmen. Auch hier kann ihm zugemutet werden, sich den Aufnehmenden auf seine Zuverlässigkeit anzusehen. Wird das Vertrauen des Sprechers enttäuscht, fehlt es jedenfalls an einem unmittelbaren Eingriff in die Privatsphäre, dessen Abwehr die Strafvorschrift dienen soll (vgl. BTDrucks. 10/1618 S. 11). Der Fall ist nicht anders zu beurteilen als der des Missbrauchs von schriftlichen Aufzeichnungen, die der Berechtigte freiwillig aus der Hand gegeben hat (vgl. Wormer S. 179; ferner Blei FS Henkel 109, 113). Anders ist es dagegen, wenn die Aufnahme gegen den Willen des Betroffenen, aber durch einen anderen Rechtfertigungsgrund (etwa §§ 100a, 100b StPO) gedeckt hergestellt wird: In einem solchen Fall besteht durchaus ein strafrechtliches Schutzbedürfnis, dass die Aufnahme nicht anderweitig (etwa der Presse) zugänglich gemacht wird. 23 Eine Aufnahme gebraucht (Abs. 1 Nr. 2, 1. Alternative), wer sie abspielt oder überspielt. 24 Hauptfall des Gebrauchens ist das Abspielen: Die Aufzeichnung wird hörbar gemacht. Es genügt nicht, dass über den Aufnahmeinhalt mündlich oder schriftlich berichtet wird.29 Das gilt selbst dann, wenn die auf dem Tonträger aufgezeichneten Äußerungen im Wortlaut wiedergegeben werden. Denn damit wird nicht die „Aufnahme“ – als Mittel erneuten Hörbarmachens – gebraucht, doch kommt natürlich eine Strafbarkeit nach Abs. 2 Nr. 2 in Betracht. Wer nicht öffentlich über den Inhalt der Aufzeichnung berichtet, ist demnach genauso wenig strafbar wie derjenige, der eine sonstige Indiskretion begeht, etwa den Gegenstand eines vertraulich geführten Gesprächs mitteilt (vgl. Arzt Intimsphäre S. 262). Praktisch bedeutsam wird diese Einschränkung allerdings in der Regel nur dann, wenn derjenige, der den Inhalt der Aufzeichnung wiedergibt, sich diese Kenntnis nicht zuvor bereits durch (strafbares) Gebrauchen der Aufnahme verschafft hat, indem er sie sich beispielsweise vorgespielt hat (vgl. Arzt a.a.O. S. 262 f). Straflos bleibt aber, wer nur mitteilt, was ihm ein anderer über den Inhalt einer Aufzeichnung gesagt hat. Diese Einschränkung ist sachlich gerechtfertigt; sie verhindert eine uferlose Ausweitung des Tatbestandes auf Bereiche, die vom eigentlich geschützten Rechtsgut weit entfernt liegen. 25 Maßgebend ist demnach, dass die Aufzeichnung auf dem Tonträger technisch ausgewertet wird. Das kann nicht nur dadurch geschehen, dass die Aufzeichnung hörbar gemacht wird, z.B. im Rahmen einer technischen Bearbeitung (OLG Düsseldorf NJW 1995 975). Die Aufnahme wird
28 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 497. 29 Vgl. Samson SK6 Rdn. 9 sowie eingehend Arzt Intimsphäre S. 261 ff; Schilling JZ 1980 7, 10; vgl. auch BTDrucks. 10/1618 S. 11; zu § 183 E-1962 vgl. Bundestagsvorlage S. 332. Hilgendorf
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II. Tatbestand
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auch dann „gebraucht“, wenn sie auf einen anderen Tonträger überspielt wird.30 Dabei kommt es – ebenso wie beim Aufnehmen – nicht darauf an, ob der Kopierende zugleich Kenntnis von der Aufzeichnung nimmt (aA Graf MK Rdn. 26). Wer später die Kopie abspielt, gebraucht – im Ergebnis – ebenfalls die (erste) Aufnahme und ist nach Nr. 2 zu bestrafen, weil das Gesetz nicht den Gebrauch des [Original-]Tonträgers, sondern der Aufnahme verbietet (zust. Kargl NK Rdn. 13; aA Hoyer SK Rdn. 19). Das Herstellen der Kopie ist hingegen kein Aufnehmen im Sinne der Nr. 1, da hier kein „gesprochenes“ Wort aufgezeichnet, sondern eine „Tonkonserve“ vervielfältigt wird (vgl. oben Rdn. 19). Unerheblich ist, ob der Gebrauchende die Aufnahme zuvor selbst hergestellt hat oder ob 26 dies von dritter Seite bewirkt wurde. Eine andere Frage ist, in welchem Verhältnis die verschiedenen Begehungsweisen zueinander stehen, wenn der Täter, der die Aufnahme gebraucht, diese zuvor auch hergestellt hat (vgl. dazu Rdn. 71). Strafbar ist ferner, wer eine so hergestellte Aufnahme einem Dritten zugänglich macht 27 (Abs. 1 Nr. 2, 2. Alternative). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Tonträger einem Dritten übergeben oder diesem sonstwie das Abspielen gestattet wird. Es reicht aber auch aus, dass einem Dritten ermöglicht wird, die akustische Wiedergabe der Aufnahme zur Kenntnis zu nehmen. Die Möglichkeit des körperlichen Zugriffs auf den Tonträger braucht ihm nicht eingeräumt zu werden.31 Die gegenteilige Ansicht kann sich zwar auf die Begründung des § 183 E 1962 berufen (vgl. Bundestagsvorlage S. 332). Diese dürfte jedoch durch die Ausformung, die der Begriff „Zugänglichmachen“ im Allgemeinen Sprachgebrauch des StGB erfahren hat, überholt sein (vgl. z.B. § 74d Abs. 4, § 131 Abs. 1 Nr. 2, § 184 Abs. 1 Nr. 2). Die bloße mündliche oder schriftliche Mitteilung des Inhalts an einen Dritten reicht jedoch auch unter diesem Blickwinkel nicht aus.32 Die Zusammenarbeit von Journalisten im redaktionellen Bereich schließt nicht aus, dass ein Zugänglich-Machen gegenüber einem „Dritten“ erfolgt.33 Täter nach Absatz 1 kann jeder außer dem Sprechenden sein. Der Sprechende ist allerdings 28 nicht straflos sofern er neben seinen eigenen Worten auch die Äußerungen eines Gesprächspartners aufnimmt. Mittelbare Täterschaft ist möglich, etwa dann, wenn ein Techniker als gutgläubiges Werkzeug eingeschaltet wird (vgl. Arzt Intimsphäre S. 259).
c) Absatz 2 Nr. 1. Absatz 2 Nr 1 stellt das unbefugte Abhören mit einem Abhörgerät unter 29 Strafe. Auch hier ist nur das nichtöffentlich gesprochene Wort geschützt (vgl. oben Rdn. 8 bis 11). 30 Der Polizei- und Taxifunkverkehr ist öffentlich – unterfällt also nicht der Bestimmung –, soweit er ohne besondere Vorrichtungen, etwa bereits durch ein gewöhnliches Rundfunkgerät, mitgehört werden kann; das gilt auch dann, wenn die Meldungen nicht zur Kenntnisnahme durch jedermann bestimmt sind (vgl. oben Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Hoyer SK Rdn. 12). Abhören setzt voraus, dass der Täter tatsächlich etwas vernimmt, etwas „hört“; zu verste- 31 hen braucht der Täter die Worte allerdings nicht. Eine unmittelbare Wahrnehmung ist nicht erforderlich; es reicht aus, dass das abgehörte Wort zunächst lediglich aufgenommen wird, also etwa das Abhörgerät mit einer Aufnahmevorrichtung gekoppelt ist (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29). Der Täter braucht auch nicht selbst zu „hören“; er kann sich hierzu eines anderen,
30 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; BTDrucks. 10/1618, S. 12. 31 Ebenso Hoyer SK Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Kargl NK Rdn. 14; aA Arzt Intimsphäre S. 248; wohl auch Fischer Rdn. 6.
32 Vgl. die Begründung zu § 183 E 1962 – Bundestagsvorlage – S. 332; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Graf MK Rdn. 27; Arzt Intimsphäre S. 262. 33 OLG Köln NJW-RR 2020 30, 34; skeptisch wegen Unterlaufens der Privilegierung aus § 201 Abs. 2 S. 3 Sajuntz NJW 2020 583, 585. 749
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etwa eines Technikers, bedienen.34 Der Täter muss gezielt vorgehen („Lauschangriff“), so dass ein zufälliges Mithören für sich allein nicht ausreicht (Graf MK Rdn. 31; s. aber auch u. Rdn. 35). 32 Nur das Abhören mit einem Abhörgerät ist strafbar. Daher erfüllt den Tatbestand nicht, wer mit dem Ohr an der Wand lauscht: Zweck der Vorschrift ist es, die technische Überwindung der normalen Hörgrenze einer Stimme zu verhindern, auf die sich der Rechtsgutsträger nicht (etwa durch Dämpfung seiner Lautstärke) einstellen kann (viktimodogmatische Maxime). Abhörgeräte sind technische Vorrichtungen, die „das gesprochene Wort über dessen normalen Klangbereich hinaus durch Verstärkung oder Übertragung unmittelbar wahrnehmbar“ machen (Begründung zu § 183 Abs. 2 E 1962 – Bundestagsvorlage – S. 332). Darunter fallen Mikrofonanlagen, Richtmikrofone, Kleinstsender, Vorrichtungen zum Anzapfen von Telefonen einschließlich der zur Überwachung von Internet-Telefonie geeigneten Spyware (Sankol CR 2008 13), aber auch das Stethoskop oder das Hörrohr beim Lauschen an der Wand (Hoyer SK Rdn 24). Das übliche Fernsprechgerät ist keine Abhöreinrichtung, und zwar auch dann nicht, wenn jemand durch technisches Versehen in ein fremdes Gespräch eingeschaltet wird.35 Zweifelhaft ist die Behandlung von im Telefon eingebauten Lautsprechern, Zweithörern oder sonstigen Mithöreinrichtungen: Weil es sich bei ihnen um übliche und damit von jedermann einzukalkulierende, immer schon von der Post zugelassene Mithöreinrichtungen handelt, sollen sie nach früher überwiegender Auffassung keine Abhörgeräte im Sinne des Tatbestandes sein.36 Diese Begründung ist aber verfassungsrechtlich nicht haltbar (näher Rdn. 37) und überzeugt auf der Ebene „schlichter“ Gesetzesinterpretation ebenso wenig, weil auch die Üblichkeit derartiger Einrichtungen (die von Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 19 bezweifelt wurde37) in der vorstehend wiedergegebenen Definition des „Abhörgerätes“ nicht sinnvoll unterzubringen ist. Es ist auch absurd, das vorsintflutliche Hörrohr unter den Begriff des „Abhörgerätes“ zu subsumieren (s.o.), die modernen technischen Äquivalente aber wegen des im natürlichen Wortsinn überhaupt nicht angelegten Kriteriums der Üblichkeit davon ausnehmen zu wollen. Dass sich die ältere Rechtsprechung hier durch das in einem Rechtsstaat inakzeptable Bedürfnis fortreißen ließ, zur effektiveren Verbrechensbekämpfung Hörfallen auch außerhalb der hierfür allein als maßgeblich anzusehenden Vorschriften der §§ 100a–100c, 100 f StPO zuzulassen, belegen die vom BGH nicht mehr in die Auslegung des § 201 Abs. 2 StGB integrierten Überlegungen zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts im Falle einer Täuschung oder eines vertraulichen Gesprächscharakters.38 Die von der älteren Rechtsprechung betonte Üblichkeit von Mithörvorrichtungen ist deshalb (vor allem auch unter viktimodogmatischen Aspekten) allenfalls im Tatbestandsmerkmal „nicht zu seiner Kenntnis bestimmt“ zu berücksichtigen (ebenso Kargl NK Rdn. 17), während die von Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 19 befürwortete Heranziehung des Rechtfertigungsgrundes der mutmaßlichen Einwilligung an der jederzeit möglichen Einholung eines ausdrücklichen Einverständnisses scheitert. 33 Die Tat kann durch Unterlassen begangen werden. Das bedeutet nicht, dass ein Unbeteiligter verpflichtet wäre, „wegzuhören“; wohl aber kann sich die Pflicht ergeben, ein Abhörgerät 34 Arzt Intimsphäre S. 249 f; Wormer S. 202 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20. 35 Gallas ZStW 75 (1963) 16, 41; Graf MK Rdn. 33; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5. Im Ansatz, nicht notwendig im Ergebnis anders Fischer Rdn. 7a, der nicht auf die abstrakte Zweckbestimmung, sondern die konkrete Nutzung abstellt. 36 Vgl. BGHZ NJW 1982 1397, 1398; BGHSt 39 335, 343; ohne Erwähnung des § 201 zust. BGHSt – GrS – 42 139, 154; OLG Hamm NStZ 1988 515 m. Anm. Amelung sowie Krehl, StV 1988 376; LG Regensburg NStZ 1983 366; Gössel/ Dölling BT 1, § 37 Rdn. 42 f; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Graf MK Rdn. 32 m.w.N.; Hoyer SK Rdn. 24; Schwalm Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission Bd. 9, S. 398; Sternberg-Lieben Jura 1995 299, 303; Helle JR 2000 353; im Ergebnis auch Kattanek (2000); aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19; Kargl NK Rdn. 17; Werner NJW 1988 993, 997; Klug S. 106; LAG Berlin JZ 1982 2258 für eine zusätzliche Ohrmuschel in einer Privatwohnung; BGHZ NJW 1988 1016; AG Lübeck MDR 1981 940; differenzierend Fischer Rdn. 7. 37 Anders jetzt Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19, wo die Üblichkeit nicht angezweifelt wird. Sie soll aber nicht ausreichen, um den Tatbestand auszuschließen. 38 BGHSt 39 335, 343–345 mit lebensfremder, am Charakter des konkreten Gesprächs vorbeigehender Verneinung dieser Voraussetzungen im speziellen Fall; OLG Hamm StV 1988 374; dazu mit Recht abl. Krehl StV 1988 376; Amelung NStZ 1988 515; Jung JuS 1994 617; Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht § 24 Rdn. 40 f. Hilgendorf
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abzuschalten, wenn man es versehentlich selbst eingeschaltet hat (vgl. Arzt Intimsphäre S. 253) oder – etwa bei einem Telefongespräch – ein anderweitig eingeschaltetes oder automatisch zugeschaltetes Abhörgerät mitbenutzt. Die Garantenstellung erwächst dabei aus der Herrschaft über den Grund des Erfolges, hier: über das Tatmittel (zur Begründung eingehend Schünemann Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte [1971] S. 231 ff, 281 ff; ders. FS Amelung 303 ff), während eine Konstruktion über die Ingerenzgarantenstellung sachwidrig nur die Fälle des eigenen Einschaltens erfassen könnte. Erforderlich ist weiter, dass das abgehörte Wort nicht zur Kenntnis des Täters bestimmt ist. Wer Kenntnis von dem gesprochenen Wort nehmen soll – und wer andererseits davon ausgeschlossen bleiben soll –, bestimmt der Sprecher (eingehend Wormer S. 207 bis 213). Nehmen mehrere an einem Gespräch teil, kommt es auf die Willensrichtung des jeweiligen Sprechers an. Veranlasst einer der Gesprächsteilnehmer das Abhören, so kann dieser selbst nicht als Täter bestraft werden, weil das von den anderen gesprochene Wort zu seiner Kenntnis bestimmt ist; in Betracht zu ziehen ist insoweit jedoch Anstiftung (oder Beihilfe) zur Tat des Lauschers (vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21a; Samson SK6 Rdn. 16; Bedenken insoweit bei Arzt Intimsphäre S. 245 ff; gegen Arzt zutreffend Wormer S. 209 f). Wie im Rahmen der Nr. 1 (vgl. Rdn. 12 ff) kommt es auch hier schon nach dem Wortlaut des Gesetzes für die Erfüllung des Tatbestandes nicht darauf an, ob der Sprecher weiß, dass er abgehört wird (aA Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 20). Sofern der Sprechende mit dem Abhören einverstanden ist, wird das von ihm gesprochene Wort allerdings in der Regel auch dem Abhörenden gelten (vgl. oben Rdn. 12). Das Wort darf nicht zur „Kenntnis“ des Täters bestimmt sein. Damit scheidet als Täter nicht nur aus, wer das Wort akustisch hören soll (in dieser Weise einschränkend aber Arzt Intimsphäre S. 255 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21a), sondern auch derjenige, der im Ergebnis von dem gedanklichen Inhalt der Mitteilung Kenntnis erhalten soll (Blei BT 2 § 31 III 3). Wollte man (so aber die h.L.) darauf abstellen, ob der Abhörende den genauen Wortlaut des Gesprächs akustisch miterleben soll, käme der einschränkenden Fassung des Tatbestandes wenig Bedeutung zu; sie würde praktisch leerlaufen. Die hier vertretene Auffassung kann sich zudem auf die amtliche Begründung des § 183 E 1962 (Bundestagsvorlage, S. 332) stützen. Wird etwa dem Angestellten eines Unternehmens fernmündlich eine Nachricht übermittelt, die für seinen Arbeitgeber bestimmt ist, so ist danach der Arbeitgeber straflos, wenn er die Nachricht abhört.39 Anders ist es, wenn der Anrufer mit dem Angestellten ein Privatgespräch führt und dabei das Diensttelefon benutzt. Hier ist das Wort nicht zur Kenntnis des Arbeitgebers bestimmt. Ein Abhören des Gesprächsinhalts – und sei es auch nur in Kontrollabsicht – ist deshalb unzulässig. Insoweit ist unerheblich, ob der Arbeitgeber untersagt hat, das Geschäftstelefon für private Gespräche zu benutzen (aA – unter bürgerlichrechtlichem Blickwinkel – Kretzschmar BB 1959 1068, 1970; gegen ihn zutreffend Wormer S. 207 f). Die in Betrieben und Behörden übliche Erfassung von Rufnummern unterfällt dagegen nicht dem Tatbestand des Absatzes 2: Das im Arbeitsrecht geltende Abhörverbot auch für dienstliche Telefongespräche40 ändert daran nichts, weil eben der Straftatbestand im Interesse der Ausscheidung von Bagatellfällen enger ist als der zivilrechtliche Schutzumfang des Persönlichkeitsrechts. Im Hinblick auf die Verbreitung von Mithöreinrichtungen am Telefon durch die moderne Technik (Rdn. 31 f) stellt sich für Gespräche, bei denen typischerweise jemand mithört (z.B. geschäftliche Gespräche mit einem Repräsentanten einer für den Gesprächsgegenstand zuständigen Betriebsabteilung oder Personengruppe, aber auch Austausch von Familienangelegenheiten mit einem Familienmitglied), entsprechend der viktimodogmatischen Maxime die Frage, ob es Sache 39 Ebenso Fischer Rdn. 7; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 20; Vgl. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; aA Graf MK Rdn. 30; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21a; Hoyer SK Rdn. 22; Schmitz JA 1995 118, 119. 40 BAG DB 1998 371; LAG Frankfurt AuR 1995 196; dazu allg. Eickhoff/Kaufmann BB 1999 914; Gola MMR 1999 322, 326 f; Altenburg u.a. MMR 2005 135, 136; Zilkens DuD 2005 253; Müller (2008); Maschmann FS Hromadka 233; Dann/Gastell NJW 2008 2945; Petri/Brüssow PersF 2009 90. 751
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des Nutzers einer Mithöreinrichtung ist, auf deren Nutzung vorher hinzuweisen, oder ob umgekehrt derjenige, der auch in solchen Kontexten individuelle Vertraulichkeit sucht, gehalten ist, darauf zu Beginn des Gespräches ausdrücklich hinzuweisen. Häufig wird sich die individuelle Vertraulichkeit ohnehin aus Umständen oder Gegenstand des Gespräches ergeben, beispielsweise bei einer Aussprache zwischen Intimpartnern oder bei praktisch jedem Gespräch im Sinne eines Ausschlusses mithörender Polizeibeamter.41 Eine strafprozessuale Hörfalle, die mit einem Abhörgerät arbeitet, erfüllt deshalb stets den Tatbestand des § 201 Abs. 2 Nr. 1 und kann allenfalls gerechtfertigt sein (unten Rdn. 46 ff). Aber auch wenn es um Gespräche geschäftlichen Inhalts geht, schützt die Gewährleistung des Rechts am gesprochenen Wort als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG vor der Nutzung einer Mithöreinrichtung, die ein Gesprächsteilnehmer einem nicht an dem Gespräch beteiligten Dritten bereit stellt (Leitsatz Nr. 3 von BVerfGE 106 28). Die Begründung dafür lautet in den klassischen Worten des BVerfG: „Dieses Selbstbestimmungsrecht soll den Sprecher auch befähigen, sich auf mögliche Folgen der Kommunikation einzustellen. Wäre ihm etwa bewusst, dass ein Dritter zuhört, so dass bei der anschließenden rechtlichen Auseinandersetzung ein Beweismittel zur Verfügung steht, könnte der Sprecher vor dem Hintergrund einer andernfalls bestehenden eigenen Beweislosigkeit entscheiden, jedwede Äußerung von rechtlicher Relevanz zu unterlassen. Er könnte sich auch um einen behutsameren Gebrauch solcher Formulierungen bemühen, die unter Umständen beweiserheblich werden. Oder er könnte seinerseits dafür sorgen, über ein eigenes Beweismittel zu verfügen. Solche Möglichkeiten, sich am jeweiligen Kommunikationspartner auszurichten und sich im Hinblick auf die eigenen Kommunikationsinteressen situationsangemessen zu verhalten, werden ihm genommen, wenn nicht in seiner Entscheidung steht, wer die Kommunikationsinhalte unmittelbar wahrnehmen kann“ (BVerfGE 106 28 [42]). Aus diesem grundrechtlichen Ausgangspunkt folgt, dass die Viktimodogmatik hier eine Auslegung zu Gunsten des Opferschutzes gebietet, so dass der Nutzer einer Mithöreinrichtung gehalten ist, sich das Einverständnis seines Gesprächspartners zuvor einzuholen, und auch bei geschäftlichen Gesprächen nicht von einem stillschweigenden Einverständnis ausgegangen werden kann. Die auf der verfehlten Rechtsprechung des BGH zur Herausnahme der Mithöreinrichtungen aus dem Begriff des Abhörgeräts (Rdn. 31 f) beruhende Auffassung, das Abhören von Gesprächen in Call Centern falle nicht unter § 201 Abs. 2 Nr. 1 StGB42, hat diese vom BVerfG überzeugend und klar herausgearbeitete grundrechtliche Dimension verkannt und ist deshalb nicht zu akzeptieren.
38 d) Abs. 2 Nr. 2 (öffentliche Mitteilung). Abs. 2 Nr. 2 erweitert den Schutz auf die öffentliche Mitteilung einer nach Abs. 1 hergestellten Aufnahme bzw. eines nach Abs. 2 Nr. 1 gewonnenen Abhörergebnisses, wobei der Tatbestand schon dann erfüllt ist, wenn der wesentliche Inhalt mitgeteilt wird. Damit soll zugleich ein wesentlicher Tatanreiz für Taten nach Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 beseitigt werden, weil die Verwertung des illegal Aufgenommenen oder Abgehörten durch Verbreitung in den Medien eines der häufigsten Tatmotive ist, dessen Verwirklichung nunmehr unterbunden wird (vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung BTDrucks. 11/6714 S. 3). Unter öffentlicher Mitteilung ist dabei wie auch in anderen Vorschriften, z.B. § 353d StGB, jede Mitteilung zu verstehen, die von einem größeren, individuell nicht feststehenden oder jedenfalls durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis wahrgenommen werden kann.43 Diese neue Tatbestandsalternative wirft eine Reihe von dogmatischen und verfassungsrechtlichen, bei ihrer Einführung kaum bedachten und jedenfalls nicht ausdiskutierten Problemen auf. So stellt sich bereits die Frage, ob das darin geschützte Rechtsgut mit dem durch die bisherigen Tathandlungen des § 201 verletzten Rechtsgut identisch ist. Auch wenn in den 41 Entgegen den völlig lebensfremden Annahmen in BGHSt 39 335, 344 f. 42 Lüderssen wistra 2006 441, 442 m.w.N.; Gola RDV 2005 105, 106. 43 Sch/Schröder/Perron/Hecker § 353d Rdn. 46; Puschke MK § 353d Rdn. 22; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7; weitere Einzelheiten bei Graf MK Rdn. 36. Hilgendorf
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Gesetzesmaterialien von einer „mittelbaren Verletzungshandlung“ gesprochen worden ist (BTDrucks. 11/6714 S. 3 und zu den Anlass gebenden Vorkommnissen Graf MK Rdn. 34), geht es doch in Wahrheit überhaupt nicht um ein Eindringen in die „Vertraulichkeit des Wortes“, sondern um eine spezielle Form des Indiskretionsdelikts (Lenckner FS Baumann 135, 141 ff; Rogall FS Hirsch 665, 677 f), was sich auch daran zeigt, dass das Gesetz ausdrücklich die Wiedergabe des „wesentlichen Inhalts“ genügen lässt. Wie bei Abs. 1 Nr. 2 stellt sich auch bei Abs. 2 Nr. 2 die Frage, ob nur die Publikation unbe- 39 fugt hergestellter Aufnahmen bzw. gewonnener Abhörergebnisse tatbestandsmäßig ist oder ob dies auch für die nicht autorisierte Publikation befugter Aufnahmen gelten soll, beispielsweise wenn ein Politiker wichtige Gespräche für seine spätere Autobiographie im allseitigen Einverständnis auf Tonband festhält und diese nun vorzeitig ohne Erlaubnis publiziert werden. Für eine Einbeziehung auch der befugt hergestellten Aufnahmen spricht die Überlegung, dass die Tathandlung der Publikation in Abs. 2 Nr. 2 gravierender ist als der schlichte Gebrauch und die schlichte Weitergabe gemäß Abs. 1 Nr. 2. Dagegen spricht aber auch hier entscheidend, dass man dann die schlichte Indiskretion bestrafen würde, obwohl die Versuche zur Einführung eines Indiskretionsdelikts stets gescheitert sind (o. Vor §§ 201 ff Rdn. 15). Ausschlaggebend ist ferner, dass § 201 in Konkretisierung der viktimodogmatischen Maxime nur das eigenmächtig hinterlistige Eindringen mit technischen Mitteln in die Privatheit eines Gesprächs erfasst, während der Betroffene gegenüber anderen Angriffsformen für Selbstschutz sorgen muss, beispielsweise durch sichere Verwahrung von ihm aufgenommener Tonbänder. Die Strafbarkeit der Publikation gemäß Abs. 2 Nr. 2 setzt also einen ebenfalls unbefugten (im Sinne eines ohne Einwilligung des Betroffenen erfolgten) Ersteingriff voraus (Lenckner FS Baumann 145 ff). Schwierigkeiten bereitet auch die dogmatische Einordnung der sog. Bagatellklausel des 40 § 201 Abs. 2 Satz 2. Der Rechtsausschuss erblickte darin einen Tatbestandsausschließungsgrund, verwies dazu jedoch auf die Parallele zu § 326 Abs. 6 StGB (BT-Drucks. 11/7714 S. 7), die aber gerade nicht passt, weil es sich dabei nach überwiegender Auffassung um einen Strafausschließungsgrund handelt (Fischer § 326 Rdn. 58). Richtigerweise wird durch die Bagatellklausel jedenfalls bei § 201 Abs. 2 Satz 2 die Höhenmarke des strafrechtsrelevanten Unrechts festgelegt und damit eine Frage des Tatbestandes geregelt (so auch Jung JuS 1991 169). Es sollen Mitteilungen lapidarsten Inhalts ausgeschieden werden (Fischer Rdn. 12) oder auch solche Mitteilungen, die den Betroffenen nicht erkennen lassen44 oder an deren Veröffentlichung dieser selbst interessiert ist. Ein Beispiel bietet etwa die Mitteilung, dass die am Telefon geäußerten Zärtlichkeiten eines Politikers, die in der Boulevardpresse oder in sozialen Medien anreißerisch herausgestellt wurden, seiner Ehefrau galten. Hierbei bedeutet die Geeignetheit zur Interessenverletzung nicht – wie bei echten abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten – die dem Beweis zugängliche Tendenz der Handlung, weitere schädliche Folgen auszulösen, sondern das normative Urteil, dass eine Publikation dieses Inhalts das Recht auf Privatheit beeinträchtigt und deshalb einem normal empfindenden Betroffenen unerwünscht ist. Nur durch diese Interpretation lassen sich auch die unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 GG) manifesten verfassungsrechtlichen Bedenken (Soehring NJW 1994 16, 18) beschwichtigen, weil dann eben die Eignung zur Beeinträchtigung berechtigter Interessen den Regelfall darstellt und das Unrecht also nicht erst durch eine regelmäßige Interessenabwägung festgestellt werden muss.45 Dass diese Probleme überhaupt auftreten, die sich bei dem eigens hinzugefügten Rechtferti- 41 gungsgrund des Abs. 2 Satz 3 wiederholen, ist durch die unglückliche Ausrichtung der Gesetzesfassung an der Rechtsprechung des BGH und BVerfG zum zivilrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedingt, die eine Veröffentlichung des Inhalts rechtswidrig abgehörter Telefongespräche dann für nicht schlechthin unzulässig erklärt hatte, wenn an dem Inhalt des Gesprächs ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht (BGHZ 73 44 In diese Richtung, wenngleich i.E. offen gelassen, OLG Düsseldorf ZUM-RD 2012 137, 144. 45 Vgl. zu diesem Kriterium für die Zulässigkeit von Generalklauseln im Strafrecht Schünemann Nulla poena sine lege? (1979) S. 35 f. 753
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120 – Fall Kohl/Biedenkopf), und die eine Veröffentlichung von widerrechtlich durch Täuschung in der Absicht der Verwertung gegen den Getäuschten verschafften Informationen dann zulässt, wenn es um Missstände von erheblichem Gewicht geht, an deren Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht (BVerfGE 66 116, 139 – Fall Wallraff).46 Denn die vom BVerfG kultivierte Abwägung des Einzelfalles mit Hilfe generalklauselartiger Formeln führt im Strafrecht zu einer ständigen Friktion mit der lex-certa-Garantie, die auch durch die in Abs. 2 Satz 3 benutzte Formel der „überragenden öffentlichen Interessen“ nicht beseitigt wird, weil darin gegenüber der etwa in § 34 benutzten Formel des „überwiegenden Interesses“ kein semantischer Vorteil liegt (zutr. Lenckner FS Baumann 153 f gegen die Meinung des Rechtsausschusses BTDrucks. 11/ 7414 S. 4). Da Abs. 2 Satz 3 im Unterschied zu § 34 weder eine gegenwärtige Gefahr noch die Erforderlichkeit der öffentlichen Mitteilung zu deren Abwendung verlangt, begegnet die Vorschrift sowohl vom Inhalt her als auch unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgrundsatzes schweren verfassungsrechtlichen Bedenken, die allenfalls dadurch teilweise beschwichtigt werden können, dass man das Erfordernis des relativ mildesten Mittels nach den allgemeinen Grundsätzen der Güter- und Interessenabwägung hineininterpretiert (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 33a). Die vom Rechtsausschuss genannten Beispiele der Aufdeckung gravierender Straftaten (BTDrucks. 11/7414 S. 4) könnten jedenfalls auch über § 34 angemessen behandelt werden, so dass Abs. 2 Satz 3 bei enger Auslegung als überflüssig und bei weiter Auslegung als ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG erscheint.
3. Subjektiver Tatbestand 42 Für den inneren Tatbestand ist Vorsatz erforderlich. Bedingter Vorsatz genügt. Glaubt der Täter irrtümlich, sein Handeln sei nicht „unbefugt“, richtet sich die Strafbarkeit nach den allgemeinen Regeln über den Irrtum bei Rechtfertigungsgründen (vgl. OLG Frankfurt JR 1978 168, 170; allgemein hierzu Roxin/Greco AT I § 14 Rdn. 52 ff). Folgt man der h.M., ist demnach zwischen folgenden Alternativen zu unterscheiden: Glaubt der Täter irrtümlich an eine Sachlage, die ihn zu seinem Handeln berechtigen würde, so ist sein Vorsatz – und damit hier zugleich seine Strafbarkeit (§ 15) – ausgeschlossen.47 Hält der Täter hingegen sein Handeln aufgrund falscher rechtlicher Bewertung für erlaubt, gelten die Regeln zum Verbotsirrtum.48 Anders ist es, wenn der Täter im Rahmen des Absatzes 1 Nr. 2 fälschlich annimmt, die Herstellung der Aufnahme nach Absatz 1 Nr. 1 sei nicht „unbefugt“ gewesen. Das Merkmal „unbefugt“ gehört hier zum Tatbestand der Vorschrift (vgl. Rdn. 22); es muss vom Vorsatz erfasst sein (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 35; Fischer Rdn. 14).
III. Rechtswidrigkeit 1. Unbefugtheit 43 Der Täter muss unbefugt handeln. Der Gesetzgeber hat mit diesem Zusatz auf die besondere Häufigkeit von Rechtfertigungsgründen hinweisen wollen (vgl. BTDrucks. 7/550, S. 236; Klug S. 107 f; Hoyer SK Rdn. 34). Ob das tatbestandsmäßige Verhalten des Täters rechtswidrig ist, ist nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen.49 Unbefugt handelt, wer ohne Rechtfertigungs46 Aus jüngerer Zeit ähnlich etwa BGH NJW 2018 2877. 47 OLG Karlsruhe NJW 1979 1513, 1515; vgl. allgemein Roxin/Greco AT I § 14 Rdn. 64 ff sowie Hilgendorf/Greco GA 2006 777 ff; Hilgendorf LK § 203 Rdn. 135. 48 Vgl. OLG Frankfurt JR 1978 168, 170 = NJW 1977 1547, 1548; OLG Karlsruhe a.a.O.; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 35. 49 Vgl. KG JR 1981 254; OLG Frankfurt JR 1978 168, 169 = NJW 1977 1547; OLG Karlsruhe JR 1979 466, 467; Evers ZRP 1970 147, 148; Fischer Rdn. 9 ff. Hilgendorf
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III. Rechtswidrigkeit
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grund den Tatbestand erfüllt.50 Wormer (S. 154 bis 165, 228 bis 230) und wohl auch Eisele (in Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29) legen dem Begriff „unbefugt“ eine doppelte Bedeutung bei. Sie gehen davon aus, dass die Kenntnis oder das Einverständnis des Sprechers eine Befugnis begründen, die bereits die Tatbestandsmäßigkeit ausschließt. Andere Umstände, die das Verhalten des Täters zu einem „befugten“ machen, sollen hingegen nur rechtfertigende Wirkung haben. Ob eine solche Aufspaltung ein und desselben Begriffes zur Verdeutlichung der Problematik beiträgt, ist fraglich. Von der Sache her ist sie jedenfalls nicht geboten (vgl. oben Rdn. 12 f).
2. Rechtfertigungsgründe Rechtfertigungsgründe können sich für die vorliegenden Tatbestände insbesondere ergeben 44 aus:
a) mutmaßlicher Einwilligung des Betroffenen. Das Einverständnis des Betroffenen lässt 45 bereits den Tatbestand entfallen (vgl. Rdn. 12 f). Der Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung (vgl. Fischer Rdn. 10) wird im Rahmen des § 201 selten eingreifen (gänzlich ablehnend für Tonbandaufnahmen Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 224). Er setzt – jedenfalls nach herrschender Meinung – voraus, dass der Betroffene voraussichtlich einwilligen würde, das Einholen einer Einwilligung jedoch entweder nicht möglich oder nicht zumutbar ist (vgl. Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 221). Sch/Schröder/Eisele Rdn. 30 will dagegen diesem Rechtfertigungsgrund einen breiten Anwendungsbereich einräumen. Die von ihm gebildeten Beispiele – Telefongespräche im Behördenverkehr, Aufgabe von Bestellungen etc. – lassen sich aber nur dann mit Hilfe „mutmaßlicher Einwilligung“ lösen, wenn man mit ihm diesen Rechtfertigungsgrund weit auslegt (zu den Bedenken hiergegen: Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 221). Von der Sache her ist dies jedoch nicht geboten. In der Mehrzahl der angeführten Grenzfälle wird man von einem stillschweigenden Einverständnis ausgehen können. In den übrigen aber ließe sich die Zustimmung ohne Schwierigkeiten einholen; ein Bedürfnis für die Rechtfertigung des Aufnehmenden besteht insoweit nicht.
b) besonderer gesetzlicher Vorschrift aa) im Strafverfahren. Gemäß § 100a StPO kann der Fernmeldeverkehr einer Person abgehört 46 und aufgenommen werden, wenn diese aufgrund bestimmter Tatsachen verdächtig ist, als Täter oder Teilnehmer eine im Einzelfall schwer wiegende in der Vorschrift bezeichnete Straftat („Katalogtaten“) begangen, in strafbarer Weise versucht oder durch eine Straftat vorbereitet zu haben, und wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wären. Die Einzelheiten des Verfahrens ergeben sich aus § 100e StPO. Die Vorschriften lassen sich nicht entsprechend anwenden auf die heimliche Herstellung von Tonbandaufnahmen zur Stimmvergleichung (BGHSt 34 39, 50 m. zust. Rezension von Bottke Jura 1987 356). Auch ein Einsatz des Telefons zum Abhören von Raumgesprächen könnte nicht auf § 100a StPO, sondern nur auf die Regelung des Lauschangriffs in §§ 100c–e StPO gestützt werden. Fraglich könnte erscheinen, ob die strafprozessuale Verwertung eines zufällig mitaufgenommenen Raumgesprächs (sei es, dass der Fernsprechteilnehmer während des Gespräches noch eine Unterhaltung mit einer anwesenden Person führt, sei es, dass er nach dem Ende des Telefongesprächs versehentlich das Gerät nicht abschaltet) die Tatbestände des § 201 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 erfüllen würde. Weil dafür eine nach Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 1 tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tonaufnahme bzw. Ab50 BGHSt 31 304, 306; OLG Düsseldorf ZUM-RD 2012 137, 141; OLG Köln NJW-RR 2020 30, 34; Hoyer SK Rdn. 34; Evers a.a.O. S. 147. 755
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hörung Voraussetzung ist (Rdn. 21 f), ist diese Frage selbst dann zu verneinen, wenn man mit der überwiegenden Meinung im Schrifttum im Unterschied zur Rechtsprechung die Verwertbarkeit verneint.51 47 Ferner ist durch das OrgKG vom 15.7.1992 (BGBl. I S. 1302) zunächst der sog. Kleine Lauschangriff (d.h. unter Ausschluss von Gesprächen in Wohnungen, nunmehr geregelt in § 100f StPO) und sodann durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4.5.1998 (BGBl. I S. 845) der sog. Große Lauschangriff eingeführt worden, bei dem auch in einer Wohnung das nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden darf, wenn der Verdacht bestimmter, im Einzelnen aufgezählter gravierender Straftaten besteht und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre (§§ 100c–e StPO). Wegen der Einzelheiten der komplizierten, auf Anforderung des BVerfG vom Gesetzgeber nachgebesserten Regelung52 ist auf die Darstellungen des Strafverfahrensrechts zu verweisen (etwa Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht § 36 Rdn. 39 ff). Immerhin kann man den legislatorischen Entscheidungen jedenfalls den Willen entnehmen, die Eingriffsbefugnisse abschließend zu beschreiben, so dass Eingriffe der Strafverfolgungsbehörden außerhalb der §§ 100a–100c StPO auch nicht auf allgemeine Rechtfertigungsgründe gestützt werden können. Hörfallen, die mit Abhörgeräten arbeiten (o. Rdn. 37), sind deshalb außerhalb dieses Rahmens in jedem Falle rechtswidrig. Dagegen könnte die unter Berufung auf einen funktionellen Vernehmungsbegriff im Schrifttum vertretene, von der Rechtsprechung aber abgelehnte Anwendung der §§ 163a, 136 StPO und die in diesem Fall anzunehmende, generelle prozessuale Unstatthaftigkeit einer Hörfalle53 die Rechtswidrigkeit für den Anwendungsbereich des § 201 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht begründen, weil es bei § 201 StGB allein um den Schutz der Vertraulichkeit des Wortes, bei § 136 StPO dagegen um die Entscheidungsfreiheit des Beschuldigten geht. Infolge der Zweistufigkeit des Tatbestandsaufbaus in Gestalt von Eingriffs- und Verwer48 tungshandlung (o. Rdn. 1) muss die Frage der Rechtfertigung für den Gebrauch einer rechtswidrig hergestellten Aufnahme selbständig geprüft und beantwortet werden. Die vor allem von der Rechtsprechung entwickelten, im Einzelnen umstrittenen Regeln über die Verwertbarkeit eines rechtswidrig erlangten Beweismittels (Überblick bei Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht § 24 Rdn. 13 ff) kommen deshalb für die Verwertungshandlungen in § 201 als Rechtfertigungsgrund in Betracht (Hoyer SK Rdn. 47).
49 bb) im Polizeirecht. Weitreichende Eingriffbefugnisse enthält ferner das Polizeirecht, welches zur Abwehr gravierender Gefahren für die öffentliche Sicherheit („präventivpolizeilich“) den Lauschangriff schon lange vor dessen strafprozessualer Zulassung vorsah (Überblick bei Kiper/Ruhmann DuD 1998 1554; Rohe S. 61 ff). So kann die Polizei nach Art. 41 Abs. 1 S. 3 BayPAG durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel u.a. zum Abhören oder zur Aufzeichnung des nicht öffentlich gesprochenen Wortes personenbezogene Daten in oder aus Wohnungen über die für eine Gefahr Verantwortlichen erheben, wenn dies zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liegt, erforderlich ist. Da sich entsprechende Vorschriften seit Langem auch
51 Vgl. Beulke/Swoboda Strafprozessrecht Rdn. 727; Prittwitz StV 2009 437; ebenso noch BGHSt 31 296; and. dagegen BGH StV 2003 483; NStZ 2008 473; StV 2009 398. 52 BVerfGE 109, 279; Gesetz v. 24.6.2005, BGBl. 2005 I S. 1841, erneut novelliert durch das Gesetz zur Neuregelung der TKÜ etc. v. 21.12.2007, BGBl. 2007 I S. 3198. 53 Roxin NStZ 1995 465 ff; ders. NStZ 1997 18; Fezer NStZ 1996 289 f; and. die Rspr., siehe BGHSt 39 335, 347; 40 211, 215; 42 139, 145 f (GrS); zust. Kudlich JuS 1997 696; Popp NStZ 1998 95; Sternberg-Lieben Jura 1995 299, 308; Hellmann Strafprozeßrecht2 (2005) S. 161 Rdn. 444. Hilgendorf
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in den Polizeigesetzen der übrigen Bundesländer finden,54 konnte der große Lauschangriff wegen der regelmäßigen Gemengelage zwischen polizeilich-präventiver und strafprozessual-repressiver Eingriffsnotwendigkeit in allen wirklich wichtigen Fällen schon seit Langem durchgeführt werden. Präventivpolizeilichen Zwecken dienen auch die Befugnisse der Zollfahndung zum Abhören und Aufzeichnen von Gesprächen außerhalb und innerhalb von Wohnungen gem. §§ 22, 23 ZFdG sowie die Befugnis zur Aufzeichnung des gesprochenen Wortes von (vorher darauf hingewiesenen) Ausländern zur Bestimmung von deren Herkunftsstaat oder -region gem. §§ 49 Abs. 7 AufenthG, 16 Abs. 1 S. 3, 4 AsylVfG. Eigenartigerweise enthalten aber weder die Polizeigesetze noch das Telekommunikationsgesetz vom 23. Juni 2021 (BGBl. I S. 1858) eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für die nicht zum Zwecke der Strafverfolgung, sondern zum Zwecke der Gefahrenabwehr erfolgende Tonaufzeichnung erpresserischer Anrufe (Nelles FS Stree/Wessels 719, 721 ff; Mann/Müller ZRP 1995 180 ff). Im Übrigen hängt die Rechtfertigungswirkung sowohl im Polizeirecht wie im Strafprozess- 50 recht aber selbstverständlich nicht nur vom Vorliegen der materiellen Eingriffsvoraussetzungen, sondern auch davon ab, dass die verhältnismäßig komplizierten Verfahrensvorschriften beachtet werden (etwa § 100e StPO sowie Art. 41 Abs. 4, 5 BayPAG und zur Sonderrolle der Berufsgeheimnisträger § 160a StPO; SächsVerfGH JZ 1996 957, 962; Würtenberger/R. Schenke JZ 1999 548 ff).
cc) für Geheimdienste. Eine weitere Eingriffsbefugnis ergibt sich aus dem Gesetz zu Art. 10 51 GG vom 13. August 1968 (BGBl. I S. 949) – „G 10“ oder „Abhörgesetz“ –, das die Überwachung und Aufnahme des Fernmeldeverkehrs durch die Verfassungsschutzbehörden, den Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr und den Bundesnachrichtendienst regelt. Das Gesetz verstößt nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EGMR NJW 1979 1755 mit Anm. Arndt), ist jedoch vom BVerfG mit Recht teilweise für verfassungswidrig erklärt worden (BVerfG EuGRZ 1999 389). Die angeführten Regelungen berechtigen und verpflichten ausschließlich die genannten deutschen Behörden, so dass das früher von Bad Aibling aus betriebene Abhörsystem „Echelon“ der USA und Großbritanniens kriminell und die Zurverfügungstellung des Geländes durch deutsche Stellen eine strafbare Beihilfe gem. § 27 war. Weil das G 10 nur die Eingriffe in den Fernmeldeverkehr betrifft, sind die Befugnisse der Geheimdienste zum Lauschangriff in den für sie geltenden speziellen Gesetzen geregelt.55 c) Allgemeine Rechtfertigungsgründe. Streitig ist, ob die Aufnahme auf Tonträger oder ein Abhören mit Abhörgeräten im Übrigen nur nach den allgemeinen Rechtfertigungsgründen oder durch weitere, spezielle Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt werden kann. Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes gibt hierzu nur wenige Anhaltspunkte. Im Laufe der Gesetzgebungsarbeiten war erörtert worden, „sozialadäquate Handlungen“ von der Strafbarkeit auszunehmen (vgl. Schwalm ZStW 74 [1962] 488, 497; vgl. ferner den Hinweis in der BTDrucks. 7/550, S. 236). Dem § 183 des Entwurfs 1962 (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) war deshalb als Absatz 3 die Ausnahmeregelung angefügt: „Die Absätze 1 und 2 sind nicht auf Handlungen anzuwenden, die nach verständiger Auffassung, namentlich im Hinblick auf die Beweggründe und die Ziele des Täters und die zwischen diesem und dem anderen bestehenden Beziehungen, hinzunehmen sind.“ Gegen diese Formulierung hatte sich der Alternativentwurf ausgesprochen und ausgeführt, die allgemeinen Rechtfertigungsgründe reichten aus (vgl. Begründung zum AE, Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 2. Halbband [1971] S. 35). Wegen der Anwendungsschwierigkeiten, die im Blick auf die unbestimmte Fassung zu befürchten waren (vgl. dazu im Einzelnen Wormer 54 S. etwa § 33 Abs. 1 BbgPolG oder § 15 Abs. 4 HSOG. 55 S. etwa § 9 Abs. 2 BVerfSchG. 757
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S. 225 f), verzichtete der Gesetzgeber auf eine solche Regelung und nahm statt dessen in § 298 a.F. das Wort „unbefugt“ auf, um so auf die besondere Häufigkeit von Rechtfertigungsgründen hinzuweisen (vgl. Rdn. 43). Die Klärung, wann im Einzelnen Aufnahmen gerechtfertigt sind, wurde bewusst der Rechtsprechung überlassen (vgl. Suppert S. 177 f m.N.; BTDrucks. 7/550, S. 236). 56 In Rechtsprechung und Schrifttum werden ergänzende Rechtfertigungsgründe unter mehreren Gesichtspunkten erörtert. So sollen – zusätzlich zu den allgemeinen Rechtfertigungsgründen der Notwehr (§ 32) und des rechtfertigenden Notstandes (§ 34) – Tonbandaufnahmen aufgrund „notwehrähnlicher Lage“,56 in entsprechender Anwendung des § 193 StGB,57 des § 127 Abs. 1 StPO58 oder allgemein bei Verfolgung überwiegender Interessen59 gestattet sein. Ferner wird erörtert, solche Aufnahmen straflos zu lassen, die sozialadäquat60 oder sozialkongruent61 sind. Dieser ersichtlich schwierigen und wenig befriedigenden Umwege bedarf es jedoch nicht. Die 57 allgemeinen gesetzlichen Rechtfertigungsgründe – insbesondere die Vorschriften der §§ 32, 34 StGB – reichen aus, um die in Betracht kommenden Fallgruppen sachgerecht zu lösen. Ein Rückgriff auf praeter legem gebildete Rechtfertigungsgründe wie z.B. die „notwehrähnliche Lage“, die entsprechende Anwendung des § 193 StGB oder auf die Lehre von der Sozialadäquanz ist nicht erforderlich. Dem hier bestehenden Theoriestreit dürfte in der Praxis ohnehin nur untergeordnete Bedeutung zukommen. Unabhängig von der jeweiligen dogmatischen Einordnung herrscht in aller Regel – jedenfalls im Ergebnis – Einigkeit über die Behandlung der fraglichen Fallgruppen. Gewissermaßen im Mittelpunkt der Erörterungen steht der Fall, dass der Erpresste die Stimme 58 seines Erpressers am Telefon aufnimmt, um ihn zu überführen. Dass hier die Aufnahme zulässig sein muss, ist nahezu außer Streit.62 Sie ist bereits durch den allgemeinen Rechtfertigungsgrund der Notwehr gerechtfertigt (vgl. Klug S. 124 f; Otto a.a.O.; Graf MK Rdn. 50 m.w.N.). Dagegen wird allerdings eingewandt, dass mit der Beendigung des Anrufs der Angriff bereits abgeschlossen sei; außerdem wird bezweifelt, ob Tonbandaufnahmen ein geeignetes Mittel zur Abwehr darstellten, denn die Drohungen könnten durch die Aufnahme nicht mehr abgewandt werden.63 Um angesichts dieser Bedenken die Aufnahme gleichwohl als gerechtfertigt behandeln zu können, werden dann – wie bereits erwähnt – andere Rechtfertigungsgründe, insbesondere die „notwehrähnliche Lage“ oder auch der rechtfertigende Notstand (so Tenckhoff JR 1981 255, 257) herangezogen. Für ein Eingreifen des § 32 spricht jedoch: Die Drohungen des Erpressers stellen einen gegenwärtigen Angriff auf die Willensfreiheit des Angerufenen dar (vgl. Rönnau/Hohn LK § 32 Rdn. 151; Suppert S. 272 bis 284). Dieser Angriff ist mit dem Anruf noch nicht beendet, da die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Opfers nach dem Willen des Erpressers bis zur Vornahme der Vermögensverfügung und meist auch noch darüber hinaus andauern soll.64 Die Aufnahme dient der Abwehr des fortdauernden Angriffs; dies ist – entgegen der Ansicht des KG in JR 1981 254 – 56 Vgl. BGHZ 27 284, 290; BGH JZ 1982 199, 200; OLG Celle NJW 1965 1677, 1679; OLG Frankfurt MW 1967 1047, 1048; LAG Berlin JZ 1982 258, 259; wohl auch Arzt JZ 1973 506, 508 in Anm. zu BVerfGE 34 238 = JZ 1973 504; Wormer S. 240 ff; Larenz in seinem Referat auf dem 42. Deutschen Juristentag, Verhandlungen Bd. II D 25, 28; vgl. allgemein zur „notwehrähnlichen Lage“ einerseits Rönnau/Hohn LK § 32 Rdn. 143 ff, sowie befürwortend Suppert passim, insbesondere S. 84 ff, 356 ff; zur „notstandsähnlichen Lage“ Roxin/Greco AT I § 16 Rdn. 126 ff. 57 KG NJW 1956 26 f; vgl. ferner OLG Frankfurt JR 1978 168, 169 mit Nachweisen; hierzu ferner Klug S. 101, 117 ff. 58 Vgl. Suppert S. 292 bis 308. 59 Vgl. Schmidt ZStW 91 (1979) 741, 808, sowie die Nachweise bei Tenckhoff in Anm. zu KG JR 1981 254, S. 255, 256; vgl. ferner BGHZ 27 284, 290. 60 Vgl. OLG Frankfurt JR 1978 168, 169; OLG Karlsruhe JR 1979 466, 467 mit Anm. Ostendorf; Schmitt JuS 1967 19, 23; Fischer Rdn. 11; Klug a.a.O. S. 101, 120 f; ferner auch BTDrucks. 7/550, S. 236; kritisch Suppert S. 216 ff. 61 Vgl. eingehend – jedoch ablehnend – Klug S. 108 bis 115. 62 Vgl. z.B. BGHSt 34 39, 51; BGHZ 27 284, 290; OLG Düsseldorf NJW 1966 214; KG JR 1981 254; KG NJW 1967 115, 116; weit. Rspr.-Beispiele bei Gropp StV 1989 216, 222 f; Kramer NJW 1990 1760 ff; Klug S. 117; Kohlhaas NJW 1972 238, 240; Rupprecht DVBl. 1974 579, 580; Schmitt JuS 1967 19, 22 f; Otto FS Kleinknecht 319, 334. 63 KG JR 1981 254 mit teils zustimmender Anm. Tenckhoff S. 256; Eisenberg/Müller JuS 1990 120, 122; dagegen – für Rechtfertigung auch unter letzterem Blickwinkel – Haug NJW 1965 2391, 2392. 64 Vgl. Wormer S. 251 f; Haug MDR 1964 548, 551; einschränkend Baumann MDR 1965 346, 347. Hilgendorf
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auch dann der Fall, wenn durch das Tonband nur Beweise für die Strafverfolgung erlangt werden sollen.65 Ein Rückgriff auf andere Rechtfertigungsgründe, insbesondere auf die „notwehrähnliche Lage“, ist nach alledem hier nicht erforderlich. Erst recht greift § 32 in Fällen des Kidnapping ein, wenn die Tonbandaufnahme zur Verteidigung des bedrohten Kindes als Nothilfe erforderlich ist (Nelles FS Stree/Wessels 719, 733 f). Ist jedoch der Angriff mit dem Zeitpunkt der Aufnahme zunächst abgeschlossen oder steht 59 ein Angriff erst bevor, kommt eine Berufung auf Notwehr nicht in Betracht. In solchen Fällen können indes die Regeln des rechtfertigenden Notstandes eingreifen (§ 34; eingehend hierzu Wormer S. 270 bis 278). § 32 enthält keine abschließende Regelung, die dies ausschlösse.66 Wird z.B. der Angerufene über das Telefon beleidigt und nimmt er die Stimme des Beleidigers auf, um ihn zu identifizieren oder um seine Bestrafung herbeizuführen (vgl. Tenckhoff JR 1981 255, 257 in Anm. zu KG JR 1981 254), so lässt sich das Aufnehmen ebenso wenig durch Notwehr rechtfertigen wie das spätere Abspielen des Tonbandes. Die Aufnahme des Gesprächs ist weder geeignet noch dazu bestimmt, den Angriff abzuwehren; sie verleiht ihm durch die dauerhafte Fixierung sogar besonderes Gewicht. Das spätere Abspielen der Aufnahme kann schon deshalb die Voraussetzungen der Notwehr nicht erfüllen, weil zu diesem Zeitpunkt ein gegenwärtiger Angriff nicht mehr vorliegt. Dennoch ist sowohl die Aufnahme als auch das spätere Abspielen des Tonträgers gerechtfertigt, da erfahrungsgemäß damit zu rechnen ist, dass der Beleidiger seinen Anruf wiederholt. Darin liegt eine fortdauernde Gefahr für die Ehre des Beleidigten, die diesen berechtigt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Diese Gefahr ist als gegenwärtig im Sinne des § 34 StGB anzusehen, da sie jederzeit in einen Schaden umschlagen kann und deshalb sofortiges Handeln erfordert.67 Die Aufnahme wird als geeignetes Mittel anzusehen sein, einer solchen Dauergefahr (vgl. dazu zutreffend Tenckhoff JR 1981 S. 257; ferner Wormer S. 270 ff) entgegenzuwirken. Das geschützte Interesse des Beleidigten überwiegt in aller Regel das Interesse des gegen die Rechtsordnung verstoßenden Angreifers an der Unantastbarkeit seiner Persönlichkeitssphäre (vgl. Tenckhoff a.a.O. S. 257; zust. Graf MK Rdn. 51; Hoyer SK Rdn. 40). Ähnliche Erwägungen führen auch in anderen Fällen „künftig“ drohender Angriffe zu ange- 60 messenen Lösungen auf der Grundlage des rechtfertigenden Notstands. So hatte sich das OLG Celle (NJW 1965 1677) mit einem Fall zu befassen, in dem eine Zeugin zu einer falschen Aussage angestiftet werden sollte; sie nahm das Gespräch, in dem der Anstiftende sie bedrohte, auf Tonband auf, weil sie zu befürchten hatte, dass ihr im Fall der Weigerung Äußerungen, die sie nicht getan hatte, in den Mund gelegt würden (vgl. zustimmend Schmitt JuS 1967 19, 24, der allerdings – ebenso wie das OLG – zur Rechtfertigung auf die „notwehrähnliche Lage“ abstellt). Ebenso hat das KG es für zulässig gehalten, dass ein Ehemann die Ankündigung seiner Ehefrau aufnahm, sie werde im bevorstehenden Scheidungsverfahren zu seinem Nachteil die Unwahrheit sagen (vgl. KG NJW 1956 26; zustimmend Hubmann JZ 1957 521, 527). In beiden Fällen stand ein Prozessbetrug im Raum; von daher war es gerechtfertigt, die Ankündigung – wörtlich – aufzunehmen, um der drohenden Gefahr zu begegnen. Entsprechendes wird gelten müssen, wenn der Verteidiger die Tonbandaufnahme eines heimlich abgehörten Telefongesprächs zwischen Richter und Staatsanwalt als Beweismittel benutzt und Dritten zugänglich macht, um in einem Strafverfahren, in dem es um schwerwiegende strafrechtliche Vorwürfe gegen seinen Mandanten geht, die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit durchzusetzen (vgl. OLG Frankfurt NJW 1979 1172 f), oder wenn ein zu Unrecht Beschuldigter sich nur durch die Aufnahme privater Äußerungen eines falschen Belastungszeugen wirksam verteidi-
65 So zutreffend Tenckhoff in Anm. zu dieser Entscheidung JR 1981 255, 256; ferner Suppert S. 249, 285 bis 289. 66 Vgl. hierzu Schroeder JuS 1980 336, 338 f; Zieschang LK § 34 Rdn. 29; Fischer § 32 Rdn. 19 sowie grundsätzlich Warda FS Maurach 143, 165 f, 170 f; Seelmann Das Verhältnis von § 34 StGB zu anderen Rechtfertigungsgründen (1978) S. 60 ff, und – in kritischer Auseinandersetzung mit Seelmann – Peters GA 1981 445, 459 f. 67 Vgl. Zieschang LK § 34 Rdn. 69; Rönnau/Hohn LK § 32 Rdn. 143 ff; Schroeder JuS 1980 336, 339. 759
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gen kann.68 Die Anwendung der Notstandsregeln in all diesen Fällen erweist sich nicht zuletzt auch deshalb als sachgerecht, weil § 34 StGB dem Abwehrrecht bestimmte Grenzen setzt und die Befugnisse des Abhörenden in einer Weise einschränkt, die den widerstreitenden Interessen angemessen Rechnung trägt. Auch in dieser Hinsicht dürfte die hier vertretene Meinung den Lösungsversuchen auf der Grundlage des Notwehrrechts, das eine solche Interessenabwägung grundsätzlich nicht vorsieht, vorzuziehen sein. Zwar bemühen sich auch Entscheidungen, die auf die Figur der „notwehrähnlichen Lage“ zurückgreifen, um eine Abwägung der widerstreitenden Interessen (vgl. etwa BGH JZ 1982 199, 200). Eine dogmatische Grundlage hierfür kann dem Notwehrrecht indes nicht entnommen werden. Dagegen verlangt bereits der Wortlaut des § 34 StGB, dass das Interesse des Aufnehmenden dasjenige des Sprechers wesentlich überwiegt. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Sprechenden hat Gewicht. Ein bloßes Beweisinteresse des Aufnehmenden, der bürgerlichrechtliche Ansprüche verfolgen will, wird deshalb in aller Regel nicht erlauben, heimliche Tonbandaufnahmen anzufertigen.69 Auch das Interesse des Staates an der Verfolgung von Straftätern wird im Allgemeinen nicht so gewichtig sein, dass es heimliche Aufnahmen von verdächtigen Gesprächen oder die Verwertung solcher Aufnahmen im Strafprozess rechtfertigen könnte.70 Ausnahmen sind allerdings möglich, soweit es um Schwerstkriminalität geht, etwa bei Angriffen gegen Leib und Leben anderer, gegen existenzielle Grundlagen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder gegen sonstige Rechtsgüter vergleichbaren Ranges (vgl. BVerfGE 34 238, 249 f). Nach Auffassung des BGH sollen die §§ 100a, 100e StPO für das Abhören und Aufnehmen von Telefongesprächen durch Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich eine abschließende Regelung enthalten; eine Anwendung des § 34 StGB soll „allenfalls in ganz außergewöhnlichen Fällen“ in Betracht kommen (vgl. BGHSt 31 304, 306 f = NStZ 1983 466 mit Anm. Meyer; vgl. auch BGHSt 34 39, 51 f). Dem wird zuzustimmen sein. Der Gesetzgeber hat sich – ersichtlich im Blick auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und mit Rücksicht auf Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 10 GG – veranlasst gesehen, die in § 34 allgemein vorausgesetzte Abwägung für die Telefonüberwachung zu konkretisieren und genaue Vorgaben festzulegen. Neben dieser gesetzlichen Entscheidung wird der rechtfertigende Notstand i.S.d. § 34 in aller Regel nicht herangezogen werden können.71 § 34 verlangt über eine bloße Interessenabwägung hinaus, dass die drohende Gefahr nicht 61 auf andere Weise als durch die Aufnahme abwendbar ist.72 Die Vorschrift enthält insoweit ein weiteres Korrektiv. Wer also beispielsweise zu Beweiszwecken mündliche Absprachen heimlich auf Tonband aufnimmt, handelt – selbst bei gewichtigem Vertragsgegenstand – in der Regel 68 Vgl. Wormer S. 276; unter dem Blickwinkel der Notwehr Suppert S. 339 f; der Beweisnot BayObLG StV 1995 65 f m. Anm. Preuß; unklar BayObLG NStZ 1990 101, wo anscheinend ohne konkreten Verdacht aufgenommen wurde. Stets ist zu prüfen, ob nicht die Aufnahme der eigenen Worte für sich allein zur präventiven Verteidigung ausreicht. 69 Vgl. BGHZ 27 284, 290; BGH JZ 1982 199, 200; NJW 2003 1727 ff; OLG Düsseldorf NJW 1966 214; OLG Stuttgart MDR 1977 683 (Beweismittel für ein Scheidungsverfahren); LG Hagen BB 1955 489; LAG Berlin JZ 1982 258, 259; LAG Hessen RDV 2002 86; Wormer S. 274; Otto FS Kleinknecht 333 f; vgl. ferner OLG Karlsruhe JR 1979 466, 468 (Aufnahme mündlicher Äußerungen eines Beamten zu Beweiszwecken für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren wegen einer Erweiterung der Gaststättenkonzession); zu weitgehend deshalb KG NJW 1967 115, 116; Helle JR 2000 353; OLG Düsseldorf MMR 2008 331 m. Anm. Isele. 70 Vgl. BVerfGE 34 238, 251 = JZ 1973 504 in Bezug auf die Strafverfolgung wegen Steuerhinterziehung, Betrug und Urkundenfälschung, insoweit zustimmend Arzt S. 506; ferner BGHSt 34 39, 51 f für die heimliche Aufnahme der Worte eines Angeklagten, um gegen seinen Willen Art und Weise seiner Gesprächsführung als Beweismittel verwerten zu können, dazu Wolfslast NStZ 1987 103, 105; Bottke Jura 1987 356 ff. Gegen die Anwendung des § 34 bei der Durchsetzung staatlicher Interessen in diesem Zusammenhang grundsätzlich Dahs ZRP 1977 164, 168; Schmitt JuS 1967 19, 25; vgl. ergänzend auch Evers ZRP 1970 147, 149. Allgemein zur Rechtfertigung staatlichen Handelns durch § 34; Fischer § 34 Rdn. 34; Zieschang LK § 34 Rdn. 37 ff, jeweils mit zahlreichen Nachweisen. 71 Vgl. bereits o. Rdn. 47 zur Hörfalle sowie Fischer § 201 Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele § 201 Rdn. 34; aA Suppert S. 243. 72 Vgl. allgemein: Fischer § 34 Rdn. 9 ff mit Nachweisen; ferner – für den Bereich des § 201 – Tenckhoff JR 1981 255, 257 in Anm. zu KG JR 1981 254. Hilgendorf
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III. Rechtswidrigkeit
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unbefugt, weil er es in der Hand hat, sein Beweisinteresse auf andere Weise hinreichend abzusichern, indem er etwa für die schriftliche Festlegung der Absprachen sorgt oder darum bittet, mit der Tonbandaufnahme einverstanden zu sein (vgl. OLG Karlsruhe JR 1979 466, 468 mit Anm. Ostendorf). Insoweit besteht regelmäßig kein schutzwürdiges Interesse an heimlichen Tonaufnahmen. Neuere Versuche in Schrifttum und Rechtsprechung, diese vom BVerfG (dazu Rdn. 37) und BGH NJW 2003 1727 klar und überzeugend herausgearbeitete Rechtslage aufzuweichen und die zivilprozessuale Verwertbarkeit von „Mithörzeugen“ zuzulassen (OLG Jena MDR 2006 533; OLG Düsseldorf MMR 2008 331; Kläver DuD 2003 228), sind nicht akzeptabel. § 34 StGB erlaubt nach allem eine sachgerechte Lösung auch der Fälle, in denen eine „not- 62 wehrähnliche Lage“ als Rechtfertigungsgrund herangezogen wird.73 Der Rückgriff auf diesen ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund ist daher nicht erforderlich. Er birgt überdies die Gefahr in sich, dass die vom Gesetzgeber mit Bedacht gezogene Grenze zwischen Notwehr und Notstand verwischt und das ausgewogene System der strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe durchbrochen wird. Soweit die Rechtsprechung der „notwehrähnlichen Lage“ rechtfertigende Wirkung zumisst, stellt sie zusätzliche Erfordernisse auf, die im Ergebnis den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes entsprechen.74 Dies verdeutlicht, dass es sich in Wirklichkeit um einen Anwendungsfall des § 34 StGB handelt, der mit der Notwehr i.S.d. § 32 StGB nichts gemein hat. Auch eines darüber hinausgehenden Rechtfertigungsgrundes der Wahrnehmung berech- 63 tigter Interessen75 oder der Sozialadäquanz bedarf es nicht.76 Problematisch bleiben – wie bei anderen Tatbeständen auch – Grenzfälle der Bagatellkriminalität, so z.B. die gelegentlich angeführten Scherzaufnahmen unter Freunden (vgl. Schwalm ZStW 74 [1962] 488, 497; Heinker AfP 2008 573 zu Ulksendungen im Rundfunk und Fernsehen). Auch diese werden sich jedoch ohne Annahme eines ungeschriebenen Rechtfertigungsgrundes sachgerecht lösen lassen. Meist wird hier von einer mutmaßlichen oder stillschweigenden Einwilligung auszugehen sein (vgl. Wormer S. 286 f). Insoweit verhält es sich nicht anders wie bei sonstigen „Scherzen“, die den Tatbestand einer Strafvorschrift erfüllen (etwa das Abschneiden von Krawatten im Karneval – § 303). In den wenigen verbleibenden Fällen (vor allem bei Bloßstellungsabsicht, s. Heinker zum Fall Ypsilanti) werden sich unangemessene Härten auf andere Weise, etwa durch Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO, vermeiden lassen (vgl. Arzt Intimsphäre S. 258; Wormer S. 287). Für Presse und Medien gelten im Ausgangspunkt keine Besonderheiten.77 Dagegen hat der 64 Gesetzgeber für die durch das 29. StrÄndG eingeführte Tatbestandsvariante des Abs. 2 Nr. 2 in Satz 3 ausdrücklich einen speziellen Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtiger Interessen statuiert, der im Vergleich mit § 34 ersichtlich geringere Anforderungen stellt, im Vergleich mit § 193 aber insoweit eingeschränkt ist, als eine öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung „überragender öffentlicher Interessen“ gefordert wird. Damit hat sich der Gesetzgeber bewusst an die Rechtsprechung des BVerfG angeschlossen, wonach die Bedeutung der Information für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und die öffentliche Meinungsbildung die Nachteile überwiegt, welche die Missachtung der Privatsphäre für den Betroffenen nach sich zieht, wenn es sich um Missstände von erheblichem Gewicht handelt, an deren Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht.78 Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber dieser 73 Vgl. Sch/Schröder/Perron/Eisele § 32 Rdn. 17; Schaffstein FS Bruns 89, 92 f; Rönnau/Hohn LK § 32 Rdn. 143 ff, 151; Wölfl Jura 2000 231, 234; aA Suppert S. 337 f, 338 Fn. 482. 74 Vgl. BGH NStZ 1982 254; Schroeder JuS 1979 336, 341; Sch/Schröder/Perron/Eisele § 32 Rdn. 17. 75 Vgl. zutreffend Tenckhoff JR 1981 255, 256 in Anm. zu KG JR 1981 254; Wölfl Jura 2000 234. 76 Vgl. Wormer S. 279 f, 286; Samson SK6 Rdn. 7 ff Vor § 201; § 201 Rdn. 27 bis 30; ebenso jedenfalls für die Beschaffung von Beweismitteln im strafprozessualen Bereich BGHSt 31 304, 307; offen gelassen von OLG Köln NJW-RR 2020 30, 34. 77 BVerfG NJW 2011 1859; Kargl NK Rdn. 32; zweifelnd OLG Köln NJW-RR 2020 30, 34 ff; offen geassen von OLG Düsseldorf ZUM-RD 2012 137, 141. 78 BVerfGE 66 116, 139; BVerfG NStZ-RR 2005 119; ebenso BGHZ 73 120, 124 ff; BTDrucks. 11/6714 S. 4; Fischer Rdn. 13; Jung JuS 1991 169; Graf MK Rdn. 55; irrig OLG München (Zivilsenat) ZVM 2005 399, 406 im Sinne einer schlichten Interessenabwägung. 761
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§ 201
Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
Vorschrift siehe oben Rdn. 41. Falls man sie für ausräumbar hält, macht es dann aber – umgekehrt – wenig Sinn, dass dieser Rechtfertigungsgrund vom Gesetzgeber bewusst nur für die Tatvariante der öffentlichen Mitteilung geschaffen worden ist (BTDrucks. 11/7414 S. 9), so dass für die anderen Tatbestandsalternativen nach wie vor nur der engere Rechtfertigungsgrund des § 34 einschlägig ist. Es kann deshalb vorkommen, dass eine Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 strafbar bleibt, während die Veröffentlichung der dabei gewonnenen Ergebnisse gemäß Abs. 2 Satz 3 gerechtfertigt ist.79 Dann wird man aber – zum Beispiel bei einer etwaigen Tatbestandsverwirklichung des Abs. 1 durch Medienvertreter – zumindest auf Strafzumessungsebene berücksichtigen müssen, ob sich der Sprecher jedenfalls grundsätzlich an die Öffentlichkeit gerichtet hat und daher von vornherein nur einen geringeren Grad an Vertraulichkeit erwarten durfte.80
IV. Rechtsfolgen; Qualifikation 1. Strafe 65 Die Strafdrohung der Absätze 1 und 2 ist gegenüber § 298 a.F. erheblich verschärft. Der Täter kann nunmehr mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren statt wie früher mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft werden.81 Andererseits ist die Möglichkeit weggefallen, gemäß § 298a Abs. 4 a.F. in besonders schweren Fällen Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zu verhängen. Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren ist für den Qualifikationstatbestand des Abs. 3 vorgesehen, 66 wenn der Täter Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter ist (§§ 201 Abs. 3, 11 Abs. 1 Nr. 2, 4). Offiziere und Unteroffiziere stehen den Amtsträgern gleich (§ 48 Abs. 1 WStG). Der Täter muss „als“ Amtsträger oder Verpflichteter die Vertraulichkeit des Wortes verletzt haben. Das ist einmal dann der Fall, wenn er die Tat bei der Ausübung seines Dienstes oder zu dienstlichen Zwecken begeht. Es genügt aber auch, dass der Amtsträger die ihm aufgrund seiner Dienststellung gegebenen Möglichkeiten für seine Ziele ausnutzt, etwa außerhalb der Dienstzeiten von der Möglichkeit Gebrauch macht, Telefongespräche abzuhören.82 Für den Teilnehmer gilt § 28 Abs. 2; die Tat ist unechtes Amtsdelikt (Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 17; Fischer Rdn. 15).
2. Einziehung 67 Nach Absatz 5 können Tonträger und Abhörgeräte, die bei der Tat verwendet wurden, gemäß §§ 73 ff eingezogen werden. Die Verweisung auf § 74a gestattet die Einziehung täterfremder Gegenstände.
3. Versuch 68 Der Versuch ist strafbar (Abs. 4). Es gelten die allgemeinen Grundsätze. Bloße Vorbereitungshandlungen sind das Aufstellen eines Tonbandgerätes oder der Einbau einer Abhöranlage (Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 36). Der Versuch beginnt mit dem Einschalten der Geräte, und zwar selbst dann, wenn nicht gesprochen wird. Misslingt die Aufnahme – ermöglicht die Aufzeichnung also nicht das erneute Hören des gesprochenen Wortes –, so ist die Tat nicht vollendet, sondern
79 80 81 82
OLG Köln NJW-RR 2020 30, 34; so womöglich – unausgesprochen – auch BVerfG NJW 2011 1863, 1865. BVerfG NJW 2011 1859, 1862; Graf MK Rdn. 51. S. auch BVerfG NJW 2011 1859: kein „Bagatelldelikt“. Fischer Rdn. 15; Graf MK Rdn. 56; aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28.
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IV. Rechtsfolgen; Qualifikation
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lediglich versucht (vgl. Rdn. 18). Ebenso ist auch das Abhören erst vollendet, wenn der Täter über das Abhörgerät etwas vernimmt (vgl. Rdn. 31).
4. Strafantragserfordernisse Die Tat wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 nur auf Antrag verfolgt (§ 205 Abs. 1, vgl. im 69 Einzelnen dort). Von Amts wegen ist demnach lediglich die Tat eines Amtsträgers oder eines für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten zu verfolgen (§ 201 Abs. 3).
5. Konkurrenzen Zwischen Taten nach Absatz 1 und Absatz 2 kann Tateinheit bestehen (Sch/Schröder/Eisele 70 Rdn. 38; Fischer Rdn. 18; Kargl NK Rdn. 37; kritisch Arzt Intimsphäre S. 248). Taten nach Absatz 1 Nr. 1 und Absatz 1 Nr. 2 stehen grundsätzlich selbständig nebeneinan- 71 der (aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 38: nur eine Tat, wenn derselbe Täter eine Aufnahme anfertigt und dann von ihr Gebrauch macht). Absatz 1 Nr. 2 vertieft regelmäßig das schon durch Absatz 1 Nr. 1 begangene Unrecht, wenn das nicht öffentlich gesprochene, auf Tonband aufgenommene Wort nunmehr auch einem Dritten zugänglich gemacht wird. Beide Taten können allerdings zu einer einzigen Tat verbunden sein, wenn der Täter bereits beim Aufnehmen die Absicht hat, die Aufnahme zu gebrauchen oder einem Dritten zugänglich zu machen. Insoweit ist die Rechtslage ähnlich wie bei der Geld- oder Urkundenfälschung (§§ 146, 267; vgl. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 19; Wormer S. 190 f); für Komsumtion der Vorhandlung Hoyer SK Rdn. 50. Der Unrechtsgehalt der Tat wird nicht erhöht, wenn ein Täter die von ihm unbefugt gefertigte Aufnahme nur sich selbst vorspielt oder eine Aufnahme, die er einem Dritten bereits vorgespielt hat, diesem nunmehr überlässt: in diesen Fällen liegt eine mitbestrafte Nachtat vor (ebenso Fischer Rdn. 18). 72 Tateinheit ist möglich mit §§ 94 ff, 185 StGB sowie mit dem Tatbestand des § 27 TTDSG.
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§ 201a Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt, 2. eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt, 3. eine Bildaufnahme, die in grob anstößiger Weise eine verstorbene Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt, 4. eine durch eine Tat nach den Nummern 1 bis 3 hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht oder 5. eine befugt hergestellte Bildaufnahme der in den Nummern 1 bis 3 bezeichneten Art wissentlich unbefugt einer dritten Person zugänglich macht und in den Fällen der Nummern 1 und 2 dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt. (2) 1Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht. 2Dies gilt unter den gleichen Voraussetzungen auch für eine Bildaufnahme von einer verstorbenen Person. (3) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum Gegenstand hat, 1. herstellt oder anbietet, um sie einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen, oder 2. sich oder einer dritten Person gegen Entgelt verschafft. (4) Absatz 1 Nummer 2 und 3, auch in Verbindung mit Absatz 1 Nummer 4 oder 5, Absatz 2 und 3 gelten nicht für Handlungen, die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen. (5) 1Die Bildträger sowie Bildaufnahmegeräte oder andere technische Mittel, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. 2§ 74a ist anzuwenden.
Schrifttum Arzt Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre (1970); Beck Lehrermobbing durch Videos im Internet – ein Fall für die Staatsanwaltschaft? MMR 2008 77; van Bergen Abbildungsverbote im Strafrecht (2018); Berghäuser Upskirting und ähnliche Verhaltensweisen. Unbefugte fotografische oder filmische Aufnahmen unter der Oberbekleidung, ZIS 2019 463; Bonnin/Berndt Voyeurismus im Strafrecht de lege lata und de lege ferenda – Unter besonderer Betrachtung des sog. Upskirting, HRRS 2019 450; Borgmann Von Datenschutzbeauftragten und Bademeistern – Der strafrechtliche Schutz am eigenen Bild durch den neuen § 201a StGB, NJW 2004 2133; Bosch Der strafrechtliche Schutz vor Foto-Handy-Voyeuren und Paparazzi, JZ 2005 377; ders. Die Ausweitung des Schutzes des höchstpersönlichen Lebensbereichs vor einer Verletzung durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB), Jura 2016 1380; Buchholz Zur Auslegung des objektiven Tatbestandes des § 201a I Nr. 2 StGB, JA 2018 511; Busch Strafrechtlicher Schutz gegen Kinderpornographie und Missbrauch, NJW 2015 977; Cornelius Plädoyer für einen Cybermobbing-Straftatbestand, ZRP 2014 164; Doerbeck Cybermobbing. Phänomenologische Betrachtung und strafrechtliche Analyse (2019); Eidam Videoüberwachung von Arztpraxen – strafbar? medstra 2019 143; Eisele Strafrechtlicher Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen. Zur Einführung eines § 201a in das Strafgesetzbuch, JR
Valerius https://doi.org/10.1515/9783110490121-049
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Schrifttum
§ 201a
2005 6; Eisele/Franosch Posing und der Begriff der Kinderpornografie in § 184b StGB nach dem 49. Strafrechtsänderungsgesetz, ZIS 2016 519; Eisele/Sieber Notwendige Begrenzungen des § 201a StGB nach dem 49. StÄG, StV 2015 312; Ernst Gleichklang des Persönlichkeitsschutzes im Bild- und Tonbereich? NJW 2004 1277; Esser Private Flugdrohnen und Strafrecht, JA 2010 323; Flechsig Schutz gegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, ZUM 2004 605; Gercke Lex Edathy? Der Regierungsentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts, CR 2014 687; Gerhold/Höft Zur Strafbarkeit des Mitschneidens, Speicherns und Veröffentlichens von Videokonferenzen und Onlinevorlesungen, JA 2021 382; Gertzen Der strafrechtliche Schutz des Rechts am eigenen Bild. Eine Bewertung des § 201a StGB im Vergleich zu Art. 197 Código Penal (2009); Gola Der neue strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen im Lichte der Zulässigkeits- und Straftatbestände des BDSG, RDV 2004 215; Gounalakis Persönlichkeitsschutz und Geldersatz, AfP 1998 10; Gramlich/Lütke Besserer Persönlichkeitsschutz bei Bildaufnahmen durch StGB-Novellierung? Kritische Anmerkungen zu den aktuellen Änderungen in StGB, TMG und NetzDG, MMR 2020 662; Grosskopf Aktiver Schutz gegen Medien-Drohnen, CR 2014 759; Havliza Auch Tote verdienen Schutz vor Gaffern! DRiZ 2018 86; Hegemann Der strafrechtliche Schutz des Rechts am eigenen Bild und des höchstpersönlichen Lebensbereiches – Anmerkungen zu einer verfehlten Gesetzgebung, Festschrift Raue (2006) 445; ders. Die Früchte des verbotenen Baums: Investigative Recherche und die Verwertung rechtswidrig erlangter Informationen, AfP 2019 12; Heinker Strafrechtlicher Schutz des gesprochenen Wortes und des Bildnisses bei „Spaßtelefonaten“ und „versteckter Kamera“, AfP 2008 573; Heinrich Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Pressemitarbeitern bei der unbefugten Herstellung und Verbreitung fotografischer Darstellungen von Personen, ZIS 2011 416; Hengst Der strafrechtliche Schutz des Rechts am eigenen Bild (§ 201a StGB) (2012); Hesse § 201a StGB aus Sicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ZUM 2005 432; Heuchemer/Paul Die Strafbarkeit unbefugter Bildaufnahmen – Tatbestandliche Probleme des § 201a StGB, JA 2006 616; Hilgendorf Die neuen Medien und das Strafrecht, ZStW 113 (2001) 650; Hoppe Bildaufnahmen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich – der neue § 201a StGB, GRUR 2004 990; Hoyer Die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs bei § 201a StGB, ZIS 2006 1; Huff Videoüberwachung im öffentlichen und privaten Bereich – Eine Zwischenbilanz, JuS 2005 896; Jahn/Ziemann Bilderstreit 2.0. Die rechtspolitische Diskussion über die Kriminalisierung des Umgangs mit Nacktbildern von Minderjährigen, Festschrift Kargl (2015) 227; Kächele Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB) (2007); Kargl Zur Differenz zwischen Wort und Bild im Bereich des strafrechtlichen Persönlichkeitsschutzes, ZStW 117 (2005) 324; Koch Strafrechtlicher Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen. Zur Einführung von § 201a StGB, GA 2005 589; Kötz Upskirting und Downblousing. Neue Strafvorschriften gegen ein (angebliches) gesellschaftliches Phänomen, IPRB 2020 143; Koranyi Der Schutz der Wohnung im Strafrecht, JA 2014 241; Kraenz Der strafrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts. Zu den Auswirkungen der §§ 201a (unbefugte Bildaufnahmen) und 238 StGB (Stalking) auf die journalistische Tätigkeit (2008); Kühl Zur Strafbarkeit unbefugter Bildaufnahmen, AfP 2004 190; ders. Strafrechtlicher Persönlichkeitsschutz gegen Bildaufnahmen, Symposium Schünemann (2005) 211; ders. Punktuelle Ergänzungen des Persönlichkeitsschutzes im Strafgesetzbuch, Festschrift Schöch (2010) 419; Lagardère/Fink Polizeibeamte als Dritte im Sinne des § 201a StGB? HRRS 2008 247; Lantwin Strafrechtliche Bekämpfung missbräuchlicher Deep Fakes. Geltendes Recht und möglicher Regelungsbedarf, MMR 2020 78; Linkens Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen – eine Betrachtung des neuen § 201a StGB – (2005); Mavany Zum Bedeutungsgehalt der Merkmale Hilflosigkeit, Zurschaustellen und Ansehensgefährdung im neuen § 201a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StGB, AfP 2017 478; Mengler Strafwürdigkeit voyeuristischer „Upskirt“-Aufnahmen, ZRP 2019 224; Mitsch Strafrechtlicher Schutz des Rechts am eigenen Bild im Strafvollzug, Festschrift Schwind (2006) 603; ders. „Saddam Hussein in Unterhose“ – Strafbares Fotografieren, Jura 2006 117; ders. Fehlvorstellungen ü ber das Alter der Darsteller bei Kinder- und Jugendpornographie, §§ 184b, c StGB, ZStW 124 (2012) 323; Murmann Probleme des § 201a StGB, Festschrift Maiwald (2010) 585; Obert/Gottschalck § 201a StGB aus Sicht des privaten Rundfunks, ZUM 2005 436; Peglau Plädoyer für einen stärkeren strafrechtlichen Persönlichkeitsschutz, ZRP 1998 249; Pollähne Lücken im kriminalpolitischen Diskurs – Zu den Gesetzentwürfen zur Verbesserung des Schutzes der Intimsphäre –, KritV 2003 387; Preuß Die strafrechtliche Bewertung des Fotografierens von Unfalltoten de lege lata und de lege ferenda. Zur geplanten Erweiterung des § 201a StGB, ZIS 2018 212; Rahmlow Einzelne Probleme des Straftatbestands der „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen“ (§ 201a StGB), HRRS 2005 84; Renner/Baumann Wachhund auf verbotenem Terrain – Rechtswidrig erlangte Informationen in der Presse, AfP 2015 285; Safferling Der Schutz des Persönlichkeitsrechts durch § 201a StGB zwischen GG und EMRK, MLR 2008 36; Sauren Bedrohung der freien Berichterstattung durch den neuen § 201a StGB? ZUM 2005 425; Schertz Der Schutz der Persönlichkeit vor heimlichen Bild- und Tonaufnahmen. Zugleich eine Anmerkung zum § 201a StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen) AfP 2005 421; Schmidt Zum strafrechtlichen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung bei sexuell motivierten unbefugten Bildaufnahmen von Genitaluntersuchungen durch den Arzt, HRRS 2021 214; Schünemann Der strafrechtliche Schutz von Privatgeheimnissen, ZStW 90 (1978) 11; Seitz
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
Prinz und die Prinzessin – Wandlungen des Deliktsrechts durch Zwangskommerzialisierung der Persönlichkeit, NJW 1996 2848; Süß Die Bismarck-Entscheidung des Reichsgerichts (aus heutiger Sicht) – Oder: Rechtsfindung am Vorabend des BGB, Jura 2011 610; Thiel „Deepfakes“ – Sehen heißt glauben? Gefahren, gesetzgeberischer Handlungsbedarf, Konsequenzen für die biometrische Gesichtserkennung, ZRP 2021 202; Tillmanns/Führ § 201a StGB – Eine problemorientierte Betrachtung aus Sicht der Presseselbstregulierung, ZUM 2005 441; Titz „Lex Edathy“ oder mehr? DRiZ 2014 278; Vahle Neue gesetzliche Maßnahmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts, DVP 2004 494; Valerius Zum strafrechtlichen Schutz des persönlichen Lebensbereichs im Internet, JRE 23 (2015) 377; ders. Grenzenloser Informationsaustausch und grenzenlose Strafbarkeit? Wie weit reicht die nationale Strafgewalt im Internet? in: Cybercrime und Cyberinvestigations (2015) 49; ders. „Verstehen Sie Spaß?“ Zur Strafbarkeit heimlicher Ton- und Bildaufnahmen und deren Verbreitung in den Medien, Festschrift Fischer (2018) 1153; Vetter Das Recht am eigenen Bild Minderjähriger in sozialen Netzwerken, AfP 2017 127; Walter Kleines Beispiel, große Fragen. Ultima-ratio-Prinzip und Bestimmtheitsgrundsatz bei der Erweiterung des § 201a StGB, ZRP 2020 16; Weigend Tatbestände zum Schutz der Sexualmoral, ZStW 129 (2017) 513; Wendt Das Recht am eigenen Bild als strafbewehrte Schranke der verfassungsrechtlich geschützten Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG, AfP 2004 181; Werner Strafrechtliche Grenzen der privaten Nutzung von Drohnen, JuS 2013 1074; Werwigk-Hertneck Schutz vor den Paparazzi? Der Einbruch in die Intimsphäre soll strafbar werden, ZRP 2003 293; Wieduwilt Verbot „bloßstellender Bilder“ – das Ende der Straßenfotografie? K&R 2014 627; ders. Neues Fotorecht im öffentlichen Raum, K&R 2015 83; Wohlers Zur (Un-)Verwertbarkeit strafrechtswidrig erhobener Bild- und Audioaufzeichnungen des Tatgeschehens, JR 2016 509; Wolter Der Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs in § 201a StGB – ein Kommentar zu Kristian Kühl, Symposium Schünemann (2005) 225; Zöller Strafbarkeit der Nutzung persönlichkeitsrechtsverletzender Bildaufnahmen in der Medienberichterstattung nach § 201a Abs. 2 StGB, Festschrift Wolter (2013) 679.
Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde durch das 36. StRÄndG – § 201a StGB – vom 30.7.2004 (BGBl. I S. 2012) eingefügt und trat zum 6.8.2004 in Kraft. In den gesetzgeberischen Beratungen war zwar das Bedürfnis, einen solchen Straftatbestand einzuführen, unumstritten (näher Rdn. 6). Allerdings bestand zunächst keine Einigkeit über dessen konkrete Ausgestaltung und kursierten stattdessen vier verschiedene Entwürfe.1 Die Vorschläge gingen zum Teil sehr weit und wollten mitunter schon die unbefugte Verletzung der Intimsphäre einer anderen Person durch bloße Beobachtung mit technischen Mitteln unter Strafe stellen (ergänzend Rdn. 73).2 Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens verständigten sich aber sodann sämtliche Fraktionen des 15. Deutschen Bundestages auf einen einheitlichen Entwurf, den sie gemeinsam einbrachten3 und der nach geringfügigen Änderungen in dem damaligen Absatz 3 auf Vorschlag des Rechtsausschusses zum Gesetz wurde. Diese ursprüngliche Fassung des § 201a beschränkte sich noch auf Bildaufnahmen von Personen, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befinden, und stellte die unbefugte Herstellung oder Übertragung solcher Aufnahmen (Absatz 1, inzwischen Absatz 1 Nr. 1), das Gebrauchen und Zugänglichmachen unbefugt hergestellter Aufnahmen (Absatz 2, mittlerweile Absatz 1 Nr. 4) sowie das Zugänglichmachen befugt hergestellter derartiger Bildaufnahmen (Absatz 3, nunmehr Absatz 1 Nr. 5) unter Strafe. Erstmals wurde § 201a durch Art. 1 Nr. 18 des 49. StRÄndG – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht – vom 21.1.2015 (BGBl. I S. 10) mit Wirkung zum 27.1.2015 geändert. Hintergrund war die sog. EdathyAffäre aus dem Jahr zuvor, in der dem namensgebenden Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy der Besitz kinderpornographischer Bild- und Videoaufnahmen vorgeworfen wurde. In dem gegen eine Geldauflage nach § 153a StPO eingestellten Strafverfahren blieb ungeklärt, ob die bei Edathy gefundenen Fotos und Filme von unbekleideten Kindern nach der maßgeblichen objektiven Betrachtung als (kinder)pornographisch einzustufen waren. Jedoch verdeutlichten die Geschehnisse, dass selbst an sich unverfängliche Bild- und Videoaufnahmen von Kindern einzelne
1 Entwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Intimsphäre (Fraktion der FDP; BTDrucks. 15/361), Entwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Privatsphäre (Fraktion der CDU/CSU; BTDrucks. 15/533), Entwurf eines … StRÄndG – Schutz der Intimsphäre – (Bundesrat; BTDrucks. 15/1891), Entwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Intimsphäre (Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg; BRDrucks. 164/03). Zusf. Kächele 47 ff; Kraenz 117 ff; Sauren ZUM 2005 425, 427 f; Wendt AfP 2004 181, 182. 2 So die soeben (Fn. 1) erwähnten Entwürfe der Fraktion der FDP (BTDrucks. 15/361 S. 2) sowie des Landes BadenWürttemberg (BRDrucks. 164/03 S. 1); vgl. auch Art. 179quater SchweizStGB (Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs durch Aufnahmegeräte). 3 BTDrucks. 15/2466. Valerius
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Entstehungsgeschichte
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Betrachter sexuell stimulieren können und solche Aufnahmen daher ein Handelsobjekt darstellen.4 Daher wurde § 201a um einen Straftatbestand in Absatz 3 ergänzt, der seitdem auch Bildaufnahmen, welche die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum Gegenstand haben, erfasst. In der zuweilen eher populistisch geführten Diskussion5 kursierte zunächst ein noch deutlich weiter reichender Entwurf,6 der sich wegen zahlreicher (berechtigter) Einwände letztlich aber nicht durchzusetzen vermochte.7 Im Zuge der Einführung des Absatzes 3 wurde zudem § 201a nicht mehr als absolutes, sondern als relatives Antragsdelikt ausgestaltet, weil der Gesetzgeber bei Nacktaufnahmen von minderjährigen Personen auch ein Einschreiten von Amts wegen ermöglichen wollte (ergänzend Rdn. 128).8 Bei dieser Gelegenheit wurde darüber hinaus die Kritik an dem mitunter nur lückenhaften Schutz durch die ursprüngliche Fassung des § 201a aufgegriffen und deshalb der Kreis der Tatgegenstände um Bildaufnahmen, welche die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellen (Absatz 1 Nr. 2),9 sowie um Bildaufnahmen, die geeignet sind, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden (Absatz 2),10 erweitert. Um die hinreichende Berücksichtigung der Pressefreiheit sicherzustellen, wurde die Sozialadäquanzklausel in Absatz 4 eingefügt.11 Die letzte Änderung der Norm beruht auf dem 59. StRÄndG – Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen – vom 9.10.2020 (BGBl. I S. 2075), in Kraft getreten am 1.1.2021, korrigiert durch Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes vom 14.9.2021 (BGBl. I S. 4250). Hintergrund der § 201a betreffenden Einfügungen und Modifikationen war das Verhalten Schaulustiger bei Unfällen und Unglücksfällen, auch von verstorbenen Personen Bildaufnahmen anzufertigen und sodann über soziale Netzwerke zu verbreiten oder auch an die Medien weiterzugeben.12 Derartige Aufnahmen waren zuvor von § 201a nicht erfasst, weil unter „einer anderen Person“ im Sinne der Vorschrift nur lebende Menschen zu begreifen sind (Rdn. 30). Den Anwendungsbereich des § 201a entsprechend zu erweitern, wurde schon während früherer Gesetzgebungsverfahren angemahnt13 und im Vorfeld des 59. StRÄndG auch in einem anderen Gesetzentwurf vorgeschlagen.14 Diese Überlegungen wurden nunmehr aufgegriffen, um gerade in den geschilderten Unglückssituationen einen effektiven postmortalen Persönlichkeitsschutz zu gewährleisten.15 Der Gesetzgeber erhofft sich von dem Einsatz des Strafrechts vor allem auch eine generalpräventive Wirkung.16 Zu diesem Zweck wurde insbesondere zum einen Absatz 1 Nr. 3 eingefügt, der seitdem Bildaufnahmen erfasst, die in grob anstößiger Weise eine verstorbene Person zur Schau stellen. Als Tathandlungen nennt Absatz 1 Nr. 3 – ebenso wie schon Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 – das unbefugte Herstellen und Übertragen, während durch die entsprechende Erweiterung der Verweisungen in Absatz 1 Nr. 4 und Nr. 5 auch das Gebrauchen und/oder Zugänglichmachen unbefugt wie befugt hergestellter Aufnahmen inkriminiert wird. Zum anderen wurde Absatz 2 in einem Satz 2 auch auf Bildaufnahmen von verstorbenen Personen erstreckt, um insoweit ebenso ein gleich hohes Schutzniveau bei leben-
4 BTDrucks. 18/2601 S. 16. 5 Krit. auch SSW/Bosch Rdn. 29; Bosch Jura 2016 1380, 1380 f. 6 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht (Fraktionen der CDU/CSU und SPD; BTDrucks. 18/2601); ein weiterer Entwurf (eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserter Schutz von Kindern bei Nacktaufnahmen) stammte vom Freistaat Bayern (BRDrucks. 127/14). 7 Zur Kritik etwa Gercke CR 2014 687, 690; Jahn/Ziemann FS Kargl 227, 232 ff; zum Referentenentwurf Titz DRiZ 2014 278; Wieduwilt K&R 2014 627, 630 ff. 8 BTDrucks. 18/2601 S. 39. 9 S. hierzu BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 28. 10 BTDrucks. 18/2601 S. 17. 11 Vgl. BTDrucks. 18/2601 S. 39 zum ursprünglichen Vorschlag, aus diesem Grund die entsprechende Geltung des § 201 Abs. 2 Satz 3 anzuordnen. 12 BTDrucks. 19/17795 S. 1. Von einem realen Beispiel berichten Havliza DRiZ 2018 86, 86 und Preuß ZIS 2018 212, 212. 13 So schon im Laufe der Beratungen des 36. StRÄndG Kühl Prot. Nr. 27 der Anhörung des BT-Rechtsausschusses (15. Wahlperiode) vom 24.9.2003 S. 94. 14 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (StGB) – Effektive Bekämpfung von sogenannten Gaffern sowie Verbesserung des Schutzes des Persönlichkeitsrechts von Verstorbenen (Bundesrat; BTDrucks. 19/ 1594; s. zuvor schon BTDrucks. 18/9327); hierzu van Bergen 298 ff; Preuß ZIS 2018 212, 214 ff. 15 BTDrucks. 19/17795 S. 2. 16 BTDrucks. 19/17795 S. 9. Havliza DRiZ 2018 86, 87 verweist insoweit auf die Möglichkeit, auf strafprozessualer Grundlage Smartphones zu beschlagnahmen, mit denen Bildaufnahmen etwa an einem Unfallort angefertigt wurden. 767
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§ 201a
Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
den und verstorbenen Personen zu gewährleisten.17 Des Weiteren wurde die Überschrift des § 201a um den Passus „und von Persönlichkeitsrechten“ ergänzt, weil bei Verstorbenen weder von einem höchstpersönlichen Lebensbereich noch von einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (und dessen Ausprägung in der Gestalt des Rechts am eigenen Bild) als Schutzgut gesprochen werden könne.18 Als weitere Folgeänderung wurde nicht zuletzt in § 205 Abs. 2 ein Satz 4 eingefügt, wonach das Antragsrecht bei diesen Bildaufnahmen den in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen zusteht. Ursprünglich sollten in einem neuen Absatz 1 Nr. 4 auch Bildaufnahmen aufgenommen werden, welche die Genitalien, das Gesäß, die weibliche Brust oder die diese Körperteile bedeckende Unterbekleidung einer anderen Person abbilden, soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind. Dadurch wollte der Gesetzgeber Verhaltensweisen wie nicht zuletzt das sog. Upskirting und Downblousing (ergänzend Rdn. 39) unter Strafe stellen, die den Willen des Opfers missachten, diese Körperregionen dem Anblick anderer Personen zu entziehen.19 Während über das Bedürfnis, eine solche Vorschrift einzuführen, Einigkeit bestand, war neben der konkreten Ausgestaltung eines solchen Straftatbestandes bereits dessen Verortung umstritten. Die Entwurfsverfasser des 59. StRÄndG wollten diese Regelung noch in § 201a integrieren, weil bei solchen Handlungen in erster Linie das Recht am eigenen Bild als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verletzt werde.20 Demgegenüber verwies der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz darauf, dass gerade für die betroffenen Personen die Verletzung ihres sexuellen Selbstbestimmungsrechts im Vordergrund stehe. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung umfasse unter anderem die Befugnis, selbst zu entscheiden, ob und in welcher Weise der eigene Intimbereich abgebildet und dadurch für andere zum Gegenstand sexuell konnotierter Betrachtung werde.21 Da folglich die Einstufung etwa des Upskirting als Sexualdelikt dem Opferinteresse entspreche,22 wurde die Regelung auf Vorschlag des Ausschusses in den Abschnitt der §§ 174 ff verschoben, in dem sie nunmehr einen eigenständigen Straftatbestand in § 184k bildet.
Gesetzesmaterialien BTDrucks. 15/361, 15/533, 15/1891 und BRDrucks. 164/03 (erste Entwürfe im Vorfeld des 36. StRÄndG), BTDrucks. 15/ 2466 (Entwurf des 36. StRÄndG) und BTDrucks. 15/2995 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses); BTDrucks. 18/2601 sowie textidentisch BTDrucks. 18/2954 (Entwurf des 49. StRÄndG) und BTDrucks. 18/3202 (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz); BTDrucks. 19/1594 (Entwurf im Vorfeld des 59. StRÄndG), BTDrucks. 19/17795 (Entwurf des 59. StRÄndG) und BTDrucks. 19/20668 (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz).
Übersicht I. 1. 2. 3. 4.
Allgemeines Entwicklung und Bedeutung des Rechts am eige1 nen Bild (Straf-)Rechtlicher Schutz des Rechts am eige6 nen Bild 11 Rechtsgut und Charakter der Vorschrift 19 Systematik der Vorschrift
c)
d) II. 1.
17 18 19 20 21 22
Objektiver Tatbestand Tatgegenstand 22 a) Allgemeines b) Gemeinsame Voraussetzungen 25 aa) Bildaufnahme
e)
bb) Von einer (anderen oder verstorbe27 nen) Person Räumlicher Schutzbereich (Absatz 1 Nr. 1) 31 aa) Allgemeines 33 bb) Wohnung cc) Gegen Einblick besonders geschützter 36 Raum Zur Schau gestellte Hilflosigkeit (Absatz 1 42 Nr. 2) Zur Schau gestellte verstorbene Person (Ab50 satz 1 Nr. 3)
BTDrucks. 19/17795 S. 14. BTDrucks. 19/17795 S. 12. BTDrucks. 19/17795 S. 9 f. BTDrucks. 19/17795 S. 11. BTDrucks. 19/20668 S. 15. BTDrucks. 19/20668 S. 15.
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768
I. Allgemeines
f)
2.
3.
Eignung zur Ansehensschädigung (Ab57 satz 2) g) Nacktheit einer minderjährigen Person (Ab63 satz 3) Tathandlungen a) Unmittelbare Eingriffe in Persönlichkeitsrechte aa) Herstellen (Absatz 1 Nr. 1, Nr. 2 und 66 Nr. 3, Absatz 3 Nr. 1 Var. 1) bb) Übertragen (Absatz 1 Nr. 1, Nr. 2 und 71 Nr. 3) b) Mittelbare Eingriffe in Persönlichkeitsrechte 74 aa) Gebrauchen (Absatz 1 Nr. 4) bb) Zugänglichmachen (Absatz 1 Nr. 4 77 und Nr. 5 sowie Absatz 2) cc) Anbieten (Absatz 3 Nr. 1 79 Var. 2) dd) Sich oder einer dritten Person gegen Entgelt verschaffen (Absatz 3 80 Nr. 2) 81 c) Unbefugt Taterfolg 88 a) Allgemeines b) Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs (Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 sowie 91 Nr. 5)
§ 201a
96
4.
Sozialadäquanzklausel (Absatz 4)
III.
Subjektiver Tatbestand
IV. 1. 2. 3.
Rechtswidrigkeit 108 Einwilligung Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 111 GG) 115 Sonstige Rechtfertigungsgründe
V.
Vollendung und Versuch
VI. 1. 2.
Rechtsfolgen 118 Strafrahmen Sonstige Rechtsfolgen
101
116
120
VII. Konkurrenzen 124 1. Konkurrenzen innerhalb des § 201a 2. Konkurrenzen gegenüber § 33 Kunst126 UrhG 3. Konkurrenzen gegenüber sonstigen Delik127 ten VIII. Prozessuale Hinweise
128
IX.
131
Strafanwendungsrecht
I. Allgemeines 1. Entwicklung und Bedeutung des Rechts am eigenen Bild Eine wesentliche Ausprägung des durch die §§ 201 ff geschützten persönlichen Lebens- und Ge- 1 heimbereichs ist das Recht am eigenen Bild, das im Ergebnis bereits durch die Zivilrechtsprechung des Reichsgerichts anerkannt wurde.23 Anlass für die wegweisende Entscheidung im Jahr 1899 war eine Aufnahme des Leichnams Otto von Bismarcks auf seinem Sterbebett, die zwei Journalisten einen Tag nach dessen Tod anfertigten. Das Reichsgericht bejahte in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen einen Bereicherungsanspruch der Kinder von Bismarcks auf Unterlassung der Verbreitung der Aufnahmen sowie auf Vernichtung der Fotografien sowie sämtlicher Negative und Reproduktionen, gestützt auf das widerrechtliche Eindringen der Journalisten in das Sterbezimmer von Bismarcks.24 Ausdrücklich normiert wurde das Recht am eigenen Bild sodann durch das Gesetz betref- 2 fend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie [Kunsturhebergesetz; KunstUrhG] vom 9.1.1907 (RGBl. S. 7). Nach dessen § 22 Satz 1 dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die somit wesentliche Einwilligung erweist sich in den Fällen des § 23 Abs. 1 KunstUrhG allerdings als entbehrlich; dies gilt unter anderem nach dessen Nr. 1 für Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Entgegen §§ 22, 23 KunstUrhG ein Bildnis zu verbreiten oder öffentlich zur Schau zu 23 RGZ 45 170. Ausführl. zur Entstehungsgeschichte des Rechts am eigenen Bild Gertzen 4 ff; Kächele 27 ff; Kraenz 85 ff.
24 RGZ 45 170, 172 ff. Näher Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 33; zur Entscheidung des RG aus heutiger Sicht Süß Jura 2011 610 ff. 769
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§ 201a
Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
stellen, sanktioniert § 33 Abs. 1 KunstUrhG mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe (ergänzend Rdn. 6). 3 Mittlerweile wird das Recht am eigenen Bild als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verstanden,25 welches das Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ableitet.26 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht soll unter anderem einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung gewährleisten, in dem jeder Mensch seine Individualität entwickeln und wahren kann.27 Die Entfaltung der Persönlichkeit soll nicht zuletzt auch vor Gefahren durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt geschützt werden.28 Ein wesentlicher Gehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besteht darin, dass der Einzelne selbst entscheiden darf, welches Persönlichkeitsbild er von sich vermitteln will29 und folglich auch, ob und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.30 4 Dementsprechend umfasst das Recht am eigenen Bild als besonderes Persönlichkeitsrecht die Befugnis des Einzelnen, selbst sowohl über die Anfertigung als auch über die Verwendung von Fotografien oder Aufzeichnungen seiner Person durch andere zu bestimmen.31 Aus diesen verfassungsrechtlichen Überlegungen ergibt sich eine zweifache Schutzrichtung des Rechts am eigenen Bild.32 Zum einen genießt es einen Schutz gegen unmittelbare Eingriffe insbesondere in Gestalt der bildlichen Konservierung und Perpetuierung des vergänglichen Augenblicks und des persönlichen Erscheinungsbildes. Darüber hinaus obliegt es dem Einzelnen zum anderen, über die Nutzung und Verbreitung solcher Aufnahmen zu entscheiden, mit der mittelbar in das Recht am eigenen Bild eingegriffen werden würde. Diesen mittelbaren Beeinträchtigungen wird ein eigenständiger Charakter zuteil, so dass auch die nicht einverständliche Verbreitung einer einst einvernehmlich hergestellten Bildaufnahme das Recht am eigenen Bild verletzt. Es bedarf folglich keines vorangegangenen Eingriffs z.B. durch die unbefugte Anfertigung einer Bildaufnahme, der durch deren anschließende Verwendung lediglich perpetuiert und intensiviert werden würde (ergänzend Rdn. 85). 5 Die Bedeutung des Rechts am eigenen Bild ist in den letzten Jahrzehnten stetig gewachsen, wenngleich inzwischen der Fokus bei weitem nicht mehr allein auf dem Schutz der Privat- und Intimsphäre vor diesbezüglichen Eingriffen liegt. Vielmehr ist insbesondere bei prominenten Personen auch die Kommerzialisierung sie zeigender Bildaufnahmen wie ihrer Persönlichkeitsrechte im Allgemeinen zunehmend in das Blickfeld geraten. Jeweils haben nicht zuletzt die enormen technologischen Entwicklungen und die rasanten Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnologie dazu beigetragen, die alltäglichen Gefahren für das Recht am eigenen Bild signifikant zu erhöhen. So wurde schon vor der Einführung der Norm 2004 zum einen auf die fortschrittlichen Bildaufnahmegeräte verwiesen, die einerseits immer kleiner werden (z.B. versteckte Miniaturkameras), andererseits aber auch detaillierte Aufnahmen aus größeren Entfernungen ermöglichen. Zum anderen wurde bemerkt, dass die Digitalisierung von Bild- und Videoaufnahmen und Kommunikationsmittel wie das Internet und der Mobilfunk deren Verbreitung erleichtern.33 Inzwischen gestattet es etwa jedes
25 26 27 28 29 30 31 32 33
BVerfGE 35 202, 220; 97 228, 268; aus der zivilrechtlichen Rspr. BGHZ 24 200, 208; 131 332, 336; 143 214, 218. BVerfGE 32 373, 379; 34 238, 245; 54 148, 153; 82 236, 269; 152 152, 184. BVerfGE 35 202, 220; 90 263, 270. BVerfGE 101 361, 380; 106 28, 39. BVerfGE 82 236, 269. BVerfGE 35 202, 220; 65 1, 42. BVerfGE 97 228, 268; 101 361, 381; 120 180, 198; s.a. Hoyer SK Rdn. 4: „optische Selbstbestimmung“. Hierzu schon Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 10. BTDrucks. 15/361 S. 3; 15/533 S. 3; 15/1891 S. 6; BRDrucks. 164/03 S. 3 f; s.a. BVerfGE 120 180, 198; SSW/Bosch Rdn. 1; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; Graf MK Rdn. 2 und 7; Heuchemer BeckOK Rdn. 5; Lackner/Kühl/ Kühl Rdn. 1; Hengst 174 ff; Kächele 59 ff.
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I. Allgemeines
§ 201a
handelsübliche Smartphone, jemanden zu fotografieren oder zu filmen und die Aufnahmen sogleich über das Internet zu verbreiten.
2. (Straf-)Rechtlicher Schutz des Rechts am eigenen Bild Angesichts der soeben in Rdn. 5 dargestellten Entwicklung sollte § 201a eine Strafbarkeitslücke 6 schließen.34 Während das gesprochene Wort bereits umfassend durch § 201 geschützt wurde, war die Verletzung des Rechts am eigenen Bild lediglich bei dem Verbreiten und öffentlichen Zurschaustellen von Bildnissen in § 33 KunstUrhG mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht. Strafbar ist hiernach aber nur die Verbreitung eines Bildnisses, nicht jedoch dessen Herstellung, obwohl das Recht am eigenen Bild auch diesen unmittelbaren Eingriff erfasst (Rdn. 4).35 Zudem erfährt § 33 KunstUrhG in der Praxis schon deswegen keine Bedeutung, weil die Betroffenen wegen § 374 Abs. 1 Nr. 8 StPO auf den mit Kostenrisiken behafteten Privatklageweg verwiesen werden können (zur Einordnung von § 201a Abs. 1 und Abs. 2 als Privatklagedelikt durch das 49. StRÄndG siehe Rdn. 130).36 Diesen unterschiedlichen strafrechtlichen Schutz der Rechte am eigenen Wort und Bild verdeutlichte ein während des Gesetzgebungsverfahrens geschilderter Fall, in dem ein Frauenarzt seine Patientinnen während der Untersuchung mit versteckter Kamera filmte. Der Täter konnte nur verurteilt werden, weil er auch den Ton aufzeichnete und dadurch den Straftatbestand des § 201 Abs. 1 Nr. 1 verwirklichte.37 Diese „strafrechtliche Ungleichbehandlung“38 wollte der Gesetzgeber durch die Einführung des § 201a beseitigen.39 Derartige Vorschläge waren nicht neu und wurden schon wiederholt, unter anderem in § 146 Abs. 2 und Abs. 3 des Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches (AE) von 1971,40 unter-
34 BTDrucks. 15/2466 S. 4; vgl. schon BTDrucks. 15/361 S. 3; 15/1891 S. 6. 35 Krit. bzgl. der fehlenden Abstimmung von § 33 KunstUrhG und § 201a Borgmann NJW 2004 2133, 2135; Bosch JZ 2005 377, 385; Eisele JR 2005 6, 11; Kühl AfP 2004 190, 192; Wolter Symp. Schünemann 225, 234; s.a. Schertz AfP 2005 421, 427; ferner Gramlich/Lütke MMR 2020 662, 665 f, welche die fehlende Einbindung des § 201a in das Rechtsschutzsystem des KunstUrhG anlässlich der Änderungen durch das 59. StRÄndG kritisieren. 36 Koch GA 2005 589, 594; Kühl AfP 2004 190, 193; s.a. Heuchemer BeckOK Rdn. 6. Schertz AfP 2005 421, 423 bemängelte kurz nach der Einführung des § 201a zudem, dass die Vorschrift des § 33 KunstUrhG den Staatsanwaltschaften häufig überhaupt nicht bekannt sei. 37 Bosch JZ 2005 377, 378; Eisele JR 2005 6, 8; Werwigk-Hertneck ZRP 2003 293, 293. 38 BTDrucks. 15/2466 S. 4. 39 Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden von § 201 und § 201a Hoyer SK Rdn. 7 ff; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 337 ff. Krit. gegenüber der unzureichenden Abstimmung mit § 201 etwa SSW/Bosch Rdn. 2 sowie unten Rdn. 89 und Rdn. 97. 40 § 146 AE (Unbefugtes Abhören und Abbilden) lautete: „(1) Wer das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte, nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen ohne dessen Einwilligung 1. mit einem Abhörgerät abhört, 2. auf einen Tonträger aufnimmt oder sonst technisch speichert oder 3. mit einem Schallträger oder durch sonstige technische Vorrichtungen einem Dritten unmittelbar zugänglich macht, wird mit Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. von einer fremden Person in ihren Privaträumen oder 2. von einem anderen oder von dessen Privaträumen unter Verletzung des Anspruchs auf Wahrung des höchstpersönlichen Lebensbereichs ohne Einwilligung des Betroffenen Bildaufnahmen herstellt oder überträgt. (3) Dieselbe Strafe trifft denjenigen, der eine nach Abs. 1 oder 2 hergestellte Aufnahme oder Aufzeichnung einem Dritten zugänglich macht.“. 771
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§ 201a
Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
breitet.41 Zum Schutz des Rechts am eigenen Bild auch auf das Strafrecht zurückzugreifen, wurde daher im Schrifttum überwiegend als begrüßenswerte Ergänzung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes angesehen.42 7 Die Bedeutung der Vorschrift hält sich trotz der beschriebenen zunehmenden Sensibilität gegenüber dem Recht am eigenen Bild und gegenüber den drohenden Gefahren durch den technischen Fortschritt (Rdn. 5) nach wie vor in Grenzen. So weist die Strafverfolgungsstatistik für das Jahr 2020 574 Aburteilungen wegen § 201a aus.43 In den Vorjahren 2015 bis 2019 wurden 429, 431, 453, 495 und 530 Aburteilungen verzeichnet.44 Immerhin lässt sich eine – wohl auch durch die Erweiterung der Norm durch das 49. StRÄndG von 2015 bedingt – stetig wachsende Relevanz der Vorschrift erkennen, wurden etwa 2005, d.h. im Jahr der Einführung des § 201a, lediglich 19, 2007 sodann 96, 2009 137, 2011 189 und 2013 233 Aburteilungen registriert,45 wenngleich diese nicht einmal annähernd die exponentiell steigende Anzahl (auch rechtswidrig) angefertigter und insbesondere über das Internet verbreiteter Fotografien und Filme abzubilden vermag. 8 Die Gründe für die in der Strafverfolgungspraxis eher geringe Bedeutung der Norm sind vielgestaltig. Um zunächst nur zwei mögliche Ursachen zu nennen, trug ursprünglich zum einen die lediglich begrenzte Fassung der Norm nicht unwesentlich zu deren überschaubarer Relevanz bei.46 Da die Strafvorschrift des § 201a nicht zuletzt die Medien betraf, war es wenig verwunderlich, dass diese während des Gesetzgebungsverfahrens vermehrt Bedenken äußerten.47 Sie führten zu nicht unerheblichen Einschränkungen der ersten Gesetzentwürfe,48 namentlich zur räumlichen Begrenzung der ursprünglichen Fassung des § 201a auf Bildaufnahmen von Personen, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befinden, zum Erfordernis der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs sowie zum Verzicht auf die angedachte Versuchsstrafbarkeit (insoweit zur Diskussion Rdn. 117). Durch das 49. StRÄndG wurde der Anwendungsbereich der Vorschrift zwar ein erstes Mal erweitert, was sich auch auf die Statistik ausgewirkt haben dürfte (siehe schon soeben Rdn. 7). Allerdings werden Straftaten des § 201a zum anderen gemäß § 205 Abs. 1 Satz 2 grundsätzlich nur auf Antrag verfolgt. Dass die Vorschrift seit dem 49. StRÄndG nicht mehr als absolutes (so noch gemäß § 205 Abs. 1 Satz 1 a.F.), sondern nur noch als relatives Antragsdelikt ausgestaltet ist, dürfte allenfalls wenig zur praktischen Relevanz des § 201a beitragen und schon nach den Überlegungen des Gesetzgebers im Wesentlichen Nacktaufnahmen von minderjährigen Personen im Sinne des Absatzes 3 betreffen (hierzu schon die Entstehungsgeschichte sowie ergänzend Rdn. 128). Denn in ihrem Recht am eigenen Bild verletzte Personen dürften nur selten an einem diesbezüglichen Gerichtsverfahren interessiert sein, durch das gegebenenfalls eine weitere unerwünschte Verbreitung der fraglichen Bildaufnahmen droht. 41 Statt vieler Peglau ZRP 1998 249, 250; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 33; zusf. Hengst 75 ff; Eisele JR 2005 6, 6 f; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 325 ff; Koch GA 2005 589, 590 f. Rechtsvergl. Hengst 201 ff; Kächele 153 ff; Linkens 195 ff; s.a. Hoppe GRUR 2004 990, 991; ausführl. zu Art. 197 Código Penal Gertzen 155 ff, rechtsvergl. 189 ff. 42 Hengst 191 ff; Kächele 105 ff; Linkens 42 ff; Eisele JR 2005 6, 7; Koch GA 2005 589, 605; Kühl AfP 2004 190, 193; Mitsch Jura 2006 117, 120; Schertz AfP 2005 421, 426 f; s.a. Graf MK Rdn. 3. Krit. hingegen Kraenz 130 ff; Obert/ Gottschalck ZUM 2005 436, 441; Pollähne KritV 2003 387, 405; Tillmanns/Führ ZUM 2005 441, 443. 43 Strafverfolgungsstatistik 2020 Tabelle 2.1 S. 32. 44 Strafverfolgungsstatistiken 2015, 2016, 2017, 2018 und 2019, jeweils Tabelle 2.1 S. 32. 45 Strafverfolgungsstatistiken 2005, 2007, 2009, 2011 und 2013, jeweils Tabelle 2.1 S. 32. 46 S. schon die Prognose von Koch GA 2005 589, 605; hierzu auch Borgmann NJW 2004 2133, 2135; Kühl AfP 2004 190, 193; Pollähne KritV 2003 387, 392 f; Schertz AfP 2005 421, 428. Hoppe GRUR 2004 990, 995 ging hingegen von einer „weitreichenden Anwendung“ des § 201a aus. 47 Zusf. Schertz AfP 2005 421, 426; hiergegen Koch GA 2005 589, 603 f. Vgl. nach Erlass der Vorschrift, vor allem zur Einschränkung des „investigativen Journalismus“ Kraenz 222 ff; Hesse ZUM 2005 432, 432 f; Obert/Gottschalck ZUM 2005 436, 436 ff; Tillmanns/Führ ZUM 2005 441, 442 ff. Ausführl. zur Verfassungsmäßigkeit des § 201a a.F. Kächele 140 ff; Linkens 146 ff; Wendt AfP 2004 181, 183 ff. 48 Graf MK Rdn. 18; krit. Fischer Rdn. 20 f; Hoyer ZIS 2006 1, 1. Valerius
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I. Allgemeines
§ 201a
Die Bereitschaft der Betroffenen, wegen der erfahrenen Rechtsverletzung ein Gerichtsver- 9 fahren anzustrengen, dürfte sich daher im Wesentlichen auf Fälle einer nicht einverständlichen Kommerzialisierung von Bildaufnahmen insbesondere von Prominenten beschränken. Dann kommt aber der zivilrechtlichen Geltendmachung von Ansprüchen anlässlich von Eingriffen in das Recht am eigenen Bild eine ungleich größere Bedeutung zu als der Verfolgung derartiger Taten in einem Strafverfahren.49 Dies liegt zum einen daran, dass sich das Recht am eigenen Bild gerade nicht auf die tatgegenständlichen Bildaufnahmen des § 201a beschränkt. Vielmehr sind etwa Aufnahmen aus Wohnungen oder gegen Einblick besonders geschützten Räumen ebenso dann erfasst, wenn dadurch nicht der höchstpersönliche Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt wird. Zum anderen sind die Betroffenen in der Regel eher daran interessiert, für die erlittenen Eingriffe in ihr Recht am eigenen Bild oder sogar in ihren höchstpersönlichen Lebensbereich eine finanzelle Entschädigung zu erhalten als den Täter strafrechtlich zu verfolgen. Dies gilt nicht zuletzt, wenn auf der „Täterseite“ nicht ein einzelner Mensch, sondern ein Medienunternehmen steht, das durch die Veröffentlichung der Bildaufnahmen seine Auflage und seinen Gewinn versucht hat zu erhöhen.50 In diesem Zusammenhang bleibt zu bemerken, dass – von den häufigen Aufklärungsschwierigkeiten und finanziellen Risiken bei der zivilrechtlichen Durchsetzung des Persönlichkeitsschutzes einmal abgesehen51 – sich gegenüber Medienunternehmen zivilrechtliche Rechtsfolgen ohnehin als wirkungsvoller als drohende strafrechtliche Sanktionen nach § 201a erweisen dürften, die mangels eines Verbandsstrafrechts gegenüber juristischen Personen hierzulande ohnehin nicht verhängt werden können. In dieses Bild passt, dass – obwohl dem deutschen Recht ein Strafschadensersatz nach dem Vorbild der punitive damages im anglo-amerikanischen Rechtskreis an sich fremd ist – die Rechtsprechung den Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts eine erhebliche präventive Bedeutung zumisst.52 Das Recht am eigenen Bild stellt ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar.53 10 Verletzungen des Rechts am eigenen Bild können daher insbesondere Schadensersatzansprüche begründen, seien es Ansprüche materieller Art (auf konkret oder nach Lizenzanalogie berechneten Schaden bzw. auf Herausgabe des durch die Verletzung erzielten Gewinns)54 oder immaterieller Natur (auf Geldentschädigung).55 Des Weiteren kommen – verschuldensunabhängige56 – Unterlassungsansprüche in Betracht, die lediglich die Glaubhaftmachung einer ernsthaft drohenden (Persönlichkeits-)Rechtsverletzung voraussetzen.57 Außerdem handelt es sich bei § 201a um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.58
3. Rechtsgut und Charakter der Vorschrift Nicht restlos geklärt ist, welche Rechtsgüter die Strafvorschrift des § 201a – sowohl im Generel- 11 len wie auch bei einzelnen ihrer Tatbestände – im Blick hat. Die Gesetzgebungsmaterialien sind insoweit nicht unbedingt erhellend. So sprach nach der ursprünglichen Fassung der Norm viel 49 Hierzu auch Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 32 und 40. 50 Vgl. etwa BGHZ 128 1, 12. 51 Darauf hinweisend Heuchemer BeckOK Rdn. 7; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Kühl AfP 2004 190, 193; ders. Symp. Schünemann 211, 215 f. 52 S. nur BGH (Z) NJW 1996 984, 985; BGHZ 160 298, 302 f; 165 203, 207 f; vgl. auch BVerfG NJW 2000 2187, 2188; krit. etwa Gounalakis AfP 1998 10, 14 ff; Seitz NJW 1996 2848, 2848. 53 BGHZ 26 349, 354; BGH (Z) NJW 1985 1617, 1618; BGHZ 143 214, 218. 54 BGHZ 143 214, 232; BGH NJW 2000 2201, 2202; Bamberger BeckOK-BGB § 12 Rdn. 362. 55 BGHZ 128 1, 12 f; 160 298, 306; BGH (Z) NJW 1985 1617, 1619; vgl. schon BGHZ 26 349, 354 ff. 56 Vgl. BGH (Z) NJW 1976 799, 800; (Z) NJW 1986 2503, 2504; Bamberger BeckOK-BGB § 12 Rdn. 342. 57 Bamberger BeckOK-BGB § 12 Rdn. 342; vgl. auch Rixecker MK-BGB § 12 Anh. Rdn. 271 und 273. 58 OLG Köln (Z) NJW-RR 2020 30, 33; Fischer Rdn. 3; Graf MK Rdn. 14; Heuchemer BeckOK Rdn. 30; Hoppe GRUR 2004 990, 994; Sauren ZUM 2005 425, 431; Süß Jura 2011 610, 614; Vahle DVP 2004 494, 496. 773
Valerius
§ 201a
Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
dafür, dass hierdurch der höchstpersönliche Lebensbereich geschützt werden sollte.59 Dies verdeutlichten sowohl die amtlichen Überschriften des 15. Abschnitts sowie der Norm selbst als auch der notwendige Taterfolg in den Absätzen 1 und 3 a.F. (mittlerweile Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 5), eben jenen höchstpersönlichen Lebensbereich zu verletzen. Dass auf diese Voraussetzung bei den durch das 49. StRÄndG vorgenommenen Erweiterungen in Absatz 1 Nr. 2, Absatz 2 (Satz 1) und Absatz 3 verzichtet wurde, steht dieser Betrachtung nicht entgegen, ging der Gesetzgeber doch davon aus, dass bei bloßstellenden Bildaufnahmen und bei Nacktaufnahmen der höchstpersönliche Lebensbereich stets verletzt sei, so dass sich Feststellungen hierzu erübrigten.60 Demgegenüber hat der Gesetzgeber des 59. StRÄndG als geschütztes Rechtsgut der Vorschrift neben dem höchstpersönlichen Lebensbereich auch das Recht am eigenen Bild als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen,61 so dass er nunmehr von einem kumulativen Rechtsgut auszugehen scheint.62 Der Verweis des Gesetzgebers des 59. StRÄndG auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht 12 dürfte indessen lediglich dem Zweck gedient haben, den postmortalen Persönlichkeitsschutz verstorbener Personen einfacher zu begründen. Schließlich verfolgt die Vorschrift des § 201a auch nach ihren Erweiterungen (sowohl durch das 49. als auch) durch das 59. StRÄndG unverändert das jedenfalls primäre Anliegen, (lediglich) vor der Konservierung und Verbreitung als „höchstpersönlich“ angesehener Augenblicke zu bewahren, steht mit anderen Worten der hiermit einhergehende Eingriff in diese Persönlichkeitssphäre im Vordergrund. Sofern demgegenüber das Recht am eigenen Bild als geschütztes Rechtsgut erachtet wird,63 darf jedenfalls nicht allein an das hiervon ebenso umfasste Selbstbestimmungsrecht über das eigene Bild als solches angeknüpft werden,64 das sich auch auf völlig unverfängliche und nur wenig private Inhalte erstreckt. Vielmehr erfasst die Norm in sämtlichen Tatvarianten lediglich bestimmte Motive, die sich allesamt durch einen Bezug zum höchstpersönlichen Lebensbereich bzw. zu dessen postmortalem Pendant (hierzu sogleich Rdn. 13) auszeichnen. Zumindest die formale Komponente des Rechts am eigenen Bild in Gestalt der (durch die Tat notwendigerweise missachteten) Dispositionsbefugnis über das eigene Bild stellt folglich nach wie vor lediglich den Ausgangspunkt der Strafvorschrift dar, um sich inhaltlich auf den Schutz bestimmter Inhalte aus der Privat- und Intimsphäre zu beschränken. Dementsprechend hielt etwa der Bundesgerichtshof nach dem 49. StRÄndG fest, dass § 201a den – sowohl durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht als auch durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleisteten – höchstpersönlichen Lebensbereich des Einzelnen vor Eingriffen durch Bildaufnahmen schütze.65 Auch im Schrifttum wurde jedenfalls vor dem 59. StRÄndG wohl überwiegend der höchstpersönliche Lebensbereich als Schutzgut des § 201a angesehen.66 Bei verstorbenen Personen lässt sich – worauf der Gesetzgeber des 59. StRÄndG zutreffend 13 verwiesen hat67 – von einem höchstpersönlichen Lebensbereich selbsterklärend kaum sprechen. Ebenso wenig können Verstorbene noch ein Recht am eigenen Bild als Ausfluss ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausüben, das nach der Rechtsprechung des Bundesverfas59 60 61 62
S. etwa Flechsig ZUM 2004 605, 607; Koch GA 2005 589, 595; Kühl AfP 2004 190, 193; ders. FS Schöch 419, 433. BTDrucks. 18/2601 S. 37. BTDrucks. 19/17795 S. 12. In diese Richtung bereits Tag HK-GS Rdn. 2; Doerbeck 165; Kraenz 164 ff; Preuß ZIS 2018 212, 216; diff. Matt/ Renzikowski/Altenhain Rdn. 2. 63 So etwa SSW/Bosch Rdn. 1; Graf MK Rdn. 10; Popp AnwK Rdn. 1; Bosch Jura 2016 1380, 1381; Koranyi JA 2014 241, 244. 64 So indessen wohl Buchholz JA 2018 511, 511: „der höchstpersönliche Lebensbereich […] in Form eines optischen Selbstbestimmungsrechts“. 65 BGH NStZ 2015 391; s.a. BGH BeckRS 2019 4015 Rdn. 6, in NStZ-RR 2019 143 nicht abgedr.; krit. gegenüber dem Verweis auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung SSW/Bosch Rdn. 1: „ohne eigenständigen Erkenntnisgewinn“. 66 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; Fischer Rdn. 3; Heuchemer BeckOK Rdn. 1; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1. 67 BTDrucks. 19/17795 S. 12 f. Valerius
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sungsgerichts nur Lebenden zusteht.68 Allerdings gebietet die Menschenwürde einen postmortalen Persönlichkeitsschutz, um den allgemeinen Achtungsanspruch von Verstorbenen auch nach ihrem Tod vor Herabwürdigung und Erniedrigung zu bewahren.69 Es bietet sich daher bei Absatz 1 Nr. 3 (gegebenenfalls i.V.m. Absatz 1 Nr. 4 und Nr. 5) sowie bei Absatz 2 Satz 2 (i.V.m. Satz 1) an, auf das sog. postmortale Persönlichkeitsrecht als Schutzgut zu verweisen. Der Gesetzgeber nannte in diesem Zusammenhang zwar auch das schutzwürdige Interesse der Angehörigen, das Andenken der verstorbenen Person zu bewahren.70 Hierbei dürfte es sich indessen schon nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich um ein Nebenanliegen, nicht jedoch um ein geschütztes Rechtsgut handeln. Dem stünde – außer der fehlenden Greifbarkeit eines solchen Interesses und der folglich nahe liegenden Gefahr eines nicht angezeigten strafrechtlichen Gefühlsschutzes – bereits entgegen, dass auch Angehörige selbst eine solche Tat begehen können.71 Umstritten ist nicht zuletzt das geschützte Rechtsgut von Absatz 3, der (nicht nur; ergän- 14 zend Rdn. 21 sowie Rdn. 79) insoweit einen Fremdkörper innerhalb des § 201a bildet. Auch die unbefugte Verbreitung der dort genannten Nacktaufnahmen vermag wegen deren Motivs den höchstpersönlichen Lebensbereich der (zum Zeitpunkt der Aufnahme minderjährigen) abgebildeten Person zu verletzen.72 Demzufolge wird auch insoweit der höchstpersönliche Lebensbereich als geschütztes Interesse angesehen.73 Dass die Vorschrift gleichwohl in erster Linie anderen Zwecken dient, verdeutlicht bereits das Fehlen des Merkmals „unbefugt“.74 Zudem hatte der Gesetzgeber gerade Bildaufnahmen im Blick, die sexuellen Zwecken dienen können, ohne von §§ 184b, 184c erfasst zu sein.75 Folglich will die Norm nicht zuletzt (auch nicht in der tatgegenständlichen Aufnahme abgebildete) Kinder und Jugendliche vor sexuellem Missbrauch bewahren76 und somit, auch wenn dies weder in der Abschnitts- noch in der Normüberschrift zum Ausdruck kommt, deren sexuelle Selbstbestimmung schützen. Es hätte daher näher gelegen, nicht § 201a, sondern die genannten Strafvorschriften der §§ 184b, 184c zu erweitern,77 vergleichbar der nun entgegen ersten Entwürfen nicht in § 201a, sondern in § 184k platzierten Strafbarkeit des sog. Upskirting und Downblousing (hierzu schon die Entstehungsgeschichte).78 Unstreitig dürfte indessen sein, dass – wenngleich bei Verletzungen des Rechts am eigenen 15 Bild häufig unbefugte Fotografien von Prominenten und deren kommerzielle Verwertung im Blickpunkt stehen (siehe schon Rdn. 9) – wirtschaftliche Interessen allenfalls mittelbar geschützt werden.79 Hieran vermag ebenso wenig etwas zu ändern, dass Absatz 3 ein Handeln gegen Entgelt bzw. eine entsprechende Absicht voraussetzt.80 Dadurch wird nicht etwa zum Ausdruck gebracht, kommerzielle Interessen der abgebildeten Person an der Verwertbarkeit von Nacktaufnahmen schützen zu wollen, sondern wird lediglich an die Kommerzialisierung als 68 BVerfGE 30 173, 194; krit. Dürig/Herzog/Scholz/Herdegen Art. 1 Abs. 1 Rdn. 57. 69 BVerfGE 30 173, 194; vgl. zu § 189 auch BGHSt 40 97, 105. Krit. zur Verortung des § 201a Abs. 1 Nr. 3 Walter ZRP 2020 16, 16, der für eine Ergänzung des § 189 plädiert.
70 BTDrucks. 19/17795 S. 2. 71 Zur Diskussion bei § 189 statt vieler Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 189 Rdn. 1; Hilgendorf LK § 189 Rdn. 1 f; Valerius BeckOK § 189 Rdn. 1 f. 72 BTDrucks. 18/2601 S. 36 f. 73 S. z.B. Kargl NK Rdn. 4; vgl. auch Weigend ZStW 129 (2017) 513, 527: „Schutz der Würde der abgebildeten Kinder und Jugendlichen“. 74 Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 27. 75 BTDrucks. 18/2601 S. 36. 76 Tag HK-GS Rdn. 2; Busch NJW 2015 977, 979; vgl. auch Bosch Jura 2016 1380, 1382. 77 Krit. bereits Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 18; für eine Verortung in § 201a hingegen Jahn/Ziemann FS Kargl 227, 232; Mengler ZRP 2019 224, 226. 78 Zu den Kritikpunkten an einer Normierung in § 201a Berghäuser ZIS 2019 463, 471 f; zum fraglichen Verhältnis von § 184k und § 201a Schmidt HRRS 2021 214, 220. 79 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Fischer Rdn. 3; Graf MK Rdn. 14. 80 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. 775
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
typisches Merkmal für den unerwünschten Handel mit solchen Aufnahmen angeknüpft (ergänzend Rdn. 24). Dies dient der Einschränkung des Tatbestands, um insbesondere Bildaufnahmen im Familienkreis nicht zu erfassen.81 16 Die vorstehende Diskussion um das geschützte Rechtsgut ist insbesondere für den Charakter der Norm von Bedeutung, der sich wiederum auf deren Anwendbarkeit auf vom Ausland aus verbreitete Aufnahmen nicht unerheblich auswirkt (näher Rdn. 132 f). Wird der höchstpersönliche Lebensbereich als das geschützte Rechtsgut des § 201a angesehen, dürften jedenfalls Absatz 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 5 ein Verletzungsdelikt darstellen.82 Problematisch ist indessen die Einordnung von Absatz 1 Nr. 4, weil es hier an einem entsprechenden Erfolgsmerkmal gerade fehlt, wird doch eine Tat nach Nr. 1 oder Nr. 2 und somit eine bereits geschehene Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs vorausgesetzt, die durch das Gebrauchen oder Zugänglichmachen der fraglichen Bildaufnahme in der Regel intensiviert werden dürfte.83 Zur Annahme eines Verletzungsdelikts dürfte insoweit jedenfalls gelangen, wer das Recht am eigenen Bild in Gestalt der hiervon erfassten Dispositionsbefugnis als geschütztes Rechtgut erachtet, wird dieses Recht doch schon durch jegliche visuelle Fixierung oder Verwendung des persönlichen Erscheinungsbildes ohne oder gegen den Willen der abgebildeten Person verletzt, wenn ohne Zustimmung entsprechende Aufnahmen angefertigt oder verwendet werden.84 Vergleichbare Überlegungen ergeben sich zu Absatz 1 Nr. 3 (gegebenenfalls i.V.m. Nr. 4 oder Nr. 5) im Hinblick auf das von dieser Tatvariante geschützte postmortale Persönlichkeitsrecht. 17 Bei Absatz 2 handelt es sich hingegen um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, sofern der höchstpersönliche Lebensbereich als Schutzgut des § 201a erachtet wird.85 Schließlich wird das Zugänglichmachen von Bildaufnahmen, die geeignet sind, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, zwar häufig, aber nicht zwangsläufig eine – hier gerade nicht tatbestandlich vorausgesetzte – Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs nach sich ziehen.86 Zu denken ist etwa an Videoaufnahmen peinlicher Verhaltensweisen eines Prominenten in der Öffentlichkeit, die aber weder dessen Nacktheit oder Sexualität noch andere seinem höchstpersönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Angelegenheiten betreffen. Als Verletzungsdelikt bliebe Absatz 2 hingegen einzuordnen, wenn der Tatbestand das Recht am eigenen Bild schützt.87
81 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3. 82 So etwa Hoyer SK Rdn. 8; Kargl NK Rdn. 20; Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 3; Busch NJW 2015 977, 980; aA BTDrucks. 15/2466 S. 4: „Gefährdungsdelikt“, allerdings ohne Stellungnahme zum geschützten Rechtsgut; Kraenz 186 ff; Koch GA 2005 589, 592 unter Hinweis auf die durch Herstellung oder Übertragung eröffnete „Möglichkeit der Verbreitung evident persönlichkeitsverletzenden Bildmaterials“; and. aber auf 595: „Das geschützte Rechtsgut, der höchstpersönliche Lebensbereich des Opfers, ist mit Herstellung bzw. Übertragung der Bildaufnahme verletzt“. Nach Hoyer ZIS 2006 1, 4 soll Abs. 1 a.F. zudem zugleich ein abstraktes Gefährdungsdelikt im Hinblick auf „den von der Norm befürchteten und bekämpften sozialen Geltungsschaden des Opfers“ sein. 83 Vgl. Heuchemer BeckOK Rdn. 3, der § 201a insgesamt als Verletzungsdelikt einordnet. 84 AA SSW/Bosch Rdn. 2: abstraktes Gefährdungsdelikt im Hinblick auf die „mit einer Fixierung verbundenen Gefahren“; s. schon Bosch JZ 2005 377, 378: „Gefahr seiner jederzeitigen Verwendbarkeit“; diff. Graf MK Rdn. 15, wonach die Herstellungs- und Übertragungsvariante als abstraktes Gefährdungsdelikt einzuordnen seien, die sonstigen Tatbestände der Norm hingegen als Verletzungsdelikte. 85 S. etwa Busch NJW 2015 977, 980; vgl. auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 37, nach dem Abs. 2 als „Eignungs- bzw. abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt […] letztlich dem Ehrschutz als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dient“; ähnlich Wieduwilt K&R 2015 83, 84 unter Verweis auf das nicht zwingend verletzte Ansehen; aA Hoyer SK Rdn. 9, der allerdings das Merkmal der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs auch bei Abs. 2 voraussetzt, das aber bei Zugänglichmachen einer zur Ansehensschädigung geeigneten Aufnahme bereits verwirklicht sei. 86 AA BTDrucks. 18/2601 S. 37, wonach bei bloßstellenden Aufnahmen davon auszugehen sei, dass der höchstpersönliche Lebensbereich verletzt werde, und sich Feststellungen hierzu erübrigten; krit. Popp AnwK Rdn. 1: „kaum plausibel“; ergänzend Rdn. 90. 87 So etwa Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 3; Graf MK Rdn. 15. Valerius
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Ähnlich von dem Rechtsgut abhängig ist der Charakter des Absatzes 3. Sofern die Norm wie 18 hier (Rdn. 14) derart verstanden wird, dass sie in Bezug auf die geschützte sexuelle Selbstbestimmung bereits im Vorfeld eingreifen will, handelt es sich bei Absatz 3 um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.88
4. Systematik der Vorschrift Die verfassungsrechtliche Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Ein- 19 griff in das Recht am eigenen Bild (Rdn. 4) wurde auch bei der Struktur des § 201a aufgegriffen. Insbesondere der ursprünglichen Fassung aus dem Jahr 2004 lässt sich diese Differenzierung entnehmen, indem – in Bezug auf Bildaufnahmen von Personen in einer geschützten räumlichen Sphäre wie insbesondere einer Wohnung – in Absatz 1 (entspricht dem heutigen Absatz 1 Nr. 1) das unbefugte Herstellen und Übertragen von Bildaufnahmen als unmittelbarer Eingriff in das Recht am eigenen Bild und in Absatz 2 (nunmehr Absatz 1 Nr. 4) das anschließende Gebrauchen und Zugänglichmachen als mittelbarer Eingriff erfasst wurde. Absatz 3 (jetzt Absatz 1 Nr. 5), der das unbefugte Zugänglichmachen einer befugt hergestellten Bildaufnahme unter Strafe stellte, verdeutlichte, dass jeder dieser beiden Akte schon für sich einen Eingriff in das Recht am eigenen Bild bedeutet. Diese Systematik liegt bereits § 201 zugrunde, der in Bezug auf das gesprochene Wort zwischen dessen Aufnahme (Absatz 1 Nr. 1) bzw. Abhören (Absatz 2 Satz 1 Nr. 1) einerseits und dessen Verbreitung (Absatz 1 Nr. 2 und Absatz 2 Satz 1 Nr. 2) andererseits unterscheidet. Für Absatz 1, der in seinen einzelnen Nummern deutlich zwischen unmittelbaren und mit- 20 telbaren Eingriffen in das Recht am eigenen Bild als eigenständigen strafbaren Verhaltensweisen differenziert und diesbezüglich zumeist durch das Merkmal „unbefugt“ auf die grundsätzlich entscheidende Zustimmung der abgebildeten Person verweist, ergeben sich somit folgende Kombinationen: (1) Herstellung der Bildaufnahme (als erster Akt) unbefugt, Verbreitung dieser Aufnahme (als zweiter Akt) unbefugt: Strafbarkeit nach Absatz 1 Nr. 1, Nr. 2 oder Nr. 3 (erster Akt) sowie Absatz 1 Nr. 4 (zweiter Akt) – zu den Konkurrenzen Rdn. 125; (2) Herstellung unbefugt, Verbreitung befugt: nur Absatz 1 Nr. 1, Nr. 2 oder Nr. 3 (erster Akt); (3) Herstellung befugt, Verbreitung unbefugt: nur Absatz 1 Nr. 5 (zweiter Akt); (4) Herstellung befugt, Verbreitung befugt: straflos. Dem Ergebnis der Fallgruppe (2) steht nicht entgegen, dass Absatz 1 Nr. 4 keine unbefugte Verbreitung voraussetzt (ergänzend Rdn. 83). So vermag insbesondere ein Sinneswandel der abgebildeten Person, die nicht die Herstellung, sodann jedoch die Verbreitung der Bildaufnahme autorisiert, zwar nicht nachträglich die Strafbarkeit nach Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 zu beseitigen. Allerdings liegt dann nach allgemeinen Grundsätzen eine rechtfertigende Einwilligung in die Tat nach Absatz 1 Nr. 4 vor (hierzu Rdn. 106). Die vorstehend beschriebene Struktur der Vorschrift ist insbesondere durch die Änderungen 21 durch das 49. StRÄndG etwas verborgen worden. Ohne Weiteres in dem vorstehenden Sinne lässt sich aber immerhin noch bei Bildaufnahmen, welche die Hilflosigkeit einer anderen Person (Absatz 1 Nr. 2) oder in grob anstößiger Weise eine verstorbene Person zur Schau stellen (Absatz 1 Nr. 3), differenzieren: Während Absatz 1 Nr. 2 und Nr. 3 die unmittelbaren Eingriffe des Herstellens und Übertragens erfassen, sanktionieren Absatz 1 Nr. 4 und Nr. 5 die mittelbaren Eingriffe in der Gestalt des Gebrauchens und Zugänglichmachens. Absatz 2, der Bildaufnahmen zum Tatgegenstand erklärt, die geeignet sind, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, knüpft nach der vorstehenden Differenzierung allein an den mittelbaren Eingriff durch Zugänglichmachen einer derartigen Aufnahme an; der vorangehende unmittelbare Eingriff wurde hingegen nicht unter Strafe gestellt, weil dies dem Ausschuss für Recht und Verbrau88 AA Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 3: Verletzungsdelikt (im Hinblick auf die Intimsphäre und das Recht auf eine ungestörte Persönlichkeitsentwicklung als neben dem Recht am eigenen Bild geschützte Rechtsgüter); ebenso i.Erg. Graf MK Rdn. 15. 777
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
cherschutz als zu weitgehend erschien (siehe auch Rdn. 66).89 In Absatz 3 (Nacktaufnahmen minderjähriger Personen), der sich auch in Bezug auf die Tathandlungen jedenfalls nicht nahtlos in § 201a einfügt (zum „Fremdkörper“ des Absatzes 3 bereits Rdn. 14 sowie unten Rdn. 79), ist die Tathandlung des Herstellens (Nr. 1 Var. 1) wiederum als unmittelbarer Eingriff anzusehen, während die übrigen Tathandlungen, namentlich das Anbieten (Nr. 1 Var. 2) sowie das (sich oder einer dritten Person) Verschaffen (Nr. 2), ausschließlich mittelbare Eingriffe in das Recht am eigenen Bild enthalten.
II. Objektiver Tatbestand 1. Tatgegenstand 22 a) Allgemeines. Tatgegenstand der Vorschrift sind Bildaufnahmen (Rdn. 25 f) von einer anderen Person (Rdn. 27 ff). Die ursprüngliche Fassung des § 201a von 2004 bezog sich allein auf Bildaufnahmen, bei denen sich die abgebildete Person zum Zeitpunkt der Aufnahme in einer Wohnung (Rdn. 33 ff) oder in einem gegen Einblick besonders geschützten Raum (Rdn. 36 ff) befand. Diese einschränkenden Voraussetzungen sind in der aktuellen Fassung für den unmittelbaren Eingriff durch das Herstellen oder Übertragen ausdrücklich in Absatz 1 Nr. 1 genannt und gelten für den mittelbaren Eingriff durch das Gebrauchen oder Zugänglichmachen durch entsprechende Verweise in Absatz 1 Nr. 4 bzw. Nr. 5. Um den Anwendungsbereich der Norm zu begrenzen, wurde somit zunächst – unabhängig vom Inhalt der Bildaufnahme – an einen räumlichen Schutzbereich angeknüpft, in dem die Aufnahme angefertigt wurde. Die Schutzwürdigkeit der abgebildeten Person durch einen solchen Begleitumstand einer Bildaufnahme zu bestimmen, erscheint indessen nicht zweifelsfrei, weil der Ort der Aufnahme den geschützten höchstpersönlichen Lebensbereich (Rdn. 91 ff) allenfalls indiziert (näher zur Kritik Rdn. 32). Insbesondere stellt der Aufenthalt in einer geschützten räumlichen Sphäre keine notwendige Bedingung dar, um durch eine unbefugte Bildaufnahme den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person zu verletzen. Mangels anderer tatbestandlich erfasster Bildaufnahmen verfolgte die Norm in ihrer ursprünglichen Fassung aber zumindest noch ein (einheitliches, weil einziges) Konzept. 23 Durch die Neugestaltung der Norm durch das 49. StRÄndG aus dem Jahr 2015 wurden die tatgegenständlichen Bildaufnahmen nicht unerheblich auf Fotografien und Filme erweitert, welche – unabhängig vom Aufenthaltsort der abgebildeten Person zum Zeitpunkt der Herstellung oder Übertragung – die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellen (Absatz 1 Nr. 2), die geeignet sind, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden (Absatz 2), oder welche die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum Gegenstand haben (Absatz 3). Seit dem 59. StRÄndG sind zudem Bildaufnahmen erfasst, die in grob anstößiger Weise eine verstorbene Person zur Schau stellen (Absatz 1 Nr. 3). Gemeinsam ist diesen Tatbeständen, an das Motiv der Bildaufnahmen anzuknüpfen. Dies bleibt an sich – bei aller Schwierigkeit, die für die Strafbarkeit entscheidenden Kriterien dieser Motive so zu formulieren, dass der Tatbestand seine Auslesefunktion zu erfüllen vermag (zur Kritik an den genannten Tatbeständen etwa Rdn. 54 und 60) – zu begrüßen.90 Schließlich erscheinen gerade die abgebildeten Inhalte als wesentlich für die Beurteilung, ob durch Herstellung, Übertragung, Gebrauch oder Zugänglichmachen der Aufnahme der höchstpersönliche Lebensbereich verletzt wird, und vermochte die ursprüngliche Fassung des § 201a z.B. entwürdigende, bloßstellende oder auch gewalttätige Situationen außerhalb der geschützten räumlichen Sphären von vornherein nicht zu 89 BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 28. 90 S. schon Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 61 f. Krit. hingegen Heuchemer BeckOK Rdn. 1 f, welcher der Erweiterung der Norm eine bedenkliche Einschränkung der Informations- und Meinungsfreiheit zuschreibt und sich daher für eine restriktive, verfassungskonforme Auslegung ausspricht; vgl. auch Tag HK-GS Rdn. 2. Valerius
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II. Objektiver Tatbestand
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erfassen. Durch den Wechsel von der geschützten räumlichen Sphäre hin zu bestimmten Motiven der Bildaufnahme lässt die Norm aber nun ein einheitliches und schlüssiges Gesamtkonzept vermissen, in welchen Situationen die abgebildete Person so schützenswert erscheint, dass sie mit strafrechtlichen Mitteln vor der Herstellung oder Verbreitung von den Augenblick konservierenden Bildaufnahmen bewahrt werden soll.91 Problematisch erweist sich die Anknüpfung an das Motiv aber dann, wenn – wie bei den 24 Nacktaufnahmen minderjähriger Personen in Absatz 3 – an sich nicht der Inhalt der Bildaufnahme deren strafrechtliche Reglementierung veranlasst, sondern deren unerwünschte Zweckentfremdung (hier: die sexuelle Stimulanz durch ein – in den Augen des Durchschnittsbetrachters – harmloses Motiv). Die Schwierigkeiten, eine Strafvorschrift sinnvoll zu formulieren, wachsen hierbei umso mehr, umso unverfänglicher der Tatgegenstand gewöhnlich erscheint. In weitem Umfang Handlungen mit sämtlichen Tatobjekten unter Strafe zu stellen, die atypisch verwendet werden könnten,92 zöge jedenfalls eine übermäßige Sanktionierung nach sich, die auch unbedenkliche, von der Gesellschaft als adäquat, gegebenenfalls sogar als positiv bewertete und erwünschte Verhaltensweisen als strafbar einordnen würde. Es bliebe zudem unberücksichtigt, dass selbst bei einer naheliegenden atypischen Verwendung nicht Bildaufnahmen als solchen bestimmte (kriminelle) Zwecke immanent sind. Stets bedarf es vielmehr eines Menschen, der einem Gegenstand einen solchen Zweck verleiht.93 Um nur den unerwünschten atypischen Gebrauch zu unterbinden, müssen daher Tathandlungen mit dem – an sich unbedenklichen – Tatobjekt unter Strafe gestellt werden, welche etwa die Zweckentfremdung erst ermöglichen oder mit ihr einhergehen.94 Diesen Weg verfolgt letztlich auch Absatz 3, dessen Tathandlungen allesamt ein Verschaffen gegen Entgelt als subjektives oder objektives Merkmal voraussetzen und auf diese Weise an die Kommerzialisierung als typisches Merkmal für den unerwünschten Handel mit den betreffenden Bildaufnahmen anknüpfen.
b) Gemeinsame Voraussetzungen aa) Bildaufnahme. Entgegen § 33 Abs. 1 KunstUrhG spricht § 201a nicht von einem Bildnis, 25 sondern von einer Bildaufnahme. Seit der Änderung durch das 49. StRÄndG wird im Normtext konsequent der Singular „Bildaufnahme“ (anders noch Absatz 1 a.F.: „Bildaufnahmen“) verwendet und dadurch klargestellt, dass bereits die Herstellung oder Übertragung einer einzigen Aufnahme genügt. Wegen des Begriffs der „Aufnahme“ erfasst § 201a lediglich Reproduktionen der Wirklichkeit, die durch ein technisches Mittel (vgl. auch Absatz 5 Satz 1), seien es analoge oder digitale Kameras und Camcorder oder auch Smartphones, angefertigt werden.95 Unerheblich ist, ob es sich um Einzelaufnahmen (Fotografien) oder um bewegte Bilderfolgen (Videofilme) handelt.96 Wie die Tathandlung des Übertragens in Absatz 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 verdeutlicht (Rdn. 71), setzt Reproduktion in diesem Sinne keine Speicherung des aufgenommenen Geschehens voraus.97 Handgefertigte Zeichnungen, Karikaturen und Gemälde sind mangels Zuhilfe-
91 Krit. schon Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 17 und 61; s.a. Bosch NStZ 2021 371, 372: „unausgegorenes Konzept“. 92 So etwa noch der ursprüngliche Gesetzentwurf, der das unbefugte Herstellen oder Übertragen sowie das unbefugte Verbreiten oder der Öffentlichkeit Zugänglichmachen einer Bildaufnahme von einer unbekleideten anderen Person generell unter Strafe stellen wollte (zur Begründung BTDrucks. 18/2601 S. 36 f). 93 Valerius Grenzenloser Informationsaustausch und grenzenlose Strafbarkeit? 49, 60 f. 94 S. schon Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 20. 95 Ebenso Zöller FS Wolter 679, 684; vgl. auch Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 5; Hoyer SK Rdn. 12; Popp AnwK Rdn. 4; Flechsig ZUM 2004 605, 611; Kühl AfP 2004 190, 194. 96 Graf MK Rdn. 25. 97 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Fischer Rdn. 4. 779
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
nahme eines technischen Mittels tatbestandlich ausgeschlossen,98 ebenso Computeranimationen mangels Abbildung eines realen Geschehens.99 26 Die Bearbeitung einer tatgegenständlichen Bildaufnahme, sei es durch Anfertigung einer Collage oder einer Fotomontage oder auch durch digitale Aufbereitung am Computer, steht dem Schutz vor ihrer Verbreitung nicht entgegen, solange die ursprüngliche Bildaufnahme sich noch erkennen lässt und ihren tatbestandlichen Charakter nicht verliert.100 Nicht erfasst sind hingegen etwa Bildaufnahmen, deren den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzender Inhalt sich erst aus der nachträglichen Bearbeitung einer nicht tatgegenständlichen Aufnahme ergibt, z.B. indem der Körper einer in einer Wohnung in einer unverfänglichen Situation aufgenommenen Person durch einen nackten Körper ausgetauscht wird.101 Abweichend soll indessen Absatz 2 auch Bildaufnahmen erfassen, die erst nach einer Fotomontage zur Ansehensschädigung geeignet sind, müsse hier doch allein die zugänglich gemachte Aufnahme diese Eignung aufweisen.102 Diese Argumentation erscheint jedenfalls bei isolierter Betrachtung des Absatzes 2 durchaus plausibel, führte aber zu dem kuriosen Ergebnis, dass bei Bildaufnahmen, deren Herstellung bereits strafbar ist, der abgebildeten Person ein geringerer Schutz zuteilwerden würde als bei Bildaufnahmen, bei denen sich die Strafbarkeit auf mittelbare Eingriffe in das Recht am eigenen Bild beschränkt (ergänzend zum Verzicht der Inkriminierung des Herstellens von Bildaufnahmen im Sinne des Absatzes 2 Rdn. 66).
27 bb) Von einer (anderen oder verstorbenen) Person. Die Bildaufnahme muss eine Person zeigen. Dies schließt Darstellungen von Räumlichkeiten oder Gegenständen von vornherein aus,103 selbst wenn sie die Privat- und Intimsphäre ihres Eigentümers oder Besitzers betreffen sollten, z.B. eine verwahrloste Wohnung oder das auf intime Momente hindeutende Schlafzimmer abbilden.104 In den meisten Tatmodalitäten muss es sich um die Aufnahme einer anderen Person han28 deln. Insbesondere beim unmittelbaren Eingriff in das Recht am eigenen Bild durch Herstellung oder Übertragung einer Bildaufnahme, d.h. in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1105 und Nr. 2 sowie des Absatzes 3 Nr. 1 Var. 1,106 sind Selbstaufnahmen daher nicht erfasst. Gleiches gilt für den mittelbaren Eingriff durch Absatz 1 Nr. 4, da hier an die Tat nach Absatz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 angeknüpft wird, und zwar selbst dann, wenn ein anderer als der Hersteller die Bildaufnahme verbreiten sollte.107 Eine befugt hergestellte Bildaufnahme im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 kann hingegen – mit faktischer Ausnahme von Aufnahmen im Sinne des Absatzes 1 Nr. 3 – auch von der
98 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 5; SSW/Bosch Rdn. 4; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Fischer Rdn. 4; Graf MK Rdn. 25; Hoyer SK Rdn. 12; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Popp AnwK Rdn. 4; Flechsig ZUM 2004 605, 611.
99 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Graf MK Rdn. 25; Kächele 163. 100 SSW/Bosch Rdn. 19; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Fischer Rdn. 14; Popp AnwK Rdn. 14; vgl. auch Hoyer SK Rdn. 35.
101 Vgl. Hoyer SK Rdn. 35; Doerbeck 179 f; Hoyer ZIS 2006 1, 3; aA Gertzen 85 für als solche nicht erkennbare Fotomontagen.
102 Doerbeck 183 f; ebenso wohl Lantwin MMR 2020 78, 79 am Beispiel pornographischer Deep Fakes, bei denen etwa die in einer Videoaufnahme erkennbaren Gesichter durch die Gesichter einer beliebigen anderen Person ausgetauscht werden; zur Diskussion auch Thiel ZRP 2021 202, 204. 103 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 5; SSW/Bosch Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Popp AnwK Rdn. 5; Koch GA 2005 589, 598; s.a. Graf MK Rdn. 39; krit. Kargl ZStW 117 (2005) 324, 352. 104 Mitsch Jura 2006 117, 118. 105 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. 106 Fischer Rdn. 27; Popp AnwK Rdn. 27. 107 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27. Valerius
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II. Objektiver Tatbestand
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abgebildeten Person selbst angefertigt worden sein.108 Ebenso stellen Selbstaufnahmen taugliche Tatgegenstände in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 und des Absatzes 3 Nr. 1 Var. 2 und Nr. 2 dar.109 Jeweils bezieht sich das Merkmal „(von) einer anderen Person“ lediglich auf das Motiv der Bildaufnahme und erfordert somit nur Personenverschiedenheit von demjenigen, der die Tathandlung vornimmt, und dem Abgebildeten, setzt hingegen keine fehlende Identität von aufnehmender und abgebildeter Person voraus,110 wenngleich sich solche Fälle nur selten zutragen dürften. Umstritten sind die Anforderungen an die Erkennbarkeit der auf der Aufnahme abgebilde- 29 ten Person. Nach der Rechtsprechung sind jedenfalls Bildaufnahmen, die genügend Merkmale enthalten, damit zumindest das Tatopfer sich selbst hierauf zu erkennen vermag, tatbestandlich erfasst.111 Im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut ist darüber hinaus indessen nicht einmal erforderlich, dass die Bildaufnahme als solche die abgebildete Person erkennen lässt.112 Auch dem Wortlaut der Norm lässt sich eine solche Beschränkung nicht entnehmen.113 So stellen insbesondere Nahaufnahmen von Körperteilen (z.B. von Geschlechtsmerkmalen) einen tauglichen Tatgegenstand des § 201a dar.114 Ebenso wenig wird eine Bildaufnahme schon dadurch aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgeschlossen, dass bei deren Zugänglichmachen das Opfer z.B. durch einen schwarzen Balken über den Augen oder durch Verpixelung des Gesichts anonymisiert wird.115 Freilich erweist es sich für die Praxis etwa im Hinblick auf das Antragsrecht nach § 205 Abs. 1 Satz 2 als problematisch, wenn die betroffene Person nicht erkennbar ist. Insoweit reicht es indessen aus, dass sich die abgebildete Person aus den Begleitumständen der Aufnahme (z.B. aus deren Begleittext) identifizieren lässt.116 Nach diesen Überlegungen können auch Röntgenaufnahmen,117 Infrarotfotos118 und unscharfe Fotografien der Vorschrift unterfallen. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn die Bildqualität nicht einmal mehr die Feststellung gestattet, ob überhaupt eine Person ganz oder zumindest teilweise abgebildet ist.119 Ansonsten bildet der Taterfolg der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs das notwendige Regulativ, um nicht jegliche Abbildung eines Körperteils oder völlig verschwommene Bildaufnahmen tatbestandlich zu erfassen.120 Er ist vornehmlich dann nicht beeinträchtigt,
108 S.a. BGH NJW 2020 3608, 3609; SSW/Bosch Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 33; Doerbeck 167; Mitsch Jura 2006 117, 119; s.a. Bosch Jura 2016 1380, 1382; aA Graf MK Rdn. 29; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 9. 109 S.a. Popp AnwK Rdn. 27 zu Abs. 3 Nr. 2; aA Graf MK Rdn. 29 (zu Abs. 2) und Rdn. 76 (zu Abs. 3). 110 Ebenso mit weiterer eingehender Begründung BGH NJW 2020 3608, 3609 mit krit. Anm. Busch = ZUM 2021 359 mit krit. Anm. Schork. 111 BGH NStZ 2015 391 zu Bildaufnahmen, die während einer gynäkologischen Behandlung angefertigt wurden; vgl. auch Fischer Rdn. 5; aA Graf MK Rdn. 29, der die Identifizierung der abgebildeten Person durch Merkmale oder Besonderheiten verlangt, die auch anderen bekannt sind. 112 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 5; SSW/Bosch Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 10; Popp AnwK Rdn. 5; Tag HK-GS Rdn. 5; Doerbeck 166 f; Beck MMR 2008 77, 79; Bosch medstra 2020 312, 313; Ernst NJW 2004 1277, 1278; Koch GA 2005 589, 595; Schmidt HRRS 2021 214, 219 f; aA Hoyer SK Rdn. 15; Kargl NK Rdn. 14; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Hengst 152 f; Kraenz 199; Buchholz JA 2018 511, 512; Hoyer ZIS 2006 1, 2; offen gelassen von BGH NStZ 2015 391; BeckRS 2019 4015 Rdn. 6, in NStZ-RR 2019 143 nicht abgedr. 113 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 5; Doerbeck 167; aA Kargl NK Rdn. 14. 114 SSW/Bosch Rdn. 5; Graf MK Rdn. 29; Tag HK-GS Rdn. 5; Koch GA 2005 589, 595; Schmidt HRRS 2021 214, 219. 115 LG Bonn MMR 2021 924, 925; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 23 zu Abs. 1 Nr. 2; s. schon Eisele/Sieber StV 2015 312, 314; ferner Graf MK Rdn. 29 und 32. 116 SSW/Bosch Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Popp AnwK Rdn. 5; Doerbeck 167; Bosch Jura 2016 1380, 1382; ders. medstra 2020 312, 313. 117 Fischer Rdn. 4; Popp AnwK Rdn. 4. 118 Rahmlow HRRS 2005 84, 89. 119 BGH NStZ-RR 2019 143. 120 Ebenso Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; Fischer Rdn. 5; Graf MK Rdn. 29; vgl. auch Gola RDV 2004 215, 216; aA Linkens 107 f unter Betonung der Entscheidungsbefugnis der abgebildeten Person. 781
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
wenn die aufgenommenen Körperteile keinen ausreichenden höchstpersönlichen Bezug aufweisen, z.B. die unbekleideten Füße oder Unterschenkel des Betroffenen abgebildet werden.121 30 Wie sich aus der Verwendung des Merkmals „Person“ in anderen Vorschriften des Strafgesetzbuches, vornehmlich in §§ 174 ff, §§ 223 ff und §§ 232 ff, ergibt, muss es sich bei der abgebildeten „anderen Person“ im Sinne des § 201a jeweils um einen lebenden, tatsächlich existierenden122 Menschen handeln.123 Ungeborenes Leben, das etwa auf Ultraschallaufnahmen abgebildet wird, ist nicht erfasst.124 Gleiches gilt – anders als bei § 33 KunstUrhG125 – für zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits verstorbene Personen;126 zu denken ist etwa an Fotografien von Otto von Bismarck auf seinem Totenbett (siehe schon Rdn. 1) oder von Uwe Barschel in der Badewanne seines Hotelzimmers,127 aber auch von tödlich verunglückten Unfallopfern. Aus diesem Grund wurden durch das 59. StRÄndG Absatz 1 Nr. 3 und Absatz 2 Nr. 2 eingefügt, die sich nunmehr ausdrücklich auf Bildaufnahmen von verstorbenen Personen erstrecken (hierzu schon die Entstehungsgeschichte). Tatgegenständlich für die anderen Tatbestände des § 201a sind hingegen Bildaufnahmen von gerade sterbenden Personen wie z.B. die Fotografien der verunglückten Lady Diana.128 Maßgeblich ist jeweils der Zeitpunkt der Bildaufnahme. Dass bei einem mittelbaren Eingriff in das Recht am eigenen Bild die abgebildete Person etwa im Hinblick auf die notwendige (Intensivierung der) Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs auch im Zeitpunkt des tatbestandlichen Gebrauchens oder Zugänglichmachens der Aufnahme noch lebt,129 ist weder nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift noch nach deren Wortlaut erforderlich.130
c) Räumlicher Schutzbereich (Absatz 1 Nr. 1) 31 aa) Allgemeines. Tatgegenständlich ist in Absatz 1 Nr. 1 (sowie Nr. 4 und Nr. 5) die Bildaufnahme einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder in einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Herstellung oder Übertragung der Aufnahme. Dass sich die abgebildete Person in diesem Augenblick in einer der genannten räumlichen Sphären aufhält, muss nicht aus der Bildaufnahme hervorgehen.131 Demzufolge ist es auch unerheblich, wenn durch die Bearbeitung der Aufnahme verschleiert wird, dass sich die abgebildete Person in einer der geschützten Räumlichkeiten befand (allgemein zur Einordnung einer bearbeiteten Aufnahme, Fotomontage etc. als Bildaufnahme Rdn. 26).132 Umgekehrt genügt allein ein dahingehender, durch die Veränderung der Bildaufnahme fälschlich vermittel-
121 OLG Koblenz NStZ 2009 268, 269. 122 Fischer Rdn. 5; Kargl NK Rdn. 14. 123 Flechsig ZUM 2004 605, 613; Hoppe GRUR 2004 990, 994; Mitsch Jura 2006 117, 118; Preuß ZIS 2018 212, 213; Sauren ZUM 2005 425, 430. 124 Popp AnwK Rdn. 5; Mitsch Jura 2006 117, 118; ders. FS Schwind 603, 606. 125 Rixecker MK-BGB Anh. § 12 Rdn. 63; Eisele JR 2005 6, 9; Flechsig ZUM 2004 605, 613. 126 SSW/Bosch Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Fischer Rdn. 5; Hoyer SK Rdn. 14; Kargl NK Rdn. 22; Lackner/ Kühl/Kühl Rdn. 3; van Bergen 294; Eisele JR 2005 6, 9; Mitsch Jura 2006 117, 118; ders. FS Schwind 603, 606; Rahmlow HRRS 2005 84, 89. AA Graf MK Rdn. 28, wonach der Sterbezeitraum einer Person solange zu schützen sei, bis deren Tod entdeckt werde; vgl. auch Popp AnwK Rdn. 5, nach dem es schon de lege lata naheliege, den gerade verstorbenen Menschen als geschützte „Person“ i.S.d. § 201a anzusehen; ähnlich zum Einschluss Verstorbener tendierend Buchholz JA 2018 511, 511 f. 127 Koch GA 2005 589, 592. Vgl. aber die Rechtslage nach Schweizer Recht, SchweizBGE 118 IV 319 = NJW 1994 504. 128 Kühl AfP 2004 190, 195. 129 So Hoyer SK Rdn. 33; Flechsig ZUM 2004 605, 613; Rahmlow HRRS 2005 84, 89. 130 Ebenso krit. Graf MK Rdn. 27; s.a. BTDrucks. 19/17795 S. 13. 131 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. 132 Fischer Rdn. 10 mit Kritik an diesem Ergebnis; Doerbeck 178. Valerius
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II. Objektiver Tatbestand
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ter Eindruck nicht.133 Ohne Belang ist, an welchem Ort das Opfer während eines etwaigen Gebrauchens oder Zugänglichmachens der Aufnahme verweilt.134 Bildaufnahmen außerhalb der genannten räumlichen Schutzbereiche, insbesondere an öf- 32 fentlich zugänglichen Orten, sind nicht von Absatz 1 Nr. 1 erfasst und schieden nach der ursprünglichen Fassung des § 201a völlig als tauglicher Tatgegenstand aus. Der Gesetzgeber befürchtete, ansonsten ein breites Spektrum von Alltagshandlungen unter Strafe zu stellen, für deren Ausgrenzung keine trennscharfen Kriterien existierten.135 Das Übermaßverbot staatlichen Strafens sowie das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot drohten daher verletzt zu werden. Zudem müsse der Einzelne im öffentlichen Lebensraum damit rechnen, auf Bildaufnahmen abgebildet zu werden, und könne daher sein Verhalten entsprechend einrichten.136 Diese Erwägungen galten und gelten allerdings nicht in dieser Pauschalität.137 Einem effektiven Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs steht eine Beschränkung tatgegenständlicher Bildaufnahmen auf ausgewählte Aufnahmeorte jedenfalls entgegen, ist doch auch in Situationen außerhalb dieser räumlichen Sphären ein strafrechtlicher Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs im Zusammenhang mit Bildaufnahmen mitunter durchaus angezeigt. Nicht wenige kritisier(t)en daher den begrenzten Anwendungsbereich des § 201a a.F. nicht zu Unrecht.138 Insbesondere erfasste die Vorschrift kategorisch weder Aufnahmen von örtlich abgeschiedenen Plätzen, wie z.B. bei einer in der Bucht liegenden Jacht oder beim Nacktbaden an einem einsamen Flussufer,139 noch andere Situationen im öffentlichen Raum, in denen ein strafrechtlicher Schutz der Betroffenen angebracht erscheint, z.B. bei dem auf offener Straße schwer verletzten Unfallopfer oder bei dem sich aus Erschöpfung übergebenden Marathonläufer.140 Diesen Bedenken hat der Gesetzgeber durch die Neugestaltung der Vorschrift durch das 49. StRÄndG von 2015 teilweise Rechnung getragen. Für nicht von § 201a erfasste Bildaufnahmen verbleibt der abgebildeten Person – abgesehen vom strafrechtlichen Schutz durch § 33 KunstUrhG – nur der zivilrechtliche Weg sowie der Rückgriff auf hoheitliche Hilfe.141
bb) Wohnung. Das Merkmal der „Wohnung“ findet sich im Strafgesetzbuch auch in anderen 33 Normen, unter anderem in § 123 Abs. 1 und in § 244 Abs. 1 Nr. 3. Gemeinsam dürfte allen Begriffen sein, dass sie eine durch Wände und Decke abgegrenzte Räumlichkeit voraussetzen, die
133 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Fischer Rdn. 10; Graf MK Rdn. 36; Doerbeck 178. 134 Fischer Rdn. 17. Krit. gegenüber der Beschränkung von Abs. 1 Nr. 5 (Abs. 3 a.F.) auf Bildaufnahmen in den genannten räumlichen Schutzbereichen Rahmlow HRRS 2005 84, 93. 135 BTDrucks. 15/2466 S. 4; vgl. auch BTDrucks. 15/1891 S. 6; zust. Borgmann NJW 2004 2133, 2134; Eisele JR 2005 6, 8; s.a. Hengst 106 ff. 136 BTDrucks. 15/2466 S. 4; zust. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Eisele JR 2005 6, 8; Flechsig ZUM 2004 605, 606; s.a. Koch GA 2005 589, 598. 137 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Bosch Jura 2016 1380, 1383 speziell zu Abs. 1 Nr. 5; Kühl AfP 2004 190, 194; Mengler ZRP 2019 224, 225 f, der für eine ersatzlose Streichung der räumlichen Beschränkung in Abs. 1 Nr. 1 plädiert (226); Mitsch Jura 2006 117, 118; ders. FS Schwind 603, 607 f; Murmann FS Maiwald 585, 597 ff. 138 SSW/Bosch Rdn. 1; Graf MK Rdn. 11; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Linkens 86 ff; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 342; Kühl AfP 2004 190, 194; ders. Symp. Schünemann 211, 217 f; Mitsch Jura 2006 117, 118; ders. FS Schwind 603, 607 f; Schertz AfP 2005 421, 427 f. 139 SSW/Bosch Rdn. 6; Bosch Jura 2016 1380, 1383; s.a. Graf MK Rdn. 11. 140 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Kühl AfP 2004 190, 194. 141 S. VGH Mannheim NVwZ-RR 2008 700 zur Beschlagnahme einer Bildaufnahme von einer Bibliotheksnutzerin, die der spätere Kläger ohne Einwilligung fotografierte, weil sie ihm den von ihm benutzten Arbeitsplatz streitig gemacht hätte. Der hinzugerufene Polizeivollzugsdienst beschlagnahmte aufgrund landespolizeigesetzlicher Ermächtigungsgrundlage den Film und nahm ihn in Verwahrung. Die Klage hiergegen blieb ohne Erfolg, da auch das bloße Herstellen einer Aufnahme einer Person, die sich nicht im persönlichen Rückzugsbereich, sondern in der Öffentlichkeit aufhalte, gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstoßen könne und der Kläger kein anerkennenswertes Interesse an der Bildaufnahme darlegte (701). 783
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§ 201a
Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
dem ständigen (privaten) Aufenthalt von Menschen dient.142 Welche Räume im Einzelnen erfasst sind, wird sodann aber jeweils unterschiedlich beurteilt. Wegen der abweichenden Schutzrichtung der einzelnen Straftatbestände kann ebenso für § 201a jedenfalls nicht uneingeschränkt auf das Verständnis des Wohnungsbegriffs in anderen Normen zurückgegriffen werden. Dies gilt entgegen verbreiteter Ansicht auch für § 123 Abs. 1143 sowie für § 244 Abs. 1 Nr. 3,144 wenngleich zu der letztgenannten Vorschrift noch weitgehende Parallelen bestehen, da auch hier die (tatbestandlich allein geschützte) Wohnung als Garant für Privatsphäre angesehen wird.145 Der Wohnungsbegriff des § 201a bleibt somit eigenständig sowie im Hinblick auf die Gesetzesbegründung, wonach der Einzelne in seinem „letzten Rückzugsbereich“146 vor unbefugten Bildaufnahmen geschützt werden soll, eng auszulegen. Erfasst sind daher lediglich Räumlichkeiten, die den Mittelpunkt des privaten, ungestörten Lebens bilden.147 Beispiele für eine „Wohnung“ im Sinne des § 201a sind – zum Teil über § 244 Abs. 1 Nr. 3 34 hinausgehend148 – Gäste- und Hotelzimmer,149 Wohnwagen150 sowie der Haftraum eines Strafoder Untersuchungsgefangenen.151 Auch Krankenhauszimmer sollen erfasst sein,152 dürften aber nicht nur im Einzelfall zumindest einen gegen Einblick besonders geschützten Raum darstellen.153 Anders als bei § 123 Abs. 1154 erstreckt sich der Schutz hingegen weder auf Nebenräume, sofern diese – wie etwa Treppenhäuser, Kellerabteile und Gemeinschaftsräume in Mehrfamilienhäusern oder auch Sammelgaragen – nicht mit dem Wohnbereich verbunden sind,155 noch auf außenliegende Teile der Wohnung wie Terrassen und Balkone,156 Abstellplätze, Eingangsbereiche und Gärten.157 Keine Wohnung im Sinne der Vorschrift sind ferner schon mangels privaten Aufenthalts (und weil sie zudem in der Regel einer beschränkten Öffentlichkeit zugänglich sind)158 Dienst- und Geschäftsräume159 sowie Schulen und Einrichtungen der Kinderbetreuung.160 Hierbei kann es sich aber gegebenenfalls um gegen Einblick besonders geschützte Räume handeln (hierzu sogleich Rdn. 36 ff).161 142 Hoyer SK Rdn. 17; hierzu auch Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 7. 143 So indessen OLG Köln (Z) NJW-RR 2020 30, 37; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Eisele JR 2005 6, 8; Heinrich ZIS 2011 416, 418; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 330; Koch GA 2005 589, 599; Koranyi JA 2014 241, 244 f. Für eine weitgehende bzw. grundsätzliche Orientierung an § 123 auch SSW/Bosch Rdn. 7; Hengst 97 ff; Bosch Jura 2016 1380, 1383; Rahmlow HRRS 2005 84, 86. 144 So aber Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 617 f; Kühl AfP 2004 190, 194. 145 Vgl. auch Hoyer SK Rdn. 17; Gertzen 71 ff. 146 BTDrucks. 15/2466 S. 5. 147 Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 4; Kühl AfP 2004 190, 194; vgl. auch Kargl NK Rdn. 5. 148 Vgl. hierzu etwa Schmitz MK § 244 Rdn. 60; Wittig BeckOK § 244 Rdn. 22.1. 149 BTDrucks. 15/2466 S. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Fischer Rdn. 7; Graf MK Rdn. 34; Kargl NK Rdn. 5; zweifelnd bzgl. Hotelzimmer Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2. 150 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Hoyer SK Rdn. 17; Popp AnwK Rdn. 7. 151 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Graf MK Rdn. 34; Heuchemer BeckOK Rdn. 11; Hoyer SK Rdn. 17; Hoppe GRUR 2004 990, 992; Koranyi JA 2014 241, 245; Mitsch FS Schwind 603, 617. 152 So SSW/Bosch Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. 153 So LG Arnsberg BeckRS 2010 10785 zum Aufwachraum eines Krankenhauses; vgl. auch Graf MK Rdn. 40. 154 Vgl. Fischer § 123 Rdn. 6; Krüger LK § 123 Rdn. 11; Schäfer MK § 123 Rdn. 12; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben/ Schittenhelm § 123 Rdn. 4. 155 SSW/Bosch Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Fischer Rdn. 7; Safferling MLR 2008 36, 39; aA wohl Koch GA 2005 589, 599. 156 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Fischer Rdn. 7; Graf MK Rdn. 34; Safferling MLR 2008 36, 39; s.a. SSW/Bosch Rdn. 7; aA Kargl NK Rdn. 5; Koranyi JA 2014 241, 245. 157 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. 158 BTDrucks. 15/2466 S. 5; Kargl NK Rdn. 5; Safferling MLR 2008 36, 39. 159 OLG Karlsruhe (Z) NJW-RR 2006 987, 988: Anwaltskanzlei; Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 7; Graf MK Rdn. 34. 160 LG Berlin BeckRS 2020 18517 Rdn. 3. 161 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 7; Hoppe GRUR 2004 990, 992. Valerius
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II. Objektiver Tatbestand
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Unerheblich ist, ob Bau, Zuschnitt und Umgebung der Wohnung Bildaufnahmen aus deren 35 Inneren ohne Weiteres gestatten. Da es in Absatz 1 Nr. 1 nicht „in einer Wohnung oder einem sonstigen gegen Einblick besonders geschützten Raum“ heißt, wird der Betroffene etwa auch dann geschützt, wenn er in einem weit einsehbaren Wintergarten oder hinter nicht verhangenen Fenstern aufgenommen wird.162 Maßgeblich für den räumlichen Schutzbereich der Wohnung ist folglich allein deren bauliche Abgegrenztheit und nicht, ob hiermit im konkreten Fall auch – wie zwar in der Regel, aber nicht zwingend – ein Sichtschutz einhergeht.163 Mit anderen Worten ist die Wohnung absolut geschützt.164 Ohne Belang ist ferner, wem die Wohnung gehört oder wem das Hausrecht zusteht.165 Geschützt sind folglich auch Personen, die sich in fremden Wohnungen aufhalten,166 selbst wenn sie dort rechtswidrig eingedrungen sind.167 Ebenso wenig ist nach dem Wortlaut der Vorschrift von Bedeutung, ob sich der Täter bei der Herstellung oder Übertragung der Bildaufnahme inmitten oder außerhalb der geschützten Räumlichkeiten aufhält.168 Dies gilt sogar dann, wenn jemand durch den Eigentümer oder Inhaber der Wohnung selbst aufgenommen wird.169
cc) Gegen Einblick besonders geschützter Raum. Auch außerhalb der Wohnung können 36 besondere Vorkehrungen einen „persönlichen Rückzugsbereich“170 (vgl. schon Rdn. 33) gewähren. Dementsprechend erstreckt Absatz 1 Nr. 1 die Schutzsphäre auf Räume, die gegen Einblick besonders geschützt sind. Das Merkmal „Raum“ setzt zunächst einen abgegrenzten Bereich voraus, der von Menschen betreten werden kann.171 Das notwendige Attribut, gegen Einblick besonders geschützt zu sein, war dem Strafgesetzbuch zuvor jedoch fremd und erweist sich nicht gerade als bestimmt.172 Entscheidend ist jedenfalls nicht der Schutz gegen das körperliche Eindringen; anders als bei § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 muss der Raum etwa auch nicht umschlossen sein.173 Maßgeblich ist vielmehr die Existenz eines Sichtschutzes174 und somit die Abschirmung 162 SSW/Bosch Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Fischer Rdn. 7; Graf MK Rdn. 35; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Koch GA 2005 589, 599; Rahmlow HRRS 2005 84, 87; aA Kraenz 204. 163 Kargl NK Rdn. 5. 164 SSW/Bosch Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9; Fischer Rdn. 7; Hoyer SK Rdn. 16; Popp AnwK Rdn. 7; Eisele JR 2005 6, 8. 165 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Heuchemer BeckOK Rdn. 11; Kargl NK Rdn. 5. 166 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Fischer Rdn. 10; Heuchemer BeckOK Rdn. 11; Hoyer SK Rdn. 16; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2. 167 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Fischer Rdn. 10; Hoyer SK Rdn. 16; Rahmlow HRRS 2005 84, 86 f. 168 BGH NStZ-RR 2016 279, 280; SSW/Bosch Rdn. 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12; Fischer Rdn. 10; Graf MK Rdn. 35; Kargl NK Rdn. 15; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Popp AnwK Rdn. 11; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 332; Kühl AfP 2004 190, 194; ders. Symp. Schünemann 211, 217. 169 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12; Fischer Rdn. 7; Graf MK Rdn. 36; Hoyer SK Rdn. 16; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 332. S. etwa BGH NStZ-RR 2016 279 für das Filmen sexueller Handlungen durch den Wohnungsinhaber oder AG Kamen SchAZtg 2008 229, 230 für die Installation einer Kamera durch den Ehemann im Wohnzimmer der gemeinsam mit der (auf diese Weise überwachten) Ehefrau genutzten Wohnung; aA SSW/ Bosch Rdn. 7, weil dadurch die Indizfunktion der Wohnung für einen absolut zu schützenden Rückzugsbereich ad absurdum geführt werde; krit. auch Murmann FS Maiwald 585, 601 ff, der eine Beschränkung auf Fälle vorschlägt, in denen der Täter ohne den Willen des Opfers in den geschützten Bereich eindringt; zust. Popp AnwK Rdn. 6. 170 BTDrucks. 15/2466 S. 4. 171 Hoyer SK Rdn. 18. 172 Krit. Borgmann NJW 2004 2133, 2134 f; Bosch JZ 2005 377, 379; Flechsig ZUM 2004 605, 610; Obert/Gottschalck ZUM 2005 436, 437 f; Tillmanns/Führ ZUM 2005 441, 445; hiergegen Koch GA 2005 589, 599. 173 BTDrucks. 15/2466 S. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Graf MK Rdn. 40; Heuchemer BeckOK Rdn. 12; Kargl NK Rdn. 6. 174 BTDrucks. 15/2466 S. 5; Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 8; Graf MK Rdn. 40; Kargl NK Rdn. 6; Eisele JR 2005 6, 8; Flechsig ZUM 2004 605, 610; Obert/Gottschalck ZUM 2005 436, 437. 785
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§ 201a
Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
gegen ein „optisches Eindringen“.175 Absatz 1 Nr. 1 erfasst folglich jedes Raumgebilde, das in erster Linie dem Schutz vor unbefugten Einblicken dient.176 37 Der Raum muss gegen Einblick besonders geschützt sein, sei es bereits durch die bauliche Begrenzung oder auch erst durch zusätzliche Maßnahmen.177 Dies setzt zwar Vorkehrungen voraus, die als solche durchblicksicher und undurchdringlich sind.178 Allerdings sind keine lückenlosen oder unüberwindbaren Schutzmaßnahmen erforderlich, die vielmehr eine visuelle Wahrnehmbarkeit von Vorgängen inmitten der Räumlichkeit nur erheblich erschweren müssen.179 Absatz 1 Nr. 1 ist daher auch dann verwirklicht, wenn sich jemand einen Einblick in den von einer dichten Hecke umgebenen Garten (ergänzend sogleich Rdn. 38) verschaffen kann, indem er auf einen Baum oder auf einen Stromleitungsmast klettert.180 Beispiele für gegen Einblick besonders geschützte Räume sind insbesondere Toiletten, Um38 kleidekabinen und ärztliche Behandlungszimmer,181 Solarien und Duschkabinen,182 Beichtstühle183 und eine geschlossene psychiatrische Station einschließlich der Wege und Gemeinflächen;184 zu Krankenhauszimmern siehe bereits Rdn. 34. Anderes wird in der Regel beispielsweise für Wartezimmer in einer Arztpraxis185 und Klassenzimmer in Schulen186 gelten. Diese Räume werden gewöhnlich durch unverhangene und nicht durchblicksichere Fenster einen Einblick auch von außen gestatten und somit eines entsprechenden Sichtschutzes entbehren, den ein „gegen Einblick besonders geschützter Raum“ aber – anders als die absolut geschützte Wohnung (hierzu Rdn. 35) – gerade erfordert. Unerheblich ist hingegen, ob der Raum beweglich ist, so dass auch Autos mit abgedunkelten oder verspiegelten Scheiben erfasst sind.187 Auch Örtlichkeiten im Freien können Absatz 1 Nr. 1 unterfallen, wenn sie die vorstehenden (Rdn. 36 f) Anforderungen erfüllen, d.h. ausreichend – wenngleich nicht in sämtliche Richtungen wie insbesondere nach oben188 – abgegrenzt sind und den maßgeblichen Sichtschutz gegenüber unberechtigten Personen gewähren.189 Dies lässt sich etwa bei einem mit einer hohen dichten Hecke, Umzäunung oder Mauer umgebenen Garten annehmen,190 nicht hingegen bei einer Aussichtsplattform.191
175 176 177 178 179 180 181
Hoyer SK Rdn. 19; Koch GA 2005 589, 598. BTDrucks. 15/2466 S. 5; Koch GA 2005 589, 599. Rahmlow HRRS 2005 84, 88. Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 5; Linkens 79. Vgl. Hoyer SK Rdn. 19; Koch GA 2005 589, 600; Rahmlow HRRS 2005 84, 88. Graf MK Rdn. 43; Hoyer SK Rdn. 19. BTDrucks. 15/2466 S. 5; KG (Z) NJW-RR 2018 232, 236 mit fraglicher Einschränkung bzgl. eines Behandlungsraums, in dem gerade (MRT-)Bildaufnahmen angefertigt werden sollen; OLG Düsseldorf (Z) ZUM-RD 2012 137, 141 sowie LG Frankenthal BeckRS 2013 19451 zum ärztlichen Behandlungszimmer; Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 8; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Graf MK Rdn. 40; Heuchemer BeckOK Rdn. 12; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Tag HK-GS Rdn. 5; krit. SSW/Bosch Rdn. 8: „Der Gesetzgeber wurde von naiv am Einzelfall orientierten Vorstellungen geleitet“; s.a. Fischer Rdn. 8. 182 LG Arnsberg BeckRS 2010 10785; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Graf MK Rdn. 40. 183 Graf MK Rdn. 40; Hoppe GRUR 2004 990, 992. 184 OLG Köln (Z) NJW-RR 2020 30, 37. 185 Koch GA 2005 589, 600; ausführl. zu Praxisräumen als geschützten Bereichen Eidam medstra 2019 143, 145 ff. 186 Doerbeck 169. 187 Graf MK Rdn. 40; Hoppe GRUR 2004 990, 992. 188 Hoyer SK Rdn. 18; Esser JA 2010 323, 325; Rahmlow HRRS 2005 84, 87. 189 Fischer Rdn. 8; Popp AnwK Rdn. 8; Esser JA 2010 323, 325 mit der Betonung, gerade der Beobachtung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch den Sichtschutz vorbeugen zu müssen; Hoppe GRUR 2004 990, 992; krit. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Tillmanns/Führ ZUM 2005 441, 445. 190 BTDrucks. 15/2466 S. 5; AG Riesa MMR 2019 548, 549 zum Überfliegen eines sichtgeschützten Gartens mit einer mit einer Kamera ausgestatteten Drohne (allg. zur Strafbarkeit des Einsatzes privater Flugdrohnen Esser JA 2010 323 ff; Werner JuS 2013 1074 ff); Heuchemer BeckOK Rdn. 12 f; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 5; Grosskopf CR 2014 759, 763; hierzu auch Koch GA 2005 589, 600. 191 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Wohlers JR 2016 509, 513. Valerius
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II. Objektiver Tatbestand
§ 201a
Nicht zum Schutz gegen Einblick gereicht allein die räumliche Distanz zum Objekt (z.B. zu 39 einer in der Bucht liegenden Jacht), zumal sie mittels moderner Aufnahmegeräte überbrückt werden kann.192 Ebenso wenig genügen ein bloßer Hinweis, dass das Fotografieren verboten sei, oder Kopfbedeckungen, Perücken, Masken oder Sonnenbrillen, die allenfalls die Identifizierung der abgebildeten Person erschweren.193 Auch die von einer Person getragene Kleidung stellt keine Räumlichkeit dar, so dass insbesondere das sog. Upskirting, d.h. das Fotografieren unter den Rock, den Tatbestand nicht verwirklicht,194 allerdings inzwischen unter den Voraussetzungen der durch das 59. StRÄndG eingeführten Strafvorschrift des § 184k strafbar ist (hierzu schon die Entstehungsgeschichte).195 Ob ein Raum gegen Einblick besonders geschützt ist, bestimmt sich nach dem Zeitpunkt 40 der Tat. Folglich ist einerseits die allgemeine Zweckbestimmung des Raumes, einen Sichtschutz zu gewähren, unbeachtlich. Absatz 1 Nr. 1 ist daher nicht verwirklicht, wenn jemand durch eine offenstehende Tür oder ein nicht verhangenes Fenster fotografiert oder filmt,196 sofern dadurch der vorhandene Sichtschutz entscheidend verringert oder sogar aufgehoben wird, so dass nicht mehr von einem besonderen Schutz gegen Einblick gesprochen werden kann. Diese insoweit faktische Betrachtung mag im Einzelfall zu Abgrenzungsschwierigkeiten, wann ein Raum noch zur tatbestandlich erfassten Sphäre zählt, und gegebenenfalls zu befremdlichen Ergebnissen führen. Dies ist allerdings dem insoweit fraglichen197 und nicht gerade bestimmten Merkmal des gegen Einblick besonders geschützten Raums geschuldet und kann nicht schlicht dadurch umgangen werden, dass gegen den Wortlaut und gegen den Willen des Gesetzgebers auf das Vorhandensein eines Sichtschutzes verzichtet und stattdessen maßgeblich auf die Funktion der Räumlichkeit als Rückzugsort abgestellt wird.198 Andererseits hat der entscheidende Zeitpunkt der Tat zur Folge, dass der erforderliche Sichtschutz nicht dauerhaft bestehen muss, sondern es ausreicht, wenn eine Räumlichkeit nur vorübergehend vor unbefugten Einblicken schützen soll,199 z.B. Sichtschutzwände um das im Flur eines überfüllten Krankenhauses stehende Bett eines Patienten gestellt200 oder Handtücher am Badestrand zwischen Stöcken gespannt und als Umkleidekabine genutzt werden.201 Diesen Zweck kann – ähnlich wie bei der Wohnung weder Eigentumsverhältnisse noch Aufenthaltsberechtigung von Bedeutung sind (Rdn. 35) – auch ein Einzelner einem Raum, und zwar sogar entgegen dessen allgemeiner Bestimmung, verleihen,
192 Graf MK Rdn. 44; Hoyer SK Rdn. 19; Hoppe GRUR 2004 990, 992; Koch GA 2005 589, 600; Rahmlow HRRS 2005 84, 87.
193 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11; Graf MK Rdn. 44; Hoyer SK Rdn. 19. 194 Hoyer SK Rdn. 18; Berghäuser ZIS 2019 463, 469; Bonnin/Berndt HRRS 2019 450, 452; Kötz IPRB 2020 143, 145; Mengler ZRP 2019 224, 224; Murmann FS Maiwald 585, 594; Rahmlow HRRS 2005 84, 88; aA Flechsig ZUM 2004 605, 610. 195 Ausführl. zur Strafbarkeit nach früherer Rechtslage Berghäuser ZIS 2019 463, 465 ff; zur in der Regel fehlenden Strafbarkeit gemäß § 185 im Besonderen s.a. OLG Nürnberg NStZ 2011 217, 218. Zur Diskussion um die Strafbarkeit des sog. Upskirting de lege ferenda Berghäuser ZIS 2019 463, 471 ff; Kötz IPRB 2020 143, 145 ff; Mengler ZRP 2019 224 ff. 196 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11; aA LG Berlin BeckRS 2020 18517 Rdn. 4 mit insoweit i.Erg. zust. Anm. Bosch NStZ 2021 371 für den Schlafraum einer Kindertagesstätte, in dem nur mit Unterwäsche bekleidete Kinder vom Gehweg aus mit einem Mobiltelefon durch ein geöffnetes Fenster fotografiert wurden. 197 Krit. etwa SSW/Bosch Rdn. 8, da der Sichtschutz nur wenig über den Grad der Schutzwürdigkeit des Dargestellten besage. 198 So indessen LG Berlin BeckRS 2020 18517 Rdn. 4, wonach „auch Kindertagesstätten ohne besonderen Sichtschutz zu solchen Rückzugsorten“ zählen. Für eine normative Sichtweise unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des Sichtschutzes auch Bosch NStZ 2021 371, 371 f, wonach der Sichtschutz vor allem die Schutzbedürftigkeit und den Geheimhaltungswillen des Opfers dokumentieren muss. 199 Ebenso Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11. 200 Fischer Rdn. 8a; Kargl NK Rdn. 6. 201 SSW/Bosch Rdn. 9; zust. Kargl NK Rdn. 6. 787
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§ 201a
Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
indem er einen entsprechenden Sichtschutz anbringt.202 So ist geschützt, wer beim Liebesspiel mit einem Arbeitskollegen oder einer Arbeitskollegin in einem Büro fotografiert wird, das an sich der Beratung von Kunden dient und somit frei einsehbar ist, dessen Jalousie er aber gerade heruntergelassen hat, um nicht gesehen und beobachtet zu werden.203 41 Dass sich der Täter (befugt) Zugang zu den betreffenden Räumlichkeiten verschafft hat, steht der Tatbestandsverwirklichung nicht entgegen.204 Auch für den gegen Einblick besonders geschützten Raum ist unerheblich, ob sich der Täter außerhalb oder inmitten dieser Räumlichkeit befindet (zur Wohnung bereits Rdn. 35). Wer etwa in einem von einer dichten Hecke umgebenen Garten Bildaufnahmen anfertigt, scheidet nicht deswegen als Täter aus, weil er von dem Gartenbesitzer hierher eingeladen wurde.205 Gleiches gilt für eine Journalistin (zur Sozialadäquanzklausel des Absatzes 4 siehe Rdn. 96 ff, zur Pressefreiheit als Rechtfertigungsgrund Rdn. 111 ff), die sich als Praktikantin getarnt in einer psychiatrischen Station aufhält und Bildaufnahmen von einem Patienten anfertigt.206 Ebenso wenig ist von Bedeutung, gegen Zahlung eines Eintrittsgeldes den gegen Einblick besonders geschützten Raum betreten zu dürfen. So schützt Absatz 1 Nr. 1 entgegen der herrschenden Auffassung auch Personen in öffentlichen Saunen, Schwimmbädern sowie Gemeinschaftsduschen und -umkleidekabinen in Sporthallen vor unbefugten Bildaufnahmen.207 Auch insoweit ist allein maßgeblich, dass der Raum gegen Einblick (und nicht gegen Zugang) besonders geschützt sein soll (siehe schon Rdn. 36). Entscheidend ist somit der vorhandene Sichtschutz und nicht, ob dieser unter bestimmten Voraussetzungen, die dem Zweck des Sichtschutzes nicht entgegenstehen, umgangen werden kann.
42 d) Zur Schau gestellte Hilflosigkeit (Absatz 1 Nr. 2). Seit dem 49. StRÄndG aus dem Jahr 2015 nennt Absatz 1 Nr. 2 als taugliche Tatgegenstände Bildaufnahmen, welche die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellen. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah – neben der Einfügung des Absatzes 3 – zunächst lediglich vor, den Anwendungsbereich des § 201a in einem neuen Absatz 1 Satz 2 unter anderem auf Bildaufnahmen zu erstrecken, die geeignet sind, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden.208 Jedoch wären dann weder Bildaufnahmen von betrunkenen Personen auf ihrem Heimweg noch insbesondere von Opfern einer Gewalttat erfasst gewesen, auf welche die Erweiterung des § 201a gerade abzielte,209 sofern die abgebildete Person unverschuldet in die gezeigte Lage geraten wäre (ergänzend Rdn. 61).210 Die Herstellung und Übertragung solcher Aufnahmen wurde daher in dem neuen Absatz 1 Nr. 2 unter Strafe gestellt. 43 Das Merkmal der Hilflosigkeit ist auch in anderen Vorschriften des Strafgesetzbuches vorzufinden, nicht zuletzt in § 232 Abs. 1 Satz 1 und in § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6; § 221 Abs. 1 setzt die „hilflose(n) Lage“ eines Menschen voraus. Auf die hier verwendeten Begriffsbestimmungen kann aus verschiedenen Gründen indessen alles andere als uneingeschränkt zurückgegriffen werden. So bezieht sich die Hilflosigkeit in § 232 Abs. 1 Satz 1 auf den Aufenthalt in einem fremden Land und muss gerade die hierauf beruhende Situation des Opfers zur ausbeuterischen 202 Graf MK Rdn. 41; Rahmlow HRRS 2005 84, 87; s.a. Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 8; SSW/Bosch Rdn. 9; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 11; Eidam medstra 2019 143, 146; aA Fischer Rdn. 9. 203 Vgl. auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11. 204 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Tag HK-GS Rdn. 6; s.a. Eidam medstra 2019 143, 146. 205 Hoyer SK Rdn. 20. 206 OLG Köln (Z) NJW-RR 2020 30, 37. 207 SSW/Bosch Rdn. 8 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Popp AnwK Rdn. 8; Bosch Jura 2016 1380, 1383 f; ders. NStZ 2021 371, 371; aA OLG Koblenz NStZ 2009 268, 269 für den Saunabereich eines Erlebnisbades; Matt/Renzikowski/ Altenhain Rdn. 8; Fischer Rdn. 8; Graf MK Rdn. 41; Heuchemer BeckOK Rdn. 12.1; Kargl NK Rdn. 6; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 5; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Tag HK-GS Rdn. 5; hierzu schon Heuchemer/Paul JA 2006 616, 618. 208 Hierzu BTDrucks. 18/2601 S. 36 f. 209 BTDrucks. 18/2601 S. 36. 210 BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 28. Valerius
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II. Objektiver Tatbestand
§ 201a
Tathandlung ausgenutzt werden.211 Ähnlich verlangt § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, dass die Hilflosigkeit einer anderen Person für die Begehung eines Diebstahls ausgenutzt wird, das Opfer sich folglich gerade gegen die Wegnahme nicht aus eigener Kraft zu wehren weiß.212 Eine Anlehnung an den Hilflosigkeitsbegriff dieser Vorschriften erscheint bei Absatz 1 Nr. 2 schon deswegen nicht angebracht,213 weil hier gerade kein Ausnutzen der Hilflosigkeit verlangt wird. Am ehesten bietet sich noch eine Orientierung an § 221 Abs. 1 an. Auch hier erfolgt jedoch zum einen eine rechtsgutsbezogene Auslegung, als das weitere Merkmal der auf der hilflosen Lage beruhenden Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung schon bei der Definition der hilflosen Lage berücksichtigt wird.214 Zum anderen setzt § 221 Abs. 1 eine hilflose Lage voraus und genügt die Hilflosigkeit einer Person somit gerade nicht, wenn etwa hilfsbereite Dritte zugegen sind.215 Erforderlich ist somit eine eigenständige Auslegung der Hilflosigkeit im Sinne des Absat- 44 zes 1 Nr. 2.216 Es bietet sich folglich nicht an, in Anlehnung an § 221 (und somit unter jedenfalls faktischer Orientierung an dessen Schutzgüter) eine Gefahr für Leib oder Leben vorauszusetzen.217 Dass auch bei der Interpretation der Hilflosigkeit im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 das von der Norm geschützte Rechtsgut zu berücksichtigen bleibt, darf ebenso wenig zu der Schlussfolgerung verleiten, dass sich die Hilflosigkeit einer Person daraus zu ergeben hat, sich gerade gegenüber der Herstellung von Bildaufnahmen218 bzw. gegenüber der Persönlichkeitsrechten drohenden Gefahr219 nicht zur Wehr setzen zu können.220 Dieser an § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 erinnernden Auslegung steht entgegen, dass bei Absatz 1 Nr. 2 gerade kein Ausnutzen der Hilflosigkeit erforderlich ist (siehe schon soeben Rdn. 43). Der Strafgrund der Norm liegt nicht darin, dass die Hilflosigkeit des Opfers einen Angriff auf ein Rechtsgut erleichtert, sondern dass die (Abbildung und Verbreitung der) Hilflosigkeit als solche den Anknüpfungspunkt für die Verletzung des Rechtsguts des höchstpersönlichen Lebensbereichs bildet. Auch eine inhaltliche Einschränkung des Begriffs der Hilflosigkeit etwa dergestalt, dass die Aufnahme ein bloßstellendes Element, d.h. eine peinliche oder entwürdigende Situation für die abgebildete Person enthalten muss,221 vermag nicht zu überzeugen.222 Die mit all diesen Vorschlägen angestrebte Begrenzung des Anwendungsbereichs wird vielmehr bereits durch die notwendige Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs gewährleistet. Daher ist mit einem im Schrifttum verbreiteten Vorschlag eine Person bereits dann als hilflos zu erachten, wenn sie sich entweder gegen ihr drohende Gefahren nicht aussichtsreich zur Wehr setzen oder die Anforderungen ihrer konkreten Lebenssituation nicht erfüllen kann.223 Diese Auslegung dürfte auch den Vorstellungen des Gesetzgebers entsprechen, dem ein eher weiter Begriff der Hilflosigkeit vorschwebte.224 211 Sch/Schröder/Eisele § 232 Rdn. 17; Fischer § 232 Rdn. 6; Renzikowski MK § 232 Rdn. 38; Valerius BeckOK § 232 Rdn. 10. Schmitz MK § 243 Rdn. 51; Vogel LK12 § 243 Rdn. 47. BGH NJW 2017 1891, 1892; Eisele/Sieber StV 2015 312, 313 jeweils zu § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6. Eschelbach BeckOK § 221 Rdn. 1; Neumann/Saliger NK § 221 Rdn. 6. BGH NStZ 2008 395, 395; Sch/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben § 221 Rdn. 4; Neumann/Saliger NK § 221 Rdn. 8. Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 9; Busch NJW 2015 977, 978. So indessen Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20. So Hoyer SK Rdn. 31; ebenso wohl Preuß ZIS 2018 212, 216; enger Buchholz JA 2018 511, 512, der zusätzlich verlangt, dass die fehlende Verteidigungsmöglichkeit auf Gewalt oder einer Drohung gegen Leib oder Leben beruht. 219 So SSW/Bosch Rdn. 11; Bosch Jura 2016 1380, 1384; ähnlich van Bergen 190 f unter Anknüpfung an den geschützten höchstpersönlichen Lebensbereich. 220 Krit. auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20 mit dem zutreffenden Hinweis, dass eine derart verstandene Hilflosigkeit kaum auf der Bildaufnahme zur Schau gestellt werden könne. 221 So Mavany AfP 2017 478, 479 f im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Norm. 222 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20. 223 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 9; Fischer Rdn. 10a; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5a; Popp AnwK Rdn. 9; Tag HKGS Rdn. 5. 224 Hierauf hinweisend BGH NJW 2017 1891, 1892.
212 213 214 215 216 217 218
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§ 201a
Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
Unstreitig dürfte eine Person als hilflos erachtet werden, die Opfer einer mit Gewalt oder Drohung ausgeübten Straftat ist oder sich in einer Entführungs- oder Bemächtigungssituation befindet.225 Die Hilflosigkeit kann aber auch auf einen Unfall im Straßenverkehr226 oder auf missglückte sportliche Betätigungen oder Freizeitaktivitäten zurückzuführen sein.227 Als weiteres Beispiel kommt die Volltrunkenheit einer Person in Betracht.228 Wer sich hingegen gegen Gefahren zur Wehr zu setzen weiß, ist keine hilflose Person, mag er gegebenenfalls auch leicht angetrunken sein.229 Ebenso lässt sich Mittellosigkeit nicht mit Hilflosigkeit gleichsetzen, so dass Bildaufnahmen von Obdachlosen und Bettlern nicht schon aus diesem Grund von Absatz 1 Nr. 2 erfasst sind.230 In diesen Fällen kommt jedoch unter Umständen eine Bildaufnahme im Sinne des Absatzes 2 in Betracht, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden.231 46 Uneinheitlich behandelt wird, ob bei der Hilflosigkeit der abgebildeten Person die Anwesenheit hilfsbereiter Dritter zu berücksichtigen bleibt. So ist nach verbreiteter Auffassung unter Hilflosigkeit jeder Zustand zu verstehen, in dem eine Person sich nicht selbst zu helfen weiß und daher auf fremde Hilfe angewiesen ist, ohne diese zu erhalten,232 das Opfer somit sowohl weder auf eigene noch auf fremde Hilfe zurückgreifen kann.233 Dies bedeutete indessen, – bewusst oder unbewusst – wie bei § 221 Abs. 1 letztlich eine hilflose Lage zu verlangen und somit der abweichenden Formulierung des Absatzes 1 Nr. 2, der die Hilflosigkeit einer anderen Person voraussetzt, keine Bedeutung zuzumessen. Daher ist eine Person bereits dann als hilflos zu erachten, wenn sie sich selbst vor der Realisierung von ihr drohender Gefahren nicht zu schützen vermag.234 Dass ein hilfsbereiter Dritter diese Gefahren abwenden kann, schließt die Hilflosigkeit einer Person gerade nicht aus.235 Tatbestandsgemäß sind deshalb auch Bildaufnahmen eines Volltrunkenen, den Freunde nach Hause tragen, oder eines schwer verletzten Unfallopfers, das gerade von einem Notarzt behandelt wird (ergänzend sogleich Rdn. 51 zu Absatz 1 Nr. 3).236 Auch in diesen Situationen erscheint es im Hinblick auf den geschützten höchstpersönlichen Lebensbereich angebracht, das Opfer vor einer bildlichen Konservierung des Augenblicks und dessen Verbreitung zu schützen. 47 Die Hilflosigkeit muss – auch bei den mittelbaren Eingriffen des Absatzes 1 Nr. 4 und Nr. 5 – im Zeitpunkt der Bildaufnahme tatsächlich vorliegen,237 darf folglich nicht lediglich vorgespiegelt sein.238 Die Dauer der Hilflosigkeit ist unbeachtlich. Hierzu gereichen sowohl kurzfristige derartige Zustände (wie beispielsweise bei Unfallopfern oder betrunkenen Personen) als auch solche von Dauer (wie etwa aufgrund von Behinderungen).239 Ebenso ohne Belang ist, ob die Hilflosigkeit selbst verschuldet ist.240 45
225 BGH NJW 2017 1891, 1892 f zur erzwungenen rektalen Einführung einer leeren 0,3 l-Flasche; Graf MK Rdn. 49; ähnlich Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; krit. Mavany AfP 2017 478, 480. Graf MK Rdn. 48; Eisele/Sieber StV 2015 312, 314. Graf MK Rdn. 48. Vgl. schon BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 28: „betrunkene Personen auf dem Heimweg“. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20, der bei Alkoholisierung eine zumindest eingeschränkte Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 verlangt; ebenso schon Eisele/Sieber StV 2015 312, 314. 230 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; Eisele/Sieber StV 2015 312, 314. 231 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20. 232 BGH NJW 2017 1891, 1892 unter Verweis auf den allgemeinen Sprachgebrauch. 233 Tag HK-GS Rdn. 5; Buchholz JA 2018 511, 512; Busch NJW 2015 977, 978. 234 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; Kargl NK Rdn. 7; Eisele/Sieber StV 2015 312, 313 f. 235 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 9; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21; Popp AnwK Rdn. 9; Eisele/Sieber StV 2015 312, 313 f. 236 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21; Eisele/Sieber StV 2015 312, 314. 237 Fischer Rdn. 17. 238 Mavany AfP 2017 478, 479. 239 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5a; Popp AnwK Rdn. 9; krit. SSW/Bosch Rdn. 11; s. schon Bosch Jura 2016 1380, 1385. 240 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21; Hoyer SK Rdn. 31; Kargl NK Rdn. 7; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5a; Eisele/Sieber StV 2015 312, 314.
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II. Objektiver Tatbestand
§ 201a
Die Hilflosigkeit muss auf der Bildaufnahme zur Schau gestellt werden. Anders als bei 48 dem (öffentlichen) Zurschaustellen im Sinne des § 22 Satz 1 KunstUrhG genügt es hierfür nicht, die Wahrnehmung des Bildnisses zu ermöglichen.241 Schließlich steht bei dem dortigen Zurschaustellen – wie sich schon aus der alternativen Tathandlung des Verbreitens sowie aus dem Attribut „öffentlich“ ergibt – der mittelbare Eingriff durch Zugänglichmachen der Aufnahme als solcher im Vordergrund und wird nicht an Teilaspekte des abgebildeten Motivs angeknüpft. Zurschaustellen im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 setzt vielmehr zweierlei voraus. Zum einen muss die Hilflosigkeit der anderen Person (zur erforderlichen Erkennbarkeit vgl. Rdn. 29) aus der Aufnahme selbst ersichtlich sein.242 Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass auch die erforderliche Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der Aufnahme selbst entnommen werden können muss (näher Rdn. 95). Lässt die Aufnahme die Gefahrenlage für den Abgebildeten überhaupt nicht erkennen, sondern ergibt sich diese etwa nur aus dem Begleittext der Aufnahme oder aus sonstigen nicht abgebildeten Umständen, ist Absatz 1 Nr. 2 folglich nicht einschlägig.243 Zeigt die Bildaufnahme eine ambivalente Handlung, die nicht ohne Weiteres die Hilflosigkeit der diese vornehmende Person offenbart, die sich aber beispielsweise tatsächlich in einer nicht in der Aufnahme ersichtlichen Bemächtigungssituation befindet, bedarf die Hilflosigkeit eingehender tatrichterlicher Feststellungen.244 Zum anderen muss die Hilflosigkeit in der Aufnahme besonders hervorgehoben wer- 49 den,245 d.h. im Mittelpunkt der Aufnahme stehen246 und nicht deren bloßes „Beiwerk“ sein.247 Wird die Hilflosigkeit lediglich als Randgeschehen abgebildet, wird sie somit nicht „zur Schau (ge)stellt“.248 Dass der Hersteller der Bildaufnahme eine entsprechende subjektive Tendenz hat, die hilflose Person zur Schau zu stellen, ist nicht erforderlich.249 Auch Bilder eines Unfallzeugen für die Polizei,250 Fotografien durch Presseangehörige251 oder Aufnahmen zu dokumentarischen Zwecken252 sind daher nicht bereits aus diesem Grund tatbestandlich ausgenommen. Denkbar ist in diesen Fällen jedoch ein Rückgriff auf die Sozialadäquanzklausel des Absatzes 4.253
e) Zur Schau gestellte verstorbene Person (Absatz 1 Nr. 3). Seit dem 59. StRÄndG erfasst 50 der neu eingefügte Absatz 1 Nr. 3 auch Bildaufnahmen, die verstorbene Personen zur Schau stellen. Entgegen früheren Entwürfen254 muss dies „in grob anstößiger Weise“ geschehen. Da-
241 Zu § 22 KunstUrhG Dreier/Schulze/Specht § 22 KunstUrhG Rdn. 10. 242 BGH NJW 2017 1891, 1893; LG Bonn MMR 2021 924, 925; SSW/Bosch Rdn. 12; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22; Hoyer SK Rdn. 32; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 7; Popp AnwK Rdn. 9; Mavany AfP 2017 478, 480 f.
243 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 244 BGH NJW 2017 1891, 1893 mit insoweit zust. Anm. Cornelius zur gefilmten rektalen Einführung einer leeren 0,3 l-Flasche; krit. in Bezug auf den konkreten Sachverhalt Buchholz JA 2018 511, 513. 245 BGH NJW 2017 1891, 1893; SSW/Bosch Rdn. 12; Graf MK Rdn. 50; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 7; Mavany AfP 2017 478, 481; vgl. auch Hoyer SK Rdn. 32; Popp AnwK Rdn. 9; enger wohl Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 10, wonach „die Hilflosigkeit in einer Art und Weise in den Vordergrund gerückt werden [muss], die dem Voyeurismus, Nervenkitzel oder der Schadenfreude des Betrachters dient“. 246 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 247 LG Bonn MMR 2021 924, 925; SSW/Bosch Rdn. 12; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 7; Eisele/Sieber StV 2015 312, 314. 248 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22; Fischer Rdn. 10b; Kargl NK Rdn. 8; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5a; Popp AnwK Rdn. 9; Bosch Jura 2016 1380, 1385; Mavany AfP 2017 478, 481. 249 SSW/Bosch Rdn. 12; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22; Graf MK Rdn. 50; Bosch Jura 2016 1380, 1385; aA Wieduwilt K&R 2015 83, 85, nach dem das Motiv des Aufnehmenden eine Rolle spielt. 250 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 251 Fischer Rdn. 10b; Graf MK Rdn. 51; Kargl NK Rdn. 8. 252 Fischer Rdn. 10b; Popp AnwK Rdn. 9. 253 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. 254 S. etwa den in Fn. 14 genannten Entwurf des Bundesrates (BTDrucks. 19/1594 S. 5). 791
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§ 201a
Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
durch sollte der Anwendungsbereich der Vorschrift, die sich in „Begrifflichkeiten und Zielrichtung“ an Absatz 1 Nr. 2 orientiert,255 eingegrenzt werden, kann bei verstorbenen Personen doch weder auf deren Hilflosigkeit noch auf die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs abgestellt werden.256 Diese einschränkende Voraussetzung soll etwa sicherstellen, dass nicht auch sozialadäquate Bildaufnahmen erfasst sind, beispielsweise Aufnahmen einer bei einer Trauerfeier aufgebahrten Leiche.257 Die Erweiterung des § 201a auf Bildaufnahmen von verstorbenen Personen wurde überwiegend begrüßt, entspricht sie doch schon zuvor gestellten Reformanliegen (siehe schon die Entstehungsgeschichte).258 Bereits aus den Tathandlungen des Herstellens und Übertragens ergibt sich, dass die abge51 bildete Person schon zum Zeitpunkt der Bildaufnahme verstorben sein muss.259 Aufnahmen von lebenden und sterbenden Personen sind – unter deren jeweiligen Voraussetzungen – ausschließlich von den anderen Tatbeständen der Norm erfasst, nicht zuletzt von Absatz 1 Nr. 2,260 an dem sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Absatzes 1 Nr. 3 orientiert hat (ergänzend sogleich Rdn. 52). Trotz ihrer Parallelen sind die genannten Nummern indessen nicht völlig deckungsgleich, so dass sich kuriose Folgen ergeben können, je nachdem ob die abgebildete Person – nicht nur gelegentlich dem Zufall geschuldet – zum Zeitpunkt der Aufnahme noch lebt oder nicht. Wird etwa mit einer verbreiteten Ansicht angenommen, dass die Anwesenheit eines hilfsbereiten Dritten die Hilflosigkeit im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 ausschließt (Rdn. 46), wäre die Aufnahme eines mit Blut überströmten bewusstlosen Unfallopfers, das gerade von einem Notarzt versorgt wird, nicht von der Norm erfasst, die Aufnahme eines mit Blut überströmten verstorbenen Unfallopfers, bei dem der Notarzt gerade den Tod feststellt, hingegen schon. Aber auch wenn wie hier (Rdn. 46) die Anwesenheit eines hilfsbereiten Dritten als unbeachtlich angesehen wird – wofür auch die Vermeidung der soeben geschilderten Diskrepanz sprechen mag –, dürften sich die Anwendungsbereiche von Absatz 1 Nr. 2 und Nr. 3 doch in mehr als lediglich Nuancen unterscheiden. In diesen Fällen kann auch die Einfügung des Absatzes 1 Nr. 3 nicht verhindern, dass das Tatgericht ermitteln muss, ob die abgebildete Person zum Zeitpunkt der Aufnahme noch lebte oder nicht, und dass von diesem Umstand die Strafbarkeit des Herstellers der Bildaufnahme abhängt.261 Zu Irrtümern des Täters, ob die aufgenommene bzw. abgebildete Person noch lebt bzw. schon verstorben ist, Rdn. 102. Die verstorbene Person muss zur Schau gestellt werden. In Anlehnung an das gleichnami52 ge Merkmal in Absatz 1 Nr. 2 (Rdn. 48 f) ist somit zum einen erforderlich, dass die (verstorbene) Person aus der Aufnahme selbst ersichtlich ist. Fraglich erscheint, ob die Aufnahme darüber hinaus den Tod der Person erkennen lassen muss. Dafür ließe sich zwar anführen, dass sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Absatzes 1 Nr. 3 ausdrücklich an die Begrifflichkeiten und die Zielrichtung der Nr. 2 angelehnt hat,262 demzufolge an die Stelle der Hilflosigkeit im Sinne der Nr. 2 als Motiv der Aufnahme bei Nr. 3 der Tod der abgebildeten Person treten könnte. Jedoch wurde in der Gesetzesbegründung ebenso betont, dass verstorbene Personen keine Hilflosigkeit mehr kennen und diese Hilflosigkeit daher bei Nr. 3 auch nicht zur Schau gestellt werden müsse.263 Nach dem Willen des Gesetzgebers scheint es somit nicht notwendig zu sein, dass ein bestimmtes Attribut der abgebildeten Person (Hilflosigkeit oder Tod) aus der Aufnahme
255 BTDrucks. 19/17795 S. 13. 256 BTDrucks. 19/17795 S. 13. 257 BTDrucks. 19/17795 S. 10 und 13; krit. Gramlich/Lütke MMR 2020 662, 664, die diesen Schutz als nicht hinreichend erachten. 258 S. etwa Preuß ZIS 2018 212, 215; krit. hingegen Walter ZRP 2020 16, 17 f im Hinblick auf den „ultima ratio“Grundsatz. 259 S.a. BTDrucks. 19/17795 S. 13. 260 BTDrucks. 19/17795 S. 13. 261 Vgl. Havliza DRiZ 2018 86, 87: „groteske Abgrenzungsfragen“; Preuß ZIS 2018 212, 215. 262 BTDrucks. 19/17795 S. 13. 263 BTDrucks. 19/17795 S. 13. Valerius
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II. Objektiver Tatbestand
§ 201a
ersichtlich ist. Vielmehr dürfte es genügen, dass die Person selbst abgebildet wird.264 Hierfür spricht auch der Wortlaut, der an die Person und nicht an deren Tod anknüpft („eine verstorbene Person zur Schau stellt“ statt „den Tod einer anderen Person zur Schau stellt“). Zum anderen muss die verstorbene Person in der Aufnahme besonders hervorgehoben 53 werden, d.h. im Mittelpunkt der Aufnahme stehen.265 Auch bei Nr. 3 kann nicht von einem Zurschaustellen die Rede sein, wenn eine verstorbene Person lediglich das Beiwerk einer Aufnahme bildet. Auf den Willen des Täters, den Verstorbenen zur Schau zu stellen, kommt es wiederum nicht an. Als tatgegenständliche Aufnahmen kommen somit auch Fotografien zu Beweis- und Dokumentationszwecken in Betracht. In solchen Fällen ist jedoch – sofern die konkrete Aufnahme die abgebildete Person überhaupt grob anstößig zur Schau stellen sollte – an die Sozialadäquanzklausel des Absatzes 4 zu denken. Entscheidend für den Anwendungsbereich der Vorschrift wird sein, wie die Voraussetzung 54 „in grob anstößiger Weise“ interpretiert wird. Der Gesetzgeber hat insoweit abermals auf ein alles andere als bestimmt zu bezeichnendes Merkmal zurückgegriffen,266 das einer Konkretisierung durch die Rechtsprechung bedarf. Zur fragwürdigen Tradition bei der Gesetzgebung zu § 201a scheint auch die Verwendung von Begriffen zu zählen, die – wie etwa der „höchstpersönliche(n) Lebensbereich“ (Absatz 1) und die „Nacktheit“ (Absatz 3) – ein Novum im Strafgesetzbuch darstellen oder zuvor – wie etwa das „Ansehen“ (Absatz 2 Satz 1) – nur selten und in einem anderen Zusammenhang gebraucht wurden. So war auch das Merkmal „in grob anstößiger Weise“ lediglich in § 219a Abs. 1 a.F. zu finden und bezog sich hier zudem auf Tathandlungen, die der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft dienten. Die dort verbreitete Definition, das die Werbung in reißerischer oder den Schwangerschaftsabbruch verherrlichender Weise erfolgen muss,267 lässt sich daher kaum auf Absatz 1 Nr. 3 übertragen. Nach Ansicht des Gesetzgebers soll eine Bildaufnahme grob anstößig sein, „wenn der Inhalt der Aufnahme unter Missachtung des postmortalen Achtungsanspruchs den über den Tod hinauswirkenden sittlichen Geltungswert der verstorbenen Person verletzt“.268 Diese Begriffsbestimmung kann aber allenfalls als Ausgangspunkt für ein – auch im Verhältnis zu den anderen Tatbeständen des Absatzes 1 – angezeigtes restriktives Verständnis der Nr. 3 dienen. Eine solche enge Auslegung ist auch geboten, um dem Merkmal „in grob anstößiger Weise“ die vom Gesetzgeber gewünschte einschränkende Funktion (Rdn. 50) zukommen zu lassen. Allein aus dem Umstand, eine verstorbene Person abzubilden, folgt somit jedenfalls noch keine grobe Anstößigkeit. Eine Eignung, das Ansehen des abgebildeten Verstorbenen zu schaden, muss mit einer solchen Aufnahme nicht zwingend einhergehen.269 Ansonsten wäre der ebenfalls durch das 59. StRÄndG neu eingefügte Absatz 2 Satz 2 im Hinblick auf Absatz 1 Nr. 4 bzw. Nr. 5 i.V.m. Nr. 3 weitgehend obsolet. Auch bei dem Merkmal „in grob anstößiger Weise“ bleibt auf einen objektiven Maßstab 55 abzustellen,270 wenngleich sich dieser – zur vergleichbaren Problematik bei Absatz 2 unten Rdn. 59 – in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft jedenfalls nicht ohne Weiteres ermitteln lässt und wiederum unklar bleibt, ob und gegebenenfalls wie weit die Anschauungen des sozialen Umfelds der verstorbenen Person berücksichtigt werden müssen. Unbeachtlich ist jedenfalls die Vorstellung des Täters (zu etwaigen Irrtümern Rdn. 101).271 Die Anstößigkeit muss sich schon nach dem Wortlaut des Absatzes 1 Nr. 3 aus der Bildaufnahme selbst ergeben und darf nicht etwa lediglich einem herabwürdigenden oder verunglimpfenden Begleittext geschuldet sein.
264 265 266 267 268 269 270 271 793
Ebenso zum in Fn. 14 genannten Entwurf des Bundesrates Preuß ZIS 2018 212, 216. Preuß ZIS 2018 212, 216. Krit. etwa Walter ZRP 2020 16, 19: „maximal unbestimmt“. Eschelbach BeckOK § 219a Rdn. 12; Sch/Schröder/Eser/Weißer § 219a Rdn. 8; Gropp MK § 219a Rdn. 8. BTDrucks. 19/17795 S. 13. BTDrucks. 19/17795 S. 13. BTDrucks. 19/17795 S. 13. BTDrucks. 19/17795 S. 13. Valerius
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
Dies gilt unabhängig davon, ob der Text neben oder auf der Bildaufnahme selbst angebracht wird. 56 Als Beispiel für eine tatgegenständliche Bildaufnahme nennt der Gesetzgeber Aufnahmen von verunglückten Personen, deren leblose Körper verletzt und blutend oder entblößt am Boden liegen.272 Neben den in den Materialien genannten Unfällen und Unglücksfällen ist insoweit auch an Opfer von Terroranschlägen und Amokläufen zu denken.273 Sozialadäquate Aufnahmen – wie etwa die bereits erwähnten Fotografien von einer bei Trauerfeierlichkeiten aufgebahrten Leiche (Rdn. 50)274 – sind hingegen nicht als grob anstößig anzusehen. Gleiches kann für Bildaufnahmen angedacht werden, die schon vor langer Zeit verstorbene Personen abbilden und etwa nach Absatz 1 Nr. 4 oder Nr. 5 gebraucht oder zugänglich gemacht werden. Nach dem Wortlaut der Vorschrift sind zwar verstorbene Personen unabhängig von ihrem (gegebenenfalls schon lange zurückliegenden) Todeszeitpunkt erfasst. Das von der Norm geschützte postmortale Persönlichkeitsrecht (Rdn. 13) ist indessen zeitlich begrenzt275 und legt daher eine einschränkende Auslegung nahe, die sich bei dem Merkmal „in grob anstößiger Weise“ vornehmen ließe.276
57 f) Eignung zur Ansehensschädigung (Absatz 2). Der durch das 49. StRÄndG als Absatz 2 neu eingefügte Tatbestand erfasst Bildaufnahmen, die geeignet sind, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden. Der Gesetzgeber erblickte in solchen Aufnahmen einen regelungsbedürftigen Sachverhalt, der nicht ausschließlich Situationen in Wohnungen oder gegen Einblick besonders geschützte Räumlichkeiten betreffe.277 Er verwies zunächst auf betrunkene Personen auf dem Heimweg sowie auf Opfer einer Gewalttat, die verletzt und blutend auf dem Boden liegen (siehe hierzu aber Rdn. 61 sowie bereits Rdn. 42).278 Der Gesetzgeber wollte mit der Erweiterung auch ein Signal gegen das zunehmend verbreitete Cyber-Mobbing setzen.279 Durch das 59. StRÄndG wurde die Vorschrift um Satz 2 ergänzt, der seitdem auch Bildaufnahmen von verstorbenen Personen erfasst. Während die Einführung des Absatzes 2 (Satz 1) noch weitgehend begrüßt wurde,280 wurde dessen Erweiterung in Satz 2 nicht unkritisch aufgenommen.281 58 Der – zuvor im Strafgesetzbuch lediglich in § 90b („Ansehen des Staates“) verwendete – Begriff „Ansehen“ wird überwiegend wie vorzugswürdig in Anlehnung an die Ehrverletzungstatbestände der §§ 185 ff ausgelegt.282 Demnach ist einer Bildaufnahme die notwendige ansehensschädigende Eignung zuzusprechen, wenn sie das Opfer verächtlich machen oder in der öffentlichen Meinung herabwürdigen kann.283 Freilich muss außer Betracht bleiben, dass die 272 273 274 275 276
BTDrucks. 19/17795 S. 13. van Bergen 299. BTDrucks. 19/17795 S. 10 und 13. Dürig/Herzog/Scholz/Herdegen Art. 1 Abs. 1 Rdn. 57. Zu Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Norm infolge dieses Zeitmoments van Bergen 300 Fn. 36 unter Verweis auf Kühl Prot. Nr. 27 der Anhörung des BT-Rechtsausschusses (15. Wahlperiode) vom 24.9.2003 S. 94. 277 BTDrucks. 18/2601 S. 36. 278 BTDrucks. 18/2601 S. 36. 279 BTDrucks. 18/2601 S. 37. Zur Diskussion um die Einführung eines eigenständigen Straftatbestandes des Cybermobbings statt vieler Cornelius ZRP 2014 164, 166 f; Valerius JRE 23 (2015) 377, 384 ff; eingeh. Doerbeck 310 ff. 280 So u.a. von Graf MK Rdn. 12; Cornelius ZRP 2014 164, 166; krit. hingegen Gercke CR 2014 687, 690, weil § 201a zu einem in höchstem Maße unbestimmten Ehrdelikt werde. 281 S. etwa van Bergen 300 ff im Hinblick auf den fragmentarischen Charakter des Strafrechts und die tatbestandliche Weite und Unbestimmtheit des Abs. 2; Walter ZRP 2020 16, 17. 282 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 39; Heuchemer BeckOK Rdn. 21; Busch NJW 2015 977, 978; Eisele/Sieber StV 2015 312, 315; krit. Mavany AfP 2017 478, 481 f. 283 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 39; Hoyer SK Rdn. 46; Busch NJW 2015 977, 978; Eisele/Sieber StV 2015 312, 315; krit. SSW/Bosch Rdn. 16. Valerius
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II. Objektiver Tatbestand
§ 201a
Bildaufnahme ein (wahres) tatsächliches Geschehen zeigt und daher keine Beleidigung verwirklichen kann, weil der Betroffene durch sein Verhalten selbst seinen Geltungsanspruch gemindert hat und dies gerade nicht – sofern sich nicht aus der Form oder den Umständen der Äußerung eine Formalbeleidigung im Sinne des § 192 ergibt – durch die Verbreitung der wahren Tatsache geschieht.284 Diese allgemeinen Grundsätze zu den Ehrverletzungsdelikten stehen einer Orientierung hieran im Übrigen aber schon deswegen nicht entgegen, weil für Absatz 2 Satz 1 die Eignung genügt, dem Ansehen zu schaden. Diese Eignung kann indessen allein daraus resultieren, ein noch nicht bekanntes, in einer Bildaufnahme fixiertes Geschehen zu verbreiten, wird dadurch doch gerade erst offenbart, dass der Betroffene durch sein Verhalten seinen Geltungsanspruch gemindert hat. Schließlich entspricht das Ansehen einer Person in der Gesellschaft der äußeren Ehre,285 die durch das Zugänglichmachen einer entsprechenden Bildaufnahme gegenüber einem Dritten herabgesetzt werden kann,286 ohne dass der Täter hiermit sogleich eine eigene Missachtung kundgibt. Ähnlich sollen nach der Begründung des Gesetzgebers Aufnahmen erfasst werden, welche „die abgebildete Person in peinlichen oder entwürdigenden Situationen oder in einem solchen Zustand zeigen, und bei denen angenommen werden kann, dass üblicherweise ein Interesse daran besteht, dass sie nicht hergestellt, übertragen oder Dritten zugänglich gemacht werden“.287 Ob der Abgebildete somit seinen Ansehensverlust gewissermaßen selbst verschuldet (und der Hersteller der Aufnahme das entsprechende Verhalten „lediglich“ festgehalten) hat, bleibt folglich unerheblich. Mitunter wird – in weiterer Orientierung an den Ehrverletzungsdelikten288 – vorgeschlagen, das Zugänglichmachen tatgegenständlicher Bildaufnahmen im Familien- und Vertrautenkreis als tatbestandslos anzusehen.289 Allerdings ist fraglich, ob die Verbreitung einer solchen Aufnahme wirklich notwendig ist, um dem Einzelnen eine Rückzugsmöglichkeit zu gewähren, in der er offen und frei von der Angst vor Sanktionen sprechen darf. Dieses Anliegen der restriktiven Handhabung der Ehrverletzungsdelikte in der sog. beleidigungsfreien Sphäre ist bei der Weitergabe kompromittierender Bildaufnahmen jedenfalls nicht uneingeschränkt gegeben. Ob eine Bildaufnahme geeignet ist, das Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu scha- 59 den, bestimmt sich aus der Perspektive eines durchschnittlichen Betrachters.290 Die Vorstellungen des Täters wie auch des Opfers sind unerheblich.291 Welche Kriterien im Einzelnen heranzuziehen sind, ergibt sich allein durch den Verweis auf den durchschnittlichen Betrachter freilich noch nicht.292 So ist etwa fraglich, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Anschauungen des sozialen Umfelds der abgebildeten Person zu berücksichtigen sind.293 Zudem mangelt es häufig an einem gesellschaftlichen Konsens über die Eignung eines konkreten abgebildeten Geschehens, das Ansehen der abgebildeten Person zu schädigen.294 Vergleichbar mit 284 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 21; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 39; Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 55; Eisele/Sieber StV 2015 312, 315. Krit. hingegen Popp AnwK Rdn. 24, der Abs. 2 (Satz 1) als „eher […] besondere Form der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch (bloßstellende) Indiskretion“ ansieht. 285 Grdl. zum dualistischen Ehrbegriff BGHSt 11 67, 70 f; zusf. Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Vor § 185 ff Rdn. 1; Hilgendorf LK Vor § 185 Rdn. 7 ff; Valerius BeckOK § 185 Rdn. 2. 286 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 39. 287 BTDrucks. 18/2601 S. 37. Einschr. will van Bergen 255 ff im Hinblick auf das Rechtsgut des höchstpersönlichen Lebensbereichs nur Bildaufnahmen erfassen, die eine noch nicht offenkundige Tatsache höchstpersönlichen Charakters abbilden. 288 Hierzu Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Vor § 185 ff Rdn. 9 ff; Hilgendorf LK § 185 Rdn. 11 ff; Regge/Pegel MK Vor § 185 Rdn. 61 ff; Valerius BeckOK § 185 Rdn. 34 f. 289 Hoyer SK Rdn. 47; Popp AnwK Rdn. 24. 290 BTDrucks. 18/2601 S. 37; Hoyer SK Rdn. 47; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 11. 291 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 40; Popp AnwK Rdn. 25. 292 Krit. daher SSW/Bosch Rdn. 16; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 38; Bosch Jura 2016 1380, 1386; Mavany AfP 2017 478, 481; Wieduwilt K&R 2015 83, 85. 293 Popp AnwK Rdn. 25. 294 SSW/Bosch Rdn. 16; Bosch Jura 2016 1380, 1386; s.a. Titz DRiZ 2014 278, 280. 795
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
Absatz 1 Nr. 2 (Rdn. 48) muss sich die ansehensschädigende Eignung jedenfalls schon nach dem Wortlaut des Absatzes 2 Satz 1 aus der Bildaufnahme selbst und nicht etwa lediglich aus den Umständen des Zugänglichmachens der Aufnahme wie beispielsweise aus einem Begleittext ergeben.295 Daher erscheint es fraglich, bei der Bewertung auch die persönlichen Verhältnisse der abgebildeten Person (z.B. soziale Stellung, Beruf, Alter)296 oder deren Vorleben jenseits des auf der Aufnahme festgehaltenen Geschehens297 zu berücksichtigen. Dies gilt jedenfalls, soweit sich diese Umstände der Bildaufnahme nicht selbst entnehmen lassen. 60 Wegen des nur vagen Maßstabes lässt sich nicht nur im Einzelfall lediglich schwierig bestimmen, ob eine Bildaufnahme von Absatz 2 tatbestandlich erfasst ist.298 Schon aus diesem Grund ist eine restriktive Auslegung der Vorschrift angezeigt.299 Hierfür spricht auch, dem einschränkenden Merkmal „erheblich“ ansonsten eine eigenständige Funktion zu nehmen. Darüber hinaus unter anderem wegen der amtlichen Überschrift des § 201a sowie der Vorstellung des Gesetzgebers, dass Bildaufnahmen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 sogleich den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzen,300 zu verlangen, dass durch das Zugänglichmachen der Aufnahme zugleich der höchstpersönliche Lebensbereich verletzt wird,301 steht der Wortlaut der Norm zwar entgegen. Auch wegen des identischen Strafrahmens des Absatzes 2 mit Absatz 1 ist jedoch ein in seiner Schwere vergleichbarer Eingriff zu verlangen.302 Die Bildaufnahme muss daher geeignet sein, das Ansehen nach Art, Intensität und Dauer schwerwiegend zu beeinträchtigen.303 61 Beispiele für tatgegenständliche Bildaufnahmen nach Absatz 2 Satz 1 sind bloßstellende Fotografien von Prominenten (z.B. durch Paparazzi),304 besonders peinliche Aufnahmen mit versteckter Kamera305 und die Aufzeichnung des Täters bei einer Straftat.306 Aufnahmen von Opfern einer Straftat dürfte hingegen schon mangels Verschuldens des Opfers in der Regel keine ansehensschädigende Eignung zuteilwerden; in Betracht kommt hier aber Absatz 1 Nr. 2 (siehe schon Rdn. 42).307 Auch Nacktaufnahmen sind nicht per se geeignet, das Ansehen der abgebildeten Person zu schädigen;308 anders bewertet werden können Bildaufnahmen, welche die abgebildete Person bei ungewöhnlichen sexuellen Handlungen zeigen.309 Ebenso wenig genügen Aufnahmen von Takt- und Geschmacklosigkeiten.310 62 Der durch 59. StRÄndG eingefügte Absatz 2 Satz 2 erfasst auch das Zugänglichmachen von Bildaufnahmen verstorbener Personen, sofern diese Aufnahmen die vorstehenden Vorausset295 296 297 298
Sch/Schröder/Eisele Rdn. 40; Gerhold/Höft JA 2021 382, 386. So indessen Sch/Schröder/Eisele Rdn. 40; Eisele/Sieber StV 2015 312, 315; Gerhold/Höft JA 2021 382, 386. So Hoyer SK Rdn. 47. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 38; Fischer Rdn. 23; Graf MK Rdn. 71; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9a; Kargl NK Rdn. 10; Popp AnwK Rdn. 24; Busch NJW 2015 977, 978; Eisele/Sieber StV 2015 312, 314 f; Mavany AfP 2017 478, 481 f. 299 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 38; i.Erg. auch Busch NJW 2015 977, 980, der sich für eine teleologische Reduktion des Abs. 2 (Satz 1) ausspricht. 300 BTDrucks. 18/2601 S. 37. 301 So Hoyer SK Rdn. 45. 302 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 41; Eisele/Sieber StV 2015 312, 316. 303 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 41 in Anlehnung auch an § 184h; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 11; Eisele/ Sieber StV 2015 312, 316. Nach Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 21 muss die Darstellung „entwürdigend“ sein und dies zur Schau stellen. 304 Kargl NK Rdn. 10. 305 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 41; Eisele/Sieber StV 2015 312, 316. 306 Popp AnwK Rdn. 25. 307 BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 28; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 40; Mavany AfP 2017 478, 480. 308 BTDrucks. 18/2601 S. 36; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 41; Popp AnwK Rdn. 25; Doerbeck 182; Eisele/Sieber StV 2015 312, 316. 309 Doerbeck 182; Cornelius NJW 2017 1893, 1894, jeweils zum Sachverhalt von BGH NJW 2017 1891: rektale Einführung einer leeren 0,3 l-Flasche. 310 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 41; Popp AnwK Rdn. 25; Eisele/Sieber StV 2015 312, 315 f; s.a. Gerhold/Höft JA 2021 382, 386 zu Mitschnitten von Videokonferenzen und Onlinevorlesungen. Valerius
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zungen erfüllen. Die abgebildete Person muss bereits im Zeitpunkt der Bildaufnahme verstorben sein (vgl. schon Rdn. 51). Ereilt den Abgebildeten zwischen Herstellung und tatbestandlichem Zugänglichmachen der Aufnahme der Tod, ist Satz 1 einschlägig. Da nicht jede Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der gezeigten verstorbenen Person erheblich zu schaden, diese zugleich grob anstößig im Sinne des Absatzes 1 Nr. 3 zur Schau stellen muss, kommt dieser Regelung zwar durchaus ein eigenständiger Anwendungsbereich zu.311 Allerdings dürfte dieser Anwendungsbereich nur ein begrenzter sein,312 muss sich doch auch hier die Eignung zur Ansehensschädigung aus der Aufnahme selbst ergeben (vgl. Rdn. 59). Insoweit kann bei verstorbenen Personen jedoch im Wesentlichen nur an die Situation angeknüpft werden, in der sie abgebildet werden, jedenfalls aber nicht mehr an ein bildlich festgehaltenes kompromittierendes Verhalten.
g) Nacktheit einer minderjährigen Person (Absatz 3). Tatgegenständlich sind schließlich 63 nach Absatz 3 Bildaufnahmen, welche die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum Gegenstand haben. Mit diesem Straftatbestand reagierte der Gesetzgeber auf den in der sog. Edathy-Affäre (siehe schon die Entstehungsgeschichte) in Erinnerung gerufenen Umstand, dass auch Nacktbilder nicht pornographischen Inhalts im Sinne der §§ 184b, 184c gehandelt werden. In der Begründung verwies der Gesetzgeber zwar gleichwohl zunächst in erster Linie auf das zu schützende Recht am eigenen Bild gerade von minderjährigen Personen.313 Der ursprüngliche Entwurf, der noch Bildaufnahmen von unbekleideten Personen jeden Alters umfasste,314 wurde auf Vorschlag des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz aber auf Sachverhalte im Zusammenhang mit der Herstellung und kommerziellen Vermarktung von Bildaufnahmen von minderjährigen Personen beschränkt.315 Selbst in dieser eingeschränkten Fassung wird Absatz 3 aber nicht selten als „moralisierende“ und „paternalistische“ Vorschrift bezeichnet, die zumindest an der Grenze der strafrechtlichen Regelbarkeit liege316 bzw. nicht in das Strafrecht gehöre.317 Gegenstand der Aufnahme muss die – dem Strafgesetzbuch zuvor als Tatbestandsmerkmal 64 unbekannte – Nacktheit einer anderen Person sein. Schon weil sich die Nacktheit dem Wortlaut des Absatzes 3 nach auf die (gesamte) Person bezieht,318 genügt es nicht, wenn lediglich irgendein beliebiges Körperteil ohne jeglichen Geschlechts- und Sexualbezug unbekleidet abgebildet wird.319 Hieraus darf aber ebenso wenig gefolgert werden, dass ausschließlich Bildaufnahmen erfasst wären, welche die abgebildete Person vollständig wie völlig unbekleidet zeigen. Ansonsten würde bereits das Tragen von Strümpfen, Handschuhen oder einer Mütze der Anwendung der Norm entgegenstehen und deren zu einfache Umgehung ermöglichen.320 Gleiches gälte für Nacktaufnahmen, bei denen etwa lediglich Unterschenkel und Füße nicht abgebildet wären. Bereits wegen des Anliegens der Norm (hierzu Rdn. 14) bedarf es erst recht weder einer ge311 BTDrucks. 19/17795 S. 14. 312 Krit. schon Walter ZRP 2020 16, 17, der nicht zu Unrecht etwa die Eignung der Aufnahme eines Unfalltoten bezweifelt, dessen Ansehen erheblich zu schädigen. 313 BTDrucks. 18/2601 S. 36 f. 314 S. hierzu BTDrucks. 18/2601 S. 36 f. 315 Zur Begründung BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 28. Krit. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 46 im Hinblick auf den mit der Vorschrift erstrebten Schutz des Persönlichkeitsrechts vor kommerzieller Verwertung; weitere Kritik bei Busch NJW 2015 977, 980 insbesondere wegen des fehlenden Schutzes Heranwachsender. 316 Fischer Rdn. 26; s.a. SSW/Bosch Rdn. 29. 317 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9b. Krit. gegenüber der Kriminalisierung der Konsumenten Graf MK Rdn. 78; Kargl NK Rdn. 13. 318 Krit. etwa Weigend ZStW 129 (2017) 513, 526, der eine klare Benennung der nicht nackt abzubildenden Körperteile bevorzugt hätte. 319 S. schon Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 57. 320 Ebenso Sch/Schröder/Eisele Rdn. 47; Eisele/Franosch ZIS 2016 519, 524; Eisele/Sieber StV 2015 312, 317. 797
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schlechtsbetonten Körperhaltung oder Position des abgebildeten Minderjährigen321 noch eines pornographischen Inhalts.322 Ausreichend wie erforderlich ist, dass die Bildaufnahme eine im Wesentlichen unbekleidete minderjährige Person zeigt.323 Erfasst sind – auch in Anlehnung an § 184b Abs. 1 Nr. 1 lit. c – jedenfalls sämtliche Bildaufnahmen, die ein nacktes Geschlechtsmerkmal oder auch das unbekleidete Gesäß einer minderjährigen Person zum Gegenstand haben;324 zur auch in diesem Fall nicht notwendigen Erkennbarkeit der Person vgl. Rdn. 29. Nach einer beachtlichen Meinung im Schrifttum soll es darüber hinaus genügen, wenn die abgebildete Person Badekleidung oder Unterwäsche trägt.325 Dem dürfte indessen bereits der allgemeine Sprachgebrauch des Begriffs „Nacktheit“ entgegenstehen.326 Besonders hervorgehoben werden muss die Nacktheit – anders als etwa beim Zurschaustellen der Hilflosigkeit nach Absatz 1 Nr. 2 (Rdn. 49) – nicht.327 Die Bildaufnahme muss die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum 65 Gegenstand haben. Tatgegenständlich sind jedenfalls Bildaufnahmen von einer Person, die zum maßgeblichen Zeitpunkt der Aufnahme tatsächlich minderjährig war. Wird das Merkmal „zum Gegenstand hat“ ebenso ausgelegt wie in § 184b Abs. 1 Nr. 1, § 184c Abs. 1 Nr. 1, was wegen des vergleichbaren Anliegens des Absatzes 3 und dessen insoweit lückenschließender Funktion (Rdn. 14) nahe liegt, genügt indessen auch das körperliche Erscheinungsbild einer minderjährigen Person aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Betrachters.328 Absatz 3 erfasst somit gleichfalls Bildaufnahmen sog. Scheinminderjähriger, die zum Zeitpunkt der Aufnahme das 18. Lebensjahr in Wahrheit schon vollendet haben, indessen den Eindruck erwecken, noch minderjährig zu sein.329
2. Tathandlungen a) Unmittelbare Eingriffe in Persönlichkeitsrechte 66 aa) Herstellen (Absatz 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3, Absatz 3 Nr. 1 Var. 1). Unmittelbare Eingriffe in Persönlichkeitsrechte sind grundsätzlich in Bezug auf sämtliche tatgegenständliche Bildaufnahmen in der einen oder anderen Weise unter Strafe gestellt. Dies betrifft sowohl Bildaufnahmen aus den räumlichen Schutzbereichen des Absatzes 1 Nr. 1 als auch Bildaufnahmen, welche die Hilflosigkeit einer anderen Person (Absatz 1 Nr. 2) oder eine verstorbene Person zur Schau stellen (Absatz 1 Nr. 3) bzw. die Nacktheit einer minderjährigen Person zum Gegenstand haben (Absatz 3). Lediglich bei den Bildaufnahmen des Absatzes 2, die geeignet sind, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, wurde entgegen dem ursprünglichen Gesetzentwurf330 auf Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz davon abgese-
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Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 22; Hoyer SK Rdn. 49; Kargl NK Rdn. 11; Popp AnwK Rdn. 27. Fischer Rdn. 27; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9b. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 47; Hoyer SK Rdn. 49; Tag HK-GS Rdn. 12; Eisele/Sieber StV 2015 312, 317. Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 22; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 47; Hoyer SK Rdn. 49; Eisele/Franosch ZIS 2016 519, 524; Eisele/Sieber StV 2015 312, 317. 325 So Fischer Rdn. 27, der bei den dann praktisch nicht erkennbaren Grenzen zur kommerziellen Werbung für Kindermode ein berechtigtes Interesse gem. Abs. 4 erwägt; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9b; krit. Hoyer SK Rdn. 49; zur Diskussion auch SSW/Bosch Rdn. 29; Bosch Jura 2016 1380, 1386 f. 326 Ebenso Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 22; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 47; Hoyer SK Rdn. 49; Popp AnwK Rdn. 27. 327 Fischer Rdn. 27; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9b. 328 Vgl. BGHSt 47 55, 62; Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 18; Fischer § 184b Rdn. 13; Nestler LK § 184b Rdn. 8. 329 S. schon Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 58. 330 Hierzu BTDrucks. 18/2601 S. 36 f. Valerius
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hen, bereits die Herstellung unter Strafe zu stellen, da dies zu weitgehend erschien (siehe schon Rdn. 21).331 Herstellen umfasst jede auf Dauer angelegte Fixierung der Wirklichkeit,332 sei es in gegenständlicher (z.B. Polaroid, Filmnegativ) oder digitaler (z.B. Abspeichern von Bild- und Videodateien auf einer Speicherkarte oder einer Festplatte) Form.333 Es bedarf eines Herstellungserfolges, d.h. einer tatsächlich angefertigten Bildaufnahme.334 Der Akt des Herstellens ist noch nicht tatbestandsgemäß;335 sollte die Aufnahme fehlschlagen, bleibt es folglich beim (nicht strafbaren) Versuch.336 Das Erscheinungsbild einer Person muss reproduzierbar im Sinne von erneuter visueller Wahrnehmbarkeit festgehalten werden,337 mögen hierzu auch technische Hilfsmittel (z.B. ein Bildbetrachtungsprogramm auf einem Computer) von Nöten sein.338 Unter Herstellen ist lediglich die erstmalige Aufzeichnung zu verstehen.339 Spätere Vorgänge wie die Entwicklung eines Negativs, die Anfertigung weiterer Abzüge oder die Kopie oder der Ausdruck von Bilddateien können aber ein Gebrauchen im Sinne des Absatzes 1 Nr. 3 (Rdn. 75) darstellen.340 Dass der Täter oder ein Dritter die Aufnahme zur Kenntnis nimmt, ist nicht erforderlich.341 Einschränkend setzt Absatz 3 Nr. 1 ein Handeln des Täters voraus, um die (Nackt-)Bildaufnahme einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen. Mit diesem – erst auf Vorschlag des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz eingeführten – Merkmal sollte die Strafbarkeit auf die strafwürdigen Sachverhalte im Zusammenhang mit der Herstellung und kommerziellen Vermarktung von Bildaufnahmen Minderjähriger beschränkt werden.342 Demzufolge bezieht sich das Absichtsmerkmal entgegen dem missverständlichen Wortlaut auch auf die Var. 1 des Herstellens.343 Erforderlich wie ausreichend ist dolus directus ersten Grades, d.h. es muss dem Täter im Zeitpunkt des Herstellens auf das einem Dritten Verschaffen ankommen, ohne dass diese Absicht verwirklicht werden muss. Das zu erstrebende Verschaffen setzt – in Anlehnung etwa an § 184b Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 3 – voraus, die Bildaufnahme derart in die Verfügungsgewalt des Dritten gelangen zu lassen, dass dieser sie zur Kenntnis nehmen kann.344 Möglich ist dies außer durch körperliche Übergabe der Aufnahme etwa auch durch deren Zusendung im digitalisierten Format per EMail.345 Das letztgenannte Beispiel zeigt, dass es nicht erforderlich ist, auch die tatsächliche Sachherrschaft im Sinne etwa von Besitz überlassen zu wollen.346 Entgelt ist in § 11 Abs. 1 Nr. 9 als „jede in einem Vermögensvorteil bestehende Gegenleistung“ legaldefiniert. Wegen dieses weiten Begriffs genügt es, bei der Herstellung einer Nackt-
331 BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 28. Zur Diskussion auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 42. 332 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Heuchemer BeckOK Rdn. 16; Hoyer SK Rdn. 12 f; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Flechsig ZUM 2004 605, 610; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 617. 333 Graf MK Rdn. 31; Flechsig ZUM 2004 605, 611. 334 SSW/Bosch Rdn. 17; Zöller FS Wolter 679, 684; vgl. auch Rahmlow HRRS 2005 84, 88. 335 Fischer Rdn. 11. 336 Graf MK Rdn. 31. 337 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Heuchemer BeckOK Rdn. 16; Hoyer SK Rdn. 12; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 617. 338 Fischer Rdn. 12; Graf MK Rdn. 31; Rahmlow HRRS 2005 84, 88. 339 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 11. 340 SSW/Bosch Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Fischer Rdn. 12; Graf MK Rdn. 32; Kargl NK Rdn. 14; Popp AnwK Rdn. 10; Heinrich ZIS 2011 416, 419; aA Flechsig ZUM 2004 605, 610 f. 341 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 11; SSW/Bosch Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Hoyer SK Rdn. 13. 342 BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 28. 343 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9b. 344 Hoyer SK Rdn. 48. 345 Vgl. BGHSt 58 197, 199; Ziegler BeckOK § 184b Rdn. 13, jeweils zu § 184b Abs. 1 Nr. 2 (§ 184b Abs. 2 a.F.). 346 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 49. 799
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bildaufnahme einer minderjährigen Person die Überlassung einer ähnlichen Aufnahme zu erstreben, z.B. in einem Forum oder in einer Tauschbörse im Internet.347
71 bb) Übertragen (Absatz 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3). Eine Bildaufnahme wird übertragen, wenn anderen deren Wahrnehmung auf Bildschirmen oder sonstigen Wiedergabegeräten ermöglicht wird, ohne das reale Geschehen mit eigenen Augen sehen zu müssen. Erfasst sind somit Echtzeitübertragungen z.B. durch Überwachungskameras, deren Bilder(folgen) an einen Monitor übermittelt werden, oder nicht zuletzt Webcams, deren Aufnahmen mittels Internets betrachtet werden können.348 Nicht erforderlich ist, dass die übertragenen Bildaufnahmen zugleich dauerhaft gespeichert werden.349 Wegen dieses Verzichts auf eine (nachzuweisende) Speicherung der übertragenen Bildaufnahme wird die Tathandlung auch als „eine Art materielle Beweiserleichterung“ verstanden.350 Vergleichbar dem Herstellen (Rdn. 67) bedarf es einer erfolgreichen Übertragung und genügt eine lediglich hierauf gerichtete Tätigkeit nicht.351 Ebenso wenig wie beim Herstellen ist notwendig, dass der Täter oder ein Dritter die Aufnahme zur Kenntnis nimmt.352 72 Häufig (wie z.B. bei der Aufzeichnung durch eine Überwachungskamera) wird das übertragene Bild zugleich dauerhaft fixiert und liegt daher in der Regel ebenso ein Herstellen vor (zu den Konkurrenzen Rdn. 124).353 Hieraus resultieren im Einzelfall Abgrenzungsprobleme zwischen der (unabhängig von der Speicherung des gezeigten Geschehens: Live-)Übertragung einer Bildaufnahme und dem (gegebenenfalls nur geringfügig zeitversetzten) Abspielen und somit Zugänglichmachen einer bereits konservierten Bildaufnahme nach Absatz 1 Nr. 4 und Nr. 5 (hierzu Rdn. 77 f).354 Die unbefugte Beobachtung von Vorgängen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich 73 wurde entgegen ersten Entwürfen (siehe schon die Entstehungsgeschichte) nicht unter Strafe gestellt. Dies gilt auch dann, wenn hierbei technische Mittel (wie z.B. Ferngläser oder Nachtsichtgeräte) verwendet werden.355 Zu Recht hat der Gesetzgeber bemerkt, dass der „freche Blick“ in erster Linie Gebote des Anstands verletzt, jedoch keine strafwürdige und strafbedürftige
347 BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 28; Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 23; SSW/Bosch Rdn. 30; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 49; Fischer Rdn. 28; Hoyer SK Rdn. 48; Kargl NK Rdn. 11; Busch NJW 2015 977, 979; Eisele/Sieber StV 2015 312, 316. 348 Vgl. auch AG Düren K&R 2011 216 zu Bilddateien, die heimlich mit an Rechnern der jeweils abgebildeten Personen angeschlossenen, mittels Schadprogramms aktivierten Webcams aufgenommen wurden. 349 BTDrucks. 15/2466 S. 5; AG Riesa MMR 2019 548, 549 zum Überfliegen eines sichtgeschützten Gartens mit einer mit einer Kamera ausgestatteten Drohne, das aber bereits bei der Aufnahme vom Heraustragen des Mülls eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs annahm; SSW/Bosch Rdn. 18; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Fischer Rdn. 13; Graf MK Rdn. 33; Heuchemer BeckOK Rdn. 17; Kargl NK Rdn. 15; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 617; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 332. 350 Fischer Rdn. 13; s.a. Esser JA 2010 323, 325. 351 Fischer Rdn. 11. 352 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 11; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Graf MK Rdn. 33; Heuchemer BeckOK Rdn. 17; Hoyer SK Rdn. 13; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Mitsch Jura 2006 117, 119; Rahmlow HRRS 2005 84, 90. 353 SSW/Bosch Rdn. 19. 354 Vgl. auch Heuchemer BeckOK Rdn. 17; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 617. 355 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 11; Graf MK Rdn. 24; Heuchemer BeckOK Rdn. 16; Hoyer SK Rdn. 13; Popp AnwK Rdn. 13; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 617; Rahmlow HRRS 2005 84, 89. Krit. Fischer Rdn. 13, wonach sich die Straflosigkeit des bloßen Beobachtens mittels technischer Geräte mit der Strafbarkeit des Übertragens nur schwer vereinbaren lasse; s.a. Kargl NK Rdn. 15; Esser JA 2010 323, 325; Safferling MLR 2008 36, 40 f. Nach Graf MK Rdn. 33 ist daher zumindest die abstrakte Gefahr erforderlich, dass die übertragene Aufnahme auch von anderen Personen wahrgenommen werden kann. Valerius
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Rechtsgutsverletzung aufweist.356 Die bloße Beobachtung ist schließlich ebenso vergänglich wie das beobachtete Geschehen und enthält keinen strafwürdigen Unrechtskern, der erst mit der dauerhaften Fixierung des höchstpersönlichen Vorganges entsteht.357 Im Einzelfall kommt aber eine Strafbarkeit wegen Beleidigung gemäß § 185,358 Hausfriedensbruchs gemäß § 123 oder Nachstellung gemäß § 238 in Betracht.
b) Mittelbare Eingriffe in Persönlichkeitsrechte aa) Gebrauchen (Absatz 1 Nr. 4). Die Tathandlungen des Gebrauchens und des Zugänglich- 74 machens in Absatz 1 Nr. 4 beziehen sich jeweils auf eine durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 hergestellte Bildaufnahme und stellen demgemäß den Verwertungsakt als erneuten Eingriff in das (in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3: postmortale) Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten unter Strafe. Erforderlich ist eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige, vornehmlich unbefugte,359 nicht aber notwendigerweise schuldhaft begangene Tat nach Absatz 1 Nr. 1 bis Nr. 3.360 Angeknüpft werden kann nur an die Aufnahme, die durch eine solche Tat unmittelbar hergestellt wird. Wird hingegen beispielsweise das Erfolgsmerkmal des höchstpersönlichen Lebensbereichs erst infolge der Bearbeitung der Bildaufnahme verletzt (z.B. durch das Wegretuschieren der Kleidung), scheidet eine Tat nach Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 aus (siehe schon Rdn. 26), so dass ebenso wenig eine Strafbarkeit nach Absatz 1 Nr. 4 in Betracht kommt.361 Die Tathandlung des Übertragens nennt Absatz 1 Nr. 4 nicht, weil insoweit ein nochmaliger Eingriff in das (in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3: postmortale) Persönlichkeitsrecht häufig mangels Speicherung der übertragenen Bildaufnahme von vornherein ausscheidet, ansonsten jedenfalls an das hierin liegende Herstellen angeknüpft werden kann.362 Personenidentität zwischen dem Hersteller nach Absatz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 einerseits und dem Täter nach Absatz 1 Nr. 4 andererseits ist nicht erforderlich.363 Gebrauchen umfasst jede Verwendung der Bildaufnahme.364 Ob dies für eigene oder frem- 75 de, für persönliche oder öffentliche, für private oder geschäftliche Zwecke geschieht, ist unerheblich.365 Anders als beim Zugänglichmachen (Rdn. 77) bedarf es zudem nicht der Beteiligung einer dritten Person. Erfasst ist daher etwa jede Nutzung der technischen Möglichkeiten des Bildträgers durch den Täter selbst,366 z.B. das Speichern, Archivieren oder Kopieren der Aufnah-
356 BTDrucks. 15/2466 S. 4; zust. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Graf MK Rdn. 31; Kargl NK Rdn. 14; Lackner/Kühl/ Kühl Rdn. 4; Eisele JR 2005 6, 9; Kühl AfP 2004 190, 194 f; ders. FS Schöch 419, 434; Pollähne KritV 2003 387, 411; krit. hingegen Flechsig ZUM 2004 605, 607 sowie – zumindest beim Rückgriff auf spezielle technische Geräte – Hoyer ZIS 2006 1, 1. 357 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Kühl AfP 2004 190, 194; ders. Symp. Schünemann 211, 219. 358 I.d.R. fehlt einem Vorgang der bloßen Informationsgewinnung aber bereits der Charakter einer Äußerung; Sch/ Schröder/Eisele § 185 Rdn. 3a; Hilgendorf LK § 185 Rdn. 29; Regge/Pegel MK § 185 Rdn. 15; Valerius BeckOK § 185 Rdn. 27; Beck MMR 2008 77, 79; s.a. BayObLG NJW 1980 1969 zur Beobachtung eines Liebespaares. 359 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27; Graf MK Rdn. 54; Hoyer SK Rdn. 33; Kargl NK Rdn. 17; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 333; Zöller FS Wolter 679, 688. 360 SSW/Bosch Rdn. 19; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27; Fischer Rdn. 14; enger Hoyer SK Rdn. 33; Mitsch Jura 2006 117, 119: auch vorsätzliches Handeln nicht notwendig. 361 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27. 362 Vgl. Fischer Rdn. 14. 363 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 13; Hoyer SK Rdn. 33; Popp AnwK Rdn. 15; Beck MMR 2008 77, 79; Mitsch Jura 2006 117, 118. 364 SSW/Bosch Rdn. 20; Fischer Rdn. 15; Heuchemer BeckOK Rdn. 19; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 8; Mitsch Jura 2006 117, 119; vgl. auch Hoyer SK Rdn. 34. 365 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27; Fischer Rdn. 15; Graf MK Rdn. 57. 366 BTDrucks. 15/2466 S. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28; Hoyer SK Rdn. 34; Kargl NK Rdn. 18; Flechsig ZUM 2004 605, 614; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 333. 801
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
me367 sowie deren digitale Bearbeitung und die Anfertigung von Fotomontagen.368 Des Weiteren kann auch eine Verwendung gegenüber der abgebildeten Person, z.B. zum Zwecke der Nötigung oder Ehrverletzung, ein tatbestandliches Gebrauchen darstellen.369 Nicht erforderlich ist jeweils, dass die Bildaufnahme für den Täter oder für Dritte unmittelbar durch den Gebrauch visuell wahrgenommen werden kann.370 76 Von einem Gebrauchen kann nur gesprochen werden, wenn der Täter hierbei eine eigenständige Verfügungsgewalt über die Bildaufnahme ausübt.371 Abzulehnen bleibt dies etwa – anders als bei § 201 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, der diese Tathandlung aber ausdrücklich als Alternative zum von § 201 Abs. 2 Nr. 2 erfassten Gebrauchen nennt – für die bloße Mitteilung des Inhalts einer Bildaufnahme gegenüber einem Dritten.372 Insbesondere ist jedoch das Betrachten der tatgegenständlichen Bildaufnahmen nach Absatz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 differenziert zu beurteilen. Geschieht dies durch den unbefugt handelnden Hersteller der Bildaufnahme selbst, stellt auch der bloße, gegebenenfalls nur kurzfristige373 Blick – im Falle fortbestehender Verfügungsgewalt – ein Gebrauchen dar;374 die Tat nach Absatz 1 Nr. 4 tritt dann aber als mitbestrafte Nachtat gegenüber dem unbefugten Herstellen der Aufnahme nach Absatz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 zurück (Rdn. 125). Hingegen unterfällt das Betrachten einer Bildaufnahme in einer öffentlich zugänglichen Quelle wie einer Boulevardzeitung, einer Publikumszeitschrift oder auch im Internet durch einen Dritten mangels Verfügungsgewalt über die unbefugt hergestellte Aufnahme als solche nicht Absatz 1 Nr. 4.375 Es wäre zudem seltsam, zwar nicht die unmittelbare Beobachtung einer Person unter Strafe zu stellen (Rdn. 73), das Betrachten einer konservierten Bildaufnahme aber als strafwürdiges Unrecht zu erachten.376 Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Besucher einer Webseite sich die Bilddatei herunterlädt und auf einem Datenträger abspeichert.377 Dadurch verschafft sich der Nutzer die Verfügungsgewalt über die Aufnahme und begründet eine eigenständige Gefährdungslage ihrer unkontrollierten Verbreitung, welcher der Tatbestand gerade entgegenwirken will.378
77 bb) Zugänglichmachen (Absatz 1 Nr. 4 und Nr. 5 sowie Absatz 2). Absatz 1 Nr. 4 sieht als weitere Tathandlung neben dem Gebrauchen das Zugänglichmachen einer Bildaufnahme vor. In Absatz 1 Nr. 5 und in Absatz 2 stellt das Zugänglichmachen sogar die einzige Tathandlung
367 BTDrucks. 15/2466 S. 5; SSW/Bosch Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28; Fischer Rdn. 15; Heuchemer BeckOK Rdn. 19; Hoyer SK Rdn. 34; Kargl NK Rdn. 18; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Popp AnwK Rdn. 16; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 333. 368 SSW/Bosch Rdn. 20; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28; Graf MK Rdn. 56; Hoyer SK Rdn. 34. 369 Fischer Rdn. 15; Graf MK Rdn. 58. 370 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 14; SSW/Bosch Rdn. 20; Fischer Rdn. 15; Graf MK Rdn. 57; Popp AnwK Rdn. 16. 371 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28; Heuchemer BeckOK Rdn. 19; Popp AnwK Rdn. 16; Doerbeck 173; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 619; Zöller FS Wolter 679, 691. 372 Graf MK Rdn. 56; Kargl NK Rdn. 18; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 334. 373 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; aA Borgmann NJW 2004 2133, 2135 zum Betrachten einer Aufnahme durch einen Dritten; hiergegen Kargl ZStW 117 (2005) 324, 334. 374 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 8; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Bosch JZ 2005 377, 380; vgl. auch BTDrucks. 15/1891 S. 7; aA Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 14; Linkens 95; Flechsig ZUM 2004 605, 614; ebenso wohl Hoyer SK Rdn. 34. 375 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 14; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28; Hoyer SK Rdn. 34; Kargl NK Rdn. 18; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Gertzen 116 ff; Koch GA 2005 589, 601; Zöller FS Wolter 679, 691; aA wohl Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 8; Hoppe GRUR 2004 990, 992. 376 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28; Hoyer SK Rdn. 34; Bosch JZ 2005 377, 380; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 619; Koch GA 2005 589, 601; Lagardère/Fink HRRS 2008 247, 247; Zöller FS Wolter 679, 691. 377 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28; Graf MK Rdn. 55; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 619 f. 378 SSW/Bosch Rdn. 20; Bosch JZ 2005 377, 380; Lagardère/Fink HRRS 2008 247, 247. Valerius
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dar. Bei Absatz 1 Nr. 5 (Absatz 3 a.F.) wurde etwa auf Anregung des Rechtsausschusses auf die Sanktionierung des Gebrauchens verzichtet, weil insoweit bereits § 33 KunstUrhG einschlägig sei.379 Dadurch ist insbesondere die Verwendung zu eigenen Zwecken, etwa durch denjenigen, dem die tatgegenständliche Bildaufnahme zugänglich gemacht wurde, tatbestandlich ausgeschlossen;380 auch die Beteiligung an dem Zugänglichmachen bleibt für den Dritten als notwendigen Teilnehmer straflos.381 Des Weiteren ist im Hinblick auf den Wortlaut der Norm, die zwischen „einer anderen [aufgenommenen] Person“ und „einer dritten Person“ unterscheidet, auch der Gebrauch gegenüber der abgebildeten Person selbst nicht sanktioniert. Zugänglichmachen setzt voraus, (einem oder mehreren) Dritten den Zugriff auf die Auf- 78 nahme oder auch nur deren Kenntnisnahme zu ermöglichen.382 Tatbestandlich ist daher schon das Vorzeigen oder offene Liegenlassen383 einer Fotografie oder das Abspielen eines Films. Ob die Aufnahme tatsächlich zur Kenntnis genommen wird, ist unerheblich.384 Die Beispiele dürfen aber nicht suggerieren, dass es einer Übertragung der körperlichen Verfügungsgewalt (z.B. durch Übergabe eines Fotos) bedürfe. Vielmehr genügt etwa die unkörperliche Weitergabe von Bild- oder Videodateien mittels des Internets.385 Ob auch bereits die Verlinkung zu entsprechenden Dateien ausreicht, die sich nicht in der Verfügungsgewalt des Linksetzenden befinden,386 erscheint im Hinblick auf die Überlegungen zum Gebrauchen (Rdn. 76) fraglich.387 In Betracht kommt aber jedenfalls eine Teilnahmestrafbarkeit.
cc) Anbieten (Absatz 3 Nr. 1 Var. 2). Außer den beiden – etwa auch in § 201 Abs. 1 Nr. 2 79 genannten – Tathandlungen des Gebrauchens und des Zugänglichmachens enthält Absatz 3 mit dem Anbieten (Nr. 1 Var. 2) und dem Sich- oder einer dritten Person Verschaffen (Nr. 2) zwei weitere Tathandlungen, die als mittelbare Eingriffe in das Recht am eigenen Bild zu qualifizieren sind. Auch in Bezug auf die Tathandlungen stellt Absatz 3 somit einen Fremdkörper innerhalb des § 201a dar (ergänzend Rdn. 14 und Rdn. 21). Schon wegen der Nähe der tatgegenständlichen Bildaufnahmen zu pornographischen Materialien kann das Anbieten wie bei § 184 Abs. 1 Nr. 1 ausgelegt werden. Danach setzt das Anbieten voraus, sich gegenüber einer bestimmten Person ausdrücklich oder konkludent zur Überlassung der Bildaufnahme – dauerhaft oder auch nur vorübergehend – bereit zu erklären.388 Die Bildaufnahme muss zudem angeboten werden, um sie einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen (hierzu Rdn. 68 ff). dd) Sich oder einer dritten Person gegen Entgelt verschaffen (Absatz 3 Nr. 2). Wesent- 80 lich für das (sich oder einer dritten Person) Verschaffen ist, dass der Täter selbst bzw. die dritte 379 BTDrucks. 15/2995 S. 6; zust. SSW/Bosch Rdn. 25; Eisele JR 2005 6, 10, da sich der straflose Besitz einer Aufnahme nur schwer von einem Gebrauchen abgrenzen lasse; krit. Linkens 104 f.
380 SSW/Bosch Rdn. 25. 381 SSW/Bosch Rdn. 25; Popp AnwK Rdn. 20. 382 BTDrucks. 15/2466 S. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29; Graf MK Rdn. 59; Kargl NK Rdn. 18; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 8; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7; Flechsig ZUM 2004 605, 614; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 619; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 334; Zöller FS Wolter 679, 692. 383 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 42 und Eisele/Sieber StV 2015 312, 316 zu Abs. 2 mit der an die beleidigungsfreie Sphäre bei Ehrverletzungsdelikten angelehnten Überlegung einer teleologischen Reduktion im engsten Familienkreis (hierzu Rdn. 58). 384 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 15; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29; Fischer Rdn. 16; Graf MK Rdn. 59. 385 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 15; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29; Fischer Rdn. 16; Beck MMR 2008 77, 79; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 619. 386 So Kargl NK Rdn. 18, sofern sich der Verlinkende den Inhalt „zu Eigen“ gemacht habe; ebenso wohl Graf MK Rdn. 59. 387 SSW/Bosch Rdn. 21; Popp AnwK Rdn. 17. 388 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 48. 803
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
Person derart die Verfügungsgewalt an der Bildaufnahme erlangt, dass er sie zur Kenntnis nehmen kann (zum Absichtsmerkmal bei Absatz 3 Nr. 1 siehe schon Rdn. 69). Da lediglich die kommerzielle Vermarktung von Nacktaufnahmen Minderjähriger als strafbar sanktioniert werden sollte, muss das Verschaffen zudem gegen Entgelt (hierzu Rdn. 70) erfolgen.389 Diese Voraussetzungen sind beispielsweise dann erfüllt, wenn jemand eine tatgegenständliche Bildaufnahme in einer Tauschbörse gegen Überlassung einer ähnlichen Aufnahme erhält.390
81 c) Unbefugt. Die meisten Tatbestände des § 201a setzen ausdrücklich ein unbefugtes Handeln und somit letztlich in der Regel ein Verhalten ohne oder gegen den Willen der abgebildeten Person voraus. Hervorzuheben bleibt, dass auch die Verbreitung einer Bildaufnahme als „lediglich“ mittelbarer Eingriff in das Recht am eigenen Bild ein eigenständiges Gewicht erlangt (Rdn. 4). Dass in Absatz 1 Nr. 4 das Merkmal „unbefugt“ fehlt, bedeutet folglich nicht, dass sich die Strafwürdigkeit des hier normierten Gebrauchens und Zugänglichmachens von unbefugt nach Absatz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 angefertigten Bildaufnahmen allein aus dem Herstellungsakt ergibt. Vielmehr hat der Gesetzgeber selbst betont, dass die (unbefugte) Nutzung einer (unbefugten) Bildaufnahme ebenso strafwürdig sei wie deren Herstellung.391 Außer in Absatz 1 Nr. 4 hat der Gesetzgeber lediglich in Absatz 3 auf das Merkmal „unbefugt“ verzichtet, weil hier eine Rechtfertigung nicht nahe liege.392 82 Unter den normierten unmittelbaren Eingriffen in Persönlichkeitsrechte (Rdn. 66 ff) setzen Absatz 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 ausdrücklich das unbefugte Herstellen und Übertragen voraus. Da die hier beschriebenen Bildaufnahmen wegen des damit einhergehenden Eingriffs in das (in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3: postmortale) Persönlichkeitsrecht schon hinreichend Unrecht verwirklichen, handelt es sich insoweit jeweils nur um einen deklaratorischen Hinweis auf das allgemeine Deliktsmerkmal der Rechtswidrigkeit. Dies gilt nicht zuletzt für Bildaufnahmen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich gemäß Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2.393 Sollte in diesen Fällen die abgebildete Person der (Herstellung oder Übertragung der) Bildaufnahme zustimmen, gibt sie hiermit in der Regel aber zugleich den höchstpersönlichen Lebensbereich auf und entfällt somit der Taterfolg, so dass die Zustimmung als tatbestandsausschließendes Einverständnis wirkt.394 Dies entspricht im Ergebnis der Gegenauffassung im Schrifttum, wonach dem Merkmal „unbefugt“ eine Doppelfunktion zuteilwird und bei einem offen oder konkludent erklärten Einverständnis bereits der Tatbestand entfällt, während ansonsten lediglich auf das allgemeine Deliktsmerkmal der Rechtswidrigkeit verwiesen wird.395 83 Auch bei den mittelbaren Eingriffen in das Recht am eigenen Bild wird häufig auf das Merkmal „unbefugt“ zurückgegriffen. Eine Ausnahme bildet Absatz 1 Nr. 4. Dies bedeutet indes nicht, dass sich strafbar macht, wer eine unbefugt hergestellte Bildaufnahme nunmehr mit dem Willen des Abgebildeten gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht (ergänzend bereits Rdn. 20). Erfährt etwa eine Person von einer tatgegenständlichen Bildaufnahme erst nach deren Herstellung und hält sie die Aufnahme für so gelungen, dass sie deren weitere Verbreitung gestattet, lässt die nachträgliche Autorisierung zwar die Strafbarkeit nach Absatz 1 Nr. 1 389 390 391 392
BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 28. BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 28. BTDrucks. 15/2466 S. 5. BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 25; krit. Busch NJW 2015 977, 979 unter Verweis auf Bildaufnahmen für künstlerische Vorhaben, Kataloge von Versandhändlern oder Jugendmagazine. 393 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Hoyer SK Rdn. 26; Kargl NK Rdn. 26; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 13; Lackner/ Kühl/Kühl Rdn. 9; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 619; Hoppe GRUR 2004 990, 994; Kühl AfP 2004 190, 196; aA Pollähne KritV 2003 387, 414: Tatbestandsmerkmal. Krit. gegenüber der Aufnahme des Merkmals „unbefugt“ in Abs. 1 Nr. 1 (Abs. 1 a.F.) Wolter Symp. Schünemann 225, 233. 394 Vgl. bereits Linkens 121 f; s.a. SSW/Bosch Rdn. 23. 395 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 12; SSW/Bosch Rdn. 23; Graf MK Rdn. 37; Tag HK-GS Rdn. 7; Kraenz 196; Bosch Jura 2016 1380, 1387 f; hiergegen Hoyer SK Rdn. 26. Valerius
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und Nr. 2 wegen unbefugter Herstellung der Bildaufnahme unberührt; der Abgebildete kann lediglich von dem nach § 205 Abs. 1 Satz 2 erforderlichen Strafantrag absehen. Das Gebrauchen oder Zugänglichmachen nach Absatz 1 Nr. 4 ist gleichwohl straflos, da die Zustimmung der abgebildeten Person nach allgemeinen Grundsätzen als rechtfertigende Einwilligung wirkt (hierzu Rdn. 106).396 Für eine Strafbarkeit nach Absatz 1 Nr. 4 bedarf es somit der doppelten fehlenden Befugnis. Absatz 1 Nr. 5 umfasst diejenigen Fallkonstellationen, in denen die Bildaufnahme zwar be- 84 fugt hergestellt wurde, sodann aber unbefugt verwendet wird, etwa weil die Aufnahme entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht für die konkret erfolgte Verbreitung bestimmt war bzw. eine solche Zustimmung zuvor wirksam widerrufen wurde.397 Es ist nicht erforderlich, dass das Opfer ausdrücklich oder stillschweigend seinen entgegenstehenden Willen erklärt.398 Zu denken ist für Absatz 1 Nr. 1 etwa an Nacktaufnahmen, die im privaten Bereich allein für den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin angefertigt wurden, von diesem bzw. dieser nach Ende der Beziehung aber in einem Internetforum veröffentlicht oder über Tauschbörsen zum Abruf bereitgestellt werden,399 oder an Aufnahmen, die im Rahmen einer Geschäftsbeziehung hergestellt wurden und sodann vereinbarungswidrig veröffentlicht werden.400 Der Anwendungsbereich der Vorschrift bei Bildaufnahmen im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 erscheint hingegen eher gering, da nur wenige Aufnahmen, welche die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellen, befugt hergestellt werden dürften.401 Gleiches gilt für Bildaufnahmen verstorbener Personen nach Absatz 1 Nr. 3. Zu denken ist etwa an Bilder von Unfallopfern, die zulässigerweise zu Beweis- oder Dokumentationszwecken angefertigt wurden, sodann aber auch beliebigen Dritten weitergegeben oder über das Internet verbreitet werden. Mitunter wird im Zusammenhang mit Absatz 1 Nr. 5 auch von einem Indiskretionsdelikt 85 gesprochen,402 jedenfalls betont, dass sich der Betroffene seines höchstpersönlichen Lebensbereichs bereits durch Zustimmung in die Aufnahme begeben habe und lediglich Opfer eines Vertrauensbruchs werde.403 Dieser Charakterisierung der Norm wohnt ein kritischer Unterton inne, da es etwa nicht erstrebenswert ist, jegliche öffentliche ehrenrührige Tatsachenbehauptung über das Privat- oder Familienleben eines anderen unter Strafe zu stellen.404 Eine derart weitreichende Sanktionierung drohte die freie und für eine offene demokratische Gesellschaft uner396 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 31. 397 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 35. Krit. gegenüber der Berechtigung von Abs. 1 Nr. 5 (Abs. 3 a.F.) Bosch JZ 2005 377, 381; Pollähne KritV 2003 387, 412 f.
398 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 17; SSW/Bosch Rdn. 26; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 35; Fischer Rdn. 25, jeweils zu Abs. 1 Nr. 5; aA Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Kächele 194; Kühl AfP 2004 190, 195 zu Abs. 1 Nr. 5. 399 S. etwa die Sachverhalte von LG Kiel (Z) NJW 2007 1002 und VG Münster BeckRS 2014 47310; ferner Graf MK Rdn. 60; Hoyer SK Rdn. 38; Kargl NK Rdn. 19; Popp AnwK Rdn. 19; Tag HK-GS Rdn. 10; Bosch JZ 2005 377, 381; ders. Jura 2016 1380, 1381. 400 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 35; Hoyer SK Rdn. 38; Popp AnwK Rdn. 19; Heinrich ZIS 2011 416, 420. Nach SSW/ Bosch Rdn. 24 erlangt die Vorschrift in diesem Bereich der „beschränkt gestatteten Verwertung“ ihre praktische Bedeutsamkeit; s. hierzu auch Bosch JZ 2005 377, 384 f. Krit. Graf MK Rdn. 63; Hoyer SK Rdn. 38, weil in diesen Fällen eher das Vermarktungsinteresse an der Intimsphäre und nicht die Intimsphäre des Opfers selbst geschützt werde. 401 Graf MK Rdn. 66. 402 S. etwa Graf MK Rdn. 62. 403 SSW/Bosch Rdn. 24; Fischer Rdn. 17; Hoyer SK Rdn. 10; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 9; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Borgmann NJW 2004 2133, 2135; Bosch JZ 2005 377, 381; ders. Jura 2016 1380, 1381, der eine fehlende Abstimmung mit § 33 KunstUrhG bemängelt; Koch GA 2005 589, 601, der vertragswidrige Zweitverwertungen im Wege einer teleologischen Reduktion aus dem Tatbestand ausschließen will, wenn die Aufnahmen von vornherein für anonyme Dritte bestimmt waren; Safferling MLR 2008 36, 41. Vgl. auch BTDrucks. 15/1891 S. 7, wonach es im Risikobereich des Betroffenen liege, die Herstellung einer Bildaufnahme zu verhindern bzw. mit ihr nur eine verlässliche Person zu betrauen; ähnlich Hegemann FS Raue 445, 457. 404 And. hingegen § 182 E 1962 (Öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten): „(1) Wer ohne verständigen Grund öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine ehrenrührige 805
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
lässliche Kommunikation übermäßig zu hemmen.405 Allerdings wird Absatz 1 Nr. 5 dieses Etikett nicht völlig zu Recht verliehen, sind doch auch Fallkonstellationen denkbar, in denen der Abgebildete dem Täter zuvor kein Vertrauen ausgesprochen hat, z.B. wenn tatgegenständliche Bildaufnahmen gestohlen werden, auf Bilddateien – wie in den letzten Jahren bei Prominenten häufig vermeldet – im Wege des Hackings unbefugt zugegriffen wird oder auch Aufnahmen im Rahmen einer polizeilichen Videoüberwachung rechtmäßig hergestellt werden.406 Absatz 1 Nr. 5 als Indiskretionsdelikt zu bezeichnen, darf ebenso wenig darüber hinwegtäuschen, dass das unbefugte Zugänglichmachen einer befugt hergestellten Bildaufnahme als solches einen eigenständigen (erstmaligen) Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Person bedeutet.407 Auch bezüglich der Verbreitung hat der Abgebildete das Recht, über die Verwendung seines eigenen Bildes zu bestimmen (Rdn. 4).408 Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit ist folglich nicht die Indiskretion des Täters, sondern die dadurch begangene Verletzung des Rechts am eigenen Bild. 86 Das Zugänglichmachen muss bei Absatz 1 Nr. 5 „wissentlich unbefugt“ geschehen. Schon aus der hierauf bezogenen Voraussetzung der Wissentlichkeit (hierzu näher Rdn. 107) folgt, dass „unbefugt“ hier – anders als in Absatz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 (Rdn. 82) – keinen Hinweis auf das allgemeine Deliktsmerkmal der Rechtswidrigkeit, sondern ein Tatbestandsmerkmal darstellt.409 Außerdem stellt das Zugänglichmachen befugt hergestellter Bildaufnahmen typischerweise ein sozialübliches Verhalten dar, das erst dann zum Unrecht wird, wenn dies gegen den Willen des Abgebildeten geschieht.410 Absatz 2 setzt ebenfalls, wenngleich ohne diesbezügliches Wissentlichkeitselement, ein un87 befugtes Zugänglichmachen voraus. Hier handelt es sich bei dem Merkmal „unbefugt“ daher wiederum um einen bloßen deklaratorischen Hinweis auf das allgemeine Deliktsmerkmal der Rechtswidrigkeit.411 Da bei potentiell ansehensschädigenden Bildaufnahmen lediglich mittelbare Eingriffe in das Recht am eigenen Bild unter Strafe gestellt werden (Rdn. 66), bleibt unerheblich, ob die Aufnahme zuvor befugt oder unbefugt hergestellt wurde.412
3. Taterfolg 88 a) Allgemeines. Einige Tatbestände des § 201a verlangen als Taterfolg die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der abgebildeten Person. Insbesondere in der ursprünglichen Fassung der Norm durch das 36. StRÄndG von 2004 wurde noch nahezu durchweg auf dieses Merkmal zurückgegriffen, um den Anwendungsbereich der Norm zu begrenzen. Im Behauptung tatsächlicher Art über das Privat- oder Familienleben eines anderen, an deren Inhalt kein öffentliches Interesse besteht, aufstellt oder an einen Dritten gelangen läßt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren, mit Strafhaft oder mit Geldstrafe bestraft. (2) 1Die Tat ist ohne Rücksicht darauf strafbar, ob die Behauptung wahr oder unwahr ist. 2Über die Wahrheit darf kein Beweis erhoben werden.“; zur Begründung BTDrucks. IV/650 S. 328 ff; ausführl. zu § 182 E 1962 Arzt 143 ff. 405 Hilgendorf/Schünemann LK Vor §§ 201 ff Rdn. 15; Kargl NK Vor §§ 201 ff Rdn. 17; Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 16; eingeh. Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 40 ff. 406 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 35; Eisele JR 2005 6, 10; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 620. 407 Vgl. BGH NJW 2020 3608, 3609; Fischer Rdn. 22; Kargl NK Rdn. 19; Kühl AfP 2004 190, 195. 408 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 35; Kargl NK Rdn. 19, der aber skeptisch ist, ob die Strafbarkeit der Missachtung der Dispositionsbefugnis ausreichend legitimiert sei; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8. 409 SSW/Bosch Rdn. 26; Fischer Rdn. 25; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Popp AnwK Rdn. 21; Flechsig ZUM 2004 605, 615; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 620; Obert/Gottschalck ZUM 2005 436, 439; aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 36; Hoyer SK Rdn. 41; Gertzen 122 ff. 410 Graf MK Rdn. 64; Kargl NK Rdn. 25; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Linkens 125 f; Kühl AfP 2004 190, 196; aA Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 36; krit. auch Hoyer SK Rdn. 40 f. 411 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 44. 412 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 44; Graf MK Rdn. 70. Valerius
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§ 201a
Einzelnen setzen Absatz 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 5 als Taterfolg voraus, dass durch das Herstellen, Übertragen bzw. Zugänglichmachen der Bildaufnahme der höchstpersönliche Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt wird. Wegen des ausdrücklich normierten Erfolgsmerkmals kann bei den Bildaufnahmen des Absatzes 1 Nr. 1 (gegebenenfalls i.V.m. Nr. 5) jedenfalls nicht allein aus dem Aufenthaltsort der abgebildeten Person in einer geschützten Räumlichkeit auf die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs geschlossen werden.413 Gleiches gilt für Bildaufnahmen im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 (gegebenenfalls i.V.m. Nr. 5), welche die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellen, wenngleich hier zum Teil angenommen wird, dass in diesen Fällen zumeist auch der höchstpersönliche Lebensbereich betroffen ist.414 Unumstritten war die Notwendigkeit einer solchen Einschränkung indessen nie. Die Kri- 89 tik zielt unter anderem auf die fehlende Abstimmung mit § 201 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, der das Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes ohne einschränkendes Erfolgsmerkmal erfasst und in seiner Eingriffsintensität mit der optischen Überwachung von Wohnungen vergleichbar erscheint, wenn nicht demgegenüber sogar zurücksteht.415 Gegenüber der ursprünglichen Fassung der Norm wurde und wird zudem zu Recht bemängelt, deren Anwendungsbereich durch das Erfolgsmerkmal noch weiter zu verringen, obwohl dieser schon durch die Begrenzung auf die Wohnung und gegen Einblick besonders geschützte Räume nicht unerheblich eingeschränkt wird.416 Der auch an der Strafvorschrift des § 238 (Nachstellung) zu bemerkende Trend, die Strafwürdigkeit von Eingriffen in die Privatsphäre des Opfers durch konturenlose Merkmale wie die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs oder die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung zu bestimmen, erweist sich jedenfalls als fragwürdig. Abgesehen wurde von dem Tatbestandsmerkmal der Verletzung des höchstpersönlichen Le- 90 bensbereichs hingegen zum einen in dem durch das 59. StRÄndG eingefügten Absatz 1 Nr. 3, weil bei verstorbenen Personen weder inhaltlich noch begrifflich von einem höchstpersönlichen Lebensbereich gesprochen werden könne (siehe schon die Entstehungsgeschichte).417 Zum anderen verzichtet Absatz 1 Nr. 4 (i.V.m. Nr. 1 und Nr. 2) auf diese Voraussetzung, da hier – anders als in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 5 – bereits bei der Herstellung der Aufnahme der höchstpersönliche Lebensbereich beeinträchtigt werde und dies, müsse sich die Verletzung doch aus der Aufnahme als solcher ergeben (Rdn. 95), folglich auch bei der Verbreitung der Aufnahme geschehe.418 Auch bei den Absätzen 2 und 3 findet sich kein einschränkendes Kriterium der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs. Insoweit ging der Gesetzgeber des 49. StRÄndG davon aus, dass das Zugänglichmachen der tatgegenständlichen Bildaufnahmen stets den höchstpersönlichen Lebensbereich, „ja sogar die Intimsphäre“ verletze und sich Feststellungen
413 OLG Koblenz NStZ 2009 268, 269; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; Heuchemer BeckOK Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Beck MMR 2008 77, 78; Hoyer ZIS 2006 1, 1; Koch GA 2005 589, 598; Kühl AfP 2004 190, 196; Zöller FS Wolter 679, 687; aA SSW/Bosch Rdn. 15, der von einer Regelvermutung ausgeht, dass bei Aufnahmen in der Wohnung des Opfers als letztem Rückzugsbereich Höchstpersönliches verletzt werde. 414 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 23; Eisele/Sieber StV 2015 312, 314; ebenso wohl SSW/Bosch Rdn. 12. 415 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; s.a. Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 62; Hoyer ZIS 2006 1, 6. 416 Fischer Rdn. 20 f; Hoyer SK Rdn. 11; Hengst 132 ff; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 349; Kühl Symp. Schünemann 211, 222; Wolter Symp. Schünemann 225, 229 ff; s.a. Kargl NK Rdn. 21, der dafür plädiert, wegen der Bedeutung der Wohnung als letztes Refugium jede hier ohne Erlaubnis der abgebildeten Person angefertigte Bildaufnahme de lege ferenda als tatbestandsmäßige Verletzung anzusehen; s. schon Kargl ZStW 117 (2005) 324, 351 f; vgl. auch Popp AnwK Rdn. 12; Hoyer ZIS 2006 1, 6; Safferling MLR 2008 36, 42; Schertz AfP 2005 421, 428. 417 BTDrucks. 19/17795 S. 13. 418 S. hierzu auch Hoyer SK Rdn. 35; and. SSW/Bosch Rdn. 19, wonach die mit den Tathandlungen des Gebrauchens und Zugänglichmachens einhergehende abstrakte Verbreitungsgefahr das Tatunrecht begründet. 807
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§ 201a
Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
zu diesem Merkmal folglich erübrigten.419 Zu den Auswirkungen des Verzichts auf ein solches Erfolgsmerkmal auf den Normcharakter siehe schon Rdn. 17.
91 b) Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs (Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 sowie Nr. 5). Was der höchstpersönliche Lebensbereich im Einzelnen umfassen soll, ist seit Einführung des § 201a eine der zentralen Fragen der Vorschrift. Das Merkmal war zuvor lediglich in dem nicht realisierten Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches in § 146 Abs. 2 Nr. 2 enthalten (Rdn. 6) und stellt somit ein Novum im materiellen Strafrecht dar, zu dessen Auslegung nicht auf die Interpretation anderer Strafvorschriften zurückgegriffen werden kann.420 Mangels überzeugender Alternativen entschied sich der Gesetzgeber gleichwohl letztlich für dieses Regulativ.421 Das in einem anderen Entwurf verwendete Kriterium „persönlicher Lebensbereich“,422 das schon unter anderem die Vorschriften der § 203 Abs. 1 StGB, § 68a Abs. 1 StPO und § 171b Abs. 1 Satz 1 GVG aufweisen, war nach Ansicht des Gesetzgebers zu weit, da der persönliche Lebensbereich auch neutrales Verhalten erfassen könne, das nicht des strafrechtlichen Schutzes vor Bildaufnahmen bedürfe.423 Der ebenso vorgeschlagene Begriff der „Intimsphäre“424 lasse wiederum einengende Assoziationen auf die Bereiche Sexualität und Nacktheit zu.425 92 Gleichwohl soll sich nach der Gesetzesbegründung das Merkmal des höchstpersönlichen Lebensbereichs inhaltlich an dem vom Bundesverfassungsgericht und von den Zivilgerichten näher ausgeformten Begriff der Intimsphäre orientieren.426 Der Straftatbestand sei auf den Bereich privater Lebensgestaltung beschränkt, in dem eine Abwägung zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und dem Schutzinteresse des Einzelnen, wie sie bei einem Eingriff in den sonstigen persönlichen Lebensbereich erforderlich sei, nicht stattfinde.427 Diese Bemerkung des Gesetzgebers legt in weit verbreiteter Deutung im Schrifttum428 nahe, dass der höchstpersönliche Lebensbereich inhaltlich der Intimsphäre entspreche.429 Allerdings hat der Gesetzgeber ebenso – unter Verweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs – bemerkt, dass der höchstpersönliche Lebensbereich auch bestimmte Tatsachen aus dem Familienleben erfasse, sofern sie unbeteiligten Dritten nicht ohne Weiteres zugänglich seien und Schutz vor dem Einblick Außenstehender verdienten.430 Diese in der Gesetzesbegründung aufgegriffenen Ausführungen aus der zitierten Entscheidung betrafen indessen die Auslegung des Merkmals „persönlicher
419 BTDrucks. 18/2601 S. 37. Krit. zu dieser Annahme bei Abs. 2 Popp AnwK Rdn. 1, bei Abs. 3 Jahn/Ziemann FS Kargl 227, 236; zurückhaltend bzgl. Abs. 2 (und wohl nicht allein formal-tatbestandlich zu verstehen) nunmehr der Gesetzgeber des 59. StRÄndG in BTDrucks. 19/17795 S. 9: „In diesen Fällen ist es nicht erforderlich, dass der höchstpersönliche Lebensbereich verletzt wird.“. 420 Krit. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Hoyer ZIS 2006 1, 1; Kühl Symp. Schünemann 211, 222 f. 421 Zust. Linkens 63. 422 So der Entwurf der Fraktion der CDU/CSU (BTDrucks. 15/533 S. 2); befürwortend Kühl AfP 2004 190, 193; ders. Symp. Schünemann 211, 222; krit. Werwigk-Hertneck ZRP 2003 293, 293 und 295. 423 BTDrucks. 15/2466 S. 4. Krit. Fischer Rdn. 19, soll doch nach Ansicht des Gesetzgebers die Wohnung als letzter Rückzugsbereich des Einzelnen (vgl. BTDrucks. 15/2466 S. 5) geschützt sein. 424 S. die Entwürfe der FDP-Fraktion (BTDrucks. 15/361 S. 2) sowie des Landes Baden-Württemberg (BRDrucks. 164/03 S. 1); befürwortend Borgmann NJW 2004 2133, 2134; Pollähne KritV 2003 387, 407. 425 BTDrucks. 15/2466 S. 4. 426 BTDrucks. 15/2466 S. 5; krit. Zöller FS Wolter 679, 685. 427 BTDrucks. 15/2466 S. 5. 428 So Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 19; Heuchemer BeckOK Rdn. 14.1; Eisele JR 2005 6, 9; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 618 f; Koch GA 2005 589, 596; s.a. Hengst 147 f; Murmann FS Maiwald 585, 588 ff; Obert/Gottschalck ZUM 2005 436, 438. 429 So noch ausdrückl. BTDrucks. 15/1891 S. 7. 430 BTDrucks. 15/2466 S. 5 unter Verweis auf BGHSt 30 212, 214; begrüßend Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; s.a. Graf MK Rdn. 45. Hoppe GRUR 2004 990, 993 dehnt den höchstpersönlichen Lebensbereich auch auf außerfamiliäre persönliche Beziehungen mit sonstigen Partnern und Freunden aus. Valerius
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II. Objektiver Tatbestand
§ 201a
Lebensbereich“ (in § 172 Nr. 2 GVG in der Fassung vom 1.1.1975).431 Vorzugswürdig erscheint daher die Auffassung, dass der höchstpersönliche Lebensbereich über die Intimsphäre hinaus geht und sich auch auf – wenngleich nur wenige – Teile des persönlichen Lebensbereichs erstreckt.432 Bei der Bestimmung des höchstpersönlichen Lebensbereichs auf die Ehrdelikte zurückzugreifen und eine Eignung des abgebildeten Geschehens zu verlangen, das Opfer verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen,433 vermag hingegen nicht zu überzeugen. Schließlich handelt es sich bei der Ehre nur um einen Teilbereich des Persönlichkeitsrechts, den der Gesetzgeber bei der ursprünglich auf Aufnahmen in bestimmten räumlichen Schutzbereichen beschränkten Norm zunächst nicht im Blick hatte und der auch mit der Ausprägung des Rechts am eigenen Bild als Ausgangs- und Anknüpfungspunkt der Vorschrift nicht deckungsgleich ist.434 Jedenfalls handelt es sich bei dem auf diese Weise skizzierten höchstpersönlichen Lebens- 93 bereich um einen alles andere als bestimmten Begriff,435 den es näher zu konkretisieren gilt, um eine nicht zu Unrecht befürchtete ausschließlich am Einzelfall orientierte Rechtsprechung436 zu vermeiden. Wird das Merkmal in der beschriebenen Anlehnung an die Intimsphäre interpretiert, umfasst es grundsätzlich die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen (z.B. vertrauliche Briefe und Tagebuchaufzeichnungen) sowie von Natur aus geheimhaltungsbedürftige Angelegenheiten.437 Hierzu zählen vor allem Krankheit, Tod und Sexualität.438 Diese schon vom Gesetzgeber genannten Beispiele zeigen, dass das Merkmal des höchstpersönlichen Lebensbereichs eng auszulegen bleibt, wenngleich die vorstehende Aufzählung nicht abschließend zu verstehen ist.439 Im Einzelnen umfasst der höchstpersönliche Lebensbereich den Gesundheitszustand 94 („Krankheit“),440 den Sterbevorgang und das Trauern um Verstorbene („Tod“),441 das Sexualleben, gynäkologische Untersuchungen sowie die Benutzung von Toiletten, Saunen, Solarien und Umkleidekabinen („Sexualität“).442 Der Schwerpunkt der Vorschrift dürfte in der Praxis bei Nacktaufnahmen liegen.443 Abgesehen von solchen nahezu einmütig als Teil des höchstpersönlichen Lebensbereichs angesehenen Situationen erweist sich als äußerst fraglich, wann Herstellung, Übertragung oder Zugänglichmachen einer Bildaufnahme den Taterfolg verwirklichen. Le431 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; krit. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14, weil die genannte Entscheidung verbale Mitteilungen betreffe, die Schutzbedürfnisse bei Bildaufnahmen aber von ganz anderen Gesichtspunkten bestimmt sein könnten. 432 SSW/Bosch Rdn. 14; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Rahmlow HRRS 2005 84, 90; s.a. Hesse ZUM 2005 432, 435. Vgl. auch die Erwägungen in BTDrucks. 18/2601 S. 37 zu bloßstellenden Bildaufnahmen und zu Nacktaufnahmen: „[…], dass davon der höchstpersönliche Lebensbereich, ja sogar die Intimsphäre verletzt wird“. 433 So Hoyer SK Rdn. 23, der als Beispiele einen „Verstoß [der abgebildeten Person] gegen das Recht oder selbstverkündete moralische Grundsätze“ nennt; ausführl. schon Hoyer ZIS 2006 1, 4 ff. 434 S.a. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15. 435 Krit. etwa SSW/Bosch Rdn. 14; Heuchemer BeckOK Rdn. 2; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Kächele 96 f; Kraenz 240 ff; Borgmann NJW 2004 2133, 2134; Eisele JR 2005 6, 11; Hegemann FS Raue 445, 454 f; Kühl AfP 2004 190, 196; Mitsch Jura 2006 117, 119; Obert/Gottschalck ZUM 2005 436, 438 f; Sauren ZUM 2005 425, 430; Schertz AfP 2005 421, 427; Tillmanns/Führ ZUM 2005 441, 444 f; Vahle DVP 2004 494, 495; hiergegen Murmann FS Maiwald 585, 592 f; zurückhaltend auch Koch GA 2005 589, 596. 436 So Bosch Jura 2016 1380, 1384. 437 BTDrucks. 15/2466 S. 5; Heuchemer BeckOK Rdn. 14; Kargl NK Rdn. 22. 438 S. nur BTDrucks. 15/2466 S. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Graf MK Rdn. 10 und 45; Heuchemer BeckOK Rdn. 14; Hoyer SK Rdn. 22; Kargl NK Rdn. 22; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 10; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3. 439 BTDrucks. 15/2466 S. 5. Für die Einbeziehung der Religionsausübung Hoppe GRUR 2004 990, 992 f; krit. Heuchemer BeckOK Rdn. 1. 440 BTDrucks. 15/2466 S. 5. 441 Eisele JR 2005 6, 9; aA Koch GA 2005 589, 597. 442 BTDrucks. 15/2466 S. 5; Graf MK Rdn. 45; Kargl NK Rdn. 22; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3. 443 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 337; Rahmlow HRRS 2005 84, 90; vgl. bereits BTDrucks. 15/1891 S. 7. 809
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diglich peinliche, aber nicht zur Intimsphäre gehörende Situationen sind jedenfalls nicht erfasst,444 ebenso wenig „neutrale“ Handlungen wie z.B. die Anwesenheit von Gästen bei einer Abendgesellschaft,445 die Arbeit am häuslichen Schreibtisch,446 Fernsehen, Lesen, Schlafen und Nahrungsaufnahme447 oder Tätigkeiten im Haushalt wie Staubsaugen, Bügeln, das Abwaschen von Geschirr oder das Heraustragen von Müll.448 Bildaufnahmen, die nicht den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzen, sind unter den Voraussetzungen des § 33 KunstUrhG geschützt. 95 Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss der höchstpersönliche Lebensbereich durch die Herstellung oder Übertragung (Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2) bzw. durch das Zugänglichmachen (Absatz 1 Nr. 5) verletzt werden („dadurch“). Dies könnte zu dem Schluss verleiten, dass der Taterfolg nicht nur durch den Inhalt der Aufnahme, sondern auch durch die darauf bezogene Tathandlung herbeigeführt werden könnte.449 Allerdings hatte § 201a gerade die durch Bildaufnahmen als solche für den höchstpersönlichen Lebensbereich begründeten Gefahren im Blick, wie auch die amtliche Überschrift der Norm („Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs […] durch Bildaufnahmen“) offenbart. Demnach muss der höchstpersönliche Lebensbereich allein durch den Inhalt der Aufnahme verletzt werden.450 Für Absatz 1 Nr. 5 bedeutet dies beispielsweise, dass sich der Taterfolg allein aus dem Gegenstand der zugänglich gemachten Aufnahme ergeben muss, nicht hingegen erst in Verbindung mit weiteren Umständen wie etwa dem Begleittext oder dem Kontext der Veröffentlichung.451
4. Sozialadäquanzklausel (Absatz 4) 96 Absatz 4 wurde durch das 49. StRÄndG im Jahr 2015 eingeführt und bestimmt seitdem, dass die mit demselben Gesetz neu eingefügten Tatbestände in Absatz 1 Nr. 2 (gegebenenfalls i.V.m. Absatz 1 Nr. 4 und Nr. 5), Absatz 2 und Absatz 3 nicht gelten, wenn mit den hier beschriebenen Handlungen überwiegende berechtigte Interessen wahrgenommen werden. Durch das 59. StRÄndG wurde die Sozialadäquanzklausel auf Taten nach Absatz 1 Nr. 3 (gegebenenfalls i.V.m. Absatz 1 Nr. 4 und Nr. 5) erweitert. Der Gesetzgeber des 36. StRÄndG 2004 verzichtete hingegen noch – zu Recht – auf eine solche Regelung, weil die jedenfalls damals enge Fassung der Norm ohnehin dazu führte, dass nicht zuletzt der Pressefreiheit allenfalls in Ausnahmesituationen eine rechtfertigende Wirkung zuteil wurde.452 An den ursprünglichen Anwendungsbereich der Norm, der sich inzwischen in Absatz 1 Nr. 1 (gegebenenfalls i.V.m. Absatz 1 Nr. 4 und Nr. 5) 444 445 446 447
Koch GA 2005 589, 597. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; aA Hoppe GRUR 2004 990, 993 für das gemeinsame Essen mit Freunden. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; Fischer Rdn. 19; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Kühl AfP 2004 190, 196. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; Fischer Rdn. 19; krit. gegenüber dem generellen Ausschluss des Verzehrs von Speisen außerhalb des höchstpersönlichen Lebensbereichs Popp AnwK Rdn. 12. 448 AA wohl AG Riesa MMR 2019 548, 549 zum Beobachten einer Person beim Heraustragen des Mülls mittels einer mit Kamera ausgestatteten Drohne. 449 So in der Tat Borgmann NJW 2004 2133, 2135, wonach der Aufnahmeinhalt für die Frage, ob der höchstpersönliche Lebensbereich verletzt ist, ohne Belang sei; ebenso Obert/Gottschalck ZUM 2005 436, 439; krit. Kargl ZStW 117 (2005) 324, 335. 450 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 20; Hoyer SK Rdn. 21 f; Hoyer ZIS 2006 1, 1 f; Rahmlow HRRS 2005 84, 91 f. 451 SSW/Bosch Rdn. 27; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 33; Fischer Rdn. 22; vgl. auch Hoyer ZIS 2006 1, 3; aA wohl Graf MK Rdn. 47. 452 Zust. auch SSW/Bosch Rdn. 3; Kächele 150; Bosch JZ 2005 377, 383 f; Eisele JR 2005 6, 10; Hoppe GRUR 2004 990, 994; Kühl AfP 2004 190, 196 f; Schertz AfP 2005 421, 428; s.a. Kargl NK Rdn. 27; aA Flechsig ZUM 2004 605, 613; Hegemann FS Raue 445, 457 ff; Obert/Gottschalck ZUM 2005 436, 440; Tillmanns/Führ ZUM 2005 441, 446 f; krit. auch Wendt AfP 2004 181, 190. And. noch die in Fn. 1 erwähnten Entwürfe der Fraktionen der FDP (BTDrucks. 15/361 S. 2) und der CDU/CSU (BTDrucks. 15/533 S. 2) sowie des Landes Baden-Württemberg (BRDrucks. 164/03 S. 2), bei denen solche Ansätze wegen der vorgeschlagenen weiteren Fassung des § 201a überlegenswert waren. Valerius
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II. Objektiver Tatbestand
§ 201a
wiederfindet, knüpft Absatz 4 folglich nicht an. Die hier normierte Sozialadäquanzklausel soll gewährleisten, dass die Pressefreiheit bei der Anwendung des erweiterten § 201a hinreichend berücksichtigt wird.453 Auch wenn die Regelung dem § 201 Abs. 2 Satz 3 ähnelt (und nach dem ursprünglichen 97 Entwurf sogar dessen entsprechende Geltung angeordnet werden sollte),454 überwiegen die Unterschiede die Gemeinsamkeiten und lässt sich auch insoweit nicht von einer Abstimmung der beiden Straftatbestände zum Schutz der Rechte am eigenen Wort und Bild sprechen.455 Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass sich Absatz 4 bewusst an § 86 Abs. 3 anlehnt, weil das Erfordernis der Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen als zu hohe Hürde angesehen wurde.456 Die Unterschiede zwischen Absatz 4 und § 201 Abs. 2 Satz 3 beginnen bereits bei den unterschiedlichen Charaktern der Normen als Tatbestandsausschluss einerseits (Absatz 4; hierzu sogleich Rdn. 98) und Rechtfertigungsgrund andererseits (§ 201 Abs. 2 Satz 3; hierzu Hilgendorf LK § 201 Rdn. 41). Darüber hinaus erfasst Absatz 4 – anders als § 201 Abs. 2 Satz 3, der sich allein auf die öffentliche Mitteilung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes beschränkt – mit den Modalitäten des Absatzes 1 Nr. 2 und des Absatzes 3 Nr. 1 Var. 1 auch unmittelbare Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht. Schließlich handelt es sich bei § 201 Abs. 2 Satz 3 aufgrund seines Anwendungsbereichs um einen pressespezifischen Rechtfertigungsgrund, während sich Absatz 4 auf die Wahrnehmung sämtlicher überwiegender berechtigter Interessen erstreckt,457 die ausdrücklich auch der Kunst oder Wissenschaft, Forschung oder Lehre oder ähnlichen Zwecken dienen können, mag freilich die ebenso genannte Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte den Hauptanwendungsbereich der Norm bilden.458 Nach vorzugswürdiger herrschender Auffassung ist Absatz 4 schon im Hinblick auf seinen 98 Wortlaut („gelten nicht“) als Tatbestandsausschluss für sozialadäquate Handlungen konzipiert.459 Ob diese Qualifizierung – etwa auch im Vergleich mit anderen Regelungen wie der Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 – sinnreich war,460 ist eine andere, im Ergebnis aber zumindest in der Regel unbeachtliche Frage. Allein die Existenz der Sozialadäquanzklausel darf nicht zu der Annahme verleiten, dass 99 etwa Medienangehörige für ihre Berichterstattung nach Belieben tatgegenständliche Bildaufnahmen anfertigen und verbreiten dürfen. Vielmehr folgt schon aus der erforderlichen Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen, dass es stets einer Abwägung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls bedarf, ob die berechtigten Interessen das durch § 201a geschützte (in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3: postmortale) Persönlichkeitsrecht überwiegen.461 Bei den berechtigten Interessen muss es sich – anders als bei § 201 Abs. 2 Satz 3 – nicht um überragende öffentliche Interessen handeln.462 Die Aufzählung, welchen Bereichen die wahrgenommenen Interessen entstammen können, „namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte“, ist nicht abschließend, wie sich bereits aus den am Ende
453 454 455 456 457 458 459
Vgl. BTDrucks. 18/2601 S. 39. Krit. zur Einbeziehung des Abs. 1 Nr. 2 Bosch Jura 2016 1380, 1385. S. hierzu BTDrucks. 18/2601 S. 39. S. schon Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 22. BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 29. Graf MK Rdn. 94. Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 22; Eisele/Sieber StV 2015 312, 318. Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 25; SSW/Bosch Rdn. 32; Fischer Rdn. 31; Graf MK Rdn. 95; Kargl NK Rdn. 23; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9c; Tag HK-GS Rdn. 13; Bosch Jura 2016 1380, 1387; Buchholz JA 2018 511, 514; aA Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 53; Hoyer SK Rdn. 52; van Bergen 271; Eisele/Sieber StV 2015 312, 318: Rechtfertigungsgrund. 460 Vgl. hierzu etwa Hoyer SK Rdn. 52. 461 BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 29; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 53; Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 97. 462 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 53. Heuchemer BeckOK Rdn. 24 plädiert angesichts seiner Bedenken gegenüber der Erweiterung des § 201a durch das 49. StRÄndG (Fn. 90) für einen möglichst weitgehenden Gebrauch des Absatzes 4. 811
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
genannten „ähnlichen Zwecken“ ergibt.463 Sofern die tatgegenständlichen Bildaufnahmen – wie vermutlich häufig – die Intimsphäre der abgebildeten Person betreffen, scheidet eine Abwägung allerdings ohnehin von vornherein aus und kommt ein Tatbestandsausschluss folglich nicht in Betracht.464 100 Bei der Bildberichterstattung im Besonderen wird – jenseits der einer Abwägung nicht offenstehenden Intimsphäre – nicht zuletzt deren Informationswert zu berücksichtigen sein, wobei allein die Sensationslust der Öffentlichkeit und deren Interesse an Skandalen, Peinlichkeiten und Entgleisungen insbesondere prominenter Personen deren Persönlichkeitsrechte nicht zu überwiegen vermag (ergänzend zur Berücksichtigung der Pressefreiheit Rdn. 113).465 Gleiches gilt für kommerzielle Interessen der Medien.466 Von Bedeutung wird zudem sein, ob die veröffentlichte Aufnahme rechtswidrig erlangt wurde (zur Differenzierung zwischen rechtswidriger Erlangung und rechtswidriger Verbreitung von Informationen Rdn. 112 f).467
III. Subjektiver Tatbestand 101 Die Tat erfordert grundsätzlich zumindest bedingten Vorsatz. Wissen und Willen des Täters müssen sich insbesondere auf die Tathandlungen sowie auf die tatgegenständlichen Eigenschaften der erfassten Bildaufnahmen erstrecken, z.B. auf die tatsächlichen Umstände, aus denen sich die zur Schau gestellte Hilflosigkeit der abgebildeten Person (Absatz 1 Nr. 2),468 die grobe Anstößigkeit des Zurschaustellens einer verstorbenen Person (Absatz 1 Nr. 3) oder die Eignung der Aufnahme, deren Ansehen zu schädigen (Absatz 2),469 ergibt. Sind die tatsächlichen Umstände dem Täter bekannt, führt eine Fehlvorstellung hinsichtlich der hierauf beruhenden Wertung, z.B. über die Eignung einer Aufnahme zur Ansehensschädigung, zu einem unbeachtlichen Subsumtionsirrtum, der einen (jedenfalls in der Regel vermeidbaren) Verbotsirrtum nach sich zieht.470 102 In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 (gegebenenfalls i.V.m. Nr. 4 oder Nr. 5) muss der Täter an sich wissen, dass die aufgenommene bzw. abgebildete Person verstorben ist. Geht der Täter indessen unzutreffend davon aus, dass das Opfer zum Zeitpunkt der Aufnahme noch lebt, schließt dies in Anlehnung an den vergleichbaren Meinungsstreit zu § 189 den Vorsatz nicht aus, sofern der höchstpersönliche Lebensbereich und das insoweit nachwirkende postmortale Persönlichkeitsrecht als (einander entsprechende) Rechtsgüter der Vorschrift angesehen werden (hierzu Rdn. 13).471 Gleiches gilt für den umgekehrten Fall, dass in einer Bildaufnahme die Hilflosigkeit einer (lebenden) Person dargestellt wird, die der Täter irrigerweise für tot hält.472 103 In den Fällen des Absatzes 3 setzt Vorsatz voraus, dass der Täter um das Alter der gezeigten Person weiß, sofern diese zum Zeitpunkt der Aufnahme tatsächlich minderjährig war.473 Wenn die abgebildete Person zu diesem Zeitpunkt hingegen volljährig war und lediglich minderjährig 463 Graf MK Rdn. 95. Näher zu den einzelnen Interessen Graf MK Rdn. 96 ff; Steinsiek LK § 86 Rdn. 39; van Bergen 274 ff.
464 S.a. SSW/Bosch Rdn. 32; Graf MK Rdn. 94. 465 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 53; Bosch Jura 2016 1380, 1387; Valerius FS Fischer 1153, 1163; vgl. auch zur (nicht Absatz 4 unterfallenden) Verbreitung eines sog. Gaffervideos im Internet LG Bonn MMR 2021 924, 925. 466 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 53. 467 Hoyer SK Rdn. 53. 468 SSW/Bosch Rdn. 22; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24; Fischer Rdn. 29. 469 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 43. 470 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 43 zu Abs. 2. 471 So zu § 189 Hilgendorf LK § 189 Rdn. 4; Valerius BeckOK § 189 Rdn. 5; hierzu bei Abs. 1 Nr. 3 tendierend auch Preuß ZIS 2018 212, 217; aA zu § 189 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 189 Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl § 189 Rdn. 4. 472 Vgl. wiederum zu § 189 einerseits Hilgendorf LK § 189 Rdn. 4; Valerius BeckOK § 189 Rdn. 5; andererseits Sch/ Schröder/Eisele/Schittenhelm § 189 Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl § 189 Rdn. 4. 473 Fischer Rdn. 29; Graf MK Rdn. 101; Kargl NK Rdn. 24. Valerius
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III. Subjektiver Tatbestand
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wirkte (zu Scheinminderjährigen schon Rdn. 65), muss der Täter deren äußeres Erscheinungsbild entsprechend einschätzen.474 Soweit erforderlich muss der Vorsatz auch die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs umfassen.475 Hierfür genügt wiederum die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, welche die Höchstpersönlichkeit bedingen. Allein die Fehleinschätzung, eine bestimmte Bildaufnahme gehöre nicht dem höchstpersönlichen Lebensbereich an, stellt auch hier einen unbeachtlichen Subsumtionsirrtum dar.476 Zu differenzieren ist bei dem Merkmal „unbefugt“. Da es sich hierbei in Absatz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 sowie in Absatz 2 nicht um ein Tatbestandsmerkmal handelt, muss es nicht vom Vorsatz des Täters umfasst sein. In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und Nr. 2 schließt allerdings die Zustimmung der abgebildeten Person den Taterfolg der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs aus und wirkt somit tatbestandsausschließend (Rdn. 82), so dass die irrige Annahme dieses Einverständnisses den Vorsatz entfallen lässt. Bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 4 muss sich der Vorsatz des Täters auf eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat nach Absatz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 (Rdn. 74) erstrecken, durch welche die nunmehr gebrauchte oder zugänglich gemachte Bildaufnahme hergestellt wurde. Die Fehlvorstellung, dass etwa in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 oder Nr. 2 die Aufnahme mit Zustimmung der abgebildeten Person angefertigt wurde, schließt folglich den Vorsatz aus.477 Nur rechtfertigende Wirkung hat dagegen die Einwilligung des Täters in das Gebrauchen oder Zugänglichmachen der einst unbefugt hergestellten Aufnahme (siehe schon Rdn. 83). Geht der Täter irrigerweise von einer solchen Zustimmung aus, befindet er sich nach allgemeinen Grundsätzen in einem Erlaubnistatumstandsirrtum. In Absatz 1 Nr. 5 stellt „unbefugt“ ein Tatbestandsmerkmal dar (Rdn. 86), so dass sich auch der Vorsatz des Täters hierauf beziehen muss. Einschränkend setzt die Norm voraus, dass der Täter wissentlich bzgl. der Unbefugtheit des Zugänglichmachens der befugt hergestellten Aufnahme handelt. Diese Einschränkung wurde auf Betreiben des Rechtsausschusses eingefügt, um sozialadäquates Verhalten von der Strafbarkeit auszunehmen.478 Der Täter muss demnach positiv wissen, ohne Befugnis zu handeln.479 Diesbezügliche Irrtümer schließen den Vorsatz aus.480 Allein die sichere Kenntnis, der Betroffene habe jedenfalls nicht ausdrücklich zugestimmt, gereicht nicht zur Wissentlichkeit,481 sanktioniert die Vorschrift schließlich nicht, die Zustimmung der abgebildeten Person nicht eingeholt zu haben, sondern den nicht einvernehmlichen Eingriff in deren Recht am eigenen Bild.482 Ein anderes, auf die ausdrückliche Zustimmung bezogenes Verständnis dürfte dem Merkmal „wissentlich“ außerdem die ihm angedachte einschränkende Funktion wieder nehmen und die Strafbarkeit vielmehr sogar ausweiten.483
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Zu diesbezüglichen Irrtümern bei §§ 184b, 184c Mitsch ZStW 124 (2012) 323, 329 ff. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16; Kargl NK Rdn. 24. Fischer Rdn. 29; Graf MK Rdn. 102; Kargl NK Rdn. 24. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 30; Graf MK Rdn. 103; Kargl NK Rdn. 24; Safferling MLR 2008 36, 42 f; s.a. Heuchemer/Paul JA 2006 616, 619 und 620. 478 BTDrucks. 15/2995 S. 6; krit. Eisele JR 2005 6, 10. 479 Vgl. Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 24; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 36; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 335. 480 Fischer Rdn. 29; Graf MK Rdn. 104; Kargl NK Rdn. 25; Flechsig ZUM 2004 605, 615; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 620; aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 36: Erlaubnistatumstandsirrtum. 481 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 36; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; aA SSW/Bosch Rdn. 28; Bosch JZ 2005 377, 382, da ansonsten der Tatbestand mangels prozessualer Nachweisbarkeit offensichtlich bedeutungslos wäre; ebenso Kargl NK Rdn. 25; Tag HK-GS Rdn. 15; hierzu auch Graf MK Rdn. 64. 482 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 36. 483 Popp AnwK Rdn. 22; s.a. Bosch JZ 2005 377, 382. 813
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IV. Rechtswidrigkeit 1. Einwilligung 108 Wie bereits das in verschiedenen Tatbeständen der Vorschrift verwendete Merkmal „unbefugt“ indiziert, kommen bei § 201a häufig Rechtfertigungsgründe in Betracht. Die größte Bedeutung dürfte der Einwilligung der abgebildeten Person zuteilwerden. Allerdings ist zu beachten, dass die Zustimmung der abgebildeten Person nach der hier vertretenen Ansicht bei den Tatbeständen des Absatzes 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 5, die jeweils eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs voraussetzen, im Ergebnis bereits als tatbestandsausschließendes Einverständnis wirkt (Rdn. 82). Bedeutung als Einwilligung entwickelt die Zustimmung der abgebildeten Person aber nicht zuletzt, wenn sie sich in Absatz 1 Nr. 4 auf das Gebrauchen oder Zugänglichmachen einer unbefugt hergestellten Aufnahme bezieht (siehe schon Rdn. 83). Gleiches gilt für Bildaufnahmen im Sinne des Absatzes 2, wenngleich bei potentiell ansehensschädigenden Aufnahmen ein einvernehmliches Zugänglichmachen nur selten vorliegen wird; zu Absatz 3 siehe sogleich Rdn. 110. 109 Dispositionsbefugt ist grundsätzlich nur die abgebildete Person als Inhaberin des geschützten Rechts am eigenen Bild, an dessen Verletzung § 201a anknüpft. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Einwilligung ist nach allgemeinen Grundsätzen der Zeitpunkt der Tat. Ein späterer Widerruf bleibt insoweit folglich unbeachtlich.484 Allein die Kenntnis der abgebildeten Person von der Anfertigung oder Verbreitung der Aufnahme stellt keine Einwilligung dar,485 könnte sich der Täter doch ansonsten der Strafbarkeit schlicht durch einen entsprechenden Hinweis auf die Bildaufnahme entziehen.486 § 201a setzt somit kein heimliches Vorgehen voraus.487 In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 (gegebenenfalls i.V.m. Absatz 1 Nr. 4 und Nr. 5) bleibt die Zustimmung des Inhabers der Wohnung bzw. des Berechtigten an dem gegen Einblick besonders geschützten Raum unbeachtlich.488 110 Problematisch erweist sich eine Einwilligung in den Fällen des Absatzes 3. Die angesichts des höchstpersönlichen Charakters von Nacktaufnahmen an sich berechtigte Diskussion, unter welchen Voraussetzungen einerseits eine minderjährige Person überhaupt die notwendige geistige und sittliche Reife aufweisen kann, um ihre Persönlichkeitsrechte insoweit preiszugeben,489 und andererseits die Personensorgeberechtigten die auf sie übergegangene Dispositionsbefugnis überschreiten,490 verschleiert die wesentliche Vorfrage, ob bei Absatz 3 angesichts seines Anliegens überhaupt eine Einwilligung der abgebildeten Person bzw. der Personensorgeberechtigten in Betracht kommt. Wird die Regelung des Absatzes 3 wie hier derart verstanden, dass sie jedenfalls nicht ausschließlich auf den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person abzielt, sondern ebenso vor den Gefahren der Kommerzialisierung solcher Aufnahmen 484 Fischer Rdn. 17. 485 Popp AnwK Rdn. 28. Zum entsprechenden Meinungsstreit bei § 201, ob die Kenntnis um die Aufnahme des nichtöffentlich gesprochenen Wortes eine Einwilligung des gleichwohl Sprechenden bedeutet, OLG Celle NStZ 1995 502, 503; Hilgendorf LK § 201 Rdn. 12. 486 Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 94; Valerius FS Fischer 1153, 1160. 487 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 12; Heuchemer BeckOK Rdn. 28; Kächele 165; Heuchemer/Paul JA 2006 616, 619; Kargl ZStW 117 (2005) 324, 340; ausführl. Linkens 110 ff. 488 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 26; Graf MK Rdn. 81; Kargl NK Rdn. 28. 489 Hierzu etwa Sch/Schröder/Eisele Rdn. 52; Graf MK Rdn. 86; Hoyer SK Rdn. 50; Busch NJW 2015 977, 979 f; Eisele/Sieber StV 2015 312, 317; allg. zur Einwilligung Minderjähriger in die Verbreitung von Bildaufnahmen Vetter AfP 2017 127, 130 f. 490 Hierzu etwa Sch/Schröder/Eisele Rdn. 52; Hoyer SK Rdn. 50, der die Einwilligung der Eltern wegen der für deren Erklärung maßgeblichen Entgelterzielungsabsicht in Abs. 3 Nr. 1 als rechtsmissbräuchlich und somit unwirksam ansieht; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 13; Popp AnwK Rdn. 28; Tag HK-GS Rdn. 12; Busch NJW 2015 977, 980; Eisele/Sieber StV 2015 312, 318; allg. Vetter AfP 2017 127, 131 f. Zu den Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis bei § 201a a.F. bereits Mitsch Jura 2006 117, 120. Valerius
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IV. Rechtswidrigkeit
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bewahren will, die auch anderen als den abgebildeten Kindern und Jugendlichen drohen könnten, und folglich auch deren sexuelle Selbstbestimmung schützen soll (Rdn. 14), scheidet entgegen der herrschenden Auffassung491 eine rechtfertigende Einwilligung der abgebildeten Person bzw. der Personensorgeberechtigten aus.492 Im konkreten Einzelfall dürften die beiden Auffassungen aber ohnehin kaum zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, geht die Gegenansicht, die eine Einwilligung grundsätzlich zulässt, doch davon aus, dass eine wirksame Einwilligung nur selten in Betracht komme.493
2. Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 GG) Vieldiskutiert ist die Rechtfertigung einer Tat nach § 201a im Zusammenhang mit Tätigkeiten 111 der Presse und der Medien. Von Bedeutung ist dies vor allem für Bildaufnahmen einer anderen Person, die sich zum Zeitpunkt der Aufnahme in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, weil insoweit ein Tatbestandsausschluss nach Absatz 4 (Rdn. 96 ff) von vornherein ausscheidet. Ob bei den von Absatz 4 erfassten Tatbeständen hingegen der Pressefreiheit als Rechtfertigungsgrund überhaupt noch ein eigener Anwendungsbereich verbleibt, erscheint fraglich, weil der Stellenwert der Pressefreiheit bereits bei der Auslegung der Sozialadäquanzklausel zu berücksichtigen ist. Jedenfalls bei von Absatz 4 nicht erfassten Bildaufnahmen von Personen in den räumlich 112 geschützten Bereichen des Absatzes 1 Nr. 1 steht eine Berufung unmittelbar auf die Pressefreiheit als Rechtfertigungsgrund im Raum.494 Deren Schutzbereich umfasst sämtliche Tätigkeiten von der Beschaffung der Information (wie etwa durch die Anfertigung von Bildaufnahmen) bis hin zur Verbreitung einer Nachricht (z.B. durch die Veröffentlichung von Bildaufnahmen).495 Besonderes Gewicht wird hierbei dem grundsätzlich ungehinderten Zugang zur Information eingeräumt.496 Gleichwohl geht die zum Teil reflexartige Berufung auf eine legitimierende Wirkung der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 GG überwiegend fehl. So ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die rechtswidrige Beschaffung von Informationen von vornherein nicht durch die Pressefreiheit geschützt.497 Unmittelbare Eingriffe in Persönlichkeitsrechte nach Absatz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 sowie nach Absatz 3 Nr. 1 Var. 1 vermag daher jedenfalls die Pressefreiheit nicht zu rechtfertigen.498 Zu denken ist an Bildaufnahmen mit versteckter
491 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 51; Heuchemer BeckOK Rdn. 22; Popp AnwK Rdn. 28; Busch NJW 2015 977, 979; Eisele/ Sieber StV 2015 312, 317; vgl. auch Jahn/Ziemann FS Kargl 227, 235.
492 Ebenso i.Erg. Graf MK Rdn. 86. 493 S. etwa Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 51; Eisele/Sieber StV 2015 312, 317; s.a. Bosch Jura 2016 1380, 1388; vgl. ferner zum ursprünglichen Entwurf der Regelung schon BTDrucks. 18/2601 S. 38, wonach die Einwilligung der Eltern in die Herstellung von Bildaufnahmen, die auf einschlägigen Wegen zu vorwiegend sexuellen Zwecken verbreitet werden, unwirksam ist. 494 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9; Valerius FS Fischer 1153, 1164; aA OLG Düsseldorf (Z) ZUM-RD 2012 137, 141; Koch GA 2005 589, 604. Allg. zur Einordnung von Freiheitsgrundrechten als Rechtfertigungsgründen Rönnau LK Vor §§ 32 ff Rdn. 138 f. 495 BVerfGE 10 118, 121; 12 205, 260; 21 271, 279; 77 346, 354; 91 125, 134; Dürig/Herzog/Scholz/Grabenwarter Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rdn. 271; Schemmer BeckOK-GG Art. 5 Rdn. 44. 496 BVerfGE 20 162, 176; 36 193, 204; 50 234, 240; Dürig/Herzog/Scholz/Grabenwarter Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rdn. 274 ff. 497 BVerfGE 66 116, 137; aus dem Schrifttum Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; Dürig/Herzog/Scholz/Grabenwarter Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rdn. 282; Schemmer BeckOK-GG Art. 5 Rdn. 46; Flechsig ZUM 2004 605, 608; Hoppe GRUR 2004 990, 994; Wendt AfP 2004 181, 185; hierzu auch Valerius FS Fischer 1153, 1165. 498 Kargl NK Rdn. 27; Popp AnwK Rdn. 29; Kächele 209; vgl. auch Hoyer SK Rdn. 27; Heinrich ZIS 2011 416, 419; aA wohl Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9. 815
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen
Kamera im Rahmen des sog. investigativen Journalismus499 oder an die Herstellung unbefugter Bildaufnahmen durch einen Paparazzo.500 113 Für die Verbreitung rechtswidrig erlangter Informationen kommt hingegen eine Rechtfertigung durch die Pressefreiheit durchaus in Betracht.501 Schließlich zählt zu der Kontrollaufgabe der Presse nicht zuletzt, auf Missstände von öffentlicher Bedeutung hinzuweisen.502 Welchen Schranken die Pressefreiheit unterliegt, ist daher unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls (z.B. die Aufdeckung eines schweren Verbrechens einerseits oder die Veröffentlichung persönlicher Angelegenheiten andererseits) zu bestimmen.503 Für die Zulässigkeit der Veröffentlichung rechtswidrig erlangter Informationen streitet nach Bundesverfassungsgericht insbesondere, wenn dadurch ein Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geleistet wird oder Missstände von erheblichem Gewicht offenbart werden, an deren Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht.504 Hierbei ist aber auch zu würdigen, wie erheblich der Eingriff war, durch den die zu veröffentlichenden Informationen rechtswidrig erlangt wurden.505 Zudem kann eine Tat nicht mit dem (gegebenenfalls auch nur vermeintlichen) Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit bezüglich des Privatlebens von Personen der Zeitgeschichte gerechtfertigt werden (vgl. schon Rdn. 100).506 Daher vermag die Pressefreiheit es in aller Regel nicht zu rechtfertigen, (z.B. mit versteckter Kamera aufgezeichnete) Bildaufnahmen zu bloßen Unterhaltungszwecken zu verbreiten.507 Im Rahmen des sog. investigativen Journalismus ist hingegen eine gerechtfertigte Veröffentlichung rechtswidrig erlangter Bildaufnahmen durchaus denkbar.508 Allerdings dürfte es sich hierbei lediglich um Ausnahmesituationen handeln. Insbesondere weil der höchstpersönliche Lebensbereich kaum über den Bereich der Intimsphäre hinausgeht (Rdn. 92), die jeglicher Abwägung zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und dem Schutzinteresse des Einzelnen entzogen ist, erscheint ein Rekurs auf die Pressefreiheit nur selten möglich.509 Nicht völlig deckungsgleiche Maßstäbe legt hingegen der Europäische Gerichtshof für 114 Menschenrechte bei dem auch die Pressefreiheit umfassenden Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK an. Zwar handelt es sich bei den Rechten am eigenen Bild um „Rechte anderer“ im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK, die Eingriffe in die Pressefreiheit legitimieren können. Daher müssen auch die Medien trotz ihrer Funktion als „öffentlicher Wachhund“ in der demokratischen Gesellschaft510 Strafvorschriften zum Schutz des Rechts am eigenen Bild beach499 S. etwa die in EGMR NJOZ 2016 1505 (Haldimann u.a./Schweiz), OLG Düsseldorf (Z) ZUM-RD 2012 137 oder OLG Köln (Z) NJW-RR 2020 30 geschilderten Sachverhalte; vgl. auch BVerfGE 66 116, 137 zum Einschleichen eines Schriftstellers unter einem Decknamen als freier Mitarbeiter bzw. Journalist in die Redaktion einer Zeitung. 500 Als weiteres Beispiel für die rechtswidrige Erlangung von Informationen nennt BVerfGE 66 116, 137 f „den vorsätzlichen Rechtsbruch, um die auf diese Weise verschaffte Information zu publizieren oder gegen hohes Entgelt weiterzugeben“. 501 BVerfGE 66 116, 137; Dürig/Herzog/Scholz/Grabenwarter Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rdn. 282; Wendt AfP 2004 181, 186. 502 BVerfGE 66 116, 137; Dürig/Herzog/Scholz/Grabenwarter Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rdn. 282. 503 BVerfGE 66 116, 137 f. 504 BVerfGE 66 116, 139. 505 BVerfGE 66 116, 139. 506 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 31. 507 Heinker AfP 2008 573, 575; Valerius FS Fischer 1153, 1167. 508 Valerius FS Fischer 1153, 1167; vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf (Z) ZUM-RD 2012 137, 142 f. Eingeh. zu den strafrechtlichen Grenzen für den investigativen Journalismus Heinrich ZIS 2011 416, 418 ff und insbes. 425 ff; zur Rechtfertigung von Ton- und Bildaufnahmen und deren Verbreitung durch die Medien Valerius FS Fischer 1153, 1158 ff. 509 S.a. SSW/Bosch Rdn. 26; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 31; Popp AnwK Rdn. 29; weiter wohl Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9; Heinker AfP 2008 573, 575; s. hierzu auch Kraenz 169 ff. 510 EGMR NJW 2006 1645, 1648 (Pedersen und Baadsgaard/Dänemark); NJW 2008 2563, 2564 (Voskuil/Niederlande); NJOZ 2016 1505, 1507 (Haldimann u.a./Schweiz). Ähnlich BGH (Z) NJW 2013 229, 230; (Z) NJW 2015 782, 784: „Wachhund der Öffentlichkeit“. Valerius
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V. Vollendung und Versuch
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ten. Allerdings ist es – anders als nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – nicht von vornherein ausgeschlossen, Art. 10 EMRK ebenso auf die rechtswidrige, sogar gegen Strafgesetze verstoßende Beschaffung von Informationen anzuwenden, sondern auch insoweit eine Abwägung der Meinungsäußerungsfreiheit mit entgegenstehenden Interessen denkbar.511 Maßgebliche Kriterien seien der Beitrag der jeweiligen Information (z.B. einer Bildaufnahme oder eines Artikels) zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse, der Bekanntheitsgrad des Betroffenen, der Gegenstand des Berichts, das vorherige Verhalten des Betroffenen, die Art und Weise, wie die Information erlangt wurde, und deren Richtigkeit sowie Inhalt, Form und Auswirkungen der Veröffentlichung,512 außerdem Art und Schwere der verhängten Sanktion.513
3. Sonstige Rechtfertigungsgründe Des Weiteren können im Einzelfall allgemeine – selbst bei grenzüberschreitenden Sachverhal- 115 ten jedoch ausschließlich inländische514 – Rechtfertigungsgründe wie vornehmlich der rechtfertigende Notstand (§ 34) eingreifen.515 Allgemeine Beweiszwecke genügen aber in der Regel nicht, um eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild oder sogar des höchstpersönlichen Lebensbereichs zu rechtfertigen.516 Ferner kommen öffentlich-rechtliche Befugnisnormen als Erlaubnistatbestände in Betracht,517 z.B. im Bereich der Strafverfolgung § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO für Bildaufnahmen außerhalb von Wohnungen im Sinne dieser Vorschrift oder §§ 22 f ZFdG im präventiven Bereich. Ausgeschlossen ist – erst recht nach der Einführung der Sozialadäquanzklausel in Absatz 4 – eine analoge Anwendung von § 193 (Wahrnehmung berechtigter Interessen),518 der speziell auf die Ehrverletzungsdelikte zugeschnitten ist.519
V. Vollendung und Versuch Die Taten nach Absatz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 sowie nach Absatz 3 Nr. 1 Var. 1 sind mit der erfolgreichen 116 (siehe schon Rdn. 67 und Rdn. 71) Herstellung bzw. Übertragung der Bildaufnahme vollendet. Ob jemand die übertragene Aufnahme wahrnimmt, ist unerheblich (Rdn. 71). Ebenso genügt für die Vollendung des Zugänglichmachens nach Absatz 1 Nr. 4 und Nr. 5 sowie Absatz 2 die bloße Möglichkeit zur Kenntnisnahme (Rdn. 78). Gleiches gilt für das (Sich- oder einer dritten Person) Verschaffen nach Absatz 3 Nr. 2.
511 EGMR NJOZ 2016 1505, 1507 ff (Haldimann u.a./Schweiz), wonach die Verurteilung von Journalisten, die (das Bild und) den Ton eines in einer Privatwohnung geführten Beratungsgesprächs mit einem Versicherungsmakler aufnahmen, um Missstände bei der Kundenberatung im Versicherungswesen aufzuzeigen, das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) verletzt; hierzu auch Hegemann AfP 2019 12, 17 f; Renner/Baumann AfP 2015 285, 289. 512 EGMR NJW 2012 1053, 1055 ff (von Hannover/Deutschland Nr. 2); NJOZ 2016 1505, 1507 (Haldimann u.a./ Schweiz). 513 EGMR NJW 2012 1058, 1060 (Axel Springer AG/Deutschland); NJOZ 2016 1505, 1507 (Haldimann u.a./Schweiz). 514 Zöller FS Wolter 679, 688 ff. 515 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; Hoyer SK Rdn. 28; Hoppe GRUR 2004 990, 994; Kühl AfP 2004 190, 197; Vahle DVP 2004 494, 495; Zöller FS Wolter 679, 695. 516 Kargl NK Rdn. 29; Valerius FS Fischer 1153, 1159 f; aA Huff JuS 2005 896, 899; ebenso wohl Hoyer SK Rdn. 28. Zur Verwertbarkeit strafrechtswidrig erlangter Bildaufnahmen statt vieler Wohlers JR 2016 509 ff. 517 SSW/Bosch Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; Graf MK Rdn. 87 f. 518 SSW/Bosch Rdn. 23; Kargl NK Rdn. 31; Eisele JR 2005 6, 10 f; Tillmanns/Führ ZUM 2005 441, 446; Valerius FS Fischer 1153, 1164; aA Flechsig ZUM 2004 605, 613. 519 Joecks/Pegel/Regge MK § 193 Rdn. 8; Valerius BeckOK § 193 Rdn. 3. 817
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Von der Anordnung der Versuchsstrafbarkeit hat der Gesetzgeber entgegen früheren Entwürfen520 abgesehen, da eine Verlagerung der Strafbarkeit in das Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutsverletzung nicht geboten sei.521 Diese Ansicht hat er entgegen anderen kursierenden Vorschlägen522 im Laufe des 59. StRÄndG bestätigt, insbesondere weil es sich bei § 201a teilweise um ein Gefährdungsdelikt handele (zum Rechtscharakter der Norm Rdn. 16 ff), das zudem mit einer niedrigen Höchststrafe bedroht sei.523 Außerdem sei das unmittelbare Ansetzen in der Praxis, z.B. beim Fotografieren mit einem Mobiltelefon, kaum nachzuweisen, während bei vollendeter Tat auf die Bildaufnahme als Beweismittel zurückgegriffen werden könne.524
VI. Rechtsfolgen 1. Strafrahmen 118 Taten nach § 201a werden seit dem 49. StRÄndG mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Zuvor konnte Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verhängt werden. Dieses Höchstmaß entsprach dem des § 33 KunstUrhG und sollte auch mit dem bestehenden Strafrahmengefüge der §§ 201 ff korrespondieren.525 Die schon damals erwogene Anhebung des Höchstmaßes auf zwei Jahre Freiheitsstrafe526 vermochte den Gesetzgeber zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu überzeugen. In der Begründung des 49. StRÄndG wurde sodann hingegen ausgeführt, dass dadurch dem hohen Rechtsgut des höchstpersönlichen Lebensbereichs besser Rechnung getragen werden würde.527 Ergänzend wurde – in offensichtlicher Bezugnahme auf den neu eingeführten Absatz 3 – zum Vergleich auch auf die Strafdrohung für die Herstellung kinderund jugendpornographischer Schriften hingewiesen.528 119 Auf einen Qualifikationstatbestand für Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete verzichtete der Gesetzgeber, da für eine solche Strafschärfung kein zwingendes Bedürfnis erkennbar sei.529 In der Tat dürften – anders als bei der Vertraulichkeit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes (vgl. § 201 Abs. 3) – Fallkonstellationen, in denen ein Amtsträger anlässlich seiner Dienststellung unbefugt Bildaufnahmen herstellt oder verbreitet, selten sein.530 Der überlegenswerte Vorschlag einer Qualifikation für gewerbsmäßiges Han-
520 S. die in Fn. 1 erwähnten Entwürfe der Fraktionen der FDP (BTDrucks. 15/361 S. 2) und der CDU/CSU (BTDrucks. 15/533 S. 2), des Bundesrates (BTDrucks. 15/1891 S. 5) sowie des Landes Baden-Württemberg (BRDrucks. 164/03 S. 2). 521 BTDrucks. 15/2466 S. 4; begrüßend Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Eisele JR 2005 6, 11; hierzu schon Pollähne KritV 2003 387, 417; krit. dagegen Hengst 160 f; Linkens 135 ff; Hoyer ZIS 2006 1, 1; Koch GA 2005 589, 598; Kühl AfP 2004 190, 195; ders. Symp. Schünemann 211, 219 f; Wolter Symp. Schünemann 225, 233. 522 S. den in Fn. 14 erwähnten Entwurf des Bundesrates (BTDrucks. 19/1594 S. 5) mit der Begründung, dass ansonsten Taten straffrei blieben, wenn die Anfertigung der Aufnahme z.B. durch ein Einschreiten der Rettungskräfte verhindert werde (S. 8); s.a. Havliza DRiZ 2018 86, 87; Preuß ZIS 2018 212, 217; hiergegen van Bergen 307 ff. 523 BTDrucks. 19/17795 S. 10 f. 524 BTDrucks. 19/17795 S. 11. 525 BTDrucks. 15/2466 S. 5; zust. Eisele JR 2005 6, 11; krit. hingegen Linkens 143 f. 526 So die in Fn. 1 genannten Entwürfe der Fraktionen der FDP (BTDrucks. 15/361 S. 2) und der CDU/CSU (BTDrucks. 15/533 S. 2), des Bundesrates (BTDrucks. 15/1891 S. 5) sowie des Landes Baden-Württemberg (BRDrucks. 164/03 S. 1). 527 BTDrucks. 18/2601 S. 37. 528 BTDrucks. 18/2601 S. 37. 529 BTDrucks. 15/2466 S. 4. And. noch die in Fn. 1 aufgelisteten Entwürfe der Fraktionen der FDP (BTDrucks. 15/ 361 S. 2) und der CDU/CSU (BTDrucks. 15/533 S. 2) sowie des Landes Baden-Württemberg (BRDrucks. 164/03 S. 2); ebenso befürwortend Linkens 68 ff. 530 Eisele JR 2005 6, 11. Valerius
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VI. Rechtsfolgen
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deln,531 der vor allem bei Paparazzi von Bedeutung wäre, wurde nicht umgesetzt. Ebenso kam die im Rahmen des 49. StRÄndG zunächst angedachte erhöhte Strafdrohung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe (oder Geldstrafe), wenn der Täter die tatgegenständlichen Bildaufnahmen verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht,532 nicht über das Entwurfsstadium hinaus.
2. Sonstige Rechtsfolgen Absatz 5 Satz 1 ermöglicht die Einziehung von Tatprodukten und Tatmitteln nach §§ 74 ff von Bildträgern und Bildaufnahmegeräten sowie anderer technischer Mittel, welche die Beteiligten verwendet haben. Zu den Bildträgern zählen neben Fotografien und Negativen vor allem Datenträger wie Speicherchips und Festplatten oder auch Notebooks.533 Bildaufnahmegeräte sind insbesondere Fotokameras, Camcorder und Smartphones.534 Andere technische Mittel können etwa zur Bildbearbeitung oder zur Verbreitung der Aufnahmen verwendete Computer sein.535 Zu beachten bleibt, dass die Einziehung der technischen Ausrüstung die Tatbeteiligten unter Umständen härter treffen kann als deren Verurteilung zu einer Geldstrafe.536 Jedenfalls ist etwa bei einem Notebook, auf dem unter Verstoß gegen § 201a hergestellte Bildaufnahmen gespeichert werden, statt dessen vorbehaltloser Einziehung als milderes Mittel – soweit möglich – die Löschung der jeweiligen Aufnahmen anzuordnen.537 Absatz 5 Satz 2 verweist auf die Dritteinziehung gemäß § 74a. Demnach dürfen unter dessen Voraussetzungen Bildträger, Bildaufnahmegeräte und andere technische Mittel entgegen § 74 Abs. 3 auch dann eingezogen werden, wenn sie zur Zeit der Entscheidung keinem der Tatbeteiligten gehören oder zustehen. Bei einer rechtswidrigen Tat nach § 201a steht außerdem die Einziehung von Taterträgen gemäß § 73 Abs. 1 im Raum. Zu denken ist vornehmlich an das Honorar des Paparazzo oder an den Gewinn des Medienunternehmens durch die Bildveröffentlichung.538 Die Zahlung einer Geldentschädigung für den erlittenen immateriellen Schaden (Rdn. 10) steht der Anordnung der Einziehung nicht entgegen, da es sich hierbei nicht um einen Anspruch im Sinne des § 73e Abs. 1 handelt.539 Als außerstrafrechtliche Rechtsfolgen einer Tat nach § 201a kommen unter anderem in Betracht die Entziehung der ärztlichen Approbation540 bzw. der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung,541 die Entlassung aus einem Beamtenverhältnis auf Probe,542 das Ver-
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Kühl Prot. Nr. 27 der Anhörung des BT-Rechtsausschusses (15. Wahlperiode) vom 24.9.2003 S. 93. Zur Begründung BTDrucks. 18/2601 S. 38. BGH NStZ-RR 2014 274. S. etwa AG Düsseldorf BeckRS 2010 13817 Rdn. 57 zur Einziehung eines Handys. Kächele 219. Vahle DVP 2004 494, 496. BGH NStZ-RR 2014 274; vgl. auch BGH NStZ 2009 324 zur unverhältnismäßigen Einziehung von Festplatten; s. ferner Popp AnwK Rdn. 30; krit. Graf MK Rdn. 115. 538 Vgl. Kächele 219 zu § 73 a.F. 539 Lohse LK § 73e Rdn. 3; s.a. Kächele 219; Sauren ZUM 2005 425, 431, jeweils zu § 73 Abs. 1 Satz 2 a.F.; krit. Hoppe GRUR 2004 990, 995. 540 VG Köln BeckRS 2014 45529 zu einem Facharzt für Hauterkrankungen und Venerologie, der Patientinnen in unbekleidetem Zustand fotografierte. 541 S. BSGE 128 26 zu einem Zahnarzt, der Videoaufnahmen seiner Mitarbeiterinnen im Umkleideraum der Praxis anfertigte. 542 VGH München BeckRS 2016 50157 zur für sofort vollziehbar erklärten Entlassung eines Polizeibeamten wegen außerdienstlicher Verwirklichung des § 201a durch Bildaufnahmen während des Geschlechtsverkehrs. 819
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bot der Führung der Dienstgeschäfte543 oder auch Wehrdisziplinarmaßnahmen gegenüber Soldaten.544
VII. Konkurrenzen 1. Konkurrenzen innerhalb des § 201a 124 Sofern mit der Übertragung einer Bildaufnahme in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und Nr. 2 zugleich deren Speicherung und somit ein Herstellen nach diesen Vorschriften einhergeht, liegt nur eine einzige Tat vor.545 Gleiches gilt, wenn eine Bildaufnahme die Voraussetzungen mehrerer Tatbestände des § 201a verwirklichen sollte, z.B. die Hilflosigkeit einer sich in einer Wohnung befindlichen Person zur Schau stellt. Ebenso stellt die Anfertigung mehrerer Bildaufnahmen in räumlichem und zeitlichem Zusammenhang eine einheitliche Tat dar.546 Der Gebrauch einer unbefugt hergestellten Aufnahme nach Absatz 1 Nr. 4 durch den Her125 steller selbst, nicht zuletzt bei Betrachtung des Bildes, ist in der Regel eine mitbestrafte Nachtat, sofern eine entsprechende Absicht bereits zum Zeitpunkt der Herstellung bestand.547 Herstellen und Zugänglichmachen gegenüber einer dritten Person nach Absatz 1 Nr. 4 stellen hingegen eine einheitliche Tat (des Zugänglichmachens) dar, sofern der Täter bereits bei der Aufnahme mit dem Vorsatz (gegebenenfalls auch mehrfachen) späteren Zugänglichmachens handelt.548 Ansonsten besteht Tatmehrheit.549 Ebenso ist eine einheitliche Tat anzunehmen zwischen dem Herstellen bzw. Anbieten gemäß Absatz 3 Nr. 1 und dem anschließenden tatsächlichen Verschaffen einer dritten Person gemäß Absatz 3 Nr. 2.
2. Konkurrenzen gegenüber § 33 KunstUrhG 126 Da § 33 KunstUrhG in erster Linie den vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalt des Rechts am eigenen Bild an den verbreiteten Bildnissen schützt und nicht wie § 201a den mit der Herstellung bzw. Verwendung von Bildaufnahmen verbundenen Eingriff in Persönlichkeitsrechte, liegt zwischen den beiden Vorschriften keine Gesetzeskonkurrenz vor. Zwischen dem Herstellen nach Absatz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 bzw. Absatz 3 Nr. 1 Var. 1 und § 33 Abs. 1 KunstUrhG besteht demnach Tatmehrheit,550 zwischen einer Tat nach Absatz 1 Nr. 4 und Nr. 5 bzw. Absatz 2 und § 33 Abs. 1 KunstUrhG Tateinheit.551 543 S. hierzu VGH München BeckRS 2017 131749. 544 Zu einer heimlich gefilmten Soldatin auch in unbekleidetem Zustand BVerwG NVwZ-RR 2017 619, zu einer außerdienstlichen Straftat nach § 201a BVerwG BeckRS 2021 25353. 545 AA Fischer Rdn. 34, wonach sich die Tatvarianten des Absatzes 1 hinsichtlich derselben Bildaufnahme tatbestandlich ausschließen. 546 AG Düsseldorf BeckRS 2010 13817 Rdn. 50 zur Aufnahme zweier Videodateien in derselben Lebenssituation; Graf MK Rdn. 110. 547 SSW/Bosch Rdn. 34; Graf MK Rdn. 110; Kargl NK Rdn. 34; s.a. Heuchemer/Paul JA 2006 616, 619; aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 54; Fischer Rdn. 34: einheitliche Tat. 548 SSW/Bosch Rdn. 34; Kargl NK Rdn. 34; Tag HK-GS Rdn. 17; ähnlich Hoyer SK Rdn. 55: Herstellen tritt als bloße Vorbereitungshandlung zurück; aA Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 17: Tateinheit. 549 Fischer Rdn. 34; Hoyer SK Rdn. 55; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 17; aA AG Düsseldorf BeckRS 2010 13817 Rdn. 51: Tateinheit; weiter Sch/Schröder/Eisele Rdn. 54: generell nur eine Tat. 550 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 28; SSW/Bosch Rdn. 34; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 54; Heuchemer BeckOK Rdn. 31.1; Kargl NK Rdn. 34; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 17; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 11; Kraenz 237 f; aA Hoyer SK Rdn. 55: Tateinheit. 551 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 28; SSW/Bosch Rdn. 34; Heuchemer BeckOK Rdn. 31; Kraenz 238; aA Hoyer SK Rdn. 55; Hoppe GRUR 2004 990, 995: § 33 KunstUrhG wird verdrängt; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 11: Tatmehrheit. Valerius
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VIII. Prozessuale Hinweise
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3. Konkurrenzen gegenüber sonstigen Delikten Tateinheit ist möglich mit § 201,552 § 203,553 § 123 und § 238554 sowie § 179555 und den §§ 184 ff,556 127 ferner mit § 202a557 und § 202b.558 Die Verbreitung von Bildaufnahmen kann nicht zuletzt mit den §§ 185 ff rechtlich zusammentreffen, wenn sich aus den Begleitumständen der Veröffentlichung eine ehrverletzende Äußerung ergibt, z.B. durch den herabsetzenden Titel eines auf einem Videoportal im Internet eingestellten Films.559 Allerdings ist zu beachten, dass die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch die bloße Publikation unbearbeiteter Bildaufnahmen in der Regel keine Ehrverletzung beinhaltet, da diese ein reales Geschehen zeigen (vgl. schon Rdn. 58).560
VIII. Prozessuale Hinweise Bei den Taten nach § 201a handelt es sich seit dem 49. StRÄndG von 2015 durchweg um relative 128 Antragsdelikte (§ 205 Abs. 1 Satz 2). Die auf Bildaufnahmen aus geschützten räumlichen Sphären beschränkte ursprüngliche Fassung des § 201a war hingegen noch als absolutes Antragsdelikt konzipiert. Da der höchstpersönliche Lebensbereich der abgebildeten Person betroffen ist, sollte diese als Verletzte selbst entscheiden, ob sie ein strafrechtliches Verfahren in Gang setzt.561 Die Umwandlung der Norm in ein relatives Antragsdelikt ist der Einführung des Absatzes 3 geschuldet, wollte der Gesetzgeber doch insbesondere bei Bildaufnahmen von unbekleideten minderjährigen Personen ein Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden von Amts wegen ermöglichen (siehe schon die Entstehungsgeschichte).562 Auf derartige Nacktaufnahmen dürfte sich in der Praxis auch die Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses weitgehend beschränken.563 Ansonsten wird ein solches Interesse an einer Strafverfolgung nur selten von Amts wegen bestehen.564 Strafantragsberechtigt ist die abgebildete Person als Verletzte durch die Tat. Ist die abge- 129 bildete Person – wie insbesondere in den Fällen des Absatzes 3 – minderjährig und daher nicht unbeschränkt geschäftsfähig (hierzu Greger/Weingarten LK § 77 Rdn. 43), geht nach § 77 Abs. 3 die Antragsbefugnis auf den gesetzlichen Vertreter in persönlichen Angelegenheiten bzw. den Personensorgeberechtigten über. Stirbt die abgebildete Person, sind nach § 77 Abs. 2 die Angehörigen antragsberechtigt (§ 205 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1). War die abgebildete Person (in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 oder des Absatzes 2 Satz 2) bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme verstor-
552 Graf MK Rdn. 112. 553 Hoyer SK Rdn. 55. 554 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 28; SSW/Bosch Rdn. 34; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 54; Graf MK Rdn. 112; Popp AnwK Rdn. 31.
555 BGH NStZ-RR 2019 377, 378 zu § 179 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 a.F. 556 Matt/Renzikowski/Altenhain Rdn. 28; SSW/Bosch Rdn. 34; Popp AnwK Rdn. 31. 557 AG Düren K&R 2011 216 zu heimlichen Bildaufnahmen über – zuvor mittels Schadprogramms auf fremden Rechnern aktivierte – Webcams. 558 AG Kamen SchAZtg 2008 229, 231 zum Abfangen der Daten eines Chatverkehrs der zugleich per Kamera beobachteten Betroffenen. 559 Graf MK Rdn. 112; Beck MMR 2008 77, 80. 560 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 185 Rdn. 3a; Valerius BeckOK § 185 Rdn. 27.1; Beck MMR 2008 77, 80. 561 BTDrucks. 15/2466 S. 5 f; Kargl NK Rdn. 33; Flechsig ZUM 2004 605, 616. 562 BTDrucks. 18/2601 S. 39; krit. zum Strafantragserfordernis Graf MK Rdn. 117. 563 Kargl NK Rdn. 33. 564 S. aber etwa LG Berlin BeckRS 2020 18517 Rdn. 5 zur Durchsuchung der Wohnung eines Beschuldigten, der von außen durch das geöffnete Fenster des Schlafraums einer Kindertagesstätte lediglich mit Unterwäsche bekleidete Kinder fotografierte; ergänzend zur Entscheidung Rdn. 40. 821
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ben, steht das Antragsrecht von vornherein den in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen zu (§ 205 Abs. 2 Satz 4). 130 § 201a wurde zunächst nicht in den Katalog der Privatklagedelikte in § 374 Abs. 1 StPO aufgenommen.565 Seit dem 49. StRÄndG werden hingegen die Absätze 1 und 2 in § 374 Abs. 1 Nr. 2a StPO genannt, da eine Nähe zu den Beleidigungsdelikten und zu anderen in § 374 Abs. 1 StPO aufgeführten Delikten bestehe und die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen die Allgemeinheit mitunter so wenig berühre, dass ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung abzulehnen sei.566 Der Verletzte sollte aber „ausnahmsweise […] die Strafverfolgung als Privatkläger selbst betreiben dürfen [!]“.567
IX. Strafanwendungsrecht 131 Nicht zuletzt in der Presse und in sonstigen Medien werden Bildaufnahmen häufig in mehreren Staaten publiziert, sei es in zunehmend international vertriebenen Printprodukten oder auf einer Webseite oder in anderen grundsätzlich weltweit abrufbaren Kommunikationsdiensten des Internets. Bei solchen internationalen Sachverhalten stellt sich auch bei § 201a die Frage nach der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts gemäß §§ 3 ff.568 Unproblematisch gelangt § 201a zur Anwendung, wenn die Tathandlung, sei es der unmittelbare Eingriff in das Recht am eigenen Bild in Gestalt etwa des Herstellens oder Übertragens oder auch der mittelbare Eingriff insbesondere durch das Gebrauchen oder Zugänglichmachen, im Inland vorgenommen wird und demzufolge der Handlungsort gemäß § 9 Abs. 1 Var. 1 hier belegen ist. 132 Handelt der Täter hingegen im Ausland, verbleibt in der Regel allein die Anknüpfung an den Erfolgsort im Sinne des § 9 Abs. 1 Var. 3, um die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts zu begründen. Ob eine Tat einen Erfolgsort aufweist, hängt maßgeblich von ihrer Charakterisierung als (abstraktes bzw. konkrektes) Gefährdungs- oder Verletzungsdelikt ab. So weisen nach herrschender Ansicht lediglich Verletzungs- und konkrete Gefährdungsdelikte einen Erfolgsort auf, abstrakte Gefährdungsdelikte hingegen nicht.569 An dieser Stelle wirken sich somit die Unklarheiten bezüglich des geschützten Rechtsguts der Norm aus. Wird mit der nach wie vor verbreiteten und auch hier vertretenen Ansicht der höchstpersönliche Lebensbereich als Schutzgut des § 201a angesehen, dürften zumindest Absatz 2 und Absatz 3 nur abstrakte Gefährdungsdelikte darstellen (näher Rdn. 17 f) und schiede folglich eine Anknüpfung an einen Erfolgsort von vornherein aus. Demzufolge läge etwa keine Inlandstat vor, wenn der Täter eine potentiell ansehensschädigende Bildaufnahme vom Ausland aus einem Dritten in Deutschland (z.B. per EMail) zugänglich macht.570 133 Zum Teil sind widersprüchliche Ergebnisse bei grenzüberschreitenden Sachverhalten aber auch dem nicht durchgehenden Rückgriff auf das Erfolgsmerkmal der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereich geschuldet. So wäre Absatz 1 Nr. 2, der diesen Taterfolg voraussetzt, beispielsweise anwendbar, wenn ein Spanier über seine frei zugängliche und somit auch in Deutschland abrufbare Webseite eine Live-Aufnahme von einem völlig betrunkenen Briten während dessen Urlaubs auf Mallorca überträgt. Schließlich wird der höchstpersönliche Lebensbereich der gezeigten Person an jedem Ort verletzt, an dem die entsprechende Bildaufnahme 565 Krit. Flechsig ZUM 2004 605, 616; Pollähne KritV 2003 387, 417 f. 566 BTDrucks. 18/2601 S. 40. Ursprünglich sollte auch Abs. 3 als Privatklagedelikt ausgestaltet werden, auf den aber die dargelegten Erwägungen nicht zutrafen; BTDrucks. 18/3202 (neu) S. 29. 567 So BTDrucks. 18/2601 S. 40. Krit. bereits Valerius Grenzenloser Informationsaustausch und grenzenlose Strafbarkeit? 49, 61; vgl. auch Walter ZRP 2020 16, 19 f. 568 S. hierzu schon Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 23 ff. 569 S. nur BGH NStZ 2015 81, 82; NStZ-RR 2013 253; Böse NK § 9 Rdn. 11; Lackner/Kühl/Heger § 9 Rdn. 2; Hilgendorf ZStW 113 (2001) 650, 669; aA Werle/Jeßberger LK § 9 Rdn. 32 ff; Valerius HdbStrR 2 § 31 Rdn. 75, jeweils m.w.N. 570 Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 24. Valerius
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IX. Strafanwendungsrecht
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wahrgenommen werden kann.571 Anders wäre hingegen der Sachverhalt zu bewerten, wenn die beschriebenen Szenen zunächst nur aufgezeichnet und die dadurch hergestellten Bildaufnahmen zu einem späteren Zeitpunkt auf eine Webseite hochgeladen werden. Der durch dieses Zugänglichmachen verwirklichte Absatz 1 Nr. 4 setzt nämlich gerade keine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs als Erfolgsmerkmal voraus, so dass insoweit wiederum nur auf den – hier im Ausland belegenen – Handlungsort abgestellt werden kann (zum fraglichen Charakter der Vorschrift Rdn. 16). Obwohl zwischen der sogleich live und der (gegebenenfalls nur geringfügig) zeitversetzten Übertragung keine wesentlichen Unterschiede bestehen (siehe hierzu schon in anderem Zusammenhang Rdn. 72), wäre auf den letztgenannten Fall deutsches Strafrecht folglich nicht anwendbar.572
571 Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 25; vgl. schon Borgmann NJW 2004 2133, 2135. 572 Valerius HdbStrR 5 § 13 Rdn. 25; vgl. zur Problematik bereits Valerius Grenzenloser Informationsaustausch und grenzenlose Strafbarkeit? 49, 62 f. 823
Valerius
§ 202 Verletzung des Briefgeheimnisses (1) Wer unbefugt 1. einen verschlossenen Brief oder ein anderes verschlossenes Schriftstück, die nicht zu seiner Kenntnis bestimmt sind, öffnet oder 2. sich vom Inhalt eines solchen Schriftstücks ohne Öffnung des Verschlusses unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 206 mit Strafe bedroht ist. (2) Ebenso wird bestraft, wer sich unbefugt vom Inhalt eines Schriftstücks, das nicht zu seiner Kenntnis bestimmt und durch ein verschlossenes Behältnis gegen Kenntnisnahme besonders gesichert ist, Kenntnis verschafft, nachdem er dazu das Behältnis geöffnet hat. (3) Einem Schriftstück im Sinne der Absätze 1 und 2 steht eine Abbildung gleich.
Schrifttum Baur Postüberwachung im Maßregelvollzug für psychisch Kranke und suchtkranke Täter (§§ 63, 64 StGB), MDR 1981 803; Bettermann-Loh Ersatzzustellung und Postgeheimnis, BB 1968 892; Blei Die „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“ (15. Abschnitt: §§ 201 ff StGB) i.d.F. des EGStGB, JA 1974 601; Eisele Compliance und Datenschutzstrafrecht: Strafrechtliche Grenzen der Arbeitnehmerüberwachung (2012); Franz Dürfen an den Untersuchungs- oder Strafgefangenen gerichtete Briefe geöffnet werden? NJW 1965 25; Friedlaender Die Verletzung des Briefgeheimnisses, ZStW 16 (1896) 756; Gerhard Der strafrechtliche Schutz des Briefes (1905); Gutman/Rathgeber/ Sieber Strafrechtliche Tücken der zentralen Postbearbeitung in Krankenhaus und Arztpraxis, NZWiSt 2014 85; Henkel Der Strafschutz des Privatlebens gegen Indiskretion, Gutachten für den 42. Deutschen Juristentag, Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages, Band II, S. D 59; Küper Zur Konkurrenz zwischen Briefgeheimnisverletzung und Unterschlagung, JZ 1977 464; Schmitz Verletzung des Briefgeheimnisses, § 202 StGB, JA 1995 297; Sieber Informationstechnologie und Strafrechtsreform (1985); Veit Die Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen, dargestellt am Modell des Briefverkehrsrechtes (1971); Weiß Compliance der Compliance – Strafbarkeitsrisiken bei Internal Investigations, CCZ 2014 136; Wiechert Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitsrechts, Diss. Marburg 1972.
Entstehungsgeschichte Schon in den deutschen Partikularrechten gab es Vorschriften, die die Verletzung des Briefgeheimnisses unter Strafe stellten (zur geschichtlichen Entwicklung der Vorschrift vgl. eingehend Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 765 bis 772; Gerhard S. 15 f; Wiechert S. 61 bis 64; über entsprechende ausländische Strafbestimmungen berichten Wiechert S. 64 bis 69 sowie Vogler in Materialien zur Strafrechtsreform, 2. Bd., S. 389, 396 bis 398). Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich regelte die Verletzung des Briefgeheimnisses in § 299. Die Vorschrift lautete in ihrer ursprünglichen Fassung: „(1) Wer einen verschlossenen Brief oder eine andere verschlossene Urkunde, die nicht zu seiner Kenntnisnahme bestimmt ist, vorsätzlich und unbefugter Weise eröffnet, wird mit Geldstrafe bis zu Einhundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft. (2) Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.“ In der Folgezeit wurde der Tatbestand zunächst nur geringfügig redaktionell geändert. Das EGStGB hat dann den Tatbestand – von dem Blei JA 1974 601, 605 meinte, dass bei ihm „vorwiegend Lücken ins Auge fielen“ – erheblich ausgeweitet (vgl. dazu Wiechert S. 82 ff, zu früheren Änderungsvorschlägen derselbe S. 69 ff); zugleich wurde die Vorschrift – als § 202 – in den neugebildeten Abschnitt „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“ eingestellt. Die Neufassung schützt nicht nur verschlossene Schriftstücke, sondern auch solche, die in verschlossenen Behältnissen besonders gesichert sind, vor unbefugter Kenntnisnahme (vgl. Henkel Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages, Bd. II, S. D 59, 134, 144 f sowie den Hinweis Schafheutles in der 97. Sitzung der Großen Strafrechtskommission, Niederschriften Bd. 9, S. 197). Darüber hinaus wurde in Absatz 3 – offenbar in Anlehnung an § 148 Abs. 1 Nr. 1 des Alternativ-Entwurfs1 – der strafrechtliche Schutz erweitert auf „andere zur
1 Alternativ-Entwurf eines StGB, Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 2. Halbb., (1971) S. 38, 39. Hilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-050
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Alphabetische Übersicht
§ 202
Gedankenübermittlung bestimmte Träger“ sowie auf Abbildungen (zur früheren Rechtslage vgl. Gerhard S. 19; Wiechert S. 28 ff). Außerdem wurden weitere Tathandlungen in den Tatbestand einbezogen. Es reicht nunmehr auch aus (§ 202 Abs. 1 Nr. 2), dass sich der Täter vom Inhalt eines verschlossenen Schriftstücks – ohne Öffnung des Verschlusses – unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschafft (vgl. Rdn. 27). Schließlich wurden schärfere Strafen angedroht. Nach der Neufassung kann Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verhängt werden. Die Tat ist jedoch Antragsdelikt geblieben (§ 299 Abs. 2 a.F. und § 205 Abs. 1, vgl. dort). Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) vom 15. Mai 1986 (BGBl. I S. 721) hat mit § 202a einen neuen Straftatbestand in das StGB eingefügt, der die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeicherten Daten umfassend gegen unbefugte Ausspähung schützen soll und damit auch die „anderen zur Gedankenübermittlung bestimmten Träger“, die § 202 Abs. 3 in der ursprünglichen Fassung in seinen Schutzbereich einbezogen hatte (vgl. BTDrucks. 10/5058 S. 28, 29). Um eine Überschneidung der Tatbestände zu vermeiden, wurde § 202 wieder entsprechend eingeschränkt; er bezieht sich jetzt nur noch auf Schriftstücke und Abbildungen und hat deshalb aufgrund der zunehmenden Verdrängung des Schriftverkehrs durch E-Mails stark an Bedeutung verloren.2
Übersicht I.
Geschütztes Rechtsgut
II. 1. 2.
Tatbestand 4 Systematik Tatgegenstand 5 a) Schriftstück 6 aa) Schriftlichkeit bb) Verkörperung eines Gedankens cc) (Teleologische) Einschränkun12 gen 15 b) Abbildungen c) Sicherung durch Verschluss 18 (Abs. 1) 22 d) Behältnisschutz nach Abs. 2 23 Tathandlungen 24 a) Öffnen (Abs. 1 Nr. 1) 26 b) Kenntnisverschaffung 27 aa) Abs. 1 Nr. 2 28 bb) Abs. 2 cc) Voraussetzung der Kenntnis29 nahme Nicht zur Kenntnis des Täters bestimmt 33 a) Bestimmungsberechtigung
3.
4.
1 5.
38
2. 3.
43 Rechtswidrigkeit 44 Sonderregelungen a) Aus dem Bereich des Familien45 rechts b) bei Untersuchungshäftlingen, Strafgefange48 nen und Untergebrachten c) Sonderbestimmungen, um eine Überprüfung von Postsendungen zu ermögli51 chen 57 Einwilligung oder Einverständnis? 59 Mutmaßliche Einwilligung
IV. 1. 2. 3.
Täterschaft und Teilnahme 60 Abs. 1 61 Abs. 2 Anwendbarkeit von § 28
V.
Rechtsfolgen der Tat
VI.
Konkurrenzen
III. 1. 8
32
b) Von der Tatbestandserfüllung 39 c) Abs. 2 40 Subjektiver Tatbestand
62
63
65
Alphabetische Übersicht Abbildungen 4, 15, 24 Agententätigkeit 65 Behältnis 22, 28 f, 41 Betreuer 46 Brief 9, 22, 24, 58 Briefgeheimnis 2, 27, 58 Briefumschlag 18 f, 24, 30
Daten 6, 65 Delikt – mehraktiges – 4, 30, 41, 61 Durchleuchtung 27, 29 Ehegatten 39, 47 Eigenhändigkeit 62
2 Es ist unstr., dass E-Mails nicht unter den Begriff des „Schriftstücks“ subsumiert werden können, s. nur D. Barton CR 2003 839, 841; Sassenberg AnwBl. 2006 196. 825
Hilgendorf
§ 202
Verletzung des Briefgeheimnisses
Einverständnis 57 Einwilligung 57 – des Ehegatten 47 – mutmaßliche – 59 Einwilligungsberechtigter 58 Eltern 45 E-Mail vor 1 Empfänger 34, 38, 58 f Entstehungsgeschichte vor 1 Familienrecht 45 Fotografien 16 Geheimhaltungsinteresse 13, 29 Geheimhaltungspflicht 35 Geheimschrift 6 Insolvenzverwalter 56 Irrtum – über Rechtfertigungsgründe 42 Kenntnisnahme – als Tathandlung 25 ff – Bestimmung zur – 32–37, 57 – Einschränkungen 36 – Schutz vor – 20 ff – subj. Tatbestand 40 Merkmal – besonderes persönliches 62 Minderjährige 45 mittelbarer Täter 61 Öffnen – von Behältnissen 28 – von Schriftstücken 24 f Öffnungsbefugnis 34, 43 ff Planungszusammenhang 41 Postbeschlagnahme 51
Privatsphäre 1 Rechtswidrigkeit 43 Sachbeschädigung 25, 65 Schrift 6 Schriftstück 5 ff – Öffnen 24 f – Zerstörung 40 Schutzzweck der Norm 13, 20, 29 Skizze 16 Strafantrag 37, 64 Strafgefangene 48 Symbole 10, 16 Täter 33, 60 Tatbestandsirrtum 34, 42, 47 Technische Mittel 27 Teilnahme 60 f Überprüfung – Postsendungen 51 f unbefugt 43 Unterbringung 50 Untersuchungshäftlinge 48 Verbotsirrtum 42 Verfassungsschutz 59 Verschluss 18 ff, 33 Verschlusswille 21 Verstorbene 36 f Viktimodogmatik 3, 18 Vormund 46 Vorsatz 40 ff Zerstörung – Schriftstück 40 Zoll 54
I. Geschütztes Rechtsgut 1 Die Vorschrift dient dem Schutz von Schriftstücken und Abbildungen gegen Indiskretionen (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 237; Fischer Rdn. 2). Dabei geht es allerdings nicht nur – wie der BGH abkürzend bemerkt (BGH NJW 1977 590 = JR 1978 423; ähnlich Wiechert S. 13 bis 15) – um den Schutz der „Privatsphäre“ (gegen diese Kurzformel zutreffend Küper JZ 1977 464, 465 und Lenckner JR 1978 424 in Besprechungen dieser Entscheidung). Die Vorschrift erfasst – über die Privatsphäre hinaus – beispielsweise auch den Briefwechsel im Wirtschaftsbereich oder den dienstlichen Schriftverkehr zwischen Behörden (vgl. Küper a.a.O., Lenckner a.a.O.). Geschützt wird ein formaler Geheimbereich, der dadurch geschaffen wird, dass Schriftstücke und Abbildungen durch Verschluss gegen die Kenntnisnahme Unbefugter gesichert werden.3 2 Der Schutzbereich der Vorschrift deckt sich nicht mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Briefgeheimnis (vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Durner Art. 10 GG Rdn. 93). Art. 10 GG schützt allein vor unbefugten Eingriffen der öffentlichen Gewalt (vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Durner Art. 10 GG Rdn. 91). Sein Schutz bezieht sich außerdem nur auf Briefe, also auf Mitteilungen zwischen verschiedenen Personen (vgl. BVerfGE 33 1, 11; 67 157, 171; Dürig/Herzog/Scholz/Durner 3 Vgl. Küper a.a.O., Lenckner a.a.O., Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 5; Henkel a.a.O. S. D 133; Graf MK Rdn. 2: „Schriftgeheimnis“. Hilgendorf
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II. Tatbestand
§ 202
Art. 10 GG Rdn. 92 f), während § 202 auch den unbefugten Zugriff auf nicht der Kommunikation dienende Schriftstücke, die durch Verschluss gesichert sind, mit Strafe bedroht (vgl. Rdn. 8). Andererseits lässt sich – mit durchaus beachtlicher Begründung – die Auffassung vertreten, dass Art. 10 GG auch unverschlossene Briefe erfasse.4 Die Beschränkung des Schutzbereiches auf verschlossene Dokumente beruht ersichtlich auf 3 viktimodogmatischen Erwägungen des Gesetzgebers: Nur wer seine eigenen Angelegenheiten vor dem beliebigen Zugriff Dritter sichert, ist des strafrechtlichen Schutzes gegen Indiskretion würdig und bedürftig (Schünemann ZStW 90 [1978] S. 32 f).
II. Tatbestand 1. Systematik Gegenstand der Tat sind Briefe und andere Schriftstücke (Abs. 1; vgl. Rdn. 5 bis 14); ihnen wer- 4 den Abbildungen gleichgestellt (Abs. 3; vgl. Rdn. 15). Die Gegenstände müssen verschlossen (Abs. 1; vgl. Rdn. 18 bis 21) oder durch ein verschlossenes Behältnis gegen Kenntnisnahme besonders gesichert sein (Abs. 2; vgl. Rdn. 22). Hierbei ist der Tatbestandsaufbau dem Gesetzgeber insoweit missglückt, als er verschlossene Schriftstücke in Abs. 1 sowohl gegen die bloße Öffnung als auch gegen Kenntnisnahme ohne Öffnung geschützt hat, während der Zugriff auf ein durch ein verschlossenes Behältnis geschütztes Schriftstück ohne zwingende Notwendigkeit als zweiaktiges Delikt ausgestaltet ist, was zu erheblichen Problemen im subjektiven Tatbestand und im Rahmen von Täterschaft und Teilnahme führt (u. Rdn. 60).
2. Tatgegenstand a) Schriftstück. Zentraler Begriff in Absatz 1 ist das Schriftstück. Der in Absatz 1 Nr. 1 ebenfalls 5 angeführte Brief ist – wie schon die Fassung der Strafvorschrift zeigt – lediglich ein Unterfall des Schriftstücks; das Gesetz enthält hierzu keine nähere Definition. aa) Schriftlichkeit. Vorausgesetzt ist zunächst – schon nach dem Wortsinn – die Verwendung 6 einer Schrift. Dieser Begriff ist nach dem Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Es kommt nicht darauf an, ob das Schriftstück handschriftlich verfasst ist; auch ein gedruckter Text wird vom Tatbestand erfasst. Eine Unterschrift ist nicht erforderlich. Die Art der Buchstaben ist ohne Bedeutung; auch Schriftstücke mit fremdartigen, etwa kyrillischen Buchstaben oder chinesischen Schriftzeichen, fallen in den Schutzbereich der Vorschrift. Dasselbe gilt für Noten (s. auch § 11 Rdn. 116), Geheimschriften (Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2) oder Bilderschriften.5 Es genügt, wenn die Schrift nur durch den Tastsinn wahrnehmbar ist, wie dies bei der Blindenschrift der Fall ist (vgl. für den Begriff der „Schrift“ im Sinne des § 11 ebenfalls § 11 Rdn. 116). Ferner reicht aus, dass die Schrift nur bei Anwendung besonderer Hilfsmittel lesbar ist (vgl. für § 11 Abs. 3 ebenda m.w.N.): so etwa bei der Vergrößerung durch eine Lupe (vgl. RGSt 47 223, 224 f), bei der Projektion einer auf Mikrofilm festgehaltenen Schrift auf den Leseschirm oder erst nach besonderer Behandlung, die das mit einer Geheimtinte Geschriebene zum Vorschein bringt (vgl. für Schreiben mit Geheimtinte Gerhard S. 19). In allen diesen Fällen werden Schriftzeichen lesbar gemacht; es handelt sich demnach immer um Schriftstücke, mögen sie auch – nimmt man 4 Vgl. OLG Hamburg NJW 1967 1973; Wiechert S. 10; Badura Bonner Kommentar zum GG, Art. 10 Rdn. 48; Dürig/ Herzog/Scholz/Durner Art. 10 GG Rdn. 93 aA vgl. ferner den Überblick bei Veit S. 120 f.
5 Vgl. Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 776; zu Unrecht einschränkend Gerhard S. 19: Erforderlich sei, dass die Bilderschrift für jedes Wort ein besonderes Bild habe. 827
Hilgendorf
§ 202
Verletzung des Briefgeheimnisses
§ 202a Abs. 2 StGB wörtlich – zugleich „Daten“ enthalten, „die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind“. § 202 geht insoweit der Vorschrift des § 202a als speziellere Regelung vor (vgl. Möhrenschlager in der 63. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, 10. Wp., vom 23. Oktober 1985, Prot. S. 43). § 202a greift demzufolge nur ein, wenn die verkörperte Information nicht durch Schriftzeichen, sondern mittels anderer Techniken auf dem Träger fixiert ist. 7 Unerheblich ist der Stoff, auf dem die Schriftzeichen angebracht sind (vgl. Gerhard S. 19), ob beispielsweise auf Papier oder einer Schrifttafel. Es kommen auch Materialien in Betracht, die üblicherweise nicht zum Schreiben verwendet werden: Geschützt ist beispielsweise auch die Notiz auf einer Streichholzschachtel.
8 bb) Verkörperung eines Gedankens. Zum Wesen eines Schriftstücks gehört, dass es einen gedanklichen Inhalt verkörpert (vgl. BTDrucks. 7/550, S. 237; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 4). Die Gedanken brauchen nicht einem anderen übermittelt zu werden. Auch Schriftstücke, die ausschließlich zum persönlichen Gebrauch des Verfassers bestimmt sind, wie etwa Tagebücher oder sonstige zur Gedächtnisstütze dienende Notizen, werden vom Tatbestand erfasst (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 237). Anders ist dies beim Brief. Unter Brief ist eine von einer Person an eine andere gerichtete 9 schriftliche Mitteilung zu verstehen.6 Er braucht nicht unterzeichnet zu sein. Die schriftliche Bezeichnung des Adressaten ist nicht erforderlich; es genügt, wenn dieser aus den sonstigen Umständen erkennbar ist, so etwa durch die mündliche Angabe gegenüber dem Boten (Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 776). Ferner kommt es nicht darauf an, auf welche Weise der Brief befördert wird, ob durch die Post oder durch einen Boten (vgl. Gerhard S. 17, Blei a.a.O. S. 605); es genügt auch, dass der Absender den Brief selbst übergibt (vgl. Gerhard S. 18) oder ihn für den Empfänger hinterlegt (Blei a.a.O. S. 605). Der leere Briefumschlag, den ein Philatelist versendet, ist kein Brief (vgl. Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 777 f; Blei JA 1974 601, 605); dasselbe gilt für die bloße Warensendung. In beiden Fällen fehlt es an einer schriftlichen Mitteilung an den Empfänger. Zeitungen, die in einem verschlossenen Umschlag versendet werden, sind ebenfalls in der Regel nicht als Brief anzusehen; sie enthalten zwar Mitteilungen, diese stammen jedoch nicht vom Absender (vgl. Wiechert S. 33 Fn. 1). § 202 greift allerdings auch hier ein, weil es sich um verschlossene Schriftstücke handelt (vgl. ergänzend Rdn. 12 bis 14). Entsprechendes gilt für Akten, die in einem Paket versandt werden (vgl. Wiechert S. 32, 34). 10 Der Gedanke, der übermittelt wird, braucht nicht in Wörtern ausgedrückt zu sein. Ausreichend, aber auch erforderlich ist die Verkörperung eines geistigen Inhalts mit Hilfe von Schriftzeichen. Schriftstück im Sinne der Vorschrift ist deshalb auch ein Notenblatt, auf dem eine Melodie – ein „musikalischer Gedanke“ – festgehalten ist (vgl. § 11 Rdn. 116 sowie RGSt 47 223, 224). In Grenzbereichen kann es zu Überschneidungen mit den in Absatz 3 bezeichneten Abbildungen kommen, etwa bei Darstellungen der Struktur einer chemischen Verbindung, bei einer Planskizze, die Hettinger (Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 517) noch als Schriftstück ansieht, bei Piktogrammen oder bei Symbolen, die zeichenhaft für eine Religion oder Weltanschauung stehen (etwa dem Kreuz im Christentum, dem leeren Kreis im Zen-Buddhismus). Ob insbesondere bei religiösen Symbolen noch von einer Schrift gesprochen werden kann, mag im Einzelfall fraglich sein; im Zweifelsfall wird jedenfalls auch hier Absatz 3 eingreifen (vgl. Rdn. 15). 11 Das Gesetz stellt nicht darauf ab, welcher Gedankeninhalt in dem Schriftstück verkörpert ist; unerheblich ist insbesondere, ob es sich um einen Gegenstand persönlicher Natur handelt (vgl. Gerhard S. 18 sowie unten Rdn. 12 bis 14). So werden auch Geschäftsbriefe, Behördenschreiben oder Vermerke über Terminabsprachen vom Tatbestand erfasst. Die Vorschrift ist insoweit ähnlich strukturiert wie § 201, dessen Schutz sich ebenfalls nicht auf vertrauliche Äußerungen beschränkt (vgl. dort Rdn. 6). Dass die niedergelegten Worte einen „vernünftigen“ Sinn 6 Vgl. RGSt 36 267, 268; Friedlaender ZStW 16 (1896) 756, 776; Blei JA 1974 601, 605; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. Hilgendorf
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II. Tatbestand
§ 202
ergeben, ist nicht erforderlich. Auch der Brief eines psychisch Kranken darf grundsätzlich nicht geöffnet werden (vgl. Gerhard S. 20). Ebenso wenig kommt es darauf an, ob sich die Gedankenerklärung auf eine Straftat bezieht oder einen strafbaren Inhalt hat (zur Ablehnung der „Verfalltheorie“ im Rahmen des § 201 vgl. dort Rdn. 6). Das Schriftstück braucht ferner nicht eigene Gedanken desjenigen zu enthalten, der es verschließt; auch Abschriften oder Schriftstücke, die nicht vom Verschließenden herrühren, werden vom Tatbestand erfasst (vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2). Demgemäß genügt grundsätzlich auch, dass eine Zeitung (vgl. BGHSt 9 351, 352, 355 für das durch Art. 10 GG gewährleistete Brief- und Postgeheimnis) oder ein Buch verschlossen werden; auch dann sind diese Schriftstücke gegen unbefugte Kenntnisnahme geschützt (vgl. aber Rdn. 12 bis 14).
cc) (Teleologische) Einschränkungen. Nach verbreiteter Auffassung wird nicht jedes Schrift- 12 stück im dargelegten Sinne vom Tatbestand erfasst (grdsl. ablehnend Graf MK Rdn. 9). Einschränkungen sind erforderlich. So meint Blei (JA 1974 601, 605; BT 1 § 32 I 2), nach dem Sinn der Vorschrift und ihrer Entstehungsgeschichte (BTDrucks. 7/550 S. 237) müssten jedenfalls solche Schriftstücke ausgenommen werden, die keinerlei Bezug zur Persönlichkeit irgendeines Menschen aufwiesen. Als Beispiele führt er Packungsaufdrucke, Beipackzettel für Medikamente, Gebrauchs- oder Anschlussanweisungen für technische Geräte an. Auch Kühl (Lackner/Kühl/ Kühl Rdn. 2) schließt Schriftträger ohne jeglichen Persönlichkeitsbezug vom Tatbestand aus. Das soll in der Regel nicht nur bei Büchern oder sonst öffentlich verbreiteten Schriften, sondern auch bei Mitteilungen allgemeiner Art, etwa bei Anweisungen zur Bedienung eines technischen Geräts oder zur Anwendung eines Medikaments der Fall sein (ebenso Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 517 und Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 15). Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 4 und Fischer Rdn. 3 gelangen von einem anderen Ansatz her zu ähnlichen Ergebnissen. Ausgangspunkt ist für sie nicht der Inhalt des Schriftstücks, sie stellen vielmehr auf den Sinn des Verschließens ab (vgl. hierzu Rdn. 20, 21). Beide gehen davon aus, dass der Verschluss dazu dienen müsse, die beliebige Kenntnisnahme des Gedankeninhalts zu verhindern, was bei Beipackzetteln, Büchern, Werbedrucksachen, Zigarettenpackungen (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 237), Zeitungen, Briefmarken, Banknoten und Münzen nicht der Fall sei, sofern sich nicht aus den besonderen Umständen ein Interesse ergibt, das einer fremden Kenntnisnahme entgegensteht (wie etwa aus der Aufschrift „persönlich“ bei Werbung für pornographische Schriften). Maßgebend ist der Schutzzweck der Vorschrift. Dieser beschränkt sich nicht auf die Siche- 13 rung von Gegenständen, die ihrer Natur nach geheim zu halten sind; der Einzelne soll vielmehr die Möglichkeit haben, durch das Verschließen einen Bereich zu begründen, in dem Schriftstücke aller Art vor fremder Neugier geschützt sind (vgl. oben Rdn. 1). Was in diesen Bereich fällt, hängt danach nicht in erster Linie von Art oder Inhalt des verschlossenen Schriftstücks ab; entscheidend wird sein, dass im Verschluss der Wille des Berechtigten zum Ausdruck kommt, das Schriftstück vor fremder Kenntnisnahme zu schützen. Das gilt selbst dann, wenn aus objektiver Sicht ein Bedürfnis für die Geheimhaltung nicht ohne Weiteres zu erkennen ist; schützenswert sind auch besondere Empfindlichkeiten. Generell vom Tatbestand auszunehmen sind demnach nur solche Gegenstände, bei denen die Beschriftung so sehr in den Hintergrund tritt, dass ihr keine eigenständige Bedeutung als Träger von Nachrichten oder Informationen zukommt (z.B. bei Zigarettenpackungen, Geldscheinen, Briefmarken etc.). Hier handelt es sich nach allgemeiner Lebensauffassung nicht um Schriftstücke, sondern um Sachen, die ersichtlich nicht in den Schutzbereich des § 202 fallen. Für die verbleibenden Fälle ist zu unterscheiden: Soll der Verschluss ausschließlich eine sichere Aufbewahrung des Schriftstücks gewährleisten, liegt kein geeignetes Tatobjekt vor. Anders ist es regelmäßig dann, wenn durch das Verschließen zum Ausdruck gebracht werden soll, dass fremder Einblick unerwünscht sei. Anhaltspunkte dafür, welche Aufgabe dem Verschluss im konkreten Fall zukommt, können sich allerdings auch aus dem Inhalt des Schriftstücks ergeben. So wird bei Büchern, Zeitschriften und anderen Massendruckschriften nur selten ein Geheimhaltungsinteresse anzunehmen sein; ausgeschlossen ist 829
Hilgendorf
§ 202
Verletzung des Briefgeheimnisses
dies jedoch nicht. Der Besitz oder der Bezug von Druckwerken kann unter Umständen Einblicke vermitteln, die der Betroffene aus den unterschiedlichsten Gründen, seien sie persönlicher, gesellschaftlicher, politischer oder weltanschaulicher Art, ausgeschlossen wissen möchte. Der Beipackzettel eines Medikaments kann beispielsweise Schlüsse auf den Gesundheitszustand des Adressaten ermöglichen, der – durchaus verständlich – Unbefugten nicht offenbart werden soll. In solchen Fällen kann ein schutzwürdiges, durch den Verschluss gesichertes und dokumentiertes Interesse an vertraulicher Behandlung auch hinsichtlich solcher Gegenstände bestehen, die an sich zu den Massendrucksachen zählen. Es ist deshalb grundsätzlich nicht angebracht, bestimmte Arten von Schriftstücken generell vom Tatbestand auszunehmen (Graf MK Rdn. 9). Maßgeblich ist vielmehr das Interesse der jeweils Beteiligten, das sich aus vielerlei Umständen, auch aus der Art einer Sendung oder aus der Beziehung zwischen Absender und Adressaten, ergeben kann (Apotheke – Kunde, Großhandel – Apotheke). 14 Letztlich sind auch Fallgestaltungen möglich, in denen verschlossene Schriftstücke nicht geschützt sind, obwohl der Verschluss (auch) dazu dient, die Kenntnisnahme vom Inhalt zu verhindern. So werden Bücher und Zeitschriften zunehmend in Klarsichtumhüllungen zum Verkauf angeboten. Diese Hüllen dienen in der Regel nicht nur zum Schutz vor Verschmutzung, sondern sollen auch verhindern, dass die angebotenen Schriften vor dem Kauf gelesen werden. Das eigenmächtige Öffnen einer solchen Umhüllung dürfte dennoch den Tatbestand der Vorschrift nicht erfüllen: Die Handlung ist nicht geeignet, das hier geschützte Rechtsgut zu beeinträchtigen; das wirtschaftliche Interesse des Händlers, den Kaufanreiz aufrechtzuerhalten, wird vom Schutzbereich des § 202 nicht erfasst.
15 b) Abbildungen. Den Schriftstücken (Abs. 1) stehen Abbildungen gleich (Abs. 3). Dieser Begriff umfasst nicht nur die naturalistische Wiedergabe von Teilen der realen Außenwelt, sondern auch die Darstellung von Gegenständen, die der Vorstellungswelt des Menschen angehören, so z.B. den Graph einer mathematischen Funktion oder die zeichnerische Darstellung einer chemischen Formel. Der Begriff Abbildung ist damit weiter als in § 11 Abs. 3 (aA Fischer Rdn. 4 i.V.m. § 11 Rdn. 37). Dies folgt aus dem Schutzzweck der Strafvorschrift: § 202 bezweckt einen umfassenden Schutz von Notizen und Mitteilungen, unabhängig von ihrem Inhalt und der Art ihrer Fixierung. Die den Schriftstücken und Briefen gleichgestellten Abbildungen sind nicht weniger schutzbedürftig. Im Einzelnen gilt: 16 Abbildungen können gemalt oder gezeichnet sein; Fotografien sind ebenfalls Abbildungen. Auch Filmstreifen – als Abfolge mehrerer Bilder – fallen unter die Vorschrift (vgl. auch § 11 Rdn. 124 für den Begriff der Abbildung im Sinne des § 11 Abs. 3 sowie RGSt 39 183 für „Abbildungen“ im Sinne des § 184 Abs. 1 Nr. 1 a.F.). Bloße Kritzeleien oder Farbflächen sind keine Abbildungen: Eine Abbildung setzt voraus, dass etwas anderes abgebildet wird. Dieses Etwas kann in der Außenwelt tatsächlich vorhanden sein (Fotografie einer Stadt); es kann der Vergangenheit angehören (Kupferstich einer mittelalterlichen Stadt) oder lediglich in der menschlichen Vorstellung gründen (Zukunftsvision hinsichtlich einer Stadt im Jahre 3000; Bild eines Einhorns oder eines Drachens). Da es nicht darauf ankommt, dass der abgebildete Gegenstand Teil der realen Außenwelt ist, können auch Symbole Abbildungen sein, sofern man sie nicht zu den Schriftzeichen zählen will (vgl. oben Rdn. 10). Abbildungen brauchen ihren Gegenstand nicht naturgetreu wiederzugeben. Dieser kann vielmehr auf seine „Idee“ zurückgeführt werden. Demgemäß ist Abbildung auch die Konstruktionszeichnung einer Maschine oder die Skizze, die einen Molekülaufbau darstellt (vgl. oben Rdn. 10). Ebenso können zeitlich hintereinanderliegende Vorgänge statt in Worten in grafischen Kurven – und damit als Abbildung – dargestellt werden: so etwa die Fieberkurve eines Kranken. Eine Abbildung braucht ferner nicht von Menschenhand hergestellt worden zu sein. Der von einer Krankenschwester gezeichneten Fieberkurve entsprechen deshalb die durch ein medizinisches Gerät aufgezeichnete Hirnstromkurve eines Patienten oder die Schaublätter des Fahrtschreibers bei Kraftfahrzeugen (§ 57a StVZO).
Hilgendorf
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II. Tatbestand
§ 202
Wie bei den Schriftstücken stellt sich auch bei Abbildungen die Frage, ob Gegenstände, die 17 keinen Bezug zur Persönlichkeit des Berechtigten aufweisen vom Tatbestand auszunehmen sind. Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen (BT I § 29 Rdn. 15) bejahen dies. Nach Blei (JA 1974 601, 606) schließt „völlige Persönlichkeitsirrelevanz“ den Schutz der Vorschrift aus, deshalb komme die „an jeder Ecke käufliche Bildpostkarte des Urlaubsorts“ als Tatgegenstand nicht in Betracht (ebenso Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5). Auch hier wird jedoch gelten müssen, was oben (Rdn. 13, 14) ausgeführt wurde. Maßgebend ist der Wille des Verschließenden. Wer Wert darauf legt, die Bildpostkarte aus dem Urlaub durch Verschluss gegen Neugierige zu sichern – weil er meint, sein Aufenthaltsort gehe niemanden etwas an –, wird durch das Gesetz geschützt. Wie bei Schriftstücken wird auch bei Abbildungen nicht jedes Verschließen die Sicherung gegen Kenntnisnahme bezwecken. Wer etwa eine Illustrierte verschließt, wird hierdurch in aller Regel nicht das Abgebildete vor Kenntnisnahme verbergen wollen (vgl. Fischer Rdn. 5).
c) Sicherung durch Verschluss (Abs. 1). Schriftstücke und Abbildungen (Abs. 3) werden ge- 18 schützt, wenn sie verschlossen sind (Abs. 1). Der Verschluss ist – davon geht das Gesetz aus – das übliche Mittel zur Sicherung des Briefgeheimnisses; bleibt ein Schriftstück offen, ist das nicht nur ein Anzeichen dafür, dass der Besitzer auf eine besondere Sicherung der Geheimhaltung keinen Wert legt (vgl. Wiechert S. 37), sondern schließt nach dem im Gesetz manifestierten viktimodogmatischen Prinzip den strafrechtlichen Schutz schlechthin aus. Nur das den Geheimhaltungswillen zum Ausdruck bringende Verschließen löst strafgesetzlichen Schutz nach § 202 Abs. 1 aus; ein bloßer Vermerk auf einem nicht verschlossenen Umschlag oder bloße mündliche Äußerungen genügen nicht. Ob ein Verschluss vorliegt, ist nach den Anschauungen des täglichen Lebens zu beurteilen. Erforderlich ist eine Vorkehrung, die der Kenntnisnahme des Inhalts ein deutliches Hindernis entgegensetzt; sie muss so beschaffen sein, dass der Öffnende eine körperliche Tätigkeit entfalten und dadurch ein gewisses Hemmnis überwinden muss.7 Hingegen ist unerheblich, ob sich der Verschluss nur mit besonderen Schwierigkeiten öffnen lässt (vgl. OLG Stuttgart a.a.O., RG a.a.O.; Dietrich NStZ 2011 247, 251: „fast nur noch symbolhaftes Hindernis ausreichend“) oder ob er im Falle einer Öffnung beschädigt wird (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.). Daher können unter Umständen auch Umschläge, die als offene Umhüllungen zur Beförderung als Warensendungen und Drucksachen zugelassen sind, einen hinreichend festen Verschluss bewirken (so z.B. Perforations- und Adhäsionsverschlüsse). Schriftstücke können auch durch Kleben, Plombieren oder Zunähen verschlossen werden (Gerhard S. 21). Es reicht jedoch nicht aus, wenn sie lediglich zusammengefaltet8 oder in einem offenen Umschlag verwahrt werden (RGSt 20 375, 376; Friedlaender a.a.O.). Ebenso wenig wird ein nur mit einer Warenbeutelklammer zusammengehaltener Musterbeutel oder eine leicht aufziehbare Schleife als hinreichender Verschluss gelten können.9 Anders liegt es bei einem Briefumschlag, der mit einem verknoteten Bindfaden verschnürt ist (RGSt 16 284, 285, 288 f, freilich nicht zu § 202 StGB, sondern unter dem Aspekt des Portobetruges). Nicht ausreichend ist dagegen wiederum „ein mit einem roten Seidenfaden umwickeltes kleines Konvolut zusammengelegter Zettel“ wie bei Fontanes Effi Briest. Verschluss und Schriftstück müssen so verbunden sein, dass beide nach der Auffassung 19 des Lebens als zusammengehörig angesehen werden können (vgl. Friedlaender a.a.O. S. 781; Gerhard S. 21). Wird das Schriftstück in einer Kassette verschlossen, ist diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt; in einem solchen Falle greift jedoch Absatz 2 ein (vgl. Rdn. 22). Wie sich aus dem Schutzzweck der Vorschrift ergibt und wie ferner die Parallele zu Absatz 2 20 zeigt („gegen Kenntnisnahme besonders gesichert“), muss der Verschluss bewusst als Mittel 7 Vgl. OLG Stuttgart NStZ 1984 25, 26; RGSt 16 284, 288; Fischer Rdn. 5; Graf MK Rdn. 14; extensiver („zumindest symbolisches Hindernis“) Kargl NK Rdn. 7; Hoyer SK Rdn. 11.
8 Vgl. Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 782 Fn. 95; Gerhard S. 21; Fischer Rdn. 5. 9 Vgl. hierzu OLG Stuttgart a.a.O. S. 26; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; aA Kargl NK Rdn. 7. 831
Hilgendorf
§ 202
Verletzung des Briefgeheimnisses
eingesetzt worden sein, um (jedenfalls auch) eine Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstücks zu verhindern.10 Davon wird bei einem verschlossenen Schriftstück in der Regel auszugehen sein. Ausnahmen sind jedoch möglich. Wird beispielsweise ein Schreiben in einem zunächst offenen Briefumschlag verwahrt und verklebt dann die Gummierung durch die Raumfeuchtigkeit, so liegt kein (aktives) Verschließen vor. Ebenso wenig greift die Strafvorschrift ein, wenn der Verschluss ausschließlich dem Schutz vor Beschädigung oder vor Verlust des Schriftstücks dienen soll (vgl. hierzu oben Rdn. 13, 14). 21 Kann der ursprünglich angebrachte Verschluss seine Funktion nicht mehr erfüllen, so ist das Schriftstück nicht verschlossen. § 202 ist nicht anwendbar. Hierbei ist es ohne Belang, ob der Verschluss durch den Berechtigten oder durch einen Nichtberechtigten beseitigt wurde oder ob er durch Zufall fortgefallen ist. Ist er nur beschädigt, kommt es darauf an, ob die verbleibende Sicherung noch einen Verschlusswillen erkennen lässt und die Überwindung eines gewissen Widerstandes erfordert (Gerhard S. 22). Wiechert (S. 41) will demgegenüber lediglich darauf abstellen, ob noch erkennbar ist, dass ein Verschluss angebracht war und „nicht beseitigt sein will“. Das reicht jedoch schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht aus. Im Übrigen besteht das spezifische Unrecht der Tat darin, dass der Täter ein körperliches Hindernis überwindet, um in den geschützten Geheimbereich des Berechtigten einzudringen. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn ein funktionsfähiger Verschluss noch vorhanden ist.
22 d) Behältnisschutz nach Abs. 2. Schriftstücke und Abbildungen werden außerdem auch dann geschützt, wenn sie durch ein verschlossenes Behältnis gegen Kenntnisnahme besonders gesichert sind (Abs. 2). Unter einem Behältnis ist – ebenso wie in § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 – ein umschlossener Raum zu verstehen, der zur Verwahrung und Sicherung von Sachen dient, jedoch nicht dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden (vgl. BGHSt 1 158, 163; BTDrucks. 7/550 S. 237). Geschützt sind danach z.B. in einer Kassette oder in einem abgeschlossenen Nähkasten wie bei Fontanes Effi Briest verwahrte Briefe oder Tagebuchaufzeichnungen, nicht aber Schriftstücke, die in einem abgeschlossenen Zimmer liegen (BTDrucks. a.a.O.; kritisch hinsichtlich dieser Begrenzung Blei JA 1974 601, 606; derselbe BT 1 § 32 II). Das Behältnis selbst muss verschlossen sein. Auch hier kommt es nicht darauf an, wie der Verschluss im einzelnen bewirkt worden ist (durch Schloss, durch Verkleben, durch Verschnüren o.ä.). Das Verschließen muss jedenfalls auch den Zweck haben, eine unbefugte Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstücks zu verhindern (vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; Blei BT 1 § 32 III 3, sowie oben Rdn. 13, 14, 20).
3. Tathandlungen 23 Das Gesetz zählt mehrere Tathandlungen auf:
24 a) Öffnen (Abs. 1 Nr. 1). Sind Briefe oder andere Schriftstücke – ferner die nach Absatz 3 den Schriftstücken gleichgestellten Abbildungen – verschlossen, genügt es, wenn der Täter den Verschluss „öffnet“ (Abs. 1 Nr. 1), d.h. das durch den Verschluss geschaffene Hindernis so weit beseitigt, dass er vom Inhalt Kenntnis nehmen kann.11 Eine Beschädigung des Verschlusses wird vom Tatbestand nicht vorausgesetzt. So hat es das RG (RGSt 20 375, 376) genügen lassen, dass ein Briefumschlag, dessen Verschlussklappe nur mit der äußersten Spitze festgeklebt war, zusammengedrückt und durch die so entstehende Öffnung der Brief herausgezogen wurde. 10 Vgl. Gerhard S. 21; Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 780; wohl auch OLG Stuttgart NStZ 1984 25, 26; aA – unter Berufung auf den Wortlaut der Vorschrift – Wiechert S. 38.
11 Fischer Rdn. 8; ebenso Weiß CCZ 2014 136, 138; Wiechert S. 43; Gerhard S. 23; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. Hilgendorf
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II. Tatbestand
§ 202
Der Täter braucht vom Inhalt des Schriftstücks oder der Abbildung nicht Kenntnis zu neh- 25 men. Das ergibt sich im Gegenschluss aus den Erfordernissen, die Absatz 1 Nr. 2 und Absatz 2 für die dort beschriebenen Begehungsweisen aufstellen. Es reicht aus, dass nach dem Öffnen des Verschlusses nunmehr vom Schriftstück oder der Abbildung Kenntnis genommen werden kann (vgl. RMG 11 272, 273 f) und dadurch die vom Verschließenden gewollte Geheimhaltung gefährdet ist. Eine solche Gefährdung ist nach dem Schutzzweck der Vorschrift erforderlich. Ist jegliche Kenntnisnahme ausgeschlossen, weil etwa zugleich mit dem Öffnen des Verschlusses das Schriftstück selbst vernichtet wird, kommt – da der Versuch nicht strafbar ist – lediglich Sachbeschädigung in Betracht (vgl. Wiechert S. 42 f; Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 783; Gutjahr in von Olshausen StGB11 § 299 Anm. 4; ferner RMG 11 272, 274 f).
b) Kenntnisverschaffung. Die Kenntnisnahme durch den Täter wird hingegen sowohl in den 26 Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 als auch in denen des Absatzes 2 vorausgesetzt. aa) Abs. 1 Nr. 2. Nach Absatz 1 Nr. 2 wird bestraft, wer sich vom Inhalt eines verschlossenen 27 Schriftstücks oder einer Abbildung ohne Öffnung des Verschlusses unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschafft. Durch diese Bestimmung soll der technischen Entwicklung Rechnung getragen werden, die ein Vordringen zum Inhalt auch ohne Öffnung ermöglicht (BTDrucks. 7/550 S. 237). Erfasst wird insbesondere die Benutzung einer Durchleuchtungseinrichtung (BTDrucks. a.a.O.). Dass ein Schriftstück abgetastet oder lediglich gegen das Licht gehalten wird, genügt hingegen nicht (BTDrucks. a.a.O.). Die Anwendung von spezifisch technischen Hilfsmitteln (Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4) vom bloßen Ausnutzen günstiger natürlicher Bedingungen abzugrenzen (Blei § 32 III 2; JA 1974 601, 606) wird im Einzelfall nicht leichtfallen (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 16). Das Tränken einer aus Papier bestehenden Umhüllung mit geeigneten Flüssigkeiten ist als Anwendung eines „technischen Hilfsmittels“ anzusehen (vgl. Fischer Rdn. 9). Die für § 299 a.F. vertretene Auffassung, das Durchfeuchten eines Briefumschlags mit Öl – mit der Folge, dass das verschlossene Schriftstück sichtbar wird – stelle keine Verletzung des Briefgeheimnisses dar,12 trifft für § 202 nicht mehr zu (ebenso Schwalm in der 103. Sitzung der Großen Strafrechtskommission vom 23. September 1958, Niederschriften Bd. 9, S. 404).
bb) Abs. 2. Wird ein Schriftstück oder eine Ablichtung durch ein verschlossenes Behältnis 28 gegen Kenntnisnahme besonders gesichert (Abs. 2), macht sich strafbar, wer das Behältnis öffnet und anschließend vom Inhalt des Verwahrten Kenntnis nimmt. Wie der Täter das Behältnis öffnet, ist unerheblich. Ein Erbrechen ist nicht erforderlich; es genügt, wenn er sich den Zugang mit dem dafür vorgesehenen Schlüssel verschafft (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 237; Schwalm a.a.O.).
cc) Voraussetzung der Kenntnisnahme. Kenntnisnahme vom Inhalt des Verwahrten setzt 29 voraus, dass sich der Täter mit der Aufnahme des schriftlich oder bildlich Fixierten befasst. Nach dem Wortlaut der Vorschrift reicht es nicht aus, wenn er lediglich feststellt, dass er (irgendein) Schriftstück vor sich hat; die bloß optische Wahrnehmung genügt nicht.13 Andererseits kann nicht verlangt werden, dass der Täter den Inhalt in seiner vollen Tragweite erfasst. Wer sich unbefugt Zugang zu Schriftstücken verschafft, die fachwissenschaftliche, etwa physikalische oder erkenntnistheoretische Darlegungen enthalten, verletzt das Briefgeheimnis auch 12 Vgl. Wiechert S. 43; Gerhard S. 22 Fn. 4. 13 So jedoch wohl Blei JA 1974 601, 606; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 523; wie hier Graf MK Rdn. 23. 833
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§ 202
Verletzung des Briefgeheimnisses
dann, wenn er als Laie den Sinn des Geschriebenen nicht versteht. Es genügt, dass er die einzelnen Wörter zur Kenntnis nimmt; den fixierten Gedankengang braucht er nicht nachzuvollziehen. Im Blick auf den Schutzzweck der Norm wird auch nicht vorauszusetzen sein, dass der Täter das Gelesene wenigstens in seiner Wortbedeutung im Wesentlichen verstanden hat (so aber Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10/11). Das Geheimhaltungsinteresse des Berechtigten ist bereits verletzt, wenn der Täter den Inhalt des verschlossenen Schriftstücks ungefähr einordnen kann. So greift der eifersüchtige Liebhaber auch dann in den Geheimnisbereich ein, wenn er beim Durchstöbern einer fremden Privatkorrespondenz anstelle der erwarteten „Erkenntnisse“ Notizen anderer, etwa fachwissenschaftlicher Art vorfindet, deren Inhalt er nicht erfasst. Erst recht verschafft sich Kenntnis vom Inhalt eines Schriftstücks, wer den Brief eines Geisteskranken liest, ohne die in Verwirrung angesprochenen Zusammenhänge verstehen zu können. Auch der Umstand, dass ein Schreiben in einer dem Täter nicht geläufigen Fremdsprache abgefasst ist, steht einer Kenntnisnahme nicht entgegen.14 Der Tatbestand ist erfüllt, wenn der Täter so in Erfahrung bringt, dass der Verschließende eine fremdsprachliche Korrespondenz führt. Die Gegenansicht führt zu Lücken im Strafschutz, die im Hinblick auf den internationalen Schriftverkehr kaum zu rechtfertigen wären. Vom gesetzlichen Tatbestand wird eine solche Einschränkung nicht gefordert. Nicht erforderlich ist, dass der Täter das gesamte Schriftstück zur Kenntnis nimmt; es reicht aus, wenn er sich Kenntnis von Teilen des Inhalts verschafft (Fischer Rdn. 9; Kargl NK Rdn. 14). So macht sich z.B. auch strafbar, wer einen Brief durchleuchtet und sich damit begnügt, den Namen des Absenders festzustellen. 30 Umstritten ist die Strafbarkeit desjenigen, der das verschlossene Behältnis öffnet und den Gegenstand lediglich fotografiert, um die Aufnahme sodann einem anderen zur Kenntnisnahme zu übergeben: Hier fallen Öffnen und Kenntnisnahme nicht – wie die Strafvorschrift es dem Wortlaut nach voraussetzt – in einer Person zusammen, woraus sich wegen der Natur des § 202 Abs. 2 als eines zweiaktigen Delikts komplizierte Probleme der Täterschaft und Teilnahme ergeben (u. Rdn. 61). 31 Für die Kenntnisnahme von den durch Absatz 3 geschützten Abbildungen gilt Entsprechendes. Es reicht aus, dass der Täter die grafische Gestalt – etwa der gezeichneten Person, der Fieberkurve oder der Skizze des Molekülaufbaus (vgl. Rdn. 16) – wahrnimmt. Auch hier kommt es nicht darauf an, dass er den inneren Zusammenhang, die eigentliche Bedeutung der Abbildung, begreift (vgl. Rdn. 29).
4. Nicht zur Kenntnis des Täters bestimmt 32 Weiterhin setzen alle drei Tatbestandsalternativen voraus, dass das vom Täter geöffnete etc. Schriftstück nicht zu seiner Kenntnis bestimmt ist. Das Einverständnis des Berechtigten schließt deshalb den Tatbestand aus (näher Rdn. 57, 58).
33 a) Bestimmungsberechtigung. Wer von einem Schriftstück oder einer Abbildung Kenntnis erhalten oder von der Kenntnisnahme ausgeschlossen sein soll, entscheidet grundsätzlich derjenige, der diese Gegenstände verschließt (sog. formelle Theorie; ebenso Fischer Rdn. 7; Samson SK6 Rdn. 10). Er begründet den formalen Geheimbereich und ist deshalb berechtigt, auch dessen Grenzen zu bestimmen. Die sog. materielle Theorie stellt demgegenüber auf das „Recht am gedanklichen Inhalt eines Schriftstücks“ und die daraus folgende Befugnis ab, andere von der
14 Vgl. Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 523; Blei JA 1974 601, 606; Schmitz JA 1995 297, 299; aA Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 10/11. Hilgendorf
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II. Tatbestand
§ 202
Kenntnisnahme auszuschließen.15 Darauf kann es jedoch nicht ankommen. Das Gesetz knüpft den Schutz an ein formales Merkmal, nämlich an den Verschluss. Daher ist es folgerichtig, dass allein der Verschließende darüber entscheiden kann, wer berechtigt sein soll, den Verschluss wieder aufzuheben. Weitere Voraussetzungen sind daneben nicht erforderlich. Im Regelfall kommen freilich beide Ansichten zum gleichen Ergebnis. Eine unterschiedliche Beurteilung kann allerdings dann Platz greifen, wenn der Verschließende nicht der Verfasser des verschlossenen Schriftstücks ist und auch kein Recht an dessen gedanklichem Inhalt hat, so beispielsweise bei der eigenmächtigen Verwahrung aufgefundener fremder Unterlagen. Auch hier bestimmt der Verschließende, wer zur Kenntnisnahme berechtigt sein soll. Für Briefe gilt nichts anderes. Wer Adressat sein soll, kann nur derjenige bestimmen, der den Brief verschließt oder verschließen lässt. Unerheblich ist, wer das im Brief verschlossene Schriftstück verfasst hat oder an wen sich der Verfasser wendet (zu dem Ausnahmefall, dass sich innerhalb des verschlossenen Umschlags eine weitere verschlossene Hülle mit einer anderen Empfängerbestimmung befindet, vgl. Gerhard S. 27). Demgemäß ist z.B. ein Brief, mit dem eine Staatsanwaltschaft ein von ihr beschlagnahmtes Schriftstück an eine andere Staatsanwaltschaft versendet, nur zur Kenntnis dieser Behörde bestimmt; weder der Verfasser des Schriftstücks noch derjenige, an den er das Schreiben gerichtet hatte, sind zur Öffnung befugt (insoweit zustimmend Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2). Bei einem Brief ist der Verschließende bis zur Auslieferung an den Empfänger berechtigt, sei- 34 ne Bestimmung zu ändern. Mit diesem Zeitpunkt endet dieses Recht, da nunmehr der Adressat alleiniger Berechtigter ist und der Verschließende nicht mehr einseitig in dessen Rechtsposition eingreifen kann.16 An wen sich der Verfasser des Schriftstücks, das im Briefumschlag versandt wird, wendet, ist grundsätzlich unerheblich (vgl. oben Rdn. 33). Wer jeweils öffnungsbefugter Empfänger sein soll, muss gegebenenfalls durch Auslegung ermittelt werden (vgl. Gerhard S. 24 Fn. 2; zu Posteingängen bei einer Behörde Topel DöV 1987 680; Papenheim ZMV 1999 56; LAG Hamm NZA-RR 2003 346: Wenn sie keinen Vertraulichkeitsvermerk tragen, dürfen sie auf der Poststelle geöffnet und an den darin bezeichneten Mitarbeiter weitergeleitet werden; dem für medizinische Einrichtungen grundsätzlich zustimmend Gutman/Rathgeber/Sieber NZWiSt 2014 85 f). Dabei ist nicht am Wortlaut der Anschrift zu haften (vgl. § 133 BGB). Ist – in wohl seltenen Fällen – eindeutig erkennbar, dass die Post privater Natur ist, der Empfänger aber zugleich nicht eindeutig identifizierbar, ist die Poststelle eines Unternehmens aufgrund des erkennbar entgegenstehenden Willens nicht zur Öffnung des Briefs berechtigt.17 Häufig werden Geschäftsbriefe oder Reklamesendungen, die in der Anschrift eine ganz bestimmte Person als Empfänger bezeichnen, nach dem Willen des Absenders auch zur Kenntnis anderer Personen – so beispielsweise von Familienangehörigen oder von Kollegen – bestimmt sein. Geht der Öffnende irrtümlich davon aus, der Brief sei (auch) an ihn gerichtet, so befindet er sich im Irrtum über ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes; er handelt dann ohne Vorsatz (§ 16 Abs. 1) und ist demzufolge straflos (vgl. Rdn. 42). Im Falle der Ersatzzustellung gemäß Nr. 4 Abs. 3 AGB der Deutschen Post AG ist der Ersatzempfänger nicht berechtigt, vom Inhalt der Sendung Kenntnis zu nehmen (vgl. zum früheren § 51 PostO Bettermann-Loh BB 1968 892). Die Bestimmung desjenigen, der zur Kenntnisnahme berechtigt sein soll, ist keine rechts- 35 geschäftliche Handlung; maßgebend ist daher auch der (natürliche) Wille eines Minderjährigen oder Entmündigten (Preisendanz Anm. 2d). Die Strafvorschrift stellt ferner nicht darauf ab, ob der Verschließende rechtmäßig handelt. Dessen Wille entscheidet selbst dann, wenn mit der 15 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8 und Lenckner JR 1978 424 f in Anm. zu BGH JR 1978 423; zust. Graf MK Rdn. 17 f; ähnlich auch Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 518, der das „Verfügungsrecht über den betreffenden Gegenstand“ als maßgeblich ansieht, aA Hoyer SK Rdn. 14, der den strafrechtlichen Schutz entfallen lässt, wenn entweder der formell Verschließende oder der materiell Verfügungsberechtigte mit der Kenntnisnahme einverstanden ist. 16 Vgl. näher Rdn. 58 sowie Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8 m.w.N.; Weiß CCZ 2014 136, 138; zum zivilrechtlich schon früher geschützten Persönlichkeitsrecht des Empfängers s. BGH [ZS] JR 1991 67 m. Anm. Giesen. 17 Gutman/Rathgeber/Sieber NZWiSt 2014 85, 86; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. 835
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§ 202
Verletzung des Briefgeheimnisses
Übermittlung des Schriftstücks eine Geheimhaltungspflicht verletzt wird (vgl. Bockelmann BT 2 § 33 I 1b). 36 Ebenso wie der Verschließende nach seinem Belieben bestimmt, wer von einer Mitteilung Kenntnis nehmen darf, kann er diese Befugnis auch von Einschränkungen und Bedingungen abhängig machen. Diese werden oft zeitliche Bestimmungen enthalten, wie etwa die Weisung des Erblassers auf dem verschlossenen Umschlag seines Testaments: „Erst nach meinem Tode zu öffnen“. Wird ein solcher Umschlag schon vor dem angegebenen Zeitpunkt geöffnet, ist das Briefgeheimnis verletzt. Das gilt auch dann, wenn die Öffnung durch einen Adressaten erfolgt, der auf dem Umschlag namentlich bezeichnet ist. Das Schriftstück ist in solchen Fällen nach dem Willen des Berechtigten noch nicht zur Kenntnis des Öffnenden bestimmt.18 Häufig wird allerdings die Auslegung entsprechender Vermerke insbesondere auf Briefen ergeben, dass der Absender damit lediglich (unverbindlich) einen Wunsch zum Ausdruck bringen, eine vorherige Öffnung aber nicht ernstlich beanstanden will. Dies gilt beispielsweise für Vermerke „Nicht vor dem Fest öffnen“. An eine strafrechtlich geschützte Geheimhaltung ist hier in der Regel nicht gedacht. 37 Die Bestimmung des Adressaten wirkt über den Tod des Verschließenden hinaus. Die unbefugte Öffnung von Schriftstücken Verstorbener erfüllt deshalb den Tatbestand der Vorschrift. Die Tat kann allerdings nicht verfolgt werden, weil ein Verletzter im Sinne des § 77 Abs. 1, der den erforderlichen Strafantrag (vgl. § 205) stellen könnte, nicht vorhanden ist (näher § 205 Rdn. 7). Da § 202 ein höchstpersönliches Rechtsgut schützt, das nicht vererbt werden kann, kommen die Erben nicht in Betracht. Eine der Regelung des § 205 Abs. 2 Satz 3 oder des § 194 Abs. 2 entsprechende Erweiterung des Kreises der Antragsberechtigten hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen.
38 b) Von der Tatbestandserfüllung ist ferner ausgeschlossen, wer den Geheimbereich durch Verschließen überhaupt erst begründet hat. Das folgt aus der Natur des geschützten Rechtsguts: Eine Gefährdung des (selbstgeschaffenen) Geheimbereichs ist nicht zu besorgen. Dies gilt auch dann, wenn die verschlossene Sendung bereits in den Gewahrsam des Empfängers gelangt ist: Der Absender eines Briefes ist nicht wegen Verletzung des Briefgeheimnisses zu bestrafen, wenn er „seinen“ Brief öffnet (vgl. Wiechert S. 44 f; aA Gerhard S. 26).
39 c) Abs. 2. Im Falle des Absatzes 2 greifen dieselben Grundsätze. Auch hier bestimmt derjenige, der den Verschluss schafft, darüber, wer Kenntnis von dem eingeschlossenen Schriftstück erhalten soll. Anderes gilt jedoch, wenn ein Brief von einem Dritten unterschlagen und in einem Behältnis verschlossen wird. In solchem Falle ist das Schreiben nach wie vor zur Kenntnisnahme des auf dem Brief bezeichneten Adressaten bestimmt; das eigenmächtige Eingreifen von dritter Seite kann die ursprüngliche Bestimmung durch den Absender nicht aufheben. Deshalb erfüllt eine Ehefrau, die den Schreibtisch aufbricht, in dem der Ehemann von ihm abgefangene, an sie gerichtete Briefe verwahrt, den Tatbestand der Strafvorschrift nicht (vgl. Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 19; Fischer Rdn. 7).
5. Subjektiver Tatbestand 40 Die Tat kann nur vorsätzlich begangen werden. Bedingter Vorsatz reicht aus. Was vom Vorsatz umfasst sein muss, richtet sich nach der jeweiligen Alternative des gesetzlichen Tatbestandes. Soweit das Gesetz lediglich auf das Öffnen abstellt (Abs. 1 Nr. 1), ist unerheblich, ob der Täter auch Kenntnis nehmen will (Fischer Rdn. 12; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6 sowie oben Rdn. 25). 18 Ebenso Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; aA Wiechert S. 46; Gerhard S. 27; Graf MK Rdn. 17. Hilgendorf
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III. Rechtswidrigkeit
§ 202
Der Täter muss sich jedoch bewusst sein, dass er sich durch das Öffnen die Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafft (Samson SK6 Rdn. 11). Diese Voraussetzung liegt im Regelfall vor: Weiß der Täter – was § 202 voraussetzt –, dass sein Verhalten zur Beseitigung oder Aufhebung des Verschlusses führt, das Schriftstück oder die Abbildung also offenlegt, ist ihm in aller Regel die Möglichkeit der Kenntnisnahme bekannt. Anderes mag gelten, wenn das Öffnen nach dem Willen des Täters nur notwendiges Durchgangsstadium der Zerstörung sein soll, ohne dass die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht (der Täter wirft einen Brief ins Feuer, das zunächst den Umschlag erfasst). Wird ein Schriftstück bei der Öffnung versehentlich vernichtet, bevor eine Kenntnisnahme vom Inhalt möglich ist, so liegt lediglich ein (strafloser) Versuch vor (vgl. oben Rdn. 25). Wer einen – vermeintlich leeren – Umschlag öffnet und dann erst den Inhalt bemerkt, handelt nicht vorsätzlich, da er bei Begehung der Tat ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes nicht kennt. In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 muss der Täter in den Vorsatz aufnehmen, dass er sich 41 durch die Anwendung technischer Mittel Kenntnis vom Inhalt des Schriftstücks verschafft. Entsprechendes gilt für Absatz 2. Der Vorsatz, von dem gesicherten Schriftstück Kenntnis zu nehmen, muss hier bereits beim Öffnen des Behältnisses vorliegen. Weil es sich bei § 202 Abs. 2 um ein sog. mehraktiges Delikt handelt, bei dem der erste Teilakt mit einer Schwächung der Opferschutzsphäre verbunden ist, muss zwischen beiden Teilakten ein Planungszusammenhang bestehen, kraft dessen der Täter sämtliche von ihm vorgenommenen Teilhandlungen als Bestandteil einer Gesamthandlung begreift. Das setzt wiederum voraus, dass der Täter bei Verwirklichung des ersten Teilaktes bereits den zweiten Teilakt in seine Planungen einbezogen hat, was in der Regel in Form einer vom Gesetz mit dem Wort „dazu“ angesprochenen doppelten Absicht erfolgt.19 Hierbei kann der Täter aber die Verwirklichung des zweiten Teilaktes durchaus vom Eintritt externer Bedingungen abhängig machen und auch mit Alternativvorsatz handeln, etwa in der folgenden Konstellation: Wenn die vom Ehemann vernachlässigte Ehefrau eine diesem gehörende Kassette mit dem Plan erbricht, darin etwa befindliches Geld zur Verbesserung des Haushaltsgeldes zu verwenden, etwa darin vorzufindende Liebesbriefe zu lesen, etwaige Geschäftspost aber unbeachtet zu lassen, so schließt das die Annahme absichtlichen Handelns, zumindest aber den für § 201 Abs. 2 erforderlichen Planungszusammenhang nicht aus.20 Bei jeder Begehungsweise muss der Vorsatz des Täters auch die Tatsache umfassen, dass 42 das Schriftstück nicht zu seiner Kenntnis bestimmt ist. Irrt er hierüber, so befindet er sich im Irrtum über ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes (§ 16 Abs. 1) und kann deshalb nicht bestraft werden. Hierher gehören die Fälle, in denen Hinweise auf den Empfänger falsch verstanden werden oder die Empfängeranschrift auf Briefen falsch ausgelegt wird (vgl. Rdn. 34, 47). Der Irrtum über Rechtfertigungsgründe ist nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Liegt der Irrtum auf tatsächlicher Ebene – glaubt also etwa die Ehefrau, ihr Ehemann sei damit einverstanden, dass sie den an ihn gerichteten Brief öffne (vgl. Rdn. 47) –, so ist ein nach den verschiedenen Spielarten der eingeschränkten Schuldtheorie den Vorsatz gem. § 16 oder zumindest die Vorsatzschuld ausschließender Erlaubnistatbestandsirrtum gegeben.21 Nimmt der Ehemann hingegen an, er sei als „Familienoberhaupt“ dazu berechtigt, die Korrespondenz seiner Frau zu kontrollieren, liegt ein bloßer Verbotsirrtum gem. § 17 vor.
III. Rechtswidrigkeit Der Täter muss „unbefugt“ handeln. Der Gesetzgeber hat damit darauf hingewiesen, dass nach 43 den einschlägigen gesetzlichen Regelungen und allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu prüfen ist, 19 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21; eingehend Lund Mehraktige Delikte (1993) S. 130 ff, speziell für § 202 Abs. 2 S. 201 f. 20 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22; Baldus Niederschriften Bd. 9 S. 200; für die Annahme eines freilich zur Tatbestandserfüllung ausreichenden bedingten Vorsatzes Träger LK10 Rdn. 39 und diesem zust. Schmitz JA 1996 297, 300. 21 Roxin/Greco AT I § 14 Rdn. 52 ff; Schünemann/Greco GA 2006 777 ff. 837
Hilgendorf
§ 202
Verletzung des Briefgeheimnisses
ob das tatbestandsmäßige Verhalten straflos ist (BTDrucks. 7/550 S. 236). Ebenso wie bei der entsprechenden Fassung des § 201 kommt es auch hier darauf an, ob Rechtfertigungsgründe vorliegen (vgl. § 201 Rdn. 39; zu § 201: BGHSt 31 304, 306). In der Praxis überwiegen die Fälle befugten Öffnens bei Weitem (Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 18).
1. Sonderregelungen 44 Eine Berechtigung zum Öffnen kann sich aus zahlreichen gesetzlichen Sonderregelungen ergeben. In Betracht kommen:
45 a) Aus dem Bereich des Familienrechts. §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB. Eltern dürfen kraft ihres Sorgerechts grundsätzlich die ein- und ausgehende Post ihrer minderjährigen Kinder öffnen (vgl. Wiechert S. 47; Gerhard S. 29 f). Dieses Recht ist freilich nicht schrankenlos, sondern wird durch den Erziehungsauftrag begrenzt.22 Für den hier allein interessierenden strafrechtlichen Bereich sollten die Grenzen der elterlichen Kontrollbefugnisse nicht zu eng gezogen werden. Die möglichst umfassende Respektierung des Persönlichkeitsbereichs des Kindes mag zwar dem Ideal einer auf gegenseitigem Vertrauen aufgebauten Erziehung am ehesten entsprechen. Es ist indes nicht Sache des Gesetzgebers, bestimmte Erziehungsgrundsätze mit Mitteln des Strafrechts durchzusetzen. Man wird daher davon ausgehen müssen, dass die Eltern in den Schranken des Missbrauchsverbots grundsätzlich berechtigt sind, Schriftstücke ihrer minderjährigen Kinder inhaltlich zu kontrollieren. Dies gilt auch dann, wenn der Minderjährige gemäß §§ 112, 113 BGB dazu ermächtigt wurde, ein selbständiges Erwerbsgeschäft zu betreiben oder ein Arbeitsverhältnis zu begründen (aA Gerhard S. 29 f; Graf MK Rdn. 30). Eine solche Ermächtigung führt zwar zur partiellen Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen. Die elterliche Sorge wird hiervon jedoch im Grundsatz nicht berührt. Dies folgt bereits daraus, dass die Ermächtigung zurückgenommen werden kann (§§ 112 Abs. 2, 113 Abs. 2 BGB). Der gesetzliche Vertreter ist deshalb befugt – und im Interesse des Minderjährigen regelmäßig auch verpflichtet –, die wirtschaftliche Tätigkeit zu überwachen und zu diesem Zweck Einblick in geschäftliche oder berufliche Schriftstücke zu nehmen. Die Eltern dürfen auch Erziehern gestatten, an ihrer Stelle die Kontrolle des Briefwechsels ihrer Kinder auszuüben (vgl. Gerhard S. 31 f). 46 Entsprechende Rechte wie den Eltern stehen dem Vormund zu (§ 1800 BGB); der Betreuer eines Volljährigen hat die Befugnisse nur, wenn „das Gericht dies ausdrücklich angeordnet hat“ (§ 1896 Abs. 4 BGB). 47 Hingegen hat der Ehegatte nicht das Recht, an seinen Ehepartner gerichtete Briefe zu öffnen (Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 784 billigte dem Ehemann dieses Recht – 1896 – „als Haupt der Ehegemeinschaft“ noch zu; dagegen jedoch – bereits 1905 – Gerhard S. 30 f; ferner Wiechert S. 47). Häufig wird allerdings der Absender eines Briefes mit einer Kenntnisnahme auch durch den Ehegatten des Empfängers einverstanden sein (vgl. oben Rdn. 34). Legt ein Ehegatte die Empfängerangabe auf einem Brief irrtümlich in dieser Weise aus und öffnet er deshalb den Brief, so unterliegt er einem Tatbestandsirrtum (vgl. Rdn. 42); er bleibt straflos. Nicht selten wird ein Ehegatte außerdem Briefe an den Ehepartner deshalb öffnen dürfen, weil dieser – ausdrücklich oder konkludent – seine Einwilligung erteilt hat (Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7). Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14 nimmt an, dass der Ehegatte im Rahmen alltäglicher Angelegenheiten vielfach aufgrund mutmaßlicher Einwilligung handeln dürfe: die Grenzen dieses Rechtfertigungsgrundes sind jedoch eng zu ziehen (vgl. Rdn. 59). Geht ein Ehegatte irrtümlich davon aus, sein Ehepartner habe in die Öffnung des Briefes eingewilligt, kann er nicht bestraft werden (vgl. Rdn. 42). 22 Gernhuber/Coester-Waltjen Familienrecht § 57 VII 7; Lüderitz AcP 1978 263, 282 f; Huber MK-BGB § 1631 BGB Rdn. 7; Bosch FamRZ 1973 489, 500; Krüger FamRZ 1956 329, 333 f sowie allgemein Staudinger/Peschel-Gutzeit § 1626 BGB Rdn. 108. Hilgendorf
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III. Rechtswidrigkeit
§ 202
b) bei Untersuchungshäftlingen, Strafgefangenen und Untergebrachten. §§ 119 Abs. 1 48 S. 2 Nr. 2, 126a Abs. 2 StPO für die Briefüberwachung von Untersuchungsgefangenen und einstweilig Untergebrachten23 durch den Richter (§ 119 Abs. 1 S. 3 StPO); §§ 29 Abs. 3, 130 StVollzG für den Vollzug von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung;24 49 landesrechtliche Bestimmungen bei der Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB in einem 50 psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt (vgl. § 138 Abs. 1 StVollzG), so z.B. § 26 Abs. 3 des sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten vom 10. Oktober 2007 (GVBl. Sachsen S. 422). c) Sonderbestimmungen, um eine Überprüfung von Postsendungen zu ermöglichen: 51 §§ 99, 100 Abs. 3 StPO für die Öffnung von Briefen und Postsendungen nach einer Postbeschlagnahme durch den Richter; § 2 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. Mai 1961 (BGBl. I S. 607); § 1 Abs. 1 des Gesetzes zu Art. 10 GG vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254) für Verfassungsschutzbehörden; § 10 Abs. 4 ZollVG vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2125); zur Zulässigkeit der „inneren Zollbeschau“ und des Öffnens von Briefen nach § 80 ZollG a.F. vgl. BGHSt 9 351, 355; § 39 Abs. 4 PostG für die Öffnung verschlossener Postsendungen, u.a. „um den auf anderem Weg nicht feststellbaren Empfänger oder Absender einer unanbringlichen Postsendung zu ermitteln“; § 99 Abs. 2 InsO für den Insolvenzverwalter nach Anordnung der Postsperre durch das Insolvenzgericht.
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2. Einwilligung oder Einverständnis? Fraglich ist die systematische Stellung der Einwilligung. Ebenso wie bei § 201 (vgl. dort Rdn. 12 57 bis 14) besteht auch hier Streit darüber, ob die Einwilligung bereits den Tatbestand ausschließt25 oder ob sie lediglich als Rechtfertigungsgrund eingreift.26 Weil es bereits am Tatbestand fehlt, wenn der Verschließende den Inhalt des Schriftstücks zur Kenntnisnahme des Öffnenden bestimmt hat (vgl. Rdn. 33), ist die Einwilligung bei § 202 ein Tatbestandsausschließungsgrund (aA Träger LK10 Rdn. 36) und deshalb als Einverständnis zu bezeichnen. In der Praxis kommt der Streitfrage auch hier nur geringe Bedeutung zu. Ein Unterschied würde sich selbst dann nicht ergeben, wenn der Täter von einem tatsächlich vorhandenen Einverständnis nichts weiß. Wäre dieses bei der Rechtswidrigkeit einzuordnen, so würde es in diesem Fall an dem subjektiven Rechtfertigungselement fehlen, was aber nach richtiger und herrschender Auffassung ebenso wie die Unkenntnis eines Tatbestandsausschließungsgrundes nicht zur Annahme einer vollendeten Tat, sondern nur eines untauglichen und bei § 202 vom Gesetzgeber straflos gelassenen Versuches führt (dazu näher § 201 Rdn. 12). Es verbleiben die unterschiedlichen, in dieser Hinsicht aber selbst strittigen Wirksamkeitsanforderungen an ein Einverständnis einerseits, eine Einwilligung andererseits, beispielsweise wenn der abwesende Empfänger eines Briefes infolge 23 Vgl. dazu Schultheis KK § 119 Rdn. 29 f; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 119 Rdn. 18 ff; Veit S. 124 ff sowie Gärtner LR § 119 Rdn. 47 ff mit zahlreichen Nachweisen. 24 Vgl. hierzu Laubenthal ua StVollzG E Rdn. 68 ff; Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal/Dessecker/Schwind StVollzG Kapitel 9 C Rdn. 19 ff; entsprechend jetzt Art. 32 Abs. 3 BayStVollzG v. 10.12.2007, BayGVBl. S. 866. 25 So Fischer Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12; Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 147; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 4; Kargl NK Rdn. 19; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 524; allg. Roxin/Greco AT I § 13 Rdn. 11 ff. 26 So Samson SK6 Rdn. 14; Bockelmann BT 2 § 33 III. 839
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§ 202
Verletzung des Briefgeheimnisses
einer Täuschung einem anderen dessen Öffnung und Lektüre gestattet. Insoweit folgt aber schon aus dem Wortlaut des § 202 („zu seiner Kenntnis bestimmt“), dass nur die eigenmächtige Öffnung und nicht die Ablistung der Erlaubnis vom Tatbestand erfasst wird, so dass allein die dogmatische Figur des Einverständnisses einschlägig sein kann. 58 Das Einverständnis kann derjenige erteilen, der zur Verfügung über den geschützten Geheimbereich befugt ist. Regelmäßig ist dies der Verschließende, der diesen Bereich geschaffen hat und ihn grundsätzlich jederzeit wieder aufheben kann. Bei Briefen endet dieses Recht allerdings mit dem Zugang beim Empfänger; dieser ist ab Auslieferung ausschließlich zur Verfügung befugt.27 Mit dem Zugang erwirbt der Empfänger ein Recht am Brief, in das der Verschließende grundsätzlich nicht mehr einseitig eingreifen kann. Der Verschließende kann zwar nicht wegen Verletzung des Briefgeheimnisses bestraft werden, wenn er den Brief nach dessen Zugang beim Empfänger in eigener Person öffnet (vgl. oben Rdn. 38). Dies bedeutet jedoch nicht, dass er auch Dritte zur Öffnung eines bereits zugegangenen Briefes ermächtigen könnte. Er kommt als Täter des § 202 nur deshalb nicht in Betracht, weil er als Urheber des Verschlusses den geschützten (formalen) Geheimbereich nicht verletzen kann. Aus dieser in der Natur des geschützten Rechtsguts begründeten Straflosigkeit kann nicht auf den Fortbestand einer Verfügungsbefugnis geschlossen werden, die zur Erteilung einer Erlaubnis zur Öffnung des Briefes durch Dritte ermächtigen könnte.
3. Mutmaßliche Einwilligung 59 Die Öffnung kann außerdem aufgrund mutmaßlicher Einwilligung gerechtfertigt sein. Die Voraussetzungen für diesen Rechtfertigungsgrund sind eng. Erforderlich ist, dass die Handlung im Interesse des Berechtigten vorgenommen wird und dieser vermutlich einwilligen würde, aber nicht rechtzeitig einwilligen kann.28 Das wird beispielsweise der Fall sein, wenn der Empfänger eines Briefes sich unerreichbar im Urlaub befindet und das Schreiben (Zustellung) in seinem Interesse, etwa wegen drohenden Fristablaufs, dringend geöffnet werden muss (Preisendanz Rdn. 6 will in einem solchen Fall im Hinblick auf die Sozialadäquanz des Vorgehens bereits dessen Tatbestandsmäßigkeit entfallen lassen). Ehegatten, die bei alltäglichen Angelegenheiten den an den Ehepartner gerichteten Brief öffnen, werden sich indessen kaum auf diesen Rechtfertigungsgrund berufen können (aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14); die Einwilligung kann hier in aller Regel eingeholt werden. Gleichwohl wird das Öffnen in diesen Fällen meist zulässig sein (vgl. Rdn. 47).
IV. Täterschaft und Teilnahme 1. Abs. 1 60 Täterschaft und Teilnahme richten sich bei den Tatbestandsalternativen des Abs. 1 nach allgemeinen Regeln. Öffnet derjenige das verschlossene Schriftstück, zu dessen Kenntnis es bestimmt ist, kommt Beihilfe nicht in Betracht, weil es an einer Haupttat fehlt. Hilft der Adressat einem Dritten beim Öffnen (oder stiftet er diesen an), so kann es an der Rechtswidrigkeit der Haupttat fehlen, wenn eine wirksame Einwilligung vorliegt; ist das nicht der Fall, bleibt der Adressat jedenfalls deshalb straflos, weil das Rechtsgut ihm gegenüber nicht geschützt ist (vgl. hierzu Schünemann/Greco LK Vor § 26 Rdn. 2 ff).
27 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8, 12; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7; aA Wiechert S. 46 f. 28 Fischer Vor § 32 Rdn. 4; ähnlich Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 214; weitergehend Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Vor §§ 32 ff Rdn. 54. Hilgendorf
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IV. Täterschaft und Teilnahme
§ 202
2. Abs. 2 Außerordentlich komplizierte Täterschaftsprobleme wirft dagegen die dritte Tatbestandsalternati- 61 ve des § 202 Abs. 2 auf, weil es sich hier um ein mehraktiges Delikt handelt, welches in beiden Teilakten absichtliches Handeln (mindestens in Form des Planungszusammenhanges, o. Rdn. 41) voraussetzt und überdies im zweiten Teilakt ein eigenhändiges Delikt darstellt, weil der Täter nach dem eindeutigen Wortlaut „sich“, d.h. sich selbst Kenntnis verschaffen muss.29 Daraus folgt zunächst, dass derjenige, der sich nicht selbst Kenntnis verschafft, mangels Erfüllung des besonderen Tätermerkmals der Eigenhändigkeit auch nicht Mittäter sein kann.30 Wenn jemand eigenmächtig das Behältnis ohne eigene Kenntnisnahme erbricht und den Inhalt daraufhin einem anderen zur Kenntnis anbietet, erfüllt keiner von beiden den Tatbestand des § 202 Abs. 2. Als mittelbarer Täter kommt nur derjenige in Betracht, der sich selbst Kenntnis vom Inhalt verschafft, wobei die Form der Benutzung eines schuldlos (etwa im Nötigungsnotstand) handelnden Werkzeuges zum Öffnen des Behältnisses unproblematisch ist, aber praktisch kaum vorkommen wird. Umstritten ist die praktisch allein relevante Form der Benutzung eines absichtslosen-dolosen Werkzeugs, welches in Absprache mit dem Hintermann für die von diesem gewünschte Kenntnisnahme das Behältnis öffnet, ohne selbst Kenntnis zu nehmen.31 Die Bedenken, die gegenüber der Rechtsfigur des absichtslosen-dolosen Werkzeuges in den Konstellationen durchgreifen, in denen der Hintermann überhaupt nicht handelt (Schünemann/Greco LK § 25 Rdn. 153 ff), fallen bei mehraktigen Delikten kaum ins Gewicht, wenn und weil der Hintermann den entscheidenden Teilakt selbst ausführt und die dazu nötige Vorbereitung entsprechend dem Wortlaut des § 25 Abs. 1 StGB „durch einen anderen“ ausführen lässt, der den Tatbestand nicht selbst erfüllt. Es ist deshalb eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes anzunehmen.
3. Anwendbarkeit von § 28 Was die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1 anbetrifft, so ist die Eigenhändigkeit in § 202 Abs. 2 ein 62 besonderes persönliches Merkmal, weil sie nicht durch mittelbare Täterschaft substituiert werden kann.32 Der Anstifter zu einer Tat gemäß § 202 Abs. 2 ist also nur aus dem gemäß § 28 Abs. 1 gemilderten Strafrahmen strafbar, was deshalb auch sachlich gerechtfertigt ist, weil er das vom Gesetz als zentral gewertete Unrecht der eigenen Kenntnisnahme gar nicht selbst verwirklicht. Für die Strafbarkeit eines Gehilfen kommt es darauf an, ob ihm von den beiden Tätermerkmalen der Tatherrschaft und der Eigenhändigkeit bezüglich des zweiten Teilaktes nur eines fehlt oder beide: Beherrscht er als absichtsloses-doloses Werkzeug den ersten Teilakt, weil er selbst das Behältnis erbricht, so fehlt ihm nur ein einziges Tätermerkmal, und er kommt nur in den Genuss einer einmaligen Strafmilderung gemäß § 27 StGB. Fehlt ihm außer der Eigenhändigkeit auch die Tatherrschaft, weil er zum Öffnen des Behältnisses nur eine unter dem Niveau des arbeitsteiligen Zusammenwirkens anzusiedelnde Hilfestellung leistet (etwa den Hammer reicht), so fehlt ihm außer der Tatherrschaft auch das dann „besondere“ persönliche Merkmal der Eigenhändigkeit, und seine Strafe muss sowohl gemäß § 27 als auch gemäß § 28 Abs. 1, insgesamt also doppelt gemildert werden.33 29 Woelk Täterschaft bei zweiaktigen Delikten (1994) S. 40 f. 30 Woelk S. 40 f; Schmitz JA 1995 297, 300; aA Kargl NK Rdn. 16, der aber den Wortlaut („sich verschafft“) missachtet.
31 Für eine mittelbare Täterschaft in diesen Fällen; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19; Graf MK Rdn. 38; Woelk S. 122 f, die S. 90 auch ein vorsatzloses Werkzeug für möglich hält; aA Schmitz JA 1995 297, 300. 32 Schünemann GA 1986 293, 341; ders./Greco LK § 28 Rdn. 63 ff. 33 So ohne theoretische Verankerung im Ergebnis zutreffend die Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen, siehe BGHSt 26 53, 54 f; zur theoretischen Begründung Schünemann Jura 1980 357, 366 f; ders./Greco GA 1986 293, 341 f; ders. LK § 28 Rdn. 88 f. 841
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§ 202
Verletzung des Briefgeheimnisses
V. Rechtsfolgen der Tat 63 Die Strafdrohung wurde gegenüber § 299 a.F. verschärft. Es kann Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verhängt werden. 64 Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt (§ 205 Abs. 1; vgl. im Einzelnen dort Rdn. 5). Sie ist Privatklagedelikt (§ 374 Abs. 1 Nr. 3 StPO).
VI. Konkurrenzen 65 § 202 tritt hinter § 206 im Wege der (formellen) Subsidiarität zurück (§ 202 Abs. 1; vgl. Rissingvan Saan LK Vor § 52 Rdn. 145). § 202 Abs. 2 geht, weil es sich hier um die intensivere Rechtsgutsverletzung handelt, der Begehung nach Abs. 1 vor (Schmitz JA 1995 297, 300). Die Sachbeschädigung, die in der Öffnung des verschlossenen Schriftstücks liegt, wird als regelmäßige Begleittat von § 202 konsumiert.34 Tateinheit mit § 202a kommt nicht in Betracht. Die dort genannten elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeicherten Daten werden nach der Änderung des Absatzes 3 durch das 2. WiKG nicht mehr vom Tatbestand des § 202 erfasst (vgl. BTDrucks. 10/5058 S. 29; Möhrenschlager wistra 1986 139 f). Ist die Nachricht hingegen durch Schriftzeichen verkörpert, die erst durch besondere Hilfsmittel sichtbar oder lesbar gemacht werden, geht § 202 als speziellere Regelung dem § 202a vor (vgl. oben Rdn. 6). Mit Diebstahl und Unterschlagung kann Tateinheit bestehen.35 Tateinheit ist auch gegeben, wenn die Tat als Beschaffungsdelikt im Rahmen geheimdienstlicher Agententätigkeit (§ 99) begangen wird (Bartke/Schmidt LK § 99 Rdn. 25).
34 Fischer Rdn. 16; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Fahl GA 1996 476, 482; Lenckner JR 1978 424, 425 in Anm. zu BGH JR 1978 423); differenzierend Hoyer SK Rdn. 28. 35 Vgl. BGH NJW 1977 590 = JR 1978 423 mit zustimmender Anm. von Lenckner; Küper JZ 1977 464; aA RMG 10 250, 251; 14 106. Hilgendorf
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§ 202a Ausspähen von Daten (1) Wer unbefugt sich oder einem anderen Zugang zu Daten, die nicht für ihn bestimmt und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, unter Überwindung der Zugangssicherung verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Daten im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden.
Schrifttum Bär Wardriver und andere Lauscher. Strafrechtliche Fragen im Zusammenhang mit WLAN, MMR 2005 434; Baier Kriminalpolitische Herausforderungen durch Bitcoin und andere Kryptowährungen – Teil 1, CCZ 2019 123; Bachmann/Goeck Strafrechtliche Aspekte des „Skimmings“ JR 2011 425; Barton E-Mail-Kontrolle durch Arbeitgeber. Drohen unliebsame strafrechtliche Überraschungen? CR 2003 839; Bauer Moderne Informationsverarbeitung – Strafrechtlicher Schutz beim Mißbrauch (1989); Beck/Dornis „Phishing“ im Marken(straf)recht. Wie Tathandlungen des „Phishing“ markenstrafrechtlich geahndet werden können, CR 2007 642; Beukelmann Surfen ohne strafrechtliche Grenzen, NJW 2012 2617; ders. Cyber-Attacken − Erscheinungsformen, Strafbarkeit und Prävention, NJW-Spezial 2017 376; Binder Strafbarkeit intelligenten Ausspähens von programmrelevanten DV-Informationen (1994); Böhlke/ Yilmaz Auswirkungen von § 202c StGB auf die Praxis der IT-Sicherheit – der praktische Umgang mit dem Widerspruch zwischen Wortlaut und gesetzgeberischer Intention, CR 2008 261; Borges/Stuckenberg/Wegener Bekämpfung der Computerkriminalität, DuD 2007, 275; Brodowski/Marnau Tatobjekt und Vortaten der Datenhehlerei (§ 202d StGB), NStZ 2017 377; Buggisch/Kerling „Phishing“, „Pharming“ und ähnliche Delikte. Erscheinungsformen und strafrechtliche Bewertung, Kriminalistik 2006 531; Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (Hrsg.) Die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2007 (2008); Busch/Giessler SIM-Lock und Prepaid-Bundles. Strafbarkeit bei Manipulationen, MMR 2001 586; Cornelius Zur Strafbarkeit des Anbietens von Hackertools, CR 2007 682; Dietrich Die Rechtsschutzbegrenzung auf besonders gesicherte Daten des § 202a StGB, NStZ 2011 247; Dornseif/Schumann/ Klein Tatsächliche und rechtliche Risiken drahtloser Computernetzwerke, DuD 2002 226; Dressel Strafbarkeit von Piraterie-Angriffen gegen Zugangsberechtigungssysteme von Pay-TV-Anbietern, MMR 1999 390; Duttge Vorbereitung eines Computerbetrugs: Auf dem Weg zu einem „grenzenlosen“ Strafrecht, Festschrift Weber (2004) 285; Eck Die neuen Straftatbestände zur Bekämpfung der Computerkriminalität und ihre Bedeutung für die Datendienste der Deutschen Bundespost, ArchPF 1987 105; Eichelberger Sasser, Blaster, Phatbot & Co. – alles halb so schlimm? Ein Überblick über die strafrechtliche Bewertung von Computerschädlingen, MMR 2004 594; Eisele Payment Card Crime: Skimming, CR 2011 131; Ernst Hacker und Computerviren im Strafrecht, NJW 2003 3233; ders. Wireless LAN und das Strafrecht. Zur Strafbarkeit des „Abhörens“ ungesicherter Kommunikation, CR 2003 898; ders. Das neue Computerstrafrecht, NJW 2007 2661; Feldmann Strafbarkeit und Strafbarkeitslücken im Zusammenhang mit Skimming und Fäschung von Zahlungskarten, wistra 2015 41; Felixberger Staatliche Überwachung der Telekommunikation, CR 1998 143; Gercke Analyse des Umsetzungsbedarfs der Cybercrime-Konvention des Europarats – Teil 1: Umsetzung im Bereich des materiellen Strafrechts, MMR 2004 728; ders. Die Cybercrime-Konvention des Europarats: Bedeutung und Tragweite ihres völkerrechtlichen Einflusses auf das Straf- und Strafverfahrensrecht in Deutschland, CR 2004, 782; ders. Die Strafbarkeit von „Phishing“ und Identitätsdiebstahl. Eine Analyse der Reichweite des geltenden Strafrechts, CR 2005 606; ders. Die Entwicklung des Internetstrafrechts im Jahr 2008, ZUM 2009 526; ders. Die Entwicklung des Internetstrafrechts 2016/2017, ZUM 2017 915; Goeckenjahn Auswirkungen des 41. Strafrechtsänderungsgesetzes auf die Strafbarkeit des „Phishing“, wistra 2009 47; Gössmann/Bredekamp Phishing, Vishing, Spoofing, Pharming oder Sniffing: moderne Missbrauchsformen im Zahlungsverkehr, Festschrift Nobbe (2009) 93; Graf „Phishing“ derzeit nicht generell strafbar! NStZ 2007 129; Gröseling/Höfinger Hacking und Computerspionage. Auswirkungen des 41. StrÄndG zur Bekämpfung der Computerkriminalität, MMR 2007 549; Härting E-Mail und Telekommunikationsgeheimnis. Die drei Gesichter der E-Mail: Telekommunikation, Datensatz, elektronischer Brief, CR 2007 311; Haft Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) NStZ 1987 6; I. Hassemer DualUse-Software aus der Perspektive des Strafrechts (§ 202c StGB) ITRB 2009, 84; Haurand/Vahle Computerkriminalität, RDV 1990 128; Haustein Möglichkeiten und Grenzen von Dateneigentum (2021); ders. Äpfel, Birnen, Daten, Sachen. – Dateneigentum am Beispiel von Immobilien. Festgabe Forschungsstelle RobotRecht (2020), 235; Heghmanns Strafbarkeit des „Phishing“ von Bankkontendaten und ihrer Verwertung, wistra 2007 167; ders. Straftaten gegen die betriebliche Datenverarbeitung, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.) Handbuch Wirtschaftsstrafrecht2 (2008) 485; ders. Straftaten im Rahmen elektronischer Kommunikation, insbesondere im Internet, ebenda, 544; Herrmann/Soiné Durchsuchung persönlicher Datenspeicher und Grundrechtsschutz, NJW 2011 2922; Heinrich Die Strafbarkeit der
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Hilgendorf
§ 202a
Ausspähen von Daten
unbefugten Vervielfältigung und Verbreitung von Standardsoftware (1993); Hilgendorf Grundfälle zum Computerstrafrecht, JuS 1996 509, 702, 890; ders. Tendenzen und Probleme einer Harmonisierung des Internetstrafrechts auf Europäischer Ebene, in: Schwarzenegger/Arter/Jörg (Hrsg.) Internet-Recht und Strafrecht (2005) 257; ders. Das neue Computerstrafrecht, in: ders. (Hrsg.) Dimensionen des IT-Rechts (2008) 1; ders. Informationsrecht als eigenständige Disziplin? Kritische Anmerkungen zu einigen Grundlagenfragen von Rechtsinformatik und Informationsrecht, in: Taeger/Vassilaki (Hrsg.) Rechtsinformatik und Informationsrecht im Spannungsfeld von Recht, Informatik und Ökonomie (2009) 1; Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht, 3. Aufl. (2022); Hilgendorf/Wolf Internetstrafrecht – Grundlagen und aktuelle Fragestellungen, K&R 2006 541; Hoeren Dateneigentum – Versuch einer Anwendung von § 303a StGB im Zivilrecht, MMR 2013 486; Jessen Zugangsberechtigung und besondere Sicherung i.S. von § 202a StGB (1994); Holzner Klarstellung strafrechtlicher Tatbestände durch den Gesetzgeber, ZRP 2009 177; Zielinsky Der strafrechtliche Schutz von Software, in: Kilian/Gorny (Hrsg.) Schutz von Computer-Software (1987); Kraul „Recht an Daten“: Aktuelle Gesetzeslage und vertragliche Ausgestaltung, GRUR-Prax 2019 478; Krischker Datenschutzkontrollen und Hacking – Zulässigkeit von aktiven Sicherheitsanalysen, ZD 2015 464; Kubiciel/Großmann Doxing als Testfall für das Datenschutzstrafrecht, NJW 2019 1050; Kudlich Der heimliche Zugriff auf Daten einer Mailbox – ein Fall der Überwachung des Fernmeldeverkehrs, JuS 1998 209; Kühling/Sackmann Irrweg „Dateneigentum“, ZD 2020 24; Lampe Die strafrechtliche Behandlung der sogenannten Computer-Kriminalität, GA 1975 1; Lang Filesharing und Strafrecht, Diss. Würzburg 2008, 2009; Leicht Computerspionage – Die „besondere Sicherung gegen unberechtigten Zugang“ (§ 202a StGB) iur 1987 45; Lenckner/Winkelbauer Computerkriminalität – Möglichkeiten und Grenzen des 2. WiKG, CR 1986 483; Malpricht Haftung im Internet – WLAN und die möglichen Auswirkungen, ITRB 2008 42; Marberth-Kubicki Internet und Strafrecht, DRiZ 2007 212; dies. Neuregelungen des Computerstrafrechts, ITRB 2008 17; Markendorf Recht an Daten in der deutschen Rechtsordnung, ZD 2018 409; Meier Softwarepiraterie – eine Straftat?, JZ 1992 657; Meurer Die Bekämpfung der Computerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, Festschrift Kitagawa (1992) 971; Möhrenschlager Das neue Computerstrafrecht, wistra 1986 128; Nebel Strafbarkeit eines missbräuchlichen Angriffs auf öffentliche WLAN-Netze, ZD-Aktuell 2016 05323; Popp Von „Datendieben“ und „Betrügern“ – Zur Strafbarkeit des so genannten „phishing“, NJW 2004 3517; ders. „Phishing“, „Pharming“ und das Strafrecht, MMR 2006 84; ders. § 202c StGB und der neue Typus des europäischen „SoftwareDelikts“, GA 2008 375; Reh/Cosfeld Die strafrechtliche Einordnung und Vermögensabschöpfung bei illegal erlangten Datensätzen unter Beachtung der neuen Datenschutzgrundverordnung, NStZ 2019 706; Rinker Strafbarkeit und Strafverfolgung von „IP-Spoofing“ und „Portscanning“, MMR 2002 663; Rübenstahl/Debus Strafbarkeit verdachtsabhängiger E-Mail- und EDV-Kontrollen bei Internal Investigations?, NZWiSt 2012 129; Schlüchter Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (1987); Schmachtenberg Überwindung „besonderer Zugangssicherungen“ nach § 202a StGB, DuD 1998 401; Schmitz Ausspähen von Daten, § 202a StGB, JA 1995 478; Schnabl Strafbarkeit des Hacking – Begriff und Meinungsstand, wistra 2004 211; Schultz Neue Strafbarkeiten und Probleme. Der Entwurf des Strafrechtsänderungsgesetzes (StrafÄndG) zur Bekämpfung der Computerkriminalität vom 20.9.2006, DuD 2006 778; Schulze-Heiming Der strafrechtliche Schutz der Computerdaten gegen die Angriffsformen der Spionage, Sabotage und des Zeitdiebstahls (1995); Schumann Das 41. StrÄndG zur Bekämpfung der Computerkriminalität, NStZ 2007 675; Sieber Computerkriminalität und Strafrecht2 (1980); ders. Informationstechnologie und Strafrechtsreform (1985); ders. Der strafrechtliche Schutz der Information, ZStW 103 (1991) 779; ders. Computerkriminalität und Informationsstrafrecht, CR 1995 100; ders. Straftaten und Strafverfolgung im Internet, NJW-Beil. 2012 86; Stuckenberg Zur Strafbarkeit von „Phishing“, ZStW 118 (2006) 878; Süße/Eckstein Aktuelle Entwicklungen im Bereich „Interne Untersuchung“, Newsdienst Compliance 2014 71009; Thal Wireless Local Area Networks. Die strafrechtliche Beurteilung von Wardriving und anderen WLAN-Angriffen, in Hilgendorf Dimensionen des IT-Rechts (2008) 43; Tiedemann Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität durch den Gesetzgeber, JZ 1986 865; Valerius Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden in den Kommunikationsdiensten des Internet (2004); Vassilaki Das 41. StrÄndG – die neuen strafrechtlichen Regelungen und ihre Wirkung auf die Praxis, CR 2008 131; Veit (Strafbarkeits-)Risiken bei der Durchführung von E-Searches, NZWiSt 2015 334; Weber Die Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte, ZStW-Beiheft 1987 1; Weißgerber Das Einsehen kennwortgeschützter Privatdaten des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber, NZA 2003 1005; Weitz/von Saß Überblick: Hackerangriff auf Politiker und Prominente, ZD-Aktuell 2019 06420; Welp Strafrechtliche Aspekte der digitalen Bildbearbeitung, CR 1992 292, 354; Wilke Der strafrechtliche Schutz von Daten vor Konkurrenzausspähung und Wirtschaftsspionage, NZWiSt 2019 168; Wybitul Neue Spielregeln bei E-Mail-Kontrollen durch den Arbeitgeber – Überblick über den aktuellen Meinungsstand und die Folgen für die Praxis, ZD 2011 69; Zech Information als Schutzgegenstand (2012); ders. „Industrie 4.0“ – Rechtsrahmen für eine Datenwirtschaft im digitalen Binnenmarkt, GRUR 2015 1151.
Hilgendorf
844
§ 202a
Alphabetische Übersicht
Entstehungsgeschichte Eingefügt durch Art. 1 Nr. 7 des 2. WiKG vom 15.5.1986 (BGBl. I 721), in Kraft getreten am 1.8.1986; geändert durch Art. 1 Nr. 2 des 41. StRÄndG vom 7.8.2007 (BGBl. I 1786), in Kraft getreten am 11.8.2007.
Gesetzesmaterialien Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages BTDrucks. 10/5058 (2. WiKG); Gesetzentwurf der Bundesregierung BTDrucks. 16/3656; Protokoll Nr. 54 des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 16. Wahlperiode; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 16/5449 (41. StRÄndG).
Übersicht I.
Allgemeines
II.
Rechtsgut
III.
Daten als Angriffsobjekt
IV. 1. 2.
14 Tathandlung 15 Verschaffen Fehlende Empfangsberechtigung des Täters 20 a) Allgemeine Voraussetzungen 25 b) Einverständnis im Einzelfall 26 c) Bestimmung des Berechtigten 28 d) Wirksamkeit der Bestimmung Überwindung von Zugangssicherungen 29 a) Viktimodogmatische Basis
3.
1
b)
6
c) 7
Anforderungen an die Reichweite, „Skim30 ming“, Softwarepiraterie 34 Sicherungstyp
V.
Subjektiver Tatbestand
VI.
Rechtswidrigkeit
38
VII. Täterschaft und Teilnahme VIII. Versuch
37
39
42
IX.
Zusammentreffen mit anderen Gesetzesverlet43 zungen
X.
Sonstiges
44
Alphabetische Übersicht Abschreiben 15 Angriffsobjekt 7 Begehung – eigenhändige ~ 18 – eigennützige ~ 14 – fremdnützige ~ 14 Berechtigter – Bestimmung 20, 26 Betriebsangehörige – als mögliche Täter 23 Betriebsspionage 2 CD 11 Closed-shop-Betrieb 33, 34 Code 7 Computerkriminalität 1 Computerprogramme 7 Daten 7 – codierte ~ 16 – Herr der ~ 26 – offenkundige ~ 9
845
– verschlüsselte ~ 16 – wertlose ~ 9 Datenbank 21 Datendiebstahl 1 Datenhehlerei 41 Datenspeicher 10 Datenspionage 1 Datenträger – Wegnahme 15 Datenübermittlung 10 Diskette 12 Doxing 36 Eigentum – am Datenträger 26 Einziehung 44 Einverständnis – Erklärungsberechtigter 26 – Stellvertretung 28 – tatbestandsausschließendes ~ 20, 25, 28 Empfangsberechtigung
Hilgendorf
§ 202a
Ausspähen von Daten
– fehlende ~ 20 Entsperrcodes bei Mobiltelefonen 17, 27 Erklärungsberechtigter – des Einverständnisses 26 Europäisierung des Strafrechts 4 Fernglas – Blick auf Bildschirm 18 Fingerabdruckerkennung 34 Geheimhaltung 34 Genehmigung – Rechtfertigungsgrund 38 Gewahrsamsbruch-Analogie 20 Hacker; Hacking 1, 14 Hardware-Sicherungen 34 Herr der Daten 26 Herrschaft – über Informationen 6 Information 7 Informationsherrschaft 6 Kenntnis – von Daten 16 Kollusion 28 Konkurrenzen 43 Kopiersperren 22, 30 Kreditkarte 27 Mikrofilme 11 Missbrauch – der Vertretungsmacht 28 Nichtberechtigter 21 Nutzen – bloßes 19 Organisatorische Maßnahmen 29 Passwörter 36 Pay-TV 17 Phishing 17 Photographieren 15 Programme 7 Raubkopie 22 Rechtsgut 6 Rechtswidrigkeit 38 Reproduzierbarkeit 15 Scanner 10 Scheckkarte 26 Schutzgut 6 Selbstschutz – zumutbarer ~ 29 Semantik 7 Sicherung – Geheimhaltung als ~ 34 – Hardware- 34 – Software- 34 – Verschlüsselung als ~ 35 Skimming 31
Hilgendorf
Skripturakt 26 Softwarepiraterie 31 Software-Sicherungen 34 Soziale Netze 5 Speicherung 10 Spielautomat 27 Stellvertretung – beim Einverständnis 28 Stimmerkennung 34 Strafantragserfordernis 44 Subjektiver Tatbestand 37 Syntax 7 Täterschaft 39 f Tatbestandsirrtum 37 Tathandlung 14 Teilnahme 40 Übermittlung 10 Überspielen 15 Überwindung – einer Zugangssicherung 18, 32 Unberechtigter Zugang 33 Ungetreues Verhalten von Angestellten 23 Unternehmensgeheimnisse 2 Untreue 40 Verjährung 44 Verkörperung 10 Vermögen – kein Schutzgut 6 Verschaffen 6, 14, 15 Verschlüsselte Daten 16 Verschlüsselung – als Sicherung 35 Verschluss – des Rechners selbst 34 Vertragsrecht und Strafrecht 28 Viktimodogmatische Maxime 29 Vorbereitungshandlungen 1 Vorsatz 37 Wahrnehmung – sinnliche ~ 11 Wegnahme – eines Datenträgers 15 Wertlose Daten 9 Wille des Berechtigten 20, 21 Wirksamkeit – der Bestimmung des Berechtigten 28 WLAN 17, 35 Zivilrechtsakzessorietät – des Strafrechts 28 Zugangssicherung – besondere 3 – Typen 34 – Überwindung 32
846
I. Allgemeines
§ 202a
I. Allgemeines Die Vorschrift ist Teil der Maßnahmen des Gesetzgebers zur Bekämpfung der Computerkrimina- 1 lität1 und erfasst Tatformen, die mit den Worten „Datenspionage“ oder „Datendiebstahl“ umschrieben werden. Diese Tatformen waren über § 202 Abs. 3 nur teilweise und unzulänglich unter Strafe gestellt. Das 2. WiKG (1986) hat den gegenständlichen Anwendungsbereich des § 202 deshalb auf Schriftstücke und Abbildungen begrenzt und das Ausspähen von Daten umfassend in § 202a geregelt. Unmittelbarer Anlass hierfür waren in einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses erhobene Forderungen, das unbefugte Abhören und Anzapfen von Datenübertragungssystemen und den unbefugten Zugriff auf fremde Datenbanksysteme unter Strafe zu stellen (BTDrucks. 10/5058 S. 28). Diesen Forderungen hat der Rechtsausschuss entsprochen, dabei das bloße Eindringen des Täters in ein fremdes System, das sog. Hacking, aber als Vorbereitungs- und Gefährdungshandlung straflos gelassen;2 dies galt freilich nur, wenn sich der Hacker auch wirklich auf das Eindringen beschränkte und sich nicht, wie wohl meistens, einzelne Daten wie etwa Passwörter verschaffte.3 Seinem Wortlaut nach erlaubte aber schon § 202a a.F., das Hacking zu erfassen.4 Teile der Literatur haben es deshalb – gegen den Willen des Gesetzgebers – schon unter die alte Fassung der Norm subsumiert.5 Zur Rechtslage seit 2007 s. Rdn. 3. Im Zusammenhang mit dem 2. WIKG hat auch § 17 UWG a.F., der mittlerweile in § 23 des 2 Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG vom 18.4.2019, BGBl. I 466) überführt worden ist, eine Umgestaltung erfahren. Daten, welche zugleich Geheimnisse eines Unternehmens darstellen, sind seither gegen Betriebsspionage strafrechtlich besser gesichert;6 die Tat ist relatives Offizialdelikt (§ 23 Abs. 8 GeschGehG). Seit der Umgestaltung durch das 41. StRÄndG vom 7.8.2007 (BGBl. I 1786)7 sanktioniert 3 § 202a nicht mehr nur, sich oder einem anderen die zugangsgeschützten Daten, sondern bereits, sich den Zugang zu ihnen zu verschaffen. Damit wird nun auch das sog. Hacking eindeutig erfasst, unabhängig davon, ob es noch zu einem Abruf der gesicherten Daten kommt (BTDrucks. 16/3656 S. 9). Den beachtlichen Einwänden des Bundesrates, dass die Norm dadurch eine bedenkliche Ausweitung erfahre, da in der heutigen Zeit kaum noch elektronische Geräte ohne Datenspeicherung und -verarbeitung existierten (BTDrucks. 16/3656 S. 16), wurde nicht Rechnung getragen, sondern auf das Tatbestandsmerkmal der besonderen Zugangssicherung verwiesen (BTDrucks. 16/3656 S. 18). Im Wortlaut wurde klargestellt, dass der Täter die Zugangssicherung zu überwinden hat, wodurch er eine erhöhte kriminelle Energie offenbart. Ungesicherte Daten werden von vornherein nicht durch § 202a geschützt (BTDrucks. 16/3656 S. 10).
1 Grundlegend zu dieser Kriminalitätsform Lampe GA 1975, 1; Sieber Computerkriminalität und Strafrecht2 (1980); ferner Möhrenschlager wistra 1986 128, 136; Winkelbauer Computerkriminalität und Strafrecht, CR 1985 40. Grundfälle bei Hilgendorf JuS 1996 509; 702; 890; 1082; 1997 130; 323. 2 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 488; Hilgendorf JuS 1996 702, 704 f; Zielinski in: Kilian/Gorny S. 115, 120; die Strafbarkeit bereits de lege lata bejahten Gola NJW 1987 1675, 1679; Jessen S. 180 ff; Schulze-Heiming S. 82 f. 3 Graf MK Rdn. 67; Meurer S. 976; Ernst NJW 2003 3233, 3236; v. Gravenreuth NStZ 1989 201, 204 f; Hauptmann jurpc 1989 215; Haurand/Vahle RDV 1990 128, 132 mit dem Hinweis, dass sich die Straffreiheit des Hackers auf einen engen Bereich beschränkt. 4 Hilgendorf JuS 1996 702, 704. 5 Tröndle/Fischer54 Rdn. 11; Schnabl wistra 2004 211, 214 f; vgl. ferner die in Fn. 2 a.E. Genannten; aA Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 5; Schünemann LK11 Rdn. 1; Hilgendorf/Frank/Valerius Computer- und Internetstrafrecht1 (2005) Rdn. 687; Hilgendorf/Wolf K&R 2006 541, 546. 6 Dazu Schulze-Heiming S. 86 ff; vgl. auch zu § 17 UWG a.F. Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm (Hrsg.), Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb37 (2019), § 17 Rdn. 29 ff. 7 Dazu allgemein Ernst NJW 2007 2661; Gröseling/Höfinger MMR 2007 549; Marberth-Kubicki ITRB 2008 17; Schumann NStZ 2007 675. 847
Hilgendorf
§ 202a
Ausspähen von Daten
Anlass der Änderung waren die Vorgaben des am 23.11.2001 von Deutschland gezeichneten Übereinkommens des Europarates über Computerkriminalität (SEV Nr. 185) sowie des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union über Angriffe auf Informationssysteme vom 24.2.2005 (ABl. EU Nr. L 69 vom 16.3.2005, S. 67), die jeweils in ihren Art. 2 vorschreiben, den unbefugten Zugang zu einem Computer- bzw. Informationssystem als Ganzem oder zu einem Teil davon unter Strafe zu stellen. Von der in Art. 5 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses angeregten Pönalisierung des Versuchs hat der nationale Gesetzgeber gemäß Art. 5 Abs. 3 abgesehen.8 Das 41. StRÄndG ist damit ein weiterer Beleg für die zunehmende Europäisierung des Strafrechts. Derzeit zeichnet sich ab, dass § 202a über das klassische Hacking (Eindringen in einen Com5 puter) hinaus bald einen neuen Anwendungsbereich gewinnen könnte: die sozialen Netze im Internet. Etwa seit dem Jahr 2000 entwickelt sich das Internet zu einem Medium, in dem man nicht bloß Informationen abfragen und versenden, sondern auf eigens dafür geschaffenen Plattformen auch selbst Informationen online stellen kann.9 Vorläufer dieser Entwicklung waren die online-Tauschbörsen, auf denen Nutzer Musikstücke online stellen und andere Stücke herunterladen konnten.10 In den letzten Jahren hat sich das „Mitmachnetz“ außerordentlich schnell weiterentwickelt. Es sind vielfältige Aktivitätsformen entstanden, von teilweise sehr aufwendig gestalteten online-Tagebüchern (blogs) über das „Twittern“ (permanenter Versand bzw. Austausch von Kurzinformationen) bis hin zu online-Enzyklopädien wie Wikipedia. Besonders beliebt sind soziale Netze wie Facebook, Instagram, friendfinder, LinkedIn, myspace, Pinterest, Reddit, Snapchat TikTok, TumblR, Twitch, Twitter, WhatsApp, Xing oder Youtube, in denen oft mehrere Hundert Millionen, teilweise sogar über eine Milliarde Menschen registriert sind. Dabei stellt der Nutzer in der Regel sein Persönlichkeitsprofil (Name, Alter, Geschlecht, Vorlieben usw.) online, so dass es von anderen Teilnehmern des sozialen Netzes eingesehen werden kann. Zweck der Netze, die inzwischen von allen Altersgruppen frequentiert werden, ist es, Kontakte zu knüpfen und „Freunde“ zu gewinnen oder aber, wenn wie bei Instagram das Einstellen von Fotos im Vordergrund steht, die bloße (zuweilen indes durch lukrative Werbeverträge seitens der Wirtschaft initiierte) Selbstdarstellung. Die oft bedenkenlos online gestellten persönlichen, teilweise intimen Daten sind nicht nur für potentielle Arbeitgeber, Versicherungen oder Anbieter von Waren von großem Interesse, sondern auch für „Stalker“, Erpresser und andere onlineKriminelle. Das systematische „Ernten“ der in sozialen Netzwerken online gestellten Daten hat sich zu einem sehr lukrativen Geschäft entwickelt. Der Anwendungsbereich des § 202a ist allerdings nur dann eröffnet, wenn die Daten für den Täter „nicht bestimmt“ (Rdn. 20 ff) und außerdem „gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind“ (Rdn. 29 ff). Mit Spannung bleibt außerdem die Diskussion um ein zivilrechtliches „Dateneigentum“ zu beobachten, dessen Ausgestaltung sich auch auf den strafrechtlichen Schutz des „Berechtigten“ (Rdn. 26) über § 202a auswirken dürfte.11
4
II. Rechtsgut 6 Im Mittelpunkt der Tat steht das Verschaffen besonders gesicherter Daten gegen den Willen des Berechtigten. Die Bezeichnung als „Datendiebstahl“ ist insoweit zutreffend, als damit der Vergleich mit einer Wegnahme, mit dem Bruch fremden und der Begründung neuen Gewahr8 Kritisch Ernst NJW 2007 2661, 2662 und Marberth-Kubicki ITRB 2008 17, 19 im Hinblick auf den Widerspruch zur Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen gemäß § 202c. Vgl. auch Hilgendorf LK § 202c Rdn. 6.
9 2004/2005 wurde dafür der Begriff „Web2.0“ geprägt. 10 Dazu Lang Filesharing und Strafrecht (2009). 11 Zur Diskussion um ein mögliches „Dateneigentum“ statt vieler Haustein, Dateneigentum; ders. Festgabe Forschungsstelle RobotRecht, 235; Hoeren MMR 2013 486; Kühling/Sackmann ZD 2020 24; Markendorf ZD 2018 409; zur Ausstrahlungswirkung dieser Diskussion auf die Verfügungsberechtigung im strafrechtlichen Sinn etwa Brodowski/ Marnau NStZ 2017 377, 378 ff; Zech GRUR 2015 1151, 1159. Hilgendorf
848
III. Daten als Angriffsobjekt
§ 202a
sams, gezogen werden soll. Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse an der Aufrechterhaltung des Herrschaftsverhältnisses über eine Information.12 Dagegen kommt es nicht darauf an, welchen Inhalt die geschützte Information hat und wer von ihr betroffen ist.13 § 202a setzt insbesondere nicht eine Verletzung des persönlichen Lebens- oder Geheimbereichs voraus, sondern schützt auch wirtschaftliche oder sonstige Interessen (BTDrucks. 10/5058 S. 28); die Einfügung der Vorschrift in den 15. Abschnitt geschah lediglich aus Gründen des Sachzusammenhangs. Andererseits lag es dem Gesetzgeber fern, Persönlichkeitsverletzungen aus dem Schutzbereich des § 202a auszuscheiden. Geschütztes Rechtsgut ist daher auch nicht das Vermögen mit der Folge, dass nur vermögenswerte Daten dem Tatbestand unterfielen.14 Missliche Folge der weiten Rechtsgutskonzeption ist, dass grundsätzlich beliebige Informationen allein durch eine gesicherte EDV-Speicherung den strafrechtlichen Schutz des § 202a erlangen können, selbst wenn sie bei unmittelbarer Wahrnehmbarkeit frei zugänglich wären.15
III. Daten als Angriffsobjekt Angriffsobjekt sind Daten in der von Absatz 2 umschriebenen besonderen Gestalt. Der Begriff 7 des Datums wird im Gesetz nicht erläutert, sondern vorausgesetzt (BTDrucks. 10/5058 S. 29); zuvor hatte ihn bereits § 268 Abs. 2 verwandt. Dort gilt die Definition der Norm DIN 44300 (nunmehr ersetzt durch die internationale Normierung DIN ISO/IEC 2382) als rechtlicher Anhalt, wenngleich nicht als abschließende Umschreibung.16 Danach sind Daten durch Zeichen oder kontinuierliche Funktionen aufgrund bekannter oder unterstellter Abmachungen zum Zwecke der Verarbeitung dargestellte Informationen.17 Jedoch wird der Verarbeitungszweck im strafrechtlichen Begriff des Datums nicht vorausgesetzt. Allgemein ist deshalb ein Datum die (kodierte) Darstellung einer Information, oder noch einfacher: eine kodierte Information, wobei unter Information (auf der semantischen Ebene) jede Angabe über einen Gegenstand oder Zustand der realen oder irrealen Welt zu verstehen ist, während die Darstellung (syntaktische Ebene) durch konventionell festgelegte Zeichen erfolgt, also durch einen bestimmten Code.18 Dazu zählen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers auch Programme.19 Da uns Informationen nur in codierter Form zugänglich sind, ist eine klare Abgrenzung zwischen „Datum“ und „Information“ kaum möglich, allerdings auch selten erforderlich.20 Nicht einschlägig ist die an anderen Stellen der Rechtsordnung21 verwendete Bezeichnung 8 „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse“. Daten im Sinne des § 202a umfassen vielmehr Informationen jeder Art, auch Zusammenstellungen, wissenschaftliche Er12 Fischer Rdn. 2; Graf MK Rdn. 2; Hoyer SK Rdn. 1; Kargl NK Rdn. 3; Weidemann BeckOK Rdn. 2; Eck ArchPF 1987 105, 106; Frommel JuS 1987 667, 668; Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 1; Hilgendorf JuS 1996 509, 511; Leicht iur 1987 45; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 485; Möhrenschlager wistra 1986 128, 140; Schlüchter S. 58; zweifelnd Tiedemann JZ 1986 865, 871; aA – Information selbst als Rechtsgut – Zielinski in: Kilian/Gorny S. 115, 118, 121, der aber verkennt, dass die Information von der Tat unberührt bleibt, u.U. sogar (beim Überspielen) vervielfältigt wird; für eine persönliche Privat- und Intimsphäre als Rechtsgut Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 112. Grundlegend zum Konzept „Information“ Zech, Information als Schutzgegenstand. 13 Ebenso Hoyer SK Rdn. 1; Brodowski/Marnau NStZ 2017 377, 378; Reh/Cosfeld NStZ 2019 706, 707. 14 Ebenso Hoyer SK Rdn. 1; aA Bühler MDR 1987 448, 452; Haft NStZ 1987 6, 9. 15 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 51 ff. 16 Zieschang LK12 § 268 Rdn. 8; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 484; Schlüchter S. 60. 17 Vgl. Erster Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform BTDrucks. V/4094 S. 37; Fischer § 268 Rdn. 4, 6. 18 Welp iur 1988 443, 445; Schmitz JA 1995 478, 479; Hoyer SK Rdn. 3; Kargl NK Rdn. 4. 19 BTDrucks. 10/5058 S. 29; aA v. Gravenreuth NStZ 1989 201, 203 f. 20 Zu den daraus herrührenden Problemen, das Informationsrecht als eigenständige Disziplin zu verstehen, Hilgendorf in: Taeger/Vassilaki (Hrsg.), Rechtsinformatik und Informationsrecht, 7 ff. 21 Schünemann12 LK § 203 Rdn. 45. 849
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Ausspähen von Daten
kenntnisse, Dokumentationen und Rechenergebnisse. § 202a erfasst im Regelfall Tathandlungen mit Computerbezug; bei den Daten, zu denen sich der Täter Zugang verschafft, muss es sich jedoch nicht zwingend um Computerdaten handeln. Unter den Tatbestand fallen auch Daten, welche keinen wirtschaftlichen (Rdn. 6), wissenschaftlichen oder ideellen Wert haben, z.B. auch privat gesicherte Daten der Arbeitnehmer auf ihren geschäftlichen Rechnern.22 Allein die Verletzung der Herrschaftsmacht des Berechtigten ist Strafgrund. Ebenso unerheblich ist, ob die Daten offenkundig sind. Dass der Täter sie sich ohne Schwierigkeiten auch anderswo beschaffen könnte, mindert nicht das Interesse des Berechtigten, sie nur zu seinen Bedingungen abzugeben.23 Jedoch sind nach Absatz 2 – und den Vorschriften, die darauf verweisen (§ 202b, § 202c Abs. 1 Nr. 1, § 274 Abs. 1 Nr. 2, § 303a Abs. 1, § 303b Abs. 1 Nr. 2) – nur solche Daten erfasst, die im Zeitpunkt der Tat entweder nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert (d.h. auf einem Datenträger dauerhaft festgehalten) sind oder nicht unmittelbar wahrnehmbar übermittelt (d.h. unkörperlich, etwa online, von einer Datensammelstelle zur nächsten übertragen; nicht ausreichend ist hingegen das Abfangen eines per Post versendeten Datenträgers)24 werden. Entscheidend ist damit, dass die Daten der sinnlichen Wahrnehmung entzogen sind; gleichgültig ist, mit welchem technischen Verfahren und auf welchem Träger die Speicherung oder Übermittlung geschieht. Für die moderne Scanner-Technik ergibt sich dadurch eine empfindliche Strafbarkeitslücke,25 weil die vom Scanner verarbeiteten Daten als System von Strichen und damit optisch wahrnehmbar vorliegen. Lochkarten fallen ebenfalls nicht unter § 202a Abs. 2.26 Dagegen werden Daten auf Magnet- oder Tonbändern, Disketten, Festplatten, USB-Sticks und Speicherkarten erfasst, ebenso Daten auf Kredit- oder Kundenkarten. Nicht völlig geklärt, angesichts der technischen Entwicklung aber auch fast nur noch historisch bedeutsam ist der Status von Mikrofilmen. Die darauf befindlichen Daten sind nur mit Hilfe eines Lesegerätes wahrnehmbar, so dass die Voraussetzungen des § 202a Abs. 2 erfüllt sind.27 Dasselbe gilt für die Speicherung auf einer CD, bei der die Syntax der Daten aus mikroskopisch kleinen Vertiefungen besteht.28 Allgemein wird man Abs. 2 dahin zu interpretieren haben, dass es auf die sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit des Durchschnittsmenschen ankommt.29 Diese Formel korrespondiert nicht nur mit dem Wortlaut des Absatzes 2, sondern auch mit dem systematischen Verhältnis zu § 201 und § 202, die unter den dort im Einzelnen benannten Voraussetzungen die sinnlich wahrnehmbaren Informationen schützen, und verhindert die sonst drohende, für eine funktionale Betrachtung absurde Ungleichbehandlung der Speicherung auf Diskette oder CD. Ein Datum wird zum geeigneten Angriffsgegenstand nach § 202a frühestens mit der Eingabe der in einen technischen Impuls umgeformten Information in ein Datenübermittlungsoder -speichergerät. Seine Eignung als Tatobjekt bleibt erhalten, solange die Speicherung andauert.
22 Weißgerber NZA 2003 1005, 1007; aA Barton CR 2003 839, 841 f; Härting CR 2007 311, 314 die etwaige Zugangssicherungen wie Passwörter nur als Schutz gegen externe Zugriffe versteht.
23 Graf MK Rdn. 12; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 485; Leicht iur 1987 45; Möhrenschlager wistra 1986 128, 140; Tiedemann JZ 1986 865, 871. 24 Welp iur 1988 443, 445; Schmitz JA 1995 478, 480 f; Hilgendorf JuS 1996 509, 512. 25 Schulze-Heiming S. 50 ff; vgl. auch Welp CuR 1992 291 ff; Sieber S. 33 f; Graf MK Rdn. 19; Kargl NK Rdn. 5. 26 Lackner/Kühl/Heger28 Rdn. 2; aA Graf MK Rdn. 16. Die Frage spielt heute praktisch keine Rolle mehr. 27 Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Bosch SSW Rdn. 2. 28 Welp iur 1988 443, 446; Schmitz JA 1995 478, 480. 29 Jessen S. 51 f; Schmitz JA 1995 478, 480; etwas enger Welp iur 1988 443, 446, der die sinnliche Wahrnehmbarkeit auch dann noch bejaht, wenn von einem Durchschnittsmenschen eine Lupe eingesetzt werden muss. Hilgendorf
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IV. Tathandlung
§ 202a
IV. Tathandlung Tathandlung ist das eigennützige oder fremdnützige Verschaffen des Zugangs zu Daten, die 14 nicht für den Täter bestimmt und gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind. Seit der Änderung der Vorschrift durch das 41. StRÄndG ist nicht mehr erforderlich, sich oder einem anderen die Daten selbst zu verschaffen, vielmehr genügt bereits der Zugang zu ihnen. Dadurch soll entgegen dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers z.Z. des 2. WiKG nunmehr auch das einfache Hacking unter Strafe gestellt werden (s. bereits Rdn. 3). Auf diese Weise wird nicht nur den europäischen Vorgaben, sondern auch der Entwicklung Rechnung getragen, dass das klassische Bild des Hackers, der aus sportlichem Ehrgeiz oder zur Aufdeckung von Sicherheitslücken Zugangshindernisse überwindet, an den zugriffsgeschützten Daten aber keinerlei Interesse hat, der Wirklichkeit nicht mehr entspricht. Vielmehr ist ein zunehmender Einsatz von Spionagesoftware festzustellen (z.B. Key-Logging-Trojaner, die Tastatureingaben mitprotokollieren;30 Sniffer zur Analyse von Netzwerk[lück]en; Backdoorprogramme, um einen Zugang zu Computersystemen zu erlangen), so dass bereits das rechtswidrige Verschaffen eines Zugangs zu Daten als strafwürdig und strafbedürftig erscheint (BTDrucks. 16/3656 S. 9). Hinzu kommt, dass in zunehmendem Maße nicht mehr Einzeltäter, sondern kriminelle Gruppen, bis hin zur organisierten Kriminalität, tätig werden.31 Wegen der schon bislang engen Interpretation des Postulats der Straflosigkeit des Hackings nach der alten Gesetzesfassung (s. Rdn. 1) wird der Erweiterung der Vorschrift allerdings in der Praxis nur geringe Bedeutung zukommen.32
1. Verschaffen Verschaffen des Zugangs bedeutet zunächst, in ein Datenverarbeitungssystem einzudringen.33 15 Von einem „Zugang zu Daten“ wird allerdings nur gesprochen werden können, wenn der Täter ohne weiteren Zwischenakt auf die gespeicherten oder übermittelten Daten zugreifen kann.34 Das bedeutet aber nicht zwingend, dass er schon die betreffende Information zur Kenntnis nehmen kann (s. Rdn. 16). Die erforderliche Herrschaft über die Daten ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Täter ein mit den Daten versehenes körperliches Substrat erlangt. Das kann durch Überspielen des Datenbestandes auf einen eigenen Träger oder durch die Wegnahme des fremden Trägers geschehen, aber auch durch einen Ausdruck oder durch Abschreiben oder Fotografieren der auf dem Bildschirm zu diesem Zweck sichtbar gemachten Daten. Ob der Täter vom Inhalt der Daten Kenntnis erlangt, ist in dieser Variante unerheblich.35 Erst recht ist keine Reproduzierbarkeit der Daten oder der in ihnen enthaltenen Informationen erforderlich. Andererseits verschafft sich der Täter auch ohne Speicherungsmöglichkeit Zugang zu Da- 16 ten, wenn er eine Herrschaftsposition erlangt, in der er von ihnen Kenntnis erhalten kann.36 Da nach der neuen Gesetzesfassung der Zugang zu den Daten ausreicht, ist es unerheblich, wenn der Kenntnisnahme (also der Erfassung der in den Daten kodierten Informationen) weitere Hindernisse entgegenstehen. Ist der Täter z.B. infolge der Beschaffenheit der Daten außerstande,
30 Zur Strafbarkeit solcher Schadsoftware gemäß § 202a bereits Eichelberger MMR 2004 594, 596 f. 31 Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (Hrsg.), Die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2007 (2008), S. 7. Ernst NJW 2007 2661, 2661. Schumann NStZ 2007 675, 676. Vgl. auch Gröseling/Höfinger MMR 2007 549, 551; Wilke NZWiSt 2019 168, 170. BTDrucks. 10/5058 S. 29; Fischer Rdn. 10 ff; Graf MK Rdn. 62; Hoyer SK Rdn. 11; Kargl NK Rdn. 12; Hilgendorf/ Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 2 Rdn. 365; Hilgendorf JuS 1996 702, 705; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 488; Schlüchter S. 66; Tiedemann JZ 1986 865, 871. 36 Vgl. Kargl NK Rdn. 13; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; aA zu § 202a a.F. Haft NStZ 1987 6, 10; Hauptmann jur-pc 1989 215, 217 f.
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diese geistig aufzunehmen, befindet er sich in der Situation eines Hackers, der in das System zwar eingedrungen ist, sich aber damit begnügt, die Daten zu sichten. Derartige Aktivitäten wollte der Gesetzgeber erfassen (s. Rdn. 3). Ebenso liegt es, wenn der Täter verschlüsselte Daten sichtbar macht, mangels Kenntnis des Schlüssels aber deren Bedeutung nicht zu erfassen vermag.37 Bei fremdnützigem Tun genügt es, dass der Dritte den Inhalt der abgelesenen Daten erfasst. 17 Nach diesen Maßstäben kann eine Datenausspähung im Einzelnen verwirklicht werden durch das Eindringen in die Zugangsberechtigungssysteme von Pay-TV-Anbietern,38 das Auslesen von Entsperrcodes von Mobiltelefonen,39 den Zugriff auf den Schlüssel eines geschützten WLAN40 sowie das „Phishing“ von Zugangsdaten.41 Das Phishing ist allerdings dann nicht nach § 202a strafbar, wenn der Betroffene seine Daten selbst dem Täter übermittelt, insbesondere infolge einer betrügerischen E-Mail.42 In diesem Fall kann für eine Strafbarkeit gemäß § 202a nur an die Verwendung der „gephishten“ Daten angeknüpft werden, mit denen z.B. beim Online-Banking ein Zugriff auf die Kontodaten einhergeht.43 Bei beiden Tatformen führt das Tatbestandsmerkmal der besonderen Zugangssicherung zu 18 einer restriktiven Auslegung des Begriffs des „Verschaffens“. Das Merkmal der Zugangssicherung soll dem Täter eine deutliche Schranke setzen; erst ihre Überwindung manifestiert strafwürdige kriminelle Energie.44 Die Überwindung der besonderen Sicherung wirkt damit strafbegründend, nicht bloß straferhöhend wie in § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 (vgl. auch § 202 Abs. 2). Der Gesetzgeber hat mit dem 41. StRÄndG dementsprechend klargestellt, dass es nicht nur einer besonderen Sicherung der geschützten Daten gegen unberechtigten Zugang bedarf (s. dazu Rdn. 29 ff), sondern der Täter auch gerade diese Zugangssicherung überwinden muss. Daher muss der Täter oder Mittäter das Merkmal im Einzelfall selbst verwirklichen; es genügt nicht, dass er eine von anderen geschaffene Lage lediglich für sich ausnutzt.45 Es bleibt somit straflos, wer den versehentlich unverschlossen gebliebenen Computerraum betritt und dort Daten abruft, wer einem am Datengerät sitzenden Mitarbeiter über die Schulter sieht oder ein Fernglas benutzt.46 Nicht tatbestandsmäßig ist nach dem Gesetzeswortlaut das bloße Nutzen fremder gespei19 cherter Daten für eigene Zwecke.47 Die Erlangung eines von anderen veranlassten Datenausdrucks und der Handel damit fallen schon mangels eines geeigneten Tatobjekts nach Absatz 2 (Rdn. 7) nicht unter die Bestimmung.
37 Zur alten Rechtslage Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 488; Schlüchter S. 67 f. 38 Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 357; Dressel MMR 1999 390, 393 f; vgl. aber auch Helberger ZUM 1999 295 ff. 39 Busch/Giessler MMR 2001 586, 589 f. 40 Bär MMR 2005 434, 435 f; Ernst CR 2003 898, 899; Malpricht ITRB 2008 42, 42; eingehend Thal in: Hilgendorf, Dimensionen des IT-Rechts S. 43, 52 ff; aus der Rspr. AG Wuppertal NStZ 2008 161 (Strafbarkeit nach § 148 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 89 Satz 1 TKG und §§ 44, 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG a.F.). 41 Zur Strafbarkeit Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 394, 459; Beck/Dornis CR 2007 642; Buggisch/Kerling Kriminalistik 2006 531; Gercke CR 2005 606; Graf NStZ 2007 129; Heghmanns wistra 2007 167; Popp NJW 2004 3517; ders. MMR 2006 84; Stuckenberg ZStW 118 (2006) 878. 42 Fischer Rdn. 9a; Weidemann BeckOK Rdn. 18.2; Goeckenjan wistra 2009 47; Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 351; Graf NStZ 2007 129, 131; Marberth-Kubicki DRiZ 2007 212; Popp NJW 2004 3517, 3518; ders. MMR 2006 85; Stuckenberg ZStW 118 (2006) 878, 884. 43 Fischer Rdn. 9a; Beck/Dornis CR 2007 642, 642; Gercke CR 2005 606, 611; Heghmanns wistra 2007 167, 168 f; Stuckenberg ZStW 118 (2006) 878, 906; aA Graf NStZ 2007 129, 131. 44 Leicht iur 1987 45; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 486. 45 AA Möhrenschlager wistra 1986 128, 140. 46 Eck ArchPF 1987 105, 106; Kargl NK Rdn. 14. 47 AA Zielinski in: Kilian/Gorny S. 115, 120. Hilgendorf
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2. Fehlende Empfangsberechtigung des Täters a) Allgemeine Voraussetzungen. Die vom Täter erlangten Daten dürfen nicht für diesen bestimmt sein. Mit dem Tatbestandsmerkmal betont das Gesetz das Erfordernis eines Handelns gegen den Willen des Berechtigten, welches den Vergleich mit einem Gewahrsamsbruch (Rdn. 6) rechtfertigt. Ist der Berechtigte mit dem Vorgehen des Täters allgemein oder im Einzelfall einverstanden, entfällt der Tatbestand des § 202a. Die Zweckbestimmung der Daten erweist sich damit als Fall des tatbestandsausschließenden Einverständnisses. Nicht für den Täter bestimmt sind Daten, wenn er nach dem Willen des Berechtigten keinen Zugang zu ihnen haben soll. Gleich bleibt, ob er unter anderen Umständen, etwa nach Zahlung eines Entgelts, den Zugang erhalten könnte oder erhalten hätte. Daher kann derjenige, der sich Daten aus einer dem allgemeinen Publikum dienenden Datenbank verschafft, den Tatbestand verwirklichen, wenn er keinen Anschluss hat (BTDrucks. 10/5058 S. 29). Ist er Anschlussinhaber und ist sein Anschluss nicht gesperrt, so begründet eine bloße Umgehung der Benutzungsbedingungen jedoch lediglich eine Vertragsverletzung, keine Strafbarkeit.48 Hat der Berechtigte dem Täter Daten zur Nutzung überlassen, so sind diese ihm bestimmungsgemäß zugänglich geworden. Daran ändert es nichts, wenn er vertragswidrig Kopien anfertigt und dazu vielleicht noch Kopiersicherungen überwindet. Die Anfertigung der Raubkopie mag Urheberrechte verletzen (s.u. Rdn. 31) und zivilrechtliche Ansprüche auslösen; sie verletzt aber nicht das in § 202a geschützte Rechtsgut und entspricht auch nicht dem hier vorausgesetzten Tatbild.49 Ebenso haben Betriebsangehörige, denen Datenbestände zur Benutzung, Verarbeitung oder Verwaltung anvertraut sind, im Rahmen ihrer betrieblichen Funktion berechtigten Zugang; die Daten sind insoweit für sie bestimmt. Stellt ein Angestellter heimlich Ausdrucke für eigene Zwecke oder zur Weitergabe an einen Dritten her, dringt er nicht in den Herrschaftsbereich des Arbeitgebers ein, sondern verhält sich ungetreu. Eine Strafbarkeit nach § 202a scheidet daher aus.50 In Betracht kommt bei Geheimnissen ein Vergehen nach § 23 GeschGehG. Anders kann es liegen, wenn der Angestellte außerhalb der Dienstzeit und ohne betriebliche Veranlassung Zugang zum Computer sucht; unter solchen Umständen sind die Daten für ihn nicht bestimmt.51 Zum Zusammenwirken mit Dritten s. Rdn. 40. Unerheblich ist, wen die Daten betreffen. Auch besondere, aus Sicherheitsgründen angeordnete Modalitäten des Zugangs (Verbot, die Datenzentrale allein zu betreten usw.) ändern an der Person des Berechtigten nichts, selbst wenn die Vorkehrungen missachtet werden. In gleicher Weise bedeutungslos sind Anordnungen, welche dem Berechtigten aus solchen Gründen Beschränkungen in der Benutzung und Verwendung der Daten auferlegen.52
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b) Einverständnis im Einzelfall. Ebenso wie der Berechtigte allgemeine Bestimmungen über 25 den Zugang zum Datenbestand treffen kann, ist er befugt, im Einzelfall einem Dritten seine Einwilligung zum Abruf von Daten zu erteilen. Mit der Erteilung dieser Einwilligung verschafft 48 Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 486; aA Schlüchter S. 65. 49 Fischer Rdn. 7; Graf MK Rdn. 32; Hoyer SK Rdn. 15; Kargl NK Rdn. 8; Weidemann BeckOK Rdn. 10; Hilgendorf/ Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 364; Gercke ZUM 2017 915, 922; Kraul GRUR-Prax 2019 478; aA Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 486; Schlüchter S. 65 f; Zielinski in: Kilian/Gorny S. 115, 120 mit rechtspolitischer Kritik S. 122. 50 BayObLG StV 1999 214 m. Anm. Kühn; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 486; Schlüchter S. 64; Schmitz JA 1995 478, 482; de lege ferenda fordert deshalb etwa Sieber NJW-Beiage 2012 86, 89 die Erweiterung des Tatbestands um das unbefugte „Verwerten anvertrauter Daten“. 51 BGH BeckRS 2020 12264; Schulze-Heiming S. 54 f.; jedenfalls i.E ähnlich auch Reh/Cosfeld NStZ 2019 706, 707; Wilke NZWiSt 2019 168, 170. 52 AA Schlüchter S. 62. 853
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Ausspähen von Daten
er den davon betroffenen Daten die Bestimmung für den Dritten. Ohne rechtliche Bedeutung ist, dass der Berechtigte den Datenabruf gestattet, damit der Dritte die Daten an einen anderen weitergebe; auch als Durchlaufstation empfängt der Dritte sie bestimmungsgemäß. Die Einwilligung schließt daher stets als sog. Einverständnis den Tatbestand aus.53
26 c) Bestimmung des Berechtigten. Die Entscheidung, für wen geschützte Daten bestimmt sein sollen, obliegt nicht dem, auf den sie sich beziehen.54 Die Einwilligung des von den Daten Betroffenen (vgl. z.B. § 51 BDSG) hat also keine rechtfertigende Wirkung. § 202a schützt nicht den persönlichen Lebensbereich, sondern das Herrschaftsverhältnis über die Information (Rdn. 6). Deshalb hat die Entscheidung der „Herr der Daten“ zu treffen; das ist derjenige, der über sie verfügen darf,55 also die Rechtsmacht hat, Daten einem anderen zugänglich zu machen. Wer dies ist, richtet sich ohne Rücksicht auf das Eigentum am Datenträger nach dem Akt der Erschaffung, d.h. nach dem Skripturakt der erstmaligen Datenabspeicherung.56 Dabei kommt es jedoch – ähnlich wie bei der Frage, wer Aussteller einer Urkunde ist – nicht auf den körperlichen Vollzug an, sondern darauf, in wessen Auftrag die Daten abgespeichert werden. Berechtigter bezüglich der von einer Datenverarbeitungsfirma abgespeicherten Daten ist deshalb der Kunde, bezüglich der auf einer Scheckkarte gespeicherten Daten die ausgebende Bank57 und (nur) bezüglich dienstlicher Dateien trotz unmittelbarer Speicherung durch den Arbeitnehmer dessen Arbeitgeber58. Letzteres kann etwa bei der Überprüfung von E-Mails im Rahmen interner Unternehmensermittlungen aufgrund des Verdachts begangener Straftaten – also bei sog. „Internal Investigations“ – relevant werden (s. außerdem Rdn. 36).59 Diese originäre Berechtigung an den Daten kann sodann auf andere übertragen werden, 27 wobei jedoch das Überlassen von Daten zur Nutzung nicht ohne Weiteres auch eine Zugangsberechtigung einschließt. Beispielsweise besitzt der Kunde weder an den verschlüsselten Daten auf dem Magnetstreifen einer Bankomatenkarte60 noch an den Programmdaten eines von ihm gekauften Spielautomaten61 in der Weise ein Recht, dass die Daten nunmehr für ihn bestimmt (und damit z.B. zum „Leerspielen“ anderer Automaten desselben Typs nutzbar) wären.62 Ebenso wenig ist der Entsperrcode bei Mobiltelefonen für den Käufer bestimmt.63
53 Bühler MDR 1987 448, 453; Graf MK Rdn. 70; Hoyer SK Rdn. 17; Kargl NK Rdn. 8; Weidemann BeckOK Rdn. 20; Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 126; differenzierend Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 488; aA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Schlüchter S. 68: rechtfertigende Einwilligung. 54 Kargl NK Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3, 1; Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 350 ff; aA Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 118. 55 Fischer Rdn. 7a; Kargl NK Rdn. 7; Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 2; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 485; Möhrenschlager wistra 1986 128, 140. 56 Fischer Rdn. 7a; Hoyer SK Rdn. 13; Kargl NK Rdn. 7; Weidemann BeckOK Rdn. 9; Welp iur 1988 443, 447; Hilgendorf JuS 1996 890, 892 f; Krischker ZD 2015 464, 466; Schmitz JA 1995 478; aA wohl Wilke NZWiSt 2019 168, 169. 57 BGH NStZ 2005 566; BayObLG JR 1994 476 m. Anm. Hilgendorf; Weidemann BeckOK Rdn. 11.1; Hilgendorf JuS 1996 890, 893 f; Schmitz JA 1995 478. 58 Rübenstahl/Debus NZWiSt 2012 129, 130; Süße/Eckstein Newsdienst Compliance 2014 71009; Veit NZWiSt 2015 334, 338. 59 Dazu Rübenstahl/Debus NZWiSt 2012 129; Süße/Eckstein Newsdienst Compliance 2014 71009; Veit NZWiSt 2015 334. 60 BGH NStZ 2005, 566 mit Anm. Vahle Kriminalistik 2006, 109; vgl. auch schon AG Böblingen CR 1989 308; Bosch SSW Rdn. 2; Hoyer SK Rdn. 14; Richter CR 1989 303. 61 Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 353. 62 Graf MK Rdn. 29 f; Kargl NK Rdn. 7. 63 Busch/Giessler MMR 2001 586, 590. Hilgendorf
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d) Wirksamkeit der Bestimmung. Die Wirksamkeit der Bestimmung richtet sich, da sie der 28 Sache nach eine Einverständniserklärung ist, nach den Regeln über das Einverständnis. Stellvertretung ist, da kein höchstpersönliches Rechtsgut betroffen wird, ohne Einschränkung möglich. Macht der Vertreter zum Nachteil des Vertretenen mit dem Täter gemeinsame Sache, fehlt es an einer wirksamen Erklärung dahin, dass die Daten für den Täter bestimmt sein sollen. Ein derartiger Missbrauch der Vertretungsmacht schafft kein rechtlich beachtliches Einverständnis.64 Die Bestimmung zugunsten des anderen ist grundsätzlich frei abänderbar. Hat sich ein Anlagenbetreiber aber zivilrechtlich zur Lieferung von Daten verpflichtet, ist ihre Bestimmung für den Empfänger Bestandteil einer nicht einseitig auflösbaren Vertragsbeziehung. Die daraus folgende Bindung gilt auch für das Strafrecht.65 3. Überwindung von Zugangssicherungen a) Viktimodogmatische Basis. Das Erfordernis der besonderen Sicherung gegen unberechtig- 29 ten Zugang zeigt die Schranke an, deren Überwindung kriminelles Unrecht begründet (Rdn. 3); sie rechtfertigt sich, weil der Verfügungsberechtigte mit der Sicherung sein Interesse an der „Geheimhaltung“ – ähnlich wie in § 202 Abs. 2, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 – dokumentiert66 und – das ist in normativer Hinsicht ausschlaggebend – durch diese Wahrnehmung eines ohne Weiteres zumutbaren Selbstschutzes auch des zusätzlichen Strafrechtsschutzes würdig und bedürftig wird. Wegen dieser viktimodogmatischen Fundierung des Tatbestandsmerkmals der Zugangssicherung kommt es nicht darauf an, dass die Sicherung möglichen Tätern äußerlich erkennbar sein muss; es genügt, wenn sie – im Zeitpunkt der Tathandlung67 – wirksam ist. Andererseits fallen nur physische und EDV-technische Vorkehrungen unter den Begriff,68 nicht aber organisatorische Maßnahmen, welche allein die menschliche Willensbildung beeinflussen (Vier-Augen-Prinzip, Verbote, Genehmigungsvorbehalte). Denn menschliches Versagen ist gerade die Schwachstelle, der das Erfordernis der Zugangssicherung gilt. b) Anforderungen an die Reichweite, „Skimming“, Softwarepiraterie. Die besondere Si- 30 cherung muss den Zweck haben, den Zugang zu verhindern oder wenigstens nicht unerheblich zu erschweren.69 Anderen Zwecken dienende Maßnahmen, welche nur nebenbei auch den Zugang erschweren, wie feuersichere Türen ohne besonderes Schließsystem, reichen nicht aus. Kopiersperren dienen i.d.R. auch der Zugangssicherung und reichen dann für die Anwendbarkeit des § 202a aus.70 Keine Zugangssicherung sind Maßnahmen der Beweissicherung wie die Mitprotokollierung von Zugriffen auf ungesicherte Daten.71 Gleiches gilt, wenn die Sicherung nicht den Schutz von Daten bezweckt, sondern lediglich die unbefugte Verwendung der Hard-
64 BGHSt 6 251, 254. 65 Jakobs AT 7/110; and. M. K. Meyer Ausschluß der Autonomie durch Irrtum (1984) S. 164 f; H. D. Weber Der zivilrechtliche Vertrag als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht (1986) S. 68 ff, 128 ff.
66 BTDrucks. 10/5058 S. 29; 16/3656 S. 10; BGH NJW 2015 3463, 3464; Graf MK Rdn. 35; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Weidemann BeckOK Rdn. 15; Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 354; Veit NZWiSt 2015 334, 338; Wilke NZWiSt 2019 168, 170; aA Dietrich NStZ 2011 247 ff, der das Erfordernis indes mit der gesteigerten Tätergefährlichkeit legitimiert. 67 BGH NJW 2015 3463, 3464; NStZ 2018 401, 403 f. 68 Fischer Rdn. 8 ff. 69 BGH NStZ 2011 154; NJW 2015 3463, 3464. 70 Hilgendorf JuS 1996 512, 702; Meier JZ 1992 662; restriktiver Kuhlmann CR 1989 177, 184 f; Schulze-Heiming S. 57; Beermann Jura 1995 610; eingehend Heinrich S. 301 ff; vgl. auch BTDrucks. 16/3656 S. 10, wonach reine Kopiersperren nicht erfasst werden sollen. 71 Vgl. Rinker MMR 2002 663, 665. 855
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Ausspähen von Daten
ware unterbinden soll. Die bloße Ingebrauchnahme verschlossener elektronischer Geräte verwirklicht daher nicht den Tatbestand des § 202a.72 31 Die bloße Speicherung von Informationen als solche führt nur zu deren Dateneigenschaft, nicht aber auch zugleich zur Existenz besonderer Sicherungen gegen einen Zugriff auf die Information. Bedeutsam wird das insbesondere bei auf Magnetkarten gespeicherten Daten, die mit handelsüblichen Geräten ausgelesen werden können. Beim sog. „Skimming“ werden – mit dem Ziel der Erstellung einer Kartendublette – die Daten auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte mittels eines vor dem Einzugslesegerät eines Geldautomaten angebrachten weiteren handelsüblichen Lesegeräts und entsprechender handelsüblicher Software ausgelesen. Das verwirklicht mangels Überwindung einer besonderen Zugangssicherung nicht den Tatbestand des § 202a.73 Straflosigkeit muss das indes schon aufgrund der Strafbarkeit der (Vorbereitung der) Fälschung von Zahlungskarten nach §§ 152a Abs. 1, Abs. 5, 152b, Abs. 1, Abs. 5, 149 nicht zwingend nach sich ziehen. Falls keine Zugangssicherungen im Sinne des Gesetzes überwunden worden sind, fällt auch die weit verbreitete sog. Softwarepiraterie nicht unter den Straftatbestand der Datenausspähung. Die hierdurch drohende Strafbarkeitslücke wird jedoch dadurch geschlossen, dass § 106 i.V.m. § 53 UrhG jede unerlaubte Vervielfältigung eines Programms für die Datenverarbeitung oder wesentlicher Teile davon unter Strafe stellt, so dass bereits das unberechtigte Laden eines Programms in den Arbeitsspeicher eines Rechners strafbar sein kann.74 Der Schutz gegen unberechtigten Zugang kann nicht absolut sein; unzureichend sind aber 32 Vorkehrungen, die bereits jeder interessierte Laie leicht und rasch zu überwinden vermag. Andererseits kann nicht verlangt werden, dass die Sicherung selbst gegenüber Tätern mit eingehenden Kenntnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet der EDV ein unübersteigbares Hindernisses bedeutet. Außerdem muss es auch Personen ohne größere technische Kenntnisse möglich sein, ihre Daten rechtlich wirksam mit Standardprogrammen zu sichern. Es genügt deshalb schon eine Zugangssicherung, deren Überwindung einen nicht ganz unerheblichen zeitlichen oder technischen Aufwand erfordert.75 Schließlich muss das Sicherungssystem so angelegt sein, dass es dem Täter einen „unbe33 rechtigten“ Zugang verwehrt. Das Merkmal korrespondiert nicht in dem Sinne mit dem des „Bestimmtseins“ der Daten, dass es gegenüber allen Nicht-Berechtigten gleich wirksam ist.76 Zu einem gesicherten Computerzentrum („closed shop“) müssen Reinigungskolonnen, Wartungsund Reparaturdienste, Aufsichts- und Kontrollpersonal Zutritt haben, ohne dass damit die gespeicherten Daten, weil sie für diesen Kreis nicht bestimmt sind, auch gegenüber Betriebsexternen ihren Schutz verlören.77 Der BGH scheint die Betrachtungsweise indes noch weitergehend abstrahieren zu wollen: Auch umgekehrt, wenn also der Zugriff durch einen Betriebsangehörigen, z.B. einen Systemadministrator, erfolgt, soll eine „abstrakt-generelle Betrachtungsweise“ anzustellen sein, nach der es darauf ankomme, ob die Zugangsssicherung „typischerweise – also unabhängig von spezifischen Möglichkeiten oder Kenntnissen des konkreten Täters – einen nicht unerheblichen Aufwand“ erfordert.78
72 BTDrucks. 16/3656 S. 10; Fischer Rdn. 8a; Hilgendorf JuS 1996 702, 702 f. 73 BGH NStZ 2010 509; BGH BeckRS 2010 13372; BGH NStZ 2011 154 mit krit. Anm. Schuhr; Jahn JuS 2010 1030; BGH BeckRS 2011 6946; Fischer Rdn. 9a; aA noch BGH NStZ 2005 566; s. zum „Skimming“ ferner Bachmann/Goeck JR 2011 425; Eisele CR 2011 131. 74 Beermann Jura 1995 610 ff; Etter CR 1989 115; Schmitz JA 1995 478, 483; differenzierend HWSt-Heghmanns2 (2008), VI. 1 (Rdn. 105 ff). 75 Vgl. BTDrucks. 16/3656 S. 10; Fischer Rdn. 9; Graf MK Rdn. 36. 76 Fischer Rdn. 8; Kargl NK Rdn. 11; Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 363; Hilgendorf JuS 1996 702, 704; aA Meurer S. 971, 976 f; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 487. 77 Zutr. Fischer Rdn. 8; Hoyer SK Rdn. 7; aA Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 487; Meurer FS Kitagawa 976. 78 BGH BeckRS 2020 12264, indes unter Betonung des Umstands, dass der Systemadministrator zum Zugriff nicht berechtigt war. Hilgendorf
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IV. Tathandlung
§ 202a
c) Sicherungstyp. Grundsätzlich kommen vier verschiedene Typen von Zugangssicherun- 34 gen in Betracht:79 (1) Einbau in die Hardware (z.B. computerintegrierte Fingerabdruck- oder Stimmerkennungsgeräte und sonstige biometrische Vorrichtungen); (2) Einbau in die Software (vor allem Passwörter,80 ferner Datenverschlüsselungen, dazu im Folgenden näher); (3) Verschluss des Rechners selbst (z.B. abschließbare Schränke, verschlossene Blechgehäuse bei Geldspielautomaten81 oder abschließbare Büroräume, sog. closed-shop-Betrieb82); (4) Geheimhaltung der Datei (etwa indem man sie an einer systematisch falschen Stelle unter einem unzutreffenden oder unauffälligen Namen speichert). Firewalls stellen taugliche Sicherungen i.S.d. Norm dar.83 Der Einsatz trojanischer Pferde – 35 also von Programmen mit verdeckten Schadensfunktionen –, die vom Opfer selbst unbewusst installiert und so zB in Anwendungsprogramme eingefügt werden und durch Aufzeichnung des Datenverkehrs oder von Tastatureingaben unbemerkt sensible Benutzerdaten wie etwa Passwörter ausspähen und an den Absender des Trojaners übermitteln, ist unter Überwindung der Firewall mithin nach § 202a in Form mittelbarer Täterschaft strafbar.84 Fraglich ist, ob die bloße Verschlüsselung oder gar die unverschlüsselte Geheimhaltung durch Verstecken in „falschen“ Dateien als Zugangssicherungen im Sinne des § 202a qualifiziert werden können. Durch die Verschlüsselung der Daten wird eine Kenntnisnahme der kodierten Information verhindert oder zumindest erschwert (o. Rdn. 32). Ferner gewährt bei Daten im Stadium der Übermittlung nach dem gegenwärtigen Stand der Technik offenbar allein die Verschlüsselung zuverlässigen Schutz.85 Da der Gesetzgeber Daten im Stadium der Übermittlung als Tatobjekt geschützt wissen wollte, kann er die einzige wirksame Sicherung nicht als rechtlich unzureichend betrachtet haben. Auch eine Verschlüsselung ist daher ein geeigneter Schutz.86 Dies gilt vor allem für die Verschlüsselung in WLAN-Netzen; ist das Netz hingegen ungesichert, verwirklicht der Zugriff hierauf nicht den Tatbestand des § 202a.87 Auch das Verstecken von Daten kommt als Zugangssicherung in Betracht, sofern es eine nicht ganz unerhebliche Barriere für den Täter bildet.88 Freilich dürfen der benutzte Schlüssel oder das benutzte Versteck nicht zu trivial sein (Bei- 36 spiele: eine gängige Fremdsprache oder ein Versteck in einem Datenverzeichnis bescheidenen Umfanges), weil eine Überwindung, die nur noch einen unerheblichen technischen oder zeitlichen Aufwand erfordert, aus viktimodogmatischen Gründen den Straftatbestand nicht erfüllt. Das gilt übrigens auch für die Zugangssicherung durch ein allzu simples Passwort (z.B. Name des Benutzers, des Partners oder naher Angehöriger) oder eine (an sich ausreichende) dreistellige Ziffernfolge, die bei allen Systemen dieser Art standardisiert ist und deshalb vom Täter aus
79 Dazu eingehend Jessen S. 86 ff; Leicht iur 1987 45 ff; Hilgendorf JuS 1996 702 ff; zur „Dongle“-Technik s. König NJW 1995 3293; LG Mannheim NJW 1995 3322. 80 Krischker ZD 2015 464, 466; Reh/Cosfeld NStZ 2019 706, 707. 81 Etter CR 1988 1021, 1024; Schlüchter NStZ 1988 53, 55. 82 Zutr. Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 487; Hilgendorf JuS 1996 702, 703; aA Leicht iur 1987 45, 48. 83 Fischer Rdn. 9a; Reh/Cosfeld NStZ 2019 706, 707; Wilke NZWiSt 2019 168, 170. 84 BGH NStZ 2018 401, 402 ff mit Anm. Safferling. 85 So schon Leicht iur 1987 45, 51. 86 Fischer Rdn. 9a; Graf MK Rdn. 50; Hoyer SK Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 354; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 483, 487; Möhrenschlager wistra 1986 128, 140; Schlüchter S. 65; vgl. auch Gröseling/Höfinger MMR 2007 549, 551; aA Dornseif/Schumann/Klein DuD 2002 226, 229 f; Schumann NStZ 2007 675, 676. 87 Graf MK Rdn. 93; Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 361; Bär MMR 2005 434, 436; Ernst CR 2003 898, 899; Malpricht ITRB 2008 42, 42; Nebel ZD-Aktuell 2016 05323; aus der Rspr. AG Wuppertal NStZ 2008 161 (Strafbarkeit nach § 148 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 89 Satz 1 TKG und §§ 44, 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG a.F.). 88 Hilgendorf JuS 1996 702, 703; Graf MK Rdn. 53; Hoyer SK Rdn. 5; Kargl NK Rdn. 10; aA Bosch SSW Rdn. 5; Rübenstahl/Debus NZWiSt 2012 129, 131. 857
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Ausspähen von Daten
seinem eigenen System abgeleitet werden kann.89 Sollte das sog. „Doxing“, also die Publikation privater Daten eines anderen im Netz, im Einzelfall – etwa nach gescheiterten Liebesbeziehungen oder bei Handeln eines Insiders, z.B. eines Mitarbeiters eines bekannten Politikers oder sonstiger Prominenter – darauf zurückzuführen sein, dass der Betroffene seine Passwörter zuvor freiwillig preisgegeben hat, hat der Berechtigte selbst die Zugangssicherung aufgehoben.90 § 202a scheidet dann aus. Das kann auch gelten, wenn der Arbeitgeber im Rahmen interner Unternehmensermittlungen auf private (s. bereits Rdn. 26) Dateien seines Arbeitnehmers zugreift. Denn von einer Zugangssicherung gegenüber dem Arbeitgeber kann jedenfalls bei einer bloßen Sicherung durch Speicherung auf einem personalisierten Laufwerk und – etwa in Bezug auf dienstliche Mailkonten – auch bei einem etwaigen Passwortschutz zumindest dann nicht ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber die Daten durch die Ausübung seiner Administratorrechte unschwer einsehen kann.91
V. Subjektiver Tatbestand 37 Die Tat erfordert Vorsatz. Bedingter Vorsatz, welcher insbesondere die Frage der Bestimmung der Daten betreffen kann, genügt. Nimmt der Täter irrig an, die verschafften Daten seien für ihn bestimmt, handelt er ohne Tatbestandsvorsatz. Im Hinblick darauf, dass er bei der Tat Zugangssicherungen zu überwinden hat, dürfte für einen derartigen Irrtum allerdings regelmäßig kein Raum sein; anders, wenn der Verfügungsberechtigte einseitig die Bestimmung der Daten geändert hat und der Täter diesen Widerruf nicht kennt oder für unwirksam hält. Hält sich der Täter dagegen irrig für befugt, sich den Zugang zu verschaffen, so liegt ein Verbotsirrtum (§ 17) vor.
VI. Rechtswidrigkeit 38 Die Einwilligung des Verfügungsberechtigten schließt als sog. Einverständnis bereits den Tatbestand aus (Rdn. 25). Nach den allgemeinen Regeln sind allerdings täuschungsbedingte Einwilligungen unwirksam. Rechtfertigung durch mutmaßliche Einwilligung ist zwar nicht begrifflich ausgeschlossen, dürfte aber praktisch nicht in Betracht kommen. Eilfälle, welche ein Eindringen in fremde Datenanlagen erforderlich machen, bevor der Berechtigte befragt werden kann, sind kaum denkbar.92 Die nachträgliche Zustimmung, also die Genehmigung, lässt die Rechtswidrigkeit nicht rückwirkend entfallen. Für die Strafverfolgungsbehörden ist an eine Rechtfertigung nach den §§ 94 ff StPO93 und §§ 100a ff StPO94 zu denken.95
89 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bezüglich standardisierter Ziffernfolgen bei der Fernabfrage von Anrufbeantwortern, BTDrucks. 12/6500 und 6706; Krause jur-pc 1994 2758, 2760; Schmachtenberg DuD 1998 401; aA Ernst NJW 2003 3233, 3236; Bosch SSW Rdn. 5. 90 Gercke ZUM 2017 915, 922; Kubiciel/Großmann NJW 2019 1050; zum Doxing ferner Kuntz ZD-Aktuell 2019 06421; Weitz/von Saß ZD-Aktuell 2019 06420. 91 Süße/Eckstein Newsdienst Compliance 2014 71009; Veit NZWiSt 2015 334, 338; Wybitul ZD 2011 69, 70; aA wohl BGH BeckRS 2020 12264, indes unter Betonung des Umstands, dass der Zugriff durch den Systemadministrator im konkreten Fall den Vorgaben seines Arbeitgebers widersprach; Herrmann/Soiné NJW 2011 2922, 2925 f. 92 Graf MK Rdn. 71; abw. BTDrucks. 10/5058 S. 29; Möhrenschlager wistra 1986 128, 140. 93 Kudlich JuS 1998, 212. 94 BGH CR 1996 488 ff mit Anm. Bär CR 1996 490; umfassend Valerius S. 90 ff. Vgl. ferner BGH NJW 2009 1828; LG Hamburg MMR 2008 186. 95 Zu § 39 Abs. 1 AWG (Ende 2004 weggefallen) Felixberger CR 1998, 143, 145. Hilgendorf
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IX. Zusammentreffen mit anderen Gesetzesverletzungen
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VII. Täterschaft und Teilnahme Täter kann jedermann mit Ausnahme des Verfügungsberechtigten sein, auch derjenige, auf den 39 sich die Daten beziehen, und der Eigentümer des Datenträgers. Der Umstand, dass die Daten für den Täter nicht bestimmt sind, stellt ein besonderes persönliches Merkmal i.S.v. § 28 I dar.96 Der gesetzliche oder gewillkürte Vertreter eines Verfügungsberechtigten ist nicht Täter, 40 wenn er berechtigt Zugang zu den Daten hat oder keine Zugangssicherung überwinden muss (Rdn. 20, 3). Wirkt er bei der Tat mit einem Dritten zusammen, ist er jedoch nicht nur wegen Teilnahme strafbar, sondern wegen (Mit-)Täterschaft. Denn § 202a lässt es für die Tatbestandserfüllung ausreichen, dass der Täter die Daten „einem anderen verschafft“, so dass es genügt, wenn einer der Beteiligten kein Zugangsrecht hat. Freilich wird der Berechtigte in der Regel keine Zugangssicherungen zu überwinden brauchen, so dass die Tatbestandserfüllung häufig hieran scheitern wird. Zur Frage, ob dann der Untreuetatbestand (§ 266) erfüllt ist, siehe Schünemann LK12 § 136 Rdn. 136. Vorbereitende Beihilfehandlungen hat das 41. StRÄndG in § 202c eigenständig unter Strafe gestellt, obwohl § 202a nicht einmal eine Versuchsstrafbarkeit kennt (s. § 202c Rdn. 6 sowie unten Rdn. 42). Wer sich, ohne selbst am Verschaffungsvorgang mitzuwirken, von einem anderen, der tat- 41 bestandsmäßig gehandelt hat, die Daten übergeben lässt, macht sich im Falle der Anstiftung und nach Einführung des Tatbestands der Datenhehlerei in § 202d auch täterschaftlich strafbar.
VIII. Versuch Der Versuch des § 202a ist nicht strafbar, was mit Blick auf den ultima-ratio-Grundsatz prinzipi- 42 ell zu begrüßen ist. Allerdings führt der Verzicht auf eine Versuchsstrafbarkeit hier zu beträchtlichen Inkonsistenzen, weil in § 202c bestimmte Vorbereitungshandlungen zu § 202a und 202b unter Strafe gestellt werden. Damit wird die abstrakte Gefährdung durch eine Vorbereitungshandlung strafrechtlich verboten, die im Versuch liegende konkrete Gefährdung jedoch nicht. Da § 202a des Weiteren nach § 205 ein gemischtes Antragsdelikt darstellt, während § 202c Offizialdelikt ist, ergibt sich der merkwürdige Zustand, dass die Verletzung des Schutzgutes von § 202a (und § 202b) i.d.R. nur auf Antrag, die konkrete Gefährdung (Versuch) gar nicht, die abstrakte Gefährdung (§ 202c) dagegen von Amts wegen verfolgt wird.97 Diese Wertungswidersprüche sollten le lege ferenda durch eine Änderung des § 205 oder des § 202c beseitigt werden.
IX. Zusammentreffen mit anderen Gesetzesverletzungen Tateinheit kommt zunächst mit § 23 GeschGehG98 und § 42 BDSG in Betracht, wenn Verfügungs- 43 berechtigter und Betroffener nicht identisch sind, weil sonst die Subsidiaritätsklausel des § 1 Abs. 2 BDSG eingreifen würde.99 Da § 202a kein Eigentumsdelikt ist, kann Tateinheit mit § 242 gegeben sein, wenn auch der Datenträger entwendet wird.100 Je nach dem Vorgehen des Täters kommt ferner Tateinheit mit Hausfriedensbruch (§ 123) und Sachbeschädigung (§ 303) in Frage, bei gleichzeitiger Beeinträchtigung des Datenbestandes ferner mit §§ 269, 274 Abs. 1 Nr. 2, 303a, 96 Zweifelnd Fischer Rdn. 14. 97 Darauf hat schon Stuckenberg in der Sachverständigenanhörung hingewiesen, vgl. Protokoll Nr. 54, unter I.3 (S. 2); ähnlich Kubiciel/Großmann NJW 2019 1050, 1053.
98 Zu § 17 Abs. 2 UWG a.F. s. Neumann JuS 1990 535, 539; Rengier in: Fezer (Hrsg), Lauterkeitsrecht. Kommentar zum Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), Bd. 2 (2005) § 17 Rdn. 83. Fälle bei Achenbach NStZ 1991 409, 413.
99 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 29; jew. zu § 44 BDSG a.F.: Hoyer SK Rdn. 18; Kargl NK Rdn. 18; Hilgendorf JuS 1996 702, 706. 100 Zum Erfordernis der Zueignungsabsicht s. BayObLG JR 1993 253 m. Anm. Julius. 859
Hilgendorf
§ 202a
Ausspähen von Daten
303b.101 Bei urheberrechtlich geschützten Programmen kommt auch Tateinheit mit § 106 UrhG in Betracht.102
X. Sonstiges 44 Die Tat ist relatives Antragsdelikt (§ 205 Abs. 1 Satz 2). Da sich eine Tat nach § 202a auch auf vermögenswerte Daten beziehen kann (vgl. oben Rdn. 6), erscheint der Ausschluss des Übergangs des Antragsrechts auf die Erben in § 205 Abs. 2 Satz 1 2. Hs. nicht überzeugend.103 Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, § 78 Abs. 3 Nr. 4. Nach § 74 ist eine Einziehung der Tatgegenstände (v.a. des zur Tat verwendeten Computers und anderer Hardware) möglich; angesichts der heutigen Bedeutung des Computers als Bestandteil der sozialen Infrastruktur vieler Menschen ist dabei allerdings besonders auf die Verhältnismäßigkeit der Einziehung zu achten.
101 BGH BeckRS 2018 33929 für § 269; Graf MK Rdn. 110; Kargl NK Rdn. 18; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Weidemann BeckOK Rdn. 25. 102 Hilgendorf JuS 1996 702, 706. 103 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 63. Hilgendorf
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§ 202b Abfangen von Daten Wer unbefugt sich oder einem anderen unter Anwendung von technischen Mitteln nicht für ihn bestimmte Daten (§ 202a Abs. 2) aus einer nichtöffentlichen Datenübermittlung oder aus der elektromagnetischen Abstrahlung einer Datenverarbeitungsanlage verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.
Schrifttum Kusnik Abfangen von Daten – Straftatbestand des § 202b StGB auf dem Prüfstand, MMR 2011 720; Thal Wireless Local Area Networks, in Hilgendorf (Hrsg.) Dimensionen des IT-Rechts (Das Strafrecht vor neuen Herausforderungen, Band 14) (2008). Vgl. außerdem die Literaturangaben Vor § 202a.
Entstehungsgeschichte Mit der Vorschrift wurde Art. 3 des Übereinkommens des Europarates über Computerkriminalität vom 23.11.2001 (Cybercrime-Konvention1) umgesetzt.2 Darin verpflichten sich die Vertragsstaaten, das unbefugte Abfangen nichtöffentlicher Übermittlung von Computerdaten an ein Computersystem, aus einem Computersystem oder innerhalb eines Computersystems einschließlich der elektromagnetischen Abstrahlung aus einem Computersystem unter Strafe zu stellen. Diese Vorgaben wurden durch Art. 1 Nr. 3 des 41. StRÄndG vom 7.8.20073 umgesetzt, welcher § 202b neu in das StGB einfügt. § 202b ist zum 11.8.2007 in Kraft getreten.
Gesetzesmaterialien Gesetzentwurf der Bundesregierung BTDrucks. 16/3656; Protokoll Nr. 54 des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 16. Wahlperiode; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 16/5449 (41. StRÄndG).
Übersicht I.
Bedeutung der Vorschrift
1
II.
Rechtsgut
III. 1. 2. 3. 4. 5.
3 Tatobjekt 4 Daten 6 Nicht für den Täter bestimmt 8 Datenübermittlung 9 Nichtöffentlichkeit Elektromagnetische Abstrahlung
IV.
Tathandlung
2
V.
Subjektiver Tatbestand
VI.
Rechtswidrigkeit
VII. Versuch
Sonstiges
19
20 21
VIII. Konkurrenzen IX.
18
22
11
13
Alphabetische Übersicht Berechtigter – Bestimmung 6 Chatten 9
Daten 1, 4 f, 11 f – Abfang 1 – Begriff 5
1 Zur Cybercrime-Konvention Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 1 Rdn. 94, 120 ff; näher Gercke CR 2004 782 ff; Schwarzenegger/Arter/Jörg/Hilgendorf Internet-Recht und Strafrecht, S. 257, 268 ff. 2 Zum Umsetzungsbedarf Gercke MMR 2004 728 ff. 3 BGBl. I S. 1786. 861 https://doi.org/10.1515/9783110490121-052
Hilgendorf
§ 202b
Abfangen von Daten
– Übertragung 11 – gespeicherte 12 Datenübermittlung 8 – nichtöffentlich 9 E-Mail-Verkehr 9 Geheimhaltungswille 2 Hacking 14 Herrschaft – über Daten 13 Keylogging 13 Nichtberechtigter 6 Rechtsgut 2 Rechtswidrigkeit 19
Sich-Zugang-Verschaffen 14 Side-Channel-Angriffe 12 Subjektiver Tatbestand 18 Subsidiaritätsklausel 12, 21 Tatbestandsirrtum 7, 18 Tathandlung 13 Tatobjekt 3 Technische Mittel 15 ff Telefonabhörung 1 Verschaffen 13 ff Versuchsstrafbarkeit 20 VPN-Übermittlung 8 WLAN-Netze 8, 10
I. Bedeutung der Vorschrift 1 Das bis zum Inkrafttreten der Vorschrift geltende Recht hat die Fälle des Abfangens von Daten außerhalb der herkömmlichen Telekommunikation mittels Telefon nur teilweise erfasst. Insbesondere schützt § 202a nur Daten, welche gegen den unberechtigten Zugang besonders gesichert sind.4 Das Abhören von Telefongesprächen ist dagegen nach § 201 unter Strafe gestellt; § 27 in Verbindung mit § 5 TTDSG erfasst das Abhören von Nachrichten mit einer Funkanlage. Da aber inzwischen das Internet und andere Formen elektronischer Datenübertragung für die Informationsübermittlung wichtiger sind als das Telefon, ist der Schutz elektronisch übermittelter Informationen konsequent.5
II. Rechtsgut 2 Wie bei § 202a ist geschütztes Rechtsgut das formelle Geheimhaltungsinteresse des Verfügungsberechtigten.6 Allerdings zeigt sich dieses Interesse im Gegensatz zu § 202a nicht in einer besonderen Manifestation des Geheimhaltungswillens in Form einer Sicherung.7 Grundlage ist vielmehr das allgemeine Recht auf Nichtöffentlichkeit der Kommunikation.8
III. Tatobjekt 3 Nach § 202b macht sich strafbar, wer sich nicht für ihn bestimmte Daten (§ 202a Abs. 2) aus einer nichtöffentlichen Datenübermittlung oder aus der elektromagnetischen Abstrahlung einer Datenverarbeitungsanlage verschafft.
1. Daten 4 Tatobjekt sind somit zunächst Daten. Diesbezüglich verweist das Gesetz auf § 202a Abs. 2, wo der Begriff der „Daten“ allerdings nicht definiert, sondern nur für den Kontext des Computerstrafrechts auf Daten, die „elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar 4 5 6 7 8
Hilgendorf LK § 202a Rdn. 3. BTDrucks. 16/3656 S. 11. Fischer Rdn. 2. Hilgendorf LK § 202a Rdn. 6, 29. BTDrucks. 16/3656 S. 11.
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III. Tatobjekt
§ 202b
gespeichert sind oder übermittelt werden“, eingeschränkt wird (dazu näher Erläuterungen zu § 202a Rdn. 10). Der Datenbegriff ist im Detail ungeklärt; in einer ersten Annäherung wird man unter „Da- 5 ten“ alle durch Zeichen oder kontinuierliche Funktionen aufgrund bekannter oder unterstellter Abmachungen zum Zwecke der Verarbeitung dargestellten Informationen zu verstehen haben.9 § 202b erfasst nicht nur personenbezogene Daten (§ 46 Nr. 1 BDSG), sondern grundsätzlich Daten jeder Art.10
2. Nicht für den Täter bestimmt Die Daten dürfen nicht für den Täter bestimmt sein. Wie § 202a ist die Vorschrift damit ein 6 negatives Sonderdelikt. Die Entscheidung, für wen die Daten „bestimmt“ sind, trifft die zur Verfügung über die Daten berechtigte Person.11 In der Regel wird es sich um nur eine Person oder eine überschaubare Gruppe von Personen handeln, denkbar ist aber auch, dass Daten einem unüberschaubar großen Adressatenkreis zur Kenntnis gebracht werden sollen und damit für sehr viele Personen „bestimmt“ sind (zum Merkmal der „nichtöffentlichen“ Datenübermittlung unten Rdn. 9). Wer sich auf den in § 202b beschriebenen Wegen für ihn bestimmte Daten verschafft, han- 7 delt nicht tatbestandsmäßig i.S.d. § 202b. Ein diesbezüglicher Irrtum (der Täter glaubt, die Daten seien für ihn bestimmt) führt mangels Tatvorsatzes zur Straflosigkeit (vgl. unten Rdn. 18; vgl. auch die Erläuterungen zu § 202a Rdn. 37).
3. Datenübermittlung Die Daten müssen aus einer Datenübermittlung oder aus der elektromagnetischen Abstrahlung 8 einer Datenverarbeitungsanlage herrühren. Unter Datenübermittlung sind alle Wege der Übermittlung von Daten zu verstehen, umfasst sind also sowohl Datenübertragungen per Telefon und Fax als auch per E-Mail. Die leitungsgebundene Datenübermittlung ist ebenso erfasst wie die drahtlose (z.B. über Funk). Es spielt außerdem keine Rolle, ob die Daten innerhalb eines Netzwerkes bleiben oder nach außen versendet werden und ob es sich um staatlich betriebene oder private Netzwerke handelt. Erfasst ist also die Datenübermittlung im Internet ebenso wie in einem Intranet, in WLAN-Netzen (Wireless Local Area Network) und die VPN-Übermittlung (Virtual Private Network).12 Die Verwendung eines Zwischenspeichers ist unschädlich; allerdings werden die Daten während der Speicherung nicht erfasst. Auf eine Verschlüsselung der Daten kommt es nicht an. Das Versenden von Datenträgern per Post ist nicht tatbestandsmäßig; hier können aber die §§ 202 und 202a einschlägig sein.13
4. Nichtöffentlichkeit Die Datenübermittlung muss nichtöffentlich erfolgen. Abzustellen ist dabei auf den Übermitt- 9 lungsvorgang selbst, Art und Inhalt der Daten sind dagegen unerheblich.14 Der Begriff ist eben-
9 Hilgendorf LK § 202a Rdn. 7 m.w.N. 10 Fischer Rdn. 3 iVm § 202a Rdn. 3. 11 Hilgendorf LK § 202a Rdn. 26. 12 Fischer Rdn. 3; Kubiciel/Großmann NJW 2019 1050, 1053. 13 Fischer Rdn. 3; Kusnik MMR 2011 720, 721. 14 Fischer Rdn. 4; Altenburg/Rieks ZD 2020 237, 239; Kubiciel/Großmann NJW 2019 1050, 1053. 863
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§ 202b
Abfangen von Daten
so auszulegen wie die Nichtöffentlichkeit in § 201.15 Diese Norm betrifft u.a. in Absatz 1 Nr. 1 die Aufnahme des nichtöffentlich gesprochenen Wortes eines anderen auf einen Tonträger. Erfasst werden Äußerungen, die nicht an die Allgemeinheit gerichtet und nicht über einen durch persönliche oder sachliche Beziehungen klar abgegrenzten Personenkreis hinaus wahrnehmbar sind.16 Übertragen auf § 202b bedeutet dies, dass insbesondere auch der (verschlüsselte wie unverschlüsselte) E-Mail-Verkehr sowie das „Chatten“17 im Internet grundsätzlich geschützt sind.18 Etwas anderes gilt allerdings für Sendungen, die sich von vornherein an einen unüberschaubar großen Adressatenkreis richten. Unerheblich ist, ob die übermittelte Information bereits allgemein bekannt oder von öffentlich verfügbaren Internetseiten abrufbar ist. 10 In ungeschützten WLAN-Netzen ist der Zugriff Dritter sehr einfach.19 Dennoch handelt es sich bei den in diesen Netzen übermittelten Daten um nichtöffentliche Daten, sofern der Adressatenkreis klar bestimmt ist.20 Dies ergibt sich daraus, dass eine besondere Sicherung gegen den Zugriff Dritter bei § 202b – anders als bei § 202a – gerade nicht erforderlich ist.
5. Elektromagnetische Abstrahlung 11 Weil Daten nicht nur bei ihrer Übertragung abgefangen, sondern auch aus der elektromagnetischen Abstrahlung aus dem Computersystem rekonstruiert werden können, wird auch diese Variante in den Tatbestand einbezogen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Daten nur während eines Übertragungsvorganges Gegenstand des § 202b sein.21 Unter einer Datenübertragung ist die gezielte Übertragung der Verfügungsgewalt und insbesondere der Möglichkeit der Kenntnisnahme von einem Absender auf einen oder mehrere bzw. viele Adressaten zu verstehen. Der Übertragungsvorgang ist dann beendet, wenn der Adressat die Verfügungsmacht über die übermittelten Daten erlangt hat, d.h. wenn er die Möglichkeit hat, von den Daten Kenntnis zu erlangen.22 Die gesetzliche Formulierung erfasst, über den Willen des Gesetzgebers hinaus,23 nach ih12 rem Wortlaut auch elektromagnetische Abstrahlungen, die sich auf bereits im Computersystem gespeicherte Daten bezieht. Die restriktivere Vorstellung des Gesetzgebers hat im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden, so dass § 202b auch auf elektromagnetische Abstrahlungen von gespeicherten, aber nicht im Übermittlungsvorgang befindlichen Daten anzuwenden ist.24 § 202b kann somit auch bei sog. „side-channel-Angriffen“ einschlägig sein, bei denen „Seiteneffekte“ einer IT-Anlage (wie z.B. deren elektromagnetische Abstrahlung) genutzt werden, um unbekannte Informationen zu rekonstruieren.25 Zu beachten ist stets die Subsidiaritätsklausel des § 202b, so dass bei gesicherten Daten § 202a, und nicht § 202b, eingreift. Da bei side-chan-
15 BTDrucks. 16/3656 S. 11; kritisch Kusnik MMR 2011 720, 721 ff: Entscheidend müsse sein, dass die Übermittlung objektiv erkennbar nicht an die Öffentlichkeit gerichtet ist, ohne dass es dabei auf eine Wahrnehmbarkeit durch Unberechtigte ankomme. 16 Fischer § 201 Rdn. 3. 17 AG Kamen SchAZtg 2008 229. 18 Wilke NZWiSt 2019 168, 170 f; Roos/Schumacher MMR 2014 377, 379. Zweifelnd für den unverschlüsselten emailVerkehr offenbar Graf Anhörung im BT-Rechtsausschuss, Anlage zum Protokoll der 54. Sitzung, S. 4 mit interessanten Alternativvorschlägen de lege ferenda. 19 Hilgendorf/Thal Wireless Local Area Networks, S. 43 ff. Aus der Rspr. AG Wuppertal NStZ 2008 161 (Strafbarkeit nach § 148 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 89 Satz 1 TKG und §§ 44, 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG [a.F.]). 20 AA LG Wuppertal MMR 2011 65, 66. 21 BTDrucks. 16/3656 S. 11. 22 Tag HK-GS Rdn. 2; Kusnik MMR 2011 720, 721. 23 BTDrucks. 16/3656, S. 11; vgl. auch Rdn. 11. 24 AA Fischer Rdn. 3. 25 Näher Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 380. Hilgendorf
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IV. Tathandlung
§ 202b
nel-Angriffen jedoch in aller Regel keine besonderen Sicherungen überwunden werden müssen, dürfte dem § 202b trotz der Subsidiaritätsklausel ein gewisser Anwendungsbereich verbleiben.
IV. Tathandlung Der Täter muss die Daten sich oder einer anderen Person unter Anwendung technischer Mittel verschaffen. Unter Verschaffen ist der Erwerb der Verfügungsmacht über die Daten zu verstehen, die bloße Möglichkeit des Zugriffs genügt nicht.26 Der Täter muss die Daten nicht abgespeichert oder aufgezeichnet haben, der Erwerb der Herrschaft über die Daten reicht aus.27 Ein SichVerschaffen liegt deshalb beispielsweise auch vor, wenn der Täter Kenntnis von einer E-Mail nimmt.28 Weiterhin verschafft sich der Täter die Daten, wenn er sie auf seinen Rechner umleitet,29 sich die Daten kopiert oder im Arbeitsspeicher seines Rechners zur Darstellung auf einem Monitor speichert.30 Erfasst wird außerdem das „Keylogging“, d.h. das Abspeichern der Tastenanschläge mittels einer „zwischen“ Tastatur und Computer angebrachten Speichereinheit (z.B. einem USB-Stick). Auf diese Weise können z.B. Nutzernamen und Passwörter ermittelt werden. Von einem „Verschaffen“ wird man allerdings erst sprechen können, wenn der Täter die Speichereinheit in seinen Besitz gebracht hat.31 Problematisch ist, ob unter dem Begriff des Sich-Verschaffens auch das sog. Hacking, also das Eindringen in eine fremde Datenverarbeitungsanlage oder ein fremdes Netz, zu verstehen ist.32 Diese Frage wurde in der Vergangenheit bereits unter Geltung des § 202a a.F. kontrovers diskutiert. Mit der Neufassung des § 202a wurde die Problematik dort hinfällig, da mit der Formulierung „sich Zugang verschaffen“ auch das Hacking erfasst werden sollte.33 Für den neuen § 202b besteht die Problematik jedoch fort. Da der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren auf die Problematik des Hackings bei § 202a eingegangen ist und dieses mit der Neuformulierung bewusst in den Tatbestand einbezogen hat34, spricht der Verzicht auf diese Formulierung bei § 202b dafür, dass das Sich-Zugang-Verschaffen allein nicht ausreicht, um den Tatbestand des § 202b zu erfüllen.35 Dasselbe Ergebnis legt auch der Wortlaut nahe, der von einer Daten-Verschaffung, nicht vom Verschaffen eines bloßen Zugangs zu ihnen, spricht. Die Tat muss weiterhin unter Anwendung technischer Mittel begangen worden sein. Der Gesetzgeber bezweckte damit eine Einschränkung des Tatbestandes zur Vermeidung einer Überkriminalisierung.36 Allerdings ist dieses Tatbestandsmerkmal ohne Funktion, da der Zugriff auf übermittelte Daten oder gar auf die elektromagnetische Abstrahlung einer Datenverarbeitungsanlage ohne Anwendung technischer Mittel gar nicht möglich ist.37 Technische Mittel sind nach Vorstellung des Gesetzgebers Vorrichtungen zur Erfassung und Aufzeichnung drahtloser Kommunikation, aber auch Software, Codes und Passwörter.38 Das Sich-Verschaffen derartiger Software-Sicherungen wird in den meisten Fällen bereits von § 202a
26 27 28 29
Fischer Rdn. 5; Tag HK-GS Rdn. 3. BTDrucks. 16/3656 S. 11. BTDrucks. 16/3656 S. 11. AG Kamen SchAZtg 2008 229: Umleitung von „Chat-Verkehr“ auf eigenen Computer; zustimmend Gercke ZUM 2009 526, 533 f. 30 Fischer Rdn. 5. 31 Näher zum „Keylogging“ Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 372. 32 Näher Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht § 3 Rdn. 369 ff. 33 BTDrucks. 16/3656 S. 9. 34 BTDrucks. 16/3656 S. 9. 35 Fischer Rdn. 5; Wilke NZWiSt 2019 168, 171. 36 BTDrucks. 16/3656 S. 11. 37 Hilgendorf Das neue Computerstrafrecht, S. 7. 38 BTDrucks. 16/3656 S. 11; Tag HK-GS Rdn. 3. 865
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Abfangen von Daten
erfasst;39 allerdings steht es dem Gesetzgeber frei, neben dem Sich-Verschaffen von SoftwareSicherungen zusätzlich auch noch ihre Verwendung zur Verschaffung (weiterer) Daten unter Strafe zu stellen. Schwerer dürfte wiegen, dass der Sprachgebrauch des Gesetzgebers den Begriff der „technischen Mittel“ stark ausdehnt und die Grenzziehung zwischen „technischen Mitteln“ und solchen Mitteln, die nicht mehr als „technisch“ anzusehen sind, nahezu unmöglich macht. Eine solche Regelung ist mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG zweifelhaft.40 Unter „technischen Mitteln“ i.S.d. § 202b sind alle Mittel zu verstehen, die es Menschen 17 ermöglichen, Daten aus einer Datenübermittlung oder der elektromagnetischen Abstrahlung einer Datenverarbeitungsanlage sinnlich zu erfahren (z.B. zu sehen oder zu tasten) und außerdem sämtliche Mittel, die ihnen den Zugriff auf eine Datenverarbeitungsanlage ermöglichen (Software, Login-Daten, Codes, Passwörter).
V. Subjektiver Tatbestand 18 Der Täter muss vorsätzlich handeln, bedingter Vorsatz genügt. Nimmt er irrig Tatsachen an, welche eine Befugnis begründen würden, so entfällt der Vorsatz.41
VI. Rechtswidrigkeit 19 Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen ist hier insbesondere das Merkmal „unbefugt“ zu prüfen. Es handelt sich nicht um ein Tatbestandsmerkmal, sondern um ein allgemeines Rechtswidrigkeitsmerkmal.
VII. Versuch 20 Der Versuch ist nicht unter Strafe gestellt. Zwar sieht Art. 11 Abs. 2 des Europarats-Übereinkommens eine Verpflichtung zur Versuchsstrafbarkeit vor, es besteht jedoch nach Abs. 3 die Möglichkeit eines Vorbehalts. Davon hat die Bundesrepublik wegen der geringen Schwelle zur Verwirklichung des Tatbestandes und der Subsidiarität zu § 202a, der ebenfalls keine Versuchsstrafbarkeit vorsieht, Gebrauch gemacht.42
VIII. Konkurrenzen 21 § 202b enthält eine Subsidiaritätsklausel. Die Vorschrift greift nur ein, wenn die Tat nicht durch andere Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Maßgeblich ist die abstrakte Strafandrohung der anderen Vorschrift. In Betracht kommen insbesondere die §§ 202a und 201. Mit der Subsidiaritätsklausel soll klargestellt werden, dass dem § 202b nur eine Ergänzungsfunktion zukommt.43 Auch hinter § 27 i.V.m. § 5 TTDSG tritt § 202b zurück.44
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Fischer Rdn. 6. Kudlich Anhörung im BT-Rechtsausschuss, Anlage zum Protokoll der 54. Sitzung, unter 2. Teil B II. Fischer Rdn. 8. BTDrucks. 16/3656 S. 11. BTDrucks. 16/3656 S. 11. Vassilaki CR 2008 132; aA Haas/Kast ZD 2015 72, 76.
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IX. Sonstiges
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IX. Sonstiges Verfolgungsvoraussetzung ist nach § 205 grundsätzlich ein Strafantrag. § 202b sieht als Rechts- 22 folge Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vor. Bei der Strafzumessung kann u.a. Art und Umfang der verschafften Daten, dem Tatzeitraum und der Anzahl der Beschädigten Bedeutung zukommen.45 Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, § 78 Abs. 3 Nr. 4.
45 Weidemann BeckOK Rdn. 16. 867
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§ 202c Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten (1) Wer eine Straftat nach § 202a oder § 202b vorbereitet, indem er 1. Passwörter oder sonstige Sicherungscodes, die den Zugang zu Daten (§ 202a Abs. 2) ermöglichen, oder 2. Computerprogramme, deren Zweck die Begehung einer solchen Tat ist, herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verkauft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) § 149 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend.
Schrifttum Hassemer Der sogenannte Hackerparagraph § 202c StGB – Strafrechtliche IT-Risiken in Unternehmen, JurPC 2010 Web-Dok. 51/2010; Hilgendorf Das Problem der Wertfreiheit in der Jurisprudenz, in Hilgendorf/Kuhlen (Hrsg.) Die Wertfreiheit in der Jurisprudenz (2002); Hilgendorf/Frank/Valerius Die deutsche Strafrechtsentwicklung 1975–2000. Reformen im Besonderen Teil und neue Herausforderungen, in Vormbaum/Welp (Hrsg.) Das Strafgesetzbuch. Sammlung der Änderungsgesetze und Neubekanntmachungen. Supplementband 1: 130 Jahre Strafgesetzgebung – Eine Bilanz, S. 258–380 (371); Popp § 202c StGB und der neue Typus des europäischen „Software-Delikts“, GA 2008 375; Seidl/Fuchs Die Strafbarkeit des Phishing nach Inkrafttreten des 41. Strafrechtsänderungsgesetzes, HRRS 2010 85; Stuckenberg Viel Lärm um nichts? – Keine Kriminalisierung der „IT-Sicherheit“ durch § 202c StGB, wistra 2010 41; ders. Informationstechnologie und Strafrecht, JuS 2011 385. Vgl. außerdem die Angaben zu § 202a.
Entstehungsgeschichte Mit der Vorschrift wurde Art. 6 Abs. 1 Buchstabe a des Übereinkommens des Europarates über Computerkriminalität vom 23.11.20011 umgesetzt. Darin werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, das Herstellen, Verkaufen, Beschaffen zwecks Gebrauchs, Einführen, Verbreiten oder anderweitige Verfügbarmachen eines Computerpassworts, eines Zugangscodes oder ähnlicher Daten, die den Zugang zu einem Computersystem als Ganzem oder zu einem Teil davon ermöglichen, mit dem Vorsatz, sie zur Begehung bestimmter Computerstraftaten zu verwenden, unter Strafe zu stellen. Diesen Vorgaben entspricht § 202c Abs. 1 Nr. 1. Weiterhin enthält das Europarats-Übereinkommen die Vorgabe, das Herstellen, Verkaufen, Beschaffen zwecks Gebrauchs, Einführen, Verbreiten oder anderweitige Verfügbarmachen einer Vorrichtung einschließlich eines Computerprogramms, die in erster Linie dafür ausgelegt oder hergerichtet worden ist, bestimmte Computerstraftaten zu begehen, unter Strafe zu stellen. Dieser Vorgabe entspricht weitgehend § 202c Abs. 1 Nr. 2, wobei hinsichtlich der „Vorrichtung“ von der Möglichkeit eines Vorbehaltes nach Art. 6 Abs. 3 des Europarats-Übereinkommens Gebrauch gemacht wurde. § 202c wurde neu eingeführt durch Art. 1 Nr. 3 des 41. StRÄndG vom 7.8.2007.2 Die Vorschrift ist zum 11.8.2007 in Kraft getreten und wurde mit Wirkung vom 26.11.2015 (BGBl. I S. 1786) dahin gehend geändert, dass die Strafandrohung im Höchstmaß von einem Jahr auf zwei Jahre Freiheitsstrafe hinaufgesetzt wurde.
Gesetzesmaterialien Gesetzentwurf der Bundesregierung BTDrucks. 16/3656; Protokoll Nr. 54 des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 16. Wahlperiode; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 16/5449 (41. StRÄndG).
Übersicht I.
Bedeutung der Vorschrift
II.
Objektiver Tatbestand
1
1. 2.
Tatobjekte bei § 202c Abs. 1 Nr. 1 Tatobjekte bei § 202c Abs. 1 Nr. 2
7 11
1 Zum Umsetzungsbedarf Gercke MMR 2004 728, 731 f. Vgl. im Übrigen die Angaben bei § 202b Fn. 1. 2 BGBl. I S. 1786. Hilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-053
868
I. Bedeutung der Vorschrift
3.
Tathandlung
23
III.
Subjektiver Tatbestand
IV.
Rechtswidrigkeit
V.
Tätige Reue
VI. 27
31
33
Konkurrenzen
34
VII. Strafverfolgung VIII. Sonstiges
§ 202c
35
32
Alphabetische Übersicht Abstraktes Gefährdungsdelikt 28, 29, 34 Ausspähen von Daten 7 Bestimmtheitsgrundsatz 4 Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) 14 Chaos Computer Club (CCC) 4, 31 Computerprogramme 11, 16 f, 22, 33 Computersabotage 3 Convention on Cybercrime 14 Datenveränderung 3 Dual Use-Programme 13 f, 21 Einwilligung 31 Entschlüsselungssoftware 7 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 4 Hacker-Tools 1, 11, 14 Herstellen 23 Individualrechtsschutz 2 Keylogger 11 Konkurrenzen 33 Man-in-the-middle 10 Netzwerkadministrator 18 Passwörter 7, 11 Passwortsicherung 8 Phishing 10 Portscanner 13 f Programm, Programme 13 ff, 22 Rechtsgüter – geschütze 2 Rechtswidrigkeit 31 Schadprogramme 21 Schutz eines überindividuellen Interesses 2 Sicherheitscodes 7 Sicherheitslücken 14, 19
Strafrahmen 3 Strafverfolgung 34 Subjektiver Tatbestand 27 Systemadministratoren 9 Systembetreuer 14 Systemmanager 31 Tätige Reue 32 Tathandlung 23 Tatobjekte 7 Testsoftware 4, 14 Tools 12, 18 Trojaner 11 Überlassen 23 Verbreiten 23 Verfassungsmäßigkeit/Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 4 Verfügungsgewalt über Daten 2 Verkaufen 25 Verschaffen 23 ff Versuchs- und Beihilfehandlungen 5 f Verschlüsselungssoftware 7 Vertriebskonzept 20 Viren 11 Vorbereitung 26, 28 Vorbereitungshandlungen 1 ff, 6, 8, 17 – Vorverlagerung 3 – zur Datenveränderung/Computersabotage 3 Zugänglichmachen 23 Zugangscode 7 Zugangsdaten 10 Zugangssicherung 8 Zweck(e), Zweckbestimmung 1, 4, 11 ff, 16 ff
I. Bedeutung der Vorschrift Ziel der Vorschrift ist es, bestimmte besonders gefährliche Vorbereitungshandlungen im Be- 1 reich des Computer- und Internetstrafrechts unter Strafe zu stellen. Zwar werden im Fall der tatsächlichen Begehung einer Straftat die Vorbereitungshandlungen bereits als Beihilfehandlungen nach § 27 erfasst, jedoch blieben diese Handlungen bisher straflos, wenn es nicht zur Begehung einer Haupttat gekommen ist (Grundsatz der limitierten Akzessorietät). Dies wird nach Ansicht des Gesetzgebers der hohen Gefährlichkeit dieser Handlungen nicht gerecht. Insbeson869
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Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten
dere sog. Hacker-Tools, die nach der Art und Weise ihres Aufbaus darauf angelegt sind, illegalen Zwecken zu dienen, sollen mit dieser Vorschrift erfasst werden. Da sie aus dem Internet oft weitgehend anonym geladen und leicht verbreitet werden können, gehe eine erhebliche Gefahr von ihnen aus.3 Allerdings ist die Fassung des § 202c zu weit geraten, da die in der Vorschrift genannten Tathandlungen ihrem Wortlaut nach auch sozial gebilligtes und sogar erwünschtes Verhalten erfassen.4 Geschützt werden die Rechtsgüter, die durch die Vorbereitungshandlungen gefährdet werden, also die Verfügungsgewalt über Daten (§§ 202a, 202b, 303a) bzw. das Vermögen (§ 303b). § 202c dient damit dem Individualrechtsschutz,5 und nicht dem Schutz eines überindividuellen Interesses, etwa des Interesses der Allgemeinheit am Funktionieren der elektronischen Datenverarbeitung. Dieses Interesse wird allenfalls mittelbar (mit-)geschützt. Wie bei § 263a Abs. 3 wird die Strafbarkeit auf Vorbereitungshandlungen vorverlagert.6 Diese Vorverlagerung ist nicht unumstritten. Sie wird begründet mit der hohen Gefährlichkeit der einschlägigen Handlungen. Dieser Begründung steht jedoch der relativ geringe Strafrahmen von einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren tendenziell entgegen.7 Nach dem Willen des Gesetzgebers handelt es sich bei § 202c um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.8 Gem. § 303a Abs. 3, 303b Abs. 5 gilt § 202c auch für entsprechende Vorbereitungshandlungen zur Datenveränderung bzw. zur Computersabotage. Rechtsstaatlich problematisch ist die Kombination einer Strafbarkeitsvorverlagerung in den subjektiven Bereich mit einer erheblichen Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale, insbesondere bei der „Zweckbestimmung“ i.S. der Nr. 2 (dazu näher unten Rdn. 11 ff). Durch § 202c werden nicht nur Aktivitäten von Vereinen wie dem Hamburger „Chaos Computer Club“ oder das Verbreiten von Computer-Testsoftware (z.B. über Computerzeitschriften beigelegte Datenträger) ohne hinreichende Begründung in einen strafrechtlichen Graubereich gezogen, sondern auch Teile der IT-Sicherheitsindustrie einem Strafbarkeitsrisiko ausgesetzt. Den Strafverfolgungsbehörden wird ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt. Bedenkt man, dass schon die Aufnahme eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens eine IT-Firma schwer schädigen kann, so erscheint fraglich, ob bei der Formulierung des § 202c der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde. Darüber hinaus sind die Unsicherheiten bei der Interpretation und Anwendung des § 202c so groß, dass auch im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Strafnorm geäußert wurden. Das BVerfG hat in einem Beschluss vom 18.5.20099 mehrere Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, weil es eine unmittelbare Beschwer der Beschwerdeführer verneinte. Das Gericht legte dabei § 202c Abs. 1 Nr. 2 unter Einschränkung des möglichen Wortsinns sehr restriktiv aus. Gegenüber dieser rechtspolitisch sinnvollen, nach dem Gesetzeswortlaut aber keineswegs zwingenden Interpretation der Norm erscheint eine Präzisierung der Tatbestandsmerkmale des § 202c durch den Gesetzgeber weiterhin vorzugswürdig.10 Letztendlich dürfte der Tatbestand vor allem der Beweiserleichterung dienen: Bisher wurden die von § 202c sanktionierten Verhaltensweisen nur als Versuchs- oder Beihilfehandlungen bestraft. Aus technischen Gründen war es jedoch oft schwierig, eine Verbindung zwischen einer
3 4 5 6 7 8 9
BTDrucks. 16/3656 S. 12. Hilgendorf Das neue Computerstrafrecht S. 7 ff. OLG Köln JMBl NW 2008 238. Grundlegend zur Vorverlagerung Weber ZStW-Beiheft 1987 1. Schultz DuD 2006 778, 782; Gröseling/Höfinger MMR 2007 626, 628. BTDrucks. 16/3656 S. 12; vgl. aber auch Borges/Stuckeberg/Wegener DuD 2007 275, 276. BVerfG 2 BvR 2233/07; 2 BvR 1151/08; 2 BvR 1151/08; 2 BvR 1524/08, abgedr. in Kommunikation und Recht 2009 632. 10 Holzner ZRP 2009 177. Hilgendorf
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II. Objektiver Tatbestand
§ 202c
Tat nach § 202a und einem jeweiligen Programm nachzuweisen.11 Nach jetziger Gesetzeslage sind die einschlägigen Verhaltensweisen separat erfassbar. Ein Wertungswiderspruch zu den §§ 202a, 202b kann darin gesehen werden, dass der Ge- 6 setzgeber bei diesen Vorschriften die Strafbarkeit des Versuchs nicht vorsieht, mit der Begründung, die Schwelle zur Verwirklichung des Tatbestandes sei ohnehin gering,12 andererseits aber mit § 202c abstrakt gefährliche Handlungen im Vorfeld dieser Tatbestände unter Strafe stellt.13 Abstrakt gefährliche (Vorfeld-)Aktivitäten werden also sanktioniert, konkret gefährliche (Versuchs-)Handlungen dagegen nicht.14
II. Objektiver Tatbestand 1. Tatobjekte bei § 202c Abs. 1 Nr. 1 Tatobjekte nach § 202c Abs. 1 Nr. 1 sind Passwörter oder sonstige Sicherungscodes, die ein Aus- 7 spähen (§ 202a) oder Abfangen (§ 202b) von Daten (i.S.v. § 202a Abs. 2) ermöglichen. Ein Passwort ist jede Kombination von Zeichen, die über eine Sicherungsabfrage den Zugang zu Daten eröffnet. Als „Zeichen“ kommen dabei Buchstaben, Zahlen und beliebige andere Darstellungen in Frage, solange sie nur von dem die Sicherungsabfrage tätigenden Computer verarbeitet werden können. Der Begriff „Sicherungscode“ wird vom Gesetzgeber als Überbegriff für Zugangscodes, Passwörter und andere, der Sicherung dienende Daten wie Verschlüsselungs- oder Entschlüsselungssoftware verwendet. Die Sicherungscodes müssen nicht selbst in Datenform (§ 202a Abs. 2) vorliegen.15 Des Weiteren bedeutet die Verwendung des Plurals nicht, dass sich die Tat auf mehrere Passwörter oder Zugangscodes beziehen muss;16 vielmehr wollte der Gesetzgeber eine sprachliche Angleichung an andere Vorbereitungshandlungen (vgl. § 149 Abs. 1, § 263a Abs. 3, § 275 Abs. 1) erreichen.17 § 202c Abs. 1 Nr. 1 umschreibt keinen klaren Unrechtstypus. Erfasst wird beispielsweise 8 auch folgende, bereits in der Stellungnahme des Bundesrates vom 3.11.2006 angesprochene Fallkonstellation: Der besonders vergessliche und auch etwas nachlässige „Täter“ (Angehöriger einer Behörde oder eines Unternehmens) vermerkt sein Passwort im Nahbereich seines Computers. Er rechnet damit und nimmt in Kauf, dass etwa eine Reinigungskraft das Passwort findet und sich damit einloggt (was sie dann nicht tut).18 In diesem Fall ist der Tatbestand des § 202c erfüllt, denn der Täter hat sein Passwort einem anderen zugänglich gemacht und handelt dabei mit bedingtem Vorsatz. Die Argumentation der Bundesregierung, es fehle in derartigen Fällen an einer Computerstraftat im Sinne des § 202a StGB, weil es nicht zur Überwindung einer besonderen Zugangssicherung gekommen sei,19 überzeugt nicht. Nach dem Wortlaut des § 202c muss die Tat nach § 202a nicht ausgeführt, sondern nur vorbereitet werden. Durch die leichtfertige Platzierung des Passwortes wird der Reinigungskraft durch den Täter die Möglichkeit gegeben, die Passwortsicherung des Computers zu überwinden und so den Tatbestand des § 202a zu erfüllen, damit also die Tat „vorbereitet“.20
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Schultz DuD 2006 778, 782; Vassilaki CR 2008 131, 135. BTDrucks. 16/3656 S. 10, 11. Gröseling/Höfinger MMR 2007 626, 628. Borges/Stuckenberg/Wegener DuD 2007 275; SSW/Bosch Rdn. 1 spricht von einem „Geheimnis des Gesetzgebers“. Vgl. auch die Erläuterungen zu § 202a Rdn. 42. 15 SSW/Bosch Rdn. 2; Fischer Rdn. 3. 16 BTDrucks. 16/3656 S. 12; vgl. auch BGHSt 46 146, 150. 17 Weidemann BeckOK Rdn. 5. 18 BTDrucks. 16/3656 S. 16. 19 BTDrucks. 16/3656 S. 18. 20 Hilgendorf Das neue Computerstrafrecht S. 8. 871
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§ 202c
Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten
Daneben sind zahlreiche weitere Fallkonstellationen denkbar, in denen § 202c Abs. 1 Nr. 1 seinem Wortlaut nach anzuwenden wäre, die aber nicht strafwürdig erscheinen. So kann selbst die Tätigkeit von Systemadministratoren, welche den Zugang zu bestimmten Daten sichern, unter den Tatbestand fallen. Ein Systemadministrator, der Passwörter vergibt oder Sicherungscodes festlegt, kann sich nach dem Wortlaut der Norm nach § 202c strafbar machen, wenn er damit rechnet, dass diese Passwörter bzw. Sicherungscodes zu einem Hackerangriff verwendet werden. Damit wird die Arbeit von Systemadministratoren unnötig in einen strafrechtlichen Graubereich gezogen. Durch § 202c Abs. 1 Nr. 1 wird auch das sog. Phishing (Zusammensetzung aus „Password“ 10 und „Fishing“) erfasst.21 Der „Phisher“ erlangt fremde Konto- oder sonstige Zugangsdaten eines Internet-Benutzers, indem er z.B. Internetseiten von Banken fälscht und so den Nutzer dazu bringt, seine Zugangsdaten zu offenbaren. Da der Begriff des „Phishing“ allerdings in teilweise unterschiedlicher Bedeutung verwendet und überdies fortwährend um neue Fallgestaltungen erweitert wird, weist das „Phishing“, ähnlich wie früher der „man-in-the-middle“-Angriff, nur bei einer sehr abstrakten Betrachtungsweise gleichförmige Züge auf; die Einzelfälle unterscheiden sich teilweise erheblich. Deshalb sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 202c Abs. 1 Nr. 1 („sich oder einem anderen Verschaffen“) in jedem Einzelfall genau zu prüfen. 9
2. Tatobjekte bei § 202c Abs. 1 Nr. 2 11 Tatgegenstand des § 202c Abs. 1 Nr. 2 sind Computerprogramme, deren Zweck die Begehung einer Tat nach § 202a oder § 202b ist. Mit dieser Variante sollen typische Hacker-Tools erfasst werden, die darauf angelegt sind, illegalen Zwecken zu dienen.22 In Frage kommen etwa Programme zum Dechiffrieren von Passwörtern, Keylogger23, investigative Viren und Trojaner sowie Hilfsprogramme zur Erstellung von Phishing-Mails, nicht dagegen allgemein einsetzbare Programme wie die Suchmaschine google, obgleich auch google z.B. zum Auffinden von Passwörtern eingesetzt werden könnte.24 Eine Überkriminalisierung soll über das Merkmal der Zweckbestimmung vermieden werden.25 Diese Einschränkung entspricht der des § 263a Abs. 3, die allerdings zu Recht als wenig tauglich kritisiert wurde.26 12 Nach Auffassung des Gesetzgebers ist auf die „objektivierte Zweckbestimmung“ des Programms abzustellen.27 Dabei müsse das Programm nicht ausschließlich für die Begehung einer Computerstraftat bestimmt sein, es reiche aus, wenn das Programm auch (objektiv) dem Zweck diene, eine Straftat nach § 202a oder § 202b vorzubereiten.28 Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen jedenfalls allgemein einzusetzende Programmier-Tools und Anwendungsprogramme nicht dem § 202c unterfallen.29 Die Gesetzesbegründung ist allerdings nicht eindeutig.30
21 Borges/Stuckenberg/Wegener DuD 2007 275, 277 f; Gössmann/Bredekamp FS Nobbe (2009) 93; Schumann NStZ 2007 675, 678; Schultz DuD 2006 778, 781; differenzierend Gröseling/Höfinger MMR 2007 626, 628. Zur Rechtslage vor Erlass des 41. StÄG vgl. Hilgendorf/Frank/Valerius Computer- und Internetstrafrecht1 (2005), Rdn. 760 ff; ausführlich Graf NStZ 2007 129; Stuckenberg ZStW 2006 878. 22 BTDrucks. 16/3656 S. 12. 23 Ein Keylogger („Tasten-Rekorder“) dient dazu, heimlich Eingaben eines Computernutzers mitzuprotokollieren, siehe auch § 202b Rdn. 13. 24 Cornelius CR 2007 682. 25 BTDrucks. 16/3656 S. 12. 26 Duttge FS Weber 285, 301. 27 BTDrucks. 16/3656 S. 12. 28 BTDrucks. 16/3656 S. 12. 29 BTDrucks. 16/3656 S. 12; Fischer Rdn. 5. 30 Vassilaki CR 2008 131, 135. Hilgendorf
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II. Objektiver Tatbestand
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Sehr problematisch sind die sog. Dual Use – Programme, d.h. neutrale Programme, die 13 sowohl zu rechtswidrigen als auch zu rechtmäßigen Zwecken eingesetzt werden können.31 Ein Beispiel sind sog. Portscanner, mit denen Sicherheitslücken in IT-Systemen aufgespürt werden können. Viele der damit zusammenhängenden Fragen sind bereits aus dem Kontext des § 263a Abs. 332 und des § 22b Abs. 1 Nr. 3 StVG33 bekannt; ähnliche Probleme stellen sich auch im Kontext der §§ 95a, 108b UrhG. Im Strafrecht wird insbesondere die Anwendbarkeit des § 263a Abs. 3 auf „Programme mit hohem Missbrauchspotential“ kontrovers diskutiert.34 Allerdings ist die Problematik bei § 202c noch bedeutsamer, da von dieser Regelung wesent- 14 lich mehr Programme als bei § 263a Abs. 3 betroffen sind.35 So sind viele Systembetreuer und IT-Sicherheitsmanager bei ihrer täglichen Arbeit auf Test- und Programmiersoftware angewiesen, die dual-use-Charakter besitzt. Der Einsatz eines Portscanners zur Überprüfung von Sicherheitslücken ist eine Tätigkeit, die von Sicherheitsverantwortlichen grundsätzlich in exakt derselben Weise durchgeführt wird wie von einem Kriminellen; der Unterschied zwischen ihren Tätigkeiten liegt nicht im äußeren Ablauf, sondern in der handlungstragenden Intention.36 Selbst Programme, die keinen dual-use-Charakter besitzen, sondern eindeutig als Hackerwerkzeuge zu qualifizieren sind, werden in der Sicherheitsindustrie verwendet, denn Sicherheitsüberprüfungen werden sinnvollerweise oft unter Einsatz genau der Werkzeuge durchgeführt, die auch von den Kriminellen zum Einsatz gebracht werden. Dasselbe gilt für die Tätigkeit offizieller Stellen wie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das u.a. in erheblichem Umfang Computerprogramme zum Test von IT-Architekturen bereitstellt.37 In den europäischen Vorgaben des Gesetzes, der Convention on Cybercrime, war deshalb ausdrücklich festgelegt worden, dass Handlungen zum Testen und Schutz von IT-Systemen straflos bleiben sollten.38 Die Möglichkeit einer Abgrenzung anhand objektiver Kriterien, wie sie sich offenbar der 15 Gesetzgeber vorgestellt hat,39 ist umstritten. Streng genommen kann es einen „objektiven Zweck“40 eines Programms nicht geben,41 denn Zwecke werden von Menschen gesetzt und sind insofern stets subjektiv.42 Zwecke sind keine Eigenschaften, die mit einem Programm dauerhaft verbunden sind; erst recht sind sie ohne Bezugnahme auf zwecksetzende menschliche Subjekte nicht objektiv feststellbar. Da der Gesetzgeber dies nicht hinreichend beachtet hat, hat er Anlass für die Entwicklung einer Fülle von kaum miteinander zu vereinbarenden Interpretationsvarianten gegeben.
31 Graf MK Rdn. 14; angesichts der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2009 halten Haas/Kast ZD 2015 72, 76 eine Anwendung der Vorschrift auf dual use-Programme hingegen für eindeutig ausgeschlossen; jedenfalls i.E. für einen Tatbestandsausschluss auch etwa Fischer Rdn. 5; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4. 32 Sch/Schröder/Cramer/Perron27 § 263a Rdn. 33. 33 Dazu auch BVerfG NJW 2006 2318 f (enge Auslegung). 34 Fischer § 263a Rdn. 32; die Gesetzesmaterialien zu § 263a Abs. 3 (BTDrucks. 15/1720 S. 10 f) sind unergiebig. 35 Schultz DuD 2006 778, 782. 36 Anderes Beispiel (Programm zum Generieren von Passwörtern) bei Borges/Stuckenberg/Wegener DuD 2007 275, 277. 37 www.bsi.de. 38 „This article shall not be interpreted as imposing criminal liability where the production, sale, procurement for use, import, distribution or otherwise making available or possession referred to in paragraph 1 of this article is not for the purpose of committing an offence established in accordance with Articles 2 through 5 of this Convention, such as for the authorised testing or protection of a computer system.“ (Art. 6 Abs. 2 der Cybercrime-Konvention). 39 BTDrucks. 16/3656 S. 12 spricht von der „objektiven“ bzw. „objektivierten“ Zweckbestimmung eines Programms. 40 Zum verwandten Topos des „objektiven Willens“ in der juristischen Methodenlehre kritisch Hilgendorf/Kuhlen/ Hilgendorf Das Problem der Wertfreiheit in der Jurisprudenz S. 1, 23. 41 AA SSW/Bosch Rdn. 3, 6. 42 Cornelius CR 2007 682; Hilgendorf Das neue Computerstrafrecht S. 9; eingehend Popp GA 2008 375, 378 ff. 873
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Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten
Ein erster Vorschlag zielt darauf ab, ein Programm nach § 202c Abs. 1 Nr. 2 nur dann anzunehmen, wenn „sein wesentlicher, primärer Zweck die deliktische Verwendung ist“.43 Dieser Ansatz versagt bei Programmen, deren Zweck vom Hersteller bewusst offen gelassen wurde und die sich sowohl für rechtmäßige wie für rechtswidrige Zwecke verwenden lassen. Die Formel vom „wesentlichen“ oder „primären“ Zweck umschreibt das Abgrenzungsproblem mehr als dass sie es löst und führt in kritischen Fällen zu keinem Erkenntnisgewinn.44 Nach einem zweiten Ansatz, der sich ebenfalls auf die objektive Tatseite bezieht, soll es darauf ankommen, ob mit dem fraglichen Computerprogramm eine „objektive Möglichkeit“ besteht, eine Vorbereitungshandlung i.S.v. § 202c zu begehen. Es geht also nicht um den konkreten Zweck eines Programms, sondern um seinen „möglichen Zweck“.45 Dieser Vorschlag führt zu einem sehr weiten Anwendungsbereich des objektiven Tatbestandes von § 202c. Im Ergebnis wird die Zweckbestimmung bei § 202c Abs. 1 Nr. 2 als „objektive Eignung“ interpretiert, was gerade mit Blick auf die Formulierungen z.B. in § 149 Abs. 1 Nr. 1 einerseits, § 202c Abs. 1 Nr. 2 andererseits mit dem Wortlaut des § 202c de lege lata nicht vereinbar sein dürfte.46 Andere Autoren verweisen deshalb auf subjektive Gesichtspunkte;47 teilweise wird die Entscheidung ganz in den subjektiven Tatbestand verlegt: „Der objektive Tatbestand ist auch bei einem Netzwerkadministrator, der sich eines derartigen Tools bedient, erfüllt. Das strafrechtliche Korrektiv liegt ausschließlich auf subjektiver Seite, also bei der Vorsatzprüfung“.48 Ob ein zur Verwirklichung der §§ 202a oder 202b geeignetes Programm tatsächlich den „Zweck der Begehung einer solchen Tat“ besitzt, wie es § 202c Abs. 1 Nr. 2 vorschreibt, würde danach vom Willen des Täters abhängen. Eine weitere Gruppe von Ansichten strebt an, objektive und subjektive Gesichtspunkte zu verknüpfen. So wurde vorgeschlagen, die Abgrenzung anhand „subjektiv-objektiver“ Kriterien vorzunehmen. Maßgeblich soll sein, welche Verwendungsmöglichkeit offensichtlich überwiegt; im Zweifelsfall müsse die Gesinnung des Urhebers entscheiden.49 Programme, deren mögliche strafbare Zweckentfremdung nur ein ungewollter Nebeneffekt ist, sollen aus dem Anwendungsbereich des § 202c Abs. 1 Nr. 2 ausscheiden. Das Bild von der „überwiegenden“ Verwendungsmöglichkeit erlaubt aber jedenfalls dann keine eindeutige Lösung, wenn ein Programm zu rechtmäßigen und rechtswidrigen Zwecken gleichermaßen eingesetzt werden kann. Ein Beispiel ist ein Programm zur Ermittlung von Sicherheitslücken in einer IT-Architektur – ob die Überprüfung der IT-Sicherheit legalen oder illegalen Zwecken dient, hängt letztlich allein vom Verwender ab. Der Rekurs nur auf dessen Willen ist aber schon deshalb problematisch, weil dadurch Schutzbehauptungen Tür und Tor geöffnet würde. Ein anderer Vorschlag zielt darauf ab, bei der Ermittlung des (subjektiven) Zwecks eines Programms objektive Kriterien heranzuziehen.50 Es geht also sozusagen um die Suche nach „verobjektivierten“ Zwecken.51 In einem ersten Schritt müsse festgestellt werden, ob die Software für illegale Zwecke geeignet ist. Anschließend müsse geprüft werden, ob sich aus objektivierbaren Kriterien ergibt, dass sie hauptsächlich zu illegalen Zwecken verwendet werden soll. Kriterien sollen z.B. das Vertriebskonzept des Herstellers und insbesondere die Bewerbung des Produkts sein; dagegen soll die Gewinnerzielungsabsicht des Herstellers für sich allein keine Bedeutung besitzen.52 Dieser in sich schlüssige Ansatz führt die Zwecksetzung entscheidend auf
43 44 45 46 47 48 49 50 51 52
Schumann NStZ 2007 675, 678. I.E. so auch Graf MK Rdn. 14. Böhlke/Yilmaz CR 2008 261, 263. So auch BVerfG (Fn. 10), Kommunikation und Recht 2009 632, 634. Fischer Rdn. 6; kritisch SSW/Bosch Rdn. 6. Marberth-Kubicki ITRB 2008 17, 18. Schultz DuD 2006 778, 782. Cornelius CR 2007 682, 685. Auch dieser Interpretationsansatz kann sich auf die Gesetzesmaterialien stützen, vgl. BTDrucks. 16/3656 S. 12. Cornelius CR 2007 682, 687.
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II. Objektiver Tatbestand
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den Willen des Herstellers bzw. Urhebers des Programms zurück. Im gleichen Sinne erklärt das BVerfG, Tatobjekt des § 202c Abs. 1 Nr. 2 könne nur ein Programm sein, das „mit der Absicht entwickelt oder modifiziert … [wurde], es zur Begehung der genannten Straftaten [§§ 202a oder 202b, E.H.] einzusetzen“.53 Damit stellt sich allerdings die Frage, wie zu entscheiden ist, wenn sich jemand mit krimineller Intention objektiv zur Straftatbegehung geeignete, vom Hersteller aber dafür nicht bestimmte Programme verschafft. Nach dem eben skizzierten Ansatz würden derartige Fälle aus dem Anwendungsbereich des § 202c Abs. 1 Nr. 2 herausfallen, was kaum überzeugt. Hinzu kommt das Problem, den Herstellungszweck (eine sog. „innere“ oder „psychische“ Tatsache) genau festzustellen. Schließlich werden die meisten einschlägigen Programme wohl ohne eine derartige kriminelle Absicht entwickelt; mit Blick auf eine kriminelle Verwendung dürften die Vorsatzformen Wissentlichkeit und vor allem dolus eventualis weitaus häufiger anzutreffen sein. Diese Probleme und offenen Fragen zeigen, dass der Beschluss des BVerfG vom 18.5.2009 die Auseinandersetzungen um § 202c nicht gänzlich beenden konnte.54 Verwandt damit, aber über die Herstellerperspektive hinausgehend ist der Vorschlag, auf 21 das Verständnis einer „objektiven Maßfigur“ abzustellen und danach den („verobjektivierten“) Zweck eines Programms zu bestimmen.55 Ein Programm habe die Begehung eines bestimmten Computerdelikts „dann objektiv zum Zweck, wenn es unabhängig von den Intentionen des Täters nach sachverständigem Urteil zu deliktischer Verwendung wie geschaffen erscheint.“56 Dies sei nur bei typischen Schadprogrammen eindeutig zu bejahen. Der Rekurs auf das sachverständige Urteil, ein Programm sei zur Straftatbegehung „wie geschaffen“, überzeugt jedoch bei neutralen dual-use-Programmen nicht. Ein Programm, das sämtliche Schwachstellen einer IT-Sicherheitsarchitektur aufzeigt, ist zur Begehung einschlägiger Straftaten „wie geschaffen“ – aber eben auch dazu, diese Schwachstellen aufzuspüren und beseitigen zu helfen. Um auf der Grundlage des gegebenen Gesetzeswortlauts dem (allerdings wohl nicht sehr 22 reflektierten) Willen des Gesetzgebers bei der Interpretation des § 202c Abs. 1 Nr. 2 so nahe wie möglich zu kommen, bietet sich an, ein Computerprogramm i.S.v. Nr. 2 nur dann anzunehmen, wenn das Programm (1) zur Begehung von Straftaten nach §§ 202a, 202b, 303a oder 303b geeignet ist, (2) der Täter (d.h. die Person, die das Programm herstellt oder sich bzw. einem anderen verschafft usw.) bei Ausführung der Tathandlung mit der Zwecksetzung handelt, eine solche Tat vorzubereiten, und (3) diese Zwecksetzung sich objektiv manifestiert hat und daher anhand objektiver Kriterien nachgewiesen werden kann. Für das Kriterium (2) ist dolus directus ersten oder zweiten Grades zu fordern, dolus eventualis reicht nicht aus. Kriterium (3) entspricht dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers, der von „verobjektivierten Zwecken“ spricht.
3. Tathandlung Tathandlung ist das Herstellen, Verschaffen, Verkaufen, Überlassen, Verbreiten oder sonst 23 Zugänglichmachen einer der genannten Tatgegenstände. „Herstellen“ meint jede Form des Erzeugens, „Verschaffen“ bedeutet, für sich oder einen anderen die tatsächliche Verfügungsmacht über einen der genannten Tatgegenstände zu erlangen. Unter „Verkaufen“ ist die Übertragung der Verfügungsmacht im Wege des Kaufs (dazu näher sogleich unter Rdn. 25) zu verstehen, „Überlassen“ meint Aufgabe der Verfügungsmacht zu Gunsten eines anderen. „Verbreiten“ ist die Weitergabe eines Tatgegenstands an einen anderen mit dem Ziel, ihn da53 BVerfG (Fn. 10) Kommunikation und Recht 2009 632, 633. 54 I.E. so auch Fischer Rdn. 6; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 4; Weidemann BeckOK Rdn. 7.2. Allerdings haben sich sozusagen die Fronten verkehrt: waren es ursprünglich Netzaktivisten und Datenschützer, die gegen den zu weiten Wortlaut des § 202c protestierten, dürften es in Zukunft die Strafverfolgungsbehörden sein, die unter Berufung auf den Wortlaut der Norm die sehr restriktive Interpretation des BVerfG auszuweiten versuchen. 55 Popp GA 2008 375. 56 Popp GA 2008 375, 389. 875
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Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten
durch einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen. Von einem „Zugänglichmachen“ kann schließlich dann gesprochen werden, wenn einem anderen die Möglichkeit eines Zugriffs auf den Tatgegenstand eröffnet wird. Die Tathandlungen des § 202c werden im Regelfall in einem Datennetz (z.B. dem Internet oder dem Intranet einer Firma) verwirklicht werden, doch kommt u.U. auch ein Verschaffen usw. in anderer Form, z.B. auf Papier oder mündlich, in Frage. Die Tathandlungen des § 202c setzen also (anders als bei § 202b) nicht den Einsatz technischer Mittel voraus.57 Nicht erfasst sind der bloße Besitz oder das Verwahren für andere (vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. b ccc, Art. 6 Abs. 3 ccc). 24 Die aus dem Übereinkommen des Europarats übernommene Aufzählung von Tathandlungen wird zu Recht kritisiert, weil sie mit Ausnahme des Verkaufens keine Tatvariante mit selbstständiger Bedeutung enthält.58 Vielmehr lassen sich alle Handlungsalternativen unter dem Überbegriff des selbst- oder fremdnützigen „Verschaffens von tatsächlicher Verfügungsmacht“ zusammenfassen. Die missliche, die Regeln der Gesetzgebungskunst missachtende Formulierung des § 202c dürfte auf eine zu unkritische, pauschale Übernahme der europäischen Formulierungsvorgaben zurückzuführen sein, wobei zu bedenken ist, dass der europäische Normgeber teilweise wohl bewusst pleonastische Formulierungen gewählt hat, um übersetzungssicher zu sein.59 25 Die Variante des „Verkaufens“ ist besonders problematisch, da sie nur dann neben dem „Verschaffen“ eine Bedeutung hätte, wenn bereits die Eingehung des Verpflichtungsgeschäfts tatbestandsmäßig sein soll.60 Das im Zivilrecht geltende Abstraktionsprinzip spricht für diese Interpretation, allerdings ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung, insbesondere mit Blick auf das Erfordernis einer zumindest generellen Gefahrsteigerung durch die Tathandlung, dass der Abschluss eines Verpflichtungsgeschäftes nicht ausreichen kann.61 Das „Verkaufen“ ist deshalb wie bei § 259 Abs. 1 („Ankaufen“) als Unterfall des „Verschaffens“ anzusehen. 26 Durch die Tathandlung muss der Täter eine Straftat nach §§ 202a oder 202b (bzw. §§ 303a, 303b, s.o. Rdn. 3) vorbereiten. „Vorbereitung“ bedeutet jede unmittelbare oder mittelbare Förderung der Tat.62 Da diese Voraussetzung mit den Tathandlungen von § 202c Abs. 1 Nr. 1 oder 2 bereits aus begrifflichen Gründen erfüllt ist, kommt dem „Vorbereiten“, obwohl es sich systematisch um ein Element des objektiven Tatbestands handelt, keine eigenständige Bedeutung zu.
III. Subjektiver Tatbestand 27 Der subjektive Tatbestand setzt Vorsatz voraus, d.h. der Täter muss zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben. Der Vorsatz muss sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes beziehen. 28 Unter anderem muss sich der Vorsatz nach dem Gesetzeswortlaut auf die Vorbereitung einer Tat nach § 202a oder § 202b erstrecken. Dabei genügt nach den allgemeinen Regeln dolus eventualis. Der Gesetzgeber geht insoweit ohne hinreichenden Grund über die europäischen Vorgaben der Norm hinaus.63 Fraglich ist, wie konkret der Bezug auf die §§ 202a bzw. 202b sein muss. Wenn der Tatbestand als Vorbereitungsdelikt ausgestaltet wäre, müsste die Tat im Hinblick auf ein konkretes Delikt begangen werden und der Täter müsste insoweit mit Vorsatz gehandelt haben. Dieses Tatbestandsmerkmal könnte deshalb als eingrenzendes Merkmal dienen. Problematisch ist jedoch, dass § 202c nach dem Willen des Gesetzgebers ein abstraktes 57 58 59 60 61 62 63
Tag HK-GS Rdn. 5. Schumann NStZ 2007 675, 678. Schumann NStZ 2007 675, 678. SSW/Bosch Rdn. 5. Schumann NStZ 2007 675, 678. Lackner/Kühl/Kühl § 83 Rdn. 3. Borges/Stuckenberg/Wegener DuD 2007 275, 277.
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V. Tätige Reue
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Gefährdungsdelikt darstellt (vgl. oben Rdn. 3). Die Gesetzesbegründung ist hier allerdings nicht eindeutig: Einerseits führt der Gesetzgeber aus, es handle sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt und begründet damit das gegenüber §§ 202a, 202b fehlende Strafantragserfordernis.64 Andererseits wird die Einführung des § 202c damit gerechtfertigt, dass der Tatbestand die ansonsten straflos bleibenden Fälle der versuchten Beihilfe erfasst,65 was darauf hinweist, dass der Tatbestand als Vorbereitungsdelikt geplant war.66 Damit der Verweis auf § 202a und § 202b eine Bedeutung hat, wird man annehmen müssen, 29 dass sich der Vorsatz des Täters auch auf die spätere Begehung einer solchen Tat erstrecken muss. Fraglich ist dann allerdings, wie konkret der Vorsatz in diesem Fall zu sein hat. Denkbar ist, dass sich der Täter (wie bei §§ 26, 27) eine in ihren wesentlichen Umrissen konkretisierte Tat vorgestellt haben muss. Man könnte jedoch auch das allgemeine Bewusstsein, eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat nach § 202a oder § 202b zu fördern, genügen lassen. Vorzugswürdig erscheint die erste Variante,67 weil damit der in rechtsstaatlich bedenklicher Weise zu weit geratene Anwendungsbereich der Norm (vgl. oben Rdn. 4, 8) eingeschränkt wird. Dies ist mit dem Charakter des § 202c als abstraktes Gefährdungsdelikt vereinbar. Dass der Täter neben dem für die Verwirklichung des § 202c erforderlichen, aber auch aus- 30 reichenden dolus eventualis die Absicht verfolgt, gegen Computerstraftaten vorzugehen, ändert an der Tatbestandserfüllung nichts.68
IV. Rechtswidrigkeit Die Rechtswidrigkeit ist ausgeschlossen bei Einwilligung des jeweiligen Rechtsgutsinhabers. 31 Damit bleiben Fälle, in denen Systemmanager Test-Software zur Überprüfung der Systemsicherheit eines Unternehmens einsetzen, jedenfalls dann straflos, wenn der Unternehmer als Rechtsgutsinhaber oder ein zuständiger Vertreter eingewilligt hat.69 Allerdings versagt dieser Ausweg in den Fällen, in denen die Sicherheits-Software unabhängig von einem konkreten Auftrag entwickelt oder getestet werden soll. Eine mutmaßliche Einwilligung kommt in der Regel nicht in Betracht, denn diese scheidet grundsätzlich aus, wenn der Rechtsgutsinhaber zuvor befragt werden kann.70 Aktivitäten wie die des Hamburger „Chaos Computer Clubs“ (CCC), der in der Vergangenheit immer wieder aus eigener Initiative durch Hackerangriffe Sicherheitslücken aufgedeckt und publik gemacht hatte, führen deshalb nach der neuen Rechtslage (zumal nach der Ausweitung des § 202a auf das bloße „Sich-Zugang-Verschaffen“71) zu einem beträchtlichen Strafbarkeitsrisiko.
V. Tätige Reue Nach § 202c Abs. 2 gelten die Regelungen des § 149 Abs. 2 und 3 zur tätigen Reue entsprechend. 32 Kritisiert wird, dass diese Regelung der Annahme der Gesetzesbegründung widerspricht, wo64 65 66 67 68
BTDrucks 16/3656 S. 12. BTDrucks 16/3656 S. 12. Schumann NStZ 2007 675, 678. Gröseling/Höfinger MMR 2007 626, 629; aA Fischer Rdn. 8. Böhlke/Yilmaz CR 2008 261, 264. Nicht völlig überzeugend deshalb die Einstellungsbegründung der StA Bonn im Ermittlungsverfahren gegen das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), welches auf seinen Internetseiten einen direkten link zu einem Anbieter von Hackersoftware gesetzt hatte (vgl. dazu www.tecchan nel.de/sicherheit/news/1737140). 69 Näher Böhlke/Yilmaz CR 2008 261, 265 f, die darüber hinaus bei Arbeiten im IT-Sicherheitsbereich zu Recht eine umfassende Dokumentation aller Verfahrensabläufe empfehlen. 70 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele AT § 15 Rdn. 148. 71 Dazu näher Hilgendorf LK § 202a Rdn. 3. 877
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Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten
nach § 202c gerade aufgrund der hohen Gefährlichkeit der Handlungen eingeführt wurde.72 Es handelt sich wie bei den §§ 152a, 152b, 263a, 275 und 276a i.V.m. 275 StGB um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund.
VI. Konkurrenzen 33 Wird durch denselben Täter mittels des verschafften Sicherungscodes bzw. mittels des verschafften Computerprogramms der Tatbestand von § 202a oder § 202b verwirklicht, so tritt § 202c dahinter zurück.73 Ebenso tritt § 202c als bloß abstrakter Gefährdungstatbestand hinter der Beihilfe zu § 202a oder § 202b zurück, wenn sich diese in der Tat nach § 202c erschöpft.74 Dasselbe gilt für Taten nach §§ 303a und 303b (vgl. die Verweise in § 303a Abs. 3 und § 303b Abs. 5 auf § 202c). Dagegen kommt Tateinheit zu Taten in Frage, die der Täter zum Zweck der Verschaffung des Sicherungscodes i.S.v. § 202c Abs. 1 Nr. 1 bzw. der Computerprogramme i.S.v. § 202c Abs. 1 Nr. 2 begeht. In Frage kommen insbesondere die §§ 202a, 242 oder 263.
VII. Strafverfolgung 34 Während die §§ 202a und 202b vom Gesetzgeber als relative Antragsdelikte ausgestaltet wurden (§ 205 Abs. 1 Satz 2), ist die Strafverfolgung bei § 202c stets von Amts wegen durchzuführen. Dies wird damit gerechtfertigt, dass es sich bei § 202c um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handele, bei dem es (noch) keine Geschädigten gebe75, dass die in § 202c erfassten Handlungen jedoch eine Vielzahl von Personen schädigen könnten.76 Die gesetzliche Regelung führt aber zu Wertungswidersprüchen mit §§ 202a und 202b.77 Als Korrektiv kommen die §§ 153, 153a StPO, §§ 45, 47 JGG in Betracht.78
VIII. Sonstiges 35 Als Rechtsfolge sieht § 202c Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren vor.
72 73 74 75 76 77 78
Schumann NStZ 2007 675, 679. Bosch SSW Rdn. 8; Fischer Rdn. 10; aA Popp GA 2008 375, 378 Fn. 8. Fischer Rdn. 10. BTDrucks. 16/3656, S. 12. Schumann NStZ 2007 680; Tag HK-GS Rdn. 9. Borges/Stuckenberg/Wegener DuD 2007 275; Hilgendorf LK § 202a Rdn. 42. BTDrucks. 16/3656, S. 12. Zur Kritik an einem Gesetzgebungsstil, der den Strafverfolgungsbehörden einerseits durch weit gefasste Tatbestände eine erhebliche Ermittlungsarbeit aufbürdet, andererseits aber Einstellungen nach den §§ 153, 153a StPO in großem Umfang billigend in Kauf nimmt, Vormbaum/Welp/Hilgendorf/Frank/Valerius Die deutsche Strafrechtsentwicklung 1975–2000. Reformen im Besonderen Teil und neue Herausforderungen S. 371. Hilgendorf
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§ 202d Datenhehlerei (1) Wer Daten (§ 202a Absatz 2), die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die für die Vortat angedrohte Strafe. (3) 1Absatz 1 gilt nicht für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen. 2Dazu gehören insbesondere 1. solche Handlungen von Amtsträgern oder deren Beauftragten, mit denen Daten ausschließlich der Verwertung in einem Besteuerungsverfahren, einem Strafverfahren oder einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zugeführt werden sollen, sowie 2. solche beruflichen Handlungen der in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 der Strafprozessordnung genannten Personen, mit denen Daten entgegengenommen, ausgewertet oder veröffentlicht werden.
Schrifttum Abood Staatlicher Ankauf steuerstrafrechtlich relevanter Daten: eine Untersuchung der strafrechtlichen und strafprozessrechtlichen Konsequenzen nach Einführung des Tatbestandes der Datenhehlerei gemäß § 202d StGB (2022); Beck/Meinecke Stellungnahme der DGRI zum Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der Datenhehlerei (BTDrucks. 18/1288) (ReFE), Computer und Recht 2015 481; Benkert Der Ankauf von steuerrelevanten Informationen – rechtswidriges Verwaltungshandeln zur Durchsetzung staatlicher Steueransprüche, Festschrift Schiller (2014) 27; Berghäuser Sach- und Datenhehlerei – eine vergleichende Gegenüberstellung der §§ 202d, 259 StGB, JA 2017 244; BeyerKatzenberger Neuartige Rechtsfragen in Bezug auf Daten in Zeiten des Internets der Dinge, von Big Data und Künstlicher Intelligenz? – Anmerkungen aus rechtspolitischer Perspektive, in Specht-Riemenschneider/Werry/Werry (Hrsg.) Datenrecht in der Digitalisierung (2020) 37; Bohnert Ankauf von Unternehmensdaten zu Strafverfolgungszwecken – de lege lata, de lege ferenda und unter dem Aspekt des Schutzes deutscher Wirtschaftsinteressen, Festschrift Schiller (2014) 68; Botthoff/Gabriel/Straub/Wischmann Digitale Technologie und Recht: aktuelle Herausforderungen im Innovationsprozess, in Beck/Kusche/Valerius (Hrsg.) Digitalisierung, Automatisierung, KI und Recht (2020) 155; Brammsen Der Fiskus als Geheimnishehler, BB 2016 3034; Brodowski/Marnau Tatobjekt und Vortaten der Datenhehlerei (§ 202d StGB), NStZ 2017 377; Dix/Kipker/Schaar Schnellschuss gegen die Grundrechte – Plädoyer für eine ausführliche öffentliche Debatte in Sachen Vorratsdatenspeicherung, ZD 2015 300; Forgó/Heermann Vorratsdatenspeicherung 2015 – Das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherpflicht für Verkehrsdaten, K&R 2015 753; Franck Datenhehlerei nach dem künftigen § 202d StGB, RDV 2015 180; Golla Das Strafrecht als schlechtes Vorbild: Betrachtung zum „Dateneigentum“ und § 202d StGB, in Hennemann/Sattler (Hrsg.) Immaterialgüter und Digitalisierung. Junge Wissenschaft zum Gewerblichen Rechtsschutz, Urheber- und Medienrecht (2017) 9; ders. Risiken und Nebenwirkungen bei der Fortbildung des Internetstrafrechts – Datenhehlerei, digitaler Hausfriedensbruch und alternative Regelungsansätze, in Hilgard (Hrsg.), Die Internetkriminalität boomt. Braucht das Strafgesetzbuch ein Update? (2017) 151; Golla/von zur Mühlen Der Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der Datenhehlerei: zur Legitimation und Zweckmäßigkeit eines allgemeinen Perpetuierungsdeliktes im Informationsstrafrecht, JZ 2014 668; Haustein Möglichkeiten und Grenzen von Dateneigentum (2021); Henseler Datenhehlerei (§ 202 d StGB) bei Rückerlangung von Kundendaten? NStZ 2020 258; Hiéramente/Wagner Strafrechtliche Grenzen der Informationsbeschaffung über (ehemalige) Mitarbeiter der Gegenpartei eines Zivilrechtsstreits, GRUR 2020 709; Hilgendorf Grundfälle zum Computerstrafrecht JuS 1996 509, 702, 890, 1082, JuS 1997 130, 323; ders. Offene Fragen der neuen Mobilität: Problemfelder im Kontext von automatisiertem Fahren und Recht, RAW 2018 85; Hilgendorf/Vogel Datenrecht im Umbruch. Aktuelle Herausforderungen von Datenschutz und Datenwirtschaft in Europa, JZ 2022 380; Kirchner Der neue Straftatbestand der Datenhehlerei nach § 202d StGB, Kriminalistik 2016 368; Klengel/Gans Datenhehlerei – Über die Notwendigkeit eines neuen Straftatbestands, ZRP 2013 16; Kubiciel/ Großmann Doxing als Testfall für das Datenschutzstrafrecht, NJW 2019 1050; Pertot (Hrsg.) Rechte an Daten (2020); Reh/Cosfeld Die strafrechtliche Einordnung und Vermögensabschöpfung bei illegal erlangten Datensätzen unter Beachtung der neuen Datenschutzgrundverordnung, NStZ 2019 706; Reinbacher Daten- oder Informationshehlerei? GA 2018 311; Rennicke Der An- und Verkauf steuerrelevanter Daten, wistra 2020 135; Rode Der neue Straftatbestand
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Hilgendorf
§ 202d
Datenhehlerei
der Datenhehlerei, § 202d – eine widersprüchliche Norm, Festschrift Rengier (2018) 301; Selz Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der sogenannten Datenhehlerei, in Taeger (Hrsg.) Internet der Dinge: Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft (2015) 915; Singelnstein Ausufernd und fehlplatziert: Der Tatbestand der Datenhehlerei (§ 202d StGB) im System des strafrechtlichen Daten- und Informationsschutzes, ZID 2016 432; Stam Die Datenhehlerei nach § 202d StGB – Anmerkungen zu einem sinnlosen Straftatbestand, StV 2017 488; Stiftung Datenschutz (Hrsg.) Dateneigentum und Datenhandel (2019); Stuckenberg Der missratene Tatbestand der neuen Datenhehlerei (§ 202d StGB), ZIS 2016 526; Tassi Die Einführung der Datenhehlerei: der gesetzgeberische Akt und seine Peripetie: § 202d StGB, DuD 2017 745; ders. Das Verhältnis von Sach- und Datenhehlerei: § 202d StGB als Erweiterung des Schutzzweckes des § 259 StGB auf den Datenbegriff, DuD 2018 165; Weber Die Strafbarkeit von Plattformbetreibern im Darknet (2022); Wegner Datenhehlerei durch WP-Gesellschaft im Rahmen interner Ermittlungen? Praxis Steuerstrafrecht 2019 283; Welp Datenveränderung (§ 303a), iur 1988 443; Wilke Der strafrechtliche Schutz von Daten vor Konkurrenzausspähung und Wirtschaftsspionage, NZWiSt 2019 168; Zech Besitz an Daten? in Pertot (Hrsg.) Rechte an Daten (2020) 91.
Entstehungsgeschichte Die Diskussion um die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit eines etwaigen Straftatbestands der „Datenhehlerei“ reicht bis in die 1990er Jahre zurück.1 Sie intensivierte sich, nachdem deutsche Finanzbehörden in den 2000er Jahren begannen, „Steuersünder-CDs“ im In- und Ausland anzukaufen. Gegenstand der Ermittlungen waren überwiegend Bankdaten aus der Schweiz und aus Lichtenstein, die ausländische (auch und gerade deutsche) Kunden betrafen und von Mitarbeitern der Banken unerlaubt kopiert worden waren.2 Die rechtliche (und moralische) Zulässigkeit des Ankaufs solcher potentiell rechtswidrig erlangter Daten durch den deutschen Staat war von Anfang an strittig.3 Hinzu trat die Sorge über potentielle Strafbarkeitslücken, insbesondere befeuert durch den zunehmenden Daten- und „Identitätshandel“ im Darknet („data as a service“): Bislang nicht strafbar nach §§ 202a–c war etwa der Handel mit Konto- und Kreditkartendaten jedenfalls dann, wenn diese Daten unmittelbar zur Zahlung eingesetzt werden sollen, ohne dass dem Täter dabei Zugang zu Daten verschafft wird, die nicht für ihn bestimmt sind und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind.4 Auch beim Erwerb von Passwörtern und Sicherungscodes zum Weiterverkauf schied eine Strafbarkeit nach § 202c aus, wenn der Täter noch keinen hinreichend konkreten Vorsatz hinsichtlich der Vorbereitung einer Tat nach §§ 202a, 202b StGB hatte.5 Im Nebenstrafrecht wurden die §§ 44 Abs. 1 i.V.m. 43 Abs. 2 Nr. 1 BDSG a.F.; § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG a.F. ebenfalls für unzureichend erachtet. Eine intensivere Diskussion über Sinn und Zweck eines neuen Straftatbestands der Datenhehlerei setzte ein mit den Beschlüssen der 83. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister und des 69. Deutschen Juristentags aus dem Jahr 2012.6 Einen ersten, stark an die Sachhehlerei angelehnten Entwurf eines § 259a StGB-E des Landes Hessen7 ersetzte im Juni 2013 ein eigener Gesetzentwurf des Bundesrates8, der eine gesetzestechnische und teilweise auch inhaltliche Entkopplung der geplanten Vorschrift von § 259 StGB mit sich brachte. Schließlich folgte der Entwurf der Bundesregierung (BTDrucks. 18/5088). Durch das „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherpflicht für Verkehrsdaten“ vom 10.12.20159 wurde schließlich der neue Tatbestand der Datenhehlerei, § 202d, eingeführt. Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass die Vorschrift innerhalb des zweiten Gesetzes über die Vorratsdatenspeicherung einen Fremdkörper10 darstellt. Umso wichtiger ist es, die neue Strafnorm konsistent in das System des Computer- und Internetstrafrechts einzuarbeiten. Die verbreitete Kritik an § 202d übersieht oft, dass es seit
1 Mangels Sachqualität unterfallen Daten nicht dem § 259 StGB, Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf/Heinrich § 28 Rdn. 8. 2 Abood Staatlicher Ankauf steuerrechtlich relevanter Daten (2022). 3 Graf MK Rdn. 2. 4 BTDrucks. 18/5088 S. 25; Kargl NK Rdn. 2; Golla/von zur Mühlen JZ 2014 668, 672. 5 BTDrucks. 18/5088 S. 25; Kargl NK Rdn. 2. 6 Beschluss der Justizministerinnen und Justizminister vom 15.11.2012 in Berlin zu Tagesordnungspunkt II.9, abrufbar unter: https://justizministerium.hessen.de/sites/default/files/HMdJIE/top_ii.9_einfuehrung_eines_straftatbe standes_der_datenhehlerei.pdf; Beschlüsse des 69. Deutschen Juristentages in München, S. 9, abrufbar unter: http:// www.djt-net.de/beschluesse/beschluesse.pdf. 7 BRDrucks. 284/13. 8 BTDrucks. 18/1288. 9 BGBl. 2015 I S. 2218; zur Entwicklungsgeschichte Stuckenberg ZIS 2016 526, 527 ff. 10 Kargl NK Rdn. 1. Hilgendorf
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§ 202d
A. Grundlagen
Jahren einen Trend gibt, den in der Realität längst erkannten ökonomischen Wert von Daten11 auch rechtspolitisch und rechtsdogmatisch zu berücksichtigen und Daten deshalb zu „materialisieren“.12 Besonders deutlich wird dieser Trend in den neuen Bestrebungen der EU, europaweit eine offene Datenwirtschaft zu etablieren, indem Nutzer Zugriffs- und Übertragungsrechte in Bezug auf die in ihren Geräten entstehenden Daten erhalten.13 Dieser Übergang vom traditionellen Datenschutz zum Datenhandel wird durch § 202d flankiert, der den Handel mit unerlaubt erlangten Daten zu Bereicherungs- und Schädigungszwecken unter Strafe stellt. Es ist freilich zuzugeben, dass dem Gesetzgeber des Jahres 2015 diese Zusammenhänge kaum bewusst gewesen sein dürften. § 202d macht insofern wieder einmal deutlich, dass ein Gesetz „klüger“ sein kann als seine Schöpfer.
Gesetzesmaterialien BRDrucks. 284/13 (Gesetzesantrag des Landes Hessen); BTDrucks. 17/14362 (Gesetzentwurf des BRat), BTDrucks. 18/ 1288 (Gesetzentwurf des BRat); BTDrucks. 18/5088 (Gesetzentwurf Fraktionen CDU/CSU und SPD), BTDrucks. 18/ 6391 (Beschlussempfehlung u. Bericht BT-Rechtsausschuss).
Übersicht A.
Grundlagen
I.
Rechtsgut
B.
Tatobjekt
C.
Vortat
D.
Tathandlung
I.
Allgemeines
II.
Einvernehmliches Zusammenwirken
29
E.
Subjektiver Tatbestand
1
F.
Täterschaft und Teilnahme
6
G.
Tatbestandsausschluss des Abs. 3
H.
Rechtfertigung und Schuld
I.
Konkurrenzen
J.
Strafzumessung
K.
Strafantrag
12
19 27
31 32
40
42 45 46
A. Grundlagen I. Rechtsgut Die Vorschrift schützt nach herrschender Meinung das formelle Datengeheimnis vor einer Perpe- 1 tuierung und Intensivierung der bereits durch die Vortat erfolgten Verletzung.14 Bereits durch die Vortat wurde das Interesse des Berechtigten verletzt, selbst zu entscheiden, „wem seine Daten zugänglich sein sollen […]. Diese Rechtsgutsverletzung wird aufrechterhalten und vertieft, wenn sich im Anschluss daran ein Dritter die gestohlenen Daten verschafft und damit die
11 Man denke nur an die großen US-Internetkonzerne, die mit (personenbezogenen wie nicht-personenbezogenen) Daten ihre Nutzer ungeheure Reichtümer angehäuft haben.
12 Zum Thema „Dateneigentum“ etwa Botthoff/Gabriel/Straub/Wischmann Digitale Technologien, S. 155, 171 f; eingehend Haustein Dateneigentum; allgemein zu Rechten an Daten und Datenhandel Beyer-Katzenberger Neuartige Rechtsfragen; Pertot Rechte an Daten; Stiftung Datenschutz Dateneigentum und Datenhandel. 13 Vgl. v.a. den Entwurf eines sog. „Data Act“ vom 23.2.2022, dazu Hilgendorf/Vogel JZ 2022 380. 14 BTDrucks. 18/5088 S. 26; OLG Stuttgart GRUR 2019 422 (424); Graf MK Rdn. 2a; Kargl NK Rdn. 5; Weidemann BeckOK Rdn. 2; krit. zur Einführung des Tatbestandes Golla ZIS 2016 192 (196); Taeger/Selz Internet der Dinge, Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft (2015) S. 915, 923 ff; Stuckenberg ZIS 2016 526, 530 ff; zur Schutzrichtung bei Daten in Abgrenzung zu der bei Sachen Singelnstein ZIS 2016 433 f. 881
Hilgendorf
§ 202d
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4
5
Datenhehlerei
Daten weiterverbreitet werden“.15 Daneben wird in der Entwurfsbegründung auch noch der Schutz eines „allgemeinen Sicherheitsinteresses“ erwähnt, weil der Hehler einen Anreiz zur Begehung von Vortaten schaffe.16 Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein selbständiges Rechtsgut. Wer „Berechtigter“ und damit Rechtsgutsinhaber ist, bestimmt sich nach (nicht unumstrittener) h.M. nach dem Skripturakt, d.h. der erstmaligen Abspeicherung der Information.17 Anders als im Zivilrecht18 ist im Strafrecht eine originäre Zuordnung von Daten erforderlich. Auf den Skripturakt können die Regeln der „Geistigkeitstheorie“19 analog angewendet werden, um Fälle zu erfassen, in denen das erstmalige Abspeichern in fremdem Auftrag erfolgt. Berechtigter ist in solchen Fällen der Auftraggeber. Im Einzelnen sind noch viele Fragen ungeklärt.20 Von zunehmender praktischer Bedeutung ist vor allem die Frage, wer Verfügungsbefugter bei von autonomen Systemen erzeugten Daten ist.21 In vielen Geräten werden heute automatisch Daten erhoben und gespeichert, etwa in Industriemaschinen oder in Automobilen, ohne dass rechtlich geklärt wäre, wem diese Daten „zustehen“.22 Insbesondere gibt es (bislang?) kein Eigentum an Daten (Rdn. 2). Nach einem älteren Vorschlag stehen derartige „freie Daten“ dem Eigentümer des Speichermediums zu.23 Auch im neuen EU-Vorschlag zu einem europäischen Datengesetz („Data Act“)24 wird auf eine eigentumsrechtliche Zuordnung der Daten selbst verzichtet. Statt dessen werden dem Nutzer eines Produkts (der meist auch Eigentümer sein dürfte) und dem Hersteller bestimmte Verfügungsrechte in Bezug auf die Weitergabe von Daten eingeräumt.25 Diese Wertungen lassen sich auch für das Strafrecht fruchtbar machen: Werden Daten von einem autonomen System abgespeichert, so ist Berechtigter an den Daten in erster Linie der Eigentümer des autonomen Systems, welches die Daten abspeichert. Bei autonomen Systemen, die sich innerhalb von Maschinen, Pkw und ähnlichen Gerätschaften befinden, wird das Eigentum am autonomen System in der Regel mit dem Eigentum am Gerät, in welchem das System verbaut ist, zusammenfallen. Bei der Weitergabe von Daten, so wie sie in den neuen EU-Vorgaben vorgesehen ist (Rdn. 3), sind die jeweils getroffenen vertraglichen Regelungen ausschlaggebend. Es bleibt abzuwarten, welche Formen der von der EU forcierte Datenhandel in Zukunft annehmen wird. Die strafrechtliche Entscheidung über die Berechtigung an Daten sollte den entsprechenden zivilrechtlichen Vorgaben grds. nicht widersprechen.26 Der Gesetzeswortlaut enthält im Übrigen keinerlei materielle Beschränkungen der tatbestandlich geschützten Daten (s. Rdn. 6 ff). Daraus folgt, dass Berechtigung i.S.d. § 202d und (inhaltliche) Betroffenheit i.S.d. Datenschutzes bei personenbezogenen Daten auseinanderfallen
15 BTDrucks. 18/5088 S. 26. 16 BTDrucks. 18/5088 S. 26. 17 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Hilgendorf LK § 202a Rdn. 26; Fischer § 202a Rdn. 7a; Graf MK § 202a Rdn. 19; SSW/ Bosch Rdn. 3. Irrelevant deshalb etwa die Berechtigung am Datenträger, s. Graf MK Rdn. 14; ebenso schon Hilgendorf JuS 1996 892 f. 18 Der Begriff geht zurück auf Welp iur 1988 443, 447; Hilgendorf JuS 1996 890, 893; Sch/Schröder/Eisele § 202a Rdn. 9. 19 Dazu eingehend Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf/Heinrich § 31 Rdn. 15 ff. 20 Dazu auch unter Rdn. 3f. 21 Frage aufgeworfen von Brodowski/Marnau NStZ 2017 377. 22 Hilgendorf RAW 2018 85, 89 f. 23 Hilgendorf JuS 1997 323, 326. 24 Hilgendorf/Vogel JZ 2022 380. 25 Hilgendorf/Vogel JZ 2022 380, 387. 26 Eine dritte Normenebene, die bei der Zuordnung von Datenberechtigung berücksichtigt werden sollte, ist die Sozialmoral, m.a.W. die „Anschauungen des täglichen Lebens“, wie sie etwa auch beim Gewahrsamsbegriff thematisiert werden. Hilgendorf
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B. Tatobjekt
§ 202d
können.27 Trotz Einordnung der Vorschrift in den 15. Abschnitt ist keine Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs erforderlich. Geschützt wird also jedes inhaltlich noch so belanglose Datum ohne Einschränkung über etwaige materielle Schutzinteressen.28 Grundsätzlich unterfallen also auch die Daten einer „Steuer-CD“ dem Tatbestand des § 202d; allerdings wird es hier oft an einer rechtwidrigen Vortat fehlen (Rdn. 12 ff).
B. Tatobjekt Tatobjekt sind nur Daten i.S.d. § 202a, die „nicht allgemein zugänglich“ sind. Tatbestandlich erfasste Daten sind daher zunächst nur solche, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden. Mangels „inhaltlicher“ Bestimmung der geschützten Daten ist der Anwendungsbereich grds. weit; erfasst werden z.B. auch private Film- oder Musikdatenbanken.29 Allerdings dürfen die Daten „nicht allgemein zugänglich“ sein. Diese Einschränkung wirft erhebliche Interpretationsprobleme auf. Im Allgemeinen hängt die allgemeine Zugänglichkeit von Daten davon ab, ob die Informationsquelle einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis für Informationen offen steht.30 Dies gilt nach der Entwurfsbegründung und h.M. auch für § 202d.31 Der Schutz des Rechtsguts, also des formellen Datengeheimnisses, erfordert keinen strafrechtlichen Schutz solcher Daten, die der Allgemeinheit bereits zugänglich sind und bei denen die Entscheidung, wem die Daten zugänglich sein sollen, ohnehin nicht mehr allein in der Hand des Berechtigten liegt.32 Eine Definition „allgemeiner Zugänglichkeit“ von Daten fand sich bislang in § 10 Abs. 5 Satz 2 BDSG a.F. in Bezug auf automatisierte Abrufverfahren: Allgemein zugänglich sind demnach „Daten, die jedermann, sei es ohne oder nach vorheriger Anmeldung, Zulassung oder Entrichtung eines Entgelts, nutzen kann“. Zugriffsbarrieren in Gestalt einer Anmeldung, Zulassung oder auch die Kostenpflichtigkeit des Angebots schließen daher die allgemeine Zugänglichkeit der Daten nicht aus, solange diese Schranken nur von jedermann überwunden werden können. Allgemein zugänglich sind deshalb insbesondere in den Massenmedien, etwa im Internet, frei abrufbare Informationen.33 Die Verschaffung lediglich unter Verstoß gegen Urheberrechte erlangter Werke ist nicht tatbestandsmäßig, solange die geschützten Werke veröffentlicht und damit allgemein zugänglich sind (Filesharing-Fälle).34 Anders verhält es sich bei geschlossenen Benutzergruppen.35 Irrelevant ist, ob der Täter die Daten konkret aus einer allgemein zugänglichen Quelle erlangt hat, solange es eine solche (zumindest irgendwo) gibt.36 Rechtspolitisch erscheint die Einschränkung der Strafbarkeit auf nicht allgemein zugängliche Daten als problematisch.37 Dies zeigt sich etwa bei der Erlangung von Daten aus dem Dark-
27 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 1; Graf MK Rdn. 15; für weitgehendes Zusammenfallen wegen Art. 5 DS-GVO indes Reh/ Cosfeld NStZ 2020 706, 707 f: “datenschutzrechtliche Auslegung“ mit Verweis auf Reinbacher GA 2018 311, 318.
28 Skeptisch gegenüber der auf die formelle Verfügungsbefugnis abstellenden Rechtsgutsbestimmung Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2 und insbesondere (eingehend) Reinbacher GA 2018 311 ff. 29 OLG Stuttgart GRUR 2019 422, 424; Graf MK Rdn. 3, 6; Hiéramente/Wagner GRUR 2020 709, 714. 30 BVerfG NJW 1970 235; Kargl NK Rdn. 6. 31 BTDrucks. 18/5088 S. 46; OLG Stuttgart GRUR 2019 422, 424; Hiéramente/Wagner GRUR 2020 709, 715. 32 Graf MK Rdn. 5. 33 BTDrucks. 18/5088 S. 45; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. 34 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Graf MK Rdn. 12; Kargl NK Rdn. 6. 35 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6 mit Verweis auf Gola/Schomerus/Gola/Klug/Körffer BDSG, 12. Aufl. (2015) § 10 Rdn. 17. 36 Henseler NStZ 2020 258, 260; Hiéramente/Wagner GRUR 2020 709, 714. 37 Fischer Rdn. 3; vgl. etwa Gercke ZUM 2016 825; Stam StV 2017 488. 883
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Datenhehlerei
net.38 Ein zentrales gesetzgeberisches Motiv für die Kriminalisierung der Datenhehlerei war gerade der Handel mit falschen Identitäten im Darknet, namentlich Passwörtern für E-Mail- und sonstige Benutzerkonten, Kreditkartendaten, etc.39 Zwar benötigt ein etwaiger Interessent für den Zugang zu den entsprechenden Internetseiten eine spezielle Software (etwa den Tor-Browser). Diese ist jedoch ohne größeren technischen oder zeitlichen Aufwand kostenlos im frei zugänglichen Teil des Internets herunterzuladen. Die auf diese Weise erreichbaren Verkaufsplattformen unterscheiden sich in ihrer Funktionsweise nicht von „herkömmlichen“ Domains. Sie handeln die in Rede stehenden Daten ganz offen und ohne weitere personelle Einschränkung auf Käuferseite, sodass der Verweis auf § 10 Abs. 5 Satz 2 BDSG a.F. in der Entwurfsbegründung40 zum Ausschluss im Darknet abrufbarer Informationen aus dem sachlichen Schutzbereich der Datenhehlerei führen könnte.41 Andererseits werden die angebotenen illegal erlangten Passworte usw. nicht beliebig oft 11 angeboten, sondern in aller Regel nur an einen einzigen Käufer übertragen, der diese Exklusivität auch bezahlen muss. Derartige Daten kann also nicht jeder nutzen, der Zugang zum Darknet besitzt, sondern grds. nur eine einzige Person.42 Mit Blick auf den Schutzzweck der Norm (Rdn. 1) sollte das Merkmal der „allgemeinen Zugänglichkeit“ deshalb so ausgelegt werden, dass die in Frage stehenden Daten dauerhaft von jedermann genutzt werden können. Dass der Zugang zu den Daten jedermann angeboten wird, dann aber ein Einzelner eine Exklusivitätsposition erhält, reicht nicht aus, um freie Zugänglichkeit bejahen zu können. Dasselbe muss dann freilich auch für Daten im frei zugänglichen Teil des Internet gelten.
C. Vortat 12 Die Orientierung der Daten- an der Sachhehlerei zeigt sich insbesondere daran, dass das Tatobjekt zuvor von einem anderen durch eine rechtswidrige (Straf-)Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5) erlangt worden sein muss. Der Wortlaut verlangt, dass die Vortat bereits vollendet ist.43 Wenngleich an Daten kein „Besitz“ im rechtlichen Sinne bestehen kann,44 ist das Merkmal 13 im Rahmen des § 202d StGB letztlich so zu interpretieren, dass die Übertragung des Vortatobjekts an weitere Unbefugte pönalisiert wird. Der Schutz vor eben dieser „Perpetuierung“ ist Kernstück beider Hehlereitatbestände. Das liegt allerdings nicht daran, dass bei der Datenhehlerei die Herrschaftsmöglichkeit über die Daten den Inhaber wechselt – dies ist nicht der Fall –, sondern daran, dass die Weitergabe der Daten dem Verletzten die Kontrolle über den Informationsinhalt zusätzlich erschwert.45 Als taugliche Vortaten kommen sämtliche Straftaten in Betracht, sofern sie sich gegen die 14 formelle Verfügungsbefugnis des Berechtigten richten – so jedenfalls der Wille des Gesetzgebers, auch wenn das im Wortlaut der Norm nicht angelegt ist.46 Die materielle oder auch datenschutzrechtliche Betroffenheit vom Dateninhalt spielt keine unmittelbare Rolle.47
38 39 40 41 42 43 44 45 46
Dazu Hilgendorf/Kusche/Valerius Computer- und Internetstrafrecht, 3. Aufl. (2022) § 3 Rdn. 399. Golla/v. zur Mühlen, JZ 2014 668; Herfurth/Drews ZD-Aktuell 2017 05490. BTDrucks. 18/5088 S. 45. Kubiciel/Großmann NJW 2019 1050, 1052; Stam StV 2017 488, 489. Weber Die Strafbarkeit von Plattformbetreibern im Internet, S. 212. BTDrucks. 18/5088 S. 46. Näher Pertot/Zech Rechte an Daten, S. 91, 94 ff. SSW/Bosch Rdn. 1; Singelnstein ZIS 2016 432, 435 f. BTDrucks. 18/5088 S. 46; OLG Stuttgart GRUR 2019 422, 424; Hiéramente/Wagner GRUR 2020 709, 714; Franck RDV 2015 180, 181, 182; Graf MK Rdn. 13 f; Berghäuser JA 2017 244; Kargl NK Rdn. 8 unter Auflistung denkbarer Vortaten. 47 Kritisch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2 m.w.N. Hilgendorf
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D. Tathandlung
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Eine taugliche Vortat liegt jedenfalls nicht vor, wenn sich die Ersttat nur gegen Allgemeininteressen richtet, wie es z.B. bei § 184d a.F. der Fall war.48 Das soll auch für den Fall gelten, dass der Vortäter Daten selbst erstellt und sich dadurch nach dem BDSG strafbar macht, da der Schutzzweck voraussetzt, dass die Daten der Verfügungsmacht eines vom Täter verschiedenen Berechtigten unterlagen.49 Bloße Ordnungswidrigkeiten oder Dienstverstöße sowie der vertragswidrige Datenzugriff bei grundsätzlich berechtigter Systemnutzung50 sind angesichts des Erfordernisses einer Straftat als Vortat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5) nicht ausreichend, was vor dem Hintergrund verwundert, dass nicht zuletzt solche Fälle (Steuer-CD und Whistleblowing) die Diskussion über die Notwendigkeit des Tatbestandes erst ausgelöst haben.51 Das hat zur Folge, dass bei der Weitergabe sensibler Unternehmens- oder Behördendaten durch einen Innentäter (u.U. sogar einen sog. Whistleblower) nur dann eine taugliche Vortat im Sinne des § 202d StGB vorliegt, wenn bereits dessen Zugriff auf die Daten den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht. Eine strafbare Vervielfältigung allein reicht deshalb ebenso wenig aus wie die Strafbarkeit einer Weitergabe an Dritte (z.B. § 353b StGB), weil im einen wie im anderen Fall die dann begangene Tat nicht erst zum Erlangen der Daten geführt hat, sondern der Täter diese bereits vorher kraft seiner beruflichen Stellung o.ä. – jedenfalls nicht durch eine Straftat – erlangt hatte.52 Es fehlt insoweit an der Perpetuierung einer bereits verletzten Verfügungsbefugnis.53 Zum Erfordernis der Strafbarkeit der Vortat im Ausland bei grenzüberschreitenden Sachverhalten de lege lata und de lege ferenda eingehend Brodowski/Marnau NStZ 2017 377, 384 ff.
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D. Tathandlung I. Allgemeines Als Tathandlung kommen, dem § 202c entnommen, das Verschaffen, Überlassen, Verbreiten oder sonstige Zugänglichmachen nicht allgemein zugänglicher Daten in Betracht. Ein „Verschaffen“ liegt vor wenn der Täter oder ein Dritter die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Daten zu eigenen Zwecken bewusst und gewollt übernimmt, wobei dies im Wege des abgeleiteten Erwerbs (Rdn. 27) erfolgen muss.54 Es reicht aus, wenn der Empfänger die Daten in Schriftform oder auch nur mündlich erhält,55 vorausgesetzt, der Empfänger ist in der Lage, die Daten auf diese Weise zu nutzen. „Überlassen“ meint das Zurverfügungstellen der Daten zum Gebrauch, wobei im Gegensatz zum Verschaffen ein bloß vorübergehender Gebrauch genügt.56 Von einem Überlassen wird man auch dann sprechen können, wenn der Täter Dritten den Zugriff auf die Daten ermöglicht. Unter einem Verbreiten von Daten ist die Weitergabe an einen nach Zahl und Individualität unbestimmten größeren Personenkreis gemeint.57 Der Personenkreis muss so groß sein, dass er durch den Täter nicht mehr ohne Weiteres kontrolliert werden kann. Auch bei einem
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Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Graf MK Rdn 16. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8; Graf MK Rdn. 16. BTDrucks. 18/5088 S. 46; Graf MK Rdn. 17; Kargl NK Rdn. 8. Stuckenberg ZIS 2016 425, 429. BTDrucks. 18/5088 S. 46; Kargl NK Rdn. 8; SSW/Bosch Rdn. 4, 6; Graf MK Rdn. 24; Brodowski/Marnau NStZ 2017 377, 383. 53 Brodowski/Marnau NStZ 2017 377, 380. 54 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. 55 OLG(Z) GRUR 2019 422, 425; skeptisch Hiéramente/Wagner GRUR 2020 709, 714. 56 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. 57 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. 885
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Datenhehlerei
kleineren Empfängerkreis kann ein Verbreiten anzunehmen sein, wenn der Täter die Kontrolle über die Daten verliert und davon auszugehen ist, dass sie von den Empfängern weitergegeben werden. Daten werden anderen zugänglich gemacht, wenn sie in den Wahrnehmungs- oder Herrschaftsbereich mindestens einer anderen Personen gelangen, und zwar so, dass diese eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit und die Möglichkeit der Kenntnisnahme erlangt.58 Eine Verfügungsgewalt über die Daten ist bei dieser Tatvariante nicht erforderlich.59 Eine tatsächliche Kenntnisnahme durch den Dritten ist nicht nötig, um den Tatbestand eines Zugänglichmachens zu erfüllen. Aus diesem Grund ist diese Tatvariante insbesondere beim sogenannten „Whistleblowing“ einschlägig (dazu auch Rdn. 37 f). Auf die Varianten des „Verkaufens“ und „Ankaufens“ hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet, u.a. da für diese Handlungen umstritten ist, ob sie schon durch Abschluss des schuldrechtlichen Geschäfts erfüllt sind, was indes nach dem Willen des Gesetzgebers für eine Strafbarkeit nach § 202d nicht ausreichen soll.60 Für die Vollendung des Tatbestands der Datenhehlerei ist demnach jedenfalls in der Variante des „Verschaffens“ die Erlangung der tatsächlichen Verfügungsmacht erforderlich (Rdn. 20). Während das Erlangen eines körperlichen Gegenstandes durch einen Unbefugten stets dessen Verlust beim Berechtigten nach sich zieht, ist das bei Daten nicht zwingend der Fall. Die an § 259 angelehnte Tatbestandsgestaltung ist deshalb problematisch. Der Berechtigte wird bei der Sachhehlerei von der Nutzung der Sache ausgeschlossen, während es bei der Datenhehlerei, etwa durch „Kopieren“, zu einer „Verdoppelung“ der Daten kommt und die Daten vom Berechtigten grds. weiter genutzt werden können.61 Ein weiteres Problem liegt darin, dass der Erwerber nicht immer sämtliche Daten erhält, die der Vortäter in seine Verfügungsmacht bringen konnte (z.B. beim Ausspähen umfangreicher Kundendatenbanken mit anschließender Weiterleitung nur ganz bestimmter Datensätze). Des Weiteren ist eine Umcodierung der Daten (z.B. von Excel auf pdf) denkbar. Im Wege einer teleologischen Auslegung des Tatbestandes ist keine exakt identische Kodierung von Vor- und Hehlereitatobjekt, sondern lediglich ein gleichwertiger Informationsgehalt zu fordern.62 Ansonsten wäre man in Parallele zur Figur der straflosen Ersatzhehlerei bei § 259 StGB63 gezwungen, eine taugliche Vortat bei jeder noch so geringfügigen Bearbeitung der entwendeten Daten zu verneinen. Einzelfragen zur „Äquivalenz des Informationsgehalts“ bei Brodowski/Marnau NStZ 2017 377, 380.
II. Einvernehmliches Zusammenwirken 27 Wie bei § 259 ist ein einvernehmliches Handeln von Täter und Vortäter erforderlich.64 Eine Strafbarkeit kommt nicht in Betracht, wenn der Täter den Vortäter nicht als Quelle des Zugangs zu den Daten nutzt, sondern auf andere Weise darauf Zugriff nimmt. Mangels Verletzung des Rechtsguts scheidet eine Strafbarkeit ebenfalls aus, wenn der an 28 den Daten Berechtigte diese zurückkauft.65 Eine Täterschaft des lediglich datenschutzrechtlich
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Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. Franck RDV 2015 181. BTDrucks. 18/5088 S. 46; Kargl NK Rdn. 9. Kubiciel/Großmann NJW 2019 1050, 1054; Reinbacher GA 2018 311 ff; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2 mit Verweis auf Golla/von zur Mühlen JZ 2014 670 f; Singelnstein ZIS 2016 434 f; Stuckenberg ZIS 2016 531 f; Tassi DuD 2018 166 f. 62 Brodowski/Marnau NStZ 2017 377, 379 f; in diesem Sinne auch Fischer Rdn. 3. 63 BGH NJW 1956 998 = BGHSt 9 137; BGH NJW 1969 1260. 64 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf/Heinrich BT § 28 Rdn. 10 ff. 65 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; Graf MK Rdn. 24. Hilgendorf
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G. Tatbestandsausschluss des Abs. 3
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Betroffenen ist bei formellem Rechtsgutsverständnis jedoch (auch bei „Rückkauf“) möglich66 (scheitern kann die Strafbarkeit dann aber am Erfordernis des Vorliegens einer Bereicherungsoder Schädigungsabsicht).
E. Subjektiver Tatbestand Im subjektiven Tatbestand erfordert die Datenhehlerei Vorsatz, sowohl bezüglich der eigenen 29 Tathandlung als auch bezüglich der Vortat, wobei die genauen Einzelheiten der Tat nicht bekannt sein müssen.67 Allein das Bewusstsein, dass die Daten aus irgendeiner rechtswidrigen Tat stammen, ist jedoch nicht hinreichend konkret und somit nicht ausreichend.68 Hinzutreten muss eine Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht.69 Ein erstrebter Vorteil 30 muss dabei nicht rechtswidrig sein, wie ein Wortlautvergleich mit § 263 ergibt.70 Der angestrebte Schaden (Nachteil) kann, muss aber nicht wirtschaftlicher Natur sein. Das Ziel einer Bloßstellung im Internet reicht aus.71
F. Täterschaft und Teilnahme Täter kann jeder sein, der nicht Datenberechtigter oder Vortäter ist. Eine Täterschaft des daten- 31 schutzrechtlich Betroffenen ist möglich.72 Wirkt der Vortäter an der späteren Datenhehlerei als Teilnehmer mit, so tritt die Datenhehlerei als mitbestrafte Nachtat zurück.73
G. Tatbestandsausschluss des Abs. 3 Die Regelung entspricht § 184b Abs. 5 und soll sicherstellen, dass Daten zum Zwecke journalisti- 32 scher Tätigkeiten und Ermittlungen verwendet werden dürfen.74 Der Tatbestandsausschluss nach Abs. 3 gilt insbesondere für Handlungen von Amtsträgern, 33 mit denen Daten ausschließlich der Verwertung in einem Besteuerungsverfahren, einem Strafverfahren oder einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zugeführt werden sollen. Für die Bestimmung der journalistischen Personen ist in Anlehnung an § 353b Abs. 3a auf 34 § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO zurückzugreifen.75 Privilegiert werden also Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben. Trotz der Verwendung des Begriffs der beruflichen „Pflicht“ sind auch freiberufliche Journalisten vom Tatbestandsausschluss erfasst.76 66 BTDrucks. 18/5088 S. 47; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; Graf MK Rdn 24. 67 Graf MK Rdn 26; krit. Taeger/Selz Internet der Dinge, Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft (2015) S. 915, 927 f. 68 BTDrucks. 18/5088 S. 47, OLG Stuttgart GRUR 2019 422, 424; BGH NStZ-RR 2013 79 zu § 259; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; Graf MK Rdn. 26; AA Kargl NK Rdn. 10. 69 BTDrucks. 18/5088 S. 48; Singelnstein ZIS 2016 433. 70 BTDrucks. 18/5088 S. 47; OLG Stuttgart GRUR 2019 422, 424; Graf MK Rdn 28; Kargl NK Rdn. 11. 71 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; Graf MK Rdn. 29; Fischer Rdn. 8; Hoyer SK Rdn. 12; Weber Strafbarkeit von Plattformbetreibern 215. 72 Graf MK Rdn. 24. 73 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 23. 74 Krit. dennoch Franck RDV 2015 180, 183; Taeger/Selz Internet der Dinge, Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, (2015) S. 915, 929. 75 BTDrucks. 18/5088 S. 47. 76 BTDrucks. 18/5088 S. 48; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Graf MK Rdn. 33. 887
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Der Ausschluss soll nicht nur für von Amtsträgern beauftragte Behördenexterne gelten (so ausdrücklich Abs. 3 S. 2 Nr. 1), sondern auch für sonstige Beauftragte, die zur Erfüllung beruflicher Pflichten herangezogen werden77; zum Sonderfall des Rückkaufs von Kundendaten durch Unternehmen als potentiell berufliche Pflicht aus Art. 33 Abs. 1 DS-GVO Henseler NStZ 2020 258. Zu beachten ist das Ausschließlichkeitskriterium, wonach die Verwendung einzig den genannten Zwecken dienen darf.78 Die Privilegierung nach Abs. 3 führte zu Kritik durch Bürgerrechtsverbände und Teile der rechtswissenschaftlichen Literatur.79 Moniert wird zum einen, die Einführung der Strafvorschrift habe (nur) dem rechtsstaatlich zweifelhaften Vorhaben gedient, den juristisch stark umstrittenen Ankauf von Steuer-CDs (Datenträgern mit steuerfahndungsrelevanten, geheimen Informationen) aus der Schweiz politisch zu legitimieren.80 Diskutiert wird des Weiteren, ob § 202d Abs. 3 eine ausreichende Entlastung von Investigativ-Journalisten zu bewirken vermag, etwa wenn diese bisher unbekannte Missstände in Behörden oder Unternehmen aufdecken und in diesem Zusammenhang Daten von Whistleblowern verwenden. Befürchtet wird bisweilen gar eine pauschale Kriminalisierung von Veröffentlichungen, die unter Mithilfe von Whistleblowern stattfinden.81 Dass diese Befürchtungen im Hinblick auf das Erfordernis der rechtswidrigen Vortatbegehung und die damit verbundenen Einschränkungen zu relativieren sind, wurde bereits aufgezeigt (s.o. C.). Wenn der Whistleblower rechtmäßig Zugang zum Datum hatte, kann sich der Journalist nicht wegen Datenhehlerei strafbar machen.82Auch den Zweifeln an der Anwendbarkeit der Privilegierung auf neuartige Erscheinungsformen des Journalismus, wie etwa der Berichterstattung im Wege (privater) Blogs und Social-Media-Plattformen oder Podcasts, kann durch eine weite Auslegung des Berufsbegriffs und der hiermit verbundenen Pflichten begegnet werden.83 Dagegen erscheint die durch den Gesetzgeber offenbar intendierte Abhängigkeit der Strafbefreiung von einem „konkreten Veröffentlichungsvorhaben“84 als zweifelhaft. Bei Empfangnahme prekärer Datensätze durch einen Journalisten aus ihm bisher unbekannter Quelle wird er zumeist noch nicht wissen, ob eine Veröffentlichung geboten ist oder sich lohnt. Das Kriterium des „konkreten Veröffentlichungsvorhabens“ wird daher durch das rechtswissenschaftliche Schrifttum zu Recht überwiegend abgelehnt.85 Da es im Gesetzeswortlaut nicht enthalten ist, wird man § 202d Abs. 3 mit Blick auf Art 5 Abs. 1 S. 2 GG (Pressefreiheit) so weit interpretieren können, dass auch journalistische Vorermittlungen vom Straftatbestand der Datenhehlerei nicht erfasst werden.
H. Rechtfertigung und Schuld 40 Rechtfertigungsgründe sind wegen der Erfassung typischer Rechtfertigungsszenarien als Tatbestandsausschluss in Abs. 3 wohl kaum bedeutsam.86 Grundsätzlich sind aber alle Rechtfertigungsgründe anwendbar. In Betracht kommt vor allem eine Einwilligung. Dispositionsbefugt 77 BTDrucks. 18/5088 S. 48; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16; krit. Singelnstein ZIS 2016 437. 78 Graf MK Rdn. 32. 79 Vgl. Herfurth/Drews ZD-Aktuell 2017 05490 mit einer überblicksartigen Erläuterung der Hintergründe der laufenden Verfassungsbeschwerden gegen § 202d StGB.
80 Graf MK Rdn. 35; SSW/Bosch Rdn. 1; Kargl NK Rdn. 14. 81 Dix/Kipker/Schaar ZD 2015 300, 303; zum Begriff des Whistleblowing siehe Grützner/Jakob Compliance von A–Z.
82 Brodowski/Marnau NStZ 2017 377, 383. 83 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Kargl NK Rdn. 18; Singelnstein ZIS 2016 432, 436; zweifelnd Franck RDV 2015 180, 182; Forgó/Heermann KuR 2015 753, 759; Berghäuser JA 2017 244, 250. 84 BTDrucks. 18/5088 S. 48. 85 Selz Internet der Dinge, S. 915 ff; Franck RDV 2015 180, 182; Stam StV 2017 488, 491; Singelnstein ZIS 2016 432, 436. 86 Graf MK Rdn. 36. Hilgendorf
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K. Strafantrag
§ 202d
im Rahmen der Einwilligung ist nach überwiegender Auffassung der Inhaber der formellen Verfügungsbefugnis, nicht der von den Daten Betroffene.87 Für die Schuld gelten keine Besonderheiten. Auch wenn Datenverbreitung und Datentausch 41 („filesharing“) heute alltäglich geworden sind, wird man Unrechtsbewusstsein annehmen können, wenn der Täter von der illegalen Herkunft der Daten weiß.
I. Konkurrenzen Verschafft sich der Täter durch eine Handlung mehrere Datensätze, so liegt dennoch nur eine 42 Tat nach § 202d Abs. 1 vor. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Daten aus einer oder mehreren Vortaten stammen88 oder eines oder mehrere Opfer betroffen sind. Nur um eine Datenhehlerei handelt es sich auch, wenn der Täter mehrere Tatvarianten gleichzeitig verwirklicht.89 Tateinheit kann z.B. zu den §§ 202c, 257, 258, 269, 274, 303a und 303b bestehen. Auch zu 43 § 259 kommt Tateinheit in Betracht, wenn sich die gehehlten Daten auf einem Datenträger befinden. Zu den §§ 94 (Landesverrat) und 95 (Offenbaren von Staatsgeheimnissen) kann ebenfalls Tateinheit bestehen.90 Datenhehlerei und Beteiligung an der Vortat (z.B. §§ 202a, 26) stehen zueinander in Tat- 44 mehrheit, und zwar auch dann, wenn der Vortat-Teilnehmer von vornherein beabsichtigt hatte, sich die Daten zu verschaffen.91 Die Datenhehlerei tritt gegenüber anschließenden (Vermögens-) Delikten (z.B. §§ 263, 263a) als mitbestrafte Vortat zurück, wenn die unrechtmäßig erlangten Informationen zu deren Vorbereitung bzw. Durchführung verwendet werden.92
J. Strafzumessung Gemäß Abs. 2 darf die Strafe nicht höher als die der Vortat sein. Dies erklärt sich daraus, dass 45 Schutzzweck der Norm die Intensivierung und Perpetuierung der Rechtsgutsverletzung durch die Vortat ist und diese einer niedrigeren Strafdrohung unterliegen kann als die Datenhehlerei (Bsp.: § 202b).93 Die Vertiefung der Rechtsgutsverletzung (§ 202d) soll nach dem Willen des Gesetzgebers nicht schärfer bestraft werden können als die ursprüngliche Rechtsgutsverletzung.94
K. Strafantrag Ein Strafantrag ist erforderlich, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde ein besonderes 46 öffentliches Interesse an der Strafverfolgung feststellt, § 205 Abs. 1 S. 2. Antragsberechtigt ist der Verletzte, § 77 Abs. 1.
87 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21; aA jedenfalls für einen etwaig tatbestandlichen Rückkauf von Kundendaten durch Unternehmen Henseler NStZ 2020 258, 262, da anderenfalls das Einwilligungserfordernis aus 6 BDSG unterlaufen werde. 88 Graf MK Rdn. 43. 89 AA wohl Graf MK Rdn. 43. 90 Graf MK Rdn. 45. 91 Graf MK Rdn. 46; Weber Strafbarkeit von Plattformbetreibern 215. 92 Franck RDV 2015 180, 182; SSW/Bosch Rdn. 11; aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 26; Weidemann BeckOK Rdn. 28. 93 BTDrucks. 18/5088 S. 47. 94 Krit. Berghäuser JA 2017 251. 889
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§ 203 Verletzung von Privatgeheimnissen (1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, 2. Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung, 3. Rechtsanwalt, Kammerrechtsbeistand, Patentanwalt, Notar, Verteidiger in einem gesetzlich geordneten Verfahren, Wirtschaftsprüfer, vereidigtem Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten oder Organ oder Mitglied eines Organs einer Rechtsanwalts-, Patentanwalts-, Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder Steuerberatungsgesellschaft, 4. Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist, 4a. Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, 5. staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädagogen oder 6. Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen, steuerberaterlichen oder anwaltlichen Verrechnungsstelle anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) 1Ebenso wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. Amtsträger, 2. für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, 3. Person, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnimmt, 4. Mitglied eines für ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes tätigen Untersuchungsausschusses, sonstigen Ausschusses oder Rates, das nicht selbst Mitglied des Gesetzgebungsorgans ist, oder als Hilfskraft eines solchen Ausschusses oder Rates, 5. öffentlich bestelltem Sachverständigen, der auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist, oder 6. Person, die auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Geheimhaltungspflicht bei der Durchführung wissenschaftlicher Forschungsvorhaben auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist, anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist. 2Einem Geheimnis im Sinne des Satzes 1 stehen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen gleich, die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfaßt worden sind; Satz 1 ist jedoch nicht anzuwenden, soweit solche Einzelangaben anderen Behörden oder sonstigen Stellen für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bekanntgegeben werden und das Gesetz dies nicht untersagt. (3) 1Kein Offenbaren im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die in den Absätzen 1 und 2 genannten Personen Geheimnisse den bei ihnen berufsmäßig tätigen Gehilfen oder Hilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-055
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den bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätigen Personen zugänglich machen. 2 Die in den Absätzen 1 und 2 Genannten dürfen fremde Geheimnisse gegenüber sonstigen Personen offenbaren, die an ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit mitwirken, soweit dies für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der sonstigen mitwirkenden Personen erforderlich ist; das Gleiche gilt für sonstige mitwirkende Personen, wenn diese sich weiterer Personen bedienen, die an der beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit der in den Absätzen 1 und 2 Genannten mitwirken. (4) 1Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm bei der Ausübung oder bei Gelegenheit seiner Tätigkeit als mitwirkende Person oder als bei den in den Absätzen 1 und 2 genannten Personen tätiger Datenschutzbeauftragter bekannt geworden ist. 2Ebenso wird bestraft, wer 1. als in den Absätzen 1 und 2 genannte Person nicht dafür Sorge getragen hat, dass eine sonstige mitwirkende Person, die unbefugt ein fremdes, ihr bei der Ausübung oder bei Gelegenheit ihrer Tätigkeit bekannt gewordenes Geheimnis offenbart, zur Geheimhaltung verpflichtet wurde; dies gilt nicht für sonstige mitwirkende Personen, die selbst eine in den Absätzen 1 oder 2 genannte Person sind, 2. als im Absatz 3 genannte mitwirkende Person sich einer weiteren mitwirkenden Person, die unbefugt ein fremdes, ihr bei der Ausübung oder bei Gelegenheit ihrer Tätigkeit bekannt gewordenes Geheimnis offenbart, bedient und nicht dafür Sorge getragen hat, dass diese zur Geheimhaltung verpflichtet wurde; dies gilt nicht für sonstige mitwirkende Personen, die selbst eine in den Absätzen 1 oder 2 genannte Person sind, oder 3. nach dem Tod der nach Satz 1 oder nach den Absätzen 1 oder 2 verpflichteten Person ein fremdes Geheimnis unbefugt offenbart, das er von dem Verstorbenen erfahren oder aus dessen Nachlass erlangt hat. (5) Die Absätze 1 bis 4 sind auch anzuwenden, wenn der Täter das fremde Geheimnis nach dem Tod des Betroffenen unbefugt offenbart. (6) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe.
Schrifttum 1. Allgemein Ackermann Zur Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts in Strafsachen, Festschrift DJT (1960) 479; Aldoney Ramírez Der strafrechtliche Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (2009); Amelung Grenzen der Beschlagnahme notarieller Urkunden, DNotZ 1984 195; Anders Übermittlung personenbezogener Daten von der Bewährungshilfe an die Polizei, GA 2011 19; Andreas Wer unterliegt als ärztlicher Gehilfe der Schweigepflicht? ArztR 1987 203; Arloth Arztgeheimnis und Auskunftspflicht bei AIDS im Strafvollzug, MedR 1986 295; Arzt Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre (1970); Ayasse Die Grenzen des Datenschutzes im Bereich der privaten Versicherungswirtschaft, VersR 1987 536; Bähr/Reuter Einsichtnahme in Patientenakten durch private Krankenversicherer, VersR 2011 953; Barbey Die Schweigepflicht, das Vertrauensverhältnis und das Problem der Unparteilichkeit des psychiatrischen Sachverständigen im Strafprozess, Der med. Sachverst. 1974 32; Barnikel Die Aufklärung der Angehörigen und die ärztliche Schweigepflicht, DRiZ 1978 182; Bast Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Strafvollzug (2003); Baur Schweigerecht und Offenbarungsbefugnis des Arztes im Rahmen der Mitteilungsvorschriften der RVO, SGb 1984 150; Behm Privatgeheimnis und Amtsgeheimnis, AfP 2004 85; D. Bender Grenzen der Schweigepflicht des Arztes bei Kenntnis von Misshandlungen und entwürdigenden Behandlungen durch Eltern, MedR 2002 626; R. Bender Rechtsfragen im Zusammenhang mit Aids und Schule, NJW 1987 2903; Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren (1980); Bindokat Die erschlichene Bekanntgabe des Berufsgeheimnisses, NJW 1954 865; Blau Schweigepflicht und Schweigerecht der Fachpsychologen, NJW 1973 2234; Bock/Wilms Die Verletzung von
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Verletzung von Privatgeheimnissen
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Sozialhilfe 1981 198; Dannecker Der Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, BB 1987 1614; Dargel Die rechtliche Zulässigkeit der Bekanntgabe von HTLV-III- oder Aids-Erkrankungen der Gefangenen durch die Vollzugsbehörde, ZfStrVo 1987 156; Dieckhöfer/Riemer Schweigepflichtsverletzung durch Weitergabe psychiatrischer Atteste, VersMed 2011 97; Dierks Schweigepflicht und Datenschutz in Gesundheitswesen und medizinischer Forschung (1993); Dippel Die Stellung des Sachverständigen im Strafprozess (1986); Dittrich Drittgeheimnisse im Rahmen der Verletzung von Privatgeheimnissen (2007); Duttge Ärztliche Schweigepflicht: ein aus der Zeit gefallenes Fossil? MedR 2021 325; Dyes u. Karstädt Schweigepflicht des Arztes gegenüber dem Dienstherrn eines Beamten? NJW 1961 2050; Dochow Datenschutz und Schweigepflicht: Hürden bei der Weitergabe von Patientendaten an Private Verrechnungsstellen, MedR 2020 348; ders. Cybersicherheitsrecht im Gesundheitswesen, MedR 2022 100; Eberbach Rechtsprobleme der HTLV-III-Infektion (AIDS) (1986); ders. Juristische Probleme der HTLV-III-Infektion (AIDS), JR 1986 230; ders. Arztrechtliche Aspekte bei AIDS, Aids-Forschung (AIFO) 1987 281; Ebermayer Der Arzt im Recht (1930); Eckhard/Dendorfer Der Mediator zwischen Vertraulichkeit und Zeugnispflicht – Schutz durch Prozessvertrag, MDR 2001 786; Eichelbrönner Die Grenzen der Schweigepflicht des Arztes pp. im Hinblick auf Verhütung und Aufklärung von Straftaten (2001); Eisele Die Strafbarkeit nach § 203 StGB bei Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen, JR 2018 79; Engler Schweigerechte und Informationspflichten des Lehrers – am Beispiel von Drogenproblemen in der Schule betrachtet, RdJB 1979 62, 130; Erdsiek Zur Schweigepflicht des Arztes nach dem Tode des Patienten, NJW 1963 632; Eser Wahrnehmung berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund (1969); Eser/Hirsch Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch (1980); Eser Medizin und Strafrecht, ZStW 97 (1985) 1; Fechtner/Haßdenteufel Die Novelle des § 203 StGB und weiterer berufsrechtlicher Normen, CR 2017 355; Fellner Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht nach dem Tod des Patienten, MDR 2011 1452; Fink Die Schweigepflicht des Arztes und das Beamtenrecht, DÖV 1957 447; Fischer Die Schweigepflicht des Amts- oder Betriebsarztes und das Beamtenrecht, DÖD 1985 165; Flor Beruf und Schweigepflicht – eine Gegenüberstellung, JR 1953 368; Foth Zur Schweigepflicht der freien Sozialdienste im Strafprozess, JR 1976 7; Frels Nochmals: Die Bedeutung des § 203 Abs. 1 Ziff. 6 StGB n.F. für die private Personenversicherung, VersR 1976 511; Frey Zur Frage des ärztlichen Zeugnisverweigerungsrechts, Festschrift Pfenniger (1976) 41; Gallas Der Schutz der Persönlichkeit im Entwurf eines Strafgesetzbuches (E 1962), ZStW 75 (1963) 16; Gebauer Grenzen der Übermittlung von Patientendaten zwischen Krankenhaus und Krankenkasse, NJW 2003 777; Geppert Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug (1983) (zit.: Geppert Strafvollzug); ders. Zum Einsichtsrecht des Strafgefangenen in die anstaltsärztlichen Krankenunterlagen, Festschrift z. 125jähr. Bestehen der Jur. Gesellschaft zu Berlin (1984) 151; ders. AIDS und Strafvollzug, in Szwarc (Hrsg.) AIDS und Strafrecht, 235; ders. Rechtliche Überlegungen zur Fahreignung bei neurologischen und neuropsychologischen Erkrankungen, Festschrift Gössel (2002) 303; ders. Zum Begriff des Offenbarens nach § 203 StGB im Falle der Einschaltung privatärztlicher Verrechnungsstellen, NStZ 2012 22; Gödeke/Ingwersen Die Auslagerung von Unternehmensfunktionen – Zulässigkeit und Grenzen im Hinblick auf § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB, VersR 2010 1153; Göppinger Die Entbindung von der Schweigepflicht und die Herausgabe oder Beschlagnahme von Krankenblättern, NJW 1958 241; ders. (Hrsg.) Arzt und Recht (1966); Goll Offenbarungsbefugnisse im Rahmen des § 203 Abs. 2 StGB, Diss. Tübingen 1980; Gottwald Recht auf Kenntnis der biologischen Abstammung? Festschrift Hubmann (1985) 111; Grabsch Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen (1994); Gramberg-Danielsen (Hrsg.) Rechtsophtalmologie (1985); Grömig Schweigepflicht der Ärzte untereinander, NJW 1970 1209; Grosskopf/ Momsen Outsourcing bei Berufsgeheimnisträgern – strafrechtliche Verpflichtung zur Compliance? CCZ 2018 98;
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1. Allgemein
§ 203
Groth/v. Bubnoff Gibt es „gerichtsfeste“ Vertraulichkeit bei der Mediation? NJW 2001 338; Haas Die Schweigepflicht eines für eine in Konkurs geratene GmbH tätig gewesenen Wirtschaftsprüfers, wistra 1983 183; Habscheid Zur Schweigepflicht des Anwalts nach dem Tode seines Mandanten, AnwBl. 1964 302; Hackel Drittgeheimnisse innerhalb der ärztlichen Schweigepflicht, NJW 1969 2257; Händel Ärztliche Schweigepflicht und Verkehrssicherheit, DAR 1977 36; Händel Suizidprophylaxe und ärztliche Schweigepflicht, Festschrift Leithoff (1985) 555; Härting Sicher outsourcen – wie § BRAO § 43 e BRAO funktioniert, NJW 2019 1423; Härting/Dimov Die Neuregelungen des strafrechtlichen Geheimnisschutzes für Rechtsanwälte, MDR 2018 1; Haffke Schweigepflicht, Verfahrensrevision und Beweisverbot, GA 1973 65; Haft Zur Situation des Datenschutzstrafrechts, NJW 1979 1194; Hammer Rechtsprobleme des Beratungsgeheimnisses in der sozialen Praxis, NZA 1986 305; Hamminger Der Einsatz externer Dienstleister und die Verschwiegenheitspflicht, NWB 2019 1925; Hartung Datenschutz und Verschwiegenheit bei Auslagerung durch Versicherungsunternehmen, VersR 2012 400; Hass Die Grenzen des anwaltlichen Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO, NJW 1972 1081; Haß Das Vertrauen des Bürgers in seine „Obrigkeit“ und das Strafrecht, SchlHA 1976 3; W. Hassemer Das Zeugnisverweigerungsrecht des Syndikusanwalts, wistra 1986 1; Heghmanns/ Niehaus Outsourcing im Versicherungswesen und der Gehilfenbegriff des § 203 III 2 StGB, NStZ 2008 57; Heinitz Grenzen der Zulässigkeit eigener Ermittlungstätigkeit des Sachverständigen im Strafprozess, Festschrift Engisch (1969) 693; Henkel Der Strafschutz des Privatlebens gegen Indiskretion, Gutachten f.d. 42. DJT (1957) Verh. Bd. II D 59; Henssler Das anwaltliche Berufsgeheimnis, NJW 1994 1817; Hentschel Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren und berufliche Schweigepflicht, NJW 2009 810; Herold Auskunfterteilung des Arztes an Unternehmen der Lebensversicherung, DMW 1961 357; Hildebrandt Schweigepflicht im Behandlungsvollzug (2004); Hilgendorf Strafrechtliche Probleme beim Outsourcing von Versicherungsdaten in ders. (Hrsg.) Informationsstrafrecht und Rechtsinformatik (2004); ders. Strafbarkeitsrisiken nach § 203 StGB bei Offenbarungsketten im Kontext des IT-Outsourcing, Festschrift Tiedemann (2008) 1125; ders. Einführung in das Medizinstrafrecht, 2. Aufl. (2019); ders. Auf dem Weg zu einer digitalen Transformation der Medizin, AG Medizinrecht im DAV/IMR (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht (2021), 71; Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten (1981); Höflich Die ärztliche Schweigepflicht – Unter besonderer Berücksichtigung der postmortalen ärztlichen Schweigepflicht (2011); Hoenike/Hülsdunk Outsourcing im Versicherungs- und Gesundheitswesen ohne Einwilligung? MMR 2004 788; Hoeren Betriebsgeheimnisse im digitalen Zeitalter, MMR 2018 12; Hollmann Formularmäßige Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht gegenüber Versicherungsunternehmen, NJW 1978 2332; 1979 1923; ders. Patientengeheimnis und medizinische Forschung, MedR 1992 177; Hubmann Der zivilrechtliche Schutz der Persönlichkeit gegen Indiskretion, JZ 1957 521; Huffer Schweigepflicht im Umbruch, NJW 2002 1382; Hübner Umfang und Grenzen des strafrechtlichen Schutzes des Arztgeheimnisses nach § 203 StGB (2010); Jäschke Das Schutzgut des § 203 StGB ZStW 131 (2019) 36; Jahn/Palm Outsourcing in der Kanzlei: Verletzung von Privatgeheimnissen? AnwBl 2011 613; Jakobs Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, JR 1982 359; Jandt/Roßnagel Qualitätssicherung im Krankenhaus, MedR 2010 140; Jandt/Wilke Outsourcing der Verarbeitung von Patientendaten, NZS 2011 641; Jung Der strafrechtliche Schutz des Arztgeheimnisses im deutschen und französischen Recht, Constantinesco-Gedächtnisschrift 355; Kahler Outsourcing im öffentlichen Sektor und § 203 Abs. 2 StGB, CR 2015 153; Kallfelz Das ärztliche Berufsgeheimnis nach der Reichsärzteordnung, JW 1936 1343; Kalsbach Über die Schweigepflicht und das Offenbarungsrecht des Rechtsanwalts, AnwBl. 1955 41; Kamps Datenschutz und ärztliche Schweigepflicht in Psychiatrischen Landeskrankenhäusern, MedR 1985 200; Kargl Die Verletzung von Mandatsgeheimnissen bei der Mitwirkung Dritter, StV 2017 482; Kauder Ärztliche Schweigepflicht über die Behandlung Drogensüchtiger, StV 1981 564; Kern Der postmortale Geheimnisschutz, MedR 2006 205; Kienapfel Privatsphäre und Strafrecht (1969); Kiethe Die Abgrenzung von zulässigem Sachvortrag und strafbewehrtem Geheimnisschutz im Zivilprozess, JZ 2005 1034; Kilian/Porth (Hrsg.) Juristische Probleme der Datenverarbeitung in der Medizin (1979); Kilian Rechtsfragen der medizinischen Forschung mit Patientendaten (1983); ders. Rechtliche Aspekte der digitalen medizinischen Archivierung von Röntgenunterlagen, NJW 1987 695; ders. Medizinische Forschung und Datenschutzrecht, NJW 1998 787; Kintzi Externe Datenverarbeitung von Berufsgeheimnissen im Kontext von § 203 StGB, DRiZ 2007 244; Kitz Der unantastbare Bereich der Privatsphäre, Deutsche öffentlich-rechtliche Landesreferate zum X. Internationalen Kongress für Rechtsvergleichung in Budapest (1978) 223; Kleinewefers/Wilts Die ärztliche Schweigepflicht gegenüber Auskunftersuchen der Haftpflichtversicherer, VersR 1963 989; dies. Die Schweigepflicht der Krankenhausleitung, NJW 1964 428; Knispel Zum Einsichtsrecht der Krankenkassen in die Behandlungsunterlagen eines Krankenhauses, GesR 2011 518; Koch Softwarepflege und anwaltliche Schweigepflicht, CuR 1987 284; Kohlhaas Ärztliche Schweigepflicht und Meldung fahruntüchtiger Fahrer an die Verkehrsbehörde, DAR 1957 345; ders. Zur Beschlagnahme von Arztkarteien nach Entbindung von der Schweigepflicht, JR 1958 328; ders. Schweigepflicht und Auskunft an Privatversicherung, DMW 1958 1863; ders. Strafrechtliche Schweigepflicht und prozessuales Schweigerecht, GA 1958 65; ders. Schweigepflicht von Krankenwagenfahrern? DMW 1963 2356; ders. Herausgabepflicht und Beschlagnahme ärztlicher Aufzeichnungen, NJW 1964 1162; ders. Versicherungsansprüche, Vertrauensarzt und Schweigepflicht, VersR 1965 529; ders. Rotes
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§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
Kreuz und Schweigerecht? NJW 1967 666; ders. Medizin und Recht (1969); ders. Zur Schweigepflicht der Psychologen, NJW 1969 1566; ders. Die Schweigepflicht der in der Medizin technisch tätigen Personen, NJW 1972 1502; Köpke Die Bedeutung des § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB für private Krankenversicherer pp., jur. Diss. Heidelberg 2003; Krauß Schweigepflicht und Schweigerecht des ärztlichen Sachverständigen im Strafprozess, ZStW 97 (1985) 81; Kreuzer Die Schweigepflicht von Krankenhausärzten gegenüber Aufsichtsbehörden, NJW 1975 2232; Kühne Innerbehördliche Schweigepflicht von Psychologen, NJW 1977 1478; Kühne Die begrenzte Aussagepflicht des ärztlichen Sachverständigen vor Gericht nach §§ 53 I Nr. 3 StPO, 203 I Nr. 1 StGB, JZ 1981 647; Kühne (Hrsg.) Berufsrecht für Psychologen (1987); Kümmelmann Die anwaltliche Schweigepflicht nach dem Tode des Mandanten, AnwBl. 1984 535; Kuhns (Hrsg.) Das gesamte Recht der Heilberufe (1958); Kunkel Probleme des Datenschutzes bei der Kooperation des Sachverständigen mit Dritten, FPR 2003 516; Langkeit Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht gemäß § 203 I Nr. 1 StGB, NStZ 1994 6; Laufs Krankenpapiere und Persönlichkeitsschutz, NJW 1975 1433; Laufs Arztrecht 5. Aufl. (1993); Laufs/Laufs Aids und Arztrecht, NJW 1987 2257; Laufs/Kern/Rehborn Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. (2019); Lenckner Die Einwilligung Minderjähriger und deren gesetzlicher Vertreter, ZStW 72 (1960) 446; Lenckner Aussagepflicht, Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht, NJW 1965 321; ders. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen, ein „übergesetzlicher“ Rechtfertigungsgrund? Noll-Gedächtnisschrift 243; Lenkaitis Krankenunterlagen aus juristischer, insbesondere zivilrechtlicher Sicht (1979); B. Lilie Medizinische Datenverarbeitung, Schweigepflicht und Persönlichkeitsrecht im deutschen und amerikanischen Recht (1980); H. Lilie Ärztliche Dokumentation und Informationsrechte des Patienten (1980); ders. Datenfernwartung durch Geheimnisträger, Festschrift Otto (2007) 673; Lin Persönlichkeitsrechtsverletzung des Patienten und Arzthaftung, iur. Diss. Regensburg 1996; Lisse/ Reichert Offenlegung eines vertraulichen Vergleichangebots – Kavaliersdelikt oder strafbarer Geheimnisverrat? NJW 2008 3680; Lohmeyer Das Auskunftsverweigerungsrecht zum Schutz bestimmter Berufsgeheimnisse, DStZ 1979 347; Lücken Schweigepflicht, Zeugnisverweigerungsrecht und Gutachtenverweigerungsrecht der Mitarbeiter einer Erziehungsberatungsstelle, der ein Arzt zugeordnet ist, RdJB 1969 289; Maas Zur Geheimhaltungspflicht der Familienhelfer, Nachrichtendienst d. Deutschen Vereins f. öff. u. priv. Fürsorge 1986 359; Martin Die ärztliche Schweigepflicht und die Verkehrssicherheit, DAR 1970 302; Marx Schweigepflicht und Schweigerecht der Angehörigen des Behandlungsstabs im Straf- und Maßregelvollzug, GA 1983 160; Meister HIV-Tests im Krankenhaus, KH 1999 82; Meurer AIDS und strafrechtliche Probleme der Schweigepflicht, in Szwarc (Hrsg.) AIDS und Strafrecht (1996), 133; Mergen (Hrsg.) Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II (1971); Michalowski Schutz der Vertraulichkeit strafrechtlich relevanter Patienteninformationen, ZStW 109 (1997) 519; Mittelsteiner Verschwiegenheitspflicht, Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrecht der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten, DStR 1976 340; Müller-Dietz Juristische Grundlagen und Dimensionen der Schweigepflicht des Arztes, in Jung/Meiser/Müller (Hrsg.) Aktuelle Perspektiven des Arztrechts (1989) 39; K. Müller Die Schweigepflicht im ärztlichen Standesrecht, MDR 1971 965; Müthlein/Heck Outsorcing und Datenschutz (1997); Niedermair Verletzung von Privatgeheimnissen im Interesse des Patienten? in Roxin/Schroth (Hrsg.) Medizinstrafrecht 2. Aufl. (2001) 363; Noll Geheimnisschutz und Zeugenpflicht, Gerwig-Festgabe S. 135; Noll Tatbestand und Rechtswidrigkeit, ZStW 77 (1965) 1; Oehler (Hrsg.) Der strafrechtliche Schutz des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft sowie in Österreich und der Schweiz Bd. I (1978); Ostendorf Die öffentliche Identifizierung von Beschuldigten durch die Strafverfolgungsbehörden als Straftat, GA 1980 445; ders. Der strafrechtliche Schutz von Drittgeheimnissen, JR 1981 444; Ottens Die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch ehrenamtlich tätige Bürger, Ehrenbeamte und Gemeindevertreter nach Inkrafttreten des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, Gemeinde 1975 337; Passarge Zur Entbindung der Berufsgeheimnisträger von Zeugnisverweigerungsrechten durch juristische Personen, BB 2010 591; K. Peters Recht und Beratung, Jugendwohl 1976 275; Pickel Geheimhaltung und Offenbarung von Daten im Sozialrecht, MDR 1984 885; Redeker Datenschutz auch bei Anwälten pp., NJW 2009 554; ders. Cloud Computing in der öffentlichen Hand und § 203 StGB, ITRB 2014 232; Rehberg Ärztliches Berufsgeheimnis und gesetzlicher Vertreter des Patienten, F. Schwarz-Festgabe (1968) 23; Reichertz/Kilian Arztgeheimnis-Datenbanken-Datenschutz (1982); Rein Die Bedeutung der §§ 203 ff StGB n.F. für die private Personenversicherung, VersR 1976 117; Rein Der Schutz der Geheimnisse Verstorbener und Dritter in der privaten Personenversicherung, VersR 1977 121; Reinbacher Die strafbewehrte Schweigepflicht des Arztes nach § 203 StGB im Zeitalter der Digitalisierung, medstra 2020 67; Rengier Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht (1979); Rieger Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Schweigepflicht bei der Behandlung von Simulanten, DMW 1975 567; ders. Zur Schweigepflicht der Medizinstudenten, DMW 1976 1298; ders. Schweigepflicht des Krankenhausarztes bei der Ausfüllung von Formularen für Kostenträger, DMW 1979 1552; ders. Schweigepflicht für Hämodialyse-Techniker? DMW 1979 1733; ders./Dahm/Katzenmeier/Stellpflug/Ziegler (Hrsg.) Heidelberger Kommentar zum Arztrecht, Krankenhausrecht, Medizinrecht, 85. Update 3/2021; Rieger Schweigepflicht bei ärztlichen Zeugnissen und Gutachten für psychisch Kranke, DMW 1986 1775; Riemer/Tschuschke Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht in der Gruppenpsychotherapie, Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik 2004 193; Roebel/Wenk/Parzeller Postmortale ärztliche Schweigepflicht, Rechts-
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1. Allgemein
§ 203
medizin 2009 37; Roeder Wahrheitsbeweis und Indiskretionsdelikt, Festschrift Maurach (1972) 347; Rogall Die Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB), NStZ 1983 1; Roxin Die notstandsähnliche Lage – ein Strafunrechtsausschließungsgrund? Festschrift Oehler (1985) 181; ders. Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, Festschrift Jescheck (1985) 457; Rudolphi Der strafrechtliche und strafprozessrechtliche Schutz der Geheimsphäre der anerkannten Schwangerschaftskonfliktsberatungsstellen pp., Festschrift Bemmann (1997) 412; Rüping Schweigepflicht – Möglichkeiten und Grenzen, Internist 1983 206; Rupp Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des „bösgläubigen“ Softwareerwerbers, wistra 1985 137; Salzgeber Rechte und Pflichten des familienforensischen Sachverständigen bei Bekanntwerden einer Straftat im Rahmen der Begutachtung, FPR 2006 383; Sassenberg/Bamberg Steuerberatung, EDV und Verschwiegenheit, DStR 2006 2052; Sauter Das Berufsgeheimnis und sein strafrechtlicher Schutz (1910); H. Schäfer Der Konkursverwalter im Strafverfahren, wistra 1985 209; Schalast/Safran/Sassenberg Strafbarkeit von Sparkassenvorständen beim Verkauf notleidender Kredite, NJW 2008 1486; Schenker Teamarbeit und Schweigepflicht, Zentralbl. f. Jugendrecht u. Jugendwohlfahrt 1975 222; Schilling Strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Psychologen? JZ 1976 617; Schimmelpfeng (Hrsg.) Aktuelle Beiträge über den Datenschutz (1977); Schlink Das Recht der informationellen Selbstbestimmung, Der Staat 25 (1986) 233; Schlund Zu Fragen der ärztlichen Schweigepflicht, JR 1977 265; Eb. Schmidt Der Arzt im Strafrecht (1939); ders. Brennende Fragen des ärztlichen Berufsgeheimnisses (1951); ders. Berufsgeheimnis und Steuerrecht, JZ 1951 211; ders. Ärztliche Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht im Bereiche der Sozialgerichtsbarkeit, NJW 1962 1745; G. Schmidt Zur Problematik des Indiskretionsdelikts, ZStW 79 (1967) 741; Schmitz Verletzung von (Privat-)Geheimnissen, JA 1996 772, 949; Schöch Schweige- und Offenbarungspflichten für Therapeuten im Maßregelvollzug, Festschrift Schreiber (2003) 437; Scholz Schweigepflicht der Berufspsychologen und Mitbestimmung des Betriebsrats bei psychologischen Einstellungsuntersuchungen, NJW 1981 1987; Schons Die Pflicht des Anwalts zur Verschwiegenheit, AnwBl. 2007 441; Schreiner Drittgeheimnisse und Schweigepflicht, Diss. Heidelberg 1974; Schuegraf Schweigepflicht des Arztes gegenüber dem Dienstherrn eines Beamten? NJW 1961 961; Schünemann Der strafrechtliche Schutz von Privatgeheimnissen, ZStW 90 (1978) 11; ders. Die Zukunft der Viktimo-Dogmatik, Festschrift Faller (1984) 357; ders. Zur Stellung des Opfers im System der Strafrechtspflege, NStZ 1986 193, 439; ders. Die Funktion der Abgrenzung von Unrecht und Schuld, in Schünemann/Figueiredo Dias (Hrsg.) Bausteine des europäischen Strafrechts (1995), S. 149; ders. AIDS und Strafrecht, in Szwarc (Hrsg.) AIDS und Strafrecht, S. 9; ders./ Pfeiffer (Hrsg.) Die Rechtsprobleme von AIDS (1988); ders. Der Begriff des „berufsmäßig tätigen Gehilfen“ in Paragraph 203 Abs. III StGB und ehrenamtliche Tätigkeit, ArztR 1978 9; Schütte Die Schweigepflichtentbindung in Versicherungsanträgen, NJW 1979 592; Schuschke Rechtsfragen in Beratungsdiensten, 3. Aufl. (1983); Schwalm Die Schweigepflicht des ärztlichen (zahnärztlichen) Sachverständigen, Med. Klinik 1969 1722; Schwalm Strafrechtlicher Persönlichkeitsschutz und die Schranken der Persönlichkeitsentfaltung, Festschrift Küchenhoff (1972) 681; Seiler Der strafrechtliche Schutz der Geheimsphäre (1960); Sieber Der strafrechtliche Schutz des Arzt- und Patientengeheimnisses unter den Bedingungen der modernen Informationstechnik, Festschrift Eser (2005) 1155; Sester/Glos Wirksamkeit der Veräußerung notleidender Darlehensforderungen durch Sparkassen: Keine Verletzung von Privatgeheimnissen gemäß § 203 StGB, DB 2005 375; Solbach Kann der Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden werden, wenn der Patient verstorben oder willensunfähig ist? DRiZ 1978 204; Spickhoff Postmortaler Persönlichkeitsschutz und ärztliche Schweigepflicht, NJW 2005 1982; Stoll Die Abtretbarkeit von Darlehensforderungen durch eine Bank bzw. Sparkasse, DZWIR 2010 139; Stucke Berufliche Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen als Vertrauensschutz, Diss. Kiel 1981; Stürner Die gewerbliche Geheimsphäre im Zivilprozess, JZ 1985 453; Suppert Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage“ (1973); Szalai/Kopf Verrat von Mandantengeheimnissen – Ist Outsourcing strafbar nach § 203 StGB? ZD 2012 462; Szwarc (Hrsg.) AIDS und Strafrecht (1996); Tenckhoff Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände (1974); Teyssen-Goetze Vom Umfang staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsrechte am Beispiel des kassenärztlichen Abrechnungsbetrugs, NStZ 1986 529; Thole Die Klassifizierung der Gefangenen im Erwachsenenvollzug des Landes Nordrhein-Westfalen, MSchrKrim. 1975 261; Tiedemann Rechtsnatur und strafrechtliche Bedeutung von technischem know how, v. Festschrift Caemmerer (1978) 643; Tiedemann Datenübermittlung als Straftatbestand, NJW 1981 945; Timm Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht (1988); Tobinsky Zur Strafbarkeit des Arztes, der bei der Abrechnung seiner privatärztlichen Tätigkeit sog. „Privatärztliche Verrechnungsstellen“ einschaltet (1991); Vitkas Das Spannungsverhältnis zwischen ärztlicher Schweigepflicht und der Befugnis zur Offenbarung von (Verdachts-)Fällen der Kindesmisshandlung, JR 2015 353; Vogelbruch Die Auskunftspflicht der einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegenden rechts- und steuerberatenden Berufe gegenüber der Finanzbehörde, DStZ 1978 340; Vollkommer (Hrsg.) Datenverarbeitung und Persönlichkeitsschutz (1986); Vollmer Körperlich-geistige Mängel, Verkehrssicherheit und ärztliche Schweigepflicht (1986); U. Weber Zur strafrechtsgestaltenden Kraft des Privatrechts, Festschrift F. Baur (1981) 133; Weichbrodt Die Pflichten beamteter Ärzte bei der Abwendung eines Hungerstreiks, NJW 1983 311; Weichert Die Krux mit der ärztlichen Schweigepflichtentbindung für Versicherungen, NJW 2004 1695; Weigend Über die Begründung der Straflosigkeit bei Einwilligung
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Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
des Betroffenen, ZStW 98 (1986) 44; Weihrauch Zur Entbindungsbefugnis des Konkursverwalters von der Schweigepflicht, JZ 1978 300; Welp Die Geheimsphäre des Verteidigers in ihren strafprozessualen Funktionen, Festschrift Gallas (1973) 391; Wiebel Das Berufsgeheimnis in den freien Berufen (1970); Wilts Anzeigepflichten des Arztes aus vorangegangenem Tun? NJW 1966 1837; Woesner Fragen ärztlicher Geheimhaltungspflicht, NJW 1957 692; Wolff Der strafrechtliche Schutz des Berufsgeheimnisses (1908); Würtenberger Der Schutz des Berufsgeheimnisses und das Zeugnisverweigerungsrecht des Sozialarbeiters, H. Peters-Gedächtnisschrift 923; Zieger Zur Schweigepflicht des Anstaltsarztes, StV 1981 559; Zimmermann Die heterologe künstliche Insemination und das geltende Zivilrecht, FamRZ 1981 929.
2. Spezialliteratur zum Betriebsarzt Benke Schweigepflicht des Betriebsarztes, DÄ 2020 1336; Budde/Witting Funktion und rechtliche Stellung des Betriebsarztes in privatwirtschaftlichen Unternehmen (1984); dies. Die Schweigepflicht des Betriebsarztes, MedR 1987 23; Däubler Die Schweigepflicht des Betriebsarztes – ein Stück wirksamer Datenschutz? BB 1989 282; Eiermann Die Schweigepflicht des Betriebsarztes bei arbeitsmedizinischen Untersuchungen nach dem Arbeitssicherheitsgesetz, BB 1980 214; Hess Schutz von Patientendaten in arbeitsmedizinischen Diensten, DÄBl. 1978 1055; Hinrichs Nochmals: Zur Frage der Schweigepflicht des Betriebsarztes, BB 1976 1273; ders. Rechtliche Aspekte zur Schweigepflicht der Betriebsärzte und des betriebsärztlichen Personals, DB 1980 2287; Hülsemann Die Schweigepflicht des Betriebsarztes, ArbR 2015 192; Kierski Die Schweigepflicht und die Haftung des Werksarztes, BB 1964 395; ders. Zur Frage der Schweigepflicht des Betriebsarztes, BB 1976 842; Kilian Rechtliche Aspekte heutiger betriebsärztlicher Informationssysteme, BB 1980 893; ders. Verwendung und Weitergabe arbeitsmedizinischer Informationen, BB 1981 985; Koch Entbindung des Werksarztes von der Schweigepflicht, DB 1958 1040; Krause Werksärztlicher Dienst und ärztliche Schweigepflicht, DB 1965 1743; Schäcker Zur Schweigepflicht der Angehörigen werksärztlicher Abteilungen, BB 1964 968; Schal Die Schweigepflicht des Betriebsarztes (1989); Schimke Die Schweigepflicht des Betriebsarztes bei freiwilligen Vorsorgeuntersuchungen nach dem Arbeitssicherheitsgesetz, BB 1979 1354; Schmid Eignungsuntersuchungen und ärztliche Schweigepflicht im Rahmen des werksärztlichen Dienstes, BB 1968 954; Wunderlich Die Rechtsstellung des Betriebsarztes (1995); Zöllner Daten- und Informationsschutz im Arbeitsverhältnis, 2. Aufl. (1983).
3. Schrifttum zur Schweigepflicht im Behördenverkehr und zum Sozialdatenschutz Barbey Amtshilfe durch Informationshilfe und „Gesetzesvorbehalt“, Festschrift z. 125jähr. Bestehen d. Jur. Gesellschaft zu Berlin (1984) 25; Behm Zum Strafrechtsschutz für Fahrzeug- und Halterdaten (§ 39 Abs. 1 StVG) gem. § 203 Abs. 2 StGB, JR 2000 274; Borchert Die ärztliche Schweigepflicht nach Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes, ArztR 1990 171; Breer-Kohler Amtshilfe, VerwRdsch. 1987 114; Brodersen Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999, NJW 2000 2536; Bruns Die Schweigepflicht der sozialen Dienste der Justiz (1996); Damian Geheimnisschutz und Offenbarungspflichten in der Bewährungshilfe, BewHi 1992 325; Filusch Sozialdatenschutz verstorbener Personen, ZD 2022 153; Franzheim Informationspflichten in Strafsachen im Konflikt mit dem Daten- und Geheimnisschutz, ZRP 1981 6; Fromman/Mörsberger/Schellhorn Sozialdatenschutz (1985); Groß/Fünfsinn Datenweitergabe im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, NStZ 1992 105; Hardtung Auskunftspflicht der Sozialbehörden nach § 69 I Nr. 1 SGB X im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, NJW 1992 211; Hartmann Outsourcing in der Sozialverwaltung und Sozialdatenschutz (2002); Haus Der Sozialdatenschutz im gerichtlichen Verfahren, NJW 1998 3126; Heberlein Erhebung von Behandlungsdaten durch den MDK, SGb 2009 68; Heckel Behördeninterne Geheimhaltung, NVwZ 1994 224; Hilderink Datenschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung (2000); Kerl Staatsanwalt und Sozialgeheimnis, NJW 1984 2444; Knemeyer Geheimhaltungsanspruch im Kartellverfahren, DB 1984 Beil. 18/84; Knemeyer Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefugnis im Verwaltungsverfahren, NJW 1984 2241; Kunkel Justiz und Sozialdatenschutz, StV 2000 531; Lang Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Patienten und die ärztliche Schweigepflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (1997); Maier Die Sphinx des Sozialgeheimnisses bei besonders schutzwürdigen personenbezogenen Daten, SGb 1983 89; Mallmann-Waltz Schutz der Sozialdaten nach dem neuen Sozialgesetzbuch, NJW 1981 1020; Meyer-Teschendorf Die Amtshilfe, JuS 1981 187; Mörsberger (Hrsg.) Datenschutz im sozialen Bereich (1981); ders. Verschwiegenheitspflicht und Datenschutz (1985); C. Müller Weitergabe amtsärztlicher Gutachten an den Dienstherrn, NJW 1966 1152; Ostendorf Die Informationsrechte der Strafverfolgungsbehörden gegenüber anderen staatlichen Behörden im Widerstreit mit deren strafrechtlichen Geheimhaltungspflichten, DRiZ 1981 4; Pieroth Die planende Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit, JuS 1981 625; Prochnow Geheimhaltung und Einsichtsrecht bei der Akteneinsicht im Sozialverwaltungsverfahren, H. Grüner-Festgabe (1982) 463; Proksch Sozialdatenschutz in der Jugendhilfe (1996); Rasmussen Sozialdatenschutz in der Praxis (1997); Rammos/Vonhoff Cloud Computing und Sozialdatenschutz, CR 2013 205; Schatzschneider Die Neuregelung des Schutzes von Sozialdaten im Sozialgesetzbuch-Verwaltungsverfahren, MDR 1981 6; Schenkel Keine
Hilgendorf
896
Entstehungsgeschichte
§ 203
berufsbezogene Schweigepflicht hauptamtlicher Bewährungshelfer nach § 203 I Nr. 5 StGB, NStZ 1995 67; Schlink Die Amtshilfe (1982); ders. Datenschutz und Amtshilfe, NVwZ 1986 249; K. Schmidt Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, iur. Diss. Göttingen 1985; Schnapp Amtshilfe, behördliche Mitteilungspflichten und Geheimhaltung, NJW 1980 2165; ders. Grenzen der Amtshilfe in der Sozialversicherung, Festschrift Wannagat (1981) 449; Ulrich Wie hat der in familiengerichtlichen Verfahren eingesetzte und der Verschwiegenheitspflicht unterliegende ärtzliche oder psychologische Sachverständige mit Zusatztatsachen umzugehen? FÜR 2008 283; Vogel Zum strafrechtlichen Schutz des Sozialgeheimnisses, iur. Diss. Münster 1994; Walter Zur Auskunftspflicht der Sozialbehörden und Arbeitsämter in Ermittlungs- und Strafverfahren, NJW 1978 868; Welke Zur Zulässigkeit der Übermittlung von Sozialdaten durch Sozialleistungsträger im Rahmen von Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche von Pflegediensten wegen Abrechnungsbetrugs, DÖV 2010 175; Willenbücher/Borcherding Die Offenbarung von Sozialdaten, ZfSH/SGB 1988 122; Wollweber Iustitias langer Arm – Analyse und Kritik des Justizmitteilungsgesetzes, NJW 1997 2488; Würthwein Innerorganisatorische Schweigepflicht im Rahmen des § 203 StGB, iur. Diss. Tübingen 1992.
Entstehungsgeschichte Die Verletzung von Privatgeheimnissen ist im Strafrecht lange konturenlos geblieben; wenn überhaupt, so suchte man die Preisgabe von Intimtatsachen mit den Kategorien der Fälschung, der Beleidigung, auch des Betrugs zu erfassen (Finger VDB Bd. 8 S. 293, 301). Gesetzlich verankerte Schweigepflichten finden sich zwar für Ärzte im 17. Jahrhundert (Sauter S. 20; Wiebel S. 60 f, zur gelegentlich überschätzten Bedeutung des hippokratischen Eides S. 49 ff), nachdem Anwälten bereits die Reichskammergerichtsordnung von 1495 Verschwiegenheit geboten hatte (Sauter S. 14). Aber erst das Preußische ALR von 1794 bedrohte den Bruch der Verschwiegenheit von Medizinalpersonen – als Verletzung von im öffentlichen Interesse gelegenen Sonderpflichten – mit Strafe (§ 505 Teil II Tit. 20). In den Entwürfen für das Preußische StGB von 1851 fand sich eingestandenermaßen zunächst keine passende Stelle dafür (Goltdammer Die Materialien zum Strafgesetzbuche für die Preußischen Staaten Teil II [1852] S. 327 f; Wolff S. 22). Das Gesetz selbst ordnete den Tatbestand sodann den Ehrverletzungen zu und erstreckte ihn auf alle, denen ein Privatgeheimnis kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut worden war (zu den anderen Partikularrechten des 19. Jahrhunderts Finger VDB Bd. 8 S. 293, 346). Daran anknüpfend zählte das RStGB von 1871 den Kreis der tauglichen Täter enumerativ auf, stellte den Tatbestand aber als § 300 in den 25. Abschnitt – Strafbarer Eigennutz und Verletzung fremder Geheimnisse – ein. Die Vorschrift galt so bis 1975, nachdem Art. 2 Nr. 43 des 3. StRÄndG spezialgesetzliche Regelungen für Medizinalpersonen, welche ab 1935 erlassen worden waren,1 wieder in das StGB zurückgeführt hatte. Den Anforderungen eines effektiven Geheimnisschutzes gegenüber der sich ausdehnenden Eingriffs- und Leistungsverwaltung trug der Gesetzgeber daneben in immer zahlreicheren Vorschriften des Nebenstrafrechts Rechnung (Göhler NJW 1974 825, 831 Fn. 88; Schulz GA 1962 274). Bereits seit der Einführung der Gewerbefreiheit hatte sich ferner die Notwendigkeit einer strafrechtlichen Sicherung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ergeben, welche den mit der Genehmigung, Überwachung und Versicherung gewerblicher Tätigkeit befassten Personen zugänglich waren. Solche Vorschriften wurden daher ebenfalls in großer Zahl geschaffen (Finger VDB Bd. 8 S. 293, 371; zum anders gearteten UWG und seiner Geschichte Arians in Oehler S. 307, 347). Das EGStGB fasste mit Wirkung vom 1. Januar 1975 alle diese Vorschriften im neuen § 203 zusammen und dehnte den Kreis der schweigepflichtigen Personen aus. In Absatz 2 Satz 2 ist ferner der Datenschutz gegenüber der öffentlichen Verwaltung als Geheimnisschutz ausgestaltet. Seitdem hatte es zunächst nur noch Detailanpassungen des schweigepflichtigen Personenkreises gegeben, vor allem bezüglich der Schwangerschaftskonfliktberater (zuletzt SFHÄndG vom 21.8.1995, BGBl. I S. 1050) und der Rechtsberatungsberufe (zuletzt BRAOÄndG vom 31.8.1998, BGBl. I S. 2600, und BNotOÄndG vom 25.8.1998, BGBl. I S. 2585), an die betreffende Regelung des Beratungswesens. Ferner hat das StVÄG 1999 vom 2. August 2000 (BGBl. I S. 1253) in Art. 3 die zur Geheimhaltung förmlich verpflichteten Teilnehmer von Forschungsvorhaben in die strafrechtliche Verantwortung einbezogen. Weitere kleinere Änderungen sind durch Art. 2 des Ersten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft v. 22.8.2006 (BGBl. I 1970) in Gestalt der Einfügung von Abs. 2a a.F. sowie durch Art. 17 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007 (BGBl. I S. 2840) und durch Art. 6 des 8. Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 8.4.2008 (BGBl. I S. 666) in Gestalt der Ergänzung von Abs. 1 Nr. 6 durch die anwaltlichen und steuerberaterlichen Verrechnungsstellen vorgenommen worden. Erhebliche Änderungen brachte dann das Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der
1 § 13 Reichsärzteordnung v. 13.12.1935 (RGBl. I S. 1433); § 24 Reichsapothekerordnung v. 18.4.1937 (RGBl. I S. 457); Krankenpflege: § 19 VO v. 28.9.1938 (RGBl. I S. 1310); Säuglings- und Kinderpflege: § 20 VO v. 15.11.1939 (RGBl. I S. 2239); med.-techn. Gehilfen: § 30 VO v. 17.2.1940 (RGBl. I S. 371); Wochenpflegerinnen: § 6 VO v. 7.2.1943 (RGBl. I S. 87). 897
Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
Berufsausübung schweigepflichtiger Personen vom 30.10.2017 (BGBl. I 3618) mit sich. Neben der Ergänzung des Abs. 1 Nr. 3 um den Kammerrechtsbeistand, einer Neunummerierung des Abs. 1 Nr. 5–7 und der Aufhebung des Abs. 2a wurde insbesondere die Beteiligung Dritter an der Berufsausübung eines Schweigepflichten in den Abs. 3 und 4 n.F. umfassend neu geregelt. In der Folge wurden Abs. 4 und 5 a.F. zu Abs. 5 und 6 n.F. Einer redaktionellen Änderung in Abs. 4 S. 1 durch Gesetz vom 20.11.2019 (BGBl. I S. 1626) folgten schließlich die Ergänzung des Abs. 2 S. 1 Nr. 1 um den Europäischen Amtsträger durch Gesetz vom 10.7.2020 (BGBl. I S. 1648) und eine Ausweitung des Täterkreises auf nicht beratende Gesellschafter einer Berufsausübungsgesellschaft durch Einfügung des Abs. 1 Nr. 3a durch Gesetz vom 7.7.2021 (BGBl. I S. 2363).
Gesetzesmaterialien E 1962 § 185 bis § 186a, Begründung S. 326 ff; AE §§ 145, 149, 150; RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 Art. 18 Nr. 80, Begründung S. 237 ff; Prot. 7/176 ff, 417; 1060, 1696, 1707; Schriftl. Bericht des Sonderausschusses BTDrucks. 7/1261 S. 15 f; BTDrucks. 18/11936.
Übersicht I. 1. 2. 3. 4.
II. 1. 2. 3. 4. 5. III. 1. 2.
Allgemeines 1 Übersicht 5 Verhältnis zu anderen Delikten 7 Grund der Strafdrohung Rechtspolitische Fragen 11 a) Indiskretionsdelikt 12 b) Abgrenzung des Täterkreises c) Schweige- und Offenbarungspflicht
13
Zusammenhang mit anderen Vorschriften Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnah14 meverbot 18 Berufsrechtliche Vorschriften Andere Strafvorschriften zum Geheimnis20 schutz 21 Datenschutz 22 Landesrecht
2.
Rechtsgut Die Individualsphäre als geschütztes Rechts23 gut Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt 28 durch die Viktimodogmatik 3.
IV. 1.
31 Tathandlung der Offenbarung Geheimnisbruch 32 a) Begriff des Geheimnisses 35 aa) Gegenstand 38 bb) Geheimsein 43 cc) Geheimhaltungswille dd) Objektives Geheimhaltungsinte47 resse 51 ee) Beispiele 53 b) Fremdes Geheimnis aa) Juristische Personen des Privat54 rechts bb) Personen des öffentlichen 55 Rechts
Hilgendorf
cc) Drittgeheimnisse 56 Erlangung in beruflicher Eigen58 schaft 59 aa) Funktionsbezug 63 bb) Private Kenntnis 64 cc) Drittgeheimnisse 66 dd) Beispiele d) Offenbaren 67 aa) Begriff bb) Tatbestandsausschluss nach Abs. 3 70 S. 1 71 (1) Gehilfe 75 (2) Berufsvorbereitung 76 (3) Nicht: Outsourcing 77 cc) Behördenverkehr 79 dd) Unterlassen 80 Datenweitergabe (Absatz 2 Satz 2) 81 a) Verhältnis zu Satz 1 82 b) Einzelangaben c) Erfassung für Aufgaben der öffentlichen 83 Verwaltung 86 d) Offenbaren 87 e) Amtshilfe Postmortaler Geheimnisschutz (Ab88 satz 5) c)
V.
Rechtfertigung der Offenbarung gegenüber sons94 tigen „Mitwirkenden“ nach Abs. 3 S. 2
VI. 1.
Täterschaft Taugliche Täter 98 a) Übersicht b) Täterschaft bei unwirksamen Bestellungs99 akten 100 c) Maßgeblicher Zeitpunkt 101 Der Täterkatalog des Absatzes 1 114 Der Täterkatalog des Absatzes 2 120 Täterkreis des Absatzes 4
2. 3. 4.
898
§ 203
Alphabetische Übersicht
a)
b) c)
Mitwirkende Person, Abs. 4 S. 1 121 Alt. 1 aa) Gehilfen und zur Berufsvorbereitung 122 Tätige 123 bb) „Sonstige“ Mitwirkende Datenschutzbeauftragte gem. Abs. 4 S. 1 125 Alt. 2 Schweigepflicht nach Absatz 4 S. 2 126 Nr. 3 127 aa) Alt. 1 128 bb) Alt. 2
1. 2. 3.
4.
VII. Tathandlung des Abs. 4 S. 2 Nr. 1 und 2, Unterlassene Verpflichtung zur Geheimhaltung 1. Nr. 1, Strafbarkeit des Berufsgeheimnisträ129 gers 2. Nr. 2, Strafbarkeit des Mitwirkenden bei „Unter133 beauftragung“ 5. VIII. Innere Tatseite 1. Subjektiver Tatbestand 135 2. Irrtümer IX.
1. 2. 3.
4. 5.
6. 7.
X.
134
Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitsausschluss durch Einverständnis bzw. Einwilli138 gung 139 Verbrechenssystematische Einordnung 141 Einwilligungsfähigkeit Erklärungsberechtigter 143 a) Überblick 144 b) Eigengeheimnis 146 c) Drittgeheimnis 148 d) Insolvenzfall 150 e) Betroffenheit 151 Sonstige Wirksamkeitsvoraussetzungen Reichweite der Einwilligung 157 a) Die Reichweite 159 b) Auslegungsregeln 161 c) Abtretungen 163 d) Untersuchungen Offenbarungsbefugnisse der Hilfsperso165 nen Befreiung nach dem Tode des Betroffe170 nen
6.
7.
XI.
171 Bedeutung des Merkmals „unbefugt“ 172 Gesetzliche Offenbarungspflichten Einzelne Offenbarungspflichten 173 a) Zivilrecht. Zwangsvollstreckung 175 b) Notar 176 c) Kassenarzt 177 d) Sachverständige 180 e) Jugendgerichtshilfe 181 f) Zeugen, Offenbarungsbefugnisse 183 a) Mutmaßliche Einwilligung 186 b) Kein berechtigtes Interesse 187 c) Rechtfertigender Notstand (§ 34) 188 aa) Individualinteressen 191 bb) Allgemeininteressen 194 cc) Weitere Fallgruppen 198 dd) Interessen des Betroffenen 199 ee) Keine Offenbarungspflicht Behördenverkehr. Amtshilfe 200 a) Grundlagen 201 aa) Sozialgeheimnis 203 bb) Justiz 205 cc) Presse 206 b) Verwaltungsinterna 209 c) Amtshilfe Innerdienstliche Offenbarungsbefugnisse der unter Absatz 1 und Absatz 2 fallenden Schweige211 pflichtigen Sonderformen ärztlicher Tätigkeit 214 a) Amtsarzt 217 b) Betriebsarzt 219 c) Anstaltsarzt Teilnahme
220
XII. Qualifikationen (Absatz 6)
223
XIII. Zusammentreffen mit anderen Gesetzesverlet228 zungen XIV. Verfahrensrecht und internationales Straf229 recht XV. Recht des Einigungsvertrages
230
Rechtswidrigkeit im Übrigen
Alphabetische Übersicht Abbildungen: – s. verkörpertes Geheimnis Abgeordneter 117 Abrechnungsbetrug – des Kassenarztes 176 Abtretung
899
– von Honorarforderungen 161 AIDS 29, 194, 219 AIDS-Berater 29 Amtsarzt 214 Amtshilfe – s. Behördenverkehr
Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
Amtshilfefestigkeit – von Geheimnissen 206–210 Amtsnahe Personen – s. Amtsträger Amtsträger 114 Amtsverschwiegenheit 20 Angehörige – Unterrichtung 184 Angriffsobjekt – Geheimnis 35 f. Anonymisierung 68 Anstaltsarzt 78, 219 Anstiftung – s. Täterschaft und Teilnahme Anvertrauen – s. Anvertrauensverhältnis Anvertrauensverhältnis 43, 58 Anwalts-GmbH 162 Arbeitgeber – neugieriger 25 Arbeitsmedizin – s. Betriebsarzt Arbeitsrecht – s. Arbeitgeber, Betriebsarzt Arzt 60, 101, 214–219 Arzt-Patienten-Beziehung – als vermeintliches Rechtsgut 24, 27 Ärzte – als Amtsträger 78 Aufgaben – der öffentlichen Verwaltung 83 Aufklärungspflicht 152 Auflage der Geheimhaltung 43 f. Aufzeichnungen – s. verkörpertes Geheimnis Auskunftsanspruch – s. Presserecht Aussagegenehmigung – des Dienstherrn 181 Aussageverweigerungsrecht – s. Zeugnisverweigerungsrecht Ausschreibungsunterlagen 52 Ausspähung 38 Ausschüsse 117 Auswertungsmonopol 12 Auszubildende – s. Berufsvorbereitung Bagatellfälle 49 Bagatellgeheimnis – s. Bagatellfälle Bankgeheimnis 114 Behördenverkehr – externer 62, 77, 87 – interner 62, 77, 86, 200 Beihilfe – s. Täterschaft und Teilnahme
Hilgendorf
Belanglosigkeiten – s. Bagatellfälle Beratungsdienste 108 Berechtigtes Interesse – als Rechtfertigungsgrund 186 Bereicherungsabsicht 225 Berufsbild des Täters – Abgrenzung zu sonstiger Tätigkeit 59 Berufsethos – als vermeintliches Rechtsgut 24–27 Berufsfremde Tätigkeit 59 Berufsgeheimnis – s. Betriebsgeheimnis – und Lauschangriff 8 Berufspsychologe – s. Psychologe Berufsrecht 18 f. Berufsverschwiegenheit 1–4 Berufsvorbereitung – zur ~ tätige Personen 75 Beschlagnahme 16 Beschlagnahmeverbot 16 Bestimmtheitsgrundsatz 81 Bestimmungsgemäßer Gebrauch 44, 77 Bestrafungsgebot – s. Pönalisierungsgebot Betäubungsmittelabhängigkeitsberatung – s. Drogenberatung Beteiligung – s. Täterschaft und Teilnahme Betriebsarzt 217 Betriebsgeheimnis 10, 20, 21, 36, 37, 39, 52, 68 Bewährungshelfer 62 Bewerbungsgespräch 25 Bloßstellung – öffentliche 11 Bockelmann-Formel – Geheimsein einer Tatsache 39 Bürogemeinschaft 160 Computerservice 67, 123, 124, 197 Datenpreisgabe 31, 80 Datenschutz 21 Datenweitergabe 80 DDR – Funktionsträger 114, 230 DDR-Alttaten 230 Defloration 51 Deliktsaufbau 139 Disziplinarvorgänge – als Geheimnis 51 Drittgeheimnis 56, 64, 146 – isoliertes 64 – verknüpftes 56, 64 Drittschutz – bei Gefahrpotentialen 194 Drogenberatung 15
900
§ 203
Alphabetische Übersicht
Drogenkonsum 51 EDV 67, 124 EDV-Wartungsdienst – s. Computerservice Eheberater 15, 29 Ehrenamtliche Helfer 74 Ehrenschutz – Verhältnis des § 203 StGB zum 6 Eigengeheimnis 144 Eigentum – mit einem Geheimnis „belastetes“ ~ 34 Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb – s. Gewerbebetrieb Einheit der Rechtsordnung 177 Einsichtnahme – in Unterlagen 67 Einsichtsrecht – des Patienten 69 – Ausschluss der Geheimnisqualität 38 f. Einverständnis – tatbestandsausschließendes 138 Einverständnisfähigkeit 141 Einwilligung – ausdrückliche 154 – Erklärungsberechtigter 143–150 – konkludente 155 – mutmaßliche 45, 91, 130, 183 – rechtfertigende 138, 139, 140 – Umfang 157–164 – Widerruf 154 Einwilligungsfähigkeit – s. Einverständnisfähigkeit Einwilligungszuständigkeit 64, 139, 143 – beim Geschäftsgeheimnis 142 Einzelangaben 80, 82 E-Mail 67 Embryo – s. Leibesfrucht Entstehungsgeschichte vor 1 Epidemiologie 13 Erbe 170 Erbfall – s. Tod Erbstreitigkeiten 91 Erfassung 85 Erlangung – in beruflicher Eigenschaft 58, 63, 66 Erlaubnistatbestandsirrtum 135 – beim Tatmittler 135, 221 Erschlichene Bekanntgabe 221 Erziehungsberater 29, 108 EU 114 Factoring 113 Faktische Betrachtungsweise 99 Fallschilderungen – in wissenschaftlichen Publikationen 68
901
Familienanamnese 65 Fehlgehen – der Mitteilung an einen Dritten 67 Fötus – s. Leibesfrucht Forschungsvorhaben 119 Fremdgeheimnis – s. Drittgeheimnis Fremdheit – des Geheimnisses 53 Funktionale Betrachtung 59, 77, 78 Funktionelle Zuständigkeit 77 Funktionsausübung – durch den Täter 59 Funktionseinheit – als zum Wissen berufene 69, 77 Garantensonderdelikt 79, 98, 220, 222 Gegenstand – des Geheimnisses 35 Geheimer Vorbehalt 63 Geheimhaltung – Entstehung einer Pflicht zur ~ 15 Geheimhaltungsinteresse – objektives 32, 47 – subjektives 32, 44, 45 f. Geheimhaltungswille 32, 43–46 Geheimheit – s. Geheimsein Geheimnis – Angriffsobjekt 67 – Begriff 32–34 – bei nichtöffentlicher Verhandlung 17, 41, 68 – bei öffentlicher Verhandlung 41 – Disziplinarvorgänge 51 – Erschaffen durch Vergessen 42 – Fremdheit 53 – Gegenstand 35–37 – gemeinschaftliches 53 – interner Gebrauch 69 – kaufmännisches 37 – negatives 35 f. – positives 35 f. – privat erfahrenes 63 – technisches 37, 41 – Verfügungsbefugnis über 24 – verknüpftes s. Drittgeheimnis – verkörpertes 34 – verratenes 38–40 – Zerstörung durch Geschwätzigkeit 45 Geheimnisbruch 31 Geheimnisoffenbarung – indirekte 99, 146 Geheimnisträger – Juristische Person 54, 147 – Natürliche Person 24 Gewahrsamsbruch
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§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
– als Analogon des Geheimnisbruchs 32, 46 Geheimnisschutz – postmortaler 88–93 – System 20 Geheimsein 32, 38–40 Geheimsphäre 8 Geheimwerden 42 Gehilfen – s. Hilfspersonen Geisteskranke – Betroffene 46 Geistlicher 15 Geldwäsche 172 Gemeinfreiheit 45, 90 Gerichtshilfe 180 Gerücht 40 Geschäftsgeheimnis – s. Betriebsgeheimnis Geschäftssphäre – s. Betriebsgeheimnis Geschwätzigkeit – Zerstörung des Geheimnisses 45 Gewerbebetrieb – eingerichteter und ausgeübter 36 Halterauskunft 81 Hauptschweigepflichtiger – Gehilfe 166, 167 Hausbesuch – des Arztes 66 Heilpraktiker – Recht zum Ausplaudern 29 Hilfsberufe – des Arztes 1001 Hilfspersonen 69, 71–74, 122, 165 ff. Hippokratischer Eid – s. medizinethische Codices Historische Forschung 90 HIV – s. AIDS Hochstapler 99 Honorarklage 188 Identifizierbarkeit 68 IM 230 Indiskretion 11, 64 Indiskretionsdelikt – allgemeines 11, 64 Individualrechtsgut – s. viktimodogmatisches Prinzip Individualsphäre 8, 23–27 Informationelle Selbstbestimmung 10, 13, 54 f., 146, 156 Inkriminierungsgebot – s. Pönalisierungsgebot Innere Tatseite 134 Insolvenz 59, 149 Insolvenzverwalter
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– als neuer Berechtigter 59, 149 Interner Gebrauch – von Geheimnissen 69 Intimsphäre 8, 26 Isoliertes Geheimnis – s. Drittgeheimnis, isoliertes Jedermannskenntnis – s. Offenkundigkeit Journalist 15 – ärztlicher 60 Jugendberater 29 Jugendgerichtshilfe 180 Jugendhilfe 180 Juristische Person – als Geheimnisträger 23, 54, 147 – des öffentlichen Rechts 55 Justizvollzugsanstalt 219 Kassenarzt 176 Kastration 51 Kaufmännisches Geheimnis 37 Kenntnisnahmemöglichkeit – s. Zugang Kindesmissbrauch – s. Kindesmisshandlung Kindesmisshandlung 195 Klatsch – s. offenes Geheimnis Know-How 37 Kollektivrechtsgut 24 Konkretheit 68 Konkretisierungsgrad 68 Konkurrenzen 5, 6, 228 Konsiliararzt 156 Kraftfahrer – gefährlicher 195 Krankenhaus 72, 124 Krankenwagenfahrer 72 Krebsregister 171 Kreis der Wissenden 39, 67 Kreis der Wissendürfenden 67 Kriminalpolitik – s. Rechtspolitik Landesrecht 22 Lauschangriff – Großer ~ 8 Leibesfrucht 53 Leserbrief 60 Lüge 35 Luxushandlung – Beiziehung bestimmter Personen als ~ 29 Mediator 59 Medizinethische Codices vor 1 Mentalreservation – s. geheimer Vorbehalt Minderjährige 46, 141, 198
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Alphabetische Übersicht
Missbrauchsabwehr 50 Mitteilung an den Betroffenen – Vertreter 69 Mittelbare Täterschaft 220 Mutmaßlicher Wille 32, 44, 184 Nachfolge – in eine Vertrauensstellung 66 Nachverrat – s. Geheimnis, verratenes Natürliche Person – als Geheimnisträger 23–25 Natur der Sache 44 Nasciturus – s. Leibesfrucht Negatives Geheimnis – Fehlen von Umständen 35 Negative Tatbestandsmerkmale 221 Nichtöffentliche Verhandlung – Ausschluss der Geheimnisqualität 17, 41, 68 Notar 105, 175 Notstand 187 – für Rechtsgüter der Allgemeinheit 191 – rechtfertigender 187–199 nulla poena sine lege – s. Bestimmtheitsgrundsatz Obduktionsbefund 93 Offenbaren 31, 67, 69, 86 Offenbarung – s. Offenbaren Offenbarungsbefugnisse 165–169, 183–199 Offenbarungspflichten 172–182 – innerdienstliche 211–213 Offenbarungszwänge – faktische 29 Offenes Geheimnis – contradictio in se 40 Offenkundigkeit 15, 40, 41, 82 – Patente 41 Öffentliche Aufgabenerfüllung 114 Öffentliche Bekanntgabe 67 Öffentliche Verhandlung – Ausschluss der Geheimnisqualität 41 Öffentlichen Verwaltung – Aufgaben 83 Ontologie – s. Natur der Sache Outsourcing 76, 77, 111 PACS 67 Parlamentsausschüsse – s. Ausschüsse Patentanwalt 107 Patente – Offenkundigkeit 41 Pausengespräch – Lehrer mit Schüler 66 Personal
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– s. Hilfspersonen Personalvertretung 116 Persönlichkeitsrecht – allgemeines aus GG und EMRK 8, 9 Pflichtenkollision 172 Pönalisierungsgebot 9 Politische Äußerungen 35 Positives Geheimnis – Vorliegen von Umständen 35 Postmortaler Geheimnisschutz 53, 88–92 Praxisübernahme 66, 161 Praxisübertragung – s. Praxisübernahme Presserecht 205 Private Unterhaltung – mit dem Arzt 66 Privatärztliche Verrechnungsstelle 111 Privatgeheimnis – s. Individualsphäre Privatrechtsverkehr – von Hoheitsträgern 55 Privatsphäre 8, 26, 36 Prozessagenten – Recht zum Ausplaudern 29 Psychologe 15, 103 Psychologischer Test 35 Psychotherapeut – psychologischer 15 – Recht zum Ausplaudern 29 Qualifikationstatbestand 223–227 Rechnungshof 172 Rechtsanwalt 104 Rechtsbeistand Rechtsgut 23, 24, 80 – Berufsethos 24, 25 Rechtsgutseingriffes – Wegfall des 139 Rechtspolitik 11 Rechtswidrigkeit 138–219 Reform vor 1 Restriktive Tatbestandsinterpretation 64 Röntgenbilder 51 Rollentheorie 77, 177 Sachverständige 118, 177, 178 Schädigungsabsicht 226 Schmähung – öffentliche 11 Schufa-Klausel 153, 164 Schule 193 Schülerberatung 108 Schutzbedürftigkeit – s. viktimodogmatisches Prinzip Schutzwürdigkeit – s. viktimodogmatisches Prinzip Schwangerenkonfliktberatung 15, 29, 109 Schwangerschaft
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Verletzung von Privatgeheimnissen
– uneheliche ~ der Tochter 48 Schwangerschaftsabbruch – s. Schwangerenkonfliktberatung Schwangerschaftsberater – s. Schwangerenkonfliktberatung Schweigepflicht – zwischen Schweigepflichtigen 67 f Sekretärin – s. Hilfspersonen Selbstschutz – s. viktimodogmatisches Prinzip Seuchen 194 Simulantenjagd 198 Simulantentum – als Geheimnis 50 Sonderdeliktseigenschaft – s. Sonderverhältnis Sonderverhältnis 1 ff, 28 f Sonst Bekanntwerden eines Geheimnisses 43, 58 Sozialarbeiter 15, 29, 61, 110 Sozialgeheimnis 201 Sozialschaden – s. ultima ratio, viktimodogmatisches Prinzip Sozialpädagogen 29, 61, 110 Sozialsphäre 4 Sozialversicherung 13, 163, 176 Sprechstundenhilfe – s. Hilfspersonen Staatsgeheimnis 20, 36, 55 Staatssicherheit – Unterlagen der – 202 – inoffizielle Mitarbeiter der – 230 Stammtischgespräche 66 Standesrecht – s. Berufsrecht StaSi – s. Staatssicherheit Statistikgeheimnis 84 Steckbrief 204 Sterilisation 51 Stillschweigende Einwilligung – s. Einwilligung, konkludente Strafdrohung – Grund 7 ff Strafgefangener – s. Strafvollzug Strafverfolgung 208 Strafverteidiger – s. Rechtsanwalt Strafvollzug 219 Streetworker 29 Subjektiver Tatbestand – s. innere Tatseite Subsumtionsirrtum 134 Suchtberater 29 Suizidneigung 195, 198
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Supervision 156 Syndikusanwalt – fehlende Rechtsanwaltsqualität 59 Systemtheoretische Begründung – Funktion von Berufen 26 f Täterkreis 59, 63, 98, 101 ff, 125 Täter-Opfer-Ausgleich 141 Täterqualifikation – s. Täterkreis Täterschaft und Teilnahme 98, 220 Tatbestandsinterpretation – restriktive 64 Tathandlung 31 Tatsache 35 ff Technisches Geheimnis 37, 41 Teamwork 73 Teilnahme – s. Täterschaft und Teilnahme Telefondatenerfassung 79 Thematische Eingrenzungen – Unmöglichkeit 63 Tod 88 ff, 126, 128 Tun und Unterlassen – Abgrenzung von ~ 79 ultima ratio – poena est ~ 9, 29 Unbefugtheit 171 Unlauterer Wettbewerb 20, 37 Unmündige Betroffene 46 Unschuldige – drohende Verurteilung 197 Unterlassen 79 Unteroffizier 114 Untauglicher Versuch 67 Verbotsirrtum 137 Verbrechenssystematik 139 f Verdachtsberichterstattung 205 Verfassungsrecht 8 ff Verfügungsbefugnis – über das Geheimnis 25 Vergessen – Erschaffen eines Geheimnisses durch 42 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 81 Verhältnis zu anderen Tatbeständen – s. Konkurrenzen Verknüpftes Geheimnis – s. Drittgeheimnis, verknüpftes Verkörpertes Geheimnis 34 Verleumdungsabwehr 190 Vermögensverwalter – als Berechtigter 59 Verrat 5, 38 Verrechnungsstelle 71, 113, 161 Verschwiegenheitspflichten – innerdienstliche 77 Versicherungsträger 112
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I. Allgemeines
Verstorbener – s. postmortaler Persönlichkeitsschutz Versuch – und Vollendung 67 – untauglicher 67 Verteidiger 106 Vertrauensbruch 67 Vertrauensverhältnis 63, 65, 67 Vertreter – gesetzlicher ~ des Betroffenen 46, 141 Vertreterhaftung 220 Verwaltungsinterner Informationsaustausch – s. Behördenverkehr Verwaltungsakzessorietät – des Strafrechts 200 Verwertungsmöglichkeit – beim Betriebsgeheimnis 68 Viktimodogmatik – s. viktimodogmatisches Prinzip Viktimodogmatisches Prinzip 7, 29, 64, 66, 82 f, 99 f – Geschichte 29 Volkszählungsurteil 207 Vormund – als Berechtigter 59 Vorsatz – s. innere Tatseite Vorverrat – s. Geheimnis, verratenes Wahrnehmung berechtigter Interessen 186
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Werbepsychologen 12 Werksarzt – s. Betriebsarzt Werturteil 35 Wettbewerb 37 Wettbewerb – unlauterer 20, 37 Widerruf – der Einwilligung 154 Wille – mutmaßlicher 32, 43 f, 183 Willensmängel – des Einwilligenden 141 f Willenstheorie – frühere 33, 43 ff Wissenschaftliche Publikationen – Fallschilderungen 68 Zeitablauf 90 Zession – s. Abtretung Zeuge 181 Zeugnisverweigerungsrecht 181 f Zivilrechtsakzessorietät – des Strafrechts 173 f Zugang – des Geheimnisses beim Extraneus 67 – des Geheimnisses beim Intraneus 58 Zusatztatsachen 178 Zwangsvollstreckung 174
I. Allgemeines 1. Übersicht Die Vorschrift stellt in Absatz 1 als Leitbild der Verletzung von Privatgeheimnissen den Geheimnisbruch durch die Angehörigen bestimmter Berufe, Beratungsdienste und Unternehmen unter Strafe. Diesem berufsspezifischen Schweigegebot steht in Absatz 2 das Gebot der Amtsverschwiegenheit gegenüber; die Bestimmung bedroht den Geheimnisbruch durch Amtsträger und amtsnahe Personen. Absatz 2 Satz 2 stellt ferner bestimmte Daten den Privatgeheimnissen gleich. Die beiden Absätze schließen sich nicht gegenseitig aus; ihre Anwendungsbereiche können sich – etwa bei dem Amtsarzt, dem Truppenarzt – überschneiden. Daraus ergeben sich Konsequenzen für den Umfang der Offenbarungsbefugnis des einzelnen Amtsträgers. Während Absatz 2 den Dienstbetrieb innerhalb des hierarchischen Behördenaufbaus nicht erfasst und Berichtspflichten unberührt lässt, trifft Absatz 1 den Schweigepflichtigen in seiner konkreten Funktion. Der durch sie begründeten Pflichten ist er nicht deshalb ledig, weil er zusätzlich noch Amtsträger ist (Rdn. 78). Die Tat ist echtes Sonderdelikt (BGHSt 4 355, 359). Täter kann nur sein, wer zu den in den beiden Absätzen bezeichneten Berufsangehörigen zählt oder auf wen die Strafdrohung in Abs. 4 ausdrücklich erstreckt ist. Das Verbot des Geheimnisbruchs wird seit 2017 durch den Tatbestand des „Unterlassens der Verpflichtung zur Geheimhaltung“ aus Abs. 4 S. 2 Nr. 1 und 2 flankiert, der – wenn die Mitteilung eines Geheimnisses in Weisungs- und Auftragsverhältnissen zur ordnungsgemäßgen
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Verletzung von Privatgeheimnissen
Aufgabenerfüllung des Schweigepflichten erforderlich ist – eine weitere Verbreitung durch nicht originär nach Abs. 1 und Abs. 2 Schweigepflichtige verhindern soll.
2. Verhältnis zu anderen Delikten 5 Innerhalb des 15. Abschnitts sichern die §§ 201 bis 202a die Individualsphäre gegen ein Eindringen von außen, gegen Ausspähung. § 203 schützt sie vor Verrat. Strafbewehrt ist die unbefugte Weitergabe geschützter Tatsachen aus dem Individualbereich heraus. 6 Dieses Wesensmerkmal grenzt den Tatbestand auch von den Delikten gegen die Ehre ab. Der persönliche Geheimbereich ist nur betroffen, wenn (wahre) Tatsachen aus ihm hinausgelangen. Unwahre Behauptungen, Lügen und Werturteile über eine Person sind nicht zugleich Bestandteil ihrer Eigensphäre; sie entstehen und bleiben außerhalb. Äußerungen solcher Art können deshalb allein den begründeten Achtungsanspruch des Einzelnen in der Gesellschaft, seinen personalen Geltungswert im Sinne des normativen Ehrbegriffs (Gallas ZStW 75 [1963] 16, 25; Hilgendorf LK Vor § 185 Rdn. 7 ff) beeinträchtigen. Die Ehre wiederum ist grds. nicht verletzt, wenn der Täter Zutreffendes über einen anderen sagt. § 203 setzt deshalb die Wahrheit der verbreiteten Tatsache voraus, eine Ehrverletzung (abgesehen von den Fällen der Formalbeleidigung) deren Unwahrheit.2
3. Grund der Strafdrohung 7 Die Vorschrift ist geschaffen, um die Bewahrung privater Geheimnisse auch im Hinblick auf Vertrauensverhältnisse und die öffentliche Gewalt als der vom Selbstschutz des Betroffenen nicht abdeckbaren offenen Flanke zu garantieren (näher Rdn. 23 bis 30): Sie rechtfertigt sich einerseits aus den Besonderheiten der faktischen Verhältnisse, in welchen der Betroffene Rat und Hilfe in Anspruch nehmen muss, aber nur bei rückhaltloser Offenheit zu erhalten vermag. Andererseits korrespondiert sie mit den vielfältigen Möglichkeiten eines Eindringens in die Privatsphäre, die der Verwaltung durch Auskunftsrechte und Überwachungsbefugnisse, aber auch allgemein infolge der Entwicklung der modernen Eingriffs- und Leistungsverwaltung offenstehen. Der „viktimodogmatische“ Gesichtspunkt der Unausweichlichkeit, mit der der Einzelne Dritten höchst Privates ausliefern muss, fordert die strafrechtliche Absicherung wenigstens des besonders sensiblen privaten Geheimnisses dagegen, dass es auf den offenen Markt getragen wird.3 8 Die Strafbestimmung dient damit in weiten Teilen der Verwirklichung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes der Persönlichkeit,4 der auch in Art. 8 MRK Niederschlag gefunden hat. Für die strafrechtliche Beurteilung hilfreich sind rechtliche Systematisierungsversuche, nach denen das Persönlichkeitsrecht in abgestufter Weise danach geschützt ist, ob die Individu-
2 Arzt Schutz der Intimsphäre S. 156 ff, 159; Dähn S. 1; Henkel DJT-Gutachten D 103; Kienapfel Privatsphäre und Strafrecht (1969) S. 27 f; Rogall NStZ 1981 102; 1983 1, 4 Fn. 60; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 27 f; Tenckhoff S. 106; aA Bemmann MDR 1956 387, 389; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 804; Schreiner S. 35 ff. 3 Zu dieser Sicht bereits Sauter S. 40 ff; grundlegend Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 54; ders. FS Faller 357, 364; im Ansatz auch Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 24; Gallas ZStW 75 (1963) 16, 23; R. Hassemer Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik (1981) S. 41; Ostendorf JR 1981 444, 447; gegen Folgerungen für die Auslegung des Tatbestands aber Hillenkamp S. 60 ff; Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 3 und gegen diese wiederum Schünemann NStZ 1986 439 ff; näher Rdn. 23–30. 4 BVerfGE 32 373, 379; BGHZ 24 72, 79; BSGE 55 150, 156; BFH NJW 1958 646; OVG Lüneburg NJW 1975 2263; Becker MDR 1974 888; Eser ZStW 97 (1985) 1, 41; Herbst NJW 1969 1566 (weitergehend NJW 1969 546, 548); Kreuzer NJW 1975 2232, 2233; zu verfassungsrechtlich zulässigen Begrenzungen s. Vorbem. § 201 Rdn. 1 f. Hilgendorf
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alsphäre, die Privatsphäre oder die Geheimsphäre betroffen ist.5 Hier geht es nur um die Geheimsphäre. Für den Umfang von Offenbarungsrechten kann auch die zweistufige Systematik des BVerfG nur begrenzte Bedeutung erlangen. Sie differenziert danach, ob ein Geheimnis zum schlechthin unantastbaren Intimbereich gehört, der jedem Außenstehenden verschlossen ist, oder ob das nicht der Fall ist,6 ist jedoch, beginnend mit dem Datenschutz, zunächst nahezu aufgegeben worden,7 scheint jedoch in jüngerer Zeit wieder an Bedeutung zu gewinnen.8 Zum Schutz des Berufsgeheimnisses gegenüber strafprozessualen Eingriffen s. § 160a StPO und allgemein gegenüber polizeilicher Informationserhebung Würtenberger/R. Schenke JZ 1999 548. § 203 ist deshalb im Kern konkretisiertes Verfassungsrecht in dem Sinne, dass die Strafdro- 9 hung durch das GG geboten ist (Kühne NJW 1977 1478, 1481). Der Verfassung lassen sich zwar nur ausnahmsweise Pönalisierungsgebote entnehmen;9 im Bereich des Geheimnisschutzes ist aber trotz der vorhandenen zivilrechtlichen Klagebefugnisse sowie der Gewährleistungen des Berufsrechts bei den meisten Schweigepflichtigen ein begrenzter Einsatz der ultima ratio des Strafrechts zum Rechtsgüterschutz unverzichtbar, weil der Schaden nachträglich oft irreparabel und die generalpräventive Wirkung des Berufsrechts notorisch gering ist. Eine ähnlich dichte Ableitung aus der Verfassung findet die Vorschrift, soweit sie anderen 10 Gegenständen als dem Persönlichkeitsschutz zuzuordnen ist, bezüglich des Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, zu deren Schutz der Staat nach den hierfür einschlägigen Grundrechten ebenfalls verpflichtet ist.10 Umgekehrt fällt der in Absatz 2 Satz 2 angesprochene Datenschutz zwar in den Bereich des vom BVerfG geprägten informationellen Selbstbestimmungsrechts (BVerfGE 65 1), läuft aber auf eine sowohl den Bestimmtheits- als auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzende Überkriminalisierung hinaus (Rdn. 81).
4. Rechtspolitische Fragen a) Indiskretionsdelikt. Unabhängig von verfassungsrechtlichen Zusammenhängen stellt sich 11 die kriminalpolitische Frage, ob § 203 durch die Beschränkung des Tatbestandes auf Geheimnisse und bestimmte Täter einen ausreichenden Schutz der Persönlichkeit gewährleistet. Alle Reformgesetzgeber hatten sich dem Problem zu stellen, inwieweit der Verbreitung von Umständen aus der Intimsphäre umfassend durch die Schaffung eines Indiskretionsdelikts11 begegnet werden muss. Freilich: Private Mitteilungen über die Privatangelegenheiten des lieben Nächsten kann man nicht verbieten, ohne drei Vierteln der Menschheit drei Viertel ihres Gesprächsstoffs zu rauben.12 Aber auch eine Strafdrohung für die Veröffentlichung von „ehrenrührigen Behaup5 Mit unterschiedlicher Terminologie Grünhut ZStW 74 (1962) 319, 323; Hubmann Das Persönlichkeitsrecht2 (1967); Kienapfel Privatsphäre und Strafrecht S. 19; Schwalm ZStW 74 (1962) 153; anders (4 Sphären) Henkel DJT-Gutachten D 80 f; s. dazu o. Vorbem. § 201 Rdn. 1 f. 6 BVerfGE 27 344, 351; 32 373, 379; 33 367, 374; 44 353, 372; BSG NJW 1986 1574, 1577; kritisch etwa Krauss FS Gallas 365, 379 sowie o. Vorbem. § 201 Rdn. 2 f. 7 BVerfGE 65 1 (Volkszählungsurteil); Friedrich-Naumann-Stiftung/Benda Datenschutz Bd. 1 (1984) S. 5, 13; Schlink Der Staat 25 (1986) 233, 241; w.N. o. Vorbem. § 201 Rdn. 2 f. 8 Vor §§ 201 ff Rdn. 1 ff. 9 BVerfGE 39 1, 46 f; Müller-Dietz Zur Problematik verfassungsrechtlicher Pönalisierungsgebote, FS Dreher 97; Tiedemann Verfassungsrecht und Strafrecht (1991), S. 50 ff; zu den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten am Beispiel des Kommunikationsgeheimnisses Groß JZ 1999 326, 330 ff. 10 Eigentumsschutz (Art. 14 GG), Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und Wettbewerbsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG): Breuer Umweltrecht S. 89, 93 (jedoch ohne speziell strafrechtliche Betrachtung); Wolff NJW 1997 98 (Berufsfreiheit); vgl. auch Rogall NStZ 1983 1, 3 (Vermögensschutz). 11 Dazu Arzt Schutz der Intimsphäre S. 142 ff; Gallas ZStW 75 (1963) 16, 24 ff, Henkel DJT-Gutachten D 100; Roeder FS Maurach 347, 363 ff; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 742. 12 Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 35 unter Hinweis auf Kitzinger 2. Deutscher Juristentag in der Tschechoslowakei (1925) Gutachten S. 87, 106. 907
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tungen tatsächlicher Art über das Privat- oder Familienleben eines anderen“ (§ 182 E 1962), für die öffentliche Bloßstellung (§ 145 AE) oder für die Schmähung ist so problematisch,13 dass der Regierungsentwurf des EGStGB von entsprechenden Vorschlägen abgesehen hat (BTDrucks. 7/ 550 S. 235 f). Neben Schwierigkeiten der Abgrenzung des tatbestandlichen Unrechts von der bloßen Taktlosigkeit und von der Ehrverletzung erwies sich die Frage des Wahrheitsbeweises als nicht zufriedenstellend lösbar. Lässt man ihn zu, bleiben die dem geltenden Ehrenschutzrecht anhaftenden Misslichkeiten, die oft genug den Angegriffenen in die Rolle eines öffentlich Angeklagten versetzen. Der Ausschluss des Wahrheitsbeweises dagegen schneidet zugleich dem Verletzten den Nachweis der Unwahrheit der verbreiteten Tatsache ab; damit würde die Verleumdung privilegiert (Tenckhoff S. 134).14
12 b) Abgrenzung des Täterkreises. Im umgekehrten Sinne zweifelhaft ist, ob § 203 nicht auch zu weit greift. Die strafrechtliche Schweigepflicht gilt als Hebel zur Durchsetzung von Zeugnisverweigerungsrechten, welche sodann als Statussymbol dienen.15 Ob Absatz 1 Nr. 6 dem Gebot des sparsamen Einsatzes strafrechtlicher Mittel genügt, erscheint fraglich.16 Auch sonst vermag die Kasuistik nicht durchweg zu befriedigen (Göhler NJW 1974 825, 833); warum Tierärzte und Werbepsychologen schweigepflichtig sind, lässt sich kaum erklären (Blau NJW 1973 2234). Wohl unvermeidbar ist die mit dem Geheimnisschutz verbundene Nebenwirkung der Schaffung eines kommerziellen Auswertungsmonopols (Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 3); ob sich der Betroffene das Recht der Exklusivberichterstattung abkaufen lässt, ist eine Frage des guten Geschmacks.
13 c) Schweige- und Offenbarungspflicht. Auf einer anderen Ebene liegt das Problem eines sachgerechten Ausgleichs zwischen Schweigepflicht und Offenbarungsbefugnis. So zieht etwa die Einbindung des Arztes in das System der Sozialversicherung zwangsläufig eine Relativierung des ärztlichen Berufsgeheimnisses nach sich. Die Begrenzung von Offenbarungspflichten gehörte für Eberhard Schmidt deshalb zu den „brennenden Fragen“ des Geheimnisschutzes.17 Die Entwicklung hat deren Aktualität nicht gemindert; von der „Ambivalenz des Fortschritts“,18 wohl übertrieben von der Schweigepflicht als einer „Grundfiktion“,19 ist die Rede. Das anzuerkennende Interesse an epidemiologischer Forschung mit Hilfe von Datenverarbeitung hat bereits in den frühen 80er Jahren Stellungnahmen der Bundesärztekammer hervorgebracht, gegen die allerdings schon bald Bedenken vorgebracht wurden.20 Auch wenn der Schutz der Privat-
13 E 1962 S. 331; Dähn S. 22 ff; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 763 ff. 14 Kritisch zum Vermögensschutz kraft Vereinbarung (§ 266, 2. Altern.) ohne entsprechenden Geheimnisschutz Arzt Zur Untreue durch befugtes Handeln, FS Bruns 365, 381 (der aber § 17 UWG a.F. außer Betracht ließ).
15 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 30; Kühne JuS 1973 685, 686; Nachweise zu den erfassten Berufsgruppen im Einzelnen auch bei Bader KK § 53 Rdn. 2, 3; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 53 Rdn. 4, 11 ff. 16 Dazu BVerfGE 33 367, 378; Frommann/Mörsberger/Schellhorn/Frommann S. 159, 198; Schilling JZ 1976 617; Würtenberger H. Peters-Gedächtnisschrift 923, 932. 17 Eb. Schmidt Brennende Fragen des ärztlichen Berufsgeheimnisses (1951). 18 Laufs Berufsfreiheit und Persönlichkeitsschutz im Arztrecht, Sitzungsber. d. Heidelb. Akademie d. Wissenschaften (1982) S. 25. 19 Steinmüller in Kilian/Porth (Hrsg.) Juristische Probleme der Datenverarbeitung in der Medizin (1979) S. 135, 138 ff. 20 Wissenschaftl. Beirat der Bundesärztekammer, Empfehlung zur Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht bei der Verarbeitung personenbezogener Daten in der medizinischen Forschung, DÄBl. 1981 1443, 85. Deutscher Ärztetag, Empfehlungen zur Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht bei der Verarbeitung personenbezogener Daten in der ärztlichen Berufsausbildung. DÄBl. 1982 H. 21 S. 20; dazu Kilian Rechtsfragen der medizinischen Forschung mit Patientendaten (1983) S. 45, 86; Laufs Berufsfreiheit und Persönlichkeitsschutz im Arztrecht (1982) S. 27. Hilgendorf
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II. Zusammenhang mit anderen Vorschriften
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sphäre im digitalen Zeitalter von größter Bedeutung bleibt,21 muss der Datenschutz gerade in der Medizin weiterentwickelt und den modernen Anforderungen angepasst werden, Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Corona-Pandemie setzt sich heute mehr und mehr die Einsicht durch, dass eine wirksame medizinische Forschung den Zugriff auf umfangreiche Datenbestände voraussetzt. Gerade im medizinischen Bereich drohen sonst ausländische Monopole und daran anknüpfende Abhängigkeiten zu entstehen, die dem Gemeinwohl nicht förderlich sind.22 Wie jedes andere Grundrecht kann und muss auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vom Gesetzgeber den gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Veränderungen angepasst werden. Seit dem Volkszählungsurteil BVerfGE 65 1 hat es eine ganze Reihe von entsprechenden Gesetzen gegeben. Es gilt, diesen Weg gerade im medizinischen Bereich weiterzugehen und nicht in einem gemeinwohlschädlichen Datenschutz-Absolutismus zu verharren, sondern den nach wie vor überragend wichtigen Datenschutz bereichsspezifisch weiterzuentwickeln. In § 203 Rechnung getragen ist der Entwicklung vor allem mit dem verlängerten Geheimnisschutz in § 203 Abs. 1 Nr. 7 für die Privatversicherung sowie in Abs. 2 in Verbindung mit § 76 SGB X für den Bereich der Sozialversicherung.
II. Zusammenhang mit anderen Vorschriften 1. Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbot Die Bedeutung der Vorschrift im Gefüge der Rechtsordnung erschließt sich nicht durch ihre 14 isolierte Betrachtung. Kehrseite des Schweigegebotes sind in den einzelnen Verfahrensordnungen unterschiedlich ausgestaltete Zeugnisverweigerungsrechte.23 Ihnen ist gemeinsam, dass der betroffene Prozessbeteiligte die nach § 203 Abs. 1 Schweigepflichtigen von der Verschwiegenheitspflicht entbinden kann. Rechtsprechung und Schrifttum zur Wirksamkeit der Entbindungserklärung und zur Person des dazu Berechtigten haben deshalb auch für das sachliche Strafrecht Bedeutung (Rdn. 138). Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 StPO) hat eine vom sachlichrechtlichen 15 Schweigegebot verschiedene persönliche Reichweite. Geistliche und Journalisten dürfen die Aussage verweigern, obwohl sie in § 203 nicht aufgeführt sind. Berufspsychologen, Sozialarbeiter, Eheberater etwa sind schweigepflichtig, aber (außerhalb von anerkannten Schwangerschaftskonfliktund Betäubungsmittelabhängigkeitsberatungsstellen gem. § 53 Abs. 1 Nr. 3a und b StPO24 oder wenn sie nicht „Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- [oder] Jugendlichenpsychotherapeuten“ i.S. von § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO sind) nicht zur Zeugnisverweigerung befugt (Bedenken bei Ensslen NDV 1999 121). Die Lösung von Konflikten zwischen Schweige- und Aussagepflicht geschieht auf der Ebene der Rechtswidrigkeit, weil die nicht durch ein Verweigerungsrecht eingeschränkte Aussagepflicht eine Geheimnisoffenbarung rechtfertigt (Rdn. 181). Für Amtsträger gilt hinsichtlich des in § 353b geschützten Amtsgeheimnisses § 54 StPO (dazu Rengier S. 48, 51), ferner kommen für sie zusätzliche persönliche Zeugnisverweigerungsrechte nach § 53 StPO (z.B. bei dem Amtsarzt)25 oder nach spezialgesetzlichen Vorschriften (z.B. § 35 Abs. 3 SGB I – Sozialgeheimnis) in Betracht. In allen anderen Gerichtsverfahren (also vor den Zivil- und Arbeitsgerichten, Verwaltungs-, Finanz21 Hilgendorf FS Neumann (2017), 1391. 22 Hilgendorf Digitale Transformation der Medizin, 77 ff. 23 Dazu Rengier S. 13 ff; S. Cramer Strafprozessuale Verwertbarkeit ärztlicher Gutachten aus anderen Verfahren (1995). Zum Auskunftsverweigerungsrecht im eigenen Besteuerungsverfahren des Schweigepflichtigen BFH NJW 1958 646; Lohmeyer DStZ 1979 347; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Schuster AO § 102 Rdn. 47 f; Vogelbruch DStZ 1978 340. 24 Dazu Kreuzer FS Schüler-Springorum 527. 25 Göhler/Seitz/Bauer OWiG § 59 Rdn. 27; Harthun SGb 1977 181, 183; Bader KK § 54 Rdn. 3; Rössler MDR 1969 356; aA Jakobs JR 1982 359, 361. 909
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Verletzung von Privatgeheimnissen
und Sozialgerichten) entspricht der strafrechtlichen Schweigepflicht des § 203 dagegen ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht, siehe § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, auf den §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 98 VwGO, 118 Abs. 1 Satz 1 SGG jeweils verweisen, sowie § 84 FGO i.V.m. § 102 AO. Der sachliche Umfang der Schweigepflicht und des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts ist dagegen gleich. Zwar spricht § 53 StPO nicht wie § 203 StGB von Geheimnissen. Aber der unterschiedlichen Gesetzesfassung kommt keine Bedeutung zu; auch das Zeugnisverweigerungsrecht umfasst nur der Geheimhaltung bedürftige Tatsachen.26 Denn was jedermann weiß, kann auch jedermann dem Gericht vermitteln. Es machte keinen Sinn, wenn ein Berufsangehöriger ein offenkundiges Geschehnis in jeder Gastwirtschaft erörtern dürfte, als Zeuge vor dem Strafrichter aber ein Schweigerecht besäße, welches ihm § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sogar im Zivilprozess vorenthält (Eser/Hirsch/Lenckner S. 227, 239 m. Anm. 27). 16 Der Absicherung der Schweigepflicht dient auch das Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO, das an das Zeugnisverweigerungsrecht angekoppelt ist, jedoch bei einem Beteiligungsverdacht gegen den Berufsgeheimnisträger entfällt (§ 97 Abs. 2 Satz 2 StPO). 17 Soweit Schweigepflichtige mangels eines Zeugnisverweigerungsrechts vor Gericht aussagen müssen (näher u. Rdn. 181), ist nach § 172 Nr. 2, 3 GVG ihre Vernehmung in nichtöffentlicher Verhandlung möglich (zu weitgehend Herbst NJW 1969 546). Durch entsprechende Auflage kann das Gericht den Anwesenden die Geheimhaltung des erlangten Wissens zur strafbewehrten Pflicht machen (§ 174 Abs. 3 GVG; § 353d Nr. 2 StGB).
2. Berufsrechtliche Vorschriften 18 Schweigepflichten finden sich in vielen außerstrafrechtlichen Gesetzen (z.B. Beamtengesetzen) sowie in Berufsordnungen. Sie regeln die persönliche Schweigepflicht des Berufsangehörigen im beruflichen und privaten Verkehr, sind aber strafrechtlich nicht unmittelbar von Bedeutung, weil für Geheimnisse das Schweigegebot schon aus § 203 folgt. 19 Anders verhält es sich mit den Verwaltungsverfahrensgesetzen (§ 30 VwVfG) einschließlich des Sozialgesetzbuchs (§ 35 SGB I, §§ 67 ff SGB X). Sie bestimmen, wie Behörden als staatliche Organisationseinheiten mit den Geheimnissen des Einzelnen umzugehen haben und enthalten ferner konkrete Vorschriften über die Amtshilfe. Soweit den Bestimmungen dieser Gesetze Offenbarungsbefugnisse zu entnehmen sind, sind diese unmittelbar einschlägig für die Frage, ob die Preisgabe eines Geheimnisses strafrechtlich gerechtfertigt ist (Rdn. 201 ff).
3. Andere Strafvorschriften zum Geheimnisschutz 20 Das StGB enthält weitere Strafvorschriften mit Geheimnisschutzcharakter in den Landesverratsbestimmungen, die Staatsgeheimnisse betreffen (§§ 93 ff; Art. 7 Abs. 1 des 4. StRÄndG),27 und im 30. Abschnitt. Die Tatbestände der §§ 353b bis 355 dienen aber nicht dem Schutz der Individualsphäre. Vielmehr sanktionieren sie die Verletzung öffentlicher Interessen, insbesondere den Bruch der Amtsverschwiegenheit, und bezwecken damit die Wahrung der Lauterkeit des öffentlichen Dienstes (dazu Vormbaum LK § 353b Rdn. 2). Den Geheimnisbruch sanktionieren ferner 26 BGH Urt. v. 20.9.79 – 4 StR 364/79 bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1981 94; OLG Oldenburg NJW 1982 2615, 2616; Ackermann FS DJT S. 479, 498; Greven KK § 97 Rdn. 12; Göppinger/Lenckner S. 159, 190; Mergen/K. Müller II S. 63, 103; Rengier S. 270 f; vgl. ferner Schilling JZ 1976 617, 619 Fn. 30; aA Amelung DNotZ 1984 195, 201; Göhler/Seitz/ Bauer OWiG § 59 Rdn. 27; Hanack JR 1986 35; Bader KK § 53 Rdn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 53 Rdn. 4; Ignor/Bertheau LR § 53 Rdn. 8; Mittelsteiner DStR 1976 340; Rogall NStZ 1985 374; Welp FS Gallas 391, 399; wohl auch OLG Bamberg StV 1984 499. 27 Zum Geheimnisbegriff in § 93: Fischer § 93 Rdn. 2 ff; Barthe/Schmidt LK § 93 Rdn. 2 ff; Klug Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale beim Staatsgeheimnisbegriff, FS Engisch S. 570. Hilgendorf
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eine Reihe von Vorschriften des Nebenstrafrechts (Greger/Weingarten LK § 77 Rdn. 37), vor allem im Arbeits-, Handels- und Gesellschaftsrecht. Geschäftsgeheimnisse sind durch § 23 GeschGehG besonders geschützt.
4. Datenschutz Berufsgeheimnisse sind oft auch schutzfähige Daten im Sinne des Datenschutzrechts. Das Bun- 21 desdatenschutzgesetz enthielt dazu früher in § 45, letzter Satz eine Vorrangklausel zugunsten des § 203 Abs. 1. Eine vergleichbare Regelung des Verhältnisses der „Datenpreisgabe im Amt“ (Absatz 2 Satz 2) zu den datenschutzrechtlichen Strafvorschriften fehlt. Soweit Überschneidungen denkbar sind, gelten Konkurrenzregeln (Rdn. 228).
5. Landesrecht § 203 regelt den strafrechtlichen Schutz des Privatgeheimnisses abschließend. Das gilt auch für 22 die Verletzung der Privatsphäre durch Amtsträger und amtsnahe Personen im Bereich des Datenschutzes (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 242). Landesrechtliche Strafvorschriften sind in diesem Bereich daher unzulässig (Art. 4 Abs. 2 EGStGB). Zulässig und häufig sind dagegen landesrechtliche Bestimmungen über Offenbarungsbefugnisse oder -pflichten, welche das Merkmal „unbefugt“ in § 203 ausfüllen (Rdn. 171, 205).
III. Rechtsgut 1. Die Individualsphäre als geschütztes Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Individualsphäre des Einzelnen,28 Angriffsobjekt das private Ge- 23 heimnis,29 dem in Absatz 2 Satz 2 bestimmte Daten gleichgestellt sind. Zu der vielfach vernachlässigten Frage, ob dazu auch Geheimnisse von juristischen Personen des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts zählen, s.u. Rdn. 54 f.
28 BGH NJW 1990 510; NZG 2010 469; BayObLG NJW 1987 1492, 1493; BayObLGZ 1966 86, 88; LSG Celle NJW 1980 1352; OLG Hamburg NJW 1962 689, 691; VG Münster MedR 1984 118, 119; Amelung FS Dünnebier S. 487, 511 f; Arzt/ Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 29; Blei JA 1974 601, 603; Ebermayer S. 45; Erdsiek NJW 1963 632; Fischer Rdn. 2, 3; Gallas ZStW 75 (1963) 16, 22; Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 127 (aber zusätzlich Pietätsgefühl); Habscheid AnwBl. 1964 302; Hackel NJW 1969 2257, 2258; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift 355, 358, 360; Kargl NK Rdn. 3; Kienapfel Privatsphäre und Strafrecht S. 43, 48; Kohlrausch-Lange § 300 Anm. IV; Kreuzer NJW 1975 2232 (s. aber StV 1983 144); Küpper Strafrecht BT 1 S. 99; H. Lilie S. 94; Maier SGb 1983 89, 91; Szwarc/Meurer S. 133, 137; Müller-Dietz S. 39, 41; Ostendorf JR 1981 444, 448; Schmidhäuser BT 6/27; Schmitz JA 1996 772 f; Schreiner S. 20; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 55; Hoyer SK Rdn. 1; Timm S. 22; Reichertz/Kilian/Zielinski S. 14; abw. Ackermann FS DJT S. 479, 487; Welp FS Gallas 391, 394; noch anders Dencker Beweisverbote im Strafprozeß (1977) S. 131 (körperl. Integrität beim Arztgeheimnis); Kühne JZ 1981 647 (Intimsphäre und Berufsausübung des Schweigepflichtigen); Rogall NStZ 1983 1, 3 (Vermögen beim Betriebs- und Geschäftsgeheimnis). Die Subjektivierung des Rechtsgutsbegriffs in Richtung auf die Selbstverwirklichung des Rechtsgutsträgers (allgemein etwa Roxin Noll-Gedächtnisschrift S. 275; Roxin/ Greco Strafrecht AT I § 2 Rdn. 7 ff, § 13 Rdn. 12 ff; krit. Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 154 f; Jescheck/Weigend AT § 34 I 2b) ist nicht an dieser Stelle, sondern nur für die systemat. Einordnung der Einwilligung relevant. 29 (Nur) insoweit aA Rogall NStZ 1983 1, 5, der § 203 überwiegend als abstraktes Gefährdungsdelikt bezüglich eines Rechtsguts „Privatheit“ betrachtet. Zum amerikanischen Recht auf „privacy“ Grünhut ZStW 74 (1962) 319, 333; Rüpke Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatheit (1976). 911
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Eine Betrachtung, welche herausgehobene Berufe im Blickfeld hat, sieht demgegenüber ein öffentliches Interesse an der Funktionsfähigkeit dieser Berufe als Rechtsgut oder als primär30 mitgeschützt an. Das dürfte allenfalls für den Arzt vertretbar sein. Danach soll das allgemeine Vertrauen in die Verschwiegenheit des Arztes als Kollektivrechtsgut eine effektive Gesundheitspflege gewährleisten, weil der Patient die erforderlichen Angaben nur mache, wenn die Vertraulichkeit gesichert ist.31 Dafür lieferte vormals der Gesetzeswortlaut selbst eine Stütze, der den Strafschutz auf anvertraute Geheimnisse beschränkte. Diese Stütze ist jedoch weggefallen, seit ihn § 13 der Reichsärzteordnung auf „zugänglich gewordene“ und das 3. StRÄndG allgemein auf „bekannt gewordene“ Geheimnisse ausdehnte.32 Zwingend ist eine solche Auffassung selbst im medizinischen Bereich daher nicht mehr. Darüber hinaus war die allseits anerkannte Befugnis des Betroffenen, nach Belieben über seine Geheimnisse zu verfügen (Rdn. 151), zu keiner Zeit ohne Bruch in diese Ansicht einzufügen, weil sie im Ergebnis die Auslieferung öffentlicher Interessen an private Willkür anerkennen musste (vgl. Bockelmann MMW 1967 365, 371). 25 Zumindest seit der Erweiterung des Täterkatalogs durch die Strafrechtsreform kann – soweit die übrigen Berufsgruppen ins Blickfeld der Betrachtung rücken – jedenfalls nicht mehr davon gesprochen werden, dass sämtlichen in § 203 aufgeführten Tätigkeiten ein dem Arztberuf vergleichbarer „Sozialwert überindividuellen Charakters“ (Eb. Schmidt Brennende Fragen S. 17 f) zu Eigen sei. Die Aufnahme einer Reihe von Berufen in den Katalog war bis zuletzt zweifelhaft;33 der Tierarzt – dessen Inanspruchnahme im landwirtschaftlichen Produktionsprozess eine vorwiegend wirtschaftliche Frage ist (dazu BVerfGE 38 312, 323) – gelangte eher zufällig hinein (Prot. 7/177). Wegen ihrer geringeren Bedeutung ist auch bestimmten mit einer Schweigepflicht belegten Berufen nicht zugleich ein Zeugnisverweigerungsrecht zugebilligt. Völlig unterschiedlicher Natur sind ferner die in Absatz 1 aufgeführten Beratungsdienste und die Aufgaben der Sozialarbeiter (Würtenberger H. Peters-Gedächtnisschrift S. 923, 932 f). Fehl geht die Ansicht, die Begrenzung des Kreises der tauglichen Täter ergebe, dass es in § 203 nicht um das private Geheimnis, sondern um die dort aufgeführten Berufe gehe, denn Geheimnisse müssten auch sonst offenbart werden, ohne dass ihnen dabei vergleichbarer Schutz zuteil werde.34 Wieweit der Arbeitgeber von Stellenbewerbern und Bediensteten die Preisgabe ihrer Geheimnisse verlangen darf, unterliegt der arbeitsgerichtlichen Rechtskontrolle (Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 24; vgl. BAGE 5 159 [Vorstrafen]; 11 270 [Schwangerschaft]; 15 261 [Gesundheitszustand], s. ferner Hinrichs DB 1980 2287, 2289); der Gesetzgeber durfte sie als ausreichend betrachten. Der Gesetzgeber hat andererseits die sozialwissenschaftliche Forschung, welche institutionell auf
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30 Umgekehrt (sekundäres oder gleichrangiges Rechtsgut) Blei BT § 33 I; Frommann/Mörsberger/Schellhorn/Frommann S. 159, 163; Geppert Strafvollzug S. 13; Goll S. 38; Grömig NJW 1970 1209, 1210; Harthun SGb 1977 181; Henssler NJW 1994 1817, 1819 mit Ableitung aus Art. 12 GG; Joecks Rdn. 1; Kauder StV 1981 564; Mergen/Kierski II S. 126, 127; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 594; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Laufs Arztrecht Rdn. 423; ders. NJW 1975 1433; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 4; Otto BT § 34 Rdn. 26; Rein VersR 1976 117, 118; Rudolphi FS Schaffstein 433, 443; Rüping Internist 1983 206; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Solbach DRiZ 1978 204; Staffler NZWiSt 2018 269, 271; Vollmer S. 52: Würtenberger H. Peters-Gedächtnisschrift 923, 924 f. 31 OLG Celle MDR 1952 376 m. Anm. Maaßen; OLG Karlsruhe NJW 1984 676; OLG Köln NStZ 1983 412 m. Anm. Rogall; LG Aurich NJW 1971 252; Arloth MedR 1986 295, 296; Becker MDR 1974 888, 891; Ponsold/Bockelmann S. 9; ders. BT 2 § 34 I; Eser ZStW 97 (1985) 1, 41; Fink DÖV 1957 447, 448; Haffke GA 1973 65, 67; Henkel DJT-Gutachten D 135; Arthur Kaufmann NJW 1958 272; Kierski BB 1964 395; Lenckner NJW 1965 321, 322; Eser/Hirsch/Lenckner S. 227, 228; B. Lilie S. 79; Martin DAR 1970 302; Marx GA 1983 160, 168; Schlund JR 1977 265, 269; Eb. Schmidt JZ 1951 211; NJW 1962 1745, 1747; Weichbrodt NJW 1983 311, 314; Zieger StV 1981 559, 562; s. ferner Hilgendorf Einführung in das Medizinstrafrecht, Kap. 9 Rdn. 3 f; Sauter S. 32 ff, 45 ff. 32 So schon zuvor die Rechtsprechung RGSt 13 60, 62; RG GA 57 (1910) 207; s. Rogall NStZ 1983 413; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 31. 33 Vgl. Art. 18 Nr. 80 des RegE des EGStGB (BTDrucks. 7/550 S. 21) und die Stellungnahme des Bundesrats (S. 472). Zusammenfassung der Argumente bei Stucke S. 64 ff, 85 ff. 34 So noch Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 3; aA Eser ZStW 97 (1985) 1, 41 Fn. 121; s. auch Geppert Strafvollzug S. 13. Hilgendorf
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das Vertrauen in die Verschwiegenheit der Forscher und ihrer Hilfspersonen angewiesen ist,35 bis zum StVÄG 1999 unbeachtet gelassen. Der Umfang des Täterkatalogs in § 203 lässt daher keine Rückschlüsse auf ein einheitlich kollektives Rechtsgut zu; seine Festlegung oblag gesetzgeberischem Ermessen (Hillenkamp S. 72 ff).36 Ohne Bedeutung ist auch, dass der Schweigepflichtige als Zeuge ein Aussageverweigerungsrecht nur bezüglich fremder Geheimnisse hat, eigene Geheimnisse jedoch offenlegen muss (aA Lenckner NJW 1965 321, 322). Über eigene Geheimnisse darf der Zeuge disponieren, über fremde nicht; auch fremde Geheimnisse wiederum muss er mitteilen, wenn der Betroffene ihn dazu ermächtigt hat (§ 53 Abs. 2 StPO). Die prozessuale Aussagepflicht knüpft insoweit allein an die Verfügungsbefugnis an. Dass schließlich das Zeugnisverweigerungsrecht nicht abgestuft ist und auch bei schwersten Verbrechen besteht, ließe einen Rückschluss auf in § 203 geschützte öffentliche Belange (so Eb. Schmidt NJW 1962 1745, 1747) nur zu, wenn der Kreis der Schweigepflichtigen und der Zeugnisverweigerungsberechtigten identisch wäre. Das ist aber nicht der Fall (s. auch Erdsiek NJW 1963 632, 633). Dagegen besteht das Wesen aller in § 203 aufgeführten Tätigkeiten darin, dass sie in die 26 Privatsphäre eindringen und teilweise mit Geheimnissen intimer Natur umgehen. Auch im Bereich der Verwaltung (Absatz 2 Satz 1) setzt der Strafschutz des § 203 nicht bereits ein, wenn das Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit der Amtsverschwiegenheit berührt ist, sondern erst beim Umgang mit privaten Geheimnissen. Dem entspricht die rechts- und verfassungspolitische Verknüpfung der Vorschrift mit dem Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG (Rdn. 8). Ein ausschließlich oder überwiegend auf öffentliche Belange zugeschnittenes Verständnis der Bestimmung ist damit nicht vereinbar. Wäre Rechtsgut ein allgemeines, zur Funktionsfähigkeit der Berufe erforderliches Vertrauen 27 in die Verschwiegenheit ihrer Angehörigen (in diese Richtung jedenfalls im Sinne eines mittelbaren Schutzes BGH NZG 2010 469), so wäre § 203 tendenziell als Gefährdungsdelikt zu begreifen (Schünemann ZStW 90 [1978] 11, 61; Ostendorf JR 1981 444, 446). Ferner gehörte sein Absatz 2 systematisch als Amtsdelikt in den 30. Abschnitt; dort würde er mit § 353b kollidieren und wäre zudem überflüssig. Selbst Geheimschutzvorschriften, die – wie § 353d Nr. 2 und § 355 – öffentlichen und privaten Interessen zugleich dienen (Vormbaum LK § 353d Rdn. 21; ders. LK § 355 Rdn. 2 ff), haben nicht im 15. Abschnitt, sondern im Abschnitt über die Amtsdelikte Aufnahme gefunden. Es wäre gänzlich unverständlich, warum der Gesetzgeber bei § 203 systematische Gesichtspunkte völlig vernachlässigt haben sollte. Dass dies nicht seine Absicht war, erhellt indessen aus den Materialien, die die Individualsphäre als das geschützte Rechtsgut bezeichnen (E 1962 S. 326; RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 235), sowie aus der vom Gesetzgeber beschlossenen Überschrift des 15. Abschnitts. Der in Absatz 2 auch aufgenommene Datenschutz schließlich ist nach Herkunft und Zielrichtung ausschließlich als individuelles Abwehrmittel gegen neue Formen der Offenlegung des Privaten zu verstehen.37 Ist das Vertrauen in die Verschwiegenheit des Berufsangehörigen mithin nichts anderes als das generalpräventive Interesse, das hinter jeder Bestrafung steht (Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift S. 355, 360; Schmidhäuser BT 6/27), so ergibt sich daraus zugleich, dass auch seine Bezeichnung als sekundäres Rechtsgut jedenfalls außerhalb des Bereichs der Gesundheitspflege nicht trägt (Ostendorf JR 1981 444, 447; in diese Richtung auch Jäschke ZStW 131 [2019] 36).
35 Eser/Schumann/Eser Forschung im Konflikt mit Recht und Ethik (1976) S. 7, 29; Eser Der Forscher als „Täter“ und „Opfer“, FS Lackner 925, 939 mit daraus hergeleiteter Forderung nach Zubilligung von Zeugnisverweigerungsrechten; s. nunmehr § 203 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6. 36 Vgl. zu der Frage, ob Angehörige privater Banken schweigepflichtig sein sollen Prot. 7/177 ff; zur Forderung nach Zeugnisverweigerungsrechten für Sozialarbeiter BverfGE 33 367; Schilling JZ 1976 617; für Angehörige der privaten Haftpflichtversicherung BverfG ZfS 1982 13; OLG Celle NJW 1985 640; NStZ 1982 393; Bruns FS Maurach 469, 484; D. Meyer MDR 1973 812; Geppert Beschlagnahme von Schadensakten usw., DAR 1981 301; ferner Bader KK § 53 Rdn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 53 Rdn. 2 f; Meeger VersR 1974 945; G. Schmidt VersR 1975 310. 37 Haft NJW 1979 1194; J. Meyer ZStW 90 (1978) 213, s. auch Tiedemann NJW 1981 945, 946. 913
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2. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt durch die Viktimodogmatik 28 Freilich kann die Ablehnung der These eines die Norm in Gänze prägenden Kollektivrechtsguts nur dann überzeugen, wenn es gelingt, die Ausgestaltung des § 203 als Sonderdelikt, d.h. die Einschränkung des Tatbestands auf den Schutz der Geheimnisse in den Händen nur bestimmter Vertrauenspersonen, durch ein anderes normatives Prinzip zu erklären. Denn wenn man mit den meisten Vertretern der h.L. auf die Auffindung eines derartigen Prinzips verzichtet (etwa Hoyer LK Rdn. 3 mit der Beschränkung auf die bloße These vom Individualrechtsgut), so wird die systematische Auslegung des Tatbestandes vermöge einer Berücksichtigung sowohl des Rechtsgüterschutzinteresses als auch der im Tatbestand vom Gesetzgeber verarbeiteten Strafeinschränkungsinteressen (Schünemann FS Bockelmann 117) durch eine positivistisch-kasuistische und damit letztlich zufällige Interpretation ersetzt, und man bleibt auch dem zentralen Argument der These vom Kollektivrechtsgut, nämlich der Synchronisierung mit der Sonderdeliktsstruktur des Tatbestandes, die Antwort schuldig. 29 Den Schlüssel zur Lösung dieses Dilemmas bietet die Viktimodogmatik, die 1977 an den Beispielen des Betruges und der Verletzung von Privatgeheimnissen erstmals entwickelt worden ist38 und deren Kern in der These besteht, dass die Verhängung von Strafe als ultima ratio des Staates zur Verhütung von Sozialschäden dann nicht am Platz ist, wenn das Opfer keinen Schutz verdient und keines Schutzes bedarf, woraus sich die Auslegungsmaxime ableiten lässt, alle diejenigen Verhaltensweisen im Rahmen methodisch zulässiger Tatbestandsauslegung aus dem Strafbarkeitsbereich zu eliminieren, gegenüber denen sich das Opfer in einfacher und ohne weiteres zumutbarer Weise selbst schützen kann.39 Unbeschadet des anhaltenden Streites über dieses allgemeine Prinzip, bei dem dessen Kritiker in der Regel dessen bloße Forderung nach einer Berücksichtigung viktimodogmatischer Aspekte im Rahmen einer teleologisch umfassenden Tatbestandsauslegung als Proklamation eines prinzipiellen Vorrangs missverstehen,40 bleibt für § 203 wie auch für die übrigen Delikte des 15. Abschnitts festzuhalten, dass die vom Gesetzgeber hier gezogenen Strafbarkeitsgrenzen gerade nicht durch eine bloße Rechtsgutsbetrachtung, sondern nur viktimodogmatisch erklärt werden können. Denn es fällt auf, dass das Gesetz den Kreis der schweigepflichtigen Personen nicht funktional, d.h. von dem Gegenstand der Berufsausübung her, abgrenzt, sondern sich einer scheinbar vordergründigen Kasuistik befleißigt und dabei die Einbeziehung der im Gesetz einzeln aufgezählten Beratungsberufe von einer staatlichen Anerkennung der betreffenden Berufsqualifikation abhängig macht, so dass Heilpraktiker, Prozessagenten oder Psychotherapeuten ohne staatlich anerkannte Abschlussprüfung die ihnen anvertrauten, zweifellos nicht weniger heiklen Geheimnisse straflos verraten dürfen, während die Sekretärin des Anwalts oder die Sprechstundenhilfe des Arztes über Abs. 4 S. 1 in den Strafbarkeitsbereich einbezogen ist. Die einzige schlüssige Erklärung, die gerade auch in historischer Perspektive klar hervortritt, besteht in der viktimodogmatischen Maxime: Indem § 300 des RStGB von 1871 den Geheimnisverrat von seinem alten Verständnis als Standesvergehen ablöste und zugleich den im ausländischen und partikularen Strafrecht z.T. anzutreffenden uferlosen Schutz jedes Berufsgeheimnisses41 auf die Rechtspflege- und Medizinalberufe einschränkte, konkretisierte er lediglich die viktimodogmatische Maxime unter Beachtung der damaligen sozialen Verhältnisse. Wichtige Geheimnisse können nämlich in allen Berufen, etwa 38 Von Amelung GA 1977 1, 17, 22 und von Schünemann auf dem Vortrag der Gießener Strafrechtslehrertagung 1977, publiziert in ZStW 90 (1978) 11 ff, bes. 32, 34, 54 ff, 65. 39 In dieser Form als allgemeine Auslegungsmaxime ausgebaut von Schünemann FS Bockelmann S. 130 ff; Schneider/Schünemann Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege (1982) S. 407 ff; ders. FS Faller 357 ff; ders. NStZ 1986 439 ff; ders. FS Schmitt 117, 125 ff; Schünemann/Schünemann Strafrechtssystem und Betrug (2002) 51 ff; In die gleiche Richtung bei konstruktiv anderem Ansatz Cancio Meliá ZStW 111 (1999) 357 ff. 40 So auch wieder der jüngste Kritiker Günther FS Lenckner 69 ff; dagegen Schünemann in Strafrechtssystem und Betrug (Fn. 41) S. 68; abgewogen Roxin/Greco Strafrecht AT I § 14 Rdn. 19 ff. 41 Vgl. nur § 155 Preußisches StGB sowie Finger VDB VIII S. 301 ff, 318 ff; Vogler MatStrRef 2 S. 393. Hilgendorf
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auch als Friseur oder Schneider erfahren werden – ein den billigerweise zu verlangenden Selbstschutz des Geheimnisträgers vereitelnder faktischer Zwang, die eigenen Geheimnisse fremden Personen anzuvertrauen, bestand damals aber nur gegenüber Rechtsanwälten und Ärzten und den diesen eng verwandten Berufen, so dass der Strafschutz also nur dort eingriff, wo der Selbstschutz des Opfers versagen musste, weil es zur Öffnung seiner Geheimsphäre wohl oder übel gezwungen war. Die Ausdehnung des schweigepflichtigen Personenkreises im Rahmen der Novellengesetzgebung zum StGB ist dementsprechend nichts anderes gewesen als die Anpassung des Rechts an die durch die sozialen Veränderungen eingetretenen Offenbarungszwänge: In den Medizinalbereich mussten die Berufspsychologen als die modernen Seelenärzte sowie diejenigen privaten Versicherungen aufgenommen werden, denen von ihrer Funktion her der Zugang zu medizinischen Geheimnissen nicht verwehrt werden kann. Ferner sind die Ehe-, Erziehungs-, Jugend-, Sucht- und Schwangerschaftsberater sowie die Sozialarbeiter und Sozialpädagogen hinzugefügt worden, weil die Inanspruchnahme dieser Berufe bei den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr als ein keines Strafrechtsschutzes bedürfender Luxus angesehen werden kann – wie es weiterhin die Inanspruchnahme eines Heilpraktikers ist –, so dass die mit einer solchen Konsultation zwangsläufig verbundene Öffnung der eigenen Geheimsphäre infolgedessen keine Vernachlässigung des zumutbaren Selbstschutzes darstellt.42 Ob AIDS-Berater hierzu gezählt werden und dementsprechend in den Katalog des § 203 aufgenommen werden sollten, war lebhaft umstritten43 und vom Gesetzgeber bisher offensichtlich bisher deshalb verneint worden, weil er für diese Beratungsaufgaben Ärzte und Psychologen für kompetent und in ausreichendem Maße konsultierbar hält, so dass die Konsultation eines nicht zu diesen Gruppen gehörenden Streetworkers von ihm genauso als eine keines Strafrechtsschutzes bedürftige Luxushandlung angesehen wird wie die Konsultation eines Heilpraktikers an Stelle eines Arztes (Rdn. 102). Die viktimodogmatische Maxime liefert also schlicht die Erklärung für eine sonst rätselhaft 30 bleibende Abgrenzung des Strafbarkeitsbereiches durch den Gesetzgeber, und sie liegt auch weiteren Tatbeständen dieses Abschnitts offensichtlich zugrunde, so dem § 202 durch die Beschränkung des Schutzbereiches auf verschlossene Schriftstücke (o. § 202 Rdn. 2 f) und dem § 202a durch die Forderung einer besonderen Zugangssicherung. Sie ist auch für die Auslegung des § 201 fruchtbar zu machen (o. § 201 Rdn. 22, 32, 37, 39) und spielt für die Interpretation des § 203 bei zahlreichen Einzelfragen eine wichtige Rolle (u. Rdn. 64 f, 99, 127, 146, 177).
IV. Tathandlung der Offenbarung Tathandlung des Leitbilds einer Verletzung von Privatgeheimnissen i.S.d. § 203 ist die Offenba- 31 rung eines in beruflicher Eigenschaft erlangten fremden Geheimnisses. Der Geheimnisoffenbarung steht die Datenpreisgabe im Amt nach Absatz 2 Satz 2 gleich.
1. Geheimnisbruch a) Begriff des Geheimnisses. Geheimnis ist eine Tatsache, die nur einem begrenzten Perso- 32 nenkreis bekannt oder zugänglich ist, die derjenige, dessen Sphäre sie entstammt, nicht aus diesem Kreis hinausgelangen lassen will oder, würde er sie kennen, nicht aus diesem Kreis hinausgelangen lassen wollte und an deren Geheimhaltung er ein von seinem Standpunkt aus verständliches Interesse hat. Die Elemente des Geheimnisbegriffs sind damit Geheimsein, Ge-
42 Schünemann ZStW 90 (1978) 54 f. 43 Dazu Szwarc/Schünemann AIDS und Strafrecht (1996), S. 9, 57 f. 915
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heimhaltungswille, objektives Geheimhaltungsinteresse.44 Diese Begriffsbestimmung entspricht der weit überwiegend vertretenen Ansicht in Rechtsprechung45 und Literatur.46 Kein sachlicher Unterschied verbirgt sich hinter dem Umstand, dass vielfach nicht der Wille, sondern das Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung als maßgebend bezeichnet wird. Das Interesse muss stets vom Willen getragen sein, weil die Rechtsordnung niemandem seine Geheimnisse aufnötigen kann. Wo es an einem realen Willen mangels Kenntnis des Geheimnisses fehlt (etwa bei der allein dem Arzt bekannten Krankheit des Patienten), ist der vermutete Wille ausschlaggebend. Nur für die Ermittlung des vermuteten Willens ist auf die Interessenlage des Betroffenen – welche sich zumeist aus der Natur der verborgenen Tatsache von selbst ergibt – zurückzugreifen (RGSt 29 426, 430; BGH GRUR 1977 539, 540). Eine Bewertung des Willens findet lediglich in Ausnahmefällen statt (Rdn. 47). 33 In dem Begriff sind die frühere Willenstheorie, die das Wesen des Geheimnisses im Geheimhaltungswillen erblickte, und die Interessentheorie, welche ein objektiv gerechtfertigtes Geheimhaltungsinteresse forderte, miteinander verbunden.47 Der Willenskomponente verbleibt jedoch ein deutliches Übergewicht. Ist das Geheimnis verkörpert, z.B. in schriftlichen Aufzeichnungen oder Abbildungen fest34 gehalten, erstrecken sich die Regeln über den Umgang mit ihm auf die Sache. Das Eigentum daran ist mit dem Geheimnis „belastet“ (OVG Lüneburg NJW 1975 2263, 2264; Hammer NZA 1986 305, 308; Kühne NJW 1977 1478, 1480).
35 aa) Gegenstand eines Geheimnisses sind allein Tatsachen, so dass Unwahrheiten („unwahre Tatsachen“)48 ebenso wie Werturteile49 ausscheiden. Jedoch ist der Umstand, dass jemand eine bestimmte Erwartung hegt, eine Meinung geäußert oder ein Werturteil abgegeben hat, seinerseits eine Tatsache, welche Geheimnischarakter haben kann, so bei psychologischen Tests, auch politischen Äußerungen während des Arztbesuchs.50 Auf Grund besonderen beruflichen Wissens gezogene Schlussfolgerungen können dem Begriff zuzuordnen sein, sofern Tatsachen und Erfahrungssätze miteinander verknüpft werden (vgl. Knemeyer DB 1984 Beil. 18/84). Die auf 44 G. Schmidt ZStW 79 [1967] 741, 782; Altenhain KK-AktG § 404 Rdn. 9 ff; Otto GK-AktG § 404 Rdn. 12 ff; Wittig MKAktG § 404 Rn. 21 ff. 45 BGHZ 40 288, 292; BGH GRUR 1955 424; BGH, Urt. V. 20.9.1979 – 4 StR 364/79 bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1981 94; BGHSt 41 140, 142; 46 339, 340 f; 48 126, 129 (zu § 353b); BSGE 47 118, 121; RGSt 74 110, 111; RGZ 149 329; 333; RG GA 45 (1897) 364; 50 (1903) 140; RG JW 1936 2081; 1938 3050; OLG Schleswig NJW 1985 1090, 1091; LG Aurich NJW 1971 252; OLG Hamm NJW 2001 1957. 46 Ackermann FS DJT 479, 487; Oehler/Arians S. 307, 326; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rn 32; Arzt Schutz der Intimsphäre S. 187; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler37 § 17 a.F. Rdn. 4; Becker MDR 1974 888, 889; Blei BT § 33 II 1; Ponsold/Bockelmann S. 11; BT 2 § 34 II; Bohne/Sax S. 159, 174; Geppert Strafvollzug S. 18; Fischer Rdn. 6 ff; Flor JR 1953 368; Frank § 300 Anm. I 4; Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 133 ff; Kallfelz JW 1936 1343; Kohlhaas GA 1958 65, 68; VersR 1965 529, 531; Kraßer GRUR 1977 177, 178; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 595 ff; Kümmelmann AnwBl. 1984 535; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 14; Laufs Arztrecht Rdn. 434; Kühne Berufsrecht S. 129; Göppinger/Lenckner S. 159, 171; Eser/Hirsch/Lenckner S. 227, 231; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 23 f; Mergen/ K. Müller II S. 63, 90; Ostendorf JR 1981 444; Otto Grundkurs BT § 34 Rdn. 27; Rein VersR 1976 117, 119; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 24, 31; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5; Schmidhäuser BT 6/27; Scholz NJW 1981 1987; Schwalm Med. Klinik 1969 1722; FS Küchenhoff 681, 693; Stürner JZ 1985 453; Tiedemann ZStW 86 (1974) 1030 f; Scholz/Tiedemann GmbHG9 § 85 Rdn. 7; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 538; Woesner NJW 1957 692; Hoyer SK Rdn. 5; kritisch Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift 355, 361; aA Rogall NStZ 1983 1, 6. 47 Frank § 300 Anm. I 4; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 23 ff; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 784. 48 Insoweit aA Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 137; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 804 unter Hinweis auf Reichel (DStrafrechtsZtg 1921 Sp. 338); Schreiner S. 37; dazu schon Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 27 f, ferner Rdn. 2. 49 AA Prochnow Grüner-Festgabe 463, 466; Pickel MDR 1984 885, 886. Zur Abgrenzung von Tatsachen und Werturteilen allgemein BGHR § 824 BGB Tatsachenbehauptung 1; Geppert Jura 1983 530, 541; Hilgendorf LK § 185 Rdn. 2 ff; § 186 Rdn. 6; Kienapfel Privatsphäre und Strafrecht S. 27. 50 Ponsold/Bockelmann S. 10; Bohne/Sax S. 159, 172; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. Hilgendorf
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Grund ärztlicher Untersuchung festgestellte oder ausgeschlossene Eignung eines Bewerbers für einen bestimmten Beruf oder Arbeitsplatz ist daher ein Geheimnis,51 ebenso die dem Apotheker aus dem Rezept sich erschließende Diagnose (Noll Gerwig-Festgabe S. 135, 139). Das Fehlen bestimmter Umstände ist für sich genommen keine Tatsache, kann aber einen geheimnisfähigen Zustand charakterisieren und so mittelbar von der Schweigepflicht erfasst sein wie der ausgezeichnete Gesundheitszustand eines angeblich Leidenden (Ponsold/Bockelmann S. 13). Umstände, welche für sich genommen keinen geheimen Charakter tragen, unterliegen der Schweigepflicht, sofern sie mit einem Geheimnis untrennbar verbunden sind (OLG München AnwBl. 1975 159). Gleichgültig ist, auf welchen Lebensbereich sich die Tatsache bezieht, sofern sie nur einer 36 bestimmten Person zuzuordnen ist;52 wie gerade auch die Aufzählung der schweigepflichtigen Personen deutlich macht, kommen sowohl Geheimnisse der Privatsphäre als auch solche der beruflichen und geschäftlichen Sphäre in Betracht. Während die Geheimnisse der Privatsphäre zivilrechtlich in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fallen (Ehmann JuS 1997 193, 199 ff), werden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vom zivilen Deliktsrecht durch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie durch das Geschäftsgeheimnisgesetz geschützt.53 § 203 stellt beide Geheimnisgruppen gleich, jedoch unterliegen die vermögenswerten Geheimnisse weitgehend besonderen Regeln. Nicht erfasst sind i.d.R. Geheimnisse des Staates (Rdn. 55). Geschäftsgeheimnisse sind Tatsachen, die sich auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbe- 37 trieb beziehen und für seine Wettbewerbsfähigkeit, u.U. auch für das Verhältnis der Betriebszugehörigen untereinander, von Bedeutung sind.54 Darunter kann alles fallen, was nach dem Geschäftsgebaren des Unternehmers dem Betrieb so eigentümlich ist, dass es in anderen Kreisen nicht bekannt ist und nicht zur Anwendung kommt (RGSt 31 90, 92; RGZ 149 329, 334), insbes. auch das sog. Know-How.55 Eine scharfe Scheidung zwischen Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (s. etwa § 17 UWG a.F.) ist nicht möglich und, da das Gesetz daran keine Folgen knüpft (vgl. nun auch den Verzicht auf diese Unterscheidung in den Regelungen des Geschäftsgeheimnisgesetzes), entbehrlich. Tendenziell betreffen Betriebsgeheimnisse den technischen, Geschäftsgeheimnisse den kaufmännischen Teil des Unternehmens.56
bb) Geheimsein. Nur einem beschränkten Personenkreis darf die Tatsache zur Verfügung ste- 38 hen. Ist sie einer ungewissen Vielzahl von Personen bekannt oder ohne Schwierigkeiten zugänglich,57 hat sie den behüteten Bereich der Individualsphäre verlassen. Sie ist alsdann offenkundig, weil die Zahl der Unterrichteten nicht mehr kontrolliert und gesteuert werden kann. Gewährt die Rechtsordnung den Zugang durch Einsichtsrechte in öffentliche Register (§ 12 GBO, § 882f ZPO), fehlt es mangels kontrollierbarer Zahl der Eingeweihten auch dann an einem Geheimnis, wenn die Möglichkeit der Kenntnisnahme von der Darlegung eines berechtigten Interesses abhängt (kritisch Vollkommer/Leue S. 98 f, 100 ff). Maßgebend sind die faktischen Ver51 AA Schmid DB 1968 954, 957; Scholz NJW 1981 1987, 1989. 52 OLG Karlsruhe NJW 1984 676; Fischer Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 14; Rogall NStZ 1983 1, 5. 53 BGHZ 17 41, 51; Erman/Wilhelmi BGB § 823 Rdn. 40, 57; Wagner MK-BGB § 823 Rdn. 320; Soergel/Zeuner § 823 Rdn. 90, Anhang V zu § 823 Rdn. 43 ff; aA Staudinger/J. Hager § 823 Rdn. B 139.
54 BGHSt 41, 140, 142; Breuer NVwZ 1986 171, 172; Breuer Umweltrecht S. 89, 90; Dannecker BB 1987 1614, 1615; Knemeyer DB 1984 Beil. 18/84; Pickel MDR 1984 885, 886; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 785; Stürner JZ 1985 453; abw. Oehler/Arians S. 307, 326. 55 BGHZ 17 41, 53; RGZ 65 333, 335; RG GA 50 (1903) 140; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander39 § 2 GeschGehG Rdn. 87 f; Kraßer GRUR 1977 177, 181; Stürner JZ 1985 453, 454; zur Geheimnisfähigkeit von Insider-Informationen Ulsenheimer NJW 1975 1999, 2001 sowie näher § 204 Rdn. 8. 56 RGSt 29 426, 430; 31 90, 91; Stürner JZ 1985 453. 57 BGHZ 40 288, 292; RGSt 38 108, 110; RG JW 1929 3087; Oehler/Arians S. 307, 327; Dannecker BB 1987 1614; Engler RdJB 1979 62, 65; Vormbaum LK § 353b Rdn. 7; s. auch BGHSt 6 292, 293; RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 243. 917
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hältnisse ohne Rücksicht darauf, wie sie entstanden sind (G. Schmidt ZStW 79 [1967] 741, 798). Lediglich die vom Täter selbst veranlasste Ausspähung beseitigt den Geheimnischarakter niemals, weil die Vorbereitung des Verrats nicht zugleich Grund seiner Straflosigkeit sein kann (RGSt 38 108, 111). Beschränkt ist der „Kreis der Wissenden“, wenn er überschaubar, insbesondere bestimmt oder bestimmbar58 ist. Er braucht weder persönlich noch etwa durch Schweigepflichten rechtlich miteinander verbunden zu sein,59 weil sonst die Geheimniseigenschaft schon dann entfiele, wenn ein einziger Außenstehender die Tatsache erfährt. Auch absolute Zahlen sind für das Geheimsein nicht wesentlich, weil der Begriff relativ (RGSt 74 110, 111) und im Einzelfall auszufüllen ist (RGSt 42 394, 396). In einem kleinen Gemeinwesen kann die Kenntnis weniger Bürger bereits Offenkundigkeit bedeuten (RGSt 38 62, 65 f); ein Betriebsgeheimnis, mit dem viele Werksangehörige umgehen, verliert diese Eigenschaft erst, wenn es die Konkurrenz erfährt oder ohne Schwierigkeiten erfahren kann.60 Das Geheimnis eines Schülers oder eines Arbeiters ist gewahrt, solange nur die Klassenkameraden oder einige Arbeitskollegen es kennen; es kann beseitigt sein, wenn die ganze Schule oder alle Betriebsangehörigen davon wissen (Engler RdJB 1979 65; Hinrichs DB 1980 2287). Nach einer griffigen Faustformel ist die Grenze dort zu ziehen, wo es aus der Sicht des Betroffenen nichts mehr verschlägt, wenn auch noch weitere Personen von der Tatsache Kenntnis erhalten (Ponsold/Bockelmann S. 11; BT 2 § 34 II 2a). „Offene Geheimnisse“ gibt es nicht; der Ausdruck charakterisiert die Art, wie Klatsch verbreitet zu werden pflegt. Dagegen bleibt eine Tatsache rechtlich ein Geheimnis, wenn sie nur als Gerücht in Umlauf ist, so dass sie für Außenstehende noch der Bestätigung bedarf,61 oder wenn wesentliche Einzelheiten der Öffentlichkeit noch unbekannt sind (RGSt 26 5, 7). Auch der Vorverrat führt nicht notwendig zur Offenkundigkeit.62 Ihrer Natur nach offenkundig sind Tatsachen, die jedermann sieht oder kennt, so äußerlich wahrnehmbare Gebrechen (zweifelhaft LG Köln MedR 1984 110), aber nicht notwendig ihre Ursache (Kohlhaas GA 1958 65, 68); Name und Familienstand (Rein VersR 1976 117, 119). Nicht geheim sind ferner Vorgänge, die sich in der Öffentlichkeit abgespielt haben, etwa Unfälle im Straßenverkehr (Kohlhaas DMW 1963 2356), polizeiliche Festnahmen auf offener Straße einschließlich der Tatsache, dass darüber Akten existieren (OLG Koblenz OLGSt a.F. § 203 S. 5). In öffentlicher Gerichtsverhandlung erörterten Tatsachen fehlt ab diesem Zeitpunkt (OLG Schleswig NJW 1985 1090, 1091) der Geheimnischarakter ohne Rücksicht darauf, ob Zuhörer anwesend waren (Rogall NStZ 1983 1, 6; Hoyer SK Rdn. 13; aA Mittelsteiner DStR 1976 340); bei nichtöffentlicher Verhandlung entscheidet die Erwähnung in den öffentlich verkündeten Urteilsgründen (vgl. BGHZ 40 288, 293). Technische Neuerungen verlieren ihren Geheimnischarakter mit der Markteinführung (Bullinger NJW 1978 2121, 2124), bei vorheriger Offenlegung im Zulassungsverfahren zu diesem Zeitpunkt. Ebenso sind Patente offenkundig (RGSt 39 321, 323), ferner in Fachzeitschriften besprochene Entwicklungen (Oehler/Arians S. 307, 329; zu eng RGSt 40 406, 407). Zur Offenkundigkeit von Anschriften und Kfz-Halterdaten u. Rdn. 81 a.E. Entsprechend der menschlichen Neigung zum Vergessen ist auch der Zeitablauf geeignet, das faktische Geheimsein einer Tatsache zu beeinflussen. Öffentlich bekannt gewesene Umstän-
58 BGHSt 10 108, 109; RGSt 38 108, 110; 74 110, 111; Bohne/Sax S. 159, 172; Fischer § 93 Rdn. 3; Engler RdJB 1979 65; Kohlhaas GA 1958 65, 68; Eser/Hirsch/Lenckner S. 227, 231; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Hoyer SK Rdn. 13.
59 Bockelmann BT 2 § 34 II 2a; Mergen/K. Müller II S. 63, 89; Stucke S. 20; Scholz/Tiedemann GmbHG9 § 85 Rdn. 11; Vollmer S. 58; aA Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 135; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 26; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 782; Schwalm Med. Klinik 1969 1722. 60 RGSt 29 426, 430; 40 406, 407; 42 394, 396; RG GA 50 (1903) 140; Oehler/Arians S. 307, 327. 61 RGSt 26 5, 7; 38 62, 65; 74 110, 111; Ackermann FS DJT S. 479, 490; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 33; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 14; Eser/Hirsch/Lenckner S. 227, 231; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6; Hoyer SK Rdn. 14. 62 BGHSt 20 342, 383; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 14; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 23; Mergen/K. Müller II S. 63, 89. Hilgendorf
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de können zum Geheimnis werden, sobald niemand außer den Betroffenen mehr davon weiß.63 Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass auch keine allgemein zugänglichen Berichte darüber existieren oder dass diese nur unter Schwierigkeiten auffindbar sind.
cc) Geheimhaltungswille. Zum Begriff des Geheimnisses gehört weiter der Geheimhaltungswille (Rdn. 32 ff). Das RG hatte hierzu ausgeführt, eine Tatsache werde anvertraut, wenn sie „als Geheimnis“ einem anderen mitgeteilt oder seiner Kenntnisnahme unterworfen werde; „als Geheimnis“ bedeute dabei die Mitteilung unter der Auflage oder der stillschweigenden Forderung der Geheimhaltung (RGSt 13 60, 62; 66 273, 274; vgl. auch OLG Köln NStZ 1983 412 m. Anm. Rogall). Da Geheimnisse nicht nur anvertraut, sondern dem Schweigepflichtigen auch sonst bekanntgeworden sein können, ist der Geheimhaltungswille aber nicht Kennzeichen des Übermittlungsvorgangs, sondern Bestandteil des Geheimnisbegriffs selbst. Der Geheimhaltungswille braucht nicht stets ausdrücklich erklärt oder sonst kundgetan zu sein, es genügt, wenn er vorhanden ist.64 Die Entbehrlichkeit einer Willenskundgabe wird daran deutlich, dass auch Geheimnisse geschützt sind, die der Betroffene nicht kennt. Das Vorhandensein des Willens zur Geheimhaltung folgt regelmäßig aus der Natur der in Betracht kommenden Tatsache. Belastende Umstände aus dem Vorleben, geschäftliche Misserfolge, Dinge des Familienlebens pflegt man für sich zu behalten; besonderer Feststellungen zur Willensrichtung des Betroffenen bedarf es hier im Allgemeinen nicht. Andererseits fehlt es von vornherein an einem Geheimnis, wenn der Betroffene eine Tatsache dem Berufsangehörigen zur Weitergabe an beliebige Dritte (OLG Düsseldorf MDR 1975 1025) mitteilt oder wenn er selbst zu jedermann darüber plaudert. Was der Betroffene überhaupt nicht geheim halten will, wird gemeinfrei nicht erst durch eine – persönlich und sachlich beschränkbare, zudem widerrufliche – Einwilligung (vgl. BGHZ 64 325, 329). Ebenso wenig lässt sich ein offenkundig fehlendes Interesse, um die Befugnis zur Verbreitung der Tatsache gebeten zu werden, der Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung zuordnen.65 Die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung müsste hier auch regelmäßig daran scheitern, dass die Befragung des Einwilligungsberechtigten möglich ist.66 Mit dem Geheimhaltungswillen fehlt in diesen Fällen vielmehr ein konstituierendes Element des Geheimnisbegriffs. Auch der Unmündige oder Geisteskranke (nicht aber der nasciturus, s.u. Rdn. 53) kann einen Geheimhaltungswillen haben (Woesner NJW 1957 692). Seine Geheimnisse sind gegen Verrat ebenso geschützt wie seine Sachen gegen Diebstahl (RGSt 2 332, 334; Fischer § 242 Rdn. 13). Maßgebend ist zunächst der natürliche Wille des Betroffenen (BGHSt 23 1, 3). Hat er einen gesetzlichen Vertreter, dem die Verfügung über das Geheimnis zusteht, ist dessen Wille vorrangig. Der Betroffene hat es allerdings jederzeit faktisch in der Hand, sein Geheimnis durch Reden zu vernichten.
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dd) Objektives Geheimhaltungsinteresse. Das private Geheimnis ist schutzwürdig um sei- 47 ner Eigenschaft als Bestandteil der Individualsphäre willen. Es bedarf keiner Anerkennung aus Gründen des öffentlichen Interesses. Doch kann die Maßgeblichkeit des Geheimhaltungswillens zu einer Überspitzung des Geheimnisschutzes führen, welche der Überzeugungskraft des Strafrechts Abbruch tut. Deshalb bedarf es der Ausfilterung von Belanglosigkeiten, die unter keinem 63 RGSt 31 90, 91; OLG Koblenz OLGSt a.F. § 203 S. 5; Rogall NStZ 1983 1, 6; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6. 64 G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 783 Fn. 96; aA Dannecker BB 1987 1614, 1615; für „Erkennbarkeit“ Köhler/ Bornkamm/Feddersen/Köhler37 § 17 a.F. Rdn. 10.
65 Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 222; Roxin FS Welzel 447, 461; aA Arloth MedR 1986 295, 297; Hinrichs DB 1980 2287; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 40; Vor § 32 Rdn. 54; noch anders Günther Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß (1983) S. 351; dazu Roxin FS Oehler 181, 195. 66 Roxin FS Welzel 447, 461. 919
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§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
Gesichtspunkt die Zuwendung der Rechtsordnung verdienen. Mit dem Merkmal des objektiven Geheimhaltungsinteresses geschieht dies.67 Tatsachen, an deren Geheimhaltung der Einzelne von seinem Standpunkt aus kein verständliches Interesse68 hat, sind keine Geheimnisse. Allerdings wird der Begriff des Geheimhaltungsinteresses mehrdeutig gebraucht. Er dient mitunter auch dazu, den vorhandenen, aber nicht geäußerten Geheimhaltungswillen des Betroffenen zu kennzeichnen (Fischer Rdn. 9) oder den vermuteten Willen desjenigen, der sein eigenes Geheimnis nicht kennt. Im Interesse eines klaren Sprachgebrauchs sollte er aber auf die ihm innewohnende objektiv-normative Seite begrenzt bleiben. 48 Maßgebend ist der Standpunkt des Betroffenen. Ob der Arzt bei der Vermögensauskunft (§ 802c ZPO) die Namen von Patienten als Drittschuldnern angeben muss, ist keine Frage des Geheimnisbegriffs (insoweit unzutreffend LG Aurich NJW 1971 252; LG Wiesbaden JurBüro 1977 727). Ebenso wenig ist zu prüfen, ob das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen sittlich hochstehend oder rechtlich billigenswert ist. Geheimnisfähig sind auch menschliche Schwächen, sittliche Verfehlungen, Straftaten.69 Der in anderem Zusammenhang (§ 97a) beachtliche Gesichtspunkte der Legalität oder Illegalität des Geheimnisses ist grundsätzlich bedeutungslos. Keinesfalls dient das Merkmal dazu, bloße Interessen Dritter oder mittelbar Betroffener an der Wahrung fremder Geheimnisse in den Begriff des Geheimnisses einzubeziehen. Die uneheliche Schwangerschaft der Tochter betrifft rechtlich nur die Tochter, nicht ihre Eltern;70 nur das Interesse der Tochter ist daher maßgebend. 49 Danach fallen lediglich Vorgänge wie die Bekanntgabe der üblichen Personalien, einer (nicht notwendig jeder) Anschrift, der Telefonnummer (s. aber zur Telefondaten-Erfassung u. Rdn. 79) als Bagatellgeheimnisse aus dem Anwendungsbereich des § 203 heraus. Unbeachtlich sind ferner belanglose Wünsche und Empfindungen wie Urlaubspläne, Lieblingsgerichte u.Ä. Im Bereich wirtschaftlicher Betätigung ist das Fehlen jeglichen wirtschaftlichen Interesses entscheidend (BGH GRUR 1955 424, 426); auch der Zeitablauf kann eine Rolle spielen (Rein VersR 1977 121). Anderes gilt beim Durst des Diabetikers, der Vorstellungswelt eines Paranoiden als medizinischen Befundtatsachen; und ebenso können geschäftliche Pläne, welche den Börsenkurs des Unternehmens beeinflussen, und selbst die zur Identifizierung geeignete rote Krawatte eines Tatverdächtigen Geheimnisse sein (Bockelmann Verkehrsstrafrechtliche Aufsätze S. 27, 30). Dagegen soll nach Auffassung von Hoyer (SK Rdn. 8, 10) dem Geheimhaltungsinteresse eine erhebliche tatbestandseinschränkende Funktion zukommen, indem unter einem Geheimnis nur eine Information verstanden wird, deren Mitteilung im Falle ihrer Unwahrheit den objektiven Tatbestand der §§ 186/7 StGB verwirklichen würde. Das dafür vorgebrachte Argument, dass sonst der Lügner ungerechtfertigt privilegiert und das Opfer gegen eine Verfälschung seines Persönlichkeitsbildes schlechter geschützt würde als gegen eine wahre Darstellung, ist beachtlich, aber wegen des Charakters des § 203 als Sonderdelikt und der hieraus folgenden spezifischen Einschränkung seines Schutzbereichs nicht durchschlagend. 50 Auch der Gedanke der Missbrauchsabwehr kann allenfalls in engen Grenzen durchschlagen (zu § 53 StPO bedenklich Bringewat NJW 1974 1740, 1742). Die Patientin, die die Praxis des Arztes allein zu dem Zweck aufsucht, andere zu bestehlen, genießt nicht den Schutz des § 203 (LG 67 BGHZ 24 72, 81; OLG Schleswig NJW 1985 1090, 1091; Blei BT § 33 II 1; Bockelmann Verkehrsstrafrechtliche Aufsätze S. 27, 29 f; Fischer Rdn. 9; Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 136; Kauder StV 1981 564; Lenckner NJW 1964 1186; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 24; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 24; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 7; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 13; aA (Rechtfertigungsfrage) Bohne/Sax S. 159, 174; ähnlich Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift 355, 361; Kargl NK Rdn. 7 f; Samson SK6 Rdn. 26. 68 Enger (berechtigtes, schutzwürdiges Interesse) RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 238; (verständiges Interesse) Roeder FS Maurach 347, 366; gänzlich anders Rogall NStZ 1983 1, 6. 69 Ponsold/Bockelmann S. 12 f; BT 2 § 34 II 2b; Kohlhaas GA 1958 65, 68; Eser/Hirsch/Lenckner S. 227, 232; Göppinger/Lenckner S. 159, 172; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 30; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 7; vgl. auch BGHZ 24 72, 81; BGHSt 33 148; Oehler/Arians S. 307, 337; aA Rützel GRUR 1995 557 ff. 70 BGH JZ 1983 151, 152 m. Anm. Geiger; Eser NStZ 1984 49, 57; Kreuzer JR 1984 294; Laufs NJW 1983 1345, 1347; Lilie NStZ 1983 314. Hilgendorf
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Köln NJW 1959 1598; Kreuzer StV 1983 144; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 545), weil der Kontakt nur scheinbar beruflicher Natur ist. Aber schon das Ansinnen an den Arzt, beruflich Verbotenes zu tun, ist regelmäßig ein Geheimnis,71 weil Simulantentum ein Krankheitssymptom sein kann (vgl. Rieger DMW 1975 567). Dass eine verklagte Behörde die den Verfahrensgegenstand betreffenden Verwaltungsvorgänge dem Gericht vorlegt, kann der Kläger hingegen nicht unterbinden (Harthun SGb 1977 181, 183).
ee) Beispiele. Aus dem persönlichen Lebensbereich kommen als Geheimnis in Betracht: Ärztli- 51 che Behandlung (OLG Bremen MedR 1984 112; BGHSt 33 148, 152) einschließlich des bloßen Anbahnungsverhältnisses (BGHSt 45 363, 366); Patientenname (BAG NZA 1987 515, 516; OLG Bremen MedR 1984 112; OLG Schleswig NJW 1982 2615; LG Köln NJW 1959 1598; BGHSt 33 und 45, a.a.O.); Mandatserteilung an einen Steuerberater (KG NJW 1989 2893; Taupitz NJW 1989 2871, 2873; aA BAG ZIP 1989 668, 671); Inhalt ärztlicher Atteste (BGHZ 24 72, 81); Verletzungen (RGSt 26 5); Defloration (BGHZ 40 288, 292); Geschlechtskrankheiten (RGSt 38 62; RGZ 53 315, 316); Sterilisation (OLG Celle NJW 1963 406); Testierfähigkeit (BGHZ 91 392, 398); Umstände der Klinikaufnahme (BGHSt 33 148); Röntgenbilder (Kilian NJW 1987 695); Drogenkonsum (LG Karlsruhe StV 1983 144; Engler RdJB 1979 62, 65); das Bestehen einer privaten Personenversicherung (Frels VersR 1976 511; Rein VersR 1976 117, 120; BGHSt 45 363, 366); Art und Umfang einer Personenversicherung (BGH NJW 2010 2509); Vertragsabreden (BGH DB 1983 1921); fingierte Verträge (BGHSt 34 190); Disziplinarvorgänge (OLG Karlsruhe NJW 1986 145); nicht dagegen der Rückkaufswert einer privaten Rentenversicherung, Brandenburg. OLG, Beschluss vom 8. April 2020 – 11 U 147/19 (juris). Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse kommen ferner in Betracht: Unveröffentlichte Teile 52 des Jahresabschlusses, Buchführung und Handelsbücher (RGSt 29 426, 430); Herstellungsverfahren, Rezepte, Kundenlisten (RGSt 39 321; RG JW 1936 2081; 1938 3050); Zahlungsbedingungen (RG JW 1936 3471); Formen (RGSt 39 83, 86); Muster und Modelle (RGSt 31 90; 38 108; 42 394; RG GA 45 [1897] 364); Rechnerhandbuch und Vormuster eines Prozessrechners (BGH GRUR 1977 539); Beitragsrückstände zur Sozialversicherung (OVG Hamburg BB 1981 207); Entwicklungsgeheimnisse (Bullinger NJW 1978 2121); nur nach Zerlegung des Geräts erkennbare Verbesserungen (RG JW 1929 3087); Liquiditätslage (Ulsenheimer NJW 1975 1999, 2004); geplante Produktänderungen (Stürner JZ 1985 453); Ausschreibungsunterlagen (jeweils zu § 17 UWG a.F.: BGHSt 41, 140, 142; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler37 § 17 Rdn. 12); interne Diensteinteilungen von Fahrprüfern des TÜV für Prüfungstermine (aA OLG Köln NJW 2010 166).
b) Fremdes Geheimnis. Fremd ist ein Geheimnis, das der Sphäre eines anderen als des 53 Schweigepflichtigen selbst entstammt. Es muss nicht notwendig einem Einzelnen gehören, auch gemeinschaftliche Geheimnisse gibt es (RGZ 53 168, 169). Das Geheimnis kann also mehreren Personen nebeneinander zustehen und sogar noch einem Verstorbenen (§ 203 Abs. 5). Dagegen kann eine Leibesfrucht (nasciturus) hier noch nicht Rechtsgutsträger sein; sie betreffende geheime Tatsachen sind deshalb nicht als solche, sondern allenfalls mittelbar als Geheimnisse der Schwangeren oder des Erzeugers strafrechtlich geschützt (eingehend Grabsch passim; rechtspolitische Bedenken bei Keller JR 1991 441, 446).
aa) Juristische Personen des Privatrechts. Wenig diskutiert wird die Rolle von juristischen 54 Personen und sonstigen Personenverbänden als Geheimnisträger. Eine Beschränkung auf natürliche Personen ergibt sich weder aus der Entstehungsgeschichte, weil die umstandslose In71 Bockelmann BT 2 § 34 II 2b; MMW 1967 365, 368; aA ArbG Wuppertal BB 1982 740 betr. Erschleichung einer Krankmeldung; Laufs Arztrecht Rdn. 428; Schreiner S. 76 f. 921
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§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
korporation des vor dem EGStGB spezialgesetzlich geregelten Schutzes der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in den strafrechtlichen Schutzbereich unmöglich deren häufigste Träger (Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung u.Ä.) vernachlässigen kann, noch aus der Überschrift des 15. Abschnitts, weil diese (von der begrenzten Tragweite des darin liegenden systematischen Argumentes ganz abgesehen) mit dem „persönlichen Geheimbereich“ durchaus auch denjenigen einer juristischen Person (!) ins Visier nimmt. Geheimnisse juristischer Personen können auch nicht, zumindest nicht immer und nicht lückenlos, als Geheimnisse ihrer Organe oder Mitglieder erfasst werden. Vielmehr sind sie sogar, wie die §§ 404 AktG, 85 GmbHG zeigen, gegenüber ihren Organen durch spezielle Straftatbestände geschützt. Da das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch juristischen Personen des Privatrechts zusteht,72 sind deren Geheimnisse unbedenklich der Rechtsgutsdefinition des § 203 StGB zu subsumieren (and. und irrig Behm Juristische Personen als Schutzobjekte von § 203 StGB? iur. Diss. Kiel 1985).
55 bb) Personen des öffentlichen Rechts. Komplizierter verhält es sich mit den Geheimnissen der juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Geheimnisse des Staates sind im Verhältnis zu seinen Amtsträgern nicht fremd (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 73). Gegenüber seinen Bediensteten hat der Staat eine Stellung inne, welche derjenigen eines Arztes vergleichbar ist, der seine Angestellten in seine eigenen Geheimnisse einweiht. Dieses Innenverhältnis wird im öffentlichen Bereich von § 353b erfasst. § 203 Abs. 2 meint dagegen Privatgeheimnisse (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 238), d.h. solche Geheimnisse, die vom Bürger dem Bereich der staatlichen Verwaltung zugänglich gemacht wurden. Daher können auch die in Absatz 2 S. 1 Nr. 3 bis 5 aufgeführten Personen staatliche Geheimnisse hoheitlicher Art nicht strafbar verraten. Man könnte deshalb und in Anbetracht des weiteren Argumentes, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 19 Abs. 3 GG e contrario nur privaten und nicht öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern zusteht, die Geheimnisse dieser Rechtsträger überhaupt aus dem Schutzbereich von § 203 StGB herausnehmen. Aber damit würde man übersehen, dass öffentlich-rechtliche Rechtsträger durchaus am Privatrechtsverkehr teilnehmen können, beispielsweise wenn eine Universität einen Rechtsanwalt mit der Prozessvertretung in einem (sei es sogar verwaltungsrechtlichen) Rechtsstreit betraut und dieser daraufhin die ihm hierbei anvertrauten Geheimnisse preisgibt. Im Rahmen der Teilnahme am Privatrechtsverkehr können deshalb auch Geheimnisse juristischer Personen des öffentlichen Rechts in den Schutzbereich des § 203 Abs. 1 StGB fallen (zust. Cierniak/Niehaus MK Rdn. 31), wobei aber die hierfür in Betracht kommenden Vertrauensverhältnisse der Natur der Sache nach begrenzt sind, was freilich auch für juristische Personen des Privatrechts gilt, die sich beispielsweise ebenfalls nicht (sei es auch repräsentiert durch ihre Organe) beim Psychiater auf die Couch legen können.
56 cc) Drittgeheimnisse. Ohne Bedeutung für die Anwendung des § 203 ist, ob derjenige, den das Geheimnis betrifft, in einer Sonderbeziehung zum Schweigepflichtigen steht (etwa als Patient zum Arzt), oder ob es sich um ein sog. Drittgeheimnis handelt. Auch Drittgeheimnisse sind fremde Geheimnisse (s. dazu Rdn. 64 f). Zu der umstr. Frage, inwieweit der in einer Sonderbeziehung zum Schweigepflichtigen Stehende gewillt sein muss, das Drittgeheimnis zu wahren, oder ob nur der Wille und das Interesse des Betroffenen maßgebend sind, s.u. Rdn. 146. 57 Tatsachen, die den Schweigepflichtigen selbst betreffen, unterliegen der Schweigepflicht insoweit, als sie – wie der Verlauf einer Unterredung – mit dem fremden Geheimnis in untrennbarem Zusammenhang stehen (BGH bei Holtz MDR 1978 281; BayObLGZ 1966 86, 89; OLG München MDR 1981 853, 854). 72 Dreier/Dreier Art. 19 III GG Rdn. 38; Sachs/Rixen Art. 2 GG Rdn. 77; Ehmann JuS 1997 193, 201 ff; Erman/Ehmann BGB12 Anh. § 12 Rdn. 290 ff; aA v. Mangoldt/Klein/Starck/Huber Art. 19 GG Rdn. 317. Hilgendorf
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c) Erlangung in beruflicher Eigenschaft. Erfasst sind nur Geheimnisse, die dem Schweige- 58 pflichtigen in seiner beruflichen Eigenschaft anvertraut oder sonst bekanntgeworden sind. Anvertrauen ist Mitteilen als Geheimnis (Rdn. 43); gleich bleibt, wer dies tut.73 Auch ein Arzt kann einem anderen Arzt Geheimnisse des Patienten anvertrauen (Bockelmann Strafrechtl. Untersuchungen S. 108 zu BGHSt 4 355). In sonstiger Weise bekanntwerden kann eine geheimzuhaltende Tatsache insbesondere durch eigene Tätigkeit des Schweigepflichtigen (z.B. die ärztliche Untersuchung), aber auch durch jedes Verhalten des Betroffenen oder Dritter. Eine genaue begriffliche Abgrenzung der beiden rechtlich gleichwertigen Varianten der Kenntniserlangung ist entbehrlich (BGHZ 40 288, 293 f). Erforderlich ist lediglich, dass das Geheimnis den Schweigepflichtigen, durch welche Form der Übermittlung auch immer, erreicht (OLG Bremen NJW 1963 1465). Bei verkörperten Geheimnissen genügt der Zugang (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18; aA Hoyer SK Rdn. 21).
aa) Funktionsbezug. Der Schweigepflichtige muss bei der Erlangung des Geheimnisses aber, 59 wie der Gesetzeswortlaut ausweist, die in der Täterbeschreibung des § 203 vorausgesetzte Funktion ausgeübt haben. Beruflicher Natur in diesem Sinne sind die Tätigkeiten, welche zum Berufsbild des Täters gehören und die er in erlaubter Weise ausübt. Straftaten, auch Beihilfehandlungen zu Straftaten anderer, sind berufsfremd.74 Beim Anwalt kann zur Abgrenzung im Übrigen grundsätzlich die gebührenrechtliche und die steuerrechtliche Einordnung der Angelegenheit dienen, weil sie sich am Berufsbild ausrichtet;75 ein einheitliches Geschäft wird dabei aber nicht aufgespalten (BGHSt 34 295, 298). Berufsfremd tätig ist der Rechtsanwalt, der sich mit Heiratsvermittlung oder mit der Vermittlung von Grundstücksgeschäften befasst oder der als Gesellschafter – sei es auch nur treuhänderisch – Gesellschaftsanteile hält (abw. KG JR 1985 161, 162). Die Mediation ist dagegen für den Rechtsanwalt keine berufsfremde Tätigkeit.76 Der Insolvenzverwalter, der nicht Rechtsanwalt sein muss, tritt an die Stelle des Gemeinschuldners und erlangt kraft Amtes nicht lediglich Kenntnis, sondern bei Geschäftsgeheimnissen auch Verfügungsgewalt (BGHZ 16 172, 175; Rdn. 149). Er scheidet damit als Täter aus (Flor JR 1953 368, 369), ebenso regelmäßig der als Vermögensverwalter (Vogelbruch DStZ 1978 340) und der als Vormund (Flor JR 1953 368, 369) oder Betreuer (BGH DStRE 2014 828) bestellte Anwalt. Einen Grenzfall bildet seine Einschaltung bei der Abwicklung von Erpressungsunternehmungen. Soweit der Anwalt durch § 34 gerechtfertigt ist, ist sein Tun auch Wahrnehmung rechtlicher Interessen und der Berufssphäre zuzurechnen (aA Hass NJW 1972 1081). Der Syndikusanwalt (§ 46 BRAO) wiederum erlangt im Rahmen seines ständigen Beschäftigungsverhältnisses, in dem er grundsätzlich als juristischer Sachbearbeiter und nicht als unabhängiger Rechtsanwalt tätig ist,77 keine unter § 203 fallenden Geheimnisse.78 Ebenso liegt es bei dem in das Leitungsgremium einer Firma berufenen Anwalt (OLG Celle NJW 1983 1573; OLG Düsseldorf MDR 1975 1025). Der Wirtschaftsprüfer hingegen, der als neutrale Person eine Gesellschafterversammlung leitet, wird damit im Rahmen seines wirtschaftsberatenden Aufgabenbereichs tätig (OLG Nürnberg BB 1964 827; allgemein dazu BGHZ 102 128). 73 RG GA 59 (1912) 463, 464; LZ 1920 929; Ponsold/Bockelmann S. 12; BT 2 § 34 II 3; Fischer Rdn. 11; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 13; Hoyer SK Rdn. 19 ff; 23; Welp FS Gallas 391, 394.
74 BGH Beschl. v. 25.6.1976 – StB 18/76; Bader KK § 53 Rdn. 14; Schreiner S. 75 ff; vgl. BVerfGE 32 373, 381; Laufs Arztrecht Rdn. 428; in der Begründung unzutreffend BGH MDR 1956 625, 626. 75 BGHZ 18 340, 346; 46 268, 270; 53 394, 396; BGH NJW 1980 1855; 1985 2642; BFH AnwBl. 1981 190; BFH BStBl. II 1986 213. 76 Groth/v. Bubnoff NJW 2001 338; and. Eckard/Dendorfer MDR 2001 786, 789. 77 Feuerich/Braun BRAO § 46 Rdn. 7, 13. 78 EuGH NJW 1983 503, 505; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Schuster § 102 AO Rdn. 12; and., wenn er ausnahmsweise eine unabhängige Stellung einnimmt, s. LG München AnwBl. 1982 197; LG Berlin NStZ 2006 470; W. Hassemer wistra 1986 1, 14; Roxin NJW 1992 1129; 1995 17. 923
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§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
Der Arzt ist als Angehöriger eines Heilberufs schweigepflichtig. Der Pharmavertreter oder der ärztliche Journalist, der in einer Leserbriefecke medizinische Fragen beantwortet, erfährt Geheimnisse nicht in der von § 203 Abs. 1 vorausgesetzten Eigenschaft. Dasselbe gilt für den zum Leiter einer Justizvollzugsanstalt bestellten approbierten Arzt, der sich auf Verwaltungsaufgaben beschränkt79 oder den Leiter des DRK-Suchdienstes (Kohlhaas NJW 1967 666, 667). Zum beamteten Arzt im Übrigen Rdn. 78; zum Sachverständigen Rdn. 177. Besondere Schwierigkeiten bestehen mangels eines fest umrissenen Berufsbildes bei Sozi61 alarbeitern und Sozialpädagogen (Absatz 1 Nr. 6). Der beamtete Sozialpädagoge, der am Schreibtisch Sachbearbeiteraufgaben wahrnimmt, erfährt Geheimnisse lediglich als Amtsträger (Absatz 2). Eigenverantwortliche Tätigkeiten hingegen – wozu aber nicht Hausbesuche zur Überprüfung gestellter Anträge zählen80 – können ausnahmsweise der persönlichen Schweigepflicht des Absatzes 1 unterfallen (Mörsberger/Onderka/Schade Datenschutz S. 172, 176). Wenn ein Sozialarbeiter das Geheimnis nur als Amtsträger erfahren hat, so darf er es im 62 Rahmen des Arbeitsablaufes innerhalb seiner Behörde auch ohne Einwilligung des Betroffenen weitergeben (eingehend Bruns Schweigepflicht, S. 84 ff), ebenso wie an andere Behörden im Rahmen zulässiger Amtshilfe (allgemein u. Rdn. 77 f, 86, 200 sowie § 76 SGB X). Im Übrigen kann man die Zuordnung nicht von der Notwendigkeit einer Verschwiegenheitspflicht abhängig machen (so Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Neuhaus Jura 1990 624, 631), weil das auf einen Zirkelschluss hinauslaufen würde. Vielmehr gilt auch für den Sozialarbeiter die allgemeine Regel, dass es auf die Funktion ankommt, in der er ein bestimmtes Geheimnis erfährt (eingehend u. Rdn. 78). Das bedeutet für die im öffentlichen Dienst stehenden Sozialarbeiter, die nur zum kleineren Teil eine beratende oder therapeutische Tätigkeit ausüben, dagegen zum größeren Teil staatliche Ermittlungsaufgaben wie etwa im Hinblick auf § 1666 BGB wahrnehmen (beispielhafte Aufzählung bei Mörsberger Datenschutz im sozialen Bereich S. 140 ff), dass sie die meisten Geheimnisse als Amtsträger gemäß Abs. 2 und nur die wenigsten in einer Vertrauenstätigkeit gemäß Abs. 1 erlangen. Besonders ausgeprägt ist dies bei den hauptamtlich als Beamte oder Angestellte tätigen Bewährungshelfern, die im Auftrage des Staates die Lebensführung des Probanden zu überwachen und hierüber dem Gericht zu berichten haben (§§ 56d Abs. 3, 68a Abs. 2 und 3 StGB) und deren Schweigepflicht sich in diesem Rahmen deshalb nicht nach der strengen Vorschrift des § 203 Abs. 1, sondern nach Abs. 2 bestimmt.81 Anders verhält es sich aber natürlich, wenn die Weitergabe der entsprechenden Sozialdaten nur an bestimmte Behörden gestattet ist, wie etwa nach § 65 SGB VIII (dazu das DIV-Gutachten vom 30.7.1998, DAVorm 1999 55).
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63 bb) Private Kenntnis. Andererseits darf der Schweigepflichtige das Geheimnis auch nicht als Privatmann erfahren haben. Er hat es in beruflicher Eigenschaft erlangt, sofern es ihm in Ausübung seiner in § 203 bezeichneten Berufstätigkeit (BGH DB 1983 1921), also in innerem Zusammenhang mit ihr bekanntgeworden ist.82 Der Zugang zum Geheimnis muss ihm gewährt oder möglich geworden sein, weil er Arzt, Rechtsanwalt etc. ist.83 Ein Vertrag (OLG Hamburg NJW 79 Frommann/Mörsberger/Schellhorn/Groell/Mörsberger S. 212, 230; Marx GA 1983 160, 162; ebenso für Sozialarbeiter Mörsberger Verschwiegenheitspflicht S. 65. 80 Mörsberger Verschwiegenheitspflicht S. 66; aA Jähnke LK10 Rdn. 34. 81 Schenkel NStZ 1995 67 ff; im Ergebnis auch Bruns Schweigepflicht, S. 137 ff; aA Damian BewHi 1992 325 ff; Schmitt BewHi 1992 359 ff; Schwab BewHi 1992 369 ff; Onderka/Schade BewHi 1993 136 ff; differenzierend Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 13, 68. 82 BGHSt 22 157, 163; 33 148, 150 m. Anm. Hanack JR 1986 35 und Rogall NStZ 1985 374; RG GA 57 (1910) 207; OLG Hamm GA 1969 220; Göppinger/Lenckner S. 159, 174; Eser/Hirsch/Lenckner S. 227, 232; Mergen/K. Müller II S. 63, 92; Schlund JR 1977 265, 266; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 32; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; Hoyer SK Rdn. 24; Ulsenheimer/Gaede Arztstrafrecht Rdn. 1049; zu eng OLG Düsseldorf OLGZ 1979 466; OLG Karlsruhe NJW 1984 676. 83 Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 57; Schmitz JA 1996 772, 776; Ostendorf JR 1981 444, 448; Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 142. Hilgendorf
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IV. Tathandlung der Offenbarung
§ 203
1962 689) oder eine zivilrechtliche Sonderbeziehung ist dazu nicht erforderlich, wohl aber ein (sei es auch durch berufstypischen Kontakt begründetes) Vertrauensverhältnis.84 Der Betriebsarzt, der bei einem Werksangehörigen ohne dessen Zutun eine Krankheit bemerkt, hat darüber nur dann zu schweigen, falls die Kenntnis im Rahmen seiner Tätigkeit erlangt wurde, während zufällige Kenntnis nicht genügt.85 Eine thematische Begrenzung ist dagegen in der Regel nicht möglich. Was der Lehrer bei einem Ausflug als Lehrer von Schülern erfährt, ist ohne Rücksicht auf den Gegenstand beruflicher Natur (Engler RdJB 1979 62, 66). Ein geheimer Vorbehalt des Schweigepflichtigen, das erlangte Wissen zu privaten Zwecken verwenden zu wollen, ist bedeutungslos (Bockelmann Strafrechtliche Untersuchungen S. 108; Bindokat NJW 1954 865 zu BGHSt 4 355).
cc) Drittgeheimnisse. Eine für die Anwendung des § 203 zentrale und außerordentlich um- 64 strittene Rolle spielen die sog. Drittgeheimnisse, die nicht den Patienten, Mandanten etc., sondern eine dritte Person betreffen,86 sei es als isolierte Drittgeheimnisse, wenn sie nur etwas mit dieser Person zu tun haben, oder als verknüpfte Drittgeheimnisse, wenn sie mit einem Geheimnis des Patienten etc. in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen (etwa: die Erbkrankheit, die der Patient von seinem Vater geerbt hat, oder die mit dem fremden Geheimnis verknüpfte Tatsache, dass es dem Arzt oder Anwalt von seinem Patienten oder Mandanten anvertraut worden ist). Nach der traditionellen, auch von Jähnke LK10 (Rdn. 36 f) vertretenen Auffassung sollen Drittgeheimnisse vollständig oder wenigstens „in gewissen Grenzen“ (Lackner/Kühl/Heger Rdn. 14) als ein selbständiges Rechtsgutsobjekt geschützt sein, in dessen Verletzung nicht der Patient etc. oder der (u.U. vom Patienten etc. verschiedene) Anvertrauende, sondern nur der Geheimnisträger selbst einwilligen könne, dem auch als alleinigem Verletzten das Strafantragsrecht gemäß § 205 zustehen soll.87 Dies soll sogar zufällige ärztliche Beobachtungen an einer Begleitperson im Wartezimmer oder Klatschgeschichten des Patienten in der Sprechstunde erfassen und ist mit den Bestrebungen zur Einführung eines allgemeinen Indiskretionsdelikts sowie der Einbeziehung der „sonst bekanntgewordenen“ Geheimnisse in den Tatbestand begründet worden (Jähnke LK10 Rdn. 36). Aber das überzeugt in dieser Allgemeinheit nicht, denn weil die Bemühungen zur Einführung eines allgemeinen Indiskretionsdelikts die Grenzen der Strafwürdigkeit überschritten und deshalb mit Recht sämtlich gescheitert sind (eingehend Schünemann ZStW 90 [1978] 11, 35 ff), ergeben sie umgekehrt ein starkes Argument für eine restriktive Bestimmung des Drittgeheimnisschutzes (ebenso Kargl NK Rdn. 18), so wie auch die grundsätzliche Ablehnung der überindividuellen Rechtsgutsbestimmung (o. Rdn. 23 ff) gegen eine Ausdehnung des Strafrechtsschutzes auf die außerhalb einer konkreten Vertrauensbeziehung erfahrenen Geheimnisse spricht. Richtigerweise ist aus der Beschränkung des Straftatbestandes auf die Partner bestimmter Vertrauensverhältnisse und der sie erklärenden viktimodogmatischen Betrachtungsweise (o. Rdn. 28 ff) eine Begrenzung des Drittgeheimnissen zukommenden Strafschutzes zu folgern. Drittgeheimnisse fallen danach nur dann in den Schutzbereich des § 203, wenn sie im Rah- 65 men einer dort aufgeführten Vertrauensbeziehung entweder innerhalb des ausdrücklich oder 84 Etwa bezüglich der Begleitumstände der Krankenhausaufnahme eines bewusstlosen Unfallopfers, s. BGHSt 33 148, 151; ähnlich Kargl NK Rdn. 14; Hoyer SK Rdn. 25; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 15; OLG Karlsruhe NJW 1984 676; extensiver dagegen Jähnke LK10 Rdn. 16 f, 35; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 52 (jeder berufliche Kontakt). Das Problem stellt sich vor allem bei den Drittgeheimnissen, s. Rdn. 64, 146 ff. 85 Schmitz JA 1996 772, 776; Fischer Rdn. 12; aA Jähnke LK10 Rdn. 35; OLG Oldenburg NJW 1982 2615, jedoch nur als obiter dictum; Ponsold/Bockelmann S. 10; Hanack JR 1986 35. 86 And. Hanack JR 1986, 37; Mitsch JuS 1989 964, 986, die auf die Frage der Identität von Anvertrauendem und Geheimnisträger abstellen. 87 Ponsold/Bockelmann S. 10, 12; Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 155; Jähnke LK10 § 203 Rdn. 36, § 205 Rdn. 6; Rogall NStZ 1983 413 f; Schlund JR 1977 265, 266; Welp FS Gallas S. 391, 394. 925
Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
konkludent bestimmten Verschwiegenheitsrahmens vom Patienten oder einem anderen Anvertrauenden mitgeteilt oder in einem inneren Zusammenhang damit erfahren worden sind, beispielsweise wenn der Hausarzt die erforderliche Familienanamnese erhebt oder ein angetrunkener Retter ein Unfallopfer zum Arzt bringt, der dabei dessen Fahruntüchtigkeit erkennt (Mitsch JuS 1989 964, 967 f). Zur Frage der Einwilligungsbefugnis in diesen Fällen s. Rdn. 146, der Strafantragsberechtigung § 205 Rdn. 7.
66 dd) Beispiele. für die Erlangung eines Geheimnisses in beruflicher Eigenschaft finden sich vor allem im Bereich ärztlicher Tätigkeit. Die Praxisübernahme (BVerfGE 32 373, 382, jedenfalls sofern der Patient zustimmt, vgl. Rdn. 161), die Nachfolge in der Stellung als leitender Arzt (OLG Celle NJW 1963 406), dienstlich erhaltene Einzelmitteilungen wie Blutspenderdaten (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; aA LG Köln NJW 1956 1112), die Person des Samenspenders bei der künstlichen Befruchtung (Gottwald FS Hubmann 111, 121; aA Zimmermann FamRZ 1981 929, 932) gehören hierher. Das vom Arzt beim Hausbesuch über Patient und Hausgenossen gewonnene berufsspezifische Wissen ist beruflicher Art, wofür jeder innere Zusammenhang mit dem Anlass des Erscheinens genügt, nicht aber Klatschsucht des Patienten oder ein die Anwesenheit des Arztes ignorierendes, aus viktimodogmatischen Gründen keinen Geheimschutz verdienendes Verhalten.88 Die Fahrt zum Patienten ist lediglich Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr. Was der Patient in der Sprechstunde über sich und andere im Rahmen der Konsultation mitteilt, erfährt der Arzt in dieser Eigenschaft; etwas anderes gilt nach erkennbarem Übergang zu privater Unterhaltung (enger Jähnke LK10 Rdn. 38). Ebenso gehören das Anbahnungsverhältnis zur Berufstätigkeit89 und der von aufdringlichen Bekannten bei gesellschaftlichen Anlässen erzwungene kostenlose Rat (Schlund JR 1977 265, 266). Am Stammtisch fehlt es daran, es sei denn, dass der Berufsangehörige in konkreter Sache angesprochen wird (Ostendorf JR 1981 444). Beim gemeinsamen Mittagessen Verfahrensbeteiligter fehlt schon der Geheimnischarakter der Gespräche (vgl. OLG Bamberg StV 1984 499), anders das Pausengespräch des Lehrers mit einem Schüler (Engler RdJB 1979 62, 66). Nicht zu schweigen braucht der Arzt, dem in privatem Kreis an sich harmlose Tatsachen bekannt werden, welche er kraft seiner Sachkunde als Krankheitssymptome erkennt.90 Die Schweigepflicht setzt aber ein, sobald gesellschaftliche Äußerungen in einen untrennbaren Zusammenhang zu beruflicher Beratung übergehen (OLG Köln MDR 1973 857). Sie umfasst auch den Umfang einer für den Betroffenen entfalteten Tätigkeit (OLG Schleswig SchlHA 1982 111). Dagegen entfällt ein Schweigegebot bei Tatsachen, die der Berufsangehörige bereits von privater Seite erfahren hat oder die er später nochmals von privater Seite erfährt (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 19; aA Deutsch Medizinrecht Rdn. 636).
d) Offenbaren 67 aa) Begriff. Offenbaren ist jede Hinausgabe von Tatsachen aus dem Kreis der Wissenden oder der zum Wissen Berufenen;91 nicht erforderlich ist öffentliche Bekanntgabe (Göppinger/Lenckner
88 And. die h.L., s. Flor JR 1953 368, 369; Kohlhaas GA 1958 65, 69; Göppinger/Lenckner S. 159, 174; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 15; Jähnke LK10 Rdn. 38; wie hier Hillenkamp S. 64; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 57 mit dem vielbesprochenen Fall, dass der Arzt „Blüten“ auf dem Tisch des Hauses liegen sieht, was also nicht unter § 139 Abs. 3 Satz fällt; für bevorstehende Delikte als anvertraute Tatsache s. Rdn. 196. 89 BGHSt 33 148 m. Anm. Hanack JR 1986 35 und Rogall NStZ 1985 374; BGHSt 45 363, 366; RG GA 59 (1912) 463; aA OLG Karlsruhe NJW 1984 676; Kohlhaas DMW 1963 2356. 90 Kühne Berufsrecht S. 145; Schreiner S. 70; aA Jähnke LK10 Rdn. 38; Kallfelz JW 1936 1343, 1345. 91 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rn. 32; Ponsold/Bockelmann S. 14; BT 2 § 34 II 4; MMW 1967 365, 368; Langkeit NStZ 1994 6 f; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 26; Pickel MDR 1984 885, 886; Schmidhäuser BT 6/28; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 36; Hoyer SK Rdn. 31; unzutr. KG FamRZ 1975 164. Hilgendorf
926
IV. Tathandlung der Offenbarung
§ 203
S. 159, 175). Zum Wissen berufen ist, wer nach dem Willen des Berechtigten das Geheimnis als solches erfahren darf; ferner wer in bestimmten Funktionseinheiten (Kanzlei, Praxis, Behörde) als Bediensteter Zugang zu ihm hat (s. Abs. 3 S. 1; Rdn. 70 ff). Kein Abgrenzungsmerkmal ist eine gemeinsame Schweigepflicht, weil § 203 auch für Schweigepflichtige untereinander gilt (Rdn. 42, missverständlich Ponsold/Bockelmann S. 10, 14; BT 2 § 34 II 2a, 4; MMW 1967 365, 368). Dem Empfänger muss ein Wissen vermittelt werden, das diesem noch verborgen ist oder von dem er jedenfalls noch keine sichere Kenntnis hat.92 Maßgebend ist dabei die objektive Sachlage, nicht die Sicht des Offenbarenden.93 Denn nicht der Vertrauensbruch, der sich im Willen zur Preisgabe des Geheimnisses äußert, berührt das geschützte Rechtsgut (Rdn. 26 f). Angriffsobjekt ist vielmehr das Geheimnis, das nur verletzt ist, wenn es wirklich offenbart wird. Gelangt es allein in der Vorstellung des Täters über den Kreis der Wissenden hinaus, weil der Empfänger bereits unterrichtet ist oder die Mitteilung nicht versteht,94 liegt lediglich strafloser Versuch vor. Bei verkörperten Geheimnissen (Briefen) ist die Tat spätestens mit dem Zugang der Sache an einen Außenstehenden vollendet (RGSt 51 184, 189; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18, 110), wenn dieser also Gewahrsam daran erlangt. Ob dies bei einem digitalisierten Geheimnis in der Weise entsprechend gilt, dass das Verschaffen der tatsächlichen Möglichkeit der Kenntnisnahme etwa durch Zugriff von Computer-Servicepersonal auf die gesamte EDV-Anlage als eine Offenbarung aller darin gespeicherten Geheimnisse zu qualifizieren ist,95 ist – wenn nicht schon Abs. 3 S. 1 greift (Rdn. 70 ff) – deshalb zweifelhaft, weil eine reale Kenntnisnahme bei Durchführung des Service bestenfalls in exemplarischer Hinsicht in Betracht kommt, während für die Masse der Geheimnisse eine (dem Serviceunternehmen nicht gestattete und im Normalfall auch nicht erfolgende) zusätzliche Speicherung oder die Herstellung eines Ausdruckes nötig wäre.96 Dieselben Probleme stellen sich auch beim Einsatz von digitalisierten Bildarchivierungs- und Kommunikationssystemen, sog. PACS (dazu Inhester NJW 1995 685 ff), oder bei der Versendung unverschlüsselter E-Mails (dazu Sassenberg AnwBl 2006 196 sowie Sassenberg/Bamberg DStR 2006 2052, 2053 f einerseits, Härting MDR 2001 61 andererseits). Das vermittelte Wissen muss ferner so konkret sein, dass bei einem Betriebsgeheimnis des- 68 sen Verwertung möglich (vgl. RG GA 45 [1897] 364, 365), bei einem zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnis der Betroffene ersichtlich ist.97 Fallschilderungen in wissenschaftlichen Publikationen sind in anonymisierter Form damit zulässig.98 Unerheblich ist, ob der Empfänger der Mitteilung seinerseits schweigepflichtig ist, sofern er nur außerhalb des Kreises steht, dem das Geheimnis bisher schon zugänglich war.99 Das Schweigegebot gilt daher auch 92 BGHSt 27 120, 121; BGH NJW 1995 2915; BayObLG NJW 1995 1623; RGSt 26 5, 7; KG JR 1985 24, 27; Bohne/Sax S. 159, 176; Fischer Rdn. 33; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 54; Hoyer SK Rdn. 31; Kohlhaas GA 1958 65, 69; Mergen/K. Müller II S. 63, 93; Pickel MDR 1984 885, 886; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 38; Michalski/Römermann NJW 1996 1305, 1308. 93 Fischer Rdn. 33; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 798; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 21; aA BGHSt 27 120, 121; Ackermann FS DJT S. 479, 490; Kohlhaas GA 1958 65, 69. 94 insoweit aA Ackermann FS DJT S. 479, 490; Altenhain KK-AktG § 404 Rdn. 21. 95 Vgl. Ehmann CR 1991 293; Otto wistra 1999 201, 202; enger Koch CR 1987 284. 96 Zust. Cierniak/Niehaus MK Rdn. 58; die Kritik von Lilie FS Otto 673, 679 ff, greift bei nur mit der Lösung von Hardware- oder Software-Problemen beauftragtem Service nicht durch, anders aber, wenn die externe Firma mit der Datenverarbeitung beauftragt wird, s.i.F. 97 VG Münster MedR 1984 118, 119; Geppert Strafvollzug S. 19; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; Schwalm Med. Klinik 1969 1722, 1723; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 541. 98 Ackermann FS DJT 479, 490; Ponsold/Bockelmann S. 14; Geppert Strafvollzug S. 19; Grömig NJW 1970 1209, 1211; Göppinger/Lenckner S. 159, 175; Mergen/K. Müller II S. 63, 81; Rüping Internist 1983 206, 207; Scholz NJW 1981 1987, 1989; Laufs Arztrecht Rdn. 450; Neumann-Duesberg JR 1951 393. 99 BGHZ 116 268; RGSt 57 13, 14; BayObLG NJW 1995 1623 m. Anm. Fabricius StV 1996 485 u. Gropp JR 1996 478; Gramberg-Danielsen/Kern NJW 1998 2708, 2709; Rudolphi S. 421; Schmitz JA 1996 772, 777; s. jedoch auch für die von den Vorgenannten zu wenig berücksichtigten Fälle der üblichen Beratung und Supervision innerhalb derselben Funktionseinheit Rdn. 156. 927
Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
für Ärzte untereinander,100 gegenüber dem Krankenhausträger (BAG AP Nr. 2 zu § 320 ZPO Bl. 4) und Verrechnungsstellen (s. Rdn. 81) sowie gegenüber den nicht unterrichteten Angehörigen des Betroffenen101 und wird vor Gericht durch den Ausschluss der Öffentlichkeit nicht aufgehoben (Kühne JZ 1981 647, 651). Durchbrechungen bedürfen einer besonderen rechtlichen Grundlage. 69 Kein Offenbaren liegt naturgemäß in der Mitteilung an den Betroffenen, auch wenn dieser das Geheimnis noch nicht kannte,102 und an den sorgeberechtigten Vertreter eines nicht Einsichtsfähigen.103 Kein Offenbaren liegt aber auch darin, dass ein Schweigepflichtiger die zur ordnungsgemäßen Berufsausübung erforderlichen Hilfskräfte zuzieht,104 und darin, dass ein Anwalt die Bearbeitung einer Angelegenheit einem bei ihm beschäftigten anderen Anwalt überträgt. Das Personal gehört, falls nicht besondere Umstände entgegenstehen, in den Kreis der zum Wissen Berufenen; die Konstruktion einer Einwilligung des Betroffenen zur notwendigen Information der Angestellten wäre gekünstelt (Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 36). Das normiert Abs. 3 S. 1 für die Gehilfen und zur Berufsvorbereitung beim Schweigepflichtigen Tätigen (Rdn. 70 ff) nun ausdrücklich. So verhält es sich auch bei Funktionseinheiten wie dem ärztlichen Dienst in Krankenhäusern, aber nur innerhalb der in das Behandlungsgeschehen und dessen Abrechnung eingegliederten Personen,105 Versicherungsunternehmen nach Absatz 1 Nr. 7 (Kühne JZ 1981 647, 651; Rein VersR 1976 117, 120) und insbesondere innerhalb der öffentlichen Verwaltung.
70 bb) Tatbestandsausschluss nach Abs. 3 S. 1. Keine tatbestandliche Offenbarung von Geheimnissen liegt nach dem insoweit lediglich klarstellenden106 Abs. 3 S. 1 n.F. vor, wenn die in Abs. 1 und 2 Genannten Gehemnisse unmittelbar in die eigene organisatorische Sphäre eingebundenen Personen zugänglich machen. Das sind bei ihnen berufsmäßig tätige Gehilfen oder bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf Tätige. Obwohl der Wortlaut des Abs. 3 S. 1 – anders als Abs. 3 S. 2 für Externe – keine Beschränkung der Zulässigkeit des Zugänglichmachens an Gehilfen enthält, ist auch insoweit davon auszugehen, dass sich der Tatbestandsausschluss nur auf „erforderliche“ Geheimnisbrüche erstreckt.107 Denn Abs. 3 S. 1 soll allein die schon vor Novellierung des § 203 allgemeine Auffassung kodifizieren, dass im Kreis der Wissenden eine Wei100 AG Düsseldorf MedR 1986 83; VG Münster MedR 1986 118, 119; Ackermann FS DJT 479, 490; Becker MDR 1974 888, 890; Ponsold/Bockelmann S. 14; Brandis Med. Klinik 1965 353; Fischer Rdn. 35; Eser ZStW 97 (1985) 1, 43; Geppert Strafvollzug S. 22; Grömig NJW 1970 1209; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift 355, 363; Kohlhaas GA 1958 65, 69; Kühne NJW 1977 1478, 1482; Kuhlmann JZ 1974 670; Laufs Arztrecht Rdn. 436; Göppinger/Lenckner S. 159, 175 f; Lenkaitis S. 251; B. Lilie S. 102; C. Müller NJW 1966 1152, 1154; Schlund JR 1977 265, 267; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 22; abw. Bindokat NJW 1954 865; K. Müller MDR 1971 965, 971. 101 BGH NJW 1983 2627, 2628; Barnikel DRiZ 1978 182; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift 355, 364; Kalsbach AnwBl. 1955 41, 43; Laufs Arztrecht Rdn. 426; B. Lilie S. 99; Rehberg F. Schwarz-Festgabe S. 23, 35; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 37. 102 Zum vertraglichen Anspruch auf Einsicht in die Krankenunterlagen BGHZ 85 327; 85 339; zum Einsichtsrecht gegenüber dem Amtsarzt Wimmer DVBl. 1961 274; zum Einsichtsrecht des Häftlings OLG München ZfStrVo 1980 124; Geppert FS Jur. Gesellschaft Berlin 151; Kaiser/Schöch Strafvollzug5 § 7 Rdn. 152 f; Laubenthal Strafvollzug S. 340 f. 103 Barnikel DRiZ 1978 182; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift S. 355, 366; Kohlhaas VersR 1965 529, 533; vgl. auch BVerfGE 59 360, 383. 104 OVG Lüneburg MedR 1985 230, 232; Ponsold/Bockelmann S. 10; Bockelmann BT 2 § 34 II 2a; Bohne/Sax S. 159, 177; Geppert Strafvollzug S. 19; Kühne Berufsrecht S. 131; Göppinger/Lenckner S. 159, 176; abw. Hinrichs DB 1980 2287; B. Lilie S. 98. 105 LG Itzehoe NJW 1993 794; LG Bonn NJW 1995 2419 f; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 57; Kreuzer NJW 1975 2232, 2235; Langkeit NStZ 1994 6 f; aber anders im Verhältnis zur Aufsichtsbehörde, s. Laufs Arztrecht Rdn. 440 f; zur Frage einer Einwilligung in solchen Fällen u. Rdn. 164. 106 So auch BTDrucks. 18/11936, S. 2. 107 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28; skeptisch die Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks. 18/11936, S. 43; aA wohl Härting NJW 2019 1423. Hilgendorf
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IV. Tathandlung der Offenbarung
§ 203
tergabe von Geheimnissen (nur) zulässig ist, wenn sie die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung des Schweigepflichtigen bezweckt.108
(1) Gehilfe ist, wer einem anderen in dessen von § 203 erfasster Funktion zuarbeitet. Er muss an 71 der Berufstätigkeit unmittelbar unterstützend teilnehmen, nicht bloß ihre äußeren Bedingungen schaffen oder unterhalten. Eine solche Einbindung des Helfers etwa in das ärztliche Behandlungsgeschehen setzt ein Direktionsrecht voraus, welches erst einen reibungslosen Arbeitsablauf gewährleistet. Selbständige Gewerbetreibende scheiden daher in der Regel aus,109 wie auch die sonst überflüssige Aufführung der privatärztlichen Verrechnungsstellen in Absatz 1 Nr. 7 zeigt. Einer arbeitsrechtlich wirksamen Anstellung des Gehilfen bedarf es aber nicht; die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit genügt. Fällt der Gehilfe – wie etwa die Krankenschwester – zugleich unter Absatz 1, hat Absatz 4 für den Umfang der Schweigepflicht und für Offenbarungsbefugnisse Vorrang. Im Einzelnen sind Gehilfen des Arztes seine Sprechstundenhilfe, die Sekretärin. Kranken- 72 wagenfahrer, die keinem Notarzt und auch keiner Krankenschwester zugeordnet sind, handeln für die im Rettungswesen tätige Organisation. Eine unmittelbare Beziehung zu ärztlichem Tun lässt sich im Allgemeinen nicht herstellen;110 anders, wenn ein Arzt den Krankenwagen gerufen hat. Gehilfen des Rechtsanwalts oder Notars sind der Bürovorsteher (RGZ 54 360, 362), das Kanzleipersonal (BGHSt 9 59), nicht aber ein (selbständiger) Detektiv (irrig LG Frankfurt/M. NJW 1959 589). Nicht hierher gehören Reinigungskräfte, Pförtner, Boten, Chauffeure, Hausangestellte.111 Im Krankenhaus ist das für die Aufnahme zuständige Personal Gehilfe (BGHSt 33 148). Ob es den Verwaltungsbediensteten (auch der Buchhaltung) und dem Verwaltungsleiter jedoch an der unmittelbar unterstützenden Funktion fehlt, ebenso wie Aufsichtsbehörden oder – bei anderen Institutionen – Dienstvorgesetzten, ist umstritten112 und allenfalls für die Leitungsebene zutreffend. Der Techniker, der den Zentralcomputer des Hauses bedient, gehört durchaus zum Kreis der Gehilfen (aA Jähnke LK10 Rdn. 107; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 133; B. Lilie S. 80). Teamarbeit bewirkt nicht deshalb Gehilfeneigenschaft, weil bei ihr jeder der Gehilfe des 73 anderen sei (so aber Lücken RdJB 1969 289, 290 Fn. 10). Maßgebend ist, ob dem einzelnen Mitarbeiter ein selbständiger Aufgabenkreis zugewiesen ist. Aus diesem Grunde sind funktionell gleichgeordnete Berufsangehörige wie der Assistenzarzt oder der angestellte Rechtsanwalt keine Gehilfen i.S. des § 203 Abs. 4, sondern fallen unter Abs. 1 (BGH DStRE 2018 1397, 1401). Auch der vom Arzt zugezogene Psychologe beurteilt auf Grund eigener Fachkompetenz selbständig die ihm vorgelegten Fragen. Umgekehrt können Schweigepflichten nicht dadurch begründet werden, dass ein Erzieher, dem selbständige Beratungsfunktionen obliegen, in eine von einem Arzt oder Psychologen geleitete Beratungsstelle lediglich organisatorisch „eingebaut“ wird (Mörsberger Verschwiegenheitspflicht S. 63; aA Lücken RdJB 1969 289; Peters Jugendwohl 1976 275).
108 BTDrucks. 18/11936, S. 21; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 28. 109 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 26; aA Bader KK § 53a Rdn. 2; Ignor/Bertheau LR § 53a Rdn. 4; LBerufsG für Zahnärzte Bad.-Württ. NJW 1975 2255; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Schuster § 102 AO Rdn. 25.
110 Narr Rdn. 755; aA Kohlhaas DMW 1963 2356; NJW 1967 666; 1972 1502; Schürmann ArztRecht 1978 9. 111 Ackermann FS DJT 479, 496; Oehler/Arians S. 307, 383; Ponsold/Bockelmann S. 12; Kallfelz JW 1936 1343, 1344; Kohlhaas GA 1958 65, 67; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 43; Schäcker BB 1964 968; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 26; Hoyer SK Rdn. 50; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Schuster § 102 AO Rdn. 25; aA Ignor/Bertheau LR § 53a Rdn. 3; Pförtner Kamps MedR 1985 200, 202. 112 Bejahend, aber i.E. unterschiedlich Andreas ArztRecht 1987 203; Arloth MedR 1986 295, 297; Geppert Strafvollzug S. 20; Kreuzer NJW 1975 2232, 2235; Jähnke LK10 Rdn. 107; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11; B. Lilie S. 81; Marx GA 1983 160, 171 Fn. 60; aA OLG Oldenburg NJW 1982 2615 m. abl. Anm. Pelchen NStZ 1983 39; Kleinewefers/Wilts NJW 1964 428; Ignor/Bertheau LR § 53a Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 25; Schürmann ArztRecht 1978 9. 929
Hilgendorf
§ 203
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Verletzung von Privatgeheimnissen
Jedoch kann Gehilfe auch der ehrenamtliche und der nur gelegentlich zugezogene Helfer sein.113 Berufsmäßig tätig ist er durch die Unterstützung der in Absatz 1 aufgeführten Personen in ihrer beruflichen Funktion. Der Kreis der nach Absatz 4 über die Gehilfeneigenschaft Schweigepflichtigen deckt sich deshalb – wie es hier allein sinnvoll ist – mit dem Kreis der nach § 53a StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Berufshelfer.114 Damit sind auch Ehepartner und mithelfende Familienangehörige erfasst (Ponsold/Bockelmann S. 12). Die Schweigepflicht endet nicht mit der Gehilfeneigenschaft (BGHSt 9 59 und Rdn. 100).
75 (2) Berufsvorbereitung. Zur Berufsvorbereitung tätig sind die einem bestimmten Schweigepflichtigen zugeordneten Personen, die sich auf einen Beruf, nicht notwendig den des Schweigepflichtigen (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27), vorbereiten. Dazu gehören Referendare, Famuli, auch Studenten in der klinischen Ausbildung (Laufs/Katzenmeier/Lipp/Katzenmeier Arztrecht IX Rdn. 22), Praktikanten, Lehrlinge, Volontäre. Nicht hierzu zählen – weil nicht „tätig“ – Studenten, denen in der Vorlesung Kranke demonstriert werden (aA Blei BT § 33 IV), und der Operationsgast (Kuhns/Kohlhaas Recht der Heilberufe I 779; GA 1958 65, 67; Rieger DMW 1976 1298; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 17).
76 (3) Nicht: Outsourcing. Anders liegt es etwa beim kompletten Outsourcing der Datenverarbeitung (dazu allgemein Müthlein/Heck Outsorcing und Datenschutz), wenn diese geschützte Privatgeheimnisse enthält, beispielsweise wenn eine Anwaltskanzlei das gesamte Rechnungswesen von einem selbständigen IT-Unternehmen erledigen lässt und diesem dabei Mandantengeheimnisse übermittelt. Wie in diesen Fällen das nachvollziehbare Interesse des Schweigepflichtigen an einer Einbeziehung qualifizierter Externer in die eigenen Aufgabenwahrnehmung mit dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden kann, war lange Zeit sehr umstritten. Wenn es nicht nur um technische Wartung, sondern um inhaltliche Verarbeitung geht, lag und liegt schon mit der elektronischen Übermittlung ein tatbestandliches Offenbaren vor (s. schon Hilgendorf Strafrechtl. Probleme beim Outsourcing von Versicherungsdaten; ders. FS Tiedemann; Lilie FS Otto). Das ergibt sich nun zwingend aus einem systematischen Vergleich von Abs. 3 S. 1 und S. 2 n.F. Nach bis 2017 geltender Rechtslage war das problematisch, weil sich in Zeiten von Automatisierung und Digitalisierung ohne Inanspruchnahme externer Dienstleister häufig nicht mehr wirtschaftlich rentabel arbeiten lässt und deshalb eine Weitergabe von Geheimnissen i.S.d Norm einerseits also durchaus im nachvollziehbaren Interesse des Schweigepflichtigen liegen kann, während andererseits problematisch war, dass organisatorisch nicht in den Betrieb des Schweigepflichtigen eingebundene Dritte ihrerseits keiner strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht unterlagen. Der Gesetzgeber hat den geäußerten Bedenken im Jahr 2017 schließlich durch die Normierung der Rechtfertigung der Weitergabe von Geheimnissen an und der Strafbarkeit der Geheimnisoffenbarung durch „sonstige, an der beruflichen Tätigkeit Schweigepflichtiger mitwirkende Personen“ in Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 S. 1 Alt. 1 n.F. Rechnung getragen.
113 LG Frankfurt/M. NJW 1959 589; Ackermann FS DJT 479, 496; Fischer Rdn. 40; Hoyer SK Rdn. 49; Kargl NK Rdn. 38a; Kohlhaas Medizin und Recht S. 8; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rnd. 43; Rüping Internist 1983 206; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 15; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 25; aA Blei BT § 33 IV; Bohne/Sax S. 159, 178; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 132; Ebermayer S. 45; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11; Rudolphi S. 417; Schmitz JA 1996 773; differenzierend Schürmann ArztRecht 1978 9. 114 Eser/Hirsch/Lenckner S. 227, 230; aA Bader KK § 53a Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11; Ignor/Bertheau § 53a Rdn. 1; Schürmann ArztRecht 1978 9. Hilgendorf
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IV. Tathandlung der Offenbarung
§ 203
cc) Behördenverkehr. Die Heranziehung von Bediensteten zur Bearbeitung und Erledigung 77 eines Vorgangs, mit dem die Behörde ordnungsgemäß befasst ist, fällt nicht unter § 203 Abs. 2115 – s. nun Abs. 3 S. 1. § 203 Abs. 2 dient nicht der Blockierung des Verwaltungsablaufs, sondern dem Schutz vor Geheimnisverrat. Verraten werden Geheimnisse aber nicht, wenn die Behörde von ihnen sachgerechten Gebrauch macht. Denn zu diesem Zweck überlässt der Bürger sie der staatlichen Institution (vgl. BVerfGE 33 367, 381), allerdings zugleich mit eben dieser Begrenzung. Am bestimmungsgemäßen Gebrauch fehlt es, wenn ein Behördenangehöriger ein Geheimnis aus Klatschsucht an funktionell unzuständige Bedienstete weitergibt, wie der Sachbearbeiter einer Beihilfestelle die Krankheiten eines Kollegen. Behörde ist deshalb nicht die Organisationseinheit, sondern die Funktionseinheit. Ein Geheimnis wird offenbart, wenn es diese verlässt.116 Der normale Geschäftsgang innerhalb eines Amtes jedoch, die Mitwirkung verschiedener Amtsträger vom Leiter bis zum Schreibdienst, die Erfüllung von Berichtspflichten117 im hierarchischen Behördenaufbau (zur Rechtsanwaltskammer als Aufsichtsbehörde OLG Frankfurt NStZ-RR 2003 170) sowie die gegenseitige Unterrichtung gleichgeordneter Funktionsträger innerhalb des Amtes (für Lehrer Engler RdJR 1979 62, 70) sind nicht an den Kategorien des § 203 zu messen. Diese gesetzlich festgelegte Grenze vermögen Wünsche des Bürgers nach besonderer Vertraulichkeit und entsprechende Zusagen nicht mit strafrechtlicher Wirkung zu verschieben.118 Die Identität der Funktionseinheit kann beim Outsourcing der Datenverarbeitung auch noch dadurch gewahrt werden, dass eine damit betraute, behördenexterne Person nach dem Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen für den Öffentlichen Dienst besonders verpflichtet (§ 11 Abs. 1 Nr. 4b) und dadurch in die betreffende Funktionseinheit eingegliedert wird (Hilgendorf FS Tiedemann 1134 ff). Darauf kommt es nach Einführung des Gesetzes zur Neuregeung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen, das in Hinblick auf die dargelegte Streitfrage für Rechtssicherheit sorgen soll,119 indes zumindest im Ergebnis nicht mehr an. Denn das Gesetz stellt in Abs. 3 S. 2 nun klar, dass das Outsourcing auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung – so es denn „erforderlich ist“ – jedenfalls gerechtfertigt ist (Rdn. 94).120 Eine Beeinträchtigung des Rechtsgüterschutzes ist nach alledem nicht zu besorgen, weil die Datenverarbeitung ohnehin durchgeführt werden müsste und der Dritte gemäß § 203 Abs. 4 S. 1 ebenfalls der strafrechtlichen Geheimhaltungspflicht unterliegt. Ist bei einem Vorgang aus Sach- oder Rechtsgründen eine andere Behörde (Funktionseinheit) zu beteiligen, etwa zwecks Abgabe einer Stellungnahme, zur Anhörung, zur Herstellung des Einvernehmens (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG; Barbey FS Jur. Ges. Berlin 25, 37), so überschreitet diese Art der Mitwirkung hingegen in jedem Fall den Bereich des Internen. Es liegt alsdann zweifelsohne Offenbaren vor, das jedoch kraft dienstlicher Befugnis und jetzt auch nach Abs. 3 S. 2 (Rdn. 94)121 gerechtfertigt sein kann. In derselben Weise gerechtfertigt ist die Einschaltung von Ausschüssen oder Beiräten (für Eltern- und Schülervertretungen Engler RdJB 1979 130), sofern sie nicht lediglich der Information dient. Zum befugten Behördenverkehr im einzelnen Rdn. 200 ff, zum Outsourcing bei Sozialdaten Rdn. 171. Zum Geheimnis des Staates selbst Rdn. 55. 115 Arloth MedR 1986 295, 299; Engler RdJB 1979 62, 69; Fischer DöD 1985 165, 166; Geppert Strafvollzug S. 21; Jakobs JR 1982 359; Kamps MedR 1985 200, 202; Kohlhaas VersR 1965 529, 532; Kühne JZ 1981 647, 651; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 21; Maas Nachrichtendienst d. dtsch. Vereins f. öff. u. priv. Fürsorge 1986 359; Pickel MDR 1984 885, 886; Rogall NStZ 1983 1, 8; Schlund JR 1977 265, 266; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 74. 116 OVG Lüneburg NJW 1975 2263; Mallmann-Walz NJW 1981 1020, 1021; C. Müller NJW 1966 1152, 1154; Rogall NStZ 1983 1, 8. 117 Insoweit aA Arloth MedR 1986 295, 299; Jakobs JR 1982 359; wie hier Engler RdJB 1979 62, 69; Kreuzer NJW 1975 2232, 2234; Rogall NStZ 1983 1, 9. 118 AA Haß SchlHA 1976 3; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 74. 119 BTDrucks. 18/11936, S. 20. 120 S. auch BTDrucks. 18/11936 S. 20. 121 BTDrucks. 18/11936 S. 22. 931
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§ 203
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Verletzung von Privatgeheimnissen
Gänzlich andere Maßstäbe sollen nach h.M. gelten, wenn ein Amtsträger zugleich die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt. Die Vorschrift habe Vorrang gegenüber Absatz 2 mit der Folge, dass die in Absatz 1 bezeichneten Personen grundsätzlich auch innerhalb ihrer Behörde schweigen müssten; so hätten Ärzte in Krankenhäusern öffentlicher Träger das Arztgeheimnis gegenüber Verwaltung, Träger und Aufsichtsbehörde zu wahren,122 der Dienstherr habe die Einhaltung des Berufsgeheimnisses zu gewährleisten (BAG NZA 1987 515, 516), und auch für den Amtsarzt, den Truppenarzt oder den Anstaltspsychologen soll sich die Schweigepflicht nach der strengen Regel des Abs. 1 bestimmen. In dieser Allgemeinheit geht diese Aussage jedoch zu weit, denn formal gesehen könnte man genau so gut Abs. 2 als Spezialvorschrift zu Abs. 1 behandeln, und in materieller Hinsicht ist nicht einzusehen, dass ein öffentlich-rechtlich umfassend geregelter Umgang mit einem Geheimnis wie etwa mit dem Sozialgeheimnis in §§ 67 ff SGB X zurücktreten soll, wenn der Amtsträger womöglich zufällig als Arzt approbiert ist. Auch das Gesetz lässt das nicht ausreichen, sondern verlangt in Abs. 1 eine Information „als Arzt“ und in Abs. 2 „als Amtsträger“ und gibt damit den entscheidenden Fingerzeig, dass es auf die Funktion ankommt, in der der Schweigepflichtige das Geheimnis erfahren hat, was wiederum von der öffentlich-rechtlichen Regelung des Auftrages bei der Informationsgewinnung und des Zweckes ihrer Verwertung abhängt. So werden beim Staat oder den Kommunen angestellte Sozialarbeiter in der Regel nur als Repräsentanten ihrer Behörde tätig und in Anspruch genommen (eingehend dazu o. Rdn. 61 f), während man beim Anstaltsarzt (näher dazu u. Rdn. 219) differenzieren muss: Bei der Behandlung einer Erkrankung wird er „als Arzt“ tätig, ebenso auch bei allgemeinen Vorsorgeuntersuchungen, dagegen bei einer speziell vom Anstaltsleiter angeordneten Untersuchung auf die Vollzugstauglichkeit „als Amtsträger“. Nach dieser Auffassung, die in verschiedenen Spielarten vertreten wird123 und der auch einige Vertreter der h.M. nahestehen,124 bedeutet eine innerbehördliche Weitergabe durch einen als Arzt etc. approbierten Amtsträger dann kein „Offenbaren“ und bedarf deshalb keiner zusätzlichen Rechtfertigung, wenn dadurch nur der bei der Informationsgewinnung maßgebliche Zweck realisiert wird. Die h.M. würde demgegenüber in diesen Fällen zwar die Tathandlung bejahen, aber letztlich ebenfalls zu einem Tatbestandsausschluss oder mindestens zur Annahme einer Rechtfertigung kommen, indem sie die Einwilligung des Betroffenen in die Weitergabe seiner Geheimnisse (näher dazu u. Rdn. 159 f) oder die Offenbarungsbefugnisse aufgrund der organisatorischen Einbindung des Schweigepflichtigen in den Verwaltungsapparat (näher dazu u. Rdn. 212) extensiv bestimmt.125
79 dd) Unterlassen. Ein Offenbaren ist auch durch Unterlassen möglich,126 so bei dem Arzt, der seine plaudernde Sprechstundenhilfe nicht zur Ordnung ruft, oder dem Behördenleiter, der kei122 OVG Lüneburg NJW 1975 2263; Arloth MedR 1986 295, 297; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 116; Dargel ZfStrVo 1987 156, 157; Fischer DöD 1985 165, 166; Frommann/Mörsberger/Schellhorn/Frommann S. 159, 174 ff; Geppert Strafvollzug S. 21; Hammer NZA 1986 305; Jähnke LK10 Rdn. 43; Kreuzer NJW 1975 2232; Kühne NJW 1977 1478; JZ 1981 647, 651; Berufsrecht S. 138; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 20; Laufs NJW 1976 1121, 1125; Arztrecht Rdn. 440; B. Lilie S. 106; Marx GA 1983 160, 170; Mörsberger/Onderka/Schade Datenschutz S. 172, 185; Rogall NStZ 1983 1, 8; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 74; unklar BVerwG DöD 1978 72; aA Mergen/Kierski II S. 126 130; Maas Sozialmagazin 1981 12 ff; Schöch BewHi 1986 64 ff. 123 BDH JZ 1963 413, 414; Müller MDR 1971 965, 969; Mörsberger/Simitis Datenschutz im sozialen Bereich S. 20, 26; Würthwein S. 171 ff, 178 ff. 124 Etwa Lackner/Kühl/Heger Rdn. 20, die die Amts-, Truppen- und Vollzugsanstaltsärzte aus Abs. 1 ausschließen wollen; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 74, wo auf das Anvertrauen des Geheimnisses in einer „auf die Behörde nicht übertragbaren Eigenschaft“ abgestellt wird; ebenso Rogall NStZ 1983 8. 125 So nimmt etwa Jähnke LK10 Rdn. 97 ein allgemeines Offenbarungsrecht „kraft innerdienstlicher Befugnis“ für die innerdienstliche Weitergabe des Geheimnisses an, und Sch/Schröder/Eisele Rdn. 88 propagieren in allen diesen Fällen eine unbegrenzte Anwendung von § 34 StGB. 126 Fischer Rdn. 35; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 17; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 58; Mergen/K. Müller II S. 63, 92; Pickel MDR 1984 885, 886; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 23; Welp FS Gallas 391, 408 Fn. 63. Hilgendorf
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IV. Tathandlung der Offenbarung
§ 203
ne Vorkehrungen gegen eine (tatsächlich erfolgende, sonst entgegen Langkeit NStZ 1994 6 keine Vollendung!) unbefugte Einsicht in Akten trifft. Die Garantenstellung ergibt sich aus der in § 203 als eines Garantensonderdelikts (u. Rdn. 98, 220) umschriebenen Täterqualifikation.127 Hieraus wird von einer in Rechtsprechung und Schrifttum vordringenden, aber nicht überzeugenden Auffassung die Unzulässigkeit einer Telefondaten-Erfassung seitens des Arbeitgebers oder Dienstherren bezüglich der vom Dienstapparat ausgeführten Ferngespräche einer nach § 203 Abs. 1 oder Abs. 2 schweigepflichtigen Person gefolgert.128 Aber richtigerweise bleibt ein derartiger Vorgang unterhalb der Schwelle des § 203, weil die Identifizierung des Telefonanschlusses noch nicht den Gesprächspartner individualisiert, weil die Benutzung des Anschlusses als solche für den Anschlussinhaber in der Regel ein bloßes Bagatellgeheimnis (o. Rdn. 49) darstellen wird129 und weil schließlich – etwa bei einem psychologischen Beratungsdienst – seitens des angestellten Psychologen bei Nutzungsbeginn die Telefondaten-Erfassung mitgeteilt und dadurch unter Konsens gestellt werden kann.
2. Datenweitergabe (Absatz 2 Satz 2) Absatz 2 Satz 2 stellt bestimmte Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse 80 den Geheimnissen „im Sinne des Satzes 1“ gleich. Die Verweisung beschränkt den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Amtsträger und amtsnahe Personen. Geschütztes Rechtsgut ist auch hier die Privatsphäre, jedoch ist Angriffsobjekt die geschützte Einzelangabe.130
a) Verhältnis zu Satz 1. Ob und in welchem Umfange es sich hierbei um eine echte Erweite- 81 rung des Tatbestandes handelt, ist unklar und umstritten. Bei einer grammatischen Auslegung müssten die in Abs. 2 Satz 2 angeführten „Einzelangaben“ eigentlich nicht selbst Geheimnisse darstellen, weil diese ja schon von Abs. 2 Satz 1 erfasst werden.131 Einzelangaben – etwa Patientendaten einer Universitätsklinik –, die zugleich Geheimnischarakter tragen, unterstehen deshalb von vornherein den allgemeinen Vorschriften der Abs. 1 und 2, was insbesondere für Übermittlungsbefugnisse Bedeutung erlangen soll (Lackner/Kühl/Heger Rdn. 15; B. Lilie S. 81). Aber diese Unterscheidung verschwimmt, sobald man die Begriffe unter den leitenden Blickwinkeln des Schutzbedürfnisses und der rechtsstaatlichen Grenzen des Strafrechts genauer ins Auge fasst: nach den Legaldefinitionen in § 46 Nr. 1 BDSG und §§ 35 Abs. 1 SGB I, 67 SGB X sind Einzelangaben über persönliche oder (und) sachliche Verhältnisse einer identifizierten oder identifizierbaren natürlichen Person „personenbezogene Daten“. Zwar decken sich die Begriffe nicht, auch nicht in § 202a Abs. 2, § 268 Abs. 2 StGB und § 163d Abs. 4 StPO. So regelt das Bundesdatenschutzgesetz nur den Umgang mit Daten natürlicher Personen, § 35 SGB I wiederum erfasst auch Geheimnisse (vgl. § 76 SGB X; Maier SGb 1983 89, 91). Aber das ändert nichts an der für den Datenschutz wie für § 203 Abs. 2 Satz 2 kritischen Frage, ob ein strafrechtlicher Schutz personenbezogener Daten, die nicht die „Höhenmarke“ des Geheimnisbegriffs erreichen, überhaupt legitimiert werden kann. Die Bedenken liegen zunächst unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebotes (nullum crimen sine lege certa bzw. stricta)132 auf der Hand, weil die uferlose Weite des Begriffs des personenbezogenen Datums eine entsprechende 127 Allgemein Schünemann GA 1985 341, 375 ff; ders./Greco LK § 14 Rdn. 56 und § 25 Rdn. 42; Sch/Schröder/Bosch § 13 Rdn. 31; Altenhain in Kölner Komm. z. AktG § 404 Rdn. 24.
128 Für Berufspsychologen BAGE 54 67 ff; Däubler Gläserne Belegschaften? 4. Aufl. (2002), Rdn. 379, 399; Ehmann AcP 1988 230 345 f; für Bewährungshelfer Onderka/Schade BewHi 1993 136 ff. 129 Rott RDV 1989 117, 120 f. 130 RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 242; Tiedemann NJW 1981 945, 947. 131 BGHSt 48, 28, 30; Becker MDR 1974 888, 890; Fischer Rdn. 14; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 79; Hoyer SK Rdn. 29. 132 Dannecker/Schuher LK § 1 Rdn. 179 ff. 933
Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
Uferlosigkeit bei der Beschreibung der Erlaubnisse zur Weitergabe nach sich zieht, weshalb etwa die ausschließlich aus Generalklauseln zusammengesetzte Strafvorschrift des § 44 BDSG a.F. in Hinblick auf das verfassungsrechtliche Erfordernis der Gesetzesbestimmtheit problematisch war.133 Dies würde auch für § 203 Abs. 2 Satz 2 gelten, wenn man jedes personenbezogene Datum ohne Geheimnischarakter darunter subsumieren wollte.134 Überdies würde der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seiner speziellen Ausprägung der Unverhältnismäßigkeit von minimalem Schutzinteresse und überscharfer staatlicher Reaktion durch das Strafrecht135 verletzt, wenn man die Weitergabe personenbezogener Daten unterhalb der Geheimnisschwelle, scil. im Falle der Offenkundigkeit oder bei fehlendem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen (o. Rdn. 47 ff), also eine offensichtliche Bagatelle, als Vergehen für strafbar erklären wollte. Dagegen hilft es auch nichts, extreme Übersteigerungen des Datenschutzes durch das Merkmal der „Erfassung“136 auszuscheiden oder unter Heranziehung des geschützten Rechtsguts im Einzelfall zu vermeiden (Tiedemann/Sasse Delinquenzprophylaxe, Kreditsicherung und Datenschutz in der Wirtschaft [1973] S. 136) oder schließlich darauf zu vertrauen, dass die Offenbarungsbefugnisse nach dem Volkszählungsurteil des BVerfG (BVerfGE 65 1)137 künftig präziser zu regeln sind (vgl. etwa § 16 des Bundesstatistikgesetzes vom 22.1.1987 – BGBl. I S. 462). Denn die Interpretation des Begriffs der „Erfassung“ wird, wie gerade der zitierte Fall des KG zeigt, auch bei „echten“ Geheimnissen ein Problem; der Rückgriff auf das Rechtsgut im Einzelfall löst nicht die Frage der angemessenen Tatbestandsinterpretation, und selbst wenn zukünftig einmal eine präzise Regelung der Offenbarungsbefugnisse gelingen sollte, bleibt die Unverhältnismäßigkeit der Strafrechtsfolge bei bloßen Bagatellen davon unberührt. Es ist deshalb eine verfassungskonforme Auslegung des Abs. 2 Satz 2 geboten, indem die beiden entscheidenden Tatbestandseingrenzungen, die vom Geheimnisbegriff geleistet werden, auch dem Begriff der „Einzelangaben“ inkorporiert und dementsprechend offenkundige Daten und solche, an deren Geheimhaltung der Betroffene kein Interesse hat, ausgeschieden werden (vgl. nachfolgend Rdn. 82), wonach sich Satz 2 als eine bloße überflüssige Spezialregelung zu Satz 1 darstellt. Instruktiv ist das Beispiel der Kfz-Halterdaten, die gem. §§ 33, 39 StVG im Rahmen einer einfachen Registerauskunft an einen unbeschränkten Personenkreis übermittelt werden, sofern ein besonderes Interesse dargelegt wird, das allerdings nicht glaubhaft gemacht zu werden braucht. In der Entscheidung BayObLGSt 1999 15 ist deshalb eine Subsumtion unter § 203 Abs. 2 Satz 2 abgelehnt worden.138 Dagegen hat BGHSt 48 28 m. zust. Anm. Behm JR 2003 292 einerseits ein Geheimnis abgelehnt (29 u./30 o.), andererseits Abs. 2 Satz 2 auch auf nicht geheime Tatsachen ausgedehnt, sofern sie nur nicht offenkundig sind, und die Offenkundigkeit für die Halterdaten ungeachtet der Missbrauchsmöglichkeit aus normativen Gründen bejaht (BGHSt 48 28, 30 ff). Zur Kritik s. Rdn. 82.
82 b) Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen (Daten) sind alle tatsächlichen Umstände, Merkmale und Kennzeichen, die einer bestimmten natürlichen oder juristischen Person zugeordnet sind oder – aus sich heraus oder aus dem Zusammenhang, 133 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 75; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 23, 26; ders. Nulla poena sine lege? (1978) S. 37; Vollkommer/Sieg S. 293, 301; Tiedemann NJW 1981 945, 946. 134 So die h.M., s. Kargl NK Rdn. 26; Hoyer SK Rdn. 29 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 77; Fischer Rdn. 14. 135 BVerfGE 90 145, 171 ff; Tiedemann Verfassungsrecht und Strafrecht (1991) S. 50 ff. Ebenso im Grundsatz (wenn auch mit blassen Konsequenzen) Vogel StV 1996 110, 113; Lagodny Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte (1996) S. 51 ff und passim; Appel Verfassung und Strafe (1998) S. 171 ff, 179 ff, 198 ff. 136 Vgl. den Fall KG JR 1985 24: Die Polizei fragte beim Arbeitsamt an, ob sich ein des Raubes Verdächtiger in den Diensträumen befinde. Der Referatsleiter hielt die erteilte bejahende Auskunft für unzulässig und ließ den Verdächtigen wegschicken (!). Dem KG fiel es schwer, die Grenzlinie zwischen unbefugter Preisgabe des Sozialgeheimnisses und Strafvereitelung zu ziehen. Dazu Molitor in Frommann/Mörsberger/Schellhorn S. 75. 137 Dazu Vollkommer/Knott S. 39, 45; Schlink Der Staat 25 (1986) 233. 138 Ebenso OLG Hamburg NStZ 1998 358; abl. Pätzel NJW 1999 3246; Weichert NStZ 1999 490; Behm JR 2000 274. Hilgendorf
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IV. Tathandlung der Offenbarung
§ 203
in dem sie stehen – zugeordnet werden können (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 242). Ist eine Identifizierung des Betroffenen nicht auf diese Weise, sondern nur durch Zusammenführung mit anderen Daten möglich, gilt Absatz 2 Satz 2 nicht; es kommt Strafbarkeit z.B. nach § 22 Bundesstatistikgesetz in Betracht. Anonymisierte Daten fallen somit nicht unter die Bestimmung,139 ferner offenkundige und solche Daten, an deren Geheimhaltung der Betroffene kein Interesse hat.140 Offenkundigkeit liegt auch vor, wenn die Rechtsordnung selbst durch Auskunfts- oder Einsichtsrechte Zugang gewährt;141 auf das Erfordernis der Darlegung eines berechtigten Interesses kommt es nur an (aus verfassungsrechtlicher Sicht kritisch Gola NJW 1986 1913; Vollkommer/Leue S. 83, 98 ff), wenn zumindest Glaubhaftmachung verlangt wird. Zwar hat BGHSt 48 28 die bloße normative Absicherung der Fahrzeug- und Halterdaten durch die Forderung der Darlegung eines berechtigten Interesses als Voraussetzung für die Erteilung einer einfachen Registerauskunft nach § 39 Abs. 1 StVG als für die Verneinung der Offenkundigkeit und damit für die Subsumtion unter § 203 Abs. 2 Satz 2 ausreichend erklärt, weil die Missbrauchsmöglichkeit durch Vorspiegelung eines in Wahrheit nicht existierenden berechtigten Interesses unbeachtlich sei. Aber diese Interpretation verstößt gegen die im ultima ratio-Prinzip wurzelnde viktimodogmatische Maxime, dass nicht mit dem Mittel des Strafrechts als Rechtsgut zu schützen ist, was vom Verwaltungsrecht de facto vollständig schutzlos gestellt worden ist. Richtigerweise erfasst § 203 Abs. 2 Satz 2 deshalb nur geschützte Daten, denen kraft ihres Schutzes die Offenkundigkeit abzusprechen, die deshalb aber auch problemlos als Geheimnisse zu qualifizieren sind. Wer Kfz-Halterdaten herausgibt, ohne dass ein berechtigtes Interesse dargelegt worden wäre (in BGHSt 48 28 ging es um einen Erpressungsplan, ebenso gut wäre auch der Plan denkbar, die Telefonnummer einer attraktiven Porschefahrerin in Erfahrung zu bringen), mag wegen Dienstpflichtverletzung disziplinarisch belangt werden; die Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes liegt aber nicht vor. Geschützt sind dagegen Angaben aus dem Lebenslauf (BSGE 47 118), erkennungsdienstliche Aufnahmen, Fingerabdrücke, Schriftproben,142 nachrichtendienstliches Material über Einzelpersonen,143 digitalisierte Tonbandaufnahmen der menschlichen Stimme (Vollkommer/Knott S. 29, 30), geschäftliche Erkenntnisse,144 Angaben über Sozialleistungsverhältnisse (KG JR 1985 24). Computerprogramme können Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse sein, enthalten aber keine Einzelangaben (Rupp wistra 1985 137, 140). Werturteile scheiden nach der Struktur des Tatbestandes (Rdn. 5 f) aus (aA Pickel MDR 1984 885, 886).
c) Erfassung für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung. Die Einzelangaben müssen für 83 Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfasst sein. Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete nehmen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung schon nach der gesetzlichen Begriffsbestimmung (§ 11 Abs. 1 Nr. 2, 4) wahr. Daher enthält die Bestimmung insoweit nur einen Hinweis auf das Erfordernis der Datenerfassung zu dienstlichen Zwecken. Ebenso wie für die Amtsdelikte stellt sich damit die komplexe und in der Rechtsprechung auch nach
139 Arzt in Schimmelpfeng S. 135; Fischer Rdn. 14; Rupp wistra 1985 137, 140. 140 RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 243; Blei BT § 33 II 2; Fischer Rdn. 15 f; Engler RdJB 1979 62, 65; Hohmann JuS 1987 473, 475; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 77; Kargl NK Rdn. 26; aA SK Samson SK6 Rdn. 33; Becker MDR 1974 888, 890; Rogall NStZ 1983 1, 6; Vogel S. 16 ff. 141 Z.B. § 12 GBO, § 882b ZPO, § 39 StVG und dazu OLG Hamburg NStZ 1998 358 m. scharf abl. Rezension Weichert NStZ 1999 490; BayObLGSt 1999 15 m. krit. Rezension Behm JR 2000 274. 142 VG Frankfurt/M bei Simitis/Dammann/Mallmann/Reh Dokumentation zum BDSG Entscheidungssammlung § 2 Abs. 1 E 1; VG Wiesbaden daselbst § 2 Abs. 3 E 3. 143 Dazu BVerwG NJW 1984 1636; Roewer NJW 1985 773; Simitis/Wellbrock NJW 1984 1591. 144 KG bei Simitis/Dammann/Mallmann/Reh Dokumentation zum BDSG Entscheidungssammlung § 2 Abs. 1 E 2. 935
Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
der Neufassung des § 11 Abs. 1 Nr. 2c145 nicht endgültig entschiedene146 Frage, ob die in privatrechtlichen Organisationsformen erfolgende oder erwerbswirtschaftlichen Zwecken dienende Betätigung des Staates zu den Aufgaben der öffentlichen Verwaltung im strafrechtlichen Sinne zählt. Das muss nicht für alle Delikte einheitlich (aA Jähnke LK10 Rdn. 47) und sollte jedenfalls für § 203 mit Rücksicht auf dessen viktimodogmatische Struktur dahin beantwortet werden, dass eine rein fiskalische, in Konkurrenz mit privaten Wirtschaftssubjekten stehende Tätigkeit nicht ausreicht, wohl aber eine dem Bürger monopolartig entgegentretende Verwaltungstätigkeit unabhängig von ihrer Organisationsform (offen gelassen von BGH NJW 2010 469, 470). Die Zweckbestimmung kann nach der Erfassung geschaffen werden. 84 Eine Konkretisierung des dienstlichen Zwecks kann nicht gefordert werden. Zwar ist verfassungsrechtlich zwischen dem Verwaltungsvollzug dienenden und solchen Daten zu unterscheiden, welche ohne konkrete Zweckbindung erhoben und auf Vorrat gespeichert werden (BVerfGE 65 1, 45, 47). Strafrechtlich spielt die Unterscheidung aber keine Rolle, weil mit Absatz 2 Satz 2 insbesondere das sog. Statistikgeheimnis abgesichert werden soll.147 Durch statistische Erhebungen gewonnenen Daten fehlt zwangsläufig eine konkrete Zweckbestimmung. Erfasst sind Einzelangaben, die für eine zukünftige Verwendung besonders fixiert sind. 85 Umstritten ist, ob dieses Merkmal bereits in den gewöhnlichen Verwaltungsvorgängen erfüllt ist oder ob das Gesetz zusätzlich zu der normalen Aktenführung, die der besonderen Erwähnung und eigentümlichen Umschreibung im Gesetz nicht bedurft hätte, einen besonderen Erfassungsvorgang verlangt.148 Der Wortlaut und der aus der Entstehungsgeschichte zu belegende Zusammenhang mit den besonderen Bedingungen und Gefahren der Datenverarbeitung sprechen dafür, dass die Einzelangaben als solche für Zwecke des Verwaltungsvollzugs oder zur statistischen Auswertung abrufbar bereitgehalten werden müssen. Dafür genügte eine handschriftlich geführte Kartei, die Erfassungsvorgänge müssten auch noch nicht bis zur endgültigen Speicherung fortgeschritten sein. Aus dieser Begrenzung ergäben sich aber auch Brüche: Die Offenbarung von Einzelheiten eines gestellten Antrags wäre – vorbehaltlich Abs. 2 Satz 1 sowie des § 353b – straflos (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 243), nicht aber die Bekanntgabe des darauf aufbauenden statistischen Erhebungsbogens. Ebenso wenig wäre der für private Zwecke gefertigte Aktenauszug erfasst.
86 d) Offenbaren. Offenbaren hat zunächst dieselbe Bedeutung wie in Absatz 2 Satz 1 (Rdn. 67). So gilt auch diese Vorschrift nicht für die bestimmungsgemäße Weitergabe innerhalb derselben Funktionseinheit (Mallmann/Walz NJW 1981 1020, 1021). Sie gilt aber nach dem letzten Halbsatz auch nicht für die Offenlegung an sachlich beteiligte Dienststellen (aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 80). Anders verhält es sich, wo die Verwaltung zur Aufbereitung und Verarbeitung der Daten private Unternehmen heranzieht (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 243). Gelangen Daten aus dem Verwaltungsbereich hinaus, ist dies stets Offenbaren; Absatz 3 S. 1 findet keine Anwendung. Jedoch hat die Verwaltung die Macht, ihre Arbeitsabläufe autonom zu regeln; das wird nun auch durch Abs. 3 S. 2 anerkannt.
145 Durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13.8.1997, BGBl. I S. 2038. 146 Uneinheitlich sind schon die auf das Kriterium des „verlängerten Armes“ abstellenden Leitentscheidungen des BGH, s. BGHSt 31 264 (WestLB); 38 199 (gemeinnützige landeseigene Wohnungsbau-GmbH); 43 370 (GTZ); 45 16 (FAG); 46 310 (Rotes Kreuz); 49 214 (DB); 50 299 (Kölner Müllskandal); dazu Heinrich Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht, 2001; Rausch Die Bestellung zum Amtsträger, 2007; Zwiehoff FS Herzberg 155; Radtke NStZ 07 57; ferner Fischer § 11 Rdn. 22a sowie Hilgendorf LK § 11 Rdn. 40; w.N. bei Rdn. 71. 147 Erster Bericht des Sonderausschusses, BTDrucks. 7/1261 S. 16; vgl. § 16 Abs. 7 BStatG. 148 Im letzteren Sinn Jähnke LK10 Rdn. 47; aA Fischer Rdn. 14; Ostendorf GA 1980 445, 446; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 26 Fn. 38; wohl auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 78. Hilgendorf
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IV. Tathandlung der Offenbarung
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e) Amtshilfe. Der Halbsatz 2 des Satzes 2 bezweckt, den allgemeinen Informationsaustausch 87 unter den Behörden zu gewährleisten (Erster Bericht des Sonderausschusses, BTDrucks. 7/1261 S. 16). Er gestattet – strafrechtlich – die Amtshilfe, soweit sie nicht gesetzlich untersagt ist; das ist z.B. der Fall, wenn vorrangige Schweigegebote nach Absatz 1 (Rdn. 78) eingreifen (B. Lilie S. 81). Allerdings hat das BVerfG im Volkszählungsurteil die Verhältnisse umgekehrt. Erhebung und Weitergabe von Daten sind danach verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn das Gesetz dies ausdrücklich gestattet (BVerfGE 65 1, 46, 61). In Bereichen, in denen gesetzliche Regelungen hierüber noch fehlen, kann dies dazu führen, dass die Weitergabe von Daten an andere Behörden zwar nicht strafbar ist, aber Grundrechte des Betroffenen verletzt. Weil dies aber nach der systematisch eindeutigen Aussage des Gesetzes nur für Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 gelten soll (Kühne Berufsrecht S. 138; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 80; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 120), die Strafbarkeit nach Abs. 1 Satz 1 also nicht berührt, ist Halbs. 2 nach der hier vertretenen Auffassung ebenso überflüssig wie Halbs. 1.
3. Postmortaler Geheimnisschutz (Absatz 5) Nach Absatz 5 gilt der Geheimnisschutz uneingeschränkt auch nach dem Tode des Betroffenen. 88 Die weite Gesetzesfassung täuscht darüber, dass für einen postmortalen Schutz vermögenswerter Geheimnisse in der Regel kein Raum ist,149 da sie mit dem Erbfall als Bestandteil des Vermögens auf den Erben übergehen; eine Geheimnisoffenbarung nach diesem Zeitpunkt verletzt mithin nicht mehr den Erblasser.150 Die zum persönlichen Lebensbereich zählenden Geheimnisse sind als Nachwirkungen des 89 Persönlichkeitsrechts (vgl. BGHZ 15 249, 259; 50 133; Erdsiek NJW 1963 632) aber posthum geschützt. Ob Absatz 5 die ohnehin geltende Rechtslage nur deklaratorisch wiedergibt151 oder eine echte Ausdehnung der Strafbarkeit enthält,152 ist ohne theoretische und praktische Bedeutung; beide Ansichten zum geschützten Rechtsgut gelangten bereits unter der Geltung des alten Rechts zu demselben Ergebnis.153 Ungeklärt ist jedoch, welchen Einfluss der Zeitablauf nach dem Tode hat. In aller Regel 90 werden die Geheimnisse des Verstorbenen mit dem Schwinden der Erinnerung an ihn an Bedeutung verlieren, bis das objektive Geheimhaltungsinteresse (Rdn. 47 ff) erloschen ist.154 Bei Persönlichkeiten, deren Erscheinung die Zeiten überdauert (vgl. BGHZ 15 249 – Cosima Wagner; weitere Beispiele bei Deutsch Medizinrecht Rdn. 635), ist das aber nicht der Fall. Gleichwohl kann das Gesetz nicht eine Versteinerung ihrer Geheimnisse, welche selbst der historischen Forschung im Wege stände (Lenckner Noll-Gedächtnisschrift 243, 255), bezwecken. Aus § 77 Abs. 2 ergibt sich vielmehr der Wille des Gesetzgebers, mit der Möglichkeit des Strafantrags auch sachlichrechtlich den Geheimnisschutz enden zu lassen (aA OLG München AnwBl. 1975 159, 160). Endpunkt kann zwar nicht wie in § 77 Abs. 2 der Todestag des Enkels sein, weil dieser vorzeitig verstorben sein kann. Aber mit dem üblicherweise anzunehmenden Aussterben der übernächsten Generation, also nach 60 Jahren, sollten persönliche Geheimnisse stets gemeinfrei sein (vgl. auch § 11 Bundesarchivgesetz).
149 Anders wegen § 18 Abs. 2 Halbsatz 2 BNotO beim Notar, BGH MDR 1975 400; 1987 139. 150 E 1962 S. 338; BayObLGZ 1966 86, 90; OLG Hamburg NJW 1962 689, 691; OLG Stuttgart OLGZ 1983 6, 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 27; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 38. 151 OLG Stuttgart OLGZ 1983 6, 10; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 108; zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen Roebel/Wenk/Parzeller Rechtsmedizin 2009 37. 152 Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 60; noch anders Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 175 (eigenes Rechtsgut des Pietätsgefühls). 153 Sch/Schröder 14 (1969) § 300 Rdn. 1, 5b; Ponsold/Bockelmann S. 15. 154 Lenckner Noll-Gedächtnisschrift 243, 255 Fn. 49; Rein VersR 1977 121; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 108. 937
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§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
Bis dahin erfährt der Umfang des Geheimnisschutzes eine vom schwindenden objektiven Interesse abhängige Minderung (OLG Düsseldorf MDR 1951 681; aA Jähnke LK10 Rdn. 53). Schwierigkeiten bereiten immer wieder Erbstreitigkeiten, in denen es auf kompetente Auskünfte des behandelnden Arztes oder des Notars ankommt; mangels einer zur Entbindung von der Schweigepflicht befugten Person (Rdn. 170) herrscht Beweisnot. Die Schweigepflicht nach dem Tode des Betroffenen deshalb analog § 189 auf Verunglimpfungen (Schünemann ZStW 90 [1978] 11, 60; aA Becker MDR 1974 888, 891) oder auf Tatsachen zu reduzieren, welche den sittlichen oder sozialen Wert des Verstorbenen mindern,155 erscheint jedoch zu radikal, erst recht die nicht nachprüfbare freie Entscheidung des Arztes.156 Auch eine mutmaßliche Einwilligung, die die Möglichkeit wirklichen Einverständnisses voraussetzt (Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 220; Jescheck/ Weigend AT § 34 VII 3), scheidet aus (Solbach DRiZ 1978 204, 205; aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 40, 108). Deshalb ist der erklärte, über den Tod fortwirkende Wille des Verstorbenen157 und, wo ein solcher fehlt, sein vermuteter Wille Inhalt und Grenze des nachwirkenden Geheimnisschutzes.158 Der vermutete Wille ist an Hand der Interessenlage des Verstorbenen zu ermitteln; die Situation entspricht damit den Gegebenheiten unter Lebenden (Rdn. 32 ff, 43 f). 92 An der Durchsetzung seines letzten Willens hat der Verstorbene ein elementares Interesse. In der Regel erstreckt sich die Verschwiegenheitspflicht daher nicht auf die Frage der Testierfähigkeit,159 auf Bedingungen und Umstände, an welche der Erblasser erbrechtliche Folgen geknüpft hat,160 auf die zur Geltendmachung einer Versicherungs- oder Schadensersatzforderung notwendigen Tatsachen,161 wohl aber auf Einzelheiten des Sexuallebens (LG Hanau NJW 1979 2357). Auch werden bestimmte Geheimnisse mit dem Tod für den Betroffenen bedeutungslos (die tödliche Krankheit, aA aber OVG Lüneburg NJW 1997 2468; die Person des Erben). Nach dem Tode des Betroffenen entdeckte geheimnisfähige Tatsachen (z.B. Obduktionsbe93 funde) unterliegen denselben Grundsätzen, wenn sie bereits zu Lebzeiten vorhanden, damit Bestandteil der Individualsphäre des Verstorbenen und von diesem dem behandelnden Arzt anvertraut waren.162 Wenn der Schweigepflichtige (z.B. der Pathologe) dagegen erst nach dem Tode hinzutritt und damit nicht mehr als Vertrauensperson des Betroffenen tätig werden kann, scheidet eine Tatbestandserfüllung aus (LG Berlin NStZ 1999 86; aA Jähnke LK10 Rdn. 54; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 172). 91
155 So KG RsprOLGZ 29 (1914) 118; OLG Düsseldorf NJW 1959 821; LG Augsburg NJW 1964 1186 m. Anm. Lenckner; Ebermayer S. 45; Hoyer SK Rdn. 15 f. 156 Ponsold/Bockelmann S. 15 Fn. 31; Bosch Grundsatzfragen des Beweisrechts (1963) S. 89, 91; Kohlhaas GA 1958 65, 73; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 170; aA BGH bei Holtz MDR 1980 815; RGSt 71 21; BayLSG NJW 1962 1789; LSG Bremen NJW 1958 278 m. Anm. Göppinger NJW 1958 241; OLG Celle MDR 1952 376 m. Anm. Maaßen; LG Koblenz AnwBl. 1983 328; Frey FS Pfenniger 41, 42; Mergen/Kierski II S. 126, 155; Eb. Schmidt NJW 1962 1745, 1750. 157 BDH NJW 1960 550; OLG München AnwBl. 1975 159; Bosch Grundsatzfragen des Beweisrechts (1963) S. 89; Rein VersR 1977 121; Eb. Schmidt NJW 1962 1745, 1746. 158 BGHZ 91 392, 398; BGH NJW 1983 2627; BayObLG 1966 86, 91; BayObLG NJW 1987 1492; OLG Köln OLGZ 1982 1, 4; OLG Stuttgart, OLGZ 1983 6, 8; Fischer Rdn. 9, 72; Erdsiek NJW 1963 632; im Ergebnis auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 108; enger OLG München AnwBl. 1975 159, 161; Kohlhaas Medizin und Recht S. 21 (§ 34); s. ferner Stein Der Schutz von Ansehen und Geheimsphäre Verstorbener, FamRZ 1986 7; Müller Postmortaler Rechtsschutz (1996). 159 BGHZ 91 392; BayObLG NJW 1987 1492; Wassermann JR 1990 17, 18; aA BayObLGZ 1966 86, 91; Hülsmann/ Baldamus ZEV 1999 91; Kuchinke Küchenhoff-Gedächtnisschrift 371; Lenckner NJW 1964 1188; Göppinger/Lenckner S. 159, 174. 160 OLG Köln OLGZ 1982 1, 4; Rpfl. 1985 494; OLG Stuttgart OLGZ 1983 6; Kümmelmann AnwBl. 1984 535. 161 Rein VersR 1977 121; OLG München ZEV 2009 40; OLG Naumburg RDV 2005 273; zust. Spickhoff NJW 2005 1982, 1984; abl. Kern MedR 2006 205, 207 f, beide mit irriger Anknüpfung an die Kategorie der mutmaßlichen Einwilligung. 162 Weitergehend Becker NJW 1974 888, 891; Kohlhaas VersR 1965 529, 533; Medizin und Recht S. 12, 21; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 108; aA Ponsold/Bockelmann S. 15 Fn. 32; s. ferner Tröger/Urban Offenbarungspflicht des Obduzenten bei Tod aus natürlicher Ursache, FS W. Spann S. 508. Hilgendorf
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V. Rechtfertigung der Offenbarung
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V. Rechtfertigung der Offenbarung gegenüber sonstigen „Mitwirkenden“ nach Abs. 3 S. 2 Das 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der 94 Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen (BGBl. I 2017 S. 3618) trägt dem Umstand Rechnung, dass Berufsgeheimnisträger bei ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit nicht zuletzt aufgrund der Digitaliserung regelmäßig auf die Hilfeleistung selbständiger, also nicht in die Organisation des Schweigepflichtigen eingebundener Fachkräfte angewiesen sind. So können etwa Einrichtung, Betrieb, Wartung und Anpassung informationstechnischer Systeme zum Beispiel zur Datenspeicherung oftmals nicht – jedenfalls nicht wirtschaftlich sinnvoll – den beim nach Abs. 1 oder 2 Schweigepflichtigen beschäftigten Berufsgehilfen überantwortet werden.163 Grundsätzlich besteht also ein legitimes Interesse der in Abs. 1 aufgeführten Berufsgeheimnisträger und auch im öffentlichen Bereich des Abs. 2 S. 1, also etwa für Vertreter der öffentlichen Verwaltung, sich zur Ausübung ihrer Tätigkeiten auch der Unterstützung außerhalb der eigenen Sphäre stehender Dritter zu bedienen.164 Das kann die Hinzuziehung Selbständiger oder in den Betrieb eines Dritten eingebundene Personen betreffen. Aus Wortlaut und Systematik von Abs. 3 S. 1 und 2 ergibt sich zwar, dass mit der zur alten Rechtslage überwiegenden Auffassung in solchen Fällen von einem tatbestandlichen Offenbaren auszugehen ist. Diese Tatbestandsverwirklichung ist aber durch den speziellen Rechtfertigungsgrund des Abs. 3 S. 2 gedeckt, wenn die Offenbarung des Geheimnisses zur Inanspruchnahme der Tätigkeit dieses externen Dritten „erforderlich“ ist. Das gilt auch für den Dritten selbst, wenn er sich seinerseits weiterer Personen bedient, die an der Tätigkeit der originär nach Abs. 1 oder 2 Schweigepflichtigen mitwirken – zB in mehrstufigen Auftragsverhältnissen.165 Unter die privilegierten Tätigkeiten der nicht in die betriebliche Organisation des originär 95 Schweigepflichtigen integrierten „sonstigen“ Mitwirkenden fallen zB Schreibarbeiten, das Rechnungswesen, die Annahme von Telefonanrufen, die Aktenarchivierung und -vernichtung, die Einrichtung, der Betrieb und die Wartung – einschließlich Fernwartung – und Anpassung informationstechnischer Anlagen, Anwendungen und Systeme aller Art – beispielsweise auch von entsprechend ausgestatteten medizinischen Geräten –, die Bereitstellung von informationstechnischen Anlagen und Systemen zur externen Speicherung von Daten oder die Mitwirkung an der Erfüllung von Buchführungs- und steuerrechtlichen Pflichten des Berufsgeheimnisträgers.166 Bei mehrstufigen Auftragsverhältnissen, die nach Abs. 3 S. 2 Hs. 2 zulässig sind, ist eine lückenlose Vertragskette zwischen dem Berufsgeheimnisträger und dem letztlich Handelnden erforderlich.167 Erforderlich ist dabei stets, dass die Einschaltung eines weiteren Dritten im Einvernehmen mit dem originär Schweigepflichtigen geschieht.168 Die Vorschrift betrifft darüber hinaus auch die vertragliche Verbindung mit dem Berufsgeheimnisträger im Rahmen gemeinschaftlicher Berufsausübung.169 Die Offenbarung des Geheimnisses ist nur zulässig, soweit sie für die Inanspruchnahme der 96 Tätigkeit des Dritten erforderlich ist. Das bedeutet zunächst, dass der Berufsgeheimnisträger nicht mehr offenbaren darf, als nötig ist, damit er dem Dritten die in Rede stehende Tätigkeit übertragen kann.170 Dieser soll – im Fall des Hs. 2 – seinerseits einem Unterbeauftragen typi-
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BTDrucks. 18/11936 S. 1. BTDrucks. 18/11936 S. 1, 19 f. BTDrucks. 18/11936, S. 22. BTDrucks. 18/11936, S. 22. BTDrucks. 18/11936, S. 22. BTDrucks. 18/11936, S. 22. BTDrucks. 18/11936, S. 22. BTDrucks. 18/11936, S. 23. Hilgendorf
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scherweise im gleichen Umfang Auskunft gewähren dürfen, wie es der nach Abs. 1 oder 2 Schweigepflichtige ihm gegenüber tun durfte.171 97 Die Novellierung des § 203 aus 2017 enthält indes auch ein Korrektiv dieser Bevorzugung des (wirtschaftlichen) Interesses des Berufsgeheimnisträgers an einer Inanspruchnahme Dritter, mit der die Offenbarung eines Geheimnisses einhergehen kann: Nach Abs. 4 S. 1 Hs. 1, S. 2 Nr. 2 wird der „Mitwirkende“ seinerseits nun ebenfalls einem strafbewehrten Offenlegungsverbot und, soweit er sich einer weiteren Person zur Aufgabenerfüllung bedient, neben dem Berufsgeheimnisträger auch er selbst einem strafbewehrten Gebot zur Verpflichtung des (weiteren) „Mitwirkenden“ zur Verschwiegenheit unterworfen (Rdn. 120 ff).
VI. Täterschaft 1. Taugliche Täter 98 a) Übersicht. Täter kann nur sein, wem im Gesetz, nicht notwendig im StGB, ausdrücklich die Tätereignung beigelegt ist. Die Tat ist echtes Sonderdelikt, und zwar Garantensonderdelikt, bei dem die Täterstellung in einer Obhutsherrschaft über das anvertraute Geheimnis besteht (dazu allg. Schünemann/Greco LK § 25 Rdn. 59; zur Begehung des § 203 durch Unterlassen o. Rdn. 79). Daher ist mittelbare Täterschaft durch einen Außenstehenden ausgeschlossen; ebenso wenig kann ein im Täterkatalog aufgeführter Berufsangehöriger im Wege mittelbarer Täterschaft eine Offenbarung an sich selbst bewirken (BGHSt 4 355, 359). Möglich sind hier nur Anstiftung und Beihilfe, welche aber eine vorsätzliche Haupttat voraussetzen; BGHSt 4 355 ist insoweit durch BGHSt 9 370 aufgegeben und durch §§ 26, 27 überholt (näher Rdn. 221). Taugliche Täter sind die in den Täterkatalogen der Absätze 1, 2 und 4 aufgeführten Personen.
99 b) Täterschaft bei unwirksamen Bestellungsakten wirft intrikate Auslegungsprobleme auf, weil der Wortlaut des § 203 die Täterschaft eher an den Status als an die Funktion knüpft. Immerhin treten der Praxisinhaber, dessen Berufszulassung aus irgendeinem Grunde unwirksam oder der mit einem Berufsverbot belegt ist (Blei BT § 33 III), und ebenso der Hochstapler dem Publikum „als“ Arzt, Anwalt usw. gegenüber, so dass eine darauf abhebende faktische Betrachtungsweise (dazu allg. Schünemann LK § 14 Rdn. 24 f, 75 ff) dem Gesetzeswortlaut gerade noch genügt. Für eine hinter dem Wortlaut zurückbleibende einschränkende Auslegung besteht nun aber für den Fall, dass der Anvertrauende an die Stellung als Arzt etc. glaubt, aus viktimodogmatischen Gründen keine Veranlassung, weil das geschützte Rechtsgut durch die Offenbarung in derselben Weise verletzt wird wie bei wirklich vorhandener Täterqualifikation (im Ergebnis zust. Timm S. 23; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 61 unter Desavouierung der eigenen Prämisse vom Kollektivrechtsgut). Dem lässt sich nicht entgegnen, die irrige Annahme einer in Wahrheit fehlenden Täterqualifikation begründe strukturell nur den Versuch eines untauglichen Subjekts (dazu Murmann LK § 22 Rdn. 205 ff), der Versuch sei in § 203 aber nicht mit Strafe bedroht: Der Hochstapler erlangt fremde Geheimnisse wirklich und ist deshalb zum Verrat „tauglich“.
100 c) Maßgeblicher Zeitpunkt der Täterqualifikation ist nicht die Tathandlung. Maßgebend ist vielmehr allein, ob der Schweigepflichtige das Geheimnis in beruflicher Eigenschaft erfahren hat; strafbar verraten kann er es jederzeit auch nach dem Ausscheiden aus dem Beruf – eine für Notare in § 18 Abs. 4 BNotO ausdrücklich ausgesprochene Anomalie, die sich abermals nur durch die viktimodogmatische Auslegung schlüssig erklären lässt.
171 BTDrucks. 18/11936, S. 28. Hilgendorf
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VI. Täterschaft
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2. Der Täterkatalog des Absatzes 1 Nummer 1 umfasst Heilberufe und Heilhilfsberufe mit staatlich geregelter Ausbildung. Arzt ist, wer die Heilkunde unter der Berufsbezeichnung „Arzt“ ausüben darf (§ 2 Abs. 5 Bundesärzteordnung). Zu den Sonderformen ärztlicher Tätigkeit Anstaltsarzt Rdn. 219, Amtsarzt Rdn. 214, Betriebsarzt Rdn. 217. Zum Zahnarzt Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde i.d.F. d. Bek. v. 16.4.1987 (BGBl. I S. 1225); Tierarzt Bundes-Tierärzteordnung i.d.F. d. Bek. v. 20.11.1981 (BGBl. I S. 1193); Apotheker Bundes-Apothekerordnung v. 19.7.1989 (BGBl. I S. 1478, 1842). Zu den erfassten Heilhilfsberufen gehören Hebammen; die im Gesetz über die Pflegeberufe vom 17.7.2017 (BGBl. I S. 2581) aufgeführten Berufe; Masseure, med. Bademeister, Krankengymnasten, pharmazeutisch-technische Assistenten, medizinisch-technische Assistenten; Diätassistenten; Ergotherapeuten; Logopäden. Nicht erfasst sind hingegen Heilpraktiker. Nummer 2 führt Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung auf. Die Bezeichnung „Berufspsychologe“ dient der Abgrenzung zu hilfswissenschaftlicher Nebentätigkeit und zur Liebhaberei (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 239). Der Betreffende muss auf wenigstens einem der Hauptanwendungsgebiete der Psychologie beruflich tätig sein (aA Kargl NK Rdn. 31). Als Abschlussprüfung kommt ein Universitätsdiplom, Masterabschluss oder die Promotion in Betracht. Auf Grund der Nummer 2 unterliegen die Leiter von Besonderen Aufbauseminaren gemäß § 2b Abs. 2 Satz 2 StVG, welche alkoholauffällige Inhaber von Fahrerlaubnissen auf Probe nachschulen, der Schweigepflicht, denn die Leiter müssen nach § 36 Abs. 6 Nr. 1 FeV Diplom-Psychologen oder Absolventen eines Master-Studiums sein (dazu Bouska DAR 1986 333, 335). Nummer 3 zählt rechts- und wirtschaftsberatende Berufe auf. Der Rechtsanwalt ist in der von der BRAO gekennzeichneten Funktion erfasst (zum Syndikusanwalt Rdn. 59); Anwälte aus EU-Staaten sind nach § 42 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland v. 9.3.2000 (EURAG, BGBl. I S. 182) schweigepflichtig. An Stelle des Abs. 3 S. 1 a.F., der Mitglieder der Rechtsanwaltskammer den in Abs. 1 Genannten gleichstellte, ist nach Abs. 1 Nr. 3 n.F. nun der Kammerrechtsbeistand schweigepflichtig. Diese Rechtsänderung verkürzt den strafrechtlichen Schutz des Geheimnisträgers nicht, da die übrigen Mitglieder der Rechtsanwaltskammer nach europarechtlich gebotener weiter Auslegung unter den Begriff des Rechtsanwalts fallen.172 Nichtanwaltliche Geschäftsführer von Rechtsanwaltsgesellschaften fallen künftig unter Abs. 3 S. 2, wenn sie im Rahmen eines Vertragsverhältnisses an der Berufstätigkeit der zu der Gesellschaft gehörenden Rechtsanwälte mitwirken und es dafür erforderlich ist, Geheimnisse von Mandanten zu erfahren.173 Notar sind alle Personen, auf die die Bundesnotarordnung Anwendung findet, also auch Notarassessoren und Notariatsverweser (OLG Hamm GA 1969 220; Arndt/Lerch/Sandkühler BNotO § 18 Rdn. 6). Sie fallen an sich schon unter Absatz 2 (§ 11 Abs. 1 Nr. 2b) und wurden ursprünglich hier aufgeführt, um ihr Personal nach Absatz 3 a.F. der Schweigepflicht zu unterwerfen (E 1962 S. 335). Ihre Aufnahme in Absatz 1 begründet auch nicht – wie u.U. beim Amtsarzt – eine persönliche Schweigepflicht, welche die Dienstaufsicht begrenzt (§ 93 Abs. 3 BNotO). Das Bestehen der Schweigepflicht kann der Notar vielmehr nach § 18 Abs. 3 BNotO bei Lebzeiten der Beteiligten durch die Aufsichtsbehörde klären lassen (BGH MDR 1987 139); nach deren Tod erteilt diese die Befreiung (§ 18 Abs. 2 Halbsatz 2 BNotO; BGH MDR 1975 400; 1987 139). Verteidiger müssen nicht Rechtsanwälte sein (vgl. §§ 138, 139 StPO); für diese anderen Personen begründet die Vorschrift ein Schweigegebot hinsichtlich der Geheimnisse, welche ihnen in ihrer Funktion zugänglich geworden sind (Kohlhaas GA 1958 65, 66). Gesetzlich geordnete Verfahren sind auch Bußgeld-, Disziplinar- und ehrengerichtliche Verfahren. Ferner zählen zum Täterkreis neben Patentanwälten Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und – soweit sie nicht schon durch ihre Berufszu172 BTDrucks. 18/11936 S. 21; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 64. 173 BTDrucks. 18/11936 S. 21; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 64. 941
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gehörigkeit schweigepflichtig sind – nach Nr. 3a Organe und Organmitglieder (auch von Aufsichtsorganen) von Rechtsanwalts-, Patentanwalts-, Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften. Mit der zuletzt auch für Rechts- und Patentanwälte durch das BRAOÄndG vom 31.8.1998 (BGBl. I 2600) vollzogenen Anpassung an die Wandlung von Honoratioren- zu industrieähnlichen Strukturen werden GmbH-Geschäftsführer u.a. erfasst, die selbst nicht die Qualifikation als Rechtsanwalt usw. aufweisen (BTDrucks. 13/9820 S. 22). Entgegen Sch/Schröder/Eisele Rdn. 65 greift hierfür auch nicht etwa schon § 14 ein, weil die Gesellschaften selbst keine tauglichen Täter sind. Nummer 4 unterwirft in Anknüpfung an die Funktion, nicht an die persönliche Qualifikation, Beratungsdienste für Ehe-, Familien-, Erziehungs-, Jugend- und Suchtfragen der Schweigepflicht, sofern die Beratungsstelle kraft Landesrechts (BTDrucks. 7/1261 S. 15) öffentlichrechtlich anerkannt ist. Kirchliche Anerkennung genügt (BVerfGE 44 353, 380; Becker MDR 1974 888, 889). Schülerberatung ist Jugendberatung (BVerfGE 59 360, 388). Beratungsstellen freier Träger ohne Anerkennung fallen nicht unter die Vorschrift, auch wenn sich öffentliche Stellen ihrer zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedienen (Maas Nachrichtendienst d. Dtsch. Vereins f. öff. u. priv. Fürsorge 1986 359). Eine unzulässige Gesetzesumgehung wäre es, eine Schweigepflicht dadurch zu konstruieren, dass der Beratungsstelle – mehr oder minder ernsthaft – Ärzte oder Psychologen zugeordnet und die Berater alsdann als deren Gehilfen ausgegeben werden (Mörsberger Verschwiegenheitspflicht S. 63; aA Lücken RdJB 1969 289; K. Peters Jugendwohl 1976 275). Maßgebend ist, ob der Berater selbst in eigener Verantwortung tätig ist, sonst greift Abs. 4 Satz 1 ein. Nummer 5 ergänzt das von § 105 Abs. 1 Nr. 2 AE erstmals propagierte, vom 5. StrRG realisierte, in BVerfGE 39 1 für verfassungswidrig erklärte, vom SFHG mit geringfügigen Modifikationen erneuerte, in BVerfGE 88 203 mit virtuosen verbalen Verbrämungen im Kern akzeptierte und schließlich im SFHÄndG weiter abgemilderte, verfassungsrechtlich das Tor zur AbtreibungsFristenlösung öffnende Beratungssystem der §§ 218a Abs. 1 Nr. 1, 219 StGB, 5 ff SchKG, bezieht aber auch die gem. § 3 SchKG einzurichtenden Beratungsstellen für allgemeine Sexualaufklärung und Familienplanung etc. ein. Berater sind die die Beratung selbständig durchführenden Mitglieder der Beratungsstelle, Beauftragte die gem. § 6 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SchKG hinzugezogenen Fachkräfte (Rudolphi S. 416 f). Die im Tatbestand vorausgesetzte Anerkennung der Beratungsstelle ist in §§ 9–11 SchKG geregelt. Soweit die Gesundheitsämter die Schwangerenberatung nach § 219 durchführen, geht die Schweigepflicht nach Nummer 5 der Schweigepflicht aus Absatz 2 vor (Rdn. 78). Umfassend zur Nummer 5 Lenckner in Eser/Hirsch S. 227; Rudolphi FS Bemmann 412. Nachgeburtliche Beratung im Rahmen von „Babyklappen-Projekten“ fällt nicht unter Nr. 5 (LG Köln NJW 02 909; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 41). Nummer 6 bezieht Sozialarbeiter (s. § 6 I SGB XII) und -pädagogen bei staatlicher Anerkennung ein. Diese setzt eine abgeschlossene Hochschul- oder Fachhochschulausbildung voraus (Erster Bericht des Sonderausschusses zum EGStGB, BTDrucks. 7/1261 S. 15). Nicht im öffentlichen Dienst tätige Bewährungshelfer ohne diese persönliche Qualifikation sind nicht erfasst (Bericht a.a.O. S. 16); eine fragwürdige Konsequenz dieser auch sonst problematischen Vorschrift (vgl. Rdn. 62 zum Verhältnis von Abs. 1 und 2 bei Bewährungshelfern). Nr. 7 bezweckt die „Verlängerung“ des Berufsgeheimnisses. Angehörige der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung sowie privatärztliche, steuerberaterliche und anwaltliche Verrechnungsstellen haben regelmäßig mit denselben Geheimnissen wie Ärzte, Steuerberater und Rechtsanwälte zu tun. Ihre Einschaltung ist sowohl im Interesse des Geheimnisträgers als auch des Schweigepflichtigen wünschenswert, die „Verlängerung“ des Geheimnisschutzes entspricht deshalb einem beiderseitigen Interesse und ist viktimodogmatisch legitim. Ein entsprechendes Bedürfnis besteht für das Outsourcing von IT-Leistungen (näher Rdn. 67). Versicherungsunternehmen ist wie bei Behörden die Funktionseinheit; Gesellschaften, welche auch die Sachversicherung betreiben, müssen daher die innerbetriebliche Einhaltung der in Nummer 7 normierten Schweigegebote gewährleisten. Angehöriger ist – entsprechend dem Amtsträger bei Behörden –, wer dazu bestellt ist, der Anbahnung und Abwicklung von VersicheHilgendorf
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rungsverträgen sowie der Verwaltung des Bestandes zu dienen; das werden alle Mitarbeiter mit Ausnahme des für Technik und Reinigung der Gebäude verantwortlichen Personals sein, nicht aber die Angestellten von Verbänden der Personenversicherung (Rein VersR 1976 117, 119). Im Hinblick auf die weitreichenden Befugnisse nach §§ 43 ff VVG muss auch der selbständige Versicherungsagent funktionell als Angehöriger des Unternehmens gelten (BGH VuR 2010 198 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Rein VersR 1976 117, 119; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 69). Auch der Umstand, dass ein Betroffener zur Absicherung bestehender oder künftiger gesundheitlicher Risiken finanzielle Vorsorgemaßnahmen getroffen hat, unterfällt der Geheimhaltungspflicht, da er Auskunft über die persönliche, der Öffentlichkeit nicht zugängliche wirtschaftliche Lebensgestaltung des Versicherungsnehmers gibt. Die Abtretung von Provisionsansprüchen eines Versicherungsvertreters, der Personenversicherungen vermittelt, unterliegt daher den für Rechtsanwälte und Ärzte viel diskutierten Wirksamkeitshemmnissen. Privatärztliche etc. Verrechnungsstellen betreiben den Einzug von privatärztlichen usw. 113 Forderungen; auf ihren Träger und die Rechtsform kommt es nicht an, so dass auch private Factoring-Unternehmen erfasst werden (OLG Stuttgart NJW 1987 1490; aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 69). Die sie treffende Schweigepflicht berechtigt den Arzt etc. noch nicht zur Weitergabe der von ihm zu wahrenden Geheimnisse, wohl aber Abs. 3 S. 2.
3. Der Täterkatalog des Absatzes 2 Nummer 1 unterwirft (Europäische) Amtsträger in der Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 2, 2a 114 der Schweigepflicht. Damit übertragen sich die zahlreichen Abgrenzungs- und Zweifelsfragen jener Bestimmung auf § 203.174 Die (sei es den Anwendungsbereich ausdehnende, sei es nur klarstellende) Einbeziehung der Ausübung öffentlicher Funktionen in privatrechtlicher Organisationsform durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13.8.1997 (BGBl. I 2038), welches in § 11 Abs. 1 Nr. 2c die Wendung „unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform“ hinzugefügt hat, wirkt sich damit auch auf den Täterbereich des § 203 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 aus. Als Folge sind die inhaltlich kaum begründeten Unterschiede im Strafrechtsschutz, je nachdem ob der Bürger seine Geheimnisse im Bereich der Daseinsvorsorge einem mit öffentlichen Funktionen betrauten oder einem „rein“ privaten Rechtsträger anvertraut, noch gewachsen. Dass etwa das Bankgeheimnis bei öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten wie den Sparkassen und den Landesbanken,175 nicht aber bei privaten Geschäftsbanken (Prot. 7/177 ff) Strafrechtsschutz genießen solle, lässt sich wegen der identischen Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zum Kunden ebenso wenig rechtfertigen wie bei einem entweder von der öffentlichen Hand oder von privater Hand getragenen Unternehmen des sozialen Wohnungsbaus,176 so dass eine spezielle, viktimodogmatische Interpretation des § 203 Abs. 2 den Vorzug verdient (vgl. Rdn. 83; im Ergebnis ebenso, aber mit der irrigen Begründung, es ginge um die Berufsfreiheit der Bankvorstände, Schalast/Sufran/Sassenberg NJW 2008 1486; Sester/Glos DB 2005 375 und im Ergebnis nun auch BGH NZG 2010 469 mit Anm. Haas/Fischera aufgrund einschränkender Auslegung
174 Nachw. in Fn. 146. 175 Zur Amtsträgerstellung von Vorstandsmitgliedern einer Landesbank auch bei einer Tätigkeit im Geschäftsbankenbereich BGHSt 31 264, 267 ff; zu den daraus für öffentlich-rechtliche Kreditinstitute resultierenden Strafbarkeitsrisiken bei der Beauftragung externer Computer-Serviceunternehmen und bei der Erstattung von Anzeigen nach dem Geldwäschegesetz Otto wistra 1999 201 ff; 1995 323, 327 f; Hilgendorf FS Tiedemann 1124, 1135. 176 Die Ablehnung einer Amtsträgerstellung in diesem Fall in BGHSt 38 199 ist durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz überholt, siehe Fischer § 11 Rdn. 22c; Ransiek NStZ 1997 521; ferner zur GTZ BGHSt 43 379 m. Anm. Ransiek NStZ 1998 564 sowie zur Forderung einer längerfristigen Tätigkeit oder einer organisatorischen Eingliederung in die Behördenstruktur die Prüfingenieur-Entscheidung BGHSt 43 96 und dazu zustimmend Ransiek NStZ 1997 519; Otto JR 1998 73; König JR 1997 398; Martin JuS 1998 182; Fischer § 11 Rdn. 22a; kritisch Haft NJW 1998 29; ders. FS Lenckner 86; schließlich zur FAG BGHSt 45 16; weit. Nachw. Fn. 146. 943
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der Vorschrift, welche die Grundentscheidung des Gesetzgebers gegen einen strafrechtlichen Schutz des Bankgeheimnisses aus Abs. 1 Nr. 1–7 auf den Geheimnisbegriff des Abs. 2 S. 1 überträgt). Andernfalls würde die Abtretung von Darlehensforderungen durch Sparkassen den Tatbestand des § 203 Abs. 2 erfüllen, während bei Privatbanken die Abtretung nur vertragswidrig sein kann (ablehnend nun auch BGH NZG 2010 469; hierzu näher BGH NJW 2007 2106; zu ggf. eingreifenden Tatbeständen des Nebenstrafrechts und mit der Forderung einer Gleichstellung von öffentlich-rechtlichen und privaten Banken durch Aufnahme des Bankgeheimnisses in § 203 Abs. 1 Tiedemann FS Kohlmann 307 ff; ders. NJW 2003 2213). Zu Funktionsträgern der ehemaligen DDR s. Rdn. 230, der EU Fischer Rdn. 27, für Offiziere und Unteroffiziere §§ 1 Abs. 3, 48 Abs. 1 WStG. Nummer 2 knüpft an die in § 11 Abs. 1 Nr. 4 definierte förmliche Stellung des für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten an. Die Vorschrift ermöglicht der Verwaltung, bestimmte Arbeiten extern erledigen zu lassen, ohne gegen § 203 zu verstoßen (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 243), s. bereits Rdn. 77. Nummer 3 erfasst Funktionsträger nach dem Personalvertretungsrecht der gesamten öffentlichen Verwaltung und der Gerichte in Bund und Ländern, der Bundeswehr und des Zivildienstes. Für die Privatwirtschaft gilt § 120 des Betriebsverfassungsgesetzes. Nummer 4 wird verständlich durch die Kenntlichmachung der Personen, die nicht unter die Vorschrift fallen. Dies sind alle Mitglieder und Hilfskräfte der Parlamentsausschüsse. Täter nach dieser Nummer können nur Mitglieder und Hilfskräfte von Gremien sein, die für Gesetzgebungsorgane des Bundes oder der Länder arbeiten, jedoch mit Ausnahme der in sie entsandten Abgeordneten. In Betracht kommen Enquêtekommissionen und vom Parlament berufene Sachverständigenräte (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 241; Erster Bericht des Sonderausschusses BTDrucks. 7/1261 S. 16). Da die Abgeordneten selbst ausdrücklich von der Täterqualifikation ausgenommen werden und die Abgrenzung der „Hilfskräfte“ unklar bleibt (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 93), werden die üblichen politischen Indiskretionen dadurch schwerlich eingedämmt. Nummer 5 erfasst die freiberuflich tätigen Sachverständigen, die nach § 36 GewO öffentlich bestellt und nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Verpflichtungsgesetzes förmlich auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten verpflichtet worden sind (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 243). Nummer 6 ist durch Art. 3 des StVÄG 1999 vom 2. August 2000 (BGBl. I S. 1253) im Anschluss an die ebenfalls neue Regelung des § 476 StPO eingefügt worden, um Geheimnisse aus Strafverfahren, die Teilnehmern von (meist kriminologischen) wissenschaftlichen Forschungsvorhaben (Pleonasmus!), die auf Grund des Verpflichtungsgesetzes zur Geheimhaltung förmlich verpflichtet wurden, zugänglich gemacht worden sind, ähnlich wie beim Sachverständigen gem. Nr. 5 strafrechtlich zu garantieren (BRDrucks. 65/99 S. 74). Außerhalb des StGB hat ferner § 16 Abs. 7 BStatG eine mögliche Tätereigenschaft auf Grund besonderer Verpflichtung für Mitwirkende an Forschungsvorhaben begründet.
4. Täterkreis des Absatzes 4 120 Abs. 4 erweitert den tauglichen Täterkreis über die nach Abs. 1 und 2 originär Schweigepflichtigen hinaus.
121 a) Mitwirkende Person, Abs. 4 S. 1 Alt. 1. Das Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen (BGBl. I 2017 S. 3618) hat den Begriff der „mitwirkenden“ Person in Abs. 4 S. 1 Alt. 1 eingeführt. Darunter fallen – insoweit entsprechend Abs. 3 S. 2 a.F. – berufsmäßig tätige Gehilfen des Schweigepflichtigen und Personen, die sich bei ihm auf ihren Beruf vorbereiten sowie – und darin liegt die wesentliche Neuerung – sonstige mitwirkende Personen, derer sich der SchweigeHilgendorf
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pflichtige bei seiner Berufsausübung bedient und die außerhalb seiner organisatorischen Sphäre stehen. Weil die Weitergabe eines Geheimnisses an diese Personen schon nicht tatbestandsmäßig (Abs. 3 S. 1; Rdn. 70 ff) bzw. jedenfalls nicht rechtswidrig ist (Abs. 3 S. 2; Rdn. 94 ff), soll durch Abs. 4 S. 1 Alt. 1 das Interesse des Geheimnisträgers jedenfalls insoweit gewahrt werden, als auch die dort Genannten ihrerseits einem strafbewehrten Offenbarungsverbot unterliegen. Auf die dargelegte Unterscheidung kommt es für die Strafbarkeit der Weitergabe durch internes oder externes Personal also nicht mehr an.
aa) Gehilfen und zur Berufsvorbereitung Tätige. Personenkreis. Nach Absatz 4 Satz 1 122 Alt. 1 sind zunächst – wie schon nach alter Rechtslage – die berufsmäßig tätigen Gehilfen der Schweigepflichtigen des Absatzes 1 und des Absatzes 2177 in den Täterkreis einbezogen, ferner diejenigen Personen, die sich bei Schweigepflichtigen des Absatzes 1 auf ihren Beruf vorbereiten.
bb) „Sonstige“ Mitwirkende. Höchst problematisch war nach alter Rechtslage die Weiterga- 123 be fremder Geheimnisse durch den Schweigepflichtigen an außerhalb seiner organisatorischen Sphäre stehende Dritte, ohne deren Inanspruchnahme wirtschaftlich rentables Arbeiten in Zeiten von Automatisierung und Digitalsierung als kaum noch möglich erscheint. Aus der Limitierung des „Kreises der Wissenden“, in dem eine Weitergabe als tatbestandslos angesehen wurde, ergaben sich erhebliche praktische Probleme, z.B. bei Beauftragung eines Computer-Serviceunternehmens (vgl. Rdn. 67). So war es ausgeschlossen, das etwa bei Outsourcing des Rechnungswesens vom Schweigepflichtigen eingeschaltete IT-Unternehmen als dessen „Gehilfen“ i.S.d. Abs. 3 S. 2 a.F. zu qualifizieren, um die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „Offenbaren“ verneinen zu können (anders, aber widersprüchlich Heghmanns/Niehaus NStZ 2008 57, 61, die die gerade aus dem Zweck des § 203 folgende Beschränkung der Geheimnisverwendung auf den vom Schweigepflichtigen persönlich kontrollierten Bereich verkennen). Die Qualifikation selbständiger IT-Unternehmer als „Gehilfen“ hätte schließlich nicht nur das Analogieverbot, sondern auch das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verletzt, weil der Kreis der Vertragspartner des Schweigepflichtigen anders als der Kreis der in seinem Herrschaftsbereich „tätigen Gehilfen“ nicht hinreichend abgrenzbar ist und durch Einbeziehung externer Unternehmen die in § 203 Abs. 3 Satz 2 a.F. zu findende Definition der Täterqualifikation in die Beschreibung einer Informationskette umgewandelt worden wäre. Mangels Weisungsabhängigkeit und unmittelbarer Unterstützungstätigkeit schieden als „Gehilfen“, die schon nach Abs. 3 S. 2 a.F. einer strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht aus § 203 unterlagen, ferner aus: zahntechnische Labors beim Zahnarzt (aA LBerufsG f. Zahnärzte Bad.-Württ. NJW 1975 2255), externe Buchführungsstellen (aA Hübschmann/Hepp/Spitaler/Schuster § 102 AO Rdn. 25a), externe Schreibdienste (aA Rüping Internist 1983 206). Deshalb ließ sich das wirtschaftliche Bedürfnis der Berufsgeheimnisträger nach einer die Geheimnisse einschließenden elektronischen Datenverarbeitung im Wege des Outsourcing nicht unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Rechtsgüterschutzes befriedigen, weil (anders als bei Behörden, Rdn. 77, und bei Verrechnungsstellen gemäß Abs. 1 Nr. 6 a.F.) eine Einbeziehung der externen Verarbeiter in den Täterkreis des § 203 nicht möglich war. Die Große Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes empfahl deshalb in einem Gutachten bereits im Februar 2007 (Kurzfassung bei Kintzi DRiZ 2007 244 ff) eine Erweiterung des § 203 Abs. 3 Satz 2 a.F. um die zur „ordnungsgemäßen Berufsausübung herangezogenen IT-Dienstleister“. Dem hat der Gesetzgeber 2017 durch Erlass des Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von 124 Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen Rechnung getragen. Neben der Abgabe eines klaren Bekenntnisses zur Tatbestandsmäßigkeit 177 So auch Fischer Rdn. 50. 945
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der Offenbarung eines Geheimnisses an organisatorisch nicht in den Betrieb eingebundene Vertragspartner (Abs. 3 n.F.; Rdn. 94) hat er die abgeleitete Verschwiegenheitspflicht in Abs. 4 S. 1 Alt. 1 n.F. durch die Einführung der „mitwirkenden Person“ eben auch auf diese ausgeweitet. Externes Wartungspersonal etwa, welches die im Krankenhaus oder in einer Kanzlei eingesetzten Geräte instand hält, schafft grundsätzlich lediglich die Voraussetzungen beruflicher Tätigkeit,178 es sei denn, dass es eingegliedert ist und die Apparate auch bedient (Kohlhaas NJW 1972 1502). Das ist von besonderer Bedeutung geworden, seitdem die Speicherung von Geheimnissen in der EDV nicht nur in dem gemäß § 203 Abs. 2 tatbestandsrelevanten öffentlich-rechtlichen Bereich, namentlich bei öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten (dazu Otto wistra 1999 201 ff), sondern auch im Bereich der freiberuflichen Tätigkeit gemäß § 203 Abs. 1 eine immer größere Bedeutung erlangt hat, woraus sich wiederum wegen der Notwendigkeit einer Wartung des EDV-Systems durch eine externe Dienstleistungsfirma die Zugriffsmöglichkeit des externen Wartungs- und Servicepersonals auf die Geheimnisse ergibt. Wer als „Außenstehender“ auf diesem Wege (zulässig; Rdn. 94) Geheimnisse erfährt, macht sich bei Weitergabe des Geheimnisses künftig unstreitig strafbar.
125 b) Datenschutzbeauftragte gem. Abs. 4 S. 1 Alt. 2. Abs. 2a a.F. – nun Abs. 4 S. 1 Alt. 2 – hat erst spät die seit Einführung von betrieblichen Datenschutzbeauftragten erforderliche Ausdehnung des Täterkreises gebracht und über die zuvor nur über Abs. 2 erfassten Amtsträger etc. auf die Datenschutzbeauftragten ausgedehnt (näher Fischer Rdn. 51). Dennoch ist auch diese Erweiterung lückenhaft geblieben, weil die berufsmäßig tätigen Gehilfen des Datenschutzbeauftragten in Abs. 4 S. 1. Alt. 2 nicht erfasst worden sind und diese Lücke ohne Verletzung des Analogieverbots nicht geschlossen werden kann (Gola/Klug NJW 2007 118, 122).
126 c) Schweigepflicht nach Absatz 4 S. 2 Nr. 3. Den Schweigepflichtigen des Absatzes 1 und ihren Hilfspersonen sowie sonstigen Mitwirkenden im o.g. Sinn steht gleich, wer das Geheimnis von einer dieser Personen erlangt hat. Doch setzt die Strafbarkeit erst mit dem Tode des ursprünglich Schweigepflichtigen ein. Da der Tod das personale Unrecht einer Geheimnisoffenbarung durch den Nachfolger nicht berührt, ist dieses Ereignis objektive Bedingung der Strafbarkeit (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 106; Schünemann ZStW 90 [1978] 11, 59). Ferner steht den Schweigepflichtigen gleich, wer das Geheimnis aus deren Nachlass erlangt hat.
127 aa) Alt. 1. Mit der ersten Alternative der Bestimmung – Erlangung des Geheimnisses von dem ersten Verpflichteten – ist auf den ersten Blick kaum etwas anzufangen (zur Kritik schon Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 17 ff, ferner Becker MDR 1974 888, 890; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 106). Jedenfalls bedarf es keiner Begrenzung der Strafdrohung auf die Fälle, in denen der erste Schweigepflichtige das Geheimnis befugt weitergegeben hatte.179 Denn nach der maßgeblichen viktimodogmatischen Betrachtung (Rdn. 28 f) entfällt die Schutzwürdigkeit des Geheimnisträgers durch einen einzelnen, noch keine Offenkundigkeit herstellenden Bruch der Schweigepflicht noch nicht, so dass an sich auch den „Hehler“ des Geheimnisses eine strafrechtliche Schweigepflicht trifft. Die Einschränkung der Strafbarkeit auf die Weitergabe nach dem Tode 178 Koch CuR 1987 284 (betr. Computer); abw. Rieger DMW 1979 1733 (betr. Dialysegeräte); w.N. in Rdn. 67; aA Laufs Arztrecht Rdn. 442. 179 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 13; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 20; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 59; einschränkend Sch/Schröder/Eisele Rdn. 106; aA Jähnke LK10 Rdn. 113 mit dem beachtlichen Argument, bei befugter Weitergabe sei der Dritte rechtmäßig in den Kreis der Wissenden gelangt und hätte damit – wenn auch nicht unbedingt strafrechtlich – teil an der Verantwortung für die Wahrung des Geheimnisses; bei unbefugter Preisgabe dagegen habe sich bereits der erste Schweigepflichtige strafbar gemacht, was genüge. Hilgendorf
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VII. Tathandlung des Abs. 4
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des Erstverpflichteten erklärt sich dann offenbar durch die etwas verzwickte, aber nicht direkt unsinnige Überlegung des Gesetzgebers, dass schon die effektive Bestrafungsmöglichkeit eines Schweigepflichtigen einen kriminalpolitisch ausreichenden Strafrechtsschutz schafft, so dass der strafrechtliche Zugriff bis zum Tode des Erstverpflichteten nur auf diesen, danach aber auf den Zweitverpflichteten eröffnet wird. Daraus folgt, dass eine mit Zustimmung des Geheimnisträgers oder durch einen eigenen Ausspähungsakt erlangte Kenntnis keine strafrechtliche Schweigepflicht begründet (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 106; Schmitz JA 1996 772, 774).
bb) Alt. 2. Die zweite Alternative stellt auf den Erbfall ab und verfolgt damit ein anerkennens- 128 wertes Ziel. Das Geheimnis muss auch von dem Erben, dem Testamentsvollstrecker, dem Erbschaftsbesitzer oder Vermächtnisnehmer gewahrt werden (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 107). Das Erlangen durch Dritte muss auf willentlicher Weitergabe, also auf einem Offenbaren, beruhen. Der Diebstahl von Tagebüchern oder Akten begründet keine Schweigepflicht (Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 17; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 107), weil § 203 den Verrat, nicht das Ausspähen treffen will (Rdn. 5 f). Der Dritte muss die Tatsache ferner als Geheimnis erlangt haben. Beim Altpapierhändler ist das nicht der Fall (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 107; aA Kohlhaas in Kuhns Recht der Heilberufe I 780; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 20), wohl aber bei dem Helfer, der nach dem Tode des Schweigepflichtigen die Papiere durchsieht (Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 21; zu eng Sch/Schröder/Eisele Rdn. 107. VII. Tathandlung des Abs. 4 S. 2 Nr. 1 und 2, Unterlassene Verpflichtung zur Geheimhaltung 1. Nr. 1, Strafbarkeit des Berufsgeheimnisträgers Kehrseite der Entlastung des i.S.d. Abs. 1 und 2 Schweigepflichtigen von einem strafrechtlichen 129 Risiko, das sich bislang aus einer Preisgabe von Geheimnissen an mitwirkende Personen i.S.d. Abs. 3 ergeben konnte ist, dass er sich künftig strafbar macht, wenn er nicht dafür Sorge getragen hat, dass die mitwirkende Person zur Verschwiegenheit verpflichtet wird und der Dritte das ihm bekannt gewordene Geheimnis sodann offenbart. Das gilt nur dann nicht, wenn die mitwirkende Person ohnehin schon nach Abs. 1 oder 2 zur Verschwiegenheit verpflichtet ist (Nr. 1 Hs. 2). Der Gesetzeswortlaut und die Entwurfsbegründung des Gesetzes zur Neuordnung des 130 Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen lassen nicht eindeutig erkennen, ob Nr. 1 auch für die Verpflichtung internen oder nur externen Personals zur Verschwiegenheit gilt. Die Vorschrift spricht, wie auch Abs. 3 S. 2 es gerade zur Abgrenzung von internem Personal tut, von „sonstigen“ mitwirkenden Personen. Dass Abs. 4 S. 1 demgegenüber auf – sämtliche – „mitwirkende“ Personen abstellt und dies nach einheilliger Meinung und dem klaren Bekenntnis des Gesetzgebers auch Gehilfen und zur Berufsvorbereitung Tätige erfassen soll, spricht gegen eine strafbewehrte Pflicht des Berufsgeheimnisträgers auch in Hinblick auf die Verpflichtung internen Personals zur Verschwiegenheit. Die Entwurfsbegründung ist im Einzelnen widersprüchlich, versteht die Norm indes als Ergänzung zu Abs. 4 S. 1 und erklärt sie – insoweit eigentlich eindeutig – „in Bezug auf alle in § 203 Abs. 3 StGB-E genannten mitwirkenden Personen für anwendbar“.180 Da die Vorschrift den Gegenpol zur Straffreiheit des Berufsgeheimnisträgers bei der Informationspreisgabe im Rahmen ordnungsgemäßer Aufgabenerfüllung bildet, die gerade auch in der Zusammenarbeit mit dem eigenen Personal relevant wird und deren Verpflichtung zur Verschwiegenheit erst recht als
180 BTDrucks. 18/11936 S. 21, 29. 947
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zumutbar erscheint, dürfte die Vorschrift auch auf die Verpflichtung von Gehilfen und zur Berufsvorbereitung Tätige zu erstrecken sein.181 131 Für die Erfüllung des Verpflichtungsgebots kommt es auf etwaige berufsrechtliche Besonderheiten der Geheimhaltungsverpflichtung – also etwa die Wahrung der Schrift- bzw. Textform nach § 43a Abs. 2 S. 4, 43e Abs. 3 BRAO – nicht an.182 Eine formlose Verpflichtung der mitwirkenden Person kann also ausreichen.183 Außerdem kann der Berufsgeheimnisträger die Vornahme der Verpflichtung der mitwirkenden Person auch delegieren.184 Andererseits beschränkt sich die Verantwortlichkeit des Berufsgeheimnisträgers nicht auf die Verpflichtung (internen oder) externen Personals, mit dem er selbst unmittelbar vertraglich verbunden ist. Dem Wortlaut nach macht er sich strafbar, wenn er nicht dafür Sorge getragen hat, dass (irgendeine) sonstige an seinen Angelegenheiten mitwirkende Person – die bei der Ausübung der von ihm initiierten Tätigkeit ein Geheimnis erfuhr und es dann offenbarte – zur Geheimhaltung „verpflichtet wurde“. Das bedeutet – in Einklang mit dem der Entwurfsbegründung zu entnehmenden gesetzgeberischen Willen – dass der Berufsgeheimnisträger eine lückenlose Verpflichtungskette organisieren muss. In mehrstufigen Auftragsverhältnissen wird er also die von ihm beauftragte mitwirkende Person (ggf. durch Dritte) verpflichten und etwa durch eine vertragliche Vereinbarung sicherstellen müssen, dass sein Vertragspartner seinerseits auch seine ausführenden Mitarbeiter oder weitere Subunternehmer zur Verschwiegenheit verpflichtet.185 Bei der Offenbarung des Geheimnisses durch den im Ergebnis strafrechtswidrig nicht ver132 pflichteten Mitwirkenden, der insoweit vorsätzlich agieren muss, handelt es sich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit des Berufsgeheimnisträgers.186
2. Nr. 2, Strafbarkeit des Mitwirkenden bei „Unterbeauftragung“ 133 Nr. 2 korrespondiert mit Abs. 3 S. 2 Hs. 2, der externen Beteiligten an der Tätigkeit des Schweigepflichtigen nach Abs. 1 oder 2 eine mit einer Delegation ihrer Aufgaben potentiell verbundene Offenbarung von Geheimnissen an weitere Mitwirkende gestattet. Deshalb müssen auch diese mitwirkenden Personen ihrerseits Sorge dafür tragen, dass die von ihnen eingeschalteten Personen zur Verschwiegenheit verpflichtet werden. In Zusammenspiel mit der Verpflichtung des Berufsgeheimnisträgers nach Nr. 1 zur Sicherstellung einer lückenlosen Verpflichtungskette soll so sichergestellt werden, dass die letztlich handelnde Person zur Verschwiegenheit verpflichtet wurde.187
VIII. Innere Tatseite 1. Subjektiver Tatbestand 134 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz (§ 15); bedingter Vorsatz genügt (Fischer Rdn. 92; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 109). Gegenstand des Vorsatzes muss die Täterstellung des Verpflichteten sein, nicht aber die Wirksamkeit des Bestellungsaktes, weil diese keine Voraussetzung der Täterqualifikation ist (Rdn. 99). Ein diesbezüglicher Irrtum wäre also nur ein Subsumtionsirr181 So auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 101; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 162 ff, 151; wohl auch Weidemann BeckOK Rdn. 44 ff. 182 BTDrucks. 18/11936 S. 29. 183 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 102. 184 BTDrucks. 18/11936 S. 29. 185 BTDrucks. 18/11936 S. 29. 186 BTDrucks. 18/11936 S. 29. 187 BTDrucks. 18/11936 S. 29. Hilgendorf
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IX. Rechtswidrigkeitsausschluss durch Einwilligung
tum, der für sich unbeachtlich ist, aber im konkreten Fall einen (in der Regel vermeidbaren) Verbotsirrtum gem. § 17 auslösen würde, weil der Täter dann das spezifische Unrecht des § 203 nicht erkannt hätte. Der Tatbestand des Unterlassens der Verpflichtung zur Verschwiegenheit nach Abs. 4 S. 2 Nr. 1 und 2 setzt nicht voraus, dass der Täter in Hinblick auf die Offenbarung des Geheimnisses durch die (sonstige) mitwirkende Person vorsätzlich handelt. Anderes gilt für das Unterlassen, für eine Verpflichtung Sorge getragen zu haben. Das dürfte den Anwendungsbereich der Norm in der Praxis nicht unerheblich einschränken.188
2. Irrtümer Der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen einer rechtfertigenden Offenbarungsbefug- 135 nis führt zur Straflosigkeit wegen Vorsatzausschlusses, sei es in direkter, sei es in analoger Anwendung des § 16.189 Bei § 203 trifft man auf einen der wenigen Fälle, in denen die unterschiedlichen Konstruktionen dieses Erlaubnistatbestandsirrtums durch die Spielarten der eingeschränkten Schuldtheorie auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, weil der selbst nicht schweigepflichtige Hintermann nicht mittelbarer Täter sein kann, so dass er bei Benutzung eines irrenden Werkzeuges nur als Anstifter gemäß § 26 zur Verantwortung gezogen werden könnte, was aber wiederum ein vorsätzliches Handeln des Werkzeuges voraussetzt (näher dazu Rdn. 221). Glaubt der Täter fälschlich, der Betroffene habe seine Einwilligung zur Geheimnisoffenba- 136 rung erteilt, handelt er ebenfalls im Erlaubnistatbestandsirrtum (s. Rdn. 140 sowie Dreher, Anm. zu OLG Köln MDR 1962 591, das selbst einen Tatbestandsirrtum i.e.S. annimmt; dogmatisch überholt BGHSt 4 355, 356). Ein Verbotsirrtum gem. § 17 liegt dagegen vor, sofern der Täter irrig eine nicht oder nicht 137 in diesem Umfang gegebene Offenbarungsbefugnis annimmt; so auch bei der unrichtigen Annahme, eine vertragliche oder gesetzliche Pflicht des Betroffenen, sein Einverständnis mit einer Offenbarung zu erteilen, wirke unmittelbar zu seinen Gunsten (Kleinewefers/Wilts VersR 1963 989, 991).
IX. Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitsausschluss durch Einverständnis bzw. Einwilligung Wenn nicht Abs. 3 S. 2 greift, kann insbesondere die wirksame Einwilligung in die Preisgabe 138 des Geheimnisses oder der geschützten Daten die Strafbarkeit nach § 203 ausschließen.190 Der Einwilligung entspricht prozessual die Entbindung von der Schweigepflicht. Beides ist nach Voraussetzungen und Wirkung im Grundsatz identisch,191 da ein und dieselbe Erklärung vor und außerhalb des Rechtsstreits dem Schweigepflichtigen dieselben Befugnisse verschaffen muss wie im Prozess. Im Einzelnen wirft die Einwilligung jedoch eine Fülle von Problemen auf, von der verbrechenssystematischen Einordnung über die Person des Einwilligungsbefugten bis zur Behandlung der sog. Drittgeheimnisse. 188 Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks. 18/11936 S. 43. 189 Nämlich nach der völlig herrschenden eingeschränkten Schuldtheorie, die entgegen der uneinheitlichen Terminologie im Schrifttum als Sammelbezeichnung der verschiedenen Spielarten von der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen bis zur sog. rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie benutzt werden sollte, s. Vogel/Bülte LK § 16 Rdn. 114; Grünwald Noll-Gedächtnisschrift 183; Schünemann/Greco GA 2006 777; Jescheck/Weigend § 41 IV 1; in der Sache selbst aA die nur noch vereinzelt vertretene strenge Schuldtheorie, siehe dazu Armin Kaufmann JZ 1955 37; Hirsch ZStW 94 (1982) 239, 257 ff; Schroeder LK11 § 16 Rdn. 52. 190 RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 236; s. auch Arzt Schutz der Intimsphäre S. 184 ff, 187. 191 Göppinger/Lenckner S. 159, 192; Eser/Hirsch/Lenckner S. 227, 239; Welp FS Gallas 391, 400. 949
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§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
1. Verbrechenssystematische Einordnung 139 Die Einwilligung beseitigt nach der wohl leicht überwiegenden Meinung erst die Rechtswidrigkeit der Tat,192 während sie nach der ebenfalls zahlreiche Anhänger findenden Gegenmeinung als sog. Einverständnis bereits den Tatbestand des § 203 ausschließen soll.193 Die Kontroverse verweist wiederum auf bis heute ihrerseits umstrittene Grundfragen des Strafrechtssystems, nämlich auf das Verhältnis von Tatbestand und Unrecht mitsamt der Vorzugswürdigkeit eines zweigliedrigen oder dreigliedrigen Verbrechensaufbaus sowie auf die selbst umstrittene Unterscheidung zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung. Freilich werden diese Kontroversen über strafrechtssystematische Grundfragen dadurch wieder entschärft, dass sie zum großen Teil nicht das rechtliche Ergebnis, sondern nur dessen quasi topographische Abbildung betreffen.194 Die auf der nächsten systematischen Ebene anschließende Frage, ob die Einwilligung des Rechtsgutsträgers stets den Straftatbestand ausschließt (so Roxin/Greco Strafrecht AT I § 13 Rdn. 12 ff) oder ob zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis bei allen Delikten gegen die Selbstbestimmungsfreiheit und rechtfertigender Einwilligung bei allen übrigen Delikten zu unterscheiden ist (so die h.M., siehe Nachw. b. Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 147 ff), wirkt sich nur dann im Ergebnis aus, wenn man mit der h.M. beim Einverständnis allein auf die faktische Willensübereinstimmung abhebt, während an die Wirksamkeit der Einwilligung qualifizierte Anforderungen gestellt werden wie die Dispositionsbefugnis des Opfers und die Freiheit von Willensmängeln.195 Bei § 203 verkompliziert sich die Situation dadurch, dass hier nicht nur der Rechtsgutsinhaber, dessen Privatsphäre das Geheimnis betrifft, sondern auch der Anvertrauende, also der Partner des Sonderverhältnisses zum Schweigepflichtigen, als Einwilligungsberechtigter in Betracht kommt. Bei der gebotenen funktionalen Betrachtungsweise ist die Entscheidung davon abhängig 140 zu machen, ob die Zustimmung die Rechtsgutsverletzung entfallen lässt (dann Einverständnis) oder lediglich deren Rechtswidrigkeit (dann Einwilligung). Es ist deshalb als Begründungsansatz nicht überzeugend, wenn man der Tatbestandsmäßigkeit den zumindest indiziellen Aus192 OLG Bremen MedR 1984 112; Ackermann FS DJT S. 479, 501; Ponsold/Bockelmann S. 15; Verkehrsstrafrechtliche Aufsätze S. 27, 32; Fischer Rdn. 61; Geppert Strafvollzug S. 24; Göppinger NJW 1958 241; Hoyer SK Rdn. 71; Jescheck/ Weigend AT § 34 I 1, 3; Joecks Rdn. 21; Kargl NK Rdn. 50; Lackner/Kühl/Heger Vor § 201 Rdn. 2; Lenckner NJW 1965 321, 323; Mergen/K. Müller II S. 63, 74; Otto Grundkurs BT § 34 Rdn. 36; Rogall NStZ 1983 1, 6; Rudolphi FS Bemmann 421; Rüping Internist 1983 206, 207; Schwalm Med. Klinik 1969 1722, 1723; Warda Jura 1979 286, 296; Welp FS Gallas 391, 400; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 543 f; noch anders Günther S. 347 f; dazu Roxin FS Oehler 181. 193 BGHSt 4 355, 356; OLG Köln NJW 1962 686 m. Anm. Bindokat; Anm. Dreher MDR 1962 592; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 62; Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 153; Goll S. 39; Henkel DJT-Gutachten D 84, 136; Jakobs JR 1982 359; Jähnke LK10 Rdn. 56; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 602, 617; Noll Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe (1955) S. 64; Schmidhäuser BT 6/28; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 30; Tiedemann NJW 1981 945, 948; Scholz/Tiedemann GmbHG9 § 85 Rdn. 19 f; Vollmer S. 62; im Ergebnis auch Jakobs AT 7/111; von einem subjektiven Rechtsgutsbegriff ausgehend Armin Kaufmann FS Klug 277, 282; Kühne JZ 1979 241, 242; Maurach/Zipf AT I § 17 Rdn. 33; Roxin Noll-Gedächtnisschrift 275; Weigend ZStW 98 (1986) 44, 61; dazu Jescheck/Weigend AT § 34 I 2b, 3; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Vor § 32 Rdn. 31. 194 Vgl. näher zur Deliktssystematik Hilgendorf in Handbuch des Strafrechts, Bd. 2, 2020, § 27; zum zweistufigen Deliktsaufbau, aber auch zu vergleichbaren Traditionalismen anderer Strafrechtskulturen Schünemann in: Schünemann/Figueiredo Dias Bausteine des europäischen Strafrechts – Coimbra-Symposium für Claus Roxin S. 149 ff. Bemerkenswert ist die Entwicklung von Roxin, der in: Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale 2. Aufl. (1970) S. 173–187 die Richtigkeit des zweistufigen Deliktsaufbaus argumentativ stützte, in seinem Lehrbuch aber inzwischen einen Kompromiss mit dem dreistufigen Deliktsaufbau geschlossen hat (§ 10 Rdn. 19 ff), ohne dass davon bei ihm in der Sache viel abhängt. Auf die einzige für das Resultat relevante Streitfrage, nämlich die direkte Anwendbarkeit des § 16 StGB auf den Erlaubnistatbestandsirrtum mit der Konsequenz der Straflosigkeit der Anstiftung eines vorsatzlosen intraneus durch einen extraneus, wird unten Rdn. 221 eingegangen. 195 Siehe Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 149 ff; anders dagegen Roxin/Greco Strafrecht AT I § 13 Rdn. 4 ff, 76 f, 80 ff, 114, die auch an die Wirksamkeit des Einverständnisses von Fall zu Fall qualifizierte Anforderungen stellen und damit abermals die systematische Einordnung folgenlos bleiben lassen. Hilgendorf
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IX. Rechtswidrigkeitsausschluss durch Einwilligung
§ 203
druck sozialer Unwertigkeit zuschreiben und diese bei Zustimmung des Geheimnisträgers von vornherein verneinen wil196 (denn dass die Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit indiziert, ist nur eine Faustregel für Anfängerklausuren, während das allein relevante Werturteil des strafrechtlichen Unrechts erst nach einer Untersuchung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigungsfrage gefällt werden kann); oder wenn man gar auf den „intensiven persönlichen Bezug des Rechtsgutes“ abhebt, der eine nur rechtfertigende Wirkung der Einwilligung als deplatziert erscheinen lasse,197 weil diese bildhafte Betrachtung funktional unergiebig ist. Die adäquate Frage lautet vielmehr, ob die Zustimmung ähnlich wie bei § 123 oder § 239 auch bei § 203 den Rechtsgutseingriff entfallen lässt, was von Jähnke (LK10 Rdn. 56) im Hinblick darauf bejaht wird, dass der Geheimhaltungswille ein konstituierendes Element des Geheimnisbegriffs sei. Dieses Argument ist beachtlich, dürfte aber nur für den Fall durchgreifen, dass der Geheimnisträger auf die Geheimhaltung insgesamt verzichtet (und damit das Rechtsgut gewissermaßen von der Privatsphäre in die ungeschützte Sozialsphäre katapultiert), während die Erlaubnis einer einzigen Weitergabe das Rechtsgut und damit dessen Beeinträchtigung (wenn auch mit Willen des Trägers) bestehen lässt. Erst recht lässt das Einverständnis des Anvertrauenden die Rechtsgutsverletzung nicht entfallen. Es geht also systematisch gesehen um eine rechtfertigende Einwilligung, deren Wirksamkeit die Einwilligungsfähigkeit des Einwilligenden und die Freiheit von wesentlichen Willensmängeln voraussetzt. Dadurch, dass auch die Anhänger der Tatbestandslösung überwiegend die gleichen Anforderungen stellen (vgl. Jähnke LK10 Rdn. 57), kommen sie freilich dann doch wieder zum gleichen Ergebnis.
2. Einwilligungsfähigkeit Da die Einwilligung Befugnisse und im Prozess auch Pflichten (Zeugnispflicht, Eidespflicht) aus- 141 löst, erschöpft sie sich nicht in der tatsächlichen Aufgabe des Willens zur Geheimhaltung, sondern ist zugleich Rechtshandlung.198 Ihre Wirksamkeit setzt bei zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnissen die Einsicht und Urteilskraft voraus, welche den Erklärenden dazu befähigen, Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung abzuschätzen. Geschäfts- oder Schuldfähigkeit sind hingegen nicht erforderlich, so dass auch ein Minderjähriger wirksam seine Einwilligung erklären kann;199 die Entscheidung obliegt dann unter Ausschluss des gesetzlichen Vertreters allein ihm (Lackner/Kühl/Heger Rdn. 18; aA Mergen/K. Müller II S. 63, 75). Gesetzlich geregelte Teilmündigkeiten gelten auch für den Umgang mit Geheimnissen (Harthun SGb 1983 511, 512). Im Rahmen der sozialen Handlungsfähigkeit des § 36 SGB I tritt daher auch Einverständnisfähigkeit grundsätzlich mit 15 Jahren ein200 (für Arbeitsverhältnisse vgl. § 113 BGB). Für nicht Einsichtsfähige handelt der Personensorgeberechtigte (Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 179; aA Bader KK § 53 Rdn. 48; Ignor/Bertheau LR § 53 Rdn. 81). Solche Vertretung etwa im Rahmen ärztlicher Behandlung von Kindern ist unentbehrlich.201
196 So Jähnke LK10 Rdn. 56 m.w.N. 197 So Jung NK1 Rdn. 21. 198 Harthun SGB 1983 511, 512; Lenkaitis S. 255; Lenckner ZStW 72 (1960) 446, 452; Pickel MDR 1984 885, 887; aA (Rechtsgeschäft) Kamps MedR 1985 200, 201; Mergen/K. Müller II S. 63, 75. 199 BVerfGE 59 360, 387 f; BGHSt 4 88, 90; BGHZ 29 33, Grömig NJW 1970 1209, 1212; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift 355, 366; Laufs Arztrecht Rdn. 426; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 33; Woesner NJW 1957 692; aA Lücken RdJB 1969 289, 292; Mergen/K. Müller II S. 63, 75. 200 Gitter Bochumer Kommentar AT § 36 Rdn. 38; Mörsberger Verschwiegenheitspflicht S. 71; Pickel MDR 1984 885, 887; differenzierend Coester FamRZ 1985 982, 986; unzutr. LG Braunschweig NStZ 1986 474, 475. 201 Bosch Grundsatzfragen des Beweisrechts (1963) S. 95; Kamps MedR 1985 200, 201; B. Lilie S. 97; Göppinger/ Lenckner S. 159, 179; Solbach DRiZ 1978 204, 207; aA Kohlhaas GA 1958 65, 73. 951
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Verletzung von Privatgeheimnissen
Bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen setzt die Einwilligung dagegen Geschäftsfähigkeit des Erklärenden voraus.202 Diese Geheimnisse behandelt das Gesetz als Vermögensgegenstände (E 1962 S. 338; BGHZ 38 392, 395). Sie fallen im Fall der Insolvenz grundsätzlich in die Insolvenzmasse (BGHZ 16 172, 175; Ries HK-InsO § 35 Rdn. 17), im Erbfall gehen sie auf den Erben über (BayObLGZ 1966 86, 90; OLG Stuttgart OLGZ 1983 6, 9); die Einwilligung kann durch einen Bevollmächtigten erklärt werden (OLG Celle NJW 1955 1844), und auch das Strafantragsrecht ist der Sache nach vererblich (§ 205 Abs. 2 Satz 2). Rechtsgeschäftliche Verfügungen über diese oft den wesentlichen Wert des Unternehmens bildenden Gegenstände dürfen nicht durch auseinanderfallende Zuständigkeiten (vgl. BGHZ 29 33, 37) blockiert werden. Die Einwilligung muss deshalb in der Hand dessen liegen, der insgesamt für das Vermögen zu sorgen hat, des gesetzlichen Vertreters. Ein Widerspruch zur Handhabung bei personengebundenen Geheimnissen liegt darin nicht, weil die Privatsphäre anders als ein Vermögensgegenstand nicht übertragbar ist.
3. Erklärungsberechtigter 143 a) Überblick. Die Bestimmung der Person des Einwilligungsberechtigten kann deswegen erhebliche Schwierigkeiten bereiten, weil drei verschiedene Rollen zu unterscheiden sind, die zwar in einer Person zusammenfallen können, aber nicht müssen: nämlich des Geheimnisträgers, zu dessen Privatsphäre die betreffende Information gehört, des Anvertrauenden, der die Information dem Schweigepflichtigen gegeben hat, und des Mandanten, Patienten etc., also des Vertragspartners des schweigepflichtigen Rechtsanwalts, Arztes usw. Ferner werden die möglichen Fallgestaltungen dadurch weiter vermehrt und verkompliziert, dass es außer den anvertrauten auch die sonst bekanntgewordenen Geheimnisse gibt und dass ein Wechsel in der Vertretungs- und Verfügungsmacht des Vertragspartners eingetreten sein kann, wenn die Organe einer juristischen Person ausgewechselt werden oder wenn die Verfügungsmacht auf den Insolvenzverwalter übergeht. Und die rechtliche Relevanz dieser unterschiedlichen Rollen muss wiederum im Hinblick auf die komplizierte Tatbestandsstruktur des § 203 beurteilt werden, die den Schutz eines disponiblen Individualrechtsgutes aus viktimodogmatischen Gründen nur im Rahmen einer Vertrauensbeziehung garantiert.
144 b) Eigengeheimnis. Die Einwilligung ist im Normalfall von demjenigen zu erteilen, auf den die geheimzuhaltende Tatsache sich bezieht und der zu dem Schweigepflichtigen in dem in § 203 vorausgesetzten Sonderverhältnis steht (OLG Karlsruhe NJW 1960 1392). Nicht zuständig ist, wer als Dritter ein Interesse an dem Geheimnis hat oder mittelbar davon betroffen ist.203 Daher steht weder den Eltern, denen der Ruf ihrer Tochter am Herzen liegt, noch dem Abkömmling, der eine erbliche Belastung durch seine Eltern geklärt sehen möchte, eine Einflussnahme auf die Geheimnisse anderer zu (Göppinger NJW 1958 278; abw. Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 67). Gehört das Geheimnis untrennbar mehreren Personen, die es auch gemeinsam dem Arzt 145 etc. anvertraut haben, müssen alle einverstanden sein; die für den Strafantrag getroffene Regelung des § 77 Abs. 4 ist nicht hierher übertragbar, weil niemand über die Privatsphäre eines anderen verfügen darf.204 Kollektive Kenntnisse sind aber nicht ohne weiteres untrennbar mehreren Personen als Geheimnis zuzuordnen. Der Drogenkonsum eines Schülers ist kein Familien202 Zust. Cierniak/Niehaus MK Rdn. 66; Fischer Rdn. 65; Jakobs AT 7/114; Lenckner ZStW 72 (1960) 446, 456; Lenkaitis S. 255; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 33; vgl. U. Weber Zur strafrechtsgestaltenden Kraft des Zivilrechts, FS F. Baur 133, 141 aA Jescheck/Weigend AT § 34 IV 1; Lackner/Kühl/Kühl Vor § 32 Rdn. 16; Wessels/Beulke/Satzger Rdn. 566. 203 LSG Bremen NJW 1958 278; Arzt Schutz der Intimsphäre S. 172 f; Schreiner S. 139 ff. 204 RGZ 50 353; 53 168, 169; Ostendorf JR 1981 444, 448; abw. OLG Hamburg NJW 1962 689, 691. Hilgendorf
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IX. Rechtswidrigkeitsausschluss durch Einwilligung
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geheimnis, sondern betrifft nur den Schüler (aA Engler RdJB 1979 62, 68; zu weitgehend auch BAG NZA 1987 515, 517). Geheimnisse der Gesellschaft sind regelmäßig nicht zugleich solche ihrer Organe (anders bei Straftaten, OLG Celle wistra 1986 83; s. Rdn. 147), Geheimnisse der Verbandsmitglieder nicht auch solche des Verbandes (Stürner JZ 1985 453, 454); anders kann es bei miteinander verflochtenen Unternehmen liegen (Stürner JZ 1985 453, 454).
c) Drittgeheimnis. Umstritten ist, wer das Einverständnis in die Offenbarung von Geheimnis- 146 sen zu erteilen hat, welche nicht dem Patienten, Mandanten usw. zustehen, sondern Dritten (dazu bereits o. Rdn. 56 f); Beispiele bieten die Krankheit der Ehefrau des Patienten, von der der Arzt erfahren hat, sei es durch Mitteilung des Ehemannes, sei es durch dessen Untersuchung auf eine durch Ansteckung von der Ehefrau übernommene Infektionskrankheit; oder die Untreue des Schuldners, die ein Wirtschaftsprüfer im Auftrag des Insolvenzverwalters bei der Prüfung der Geschäftsunterlagen herausgefunden hat. Die Frage ist außerordentlich umstritten. Nach der älteren Auffassung soll die Einwilligungsbefugnis allein dem Betroffenen zustehen, also demjenigen, dessen persönlichen Lebensbereich das Geheimnis betrifft.205 Zur Begründung wird angeführt, dass man einer Person nicht die Schutzwürdigkeit ihrer Geheimnisse zugestehen und sie zugleich entmündigen oder – beim Geschäftsgeheimnis – enteignen könne, indem man andere darüber verfügen lässt (so Jähnke LK10 Rdn. 62). Aber damit wird das zur Begründung der Strafbarkeit unverzichtbare Zusammenspiel von Rechtsgut und Angriffsmodalität verkannt: Wie aus der viktimodogmatischen Erklärung des Sonderdeliktscharakters des § 203 (o. Rdn. 28 f) folgt, sind Privatgeheimnisse nur gegen ihre Preisgabe im Rahmen eines ihre Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit nicht aufhebenden, vom Gesetzgeber als sozial notwendig qualifizierten Verhältnis des Anvertrauens strafrechtlich geschützt, Drittgeheimnisse also insoweit, wie sie vom selbst nicht schweigepflichtigen Erstinformierten an einen Schweigepflichtigen weitergegeben werden. Die strafrechtlich ungeschützte Flanke besteht dann aber in der Person des Erstinformierten, der das Geheimnis straflos selbst ausplaudern und folglich – als mittelbare Ausplauderung – den ihm gegenüber Schweigepflichtigen entbinden kann, denn ein Geheimnisträger, der sich einem selbst nicht Schweigepflichtigen offenbart, muss dessen illoyales Verhalten nach dem Grundsatz des unzureichenden Selbstschutzes ungesühnt hinnehmen, so dass der Geheimnisträger gegen einen Geheimnisverrat nur dann geschützt wird, wenn der Anvertrauende den Arzt etc. aus der Vertraulichkeit nicht entlassen hat (Schünemann ZStW 90 [1978] 11, 58). Die Entbindung durch den Erstinformierten, von dem oder über den der Schweigepflichtige das Geheimnis erfahren hat, beseitigt also die vom Gesetzgeber festgelegte qualifizierte Sozialschädlichkeit und lässt deshalb das strafrechtliche Unrecht entfallen, zumindest (falls in zivilrechtlicher Hinsicht eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts übrig bleibt) in Form eines sog. Strafunrechtsausschließungsgrundes.206 Dies gilt erst recht, wenn der Anvertrauende und der Vertragspartner identisch sind: Weil der Patient etc. die ihm bekannten Drittgeheimnisse auch straflos ausplaudern darf, sie bei ihm also nicht geschützt sind, folgt aus der viktimodogmatischen Maxime, dass die strafrechtliche Schweigepflicht im Falle seiner Einwilli-
205 OLG Hamburg NJW 1962 689, 691; OLG Stuttgart DJZ 1898 391; Blei BT § 33 VI; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 86; Flor JR 1953 368, 369; Göppinger NJW 1958 241, 243; Gössel/Dölling BT 1 § 37 155; Hackel NJW 1969 2257, 2258; Bader KK § 53 Rdn. 46; Kargl NK Rdn. 55; Koch DB 1958 1040; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 18; Laufs Arztrecht Rdn. 426; Dittrich S. 88 ff; B. Lilie S. 71, 97; H. Lilie S. 180; Lücken RdJB 1969 289, 292; Rogall NStZ 1983 414; Rudolphi S. 422; Sternberg-Lieben Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht (1997) S. 89; Rüping Internist 1983 206, 207; Timm S. 27; früher auch Göppinger/Lenckner S. 159, 178. 206 Zu dieser von Günther herausgearbeiteten Sonderform der strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe und ihrer Beschränkung auf einen eher schmalen, aber nicht zu leugnenden Anwendungsbereich vgl. Günther Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß (1983) S. 253 ff, 295 f; Schünemann GA 1985 341, 352 f; Schünemann/Figueiredo Dias/Schünemann S. 149, 175 ff. 953
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Verletzung von Privatgeheimnissen
gung in eine Preisgabe des Geheimnisses auch für den Arzt etc. erlischt,207 was auch unabhängig von der viktimodogmatischen Begründung der in den letzten Jahren zunehmend vertretenen Auffassung entspricht.208 Daneben wirkt freilich auch die Einwilligung des Geheimnisträgers selbst rechtfertigend, denn aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und aus der Disponibilität des in § 203 geschützten Rechtsgutes folgt eo ipso auch die Befugnis des Geheimnisträgers zur Preisgabe seines Geheimnisses, während die auch danach noch übrigbleibende Verletzung des Arzt- oder Anwaltsvertrages als solche nicht strafbewehrt ist.209 Dies gilt aber selbstverständlich nicht für die hier (Rdn. 64 f) sog. verknüpften Geheimnisse, bei denen der Vorgang des Anvertrauens und damit auch die Person des Anvertrauenden ein selbständiges Geheimnis darstellen. Bei „sonst bekanntgewordenen“ Geheimnissen, die also von dem Schweigepflichtigen selbst recherchiert worden sind, besteht die Vertraulichkeitsbeziehung allein zum Auftraggeber, also zum Vertragspartner, dem dann auch neben dem Geheimnisträger das Recht zur Entbindung von der Schweigepflicht zusteht. Das strafrechtliche Unrecht des Geheimnisverrats entfällt also sowohl bei Einwilligung durch den Betroffenen als auch – bei „anvertrauten“ Geheimnissen – durch den Anvertrauenden bzw. – bei „sonst bekanntgewordenen“ Geheimnissen – durch den Patienten oder Mandanten des Schweigepflichtigen.210 Ganz verfehlt will OLG Köln NJW 2000 3656 (zutr. Kritik b. Rüpke NJW 2002 2835) eine strafrechtliche Schweigepflicht gegenüber dem Drittgeheimnisträger unabhängig von der Einwilligung des Mandanten, aber unter dem Vorbehalt einer Güter- und Interessenabwägung annehmen. Hingegen steht die Antragsbefugnis gemäß § 205 dem Geheimnisträger und nicht dem Anvertrauenden zu,211 denn der Anvertrauende ist (jedenfalls bei isolierten Drittgeheimnissen) lediglich Opfer einer Vertragsverletzung, der Geheimnisträger dagegen Opfer einer Rechtsgutsverletzung. 147 Nach den vorstehenden Grundsätzen ist auch die Befugnis zur Schweigepflichtentbindung im Rahmen von Vertrauensverhältnissen mit juristischen Personen zu beurteilen. Grundsätzlich handelt die juristische Person durch die jeweils zur Vertretung berechtigte Person. Eine Ausnahme kommt nur dann in Betracht, wenn ein früherer Vertreter einem Schweigepflichtigen (etwa Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer) auch eigene Geheimnisse anvertraut hat, also Anvertrauender und (mindestens zusammen mit der juristischen Person) auch Geheimnisträger ist. Das dürfte, ohne dass der Vertreter auch persönlich Partner des Mandatsvertrages wird, prak207 Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 57 f; ders. FS Faller 357, 364; ebenso Niedermair S. 382 ff; Ostendorf JR 1981 444, 445. Das Gegenargument, die Straflosigkeit des eigenen Ausplauderns impliziere noch nicht das Recht zur Gestattung der Geheimnisverletzung durch einen Dritten (Rogall NStZ 1983 414; Rudolphi S. 422), übersieht die viktimodogmatische Limitierung des Rechtsgutsschutzes in § 203. 208 Ebenso Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen BT I § 29 Rdn. 25; OLG Köln NStZ 1983 412; B. Lilie S. 81; Schreiner S. 31, 99; Stucke S. 116 f; ähnlich (aber auf den Vertragspartner statt auf den Anvertrauenden abstellend) Hoyer SK Rdn. 73 ff; Risse/Reichert NJW 2008 3680. 209 Ebenso Fischer Rdn. 70; Kiethe JZ 2005 1034, 1039; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 31; wie hier in zwingender Ableitung aus der Rechtsgutsbestimmung bereits Schünemann ZStW 90 (1978) 58. Näher dazu u. Rdn. 150. 210 So bereits Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 58; ebenso mit z.T. abw., auf die These vom Kollektivrechtsgut gestützter Begr. im Ansatz bereits RG GA 59 (1912), 463; OLG Köln NStZ 1983 412; Ponsold/Bockelmann S. 16; Bohne/ Sax S. 159, 174; Goll S. 51; Mergen/Kierski II S. 126, 151 f; Kohlhaas GA 1958 65, 73; ders. JR 1958 328, 329; ders. NJW 1964 1162, 1165; ders. Medizin und Recht 1969 40 f; Krauß ZStW 97 (1985) 81, 113 Fn. 71; Ostendorf JR 1981 444, 448; Otto Grundkurs BT § 34 Rdn. 36; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 68; für die meisten Fälle auch Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 31. Daneben wird auch noch die Auffassung vertreten, dass der Vertragspartner des Schweigepflichtigen (Hoyer SK Rdn. 72; ähnlich AnwG Mecklenburg-Vorpommern AnwBl. 2007 716) oder der Anvertrauende (Schmitz JA 1996 949, 951) allein oder ausschließlich gemeinschaftlich mit dem Betroffenen (Mergen/K. Müller II S. 63, 74, 93) in die Tat rechtfertigend einwilligen könne, was aus den im Text genannten Gründen zu eng ist. Auch eine Differenzierung der Entbindungsbefugnis nach der Art der Kenntniserlangung des Schweigepflichtigen (Ignor/Bertheau LR § 53 Rn. 79; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 53 Rdn. 46) wird der viktimodogmatisch erklärten Struktur des Tatbestandes nicht gerecht. 211 Schünemann ZStW 90 (1978) 58; aA Niedermair S. 381 ff, der als Rechtsgutsträger nicht den Geheimnisträger, sondern den Partner der Sonderbeziehung anerkennen will, was aber nur für verknüpfte Drittgeheimnisse zutrifft. Vgl. auch u. § 205 Rdn. 8. Hilgendorf
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IX. Rechtswidrigkeitsausschluss durch Einwilligung
§ 203
tisch wohl nur bei Straftaten in Betracht kommen, die der Vertreter im Interesse der juristischen Personen begangen hat. In diesem Ausnahmefall setzt eine wirksame Entbindung die Zustimmung des damaligen Vertreters voraus, zu dem dasjenige des jetzigen Vertreters hinzukommen muss, wenn der frühere Vertreter bei der Information des Schweigepflichtigen zugleich für die juristische Person gehandelt hat, was im Rahmen ihrer Mandatsverhältnisse regelmäßig der Fall sein wird.212
d) Insolvenzfall. Entsprechende Regeln gelten auch für die Entbindung im Insolvenzfall.
148 In der Insolvenz steht die Verfügungsbefugnis über die geschäftlichen Geheimnisse des 149 Schuldners allein dem Insolvenzverwalter zu, soweit er ihrer zur Erfüllung seiner Obliegenheiten bedarf und Auswirkungen auf die Masse zu erwarten sind.213 Das ist grundsätzlich nicht der Fall bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Dritten,214 kann aber im Übrigen vorprozessual und im Rechtsstreit, bei der Verwertung des Geheimnisses (BGHZ 16 172, 175), der sonstigen Masse sowie bei Durchsetzung und Abwehr von Ansprüchen in Betracht kommen und ist auch im Strafprozess, der für die Masse große Bedeutung haben kann, nicht grundsätzlich ausgeschlossen.215 Dass der Schuldner oder bei einer juristischen Person ein Organ aus der Offenbarung Nachteile zu erwarten hat, steht der Befugnis des Insolvenzverwalters nicht entgegen, weil der Schuldner zu uneingeschränkter Offenlegung seiner Verhältnisse verpflichtet ist (§ 97 InsO). Im Ergebnis keiner anderen Beurteilung unterliegen auch Straftaten des Schuldners oder seiner Organe, einschließlich des nur faktischen Geschäftsführers (anders Jähnke LK10 Rdn. 61 Ciernak/Niehaus MK Rdn. 88; OLG Celle wistra 1986 83). Für Straftaten ist der Täter zwar persönlich verantwortlich, auch wenn er sie im Betrieb oder in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter begangen hat, so dass der strafbare Vorgang deshalb nicht allein Geschäftsgeheimnis, sondern wegen der unmittelbaren Betroffenheit auch persönliches Geheimnis des Täters ist. Entgegen einer verbreiteten Auffassung216 heißt das aber nicht, dass der Schuldner deshalb über die Preisgabe mitentscheiden muss. Denn in dem oben (Rdn. 146) gebildeten Fall ist er zwar Betroffener, aber nicht Anvertrauender, so dass die Entbindung durch den Insolvenzverwalter wie bei jedem Drittgeheimnis ausreicht; und allgemein geht das Verfügungsrecht in dem Umfang auf den Insolvenzverwalter über, wie diesem gegenüber eine Auskunftspflicht besteht. Gegenüber einer unfreiwilligen Selbstbelastung aufgrund der Mitwirkungspflicht im Insolvenzverfahren (§ 97 InsO) ist der Schuldner dadurch ausreichend geschützt, dass nach der vom Gesetz übernommenen Rechtsprechung des BVerfG die von ihm gemachten Angaben im Strafverfahren einem Beweisverwertungsverbot unterliegen (BVerfGE 56 37 ff und nunmehr § 97 Abs. 1 S. 3 InsO).
212 Ebenso Jähnke LK10 Rdn. 60 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 32; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 87; für eine Ausdehnung der notwendigen Zustimmung früherer Vertreter auch auf die sonst bekannt gewordenen Geheimnisse Dahs FS Kleinknecht 63, 77; hinsichtlich der freilich von der materiellrechtlichen Wirkung zu unterscheidenden strafprozessualen Schweigepflichtentbindung auch OLG Koblenz NStZ 1985 426; OLG Düsseldorf wistra 1993 120; weitergehend im Sinne einer umfassenden und ausschließlichen Zuständigkeit des früheren Vertreters Schmitt wistra 1993 9 ff. 213 RGZ 59 85; OLG Nürnberg MDR 1977 144; LG Berlin ZInsO 2004 817; BGH NJW-RR 2004 54; Kiethe NZI 2006 267 ff; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 32; Hoyer SK Rdn. 78; aA (auch Zustimmung des Schuldners erforderlich) Hübschmann/Hepp/Spitaler/Schuster AO § 102 Rdn. 52. 214 LG Lübeck ZIP 1983 711 m. Anm. Henckel und OLG Schleswig ZIP 1983 968. 215 Dahs FS Kleinknecht 63, 75; aA OLG Koblenz NStZ 1985 426. 216 Dazu OLG Koblenz NStZ 1985 426; OLG Schleswig NJW 1981 294; LG Düsseldorf NJW 1958 1152; Cierniak/ Niehaus MK Rdn. 88; Dahs FS Kleinknecht 63, 75; wohl auch Ignor/Bertheau LR § 53 Rdn. 78; Schmitz JA 1996 949, 951 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 32; Weihrauch JZ 1978 300, 302; wie hier OLG Nürnberg MDR 1977 144; LG Lübeck NJW 1978 1014; Henckel ZIP 1983 713; Greven KK § 97 Rdn. 6; H. Schäfer wistra 1985 209, 211; Schlüchter Strafverfahren 489.2; differenzierend Gülzow NJW 1981 265; Haas wistra 1983 183 Fn. 10; Stypmann wistra 1982 11, 14. 955
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§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
150 e) Betroffenheit. Allerdings bedarf es bei Drittbeteiligung stets genauer Prüfung, wer Betroffener ist. Die Tatsache, dass und mit welchem Inhalt der Schweigepflichtige informiert wurde, kann als verknüpftes Geheimnis ein solches des Informanten sein.217 Die Frage, wer einen Patienten in die Klinik eingeliefert hat, betrifft auch den Einliefernden (Hanack JR 1986 35, 37; Rogall NStZ 1985 374). Sind die Umstände eines Geschehens streitig und beruft sich ein Beteiligter auf den vom Arzt erhobenen Befund und die Schilderung, die er ihm dabei gegeben hat, geht es insoweit allein um Geheimnisse dieses Beteiligten; der Kontrahent ist nur mittelbar am Beweisergebnis interessiert (BDH NJW 1960 550; LG Koblenz AnwBl. 1983 328; Schreiner S. 109 ff, 125 ff). Ebenso liegt es bei der Zahlung des Schuldners an den gemeinsamen Anwalt der Vertragspartner (OLG Düsseldorf MDR 1985 507). Das gilt selbst dann, wenn sich aus dem Eigengeheimnis zwingende Rückschlüsse auf Drittgeheimnisse ergeben. Lässt der Mann seine Zeugungsfähigkeit untersuchen, darf der Arzt ihm – und bei Befreiung durch den Mann anderen – ein negatives Ergebnis auch mitteilen, wenn die Ehefrau schwanger ist und so ihr Ehebruch offenbar wird (Schreiner S. 124). Allgemein gesprochen, kann ein und derselbe komplexe Sachverhalt Geheimnisse verschiedener Träger einschließen, deren Preisgabe je einzeln durch die Einwilligung des Trägers oder des Anvertrauenden gerechtfertigt werden kann. Im Fall der während des Insolvenzverfahrens von einem Wirtschaftsprüfer aufgedeckten Untreue des Schuldners wirkt die Entbindung durch den auftraggebenden Insolvenzverwalter also allemal rechtfertigend, diejenige durch den Schuldner hingegen nur dann, wenn es um ein ausschließlich ihn betreffendes Geheimnis geht, was etwa bei Geheimhaltungsbedürftigkeit auch im Interesse der Insolvenzmasse nicht der Fall wäre. In dem Schulfall, dass die Ehefrau Unterwäsche des Ehemanns einem Arzt zwecks Untersuchung auf Erreger einer Geschlechtskrankheit übergibt (dazu Jähnke LK10 Rdn. 63 m.w.N.), können also sowohl die Ehefrau als auch der Ehemann rechtfertigend in die Preisgabe des Untersuchungsergebnisses einwilligen (so dass der Arzt selbstverständlich der Ehefrau die Diagnose mitteilen darf – abw. Jähnke LK10 a.a.O.), wohingegen der Weg des Untersuchungsmaterials zum Arzt ein Geheimnis der Ehefrau ist, das der Arzt nur mit ihrer Einwilligung preisgeben darf.
4. Sonstige Wirksamkeitsvoraussetzungen 151 Die Erteilung der Einwilligung steht im Belieben des Berechtigten (Arzt Schutz der Intimsphäre S. 187; Noll ZStW 77 [1965] 21). Sie muss aber vor der Tat – nicht notwendig gegenüber dem Schweigepflichtigen (Kleinewefers/Wilts VersR 1963 989) – erklärt sein218 und auf fehlerfreier Willensbildung beruhen. Rechtsgutbezogene Irrtümer, Täuschung und Drohung machen das Einverständnis unwirksam.219 Es kann im Wege gewillkürter Vertretung durch Vertreter in der Erklärung und durch Boten abgegeben werden; eine Vertretung im Willen ist bei vermögenswerten Geheimnissen möglich (OLG Celle NJW 1955 1844). Inhaltlich muss die Einwilligung grundsätzlich bestimmte Tatsachen (nicht „alle gegen152 wärtigen und künftigen Geheimnisse“) und konkrete Übermittlungsvorgänge umfassen. Die Befugnis des Betroffenen, mit seinem Geheimnis nach Belieben umzugehen, verbietet jedoch den Rechtsverkehr lähmende Engherzigkeit. Zieht der Betroffene den Kreis der zu offenbarenden Geheimnisse, der erfassten Offenbarungsvorgänge (Pickel MDR 1984 885, 887) und der berechtigten Empfänger weiter, übt er eine von der Rechtsordnung gewährte Gestaltungsmacht aus, die ihm nicht über rechtliche Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung wieder entzogen werden darf (einschränkend für das Arbeitsverhältnis Hinrichs DB 1980 2287, 2289). Der 217 O. Rdn. 64 f; Göppinger NJW 1958 241, 243; Hackel NJW 1969 2257; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 31. 218 BGHSt 7 294, 295; 17 359, 360; aA U. Weber FS F. Baur 133, 142. 219 Arzt Willensmängel bei der Einwilligung (1970) S. 10 f; Übersicht bei M. K. Meyer Ausschluß der Autonomie durch Irrtum (1984) S. 164 ff; Sternberg-Lieben Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht (1997) S. 532 ff; Rönnau Willlensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht (2001) S. 410 ff. Hilgendorf
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IX. Rechtswidrigkeitsausschluss durch Einwilligung
§ 203
Betroffene ist deshalb auch nicht gehindert, seine Einwilligung in die Weitergabe von Geheimnissen, die er nicht kennt (das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung), zu erklären. Wie für die Einwilligungsfähigkeit allgemein, so ist auch im Einzelfall lediglich zu fordern, dass der Betroffene Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung überblickt. Er muss also z.B. damit rechnen, dass der Schweigepflichtige über ihm unbekannte Geheimnisse verfügt, welche er freigibt. Vertragsklauseln in Formularverträgen, durch die der Betroffene im Voraus seine Einwilligung in die Weitergabe von Geheimnissen und Daten erklärt, bieten oftmals besondere Probleme. Sind sie nach den §§ 305 ff BGB inhaltlich unzulässig (zur Schufa-Klausel BGHZ 95 362, 367; Gola NJW 1986 1913; zu den von der Versicherungswirtschaft einheitlich verwendeten Klauseln Borchert NVersZ 2001 1; Weichert NJW 2004 1695), ist dies beim Fehlen von Individualabreden auch strafrechtlich maßgebend, weil mit dem Wegfall der Klausel keine Willensäußerung des Betroffenen mehr vorliegt, auf die sich eine Offenbarung stützen könnte. Auch unabhängig von der Anwendbarkeit des §§ 305 ff BGB müssen vertraglich vereinbarte Offenbarungsermächtigungen jedoch in ihren Wirkungen überschaubar sein;220 mit der Zulässigkeit von Generalvollmachten – die im Innenverhältnis überdies beschränkt zu sein pflegen – lassen sich geringere Wirksamkeitsvoraussetzungen bei persönlichen Geheimnissen nicht begründen (aA Herold DMW 1961 357). Im Zeitpunkt der Preisgabe des Geheimnisses durch den Schweigepflichtigen muss die Einwilligung noch wirksam sein. Ihr Widerruf ist im Allgemeinen jederzeit möglich (Ponsold/Bockelmann S. 16; Kargl NK Rdn. 57). Bei vermögenswerten Geheimnissen kann das Einverständnis aber auch Bestandteil einer vertraglichen Bindung (Lizenzvergabe) sein, die nicht einseitig auflösbar ist. Diese Bindung gilt dann auch für das Strafrecht.221 Eine weitere Ausnahme von der freien Widerruflichkeit macht die Rechtsprechung beim Sachverständigenbeweis. Hat der Betroffene, ohne dazu verpflichtet zu sein, sich untersuchen lassen und so ein Beweismittel geschaffen, kann er dieses nicht mehr durch einen Widerruf beseitigen.222 Ob die im Rechtsstreit erklärte Befreiung eines Zeugen von der Schweigepflicht endgültig ist, bestimmt sich nach der jeweiligen Prozessordnung; im Strafprozess ist sie frei widerruflich.223 Die Einwilligung bedarf keiner Form und ist auch konkludent bzw. stillschweigend möglich (RGSt 38 62, 66; OLG Karlsruhe NStZ 1994 141). Gesetzlich vorgesehene Schriftlichkeit ist auf die strafrechtliche Bewertung ohne Einfluss. Sie soll sicherstellen, dass der Betroffene sich der Tragweite seiner Erklärung bewusst ist (Harthun SGb 1983 511) und dient damit dem Schutz vor Übereilung. Ist der Betroffene aber nach gehöriger Erwägung mit der Offenbarung seines Geheimnisses oder Datums einverstanden, fehlt es an einem Eingriff in seine Individualsphäre, welcher Gegenstand strafrechtlicher Ahndung sein könnte; die bloße Nichtbeachtung der Form ist kein Strafgrund (vgl. Schmitz JA 1996 949, 953; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34). Während Rechtsprechung und Literatur früher in der Annahme einer stillschweigenden Einwilligung sehr großzügig waren (vgl. u. Rdn. 161 f zu den Fällen der Praxisveräußerung), geht die neuere Rechtsprechung damit – seit der Anerkennung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung verständlicherweise – sehr restriktiv um. Der bloße Umstand, dass der Adressat der Geheimnisoffenbarung selbst schweigepflichtig ist, reicht nicht aus, so dass sich
220 Frels VersR 1976 511, 513; Göppinger NJW 1958 241, 243 Fn. 12; Hollmann NJW 1978 2332; 1979 1923; Rüping Internist 1983 206, 207; Schäcker BB 1964 968, 970; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 33; Schütte NJW 1979 592; Tiedemann NJW 1981 945, 948; für den Krankenhausvertrag Rieger DMW 1979 1552; für das Arbeitsverhältnis Hinrichs DB 1980 2287, 2289. 221 Dogmatisch anders – Privatrechtsgeschäft als Rechtfertigungsgrund – M. K. Meyer Ausschluß der Autonomie durch Irrtum (1984) S. 164 f; H. D. Weber Der zivilrechtliche Vertrag als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht (1986) S. 68 ff, 128 ff; im Ergebnis ebenso Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 174; Jakobs AT 7/110; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Vorbem. § 32 Rdn. 44, teilw. abw. Rdn. 53. 222 RGSt 66 273, 275; BGHZ 40 288, 294; OLG Hamm VRS 35 30; Krauß ZStW 97 (1985) 81, 104 ff. 223 RGSt 57 63, 66; BGHSt 42 73 m. Anm. Welp JR 1997 35; OLG Hamburg NJW 1962 689; OLG Hamm GA 1969 220; Bader KK § 53 Rdn. 54; Ignor/Bertheau LR § 53 Rdn. 83. 957
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Verletzung von Privatgeheimnissen
Ärzte oder Psychologen nach der überspitzten h.M. die unter vollständiger, d.h. nichtanonymisierter Geheimnispreisgabe erfolgende Hinzuziehung eines Konsiliararztes bzw. einer Supervision eigens gestatten lassen müssen, wenn sie sich nicht nach § 203 strafbar machen wollen.224 Dies gilt erst recht für die Angabe der Diagnose bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (u. Rdn. 217) oder Prüfungsverhinderungsattesten, sofern das Prüfungsamt nicht kraft Gesetzes ein uneingeschränktes Informationsrecht besitzt.225 Auch bei der Weitergabe des Geheimnisses zu Forschungszwecken ist, sofern keine besonderen Vorschriften (etwa über Krebsregister, u. Rdn. 171) eingreifen, die Einholung einer ausdrücklichen Einwilligung erforderlich (Lippert/Strobel VersR 1996 427, ebenso im Grundsatz Hollmann MedR 1992 177 ff; unter Berücksichtigung der europäischen Rechtslage Kilian NJW 1998 787 ff).
5. Reichweite der Einwilligung 157 a) Die Reichweite der Einwilligung in die Geheimnisoffenbarung richtet sich nach dem Inhalt der Erklärung. Der Betroffene kann sie persönlich, sachlich und auf bestimmte Fälle beschränken.226 Jedoch bedeutet es eine Verweigerung der Einwilligung, wenn die auferlegten Beschränkungen so weit gehen, dass ihre Beachtung zu einer unvollständigen oder sonst inhaltlich unrichtigen Aussage führen würde (Ponsold/Bockelmann S. 16 Fn. 38; B. Lilie S. 99). Fehlt es an einer ausdrücklichen Bestimmung des Umfangs oder ist das Einverständnis selbst nur konkludent erklärt, ist die Reichweite der Befreiung aus den Umständen zu ermitteln. Anhaltspunkte dafür sind die Natur des Geheimnisses sowie der Zweck, zu dem es anvertraut ist und zu dem es offenbart werden soll. Weiter ist von Bedeutung, wie mit dem Geheimnis allgemein oder von dem Betroffenen üblicherweise umgegangen wird, denn im Regelfall soll eine übliche Verfahrensweise weiterhin praktiziert werden (Gramberg-Danielsen/Kern S. 52, 53). Vermutungen bestehen aber nicht. Der Arzt muss daher die Einwilligungsfrage immer prüfen, wenn er an einen Kollegen herantritt; das bringt nunmehr auch die Berufsordnung für die deutschen Ärzte zum Ausdruck.227 158 Die Einwilligung umfasst regelmäßig die Weitergabe von dem Betroffenen unbekannten Geheimnissen, wenn mit solchen zu rechnen und kein Vorbehalt erklärt ist.228 Doch kann es auch anders liegen. Was der Patient einem nachbehandelnden Arzt im Interesse der Heilung selbstverständlich offenbart sehen möchte, kann er gegenüber dem Arbeitgeber geheim halten wollen.
159 b) Auslegungsregeln. Vorbehaltlich besonderer Umstände im Einzelfall lassen sich aber gewisse Regeln auffinden. Das dem Anwalt für rechtliche Auseinandersetzungen mitgeteilte Ge224 BayObLGSt 1994 227 mit Besprechung Roxin/Schroth/Niedermair S. 363 ff und Anm. Fabricius StV 1996 485; Gropp JR 1996 478; Kargl NK Rdn. 58; Longino ZfJ 1997 136; ferner Langkeit NStZ 1994 6, 7 und Fn. 92. Zur konkludenten Zustimmung bei Einweisung in eine Klinik OLG München NJW 1993 797, zu den Regelungen in den Krankenhausgesetzen der Länder u. Rdn. 171. 225 Zutr. Kühne JA 1999 523 ff gegen BVerwG DVBl. 1996 1379; Seebass NVwZ 1985 521; zur amtsärztlichen Untersuchung s. Rdn. 214 ff; zur angeblich konsentierten Rückfrage bei dem das Attest ausstellenden Arzt irrig OLG Frankfurt NStZ-RR 2005 237. 226 OLG Hamburg NJW 1962 689; Ponsold/Bockelmann S. 16; Fischer Rdn. 64; Mergen/Husmann II S. 183, 188; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 37. 227 § 9 Abs. 5 der Musterberufsordnung. Die Vorschrift lautet: „4) Wenn mehrere Ärztinnen und Ärzte gleichzeitig oder nacheinander dieselbe Patientin oder denselben Patienten untersuchen oder behandeln, so sind sie untereinander von der Schweigepflicht insoweit befreit, als das Einverständnis der Patientin oder des Patienten vorliegt oder anzunehmen ist.“ 228 Göppinger NJW 1958 241, 243; Göppinger/Lenckner S. 159, 180; abw. Kohlhaas GA 1958 65, 73; Laufs Arztrecht Rdn. 427. Hilgendorf
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IX. Rechtswidrigkeitsausschluss durch Einwilligung
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heimnis darf dieser nur im Rahmen des gegebenen Anlasses (Ackermann FS DJT 479, 506) und nicht gegen den anvertrauenden Mandanten (BGHSt 34 190 m. Anm. Dahs JR 1987 476; Kalsbach AnwBl. 1955 41, 43) verwenden, wie überhaupt ein Einverständnis nicht die Mitteilung an beliebige Interessenten umfasst (VG Berlin NJW 1960 1410). Die in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren erteilte Entbindung von der Schweigepflicht wirkt nur für dieses Verfahren.229 Wer sich beschwert, erklärt hingegen sein Einverständnis mit vollständiger Nachprüfung durch die Beschwerdestelle (Rein VersR 1976 117, 121). Erscheint der Betroffene mit Angehörigen in der Praxis des Arztes, wird regelmäßig sein 160 Einverständnis mit deren Unterrichtung vorliegen.230 Auch sonst ist gegenüber Ehegatten und nahen Verwandten häufig größere Offenheit möglich;231 jedoch gebieten mahnende Beispiele (Brandis Med. Klinik 1965 353) eine sorgfältige Prüfung selbst bei scheinbar intakten Familienverhältnissen. Erkennbare Interessengegensätze schließen die Annahme stillschweigenden Einverständnisses regelmäßig aus (Kalsbach AnwBl. 1955 41, 43). Bei bloßen Bürogemeinschaften von Rechtsanwälten oder telefonischer Rechtsberatung ist nicht von einer konkludenten Einwilligung mit der Weitergabe des Geheimnisses auszugehen.232 Gegenüber arbeitsteilig organisierten Funktionseinheiten wie dem Krankenhaus erklärt der Patient dagegen schlüssig seine Einwilligung damit, dass an der Operation und der Pflege ein Behandlungsstab mitwirkt, aber auch damit, dass die Krankenunterlagen im notwendigen Umfang zwecks Abrechnung an die Verwaltung gelangen233 (wobei richtigerweise aber schon kein „Offenbaren“ vorliegt, s. Rdn. 69 und jetzt auch Abs. 3 S. 1). Nicht auf organisierter Arbeitsteilung beruhende Teamarbeit, etwa in Beratungsdiensten, muss dem Betroffenen bekannt sein; dann kann auch hier sein Einverständnis vorliegen (aA Schenker ZBlJugR u. JugWohlfahrt 1975 222, 224; s. auch Marx GA 1983 160, 174). Für die Hinausgabe von Unterlagen an einen Schreibdienst oder eine rechtlich als Verein organisierte Stelle zwecks Archivierung trifft das aber nicht zu (aA Kilian NJW 1987 695, 697). Dann hilft gegebenenfalls Abs 3 S. 2 (Rdn. 94). Bei Sachleistungsbegehren darf der Sozialarbeiter ein weiterreichendes Einverständnis annehmen als z.B. bei Beratungen (Mörsberger/Onderka/Schade Datenschutz S. 172, 181 ff).
c) Abtretungen. Die Übertragung einer Praxis oder Kanzlei mitsamt den zugehörigen Karteien 161 und Akten sollte nach der ursprünglich h.M. – wenn nicht schon auf Grund immanenter Begrenzung der Schweigepflicht aus Gründen der Eigentumsgarantie und der Berufsfreiheit – jedenfalls kraft konkludenten Einverständnisses der Betroffenen zulässig sein.234 Zur Unterstützung wurden der Gedanke der Sozialadäquanz sowie ein argumentum ad absurdum angeführt: Stirbt der Arzt oder gibt er seine Praxis auf, sei die Übernahme durch einen Nachfolger ein normaler Vorgang, an dem niemand wegen Geheimnisbruchs Anstoß nehme. Wäre es anders, müssten auch die Begründung einer Sozietät oder Praxisgemeinschaft, die Bestellung eines Urlaubsvertreters, selbst die Neueinstellung von Personal jeweils am Geheimnisschutz scheitern, weil der Schweigepflichtige in allen diesen Fällen Geheimnisse anderen zugänglich macht (Jähnke LK10 Rdn. 70 m.z.N. der damals h.M.). Die Zivilsenate des Bundesgerichtshofes haben indes sowohl die Weitergabe 229 BGHZ 40 288, 295; LG Braunschweig NStZ 1986 474; OLG Frankfurt StV 2005 204. 230 RGSt 38 62, 66; Schlund JR 1977 265, 266; vgl. aber BGH JZ 1983 151. 231 Bachmann Med. Klinik 1977 1550, 1553; Ponsold/Bockelmann S. 11; für mutmaßliche Einwilligung Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 40.
232 Michalski/Römermann NJW 1996 3233, 3239; OLGe München u. Frankfurt NJW 1999 150, 152; Berger NJW 1999 1353.
233 VG Münster MedR 1984 118; LG Bonn NJW 1995 2419; 2420; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift S. 355, 363; Gramberg-Danielsen/Kern S. 53, Kreuzer NJW 1975 2232 2235; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 18; Timm S. 117; aA Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 42; s. ferner OVG Lüneburg NJW 1975 2263. 234 Jähnke LK10 Rdn. 70 m.w.N.; aA schon immer Bockelmann BT 2 § 34 II 4; Grömig NJW 1970 1209, 1211; Kuhlmann JZ 1974 670; Laufs NJW 1975 1433, 1435; 1976 1121, 1125; Laufs Arztrecht Rdn. 436; Lenkaitis S. 270; B. Lilie S. 103; Rüping Internist 1983 206, 207; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 35; Samson SK6 Rdn. 42. 959
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Verletzung von Privatgeheimnissen
von Patientendaten an sog. Privatärztliche Verrechnungsstellen235 als auch die Weitergabe von Mandantendaten bei der Veräußerung einer Rechtsanwaltskanzlei236 ohne Zustimmung des Patienten bzw. Mandanten für rechtswidrig erklärt und sogar einen hiergegen verstoßenden Vertrag gemäß § 134 BGB für nichtig erklärt.237 Mit der gleichen Begründung wurde die Abtretung zwecks Herstellung einer Aufrechnungslage238 und sogar die Abtretung an eine ebenfalls schweigepflichtige Person, ferner auch der Verkauf einer Arzt- oder Steuerberaterpraxis mitsamt dem (in der Regel den größten Praxiswert ausmachenden) Forderungsbestand für nichtig erklärt.239 Diese strenge Rechtsprechung ist jahrelang auch von der h.L. akzeptiert worden240 und verdient trotz der erheblichen Praktikabilitätsprobleme, die sie mit sich bringt,241 auch in strafrechtlicher Hinsicht Zustimmung. Denn in den genannten Fallgruppen kommt als Rechtfertigungsgrund in der Tat nur die Einwilligung in Betracht, weil die mutmaßliche Einwilligung wegen der Möglichkeit, eine ausdrückliche Einwilligung einzuholen, nicht zum Zuge kommt242 und weil die sicherlich angesichts der jahrzehntelangen Praxis anzunehmende Sozialadäquanz der Weitergabe von Patienten- und Mandantendaten an Verrechnungsstellen und Praxisnachfolger lediglich als Vehikel einer einschränkenden Tatbestandsauslegung dienen kann,243 für die der Wortlaut des § 203 aber keine ausreichenden Anhaltspunkte bietet. 162 Die Rechtslage war freilich dadurch verkompliziert worden, dass der BGH Ausnahmen für den Fall anerkannt hatte, dass die Forderungen an einen schon vorher bestellten Abwickler244 oder an einen bereits zuvor in der Kanzlei tätigen Mitarbeiter245 abgetreten werden. Vergütungsforderungen eines Kassenzahnarztes gegen seine kassenzahnärztliche Vereinigung können außerdem wirksam abgetreten werden, sofern die Informationsrechte des Forderungserwerbers aus § 402 BGB abbedungen sind.246 Das ist anzunehmen, wenn der Forderungserwerber den Kassenzahnarzt zur Einziehung der abgetretenen Forderungen ermächtigt.247 Ferner wurde auch die unbeschränkte Pfändbarkeit der Honorarforderungen eines Schweigepflichtigen be235 BGHZ 115 123; BGH JR 1993 22; festhaltend BGH NZI 2019 745 mit Anm. Leithaus; weitere Nachweise bei Laufs/ Kern/Rehborn/Ulsenheimer Handbuch § 145 Rdn. 49 ff. 236 BGH NJW 1995 2026 im Anschluss an BGHZ 116 268. 237 Festhaltend BGH NJW 2010 2585, 2586 mit Anm. Henkel; 2013 1092; NZI 2019 745 mit Anm. Leithaus; Deppenkemper LMK 2019 422550. 238 BGH NJW 1996 775 f; ähnlich OLG Köln NJW 2008 589 bei Abtretung zur Prozessfinanzierung. 239 BGHZ 122 116; BGH NJW 1991 2955; 1993 2371, 2795; OLG Hamburg NJW 1993 1335; BGHZ 116 268; BGH NJW 1996 2087; s. ferner für die (Global)Abtretung eines Steuerberaters OLG Jena MDR 2005 1180, eines Apothekers OLG Düsseldorf, Mit. v. 17.8.2007 (I-16 U 209/05), eines Sozialarbeiters OLG Dresden NJW 2004 1464, eines Krankenpflegers OLG Hamm NJW 2007 849; dazu krit. unter Hinweis auf die Offenbarungsbefugnis gemäß § 302 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V Lips/Schönberger NJW 2007 1567 ff, s. auch Rdn. 119. 240 Berger NJW 1995 1584; Bongen/Kremer NJW 1990 2911, 2915; Giesen/Poll JR 1994 29; Gola NJW 1996 3312, 3319; ders. NJW 1995 3283, 3289; Gramberg-Danielsen/Kern NJW 1998 2708; ferner Henssler NJW 1994 1817, 1822; Kamps NJW 1992 1545; König CR 1991 473; Körner-Dammann NJW 1992 729; Langkeit NStZ 1994 6, 9; Laufs NJW 1999 1768; Mankowski JZ 1994 48; Mennicke/Radtke MDR 1993 400; Rieger MedR 1992 147; Ring BB 1994 373; Römermann NZG 1999 608; Roßnagel NJW 1989 2303; Schlund JR 1992 200; ders. JR 1993 25; Taupitz MDR 1992 421; Tobinsky (1991) passim; Laufs/Kern/Rehborn/Rehborn Handbuch § 23 Rdn. 23 ff und Kern/Rehborn § 74 Rdn. 63 ff; Wolf NJW 1994 563, 565; zust. Schünemann11 Rdn. 110; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 74; Kargl NK Rdn. 59. 241 Vgl. die Nachweise in Fn. 240 sowie Laufs MedR 1989 309. Eingehend und mit weiteren Abhilfevorschlägen Michalski/Römermann NJW 1996 1305. 242 BGHSt 16 312; Roxin/Greco AT I § 18 Rdn. 10 ff; ders. FS Welzel S. 461; Lackner/Kühl/Kühl Vor § 32 Rdn. 21. 243 Roxin/Greco AT I § 10 Rdn. 37; Hirsch ZStW 74 (1962) 78 ff; Dölling ZStW 96 (1984) 55 ff; Sch/Schröder/Eisele Vor § 13 Rdn. 70. 244 BGH NJW 1997 188. 245 BGH NJW 1995 2915 m. Anm. Poll JR 1996 203; BGHZ 148 97; BGH MDR 2005 357; OLG Düsseldorf AnwBl. 2002 431; OLG Rostock VersR 2006 242. 246 BGH NJW 2010 2585, 2586 mit Anm. Henkel; NZI 2019 745 mit Anm. Leithaus; Deppenkemper LMK 2019 422550, im Ergebnis so auch BSG NZS 2018 957. 247 BGH NZI 2019 745 mit Anm. Leithaus; Deppenkemper LMK 2019 422550. Hilgendorf
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IX. Rechtswidrigkeitsausschluss durch Einwilligung
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jaht,248 woraus aber noch nicht auf die Zulässigkeit einer Sicherungsabtretung geschlossen werden konnte.249 Offene Rechtsprobleme ergeben sich daraus auch für die Gründung einer Anwalts-GmbH.250 Die Frage der Abtretbarkeit von Honorarforderungen eines Tierarztes ist schließlich höchstrichterlich noch nicht entschieden, die Instanzgerichte urteilen unterschiedlich.251 In dieser rechtlich und tatsächlich ziemlich verworrenen Situation hat der Gesetzgeber wenigstens für die Abtretung der Honorarforderungen von Rechtsanwälten und damit für den Praxisverkauf auf diesem Gebiet durch § 49b Abs. 4 BRAO teilweise Klarheit geschaffen. Die bezüglich der Abtretbarkeit von Forderungen Schweigepflichtiger insgesamt auftretenden Ungereimtheiten sind dadurch aber nicht beseitigt worden. Es besteht deshalb ein manifestes Bedürfnis nach einer umfassenden Regelung der Gesamtproblematik durch den Gesetzgeber. In einer solchen Regelung müssten auch die formellen Zustimmungserfordernisse bezüglich Belehrungspflicht, Form etc. geregelt werden, die gegenwärtig nicht weniger umstritten sind als die materielle Frage.252 Für den Bereich der privaten Versicherung hat der Gesetzgeber im Anschluss an die Entscheidung BVerfG MedR 2007 351 (= VersR 2006 1669) in dem im Jahre 2008 neu eingeführten § 213 VVG festgelegt, dass der Versicherer personenbezogene Gesundheitsdaten bei Ärzten, Krankenhäusern etc. nur erheben darf, wenn die Kenntnis zur Beurteilung des zu versichernden Risikos oder der Leistungspflicht erforderlich ist und die betroffene Person eine Einwilligung erteilt hat (Abs. 1); diese kann zwar schon im Vorhinein (etwa im Formularvertrag) erteilt werden, die betroffene Person ist dann aber vor jeder einzelnen Erhebung zu informieren und hat ungeachtet der zuvor erteilten Einwilligung ein spezielles Widerspruchsrecht (Abs. 2– 4). Näher dazu Neuhaus/Kloth NJW 2009 1707; Fricke VersR 2009 297.
d) Untersuchungen. Besonderer Prüfung bedarf der Umfang des Einverständnisses stets, 163 wenn der Betroffene auf Veranlassung oder im Interesse Dritter (Versicherung, Arbeitgeber) zu einer Untersuchung erscheint. Der Arzt oder der Psychologe darf zwar annehmen, dass der Betroffene in einem solchen Fall mit der Offenbarung nicht kompromittierender Untersuchungsergebnisse einverstanden ist (Lackner/Kühl/Heger Rdn. 18). Das trifft aber nicht ohne weiteres auch für die Befunde und die Diagnose zu.253 Genügen dem Dritten die Mitteilungen des Arztes nicht, muss er sich mit dem Betroffenen auseinandersetzen, damit dieser den Arzt zu weiterer Offenlegung veranlasse. Näher zum ärztlichen Sachverständigen Rdn. 177, zum Amtsarzt, Anstaltsarzt, Truppenarzt, Betriebsarzt Rdn. 214 ff. Zum Einverständnis der Mitteilung an Sozialversicherungsträger durch die Vorlage eines Krankenscheins Leue in Vollkommer S. 227, 229 und § 60 SGB I. Zur Weitergabe von Krankenhausentlassungsberichten an die Kassen s. Rieger DMW 1999 403; Bruns/Andreas/Debong Arztrecht 1999 32. Nicht umfasst von der Einwilligung sind bei einer Versicherung zugunsten Dritter Auskünfte 164 über den Versicherten an den Dritten (Kohlhaas VersR 1965 529, 533), und ebenso wenig ist im Schadensfalle aus der Angabe des behandelnden Arztes gegenüber der gegnerischen Versicherung schon eine Befreiung von der Schweigepflicht herzuleiten (Kleinewefers/Wilts VersR 1963 989; s. auch OLG Stuttgart NJW 1958 2122). Die Versicherungswirtschaft darf Selbstschutzeinrich248 BGH NJW 1999 1544; OLG Stuttgart NJW 1994 2838. Zum entspr. Problem bei der Postsperre im Insolvenzverfahren s. OLG Bremen ZIP 1992 1215 m. zust. Bespr. v. Pape EWiR 1992 1215. 249 Anders und zweifelhaft Schäfer wistra 1993 281. 250 Vgl. dazu Taupitz NJW 1996 3033, 3038; zum „Unternehmen Anwaltskanzlei“ Michalski/Römermann NJW 1996 1305, 1310. 251 Vgl. einerseits LG Bochum NJW 1993 1535, andererseits LG Lüneburg NJW 1993 2994; differenzierend LG Dortmund NJW-RR 2006 779. 252 Vgl. OLG Bremen NJW 1992 757; OLG Düsseldorf NJW 1994 2421; OLG Karlsruhe NJW 1998 831. 253 OLG Braunschweig BB 1958 340; Fink DöV 1957 447, 449; Hinrichs DB 1980 2287, 2288; Koch DB 1958 1040; Kohlhaas GA 1958 65, 75; VersR 1965 529; C. Müller NJW 1966 1152; Schlund JR 1977 265, 267 f; Scholz NJW 1981 1987, 1989; Schuegraf NJW 1961 961 sowie Dyes u. Karstädt NJW 1961 2050; aA Ponsold/Bockelmann S. 11 Fn. 8; einschr. auch Budde/Witting MedR 1987 23, 26 sowie LG Oldenburg MedR 1995 278. 961
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tungen nicht ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers zur Überprüfung von Versicherungsanträgen benutzen (Frels VersR 1976 511). Nicht ohne weiteres gedeckt von einer Einwilligung des Betroffenen sind ferner die Offenbarung von Geheimnissen zu Forschungszwecken, die Speicherung von Gesundheitsdaten im allgemeinen Personalinformationssystem des Betriebs (Kilian BB 1980 893; 1981 985, 990), Mitteilungen von Ärzten untereinander zu privaten Zwecken (BGHSt 4 355) oder im Kunstfehlerprozess (AG Düsseldorf MedR 1986 83; Grömig NJW 1970 1209).
6. Offenbarungsbefugnisse der Hilfspersonen 165 Nach § 53a Abs. 2 StPO wirkt die vom Betroffenen erklärte Entbindung von der Schweigepflicht zugleich für die in § 53a Abs. 1 StPO aufgeführten Hilfspersonen (Gehilfen und zur Vorbereitung auf den Beruf Tätige sowie Vertragspartner). Die Erklärung ist sachlichrechtlich Einwilligung (Kohlhaas Medizin und Recht S. 43); ihre Reichweite kann außerhalb des Prozesses nicht geringer sein als im Rechtsstreit (Rdn. 138). Die Einwilligung wirkt daher stets in der von § 53a Abs. 2 StPO bezeichneten Weise. Liegt keine Entbindung von der Schweigepflicht vor, entscheidet im Prozess der Haupt166 schweigepflichtige mit bindender Wirkung über die Aussagepflicht der Hilfsperson (§ 53a Abs. 1 Satz 2 StPO); seine Entscheidung begründet auch im Falle der Unrichtigkeit für den Gehilfen eine zwangsweise durchsetzbare Zeugenpflicht.254 Da niemand mit rechtlichen Mitteln zu einer rechtswidrigen Tat gezwungen werden kann, ist diese Zeugenpflicht sachlichrechtlich ein Rechtfertigungsgrund für den Gehilfen unabhängig davon, ob die Entscheidung des Hauptschweigepflichtigen falsch, die Preisgabe des Geheimnisses in seiner Person also unbefugt ist (aA BGHSt 9 59, 61 f). Gleich bleibt, ob der Gehilfe zugleich nach Absatz 1 persönlich schweigepflichtig ist wie die Krankenschwester; die Gehilfeneigenschaft hat insoweit Vorrang (BGHSt 33 148). 167 Außerhalb des Prozesses besteht ein Zeugniszwang aber nicht. Der Gehilfe muss daher in eigener Verantwortung entscheiden, ob er bei fehlender Einwilligung des Betroffenen einer etwaigen Weisung seines Vorgesetzten zur Preisgabe des Geheimnisses zu folgen vermag. In eigener Verantwortung muss er auch entscheiden, ob er sich beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 über einen entgegenstehenden Willen des Vorgesetzten hinwegsetzen soll. Seine institutionelle Abhängigkeit schließt das nicht aus, weil es jedermann ohne Rücksicht auf seine Stellung gestattet ist, gefährdete Rechtsgüter zu retten (Kohlhaas Medizin und Recht S. 43 f; NJW 1967 666). 168 Gegenüber dem Hauptschweigepflichtigen dürfen Hilfspersonen und Vertragspartner grundsätzlich reden. Daran ändert sich nichts, wenn sie zugleich nach Absatz 1 persönlich schweigepflichtig sind, wie die Krankenschwester. Für den Umfang der Schweigepflicht und die Offenbarungsbefugnis ist allein die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit maßgebend, etwa weil das Strafrecht nicht mit Schweigegeboten in die innere Ordnung von Arbeitsverhältnissen eingreifen darf. Daher ist große Zurückhaltung in der Annahme geboten, dass der Betroffene dem Gehilfen selbständig Geheimnisse anvertrauen könne, über die dieser dann gegenüber dem Vorgesetzten schweigen müsse und für die § 53a Abs. 1 Satz 2 StPO nicht gelte (weitergehend Kohlhaas NJW 1969 1566; 1972 1502). Häufig vermag nur der Chef die Bedeutung einer scheinbar unwichtigen Tatsache für die Diagnose oder für den Rechtsstreit zu beurteilen. 169 Keine Schweigepflicht haben Hilfspersonen und Vertragspartner bezüglich solcher Geheimnisse, die ausschließlich den Hauptschweigepflichtigen betreffen (Rn. 56 f). Dies hat im Anschluss an eine Entscheidung des Landesberufsgerichts für Zahnärzte Baden-Württemberg (NJW 1975 2255) in der strafprozessrechtlichen Literatur zu dem eigenartigen Irrtum geführt, dass die Schweigepflicht in Gestalt des korrespondierenden Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 53a 254 Bader KK § 53a Rdn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 53a Rdn. 11; aA Lenckner NJW 1965 321, 324, 326; Rengier S. 337 Fn. 145; zur Zuständigkeit bei Sozietäten Thielen StraFo 2000 121. Hilgendorf
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X. Rechtswidrigkeit im Übrigen
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StPO in einem Verfahren gegen den Hauptberufsträger nicht bestehe.255 Selbstverständlich kann es aber nicht auf die Person des Beschuldigten, sondern allein darauf ankommen, ob ein wenigstens auch dem Mandanten, Patienten etc. zustehendes Geheimnis betroffen ist (Schliwienski NJW 1988 1507).
7. Befreiung nach dem Tode des Betroffenen Nach dem Tode des Betroffenen hat die Einwilligung bei vermögenswerten Geheimnissen der 170 Erbe zu erklären, weil das Geheimnis auf ihn übergegangen (Rdn. 88 f) und er nunmehr verfügungsberechtigt ist.256 Eine Einwilligungserklärung des Erben, Angehöriger oder sonstiger Personen mit der Offenbarung von zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnissen ist dagegen ohne rechtliche Wirkung.257 Beim Notar ist eine Entbindung durch die Aufsichtsbehörde gem. § 18 Abs. 2 Halbsatz 2 BNotO möglich. Zum nachwirkenden oder vermuteten Einverständnis des Verstorbenen Rdn. 91 f.
X. Rechtswidrigkeit im Übrigen 1. Bedeutung des Merkmals „unbefugt“ Das Merkmal „unbefugt“ ist allgemeines Kennzeichen der Rechtswidrigkeit, welche durch Of- 171 fenbarungspflichten oder -befugnisse ausgeschlossen sein kann (aA konsequenterweise Jähnke LK10 Rdn. 74; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 62, jeweils mit der These des die Abwesenheit eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses einschließenden „Doppelcharakters“). Das Merkmal ist ein Blankett (BVerfGE 55 274, 324 f), dessen strafrechtlicher Gehalt sich aus der Gesamtrechtsordnung ergibt. Jedoch können nur Gesetz und aufgrund ausreichender Ermächtigung erlassene Verordnungen (insoweit aA Reichertz/Kilian/Zielinski S. 14, 18), nicht aber untergesetzliche Rechtsnormen (BSG NJW 1986 1574 in Ergänzung zu BSGE 55 150; Kreuzer NJW 1975 2232, 2236), Verwaltungsvorschriften (Franzheim ZRP 1981 6, 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 81) oder Berufsordnungen (AG Düsseldorf MedR 1986 83) Offenbarungsrechte begründen. Dagegen lässt § 203 dem Landesgesetzgeber im Rahmen seiner Zuständigkeit Spielraum für derartige Regeln, so für die von verschiedenen Ländern erlassenen Gesetze über Krebsregister (vgl. Art. 4 BayKRegG). Das Gleiche gilt für die datenschutzrechtlichen Regelungen, die in zahlreichen Landesgesetzen bereichsweise enthalten sind und deren Regelungen über die Datenweitergabe auch für eine Rechtfertigung bei § 203 relevant sind. Beispielhaft ist auf die Krankenhausgesetze der Länder hinzuweisen, etwa Art. 27 Abs. 5 des Bayerischen Krankenhausgesetzes i.d.F. v. 28.3.2007 (GVBl. S. 288) oder § 35 des Landeskrankenhausgesetzes Mecklenburg-Vorpommern258. Offenba255 Bader KK § 53a Rdn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 53a Rdn. 13; widersprüchlich Ignor/Bertheau LR26 § 53a Rdn. 11 unter Hinweis auf LG Hamburg StV 1989 385.
256 OLG Hamburg NJW 1962 689, 691; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 27; Göppinger/Lenckner S. 159, 181; Mergen/K. Müller II S. 63, 75, 93; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Schuster § 102 AO Rdn. 52a; anders beim Notar (§ 18 BNotO), BGH MDR 1975 400; 1987 139. 257 RGSt 71 21, 22 m. Anm. Schäfer DStrR 1937 197; RG Recht 1906 1202; BGH NJW 1983 2627, 2628; OLG Celle NJW 1965 362; BayLSG 1962 1789; LSG Bremen NJW 1958 278; LG Augsburg NJW 1964 1186 m. Anm. Lenckner; LG Hanau NJW 1979 2357; LG Koblenz AnwBl. 1983 328; Becker MDR 1974 888, 891; Ponsold/Bockelmann S. 15 Fn. 31; Erdsiek NJW 1963 632; Frey FS Pfenniger 41, 42; Kohlhaas VersR 1965 529, 533; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 27; Göppinger/ Lenckner S. 159, 181; Eb. Schmidt NJW 1962 1745, 1748; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 38; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 169; aA LG Hildesheim NStZ 1982 394; Bosch Grundsatzfragen des Beweisrechts (1963) S. 89, 93; Habscheid AnwBl. 1964 302; Mergen/Husmann II S. 183, 188; B. Lilie S. 97 f; Rein VersR 1977 121; Solbach DRiZ 1978 204, 206; offen gelassen in BSGE 59 76. 258 BGH NJW 2015 2652. 963
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Verletzung von Privatgeheimnissen
rungsrechte finden sich vielfach im Sozialrecht, wo beispielsweise § 302 Abs. 2 Satz 1–3 SGB V für die vorgeschriebene elektronische Abrechnung gegenüber den Krankenkassen eine Erfüllung durch Rechenzentren erlaubt (näher Lips/Schönberger NJW 2007 1567), was eine ausdrückliche spezialgesetzliche Zulassung des Outsourcing im IT-Bereich bedeutet. Allgemein ist die Problematik im SGB X – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – geregelt, vor allem §§ 67 ff, bis hin zu der in § 77 geregelten Übermittlung ins Ausland und der in § 80 geregelten Auftragsverarbeitung von Sozialdaten. Offenbarungsrechte müssen nicht stets ausdrücklich begründet werden; sie können sich auch durch Gesetzesauslegung ergeben (BSG NJW 1986 1574). Zum Ganzen Hildering Datenschutz und Hartmann Outsourcing.
2. Gesetzliche Offenbarungspflichten 172 Gesetzliche Offenbarungspflichten (Übersicht für Ärzte bei Ulsenheimer/Gaede Arztstrafrecht Rdn. 1073; allg. Cierniak/Niehaus MK Rdn. 96 f) enthalten die §§ 138, 139, ferner etwa die §§ 6 ff des (im Zuge der Corona-Pandemie mehrfach geänderten) Infektionsschutzgesetzes (zu teilweise noch fortbestehenden Lücken im Bereich sexuell übertragbarer Krankheiten Schünemann FS Eser 1141, 1144 f), § 11 TPG (dazu Deutsch NJW 1998 777, 779), Vorschriften des Sozialrechts zur Eingliederung Behinderter – § 213 Abs. 2 S. 2 SGB IX –, des Abgabenrechts zur Sicherung der Besteuerung, des Wehrrechts zur Sicherung der Wehrerfassung, des Wirtschaftsverwaltungsrechts zugunsten von Aufsichtsbehörden (Rein VersR 1977 121, 122), das Bundesmeldegesetz. In diesen Fällen ist die Verletzung des § 203 nach den Grundsätzen der unechten Pflichtenkollision gerechtfertigt.259 Weitreichende Offenbarungspflichten hat das Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz – GwG) vom 25. Okt. 1993 (BGBl. I S. 1770) gebracht, das mehrfach, ua durch das Geldwäschebekämpfungsgesetz vom 8.8.2002 (BGBl. I S. 3105) und das Geldwäschebekämpfungsergänzungsgesetz erheblich erweitert wurde. Unter anderem Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute, Finanz- und Versicherungsunternehmen, Versicherungsvermittler, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater und Steuerbevollmächtigte, Immobilienmakler, Spielbanken und Personen, die gewerblich mit Gütern handeln, ferner aber auch Rechtsanwälte, Kammerrechtsbeistände, Patentanwälte und Notare, die bei dem Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben, Verwaltung von Geld oder sonstigen Vermögenswerten, Eröffnung oder Verwaltung von Bankkonten u.ä., Mittelbeschaffung für Gründung oder Betrieb von Gesellschaften, deren Gründung oder Betrieb mitwirken oder im Namen und auf Rechnung des Mandanten Finanz- oder Immobilientransaktionen durchführen, sind gem. § 2 GwG „Verpflichtete“, die gemäß § 43 GwG Verdachtsfälle einer Tat nach § 261 StGB oder einer Terrorismusfinanzierung der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen anzuzeigen haben, wovon der Auftraggeber nicht benachrichtigt werden darf (§ 47 GwG), widrigenfalls sie zumindest eine Ordnungswidrigkeit gem. § 56 GwG begehen. Die Literatur zum GwG und zu § 261 StGB ist schon jetzt kaum noch übersehbar (Nachweise bei Fischer § 261 Rdn. 1d). Der Kritik an dem dahinter stehenden kriminalpolitischen Konzept unter den Aspekten der Wirkungslosigkeit einerseits und der Verwandlung des Rechtsstaats in einen Polizeistaat andererseits bei Fischer § 261 Rdn. 6, 7 ff; Hefendehl StV 05 156 ff; Samson FS Kohlmann 263 ff; Sauer NJW 05 1703 ff, ist nichts hinzuzufügen. Nichtsdestoweniger wirkt das grotesk übersteigerte Anzeigesystem des GwG im Rahmen des § 203 als Rechtfertigungsgrund (vgl. BGH NJW 2005 2406 zu § 53 StPO). Manche Gesetze des Wirtschaftsverwaltungs- und Umwelt259 Unecht deshalb, weil eine Handlungs- mit einer Unterlassungspflicht kollidiert und deshalb § 34 direkt einschlägig ist; zum ganzen und zur umstrittenen Terminologie einerseits Rönnau LK Vorbem. § 32 Rdn. 115 ff; Küper Grund und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht (1979), S. 33 f; Roxin/Greco Strafrecht AT I § 16 Rdn. 116 ff; Stratenwerth/Kuhlen Strafrecht AT I § 9 Rdn. 126; andererseits Jescheck/Weigend § 35 V 1; Lackner/Kühl/Kühl § 34 Rdn. 15; Otto Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil3 (1978), S. 82 ff; Fischer Rdn. 11d Vor § 32, ferner Rdn. 194. Hilgendorf
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X. Rechtswidrigkeit im Übrigen
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rechts enthalten Verfahrensvorschriften, welche bei den notwendigen Veröffentlichungen die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen sicherstellen (vgl. Rebentisch NJW 1980 99 zum BImSchG) oder ausdrücklich ausschließen (vgl. Breuer NVwZ 1986 171, 173, sowie allg. zur Information als Mittel der Verwaltung Gusy NJW 2000 977). Zur Prüfungsbefugnis der Rechnungshöfe OVG Lüneburg MedR 1985 230, 232; BVerwGE 82 56; BVerfG NJW 1997 1633; Hahne-Reulecke MedR 1988 235; Kühne Berufsrecht S. 135 f; krit. Heintzen/Lilie NJW 1997 1601 ff. Zur zweifelhaften Interpretation der steuerlichen Pflicht zur Führung eines Fahrtenbuches, zur Namensnennung des aufgesuchten Patienten, Mandanten etc. bei schweigepflichtigen Freiberuflern gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 3 EStG, entsprechend bei der Bewirtung gem. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 EStG Schmidt/ Kulosa bzw. Schmidt/Loschelder EStG § 6 Rdn. 563 bzw. § 4 Rdn. 554; mit Recht krit. Au NJW 1999 340; Schmitz wistra 1997 293; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 99 m. Fn. 570.
3. Einzelne Offenbarungspflichten a) Zivilrecht. Zwangsvollstreckung. Gewährt das Zivilrecht einen Anspruch auf Auskunft 173 oder Einsicht, welcher die Offenbarung eines fremden Geheimnisses einschließt, so ist die Erfüllung dieses Anspruchs durch den Schweigepflichtigen mit strafrechtlicher Wirkung gerechtfertigt. Wird etwa dem künstlich gezeugten Kind ein Anspruch gegen den Arzt auf Benennung des Samenspenders zur Klärung der biologischen Abstammung aus § 242 BGB zugebilligt, bedarf es zur Begründung von Straflosigkeit keines Rückgriffs auf § 34.260 Anders ist dagegen die Konstruktion des Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren v. 26.3.2008 (BGBl. I S. 441): § 1598a BGB gibt nunmehr einen Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Untersuchung zur Klärung der leiblichen Abstammung, so dass die Rechtfertigung für eine im Zusammenhang damit erfolgende Weitergabe von Geheimnissen in der (notfalls gerichtlich erzwingbaren) Einwilligung des Betroffenen besteht. Der Anspruch des Patienten oder seines Erben auf Einsicht in die Krankenunterlagen des behandelnden Arztes erstreckt sich dagegen nicht auf fremde Geheimnisse. Zur Behandlung eines auf die Offenbarung von Geheimnissen gerichteten privatrechtlichen Vertrages Rdn. 154. Eine begrenzte Offenbarungspflicht enthält § 802c ZPO. Der auf Abgabe der Vermögensaus- 174 kunft in Anspruch genommene Schweigepflichtige muss Angaben über seine Forderungen gegen Dritte auch machen, wenn der Name des Drittschuldners dem Berufsgeheimnis unterfällt.261 Pfändet der Gläubiger eine solche Forderung, tritt er an die Stelle des Schweigepflichtigen. Dieser muss dem Gläubiger im Falle gerichtlicher Geltendmachung die zur Durchsetzung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen deshalb in demselben Umfang mitteilen, wie wenn er selbst Klage erhoben hätte (dazu Rdn. 188).
b) Notar. Der Notar (dazu Rdn. 105) muss die Beteiligten kraft seines Amtes auf Gefahren hin- 175 weisen, die ihnen aus dem beabsichtigten Geschäft erwachsen, und Straftaten verhindern. Dass seine Kenntnisse aus anderen Amtsgeschäften stammen, steht dem nicht entgegen; diese Kenntnisse sind im erforderlichen Umfang preiszugeben (BGH MDR 1973 488; 1978 654). Zu gesetzlichen Mitteilungspflichten des Notars zur Sicherung der Besteuerung § 34 ErbStG; Arndt/Lerch/ Sandkühler BNotO § 18 Rdn. 87 ff. 260 BGH NZFam 2019 250 mit Anm. Frie; dazu ferner Starck und Coester-Waltjen Die künstliche Befruchtung beim Menschen, Gutachten zum 56. DJT (1986) A 24, B 59; Gottwald FS Hubmann 111, 121; K. Müller Zeugnispflicht bei heterologer Fertilisation, FamRZ 1986 635; Jüdes/Ostendorf In vitro-Fertilisation und Embryotransfer (1983) S. 177, 193; Zimmermann FamRZ 1981 929, 932. 261 BGH NJW 2010 1380; NJW-RR 2011 851; KG JR 1985 161, 162; LG Aurich NJW 1971 252; LG Wiesbaden Jur. Büro 1977 727; Ebermayer S. 56; Kallfelz JW 1936 1343, 1345; Laufs Arztrecht Rdn. 445; Lang S. 83 ff; Stein/Jonas/Würdinger ZPO § 802c Rdn. 27; aA LG Memmingen NJW 1996 793. 965
Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
176 c) Kassenarzt. Der Kassenarzt kann gehalten sein, sich der Prüfung und Begutachtung durch die zuständigen Organe der Sozialversicherung zu stellen, und ist in diesem Rahmen zur Offenbarung der Patientendaten verpflichtet.262 Die in besonderen Gesetzesbestimmungen (§§ 202, 203 SGB VII, § 100 SGB X) niedergelegten Pflichten des Kassenarztes, den Sozialleistungsträgern die erforderlichen Auskünfte zu erteilen, wirken unmittelbar als Offenbarungsbefugnis, nicht erst, wenn der Patient sein Einverständnis erklärt.263 Zur Prüfung bei dem des Abrechnungsbetruges verdächtigen Arzt Teyssen/Goetze NStZ 1986 529.
177 d) Sachverständige. Zweifelhaft und umstritten ist die Rechtsstellung des gerichtlich bestellten Sachverständigen, der als Arzt, Berufspsychologe, Wirtschaftsprüfer usw. zu dem schweigepflichtigen Personenkreis des § 203 zählt. Nach der früher herrschenden und auch heute noch vielfach vertretenen Auffassung soll der Sachverständige dem Probanden nicht „als“ Arzt etc. gegenübertreten,264 woraus die vollständige Unanwendbarkeit sowohl des § 203 StGB als auch des § 53 StPO zu folgern wäre. Damit würde sich aber eine unerträgliche Strafbarkeitslücke für denjenigen Fall ergeben, dass ein nicht gemäß § 203 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 öffentlich bestellter Sachverständiger die bei der Begutachtung erfahrenen Geheimnisse des Probanden Dritten gegenüber ausplaudert (wobei eine vollständige Schließung dieser Strafbarkeitslücke nur durch eine Ausdehnung des § 203 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 auf alle gerichtlich bestellten Sachverständigen möglich ist, weil beispielsweise ein nicht unter § 203 Abs. 1 Nr. 1 fallender und auch nicht öffentlich als Sachverständiger bestellter, aber gleichwohl vom Gericht zum Gutachter bestellter Heilkundiger de lege lata keiner strafrechtlich sanktionierten Schweigepflicht unterliegt, wenn man von der inhaltlich beschränkten und auch ein anderes Rechtsgut schützenden Vorschrift des § 353d StGB absieht). Nach der heute überwiegenden Auffassung soll dagegen alles unter § 203 StGB und § 53 StPO fallen, „was der Arzt in dieser seiner Eigenschaft wahrgenommen hat, gleichgültig ob die Wahrnehmungsmöglichkeit auf einem besonderen Vertrauensakt beruht oder nicht“, weil die Gegenmeinung „dem durch Art. 2 Abs. 1 GG geforderten Schutz der Intimsphäre des Probanden nicht gerecht [werde], da auch zwischen ihm und einem ärztlichen Sachverständigen regelmäßig ein gewisses Vertrauensverhältnis entstehen wird und die Erwartung rechtfertigt, der Gutachter werde die gewonnenen Erkenntnisse nur dem Gericht im Rahmen seines Auftrages mitteilen, nicht aber darüber hinaus ausplaudern oder sonst anderweitig offenbaren“.265 Diese Auffassung verdient gerade auch nach der maßgeblichen viktimodogmatischen Auslegungsmaxime (o. Rdn. 28 f) den Vorzug, und zwar aufgrund eines argumentum a fortiori: Wenn die von Ärzten, Berufspsychologen u.a. eruierten Geheimnisse wegen ihrer besonderen Sensibilität sogar im Falle einer freiwilligen Kontaktaufnahme strafrechtlich schutzwürdig und schutzbedürftig sind, so muss dies erst recht für eine vom Staat angeordnete Geheimnisöffnung gelten, soweit sich die anschließende Offenbarung nicht im Rahmen der Anordnung bewegt. Auf der Basis dieser nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte keinesfalls zwingenden, aber teleologisch überzeugenden Grundsatzentscheidung sind alle Folgeprobleme auf konstruktivem Wege eindeutig zu lösen. Wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige auch im Sinne des § 203 „als“ Arzt etc. tätig wird, so findet ein Wechsel von der einen in die andere Rolle entgegen Kühne (JZ 1981 647, 649; ähnlich Barbey Der med. Sachverst. 1974 32, 33) nicht statt. Die Weitergabe des Geheimnisses durch Erstattung des Gutachtens ist ferner eine tatbestandsmäßige 262 BSGE 55 150; BSG NJW 1986 1574; Sendler NJW 1980 2776; Laufs Arztrecht Rdn. 434 Fn. 43; aA LSG Celle NJW 1980 1352; Baur SGb 1984 150.
263 Lauterbach/Koch Unfallversicherung SGB VII § 202 Rdn. 43. 264 RGSt 61 384; 66 273; OGHSt 3 63; Ignor/Bertheau LR § 53 Rdn. 38 f (differenzierend zwischen Befundtatsachen und Zusatztatsachen); Eb. Schmidt Der Arzt im Strafrecht S. 32 ff.
265 So wörtlich BGHSt 38 369, 370; ebenso BGHZ 40 288, 293 f; Fischer Rdn. 78; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 72; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 16; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 23; Kargl NK Rdn. 73; Krauß ZStW 97 (1985) 81, 91 ff; Müller-Dietz S. 39, 48 f; Ulrich FÜR 2008 283. Hilgendorf
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X. Rechtswidrigkeit im Übrigen
§ 203
Handlung, die freilich im Rahmen des Gutachtenauftrages gerechtfertigt ist.266 Während man bei freiwilligen Untersuchungen hierfür auf das – nach ihrem Abschluss unwiderrufliche (Rdn. 154) – Einverständnis des Betroffenen abstellen kann,267 ergibt sich die Rechtfertigung bei einer ohne oder unabhängig von der Einwilligung des Betroffenen durchgeführten Begutachtung aus den Grundsätzen der Pflichtenkollision und der Einheit der Rechtsordnung, weil das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 StPO nach der (freilich missverständlichen) Vorschrift des § 76 Abs. 1 StPO nur für die vor Erteilung, nicht aber für die infolge des Gutachtenauftrages erfahrenen Tatsachen gilt und die prozessuale Pflicht zur Gutachtenerstattung (§ 75 StPO) infolgedessen als lex specialis der legi generali des § 203 StGB vorgeht.268 Diese Offenbarungspflicht und Offenbarungsbefugnis des Sachverständigen gegenüber dem 178 Gericht bzw., allgemein gesprochen, gegenüber seinem Auftraggeber bestehen jedoch nicht unbeschränkt. Zunächst versteht es sich von selbst, dass der Sachverständige ein Wissen, das er etwa als früher behandelnder Arzt des Probanden gewonnen hat, nicht offenbaren darf.269 Umstritten ist die Behandlung der sog. Zusatztatsachen, die der Sachverständige also nicht etwa (wie die Befundtatsachen) aufgrund des gerichtlichen Auftrages infolge seiner spezifischen Sachkunde in Erfahrung gebracht hat, sondern bei Gelegenheit seiner Begutachtung, vor allem aufgrund einer Mitteilung des Probanden.270 Weil Zusatztatsachen nur durch Vernehmung des Gutachters als Zeugen in den Prozess eingeführt werden können,271 ist § 53 StPO direkt anwendbar, so dass eine Rechtfertigung der Offenbarung nur durch eine prozessual als Schweigepflichtentbindung gemäß § 53 Abs. 2 StPO wirkende Einwilligung des Berechtigten möglich ist. Nach verbreiteter Auffassung soll bereits in der Freiwilligkeit der Angaben gegenüber dem Sachverständigen die entsprechende Einwilligung gesehen werden,272 doch wird man das an zwei einschränkende Voraussetzungen binden müssen: Zum ersten muss der Sachverständige den Beschuldigten über die Freiwilligkeit seiner Mitwirkung analog §§ 163a Abs. 4 Satz 2, 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 5 StPO belehrt haben;273 und zum zweiten darf es nicht um Angaben gehen, die der Beschuldigte dem Gutachter ersichtlich nicht im Hinblick auf die Gutachtenerstattung, sondern ausschließlich wegen seiner Stellung als Arzt etc. gemacht hat.274 Im Vorverfahren kann die Anordnung zur Begutachtung u.U. auch von der Staatsanwalt- 179 schaft oder der Polizei getroffen werden (§ 81a Abs. 2, § 81c Abs. 5 StPO). Die Offenbarung ist alsdann rechtmäßig, wenn sie gegenüber der anordnenden Stelle oder dem Gericht erfolgt. Hingegen ist die Ausstellung ärztlicher Atteste, welche ein privater Beteiligter zur Einleitung eines
266 BGHZ 40 288, 295; BGH NStZ-RR 2009 15; OLG Köln GesR 2006 93; Krauß ZStW 97 (1985) 95 ff; Müller-Dietz S. 48; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 23; Kargl NK Rdn. 73.
267 So im Fall BGHSt 38 369, 370; ferner OLG Hamm VRS 35 30; Fink DÖV 1957 447, 451. 268 Im Ergebnis unstreitig, vgl. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 24; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 76 Rdn. 1; Krauß ZStW 97 (1985) 81, 110; BGHZ 40 294; Jähnke LK10 Rdn. 79. 269 Dippel S. 151; Haß SchlHA 1973 4243; Jähnke LK10 Rdn. 79; ebenso bei Erkenntnissen aus einem früheren Gutachtenauftrag, siehe BGHSt 38 369, 371. 270 Vgl. zu dieser Unterscheidung BGHSt 9 292; 13 1; 18 107; 20 164; 22 268, 271; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 79 Rdn. 10 ff; Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht § 27 Rdn. 21 ff. 271 BGHSt 9 292, 293 f; 13 1; 18 107; 20 164; 22 268, 271; BGH NStZ 93 245; Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht § 27 Rdn. 23; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 79 Rdn. 11; Hadamitzky KK Vor § 72 Rdn. 5. 272 BGH NStZ-RR 2009 15; BGHZ 40 288, 294; RGSt 66 273; OLG Hamm NJW 1968 1202; Dippel S. 151; Rüping Internist 1983 206, 208; Bader KK § 53 Rdn. 19; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 53 Rdn. 46; Ulrich/Jessnitzer Der gerichtliche Sachverständige S. 207 Rdn. 362. 273 BGHSt 35 32, 35; Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht § 25 Rdn. 12; Gleß LR § 136 Rdn. 3; Meyer-Goßner/ Schmitt/Schmitt § 136 Rdn. 2; Schmidt-Recla NJW 1998 800, 801; aA BGH NJW 1968 2297; 1998 838; Diemer KK § 136 Rdn. 3; Rogall SK StPO § 136 Rdn. 27 f. 274 Jähnke LK10 Rdn. 79; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 23; Krauß ZStW 97 (1985) 81, 110; Kühne JZ 1981 647; Rengier S. 270; Timm S. 144; unentschieden Sch/Schröder/Eisele Rdn. 16; vgl. ferner Heinitz FS Engisch 693, 701 f; Frey FS Pfenniger 41, 53 f; umfassend Geppert FG v. Lübtow S. 773; im Grundsatz auch RGSt 61 384, 385; Schmidt-Recla NJW 1998 800, 801; undeutlich im Sinne einer „materiellen Aufklärung“ Müller-Dietz S. 48 f. 967
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§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
Entmündigungs- oder Pflegschaftsverfahrens verwenden will, durch keine Verfahrensvorschrift abgesichert (bedenklich Rieger DMW 1986 1775).
180 e) Jugendgerichtshilfe. Die Jugendgerichtshilfe hat kein Recht, im Strafverfahren ihre Mitwirkung zu verweigern, wenn der Angeklagte dies fordert; ihre Aufgaben bestimmen sich nach § 38 JGG (siehe § 52 I SGB VIII: „Das Jugendamt hat nach Maßgabe der §§ 38 und 50 Abs. 3 Satz 2 des Jugendgerichtsgesetzes im Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz mitzuwirken.“, sowie die Verweisungskette von § 61 Abs. 1 SGB VIII auf § 35 SGB I, §§ 67a ff SGB X [„Zweiter Abschnitt – Verarbeitung von Sozialdaten“], dessen § 69 Abs. 1 Nr. 2 regelt, dass die Datenübermittlung für die Durchführung von Strafverfahren, die mit den Aufgaben der Jugendämter zusammenhängen, zulässig ist).
181 f) Zeugen, die kein Zeugnisverweigerungsrecht haben, sind zur vollständigen Aussage auf Grund des sie treffenden Zeugniszwangs verpflichtet. Diese Pflicht rechtfertigt zugleich die Preisgabe von Geheimnissen.275 Auch Amtsträger müssen, wenn sie sich nicht auf eine spezielle Weigerungsbefugnis (§ 53 Abs. 1 Nr. 2, 3, 3a StPO; § 35 SGB I) stützen können, aussagen, sofern ihnen die Genehmigung nach § 54 StPO erteilt ist.276 Die Genehmigung nach § 54 StPO entbindet zwar für sich genommen nicht von der Pflicht zur Wahrung von Privatgeheimnissen nach § 203 Abs. 2,277 weil diese nicht zur Disposition des Dienstherren stehen. Aber die Genehmigung stellt die jeden treffende Zeugenpflicht wieder her, und diese umfasst auch geheime Tatsachen (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 54 Rdn. 2; aA Foth JR 1976 7, 9). 182 Macht ein Zeuge von einem ihm zustehenden beruflichen Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch, so ist seine Aussage materiell nicht schon deshalb rechtmäßig, weil sie vor Gericht erfolgt.278 Fehlt ein Rechtfertigungsgrund, erfüllt der Schweigepflichtige vielmehr die Merkmale einer rechtswidrigen Tat nach § 203. Dass seine Bekundung nach h.M. dennoch prozessual verwertbar ist,279 ändert daran nichts. Zur Entbindung von der Schweigepflicht Rdn. 138.
4. Offenbarungsbefugnisse 183 a) Mutmaßliche Einwilligung. Die mutmaßliche Einwilligung ist auch bei § 203 Rechtfertigungsgrund. Dass Eingriffsgegenstand ein höchstpersönliches Rechtsgut ist, schließt sie nicht aus 275 OLG Köln VRS 84 101; BFH NJW 1993 2831 f; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 34; Fischer Rdn. 77; Geppert Jura 1991 132 136; Hecker JR 1999 428, 430; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 24; Lenckner NJW 1965 321, 323; Ostendorf DRiZ 1981 4, 5; Otto Grundkurs BT § 34 Rn. 38; Rengier S. 173 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 43; Welp FS Gallas 391, 401 m. Fn. 35; dazu ferner Noll Gerwig-Festgabe 135. 276 Zur Frage, ob bei der Erteilung der Genehmigung zu berücksichtigen ist, dass die Aussage Privatgeheimnisse zum Gegenstand haben wird, Ostendorf DRiZ 1981 4, 9; Rengier S. 42 ff, 51. 277 RGZ 54 1, 2; Harthun SGb 1977 181, 183; Bader KK § 54 Rdn. 3; Rössler Das Steuergeheimnis und die Stellung des Finanzbeamten vor Gericht, MDR 1969 356. 278 BGHSt 9 59, 61 f; OLG Hamburg DStrR 1936 437 m. Anm. Henkel; Ackermann FS DJT 479, 499; Arzt/Weber/ Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 34; Ponsold/Bockelmann S. 17; Bohne/Sax S. 159, 170; Fischer Rdn. 77; Flor JR 1953 368, 371; Haffke GA 1973 65, 66 f; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 53 Rdn. 5; Kohlhaas GA 1958 65, 72; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 24; Lenckner NJW 1965 321, 324; Eser/Hirsch/Lenckner S. 227, 239; Ostendorf DRiZ 1981 4, 10; Peters Jugendwohl 1976 275; Schilling JZ 1976 617, 619 f; Eb. Schmidt Brennende Fragen S. 33; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 43; Welp FS Gallas 391, 398; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 544; offengelassen in RGZ 53 315, 317; aA Foth JR 1976 7, 8; Frank § 300 Anm. 2c. 279 BGHSt 9 59, 61; 15 200, 202; 18 146; BGH NStZ 2018 362; Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht § 24 Rdn. 45; dagegen z.B. Freund GA 1993 49 ff; Lenckner NJW 1965 321, 325 ff; Dencker Beweisverbote im Strafprozeß (1977) S. 130 ff; Rengier S. 337; differenzierend Welp FS Gallas 391, 405. Hilgendorf
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X. Rechtswidrigkeit im Übrigen
§ 203
(aA Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 224; dagegen zutr. Goll S. 57). Sie ist zu unterscheiden vom vermuteten Einverständnis als dem Spiegelbild des subjektiven Geheimhaltungsinteresses (dazu Rdn. 32, 91 f) sowie dem stillschweigend erklärten Einverständnis (Rdn. 155). Zum bloß fehlenden Interesse, nach der Erlaubnis zur Weitergabe des Geheimnisses gefragt zu werden s. Rdn. 45. Da im Regelfall die Möglichkeit einer Befragung des Betroffenen bestehen wird, ist der An- 184 wendungsbereich des Rechtfertigungsgrundes begrenzt. In Betracht kommt die Unterrichtung der Angehörigen oder des Begleiters eines bewusstlosen Unfallopfers,280 eines schwerkranken Patienten, dies auch zum Zwecke der Unterweisung über die notwendige Pflege und Betreuung,281 des Arbeitgebers (Kohlhaas in Kuhns Recht der Heilberufe I 782). Praktisch von Bedeutung ist ferner die Befragung von Angehörigen oder nahestehenden Personen in Krisensituationen, in denen der Arzt sich Klarheit über die Einstellung des Patienten zu bestimmten Behandlungsmaßnahmen oder über seine Willensfähigkeit verschaffen muss oder in denen nur auf diese Weise eine beschränkte Anamnese möglich wird. Es wird außerdem für den Regelfall davon auszugehen sein, dass die Offenlegung der Pflegedokumentation gegenüber dem Krankenversicherer dem mutmaßlichen Willen eines verstorbenen Heimbewohners entspricht, wenn die Entbindung von der Schweigepflicht dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung von Betreuungspflichten des Altenpflegepersonals ermöglichen soll.282 Für den Rechtsanwalt kann die Abgabe von Erklärungen für den unerreichbaren Mandanten in Betracht kommen (Ackermann FS DJT 479, 490). 185 Zum Praxisverkauf Rdn. 161 f; zum postmortalen Geheimnisschutz Rdn. 88 ff.
b) Kein berechtigtes Interesse. Ob ein Rechtfertigungsgrund des berechtigten Interesses 186 analog § 193 anzuerkennen ist,283 ist streitig und richtigerweise zu verneinen. Die Frage berührt die Grenzziehung beim rechtfertigenden Notstand und hängt weiter damit zusammen, ob Rechtfertigung in notwehrähnlicher Lage (Präventivnotwehr) als eigenes Rechtsinstitut auszugestalten und ggf. mit der Kategorie eines Strafunrechtsausschlusses zu erfassen ist.284 Für den Bereich des § 203 bedarf es indessen keiner Heranziehung des § 193, weil das zutreffende Ergebnis aus speziellen Rechtsvorschriften oder Grundsätzen, z.T. in Verbindung mit § 34, herzuleiten ist.
c) Rechtfertigender Notstand (§ 34) ist auch im Rahmen des § 203 ein Rechtfertigungsgrund. 187 aa) Individualinteressen. Die erste Fallgruppe wird von der vom Geheimnisträger provozier- 188 ten Honorarklage gebildet, bei der die Güter- und Interessenabwägung sowohl wegen des Grundgedankens des § 228 BGB (Schmitz JA 1996 949, 954) als auch wegen der Rechtsschutzgewährungspflicht des Staates klar zugunsten des Anspruchsinhabers ausfällt. Klagt der Anwalt sein Honorar ein, ist die prozessual notwendige Substantiierung rechtmäßig, weil das Gesetz solche Klagen vorsieht (§§ 11 Abs. 4, 14 Abs. 3 RVG; zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit s. 280 Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift 355, 365; B. Lilie S. 98; Kohlhaas GA 1958 65, 73; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 19; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 40. 281 Kohlhaas Medizin und Recht S. 31; abw. (§ 34) Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift 355, 365; B. Lilie S. 98. 282 BGH RDG 2013 188. 283 So insbes. Eser Wahrnehmung berechtigter Interessen S. 12, 48 ff; Rogall NStZ 1983 1, 6; befürwortend auch Geppert Strafvollzug S. 31; Schwalm FS Küchenhoff 681, 709 f; aA Fischer Rdn. 72; Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 304; Lenckner Noll-Gedächtnisschrift 243, 251; Maier SGb 1983 89, 93; Rüping Internist 1983 206, 208; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 61; Lenckner JuS 1988 349, 353; Schmitz JA 1996 949, 953 f; Schwalm Med. Klinik 1969 1722, 1725; Reichertz/Kilian/Zielinski S. 14, 17. 284 Dazu Suppert S. 364 ff; Günther S. 338; zu beiden Roxin FS Jescheck 457, 478 ff; ders. FS Oehler 181, 189 ff; Rönnau/Hohn LK § 32 Rdn. 143 ff; Kargl NK Rdn. 70. 969
Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
Cierniak/Niehaus MK Rdn. 94, zur Ablehnung der Offenbarung im Arrestverfahren Everts NJW 2002 3136).285 Auch andere Schweigepflichtige sind durch den Geheimnisschutz nicht von der staatlichen Justizgewährung ausgeschlossen und rechtlos gestellt (so schon Frank § 300 Anm. III 2b),286 anderenfalls hätte der Gesetzgeber in den verschiedenen Gebührenordnungen, welche die Honoraransprüche der Berufsangehörigen im Einzelnen regeln, Vorschriften zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage geschaffen. Das ist aber in keiner Gebührenordnung geschehen. Noch weniger kann der Patient durch den Widerruf seines Einverständnisses verhindern, dass die für die Abrechnung notwendigen Unterlagen zur Verwaltung des Krankenhauses gelangen. 189 Auch im Strafverfahren darf der Schweigepflichtige seine Rechte ohne Einschränkung wahrnehmen, etwa als Geschädigter Anzeige erstatten (Rein VersR 1976 117, 123) oder als Beschuldigter sich verteidigen,287 weil die Justizgewährungspflicht des Staates auch für ihn verfassungsrechtlich verbürgt ist (BVerfG NJW 1987 1929) und § 172 StPO keine Ausnahme vorsieht. Seine Beteiligung an Straftaten darf er offenbaren (BGH MDR 1956 625, 626; Ackermann FS DJT S. 479, 508), weil es schon am Schweigegebot fehlt (Rdn. 59). Für den vornehmlich für § 353b StGB relevanten Fall, dass die von einem Beamten als Angeklagten benötigte Aussagegenehmigung gem. § 37 Abs. 3 BeamtStG verweigert wird, hat BGHSt 36 44 m. Anm. Salditt, NStZ 1989 332; BGH NJW 2007 3010 einen anderen Ausweg gewiesen: Wenn hierdurch das Recht auf Verteidigung in seinem Kern tangiert wird, so verliert das Verfahren seine rechtsstaatliche Basis und muss eingestellt werden. 190 In Passivprozessen – auch das Staates (Kreuzer NJW 1975 2232, 2236) – oder als Opfer von Gerüchten und Presseäußerungen ist der Schweigepflichtige zur Abwehr rechtswidriger Angriffe auf sein Vermögen oder seinen Ruf im Rahmen des Erforderlichen auch um den Preis der Offenbarung von Geheimnissen befugt. Rechtfertigende Norm ist § 32, wenn es um Geheimnisse des Angreifers geht, sonst § 34 (vgl. RGSt 13 60, 64).
191 bb) Allgemeininteressen. Notstandsfähig sind auch Rechtsgüter der Allgemeinheit, so dass drohende allgemeine Unruhen die Durchbrechung des Arztgeheimnisses rechtfertigen können,288 nicht aber bloße Forschungsinteressen.289 Der Streit darüber, ob der Staat selbst sich auf § 34 berufen kann,290 hat hingegen die Fallgestaltungen des § 203 bisher nicht erfasst; die Frage wird durchweg stillschweigend bejaht.291 Das ist aus mehreren Gründen auch zutreffend:
285 BGH NJW 1993 2371 f; BGHZ 115 123, 129; 122 115, 120; im Fall der Beratungshilfe AG Coesfeld AnwGeb 1999 75.
286 Im Ergebnis nahezu unstreitig, BGHSt 1 366, 368; Ackermann FS DJT 479, 501; Bockelmann Verkehrsstrafrechtliche Aufsätze S. 27, 32; Fischer Rdn. 87; Haffke GA 1973 65, 68; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift 355, 367; Ulsenheimer/Gaede Arztstrafrecht Rdn. 1078; Kreuzer NJW 1975 2232, 2236; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 25; B. Lilie S. 109; Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 164; Mergen/K. Müller II S. 63, 81; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 60; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 61; zweifelnd Heinitz FS Eb. Schmidt 266, 276. 287 BGHSt 1 366, 368; Bockelmann Verkehrsstrafrechtliche Aufsätze S. 27, 32; Haffke GA 1973 65, 68; Heussler NJW 1994 1817, 1822 f; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift 355 367; Kreuzer NJW 1975 2232, 2236; Mergen/K. Müller II S. 63, 81; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 60; Arndt/Lerch/Sandkühler BNotO § 18 Rdn. 60; einschr. Fischer Rdn. 91, der dennoch grds. eine Genehmigung fordert, deren Versagung jedoch nur unter engen Voraussetzungen möglich ist. 288 S. den Streit Ebermayer DJZ 1910 1219; JW 1911 199 – Roth JW 1911 130 und die Bezugnahme darauf in BVerfGE 32 373, 381 (Moabiter Unruhen); Flor JR 1953 368, 370. 289 Lenckner Noll-Gedächtnisschrift 243, 255; Rüping Internist 1983 206, 208; zu Interessen der Lehre (Vorstellung Kranker im Hörsaal) Grömig NJW 1970 1209, 1212; K. Müller MDR 1971 965, 970; Mergen/K. Müller II S. 63, 82, s. dagegen Fn. 20 bei Rdn. 13. 290 Fischer § 34 Rdn. 34; Zieschang LK § 34 Rdn. 34 ff; Sch/Schröder/Perron § 34 Rdn. 7; Schünemann GA 1985 341, 365 f. 291 Ausdrücklich für Anwendbarkeit Casselmann/Gundlach SGb 1981 92, 96; Kühne NJW 1977 1478, 1479; Maier SGb 1983 89, 93; Marx GA 1983 160, 164; anders Medding SGb 1986 55, 60; s. auch BVerfG NJW 1988 194. Hilgendorf
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X. Rechtswidrigkeit im Übrigen
§ 203
Hoheitlich Tätige, die zugleich die Voraussetzungen des Absatzes 1 und des Absatzes 2 192 erfüllen, sind auf Grund ihrer Funktion persönlich schweigepflichtig, und zwar grundsätzlich auch gegenüber dem Dienstherrn (Rdn. 78). Dieser kennt daher weder den maßgebenden Sachverhalt noch ist er in der Lage, dem Schweigepflichtigen Weisungen für sein Verhalten im Konflikt zu erteilen. In einem solchen Fall aber lässt sich der Abwägungsvorgang nicht dem Staat als Hoheitsträger zuordnen, auch wenn dieser, etwa haftungsrechtlich, für die Folgen einzustehen hat. Der Amtsarzt trifft im Falle des § 34 eine persönliche Entscheidung wie jeder andere Arzt in vergleichbarer Lage. Die zu entscheidenden Konfliktfälle sind auch nicht typischerweise auf den Bereich der Verwaltung beschränkt. Ein für die Allgemeinheit gefährlicher Kraftfahrer kann bei einem Amtsarzt ebenso zur Untersuchung erscheinen wie bei einem niedergelassenen Arzt oder im Krankenhaus. Die rechtliche Möglichkeit der Gefahrenabwehr darf aber nicht dem Zufall überlassen sein. Da der Konflikt weder typisch staatsbezogen noch mit hoheitlichen Mitteln lösbar ist, findet § 34 hier schon deshalb uneingeschränkt Anwendung. Auch andere Amtsträger nach Absatz 2 können Entscheidungszwängen ausgesetzt sein, die 193 nicht notwendig mit ihrer hoheitlichen Funktion verknüpft sind, aber einen Rückgriff auf § 34 erfordern. Zu denken ist an den Schulleiter, der von einem Schüler Unterlagen erhält oder bei einem Schüler Unterlagen entdeckt, welche Einzelheiten über einen umfangreichen Rauschgifthändlerring ergeben. Den Drogenkonsum eines Schülers darf der Lehrer oder Schulleiter mit den Eltern besprechen, um Abhilfe zu schaffen (Engler RdJB 1979 130, 134; Kuhns/Kohlhaas Recht der Heilberufe I 783). Die Forderung nach einer Norm, die Amtsträgern in solcher Lage einen Eingriff in Privatgeheimnisse gestattet, lässt sich angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Fälle nur in derselben allgemeinen Form verwirklichen, die in § 34 Gestalt geworden ist. Eine derartige allgemeine Vorschrift ist zwar § 30 VwVfG; sie gestattet die Offenbarung von Geheimnissen der Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens, wenn eine Güterabwägung ergibt, dass das Geheimhaltungsinteresse hinter noch wichtigeren anderen Interessen zurücktreten muss.292 Darüber hinaus ist eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses beim Vorliegen eines zwingenden öffentlichen Interesses zulässig (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO). Aber diese Bestimmungen gelten nur im Rahmen ihrer ausdrücklich festgelegten Anwendungsbereiche. Sie bedürfen der Ergänzung durch ein allgemeines Prinzip. Dies führt auf § 34 zurück, nicht jedoch zur Anerkennung einer Offenbarungsbefugnis kraft „zwingenden öffentlichen Interesses“ (aA OLG Karlsruhe NJW 1984 676; Goll S. 91; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 87). Eine Befugnis auf Grund öffentlichen Interesses müsste, wenn man sie aus dem sehr restriktiv gehandhabten § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO ableiten wollte, hinter § 34 zurückbleiben und wäre überflüssig. Im anderen Fall brächte sie die Gefahr einer Ausuferung von Offenbarungsrechten mit sich; diese ist im privaten Sektor ein Gesichtspunkt dafür, den Rechtfertigungsgrund des „berechtigten Interesses“ abzulehnen (Rdn. 186).
cc) Weitere Fallgruppen. Als weitere Fallgruppe des rechtfertigenden Notstands zum Schutz 194 der Allgemeinheit kommt nach herkömmlicher Auffassung die Offenbarung schwerer übertragbarer Krankheiten zum Schutz von Leben und Gesundheit Dritter in Betracht.293 Daher dürfe der Arzt Angehörige und Kontaktpersonen über eine Geschlechtskrankheit seines Patienten unterrichten, wenn dieser uneinsichtig ist (RGSt 38 62; RGZ 53 315, 317; OLG Frankfurt OLGR 1999 239), und unter denselben Voraussetzungen sei die Mitteilung von Gesundheitsgefahren an den Arbeitgeber gerechtfertigt, welche von einem bestimmten Arbeitnehmer ausgehen.294 Das ist 292 RegE des VwVfG des Bundes, BTDrucks. 7/910 S. 54; Knemeyer NJW 1984 2241, 2245; Pieroth JuS 1981 625; Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG § 30 Rdn. 20 ff.
293 Ackermann FS DJT 479, 502; Bockelmann S. 27, 32; Fischer Rdn. 89 f; Ulsenheimer/Gaede Arztstrafrecht Rdn. 1082, 1086; B. Lilie S. 107; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 95; Kargl NK Rdn. 64; Rengier S. 340; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 57; Hoyer SK Rdn. 86; aA Woesner NJW 1957 692, 694; kritisch auch Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 34. 294 Hinrichs DB 1980 2287, 2288; Kallfelz JW 1936 1343, 1346; B. Lilie S. 108; Schimke BB 1979 1354. 971
Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
jedenfalls bei Lebensgefahr nach § 34 unbestreitbar und gilt in erhöhtem Maße im Falle der Gefahr einer Verbreitung nicht behandelbarer tödlicher Seuchen. Ein Schweigepflichtiger, der von einer HIV-Infektion oder Infektion mit dem Corona-Virus berufliche Kenntnis erlangt, darf ungeachtet der damit verbundenen menschlichen Probleme das zum Schutz Dritter Erforderliche veranlassen.295 Unter welchen Voraussetzungen der Leiter einer Justizvollzugsanstalt befugt ist, dem Personal die notwendigen Weisungen unter Darlegung der Gründe zu erteilen und vor der Entlassung des erkrankten Häftlings die Ehefrau zu informieren, ist umstritten.296 Im Hinblick auf die von § 34 verlangte Gegenwärtigkeit der Gefahr wird man konkrete Anhaltspunkte verlangen müssen, dass entweder der HIV-Infizierte uneinsichtig ist oder der bevorstehende Kontakt mit ihm seiner Natur nach ein spezifisches Infektionsrisiko birgt, beispielsweise bei Kampfsportarten oder bei sexuellen Kontakten. Besonderheiten gelten dort, wo den Staat eine Garantenpflicht zum Schutz von Leib und Leben der infektionsgefährdeten Personen trifft, wie es im schulischen Bereich, mehr noch aber in einer Vollzugsanstalt der Fall ist, wo die Insassen ubiquitären Gefahren ausgesetzt sind, denen sie sich nicht entziehen können. Falls diesen Gefahren nicht durch eine entsprechende Gestaltung der Vollzugsbedingungen wirksam begegnet wird (z.B. Unterbringung in einer Einzelzelle, Verfügbarkeit von Kondomen und Einmalspritzen, Zur-Verfügung-Stellen von Desinfektionsmitteln und Atemmasken), besteht deshalb eine Informationspflicht,297 die für § 203 nach den Grundsätzen der Pflichtenkollision als Rechtfertigungsgrund wirkt. 195 Auch sonst sollen Gefahren für Rechtsgüter anderer den Geheimnisschutz zurücktreten lassen. Gefährdet ein unbelehrbarer Kraftfahrer nach Medikation oder infolge Drogensucht, Epilepsie, Suizidneigung konkret die Sicherheit des Straßenverkehrs, ist als letztes Mittel die Unterrichtung der Verkehrsbehörde oder der Polizei zulässig.298 Nicht anders liegt es bei einem Piloten oder Lokomotivführer, der wegen eines Gehirntumors jederzeit bewusstlos werden kann (Martin DAR 1970 302). Sieht ein Kinderarzt oder Sozialarbeiter ein misshandeltes Kind, soll er bei Wiederholungsgefahr das Jugendamt oder die Polizei einschalten dürfen299 – wobei § 34 nur herangezogen werden muss, wenn nicht ohnehin das Kind alleiniger Geheimnisgeschützter ist. Zuverlässige Kenntnis bevorstehender Straftaten von Gewicht kann den Schweigepflichti196 gen nach bisher h.M. auch außerhalb des von § 138 erfassten Bereichs dazu berechtigen, den
295 Bruns MDR 1987 353, 356; Eberbach S. 33; JR 1986 230, 233; AIFO (Aids-Forschung) 1987 281, 288 ff; Szwarc/ Geppert S. 235, 247 ff; Laufs Arztrecht Rdn. 431; Laufs/Laufs NJW 1987 2257, 2265; Laufs/Weber Chirurg 1986 277; Szwarc/Meurer S. 133, 148 f; zur Erforderlichkeitsprüfung streng Deutsch NJW 1985 2746; LSG Baden-Württemberg Rechtsmedizin 2007 332; Ulrich FÜR 2008 283. 296 Vgl. Arloth MedR 1986 295, 298; Bender NJW 1987 2903, 2910; Bruns MDR 1987 353, 357; StV 1987 504, 506, Dargel ZfStrVo 1987 156, 159; Eberbach AIFO 1987 281, 290; Schünemann/Pfeiffer/Eberbach S. 249, 257 ff; s. ferner Rdn. 219. 297 Dargel NStZ 1989 207 ff; Langkeit Jura 1990 459 f; Laufs/Laufs NJW 1987 2257, 2264 f; Laufs/Kern/Rehborn/ Ulsenheimer Handbuch § 144 Rdn. 13 ff; Schünemann/Pfeiffer/Schünemann S. 496 ff; Busch/Heckmann/Marks/Schünemann HIV/AIDS und Straffälligkeit (1991) S. 93, 152 f; unter Hinweis auf § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG Szwarc/Schünemann S. 9, 42; Tröndle FS Schmitt 231, 237 f; grundsätzlich ebenso, wenn auch einschränkend Kreuzer ZStW 100 (1988) 786, 803; LG Bonn NStZ 1987 140. Vgl. ferner die Nachw. in Fn. 298, 299 und Rdn. 219. 298 BGH NJW 1968 2288 m. Anm. Händel NJW 1969 555; OLG München MDR 1956 565 m. Anm. Mittelbach; Bockelmann S. 27, 34, 47; MMW 1967 2710; Fischer Rdn. 90; Händel DAR 1977 36; ders. FS Leithoff 555; Kohlhaas VersR 1965 529, 532; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 632; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 25; B. Lilie S. 108; Meurer 14. Deutscher Verkehrsgerichtstag (1976) S. 301, 310; Mergen/K. Müller II S. 63, 80; MDR 1971 965, 970; Rieger DMW 1999 674 f; Schlund JR 1977 265, 268; ders. DAR 1995 50, 53 f; Geppert FS Gössel 303, 310 ff; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 57; Vollmer S. 72; aA Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 34; Woesner NJW 1957 692, 694. 299 Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift 355, 369; Kohlhaas VersR 1965 529, 532; B. Lilie S. 107; Lücken RdJB 1969 289, 293; Mörsberger/Onderka/Schade Datenschutz S. 172, 192; Dickmeis ZfJ 1995 474; Menne ZfJ 1993 291; Bender MedR 2002 626; einschr. Haffke GA 1973 65, 70. Hilgendorf
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X. Rechtswidrigkeit im Übrigen
§ 203
Bedrohten zu warnen oder die Polizei zu informieren300 – was im Hinblick auf § 139 Abs. 3 Satz 2 Bedenken begegnet, jedoch vom Strafrahmenvergleich gestützt wird. Voraussetzung ist aber auch nach dieser Auffassung stets die konkrete Gefahr weiterer Rechtsbrüche sowie das Fehlen milderer Abwehrmittel. An dieser letzten Voraussetzung fehlt es z.B. bei dem Drogenkurier, der das Rauschgift intrakorporal transportiert hat und mit dem „Body-Packer-Syndrom“ in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Die Vernichtung des wieder zutage geförderten Stoffs genügt.301 Allgemeine präventive Interessen des Rechtsgüterschutzes rechtfertigen einen Eingriff in Privatgeheimnisse aber nicht, ebenso wenig die allgemeine staatliche Pflicht zur Strafverfolgung nach begangener Tat, so dass ein Bruch der Schweigepflicht zum Zweck der Strafverfolgung niemals gerechtfertigt sein kann.302 Daher gestatten auch das Interesse der Krankenkassen am Schutz vor betrügerischen Simulanten und das Interesse der Allgemeinheit an der ordnungsgemäßen Verwendung öffentlicher Mittel (aA Mörsberger/Onderka/Schade Datenschutz S. 172, 193) keinen Bruch der Verschwiegenheitspflicht. Zur Anzeigeerstattung durch den Geschädigten Rdn. 189. Umstritten ist, ob der Arzt oder der Verteidiger ihre Schweigepflicht brechen dürfen, um 197 einen Unschuldigen vor Verurteilung zu retten. Die Frage ist nach überwiegender Auffassung zu bejahen. Der unberechtigte Eingriff in Freiheit oder Vermögen eines anderen durch Strafe wiege im Rechtsstaat so schwer, dass der Geheimnisschutz weichen dürfe.303 Ebenso soll es sich verhalten, sobald ein wichtiger Zivilprozess einen falschen Ausgang zu nehmen droht.304 Aber diese bezeichnenderweise kaum durch Rechtsprechungsbeispiele belegbare, die Schweigepflicht von Ärzten, Rechtsanwälten etc. weitestgehend aushöhlende Auffassung wird der grundrechtlichen Verankerung des in § 203 geschützten Rechtsgutes nicht gerecht und ist darüber hinaus nicht nur systemwidrig, sondern auch unpraktikabel. Weil es ja gerade Konflikte sind, in denen die Schweigepflicht relevant wird, darf sie nicht allein zur Sicherstellung sachlich zutreffender Gerichtsurteile suspendiert werden. Nach der Wertung des § 139 Abs. 3 Satz 2 tritt die Schweigepflicht von Rechtsanwälten und Ärzten auch nur bei wenigen, besonders gravierenden Straftaten hinter die Pflicht zur Straftatenverhinderung zurück, und die Prozessordnungen lassen wiederum das Aussageverweigerungsrecht nur im Falle der Entbindung (s. etwa § 53 Abs. 2 StPO), nicht aber bei „prozessausschlaggebender Bedeutung“ zurücktreten. Wollte man gleichwohl in diesen Fällen zwar keine Anzeige- oder Aussagepflicht, aber ein diesbezügliches Recht der Vertrauensperson annehmen, so würde man eine Art rechtsfreien Raum für beliebige Handlungsentschlüsse schaffen, was kriminalpolitisch keinen Sinn macht und dem Schweigepflichtigen Steine statt Brot gibt, wenn er auf eine Beurteilung des Einzelfalles verwiesen wird (charakteristisch Michalowski S. 532, 536). Erst recht kann die Heranziehung des § 34 StGB nicht zur Behebung organisatorischer Schwierigkeiten im Betrieb des Schweigepflichtigen herangezogen werden, so dass die Offenbarung von Geheimnissen gegenüber dem Wartungs- und Servicepersonal eines Computer-Netzwerkes entgegen Otto wistra 1999 201, 204 ff auch bei Etablierung einer strengen Kontrolle über die Angehörigen der Wartungsfirma nicht durch eine Güter- und 300 Haffke GA 1973 65, 69; Jähnke LK10 Rdn. 89; Kuhns/Kohlhaas Recht der Heilberufe I 783; Michalowski S. 532 ff mit nicht weiterführendem Verweis auf eine Einzelfallentscheidung; Rengier S. 340; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 58; Hoyer SK Rdn. 83. 301 Laufs/Weber Chirurg 1986 277; Miltner/Sauer Rauschgift auf Station, DMW 1986 1125. 302 Bockelmann S. 27, 36; Flor JR 1953 368, 370; Haffke GA 1973 65, 69; Kauder StV 1981 564; Kohlhaas GA 1958 65, 74; VersR 1965 529, 532; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 25; Martin DAR 1970 302; 305; Michalowski S. 530 f; Ostendorf DRiZ 1981 4, 11; Rengier S. 341; Rüping Internist 1983 206, 208; Schilling JZ 1976 617, 620; einschr. Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 58; s. ferner LG Karlsruhe StV 1983 144 m. Anm. Kreuzer. 303 Flor JR 1953 368, 370; Haffke GA 1973 65, 68; Heussler NJW 1994 1832; Jähnke LK10 Rdn. 90; Hoyer SK Rdn. 89; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 95; Kargl NK Rdn. 66; Eser/Hirsch/Lenckner S. 227, 238; Michalowski S. 536; Schilling JZ 1976 617, 620; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 60; Schwalm Med. Klinik 1969 1722, 1726; weitgehend aA Ackermann DJTFestschrift S. 479, 494; Beulke S. 121; Dahs Hdb. d. Strafverteidigers Rdn. 56; Kalsbach AnwBl. 1955 41, 44; K. Müller MDR 1971 965, 970; Mergen/K. Müller II S. 63, 80; Woesner NJW 1957 692, 694. 304 Dahs JR 1987 476; Jähnke LK10 Rdn. 90; Kohlhaas Medizin und Recht S. 30; Göppinger/Lenckner S. 159, 183; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 60; Timm S. 69. 973
Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
Interessenabwägung gerechtfertigt werden kann (es wird allerdings – je nach organisatorischer Eingliederung des Personals – Abs. 3 S. 1 oder 2 einschlägig sein können, s. Rdn. 70 ff, 97 ff). Erst recht ist ein Arzt nicht befugt, die Identität eines Patienten gegenüber einem Geschädigten preiszugeben (OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.6.2006, 14 U 45/04); and. und irrig LAG Köln ARST 2004 164 für den Fall, dass ein Patient als Zeuge in Betracht kommt.
198 dd) Interessen des Betroffenen. Die Durchbrechung der Schweigepflicht kann auch zur Erhaltung von Rechtsgütern des Betroffenen selbst gerechtfertigt sein, etwa gegenüber Angehörigen oder Ärzten bei Suizidneigung – unstr. bei Minderjährigen oder psychisch Kranken, nach h.M. auch sonst,305 nicht aber bei bloßer sittlicher Gefährdung (überholt Kohlhaas in Kuhns Recht der Heilberufe I 784). Aber ebenso wenig wie aufgedrängte Nothilfe (BGHSt 5 245, 248) ist Notstandsrettung gegen den fehlerfrei gebildeten Willen des Gefährdeten zulässig (RGSt 61 242, 256; Zieschang LK § 34 Rdn. 31). Gesundheitsgefahr kann deshalb zu Bemühungen um Erlangung der Einwilligung in die notwendigen Maßnahmen verpflichten, gibt aber keine Befugnis zur Missachtung des Geheimhaltungswillens des Betroffenen. Dessen Wille tritt dagegen in den Rang eines gewöhnlichen Abwägungsgesichtspunkts zurück, wenn die Notstandshandlung zugleich der Bewahrung von überwiegenden nicht disponiblen Rechtsgütern des Betroffenen oder anderer dient.306 In außergewöhnlichen Sachlagen darf daher der Verteidiger das Anwaltsgeheimnis durchbrechen, um den Mandanten vor einer Verurteilung auf Grund falscher Selbstbezichtigung zu retten (Beulke S. 120; aA Dahs Hdb. des Strafverteidigers Rdn. 56), sofern es um eine gravierende Freiheitsstrafe geht. Umgekehrt kann es aber der bloße Schutz der Familie niemals rechtfertigen, die Eltern eines bereits einsichtsfähigen Minderjährigen gegen seinen Willen über seinen Lebenswandel ins Bild zu setzen (aA BVerfGE 59 360). Der Wunsch eines im Wege heterologer Insemination gezeugten Kindes nach Klärung seiner Abstammung ist mangels einer Gefahrenlage von vornherein kein Fall des § 34 (aA Timm S. 71; dazu auch Rdn. 173).
199 ee) Keine Offenbarungspflicht. § 34 selbst schafft immer nur ein Recht, keine Pflicht (Kohlhaas DAR 1957 345; Lenckner NJW 1965 321, 326). Keine aus § 34 zu beantwortende Frage ist es daher, ob die Offenbarungsbefugnis beim Hinzutreten weiterer Umstände zu einer Offenbarungspflicht werden kann,307 etwa in Form einer Pflicht zur Anzeige bevorstehender schwerer Straftaten gem. §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB.
5. Behördenverkehr. Amtshilfe 200 a) Grundlagen. Die Offenbarung von Privatgeheimnissen nach außen ist auch Behörden, soweit nicht Abs. 3 S. 2 greift (Rdn. 94 ff), (nur) beim Einverständnis des Betroffenen gestattet oder wenn Spezialvorschriften sie anordnen oder zulassen. In § 30 VwVfG bzw. in den entsprechenden Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder ist als Grundsatz die Geheimhaltungspflicht statuiert, die auch § 203 Abs. 2 zugrunde liegt. Solange das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht als Grundrecht anerkannt war und dementsprechend nicht von 305 Händel FS Leithoff 555; Rieger DMW 1975 567; Timm S. 68; BayObLG NJW 1995 1624; Cierniak/Niehaus MK Rdn. 93. 306 Dazu BGH JZ 1983 151; Eser NStZ 1984 49, 57; Geiger JZ 1983 153; Kreuzer JR 1984 294; Laufs NJW 1983 1345, 1347; Lilie NStZ 1983 314; Ulrich MedR 1983 137; Timm S. 76; für den Fall des verletzten Fußballspielers, der dennoch eingesetzt werden soll, bedenklich Bockelmann MMW 1967 2710. 307 Bockelmann Verkehrsstrafrechtl. Aufsätze S. 27, 40; MMW 1967 365, 375; Bruns MDR 1987 353, 356; Eberbach JR 1986 230, 233; AIFO 1987 281, 290; Fink DÖV 1957 447, 450; Kohlhaas GA 1958 65, 76; Martin DAR 1970 302, 308; Meurer 14. Deutscher Verkehrsgerichtstag (1976) S. 301, 310; Vollmer S. 160; Wilts NJW 1966 1837. Hilgendorf
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X. Rechtswidrigkeit im Übrigen
§ 203
einem Gesetzesvorbehalt für die Geheimnispreisgabe ausgegangen wurde, begnügte man sich mit der Formel von der Güter- und Interessenabwägung (so noch Jähnke LK10 Rdn. 92), die aber dem Gesetzesvorbehalt nicht gerecht wird. Auch ein Verweis auf § 34 ändert daran kaum etwas, weil es im Alltag der Verwaltung nicht um Not- und Ausnahmesituationen geht, die allein eine Heranziehung dieser Vorschrift für das Handeln der öffentlichen Gewalt legitimieren könnten.308 Die Preisgabe von Privatgeheimnissen durch die Behörde bedarf deshalb stets einer gesetzlichen Grundlage (zahlr. Beisp. bei Sch/Schröder/Eisele Rdn. 81 ff).
aa) Sozialgeheimnis. Am detailliertesten ist sie bezüglich des Sozialgeheimnisses (§ 35 201 SGB I) in den §§ 276 f., 396 SGB V, 61 ff SGB VIII, 67 ff SGB X geregelt.309 Die hier für die Weitergabe von Patientendaten errichteten Grenzen dürfen auch nicht über eine Einwilligungserklärung des Betroffenen ausgehebelt werden (z.B. Leistungsabrechnung durch private Dienstleistungsunternehmen, BSG CR 2009 460). Zu nennen ist ferner das Umweltinformationsgesetz vom 8.7.1994 (BGBl. I S. 1490; dazu etwa BVerwG DVBl. 1999 1134) in der Neufassung vom 27.10.2014 (BGBl. I S. 1643) nach dem Muster des US-amerikanischen Freedom of Information Act, nach dem grundsätzlich jeder Bürger ein Recht auf Zugang zu allen behördlichen Daten besitzt.310 Die erlassenen Gesetze zur Regelung des Zugangs der Bürger zu den Informationen des Staates geben grundsätzlich kein Recht, Privatgeheimnisse zu offenbaren. Nach dem IFG (Informationsfreiheitsgesetz des Bundes vom 5.9.2005, BGBl. I S. 2722) besteht zwar nach § 1 grundsätzlich für jeden Bürger der Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber den Behörden des Bundes. Gemäß § 5 darf aber Zugang zu personenbezogenen Daten nur gewährt werden, soweit das Informationsinteresse des Antragstellers das schutzwürdige Interesse des Dritten am Ausschluss des Informationszugangs überwiegt oder der Dritte eingewilligt hat, was gem. Abs. 2 bei Informationen, die einem Berufs- oder Amtsgeheimnis unterliegen, nicht der Fall ist; bei Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen besteht gem. § 6 sogar ohne Einwilligung des Betroffenen niemals ein Anspruch auf Informationszugang. Gestattet eine Rechtsvorschrift die Mitteilung von Tatsachen aus öffentlichen Registern oder aus zentralen Karteien, so fehlt es am Geheimnischarakter der Tatsache selbst dann, wenn die Erteilung der Auskunft von der Darlegung eines berechtigten Interesses abhängt (str., s. Rdn. 38, speziell zur Kfz-Halterauskunft nach § 39 StVZO Rdn. 81). Jedenfalls schließt ein Auskunftsanspruch die Unbefugtheit der Offenbarung aus (OLG Stuttgart NJW 2006 2197 am Beispiel des § 18 Abs. 3 S. 4 SGB VIII). Eine ebenso detaillierte wie für die Informationsfreiheit optimale, für die Rechte der Betrof- 202 fenen aber nicht bedenkenfreie Regelung enthält das Stasi-Unterlagengesetz (StUG) vom 20.12.1991 (BGBl. I S. 1991, 2272); eine Übersicht über den Gesetzesinhalt und die Änderungsgesetze geben Stoltenberg DtZ 1992 65 ff; ders. DtZ 1994 386 ff; Schmidt DtZ 1997 106 ff; Stoltenberg DuD 1997 149 ff; Brandenburger KJ 1995 351 ff; Motsch FS Helmrich 95; Palm/Roy u. von Lindheim NJW 1998 3005, 3012; Arndt NJW 2001 2948. Zum Straftatbestand des § 44 StUG u. Rdn. 228. 308 So die vermittelnde Auffassung von Maurach/Zipf AT I § 27 Rdn. 33 f; Bottke JA 1980 93, 95; ders. Jura 1987 356 363 ff; Dencker FS Dünnebier S. 447, 457; Seelmann ZStW 95 (1983) 797, 809 ff; gegen jede Anwendbarkeit des § 34 auf staatliches Handeln eingehend Zieschang LK § 34 Rdn. 37 ff. Selbst nach der großzügigeren Rechtsprechung (BGHSt 27 260; 31 304, 307; 34 39, 51 f) wird man für die Alltagssituation der Verwaltung zu keinem anderen Ergebnis kommen, weil Interessen anderer Bürger das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen selten überwiegen werden und weil es oft genug auch an der Notwendigkeit der Preisgabe fehlen, schließlich auch ein Ausmanövrieren der die Verfahrensbeteiligung regelnden, speziellen Verfahrensordnung kein angemessenes Mittel sein wird. 309 Vgl. dazu außer den SGB-Kommentaren LG Frankfurt NJW 1988 84; LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 5.4.2007, L 5 KR 166/06; Bittmann NJW 1988 3138; Ensslen NDV 1999 121 ff; Kunkel NDV 1992 87; StV 2000 531 ff; Vahle DVP 1999 102 ff; Vogel S. 42 ff; Würthwein S. 96 ff; Gebauer NJW 2003 777; umfassend Rasmussen Sozialdatenschutz in der Praxis; Proksch Sozialdatenschutz mit krit. Rezension v. Rauschert ZfJ 1996 414. 310 Vgl. dazu Borchert ZRP 1996 124 f; Kaase/Max/Krupp/Pflanz/Scheuch/Simitis/Scherer Datenzugang und Datenschutz – Konsequenzen für die Forschung (1980), S. 37 ff. 975
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§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
203 bb) Justiz. Besondere Bedeutung hatte schon immer im Justizbereich das Recht der Akteneinsicht durch die Verfahrensbeteiligten (dazu BGHZ 89 65; BPatG NJW 1975 600, KG CuR 1987 504 m. Anm. Schultz S. 489) und durch Dritte (zur Unterrichtung von Verwaltungsbehörden s. Rdn. 208). Nach dem Volkszählungsurteil (BVerfGE 65 1) bedarf es dafür einer gesetzlichen Grundlage; bis zu deren Schaffung sollte aber nach anfänglich einhelliger Auffassung die bisherige, auf Verwaltungsvorschriften gestützte Praxis hinnehmbar sein und damit das von ihr im Wesentlichen angewandte, letztlich doch auf eine analoge Anwendung des § 193 hinauslaufende Prinzip der Güter- und Interessenabwägung,311 das bei Drittgeheimnissen besondere Zurückhaltung verlangt. Durch das Justizmitteilungsgesetz vom 18.6.1997 (BGBl. I S. 1430) wurde diese Rechtsgrundlage für zahlreiche Gebiete geschaffen, darunter zwischen der Strafjustiz und den Verwaltungsbehörden (näher Rdn. 208). 204 Im Strafverfahren war immer schon die Akteneinsicht des Verteidigers in § 147 StPO und später diejenige des Verletzten in § 406e StPO zwar in der Sache nicht bedenkenfrei,312 aber formal ausreichend geregelt, nicht aber die Akteneinsicht von Dritten, für die die bloße Verwaltungsanordnung der Nr. 185 RiStBV die erforderliche gesetzliche Grundlage nicht ersetzen konnte und deren Gewährung deshalb seit dem Ablauf der 13. Legislaturperiode 1998 außerhalb der allgemeinen Rechtfertigungsgründe verboten313 war, so dass nur noch beschränkte Informationsrechte aus dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (§ 169 GVG) und für die Zulässigkeit von Fahndungsmaßnahmen bis hin zur Einschaltung von Presse, Rundfunk und Fernsehen durch die Regelung des Steckbriefes in § 131 StPO existierten.314 Abhilfe brachte erst das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts – Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 (StVÄG 1999) (BGBl. I S. 1253, Übersicht bei Brodersen NJW 2000 2536). Kernstück des Gesetzes ist die Erweiterung des 8. Buches um die Abschnitte „Erteilung von Auskünften und Akteneinsicht, sonstige Verwendung von Informationen für verfahrensübergreifende Zwecke, Dateiregelungen“ mit den §§ 474–482 StPO. Die Speicherung personenbezogener Daten durch Gerichte und Strafverfolgungsbehörden und der Umgang mit diesen Dateien sowie die Erteilung von Akteneinsicht und Auskünften an Nicht-Verfahrensbeteiligte (gem. § 474 StPO an öffentliche Stellen, gem. § 475 StPO an Privatpersonen, gem. § 476 StPO zu Forschungszwecken, gem. § 477 StPO von Amts wegen) sind darin in formell einwandfreier Erfüllung der vom BVerfG aufgestellten Anforderungen gesetzlich geregelt worden. Dass das Gesetz in seiner Gesamtheit die seit den Siebziger Jahren anhaltende „Verpolizeilichung“ des Strafverfahrens fortsetzt, steht auf einem anderen, im Rahmen des § 203 nicht zu beschreibenden Blatt.
205 cc) Presse. Das Presserecht begründet keine schrankenlose Offenbarungsbefugnis; das in den Landespressegesetzen verankerte Recht auf Auskunft315 ist nicht absolut, sondern muss, wie die 311 Vgl. BVerfGE 27 344; 34 205 (Scheidungsakten); BVerwGE 19 179; 35 225; BVerwG BB 1959 208; JZ 1987 474 (Personalakten); BVerfG NStZ 1987 286; OVG NW K&R 1999 430; OLG Hamm NStZ 1986 236 m. Bespr. Grandel JA 1987 158; OLG Koblenz NStZ 1985 426 m. Anm. Herrmann NStZ 1985 565; OLG Koblenz NStZ 1987 289; LG Regensburg NStZ 1985 233 (Strafakten); H. Schäfer Die Einsicht in Strafakten durch Verfahrensbeteiligte und Dritte, NStZ 1985 198; Grandel Die Strafakteneinsicht durch Verletzte und nichtverfahrensbeteiligte Dritte im Licht des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, iur. Diss. Augsburg 1989. 312 Schünemann NStZ 1986 193, 194 ff, 198 f; StV 1998 391, 392 ff; Fuchs Gutachten zum 13. Österreich. Juristentag 1997, S. 92, 100; Weigend Deliktsopfer und Strafverfahren (1989), S. 507 f. 313 Roxin Strafverfahrensrecht25 § 19 IV Rdn. 67; Simitis NJW 1997 1902; v. Wedel/Eisenberg NStZ 1989 505, 507 f; OLG Frankfurt NJW 1996 1484; AG Wolfratshausen StV 1995 355; aA Laufhütte KK4 § 147 Rdn. 21; OLG Hamburg StV 1996 707; NJW 1995 1440; unter Hinweis auf § 16 Abs. 1c des nordrhein-westfälischen Datenschutzgesetzes auch OLG Hamm NStZ-RR 1996 11; Groß/Fünfsinn NStZ 1992 105. 314 Dazu Bottke ZStW 93 (1981) 425; Ostendorf GA 1980 445, 455; Roxin Strafverfahrensrecht25 § 32; Soiné Öffentlichkeitsfahndung (1991); ders. ZRP 1994 392; Wente StV 1988 216, 222 f; krit. zu dieser Rechtsgrundlage Beschlüsse der 51. Konferenz der Datenschutzbeauftragten DuD 1996 425. 315 Üblicherweise in deren § 4, Nachw. bei Wente StV 1988 216 Fn. 4. Hilgendorf
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X. Rechtswidrigkeit im Übrigen
§ 203
Landespressegesetze selbst festlegen, an der Schutzwürdigkeit betroffener privater Interessen gemessen werden. Daraus ist teilweise der Schluss gezogen worden, dass das Presserecht also überhaupt kein Auskunftsrecht begründe, sondern dieses voraussetze.316 Die Gegenmeinung sieht genau umgekehrt in § 203 Abs. 2 keine Geheimhaltungsvorschrift im Sinne der Landespressegesetze und lässt deshalb generell den Auskunftsanspruch vorgehen.317 Die letztgenannte, pressefreundliche Auffassung beruht jedoch auf der Verzeichnung des § 203 als eines Delikts nicht zum Schutz von Individualrechtsgütern, sondern nur eines vagen und deshalb leicht in den Hintergrund zu drängenden Kollektivvertrauens und ist deshalb nicht haltbar. Die erstgenannte, geheimnisfreundliche Auffassung kann aber andererseits auch nicht im Sinne eines absoluten Unterrichtungsverbots verstanden werden, weil dadurch der in Art. 5 GG verankerte presserechtliche Auskunftsanspruch letztlich ad absurdum geführt würde. In diesem Bereich wird deshalb um die im Verfassungsrecht so beliebte und im Strafrecht wegen ihrer Verschwommenheit so missliche Güter- und Interessenabwägung (exemplarisch BVerfG EuGRZ 1999 490; BGH GRUR 2017 1058, 1063; OLG Hamm NJW 2000 1278) nicht herumzukommen sein, zust. Cierniak/Niehaus MK Rdn. 125. Hierbei muss aber insbesondere im Fall der sog. Verdachtsberichterstattung der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) weitaus mehr Gewicht beigemessen werden, als es der zunehmend ausufernden Öffentlichkeitsarbeit der Strafverfolgungsbehörden und der zivilrechtlichen Judikatur318 entspricht (Roxin NStZ 1991 153; Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht § 18 Rdn. 21 f; Braun Medienberichterstattung über Strafverfahren im deutschen und englischen Recht [1998]; Hamm Große Strafprozesse und die Macht der Medien [1997]; Stapper Namensnennung in der Presse im Zusammenhang mit dem Verdacht strafbaren Verhaltens [1995]).
b) Verwaltungsinterna. Beim Informationsaustausch innerhalb der Verwaltung ist zu diffe- 206 renzieren. Der Geschäftsverkehr innerhalb eines Amtes im funktionellen Sinne – mit Ausnahme von Tätigkeiten der Schweigepflichtigen des Absatzes 1 – fällt nicht unter § 203 (Rdn. 77). Die aus Sach- oder Rechtsgründen bei der Vorbereitung einer Entscheidung gebotene Beteiligung anderer Behörden oder Gremien findet ihre Rechtfertigung jedenfalls in der Dienstpflicht zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung (Rdn. 77). Dienstliche Befugnis rechtfertigt ferner die Weitergabe der Schülerakten beim Schulwechsel eines Schülers (im Ergebnis auch Engler RdJB 1979 136; allgemein dazu BVerwG JZ 1987 474). Weitgehend ungeklärt ist, ob und inwieweit nach dem Volkszählungsurteil BVerfGE 65 1 207 die gegenseitige Unterrichtung verschiedener Behörden ohne konkreten Anlass oder die Information anderer Behörden mit dem Ziel, ihnen Handhaben für ein Tätigwerden von Amts wegen zu verschaffen, zulässig ist (Schlink S. 219). Zur Übermittlung von Geheimnissen im Wege derartiger Spontanhilfe (vgl. BGHZ 34 184) bedarf es eines Gesetzes, da die Übergangszeit abgelaufen ist (s.o. Rdn. 203) und deshalb für die frühere, auf Verwaltungsübung oder Richtlinien beruhende Praxis keine ausreichende Grundlage mehr besteht.319 Unberührt davon bleibt die jedermann und auch Behörden zustehende Befugnis, Strafanzeige zu erstatten (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 86). Für den Umfang dieser Befugnis enthält § 69 Abs. 1 Nr. 2 SGB X einen der Verallgemeinerung zugänglichen Rechtsgedanken. Zum Informationsaustausch zwischen Verfassungs316 Jähnke LK10 Rdn. 93; Bornkamm NStZ 1983 102, 108; Goll S. 180; Knemeyer NJW 1984 2241, 2245; Ostendorf GA 1980 445, 460 ff; Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG, § 30 Rdn. 19.
317 OLG Schleswig NJW 1985 1090 m. Anm. Wente NStZ 1986 366; OLG Karlsruhe NJW 1986 145; OLG Koblenz wistra 1987 359; Löffler/Burkhardt § 4 LPG Rdn. 1 ff; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 21; Treffer ZUM 1990 507; Wagner JZ 1987 705, 708 f. 318 Z.B. BGH NJW 2000 1036; OLG Hamm NJW 2000 1278; OLG Koblenz NJW-RR 2004 691; OVG Münster NJW 2005 618. 319 Überholt Franzheim ZRP 1981 6, 8; Gola NJW 1987 1675; Schlink NVwZ 1986 249; s. auch bereits OLG Frankfurt NJW 1988 2488; OLG Hamburg JR 1986 167 m. Anm. Meyer. 977
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§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
schutzbehörden BVerwG NJW 1984 1636 m. Anm. Simitis/Wallbrock NJW 1984 1591; Roewer NJW 1985 773; ders. NVwZ 1989 11 m. Erwiderung Riegel NVwZ 1989 539. 208 Der Informationsverkehr zwischen den Strafverfolgungs- und den Verwaltungsbehörden war ebenfalls nicht durch Gesetz, sondern nur durch die Verwaltungsanordnung der „Mitteilungen in Strafsachen“ (MiStra), s. BAnz. 1985 Nr. 60, geregelt, die den Anforderungen des BVerfG nicht genügten (Flerg NJW 1991 1016 ff). Dieses verfassungsrechtliche Defizit ist vom Gesetzgeber noch in der 13. Legislaturperiode beseitigt worden, nämlich durch das Justizmitteilungsgesetz (JuMiG) vom 18. Juni 1997 (BGBl. I 1430). Durch dieses Gesetz ist zunächst eine Art „Allgemeiner Teil“ in Gestalt des 2. Abschnitts „Verfahrensübergreifende Mitteilungen von Amts wegen“, §§ 12–22, in das EGGVG eingefügt worden, kraft dessen die Übermittlung personenbezogener Daten von Amts wegen durch Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaften an öffentliche Stellen des Bundes oder eines Landes generell gestattet ist, während die Begründung von Mitteilungspflichten nach wie vor Verwaltungsvorschriften (vor allem weiterhin der MiStra) überlassen bleibt.
209 c) Amtshilfe. Für die im Einzelfall auf Ersuchen geleistete ergänzende Hilfe (Amtshilfe)320 enthält Art. 35 GG eine Rahmenregelung, keine Kompetenznorm. Zu einem Amtshilfeersuchen bedarf die ersuchende Behörde vielmehr einer eigenen Rechtsgrundlage. Ob eine solche in den §§ 4 ff VwVfG zu finden ist (Barbey FS Jur. Gesellschaft Berlin 25, 36), ob eine spezielle Bestimmung erforderlich ist, sofern Behörden mit verschiedener sachlicher Zuständigkeit beteiligt sind (Schlink S. 241; NVwZ 1986 249), oder ob es stets einer besonderen Vorschrift bedarf, die freilich aus dem Aufgabenbereich der Behörde und ihrer Pflicht zur Sachaufklärung durch Auslegung zu gewinnen sein könnte (Bullinger NJW 1978 2121, 2126; Steinbömer DVBl. 1981 340, 348), ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung. Eine solche Norm würde nur die Pflicht zur allgemeinen Amtsverschwiegenheit aufheben. Die Übermittlung von Geheimnissen im Wege der Amtshilfe rechtfertigt sich dagegen allein auf Grund von Sondernormen, welche die Kraft haben, Geheimhaltungspflichten zu durchbrechen und eine gesteigerte Auskunftspflicht zu begründen.321 210 Modell eines solchen Normengefüges ist – wenn nicht Abs. 3 S. 2 greift – § 161 Abs. 1 StPO im Zusammenspiel mit § 35 SGB I, §§ 67 ff SGB X. § 161 StPO begründet als Ausprägung des Verfassungsauftrags einer effektiven Strafrechtspflege (BVerfGE 51 324, 343 f; BVerfG wistra 1987 134) ein umfassendes Auskunftsrecht der Staatsanwaltschaft (entspr. § 163 Abs. 1 Satz 2 StPO in der Neufassung des StVÄG 1999 auch der Polizei) gegenüber allen Behörden. Dieses Recht öffnet wegen seines hohen, verfassungsrechtlich ableitbaren Ranges auch Geheimnisse dem Zugriff im Wege der Amtshilfe,322 so nach ständiger Praxis z.B. Bankkonten bei öffentlichrechtlichen Kreditinstituten. Sozialdaten dürfen jedoch nur in dem Rahmen übermittelt werden, den die
320 Zum Begriff § 4 VwVfG; Ehlers/Pünder/Pünder Allgemeines Verwaltungsrecht § 14 Rdn. 56; Meyer-Teschendorf JuS 1981 187; Schnapp FS Wannagat 449, 454. 321 BVerwGE 38 336, 340; 50 301, 310; OLG München OLGZ 1972 360; VG Berlin NJW 1960 1410; Benda/Maihofer/ Vogel/Benda Hdb. des Verfassungsrechts § 16 Rdn. 53; Breer-Kohler VerwRdsch. 1987 114, 116; Fischer Rdn. 82 f; Goll S. 85; Mergen/Kierski II S. 126, 143; Meyer/Borgs VwVfG § 5 Rdn. 17; Schnapp NJW 1980 2165, 2169; Sch/Schröder/ Eisele Rdn. 84; Schwan VerwArch. 1975 134, 136; Stelkens/Bonk/Sachs/Schmitz VwVfG § 5 Rdn. 30 f; Übersicht der Sondernormen bei Cierniak/Niehaus MK Rdn. 133, 135 f. 322 OLG Karlsruhe NJW 1986 145, 146; Alsberg/Nüse/Meyer Der Beweisantrag im Strafprozeß5 (1983) S. 474; Große/ Rösemann Polizei 1988 71, 75; Jakobs JR 1982 359, 360; Ostendorf DRiZ 1981 4, 7; W. Schmidt ZRP 1979 185, 188; Sch/ Schröder/Eisele Rdn. 83; aA Goll S. 96 ff, 102; Meyer-Teschendorf JuS 1981, 187, 192; Walter NJW 1978 868, 869. Hilgendorf
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X. Rechtswidrigkeit im Übrigen
§ 203
Vorschriften des SGB (vgl. § 67d Abs. 1 SGB X) im Einzelnen abschließend abstecken.323 Ähnliche Schutzwirkungen entfaltet das Steuergeheimnis (§ 30 AO), das aber in jüngster Zeit durch das Geldwäschegesetz (Rdn. 172) und anlässlich des Abzugsverbots von Bestechungsgeldern gegenüber den Strafverfolgungsbehörden zunehmend suspendiert und durch Mitteilungspflichten ersetzt wird (Marx PStR 1999 16 ff; v. Stuhr/Walz StuB 1999 408 ff); die das Steuergeheimnis eo ipso verdrängende Anzeigepflicht der Finanzbehörden ist in § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG statuiert. Entsprechendes gilt gemäß §§ 31a und b AO für den Finanzbehörden bekannt gewordene Geheimnisse, welche eine illegale Beschäftigung oder Schwarzarbeit, Leistungsmissbrauch, Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung betreffen.
6. Innerdienstliche Offenbarungsbefugnisse der unter Absatz 1 und Absatz 2 fallenden Schweigepflichtigen Infolge des Vorrangs der nach Absatz 1 begründeten Schweigepflicht haben Amtsträger, die zu- 211 gleich eine der in Absatz 1 aufgeführten Funktionen bekleiden, hinsichtlich der in dieser Funktion erfahrenen Geheimnisse auch innerhalb der Behörde zu schweigen (Rdn. 78; für Sozialarbeiter s. aber Rdn. 61). Ihre Unterlagen müssen sie so aufbewahren, dass anderen Bediensteten der Zugang verwehrt ist. Von diesem Grundsatz bestehen indessen Ausnahmen. Die Einbindung des Schweigepflichti- 212 gen in den Verwaltungsapparat kann – wenn nicht schon Abs. 3 S. 1 greift – zu Offenbarungsrechten kraft dienstlicher Befugnis führen, wenn und soweit eine Offenlegung von Geheimnissen zur Erfüllung der der Behörde zugewiesenen Aufgaben unerlässlich ist (Lackner/Kühl/Heger Rdn. 20; Mörsberger/Onderka/Schade Datenschutz S. 172, 191; aA Kühne Berufsrecht S. 140). Der Arzt in der Justizvollzugsanstalt muss dem Anstaltsleiter die Informationen liefern, deren er für einen geordneten Vollzug im Einzelfall und im Gesamtinteresse bedarf. So sind insbesondere die Ergebnisse von Pflichtuntersuchungen und Erkrankungen zu melden, welche in die „Vollzugsgemeinschaft“ hineinwirken.324 Ebenso muss der Truppenarzt Einschränkungen der Wehrtauglichkeit des Soldaten oder Gefahren für die Dienstfähigkeit anderer offenbaren.325 Kraft Gesetzes mitzuteilen hat der Musterungsarzt die Ergebnisse seiner Untersuchung (zum psychologischen Dienst Kühne Berufsrecht, S. 316 ff). Sieht das Gesetz vor, dass bestimmte Entscheidungen in Gremien vorzubereiten oder zu treffen sind, müssen die Mitglieder das notwendige Tatsachenmaterial erhalten, weil sie ihre Aufgabe sonst nicht erfüllen können (aA Marx GA 1983 160, 174; vgl. Thole MSchrKrim 1975 261), nicht jedoch bei lediglich üblicher Teamarbeit (Schenker ZBl. f. Jugendrecht u. Jugendwohlfahrt 1975 222, 224; zu Umgehungen durch Konstruktion von Berufsgehilfen Lücken RdJB 1969 289, 290; Peters Jugendwohl 1976 275; dagegen Mörsberger Verschwiegenheitspflicht S. 63) und zur Befriedigung eines allgemeinen Informationsbedürfnisses (OLG Frankfurt NJW 1978 2351). Ferner ist der Schweigepflichtige zur Offenbarung nach den allgemeinen Grundsätzen 213 befugt. Er darf Geheimnisse deshalb dem Dienstherrn mitteilen, wenn Bekanntgabe nach außen zulässig ist (Rdn. 172 ff, 200), und insbesondere mit Einwilligung des Betroffenen (Rdn. 106).
323 Dazu KG JR 1985 24, 26; LG Braunschweig NStZ 1986 474, Marschner NJW 1998 3627; Frommann/Mörsberger/ Schellhorn/Walcher S. 75, 82; 102, 106; Schnapp FS Wannagat 449, 462; Simitis NJW 1997 1902; unzutr. Rogall NStZ 1983 1, 7, der verkennt, dass unter Sozialdaten auch Geheimnisse zu verstehen sind; zu § 76 SGB X (verlängertes Arztgeheimnis) Schlink S. 320 f; Mörsberger Datenschutz S. 140, 160. Zum Gesetz über den öff. Gesundheitsdienst Baden-Württemberg v. 12.12.1994 (GBl. 663) VGH Mannheim NJW 1997 3110. 324 OLG Karlsruhe NStZ 1993 405; Geppert Strafvollzug S. 33, 35; Szwarc/Geppert S. 246 f; Szwarc/Meurer S. 143; Szwarc/Schünemann S. 41 f; Weichbrodt NJW 1983 311, 315; aA Timm S. 126; Zieger StV 1981 559, 563; näher Rdn. 219. Zum Anstaltspsychologen Kühne/Müller-Dietz Berufsrecht, S. 331 ff. 325 BVerwGE 33 120; BDH JZ 1963 413 m. Anm. Eb. Schmidt; Ponsold/Bockelmann S. 12 Fn. 13; Laufs/Kern/Rehborn/ Ulsenheimer § 144 Rdn. 20 ff; zu problematischen Fällen Timm S. 129. 979
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Verletzung von Privatgeheimnissen
7. Sonderformen ärztlicher Tätigkeit 214 a) Amtsarzt. Der Amtsarzt326 ist Arzt und fällt daher unter Absatz 1. Er wird aber häufig als Sachverständiger in Verwaltungsverfahren tätig, in denen er anderen Behörden medizinische Entscheidungsgrundlagen liefert, so etwa bei der Feststellung der Dienstunfähigkeit von Beamten (§ 44 BBG) oder der Prüfung von Sozialleistungsansprüchen wegen körperlicher Hilflosigkeit. Wie der gerichtliche Sachverständige (Rdn. 177) leitet er seine Offenbarungsbefugnisse aus der Natur des jeweiligen Verfahrens ab (VG Berlin NJW 1960 1410; Bockelmann BT 2 § 34 II 5c; Fischer DÖD 1985 165, 167). Muss der Betroffene die Untersuchung aus Rechtsgründen dulden (Beispiele bei Timm S. 121), darf der Amtsarzt deren Ergebnis der berechtigt anfragenden Stelle mitteilen. Ist die Untersuchung lediglich Voraussetzung für die Erlangung eines bestimmten Rechts oder einer bestimmten Position, dann hat es der Betroffene in der Hand, die Untersuchung oder die Offenbarung ihres Ergebnisses unter Verzicht auf die erstrebte Vergünstigung zu verweigern. In solchen Fällen ist allein das Einverständnis Grundlage jeglicher Mitteilungsbefugnis des Amtsarztes. 215 Der Umfang der zulässigen Offenbarung ist in aller Regel auf das Ergebnis der Untersuchung beschränkt.327 Genügt dem Auftraggeber die erhaltene Mitteilung nicht, muss er sich mit dem Betroffenen auseinandersetzen, damit dieser den Amtsarzt zu weiterer Offenlegung ermächtige (Fink DöV 1957 447, 449). Anders verhält es sich wiederum bei Untersuchungen, die der Betroffene zu dulden hat. Da es bei ihnen auf das Einverständnis nicht ankommt, kann die anfragende Stelle von sich aus Ergänzungen des Gutachtens verlangen. 216 Innerbehördlich besteht Schweigepflicht nach Absatz 1 (Rdn. 78, 211 ff). Jedoch ist der Leiter des Gesundheitsamts jederzeit befugt, eine Sache an sich zu ziehen oder einem anderen Arzt zu übertragen. Er hat daher ein der Schweigepflicht vorgehendes Einsichtsrecht (Timm S. 124).
217 b) Betriebsarzt. Der Betriebsarzt328 ist Angestellter des Unternehmens. Er soll dieses beim Einsatz des einzelnen Arbeitnehmers beraten. Offenbarungsbefugnisse folgen daraus aber nicht. Vielmehr unterliegen der Betriebsarzt und sein Hilfspersonal (Schäcker BB 1964 968) kraft ausdrücklicher Gesetzesvorschrift (§ 8 Abs. 1 Satz 3 ASiG) der vollen ärztlichen Schweigepflicht auch gegenüber dem Unternehmen. Folgerichtig sind Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von ihm ohne Angabe der Diagnose auszustellen und vom Arbeitgeber in der Regel zu akzeptieren (§ 5 EntgFG und BAG DB 1997 1237 sowie zur Einschaltung der Krankenkasse bei Zweifeln § 275 SGB V und dazu Grimm in Tschöpe Arbeitsrecht Handbuch Teil 2 B Rdn. 175 ff). Aber die Rechtsordnung sieht eine Reihe freiwilliger oder obligatorischer Untersuchungen vor, welche auch der Betriebsarzt durchführen darf (Übersicht bei Wunderlich S. 90); ferner darf er Einstellungsuntersuchungen vornehmen, wenn der Arbeitgeber solche wünscht. Erscheint der Arbeitnehmer zu solchen Untersuchungen, erklärt er seine Einwilligung in die Weiterleitung des Ergebnisses, nicht der Diagnose,329 soweit dieses arbeitsmedizinisch von Bedeutung ist,330 aber nicht ohne Weiteres in die Erstellung allgemeiner Eignungsprofile (Hinrichs DB 1980 2287). Anderes gilt,
326 Tätig im öffentlichen Gesundheitsdienst bei einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt, s. etwa § 2 Abs. 3 des Niedersächsischen Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst v. 24.3.2006, Nds. GVBl. S. 178. 327 B. Lilie S. 105; C. Müller NJW 1966 1152; Schuegraf NJW 1961 961; aA Ponsold/Bockelmann S. 11 Fn. 8; Dyes u. Karstädt NJW 1961 2050; s. ferner Rdn. 112. 328 Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit vom 12. Dezember 1973 (BGBl. I S. 1885) – ASiG; Fecker HK-ArztR Rdn. 1 ff; Mustervertrag DÄBl. 1975 691; Schrifttum s. vor Rdn. 1. 329 OLG Braunschweig BB 1958 340; Hess DÄBl. 1978 1055; Hinrichs BB 1976 1273; DB 1980 2287; Kilian BB 1981 985, 989; Koch DB 1958 1040; Krause DB 1965 1743; B. Lilie S. 105; Molitor BB 1956 437, 439; Wunderlich S. 96 ff; Timm S. 139; Zöllner S. 36 ff; aA Kierski BB 1976 842; Schimke BB 1979 1354, 1355. 330 Eiermann BB 1980 214; Hess DÄBl. 1978 1055; Fecker HK-ArztR Rdn. 4; Laufs/Kern/Rehborn/Ulsenheimer § 144 Rdn. 6; aA Budde DB 1985 1529; 1530 f; Budde/Witting S. 72; dies. MedR 1987 23, 26; Wunderlich S. 93 ff. Hilgendorf
980
XI. Teilnahme
§ 203
wenn der Arbeitnehmer nicht zu arbeitsmedizinisch vorgesehenen Untersuchungen erscheint, sondern als gewöhnlicher Patient Rat sucht oder sich einer freiwilligen Vorsorgeuntersuchung unterzieht; derartige Vorgänge betreffen den Arbeitgeber nicht.331 Stellt der Arbeitnehmer eine Gefahr für sich oder andere dar, darf der Betriebsarzt aber nach allgemeinen Grundsätzen (Rdn. 194) das Notwendige veranlassen (Eiermann BB 1980 214; Schimke BB 1979 1354). Die Pflicht zur Wahrung des Arztgeheimnisses steht naturgemäß auch der Akteneinsicht 218 durch andere entgegen (LAG Bremen BB 1977 648); sie verbietet es ferner, Gesundheitsdaten im allgemeinen Personalinformationssystem des Betriebs zu speichern (Kilian BB 1981 985, 990) oder in einen Datenaustausch mit der Betriebskrankenkasse zu treten (Kilian BB 1981 985, 991). Hat der Betriebsrat kraft Gesetzes oder auf Grund arbeitsrechtlicher Normen bei einer Entscheidung mitzuwirken, darf ihm auch das zur Beurteilung erforderliche medizinische Tatsachenmaterial zugänglich gemacht werden (Budde/Witting MedR 1987 23, 28; vgl. dazu Rdn. 78, 211 ff).
c) Anstaltsarzt. Gemäß § 158 StVollzG ist die ärztliche Versorgung in den Justizvollzugsanstal- 219 ten durch hauptamtliche Ärzte sicherzustellen, deren Schweigepflicht sich gleichzeitig gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 bestimmt.332 Der Anstaltsarzt darf deshalb die Gesundheitsdaten des Gefangenen gemäß § 182 StVollzG nur dann und insoweit weitergeben, als sie notwendige Beurteilungsgrundlagen für Vollzugsentscheidungen darstellen.333 Nachdem lange Zeit nicht die Offenbarungsbefugnisse des Anstaltsarztes, sondern die Beschränkung des dem Gefangenen zustehenden Anspruches auf Einsicht in die oder Auskunft aus den Krankenakten im Vordergrund des Interesses gestanden hatte,334 sind die Grenzen der Schweigepflicht vor allem am Beispiel der äußerst sensiblen Diagnose einer AIDS-Erkrankung bzw. einer HIV-Infektion intensiv und kontrovers diskutiert, vom Gesetzgeber in § 182 Abs. 2 Satz 2 StVollzG aber nur in verallgemeinernd-undeutlicher Weise geregelt worden. Richtigerweise hat der Anstaltsarzt die Diagnose einer HIV-Infektion wegen der Notwendigkeit, diese bei zahlreichen Maßnahmen des Vollzuges zu berücksichtigen,335 dem Anstaltsleiter mitzuteilen.336 Dies gilt erst recht bei einer Infektion mit dem Corona-Virus. Die Übermittlung an weitere Personen (Vollzugspersonal, Mitgefangene) kommt nur unter den Voraussetzungen des § 34 in Betracht, dazu o. Rdn. 194.
XI. Teilnahme Die Tat ist echtes Sonderdelikt (Rdn. 1) in Form des Garantensonderdelikts (Schünemann/Gre- 220 co LK § 25 Rdn. 56 ff) mit einer im Tatbestand selbst erfolgten, abschließenden und deshalb § 14 verdrängenden Regelung der Vertreterhaftung (Schünemann LK § 14 Rdn. 26, 36). Ein außerhalb des Kreises der Schweigepflichtigen Stehender kann daher nur Anstifter oder Gehilfe sein. Innerhalb dieses Kreises sind Täterschaft und Teilnahme nach allgemeinen Grundsätzen möglich; zur mittelbaren Täterschaft BGHSt 4 355, 359. Der Berufshelfer des Absatzes 3 bzw. 4 ist trotz seiner Bezeichnung Täter, es sei denn, dass er einem Schweigepflichtigen Beihilfe leistet 331 Däubler BB 1989 282, 284 f; Wunderlich S. 95 m. Nachw. der h.M.; aA etwa Eiermann BB 1980 214. 332 Entsprechend Art. 179 BayStVollzG v. 10.12.2007 (GVBl. S. 866). 333 Czerny S. 88; Arloth JuS 1990 108, 110; Müller-Dietz JR 1993 477, 480; zur Frage des Rechtsschutzes BVerfG NStZ 2000 55.
334 Kaiser/Schöch Strafvollzug § 7 Rdn. 152 f; OLG Celle NStZ 1986 284 m. Anm. Müller-Dietz; OLG Hamm NStZ 1986 47; OLG Nürnberg ZfStrVo 1986 61, 63; OLG München ZfStrVo 1980 124 f; OLG Frankfurt NStZ 1989 198; OLG Hamm JR 1993 476 m. abl. Anm. Müller-Dietz; KG ZfStrVo 1986 186; LG Augsburg NJW 1980 465 f mit Anm. Haß. 335 Übersicht bei Hefendehl ZfStrVo 1996 136 ff; Dargel NStZ 1989 207 ff. 336 Arloth MedR 1986 298; Dargel ZfStrVo 1987 158; Eberbach NStZ 1987 142; Szwarc/Meurer/Schünemann S. 41 f, 148 f, 246 f; Laufs/Kern/Rehborn/Ulsenheimer § 144 Rdn. 16 ff; aA Bruns MDR 1987 357; ders. StV 1987 506; Pfeffer Durchführung von HIV-Tests ohne den Willen des Betroffenen (1989), S. 170; Eisenberg/Fischer JuS 1991 75, 756; sibyllinisch Calliess/Müller-Dietz StVollzG § 182 Rdn. 5 f. 981
Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
(z.B. auf Weisung seinem Arbeitgeber Unterlagen für den Geheimnisbruch bereit legt). Im Übrigen bestimmen sich Anstiftung und Beihilfe nach den allgemeinen Regeln. Für die Anstiftung ist deshalb eine kommunikative Einflussnahme mit Aufforderungscharakter erforderlich, nicht aber der „Abschluss eines Paktes“ (Schünemann/Greco LK § 26 Rdn. 7 ff; irrig KG v. 1.3.1999, Zs 2021/98 – 3 Ws 728/98). Beschränkt sich der Empfänger auf die bloße Entgegennahme einer geheimnisverletzenden Information, so ist er unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Teilnahme straflos (dazu allgemein Schünemann/Greco LK Vor § 26 Rdn. 25 ff). 221 Spiegelt ein Außenstehender dem Schweigepflichtigen vor, der Betroffene habe sein Einverständnis zur Offenbarung erteilt (Fall von BGHSt 4 355, s. ferner Ebermayer S. 58), so ist eine Strafbarkeit wegen Anstiftung zu § 203 in Ermangelung des in § 26 vorausgesetzten Tätervorsatzes zwingend ausgeschlossen, falls man das Einverständnis als Tatbestandsausschließungsgrund qualifiziert (oben Rdn. 139 f) oder aber zwar als Rechtfertigungsgrund, jedoch auf den Erlaubnistatbestandsirrtum mit der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen § 16 ebenfalls direkt anwendet.337 Die meisten Vertreter der herrschenden Lehre, die von einer lediglich analogen Anwendung des § 16 oder einer bloßen Rechtsfolgenverweisung wegen Ausschlusses der Vorsatzschuld ausgehen,338 sehen den Vorzug dieser Auffassung gerade darin, dass die Bestrafung des Extraneus bei Benutzung eines im Erlaubnistatbestandsirrtum handelnden Intraneus bei Sonderdelikten nur auf diese Weise konstruktiv möglich ist. 222 Die Tätereigenschaft ist strafbegründendes persönliches Merkmal. Für den Teilnehmer gilt daher § 28 Abs. 1.339 Die Gegenmeinung, die ein tatbezogenes Merkmal annimmt, verkennt die Deliktsnatur des § 203 als eines Garantensonderdelikts wie die Funktion des § 28 Abs. 1, mit der Strafmilderung des extraneus als Teilnehmer seiner Unfähigkeit, das Unrecht in eigener Person zu verwirklichen, Rechnung zu tragen (Schünemann Jura 1980 354, 364 ff, 578 ff; GA 1986 338 ff; Schünemann/Greco LK § 28 Rdn. 10 ff).
XII. Qualifikationen (Absatz 6) 223 Einen Qualifikationstatbestand mit drei Alternativen enthält Absatz 6. Qualifizierend wirken Handeln gegen Entgelt (§ 11 Abs. 1 Nr. 9), in Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht. 224 Handeln gegen Entgelt verlangt eine spätestens bei Tatbegehung vorliegende Abrede, durch welche der Empfänger des Geheimnisses einen irgendwie gearteten Vermögensvorteil verspricht. Ob dieser später geleistet wird, ist unerheblich (Otto in Großkomm. AktG § 403 Rdn. 31; Kargl NK Rdn. 82). 225 Die Alternative überschneidet sich daher weitgehend mit dem Merkmal der eigennützigen Bereicherungsabsicht; bei dieser braucht es aber nicht schon zu einer Abrede gekommen zu sein. Dass die Bereicherungsabsicht auf die Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils gerichtet sein müsse (Lutter/Hommelhoff/Kleindiek GmbH-Gesetz § 85 Rdn. 9), ergibt das Gesetz, das in diesem Punkt vom Wortlaut des § 300 a.F. abweicht, nicht (BGH NStZ 1993 538 f; Kargl NK Rdn. 83; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 112; Scholz/Rönnau GmbHG § 85 Rdn. 60). Das Merkmal ist somit auch erfüllt, wenn der Täter ein Geheimnis verrät, um einen bestehenden Anspruch durchzusetzen. Qualifikationsgrund ist die erhöhte Verwerflichkeit, die im Eingriff in fremde Persönlichkeitsrechte zu wirtschaftlichen Zwecken allgemein liegt. 337 Vgl. einerseits OLG Köln MDR 1962 591 m. Anm. Dreher; Jähnke LK10 Rdn. 115; andererseits Schünemann GA 1985 341, 347 ff; ders. FS Schmitt 117, 132; Schünemann/Figueiredo Dias/Schünemann S. 149, 175 ff; zuletzt Schünemann/Greco GA 2006 777 ff; Koriath FS E. Müller 357 ff. 338 Gallas ZStW 67 (1955) 45 f; Jescheck/Weigend AT § 41 III 2d; Puppe NK § 16 Rdn. 136; Wessels/Beulke/Satzger AT Rdn. 755 f. 339 BGHSt 4 355, 359; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 8 Rdn. 35; Fischer Rdn. 93; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Otto Grundkurs BT § 34 Rdn. 29; Hoyer SK Rdn. 70; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 111; Ulsenheimer/Gaede Arztstrafrecht Rdn. 1044; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 536; aA Gössel/Dölling BT 1 § 37 Rdn. 132, 181. Hilgendorf
982
XV. Recht des Einigungsvertrages
§ 203
Die Schädigungsabsicht kann jeder beliebigen Person gelten (Kargl NK Rdn. 84); sie liegt 226 aber nur vor, wenn der Täter jener Person einen über die bloße Offenbarung hinausgehenden, selbständigen Nachteil zufügen will. Vermögensrechtlicher Art braucht er nicht zu sein;340 die erhöhte Strafwürdigkeit schwerer Persönlichkeitsverletzungen lässt sich nicht auf wirtschaftliche Einbußen des Opfers reduzieren. Da auch das Handeln gegen Entgelt vorrangig durch die Absicht des Täters zur Gewinner- 227 zielung gekennzeichnet ist, findet auf den Teilnehmer aller Erschwerungsgründe § 28 Abs. 2 Anwendung (zust. Kargl NK Rdn. 87; Herzberg GA 1991 145, 178 f; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 113).
XIII. Zusammentreffen mit anderen Gesetzesverletzungen Handelt ein Schweigepflichtiger, der sowohl unter Absatz 1 als auch unter Absatz 2 fällt, liegt nur 228 ein Gesetzesverstoß vor; der Täter wird lediglich in mehreren Eigenschaften zugleich tätig (Fischer Rdn. 97; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 71, 114). Tateinheit (§ 52) ist wegen der unterschiedlichen Rechtsgüter mit § 353b möglich;341 gegenüber §§ 206, 355 als Spezialgesetzen tritt § 203 zurück. § 85 GmbHG, § 404 AktG, § 333 HGB u.Ä. (Rdn. 20) sind ebenfalls Spezialgesetze gegenüber § 203, weil sie Privatgeheimnisse nicht umfassend, sondern nur als Unternehmensgeheimnisse schützen (zur Schutzrichtung des § 404 AktG und zur erlaubten Offenbarung bei due diligence Jäger JZ 2003 1048). Der Wirtschaftsprüfer, der als Prüfer einer Gesellschaft solche Geheimnisse erfahren hat und verrät, ist also nur aus der gesellschaftsrechtlichen Vorschrift strafbar (Altenhain in Kölner Komm. z. AktG § 404 Rdn. 40); anders, wenn das Gesellschaftsgeheimnis zugleich einer Privatperson als deren Geheimnis zusteht (Rdn. 145, 147). Die dann vorliegende Tateinheit kann praktische Bedeutung erlangen, wenn nicht alle Berechtigten Strafantrag stellen. Gegenüber den Datenschutzgesetzen hat § 203 Vorrang, was angesichts des gleichen Strafrahmens keine besondere praktische Bedeutung hat. Angesichts des identischen Rechtsguts besteht damit auch im Übrigen kein Anlass für ein Nebeneinander von § 203 und § 42 BDSG.342 Das gleiche gilt wegen der formellen Subsidiaritätsklausel auch für § 19 Abs. 3 TPG, und zwar auch dann, wenn die Strafantragsfrist gem. §§ 205, 77b versäumt wird (Heger gegen Schroth JZ 1998 506). Mit § 44 StUG (Öffentliche Mitteilung geschützter Stasi-Unterlagen) dürfte dagegen Idealkonkurrenz bestehen. Die Delikte gegen die Ehre und § 203 schließen sich gegenseitig aus (Rdn. 5 f).
XIV. Verfahrensrecht und internationales Strafrecht § 203 ist zwar Antragsdelikt (§ 205), aber kein Privatklagedelikt (s. § 374 Abs. 1 Nr. 3 StPO mit 229 der bloßen Erwähnung des § 202). Bei der Verletzung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen deutscher Betriebe, Unternehmen oder Konzerne werden nach dem Schutzprinzip auch Auslandstaten dem deutschen Strafrecht unterstellt (§ 5 Nr. 7).
XV. Recht des Einigungsvertrages Während die Problematik der DDR-Alttaten bei § 203 wegen der geringen Strafdrohung und der 230 daraus resultierenden kurzen Verjährungsfrist heute obsolet ist, ergibt sich wegen der Struktur des § 203 als eines unecht zweiaktigen Delikts ein spezifisches Anwendungsproblem für die 340 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 112; Scholz/Tiedemann GmbHG9 § 85 Rdn. 35; aA Otto GK-AktG § 403 Anm. 35; Kargl NK Rdn. 84. 341 Zum Verhältnis Hoyer JR 2003 513, 514; dagegen sieht Behm AfP 2004 85, 88 § 203 als lex specialis an. 342 OLG Koblenz NJW 2008 2794; Kargl NK Rdn. 89; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 29; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 114; Fischer Rdn. 97; aA Hohmann JuS 1987 473, 475. 983
Hilgendorf
§ 203
Verletzung von Privatgeheimnissen
während der Existenz der DDR erfahrenen, aber erst nach dem 3. Oktober 1990 verratenen Privatgeheimnisse: Während der Täterkreis des Abs. 1 entweder auch in der DDR vorhanden (und im Straftatbestand der Verletzung des Berufsgeheimnisses gem. § 136 DDR-StGB erfasst) war oder (wie der Wirtschaftsprüfer) erst nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern eingeführt wurde, kann das Amtsdelikt des Abs. 2 nach Auffassung der Bundesregierung auf von Funktionären des SED-Regimes dienstlich erfahrene Privatgeheimnisse deshalb keine Anwendung finden, weil es sich bei diesem Personenkreis nicht um Amtsträger etc. im Sinn des § 11 Abs. 1 Nr. 2–4 gehandelt habe. Durch einen Gesetzentwurf der Bundesregierung über ein Strafrechtsänderungsgesetz aus dem Jahr 1994 sollten deshalb die Funktionsträger der DDR einschließlich der inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter zu tauglichen Tätern des § 203 erklärt werden (BTDrucks. 13/58), doch ist dieser Entwurf, obwohl der Bundesrat gegen ihn keine Einwendungen erhoben hatte, niemals auch nur im Rechtsausschuss beraten worden und deshalb am Ende der 13. Legislaturperiode der Diskontinuität verfallen. Aber hier überzeugt schon die Prämisse nicht, denn wenn sogar für DDR-Alttaten gem. Art. 315 Abs. 1 EGStGB grundsätzlich die Anwendbarkeit des StGB nach dem lex-posterior-Prinzip gilt, sollten gegen eine funktionale Auslegung des § 203 Abs. 2 in Richtung auf die dem (bundesdeutschen) Amtsträgerbegriff korrespondierenden Repräsentanten der DDR-Staatsgewalt keine unüberwindlichen Bedenken bestehen (BGHSt 40 30, 33), was sogar den „IM“, der eine Verpflichtungserklärung unterschrieben hatte, einschließt. Auch die in dem Gesetzentwurf vorgesehene entsprechende Anwendung des Stasi-Unterlagengesetzes (StUG) auf die danach befugte Offenbarung gegenüber öffentlichen Stellen wird man schon de lege lata vertreten können, weil das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG im Bereich der Rechtfertigungsgründe nicht gilt (Roxin/Greco Strafrecht AT I § 5 Rdn. 42).
Hilgendorf
984
§ 204 Verwertung fremder Geheimnisse (1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, zu dessen Geheimhaltung er nach § 203 verpflichtet ist, verwertet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) § 203 Abs. 4 gilt entsprechend.
Schrifttum Fürsich Probleme des strafbaren Insiderhandels nach Inkrafttreten des Anlegerschutzverbesserungsgesetzes (2008); Härting Sicher outsourcen – wie § 43 e BRAO funktioniert, NJW 2019 1423; Hilgendorf/Kusche in Park Handkommentar Kapitalmarktstrafrecht, 5. Aufl. (2019); Otto Der Mißbrauch von Insider-Informationen als abstraktes Gefährdungsdelikt in Schünemann/Suárez González (Hrsg.) Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts (1994); Rein Die Bedeutung der §§ 203 ff StGB n.F. für die private Personenversicherung, VersR 1976 117; Trüg Straf- und Bußgeldtatbestände im BörsG und WpHG Teil C, in Achenbach/Ransiek/Rönnau Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. (2019); Staffler Industrie 4.0 und wirtschaftlicher Geheimnisschutz, NZWiSt 2018 269.
Übersicht I.
Entstehungsgeschichte
II.
Rechtsgut
III. 1. 2. 3.
Tatbestand Gegenstand der Tat 4 Täter 5 Tathandlung
1
4. 5.
Subjektiver Tatbestand 11 Rechtswidrigkeit
IV.
Versuch
V.
Strafe
VI.
Konkurrenzen
10
2
3
12 13 14
I. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde durch das EGStGB erstmals in das StGB aufgenommen. Der Alternativ- 1 Entwurf hatte Bedenken gegen die entsprechende Bestimmung des § 186b E 1962 geäußert, weil sie zu weit sei (vgl. Alternativ-Entwurf eines StGB, Besonderer Teil, Zweiter Halbband, S. 47). Viele Sondervorschriften des Nebenstrafrechts, die das Offenbaren und das Verwerten eines Geheimnisses nebeneinander unter Strafe gestellt hatten, konnten wegen der Einbeziehung auch des Verwertens in das StGB gestrichen werden (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 193, 244, 447).
II. Rechtsgut Das Rechtsgut entspricht im Grundsatz demjenigen des § 203 (vgl. dort Rdn. 23 ff). Den durch 2 diese Vorschrift gewährleisteten Geheimbereich schützt § 204 unter einem weiteren Blickwinkel, nämlich gegen eine – ohne Offenbarung erfolgende – unbefugte wirtschaftliche Verwertung. In der Begründung (BTDrucks. 7/550 S. 244) wird mit Recht darauf hingewiesen, dass ein solches Vorgehen ebenso strafwürdig ist wie das Offenbaren eines Geheimnisses gegen Entgelt oder in Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht (§ 203 Abs. 6). Entsprechende Bestimmungen finden sich auch in Parallelvorschriften, die dem Schutz von Geheimnissen dienen (vgl. § 355 Abs. 1 StGB, § 404 Abs. 2 S. 2 AktG; § 85 Abs. 2 S. 2 GmbHG; § 151 Abs. 2 S. 2 GenG; § 23 GeschGehG; § 120 Abs. 3 S. 2 BetrVG).
985 https://doi.org/10.1515/9783110490121-056
Hilgendorf
§ 204
Verwertung fremder Geheimnisse
III. Tatbestand 1. Gegenstand der Tat 3 Gegenstand der Tat ist ein fremdes Geheimnis (vgl. § 203 Rdn. 32 ff). Das Gesetz hebt Betriebsoder Geschäftsgeheimnisse besonders hervor. Aus der Eigenart der Tathandlung ergibt sich, dass nicht jedes Geheimnis erfasst wird: Es muss sich um ein Geheimnis handeln, das wirtschaftlich „verwertet“ (vgl. dazu Rdn. 5 bis 7) werden kann (BTDrucks. 7/550 S. 244). Einzelangaben nach § 203 Abs. 2 S. 2 stehen dem Geheimnis gleich (BTDrucks. 7/550 a.a.O.; vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Hoyer SK Rdn. 5; Fischer Rdn. 3). Die Einschränkung des § 203 Abs. 2, S. 2, 2. Halbsatz gilt für § 204 nicht (Sch/Schröder/Eisele a.a.O.). Auch nach dem Tod des Geheimnisgeschützten ist die Verwertung des Geheimnisses strafbar (§ 204 Abs. 2 i.V.m. § 203 Abs. 5).
2. Täter 4 Täter kann nur sein, wer nach § 203 zur Geheimhaltung verpflichtet ist. Die Tat ist deshalb echtes Sonderdelikt (vgl. § 203 Rdn. 98).
3. Tathandlung 5 Die Tathandlung besteht im „Verwerten“ des Geheimnisses. Verwerten ist das wirtschaftliche Ausnutzen zum Zweck der Gewinnerzielung, soweit es 6 auf andere Weise als durch Offenbaren geschieht (BTDrucks. 7/550 S. 244; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4). Zieht der Täter den wirtschaftlichen Vorteil bereits aus der Offenbarung des Geheimnisses – verrät er es beispielsweise gegen Geld –, so greift nur § 203 Abs. 6 ein (zu parallelen Fragen im Rahmen des § 404 Abs. 2 S. 2 AktG vgl. Otto Großkomm. AktG § 404 Rdn. 28; eingehend Altenhain KK-AktG § 404 Rdn. 25; Wittig MK-AktG § 404 Rn. 47 f; dort auch zum lediglich „sekundären“, nur am Rande der Tat liegenden Offenbaren – etwa durch die Weitergabe der für die Verwertung notwendigen Informationen an die Angestellten des Täters –, durch das sich der beim „Verwerten“ liegende Schwerpunkt der Geheimnisverletzung nicht verändert). Typisches Beispiel einer unter § 204 fallenden Verwertungshandlung ist das wirtschaftliche Ausnutzen einer ihm von Berufs wegen bekannt gewordenen Erfindung durch den Patentanwalt (§ 203 Abs. 1 Nr. 3) selbst (Fischer Rdn. 4; weit. Beispiele bei Graf MK Rdn. 12; Kargl NK Rdn. 6). Der Gesetzgeber wollte den Begriff des Verwertens in Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung zu Parallelvorschriften verstanden wissen (BTDrucks. 7/550 S. 244 sowie oben Rdn. 1, 2). Auf sie kann für die Auslegung der neuen Vorschrift zurückgegriffen werden, so z.B. für die Fragen, wann die Tat vollendet ist (vgl. RGSt 39 83, 85 zu § 9 Abs. 2 UWG i.d.F. vom 27. Mai 1896), ob der Nachbau einer Maschine (RGSt 40 406, 408; ebenfalls zu § 9 Abs. 2 UWG a.F.) oder die bloße Aufzeichnung eines Betriebsgeheimnisses (RGSt 63 205, 206 f zu § 17 Abs. 2 UWG a.F.) schon als Verwerten angesehen werden können. 7 Es muss sich um die wirtschaftliche Ausnutzung des im Geheimnis liegenden Vermögenswertes handeln – wie etwa bei der Verwertung einer Erfindung durch den Patentanwalt. Wer lediglich für den politischen Kampf Nutzen aus der Kenntnis eines Geheimnisses zieht, „verwertet“ deshalb das Geheimnis nicht (Fischer Rdn. 4). Ein Verwerten liegt auch dann nicht vor, wenn mit dem Verrat eines kompromittierenden Geheimnisses gedroht wird, um Schweigegeld zu erhalten.1 In einem solchen Fall macht sich der Täter nicht den Wert nutzbar, der im Geheim1 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5/6; für die entsprechende Frage im Rahmen des § 355: Träger LK11 § 355 Rdn. 26 und Maiwald JuS 1977 353, 362; aA Rein VersR 1976 117, 123; Altenhain KK-AktG § 404 Rdn. 26; Wittig MK-AktG § 404 Rn. 48. Hilgendorf
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III. Tatbestand
§ 204
nis verkörpert ist; er lässt sich nur sein Schweigen bezahlen. Sein Verhalten kann jedoch nach § 253 strafbar sein. Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus dem Grundgedanken der Vorschrift. Der Geheimnisgeschützte soll im wirtschaftlichen Bereich, insbesondere in der wirtschaftlichen Verwertung seines Wissens, geschützt werden. Der Unrechtsgehalt der Tat liegt darin, dass der Täter wirtschaftliche Vorteile, die eigentlich dem Geheimhaltungsberechtigten zustehen, unter Missbrauch seines Wissens dem eigenen Vermögen oder dem eines Dritten zuleitet. Außerhalb des Schutzbereichs der Vorschrift liegen deshalb solche Verwertungshandlungen, welche die Vermögensinteressen des Betroffenen nicht berühren.2 Das ist insbesondere von Bedeutung bei der Ausnutzung sogenannter „Insider-Informati- 8 onen“. Zieht z.B. ein Steuerberater (§ 203 Abs. 1 Nr. 3), der eine Aktiengesellschaft betreut, aufgrund seiner gründlichen Kenntnis der betrieblichen Verhältnisse den Schluss, dass der Kurs der Aktien dieser Gesellschaft demnächst (etwa nach Veröffentlichung der Jahresbilanz) steigen werde, und kauft er deshalb die Aktien zu ihrem gegenwärtig niedrigeren Kurs, so werden die Interessen der Gesellschaft dadurch regelmäßig nicht berührt; eine Bestrafung nach § 204 scheidet hier aus.3 Diese Strafbarkeitslücke ist jedoch inzwischen durch die Straftatbestände des Missbrauchs von Insider-Informationen in § 119 WpHG geschlossen wurden (dazu Hilgendorf/ Kusche in Park Kapitalmarktstrafrecht sowie die Kommentare zu § 119 WpHG). Wer ein Geheimnis „verwertet“, muss den Zweck verfolgen, Gewinn zu erzielen. Dass ihm 9 das gelingt, ist jedoch nicht erforderlich.4 Der Täter braucht den wirtschaftlichen Vorteil nicht für sich selbst zu erstreben; es genügt, dass er ihn für andere erzielen will.5
4. Subjektiver Tatbestand Vorsatz ist erforderlich. Bedingter Vorsatz reicht grundsätzlich aus. Ein Verwerten liegt nur dann 10 vor, wenn der Täter den Zweck verfolgt, Gewinn zu erzielen (vgl. oben Rdn. 9); insofern genügt bedingter Vorsatz nicht (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8). Entgegen der missverständlichen Fassung des Gesetzes (der Täter verwertet „ein Geheimnis …, zu dessen Geheimhaltung er nach § 203 verpflichtet ist“) braucht sich der Vorsatz des Täters nicht auf seine Verpflichtung zur Geheimhaltung zu erstrecken. Die Vorschrift soll besagen, dass derjenige, dem ein Geheimnis unter den Voraussetzungen des § 203 bekannt geworden ist, auch dann bestraft wird, wenn er das Geheimnis zwar nicht offenbart, aber verwertet: Das Verwerten von Geheimnissen ist in derselben Weise strafbar wie das Offenbaren.6 Das wird auch an der Fassung entsprechender Parallelbestimmungen deutlich (vgl. § 355 Abs. 1 StGB, § 404 Abs. 2 S. 2 AktG, § 85 Abs. 2 S. 2 GmbHG, § 151 Abs. 2 GenG). Der Täter braucht deshalb lediglich – wie nach § 203 – zu wissen, dass er zum Täterkreis des § 203 gehört und dass es um ein Geheimnis geht, das ihm in dieser Stellung bekannt gewor2 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5/6; Graf MK Rdn. 11; Rein VersR 1976 117, 124; für die entsprechende Frage in § 355 Abs. 1: Träger LK11 § 355 Rdn. 26a und Maiwald JuS 1977 353, 362; aA für § 355: BayObLG NStZ 1984 169 f mit ablehnender Anmerkung von Maiwald 170; Hoyer SK Rdn. 4; Kargl NK Rdn. 3; für § 85 GmbHG: Lutter/Hommelhoff/Kleindiek GmbH-Gesetz § 85 Rdn. 7. 3 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5/6 sowie die Kritik im Alternativ-Entwurf eines StGB, Besonderer Teil, Zweiter Halbband, S. 47, an § 186b E 1962; für die entsprechende Frage im Rahmen des § 355 Abs. 1: Träger LK11 § 355 Rdn. 26a und Maiwald JuS 1977 353, 362; aA die wohl h.M., s. Hoyer SK Rdn. 4; Ulsenheimer NJW 1975 1999, 2001 sowie zu § 404 AktG: v. Stebut DB 1974 613, 614 und Altenhain KK-AktG § 404 Rdn. 26; Hefendehl Beck OGK AktG § 404 AktG Rdn. 57. 4 Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Graf MK Rdn. 10: Eignung genügt; ferner den Fall RGSt 40 406, 408; zu § 355 außerdem BayObLG NStZ 1984 169, 170; ähnlich Hoyer SK Rdn. 7, der § 204 als unechtes Unternehmensdelikt qualifiziert. 5 Ulsenheimer NJW 1975 1999, 2001; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5/6; BayObLG 1984 166 zu § 355. 6 Vgl. die unter diesem Blickwinkel klarere Fassung des § 186b Abs. 1 E 1962: „Wer ein fremdes Geheimnis, das ihm in seiner Eigenschaft als Angehöriger des in § 185 Abs. 1 bis 3 und § 186 genannten Personenkreises anvertraut oder sonst bekannt geworden ist, … verwertet, …“. 987
Hilgendorf
§ 204
Verwertung fremder Geheimnisse
den ist (vgl. § 203 Rdn. 134). Wer dies weiß, aber trotzdem aufgrund eigener rechtlicher Schlussfolgerungen meint, er sei zu einer Geheimhaltung nicht verpflichtet, befindet sich in einem bloßen Verbotsirrtum. Dieser steht einer Bestrafung nur dann entgegen, wenn er unvermeidbar ist (§ 17 S. 1).
5. Rechtswidrigkeit 11 Erforderlich ist, dass die Verwertung unbefugt erfolgt. Als Rechtfertigungsgrund kommt insbesondere die Einwilligung des Geheimnisgeschützten in Betracht (Fischer Rdn. 6; vgl. auch Träger LK11 § 355 Rdn. 31; zur mutmaßlichen Einwilligung Graf MK Rdn. 17). Geht es um Drittgeheimnisse, so gelten die oben zu § 203 Rdn. 146 dargelegten Grundsätze.
IV. Versuch 12 Der Versuch ist straflos. Die Tat ist jedoch bereits dann vollendet, wenn der Täter das Geheimnis wirtschaftlich ausnutzt; Gewinn braucht er noch nicht erzielt zu haben (vgl. Rdn. 9 sowie für § 404 Abs. 2 S. 2 AktG die Beispiele von Klug Großkomm. AktG3 § 404 Anm. 11). Ist etwa die das Geheimnis verkörpernde Maschine gebaut und fertig gestellt, so ist der tatbestandsmäßige Eingriff in die geschützte Geheimsphäre erfolgt und die Tat deshalb als vollendet anzusehen (ebenso auch Hoyer SK Rdn. 7 Kargl NK Rdn. 8); § 204 setzt nicht voraus, dass das unter Geheimnisverletzung gewonnene Produkt – was als wesentlicher Zwischenschritt im Sinne der Gegenauffassung anzusehen wäre – benutzt oder in den gewerblichen Verkehr gebracht wird (RGSt 40 406, 408 zu § 9 Abs. 2 UWG a.F.).
V. Strafe 13 Die Strafdrohung entspricht derjenigen des § 203 Abs. 6. Die Strafverfolgung findet nur auf Antrag statt (§ 205 Abs. 1; vgl. dort Rdn. 7).
VI. Konkurrenzen 14 Tateinheit mit § 203 Abs. 6 kommt grundsätzlich nicht in Betracht; die Tat besteht gerade darin, dass das Geheimnis anders als durch Offenbaren ausgenutzt wird (BTDrucks. 7/550 S. 244; zum Fall des lediglich „sekundären“, am Rande der Tat liegenden Offenbarens, das den Schwerpunkt der Tat, der beim Verwerten liegt, nicht verändert, vgl. Altenhain KK-AktG § 404 Rdn. 25 sowie oben Rdn. 6). § 355 geht als Sonderregelung vor, da diese Vorschrift sowohl im Hinblick auf den in Betracht kommenden Täterkreis als auch auf das geschützte Geheimnis spezieller ist (Träger LK11 § 355 Rdn. 77; Maiwald JuS 1977 353, 362 Fn. 71). Dasselbe gilt für andere Sonderbestimmungen wie etwa § 404 Abs. 2 S. 2 AktG und § 151 Abs. 2 S. 2 GenG, sofern sie Personen, die zugleich von § 203 Abs. 1 StGB erfasst werden, als Geheimnisverpflichtete benennen (z.B. die in § 404 Abs. 1 Nr. 2 AktG und in § 151 Abs. 1 Nr. 2 GenG genannten Prüfer und deren Gehilfen).7 Tateinheit besteht nach h.M. mit dem Missbrauch von Insiderinformationen gem. § 119 WpHG8 (zur Frage einer Alternativität vgl. aber Rdn. 8). Nach einem vorangegangenen Diebstahl ist § 204 mitbestrafte Nachtat (Scholz/Rönnau § 85 GmbHG Rdn. 65).
7 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12; Altenhain KK-AktG § 404 Rdn. 42; and. – Idealkonkurrenz – Graf MK Rdn. 23. 8 Schwark/Zimmer/Böse/Jansen Kapitalmarktrechts-Kommentar § 119 WpHG Rdn. 74; jeweils zu § 38 WpHG a.F. Hilgendorf
988
§ 205 Strafantrag (1)
1
In den Fällen des § 201 Abs. 1 und 2 und der §§ 202, 203 und 204 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt. 2Dies gilt auch in den Fällen der §§ 201a, 202a, 202b und 202d, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. (2) 1Stirbt der Verletzte, so geht das Antragsrecht nach § 77 Abs. 2 auf die Angehörigen über; dies gilt nicht in den Fällen der §§ 202a, 202b und 202d. 2Gehört das Geheimnis nicht zum persönlichen Lebensbereich des Verletzten, so geht das Antragsrecht bei Straftaten nach den §§ 203 und 204 auf die Erben über. 3Offenbart oder verwertet der Täter in den Fällen der §§ 203 und 204 das Geheimnis nach dem Tod des Betroffenen, so gelten die Sätze 1 und 2 sinngemäß. 4In den Fällen des § 201a Absatz 1 Nr. 3 und Absatz 2 Satz 2 steht das Antragsrecht den in § 77 Absatz 2 bezeichneten Angehörigen zu.
Schrifttum Gerhard Der strafrechtliche Schutz des Briefes (1905); Klebs Zur Lehre von den sogenannten Antrags-Verbrechen und Vergehen, GA 19 569; Schünemann Der strafrechtliche Schutz von Privatgeheimnissen, ZStW 90 (1978) 11.
Entstehungsgeschichte § 205 Abs. 1 wurde durch das 49. StÄG v. 15.1.2015 (BGBl. I S. 10) geändert (vgl. auch BT-Drucks. 17/2601; 18/3202). Zur Aufnahme von § 202d siehe Art. 5 des G. zur Einführung einer Speicherfrist v. 10.12.2015 (BGBl. I S. 2218). Abs. II S. 4 wurde durch das 59. StÄG vom 9.10.2020 (BGBl. I S. 2075) eingefügt; die Änderung trat am 1.1.2021 in Kraft.
Übersicht I.
Allgemeines
II. 1. 2.
Die Einzelfälle 3 § 201 4 § 201a
1
3. 4. 5.
§ 202 5 6 § 202a §§ 203, 204
III.
Der Tod des Betroffenen
7 8
I. Allgemeines Die Vorschrift bestimmt, dass die in den §§ 201 bis 204 unter Strafe gestellten Verletzungen des per- 1 sönlichen Lebens- und Geheimbereichs grundsätzlich nur auf Antrag verfolgt werden. Gerade bei einer „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“ kann das das Institut des Strafantrags generell legitimierende Interesse des Verletzten, „bestimmte Fragen aus gerichtlichen Verfahren fernzuhalten“ (Schmid LK Vor §§ 77 ff Rdn. 3), wegen der selbst im Falle eines Ausschlusses des Öffentlichkeit (§§ 171b, 172 Nr. 2 und 3 GVG) gegenüber den Verfahrensbeteiligten unabwendbaren Bloßstellung das öffentliche Interesse an Strafverfolgung weit überwiegen. Eine Ausnahme besteht für den qualifizierten Tatbestand des § 201 Abs. 3: Die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes durch Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete ist von Amts wegen zu verfolgen. Ferner sind die §§ 201a, 202a, 202b und 202d nur (noch) relative Antragsdelikte ähnlich wie etwa die einfache und fahrlässige Körperverletzung nach § 230. Schließlich ist § 202c zwangsläufig ein Offizialdelikt, weil es als abstraktes Gefährdungsdelikt gar keinen individuellen Verletzten kennt (Ernst NJW 2007 2661, 2664). Antragsberechtigt ist der Verletzte (§ 77 Abs. 1). Wer Verletzter ist, bestimmt sich nach all- 2 gemeinen Grundsätzen. Besondere Grundsätze stellt Abs. 2 für das Antragsrecht nach dem Tod des Verletzten und für den postmortalen Geheimnisschutz auf. 989 https://doi.org/10.1515/9783110490121-057
Hilgendorf
§ 205
Strafantrag
II. Die Einzelfälle 1. § 201 3 Bei einem Verstoß gegen § 201 ist nur der Sprecher des nichtöffentlichen Wortes Verletzter i.S. des § 77 Abs. 1 StGB. Nicht antragsbefugt sind hingegen der Eigentümer der wiedergegebenen Aufnahme und sonstige Personen, die nur mittelbar von der Tat betroffen werden. So kann derjenige, dessen Angelegenheiten in dem abgehörten oder aufgenommenen Gespräch erörtert wurden, auch dann keinen wirksamen Strafantrag stellen, wenn er an der Geheimhaltung des Gesprächsinhaltes ein berechtigtes Interesse hat (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2). Vom rechtspolitischen Standpunkt aus gesehen mag diese Einschränkung zwar auf Bedenken stoßen; sie folgt jedoch zwingend daraus, dass § 201 StGB nicht dem Schutz von Geheimnissen dient, sondern die Vertraulichkeit und Unbefangenheit des gesprochenen Wortes schützt (vgl. § 201 Rdn. 1).
2. § 201a 4 Im Falle des § 201a ist die abgebildete Person Verletzter.
3. § 202 5 Im Falle des § 202 ist Verletzter grundsätzlich derjenige, der durch das Verschließen der Schriftstücke und anderer Tatgegenstände einen formalen Geheimbereich (vgl. § 202 Rdn. 1, 21) geschaffen hat; er hat ein Recht darauf, dass der Verschluss respektiert wird (vgl. RG LZ 1915 Sp. 842, 843). Antragsberechtigt bei unbefugter Öffnung eines Briefes ist demnach jedenfalls bis zu dessen Aushändigung an den Empfänger der Absender (RG LZ 1914 Sp. 195 = GA 61 339, 340). Ist der Brief in den Gewahrsam des Empfängers gelangt, ist ausschließlich dieser berechtigt, Strafantrag zu stellen.1 Mit dem Zugang beim Empfänger verliert der Absender jegliche Verfügungsmöglichkeit und Verfügungsbefugnis über die Sendung; spätere Tathandlungen verletzen ihn deshalb nicht (vgl. Gerhard a.a.O.; Hoyer SK Rdn. 4; aA Klebs GA 19 569, 571, der vom Fortbestand der Antragsbefugnis des Absenders ausgeht). Nach Samson SK6 Rdn. 4 soll das Antragsrecht des Absenders bereits enden, sobald er den Brief zur Post gegeben hat. Zur Parallelfrage bei der Einwilligungsbefugnis vgl. § 202 Rdn. 58.
4. § 202a 6 Bei Verstößen gegen § 202a ist antragsberechtigt derjenige, der die Daten gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert hat. Sein „formelles Geheimhaltungsinteresse“ soll durch die Vorschrift geschützt werden.2 Wie beim Briefgeheimnis ist auch hier auf den formalen Schutzbereich abzustellen, der durch die Sicherung der Daten geschaffen wurde. Hingegen kommt es nicht darauf an, auf wen sich die Daten beziehen. Der vom Inhalt der Daten Betroffene ist nicht
1 Schmid LK § 77 Rdn. 28 („der zur Tatzeit Verfügungsberechtigte“); Sch/Schröder/Eisele Rdn. 3; Fischer Rdn. 2; Gerhard S. 38; Graf MK Rdn. 8; Friedlaender ZStW 16 [1986] 756, 788 mit eingehender Darstellung des Meinungsstandes im älteren Schrifttum; nach RG LZ 1914 Sp. 195 = RG GA 61 339, 340 soll das Antragsrecht des Adressaten bereits entstehen, wenn ein auftragsloser Geschäftsführer, der sich als Adressat ausgibt, den Brief von der Post in Empfang nimmt. 2 Vgl. BGH NStZ 2005 566: die ausstellende Bank bezüglich der Programmdaten auf einer EC-Karte; Möhrenschlager wistra 1986 128, 140; zweifelnd Haft NStZ 1987 6, 9 f, der § 202a als Vermögensdelikt begreift. Hilgendorf
990
III. Der Tod des Betroffenen
§ 205
strafantragsbefugt.3 Zu dessen Schutz kommt freilich nunmehr bei besonderem öffentlichen Interesse eine Strafverfolgung von Amts wegen in Betracht (Fischer Rdn. 2a). Mit einer Anklageerhebung bejaht die Staatsanwaltschaft konkludent das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung (BGH BeckRS 2020 12264). Ähnlich wie bei § 202 ist beim Abfangen von Daten während des Übermittlungsvorganges gem. § 202b nur der Sender antragsbefugt.
5. §§ 203, 204 Im Rahmen der §§ 203, 204 ist antragsberechtigt der Geheimnisträger (Schmid LK § 77 Rdn. 28; 7 Fischer Rdn. 2; BGH NJW 1953 878). Bei § 203 StGB ist Verletzter also nur diejenige Person, über deren personenbezogene Daten der Täter Auskunft gegeben hat (BGH NStZ-RR 2013 110). Das gilt auch, wenn es sich um ein Drittgeheimnis handelt (vgl. § 203 Rdn. 64, 146): Die Entscheidung darüber, ob der Geheimbereich in einem neu einzuleitenden Strafverfahren und der ggf. notwendigen Gerichtsverhandlung erörtert werden soll, muss dem Geheimnisgeschützten vorbehalten bleiben (vgl. Schmid LK § 77 Rdn. 28; Fischer Rdn. 2; Hoyer SK Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Schünemann ZStW 90 [1978] 11, 58; weitergehend Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 5: Bei einem Drittgeheimnis habe auch derjenige das Recht zur Stellung des Strafantrages, der das Geheimnis dem Täter anvertraut habe, weil er in seiner Vertrauensbeziehung zum Täter betroffen sei).
III. Der Tod des Betroffenen Stirbt der Verletzte nach der Tat, geht – abgesehen vom Fall der §§ 202a, 202b und 202d, zu 8 dieser Einschränkung kritisch Graf MK Rdn. 13 – das Antragsrecht grundsätzlich auf seine Angehörigen über (§§ 205 Abs. 2, 77 Abs. 2). Insoweit gelten die allgemeinen Regeln. Durchbrochen wird dieser Grundsatz, wenn – wie das Gesetz es ausdrückt – das Geheimnis „nicht zum persönlichen Lebensbereich des Verletzten“ gehört (§ 205 Abs. 2 Satz 2); dann geht das Antragsrecht auf die Erben über. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Antragsbefugnis demjenigen zustehen soll, der den wirtschaftlichen Vermögenswert, der hinter dem Geheimnis steht, geerbt hat. Satz 2 erfasst daher – enger, als nach dem Wortlaut angenommen werden könnte – nur solche Geheimnisse, die einen Vermögenswert verkörpern oder sich jedenfalls auf einen Vermögensgegenstand beziehen (Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; ebenso Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 4; Hoyer SK Rdn. 10). Werden Taten nach §§ 203, 204 begangen, nachdem der Betroffene bereits gestorben ist 9 (vgl. §§ 203 Abs. 5, 204 Abs. 2), so gelten die bereits dargestellten Grundsätze entsprechend. In der Regel können deshalb die Angehörigen einen Strafantrag stellen, sind allerdings nicht zugleich Verletzte im Sinne des § 172 StPO (OLG Stuttgart Justiz 2006 236). Bei Geheimnissen, die einen Vermögenswert verkörpern oder sich auf einen Vermögensgegenstand beziehen, steht dieses Recht den Erben zu.
3 Zust. Fischer Rdn. 2a; Graf MK Rdn. 9; Kargl NK Rdn. 6; and. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2. 991
Hilgendorf
§ 206 Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses (1) Wer unbefugt einer anderen Person eine Mitteilung über Tatsachen macht, die dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen und die ihm als Inhaber oder Beschäftigtem eines Unternehmens bekannt geworden sind, das geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer als Inhaber oder Beschäftigter eines in Absatz 1 bezeichneten Unternehmens unbefugt 1. eine Sendung, die einem solchen Unternehmen zur Übermittlung anvertraut worden und verschlossen ist, öffnet oder sich von ihrem Inhalt ohne Öffnung des Verschlusses unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschafft, 2. eine einem solchen Unternehmen zur Übermittlung anvertraute Sendung unterdrückt oder 3. eine der in Absatz 1 oder in Nummer 1 oder 2 bezeichneten Handlungen gestattet oder fördert. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Personen, die 1. Aufgaben der Aufsicht über ein in Absatz 1 bezeichnetes Unternehmen wahrnehmen, 2. von einem solchen Unternehmen oder mit dessen Ermächtigung mit dem Erbringen von Post- oder Telekommunikationsdiensten betraut sind oder 3. mit der Herstellung einer dem Betrieb eines solchen Unternehmens dienenden Anlage oder mit Arbeiten daran betraut sind. (4) Wer unbefugt einer anderen Person eine Mitteilung über Tatsachen macht, die ihm als außerhalb des Post- oder Telekommunikationsbereichs tätigem Amtsträger auf Grund eines befugten oder unbefugten Eingriffs in das Post- oder Fernmeldegeheimnis bekannt geworden sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (5) 1Dem Postgeheimnis unterliegen die näheren Umstände des Postverkehrs bestimmter Personen sowie der Inhalt von Postsendungen. 2Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war. 3Das Fernmeldegeheimnis erstreckt sich auch auf die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche.
Schrifttum Amelung/Pauli Einwilligung und Verfügungsbefugnis bei staatlichen Beeinträchtigungen des Fernmeldegeheimnisses i.S.d. Art. 10 GG, MDR 1980 801; Arnauld Grundrechtsfragen im Bereich von Postwesen und Telekommunikation – Ein Beitrag zur Geltung der Grundrechte für und gegen gemischtwirtschaftliche Unternehmen und staatliche Eigengesellschaften, DÖV 1998 437; Arndt Die „strategische Kontrolle“ von Post und Fernmeldeverbindungen, NJW 1995 169; ders. Die Fernmeldekontrolle im Verbrechensbekämpfungsgesetz, NJW 1995 165; ders. Grundrechtsschutz bei der Fernmeldeüberwachung, DÖV 1996 459; ders. Zum Abhörurteil des BVerfG, NJW 2000 47; Aubert Fernmelderecht, 3. Aufl. Band I (1974); Aubert/Klingler Fernmelderecht/Telekommunikationsrecht, 4. Aufl. (1990); Badura/von Danwitz/Herdegen/Sedemund/Stern Beck’scher PostG Kommentar, 2. Aufl. (2004); Bär Zur verdeckten Ausforschung als Zeugenbeweis, CR 1997 367; Bäumler/Gundermann Zur Unzulässigkeit von Stasi-Abhörprotokollen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, ZParl 1997 236; Beckschulze Internet, Intranet und E-Mail-Einsatz am Arbeitsplatz, DB 2007 1526; Bisges Voraussetzungen der Auskunft bei Providern über ihre Kunden anhand von IP-Adressen, wistra 2009 303; Braum Expansive Tendenzen der Telekommunikationsüberwachung, JR 2004 128; Büchner Zur gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Entwicklung des Telekommunikationswesens und ihren technischen Grundlagen, CR 1996 581; Cornelius/Tschoepe Strafrechtliche Grenzen der zentralen E-Mail-Filterung und -Blockade, KommR 2005 267; Deckers/Gehrke Strafverteidigung und Überwachung der Telekommunikation, StraFO 2004 84; Demko Die Erstellung von Bewegungsbildern mittels Mobiltelefon als neuartige strafprozessuale Observierungsmaß-
Hilgendorf https://doi.org/10.1515/9783110490121-058
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Schrifttum
§ 206
nahme, NStZ 2004 57; Dendorfer/Niedderer Einsatz von Filtertechnologie, AuA 2006 214; Ehmke Zur rechtlichen Beurteilung von Telefonbelästigungen, Die Polizei 1981 247; Eckhard Die Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, CR 2007 336; ders. Archivierung von E-Mails CR 2008 103; Eidenmüller Post- und Fernmeldewesen (Loseblattkommentar); Engel-Flechsig/Roßnagel Multimediarecht (1998); Fangmann Das neue Telekommunikationsgesetz (1997); ders. Handbuch für Post und Telekommunikation, 2. Aufl. (1996); Fangmann/Lörcher/Scheuerle Telekommunikations- und Postrecht, 2. Aufl. (1996); Felixberger Staatliche Überwachung der Telekommunikation, CR 1998 143; Fezer Zum Fristbeginn bei Abhörmaßnahmen und den Folgen eines Fristverstoßes, JZ 1999 526; Geppert/Piepenbrock/Schütz/Schuster Beck’scher TKG – Kommentar, 4. Aufl. (2013); Gola Neuer Tele-Datenschutz für Arbeitnehmer, MMR 1999 322; Gramlich Die Zweite Novelle des G 10-Gesetzes, NJW 1997 1400; ders. Ende gut, alles gut? – Anmerkungen zum neuen Postgesetz, NJW 1998 866; Groß Die Schutzwirkung des Brief- Post- und Fernmeldegeheimnisses nach der Privatisierung der Post, JZ 1999 326; Gundermann Polizeilicher Zugriff auf Telekommunikationsdaten – Problembereiche – Entwicklungen, DuD 1999 681; Hadamek Art. 10 GG und die Privatisierung der Deutschen Bundespost (2002); Härting E-Mail und Telekommunikationsgeheimnis, CR 2007 311; Hassemer Telefonüberwachung und Gefahrenabwehr, ZRP 1991 121; Hanebeck/ Neunhoeffer Anwendungsbereich und Reichweite des telekommunikationsrechtlichen Fernmeldegeheimnisses – rechtliche Schwierigkeiten bei der Anwendung des TKG, KommR 2006 112; Heidrich Verwendung von DNS-Blacklisting zur Spam-Filterung, CR 2009 168; Heidrich/Tschoepe Rechtsprobleme der E-Mail-Filterung, MMR 2004 75; Hoeren Auskunftspflichten der Internetprovider an Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, wistra 2005 4; ders. Virenscanning und Spamfilter – Rechtliche Möglichkeiten im Kampf gegen Viren, Spam & Co, NJW 2004 3513; Junker/Band/Feldmann Neue Kommunikationsmittel und Rechte des Betriebsrats, BB 2000 Beilage 10, 14; Kaiser Das Postgeheimnis und seine erlaubte Durchbrechung, NJW 1969 18; Kitz Meine E-Mails les’ ich nicht – Zur Einwilligung in die Spamfilterung, CR 2005 450; Klug Konfliktlösungsvorschläge bei heimlichen Tonbandaufnahmen zur Abwehr krimineller Telefonanrufe, Festschrift Sarstedt (1981) 101; Kretschmar Das Mithören von Telefongesprächen im Betrieb, BB 1959 1068; Küper Zur Konkurrenz zwischen Briefgeheimnisverletzung und Unterschlagung, JZ 1977 464; Kudlich Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – zur „Mit-Hör-Fallen“-Entscheidung des Großen Strafsenats BGH (GS) NStZ 1996, 502, JuS 1997 502; Lammich Telekommunikationsgesetz in der Fassung vom 25. Juli 1996 (1997); Lengning Post- und Fernmeldegeheimnis, 3. Aufl. (1967); Lisken Telefonmithören erlaubt, NJW 1994 2069; Ludl Regulierung nach dem TKG, JA 1998 431; Macht Die Zulässigkeit der Veröffentlichung illegal erlangter Informationen, AfP 1999 317; Maiwald Verletzung amtlicher Geheimhaltungspflichten, JuS 1977 360; Marberth-Kubitzki Internet und Strafrecht, DRiZ 2007 212; Maschmann Mitarbeiterkontrolle in Theorie und Praxis, Festschrift Hromadka (2008) 233; Möstl Verfassungsrechtliche Vorgaben für die strategische Fernmeldeaufklärung und die informationelle Vorfeldarbeit im Allgemeinen, DVBl. 1999 1394; Nachbaur Standortfeststellung und Art. 10 GG – „IMSI-Catcher“, NJW 2007 335; Nelles Telefonüberwachung bei Kidnapping, Festschrift Stree/Wessels (1993) 718; Ohnheiser Postrecht, 4. Aufl. (1984); Palm Nutzung von Stasi-Unterlagen durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse, NJW 1998 3005; Preuß Die Kontrolle von E-Mails und sonstigen elektronischen Dokumenten im Rahmen unternehmensinterner Ermittlungen (2016); Riegel Gesetz zur Beschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (1997); Rochu Das Postgeheimnis und seine Wirkungen im Verfahren der Zivil und Strafprozessordnung, JW 1932 2685; Rudolphi Grenzen der Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach den 100a, b StPO, Festschrift Schaffstein (1975) 433; Ruppert TKGBegleitgesetz in Kraft, NJW 1998 583; Sassenberg/Lammer Zulässigkeit der Spam-Filterung im Unternehmen DuD 2008 461; Sauer Der Einsatz von Spamfiltern am Arbeitsplatz, KuR 2008 399; Schatzschneider Registrierung des äußeren Ablaufs von Telefongesprächen – Eingriff oder immanente Schranke des Fernmeldegeheimnisses? ZRP 1981 131; ders. Telefondatenverarbeitung und Fernmeldegeheimnis, NJW 1993 2029; Scherer Das neue TKG, NJW 1996 2953; Schlegel „Beschlagnahme“ von E-Mail-Verkehr beim Provider, HRRS 2007 44; Schmidl E-Mail-Filterung am Arbeitsplatz, MMR 2005 343; ders. „To disclaim or not to disclaim“ – Vertraulichkeitsverpflichtung auf Grund von E-Mail-Disclaimern, MMR 2005 501; Schrader Das Abhörurteil des BVerfG – Gewinn oder Verlust für den Datenschutz? DuD 1999 650; Schünemann Der strafrechtliche Schutz von Privatgeheimnissen, ZStW 90 (1979) 11; Schuster, IT-gestützte interne Ermittlungen in Unternehmen: Strafbarkeitsrisiken nach den §§ 202a, 206 StGB, ZIS 2010, 68; Sieber Informationstechnologie und Strafrechtsreform (1985); Spindler/Ernst Vertragsgestaltungen für den Einsatz von E-Mail-Filtern, CR 2004 437; Splittgerber/Klytta Auskunftsansprüche gegen Internetprovider, KommR 2007 78; Stern Postrecht der Bundesrepublik Deutschland (1997); Sternberg-Lieben Die Hörfalle – eine Falle für die rechtsstaatliche Strafverfolgung? Jura 1995 299; Tschoepe Rechtsprobleme der E-Mail-Filterung, MMR 2004 75; WegenerMelzer Das Post- und Fernmeldegeheimnis (1971); Welp Nachrichtendienstliche und strafprozessuale Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis, DÖV 1970 267; ders. Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (1974); ders. Strafprozessuale Funktionen der Post, ArchPF 1976 763; ders. Strafprozessuale Zugriffe auf Verbindungsdaten des Fernmeldeverkehrs, NStZ 1994 209; ders. Strafbare Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses nach der Privatisierung der Post (§ 206 StGB), Festschrift Lenckner (1998) 619; ders. Verbindungsda-
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§ 206
Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
ten – Zur Reform des Auskunftsrechts (§§ 100g, 100h StPO), GA 2002 535; Wiechert/Schmidt/Königshofen Telekommunikationsrecht der BRD (1995); dies. Europäisches Telekommunikationsrecht (1995); Wolf/Mulert Die Zulässigkeit der Überwachung von E-Mail-Korrespondenz am Arbeitsplatz, BB 2008 442; Wuermerling/Felixberger Fernmeldegeheimnis und Datenschutz im TKG, CR 1997 230; Zilkens Datenschutz am Arbeitsplatz, DuD 2005 253.
Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde durch Art. 2 Abs. 13 Nr. 6 des Begleitgesetzes zum Telekommunikationsgesetz (BegleitG) vom 17.12.19971 dem Fünfzehnten Abschnitt des StGB – Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs – angefügt. Sie tritt an die Stelle des § 354 a.F., der durch den Wegfall des Postmonopols sowie durch die Aufspaltung und Privatisierung der ehemaligen Deutschen Bundespost überholt war.2 Mit der Änderung der Überschrift (aus „und“ wurde „oder“) sollte der Trennung der Dienstleistungsunternehmen im Post- und Fernmeldebereich Rechnung getragen werden. Die Einordnung hinter § 205 macht deutlich, dass es sich bei den Straftaten nach § 206 Abs. 1 bis 3, Abs. 5 nicht mehr um Amtsdelikte handelt, dass sie aber weiterhin Offizialdelikte bleiben und – anders als §§ 201 Abs. 1 und 2, 202 bis 204 – keinen Strafantrag fordern. Die Neufassung der Strafnorm3 beschränkte sich im Wesentlichen auf die Anpassung an die seinerzeit neuen Strukturen der „postalischen“ Organisationsformen und Kommunikationstechniken; Täterkreis und Definition des Post- und Fernmeldegeheimnisses wurden geändert. Eine Strafbarkeitslücke wurde geschlossen, indem die Verweisung in Absatz 3 Satz 2 a.F. erweitert und auch auf Absatz 2 erstreckt wurde. Die Einbeziehung unbefugter Eingriffe in den neuen Absatz 4 sollte eine praktisch wenig bedeutsame, indessen schwer verständliche Privilegierung von Amtsträgern beseitigen, die durch unbefugte Eingriffe Dritter bekannt gewordene Tatsachen unbefugt mitteilten.4 Der Kerngehalt des durch § 206 ersetzten § 354 blieb indessen; insbesondere unterscheiden sich die Tatbeschreibungen der neuen Vorschrift nur geringfügig vom früheren Recht,5 so dass insoweit auch auf frühere Rechtsprechung und Literatur zurückgegriffen werden kann.
1 BGBl. I S. 3108; III 900-13; in Kraft getreten am 24.12.1997. 2 Zu den Strukturveränderungen im Post- und Fernmeldebereich durch das Poststrukturgesetz vom 8.6.1989 (BGBl. I S. 1026) und das Postumwandlungsgesetz vom 14.9.1994 (BGBl. I S. 2339) s. Felixberger CR 1998 143 ff; Gramlich NJW 1998 866 ff und NJW 1994 2785 ff, Ludl JA 1998 431 ff; Welp FS Lenckner 619 ff. 3 Materialien: RegE BTDrucks. 13/8016; 1. Beratung BTag Prot. 13/184; Stellungnahme des Bundesrats und Gegenerklärung der Bundesregierung BTDrucks. 13/8776; Bericht des Ausschusses für Post und Telekommunikation BTDrucks. 13/8776; 2. und 3. Beratung BTag Prot. 13/200. 4 So BTDrucks. 13/8016 S. 29 unter Hinweis auf den geringeren Strafrahmen des § 203 Abs. 2. 5 Der vom 8.6.1989 bis zum 23.12.1997 geltende § 354 lautete: (1) Wer unbefugt einem anderen eine Mitteilung über Tatsachen macht, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen und die ihm als Bediensteten der Post bekannt geworden sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer als Bediensteter der Post unbefugt 1. eine Sendung, die der Post zur Übermittlung auf dem Post- oder Fernmeldeweg anvertraut worden und verschlossen ist, öffnet oder sich von ihrem Inhalt ohne Öffnung des Verschlusses unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschafft, 2. eine der Post zur Übermittlung auf dem Post- oder Fernmeldeweg anvertraute Sendung unterdrückt oder 3. eine der in Absatz 1 oder in den Nummern 1 oder 2 bezeichneten Handlungen gestattet oder fördert. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für andere Personen, die 1. von der Post oder mit deren Ermächtigung mit postdienstlichen Verrichtungen betraut sind oder 2. eine für den öffentlichen Verkehr bestimmte Fernmeldeanlage betreiben, beaufsichtigen, bedienen oder sonst bei ihrem Betrieb tätig sind. Absatz 1 gilt entsprechend auch für Personen, die mit der Herstellung von Einrichtungen der Post oder einer nicht der Post gehörenden, dem öffentlichen Verkehr dienenden Fernmeldeanlage oder mit Arbeiten daran betraut sind. (4) Wer unbefugt einem anderen eine Mitteilung über Tatsachen macht, die ihm als außerhalb des Postbereichs tätigem Amtsträger auf Grund eines befugten Eingriffs in das Post- und Fernmeldegeheimnis bekannt geworden sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (5) Dem Post- und Fernmeldegeheimnis im Sinne der Absätze 1 und 4 unterliegen der Post- und Fernmeldeverkehr bestimmter Personen sowie der Inhalt von Postsendungen und Telegrammen und von solchen Gesprächen und Fernschreiben, die über dem öffentlichen Verkehr dienende Fernmeldeanlagen abgewickelt werden.
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Übersicht
§ 206
Die Reformbemühungen, die zu § 354 a.F. geführt hatten, gehen auf § 472 E 62 zurück.6 In Anlehnung an diese Vorschrift, aber mit gewissen Umgestaltungen, war in dem unter dem 19.5.1971 im Bundestag eingebrachten Entwurf eines 12. StrÄndG7 ein aus vier Absätzen bestehender § 354 vorgesehen, der die §§ 354, 355 a.F. ersetzen sollte; er entsprach den Absätzen 1 bis 3 und 5 der bis zum 23.12.1997 geltenden Fassung der Vorschrift. Mit einer klarstellenden Änderung des Absatzes 1 und unter Einfügung des § 354 Abs. 4, der einen Teil der Fälle erfassen sollte, die bislang in § 354d a.F. geregelt waren,8 wurde diese Fassung in den Regierungsentwurf des EGStGB übernommen und unverändert verabschiedet.9 Gegenüber der früheren Gesetzeslage10 brachte die Neuregelung eine Präzisierung und eine Erweiterung des Täterkreises. Eine Änderung erfuhr § 354 Abs. 3 schließlich durch das PostStruktG.11 Anlass hierzu war die auf Grund der ersten Stufe der Postreform erfolgte Neufassung des § 10 Abs. 1 des FernmeldeanlagenG.12 Angesichts der raschen Digitalisierung der Kommunikation steht § 206 unter großem Veränderungsdruck, der wegen des Gesetzlichkeitsprinzips nur begrenzt durch eine extensive Interpretation der Norm aufgefangen werden kann. Mittelfristig sind deshalb Anpassungen de lege ferenda unumgänglich, etwa im Hinblick auf die Erfassung von E-Mails oder Sprachnachrichten.
Übersicht I. 1. 2. 3. 4. II.
1.
Zweck der Vorschrift und ihre Bedeutung im Allgemeinen 1 Verfassungsrechtlicher Anspruch 3 Konkretisierung durch den Gesetzgeber Veränderungen mit Blick auf die Postre4 form 5 Bedeutung der Strafnorm; Rechtsgut Unbefugte Mitteilung über Tatsachen, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen (Absatz 1) 6 Täterkreis 7 a) Grundlagen 8 b) Unternehmen, 12 c) Inhaber 13 d) Beschäftigte 14 e) Funktionszusammenhang 15 f) Bekannt geworden
2.
3.
III.
1. 2.
Gegenstand der Tat sind Tatsachen, die dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen 16 a) Tatsachen 17 b) Postgeheimnis 21 c) Fernmeldegeheimnis 24 Tathandlung 25 a) Mitteilung 27 b) Unterlassen 28 c) Mitteilungsempfänger 29 d) Unbefugtheit Unbefugtes Öffnen verschlossener Sendungen und Kenntnisverschaffung ohne Öffnung des 30 Verschlusses (Abs. 2 Nr. 1) 31 Täterkreis 32 Tatgegenstand 33 a) Sendungen
6 Dazu BTDrucks. IV/2650 S. 663; Niederschriften der Großen Strafrechtskommission Bd. IX 570; XII 642; XIII 371, 389.
7 BTDrucks. VI/2202. 8 Vgl. dazu BTDrucks. VI/3250 S. 273. 9 Vgl. BTDrucks. 7/550 S. 34, 284 und BTDrucks. 7/1232 S. 75. 10 § 354 i.d.F. des RStGB vom 15.5.1871 lautete: „Ein Postbeamter, der die der Post anvertrauten Briefe oder Pakete in anderen als in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen öffnet oder unterdrückt oder einem anderen wissentlich eine solche Handlung gestattet oder ihm dabei wissentlich Hilfe leistet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ § 355 i.d.F. des RStGB vom 15.5.1871 lautete: „(1) Postbeamte oder mit der Beaufsichtigung und Bedienung einer öffentlichen Zwecken dienenden Telegrafenanstalt betraute Personen, welche die einer Telegrafenanstalt anvertrauten Telegramme verfälschen oder zu anderen als den im Gesetz vorgesehenen Fällen öffnen oder unterdrücken oder von ihrem Inhalt Dritte rechtswidrig benachrichtigen oder einem anderen wissentlich eine solche Handlung gestatten oder ihm dabei wissentlich Hilfe leisten, werden mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Den in einer Telegrafenanstalt anvertrauten Telegrammen werden andere Nachrichten gleichgestellt, die durch eine zu öffentlichen Zwecken dienende Fernsprechanlage vermittelt werden.“ 11 Gesetz zur Neustrukturierung des Post und Fernmeldewesens und der deutschen Bundespost vom 8.6.1989, BGBl. I S. 1026; in Kraft getreten am 1.7.1989. 12 Vgl. BTDrucks. 11/4316 S. 91. 995
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§ 206
3. 4. IV. 1. 2. 3. 4. 5.
Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
b) Verschlossen 34 35 c) Anvertraut 38 Die Tathandlung des Öffnens Die Anwendung technischer Mittel
40
Unterdrückung der zur Übermittlung anvertrauten Sendungen (Abs. 2 Nr. 2) 42 Allgemeines 44 Gegenstand der Unterdrückung 47 Begriff der Unterdrückung 50 Geringfügige Verstöße 51 Teilunterdrückung
Allgemeines 64 Täter 66 Eingriff 70 Befugt
VIII. 1. 2. 3.
Rechtswidrigkeit 71 Allgemeines Besondere gesetzliche Vorschriften Allgemeine Rechtfertigungsgründe
IX.
3. 4.
Die Einwilligung in die Durchbrechung des Post- und Fernmeldegeheimnisses Eingriffe in laufende Kommunikationsvor84 gänge Eingriffe im Herrschaftsbereich des Empfän85 gers 86 Spamfilter und Virenscanner 88 Private Nutzung
X.
Innerer Tatbestand
XI.
Teilnahme
1. V. 1. 2. 3.
Gestattung oder Förderung geheimnisverletzenden Tuns anderer (Abs. 2 Nr. 3) 52 Allgemeines 55 Gestatten und Fördern 56 Strafbarkeit des Dritten
VI. 1. 2. 3.
Erweiterung des Täterkreises (Abs. 3) 58 Allgemeines 59 § 206 Abs. 3 Nr. 2 60 § 206 Abs. 3 Nr. 3
57
63
1. 2. 3. 4.
2.
90
91
XII. Zusammentreffen VII. Unbefugte Weitergabe dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegender Tatsachen durch außerhalb des Post- oder Telekommunikationsbereichs tätige Amtsträger (Absatz 4)
72 80
92
XIII. Strafen und Nebenfolgen XIV. Recht des Einigungsvertrags
93 94
I. Zweck der Vorschrift und ihre Bedeutung im Allgemeinen 1. Verfassungsrechtlicher Anspruch 1 Art. 10 GG13 schützt das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Diese verfassungsrechtliche Garantie gibt dem Einzelnen einen grundrechtlich verankerten Anspruch gegen die öffentliche Gewalt auf Unverletzlichkeit seines privaten, vor der Öffentlichkeit verborgenen Austauschs von Nachrichten, Gedanken und Meinungen (Informationen). Sie ist ein wesentlicher Teil der verfassungsrechtlichen Gewährleistung einer Sphäre privater eigenverantwortlicher Lebensgestaltung, die unverzichtbare Voraussetzung für eine freie Entfaltung der Persönlichkeit ist.14 Bis zur Postreform richtete sich dieser Schutzanspruch unmittelbar und primär gegen die 2 Deutsche Bundespost als Trägerin des Post- und Fernmeldewesens, mithin gegen den staatlichen Organisationsbereich, auf dessen Vermittlung und Dienstleistungen die Kommunikationspartner bei räumlich distanzierter Kommunikation angewiesen waren und auf dessen Verschwiegenheit und Achtung der verfassungsrechtlich verbürgten Geheimhaltungspflicht sie vertrauen mussten. Art. 10 GG schützte den Einzelnen jedoch nicht nur gegenüber der Post; er 13 Art. 10 GG lautet: „(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. (2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, dass sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.“. 14 BVerfGE 27 1, 6; 65 1, 42; 67 157, 171; 85 386, 395 f; 100 313, 358 ff. Hilgendorf
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I. Zweck der Vorschrift und ihre Bedeutung im Allgemeinen
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schützte Bürger und Post auch gegenüber allen anderen staatlichen Stellen (Art. 1 Abs. 3 GG). Er verpflichtete den Staat, von Verfassungs wegen dafür Sorge zu tragen, dass die Rechte des Einzelnen bei der Benutzung der dem Post- und Fernmeldeverkehr dienenden staatlichen Einrichtungen nicht verletzt werden, und dabei zu beachten, dass das Grundrecht insbesondere auch gegen die Gefahren schützen soll, die sich aus der Überwachungstätigkeit der staatlichen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden ergeben.15
2. Konkretisierung durch den Gesetzgeber Die gesetzliche Konkretisierung dieses Schutzes war entsprechend der Gefährdungslage vor- 3 nehmlich auf die Abwehr von Beeinträchtigungen durch staatliche Bedienstete angelegt. Im postalischen Bereich verpflichteten § 5 PostG a.F.16 und § 10 FAG17 zur Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Bei Pflichtverletzungen drohten disziplinarrechtliche Sanktionen. Strafrechtlich waren Verletzungen der Geheimhaltungspflicht als Amtsdelikte zunächst in den früheren §§ 354, 35518 mit Strafe bedroht, die sodann in einem neu gefassten § 35419 zusammengeführt und ersetzt wurden.
3. Veränderungen mit Blick auf die Postreform Nachdem die aus dem Sondervermögen Deutsche Bundespost hervorgegangenen Unternehmen 4 durch das Postumwandlungsgesetz vom 19.9.199420 in Aktiengesellschaften umgewandelt worden waren und die Dienstleistungen des Postwesens, wie verfassungsrechtlich gefordert (Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG), als privatwirtschaftliche Tätigkeiten von diesen und von anderen privaten Anbietern zu erbringen sind, folgte aus Art. 10 GG die Verpflichtung des Staates, den Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses nunmehr auch gegenüber den privaten Dienstleistungsunternehmen sicher zu stellen.21 Der Gesetzgeber sah sich danach gehalten, die bislang bestehenden Schutzvorschriften, d.h. die entsprechenden post- und telekommunikationsrechtlichen Regelungen und die damit korrespondierenden Sanktionsnormen den durch das Poststrukturgesetz 198922 und das Postneuordnungsgesetz23 bewirkten relevanten Veränderungen der postalischen Strukturen anzupassen.24 Demgemäß wurde 1994 in § 5 Abs. 1 PostG a.F.,25 der die Handlungen aufzählte, die den Postbediensteten im Blick auf das Postgeheimnis untersagt sind, die Verpflichtung zur Wahrung des Postgeheimnisses auf „Beschäftigte und Beauftragte von Unternehmen, die Postdienste für die Öffentlichkeit erbringen“, erstreckt. Im Bereich 15 Vgl. BVerfGE 67 157, 171 f; 85 386, 395 f; 100 313, 358; 110 33, 68; 113 348; vgl. hierzu auch Stern Postrecht Teil C Art. 10 Rdn. 10, 35 ff; Schäfer LK10 § 354 Rdn. 2, 66. § 5 PostG vom 28. Juli 1969 (BGBl. I S. 1006) i.d.F. von Art. 261 EGStGB 1974 (BGBl. I S. 469). I.d.F. der Bekanntmachung vom 17. März 1977 (BGBl. I S. 459). Vgl. oben Fn. 9. Vgl. oben Fn. 4. BGBl. I S. 2325. Vgl. Stern Rdn. 49 ff; allgemein zur Ableitung und Begründung grundrechtlicher Schutzpflichten: Dietlein Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten (1992); K. Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland Rdn. 303, 350; Isensee HdbStR V § 111 Rdn. 77 ff; H. H. Klein DVBl. 1994 489 ff; Stern Das Staatsrecht der Bundesrepublik Bd. III/1 § 69 III, IV m.w.N.; dazu auch Groß JZ 1999 326, 330 ff; von Arnauld DÖV 1998 437 ff. 22 Vom 8.6.1989 – BGBl. I S. 1026. 23 Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation (Postneuordnungsgesetz – PTNeuOG) vom 14.9.1994 BGBl. I S. 2325. 24 Vgl. Groß JZ 1999 330 ff; Isensee Rdn. 165; Stern Rdn. 51; Welp FS Lenckner 622 ff. 25 § 5 PostG vom 28.7.1969 (BGBl. I S. 1006).
16 17 18 19 20 21
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Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
der Telekommunikation war die entsprechende Ausweitung des zur Geheimniswahrung verpflichteten Personenkreises bereits 1989 erfolgt.26 Mit ihr verbunden war jedoch nur die sektoral angleichende Änderung des § 354 Abs. 3 Satz 1,27 die den strafrechtlichen Schutz des Fernmeldegeheimnisses nunmehr auch gegenüber „postfremden privaten“ Anbietern sicherstellte. Die entsprechende Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes für das Postgeheimnis – über § 354 Abs. 3 Nr. 1 a.F. hinaus – brachte erst das Begleitgesetz vom 17. Dezember 1997 mit dem neuen § 206, der in teilweise enger Anlehnung an die ebenfalls neu gefassten Regelungen zum Post- und Fernmeldegeheimnis in § 39 PostG und § 3 TTDSG (vorher § 5 PostG und § 10 FAG, § 88 TKG) den für den Tatbestand relevanten Schutzbereich des Geheimnisses neu umschreibt (Abs. 5), den Kreis der zur Geheimniswahrung Verpflichteten neu bestimmt und die „Liste“ der in § 354 a.F. aufgezählten Tathandlungen aktualisiert und ergänzt (Abs. 1 bis 4). Die Neuformulierung des § 206 Abs. 5 soll jedoch im Vergleich zu § 354 Abs. 5 a.F. keine Änderung des sachlichen Regelungsinhalts bewirken.28
4. Bedeutung der Strafnorm; Rechtsgut 5 Mit der Neufassung und Einordnung des § 206 in den Fünfzehnten Abschnitt des StGB – Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs – wird die Bedeutung der Strafvorschrift im Blick auf das geschützte Rechtsgut akzentuiert. § 206 ergänzt die Regelungen zur Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, die der Gesetzgeber auf Grund seiner in Art. 10 GG gründenden Schutzpflicht im postalischen Bereich getroffen hat, in dem bestimmte (typische) Sachverhalte der Verletzung der den nunmehr privaten Postdienst Leistenden auferlegten Geheimhaltungspflicht (§ 39 PostG; § 3 TTDSG) tatbestandlich erfasst und mit strafrechtlichen Sanktionen bedroht werden. Geschützt ist danach zuvörderst das Post- und Fernmeldegeheimnis und damit auch das individuelle Geheimhaltungsinteresse der auf die Dienstleistungen des Postunternehmens angewiesenen natürlichen und juristischen Personen (auch des öffentlichen Rechts). Daneben schützt die Vorschrift das Recht an der Sendung, in der Regel das Eigentum, und das Recht auf Übermittlung.29 Die Vervollständigung des Strafschutzes durch die Aufnahme der Unterdrückung einer dem Postunternehmen zur Übermittlung anvertrauten Sendung in die Strafvorschrift (Abs. 2 Nr. 2) sowie die Einbeziehung der Aufgaben der Aufsicht wahrnehmenden Personen, insbesondere der Bediensteten der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (§ 191 TTDSG, früher: Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post )30 und der weiteren unternehmensfremden Personen in den Täterkreis (Abs. 3 und 4) machen deutlich, dass die Strafvorschrift (ebenso wie § 39 PostG und § 3 TTDSG) im öffentlichen Interesse zugleich das Vertrauen der Allgemeinheit in die Sicherheit, Zuverlässigkeit und Integrität des nunmehr in private Hände gegebenen Post- und Telekommunikationsverkehrs schützen soll.31 Dem entspricht auch, dass der Gesetzgeber bei der Einordnung des § 206 in den Fünfzehnten Abschnitt des StGB bewusst davon abgesehen hat, die Vorschrift als Antragsde-
26 27 28 29 30
§ 10 Fernmeldeanlagengesetz (FAG) i.d.F. von Art. 3 Nr. 8 PoststruktG. Art. 4 Abs. 20 PoststruktG BGBl. 1989 I S. 1026, 1059. BTDrucks. 13/8016 S. 29 f; Fischer Rdn. 7. Welp FS Lenckner 643; aA Altenhain MK Rdn. 3 Fn. 4. S. dazu auch § 2 Abs. 2 Nr. 1 PostG, der die Wahrung der Kundeninteressen, insbesondere des Postgeheimnisses gleichrangig mit dem Schutz der öffentlichen Interessen an die erste Stelle der Regelungsziele stellt, die der Regulierungsbehörde als hoheitliche Aufgabe des Bundes zugewiesen sind. 31 BTDrucks. 13/8453 S. 12 (Gegenäußerung der Bundesregierung); Hoyer SK Rdn. 4; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 1; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; aA Altenhain MK Rdn. 2 f; Kargl NK Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; Welp FS Lenckner 629. Ein weiterer Hinweis auf eine im öffentlichen Interesse liegende Schutzrichtung wird bisweilen in der formellen Subsidiarität des § 202 Abs. 1 gegenüber dem § 206 gesehen, vgl. die 11. Auflage Rdn. 4). Hilgendorf
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II. Unbefugte Mitteilung
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likt auszugestalten, obwohl dieses sehr nahe gelegen hätte, wenn sich ihre Zielrichtung auf den individuellen Rechtsschutz, im Wesentlichen also auf den Schutz vor Indiskretion beschränken würde. Dass auch nach der Privatisierung und Liberalisierung des Dienstleistungswesens ein nachhaltiges öffentliches Interesse an Zuverlässigkeit und Sicherheit der Post- und Telekommunikationsdienste besteht, wird durch § 88 Abs. 1 Nr. 1, 2 sowie durch die § 316b Abs. 1 Nr. 1 und § 317 Abs. 1 illustriert.32
II. Unbefugte Mitteilung über Tatsachen, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen (Absatz 1) 1. Täterkreis Neuorganisation und Privatisierung des früher hoheitlich und monopolistisch strukturierten 6 Postwesens hatten zur Folge, dass der Täterkreis des § 206 neu bestimmt werden musste.33 Da im Übrigen Gefährdungslage und Schutzinteresse gleich geblieben waren, konnte sich die Neuregelung damit begnügen, die Tatbestände des § 354 a.F. aufzugreifen und – nach behutsamen Korrekturen – an die neuen Verhältnisse anzupassen. An die Stelle der Bediensteten des in bundeseigener Verwaltung geführten Sondervermögens Deutsche Bundespost sind eine Vielzahl privater Unternehmer und ihre Mitarbeiter getreten; sie haben den Aufgabenbereich der Post übernommen und stehen nunmehr wie diese in der Pflicht. Von ihnen wird verlangt und erwartet, dass sie die Beförderung und Übermittlung der ihrer Obhut anvertrauten Nachrichten und Sendungen korrekt durchführen und bewahren.34 Die Verletzung dieser zentralen Pflicht macht die Straftat zu einem Sonderdelikt.35 Die Verwendung von E-Mail-Disclaimern erweitert den Kreis der Sonderpflichtigen und damit der möglichen Täter nicht.36
a) Grundlagen. Täter ist nunmehr, wer einem anderen Mitteilung über bestimmte Tatsachen 7 macht, die ihm als Inhaber oder Beschäftigtem eines Unternehmens, das geschäftsmäßig Post oder Telekommunikationsdienste erbringt, bekannt geworden sind. Die Tatsachen müssen dem Täter in der Zeit seiner Zugehörigkeit zu dem Unternehmen bekannt geworden sein. Ohne Bedeutung ist, in welcher Eigenschaft er im Zeitpunkt der Mitteilung handelt, ob er im Unternehmen noch tätig oder ob er bereits ausgeschieden ist. Die strafbewehrte Pflicht zur Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnis besteht nach der Beendigung der Tätigkeit fort; sie wirkt über das Ende der die Pflichtenstellung begründenden Stellung hinaus.37 Eine förmliche Verpflichtung ist nicht erforderlich.
b) Unternehmen, die geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringen, sind 8 neben der Post AG und der Deutschen Telekom AG deren private Wettbewerber als Anbieter von Post oder Telekommunikationsdiensten. Auf die Rechtsform dieser Unternehmen kommt es nicht an. Auch Behörden und andere öffentliche Stellen können Unternehmen in diesem Sinne
32 33 34 35
Vgl. BTDrucks. 13/8016 S. 28. Vgl. Welp FS Lenckner 631. Welp FS Lenckner 630. Altenhain MK Rdn. 4; Hoyer SK Rdn. 6; Kargl NK Rdn. 5; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Welp FS Lenckner 630. 36 Makoski K+R 2007 246 ff; Schmidl MMR 2005 501, 507. 37 So ausdrücklich § 3 Abs. 2 Satz 2 TTDSG; § 39 Abs. 2 Satz 2 PostG. 999
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§ 206
Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
sein.38 In der Frage, ob das Gesetz einem institutionellen Unternehmensbegriff folgt, mithin eine gewisse betriebliche Verfestigung der Funktionswahrnehmung, ein Mindestmaß an betrieblichen Strukturen und einen isolierbaren Bestand von Betriebsmitteln fordert,39 oder ob von einem (weiteren) funktionalen Unternehmensbegriff auszugehen ist,40 besteht Streit. Für die institutionelle Deutung des Begriffs mag der Umstand sprechen, dass das Tatbestandsmerkmal keine Bedeutung hätte, wenn es sich in der Substantivierung der Funktionswahrnehmung erschöpfte.41 Die Gegenposition kann für sich in Anspruch nehmen, dass der Gesetzgeber den Täterkreis des Abs. 1 gegenüber den gemäß § 39 Abs. 2 PostG, § 3 Abs. 2 TTDSG zur Wahrung des Post- bzw. Fernmeldegeheimnis Verpflichteten nicht einschränken wollte.42 Praktische Bedeutung hat die Streitfrage nicht. Das geschäftsmäßige Erbringen von Post- und Telekommunikationsdiensten setzt rein faktisch ein Mindestmaß an organisatorischen Vorkehrungen und sachlichen Mitteln voraus, das die (ohnedies nur geringen) Anforderungen an einen institutionellen Unternehmensbegriff stets erfüllen dürfte. 9 Das Tatbestandsmerkmal des geschäftsmäßigen Erbringens von Post- oder Telekommunikationsdiensten hat der Gesetzgeber ersichtlich aus § 39 Abs. 2 PostG sowie aus § 85 Abs. 2 TKG in der bis zum 25.6.2004 geltenden Fassung entnommen, die den Kreis der materiell zur Geheimhaltung Verpflichteten bestimm(t)en. Die entsprechende Definition befindet sich in § 4 Nr. 4 PostG. Danach ist das geschäftsmäßige Erbringen von Postdiensten das nachhaltige Betreiben der Beförderung von Postsendungen für andere mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht;43 Entgeltlichkeit der Dienstleistung wird nicht vorausgesetzt.44 Die Postdienstleistungen ergeben sich aus dem Katalog des § 4 Nr. 1 PostG (Beförderung von Briefen, Paketen u.a.). Telekommunikation ist nach § 3 Nr. 59, 60 TTDSG der technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Signalen mittels Telekommunikationsanlagen, d.h. technischen Einrichtungen, Systemen oder Servern, die als Nachrichten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale senden, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollieren können. Zum Kreis der Verpflichteten gehören auch Access- und Internet-Service-Provider, die E-Maildienste anbieten; Entgeltlichkeit wird nicht vorausgesetzt.45 10 Voraussetzung ist, dass sich das Betreiben oder Anbieten an Dritte richtet; bei Anlagen, die durch den Nutzer selbst betrieben werden, etwa bei einer durch eine Familie selbst betriebenen Haustelefonanlage, ist das nicht der Fall.46 Unternehmensinterne Telekommunikationsanlagen, die nur einem geschlossenen Nutzerkreis zu ausschließlich innerbetrieblichen Zwecken zur Verfügung stehen, erbringen ihre Leistungen nur dann geschäftsmäßig, wenn sie von einem unternehmensfremden Dritten betrieben werden.47 Anderes gilt für Anlagen, die von einem Betrieb oder von einer anderen Einrichtung (auch) für die private Nutzung durch Betriebsangehörige oder durch Gäste vorgesehen sind: Telefonanlagen in Krankenhäusern oder in Hotels werden geschäftsmäßig betrieben, wenn sie von Patienten oder Gästen genutzt werden. Ein Arbeitgeber oder Dienstherr wird zum „Diensteanbieter“, wenn er den Beschäftigten die private Nutzung seines Netzes gestattet, etwa einen Zugang zum Internet bereitstellt und das Senden und den 38 Vgl. OLG Karlsruhe MMR 2005 178, 179 f – Universität –; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8a m.w.N.; aA Fischer Rdn. 2a. Zur Beachtung des Fernmeldegeheimnisses beim Betrieb einer behördlichen Nebenstellenanlage, vgl. Bock BeckTKG § 88 Rdn. 24. 39 So Welp FS Lenckner 632; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8. 40 So Altenhain MK Rdn. 11; Kargl NK Rdn. 7. 41 So Welp a.a.O. 42 Altenhain MK Rdn. 11; BTDrucks. 13/8016 S. 29. 43 Vgl. Altenhain MK Rdn. 18 unter Hinweis darauf, dass das Gesetz den Begriff „Dienste“, nicht „Dienstleistungen“ gebraucht. 44 Härting CR 2007 311, 315 m.w.N. 45 Heidrich/Tschoepe MMR 2004 75, 76. 46 Heidrich/Tschoepe MMR 2004 75, 76; Kargl NK Rdn. 10; insoweit gelten die allgemeinen datenschutzrechtlichen Bestimmungen. 47 Altenhain MK Rdn. 17; Kargl NK Rdn. 10. Hilgendorf
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Empfang von privater elektronischer Post gestattet.48 Eine Universität, die ihr internes Netz den Hochschulangehörigen auch für private Zwecke sowie externen Nutzern zur Verfügung stellt, ist nicht hoheitlich tätig, sondern eine Unternehmerin im Sinne des Gesetzes, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt. Die Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts steht dem nicht entgegen.49 Der Anwendungsbereich der Vorschrift erstreckt sich auch auf Telekommunikationsnetze geschlossener Benutzergruppen (Corporate Networks), die zunehmend an Bedeutung gewinnen.50 Wird die Erlaubnis zur privaten oder externen Nutzung nur in Einzelfällen erteilt, richtet sich das Angebot zwar an einen Dritten, es fehlt aber an der Nachhaltigkeit.51 Tele- oder Mediendienste, wie etwa Datenbanken, Call-Center,52 Transaktions-, Wartungs- 11 oder Überwachungsdienste werden vom Tatbestand nicht erfasst. Sie unterscheiden sich von den Telekommunikationsdiensten dadurch, dass sie nicht den Transport von Nachrichten oder Inhalten anbieten, sondern diese Inhalte oder andere Dienstleistungen selbst.53 Idealtypisch sind sie „dialogisch“ im Verhältnis zwischen Anbieter und Nutzer organisiert, während Telekommunikationsdienste die Kommunikation zwischen zwei Nutzern vermitteln.54 Ob die Ausgrenzung der Tele- oder Mediendienste bereits aus dem Begriff der Telekommunikation55 folgt oder ob der Tatbestand im Wege einer am Schutzbereich orientierten, restriktiv-teleologischen Auslegung auf Drei-Beteiligten-Konstellationen zu beschränken ist,56 ist für die praktische Anwendung der Norm ohne Bedeutung. Jedenfalls bezweckt § 206 nicht den Schutz vor Indiskretionen des Kommunikationspartners. Die Vorschrift will vielmehr den besonderen Gefahren Rechnung tragen, die mit der Einschaltung von Dritten in den Kommunikationsvorgang verbunden sind.57 In der Praxis kommt es allerdings bisweilen zu einer Überschneidung der Rollen: Telekommunikationsdienste bieten ihrerseits Inhalte an; Anbieter von Telediensten erbringen Telekommunikationsleistungen. In diesen Fällen kommt es darauf an, welchem Tätigkeitsfeld die Handlung zuzurechnen ist. Die Zugangsvermittlung zu Computernetzen und die Übermittlung von E-Mails ist Telekommunikation.58
c) Inhaber im Sinne des § 206 Abs. 1 und 2 ist jeder, der allein oder mit anderen aus eigenem 12 Recht über die sachlichen und personellen Betriebsmittel verfügen und über die Funktionswahrnehmung auf dem Gebiet des Post- und Telekommunikationswesens entscheiden kann.59 In Betracht kommen insbesondere natürliche Personen in ihrer Eigenschaft als Träger einzelkaufmännischer Unternehmen oder als (Mit-)Eigner von Personenhandels- oder Kapitalgesellschaften u.ä., soweit diese ihrerseits als Unternehmensträger fungieren.60 Gefordert ist eine Verfügungs- und Entscheidungsmacht über den Einsatz von Personal und Sachmitteln; der nicht in der Geschäftsführung tätige Aktionär und der „stille“ Anteilseigner gehören nicht zum Kreis der Sonderpflichtigen.61 48 Härting CR 2007 311 ff; Heidrich/Tschoepe MMR 2004 75, 76; Hülsdonk EWiR 2006 305; Maschmann FS Hromadka 233, 251; kritisch: Barton CR 2003 843. OLG Karlsruhe CR 2005 288. Vgl. BTDrucks. 13/8016 S. 29; aA Cornelius/Tschoepe KommR 2005 269. So Altenhain MK Rdn. 17. Vgl. dazu Lüderssen wistra 2006 441, 444. Altenhain MK Rdn. 21. Vgl. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6b; Welp FS Lenckner 637. So Altenhain MK Rdn. 21. So Welp FS Lenckner 638; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 13. Kargl NK Rdn. 17. Altenhain MK Rdn. 21; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6b. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 8b; Altenhain MK Rdn. 22; Welp FS Lenckner 632. So BTDrucks. 13/8016 S. 29. Kargl NK Rdn. 11.
49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61
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13 d) Beschäftigte im Sinne des § 206 Abs. 1 (und 2) sind sämtliche Mitarbeiter dieser Unternehmen, gleichgültig, ob voll- oder teilzeitbeschäftigt, ob in privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen.62 Auch nach der Neuordnung des Postwesens sind bei den Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost Beamte beschäftigt.63 Der Begriff des Beschäftigten ist weiter als der des Bediensteten der Post in § 354 a.F.: Jener erfasste zwar auch die Angehörigen der Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost, nicht aber die Postdienste i.S.d. § 4 Nr. 1 PostG leistenden Mitarbeiter anderer privater Anbieter.64 Zu den Beschäftigten zählen auch die Gehilfen und das Postdienste erbringende Personal in Agenturen oder in den sog. Paketshops der Unternehmen. Die Annahme, der Beschäftigtenbegriff setze ein entgeltliches Dienstverhältnis voraus,65 wird durch das Gesetz nicht gestützt.66 Vielmehr kommt es – wie im Personalvertretungs- oder im Betriebsverfassungsrecht – auf die faktische Eingliederung in das Unternehmen an. Erfasst werden deshalb auch Personen, die etwa als Volontäre oder Praktikanten ohne Bezahlung Dienst leisten. Die Gegenansicht, die ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis fordert, gelangt durch die Anwendung des Abs. 3 Nr. 2 zu vergleichbaren Ergebnissen.67
14 e) Funktionszusammenhang. Inhaber und Beschäftigte der oben unter 1b (Rdn. 8) umschriebenen Unternehmen sind zwar nach § 39 PostG und § 3 TTDSG zur Verschwiegenheit hinsichtlich der in ihrem Tätigkeitsfeld anfallenden personenbezogenen postalischen Vorgänge verpflichtet. § 206 Abs. 1 schränkt jedoch – wie § 354 a.F. – den Bereich der Strafbarkeit von Pflichtverletzungen insoweit ein, als er nur die Mitteilung derjenigen Tatsachen erfasst, die dem Täter im Rahmen seiner die Wahrung besonderer Vertraulichkeit fordernden Dienstgeschäfte bekannt geworden sind; mit anderen Worten: Es muss ein funktionaler Zusammenhang zwischen der dem Beschäftigten zugewiesenen Tätigkeit und der Kenntniserlangung bestehen.
15 f) Bekannt geworden sind die geheim zu haltenden Tatsachen dem Täter als Inhaber oder Beschäftigtem eines Unternehmens, das geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt, wenn er von ihnen keine Kenntnis erhalten hätte, falls er nicht „Inhaber oder Beschäftigter“ des Unternehmens gewesen wäre.68 Ist dieser Zusammenhang gegeben, so ist es ohne Bedeutung, welche Umstände im Einzelfall ihm die Kenntnis ermöglichten, ob er seine Kenntnis der dienstlichen Befassung mit der Tatsache verdankt oder ob ihm seine Position im Unternehmen auf andere Weise Gelegenheit zur Kenntnisnahme gegeben hat. Letzteres ist z.B. der Fall, wenn er die Tatsache einem Telefongespräch entnimmt, das der im gleichen Raum anwesende Kollege führt, oder wenn dieser Kollege ihm (dem Täter) auf seine Frage oder aus eigener Initiative, gleichviel ob zulässig oder unzulässig, von der Tatsache erzählt. Auch der Einblick in Unterlagen, die auf dem Tisch des abwesenden Zimmerkollegen zurückgelassen wurden, gehört dazu. Eine Kenntniserlangung im Sinne des § 206 Abs. 1 ist allerdings zu verneinen, wenn der Beschäftigte sich die Kenntnis unter Überwindung besonderer Sicherungsvorrichtungen und -Maßnahmen verschafft; dass ihm seine „dienstlichen“ Einblicke die Tat erleichtert haben mögen, ändert nichts daran, dass er sein Wissen als Extraneus erlangt hat. Entsprechen62 BTDrucks. 13/8016 S. 29. 63 Vgl. § 2 Postpersonalrechtsgesetz v. 14.9.1994 BGBl. I S. 2353; zur Amtsträgereigenschaft eines beurlaubten, in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zur Deutschen Bahn AG stehenden Bahnbeamten vgl. BGHR StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Amtsträger 8. 64 Vgl. Welp FS Lenckner 631 ff. 65 Hoyer SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 8; Welp FS Lenckner 633. 66 Altenhain MK Rdn. 22; Kargl NK Rdn. 12. 67 Vgl. Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 8. 68 Vgl. RGSt 49 213, 215; Hoyer SK Rdn. 9 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Fischer Rdn. 8. Hilgendorf
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des gilt, wenn im Geschäftsbereich ein Sachverhalt anfällt, von dem der Inhaber oder Beschäftigte schon anderweitig (außerdienstlich) Kenntnis erlangt hat. Verwertet aber der Täter (bei seiner Mitteilung an andere Personen) zusätzlich Einzelheiten aus dem Geschäftsvorgang, so ist das Tatbestandsmerkmal gegeben. Die Tätigkeit einer Reinigungskraft mag ihr zwar faktisch ermöglichen, ohne besondere Mühe Kenntnis von dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegenden Tatsachen zu nehmen; als Täter kommt sie jedoch nicht in Betracht. Auch der Beschäftigte eines Unternehmens, der aus besonderen Gründen, etwa gesundheitlicher Art, nur mit Arbeiten betraut wird, die keinerlei Sachnähe zum postalischen Bereich aufweisen, scheidet als Täter aus.69 Die Gegenansicht, die einen funktionalen Zusammenhang zwischen zugewiesener Beschäftigung und Kenntniserlangung nicht für erforderlich erachtet,70 stellt demgegenüber auf den Geheimnisgeschützten ab, dem es gleichgültig ist, welche Funktion der Beschäftigte im Unternehmen hat. Für die h.M. spricht die Ausgestaltung der Vorschrift als Sonderdelikt, das die Verletzung von Sonderpflichten mit Strafe bedroht, die aus einer Sonderbindung resultieren. Eine rein opferbezogene Sicht dürfte die Anwendung des gegenüber § 202 beträchtlich erhöhten Strafrahmens nicht rechtfertigen;71 sie könnte überdies in ein Spannungsverhältnis zu Abs. 3 Nr. 3 treten: Danach sind betriebsfremde Personen nur dann taugliche Täter, wenn ihre Tätigkeit in einem spezifischen Zusammenhang zum Geheimbereich steht; der Angehörige eines externen Putztrupps scheidet als Täter aus (vgl. unten Rdn. 61).
2. Gegenstand der Tat sind Tatsachen, die dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen a) Tatsachen sind alle nach Raum und Zeit bestimmte vergangene und gegenwärtige, grds. 16 nicht aber zukünftige Begebenheiten oder Zustände. Darunter fallen sowohl äußere als auch innere Vorgänge wie z.B. Ansichten, Absichten, Pläne u.a. Der Begriff der „Tatsachen“ hat hier die gleiche Bedeutung wie in § 93 Abs. 1, §§ 186, 263 Abs. 1. Die Abgrenzung zum Werturteil ist allerdings von geringerer Bedeutung als bei den vorgenannten Tatbeständen, weil die Weitergabe eines Werturteils in der Regel zugleich Aufschluss über den geheim zu haltenden postalischen Vorgang gibt und deshalb eine Tatsachenbehauptung enthält. Welche Tatsachen dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, bestimmt Absatz 5. Um Privat- oder Dienstgeheimnisse muss es sich nicht handeln.72 b) Postgeheimnis. Dem Postgeheimnis unterliegen nach § 206 Abs. 5 Satz 1 die näheren Um- 17 stände des Postverkehrs bestimmter Personen und der Inhalt von Postsendungen. Diese Definition entspricht § 39 Abs. 1 PostG. Gegen Indiskretionen geschützt ist danach, wie schon in § 354 a.F., nicht nur der Inhalt der Postsendungen, sondern auch jeder konkrete, eine bestimmte Person betreffende Vorgang des Postverkehrs von der Übergabe der Sendung an das Postdienste leistende Unternehmen (z.B. Einwurf in den Briefkasten) bis zur Ablieferung beim Adressaten, bei Postfachinhabern bis zur Abholung. Dieser Schutz kommt jedem Teilnehmer am Postverkehr zugute, gleichgültig ob natürliche oder juristische Person, ob nicht rechtsfähige Personenvereinigung, Behörde oder sonstige Stelle. Was unter „Postverkehr“ zu verstehen ist, lässt sich den Vorschriften des PostG entneh- 18 men, das nach seinem § 3 für den gesamten Postverkehr gilt und in § 4 Nr. 1 PostG die wesentli69 BGH NJW 1953 1153; RGSt 49 213, 215; Hoyer SK Rdn. 9; Kargl NK Rdn. 19; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 9. 70 Altenhain MK Rdn. 37, der allerdings bei betriebsfremden Personen im Sinne des Abs. 3 Nr. 3 mit der h.M. einen funktionalen Zusammenhang zwischen Tätigkeit und geschütztem Geheimnis verlangt und etwa die Angehörigen eines externen Reinigungsservice nicht in den Täterkreis einbezieht. 71 Vgl. Kargl NK Rdn. 20. 72 Sch/Schröder/Eisele Rdn. 5. 1003
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chen Begriffsbestimmungen für die von den Postunternehmen zu bewältigenden Dienstleistungen enthält, nämlich a) die Beförderung von Briefsendungen, b) von adressierten Paketen und c) von Büchern, Katalogen, Zeitungen, oder Zeitschriften.73 Die aufgezählten Gegenstände der Beförderung fallen nach § 4 Nr. 5 PostG unter den Begriff „Postsendungen“. Nähere Umstände des Postverkehrs sind alle mit der postalischen Beförderung von Sendungen im Zusammenhang stehenden Daten, die nicht den Inhalt der Sendung zum Gegenstand haben, sondern Aufschluss geben über die am konkreten Kommunikationsvorgang Beteiligten (Absender, Empfänger), über Art und Weise oder Zeit und Ort des Verkehrs („Wer mit wem, wo und wohin im Postverkehr steht“). Selbst die bloße Mitteilung, dass ein solcher Postverkehr stattgefunden oder nicht stattgefunden hat, unterliegt dem Postgeheimnis.74 Gleiches gilt, wenn nur der Inhalt der Sendung mitgeteilt wird, ohne den Absender oder Empfänger zu nennen. Die postalische Anschrift einer als Postsendungsempfänger in Betracht kommenden Person gehört als solche nicht zum Postverkehr.75 Hat also der Absender für den Fall der Unanbringlichkeit eine Nachsendung ausgeschlossen, so würde es, soweit nicht datenschutzrechtliche Vorschriften entgegenstehen (s. § 41 PostG), dem Postgeheimnis nicht widersprechen, wenn auf Anfrage des Absenders diesem eine vom Empfänger vorbehaltlos bekannt gegebene Nachsendeanschrift mitgeteilt wird. 19 § 4 Nr. 1 lit. b PostG bestimmt, dass die Beförderung von Paketen, deren Einzelgewicht 20 Kilogramm übersteigt, keine Postdienstleistung ist; es handelt es sich nicht um Postsendungen (§ 4 Nr. 5 PostG). Nach § 206 Abs. 5 Satz 1 (gleich lautend mit § 39 Abs. 1 PostG) bezieht sich das Postgeheimnis nur auf die näheren Umstände des Postverkehrs und auf den Inhalt von Postsendungen. Vordergründig scheint dies darauf hinzudeuten, dass der Inhalt von übergewichtigen Paketen nicht dem Postgeheimnis unterliegen soll. Dem steht indessen entgegen, dass § 206 Abs. 2 das Öffnen und Unterdrücken von Sendungen ohne Rücksicht auf ihr Gewicht mit Strafe bedroht. Dass auch diese Vorschrift das Postgeheimnis schützen will, entspricht jedenfalls der h.M.76 Der damit angedeutete Wertungswiderspruch zwischen den einzelnen Begehensweisen der Vorschrift kann vermieden werden, wenn das Postgeheimnis auf Sendungen jeden Gewichts erstreckt wird, sofern die Beförderung in einem Unternehmen erfolgt, das sich auch mit der Erbringung von Postdienstleistungen befasst und deshalb am Postverkehr teilnimmt.77 Die Annahme eines dergestalt formellen, durch den „postalischen“ Gesamtcharakter des Unternehmens begründeten Geheimbereichs dürfte mit dem Wortlaut des Gesetzes noch vereinbar sein: Die Beförderung eines übergewichtigen und allein deshalb nicht dem Begriff der Postsendung unterfallenden Pakets im Rahmen eines insgesamt postalisch ausgerichteten Unternehmens kann bei natürlichem Verständnis zwanglos dem Begriff des „Postverkehrs“ zugeordnet werden. 20 Rein statistische Angaben zum Postverkehr im Allgemeinen, etwa über die Häufigkeit von Nutzungsarten oder über die Schwerpunkte des Geschäftsanfalls, fallen nicht in den geheim zu haltenden Bereich; es fehlt hier jeder Bezug zu einem konkreten Vorgang des „Postverkehrs bestimmter Personen“.78 Gleiches gilt für offen- oder allgemeinkundige Tatsachen. Werden solche Tatsachen indessen in Verbindung mit den am Postvorgang Beteiligten genannt, kann 73 Die Dienstleistungen der Postbank gehören nach ihrer rechtlichen Verselbständigung nicht mehr dem Postwesen an. Der nach § 1 PostG in der bis zum 31.12.1997 geltenden Fassung den Postdiensten zugeordnete Postscheckund Postsparkassendienst ist keine Postdienstleistung mehr. Die Frage, ob außer den im Rahmen des Postscheckoder Postsparkassendienst postalisch zu befördernden Sendungen auch Auskünfte über den Kontostand zum Begriff des Postverkehrs im Sinne des § 354 Abs. 5 a.F. zählten und damit dem Postgeheimnis unterlagen, hat danach für § 206 ihre Bedeutung verloren (zum früheren Streitstand vgl. Schäfer LK10 § 354 Rdn. 11). 74 OVG Koblenz NJW 1981 837 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 6a. 75 OVG Koblenz a.a.O.; Kämmerer/Eidenmüller Post- und Fernmeldewesen Anm. 5 zu § 5 PostG a.F. 76 Vgl. Altenhain MK Rdn. 46, der allerdings Pakete von mehr als 20 Kilogramm auch vom Begriff der Sendung i.S.d. Abs. 2 ausnehmen will; aA Härting CR 2007 311, 316 m.w.N. 77 So Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17; Welp FS Lenckner 640; aA Altenhain MK Rdn. 46; Kargl NK Rdn. 15, 25, jeweils mit deutlicher und berechtigter Kritik an der Systematik des Gesetzes. 78 Kargl NK Rdn. 14. Hilgendorf
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II. Unbefugte Mitteilung
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hierdurch das Postgeheimnis verletzt werden: Der Inhalt einer Zeitung, die (auch) im Postverkehr versandt wurde, unterliegt nicht dem Schutz des Postgeheimnisses; der Bedienstete, der die Zeitung liest und den Inhalt mit Kollegen erörtert, verstößt nicht gegen § 39 PostG und macht sich nicht nach § 206 strafbar. Das Postgeheimnis ist aber dann verletzt, wenn er preisgibt, dass eine bestimmte Person diese Zeitung oder allgemein eine Zeitung bestimmten Inhalts bezogen hat.
c) Fernmeldegeheimnis. Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen nach § 206 Abs. 5 Satz 2 der 21 Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war. Nach § 206 Abs. 5 Satz 3 erstreckt es sich auch auf die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche. Diese gesetzliche Definition entspricht § 88 Abs. 1 TKG (jetzt: § 3 Abs. 1 TTDSG), der § 10 FAG ersetzt und dessen Inhalt der Gesetzgeber wörtlich in die Strafnorm des § 206 Abs. 5 übernommen hat.79 Geschützt ist die individuelle körperlos abgewickelte Fernübertragung von Informationen mittels Telekommunikationsanlagen. Dazu gehören Telefon, Telex, Telefax, E-Mail, SMS, Telekopie und alle sonstigen technischen Einrichtungen und Möglichkeiten, zu denen auch künftige Neuerungen der Übermittlungstechnik zählen werden.80 Auch hier gilt, dass sich der Schutz nicht nur auf den Inhalt der Kommunikation erstreckt, sondern auch auf die näheren Umstände der Benutzung, auf den konkreten Kommunikationsvorgang insgesamt und auf die Beteiligung daran. Auch die Frage, ob zwischen bestimmten Personen ein Fernmeldeverkehr stattgefunden hat oder nicht, fällt in den geheim zu haltenden Bereich.81 Zu den geschützten näheren Umständen der Kommunikation gehören Ort, Zeit und Dauer des Nachrichtenaustauschs, ebenso – soweit wahrnehmbar – die Art der Gesprächsführung (Auffälligkeiten, Lautstärke u.a.) oder die Vorgänge und Ursachen vergeblicher Verbindungsversuche; bei Mobiltelefonen die Funkzelle, aus der gesprochen wird.82 Ebenso wie beim Postgeheimnis kommt es auch beim Fernmeldegeheimnis nicht darauf an, ob die Kommunikationsvorgänge materielle Geheimnisse enthalten.83 Nicht geschützt sind die Teilnehmer an den „dialogisch“ organisierten Tele- und Mediendiensten im Verhältnis zu dem Partner des Dialogs (vgl. oben Rdn. 11). Daten über abgeschlossene Telekommunikationsvorgänge, die sich im Machtbereich des Empfängers befinden, wie etwa Informationen über abgeschlossene Telefongespräche im Speicher eines Mobiltelefons,84 Einzelverbindungsnachweise in Papierform, schriftliche Gesprächsnotizen oder E-Mails, die auf der Festplatte des heimischen Rechners abgespeichert sind, liegen zwar außerhalb des verfassungsrechtlich durch Art. 10 GG geschützten Fernmeldegeheimnisses (vgl. unten Rdn. 67). Strafrechtlichen Schutz vor Indiskretionen des Diensteanbieters genießen sie aber weiterhin, soweit sie Aufschluss über vergangene Telekommunikationsvorgänge geben. Archiviert oder speichert ein Arbeitnehmer empfangene E-Mails an einer selbstgewählten Stelle im betrieblichen Telekommunikationssystem ab, so sollen diese nicht mehr dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses unterfallen.85 79 Wie das Postgesetz wollen auch TKG und TTDSG die rechtlichen Rahmenbedingungen für die durch die Postreform bewirkten Veränderungen schaffen. Die aus § 88 TKG a.F. übernommenen Begriffe müssen danach in ihrer „bereichsspezifischen“ Bedeutung verstanden werden. Telekommunikation ist nach § 3 Nr. 59 TKG der technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Signalen mittels Telekommunikationsanlagen, also nach § 3 Nr. 60 mittels technischer Einrichtungen oder Systemen, die als Nachrichten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale senden, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollieren können. 80 Vgl. BVerfGE 46 120, 144. 81 BGHSt 35 32, 33 f. 82 Weitergehend: BGH, NJW 2001 1587 f (auch wenn nicht telefoniert wird; vgl. dazu aber Rdn. 22); krit. dazu Bernsmann NStZ 2002 103 f; LG Dortmund NStZ 1998 577 f; VG Darmstadt NJW 2001 2273 ff. 83 Kargl NK Rdn. 18. 84 BVerfG NJW 2006 976 f m. Anm. Günter NStZ 2006 643 f; Hülsdonk EWiR 2006 305, Störing CR 2006 392. 85 VG Frankfurt/M. CR 2009 125 m. Anm. Nolte/Becker. 1005
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Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
Der Schutz des § 206 umfasst jeden über ein Telekommunikationsdienste leistendes Unternehmen laufenden Telekommunikationsvorgang, gleichgültig, wer den Anschluss benutzt – geschützt ist etwa auch der unberechtigte Nutzer eines Anschlusses86 – und unabhängig davon, ob dieser etwa zu rechtswidrigen oder strafbaren Zwecken missbraucht werden soll.87 Einbezogen sind auch die beim Unternehmen gespeicherten Verkehrs- oder Verbindungsdaten, die über die einzelnen Telekommunikationen umfassend Aufschluss geben können.88 Nähere Umstände eines Telekommunikationsvorgangs sind ferner die Standortdaten des telefonierenden Teilnehmers.89 Die Standortdaten des lediglich empfangsbereiten aber nicht an einem Kommunikationsvorgang teilnehmenden Mobiltelefons unterfallen hingegen nicht dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses, weil es an einem menschlich veranlassten Informationsaustausch fehlt, der sich auf Kommunikationsinhalte bezieht. Dies hat das BVerfG zur Standortbestimmung durch einen sog. IMSI-Catcher entschieden;90 akzeptiert man diese Sicht, muss dasselbe für die im Rahmen von Location Updates in Mobilfunknetzen gewonnenen Daten gelten.91 23 Außerhalb des Schutzbereichs liegen Erkenntnisse über den Fernmeldeverkehr, die durch Zugriff auf Unterlagen und Medien gewonnen wurden, die sich im ausschließlichen Einflussbereich eines Kommunikationsteilnehmers befinden. Dies gilt etwa für die Daten im Speicher eines beschlagnahmten Endgeräts, etwa eines Rechners oder eines Mobiltelefons. Amtsträger, die solche Erkenntnisse gewinnen, greifen nicht in das Post- oder Fernmeldegeheimnis ein und sind deshalb nicht nach Maßgabe des Absatz 4 verpflichtet (vgl. unten Rdn. 67 f). 22
3. Tathandlung 24 Die Tathandlung besteht darin, dass der Täter unbefugt einem anderen eine Mitteilung über die dem Fernmeldegeheimnis unterliegenden Tatsachen macht.
25 a) Mitteilung. wer schriftlich, mündlich oder in anderer Form seine Kenntnis von Tatsachen, die dem Post oder Fernmeldegeheimnis unterliegen und die er als „Inhaber oder Beschäftigter eines Unternehmens, das geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt“, erlangt hat, an andere gelangen lässt.92 Entscheidend ist nicht der Handlungsunwert des Verrats, die Weitergabe eigenen Wissens, sondern der Erfolgsunwert der Offenbarung; erfasst wird danach jede Form der Kenntnisverschaffung durch Offenbaren.93 Nach dem Gesetzeswortlaut scheint hingegen nur die Mitteilung solcher Tatsachen zu ge26 nügen, die dem Täter selbst bekannt sind. Bezieht man diese Kenntnis auf den konkreten Inhalt der einzelnen Sendungen, würde der Fall nicht erfasst, dass der Täter, etwa als Briefträger, seine Posttasche einem Dritten zur Einsicht überlässt und so bewusst dessen Kenntnisnahme von dem Postgeheimnis unterliegenden Tatsachen ermöglicht. Abs. 2 Nr. 3 könnte diese Strafbarkeitslücke nur unvollkommen schließen, weil die Vorschrift nur dann eingreift, wenn der Dritte Sendungen unterdrückt oder sich Kenntnis vom Inhalt verschlossener Sendungen verschafft. Die h.M. geht indessen davon aus, dass es nicht auf die Kenntnis vom Inhalt der einzelnen Sendungen ankommt, sondern dass das Bewusstsein genügt, dass es sich um Postgeheim86 Vgl. OVG Münster NJW 1975 1335. 87 BVerfGE 85 386, 397. 88 BGH StV 1993 173, 174; Bach CR 1991 489; Kubicek CR 1990 659; Mechtel ArchPF 1990 246; Welp NStZ 1994 209, 210. 89 BGH NJW 2003 2034, 2035. 90 BVerfG – Kammer – NJW 2007 351, 353; krit. Nachbaur NJW 2007 335, 336 f. 91 AA Bock Beck-TKG3 § 88 Rdn. 5. 92 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. 93 Welp FS Lenckner 636 f. Hilgendorf
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II. Unbefugte Mitteilung
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nisse handelt.94 Dieser Auffassung ist beizupflichten: Mit der Überlassung der Tasche übergibt der Täter eine Vielzahl von Postsendungen, die er als Postzusteller erhalten hat und von denen er weiß, dass sie durch ihre Beschriftung Aufschluss über den Postverkehr verschiedener Personen geben. Dieses Wissen genügt; eine weitere Konkretisierung verlangt § 206 Abs. 1 nicht: So ist etwa bei ausländischen Schriftstücken unstreitig, dass der Täter Inhalt und Bedeutung nicht verstehen und noch nicht einmal in der Lage sein muss, die fremden Schriftzeichen zu entziffern. Nach anderer Ansicht verstößt diese Auslegung gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG.95 Mit dem Hinweis, der Postzusteller habe durch das Sortieren der Post ohnedies Kenntnis genommen, kann die Lücke nicht geschlossen werden, weil Briefträger die Post heute nicht mehr selbst sortieren.96 Dieselben Grundsätze gelten, wenn der Täter dem Dritten eine in fremder Sprache geschriebene Postkarte zur Einsicht gibt oder ihm einen sonstigen Gegenstand zur Ansicht oder Beurteilung überlässt, dessen Bedeutung und Funktion ihm (dem Täter) unbekannt ist.97
b) Unterlassen. Die Tat kann nach den allgemeinen Grundsätzen auch durch Unterlassen 27 begangen werden, wenn der Täter pflichtwidrig nicht verhindert, dass Dritte, denen gegenüber er das Geheimnis zu wahren hat, Kenntnis davon erlangen, etwa indem er Unterlagen, mit denen er dienstlich befasst ist und deren Verschluss geboten ist, offen liegen lässt.98 Voraussetzung für seine Garantenstellung ist dabei, dass er selbst mit der fraglichen Angelegenheit befasst ist oder dass sie sonst in seinen Pflichtenkreis fällt. Die Eigenschaft als Inhaber oder Bediensteter des betroffenen Post- oder Telekommunikationsunternehmens als solche genügt alleine nicht (vgl. Abs. 2 Nr. 3). c) Mitteilungsempfänger. Der „andere“ wird zwar in der Regel Außenstehender sein; er 28 kann aber auch dem Postdienste leistenden Unternehmen angehören. Das Post- oder Fernmeldegeheimnis ist grundsätzlich gegen jedermann zu wahren. § 39 Abs. 3 PostG und § 3 Abs. 3 TTDSG verbieten den zur Geheimhaltung verpflichteten Personen, sich über das für die dienstlichen Belange erforderliche Maß hinaus Kenntnisse zu beschaffen. Dem ist zu entnehmen, dass das Postgeheimnis auch dem internen Informationsaustausch Schranken setzt: Die Weitergabe von Informationen innerhalb eines Unternehmens darf nur erfolgen, wenn sie zur ordnungsgemäßen Abwicklung des Post- oder Fernmeldeverkehrs erforderlich ist99 oder wenn eine sonstige Befugnis (Rdn. 70) vorliegt. Ob die interne Weitergabe der für den betrieblichen Ablauf erforderlichen Informationen das Post- oder Fernmeldegeheimnis überhaupt tangiert oder ob der Tatbestand entsprechend dem Schutzzweck der Norm einzuschränken ist,100 ist streitig, kann indessen auf sich beruhen: Die betriebsnotwendige Weitergabe erfolgt befugt, weil sie jedenfalls durch die mit dem Abschluss des Nutzungsverhältnisses ggf. auch konkludent erteilte Einwilligung der Nutzer gedeckt ist. Gibt ein Bediensteter des Unternehmens unzulässigerweise seine Tatsachenkenntnis an einen Kollegen weiter, so kann sich auch dieser nach § 206 Abs. 1 strafbar machen, wenn er diese Tatsache unbefugt an einen Dritten weitergibt. Die Vorschrift erfasst nicht nur die erstmalige Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses. Dieses behält vielmehr seinen Geheimnischarakter auch dann, wenn es bereits einmal auf strafbare Weise verletzt
94 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10; Welp FS Lenckner 636 f. 95 Altenhain MK Rdn. 40; Hoyer SK Rdn. 22; Kargl NK Rdn. 21. 96 Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 10. 97 Kargl NK Rdn. 21; Roeder ZStW 76 (1964) 359, 364. 98 Altenhain MK Rdn. 41; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. 99 Vgl. OLG Köln NJW 1970 1856 f. 100 So Popp AnwK Rdn. 16; Kargl NK Rdn. 23; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 10. 1007
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Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
worden ist. Der frühere § 354 Abs. 4, der bei Amtsträgern nur die Weitergabe befugt erlangter Kenntnisse mit Strafe bedroht hatte,101 ist durch die Neufassung des Gesetzes überholt.
29 d) Unbefugtheit. Der Täter muss unbefugt handeln (s. dazu unten Rdn. 70 ff).
III. Unbefugtes Öffnen verschlossener Sendungen und Kenntnisverschaffung ohne Öffnung des Verschlusses (Abs. 2 Nr. 1) 30 Die Strafnorm will die einem Unternehmen i.S.d. Abs. 1 zur Beförderung und Übermittlung anvertrauten verschlossenen Sendungen gegen Ausforschung schützen. Der Tatbestand entspricht nach Inhalt und Schutzbereich dem § 354 Abs. 2 Nr. 1 a.F. Er erfasst einerseits das bloße Öffnen der Sendung – eine Kenntnisnahme vom Inhalt ist nicht erforderlich – andererseits aber auch die Kenntnisverschaffung unter Umgehung des Verschlusses.
1. Täterkreis 31 Während Täter des Absatzes 1 auch der ehemalige Inhaber oder Beschäftigte eines Unternehmens, das geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt, sein kann, der seine früher erlangte Kenntnis von geheim zu haltenden Tatsachen unbefugt Dritten preisgibt, kommt als Täter der in Absatz 2 Nr. 1 bis 3 normierten Tatbestände nur in Betracht, wer zur Tatzeit noch Inhaber oder Beschäftigter solcher Unternehmen ist; die Sonderpflicht überdauert die pflichtenbegründende Position nicht. Die Tat muss nicht nur während der Dauer dieses Verhältnisses begangen worden sein; sie muss auch einen inneren Zusammenhang zu den dienstlichen oder beruflichen Obliegenheiten des Täters aufweisen.102 Nicht erforderlich ist, dass der Täter unmittelbar dienstlich mit der Sendung, dem Tatobjekt befasst ist. Er muss aber als Inhaber oder Beschäftigter des Unternehmens tätig sein, mit spezifisch postalischen Verrichtungen betraut sein und die sich ihm daraus bietenden Möglichkeiten zur Tat nutzen.103 Reinigungskräfte oder mit vergleichbar postfremden Beschäftigungen befasste Personen kommen als Täter nicht in Betracht. Die Tathandlungen entsprechen dem früheren § 354 Abs. 2 Nr. 1; die Neufassung hat lediglich den Täterkreis auf alle Postdienste leistenden Unternehmen und auf ihr „Personal“ erweitert.
2. Tatgegenstand 32 Tatgegenstand sind nach Absatz 2 Nr. 1 Sendungen, die den Post- oder Telekommunikationsdienste leistenden Unternehmen zur Übermittlung anvertraut wurden und verschlossen sind.
33 a) Sendungen sind alle Sachen, die auf dem Post- oder Fernmeldeweg übermittelt werden,104 wie Pakete, Briefe, Postanweisungen, Telegramme u.a., wobei es ohne Bedeutung ist, ob die Sendung den postalischen Anforderungen an Beschaffenheit oder Inhalt entspricht. Nach h.M. werden nur körperliche Gegenstände erfasst, so dass etwa Telegramme auf dem nicht verkörper101 Vgl. hierzu OLG Schleswig OLGSt. zu § 354 StGB. 102 Vgl. BTDrucks. 7/550 S. 285. 103 RGSt 37 40 f; 54 227, 228; OGHSt 1 253, 254 f; vgl. dazu oben Rdn. 14, 15, sowie Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Sch/Schröder/Eisele 15, 9; Fischer Rdn. 11; Welp FS Lenckner 639.
104 OLG Hamm NJW 1980 2321. Hilgendorf
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III. III. Unbefugtes Öffnen/Kenntnisnahme
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ten Übertragungsweg oder E-Mails nicht geschützt werden.105 Die Vorschrift hat danach für den Telekommunikationsbereich allenfalls geringe Bedeutung.106 Zum Schutz von Paketen über 20 Kilogramm vgl. oben Rdn. 19.
b) Verschlossen ist eine Postsendung, wenn der Zugriff auf den Inhalt das Überwinden von 34 Hemmnissen (zugeklebter Umschlag, Verpackung, Verschluss) voraussetzt oder wenn die Einsichtnahme nur unter Anwendung von Hilfsmitteln möglich ist. Dagegen ist unerheblich, ob der Verschluss mangelhaft, z.B. ein Umschlag nur unvollständig zugeklebt ist, sofern der Geheimhaltungswillen noch zum Ausdruck kommt.107 Unerheblich ist auch, ob es sich um die ursprünglich von dem Absender angebrachte Sicherung oder um einen erst vom Postunternehmen selbst bewirkten Verschluss handelt (z.B. bei der Ersetzung der auf dem Transport zerfetzten Paketumhüllung durch eine neue). Keine verschlossenen Sendungen sind danach Postkarten, Sendungen im unverschlossenen Umschlag, Warensendungen mit Klammerverschluss108 und Sendungen mit einer bestimmungsgemäß nicht vor unbefugter Kenntnisnahme schützenden unvollkommenen Umhüllung (z.B. Streifbandzeitungen); Abs. 2 Nr. 1 ist damit enger als § 39 Abs. 3 PostG.109 Schriftstücke, die nur „verschlüsselt“, nicht aber körperlich verschlossen sind, werden nicht erfasst.110 Als Tatobjekte aus dem Telekommunikationsbereich kommen für die Anwendung des Absatzes 2 Nr. 1 im Grunde nur verschlossene Ausfertigungen von noch zu übermittelnden Telegrammen in Betracht.111 c) Anvertraut ist die Sendung, wenn sie ordnungsgemäß zur Beförderung aufgegeben wor- 35 den ist und sich im Gewahrsam des Unternehmens befindet. Nicht erforderlich ist, dass der Brief oder das Paket bei dem Unternehmen eingegangen ist, von ihm angenommen wurde und postalisch bearbeitet wird. Es genügt etwa das Einwerfen eines Briefs in den Briefkasten,112 die persönliche Übergabe an eine zur Empfangnahme befugte113 Person oder die Rückgabe eines fehlerhaft zugestellten Briefs an den Postboten.114 Das „Anvertraut-Sein“ endet mit der Zustellung an Empfänger oder Ersatzempfänger oder mit der Rückgabe an den Absender.115 Anvertraut sind dem Unternehmen auch eigene Sendungen, die wie andere in den Beför- 36 derungsverkehr gegeben werden.116 Dazu gehören Schreiben an Kunden (z.B. Gebührenmahnungen), der Schriftwechsel mit Konkurrenzunternehmen o.ä. Die Erwägung, man könne sich selbst nichts anvertrauen, verfängt nicht, weil der Bedienstete, der die Sendung aufgegeben hat und das mit der Beförderung betraute Unternehmen auch bei eigenen Sendungen nicht gleichgesetzt werden sollten. Wird ein Brief mit fingierter Adresse durch das Postunternehmen 105 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Welp FS Lenckner 641 ff; vgl. auch Hoyer SK Rdn. 25; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17, die unkörperliche Gegenstände durch das Merkmal des Verschlusses ausscheiden lassen; vgl. auch Fischer Rdn. 13.
106 Vgl. Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 17, der auf das Öffnen der bereits verschlossenen Ausfertigung eines Telegramms hinweist. 107 Schünemann LK11 § 202 Rdn. 13. 108 OLG Stuttgart NStZ 1984 25. 109 Altenhain MK Rdn. 47. 110 Fischer Rdn. 13. 111 Vgl. Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 17 mit dem Hinweis, dass die Übermittlung von der Ausgabestelle zum Empfänger eine Postdienstleistung ist. 112 RGSt 22 394, 395; 28 100. 113 RGSt 22 394, 395; 51 113, 115. 114 RGSt 36 267, 269; 51 113, 115. 115 RGSt 54 227, 228; OLG Hamm NJW 1980 2321; Altenhain MK Rdn. 48. 116 H.M. vgl. RG DR 1939 924 f, Kargl NK Rdn. 26; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Fischer Rdn. 12; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 17, wobei sog. „Fangbriefe“ nicht erfasst sein sollen; aA Altenhain MK Rdn. 48. 1009
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Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
selbst in den Postverkehr gebracht, um die Ehrlichkeit eines Mitarbeiters auf die Probe zu stellen (sog. Fangbrief) so ist auch dieser dem Unternehmen anvertraut.117 Die Gegenmeinung wendet hiergegen ein, dass Fangbriefe nicht zur Übermittlung bestimmt und deshalb nicht anvertraut seien bzw. dass der Täter nicht unbefugt handle.118 Dem ist entgegenzuhalten, dass Fangbriefe bereits deshalb dem Postunternehmen anvertraut sind, weil sie ordnungsgemäß in den Postverkehr gegeben wurden. Die insgeheim auf Feststellung der Zuverlässigkeit oder auf die Entlarvung eines verdächtigen Bediensteten zielende Erwartung des Postunternehmens ändert daran nichts. Ob dem Absender im Einzelfall an der Wahrung des Postgeheimnisses gelegen ist und ob es ihm tatsächlich um die Beförderung der Sendung geht, ist nicht erheblich. Der den Sachverhalt nicht durchschauende Täter hat mit der Öffnung des Briefs das durch § 206 geschützte Rechtsgut, nämlich das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität des Postverkehrs auch dann verletzt, wenn es dem Unternehmen nicht um die Beförderung der Sendung, sondern um die Überführung möglicher Straftäter geht. Die dem Täter unbekannte Einwilligung des Absenders stellt den Tatbestand nicht in Frage. Die nur scheinbar abweichende Rechtsprechung zu den sog. Diebesfallen119 betrifft das Merkmal der Wegnahme bzw. des Gewahrsamsbruchs und ist deshalb nicht einschlägig. Dass der Zugriff auf einen Fangbrief danach zwar als strafbare Verletzung des Postgeheimnisses, nicht aber auch als (vollendeter) Diebstahl zu bewerten ist,120 begründet keinen Widerspruch. 37 Ein Telegramm wird dem Telekommunikationsunternehmen mit der „Aufgabe“ anvertraut; dieses Verhältnis besteht fort bis zur Zustellung an den Empfänger. Dies gilt auch dann, wenn es zuvor fernmündlich durchgesagt wurde, weil der Beförderungsauftrag erst mit der Übergabe der Ausfertigung des Ankunftstelegramms erledigt ist.
3. Die Tathandlung des Öffnens 38 Öffnen einer Sendung bedeutet, den Verschluss oder die verschließende Umhüllung so weit zu beseitigen oder unwirksam zu machen, dass der Inhalt der Sendung ohne wesentliche Hindernisse offen liegt und eine Kenntnisnahme vom Inhalt möglich ist. Eine Beschädigung des Verschlusses oder die Anwendung von Gewalt wird nicht vorausgesetzt.121 Ausreichend sind z.B. das Zusammendrücken des Umschlags und die dadurch ermöglichte Herausnahme eines Briefs. Ist der Verschluss bereits beschädigt, genügt es, wenn der Täter weitere Tätigkeiten entfalten muss, um zum Inhalt vorzudringen: Die Sendung darf bei natürlicher Betrachtung noch nicht „offen“ sein.122 Die Tathandlung des Öffnens setzt keine vollständige oder dauernde Offenlegung des Inhalts voraus. Eine Beseitigung des Verschlusses ohne Offenlegung des Inhalts genügt jedoch nicht; das gleichzeitige Zerstören von Verschluss und Sendung ist danach Unterdrücken im Sinne der Nr. 2, ggf. auch nur Sachbeschädigung.123 Der Täter braucht vom Inhalt der Sendung nicht Kenntnis zu nehmen. Es genügt die 39 Möglichkeit einer Kenntnisnahme und die damit verbundene Gefährdung der Geheimhaltung.
117 BVerwG NVwZ 1998 1083 RGSt 65 145; 69 271; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Jung NK1 Rdn. 15; Fischer Rdn. 12 aA Altenhain MK Rdn. 53; Kargl NK 26; Hoyer SK Rdn. 26; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 17. OVG Münster, Urteil v. 22.11.2016 – 3dA 1844/14. BDG, Altenhain MK Rdn. 53; Hoyer SK Rdn. 26; Kargl NK 26. Vgl. dazu Ruß LK11 § 242 Rdn. 44. Vgl. RGSt 54 295, 296; OLG Köln NJW 1961 2360. RGSt 20 375, 376. RGSt 20 349, 350. Schünemann LK11 § 202 Rdn. 18.
118 119 120 121 122 123
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IV. Unterdrückung der zur Übermittlung anvertrauten Sendungen (Abs. 2 Nr. 2)
4. Die Anwendung technischer Mittel Wie in § 202 Abs. 1 Nr. 1 steht dem Öffnen einer verschlossenen Sendung gleich, wenn sich der 40 Täter ohne Öffnen des Verschlusses durch Anwendung technischer, d.h. im Wesentlichen physikalischer, mechanischer oder chemischer Mittel,124 vom Inhalt der verschlossenen Sendung Kenntnis verschafft; die Verwendung von Sonden oder von Strahlen zum Durchleuchten genügt. Es reicht hingegen nicht aus, wenn der Täter die Sendung mit den Händen abtastet oder gegen das Licht hält.125 Die bei § 202 kontrovers erörterte Frage, ob zur Kenntnis schon die bloße visuelle oder optische Wahrnehmung des Inhalts genügt oder ob es erforderlich ist, dass der Täter das Gelesene in seiner Wortbedeutung im Wesentlichen versteht,126 stellt sich hier vor einem anderen Hintergrund. In § 202 geht es um die Kenntnis vom Inhalt eines Schriftstücks, während es hier um die Kenntnis vom Inhalt von Sendungen jeder Art, also auch von Paketen geht. Soll die Vorschrift ihrem Schutzzweck genügen, muss das Kenntnisverschaffen hier im Sinne des äußerlichen Wahrnehmens des Inhalts verstanden werden.127 Es genügt also, wenn der Täter erkennt, dass der verschlossene Brief nur ein Schreiben (und nicht den insgeheim erwarteten Geldschein) enthält, wenn er auf ein in fremder Sprache abgefasstes Schreiben stößt, das er zwar nicht versteht, das ihm aber die Kenntnis verschafft, dass der Adressat mit Ausländern korrespondiert oder wenn er auf einen Gegenstand stößt von dem er nicht weiß, ob es sich um ein moderne Skulptur oder um ein technisches Gerät handelt. § 206 Abs. 2 Nr. 2 ist enger als § 39 Abs. 3 PostG. Während das Postgesetz den mit post- 41 dienstlichen Verrichtungen betrauten Personen generell untersagt, sich über das zur Erbringung der Postdienste erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt von Postsendungen zu verschaffen, erfasst der Straftatbestand nur die Anwendung technischer Mittel. Der strafrechtliche Schutz bleibt also – ebenso wie im früheren Recht – insoweit hinter dem Postgeheimnis zurück, als etwa das bloße Abtasten von Sendungen oder das Aushorchen dritter Personen über den Inhalt von Postsendungen nicht erfasst wird.
IV. Unterdrückung der zur Übermittlung anvertrauten Sendungen (Abs. 2 Nr. 2) 1. Allgemeines § 206 Abs. 2 Nr. 2 entspricht in seinem wesentlichen Inhalt § 354 Abs. 2 Nr. 2 a.F., der den Tat- 42 bestand des Unterdrückens von der Post zur Übermittlung anvertrauten Sendungen aus dem früheren Recht (§§ 354, 355 i.d.F. des RStGB 1871, vgl. Entstehungsgeschichte vor Rdn. 1) übernommen hatte. Die neue Fassung trägt den Veränderungen durch die Postreform Rechnung. An die Stelle der Post sind die in § 206 Abs. 1 bezeichneten Unternehmen getreten. Mit § 354 Abs. 2 Nr. 2 a.F. sollten, wie die Begründung des Regierungsentwurfs zum EGStGB 43 belegt, im Anschluss an die frühere Rechtsprechung auch künftig die Fälle einer nur vorübergehenden Unterdrückung einbezogen werden, damit das Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Post- und Fernmeldeverkehrs auch insoweit geschützt blieb.128 Die früher in § 355 i.d.F. des RStGB 1871 geregelte „Verfälschung des einer Telegraphenanstalt anvertrauten Telegramms“ wurde nicht übernommen; insoweit findet § 267 Anwendung. Die Vorschrift
124 125 126 127
BTDrucks. 7/1261 S. 23. BTDrucks 7/550 S. 237. Vgl. Sch/Schröder/Eisele § 202 Rdn. 10/11. Altenhain MK Rdn. 51; Kargl NK Rdn. 29; Maiwald JuS 1977 353, 361; Fischer Rdn. 14; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 18 m.w.N. aA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9. 128 Vgl. BTDrucks 7/550 S. 285; Welp FS Lenckner 643. 1011
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Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
schützt auch das individuelle Beförderungsinteresse bzw. die Integrität der Sendung;129 ihr Schutzzweck geht damit über das Post- und Fernmeldegeheimnis hinaus.
2. Gegenstand der Unterdrückung 44 Gegenstand der Unterdrückung sind die dem Unternehmen anvertrauten (offenen oder verschlossenen) Sendungen. Auch Postwurfsendungen werden erfasst.130 Nach h.M. muss es sich nicht um körperliche Gegenstände handeln: Der Begriff der Sendung fordert – im Gegensatz zum Begriff der Postsendung131 – keine Verkörperung. Auch die Tathandlung des Unterdrückens setzt keine Körperlichkeit voraus. Der Kreis der Tatobjekte ist deshalb weiter als bei Abs. 2 Nr. 1; er umschließt auch Inhalte der nicht verkörperten, insb. der elektronischen Telekommunikation.132 Hinsichtlich des Begriffs des „Anvertraut-Seins“ gilt zunächst das oben (Rdn. 35 f.) Ausge45 führte. Bei Nachnahme-Paketsendungen ergibt sich eine Erweiterung des Begriffs der anvertrauten Postsendung daraus, dass nicht allein auf den Empfänger der Paketsendung abzustellen, sondern auch der Postweg im Zuge der Rücküberweisung des Nachnahmebetrags an dessen Empfänger zu berücksichtigen ist. Der beim Paketempfänger in Form von Geldscheinen oder Münzen erhobene Geldbetrag wird dem Absender des Pakets nicht gegenständlich zugeführt. Sendung im Sinne der Vorschrift ist hier der vom Absender des Nachnahmepakets auszufüllende Empfängerabschnitt der der Nachnahmeüberweisung auf das Konto des Empfängers dienenden Zahlkarte, die der Post auch nach Zustellung des Pakets „zur Übermittlung (zur Zahlung an den Kontoinhaber im Postweg) anvertraut“ ist.133 Eine E-Mail ist spätestens dann anvertraut, wenn die Anfrage zur Übermittlung von Daten 46 den E-Mailserver des Unternehmens erreicht hat und der versendende Mailserver die Daten dem empfangenden Server übermittelt hat.134 Streitig ist, ob ein Anvertrauen bereits im Zeitpunkt der Anfrage des Absender-Servers an den Empfangs-Server, vor der eigentlichen Datenübertragung vorliegen kann;135 dies ist zu verneinen, weil es an der Herrschaft über die Daten fehlt.136 Von Bedeutung ist dies für die Frage, ob bereits die Nichtannahme von E-Mails auf der Grundlage von sog. Black Lists den Unterdrückenstatbestand des Abs. 2 Nr. 2 erfüllt. Nach der hier vertretenen Meinung ist dies strafrechtlich nicht relevant, weil es am Merkmal des „Anvertraut-Seins“ fehlt.137 Folgt man der Gegenansicht, die bereits in der Anfrage eine Übermittlung der Sendung sieht,138 kommt es darauf an, ob ein Rechtfertigungsgrund, etwa eine wirksame Einwilligung des Empfängers vorliegt (vgl. dazu Rdn. 84 ff, 86).
129 Hoyer SK Rdn. 4; a.A. Altenhain MK Rdn. 56; Kargl NK Rdn. 31; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 2; nach Härting CR 2007 311, 316 wird nur die Verletzung der zivilrechtlichen Beförderungspflicht sanktioniert.
130 OLG Hamm ZAP EN-Nr. 126/2003: Ein Beschäftigter der Deutschen Post AG, der Postwurfsendungen in einen Abfallcontainer wirft, macht sich nach dieser Vorschrift strafbar. 131 Die „Körperlichkeit“ der Postsendung ergibt sich aus der Definition des § 4 Nr. 1, 5 PostG. 132 OLG Karlsruhe CR 2005 288 m. Anm. Heidrich MMR 2005 181; Altenhain MK Rdn. 54; Hoyer SK Rdn. 28; Kargl NK Rdn. 30; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20; vgl. auch Fischer Rdn. 13, 15; aA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Welp FS Lenckner 643. 133 OLG Hamm NJW 1980 2321. 134 OLG Karlsruhe CR 2005 178, 180; Heidrich/Tschoepe MMR 2004 77. 135 Vgl. Heidrich/Tschoepe MMR 2004 75, 77; Heidrich MMR 2005 181; Spindler/Ernst CR 2004 437. 136 Heidrich MMR 2005 181. 137 Heidrich MMR 2005 182; CR 2009 169. 138 Cornelius/Tschoepe KuR 2005 269, 270. Hilgendorf
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IV. Unterdrückung der zur Übermittlung anvertrauten Sendungen (Abs. 2 Nr. 2)
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3. Begriff der Unterdrückung Eine Sendung wird unterdrückt, wenn sie dem ordnungsgemäßen Beförderungsgang entzo- 47 gen wird,139 d.h. wenn sie (überhaupt) nicht, nicht ordnungsgemäß oder nicht unverzüglich übermittelt wird. Eine dauerhafte Verhinderung wird nicht gefordert; ein zeitweiliges Entziehen genügt. Ferner kommt es nicht darauf an, ob der Gewahrsam des Unternehmens aufgehoben wird oder bestehen bleibt. Geschütztes Rechtsgut ist nicht nur (aber auch) die Integrität der Sendung oder die Sachherrschaft des Beförderungsunternehmens, sondern auch die Zuverlässigkeit des Post- und Fernmeldeverkehrs und das darauf gerichtete Vertrauen der Allgemeinheit.140 Ein Verstecken innerhalb des Sortierraums141 oder eine bewusste Fehlsortierung142 genügt auch dann, wenn die Sendung im generellen Herrschaftsbereich des Unternehmens und deshalb in seinem Gewahrsam verbleibt. Nicht erforderlich ist, dass die Bestellung verzögert wird.143 Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn die Unterdrückungshandlung rechtzeitig entdeckt und korrigiert wird: In diesem Fall liegt Vollendung, nicht (strafloser) Versuch vor. Zu eng ist die Auffassung, der Unterdrückenstatbestand schütze allein das Geheimhaltungsinteresse und erfasse nur solche Handlungen, die das Post- oder Fernmeldegeheimnis gefährdeten.144 Diese Sicht hätte zur Folge, dass etwa die Vernichtung einer Postsendung nicht erfasst würde; sie ist weder durch den Wortlaut der Vorschrift geboten noch mit dem Willen des Gesetzgebers145 zu vereinen. Eine im Bereich der Telekommunikation zu übermittelnde Nachricht wird unterdrückt, 48 wenn der Täter verhindert, dass sie ihr Ziel vollständig und unverstümmelt erreicht. Als Tathandlungen kommen insbesondere das Nichtzustellen, Zurückschicken, Umleiten und Löschen elektronischer Post in Betracht.146 Nach der Rechtsprechung wird ein Brief unterdrückt, wenn ihn der Täter nach Entleerung 49 des Briefkastens auch nur für eine Viertelstunde einem anderen zur Besichtigung überlässt, und zwar auch dann, wenn sich die Zustellung hierdurch nicht verzögert.147 Erst recht gilt dies, wenn ein Zusteller die ihm zugeteilten Sendungen in Unterbrechung der Zustelltätigkeit bei Bekannten ablegt, um sie erst am nächsten Tag auszutragen.148 Unterdrücken in Form des Entziehens aus dem ordnungsgemäßen Postgang liegt auch dann vor, wenn der Täter eine solche Sendung zwar in den Räumen der Post belässt, sie aber – etwa aus Bequemlichkeit – von der Nachmittagszustellung ausschließt und erst für die Zustellung am nächsten Morgen bereitlegt.149 Wie der Täter dabei im Einzelnen vorgeht, ist unerheblich; weder ein Verstecken noch eine sonstige Veränderung der räumlichen Lage der Postsendung wird vorausgesetzt: Es genügt, wenn er die Sendung nach der Aussonderung aus dem Postgang offen an seinem Arbeitsplatz liegen lässt.150 Eine solche Aussonderung aus dem Postgang ist aber erforderlich; das bloße Verlassen des Arbeitsplatzes oder eigenmächtige Arbeitspausen erfüllen den Tatbestand nicht. Unterdrückung einer Postsendung (in Tateinheit mit Untreue) begeht der Bedienstete, der den bei Zustellung eines Nachnahmepakets erhaltenen Nachnahmebetrag nicht herausgibt, und dies
139 140 141 142 143 144 145 146
RGSt 72 193, 197; BGHSt 19 31, 32. Vgl. oben Rdn. 5 m.w.N. zum Streitstand. RG DRZ 1927 Nr. 961. OLG Hamburg NJW 1989 1372. RGSt 28 100 f; RG JW 1935 2970. Altenhain MK Rdn. 56; ähnlich Kargl NK Rdn. 31; kritisch zur Unterdrückungsvariante: Welp FS Lenckner 643 f. BTDrucks. 7/550 S. 285; kritisch dazu Welp FS Lenckner 643 f. Heidrich/Tschoepe MMR 2004 75; Hoeren NJW 2004 3513; Kitz CR 2005 451; zur sog. Spam-Filterung vgl. Rdn. 48, 86. 147 RGSt 28 100 f; RG JW 1935 2970; aA Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20a; Fischer Rdn. 15. 148 KG JR 1977 426. 149 RGSt 72 194; OLG Celle MDR 1957 565. 150 OLG Köln NStE Nr. 1 zu § 354 StGB; aA Altenhain MK Rdn. 57. 1013
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Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
dadurch verschleiert, dass er den Empfängerabschnitt zurückbehält.151 Er unterdrückt eine Nachnahmesendung, wenn er sie ohne Bezahlung des Nachnahmebetrags aushändigt, mag auch der Empfänger willens und fähig sein, den Betrag nachträglich unverzüglich an das Postunternehmen abzuliefern, und der Beschäftigte sich mit gutem Grund darauf verlassen kann.152
4. Geringfügige Verstöße 50 Entsprechend dem Schutzzweck der Vorschrift hat die Rechtsprechung untergeordnete Verstöße gegen postalische Vorschriften rein innerdienstlichen Charakters ausgeschieden, sofern diese das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Postwesens nicht gefährdeten und deshalb disziplinarischer Ahndung überlassen bleiben konnten.153 An dieser Rechtsprechung ist auch nach der Liberalisierung und Privatisierung des Post- und Fernmeldewesens festzuhalten. An die Stelle der beamtenrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten sind die Gesetze des Marktes getreten: Der Nutzer, dem es freisteht, mit einem zuverlässigen Unternehmen zu kontrahieren, wird durch das Geschäftsinteresse der Wettbewerber geschützt. Die Unternehmen können mit den Mitteln des Arbeitsrechts gegen pflichtwidrig handelnde Mitarbeiter vorgehen;154 im Kampf um den Kunden werden sie vielfach dazu genötigt sein, von diesen Möglichkeiten auch Gebrauch zu machen. Der Wegfall der disziplinarischen Ahndungsmöglichkeiten hat deshalb keine Lücke gerissen, die die bisherige Rechtsprechung in Frage stellen würde. Keine Unterdrückung liegt danach vor, wenn ein Bediensteter eine Sendung ohne „Auftrag“ kurzerhand an sich nimmt und zustellt.155 Gleiches gilt, wenn ein Austräger pflichtwidrig eine Gaststätte besucht und hierdurch die Zustellung verzögert.156 Die Sendung wird durch dieses Verhalten nicht so nachhaltig dem Postgang entzogen, dass eine strafrechtliche Ahndung erforderlich wäre.
5. Teilunterdrückung 51 Entnimmt der Täter aus einem beschädigten Paket einen Teil des Inhalts, so wird dieser dem Postverkehr entzogen und damit unterdrückt. Die dem entgegenstehende Auffassung des Reichsgerichtes157 beruht auf § 354 RStGB 1871, dessen Tatgegenstand die der Post anvertrauten Pakete waren. Das „begriffsjuristische“ Argument158 des Reichsgerichts, ein Teil des Inhalts des Pakets sei nicht das Paket selbst, überzeugt angesichts der insoweit geänderten Fassung des Gesetzes nicht mehr. Dies gilt auch mit Blick auf die Erwägungen, die den Gesetzgeber zur Beibehaltung der Tatvariante des Unterdrückens bewogen haben.159 Der Gesetzgeber wollte das Beförderungsinteresse der am Postverkehr Beteiligten schützen, um das Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Post- und Fernmeldeverkehrs zu stärken. Unter diesem Blickwinkel liegt es nahe, dass sich die Tat auch auf den Teil einer umfassenderen Sendung beziehen kann. Entsprechendes gilt im Bereich der Telekommunikation, wenn die zu übermittelnde Nachricht den Adressaten nur unvollständig oder verstümmelt erreicht.160
151 152 153 154 155 156 157 158 159 160
OLG Hamm NJW 1980 2320. RGSt 71 330; Hoyer SK Rdn. 30; Jung NK1 Rdn. 12; aA Altenhain MK Rdn. 57; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 20a. RGSt 71 330, 331; JW 1936 514. Vgl. Welp FS Lenckner 644. RGSt 73 236; Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 20. RG JW 1936 513. RGSt 57 8. So Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 20. Vgl. oben Rdn. 26. Hoyer SK Rdn. 30.
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V. Gestattung oder Förderung geheimnisverletzenden Tuns anderer (Abs. 2 Nr. 3)
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V. Gestattung oder Förderung geheimnisverletzenden Tuns anderer (Abs. 2 Nr. 3) 1. Allgemeines § 206 Abs. 2 Nr. 3 enthält – wie § 354 Abs. 2 Nr. 3 a.F. – einen zur selbständigen Tat erhobe- 52 nen Teilnahmetatbestand. Der einem Unternehmen i.S. von Abs. 1 Angehörende soll, wenn er zur Verletzung oder Gefährdung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses oder zur Unterdrückung von Sendungen beiträgt, als Täter verfolgt werden können, so dass für ihn eine Strafmilderung nach § 27 Abs. 1, § 49 Abs. 1 nicht in Betracht kommt. Die Verweisung in Absatz 2 Nr. 3 auf die „in Absatz 1 bezeichnete Handlung“ bedeutet, dass 53 der Dritte, dessen Verhalten vom Täter gestattet oder gefördert wird, selbst alle Tatbestandsmerkmale des § 206 Abs. 1 erfüllen muss, dass er also – wenn er nicht mehr Inhaber oder Beschäftigter ist – unbefugt einem anderen Mitteilung über Tatsachen macht, die dem Postoder Fernmeldegeheimnis unterliegen und die ihm als früherem Inhaber oder Beschäftigten bekannt geworden sind. Nach dem Gesetzeswortlaut nicht erfasst werden die Fälle, in denen der Dritte ein Postgeheimnis preisgibt, von dem er als Außenstehender (z.B. als Postkunde, der während eines Aufenthalts im Postgebäude Gelegenheit hatte, das von einem Postbediensteten geführte Telefongespräch mitzuhören) Kenntnis erlangt hat. Da ein solcher Außenstehender keine Tat nach Abs. 1 begeht, sondern straflos handelt, wenn er das Gehörte weitergibt, kommt auch eine strafbare Mitwirkung an der straflosen Weitergabe nicht in Betracht.161 Die Vorschrift nimmt damit die Weitergabe von Tatsachen, die den Bereich des Post- oder Fernmeldegeheimnisses bereits verlassen haben, von der Strafbarkeit aus. Dagegen enthält die Bezugnahme auf die „in den Nummern 1 oder 2 bezeichneten Handlun- 54 gen“ nichts weiter als den Hinweis auf die dort genannten Tätigkeiten (Öffnen, Unterdrücken usw.), ohne dass es darauf ankommt, ob der Dritte, der sie vornimmt, Inhaber oder Beschäftigter des Unternehmens oder ob er Außenstehender ist. Die Streichung der Worte „einem andern“, die in § 354 RStGB enthalten waren, hat daran nichts geändert.162
2. Gestatten und Fördern Das Gestatten kann durch ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung des anderen erfol- 55 gen; es genügt aber auch die Duldung, wenn die Verhinderung des Tuns zu den dienstlichen Obliegenheiten des Täters gehört. Eine konkludente Erlaubnis kann auch darin liegen, dass der Täter dem Dritten gezielt die Möglichkeit zur Handlung gibt, ihm etwa einen Brief übergibt.163 Voraussetzung ist in den Fällen des Absatz 2 Nr. 1 und 2 eine gewisse tatsächliche Herrschaft über die Sendung, im Fall des Absatzes 1 eine gewisse Verfügungs- oder Beurteilungszuständigkeit hinsichtlich der Geheimhaltungspflicht: Der Begriff der Gestattung setzt voraus, dass der Zustimmende besondere Rechte hat oder sonst über eine Machtposition verfügt, auf die er sich bei der Erteilung seiner Zustimmung beruft.164 Bei solcher Fallgestaltung ist auch in der Anstiftung eine Gestattung zu sehen; ist der Dritte als unmittelbar Handelnder bereits aus dem Unternehmen ausgeschieden, wird die Gestattung in aller Regel in der Form einer Anstiftung erfolgen. Unter Fördern ist jede Form der Hilfeleistung zu verstehen. Ein Fördern durch Unterlassen setzt voraus, dass die fragliche Angelegenheit in den besonderen Pflichtenkreis des Täters fällt.165
161 162 163 164 165 1015
Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. BTDrucks. 7/550 S. 284. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 25. Beispiel nach Altenhain MK Rdn. 62. Altenhain MK Rdn. 62; Hoyer SK Rdn. 33; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 23; Fischer Rdn. 16. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 24. Hilgendorf
§ 206
Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
3. Strafbarkeit des Dritten 56 Erfüllt der Dritte166 ebenfalls die Täterqualifikation als Inhaber oder Beschäftigter eines Unternehmens im Sinne des Abs. 1, so werden beide als Täter nach § 206 bestraft. Fehlt es beim Dritten an dieser Qualifikation, so kommt eine Bestrafung nach den allgemeinen Vorschriften (z.B. nach §§ 133, 202, 246, 303) in Betracht, während der gestattende oder fördernde Täter – unabhängig von der Strafbarkeit des Dritten167 – nur aus § 206 Abs. 2 Nr. 3 als der lex specialis bestraft wird. Ist der Täter Vorgesetzter im Sinne des § 357, tritt diese Vorschrift hinter Abs. 2 Nr. 3 zurück.168
VI. Erweiterung des Täterkreises (Abs. 3) 57 Während nach Abs. 2 der Täter als Inhaber oder Beschäftigter eines Unternehmens im Sinne des Abs. 1 handeln muss und Absatz 1 auch Personen erfasst, die zur Tatzeit zwar nicht mehr im Dienst eines solchen Unternehmens stehen, aber durch ihre frühere Unternehmenszugehörigkeit weiterhin zur Wahrung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses verpflichtet sind, bezieht Absatz 3 bestimmte Gruppen unternehmensfremder Personen in den Täterkreis ein, weil sie auf Grund ihrer auf das Unternehmen bezogenen Aufgaben oder Tätigkeiten ebenfalls die Möglichkeit haben, die in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Handlungen zu begehen.169 Die Vorschrift geht über den nach § 39 Abs. 2 PostG und § 3 Abs. 2 TTDSG zur Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses verpflichteten Personenkreis hinaus, und erfasst insbesondere auch nicht-geschäftsmäßige Tätigkeiten.170
1. Allgemeines 58 Durch § 206 Abs. 3 Nr. 1 werden den Inhabern und Beschäftigten eines Unternehmens im Sinne des Absatz 1 die Personen gleichgestellt, die Aufgaben der Aufsicht über ein solches Unternehmen wahrnehmen. Dies sind vor allem Bedienstete der verbliebenen Hoheitsverwaltung des Bundes im Post- und Telekommunikationsbereich, insbesondere die speziell zur Aufsicht berufenen Bediensteten der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation Post und Eisenbahnen (§ 30 TTDSG, früher: Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post 171). In der Regel wird es sich dabei um Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 handeln; entscheidend ist aber ihre berufsspezifische Funktion, die ihnen Zugang zu geheimnisgeschützten Tatsachen eröffnen kann.172
2. § 206 Abs. 3 Nr. 2 59 § 206 Abs. 3 Nr. 2 entspricht § 354 Abs. 3 Nr. 1 a.F.; die Vorschrift erstreckt die Anwendbarkeit der Absätze 1 und 2 auf Personen, die von einem in Absatz 1 bezeichneten Unternehmen oder mit dessen Ermächtigung mit dem Erbringen von Post- oder Telekommunikationsdiensten 166 167 168 169 170 171
In den Fällen des Abs. 2 Nr. 1, 2. RG DRiZ 1931 Nr. 608. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 22. Vgl. BTDrucks 7/550 S. 285. Sch/Schröder/Eisele Rdn. 27. Errichtet durch Gesetz vom 25. Juli 1996 (BGBl. I S. 1120); umbenannt durch Art. 2 § 1 des Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsgesetzes (vom 7. Juli 2005 BGBl. I S. 1970). 172 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Fischer Rdn. 3. Hilgendorf
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VI. Erweiterung des Täterkreises (Abs. 3)
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betraut sind. Hierzu gehören Personen, die in keinem Dienstverhältnis zum Unternehmen stehen, aber zur gelegentlichen Aushilfe herangezogen werden (z.B. die Angehörigen eines Bediensteten, der für das Unternehmen eine Agentur betreut, also wie ein „Posthalter“ tätig ist). Ferner dürften hierher die Bundesbahnbediensteten zählen, denen neben ihrer eigentlichen Beförderungstätigkeit zugleich der Transport von Postsäcken obliegt. Gleiches gilt für die Angehörigen von Luftverkehrsgesellschaften bei der Beförderung von Luftpost;173 nicht aber die zum präventiven Betriebsschutz eingesetzten Bediensteten eines privaten Wachunternehmens, weil sie nicht mit Post- oder Telekommunikationsdiensten betraut sind.174 Anderes gilt für einen Einsatz zum bewaffneten Transport von wertvollen Postsendungen. Teilzeitkräfte und Ferienaushilfen, die von den in Abs. 1 bezeichneten Unternehmen angestellt werden, sind Beschäftigte im Sinne des § 206 Abs. 1 und 2. Auch die von Postunternehmen zu Postdienstleistungen herangezogenen Subunternehmer sind je nach Sachlage Unternehmer im Sinne des Absatz 1; erfüllen sie den Unternehmensbegriff nicht, können sie – bei entsprechender betrieblicher Eingliederung – (scheinselbständige) Beschäftigte oder unternehmensnahe Personen i.S.d. Absatz 3 Nr. 2 sein. Die Gleichstellung gewährleistet einen umfassenden strafrechtlichen Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses, ohne dass es auf die – bisweilen problematische – arbeitsrechtliche Einordnung ankommt.
3. § 206 Abs. 3 Nr. 3 § 206 Abs. 3 Nr. 3 ergänzt den strafrechtlichen Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses 60 dadurch, dass er die Strafdrohung auch auf die Inhaber und Beschäftigten von Hersteller- und Serviceunternehmen für technische Anlagen ausdehnt.175 Gedacht ist dabei in erster Linie an die Inhaber und Mitarbeiter von Privatfirmen, die von Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 zur Errichtung von Post- und Fernmeldeanlagen oder zu Wartungs- und Reparaturarbeiten herangezogen werden und dadurch in gleicher Weise wie die Bediensteten ihres Auftraggebers Zugang zu Tatsachen bekommen, die dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen. Nach dem Sinn der Vorschrift handelt es sich bei „einer dem Betrieb des Unternehmens 61 dienenden Anlage“ um technische Einrichtungen, die unmittelbar zum Bereich der postalen/ telekommunikativen Dienstverrichtungen gehören (z.B. Sortiermaschinen, Zählereinrichtungen, Förderbänder u.a.). Anlagen sind für eine gewisse Dauer vorgesehene, als Funktionseinheit organisierte Einrichtungen von nicht ganz unerheblichen Ausmaßen.176 Wie beim Beschäftigten in Absatz 1 wird eine gewisse Nähe zum Post- oder Fernmeldebetrieb vorausgesetzt; dies setzt voraus, dass sich Herstellung, Reparatur oder Wartungsarbeiten auf Gegenstände beziehen, die diesem Bereich zugeordnet sind. Wer etwa als Dachdecker Ferngespräche über geheim zu haltende Dinge hört, kommt als Täter nach § 206 Abs. 3 Nr. 3 ebenso wenig in Betracht, wie die Putzfrau oder der Kantinenwirt als Täter des Absatz 1 (vgl. oben Rdn. 15).177 § 354 Abs. 3 Satz 2 a.F. sah vor, dass sich postfremde Angehörige von Hersteller- oder Ser- 62 viceunternehmen nur nach Absatz 1, nicht aber auch nach Absatz 2 strafbar machen konnten. Dies führte dazu, dass für diesen Personenkreis nur die Weitergabe von Kenntnissen nach § 354 Abs. 1 geahndet wurde, während das Öffnen oder Unterdrücken von Sendungen nur den – regelmäßig milderen – allgemeinen Strafvorschriften unterfiel (etwa §§ 202, 303). Die schwer begründbare Differenzierung wurde durch § 206 Abs. 3 beseitigt.178
173 174 175 176 177 178
BTDrucks. 7/550 S. 285; Altenhain MK Rdn. 26; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. Altenhain MK Rdn. 26; aA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Welp ArchPT 1994 34 f. BTDrucks. 13/8060 S. 29. Altenhain MK Rdn. 27. Altenhain MK Rdn. 27; Hoyer SK Rdn. 9; Kargl NK Rdn. 39; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 30; Welp ArchPT 1994 35. BTDrucks. 13/8016 S. 29; Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 30; Welp ArchPT 1994 35, 37.
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Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
VII. Unbefugte Weitergabe dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegender Tatsachen durch außerhalb des Post- oder Telekommunikationsbereichs tätige Amtsträger (Absatz 4) 1. Allgemeines 63 Während § 206 Abs. 1 bis 3 zur Gewährleistung der Integrität des Post- und Fernmeldewesens im Unternehmensbereich beitragen und vor allem verhindern sollen, dass nach § 206 Abs. 5 geheim zu haltende Vorgänge und Tatsachen über den internen Geheimbereich hinausgetragen werden, regelt Absatz 4 den Fall, dass solche Geheimnisse bereits durch einen befugten oder unbefugten Eingriff, d.h. durch eine rechtmäßige oder unrechtmäßige Durchbrechung des Postoder Fernmeldegeheimnisses unternehmensfremden und außerhalb des Post- oder Telekommunikationsbereichs tätigen Amtsträgern bekannt geworden sind. Mit dem Vollzug einer solchen Maßnahme hat die betroffene Kommunikation ihren durch Art. 10 GG verfassungsverbürgten Geheimschutz nicht verloren. Dieser bezieht sich auch auf die Weitergabe der erlangten Daten und Informationen einschließlich des Verarbeitungsprozesses und des Gebrauchs, der sich nach dem Zweck des Eingriffs auszurichten hat.179 § 206 Abs. 4 soll durch das Verbot der unbefugten Weitergabe so erlangter geschützter Kenntnisse dazu beitragen, dass der Geheimnisschutz nicht weiter beeinträchtigt wird und dass sich der in solchen Fällen ohnehin erweiterte Kreis der „Informierten“ in Grenzen hält. Der Gefährdungslage entsprechend gilt dieses Verbot für die Amtsträger, die auf Grund des Eingriffs Kenntnis von den geschützten Tatsachen Kenntnis erhalten haben.
2. Täter 64 Täter kann sein, wem die dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegenden Tatsachen als außerhalb des Post- oder Telekommunikationsbereichs tätigem Amtsträger bekannt geworden sind. Amtsträger der dem Bund im Bereich des Postwesens nach Art. 87f Abs. 2 Satz 2 GG verbliebenen hoheitlichen Verwaltung, insbesondere die Angehörigen der Bundesnetzagentur,180 soweit diese Aufgaben der Regulierungsbehörde wahrnehmen, scheiden als mögliche Täter aus; sie werden von Abs. 3 Nr. 1 erfasst. Auch hier kommt es nicht darauf an, ob die Amtsträgereigenschaft des Täters zur Tatzeit noch fortbesteht; es genügt, dass ihm die die geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen in einer früheren Stellung als Amtsträger bekannt geworden sind. Wegen des Begriffs des Amtsträgers s. § 11 Abs. 1 Nr. 2. Den Amtsträgern stehen nach § 1 Abs. 3, § 48 Abs. 1 WStG aktive und frühere Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr gleich, soweit ihnen dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegende Tatsachen während des Wehrdienstes anvertraut oder sonst bekannt geworden sind. Dieser Erweiterung bedurfte es, weil nach § 1 des Gesetzes zu Art. 10 GG181 auch dem Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr Eingriffsbefugnisse in das Post- und Fernmeldegeheimnis zustehen und damit auch dem genannten Kreis von Soldaten geheimhaltungsbedürftige Tatsachen auf Grund eines Eingriffs dieser Behörde bekannt werden können. Täter können nur Amtsträger oder die ihnen gleichgestellten Personen sein. Die Tat ist ei65 gentliches Amtsdelikt.
179 BVerfGE 100 313, 360. 180 Vgl. oben Rdn. 58. 181 Vom 13. August 1968, BGBl. I S. 949, neu gefasst durch das Gesetz vom 26.6.2001, BGBl. I S. 1254. Hilgendorf
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VII. Unbefugte Weitergabe
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3. Eingriff Der Täter muss seine Kenntnis als außerhalb des Post- oder Telekommunikationsbereichs tätiger 66 Amtsträger auf Grund eines befugten oder unbefugten Eingriffs in das Post- oder Fernmeldegeheimnis erlangt haben. Es muss also ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der „Tätigkeit als Amtsträger“ und dem Eingriff bestehen, dergestalt, dass der Täter die Kenntnis nicht erlangt hätte, wenn der Eingriff nicht erfolgt und er nicht als Amtsträger tätig gewesen wäre. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so ist es für die Erfüllung des Tatbestandes ohne Bedeutung, mit welchen Mitteln und auf welchem Wege der Täter seine Tatsachenkenntnis erworben hat, ob er also bei dem Eingriff selbst mitwirkte oder ob ihm die durch den Eingriff zu Tage getretenen Tatsachen im dienstlichen Bereich als Folge eines von anderen vorgenommenen Eingriffs bekannt geworden sind.182 Als „klassische“ Eingriffe kommen etwa das Öffnen eines Briefs im Wege der Postkontrolle und das Abhören von Telefongesprächen in Betracht. Nicht hierher gehört die Beschlagnahme eines Briefs beim Empfänger, mag dieser auch Aufschluss über einen Vorgang des ehemaligen Postverkehrs geben. Ein Polizeibeamter, der mit Erlaubnis des Anschlussinhabers dessen Telefongespräch über 67 einen Zweithörer mitverfolgt, beeinträchtigt nicht das Recht des Telefonpartners auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses. Wahrt er nicht die erforderliche Diskretion, so verletzt er möglicherweise das Dienstgeheimnis i.S.d. § 353b Abs. 1 Nr. 1; nach § 206 Abs. 4 strafbar macht er sich nicht.183 Der Schutzbereich des Art. 10 GG wird durch den Herrschaftsbereich des Betreibers des Fernmeldenetzes begrenzt, der regelmäßig endet, wenn die Nachricht am Endgerät des Fernsprechteilnehmers angekommen und damit der Übermittlungsvorgang beendet ist. Schließt der Fernsprechteilnehmer am Endgerät einen Zweithörer an, so liegt ein Eingriff in den vom Netzbetreiber zu gewährleistenden Übermittlungsvorgang nicht vor.184 Allerdings endet das Fernmeldegeheimnis nicht stets am Endgerät, weil auch diese Geräte in den Übermittlungsvorgang eingebunden sind. So gewährt Art. 10 Abs. 1 GG auch dann Schutz, wenn am Endgerät, etwa an einem Telefon, ein verdeckter Sender (eine sog. Wanze) angebracht und genutzt wird.185 Im Übrigen gibt das Fernmeldegeheimnis den Gesprächspartnern in ihrem Verhältnis zueinander keinen Anspruch auf Vertraulichkeit oder Geheimhaltung.186 Es fehlt bei solcher Fallgestaltung bereits an einem tatbestandsmäßigen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis des Kommunikationspartners.187 Zum Zugriff auf Daten über abgeschlossene Telekommunikationsvorgänge vgl. unten Rdn. 68. Bei den „neuen“ Kommunikationstechnologien ist auf Zeitpunkt und Ort des Zugriffs 68 abzustellen. Ist die Information durch einen Zugriff im Bereich des Telekommunikationsunternehmens gewonnen worden, so wird die Indiskretion durch die Strafvorschrift erfasst. Das Unternehmen und seine Beschäftigten haben auch über abgeschlossene Telekommunikationsvorgänge Stillschweigen zu bewahren. Dieser formale Geheimbereich ist dem Fernmeldegeheimnis zuzurechnen; der Amtsträger, der in ihn eingreift, tritt in die Pflicht zur Diskretion ein. Anders liegt der Fall, wenn der Zugriff an anderer Stelle – etwa beim Absender oder beim Empfänger – erfolgt. Hier kommt es darauf an, ob in einen Kommunikationsvorgang eingegriffen wird, weil die Mitteilung nur in dieser Phase durch das verfassungsrechtlich verbürgte und strafrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis erfasst wird. Ist der Kommunikationsvorgang hingegen abgeschlossen und erfolgt der Zugriff nicht im Bereich des Telekommunikationsunternehmens, sondern beim Empfänger, so ist allenfalls das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Kommunikationsdaten, die auf einem Träger im Herrschaftsbereich des Absenders oder des 182 183 184 185 186 187
BTDrucks. 7/550 S. 286; Altenhain MK Rdn. 66; Hoyer SK Rdn. 17; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 34; Fischer Rdn. 10. Vgl. Hoyer SK Rdn. 15; Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 33. BGHSt 42 139, 154. BVerfGE 106 28, 38. BGHSt 39 335, 339; Altenhain MK Rdn. 44; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. BayObLG 1974 30 f; Hoyer SK Rdn. 39; vgl. auch Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12.
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Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
Empfängers gespeichert sind, unterliegen danach nicht dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses. Dies gilt etwa für E-Mails, die bereits auf einem Endgerät des Empfängers gespeichert sind,188 für Daten über abgeschlossene Telefongespräche im Speicher eines Mobiltelefons189 oder für den Einzelverbindungsnachweis in Papierform. Die Online-Durchsuchung der Festplatte im Computer eines Tatverdächtigen greift nicht in einen Kommunikationsvorgang ein.190 Sie tangiert das Fernmeldegeheimnis nicht, mag sie auch Aufschluss über abgeschlossene Kommunikationsvorgänge geben, die – befänden sie sich im Machtbereich des Telekommunikationsunternehmens – dem Fernmeldegeheimnis unterfallen würden. Ihre innere Rechtfertigung findet diese Sicht darin, dass es der Empfänger – wie bei einem zugestellten Brief – in der Hand hat, diese Daten zu verschlüsseln oder zu löschen; ein (legaler) Zugriff des Telekommunikationsunternehmens ist hingegen ausgeschlossen. Bei Daten, die sich im Bereich des Telekommunikationsunternehmens befinden, ist das nicht der Fall. Auf die umstrittene Frage, ob die Speicherung bei einer externen Stelle, auf die der Empfänger ungehinderten Zugriff hat und die er jederzeit abrufen kann, zur Beendigung des Kommunikationsvorgangs führt oder ob auf den Abruf durch den Empfänger abzustellen ist, kommt es bei dieser Sicht nicht an. Für die strafrechtliche Geheimhaltungspflicht ist der Ort des Zugriffs maßgebend: Ruft der Amtsträger die Daten von einem Speicher ab, der im Einflussbereich des Telekommunikationsunternehmens liegt, so tritt er an die Stelle dieses Unternehmens und ist wie dieses auch strafrechtlich zur Geheimhaltung verpflichtet und zwar unabhängig davon, ob diese Daten einem laufenden oder einem abgeschlossenen Kommunikationsvorgang entnommen wurden. Dies gilt etwa für Nachrichten, die auf einem externen Speicher (zwischen-)gelagert sind,191 insbesondere für E-Mails beim Provider, und zwar unabhängig davon, ob sie bereits abgerufen wurden oder nicht. Auf die Frage, nach welchen Vorschriften der strafprozessuale Zugriff auf solche Daten zu beurteilen wäre, kommt es nicht an.192 Mit der Einbeziehung des unbefugten Eingriffs und seiner Gleichstellung mit dem befug69 ten wird die bisherige, in der Sache kaum zu rechtfertigende strafrechtliche Besserstellung von Amtsträgern beseitigt, die den unbefugten Eingriff zwar nicht selbst vorgenommen haben, die ihnen hierdurch bekannt gewordenen Tatsachen aber unbefugt weitergeben. Für diesen Fall sah das frühere Recht lediglich Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor (§ 203 Abs. 2).193
4. Befugt 70 Befugt ist ein Eingriff in das Post- und Fernmeldegeheimnis, wenn er durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist. Als solche kommen im Anwendungsbereich des Absatz 4 vor allem §§ 1 ff G 10194, §§ 2, 3 des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungs188 BVerfGE 106 28, 37 f; vgl. auch BVerfG NJW 2005 2603; die Kammerentscheidung NStZ 2005 337 ist durch das Senatsurteil BVerfG NJW 2006 976 überholt.
189 BVerfG NJW 2006 976, 977 m. Anm. Günter NStZ 2006 643; Hülsdonk EWiR 2006 305, Störing CR 2006 392; aA noch BVerfG – Kammer – NStZ 2005 337.
190 Vgl. Hofmann NStZ 2005 121, 123; insoweit zustimmend BGH NStZ 2007 279; nunmehr § 45 BKAG. 191 BGH – Ermittlungsrichter – NJW 1997 1934 geht insoweit von einem Eingriff in den Fernmeldeverkehr aus; ebenso nunmehr BVerfG, Beschl. v. 16. Juni 2009 – 2 BvR 902/06; abl. dazu Palm/Roy NJW 1997 1904, wonach in Ansehung ruhender Daten kein Fernmeldeverkehr stattfindet; ebenso Bizer DuD 1996 627; zustimmend hingegen Bruns KK § 100a Rdn. 18 ff, 21, dort auch zu den Phasen der Übermittlung; Kudlich JuS 1998 209; vgl. auch BGH NJW 2003 2034, 2035; zum Streitstand Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler StPO § 100a Rdn. 6b ff. 192 Vgl. im Einzelnen Schlegel HRRS 2007 44. 193 Zur früheren Rechtslage vgl. Sch/Schröder/Lenckner25 § 354 Rdn. 34; die hinter der Beschränkung stehende Annahme des EGStGB, die §§ 201, 202 gewährten hinreichenden Schutz (so BTDrucks. 7/550 S. 286), traf für die Fälle nicht zu, in denen der Täter nicht selbst die Handlungen nach den §§ 201, 202 vorgenommen, sondern seine Kenntnis mittelbar über Dritte gewonnen hatte. 194 S. dazu aber BVerfGE 100 313 ff; der Kreis der aus dem Gesetz berechtigten Dienststellen ergibt sich aus § 1 G 10. Hilgendorf
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VIII. Rechtswidrigkeit
§ 206
verbote,195 § 201, das BKAG, die §§ 21 ff ZFdG sowie §§ 99 ff StPO in Betracht (vgl. dazu im Einzelnen unten Rdn. 72 ff). Die Befugnis zur Mitteilung über die durch einen befugten hoheitlichen Eingriff bekannt gewordenen Tatsachen hängt davon ab, ob der Mitteilung ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Eine unbefugte Mitteilung der Tatsachen, die durch einen befugten Eingriff bekannt geworden sind, kann z.B. auch darin bestehen, dass die erlangten Erkenntnisse an eine Behörde weitergeleitet werden, die für die weitere Behandlung nicht zuständig ist.196 Die Zulässigkeit der Weitergabe von Daten aus dem Bereich der Strafverfolgungsbehörden an nicht am Verfahren beteiligte öffentliche und private Stellen bestimmt sich nach den §§ 474 ff StPO. Das G 10 enthält Befugnisnormen, die die Weitergabe entsprechend der Art des Eingriffs regeln (Beschränkungen in Einzelfällen: § 4 G 10; strategische Beschränkungen: §§ 7, 8 G 10). Regelungen über die Weitergabe von Telekommunikationsverbindungsdaten an die Nachrichtendienste des Bundes enthalten § 10 BNDG, § 10 MADG und § 18 BVerfSchG. § 12 ZollVG ermächtigt zur Weiterleitung der nach § 5 ZollVG vorgelegten Postsendungen an die Staatsanwaltschaft, wenn sich bei der zollamtlichen Überwachung der Verdacht eines (strafbaren) Verstoßes gegen ein Einfuhr-, Durchfuhr- oder Ausfuhrverbot ergibt. § 41 BKAG enthält Regelungen der Übermittlung von Erkenntnissen des Bundeskriminalamts, die durch Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus (§ 38 ff BKAG) gewonnen wurden.
VIII. Rechtswidrigkeit 1. Allgemeines Bei allen Tatbeständen der Absätze 1 bis 4 ist zur Bestrafung erforderlich, dass der Täter unbe- 71 fugt handelt. Dieses Merkmal gehört nicht zum Tatbestand; es ist lediglich als Hinweis gedacht, dass im Anwendungsbereich des § 206 Rechtfertigungs- oder Tatbestandsausschlussgründe eine besondere Rolle spielen.197 Es ist also stets zu prüfen, ob besondere gesetzliche Vorschriften den Eingriff in das Post- oder Fernmeldegeheimnis vorschreiben – möglicherweise auch in der Form, dass die Unternehmen auf Verlangen bestimmter Behörden zu Auskünften und Mitteilungen oder zum Aushändigen bestimmter Sendungen verpflichtet sind – oder jedenfalls zulassen. Unbefugt ist die Tathandlung, wenn der Täter ohne Einwilligung des Geheimnisgeschützten handelt und wenn sein Verhalten nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist. Ob die Einwilligung bereits den Tatbestand entfallen lässt oder ob es sich um einen Rechtfertigungsgrund handelt, ist streitig;198 es gilt dasselbe wie bei § 203.199 Für die Praxis hat die Frage allenfalls geringfügige Bedeutung.
2. Besondere gesetzliche Vorschriften Als besondere gesetzliche Erlaubnis kommt die Anzeigepflicht nach § 138 in Betracht, die von 72 den Ausnahmefällen des § 138 Abs. 2, 3 abgesehen, für jedermann und damit auch für die Bediensteten der in § 206 Abs. 1 genannten Unternehmen gilt. § 39 Abs. 3 Satz 4 PostG und § 3 Abs. 3 Satz 4 TTDSG bestimmen nunmehr ausdrücklich, dass diese Pflicht Vorrang vor dem Geheimhaltungsinteresse des Kommunikationsteilnehmers hat. Sie wird im Regelfall durch die Benachrichtigung des Dienstvorgesetzten erfüllt, der das Weitere veranlasst, in Eilfällen aber durch die unmittelbare Be195 196 197 198
Vom 24.5.1961 (BGBl. I S. 607), zuletzt geändert am 14.12.2001 (BGBl. I S. 3714). BVerfGE 100 313, 389. BTDrucks. 7/550 S. 284; Hoyer SK Rdn. 34; Fischer Rdn. 9. Für Tatbestandsausschluss vgl. Altenhain MK Rdn. 43; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11; aA Hoyer SK Rdn. 39; Kargl NK Rdn. 44. 199 Vgl. Schünemann LK11 § 203 Rdn. 93. 1021
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nachrichtigung der Strafverfolgungsbehörden. Nach § 39 Abs. 3 Satz 2 PostG und § 3 Abs. 3 Satz 2 TTGSG dürfen die Dienstanbieter und ihre Mitarbeiter Kenntnisse, die dem Post- bzw. dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, verwenden, soweit dies für die Erbringung ihrer Dienste erforderlich ist. § 39 Abs. 4 PostG enthält einen – nicht abschließenden – Katalog von Fällen, in denen ein Eingriff in das Postgeheimnisses gerechtfertigt ist: So zur Prüfung der tariflichen Voraussetzungen bei entgeltbegünstigten Sendungen (Abs. 4 Nr. 1), zur Sicherung beschädigter Postsendungen (Abs. 4 Nr. 2), zur Ermittlung des ansonsten nicht feststellbaren Empfängers oder Absender einer unanbringlichen Postsendung (Abs. 4 Nr. 3) und zur Abwendung körperlicher Gefahren, die von einer Postsendung für Personen oder Sachen ausgehen (Abs. 4 Nr. 4). § 39 Abs. 4 Satz 2 erlaubt die Auslieferung von Postsendungen an einen Ersatzempfänger; nach § 39 Abs. 5 PostG darf der Postverkehr mitgeteilt werden, soweit dies zur Durchsetzung von Ansprüchen gegen einen Postkunden oder zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist, die im Postverkehr zum Nachteil des Unternehmens begangen wurden. § 40 PostG verpflichtet die Erbringer von Postdienstleistungen zur Übermittlung zustellungsfähiger Anschriften an Gerichte und Behörden. § 3 Abs. 3 Satz 2 TTDSG erlaubt etwa Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis zum Schutz der technischen Systeme (vgl. auch § 19 TTDSG); die Prüfung von E-Mail Nachrichten auf Viren und ihre Löschung ist jedenfalls dann zulässig, wenn eine weitere Inhaltskontrolle nicht stattfindet.200 Im Übrigen verzichtet das TTDSG auf einen abschließenden Katalog von zulässigen Eingriffen, ersichtlich in der Erkenntnis, dass die in Betracht kommenden Tätigkeiten zu vielgestaltig sind, um gesetzlich geregelt zu werden. Was zur Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erforderlich ist, kann deshalb nur im jeweiligen Einzelfall anhand einer konkreten Betrachtung beurteilt werden.201 Die früher in der Telekommunikationsdienstunternehmen-Datenschutz VO (TDSV) geregelten Eingriffe sind nunmehr im TTDSG selbst gesetzlich normiert. Von Bedeutung ist vor allem § 10 TTDSG, der die Verwendung, Speicherung und Übermittlung von Daten zur Entgelterhebung erlaubt. Die wohl h.M. geht davon aus, dass die Inkassozession von Forderungen eines Mobilfunkbetreibers wegen Verstoßes gegen das Fernmeldegeheimnis nichtig sei (§ 134 BGB).202 Dem ist nicht beizupflichten, weil § 10 Abs. 1 Satz 3 TTDSG die Übermittlung der Daten erlaubt.203 § 176 TKG sieht für bestimmte Verkehrsdaten eine Speicherungspflicht für vier bzw. zehn Wochen vor; die Übermittlung und Verwendung dieser Daten regelt der neue § 177 TKG. EuGH NJW 2022, 3135 hat allerdings Unionrechtswidrigkeit einer so ausgestalteten Vorratsdatenspeicherung festgestellt, sodass bis zu einem Tätigwerden des Gesetzgebers davon auszugehen ist, dass die § 176 f. TKG nicht mehr zur Anwendung kommen. Bei betrieblichen Nebenstellenanlagen ist die elektronische Erfassung von Telefonaten zum Zwecke der Entgeltermittlung und -zuordnung im Falle von Privatgesprächen zulässig.204 Maßnahmen zur Aufdeckung von Störungen oder von missbräuchlichen Verwendungen gestattet § 12 TTDSG.205 § 14 TTDSG erlaubt die Mitteilung ankommender Verbindungen bei bedrohenden oder belästigenden Anrufen. Die Auskunft über Kundenbestandsdateien regelt § 174 TKG.206
200 OLG Karlsruhe CR 2005 289 m. Anm. Lejeune; Bock Beck-TKG § 88 Rdn. 8; Hoeren NJW 2004 3513, 3516; Schmidl MMR 2005 353.
201 Bock Beck-TKG § 88 Rdn. 26. 202 So OLG München NJW-RR 1998 758; AG Hamburg-Altona MMR 2006 834, zweifelnd und für den Fall, dass die Übermittlung von Verbindungsdaten an den Zedenten ausgeschlossen wird, verneinend, LG Frankfurt/Oder MMR 2002 249; grundsätzlich verneinend: Grüneberg/Ellenberger BGB § 134 Rdn. 22a. 203 AA AG Hamburg-Altona MMR 2006 834 unter Berufung auf den angeblichen Willen des Gesetzgebers, eine Argumentation, die am Wortlaut des § 97 Abs. 1 Satz 3 TKG a.F. scheitert. 204 OVG Bremen NJW 1980 606; Schatzschneider NJW 1981 268. 205 Vgl. hierzu Rdn. 88. 206 Zur praktisch bedeutsamen Herausgabe der persönlichen Daten auf Anforderung der StA bei Vorlage der dynamischen IP-Adresse: Bejahend LG Hamburg MMR 2005 711; LG Stuttgart NStZ 2005 285 m. (krit.) Anm. M. Gercke CR 2005 599; Bär MMR 2005 626; B. Gercke StraFo 2005 244; verneinend LG Bonn Kriminalistik 2004 773 (Entscheidung nach §§ 100g, h StPO erforderlich); zum Streitstand vgl. auch Braun jurisPR-ITR 4/2006 Anm. 6; vgl. auch Bisges wistra 2009 303. Hilgendorf
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Andere Gesetze gewähren den nach PostG oder TKG Verpflichteten nur dann eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Weitergabe von Kenntnissen, wenn diese Gesetze oder andere gesetzliche Vorschriften dies vorsehen und sich dabei ausdrücklich auf den Postverkehr oder auf Telekommunikationsvorgänge beziehen (§ 39 Abs. 3 Satz 3, § 3 Abs. 3 Satz 3 TTDSG). Zivilrechtliche Auskunftsansprüche über Umstände, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, scheitern zumeist an dieser Voraussetzung.207 Für den praktisch bedeutsamen Bereich der „Musikpiraterie“ durch illegale Downloads steht die Rechtsprechung im Übrigen auf dem Standpunkt, dass § 101a Abs. 1 UrhG keinen Auskunftsanspruch des Rechteinhabers gegen einen Internet Access-Provider, der nicht seinerseits Gehilfe oder Störer ist, über die Identität eines Urheberrechtsverletzers gewährt.208 Zur Weitergabe von Kenntnissen durch Amtsträger vgl. oben Rdn. 65 ff. Zu den Auskunftspflichten gegenüber den Geheimdiensten vgl. unten Rdn. 79. Gesetzliche Durchbrechungen des Post- und Fernmeldegeheimnisses enthalten § 99 InsO (Postsperre durch das Insolvenzgericht), § 5 Abs. 1 Zollverwaltungsgesetz209 und die §§ 2 bis 6 des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote,210 die die Postunternehmen verpflichten, Sendungen mit mutmaßlich strafrechtlich relevantem Inhalt der zuständigen Zolldienststelle vorzulegen; diese (nicht die Bediensteten des Postunternehmens!) ist berechtigt, Sendungen zu öffnen und zu durchsuchen.211 Nach § 72 des Zollfahndungsdienstgesetzes (ZFdG)212 ist das Zollkriminalamt zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten nach dem AWG und KWKG zu Eingriffen in das Post- und Fernmeldegeheimnis befugt. Nach Art. 139 Zollkodex der EU trifft den Verbringer von Waren eine Gestellungspflicht. Zentrale Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Eingriffsbefugnissen der Strafverfolgungsbehörden für Zwecke der Strafverfolgung nach Maßgabe der §§ 99 bis 101 StPO zu, die vom Auskunftsersuchen und der Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen bis zur Überwachung und Aufnahme des Fernmeldeverkehrs auf Tonträger, zum Abhören des Fernsprechverkehrs und Mitlesen des Fernschreibverkehrs reichen. Eine eingehender Erörterung der normierten Eingriffsmöglichkeiten, ihrer Voraussetzungen und der Frage, inwieweit die bei solchen Maßnahmen erlangten Erkenntnisse im Strafverfahren als Beweismittel verwertbar sind, ist hier nicht veranlasst. Hinzuweisen ist darauf, dass sich ein Recht auf Auskunft bei entsprechender Fallgestaltung aus § 99 StPO ergibt als „Minus“ zur Postbeschlagnahme und den anderen Eingriffsmöglichkeiten;213 kommt der nach Absatz 1 Verpflichtete einem solchen Auskunftsverlangen nach, handelt er nicht unbefugt.214 Die Erhebung und die Auskunft über Verkehrsdaten zurück liegender und zukünftiger Kommunikationsvorgänge regeln die § 100g Abs. 2, § 100e StPO, §§ 176, 177 TKG (s. dazu indes Rdn. 72 a.E.). Die inhaltliche Überwachung der Telekommunikation durch richterliche Anordnung – bei Gefahr im Verzug auch durch den Staatsanwalt – ist in §§ 100a, 100e StPO geregelt. Sie erfolgt entweder mit eigenen Mitteln der Strafverfolgungsbehörden oder durch Inanspruchnahme des Diensteanbieters.215 Erfasst wird jeder, der Telekommunikationsdienste erbringt (§ 100a Abs. 4 StPO), also auch nicht-geschäftsmäßige Anbieter.216 § 100g StPO regelt die Erhebung und Übermittlung von Verkehrsdaten auch in Echtzeit. Der Begriff der Verkehrsdaten erfasst die Daten, die bei der Erbringung einer Telekommunikationsdienstleistung erhoben, verarbeitet oder ge207 Vgl. Splittgerber/Klytta KommR 2007 83 f. 208 OLG Hamburg MMR 2005 453; Sieber/Höfinger MMR 2004 573; zur geplanten Änderung der Vorschrift: Splittgerber/Klytta KommR 2007 84.
209 Vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2125) i.d.F. des Gesetzes v. 20.12.1996 (BGBl. I S. 2030). 210 VerbrVerbG vom 24.5.1961, BGBl. I S. 607. 211 Zur Weitergabe von Erkenntnissen an die Strafverfolgungsbehörden vgl. BGHSt 23 329 m. Anm. Meyer JR 1971 162; OLG Karlsruhe JR 1973 379. Vom 31.12.2004, BGBl. I S. 3603. Vgl. Kurth NStZ 1983 541; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler § 99 Rdn. 14; Welp NStZ 1994 212. Hoyer SK Rdn. 38; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 13. Kritisch dazu Eckhardt CR 2007 336, 338. Vgl. BTDrucks. 16/5846 S. 115.
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nutzt werden (s. jetzt auch § 9 TTDSG).217 Neben § 1 G 10 und den §§ 72 ff ZFdG enthalten diese Vorschriften eine abschließende Regelung, eine erweiternde Auslegung kommt nicht in Betracht.218 Die Anordnung darf nur gegen bestimmte Personen ergehen, in erster Linie gegen den Beschuldigten oder gegen den sog. Nachrichtenmittler, d.h. gegen Personen, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss benutzt (§ 100a Abs. 3 StPO). Dadurch wird nicht ausgeschlossen, dass in gewissem Umfang auch Äußerungen dritter Personen, die der Beschuldigte anruft oder die ihn anrufen, oder die seinen Anschluss benutzen, strafprozessual als Beweismittel verwertbar sind. Belasten die daraus gewonnenen Erkenntnisse den Dritten selbst, so sind sie gegen ihn nur dann verwertbar, wenn sie zum Nachweis einer Katalogtat des § 100a StPO oder einer mit ihr zusammenhängenden Straftat benutzt werden sollen.219 Die Verwertung von Erkenntnissen, die nicht auf der Grundlage strafprozessualer Eingriffsnormen, sondern nach anderen (Bundesoder Landes-)Gesetzen gewonnen wurden, regelt § 161 Abs. 3 StPO nach den Grundsätzen des „hypothetischen Ersatzeingriffs“.220 Ist eine Äußerung für die Feststellung einer Katalogtat von Bedeutung, tritt der grundrechtlich geschützte Anspruch einer den Fernmeldeanschluss des Beschuldigten/des Nachrichtenmittlers benutzenden Person auf Beachtung des Fernmeldegeheimnisses auch dann zurück, wenn sie weder als Tatbeteiligter noch als Nachrichtenmittler in Betracht kommt.221 Die Modalitäten der technischen Umsetzung der Telefonüberwachung bestimmt die Tele77 kommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV),222 die auch für landesrechtlich angeordnete Überwachungsmaßnahmen gilt. Außerhalb des Strafverfahrens sieht das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und 78 Fernmeldegeheimnisses (G 10) Eingriffe auf nachrichtendienstlicher Ebene vor. Die Neufassung vom 26.6.2001223 trägt einer Entscheidung des BVerfG Rechnung, das Teile des bisher geltenden Gesetzes beanstandet hatte, insbesondere die durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz eingefügten Vorschriften zur strategischen Überwachung mit dem Ziel der präventiven und repressiven Bekämpfung von Straftaten.224 Das G 10 ermächtigt die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, den militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr und den Bundesnachrichtendienst, Telekommunikationsvorgänge zu überwachen und Auskünfte über den Fernmeldeverkehr anzufordern. Einzelmaßnahmen setzen tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen von Straftaten gegen die äußere oder innere Sicherheit des Bundes oder eines Landes voraus, die in einem Katalog zusammengefasst sind (§ 3 Abs. 1 G 10); die Maßnahmen können sich gegen den Tatverdächtigen oder gegen Nachrichtenmittler/Kontaktpersonen richten. Neben dieser auf den Einzelfall bezogenen Überwachung ermöglicht das Gesetz dem Bundesnachrichtendienst auch strategische Beschränkungen des internationalen Telekommunikationsverkehrs zur Abklärung von besonderen Gefahrenlagen. Die Überwachung setzt keinen personengebundenen Verdacht voraus; die Erkenntnisse werden mit Hilfe von Suchbegriffen gewonnen. Nach § 2 Abs. 1 G 10 sind geschäftsmäßige Erbringer von Postleistungen und ihre Mitwirkenden zur Auskunft über die näheren Umstände des Postverkehrs und zur Aushändigung von Sendungen verpflichtet. Entsprechende Pflichten treffen die geschäftsmäßigen Erbringer von Telekommunikationsdiensten nach Abs. 1a; ferner müssen sie nach näherer Maßgabe des § 170 TKG die Über-
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BTDrucks. 16/5846 S. 124. BGHSt 26, 298, 303; 31 304; 34 29, 50; NJW 1994 596. § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler § 100a Rdn. 34, § 479 Rdn. 3 ff. BTDrucks. 16/5846 S. 158 f. BGHSt 29 23 mit krit. Anm. Bottke JA 1980 748. Vom 3.11.2005 – BGBl. I S. 3136. BGBl. I S. 1254; dazu Wollweber DuD 2001 734. BVerfGE 100 313 vgl. dazu hier die 11. Auflage Rdn. 53b.
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wachung und Aufzeichnung der Telekommunikation ermöglichen. Sie sind für diese Leistungen zu entschädigen (§ 20 G 10). Weitere Auskunftspflichten der geschäftsmäßigen Erbringer von Postleistungen oder Tele- 79 diensten und damit korrespondierende Auskunftsrechte gegenüber dem Bundeskriminalamt und den Diensten sehen die § 50 BKAG, § 8a BVerfSchG und § 4a MADG vor.
3. Allgemeine Rechtfertigungsgründe Die Rechtfertigungsgründe des allgemeinen Rechts, z.B. Notwehr (§ 32) und rechtfertigender 80 Notstand (§ 34) werden nicht ausdrücklich eingeschränkt. Jedoch bestimmen § 39 Abs. 3 Satz 3 PostG bzw. § 3 Abs. 3 Satz 3 TTDSG, dass „eine Verwendung dieser Kenntnisse für andere Zwecke, insbesondere eine Weitergabe an andere, nur zulässig ist, soweit dieses Gesetz oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich ausdrücklich auf Postsendungen oder Postverkehr/Telekommunikationsvorgänge bezieht“. Daraus wird gefolgert, dass Nothilfe und Notstand als rechtfertigende Befugnisse ausscheiden.225 Dieses Argument könnte indessen allenfalls für die Verwendung von Kenntnissen, nicht aber auch für die Unterdrückung gefährlicher Sendungen durch Vernichtung oder Löschung Geltung beanspruchen. Die in der 11. Auflage erörterte Vernichtung von Postsendungen mit gefährlichem Inhalt226 wäre deshalb bereits unter dem Blickwinkel der allgemeinen Rechtfertigungsgründe zulässig, ohne dass es des § 39 Abs. 4 Nr. 3 PostG bedürfte, der diesen Fall ausdrücklich erfasst. Im Übrigen ist das Postgeheimnis kein Freibrief für die Beteiligung an gefährdenden oder strafbaren Handlungen, mag sie sich auch in „postordnungsgemäßen“ Formen vollziehen. Nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten ist danach etwa das Unterlassen der Beförderung eines Briefs oder einer E-Mail, die einen sofort zu vollziehenden Tötungsbefehl enthält. Aber auch die Weitergabe von Kenntnissen kann im Einzelfall durch die allgemeinen Rechtfertigungsgründe gedeckt sein. Die Gegenmeinung überzeugt nicht: Das einfachrechtliche Zitiergebot der § 39 Abs. 3 PostG, § 3 Abs. 3 TTDSG muss sich ebenso wenig wie das verfassungsrechtliche in Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG auf die Notrechte des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs erstrecken. Die Erwägungen, die der Inanspruchnahme dieser Rechte durch Hoheitsträger bisweilen entgegengehalten werden,227 sind hier schon deshalb nicht einschlägig, weil Post- und Kommunikationsdienstleistungen nicht mehr hoheitlich gewährt, sondern durch private Dienstanbieter auf einem deregulierten Markt erbracht werden. Weder Wortlaut noch Sinn des Gesetzes geben deshalb Anlass, ein rechtspolitisch zweifelhaftes Ergebnis228 in Kauf zu nehmen. Die Gesetzesmaterialien geben zu dieser Frage nichts her.229 Ihnen kann allerdings entnommen werden, dass dem Post- und Fernmeldegeheimnis ein hohes Gewicht einzuräumen ist. Dies hatte bereits das Reichsgericht angenommen;230 bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen wird dem Rechnung zu tragen sein. Im Ergebnis werden die allgemeinen Rechtfertigungsgründe auf besondere Fallgestaltungen zu beschränken sein, die den Rahmen der gesetzlichen Eingriffsmöglichkeiten sprengen.231
225 Altenhain MK Rdn. 71; Kargl NK 47; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 15; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 14; Fischer Rdn. 9, aA Bock Beck-TKG § 88 Rdn. 45.
226 Träger LK11 Rdn. 54. 227 Vgl. Zieschang LK § 34 Rdn. 34 m.w.N. 228 So Fischer Rdn. 9 und wohl auch Sch/Schröder/Lenckner27 Rdn. 14; die Bestrafung eines Bediensteten, der durch die Weiterleitung einer Postsendung ein Verbrechen verhindert, würde in der Öffentlichkeit auf Unverständnis stoßen und müsste den Gesetzgeber auf den Plan rufen. 229 Nach dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition BTDrucks. 13/3609 (dort S. 53) soll die Fassung die Begründung allgemeiner Auskunftspflichten durch den (künftigen?) Gesetzgeber verhindern, ohne dass ein entsprechendes Problembewusstsein besteht. 230 Vgl. RG JW 1928 662. 231 OLG Karlsruhe CR 2005 289 m. zust. Anm. Lejeune. 1025
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Notwehr bzw. Nothilfe im Sinne des § 32 scheiden allerdings aus, wenn der bereits gegenwärtige Angriff nicht mehr verhindert werden kann; die Verhinderung künftiger Angriffe ist nicht Aufgabe der Notwehr. 82 Die im Schrifttum umstrittene Frage, ob die Durchbrechung von Post- oder Fernmeldegeheimnis auf Grund rechtfertigenden Notstandes (§ 34) zulässig sein kann, wenn Straftaten gegen Leib, Leben oder Freiheit von Menschen verhütet werden sollen, ist grundsätzlich zu bejahen und zwar unabhängig davon, ob diese Taten durch den Katalog des § 138 erfasst werden. Vorauszusetzen sind allerdings Straftaten von Gewicht. Zu denken ist etwa an Verbrechenstatbestände wie qualifizierte Freiheitsberaubungen im Sinne des § 239 Abs. 3 oder an das Freisetzen von Giften im Sinne des § 330a. Eingriffe zum Schutz vor (Computer-)Viren können sich auf die Sondervorschriften der §§ 3 Abs. 3 TTDSG, 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TKG stützen.232 Die Frage, ob darüber hinaus eine Durchbrechung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses 83 gerechtfertigt ist, wenn es um die Aufdeckung oder um die Anzeige von Straftaten geht, die bereits durchgeführt wurden und deshalb nicht mehr zu verhindern sind, ist demgegenüber grundsätzlich zu verneinen. Das Grundrecht aus Art. 10 GG schützt auch den, der es für Straftaten missbraucht.233 Für die Strafverfolgungsbehörden enthalten die Vorschriften der StPO einen abschließenden Katalog der Eingriffsbefugnisse; anderen Stellen stehen Eingriffe in dieses Rechtsgut nur in sehr begrenztem – hier nicht einschlägigem – Umfang zu. Die Rechtsprechung ist deshalb davon ausgegangen, dass das Ziel, strafbare Handlungen zur Anzeige zu bringen, die nach § 206 StGB verpflichteten Personen nicht von der Pflicht zur Geheimhaltung entbindet. So durften etwa Postsendungen, die nach Maßgabe des früheren § 6 ZollG dem Zollamt gestellt wurden, auch dann nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden, wenn sie wegen ihres strafrechtlich relevanten Inhalts unanbringlich waren.234 Praktische Relevanz hatte diese Rechtsprechung vor allem bei der Feststellung von illegal eingeführten pornografischen Schriften.235 Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob eine Befugnis zur Anzeige dann besteht, wenn die Ergreifung des Täters zur Verhütung weiterer Taten führen kann.236 Dies wird bei besonders schwerwiegenden Straftaten zu bejahen sein. 81
IX. Die Einwilligung in die Durchbrechung des Post- und Fernmeldegeheimnisses 1. Eingriffe in laufende Kommunikationsvorgänge 84 Ob die Einwilligung bereits den Tatbestand entfallen lässt oder ob es sich um einen Rechtfertigungsgrund handelt, ist streitig;237 es gilt dasselbe wie bei § 203.238 Für die Praxis hat die Frage allenfalls geringe Bedeutung. Das Einverständnis des Versenders mit den Tathandlungen des Abs. 2 wird vielfach das Merkmal des „anvertraut – Seins“ und damit bereits den Tatbestand ausschließen.239 Im Übrigen setzt die Einwilligung240 das Einverständnis aller Träger des jeweils beeinträchtigten Rechtsguts voraus. Eingriffe in das Post- oder Fernmeldegeheimnis betreffen zumeist die Kommunikation zwischen zumindest zwei Personen; wird die Vertraulichkeit eines 232 233 234 235
Heidrich/Tschoepe MMR 2004 79. BVerfGE 85 386, 398. Vgl. BGHSt 23 329 m. Anm. Meyer JR 1971 162. Nunmehr sieht § 12 PostVG eine Befugnis zur Weiterleitung von Postsendungen bei Verdacht eines strafbaren Verstoßes gegen ein Einfuhr-, Ausfuhr- oder Durchfuhrverbot vor. 236 Vgl. Sch/Schröder/Lenckner25 § 354 Rdn. 14. Zur Weitergabe von Erkenntnissen aus einer präventivpolizeilichen Wohnraumüberwachung an die Staatsanwaltschaft vgl. BGH NStZ 1995 601 m. abl. Anm. Welp. 237 Für Tatbestandsausschluss vgl. Altenhain MK Rdn. 43; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 11; aA Hoyer SK Rdn. 39; Kargl NK Rdn. 44. 238 Vgl. Schünemann LK11 § 203 Rdn. 93. 239 Vgl. Härting CR 2007 311, 315. 240 Zur verbrechenssystematischen Einordnung der Einwilligung vgl. Schünemann LK11 § 203 Rdn. 92. Hilgendorf
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§ 206
solchen Kommunikationsvorgangs verletzt, muss das Einverständnis von Absender und Empfänger vorliegen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG gilt das auch dann, wenn einer der Beteiligten den Fernmeldeverkehr zu belästigenden oder strafbaren Zwecken missbraucht. Die Erfassung von Ferngesprächsdaten mittels Zählervergleichseinrichtung und Fangschaltung konnte sich deshalb nicht allein auf die Zustimmung des Angerufenen stützen, sondern hätte auch des Einverständnisses des Anrufers bedurft. Die der damals herrschenden Meinung zuwider laufende Entscheidung des BVerfG241 hat die Streitfrage mit bindender Wirkung entschieden;242 zwischenzeitlich ist dieser Sachverhalt in § 14 TTDSG gesetzlich geregelt. BVerfG 85 386 bezieht sich allerdings nur auf Eingriffe in laufende Telekommunikationsvorgänge; Daten, die beim Empfänger auf Grund eines abgeschlossenen Telekommunikationsvorgangs entstanden sind, stehen nur dem Empfänger zu: Seine Einwilligung in die Einsichtnahme genügt.243 Im Fall des Todes des Empfängers steht die Verfügung über noch nicht beim Provider abgerufene elektronische Post den Erben zu, die in den Providervertrag im Wege der Gesamtrechtsnachfolge eintreten.244
2. Eingriffe im Herrschaftsbereich des Empfängers Die Rechtsprechung des BVerfG bezieht sich allerdings auf einen Eingriff in den laufenden Kom- 85 munikationsvorgang, soweit er dem Fernmeldegeheimnis unterliegt. Verfolgt ein Polizeibeamter mittels eines Zweithörers am Telefon ein Gespräch, so greift er nicht in dieses Geheimnis ein, weil das Abhören außerhalb der Herrschaftssphäre des Telekommunikationsunternehmens erfolgt, die am Endgerät endet. Die Einwilligung des Teilnehmers am Endgerät rechtfertigt deshalb in solchen Fällen das Mithören und die spätere Weitergabe: Im Verhältnis zwischen den Telekommunikationsteilnehmern gilt das Fernmeldegeheimnis nicht und begründet insbesondere keine Ansprüche auf Vertraulichkeit oder Geheimhaltung.245 Mit Einwilligung des Anschlussinhabers (und alleinigen Benutzers) kann das Telekommunikationsunternehmen auch einen Einzelverbindungsnachweis246 über die abgehenden Gespräche an einen Dritten übersenden. Dass die Übersendung zugleich Informationen über eine Vielzahl von Gesprächspartnern enthält und deshalb das Fernmeldegeheimnis im Sinne des Abs. 5 Satz 2 berührt, steht dem nicht entgegen: Über diese Informationen kann der Anschlussinhaber alleine verfügen; er kann deshalb mit rechtfertigender Wirkung in die Weitergabe einwilligen. Entsprechendes wird anzunehmen sein, wenn – bei privater Nutzung einer dienstlichen E-Mail-Adresse – der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gestattet, von der eingehenden elektronischen Post Kenntnis zu nehmen; die Verfügungsbefugnis über die eingegangene Post steht allein dem Empfänger zu.247 Das Schild „keine Werbung“ verbietet es dem zustellenden Unternehmen, Werbesendungen in den damit gekennzeichneten Briefkasten einzuwerfen;248 die Unterdrückung der aussortierten und von der Zustellung ausgenommenen Post ist durch Einwilligung gerechtfertigt. Damit vergleichbar ist der Fall, dass der Inhaber eines Postfachs oder einer ähnlichen Empfangseinrichtung das Postunternehmen bittet, Werbesendungen auszusortieren und zu vernichten.249 Die Unter241 BVerfGE 85 386, vgl. dazu Bach/Kubicek CR 1992 482; Gusy JZ 1992 1018; Kemper ArchPT 1992 59; Sachs JuS 1992 960; Schatzschneider NJW 1993 2029; Schlosser NJW 1992 3275, Schmidt ArchPT 1992 84. 242 Zum früheren Meinungsstand vgl. Träger LK11 Rdn. 57 ff; BayObLGSt 74 30. 243 Härting CR 2007 311, 313. 244 Hoeren NJW 2005 2113, 2114 f. 245 BGHSt 39 335, 340; Sch/Schröder/Eisele Rdn. 12. 246 Vgl. § 11 TTDSG, zur erforderlichen Einwilligung der Mitbenutzer des Anschlusses vgl. OVG Münster NJW 1975 1335 m. Anm. Meyn S. 2358. 247 Vgl. Hanau/Hoeren Private Internetnutzung durch Arbeitnehmer, S. 56 f; aA Hanebeck/Neunhoeffer KommR 2006 112 f, die eine Änderung dieser Rechtslage fordern. 248 VG Stuttgart NJW 1989 1050; zustimmend KG NJW 1990 2142; vgl. auch BGHZ 106 229. 249 Die Post AG bietet diesen Service nicht an; die Frage hat deshalb derzeit keine praktische Bedeutung. 1027
Hilgendorf
§ 206
Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
drückung solcher Sendungen erfüllt zwar den Tatbestand des § 206 Abs. 2 Nr. 3. Die Einwilligung des Inhabers hat aber rechtfertigende Wirkung, weil er alleine entscheiden kann, welche Sendungen er empfangen will und welche nicht, und zwar unabhängig davon, ob (elektronisches) Postfach oder Briefkasten von der Werbeflut betroffen sind.
3. Spamfilter und Virenscanner 86 Die wachsende Flut von unerwünschter elektronischer Post (Spam)250 im Internet hat zur Folge, dass leistungsfähige Abwehrsysteme für eine störungsfreie elektronische Kommunikation unerlässlich sind. Solche Systeme251 sind unproblematisch, wenn sie beim Empfänger betrieben werden,252 weil dieser nicht zum Täterkreis des § 206 gehört; seine Sphäre liegt eindeutig außerhalb des Schutzbereichs des Fernmeldegeheimnisses. Demgegenüber kann die (wesentlich effektivere) Filterung beim E-Mail-Dienstleister, oder – bei betrieblichen Netzen – bei der dem Arbeitgeber zuzurechnenden IT-Stelle den Tatbestand des Unterdrückens im Sinne des Abs. 2 Nr. 2 erfüllen. Einigkeit besteht darüber, dass das Aussondern und Vernichten ohne Einwilligung des Adressaten nicht zulässig ist.253 Von einer mutmaßlichen Einwilligung kann nicht ohne Weiteres ausgegangen werden; eine vertragliche Nebenpflicht, die den E-Mail-Provider zum Ausfiltern von Spam verpflichten würde und die gleichsam ungeschriebener Bestandteil jeder Vereinbarung wäre, besteht derzeit (noch?) nicht.254 Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob das Einverständnis des jeweiligen Empfängers ausreicht, um diesen Eingriff zu rechtfertigen. Ist man bereit, die Rechtsprechung des BVerfG zu Zählervergleichseinrichtungen und Fangschaltungen (BVerfGE 85 386 ff) auf diese Fallgestaltungen zu übertragen, so ist das Blockieren, Umleiten oder Löschen von Nachrichten ohne Einwilligung des Absenders zumindest problematisch