Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar: Band 7 §§ 80-121 [13th newly revised edition] 9783110490008, 9783110488791

Volume 7 includes commentary on the special section of the StGB from parts 1 to 6: treasonable disturbance of the peace,

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German Pages 906 Year 2020

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Verzeichnis der Bearbeiter der 13. Auflage
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Strafgesetzbuch
BESONDERER TEIL
ERSTER ABSCHNITT Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates
Vorbemerkung zum Ersten Abschnitt
ERSTER TITEL Friedensverrat
§ 80 weggefallen
§ 80a Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression
ZWEITER TITEL Hochverrat
§ 81 Hochverrat gegen den Bund
§ 82 Hochverrat gegen ein Land
§ 83 Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens
§ 83a Tätige Reue
DRITTER TITEL Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates
§ 84 Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei
§ 85 Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot
§ 86 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen
§ 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
§ 87 Agententätigkeit zu Sabotagezwecken
§ 88 Verfassungsfeindliche Sabotage
§ 88a weggefallen
§ 89 Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane
§ 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
§ 89b Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
§ 89c Terrorismusfinanzierung
§ 90 Verunglimpfung des Bundespräsidenten
§ 90a Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole
§ 90b Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen
§ 91 Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
§ 91a Anwendungsbereich
VIERTER TITEL Gemeinsame Vorschriften
§ 92 Begriffsbestimmungen
§ 92a Nebenfolgen
§ 92b Einziehung
ZWEITER ABSCHNITT Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit
Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt
§ 93 Begriff des Staatsgeheimnisses
§ 94 Landesverrat
§ 95 Offenbaren von Staatsgeheimnissen
§ 96 Landesverräterische Ausspähung; Auskundschaften von Staatsgeheimnissen
§ 97 Preisgabe von Staatsgeheimnissen
§ 97a Verrat illegaler Geheimnisse
§ 97b Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses
§ 98 Landesverräterische Agententätigkeit
§ 99 Geheimdienstliche Agententätigkeit
§ 100 Friedensgefährdende Beziehungen
§ 100a Landesverräterische Fälschung
§ 101 Nebenfolgen
§ 101a Einziehung
DRITTER ABSCHNITT Straftaten gegen ausländische Staaten
Vorbemerkungen zum Dritten Abschnitt
§ 102 Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten
§ 103 weggefallen
§ 104 Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten
§ 104a Voraussetzungen der Strafverfolgung
VIERTER ABSCHNITT Straftaten gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen
Vorbemerkungen zum Vierten Abschnitt
§ 105 Nötigung von Verfassungsorganen
§ 106 Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans
§ 106a weggefallen
§ 106b Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans
Vorbemerkungen zu den §§ 107 bis 108e
§ 107 Wahlbehinderung
§ 107a Wahlfälschung
§ 107b Fälschung von Wahlunterlagen
§ 107c Verletzung des Wahlgeheimnisses
§ 108 Wählernötigung
§ 108a Wählertäuschung
§ 108b Wählerbestechung
§ 108c Nebenfolgen
§ 108d Geltungsbereich
§ 108e Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern
FÜNFTER ABSCHNITT Straftaten gegen die Landesverteidigung
Vorbemerkungen zum Fünften Abschnitt
§ 109 Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung
§ 109a Wehrpflichtentziehung durch Täuschung
§§ 109b, 109c weggefallen
§ 109d Störpropaganda gegen die Bundeswehr
§ 109e Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln
§ 109f Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst
§ 109g Sicherheitsgefährdendes Abbilden
§ 109h Anwerben für fremden Wehrdienst
§ 109i Nebenfolgen
§ 109j
§ 109k Einziehung
§ 110 weggefallen
§ 111 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten
§ 112 weggefallen
§ 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
§ 114 Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte
§ 115 Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen
§§ 116–119 weggefallen
§ 120 Gefangenenbefreiung
§ 121 Gefangenenmeuterei
§ 122 weggefallen
Sachregister
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Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar: Band 7 §§ 80-121 [13th newly revised edition]
 9783110490008, 9783110488791

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Großkommentare der Praxis

Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar

Großkommentar 13., neu bearbeitete Auflage herausgegeben von Gabriele Cirener, Henning Radtke, Ruth Rissing-van Saan, Thomas Rönnau, Wilhelm Schluckebier

Siebter Band §§ 80 bis 121

Bearbeiter: Vor §§ 80–89, 90–90b, 91a, 92a–92b: Mark Steinsiek §§ 89a–89c, 91, 92: Tobias Engelstätter Vor §§ 93–101a: Christoph Barthe/Wilhelm Schmidt Vor §§ 102–108e: Lienhard Weiß Vor §§ 109–109k: Christoph Coen §§ 110–121: Henning Rosenau Sachregister: Christian Klie

ISBN 978-3-11-048879-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-049000-8 e-ISBN (E-PUB) 978-3-11-048922-4 Library of Congress Control Number 2018965043 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz/Datenkonvertierung: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Verzeichnis der Bearbeiter der 13. Auflage Dr. Philipp Ambach, Chief, Victim Participation and Reparations, Section Registry, International Criminal Court Gerhard Altvater, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof (Abteilungsleiter) a.D., Karlsruhe Elisabeth Baier, LL.M., Rechtsanwältin, Berlin Dr. Christoph Barthe, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Richter am Sondergerichtshof für den Kosovo (Kosovo Specialist Chambers) Dr. Alexander Baur, Juniorprofessor an der Universität Hamburg Dr. Christian Brand, Universität Konstanz Dr. Dominik Brodowski, LL.M. (UPenn), Juniorprofessor an der Universität des Saarlandes Dr. Christoph Burchard, LL.M., Universitätsprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Dr. Jens Bülte, Universitätsprofessor an der Universität Mannheim Gabriele Cirener, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, Leipzig Dr. Christoph Coen, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Dr. h.c. Gerhard Dannecker, Seniorprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Dr. Tobias Engelstätter, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Robert Esser, Universitätsprofessor an der Universität Passau Dr. Julia Gebhard, Legislative Support Officer, OSZE Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (OSZE/ODIHR) Dr. Oliver Harry Gerson, Universität Passau Dr. Ferdinand Gillmeister, Rechtsanwalt, Freiburg, Honorarprofessor an der Universität Bayreuth Dr. Ingke Goeckenjan, Universitätsprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum Dr. Luís Greco, LL.M., Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Anette Greger, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Andreas Grube, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Anette Grünewald, Universitätsprofessorin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Dr. Georg-Friedrich Güntge, Leitender Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig, Honorarprofessor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Dr. Michael Heghmanns, Universitätsprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Vorsitzender Richter am Landgericht Münster Gregor Herb, Vorsitzender Richter am Landgericht Berlin Dr. Mayeul Hiéramente, Rechtsanwalt (Fachanwalt für Strafrecht), Hamburg Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Universitätsprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Dr. Tatjana Hörnle, Universitätsprofessorin an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Kristian Hohn, Privatdozent an der Bucerius Law School Hamburg Dr. Jutta Hubrach, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Florian Jeßberger, Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Johannes Koranyi, Richter am Landgericht Bonn Dr. Peter König, Richter am Bundesgerichtshof, Leipzig, Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Ralf Krack, Universitätsprofessor an der Universität Osnabrück Juliane Krause, Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht, Bamberg Dr. Matthias Krauß, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Christoph Krehl, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Honorarprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Helena Krüger, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Passau Dr. Matthias Krüger, Universitätsprofessor an der Universität München Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel, Universitätsprofessor an der Universität Augsburg

V https://doi.org/10.1515/9783110490008-202

Verzeichnis der Bearbeiter der 13. Auflage

Dr. Hans Kudlich, Universitätsprofessor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Stefanie Küfner, Legal & Policy Officer, HRS, Registry, International Criminal Court Dr. Michael Lindemann, Universitätsprofessor an der Universität Bielefeld Dr. Alexander Linke, Richter am Landgericht Köln Kai Lohse, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Manfred Möhrenschlager, Ministerialrat a.D., Bonn Dr. Andreas Mosbacher, Richter am Bundesgerichtshof, Leipzig, Honorarprofessor an der Universität Leipzig Dr. Svenja Münzner, Lehrbeauftragte an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Uwe Murmann, Universitätsprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen Dr. Nina Nestler, Universitätsprofessorin an der Universität Bayreuth Dr. Jens Peglau, Richter am Oberlandesgericht, Hamm Dr. Andreas Popp, M.A., Universitätsprofessor an der Universität Konstanz Dr. Henning Radtke, Richter des Bundesverfassungsgerichts, Karlsruhe, Honorarprofessor an der Leibniz Universität Hannover Dr. Ruth Rissing-van Saan, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof a.D., Bochum, Honorarprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum Dr. Thomas Rönnau, Universitätsprofessor an der Bucerius Law School Hamburg Dr. Henning Rosenau, Universitätsprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Dr. h.c. Wilhelm Schluckebier, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., Karlsruhe Dr. Wilhelm Schmidt, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Dr. Ursula Schneider, Richterin am Bundesgerichtshof, Leipzig Daniel Scholze, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Dres. h.c. Friedrich-Christian Schroeder, em. Universitätsprofessor an der Universität Regensburg Dr. Dr. h.c. mult. Bernd Schünemann, em. Universitätsprofessor an der Ludwig-MaximiliansUniversität München Dr. Jan C. Schuhr, Universitätsprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Dr. Christoph Sowada, Universitätsprofessor an der Universität Greifswald Dr. Mark Steinsiek, Ministerialrat, Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung Dr. Brian Valerius, Universitätsprofessor an der Universität Bayreuth Dr. Torsten Verrel, Universitätsprofessor an der Universität Bonn Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum, Universitätsprofessor an der Fern-Universität in Hagen Dr. Tonio Walter, Universitätsprofessor an der Universität Regensburg, Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Thomas Weigend, em. Universitätsprofessor an der Universität zu Köln Jochen Weingarten, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Lienhard Weiß, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Gerhard Werle, Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Stefan Wiedner, Richter am Oberlandesgericht Koblenz Dr. Gereon Wolters, Universitätsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum, Mitglied des Verfassungsgerichtshofes für das Land Nordrhein-Westfalen Dr. Frank Zieschang, Universitätsprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Dr. Georg Zimmermann, Vorsitzender Richter am Landgericht Bielefeld Kathrin Zitzelsberger, Universität Passau

VI

Vorwort Der vorliegende Band 7 der 13. Auflage des Leipziger Kommentars, den die Unterzeichnerin im Kreis der Herausgeber als Bandredakteurin betreut hat, enthält Neukommentierungen des ersten bis sechsten Abschnitts des Besonderen Teils, darunter wichtige Teile des Staatsschutzstrafrechts, aber auch die äußerst praxisrelevanten Vorschriften zum Widerstand gegen die Staatsgewalt. Die Materie war Gegenstand mehrerer einschneidender Reformen, was nicht nur die gesellschaftspolitische Aktualität, sondern angesichts der zu Tage getretenen Gefahren für den demokratischen Rechtsstaat auch die gestiegene rechtspraktische Bedeutung der kommentierten Vorschriften unterstreicht. Mit der Neuauflage ist ein fast kompletter Wechsel der Bearbeiter verbunden. Heinrich Wilhelm Laufhütte, Annette Kuschel, Duscha Gmel, Georg Bauer sowie Friedrich-Christian Schroeder wirken nicht mehr mit; ihnen gilt der Dank des Verlags und der Herausgeber. Die Kommentierungen zu §§ 80a–89, 90–90b, § 91a, 92a, 92b sind von Mark Steinsiek umfassend aktualisiert worden; zu den neu eingeführten §§ 89a–89c, 91 sowie zu § 92 hat Tobias Engelstätter eine wegweisende Bearbeitung unter umfassender Aufbereitung der völker-, unions- und verfassungsrechtlichen Einbettung vorgelegt. Die Vorschriften des zweiten Abschnitts (§§ 93–101a) haben Wilhelm Schmid, der bereits an der Vorauflage mitgewirkt hat, und Christoph Barthe in Co-Autorenschaft, die des dritten und vierten Abschnitts (§§ 102–108e) Lienhard Weiß und die des fünften Abschnitts Christoph Coen gründlich überarbeitet. Seinen Erläuterungstext der Vorschriften des sechsten Abschnitts (§§ 111–121), darunter der reformierte § 113 und der neu geschaffene § 114, hat Henning Rosenau neu konzipiert. Dem großen Engagement dieser Bearbeiter ist es zu verdanken, dass auch der Band 7 – wie es dem Anspruch des Gesamtkommentarwerks entspricht – eine erschöpfende Darstellung der Entwicklung und des gegenwärtigen Standes von Rechtsprechung und Literatur bietet. Der Nutzer erhält einen tiefgehenden und wissenschaftlich fundierten Einblick in die Auslegung und Anwendung der Vorschriften und mithin wesentliche Argumentations- und Entscheidungshilfen bei der Beantwortung sämtlicher sich stellender Rechtsfragen zu dieser Materie. Jeder Autor trägt individuell die wissenschaftliche Verantwortung für die jeweiligen Kommentierungen. Der Band hat durchweg den Bearbeitungsstand von Februar 2020. Teils konnte auch noch später erschienene Rechtsprechung und Literatur berücksichtigt werden. Leipzig, im Oktober 2020

VII https://doi.org/10.1515/9783110490008-203

Gabriele Cirener

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Bearbeiter der 13. Auflage Vorwort VII Abkürzungsverzeichnis XIII Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Strafgesetzbuch BESONDERER TEIL

V

XXXV

1 1

ERSTER ABSCHNITT Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates Vorbemerkung zum Ersten Abschnitt 1 ERSTER TITEL Friedensverrat 16 § 80 weggefallen 16 § 80a Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression

1

17

ZWEITER TITEL Hochverrat 23 § 81 Hochverrat gegen den Bund 23 § 82 Hochverrat gegen ein Land 37 § 83 Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens § 83a Tätige Reue 48

40

DRITTER TITEL Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates 52 § 84 Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei 52 § 85 Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot 67 § 86 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen 74 § 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 94 § 87 Agententätigkeit zu Sabotagezwecken 111 § 88 Verfassungsfeindliche Sabotage 121 § 88a weggefallen 126 § 89 Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane 127 § 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat 133 § 89b Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat 223 § 89c Terrorismusfinanzierung 235 § 90 Verunglimpfung des Bundespräsidenten 287 § 90a Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole 294 § 90b Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen 310 § 91 Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat 315 § 91a Anwendungsbereich 338 VIERTER TITEL Gemeinsame Vorschriften 341 § 92 Begriffsbestimmungen § 92a Nebenfolgen 349 IX

341

Inhaltsverzeichnis

§ 92b Einziehung

351

ZWEITER ABSCHNITT Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit 354 Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt 354 § 93 Begriff des Staatsgeheimnisses 384 § 94 Landesverrat 409 § 95 Offenbaren von Staatsgeheimnissen 426 § 96 Landesverräterische Ausspähung; Auskundschaften von Staatsgeheimnissen 431 § 97 Preisgabe von Staatsgeheimnissen 436 § 97a Verrat illegaler Geheimnisse 444 § 97b Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses § 98 Landesverräterische Agententätigkeit 460 § 99 Geheimdienstliche Agententätigkeit 474 § 100 Friedensgefährdende Beziehungen 498 § 100a Landesverräterische Fälschung 505 § 101 Nebenfolgen 512 § 101a Einziehung 514

449

DRITTER ABSCHNITT Straftaten gegen ausländische Staaten 517 Vorbemerkungen zum Dritten Abschnitt 517 § 102 Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten 520 § 103 weggefallen 524 § 104 Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten § 104a Voraussetzungen der Strafverfolgung 529

525

VIERTER ABSCHNITT Straftaten gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen 533 Vorbemerkungen zum Vierten Abschnitt 533 § 105 Nötigung von Verfassungsorganen 534 § 106 Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 548 § 106a weggefallen 552 § 106b Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans 553 § 107 Wahlbehinderung 557 § 107a Wahlfälschung 560 § 107b Fälschung von Wahlunterlagen 565 § 107c Verletzung des Wahlgeheimnisses 568 § 108 Wählernötigung 570 § 108a Wählertäuschung 574 § 108b Wählerbestechung 576 § 108c Nebenfolgen 579 § 108d Geltungsbereich 580 § 108e Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern 581 FÜNFTER ABSCHNITT Straftaten gegen die Landesverteidigung 595 Vorbemerkungen zum Fünften Abschnitt 595 § 109 Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung 598 § 109a Wehrpflichtentziehung durch Täuschung 606 X

Inhaltsverzeichnis

§§ 109b, 109c weggefallen 610 § 109d Störpropaganda gegen die Bundeswehr 611 § 109e Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 616 § 109f Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 622 § 109g Sicherheitsgefährdendes Abbilden 628 § 109h Anwerben für fremden Wehrdienst 633 § 109i Nebenfolgen 636 § 109j weggefallen 637 § 109k Einziehung 638 § 110 weggefallen 640 § 111 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 641 § 112 weggefallen 671 § 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 672 § 114 Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 733 § 115 Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen 742 §§ 116–119 weggefallen 752 § 120 Gefangenenbefreiung 753 § 121 Gefangenenmeuterei 783 § 122 weggefallen 805 Sachregister

XI

807

Abkürzungsverzeichnis AA aA a. a. O. AbfG AbfVerbrG Abg. AbgO abgedr. Abk. abl. ABl. AblEU AblKR Abs. Abschn. abw. AbwAG AcP AdVermiG AE a. E. AEUV ÄndG ÄndVO a. F. AFG AfP AG AGBG/AGB-Gesetz AHK AIDP AktG AktO allg. allg. M. Alt. aM A&M AMG amtl. Begr. and. Angekl. Anh. AnhRügG Anl. Anm. Annalen AnwBl. ao

Auswärtiges Amt anderer Ansicht am angegebenen Ort Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (Abfallgesetz) Gesetz über die Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen (Abfallverbringungsgesetz) Abgeordneter Reichsabgabenordnung abgedruckt Abkommen ablehnend Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Union (ab 2003); Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen; Ausgabe L: Rechtsvorschriften Amtsblatt des Kontrollrats Absatz Abschnitt abweichend Abwasserabgabengesetz Archiv für civilistische Praxis (zit. nach Band u. Seite) Gesetz über die Vermittlung der Annahme als Kind und über das Verbot der Vermittlung von Ersatzmüttern (Adoptionsvermittlungsgesetz) Alternativ-Entwurf eines StGB, 1966 ff. am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Änderungsgesetz Änderungsverordnung alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Archiv für Presserecht Amtsgericht; in Verbindung mit einem Gesetz: Ausführungsgesetz Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Alliierte Hohe Kommission Association Internationale de Droit Pénal Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) Anweisung für die Verwaltung des Schriftguts bei den Geschäftsstellen der Gerichte und der Staatsanwaltschaften (Aktenordnung) allgemein allgemeine Meinung Alternative anderer Meinung Arzneimittel und Recht (Zeitschrift für Arzneimittel und Arzneimittelpolitik) Arzneimittelgesetz amtliche Begründung anders Angeklagte(r) Anhang Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) Anlage Anmerkung Annalen des Reichsgerichts Anwaltsblatt außerordentlich

XIII https://doi.org/10.1515/9783110490008-205

Abkürzungsverzeichnis

AO 1977 AöR AOStrÄndG

Az.

Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Arztrecht Archiv für Kriminologie Archiv für das Post- und Fernmeldewesen Archiv für Presserecht Archiv für Post und Telekommunikation Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Allgemeiner Teil des Strafgesetzbuches Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Auffassung aufgehoben Auflage Aufsatz Arbeit und Recht ausdrücklich ausführlich Ausführungsverordnung ausländisch Ausländergesetz Ausnahmeverordnung ausschließlich Allgemeine Verfügung Angestelltenversicherungsgesetz Außenwirtschaftsgesetz Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze Aktenzeichen

b. BA BAG BAGE BAK BÄK BÄO BAnz. BauFordSiG BauGB BauR Bay. BayBS BayJagdG BayLSG BayObLG BayObLGSt BayPAG BayVBl. BayVerf. BayVerfGHE

bei Blutalkohol, Wissenschaftliche Zeitschrift für die medizinische und die juristische Praxis Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (zit. nach Band u. Seite) Blutalkoholkonzentration Bundesärztekammer Bundesärzteordnung Bundesanzeiger Bauforderungssicherungsgesetz Baugesetzbuch Zeitschrift für das gesamte öffentliche und private Baurecht Bayern, bayerisch Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts (1802–1956) Bayerisches Jagdgesetz Bayerisches Landessozialgericht Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Bayerisches Polizeiaufgabengesetz Bayerische Verwaltungsblätter Verfassung des Freistaates Bayern s. BayVGHE

AP AR ArchKrim. ArchPF ArchPR ArchPT ARSP Art. AT AtG/AtomG AÜG Auff. aufgehob. Aufl. Aufs. AuR ausdrückl. ausführl. AusfVO ausl. AuslG AusnVO ausschl. AV AVG AWG AWG/StÄG

XIV

Abkürzungsverzeichnis

BayVerwBl. BayVGH BayVGHE

BayZ BB BBG Bbg BBodSchG Bd., Bde BDH BDO BDSG Bearb. BeckRS begl. BegleitG zum TKG Begr., begr. Bek. Bekl., bekl. Bem. ber. bes. Beschl. Beschw. Bespr. Best. BestechungsVO bestr. betr. BeurkG BewH BezG BFH BFHE BfJG BG BGB BGBl. I, II, III BGE BGH BGHGrS BGHR BGHSt BGHZ BG Pr. BilMoG BImSchG BImSchVO BinnSchiffG/ BinSchG BiRiLiG BJagdG

XV

Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern (1905–1934) Betriebs-Berater Bundesbeamtengesetz Brandenburg Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten (Bundes-Bodenschutzgesetz) Band, Bände Bundesdisziplinarhof Bundesdisziplinarordnung Bundesdatenschutzgesetz Bearbeitung Beck-Rechtsprechung beglaubigt Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz Begründung, begründet Bekanntmachung Beklagter, beklagt Bemerkung berichtigt besonders, besondere(r, s) Beschluss Beschwerde Besprechung Bestimmung Bestechungsverordnung bestritten betreffend Beurkundungsgesetz Bewährungshilfe Bezirksgericht Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (zit. nach Band u. Seite) Gesetz über die Errichtung des Bundesamtes für Justiz = Art. 1 des Gesetzes zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamtes für Justiz Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I, II und III Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof, Großer Senat BGH-Rechtsprechung Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Die Praxis des Bundesgerichts (Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts) Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundes-Immissionsschutzverordnung Gesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschifffahrt (Binnenschiffahrtsgesetz) Bilanzrichtlinien-Gesetz Bundesjagdgesetz

Abkürzungsverzeichnis

BJM BK BKA BKAG/BKrimAG Bln. Bln.GVBl.Sb. BlStSozArbR Blutalkohol BMI BMJ BNatSchG BNotÄndG BNotO BPolG BR BRAGO BRAK BranntwMG/ BranntwMonG BRAO BRAOÄndG

Basler Juristische Mitteilungen Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch; auch: Bonner Kommentar zum Grundgesetz Bundeskriminalamt Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Bundeskriminalamtes) Berlin Sammlung des bereinigten Berliner Landesrechts, Sonderband I (1806–1945) und II (1945–1967) Blätter für Steuern, Sozialversicherung und Arbeitsrecht Blutalkohol, Wissenschaftliche Zeitschrift für die medizinische und juristische Praxis Bundesminister(ium) des Inneren Bundesminister(ium) der Justiz Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) Drittes Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze Bundesnotarordnung Bundespolizeigesetz Bundesrat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltskammer Branntweinmonopolgesetz

Bundesrechtsanwaltsordnung Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentrechtsanwaltsordnung und anderer Gesetze BRD Bundesrepublik Deutschland BR-Drs./BRDrucks. Bundesrats-Drucksache BReg. Bundesregierung Brem. Bremen BremPolG Bremisches Polizeigesetz BRProt. Protokolle des Bundesrates BRRG Beamtenrechtsrahmengesetz BRStenBer. Verhandlungen des Bundesrates, Stenographische Berichte (zit. nach Sitzung u. Seite) BS Sammlung des bereinigten Landesrechts BSeuchG Bundes-Seuchengesetz BSG Bundessozialgericht BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts (zit. nach Band u. Seite) BSHG Bundessozialhilfegesetz Bsp. Beispiel BStBl. Bundessteuerblatt BT Besonderer Teil des StGB; auch: Bundestag BT-Drs./BTDrucks. Bundestags-Drucksache BtMG Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) BTProt. s. BTVerh. BTRAussch. Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags BTStenBer. Verhandlungen des deutschen Bundestages, Stenographische Berichte (zit. nach Wahlperiode u. Seite) BTVerh. Verhandlungen des Deutschen Bundestages Buchst. Buchstabe BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGG Gesetz über das Bundesverfassungsgericht BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts BVV Beitragsverfahrensverordnung BVwVfG (Bundes-)Verwaltungsverfahrensgesetz BW Baden-Württemberg bzgl. bezüglich BZR Bundeszentralregister

XVI

Abkürzungsverzeichnis

BZRG bzw.

Gesetz über das Bundeszentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz) beziehungsweise

ca. CCZ ChemG CR CWÜAG

circa Corporate Compliance Zeitschrift Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) Computer und Recht AusführungsG zum Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ-AG)

DA DÄBl. dagg. DAR DAV DB DDevR DDR DDT-G DepotG ders./dies. dgl. DGVZ d. h. dies. Diff., diff. Diss. DJ DJT DJZ DMW DNA-AnalysG DNutzG DÖV DOGE DR DRechtsw. DRiB DRiG DRiZ DRM DRpfl. Drs./Drucks. DRsp. DRZ DSB DStR DStrR DStrZ DStZ A dt. DtZ DuD DuR DV DVBl.

Deutschland Archiv Deutsches Ärzteblatt dagegen Deutsches Autorecht Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb Deutsche Devisen-Rundschau (1951–1959) Deutsche Demokratische Republik Gesetz über den Verkehr mit DDT (DDT-Gesetz) Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren (Depotgesetz) derselbe/dieselbe dergleichen Deutsche Gerichtsvollzieher Zeitung das heißt dieselbe(n) Differenzierung, differenzierend Dissertation Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung (1896–1936) Deutsche Medizinische Wochenschrift Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse Gesetz zur effektiven Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften Die Öffentliche Verwaltung Entscheidungen des Deutschen Obergerichts für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Deutsches Recht, Wochenausgabe (vereinigt mit Juristische Wochenschrift) (1931–1945) Deutsche Rechtswissenschaft (1936–1943) Deutscher Richterbund Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Deutsches Recht, Monatsausgabe (vereinigt mit Deutsche Rechtspflege) Deutsche Rechtspflege (1936–1939) Drucksache Deutsche Rechtsprechung, hrsg. von Feuerhake (Loseblattsammlung) Deutsche Rechts-Zeitschrift (1946–1950) Datenschutzberater Deutsches Strafrecht (1934–1944); jetzt: Deutsches Steuerrecht Deutsches Steuerrecht Deutsche Strafrechts-Zeitung (1914–1922) Deutsche Steuerzeitung, bis Jg. 67 (1979): Ausgabe A deutsch Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Datenschutz und Datensicherheit Demokratie und Recht Datenverarbeitung Deutsches Verwaltungsblatt

XVII

Abkürzungsverzeichnis

DVJJ DVO DVollzO DVP DVR DWW DZWIR

Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. Durchführungsverordnung Dienst- und Vollzugsordnung Deutsche Verwaltungspraxis Datenverarbeitung im Recht (bis 1985, danach vereinigt mit IuR) Deutsche Wohnungswirtschaft Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht

E E 1927

Entwurf; auch: Entscheidung Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches nebst Begründung (Reichstagsvorlage) 1927 E 62 Entwurf eines Strafgesetzbuches mit Begründung 1962 EAO Entwurf einer Abgabenordnung ec electronic cash ebd. ebenda EBM Einheitlicher Bewertungsmaßstab ebso. ebenso ed(s) editor(s) EDV Elektronische Datenverarbeitung EEGOWiG Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten EEGStGB Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) EFG Entscheidungen der Finanzgerichte EG Einführungsgesetz bzw. Europäische Gemeinschaft(en) bzw. Erinnerungsgabe EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch EG-FinanzschutzG/ Gesetz zum Übereinkommen v. 26.8.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der EGFinSchG Europäischen Gemeinschaften EGGVG Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz EGH/EhrenGHE Ehrengerichtliche Entscheidungen der Ehrengerichtshöfe der Rechtsanwaltschaft des Bundesgebiets und des Landes Berlin EGInsO Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung EGInsOÄndG Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGOWiG Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten EGStGB Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch EGStPO Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EheG Ehegesetz ehem. ehemalig Einf. Einführung eingeh. eingehend einschl. einschließlich einschr. einschränkend Einl. Einleitung EJF Entscheidungen aus dem Jugend- und Familienrecht (1951–1969) EKMR Europäische Kommission für Menschenrechte EmmingerVO Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege EMRK Europäische Menschenrechtskonvention entgg. entgegen Entsch. Entscheidung entspr. entsprechend Entw. Entwurf Erg. Ergebnis bzw. Ergänzung ErgBd. Ergänzungsband ErgThG Ergotherapeutengesetz Erl. Erläuterung

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

Erw. ESchG EssGespr. EStG etc. Ethik Med. ETS EU EU-ABl EUBestG EuCLR eucrim EuGH EuGHE EuGRZ EuHbG

EuR EurGHMR EurKomMR europ. EuropolG EUV EuZW EV EV I bzw. II evtl. EWG EWGV EWIR EWiV EWR EzSt f., ff. FA FAG FamRZ FAO FAZ FD-StrafR Festschr. FG FGG FGO fin. FinDAG FinVerwG/FVG FlaggRG/FlRG FLF FlRV FMStG

XIX

Erwiderung Embryonenschutzgesetz Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Einkommensteuergesetz et cetera Ethik in der Medizin European Treaty Series Europäische Union Amtsblatt der Europäischen Union Gesetz zum Protokoll v. 27.9.1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EU-Bestechungsgesetz) European Criminal Law Review The European Criminal Law Associations’ Forum Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – Amtliche Sammlung Europäische Grundrechte-Zeitschrift Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) Europarecht Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Kommission für Menschenrechte europäisch Europol-Gesetz Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag Anlage I bzw. II zum EV eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Schriftenreihe zum europäischen Weinrecht; auch: Europäischer Wirtschafts-Raum Entscheidungssammlung zum Straf- u. Ordnungswidrigkeitenrecht, hrsg. von Lemke folgende, fortfolgende Fachanwalt für Arbeitsrecht Gesetz über Fernmeldeanlagen Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachanwaltsordnung Frankfurter Allgemeine Zeitung Fachdienst Strafrecht Festschrift Finanzgericht; auch: Festgabe Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung finanziell Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz Gesetz über die Finanzverwaltung Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz) Finanzierung, Leasing, Factoring Flaggenrechtsverordnung Finanzmarktstabilisierungsgesetz

Abkürzungsverzeichnis

Fn. Forens Psychiatr Psychol Kriminol Fortschr Neurol Psychiat fragl. FS

Fußnote Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie

G bzw. Ges. G 10

Gesetz Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, zit. nach Jahr u. Seite (bis 1933: Archiv für Strafrecht und Strafprozeß, zit. nach Band u. Seite) Geldausgabeautomat Generalbundesanwalt Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts geändert Geburtshilfe und Frauenheilkunde Gedächtnisschrift gemäß Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Generalstaatsanwalt Der Gerichtssaal Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten

GA GAA GBA GBG GBl. GbR geänd. GebFra GedS gem. GemeinsameDateien-Gesetz GenG GenStA GerS GeschlKG/ GeschlkrG GeschO gesetzl. GesO GesR GesRZ GewArch GewO GewVerbrG gg. GG ggf. GjS/GjSM GKG GKÖD gl. GmbHG GmbHR/GmbHRdsch GMBl. GnO GOÄ GoB GoBi grdl. grds. GrS

Fortschritte der Neurologie. Psychiatrie fraglich Festschrift

Geschäftsordnung gesetzlich Gesamtvollstreckungsordnung Gesundheitsrecht (Zeitschrift für Arztrecht, Krankenrecht, Apotheken- und Arzneimittelrecht) Der Gesellschafter Gewerbearchiv, Zeitschrift für Gewerbe- und Wirtschaftsverwaltungsrecht Gewerbeordnung Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung gegen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte Gerichtskostengesetz Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht gleich Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (vorher: Rundschau für GmbH) Gemeinsames Ministerialblatt Gnadenordnung (Landesrecht) Gebührenordnung für Ärzte Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung grundlegend grundsätzlich Großer Senat

XX

Abkürzungsverzeichnis

GrSSt GRUR GS GSNW GSSchlH GÜG GV GVBl. GVBl. I–III GVG GWB GwG h. A. HaagLKO/HLKO HAG Halbs./Hbs. Hamb. HambJVBl HambSOG HannRpfl Hans. HansGZ bzw. HGZ HansJVBl HansOLGSt HansRGZ HansRZ Hdb. HdbStR HeilPrG Hess. HessSOG HESt HFR HGB hins. Hinw. h. L. h. M. HöchstRR HRR HRRS Hrsg. bzw. hrsg. h. Rspr. HWiStR

i. Allg. i. allg. S. i. d. F. i. d. R.

XXI

Großer Senat in Strafsachen Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Der Gerichtssaal (zit. nach Band u. Seite); auch: Gedächtnisschrift Sammlung des bereinigten Landesrechts Nordrhein-Westfalen (1945–1956) Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts, 2 Bde (1963) Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können (Grundstoffüberwachungsgesetz) Gemeinsame Verfügung (mehrerer Ministerien) (auch: Grundlagenvertrag) Gesetz- und Verordnungsblatt Sammlung des bereinigten Hessischen Landesrechts Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz) herrschende Ansicht Haager Abkommen betr. die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs Heimarbeitsgesetz Halbsatz Hamburg Hamburgisches Justizverwaltungsblatt Hamburger Sicherheits- und Ordnungsgesetz Hannoversche Rechtspflege Hanseatisch Hanseatische Gerichtszeitung (1889–1927) Hanseatisches Justizverwaltungsblatt (bis 1946/47) Entscheidungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Strafsachen (1879–1932/33) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift (1928–43), vorher: Hanseatische Rechtszeitschrift für Handel, Schiffahrt und Versicherung, Kolonial- und Auslandsbeziehungen sowie für Hansestädtisches Recht (1918–1927) Handbuch Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) Hessen Hessisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen (1948–49) Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Handelsgesetzbuch hinsichtlich Hinweis herrschende Lehre herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Strafrechts, Beilage zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (1 zu Bd. 46, 2 zu Bd. 47, 3 zu Bd. 48) Höchstrichterliche Rechtsprechung (1928–1942), bis 1927: Die Rechtsprechung, Beilage zur Zeitschrift Juristische Rundschau Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Herausgeber bzw. herausgegeben herrschende Rechtsprechung Krekeler/Tiedemann/Ulsenheimer/Weinmann (Hrsg.) Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts im Allgemeinen im allgemeinen Sinne in der Fassung in der Regel

Abkürzungsverzeichnis

i. d. S. i. E./i. Erg. i. e. S. IGH i. gl. S. i. Grds. IHK i. H. v. ILC ILM IM IMT inl. insb./insbes. insges. InsO IntBestG inzw. IPBPR i. R. d. i. R. v. i. S. i. S. d. i. S. e. IStGH IStGH-Statut IStR i. S. v. i. techn. S. ITRB i. U. i. Üb. IuKDG IuR i. V. m. i. W. i. w. S. i. Z. m. JA JahrbÖR JahrbPostw. JA-R JAVollzO JBeitrO JBl. JBlRhPf. JBl Saar JbVerkR jew. JFGErg.

JGG JK

in diesem Sinne im Ergebnis im engeren Sinne Internationaler Gerichtshof im gleichen Sinne im Grundsatz Industrie- und Handelskammer in Höhe von International Law Commission International Legal Materials Innenminister(ium) International Military Tribunal (Nürnberg) inländisch insbesondere insgesamt Insolvenzordnung Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung inzwischen Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Rahmen der/des im Rahmen von im Sinne im Sinne der/des im Sinne einer(s) (ständiger) Internationaler Strafgerichtshof (Den Haag) Internationaler Strafgerichtshof – Statut Internationales Strafrecht im Sinne von im technischen Sinne IT-Rechtsberater im Unterschied im Übrigen Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (Informations- und Kommunikationsdienstegesetz) Informatik und Recht in Verbindung mit im Wesentlichen im weiteren Sinne im Zusammenhang mit Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahrbuch des Postwesens (1937–1941/42) Juristische Arbeitsblätter – Rechtsprechung Jugendarrestvollzugsordnung Justizbeitreibungsordnung Justizblatt; auch: Juristische Blätter (Österreich) Justizblatt Rheinland-Pfalz Justizblatt des Saarlandes Jahrbuch Verkehrsrecht jeweils Entscheidungen des Kammergerichts und des Oberlandesgerichts München in Kosten-, Straf-, Miet- und Pachtschutzsachen (= Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts, ErgBd.) Jugendgerichtsgesetz Jura-Kartei

XXII

Abkürzungsverzeichnis

JKomG JM JMBlNRW/JMBlNW JÖSchG JOR JöR JR JRE JSt JStGH JStGH-Statut 1. JuMoG 2. JuMoG JurA Jura JurBl./JBl. juris jurisPR JurJahrb. JurPC JuS Justiz JuV JVA JVBl. JVKostO JVollz. JW JWG JZ JZ-GD Kap. KastG/KastrG KE KFG Kfz. KG KGJ KindRG KJ KKZ KO KOM KorBekG/ KorrBekG/ KorrBG K&R KRABl. KreditwesenG/ KWG KRG KriegswaffKG/ KWKG

XXIII

Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz) Justizminister(ium) Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit Jahrbuch für Ostrecht Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Jahrbuch für Recht und Ethik Journal für Strafrecht Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien – Statut Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) Zweites Gesetz zur Modernisierung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz) Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristische Blätter Rechtsportal der juris-GmbH juris-Praxis-Report (Anmerkungen) Juristen-Jahrbuch Internet-Zeitschrift für Rechtsinformatik und Informationsrecht Juristische Schulung, Zeitschrift für Studium und Ausbildung Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums von Baden-Württemberg Justiz und Verwaltung Justizvollzugsanstalt Justizverwaltungsblatt Gesetz über Kosten im Bereich der Justizverwaltung Jugendstrafvollzugsordnung; s. auch JAVollzO Juristische Wochenschrift Jugendwohlfahrtsgesetz Juristenzeitung Juristenzeitung – Gesetzgebungsdienst Kapitel Gesetz über die freiwillige Kastration Kommissionsentwurf Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen Kraftfahrzeug Kammergericht bzw. Kommanditgesellschaft Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen (1881–1922) Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts Kritische Justiz Kommunal-Kassen-Zeitschrift Konkursordnung (EU-)Kommission Gesetz zur Bekämpfung der Korruption

Kommunikation und Recht s. ABlKR Gesetz über das Kreditwesen Kontrollratsgesetz Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen

Abkürzungsverzeichnis

KrimAbh. KrimGwFr Kriminalistik KrimJournal KriPoZ krit. KritJ/Krit. Justiz KritV/KritVj KrW-/AbfG KTS KunstUrhG/KUrhG KuT KuV/k+v/K+V KWG LegPer. Lfg. LFGB LG lit. Lit. LKRZ LM LMBG LPG LPK LRA LRE LS lt. LT Ltd. LuftSiG LuftVG LuftVO/LuftVVO LuftVZO LVerf. LVwG SH LZ m. m. Anm. Mat. m. a. W. m. Bespr. MdB MdL MDR MDStV MedR MedSach MEPolG

Kriminalistische Abhandlungen, hrsg. von Exner Kriminologische Gegenwartsfragen (zit. nach Band u. Seite) Kriminalistik, Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis Kriminologisches Journal Kriminalpolitische Zeitschrift kritisch Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz) Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen (jetzt: Zeitschrift für Insolvenzrecht) Kunsturhebergesetz Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Kraftfahrt und Verkehrsrecht, Zeitschrift der Akademie für Verkehrswissenschaft, Hamburg s. KreditwesenG Legislaturperiode Lieferung Lebens- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht littera (Buchstabe) Literatur Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. v. Lindenmaier/Möhring u. a. (zit. nach Paragraph und Nummer) Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz) Landespressegesetz Lehr- und Praxiskommentar Landratsamt Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen Leitsatz laut Landtag Limited (Private company limited by shares) Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben (Luftsicherheitsgesetz) Luftverkehrgesetz Verordnung über den Luftverkehr Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung Landesverfassung Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907–1933) mit mit Anmerkung Materialien zur Strafrechtsreform (1954); Band I: Gutachten der Strafrechtslehrer; Band II: Rechtsvergleichende Arbeiten mit anderen Worten mit Besprechung Mitglied des Bundestages Mitglied des Landtages Monatsschrift für Deutsches Recht Staatsvertrag über Mediendienste Medizinrecht Der Medizinische Sachverständige Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

MfS mit Nachw. MiStra missverst. Mitt. MittIKV MK m. krit. Anm. MMR MMW MoMiG MRG MschrKrim./ MonKrim. MschrKrimBiol/ MonKrimBiol. MschrKrimPsych/ MonKrimPsych. MStGO m. w. N. m. zust./abl. Anm.

Ministerium für Staatssicherheit mit Nachweisen Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen missverständlich Mitteilung Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (1889–1914; 1926–1933) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch mit kritischer Anmerkung (von) MultiMedia und Recht Münchner Medizinische Wochenschrift Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Militärregierungsgesetz Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform

Nachtr. Nachw. NATO-Truppenstatut/NTS Nds. NdsRpfl./Nds.Rpfl NdsSOG NEhelG n. F. Niederschr./ Niederschriften Nieders.GVBl. (Sb. I, II) NJ NJOZ NJW NJW-CoR NJW-RR NK NKrimP NPA Nr.(n) NRW NStE NStZ NStZ-RR NuR NVwZ NWB NWVBl NZA NZA-RR NZBau NZG

Nachtrag Nachweis Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags v. 19.6.1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO-Truppenstatut) Niedersachsen Niedersächsische Rechtspflege Niedersächsisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz Gesetz über die Rechtsstellung der nichtehelichen Kinder neue Fassung Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission

XXV

Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (1904/05–1936) Militärstrafgerichtsordnung mit weiteren Nachweisen mit zustimmender/ablehnender Anmerkung

Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Sonderband I und II, Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts Neue Justiz Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Computerreport der Neuen Juristischen Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch Neue Kriminalpolitik Neues Polizei-Archiv Nummer(n) Nordrhein-Westfalen Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht, hrsg. von Rebmann, Dahs und Miebach Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Wirtschaftsbriefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA-Rechtsprechungsreport Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

Abkürzungsverzeichnis

NZI NZM NZS NZV NZWehrr/NZWehrR NZWiSt

Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Neue Zeitschrift für Wehrrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht

o. o. ä. ob. dict. OBGer öffentl. OECD ÖJZ/ÖstJZ Öst OGH

oben oder ähnlich obiter dictum Obergericht (Schweizer Kantone) öffentlich Organisation for Economic Cooperation and Development Österreichische Juristenzeitung Österreichischer Oberster Gerichtshof; ohne Zusatz: Entscheidung des Öst OGH in Strafsachen (zit. nach Band und Seite) oben genannt Oberstes Gericht der DDR Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen (1949/50) Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- u. Strafverfahrensrecht (zit. nach Paragraph u. Seite, n. F. nach Paragraph u. Nummer) Obligationenrecht (Schweiz) ohne Rechnung Organisierte Kriminalität Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

o. g. OG OGDDR OGH OGHBrZ OGHSt OHG OLG OLGSt OR o. R. OrgK OrgKG OrgKVerbG OVG OWiG PartG PartGG PatG PAuswG PersV PflanzenSchG/ PflSchG PharmR PHI PIF PIN PlProt. PolG polit. Polizei PolV/PolVO PostG PostO Pr. PrG PrGS

Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Patentgesetz Gesetz über Personalausweise Die Personalverwaltung Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz) PharmaRecht Produkthaftpflicht International Protection des Intérêts Financiers (EU) Personal Identification Number Plenarprotokoll Polizeigesetz politisch Die Polizei (seit 1955: Die Polizei – Polizeipraxis) Polizeiverordnung Gesetz über das Postwesen (Postgesetz) Postordnung Preußen Pressegesetz Preußische Gesetzessammlung (1810–1945)

XXVI

Abkürzungsverzeichnis

ProdSG Prot. Prot. BT-RA Pr. OT PrOVG PrPVG PrZeugnVerwG PStG PStR psych. PsychThG PTV PVT

Produktsicherheitsgesetz Protokolle über die Sitzungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform Protokolle des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (zit. nach Nummern) Preußisches Obertribunal Preußisches Oberverwaltungsgericht Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk Personenstandsgesetz Praxis Steuerstrafrecht psychisch Gesetz über die Berufe des psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Psychotherapeutengesetz) Polizei, Technik, Verkehr Polizei, Verkehr und Technik

qualif.

qualifizierend

R RabgO/RAO RAussch. RBerG RdA RdErl. RdJB RdK

Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (zit. nach Band u. Seite) Reichsabgabenordnung Rechtsausschuss Gesetz zur Verhütung von Mißbrauch auf dem Gebiet der Rechtsberatung Recht der Arbeit Runderlass Recht der Jugend und des Bildungswesens Das Recht des Kraftfahrers, Unabhängige Monatsschrift des Kraftverkehrsrechts (1926–43, 1949–55) Randnummer Rundschreiben Entscheidungen des Reichsdienststrafhofs (1939–41) Reichsdienststrafordnung Recht der Datenverarbeitung Das Recht, begründet von Soergel (1897–1944) Rechtsmedizin rechtspolitisch Rechtstheorie rechtsvergleichend Referentenentwurf Regierung Regierungsblatt relativ Rundfunkstaatsvertrag Reichsgericht Reichsgesetzblatt, von 1922–1945 Teil I und Teil II Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (1879–1888) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechnungshofgesetz Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen Rheinland-Pfalz Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts – Richtlinien gem. § 177 Abs. 2 Satz 2 BRAO Revue internationale de droit pénal Richtlinien der Landesjustizverwaltungen zum Jugendgerichtsgesetz Gemeinsame Anordnung über die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und über die Zusammenarbeit mit den Verwaltungsbehörden Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Richtlinien für den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten

Rdn. Rdschr./RdSchr. RDStH RDStO RDV Recht RechtsM rechtspol. RechtsTh rechtsvergl. RefE Reg. RegBl. rel. RfStV RG RGBl., RGBl. I, II RGRspr. RGSt RGZ RHG RHilfeG/RHG RhPf. RiAA RIDP RiJGG RiOWiG RiStBV RiVASt

XXVII

Abkürzungsverzeichnis

RIW RJagdG RKG/RKnappschG RKGE RMBl. RMG/RMilGE RöntgVO/RöV ROW R&P Rpfleger RpflG RPostG Rspr. RStGB RStGH RStGH-Statut RT RTDrucks. RTVerh. RuP RVG RVO

Recht der Internationalen Wirtschaft Reichsjagdgesetz Reichsknappschaftsgesetz Entscheidungen des Reichskriegsgerichts Reichsministerialblatt, Zentralblatt für das Deutsche Reich (1923–45) Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts (zit. nach Band u. Seite) Röntgenverordnung Recht in Ost und West. Zeitschrift für Rechtsvergleichung und interzonale Rechtsprobleme Recht und Psychiatrie Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Reichspostgesetz Rechtsprechung Reichsstrafgesetzbuch Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda – Statut Reichstag Drucksachen des Reichstages Verhandlungen des Reichstages Recht und Politik. Vierteljahreshefte für Rechts- und Verwaltungspolitik Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Reichsversicherungsordnung

s. S. s. a. SA SaarPolG SaarRZ SaBremR SächsArch.

siehe Seite oder Satz siehe auch Sonderausschuss für die Strafrechtsreform Saarländisches Polizeigesetz Saarländische Rechts- und Steuerzeitschrift Sammlung des bremischen Rechts (1964) Sächsisches Archiv für Rechtspflege, seit 1924 (bis 1941/42), Archiv für Rechtspflege in Sachsen, Thüringen und Anhalt SächsOLG Annalen des Sächsischen Oberlandesgerichts zu Dresden (1880–1920) SächsPolG Sächsisches Polizeigesetz Sarl Societé à responsabilité limitée SchAZtg Schiedsamts-Zeitung ScheckG/SchG Scheckgesetz SchiedsmZ Schiedsmannszeitung (1926–1945), seit 1950 Der Schiedsmann SchKG Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz) SchlH Schleswig-Holstein SchlHA Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schriften der MGH Schriften der Monumenta Germanicae Historica SchwangUG (DDR-)Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft SchwarzArbG Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz schweiz. schweizerisch SchwJZ Schweizerische Juristen-Zeitung SchwZStr. Schweizer Zeitschrift für Strafrecht SeeArbG Seearbeitsgesetz SeemannsG Seemannsgesetz SeeRÜbk./SRÜ Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen; Vertragsgesetz Sen. Senat SeuffBl. Seufferts Blätter für Rechtsanwendung (1836–1913) SexualdelikteBekG Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten (Sexualdeliktebekämpfungsgesetz)

XXVIII

Abkürzungsverzeichnis

SFHÄndG SFHG

SG/SoldatG SGB I, III, IV, V, VIII, X, XI

SGb. SGG SGV.NW SichVG SJZ SK Slg. s. o. sog. Sonderausschuss SortenSchG SozVers spez. SprengG/ SprengstoffG SpuRT SSt StA StaatsGH StaatsschStrafsG StÄG StAZ StB StenB/StenBer StGB StPO str. StrAbh. StRÄndG

StraffreiheitsG/ StrFG

XXIX

Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz) Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten I: Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil III: Sozialgesetzbuch, Arbeitsförderung IV: Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung V: Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung VIII: Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe X: Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren, Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehung zu Dritten XI: Soziale Pflegeversicherung Sozialgerichtsbarkeit Sozialgerichtsgesetz Sammlung des bereinigten Gesetz- und Verordnungsblatts für das Land Nordrhein-Westfalen (Loseblattsammlung) Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung Süddeutsche Juristen-Zeitung (1946–50), dann Juristenzeitung Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Sammlung der Rechtsprechung des EuGH siehe oben sogenannt(e) Sonderausschuss des Bundestages für die Strafrechtsreform, Niederschriften zitiert nach Wahlperiode und Sitzung Gesetz über den Schutz von Pflanzensorten (Sortenschutzgesetz) Die Sozialversicherung speziell Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz) Zeitschrift für Sport und Recht Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten Staatsanwalt(schaft) Staatsgerichtshof Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen s. StRÄndG Das Standesamt, Zeitschrift für Standesamtswesen, Personenstandsrecht, Ehe- u. Kindschaftsrecht, Staatsangehörigkeitsrecht Der Steuerberater Stenographischer Bericht Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung streitig, strittig Strafrechtliche Abhandlungen Strafrechtsänderungsgesetz (1. vom 30.8.1951) 18. ~ – Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 27. ~ – Kinderpornographie 28. ~ – Abgeordnetenbestechung 31. ~ – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 37. ~ – §§ 180b, 181 StGB 40. ~ – Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen 41. ~ – Bekämpfung der Computerkriminalität 42. ~ – Anhebung der Höchstgrenze des Tagessatzes bei Geldstrafen Gesetz über Straffreiheit

Abkürzungsverzeichnis

StraFo strafr. StrafrAbh. StraßVerkSichG StrEG StREG StrlSchuV/ StrlSchVO StRR StrRG st. Rspr. StS StuR StV/StrVert. StVE StVG StVGÄndG StVj/StVJ StVK StVO StVollstrO StVollzÄndG StVollzG StVollzK 1. StVRG 1. StVRErgG StVZO s. u. SubvG SV TDG TerrorBekG TerrorBekErgG ThürPAG TierschG/ TierschutzG Tit. TKG TPG TV Tz. u. u. a. u. ä. u. a. m. UdG Üb. Übereink./Übk. ÜbergangsAO

Strafverteidigerforum strafrechtlich Strafrechtliche Abhandlungen, hrsg. von Bennecke, dann von Beling, v. Lilienthal und Schoetensack 1. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs (Straßenverkehrssicherungsgesetz – StraßenVSichG) Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum 5. StrRG (Strafrechtsreformergänzungsgesetz) Strahlenschutzverordnung Strafrechtsreport Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. ~, 2. ~, … 6. ~) ständige Rechtsprechung Strafsenat Staat und Recht Strafverteidiger Straßenverkehrsentscheidungen, hrsg. von Cramer, Berz, Gontard, Loseblattsammlung (zit. nach Paragraph u. Nummer) Straßenverkehrsgesetz Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze Steuerliche Vierteljahresschrift Strafvollstreckungskammer Straßenverkehrsordnung Strafvollstreckungsordnung Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Strafvollzugsgesetz) Blätter für Strafvollzugskunde (Beilage zur Zeitschrift „Der Vollzugsdienst“) Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts Erstes Gesetz zur Ergänzung des 1. StVRG Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung siehe unten Subventionsgesetz Sachverhalt Gesetz über die Nutzung von Telediensten Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz) Thüringisches Polizeiaufgabengesetz Tierschutzgesetz Titel Telekommunikationsgesetz Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz) Truppenvertrag Textziffer, -zahl unten (auch: und) unter anderem (auch: andere) und ähnliche und anderes mehr Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Überblick; Übersicht Übereinkommen Übergangsanordnung

XXX

Abkürzungsverzeichnis

ü. M. UFITA UG U-Haft UMAG umstr. UmwRG UNO UNTS unv. UPR UrhG UStG usw. UTR u. U. UVNVAG UWG UZwG UZwGBw

v. VAE VAG v. A. w. VBlBW VD VDA bzw. VDB VE VerbrBekG VerbringungsG/ VerbG VereinfVO

VereinhG VereinsG VerfGH VerglO Verh. VerjährG

VerkMitt./VM VerkProspektG vermitt.

XXXI

überwiegende Meinung Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Unternehmergesellschaft Untersuchungshaft Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts umstritten Umweltrahmengesetz der DDR United Nations Organization (Vereinte Nationen) United Nations Treaty Series unveröffentlicht Umwelt- und Planungsrecht Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Umsatzsteuergesetz und so weiter Umwelt- und Technikrecht, Schriftenreihe des Instituts für Umwelt- und Technikrecht der Universität Trier, hrsg. von Rüdiger Breuer u. a. unter Umständen Ausführungsgesetz v. 23.7.1998 (BGBl. I S. 1882) zu dem Vertrag v. 24.9.1996 über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen – Zustimmungsgesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen von, vom Verkehrsrechtliche Abhandlungen und Entscheidungen Versicherungsaufsichtsgesetz von Amts wegen Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verkehrsdienst Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner bzw. Besonderer Teil Vorentwurf Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze (Verbrechensbekämpfungsgesetz) Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote Vereinfachungsverordnung 1. ~ – VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und Rechtspflege 2. ~ – VO zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege 3. ~ – Dritte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege 4. ~ – Vierte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten 2. VerjährG – Gesetz zur Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 27.9.1993 3. VerjährG – Gesetz zur weiteren Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 22.12.1997 Verkehrsrechtliche Mitteilungen Wertpapiere-Verkaufsprospektgesetz vermittelnd

Abkürzungsverzeichnis

VerpflG VerschG VersG VersR VerwArch. VG VGH vgl. Vhdlgen VJZ VN VN-Satzung VO VOBl. VOR Voraufl. Vorbem. VorE vorgen. VRS VStGB VVDStRL VVG VwBlBW VwGO VwVfG VwVG VwZG WaffG/WaffenG Warn./WarnRspr WBl WDO WehrpflG WeimVerf./WV WeinG weitergeh. WHG WiB 1. WiKG 2. WiKG WissR WiStG wistra WiVerw WK WM w. N. b. WoÜbG WuM WPg

Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) i. d. F. v. Art. 42 EGStGB Verschollenheitsgesetz Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche s. Verh. Zeitschrift für Vermögems- und Immobilienrecht Vereinte Nationen Satzung der Vereinten Nationen Verordnung Verordnungsblatt Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht Vorauflage Vorbemerkung Vorentwurf vorgenannt Verkehrsrechts-Sammlung, Entscheidungen aus allen Gebieten des Verkehrsrechts Völkerstrafgesetzbuch Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer (zit. nach Heft u. Seite) Gesetz über den Versicherungsvertrag Verwaltungsblätter Baden-Württemberg Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Waffengesetz Sammlung zivilrechtlicher Entscheidungen des RG, hrsg. von Warneyer (zit. nach Jahr und Nummer) Wirtschaftsrechtliche Blätter (Österreich) Wehrdisziplinarordnung Wehrpflichtgesetz Verfassung des Deutschen Reichs (sog. „Weimarer Verfassung“) Weingesetz weitergehend Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz) Wirtschaftsrechtliche Beratung 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Wissenschaftsrecht Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954) Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht, dann: Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wirtschaft und Verwaltung Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch Wertpapier-Mitteilungen weitere Nachweise bei Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 (akustische Wohnraumüberwachung) v. 24.6.2005 Wohnungswirtschaft und Mietrecht Die Wirtschaftsprüfung

XXXII

Abkürzungsverzeichnis

WpHG WRP WStG WZG

Gesetz über Wertpapierhandel Wettbewerb in Recht und Praxis Wehrstrafgesetz Warenzeichengesetz

z. (Z) ZAG ZahlVGJG ZAkDR ZaöRV z. B. ZBB ZbernJV/ZBJV ZBl. f. Verk. Med. ZDG ZfB ZfBR Z. f. d. ges. Sachverst.wesen ZFIS ZfJ ZfL ZfRV ZfS/ZfSch ZfStrVo ZfW ZfWG ZfZ ZG ZGR ZHR Zif./Ziff. ZInsO ZIP ZIS zit. ZJS ZMR ZNER ZollG ZParl ZPO ZRP ZSchwR ZStW z. T. ZUM zusf. zust. ZustErgG

zur, zum Entscheidung in Zivilsachen Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz Gesetz über den Zahlungsverkehr mit Gerichten und Justizbehörden Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (1934–1944) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zentralblatt für Verkehrsmedizin, Verkehrspsychologie, Luft- und Raumfahrtmedizin Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für Binnenschifffahrt und Wasserstraßen Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zeitschrift für das gesamte Sachverständigenwesen

ZustG ZustVO zutr.

XXXIII

Zeitschrift für innere Sicherheit Zentralblatt für Jugendrecht Zeitschrift für Lebensrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe Zeitschrift für Wasserrecht Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, begr. v. Goldschmidt Ziffer(n) Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für Neues Energierecht Zollgesetz Zeitschrift für Parlamentsfragen Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht/Film und Recht zusammenfassend zustimmend Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts (Zuständigkeitsergänzungsgesetz) Zustimmungsgesetz Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften zutreffend

Abkürzungsverzeichnis

z. V. b. ZVG ZVS zw. ZWehrR ZWH z. Z. ZZP

zur Veröffentlichung bestimmt Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) Zeitschrift für Verkehrssicherheit zweifelhaft (auch: zweifelnd) Zeitschrift für Wehrrecht (1936/37–1944) Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen zur Zeit Zeitschrift für Zivilprozess

XXXIV

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Das Schrifttum zum Kernstrafrecht sowie sämtliche strafrechtlich relevanten Festschriften und vergleichbare Werke finden sich unter 1. Es folgt in alphabetischer Reihenfolge das Schrifttum zum Nebenstrafrecht und zu nichtstrafrechtlichen Gebieten: 2. Betäubungsmittelstrafrecht, 3. Bürgerliches Recht einschließlich Versicherungsrecht, 4. DDR-Strafrecht, 5. Europäisches Recht, 6. Handelsrecht einschließlich Bilanz- und Gesellschaftsrecht, 7. Jugendstrafrecht, 8. Kriminologie, 9. Ordnungswidrigkeitenrecht, 10. Presserecht, 11. Rechtshilfe, 12. Rechtsmedizin und Medizinstrafrecht, 13. Strafprozess- und Strafvollzugsrecht, 14. Straßenverkehrsrecht, 15. Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 16. Wettbewerbs- und Kartellrecht, 17. Wirtschaftsund Steuerstrafrecht, 18. Zivilprozess- und Insolvenzrecht, 19. Sonstiges (einschließlich Arbeitsund Sozialrecht, Völkerrecht und Waffenrecht).

1. Strafrecht (StGB) und Festschriften Zitier-Abk. AK Ambos AnwK Appel Arzt/Weber/Heinrich/ Hilgendorf BT v. Bar Baumann Baumann/Weber/Mitsch/ Eisele BeckOK

Werk Kommentar zum Strafgesetzbuch – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, Bd. 1 (1990), Bd. 3 (1986) Internationales Strafrecht, 5. Aufl. (2018) AnwaltKommentar StGB, hrsg. v. Leipold/Tsambikakis/Zöller, 2. Aufl. (2015) Verfassung und Strafe (1998) Strafrecht, Besonderer Teil, Lehrbuch, 3. Aufl. (2015) Gesetz und Schuld im Strafrecht, 1. Bd. (1906), 2. Bd. (1907), 3. Bd. (1909) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (1975) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 12. Aufl. (2016)

Beck’scher Online-Kommentar StGB, hrsg. v. von Heintschel-Heinegg, 44. Edition (2019) Beling Die Lehre vom Verbrechen (1906) Beulke-Symposion Strafverteidigung – Grundlagen und Stolpersteine, Symposion für Werner Beulke, hrsg. v. Engländer/Fahl/Satzger/Swoboda (2012) Binding, Grundriß Grundriß des Deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (1913) Binding, Handbuch Handbuch des Strafrechts (1885) Binding, Lehrbuch I, II Lehrbuch des gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, 2. Aufl. Bd. 1 (1902), Bd. 2 (1904/05) Binding, Normen Die Normen und ihre Übertretung, 2. Aufl., 4 Bände (1890–1919) BK Basler Kommentar Strafrecht I und II, hrsg. von Niggli/Wiprächtiger, 4. Aufl. (2019) (s. aber auch 15. Verfassungsrecht) Blei I, II Strafrecht I, Allgemeiner Teil, 18. Aufl. (1983); Strafrecht II, Besonderer Teil, 12. Aufl. (1983) Bochumer Erläuterungen Bochumer Erläuterungen zum 6. Strafrechtsreformgesetz, hrsg. v. Schlüchter (1998) Bockelmann BT 1, 2, 3 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. (1982); Bd. 2: Delikte gegen die Person (1977); Bd. 3: Ausgewählte Delikte gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit (1980) Bockelmann/Volk Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (1987) Bringewat Grundbegriffe des Strafrechts, 3. Aufl. (2018) Bruns, Strafzumessungsrecht Strafzumessungsrecht: Gesamtdarstellung, 2. Aufl. (1974) Bruns, Reflexionen Neues Strafzumessungsrecht? „Reflexionen“ über eine geforderte Umgestaltung (1988) Bruns/Güntge Das Recht der Strafzumessung, 3. Aufl. (2018) Burgstaller Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht (1974) Coimbra-Symposium s. Schünemann/de Figueiredo Dias

XXXV https://doi.org/10.1515/9783110490008-206

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Dahs Dalcke/Fuhrmann/Schäfer Dölling/Duttge/König/ Rössner Ebert

Handbuch des Strafverteidigers, 8. Aufl. (2015) Strafrecht und Strafverfahren, 37. Aufl. (1961) s. HK-GS

Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege: Beiträge anläßlich eines Symposiums zum 60. Geburtstag von E. W. Hanack, hrsg. v. Ebert (1991) Ebert AT Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (2001) Einführung 6. StrRG Einführung in das 6. Strafrechtsreformgesetz (1998) (bearb. v. Dencker u. a.) Eisele BT 1, BT 2 Strafrecht – Besonderer Teil I: Straftaten gegen die Person und die Allgemeinheit, 5. Aufl. (2019); Strafrecht – Besonderer Teil II: Eigentumsdelikte, Vermögensdelikte und Urkundendelikte, 5. Aufl. (2019) Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze, Loseblattausgabe, 226 Lfg. (August 2019) Erinnerungsgabe Grünhut Erinnerungsgabe für Max Grünhut (1965) Eser et al., Rechtfertigung und Rechtfertigung und Entschuldigung: rechtsvergleichende Perspektiven. Beiträge aus Entschuldigung I–IV dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Bd. 1, hrsg. v. Eser/Fletcher (1987); Bd. 2, hrsg. v. Eser/Fletcher (1988); Bd. 3: Deutsch-ItalienischPortugiesisch-Spanisches Strafrechtskolloquium 1990 in Freiburg, hrsg. v. Eser/ Perron (1991); Bd. 4: Ostasiatisch-Deutsches Strafrechtskolloquium 1993 in Tokio, hrsg. v. Eser/Nishihara (1995) Festgabe BGH 25 25 Jahre Bundesgerichtshof Festgabe BGH 50 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band IV: Straf- und Strafprozeßrecht (2000) Festgabe Frank Festgabe für Reinhard von Frank zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1930) Festgabe Graßhoff Der verfasste Rechtsstaat, Festgabe für Karin Graßhoff (1998) Festgabe Kern Festgabe für Eduard Kern zum 70. Geburtstag (1957) Festgabe Paulus Festgabe für Rainer Paulus zum 70. Geburtstag (2009) Festgabe Peters Wahrheit und Gerechtigkeit im Strafverfahren: Festgabe für Karl Peters aus Anlaß seines 80. Geburtstages (1984) Festgabe RG I–VI Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben: Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts (1929) Festgabe Schultz Lebendiges Strafrecht: Festgabe zum 65. Geburtstag von Hans Schultz (1977) Festgabe Schweizer JT Festgabe zum Schweizerichen Juristentag (1963) Festschrift Achenbach Festschrift für Hans Achenbach zum 70. Geburtstag (2011) Festschrift Amelung Grundlagen des Straf- und Strafverfahrensrechts: Festschrift für Knut Amelung zum 70. Geburtstag (2009) Festschrift Androulakis Festschrift für Nikolaos Androulakis zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift Augsburg Recht in Europa: Festgabe zum 30-jährigen Bestehen der Juristischen Fakultät Augsburg (2002) Festschrift Baumann Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag (1992) Festschrift Bemmann Festschrift für Günter Bemmann zum 70. Geburtstag (1997) Festschrift Beulke Ein menschengerechtes Strafrecht als Lebensaufgabe – Festschrift für Werner Beulke zum 70. Geburtstag (2015) Festschrift BGH 50 Festschrift aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (2000) Festschrift Blau Festschrift für Günter Blau zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift Bockelmann Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag (1979) Festschrift Böhm Festschrift für Alexander Böhm zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift Böttcher Festschrift für Reinhard Böttcher zum. 70 Geburtstag (2007) Festschrift Boujong Verantwortung und Gestaltung: Festschrift für Karlheinz Boujong zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift Brauneck Ehrengabe für Anne-Eva Brauneck (1999) Festschrift Bruns Festschrift für Hans-Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag (1978) Festschrift Burgstaller Festschrift für Manfred Burgstaller zum 65. Geburtstag (2004) Festschrift v. Caemmerer Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag (1978) Festschrift Celle I Göttinger Festschrift für das Oberlandesgericht Celle: zum 250-jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle (1961)

XXXVI

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Celle II Dahs Dencker Diestelkamp

Festschrift DJT Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Dreher Dünnebier Eisenberg Engisch Ermacora

Festschrift Eser Festschrift Europa-Institut Festschrift Fezer Festschrift Fiedler Festschrift Fischer Festschrift Friebertshäuser Festschrift Frisch Festschrift Fuchs Festschrift GA Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Gallas von Gamm Gauweiler Geerds

Festschrift Geilen Festschrift Geiß Festschrift Geppert Festschrift Germann Festschrift Gleispach Festschrift Göppinger Festschrift Gössel Festschrift Grünwald Festschrift Grützner

Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Hamm Hanack Hanauer Hassemer Heidelberg

Festschrift Heinitz Festschrift HeintschelHeinegg

XXXVII

Festschrift zum 275-jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle (1986) Festschrift für Hans Dahs zum 70. Geburtstag (2005) Festschrift für Friedrich Dencker zum 70. Geburtstag (2012) Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa: Festschrift für Bernhard Diestelkamp zum 65. Geburtstag (1994) Hundert Jahre deutsches Rechtsleben: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860–1960, 2 Bde. (1960) Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Geburtstag (1977) Festschrift für Hans Dünnebier zum 75. Geburtstag (1982) Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70. Geburtstag (2009) Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag (1969) Fortschritt im Bewußtsein der Grund- und Menschenrechte: Festschrift für Felix Ermacora zum 65. Geburtstag (1988) Menschengerechtes Strafrecht: Festschrift für Albin Eser zum 70. Geburtstag (2005) Europäische Integration und Globalisierung, Festschrift zum 60-jährigen Bestehen des Europa-Instituts (2011) Festschrift für Gerhard Fezer zum 70. Geburtstag (2008) Verfassung – Völkerrecht – Kulturgüterschutz, Festschrift für Wilfried Fiedler zum 70. Geburtstag (2011) Festschrift für Thomas Fischer (2018) Festgabe für den Strafverteidiger Dr. Heino Friebertshäuser (1997) Grundlagen und Dogmatik des gesamten Strafrechtssystems – Festschrift für Wolfgang Frisch zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Helmut Fuchs zum 65. Geburtstag (2014) 140 Jahre Goltdammer’s Archiv für Strafrecht: eine Würdigung zum 70. Geburtstag von Paul-Günter Pötz (1993) Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag (1973) Festschrift für Otto-Friedrich Frhr. von Gamm Recht und Politik: Festschrift für Peter Gauweiler zum 60. Geburtstag (2009) Kriminalistik und Strafrecht: Festschrift für Friedrich Geerds zum 70. Geburtstag (1995) Bochumer Beiträge zu aktuellen Strafrechtsthemen: Festschrift für Gerd Geilen zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Karlmann Geiß zum 65. Geburtstag (2000) Festschrift für Klaus Geppert zum 70. Geburtstag (2011) Rechtsfindung – Beiträge zur juristischen Methodenlehre: Festschrift für Oscar Adolf Germann zum 80. Geburtstag (1969) Gegenwartsfragen der Strafrechtswissenschaft: Festschrift zum 60. Geburtstag von Graf W. Gleispach (1936) (Nachdruck 1995) Kriminalität, Persönlichkeit, Lebensgeschichte und Verhalten: Festschrift für Hans Göppinger zum 70. Geburtstag (1990) Festschrift für Karl Heinz Gössel zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Gerald Grünwald zum 70. Geburtstag (1999) Aktuelle Probleme des internationalen Strafrechts – Beiträge zur Gestaltung des internationalen und supranationalen Strafrechts: Heinrich Grützner zum 65. Geburtstag (1970) Festschrift für Rainer Hamm zum 65. Geburtstag (2008) Festschrift für Ernst-Walter Hanack zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Rudolf Hanauer aus Anlass seines 70. Geburtstages (1978) Festschrift für Winfried Hassemer zum 70. Geburtstag (2010) Richterliche Rechtsfortbildung: Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-JahrFeier der Universität Heidelberg (1986) Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag (1972) Festschrift für Bernd von Heintschel-Heinegg zum 70. Geburtstag (2015)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Festschrift Heinz Festschrift Henkel

Kargl Arthur Kaufmann

Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag (2012) Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Heinrich Henkel zum 70. Geburtstag (1974) Kriminologische Wegzeichen: Festschrift für Hans v. Hentig zum 80. Geburtstag (1967) Strafrecht zwischen System und Telos: Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum 70. Geburtstag (2008) Staatsrecht und Politik: Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag (2009) Ehrengabe für Bruno Heusinger (1968) Datenübermittlungen und Vorermittlungen: Festgabe für Hans Hilger (2003) Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Richard M. Honig zum 80. Geburtstag (1970) Jahrbuch für Recht und Ethik: Festschrift für Joachim Hruschka zum 70. Geburtstag (2006) Beiträge zum Schutz der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistung: Festschrift für Heinrich Hubmann zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag (1984) Festschrift für Günther Jakobs zum 70. Geburtstag (2007) Wie würden Sie entscheiden? Festschrift für Gerd Jauch zum 65. Geburtstag (1990) Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1985) Festschrift für Heike Jung zum 65. Geburtstag (2007) Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin (1984) Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht: Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1998) Festschrift für Walter Kargl zum 70. Geburtstag (2015) Jenseits des Funktionalismus: Arthur Kaufmann zum 65. Geburtstag (1989)

Arthur Kaufmann

Strafgerechtigkeit: Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (1993)

Kern Kerner

Tübinger Festschrift für Eduard Kern (1968) Kriminologie – Kriminalpolitik – Strafrecht, Festschrift für Hans-Jürgen Kerner zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Christian Kirchberg zum 70. Geburtstag (2017) Strafverfahren im Rechtsstaat: Festschrift für Theodor Kleinknecht zum 75. Geburtstag (1985) Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1983) Strafverteidigung und Strafprozeß: Festgabe für Ludwig Koch (1989) Festschrift für Günter Kohlmann zum 70. Geburtstag (2003) Probleme der Strafrechtserneuerung: Eduard Kohlrausch zum 70. Geburtstage dargebracht (1944; Nachdruck 1978) Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln (1988) Recht und Kriminalität: Festschrift für Friedrich-Wilhelm Krause zum 70. Geburtstag (1990) Festschrift für Volker Krey zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag (2007) Festschrift für Hans-Heiner Kühne zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag (1987) Jus humanum: Grundlagen des Rechts und Strafrechts, Festschrift für ErnstJoachim Lampe zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag (1976) Humaniora, Medizin – Recht – Geschichte: Festschrift für Adolf Laufs zum 70. Geburtstag (2006) Kriminologie – Psychiatrie – Strafrecht: Festschrift für Heinz Leferenz zum 70. Geburtstag (1983)

Festschrift v. Hentig Festschrift Herzberg Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Herzog Heusinger Hilger Hirsch Honig Hruschka

Festschrift Hubmann Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Hübner Jakobs Jauch Jescheck Jung JurGes. Berlin

Festschrift Kaiser Festschrift Festschrift (1989) Festschrift (1993) Festschrift Festschrift

Festschrift Kirchberg Festschrift Kleinknecht Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Klug Koch Kohlmann Kohlrausch

Festschrift Köln Festschrift Krause Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Krey Küper Kühne Lackner Lampe

Festschrift Lange Festschrift Laufs Festschrift Leferenz

XXXVIII

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Festschrift Lenckner Festschrift Lüderssen Festschrift Maihofer Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Maiwald Mangakis Maurach H. Mayer

Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Mehle Meyer-Goßner Mezger Middendorff Miyazawa

Festschrift Festschrift Festschrift (1998) Festschrift (2001) Festschrift

E. Müller (2003) E. Müller (2008) Müller-Dietz Müller-Dietz Nehm

Festschrift Neumann Festschrift Nishihara Festschrift Nobbe Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Odersky Oehler Otto Paarhammer Paeffgen

Festschrift Pallin Festschrift Partsch Festschrift Peters Festschrift Ch. Pfeiffer Festschrift Pfeiffer Festschrift Pfenniger Festschrift Platzgummer Festschrift Pötz Festschrift Puppe Festschrift Rasch Festschrift Rebmann Festschrift Reichsgericht

XXXIX

Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Klaus Lüderssen zum 70. Geburtstag (2002) Rechtsstaat und Menschenwürde: Festschrift für Werner Maihofer zum 70. Geburtstag (1988) Festschrift für Manfred Maiwald zum 75. Geburtstag (2011) Strafrecht – Freiheit – Rechtsstaat: Festschrift für Georgios Mangakis (1999) Festschrift für Reinhart Maurach zum 70. Geburtstag (1972) Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag (1966) Festschrift für Volkmar Mehle zum 65. Geburtstag (2009) Festschrift für Lutz Meyer-Goßner zum 65. Geburtstag (2001) Festschrift für Edmund Mezger zum 70. Geburtstag (1954) Festschrift für Wolf Middendorff zum 70. Geburtstag (1986) Festschrift für Koichi Miyazawa: dem Wegbereiter des japanisch-deutschen Strafrechtsdiskurses (1995) Opuscula Honoraria, Egon Müller zum 65. Geburtstag (2003) Festschrift für Egon Müller zum 70. Geburtstag (2008) Das Recht und die schönen Künste: Heinz Müller-Dietz zum 65. Geburtstag (1998) Grundlagen staatlichen Strafens: Festschrift für Heinz-Müller-Dietz zum 70. Geburtstag (2001) Strafrecht und Justizgewährung: Festschrift für Kay Nehm zum 65. Geburtstag (2006) Rechtsstaatliches Strafrecht: Festschrift für Ulfrid Neumann zum 70. Geburtstag (2017) Festschrift für Haruo Nishihara zum 70. Geburtstag (1998) Entwicklungslinien im Bank- und Kapitalmarktrecht: Festschrift für Gerd Nobbe zum 65. Geburtstag (2009) Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Harro Otto zum 70. Geburtstag (2007) In mandatis meditari, Festschrift für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag (2012) Strafe und Prozess im freiheitlichen Rechtsstaat – Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen zum 70. Geburtstag (2015) Strafrecht, Strafprozeßrecht und Kriminologie: Festschrift für Franz Pallin zum 80. Geburtstag (1989) Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung: Festschrift für Karl Josef Partsch zum 75. Geburtstag (1989) Einheit und Vielfalt des Strafrechts: Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag (1974) Kriminologie ist Gesellschaftswissenschaft, Festschrift für Christian Pfeiffer zum 70. Geburtstag (2014) Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht: Festschrift für Gerd Pfeiffer zum Abschied aus dem Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes (1988) Strafprozeß und Rechtsstaat: Festschrift zum 70. Geburtstag von H. F. Pfenniger (1976) Festschrift für Winfried Platzgummer zum 65. Geburtstag (1995) s. Festschrift GA Strafrechtswissenschaft als Analyse und Konstruktion: Festschrift für Ingeborg Puppe zum 70. Geburtstag (2011) Die Sprache des Verbrechens – Wege zu einer klinischen Kriminologie: Festschrift für Wilfried Rasch (1993) Festschrift für Kurt Rebmann zum 65. Geburtstag (1989) Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 5, Strafrecht und Strafprozeß (1929)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Festschrift Reichsjustizamt Festschrift Rengier Festschrift Richterakademie Festschrift Rieß Festschrift Richter Festschrift Rissing-van Saan Festschrift Rittler Festschrift Rogall Festschrift Rolinski Festschrift Rosenfeld Festschrift Rössner Festschrift Roxin (2001) Festschrift Roxin (2011) Festschrift Imme Roxin Festschrift Rudolphi Festschrift Salger

Festschrift Samson Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Sarstedt Sauer G. Schäfer K. Schäfer Schaffstein Schewe

Festschrift W. Schiller Festschrift SchleswigHolstein Festschrift Schlothauer Festschrift Schlüchter Festschrift N. Schmid Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

R. Schmid Eb. Schmidt Schmidt-Leichner Schmitt Schneider

Festschrift Schöch Festschrift Schreiber Festschrift Schroeder Festschrift Schünemann Festschrift SchülerSpringorum

Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, Festschrift zum 100-jährigen Gründungstag des Reichsjustizamtes am 1.1.1877 (1977) Festschrift für Rudolf Rengier zum 70. Geburtstag (2018) Justiz und Recht: Festschrift aus Anlaß des 10-jährigen Bestehens der Deutschen Richterakademie in Trier (1983) Festschrift für Peter Rieß zum 70. Geburtstag (2002) Verstehen und Widerstehen: Festschrift für Christian Richter II zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Ruth Rissing-van Saan zum 65. Geburtstag (2011) Festschrift für Theodor Rittler zu seinem 80. Geburtstag (1957) Systematik in Strafrechtswissenschaft und Gesetzgebung: Festschrift für Klaus Rogall zum 70. Geburtstag am 10. August 2018 (Schriften zum Strafrecht) (2018) Festschrift für Klaus Rolinski zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Ernst Heinrich Rosenfeld zu seinem 80. Geburtstag (1949) Über allem: Menschlichkeit – Festschrift für Dieter Rössner zum 70. Geburtstag (2015) Festschrift für Claus Roxin zum 70. Geburtstag (2001) Strafrecht als Scientia Universalis: Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag (2011) Festschrift für Imme Roxin zum 75. Geburtstag (2012) Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag (2004) Straf- und Strafverfahrensrecht, Recht und Verkehr, Recht und Medizin: Festschrift für Hannskarl Salger zum Abschied aus dem Amt als Vizepräsident des Bundesgerichtshofes (1995) Recht – Wirtschaft – Strafe: Festschrift für Erich Samson zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag (1981) Festschrift für Wilhelm Sauer zu seinem 70. Geburtstag (1949) NJW-Sonderheft für Gerhard Schäfer zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Karl Schäfer zum 80. Geburtstag (1980) Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag (1975) Medizinrecht – Psychopathologie – Rechtsmedizin: diesseits und jenseits der Grenzen von Recht und Medizin, Festschrift für Günter Schewe zum 60. Geburtstag (1991) Festschrift für Wolf Schiller zum 65. Geburtstag (2014) Strafverfolgung und Strafverzicht: Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Staatsanwaltschaft Schleswig-Holstein (1992) Festschrift für Reinhold Schlothauer zum 70. Geburtstag (2018) Freiheit und Verantwortung in schwieriger Zeit: kritische Studien aus vorwiegend straf(prozeß)rechtlicher Sicht zum 60. Geburtstag von Ellen Schlüchter (1998) Wirtschaft und Strafrecht: Festschrift für Niklaus Schmid zum 65. Geburtstag (2001) Recht, Justiz, Kritik: Festschrift für Richard Schmid zum 85. Geburtstag (1985) Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag (1961) Festschrift für Erich Schmidt-Leichner zum 65. Geburtstag (1977) Festschrift für Rudolf Schmitt zum 70. Geburtstag (1992) Kriminologie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert: Festschrift für Hans Joachim Schneider zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Heinz Schöch zum 70. Geburtstag (2010) Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie: Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag (2006) Streitbare Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Bernd Schünemann zum 70. Geburtstag (2014) Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag (1993)

XL

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Festschrift Schwind Festschrift Schwinge Festschrift Seebode Festschrift Sendler Festschrift Spendel Festschrift Spinellis Festschrift Steinhilper Festschrift Stock Festschrift Stöckel Festschrift Stree/Wessels Festschrift Stutte Festschrift Tiedemann Festschrift Trechsel Festschrift Triffterer Festschrift Tröndle Festschrift Tübingen

Festschrift Venzlaff Festschrift Volk Festschrift Vormbaum Festschrift Waseda Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Wassermann v. Weber Weber Welzel Widmaier

Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Wolf Wolff Wolter Würtenberger

Festschrift Würtenberger II Festschrift Würzburger Juristenfakultät Festschrift Zeidler Festschrift Zoll Festschrift Zweibrücken Fischer

XLI

Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen: Festschrift für Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag (2006) Persönlichkeit in der Demokratie: Festschrift für Erich Schwinge zum 70. Geburtstag (1973) Festschrift für Manfred Seebode zum 70. Geburtstag (2008) BürgerRichterStaat: Festschrift für Horst Sendler zum Abschied aus seinem Amt (1991) Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstag (1992) Die Strafrechtswissenschaft im 21. Jahrhundert: Festschrift für Dionysios Spinellis, 2 Bde. (2001) Kriminologie und Medizinrecht: Festschrift für Gernot Steinhilper zum 70. Geburtstag (2013) Studien zur Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Ulrich Stock zum 70. Geburtstag (1966) Strafrechtspraxis und Reform: Festschrift für Heinz Stöckel zum 70. Geburtstag (2010) Beiträge zur Rechtswissenschaft: Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels zum 70. Geburtstag (1993) Jugendpsychiatrie und Recht: Festschrift für Hermann Stutte zum 70. Geburtstag (1979) Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht: Dogmatik, Rechtsvergleich, Rechtstatsachen; Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag (2008) Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte: Festschrift für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag (1989) Tradition und Fortschritt im Recht: Festschrift gewidmet der Tübinger Juristenfakultät zu ihrem 500-jährigen Bestehen 1977 von ihren gegenwärtigen Mitgliedern (1977) Forensische Psychiatrie – Entwicklungen und Perspektiven: Festschrift für Ulrich Venzlaff zum 85. Geburtstag (2006) In dubio pro libertate: Festschrift für Klaus Volk zum 65. Geburtstag (2009) Strafrecht und Juristische Zeitgeschichte – Symposium anlässlich des 70. Geburtstages von Thomas Vormbaum Recht in Ost und West: Festschrift zum 30-jährigen Jubiläum des Instituts für Rechtsvergleichung der Waseda-Universität (1988) Festschrift für Rudolf Wassermann zum 60. Geburtstag (1985) Festschrift für Hellmuth von Weber zum 70. Geburtstag (1963) Festschrift für Ulrich Weber zum 70. Geburtstag (2004) Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag (1974) Strafverteidigung, Revision und die gesamten Strafrechtswissenschaften: Festschrift für Gunter Widmaier zum 70. Geburtstag (2008) Mensch und Recht: Festschrift für Erik Wolf zum 70. Geburtstag (1972) Festschrift für E. A. Wolff zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Jürgen Wolter zum 70. Geburtstag (2013) Kultur, Kriminalität, Strafrecht: Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (1977) Verfassungsstaatlichkeit im Wandel, Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (2013) Raum und Recht: Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002) Festschrift für Wolfgang Zeidler (1987) Rechtsstaat und Strafrecht: Festschrift für Andrzej Zoll zum 70. Geburtstag (2012) 175 Jahre Pfälzisches Oberlandesgericht: 1815 Appellationshof, Oberlandesgericht 1990 (1990) Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kurzkommentar, 66. Aufl. (2019)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Forster/Joachim Frank Freiburg-Symposium Freund AT Frisch, Vorsatz und Risiko Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten Frister Gallas, Beiträge Gedächtnisschrift Delitala Gedächtnisschrift Armin Kaufmann Gedächtnisschrift H. Kaufmann Gedächtnisschrift Keller Gedächtnisschrift Meurer Gedächtnisschrift K. Meyer Gedächtnisschrift Noll Gedächtnisschrift H. Peters Gedächtnisschrift Radbruch Gedächtnisschrift Schlüchter Gedächtnisschrift Schröder Gedächtnisschrift Seebode Gedächtnisschrift Tjong Gedächtnisschrift Vogler Gedächtnisschrift Zipf Gimbernat et al.

Gössel I, II

Gössel/Dölling Gropp AT Gropp Sonderbeteiligungen Grundfragen Haft AT, BT II Haft/Hilgendorf BT I Hanack-Symposium Hefendehl

Hefendehl Kollektive Rechtsgüter Heghmanns BT Heinrich vHH v. Heintschel-Heinegg v. Hippel I, II HK-GS Hohmann/Sander

Alkohol und Schuldfähigkeit (1997) Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich nebst dem Einführungsgesetz, 18. Aufl. (1931) s. Tiedemann Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (2009) Vorsatz und Risiko: Grundfragen des tatbestandsmäßigen Verhaltens und des Vorsatzes (1983) Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs (1988) Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2018) Beiträge zur Verbrechenslehre (1968) Gedächtnisschrift für (Studi in memoria di) Giacomo Delitala, 3 Bde. (1984) Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann (1989) Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift für Rolf Keller (2003) Gedächtnisschrift für Dieter Meurer (2002) Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer (1990) Gedächtnisschrift für Peter Noll (1984) Gedächtnisschrift für Hans Peters (1967) Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch (1968) Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter (2002) Gedächtnisschrift für Horst Schröder (1978) Im Zweifel für die Freiheit: Gedächtnisschrift für Manfred Seebode (2015) Gedächtnisschrift für Zong Uk Tjong (1985) Gedächtnisschrift für Theo Vogler (2004) Gedächtnisschrift für Heinz Zipf (1999) Internationale Dogmatik der objektiven Zurechnung und der Unterlassungsdelikte: Spanisch-Deutsches Symposium zu Ehren von Claus Roxin, hrsg. v. Gimbernat et al. (1995) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter des Individuums, 2. Aufl. (1999); Bd. 2: Straftaten gegen materielle Rechtsgüter des Individuums (1996) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 2. Aufl. (2004) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Auflage (2015) Deliktstypen mit Sonderbeteiligung (1992) Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, hrsg. v. Schünemann (1984) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 9. Aufl. (2004); Besonderer Teil II, 8. Aufl. (2005) Strafrecht, Besonderer Teil I, 9. Aufl. (2009) s. Ebert Empirische Erkenntnisse, dogmatische Fundamente und kriminalpolitischer Impetus. Symposium für Bernd Schünemann zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Hefendehl (2005) Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht (2002) Strafrecht für alle Semester, Besonderer Teil (2009) Strafrecht AT, 6. Aufl. (2019) Strafgesetzbuch, Kommentar, hrsg. v. von Heintschel-Heinegg, 3. Aufl. (2018) s. vHH Deutsches Strafrecht, Bd. 1 (1925), Bd. 2 (1930) Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, Handkommentar, 4. Aufl. (2017) Strafrecht Besonderer Teil. BT I: Vermögensdelikte, 3. Aufl. (2011); BT II: Delikte gegen die Person und gegen die Allgemeinheit, 2. Aufl. (2011)

XLII

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Hruschka Jäger BT Jakobs AT Jescheck, Beiträge I, II

Jescheck/Weigend Joecks/Jäger Kienapfel/Höpfel/Kert Kienapfel, Urkunden Kindhäuser/Zimmerman Kindhäuser/Schramm Kindhäuser/Böse Kindhäuser/Hilgendorf Kindhäuser, Gefährdung Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen Klesczewski AT, BT I/II/III

Klesczewski BT Köhler AT Kohlrausch/Lange Krey/Esser Krey/Hellmann/Heinrich BT 1, 2 Kühl AT Küper/Zopfs BT Küpper/Börner Lackner/Kühl Leipold/Tsambikakis/Zöller v. Liszt, Aufsätze v. Liszt/Schmidt AT, BT LK

Lutz Madrid-Symposium Manoledakis/Prittwitz Matheus Matt/Renzikowski Maurach AT, BT Maurach/Zipf Maurach/Gössel/Zipf Maurach/Schroeder/ Maiwald I, II

XLIII

Strafrecht nach logisch-analytischer Methode, 2. Aufl. (1988) Examens-Repetitorium Strafrecht Besonderer Teil, 9. Aufl. (2019) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1993) Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft: ausgewählte Beiträge zur Strafrechtsreform, zur Strafrechtsvergleichung, zum internationalen Strafrecht, 1953–1979 (1980) (I); Beiträge zum Strafrecht 1980–1998 (1998) (II), jew. hrsg. v. Vogler Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996) Strafgesetzbuch, Studienkommentar, 12. Aufl. (2018) (vormals Joecks) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 15. Aufl. (2016) (vormals Kienapfel) Urkunden und andere Gewährschaftsträger im Strafrecht (1967) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 9. Aufl. (2019) Strafrecht, Besonderer Teil I: Straftaten gegen Persönlichkeitsrechte, Staat und Gesellschaft, 9. Aufl. (2019) Strafrecht, Besonderer Teil II: Straftaten gegen Vermögensrechte, 10. Aufl. (2019) Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar, 8. Aufl. (2019) Gefährdung als Straftat (1989) s. NK Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2017); Besonderer Teil I: Straftaten gegen die Person (2010); Besonderer Teil II: Vermögensdelikte (2011); Besonderer Teil III: Straftaten gegen Kollektivrechtsgüter (2012) Strafrecht Besonderer Teil – Lehrbuch zum Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland (2016) Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil (1997) Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Nebengesetzen, 43. Aufl. (1961) Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. (2016) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte, 16. Aufl. (2015); Bd. 2: Vermögensdelikte, 17. Aufl. (2015) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2017) Strafrecht, Besonderer Teil, 10. Aufl. (2018) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Delikte gegen Rechtsgüter der Person und Gemeinschaft, 4. Aufl. (2017) (vormals Küpper) Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 29. Aufl. (2018) s. AnwK Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, 2 Bde. (1925) Lehrbuch des deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil, 26. Aufl. (1932); Besonderer Teil, 25. Aufl. (1925) Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 12. Aufl. hrsg. v. Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (2006 ff); 13. Aufl. hrsg. v. Radtke/Rissing-van Saan/Rönnau/ Schluckebier (2018 ff.) Strafrecht AT, 14. Aufl. (2019) s. Schünemann/Suárez Strafrechtsprobleme an der Jahrtausendwende: Deutsch-Griechisches Symposium in Rostock 1999, hrsg. v. Manoledakis/Prittwitz (2000) Strafrecht BT 2, Nichtvermögensdelikte, 11 Aufl. (2019) Strafgesetzbuch, Kommentar (2013) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (1971); Besonderer Teil, 5. Aufl. (1969) mit Nachträgen von 1970/71 Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilbd. 1: Grundlehren des Strafrechts und Aufbau der Straftat, 8. Aufl. (1992) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilbd. 2: Erscheinungsformen des Verbrechens und Rechtsfolgen der Tat, 8. Aufl. (2014) Strafrecht, Besonderer Teil, Teilbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Vermögenswerte, 10. Aufl. (2009); Teilbd. 2: Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, 10. Aufl. (2013)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Maurach/Schroeder/ Maiwald/Hoyer/Momsen H. Mayer AT H. Mayer, Strafrecht H. Mayer, Studienbuch Mezger, Strafrecht Mitsch BT MK Naucke Niederschriften I–XIV Niethammer Niggli/Queloz NK NK-WSS Oehler v. Olshausen Otto AT, BT Pfeiffer/Maul/Schulte Preisendanz Puppe Rengier AT, BT 1, 2

Riklin-Hurtado-Symposium Rostock-Symposium Roxin AT I, II

Roxin TuT Roxin/Arzt/Tiedemann Roxin-Symposium Sack Safferling Satzger/Schluckebier/ Widmaier Sauer AT, BT Schäfer/v. Dohnanyi Schmidt AT, BT I, BT II Schmidt Schmidt-Salzer Schmidhäuser Schmidhäuser AT, BT, StuB Schöch

Strafrecht, Besonderer Teil, Teilbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Vermögenswerte, 11. Aufl. (2019) Strafrecht, Allgemeiner Teil (1953) Das Strafrecht des deutschen Volkes (1936) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Studienbuch (1967) Strafrecht, Lehrbuch, 3. Aufl. (1949) (ergänzt durch: Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik [1950]) Strafrecht, Besonderer Teil: Vermögensdelikte, 3. Aufl. (2015) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Joecks/Miebach, 3. Aufl. (2017) Strafrecht, Eine Einführung, 11. Aufl. (2008) Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 14 Bde. (1956–1960) Lehrbuch des Besonderen Teils des Strafrechts (1950) Strafjustiz und Rechtsstaat: Symposium zum 60. Geburtstag von Franz Riklin und José Hurtado Pozo, hrsg. v. Niggli/Queloz (2003) Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen, 5. Aufl. (2017) Nomos Kommentar zum Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Aufl. (2017) Internationales Strafrecht, 2. Aufl. (1983) Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 12. Aufl. (§§ 1–246) bearb. von Freiesleben u. a. (1942 ff); sonst 11. Aufl. bearb. von Lorenz u. a. (1927) Grundkurs Strafrecht: Allgemeine Strafrechtslehre/Die einzelnen Delikte, jeweils 7. Aufl. (2005) Strafgesetzbuch, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (1969) Strafgesetzbuch, Lehrkommentar, 30. Aufl. (1978) Strafrecht Allgemeiner Teil im Spiegel der Rechtsprechung, 4. Aufl. (2019) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. (2019); Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 21. Aufl. (2019); Bd. 2: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit, 20. Aufl. (2019) s. Niggli/Queloz s. Manoledakis/Prittwitz Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 1: Grundlagen – Der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Aufl. (2006); Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 2: Besondere Erscheinungsformen der Straftat (2003) Täterschaft und Tatherrschaft, 10. Aufl. (2019) Einführung in das Strafrecht und Strafprozessrecht, 6. Aufl. (2014) s. Gimbernat Umweltschutz-Strafrecht, Erläuterung der Straf- und Bußgeldvorschriften, Loseblattausgabe, 44. Aktualisierung (März 2019) Internationales Strafrecht (2011) s. SSW Allgemeine Strafrechtslehre, 3. Aufl. (1955); System des Strafrechts, Besonderer Teil (1954) Die Strafgesetzgebung der Jahre 1931 bis 1935 (1936) (Nachtrag zur 18. Aufl. von Frank: das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich [1931]) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Besonderer Teil I und II, jeweils 21. Aufl. (2019) Vermögensabschöpfung, 2. Auflage (2019) Produkthaftung, Bd. 1: Strafrecht, 2. Aufl. (1988) Einführung in das Strafrecht, 2. Aufl. (1984) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1975); Besonderer Teil, 2. Aufl. (1983); Studienbuch: Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1984) Wiedergutmachung und Strafrecht: Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstages von Friedrich Schaffstein, hrsg. v. Schöch (1987)

XLIV

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Schönke/Schröder Schramm Schroth BT Schünemann/de Figueiredo Dias Schünemann/Suárez Sieber Sieber/Cornils SK sLSK Sonnen SSW Stratenwerth/Kuhlen AT Tendenzen der Kriminal politik Tiedemann Tiedemann, Anfängerübung Tiedemann, Tatbestands funktionen Tiedemann-Symposium Walter v. Weber Welzel, Strafrecht Welzel, Strafrechtssystem Wessels/Beulke/Satzger Wessels/Hettinger/Engländer Wessels/Hillenkamp/Schuhr WK Wohlers Deliktstypen Wolters Zieschang AT Zieschang, Gefährdungs delikte

Strafgesetzbuch, Kommentar, 30. Aufl. (2019) Internationales Strafrecht, 2. Aufl. (2018) Strafrecht, Besonderer Teil, 5. Aufl. (2010) Bausteine des Europäischen Strafrechts: Coimbra-Symposium für Claus Roxin, hrsg. v. Schünemann/de Figueiredo Dias (1995) Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts: Madrid-Symposium für Klaus Tiedemann, hrsg. v. Schünemann/Suárez (1994) Verantwortlichkeit im Internet (1999) Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, hrsg. von Sieber/Cornils (2008 ff) Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 9. Aufl. (2017) Systematischer Leitsatzkommentar zum Sanktionenrecht, hrsg. v. Horn, Loseblattausgabe (1983 ff) Strafrecht Besonderer Teil (2005) Strafgesetzbuch, Kommentar, hrsg. v. Satzger/Schluckebier/Widmaier, 4. Aufl. (2019) Strafrecht, Allgemeiner Teil – Die Straftat, 6. Aufl. (2011) Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, Beiträge zu einem deutsch-skandinavischen Strafrechtskolloquium, hrsg. v. Cornils/Eser (1987) Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, Rechtsdogmatik – Rechtsvergleich – Rechtspolitik (Freiburg-Syposium), hrsg. v. Tiedemann (2002) Die Anfängerübung im Strafrecht, 4. Aufl. (1999) Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht (1969) s. Schünemann/Suárez Der Kern des Strafrechts (2006) Grundriß des deutschen Strafrechts, 2. Aufl. (1948) Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969) Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl. (1961) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 49. Aufl. (2019) Strafrecht, Besonderer Teil 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 43. Aufl. (2019) Strafrecht, Besonderer Teil 2: Straftaten gegen Vermögenswerte, 42. Aufl. (2019) Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch – StGB; hrsg. v. Höpfl/Ratz, Loseblatt, 2. Aufl. (1999 ff) Deliktstypen des Präventionsrechts – Zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte (2000) Das Unternehmensdelikt (2001) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2017) Die Gefährdungsdelikte (1998)

2. Betäubungsmittelstrafrecht Franke/Wienroeder Joachimski/Haumer Körner/Patzak/Volkmer Webel Weber

XLV

Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 3. Aufl. (2007) Betäubungsmittelgesetz (mit ergänzenden Bestimmungen), Kommentar, 7. Aufl. (2015) Betäubungsmittelgesetz, Kurzkommentar, 9. Aufl. (2019) Betäubungsmittelstrafrecht (2003) Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 5. Aufl. (2017)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

3. Bürgerliches Recht einschließlich Versicherungsrecht Bruck/Möller Erman Jauernig Larenz/Wolf MK-BGB

MK-VVG Palandt Prütting/Wegen/Weinreich RGRK

HK-BGB

Soergel Staudinger Wolf/Neuner

Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 9. Aufl. (2008 ff) Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 15. Aufl. (2017) Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, 17. Aufl. (2018) s. Wolf/Neuner Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Auflage (ab 2011), hrsg. v. Säcker/Rixecker/Oetker; 7. Aufl. (ab 2015) und 8. Aufl. (ab 2018) beide hrsg. von Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg Münchener Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, hrsg. v. Langheid/ Wandt, 2. Aufl. (2016) Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz (Auszug), 78. Aufl. (2019) BGB Kommentar, 14. Aufl. (2019) Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes (Reichsgerichtsrätekommentar), hrsg. v. Mitgliedern des Bundesgerichtshofes, 12. Aufl. (1975–1999) Schulze/Dörner/Ebert/Hoeren/Kemper/Saenger/Scheuch/Schreiber/SchulteNölke/Staudinger/Wiese, Bürgerliches Gesetzbuch, Handkommentar, 10. Aufl. (2019) Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Aufl. (1999 ff) J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Aufl. Bearbeitungen (1993 ff) Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. (2016)

4. DDR-Strafrecht StGB-Komm.-DDR StGB-Lehrb.-DDR AT, BT StGB-Lehrb.-DDR 1988 StPO-Komm.-DDR StPO-Lehrb.-DDR

Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Kommentar, 5. Aufl. (1987) Strafrecht der DDR, Lehrbuch: Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1976); Besonderer Teil (1981) Strafrecht der DDR, Lehrbuch, Allgemeiner Teil (1988) Strafprozeßrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Kommentar, 3. Aufl. (1989) Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, 3. Aufl. (1987)

5. Europäisches Recht Bleckmann Geiger/Khan/Kotzur GKK GKN Grabitz/Hilf/Nettesheim Hailbronner/Klein/Magiera/ Müller-Graff HKMM HdEuropR

Europarecht, 6. Aufl. (1997) s. GKK EUV/AEUV, Kommentar, hrsg. v. Geiger/Khan/Kotzur, 6. Aufl. (2017) Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Loseblattausgabe, hrsg. v. Grabitz/Hilf/Nettesheim, 68. Aufl. (2019) s. GKN s. HKMM Handkommentar zum Vertrag über die Europäische Union (EUV/EGV), hrsg. v. Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Loseblattausgabe (1991 ff) Handbuch des Europäischen Rechts, Loseblattausgabe, hrsg. v. Ehlermann/Bieber/ Haag, 698. Lfg. (2019)

XLVI

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Hecker Hobe IM EG

Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. (2015) Europarecht, 9. Aufl. (2017) Wettbewerbsrecht: Band 1. EU, 2 Teilbände., hrsg. v. Immenga/Mestmäcker, 5. Aufl. (2012); Nachtrag zu Teilband 1 (2014); 6. Aufl. (ab 2019) Immenga/Mestmäcker EG s. IM EG Satzger Internationales und Europäisches Strafrecht, 8. Aufl. (2018) Schwarze EU-Kommentar, hrsg. v. Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, 4. Aufl. (2019) Schweitzer/Hummer Europarecht, 6. Aufl. (2008) Sieber/Satzger/v.Heintschel- s. SSvHH Heinegg SSvHH Europäisches Strafrecht, hrsg. v. Sieber/Satzger/v.Heintschel-Heinegg, 2. Aufl. (2014) Streinz Europarecht, 11. Aufl. (2019)

6. Handelsrecht einschließlich Bilanz- und Gesellschaftsrecht Baumbach/Hopt Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn Großfeld/Luttermann Habersack/Casper/Löbbe Hachenburg Heymann GK-AktG Hüffer/Koch MK-HGB Schmidt/Lutter Scholz Staub Ulmer/Habersack/Löbbe UHL

Handelsgesetzbuch: HGB mit GmbH & Co., Handelsklauseln, Bank- und Börsenrecht, Transportrecht, 38. Aufl. (2018) Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. (2014/15) Bilanzrecht, 4. Aufl. (2009) GmbHG Großkommentar in 3 Bänden, hrsg. von Habersack/Casper/Löbbe, Band 1: Einleitung, §§ 1–28, 3. Aufl. (2019) GmbHG, Kommentar, 8. Aufl. (1993 bis 1997) HGB, Kommentar, 2. Aufl. (2004), 3. Aufl. (ab 2019) Großkommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. hrsg. v. Hopt/Wiedemann (1992 ff); 5. Aufl. hrsg. v. Hirte/Mülbert/Roth (2015 ff) Aktiengesetz: AktG, Kommentar, 13. Aufl. (2018) Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, hrsg. v. K. Schmidt, 3. Aufl. (2010 ff); 4. Aufl. (2016 ff) AktG Kommentar in 2 Bänden, 3. Aufl. (2015) Kommentar zum GmbH-Gesetz in 3 Bänden, 11. Aufl. (2012 ff), 12. Aufl. (2018 ff.) Großkommentar zum HGB, 5. Aufl. (2008 ff) s. UHL GmbHG Großkommentar in 2 Bänden, hrsg. v. Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. (2016)

7. Jugendstrafrecht AK JGG

Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann (1987) Brunner Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Aufl. (1991) Brunner/Dölling Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 13. Aufl. (2017) Böhm/Feuerhelm Einführung in das Jugendstrafrecht, 4. Aufl. (2004) Diemer/Schatz/Sonnen Jugendgerichtsgesetz mit Jugendstrafvollzugsgesetzen, Kommentar, 7. Aufl. (2015) Eisenberg JGG Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 20. Aufl. (2018) Laubenthal/Baier/Nestler Jugendstrafrecht, 3. Aufl. (2015) Ostendorf JGG Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 10. Aufl. (2016) Schaffstein/Beulke/Swoboda Jugendstrafrecht, 15. Aufl. (2015) Streng Jugendstrafrecht, 4. Aufl. (2016) Walter/Neubacher Jugendkriminalität: eine systematische Darstellung, 4. Aufl. (2011)

XLVII

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

8. Kriminologie Albrecht Dittmann/Jehle Eisenberg/Kölbel Göppinger Göppinger HwbKrim

IntHdbKrim Kaiser/Schöch/Kinzig Kaiser, Einführung Meier Mezger, Kriminologie Schneider Schneider, Kriminologie Schwind

Kriminologie, 4. Aufl. (2010) Kriminologie zwischen Grundlagenwissenschaften und Praxis, hrsg. v. Dittmann/ Jehle (2003) Kriminologie, 7. Aufl. (2017) (vormals Eisenberg) Kriminologie, 4. Aufl. (1980) Kriminologie, hrsg. v. Göppinger/Bock, 6. Aufl. (2008) Handwörterbuch der Kriminologie, hrsg. v. Sieverts/Schneider, Bd. 1–3, Ergänzungsband (4. Bd.), Nachtrags- und Registerband (5. Bd.), 2. Aufl. (1966– 1998) Internationales Handbuch der Kriminologie, hrsg. v. H.-J. Schneider, Bd 1 (2007); Bd 2 (2009) Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug, hrsg. v. Schöch/Kinzig, 8. Aufl. (2015) Kriminologie: eine Einführung in die Grundlagen, 10. Aufl. (1997) Kriminologie, 5. Aufl. (2016) Kriminologie, Studienbuch (1951) Kriminologie, Lehrbuch, 3. Aufl. (1992) Kriminologie: Ein internationales Handbuch (2014) Kriminologie und Kriminalpolitik, 23. Aufl. (2016)

9. Ordnungswidrigkeitenrecht Bohnert/Bülte Göhler HK-OWiG KK-OWiG Krenberger/Krumm Mitsch, OWiG Rebmann/Roth/Hermann

Ordnungswidrigkeitenrecht, 5. Aufl. (2016) (vormals Bohnert) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kurzkommentar, 17. Aufl. (2017) Heidelberger Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, hrsg. v. Lemke u. a., 2. Aufl. (2005) Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten: OWiG, hrsg. v. Mitsch, 5. Aufl. (2018) OWiG Ordnungswidrigkeitengesetz, Kommentar, 5. Aufl. (2018) (vormals Bohnert/ Krenberger/Krumm) Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl. (2005) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kommentar, Loseblattausgabe, 27. Aktualisierung (Februar 2019)

10. Presserecht Groß Löffler Löffler HdB Ricker/Weberling Soehring/Hoene

Presserecht, 3. Aufl. (1999) Presserecht, Kommentar, 6. Aufl. (2015) s. Ricker/Weberling Handbuch des Presserechts, begr. v. Löffler, hrsg. v. Ricker/Weberling, 6. Aufl. (2012) Presserecht, 6. Aufl. (2019) (vormals Soehrin)

XLVIII

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

11. Rechtshilfe Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas Schomburg/Lagodny/Gleß/ Hackner Schomburg/Lagodny Vogler/Wilkitzki

Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Loseblattausgabe, 48. Aktualisierung (2019) Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. (2012) Internationale Rechtshilfe in Strafsachen = International Cooperation in Criminal Matters, 6. Aufl. (2020) Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), Kommentar, Loseblattausgabe (1992 ff) als Sonderausgabe aus Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl. (1980 ff)

12. Rechtsmedizin und Medizinstrafrecht Forster Forster/Ropohl Frister/Lindemann/Peters HfPsych I, II

Laufs Laufs/Katzenmeier/Lipp Laufs/Kern/Rehborn Rieger Roxin/Schroth Spickhoff Ulsenheimer Venzlaff/Foerster/Dreßing/ Habermeyer Wenzel

Praxis der Rechtsmedizin (1986) Rechtsmedizin, 5. Aufl. (1989) Arztstrafrecht (2011) Handbuch der forensischen Psychiatrie, hrsg. v. Kröber/Dölling/Leygraf/Saß, Bd. 1: Strafrechtliche Grundlagen der Gutachtenerstellung im Strafverfahren (2007); Bd. 2: Psychopathologische Grundlagen und Praxis der forensischen Psychiatrie im Strafrecht (2011); Bd. 3: Psychiatrische Kriminalprognose und Kriminaltherapie (2006); Bd. 4: Kriminologie und forensische Psychiatrie (2009); Bd. 5: Forensische Psychiatrie im Privatrecht und Öffentlichen Recht (2009) Fortpflanzungsmedizin und Arztrecht (1992) Arztrecht, hrsg. v. Katzenmeier/Lipp, 7. Aufl. (2015) Handbuch des Arztrechts, hrsg. v. Kern/Rehborn, 5. Aufl. (2019) Lexikon des Arztrechts, hrsg. v. Rieger/Dahm/Steinhilper Loseblatt (2004) Handbuch des Medizinstrafrechts, hrsg. v. Roxin/Schroth, 4. Aufl. (2010) Medizinrecht, hrsg. v. Spickhoff, 3. Aufl. (2018) Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Aufl. (2015) Psychiatrische Begutachtung, hrsg. v. Dreßing/Habermeyer, 6. Aufl. (2015) Medizinrecht, hrsg. v. Wenzel, 4. Aufl. (2019)

13. Strafprozess und Strafvollzugsrecht AK-StPO AK-StVollzG Arloth/Krä BeckOK-StPO Beulke Beulke/Swoboda Bringewat Calliess/Müller-Dietz Eisenberg Hamm HK-StPO

XLIX

Kommentar zur Strafprozeßordnung – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, Bd. 1 (1988), Bd. 2 Teilbd. 1 (1992), Bd. 2 Teilbd. 2 (1993), Bd. 3 (1996) Kommentar zum Strafvollzugsgesetz – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, 3. Aufl. (1990) Strafvollzugsgesetze, Kommentar, 4. Aufl. (2017) Beck’scher Online-Kommentar StPO, hrsg. v. Graf, 35. Edition (2019) Strafprozessrecht, 13. Aufl. (2016) Strafprozessrecht, 14. Aufl. (2018) Strafvollstreckungsrecht: Kommentar zu den §§ 449–463d StPO (1993) s. Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel Beweisrecht der StPO, Spezialkommentar, 10. Aufl. (2017) Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl. (2010) Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung, hrsg. v. Gercke/Julius/ Temming/Zöller, 6. Aufl. (2019)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Isak/Wagner Joecks/Jäger Kamann Kammeier/Pollähne Kissel/Mayer KK Kleinknecht/Meyer-Goßner KMR

Kramer Kühne Laubenthal/Nestler/ Neubacher/Verrel LNNV

LR Marschner/Lesting/ Stahmann Meyer-Goßner/Schmitt Müller Peters Pfeiffer Pohlmann/Jabel/Wolf Putzke/Scheinfeld Röttle/Wagner Roxin/Schünemann Roxin/Arzt/Tiedemann Saage/Göppinger Sarstedt/Hamm Satzger/Schluckebier/ Widmaier Schäfer, Strafverfahren Schäfer/Sander/van Gemmeren Schätzler Eb. Schmidt, Lehrkommentar I–III

Schwind/Böhm/Jehle/ Laubenthal SK-StPO SSW-StPO Ulrich Volckart/Grünebaum Volk/Engländer Walter, Strafvollzug

s. Röttle/Wagner Studienkommentar StPO, 5. Aufl. (2019) Handbuch für die Strafvollstreckung und den Strafvollzug, 2. Aufl. (2008) Maßregelvollzugsrecht, Kommentar, 4. Aufl. (2018) Gerichtsverfassungsgesetz, 9. Aufl. (2018) Karlsruher Kommentar, Strafprozessordnung – GVG, EGGVG, EMRK, hrsg. v. Hannich, 8. Aufl. (2019) s. Meyer-Goßner/Schmitt Kleinknecht/Müller/Reitberger (Begr.), Kommentar zur Strafprozeßordnung, Loseblattausgabe, 8. Aufl. (1990 ff), ab 81. Lfg. hrsg. von v. Heintschel-Heinegg/ Bockemühl Grundlagen des Strafverfahrensrechts: Ermittlung und Verfahren, 8. Aufl. (2014) Strafprozessrecht (ehem. Strafprozeßlehre) 9. Aufl. (2015) s. LNNV Strafvollzugsgesetz, Kurzkommentar, hrsg. v. Laubenthal/Nestler/Neubacher/ Verrel, 12. Aufl. (2015) (begr. und bis zur 11. Aufl. fortgeführt von Callies/MüllerDietz) Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz mit Nebengesetzen, Großkommentar, 26. Aufl. (2006 ff), 27. Aufl. (2016 ff.) Freiheitsentziehung und Unterbringung, 6. Aufl. (2019) (vormals Marschner/ Volckart/Lesting; Saage/Göppinger) Strafprozessordnung mit GVG und Nebengesetzen, Kurzkommentar, 62. Aufl. (2019) (vormals Kleinknecht/Meyer-Goßner) Beiträge zum Strafprozessrecht (2003) Strafprozeß, Ein Lehrbuch, 4. Aufl. (1985) Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz, 5. Aufl. (2005) Strafvollstreckungsordnung, Kommentar, 9. Aufl. (2015) Strafprozessrecht, 8. Aufl. (2019) Strafvollstreckung, 8. Aufl. (2009); (vormals Wetterich/Hamann; Isak/Wagner) Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. (2017) Strafrecht und Strafprozessrecht, 6. Aufl. (2014) s. Marschner/Volckart s. Hamm s. SSW-StPO Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl. (2000), 7. Aufl. (2018) Die Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. (2017) Handbuch des Gnadenrechts, 2. Aufl. (1992) Strafprozeßordnung, Lehrkommentar, Bd. 1: Die rechtstheoretischen und die rechtspolitischen Grundlagen des Strafverfahrensrechts, 2. Aufl. (1964); Bd. 2: Erläuterungen zur Strafprozeßordnung und zum Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung (1957) (mit Nachtragsband 1 [1967] und 2 [1970]); Bd. 3: Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz und zum Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (1960) Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 7. Auflage (2020) Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG und EMRK, hrsg. v. Wolter, Loseblattausgabe (1986 ff, 5. Aufl. 2016 ff) Strafprozessordnung, Kommentar, hrsg. v. Satzger/Schluckebier/Widmaier, 4. Aufl. (2020) Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl. (2007), (vormals Jessnitzer/Ulrich) Maßregelvollzug, 8. Aufl. (2015) Grundkurs StPO, 9. Aufl. (2018) Strafvollzug, 2. Aufl. (1999)

L

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

14. Straßenverkehrsrecht Bär/Hauser/Lehmpuhl Beck/Berr/Schäpe Berz/Burmann Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke Cramer Full/Möhl/Rüth Hentschel/König/Dauer Haus/Krumm/Quarch Hentschel Hentschel/Born Hentschel/Krumm Himmelreich/Hentschel Himmelreich/Staub/Krumm/ Nissen HKD HK-StVR Hentschel/König/Dauer Janker Jagow/Burmann/Heß Jagusch/Hentschel Janiszewski Janiszewski/Jagow/Burmann JBH MK-StVR Müller I–III Rüth/Berr/Berz

Unfallflucht, Kommentar, Loseblattausgabe (1978 ff) OWi – Sachen im Straßenverkehrsrecht, 7 Aufl. (2017) (vormals Beck/Berr) Handbuch des Straßenverkehrsrechts, hrsg. von Burmann/Heß, Loseblattausgabe, 39. Lfg. (2019) Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 25. Aufl. (2018), hrsg. v. Burmann/Heß/ Hühnermann/Jahnke (vormals Jagow/Burmann/Heß) Straßenverkehrsrecht, Bd. 1: StVO, StGB, 2. Aufl. (1977) Straßenverkehrsrecht: Kommentar (1980) mit Nachtrag (1980/81) s. HKD Gesamtes Verkehrsrecht, hrsg. von Haus/Krumm/Quarch , 2. Aufl. (2017) Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 10. Aufl. (2006) Trunkenheit im Straßenverkehr, 7. Aufl. (1996) Fahrerlaubnis – Alkohol – Drogen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 7. Aufl. (2018) Fahrverbot, Führerscheinentzug; Bd. 1: Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 8. Aufl. (1995) Verkehrsunfallflucht: Verteidigerstrategien im Rahmen des § 142 StGB-mit Auslandsteil, 7. Aufl. (2019) ((vormals Himmelreich/Bücken/Krumm) Straßenverkehrsrecht, hrsg. v. Hentschel/König/Dauer, 45. Aufl. (2019) (vormals Jagusch/Hentschel) Heidelberger Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, hrsg. v. Griesbaum u. a. (1993) s. HKD Straßenverkehrsdelikte: Ansatzpunkte für die Verteidigung (2002) s. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke s. HKD Verkehrsstrafrecht, 5. Aufl. (2004) s. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke s. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, hrsg. von Bender/König (2016 ff.) Straßenverkehrsrecht, Großkommentar, 22. Aufl., Bd. 1 (1969) mit Nachtrag 1969, Bd. 2 (1969), Bd. 3 (1973) Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 2. Aufl. (1988)

15. Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht AK-GG Battis BK Clemens/Scheuring/ Steingen/Wiese Dreier I–III Friauf Fuhr/Stahlhacke HdStR I–XIII

LI

Alternativkommentar Grundgesetz, hrsg. v. Wassermann, 3. Aufl. (2001) Bundesbeamtengesetz, Kommentar, 5. Aufl. (2017) Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar), Loseblattausgabe, hrsg. v. Kahl/Waldhoff/Walter (1198. Lfg. 2019) s. TVöD Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl., (Bd. 1: 2013; Bd. 2: 2015; Bd. 3: 2017) Kommentar zur Gewerbeordnung – GewO, Gewerberechtlicher Teil, Loseblattausgabe, hrsg. v. Friauf (2001 ff) s. Friauf Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Isensee/ Kirchhof, 3. Aufl (Bd. 1: 2003; Bd. 2: 2004; Bd. 3: 2005; Bd. 4: 2006; Bd. 5: 2007;

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Jarass/Pieroth Kopp/Ramsauer Landmann/Rohmer I, II v. Mangoldt/Klein/Starck Maunz/Dürig Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Bethge MSBKB

Bd. 6: 2009; Bd. 7: 2009; Bd. 8: 2010; Bd. 9: 2011; Bd. 10: 2012, Bd. 11: 2013, Bd. 12: 2014, Bd. 13: 2015 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Kommentar, 15. Aufl. (2018) Verwaltungsverfahrensgesetz, 20. Aufl. (2019) Gewerbeordnung und ergänzende Vorschriften, Kommentar, Loseblattausgabe, Bd. 1: Gewerbeordnung; Bd. 2: Ergänzende Vorschriften (jew. 1998 ff) Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1 (Art. 1–19), Bd. 2 (Art. 20–82), Bd. 3 (Art. 83– 146), 7. Aufl. (2018); früherer Titel: Das Bonner Grundgesetz Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, 7. Aufl. (1991 ff) (bearb. v. Badura u. a.), 88. Aufl. (2019) s. MSBKB

Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Loseblatt, hrsg. v. Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge, 57. Aufl. (2019) Klein/Ulsamer nunmehr: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge v. Münch/Kunig Grundgesetz, Kommentar, Gesamtwerk in 2 Bänden, 6. Aufl. (2012) Plog/Wiedow Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, mit Beamtenversorgungsgesetz. 404. Lfg. (2019) Sachs Grundgesetz-Kommentar, 8. Auflage (2018) Schmidt-Aßmann/Schoch Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl. (2008) Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Kommentar zum Grundgesetz, 14. Aufl. (2018) Henneckef Stern I–V Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. (1984); Bd. 2 (1980); Bd. 3/1 (1988); Bd. 3/2 (1994); Bd. 4 (1997); Bd. 4/2 (2006); Bd. 5 (2000) TVöD Kommentar zum Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD), hrsg. v. Clemens/ Scheuring/Steingen/Wiese, Loseblattausgabe, 114. Lfg. (2019) Wolff/Bachof/Stober/Kluth Verwaltungsrecht, Band 1, 13. Aufl. (2017)

16. Wettbewerbs- und Kartellrecht Baumbach/Hefermehl Dreher/Kulka Emmerich/Lange Emmerich/Lange FK Kartellrecht [GWB]

Fezer/Büscher/Obergfell Immenga/Mestmäcker GWB Köhler/Bornkamm/ Feddersen Köhler/Piper Ohly/Sosnitza Rittner/Dreher

s. Köhler/Bornkamm Wettbewerbs – und Kartellrecht, 10. Aufl. (2018) (vormals Rittner/Dreher/Kulka) Kartellrecht, Studienbuch, 14. Aufl. (2018) (vormals Emmerich) Unlauterer Wettbewerb, 11. Auflage (2019) Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, mit Kommentierung des GWB, des EGKartellrechts und einer Darstellung ausländischer Kartellrechtsordnungen, hrsg. v. Glassen u. a., Loseblattausgabe, 94. Lfg. (2001 ff) bis zur 44. Lfg. unter dem Titel: Frankfurter Kommentar zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Lauterkeitsrecht (Kommentar zum UWG) 2 Bände, 3. Aufl. (2016) Wettbewerbsrecht, Kommentar, hrsg. v. Immenga/Mestmäcker, 5. Aufl. (2012) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb UWG – mit PAngV, UKlaG, DL-InfoV 37. Aufl. (2019) (vormals Köhler/Bornkamm) s. Ohly/Sosnitza UWG – Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Kommentar, 7. Aufl. (2016) Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. (2008)

17. Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Achenbach/Ransiek/Rönnau ARR

s. ARR Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, hrsg. v. Achenbach/Ransiek/Rönnau, 5. Aufl. (2019)

LII

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Belke/Oehmichen Bender/Möller/Retemeyer Bittmann Brüssow/Petri Dannecker/Knierim/Smok Eidam Franzen/Gast/Joecks Geilen, Aktienstrafrecht

GJW Graf/Jäger/Wittig Greeve/Leipold Hellmann/Beckemper Hübschmann/Hepp/Spitaler HHS HWiStR Ignor/Mosbacher Joecks/Jäger/Randt JJR Kempf/Lüderssen/Volk Klein Kohlmann Kohlmann GmbH Krekeler/Tiedemann/ Ulsenheimer/ Weinmann Kudlich/Oğlakcıoğlu Kühn/von Wedelstädt KvW MG Müller-Gugenberger Otto, Aktienstrafrecht Park Ransiek Rolletschke C. Schröder Tiedemann, GmbH-Strafrecht

Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht EU Tipke/Kruse Tipke/Lang Wabnitz/Janovsky/Schmitt

LIII

Wirtschaftskriminalität – aktuelle Fragen des Wirtschaftsstrafrechts in Theorie und Praxis (1983) Steuerstrafrecht – Mit Schwerpunkt Zoll- und Verbrauchssteuerstrafrecht, Loseblattausgabe, 47. Lfg. (2019) Insolvenzstrafrecht, hrsg. von Bittmann, 2. Aufl. (2017) Arbeitsstrafrecht, 2. Aufl. (2016) Insolvenzstrafrecht, 3. Aufl. (2018) (vormals Dannecker/Knierim/Hagemeier) Unternehmen und Strafe, 5. Aufl. (2018) s. JJR Erläuterungen zu §§ 399–405 AktG von Gerd Geilen, Erläuterungen zu § 408 AktG von Wolfgang Zöllner (1984) (Sonderausgabe aus der 1. Aufl. des Kölner Kommentars zum Aktiengesetz) Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, hrsg. v. Graf/Jäger/Wittig, 2. Aufl. (2017) s. GJW Handbuch des Baustrafrechts (2004) Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. (2018) s. HHS Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Loseblattausgabe, (bearb. v. Söhn et al.) 255. Lfg. (November 2019) Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Loseblattausgabe (1985– 1990), hrsg. v. Krekeler/Tiedemann u. a. Handbuch Arbeitsstrafrecht, 3. Aufl. (2016) Steuerstrafrecht, 8. Aufl. (2015) Steuerstrafrecht: mit Zoll- und Verbrauchssteuerstrafrecht; Kommentar zu §§ 369– 412 AO; § 32 ZollVG, 8. Aufl. (2015) Die Handlungsfreiheit des Unternehmers, hrsg. v. Kempf/Lüderssen/Volk (2009) AO – Abgabenordnung, Kommentar, 14. Aufl. (2018) Steuerstrafrecht, Kommentar zu den §§ 369–412 AO 1977, Loseblattausgabe, 64. Aktualisierung (2019) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des GmbH-Geschäftsführers, 1. Aufl. (1990) Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, hrsg. von Krekeler/ Tiedemann/Ulsenheimer/Weinmann (1985–1990) Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. (2014) s. KvW Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, hrsg. v. von Wedelstädt, 22. Aufl. (2018) Wirtschaftsstrafrecht, hrsg. von Müller-Gugenberger, 6. Aufl. (2015) s. MG Erläuterungen zu den §§ 399–410 AktG (1997) (Sonderausgabe aus der 4. Aufl. des Großkommentars zum Aktiengesetz) Kapitalmarktstrafrecht, Handkommentar, 5. Aufl. (2019) Unternehmensstrafrecht (1996) Steuerstrafrecht, 4. Aufl. (2012) Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, 3. Aufl. (2015) GmbH-Strafrecht (§§ 82–85 GmbHG und ergänzende Vorschriften), 5. Aufl. (2010) (Sonderausgabe aus der 10. Aufl. des Kommentars zum GmbHG von Scholz, Bd. III 2010) Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. (2017) Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union. Rechtsdogmatik – Rechtsvergleich – Rechtspolitik (Freiburg-Symposium), hrsg. v. Tiedemann (2002) Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung. Kommentar zur AO und FGO inkl. Steuerstrafrecht, 158. Lfg. (November 2019) Steuerrecht, 23. Aufl. (2018) Handbuch des Wirtschafts und Steuerstrafrechts, 5. Aufl. (2020) (vormals Wabnitz/ Janovsky)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Weyand/Diversy Wittig Ziouvas

Insolvenzdelikte, 10. Aufl. (2016) Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. (2017) Das neue Kapitalmarktstrafrecht (2006)

18. Zivilprozessrecht und Insolvenzrecht Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann BLAH FK-InsO HK-InsO

s. BLAH

Zivilprozessordnung, 77. Aufl. (2019) Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Wimmer, 9. Aufl. (2018) Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Kayser/Thole, 9. Aufl. (2018) Jaeger Insolvenzordnung, Großkommentar, hrsg. v. Henckel/Gerhardt (2004 ff) KPB InsO – Kommentar zur Insolvenzordnung, Loseblattausgabe, 82. Aktualisierung (Oktober 2019) Kübler/Prütting/Bork s. KPB Leonhardt/Smid/Zeuner Insolvenzordnung (InsO) mit Insolvenzrechtlicher Vergütungsverordnung (InsVV), Kommentar, hrsg. v. Leonhardt/Smid/Zeuner, 3. Aufl. (2010) MK-InsO Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. (ab 2019) MK-ZPO Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. (2016/2017) Musielak/Voit ZPO – Zivilprozessordnung, Kommentar, 16. Aufl. (2019) Rattunde/Smid/Zeuner Insolvenzordnung (InsO), Kommentar, hrsg. v. Rattunde/Smid/Zeuner, 4. Aufl. (2018) (vormals Leonhard/Smid/Zeuner) Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, 18. Aufl. (2018) Stein/Jonas Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 23. Aufl. (2014 ff) Thomas/Putzo ZPO – Zivilprozessordnung, 40. Auflage (20169) Zöller Zivilprozessordnung, Kommentar, 33. Aufl. (2020)

19. Sonstiges (einschließlich Arbeits- und Sozialrecht, Völkerrecht und Waffenrecht) Bieneck Brownlie Corpus Juris

Dahm/Delbrück/Wolfrum ErfK Fuchs/Preis Gerold/Schmidt Götz/Tolzmann Günther/Taupitz/Kaiser Hanau/Adomeit Hauck/Noftz Herdegen Hoeren/Sieber/Holznagel HwbRW I–VIII

Handbuch des Außenwirtschaftsrechts mit Kriegswaffenkontrollgesetz, hrsg. v. Bieneck, 2. Aufl. (2005) Principles of Public International Law, 9. Aufl. (2019) The implementation of the Corpus Juris in the Member States/La mise en œuvre du Corpus Juris dans les Etats Membres, hrsg. v. Delmas-Marty/Vervaele (2000); Deutsche Version der Entwurfsfassung von 1997: Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, Deutsche Übersetzung von Kleinke und Tully, Einführung von Sieber (1998) Völkerrecht, 2. Aufl., Band I/1 (1989), Band I/2 (2002), Band I/3 (2002) Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. (2020) Sozialversicherungsrecht, 2. Aufl. (2009) Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 24. Aufl. (2019) Bundeszentralregistergesetz, Kommentar, 4. Aufl. (2000); Nachtrag (2003) Embryonenschutzgesetz, Juristischer Kommentar mit medizinischnaturwissenschaftlichen Grundlagen, 2. Aufl. (2014) Arbeitsrecht, 14. Aufl. (2007) Sozialgesetzbuch – Gesamtkommentar, hrsg. v. Hauck/Noftz, Loseblattausgabe, (2019) Völkerrecht, 18. Aufl. (2019) s. Multimedia-Recht Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, hrsg. v. Stier-Somlo u. a., Bd. 1 (1926), LIV

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Ipsen KassKomm Keller/Günther/Kaiser Kröger/Gimmy Lingens/Korte Lüder/Vormbaum Multimedia-Recht Rebmann/Uhlig Seidl-Hohenveldern Seidl-Hohenveldern/Stein Shaw Steindorf Stein/von Buttlar/Kotzur Strupp/Schlochauer Thüsing Tolzmann Ulsamer LdR Verdross/Simma Vitzthum/Proelß Waltermann Wannagat Werle/Jeßberger

LV

Bd. 2 (1927), Bd. 3 (1928), Bd. 4 (1927), Bd. 5 (1928), Bd. 6 (1929), Bd. 7 (1931), Bd. 8 (1937) (unter dem Titel: Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36) Völkerrecht, 7. Aufl. (2018) Kasseler Kommentar Sozialversicherungsgesetz, Loseblattausgabe, 107. Lfg. (Dezember 2019) Embryonenschutzgesetz, Kommentar (1992) Handbuch zum Internetrecht, 2. Aufl. (2002) Wehrstrafgesetz, Kommentar, 5. Aufl. (2012) (vormals Schölz/Lingens) Materialien zum Völkerstrafgesetzbuch: Dokumentation des Gesetzgebungsverfahrens (2002) Handbuch Multimedia-Recht, hrsg. v. Hoeren/Sieber/Holznagel, Loseblattausgabe, 50. Lfg. (Oktober 2019) Bundeszentralregister, Gewerbezentralregister, Verkehrszentralregister und ergänzende Bestimmungen, Kommentar (1985) Lexikon des Rechts – Völkerrecht, 3. Aufl (2001) Völkerrecht, 12. Aufl. (2009) International Law, 8. Aufl. (2017) Waffenrecht, Kurzkommentar, 10. Aufl. (2015) Völkerrecht, 14. Aufl. (2017) Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Aufl., Band 1 (1960), Band 2 (1961), Band 3 (1962) AÜG – Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, Kommentar, hrsg. v. Thüsing, 4. Aufl. (2018) Bundeszentralregistergesetz, 5. Aufl. (2015) Lexikon des Rechts: Strafrecht, Strafverfahrensrecht, hrsg. v. Ulsamer, 2. Aufl. (1996) Universelles Völkerrecht, 3. Auflage (2010) Völkerrecht, 8. Aufl. (2019) Sozialrecht, 13. Aufl. (2018) Sozialgesetzbuch I/IV/X, hrsg. v. Eichenhofer/Wenner (2012) Völkerstrafrecht, 4. Aufl. (2016)

Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 (RGBl 1871, 127); neugefasst durch Bek. v. 13.11.1998 (BGBl. I 3322); zuletzt geändert durch Gesetz v. 10.7.2020 (BGBl. I 1648)

BESONDERER TEIL ERSTER ABSCHNITT Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates Vorbemerkung zum Ersten Abschnitt Schrifttum Allgemein (s. im Übrigen bei den einzelnen Abschnitten und Paragraphen): Ahlbrecht Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20 Jahrhundert (1999); Ambos Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts (2004); ders. Das Verbrechen der Aggression nach Kampala, ZIS 2010 649; Amelunxen Politische Straftäter (1964); Arndt Der Begriff der „Absicht“ in § 94 StGB, JZ 1957 206; Barriga Der Kompromiss von Kampala zum Verbrechen der Aggression, ZIS 2010 644; Basten Von der Reform des politischen Strafrechts bis zu den Anti-Terror-Gesetzen (1983); Baumann Streitbare Demokratie? MDR 1963 87; Bemmann/ Manoledakis Der strafrechtliche Schutz des Staates (1987); Bennhold Absicht bei Verfassungsgefährdung (1966); Bertram Bestrafung von Parteimitgliedern und Parteienprivileg, NJW 1961 1099; Blasius Geschichte der politischen Kriminalität in Deutschland 1800 bis 1980 (1983); Bruha Die Definition der Agression (1980); von Brünneck Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1968 (1978); Busse Der Kosovo-Krieg vor deutschen Strafgerichten, NStZ 2000 631; Cassese/Jeßberger/Cryer/Dé International Criminal Law (2015); van Calker Hochverrat und Landesverrat, VDB I (1906); Copic Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art (1967); Dahm Verrat und Verbrechen, ZgS 95 (1935) 235; Deiters Der Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung durch das Strafrecht, in Thiel (Hrsg.) Wehrhafte Demokratie (2003) 291; Drost Staatsschutz und persönliche Freiheit in dem Strafrecht der Demokratie (1954); Eisenberg/Sander „Politische Delikte“ in Wandelbarkeit und Wandel, JZ 1987 111; Güde Probleme des politischen Strafrechts (1957); Haccius Die Gesetze zum Schutze der Republik von 1922 und 1930, Diss. Göttingen 1931; Hamann Grundgesetz und Strafgesetzgebung (1963); Harnischmacher/Heumann Die Staatsschutzdelikte in der Bundesrepublik Deutschland (1984); Heeb Der präventive Verfassungsschutz, Diss. Tübingen 1962; Hefendehl Politisches Strafrecht zwischen dem Schutz von Staat und Verfassung und einem Kampf gegen die Feinde, in Festschrift Schroeder (2006) 453; Heinemann Politische Justiz, RuP 1965 12; Heinemann/Posser Kritische Bemerkungen zum politischen Strafrecht in der Bundesrepublik, NJW 1959 121; Heinitz Staatsschutz und Grundrechte (1953); Hellmer Bemerkungen zum strafrechtlichen Staatsschutz aus der Sicht der Identitätstheorie, Gedächtnisschrift H. Kaufmann (1986) 747; Hennke Der Begriff „verfassungsmäßige Ordnung“ im StGB und im GG, GA 1954 140; Jeßberger Das Verbrechen der Aggression im deutschen Strafrecht, ZIS 2015 514. Kern Der Strafschutz der Verfassung, NJW 1950 405; ders. Der Strafschutz des Staates und seine Problematik (1963); Kirchheimer Politische Justiz (1965); Köhler Hochverrat und Landesverrat, GA 51 130, 269; 52 15; Lampe Die strafrechtliche Aufarbeitung der DDR-Spionage, Festgabe BGH 50 (2000) 449; Lameyer Streitbare Demokratie (1978); Lange Zur Geschichte des strafrechtlichen Staatsschutzes, Verfassungsschutz (1966) 119; Laufhütte Strafrechtliche Probleme nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und ihre Bewältigung durch die Strafsenate des Bundesgerichtshofs, Festgabe BGH 50 (2000) 409; Liourdi Herkunft und Zweck der Strafbestimmungen zum Ehrenschutz des Staatsoberhauptes, Diss. Göttingen 1990; Löwisch Arbeitskampf und öffentliche Ordnung, Arbeitskampf und Schlichtungsrecht (1997) 435; Maihofer Staatsschutz im Rechtsstaat, Blätter für deutsche und internationale Politik (1964) 123; H. Mayer Der strafrechtliche Schutz des Staates, SJZ 1950 247; Mischke Hochverrat und Staatsgefährdung in der Rechtsprechung des BGH, Diss. Bonn 1962; Pfeiffer Der strafrechtliche Schutz des Staates, in Bemmann/Manoledakis, Der strafrechtliche Schutz des Staates (1987) 3; Rapp Das Parteienprivileg des Grundgesetzes (1970); Ritter Staatsverbrechen und Staatsverfassung, StrafrAbh. 339 (1934); Roggemann Zur Entwicklung des politischen Strafrechts in Deutschland, ROW 1968 50; Ruhrmann Grenzen strafrechtlichen Staatsschutzes, NJW 1957 1897; ders. Die Angriffsziele der Staatsgefährdungsdelikte: „Staatsgefährdende Absichten und Bestrebungen“, NJW 1960 992; ders. Verfassungsfeindliche und landesverräterische Beziehungen, NJW 1959 1201; Sack Politische Delikte, politische Kriminalität, in Kaiser/Kerner/

1 https://doi.org/10.1515/9783110490008-001

Steinsiek

Vor § 80 StGB

Vorbemerkung zum Ersten Abschnitt

Sack/Schellhoss Kleines kriminologisches Wörterbuch 2. Aufl. (1985) 324; Scheuner Der Verfassungsschutz im Bonner Grundgesetz, E. Kaufmann Festgabe (1950) 313; Schiffers Zwischen Bürgerfreiheit und Staatsschutz – Wiederherstellung und Neufassung des politischen Strafrechts in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1951 (1989); ders. Grundlegung des strafrechtlichen Staatsschutzes in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1951, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (1990) 589; Schmalenbach Das Verbrechen der Aggression vor dem Internationalen Strafgerichtshof, JZ 2010 745; Schmitt-Glaeser Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf (1968); ders. Parteiverbot und Strafrecht, JZ 1970 59; Spiegel Die Möglichkeit eines effektiven Schutzes der normativen Legitimität in der Demokratie, Diss. Freiburg 1969; Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970); ders. Das Strafrecht zum Schutz von Verfassung und Staat, in Bundesministerium des Innern (Hrsg.) Verfassungsschutz und Rechtsstaat (1981) 219; Schultz Staatsauffassung und Staatsverbrechen, StrafrAbh. 416 (1940); Wagner Politischer Terrorismus und Strafrecht im Deutschen Kaiserreich von 1871 (1981); von Weber Die Verbrechen gegen den Staat in der Rechtsprechung des Reichsgerichts, Festgabe RG V (1929) 173; ders. Die Verbrechen gegen den Staat bei Anselm Feuerbach (1935); ders. Der Schutz des Staates, Referat 38 Dt. Juristentag (1950); Werle Völkerstrafrecht und deutsches Völkerstrafgesetzbuch, JZ 2012 373; ders. Die Tötungen an der deutsch-deutschen Grenze – Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Festschrift Geppert (2011) 757; Willms Staatsschutz im Geiste der Verfassung, Demokratische Existenz heute (1962) Heft 7; ders. Das Staatsschutzkonzept des Grundgesetzes und seine Bewährung (1974); ders. Zur strafrechtlichen Absicherung von Organisationsverboten, Festschrift Lackner (1987) 471; von Winterfeld Zur Rechtsprechung in Staatsschutzsachen, NJW 1959 745; Ziercke Die Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität in den vergangenen zehn Jahren, Festschrift Nehm (2006) 169. Speziell 1. StrÄndG: Schafheutle Das Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1951 609; Schmidt Das politische Strafrecht, DRZ 1950 337; Schmidt-Leichner Das Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951, NJW 1951 857. Speziell 8.StrÄndG: Krauth/Kurfeß/Wulf Zur Reform des Staatsschutzrechts durch das 8.StrÄndG, JZ 1968 577, 609, 731; Lüttger Das Staatsschutzrecht gestern und heute, JZ 1969 121; Müller-Emmert Die Reform des politischen Strafrechts, NJW 1968 2134; Träger/Mayer/Krauth Das neue Staatsschutzstrafrecht in der Praxis, Festschrift BGH (1975) 227; Woesner Das neue Staatsschutzrecht, NJW 1968 2129. Speziell zu früheren Reformfragen: Ammann Die Problematik des vorverlegten Staatsschutzes, in: Kritik der Strafrechtsreform (1968); Baumann Zur Reform des politischen Strafrechts, JZ 1966 330; Fischer Die Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen, NJW 1969 449; Hamann Der „Staatsschutz“ im Strafgesetzentwurf und im Grundgesetz, NJW 1962 1845; Hannover Zur Reform des politischen Strafrechts, Blätter für deutsche und internationale Politik, 1966 493; Heinemann Reform des politischen Strafrechts, RuP 1965 H. 2; Jescheck Zur Reform des politischen Strafrechts, JZ 1967 6; Maihofer Der vorverlegte Staatsschutz, in: Mißlingt die Strafrechtsreform? (1969) 186; Martin Zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutzstrafsachen, NJW 1969 713; MüllerEmmert Die Reform des politischen Strafrechts, NJW 1968 2134; Roggemann Probleme der publizistischen Staatsgefährdung de lege lata und de lege ferenda, JR 1966 243; Willms Zur Reform der Strafvorschriften über den Landesverrat, Der Staat 1963 213; ders. Mehr oder weniger Strafrecht beim Landesverrat, DRiZ 1965 389; ders. Verfassungsrechtliche Konzeption des strafrechtlichen Staatsschutzes als Kernfrage der Reform, JZ 1967 246; ders. Geheimbündelei – Änderung oder Verzicht, NJW 1965 565; Woesner Reform des Staatsschutzstrafrechts, NJW 1967 753. Verfahren und Sonderfragen: Bauer Politischer Streik und Strafrecht, JZ 1953 649; Dehler Denkschrift über die Schaffung eines zweiten Rechtszuges in Hoch- und Landesverratssachen (1951); Endemann Interlokalrechtliche Probleme im Bereich des Staatsschutzstrafrechts, NJW 1966 2381; Fuhrmann Die Einschränkung des Legalitätsgrundsatzes bei Staatsschutzdelikten, JR 1964 297; Gallandi Staatsschutzdelikte und Pressefreiheit – von der Stärkung des Rechts und der Legitimität von Strafgesetzgebung im politischen Konflikt (1983); Laubenthal Ansätze zur Differenzierung zwischen politischer und allgemeiner Kriminalität, MschrKrim. 1989 326; Lüttger Der Nachweis der Verfassungswidrigkeit einer Partei im Strafverfahren, GA 1958 225; ders. Internationale Rechtshilfe in Staatsschutzverfahren? GA 1960 33; ders. Zum Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote, MDR 1961 809; ders. Staatsschutzverfahren statistisch gesehen, MDR 1967 165, 257, 349; ders. Lockerung des Verfolgungszwangs bei Staatsschutzdelikten, JZ 1964 569; Lüttger/Kaul Ist die gerichtliche Beschlagnahme künftiger Ausgaben von erfahrungsgemäß staatsgefährdenden periodischen Schriften zulässig? GA 1961 74; Moschüring Die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte in erstinstanzlichen Strafsachen, Festschrift OLG Celle (1986) 381; Müller/Römer Staatsschutz und Informationsfreiheit, ZRP 1968 6; Müller/Wache Opportunitätserwägungen bei der Verfolgung von Straftaten gegen die äußere Sicherheit, Festschrift Rebmann (1989) 321; Pabsch Auswirkungen der europäischen Integrationsverträge auf das deutsche Strafrecht, NJW 1959 2002; Posser Politische Strafjustiz aus Sicht des Verteidigers (1961); Schlichter Der Strafantrag, die Strafverfolgungsermächtigung und die Anordnung der Strafverfolgung unter besonderer Berücksichtigung der Staatsschutzdelikte, GA 1966 353; Schwenk Konkurrierende Gerichtsbarkeit in Strafsachen nach Natotruppenstatut und Zusatzabkommen, NJW 1965 2242; Streit Staatsschutzbestimmungen und Legalitätsprinzip, NJW 1964 435; Wagner Der Beitrag der Rechtsprechung in Staatsschutzverfahren zu den Problemen des Allgemeinen Teils des StGB, ZStW 80 (1968) 283; ders.

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StGB Vor § 80

Übersicht

Beschlagnahme und Einziehung staatsgefährdender Massenschriften, MDR 1961 93; Wenkebach Die vorbeugende Einziehung verfassungsfeindlicher Schriften, NJW 1962 2094; Willms Der Sachverständige im Landesverratsprozeß, NJW 1963 190; Woesner Rechtsstaatliches Verfahren in Staatsschutzsachen, NJW 1961 533. Fremde Rechte: Brune Hochverrat und Landesverrat in rechtsvergleichender Darstellung, StrafrAbh. (1937) 375; Comtesse Der strafrechtliche Staatsschutz gegen hochverräterische Umtriebe im schweizerischen Bundesrecht (1942); Ewald Geschichte und Struktur des politischen Strafrechts der DDR bis 1968, NJ 1990 420 (Besprechung von Schuller); Jescheck Der strafrechtliche Staatsschutz im Ausland, ZStW 74 (1962) 339; Jescheck/Mattes Die strafrechtlichen Staatsschutzbestimmungen des Auslandes, Rechtsvergleichende Untersuchungen zur gesamten Strafrechtswissenschaft (1968) Heft 10; Knauer Der strafrechtliche Staatsschutz der Schweizerischen Eidgenossenschaft (1948); Lammich Das politische Strafrecht in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern, Deutschland-Archiv 1980 843; Loewenstein Der Kommunismus und die amerikanische Verfassung, JZ 1952 2; Lüthi Der verstärkte Staatsschutz, ZBernJV 1951 137; Merli Das Verbot der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts im EGVG, Juristische Blätter 1986 767; Mittermaier Die Regelung des Hochverrats in außerdeutschen Gesetzgebungen, RT-Drucks. IV/46 (1928); Nef Der publizistische Geheimnisverrat und seine Behandlung in demokratischen Ländern, ZV u. ZV 1963 225; Sax Zum Verfahren in Staatsschutzsachen im Ausland, JZ 1964 14; Schinnerer Schutz von Volk und Staat im englischen Recht (1935); Schönke Strafrechtlicher Staatsschutz im ausländischen Recht, Züricher Beiträge 1935 Heft 46; ders. Der strafrechtliche Staatsschutz im ausländischen Recht, NJW 1950 281; Schuller Geschichte und Struktur des politischen Strafrechts der DDR bis 1968 (1980); Schwaighofer Die Strafbestimmungen zum Schutz des Staates, Zeitschrift für Rechtsvergleichung (1988) 25; Wieser Die Wortinterpretation im Hochverratstatbestand der DDR, ROW 1987 352. Rechtsprechungsübersichten: Schmidt Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof in Staatsschutzstrafsachen, MDR 1979 705; 1981 89, 972; 1983 4; 1984 183; 1985 183; 1986 177; 1987 182; 1988 353; 1990 102; 1991 185; 1992 545; 1993 504; 1994 237; ders. Aus der Rechtsprechung des BGH in Staatsschutzstrafsachen, NStZ 1996 172, 481; 1998 610; 2000 359; Wagner Hochverrat und Staatsgefährdung, Urteile des Bundesgerichtshofes, Bd. I u. II (1957/1958); ders. Aus der Rechtsprechung in Staatsschutzverfahren, GA 1960 4, 193, 225; 1961 l, 129, 311; 1962 l, 193; 1963 225, 289, 353; 1965 225; 1966 65, 289; 1967 97; 1968 289; ders. Die Rechtsprechung des BGH in Staatsschutzsachen, DRiZ 1958 67; 1959 173; 1961 168; 1962 347; 1963 216; 1967 182.

Übersicht I. 1. 2. 3. 4.

5.

II. 1.

3

Überblick über die Staatsschutzgesetzgebung 1 seit der Reichsgründung 1 Entwicklung von 1871 bis 1933 Entwicklung unter dem Nationalsozialis4 mus Entwicklung von 1945 bis zum Grundge6 setz Das Staatsschutzrecht der Bundesrepublik 7 Deutschland 7 a) Rechtszustand bis zum 8. StrÄndG b) Rechtszustand mit Erlass des 8. 12 StrÄndG c) Rechtszustand nach Verabschiedung des 8. 18 StrÄndG Das Staatsschutzrecht der Deutschen Demokrati19 schen Republik Wesen und Grenzen des Staatsschutzstraf20 rechts 20 Schutzgut des Staatsschutzstrafrechts

2. 3. 4.

III.

21 Notwendigkeit des Staatsschutzes Grenzen und Einschränkungen des Staatsschutzes 22 25 Das Parteienprivileg a) Im Bereich der Organisationsde26 likte b) Im Bereich der allgemeinen Strafge28 setze 32 c) Reichweite, Verbotsirrtum

1. 2. 3. 4.

Örtlicher, sachlicher und persönlicher Geltungs33 bereich des Staatsschutzstrafrechts 33 Inlandstaten 34 Auslandstaten 35 NATO-Vertragsstaaten und ihre Truppen 36 Geltungsbereich des Nordatlantikpaktes

IV.

Recht des Einigungsvertrages

V.

Verfahrensfragen

37

38

Steinsiek

Vor § 80 StGB

Vorbemerkung zum Ersten Abschnitt

I. Überblick über die Staatsschutzgesetzgebung seit der Reichsgründung 1. Entwicklung von 1871 bis 1933 1 Die Regelung des Staatsschutzes im RStGB von 1871 knüpfte mit der Unterteilung des Regelungsbereichs in Hoch- und Landesverrat an eine begriffliche Trennung an, die sich schon im Preußischen Allgemeinen Landrecht fand und sich dann in den anderen deutschen Territorialrechten durchgesetzt hatte. Die präzise begriffliche Trennung wurde in späteren (Zwischen-)Regelungen nicht genau eingehalten (insbesondere in Vorschriften außerhalb des StGB). Die heutige Einteilung im Strafgesetzbuch, die im Ersten Abschnitt des Besonderen Teils die Strafvorschriften zusammenfasst, die der Sicherung der Existenz des demokratischen Rechtsstaats dienen, war bereits ursprünglich in den Vorschriften zum strafrechtlichen Staatsschutz angelegt. Soweit die Normen beim Hochverrat den Schutz der Fürsten und ihrer Thronfolge zum Ge2 genstand hatten, wurden diese im Jahre 1918 mit dem Übergang zur republikanischen Staatsform hinfällig. Diese auf die Monarchie bezogenen Tatbestände wurden jedoch erst durch das nationalsozialistische Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24. April 1934 (RGBl. I 341) förmlich gestrichen. Die Änderungen, insbesondere Ergänzungen, die von der Reichsgründung bis zum Jahre 1933 erlassen wurden, sind in wesentlichen Regelungen außerhalb des Strafgesetzbuchs enthalten. Für die Zeit des Kaiserreichs1 sind insbesondere das im Jahre 1890 auslaufende Sozialistengesetz von 1878 und das aus Anlass anarchistischer Attentate erlassene Sprengstoffgesetz des Jahres 1884 zu nennen. In der Zeit der Weimarer Republik gab das Gesetz zum Schutze der Republik (RepSchutzG) vom 21. Juli 1922 (RGBl. I 585) Antwort auf die rechtsradikalen Strömungen, welche zur Ermordung republikanischer Staatsmänner geführt hatten. Das befristete Gesetz enthielt eine Reihe neuer Straftatbestände, die sich in erster Linie auf organisierte Anschläge gegen Regierungsmitglieder, aber auch auf die organisierte Bekämpfung der republikanischen Staatsform und die Herabwürdigung von Verfassung und Staatssymbolen bezogen.2 Der zur Aburteilung dieser neuen Delikte und hochverräterischer Handlungen beim Reichsgericht errichtete Staatsgerichtshof wurde durch eine Gesetzesnovelle vom 31.3.1926 (RGBl. I 190) wieder abgeschafft. Nach Ablauf der einmal verlängerten Geltungsdauer des ersten RepSchutzG wurde am 25.3.1930 (RGBl. I 91) ein bis zum Jahresende befristetes zweites RepSchutzG erlassen. Die Verordnung des Reichspräsidenten zur Erhaltung des inneren Friedens vom 19.12.1932 (RGBl. I 548) übernahm daraus den in das Strafgesetzbuch vorher nur auf Zeit eingestellten § 49b (Mordkomplott), der erst durch das 2. StrÄndG vom 4.7.1969 (BGBl. I 717) mit Änderungsgesetz vom 30.7.1973 (BGBl. I 909) zum 1.1.1975 wegfiel. Auf dem Gebiet des Landesverrats war es bereits in der Kaiserzeit zu wichtigen Ergänzungen 3 gekommen. Die im Blick auf die Konfliktformen der Vergangenheit in einer schwerfälligen Kasuistik formulierten Vorschriften wurden durch das Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3.7.1893 (RGBl. I 205) geändert und – ohne Einstellung der neuen Tatbestände in das Strafgesetzbuch – ergänzt. Das gemeinhin als Spionagegesetz 93 bezeichnete Gesetz wurde durch das Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3.6.1914 (RGBl. I 195) ersetzt. Diese Gesetze, die auch auf Ausländer anwendbar waren, bezweckten einen umfassenden – bereits das Vorbereitungsstadium der Ausspähung erfassenden – Schutz militärischer Geheimnisse. Das Spionagegesetz 1914 enthielt als die wichtigste Neuerung in § 6 einen Tatbestand des Anknüpfens und Unterhaltens landesverräterischer Beziehungen. Es erweiterte den Tatbestand auf bloße Nachrichten, deren Aufnahme in den Tatbestand der Reichstag im Jahre 1893 in Befürchtung einer möglichen Schmälerung der Pressefreiheit verweigert hatte. Der damit auf dem Gebiet des Landesverrats hergestellte Rechtszustand wurde während der Dauer der Weimarer Republik nicht geändert. 1 Vgl. Graf von Krockow Bismarck S. 283 ff.; Laufhütte MDR 1976 441, Fn. 13: verschiedene Versuche zur strafrechtlichen Erfassung der Gewaltbefürwortung; Lexikon der Deutschen Geschichte, 3. Aufl.: zur Umsturzvorlage.

2 S. dazu Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 119 ff.; Jasper Der Schutz der Republik (1922–1930), Freiburger Studien Bd. 16 (1963); Haccius Die Gesetze zum Schutze der Republik von 1922 und 1930. Steinsiek

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I. Überblick über die Staatsschutzgesetzgebung seit der Reichsgründung

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2. Entwicklung unter dem Nationalsozialismus3 Das nationalsozialistische Regime übersteigerte den Staatsschutz in der Reichweite der Tatbe- 4 stände und der Härte der Strafdrohungen. Die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28.2.1933 (RGBl. I 83), mit der irreführenden Zweckbestimmung der „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“, brachte mit der praktischen Außerkraftsetzung aller politisch wesentlichen Freiheitsrechte die erste erhebliche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Todesstrafe. Das Gesetz zur Abwehr politischer Gewalttaten vom 4.4.1933 (RGBl. I 162), genannt lex van der Lubbe, verschärfte die Tatbestände der Sprengstoffverbrechen und des Inbrandsetzens öffentlicher Gebäude und beseitigte für diese Neuerungen den Grundsatz des Rückwirkungsverbots der Strafgesetze (dort durch rückwirkende Androhung der Todesstrafe). Dagegen schaffte das als Korruptionsnovelle bezeichnete Gesetz vom 26.5.1933 (RGBl. I 295) die Festungshaft bei politischen Delikten ab. Das Gesetz zur Gewährleistung des Rechtsfriedens vom 13.10.1933 (RGBl. I 723) erstreckte den sonst nur dem Staatsoberhaupt gewährten besonderen persönlichen Strafschutz auf alle Angehörigen des gegen den „Staatsfeind“ aufgebotenen Machtapparats einschließlich der NSDAP und ihrer militärischen Formationen. Es sah harte Strafen für regimewidrige Tätigkeiten sowie Propaganda aus und im Zusammenwirken mit dem Ausland vor. Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 5 24.4.1934 (RGBl. I 341; amtliche Begründung DJ 1934 595), auch Verratsnovelle genannt, enthielt eine völlige Neufassung. Die begriffliche Trennung von Hoch- und Landesverrat wurde durch Behandlung in besonderen Abschnitten akzentuiert. Beim Hochverrat wurde die Drohung mit Gewalt ausdrücklich in den Tatbestand hineingenommen. Auch wurde jede Nötigung oder Hinderung eines Regierungsmitglieds in der Ausübung seiner Befugnisse sowie die fahrlässige Verbreitung hochverräterischer Schriften erfasst. Beim Landesverrat, wo bereits die oben näher bezeichnete „Korruptionsnovelle“ zwei neue Tatbestände (§ 92a und § 92b) über das Ausspähen von Staatsgeheimnissen und verräterische Beziehungen hinzugefügt hatte, wurden die bisher im Strafgesetzbuch, dem Spionagegesetz und der Verordnung des Reichspräsidenten vom 28.2.1933 enthaltenen Vorschriften zusammengefasst und ins Strafgesetzbuch eingestellt. Zugleich wurden die Begriffe des Staatsgeheimnisses und des Verrats einheitlich definiert. Das Staatsschutzstrafrecht wurde – mit Strafbestimmungen über das gefälschte und sogar über das frühere Staatsgeheimnis und die als Volksverrat bezeichnete regimefeindliche Auslandspropaganda mit der Einführung von Fahrlässigkeitstatbeständen und der Erweiterung der Strafbarkeit, u. a. durch Einbeziehung von Vorbereitungshandlungen bis zur Pönalisierung missliebiger Gerichtsberichterstattung – pervertiert. Die im Zweiten Weltkrieg mit dem Gesetz vom 22.11.1942 (RGBl. I 668) und vom 20.9.1944 (RGBl. I 225) hinzukommenden Änderungen enthielten weitere Verschärfungen der Strafsanktionen.

3. Entwicklung von 1945 bis zum Grundgesetz Das in dieser Weise von den totalitären Vorstellungen des nationalsozialistischen Regimes per- 6 vertierte politische Strafrecht wurde nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges von den Siegermächten durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30.1.1946 beseitigt. Mit der Einleitung des Prozesses der Wiederherstellung deutscher Souveränität in West und Ost trat das Bedürfnis zur Schaffung neuer Staatsschutznormen hervor. Mit Art. 143 wurde als Übergangslösung eine vollständige Strafvorschrift über den Hochverrat in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 (BGBl. I 1) aufgenommen, die bis zu ihrer Aufhebung durch Art. 7 des StrÄndG vom 30.8.1951 (BGBl. I 739) galt. Diese kam jedoch nie zur Anwendung. Art. 143 lautete in seinen ersten beiden Absätzen: 3 S. dazu Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 148 ff. 5

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Vorbemerkung zum Ersten Abschnitt

(1) Wer mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes oder eines Landes ändert, den Bundespräsidenten der ihm nach diesem Grundgesetz zustehenden Befugnisse beraubt oder mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung nötigt oder hindert, sie überhaupt oder in einem bestimmten Sinne auszuüben, oder ein zum Bunde oder zu einem Lande gehöriges Gebiet losreißt, wird mit lebenslangem Zuchthaus oder Zuchthaus nicht unter zehn Jahren bestraft. (2) Wer zu einer Handlung im Sinne des Absatzes 1 öffentlich auffordert oder sie mit einem anderen verabredet oder in anderer Weise vorbereitet, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.

Die strafrechtliche Umsetzung der in Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG enthaltenen Staatsschutznormen blieb dem Gesetzgeber überlassen.

4. Das Staatsschutzrecht der Bundesrepublik Deutschland4 7 a) Rechtszustand bis zum 8. StrÄndG. Das (1.) StrÄndG vom 30.8.1951 (BGBl. I 739), dem das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit vom 15.7.1951 (BGBl. I 448) mit den neuen §§ 234a und 241a StGB vorausging, sollte entsprechend dem Verfassungsauftrag die im Strafgesetzbuch entstandenen Lücken füllen. Das Gesetz ging auf eine Initiative der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zurück, die bereits unter dem 15.2.1950 den Entwurf eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie (BTDrucks. I/563) vorgelegt hatte. Dieser mit bemerkenswert harten Strafdrohungen ausgestattete Entwurf enthielt einen umfassenden Organisationstatbestand für verfassungsfeindliche Verbindungen. Auch ahndete er die aus Feindschaft gegen die Demokratie verübte Beschädigung von Einrichtungen der öffentlichen Versorgung, der politischen Presse oder einer politischen Partei mit Zuchthausstrafe. Den Landesverrat behandelte er nicht. Der Regierungsentwurf vom 4. September 1950 (BTDrucks. I/1307), der eine umfassende Ergänzung des Strafgesetzbuchs bezweckte, holte dies nach. Er bezog auch die Komplexe der Handlungen gegen ausländische Staaten und der Delikte in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte, schließlich – in Ausführung des Auftrags von Art. 26 Abs. 1 S. 2 GG – Strafvorschriften über den auch schon im sozialdemokratischen Entwurf behandelten Friedensverrat mit ein. Das unter dem Eindruck der Ereignisse in Osteuropa und Korea als besonders dringlich 8 erachtete Gesetz enthielt neben den Abschnitten Hoch- und Landesverrat als eigentliche Neuerung den Abschnitt Staatsgefährdung. Dies war die Reaktion auf die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten und der kommunistischen Umsturzerfolge in Osteuropa. Dabei griff man teilweise auf Regelungen des RepSchutzG (Rdn. 2) zurück, verwies aber vor allem auf die Schweiz, die ihr Staatsschutzrecht von 1938 bis 1950 aus gleicher Motivation erweitert hatte. Die Schaffung eines weitgefassten, mit einer Generalklausel arbeitenden Auffangtatbestandes nach Art der „Verfassungsstörung“ (Art. 275 Schweiz. StGB), unterblieb jedoch. Die von ihren Gegnern als „Blitzgesetz“ charakterisierte Novelle hat, angefangen mit der Stellungnahme des Bundesrats aus Anlass ihrer Verabschiedung (abgedruckt JZ 1951 659), viel Kritik erfahren. Vor allem im Bereich der Organisationsdelikte enthielt sie etliche unzulängliche – teils sogar verfassungswidrige – Regelungen (BVerfGE 12 296). Dies wurde mit dem Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (VereinsG) vom 5.8.1964 (BGBl. I 593) und schließlich durch das 8. StrÄndG vom 25.6.1968 (BGBl. I 741) korrigiert. Die nachfolgenden Strafrechtsänderungsgesetze ließen das neue Staatsschutzrecht in sei9 ner Grundstruktur unberührt. Das 3. StrÄndG vom 4.8.1953 (BGBl. I 735) erstreckte den vorher nur für eingeführtes verfassungsfeindliches Propagandamaterial geltenden Tatbestand des § 93 StGB auf in der Bundesrepublik Deutschland hergestellte Schriften. Es erneuerte die Vorschriften über den Schutz ausländischer Staaten und die Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte. Beim 4. StrÄndG vom 11. Juni 1957 (BGBl. I 597) stand der Schutz der Landesverteidigung einschließlich des Schutzes der Streitkräfte der NATO-Ver4 S. die grundsätzliche Kritik von Hellmer GS H. Kaufmann 747 ff. Steinsiek

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I. Überblick über die Staatsschutzgesetzgebung seit der Reichsgründung

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tragsstaaten im Vordergrund. Das 6. StrÄndG vom 30.6.1960 (BGBl. I 478) fügte mit § 96a eine Strafvorschrift gegen das Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher, insbesondere ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen ein und gestaltete den § 130 zu einer in erster Linie der Bekämpfung des Antisemitismus dienenden Vorschrift. Bei den Reformbestrebungen, die zum Vereinsgesetz und schließlich zum 8. StrÄndG 10 (Rdn. 12) führten, standen zunächst die Organisationstatbestände im Vordergrund. Bereits die Große Strafrechtskommission hatte, dem aus der Praxis kommenden Anstoß folgend, die Änderung des § 90a a. F. vorgeschlagen. Danach sollte der Anwendungsbereich des Tatbestandes auf die Begehung strafbarer Handlungen durch verfassungsfeindliche Organisationen beschränkt werden. Der Vorschlag fand Eingang in die von der Großen Strafrechtskommission erarbeiteten Entwürfe eines Strafgesetzbuchs von 1960 und 1962 (E 60 und E 62). Als das BVerfG dann mit Urteil vom 21.3.1961 (BVerfGE 12 296) den § 90 a. F., soweit er sich auf politische Parteien bezog, für nichtig erklärte, war eine umfassende Regelung des öffentlichen Vereinsrechts – einschließlich der damit zusammenhängenden Strafvorschriften – nicht länger aufzuschieben. Dem trug das Vereinsgesetz Rechnung, durch welches die Organisationstatbestände in § 90a und § 90b neu geregelt wurden. Das übrige Staatsschutzrecht sollte nicht vorab reformiert werden, sondern als Anknüp- 11 fungspunkt für eine Gesamtreform nützlich sein. Doch gab hier schließlich die im Zusammenhang mit der „Spiegel“-Affäre aufkommende Auseinandersetzung um das bis dahin nicht im Blickfeld liegende und kaum für reformbedürftig erachtete Landesverratsrecht den Anstoß zu dem Entschluss, die Erneuerung des Staatsschutzrechts doch vorwegzunehmen. Wie bereits im Jahre 1951 wurde auch jetzt die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Bundestages zuerst mit einem Gesetzentwurf vom 8.12.1965 (BTDrucks. V/102) initiativ, dem dann unter dem 5. September 1966 der Entwurf eines 8. StrÄndG (BTDrucks. V/898) als Regierungsentwurf folgte. Die durch umfangreiche Anhörungen interessierter und sachkundiger Personen aus Wissenschaft und Praxis unterstützten Beratungen des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform (vgl. Rdn. 20) wurden am Ende noch entscheidend durch einen von Universitätslehrern des Strafrechts erarbeiteten Alternativentwurf beeinflusst (politisches Strafrecht, AE 1960).

b) Rechtszustand mit Erlass des 8. StrÄndG. Das 8. StrÄndG vom 25.6.1968 (BGBl. I 741) 12 brachte grundlegende Änderungen. Es befolgte durch Einfügung des Titels über den Friedensverrat endlich den Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 1 S. 2 GG. Die sachlich dem Staatsschutzrecht zugehörige Strafvorschrift über die Geheimbündelei (§ 128) entfiel ersatzlos. Im Titel über den Hochverrat entfiel der noch an monarchistische Vorstellungen anknüpfende Tatbestand des hochverräterischen Anschlags gegen den Bundespräsidenten; der Tatbestand des hochverräterischen Zwanges gegen den Bundespräsidenten wurde sachgerecht in den § 106 übertragen. Mit der Streichung des § 84 über die Verbreitung fahrlässig nicht als solcher erkannter hochverräterischer Publikationen wurde ein Relikt einer überdehnten, ins rein Ideologische greifenden Konzeption der Vorbereitung zum Hochverrat beseitigt. Starken Veränderungen und Einschränkungen wurde der in „Gefährdung des demokrati- 13 schen Rechtsstaates“ umbenannte Abschnitt über die Staatsgefährdung unterzogen. Die Organisationstatbestände wurden in den §§ 84, 85 nochmals neu gefasst. Dabei wurde das Verbotsprinzip auch auf die Ersatzorganisationen einer verbotenen Partei oder sonstigen Vereinigung ausgedehnt. Dies führt zu Problemen in Fällen der getarnten Fortführung einer verbotenen Partei oder sonstigen Organisation, was den Mitgliedern der verbotenen Vereinigung die Möglichkeit eröffnet, durch Neuformation unter anderem Namen ohne strafrechtliches Risiko das Organisationsverbot zu unterlaufen. Da die Einleitung entsprechender Verbots- oder Feststellungsverfahren schwierig ist und zudem weitgehend von politischen Ermessensentscheidungen abhängt und die Durchsetzung entsprechender Verbote häufig mit Komplikationen verbunden ist, haben die §§ 84, 85 bislang nur geringe praktische Bedeutung erlangt. 7

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Vorbemerkung zum Ersten Abschnitt

Weitere Einschränkungen ergaben sich durch die Aufhebung der sachlich der Staatsgefährdung zuzurechnenden Vorschrift des § 100d Abs. 2, die Aufnahme des subjektiven Tatbestandsmerkmals der „verfassungsfeindlichen Absicht“ in etliche der neu gefassten Vorschriften (§§ 87, 88, 89, 90b) und die Regelung des § 91 über den Anwendungsbereich der §§ 84, 85 und 87. Im Landesverratsrecht vermied man solche tiefen Eingriffe in die Substanz. Hier wurde 15 die Trennung des gezielt dem Gegner dienlichen Verrats von der bloßen Preisgabe von Staatsgeheimnissen durch Publikation und Mitteilung an Unbefugte verwirklicht. Der Begriff des Staatsgeheimnisses wurde unter Ausschaltung des diplomatischen Geheimnisses eingeschränkt und vom Tatbestand der landesverräterischen Fälschung gelöst. Der umstrittene Beziehungstatbestand des § 100e wurde durch Tätigkeitstatbestände der Spionage ersetzt. Dem illegalen Staatsgeheimnis wurde eine neue komplizierte und in ihrer Gültigkeit angezweifelte Neuregelung gewidmet. Von den im ehemaligen § 100d zusammengefassten Tatbeständen blieb nur die landesverräterische Konspiration, die das Ziel eines Krieges oder eines bewaffneten Unternehmens gegen die Bundesrepublik Deutschland hat, übrig. Eine Amnestie, durch Gewährung von Straffreiheit für die meisten der vor dem 1.7.1968 16 begangenen einschlägigen Straftaten im Bereich der Zurückverlegung der Strafbarkeitsgrenze, erleichterte den Übergang zur neuen Regelung (Gesetz vom 9.7.1968 – BGBl. I 773). Zu erwähnen sind schließlich bedeutsame verfahrensrechtliche Änderungen, nämlich die 17 durch Art. 3 Nrn. 4 und 5 des 8. StrÄndG eingeführten weiteren Lockerungen des Verfolgungszwangs (§§ 153c u. 153d StPO) und die Beseitigung der erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs zum Zwecke einer umfassenden Einführung eines zweiten Rechtszuges auch im Staatsschutzstrafrecht. Dies erfolgte durch das Gesetz vom 8.9.1969 (BGBl. I 1582), dem eine Verfassungsergänzung mit Einfügung des Art. 96 Abs. 5 GG bezüglich der Übertragbarkeit der Ausübung von Gerichtsbarkeit des Bundes durch Gerichte der Länder vorausging (Gesetz vom 26.8.1969 – BGBl. I 1357).

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18 c) Rechtszustand nach Verabschiedung des 8. StrÄndG. In der Folge ist der Erste Abschnitt des Besonderen Teils nur partiell noch entscheidend geändert worden. Im Zuge der gesetzgeberischen Bemühungen zur Abwehr des Terrorismus wurde durch das 14. StrÄndG vom 22.4.1976 (BGBl. I 1056) mit § 88a eine Vorschrift gegen die „Verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten“ eingeführt. Dieser von Anfang an umstrittene Tatbestand, der die Strafbarkeit weit in das ideologische Vorfeld staatsgefährdender Taten vorverlegte, wurde durch das 19. StrÄndG vom 7.8.1981 (BGBl. I 808) aufgehoben. Eine weitere Änderung des Staatsschutzrechts erfolgte durch das 21. StrÄndG vom 13.6.1985 (BGBl. I 965), welches § 86a Abs. 1 dahingehend erweiterte, dass auch das Herstellen, Vorrätighalten und Einführen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe steht. Nach der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands haben das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 31.10.1994 (BGBl. I 3136), das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz vom 22.7.1997 (BGBl. I 1870), das Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz vom 17.12.1997 (BGBl. I 3108) sowie das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26.1.1998 und vom 3.4.1998 (BGBl. I 164, 704) zu, im wesentlichen technischen, Fassungsänderungen geführt. Insgesamt sind die Vorschriften mit Augenmaß angewandt worden. Laufhütte/Kuschel haben in LK12 an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass neue terroristische und den Rechtsstaat bedrohende Bestrebungen dazu führen könnten, dass die Bedeutung der Vorschriften des Ersten Abschnitts zunimmt. Diese Annahme ist eingetreten. Sie bezieht sich jedoch weniger auf die gesteigerte tatsächliche Bedeutung der damals vorhandenen Tatbestände, sondern wird maßgeblich durch die Anwendung der durch das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG) vom 30.7.2009 (BGBl. I 2437) neu eingeführten Vorfeldstrafbarkeiten der §§ 89a, 89b und 91 StGB gestützt.5 Ziel dieser Bestimmungen war es, eine frühzeitige, im Vorfeld konkreter Rechtsgutgefährdungen oder – 5 Hierzu eingehend Steinsiek Terrorabwehr durch Strafrecht? (2012). Steinsiek

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I. Überblick über die Staatsschutzgesetzgebung seit der Reichsgründung

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verletzungen einsetzende, strafrechtliche Verfolgung auch von organisatorisch ungebundenen Einzeltätern zu ermöglichen. Die durch das GVVG vorgenommenen Vorverlagerungen von Strafbarkeiten wurden durch weitere gesetzgeberische Maßnahmen in der Folge noch ergänzt. Zu nennen sind hier das GVVG-Änderungsgesetz vom 12.7.2015 (BGBl. I 926), welches bereits das Unternehmen der Ausreise aus der Bundesrepublik zur Vorbereitung von terroristischen Gewalttaten pönalisierte (§ 89a Absatz 2a) sowie einen eigenen Tatbestand Terrorismusfinanzierung (§ 89c StGB) schuf. Ergänzungen haben mit dem Gesetz zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 26.7.2016 (BGBl. I 1818) zudem die §§ 84, 85 erfahren. Eine weitere Änderung ergab sich in Form der Aufhebung von § 80 zum 1.1.2017 durch Art. 2 Abs. 4 des Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches vom 22.12.2016 (BGBl. 2016 I 3150).6

5. Das Staatsschutzrecht der Deutschen Demokratischen Republik Dieses wies im Vergleich zu dem der Bundesrepublik Deutschland die interessante Parallele 19 auf, dass auch hier eine in die Verfassung aufgenommene Strafvorschrift am Anfang stand. Während jedoch der auf den Hochverrat beschränkte Art. 143 GG a. F. in der Bundesrepublik niemals zur Anwendung kam, war die Generalklausel des Art. 6 Abs. 2 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7.10.1949 (GBl. 5) Jahre hindurch das Mittel, dessen sich die Machthaber zur Unterdrückung unerwünschter Regungen mit schärfsten Strafen bedienten.7 Spätere gesetzliche Regelungen verfolgten entsprechende Ziele: Das unter dem 15.12.1950 ergangene Gesetz zum Schutze des Friedens (GBl. 1199) brachte in Präambel und Tatbeständen die geforderte Parteilichkeit der Strafjustiz besonders deutlich zum Ausdruck. Es konzentrierte alle einschlägigen Verfahren beim Obersten Gericht und erstreckte dessen Kompetenz ohne Rücksicht auf den Tatort auf alle Deutschen. Eine Aufgliederung des im Übrigen weiter durch Art. 6 der Verfassung der DDR erfassten Komplexes brachte erst das Strafrechtsergänzungsgesetz vom 11.12.1957 (GBl. 643), das u. a. Tatbestände wie Staatsverrat, Spionage, Verbindung zu verbrecherischen Organisationen und Dienststellen, staatsgefährdende Propaganda und Hetze, Staatsverleumdung, Verleitung zum Verlassen der DDR, Diversion, Schädlingstätigkeit und Sabotage enthielt und in einem besonderen Abschnitt Verbrechen gegen das gesellschaftliche Eigentum unter Strafe stellte. Das Gesetz zum Schutze der Staatsbürger- und Menschenrechte der Bürger der DDR zum 13.10.1966 (GBl. I 81) fügte Strafvorschriften hinzu, die Fälle der Strafverfolgung von Bürgern der DDR durch Organe der Bundesrepublik Deutschland betrafen. Die einschlägigen Vorschriften des neuen Strafgesetzbuchs vom 12.1. 1968 (GBl. I 1) änderten diese Konzeption nicht. Die Aufgliederung in Einzeltatbestände führte allerdings zu einer gewissen Abstufung der Strafandrohungen. In der Folge hat der DDR-Gesetzgeber, mit dem StrÄndG-DDR vom 19.12.1974 (GBl. I 591) und dem 2. StrÄndG-DDR vom 7.4.1977 (GBl. I 100), den Tatbestand der „staatsgefährdenden Hetze“ erweitert. Das 3. StrÄndGDDR vom 28.6.1979 (GBl. I 139) erregte vor allem deswegen Aufsehen, weil es in besonderer Weise gegen eine freie Berichterstattung über Tagesereignisse und gegen Schriftsteller gerichtet war, die an Veröffentlichungen in der DDR gehindert wurden und sich deshalb außerhalb der DDR um die Publikation ihrer Werke bemühten.8 Der Tatbestand des Hochverrats wurde durch das 4. StrÄndG-DDR vom 30.12.1987 (GBl. I 301) nochmals neu gefasst. Nach November 6 Zum bisherigen § 80 vgl. die Kommentierungen bei § 80a Entstehungsgeschichte sowie von Laufhütte/Kuschel in LK12; zur Nachfolgevorschrift vgl. § 13 VStGB. 7 Die Rechtsprechung dazu und zu Straftaten von Exekutivorganen gegen Bürger, die versucht haben, die DDR zu verlassen, führte nach dem 3.10.1990 zu verschiedenen Verfahren (dazu und zu späteren Strafvorschriften der DDR Laufhütte Festgabe BGH 50, S. 409 ff.). 8 Zur Entwicklung bis 1970 eingehend Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 272 ff.; zur späteren Entwicklung Fricke Deutschlandarchiv 1977 452 und 1979 787. 9

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Vor § 80 StGB

Vorbemerkung zum Ersten Abschnitt

1989 hat der DDR-Gesetzgeber mit dem 6. StrÄndG-DDR vom 29.6.1990 (GBl. I 526) das Staatsschutzrecht nach den Maßstäben eines demokratischen Rechtsstaats neu geregelt. Diese Neuregelung konnte jedoch kaum Wirkung entfalten, weil mit Wirkung vom 3.10.1990 durch Artikel 8 des Einigungsvertrages vom 31.8.1990 in Verbindung mit dem Einigungsvertragsgesetz vom 23.9.1990 (BGBl. II 855, 955) der Geltungsbereich des bundesdeutschen Staatsschutzrechts auf das Gebiet der nunmehr ehemaligen DDR ausgedehnt wurde.

II. Wesen und Grenzen des Staatsschutzstrafrechts 1. Schutzgut des Staatsschutzstrafrechts 20 Das Schutzgut umfasst nicht allgemein die freiheitliche Ordnung, sondern den durch das Grundgesetz konkretisierten demokratischen Rechtsstaat, die Bundesrepublik Deutschland.9 Das Strafgesetzbuch kennt dabei folgende Rechtsgüter: den Bestand der Bundesrepublik Deutschland (Freiheit von fremder Botmäßigkeit, staatliche Einheit und Integrität des Staatsgebiets, § 92 Abs. 1), die äußere und innere Sicherheit (Zustand relativer Ungefährdetheit gegenüber fremden Staaten und gegenüber gewaltsamen Aktionen innerstaatlicher Kräfte, § 92 Abs. 3 Nr. 2) sowie den Schutz der Verfassungsgrundsätze, wie sie in § 92 Abs. 2 aufgeführt sind. Zu den Verfassungsgrundsätzen in diesem Sinne gehören: das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen (Nummer 1); die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Nummer 2); das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition (Nummer 3); die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung (Nummer 4); die Unabhängigkeit der Gerichte (Nummer 5) und der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft (Nummer 6).

2. Notwendigkeit des Staatsschutzes 21 Ein Staat muss sich bereits vor Versuchen, die darauf abzielen, ihn gewaltsam zu zerstören oder grundlegend zu verändern, schützen. Der sichere Bestand des Staates und die innere Sicherheit, seine Fähigkeit, die Rechtsordnung durchzusetzen, tragen elementar zur physischen und psychischen sozialen Sicherheit seiner Bürger bei. Darüber hinaus ist der freiheitlich demokratische Rechtsstaat gegen Bestrebungen, seine tragenden Prinzipien ohne Gewalt umzuwandeln, zu schützen. Die historische Erfahrung, dass die totalitäre NSDAP durch freie Wahlen an die Macht gekommen ist, erklärt das Konzept der streitbaren Demokratie10 im Grundgesetz (Art. 18, 21, 79 Abs. 3 GG); es hat Eingang in die entsprechenden Strafvorschriften des Titels „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“ gefunden. Besonders das im Grundgesetz vorgesehene Verbot verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen macht eine weitgehende Vorbeugung gegen die gewaltlose Machtübernahme durch totalitäre Vereinigungen möglich. Der entsprechende strafrechtliche Schutz der Verfassung findet sich in den §§ 84 bis 86.

9 Sonderausschuss des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, BTDrucks. V/2860 S. 1; vgl. auch Rdn. 11. 10 Zur „streitbaren“ oder „wehrhaften Demokratie“ vor allem Denninger/Klein Verfassungstreue und Schutz der Verfassung VVDStRl Nr. 37 1979 m. w. N.; vgl. auch Heeb Der präventive Verfassungsschutz; Spiegel Die Möglichkeit eines effektiven Schutzes der normativen Legitimität in der Demokratie; Lameyer Streitbare Demokratie und dazu die Rezension von Rumpf Die Verwaltung 1979 521; Scheuner FS Kaufmann 313; Baumann MDR 1963 87; Willms Das Staatsschutzkonzept des GG und seine Bewährung. Steinsiek

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II. Wesen und Grenzen des Staatsschutzstrafrechts

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3. Grenzen und Einschränkungen des Staatsschutzes Der beste Staatsschutz ist die Verfassungstreue der Bürger. Die freiheitlich demokratische Grund- 22 ordnung lebt davon, dass sie von einer genügend großen Zahl von Bürgern bejaht und getragen wird. Verliert sie diesen Rückhalt, lässt sie sich auch mit den in der Verfassung für Notstandsfälle vorgesehenen Maßnahmen weder erhalten noch wiederherstellen. Aber auch der Verfassungsschutz gegen gewaltsame Umstürze stößt mit Mitteln des Strafrechts auf natürliche Grenzen. Es liegt in der Natur der Staatsschutztatbestände, dass sie weitgehend nur die Bestrafung fehlgeschlagener Angriffe ermöglichen können. Staatsschutzdelikte pönalisieren deshalb in erster Linie Vorbereitungs- und Gefährdungshandlungen. Hieraus folgt ein Grundproblem des strafrechtlichen Verfassungsschutzes. Das Grundgesetz selbst zielt auf die Freiheit des Bürgers und deren Schutz. Die zentrale Staatszielbestimmung, die Abwehr aller undemokratischen, diktatorischen und totalitären Herrschaftsformen folgte bei Erlass des Grundgesetzes als selbstverständliche Reaktion auf den Terror des nationalsozialistischen Regimes. Die zur Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen geschaffenen Gesetze führen notwendigerweise zu Einschränkungen der ebenfalls grundgesetzlich geschützten Rechte des Einzelnen. Der Bestandsschutz der Demokratie kollidiert mit der Meinungsfreiheit ihres politischen Gegners, der Schutz des Geheimhaltungsinteresses mit der Informationsfreiheit des Bürgers. Je umfangreicher der strafrechtliche Staatsschutz gestaltet wird, desto geringer wird die Bewegungsfreiheit des Bürgers. Wird der strafrechtliche Schutz der Verfassung zu weit ausgedehnt, führt dies zu einem Strafrecht, das seinerseits der Verfassung widerspricht. Dies abzuwägen ist bei der Auslegung der Strafvorschriften, die dem Staatsschutz dienen, unumgänglich. So darf es niemandem verwehrt werden, anders zu denken und seine Meinung frei zu äußern, selbst wenn diese Meinung von politischen Kräften vertreten wird, die die freiheitliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen wollen (Art. 5 GG). Verboten sind jedoch Aktionen und Aufforderungen zu Aktionen, die die freiheitliche Grundordnung untergraben oder untergraben sollen. Außer den mit den materiellen Normen verbundenen Rechtsbeschränkungen sind auch die 23 Wirkungen des Verfahrensrechts zu berücksichtigen. Bereits die Einleitung eines Strafverfahrens, etwa verbunden mit einer Wohnungsdurchsuchung oder sonstigen Maßnahmen zur Beweissicherung, kann einschüchternde Wirkung haben. Daneben tritt der Umstand, dass sich über zahlreiche Tatbestände des Staatsschutzstrafrechts bereits so früh zumindest ein Anfangsverdacht begründen lässt, der den Zugriff auf verfahrensrechtliche Ermittlungsbefugnisse eröffnet, dass deren Einsatz zur Erkenntnisgewinnung aus Sicht des Staatsschutzes wichtiger wird als eine tatsächliche spätere Verurteilung.11 Hinzu kommt, dass Verfassungsschutz und Spionageabwehr häufig im Geheimen operieren und operieren müssen, so dass der Bürger nicht erkennen kann, ob rechtsstaatliche Bindungen eingehalten worden sind. Dies kann dazu führen, dass der Bürger den notwendigen Staatsschutz ablehnt und dem Staat gegenüber eine abwehrende Haltung einnimmt. Zur Vermeidung solcher dem Staatsschutz geradezu entgegenwirkender Stimmungen, ist die strikte Einhaltung gesetzlicher Eingriffsrechte und die Beachtung insbesondere des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unumgänglich. Der Gesetzgeber ist daher gefordert, hier die richtigen Grenzen zu ziehen. Der Schutz des 24 Rechtsstaates kann nicht mit rechtsstaatswidrigen Methoden erreicht werden, weil die Freiheitsrechte der Bürger Teil des Rechtsstaatsgedankens sind. Die gesetzlichen Tatbestände und das Verfahren müssen dem rechtsstaatlichen Prinzip entsprechen. Die freiheitliche Demokratie darf auch bei der Verteidigung ihrer Existenz ihre eigenen Gesetze nicht verleugnen (bereits BGHSt 11 171, 179), zumal nach einer ihrer Grundanschauungen „nur die ständige geistige Auseinandersetzung zwischen den einander begegnenden sozialen Kräften und Interessen … der richtige Weg zur Bildung des Staatswillens ist“ (BVerfGE 5 85, 135). Diese freie geistige Auseinandersetzung bezieht auch Vorstellungen und Ideologien ein, die der Demokratie feindlich gesinnt sind. Dementsprechend hat sich auch der Sonderausschuss des Deutschen Bundestages für die Straf11 Eingehend bezogen auf die §§ 89a, b und 91 StGB Steinsiek Terrorabwehr durch Strafrecht? S. 375 ff. 11

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Vor § 80 StGB

Vorbemerkung zum Ersten Abschnitt

rechtsreform bei dem Entwurf für das 8. StrÄndG von dem Bestreben leiten lassen, die Tatbestände des politischen Strafrechts in Orientierung am Grundgesetz zu präzisieren und das Strafgesetzbuch von Bestimmungen zu entlasten, die Kontakte zwischen Menschen aus beiden Teilen Deutschlands oder die geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus behindert hätten (BTDrucks. V/2860 S. 1). Diese Aussage gilt generalisierend für die geistige Auseinandersetzung mit anderen politischen Meinungen. Darüber hinaus sind die Vorschriften des politischen Strafrechts auch ihrerseits im Sinne der Wechselwirkung im Geist der Verfassung auszulegen.12 Sie dienen der Abwehr (auch neuer) totalitärer Tendenzen.

4. Das Parteienprivileg 25 Gemäß Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG entscheidet über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei das BVerfG. Aus dieser auf den ersten Blick nur eine Zuständigkeitsregelung enthaltenden Vorschrift hat das BVerfG gefolgert (BVerfGE 12 296, 304 f.), dass im Hinblick auf die den politischen Parteien in Art. 21 GG wegen ihrer Sonderstellung im Verfassungsleben eingeräumten Schutzund Bestandsgarantie die Verfassungswidrigkeit einer Partei bis zu einer entsprechenden Entscheidung des BVerfG von niemandem rechtlich geltend gemacht werden kann. Dem Verbot einer Partei durch das BVerfG kommt konstitutive Wirkung zu. Dieses Parteienprivileg schützt nicht nur die Parteiorganisation als solche, sondern erstreckt sich auch auf die mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitende (partei)offizielle Tätigkeit der Funktionäre, Mitglieder und Anhänger einer Partei. Die Grenzen dieses Privilegs werden durch die allgemeinen Strafgesetze bestimmt, gegen die auch eine für eine Partei vorgenommene Tätigkeit nicht verstoßen darf.13 Für die strafrechtliche, insbesondere die staatsschutzstrafrechtliche Bewertung der Tätigkeit von Parteifunktionären, -mitgliedern oder -anhängern ergeben sich aus dem so präzisierten Parteienprivileg folgende Konsequenzen:

26 a) Im Bereich der Organisationsdelikte ist es dem Gesetzgeber verwehrt, eine allgemeine, Strafgesetze nicht verletzende Propagierung und Förderung der Ziele einer verfassungswidrigen Partei durch deren Funktionäre, Mitglieder oder Anhänger mit Strafe zu bedrohen, solange die Partei nicht durch das BVerfG verboten ist.14 27 Bis LK11 wurde die Auffassung vertreten, der Gesetzgeber habe dies in den §§ 84 bis 86a nicht durchgängig beachtet. Soweit dort Tätigkeiten für eine Partei, die als Ersatzorganisation einer verbotenen Partei nach § 33 Abs. 3 PartG, § 8 Abs. 2 VereinsG lediglich in einem Verwaltungsverfahren verboten wurde, unter Strafe gestellt sind, sei das Entscheidungsmonopol des BVerfG missachtet worden. Die §§ 85 bis 86a seien daher in diesem Umfang verfassungswidrig (zweifelnd in diesem Sinne bereits Willms LK10 § 85 Rdn. 2). Das Gewicht des damit aufgeworfenen Problems vermindert sich durch die in § 33 Abs. 2 und Abs. 3 PartG vorgeschriebenen Zuständigkeiten und Verfahren. Nach § 33 Abs. 2 PartG stellt das BVerfG fest, dass es sich um eine verbotene Ersatzorganisation handelt, wenn die Ersatzorganisation eine Partei ist, die bereits vor dem Verbot der ursprünglichen Partei bestanden hat oder im Bundestag oder einem Landtag vertreten ist. Auf andere Parteien und Vereine im Sinne des § 2 VereinsG, die Ersatzorganisationen einer verbotenen Partei sind, kann nach § 33 Abs. 3 PartG ein Verbot im Verwaltungsverfahren durchgeführt werden. Dies erscheint jedoch in Hinblick auf Parteien, die Ersatzorganisationen sind, problematisch. Hat die Vereinigung (auch als Ersatzorganisation) die Qualität einer Partei – ist sie also eine Vereinigung von Staatsbürgern, die mithilfe ihrer Organisation in einem bestimmten Sinne Einfluss auf die staatliche Willensbildung der Bundesrepublik Deutschland durch Teilnahme an Wahlen und 12 BGHSt 19 311, 317; 23 64, 70f. 13 BVerfGE 12 296, 305 ff.; 13 46, 52; 13 123, 126; 17 155, 166; 47 130, 139; 47 198, 230. 14 BVerfGE 12 296, 306 f.; 47 130, 139. Steinsiek

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II. Wesen und Grenzen des Staatsschutzstrafrechts

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Abstimmungen anstrebt,15 und besteht nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach dem Umfang und der Festigkeit der Organisation und der Zahl ihrer Mitglieder sowie dem Hervortreten in der Öffentlichkeit, eine auseichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielrichtung (BVerwG NJW 1993 3213) –, so widerspricht ein Verbot im Verwaltungsverfahren dem Parteienprivileg nach Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG (vgl. § 84 Rdn. 4 ff. u. § 85 Rdn. 4 ff.). Nach der hier vertretenen Auffassung hätte etwa die im Jahre 1968 gegründete DKP nicht als Ersatzorganisation der verbotenen KPD, eine solche unterstellt, im Verwaltungswege verboten werden dürfen.

b) Im Bereich der allgemeinen Strafgesetze. Im Übrigen darf die Tätigkeit für eine Partei 28 nur dann strafrechtlich geahndet werden, wenn sie gegen allgemeine Strafgesetze verstößt. Darunter sind die Straftatbestände zu verstehen, die kein Sonderrecht gegen die Parteien enthalten, dh. nicht notwendig oder wesensmäßig bei der Förderung auch verfassungsfeindlicher Parteiziele verwirklicht werden, und die insbesondere nicht nur die bloße Verfassungsfeindlichkeit unter Strafe stellen, sondern bei denen andere Unrechtsmerkmale den eigentlichen strafrechtlichen Gehalt ausmachen.16 Allgemeine Strafgesetze sind danach zunächst alle Strafvorschriften außerhalb des Bereichs der Staatsschutzdelikte, wie etwa die allgemeinen Ehrschutztatbestände der §§ 185 ff.17 oder die Vorschriften zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit (§§ 223 ff.). Innerhalb des Staatsschutzrechts sind allgemeine Strafgesetze diejenigen Tatbestände, 29 die in subjektiver Hinsicht keine Verfassungsfeindlichkeit voraussetzen, so beispielsweise die §§ 90 Abs. 1, 90a Abs. 1 und Abs. 2,18 oder in denen die Verfassungsfeindlichkeit durch objektive Tatbestandsmerkmale umschrieben ist, wie bei den §§ 81 bis 83 hinsichtlich des Gebietshochverrates.19 Nach nunmehr herrschender Ansicht zählen zu den allgemeinen Strafgesetzen aber auch 30 die Tatbestände, in denen die subjektive verfassungsfeindliche Tendenz des Täters lediglich neben anderen Tatbestandsmerkmalen, die den eigentlichen strafrechtlichen Gehalt der Vorschrift bestimmen, das Unrecht konstituiert. Hierzu gehören die Tatbestände der §§ 81 bis 83,20 die §§ 87 ff.,21 § 88 und § 89,22 §§ 89a–c, § 90b23 sowie § 91. Gegen die herrschende Meinung wird eingewandt, dass die genannten Vorschriften – bei verfassungskonformer Auslegung – erst nach dem Verbot der Partei durch das BVerfG auf deren Funktionäre, Mitglieder und Anhänger angewendet werden dürften. Dies würde jedoch das Parteienprivileg in einem von Art. 21 GG nicht gebotenem Umfang ausdehnen und zu einer nicht gerechtfertigten Besserstellung parteimäßig organisierter Tätergruppen gegenüber Einzeltätern führen. Nicht als allgemeine Strafgesetze sind hingegen Tatbestände aufzufassen, in denen die 31 subjektive verfassungsfeindliche Tendenz das tatbestandliche Unrecht allein begründet, wesentlich prägt oder als alleiniges Kriterium einer Strafschärfung dient. Daher können die Qualifikationen der §§ 90 Abs. 3 Alt. 2 und 90a Abs. 3 wegen des Parteienprivilegs nicht auf Taten angewandt werden, die zur Förderung und Propagierung der Ziele einer verfassungswidrigen Partei vor deren Verbot durch das BVerfG begangen wurden.24

15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 13

BGHSt 19 51, 54 mit Nachw. aus der Rspr. des BVerfG. BVerfGE 47 130, 139 f.; 47 198, 230; BGHSt 19 311, 316; 29 50, 52 f. BVerfGE 47 130, 135, 142; 69 257, 269. BVerfGE 47 198, 231; 69 257, 269; BGHSt 19 311, 316 ff.; 20 87, 88. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Vorbem. zu §§ 80 ff Rdn. 7. BVerfGE 9 162, 166; BGHSt 6 336, 344 ff. BGHSt 29 50, 53 f. BVerfGE 47 130, 141 ff. BGHSt 29 50, 52 ff.; 29 159, 160; aA noch BGHSt 20 115. BGHSt 19 311, 319; wohl auch BGHSt 29 159, 161; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Vorbem. zu §§ 80 ff. Rdn. 7. Steinsiek

Vor § 80 StGB

Vorbemerkung zum Ersten Abschnitt

32 c) Reichweite, Verbotsirrtum. Das Parteienprivileg beschränkt sich ausschließlich auf die Parteiarbeit; es ist organisationsbezogen. Daher findet es nur auf solche Tätigkeiten Anwendung, die erkennbar für eine Partei vorgenommen werden. Hieran fehlt es bei einem Tätigwerden für eigenständige, parteiunabhängige oder auch abhängige Organisationen, auch wenn hierbei im Auftrag der Partei Parteiziele propagiert und gefördert werden.25 Das gilt auch bei Aktivitäten, die zwar im Parteibereich vorgenommen werden, sich jedoch nicht im Rahmen der Parteiziele bewegen.26 Wer bei einer strafrechtlich relevanten Tätigkeit für eine Partei irrig davon ausgeht, eine Strafbarkeit der Tat sei durch das Parteienprivileg ausgeschlossen, handelt im Verbotsirrtum (BGH StV 1982 218).

III. Örtlicher, sachlicher und persönlicher Geltungsbereich des Staatsschutzstrafrechts 1. Inlandstaten 33 Seit dem 3.10.1990 gilt gemäß § 1 S. 1 des 6. Überleitungsgesetzes vom 25. 9.1990 (BGBl. I 2106) auch in West-Berlin, mit hier nicht interessierenden Ausnahmen, ohne Einschränkungen Bundesrecht.27 Dies war dort bis dahin aufgrund alliierter Vorbehaltsrechte nicht oder nicht in vollem Umfang der Fall. Damit ist die Ausnahmeregelung des Art. 324 EGStGB, wonach in WestBerlin § 84 überhaupt nicht galt und die §§ 85 bis 87 und § 89 nur in einer modifizierten Form anwendbar waren, entfallen. Da gleichzeitig durch Art. 8 des Einigungsvertrages der Geltungsbereich des bundesdeutschen Staatsschutzstrafrechts auch auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgedehnt wurde, gelten seither die Vorschriften des Ersten Abschnitts für Inlandstaten uneingeschränkt.28 Zu beachten ist jedoch die immanente Beschränkung einzelner Tatbestände auf den räumlichen Geltungsbereich des StGB (s. §§ 84 bis 87).

2. Auslandstaten 34 Auf der Grundlage des Schutzprinzips gelten gemäß § 5 Nr. 2 und 3b die §§ 81 bis 83, 90, 90a Abs. 2 unabhängig vom Recht des Tatortes und der Staatsangehörigkeit des Täters auch für Auslandstaten. Die §§ 89, 90a Abs. 1 und § 90b sind auf Auslandstaten dann anwendbar, wenn der Täter Deutscher ist und seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich des StGB hat (§ 5 Nr. 3a).

3. NATO-Vertragsstaaten und ihre Truppen 35 Die nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes sowie ihre in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen sind gemäß § 1 des Gesetzes über den Schutz der Truppen des Nordatlantikpaktes durch das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (NATO-Truppen-Schutzgesetz, NTSG) vom 27.3.2008 (BGBl. I S. 490), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes vom

25 BGHSt 20 87, 88 f., 111, 114; 27 59, 61 ff. 26 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Vorbem. zu §§ 80 ff. Rdn. 8. 27 Vgl. § 5 Abs. 2 des 6. Überleitungsgesetzes in Verbindung mit der Bekanntmachung über das Inkrafttreten des 6. Überleitungsgesetzes vom 3.10.1990 – BGBl. I 2153. 28 Eine Sonderregelung enthält § 91a, der als Ausnahmevorschrift zu § 9 Abs. 1 den Anwendungsbereich der §§ 84, 85 und 87 für aus dem Ausland heraus begangene Distanzdelikte einschränkt. Seine historische Bedeutung entstammt der innerdeutschen Teilung, ist praktisch inzwischen jedoch bei inländischen Sachverhalten entfallen. Steinsiek

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V. Verfahrensfragen

StGB Vor § 80

23.5. 2017 (BGBl. I S. 1226) in bestimmtem Umfang in den Schutzbereich des deutschen Strafrechts einbezogen.29

4. Geltungsbereich des Nordatlantikpaktes Nachdem die UdSSR zunächst die Neutralität des vereinten Deutschlands verlangt hatte, unter- 36 zeichneten am 12.9.1990 die sechs Außenminister der „Zwei-plus-Vier“-Runde den Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland („Zwei-plus-Vier-Vertrag“30). Dieser gewährte dem geeinigten Deutschland Bündnisfreiheit und die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten (Art. 6 und Art. 7 Abs. 2). Nach dem Beitritt nach Art. 23 S. 2 GG besteht das Rechtssubjekt Bundesrepublik Deutschland fort, insbesondere bleibt es Völkerrechtssubjekt in der Staatengemeinschaft, so dass dessen Verträge, Mitgliedschaften in internationalen Organisationen unverändert unter Einbeziehung der beigetretenen Teile fortgelten.31 Nach Art. 5 Abs. 3 des „Zwei-plus-Vier-Vertrages“ werden ausländische Streitkräfte auf dem Gebiet der ehemaligen DDR weder stationiert noch dorthin verlegt.32

IV. Recht des Einigungsvertrages Die Rechtsfragen zur Geltung des Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland (vgl. hierzu Lauf- 37 hütte LK11 Rdn. 35 ff.) sind inzwischen – jedenfalls durch Zeitablauf – gelöst.33 Für Ausführungen zu den Auswirkungen des Einigungsvertrages auf die Tatbestände des Ersten Abschnitts des Besonderen Teils, s. Laufhütte/Kuschel LK12 Rdn. 37.

V. Verfahrensfragen Für die strafrechtliche Ahndung der Mehrzahl der Straftaten nach dem Ersten Abschnitt des 38 Besonderen Teils sieht das GVG besondere Zuständigkeiten der Gerichte vor, denen auch die der Anklagebehörde folgt. Die Oberlandesgerichte sind für Straftaten nach den §§ 81 bis 83 zuständig (§ 120 Abs. 1 und 2 GVG). Straftaten nach § 80a, 84 bis 86, 87 bis 90, 90a Abs. 3 und 90b unterfallen der Zuständigkeit der Staatsschutzkammern der Landgerichte (§ 74a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 GVG). Eine spezielle Lockerung des Legalitätsprinzips in den Fällen des § 74a Abs. 1 Nr. 2 und nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 GVG sieht § 153e StPO vor. Die Vermögensbeschlagnahme ist für Fälle der §§ 81 bis 83 Abs. 1 vorgesehen (§ 443 StPO). Die Vorschriften des Ersten Abschnittes sind darüber hinaus zum Teil Katalogtaten für strafprozessuale Eingriffsrechte (z. B. § 100a Abs. 1 Nr. 1 StPO).

29 Ausführungen zum Ausmaß der Einbeziehung finden sich bei den Kommentierungen zu den jeweiligen Tatbeständen.

30 BGBl. II 1318; Gesetz zu dem Vertrag vom 12.9.1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 11.10.1990 – BGBl. II 1317. 31 Stern/Schmidt-Bleibtreu Einigungsvertrag und Wahlvertrag (1990), S. 28. 32 Stern/Schmidt-Bleibtreu Zwei-plus-Vier-Vertrag (1990), S. 86 Fn. 1. 33 Vgl. hier die zusammenfassenden Darstellungen von Laufhütte und Lampe FS aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens des Bundesgerichtshofs, der Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, S. 409 ff. u. S. 449 ff.; s. auch Marxen/Werle Strafjustiz und DDR-Unrecht (2002). 15

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ERSTER TITEL Friedensverrat § 80 weggefallen

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§ 80a Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression Wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) zum Verbrechen der Agression (§ 13 des Völkerstrafgesetzbuchs) aufstachelt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Schrifttum Ambos Strafrecht und Krieg: strafbare Beteiligung der Bundesregierung am Irak-Krieg, Festschrift Eser (2005) 671; Ambos/Arnold (Hrsg.) Der Irak-Krieg und das Völkerrecht (2004); Barber Das Verbrechen der Aggression nach Kampala, ZIS 2010 649; ders. Das Imperium der Angst (2003); Blumenwitz Das Verbrechen gegen den Frieden aus völkerrechtlicher Sicht, Festschrift Krause (1990) 79; Bringmann Völkerfriede durch Strafbewehrung (2004); Bruha Die Definition der Aggression (1980); Buddeberg Der Tatbestand des § 80a StGB: „Aufstacheln zum Angriffskrieg“ (1976); Busse Der Kosovo-Krieg vor deutschen Strafgerichten, NStZ 2000 631; Clemens Der Begriff des Angriffkrieges und die Funktion seiner Strafbarkeit (2005); Ferguson Das verleugnete Imperium (2004); Frank Abwehr völkerfriedensgefährdender Presse durch innerstaatliches Recht (1974); Frau Völkerrechtlich determiniertes deutsches Strafrecht. Zur internationalen Dimension deutscher Staatszielbestimmungen, Der Staat 53 (2014) 533; Geppert Strafrechtliche Gedanken zum Kosovo-Krieg Gedächtnisschrift Meurer (2002) 315; Graefrath Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit und das Verbot der Doppelbestrafung, NJ 1988 60; ders. Formen der Durchsetzung eines Kodex der Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit, NJ 1990 53; Greenwood in Fleck, Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten (1994) 40; Heinrich Das „Verbreiten“ als Tathandlung im Medienstrafrecht, ZJS 2016 569; Hummrich Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression (2001); Jescheck Entwicklung, gegenwärtiger Stand und Zukunftsaussichten des internationalen Strafrechts, GA 1981 49; Jeßberger Das Verbrechen der Aggression im deutschen Strafrecht, ZIS 2015 514; Kadelbach Staatenverantwortlichkeit für Angriffskriege und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in von Heintschel-Heinegg/Kadelbach/Hess/Hilf/Benedek/Roth Entschädigung nach bewaffneten Konflikten (2003) 63; Klug Der neue Tatbestand des Friedensverrates, in Baumann, Mißlingt die Strafrechtsreform? (1969) 162; ders. Das Aufstacheln zum Angriffskrieg (§ 80a StGB). Allgemeine und spezielle Interpretationsprobleme, Festschrift Jescheck (1985) 583; Kreß Friedenssicherung durch Vereinte Nationen und NATO, Archiv für Völkerrecht 35 (1997) 213; ders. Völkerstrafrecht in Deutschland, NStZ 2000 618; ders. Strafrecht und Angriffskrieg im Licht des „Falles Irak“, ZStW 115 (2003), 294; ders. Zur Vorbereitung eines Angriffskrieges, JZ 2003 911; Kreß/ Holtzendorff Der Kompromiss von Kampala über das Verbrechen der Aggression, GA 2011 65; Kurth Der Angriffskrieg und seine völkerstrafrechtliche Bewertung, NZWehrr 2005 59; Laubach Angriffskrieg oder humanitäre Intervention? ZRP 1999 276; Mayer Angriffskrieg und Europäisches Verfassungsrecht, in Archiv für Völkerrecht, 2003 394; Murswiek Die amerikanische Präventivkriegsstrategie und das Völkerrecht, NJW 2003 1014; Müller Die Pönalisierung des Angriffskrieges im Grundgesetz und im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland (1970); Ostendorf Die Strafbarkeit der Teilnahme an einem Angriffskrieg Festschrift Samson (2010) 129; Roggemann Anmerkungen zum Friedensschutz im Strafrecht, ROW 1988 209; Röling Friedenssicherung durch Völkerrecht in Schaumann (Hrsg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung (1971) 89; Schepple Das Verbrechen gegen den Frieden und seine Bestrafung (1983); Schmalenbach Das Verbrechen der Aggression vor dem Internationalen Strafgerichtshof: Ein politischer Erfolg mit rechtlichen Untiefen, JZ 2010 745; Schroeder Der Schutz des äußeren Friedens im Strafrecht, JZ 1969 41; ders. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden und Menschlichkeit im Recht beider deutscher Staaten, Deutschland-Archiv 1973 845; Schünemann Das Strafrecht im Zeichen der Globalisierung, GA 2003 299; SeibertFohr Das Verbrechen der Aggression im Rom-Statut: Fragen der Vertragsänderung und Jurisdiktion, ZIS 2008 361; Steinhausen Der Straftatbestand des Friedensverrats (§ 80 StGB) und die Erfordernisse des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) (1969); Stelter Gewaltanwendung unter und neben der UN-Charta (2007); Tomuschat Der 11. September 2001 und seine rechtlichen Konsequenzen, EuGRZ 2001 535; ders. The Duty to prosecute International Crimes Committed by Individuals in Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift Steinberger (2002) 315; ders. Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten im Rechtsstaat in der Bewährung in Caflisch/Stein/Tomuschat, Eingriff in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten zum Zwecke des Menschenrechtsschutzes (2002) 5; ders. Die Europäsiche Union als ein Akteur, in Verhandeln für den Frieden (2003) 799; Verosta Die Definition des Angriffs und die Staatenpraxis in Festschrift Wengler (1973) 693; Voigtländer Notwehrrecht und kollektive Verantwortung (2001); Wandscher Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht (2006); Werle Völkerstrafrecht und deutsches Völkerstrafgesetzbuch, JZ 2012 373; Werle/Jeßberger Völkerstrafrecht (2016); Wilkitzki Die völkerrechtlichen Verbrechen und das staatliche Strafrecht, ZStW 99 (1987) 455; Wittig Der Agressionsbegriff im internationalen Sprachgebrauch in Schaumann (Hrsg) Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung (1971) 89.

17 https://doi.org/10.1515/9783110490008-003

Steinsiek

§ 80a StGB

Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression

Entstehungsgeschichte § 80a ist in seiner ursprünglichen Fassung zusammen mit § 80 zur Ausführung des Verfassungsauftrags (Art. 26 Abs. 1 GG) durch das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Art. 26 Abs. 1 GG lautet: Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskriegs vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen. Die Verfassungsnorm bekundet in verbindlicher Form den Friedenswillen der Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Bereitschaft, zur wirksamen Sicherung des Friedens gefährliche friedensfeindliche Aktionen im eigenen Verantwortungsbereich auch mit strafrechtlichen Mitteln zu verhindern und zu ahnden.1 Der Auftrag an den Gesetzgeber blieb lange unerfüllt, nachdem ein erster Versuch im Zusammenhang mit der Schaffung des 1. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 7) gescheitert war. Dem Bundestag lagen damals zwei Vorschläge vor. Nach dem Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion (BTDrucks. I/563) sollte Zuchthaus nicht unter fünf Jahren gegen einen Täter angedroht werden, der öffentlich oder geheim für die Anwendung bewaffneter Gewalt gegen andere Völker eintritt oder Pläne dazu entwirft, sich an einer Verbindung beteiligt oder Maßnahmen trifft, die vom Bundestag nicht gebilligt sind und einen Krieg vorbereiten sollen. Nach dem Regierungsentwurf (BTDrucks. I/1307) sollte wegen Friedensverrats mit Zuchthaus u. a. bestraft werden, wer öffentlich oder geheim die Anwendung bewaffneter Gewalt zu einem Angriffskrieg fordert oder auf andere Weise die Führung eines Angriffskriegs vorbereitet oder wer in der Absicht, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, öffentlich gegen ein anderes Volk hetzt oder wider besseren Wissens eine unwahre Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, den Frieden zu gefährden. Ein Unterausschuss des Rechtsausschusses erarbeitete eine dritte Fassung, die eine dreistufige, dem Vorstellungsbild beim Hochverrat entsprechende Aufgliederung vorsah. Höchststrafen sollten den treffen, der gegen das Gebiet eines fremden Staates mit bewaffneter Hand eine Angriffshandlung unternimmt, die geeignet ist, einen Krieg auszulösen. Die Vorbereitung eines solchen Unternehmens sollte mit zeitigen Zuchthausstrafen erfasst werden. Im Vorfeld schließlich sollten sich Gefängnisstrafen gegen die öffentlich oder im Geheimen betriebene Propaganda für ein solches Unternehmen richten. Als zusätzliche Vorstufe war allgemein das Hervorrufen von Hassgefühlen gegen ein anderes Volk in der Absicht einer Störung des Völkerfriedens angesprochen. Die Bedenken, die sich bei den Beratungen ergaben, u. a. weil sich unter dem Eindruck der Korea-Krise „die Vorstellung gewandelt habe, von der das Grundgesetz ausgegangen sei“ (Abg. Wahl in der 87. Sitzung des RAussch.) und weil man mit dem Begriff „Angriffskrieg“ praktisch nicht arbeiten könne, da kaum feststellbar sei, wann es sich – von Ausnahmen abgesehen – um einen Angriffskrieg handele (Abg. Arndt in der 89. Sitzung), führten dazu, dass die Beratungen über den Abschnitt zurückgestellt und schließlich nicht mehr aufgenommen wurden. Da das Problem der Definition des Angriffskrieges aber durch den Wortlaut des Art. 26 Abs. 1 GG vorgegeben ist, konnte es bei der gesetzlichen Umsetzung des Verfassungsauftrages letztlich nicht umgangen werden. Die nach zwanzigjährigem Zögern durch das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) Gesetz gewordene Regelung hat schließlich den Begriff des Angriffskrieges unter Verweis auf Art. 26 Abs. 1 GG ohne nähere Konkretisierung in die Tatbestände der §§ 80, 80a a. F. eingestellt und damit dessen nähere Bestimmung der Rechtsprechung überlassen. Dadurch, dass die Pönalisierung auf Vorbereitungshandlungen beschränkt wurde, konnten die mit der Auslegung des Begriffs des Angriffskrieges verbundenen Schwierigkeiten nicht vermieden werden (Willms LK10 Entstehungsgeschichte). Die tatsächliche Ausfüllung dieses Begriffs wurde noch dadurch erschwert, dass nur an die vom Täter vorgestellte und nicht an eine etwa tatsächlich geschehene oder zu erwartende Kriegshandlung angeknüpft werden kann. Nicht ohne eine gewisse Berechtigung wurde dem Gesetzgeber des 8. StrÄndG vorgeworfen, er habe mit den §§ 80, 80a den Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 1 GG nur unzulänglich erfüllt,2 weil dessen Pönalisierungsgebot erstens nicht nur das Vorbereiten eines bzw. das Aufstacheln zu einem Angriffskrieg, sondern weitere – auch nichtkriegerische – friedensstörende Handlungen erfasse, die das friedliche Zusammenleben der Völker (insgesamt und

1 Von Mangold/Klein/Starck/Fink Art. 26 GG Rdn. 15; zu fehlenden Vorgängerbestimmungen im nationalen Recht vgl. Classen MK § 80 Rdn. 5.

2 Mit verschiedenen Ansichten hinsichtlich des Erfüllungsgrades: Classen MK § 80 Rdn. 7; Paeffgen NK Rdn. 3; von Heintschel-Heinegg BeckOK § 80 Rdn. 1; v. Münch/Hernekamp Art. 26 GG Rdn. 26. Im Wesentlichen erfüllt: Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben § 80 Rdn. 1; Fischer Rdn. 1; F. Müller Die Pönalisierung des Angriffskriegs im GG und im StGB der Bundesrepublik Deutschland, S. 20 ff.; Woesner NJW 1968 2129, 2130. Wohl von Erfüllung ausgehend: Lackner/Kühl § 80 Rdn. 1. Steinsiek

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Entstehungsgeschichte

StGB § 80a

nicht nur das friedliche Zusammenleben der Völker mit der Bundesrepublik Deutschland) zu stören geeignet sind und Art. 26 GG zweitens keine Beschränkung auf Angriffskriege, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist, enthält. Die gegenüber Art. 26 Abs. 1 GG eingeschränkte Fassung hat jedoch einen realpolitischen Hintergrund. Nur so konnte verhindert werden, dass ausländische Staatsoberhäupter vor einem deutschen Gericht angeklagt werden können3 und deutsche Strafgerichte „eine Art internationale Gerichtsbarkeit“ ausüben (Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses Strafrechtsreform, Vor § 80 Rdn. 11, BTDrucks. V/2860). Daher ist das politische Gegenargument, die Bundesrepublik Deutschland könne sich nur um den Preis problematischer internationaler Verwicklungen zur weltweit zuständigen Rechtsinstanz für friedensstörende Handlungen zwischen fremden Staaten aufwerfen, durchaus beachtlich.4 Diese zum Teil gegenläufigen Erwägungen führten dazu, dass mit den §§ 80, 80a vorrangig – so Teile der Literatur – „symbolisches Strafrecht“5 und damit wenig praktikable Vorschriften geschaffen worden sind. Ein tatsächlicher über die Bekundung des Friedenswillens der Deutschen in Art. 26 Abs. 1 GG hinausgehender Gewinn ist deshalb durch die Erweiterung der Strafvorschriften gegen den Friedensverrat nicht eingetreten. Die für das Zusammenleben der Völker entscheidende Frage der Durchsetzung des Gewaltverbots von Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta6 – unter Berücksichtigung des staatlichen7 und kollektiven8 Rechts auf Selbstverteidigung, auch von Verteidigungsbündnissen9 nach Art. 51 UN-Charta und der Aufgaben des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen10 nach Art. 39 ff. UN-Charta – bei der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der Friedensordnung ist bisher völkerrechtlich nicht befriedigend beantwortet. Sie wird im wesentlichen ohne Rückgriff auf das Merkmal Angriffskrieg (die schwerwiegendste Form der völkerrechtlichen Aggression11) kontrovers erörtert. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit des Einsatzes auch militärischer Gewalt zur Durchsetzung humanitärer Prinzipien (hierzu vertiefend Laufhütte/Kuschel LK12 Entstehungsgeschichte a. E.). Die insoweit geführte auch rechtspolitische Diskussion bezog sich ganz überwiegend auf § 80 StGB, ist jedoch für den hieran anknüpfenden § 80a, auch in seiner aktuellen Fassung, ebenso von Bedeutung. Eine wesentliche Änderung haben §§ 80, 80a a. F. mit Wirkung vom 1.1.2017 durch Art. 2 Abs. 4 des Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches vom 22.12.2016 (BGBl. 2016 I 3150) erfahren. Durch Art. 1 Nr. 4 des Änderungsgesetzes ist das Völkerstrafgesetzbuch um § 13 – Verbrechen der Aggression – ergänzt worden. Dieser Tatbestand und nicht mehr der in mehrfacher Hinsicht kritikwürdige (s. o.) Begriff des Angriffskrieges bilden nunmehr den Anknüpfungspunkt für Tathandlungen des § 80a bzw. führten zur Aufhebung der Bestimmung des § 80. Dieser Änderung vorausgegangen war die vom vom 31.5. bis 11.6.2010 in Kampala (Uganda) stattgefundene erste Überprüfungskonferenz des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), in deren Mittelpunkt die letztlich erfolgreichen Bemühungen um eine Einigung in Bezug auf das Verbrechen der Aggression standen.12 Die Einigung von Kampala führte dazu, dass nun erstmalig der Aggressionstatbestand im Römischen Statut (Art. 8bis)13 kodifiziert worden ist. Daneben ist dem IStGH die Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression eröffnet worden (Art. 15bis). Durch das Gesetz zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches vom 22.12.2016 sollte in der Folge auch für das letzte verbliebene, in die Zuständigkeit des IStGH fallende Verbrechen der Aggression, die vorrangige innerstaatliche Strafverfolgung sichergestellt und so der in Artikel 17 des Römischen Statuts angelegten Komplementarität der Verfolgungszuständigkeit des IStGH Rechnung getragen werden, wonach Verfahren vor dem IStGH nur insoweit zulässig sind, wie ein Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft selbst durchzuführen (Art. 17 Abs. 1 lit. a. IStGH-Statut). Zugleich sollte sichergestellt werden, dass die Bundesrepublik in Fällen mit Deutschlandbezug stets in der Lage ist, in die Zuständigkeit des IStGH fallende Verbrechen selbst zu verfolgen.14 Die bisher in praktischer Hinsicht marginale Relevanz15 des § 80a dürfte durch die gesetzgeberischen Erweiterungen freilich dennoch kaum zunehmen.

3 Zur Frage der Immunität, Classen MK Rdn. 37. 4 Jescheck GA 1981 51, 53. 5 Hassemer NStZ 1989 553; Jeßberger ZIS 2015 514. 6 Ipsen S. 1072 ff. 7 Ipsen Fn. 5, S. 1086. 8 Ipsen Fn. 5, S. 1096. 9 Ipsen Fn. 5, S. 1124. 10 Ipsen Fn. 5, S. 1111. 11 Werle/Jeßberger Völkerrechtsstrafrecht, S. 426, 439 a. E. 12 Vgl. zum Ganzen ausführlich, Bd. 19, § 13 VStGB sowie Paeffgen NK § 80 Rn. 5 ff. 13 Abrufbar unter: https://www.icc-cpi.int/resource-library/Documents/RS-Eng.pdf. 14 Gesetzentwurf des Bundesregierung, BT-Drs 18/8621, S. 11. 15 Classen MK Rdn. 2. Womit § 80a jedoch anders als § 80 a. F. immerhin über eine rein präventive Wirkung hinaus überhaupt praktische Bedeutung erlangt hat. 19

Steinsiek

§ 80a StGB

Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

1

II. 1. 2. 3.

Tathandlung 2 Verbrechen der Aggression 4 Aufstacheln 5 Art der Verbreitung

III.

Subjektiver Tatbestand

IV.

Täterschaft, Teilnahme und Tatort

V.

Nebenfolgen und Einziehung

VI.

Konkurrenzen

9

VII. Zuständigkeit

10

7 8

3

6

I. Zweck der Vorschrift 1 § 80a erfasst die hetzerische Propaganda im Hinblick auf das Verbrechen der Aggression im Sinne des § 13 VStGB. Wie § 13 VStGB bezweckt § 80a daher den Schutz des Völkerfriedens und der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Die Norm wendet sich gegen die Schaffung eines geistigen Klimas, das die Vorbereitung eines Angriffskriegs begünstigt.16 Sie ist bezogen auf den Anstachelungserfolg ein abstraktes Gefährdungsdelikt, regelt einen Unterfall der Vorbereitung eines Agressionsverbrechens und verlagert die Strafbarkeit über § 13 Abs. 1 und 2 VStGB nach vorn hinaus.17

II. Tathandlung 2 Tathandlung ist das Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression, welches öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften vorgenommen wird.

1. Verbrechen der Aggression 3 Zu diesem Tatbestandsmerkmal siehe zunächst die Kommentierung zu § 13 VStGB. Im Gegensatz zur alten Rechtslage wird nunmehr daher nicht mehr allein an den Begriff des Angriffskrieges oder dessen Vorbereitung angeknüpft, sondern auch „sonstige Angriffshandlungen“ (vgl. § 13 Abs. 3 VStGB) in den Tatbestand einbezogen. Dennoch auch weiterhin vorgenommene Begrenzungen der Aggressionsdefinition wirken sich auch hier entscheidend aus, weil die Hetze für eine Intervention oder sonstige Handlung, die völkerrechtswidrig, aber noch nicht strafbar im Sinn des § 13 VStGB ist, ausscheidet. Die tatbestandliche Verweisung auf § 13 VStGB verdeutlicht, dass ein militärischer Angriff oder eine sonstige Angriffshandlung im Sinne des § 13 Abs. 3 VStGB auf einen bestimmten anderen Staat oder eine Gruppe anderer Staaten, also ein (nach Ort, Zeit und Art zumindest grundsätzlich) bestimmtes Unternehmen gemeint sind. Zwar braucht insoweit ein konkreter Angriffsplan noch nicht zu bestehen, doch werden wie bei § 13 VStGB zumindest die Grundzüge des Unternehmens erkennbar sein müssen.18 Die Erzeugung einer allgemeinen militaristischen Stimmung reicht dagegen nicht aus. Zudem tritt eine Strafbarkeit nur ein, wenn eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland (auf Täter- oder Opfer-

16 Krit. bzgl. der Pönalisierung eines aufwieglerischen Klimas einerseits und der damit einhergehenden weiten Vorverlagerung von Strafbarkeiten andererseits Paeffgen NK Rn. 1 m. w. N.

17 Von Heintschel-Heinegg BeckOK Rdn. 1. 18 Vgl. (noch zur alten) Rechtslage LG Köln NStZ 1981 261. Steinsiek

20

II. Tathandlung

StGB § 80a

seite) an der Aggression vorgesehen ist,19 weil allein dies dem Schutzzweck der Vorschrift entspricht (vgl. Rdn. 1).

2. Aufstacheln ist eine gesteigerte, auf die Gefühle anderer einwirkende Form propagandistischen Anrei- 4 zens.20 Der Begriff ist aus § 130 Abs. 1 Nr. 1 übernommen. Dem dortigen Merkmal „Aufstacheln zum Hass“21 ist zu entnehmen, dass ein über das bloße Befürworten einer Aggression oder die Kundgabe der Missachtung des potentiellen Gegners hinausgehendes, auf die Weckung von Emotionen abzielendes Einwirken auf die Sinne und Gefühle der Angesprochenen vorausgesetzt wird.22 Entsprechendes ist bei § 80a anzunehmen.23 Das Aufstacheln muss geeignet und objektiv bestimmt sein, eine feindselige Haltung zu erzeugen, die einen Angriffskrieg möglich machen könnte. Neben Art und Inhalt der verbreiteten Äußerung spielen auch die äußeren Umstände und der angesprochene Personenkreis eine Rolle. Befinden sich die Angesprochenen bereits in einem „aufgeputschten“ Zustand und nutzt der Täter dies berechnend aus, so kann auch eine für sich gesehen nüchterne Äußerung ein Aufstacheln beinhalten. Andererseits können auch polemische und überspitzte schriftliche Verlautbarungen nicht als Aufstacheln qualifiziert werden, wenn der durch die Schrift angesprochene Leserkreis einer gefühlsmäßigen Beeinflussung nur schwer zugänglich ist.24 Doch darf insoweit den objektiven Umständen der Äußerung kein derart großes Gewicht beigemessen werden, dass demgegenüber die subjektive Tendenz des Täters völlig in den Hintergrund tritt.25 Maßgebend für die Interpretation von Äußerungen ist neben dem Empfängerhorizont vor allem, was der Äußernde gemeint hat.26 Die Handlung des Aufstachelns muss keinen Erfolg haben. Es ist weder erforderlich, dass die vom Täter erhofften Emotionen bei den Adressaten geweckt werden, noch dass eine Friedensgefährdung hervorgerufen wird. Es handelt sich um ein Absichtsdelikt.27 Jedoch werden andererseits von § 80a nur Taten von einem gewissen Gewicht erfasst. Erforderlich ist daher ein gesteigertes und intensives Anreizen,28 reines Stammtischgerede reicht nicht aus.29

3. Art der Verbreitung Zu den Tatmodalitäten öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schrif- 5 ten, Ton- und Bildträgern s. § 90 Rdn. 5 ff.

19 20 21 22 23

Paeffgen NK § 80 Rn. 18 ff. und 37; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 80 Rdn. 2. LG Köln NStZ 1981 261. BGHSt 40 97, 102. BayObLG NJW 1990 2479. LG Köln NStZ 1981 261; Klug FS Jescheck, S. 583 u. 594 ff.; s. auch Frank Abwehr völkerfriedensgefährdender Presse, S. 93 ff.; Buddeberg S. 98 f. 24 LG Köln NStZ 1981 261. 25 Klug FS Jescheck 583, 594 ff. 26 Classen MK Rdn. 6. 27 Paeffgen NK Rdn. 8. 28 Paeffgen NK Rdn. 5. 29 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3/4. 21

Steinsiek

§ 80a StGB

Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression

III. Subjektiver Tatbestand 6 Erforderlich ist vorsätzliches Handeln, wobei bedingter Vorsatz genügt. Dieser muss sich auch auf die Völkerrechtswidrigkeit der Aggression beziehen. Das Merkmal des Aufstachelns verlangt darüber hinaus zielgerichtetes Handeln.30

IV. Täterschaft, Teilnahme und Tatort 7 Täter kann jeder sein, also auch ein Ausländer. Insoweit kommt es jedoch zu erheblichen Restriktionen aufgrund der Inbezugnahme von § 13 Abs. 4 VStGB und dessen Beschränkung auf höchste politische und militärische Entscheidungsträger. Diese Beschränkung freilich wird in guten Teilen durch den Umstand konterkariert, dass auch Teilnahme (Anstiftung, Beihilfe) unter den allgemeinen Voraussetzungen möglich ist.31 Der Tatort muss im Inland liegen. Wegen der ausdrücklichen Beschränkung des Tatbestandes auf den „räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes“ scheidet die Anwendung auf im Ausland begangene Taten (selbst durch Deutsche, die sich gegen die Bundesrepublik richten) aus, soweit nicht die Voraussetzungen des § 9 gegeben sind.

V. Nebenfolgen und Einziehung 8 S. §§ 92a, 92b.

VI. Konkurrenzen 9 Tateinheit ist möglich mit §§ 86, 89, 90, 90a, 100 und 111.32 Im Verhältnis zu § 13 VStGB (auch zum Versuch sowie zu Vorbereitungsstrafbarkeiten nach § 30) tritt § 80a zurück.

VII. Zuständigkeit 10 Vor § 80 Rdn. 38.

30 Classen MK Rdn. 11; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; prägnant: Paeffgen NK Rdn. 10 („man kann nicht in dem hierfür erforderlichen Maße Emotionen schüren, indem man das Wecken solcher Aggressionslüste nur in Kauf nimmt.“). 31 Von Heintschel-Heinegg BeckOK § 80a Rn. 22. 32 Fischer Rdn. 8; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; von Heintschel-Heinegg BeckOK § 80a Rn. 25; a. A. bzgl. § 111 Laufhütte/Kuschel LK12 Rdn. 5; Classen MK Rdn. 12. Steinsiek

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ZWEITER TITEL Hochverrat § 81 Hochverrat gegen den Bund (1) Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt 1. den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder 2. die auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Schrifttum (s. auch vor § 80) Backes Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz (1970); Bisoukides Der Hochverrat (1903); Blasius Geschichte der politischen Kriminalität (1983); Bohnert Gibt es eine Drittbeziehung bei der strafrechtlichen Nötigung? JR 1982 397; Böttcher „Verrat“ – Assoziationen aus juristischer Sicht, SchlHA 2012 415; Böttger Der Hochverrat in der Weimarer Republik (1998); van Calker Hochverrat und Landesverrat, VDB I (1906) 1; ders. Hochverrat und Landesverrat, VerglDarst. BT I (1907) 260; Brune Hoch- und Landesverrat in rechtsvergleichenden Darstellungen (1937); Conrad Literarischer Hochverrat, DJZ 1927 801; Copic Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art (1997); Deiters Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch das Strafrecht, in Thiel Wehrhafte Demokratie (2003) 291; Graf zu Dohna Der Hochverrat im Strafrecht der Zukunft, Frank-Festgabe II (1930) 229; Feuerbach Philosophisch-juristische Untersuchung über das Verbrechen des Hochverrats (1798); Gusy Weimar – die wehrlose Republik? (1991); ders. Der Schutz des Staates gegen seine Staatsform, GA 1992 195; Gutfleisch Staatsschutzstrafrecht in der Bundesrepublik Deutschland 1951–1968 (2014); Harnischer/Heumann Die Staatsschutzdelikte in der Bundesrepublik Deutschland (1984); Hassemer Ziviler Ungehorsam – ein Rechtfertigungsgrund? Festschrift Wassermann (1985) 325; Hefendehl Politisches Strafrecht zwischen dem Schutz von Staat und Verfassung und einem Kampf gegen die Feinde, Festschrift Schroeder (2006) 453; Heinemann/Posser Kritische Bemerkungen zum politischen Strafrecht in der Bundesrepublik NJW 1959 121; Hennke Zur Abgrenzung der strafbaren Vorbereitungshandlung beim Hochverrat, ZStW 66 (1954) 390; ders. Der Begriff „verfassungsmäßige Ordnung“ im Strafgesetzbuch und im Grundgesetz, GA 1954 140; Liepmann Kommunistenprozesse (1928); Livos Grundlagen der Strafbarkeit wegen Hochverrat (1984); Löwisch Arbeitskampf und öffentliche Ordnung, Schriftenreihe zum Arbeitsrecht, Neue Folge (1997) Bd. IV 5; Niese Streik und Strafrecht (1954); Paczkowski Das „Unternehmen“ des Hochverrats im Verhältnis zu Versuch und Vorbereitung (1901); Oborniker Zur Hochverratspraxis des Reichsgerichts, Justiz III 279; Ostendorf Kriminalisierung des Streikrechts (1987); Paeffgen Unzeitgemäße (?) Überlegungen zum Gewalt- und Nötigungsbegriff, Festschrift Grünwald (1999) 433; Prittwitz Sitzblockaden – ziviler Ungehorsam und strafbare Nötigung? JA 1987 17; Rabert Linksund Rechtstorrismus in der Bundesrepublik Deutschland von 1970 bis heute (1995); Radbruch Der Überzeugungsverbrecher, ZStW 44 (1924) 34; Ruhrmann Der Hochverrat in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, NJW 1957 281; Schafheutle Das Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1951 609; Schmidt-Leichner Das Srafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951, NJW 1951 857; Sommer Verselbständigte Beihilfehandlungen und Straflosigkeit des Gehilfen, JR 1981 490; Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970); ders. Moabiter Landrecht oder Hamburger juristische Spökenkiekerei? NJW 1980 920; ders. Das Strafrecht zum Schutz von Verfassung und Staat, in: Verfassungsschutz und Rechtsstaat (1981) 219; Schünemann Nulla poena sine lege? Rechtstheoretische und verfassungsrechtliche Implikationen der Rechtsgewinnung im Strafrecht (1978); von Weber Hochverrat und Staatsgefährdung, MDR 1957 584; Wagner Hochverrat und Staatsgefährdung, Urteile des Bundesgerichtshofs Bd. 1 (1957), Bd. 2 (1958); ders. Aus der Rechtsprechung in Staatsschutzverfahren – Hochverrat, GA 1960 4; ders. Terrorismus, Hochverrat und Abhörgesetz, NJW 1980 913; Wassermann Zur Rechtsordnung des politischen Kampfes in der verfassungsstaatlichen Demokratie JZ 1984, 263.

Entstehungsgeschichte Der Tatbestand, der seit Jahrhunderten das schwerste Verbrechen gegen die Existenz des Staates kennzeichnet, erhielt seine jetzige Fassung durch das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) sowie durch eine redaktionelle Änderung mit Art. 19 Nr. 3 EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I 469; 1975 I 1916; 1976 I 507). Den Entwürfen folgend 23 https://doi.org/10.1515/9783110490008-004

Steinsiek

§ 81 StGB

Hochverrat gegen den Bund

wurden der Hochverrat gegen den Bund und gegen ein Land systematisch getrennt und der Gebietshochverrat vor den Verfassungshochverrat gerückt. Siehe im Übrigen die zusammenfassende Darstellung Vor § 80.

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

II.

Bestandshochverrat und Verfassungshochver2 rat Bestandshochverrat (Absatz 1 Nr. 1) 2 a) Aufhebung der Freiheit von fremder Botmä3 ßigkeit b) Beseitigung der staatlichen Einheit 4 c) Abtrennung eines zur Bundesrepublik 5 Deutschland gehörenden Gebietes 6 Verfassungshochverrat (Absatz 1 Nr. 2) 7 a) Geschichtliche Entwicklung b) Auslegung durch den Bundesgerichts8 hof 11 c) Stellungnahme 12 d) Zusammenfassung

1.

2.

1

Subjektiver Tatbestand

VI. 1.

Rechtswidrigkeit 24 Keine entsprechende Anwendung des § 240 25 Abs. 2 26 Rechtfertigungsgründe 27 a) Streikrecht. 28 b) Versammlungsrecht 29 c) Das Recht auf zivilen Ungehorsam

2.

VII. Täterschaft und Teilnahme 30 1. Täter 31 2. Teilnahme a) Anstiftung 32 33 b) Beihilfe VIII. Parteienprivileg

III.

Tathandlung

IV. 1. 2. 3. 4.

Tatmittel 14 15 Gewalt 16 Drohung mit Gewalt 17 Normative Tatbestandsbeschränkung Zielrichtungen der Nötigung 18 a) Direkte Nötigung eines Verfassungsor19 gans b) Indirekte Nötigung eines Verfassungsor20 gans 21 c) Kollektivangriffe Nötigungswirkung 22

5.

23

V.

30

34

13 IX.

Strafrahmen

X.

Nebenfolgen und Einziehung

XI.

Konkurrenzen

35

37

XII. Opportunitätsprinzip XIII. Zuständigkeiten XIV. Zur Anzeigepflicht

36

38 39 40

I. Zweck der Vorschrift 1 Die Vorschrift betrifft nur den Hochverrat gegen den Bund. § 81 unterscheidet nach dem angegriffenen Rechtsgut den Bestandshochverrat und den Verfassungshochverrat. Wie sich aus der Legaldefinition des § 92 Abs. 1 2. Alt. ergibt, ist dabei unter der territorialen Integrität (Absatz 1 Nr. 1) nicht nur der gebietsmäßige Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu verstehen, sondern auch ihre Souveränität und staatsrechtliche Potenz als Bundesstaat.1 § 81 ist Unternehmensdelikt.

1 Ähnlich Paeffgen NK Rdn. 5: „territoriale und verfassungsmäßige Integrität“. Steinsiek

24

II. Bestandshochverrat und Verfassungshochverrat

StGB § 81

II. Bestandshochverrat und Verfassungshochverrat 1. Bestandshochverrat (Absatz 1 Nr. 1) Der Tatbestand des Bestandshochverrats erfasst das Unternehmen, den Bestand der Bundesre- 2 publik Deutschland zu beeinträchtigen. Nach der Legaldefinition des § 92 Abs. 1 liegt eine solche Beeinträchtigung in der Aufhebung der Freiheit der Bundesrepublik Deutschland von fremder Botmäßigkeit, der Beseitigung ihrer staatlichen Einheit oder der Abtrennung eines zu ihr gehörenden Gebietes.

a) Aufhebung der Freiheit von fremder Botmäßigkeit. Dies trifft nicht nur den Fall, dass 3 sich die Hoheit eines fremden Staates völlig über das (der eigenständigen Souveränität entkleidete) Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erstrecken soll, etwa durch vollständige Eingliederung des Bundesgebietes in den fremden Staat. Erfasst wird vielmehr auch der Fall, dass der Handelnde auf eine Minderung bzw. Beeinträchtigung der Staatshoheit der Bundesrepublik Deutschland durch Herstellung eines Abhängigkeitsverhältnisses gegenüber einem fremden Staat abzielt.2 Zu denken ist dabei an eine Abhängigkeit in der Form eines Protektorats oder durch Einsetzen und Kontrolle der Regierungsorgane durch eine fremde Macht bei scheinbar erhalten gebliebener Selbständigkeit („Satellitenstaat“). Nicht erfasst sind Staatsakte, mit denen Hoheitsbefugnisse an Staatengemeinschaften oder an zwischenstaatliche Einrichtungen aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarung übertragen werden sowie Pläne dazu.

b) Beseitigung der staatlichen Einheit. Die Begehungsform der Beseitigung der staatlichen 4 Einheit bezieht sich sowohl auf die Aufhebung des bundesstaatlichen Zusammenhalts durch Schaffung mehrerer im Verhältnis zueinander völlig selbständiger Staaten als auch auf die Lockerung dieses Zusammenhalts bis zu dem Grad, dass nur noch von einem Staatenbund (Konföderation) die Rede sein kann. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sich die Spaltung an die bestehenden innerstaatlichen Grenzen halten oder ganz neue Gebietseinheiten hervorbringen soll. Im letzten Fall kann zugleich ein Verstoß gegen § 82 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. gegeben sein. Dagegen trifft der Tatbestand nicht den Fall der gewaltsamen Herstellung eines Einheitsstaates; insoweit greift Absatz 1 Nr. 2 ein.

c) Abtrennung eines zur Bundesrepublik Deutschland gehörenden Gebietes. Dieses 5 Tatbestandsmerkmal liegt vor, wenn das Gebiet als eigenständiger Staat verselbständigt oder einem fremden Staat eingegliedert werden soll. Die Grenze zur Begehungsform „Beseitigung der staatlichen Einheit“ ist so zu ziehen, dass dort die vollständige Auflösung der bundesstaatlichen Ordnung erfasst wird, während hier die völkerrechtliche Abtrennung lediglich eines Teilgebiets der Bundesrepublik Deutschland gemeint ist. Zum Bundesgebiet s. die durch Art. 4 Nr. 1 des Einigungsvertrages neu gefasste Präambel des Grundgesetzes.

2. Verfassungshochverrat (Absatz 1 Nr. 2) Angriffsobjekt ist die auf dem Grundgesetz beruhende verfassungsmäßige Ordnung. Damit 6 ist nicht ohne Weiteres dasselbe gemeint wie mit den in anderen Vorschriften verwendeten Merkmalen der „verfassungsmäßigen Ordnung“ (vgl. §§ 85, 86, 88, 89 ff.), der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ (Art. 18 und Art. 21 GG) oder den in Teilen engeren, andererseits 2 Lampe/Hegmann MK Rdn. 11; Paeffgen NK Rdn. 8. 25

Steinsiek

§ 81 StGB

Hochverrat gegen den Bund

auch weitergehenden Verfassungsgrundsätzen im Sinn des § 92 Abs. 2.3 Anders als dort werden nicht bestimmte verfassungsrechtliche Prinzipien des Grundgesetzes als solche umfasst, sondern die auf den Prinzipien des Grundgesetzes beruhende Staatsordnung wie sie institutionell und personell konkret Gestalt angenommen hat. Vom Bestandshochverrat unterscheidet sich der Verfassungshochverrat in der Zielsetzung.4

7 a) Geschichtliche Entwicklung. Während das RStGB von 1871 im Anschluss an das Preußische Allgemeine Landrecht und das Preußische StGB die Verfassung (des Deutschen Reiches) als geschütztes Rechtsgut bezeichnete,5 führte die Zwischenregelung des Art. 143 GG den im Grundgesetz nicht einheitlich verwandten Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung ein (BVerfGE 6 32, 38; BGHSt 7 222, 226 f.; Hennke GA 1954 140), der dann bei der Neufassung im 1. StrÄndG von 1951 (Vor § 80 Rdn. 7) durch den Hinweis auf das Grundgesetz als Grundlage dieser Ordnung konkretisiert wurde. Dieser Änderung des Wortlauts lässt sich nur insofern eine andere sachliche Begrenzung entnehmen, als die frühere Fassung auch Staatsgrundlagen im Auge hatte, die außerhalb der Verfassungsurkunde niedergelegt sein konnten (RGSt 41 138, 140), während jetzt das Grundgesetz als einzige gesetzliche Quelle dessen in Betracht kommt, was als verfassungsmäßige Ordnung zu verstehen ist. Abgesehen hiervon hatte der Gesetzgeber mit der veränderten Fassung sachlich das Gleiche im Auge, was früher unter Verfassung verstanden worden war. Doch kam in den Bemühungen um die Formulierung sowohl das Unbehagen gegenüber einer als zu weit empfundenen Interpretation als auch der Wunsch nach schärferer Begrenzung des Tatbestands zum Ausdruck, den man jedoch nicht deutlicher zu artikulieren vermochte. Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals glaubte man daraufhin der Tendenz des Gesetzgebers am ehesten zu entsprechen, wenn man, wie es schon RGSt 41 138, 140 zum Ausdruck gebracht hatte, auf die wesentlichen Grundlagen des Staates abstellte und deshalb in bezug auf das Grundgesetz die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne der Art. 18 und 21 GG als (in erster Linie) gemeint bezeichnete und daneben noch die grundlegenden Staatseinrichtungen als Begriffsinhalt anerkannte. In diesem Sinne fiel auch die die Begründung des E 1962 (Vor § 80 Rdn. 10) aus, wonach der Begriff nicht nur die jetzt in § 92 Abs. 2 zusammengefassten strafrechtlich geschützten Verfassungsgrundsätze umfasse, die „zu den Wesenselementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören“, sondern darüber hinaus auch „die Wesensbestandteile der konkreten Verfassungsordnung und Verfassungswirklichkeit“.

8 b) Auslegung durch den Bundesgerichtshof. Demgegenüber hat der BGH nach anfänglicher Orientierung an der Rechtsprechung des Reichsgerichts (Urteil vom 8.41952 – StE 3/52 –, „Fünfbroschürenurteil“) es als kennzeichnenden Unterschied zu den Staatsgefährdungstatbeständen bezeichnet, dass die verfassungsmäßige Ordnung durch den Hochverratstatbestand so geschützt wird, wie sie in bestimmten grundlegenden Einrichtungen der Verfassung konkret Gestalt gewonnen hat, während im Gegensatz dazu Schutzobjekt der Staatsgefährdung (jetzt Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates) die allgemeinen Grundprinzipien seien, die – bis zu einem gewissen Grade unabhängig von der jeweiligen Form – das Wesen der freiheitlichen Demokratie ausmachen und die der Verfassungsgesetzgeber in den Art. 18 und 21 GG mit dem Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung umschrieben habe (BGHSt 7 222, 226 f.).

3 Eine Gleichstellung mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Art. 18 und 21 GG zumindest diskutierend jedoch Paeffgen NK Rdn. 12; anders als hier auch Lampe/Hegmann MK Rdn. 18. 4 Paeffgen NK Rdn. 11. 5 Vgl. für die rechtshistorischen Entwicklungen vom prALR bis 1968 ausführlich Paeffgen NK Rdn. 1 ff. Steinsiek

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II. Bestandshochverrat und Verfassungshochverrat

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Im Zusammenhang mit der Beurteilung des kommunistischen „Programms der Nationalen 9 Wiedervereinigung Deutschlands“, das für das Urteil des BVerfG zum Verbot der KPD vom 17.8.1956 (BVerfGE 5 85) eine entscheidende Rolle spielte, hat der BGH dann diesen Unterschied noch stärker herausgearbeitet, indem er für den Tatbestand des Hochverrats das Ideologische ganz in den Hintergrund treten ließ und einzig darauf abstellte, dass mit dem angestrebten Sturz des „Adenauer-Regimes“ die Beseitigung der amtierenden Bundesregierung, die Ausschaltung des Bundestags in seiner durch die letzte Wahl gegebenen Zusammensetzung und unter vollständiger Abkehr von den Grundsätzen der repräsentativen Demokratie die Einsetzung einer außerparlamentarischen Regierung geplant war.6 Deutlich ist diese Trennung in der zuletzt angeführten Entscheidung herausgearbeitet. Hier wird zum Einwand des Angeklagten, das „Programm“ habe die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht antasten wollen, ganz grundsätzlich ausgeführt: „Der Tatbestand des Verfassungshochverrats setzt nicht voraus, daß der Täter mit einem zum Zwecke der Machtergreifung beabsichtigten Umsturz unmittelbar und sogleich ein Regime schaffen will, das den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widerspricht. Es gehört auch nicht zum Tatbestand, daß der Täter überhaupt, und sei es auch nur auf weitere Sicht, die Schaffung eines solchen Regimes beabsichtigt. Wesentlich ist allein, daß ein gewaltsamer Eingriff in die Verfassungsordnung stattfinden soll, der grundlegende Verfassungseinrichtungen trifft und in ihrer durch die Verfassung geprägten Form und auf der Verfassung beruhenden Existenz beseitigt: im gegebenen Falle die nach dem Grundgesetz bestellte Regierung Adenauer und das Recht des im Jahre 1949 vom Volke gewählten Bundestages, allein darüber zu befinden, ob der von ihm gewählte Bundeskanzler im Amte bleiben oder einem anderen Bundeskanzler weichen müsse. Für die Tatbestandsmäßigkeit der Handlung spielt es auch keine Rolle, ob die durch den Umsturz an die Macht gekommene Revolutionsregierung ihre Herrschaft nur vorübergehend behaupten und eine neue (demokratische) Verfassung einführen oder sich gar nach einer Übergangszeit dem Votum des bestehenden oder eines neu gewählten Parlaments unterwerfen soll, um fortan den Normen der geltenden Verfassung wieder Genüge zu tun.“ In der 10. und 11. Auflage wurde deshalb vertreten, dass die dargelegten Grundsätze zum 10 Ausschluss der rein abstrakten Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus dem Kreis dessen, was als die auf dem Grundgesetz beruhende verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Hochverratstatbestandes anzusehen ist, führe. Der BGH habe den Fehler vermieden, den Begriff in Loslösung vom übrigen Tatbestand zu definieren und damit zu übersehen, dass eine unmittelbar wirksame gewaltsame Änderung, wie sie dieser Tatbestand erfassen solle, niemals Prinzipien oder Grundsätze als etwas isoliert für sich Bestehendes trifft und treffen könne. Gegenstand und Nahziel eines gewaltsamen Umsturzes, mag man ihn sich in der Form der Revolution, des Putsches oder des Staatsstreichs vorstellen, könne es danach immer nur sein, bestehende Machtpositionen zu beseitigen und neue Machtpositionen zu errichten. Allein innerhalb dieser Dimension des gewaltsamen Machtwechsels oder der gewaltsamen Machtverschiebung sei danach auch das aufzusuchen und zu fixieren, was das Gesetz als Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung anspreche. Für den Tatbestand des Hochverrats setzte dies nach der hier erörterten, einschränkenden Auslegung immer und entscheidend die Änderung der Machtpositionen voraus, die solches überhaupt erst möglich mache. Letzten Endes führe danach auch der Gebietshochverrat immer über den Verfassungshochverrat und lasse sich deshalb als eigene selbständige Alternative dogmatisch in Zweifel ziehen.

c) Stellungnahme. Eine solche Begrenzung des Begriffs der auf dem Grundgesetz beruhenden 11 verfassungsmäßigen Ordnung wäre von wesentlicher Bedeutung für die Vermeidung einer zu weiten Ausdehnung des Tatbestandes der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens 6 BGHSt 6 336, 338 f.; Hochverrat und Staatsgefährdung HuSt I (1957) 108, 179 in BGHSt 8 102 insoweit nicht abgedruckt; HuSt II (1958) 11, 30; II (1958) 308, 321 f. 27

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§ 81 StGB

Hochverrat gegen den Bund

(§ 83), weil es die Infragestellung von abstrakten Verfassungsprinzipien, die isoliert und ohne das Ziel der Änderung der in § 81 geschützten Machtpositionen und Ordnungsprinzipien erörtert werden, von vornherein aus dem Tatbestand ausschließen würde. Strafrechtlich nicht mehr erfasst wären sodann jedoch Umstürze durch Verfassungsaushöhlung, also durch Abschaffung wesentlicher rechtsstaatlicher Prinzipien ohne Beseitigung von Machtpositionen.7 Auch derartige Vorgehensweisen dürfte der Gesetzgeber jedoch von Absatz 1 Nr. 2 erfasst haben wollen. Konturlos im Sinne zu weitgehender Inkriminierungen würde § 81 auch bei einer derartigen Lesart nicht. Dies wird vermieden, wenn als Gegenstand der verfassungsmäßigen Ordnung auch die Erhaltung der Verfassungsgrundsätze, die für den demokratischen Rechtsstaat wesensimmanent sind, insbesondere die Gewaltenteilung, die Bindung der Institutionen an Recht und Gesetz sowie hochrangigste Grundrechte, erfasst werden.

12 d) Zusammenfassung. Verfassungshochverrat ist die gewaltsame Ergreifung der Staatsmacht oder eines Teiles hiervon durch Personen, die zur Ausübung dieser Macht entweder überhaupt nicht (Umsturz von unten) oder nur in einem beschränkteren Umfang (Umsturz von oben) durch die Verfassung legitimiert sind sowie die gewaltsame Auflösung der Staatsgewalt oder eines Teiles hiervon, wobei an die Stelle der durch verfassungsgemäße Organe bestimmten Ordnung ein staatsrechtlicher Freiraum oder die Anarchie tritt,8 darüberhinaus, wenn im Sinne der in der Rdn. 11 a. E. vertretenen Erweiterung mit der verfassungsmäßigen Ordnung unvereinbare Prinzipien eingeführt werden (Gewaltherrschaft, auch in der Form mit Rechtspositionen, die der grundgesetzlichen Ordnung widersprechen, z. B. Einführung der Scharia). Darauf, dass mit einem solchen Machtwechsel oder einer solchen Entmachtung der verfassungsmäßigen Staatsorgane oder Außerkraftsetzen von wesentlichen Prinzipien letztlich Zustände angestrebt werden, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung generell unvereinbar sind, kommt es für den Tatbestand nicht an, obwohl sich in aller Regel das eine mit dem anderen verbinden wird (so bereits RGSt 56 259, 263). Als Schutzgegenstand des Verfassungshochverrats lässt sich also im Ergebnis die individuell konkretisierte Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland in ihren für die Ausübung der Staatsgewalt bedeutsamen Positionen bezeichnen.9

III. Tathandlung 13 Die Tathandlung besteht in dem Unternehmen, die Unrechtserfolge (Bestands- und Verfassungsverrat) herbeizuführen. Das Unternehmen beginnt mit dem Anfang der Gewaltausübung oder -androhung. Der Tatbestand erfasst daher nicht nur die vollendete, sondern auch die versuchte Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 6).10 Auch der im technischen Sinne des § 22 versuchte Hochverrat ist deshalb schon eine vollendete Tat. Die Ausgestaltung des Tatbestandes als Unternehmensdelikt erscheint vor dem Hintergrund des Schutzzweck der Norm zwingend, da der vollendete (erfolgreiche) Hochverrat unter der danach herrschenden Ordnung kaum mehr verfolgt werden dürfte.11 Zu Vorbereitungshandlungen und ihrer Abgrenzung s. § 83, zum Rücktritt § 83a.

7 Lampe/Hegmann MK Rdn. 23 f. m. w. N.; Paeffgen NK Rdn. 12. 8 Ein wesentlicher Zwischenschritt des Hochverrats dürfte oftmals die Besetzung von Rundfunk- und Fernsehanstalten sein. Sie ist sicher ein wichtiges Teilstück umstürzlerischer Aktionen und als solches vom Tatbestand mitumfasst wie jede andere dem hochverräterischen Ziel dienende Gewalthandlung, sie kann jedoch nicht schon für sich genommen als Hochverrat angesehen werden. 9 Ausführlich Paeffgen NK Rdn. 16; Lackner/Kühl Rdn. 3; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7 f.; Fischer Rdn. 4. 10 Lackner/Kühl Rdn. 4; Kritisch zu diesem Ergebnis Paeffgen NK Rdn. 26. 11 Lampe/Hegmann MK Rdn. 3. Steinsiek

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IV. Tatmittel

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Bei der (im untechnischen Sinne versuchten) Tat muss der Täter auf die oben näher bezeichneten Änderungen abzielen, wobei Änderung ein Weniger als die vollständige Beseitigung der auf dem Grundgesetz beruhenden Ordnung erfordert.12 Die Nötigung oder Hinderung des Inhabers eines wichtigen Staatsamtes bei der Ausübung seiner verfassungsmäßigen Befugnisse kann jedoch nur dann im Sinne des Verfassungshochverrats tatbestandsmäßig sein, wenn sie vom Täter als Mittel einer solchen (weiter reichenden) Änderung gedacht ist. Nicht anders verhält es sich, wenn auf die politische Entschließungsfreiheit des Bundestages bei Erledigung einer bestimmten Aufgabe der Gesetzgebung eingewirkt wird.13 Sind mit der Tat keine solch weitergehenden Ziele verbunden, können allenfalls die §§ 105, 106 in Betracht kommen. Im Übrigen darf die Formulierung des Tatbestandes, die auf die punktuelle Verwirklichung durch einen Einzeltäter hindeutet, nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier regelmäßig um ein Kollektivgeschehen geht, das sich aus einer Vielzahl einzelner Tatbeiträge zusammensetzt, die erst durch ihr Zusammenwirken zum Erfolg hinleiten und das Tatbild im ganzen ausfüllen.14 Daher können für den Tatbestand des § 81 bereits geringe Beiträge genügen, sofern sie nur in einem Stadium geleistet werden, in dem nicht mehr von einer bloßen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens die Rede sein kann, sondern bereits seine Verwirklichung begonnen hat. Hier kommt dann den Feststellungen zur inneren Tatseite besondere Bedeutung zu (s. Rdn. 23).

IV. Tatmittel § 81 weist die Besonderheit auf, dass anders als etwa bei § 105 nicht bestimmt ist, wer durch 14 diese Nötigungsmittel zu welchem Tun oder Unterlassen veranlasst werden soll. Es wird allein auf den durch das Unternehmen angestrebten Erfolg abgestellt. Zur tatbestandsmäßigen Gewalt und Drohung mit Gewalt im Sinn einer Strafvorschrift gehört ihre Eignung, eine Zwangswirkung auf das durch die Vorschrift geschützte Rechtsgut auszuüben.15 Daher ist Gewalt und Drohung mit Gewalt im Sinn der Staatsschutzdelikte nicht identisch mit den entsprechenden Tatbestandsmerkmalen in Individualrechtsgüter schützenden Normen.16 Die Schwelle liegt bei den Staatsschutzdelikten wesentlich höher;17 die Gewalt und die Drohung mit Gewalt muss ein gewisses Ausmaß haben. Bei der Auslegung können die allgemeinen Kriterien der Gewalt (Rdn. 15) und der Drohung mit Gewalt (Rdn. 16) herangezogen werden (s. im Einzelnen zu dem insoweit korrespondierenden Gewaltbegriff auch § 105 Rdn. 8 ff.).

1. Gewalt Nach der Rechtsprechung des BGH liegt Gewalt allgemein dann vor, wenn der Täter durch 15 eine – sei es auch nur geringe – körperliche Kraftentfaltung18 eine den Bereich des Psychischen verlassende (und auch psychisch empfundene) körperlich wirkende Zwangswirkung auf ein Opfer ausübt. Es werden dabei auch Fallgestaltungen erfasst, in denen ein psychisch wirkender

12 13 14 15 16 17

Von Heintschel-Heinegg BeckOK Rn. 11. S. im Einzelnen die bei Wagner GA 1960 4, 6 angeführten Entscheidungen sowie BGHSt 6 352, 353. BGH NJW 1954 1253. BGHSt 23 46, 50. Lampe/Hegmann MK Rdn. 5. BGHSt 32 165, 172 zu § 105 m. zust. Anm. Willms JR 1984 120 u. Arzt JZ 1984 428; Paeffgen NK Rdn. 18; Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Fischer Rdn. 6a. 18 BGHSt 41 182, 185. Dass im Zuge fortschreitender technischer Entwicklungen in Teilbereichen zunehmend weniger körperliche Kraftentfaltungen erforderlich sind, wird sehr anschaulich von Paeffgen NK Rdn. 19 verdeutlicht: Computer-Hacker, die durch Schadsoftware zentrale Steuerungselemente von Kraft- oder Wasserwerken geraume Zeit ausfallen lassen. 29

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§ 81 StGB

Hochverrat gegen den Bund

Druck eine so starke Intensität erreicht, dass er vom Opfer als körperlich wirksamer Zwang empfunden wird, etwa die Abgabe von Schreck- oder Warnschüssen,19 die Bedrohung mit einer Schusswaffe20 oder die Sitzblockade zur Verhinderung der Weiterfahrt des Genötigten (BGHSt 23 46, wo allerdings nicht ausdrücklich auf die körperliche Wirkung des Zwangs abgestellt wird).21 Dagegen soll ein allein psychisch wirkender Druck keine Gewalt darstellen.22 Die Gewalt wird sich beim Hochverrat regelmäßig gegen Personen richten, wobei eine unmittelbare physische Einwirkung jedoch nicht unbedingt erforderlich ist. Ausreichend ist eine Einwirkung, etwa auch durch Gewalt gegen Sachen, sofern der mit ihr auf die Person ausgeübte Druck grad- und wirkungsmäßig einer physischen Gewalt gleichkommt, was angesichts der geboten restriktiven Auslegung des Tatbestandes (vgl. Rn. 17) nur in Ausnahmefällen der Fall sein dürfte.

2. Drohung mit Gewalt 16 Drohung bedeutet hier wie auch sonst die als ernstlich hingestellte Ankündigung eines angeblich vom Willen des Ankündigenden abhängigen und von diesem für den Betroffenen als fühlbar angesehenen Übels.23 Die Drohung mit Gewalt stellt in § 81 wie bei § 105 eine Steigerung gegenüber der Drohung mit einem empfindlichen Übel in §§ 106, 240 dar. Es müssen solche Nachteile in Aussicht gestellt werden, deren Zufügung Gewalt im Sinn des § 81 sein würde. Der Drohende muss nicht wirklich zur Zufügung des Übels entschlossen sein. Es genügt, dass er die Drohung als ernstlich hinstellt. Es ist auch nicht erforderlich, dass die Verwirklichung des Übels tatsächlich in der Macht des Drohenden liegt. Vielmehr ist es ausreichend, dass er die Verwirklichung als in seiner Macht stehend hinstellt und dass die Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren.24 Drohung mit Gewalt verwirklicht das Übel für das Opfer noch nicht, sondern zielt immer und ausschließlich auf rein psychische Einwirkungen ab.25

3. Normative Tatbestandsbeschränkung 17 Wie bei § 105 hat auch für § 81 zu gelten, dass nicht jede Tathandlung, die die definitionsgemäß weit gefassten Voraussetzungen der Gewalt oder der Drohung mit Gewalt erfüllt, ohne Weiteres tatbestandsmäßig ist. Vielmehr erfordert zum einen der Umstand, dass § 81 nicht auf die Wahrung individueller Rechtsgüter, sondern auf den Schutz des gebietsmäßigen Bestandes der Bundesrepublik Deutschland und deren verfassungsrechtlichen Prinzipien abzielt, zum anderen die verfassungsrechtlich26 gebotene Zurückhaltung des Strafrechts im Bereich politischer Auseinandersetzungen und zum dritten die gegenüber § 240 evident höhere Strafandrohung eine normative Einschränkung des Tatbestandes. Hinzu kommt, dass mit dem Staat und seinen Institutionen ein (im Vergleich zu Einzelnen) viel schwerfälliger agierender und somit auch nur schwer beeinflussbarer Adressat vorliegt.27 Gewaltanwendungen oder -androhungen werden danach von § 81 nur erfasst, wenn sie bei objektiver Betrachtung geeignet sind, einen Widerstand gegen die von den Tätern erstrebte Erreichung eines der in § 81 Abs. 1 genannten hochverräterischen 19 20 21 22 23 24 25 26 27

BGH GA 1962 145. BGHSt 23 126, 127. BGHSt 37 350, 353 ff.; vgl. BVerfGE 73 201; 92 1. BGHSt 23 126, 127; BGH NStZ 1982 159. BGHSt 7 197, 198; 7 252, 253; 16 316, 318. BGHSt 31 195, 201. Vgl. etwa RGSt 64 113, 116; BGHSt 19 263, 266. BVerfG NStZ 1990 487, 488. Paeffgen NK Rdn. 18.

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IV. Tatmittel

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Ziele zu verhindern oder zu überwinden.28 Maßgeblich dafür, ob die Gewalt oder die Drohung mit Gewalt diese Eignung haben, ist die Wirkung der Nötigungsmittel auf die zuständigen staatlichen Organe, die zur Wahrung der Prinzipien des § 81 verpflichtet sind. Zwar stellt § 81 nicht auf bestimmte Organe ab, die einer Handlung im Sinne des § 81 entgegenzutreten haben, sondern auf den Erfolg (Rdn. 22). In Fällen, in denen es nicht zum Erfolg kommt, es vielmehr beim Unternehmen bleibt, kann die Wirkungsweise der Nötigungsmittel nur an denen gemessen werden, die in demokratischen Rechtsstaaten zur Wahrung der Prinzipien des § 81 berufen sind. Entscheidend ist daher, ob von diesen Institutionen in der konkreten Lage erwartet werden kann und muss, dass sie – insbesondere im Hinblick auf ihre Verpflichtung zur Bewahrung der territorialen und verfassungsmäßigen Integrität der Bundesrepublik Deutschland – auch im Rahmen heftiger Auseinandersetzungen dem Druck standhalten. Gewalt oder Drohung mit Gewalt im Sinne des § 81 liegt danach nur dann vor, wenn die erzeugte oder beabsichtigte Zwangswirkung eine derartige Intensität erreicht, dass die maßgeblichen Institutionen sich bei objektiver Betrachtung zur Kapitulation vor den hochverräterischen Absichten der Täter gezwungen sehen können, sei es auch nur, um schwerwiegende Schäden vom Gemeinwesen oder seinen Bürgern abzuwenden.29

4. Zielrichtungen der Nötigung In diesem Sinne ist an verschiedene Zielrichtungen der eingesetzten Nötigungsmittel zu denken. 18 Auch insoweit besteht zum Teil Deckungsgleichheit mit § 105.

a) Direkte Nötigung eines Verfassungsorgans. In den Fällen, in denen das Verfassungsor- 19 gan selbst von der Gewaltanwendung oder der Drohung mit Gewalt betroffen ist, werden nur gravierende Einschränkungen der Funktionsfähigkeit des Organs oder seiner Willensbildung erfasst. In Betracht kommt etwa das Schaffen oder Androhen unmittelbarer und nicht umgehbarer Leibes- oder Lebensgefahren für die Mitglieder des Organs in ihrer Gesamtheit. Dies liegt auch vor, wenn das Verfassungsorgan in seiner Gesamtheit ohne Fluchtmöglichkeit eingesperrt und dadurch an der Ausübung seiner Befugnisse gehindert wird. Dagegen scheiden sonstige, die Arbeit des Verfassungsorgans nur vorübergehend oder unwesentlich beeinträchtigende Einwirkungen, die ohne größere Schwierigkeiten beseitigt oder umgangen werden können, aus dem Tatbestand aus. Dies gilt etwa für die Sperrung des Zugangs zum Sitz des Verfassungsorgans durch Sitzblockaden,30 die Störung von Parlamentssitzungen oder Verhandlungen des BVerfG durch Lärm31 oder nicht spezifizierte Bombendrohungen, die die zeitweilige Räumung eines Plenar- oder Sitzungssaales erforderlich machen (anders dagegen, wenn ein Sprengstoffanschlag auf das Verfassungsorgan als ganzes für den Fall angedroht wird, dass dieses eine bestimmte Entscheidung trifft).

b) Indirekte Nötigung eines Verfassungsorgans. Die normative Einschränkung des Tatbe- 20 standes ist vor allem dann bedeutsam, wenn der Täter auf ein Verfassungsorgan Druck dadurch erzeugt, dass er Gewalt gegen Dritte ausübt oder androht. Atom-, Gift-, Chemie- oder Sprengstoffanschläge können so gravierend sein, dass sie oder ihre Androhung zur Aufgabe der Prinzi28 § 105: BGHSt 32 165, 174 m. Anm. Willms JR 1984 120 und Arzt JZ 1984 428. 29 BGHSt 32 165, 174 f.; zur Nötigung i. S. d. § 240 StGB eines Staatsorgans, das dem Nötigungsmittel in „besonnener Selbstbehauptung“ standhalten kann: BGH NJW 1992 1905; weitergehend (jedoch ohne trennscharfen Maßstab) von Heintschel-Heinegg BeckOK Rn. 18. 30 BGHSt 23 46, 50. 31 BGH NStZ 1982 158. 31

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pien des § 81 führen oder führen könnten. Der Anschlag in Spanien im Jahre 2004 und die Reaktion des Staates (Abzug der Truppen aus dem Irak) belegt die erhebliche Wirkung solcher Anschläge. Auf den Dritten rein psychisch vermittelter Druck geringeren Umfangs, auch wenn er für diesen körperliche Zwangswirkung entfaltet, kann den Tatbestand des § 81 nur bei besonderen Voraussetzungen erfüllen,32 etwa wenn die Wiederholung des Drucks angedroht wird, bis die Regierung nachgibt.33 Sprengstoff- und sonstige tödliche Anschläge auf Bürger aus hochverräterischen Gründen können in Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Auch weniger gravierende Fälle als in Spanien 2004 können bei der in diesem Rahmen gebotenen Bewertung, ob einem Dritten angetane oder angedrohte Gewalt auf das Verfassungsorgan eine relevante Zwangswirkung ausübt, von Bedeutung sein. Eventuelle persönliche Beziehungen eines oder mehrerer Mitglieder des genötigten Organs zu dem Dritten treten in den Hintergrund. Völlig unbeachtlich sind sie jedoch nicht. Es wird vielmehr eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen sein, bei welcher die Nähe der verwandtschaftlichen oder sonstigen Beziehung des Dritten zu dem Mitglied des Verfassungsorgans, der Grad der dem Dritten drohenden Gefahr und die personelle Größe des Verfassungsorgans in Beziehung zu setzen sind. Die Androhung schwerwiegender Gewalttätigkeiten gegen einen Dritten (etwa Folter) oder die Drohung mit dessen Tötung wird regelmäßig auch dann den Tatbestand erfüllen, wenn der Dritte keinem der Mitglieder des genötigten Organs nahe steht. Die Intensität der Zwangswirkung kann dadurch verstärkt werden, dass die Person, mit deren körperlicher Beeinträchtigung gedroht wird, etwa als fremder Diplomat in besonderer Weise unter dem Schutz des Staates steht.

21 c) Kollektivangriffe. Schwierigkeiten kann die Beurteilung des Nötigungsdrucks vor allem dort bereiten, wo ein größerer Personenkreis einen Kollektivangriff führt, der eine Vielzahl von (für sich genommen keine hinreichende Zwangswirkung ausstrahlenden) Einzelakten umfasst. Hier kommt es auf eine Gesamtbetrachtung an, für die es wesentlich erscheint, welche Wirkung den Einzelakten in ihrer Zusammenfassung zukommt. Körperlich wirkende Gewaltanwendung muss dem Ganzen das Gepräge geben. Für die Bemessung der Zwangswirkung ist auch jedes sonstige Geschehen von Belang, das diese in ihrem Gewicht steigert. Zu denken ist dabei besonders an die Kombination mit für sich nicht rechtswidrigen Aktionen, deren Teilnehmer mit der Zielsetzung gewaltsamer Einwirkung nicht übereinstimmen und deshalb für ihre Person den Tatbestand nicht verwirklichen. Natürliche und legitime politische Spannungen können Anknüpfungspunkte liefern, die sich ein überlegt handelnder Täterkreis zunutze machen kann und die dadurch zur Intensität der Zwangswirkung beitragen.

5. Nötigungswirkung 22 ist der oder der vom Täter gewollte Erfolg, der auf einem durch vis compulsiva erzwungenen Handeln (im engeren Sinne der willentlichen Tätigkeit) oder Unterlassen (im Sinne des willentlichen Nichtausführens einer bestimmten Tätigkeit) oder durch vis absoluta erzwungenen Duldens (im Sinne des nicht willentlichen, rein passiven Untätigbleibens) beruhen kann. Der Erfolg oder der vom Täter gewollte Erfolg kann also auf erzwungener Nichtausübung oder erzwungener Ausübung der in den Tätigkeitsbereich fallenden Befugnisse überhaupt oder einzelner von ihnen in einem bestimmten Sinn beruhen. Das kann auch durch „Auseinandersprengen“ des Verfassungsorgans bewirkt werden, d. h. durch Auseinandertreiben der schon versammelten Mitglieder in der Weise, dass das Organ beschlussunfähig wird, oder umgekehrt durch das Verhindern des Zusammentretens des Verfassungsorgans oder seiner Beschlussfähigkeit oder Be32 BGHSt 32 165: Androhung oder Durchführung der Blockade der Zu- und Abfahrten eines Flughafens, um eine Landesregierung zu einer bestimmten Entscheidung zu zwingen.

33 BGHSt 32 165, 176. Steinsiek

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VI. Rechtswidrigkeit

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schlussfassung; aber auch durch Zwang zur Beschlussfassung im Rahmen der Zuständigkeit in dem vom Täter gewünschten Sinn, wobei es unerheblich ist, ob der erzwungene Beschluss sachlich verfehlt oder richtig, zur Zeit unnötig oder notwendig ist.34

V. Subjektiver Tatbestand Es ist zumindest bedingter Vorsatz erforderlich. Angesichts der sich regelmäßig im Rahmen 23 eines Kollektivgeschehens abspielenden Tatbestandsverwirklichung (s. Rdn. 21) muss der Täter all die Umstände überblicken, die seinen Beitrag als einen wirksamen Teil der kollektiven Anstrengung zur Erreichung des hochverräterischen Zieles kennzeichnen und als Anfang der Tatausführung erscheinen lassen. Der innere Vorbehalt, das hochverräterische Ziel nicht zu billigen (etwa weil der Täter andere eigennützige Ziele verfolgt), ist bei einem Handeln im Bewusstsein von dessen Förderung bedeutungslos.

VI. Rechtswidrigkeit Das Rechtswidrigkeitsmerkmal in Absatz 1 ist kein Tatbestands-, sondern ein allgemeines Ver- 24 brechensmerkmal.

1. Keine entsprechende Anwendung des § 240 Abs. 2 Nach seiner dogmatischen Bedeutung ist § 81 lex specialis zu § 240. Hiervon ist die Frage zu 25 trennen, ob auch der Absatz 2 des § 240 im Falle des § 81 angewandt werden soll, obwohl hier eine qualifizierte Drohung statt der Drohung mit jedem empfindlichen Übel gefordert wird. Dies ist, wie auch bei § 105 (BGHSt 32 165, 176), abzulehnen. Die tatbestandlich allein erfassten schwerwiegenden Fälle des § 81 lassen eine Abwägung im Sinne des § 240 Abs. 2 nicht zu; die Prüfung einer Verwerflichkeit ginge ins Leere.

2. Rechtfertigungsgründe Als Rechtfertigungsgründe kommen die in der Verfassung vorgesehenen Abwehrrechte in Frage. 26 Für den Bund ist der Bundeszwang (Art. 37 GG) zu nennen. Zu erörtern sind folgende Abwehrrechte:

a) Streikrecht.35 Es war vor dem 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24.6.1968 27 (BGBl. I 709) nur in einigen Länderverfassungen und ist seitdem in Art. 9 Abs. 3 GG geregelt. Die Vorschrift spricht einerseits von „Arbeitskämpfen … zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“, also im Sinne des Arbeitsrechts von den wirtschaftlichen Streiks der Arbeitnehmer, und andererseits von den wirtschaftlichen Aussperrungen der Arbeitgeber, nicht von den „politischen“ Streiks oder „politischen“ Aussperrungen. Soweit letzteres der Fall ist, handelt es sich um „wilde“ Arbeitskämpfe, also wilde Streiks und wilde Aussperrungen. Erfasst, legitimiert und privilegiert werden hiernach durch Art. 9 Abs. 3 GG nur die von den zuständigen Vereinigungen geführten wirtschaftlichen Arbeitskämpfe. Dies jedoch nur, wenn 34 RGSt 54 152, 163. 35 S. hierzu Niese Streik und Strafrecht; Ostendorf Kriminalisierung des Streikrechts; Sax NJW 1953 368; Lampe/ Hegmann MK Rdn. 8; Paeffgen NK Rdn. 20 f. 33

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Hochverrat gegen den Bund

sich die Kampfmaßnahmen gegen den „Tarifpartner“ richten. Sollen durch die Maßnahmen dagegen politische Organe zu einem Handeln oder Unterlassen gezwungen werden, so liegt ein politischer Arbeitskampf vor. Für die Prüfung des § 81 ist dabei von Bedeutung, ob die Verfassungsorgane mit Mitteln beeinflusst werden sollen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, ihren Willen zu beugen. Auch der Arbeitskampf ist in das Gefüge der Verfassungsordnung eingebettet und setzt die Achtung ihrer Institutionen voraus. Der Einsatz der von § 81 vorausgesetzten qualifizierten Nötigung kann daher, jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 20 Abs. 4 GG (vgl. Rdn. 29), durch das Streikrecht nicht gerechtfertigt werden. Es reicht allerdings für eine Strafbarkeit noch nicht aus, dass ein solcher Streik eine vorübergehende Lähmung des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens bewirkt, das ordnungsgemäße Arbeiten des Staatsapparates stört und Unruhe sowie Empörung in der Bevölkerung weckt und dadurch Zwang auf die staatlichen Institutionen ausgeübt wird (so aber BGHSt 8 102, 104). Solche rein psychischen Zwangswirkungen genügen dem Gewaltbegriff nicht. Es ist – wie allgemein – ein körperlich spürbarer Zwang erforderlich.36 Ein solcher ist bei einem Streik allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar,37 etwa wenn die lebensnotwendige Grundversorgung der Bevölkerung – z. B. mit Lebensmitteln, Wasser, Energie oder ärztlicher Versorgung – längerfristig unterbunden wird und dadurch die physische Existenzvoraussetzung von einer unbestimmten Anzahl von Personen gefährdet wird (vgl. BTDrucks. V/2860 S. 3). Dabei kommt den in Rdn. 17 dargestellten zusätzlichen Einschränkungen besondere Bedeutung zu.

28 b) Versammlungsrecht. D. h. das Recht, mit anderen Personen unter freiem Himmel räumlich zusammenzutreten oder zusammenzubleiben, um hierdurch eine gemeinsame Meinung unmittelbar gegenüber dritten Personen zum Ausdruck zu bringen. Dieses Recht ist durch Art. 5 und Art. 8 GG einerseits gewährleistet, andererseits zugleich beschränkt. Es besteht nach Sinn und Zweck dieser Vorschriften nur in dem Umfang, als die Meinungskundgabe sich als „Mittel des geistigen Meinungskampfes“38 darstellt, d. h. ausschließlich mit geistigen Argumenten geführt wird.39 Als solches begründet es weder ein Recht zur Gewaltanwendung, soweit Behinderungen nicht durch die Sozialadäquanz gerechtfertigt sind,40 noch ein Recht zur Drohung mit Gewalt. Die Frage, ob Versammlungen, die durch das geltende Recht nicht gerechtfertigt sind, weil es außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 20 Abs. 4 GG (dazu Rdn. 29) zur Gewaltanwendung oder zur Drohung mit Gewalt kommt, durch § 81 erfasst sein können, kann nur in extremen Ausnahmefällen (Rdn. 27 a. E.) bejaht werden. Die normativen Tatbestandseinengungen, wie sie beim verbotenen Streik erörtert wurden, sind von besonderer Bedeutung.

29 c) Das Recht auf zivilen Ungehorsam41. im Sinne von Art. 20 Abs. 4 GG ist rechtspraktisch aufgrund der Anforderungen an den Widerstandsfall42 bedeutungslos geblieben.43 Handlungen, die nur dem Erhalt der verfassungsmäßigen Ordnung dienen sollen, sind nicht tatbestandsmäßig im Sinn des § 81.

Weitergehend wohl Willms LK10 § 105 Rdn. 13; offengelassen in BGHSt 32 165, 169; BGH NStZ 1981 218. Lampe/Hegmann MK Rdn. 8: noch zurückhaltender als bei §§ 105, 106. BVerfGE 25 256, 264 f. BayObLG NJW 1969 1127; OLG Celle NJW 1970 206, 207; OLG Köln NJW 1970 1322, 1324. BVerfGE 73 206, 249 f.; BVerfG NJW 1991 91, 93. S. dazu Bergmann Jura 1985 457, 464; Frankenberg JZ 1984 266 ff.; Hassemer FS Wassermann, S. 325 ff.; Karpen JZ 1984 249 ff.; Wassermann JZ 1984 263 ff.; Prittwitz JA 1987 17 ff. 42 Vgl. Maunz/Dürig/Grzeszick Art. 20 Abs. 4 Rn. 18. 43 Lampe/Hegmann MK Rdn. 30 halten aber immerhin offenbar die Ausübung des Widerstandsrechts für möglich.

36 37 38 39 40 41

Steinsiek

34

VIII. Parteienprivileg

StGB § 81

VII. Täterschaft und Teilnahme 1. Täter kann jedermann sein, auch ein Ausländer. Unerheblich ist, ob die Tat im Ausland oder Inland 30 begangen wird (§ 5 Nr. 2). Die Rechtsprechung zu Ausländern, die nach dem Recht ihres Staates, nach Völkerrecht oder einer anderen Rechtsnorm berechtigt oder verpflichtet sind, im Krieg als Angehörige der feindlichen Kriegsmacht oder auf sonstige Weise auf die gewaltsame Abtrennung von Bundesgebiet oder Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung hinzuwirken (RGSt 16 165, 167), ist durch das Eingebundensein der Bundesrepublik Deutschland und aller anderen Staaten in die durch die UN gewährleistete Friedensordnung obsolet.

2. Teilnahme Anstiftung und Beihilfe sind nach den allgemeinen Grundsätzen möglich. Doch bereitet die Ab- 31 grenzung zur Täterschaft besondere Schwierigkeiten.

a) Anstiftung. Da der Hochverrat in aller Regel ein Kollektivgeschehen zum Inhalt hat, bei 32 dem die Werbung von Teilnehmern einen wichtigen Aspekt bildet, ist für Fälle „bloßer“ Anstiftung wenig Raum. Sie trifft wohl nur für den theoretischen Fall zu, dass eine an dem Unternehmen sonst überhaupt nicht beteiligte Person sich darauf beschränkt, einen anderen zum Mitmachen zu veranlassen.

b) Beihilfe. Die Abgrenzung der Beihilfe zur Täterschaft begegnet bei Kollektivverbrechen wie 33 dem Hochverrat besonderen tatsächliche Schwierigkeiten. Soweit jedoch an dieser Stelle vertreten worden ist, bei dem regelmäßig großen Kreis der Tatbeteiligten sei zu beachten, dass nur bei denjenigen, die das Unternehmen in führender Position leiten oder bedeutsame Tatbeiträge leisteten, die erforderliche Tatherrschaft bzw. der Wille zur Tatherrschaft angenommen werden könne und wer dagegen in nur untergeordneter Stellung zum Gelingen des Unternehmens durch die Leistung von Tatbeiträgen geringeren Gewichts beitrage,44 mache sich lediglich wegen Beihilfe strafbar, wird diese Ansicht nicht aufrecht erhalten. Denn normativ ist eine Einordnung der Tatbeiträge nach den Grundsätzen der modernen, eher objektivierenden Täterlehren auch im Rahmen von § 81 möglich und führt zu sachgerechten Ergebnissen. Denn insoweit kann der Charakter des § 81 als Kollektivverbrechen bei der Abgrenzung Berücksichtigung finden und daher kann auch gewichtigen Einzelbeiträgen von Personen unterhalb eines Führungskaders ausreichendes, täterschaftliches, Gewicht zukommen.45 Auch eine rein subjektive Abgrenzung ist abzulehnen (aA Willms LK10 Rdn. 12).

VIII. Parteienprivileg Zur Nichtanwendbarkeit des Parteienprivilegs s. Vor § 80 Rdn. 25 ff.

34

44 Laufhütte/Kuschel LK12 Rdn. 33. 45 Wie hier Paeffgen NK Rdn. 32; Lampe/Hegmann MK Rdn. 28. 35

Steinsiek

§ 81 StGB

Hochverrat gegen den Bund

IX. Strafrahmen 35 Die Strafe ist lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in minder schweren Fällen (Absatz 2) Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren. Zur Rücktrittsmöglichkeit der tätigen Reue s. § 83a Abs. 1 und 3.

X. Nebenfolgen und Einziehung 36 S. §§ 92a, 92b.

XI. Konkurrenzen 37 Straftaten, die zur Durchführung des Hochverrats begangen werden (z. B. Mord, Freiheitsberaubung), stehen zu § 81 regelmäßig in Tateinheit (RGSt 69 54, 57).. Verdrängt wird das Vorbereitungsdelikt des § 83 Abs. 1.46 Zu Tatbeständen, die wie Hochverrat Rechtsgüter der Allgemeinheit verletzen, vgl. die Übersicht nebst Begründung bei Lampe/Hegmann MK Rdn. 31 f. Zum Verhältnis zu § 82 s. dort Rdn. 9.

XII. Opportunitätsprinzip 38 Zur Anwendung des Opportunitätsprinzips vgl. §§ 153 c–e StPO.

XIII. Zuständigkeiten 39 Vgl. auch Vor § 80 Rdn. 38. Zur Verfolgung ist nach §§ 142a Abs. 1 S. 1, 120 Abs. 1 Nr. 2 GVG der Generalbundesanwalt und zur Aburteilung das OLG am Sitz der Landesregierung zuständig (§ 120 Abs. 7 Nr. 2 GVG).

XIV. Zur Anzeigepflicht 40 S. § 138 Abs. 1 Nr. 2.

46 Lampe/Hegmann MK Rdn. 31. Steinsiek

36

§ 82 Hochverrat gegen ein Land (1) Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt 1. das Gebiet eines Landes ganz oder zum Teil einem anderen Land der Bundesrepublik Deutschland einzuverleiben oder einen Teil eines Landes von diesem abzutrennen oder 2. die auf der Verfassung eines Landes beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Schrifttum s. bei § 81.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde durch das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) eingefügt und ist § 81 nachgebildet (s. dazu Erläuterungen zu § 81 und die zusammenfassende Darstellung Vor § 80). Anstelle des Bundes sind die einzelnen Länder geschützt, wobei die Strafandrohung geringer ist. Die Behandlung des Hochverrats gegen ein Land in einer besonderen Vorschrift geht auf einen Vorschlag der Großen Strafrechtskommission (Vor § 80 Rdn. 10) zurück. An sich hätte es nahegelegen, auf den schon zu Zeiten der Weimarer Republik von Friedensburg (Justiz I S. 471) bekämpften Tatbestand zu verzichten, weil nicht zu sehen ist, wie er einmal selbständige Bedeutung gewinnen könnte. Gewaltsame Verschiebungen der Gebietshoheit im Verhältnis der Länder untereinander und gewaltsame Änderungen der Verfassung eines Landes sind bei intakter verfassungsmäßiger Ordnung im Bund nur schwer vorstellbar. Ein neben § 81 eigenständiger Anwendungsbereich des § 82 ist daher nicht nur faktisch (mangels erforderlicher Kräfte), sondern auch rechtlich kaum denkbar. Intention der Vorschrift ist daher vor allem, der durch Art. 79 Abs. 3 GG unterstrichenen föderativen Verfassung der Bundesrepublik besonders Rechnung zu tragen.1 Eine verfassungsgemäße Neugliederung von Bundesländern entsprechend Art. 29 GG ist durch die Vorschrift nicht berührt.

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

1

II. 1. 2. 3.

Objektiver Tatbestand 2 3 Gebietshochverrat (Absatz 1 Nr. 1) Verfassungshochverrat (Absatz 1 Nr. 2) 5 Tathandlung und Tatmittel

III.

Subjektiver Tatbestand

4

6

7

IV.

Strafrahmen

V.

Nebenfolgen und Einziehung

VI.

Konkurrenzen

8

9

VII. Zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprin10 zips VIII. Zuständigkeiten

11

I. Zweck der Vorschrift Zweck der Vorschrift ist der Schutz der territorialen (Absatz 1 Nr. 1) und verfassungsmäßigen 1 (Absatz. 1 Nr. 2) Integrität der Bundesländer (s. auch § 81 Rdn. 1). Nicht erfasst ist der Schutz

1 Ebenso Lampe/Hegmann MK Rdn. 1: Schutzgut ist die dem Föderalismusprinzip zu Grunde liegende territoriale und konstitutionelle Eigenständigkeit der Länder. 37 https://doi.org/10.1515/9783110490008-005

Steinsiek

§ 82 StGB

Hochverrat gegen ein Land

des Bundesstaatsprinzips; dies gehört bereits zum Schutzbereich des § 81. § 82 ist Unternehmensdelikt.

II. Objektiver Tatbestand 2 Der Tatbestand unterscheidet zwischen Gebietshochverrat (der dem Bestandshochverrat des § 81 gleicht) und dem Verfassungshochverrat.

1. Gebietshochverrat (Absatz 1 Nr. 1) 3 Erfasst wird einmal die gewaltsame Vergrößerung des Gebietes eines Landes auf Kosten eines anderen Landes, wobei sowohl die vollständige wie die teilweise Einverleibung gemeint ist. Mit der anderen Alternative der Abtrennung eines Teiles eines Landes ist der Fall der Bildung eines neuen Landes auf Kosten eines oder mehrerer bestehender Länder angesprochen. Dagegen fällt die Abspaltung zugunsten eines fremden Staates oder zur Konstituierung eines von der Bundesrepublik Deutschland unabhängigen selbständigen Staates als Gebietshochverrat gegen den Bund allein unter den Tatbestand des § 81 Abs. 1 Nr. 1, während die Beseitigung der Gebietshoheit eines oder aller Länder zugunsten des Bundes, also die gewaltsame Bildung eines Einheitsstaates, § 81 Abs. 1 Nr. 2 zuzuordnen wäre.

2. Verfassungshochverrat (Absatz 1 Nr. 2) 4 Hier ist die Tathandlung gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes gerichtet, soweit diese den Grundsätzen des Art. 28 GG entspricht. Es gilt das zum Verfassungshochverrat gegen den Bund (§ 81 Abs. 1 Nr. 2) Gesagte entsprechend (s. § 81 Rdn. 6 bis 12).

3. Tathandlung und Tatmittel 5 Zum Unternehmen der Tat s. § 81 Rdn. 13, zu den Tatmitteln der Gewalt und der Drohung mit Gewalt § 81 Rdn. 14 bis 22.

III. Subjektiver Tatbestand 6 Vgl. § 81 Rdn. 23, zu Täterschaft und Teilnahme § 81 Rdn. 30 bis 33, zur (Nicht-) Anwendbarkeit des Parteienprivilegs Vor § 80 Rdn. 25 ff. Zur Rechtswidrigkeit § 81 Rdn. 24 ff. Bei § 82 ist darüber hinaus an den Rechtfertigungsgrund des Bundeszwangs (Art. 37 GG) zu denken.

IV. Strafrahmen 7 Die Strafe beträgt Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen (Absatz 2) Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Zur tätigen Reue s. § 83a Abs. 1 und 3.

Steinsiek

38

VIII. Zuständigkeiten

StGB § 82

V. Nebenfolgen und Einziehung S. §§ 92a, 92b.

8

VI. Konkurrenzen Soweit im Gebietshochverrat gegen ein Land gleichzeitig ein Gebietshochverrat gegen den Bund 9 liegt, wird § 82 Abs. 1 Nr. 1 durch § 81 verdrängt. Ansonsten ist beim Verfassungshochverrat zwischen § 82 und § 81 Tateinheit möglich.2 Dem § 83 Abs. 2 geht § 82 vor. Im Übrigen vgl. § 81 Rdn. 37.

VII. Zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips S. §§ 153d, 153e StPO.

10

VIII. Zuständigkeiten (Vgl. Vor § 80 Rdn. 38 und § 81 Rdn. 39) Die Verfolgung obliegt dem Generalbundesanwalt 11 (§§ 120 Abs. 1 Nr. 2, 142a Abs. 1 S. 1 GVG), der das Verfahren in der Regel, von den Fällen des § 142a Abs. 3 GVG abgesehen, vor Anklageerhebung an die Landesstaatsanwaltschaft abgibt. Für die Aburteilung zuständig ist das OLG am Sitz der Landesregierung (§ 120 Abs. 1 Nr. 2 GVG).

2 Lampe/Hegmann MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10; aA: Paeffgen NK Rdn. 8: Subsidiarität des § 82. 39

Steinsiek

§ 83 Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens (1) Wer ein bestimmtes hochverräterisches Unternehmen gegen den Bund vorbereitet, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Wer ein bestimmtes hochverräterisches Unternehmen gegen ein Land vorbereitet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Schrifttum s. bei § 81.

Entstehungsgeschichte Die Regelung des RStGB beruhte auf einem gemischten System. Neben einer allgemein jede vorbereitende Handlung eines hochverräterischen Unternehmens erfassenden Vorschrift (§ 86) waren mit dem hochverräterischen Komplott und der hochverräterischen Konspiration das öffentliche Auffordern oder Anreizen zu einem hochverräterischen Unternehmen besonders erfasst. Die Übergangsvorschrift des Art. 143 GG hielt noch teilweise an dieser Aufgliederung fest. Die jetzige Regelung führt keine bestimmten Tatformen mehr an und unterscheidet nur den §§ 81, 82 entsprechend in der Schwere der Strafdrohung zwischen Hochverrat gegen den Bund (Absatz 1) und Hochverrat gegen ein Land (Absatz 2).1 Der durch das 1. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 7) als § 81 eingeführte Tatbestand wurde durch das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) neu formuliert und in der Strafdrohung geändert. Im Übrigen s. bei § 81 sowie die zusammenfassende Darstellung Vor § 80.

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

II. 1.

1

14

2.

Teilnahme

Objektiver Tatbestand 2 Bestimmtheit des hochverräterischen Unterneh3 mens (vgl. § 81 Rdn. 13) a) Bestimmtheit von Art des Unternehmens 5 und Angriffsgegenstand b) Zeitliche Bestimmtheit des Unterneh6 mens c) Bestimmtheit von Art und Herkunft der Mit7 tel 8 Vorbereitungshandlungen Gefährlichkeit der Vorbereitungshand9 lung

V.

Versuch

VI.

Parteienprivileg

III.

Subjektiver Tatbestand

IV. 1.

Täterschaft und Teilnahme 13 Täter

2. 3.

12 13

15

VII. Strafrahmen

16 17

VIII. Nebenfolgen und Einziehung

18

IX.

Konkurrenzen

X.

Zur Anwendung des Opportunitätsprin20 zips

XI.

Zuständigkeiten

XII. Anzeigepflicht

19

21 22

I. Zweck der Vorschrift 1 Während die §§ 81, 82 den versuchten und vollendeten Hochverrat in der Form des Unternehmens (§ 11 Nr. 6) erfassen, richtet sich § 83 gegen die Vorbereitungshandlungen zum Hoch1 Vgl. zur Entstehungsgeschichte auch Paeffgen NK Rdn. 1. Steinsiek https://doi.org/10.1515/9783110490008-006

40

II. Objektiver Tatbestand

StGB § 83

verrat. Wenn ein Staat wirksam vor schweren Erschütterungen bewahrt werden soll, muss das Strafrecht hochverräterischen Bestrebungen schon zu diesem frühen Zeitpunkt entgegentreten, zumal es gerade in diesem Stadium2 noch am ehesten Wirkung zu entfalten vermag. Aus dem Regelungszusammenhang ergibt sich, dass § 83 den Schutz der territorialen und verfassungsmäßigen Integrität des Bundes und der Länder bezweckt.3

II. Objektiver Tatbestand Tathandlung ist das Vorbereiten eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens gegen 2 den Bund (Absatz 1) oder ein Land (Absatz 2).

1. Bestimmtheit des hochverräterischen Unternehmens (vgl. § 81 Rdn. 13) Dieses Erfordernis wurde durch das 1. StrÄndG von 1951 (Vor § 80 Rdn. 7) als Tatbestandsmerkmal 3 in den damaligen § 81 aufgenommen. Der Gesetzgeber knüpfte damit an die Rechtsprechung des Reichsgerichts an, das eine Eingrenzung der generalklauselartigen früheren tatbestandlichen Umschreibung, die „jede andere, ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitende Handlung“ erfasste, gefordert hatte.4 Der BGH lehnte sich in seiner ersten Entscheidung zu den Hochverratstatbeständen, dem 4 „Fünfbroschürenurteil“5 (vgl. § 81 Rdn. 8), zunächst noch eng an die reichsgerichtliche Rechtsprechung an. Er sah dort „die inhaltliche Bedeutung des Merkmals der Bestimmtheit darin, daß Gegenstand und Ziel des hochverräterischen Planes feststehen müsse und der Zeitpunkt des Angriffs nicht in ungewisser und unabsehbar weiter Ferne liegen dürfe. Dagegen könne, wenn man die Strafbestimmung zum Schutz des Staates gegen Hochverrat nicht völlig entwerten wolle, nicht verlangt werden, daß auch der genaue Zeitpunkt, ein bestimmter Schauplatz oder die einzelnen Mittel des Angriffs feststehen; denn es mache gerade die Eigenart des hochverräterischen Unternehmens aus, daß der Täter die Einzelheiten seines Angriffsplans nicht bekanntgebe.“ Sinn eines derart umschriebenen Merkmals der Bestimmtheit sollte es sein, die „bloße theoretische Erörterung hochverräterischer Gedanken“ von der Strafbarkeit auszunehmen.6 Dies wurde dem gesetzgeberischen Ziel, die nur parteinehmende Verbreitung revolutionärer Gedankengänge oder das Eintreten für eine revolutionäre Ideologie aus dem Vorbereitungstatbestand auszuschließen, noch nicht in ausreichendem Maße gerecht. Vielmehr war die Grenze so zu ziehen, dass die der konkreten Planung eines Umsturzes zeitlich vorausliegende und in den meisten Fällen folgenlose revolutionäre Stimmungsmache straflos blieb. Auf diese Linie schwenkte dann auch der BGH mit seinen Entscheidungen (BGHSt 6 336; 7 11) ein, in denen er insbesondere hinsichtlich der zeitlichen Bestimmtheit eine deutliche Konkretisierung des Unternehmens forderte.7 Danach lässt sich das Tatbestandsmerkmal der Bestimmtheit dahin um2 Zutreffend (wenn dort auch mit sehr kritischer Tendenz gesehen) Paeffgen NK Rdn. 2: An einer Schnittstelle zwischen polizeilich-geheimdienstlichen und strafrechtlichem Verfassungsschutz.

3 Laufhütte/Kuschel LK12 benannten als weiteren „indirekten“ Zweck den Schutz der Inneren Sicherheit durch die Sanktionierung von Vorbereitung von Gewalt oder Drohungen mit Gewalt. Dieser ist jedoch einer Vielzahl von durch Vorverlagerungen von Strafbarkeiten auch präventiv wirkenden Tatbeständen des Staatsschutzstrafrechts gemein und daher im Rahmen des § 83 nicht besonders herausstellenswert. 4 RGSt 5 60, 68; 16 165, 166 f.; 41 138, 143; s. auch die zusammenfassende Darstellung bei von Weber RG-Festgabe, S. 180. 5 BGH, Urt. v. 8.4.1952 – StE 3/52 – = LM § 81 a. F. Nr. 1 Ls. 6 RGSt 16 165, 169. 7 Zur Auslegung des Begriffs des bestimmten Unternehmens s. auch Hochverrat und Staatsgefährdung HuSt I (1957) 19, 55, die bei Wagner GA 1960 4, 10 f. angeführten Entscheidungen sowie die zusammenfassende Darstellung von Ruhrmann NJW 1957 281. 41

Steinsiek

§ 83 StGB

Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens

schreiben, dass das hochverräterische Unternehmen nach der Vorstellung des Täters in seinen wesentlichen Grundzügen festliegen muss.8 Im Einzelnen heißt dies:

5 a) Bestimmtheit von Art des Unternehmens und Angriffsgegenstand. Die Art des Unternehmens im Sinne der §§ 81, 82 (Hochverrat gegen den Bund oder ein Land; Bestands- oder Verfassungshochverrat) sowie der Angriffsgegenstand müssen feststehen. Dabei ist zu beachten, dass nicht jedes Angriffsziel (wie am deutlichsten im historischen Beispiel der Beseitigung der Monarchie) zugleich Angriffsgegenstand (im Beispiel die Person des Monarchen) sein muss und dass ein neben dem Angriffsgegenstand bestehendes besonderes Angriffsziel für den Tatbestand als solchen keine selbständige Bedeutung besitzt. In der Nichtbeachtung dieser Unterscheidung (vgl. § 81 Rdn. 6 bis 10; die Erweiterung in § 81 Rdn. 11 und 12 stellt das Prinzip nicht in Frage) lag ein wesentlicher Grund für die Überdehnung des Tatbestands der Vorbereitung zum Hochverrat durch die frühere Rechtsprechung. Als Beispiel sei RGSt 41 138 angeführt, wo die Zerstörung der Wehrverfassung des Deutschen Reiches als Angriffsgegenstand des hochverräterischen Unternehmens behandelt wurde, obwohl dies nur ein Ziel sein konnte, dessen Verwirklichung die Täter nach einem erfolgreichen Umsturz der Regierung (Angriffsgegenstand) im Auge haben mochten. Für die tatbestandsgerechte Feststellung des hochverräterischen Angriffsplanes wäre es deshalb darauf angekommen, das Vorliegen eines Plans zum gewaltsamen Sturz der Regierung oder jedenfalls tragender Verfassungsgrundsätze (§ 81 Rdn. 11 und 12) zu prüfen, statt die erforderliche Gewalthandlung im Zusammenhang mit der beabsichtigten Zerstörung der Wehrverfassung zu sehen und zu suchen.9 Fasst man in diesem Sinne jeden Verfassungsgrundsatz als Gegenstand des hochverräterischen Angriffs auf, so ergibt sich leicht die äußerst bedenkliche Schlussfolgerung, ein ohnehin ideologisch der Gewaltanwendung verschriebener Täterkreis wolle, da für eine legale gewaltlose Beseitigung des abgelehnten Grundsatzes keine Aussicht bestehe, seine Zuflucht in der Gewalt suchen. Das Tatbestandserfordernis der Gewalt wird bei solcher Betrachtungsweise dann nicht einer gegenwärtigen Planung entnommen, sondern aus früherem Schrifttum abgeleitet, auf das sich die Beschuldigten ideologisch stützen. Das „Fünfbroschürenurteil“ (Rdn. 4) mit seinen Zitaten aus den Werken Lenins und Stalins mag insofern als Beispiel dienen. Indes kann sich aus der noch so entschiedenen Ablehnung eines Verfassungsgrundsatzes und der noch so entschiedenen Anhängerschaft an eine revolutionäre Ideologie immer nur der Schluss ergeben, dass der Täter dazu disponiert ist, sein Ziel auf dem Wege eines gewaltsamen Umsturzes zu erreichen. Doch bleibt dann die als Vorbereitung eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens zu wertende konkrete Planung eines solchen Umsturzes immer noch als entscheidender weiterer Schritt festzustellen. Sie lässt sich nicht allein durch die gängige Formel, dass die Verwirklichung des in so allgemeinen Umrissen erkannten Umsturzplans nach der Vorstellung des Täters „nicht in unabsehbar weiter Ferne“ liege, feststellen, sondern bedarf des Nachweises konkreter, durchführungsrelevanter Tatsachen, die darauf hindeuten, dass gegenwärtig bestehende politische Zustände, verhältnismäßig nahe bevorstehend abgeändert werden sollen.

6 b) Zeitliche Bestimmtheit des Unternehmens. Ein konkreter Umsturzplan kann seiner Natur nach immer nur für einen verhältnismäßig nahen Zeitpunkt in Aussicht genommen sein. Er muss unmittelbar an die gegebenen politischen Verhältnisse anknüpfen, mögen diese nun sogleich als reif erscheinen, so dass der Termin zum Losschlagen nur noch vom Abschluss eigener Vorkehrungen des Täterkreises abhängt, oder mag es zusätzlich darum gehen, eine als nahe bevorstehend erwartete Änderung dieser Verhältnisse herankommen zu lassen oder selbst, evtl.

8 Lackner/Kühl Rdn. 2; Lampe/Hegmann MK Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Zöller SK Rdn. 5; Fischer Rdn. 2. 9 AA Lampe/Hegmann MK Rdn. 4, die im Ergebnis aber nicht zu abweichenden Ergebnissen kommen. Steinsiek

42

II. Objektiver Tatbestand

StGB § 83

schon durch Einsatz gewaltsamer Mittel, zu bewerkstelligen.10 Es reicht daher nicht aus, wenn die hochverräterischen Planungen an eine nur erhoffte, aber völlig ungewisse Veränderung der politischen oder gesellschaftlichen Verhältnisse anknüpfen.11 Auch terroristische Aktivitäten, bei denen Gewalttätigkeiten zwar dem Zweck der Änderung der politischen oder gesellschaftlichen Verhältnisse mit dem Ziel der Herbeiführung einer revolutionären Situation dienen, genügen dem Bestimmtheitserfordernis nicht, solange die revolutionäre Umsturzsituation nach der Vorstellung der Täter erst irgendwann in ferner Zukunft eintreten wird.12 Anders ist es, wenn der ausgeführte oder geplante Terror der erste Schritt für die Herstellung einer bestimmt umrissenen, die Verfassungsordnung umstoßenden neuen Ordnung sein soll, etwa wenn der Terror den Zusammenbruch der auf Gewaltenteilung beruhenden Verfassungsordnung bezweckt und zur Errichtung einer (sei sie ideologisch oder auch religiös motivierten) Diktatur oder Anarchie unmittelbar dienen soll.13

c) Bestimmtheit von Art und Herkunft der Mittel. Ferner muss über Art und Herkunft der 7 Mittel, die zum Einsatz vorgesehen sind, eine sichere und nicht schlechthin unrealisierbare Vorstellung bestehen. Hieran fehlt es etwa, wenn die Übernahme der Regierungsgewalt durch einen bewaffneten Handstreich vorgesehen ist, zu diesem Zweck im Zusammenwirken mit einer dazu bereiten fremden Macht Kampfgruppen ausgebildet und bewaffnet werden sollen, Absprachen mit dieser Macht hierzu aber bislang nicht zu Stande gekommen sind. Der Einsatz der Mittel muss sich aus der Sicht des Täters zumindest unter bestimmten, von ihm als möglich angesehenen Voraussetzungen als Gewalt oder Drohung mit Gewalt darstellen.14 Nicht erforderlich ist, dass die Ausführung des Planes schon in allen Einzelheiten bedacht wurde. Eine solche Anforderung würde übersehen, dass sich die Ausführung des Planes den Gegebenheiten anpassen muss, die sich nicht mit Sicherheit vorausberechnen lassen.

2. Vorbereitungshandlungen Unter Vorbereitung sind alle Handlungen zu verstehen, die das hochverräterische Unternehmen 8 mittelbar oder unmittelbar fördern.15 § 83 erfasst dem Wortlaut nach sämtliche denkbaren Vorbereitungshandlungen eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens. Besondere Arten und Mittel der Vorbereitung bezeichnet er nicht, was angesichts der Vielzahl denkbarer Fallgestaltungen auch kaum abschließend möglich wäre. Es lassen sich jedoch im Hinblick auf die nach §§ 81, 82 erforderliche Ausgestaltung des Unternehmens folgende Fallgruppen, die sich untereinander vielfach berühren und überschneiden, konkretisieren: – Organisatorische Vorkehrungen aller Art von der straff zusammengefassten geheimen Verbindung bis zu lockeren Kontakten, die einer Zusammenfassung der umstürzlerischen Kräfte dienen sollen, sowie die gesamte auf der Ausnutzung solcher organisatorischen Vorkehrungen beruhende Tätigkeit, insbesondere das Anwerben und Ausbilden von Mannschaften. – Bereitstellung von Waffen, Munition, Sprengstoffen, atomaren, chemischen oder biologischen Stoffen. 10 BGHSt 7 11, 12. 11 OVG Hamburg NJW 1974 1523, 1525; ähnlich auch von Heintschel-Heinegg BeckOK Rdn. 11.2. 12 Wagner NJW 1980 913, 915; kritisch hierzu Schroeder NJW 1980 920, 921; zur Einordnung der RAF unter dem Blickwinkel der zeitlichen Bestimmtheit vgl. Paeffgen NK Rdn. 9, wenn dort auch vorrangig unter dem Blickwinkel des Angriffsziels erörtert. 13 So auch Lampe/Hegmann MK Rdn. 4. 14 BGHSt 6 336, 340; sicher muss der Einsatz von Gewalt oder Drohung mit Gewalt hingegen nicht sein. 15 Lampe/Hegmann MK Rdn. 5. 43

Steinsiek

§ 83 StGB



– –

Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens

Einleitung von Sabotagemaßnahmen und konspirative Aktivitäten durch Ausspähen von Sicherheitseinrichtungen, Sammeln zweckdienlicher Nachrichten und Unterlagen, Zersetzung der Sicherheitsorgane, Einnahme bestimmter Schlüsselpositionen und Missbrauch solcher Stellungen. Fühlungnahme zu fremden Mächten. Propaganda in Wort, Schrift und Bild (namentlich über Massenmedien). Dabei kommt es nicht darauf an, dass die einzelne Schrift zu Gewaltmaßnahmen auffordert oder gar den hochverräterischen Plan im ganzen wiedergibt. Entscheidend ist vielmehr, dass sie nach der Intention des Herstellers oder Verbreiters der Förderung des hochverräterischen Unternehmens dienen soll und dazu geeignet ist.

3. Gefährlichkeit der Vorbereitungshandlung 9 Eine Vorbereitungshandlung setzt zwar nicht die Herbeiführung einer konkreten Gefährdung voraus,16 ihr muss aber eine zumindest im Gesamtkontext bestehende gewisse Gefährlichkeit innewohnen. Dies erfordert zunächst, dass sie die Durchführung eines geplanten hochverräterischen Unternehmens, sei es unmittelbar oder mittelbar,17 objektiv in irgendeiner Form fördert.18 Dies ist bei objektiv untauglichen Maßnahmen nicht der Fall. Hier läge allenfalls ein untauglicher Versuch des § 83 vor, der jedoch nicht strafbar ist (s. Rdn. 15). Im Übrigen ist das Erfordernis der Gefährlichkeit nicht in dem Sinne zu verstehen, dass nur Vorbereitungshandlungen zu aussichtsreichen Unternehmen erfasst werden.19 Vielmehr reicht es aus, wenn die potentiellen Mittel, deren Einsatz die Täter realistischerweise als möglich ansehen können, den Erfolg der Aktion als erreichbar erscheinen lassen. Eine Fehlbeurteilung der aktuellen Empfänglichkeit der Bevölkerung für umstürzlerische Bestrebungen, wie sie bei stark ideologisierten Weltbildern der Täter nicht selten sein dürfte, schließt deshalb die erforderliche Gefährlichkeit des hochverräterischen Planes nicht aus.20 Vom Tatbestand nicht erfasst werden dagegen völlig phantastische und offensichtlich irreale, nicht ernstzunehmende Bestrebungen. Die Fassung des Tatbestandes deutet zwar auf die Handlung eines Einzeltäters hin, wo10 durch seine Herkunft vom klassischen Vorbild des Hochverrats durch die Tötung des Monarchen zum Ausdruck kommt. Dies darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass der Hochverrat in der Regel ein Kollektivdelikt ist, das ein Zusammenwirken mehrerer, je nach den Umständen sogar vieler Personen zur Verwirklichung des Planes voraussetzt (vgl. § 81 Rdn. 21, BGHSt 7 6, 8, wo der Hochverrat als eine Art Organisationstatbestand gekennzeichnet ist). Wenn wenige Personen eine Massenerhebung planen, ohne über die geringsten organisatorischen Potenzen zu verfügen, so kann darin noch nicht die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens liegen. Entscheidend ist, ob und wann ernstlich mit der Schaffung einer organisatorischen Basis begonnen wird. Zu Recht weisen Lampe/Hegmann21 aber darauf hin, dass auch eine kleine Gruppe (oder auch nur ein einzelner Täter) sogar ohne organisatorische Basis ein hochverräterisches Unternehmen vorbereiten kann, wenn sie über geeignetes Bedrohungspotential – etwa Massenvernichtungsmittel – verfügt. Unter der Voraussetzung ihrer Verknüpfung mit einem bestimmten Unternehmen sind an11 dererseits auch entfernte Vorbereitungshandlungen strafbar, die ihrerseits nur andere Förde16 Ruhrmann NJW 1957 281, 284; Lackner/Kühl Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 10; aA Lampe/Hegmann MK Rdn. 5 und Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8, die die Abgrenzung nach dem Maß der Erheblichkeit vornehmen. 17 BGH bei Wagner GA 1960 10 Nr. 7. 18 RGSt 16 165, 167. 19 So aber offenbar Heinemann/Posser NJW 1959 121. 20 BGHSt 6 336, 342 f. 21 Lampe/Hegmann MK Rdn. 5. Steinsiek

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IV. Täterschaft und Teilnahme

StGB § 83

rungsakte, nicht schon die Tat selbst voranbringen; denn die stufenweise Tatvorbereitung hindert nicht die rechtliche Gleichwertigkeit jeder einzelnen Vorbereitungshandlung und beeinträchtigt auch nicht ihre Bedeutung im Verhältnis zu dem geplanten Unternehmen (RGSt 5 60, 68; 16 165, 169). Indessen sind Geschäfte und Verrichtungen des täglichen Lebens, denen jede spezifische Zuordnung zu der Vorbereitung des Hochverrats und damit das Mindestmaß an Gefährlichkeit fehlt, auszuscheiden.22 Insoweit ist zwar Zurückhaltung darin zu üben, die jeweilige objektive Wertneutralität durch nachweisbare subjektiv umstürzlerische Absichten des Täters zu relativieren. Evidente Strafbarkeitslücken können stattdessen aber durch eine restriktive Fassung der Ubiquität der Unterstützungshandlung vermieden werden.23

III. Subjektiver Tatbestand Es ist zumindest bedingter Vorsatz erforderlich (RG JW 1927 2003). Der Täter muss den Zweck 12 und die Bestimmtheit des hochverräterischen Unternehmens kennen oder für möglich halten (HuSt I 1957 368, 369). In diesem Bewusstsein muss er an der Vorbereitung teilnehmen. Dass er sich auch an dem Unternehmen selbst beteiligen will, ist nicht erforderlich. Es genügt, wenn er nur den Versuch des Hochverrats vorbereiten will.

IV. Täterschaft und Teilnahme 1. Täter kann jedermann sein, auch ein Ausländer. Die Tat kann auch im Ausland begangen werden 13 (§ 5 Nr. 2); s. auch § 81 Rdn. 30.

2. Teilnahme Ob Anstiftung und Beihilfe zu § 83 möglich sind, ist umstritten.24 Soweit dies verneint wird, 14 wird darauf hingewiesen, dass die Vorbereitungshandlungen rechtlich gleichwertig seien und die Tatherrschaft wegen des Kollektivcharakters des Delikts auf ein wenig taugliches Kriterium ziele: Deshalb sei mit Hennke25 daran festzuhalten, dass Beihilfe und Anstiftung im Zusammenhang mit dem Vorbereitungstatbestand nicht möglich seien; der Entschluss des Gesetzgebers, bloße Vorbereitungshandlungen selbständig unter Strafe zu stellen, bewirke, dass ein in diesem Bereich liegendes tatrelevantes Geschehen überhaupt nur auf den Generalnenner der Vorbereitungshandlung gebracht werden könne, die einer Differenzierung unter den Gesichtspunkten der (Mit-)Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe nicht zugänglich sei.26 Dem ist nicht beizupflichten. Einer solchen Argumentation ist bereits entgegenzuhalten, dass auch bei Kollektivdelikten in der Regel eine kleine Führungsgruppe von an der Spitze des Unternehmens stehenden oder an Schlüsselpositionen eingesetzten Personen die politischen Ziele und die Tätigkeit bestimmt und eine große Zahl von Helfershelfern einspannt, um diese Ziele zu erreichen. Nur diese Füh22 Hennke ZStW 66 (1954) 390; Paeffgen NK Rdn. 15. 23 Wer etwa Umstürzlern Nahrungsmittel verkauft, kann nicht mit demjenigen gleichgesetzt werden, der für diese eine Tarnwohnung vorhält, da sich letztgenannter bereits außerhalb des allgemein üblichen Verhaltens bewegt. Enger jedoch: Paeffgen NK Rdn. 15 m. w. N. 24 Bejahend: Lackner/Kühl Rdn. 3; Lampe/Hegmann MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Zöller SK Rdn. 4; Fischer Rdn. 5; verneinend: Hennke ZStW 66 (1954) 390, 401. 25 Hennke ZStW 66 (1954) 390, 401. 26 So Willms LK10 Rdn. 11; vgl. auch Sommer JR 1981 490, 494. 45

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§ 83 StGB

Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens

rungsgruppe hat die Tatherrschaft inne. Im Hinblick auf einen großen Kreis von Tatbeteiligten und mit Rücksicht auf die Höhe der Strafdrohung wäre es ungerecht (vgl. § 81 Rdn. 33), jeden als Täter zu qualifizieren, der an untergeordneter Stelle irgendwie zur Vorbereitung des hochverräterischen Unternehmens beiträgt. Auf die rechtliche Gleichwertigkeit der Vorbereitungshandlungen kann es demgegenüber nicht ankommen. Bei fremder Tatherrschaft ist daher die Möglichkeit von Anstiftung und Beihilfe zu bejahen.27 Dabei erscheint bei der Anstiftung aufgrund der haupttatgleichen Bestrafung (§ 26) eine Differenzierung nicht notwendig.28 Die Gehilfenhandlung ist hingegen von der Täterschaft abgrenzbar. Für die Annahme strafbarer Beihilfe spricht daher neben dem Argument der materiellen Gerechtigkeit auch das Schuldprinzip und das Gleichbehandlungsgebot.29 Anderer Auffassung scheint der BGH zu sein, ohne dies ausdrücklich zu betonen. Denn in allen Fällen, in denen er wegen eines Verbrechens nach § 83 verurteilte, hat er stets Täterschaft angenommen und die Möglichkeit bloßer Beihilfe mit keinem Wort erwähnt.30

V. Versuch 15 Formal ist ein Versuch des § 83 Abs. 1 möglich, da es sich um einen Verbrechenstatbestand handelt (§§ 12 Abs. 1, 23 Abs. 1). Gleichwohl ist für einen Versuch im Zusammenhang mit § 83 kein Raum, weil der gelungene Versuch wegen des Charakters der Norm als Unternehmensdelikt bereits die vollendete Tat darstellt. Das folgt aus der Systematik des Gesetzes, das in den §§ 81, 82 die versuchte und vollendete Haupttat (vgl. § 81 Rdn. 13, § 82 Rdn. 5), in § 83 die Vorbereitung einer bestimmten Haupttat dieser Art erfasst. Würde man den Versuch der Vorbereitung unter Strafe stellen, wäre die Strafbarkeit ins Konturenlose ausgeweitet. Der Täter muss mit der Vorbereitung daher bereits derart begonnen haben, dass eine selbständige Vorbereitungshandlung vorliegt, wobei es allerdings nicht darauf ankommen kann, ob er bereits alles getan hat, was er sich vorgenommen hatte. Scheitert also die vom Täter ins Auge gefasste Förderung bereits im ersten Ansatz, so ist keine Vorbereitungshandlung zustande gekommen. Im Übrigen besteht auch kein kriminalpolitischer Bedarf, diesen Bereich vor der Vorbereitungshandlung auch noch zu erfassen. Eine Anwendung von § 30 in Bezug auf § 83 kommt aus gleichen Erwägungen nicht in Betracht.31

VI. Parteienprivileg 16 Zur (Nicht-)Anwendbarkeit des Parteienprivilegs s. Vor § 80 Rdn. 25 bis 32.

VII. Strafrahmen 17 Die Strafe ist bei der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund (Absatz 1) Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren. Für das Vorbereiten eines hochverräterischen Unternehmens gegen ein Land droht Absatz 2 Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren an. Zur tätigen Reue s. § 83a Abs. 2 und 3. 27 28 29 30 31

Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 305. Paeffgen NK Rdn. 18. Lampe/Hegmann MK Rdn. 9. BGHSt 6 336. OLG Köln NJW 1954 1259; Lackner/Kühl Rdn. 7; Paeffgen NK Rdn. 19 ff. (insbesondere auch zur Figur des untauglichen Versuchs im Rahmen von § 83); Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Fischer Rdn. 7; Zöller SK Rdn. 14.

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XII. Anzeigepflicht

StGB § 83

VIII. Nebenfolgen und Einziehung S. §§ 92a, 92b.

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IX. Konkurrenzen Mit den §§ 84, 85, 87, 88, 89, 129 und 129a ist Tateinheit möglich. § 83 wird durch die §§ 81 und 19 82 verdrängt, den §§ 86, 86a und § 111 geht er dagegen seinerseits vor. § 83 geht § 30 i. V. m. §§ 81, 82 vor (s. auch Rdn. 15).

X. Zur Anwendung des Opportunitätsprinzips Vgl. §§ 153 c–e StPO.

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XI. Zuständigkeiten Die Verfolgung obliegt gemäß §§ 120 Abs. 1 Nr. 2, 142a Abs. 1 S. 1 GVG dem Generalbundesan- 21 walt, der bei Taten nach § 83 Abs. 2 das Verfahren – von den Fällen des § 142a Abs. 3 abgesehen – vor Anklageerhebung an die Landesstaatsanwaltschaft abgibt. Für die Aburteilung zuständig ist das OLG am Sitz der Landesregierung (§ 120 Abs. 1 Nr. 2 GVG). Im Übrigen Vor § 80 Rdn. 38.

XII. Anzeigepflicht Besteht nur für Taten nach § 83 Abs. 1 (§ 138 Abs. 1 Nr. 2).

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§ 83a Tätige Reue (1) In den Fällen der §§ 81 und 82 kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt und eine von ihm erkannte Gefahr, daß andere das Unternehmen weiter ausführen, abwendet oder wesentlich mindert oder wenn er freiwillig die Vollendung der Tat verhindert. (2) In den Fällen des § 83 kann das Gericht nach Absatz 1 verfahren, wenn der Täter freiwillig sein Vorhaben aufgibt und eine von ihm verursachte und erkannte Gefahr, daß andere das Unternehmen weiter vorbereiten oder es ausführen, abwendet oder wesentlich mindert oder wenn er freiwillig die Vollendung der Tat verhindert. (3) Wird ohne Zutun des Täters die bezeichnete Gefahr abgewendet oder wesentlich gemindert oder die Vollendung der Tat verhindert, so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, dieses Ziel zu erreichen.

Schrifttum s. bei § 81.

Entstehungsgeschichte Die Sondervorschrift für tätige Reue geht auf das 1. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 7) – damals § 82 – zurück. Sie wurde ohne wesentliche sachliche Änderungen durch das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) neu gefasst. Das EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I 469; 1975 I 1916; 1976 I 507) brachte nur die Anpassung des Klammerhinweises.

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

1

II. 1.

Voraussetzungen der tätigen Reue Tatbestand des § 81 und des § 82 3 a) Unbeendeter Versuch 4 b) Beendeter Versuch c) Fehlgeschlagener Versuch

6

2. 3.

Tatbestand des § 83 7 Täter

III.

Rechtsfolgen der tätigen Reue

IV.

Opportunitätsprinzip

2 3

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I. Zweck der Vorschrift 1 § 83a enthält Sonderregelungen für die tätige Reue bei den Tatbeständen des Hochverrates (§§ 81, 82; § 83a Abs. 1 und 3) und der Vorbereitung zum Hochverrat (§ 83; § 83a Abs. 2 und 3). Diese Regelungen sind erforderlich, wenn auf die in der gesetzlichen Begünstigung des Rücktritts liegenden allgemeinen kriminalpolitischen Möglichkeiten oder die im Bereich des Staatsschutzstrafrechts im Besonderen bestehenden Aussichten auf politische Befriedung nicht verzichtet werden soll. Da in den §§ 81, 82 der Versuch der vollendeten Tat gleichgestellt ist (Unternehmensdelikt nach § 11 Abs. 1 Nr. 6), durch § 83 sogar Vorbereitungshandlungen weit im Vorfeld von Rechtsgutverletzungen als formell vollendete Delikte unter Strafe gestellt werden und § 83 dem im Übrigen tatbestandlich auch wesentlich enger gefassten § 30 vorgeht (s. § 83 Rdn. 19), kommt eine direkte Anwendung der §§ 24, 31 nicht in Betracht. Dies wäre auch nicht ausreichend. Andererseits erscheint eine einfache Verweisung auf jene Vorschriften vor allem deswegen nicht sachgerecht, weil die Möglichkeit einer Bestrafung im Hinblick auf die nach Gewicht und Ausgestaltung sehr unterschiedlichen denkbaren Fälle nicht völlig ausgeschlossen werden sollte. In Fällen, in denen die Möglichkeiten des § 83a ausscheiden, weil sie in Teilberei-

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II. Voraussetzungen der tätigen Reue

StGB § 83a

chen nicht weit genug gehen, kann dies im Strafausspruch berücksichtigt werden. Dies ermöglichen die weit gefassten Strafrahmen der § 81 bis § 83.

II. Voraussetzungen der tätigen Reue Grundvoraussetzung des § 83a ist, wie insbesondere Absatz 3 deutlich macht, die fehlende 2 Vollendung der Tat. § 83a kann also nur auf Taten Anwendung finden, die sich trotz ihrer formellen Ausgestaltung als vollendetes Delikt in den §§ 81 bis 83 materiell lediglich als Versuch oder Vorbereitungshandlung darstellen.

1. Tatbestand des § 81 und des § 82 Hier wird vom Täter verlangt:

a) Unbeendeter Versuch. Hält der Täter bei Abschluss seiner letzten Tathandlung den Eintritt 3 des Taterfolges ohne das Hinzutreten weiterer Ausführungshandlungen noch nicht für möglich (unbeendeter Versuch; BGHSt 39 221, 239; im Einzelnen bei § 24), so ist es grundsätzlich ausreichend, dass er freiwillig die weitere Tatausführung aufgibt. In Betracht kommen wird diese Alternative etwa in Fällen, in denen die reuige Person (oder ihre Mittäter) zur der tatbestandlichen Gewalt oder Drohung der §§ 81, 82 bereits unmittelbar angesetzt, diese aber noch nicht abgeschlossen haben. Da der Hochverrat jedoch in allen strafrechtlich erfassten Stadien – zwar nicht nach der tatbestandlichen Fassung, aber rein tatsächlich – in aller Regel ein Kollektivdelikt (§ 81 Rdn. 13 u. 21) ist, ist aber mit der bloßen Aufgabe der eigenen Tätigkeit regelmäßig die Möglichkeit der Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges durch andere nicht ausgeräumt. Erkennt der Täter die Gefahr, dass andere Tatbeteiligte das konkrete Unternehmen auch ohne sein Zutun weiter betreiben, muss er diese Gefahr abwenden oder wesentlich mindern.1 Dabei ist es ohne Bedeutung, ob in der Gefahr sein früherer Tatbeitrag noch fortwirkt. Auch wenn die Gefahr unabhängig hiervon entstanden ist oder trotz des rückgängig gemachten Tatbeitrages noch weiterbesteht, muss er ihr entgegenwirken. Hat er dabei keinen Erfolg, geht dies zu seinen Lasten. Kommt es nicht zur Vollendung der Tat und wird die Gefahr, dass andere das Unternehmen weiterführen ohne sein Zutun abgewendet oder wesentlich gemildert, reicht sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen um Gefahrabwendung aus (Absatz 3). Erkennt der Täter, der die Tat selbst aufgegeben hat, die tatsächlich bestehende Gefahr einer Fortführung des Unternehmens durch andere Tatbeteiligte nicht, so kommt er wegen freiwilliger Aufgabe der weiteren Tatausführung selbst dann in den Genuss der Vergünstigungen des § 83a, wenn die Gefahr auch von dritter Seite nicht abgewendet oder wesentlich gemildert wird. Das gilt auch, wenn das Nichterkennen der Gefahr der Fortführung durch andere auf Fahrlässigkeit beruht.2 b) Beendeter Versuch. Hält es der Täter bei Abschluss seiner letzten Tathandlung aus seiner 4 Sicht und sei es auch nur in Verkennung der durch die bisherigen Handlungen verursachten Gefährdung für möglich, der hochverräterische Taterfolg könne, ohne dass es weiterer Ausführungshandlungen bedürfe, eintreten (beendeter Versuch; BGHSt 39 221, 227; im Einzelnen bei 1 Ebenso Paeffgen NK Rdn. 3. 2 Diese Privilegierung auch für eine ggf. in hohem Maße fahrlässig handelnde, reuige Person mag dem Rechtsempfinden nur in Teilen entsprechen, ist aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Formulierung „[…] eine von ihm erkannte Gefahr […]“ sowie der Gesetzesbegründung (hier: Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drs V/2860, 4) aber zwingend. AA, jedoch ohne Begründung: Paeffgen NK Rdn. 7. 49

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§ 83a StGB

Tätige Reue

§ 24), so muss er freiwillig die Vollendung der Tat verhindern, insbesondere also aktiv die Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik oder eines Landes oder der Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung abwenden. Die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen geht zu seinen Lasten. Sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen um Abwendung des Taterfolges und um Abwendung der Gefahr, dass andere das Unternehmen weiter fördern, reicht allerdings aus, wenn dies ohne sein Zutun verhindert wird (Absatz 3). Wird der Erfolg nicht vom Täter abgewendet und wird die Gefahr der Fortführung des Unternehmens durch Dritte auch nicht vom Täter abgewendet oder wesentlich gemindert, so kommt ihm sein Bemühen im Sinne des Absatzes 3 nicht zugute; anders als beim unbeendeten Versuch auch dann nicht, wenn er die Fortführung des Unternehmens durch Dritte gar nicht erkannt hat, denn beim beendeten Versuch trifft ihn die volle strafrechtlich relevante Abwendungspflicht.

5 c) Fehlgeschlagener Versuch. Ist der Erfolgseintritt nicht mehr möglich oder hält der Täter ihn nicht mehr für möglich (fehlgeschlagener Versuch; BGHSt 39 221, 228, im Einzelnen bei § 24), gibt es keine Möglichkeit, den Erfolg oder Gefahren abzuwenden oder zu mindern. Die Anwendung des § 83a ist hier deshalb ausgeschlossen.

2. Tatbestand des § 83 6 § 83a Abs. 2 ist bis zum Abschluss der Vorbereitung des Hochverrats anwendbar. Ist die Ausführung des Hochverrats bereits von der Vorbereitung in das Unternehmensstadium (Versuch oder Vollendung) übergegangen, bleibt allein Raum für eine tätige Reue nach § 83a Abs. 1 (s. Rdn. 8). Bei § 83a Abs. 2 wird vom Täter verlangt: Dem Vorbereitungsstadium entsprechend wird vorausgesetzt, dass der Täter sein Vorhaben, wenn es nicht fehlgeschlagen ist (Rdn. 5), freiwillig aufgibt und gegebenenfalls auch die Gefahr einer weiteren Vorbereitung des Unternehmens durch andere Tatbeteiligte abwendet oder wesentlich mindert. Im Übrigen gilt das oben Gesagte mit folgender Modifikation entsprechend (Absatz 2 und 3): Der Täter muss die von ihm erkannte Gefahr, dass andere Tatbeteiligte das konkrete Unternehmen weiter vorbereiten oder ausführen, nur dann abwenden oder wesentlich mindern, wenn die Gefahr durch seinen Tatbeitrag zumindest mitverursacht wurde. Dagegen genügt die freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung, wenn diese Gefahr unabhängig von seinem Tatbeitrag entstanden ist oder nach Rückgängigmachung des Tatbeitrages auch ohne diesen fortbesteht.

3. Täter 7 im Sinne des § 83a ist jeder, der einen Tatbeitrag geleistet hat, also auch der Gehilfe. Zum Begriff der Freiwilligkeit s. die Ausführungen zu § 24.

III. Rechtsfolgen der tätigen Reue 8 Liegen die Voraussetzungen des § 83a vor, ist dem Richter auf der Rechtsfolgenseite eine enorme Gestaltungsbreite eröffnet. Er hat die Möglichkeit, die Strafe nach seinem Ermessen im Rahmen des § 49 Abs. 2 zu mildern oder von ihr abzusehen. Will er auf Freiheitsstrafe erkennen, so kann er bis auf das gesetzliche Mindestmaß von einem Monat (§ 38 Abs. 2) herabgehen. Er kann aber auch auf Geldstrafe erkennen oder von einer Bestrafung nach den §§ 81 bis 83 völlig absehen. Daraus ergibt sich, dass beim Hochverrat gegen den Bund ein Spielraum vom Absehen von Strafe bis zur Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe besteht. Die deswegen im Hinblick auf

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IV. Opportunitätsprinzip

StGB § 83a

Art. 103 Abs. 2 GG erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken3 sind unberechtigt, wenn bei der Strafzumessung der Grad der trotz tätiger Reue gegebenen (und bestehen gebliebenen) Gefährdung und dessen Zurechenbarkeit wesentlich ins Gewicht fällt. Auf den vom „Versuch“ nach §§ 81, 82 zurücktretenden Täter ist auch dann allein § 83a Abs. 1 und 3 anzuwenden, wenn er in einem früheren Stadium Vorbereitungshandlungen im Sinne des § 83 begangen hat; denn diese Vorbereitungshandlungen sind in dem Versuch aufgegangen und lassen sich aus diesem Zusammenhang nicht mehr zu gesonderter rechtlicher Bewertung lösen. Da § 83 durch die §§ 81, 82 verdrängt wird (§ 83 Rdn. 19), ist ein „Rücktritt vom versuchten Hochverrat“ allein nach § 83a Abs. 1 und 3 zu beurteilen und nicht zusätzlich an den Voraussetzungen des § 83a Abs. 2 und 3 zu messen.4 Die Rechtsfolgen des § 83a gelten nur für Taten nach den §§ 81 bis 83. Andere hierzu in Tateinheit oder Gesetzeskonkurrenz stehende Delikte werden nicht erfasst. Insoweit kann § 24 und gegebenenfalls § 31 Anwendung finden.

IV. Opportunitätsprinzip Zur Anwendbarkeit s. § 153b StPO.

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3 Stratenwerth/Kuhlen AT § 3 Rdn. 9; Schünemann Nulla poena sine lege (1978), S. 7 f., 38; Livos S. 228; Paeffgen NK Rdn. 3; Lampe/Hegmann MK Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Zöller SK Rdn. 11. Lösungsvorschläge: Lampe/Hegmann MK Rdn. 7, wonach die Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe mehr als Symbol des Selbstbehauptungswillens des Staates zu verstehen sei und eine solche Strafe als gerechter Schuldausgleich für eine Straftat nach § 81 kaum vorstellbar erscheine; nach Zöller SK Rdn. 11, Paeffgen NK Rdn. 11 und Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13 soll auch die einer der Höchststrafe nahekommende Strafe ausgeschlossen sein. 4 AA Fischer Rdn. 6; wie hier: Lampe/Hegmann MK Rn. 9; Zöller SK Rdn. 9; Paeffgen NK Rdn. 12. 51

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DRITTER TITEL Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates § 84 Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei (1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes den organisatorischen Zusammenhalt 1. einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder 2. einer Partei, von der das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist, aufrechterhält, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. (2) Wer sich in einer Partei der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) Wer einer anderen Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die im Verfahren nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes oder im Verfahren nach § 33 Abs. 2 des Parteiengesetzes erlassen ist, oder einer vollziehbaren Maßnahme zuwiderhandelt, die im Vollzug einer in einem solchen Verfahren ergangenen Sachentscheidung getroffen ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Dem in Satz 1 bezeichneten Verfahren steht ein Verfahren nach Artikel 18 des Grundgesetzes gleich. (4) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 und der Absätze 2 und 3 Satz 1 kann das Gericht bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen. (5) In den Fällen der Absätze 1 bis 3 Satz 1 kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Partei zu verhindern; erreicht er dieses Ziel oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird der Täter nicht bestraft. Art. 18 GG Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen. Art. 21 Abs. 2 GG Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. § 33 PartG (Gesetz vom 24.6.1967 – BGBl. I 773) (1) Es ist verboten, Organisationen zu bilden, die verfassungswidrige Bestrebungen einer nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 46 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht verbotenen Partei an deren Stelle weiter verfolgen (Ersatzorganisation) oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen. (2) Ist die Ersatzorganisation eine Partei, die bereits vor dem Verbot der ursprünglichen Partei bestanden hat oder im Bundestag oder in einem Landtag vertreten ist, so stellt das Bundesverfassungs-

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Schrifttum

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gericht fest, daß es sich um eine verbotene Ersatzorganisation handelt; die §§ 38, 41, 43, 44 und 46 Abs. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht und § 32 dieses Gesetzes gelten entsprechend. (3) Auf andere Parteien und auf Vereine im Sinne des § 2 des Vereinsgesetzes, die Ersatzorganisationen einer verbotenen Partei sind, wird § 8 Abs. 2 des Vereinsgesetzes entsprechend angewandt.

Schrifttum Arndt Ideologischer Ungehorsam gegen das KP-Verbot, NJW 1965 430; Backes Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz (1970); Bader Der Straftatbestand der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Lichte aktueller Rechtsprechung, NStZ 2007 618; ders. Zum Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern und von Vertrauensleuten auf Grundlage der neuen §§ 9a und 9b BVerfSchG, HRRS 2016 293; Bauer Der Tatbestand des § 84 StGB, Diss. Erlangen 1965; Bertram Bestrafung von Parteimitgliedern und Parteienprivileg, NJW 1961 1099; Beyer Prozessuale Chancen einer als verfassungswidrig erklärten Partei, JZ 1967 744; Copic Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art (1967); Deiters Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch das Strafrecht, in Thiel: Wehrhafte Demokratie (2003) 291; Feldmann Nochmals: Das neue Vereinsgesetz, DÖV 1965 29; Fromme Die streitbare Demokratie im Bonner Grundgesetz, in Verfassungsschutz und Rechtsstaat (1981) 185; Gusy Verfassungswidrig, aber nicht verboten! NJW 2017 601; Hardinghaus Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe – Der Kronzeuge im deutschen Strafrecht unter besonderer Berücksichtigung von § 46b StGB (2015); Hefendehl Politisches Strafrecht zwischen dem Schutz von Staat und Verfassung und einem Kampf gegen die Feinde, Festschrift Schroeder (2006) 453; Heinrich Der Verstoß gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot durch öffentliche Erklärung der eigenen Mitgliedschaft, NStZ 2010 429; Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus (1998); Kelker Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht (2007); Krauth/Kurfess/Wulf Zur Reform des Staatsschutz-Strafrechts durch das 8. StÄG, JZ 1968 577; Langrock Der besondere Anwendungsbereich der Vorschriften über die Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (1972); Last Die Staatsverunglimpfungsdelikte: §§ 90–90b StGB (2000); Laitenberger Die Strafbarkeit der Verbreitung rassistischer, rechtsextremistischer und neonazistischer Inhalte (2003); Lampe Probleme mit der Rechtfertigung nachrichtendienstlicher Tätigkeit, NStZ 2015 361; Laue Parteiverbote, Vereinsverbote und strafrechtliche Reaktionen, in Ostendorf: Rechtsextremismus – Eine Herausforderung für Strafrecht und Strafjustiz (2009) 185; Lüttger Der Nachweis der Verfassungswidrigkeit einer Partei im Strafverfahren, GA 1958 225; Meier Als die Demokratie streiten lernte, KJ 1987 460; Morlok Parteiverbot als Verfassungsschutz – ein unauflösbarer Widerspruch? NJW 2001 2931; Müller/Wache Opportunitätserwägungen bei der Verfolgung von Straftaten gegen die äußere Sicherheit, Festschrift Rebmann (1989) 321; Paeffgen Verpolizeilichung des Strafprozesses – Chimäre oder Gefahr? in Wolter, Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts (1995) 13; ders. Hat der Strafprozess einen Sicherungs-/Sicherheits-Auftrag? DRiZ 1998 317; ders. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum G 10 in der Fassung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes 1994, StV 1999 668; ders. Überlegungen zu einer Reform des Rechts der Überwachung der Telekommunikation, Festschrift Roxin (2001) 1299; ders. Vernachrichtendienstlichung des Strafprozesses, GA 2003 647; Petzold Rechtsstaatliches Verfahren für verfassungswidrige Vereine, NJW 1964 2281; Rapp Das Parteienprivileg des GG und seine Auswirkungen auf das Strafrecht (1970); Rissing-van Saan Die Behandlung rechtlicher Handlungseinheiten in der Rechtsprechung nach Aufgabe der fortgesetzten Handlung (unter besonderer Berücksichtigung des Staatsschutz-Strafrechts), Festschrift 50 Jahre Bundesgerichtshof (2000) 475; Roggan Straf- und strafprozessrechtliche Aspekte des Einsatzes von Verdeckten Mitarbeitern und V-Leuten nach dem neuen Bundesverfassungsschutzgesetz – Über die Privilegierung geheimdienstlicher Tätigkeit gegenüber strafverfolgender Aufgabenerfüllung, GA 2016 393; Ruhrmann Das Verbot von Ersatzorganisationen aufgelöster verfassungswidriger Vereinigungen, GA 1959 129; Rütters Die strafrechtliche Absicherung des Verbots eines ausländischen Vereins – Zur Auslegung des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG (2009), Diss. Münster 2008; Scharmer Die Neuregelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes und ihre Auswirkungen auf den Strafprozess: Eine kritische Übersicht, StV 2016 323; Schmitt-Glaeser Parteiverbot und Strafrecht, JZ 1970 59; Sommer Verselbstständigte Beihilfehandlungen und Straflosigkeit des Gehilfen, JR 1981 490; Schroeder Vereinigung, Bande, Gruppe & Co – Die organisationsbezogenen Straftatbestände des deutschen Strafgesetzbuchs, ZIS 2014 389; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts (2000), Diss. München 2000; Stiehr Das Parteiverbotsverfahren, JuS 2015 994; Thiel Die Verwirkung von Grundrechten gem. Art. 18 GG, in Thiel, Wehrhafte Demokratie – Beiträge über die Regelungen zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (2003) 129; ders. Das Verbot verfassungswidriger Parteien (Art. 21 Abs. 2 GG), in Thiel, a. a. O., 173; Uhle Das Parteiverbot gem. Art. 21 II GG – Eine Wiederbesichtigung nach der Entscheidung des BVerfG zum NPD-Verbotsantrag, NVwZ 2017, 583; Volkmann Grundprobleme der staatlichen Bekämpfung des Rechtsextremismus JZ 2010, 209; van Ooyen „Vereinsverbote“ gegen „Scheinparteien“ – Zum NPDBeschluss des Bundesverfassungsgerichts, in Möllers/van Ooyen, Politischer Extremismus (2007) 419; von Dewitz NS-Gedankengut und Strafrecht (2006); Wagner Zur Reform der Organisationsdelikte, MDR 1966 18, 97, 185, 287; Willms Die Organisationsdelikte, NJW 1957 565, 1617; ders. Der strafrechtliche Staatsschutz nach dem neuen Vereins53

Steinsiek

§ 84 StGB

Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei

gesetz, JZ 1965 86; ders. Die Kalamität des § 129a StGB, JZ 1963 121; ders. Zur strafrechtlichen Absicherung von Organisationsverboten, Festschrift Lackner (1987) 471.

Entstehungsgeschichte Die §§ 84 und 85 sowie § 20 VereinsG beziehen sich auf die Vorkehrungen, die das Grundgesetz in den Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 zum Schutz der Verfassung im Vorfeld des Hochverrats getroffen hat.1 Der Gesetzgeber erfasste diesen Komplex ursprünglich und nach dem Konzept des 1. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 7) mit den §§ 90a und 129a StGB und den §§ 42, 47 BVerfGG. Danach trat für die führenden Kräfte solcher Organisationen die Strafbarkeit schon vor dem Ausspruch eines förmlichen Verbots der betreffenden Organisation ein, bei politischen Parteien freilich mit der Besonderheit des Aufschubs durch ein Verfolgungshindernis bis zum Verbot durch das Bundesverfassungsgericht. Nachdem das Bundesverfassungsgericht diese Regelung des § 90a a. F. wegen Verstoßes gegen das Parteienprivileg (Art. 21 Abs. 2 GG) für verfassungswidrig erklärt hatte (BVerfGE 12 296; s. auch Vor § 80 Rdn. 10), verzichtete der Gesetzgeber mit dem VereinsG vom 5.8.1964 (BGBl. I 593) vollständig darauf, also auch für Organisationen, auf die das Parteienprivileg nicht anwendbar ist, die strafrechtliche der administrativen Repression voranzustellen. Mit dem völlig neu gefassten § 90a traf er jetzt nur noch die bisher in den §§ 42, 47 BVerfGG behandelten Fälle des Zuwiderhandelns gegen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 18 und 21 Abs. 2 GG. Der zusätzlich geschaffene § 90b, der den legislatorisch missglückten § 129a verdrängte, pönalisierte die Verstöße gegen Verbote verfassungsfeindlicher Organisationen im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG. Das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) hat diese Aufteilung beibehalten und § 90a in § 84 sowie § 90b in § 85 umbenannt. Es hat außerdem die Tatbestände vereinfacht und strikt auf die Mitwirkung bei der Aufrechterhaltung des verbotenen organisatorischen Zusammenhalts beschränkt. Seine wichtigste Neuerung war die Erstreckung des Verbotsprinzips auf die Ersatzorganisation, deren Schaffung und Förderung vorher von vorn herein und ohne förmliches Verbot allein auf der Grundlage des Verbots der ursprünglichen Hauptorganisation mit Strafe bedroht war. § 84 hat in der Folge durch das 1. StrRG vom 25.6.1969 (BGBl. I 645) und das EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I 469; 1975 I 1916; 1976 I 507) nur redaktionelle Änderungen erfahren und ist zuletzt durch das Gesetz zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 26.7.2016 (BGBl. I S. 1818), in seinem Absatz 2 erweitert worden, indem nunmehr nicht mehr allein die Unterstützung des weiteren organisatorischen Zusammenhalts einer verfassungswidrigen Partei bzw. deren Ersatzorganisation pönalisiert wird, sondern ebenso Unterstützungshandlungen für deren weitere Betätigung erfasst werden. Begründet worden ist dies vom Gesetzgeber mit dem insoweit gleichermaßen bestehenden Tatunwert (BT-Drs. 18/8702, S. 21).

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

1

II. 1.

Objektiver Tatbestand des Absatzes 1 2 3 Verstöße gegen Parteiverbote a) Parteienverbote gemäß Art. 21 Abs. 2 3 GG b) Parteienverbote gemäß § 33 Abs. 2 4 PartG aa) Ersatzorganisationen, die vom BVerfG 5 verboten werden müssen bb) Ersatzorganisationen, die im Verwaltungsverfahren verboten werden müs6 sen cc) Ersatzorganisationen, die entgegen dem Wortlaut des § 33 Abs. 3 PartG durch das BVerfG verboten werden 7 müssen c) Bindung der Strafgerichte an die Verbote 9 (§ 31 Abs. 1 BVerfGG)

2. 3.

11 Tathandlung 13 Taugliche Täter 14 a) Rädelsführer 15 b) Hintermann

III. 1.

Objektiver Tatbestand des Absatzes 2 16 Mitgliedschaftliche Betätigung (Absatz 2 Alt. 17 1) 17 a) Mitglied 18 b) Betätigung als Mitglied Unterstützung durch Nichtmitglieder (Absatz 2 20 Var. 2 und 3)

2.

IV. 1. 2. 3.

Objektiver Tatbestand des Absatzes 3 21 22 Andere Sachentscheidungen des BVerfG 23 Vollziehbare Maßnahmen 24 Tathandlung des Zuwiderhandelns

1 Zur vorkonstitionellen Rechtslage vgl. Paeffgen NK Rdn. 2. Steinsiek

54

StGB § 84

II. Objektiver Tatbestand des Absatzes 1

V.

Subjektiver Tatbestand

VI.

Teilnahme

32 XII. Mehrfachhandlungen 33 1. Betätigung als Mitglied 2. Aufrechterhalten des organisatorischen Zusammenhalts 34 35 3. Verstoß gegen Verbote 36 4. Unterstützung einer Organisation

25

26

VII. Der Versuch des Absatz 1 VIII. Tätige Reue, Rücktritt

27 28

XIII. Konkurrenzen IX.

Räumlichen Geltungsbereich

X.

Der Strafrahmen

XI.

Nebenfolgen und Einziehung

37

29 XIV. Opportunitätsprinzip

38

30 XV. Zuständigkeit

39

31

I. Zweck der Vorschrift § 84 bezweckt den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als tragendes 1 Element der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Es soll durch § 84 nicht etwa lediglich der Gehorsam gegenüber den vom BVerfG aufgrund seiner Kompetenzen nach Art. 18, 21 Abs. 2 GG, § 33 Abs. 2 PartG getroffenen Entscheidungen gesichert werden. Die Erzwingung dieses Gehorsams stellt lediglich das Mittel dar, um die Tätigkeit verfassungsfeindlicher Organisationen und damit Beeinträchtigungen der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu unterbinden.2 Die Norm ist abstraktes Gefährdungsdelikt.3

II. Objektiver Tatbestand des Absatzes 1 Absatz 1 richtet sich gegen Rädelsführer und Hintermänner, die den organisatorischen Zusam- 2 menhalt einer vom BVerfG für verfassungswidrig erklärten Partei oder einer Partei, von der das BVerfG festgestellt hat, dass sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist, aufrechterhalten.

1. Verstöße gegen Parteiverbote a) Parteienverbote gemäß Art. 21 Abs. 2 GG. Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 dient der strafrechtlichen 3 Absicherung von nach Art. 21 Abs. 2 GG ergangenen Parteiverboten, d. h. von Entscheidungen, durch die das BVerfG eine Partei (s. dazu § 2 PartG; Vor § 80 Rdn. 25 ff.) für verfassungswidrig erklärt (§ 46 Abs. 1 BVerfGG), ihre Auflösung angeordnet und die Schaffung von Ersatzorganisationen verboten hat (§ 46 Abs. 3 S. 1 BVerfGG). Die Entscheidung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Organisation als Partei im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG anzusehen ist, steht allein dem insoweit auch nicht an die Definition des § 2 PartG gebundenen BVerfG zu.4 Dieses entscheidet für den Tatrichter verbindlich (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) und damit mit Tatbestandswirkung für § 84 über den Status der Organisation als Partei und über deren Verbot wegen Verfassungswidrigkeit. Dieses Verbot trifft die Partei in ihrem organisatorischen Zusammenschluss auf Dauer, unabhängig davon, ob mit der illegal fortbestehenden Organisation später eine veränderte Zielsetzung verfolgt wird, die angeblich oder tatsächlich nicht mehr der Verfassung widerspricht.5 Bisher sind zwei Parteiverbotsurteile des BVerfG ergangen, nämlich 2 3 4 5 55

S. näher Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 314, 469; Backes S. 166. Steinmetz MK Rdn. 2; Zöller SK Rdn. 3. BVerfGE 5 85, 112 ff.; 6 367, 371 ff.; kritisch hierzu Paeffgen NK Rdn. 8. BGHSt 26 258, 264 ff.; Willms FS Lackner, S. 477. Steinsiek

§ 84 StGB

Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei

gegen die „Sozialistische Reichspartei“ (SRP) am 23.10.1952 (BVerfGE 2 1) und gegen die „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD) am 17.8.1956 (BVerfGE 5 85). Die gegen die NPD eingeleiteten Verfahren sind wegen verfahrensmäßiger Fehler nicht zu Ende geführt worden6 bzw. endeten mit einer Zurückweisung der Verbotsanträge.7

4 b) Parteienverbote gemäß § 33 Abs. 2 PartG. § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 dient der strafrechtlichen Absicherung von Parteiverboten gemäß § 33 Abs. 2 PartG, d. h. von Entscheidungen, in welchen das BVerfG festgestellt hat, eine Partei sei Ersatzorganisation einer nach Art. 21 Abs. 2 GG für verfassungswidrig erklärten und verbotenen Partei.

5 aa) Ersatzorganisationen, die vom BVerfG verboten werden müssen. Die Entscheidungskompetenz des BVerfG nach § 33 Abs. 2 PartG bezieht sich nur auf Parteien, die Ersatzorganisationen verbotener Parteien sind und bereits vor dem ursprünglichen Verbot der nach Art. 21 Abs. 2 GG für verfassungswidrig erklärten Partei bestanden haben oder die (sei es ausdrücklich als Ersatzorganisation oder insoweit unausgesprochen) im Bundestag oder einem Landtag vertreten sind. Für den Strafrichter ist allein diese Feststellung des BVerfG und nicht die materielle Eigenschaft der Partei als Ersatzorganisation maßgeblich.

6 bb) Ersatzorganisationen, die im Verwaltungsverfahren verboten werden müssen. Für Organisationen, die Ersatzorganisationen verbotener Parteien darstellen (ohne selbst Partei zu sein) findet das verwaltungsrechtliche Verbotsverfahren gemäß § 33 Abs. 3 PartG, § 8 Abs. 2 VereinsG Anwendung. Die dort getroffenen Verbotsentscheidungen sind durch § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 strafrechtlich abgesichert.

7 cc) Ersatzorganisationen, die entgegen dem Wortlaut des § 33 Abs. 3 PartG durch das BVerfG verboten werden müssen. Problematisch ist der Anwendungsbereich des § 33 Abs. 3 PartG für Parteien, die als „Ersatzorganisationen“ erst nach dem Verbot der ursprünglich verbotenen Partei entstanden oder nicht im Bundestag oder einem Landtag vertreten sind. § 33 Abs. 3 PartG sieht hier dem Wortlaut nach das verwaltungsrechtliche Verbotsverfahren gemäß § 33 Abs. 3 PartG, § 8 Abs. 2 VereinsG vor.8 Dies hätte – mangels eines Verbots durch das BVerfG – die Anwendung des § 85 zur Folge. Dagegen werden seit Laufhütte LK11 (§ 84 Rdn. 4, § 85 Rdn. 2) verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht, weil ein solcher Regelungsinhalt die Alleinzuständigkeit des BVerfG für Parteiverbote unterlaufen würde. Die bloße Fortführung der alten Partei, wenn auch unter neuem Namen, erfordert indes kein neues Verfahren vor

6 BVerfG NJW 2003 1577, 1578; Morlok NJW 2001 2931, 2933 ff. 7 Das BVerfG hat in der jüngsten NPD-Entscheidung insoweit festgestellt, dass die NPD mit dem Grundgesetz unvereinbare Ziele verfolgt, es „allerdings konkreter Anhaltspunkte von Gewicht bedürfe, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen.“ Eine ausreichende Wirkmächtigkeit der NPD in diesem Sinne konnte das BVerfG nicht festellen (BVerfG, Urt. v. 17.1.2017, 2 BvB 1/13, Rdn. 585 ff.). Zum ersten NPD-Verbotsverfahren und einer Bewertung des Entscheidungsspielraums der in einem Verbotsverfahren antragsbefugten Organe vgl. BVerfG NJW 2003 1577 ff. 8 v. Münch/Kunig GG Art. 21 Rdn. 75 unter Berufung auf BVerfGE 16 4, 6: Dass sie sich als neue Partei geriere, verschaffe ihr nicht den (erneuten) Genuss des Parteienprivilegs. Setze sie materiell die Identität einer bereits als verfassungswidrig erklärten Partei fort, so sei ihre aus Art. 21 Abs. 2 folgende Privilegierung gewissermaßen verbraucht; Stern I S. 211; Sachs GG Art. 21 Rdn. 187; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Fischer Rdn. 2. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand des Absatzes 1

StGB § 84

dem BVerfG, weil ein und dieselbe Organisation nicht mehrfach vom BVerfG verboten zu werden braucht.9 Die Gründung einer neuen Organisation mit vergleichbaren Zielen, die schon die Qualität 8 einer neuen Partei hat (Vor § 80 Rdn. 26 u. 27), wirft hingegen Probleme auf.10 Die Lösung kann nur in einer solchen Interpretation des § 33 Abs. 2 und Abs. 3 PartG gesehen werden, die dem Verfassungsgebot des Art. 21 GG gerecht wird. Zuständig für Parteiverbote ist deshalb das BVerfG, auch wenn die betroffene Partei als Ersatz für eine verbotene Partei gegründet worden ist (vgl. Vor § 80 Rdn. 27). Dabei folgt die Zuständigkeit für Parteien, die nach dem Verbot der ursprünglich verbotenen Partei (wenn auch als ihr Ersatz) entstanden sind, unmittelbar aus Art. 21 GG. § 33 Abs. 3 PartG läuft deshalb leer, als er dem Wortlaut nach auch für Parteien (als deren Ersatzorganisationen) anwendbar ist. Nach dem neuerlichen Verbot durch das BVerfG tritt die Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 ein, weil die Organisation als neue Partei verboten wurde.

c) Bindung der Strafgerichte an die Verbote (§ 31 Abs. 1 BVerfGG). Eine Entscheidung 9 des BVerfG nach § 33 Abs. 2 und Abs. 3 PartG ist bisher noch nicht ergangen. Eine Entscheidung nach § 33 Abs. 3 PartG wäre für die Strafgerichte hinsichtlich der Qualifizierung einer Partei als Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ebenso verbindlich und daher mit Tatbestandswirkung für § 84 ausgestattet, wie eine Verbotsentscheidung nach Art. 21 Abs. 2 GG. Zwar hat durch die – verfassungsrechtlich gebotene11 – Einführung des Verbotsgrundsatzes für Ersatzorganisationen in Parteiform die unter der früheren Rechtslage (§ 90a a. F.) zum Begriff der Ersatzorganisation entwickelte Rechtsprechung des BGH (insbesondere BGHSt 16 264) ihre unmittelbare Bedeutung verloren. Gleichzeitig ist für § 84 Abs. 1 ein anders gelagertes Abgrenzungsproblem entstanden: Nach der früheren Gesetzeslage war es angesichts der unmittelbaren Strafbarkeit der 10 Schaffung oder Förderung einer Ersatzorganisation im Ergebnis gleichgültig, ob die alte Organisation lediglich unter falschem Namen fortgesetzt oder eine Ersatzorganisation betrieben wurde. Denn bei dieser Variante hatte man es mit einer Art Auffangtatbestand zu tun, der in allen Fällen eingriff, in denen die Beibehaltung des alten Organisationsgefüges unter anderem Namensetikett nicht nachzuweisen, sondern nur die Weiterverfolgung der verfassungsfeindlichen Ziele festzustellen war. Heute ist jedoch die Grenzziehung von wesentlicher Bedeutung. Von ihr hängt es ab, ob ein Aufrechterhalten des organisatorischen Zusammenhalts unmittelbar (Weiterbestehen der verbotenen Partei: § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 1) oder erst nach Erlass einer Entscheidung gemäß § 33 Abs. 2 PartG (Ersatzorganisation in Parteiform: § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 2) oder – gemäß der hier vertretenen verfassungsgemäßen Interpretation des Art. 21 GG – nach Neukonstituierung der verbotenen Partei (§ 84 Abs. 1 Nr. 1) strafbar ist. Dabei reicht eine Identität in Teilen aus. Um der Gefahr zu begegnen, dass das dem § 84 zugrundeliegende Verbotsprinzip durch vorschnelle Annahme von Identität oder Teilidentität ausgehöhlt wird, bedarf es im Einzelfall, insbesondere bei der Aufspaltung einer verbotenen Vereinigung, einer genauen Abgrenzung zwischen der verbotenen Organisation eventuell mit der teilidentischen Vereinigung einerseits und andererseits mit der möglicherweise inhaltlich und rechtlich gleichgerichteten, damit aber nicht identischen Organisation.12 Entscheidend für die Abgrenzung ist allein, ob die organisatorische Identität der verbotenen Partei örtlich oder überörtlich weiterbesteht.13 Eine 9 BVerfGE 16 4. 10 Backes S. 190; Sonnen AK Rdn. 23. 11 Die von Willms LK10 Rdn. 15 geäußerte Kritik an der Einführung des Verbotsprinzips für Ersatzorganisationen mag, was die tatsächliche Wirksamkeit des strafrechtlichen Staatsschutzes gegen Ersatzorganisationen verbotener Parteien anbelangt, zutreffend sein. Sie übersieht jedoch, dass die Förderung einer Partei, auch wenn es sich bei ihr lediglich um die Ersatzorganisation einer verbotenen Partei handelt, wegen des Parteienprivilegs des Art. 21 Abs. 2 GG nur dann pönalisiert werden darf, wenn sie ihrerseits vom BVerfG verboten worden ist. 12 BGH NStZ 1997 603. 13 Willms FS Lackner, S. 471, 477; Steinmetz MK Rdn. 8. 57

Steinsiek

§ 84 StGB

Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei

äußerliche Umbenennung steht einer Fortexistenz der verbotenen Partei nicht entgegen, weil sie die Identität des organisatorischen Zusammenschlusses unverändert lässt.14 Diesen Umstand muss das Tatgericht feststellen.

2. Tathandlung 11 ist das Aufrechterhalten des organisatorischen Zusammenhalts durch Rädelsführer und Hintermänner. Dieses Tatbestandsmerkmal verwirklicht, wer die organisatorische Verbundenheit zwischen früheren oder neu gewonnenen Mitgliedern untereinander, zwischen ihnen und der Parteiführung oder zwischen verschiedenen Teilen der Partei pflegt oder mit dem Ziel wiederanknüpft, die Partei trotz ihres Verbotes fortbestehen zu lassen.15 Das Merkmal „aufrechterhalten“ setzt, anders als etwa der Ungehorsamstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG (bei § 85), einen organisationsbezogenen Erfolg voraus.16 Dieser kann gegeben sein durch Weiterführung oder Wiederaufbau der gesamten Parteiorganisation oder auch nur einer Parteiuntergliederung,17 durch Organisation von Versammlungen, Kundgebungen, Umzügen oder sonstige insbesondere in einem Parteiamt ausgeübte Tätigkeiten, wie das Kassieren und Abführen von Mitgliedsbeiträgen, das Herstellen von Parteischriften und deren Verteilung an die Parteimitglieder.18 Die auf den Organisationszusammenhalt gerichtete Tätigkeit muss geeignet sein, eine für diesen vorteilhafte Wirkung hervorzurufen. Bloße Unterstützungshandlungen, die nicht unmittelbar die Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts zum Ziel haben oder ihn allenfalls reflexartig fördern, genügen ebenso wenig wie Unterstützungshandlungen von untergeordneter Bedeutung (BGH NJW 2005 2164; 2006 207), z. B. in Form des bloßen Verwahrens von Schriften oder Flugblättern oder deren einmaliges Verteilen. Die Ausführung eines einzelnen Parteiauftrages oder das Eintreten für die Partei in der 12 Öffentlichkeit reicht für sich regelmäßig ebenso wenig aus19 wie die nur passive Innehabung eines Parteiamtes ohne Entfaltung von Aktivitäten. Ein Aufrechterhalten des organisatorischen Zusammenhalts ist auch dann zu verneinen, wenn eine weiterbestehende Verbundenheit früherer Parteimitglieder zwar auf ihre frühere Zugehörigkeit zu der verbotenen Partei zurückzuführen ist, aber nicht mehr der Verfolgung der Ziele dient, die zu dem Verbot geführt haben (BGHSt 20 287, 289). Insofern ist neben dem objektiven Moment eine entsprechende subjektive politische (Fortsetzungs-)Tendenz erforderlich und maßgeblich. Die Gründung von Parteien oder Ersatzorganisationen für Parteien wird durch § 84 ausdrücklich nicht erfasst. Wer jedoch den zerschlagenen Parteiapparat neu aufbaut oder daran mitwirkt, hält den Zusammenhalt aufrecht und kann daher nach Absatz 1 oder 2 bestraft werden.20

3. Taugliche Täter 13 Der Täter muss Rädelsführer oder Hintermann sein. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass § 84 Abs. 1 auf wesentliche Tatbeiträge zur Aufrechterhaltung des organisatorischen Zu-

14 BGHSt 26 258, 265; BGH NJW 1998 1653; BGH NStZ-RR 1998 217; Wagner MDR 1966 97, 98; Steinmetz MK Rdn. 8; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7, 12; Zöller SK Rdn. 7; Fischer Rdn. 3. 15 BGHSt 20 287, 289 ff. 16 BGHSt 42 30, 35; 43 312, 314; BGH StV 1999 80; Steinmetz MK Rdn. 11; Paeffgen NK Rdn. 12. 17 BGHSt 16 298, 299; 20 74, 76; 20 287, 291; vgl. auch BGHR VereinsG § 20 vollziehbar 1. 18 BGHSt 20 287, 291. 19 BGHSt 20 287, 291 f. 20 BGHSt 7 222, 224; 20 287, 289 f.; Paeffgen NK Rdn. 12.; Ruhrmann GA 1959 129, 132. Steinsiek

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III. Objektiver Tatbestand des Absatzes 2

StGB § 84

sammenhalts der verbotenen Partei abzielt.21 Die Begriffe sind wie in §§ 129, 129a zu verstehen (s. auch die dortigen Ausführungen).

a) Rädelsführer. Als Rädelsführer ist ein Mitglied22 der verbotenen Partei anzusehen, das in 14 der Gesamtorganisation oder einer wesentlichen Parteiuntergliederung eine führende Stellung mit beträchtlichem Einfluss innehat oder ohne formelles Parteiamt in vergleichbarer Weise Einfluss auf die Parteiführung ausübt, z. B. hinsichtlich ideologischer Ausrichtung, Parteistruktur, Tätigkeiten und/oder Zielen der Partei.23 Das Gesetz will die Drahtzieher erfassen, die entweder zu den Führungskräften gehören oder an der Führung mitwirken. Dagegen reicht es nicht aus, dass sich der Einfluss lediglich auf unterer Parteiebene auf eine nicht ganz unwesentliche Anzahl von Parteimitgliedern erstreckt, wie dies zum früheren § 90a a. F. noch von BGHSt 19 109, 110 angenommen worden war.24 Entscheidend ist der Umfang des Spielraums für eigenverantwortliche Entscheidungen.25

b) Hintermann ist derjenige, der als Nichtmitglied der verbotenen Partei – und damit ohne 15 formelle Weisungsbefugnis – einen geistigen oder materiellen Einfluss auf die Partei ausübt, der der Stellung eines Rädelsführers entspricht.26 Das Gesetz stellt also nicht darauf ab, welche Tätigkeit der Hintermann versieht, sondern darauf, welchen Einfluss er ausübt (BGHSt 20 121, 123). Der Einfluss kann auch anonym ausgeübt werden, muss sich aber nicht in konspirativen Formen abspielen.27

III. Objektiver Tatbestand des Absatzes 2 Absatz 2 dient der strafrechtlichen Absicherung von Parteiverboten im Sinne des Absatzes 1 16 Satz 1 Nr. 1 und 2 gegen mitgliedschaftliche Betätigung in der Partei oder Unterstützung ihres organisatorischen Zusammenhalts außerhalb der Partei.

1. Mitgliedschaftliche Betätigung (Absatz 2 Alt. 1) a) Mitglied. Der Begriff des Mitgliedes ist wie in § 129 (s. auch die dortigen Erläuterungen) 17 materiell, nicht rein formal in dem Sinne zu verstehen, dass nur eine förmliche Beitrittserklärung die Mitgliedschaft begründen könnte. Das äußert sich etwa darin, dass § 10 Abs. 1 Satz 4 PartG, wonach eine Parteimitgliedschaft für Personen ausgeschlossen ist, denen Wählbarkeit oder Wahlrecht aberkannt wurde, für den strafrechtlichen Begriff des Parteimitgliedes ohne Bedeutung bleibt.28 Mitglied ist jeder, der seinen Willen der Vereinigung ein- oder unterordnet und

21 22 23 24

BGHSt 7 279. BGHSt 18 296, 299; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10. BGHSt 20 74, 76; 20 121, 123; Steinmetz MK 9. Die Rechtsprechung des BGH zu § 90a a. F. – etwa BGHSt 6 129; 7 279; 11 233; 15 167, 174; 19 109, 110; BGH NJW 1954 1254 und die bei Wagner GA 1960 193 ff. angeführten Entscheidungen – kann für die Auslegung des nach dem Willen des Gesetzgebers enger zu verstehenden § 84 generell nur noch als Anhalt herangezogen werden. 25 BGHSt 20 121, 124. 26 BGHSt 20 121, 123. 27 Paeffgen NK Rdn. 7. 28 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15. 59

Steinsiek

§ 84 StGB

Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei

fortdauernd für deren Zwecke tätig werden will (RGSt 24 328, 330).29 An dieser Definition des RG hat der BGH festgehalten (BGH NJW 1960 1772, 1773) und sie dahin ergänzt, dass zwischen dem Täter und der Vereinigung eine – auch stillschweigend mögliche – Willensübereinstimmung über die Zugehörigkeit zur Vereinigung und die Tätigkeit auf dieser Grundlage bestehen muss.30 Dabei genügt es, wenn die Zugehörigkeit auf eine fortdauernde Mitwirkung angelegt ist. Auf eine bestimmte Zeitdauer einer bestehenden Zugehörigkeit kommt es nicht an.31 Die Willensübereinstimmung (aber auch die Betätigung als Mitglied, s. Rdn. 18) ist in besonderem Maße kritisch zu prüfen, soweit sich die betreffende Person den Behörden als Informant bzgl. der Partei zur Verfügung gestellt hat.32 Dies ist für die Fälle von Bedeutung, in denen bald nach vollzogenem Beitritt ein Weiteres Mitwirken durch staatlichen Eingriff unterbunden wird.

18 b) Betätigung als Mitglied. Die Tathandlung umfasst jeden aktiven Einsatz zur Verwirklichung der Ziele der Partei.33 Dazu reicht bereits die Begründung der Mitgliedschaft, wenn mit diesem (Einzel-)Akt der Wille künftiger Fortsetzung der Betätigung verbunden ist (BGHSt 29 114, 122). Bloße Aktivitäten im Zusammenhang mit einer Partei begründen für sich noch keine Mitgliedschaft und stellen deshalb als solche keine mitgliedschaftliche Betätigung dar. Es wäre deshalb, wie Fischer (Rdn. 4) zutreffend betont, unrichtig, den Besuch von Versammlungen, den Bezug von Zeitschriften oder das Verteilen von Propagandamaterial ohne Weiteres als Beleg einer Mitgliedschaft zu nehmen. Solche Handlungen können immer nur Indizien für das Bestehen einer Mitgliedschaft sein. Ist dagegen die Mitgliedschaft festgestellt, so sind derartige Aktivitäten als Betätigung zu qualifizieren. Zur Betätigung zu rechnen ist insbesondere auch die organisationsbezogene Werbung für die Partei, wobei es ohne Belang ist, ob sich das Mitglied hierbei parteifremder oder von der Partei selbst hergestellter und inhaltlich ausgestalteter Werbemittel bedient (BGHSt 26 258, 261). Unerheblich ist auch, ob das Werbemittel, wie bei § 86 erforderlich, selbst einen verfassungsfeindlichen Inhalt aufweist.34 Auf die Feststellung eines tatsächlich eingetretenen Nutzens kommt es nicht an.35 19 Ob in der Zahlung von Mitgliedsbeiträgen eine Betätigung der Mitgliedschaft liegt, ist Tatfrage. Angesichts der Bedeutung einer ausreichenden finanziellen Ausstattung für den Fortbestand der Organisation sind grundsätzlich auch Geldzuwendungen als ein der Förderung der verbotenen Partei dienendes aktives Tun zu bewerten. Doch wird die ohne näheres Bindungsinteresse oder aus Trägheit erbrachte Zahlung eines Mitgliedsbeitrages von geringer Höhe als passive Mitgliedschaft zu werten sein.36

2. Unterstützung durch Nichtmitglieder (Absatz 2 Var. 2 und 3) 20 Absatz 2 erfasst als taugliche Tathandlungen durch Nichtmitglieder sowohl die Untersützung des organisatorischen Zusammenhalts als seit 2016 auch die Unterstützung bei der weiteren Betätigung. Bei diesen Tatmodalitäten handelt es sich um zu selbständigen Tatbestän-

29 Kritisch hierzu Paeffgen NK Rdn. 14 f., der sich für eine teleologische Restriktion auf „agitatorisch-aktive ParteiAktivisten“ ausspricht, deren Vereinbarkeit mit dem weiten Wortlaut („unterstützen“) jedoch zu Recht in Frage stellt. 30 BGHSt 18 296, 300; vgl. auch Wagner MDR 1966 185, 187. 31 BGHSt 29 114, 122 f.; BGH NJW 1966 310, 312. 32 BGH NJW 2010 1979, 1986; Steinmetz MK Rdn. 13. 33 Steinmetz MK Rdn. 13; Fischer Rdn. 4. 34 BGHSt 26 258, 261. 35 BGHSt 42 30, 31 zu § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG mit zust. Anm. Scholz NStZ 1996 602. 36 Steinmetz MK Rdn. 15; Lackner/Kühl Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 13; Fischer Rdn. 4; vgl. auch BT-Drs. V/2860 S. 6, wonach die bloße Bezahlung des Mitgliedsmindestbeitrags noch nicht ausreiche. Steinsiek

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IV. Objektiver Tatbestand des Absatzes 3

StGB § 84

den erhobene Beihilfehandlungen. Deswegen reicht auch der bloße Versuch der Unterstützung nicht aus.37 Wer den organisatorischen Zusammenhalt oder die weitere Betätigung einer solchen Partei unterstützt, wird auch dann strafrechtlich belangt, wenn ihm die Parteimitgliedschaft nicht nachweisbar ist. Vorausgesetzt wird von der 2. Variante des Absatz 2 ein Tatbeitrag, der den organisatorischen Zusammenhalt der Partei unmittelbar und wirksam fördern kann und soll.38 Anders als bei der Betätigung als Mitglied, bei der jeder, auch als solcher nicht förmliche Akt des Mitglieds erfasst ist (vgl. Rdn. 17 u. 18), verlangt die Unterstützung durch ein Nichtmitglied in Absatz 2 Var. 2 das Ziel eines organisationsbezogenen Erfolges (vgl. Rdn. 11 u. 12 zum Begriff des „Aufrechterhaltens“). Ob dadurch die Organisation letztlich in ihrem Tätigwerden in der Zukunft tatsächlich gefördert wird, ist ohne Belang. Dies trifft z. B. zu auf Beiträge zur Unterhaltung des konspirativen Apparates der verbotenen Partei, wie Gewährung von Unterkunft für Kuriere und Verbindungsleute, Vermittlung von Nachrichten, Bereitstellen geheim gehaltener Versammlungsräume oder Lieferung/Verbreitung von Materialien für Propagandazwecke oder nachhaltiges Eintreten für die verbotene Partei in der Presse.39 Auch in diesem Fall steht dann der Strafbarkeit nach Absatz 2 nicht entgegen, dass das Propagandamaterial selbst keinen verfassungsfeindlichen Inhalt hat.40 Dass der Förderer sich der verbotenen Partei nicht zu erkennen gibt, schließt die Anwendbarkeit des Tatbestandes nicht aus, wenn die erforderliche Organisationsbezogenheit seiner Leistung gegeben ist. Fehlt es dagegen an dieser Organisationsbezogenheit, so ist die von außen kommende Förderung der Partei nicht tatbestandsmäßig.41 Seit im Jahr 2016 mit Ergänzung des Absatz 2 um eine 3. Variante (weitere unterstützende Betätigung) eine deutliche Ausdehnung der Strafbarkeit erfolgt ist, kommt den vorgenannten Einschränkungen zu Variante 2 jedoch kaum mehr eine praktische Bedeutung zu. Denn nach der Gesetzbegründung soll nunmehr jede Untersützung für die Partei erfasst werden, da diese nach Auffassung des Gesetzgebers gleichermaßen den Tatunwert verwirklichten (BT-Drs. 18/ 8702, 21).42 Man mag hierin eine kriminalpolitische Erforderlichkeit erkennen können, gesetzgebungstechnisch ist die Erweiterung jedoch misslungen, da die Sonderstellung der mitgliedschaftlichen Betätigung (Absatz 2 1. Var.) nunmehr bedeutungslos geworden ist.

IV. Objektiver Tatbestand des Absatzes 3 Verstoß gegen andere Sachentscheidungen des BVerfG oder vollziehbare Maßnahmen.

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1. Andere Sachentscheidungen des BVerfG § 84 Abs. 3 S. 1 dient in seiner ersten Alternative der strafrechtlichen Absicherung von Sachent- 22 scheidungen des BVerfG in Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG oder § 33 Abs. 2 PartG, soweit sie 37 Fleischer NJW 1979 1337, 1339. 38 BGHSt 20 89; vgl. BVerfGE 25 44, 57 ff.; 25 79, 87; Steinmetz MK Rdn. 14; Paeffgen NK Rdn. 16. 39 Kritisch dazu Paeffgen NK Rdn. 17 m. w. N. Aufgegeben wird die von Laufhütte/Kuschel LK12 vertretene Ansicht, wonach den Tatbestand mangels ausreichender Organisationsbezogenheit grundsätzlich nicht erfüllt, wer lediglich als Sympathisant in der Presse nachhaltig für die verbotene Partei und ihre Ziele eintrete oder auf eigene Faust Schriften der Partei nachdrucke und verbreite. Derartige Handlungen sollten nur ausnahmsweise ausreichend organisationsbezogen sein, wenn sie mittelbare Hilfe durch ideologischen Beistand übersteigen und organisationsunterstützend wirken sollten. Doch praktisch dürften dies alle der genannten Propagandamaßnahmen tun. Infolge der Einführung der 3. Variante des Absatz 2 („weitere unterstützende Betätigung“) sind derartige Handlungen heute jedoch ohnehin tatbestandsmäßig. 40 BGHSt 26 258, 261. 41 Arndt NJW 1965 430, 431. 42 Kritisch hierzu: Paeffgen NK Rdn. 1. 61

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§ 84 StGB

Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei

nicht das Parteiverbot selbst beinhalten (hierfür gilt Absatz 1). Gemeint sind hier insbesondere bestimmte Ge- oder Verbote enthaltende einstweilige Anordnungen (§ 32 BVerfGG) oder Einziehungsanordnungen im Zusammenhang mit einem Verbotsurteil (§ 46 Abs. 3 S. 2 BVerfGG). Ein Beispiel bildet die einstweilige Anordnung, in der das BVerfG während des Verfahrens gegen die SRP jegliche Propaganda und öffentliche Werbung dieser Partei untersagte (BVerfGE 1 349). Das Gesetz spricht ausdrücklich von Sachentscheidungen, um klarzustellen, dass Anordnungen rein prozessleitender Art (z. B. Zeugenladungen) nicht gemeint sind. Daher wird auch die Anordnung einer Beschlagnahme oder Durchsuchung wegen des vorwiegend prozessualen Gehalts einer solchen Entscheidung nicht erfasst. Sie wird durch andere Strafvorschriften, etwa §§ 113, 136, hinreichend abgesichert.43

2. Vollziehbare Maßnahmen 23 In seiner zweiten Alternative sichert § 84 Abs. 3 S. 1 die Durchsetzung vollziehbarer Maßnahmen im Vollzug jeglicher Sachentscheidung in Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG und § 33 Abs. 2 PartG. Ihnen sind gemäß § 84 Abs. 3 S. 2 vollziehbare Maßnahmen in Verfahren nach Art. 18 GG gleichgestellt. Vollziehbare Maßnahmen können sowohl Vollstreckungsentscheidungen des BVerfG selbst sein, wie etwa der Beschluss, durch den der Innenminister des Saarlandes angewiesen wurde, den Landesverband Saar der Kommunistischen Partei als Ersatzorganisation der KPD aufzulösen (BVerfGE 6 300), aber auch Akte eines Organs der Exekutive, wie Anordnungen des vom BVerfG mit dem Vollzug der Parteiauflösung oder der Vermögenseinziehung beauftragten Innenministers. Dabei ist zu beachten, dass auch in den letztgenannten Fällen mittelbar die jeweils zugrundeliegende Sachentscheidung des BVerfG geschützt werden soll und deshalb Maßnahmen der Exekutive nur dann erfasst werden, wenn sie von einer der angeführten Sachentscheidungen des BVerfG legitimiert sind. Das ist der Fall, wenn sie sich im Rahmen einer vom BVerfG erteilten Ermächtigung halten. Dabei ist es Sache des BVerfG, dem § 35 BVerfGG insoweit umfassende Befugnisse gibt, wie es seine Ermächtigung gestaltet und zum Ausdruck bringt. In aller Regel wird es sie in den Entscheidungssatz der Hauptsacheentscheidung aufnehmen. Andererseits sind gesetzliche Regelungen von Maßnahmen denkbar, die dann durch eine einschlägige Entscheidung des BVerfG ausgelöst werden, ohne dass diese Entscheidung sie ausdrücklich anzuführen braucht.

3. Tathandlung des Zuwiderhandelns 24 Sie umfasst Versuch und Vollendung gleichermaßen (unechtes Unternehmensdelikt). Es ist jedes Verhalten des Täters, das darauf zielt, den Erfolg der betreffenden Sachentscheidung oder der auf sie gestützten vollziehbaren Maßnahme ganz oder zum Teil zu vereiteln. Ähnlich wie bei § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG (bei § 85) erfasst der Begriff des Zuwiderhandelns Handlungsweisen, die konkret geeignet sind, die vom BVerfG angeordneten Maßnahmen zu vereiteln.44 Dass dieses Ziel erreicht wird, ist nicht erforderlich. Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass hier der Versuch nicht unter Strafe steht und die Grenzziehung zu bloßen Versuchs- und Vorbereitungshandlungen schwierig sein kann. Angesichts der Verschiedenheit denkbarer Handlungsformen kann die Trennungslinie nur von Fall zu Fall gezogen werden. Es bedarf daher einer besonders sorgfältigen Abgrenzung.45

43 Lackner/Kühl Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 19; Fischer Rdn. 8; Steinmetz MK Rdn. 17; aA Sch/Schröder/SternbergLieben Rdn. 19; Zöller SK Rdn. 15. 44 BGHSt 42 30, 37; 43 312, 314; BGH StV 1999 89. 45 Steinmetz MK Rdn. 20 m. w. N. zu einzelnen Handlungen; Paeffgen NK Rdn. 20. Steinsiek

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VIII. Tätige Reue, Rücktritt

StGB § 84

V. Subjektiver Tatbestand Für alle Tatvarianten ist bedingter Vorsatz ausreichend. Der Täter muss eine hinreichend deut- 25 liche Vorstellung – mindestens in laienhafter Parallelwertung – vom Tenor der Entscheidung des BVerfG und das Bewusstsein haben, der Entscheidung zuwiderzuhandeln. Der Irrtum über die Existenz einer der von § 84 erfassten Entscheidungen ist Tatbestandsirrtum. Ein Verbotsirrtum kommt allenfalls bei Unkenntnis der rechtlichen Tragweite einer solchen Entscheidung – vor allem in den Fällen des Absatzes 3 – in Betracht. Die Vorstellung eines verfassungswidrigen Handelns – sei es für sich selbst, sei es hinsichtlich der verbotenen Partei – braucht der Täter weder im Sinne einer positiv wertenden Kenntnis eines Verstoßes gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung noch im Sinne einer Kenntnis der einen solchen Verstoß begründenden Tatsachen zu besitzen. Er braucht auch die Gründe der Entscheidung des BVerfG nicht zu kennen. Doch ist es in den Fällen der Absätze 1 und 2 erforderlich, dass sich der Handelnde der in seiner Tätigkeit liegenden Förderung des organisatorischen Zusammenhalts oder sonstigen Unterstützung (bei Absatz 2) der verbotenen Organisation, auch des gemeinschaftlichen Ziels der Organisation (BGHSt 20 45, 54), bewusst ist. Eine wertende Einschätzung dieser Tätigkeit etwa im Sinne der Rädelsführerschaft braucht er nicht zu vollziehen, doch muss er ihre sachliche Bedeutung erfassen, wenn sie ihm in diesem Sinne zugerechnet werden soll.

VI. Teilnahme Für die Anstiftung gelten die allgemeinen Regeln (§ 26); damit ist sie strafbar. § 28 Abs. 1 ist 26 nicht anwendbar, weil die Tatbestandselemente der Absätze 1 bis 3 gefährliche Handlungsweisen bezeichnen. In der Vorauflage ist vertreten worden, dass Beihilfe zu Taten nach Absatz 1 und 2 nicht möglich sei. Indem der Gesetzgeber mit der Tatalternative des Unterstützens des organisatorischen Zusammenhalts einer verbotenen Partei eine materielle Beihilfehandlung als vollendetes Delikt ausgestaltet habe (BGHSt 20 90), habe er zum Ausdruck gebracht, dass andere Beihilfehandlungen zu Taten nach Absatz 1 und 2 straflos bleiben sollten. Richtig ist, dass Beihilfehandlungen zu Absatz 1 in der Regel Handlungen darstellen, mit denen sich ein Mitglied betätigt oder ein Nichtmitglied unterstützt. Unterhalb dieser Schwelle sind aber für jede Tatbestandserfüllung der Absätze 1 bis 3 untergeordnete Nebentätigkeiten denkbar, deren Strafbarkeit als Beihilfe nicht ausgeschlossen ist.46

VII. Der Versuch des Absatz 1 Der Versuch ist nach Absatz 1 Satz 2 strafbar.

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VIII. Tätige Reue, Rücktritt Die in Absatz 5 vorgesehene Möglichkeit beinhaltet eine Regelung des Rücktritts vom vollen- 28 deten Delikt; ausgenommen ist das Delikt nach Absatz 3 Satz 2. Der Rücktritt vom Versuch des Absatzes 1 ist daher nach § 24 zu beurteilen, jedoch kann Absatz 5 dann Anwendung finden, wenn der Rücktritt vom beendeten Versuch misslungen ist (§ 83a Rdn. 2 ff.) und § 24 deshalb nicht eingreift.47 46 BGHSt 43 41, 51/52 zu § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG;Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Zöller SK Rdn. 16; aA Sommer JR 1981 490, 495; Lackner/Kühl Rdn. 3; Steinmetz MK Rdn. 23; Paeffgen NK Rdn. 22; Fischer Rdn. 6; Ellbogen BeckOK StGB Rdn. 17. 47 Steinmetz MK Rdn. 25; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26; Paeffgen NK Rdn. 25; Zöller SK Rdn. 19. 63

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§ 84 StGB

Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei

Die tätige Reue, die für Fälle des Absatzes 3 Satz 2 ausgeschossen ist, setzt voraus, dass sich der Täter freiwillig und ernsthaft (zu diesen Begriffen s. die Erläuterungen bei §§ 24, 31) bemüht, das Fortbestehen der verbotenen Partei zu verhindern. Gelingt ihm dies oder wird dieses Ziel ohne sein Zutun erreicht, tritt zwingend Straflosigkeit ein. Ansonsten ist Strafmilderung nach § 49 Abs. 2 oder das Absehen von einer Bestrafung nach § 84 möglich (s. Rdn. 30).

IX. Räumlichen Geltungsbereich 29 Nur im räumlichen Geltungsbereich des StGB begangene Taten werden von der Vorschrift erfasst. Das ist zwar nur in Absatz 1 ausdrücklich gesagt, gilt jedoch auch für die übrigen in § 84 zusammengefassten Tatbestände. Dies ergibt sich nicht nur aus dem inneren Zusammenhang der Bestimmung, sondern auch aus der zusätzlichen Einschränkung durch § 91, der § 84 ausnahmslos nur für Taten gelten lässt, die durch eine im räumlichen Geltungsbereich des StGB ausgeübte Tätigkeit begangen wurden, sodass insoweit auf die jeweilige Tathandlung abzustellen ist.48 Angesichts des § 91 hätte sich die Sonderregelung in § 84 Abs. 1 erübrigt. Sie wird von Fischer (Rdn. 10) mit Recht als irreführend bezeichnet. Grund der Regelung war offensichtlich, der im Sonderausschussbericht V/2860 S. 5 (vgl. Vor § 80 Rdn. 11) als fragwürdig bezeichneten Rechtsprechung des BGH zur „grenzüberschreitenden Gesamtorganisation“49 die Grundlage zu entziehen.

X. Der Strafrahmen 30 Die Strafe beträgt bei vollendeten Taten nach Absatz 1 Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, bei Taten nach Absatz 2 oder 3 Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Bei versuchten Taten im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 sowie Taten nach Absatz 2 und Absatz 3 Satz 1 kann die Strafe gemäß § 49 Abs. 2 gemildert oder von einer Bestrafung nach § 84 völlig abgesehen werden, wenn die Schuld des Täters gering ist und seine Mitwirkung nur von untergeordneter Bedeutung war (Absatz 4; sog. Mitläuferklausel). Ausgenommen von dieser Vergünstigung sind also vollendete Vergehen nach Absatz 1 und alle Delikte nach Absatz 3 Satz 2, d. h. die Fälle des Zuwiderhandelns gegen Entscheidungen in Verfahren nach Art. 18 GG.

XI. Nebenfolgen und Einziehung 31 S. §§ 92a, 92b. Fällt die Tatbestandsverwirklichung mit der Ausübung eines Presseberufes zusammen, so steht Art. 18 GG der Anordnung eines Berufsverbotes (§ 70) für diesen Presseberuf nicht entgegen.50 Zu besonderen disziplinarrechtlichen Folgen von Verstößen gegen § 84 vgl. den Überblick bei Paeffgen NK Rdn. 26a sowie Steinmetz MK Rdn. 28.

XII. Mehrfachhandlungen 32 Die Tatbegehung wird, insbesondere bei den Tatbeständen der Absätze 1 und 2, vielfach in einer großen Zahl von Teilakten liegen. Nach bisheriger Rechtsprechung wurde nach der Struktur des

48 Steinmetz MK Rdn. 4. 49 BGHSt 15 167; 20 45; dazu Wagner MDR 1966 18, 19 ff. 50 BVerfGE 25 88; Willms NJW 1964 225, 228; Schmitt-Glaeser JZ 1970 60 f. Steinsiek

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XII. Mehrfachhandlungen

StGB § 84

Tatbestandes gesetzliche Handlungseinheit angenommen.51 Unter Berücksichtigung neuerer Rechtsprechung wird zu unterscheiden sein:

1. Betätigung als Mitglied Der Tatbestand der Betätigung als Mitglied ist mit dem des § 129 vergleichbar. Wie bei § 129 33 (BGHSt 29 288 291) ist deshalb insoweit (§ 84 Abs. 2 Alt. 1) von einer Dauerstraftat auszugehen. Der BGH scheint dem in BGHSt 43 312, 315 (zum Nichtmitglied BGHSt 42 30, 35) nicht zu folgen, weil er mitgliedschaftliche Betätigung, insbesondere bei ununterbrochener, fortlaufender, gegen ein Betätigungsverbot verstoßender Handlungen, als einen Fall natürlicher Handlungseinheit bezeichnet. Die Zuordnung zur Dauerstraftat bei Aufrechterhaltung des vom Täter geschaffenen rechtswidrigen Zustandes der Mitgliedschaft, durch ununterbrochene Handlungen, wird jedoch dem Tatunrecht eher gerecht (wenn auch im Ergebnis ein Unterschied zur Annahme natürlicher Handlungseinheit in solchen Fällen nicht bestehen dürfte). Unerheblich ist, ob der Beschuldigte hierbei verschiedene Funktionen ausübt (Abs. 1 ginge Abs. 2 dann vor).52 Tatmehrheit ist hingegen gegeben, wenn der Täter für verschiedene Organisationen tätig geworden ist. Durch eine Verurteilung nach § 84 wird nur dann eine Tatmehrheit begründende Zäsur herbeigeführt zwischen den zeitlich davor und danach liegenden Betätigungshandlungen im Rahmen der dauerhaften Betätigung als Mitglied, wenn die bereits abgeurteilte Handlung Teil des nun zu beurteilenden Verhaltens ist.53

2. Aufrechterhalten des organisatorischen Zusammenhalts In Fällen des § 84 Abs. 1 wird die natürliche Handlungseinheit bejaht werden müssen, wenn 34 der vorausgesetzte organisatorische Erfolg durch mehrere Handlungen eintritt.54

3. Verstoß gegen Verbote Der BGH verneint grundsätzlich für § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG (bei § 85), was entsprechend für 35 § 84 Abs. 3 zu gelten hat, das Vorliegen einer Tat bei mehreren Zuwiderhandlungen gegen Verbote, wenn nicht die Voraussetzungen einer rechtlichen Bewertungseinheit vorliegen (vgl. BGHSt 43 312, 315, 46 6 ff.).

4. Unterstützung einer Organisation Im Fall des Unterstützens einer Organisation im Sinne des § 84 Abs. 2 Alt. 2 wird natürliche 36 Handlungseinheit zu bejahen sein, wenn die (erfolgreiche) Unterstützung der Partei durch mehrere Akte eintritt. In diesem Sinne ist auch von einer Tat auszugehen, wenn der Täter nacheinander verschiedene Funktionen ausgeübt hat, oder von einer Stellung im Sinne des Absatzes 2 zu einer solchen nach Absatz 1 aufstieg oder abfiel, wobei für den Schuldspruch dann jeweils Absatz 1 maßgeblich ist (BGHSt 20 74, 77). Es kann insofern auch keinen Unterschied machen, ob 51 BGHSt 15 259 speziell für den Fall der Rädelsführerschaft; BGH bei Wagner GA 1967 101 Nr. 37 für den Fall der Mitgliedschaft; Steinmetz MK Rdn. 26. 52 BGH NStZ 2007, 401. 53 BGH NStZ 2010, 455 sowie BGH v. 27.4.2010 – 3 StR 54/10 und 27.11.2015 – 3 StR 434/15. 54 Rissing-van Saan S. 475, 480 f.; dies. LK12 Vor § 52 Rdn. 24; Steinmetz MK Rdn. 26; Schönke/Schröder/SternbergLieben Rdn. 18; Fischer Rdn. 16. 65

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§ 84 StGB

Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei

der Täter teilweise als Mitglied und teilweise als Außenstehender die Partei fördert (aA BGH bei Wagner GA 1967 98 Nr. 29).

XIII. Konkurrenzen 37 § 85 und § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 VereinsG werden von § 84 verdrängt. Tateinheit ist möglich mit §§ 81 bis 83, 86a bis 89, 129, 129a. Zum Verhältnis zu § 86 s. dort. Jedes Zuwiderhandeln gegen ein Betätigungsverbot ist eine selbständige Straftat, wenn nicht die besonderen Voraussetzungen für die Annahme einer Dauerstraftat oder einer natürlichen Handlungseinheit vorliegen (vgl. Rdn. 33 bis 36). Fehlt es an einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang, so liegen mehrere tatmehrheitliche Taten vor (BGH NStZ 1999 38 zu § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG).

XIV. Opportunitätsprinzip 38 Zur Anwendbarkeit s. §§ 153b bis e StPO sowie für Handlungen von verdeckten Ermittlungspersonen sowie V-Personen von Nachrichtendiensten s. § 9a Abs. 3 und § 9b Abs. 1 S. 1 BVerfSchG, § 5 S. 2 BNDG § 5 MADG.

XV. Zuständigkeit 39 Vom Ausnahmefall des § 120 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 74a Abs. 2 GVG abgesehen, ist die Staatsschutzkammer beim Landgericht für die Aburteilung zuständig (§ 74a Abs. 1 Nr. 2 GVG).

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§ 85 Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot (1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes den organisatorischen Zusammenhalt 1. einer Partei oder Vereinigung, von der im Verfahren nach § 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist, oder 2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist, aufrechterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar. (2) Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) § 84 Abs. 4 und 5 gilt entsprechend. Art. 9 Abs. 2 GG Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. § 33 Abs. 3 PartG (Absatz 2 siehe bei § 84) Auf andere Parteien und auf Vereine im Sinne des § 2 des Vereinsgesetzes, die Ersatzorganisationen einer verbotenen Partei sind, wird § 8 Abs. 2 des Vereinsgesetzes entsprechend angewandt. § 20 VereinsG Zuwiderhandlungen gegen Verbote (1) Wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit 1. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist, aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt, 2. den organisatorischen Zusammenhalt einer Partei oder eines Vereins entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei sind (§ 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes), aufrechterhält oder sich in einer solchen Partei oder in einem solchen Verein als Mitglied betätigt, 3. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins oder einer Partei der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Art oder deren weitere Betätigung unterstützt, 4. einem vollziehbaren Verbot nach § 14 Abs. 3 Satz 1 oder § 18 Satz 2 zuwiderhandelt oder 5. Kennzeichen einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Vereine oder Parteien oder eines von einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 betroffenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots oder der Feststellung verbreitet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist. In den Fällen der Nummer 5 gilt § 9 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 oder 3 entsprechend. (2) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach Absatz 1 absehen, wenn 1. bei Beteiligten die Schuld gering oder deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist oder 2. der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Partei oder des Vereins zu verhindern; erreicht er dieses Ziel oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird der Täter nicht bestraft. (3) Kennzeichen, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Nr. 5 bezieht, können eingezogen werden.

67 https://doi.org/10.1515/9783110490008-009

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§ 85 StGB

Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot

Schrifttum Baudewin Das Vereinsverbot, NVwZ 2013 1049; Deres Die Praxis des Vereinsverbotes – Eine Darstellung der materiellen Voraussetzungen, VR 1992 431; Gerlach Die Vereinsverbotspraxis der streitbaren Demokratie – Verbieten oder Nicht-Verbieten (2012), Diss. Chemnitz 2011; Groß Zum Pressestraf- und Pressestrafverfahrensrecht, AfP 1998 358; Heinrich Anm. zu BGH v. 5.3.2002 – 3 StR 514/01, NStZ 2003 43; ders. Der Verstoß gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot durch öffentliche Erklärung der eigenen Mitgliedschaft, NStZ 2010 429; Köbler Die Strafbarkeit von Verstößen gegen das Kennzeichenverbot in Fällen des Betätigungsverbots nach § 18 S. 2 VereinsG, NStZ 1995 531; Möllers Voraussetzungen, Ablauf und Rechtsfolgen von Verfahren, die zu Partei- und Vereinsverboten sowie zur Grundrechtsverwirkung führen, in Möllers/van Ooyen, Politischer Extremismus (2007) 371; Planker Das Vereinsverbot gem. Art. 9 Abs. 2 GG/§§ 3 ff. VereinsG, Diss. Bonn 1994; ders. Das Vereinsverbot in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, NVwZ 1998 113; Reuter Verbotene Symbole – Eine strafrechtsdogmatiche Untersuchung zum Verbot von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in § 86a StGB (2005), Diss. Berlin 2004; Schmidt Das neue Vereinsgesetz und Artikel 9 Abs. 2, 18 des Grundgesetzes, NJW 1965 424; Scholz Anm. zu BGH v. 24.1.1996 – 3 StR 530/95, NStZ 1996 602; Zimmermann, Tendenzen der Strafrechtsangleichung in der EU – dargestellt anhand der Bestrebungen zur Bekämpfung von Terrorismus, Rassismus und illegaler Beschäftigung, ZIS 2009 1; s. im übrigen bei § 84.

Entstehungsgeschichte Siehe zunächst bei § 84 und Vor § 80. Durch § 85 wurde § 90 a. F. – die Nachfolgebestimmung des eigenartigen § 129a a. F. (dazu Willms JZ 1963 121) – abgelöst. Dieser stellte lediglich die Förderung von Vereinigungen, die unanfechtbar verboten sind, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, und die Schaffung einer Ersatzorganisation für eine derartige Vereinigung unter Strafe. Die tatbestandliche Erweiterung des § 85 beruhte darauf, dass das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) auch für Ersatzorganisationen zum Feststellungsprinzip (Verbotsprinzip) überging. Mit Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 ragt der sonst in § 84 erfasste Komplex der Parteiverbote in den § 85 hinein, weil der Gesetzgeber einerseits das BVerfG von Verfahren zur Feststellung von Ersatzorganisationen verschonen wollte, es andererseits aber nicht für angebracht hielt, im Verwaltungsrechtsweg nachprüfbare Entscheidungen der Exekutive auch nach Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit mit der gleichen Strafsanktion wie Entscheidungen des BVerfG auszustatten. § 85 Abs. 2 wurde mit Wirkung zum 30.7.2016 durch Art. 8 des Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 26.7.2016 (BGBl. 2016 I 1818) geändert und umfasst nunmehr auch die Unterstützung für die weitere Betätigung einer verbotenen Organisation im Sinne des Absatz 1.1

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

1

II. 1.

Objektiver Tatbestand 2 Verstoß gegen Verbote von Parteien oder Vereinigungen durch Rädelsführer oder Hintermänner 2 (Absatz 1) a) Verbotsentscheidungen gemäß §§ 33 Abs. 3 3 PartG, 8 Abs. 2 VereinsG aa) Verfassungswidrigkeit der Vor4 schrift 5 bb) Stellungnahme b) Verbote von Vereinigungen oder ihrer Ersatzorganisationen gemäß §§ 3 oder 8 6 Abs. 2 VereinsG 7 c) Unanfechtbarkeit 8 d) Vereinigung 9 aa) Strafrechtliche Bedeutung 10 bb) Ausländische Vereine

2.

11 cc) Verein und Vereinigung 12 e) Rädelsführer/Hintermann 13 Objektiver Tatbestand des Absatzes 2

III.

Subjektiver Tatbestand

IV.

Teilnahme

V.

Versuch

VI.

Strafrahmen

14

15 16

VII. Sonstiges VIII. § 20 VereinsG

17 18 19

1 Krit. Paeffgen NK Rdn. 1. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 85

I. Zweck der Vorschrift § 85 behandelt parallel zu § 84 Abs. 1 und Abs. 2 Zuwiderhandlungen gegen unanfechtbare Or- 1 ganisationsverbote, die von anderen Staatsorganen als dem BVerfG, nämlich den in § 3 Abs. 2 VereinsG bezeichneten Verbotsbehörden, ausgesprochen worden sind. Wie § 84 bezweckt § 85 den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung, aber auch den der dieser gleichgeordneten verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG2 und des gleichfalls in Art. 9 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich bekräftigten Gedankens der Völkerverständigung. Die Sicherung der von § 85 erfassten Verbotsentscheidungen dient nur als Mittel zur Erreichung dieses eigentlichen Zieles.3 Die Vorschrift ist als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet.

II. Objektiver Tatbestand 1. Verstoß gegen Verbote von Parteien oder Vereinigungen durch Rädelsführer oder Hintermänner (Absatz 1) Absatz 1 richtet sich gegen Rädelsführer und Hintermänner, die den organisatorischen Zusam- 2 menhalt im Verwaltungsverfahren unanfechtbar verbotener Parteien (zum Parteibegriff s. Vor § 80 Rdn. 25) oder Vereinigungen aufrechterhalten.

a) Verbotsentscheidungen gemäß §§ 33 Abs. 3 PartG, 8 Abs. 2 VereinsG. § 85 Abs. 1 3 S. 1 Nr. 1 dient der strafrechtlichen Absicherung von unanfechtbaren verwaltungsbehördlichen Verbotsentscheidungen in Verfahren nach § 33 Abs. 3 PartG, § 8 Abs. 2 VereinsG, d. h. von Verwaltungsakten, durch die festgestellt wird, dass eine Partei oder Vereinigung Ersatzorganisation (s. dazu § 84 Rdn. 5) einer nach Art. 21 Abs. 2 GG verbotenen Partei ist.

aa) Verfassungswidrigkeit der Vorschrift. Es ist in der Literatur umstritten, ob die Vor- 4 schrift, soweit sie sich auf Parteien bezieht, verfassungswidrig ist. Als Begründung wird angeführt, dass sie insoweit gegen das Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 GG verstoße. Soweit sich die Vorschrift auf Parteien bezieht, ist in der Vorauflage folgendes vertreten worden: Das Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 GG besage, dass eine die allgemeine Strafgesetze nicht verletzende Propagierung und Förderung der Ziele einer verfassungswidrigen Partei nicht mit Strafe bedroht werden dürfe, solange die Partei nicht durch das BVerfG verboten worden sei.4 Dies habe auch zu gelten, wenn es sich bei der („neuen“) Partei um eine Ersatzorganisation einer bereits verbotenen Partei handle. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung der Verbotskompetenz zwischen BVerfG und Exekutive, ob die eine Ersatzorganisation darstellende Partei bereits vor dem Verbot der ursprünglichen verfassungswidrigen Partei gegründet wurde oder im Bundestag oder einem Landtag vertreten sei (Zuständigkeit des BVerfG gemäß § 33 Abs. 2 PartG; Sanktionsnorm: § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 2) oder ob dies nicht der Fall sei (Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden gemäß §§ 33 Abs. 3 PartG, 8 Abs. 2 VereinsG; Sanktionsnorm: § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Abs. 2), finde in Art. 21 Abs. 2 GG keine Stütze. § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 sei daher in diesem Umfang verfassungswidrig.5 Die Gleichgerichtetheit der Ziele, Personen und/oder Methoden festzustellen, müsse dem BVerfG vorbehalten sein. Diese verfassungskonforme Ausle2 3 4 5

BGHSt 7 222, 227; s. auch BVerwG NJW 1981 1796. Steinmetz MK Rdn. 1; Paeffgen NK Rdn. 3 (zur europarechtlichen Dimension s. ebd, Rdn. 5a); Zöller SK Rdn. 1. BVerfGE 12 296, 306 f.; 47 130, 139. Backes S. 188 ff.; Paeffgen NK Rdn. 8; Zöller SK Rdn. 4; Ellbogen BeckOK Rdn. 2; so wohl auch Steinmetz MK Rdn. 10 u. 13; aA Lackner/Kühl Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Fischer Rdn. 5.

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§ 85 StGB

Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot

gung, § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 erfasse Parteien nur dann, wenn das BVerfG festgestellt habe, dass sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei sei, führe nicht weiter. Denn über § 33 Abs. 2 PartG hinaus bestehe keine Kompetenz des BVerfG zum Verbot von Ersatzorganisationen. Diese sei aber in § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 strafrechtlich abschließend abgesichert.6

5 bb) Stellungnahme. Diese Auffassung wird, wie bei § 84 Rdn. 7 und 8 ausgeführt, aufgegeben. Das BVerfG ist nach der hier vertretenen Auslegung in unmittelbarer Anwendung des Art. 21 Abs. 2 GG für die Verbote von Parteien, die nach dem Verbot einer Partei als deren „Ersatz“ gegründet wurden, zuständig. Das hat für § 85 Abs. 1 Nr. 1 zur Folge, dass er für Parteien ins Leere geht. Soweit das BVerfG das Verbot nach § 33 Abs. 2 PartG ausgesprochen hat, ist § 84 Abs. 1 Nr. 2 anwendbar. Für andere Parteiverbote, auch für solche, die als Ersatz für verbotene Parteien gegründet worden sind, kommt § 84 Abs. 1 Nr. 1 zur Anwendung. Verwaltungsbehörden können, wie es allerdings § 85 Abs. 1 Nr. 1 für möglich hält, Parteiverbote nach § 33 Abs. 3 PartG nicht aussprechen. Diese Vorschrift und damit insoweit § 85 Abs. 1 Nr. 1, kommt deshalb nur für Vereinigungen in Frage, die nicht Parteien, und als solche (als Nichtpartei) als deren Ersatzorganisationen verboten sind.

6 b) Verbote von Vereinigungen oder ihrer Ersatzorganisationen gemäß §§ 3 oder 8 Abs. 2 VereinsG. § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 dient der strafrechtlichen Absicherung unanfechtbarer verwaltungssachlicher Verbote von Vereinigungen oder ihrer Ersatzorganisationen (§§ 3 oder 8 Abs. 2 VereinsG), wenn das Verbot deswegen erging, weil sich die Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtete.7 Beruhte das Verbot auf anderen Gründen (vgl. §§ 3 Abs. 1, 14, 15 VereinsG), was der Strafrichter zu prüfen hat, kann § 20 VereinsG zur Anwendung kommen; auch sind die §§ 129 und 129a in Betracht zu ziehen.

7 c) Unanfechtbarkeit. § 85 setzt in beiden Alternativen voraus, dass das Verbot der in Betracht kommenden Organisation unanfechtbar ist. Ein Erfordernis, dessen es bei den nicht weiter anfechtbaren Entscheidungen des BVerfG in § 84 nicht bedarf. Ist Unanfechtbarkeit noch nicht eingetreten, kann eine Strafbarkeit nach dem – insoweit verfassungsrechtlich unbedenklichen (BVerfGE 80 244)8 – § 20 VereinsG möglich sein, wenn das Verbot (wie regelmäßig) bereits vollziehbar ist (§§ 3 Abs. 4, 8 Abs. 2 VereinsG).9 Das Verwaltungsverfahren und die Unanfechtbarkeit der Verbotsentscheidung bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen des VereinsG, des VwVfG und der VwGO.

8 d) Vereinigung ist wie bei §§ 129 bis 129b (vgl. auch § 86 Rdn. 14) ein auf eine gewisse Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen, wobei ein Mindestmaß an fester Organisation erforderlich ist.10 Auf die Rechtsform des Zusammenschlusses kommt es nicht an.

6 Backes S. 188 ff.; Paeffgen NK Rdn. 8. 7 BVerwG NJW 1954 1947; 1981 1796; 1993 3213; 1995 2505; vgl. näher Paeffgen NK Rdn. 9. 8 Siehe auch BGHR VereinsG § 20 Vollziehbar 1; Meine MDR 1990 204. 9 BGH NStZ-RR 1996 218, 219; LG Hamburg NStZ 1987 418. 10 BGH NJW 1975 985; BGH NStZ 1999 503, 504. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 85

aa) Strafrechtliche Bedeutung. Der Begriff der Vereinigung hat in § 85 grundsätzlich keine ei- 9 gene strafrechtliche Bedeutung. Vielmehr sind die Strafgerichte durch die Geltung des Verbotsprinzips an die unanfechtbaren verwaltungsbehördlichen Verbotsentscheidungen auch hinsichtlich der Einordnung einer Organisation als Vereinigung gebunden (Verwaltungsakzessorietät des Strafrechts). Die im Verwaltungsverfahren vorgenommene Einordnung einer Organisation als Vereinigung hat für § 85 ebenso Tatbestandswirkung wie die Einstufung einer Vereinigung als Ersatzorganisation wie auch der Verbotsgrund der Ausrichtung der Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung. Die Verwaltungsbehörden haben indes nach der hier vertretenen Auffassung (§ 84 Rdn. 7 u. 8; § 85 Rdn. 5) trotz des entgegenstehenden Wortlauts von § 33 Abs. 3 PartG nicht die Möglichkeit, Parteien zu verbieten. Das Verbot einer Partei durch die Verwaltungsbehörden entfaltet daher keine Bindungswirkung für die Strafgerichte.

bb) Ausländische Vereine. Bei ausländischen Vereinen im Sinne des § 15 VereinsG (d. h. sol- 10 chen, die ihren Sitz im Ausland haben, deren Organisation oder Tätigkeit sich aber auf den Geltungsbereich des VereinsG erstreckt) richtet sich das verwaltungsbehördliche Verbot nicht gegen den Verein insgesamt, sondern nur gegen die inländische Teilorganisation oder Tätigkeit (§ 18 VereinsG). Das Aufrechterhalten des organisatorischen Zusammenhalts einer derartigen Teilorganisation wird von § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 jedoch nur erfasst, wenn es sich bei ihr um eine Vereinigung im Sinne dieser Vorschrift handelt.11 Dies hat der Strafrichter eigenständig zu beurteilen: Besteht die Vereinigung nur im Ausland, wird sie aber im Inland von Einzelpersonen aufrechterhalten, kann § 20 VereinsG zur Anwendung kommen (§ 14 Abs. 3 S. 1, § 18 S. 1 VereinsG i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 4). § 85 ist dann aber nicht gegeben, weil die Vorschrift eine im Inland verbotene Organisation voraussetzt. cc) Verein und Vereinigung. Vereinigung und Verein sind austauschbare Begriffe, mit denen 11 sachlich dasselbe bezeichnet wird. Auch der im aufgehobenen § 128 (Geheimbündelei) gebrauchte Begriff der „Verbindung“ wurde von der Rechtsprechung nicht anders verstanden.12 Vereinigung ist die von Art. 9 GG ins StGB übernommene Bezeichnung, Verein der im VereinsG gebrauchte geläufigere Ausdruck. Doch definiert § 2 Abs. 1 VereinsG den Verein wiederum als „Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat“, wobei die gewählte Rechtsform keine Rolle spielt. Diese Umschreibung ist auch für § 85 maßgebend. Zwei Personen können noch keine Vereinigung bilden.13

e) Rädelsführer/Hintermann. Zum Begriff des Rädelsführers und des Hintermannes s. § 84 12 Rdn. 14 u. 15, zum Aufrechterhalten des organisatorischen Zusammenhalts s. § 84 Rdn. 11 u. 12.

2. Objektiver Tatbestand des Absatzes 2 Sonstige Verstöße gegen Verbote von Parteien oder Vereinigungen. Absatz 2 dient der straf- 13 rechtlichen Absicherung von Verboten von Parteien und Vereinigungen im Sinne des Absatzes 1

11 Fischer Rdn. 6; Zöller SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; vgl. aber BGHSt 20 45, 52 zu § 90a a. F. 12 BGHSt 10 16, 17; 20 45, 60. 13 BGHSt 28 147; 46 321. 71

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§ 85 StGB

Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot

(s. Rdn. 2 ff.) gegen mitgliedschaftliche Betätigung (s. dazu § 84 Rdn. 17 bis 19), gegen Unterstützung des organisatorischen Zusammenhalts (vgl. § 84 Rdn. 20) sowie seit dem Jahr 2016 auch gegen jede sonstige untersützende Betätigung (vgl. ebenfalls § 84 Rdn. 20). Wie bei Absatz 1 (Rdn. 5) läuft Absatz 2 für Parteien leer, insoweit kommt ausschließlich § 84 (§ 84 Rdn. 4 ff.) zur Anwendung.

III. Subjektiver Tatbestand 14 Es ist zumindest bedingter Vorsatz erforderlich (s. im Einzelnen § 84 Rdn. 25), der sich insbesondere auch auf das Verbot und den Verbotsgrund erstrecken muss. Der Irrtum des Täters über die Unanfechtbarkeit des Verbots ist Tatbestandsirrtum. Scheidet eine Bestrafung nach § 85 wegen eines derartigen Irrtums aus, kann § 20 VereinsG als Auffangtatbestand zur Anwendung kommen. Ein Verbotsirrtum kommt insoweit nur dann in Betracht, wenn der Täter die ihm hinsichtlich des Verbots bekannten Tatsachen rechtlich falsch wertet.

IV. Teilnahme 15 Es gelten die Ausführungen bei § 84 Rdn. 26 entsprechend. Beihilfe ist auch hier, wenn täterschaftliches Handeln ausscheidet, möglich.

V. Versuch 16 Der Versuch ist nur bei Taten nach Absatz 1 strafbar (Absatz 1 Satz 2). Zum räumlichen Geltungsbereich der Vorschrift gilt das Gleiche wie bei § 84 (vgl. dort Rdn. 29).

VI. Strafrahmen 17 § 85 Abs. 1 sieht Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor, Taten nach Absatz 2 sind mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bedroht. Die Regelungen des § 84 Abs. 4 und 5 über die Möglichkeiten der Strafmilderung und der tätigen Reue gelten entsprechend (§ 85 Abs. 3; s. § 84 Rdn. 28).

VII. Sonstiges 18 Zu Nebenfolgen und Einziehung, der Einstufung der Tat bei mehreren Handlungen, Konkurrenzen, Zuständigkeit und der Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips gilt das bei § 84 Gesagte entsprechend. Siehe auch Vor § 80 Rdn. 38.

VIII. § 20 VereinsG 19 Ergänzt wird § 85 durch § 20 VereinsG. Die Vorschrift pönalisiert die Zuwiderhandlung gegen bestimmte Verbote und enthält teilweise eine Ergänzung des § 85, soweit sie Organisationen im Sinne des § 85 Abs. 1 Nr. 1 und 2 betrifft (§ 20 Abs. 1 Nrn. 1, 2 u. 3). Die Vorschriften laufen nach der hier vertretenen Auffassung allerdings ins Leere, soweit sie verwaltungsrechtliche Parteiverbote voraussetzen (§ 84 Rdn. 7 f.; § 85 Rdn. 3 bis 5). § 20 VereinsG geht über den Anwendungsbereich der §§ 84, 85 hinaus, soweit Organisationen erfasst werden, die nicht die Voraussetzungen Steinsiek

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VIII. § 20 VereinsG

StGB § 85

dieser Vorschriften erfüllen (insbesondere Ausländerorganisationen des § 14) und soweit er Betätigungsverbote poenalisiert (§ 20 Abs. 1 Nr. 4), dazu (BGH NJW 1997 2251). § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG ergänzt § 86a (siehe dort; zur Struktur des Tatbestandes in Fällen mehrfacher Begehung wird auf § 84 Rdn. 32 bis 36 verwiesen).

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§ 86 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen (1) Wer Propagandamittel 1. einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder einer Partei oder Vereinigung, von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen Partei ist, 2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist, 3. einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes, die für die Zwecke einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen tätig ist, oder 4. Propagandamittel, die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen, im Inland verbreitet oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt oder in Datenspeichern öffentlich zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Propagandamittel im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche Schriften (§ 11 Abs. 3), deren Inhalt gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist. (3) Absatz 1 gilt nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient. (4) Ist die Schuld gering, so kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Art 296 EGStGB Einfuhr von Zeitungen und Zeitschriften § 86 Abs. 1 des Strafgesetzbuches ist nicht anzuwenden auf Zeitungen und Zeitschriften, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes in ständiger, regelmäßiger Folge erscheinen und dort allgemein und öffentlich vertrieben werden.

Schrifttum Altenhain Die strafrechtliche Verantwortung für die Verbreitung mißbilligter Inhalte in Computernetzen, CR 1997 485; Altermann Sozialadäquanz und Strafrecht – eine Bestandsaufnahme, FS Eisenberg 2009 233; Bader Zum Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern und von Vertrauensleuten auf Grundlage der neu geschaffenen §§ 9a und 9b BVerfSchG, HRRS 2016 293; Bartels Zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen, NStZ 2000 533; Bartels/Kollorz Rudolph Heß – Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation? NStZ 2002 297; Becker Freiheitliche Ordnung, wehrhafte Demokratie und Staatsschutzstrafrecht, BLJ 2012 113; Beisel Anm. zu BayObLG v 6.11.2001 – 5 St RR 288/2001, JR 2002 348; Bogedain „Mein Kampf, der „Mythus des 20. Jahrhunderts“ und die „Goebbels-Tagebücher“: Werke früherer NSGrößen im Spannungsfeld von Strafrecht, Urheberrecht und künftiger Gemeinfreiheit, ZUM 2015 205; Boisch Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen durch Vertrauensleute der Verfassungsschutzbehörde, ZRP 2005 242; Bonefeld Hakenkreuz und „Hitler-Gruß“ – Zur Problematik der Anwendbarkeit von §§ 86, 86a StGB, DRiZ 1993 430; Bottke Das öffentliche Anbieten von Hitlers „Mein Kampf“ – Versagt unser Rechtsstaat? Buch und Bibliothek 1980 254; ders. Anmerkung zu BGHSt 29 73, JA 1980 125; ders. Anmerkung zu OLG Hamburg NStZ 1983 127, JR 1983 299; Bremer Strafbare Internet-Inhalte in internationaler Hinsicht (2001); Busching Der Begehungsort von Äußerungsdelikten im Internet – Grenzüberschreitende Sachverhalte und Zuständigkeitsprobleme, MMR 2015 295; Collardin Die Verantwortlichkeit von Online-Diensten, CR 1996 236; Cornelius Die Verbotsirrtumslösung zur Bewältigung unklarer Rechtslagen – ein dogmatischer Irrweg, GA 2015 101; Cornils Der Begehungsort von Äußerungsdelikten im Internet, JZ 1999 394; Derksen Strafrechtliche Verantwortung für in internationalen Computernetzen verbreitete Daten mit strafbaren Inhalt, NJW 1997 1878; von Dewitz NS-Gedankengut und Strafrecht – Die §§ 86, 86a StGB und § 130 StGB zwischen der Abwehr neonazistischer Gefahren und symbolischem Strafrecht (2006); Ernst Rechtliche Fragen bei der Verwendung von Hy-

Steinsiek https://doi.org/10.1515/9783110490008-010

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Schrifttum

StGB § 86

perlinks im Internet, NJW-CoR 1997 224; Frank Die Strafbarkeit der Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen (§ 86a i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB), Diss. Regensburg 1994; Franke Strukturmerkmale der Schriftenverbreitungstatbestände des StGB, GA 1984 452; ders. Anmerkung zu OLG Hamburg NStZ 1983 127, NStZ 1984 126; Frisch V-Leute im Strafverfahren und im Verbotsverfahren, DRiZ 2003 199; Greiser Die Sozialadäquanz der Verwendung von NS-Kennzeichen bei Demonstrationen, NJW 1969 1155; ders. Verbreitung verfassungsfeindlicher Propaganda, NJW 1972 1556; Groß Zum Pressestraf- und Presseverfahrensrecht, AfP 1998 358; Gusy Die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 105 (1980) 249; Handel „Mein Kampf“ – Gilt ein Verbreitungsverbot auch nach 2015? JR 2016, 433; Hammes Der strafrechtliche Schutz gegen sogenannte staatsgefährdende Propaganda, Diss. Saarbrücken 1970; Handke Die Effizienz der Bekämpfung jugendschutzrelevanter Medieninhalte mittels StGB, JuSchuG und JMStV, Diss. Köln 2012; Handschuh Die Überwachung der Einfuhr und Verbreitung verfassungsfeindlicher Schriften, Diss. Tübingen 1967; Heinrich Zur Strafbarkeit des Verbreitens von Schriften im Internet, FS Schünemann (2014) 597; Heinrichs Zeigen des Hitler-Grußes bei Fußballspielen im Ausland, NStZ 2000 533; Hilgendorf Die neuen Medien und das Strafrecht, ZStW 113 (2001) 650; Hörnle Anmerkung zu BGH v 12.12.2000 – StR 184/ 00, NStZ 2001 309; Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus (1998); Janowski Die Strafbarkeit grenzüberschreitenden Warenverkehrs, NStZ 1998 117; Jansen Die Inlandstat – Der Tatbestand des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB, Diss. Düsseldorf (2014); Jofer Die Strafverfolgung im Internet (1999); Keiser Unerlässliches zur Verteidigung der Rechtsordnung gegen sogenannte Hasskriminalität, ZRP 2010 46; Kelker Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht – Eine strafrechtlich-philosophische Untersuchung, Habil. Tübingen (2007); Keltsch Anmerkung zu BayObLG NStZ 1983 120, NStZ 1983 121; Kienle Internationales Strafrecht und Straftaten im Internet (1998); Knauer Zur Wiederkehr der Sozialadäquanz im Strafrecht – Renaissance einer überholten Rechtsfigur oder dogmatische Kategorie der Zukunft, ZStW 126 (2014) 844; Knupfer Verantwortlichkeit von Internetcafe-Betreibern für die Zugangsgewährung von jugendgefährdenden Inhalten, WMR 2003 562; Koch Nationales Strafrecht und globale Internet-Kriminalität, GA 2002 703; Kohlmann Verfassungsfeindliche Parteien für immer mundtot? JZ 1971 681; Köbler Die Strafbarkeit von Verstößen gegen das Kennzeichenverbot in Fällen des Betätigungsverbots nach § 18 S. 2 VereinsG, NStZ 1995 531; Köhne Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Computerspielen, DRiZ 2003 210; Kreß/Gazeas Europäisierung des Vereinigungsbegriffs in den §§ 129 ff. StGB?, FS Puppe (2011) 1487; Krischker Das Internetstrafrecht vor neuen Herausforderungen (2014); Kubiciel Rechtsextremistische Musik von und mit V-Leuten – Sozialadäquanz und Rechtfertigung im Normbereich der §§ 86, 86a, 130 StGB, NStZ 2003 57; Laitenberger Die Strafbarkeit der Verbreitung rassistischer, rechtsextremistischer und neonazistischer Inhalte (2003); Lampe Probleme mit der Rechtfertigung nachrichtendienstlicher Tätigkeit, NStZ 2015 361; Lehle Der Erfolgsbegriff und die deutsche Strafrechtszuständigkeit im Internet (1999); Libertus Strafrechtliche und zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Anbietens von Chatrooms, TMR 2003 179; Liesching Hakenkreuze in Film, Fernsehen und Computerspielen – Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen in Unterhaltungsmedien, MMR 2010 309; S. Müller Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Verweisungen durch Hyperlinks nach deutschem und schweizer Recht (2011); Murswiek Meinungsäußerungen als Belege für eine verfassungsfeindliche Zielsetzung: Zu den rechtlichen Anforderungen und zur Praxis der Verfassungsschutzberichte, FS von Arnim (2004); Nonninger Rechtliche Verantwortlichkeit für die Inhalte privater Seiten im Internet, NZV 1998 62; Payandeh Die Sensibilität der Strafjustiz für Rassismus und Diskriminierung, DRiZ 2017, 322; Pelz Die Strafbarkeit von OnlineAnbietern, wistra 1999 53; Popp Vorkonstitutionelle Schriften und der Tatbestand der Volksverhetzung, JR 1998 80; Rahe Die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 und ihre Bedeutung für das politische Kommunikationsstrafrecht (2002); Rautenberg Zur „Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen“ in § 86 Abs. 3 StGB, GA 2003 623; Rebmann Terrorismus und Rechtsordnung, DRiZ 1979 363; Reichard Die Behandlung fremdenfeindlicher Straftaten im deutschen Strafrecht – Eine tatbestands- und strafzumessungsbezogene Analyse (2009); Reuter Verbotene Symbole – Eine strafrechtsdogmatische Untersuchung zum Verbot von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in § 86a StGB, Diss. Berlin 2005; Roggan Straf- und strafprozessrechtliche Aspekte des Einsatzes von Verdeckten Mitarbeitern und V-Leuten nach dem neuen Bundesverfassungsschutzgesetz, GA 2016 393; Roggemann Probleme der publizistischen Staatsgefährdung, JR 1966 243; Scharmer Die Neuregelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes und ihre Auswirkungen auf den Strafprozess, StV 2016 323; Schroeder Die Strafvorschriften der Bundesrepublik Deutschland gegen den Nationalsozialismus, JA 2010 1; ders. Symbolisches Strafrecht – symbolische Straftaten, FS Hassemer (2010) 617; ders. Vereinigung, Bande, Gruppe & Co. Die organisationsbezogenen Straftatbestände des deutschen Strafgesetzbuchs, ZIS 2014 389; Schumann Ist die Ausfuhr von Computerspielen mit NS-Symbolen strafbar? – Bemerkungen zu § 86a Abs. 1 Nr. 2 StGB, MMR 2011 440; Sebastian/Briske Die Verwertung von Hitlers „Mein Kampf“ – Eine urheberund strafrechtliche Analyse, AfP 2013 101; Sellmeier/Warg Befugnis und strafrechtliche Rechtfertigung des V-MannEinsatzes, NWVBl. 2015 135; Sieber Strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Datenverkehr in internationalen Computernetzen, JZ 1996 429 und 494; ders. Internationales Strafrecht im Internet, NJW 1999 2065; Soiné Rechtsextremistische Musik unter Grundrechtsschutz? JuS 2004 382; ders. Zulässigkeit und Grenzen heimlicher Informationsbeschaffung durch Vertrauensleute der Nachrichtendienste, NStZ 2013 83; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im

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§ 86 StGB

Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

Lichte des Strafrechts (2000); ders. Die Strafbarkeit des Strafverteidigers wegen Volksverhetzung durch Leugnen der Judenmorde im Beweisantrag, JR 2003 74; ders. Rechtsprechungsübersicht zu den Propaganda- und Äußerungsdelikten, NStZ 2010 129; Streng Zur Volksverhetzung der Verharmlosung des Holocaust durch einen Strafverteidiger, JZ 2001 205; ders. Rechtsextremistische Propaganda und das Kennzeichenverbot des § 86a StGB. JR 2002 182; Valerius Kultur und Strafrecht – Die Berücksichtigung kultureller Wertvorstellungen in der deutschen Strafrechtsdogmatik (2011); ders. Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts bei Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Internet, HRRS 2016 186; Velten Grenzüberschreitende Gefährdungsdelikte, Festschrift Rudolphi (2004) 329; J.Wagner Verfassungsfeindliche Propaganda, Diss. Berlin 1971; Weber Strafbarkeit der Holocaustleugnung in der Europäischen Union, ZRP 2008 21; Wehrmann Das sog. Obergaudreieck, NJ 1998 522; Willems Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen durch Vertrauenspersonen der Verfassungschutzbehörden? ZRP 2005 79; Willms Verfassungsfeindliche Schriften, JZ 1958 601; ders. Zum Verbot der Einfuhr verfassungsfeindlicher Schriften, NJW 1965 2177; ders. Ist § 93 StGB zu entbehren? NJW 1965 1457; Wohlers Strafverteidigung vor den Schranken der Strafgerichtsbarkeit, StV 2001 420, Zimmermann Tendenzen der Strafrechtsangleichung in der EU – dargestellt anhand der Bestrebungen zur Bekämpfung von Terrorismus, Rassismus und illegaler Beschäftigung, ZIS 2009 1; ders. NS-Propaganda im Internet, § 86a und deutsches Strafanwendungsrecht, HRRS 2015 441.

Entstehungsgeschichte Die durch das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) eingeführte Vorschrift ersetzt in einem kleinen Ausschnitt den früheren, verfassungsrechtlich bedenklichen § 93 a. F. Das 14. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 18) brachte die Neufassung des Absatzes 3 mit erweiterter Kasuistik. Die jetzige Fassung beruht auf dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (Vor § 80 Rd. 18) mit gegenüber der früheren Fassung technischen Änderungen sowie auf dem Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz vom 22. Juli 1997 (Vor § 80 Rdn. 18), das den Anwendungsbereich auf Datenspeicher erweitert hat.

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

II. 1.

Objektiver Tatbestand 2 3 Propagandamittel a) Freiheitliche demokratische Grundord4 nung 5 b) Gedanke der Völkerverständigung 6 c) Inhaltliche Ausrichtung d) Aktiv kämpferische aggressive Ten7 denz 8 e) Vorkonstitutionelle Schriften 9 f) Im Ausland hergestellte Schriften g) Schriften, Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellun10 gen Propagandamittel verfassungswidriger Organisa11 tionen 12 a) Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 13 b) Absatz 1 Nr. 3 14 aa) Vereinigung 15 bb) Einrichtung cc) Spezifischer Bezug zur verbotenen 16 Vereinigung 17 c) Absatz 1 Nr. 4 19 Tathandlung. Verbreiten im Inland 19 a) Verbreiten, Allgemeines aa) Kettenverbreitung, Mengenverbrei21 tung

2.

3.

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1

4. 5. 6. 7. 8. 9.

III. 1. 2. 3. 4.

IV.

bb) Weitergabe an einzelne bestimmte 22 Dritte cc) Weitergabe an einen größeren Perso23 nenkreis 24 dd) Vertrauliche Übermittlung 25 b) Zugang des Propagandamittels 26 aa) Schriften 27 bb) Bild- und Tonträger cc) Die Datenübertragung im Inter28 net 29 c) Inland 30 Herstellen zum Verbreiten 31 Vorrätighalten zum Verbreiten 32 Verbreitung im Inland oder Ausland 33 Einführen zum Verbreiten 34 Ausfuhr Öffentliches Zugänglichmachen in Datenspei35 chern Sozialadäquanzklausel (Absatz 3) 36 37 Staatsbürgerliche Aufklärung Abwehr verfassungswidriger Bestrebun38 gen 39 Sonstige Gründe Sozialadäquanz von Schrift oder Hand40 lung Tatbestandsausschluss nach Art 296 41 EGStGB

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II. Objektiver Tatbestand

42

StGB § 86

45

V.

Subjektiver Tatbestand

VI.

Teilnahme

43

IX.

Nebenfolgen und Einziehung

VII. Verjährung

44

X.

Konkurrenzen

XI.

Opportunitätsprinzip; Zuständigkeit

VIII. Strafrahmen

46

47 48

I. Zweck der Vorschrift Wie sich aus Absatz 2 der Vorschrift ergibt, bezweckt § 86 den Schutz der freiheitlichen demo- 1 kratischen Grundordnung und des Gedankens der Völkerverständigung.1 § 86 ist, anders als die problematische Vorläufervorschrift des § 93 a. F., kein gegen individuelle Meinungsäußerung gerichteter Tatbestand. Die Vorschrift will vielmehr eine inhaltliche Werbung für die Ziele verfassungsfeindlicher Organisationen verhindern.2 Die Norm ist als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet und, da sie die Propaganda verfassungsfeindlicher Organisationen erfasst, als mittelbares Organisationsdelikt zu bezeichnen (BGHSt 23 64, 70).

II. Objektiver Tatbestand Tathandlungen sind das Verbreiten von Propagandamitteln bestimmter verfassungswidriger Or- 2 ganisationen und bestimmte, als vollendete Delikte ausgestaltete Vorbereitungshandlungen hierzu, nämlich das Herstellen, Vorrätighalten oder Einführen der Propagandamittel zum Zwecke der Verbreitung. Dazu kommt das öffentlich Zugänglichmachen in Datenspeichern und die Strafbarkeit des Ausführens.

1. Propagandamittel im Sinn des Absatzes 2 haben zum einen werbenden Inhalt, zum anderen muss mit ihnen die 3 Unterstützung der Organisation oder die Verwirklichung ihrer Ziele bezweckt sein.3 Nach der Legaldefinition des Absatzes 2 sind Propagandamittel nur solche Schriften (§ 11 Abs. 3), deren Inhalt gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist. Mit der zusammenfassenden Bezeichnung „Propagandamittel“ ist zunächst negativ klargestellt, dass Dokumentationen und wissenschaftliche Abhandlungen, aber auch belletristische Darstellungen nicht unter die Vorschrift fallen.4 Im Übrigen darf die Bezeichnung nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Tatbestand nur einen schmalen Ausschnitt propagandistischer Äußerungen der bezeichneten verfassungswidrigen Organisationen erfasst. Da wegen der Definition des Absatzes 2 nur solche Schriften getroffen werden, deren Inhalt die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung unmittelbar angreift, die meisten politischen Hetzschriften die Offenlegung einer solch grundsätzlichen Orientierung aber vermissen lassen, ist die Anwendbarkeit der Vorschrift gemindert.5 1 2 3 4 5

Stegbauer S. 39, 46 u. 48 f.; Ellbogen BeckOK Rdn. 1. Fischer Rdn. 2. Steinmetz MK Rdn. 12. Paeffgen NK Rdn. 10. Paeffgen NK Rdn. 6, 9 zweifelt an der materiell-pragmatischen Sinnhaftigkeit der Norm; stellt aber zugleich zutreffend dar, dass eine tatbestandlich enge Ausgestaltung notwendig ist, um eine Vereinbarkeit insbesondere mit Art. 5 Abs. 1 GG sicherzustellen (ebd. Rdn. 2). 77

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§ 86 StGB

Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

4 a) Freiheitliche demokratische Grundordnung. Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung findet sich in den Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG und ist hierher übernommen (vgl. auch § 81 Rdn. 6 ff.). Das BVerfG hat den Begriff in BVerfGE 2 1, 12 dahin definiert, dass mit ihm eine Ordnung gemeint sei, „die unter Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“. Bei dieser Definition hat sich das BVerfG den Versuch des Gesetzgebers zunutze gemacht, den Begriff in § 88 Abs. 2 a. F. in einzelne Verfassungsgrundsätze aufzulösen. Es hat aus der dortigen Aufstellung die Generalklausel vom „Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft“ übernommen, im Übrigen jedoch teilweise bemerkenswerte Einschränkungen gemacht. Man kann BGHSt 23 64, 71 f. darin zustimmen, dass sich der Begriff im Wesentlichen mit den in § 88 Abs. 2 a. F. und § 92 Abs. 2 bezeichneten Verfassungsgrundsätzen in ihrer Gesamtheit deckt.6 Die Betroffenheit eines der wesentlichen Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung reicht aus.

5 b) Gedanke der Völkerverständigung. Der Art. 9 Abs. 2 GG entnommene Begriff des Gedankens der Völkerverständigung ist im Sinne des in Art. 26 GG niedergelegten Bekenntnisses der Bundesrepublik Deutschland zu einer beständigen Friedenspolitik zu verstehen, die Angriffskriege als Mittel der Auseinandersetzung zwischen Staaten und Völkern ausschließt (vgl. § 80a Rdn. 1). Der Begriff des Gedankens der Völkerverständigung geht weiter als die Gründe, die dem Verbot des Angriffskrieges zugrunde liegen, weil er das friedliche Zusammenleben der Völker, ohne Bezug auf Angriffshandlungen, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist, schützt. Hierher gehören daher namentlich Propagandamittel mit völkerrechtswidrigem oder den Krieg verherrlichendem Inhalt,7 also solche die sich gegen das friedliche Zusammenleben der Vöker auf Grundlage einer gewaltlosen Einigung wenden.8

6 c) Inhaltliche Ausrichtung. Ihrem Inhalt nach müssen sich die unter dem Oberbegriff Propagandamittel zusammengefassten Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (im ganzen oder eines ihrer wesentlichen Elemente) oder den Gedanken der Völkerverständigung richten. Mit der ausdrücklichen Hervorhebung des Inhalts der Schrift als der maßgeblichen Erkenntnisquelle für die verfassungs- oder friedensfeindliche Tendenz des Propagandamittels, hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BGH zu § 93 a. F. gesetzlich verankert, wonach die verfassungsfeindliche Zielsetzung in der Schrift selbst verkörpert sein, die Schrift also mindestens Anhaltspunkte enthalten muss, die zusammen mit allgemein- oder auch nur gerichtskundigen Tatsachen die verfassungsfeindliche Tendenz zum Ausdruck bringen.9 Der hiergegen erhobene Einwand, die durch Heranziehung allgemeinoder gerichtskundiger Tatsachen ergänzte Textdeutung durchbreche den durch Absatz 2 aufgestellten Grundsatz der inhaltlichen Verfassungsfeindlichkeit,10 verfängt nicht (s. im Einzelnen 6 7 8 9

Vgl. auch Paeffgen NK Rdn. 11 („Teilkongruenz“). Lackner/Kühl Rdn. 4. Fischer Rdn. 4. BGHSt 8 245, 246 f.; 12 174, 175; 19 245, 249 f.; s. auch die Übersichten bei Wagner GA 1961 12; 1963 357; 1965 358; 1966 300; zu § 86 dann BGHSt 23 64 73; BGH NStZ 1982 25 (Nr. 2). 10 Posser Politische Strafjustiz, S. 23; Copic S. 234; Hammes S. 116 ff.; Paeffgen NK Rdn. 13. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 86

Willms JZ 1958 601, 603). Das folgt bereits aus dem Umstand, dass der Tatbestand auch verfassungsfeindliche Abbildungen erfasst (§ 11 Abs. 3). Wollte man hier die Verwertbarkeit allgemeinoder gerichtskundiger Tatsachen nicht zulassen, so wäre die Anwendbarkeit des Tatbestandes erheblich erschwert. Dass zur Auslegung nicht nur allgemeinkundige, sondern auch gerichtskundige Tatsachen herangezogen werden könnten (BGHSt 14 293, 294; 29 73, 77), begegnet keinen Bedenken. Sie müssen nur ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden sein.11 Selbstverständlich darf über die Hereinnahme allgemeinkundiger Tatsachen nicht etwas in die Schrift hineininterpretiert werden, für das sich in ihrem Inhalt kein unmittelbarer Anhalt finden lässt. Darin läge dann in der Tat nicht mehr die Anwendung einer Auslegungsregel, sondern eine Abweichung vom rechtlichen Erfordernis der Verankerung im Schriftinhalt.12

d) Aktiv kämpferische aggressive Tendenz. Propagandamittel sind ihrem Inhalt nach ge- 7 gen die in Absatz 2 genannten Schutzgüter nur dann gerichtet, wenn sie eine „aktiv kämpferische, aggressive Tendenz“ in diese Richtung erkennen lassen.13 Dabei kommt es nicht auf aggressiv kämpferische Formulierungen an. Eine inhaltliche Ausrichtung gegen die Schutzgüter des Absatzes 2 wurde bei Schriften angenommen, in denen gefordert wurde, Personen einer bestimmten Gruppe dürften keine maßgebenden Posten in der Bundesrepublik Deutschland besetzen (BGHSt 13 32) oder in denen diese Gruppe generell herabwürdigend diskriminiert wurde (BGHSt 16 49; 17 28). Gleiches hat für die mit rassistischen Bestrebungen verbundene Forderung nach einem neuen Führerstaat (BGH bei Schmidt MDR 1979 705) oder einer Staats- und Gesellschaftsordnung, die der nationalsozialistischen entspricht (BGHR StGB § 86 Abs. 1 Nr. 4 NS-Parole 1), zu gelten. Eine Schrift, die sich zwar gegen eine „Rassenvermischung“ richtet, dies jedoch nicht mit der „Minderwertigkeit bestimmter Rassen“, sondern mit dem Verlust der „nationalen Identität“ begründet, soll nicht unter Absatz 2 fallen.14 Das Verwenden von Emblemen, Abzeichen oder Buchstabenkombinationen kann § 86a erfüllen.

e) Vorkonstitutionelle Schriften. Die freiheitliche demokratische Grundordnung und der Ge- 8 danke der Völkerverständigung werden in § 86 ausschließlich in ihrer konkreten Verwirklichung durch die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geschützt. Das bedeutet, dass vorkonstitutionelle, vor allem nationalsozialistische Propagandamittel in ihrer ursprünglichen Fassung nicht gegen die Schutzgüter des Absatz 2 gerichtet sein können.15 Dies gilt auch für unverändert nachgedruckte vorkonstitutionelle Schriften.16 Anders verhält es sich, wenn der vorkonstitutionellen Schrift durch eine Bearbeitung, etwa die Voranstellung eines Vorwortes, eine Kommentierung oder auch nur durch einen Klappentext eine Zielrichtung gegen die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland gegeben wird (BGHSt 29 73, 78). Eine solche Zielrichtung kann auch durch eine geschickte Auswahl und Zusammenstellung verschiedener vorkonstitutioneller

11 Herdegen KK § 244 Rdn. 71; Schoreit KK § 261 Rdn. 7, Steinmetz MK Rdn. 14; aA Paeffgen NK Rdn. 13 m. w. N. 12 BGH NStZ 1982 25 (Nr. 2); J. Wagner S. 260 ff. m. w. N.; Fischer Rdn. 5. 13 BGHSt 23 64, 72 im Anschluss an BVerfGE 5 85, 141; BGHSt 19 51, 55, wo dieses Erfordernis für verfassungsfeindliche Organisationen aufgestellt ist und BGH NStZ 2015 512. 14 BGH bei Schmidt MDR 1981 89, zweifelhaft. 15 BGHSt 29 73, 75 ff. (zu Hitlers „Mein Kampf“) mit Anm. Schmidt LM § 86 Nr. 4 u. kritisch Ridder DuR 1979 339; OLG Celle NStZ 1997 495 m. Anm. Popp JR 1998 80; Lackner/Kühl Rdn. 4; Steinmetz MK Rdn. 15; Paeffgen NK Rdn. 10 und 16; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 10; Fischer Rdn. 4; krit. Bottke JA 1980 125, 126; ders. Buch und Bibliothek (1980) 254 ff. 16 Schmidt LM § 86 Nr. 4 und MDR 1981 89; Lackner/Kühl Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 10; in diesem Sinne auch BGHSt 29 73, 78; anders aber wohl noch zu § 93 a. F. BGHSt 14 293, 294: Schallplattenpressung. 79

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§ 86 StGB

Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

Schriften erreicht werden (BGHSt 23 64, 73).17 Nicht völlig ausgeschlossen ist jedoch, dass vorkonstitutinelle NS-Schriften § 130 unterfallen können.18

9 f) Im Ausland hergestellte Schriften. Ähnliches wie für vorkonstitutionelle Schriften gilt auch für solche, die im Ausland hergestellt werden. Sind sie für eine nur dort betriebene Propaganda bestimmt, werden sie von Absatz 2 nicht erfasst (BGHSt 19 245, 252). Aber auch ihnen kann eine Bearbeitung, etwa schon eine Übersetzung ins Deutsche (BGHSt 16 49, 55), eine Ausrichtung gegen die Schutzgüter des Absatzes 2 verleihen.

10 g) Schriften, Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen. Diese kommen durch Verweis auf § 11 Abs. 3 als Verkörperung der Propaganda in Betracht (s. die Erläuterungen zu § 11 Abs. 3). Unter dem Begriff Darstellungen, dem Oberbegriff für die in § 11 Abs. 3 genannten Medien, versteht man stoffliche oder sonst auf Dauer fixierte Zeichen, die sinnlich wahrnehmbar sind und einen Vorgang oder einen sonstigen gedanklichen Inhalt vermitteln sollen.19 Datenspeicher: Die Gleichstellung der so gespeicherten Daten mit Schriften wurde mit dem Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (Vor § 80 Rdn. 18) eingeführt (BGHSt 47 55, 58). Im Hinblick auf die Auffassung, Darstellungen seien nur körperliche Gebilde von gewisser Dauer, hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch elektronische oder sonstige Datenspeicher, die gedankliche Inhalte verkörpern, die nur unter Zuhilfenahme technischer Geräte wahrnehmbar werden, den Schriften gleichstehen (BGHSt 47 55, 58). Sowohl Inhalte in Datenträgern als auch nur vorübergehend bereitgehaltene Inhalte in elektronischen Arbeitsspeichern, nicht aber kurzfristige Zwischenspeicherungen, sind nach dem gesetzgeberischen Willen erfasst.20

2. Propagandamittel verfassungswidriger Organisationen 11 § 86 richtet sich nur gegen solche verfassungsfeindlichen Propagandamittel im Sinne des Absatzes 2, die von bestimmten verfassungswidrigen Organisationen stammen oder einen Bezug zu ihnen aufweisen.

12 a) Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2. Erfasst werden Propagandamittel der von den in §§ 84, 85 aufgeführten verbotenen Parteien und Vereinigungen.21 Dass die Schrift (§ 11 Abs. 3) einer solchen Partei oder Vereinigung zuzuschreiben ist, kann, muss sich aber nicht aus der Schrift selbst ergeben. Wesentlich ist, dass die Schrift entweder von einem Angehörigen der Organisation für deren Propagandazwecke oder von einem Außenstehenden im Einvernehmen mit einem Angehörigen der Organisation mit entsprechender Zweckbestimmung zur Verbreitung hergestellt worden ist oder dass die anderweitig hergestellte Schrift für die verbotene Vereinigung übernommen, „rezipiert“ wird. Die Vorschrift erfasst nicht die Verbreitung entsprechender Propaganda, wenn dies aus eigenem Antrieb ohne Kontakt zur Organisation geschieht.22 Eine andere Auslegung würde eine unzulässige Analogie darstellen. Dagegen ist ein förmlicher Auftrag eines dazu autorisierten Funktionärs der verbotenen Vereinigung im Sinne des Wortgebrauchs 17 18 19 20 21 22

AA Paeffgen NK Rdn. 16. Ellbogen BeckOK StGB Rdn. 16. Paeffgen NK Rdn. 31 m. w. N. BTDrucks. 13/7385 S. 36; zustimmend Paeffgen NK Rdn. 36; Fischer § 11 Rdn. 36. Hier sind die Grundsätze anzuwenden, wie sie zu § 84 (Rdn. 2 ff.) und § 85 (Rdn. 2 ff.) entwickelt worden sind. Paeffgen NK Rdn. 19.

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 86

„parteiamtliche Schriften“ (BGHSt 19 311, 315; dazu Willms NJW 1965 1457, 1458) nicht erforderlich. Auch braucht der Verfasser der Vereinigung nicht anzugehören; zudem kommt es nicht auf ein etwaiges Impressum an.23

b) Absatz 1 Nr. 3. Erfasst sind Propagandamittel auswärtiger Regierungen (inklusive aller ex- 13 ekutiven Untergliederungen), Vereinigungen oder Einrichtungen,24 die für die Zwecke einer verbotenen Partei oder Vereinigung im Sinne der §§ 84, 85 tätig sind. Durch die Bestimmung sollen Stellen erfasst werden, die von Orten aus, die die staatliche Autorität der Bundesrepublik nicht erreichen kann, die Interessen der unter Nummer 1 und 2 genannten Organisationen wahrnehmen und damit für die Sicherheit der Bundesrepublik gefährlich sind.25 aa) Vereinigung. Wie bei §§ 129 bis 129b (vgl. § 85 Rdn. 8) ist eine Vereinigung ein auf eine 14 gewisse Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen, wobei ein Mindestmaß an fester Organisation erforderlich ist.26 Unter den Begriff der Vereinigung fallen insoweit auch außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Gesetzes bestehende Parteien. bb) Einrichtung. Bei einer Einrichtung handelt es sich um eine Gesamtheit von Personen und 15 (oder) Sachen, die einem bestimmten Zweck zu dienen bestimmt ist.27 Dabei muss sie nicht auf Dauer angelegt sein. Als Einrichtungen können sowohl staatliche Behörden unterhalb der Regierungsebene und kommunale Stellen, aber auch mehr oder minder freie gesellschaftliche Bildungen wie Komitees, Kongressleitungen und mit Mitteln entsprechender Interessenten unterhaltene Büros gelten. Die Beispiele aus der Rechtsprechung (BGHSt 10 163, 168; BGH bei Wagner GA 1961 149 Nr. 7) betreffen Einwirkungen aus der ehemaligen DDR. Die Vorschrift ist durch die Einigung Deutschlands jedoch nicht obsolet geworden, da auch Einwirkungen durch Einrichtungen außerhalb des jetzigen Bundesgebietes denkbar sind.

cc) Spezifischer Bezug zur verbotenen Vereinigung. Dass zwischen den für die verbotene 16 Partei oder sonstige Organisationen propagandistisch tätigen auswärtigen Stellen auf der einen und den verbotenen Organisationen auf der andern Seite ein entsprechendes Einvernehmen besteht, ist so wenig erforderlich, wie dass überhaupt noch eine illegale Organisation der verbotenen Partei oder Vereinigung in der Bundesrepublik Deutschland vorhanden ist.28 Die Vorschrift will gerade auch Bestrebungen vorbeugen, eine mit Erfolg verbotene Organisation von außen neu zu beleben. Dass die auswärtige Einrichtung Propaganda für eine in der Bundesrepublik Deutschland verbotene Partei oder Vereinigung macht, wird sich häufig schon aus dem Propagandamittel selbst ergeben. Es kann jedoch auch auf anderem Wege festgestellt werden. Auf jeden Fall ist ein spezifischer Bezug zu der verbotenen Vereinigung erforderlich. Rein ideologische Übereinstimmungen werden regelmäßig nicht ausreichen; ein wesentliches Indiz kann 23 24 25 26 27 28

Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Zöller SK Rdn. 5; Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 577, 581. Vgl. auch Steinmetz MK Rdn. 19–22. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10. BGH NStZ 1999 503, 504. BGHSt 31 1, 2. Steinmetz MK Rdn. 23; aA Paeffgen NK Rdn. 21, weil damit nur der (nicht vertatbestandlichte) untaugliche Versuch inkriminiert werden solle. 81

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§ 86 StGB

Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

die Einmischung in innere Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der verbotenen Partei sein. Die entsprechenden Feststellungen zum Organisationsbezug können auch auf anderem Wege als aus dem Inhalt der jeweiligen Schrift gefolgert werden.29 Umfassender können verfassungsfeindliche Angriffe von außen mit einem Verbot nach § 18 Satz 2 VereinsG erfasst werden, das durch § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG strafrechtlich abgesichert ist (vgl. hierzu § 85 Rdn. 19).

17 c) Absatz 1 Nr. 4. Propagandamittel zur Fortsetzung der Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation werden als Gegenstand verfassungsfeindlicher Propagandatätigkeit vom Tatbestand erfasst, ohne dass es darauf ankommt, ob ein einzelner oder eine Mehrheit von Personen oder eine Organisation Träger dieser Propaganda ist.30 Handelt es sich bei dem Träger der Propaganda um eine politische Partei, so greift allerdings Art. 21 Abs. 2 GG ein und schaltet die Anwendbarkeit des Tatbestandes aus (BGHSt 19 311). Propagandemittel nach Nummer 4 müssen zugleich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung etc. gerichtet sein und außerdem dazu bestimmt sein, Betrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen.31 Politisches Wunschdenken ohne diese konkrete Zielrichtung ist nicht ausreichend.32 Dass die Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortgesetzt werden sollen, muss sich neben der verfassungs- oder friedensfeindlichen Tendenz der Schrift zusätzlich im Sinne der Ausführungen zu Rdn. 6 aus dem Inhalt der Schrift ergeben.33 Eine bloße Wiedergabe nationalsozialistischen „Gedankenguts“ genügt nicht.34 Auch die bloße Bezugnahme auf andere Schriften, die den Tatbestand erfüllen, reicht nicht aus.35 Die von einem solchen Verständnis der Vorschrift ausgehenden verfassungsrechtlichen Bedenken,36 der eine nur scheinbare Anknüpfung des Gesetzes an die ehemaligen nationalsozialistischen Organisationen annimmt, entbehren damit der Grundlage. Es ist auch möglich, die Bestrebungen von vor langer Zeit verbotenen Organisationen fortzusetzen.37 18 Indes hat sich der BGH unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte mit Recht geweigert, die damit von vornherein nahezu unanwendbare und keineswegs als geeignetes Mittel zur Bekämpfung jeglicher antisemitischen und rassistischen Propaganda anzusehende Vorschrift unter Ignorierung dieses Merkmals praktikabler zu machen (BGHSt 23 64, 76). Es wäre auch unzulässig, dieses Ergebnis durch eine „Wahlfeststellung“ derart überspielen zu wollen, dass die Schrift jedenfalls auf die Fortsetzung der Bestrebungen irgendeiner nationalsozialistischen Organisation abziele. Eine bloße Verherrlichung ohne Organisationsbezug ist nicht ausreichend.38 Nach Wortlaut und Sinn muss stets eine bestimmte Organisation – wenn auch nicht namentlich – angesprochen sein. In der Folge hat es denn auch nur vereinzelt Entscheidungen gegeben, in denen diese Variante des Tatbestandes bejaht wurde. BGH bei Schmidt MDR 1979 705 behandelt eine Schrift, der sich ein deutlicher Bezug auf die von der NSDAP vertretenen rassistischen Bestrebungen entnehmen ließ. BGHSt 28 296 betraf den Vertrieb einer im Ausland gedruckten Zeitung, die sich ausdrücklich als „Kampfschrift einer NSDAP Auslands- und Aufbauorganisation“ bezeichnete. Die in BGHR StGB § 86 Abs. 1 Nr. 4 NS-Parole 1 (Rot-Front-Verrecke) 29 30 31 32 33 34

Steinmetz MK Rdn. 23; kritisch Wagner S. 448 ff. Steinmetz MK Rdn. 25. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Paeffgen NK Rdn. 6 und 22. BGH NStZ 2015 512, 513. BGH NStZ 2015 512; Steinmetz MK Rdn. 24. Zöller SK Rdn. 7; nicht gefolgt werden können daher den Schlussfolgerungen von Paeffgen NK Rdn. 22, der die Bekämpfung von NS-Gedankengut dennoch als Strafzweck identifiziert; vgl. auch BVerwG NVwZ-RR 2011 14; OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2010 886. 35 BGH NStZ 1982 25. 36 Lüttgers JR 1969 121, 129. 37 Zweifelnd Willms LM Nr. 11 zu Art. 5 GG. 38 BGHSt 23 64, 76; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 11. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 86

und BGHR § 86a Kennzeichen 1 (Rotfront verrecke) erörterten Parolen (zu Kennzeichen § 86a Rdn. 7) lassen deutlich erkennen, dass Bestrebungen der NSDAP fortgesetzt werden sollten. Die im Schriftstück zum Ausdruck kommende inhaltliche Distanzierung und kritische Wertung (Beispiel Film „Beruf Neo Nazi“) steht der Annahme des § 86 Abs. 1 Nr. 4 entgegen (vgl. BGH NJW 1996 2585). Die ehemalige Wehrmacht war keine nationalsozialistische Organisation im Sinne der Vorschrift (BGHSt 23 64, 75 f. im Anschluss an BVerfGE 3 288).

3. Tathandlung. Verbreiten im Inland a) Verbreiten, Allgemeines. Der Begriff des Verbreitens wird in mehreren Straftatbeständen 19 des StGB verwendet. Der Gesetzgeber hat den Begriff nicht näher abgegrenzt. Er unterliegt deshalb der Auslegung, wobei insbesondere auf den Grundgedanken der Vorschrift abzustellen ist. Im Rahmen von § 86 bedeutet „Verbreiten“ – im Gegensatz zu den §§ 186, 187 und in Übereinstimmung mit §§ 74d Abs. 1, 80a, 90 Abs. 1, 184 Abs. 1 Nr. 5 – nicht jede Weitergabe oder Mitteilung eines Propagandamittels an einen anderen, sondern die mit der körperlichen Weitergabe der Schrift verbundene Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Schrift ihrer Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen, wobei dieser nach Zahl und Individualität so groß sein muss, dass er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist.39 Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich der Begriff des Verbreitens im Sinne des § 86 von dem rein presserechtlichen der landesrechtlichen Pressegesetze unterscheidet.40 Für die Auslegung des Verbreitungsbegriffs des § 86 ist – wie sich aus der Systematik und dem Zweck dieser Vorschrift ergibt – auch die Bestimmung des § 74d Abs. 4 ergänzend mit heranzuziehen.41 Die dort dem Verbreiten im Sinne des § 74d Abs. 1 bis 3 gleichgestellten Handlungen sind auch für das Verbreiten im Sinne des § 86 von Bedeutung. Das Verbreiten setzt nicht voraus, dass andere vom Inhalt des Propagandamittels tatsächlich Kenntnis nehmen; es handelt sich insoweit nicht um ein Erfolgsdelikt (RGSt 15 118, 119). Zur Post gegebene Schriften sind deshalb verbreitet, auch wenn sie vor Erreichen der Adressaten abgefangen werden. Entscheidend ist, ob der Täter sich der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Gedankenträger begeben hat.42 Das Tatbestandsmerkmal des Verbreitens ist nicht erfüllt, wenn die Perspektive der Breiten- 20 wirkung des eigenen Tuns von vornherein fehlt, also grundsätzlich dann, wenn die Weitergabe oder Mitteilung des Propagandamittels nur an einen einzelnen oder mehrere einzelne erfolgt (RGSt 42 209, 210). Dies gilt selbst dann, wenn der Handelnde für möglich hält, dass weitere gleiche Stücke des Propagandamittels durch andere Personen, insbesondere Anhänger der betreffenden politischen Richtung, verteilt werden könnten, und er daher damit rechnet, dass er durch sein Tun möglicherweise zu einer auf einen größeren Personenkreis zielenden „Gesamtverbreitung“ beitragen könnte. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn es um eine so lockere und allgemeine Verbindung von Handlungen geht, dass ihre gegenseitige Zurechnung nicht möglich ist.43

39 RGSt 7 113, 114; 16 245; 30 224, 225 f.; 36 330, 331; BGHSt 13 257, 258; 18 63, 64; 19 63, 71; 47 55, 58; BGH MDR 1966 687. 40 Franke NStZ 1984 126, 127 und GA 1984 452, 457, 460 f.; aA OLG Hamburg NStZ 1983 127 f.; BayObLG NJW 1979 2162. 41 Franke NStZ 1984 126, 127; Lackner/Kühl Rdn. 6; Steinmetz MK Rdn. 28; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Zöller SK Rdn. 13; Fischer Rdn. 12. 42 AA Paeffgen NK Rdn. 32, der hierin nur einen (straflosen) Versuch sehen will, hierdurch jedoch den Charakter als abstraktes Gefährdungsdelikt zu stark begrenzt. 43 AA noch BayObLG DRiZ 1933 694; RG DJ 1935 1192 mit Bespr. Rietzsch. 83

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§ 86 StGB

Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

21 aa) Kettenverbreitung, Mengenverbreitung. Allerdings kann schon die Weitergabe eines Exemplars der Schrift ausreichen, wenn dies mit dem Willen geschieht, der Empfänger werde die Schrift durch körperliche Weitergabe einem größeren Personenkreis zugänglich machen oder wenn der Täter eine Weitergabe an eine größere, nicht mehr zu kontrollierende, Zahl von Personen für möglich hält (Kettenverbreitung).44 Bei der Aushändigung einer Vielzahl gleicher Exemplare an verschiedene Abnehmer (Mengenverbreitung) wird bereits verbreitet, wenn der Täter das erste Exemplar (einer Mehrzahl von ihm zur Verbreitung bestimmter Schriften) an einen einzelnen Bezieher abgegeben hat. Voraussetzung ist jedoch immer, dass an einen größeren und nicht (vom Täter) kontrollierbaren Personenkreis weitergegeben wird oder weitergegeben werden soll (BGH NJW 2005 689).

22 bb) Weitergabe an einzelne bestimmte Dritte. Dies allein vermag das Merkmal des Verbreitens nicht zu erfüllen, wenn nicht feststeht, dass der Dritte seinerseits die Schrift, nicht etwa bloß ihren geistigen Inhalt, so vielen Personen zugänglich macht, dass es sich bei den Empfängern um einen für den Täter nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis handelt. Danach stellt der Verkauf eines NSDAP-Parteiabzeichens an eine einzelne Person noch kein Verbreiten (nach § 86a) dar, wenn der Handelnde nicht von der Vorstellung getragen wird, der Käufer werde das Abzeichen weiteren Personen zugänglich machen (OLG Bremen NJW 1987 1427). Auch wird dem BayObLG NStZ 1983 120, 121 darin zuzustimmen sein, dass die Übergabe eines Dolches und eines Koppelschlosses mit Hakenkreuzemblem sowie eines „Braunhemdes“ an einen Auktionator noch kein Verbreiten (im Sinne des § 86a) darstellt, denn die Veräußerung dieser Einzelgegenstände an Einzelpersonen im Wege der Versteigerung erfüllt die Voraussetzungen einer „Mengenverbreitung“ noch nicht.45

23 cc) Weitergabe an einen größeren Personenkreis. In allen Fällen, in denen der Täter mit der Weitergabe an einen größeren Personenkreis rechnet, ist das Tatbestandsmerkmal des Verbreitens schon mit der Weitergabe an die erste Empfangsperson erfüllt, nicht erst mit der Weiterleitung durch diese.46 Entsprechendes gilt, wenn der Täter einen größeren Vorrat gleicher Propagandamittel (z. B. Flugblätter) selbst verteilen will. Hier ist schon mit der Übergabe des ersten Stückes das Verbreiten vollendet.47 Bei diesen Fallgestaltungen hängt das Vorliegen einer Verbreitung danach wesentlich von der subjektiven Sicht des Handelnden ab. Die begründete Vorstellung, der Erstempfänger werde das Propagandamittel weiterverbreiten, muss dabei nicht die Form einer dahingehenden Absicht haben,48 vielmehr genügt es, wenn das Propagandamittel nicht vertraulich behandelt werden soll und deswegen billigend damit gerechnet wird, der Empfänger werde es seinerseits an einen größeren Personenkreis weiterleiten (RGSt 55 276, 277; BGHSt 13 257, 258; 19 63, 71). Bedingter Vorsatz hinsichtlich der „Weiterverbreitung“ ist somit ausreichend.49 Durch die billigende Inkaufnahme der Weiterleitung des Propagandamittels liegt das dem Begriff des Verbreitens immanente Moment des Werbens und Förderns (der verfassungswidrigen Organisation) vor.

44 Steinmetz MK Rdn. 26, 28. 45 AA Keltsch NStZ 1983 121, 122. 46 Keltsch NStZ 1983 121, 122 zu § 86a; deshalb wäre jedenfalls für § 86 die zu § 111 Abs. 1 ergangene Entscheidung des OLG Frankfurt StV 1990 209 abzulehnen, soweit dort in der Übergabe einer Pressemitteilung an Zeitungsredakteure deshalb kein Verbreiten gesehen wurde, weil der Täter über die Verarbeitung der Mitteilung durch die Redaktion und die Verteilung der Zeitungsausgabe keine Tatherrschaft mehr besitze. 47 AA Paeffgen NK Rdn. 28 f. 48 Ungenau noch RGSt 7 113, 115; 9 292, 294; 16 245, 246; aA Paeffgen NK Rdn. 27. 49 AA wohl OLG Bremen NJW 1987 1427, 1428 zu § 86a. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand

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dd) Vertrauliche Übermittlung. Die vertrauliche Übermittlung eines Propagandamittels kann 24 somit ein Hinweis darauf sein, dass dem Täter der Verbreitungsvorsatz fehlt. Doch lässt sich auch an eine vertrauliche Übermittlung an sehr viele Personen denken, was dann grundsätzlich wieder als Verbreiten zu werten wäre (RGSt 9 292, 293 f.). Das gilt jedenfalls für die Vertraulichkeit aus Gründen der Konspiration. Umgekehrt ist Öffentlichkeit des Verbreitens nicht erforderlich (RGSt 7 113, 114; 15 118, 120), doch kann die Öffentlichkeit im Einzelfall, wie etwa beim Anschlag von Plakaten (BGHSt 19 308) oder beim Auslegen von Flugblättern, zur Verwirklichung des Merkmals beitragen. Ob das Ausbedingen alsbaldiger Rückgabe gegen den Verbreitungsvorsatz spricht, ist ebenfalls Tatfrage. Die Herstellung von Abschriften oder Ablichtungen kann auch dann möglich bleiben und sogar gewollt sein. Für den Fall der Weitergabe von Vervielfältigungen seitens des Empfängers hat das RG schon früh das Verbreiten bejaht (RGSt 9 71), obwohl es zunächst streng daran festhielt, dass auf jeden Fall beim Täter selbst eine Weitergabe von Hand zu Hand im Sinne einer Weitergabe der Sachsubstanz erforderlich sei (RGSt 11 282, 284; 14 397, 399). Doch hat es sich dann den technischen Neuerungen der Massenkommunikationsmittel nicht verschlossen und letztlich bereits die Weitergabe einer Grammophonplatte zum bloßen Vorspielen vor einem größeren Personenkreis genügen lassen (RGSt 47 223, 226 f.).

b) Zugang des Propagandamittels. Wann nach diesen allgemeinen Grundsätzen ein Verbrei- 25 ten anzunehmen ist, ist bei den verschiedenen Arten denkbarer Propagandamittel im Sinne der §§ 86 Abs. 2, 11 Abs. 3 unterschiedlich zu beurteilen

aa) Schriften. Bei Schriften im eigentlichen Wortsinne, insbesondere Druckschriften, bleibt 26 daran festzuhalten, dass sie grundsätzlich den Empfängern körperlich zugänglich gemacht werden müssen.50 Ein bloßes Vorlesen oder Vorzeigen, selbst vor einer größeren Menschenmenge, genügt nicht. Andererseits ist nicht nur bei Plakaten,51 sondern auch bei an sich ihrer Art nach nicht für öffentliches Anschlagen vorgesehenen Druckschriften wie Flugblättern und Zeitungen eine Verbreitung sowohl durch Weitergabe von Hand zu Hand wie durch vollständigen Anschlag an einem allgemein zugänglichen Ort möglich (BGHR StGB § 86 Abs. 1 Nr. 4 NS-Parole 1; BGH bei Holtz MDR 1977 809). Wie bei Plakaten ist auch für Aufkleber – anders als nach dem pressestrafrechtlichen Verbreitungsbegriff52 – oder im Aufdruck eines T-Shirts (BGHR StGB § 86a Abs. 1 Nr. 4 Kennzeichen 1) ein öffentliches Anbringen beziehungsweise Tragen ausreichend.53

bb) Bild- und Tonträger. Dagegen muss bei Tonaufnahmen und Filmen (BGHSt 19 63) das 27 Abspielen oder Vorführen vor einem größeren Personenkreis genügen, wobei es ebenso wie bei Schriften gleichgültig ist, ob dieser Personenkreis sogleich auf einmal gegenwärtig ist oder entsprechend dem Vorhaben des Täters nach und nach durch mehrere Vorführungen zusammenkommt. Auch wer über Bildschirmtext propagandistische Traktate ausstrahlt, verbreitet sie, da sie auf dem Fernsehschirm – ähnlich wie Plakate – von einer unbestimmten Vielzahl von Personen über längere Zeit betrachtet werden können (vgl. Walther NStZ 1990 523, 525). Die Ausstrahlung von Radio- oder Fernsehsendungen reicht dagegen nur dann aus, wenn auf Ton50 RGSt 15 118, 120 f.; BGHSt 18 63, 64 f.; 47 55, 58; BGH NJW 1999 1979, 1980. 51 BGHSt 19 308; anders für § 120 OWiG: BayObLG NJW 1979 2162, für § 15 Abs. 1 BayPresseG: OLG München MDR 1989 180; abl. auch Paeffgen NK Rdn. 30 unter Verweis auf den fehlenden Substanzbezug bei bloßer Betrachtung. 52 S. insoweit OLG Hamburg NStZ 1983 127 m. Anm. Franke NStZ 1984 126 und Bottke JR 1983 299; OLG Frankfurt NJW 1984 1128; MDR 1984 423; OLG Hamm NStZ 1989 578; KG StV 1990 208; dagegen sieht OLG Schleswig SchlHA 1984 86, 87 das Anbringen eines Aufklebers auf einem PKW auch als Verbreiten im pressestrafrechtlichen Sinne an. 53 Franke NStZ 1984 126, 127; aA OLG Hamburg NStZ 1983 127. 85

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Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

oder Bildträgern gespeichertes Propagandamaterial gesendet wird. Es macht insoweit keinen Unterschied, ob dem Zuhörer oder Zuschauer diese Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 direkt über ein entsprechendes Abspielgerät (Schallplattenspieler, CD-Spieler oder Tonbandgerät, Videorecorder, DVD-Player, Filmprojektor) zugänglich gemacht werden oder eine Radio- oder Fernsehübertragung zwischengeschaltet ist.54 Dagegen kommt § 86 bei Direktübertragungen („Live-Übertragungen“) von Veranstaltungen nicht in Betracht, weil es in diesen Fällen an einer Schrift im Sinne des § 11 Abs. 3 fehlt.55

28 cc) Die Datenübertragung im Internet erfordert einen spezifischen Verbreitungsbegriff. Ein Verbreiten im Internet liegt dann vor, wenn die Datei auf dem Rechner des Internetnutzers – sei es im (flüchtigen) Arbeitsspeicher oder auf einem (permanenten) Speichermedium (außer kurzfristigen Zwischenspeicherungen zum Zwecke der Echtzeitübermittlung) – angekommen ist.56 Dabei ist unerheblich, ob dieser die Möglichkeit des Zugriffs auf die Daten genutzt oder ob der Anbieter die Daten übermittelt hat.

29 c) Inland. Das Verbreiten ist nur erfasst, wenn es im Inland erfolgt. Es sind die nach § 9 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 geltenden Grundsätze heranzuziehen. Im Inland handelt auch, wer von dort rechtswidrige Inhalte auf einen in- oder ausländischen Server lädt. Die Möglichkeit, eine im Ausland eingerichtete Website im Inland aufzurufen, reicht hingegen nicht aus (s. bei § 86a Rdn. 24).57

4. Herstellen zum Verbreiten 30 Der Begriff des Herstellens ist in RGSt 41 205, 207 (im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln) allgemein dahin definiert worden, dass er alles von Menschen unmittelbar oder mittelbar bewirkte Geschehen umfasst, das ohne Weiteres oder in fortschreitender Entwicklung ein bestimmtes körperliches Ergebnis zustande bringt. Vollendet ist diese Modalität immer erst mit dem Abschluss des Herstellungsprozesses, wenn also das Endprodukt vorliegt.58 Zu den Herstellern gehören demnach vom Verfasser des Manuskripts bis zum Drucker alle Personen, die bewusst zur Anfertigung des Endprodukts beitragen, das Gegenstand der Verbreitung werden soll. Für sie ist angesichts dieser Zielbestimmung der Tatbestand hinsichtlich des Merkmals der Herstellung jeweils immer erst verwirklicht, wenn das Endprodukt vorliegt, also z. B. der erste Abdruck der Schrift die Druckerpresse verlässt. Wird der Herstellungsvorgang vorher aufgehalten, so bleiben infolgedessen die bis dahin entfalteten Tätigkeiten im Stadium des straflosen Versuchs. Die zu § 93 a. F. ergangene Entscheidung BGH MDR 1966 687, welche schon die bloße Anfertigung des einem Verleger angebotenen und von diesem abgelehnten Manuskripts als Herstellung beurteilte, kann für den Tatbestand des § 86 nicht herangezogen werden, weil hier nicht mehr das Herstellen schlechthin, sondern das Herstellen zur Verbreitung unter Strafe gestellt ist. Das zielt auf das im mechanischen Wege gewonnene Endprodukt der Druckschrift, der Tonaufnahme und des Films ab. Das Schreiben von Briefen an einen

AA noch Willms LK10 Rdn. 19. Zust. Paeffgen NK Rdn. 31. BGHSt 47 55, 59. Paeffgen NK Rdn. 23b; differenzierend Steinmetz MK Rdn. 7 m. w. N.; aA noch VG Düsseldorf MMR 2005 794 ff.; v. Bubnoff LK11 Nachtrag §§ 130, 131 Rdn. 17. 58 Steinmetz MK Rdn. 31; Paeffgen NK Rdn. 33; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14; zweifelnd Fischer Rdn. 13 angesichts der digitalen Speichermedien; offengelassen in BGHSt 32 1, 3.

54 55 56 57

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II. Objektiver Tatbestand

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einzelnen Empfänger kann nicht als Herstellen einer Schrift gelten.59 Dagegen ist Vervielfältigen immer auch ein Herstellen.

5. Vorrätighalten zum Verbreiten bedeutet nichts anderes als Besitz zu dem angegebenen Zweck, wobei auch der mittelbare Be- 31 sitz genügt und der Besitz eines einzelnen Propagandamittels60 ausreichen kann.61 Der Ausdruck ist also nicht wörtlich im Sinne des Haltens eines Vorrats zu verstehen, doch wird der Besitz zahlreicher Stücke ein wesentliches Indiz für das Vorhaben späterer Verbreitung sein, während umgekehrt beim Besitz nur eines Propagandamittels ein Verbreitungsvorsatz kaum nachzuweisen sein wird. Lebensfremd erscheint die Auffassung des OLG Bremen NJW 1987 1427, 1428 (zu § 86a Abs. 1 Nr. 2), das Vorrätighalten von 27 Orden und Ehrenzeichen einer verfassungswidrigen Organisation in einem Ladengeschäft diene nicht ersichtlich dem Zweck des Verbreitens; denn eine derartige Lagerhaltung verfolgt offensichtlich den Zweck einer „Mengenverbreitung“ (s. Rdn. 21) in Form des Verkaufs der Abzeichen. Dass der Täter sich persönlich am Verbreiten beteiligen will, ist nicht erforderlich. Gleichgültig ist es auch, ob es überhaupt zu einem Verbreiten des Propagandamittels kommt oder gekommen ist. Jedoch muss auch hier das Endprodukt der Herstellung Gegenstand der Tat sein, das Verwahren von Druckplatten oder Negativen genügt nicht.

6. Verbreitung im Inland oder Ausland Herstellen und Vorrätighalten ist nach dem Wortlaut strafbar, wenn dies der Verbreitung im 32 Inland oder Ausland dient. Der Tatbestand bedarf jedoch der Einschränkung, denn die Verbreitung im Ausland ist straflos. Deshalb kann das Herstellen und Vorrätighalten im Ausland nicht strafbar sein, weil anderenfalls ein Wertungswiderspruch zu den Handlungen des Verbreitens vorläge. Insoweit ist die Strafbarkeit der Einfuhr ausreichend.62 Das Herstellen und Vorrätighalten im Inland ist strafbar, wenn das Propagandamaterial im In- oder Ausland verbreitet werden soll.

7. Einführen zum Verbreiten begeht, wer Propagandamittel zu dem angegebenen Zweck selbst über die Grenze der Bundesre- 33 publik Deutschland befördert (BGHSt 19 221), von außerhalb der Bundesrepublik dorthin zur Versendung bringt (BGH bei Wagner GA 1961 9 A 7 zu § 93 a. F.) oder von außerhalb kommende Sendungen bestellt hat63 (BGH bei Wagner a. a. O.). Die bloße Annahme einer unbestellten Sendung genügt nicht. Die Tat ist mit dem Überschreiten der Grenze vollendet, mit der Ankunft am Bestimmungsort oder beim Adressaten der Sendung beendet (RGSt 59 170; BGH bei Wagner a. a. O.). Für die Vollendung ist es ohne Bedeutung, ob der Täter an der Grenze Zugriffsmöglichkeiten auf die Propagandamittel hat (vgl. BGHSt 34 180, 182). Der Bestimmungsort muss sich in der Bundesrepublik Deutschland befinden, Durchfuhr im Transitverkehr genügt nicht.64 Hin59 BGHSt 13 375, 376 (bereits zu § 93 a. F.); vgl. auch BayObLGSt 1958 18 und OLG Hamburg MDR 1963 1027 (Negative genügen nicht). 60 Kritisch Paeffgen NK Rdn. 34. 61 RGSt 42 209, 210; 47 223, 227; 62 396, 398. 62 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15. 63 AA Paeffgen NK Rdn. 35 m. w. N. 64 Paeffgen NK Rdn. 35; aA OLG Schleswig NJW 1971 2319 (zu § 184); Steinmetz MK Rdn. 33. 87

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§ 86 StGB

Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

sichtlich der Einfuhr von Zeitungen und Zeitschriften als Propagandamittel ist Art. 296 EGStGB zu beachten (s. näher Rdn. 41).

8. Ausfuhr 34 Auch die Ausfuhr von Propagandamitteln, also das Verbringen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, ist strafbar. Da die Verbreitung von Propagandamitteln im Ausland nicht strafbar ist, könnte diese Erweiterung der Strafbarkeit bedenklich sein.65 Die Erwägung, wie sie § 184 Abs. 1 Nr. 9 zugrunde liegt, kann die Zulässigkeit der Pönalisierung aber stützen, weil Propagandamittel im Sinne des § 86, wenn sie ins Ausland gelangen, die Interessen der Bundesrepublik Deutschland schädigen können. Das kann aber nur der Fall sein, wenn die Ausfuhr mit dem Ziel der Verbreitung im Ausland einhergeht. Über den Wortlaut des § 86 hinaus ist die Ausfuhr deshalb nur bei Verbreitungstendenz erfasst.

9. Öffentliches Zugänglichmachen in Datenspeichern 35 Diese Variante ergänzt die des Verbreitens durch Datenspeicher (vgl. Rdn. 28). Die Ergänzung beruht auf dem Informations- und Telekommunikationsdienstgesetz (Rdn. 10; Vor § 80 Rdn. 18; Nachtrag zur 11. Auflage § 86 Rdn. 1). Die Einführung soll verhindern, dass die Einspeicherung von Propagandamitteln in Datenspeichern zur Umgehung genutzt wird. Der Inhalt des Propagandamittels muss einer grundsätzlich unbestimmten Personenmehrheit dadurch zur Kenntnis gebracht werden, dass er ohne körperliche Übertragung des Trägermediums für sie in elektronischer Form (z. B. auf einer Homepage) zum Abruf bereitgehalten oder übermittelt wird (BTDrucks. 13/7385 S. 36).66 Die bloße Zugriffsmöglichkeit genügt; es ist nicht erforderlich, dass ein Zugriff des Internetnutzers erfolgt.67 Ausreichend ist auch die Verlinkung einer anderen Homepage mit entsprechend strafbaren Inhalten.68

III. Sozialadäquanzklausel (Absatz 3) 36 Die aus § 96a a. F. übernommene und durch das 14. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 18) neu gefasste Sozialadäquanzklausel enthält einen Tatbestandsausschluss,69 keinen Rechtfertigungsgrund70 (vgl. § 86a Rdn. 26). Absatz 1 „gilt nicht“, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst (vgl. § 86a Rdn. 27 ff.; § 90a Rdn. 28 ff.) oder der Wissenschaft, der Forschung oder Lehre (vgl. § 86a Rdn. 33 ff.), der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte (zur Meinungsäußerungsfreiheit § 90a Rdn. 23 ff. und § 90b Rdn. 4) oder ähnlichen Zwecken (vgl. § 86a Rdn. 36) dient. Die Vorschrift stellt nicht nur einen Ausdruck des Sozialadäquanzgedankens dar, wonach „übliche, von der Allgemeinheit gebilligte und daher in straf-

65 66 67 68 69

Paeffgen NK Rdn. 35a. Lackner/Kühl Rdn. 6; Steinmetz MK Rdn. 35; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Fischer Rdn. 13. BGHSt 47 55, 60 zu § 184 Abs. 3 Nr. 2 StGB; BGH NStZ-RR 2014 47. BGH StV 2012 539; OLG Stuttgart MMR 2006 387 f. BGHSt 46 36, 43 ff.; 46 212 217 f.; 47 278, 282 f.; Lackner/Kühl Rdn. 8; Steinmetz MK Rdn. 36; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Zöller SK Rdn. 15; vgl. auch Klug FS Eb. Schmidt, S. 249 ff.; offengelassen von BGHSt 23 2263, 228; zweifelnd Streng JZ 2001 205, 208; Fischer Rdn. 17; differenzierend Paeffgen NK Rdn. 38, der beide Aspekte verbindet. 70 So aber Greiser NJW 1969 1155, 1156; 1972 1556, 1557; J. Wagner S. 476; Schmidt MDR 1979 705, 706; Stegbauer JR 2003 74, 75. Steinsiek

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III. Sozialadäquanzklausel (Absatz 3)

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rechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtige, weil im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit liegende Handlungen“ nicht strafbar sein sollen (BGHSt 23 226, 228; 29 73, 84). Sie dient vor allem der Sicherung gewährleisteter Grundrechte, insbesondere des Art. 5 GG (vgl. § 90a Rdn. 22 ff.), vor Einschränkungen, die zum Schutz des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats nicht erforderlich sind. Absatz 3 stellt eine einfachgesetzliche Ausprägung des vom BVerfG immer wieder hervorgehobenen Grundsatzes dar, dass grundrechtsbeschränkende allgemeine Gesetze stets ihrerseits im Lichte der wertsetzenden Bedeutung des jeweiligen Grundrechts im freiheitlich demokratischen Rechtsstaat auszulegen und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder einschränkend zu interpretieren sind.71 Da dieser Grundsatz auch ohne einfachgesetzliche Verankerung Gültigkeit besitzt, darf bezweifelt werden, ob es des Absatzes 3 zum Ausgleich zwischen den Erfordernissen eines effektiven strafrechtlichen Staatsschutzes und den grundgesetzlich verbürgten Handlungsfreiheiten überhaupt bedurft hätte.72 Im Einzelnen nennt das Gesetz folgende Gründe für den Tatbestandsausschluss:

1. Staatsbürgerliche Aufklärung Dies sind Handlungen, die der Vermittlung von Wissen zur Anregung der politischen Willensbil- 37 dung und Verantwortungsbereitschaft der Staatsbürger und damit der Förderung ihrer politischen Mündigkeit durch Information dienen (BGHSt 23 226, 227; OLG Hamm NJW 1982 1556, 1558). Sie ist nicht nur Vorrecht von Schulen, politischen Bildungsstätten und ähnlichen Einrichtungen, sondern vor allem Recht der zur Information berufenen Publikationsorgane, wie Presse, Rundfunk, Fernsehen sowie Internet,73 aber auch der politischen Parteien selbst (BGHSt 23 226, 229). Dies gilt jedoch nicht für verbotene Parteien, weil es Ziel des Art. 21 Abs. 2 GG ist, diese als Träger der politischen Willensbildung aus dem politischen Leben vollständig auszuschalten. Es gibt für sie keinen Raum politischer Handlungsfreiheit mehr (BGHSt 23 226, 228). Dabei ist es unerheblich, ob sich die verbotene Partei in ihrem Propagandamaterial auf ein neues, angeblich oder tatsächlich nicht mehr verfassungsfeindliches Programm beruft.74

2. Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen Handlungen zur Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen liegen vor, wenn die Handlung 38 im Rahmen von Presseberichten oder bei staatsbürgerlicher Aufklärung gegen verfassungsfeindliche terroristische oder neonazistische Bestrebungen vorgenommen wird. Dies ist grundsätzlich Aufgabe staatlicher Organe. Problematisch ist die rechtliche Bewertung der Begehung von Propagandadelikten durch Vertrauenspersonen der Verfassungsschutzbehörden. Die Sozialadäqanzklausel wird überwiegend insoweit zu Recht nicht für anwendbar gehalten.75

71 S. BVerfGE 47 198, 232; vgl. auch BGHSt 19 221, 224 ff. zu § 93 a. F., der noch keine Sozialadäquanzklausel enthielt. 72 Ähnlich, aber mit anderer Begründung Willms LK10 Rdn. 20. 73 LG Stuttgart CR 2005 675: Hyperlink auf verbotene Website mit Distanzierung vom Inhalt. 74 Steinmetz MK Rdn. 37; aA Kohlmann JZ 1971 681, 683; J. Wagner S. 481. 75 Steinmetz MK Rdn. 38, der zu Recht darauf hinweist, es fehle am Merkmals des „Dienens zur Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen“, da es der V-Person primär um die Verhinderung der eigenen Enttarnung gehe. Es ist mit Fischer Rdn. 20 m. w. N. vorzugswürdig, allenfalls eine Rechtfertigung nach § 34 für möglich zu halten. Die von Laufhütte/Kuschel LK12 vertretene Auffassung, wonach zumindest ein von vornherein absehbares kurzzeitiges Tätigwerden von V-Leuten unter Inkaufnahme geringfügiger Propagandadelikte, um im Ergebnis verfassungsfeindliche Bestrebungen abzuwehren, noch sozialadäquat sei, wenn dies die Abwehr dieser Bestrebungen bezwecke, wird aufgrund ihrer Unschärfe und praktischen Nachweisbarkeitsschwierigkeiten aufgegeben. 89

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§ 86 StGB

Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

3. Sonstige Gründe 39 Unmittelbar aus Art. 5 GG folgt die Privilegierung von Wissenschaft und Lehre sowie der Kunst (dazu § 86a Rdn. 27 ff.). Berichterstattungen über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte stehen dem gleich, wenn sie in sachlicher Form erfolgen. Bei den ähnlichen Zwecken muss es sich um solche handeln, die in ihrem Gewicht den anderen in Absatz 3 ausdrücklich genannten gleichkommen. Verteidigerhandeln ist grundsätzlich nicht strafbar (BGHSt 46 36, 43 ff.). Eine Ausnahme gilt nur, wenn eine Erklärung eines Verteidigers ohne jeden Bezug zur Verteidigung ist oder nur den äußeren Anschein einer Verteidigung hat, tatsächlich aber nach den Maßstäben des Strafverfahrensrechts und des materiellen Strafrechts nichts zu solcher beizutragen vermag, also verteidigerfremdes Verhalten darstellt.76 Beispielhaft kann etwa ein Beweisantrag mit allein politischer Postulation genannt werden.

4. Sozialadäquanz von Schrift oder Handlung 40 Der Tatbestand ist nach Absatz 3 ausgeschlossen, wenn entweder das Propagandamittel oder die Handlung, darunter auch Verteidigerhandeln (BGHSt 46 36, 45), dem anerkannten Zweck dient, dieser also zumindest überwiegend gefördert werden soll. Straflosigkeit liegt zum einen vor, wenn inhaltlich einem anerkannten Zweck dienende Schriften von Organisationen zur Förderung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele missbraucht werden, zum anderen, wenn die Schrift an sich keinem der in Absatz 3 anerkannten Zwecke entspricht, mit ihrer Verwendung aber sozialadäquate Ziele verfolgt werden.77

IV. Tatbestandsausschluss78 nach Art 296 EGStGB 41 Aus dem Tatbestandsausschluss („ist nicht anzuwenden“) ergibt sich eine zusätzliche Eingrenzung des Tatbestandes für außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB erscheinende periodische Druckschriften. Die Regelung ist an die Stelle von Art. 8 des 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) getreten, der eine befristete Regelung enthielt, durch welche die Möglichkeit eines großzügigen Zeitungsaustauschs zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet werden sollte. Die in der Bundesrepublik Deutschland vertriebenen Stücke der Zeitung oder Zeitschrift müssen vollständig der im Land der Herausgabe vertriebenen Ausgabe entsprechen. Bereits auf wortgetreue Übersetzungen ist Art. 296 EGStGB daher nicht anwendbar, sodass es für solche bei einer Strafbarkeit bleibt. Darüber hinaus ist ein „öffentliches Verbreiten“ der Zeitung im Herstellungsland nur dann gegeben, wenn sie dort im Straßenhandel, in Kiosken oder allgemein zugänglichen Buchhandlungen zu erwerben ist (s. im Einzelnen BGHSt 28 296).

V. Subjektiver Tatbestand 42 Es genügt grundsätzlich bedingter Vorsatz, jedoch muss für die Tatvarianten des Herstellens, Vorrätighaltens und Einführens die Absicht einer späteren Verbreitung des Propa76 BGHSt 29 99, 105 f.; 46 36 43 ff.; 212, 217 f.; 47 278, 283 ff.; Steinmetz MK Rdn. 40; Zöller SK Rdn. 17; Fischer Rdn. 25; weitergehend Paeffgen NK Rdn. 44, wonach mit Rücksicht auf die eminente Bedeutung des Verteidigungsrechts für ein rechtsstaatliches Strafverwahren eine Art „Indemnität, ähnlich der des § 36, für prozessuale Erklärungen in foro praktiziert werden“ sollte; anders Streng JZ 2001 205, 208; Wohlers StV 2001 420, 428 f. 77 Laufhütte MDR 1976 441;Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Zöller SK Rdn. 17; aA Fischer Rdn. 18, wonach allein der Zweck der Handlung entscheidend ist. 78 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 20; Zöller SK Rd 18; Fischer Rdn. 26. Steinsiek

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VII. Verjährung

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gandamittels hinzukommen.79 Den Inhalt des Propagandamittels in seiner für den Tatbestand wesentlichen Bedeutung muss der Täter in diesem Sinne erkennen. Doch setzt die Vorschrift nicht voraus, dass er ihn billigt, also mit ihm der Sache nach übereinstimmt (BGHSt 19 221, 223 f.). Im Übrigen hat sich der Vorsatz auf alle weiteren Merkmale des Tatbestandes zu erstrecken. Zum bedingten Vorsatz hinsichtlich des Verbreitens s. Rdn. 19 ff. Ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen der Sozialadäquanz oder des Art. 296 EGStGB ist ein den Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum, ein Irrtum über die Reichweite dieser Begrenzungen Verbotsirrtum.80

VI. Teilnahme Die Teilnahme ist nach den allgemeinen Grundsätzen möglich. So ist etwa Beihilfe zur Herstel- 43 lung von Propagandamitteln in der Form denkbar, dass für die Herausgeber einer propagandistischen Zeitschrift ein Druckauftrag an den Inhaber eines Druckereibetriebes vermittelt wird (vgl. BGH NStZ 1982 25 Nr. 1). Die zu §§ 111, 140 ergangene Entscheidung BGHSt 36 363 wird sich jedenfalls insoweit auf § 86 übertragen lassen, dass derjenige, der lediglich duldet, dass die Herstellungs- und Vertriebskosten einer periodischen Druckschrift über seine Konten abgewickelt werden und er im Impressum der Schrift zum Schein als Herausgeber genannt wird, nur wegen Beihilfe strafbar ist. Die Verbreitungsabsicht (s. Rdn. 42) ist kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1.81

VII. Verjährung Grundsätzlich richtet sich die Frist für den Eintritt der Strafverfolgungsverjährung nach § 78 44 Abs. 3 Nr. 4. Bei § 86 Abs. 1 Tatbestandsvariante 3 (Vorrätighalten) beginnt der Fristenlauf mit der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes. Soweit die Tat durch ein Druckwerk als Presseinlandsdelikt im Sinne der Landespressegesetze begangen wurde, ist deren kurze, aber länderspezifisch unterschiedlich lange Verjährungsfrist zu beachten. Sie beginnt, da die Landespressegesetze sich durchweg für die presserechtliche Verjährungstheorie entschieden haben,82 mit dem ersten Verbreitungsakt.83 Jedoch läuft die Verjährung für jeden Täter hinsichtlich der ihm zuzurechnenden Verbreitung gesondert. Auch ist die versteckte und heimliche Ausgabe einzelner Exemplare zu dem Zweck, die Verjährungsfrist in Lauf zu setzen, um die Schrift später in großem Umfang straflos verbreiten zu können, nicht als Verbreitung im Sinne der einzelnen Verjährungsvorschriften zu werten (BGHSt 25 347 355). Die kurze Verjährung gilt, soweit verbreitet wurde, auch für ein als Vorbereitungshandlung des Verbreitens anzusehendes vorausgehendes Vorrätighalten der verbreiteten Schriften (BGH bei Schmidt MDR 1981 973) und ebenso für Beihilfehandlungen (BGH NStZ 1982 25 Nr. 1). Sie kommt jedoch nicht für den Teil der Schriften in Betracht, bei denen es im Augenblick des Zugriffs noch nicht zum Verbreiten gekommen ist, also beim bloßen Vorrätighalten zu diesem Zweck geblieben war (BGH bei Holtz MDR 1977 809; BGH bei Schmidt MDR 1981 89); ein seltsam widersprüchliches Ergebnis der presserechtlichen Verjährung, das beim Festhalten an der von BGHSt 14 258 noch vertretenen strafrechtlichen

79 AA Paeffgen NK Rdn. 37, der lediglich dolus directus 2. Grades, also das sichere Wissen um den Eintritt des Tatumstandes, verlangt.

80 Steinmetz MK Rdn. 45; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 16; zum Teil aA Paeffgen NK Rdn. 47. 81 Steinmetz MK Rdn. 46; Fischer Rdn. 27. 82 Der Lauf der Frist beginnt nach dem BayPresseG § 15 Abs. 2 „mit dem Erscheinen“, nach allen übrigen Landespressegesetzen „mit der Veröffentlichung oder Verbreitung“ des Druckwerks.

83 BGHSt 25 347; vgl. auch BGHSt 36 51, 56; KG StV 1990 208. 91

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Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

Verjährungstheorie mit der Anknüpfung an den letzten Akt der Verbreitung vermieden worden wäre. Wegen der Einzelheiten vgl. bei §§ 78 ff.

VIII. Strafrahmen 45 § 86 Abs. 1 sieht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Strafzumessungserwägungen werden neben der Qualität der organisationsbezogenen Gefahr auch der Umfang des Verbreitungserfolgs sein.84 Bei der Verbreitung von nationalsozialistischem Propagandamaterial soll im Rahmen der Strafzumessung in der Regel der Gedanke der Generalprävention zu beachten sein (BGH bei Schmidt MDR 1981 89). Bei geringer Schuld kann das Gericht von einer Bestrafung nach § 86 absehen (Absatz 4). In Hinblick auf die Deliktsnatur wird diese Entscheidung aber weder auf den Nichteintritt einer konkreten Gefahr noch auf die Abwegigkeit des Schriftinhalts gestützt werden können. Denkbar ist die Heranziehung von Absatz 4 insbesondere bei V-Leuten des Verfassungsschutzes, die in diesem Zusammenhagn gegen § 86 verstoßen.85

IX. Nebenfolgen und Einziehung 46 S. §§ 92a, 92b.

X. Konkurrenzen 47 Tateinheit ist möglich mit § 83 (BGH LM § 93 a. F. Nr. 1), §§ 86a, 130 und 185 (BGH bei Wagner GA 1963 359 zu § 93 a. F. Nr. 3). Auch mit den §§ 84, 85 kommt tateinheitliches Zusammentreffen in Betracht, wenn die Tat im Zusammenhang mit einer verbotenen verfassungswidrigen Organisation begangen wurde.86 Allerdings liegt das Schwergewicht des Tatvorwurfs dann bei den §§ 84, 85. Der eigentliche Anwendungsbereich des § 86 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 betrifft Personen, die entweder nichts mit der verbotenen Organisation zu tun haben oder denen eine solche Verbindung nicht nachzuweisen ist. Wenn im Sonderausschussbericht (Vor § 80 Rdn. 11; BTDrucks. V/ 2860 S. 9) insoweit ausgeführt wird, unter den Ausschussmitgliedern habe Einigkeit darüber bestanden, dass auf die §§ 84, 85 und den § 20 VereinsG nicht zurückgegriffen werden dürfe, wenn dies auf eine Umgehung der in § 86 beschlossenen Einschränkungen hinauslaufen würde, so beruht dies auf einem Fehlverständnis. Agitation und Propaganda sind ein so wesentliches Tätigkeitsfeld (verbotener) verfassungswidriger Organisationen, dass die Befassung auch durch Angehörige der Organisation als ein Element der Förderung des organisatorischen Zusammenhalts nicht ausgeklammert werden kann (vgl. BGHSt 26 258, 261 ff.). In Wahrheit ist mit der Bemerkung wohl folgendes gemeint: Hersteller und Verbreiter von Propagandamitteln einer verbotenen Organisation, welche nicht von der Definition des Absatzes 2 erfasst werden, fallen nicht ohne Weiteres unter §§ 84 oder 85, nur weil für die Vereinigung geworben wurde. Entscheidend für die §§ 84, 85 als Organisationstatbestände ist vielmehr, dass eine Tätigkeit für die Vereinigung als Organisation, d. h. auf der Grundlage einer einverständlichen Beziehung des Täters zum Organisationsapparat, ausgeübt wird (vgl. § 84 Rdn. 20). Das bedeutet, dass jemand, der Flugblätter einer verbotenen Partei verteilt, auf welche die Definition des Absatzes 2 nicht zutrifft, und dem nicht nachgewiesen werden kann, dass er zu dem organisatorischen Apparat

84 Fischer Rdn. 28. 85 Ellbogen BeckOK Rdn. 33; Steinmetz MK Rdn. 49. 86 Kritisch Paeffgen NK Rdn. 50. Steinsiek

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XI. Opportunitätsprinzip; Zuständigkeit

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der verbotenen Partei in Beziehung steht, weder nach § 84 oder nach § 85 noch nach § 86 strafrechtlich belangt werden kann.87 Zu Mehrfachhandlungen § 84 Rdn. 32 ff.

XI. Opportunitätsprinzip; Zuständigkeit Zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips und zur Zuständigkeit Vor § 80 Rdn. 38.

87 Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 577, 581; Backes S. 199; Paeffgen NK Rdn. 50. 93

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§ 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 bezeichneten Parteien und Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in von ihm verbreiteten Schriften (§ 11 Abs. 3) verwendet oder 2. Gegenstände, die derartige Kennzeichen darstellen oder enthalten, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt. (2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind. (3) § 86 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.

Schrifttum Ahmed Die Strafbarkeit des Hitlergrußes, in Ostendorf (Hrsg.): Rechtsextremismus – Eine Herausforderung für Strafrecht und Strafjustiz (2009) 81; Albrecht/Braun Möglichkeiten und Grenzen der Verwendung von Rockersymbolen, NJOZ 2014 1481; Altermann Sozialadäquanz und Strafrecht – Eine Bestandsaufnahme, FS Eisenberg (2009) 233; Bartels/Kollorz Anm. zu BayOblG v. 7.12.1998 – 5 St RR 151/98, NStZ 2000 648; dies. Rudolf Heß – Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation? NStZ 2002 297; Beckemper Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, JA 2003 280; Becker, Anm. zu BGH v. 19.8.2014 − 3 StR 88/14, NStZ 2015 83; ders. Anm. zu BGH v. 9.7.2015 – 3 StR 33/15, NStZ 2016 90; Beisel Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen (1997); Bonefeld Hakenkreuz und „Hitler-Gruß“, DRiZ 1993 430; Bock Anm. zu BGH v. 9.7.2015 – 3 StR 33/ 15, JZ 2016 158; Bottke Anm. zu OLG Hamburg v. 27.5.1981 – 1 Ss 45/81, JR 1982 77; Bremer Strafbare Internet-Inhalte in internationaler Hinsicht (2001); Busching Der Begehungsort von Äußerungsdelikten im Internet – Grenzüberschreitende Sachverhalte und Zuständigkeitsprobleme, MMR 2015 295; Cornelius Die Verbotsirrtumslösung zur Bewältigung unklarer Rechtslagen – ein dogmatischer Irrweg, GA 2015 101; Dahm Freibrief für Rechtsextremisten? – Zur Rechtsprechung bei öffentlicher Verwendung von NS-Kennzeichen, DRiZ 2001 404; Decker/Ulrich Das Interview als Performancekunst, KUR 2014 15; Derksen Strafrechtliche Verantwortung für in internationalen Computernetzen verbreitete Daten mit strafbarem Inhalt, NJW 1997 1881; Eisele Anm. zu BGH v. 9.7.2015 – 3 StR 33/15, NJW 2015 3593; Ettmeyer/Bütter Am Beispiel der Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ – Zum Begriff der öffentlichen Ordnung im Versammlungsgesetz, Die Polizei 2000 164; Fohrbeck Wunsiedel: Billigung, Verherrlichung, Rechtfertigung – Das Verbot nazistischer Meinungen in Deutschland und den USA, Diss. Münster 2014; Frank Die Strafbarkeit der Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen (§ 86a i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB), Diss. Regensburg 1994; Greco Ist der Strafgesetzgeber an das Analogieverbot gebunden? GA 2012 452; Greiser Die Sozialadäquanz der Verwendung von NS-Kennzeichen bei Demonstrationen, NJW 1969 155; ders. Verbreitung verfassungsfeindlicher Propaganda, NJW 1972 1556; Handel „Mein Kampf“ – Gilt ein Verbreitungsverbot auch nach 2015? JR 2016 433; Hecker Internationales Strafrecht: Propagandadelikt im Cyberspace, JuS 2015 274; Heinrich Zeigen des „Hitlergrußes“ bei Fußballspiel im Ausland, NStZ 2000 533; Herrmann Über die Strafbarkeit des Tragens eines FDJ-Hemds, StRR 2014 294; Hong Hassrede und extremistische Meinungsäußerungen in der Rechtsprechung des EGMR und nach dem WunsiedelBeschluss des BVerfG, ZaöRV 2010 73; Hopf Die Entwicklung des Jugendmedienschutzes 2017/2018, ZUM 2019 8; Hörnle Aktuelle Probleme aus dem materiellen Strafrecht bei rechtsextremistischen Delikten, NStZ 2002 113; Horsch Das Bundesverfassungsgericht, die Ähnlichkeit im Sinne des § 86a Abs. 2 Satz 2 StGB oder: Zeit für die Entdeckung der Lebenswirklichkeit, JR 2008 99; Hufen Grundrechte, Kunstfreiheit und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen – „Hitlergruß“ bei Kunstperformance von Jonathan Meese, JuS 2014, 855; Ilgner/ Wargalla Anm. zu AG Kassel v. 29.8.2013 – 240 Cs 1614 Js 30173/12, NJW 2014 803; Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus (1998); Kaspar Anm. zu BGH v. 15.3.2007 – 3 StR 486/06, JR 2008 70; Kaufmann Strafrechtliche Sozialadäquanz einer Verlinkung auf rechtswidrige Internet-Inhalte, CR 2006 545; Kett-Straub Das Verwenden nationalsozialistischer Kennzeichen – § 86a im Spannungsfeld zwischen symbolischem Strafrecht, Gefühls- und echtem Rechtsgüterschutz, NStZ 2011 601; dies. Symbole aus der Mottenkiste des Faschismus – Die Anwendung des § 86a StGB auf unbekannte Kennzeichen, DRiZ 2011 325; Knauer Anm. zu BGH v. 13.8.2009 – 3 StR 228/09, NJ 2009 522; Köbler Die Strafbarkeit von Verstößen gegen das Kennzeichenverbot in Fällen des Betätigungsverbots nach § 18 S. 2 VereinsG, NStZ 1995 531; Köhne Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Computerspielen, DRiZ 2003 210; König/Seitz Die straf- und verfahrensrechtlichen Regelungen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes, NStZ 1995

Steinsiek https://doi.org/10.1515/9783110490008-011

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Übersicht

StGB § 86a

1; Köster Drei Finger gegen die Freiheit, DRiZ 1993 36; Kretschmer Das Phänomen des Tätowierens im Strafvollzug, FS Schwind (2006) 579; Kubiciel Rechtsextremistische Musik von und mit V-Leuten, NStZ 2003 57; Kurth § 86a StGB und der Schatten des Gesinnungsstrafrechts, StraFo 2006 483; Laitenberger Die Strafbarkeit der Verbreitung rassistischer, rechtsextremistischer und neonazistischer Inhalte (2003); Liesching Anm. zu OLG Stuttgart v. 24.4.2006 – 1 Ss 449/05, MMR 2006 390; ders. Hakenkreuze in Film, Fernsehen und Computerspielen – Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen in Unterhaltungsmedien, MMR 2010 309; Lüttger Zur Strafbarkeit von Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen nach § 3 VersammlG, GA 1960 129; Molsberger/Wax Tatbestand und Korrektur – § 86a StGB im Horizont des Art. 20 Abs. 4 GG, JZ 2006 140; Muckel Kunstfreiheit – Darstellung des Hitlergrußes als geschützte Kunstperformance, JA 2014 479; Neubacher/Lörincz Der Stern, das Hakenkreuz, die Meinungsfreiheit, NJ 2013 500; Nöldeke NS-Symbole im politischen Tageskampf, NJW 1972 2119; Rahe Die Sozialadäquanzklausel des § 86a Abs. 3 StGB und ihre Bedeutung für das politische Kommunikationsstrafrecht (2002); Reichard Die Behandlung fremdenfeindlicher Straftaten im deutschen Strafrecht – Eine tatbestands- und strafzumessungsbezogene Analyse, Diss. Erlangen-Nürnberg 2009; Reuter Verbotene Symbole, Diss. HU Berlin 2005; Römer Verbreitungs- und Äußerungsdelikte im Internet, Diss. FU Berlin 2000; Rotthaus Tätowieren im Strafvollzug, NStZ 2010 199; Scholz Anm. zu BGH NStZ 1996 340, NStZ 1996 602; Schroeder Anm. zu BGH v. 15.3.2007 – 3 StR 486/ 06 (Die straflose Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen), JZ 2007 851; ders. Die Strafvorschriften der Bundesrepublik Deutschland gegen den Nationalsozialismus, JA 2010 1; Schumann Ist die Ausfuhr von Computerspielen mit NS-Symbolen strafbar? – Bemerkungen zu § 86a Abs. 1 Nr. 2 StGB, MMR 2011 440; Schwiddessen Hakenkreuze und verfassungswidrige Kennzeichen in Computerspielen, CR 2015 92; Sommerfeld Das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Beziehung auf den Dienst im Ausland – eine Strafbarkeitslücke für Soldaten?! NZWehrr 2014 196; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda und das Kennzeichenverbot des § 86a StGB, JR 2002 182; ders. Anm. zu BGH v. 31.7.2002 – 3 StR 495/01, JZ 2002 1180; ders. Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung von „hate crimes“, NJ 2008 108; ders. Anm. zu BGH v. 1.10.2008 – 3 StR 164/08, JZ 2009 164; ders. Anm. zu BGH v. 13.8.2009 – 3 StR 228/09, NStZ 2010 444; Steinmetz „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ – Verwechselbares Kennzeichen i. S. des § 86a Abs. 2 S. 2 StGB? NStZ 2002 118; ders. Anm. zu OLG Hamm v. 8.10.2003 – 2 Ss 407/ 03, NStZ 2004 444; ders. Anm. zu BGH v. 1.10.2008 – 3 StR 164/08, NStZ 2009 384; Tölle Polizei- und ordnungsbehördliche Maßnahmen bei rechtsextremistischen Versammlungen, NVwZ 2001 153; Trips-Hebert Mit dem Strafrecht gegen DDR-Symbole? Zur Debatte um ein erweitertes strafrechtliches Kennzeichenverbot, RuP 2013 216; Valerius Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts bei Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Internet, HRRS 2016 186; Vormbaum Anm. zu BGH v. 15.3.2007 – 3 StR 486/06 (Zum Schutzzweck des § 86a StGB), JR 2007 524; Wagner Das Spiel mit dem Hakenkreuz – (Un-)Zulässigkeit der Verwendung von NS-Symbolik in Computerspielen, MMR 2019 80; Wilhelm Der Reichsadler mit Hakenkreuz – ein verbotenes Kennzeichen i. S. des § 86a? DRiZ 1994 339; Würkner Anm. zu BVerfG, NJW 1988 325, NJW 1988 327; ders. Das BVerfG und die Freiheit der Kunst (1992); Zimmermann NS-Propaganda im Internet, § 86a und deutsches Strafanwendungsrecht, HRRS 2015 441; s. im übrigen auch bei § 86.

Entstehungsgeschichte Die durch das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) sachlich modifizierte Vorschrift entspricht dem früheren, durch das 6. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 9) eingefügten § 96a, der die §§ 4, 28 VersammlG ersetzte (näher hierzu Schafheutle JZ 1960 473). Art 19 Nr. 7 EGStGB brachte nur redaktionelle Änderungen, das 14. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 18) wirkte sich mit der Neufassung der Sozialadäquanzklausel in § 86 aus. Durch das 21. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 18) wurde die Vorschrift erweitert, indem die Vorbereitungshandlungen des Herstellens, Vorrätighaltens und Einführens in Anlehnung an § 86 Abs. 1 als Varianten vollendeter Tatbegehung in den Tatbestand aufgenommen wurden. Technische Änderungen und die Erweiterung von Absatz 2 Satz 2 brachte das Verbrechensbekämpfungsgesetz (Vor § 80 Rdn. 18 und Nachtrag zur 11. Auflage § 86a). Es stellt den Kennzeichen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

II. 1.

Objektiver Tatbestand 4 Tatobjekte 4 a) Kennzeichen

95

1 3

aa) Kennzeichen ehemaliger nationalsozi6 alistischer Organisationen bb) Kennzeichen anderer verfassungswid8 riger Organisationen 9 cc) Organisationsbezug

Steinsiek

§ 86a StGB

Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

b)

2.

3.

Zum Verwechseln ähnliche Kennzei10 chen 11 Tathandlungen und Tatumstände 11 a) Verbreiten b) Abgrenzung von Verbreiten und Verwen12 den 13 c) Verwenden aa) Begrenzung des Begriffs Verwenden 14 bb) Stellungnahme 15 cc) Beispiele für fehlende Verletzung des Schutzzwecks 16 dd) Beispiele für Verletzung des Schutz17 zwecks 18 d) Art des Verwendens 19 aa) Öffentlich 20 bb) In einer Versammlung cc) In vom Täter verbreiteten Schrif21 ten dd) Durch öffentliches Zugänglichmachen 22 in Datenspeichern 23 e) Vorbereitungshandlungen 24 Tatort a) Die Tathandlungen des § 86a Abs. 1 Nr. 1 24 b) Tathandlungen nach § 86a Abs. 1 25 Nr. 2

3.

26 Sozialadäquanzklausel 27 Kunstfreiheit 28 a) Werk- und Wirkbereich 29 b) Keine Niveaukontrolle 30 c) Zweck der Darstellung 31 d) Auslegungsgrundsätze 32 e) Grenzen und Abwägung Wissenschaft, Forschung, Lehre und Berichter33 stattung a) Staatsbürgerliche Aufklärung, Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen 34 b) Berichterstattung über Vorgänge der Geschichte 35 36 Ähnliche Zwecke

IV.

Subjektiver Tatbestand

V.

Teilnahme

VI.

Strafrahmen

III. 1.

2.

37

39 40

VII. Nebenfolgen und Einziehung VIII. Konkurrenzen IX.

41

42

Opportunitätsprinzip; Zuständigkeiten

43

I. Zweck der Vorschrift 1 § 86a bezweckt neben dem Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung den Schutz des politischen Friedens in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Erreichung dieser Ziele soll bereits der Anschein einer Wiederbelebung verfassungswidriger Organisationen sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet sei, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden. Darüber hinaus soll § 86a auch verhindern, dass sich die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, ungeachtet der damit verbundenen Absichten, wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens der Bundesrepublik Deutschland zu verbannen, nicht erreicht wird. Dies hätte zur Folge, dass sie schließlich wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden könnten.1 2 Die Tat ist Staatsgefährdungsdelikt (verletzt im Sinne des § 172 Abs. 1 StPO ist daher nicht der einzelne Staatsbürger, Düsseldorf NJW 1988 2906). Die systematisch zutreffend den Organisationstatbeständen angeschlossene Vorschrift trifft als abstrakter Gefährdungstatbestand (BGHSt 23 267, 268) zusammen mit § 86 Betätigungen, die auch ohne persönliche Verbindung des Täters zu einer der verfassungswidrigen Organisationen gefährlich und strafwürdig erscheinen. Bestraft wird nach h. M. die abstrakte Gefahr einer inhaltlichen Identifizierung mit dem 1 BVerfG NJW 2009 2805; NJW 2010 163 f.; BGHSt 23 267, 268; 25 30, 33; 25 133, 137; 47 354, 358 f.; BGH NStZ 1983 261, 262; OLG Hamm NJW 1985 2146; OLG Düsseldorf JZ 1987 836; OLG München NStZ 2007 97; Zöller SK Rdn. 1; Steinmetz MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; krit. Paeffgen NK Rdn. 2 u. 4; Ellbogen BeckOK Rdn. 2; Kett-Straub NStZ 2011 605. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 86a

Bedeutungsgehalt symbolträchtiger Kennzeichen, deren Verbreitung oder Verwendung den Anschein erwecken kann, verfassungswidrige Organisationen könnten trotz ihres Verbots ungehindert agieren. Bezieht sich § 86a auf Propagandamittel im Sinne des § 86 Abs. 2, in denen sich eine verfassungs- oder friedensfeindliche Zielsetzung solcher Organisationen niedergeschlagen hat, so erfasst § 86a die propagandistisch wirksame Verwendung von Symbolen solcher Zusammenschlüsse. Für das Vorstadium des vollziehbaren Verbots greift § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG ein (bei § 85 abgedruckt).

II. Objektiver Tatbestand Tathandlung ist das Verbreiten oder Verwenden eines Kennzeichens einer der in § 86 Abs. 1 3 Nrn. 1, 2 und 4 bezeichneten Organisationen (s. dazu im Einzelnen § 86 Rdn. 11 ff. und 19 ff.). Dabei wird das Verwenden jedoch nur erfasst, soweit es öffentlich, in einer Versammlung oder in vom Täter verbreiteten Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 erfolgt (Absatz 1 Nr. 1). Das Verbot bestimmter Organisationen erfasst nicht Kennzeichen vergleichbarer Organisationen (LG Cottbus StrFO 2002, 407 „Hells angels“). Daneben stellt Absatz 1 Nr. 2 bestimmte Vorbereitungshandlungen zu den Taten nach Absatz 1 Nr. 1 als vollendete Delikte unter Strafe, nämlich das Herstellen, Vorrätighalten und Einführen von Gegenständen, die Kennzeichen der bezeichneten verfassungswidrigen Organisationen darstellen oder enthalten, soweit dies zum Zwecke der Verbreitung oder Verwendung in der in Absatz 1 Nr. 1 bezeichneten Art und Weise erfolgt.

1. Tatobjekte a) Kennzeichen. Der Begriff des Kennzeichens ist in Absatz 2 durch Beispiele (Fahnen, Abzei- 4 chen, Uniformteile, Parolen und Grußformen) erläutert, wobei, wie das Wort „namentlich“ unterstreicht, die Aufzählung nicht abschließend ist. In Abgrenzung zu den von § 86 erfassten Propagandamitteln lässt sich ein Kennzeichen als ein optisches oder akustisches Symbol definieren, welches anders als eine Schrift i. S. d. § 11 Abs. 3 keiner Verkörperung bedarf. Tatobjekte sind Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4 bezeichneten Parteien 5 oder Vereinigungen. Es muss sich also um für verfassungswidrig erklärte Parteien, unanfechtbar verbotene verfassungsfeindliche Vereinigungen oder ehemalige nationalsozialistische Organisationen handeln. Wesentliches Merkmal des Kennzeichenbegriffs ist die Hinweisfunktion auf die äußere Zusammengehörigkeit der Anhänger einer bestimmten politischen Auffassung. Dazu müssen sich diese Organisationen die Symbole zu sinnbildlicher propagandistischer Verwendung zugelegt haben, ohne dass es hierzu auf irgendeinen formalen Akt ankäme. Die bloße Verwendung des Namens einer von § 86a StGB erfassten Organisation ist nicht ausreichend.2 Die Geltung des Verbotsprinzips für Ersatzorganisationen hat nicht zur Folge, dass im Dienste einer noch nicht verbotenen Ersatzorganisation Symbole der verbotenen Hauptorganisation wieder Verwendung finden dürfen, sie bleiben verboten. Konsequenz des Verbotsprinzips ist, dass auch Symbole, die sich eine Ersatzorganisation neu zulegt, erst nach deren Verbot von der Vorschrift erfasst werden.

aa) Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen. Beispiele: Als ein 6 solches Kennzeichen ist generell das Hakenkreuz anzusehen3 und zwar unabhängig davon, dass dieses Zeichen nach 1933 auch als staatliches Symbol des Deutschen Reiches eingeführt 2 BGHSt 54 61, 67; abl. Stegbauer NStZ 2012 17; dies gilt auch für Namensabkürzungen wie NSDAP, SS, SA, etc. (zust. Paeffgen NK Rdn. 11a, Steinmetz MK Rdn. 7).

3 BGHSt 23 267, 269; 25 133, 135; 29 73, 83. 97

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§ 86a StGB

Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

wurde.4 Die Kennzeicheneigenschaft eines Hakenkreuzes entfällt nicht bereits dadurch, dass es mit verkürzten Querbalken,5 abgerundeten Haken6 oder in Verbindung mit dem Davidstern7 dargestellt wird. Ebenso reicht eine Darstellung aus, die jedenfalls aus einigen Metern Abstand auf den Betrachter wie ein originales Hakenkreuz wirkt.8 Auch ein Schmuckstück in Hakenkreuzform wird als Kennzeichen im Sinne des § 86a anzusehen sein.9 Des Weiteren kommen in Betracht SA-Standarten,10 das Kopfbild Hitlers11 – dazu gehören auch ikonenhafte Darstellungen als (partei-)amtliches Porträt, nicht jedoch fotografische oder filmische Darstellungen Hitlers durch Schauspieler –, ein Bildnis Heinrich Himmlers in Uniform,12 die Sigrunen der SS,13 die Sigrune des „Deutschen Jungvolks“,14 das Braunhemd,15 der Gruß „Heil Hitler“,16 der Gruß „Sieg Heil“,17 die Parole „Alles für Deutschland“ (Losung der SA),18 und auch die im nationalsozialistischen Briefverkehr gebräuchliche Schlussform „Mit deutschem Gruß“, wenn Aufmachung und Inhalt des Briefes erkennen lassen, dass dies im nationalsozialistischen Sprachgebrauch gemeint ist (BGHSt 27 1). Erfasst wird auch der „Hitler-Gruß“, also das Ausstrecken des hochgehaltenen Arms,19 das „Horst-Wessel-Lied“,20 selbst wenn es mit verfremdetem Text gesungen wird21 sowie das Lied „Es zittern die morschen Knochen“.22 Auch die Wiedergabe von Reden Adolf Hitlers kann als Kennzeichen i. S. d. § 86a gewertet werden.23 Haben einzelne Symbole eine z. T. bis ins Altertum zurückreichende abweichende Geschichte/Bedeutung, so stellt dies dennoch regelmäßig keine Schwierigkeiten für die Bejahung des Tatbestandes dar, wenn sich diese durch die NS-Zeit so stark von ihrer ursprünglichen Bedeutung entfernt haben, dass sie nunmehr primär mit ihrer neuen Zuschreibung identifiziert werden (z. B. Hakenkreuz, Sig-Rune).24 Dagegen scheidet eine Figuration, die nur bei intensiver Betrachtung an ein Hakenkreuz 7 erinnert, als Kennzeichen aus,25 ebenso die Karikatur eines Menschen in Hakenkreuzform,26 eine Montage mit nur einer Gesichtshälfte Hitlers,27 eine Darstellung Hitlers in einem Faschingsumzug28 oder die Reichskriegsflagge, da diese nicht auf eine konkrete Organisation hindeutet. Das Singen des Liedes vom „Wildschützen Jennerwein“ genügt nicht, obwohl es in den ersten

4 BGHSt 28 394, 395 f.; dazu Lüttger GA 1960 129, 132. 5 OLG Köln NStZ 1984 508. 6 Offengelassen in BGHSt 25 133, 135. 7 Anders BayObLG NJW 1988 2901, 2902; Rdn. 16 a. E. 8 OLG Hamburg NStZ 1981 393 mit Anm. Bottke JR 1982 77. 9 Offengelassen von OLG Celle NStZ 1981 221 mit Anm. Foth JR 1981 382. 10 BGH bei Wagner GA 1967 106. 11 BGHSt 28 394, 395; 29 73, 83; BGH MDR 1965 923; OLG München NStZ 2007 97. 12 OLG München v. 7.5.2015 – 5 OLG 13 Ss 137/15. 13 OLG Frankfurt NStZ 1982 333; offen gelassen von OLG Stuttgart MDR 1982 246; BGH NStZ 1983 261, 262. 14 BGH bei Schmidt MDR 1986 177. 15 BayObLG NStZ 1983 120. 16 BGH, Beschl. v. 10.8.2010 – 3 StR 286/10 –; OLG Celle NJW 1970 2257, 2258; OLG Oldenburg NStZ 1986 166; BayObLG NStZ-RR 2003 233. 17 OLG Düsseldorf MDR 1991 174. 18 OLG Hamm NStZ 2007 45; Stegbauer NStZ 2008 73, 76. 19 BGHSt 25 30, 34; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 19.7.1995, – 2 BvR 674/95 –. 20 BGH MDR 1965 923; BayObLG NJW 1962 1878. 21 OLG Oldenburg NStZ 1988 74. 22 OLG Celle NJW 1991 1497. 23 Ellbogen BeckOK Rdn. 13. 24 Ebenso Steinmetz MK Rdn. 10. 25 BGH bei Schmidt MDR 1981 972. 26 BGHSt 25 128, 131 f. 27 BGHSt 25 133, 134 f. 28 AA AG Münsingen MDR 1978 72, 73. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 86a

Takten mit dem „Horst-Wessel-Lied“ übereinstimmt.29 Nicht erfasst sein soll der jeweils für den achten Buchstaben des Alphabets („H“) stehende Code „HH“30 bzw. „88“,31 was jeweils mangels Verwendung vor 1945 zutrifft. Der BGH hat offen gelassen, ob eine Darstellung des „Hitler-Grußes“ in der Form, dass der erhobene rechte Arm als Rohr einer Panzerkanone abgebildet wird, ein verbotenes Kennzeichen ist.32 Verneint worden ist eine Strafbarkeit der von Adolf Hitler selbst genutzen Grußform des Anhebens des abgewinkelten rechten Arms.33 Nicht erfasst ist das „Rudolf Heß Bild“ aufgrund der ihm erst 1945 zugeschriebenen Symbolik,34 ein Aufkleber mit der Frakturschrift „Sachsen“ bei Tragen eines Koppelschlosses mit verdecktem Hakenkreuz,35 das Tragen einer Halskette mit Lebensrune,36 ein T-Shirt mit der Abbildung eines nordischen Kämpfers und einem Keltenkreuz sowie der Aufschrift „Lever Dod als Slav“. Bei dem Logo LONSDALE handelt es sich bereits wegen der vollständigen Integration der inkriminierten Abkürzung in eine Markenbezeichnung um eine straflose Anspielung auf die NSDAP.37 Ebenso muss es sich bei Kleidungsstücken der Marke CONSDAPLE verhalten, auch wenn diese derart getragen werden, dass allein die mittigen fünf Buchstaben erkennbar sind, da sodann allein ein Namenskürzel präsentiert wird.38 Etwas anderes kann nur gelten, wenn weitere zweckverdeutlichende Indizien hinzutreten. Das sog. Keltenkreuz ist seit BGHSt 52 371 (m. w. N. zur abw. Älteren Rspr.) auch dann erfasst, wenn es ohne konkreten Hinweis auf eine verbotene Organisation verwendet wird,39 nicht aber ein T-Shirt mit der Aufschrift „Rotfront verrecke“.40 Verneint wurde die Kennzeicheneigenschaft, auch die Verwechselungsfähigkeit für schwarze Stoffdreiecke mit silberner Umrandung und Aufdruck eines Ländernamens, das keine hinreichende Ähnlichkeit mit dem „Obergau-Armdreieck“ des Bundes Deutscher Mädel habe.41

bb) Kennzeichen anderer verfassungswidriger Organisationen. Als solches wurde das 8 FDJ-Abzeichen angesehen,42 nicht jedoch das dunkelblaue Hemd der FDJ, wenn darauf das entsprechende Emblem fehlt.43 Das Verbot der FDJ (BVerwG NJW 1954 1947) ist durch die Einigung Deutschlands nicht erledigt. Die Vorschrift wird jedoch restriktiv auszulegen sein, weil die politische Relevanz der FDJ obsolet zu sein scheint. Die Möglichkeit eines Tatbestandsirrtums kann nahe liegen.44 Als strafbares Kennzeichen anderer verfassungswidriger Organisationen ist auch die Flagge des sog. „Islamischen Staates (IS)“ einzuordnen.45

cc) Organisationsbezug. Es werden nur Symbole der bezeichneten verfassungswidrigen Or- 9 ganisationen erfasst, also sämtliche von der betreffenden Organisation selbst verwandte und ihr 29 BayObLG NJW 1990 2006, 2007; krit. Kett-Straub DRiZ 2011 325, 327; vgl. allg. für Lieder OLG Celle NJW 1991 1497. 30 Bartels/Kollorz NStZ 2002 297, 300. 31 OLG Brandenburg, Urt. v. 12.9.2005 – 1 Ss 58/05, Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2. 32 BGHSt 25 133, 136. 33 BayObLG NStZ-RR 2003, 233; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3. 34 OLG Rostock NStZ 2002 320; krit. Volkmann JZ 2010 209, 213. 35 OLG Dresden NJ 2000 551. 36 BayObLG GA 1998 181. 37 VG Berlin NVwZ-RR 2002 33. 38 Zu der Marke allgemein vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2004 12. 39 Gegen dieses Erfordernis Stegbauer NStZ 2015 201, 202. 40 BGHR StGB § 86a Kennzeichen 1; vgl. aber § 86 Rdn. 18; eingehend Steinmetz NStZ 2004 444. 41 BayObLG NStZ 1999 190 mit abl. Anm. Bartels/Kollorz NStZ 2000 648. 42 OLG Hamm NJW 1985 2146. 43 BayObLG NJW 1987 1778. 44 Fischer Rdn. 7; s. auch Paeffgen NK Rdn. 11; vgl. zum Gesamtkomplex auch Herrmann StRR 2014 294, 294 f. 45 Vgl. VG Braunschweig MMR 2019, 274. 99

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Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

zuzurechnende Identifizierungszeichen. Von der Organisation nicht verwandte ungebräuchliche Darstellungen des Kennzeichens scheiden aus.46 Die Zuschreibung durch Außenstehende genügt nicht. Ebenso sind Verfremdungen des Kennzeichens nicht tatbestandsmäßig im Sinne des Satzes 1. Andererseits muss aber auch keine Übereinstimmung bis in die letzte Einzelheit bestehen.47 Ohne Belang ist es, ob das Kennzeichen der Allgemeinheit tatsächlich bekannt ist.48 Eine generelle Abgrenzung ist insoweit nicht möglich, sie kann jeweils nur im Einzelfall getroffen werden und ist nicht immer unproblematisch (vgl. Rdn. 6, 7 u. 10).

10 b) Zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen. Wichtig ist die Erweiterung des Tatbestandes durch Absatz 1 Satz 2 auf solche Kennzeichen, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.49 Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die schon seit längerer Zeit erfolgende – unter dem Gesichtspunkt des Analogieverbots seinerzeit keineswegs unbedenkliche50 – Auslegung von Teilen der Rechtsprechung bestätigt. Dadurch haben sich die in Rdn. 6 und 7 aufgezeigten Abgrenzungsprobleme zum Teil erledigt. Es kommt dabei, entgegen früherer oberlandesgerichtlicher Rechtsprechung, nicht darauf an, ob das (vergleichbare oder zu vergleichende) Symbol einen gewissen Bekanntheitsgrad hat.51 Der Tatbestand ist dann gegeben, wenn ein gesteigerter Grad sinnlich wahrnehmbarer Ähnlichkeit gegeben ist. Erforderlich ist eine objektiv vorhandene Übereinstimmung in wesentlichen Vergleichspunkten. Es muss nach dem Gesamteindruck eines durchschnittlichen, nicht genau prüfenden Betrachters eine Verwechselung mit dem Original möglich sein. Dafür genügt nicht, dass sich lediglich einzelne Merkmale des Vorbilds in der Abwandlung wieder finden, ohne dass dadurch einem unbefangenen Betrachter, der das Original kennt, der Eindruck des Originalkennzeichens vermittelt wird.52 Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung und nicht der Vergleich einzelner Teile der Parole. Die Grenze zur verbotenen Analogie darf dabei nicht überschritten werden. Das ist zu verdeutlichen bei der Losung „Ruhm und Ehre der WaffenSS“, die mit dem Kennzeichen der Hitler-Jugend (HJ) „Blut und Ehre“ zum Verwechseln ähnlich sein soll.53 Der BGH (NJW 2005 3223 ff.) hat allerdings ausgeführt, die Losung sei nach Form und Inhalt deutlich von der Parole der Waffen-SS („Meine Ehre heißt Treue“) zu unterscheiden, so dass es an einer Verwechselungsfähigkeit fehle.54 Auch eine Vergleichbarkeit mit der genannten Parole der HJ bestehe nicht, weil bereits durch den Zusatz „WaffenSS“ eine Vergleichbarkeit ausgeschlossen sei. Anders ist es mit der Parole „Unsere Ehre heißt Treue“, die der Originallosung „Meine Ehre heißt Treue“ ähnlich ist (OLG Hamm NStZ 2002 231). Die Übersetzung des HJ-Leitspruchs „Blut und Ehre“ ins Englische („Blood & Honour“) kann ebenfalls nicht zu Verwechselungen führen, da diese Version von der HJ nicht genutzt wurde (BGHSt 54, 61). Problematisch ist mit der Gesetzesänderung die Einordnung der Verwendung des Kühnen-Grußes („Widerstands-Gruß“ hochgehaltener, ausgestreckter rechter Arm, wobei jedoch nur Daumen, Zeige- und Mittelfinger abgespreizt werden – kein NS-Kenn-

46 47 48 49

BVerfG NJW 2006 3050, 3052; BGHSt 54 61. BGH bei Schmidt MDR 1986 177: leicht abgeänderte Sigrune des „Deutschen Jungvolks“. BGHSt 47 354, 358 ff.; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; aA Paeffgen NK Rdn. 7. Zweifel an der Erreichbarkeit der mit der Erweiterung angestrebten kriminalpolitischen Ziele äußern Bonefeld DRiZ 1993 430, 437 u. Lackner/Kühl Rdn. 2a. 50 Paeffgen NK Rdn. 9. 51 BGHSt 47 354, 358 f.; Stegbauer JZ 2003 1180; Beckkemper JA 2003 18; Steinmetz MK Rdn. 14; krit. Paeffgen NK Rdn. 9. 52 BVerfG NJW 2009 2806; BGH NJW 2005 3223 ff.; BGH NStZ 2003 31, 32. 53 OLG Karlsruhe NJW 2003 1200; zu „Blut und Ehre“ BGH NStZ 2015 512, 513. 54 So auch Steinmetz NStZ 2002 118; ders. MK Rdn. 14; Fischer Rdn. 12. Steinsiek

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zeichen nach BGH bei Schmidt MDR 1981 973). Der Gesetzgeber wollte ihn allerdings erfassen (BTDrucks. 12/4825 S. 5 ff.). Es fehlt jedoch eine Verwechselungsfähigkeit.55

2. Tathandlungen und Tatumstände a) Verbreiten ist das Überlassen an andere zur Weitergabe an beliebige Dritte (vgl. im Einzel- 11 nen die Ausführungen bei § 86 Rdn. 19 ff.). Das Kennzeichen wird dadurch wirksam gemacht, dass es durch Sichtbarmachen an möglichst vielen Orten oder bei möglichst vielen Gelegenheiten einem besonders großen Personenkreis dargeboten wird. Zu beachten ist jedoch, dass wegen der unterschiedlichen Art der in Betracht kommenden „Verbreitungsobjekte“ (Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 bei § 86, Kennzeichen bei § 86a), der Begriff des Verbreitens in den beiden Vorschriften nicht völlig deckungsgleich ist.56 Bei nicht in irgend einer Form vergegenständlichten Kennzeichen (Grußformen, Parolen, Liedern etc.) ist es für ein Verbreiten im Sinne des § 86a bereits ausreichend, wenn sie einem größeren Personenkreis optisch oder akustisch wahrnehmbar gemacht werden. Dies kann im Gegensatz zu § 86 etwa auch bei einer Direktübertragung im Rundfunk oder Fernsehen der Fall sein.

b) Abgrenzung von Verbreiten und Verwenden. Die Begehungsformen des Verbreitens und 12 Verwendens werden sich vielfach ergänzen und überschneiden. Während jedoch das Verwenden insbesondere den Gebrauch des Kennzeichens im Zusammenhang mit der Veranstaltung von Umzügen und Versammlungen oder der Herstellung von Propagandaschriften betrifft, richtet sich die Begehungsform des Verbreitens auch auf die Fälle, in denen das Kennzeichen für sich allein dadurch wirksam gemacht werden soll, dass es einem großen Personenkreis dargeboten wird, etwa durch Sichtbarmachung an möglichst vielen Orten oder bei möglichst vielen Gelegenheiten. Zu denken ist an die Fälle, in denen das Symbol auf Hauswände und Mauern gemalt, massenweise in ausgestanzten Stücken verstreut oder auf Anstecknadeln vertrieben wird.

c) Verwenden. Unter Verwenden fällt jeder Gebrauch, der das Kennzeichen optisch oder akus- 13 tisch wahrnehmbar macht (BGHSt 23 267, 269), ohne dass es auf eine körperliche Überlassung ankommt (Sieber JZ 1996 494 m. w. N.). aa) Begrenzung des Begriffs Verwenden. Der BGH hat den Begriff des Verwendens zunächst 14 im umfassenden Sinne verstanden. Danach sollte, soweit kein Ausnahmefall nach Absatz 3 in Verbindung mit § 86 Abs. 3 vorlag, jegliches Gebrauchmachen von einem Kennzeichen ein Verwenden darstellen, ohne dass es auf die hiermit verbundene Absicht des Täters ankäme.57 Die im Schrifttum teilweise vertretene Auffassung, nur ein Zeigen oder Benutzen des Kennzeichens unter Umständen, die als Bekenntnis zu den Zielen der verbotenen Organisation aufgefasst werden können und daher eine Gefährdung des Schutzgutes des § 86a nahe legen, stelle ein Verwenden im Sinne der Vorschrift dar,58 hat der BGH unter Hinweis auf die Ausgestaltung des § 86a als abstrak55 Steinmetz NStZ 2002 118, 119; Paeffgen NK Rdn. 9; aA Fischer Rdn. 12, der darauf hinweist, dass der Gruß ersonnen wurde, weil er „verwechselt“ werden soll (was angesichts des Wortlauts, der eine obj. Verwechselbarkeit fordert, jedoch eine kaum tragfähige Begründung darstellt). 56 AA Paeffgen NK Rdn. 12. 57 BGHSt 23 267 im Anschluss an BayObLG NJW 1962 1878 zu § 96a a. F.; ebenso Greiser NJW 1969 1155; 1972 1556, 1557; Lüttger GA 1960 129, 137; Schafheutle JZ 1960 470, 474. 58 Willms LK10 Rdn. 5; Paeffgen NK Rdn. 14; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1 u. 6; Zöller SK Rdn. 8 f. 101

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tes Gefährdungsdelikt und den Schutzzweck der Norm (s. Rdn. 1) zunächst zurückgewiesen (BGHSt 23 267, 268 f.; 25 30, 31 f.). Eine derartige Einschränkung des Tatbestandes werde dem Ziel des Gesetzgebers nicht gerecht, Kennzeichen im Sinne des § 86a aus dem politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland zu verbannen. Jedoch hat der BGH die mit seiner in BGHSt 23 267 enthaltenen Auslegung verbundene und allein durch §§ 86a Abs. 3, 86 Abs. 3 nicht ausreichend eindämmbare Gefahr einer Überdehnung des Tatbestandes erkannt. Er hat daher seine Auffassung dahingehend modifiziert, dass eine Kennzeichenverwendung, die dem Schutzzweck des § 86a ersichtlich nicht zuwiderlaufe, aus dem Tatbestand auszuschließen sei.59 Mit dieser Formel soll nicht nur der Kennzeichengebrauch im Sinne der angesprochenen Organisationen verhindert und der rein geschäftsmäßige Gebrauch zu kommerziellen Zwecken ausgeschlossen, sondern auch der Gefahr begegnet werden, dass solche Kennzeichen über einen Einsatz durch politische Gegner der betreffenden Organisationen, die Andersdenkende als Geistesverwandte der verfassungswidrigen Organisation hinstellen, wieder zu einer im täglichen Leben gebräuchlichen Erscheinung werden. Seit BGHSt 51 244 ist eine weitere Annährung zur o. g. Literaturansicht erfolgt, wenn nunmehr die Rspr. einen Tatbestandsausschluss annimmt, soweit der Täter in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt.60 Beide Ansichten unterscheiden sich aber weiterhin im Hinblick auf „neutrale“ Handlungen, also solche, die weder Bekenntnis noch Gegnerschaft ausdrücken. Die Tatbestandseinschränkung muss im Übrigen auch für die anderen Tatvarianten des § 86a Gültigkeit besitzen.

15 bb) Stellungnahme. Die vom BGH vorgenommene Eingrenzung lässt die Entscheidung, ob ein Kennzeichengebrauch vom Tatbestand des § 86a erfasst wird, nur von Fall zu Fall zu. Die Tat nach § 86a ist zwar ein abstraktes Gefährdungsdelikt, aber nur unter den Voraussetzungen, dass die Umstände der Tat eine Gefährdung nahe legen. Eine übermäßige Beeinträchtigung der Rechtssicherheit ist hierdurch dennoch nicht zu besorgen, weil mit der Sozialadäquanzklausel des Absatzes 3 in Verbindung mit § 86 Abs. 3 ein zusätzliches Instrument zur Konturierung des Tatbestandes zur Verfügung steht. Trotzdem sind diese beiden Tatbestandseinschränkungen auseinander zu halten, denn nach der Konzeption des BGH ist zunächst zu prüfen, ob der Gebrauch des Kennzeichens im konkreten Fall dem Schutzzweck der Norm offensichtlich nicht zuwiderläuft.61 Nur wenn eine Beeinträchtigung des Schutzzweckes nicht von vornherein auszuschließen ist, kann die Sozialadäquanzklausel Anwendung finden (vgl. auch Foth JR 1981 382 f.).

16 cc) Beispiele für fehlende Verletzung des Schutzzwecks. Ein Tatbestandsausschluss nach den dargestellten Grundsätzen wurde von BGHSt 25 30, 34 f. für den Fall eines einmaligen Verwendens des „Hitler-Grußes“ verbunden mit dem Ruf „Sieg-Heil“ bejaht, soweit dies als Protest gegen überzogene polizeiliche Maßnahmen und deren Charakterisierung als nazistische Methoden aufzufassen und damit als Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu verstehen ist (s. auch Fn. 16). Ebenso wird nach OLG Oldenburg NStZ 1986 166 der Schutzzweck des § 86a nicht be-

59 BGHSt 25 30, 32 ff.; 25 133, 136 f.; 28 394, 396; 52 364; BGH NStZ 2016 86; dem haben sich die OLGe angeschlossen: vgl. OLG Hamburg NStZ 1981 393 mit Anm. Bottke JR 1982 77; OLG Hamm NJW 1982 1656, 1657; 1985 2146; OLG Stuttgart MDR 1982 246; OLG Frankfurt NStZ 1982 333; OLG Köln NStZ 1984 508; OLG Oldenburg NStZ 1986 166, 167; BayObLG NJW 1988 2901, 2902; BayObLG DuR 1982 194 mit Anm. Hase; Lackner/Kühl Rdn. 4; BayObLGSt 2002 43 verlangt zu Recht eine eingehende Begründung. 60 Danach hebt etwa das deutliche Durchstreichen eines NS-Symbols auf einem T-Shirt den Symbolcharakter bereits auf. Dies muss sodann auch für ein Auslegen zum Zwecke des Verkaufs gelten. Auch das spätere Tragen des T-Shirts kann nach den Umständen die Ablehnung des Nationalsozialismus deutlich machen. 61 AA Steinmetz MK Rdn. 22, der den Tatbestandsausschluss nur vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 86a Abs. 3 i. V. m. § 86 Abs. 3 abhängig macht. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 86a

rührt, wenn ein Kraftfahrer aus Protest gegen das Verhalten von zwei Politessen diesen „Heil Hitler“ zuruft. Im Urteil vom 10.7.1974 (3 StR 6/71 I) stellte der BGH fest, § 86a greife nicht ein, wenn eine größere Anzahl von Plastikschweinchen mit den Farben der Bundesrepublik Deutschland sowie einem Hakenkreuz auf weißem kreisförmigem Untergrund bemalt und an verschiedene Kunstsammlungen, Museen und Galerien in der Bundesrepublik zum Verkauf versendet werde. Die Verwendung des Hakenkreuzes erfolge deutlich erkennbar in kritisch abwertendem Sinne und laufe daher dem Schutzzweck des § 86a nicht zuwider. BGHSt 25 133, 136 sah in einem Plakat, auf dem die Kanone eines Panzers als zum „Hitler-Gruß“ erhobener Arm dargestellt wurde, keine Kennzeichenverwendung nach § 86a, da die von dem Plakat ausgehende Wirkung auf Dritte nicht in eine dem Symbolgehalt nationalsozialistischer Kennzeichen entsprechende Wirkung gesehen werden könne. Im Anschluss an diese Entscheidung erachtete das OLG Stuttgart MDR 1982 246 durch die Verwendung der SS-Runen bei der Darstellung des Namens eines Politikers (F. J. Strauß) auf einem Plakat, das nach seinem sonstigen Inhalt ersichtlich vor einem Wiederaufleben des Nationalsozialismus und seines Gedankengutes warnen will, den Tatbestand des § 86a nicht als erfüllt (aA OLG Frankfurt NStZ 1982 333 für eine Plakette mit der Aufschrift „Antifaschistische Aktion – Stoppt Strauß“). Nach BayObLG NJW 1988 2901, 2902 berührt die Verwendung des „Rael“-Symbols (Verbindung von Hakenkreuz und Davidstern) den Schutzzweck des § 86a nicht (vgl. Rdn. 6), da die Betrachtung des Zeichens nur zu der Vorstellung führen könne, es verkörpere ein neues, bisher nicht geläufiges Gedankengut, jedoch keine Assoziationen zu Ideen und Zielen des Nationalsozialismus wecke.

dd) Beispiele für Verletzung des Schutzzwecks. Ein Verwenden im Sinne des § 86a wurde 17 dagegen angenommen bei der Auslage mit NS-Kennzeichen versehener Orden, Abzeichen, Uniformen, Waffen und ähnlicher Gegenstände in Geschäfts- oder Ausstellungsräumen (BGHSt 31 383, 384; vgl. Fn. 16; BGH, Urteil vom 18.10.1972, 3 StR 5/71 I), der Auslage eines Exemplars von „Mein Kampf“ mit auf dem Einbanddeckel eingeprägtem Hakenkreuz (BGHSt 29 73, 83 f.), dem Vertrieb von Flugzeugmodellen der ehemaligen Luftwaffe mit daran angebrachten Hakenkreuzen (BGHSt 28 394, 396 f.), dem öffentlichen Zurschaustellen eines originalgetreuen Nachbaus eines Modellflugzeuges mit Hakenkreuz (OLG München NStZ-RR 2005 371) oder dem Anbringen eines Plakates, das ein in die Reichskriegsflagge eingefügtes Hakenkreuz darstellt, an dem Fenster eines Mietshauses (OLG Hamburg NStZ 1981 393). Das Aufsprühen von Hakenkreuzen auf Plakate politischer Parteien (OLG Köln NStZ 1984 508) und die Darstellung des Hakenkreuzes auf einem Plakat, durch das auf Missstände im Bereich der Justiz hingewiesen werden soll (BayObLG DuR 1982 194) wurden als tatbestandsmäßig angesehen, da die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus für einen objektiven Dritten aus der Kennzeichenverwendung nicht offensichtlich hervorgehe. Das LG Frankfurt NStZ 1986 167 hat durch das Vertreiben von T-Shirt Aufbüglern mit Darstellungen Hitlers den Schutzzweck des § 86a berührt gesehen, weil der Gesamtinhalt der Aufbügler sich nicht auf den ersten Blick als Verhöhnung des Nationalsozialismus darstelle. Auch derjenige, der bei einer Werbeaktion für ein Singspiel mit dem Blauhemd der FDJ mit aufgenähtem entsprechenden Emblem auftritt, soll nach OLG Hamm NJW 1985 2146 den Schutzzweck des § 86a beeinträchtigen (vgl. aber Rdn. 8). Zur Anwendung der Sozialadäquanzklausel des Absatzes 3 i. V. m. § 86 Abs. 3 in den dargestellten Fällen s. Rdn. 24 bis 35.

d) Art des Verwendens. Das Verwenden muss öffentlich, in einer Versammlung oder in vom 18 Täter verbreiteten Schriften (§ 11 Abs. 3) erfolgen. Zu den Begriffen „öffentlich“ und „Versammlung“ s. im Übrigen § 90 Rdn. 6 ff. u. 10 ff. aa) Öffentlich. Ein öffentliches Verwenden setzt lediglich voraus, dass die Möglichkeit der 19 Wahrnehmung des Kennzeichen von unbestimmt vielen Personen besteht. Nicht erforder103

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lich ist, dass es auch tatsächlich jemand wahrgenommen hat. Auf eine konkrete Gefährdung der Rechtsgüter kommt es nicht an. Dabei ist nicht die Öffentlichkeit des Ortes, an dem das Kennzeichen verwendet wird, entscheidend, sondern die Möglichkeit der Wahrnehmung durch einen größeren, nicht beschränkten Personenkreis (OLG Celle NStZ 1994 440; OLG Frankfurt NStZ 1999 356, 357; BayOblG NStZ-RR 2003 233). Aufgrund dieser Beschränkungen scheidet z. B. das Anlegen eines Ordens mit nationalsozialistischem Emblem im Familienkreis aus, ebenso das Aufstellen eines Flugzeugmodells mit Hakenkreuz oder das Aufhängen eines Hitlerbildes in der Privatwohnung. So ist das Tragen eines Koppelschlosses mit dem Schriftzug „Meine Ehre heißt Treue“ im Auto, wo es nicht gesehen werden kann, straflos. Anders wird es zu beurteilen sein, wenn der Träger das Fahrzeug verlässt und das Koppelschloss von einer unbestimmten Anzahl von Personen gesehen werden kann (OLG Dresden, Urteil vom 22.8.2006 – 1 SS 327/06 –). Da ein öffentliches Zugänglichmachen (vgl. §§ 74d Abs. 4, 184 Abs. 1 Nr. 2) noch kein öffentliches Verwenden darstellt, werden auch das öffentliche Auslegen eines Buches, das nur im Buchinnern ein Kennzeichen enthält (BGHSt 29 73, 82), und das Ausstellen einer Armbinde des „Volkssturms“ in einer Form, dass das Hakenkreuz nicht sichtbar ist (OLG Köln MDR 1980 420), nicht erfasst. Dagegen hat BGHSt 29 73, 83 f. das Auslegen eines Buches mit auf dem Buchdeckel aufgeprägtem Hakenkreuz in einem Marktstand zutreffend als öffentliches Verwenden angesehen, ebenso BGHSt 31 383, 384 und BGH, Urteil vom 18. Oktober 1972 (– 3 StR 7/71 I –) das Ausstellen von Gegenständen in Geschäfts- oder einsehbaren Lagerräumen. Nichts anderes gilt für jegliches Plakatieren auf einer öffentlichen Straße (vgl. OLG Koblenz MDR 1977 334).

20 bb) In einer Versammlung. Eine Versammlung ist als nicht nur zufälliges, zeitweiliges Beisammensein von mehr als zwei Personen zu einem gemeinsamen Zweck zu verstehen. Entsprechend dem Schutzzweck muss im Hinblick auf die gleichwohl gegebene abstrakte Gefährlichkeit grundsätzlich ein irgendwie gearteter gemeinsamer Zweck ausreichen (vgl. auch § 90 Rdn. 10 ff.).62

21 cc) In vom Täter verbreiteten Schriften. Die Fassung „in von ihm (dem Täter) verbreiteten Schriften“ statt der sonst gebräuchlichen „durch Verbreiten von Schriften“ erklärt sich rein sprachlich damit, dass die Fassung „Verwenden von Kennzeichen durch Verbreiten von Schriften“ keinen rechten Sinn ergäbe. Der Sache nach ist gemeint, dass der Täter Schriften einem besonders großen Personenkreis darbietet, in denen ein Kennzeichen verwendet ist, was er sich durch seine Verbreitungshandlung zu eigen macht (vgl. § 86 Rdn. 19 ff.).

22 dd) Durch öffentliches Zugänglichmachen in Datenspeichern. Anders als bei § 86 Abs. 1 (vgl. dort Rdn. 35) wird hier das öffentliche Zugänglichmachen in Datenspeichern nicht ausdrücklich erfasst. Jedoch sind sie durch den Hinweis in § 86a Abs. 1 Nr. 1 auf § 11 Abs. 3, der ausdrücklich Datenspeicher den Schriften gleichstellt, einbezogen. Wer Informationen, in denen verbotene Kennzeichen wahrnehmbar gemacht werden, in einer nicht speziell gesicherten Mailbox anbietet, erfüllt § 86a Abs. 1, weil die Information durch einen unbestimmten nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen Personenkreis abgerufen werden kann (OLG Frankfurt NStZ 1999 356, 357 mit Anm. Rückert NStZ 1999 358). Entsprechendes gilt für das Einstellen in Webseiten.

62 Stegbauer JR 2002 182,187; Steinmetz MK Rdn. 24. Steinsiek

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III. Sozialadäquanzklausel

StGB § 86a

e) Vorbereitungshandlungen. § 86a Abs. 1 Nr. 2 erhebt bestimmte Handlungen, die das Ver- 23 breiten oder Verwenden vorbereiten zu vollendeten Taten (zu den Tatbestandselementen vgl. § 86 Rdn. 30 ff.). 3. Tatort a) Die Tathandlungen des § 86a Abs. 1 Nr. 1. müssen im Inland erfolgen, was sich unmit- 24 telbar aus dem Wortlaut ergibt. Werden Kennzeichen im Ausland technisch so bereitgestellt, dass sie im Inland von einem unbegrenzten Personenkreis abrufbar sind (z. B. im Internet), so reicht dies für die Begründung einer Inlandstat nicht aus (BGH NStZ 2015 81). Abweichend von der hier von Laufhütte/Kuschel LK12 (m. w. N.) vertretenen Aufassung legt der BGH zutreffend (und zumindest teilweise auch in Abkehr von BGHSt 46 212) dar, dass es sich bei § 86a StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handele, dem ein Erfolgsort fehle, sodass allein auf den Ort der Handlung für die Begründung der Strafbarkeit abgestellt werden könne.63 Aufgrund der eindeutigen Inlandsbeschränkungen ist die für Soldaten geltende Erweiterung des § 1 Abs. 2 WStG nicht anwendbar.64

b) Tathandlungen nach § 86a Abs. 1 Nr. 2. Nach dem Wortlaut können diese im Inland und 25 Ausland vorgenommen werden. Danach genügt eine Handlung, welche auf eine Verbreitung oder Verwendung ausschließlich im Ausland gerichtet ist.65 Wie bei § 86 (dort Rdn. 32) bedarf der Tatbestand jedoch der Einschränkung, weil die Verbreitung und Verwendung im Ausland straflos ist, weswegen das Herstellen und Vorrätighalten im Ausland nicht strafbar sein kann.66 Die Tatbestandserweiterung „im Inland oder Ausland“, die § 86a durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz erfahren hat, kann sich nur auf die Verbreitungsabsicht beziehen.67 Das Verhalten wird mit der Einfuhr strafbar.68 Die Herstellung und das Vorrätighalten im Inland zum Zwecke der Verbreitung im Ausland sind strafbar (vgl. zur Ein- und Ausfuhr § 86 Rdn. 33 u. 34).

III. Sozialadäquanzklausel § 86a Abs. 3 erklärt die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 für entsprechend anwendbar (siehe 26 zunächst § 86 Rdn. 36 ff.). Danach entfällt der Tatbestand, wenn die Tathandlung einem der in Absatz 3 genannten Zwecke dient, also der Schutzzweck der Vorschrift nicht verletzt wird. Die Sozialadäquanzklausel ist neben der in Rdn. 15 bis 17 dargestellten Tatbestandsbegrenzung als zusätzliche Absicherung gegen eine ausufernde Anwendung der Vorschrift zu verstehen. Sie kann also nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein Zuwiderlaufen der Tathandlung gegen den Schutzzweck der Norm nicht von vornherein ersichtlich auszuschließen ist (Rdn. 14 ff.). Es ist also zunächst zu prüfen, ob die Kennzeichenverwendung überhaupt dem Schutzzweck des § 86a zuwiderläuft. Ist dies der Fall, so ist zu prüfen, ob die Verletzung des Schutzzwecks ohne Weiteres erkennbar war. Nur wenn dies nicht der Fall ist, ist auf die Sozialadäquanzklausel einzugehen.

63 64 65 66 67 68 105

Zust. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Ellbogen BeckOK Rdn. 13; Zimmermann HRRS 2015 441. Ebenso Steinmetz MK Rdn. 4 m. w. N. Fischer Rdn. 17. Steinmetz MK Rdn. 4. BTDrucks. 12/8588 S. 7 f.; BTDrucks. 10/1286 S. 7. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9a – c. Steinsiek

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1. Kunstfreiheit 27 Bei Beantwortung der Frage, in welchen Fällen Absatz 1 nicht gilt, weil das Kennzeichen oder die Tathandlung der Kunst dient, ist zunächst zu beachten, dass wegen der Unmöglichkeit einer generellen Begriffsbestimmung der Kunst der Schutzbereich der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG (§ 90a Rdn. 28 ff.) nur einzelfallbezogen bestimmt werden kann.69 Ausgegangen werden kann dabei zunächst von dem Versuch einer materiellen Umschreibung des Kunstbegriffs in BVerfGE 30 173, 188 f. (Mephisto), wonach „das Wesentliche der künstlerischen Betätigung die freie schöpferische Gestaltung (ist), in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Die künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen, es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.“ Darüber hinaus ist aber auch eine mehr formale Betrachtungsweise heranzuziehen, die an das Vorliegen eines bestimmten Werktypus anknüpft, wie etwa das Malen, Bildhauen, Dichten,70 wobei auch avantgardistische Formen nicht aus dem Kunstbegriff ausgeklammert werden dürfen.71 Entgegen Rspr. des OLG Frankfurt72 können auch Computerspiele Kunst in diesem Sinne und die Darstellung von Hakenkreuzen etc. in diesen straflos sein.73

28 a) Werk- und Wirkbereich. Die Garantie der Kunstfreiheit erstreckt sich nicht nur auf den „Werkbereich“, also die eigentliche künstlerische Betätigung an sich („Schöpfungsakt“), sondern auch auf den „Wirkbereich“, also das Bemühen, mit dem Werk in die Öffentlichkeit hineinzuwirken sowie die darauf gerichtete Werbung. Einbezogen sind dabei nicht nur der Künstler selbst, sondern auch alle Personen, die im „Wirkbereich“ an der Vermittlung des Werkes beteiligt sind (s. Henschel NJW 1990 1937, 1939 f. m. w. N.).

29 b) Keine Niveaukontrolle. Zu beachten ist, dass die „Gestaltungshöhe“ für die Einordnung eines Werkes als Kunst ohne Bedeutung ist. Eine Niveaukontrolle findet nicht statt. So werden auch grobschlächtige Karikaturen (BVerfGE 75 369), mit den Bundesfarben und einem Hakenkreuz bemalte Plastikschweinchen (vgl. BGH, Urteil vom 10.7.1974 – 3 StR 6/1 I –) oder in einen satirischen Zusammenhang gestellte Darstellungen Hitlers in einem T-Shirt Aufdruck (BVerfGE 82 1; nicht erörtert von LG Frankfurt NStZ 1986 167) nicht von der Kunstfreiheitsgarantie ausgeschlossen sein. Sowohl das Ankleben eines für die Aufführung eines Singspieles werbenden Veranstaltungsplakates, auf dem ein FDJ-Emblem abgebildet ist, als auch die Teilnahme an einer für diese Aufführung werbenden Aktion im FDJ-Blauhemd mit Emblem, werden von der Garantie des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG erfasst.74

69 70 71 72 73

BVerfGE 67 213, 225; ausführlich Henschel NJW 1990 1937 ff. BVerfGE 67 213, 226 f. BVerfGE 67 213, 227. NStZ 1999 356 ff. In diesem Sinne inzwischen die Auffassung der verantwortlichen Prüfstelle Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) sowie Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Steinmetz MK Rdn. 29; Schwiddessen CR 2015 92. Die bisherige Auffassung war insbesondere aufgrund der vollständig anderen Behandlung ggü. entsprechenden Darstellungen in Filmen kaum tragfähig. 74 BVerfGE 77 240 ff. mit Anm. Würkner NJW 1988 327. Steinsiek

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III. Sozialadäquanzklausel

StGB § 86a

c) Zweck der Darstellung. Auch wenn der Künstler keine ästhetischen oder politischen Zwe- 30 cke, sondern finanzielle Interessen verfolgt oder nur handelt, um in der Öffentlichkeit Aufsehen zu erregen, nimmt dies einer Darstellung nicht die Kunsteigenschaft (BVerfGE 82 1, 6). Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG erstreckt sich aber nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden Eigentums zum Zwecke der künstlerischen Entfaltung (BVerfG NJW 1984 1293, 1294).

d) Auslegungsgrundsätze. Da künstlerische Aussagen interpretationsfähig und auslegungs- 31 bedürftig sind, ist die Aussage des jeweiligen Werks in einer Gesamtschau zu ermitteln und auf den inneren Kern der Aussage abzustellen. Dabei müssen die prägenden Eigenheiten der betreffenden Kunstgattung (z. B. Satire) erfasst werden (BVerfG NJW 1985 261, 263). Auch dürfen nicht einzelne Teile des Werks aus dem künstlerischen Gesamtkonzept gelöst und gesondert auf ihre Strafbarkeit hin untersucht werden. Es ist stets zu prüfen, welche Interpretationsmöglichkeiten sich aus dem Sinnzusammenhang ergeben. Bei mehreren Interpretationsmöglichkeiten des Gesamtwerks entfällt die Strafbarkeit,75 wenn jedenfalls eine Kunst nicht auszuschließen vermag.

e) Grenzen und Abwägung. Steht nach diesen allgemeinen Grundsätzen fest, dass das Kenn- 32 zeichen oder seine Verbreitung, Verwendung etc. Zwecken der Kunst dient, steht Absatz 3 in Verbindung mit § 86 Abs. 3 einer Strafbarkeit nach § 86a Abs. 1 generell entgegen. Allerdings gilt die Kunstfreiheit trotz ihrer vorbehaltlosen Gewährleistung nicht schrankenlos, sondern kann im Wege einer Abwägung mit anderen gleichwertigen Verfassungsrechtsgütern ihrerseits eingeschränkt werden (BVerfGE 83 130; BGHSt 37 55). Beschränkt wird die Kunstfreiheit durch andere Verfassungsbestimmungen, die allerdings wieder im Lichte des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gesehen werden müssen, damit ein den Wertvorstellungen des Grundgesetzes entsprechender Ausgleich der verfassungsmäßig geschützten, gegenläufigen Interessen gefunden werden kann. Notwendig ist daher eine Abwägung der von der Verfassung geschützten Güter.76 Zunächst sind sämtliche maßgebliche Gesichtspunkte des jeweiligen Einzelfalls (Intensität des Angriffs, tatsächliche Umstände, Grad der Außenwirkung, Stärke des Kunstbezugs) herauszuarbeiten. Dann folgt die Bestimmung der konkret betroffenen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter, die Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG widerstreiten. Sodann sind die widerstreitenden Werte im Rahmen einer Abwägung zu optimieren. Dabei darf keinem Wert, mit Ausnahme der Menschenwürde, von vornherein Vorrang vor den anderen eingeräumt werden (BVerfGE 81 278, 297). Eingriffe sind um so weniger zuzulassen, soweit in den Kernbereich der Kunstfreiheit eingegriffen wird, weniger im Werkbereich als im Wirkbereich der Kunst (BVerfGE 77 240, 253 ff.).

2. Wissenschaft, Forschung, Lehre und Berichterstattung Der Kunst gleichgestellt sind die ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Güter Wissenschaft 33 und Lehre sowie die Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens und der Zeitgeschichte und Handlungen, die der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der staatsbürgerlichen Aufklärung oder ähnlichen Zwecke dienen (vgl. § 86 Rdn. 37 u. 38). Dabei können die genannten Merkmale miteinander verzahnt sein. Wissenschaft, Forschung und Lehre sind durch eine auf Gewinnung und Vermittlung von Erkenntnissen ausgerichtete spezifische Arbeitsmethode

75 So die kunstfreundliche Interpretation von BVerfGE 81 295; krit. OLG Frankfurt NJW 1984 1144; 1986 1272; auch BGH NStZ 1998 408.

76 BVerfGE 30 173, 193; dazu gehört auch die Religionsfreiheit („Mohammed Satire“). 107

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gekennzeichnet. Berichterstattung meint jede Form der Nachrichtenübermittlung oder Dokumentation, die ein wahres Geschehen zum Inhalt hat und Informationszwecken dient.

34 a) Staatsbürgerliche Aufklärung, Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen. Soll durch den Einsatz von Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen im Rahmen des politischen Meinungskampfes verdeutlicht werden, dass sich der politische Gegner zur Durchsetzung seiner Ziele nationalsozialistischer Methoden bedient, kann dies als Handlung zur staatsbürgerlichen Aufklärung oder auch als Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen von der Sozialadäquanzklausel erfasst werden.77 Gleiches hat zu gelten, wenn durch die Verwendung eines derartigen Kennzeichens allgemein vor einem Wiederaufleben nationalsozialistischer Tendenzen gewarnt werden soll oder im Rahmen der Aufarbeitung der Geschichte oder im Zusammenhang mit staatsbürgerlicher Unterweisung gegen neonazistische Bestrebungen eingetreten wird.78 Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn sich die Tathandlung darin erschöpft, dass Hakenkreuze auf die Plakate einer politischen Partei gemalt werden.79

35 b) Berichterstattung über Vorgänge der Geschichte. Der staatsbürgerlichen Aufklärung und der Berichterstattung über Vorgänge der Geschichte können auch ein Bildband über Hitler in der Zeit von 1918 bis 1933 (BGH bei Schmidt MDR 1984 184) dienen oder sonstige zeitgeschichtlich wichtige Dokumentationen. Dagegen wird die Verwendung von Hakenkreuzen zu Zwecken „reißerischer“ Werbung auf Plattenhüllen (BGHSt 23 64, 78 f.) oder Buchumschlägen (LG München I NStZ 1985 311 mit Anm. Keltsch) nicht von der Sozialadäquanzklausel erfasst.

3. Ähnliche Zwecke 36 im Sinne des Absatzes 3 i. V. m. § 86 Abs. 3 sind bei üblichen, von der Allgemeinheit gebilligten und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtigen, weil im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit liegenden Handlungen, zu bejahen (BGHSt 23 226, 228). Dies ist etwa bei der kurzfristigen Ausstellung von Uniformstücken und anderen mit NS-Emblemen versehenen Gegenständen vor einer Auktion der Fall, soweit sichergestellt ist, dass es sich bei den Besuchern der Auktion um seriöse Kunden handelt und daher eine Weiterverwendung der versteigerten Gegenstände zu wissenschaftlichen Zwecken, etwa in einem Museum, erwartet werden kann.80 Auch wenn im antiquarischen Handel einzelne Exemplare von Hitlers „Mein Kampf“ mit in dem Buchdeckel eingeprägtem Hakenkreuz ausgelegt werden, soll nach BGHSt 29 73, 82 ff. der Rahmen des sozial Üblichen noch nicht gesprengt sein, während beim allgemeinen antiquarischen Handel mit NS-Emblemen tragenden Uniformen, Orden, Abzeichen, Waffen die Sozialadäquanzklausel nicht eingreifen soll, weil von solchen Gegenständen eine stärkere Signalwirkung im Sinne einer Erinnerung an die nationalsozialistische Machtausübung ausgehe als von einem Buch.81 Die Unterscheidung überzeugt im Ergebnis, weil Uniformen etc. sich zum Mißbrauch in neonazistischen Kreisen besonders eignen, deren Angehörige sich mit solchen Abzeichen, Uniformen, Waffen und ähnlichem schmücken können und diese daher besonder geeignet sind, den politischen Frieden zu stören. Die Auslage eines Schmuckstückes in Hakenkreuzform unter einer Vielzahl sonstiger „unverdächtiger“ Gegenstände sieht OLG Celle NStZ 1981 221 (mit Anm. Foth JR 1981 382) noch als sozialadäquat an. Dagegen fällt das Verbreiten 77 78 79 80 81

OLG Hamm NJW 1982 1656, 1657 f. OLG Schleswig SchlHA 1978 70. Vgl. OLG Köln NStZ 1984 508. BGHSt 31 383, 384 ff. BGHSt 29 73, 84; vgl. BGH, Urt. v. 18.10.1972 – 3 StR 5/71 I –.

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VIII. Konkurrenzen

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von Flugzeugmodellen mit Hakenkreuz-Emblem (BGHSt 28 394, 398), das Befestigen eines Plakates, das die Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz darstellt, am Fenster einer Mietwohnung82 und das scherzhafte Absingen des Horst-Wessel-Liedes83 nicht unter die ähnlichen Zwecke der §§ 86a Abs. 3, 86 Abs. 3.

IV. Subjektiver Tatbestand Es genügt grundsätzlich bedingter Vorsatz. Bei zum Verwechseln ähnlichen Kennzeichen muss 37 der Täter zudem davon ausgehen, dass ein unbefangener Betrachter sie möglicherweise für Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation hält. Beim Verwenden eines Kennzeichens muss sich der Täter bewusst sein, dass dies öffentlich geschieht. Handelt es sich um Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 genannten Organisationen, so muss der Täter das unanfechtbare Verbot der Organisation zumindest für möglich halten. Eine verfassungsgefährdende Absicht oder ein Bekenntnis zu der verbotenen Organisation sind nicht vorausgesetzt (BGHSt 23 267, 268; 25 30, 31). Für Absatz 1 Nr. 2 ist dagegen zusätzlich erforderlich, dass die dort umschriebenen Tathandlungen mit der Absicht späterer Verbreitung oder Verwendung der Kennzeichen vorgenommen werden.84 Ein Irrtum über den Kennzeichenbegriff ist Tatbestandsirrtum; so auch der Irrtum über 38 die tatsächlichen Voraussetzungen des Absatzes 3 in Verbindung mit § 86 Abs. 3. Ein Irrtum über die Reichweite dieser Regelung Verbotsirrtum.

V. Teilnahme Teilnahme ist wie bei § 86 (dort Rdn. 43) möglich.

39

VI. Strafrahmen Absatz 1 sieht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Bei geringer Schuld kann 40 nach Absatz 3 in Verbindung mit § 86 Abs. 4 von Strafe abgesehen werden.

VII. Nebenfolgen und Einziehung S. §§ 92a, 92b.

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VIII. Konkurrenzen Wird ein Kennzeichnen nach Absatz 1 Nr. 1 verbreitet, verdrängt dies die Vorbereitungshandlun- 42 gen nach Nummer 2. Mit den §§ 86 (BGH, Beschluss vom 3.11.1980 – 3 StR 379/80 –), 89, 90 bis 90b, 130, 185 und 303; §§ 3, 28 VersammlG kommt Tateinheit in Betracht, mit den §§ 84, 85, wenn die Verwendung des Kennzeichens zugleich Mittel der Organisationstat ist. Ordnungswidrigkeiten nach § 15 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 OrdenG treten gemäß § 21 OWiG zurück. Zu Mehrfachhandlungen vgl. § 84 Rdn. 32 ff.

82 OLG Hamburg NStZ 1981 393 mit Anm. Bottke JR 1982 77. 83 BayObLG NJW 1962 1878. 84 AA Paeffgen Rdn. 17, der dolus directus 2. Grades für ausreichend hält. 109

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§ 86a StGB

Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

IX. Opportunitätsprinzip; Zuständigkeiten 43 Zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips vgl. § 153b StPO. Besondere Zuständigkeiten für die Verfolgung und Aburteilung von Taten nach § 86a bestehen nicht.

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§ 87 Agententätigkeit zu Sabotagezwecken (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einen Auftrag einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes zur Vorbereitung von Sabotagehandlungen, die in diesem Geltungsbereich begangen werden sollen, dadurch befolgt, daß er 1. sich bereit hält, auf Weisung einer der bezeichneten Stellen solche Handlungen zu begehen, 2. Sabotageobjekte auskundschaftet, 3. Sabotagemittel herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verwahrt, einem anderen überläßt oder in diesen Bereich einführt, 4. Lager zur Aufnahme von Sabotagemitteln oder Stützpunkte für die Sabotagetätigkeit einrichtet, unterhält oder überprüft, 5. sich zur Begehung von Sabotagehandlungen schulen läßt oder andere dazu schult oder 6. die Verbindung zwischen einem Sabotageagenten (Nummer 1 bis 5) und einer der bezeichneten Stellen herstellt oder aufrechterhält, und sich dadurch absichtlich oder wissentlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt. (2) Sabotagehandlungen im Sinne des Absatzes 1 sind 1. Handlungen, die den Tatbestand der §§ 109e, 305, 306 bis 306c, 307 bis 309, 313, 315, 315b, 316b, 316c Abs. 1 Nr. 2, der §§ 317 oder 318 verwirklichen, und 2. andere Handlungen, durch die der Betrieb eines für die Landesverteidigung, den Schutz der Zivilbevölkerung gegen Kriegsgefahren oder für die Gesamtwirtschaft wichtigen Unternehmens dadurch verhindert oder gestört wird, daß eine dem Betrieb dienende Sache zerstört, beschädigt, beseitigt, verändert oder unbrauchbar gemacht oder daß die für den Betrieb bestimmte Energie entzogen wird. (3) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter freiwillig sein Verhalten aufgibt und sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß Sabotagehandlungen, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können.

Schrifttum Backes Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz (1970); Basten Von der Reform des politischen Strafrechts bis zu den Anti-Terror-Gesetzen, Diss. Marburg 1983; Deiters Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch das Strafrecht, in Thiel (Hrsg.): Wehrhafte Demokratie (2003) 291; Hertel Die Zukunft des Wehrstrafrechts – Bestandaufnahme, Rechtsvergleich und Ausblick für die Straftaten gegen die Landesverteidigung und §§ 17, 18 WStG (2014); Mitsch Das unechte Unternehmensdelikt, JuS 2015 97; Müller Was bedeutet „Landesverteidigung“ im StGB? NStZ 2002 633, Sommer Verselbstständigte Beihilfehandlung und Straflosigkeit des Gehilfen, JR 1981 490; Terstiege Die Rechtsstellung von Streitkräften in fremdem Territorium – Der strafrechtliche Schutz in Deutschland seit 1945 (2010).

Entstehungsgeschichte Der Tatbestand der Agententätigkeit zu Sabotagezwecken wurde durch das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) eingeführt. Er stellt einen sehr engen und speziellen Ausschnitt aus dem früheren § 100d Abs. 2 a. F. dar, der ganz allgemein die Aufnahme oder Unterhaltung von Beziehungen zu einer fremden Regierung oder der ausdrücklich genannten Einrichtungen mit dem Ziel der Einleitung oder Förderung verfassungsfeindlicher oder sicherheitsgefährdender Bestrebungen unter Strafe gestellt hat. Bereits § 90 des Regierungsentwurfs zum 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 11) wollte diesen allgemeinen Beziehungstatbestand auf Beziehungen mit dem Inhalt der Sabotage und Bewaffnung beschränken. Der Gesetzgeber ist dann noch einen wesentlichen Schritt weiter gegangen, indem er die bloße Beziehung nicht genügen ließ und bestimmte vorbereitende Tätigkeiten des Sabotageagenten voraussetzte.

111 https://doi.org/10.1515/9783110490008-012

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§ 87 StGB

Agententätigkeit zu Sabotagezwecken

Nach redaktionellen Änderungen fügte das EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I 469; 1975 I 1916; 1976 I 507) in Absatz 1 die Worte „absichtlich oder“ ein. Das 6. StrRG (Vor § 80 Rdn. 18) änderte in Absatz 2 Nr. 1 den Katalog redaktionell im Hinblick auf die im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs geänderten Vorschriften.

Übersicht 1

I.

Zweck der Vorschrift

II. 1. 2. 3.

Objektiver Tatbestand 2 3 Auftrag Ausländische Stelle 4 5 Sabotagehandlungen a) Sabotagehandlungen nach Absatz 2 Nr. 1 6 b) Sabotagehandlungen nach Absatz 2 7 Nr. 2 9 Tathandlungen a) Sich bereithalten zu Sabotagehandlungen 10 (Nummer 1) b) Auskundschaften von Sabotageobjekten 11 (Nummer 2) c) Strafbarer Umgang mit Sabotagemitteln 13 (Nummer 3) d) Einrichten, Unterhalten oder Überprüfen von Lagern und Stützpunkten (Nummer 4) 14 e) Schulung zu Sabotagehandlungen (Num15 mer 5)

4.

f)

Herstellen und Aufrechterhalten von Ver16 bindungen (Nummer 6)

III.

Räumlicher Geltungsbereich

IV.

Subjektiver Tatbestand

V.

Teilnahme

VI.

Tätige Reue

17 18

19 20

VII. Nebenfolgen und Einziehung

21

VIII. Schutz der nichtdeutschen NATO-Trup22 pen IX.

Konkurrenzen

X.

Parteienprivileg; Opportunitätsprinzip; Verfahrensfragen; Recht des Einigungsvertra24 ges

23

I. Zweck der Vorschrift 1 Die Norm bezweckt, wie sich aus den subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des Absatzes 1 ergibt, den Schutz des Bestandes und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sowie ihrer verfassungsmäßigen Ordnung, soweit diese in den Verfassungsgrundsätzen des § 92 Abs. 2 Ausdruck gefunden hat (zu den Begriffen der verfassungsmäßigen Ordnung vgl. § 81 Rdn. 6 ff. und der freiheitlich demokratischen Grundordnung vgl. § 86 Rdn. 4). Die Vorschrift des § 87 ergänzt die Regelung des § 30 um die dort nicht erfassten Vorbereitungshandlungen. § 87 hat den Charakter eines abstrakten Gefährdungs- und Tätigkeitsdelikts und stuft Beihilfehandlungen zu täterschaftlichen Begehungsweisen hoch.1 Praktische Bedeutung dürfte der Vorschrift vor allem in (außen-)politischen Krisenzeiten zukommen.

II. Objektiver Tatbestand 2 Tathandlung ist das Befolgen des Auftrages einer ausländischen Regierung, Vereinigung oder Einrichtung (dazu § 86 Rdn. 14 u. 15) zur Vorbereitung einer der in Absatz 2 aufgeführten Sabotagehandlungen. Vereinigungen und Einrichtungen sind auch solche, die nicht an staatliche Organisationen gebunden sind und nicht mit solchen zusammenwirken, wie z. B. selbständige

1 Steinmetz MK Rdn. 2; Paeffgen NK Rdn. 2. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand

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terroristische Gruppierungen.2 Dadurch gewinnt die Vorschrift eine praktische Bedeutung. Dabei werden jedoch nicht alle denkbaren, sondern nur die in Absatz 1 Nrn. 1 bis 6 im Einzelnen umschriebenen Vorbereitungshandlungen erfasst.

1. Auftrag einer ausländischen Stelle. Der Auftrag einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außer- 3 halb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB meint hier ganz allgemein und ohne Bezug zu dem Begriff des bürgerlichen Rechts die Aufforderung an den Täter zu einem bestimmten Verhalten. Gleichgültig ist, ob es sich um einen Einzelauftrag oder generelle Anweisungen für die Tätigkeit handelt. Auch Konkretisierungen hinsichtlich Tatobjekt, -zeit, -ausführung sind nicht erforderlich.3 Ein allgemeiner, einen unbestimmten Personenkreis ansprechender Appell genügt hingegen nicht. Die Aufforderung muss vielmehr im Rahmen einer persönlichen Beziehung liegen.4 Insofern wirkt sich der alte Beziehungstatbestand weiter aus, der nur ergänzt, nicht beseitigt werden sollte. Die bei den aufgehobenen Beziehungstatbeständen der §§ 100e, 100d Abs. 2 a. F. gebräuchliche Alternative „oder zu einer Person, die für eine solche Regierung usw. tätig ist“ wurde nicht beibehalten. Das mag, da die Beziehung zu einer der genannten Stellen notwendigerweise immer über eine Person läuft, die für eine solche Stelle tätig ist, auf den ersten Blick nur als Beseitigung einer überflüssigen Tautologie erscheinen. Doch liegt darin eine sachliche Einschränkung, weil die frühere Alternative auch den Fall des Auftraggebers auf eigene Faust oder mit bloß vorgespiegelter Autorisierung durch eine der auswärtigen Stellen erfasste (vgl. BGHSt 6 349, 350). Nur von der fremden Regierung und sonstiger Einrichtungen im Sinn von Absatz 1 autorisierte Aufträge sind noch tatbestandsmäßig. Fehlt es an dieser Autorisierung und hält sie der Täter nur irrig für gegeben, so liegt nur ein strafloser (untauglicher) Versuch vor. Dementsprechend wird auch der Fall, dass eine innerhalb der Bundesrepublik Deutschland bestehende staatsfeindliche Gruppe eine Sabotageorganisation aufbaut, immer nur dann von § 87 erfasst, wenn und sobald diese Gruppe einverständlich mit einer fremden Regierung und sonstiger Einrichtungen im Sinn von Absatz 1 zusammenwirkt. Dabei reicht es dann allerdings aus, dass ein allgemeines Einverständnis über die Anwerbung von Sabotageagenten im Sinne der Merkmale des Tatbestandes hergestellt wird.

2. Ausländische Stelle Der Auftrag muss von einer Stelle außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB erteilt 4 worden sein. Zu den als Auftraggebern genannten Regierungen, Vereinigungen oder Einrichtungen außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB s. § 86 Rdn. 13. Anders als dort kommt es hier auf den Bezug zur verbotenen Vereinigung nicht an.

3. Sabotagehandlungen § 87 Abs. 2 enthält die Legaldefinition des in Absatz 1 verwendeten Begriffs der Sabotagehand- 5 lungen. Die als Gegenstand der Vorbereitung in Betracht kommenden Sabotagehandlungen sind in Absatz 2 abschließend aufgeführt.

2 AA Paeffgen NK Rdn. 6. Hier ein engeres Vereinigungsverständnis als etwa in § 129a einzufordern, erscheint jedoch weder zwingend noch kriminalpolitisch geboten.

3 Sch/Schöder/Sternberg-Lieben Rdn. 4. 4 Ellbogen BeckOK Rdn. 3. 113

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6 a) Sabotagehandlungen nach Absatz 2 Nr. 1. Nach dem Wortlaut müssen die Sabotagehandlungen tatbestandsmäßig (d. h. ohne Rücksicht auf ihre mögliche Rechtfertigung oder schuldlose Begehung) sein als: § § § § § § § § § § § § § § § §

109e 305 306 306a 306b 306c 307 308 309 313 315 315b 316b 316c Abs. 1 Nr. 2 317 318

Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln Zerstörung von Bauwerken Brandstiftung Schwere Brandstiftung Besonders schwere Brandstiftung Brandstiftung mit Todesfolge Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion Missbrauch ionisierender Strahlen Herbeiführen einer Überschwemmung Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr Störung öffentlicher Betriebe Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr Störung von Telekommunikationsanlagen Beschädigung wichtiger Anlagen

7 b) Sabotagehandlungen nach Absatz 2 Nr. 2. Darunter fallen sonstige, nicht bereits von den aufgeführten Tatbeständen erfasste Sabotagehandlungen, die den Betrieb eines Unternehmens verhindern oder stören, das für die Landesverteidigung, den Schutz der Zivilbevölkerung gegen Kriegsgefahr oder die Gesamtwirtschaft wichtig ist. Dabei kann diese Verhinderung oder Störung des Betriebes entweder durch das Ausschalten (Zerstören, Beschädigen, Beseitigen, Verändern oder Unbrauchbarmachen) einer dem Betrieb dienenden Sache oder durch die Entziehung der für den Betrieb bestimmten Energie bewirkt werden. Zerstören und Beschädigen in diesem Sinne entsprechen den Tathandlungen des § 303, Beseitigen ist als der Verfügung entziehen zu verstehen, Verändern meint die Herbeiführung eines vom bisherigen abweichenden Zustandes und Unbrauchbarmachen das Ausschalten der Wirkungsweise des Tatobjekts. Die umständliche Kasuistik läuft, was die Art der geschützten Unternehmen betrifft, darauf hinaus, Objekte aus dem Tatbestand fern zu halten, an deren Ausschaltung eine feindliche Macht ohnehin nur ein minderes Interesse haben wird („wichtig“). Wo sie sich solchen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild kriegs- oder gesamtwirtschaftlich unwichtigen Unternehmen gleichwohl zuwendet, wird sie das tun, weil sie damit mittelbar Erfolge erzielen will oder die Tatsache im Auge hat, dass es oft nur geringer Eingriffe und Ergänzungen bedarf, um Industriebetriebe auf wehrwirtschaftliche Bedürfnisse umzustellen. Das führt dann dazu, dass der Sache nach doch wieder eine der angeführten Voraussetzungen des Tatbestandes zu bejahen sein kann. Doch wird es in diesem Fall u. U. recht schwierig sein, die erforderlichen Feststellungen zur inneren Tatseite zu treffen. Zum Begriff der Gesamtwirtschaft wurde in den Beratungen des Sonderausschusses (Vor 8 § 80 Rdn. 11; Protokolle V. Wahlperiode S. 1615) auf den Gebrauch dieses Wortes in § 12 AktG verwiesen und ausgeführt, der Begriff umfasse nach dem dortigen Sprachgebrauch das öffentliche Interesse an dem Funktionieren der Wirtschaft, also des Wirtschaftsgefüges. Es gehe um Schlüsselindustrien wie die chemische Industrie oder Grundstoffindustrien,5 um den Fall der Lahmlegung aller für die Beschäftigungslage eines bestimmten Bezirks bedeutsamen Betriebe, womit dann freilich der auf die Lahmlegung eines einzelnen Unternehmens zielende Wortlaut des § 87 nicht mehr recht in Verbindung zu bringen ist. Da auf dem Wege über die Beschäftigungslage jeder Betrieb für die Gesamtwirtschaft Bedeutung gewinnen kann, verliert dieser Begriff indes zwangsläufig den ihm zugedachten Sinn einer Einengung des Tatbestands. Aller5 Ebenso dürften auch die Auto-, IT- oder Elektroindustrie erfasst sein (ebenso Ellbogen BeckOK Rdn. 14). Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand

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dings ist der in Aussicht genommene Angriff auf einen einzelnen, für sich im Wirtschaftsgefüge nicht bedeutsamen Betrieb, nicht tatbestandsmäßig. Anders kann es bei einem in Aussicht genommenen Angriff auf mehrere Betriebe sein, die insgesamt für das Wirtschaftsgefüge wichtig sind oder für einen in Aussicht genommenen Angriff auf ein kleines Unternehmen, dessen Ausfall die Produktion eines wichtigen Unternehmens lahm legt oder das Wirtschaftsgefüge insgesamt lahm legen kann.6

4. Tathandlungen Die Formen der Sabotagevorbereitung sind in Absatz 1 Nr. 1 bis 6 behandelt.

9

a) Sich bereithalten zu Sabotagehandlungen (Nummer 1). Hier steht derjenige Täter im 10 Vordergrund, der zur eigenhändigen Begehung von Sabotagehandlungen ausersehen ist und sich hierzu bereit hält. Dabei macht es keinen Unterschied, ob bereits eine ganz bestimmte Sabotagehandlung ins Auge gefasst oder ob nur eine allgemeine Bereitschaft hergestellt ist, erst später zu erwartende konkrete Aufträge auszuführen, deren Umrisse allerdings im Sinne der Anforderungen des Absatzes 2 erkennbar sein müssen.7 Die auch im Bericht des Sonderausschusses (Vor § 80 Rdn. 11, BTDrucks. V/2860 S. 10) gebrauchte Bezeichnung „Stillhalteagent“ ist hier unergiebig und irreführend, weil Nummer 1 keineswegs nur einen besonderen Typ des Saboteurs, sondern den Saboteur schlechthin erfassen will. Dass dieser bis zur Ausführung des in der Zukunft liegenden Sabotageaktes „still hält“, also mehr oder weniger getarnt-angepasst lebt (es sich in neuer Terminologie also um einen „Schläfer“ handelt), ist nichts weiter als eine Auswirkung der Tatsache, dass der Tatbestand das Geschehen bereits im Stadium der Vorbereitung zum Gegenstand hat. Die Vorbereitungstat der Nummer 1 wird so lange begangen, wie die Bereitschaft, den angenommenen Sabotageakt auszuführen, fortbesteht (Dauerdelikt).

b) Auskundschaften von Sabotageobjekten (Nummer 2). Dies umfasst das Erkunden von 11 Möglichkeiten für die Ausführung von Sabotageakten. Beispielhaft kann hier etwa das Ausfindigmachen von technisch empfindlichen Stellen eines Betriebes genannt werden. Für die Erfüllung von Nummer 2 ist es gleichgültig, ob der Täter auf Grund eines allgemeinen oder eines genau spezifizierten – etwa auf eine bestimmte Abteilung des Betriebes gerichteten – Auftrags handelt, ob er allein tätig wird oder in einem Team arbeitet, das insgesamt auf die Erkundung eines Sabotageobjekts ausgeht. In diesem Sinn kann man es als genügend ansehen, dass jemand die Nachrichten anderer sammelt und weiterleitet, ohne selbst Kundschaftertätigkeit im eigentlichen Sinne auszuüben.8 Die Grenzziehung ist ohne wesentliche Bedeutung, da insofern auch Nummer 6 eingreift. Da nicht bereits die Annahme des Auftrags strafbar ist, kommt der Frage, wie weit der Begriff 12 des Auskundschaftens reicht, besondere Bedeutung zu. Geht man von dem Gebrauch aus, den der Begriff in § 96 gefunden hat, dort wird das Verschaffen von Staatsgeheimnissen als Auskundschaften bezeichnet, so könnte zu erwägen sein, die Erfüllung des Tatbestands setze voraus, dass der Täter oder die Tätergruppe die gesuchte Erkenntnis gewonnen und den Auftrag mindestens bis zu diesem Punkt, wenn auch noch nicht bis zur Übermittlung des Erkundungsergebnisses an den Auftraggeber, ausgeführt hat. Doch wäre eine so weit gehende Folgerung aus § 96 verfehlt. Beachtlich ist bereits der Unterschied im Wortsinn zwischen Auskundschaftung, die das erreichte Ziel anspricht, und Auskundschaften, das die Tätigkeit zur Erreichung dieses Zieles mit ein6 AA Sch/Schöder/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Paeffgen NK Rdn. 9. 7 Steinmetz MK Rdn. 6; Sch/Schöder/Sternberg-Lieben Rdn. 5a. 8 Steinmetz MK Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; aA Paeffgen NK Rdn. 13; Zöller SK Rdn. 10. 115

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schließt, also auch das miterfasst, was als versuchte Auskundschaftung einzuordnen wäre. So verstanden wird also das gesamte Unternehmen der Auskundschaftung (§ 11 Abs. 1 Nr. 6) erfasst, das dann in jedem Teilabschnitt seiner Verwirklichung unter den Tatbestand des § 87 fällt. Allein diese Auslegung des Begriffs wird nicht nur dem Wortsinn, sondern auch der kriminalpolitischen Zielsetzung der Vorschrift gerecht. Dem Gesetzgeber des 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) ging ein bloßer Beziehungstatbestand, wie ihn § 90 RegE vorsah, zu weit. Er wollte jedoch den deshalb gewählten Tätigkeitstatbestand nicht stärker spezifizieren, als dies zur zweifelsfreien Kennzeichnung eines auf das strafrechtlich geschützte Ziel ausgerichteten Tuns erforderlich war. Es genügt daher, dass die Tätigkeit des Auskundschaftens irgendwie begonnen hat, d. h. der Täter muss eine in diesem Sinne spezifische Berührung mit dem Objekt gewonnen haben. So muss er räumlich in seine unmittelbare Nähe vorgedrungen sein und damit beginnen können, die Möglichkeiten des Eindringens festzustellen oder er muss an eine Person herantreten, die durch ihr Wissen über das Objekt seinem Erkundungsauftrag förderlich sein kann und von der er eine Mitteilung dieses Wissens erwartet. Dagegen wird der Antritt der Reise an den Ort des Sabotageobjekts oder den Aufenthaltsort der auszuforschenden Person noch im Bereich bloßer (strafloser) Vorbereitung liegen (weiter gehend für den Fall des Versuchs eines Vergehens nach § 92 a. F. BGH NJW 1958 2051). Andererseits kann es für die Erfüllung des Tatbestandes keinen Unterschied machen, ob die vom Täter angegangene Auskunftsperson wirklich über die erwarteten Kenntnisse verfügt oder ob das vom Täter aufgesuchte Gelände das von ihm dort vermutete Objekt tatsächlich enthält, was z. B. dann nicht der Fall ist, wenn der Täter, der das Werk A auszuspähen glaubt, in Wirklichkeit das Werk B vor sich hat. Entscheidend ist allein, dass die spezifische Tätigkeit des Auskundschaftens begonnen hat; zu ihr gehören nicht nur die geglückten, sondern auch die misslungenen Anläufe.9

13 c) Strafbarer Umgang mit Sabotagemitteln (Nummer 3). Ob ein Gegenstand ein Sabotagemittel ist, entscheidet sich nach seiner Bestimmung durch den Täter und seiner spezifischen Eignung. Der Gegenstand, wie z. B. das Einbruchsgerät, die Tarnkleidung oder der den Zutritt in das geschützte Gelände eröffnende Ausweis, muss objektiv der unmittelbaren Verwirklichung des Sabotagevorhabens dienlich (Eignung) und von den tatbeteiligten Personen für diesen Zweck vorgesehen sein (Bestimmung). Die bloße Bestimmung kann nicht genügen, weil das Gesetz ersichtlich Sachen völlig „wertneutraler“ Art, wie Geld, Lebensmittel und dergleichen nicht erfassen will, obwohl auch derartige Dinge im Rahmen eines konkreten Sabotageplans als „Mittel“ bedeutsam werden können. Andererseits kann auch die Eignung allein nicht entscheiden, weil keine Gegenstände vorstellbar sind, denen der Sabotagezweck wesensmäßig anhaftet. Die Frage, ob auch gefälschte Ausweise dazu gehören, ist insofern unrichtig gestellt, als es in diesem Zusammenhang auf die Fälschung allenfalls als Indiz für die Zweckbestimmung ankommen kann. Das gilt auch für andere „neutrale“ Gegenstände, die Hilfsmittel für Sabotagegegenstände sein können, die aber ohne den Nachweis für eine entsprechende – mit aus anderen Indizien folgende – Planung allein nicht als Sabotagemittel angesehen werden können.10 Tatmodalitäten sind das Verwahren, also das Inbesitzstellen zum Zwecke späterer Verwendung, das Verschaffen, also die Inbesitznahme für sich oder einen anderen, das Herstellen (§ 86 Rdn. 30) oder das Einführen in den räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes (§ 86 Rdn. 33). Sämtliche Begehungsformen sind mit einer Zweckbestimmung versehen, damit künftigen Sabotagehandlungen Vorschub zu leisten, ohne dass sich damit die Vorstellung von einem bestimmten Sabotagevorhaben zu verbinden braucht.

9 Steinmetz MK Rdn. 7; aA Paeffgen NK Rdn. 13; vgl. auch Mitsch JuS 2015 97, 103. 10 Paeffgen NK Rdn. 14. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand

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d) Einrichten, Unterhalten oder Überprüfen von Lagern und Stützpunkten (Nummer 4). 14 Die in Nummer 4 umschriebenen Begehungsformen überschneiden sich mit der in Nummer 3 behandelten Begehungsform der Verwahrung von Sabotagemitteln. Indes ist der Tatbestand der Nummer 4 bereits mit dem Bereithalten des Lagerraums für den bewussten Zweck gegeben, ohne dass es darauf ankäme, ob dort Sabotagemittel aufbewahrt werden.11 Das kann schon im Anmieten eines Raumes liegen, der zur Verwahrung von Sabotagemitteln eingerichtet wird.12 Lager kann jeder Raum sein, der geeignet ist, Sabotagemittel zu verwahren.13 Für die Alternative der Einrichtung usw. von Stützpunkten für Sabotagetätigkeit gilt, dass die einmalige Beherbergung eines Agenten nicht genügt, wenn sie sich bloß zufällig ergibt. Bei Stützpunkten ist an Örtlichkeiten, z. B. eine mit Lebensmittelvorräten ausgestattete Wochenendhütte gedacht, die als Operationsbasis oder Zuflucht für Sabotageagenten dienen soll. Erfasst als Täter ist auch derjenige, der die Lager- und Stützpunkte nicht selbst einrichtet oder unterhält, der aber solche Einrichtungen auf ihre Zweckeignung und Zweckbestimmung überprüft.

e) Schulung zu Sabotagehandlungen (Nummer 5). Bei der in Nummer 5 behandelten Schu- 15 lung zur Begehung von Sabotagehandlungen wird sowohl der Lehrende wie der Lernende erfasst. Wer sich im Ausland schulen lässt, wird daher nicht erfasst (vgl. § 91a) und macht sich jedenfalls nach § 87 erst strafbar, sobald er in der Bundesrepublik Deutschland eine der tatbestandsmäßigen Vorbereitungshandlungen begeht.14 Die Schulung in einem Ausbildungslager im Ausland ist allerdings von Bedeutung, wenn sie im Inland begonnen oder wenn auf der Basis der Schulung im Ausland der Ausbildungsstand im Inland erhalten oder vervollständigt wird. Als Schulung kommt jede Ausbildung in Betracht, die eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Zu einer Tatbestandsbeschränkung kommt es insoweit erst über das Erfordernis der konkreten Zweckbestimmung der Ausbildung („zur Begehung von Sabotagehandlungen“). Für die Lehrtätigkeit genügt es, wenn die Ausbildung eines Schülers betrieben wird. Auf einen Erfolg dieser Lehrtätigkeit kommt es nicht an. Entscheidend ist, dass sie mit dem Ziel eines Erfolges begonnen worden ist. Das setzt regelmäßig auch die Einplanung einer gewissen Dauer voraus. Wird die Lehrtätigkeit unerwartet vor ihrem geplanten Abschluss beendet, so ist der Tatbestand gleichwohl erfüllt.15

f) Herstellen und Aufrechterhalten von Verbindungen (Nummer 6). Hier werden die Mit- 16 telsmänner zwischen dem Auftraggeber einerseits und den in Nummer 1 bis 5 gekennzeichneten Agenten andererseits erfasst. Es geht dabei einmal um die Herstellung einer auf eine Tatbegehung im Sinne von Nummer 1 bis 5 gerichteten Beziehung, was in erster Linie auf den Fall der Anwerbung eines neuen Agenten hinausläuft. Da jedoch das Gesetz einen Agenten im Sinne der Nummern 1 bis 5 als Beziehungspartner voraussetzt, erfüllt ein erfolgloser Anwerbungsversuch den Tatbestand ebenso wenig wie die bloße Aufforderung zum Mittun. Das bedeutet, dass auswärtige Emissäre in der Bundesrepublik straflos für die Teilnahme an Agentenschulungen oder für die spätere Annahme einer Agentenrolle im Sinn des Tatbestandes werben können. Erforderlich ist mit Sternberg-Lieben, dass eine Willensübereinstimmung über die Agententätig11 AA Ellbogen BeckOK Rdn. 8, der „lagern“ mit längerem Aufbewahren umschreiben will. Hierbei wird aber verkannt, dass Nummer 4 als Tathandlung bereits dem eigentlichen „Lagern“ nochmals vorgelagerte Tathandlungen pönalisiert. 12 AA Steinmetz MK Rdn. 9; Paeffgen NK Rdn. 16. 13 Sch/Schöder/Sternberg-Lieben Rdn. 8. 14 Von kriminalpolitischer Relevanz ist diese Einschränkung nach Einführung der §§ 89a, b und 91 jedoch kaum mehr, näher hierzu Steinsiek, Terrorabwehr durch Strafrecht? (2012). 15 Ist der Schüler jedoch Agent des deutschen Verfassungsschutzes, liegt ein untauglicher Versuch vor, vgl. Paeffgen NK Rdn. 17; aA jetzt Steinmetz MK3 Rdn. 10. 117

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keit zwischen Mittelsmann und Agenten vorliegt.16 Eine vergleichbare Schwierigkeit zeigt sich für die Begehungsform der Aufrechterhaltung der Verbindung. Für sie ist es nach dem Tatbestand Voraussetzung, dass der aufgesuchte Sabotageagent in diesem Augenblick noch mitmacht. Der von auswärts anreisende Mittelsmann, der von einem „umgedrehten“ Agenten preisgegeben wurde und bei einem Zusammentreffen mit diesem gefasst wird, kann wegen dieser Verbindungsaufnahme zu einem bloß noch vermeintlichen Agenten nicht mehr bestraft werden, wenn ihm eine frühere Verbindungsaufnahme mit einem noch aktiven Agenten nicht nachzuweisen ist. Ob der Mittelsmann für dieselbe Stelle arbeitet, welche den Sabotageauftrag erteilte, oder aus irgendwelchen organisatorischen Gründen für eine andere Stelle derselben fremden Macht kommt, ist gleichgültig.

III. Räumlicher Geltungsbereich 17 Der Tatort ist in jeder Hinsicht auf den räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes beschränkt. Erfasst werden bereits nach dem Wortlaut des Tatbestandes nur Handlungen, die sich auf Sabotageakte beziehen, welche im Inland begangen werden sollen. Aber auch die vom Tatbestand umschriebenen Vorbereitungshandlungen werden nach der zusätzlichen Vorschrift des § 91a nur getroffen, soweit sie durch eine in diesem Bereich ausgeübte Tätigkeit begangen werden.

IV. Subjektiver Tatbestand 18 Es ist Vorsatz erforderlich, wobei für alle Merkmale des objektiven Tatbestandes bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muss mit allen äußeren Tatsachen rechnen, die sein Tun nach dem Tatbestand als Vorbereitung einer Sabotagehandlung kennzeichnen; dagegen braucht er dieses Tun nicht selbst als Sabotage zu werten.17 Als zusätzliches Merkmal (für den Teilnehmer vgl. Rdn. 19) des subjektiven Tatbestandes wird vorausgesetzt, dass sich der Täter durch die Tat absichtlich oder wissentlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (§ 92 Abs. 3) oder gegen Verfassungsgrundsätze (§ 92 Abs. 2) einsetzt (vgl. § 81 Rdn. 6 ff.). Dabei sollte durch das final gefasste Tatbestandsmerkmal des „Einsetzens“ verdeutlicht werden, dass „nur der durch seine aktive kämpferische Haltung herausgehobene Täter“ vom Tatbestand erfasst wird (Sonderausschussbericht; Vor § 80 Rdn. 11; BTDrucks. V/2860 S. 10). Es muss dem Täter darauf ankommen, die genannten Bestrebungen zu fördern (BGHSt 32 332, 333). Dies bedeutet jedoch nicht, dass derjenige, der nicht aus ideologischen Gründen, sondern allein wegen seines persönlichen, insbesondere finanziellen Vorteils handelt, straflos bliebe. Auch dieser Tätertyp setzt sich, wenn ihm die mit dem Auftrag zur Sabotagevorbereitung verbundenen entsprechenden Ziele bekannt sind, „wissentlich“ für die genannten Bestrebungen ein. Der Tatbestand verlangt indes nicht, dass durch die Tat die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder ihre Verfassungsgrundsätze schon verletzt oder konkret gefährdet sind. Es genügt, dass Bestrebungen herbeigeführt oder gefördert werden, die dies – von innen heraus – zum Ziel haben (BGHSt 19 63, 72). Der Einsatz für diese Bestrebungen muss nicht in der Tathandlung selbst zum Ausdruck kommen (BGHSt 29 159 zu § 90b Abs. 1), es genügt die entsprechende subjektive Einstellung des Täters.

16 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10; so auch Steinmetz MK Rdn. 11; Paeffgen NK Rdn. 18. 17 Paeffgen NK Rdn. 20 verlangt eine Parallel-Beurteilung im Täterbewusstsein. Steinsiek

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VI. Tätige Reue

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V. Teilnahme Zur Frage der Teilnahme s. § 83 Rdn. 13 u. 14. Wie bei § 83 sind auch bei § 87 Anstiftung und 19 Beihilfe nicht ausgeschlossen, solange der Teilnehmer im Inland handelt (§ 91a).18 Dafür spricht, dass bei Vorbereitungshandlungen, die als selbständige vollendete Delikte ausgestaltet sind, rein dogmatisch eine Teilnahme nach allgemeinen Grundsätzen nicht ausgeschlossen ist und im Übrigen § 87 nicht alle möglichen Vorbereitungshandlungen zu Sabotagehandlungen erfasst, so dass auch rein tatsächlich Beihilfehandlungen zu Taten nach § 87 denkbar sind. Gegen die Möglichkeit einer Teilnahme wird angeführt, dass hierdurch die bereits sehr weit gezogenen Grenzen19 des § 87 noch vorgezogen würden.20 Beihilfe- und Anstiftertätigkeiten orientieren sich jedoch an der – durch § 87 hinreichend bestimmten – Tat (des Täters). Gründe der Bestimmtheit können deshalb nicht für den Ausschluss der Strafbarkeit von Beihilfe und Anstiftung angeführt werden. Handlungen, die im Ausland (Rdn. 17) begangen werden, die sich im Inland auswirken und einer im Inland begangenen Tat dienen, sind allerdings gemäß § 91a (der insoweit im Wortlaut eindeutig, in seiner Wirkung jedoch bedenklich ist) auch nicht als Beihilfe strafbar21 (anders bei § 88, für den § 91a nicht gilt, dort Rdn. 8). Die Absichtselemente des Tatbestandes, die beim Täter vorliegen müssen, braucht der Teilnehmer nicht zu erfüllen (BGHSt 17 215 zu § 94 a. F.), weil die Absicht ein persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 darstellt.22 Der Täter muss aber mindestens mit bedingtem Vorsatz annehmen, dass die Elemente beim Täter vorliegen.

VI. Tätige Reue Im Fall tätiger Reue kann von Strafe abgesehen werden (Absatz 3). Die Voraussetzungen sind 20 ähnlich wie in § 98 Abs. 2 gestaltet. Der Täter muss freiwillig, wie das Gesetz hier umfassend für alle Begehungsformen sagt, „sein Verhalten“ endgültig aufgeben und einer Dienststelle alles offenbaren, was er über den Sabotageapparat weiß. Dabei muss auch die Offenbarung des Wissens freiwillig geschehen (vgl. BGHSt 27 120, 122 f. zu § 98 Abs. 2 S. 1, Lackner/Kühl Rdn. 7). Erstreckt sich sein Wissen auf konkrete Sabotagevorhaben, so verhilft ihm seine Mitteilung nur dann zu den Vergünstigungen des Absatzes 3, wenn sie so rechtzeitig gemacht wird, dass die geplanten Sabotagehandlungen noch verhindert werden können (vgl. § 83a Rdn. 2 bis 5). Gelingt dies trotz rechtzeitiger Unterrichtung nicht, so erwächst ihm daraus dann kein Nachteil, wenn die Sabotagehandlungen (wegen der Unterrichtung) hätten verhindert werden können. Als Dienststelle ist hier an sich jede Behörde des Bundes oder der Länder anzusehen, die nach der Vorstellung des Täters für die Entgegennahme seiner Selbstanzeige in Betracht kommt (vgl. auch § 11 Abs. 1 Nr. 4a). Wird der Täter von der Behörde, an die er sich gewandt hat, an die zuständige Abwehrstelle verwiesen oder schaltet diese sich selbständig ein, so muss er sein Wissen dort bekannt geben. Ein Recht zur Wahl zwischen verschiedenen Dienststellen will ihm das Gesetz, indem es von (irgend) einer Dienststelle spricht, nicht einräumen.23

18 Wie hier Steinmetz MK Rdn. 21; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Fischer Rdn. 14; aA Paeffgen NK Rdn. 23; Zöller SK Rdn. 17. 19 S. die verfassungsrechtlichen Bedenken bei Backes S. 169 ff.; Zöller SK Rdn. 1. 20 Zöller SK Rdn. 17; vgl. auch Sommer JR 1981 490, 494; Willms LK10 Rdn. 17. 21 Paeffgen NK Rdn. 19. 22 So auch Paeffgen NK zu § 89 Rdn. 20. 23 AA Ellbogen BeckOK StGB Rdn. 17. 119

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VII. Nebenfolgen und Einziehung 21 S. §§ 92a, 92b.

VIII. Schutz der nichtdeutschen NATO-Truppen 22 Zum Schutz der nichtdeutschen NATO-Truppen, die in der Bundesrepublik Deutschland stationiert sind, gilt die Vorschrift über § 1 Abs. 2 Nr. 1 NATO-Truppen-Schutz-Gesetz (NTSG) auch für Taten, durch die sich der Täter wissentlich für Bestrebungen einsetzt, die gegen die Sicherheit des betroffenen Vertragsstaats oder dieser Truppen gerichtet sind. Auch hierbei insoweit gelten alle vorgenannten Beschränkungen auf den räumlichen Geltungsbereich des StGB (auch explizit noch einmal gem. § 1 Abs. 4 NTSG).

IX. Konkurrenzen 23 Nach Fischer24 soll § 87 hinter §§ 30, 311b sowie den in Absatz 2 Nr. 1 genannten Strafvorschriften zurücktreten. Sternberg-Lieben25 nehmen dagegen für die in Absatz 2 Nr. 1 genannten Straftaten je nach Sachlage Ideal- oder Realkonkurrenz an. Dafür spricht, dass sich § 87 durch das Sondermerkmal zur inneren Tatseite von den anderen Strafvorschriften abhebt und in der Strafdrohung hinter den meisten dieser Bestimmungen nicht zurückbleibt.26 Im Übrigen ist Tateinheit vor allem mit § 83 und § 99, aber auch mit den §§ 84, 85, 88, 89, 89a, 109e sowie § 109g denkbar. Dies gilt auch für den Versuch der Beteiligung (§ 30), soweit Tateinheit vorliegt, an den in § 87 Abs. 2 Nr. 1 genannten Verbrechenstatbeständen.27 Das Verhältnis von verschiedenen Handlungen im Sinne des § 87 (Mehrfachhandlungen) richtet sich nach den zu § 84 Rdn. 32 bis 36 dargelegten Kriterien.

X. Parteienprivileg; Opportunitätsprinzip; Verfahrensfragen; Recht des Einigungsvertrages 24 Zum Parteienprivileg s. Vor § 80 Rdn. 25 ff., zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips §§ 153c-153e StPO, zu Verfahrensfragen im Übrigen Vor § 80 Rdn. 38, vgl. auch § 84 Rdn. 39.

24 25 26 27

Fischer Rdn. 16. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn 22. Steinmetz MK Rdn. 23; aA Paeffgen NK Rdn. 27. Steinmetz MK Rdn. 23.

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§ 88 Verfassungsfeindliche Sabotage (1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann einer Gruppe oder, ohne mit einer Gruppe oder für eine solche zu handeln, als einzelner absichtlich bewirkt, daß im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes durch Störhandlungen 1. Unternehmen oder Anlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Postdienstleistungen oder dem öffentlichen Verkehr dienen, 2. Telekommunikationsanlagen, die öffentlichen Zwecken dienen, 3. Unternehmen oder Anlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Wasser, Licht, Wärme oder Kraft dienen oder sonst für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtig sind, oder 4. Dienststellen, Anlagen, Einrichtungen oder Gegenstände, die ganz oder überwiegend der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dienen, ganz oder zum Teil außer Tätigkeit gesetzt oder den bestimmungsmäßigen Zwecken entzogen werden, und sich dadurch absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Schrifttum Schünemann Vagheit und Porosität der Umgangssprache als Horizont extensionaler Rechtsfortbildung durch die Strafjustiz – Am Beispiel der verfassungsfeindlichen Sabotage, Festschrift Puppe (2011) 243.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde vom 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) geschaffen und ersetzte den durch das 1. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 7) eingeführten § 90. Sie hat ihre jetzige Fassung durch das Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz (Vor § 80 Rdn. 18) erhalten.

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

1

II. 1. 2. 3.

Objektiver Tatbestand 3 Sabotageobjekte 4 Störhandlung 5 Taterfolg

III. 1. 2. 3.

Täterschaft und Teilnahme 6 Taugliche Täter 7 Gruppe 8 Teilnahme

IV.

Subjektiver Tatbestand

2

10

V.

Rechtswidrigkeit

VI.

Räumlicher Geltungsbereich

VII. Versuch

11

12

VIII. Nebenfolgen und Einziehung

13

6 IX.

Konkurrenzen

X.

Parteienprivileg; Opportunitätsprinzip; Verfah15 rensfragen; Zuständigkeit

14

9

I. Zweck der Vorschrift Die Norm bezweckt wie bei § 87 den Schutz des Bestandes und der Sicherheit der Bundesre- 1 publik Deutschland und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung, soweit diese in den Verfassungsgrundsätzen des § 92 Abs. 2 Ausdruck gefunden haben. Befasst sich § 87 mit der Vorbereitung von Sabotagehandlungen, die nach dem Plan einer fremden Macht im Rahmen der Verwirklichung eines gegen die Bundesrepublik Deutschland geplanten feindseligen Unterneh121 https://doi.org/10.1515/9783110490008-013

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§ 88 StGB

Verfassungsfeindliche Sabotage

mens wirksam werden sollen, so will § 88 die Ausführung einzelner Sabotageakte treffen, hinter denen sowohl fremde als auch rein innenpolitische Interessen stehen können und für die es nach dem Tatbestand offen bleibt, ob sie im Rahmen einer umfassenden Planung gleichartiger Aktionen oder als Einzelexzess verübt werden. Die Vorschrift schließt sich an § 90 a. F. an und bildet wie dieser Tatbestand eine Ergänzung zu den Tatbeständen der §§ 316b, 317. Gegenüber diesen und in Verbindung mit dem staatsgefährdenden Charakter von Taten nach § 88 erscheint ihre Strafandrohung jedoch zu gering. Die rechtstatsächliche Bedeutung der Norm wird von Teilen der Literatur bestritten, was angesichts des bereits geraume Zeit andauernden Fehlens von Verurteilungen nach § 88 zunehmend nachvollziehbar erscheint.1

II. Objektiver Tatbestand 2 Dieser setzt voraus, dass der Täter durch Störhandlungen (Sabotagehandlung) bestimmte Sabotageobjekte ganz oder zum Teil außer Tätigkeit setzt oder sie ihren bestimmungsgemäßen Zwecken entzieht. Es handelt sich daher um einen qualifizierten Sachbeschädigungstatbestand mit staats- bzw. verfassungsfeindlicher Zielrichtung.2

1. Sabotageobjekte 3 Die Umschreibung der in Absatz 1 Nr. 1 bis 4 behandelten Sabotageobjekte deckt sich weitgehend mit den in §§ 316b, 317 genannten Objekten. Nummer 1 stimmt mit § 316b Abs. 1 Nr. 1, Nummer 2 mit § 317 und Nummer 3 mit § 316b Abs. 1 Nr. 2 überein.3 Bahnen, die wie Werkseisenbahnen nicht dem öffentlichen Verkehr zugehören und deshalb nicht unter Nummer 1 fallen, können von Nummer 3, wenn sie der Versorgung der Bevölkerung dienen, miterfasst werden. Nummer 4 schließlich spricht den in § 316b Abs. 1 Nr. 3 bezeichneten Komplex an, beschränkt sich jedoch nicht wie jene Vorschrift auf der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienenden Einrichtungen und Anlagen, sondern fügt Dienststellen (§ 11 Abs. 1 Nr. 4a) und Gegenstände hinzu. Die Norm umgreift auch den Fall des nicht ausschließlichen, sondern bloß überwiegenden Dienens für Zwecke der Gefahrenabwehr im weiteren Sinne. Als Dienststelle kommt beispielsweise das Bundesamt für Verfassungsschutz in Betracht (BGHSt 27 307, 309). Als Beispiele für Gegenstände sind Wegweiser, Hydranten sowie Einsatz- und Nachrichtenmittel der Polizei oder Feuerwehr zu nennen. Telekommunikationsnetze dienen öffentlichen Zwecken auch dann, wenn sie von Privatbetrieben genutzt werden, deren Tätigkeit im allgemeinen Interesse liegt.4

2. Störhandlung 4 Der Täter muss bewirken, dass eine der genannten Einrichtungen durch Störhandlungen ganz oder teilweise außer Tätigkeit gesetzt oder ihren bestimmungsgemäßen Zwecken entzogen wird. Getroffen wird damit über die in § 316b angeführten Eingriffe hinaus jedes Tun, das für die Verwirklichung eines der genannten Erfolge ursächlich und mit diesem Ziel gewollt ist, ohne dass es darauf ankommen kann, ob dies mit oder ohne Einschaltung dritter Personen geschieht. Der farblose und im Grunde überflüssige Begriff der Störhandlung soll zum einen der Kennzeichnung der an sich bereits durch die übrigen Merkmale des Tatbestandes angezeigten Regelwidrigkeit des Eingriffs dienen, die hier sowohl im technischen wie im sozialen Sinne (bestim1 2 3 4

Paeffgen NK Rdn. 3. Steinmetz MK Rdn. 2, Ellbogen BeckOK vor Rdn. 1. Vgl. näher Steinmetz MK Rdn. 8 ff. Lackner/Kühl Rdn. 2; zum weiten Begriff der Telekommunikationsanlage vgl. § 3 Nr. 23 TKG.

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III. Täterschaft und Teilnahme

StGB § 88

mungsfremde Zwecke) zu verstehen ist. Zum anderen unterstreicht er, dass ein Unterlassen nur tatbestandsmäßig sein soll, wenn es nach den gegebenen Umständen der Verwirklichung des Tatbestands durch ein Tun gleichwertig ist, wobei hier vor allem an die Verpflichtung zum Handeln aus vorangegangenem Tun (z. B. Arbeitsniederlegung ohne Abstellen laufender Maschinen mit daraus entstehenden bedeutenden Gefährdungen) zu denken ist. Der Gesetzgeber hatte mit der Verwendung des Begriffs vor allem auch die Ausscheidung des Streiks (§ 81 Rdn. 27) als Mittel des Arbeitskampfes (vgl. Sonderausschuss, Vor § 80 Rdn. 11, BTDrucks. V/2861 S. 11) aus dem Tatbestand im Auge. Sabotagehandlungen unter Ausnutzen des Streikes oder der Aussperrung können jedoch tatbestandsmäßig sein.5

3. Taterfolg Der Begriff der Störhandlung darf nicht darüber täuschen, dass der tatbestandsmäßige Erfolg 5 der Handlung in den Größenverhältnissen der §§ 316b, 317 zu sehen ist und eine vollständige oder teilweise Stillegung oder Zweckentfremdung der angegriffenen Einrichtung erfordert, bloße Störungen und Belästigungen also nicht ausreichen können.6 Der BGH hat deshalb in einem Fall, in dem eine abgeschlossene Lauschoperation des Bundesamts für Verfassungsschutz durch die anschließende publizistische Erörterung offen gelegt wurde, eine Strafverfolgung unter dem Gesichtspunkt des § 88 ausgeschlossen (BGHSt 27 307, 309 f.).7 Jedoch setzt der Tatbestand eine bestimmte Dauer der erzielten Einwirkung oder Zweckentfremdung nicht voraus. Je nach den Umständen kann es genügen, dass die Abfahrt eines Zuges aufgehalten oder dass ein Rundfunksender kurzfristig zur Verbreitung einer programmwidrigen Sendung benutzt wird.8

III. Täterschaft und Teilnahme 1. Taugliche Täter Den Täterkreis begrenzt der Tatbestand eng auf die Personen, die für den Eingriff verantwortlich 6 zu machen sind. Es wird zwischen einer Tatbegehung durch einzelne und Tatbegehung durch eine Gruppe unterschieden, wobei in diesem Fall nicht alle zu der Gruppe zählenden Personen, sondern nur Rädelsführer und Hintermänner (hierzu § 84 Rdn. 14 u. 15) unter den Tatbestand fallen, so dass nur diese Täter sein können. Die Regelung darf nicht wörtlich in dem Sinne verstanden werden, dass jemand nur dann als Einzelner handelt, wenn er völlig allein tätig wird. Die missverständliche Formulierung „als Einzelner“ dient lediglich der Abgrenzung gegenüber gruppenbezogenen Taten.9 Da der Tatbestand für alle denkbaren Fälle seiner Verwirklichung mindestens einen strafrechtlich Verantwortlichen als Adressaten einer Strafverfolgung voraussetzt, muss die Alternative des einzelnen in all den Fällen eingreifen, in denen keine Gruppe mit sich abhebendem Rädelsführer oder Hintermann vorhanden ist, die das Unternehmen trägt, sondern Mittäter gleichen Ranges ohne weiteren Anhang die Tat ausführen.10

5 Paeffgen NK Rdn. 6. 6 Vgl. dazu Lackner/Kühl Rdn. 3; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8 ff.; Zöller SK Rdn. 7 ff.; Paeffgen NK Rdn. 7. 7 Kritisch Paeffgen NK Rdn. 4. 8 Vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 9. 9 Steinmetz MK Rdn. 6; Paeffgen NK Rdn. 12; Zöller SK Rdn. 15. 10 So im Ergebnis auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17. 123

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§ 88 StGB

Verfassungsfeindliche Sabotage

2. Gruppe 7 Eine Gruppe im Sinn des Absatz 1 unterscheidet sich von der Vereinigung gemäß § 85 (dort Rdn. 8 u. § 86 Rdn. 14) durch ein Weniger an innerer Verbundenheit. Sternberg-Lieben11 definiert Gruppe als Zusammenschluss mehrerer Personen zu einem gemeinsamen Zweck, wobei dieser Zusammenschluss nicht auf Dauer angelegt und nicht freiwillig zu sein braucht. Die Verwirklichung des konkreten Sabotageunternehmens als alleiniger Zweck des Zusammenschlusses reicht aus.12 Fischer13 spricht von einer lose zusammengeschlossenen Anzahl von mindestens drei Personen,14 womit ein Mindesterfordernis des Begriffs umschrieben ist. Dies darf aber nicht als eine starre Begrenzung in dem Sinne ausgelegt werden, dass beim Vorhandensein dreier Beteiligter die Anwendung der Einzeltäter-Alternative auszuscheiden hätte. Die richtige Abgrenzung ergibt sich aus der Beachtung des Motivs des Gesetzgebers, der bei der Beteiligung vieler Personen nur die Drahtzieher der Aktion als Täter erfassen wollte.

3. Teilnahme 8 Anstiftung und Beihilfe15 sind möglich (vgl. § 87 Rdn. 19). Anstiftung kommt infrage, wenn der Initiator der Tat weder Rädelsführer noch Hintermann ist. Beihilfe kommt in Betracht, wenn keines die die Täterschaft charakterisierenden Merkmale vorliegt. Ist z. B. ein Mitglied der Gruppe, das die Störhandlung selbst ausführt, weder Hintermann noch Rädelsführer, so ist es als Gehilfe zu bestrafen. Wie bei § 87 brauchen beim Teilnehmer die Absichtsmerkmale nicht vorzuliegen. Der Teilnehmer muss aber mindestens mit bedingtem Vorsatz handeln (vgl. § 87 Rdn. 19).

IV. Subjektiver Tatbestand 9 Der Täter muss mit doppelter Absicht handeln: Er muss den erforderlichen Taterfolg absichtlich, also zielgerichtet herbeiführen. Darüber hinaus muss er sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzen (vgl. § 92 Abs. 2 u. Abs. 3 und § 87 Rdn. 18).16 Im Gegensatz zu § 87 genügt insoweit „Wissentlichkeit“ nicht. Der Einsatz für die genannten Bestrebungen muss in der Tathandlung selbst nicht zum Ausdruck kommen (BGHSt 29 159 zu § 90b Abs. 1). Im Übrigen reicht dolus eventualis. Beim Teilnehmer siehe Rdn. 8 a. E. und § 87 Rdn. 19.

V. Rechtswidrigkeit 10 Die Rechtswidrigkeit einer Handlung, die alle Merkmale des Tatbestands verwirklicht, kann nicht durch das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG und grundsätzlich auch nicht in Fällen von Streik und Aussperrung (Art. 9 Abs. 3 GG) ausgeschlossen sein. Berufung auf Widerstandshandlungen im Sinne des Art 20 Abs. 4 GG können sich rein begrifflich nicht gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze richten. 11 12 13 14

Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15. Steinmetz MK Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 3a. Fischer Rdn. 6. Steinmetz MK Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 3a: mindestens sieben; Lackner/Kühl Rdn. 1a nicht ganz kleine Personenmehrheit. 15 Paeffgen NK Rdn. 13; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 16; Fischer Rdn. 6; aA Willms LK10 Rdn. 7; Zöller SK Rdn. 13. 16 Steinmetz MK Rdn. 16; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 20 ff.; Zöller SK Rdn. 16; Fischer Rdn. 9. Steinsiek

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X. Parteienprivileg; Opportunitätsprinzip; Verfahrensfragen; Zuständigkeit

StGB § 88

Sie lassen daher bereits den Tatbestand entfallen. Reine Arbeitskämpfe sind keine Störhandlungen (§ 81 Rdn. 27). Die Anwendung des § 88 ist deshalb nur in extremen Ausnahmefällen für Handlungen aus Anlass eines Streiks oder Aussperrung einschlägig.17

VI. Räumlicher Geltungsbereich Die Vorschrift findet nur Anwendung, wenn ein im räumlichen Geltungsbereich des StGB bele- 11 genes Sabotageobjekt im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 bis 4 durch die Tat beeinträchtigt wurde. Da § 91 für den § 88 nicht gilt, sind hier jedoch sog. Distanzdelikte möglich (vgl. § 87 Rdn. 17). Zu denken ist etwa an den Betrieb eines Störsenders im Ausland, der den Betrieb inländischer Fernmeldeanlagen unterbindet oder beeinträchtigt.18

VII. Versuch Die Strafbarkeit des Versuchs folgt aus Absatz 2.

12

VIII. Nebenfolgen und Einziehung S. §§ 92a, 92b.

13

IX. Konkurrenzen Tateinheit ist möglich mit §§ 316b und 317, außerdem mit allen Formen der Sachbeschädigung. 14 Dagegen wird § 88 durch die §§ 81 bis 83 verdrängt.19 Mit § 87 wird regelmäßig Tatmehrheit gegeben sein. Zu Mehrfachhandlungen vgl. § 84 Rdn. 32 ff.

X. Parteienprivileg; Opportunitätsprinzip; Verfahrensfragen; Zuständigkeit Zum Parteienprivileg s. vor § 80 Rdn. 25 ff., zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips 15 §§ 153c – e StPO, zu Verfahrensfragen im Übrigen Vor § 80 Rdn. 38. Bezüglich der Zuständigkeit vgl. § 84 Rdn. 39.

17 Paeffgen NK § 88 Rdn. 8 u. 10; für Rechtfertigung statt Tatbestandsausschluss Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 18. 18 Paeffgen NK Rdn. 14; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19. 19 AA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 24, wonach mit §§ 81 ff. Idealkonkurrenz möglich sein soll. 125

Steinsiek

§ 88a weggefallen

Steinsiek https://doi.org/10.1515/9783110490008-014

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§ 89 Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane (1) Wer auf Angehörige der Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans planmäßig einwirkt, um deren pflichtmäßige Bereitschaft zum Schutz der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder der verfassungsmäßigen Ordnung zu untergraben, und sich dadurch absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) § 86 Abs. 4 gilt entsprechend.

Schrifttum Backes Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz (1970); Beck Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung (1992); Fuhr Die Äußerung im Strafgesetzbuch (2001); Heinrich Die Staatsschutzdelikte im Lichte des Medienstrafrechts, ZJS 2017 301; Hertel Die Zukunft des Wehrstrafrechts – Bestandsaufnahme, Rechtsvergleich und Ausblick für die Straftaten gegen die Landesverteidigung und §§ 17, 18 WStG (2014); Jescheck Strafrechtlicher Schutz der Bundeswehr gegen Zersetzung, NZWehrR 1969 121; Krauth/Kurfess/Wulfes Zur Reform des Strafschutzstrafrechts durch das achte Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1968 582; Redmann Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB unter Berücksichtigung linguistischer Aspekte (2014); Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970); Schwenck Strafrecht und Bundeswehr in der politischen Auseinandersetzung, NZWehrR 1969 134; Terstiege Die Rechtsstellung von Streitkräften in fremdem Territorium – Der strafrechtliche Schutz in Deutschland seit 1945 (2010).

Entstehungsgeschichte § 89 ist die Nachfolgevorschrift des § 91 a. F., dessen Anwendungsbereich bereits vom 4. StrÄndG vom 11.6.1957 (BGBl. I 597) durch die Einfügung des subjektiven Tatbestandsmerkmals der verfassungsfeindlichen oder sicherheitsbedrohenden Absicht eingeschränkt worden war (vgl. Lackner JZ 1957 401, 405). Das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) hat den Tatbestand weiter eingegrenzt, indem es unter Ausschluss der von § 91 a. F. noch erfassten Angehörigen von Behörden den geschützten Personenkreis auf Angehörige der Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans beschränkte und das Erfordernis der Planmäßigkeit des Einwirkens einfügte. Das EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I 469; 1975 I 1916; 1976 I 507) brachte – neben der nach der Vereinigung Deutschlands aufgehobenen Sonderfassung der Vorschrift für Berlin – nur eine redaktionelle Anpassung.

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

II. 1. 2.

Objektiver Tatbestand 2 3 Geschützter Personenkreis 4 Tathandlung a) Besonderheiten bei schriftlichen Propagan5 damaterial 6 b) Planmäßigkeit

III. 1.

1

Subjektiver Tatbestand 7 Absicht, die pflichtgemäße Schutzbereitschaft 8 zu untergraben a) Sicherheit der Bundesrepublik Deutsch9 land 10 b) Untergrabungsabsicht 11 c) Pflichtgemäße Schutzbereitschaft

127 https://doi.org/10.1515/9783110490008-015

2.

Absicht, sich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze 12 einzusetzen

IV.

Versuch

V.

Teilnahme

VI.

Geltungsbereich

VII. Strafrahmen

13 14 15 16

VIII. Nebenfolgen und Einziehung IX.

Verjährung

17

18

Steinsiek

§ 89 StGB

Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane

X.

Konkurrenzen

19

XI.

Parteienprivileg; Opportunitätsprinzip

XII. Anwendbarkeit auf nichtdeutsche NATO-Trup21 pen 20

I. Zweck der Vorschrift 1 Die Vorschrift bezweckt den Schutz des Bestandes und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung, soweit diese in den in § 92 Abs. 2 genannten Verfassungsgrundsätzen Ausdruck gefunden haben. Zur Erreichung dieses Zieles will § 89 die Verlässlichkeit der Bundeswehr und der öffentlichen Sicherheitsorgane gewährleisten, indem sie deren psychische Infiltration pönalisiert.1 Die Vorschrift ist verfassungsgemäß (BVerfGE 47 130).2 Sie ist als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet.

II. Objektiver Tatbestand 2 Tathandlung ist das planmäßige Einwirken auf Bundeswehrangehörige oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans, um deren pflichtgemäße Bereitschaft zum Schutz der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder der verfassungsmäßigen Ordnung zu untergraben. Die Vorschrift stellt einen als eigenständige Tat ausgestalteten Sonderfall einer versuchten Anstiftung dar.

1. Geschützter Personenkreis 3 Angehörige der Bundeswehr oder öffentlicher Sicherheitsorgane zählen zu dem von § 89 geschützten Personenkreis, nicht jedoch sonstige Behördenangehörige (s. Entstehungsgeschichte). Als öffentliche Sicherheitsorgane sind danach beispielsweise die Bundes- und Landespolizeien,3 die Verfassungsschutzämter und sonstige Nachrichtendienste anzusehen. Staatsanwälte und Richter zählen trotz ihres teilweise gleichgerichteten Aufgabenkreises nicht dazu (vgl. Bericht des Sonderausschusses, Vor § 80 Rdn. 11, BTDrucks. V/2860 S. 11). Einrückende Rekruten sind vor dem für den Dienstantritt festgesetzten Zeitpunkt noch keine Bundeswehrangehörige (BGHSt 36 68), s. § 2 Abs. 1 SoldatenG.

2. Tathandlung 4 ist das planmäßige Einwirken. Unter Einwirken ist jede Tätigkeit zu verstehen, durch die ein Angehöriger des geschützten Personenkreises in dem vom Täter gewünschten Sinne beeinflusst werden soll (BGHSt 4 291). Bestimmte Tatmittel nennt die Vorschrift nicht. In Betracht kommt daher etwa das Verbreiten propagandistischer Druckschriften an die geschützten Personen (vgl. BGH NStZ 1981 300), das sonstige Auffordern oder Überreden zu pflichtwidrigem Verhalten, aber auch ein Drohen oder Warnen vor pflichtgemäßem Tun. Dabei ist es unerheblich, ob die

1 Steinmetz MK Rn. 1. 2 Verfassungsrechtliche Bedenken hat Paeffgen NK Rdn. 2 m. w. N. 3 Die von Laufhütte/Kuschel LK12 vertretene Auffassung, nichtkasernierte Polizeieinheiten seien vom Schutzbereich nicht umfasst, wird aufgegeben. Zwar war eine solche Beschränkung ausweislich des Sonderausschussprotokolls V S. 1907 f. bezweckt, sie hat jedoch im Wortlaut der Vorschrift keinen Niederschlag gefunden. Ebenso Steinmetz MK Rdn. 5; Paeffgen NK Rdn. 8; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 3, Heinrich ZJS 2017 311. Steinsiek

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III. Subjektiver Tatbestand

StGB § 89

Beeinflussung ausdrücklich oder konkludent erfolgt,4 ob sie erfolgreich ist5 oder ob das vom Täter eingesetzte Mittel überhaupt geeignet ist, die angesprochenen Personen zu beeinflussen.6 Doch ist zur Vollendung der Tat erforderlich, dass die vom Täter als Mittel der Beeinflussung angesehene Einwirkungshandlung die angesprochene Person erreicht.7 Dagegen muss der Adressat die Einwirkungshandlung nicht bewusst zur Kenntnis nehmen.8 Erreicht das Einwirkungsmittel, etwa ein Flugblatt, den Adressaten zu einem Zeitpunkt, in dem er noch nicht zu dem geschützten Personenkreis zählt, so ist der Tatbestand weder erfüllt, wenn der Adressat den Inhalt der Schrift unmittelbar zur Kenntnis nimmt und die Einflussnahme nach seinem Eintritt in die Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans weiterwirkt, noch wenn er sich von dem Inhalt erst nach dem Eintritt Kenntnis verschafft (BGHSt 36 68, 69 f.). Anders ist es jedoch, wenn er die Schrift entsprechend dem Plan des Täters an andere Angehörige der Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans weitergibt (BGHSt 36 68, 73).

a) Besonderheiten bei schriftlichen Propagandamaterial. Wird als Mittel der Beeinflus- 5 sung schriftliches Propagandamaterial eingesetzt, so macht sich jeder, der in Kenntnis und mit Billigung des Inhalts der Schrift an deren Herstellung oder Verbreitung an den geschützten Personenkreis mitwirkt, wegen täterschaftlichen Einwirkens nach § 89 strafbar; auch derjenige, der sich lediglich bereit erklärt, im Impressum als presserechtlich Verantwortlicher genannt zu werden (BGH bei Holtz MDR 1979 707; BGH NStZ 1981 300). Wer dagegen mit seiner Billigung nur zum Schein als Herausgeber der Schrift genannt wird, ohne im Einzelfall deren Inhalt auch als eigene Meinungsäußerung mitzutragen, macht sich allenfalls der Beihilfe schuldig (vgl. BGHSt 36 363). Beim Einsatz schriftlichen Propagandamaterials ist nicht allein der Inhalt der Schrift maßgeblich dafür, ob ein Einwirken im Sinne des § 89 vorliegt. Vielmehr sind daneben auch alle anderen Umstände der Tat zu berücksichtigen, etwa das Verteilen des Propagandamittels begleitende mündliche Losungen oder das Auftreten für eine Organisation, die dem Schutzzweck des § 89 zuwiderlaufende Ziele verfolgt (BGH bei Holtz MDR 1977 281 f.; BGH NStZ 1988 215).9

b) Planmäßigkeit. Die Einwirkung muss planmäßig, also überlegt erfolgen und vorbereitet 6 sein. Spontane oder unüberlegte Äußerungen des Unwillens werden vom Tatbestand daher nicht erfasst.10

III. Subjektiver Tatbestand Bezüglich des planmäßigen Einwirkens und der Eigenschaft des Adressaten der Beeinflussung 7 als Angehöriger der Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans genügt bedingter 4 BGH bei Holtz MDR 1977 281 f. 5 BGHSt 4 291, 292; BGH bei Wagner GA 1965 353 Nr. 14. 6 BGH bei Wagner GA 1961 3 Nr. 4; 1965 353 Nr. 14; Lackner/Kühl Rdn. 2; Steinmetz MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; aA Paeffgen NK Rdn. 5; Zöller SK Rdn. 5 u. 10, die verlangen, dass der Angriff wenigstens theoretisch zur Gefährdung des Bestandes oder der Verfassung geeignet ist. 7 BGHSt 4 291, 292; 36 68, 69. 8 BGHSt 36 68, 69; BGH bei Wagner GA 1961 4 Nr. 8; Steinmetz MK Rdn. 6; Zöller SK Rdn. 5; Fischer Rdn. 3; aA Paeffgen NK Rdn. 5, der „sinnliche Wahrnehmung“ verlangt; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Ellbogen BeckOK Rdn. 15. 9 Steinmetz MK Rdn. 6; zweifelnd Paeffgen NK Rdn. 6. 10 Steinmetz MK Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 6; Ellbogen BeckOK Rdn. 7; Paeffgen NK Rdn. 5 u. 7 verlangt zudem, dass die Einwirkungshandlung auf eine gewisse Dauer und Hartnäckigkeit angelegt ist; dies folge aus dem Zusammenspiel der Worte „planmäßig“ und „einwirken“. 129

Steinsiek

§ 89 StGB

Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane

Vorsatz.11 Darüber hinaus erfordert die subjektive Tatseite beim Täter – nicht dagegen beim Gehilfen (BGHSt 17 215, 218; zum Teilnehmer s. Rdn. 14) – eine doppelte Absicht:

1. Absicht, die pflichtgemäße Schutzbereitschaft zu untergraben 8 Der Täter muss mit der Absicht handeln, die pflichtgemäße Bereitschaft von Angehörigen der Bundeswehr oder öffentlicher Sicherheitsorgane zum Schutz der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder der verfassungsmäßigen Ordnung zu untergraben.

9 a) Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Der Begriff der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst die äußere und innere Sicherheit (vgl. § 92 Abs. 3 Nr. 2). Während man unter äußerer Sicherheit einen Zustand relativer Ungefährdetheit gegenüber fremden Staaten versteht, wird die innere Sicherheit als ein Zustand relativer Ungefährdetheit von Bestand und Verfassung gegenüber gewaltsamen Aktionen innerstaatlicher Kräfte begriffen (Schroeder S. 391 f.). Unter verfassungsmäßiger Ordnung ist hier entsprechend der Verwendung dieses Begriffes in Art. 2 Abs. 1 GG der Inbegriff aller formellen und materiellen Verfassungsnormen und -einrichtungen des Bundes und der Länder zu verstehen (vgl. BVerfGE 6 32, 37 ff.; 90 145, 171 ff.), deren Schutz Aufgabe der Bundeswehr und der öffentlichen Sicherheitsorgane ist (vgl. zu ähnlichen Begriffen § 81 Rdn. 6 ff. und § 86 Rdn. 4).

10 b) Untergrabungsabsicht. Mit Untergrabungsabsicht im Sinne der Vorschrift handelt derjenige, dem es darauf ankommt, die pflichtgemäße Dienstbereitschaft allgemein zu beseitigen, zu ändern oder zu erschüttern (BGHSt 4 291, 292; 6 64, 66; 18 151, 155; BGH NStZ 1988 215), den Angesprochenen in seinem Pflichtbewusstsein wankend zu machen oder einen Geist der Widersetzlichkeit und Unwilligkeit zu erzeugen (Sch/Schroeder/Sternberg-Lieben Rdn. 11 f.). Unerheblich ist es, ob daneben noch andere Ziele verfolgt werden.12 Es reicht nicht aus, wenn nur ein pflichtwidriges Verhalten im Einzelfall erstrebt wird (BGHSt 6 64). Andererseits genügt es, wenn der Täter einem Angehörigen des geschützten Personenkreises zwar lediglich eine pflichtwidrige Einzelhandlung ansinnt, damit aber zugleich dessen Pflichtgefühl schlechthin erschüttern will (vgl. BGHSt 6 64).13 Wendet sich der Täter aus Anlass oder zur Verhinderung einer ihm bedenklich erscheinenden Einzelmaßnahme an eine der geschützten Personen (vgl. BGH bei Wagner GA 1961 3 Nr. 5), ist daher besonders sorgfältig zu prüfen, ob es ihm nur um einen Protest gegen die einzelne Maßnahme oder um weiterreichendere Ziele geht (vgl. BGH NStZ 1988 215: Aufforderung, das Gelöbnis nach § 9 Abs. 2 SoldatenG zu verweigern).14

11 c) Pflichtgemäße Schutzbereitschaft. Der Täter muss die pflichtgemäße Schutzbereitschaft untergraben wollen. Die Aufforderung zu einem pflichtgemäßen Tun bleibt daher grundsätzlich ebenso straflos wie Kritik an Einzelmaßnahmen der Verteidigungspolitik oder der Arbeit der öffentlichen Sicherheitsbehörden (s. näher Schroeder S. 460).15

11 12 13 14 15

AA Paeffgen NK Rdn. 11, der dolus directus 2. Grades verlangt. BGHSt 18 151 ff. AA Paeffgen NK Rdn. 14. Kritisch Paeffgen NK Rdn. 14. Zur inzwischen rein theoretischen Frage der Strafbarkeit einer Werbung für Wehrdienstverweigerung s. die Ausführungen von Laufhütte/Kuschel LK12 Rdn. 11.

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VIII. Nebenfolgen und Einziehung

StGB § 89

2. Absicht, sich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einzusetzen ist darüber hinaus erforderlich. S. hierzu im Einzelnen § 92 Abs. 3 sowie § 87 Rdn. 18 und § 88 12 Rdn. 9. Gegen den Grundsatz der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung (§ 92 Abs. 2 Nr. 4) verstößt die Forderung, die Bundeswehr unter Übernahme der Befehlsgewalt durch die „werktätige Bevölkerung“ durch eine „Volksmiliz“ zu ersetzen.16

IV. Versuch Die Strafbarkeit folgt aus Absatz 2. Da es sich bei der Tathandlung nach § 89 der Sache nach 13 um eine versuchte Anstiftung handelt (s. Rdn. 2), ist die Strafbarkeit ins Vorbereitungsstadium vorverlagert. Um eine Überdehnung des Tatbestandes zu vermeiden, sind daher an die Annahme der Voraussetzungen eines Versuchs strenge Anforderungen zu stellen.17 Zu denken ist insbesondere an die Fälle, in denen die Einwirkungshandlung bzw. das Einwirkungsmittel die vorgestellten Adressaten nicht erreicht.18

V. Teilnahme Anstiftung und Beihilfe sind wie bei den §§ 87, 88 möglich. Die Absichtsmerkmale brauchen 14 beim Teilnehmer nicht vorzuliegen (Rdn. 7; § 87 Rdn. 19; § 88 Rdn. 8; bes. pers. Merkmal i. S. d. § 28 Abs. 1). Der Teilnehmer muss mit mindestens bedingtem Vorsatz billigend in Kauf nehmen, dass beim Täter die subjektiven Voraussetzungen vorliegen.

VI. Geltungsbereich Eine Strafbarkeit besteht allein dann, wenn der Täter Deutscher ist und seine Lebensgrundlage 15 im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes hat (§ 5 Nr. 3a).

VII. Strafrahmen Die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Bei geringer Schuld des Täters 16 kann das Gericht von einer Bestrafung nach § 89 absehen (Absatz 3 i. V. m. § 86 Abs. 4). Handelt der Täter in sicherheitsgefährdender Absicht, so darf strafschärfend berücksichtigt werden, dass er zugleich auch einen Verfassungsgrundsatz angreifen will. Doch genügt insoweit nicht die Feststellung einer irgendwie gegen die Verfassung gerichteten subjektiven Tendenz. Erforderlich ist vielmehr eine Zielsetzung, die sich als gegen die in § 92 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 genannten Grundsätze eindeutig einordnen lässt (BGH JR 1977 28 mit Anm. Schroeder).

VIII. Nebenfolgen und Einziehung S. §§ 92a, 92b.

17

16 BGH JR 1977 28 mit Anm. Schroeder, der diese Subsumtion als mutig bezeichnet, aber einen Verstoß gegen den Grundsatz des § 92 Abs. 2 Nr. 1 bejaht, vgl. § 92 Rdn. 6.

17 Steinmetz MK Rdn. 15; Paeffgen NK Rdn. 19; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14. 18 Enger und entgegen BGHSt 36 68, 73 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14. Ähnlich wie hier Zöller SK Rdn. 10. 131

Steinsiek

§ 89 StGB

Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane

IX. Verjährung 18 Es gilt § 78 Abs. 3 Nr. 4. Auch wenn die Tat durch Verbreitung von Druckschriften begangen wird, hat das Presserecht der Landespressegesetze keinen Einfluss auf deren Verjährung. Es handelt sich bei § 89 nicht um ein Presseinhaltsdelikt, weil wesentlicher Gesichtspunkt für die Strafbarkeit der Tat nicht der Inhalt der Druckschrift, sondern deren Verbreitung an einen bestimmten Personenkreis ist.19

X. Konkurrenzen 19 Tateinheit ist möglich mit §§ 86, 86a, 90a, 90b, 109d, ferner mit Anstiftung oder versuchter Anstiftung zu einer Straftat, die der der Einwirkung ausgesetzte Angehörige der Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans begehen sollte. Durch Taten nach §§ 81 bis 83 wird § 89 verdrängt. Zu Mehrfachhandlungen § 84 Rdn. 32 ff.

XI. Parteienprivileg; Opportunitätsprinzip 20 Zum Parteienprivileg s. Vor § 80 Rdn. 25 ff.; zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips §§ 153b – e StPO.

XII. Anwendbarkeit auf nichtdeutsche NATO-Truppen 21 Die Vorschrift gilt auch zum Schutz der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten nichtdeutschen NATO-Truppen (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 NATO-TruppenschutzG, NTSG), wenn der Täter die Tat in der Absicht begeht, die pflichtgemäße Bereitschaft von Soldaten, Beamten oder Bediensteten dieser Truppen zum Dienst für die Verteidigung zu untergraben und wenn er sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen einsetzt, die gegen die Sicherheit des betroffenen Vertragsstaats oder seiner Truppen gerichtet sind. Eine räumliche Beschränkung folgt aus § 1 Abs. 4 NTSG. Die Erweiterung die § 89 über § 5 Nr. 3a erfährt, findet daher bzgl. der NATO-Truppen keine Anwendung.20

19 BGHSt 27 353, 354; RGSt 66 145, 146; OLG Hamburg NJW 1965 2168; BayObLGSt 1962 171; Lackner/Kühl Rdn. 6; zum Presseinhaltsdelikt s. allg. Franke GA 1982 404; Steinmetz MK Rdn. 18; Paeffgen NK Rdn. 23.

20 Ebenso Steinmetz MK Rdn. 8. Steinsiek

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§ 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (1)

Wer eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Eine schwere staatsgefährdende Gewalttat ist eine Straftat gegen das Leben in den Fällen des § 211 oder des § 212 oder gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b, die nach den Umständen bestimmt und geeignet ist, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben. (2) Absatz 1 ist nur anzuwenden, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er 1. eine andere Person unterweist oder sich unterweisen lässt in der Herstellung von oder im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen, Kernbrenn- oder sonstigen radioaktiven Stoffen, Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können, anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen oder in sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung einer der in Absatz 1 genannten Straftaten dienen, 2. Waffen, Stoffe oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verwahrt oder einem anderen überlässt oder 3. Gegenstände oder Stoffe sich verschafft oder verwahrt, die für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art wesentlich sind. (2a) Absatz 1 ist auch anzuwenden, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er es unternimmt, zum Zweck der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder der in Absatz 2 Nummer 1 genannten Handlungen aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen, um sich in einen Staat zu begeben, in dem Unterweisungen von Personen im Sinne des Absatzes 2 Nummer 1 erfolgen. (3) Absatz 1 gilt auch, wenn die Vorbereitung im Ausland begangen wird. Wird die Vorbereitung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union begangen, gilt dies nur, wenn sie durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen wird oder die vorbereitete schwere staatsgefährdende Gewalttat im Inland oder durch oder gegen einen Deutschen begangen werden soll. (4) In den Fällen des Absatzes 3 Satz 2 bedarf die Verfolgung der Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Wird die Vorbereitung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union begangen, bedarf die Verfolgung der Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, wenn die Vorbereitung weder durch einen Deutschen erfolgt noch die vorbereitete schwere staatsgefährdende Gewalttat im Inland noch durch oder gegen einen Deutschen begangen werden soll. (5) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. (6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1). (7) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Täter freiwillig die weitere Vorbereitung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat aufgibt und eine von ihm verursachte und erkannte Gefahr, dass andere diese Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen, abwendet oder wesentlich mindert oder wenn er freiwillig die Vollendung dieser Tat verhindert. Wird ohne Zutun des Täters die bezeichnete Gefahr ab133 https://doi.org/10.1515/9783110490008-016

Engelstätter

§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

gewendet oder wesentlich gemindert oder die Vollendung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat verhindert, genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, dieses Ziel zu erreichen.

Schrifttum Afsali Der Beitrag des Europarats zur Terrorbekämpfung und sein Einfluss auf die EU (2013); Ambos Die Verfolgungsermächtigung i. R. v. § 129b StGB ZIS 2016 505; ders. Internationales Strafrecht, 5. Auflage (2018); Albers/Groth Globales Recht und Terrorismusfinanzierungsbekämpfung (2014); Aliabasi Die staatsgefährdende Gewalttat (2017); Aston Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats – Resolution 1373 (2001) im Kontext, ZaöRV 2002 257; Backes Der Kampf des Strafrechts gegen nicht-organisierte Terroristen, StV 2008 654; Bader Das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, NJW 2009 2853; Bäcker Kriminalpräventionsrecht (2015); ders. Weitere Zentralisierung der Terrorismusbekämpfung, GSZ 2018 213; Beck Rechtsstaatlichkeit – Bauernopfer im Krieg gegen den Terror? 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Schrifttum

StGB § 89a

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Die Staatsschutzdelikte im Lichte des Medienstrafrechts – Teil 2: Die Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats, ZJS 2017 301; Heubrock Weibliche Attentäter, Kriminalistik 2017 226; Hofmann Rechtsstaat und Sicherheit im deutschen wie im europäischen Kontext ZG 2019 195; Hoffman Terrorismus (2019); Hügel Strafbarkeit der Anschlagsvorbereitung durch terroristische Einzeltäter (2014); Hummer Terrorismusbekämpfung in der Europäischen Union – Rahmenbedingungen, Strategien und Zuständigkeiten, ZEuS 2017 143; Hungerhoff Vorfeldstrafbarkeit und Verfassung (2013); Jahn Strafverfassungsrecht: Das Grundgesetz als Herausforderung für die Dogmatik des Straf- und Strafverfahrensrecht, Gedächtnisschrift Joachim Vogel (2016) 63; Jakobs Terroristen als Personen im Recht ZStW 117 (2005) 839, 845; ders. Feindstrafrecht in Bruns/Gumpp/Nguyen/ Mommsen (Hrsg.) 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Festschrift Amelung (2009) 81; Paul Zulässigkeit und Grenzen abstrakter Gefährdungsdelikte im Staatsschutzstrafrecht, Festschrift Graulich (2019) 135; Pawlik Der Terrorist und sein Recht (2008); Payandeh Globale Anti-Terrorgesetzgebung: Die deutsche Rechtsordnung im Sog des UN-Sicherheitsrats? ZRP 2014 241; Petzsche/Heger/ Metzler Terrorismusbekämpfung in Europa im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit (2019); Petzsche Erneute Ausweitung des deutschen Terrorismusstrafrechts dank Europa? Zum Umsetzungsbedarf der EU-Richtlinie 2017/541 in Petzsche/Heger/Metzler Terrorismusbekämpfung in Europa im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit (2019) S. 209; dies. Zur Verfassungsmäßigkeit von Vorfelddelikten, HRRS 2015 33; dies. Freiheitsentzug und Beschränkungen als Antwort auf die terroristische Bedrohung in Europa – unbefristeter Präventivgewahrsam in Bayern und die Nutzung von Exekutivrecht zur Terrorismusbekämpfung in England und Wales als rechtliche Handlungsalternativen? in Bruns/Gumpp/Nguyen/Mommsen (Hrsg.) Terror – von der Ohnmacht des Staates und der Rechtmäßigkeit von Handlungsalternativen (2019) 91; Pieroth Befugniserweiterung mit Begriffsverwirrung, GSZ 2018 133; Puschke Der Ausbau des Terrorismusstrafrechts und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, StV 2015 457; ders. Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen (2017); ders. Das neue Terrorismusstrafrecht im Lichte der Verfassung, KriPoZ 2018 101; Rackow Strafrechtliche Terrorismusbekämpfung durch Pönalisierung von Vorbereitungshandlungen, Festschrift Maiwald (2010) 615; Radtke/Steinsiek Bekämpfung des internationalen Terrorismus durch Kriminalisierung von Vorbereitungshandlungen? – Zum Entwurf eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren Gewalttaten (Referentenentwurf des BMJ vom 21.4.2008), ZIS 2008 383; dies. Terrorismusbekämpfung durch Vorfeldkriminalisierung? – Das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten, JR 2010 107; Raum Verdachtstatbestände im „Krieg gegen den Terror“ in Fischer/Hoven (Hrsg.) Verdacht, Baden-Badener Strafrechtsge-

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

spräche Bd. 2 (2016) S. 215; Rautenberg Rechtsstaatswidriges Feindstrafrecht oder notwendige Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung ? (2014); Roegele Deutscher Strafrechtsimperialismus (2014); Roggan Legislative Entgrenzungen im Bereich der Terrorismusbekämpfung: Eine unvollständige Bilanz der letzten zehn Jahre, ZRP 2017 208; Said Ausgereist und dann? Deutsche im Jihad-Gebiet, in Kärgel (Hrsg.) Sie haben keinen Plan B (2018) S. 68; Saliger Feindstrafrecht und Terrorismusbekämpfung in Bruns/Gumpp/Nguyen/Mommsen (Hrsg.) Terror – Von der Ohnmacht des Staates und der Rechtmäßigkeit von Handlungsalternativen (2019) 79; Satzger Internationales und Europäisches Strafrecht, 8. Auflage (2018); Schmahl Maßnahmen der UNO zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus: Die Rolle des Sicherheitsrats und der Generalversammlung in Odendahl (Hrsg.) Die Bekämpfung des Terrorismus mit den Mitteln des Völker- und Europarechts (2017) 109; Scheuß Zur Rechtfertigung von Straftaten im nicht internationalen bewaffneten Konflikt, ZStW 130 (2018) 23; Schiemann Deutsches Strafrecht rund um die Welt? Herausforderungen des Strafanwendungsrechts, JR 2017 339; Schirra ISIS – Der globale Jihad (2015); Schmitt Die Terrordelikte des StGB im Spiegel der Bedrohung durch den islamistischen Terror, jM 2018 298; Schnarr Innere Sicherheit – die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts nach § 120 II 1 Nr. 3 GVG, MDR 1993 589; Sieber Legitimation und Grenzen von Gefährdungsdelikten im Vorfeld von terroristischer Gewalt – Eine Analyse der Vorfeldtatbestände im „Entwurf eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten,“ NStZ 2009 353; ders. Paradigmenwechsel vom Strafrecht zum Sicherheitsrecht: Zur neuen Sicherheitsarchitektur der globalen Risikogesellschaft, Gedächtnisschrift zur Erinnerung an Joachim Vogel (2016) 351; Sieber/Vogel Terrorismusfinanzierung (2015); Sowada Der gesetzliche Richter im Strafverfahren (2002); Steinsiek Terrorabwehr durch Strafrecht? (2012); Steiger Das Ringen um eine rechtliche Definition des Begriffs „Terrorismus“ auf internationaler Ebene in Odendahl (Hrsg.) Die Bekämpfung des Terrorismus mit den Mitteln des Völker- und Europarechts (2017) 45; Steinberg Al-Qaidas deutsche Kämpfer (2014); ders. Kalifat des Schreckens (2015); Valerius Internationaler Terrorismus und nationales Strafanwendungsrecht, GA 2011 696; ders. Ein bestimmtes Auftreten bei der Terrorismusbekämpfung, Festschrift Heintschel-Heinegg (2015) 459; C. Walter Völkerrechtliche Verträge zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus – Aktionismus oder wirksames Instrument in Odendahl (Hrsg.) Die Bekämpfung des Terrorismus mit den Mitteln des Völker- und Europarechts (2017) 87; T. Walter Der Rechtsstaat verliert die Nerven. Zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren Gewalttaten, KJ 2008 443; Walther Präventivhaft für terrorimusverdächtige Gefährder? ZIS 2007 464; Weber Europäische Terrorismusbekämpfung (2008); Weißer Der „Kampf gegen den Terrorismus“ – Prävention durch Strafrecht? JZ 2008 388; dies. Über den Umgang des Strafrechts mit terroristischen Bedrohungslagen, ZStW 121 (2009) 131; Zimmermann Tendenzen der Strafrechtsangleichung in der EU – dargestellt anhand der Bestrebungen zur Bekämpfung von Terrorismus, Rassismus und illegaler Beschäftigung, ZIS 2009 1; Zöller Terrorismusstrafrecht (2009); ders. Willkommen in Absurdistan, GA 2010 607; ders. Zehn Jahre 11. September – Zehn Jahre Gesetzgebung zum materiellen Terrorismusstrafrecht in Deutschland – Versuch einer Bilanz, StV 2012 364; ders. Strafrechtliche Verfolgung von Terrorismus und politischem Extremismus unter dem Einfluss des Rechts der Europäischen Union, ZIS 2014 402; ders. Die Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB – wirklich nicht verfassungswidrig? NStZ 2015 373; ders. Der Terrorist und sein Strafrecht, GA 2016 90; ders. Europäisierte Vereinigungsdelikte? – Der Regierungsentwurf zur Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, KriPoZ 2017 26; Zweigle, Gesetzgeber im Konflikt zwischen Rechtsstaatlichkeit und Terrorismusbekämpfung – Eine Untersuchung zu § 89a Abs. 2a StGB (2020).

Entstehungsgeschichte 1. Gesetzgebungsanlass Die Aufnahme der Vorschrift durch das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG)1 in das StGB steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der seit den Anschlägen vom 11.9.2001 gestiegenen terroristischen Bedrohungslage.2 Ausschlaggebend waren neben den Anschlägen auf Nahverkehrszüge in Madrid (2004) und auf die Londoner U-Bahn (2005) die versuchten Anschläge auf zwei Regionalzüge in Dortmund und Koblenz mit zwei funktionsuntüchtigen Kofferbomben im Juli 2006. Im September 2007 war es zudem zur Festnahme der „Sauerlandgruppe“ gekommen, deren Mitglieder in einem Chemiegroßhandel eine große Menge Wasserstoffperoxidlösung erworben und mit der Herstellung von Sprengstoff begonnen hatten.3 Daneben beobach-

1 Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG) vom 30.7.2009, BGBl. I 2437. 2 Aliabasi S. 135; Kauffmann S. 7; Mertens S. 5. 3 Hierzu Griesbaum FS Breidling 121, 123; Kurenbach/Maßmann Kriminalistik 2010 558 ff. Engelstätter

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Gesetzgebungsverfahren

StGB § 89a

teten die Sicherheitsbehörden mit dem Auftreten organisationsungebundener Einzeltäter, dem Anschluss eigener Staatsbürger an terroristische Vereinigungen im Ausland sowie der Nutzung des Internets als Austauschplattform von Inhalten, die als Anleitung zur Begehung von Anschlägen dienen konnten, neue terroristisch motivierte Handlungsformen. Das bis zu diesem Zeitpunkt bedeutsamste Mittel der strafrechtlichen Terrorismusbekämpfung waren die §§ 129a, 129b, die jedoch das Zusammenwirken von mindestens drei Personen erforderten. Außerhalb dieser Tatbestände und der Verbrechensverabredung gem. § 30 setzte die Strafbarkeit terroristischer Aktivitäten erst dann ein, wenn die Tat das Stadium des Versuchs gem. § 22 erreicht hatte. Da auf dieser Grundlage insbesondere die Verhinderung von Selbstmordattentaten mit strafrechtlichen Mitteln kaum möglich schien, suchte der Gesetzgeber nach Möglichkeiten, den strafrechtlichen Schutz vor schweren Gewalttaten in das Vorfeld des eigentlichen Anschlags zu verlagern.4 2. Gesetzesentwürfe des Bundesrates, der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen Nachdem bereits einige Nationen den Aufenthalt in terroristischen Ausbildungslagern mit Kriminalstrafe bedroht hatten5 und auch der Europarat6 und die EU7 ihre Mitgliedstaaten zur Einführung entsprechender Regelungen verpflichtet hatten, legte auf nationaler Ebene zunächst das Bundesland Hessen einen Gesetzesentwurf vor.8 Der Bundesrat schlug neben einer Ausweitung des § 5 auf Tathandlungen im Zusammenhang mit terroristischen Vereinigungen im Ausland vor allem eine Erweiterung des bestehenden § 129a Abs. 5 vor, sodass neben der Gründung, der Mitgliedschaft und der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nunmehr auch die „Wahrnehmung von Ausbildungsangeboten terroristischer Vereinigungen“ als weitere Tathandlung mit Kriminalstrafe bedroht werden sollte. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen im Deutschen Bundestag entschieden sich jedoch für einen anderen Weg. Bereits der Referentenentwurf vom 21.4.2008 sah die Schaffung von neuen Tatbeständen vor. Mit § 89a des Referentenentwurfs sollten zunächst diverse Vorbereitungshandlungen für die Begehung einer schweren Gewalttat unter Strafe gestellt werden. § 91 des Entwurfs sanktionierte begleitend dazu das Sich-Beschaffen oder Zurverfügungstellen einer Anleitung zu einer schweren Gewalttat sowie die Aufnahme von Beziehungen zu einer terroristischen Vereinigung.9 Die auf den Referentenentwurf folgenden Gesetzesentwürfe der Regierungsfraktionen10 und der Bundesregierung11 behielten diesen Ansatz bei, splitteten jedoch die Regelung des § 91 in zwei Vorschriften. Die Aufnahme von Beziehungen zu einer terroristischen Vereinigung wurde nunmehr von § 89b erfasst, während die Problematik der Verbreitung von Anleitungen zur Begehung terroristischer Gewalttaten dem neu zu schaffenden § 91 zugeordnet wurde. Im Übrigen enthielten die Gesetzesentwürfe im Vergleich zum Referentenentwurf nur geringfügige Änderungen, wie die Ersetzung des Begriffs der „schweren Gewalttat“ durch die Formulierung „schwere staatsgefährdende Gewalttat“ in § 89a Abs. 1 oder die Aufnahme eines Ausschlusstatbestandes in § 91 Abs. 2. Daneben enthielt das GVVG zudem begleitende Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes (Art. 2 GVVG), der Strafprozessordnung (Art. 3 GVVG) sowie verschiedener Anti-Terrorismus-Gesetze des besonderen Verwaltungsrechts (Art. 4 GVVG), in die jeweils Verweisungen auf die Vorschrift des § 89a aufgenommen wurden.12 3. Gesetzgebungsverfahren Das GVVG bedurfte aufgrund der durch die Bundesregierung in Anspruch genommenen Kompetenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 4, 11 sowie des Art. 73 Abs. 1 Nr. 3, 5, 10 GG nicht der Zustimmung des Bundesrates. Der Gesetzesentwurf wurde nach erster Lesung im Plenum an den Rechtsausschuss verwiesen. Nach einer öffentlichen Anhörung am

4 BTDrucks. 16/5820 S. 2; BTDrucks. 16/12428 S. 2. 5 Vgl. Chapter 11 Part I Section 5–8 des britischen „terrorism Act“ sowie § 2339 A-D des US Federal Crimes Code. 6 Vgl. Art. 7 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus vom 16.5.2005; BTDrucks. 17/3801 S. 10.

7 Vgl. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) EU-Rahmenbeschluss 2008/919/JI ABl. Nr. L 330 vom 9.12.2008. 8 BRDrucks. 827/07. 9 Der Referentenwurf ist nach wie vor online im Internet verfügbar unter:http://www.gesmat.bundesgerichtshof.de/ gesetzesmaterialien/16_wp/staatsschutzstrafrecht/refe.pdf. 10 BTDrucks. 16/11735. 11 BTDrucks. 16/12428. 12 Z. B. das Art. 10-Gesetz, das Passgesetz, das Ausländerzentralregistergesetz, das Aufenthaltsgesetz, das Zollfahndungsdienstgesetz, das Zollverwaltungsgesetz und das Kreditwesengesetz. 137

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

22.4.2009 wurde das Gesetz auf Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses13 am 28.5.2009 in zweiter und dritter Lesung durch den Bundestag beschlossen. Zeitgleich wurde entsprechend der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses der Gesetzesentwurf der Regierungsfraktionen für erledigt erklärt und der Gesetzesantrag des Bundesrates abgewiesen. Am 10.7.2009 wurde das Gesetz im Bundesrat beschlossen.14 Es wurde nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten am 3.8.2009 verkündet und trat am folgenden Tag in Kraft.15 4. Novellierungen Ziemlich genau sechs Jahre nach seinem Inkrafttreten ist § 89a durch das GVVG-Änderungsgesetz (GVVG-ÄndG) novelliert worden. Gegenstand der Änderung war zum einen die Überführung der zu diesem Zeitpunkt noch in § 89a Abs. 2 Nr. 4 enthaltenen Regelung zur Terrorismusfinanzierung in einen neuen Tatbestand des § 89c. Darüber hinaus verlangte die Resolution 2178/2014 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 24.9.2014 von den Mitgliedstaaten, Reisen eigener Staatsangehöriger oder gebietsansässiger Personen mit Kriminalstrafe zu bedrohen, sofern die jeweilige Reise den Zweck verfolgte, terroristische Handlungen zu begehen, zu planen oder vorzubereiten. Dies führte zur Schaffung eines eigenständigen Straftatbestandes in § 89a Abs. 2a. Wie bei der Ursprungsfassung des GVVG legten zunächst die Bundesregierung sowie die sie tragenden Fraktionen zwei inhaltsgleiche Gesetzesentwürfe vor.16 Das GVVG-ÄndG wurde am 22.4.2015 im Rechtsausschuss beraten17 und am 19.6.2015 im Bundesgesetzblatt verkündet.18 Seitdem ist § 89a nur noch im September 2015 durch die zehnte Zuständigkeitsanpassungsverordnung der Bundesregierung19 sowie im Juli 2017 durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung20 geändert worden.

Gesetzesmaterialien 1. Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG) Gesetzesantr. des Landes Hessen zur Bekämpfung des Aufenthalts in terroristischen Ausbildungslagern, BRDrucks. 827/07; Gesetzesentw. der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, BTDrucks. 16/11735; Reg.Entw. eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, BTDrucks. 16/12428; Bericht und Antrag des Rechtsausschusses des Bundestages BTDrucks. 16/13145. 2. GVVG-Änderungsgesetz (GVVG-ÄndG) Gesetzesentw. der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, BTDrucks. 18/4087; Reg.Entw. eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, BTDrucks. 18/4279; Bericht und Antrag des Rechtsausschusses des Bundestages BTDrucks. 18/4705.

Übersicht I. II. 1.

Kriminalpolitische Bedeutung Deliktsnatur 5 Gefährdungsdelikt

1

2. 3.

Unternehmensdelikt Terrorismusdelikt

7 11

6

13 14 15 16 17 18

BTDrucks. 16/13145 (Sitzung und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 13.5.2009). Zu den Einzelheiten des parlamentarischen Prozesses Kauffmann S. 9; Mertens S. 10; Rautenberg S. 66 ff. BGBl. 2009 I 2437. BTDrucks. 18/4087 v. 24.2.2015 sowie BTDrucks 18/4279 v. 11.3.2015. BTDrucks. 18/4705. BGBl. 2015 I 926 – zu den Einzelheiten der parlamentarischen Beratung siehe die Zusammenfassung bei Mayk S. 16. 19 BGBl. 2015 I 1474 – derzeitige Amtsbezeichnung des Bundesjustizministeriums in § 89a Abs. 4. 20 BGBl. 2017 I 872 – Streichung von § 89a Abs. 6 Satz 2. Engelstätter

138

Übersicht

III.

Geschützte Rechtsgüter

IV.

Völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorga15 ben 16 Vereinte Nationen 20 Europarat 23 Europäische Union a) Rahmenbeschlüsse zur Terrorismusbekämpfung 24 b) Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 25 aa) Bestehende Kongruenzen zum nationalen Recht 27 29 bb) Verbleibende Divergenzen cc) Möglichkeiten unionskonformer Auslegung 32

1. 2. 3.

V. 1. 2.

3.

4.

139

14

Verfassungsrechtliche Vorgaben 35 36 Formelle Verfassungsmäßigkeit Bestimmtheitsgrundsatz gem. Art. 103 Abs. 2 37 GG 40 a) Staatsschutzklausel b) „Vorrichtungen“ gem. Absatz 2 Nr. 1, 41 2 c) „Sonstige Fertigkeiten“ gem. Absatz 2 42 Nr. 1 d) „Wesentlich“ gem. Absatz 2 Nr. 3 43 44 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 45 a) Ultima-ratio Grundsatz 47 aa) Präventivgewahrsam 49 bb) Ausreiseverbotslösung b) Vereinbarkeit mit Tat- und Schuldprin50 zip aa) Meinungsspektrum in der Litera51 tur (1) Absatz 2 Nr. 1 52 53 (2) Absatz 2 Nr. 3 54 (3) Absatz 2a 55 (4) Subjektiver Tatbestand 56 bb) Lösungsansätze des BGH cc) Bewertung und Konsequen59 zen (1) Hochzonung der subjektiven An63 forderungen (2) Fremd- und Eigenvorberei65 tung 66 (3) Neutrale Handlungen 68 c) Strafrahmen 69 Völkerrechtskonformität gem. Art. 25 GG 71 a) Ansätze der Rechtsprechung 72 b) Meinungsstand in der Literatur 74 c) Bewertung aa) Europäischer Territorialitäts- und 75 Schutzgrundsatz 76 bb) Vertragsgebiet des Europarats

StGB § 89a

cc)

Aktives Personalitätsprinzip und Do77 mizilprinzip 78 dd) Passives Personalitätsprinzip

VI. 1.

2.

3.

Objektiver Tatbestand 79 80 Schwere staatsgefährdende Gewalttat a) Katalogtaten 81 aa) Rechtswidrigkeit der Katalog82 tat bb) Aktualisierungsbedarf des Kataloges 83 84 b) Staatsschutzklausel 85 aa) Staat bb) Bestand 87 88 cc) Sicherheit dd) Beseitigen, außer Geltung setzen oder untergraben von Verfassungsgrund92 sätzen 93 ee) Internationale Organisation 94 c) Eignungsklausel 96 Tathandlungen 99 a) Ausbildung gem. Absatz 2 Nr. 1 105 aa) Schusswaffen 106 bb) Sprengstoffe cc) Spreng- und Brandvorrichtun107 gen dd) Kernbrenn- oder sonstige radioaktive Stoffe 108 ee) Stoffe, die Gift enthalten oder hervor109 bringen können ff) Andere gesundheitsschädliche 110 Stoffe gg) Zur Ausführung der Tat erforderliche 111 besondere Vorrichtungen hh) Ausbildung in unbenannten Fertigkei114 ten b) Verschaffungstatbestand gem. Absatz 2 116 Nr. 2 c) Verschaffungstatbestand gem. Absatz 2 119 Nr. 3 d) „Terroristisch motivierte Ausreise“ gem. 125 Absatz 2a 128 aa) Tathandlung 130 bb) Tatalternativen 132 cc) Reiseroute 133 dd) Ausreiseversuche 134 (1) Luftweg 135 (2) Landweg 136 (3) Seeweg 137 Untaugliche Vorbereitungshandlungen

VII. Subjektiver Tatbestand 140 1. Vorbereitungshandlungen nach Ab141 satz 2 a) Vorsatz bezüglich des „Ob“ der Gewalt142 tat

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Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

b) 2. 3.

Vorsatz bezüglich des „Wie“ der Gewalt147 tat Terroristisch motivierte Ausreise gem. Ab149 satz 2a 150 Fehlvorstellungen und Irrtümer

XI. 1. 2.

170 Rechtsfolgen gem. Absatz 5, 6, 92a 171 Minder schwerer Fall Führungsaufsicht und Verlust der Wählbar172 keit

XII. Tätige Reue gem. Absatz 7 VIII. Rechtswidrigkeit und Schuld IX. 1. 2. 3.

X. 1. 2. 3.

173

151

Rechtsanwendungsrecht gem. Absatz 3 152 Tathandlungen in der EU (Absatz 3 Satz 1) 153 Tathandlungen außerhalb der EU (Absatz 3 Satz 2) 154 157 Verhältnis zu den §§ 3 ff 159 a) Anwendbarkeit von §§ 3, 4, 9 b) Verhältnis zu § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 161 c) Subsidiäre Anwendung von § 7 Abs. 2 162 Nr. 2 Verfolgungsermächtigung gem. Absatz 4 163 164 Sinn und Zweck 166 Verfahren Erforderlichkeit bei Teilnahmehandlun169 gen

XIII. 1. 2. 3. 4.

Täterschaft und Teilnahme 177 178 Mittelbare Täterschaft Unterlassen 179 180 Mittäterschaft Anstiftung und Beihilfe 181

XIV. Verhältnis zu anderen Vorschriften 184 1. Konkurrenzen innerhalb des § 89a sowie zu 185 §§ 89b, 89c, 91 2. Konkurrenzen zu anderen Straftatbestän189 den 191 3. Verweisungen in anderen Vorschriften 4. Verhältnis zu verwaltungsrechtlichen Gefahren195 abwehrvorgängen XV. Prozessuales 197 198 1. Zuständigkeiten 2. Strafprozessuale Maßnahmen

201

I. Kriminalpolitische Bedeutung 1 Die amtlichen Strafverfolgungsstatistiken (Fachreihe 10 Reihe 3) des Bundesamtes für Statistik weisen ab dem Jahr 2015 jeweils eine geringe Anzahl von Verfahren nach § 89a aus.21 Im Jahr 2015 kam es zu drei Verurteilungen, im Jahr 2016 zu sieben und im Jahr 2017 zu zehn Verurteilungen. Hinzu dürfte eine in den amtlichen Statistiken nicht näher ausgewiesene Anzahl von Verfahren nach §§ 129, 129a kommen, in denen der Tatbestand des § 89a mitverwirklicht, aber nicht gesondert ausgewiesen ist. Phänomenologisch zielt die Vorschrift auf zwei Fallgruppen, die „Ausländischen Kämpfer“ (engl. „foreign fighters“) sowie die Fallgruppe des organisationsungebundenen Einzeltäters. Zwischen 2016 und 2018 haben die deutschen Ermittlungsbehörden sieben Anschlagstaten auch durch die Anwendung des § 89a verhindert.22 2 „Ausländische Kämpfer“ verlassen ihr Heimatland, um sich einer, im Regelfall islamistischen, Gruppierung anzuschließen, die mit terroristischen Mitteln gegen die jeweilige reguläre Regierung kämpft. Zu einem wahrnehmbaren Phänomen wurden die „foreign terrorist fighters“ erstmals mit dem Irak-Krieg im Jahr 2003 und den darauffolgenden Auseinandersetzungen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet.23 Die größte Anziehungskraft auf ausländische Rekruten übte bislang der syrische Bürgerkrieg aus, an dem sich über 35.000 Kämpfer aus über 100 Nationen, darunter etwa 1000 deutsche Staatsbürger, auf Seiten verschiedener islamistischer Vereinigungen beteiligt haben.24 Die Jihad-Reisenden wurden von den Gruppierungen in „Ter-

21 22 23 24

Jeweils online im Internet unter https://www.destatis.de. BTDrucks. 19/6684 S. 2. Said, S. 68; Schirra, S. 261; Steinberg Al-Qaidas Deutsche Kämpfer S. 92. Europol Terrorismusbericht TE-SAT 2019, S. 40 ff.; Goertz, S. 47; Steinberg Kalifat des Schreckens S. 159 ff.

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II. Deliktsnatur

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ror-Camps“ paramilitärisch geschult und regelmäßig vor Ort als Kämpfer eingesetzt.25 Mit der militärischen Niederlage des IS in Syrien sind die Reisebewegungen nahezu zum Erliegen gekommen. Ab dem Jahr 2017 sind durch die Sicherheitsbehörden nur noch vereinzelte Ausreisen festgestellt worden.26 Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Anzahl terroristisch motivierter Ausreisen wieder ansteigen wird, sobald sich ein vergleichbarer neuer Jihad-Schauplatz in einem anderen Land gebildet hat. Der IS wird aller Voraussicht nach als Organisation weiter bestehen und versuchen, sich zu reorganisieren.27 Demgegenüber handelt es sich bei einem organisationsungebundenen Einzeltäter, einem 3 „einsamen Wolf“, um eine Person, die unabhängig von einer terroristischen Vereinigung agiert, sich allerdings von ihrer Ideologie und ihren Ideen inspirieren lässt und damit im Sinne der Organisation handelt.28 Nach Einschätzung von Sicherheitsexperten stellen in diesem Phänomenbereich agierende Personen derzeit die größte terroristische Bedrohung für die Zivilgesellschaft dar.29 Trotz ihrer in der Regel begrenzten Ressourcen vermögen „einsame Wölfe“ äußerst brutale Anschläge zu verüben, deren operative Planung sich nur schwer aufdecken lässt. Ihre Anwerbung und Radikalisierung erfolgt häufig über den Konsum entsprechender Internetpropaganda.30 Möglich ist aber auch, dass ehemalige „foreign fighters“ nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland als „einsame Wölfe“ tätig werden. Alle Anschläge in Deutschland und auch die meisten Anschläge in Europa und in den 4 USA sind von derartigen Tätern begangen worden.31 Das Phänomen ist nicht auf den islamistischen Terrorismus beschränkt, sondern – wie die Anschläge in Norwegen und Neuseeland und vor allem der Anschläge auf die Synagoge in Halle am 9.10.2019 und auf verschiedene Bars in Hanau am 19.2.2020 zeigen – auch bei rechtsextremistisch motivierten Taten festzustellen. Die zugrundeliegenden Fallkonstellationen zeichnen sich vielfach dadurch aus, dass die Täter sich zunächst aus dem Internet auf einer einschlägigen Propagandaseite einer terroristischen Vereinigung ein Anleitungsvideo verschaffen sowie diverse Alltagsgegenstände aufkaufen, aus denen sich ein Sprengstoff – meist TATP – herstellen läßt. Teilweise werden sie hierbei per Chat von im Ausland aufhältigen Angehörigen terroristischer Gruppierungen unterstützt. In bislang einem Fall versuchte ein Täter, einen biologischen Kampfstoff herzustellen.32

II. Deliktsnatur Der Tatbestand des § 89a ist durch den Gesetzgeber in den dritten Titel des ersten Abschnitts 5 des Besonderen Teils des StGB – „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats“ eingefügt worden. Die Norm zählt damit zu den Staatsschutzdelikten. Sie ist darüber hinaus als abstraktes Gefährdungsdelikt sowie als Unternehmensdelikt einzuordnen.

25 26 27 28 29 30

Said S. 72 ff.; Vgl. auch BTDrucks. 16/12428 S. 12; BTDrucks. 18/4087 S. 8. Bundeamt für Verfassungsschutz Verfassungsschutzbericht 2018, 174. Steinberg Das Ende des IS? SWP-Studie, S. 36. Goertz S. 24. Hoffmann S. 78. Bundesamt für Verfassungsschutz Verfassungsschutzbericht 2018, 191; Goertz Kriminalistik 2017 382; vgl. auch Neumann S. 177. 31 Dies gilt z. B. für den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz am 19.12.2016, aber auch für den Angriff auf zwei Bundespolizisten am Hauptbahnhof von Hannover am 26.2.2016, die Attacke in einer Regionalbahn in Würzburg am 18.7.2016 sowie die LKW-Anschläge in Nizza (14.7.2016) und Stockholm (7.4.2017). 32 Vgl. die den Entscheidungen BGHSt 59 218; BGH BeckRS 2018 10518; BGH BeckRS 2019, 3832 Rn. 17 ff. zugrundeliegenden Sachverhalte. 141

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1. Gefährdungsdelikt 6 Innerhalb der tradierten strafrechtlichen Deliktskategorien fällt § 89a nach unbestrittener Auffassung in die Gruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte.33 Diese sind im Gegensatz zu den konkreten Gefährdungsdelikten dadurch gekennzeichnet, dass der Gesetzgeber das jeweilige mit Strafe bedrohte Verhalten generell als gefährlich bewertet, ohne dass tatsächlich schon eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut bestehen muss.34 Eine Einordnung als abstrakt-konkretes oder potentielles Gefährdungsdelikt, das durch eine generelle Gefährlichkeit der Tathandlung oder Tatmittel gekennzeichnet ist, aber auf den Eintritt einer konkreten Gefahr verzichtet,35 kommt nicht in Betracht. Zwar enthält die Vorschrift in Absatz 1 Satz 2 eine Eignungsklausel. Diese bezieht sich jedoch allein auf die für einen späteren Zeitpunkt geplante Gewalttat.36 Soweit der Täter mit der Vermittlung von Ausbildungsinhalten (Absatz 2 Nr. 1) oder der Überlassung von Tatmitteln (Absatz 2 Nr. 2) eine für ihn nicht mehr beherrschbare Situation begründet, können beide Tatbestände zudem als objektive Gefahrschaffungsdelikte oder als Anschließungsdelikte eingestuft werden.37 Die übrigen Tatmodalitäten der Vorschrift sind, da sie weiter im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutbeeinträchtigung angesiedelt sind, als Planungs- oder Vorbereitungsdelikte einzustufen. Bei ihnen beruht die Gefährdung des geschützten Rechtsguts nicht allein auf der Tathandlung, sondern zusätzlich auf den subjektiv manifestierten Planungen, persönlichen Vorstellungen oder Absichten des Täters.38

2. Unternehmensdelikt 7 Auf dieser Basis sind die Tathandlungen des § 89a Abs. 2 zugleich als unechte Unternehmensdelikte einzustufen.39 Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift stellt durch den Begriff der Vorbereitung Versuch und Vollendung einander gleich und verbindet dies in Absatz 7 mit Regelungen einer tätigen Reue. Der durch das GVVG-ÄndG eingeführte Absatz 2a ist nach dem Wortlaut sogar als echtes Unternehmensdelikt gem. § 11 Abs. 1 Nr. 6 konzipiert, mit der Folge, dass dem Täter eines Vergehens nach dieser Tatvariante weder die Strafmilderung des Versuchs gem. § 23 Abs. 2 noch die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts gem. § 24 zu Gute kommen können.40 Dies gilt auch für die unechten Unternehmensdelikte nach Absatz 2.41 Maßgeblich für beide Fallgruppen sind vielmehr ausschließlich die Voraussetzungen einer tätigen Reue gem. Absatz 7. 8 Ob darüber hinaus eine Gleichbehandlung der unechten Unternehmensdelikte des Absatzes 2 mit dem echten Unternehmensdelikt nach Absatz 2a geboten ist, erscheint dagegen zweifelhaft. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob neben den in Absatz 2 normierten Tätigkeiten auch ihr Versuch im materiellen Sinne mit Strafe bedroht wird, obwohl der Gesetzgeber von der Normierung einer Versuchsstrafbarkeit in § 89a abgesehen hat. Für die terroristisch motivierte Ausreise nach Absatz 2a stellt sich diese Frage nicht. Hier hat der Gesetzgeber schon durch die Konstruktion der Tat als echtes Unternehmensdelikt gem. § 11 Abs. 1 Nr. 6 klargestellt,

33 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 3; Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 387; Schäfer MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1g. Fischer vor § 13 Rdn. 19; Lackner/Kühl/Heger vor § 13 Rdn. 32; Sch/Schröder/Eisele vor § 13 Rdn. 129. BGHSt 39 371; BGHSt 46 212, 218; BGH NJW 1999 2129. Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 594; Hungerhoff S. 83; Kauffmann S. 40. Aliabasi S. 123; Sieber NStZ 2009 353, 358 f. Aliabasi S. 127; Sieber NStZ 2009 353, 359; vgl. auch Steinsiek S. 189. Aliabasi S. 153; Gazeas AnwK Rdn. 4; Kauffmann S. 42; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 3; Paeffgen NK Rdn. 9. Aliabasi S. 152; Biehl JR 2015 561, 563; vgl. auch BTDrucks. 18/4087 S. 10. Mitsch JuS 2015 97,104; Radtke MK § 11 Rdn. 148; Saliger NK § 11 Rdn. 62; Sch/Schröder/Hecker § 11 Rdn. 52; Stein/Deiters SK § 11 Rdn. 85; Wolters Das Unternehmensdelikt (2001) S. 324 ff.

34 35 36 37 38 39 40 41

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II. Deliktsnatur

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dass nicht nur vollendete Ausreisen, sondern auch sich bei materieller Betrachtung nur als Reiseversuche darstellende Handlungen der Vollendungsstrafbarkeit unterworfen sind (Rdn. 129). Als unechtes Unternehmensdelikt wird gemeinhin ein Tatbestand angesehen, der ohne das 9 Wort „unternehmen“ zu verwenden, wie ein echtes Unternehmensdelikt Konstellationen erfasst, die im materiellen Sinn zwar noch eine Versuchsstruktur aufweisen, gleichwohl jedoch der Vollendungsstrafbarkeit unterworfen sind, da der Gesetzgeber bereits die Manifestation einer bestimmten Tendenz des Täters unter Strafe stellt, ohne dass diese tatsächlich zum Erfolg geführt haben muss.42 Gesetzestechnisch kann dies z. B. durch die Verwendung von Verben wie „auffordern“ (§ 111), „angreifen“ (§ 113), „dem Wilde nachstellen“ (§ 292) oder eben „vorbereiten“ in § 89a Abs. 1 Satz 1 geschehen. Allein aus der Einordnung einer Norm als unechtes Unternehmensdelikt folgt allerdings noch nicht die Erstreckung ihres Anwendungsbereichs auf sämtliche Verhaltensweisen, die unter die Versuchsdefinition des § 22 fallen.43 Bei der Deliktskategorie des unechten Unternehmensdelikts handelt es sich vielmehr um eine klassifikatorische Bezeichnung, der lediglich Ordnungsfunktion aufgrund strukturverwandter Merkmale zukommt.44 Nur die Auslegung des jeweiligen Tätigkeitsbegriffs des Tatbestands bestimmt, ob neben der im Tatbestand beschriebenen Tätigkeit auch der Versuch ihrer Aufnahme mit Strafe bedroht sein soll.45 Dabei setzt Art. 103 Abs. 2 GG einer extensiven Interpretation des Tatbestands regelmäßig Grenzen.46 Nach diesen Maßstäben kann allenfalls der Tatbestand der terroristischen Unterweisung 10 gem. Absatz 2 Nr. 1 Versuchshandlungen im materiellen Sinne erfassen. Eine extensive Auslegung von Absatz 2 Nr. 2 und 3 ließe sich weder mit dem Wortlaut der Norm noch mit der Gesetzessystematik vereinbaren. Dies gilt ersichtlich für die durch den Gesetzgeber in diesen Varianten verwandten Verben wie „verschaffen“, „verwahren“ oder „überlassen“ die alle jeweils auf begrenzbare und in sich abgeschlossene Vorgänge gerichtet sind. Aber auch die Tathandlung des „Herstellens“ erfasst im Ergebnis keine Versuchshandlungen im materiellen Sinne. Zwar erscheint nicht ausgeschlossen, dass der Begriff dem Wortlaut nach auch im Sinne eines bloßen Verarbeitungsprozesses interpretiert werden könnte, an dessen Ende kein im Sinne des Täters verwendbarer Gegenstand stehen muss. In systematischer Hinsicht würde dies allerdings die Tatbestände des Absatzes 2 Nr. 1, 3 unterlaufen, die mit der Unterweisung und der Beschaffung von Zutaten oder Grundstoffen bereits ihrerseits Vorstufen einer Herstellung kriminalisieren und hierfür auch besondere Voraussetzungen enthalten. Demgegenüber ist der Begriff der Unterweisung in § 89a Abs. 2 Nr. 1 einer extensiven Auslegung insoweit zugänglich, als dass es auf einen Ausbildungserfolg nicht ankommen kann (Rdn. 103).47 Wird die Schulungstätigkeit unerwartet beendet, ist der Tatbestand gleichwohl erfüllt. Eine Ausnahme kommt nur in Betracht für untaugliche Vorbereitungshandlungen, z. B. die Unterweisung einer Person, die weder körperlich noch geistig in der Lage ist, die vermittelten Kenntnisse zur Begehung einer Gewalttat einzusetzen (Rdn. 137).

3. Terrorismusdelikt Obwohl § 89a wie auch die §§ 89b, 89c, 129a, b zu den sog. Terrorismusdelikten gehört, enthält 11 die Norm keine eigene Terrorismusdefinition. Diese findet sich auch nicht an anderer Stelle im StGB. Lediglich in der Überschrift von § 129a ist der Begriff enthalten, ohne jedoch innerhalb 42 Stein/Deiters SK § 11 Rdn. 85; Sowada GA 1988 195, 199; Wolters Das Unternehmensdelikt (2001) S. 298. 43 Mitsch JuS 2015 97,104; Radtke MK § 11 Rdn. 144; Saliger NK § 11 Rdn. 62; Stein/Deiters SK § 11 Rdn. 86; aA Bockelmann NJW 1951 620, 622. 44 Aliabasi S. 153; Sowada GA 1988 195, 203. 45 Sowada GA 1988 195, 208; Wolters Das Unternehmensdelikt (2001) S. 298. 46 Stein/Deiters SK § 11 Rdn. 86. 47 BGH NStZ 2018 89; Aliabasi S. 164; Fischer Rdn. 30; Gazeas AnwK Rdn. 51; Mayk S. 45; Schäfer MK Rdn. 36; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10. 143

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der Norm konkretisiert zu werden. Einen eigenen Straftatbestand des Terrorismus gibt es im deutschen Strafrecht im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen nicht.48 Auch in anderen Rechtsgebieten des deutschen Rechts wird Terrorismus nicht näher definiert. Das Gefahrenabwehrrecht verweist vielfach auf die inhaltsleeren strafrechtlichen Regelungen.49 Dort wo der Gesetzeswortlaut – wie z. B. in § 58a AufenthG – den Begriff enthält, wird er ebenfalls nicht näher definiert, sondern seine Ausgestaltung der Rechtspraxis überlassen.50 Aus dem Grundgesetz lassen sich ebenfalls keine Schlüsse ziehen. Terrorismus ist zwar im Kompetenzkatalog in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG aufgeführt. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um einen spezifischen Kompetenzbegriff, der die entsprechenden Kompetenzen auf Bundesebene bündelt, ohne den Begriff des Terrorismus selbst zu präzisieren.51 Die ständige Rechtsprechung von BVerfG und BVerwG subsumiert unter den Terrorismus12 begriff die Verfolgung politischer Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen sowie durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter.52 Speziell das BVerfG konkretisiert den Begriff des Terrorismus im Rahmen verfassungsrechtlicher Güterabwägungen anhand der jeweils verübten Tat und den mit ihr verbundenen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Danach zielen Straftaten mit dem Gepräge des Terrorismus auf die Destabilisierung des Gemeinwesens und umfassen in rücksichtsloser Instrumentalisierung anderer Menschen Angriffe auf Leib und Leben beliebiger Dritter. Sie richten sich gegen die Grundpfeiler der verfassungsrechtlichen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes.53 Dies steht im Einklang mit der Rechtsentwicklung auf internationaler Ebene. Nachdem sich ein erster in Art. 1 der „Convention pour la pévention et la repression du terrorisme“ aus dem Jahr 1937 enthaltener Definitionsversuch54 nicht durchsetzen konnte,55 sind zwar eine Reihe von Verträgen geschlossen worden, die die Vertragsländer zur Verfolgung verschiedener „terroristischer“ Straftaten verpflichteten.56 Diesen Abkommen lag jedoch kein übergeordneter Terrorismusbegriff, sondern vielmehr die Überzeugung der Vertragspartner zugrunde, dass die vertragsgegenständliche Straftat so schwer wiegen würde, dass sie durch die Staatengemeinschaft als „terroristisch“ zu ächten sei.57 Erst in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b) des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus aus dem Jahr 199958 wurde das Erfordernis einer schweren Straftat erstmals mit dem Ziel kombiniert, die Bevölkerung eines Staates einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen. Auch wenn es sich hierbei um eine rein sektorale Regelung aus dem Bereich der Terrorismus13 finanzierung handelte, so hat sich die zweigliedrige Umschreibung des Terrorismus seitdem zu 48 Goldhammer/Kuhlick/Gärditz S. 23, 26; Lüttich/Lehmann/Frank S. 77, 79; Zöller GA 2010 607, 611; ders. GA 2016 90, 92; vgl. zum spanischen Recht Melia GA 2012 1, 2. 49 Z. B. § 2 Abs. 1 ATDG; § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 lit a) G 10, § 6a KWG; § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKAG. 50 Vgl. hierzu BVerwGE 158 225, 233; BVerwGE 159 296, 301; BVerwG DVBl. 2017 1435; BVerwG NVwZ 2017 1531, 1535 f. 51 Dreier/Wittreck Art. 73 Rdn. 64; Sachs/Degenhart Art. 73 Rdn. 48. 52 BVerfGE 80 315, 338 f.; BVerfGE 141 220, 266; BVerwG NVwZ 1999 1349, 1352; BVerwG NVwZ 2012 701, 702 f. 53 BVerfGE 133 277, 333; BVerfGE 141 220, 266; BVerfGE 143 101, 138; s. Goldhammer/Kuhlick/Gärditz S. 23, 31. 54 Art. 1 definierte terroristische Straftaten als „kriminelle Taten, die gegen einen Staat gerichtet sind und deren Ziel oder Wesen darin liegt, bei bestimmten Personen, einer Gruppe von Menschen oder der Allgemeinheit Schrecken hervorzurufen.“ online im Internet unter https://www.wdl.org/en/item/11579. 55 Böse ZJS 2019 1, 6; Lüttich/Lehmann/Frank S. 77, 79; Weigend FS Nehm 151, 155. 56 Z. B. Haager Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen v. 16.12.1970, BGBl. II 1972 S. 1506; Montrealer Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt v. 23.9.1971, BGBl. II 1977 S. 1230; Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt v. 10.3.1988, BGBl. II 1990 S. 494; Übereinkommen gegen Geiselnahme v. 17.12.1979, BGBl. II 1980 1361; Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge v. 15.12.1997, BGBl. II 2002 2507. 57 Böse ZJS 2019 1, 8. 58 BGBl. II 2003 S. 1923. Engelstätter

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einer verbreiteten Regelungstechnik entwickelt. Auf europäischer Ebene findet sie sich z. B. in Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541.59 Im deutschen Strafrecht sind die Staatsschutzklausel des § 89a Abs. 1 Satz 2, § 89c Abs. 1 Satz 2 und § 129a Abs. 2 entsprechend konstruiert. Die Literatur begreift die subjektive Zwecksetzung der Tat überwiegend i. S. e. Kommunikationsstrategie, bei der als primärer Kommunikationskanal nicht die verbale Auseinandersetzung, sondern die symbolische Ebene durch die Begehung von Gewalttaten gewählt wird.60 Damit dürfte aber zugleich auch die Grenze der Definitionsmöglichkeiten des Terrorismus erreicht sein. Eine inhaltliche Präzisierung der Kommunikationsstrategie scheitert an der Vielgestaltigkeit ihrer Erscheinungsformen, die nicht nur an links- oder rechtsextremistische Ideologien anknüpfen, sondern auch religiös motiviert sein können.61 Schon aus diesem Grund hat der deutsche Gesetzgeber gut daran getan, § 89a wie auch die anderen Tatbestände des Terrorismusstrafrechts nicht als Sonder- oder Feindstrafrecht für Terroristen einer bestimmten ideologischer Ausrichtung zu konzipieren.62 Hierzu böte das GG auch keine Grundlage.63 Es ist vielmehr ein Gebot der verfassungsrechtlichen Ordnung, terroristische Handlungen weder als Krieg noch als Ausnahmezustand aufzufassen, die von der Beachtung rechtsstaatlicher Anforderungen dispensieren, sondern sie als Straftaten mit den Mitteln des Rechtsstaats zu bekämpfen.64

III. Geschützte Rechtsgüter Die Bestimmung der durch § 89a geschützten Rechtsgüter ist umstritten. Ein Teil der Literatur 14 geht davon aus, dass die Vorschrift nur die hinter den in Absatz 1 genannten schweren Straftaten des Besonderen Teils des StGB stehenden Rechtsgüter schützen will und keine überindividuellen Rechtsgüter wie die „öffentliche Sicherheit“ oder den „öffentlichen Frieden“ erfasst.65 Nach der überwiegenden Ansicht erfasst die Vorschrift jedoch auch staatsschutzbezogene Rechtsgüter,66 wobei allerdings teilweise von einer Identität mit den durch § 129a geschützten Rechtsgütern ausgegangen wird,67 teilweise nur die im Tatbestand ausdrücklich erwähnten Rechtsgüter (Bestand und Sicherheit eines Staates, Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland) geschützt sein sollen.68 Einige Stimmen gehen zudem von einem Rangverhältnis zwischen den Rechtsgütern aus, wobei teilweise ein Vorrang der Individualrechtsgüter,69 teilweise ein Vorrang der Staatsschutzgüter betont wird.70 Die Einordnung in den Abschnitt „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“ sowie der Wille des Gesetzgebers belegen jedoch die vorrangig staatsschutzbezogene Ausrichtung der Vorschrift. In der Gesetzesbegründung ist ausdrücklich festgehalten, dass das Tatbestandsmerkmal der Gewalttat nur mit dem Hinter59 Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschluss 2002/475/JI und Änderung des Beschlusses 2005/671/JI, ABl. EU 2017 Nr. L 88, 6; dazu Engelstätter GSZ 2019 95, 96. Aliabasi S. 83; Melia GA 2012 1, 10; Zöller GA 2010 607, 611. Vgl. hierzu Zöller Terrorismusstrafrecht S. 84 ff. Zur Forderung eines sog. „Feindstrafrechts“ Jakobs ZStW 117 (2005) 839, 845; Pawlik S. 25 ff. Bruns/Gumpp/Mommsen/Nguyen/Saliger S. 79, 83; Kauffmann/Lalissidou JR 2016 163, 166; Paeffgen FS Amelung 81, 85. 64 BVerfGE 133 277, 333; Goldhammer/Kuhlick/Gärditz S. 23, 31. 65 Haverkamp FS Schöch 381, 385; Puschke S. 354; Zöller Terrorismusstrafrecht S. 564; ders. SK Rdn. 11; den „öffentlichen Frieden“ als untaugliches weil zu vage gefasstes Rechtsgut ablehnend Gierhake ZIS 2008 397, 404; ablehnend auch Sieber NStZ 2009 353, 361 für ein mögliches Rechtsgut der „öffentlichen Sicherheit“. 66 BGHSt 59 218, 228; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 2; Rackow FS Maiwald 615, 621. 67 Mertens S. 21; demgemäß hätten die Vorschriften des GVVG konsequenterweise nicht dem Abschnitt „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“ sondern dem Abschnitt „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“ zugeordnet werden müssen, so ausdrücklich Backes StV 2008 654 sowie Paeffgen NK Rdn. 10. 68 BGHSt 59 218, 228; Aliabasi S. 150; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 594; Kauffmann S. 52. 69 Hellfeld S. 142; Walter KJ 2008 443, 450. 70 Fischer Rdn. 5; Gazeas AnwK Rdn. 3; SSW/Güntge Rdn. 1; Schäfer MK Rdn. 3.

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grund eines „Staatsbezuges“ erklärt und bejaht werden kann.71 Die Gefahr des Verlustes der limitierenden Funktion des Rechtsgutsbegriffs besteht nicht, wenn man die Norm auf dieser Grundlage so versteht, dass sie nicht vage Begrifflichkeiten wie die gesamte „öffentliche Sicherheit“ oder den gesamten „öffentlichen Frieden“ schützt, sondern nur ihre jeweils im Tatbestand genannten Teilbereiche. Dafür, dass die hinter den Strafvorschriften der §§ 211, 212, 239a, 239b stehenden Individualrechtsgüter durch § 89a allenfalls mittelbar geschützt werden, spricht zudem, dass der unmittelbare Schutz dieser Rechtsgüter durch die Tatbestände des Besonderen Teils selbst erfolgt.

IV. Völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben 15 § 89a steht in Zusammenhang mit diversen Regelungsinitiativen auf internationaler Ebene.72 Im Einzelnen ist die Vorschrift beeinflusst worden durch verschiedene Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen73 (Rdn. 16), durch das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus vom 11.5.200574 (Rdn. 20) sowie durch verschiedene Rechtsakte der EU (Rdn. 23).75 Am 15.3.2017 hat die EU zudem die Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung erlassen, die zwar noch nicht zu einem Gesetzgebungsverfahren auf nationaler Ebene geführt hat, jedoch gleichwohl an verschiedenen Punkten in das nationale Strafrecht ausstrahlt.76

1. Vereinte Nationen 16 Wichtige Impulse für die strafrechtliche Terrorismusbekämpfung ergaben sich aus der Arbeit des UN-Sicherheitsrats. Bedeutsam ist zunächst die unmittelbar nach den Anschlägen auf das World Trade Center verabschiedete Resolution 1373 (2001). Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu ergreifen, Terroristen nicht zu unterstützen und untereinander zu kooperieren. Konkret begründet die Resolution in Ziffer 2 Buchst. e) die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, alle Personen, die an der Finanzierung, Planung, Vorbereitung oder Begehung terroristischer Handlungen oder an deren Unterstützung mitwirken, strafrechtlich zu verfolgen.77 Die Umsetzung der Anweisungen des Sicherheitsrats durch die Mitgliedstaaten wird gem. Ziffer 6 der Resolution durch ein „CounterTerrorism Committee“ (CTC) gefördert, dem die Mitgliedstaaten über die auf Grundlage der Resolution getroffenen Maßnahmen Bericht erstatten müssen.78 Zwar wird vereinzelt vertreten, dass sich die Resolution ausschließlich auf den Bereich der Terrorismusfinanzierung bezieht.79 In der Sache erfasst sie jedoch alle Kernbereiche terroristischer Tätigkeit und steht für einen universellen Schutz der Staatengemeinschaft vor terroristisch geprägten Akten.80 Die Resolution differenziert nicht zwischen Ausländern und eigenen Staatsbürgern und auch nicht zwischen

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BTDrucks. 16/12428 S. 14. BTDrucks. 16/12428 S. 2, 13; BTDrucks. 18/4087 S. 1, 8, 10. UN SC Res. 1373 (2001) vom 28.9.2001 sowie UN SC Res. 2178 (2014) vom 24.9.2014. SEV Nr. 196; in Kraft getreten am 1.6.2007, abgedruckt in BTDrucks. 17/3801. Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vom 13.6.2002, ABl. EU 2002 Nr. L 163, 3 in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2008/919/JI zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vom 28.11.2008, ABl. EU 2008 Nr. L 330, 21. 76 Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI und Änderung des Beschlusses 2005/671/JI, ABl. EU 2017 Nr. L 88, 6. 77 Al-Jumaili NJOZ 2008 188, 194; Odendahl/Beuren S. 171, 186. 78 Odendahl/Schmahl S. 109, 128. 79 Hungerhoff S. 75; Neusüß S. 74 f. 80 Aliabasi S. 216; Aston ZaöRV 2002 257, 262; Föh S. 269; Gotzel S. 166. Engelstätter

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inländischen und ausländischen Sachverhalten, sondern fordert von den Mitgliedstaaten eine umfassende Bekämpfung und auch strafrechtliche Sanktionierung terroristischer Aktivitäten. In den Resolutionen 1566 (2004) und 1624 (2005) hat der Sicherheitsrat den mit Resolution 17 1373 (2001) eingeschlagenen Weg weiter beschritten und jeweils in Ziffer 2 die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Finanzierung, Planung, Vorbereitung und Begehung terroristischer Aktionen mit Kriminalstrafe zu bedrohen. Diese Resolutionen begründen im Gegensatz zu Resolution 1373 (2001) jedoch keine rechtlich verbindlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, sondern sind lediglich als Aufrufe an die Staatengemeinschaft zu verstehen, i. S. d. Resolution 1373 (2001) tätig zu werden.81 Dies gilt auch für die Resolution 2199 (2015), in der der Sicherheitsrat erneut bekräftigt, „dass alle Staaten sicherzustellen haben, dass alle Personen, die an der Finanzierung, Planung, Vorbereitung oder Begehung terroristischer Handlungen oder an deren Unterstützung mitwirken, vor Gericht gestellt werden, dass diese terroristischen Handlungen als schwere Straftaten nach dem innerstaatlichen Recht umschrieben werden […].“ Verbindliche rechtliche Verpflichtungen der nationalen Strafgesetzgeber hat der Sicher- 18 heitsrat jedoch mit der Resolution 2178 (2014) aufgestellt. Die Resolution befasst sich im Schwerpunkt mit der Regulierung „foreign fighters“, also mit Personen, die aus einem sicheren Staat ausreisen, um sich einer terroristischen Vereinigung anzuschließen. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, Einreise, Transit und Ausreise dieser Personen in oder durch ihr Staatsgebiet zu verhindern, wenn glaubhafte Informationen hinreichende Gründe für die Annahme liefern, dass sie die Absicht verfolgen, in einem anderen Staat terroristische Taten zu begehen. Zudem müssen die Mitgliedstaaten jegliche Reisen ihrer Staatsbürger oder bei ihnen gebietsansässiger Personen ins Ausland in der Absicht, dort terroristische Taten zu begehen, unter Strafe stellen und strafrechtlich verfolgen.82 Nicht nur die Reise, sondern schon der Versuch sollen strafbar sein, auch sämtliche Vorbereitungs-, Unterstützungs- und Finanzierungshandlungen im Zusammenhang mit einer terroristischen Tat im Ausland sollen erfasst werden. Der deutsche Gesetzgeber will dieser Resolution u. a. durch § 89a Abs. 2a gerecht werden.83 Der Sicherheitsrat begründet seine Resolutionen mit einem weiten Verständnis von Art. 39, 19 41 UN-Charta, die er als Kompetenz für sich in Anspruch nimmt, verbindliche legislative Entscheidungen nach Art. 25, 103 UN-Charta zu erlassen, die die Mitgliedstaaten vergleichbar einer Anweisungskompetenz zur Einführung von Straftatbeständen verpflichten.84 Seit den Resolutionen 1373 und 1368 betrachtet der Sicherheitsrat alle internationalen terroristischen Handlungen als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gemäß Art. 39 UN-Charta.85 Zwar wird die völkerrechtliche Zulässigkeit dieses Vorgehens als unverhältnismäßige oder eigenmächtige „ultra vires“-Handlung des Sicherheitsrats in Frage gestellt.86 Auch kriminalisiert insbesondere die Resolution 2178 (2014) teils weit im Vorfeld der Rechtsgutverletzung liegende, nach außen sozialneutral erscheinende Handlungen.87 Ungeachtet dieser Kritik hat der Sicherheitsrat den von ihm anlässlich der Anschläge vom 11.9.2001 eingeschlagenen Weg, der zumindest von den Mitgliedstaaten weitgehend akzeptiert wird,88 immer weiter beschritten und auf diese Weise die Strafgesetzgebung in vielen Staaten einschließlich der EU maßgeblich beein-

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Rautenberg S. 87. Odendahl/Beuren S. 171, 190. BTDrucks. 18/4087 S. 1. Aliabasi S. 215; Albers/Groth/Emmerich-Fritsche 133, 157; Ambos MK § 6 Rdn. 24; Macke S. 65; Ohler EUR 2006 848, 854; Payandeh ZRP 2014 241, 242; Odendahl/Schmahl S. 109, 126. 85 UN SC Res. 1368 (2001) vom 12.9.2001 Ziff. 1; UN SC Res. 1373 (2001) vom 28.9.2001 Präambel Abs. 3; UN SC Res. 2178 (2014) vom 24.9.2014 Ziffer 6. 86 Al-Jumaili NJOZ 2008 188, 194; Föh S. 281; Macke, S. 235; aA Aston ZaöRV 2002 257, 284; Gotzel S. 169; Neusüß S. 366. 87 Odendahl/Beuren S. 171, 190. 88 Odendahl/Schmahl S. 109, 127. 147

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flusst und auch den deutschen Gesetzgeber zu Einführung und Änderung der §§ 89a ff. stimuliert.89

2. Europarat 20 Auch der Europarat hat Rechtsinstrumente zur Bekämpfung des Terrorismus erarbeitet. Während das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus aus dem Jahr 197790 im Wesentlichen auf Auslieferungserleichterungen bei terroristischen Straftaten abzielt, setzt das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus aus dem Jahr 2005 auf die Harmonisierung des materiellen Strafrechts seiner Mitgliedstaaten.91 Die Konvention trat am 1.6.2007 in Kraft und umfasst derzeit 37 Staaten. Ihr kommt hinsichtlich der in ihr geregelten Tatbestände eine Vorbildfunktion auf internationaler Ebene zu.92 Die Bundesrepublik Deutschland ist dem Abkommen am 24.10.2006 beigetreten und hat es am 22.3.2011 ratifiziert.93 Die in ihm enthaltenen Bestimmungen sind seitdem gem. § 6 Nr. 9 auch für den nationalen Rechtsanwender verbindlich.94 Die nationale Gesetzgebung ist allerdings schon vor der Ratifizierung durch das Abkommen beeinflusst worden. Ausweislich der Gesetzesbegründung diente schon die Ursprungsfassung des § 89a der Umsetzung von Art. 7 und Art. 14 Abs. 1 Buchst. c) der zu diesem Zeitpunkt für Deutschland noch nicht verbindlichen Konvention.95 Art. 7 Abs. 1 des Vertragswerks verpflichtet die Mitgliedstaaten, die „Ausbildung für terroristische Zwecke“ nach nationalem Strafrecht mit Kriminalstrafe zu bedrohen. Diese wird definiert als „Unterweisung in der Herstellung oder im Gebrauch von Sprengstoffen, Feuer- oder sonstigen Waffen oder schädlichen oder gefährlichen Stoffen oder Unterweisung in anderen spezifischen Methoden oder Verfahren mit dem Ziel, eine terroristische Straftat zu begehen oder zu deren Begehung beizutragen in Kenntnis der Tatsache, dass die vermittelten Fähigkeiten zu diesem Zweck eingesetzt werden sollen.“ Art. 14 enthält zudem Regelungen zum Rechtsanwendungsrecht (s. Rdn. 69, 152). Im Jahr 2015 ist das Übereinkommen des Europarats in Umsetzung der Resolution 2178/ 21 2014 des UN-Sicherheitsrats durch ein Zusatzprotokoll um weitere Straftatbestände erweitert worden.96 Nach dessen Art. 3 sind die Mitgliedstaaten nunmehr zusätzlich verpflichtet, auch die Absolvierung einer terroristisch motivierten Ausbildung unter Strafe zu stellen. Dies gilt gem. Art. 4 bis 6 des Zusatzprotokolls auch für Auslandsreisen zu terroristischen Zwecken einschließlich ihrer Finanzierung. Die Bundesrepublik Deutschland hat das Protokoll am 22.10.2015 unterzeichnet und am 22.6.2019 ratifiziert.97 Nach dem erläuternden Bericht zum Zusatzprotokoll kann eine Ausbildung im Sinne des Zusatzprotokolls im persönlichen Kontakt erfolgen, z. B. in einem terroristischen Ausbildungslager aber auch über das Internet. Das bloße Aufrufen von Webseiten mit Inhalten, die für eine terroristische Ausbildung genutzt werden können, reicht nicht aus. Vielmehr muss der Täter aktiv an der Ausbildung teilnehmen. Dies entspricht den Anforderungen des § 89a Abs. 2 Nr. 1.98 Erfasst werden auch legale Aktivitäten, z. B. Chemiekur89 BTDrucks. 16/12428 S. 2, 13; BTDrucks. 18/4087 S. 1, 8, 10; Rautenberg S. 87; Kauffmann/Lalissidou JR 2016 163, 165.

90 ETS Nr. 90; BGBl. II 1978, S. 321; in Kraft seit dem 4.8.1978; zuletzt geändert durch Protokoll vom 15.5.2003; Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland durch Umsetzungsgesetz vom 26.10.2010 (BGBl. II S. 1230). 91 SEV Nr. 196; in Kraft getreten am 1.6.2007, BGBl. II 2011 S. 300; Überblick bei Afsali S. 38 ff. 92 Odendahl/Walter S. 87, 101. 93 BTDrucks. 17/3801 S. 5; BGBl. I 2011 S. 304. 94 Ambos MK § 6 Rdn. 17; SSW/Satzger § 6 Rdn. 14. 95 BTDrucks. 16/12428 S. 12 und 16. 96 Odendahl/Walter Völkerrechtliche Verträge zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus S. 87, 101; Odendahl/Beuren S. 171, 189; vgl. BTDrucks. 19/9507 S. 12. 97 BGBl. II 2019 S. 636; vgl. BTDrucks. 19/9507. 98 BTDrucks. 19/9507 S. 12. Engelstätter

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se an einer Universität, Flugstunden oder staatliche militärische Ausbildungen, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Person die Ausbildung mit dem Vorsatz absolviert, die erlangten Kenntnisse zur Begehung einer terroristischen Straftat einzusetzen.99 § 89a ging bei seiner Einführung über die Vorgaben der Konvention hinaus und bedrohte 22 schon vor Verabschiedung des Zusatzprotokolls neben dem Ausbilder auch den Absolventen einer terroristischen Ausbildung mit Kriminalstrafe.100 Auch die in § 89a Abs. 2 Nr. 2 und 3 normierten Verschaffungs- und Überlassungstatbestände sind in der Konvention des Europarats nicht enthalten. Dies gilt auch für die Ausbildung in „sonstigen Fertigkeiten“, die als Auffangtatbestand in § 89a Abs. 2 Nr. 1 vorgesehen ist. Art. 7 des Abkommens verwendet den sprachlich engeren Begriff der „spezifischen“ Fähigkeiten. In einem Punkt bleibt § 89a Abs. 2 Nr. 1 aber auch hinter dem Abkommen des Europarats zurück. Die deutsche Strafvorschrift erfasst nur die Ausbildung im Gebrauch von Schusswaffen, während das Abkommen des Europarats neben Feuerwaffen auch „sonstige“ Waffen anführt.101 Die Unterweisung im Umgang mit derartigen Waffen wird nach deutschem Recht allerdings über die Vermittlung „sonstiger Fertigkeiten“ gem. Absatz 2 Nr. 1 Var. 8 erfasst (s. Rdn. 114).

3. Europäische Union Schließlich ist § 89a durch diverse Rechtsakte der EU beeinflusst worden, die teilweise Inhalte 23 der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats und des Übereinkommens des Europarats aufgreifen,102 teilweise aber auch eigene Ansätze enthalten. Nachdem sich die EU hierzu zunächst des Instruments der Rahmenbeschlüsse der „dritten Säule“ der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit bediente, wurden die Rechtsgrundlagen der Union zur Terrorismusbekämpfung mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1.12.2009 erweitert und modifiziert. Seitdem verpflichtet sich die EU in Art. 67 Abs. 3 AEUV im Rahmen des Raums, der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts dazu, ihren Bürgern ein „hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten“, was u. a. durch Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Terrorakten zu erreichen ist.103 Im Strafrecht ermächtigt Art. 83 Abs. 1 AEUV die Union, Richtlinien mit Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen im Bereich besonders schwerer grenzüberschreitender Kriminalität zu erlassen. Hierzu zählen gem. Art. 83 Abs. 1 UAbs. 1 auch terroristische Tathandlungen. Die grundsätzlich auch nach dem Vertrag von Lissabon bestehende Souveränität der Mitgliedstaaten im Strafrecht versucht Art. 83 Abs. 3 AEUV zu wahren.104 Danach kann ein Mitgliedstaat, der durch eine auf Art. 83 Abs. 1 AEUV gestützte Richtlinie grundlegende Aspekte seiner eigenen Strafrechtsordnung berührt sieht, sich der Rechtsangleichung entziehen.105 Das BVerfG steht der Regelung des Art. 83 AEUV generell kritisch gegenüber und fordert, die durch die Vorschrift gewährten Kompetenzen strikt auszulegen.106

99 BTDrucks. 19/9507 S. 12; der erläuternde Bericht stammt vom 22.10.2015 und ist in englischer Sprache im Internet verfügbar unter http://www.conventions.coe.int. 100 Aliabasi S. 139; Hellfeld S. 172; Hungerhoff S. 77. 101 Hungerhoff S. 77. 102 Siehe nur die Erwägungsgründe 8 ff. des Rahmenbeschlusses 2008/919/JI, ABl. EU 2008 Nr. L 330, 22. 103 Gärditz S. 14; Hummer ZEuS 2017 145, 154. 104 Nach § 9 Abs. 1, 2 IntVG (Integrationsverantwortungsgesetz v. 22.9.2009, BGBl. I. 2009, S. 3022) muss der deutsche Vertreter im Rat ein Veto einlegen, wenn ihn der Bundestag oder der Bundesrat hierzu durch entsprechenden Beschluss angewiesen haben. 105 Aus deutscher Sicht kämen hier in Betracht: Rechtsgutprinzip, Schuldprinzip, Rückwirkungsverbot, Bestimmtheitsgrundsatz, Ultima-Ratio-Prinzip sowie keine Strafbarkeit juristischer Personen, vgl. Heger ZIS 2009 406, 414. 106 BVerfGE 123 267, 296, 406; krit. dazu Böse ZIS 2010 76, 82; Heger, ZIS 2009 406, 413; Mansdörfer, HRRS 2010 11, 18. 149

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Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

24 a) Rahmenbeschlüsse zur Terrorismusbekämpfung. Maßgeblich für materiell strafrechtliche Regelungen der Union im Bereich des Terrorismus war zunächst der Rahmenbeschluss 2002/475/JI in der Fassung des Änderungsbeschlusses 2008/919/JI.107 Er behielt auch nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon seine Gültigkeit und ist erst durch die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung ersetzt worden.108 Hauptanliegen des Rahmenbeschlusses war die Harmonisierung des Strafrechts der Mitgliedstaaten. Zu diesem Zweck enthielt das Regelwerk Mindestvorschriften über Tatbestandsmerkmale und Strafrahmen strafbarer Handlungen.109 Art. 1 des Rahmenbeschlusses benannte einen Katalog einzelner Straftaten,110 die von den Mitgliedstaaten als „terroristisch“ einzustufen waren, wenn sie mit dem Ziel begangen wurden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation zu destabilisieren oder zu zerstören.111 Der Rahmenbeschluss verpflichtete die Mitgliedstaaten in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) nicht nur zur weltweiten Strafverfolgung eigener Staatsbürger, sondern auch dazu, ihre Gerichtsbarkeit dann zu begründen, wenn eine terroristisch motivierte Straftat im Ausland zum Nachteil gegen eine ihrer Institutionen oder ihre Bevölkerung begangen wurde. Mit seiner Überarbeitung im Jahr 2008 verpflichtete Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) des Rahmenbeschlusses in Anlehnung an Art. 7 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus die Mitgliedstaaten, auch die Ausbildung für terroristische Zwecke mit Kriminalstrafe zu bedrohen.

25 b) Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541. Am 15.3.2017 hat die EU die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 verabschiedet, die bis zum 8.9.2018 durch die Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden musste und den Rahmenbeschluss ersetzt.112 Die Richtlinie ist wesentlicher Bestandteil der Strategie der Union zur Bekämpfung des Terrorismus, die im Rahmen der Europäischen Sicherheitsagenda durch die EU-Kommission im April 2015 vorgestellt worden ist. Eine der Prioritäten der Union liegt danach in der Erarbeitung von Konzepten im Umgang mit ausländischen Kämpfern, die sich im Ausland von terroristischen Vereinigungen ausbilden lassen und nach ihrer Rückkehr eine potenzielle Bedrohung für die innere Sicherheit darstellen.113 Inhaltlich knüpft das Regelwerk an die Vorgängerregelungen des Rahmenbeschlusses an. In einer erschöpfenden Auflistung enthält Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) bis j) nunmehr zehn vorsätzliche Handlungen, die durch die Mitgliedstaaten als terroristische Straftaten einzustufen sind. In Art. 5 bis 12 werden sodann Straftaten im Zusammen-

107 Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vom 13.6.2002, ABl. EU 2002 Nr. L 163, 3 in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2008/919/JI zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vom 28.11.2008, ABl. EU 2008 Nr. L 330, 21. 108 Art. 9 des Protokolls über die Übergangsbestimmungen, ABl. EU 2008 Nr. C 115, S. 322. 109 Gärditz/Gusy GA 2006 225, 228; Lorenzmeier ZIS 2006 576, 577; Weber S. 59, 62. 110 Z. B. Angriffe auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können (Art. 1 Buchst. a); Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit einer Person (Art. 1 Buchst. b); Entführung und Geiselnahme (Art. 1 Buchst. c); Kapern von Luft- oder Wasserfahrzeugen (Art. 1 Buchst. e) oder Freisetzung gefährlicher Stoffe, die Herbeiführung von Bränden oder Überschwemmungen oder Explosionen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefährdet wird (Art. 1 Buchst. g). 111 Dazu Gärditz S. 7; Böse ZJS 2019 1, 7; Zöller StV 2012 364, 367. 112 Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI und Änderung des Beschlusses 2005/671/JI, ABl. EU 2017 Nr. L 88, 6; krit. Eralp Bürgerrechte und Polizei 2016 65 ff. 113 Mitteilung der Kommission vom 28.4.2015 – Die Europäische Sicherheitsagenda, KOM 2015 185 endg. S. 15; Bericht der Kommission vom 12.4.2017 – Auf dem Weg zu einer wirksamen und echten Sicherheitsunion – Sechster Fortschrittsbericht, KOM 2017 213 endg. S. 2. Engelstätter

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IV. Völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben

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hang mit terroristischen Aktivitäten definiert. Art. 19 enthält Regelungen zum Strafanwendungsrecht, die im Wesentlichen der Vorschrift des Art. 9 des Rahmenbeschlusses entsprechen.114 Für § 89a relevante Vorgaben ergeben sich in erster Linie aus Art. 7 bis 9 der Richtlinie, 26 deren Tathandlungen gem. Art. 14 Abs. 3 des Regelwerks auch im Versuch mit Strafe bedroht sein sollen. Nach Art. 7 sind die Mitgliedstaaten entsprechend der Ursprungsregelung des Rahmenbeschlusses weiterhin verpflichtet, jegliche Ausbildungshandlungen für eine terroristische Straftat gem. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie mit Kriminalstrafe zu bedrohen. Dies gilt jedoch über den Rahmenbeschluss hinaus nunmehr nicht nur für den „Ausbilder“, sondern gem. Art. 8 auch für den „Absolventen“. Der Unionsgesetzgeber hat den Begriff der terroristischen Ausbildung in den Erwägungsgründen der Richtlinie näher konkretisiert. Nach Erwägungsgrund (11) umfasst er den Erwerb von Wissen, praktischen Fähigkeiten sowie von Unterlagen. Auch das Selbststudium im Internet soll erfasst sein, insbesondere in Form des Herunterladens eines Leitfadens zur Herstellung von Sprengstoffen. Art. 9 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zudem zur Kriminalisierung terroristisch motivierter Reisen. Von Bedeutung ist auch Art. 3 Abs. 1 Buchst. f) der Richtlinie, der die Mitgliedstaaten zur Kriminalisierung der Herstellung und Beschaffung von Waffen und Sprengstoffen auch radioaktiver, biologischer und chemischer Art verpflichtet, sofern diese in terroristischer Absicht erfolgt. Auch diese Tat ist von den Mitgliedstaaten gem. Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie bereits im Versuchsstadium zu kriminalisieren. Im nationalen Recht wird diesen Vorgaben weitestgehend durch die Tathandlungen nach § 89a Abs. 2 Nr. 2 und 3 sowie durch nebenstrafrechtliche Vorschriften des Waffen-, Chemikalien- oder Sprengstoffrechts entsprochen.

aa) Bestehende Kongruenzen zum nationalen Recht. Dass der deutsche Gesetzgeber die 27 Richtlinie trotz Ablauf der Umsetzungsfrist noch nicht gesondert umgesetzt hat,115 ist weitestgehend unerheblich, da die meisten nach der Richtlinie zu pönalisierenden Tathandlungen im Falle des § 89a nach nationalem Recht schon jetzt mit Kriminalstrafe bedroht sind.116 Dies gilt nicht nur für die terroristische Ausbildung, die nach deutschem Recht schon immer den „Ausbilder“ und den „Absolventen“ erfasste, sondern im Ergebnis auch für die in Erwägungsgrund (11) der Richtlinie erwähnte Fallgruppe des Herunterladens von Leitfäden zur Herstellung von Sprengstoffen aus dem Internet. Diese unterfällt nach deutschem Recht zwar nicht § 89a Abs. 2 Nr. 1, da eine Ausbildung i. S. d. Tatbestands einen kommunikativen Akt zwischen Ausbilder und Unterwiesenem voraussetzt (Rdn. 101).117 In Betracht kommt jedoch eine Strafbarkeit gem. § 91 Abs. 1 Nr. 2 (s. § 91 Rdn. 27).118 Das Zurückbleiben des Waffenbegriffs des Absatzes 2 Nr. 1, 2 hinter den unionsrechtlichen 28 Vorgaben führt im Ergebnis ebenfalls nicht zu Divergenzen zwischen der Terrorismusrichtlinie und dem deutschen Strafrecht. Zwar fordern Art. 7, 8 der Richtlinie von den Staaten der Union, die Ausbildung an Waffen aller Art mit Kriminalstrafe zu bedrohen, während § 89a Abs. 2 nur die Ausbildung mit Schusswaffen erfasst. Die Unterweisung an anderen Waffen (z. B. Armbrust oder Bogen) ist jedoch als Vermittlung einer „sonstigen Fertigkeit“ gem. Absatz 2 Nr. 1 gleichermaßen strafbar (Rdn. 114). Ihre Verschaffung oder Weitergabe kann zudem § 89c unterfallen (Rdn. 117, 120).119 Die von der Richtlinie geforderte Versuchsstrafbarkeit ergibt sich hinsichtlich der Tathandlungen nach Absatz 2 Nr. 1 und Absatz 2a aus ihrem Charakter als unechtes bzw. echtes Unternehmensdelikt.120 Hinsichtlich der Tathandlungen nach Absatz 2 Nr. 2 und 3 kann 114 115 116 117 118 119 120 151

Überblick zur Terrorismusrichtlinie bei Engelstätter GSZ 2019 95, 96. Vgl. BTDrucks. 18/7542; BTDrucks. 18/13696 S. 28. Vgl. Krauß LK13 § 129a Rdn. 22; Gärditz S. 17. BGH NStZ 2018 89; OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 13; Schäfer MK Rdn. 37. BGH StV 2018 103, 105, 107; Biehl JR 2018 317, 319. BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 44; Biehl JR 2018 317, 320; Fischer § 89c Rdn. 3. Engelstätter GSZ 2019 95, 97. Engelstätter

§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

sie sich dagegen nur aus anderen Tatbeständen ergeben, die mit der Tat nach § 89a im Falle ihrer Vollendung in Tateinheit stehen würden und entweder eine eigene Versuchsstrafbarkeit vorsehen121 oder selbst als unechtes Unternehmensdelikt konzipiert sind.122

29 bb) Verbleibende Divergenzen. Absatz 1 Satz 2 liegt nicht der Katalog der terroristischen Straftaten gem. Art. 3 Abs. 1 der EU-Richtlinie, sondern allein die nationalrechtliche Konstruktion der schweren staatsgefährdenden Gewalttat zugrunde.123 Diese erfasst nur Vorbereitungstaten mit Bezug zu Taten gem. §§ 211, 212, 239a, 239b, während das Unionrecht Deutschland durch Art. 7 und 8 der Richtlinie verpflichtet, Ausbildungen zu allen in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) bis h) der Richtlinie genannten Handlungen mit Kriminalstrafe zu bedrohen (Rdn. 83). Auch die in § 89a Abs. 2a normierte Einschränkung, dass in dem Zielland einer terroristisch motivierten Ausreise auch terroristische Unterweisungen erfolgen müssen, ist in der Richtlinie nicht vorgesehen. Das Unionsrecht enthält auch Tatbestände, die bislang überhaupt nicht in § 89a verankert 30 sind. Dies gilt nicht nur für die nach Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie strafrechtlich zu verfolgende terroristisch motivierte Einreise. Art. 9 Abs. 1 Alt. 2 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten darüber hinaus auch, Reisen zum Zwecke der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung mit Kriminalstrafe zu bedrohen. Dies ist nach deutschem Recht jedoch nicht in jedem Fall mit Strafe bedroht. Die §§ 129a, b kriminalisieren nur Reisen von Personen, die bereits Mitglieder einer terroristischen Vereinigung sind, nicht aber von Personen, die es noch werden wollen.124 § 89a Abs. 2a erfasst nur die Ausreise zum Zwecke der Begehung einer staatsgefährdenden Gewalttat oder einer terroristischen Ausbildung. Der Tatbestand der Unterstützung gem. § 129a Abs. 5 Satz 2 dürfte im Regelfall ebenfalls ausscheiden, da allein die Ausreise noch nicht die für eine Unterstützungstat erforderliche objektiv förderliche Wirkung für die Vereinigung entfalten wird.125 Auch § 30 Abs. 2 kann nicht alle Fälle erfassen; zum einen weil nicht zwingend ist, dass es der anschlusswilligen Person schon vor der Ausreise gelungen ist, Kontakt zu der Vereinigung aufzunehmen, zum anderen weil die Rechtsprechung an eine derartige Tat hohe Anforderungen stellt und u. a. den Kontakt zu einem hohen Repräsentanten der Vereinigung verlangt.126 31 In zwei Punkten geht das deutsche Strafecht über das unionsrechtlich Geforderte hinaus: Während das deutsche Recht die Ausbildung aller „sonstigen“ Fertigkeiten in Absatz 2 Nr. 1 kriminalisiert, verlangen Art. 7, 8 der Richtlinie von den Mitgliedstaaten nur, die Ausbildung in „spezifischen“ Methoden und Verfahren zu pönalisieren. Auch wird hinsichtlich der Charakteristik der beabsichtigten Gewalttat die Schwelle der Strafbarkeit nach nationalem Recht eher überschritten, als dies von den EU-Regelungen verlangt wird. Art. 3 Abs. 2 Buchst. c) der Richtlinie (EU) 2017/541 verlangt wie der Rahmenbeschluss, dass die vorbereitete Tat entweder das Ziel verfolgen muss, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören. Nach deutschem Recht ist die Schwelle einer staatsgefährdenden Gewalttat bereits bei einer „einfachen Beeinträchtigung“ der staatsschutzbezogenen Rechtsgüter überschritten.127

121 122 123 124 125 126 127

Z. B. §§ 328 Abs. 4, 330 Abs. 1, 330a Abs. 1, § 22a KWKG, § 52 Abs. 2 WaffG, § 95 Abs. 2 AMG. Z. B. § 40 Abs. 1 SprengG. Engelstätter GSZ 2019 95, 97; Sieber/Vogel, S. 168. Vgl. Petzsche/Heger/Metzler/Petzsche S. 209, 223. Vgl. BGHSt 54 69, 117; BGH NStZ 2018 598, 598; BGH NJW 2018 2425, 2426. Vgl. BGH NJW 2015 1032, 1033; NStZ-RR 2018 53, 55. BTDrucks. 16/12428 S. 14; Schäfer MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 19.

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cc) Möglichkeiten unionskonformer Auslegung. Auch ohne Umsetzung in nationales Recht 32 kann die Richtlinie im Wege einer unionskonformen Auslegung auf den deutschen Tatbestand ausstrahlen. Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet nationale Gerichte und Behörden, das nationale Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks des EU-Rechts auszulegen.128 Vorhandene Beurteilungsspielräume sind auszuschöpfen, um eine weitestgehende Übereinstimmung mit den Vorgaben des Unionsrechts zu erzielen.129 Die Pflicht zur unionskonformen Auslegung hat begonnen mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist;130 im Falle der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 also mit dem 9.9.2017. Jedoch können mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG einzelne, die Strafbarkeit beschränkende Tatbestandsmerkmale auch im Wege einer unionskonformen Interpretation nicht so weit ausgelegt werden, dass sie ihre Funktion verlieren und zwangsweise mitverwirklicht werden.131 Darüber hinaus darf eine unionskonforme Auslegung nicht zu Friktionswirkungen mit systematischen Grundsätzen des Strafgesetzbuchs führen. So hat der BGH von einer unionskonformen Auslegung des Vereinigungsbegriffs des § 129 im Hinblick auf den EU-Rahmenbeschluss zur Organisierten Kriminalität 2008/841/JI abgesehen, um Friktionswirkungen zu den Bandendelikten zu vermeiden.132 Derartige Widersprüche könnten nur durch den Gesetzgeber behoben werden, was am Beispiel des § 129 zu einer neuen Definition des Vereinigungsbegriffs in § 129 Abs. 2 geführt hat.133 Nach diesem Maßstab sind Ansatzpunkte einer unionskonformen Auslegung von § 89a zu- 33 rückhaltend zu beurteilen. Die Diskrepanzen zu Art. 3, 8 und 9 der Richtlinie (Reichweite der Staatsschutzklausel; einzelne Ausbildungsinhalte; terroristisch motivierte Einreisen) können im Wege der unionskonformen Auslegung nicht überwunden werden, da sie zu einer Erweiterung des deutschen Straftatbestandes ohne formelles Gesetz führen und somit gegen das Gesetzlichkeitsprinzip verstoßen würden. Zu erwägen ist eine unionskonforme Auslegung allerdings für das in Absatz 2a am Ende des Tatbestands enthaltene Erfordernis, dass in dem Zielland einer terroristisch motivierten Ausreise auch terroristische Ausbildungen erfolgen müssen (Rdn. 131). Als weiterer Anwendungsfall kommt das in Absatz 3 normierte Rechtsanwendungsrecht in Betracht. Hier ist Art. 19 der Richtlinie weiter gefasst als das nationale Recht, das bei der Anwendung des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten in § 7 regelmäßig die Prüfung der Strafbarkeit der jeweiligen Handlung nach dem Recht des Tatortstaates verlangt (vgl. Rdn. 161). Demgegenüber zwingt allein der Umstand, dass das deutsche Strafrecht in Teilen schärfer 34 formuliert ist als das Unionsrecht, nicht zu einschränkenden Interpretationen der jeweiligen Tatbestandsmerkmale. Nach Art. 1 sind alle Tatbestände der Richtlinie nur als Mindestvorgaben zu verstehen. Es ist den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, strengere Strafvorschriften zu erlassen. Dies gilt nicht nur für den Begriff der „sonstigen“ Fertigkeiten gem. Absatz 2 Nr. 1, der zumindest nach dem Wortlaut der Richtlinie („spezifische Methoden und Verfahren“) enger gefasst ist, als nach deutschem Recht, sondern auch für die in der Richtlinie enthaltenen Vorgaben an die subjektive Tatseite. Zwar fordert Art. 7 der Richtlinie, dass der Ausbilder einer terroristischen Ausbildung Kenntnis haben muss, dass der Unterwiesene das Erlernte für terroristische Aktivitäten einsetzen wird. Hieraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass dies auch für den deutschen Tatbestand des Absatzes 2 Nr. 1 gelten muss und andere Vorsatzformen, insbesondere dolus eventualis, auszuschließen sind. Auch über die Richtlinie hinausgehende Regelungen sind vielmehr konstruktiv möglich, sofern sie sich innerhalb des durch das GG vorgegebenen Rahmens bewegen. 128 129 130 131 132

EUGHE 2006 6057, 6127, 6131; BVerfGE 75 223, 237; BGH NJW 2009 427, 428; Zöller KriPoZ 2017 26, 29. EUGHE 1984 1891, 1909; Hecker Europ. StrafR § 10 Rdn. 3; Zöller ZIS 2014 402, 408. EuGH NJW 2006 2465, 2468; Hecker JuS 2014 385, 386; Ruhs ZJS 2001 13, 18. BVerfG NJW 2007 1666; BVerfG NJW 2010 3209, 3211; BVerfG NJW 2012 907, 915; BGH NJW 2007 524, 525. BGHSt 54 216, 228; aA Altvater NStZ 2003 179, 184; dazu Bäcker S. 333; Kreß JA 2005, 220, 225; Zöller ZIS 2014 402, 409 f. 133 54. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24.10.2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, BGBl. 2017 S. 2440; krit. Zöller KriPoZ 2017 26, 30. 153

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

V. Verfassungsrechtliche Vorgaben 35 § 89a wird schon bei seiner Einführung im Jahr 2009 im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit dem GG kritisiert.134 Auch der im Jahr 2015 eingefügte Absatz 2a ist in diese Kritik mit eingeschlossen worden.135 Demgegenüber erwies sich die Anzahl die Vorschrift begrüßender Beiträge als überschaubar.136 Zu einer Vorlage der Norm an das BVerfG gem. Art. 100 GG hat sich der BGH gleichwohl nicht veranlasst gesehen.137 Die Rechtspraxis ist vielmehr darauf bedacht, § 89a grundgesetzkonform zu interpretieren und der Vorschrift einen mit der Verfassung vereinbaren Inhalt zu verleihen. Zahlreiche Einzelfragen sind allerdings noch ungeklärt.138 Im Zentrum der Kritik steht die dem Tatbestand immanente Verlagerung der Strafbarkeit in das Vorfeld konkreter Verletzungshandlungen vor den Versuchsbeginn der eigentlich geplanten Tat.139 Dies steht nach kritischen Stimmen der Literatur zumindest im Spannungsfeld zum Verbot eines Gesinnungsstrafrechts sowie dem geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung (forum internum).140 Der wesentliche Gehalt der Vorschrift erschöpfe sich letztlich darin, Türöffner für nahezu sämtliche nach der StPO denkbaren Ermittlungsinstrumente zu dienen.141 Auf diese Weise vermische der Gesetzgeber strafrechtliche Repression und polizeirechtliche Gefahrenabwehr.142 Die daraus resultierende Nutzung von Vorfeldinformationen zur präventiven Straftatenverhinderung ist indes per se noch keine illegitime Vorgehenswese zur Verbrechensbekämpfung.143 Verfassungsrechtlich bedenklich wäre es jedoch, wenn der Gesetzgeber bei der Einführung der Norm die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs aus den Augen verloren und im Ergebnis eine Eingriffsermächtigung zur Durchsetzung strafrechtsfremder Zwecke geschaffen hätte.144 Erforderlich hierfür wäre jedoch die positive Feststellung eines Verstoßes gegen konkrete Normen des GG in formeller (Rdn. 36 ff.) und vor allem in materieller Hinsicht (Rdn. 44 ff.). Erhoben werden zudem völkerrechtliche Bedenken, insbesondere im Hinblick auf die Regelung des Absatzes 3, die nicht im Einklang mit dem völkerrechtlichen Nichteinmischungsgrundsatz stehen soll (dazu 69 ff.).145

1. Formelle Verfassungsmäßigkeit 36 Die gegen § 89a hinsichtlich seiner formellen Verfassungsmäßigkeit erhobenen Bedenken146 haben sich nicht durchsetzen können.147 Zwar erfasst der Begriff der in die Zuständigkeit der Bundesländer fallenden Gefahrenabwehr in kompetenzrechtlicher Hinsicht grundsätzlich auch die 134 Backes StV 2008 654; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593; Gierhake ZIS 2008 397; Mitsch NJW 2008 2295; Sieber NStZ 2009 353; Steinsiek/Radtke ZIS 2008 383; Weißer ZStW 121 (2009) 131; Zöller GA 2010 607, 614. 135 Ambos JR 2017 655; Puschke StV 2015 457, 464; ders. KriPoZ 2018 101, 106; Zöller GA 2016 90, 103. 136 Bader NJW 2009 2853; Fischer/Hoven/Raum S. 217, 220; Griesbaum/Wallenta NStZ 2013 369, 372; Kauder ZRP 2009 20; Krings ZRP 2015 167; Uhl DRiZ 2008 140; Wasser/Piasek DRiZ 2008 315. 137 BGHSt 59 218, 220; BGHSt 62 102, 111; krit. Zöller SK Rdn. 9. 138 Schäfer MK Rdn. 8. 139 Gierhake ZIS 2008 397, 400; Puschke KriPoZ 2018 101, 108; Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 388; Weißer ZStW 121 (2009) 131,149; Zöller SK Rdn. 6; vgl. auch Krauß LK13 § 129a Rdn. 9. 140 Heinrich ZStW 121 (2009) 95,117; Puschke S. 404; Schäfer MK Rdn. 5; Sieber NStZ 2009 353, 360. 141 Backes StV 2008 654, 660; Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy GSZ 2017 7, 11; Zöller StV 2012 364, 372; ders. SK Rdn. 8. 142 Becker Kriminalistik 2010 568, 569; Beck FS Paulus 15, 26; Deckers/Heussel ZRP 2008 168, 170; Heinrich ZStW 121 (2009) 95,123; Rackow FS Maiwald 615, 617; Roggan ZRP 2017 208, 209; allg. krit. Fahrner ZStW 132 (2020) 84, 106. 143 Hofmann ZG 2019 193, 196. 144 Landau EuGRZ 2016 505, 506. 145 Deckers/Heussel ZRP 2008 168, 172; Hellfeld S. 234; Hungerhoff S. 182; Rautenberg S. 414; Zöller StV 2012 364, 370 f. 146 Beck FS Paulus 15, 27; Paeffgen FS Amelung 81, 105. 147 Aliabasi S. 202; Rautenberg S. 256 ff. Engelstätter

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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Verhütung von Straftaten.148 Der Begriff des Strafrechts i. R. d. konkurrierenden Gesetzgebung gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ist jedoch weit auszulegen und erfasst nicht nur alle nachträglichen repressiven, sondern auch präventive staatliche Reaktionen auf Straftaten.149 Erforderlich ist jedoch, dass die jeweilige Entscheidung des Gesetzgebers an eine Straftat anknüpft, ausschließlich für Straftäter gilt und sie ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat bezieht.150 Ausgehend hiervon kann von einer strafrechtlichen Regelung erst dann nicht mehr gesprochen werden, wenn der Bezug zur Anlasstat gänzlich gelöst worden ist. Zwar will der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 89a die durch den Täter vorbereitete Gewalttat verhindern.151 Hierbei handelt es sich jedoch nicht um die für die Inanspruchnahme des grundgesetzlichen Kompetenztitels maßgebliche Anlasstat. Abzustellen für die kompetenzrechtliche Bewertung ist allein auf die gesetzgeberische Entscheidung, einzelne, in den Absätzen 2 und 2a näher bezeichnete abstrakt gefährliche Handlungen als kriminelles Unrecht einzustufen und mit Kriminalstrafe zu bedrohen. Ob der Gesetzgeber hierbei im Einzelnen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Straftatbestand, insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, beachtet hat, ist von der bloßen Inanspruchnahme der durch das GG eröffneten kompetenzrechtlichen Möglichkeiten zu unterscheiden.

2. Bestimmtheitsgrundsatz gem. Art. 103 Abs. 2 GG Noch nicht für alle Konstellationen geklärt ist die Vereinbarkeit von § 89a mit dem aus dem 37 Gesetzlichkeitsprinzip folgenden Bestimmtheitsgrundsatz gem. Art. 103 Abs. 2 GG. Schon die Definition der „schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ in § 89a Abs. 1 Satz 2 wird hier in Frage gestellt.152 Gleiches gilt für die unbestimmten Rechtsbegriffe der „besonderen Vorrichtungen“153 und der „sonstigen Fertigkeiten“ 154 in Absatz 2 Nr. 1, 2 sowie das Merkmal der „Wesentlichkeit“ in Absatz 2 Nr. 3.155 Eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots hat in der Rechtsprechung des BVerfG allerdings bislang nur höchst selten zur Verfassungswidrigkeit eines Strafgesetzes geführt.156 Auch für § 89a konstatiert der BGH zwar eine Vielzahl von Tatbestandsmerkmalen, die der Auslegung bedürften, sieht jedoch die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots nicht verletzt, da dem Normadressaten letztlich immer noch eine ausreichende Prognose möglich sei, ob ein bestimmtes Verhalten strafbar ist.157 Art. 103 Abs. 2 GG statuiert einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und 38 rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung festzulegen. Das GG verpflichtet den Gesetzgeber, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit im parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so kon148 BVerfGE 113 348, 369; BVerfGE 141 220, 263. 149 Burchard GS Vogel 27, 31; Jarass/Pieroth/Pieroth Art. 74 GG Rdn. 3; Landau NStZ 2007 121, 125; Maiwald ZRP 2006 18, 19.

150 BVerfGE 109 190, 213. 151 Vgl. BTDrucks.16/12428 S. 12. 152 Beck FS Paulus 15, 24; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 594; Kraus S. 112; Mertens S. 202; Paeffgen NK Rdn. 21; Puschke KriPoZ 2018 101, 107; Zöller Terrorismusstrafrecht S. 565; aA Aliabasi S. 230; Kauffmann S. 71.

153 Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 388; aA Aliabasi S. 233; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 596; Hellfeld S. 223; Hungerhoff S. 123.

154 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 597; Gazeas AnwK Rdn. 49; Greco ZIS 2018 475, 482; Haverkamp FS Schöch 381, 392; Hellfeld S. 225; Paeffgen NK Rdn. 42; Steinsiek S. 315; aA Aliabasi S. 237; Schäfer MK Rdn. 43. 155 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 597; Haverkamp FS Schöch 381, 390; Hellfeld S. 225; Hungerhoff S. 133; Mertens S. 206; Zöller Terrorismusstrafrecht S. 569; aA Aliabasi S. 243; Kauffmann S. 253. 156 BVerfGE 17 306, 314 (Personenbeförderungsgesetz); BVerfGE 78 372, 383 (Fermeldeanlagengesetz); BVerfGE 105 135, 158 (Vermögensstrafe); BVerfGE 143 38, 59 (Rindfleischettikettierungsgesetz); krit. zu dieser Tendenz Landau ZStW 121 (2009) 965, 975. 157 BGHSt 59 218, 223; BGHSt 62 102, 111; zust. Frisch FS Fischer 315, 322. 155

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

kret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind oder sich zumindest durch Auslegung ermitteln lassen.158 Hierzu ist es erforderlich, Strafnormen so zu fassen, dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand ihres Wortlauts voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist; in Grenzfällen muss wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar sein. Allerdings muss der Gesetzgeber auch im Strafrecht in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden.159 Müsste er jeden Straftatbestand bis ins Letzte ausformulieren, bestünde die Gefahr, dass Gesetze zu starr und kasuistisch würden und den Besonderheiten des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten. Das GG zwingt den Gesetzgeber nicht, sämtliche Straftatbestände durch unmittelbar für jedermann erschließbare deskriptive Tatbestandsmerkmale zu umschreiben. Die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln ist vielmehr zulässig, wenn sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden, z. B. durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung gewinnen lässt.160 Auch der Kreis der Normadressaten kann hierfür von Bedeutung sein.161 Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist für alle Varianten des § 89a von einer hinrei39 chenden Bestimmtheit der Norm auszugehen. Im Einzelnen gilt Folgendes:

40 a) Staatsschutzklausel. Der Begriff der in Absatz 1 Satz 2 definierten „schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ genügt den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes. Eine Beschränkung der Klausel auf Großanschläge ist nicht erforderlich.162 Durch den aus der Formulierung des Gesetzes in Verbindung mit der Gesetzesbegründung163 folgenden Verweis auf die zu § 120 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a, b GVG ergangene Rechtsprechung164 wird die Klausel für den Rechtsanwender nachvollziehbar, da die maßgeblichen Elemente des Tatbestands durch die Fachgerichtsbarkeit bereits eine Konturierung erfahren haben. Ergänzend kann auf § 92 zurückgegriffen werden, in dem insbesondere die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland legal definiert werden (§ 92 Rdn. 6).

41 b) „Vorrichtungen“ gem. Absatz 2 Nr. 1, 2. Das in § 89a Abs. 2 Nr. 1 und 2 enthaltene Tatbestandsmerkmal der zur Ausführung der Gewalttat erforderlichen (besonderen) „Vorrichtungen“ ist hinreichend konkret gefasst.165 Der Gesetzgeber hat sich insoweit an § 310 orientiert, auf dessen Auslegung durch die Fachgerichtsbarkeit bei der Prüfung des Absatzes 2 Nr. 1, 2 zurückgegriffen werden kann. Weitere Auslegungsansätze finden sich zudem in den Begriffsdefinitionen des Besonderen Verwaltungsrechts, namentlich dem SprengG. Auch der Gesetzesbegründung lassen sich Auslegungshinweise entnehmen. Danach sollen dem Begriff vor allem technische Apparaturen und Instrumente, Zünder und sonstiges technisches Zubehör für die Durchführung der geplanten Gewalttat unterfallen, nicht aber einzelne Alltagsgegenstände.166 Überdies ist eine nähere Bestimmung des Begriffs unter Anwendung der juristischen Auslegungsmethoden wegen des Zu-

158 159 160 161 162

BVerfGE 25 269, 285; BVerfGE 143 38, 54. BVerfGE 126 170, 195; BVerfGE 131 268, 307; BVerfGE 143 38, 54. BVerfGE 45 363, 371; BVerfGE 86 288, 311; BVerfGE 129 208, 255; BVerfGE 131 268, 307; BVerfGE 143 38, 55. BVerfGE 126 170, 196. BGHSt 59 218, 223; ebenso Aliabasi S. 230; Kauffmann S. 71; aA Frisch FS Fischer 315, 332; Gazeas AnwK Rdn. 29; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 594; Rautenberg S. 283; Zöller SK Rdn. 19. 163 BTDrucks. 16/12428 S. 14. 164 BGHSt 46 238 ff.; BGH NStZ 2010 468. 165 BGHSt 59 218, 224; ebenso Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 596; Hellfeld S. 223; Hungerhoff S. 123. 166 BTDrucks. 16/12428 S. 15; vgl. auch BTDrucks. IV/2186, S. 3 zu § 311a StGB aF, nunmehr § 310 StGB sowie OLG Karlsruhe NStZ 2010 390, 391. Engelstätter

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StGB § 89a

sammenhangs mit den weiter aufgeführten Gegenständen und Stoffen sowie dem Merkmal der Erforderlichkeit zur Tatausführung möglich.167 Danach liegt eine besondere Vorrichtung immer dann vor, wenn der betreffende Gegenstand einen hinreichenden deliktischen Bezug aufweist und ihm im Rahmen der Tatplanung keine untergeordnete Rolle zufällt (s. Rdn. 111 ff.).168

c) „Sonstige Fertigkeiten“ gem. Absatz 2 Nr. 1. Das Tatbestandsmerkmal der „sonstigen 42 Fertigkeiten“ gem. Absatz 2 Nr. 1 verstößt ebenfalls nicht gegen das Bestimmtheitsgebot. Der BGH hat die Vereinbarkeit dieses Tatbestandsmerkmals mit Art. 103 Abs. 2 GG zwar noch nicht prüfen müssen. Wie bei dem Begriff der „besonderen Vorrichtungen“ ist für die als Auffangtatbestand169 gedachte Formulierung eine Bestimmung im Wege der Auslegung wegen des Zusammenhangs mit den weiter aufgeführten Gegenständen und Stoffen sowie der Umschreibung, dass die Fertigkeiten der Begehung der Gewalttat dienen müssen, jedoch möglich (s. Rdn. 114). Soweit die gegen das Tatbestandsmerkmal erhobenen Bedenken darauf abzielen, einzelne Tathandlungen, die einen sozialadäquaten Hintergrund aufweisen oder auf legaler Basis erfolgen können, mangels Unrechtsgehalts von der Strafbarkeit auszuschließen,170 betrifft dies die Frage der Vereinbarkeit des Tatbestandsmerkmals mit dem Tat- und Schuldprinzip (Rdn. 50) und nicht seine grundsätzliche Bestimmbarkeit im Wege der Auslegung.171

d) „Wesentlich“ gem. Absatz 2 Nr. 3. Eine ähnliche Problematik stellt sich bei der Bewer- 43 tung von Absatz 2 Nr. 3. Nach dem Wortlaut der Norm wird bestraft, wer sich Gegenstände oder Stoffe verschafft oder verwahrt, die für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen der in Absatz 2 Nr. 1 bezeichneten Art wesentlich sind. Während ein Teil der Literatur von der Verfassungswidrigkeit der Klausel aufgrund eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz ausgeht,172 ist die Reichweite der Vorschrift nach anderer Ansicht hinreichend bestimmbar.173 Der BGH hat die Bestimmbarkeit vor dem Hintergrund der zu § 310 entwickelten Grundsätze als gewahrt angesehen.174 Dem ist zuzustimmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die „Wesentlichkeit“ zum einen Gegenstände mit alltäglichem Verwendungszweck (z. B. ein Wecker oder Handy) aus dem Tatbestand ausschließen, zum anderen aber im Rahmen einer wertenden Gesamtschau zu beurteilen sein. Gegenstände oder Stoffe sind daher als „wesentlich“ i. S. d. Vorschrift einzustufen, wenn sie im Falle ihrer Zusammenfügung oder technischen Manipulation ein taugliches Kampfmittel oder eine taugliche Vorrichtung i. S. d. Absatzes 2 Nr. 1 ergeben können. Das Fehlen von Kleinteilen von untergeordneter Bedeutung wie einer oder mehrerer Schrauben soll die Erfüllung des Tatbestands nicht hindern.175 Zwar ist diese Aufzählung nicht glücklich gewählt, da eine wertende Gesamtschau im Einzelfall auch zur Erfassung von Alltagsgegenständen führen kann. Dies lässt die Bestimmtheit der Vorschrift jedoch unberührt, da Unsicherheiten bei der Normanwendung durch die Rechtsprechung behoben werden können (vgl. Rdn. 121 f.). 167 BGHSt 59 218, 224. 168 Vgl. OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 18; Aliabasi S. 233; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 597; Hellfeld S. 223; Schäfer MK Rdn. 41; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12.

169 BTDrucks. 16/12428 S. 15; vgl. Becker Kriminalistik 2010 568, 569. 170 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 597; Greco ZIS 2018 475, 482; SSW/Güntge Rdn. 9; Haverkamp FS Schöch 381, 390; Hellfeld S. 225; Hungerhoff S. 133; Zöller Terrorismusstrafrecht S. 569.

171 Vgl. Aliabasi S. 237; Schäfer MK Rdn. 43. 172 Backes StV 2008 654, 658; Gazeas AnwK Rdn. 63; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 598; Haverkamp FS Schöch 381, 392; Hellfeld S. 225; Hungerhoff S. 136; Paeffgen NK Rdn. 42; Steinsiek S. 322; Zöller Terrorismusstrafrecht S. 572. 173 Aliabasi S. 241; Kauffmann S. 88; auch Schäfer MK Rdn. 51. 174 BGHSt 59 218, 224, 241. 175 BTDrucks. 16/1248 S. 15. 157

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3. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 44 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass eine Strafnorm, um die mit ihr in die Grundrechte des Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 GG verbundenen Eingriffe zu rechtfertigen, geeignet und erforderlich sein muss, um den mit ihr erstrebten Zweck zu erreichen. Darüber hinaus muss i. R. e. Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten des Verbots gewahrt sein. Überdies folgt aus dem Schuldprinzip, dass die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen. Tatbestand und Rechtsfolge müssen aufeinander abgestimmt sein.176 Dass die seitens des Gesetzgebers erstrebte Verhinderung schwerer Straftaten durch die strafrechtliche Verfolgung ihrer Vorbereitung durch die Regelungen des § 89a gefördert wird, steht außer Zweifel. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Einführung des Tatbestands auch einen verfassungsrechtlich zulässigen Zweck.177 § 89a soll eine effektive Verfolgung von organisatorisch ungebundenen Tätern ermöglichen, die besonders gewichtige, staatsgefährdende Gewalttaten vorbereiten. Dies gilt insbesondere für die Vorbereitung schwerster Straftaten wie Mord, Totschlag, erpresserischer Menschenraub oder Geiselnahme, die auch in dem Katalog des § 129a Abs. 1 enthalten sind, mangels Nachweisbarkeit einer Vereinigung aber nicht nach dieser Norm verfolgt werden können.178

45 a) Ultima-ratio Grundsatz. Eine Regelung ist erforderlich, wenn sie bei gleicher Tauglichkeit geeigneter Instrumentarien das für den Betroffenen jeweils mildere Mittel darstellt.179 Die Verhängung von Strafe kann niemals Selbstzweck sein; sie stellt gewissermaßen die „ultima ratio“ im Instrumentarium des Gesetzgebers dar, von dem nur behutsam und zurückhaltend Gebrauch gemacht werden kann.180 Allerdings räumen das BVerfG und BGH dem Gesetzgeber einen weiten Beurteilungsspielraum ein, welche Interessen und Gemeinwohlbelange gerade mit den Mitteln des Strafrechts geschützt werden müssen.181 Maßgebend ist aus verfassungsrechtlichem Blickwinkel nicht, ob der Gesetzgeber bei der Schaffung von Straftatbeständen die zweckmäßigste, gerechteste oder vernünftigste Lösung getroffen hat. Seine Entscheidung ist von den Gerichten vielmehr zu akzeptieren, solange sie materiell mit den Bestimmungen des GG im Einklang steht und den grundsätzlichen Wertungen der Verfassung entspricht.182 46 Nach diesem Maßstab erweist es sich bereits als unerheblich, dass einige Tathandlungen gem. Absatz 2 Nr. 2, 3 zugleich auch durch §§ 310, 328, 330a sowie nebenstrafrechtliche Vorschriften des Waffen- und Sprengstoffrechts mit Kriminalstrafe bedroht sind.183 Vielmehr ist die Entscheidung des Gesetzgebers zu akzeptieren, für eine von ihm als regelbedürftig erachtete Fallgruppe einen weiteren Straftatbestand mit einem gem. Absatz 3 sogar weiteren Anwendungsbereich zu schaffen.184 Kollisionen mit anderen Tatbeständen können auf der Ebene der Konkurrenzen gelöst werden und berühren nicht die Verfassungsmäßigkeit der Norm. Nachrichtendienstliche und ausländerrechtliche Maßnahmen kommen als mildere Mittel ebenfalls nicht in Betracht. Das Recht der Nachrichtendienste enthält keine Zwangsbefugnisse, um die von dem

176 177 178 179 180 181

BVerfGE 90 145, 173; BVerfG NJW 2008 1137, 1138; BGHSt 59 218, 228; Kauffmann S. 183. Aliabasi S. 262; Bader NJW 2009 2853, 2856; Hellfeld S. 206. BTDrucks. 16/1248 S. 2, 12. BVerfGE 78 232, 245; BVerfGE 90 145, 172. BVerfGE 39 1, 46 f. BVerfGE 90 145, 173; BVerfGE 120 224, 240; BGHSt 59 218, 227; Kauffmann S. 182; krit. Brodowski/Jahn ZStW 129 (2017) 363, 372; Gärditz JZ 2016 641; Landau ZStW 121 (2009) 965, 966. 182 BVerfGE 90 145, 173; BVerfGE 126 170, 197; BGHSt 59 218, 228. 183 Mertens S. 96 ff., 153 f., 175 ff., 199 ff.; Hellfeld S. 105 ff.; Sieber NStZ 2009 353, 361; Rautenberg S. 218 ff. 184 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1d. Engelstätter

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StGB § 89a

Vorbereitungstäter ausgehende Gefahr abzuwenden.185 Auch die Vorschriften des AufenthG scheiden insoweit aus, da staatsgefährdende Gewalttaten auch durch deutsche Staatsangehörige vorbereitet werden können, gegen die ausländerrechtliche Maßnahmen – z. B. die Abschiebehaft nach § 62 AufenthG – wirkungslos sind.186

aa) Präventivgewahrsam. Zu diskutieren ist jedoch das das Verhältnis von § 89a zu den gefah- 47 renabwehrrechtlichen Regelungen des Präventivgewahrsams. Diese Frage stellt sich vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen im Polizei- und Sicherheitsrechts derzeit mit einer anderen Akzentuierung als bei Inkrafttreten der Norm. So kann z. B. nach den neugefassten Art. 17, 32a des BayPAG in Bayern Präventivgewahrsam nicht nur für einen längeren Zeitraum als vorher angeordnet werden. Die Maßnahme greift zudem schon bei der verhältnismäßig geringen Verdachtsschwelle einer lediglich „drohenden“ Gefahr.187 Während der verwaltungsrechtliche Gefahrenbegriff ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen voraussetzt, das nach allgemeiner Lebenserfahrung bei ungehindertem Verlauf zu einer Verletzung der öffentlichen Sicherheit führen wird, knüpft der Begriff der drohenden Gefahr an eine vorgelagerte Sachlage an,188 in der sich die ins Auge gefasste Handlung noch nicht hinreichend konkretisieren lässt. Indes führt die Schaffung von Regelungen auf dem Gebiet des Polizeirechts im Hinblick auf § 89a noch nicht zu einer Verletzung des Ultima-ratio-Gebots. Es ist dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative vielmehr unbenommen, einen Sachverhalt sowohl polizeirechtlich wie auch strafrechtlich zu regeln, da Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als staatliche Aufgaben wenn auch mit unterschiedlicher Zielrichtung gleichberechtigt, nebeneinanderstehen und sich gegenseitig überlappen können.189 Überdies kann das Absenken der Anordnungsschwelle im Polizeirecht auf das Stadium ei- 48 ner lediglich „drohenden“ Gefahr im Einzelfall Bedenken im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b) und c) EMRK begegnen.190 Nach Buchst. c) darf die Freiheit der Person dem Einzelnen zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde nur zu Zwecken der Strafverfolgung entzogen werden. Eine Vorführung zum Zwecke der Gefahrenabwehr ist hiervon nicht gedeckt.191 Die Anordnung von Präventivgewahrsam wird auch nicht in allen Fällen auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b) EMRK gestützt werden können. Danach kann zwar eine Freiheitsentziehung zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht in Form der Unterlassung von Straftaten zulässig sein. Erforderlich ist jedoch nicht nur, dass die fragliche Straftat bereits hinreichend bestimmt ist, sondern auch dass der Betroffene sich nach einem entsprechenden Hinweis auch unwillig gezeigt hat, sie zu unterlassen.192 Ob diese Anforderungen bereits im Stadium einer „drohenden“ Gefahr gegeben sind, dürfte in vielen Fällen durchaus fraglich sein.193

bb) Ausreiseverbotslösung. Hinsichtlich terroristisch motivierter Ausreisen i. S. v. Absatz 2a 49 wird diskutiert, ob das mit der Vorschrift verfolgte Ziel der Unterbindung derartiger Reisebewe-

185 Aliabasi S. 269; Hellfeld S. 109; Kauffmann S. 169. 186 Aliabasi S. 271; Kauffmann S. 172; Kauffmann/Lalissidou JR 2014 507, 512; Steinsiek S. 200. 187 Krit. Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy GSZ 2018 7, 11; Bruns/Gumpp/Nguyen/Mommsen/Petzsche S. 91, 113; Löffelmann GSZ 2018 85, 88; Nobis StV 2018 453, 458. 188 OLG München NJW 2019 2404, 2406; Möstl BayVBl. 2018 156, 159. 189 BGHSt 62 123, 133; vgl. BVerfGE 32 373, 380; BVerfGE 80 367, 380; BVerwG NVwZ 2001 1285, 1286. 190 Bruns/Gumpp/Nguyen/Mommsen/Petzsche S. 91, 114; Kauffmann/Lalissidou JR 2014 507, 511; Lenk/Wiedmann BayVBl. 2018 803, 807; Löffelmann BayVBl. 2018 145, 152 ff.; Pieroth GSZ 2018 133, 136; Sieber NStZ 2009 353, 355; ausführlich Walther ZIS 2007 464, 470; aA Kubiciel ZRP 2017 57, 59. 191 EGMR NVwZ 2012 1089, 1091; EGMR NVwZ 2014 43, 44. 192 BVerfG NVwZ 2016 1079, 1080; EGMR NJW 1984 544; EGMR NJW 2010 2495, 2496; EGMR NVwZ 2014 43, 44. 193 Vgl. Lenk/Wiedmann BayVBl. 2018 803, 807; Pieroth GSZ 2018 133, 136. 159

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Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

gungen194 auch auf gleich geeignetem, aber die Grundrechte der Betroffenen weniger belastendem Wege, durch passrechtliche Maßnahmen erreicht werden könnte.195 In Betracht kommen z. B. ein Ausreiseverbot gem. § 6 Abs. 7 PAuswG aber auch ein Passentzug gem. § 7 Abs. 1, 8 PassG.196 Dabei würde sogar die grundsätzliche Möglichkeit einer strafrechtlichen Sanktion erhalten bleiben, da ein Verstoß gegen das Ausreiseverbot für Ausländer (§ 95 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) wie für deutsche Staatsangehörige (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 PassG) seinerseits mit Strafe bedroht wäre.197 Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat sich bereits mehrfach mit terroristisch motivierten Ausreisebestrebungen befasst. Diese können erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland berühren, sofern zu erwarten ist, dass sich der Ausreisende an Gewalttaten beteiligen wird, die geeignet sind, die auswärtigen Beziehungen und das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland zu schädigen und im Einzelfall diplomatische Spannungen zu erzeugen.198 Dies gilt insbesondere, soweit die geplante Teilnahme am bewaffneten Jihad im Raume steht.199 Der BGH hat passrechtliche Maßnahmen unter Hinweis auf den weiten Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers gleichwohl als nicht für in gleichem Maße geeignet gehalten wie die strafrechtliche Regelung des § 89a Abs. 2a.200 Dem ist zuzustimmen, da Absatz 2a nicht an verwaltungsrechtlichen Vorfragen hinsichtlich der Anfechtbarkeit, Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der passrechtlichen Maßnahme anknüpft. Zumindest aber bewegt sich die vom Gesetzgeber gewählte Lösung schon aus diesem Grund innerhalb des ihm durch das GG eingeräumten Beurteilungsspielraums. Schließlich ist auch der Versuch des § 95 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht mit Strafe bedroht, sodass strafrechtliche Maßnahmen gegen mit einem Ausreiseverbot belegte Ausländer erst nach Vollendung der Ausreise möglich wären.

50 b) Vereinbarkeit mit Tat- und Schuldprinzip. Die Vereinbarkeit von § 89a mit dem Tat- und Schuldprinzip ist noch nicht in allen denkbaren Konstellationen höchst richterlich geklärt. Der Schuldgrundsatz beherrscht den gesamten Bereich staatlichen Strafens.201 Das BVerfG billigt ihm Verfassungsrang zu; er ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen verankert und als solcher Bestandteil der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG und damit auch integrationsfest gegenüber Maßnahmen der EU.202 Das Wesen der Strafe, das Verhältnis von Schuld und Sühne sowie der Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt, folgen unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG.203 Die normative Vorgabe der Menschenwürde spiegelt das der Verfassung zugrundeliegende Menschenbild als ein geistig-sittliches Wesen, das nicht nur darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu entfalten, sondern auch bereit ist, sich zu verantworten und eigene Schuld anzuerkennen.204 Ohne die Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit menschlichen Handelns ist die Verhängung von Kriminalstrafe als staatliche Reaktion weder mit der Garantie der Menschenwürde noch mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren, dem

194 BTDrucks. 18/4087 S. 6. 195 Ambos JR 2017 655, 656; Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy GSZ 2018 7, 10; Puschke StV 2015 457, 460; ders. KriPoZ 2018 101, 103; Zöller GA 2016 90, 102; Zweigle S. 449 ff. 196 Zur verwaltungsrechtlichen Rechtslage Kugelmann NVwZ 2016 25 ff. 197 Gazeas DRiZ 2015 218, 222. 198 OVG Münster NVwZ-RR 2014 593, 595; VG Berlin BeckRS 2012 49190; VG Düsseldorf BeckRS 2015 45982. 199 OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2011 500; OVG Münster NVwZ-RR 2014 593, 595; OVG Münster BeckRS 2015 42734; VG Berlin BeckRS 2012 49190; VG Düsseldorf BeckRS 2015 45982. 200 BGHSt 62 102, 111; ebenso Biehl JR 2015 561, 565; Hellfeld S. 110; vgl. Krings ZRP 2015 167, der von einer kummulativen Anwendung pass- und strafrechtlicher Vorschriften ausgeht. 201 BVerfGE 123 267, 413; BVerfGE 133 168, 197; BVerfG NJW 2016 1150, 1152; Landau EuGRZ 2016 505. 202 BVerfGE 123 267, 413; BVerfG NJW 2016 1150, 1152; Adam/Schmidt/Schumacher NStZ 2017 7, 8. 203 BVerfGE 57 250 275; BVerfGE 80 367, 378; BVerfGE 123 267, 413; BVerfGE 133 168, 198; Landau EuGRZ 2016 505. 204 BVerfGE 123 267, 413; Landau EuGRZ 2016 505, 506. Engelstätter

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89a

die Idee der materiellen Gerechtigkeit innewohnt.205 Während das Schuldprinzip in seiner strafzumessungsleitenden Funktion die Dauer der Freiheitsstrafe auf das der Tatschuld Angemessene beschränkt,206 sichert das Tatprinzip, dass der zu beurteilende Straftatbestand eine ausreichende Fülle an Unrecht sanktioniert. Hierfür muss sich die zu kriminalisierende Handlung – erstens – nach außen manifestieren, – zweitens – eine aktuelle Rechtsgutbeeinträchtigung oder -gefährdung beinhalten und schließlich – drittens – ein nach strafrechtlichen Maßstäben rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Täters umschreiben.207

aa) Meinungsspektrum in der Literatur. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe werden zu 51 nahezu allen Varianten des § 89a Vorschläge zur Begrenzung der Norm diskutiert, die in Teilen auch von der Verfassungswidrigkeit einzelner Konstellationen ausgehen. Sämtliche dieser Ansätze sind bestrebt, sozial adäquate Alltagshandlungen aus dem Anwendungsbereich des § 89a auszuschließen, um auf diese Weise der Gefahr eines Gesinnungsstrafrechts begegnen zu können, das allein an die Person des Täters, nicht aber an den Unrechtsgehalt seiner Handlung anknüpft.

(1) Absatz 2 Nr. 1. Zu Absatz 2 Nr. 1 wird vorgetragen, schon die Pönalisierung einer Unterwei- 52 sung dringe zu weit in den verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung ein, da das Erlernen bestimmter Fähigkeiten und Aneignen bestimmter Kenntnisse als Grundbestandteil der persönlichen Entwicklung selbst dann vor strafrechtlicher Ächtung geschützt sei, wenn der Lernprozess in der Absicht erfolgt, eine spätere Straftat vorzubereiten.208 Auch gegen die gesetzgeberische Ausgestaltung der einzelnen Tatmittel werden Bedenken erhoben. Dies gilt zunächst für den Umgang mit „anderen gesundheitsschädlichen Stoffen“ (Absatz 2 Nr. 1 Var. 6). Teile der Literatur sehen den in der Gesetzesbegründung enthaltenen Verweis auf § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2209 kritisch, da hierunter auch gefahrlose Tatobjekte wie Kochsalz subsumiert werden können.210 Auf diese Weise könne auch die Einführung in die Bedienung eines Wasserkochers die Tatvariante erfüllen.211 Sachgerecht sei vielmehr, als gesundheitsschädliche Stoffe i. S. d. Absatzes 2 Nr. 1 nur biologisch wirkende, gesundheitsgefährdende Stoffe zu erfassen, die negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben können.212 Auch für die Unterweisung in „sonstigen Fertigkeiten“ (Absatz 2 Nr. 1 Var. 8) werden einschränkende Lösungen diskutiert.213 Insbesondere wird gefordert, dass die im Rahmen der Ausbildung i. S. d. Vorschrift erlernte Fähigkeit eine unmittelbare Bedeutung für die geplante Gewalttat haben muss. Nicht ausreichend sei es, wenn Handlungsweisen wie das Erlernen einer Sprache eingeübt würden, die die Begehung einer Gewalttat nicht unmittelbar ermöglichen, sondern lediglich erleichtern würden.214 205 BVerfGE 20 323, 331; BVerfGE 95 96, 140; BVerfGE 133 168, 198; BVerfG NJW 2016 1150, 1153; Landau EuGRZ 2016 505, 506. 206 BVerfGE 128 326, 376; BVerfGE 130 372, 389; ähnlich auch BVerfGE 86 288, 313; BVerfGE 96 245, 249. 207 Griesbaum/Wallenta NStZ 2013 369, 371; Sieber NStZ 2009 353, 356; Weißer ZStW 121 (2009) 131, 161. 208 Puschke S. 404, 422; aA Kauffmann S. 236; Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 387; Rautenberg S. 328. 209 BTDrucks. 16/12428 S. 15. 210 Gazeas AnwK Rdn. 44; Haverkamp FS Schöch 381, 389; Zöller SK Rdn. 25. 211 Beispiel nach Zöller Terrorismusstrafrecht S. 567. 212 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 596; Gazeas AnwK Rdn. 44; Haverkamp FS Schöch 381, 389; Paeffgen NK Rdn. 42; Zöller Terrorismusstrafrecht S. 567; ders. SK Rdn. 25; aA Fischer Rdn. 26; Kauffmann S. 82; Schäfer MK Rdn. 40. 213 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 597; SSW/Güntge Rdn. 9; Haverkamp FS Schöch 381, 390; Hellfeld S. 225; Hungerhoff S. 133; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Zöller Terrorismusstrafrecht S. 569. 214 Aliabasi S. 307; Gazeas AnwK Rdn. 47; Hungerhoff S. 129; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Zöller SK Rdn. 27; aA Mayk S. 79; Schäfer MK Rdn. 43. 161

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

53 (2) Absatz 2 Nr. 3. Der Tatbestand des Absatzes 2 Nr. 3 kriminalisiert die Beschaffung von Gegenständen oder Stoffen, die für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen der in Absatz 2 Nr. 1 bezeichneten Art wesentlich sind. Ausgehend von den gegen die Bestimmtheit des Merkmals „wesentlich“ erhobenen Bedenken (Rdn. 43) hält ein Teil der Literatur die Vorschrift für unvereinbar mit dem Tat- und Schuldprinzip, da sie tief in den privaten Bereich eingreife und eine Vielzahl an sich objektiv neutraler und sozialadäquater Handlungen unter Strafe stelle.215

54 (3) Absatz 2a. Die durch Absatz 2a mit Kriminalstrafe bedrohte terroristisch motivierte Ausreise wird in der Literatur insbesondere hinsichtlich der zweiten Alternative als verfassungswidrig angesehen. Eine Ausreise aus Deutschland könne zu höchst unterschiedlichen Zwecken erfolgen, aus denen sich keinerlei Hinweise auf die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat ergeben müssen. An eine derart neutrale Tathandlung könne ein Vorbereitungstatbestand nicht anknüpfen.216 Es handele sich vielmehr um einen Tatbestand, der zwar subjektiv verächtliches, objektiv aber unrechtsneutrales Verhalten zu strafbarem Tun umetikettiere und damit um „rein(st)es Gesinnungsstrafrecht“.217

55 (4) Subjektiver Tatbestand. Auch für den subjektiven Tatbestand werden verfassungskonforme Auslegungen vorgeschlagen. Dies gilt zunächst für das „Ob“ der Gewalttat, also für die Frage, inwieweit der Täter bei der Vornahme der Vorbereitungshandlung bereits zur späteren Gewalttat entschlossen ist. Einigkeit besteht dahingehend, dass der Gesetzgeber bei der Einführung der Vorschrift hinsichtlich dieser Frage lediglich „dolus eventualis“ vor Augen hatte, da er auf die Aufnahme einer Substantivierungsklausel „zur Vorbereitung der Tat“ verzichtet hat.218 Dessen ungeachtet wird gleichwohl gefordert, die Anforderungen an den Vorsatz hinsichtlich des „Ob“ der Gewalttat zu erhöhen. Ein Teil der Literatur fordert insoweit eine Hochzonung des subjektiven Tatbestands auf dolus directus 1. Grades i. S. e. überschießenden Innentendenz.219 Ein anderer Teil will dies dagegen nur auf Fälle der sogenannten Eigenvorbereitung beschränken. Bereitet der Täter z. B. als Ausbilder die spätere Gewalttat eines Dritten vor, kann, soweit es um deliktspezifische Vorbereitungshandlungen wie die Übergabe von Waffen oder Sprengstoff geht, auch dolus eventualis genügen.220 Wieder ein anderer Teil der Literatur steht einer Hochzonung gänzlich kritisch gegenüber, da sie in der Praxis zu erheblichen Beweisschwierigkeiten und damit letztlich zur Unanwendbarkeit der Norm führen würde.221 In der Diskussion steht zudem die Frage der subjektiven Anforderungen an die Konkretisierung, also das „Wie“ der geplanten Gewalttat. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte § 89a insoweit geringeren Anforderungen unterliegen als § 30 Abs. 2. Eine konkrete Vorstellung von Ort, Zeit, Opfer und Art des Anschlags soll also nicht erforderlich sein.222 Dem sind einige Stimmen in Rechtsprechung und Literatur entgegengetreten; erforderlich sei zumindest eine grob konkretisierte Planung, dergestalt, dass der Täter eine jeden-

215 Gazeas AnwK Rdn. 60; Hellfeld S. 258; Zöller Terrorismusstrafrecht S. 571; aA Aliabasi S. 309; Schäfer MK Rdn. 51.

216 Aliabasi S. 323 f. (nur Alt. 2 verfassungswidrig); Gazeas/Grosse-Wilde StV 2018 84, 88; Zöller SK Rdn. 35; weitergehend Puschke S. 403; 423; ders. KriPoZ 2018 101; 103; Zweigle S. 447; (vollständig verfassungswidrig); aA Biehl JR 2015 561, 566; Georgiou Kriminalistik 2017 199; Mayk S. 149; Paul GSZ 2018 43. 217 Ambos JR 2017 655, 660; Kauffmann/Laissidou JR 2016 163, 172; Paeffgen NK Rdn. 58. 218 Aliabasi S. 312; Fischer Rdn. 37a; Kauffmann S. 96; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Walter KJ 2008 443, 448. 219 Paeffgen NK Rdn. 29. 220 Puschke S. 365 f. 423; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Sieber NStZ 2009 353, 362; Sieber/Vogel S. 143, 151. 221 Kauder ZRP 2009 20, 21; Mayk S. 166; Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 388; Wasser/Piaszek DRiZ 2008 315, 319. 222 BTDrucks. 16/12428 S. 14, 16. Engelstätter

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89a

falls in Ansätzen umrissene mediale Verwertung des Geschehens in seine Tatplanung integriert habe.223

bb) Lösungsansätze des BGH. Der BGH hat sich in verschiedenen Entscheidungen mit der 56 Vereinbarkeit des § 89a mit dem Tat- und Schuldprinzip auseinandergesetzt, sich jedoch – mangels Entscheidungserheblichkeit – noch nicht zu allen Konstellationen positioniert. Seiner Rechtsprechung ist jedoch die Tendenz zu entnehmen, den Anwendungsbereich der Norm zur Wahrung von Tat- und Schuldprinzip maßgeblich im Bereich des subjektiven Tatbestands zu begrenzen. Die teilweise in der Literatur für verfassungswidrig erachtete Variante der Absolvierung einer terroristisch motivierten Ausbildung hat der BGH mehrfach unbeanstandet gelassen, ohne nähere Ausführungen zur Verfassungsgemäßheit des objektiven Tatbestands anzustellen.224 Eine Beschränkung von § 89a Abs. 2 Nr. 2 auf Sprengstoffe, die unmittelbar bei der geplanten Gewalttat zum Einsatz kommen sollen, hat der Senat ausdrücklich abgelehnt.225 Verfassungsrechtlich gebotene Korrekturen im Bereich des objektiven Tatbestands hat der BGH bislang nur für geboten erachtet, wenn die im Rahmen einer Ausbildung an Kriegswaffen i. S. v. Absatz 2 Nr. 1 erworbenen Fähigkeiten ausschließlich zu Verteidigungszwecken eingesetzt werden sollen.226 Die zentrale Weichenstellung zur Wahrung des Tat- und Schuldprinzips hat der BGH schon 57 in seinem Urteil vom 8.5.2014 (BGHSt 59 218) vorgenommen. Darin hat der Senat die Auffassung vertreten, dass alle Varianten des Absatzes 2, in denen der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, die er auch selbst begehen will (sog. Eigenvorbereitung), einer einschränkenden Auslegung des subjektiven Tatbestands dahingehend bedürfen, dass der Täter bei der Vornahme seiner Vorbereitungshandlung zur Begehung der staatsgefährdenden Gewalttat bereits fest entschlossen sein müsse. Bezüglich des „Ob“ der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat genüge bedingter Vorsatz nicht. Nur auf diese Weise würden die u. U. sozialneutralen objektiven Tathandlungen des Täters durch seinen manifest gewordenen Willen zur Tatausführung derart verknüpft, dass noch eine abstrakte Gefährdung der durch § 89a geschützten Rechtsgüter erkennbar sei, die die Strafverfolgung des Täters legitimieren könne.227 Ob eine derartige Auslegung auch geboten ist, wenn der Täter die Gewalttat eines Dritten vorbereitet (sog. Fremdvorbereitung), was z. B. auf die in Ausbildungslagern terroristischer Vereinigungen im Ausland aktiven Ausbilder zutreffen dürfte, hat der BGH ausdrücklich offen gelassen.228 Positioniert hat sich der Senat jedoch zur Frage der subjektiven Anforderungen an die Konkretisierung der geplanten Tat; also hinsichtlich des „Wie“ der geplanten Gewalttat. Danach muss die geplante Tat soweit konkretisiert sein, dass das Strafgericht überprüfen kann, ob sie die Voraussetzungen der Staatsschutzklausel des Absatzes 1 Satz 2 erfüllen würde. 229 Es bedarf Feststellungen, die belegen, dass die ins Auge gefasste Tat neben den in Absatz 1 Satz 2 genannten Katalogtatbeständen auch die weiteren Voraussetzungen der Norm erfüllt.

223 KG StV 2012 345, 348; OLG Karlrsuhe StV 2012 348, 350; Aliabasi S. 317; Gazeas AnwK Rdn. 71; Hellfeld S. 266; Mayk S. 185 ff.

224 BGH BeckRS 2016 115077 Rdn. 5; BGH NStZ-RR 2018 42; ebenso OLG München StV 2016 505, 506 (alle für jeweils mehrwöchige Kampfausbildung bei einer terroristischen Vereinigung im syrischen Bürgerkrieg).

225 BGH BeckRS 2017 122780 Rdn. 25 – Zündung einer Testbombe. 226 BGHSt 61 36, 40. 227 BGHSt 59 218, 239; zustimmend Aliabasi S. 314; Fischer/Hoven/Raum S. 217, 220; Landau EuGRZ 2016 505, 510; Petzche HRRS 2015 33; Sieber/Vogel S. 144; krit. Mitsch NJW 2015 209; Puschke StV 2015 457; Valerius FS HeintschelHeinegg 460, 466; Zöller NStZ 2015 373 (nicht weit genug); krit. auch Mayk S. 166 – dolus eventualis für alle Konstellationen hinreichend. 228 BGHSt 59 218, 240. 229 So schon OLG Karlsruhe StV 2012 348, 350; OLG Stuttgart BeckRS 2014 Rdn. 17. 163

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Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

Eine Vorstellung des Täters im Hinblick auf Tatort, Tatzeit und die Anzahl der Tatopfer soll hierfür nicht erforderlich sein.230 58 Diesen Maßstab hat der BGH zwischenzeitlich allen weiteren Entscheidungen zu § 89a zugrunde gelegt,231 sodass mittlerweile von einer ständigen und auch gefestigten Rechtsprechung auszugehen ist, die auch von den Instanzgerichten akzeptiert wird.232 Dies wird auch in dem Urteil des BGH vom 6.4.2017 (BGHSt 62 102) deutlich, in dem sich das Gericht erstmalig ausführlich mit der Verfassungsgemäßheit der durch Absatz 2a pönalisierten terroristisch motivierten Ausreise befassen musste. Der Senat sah sich hierbei nicht gehalten, eine dem Urteil vom 8.5.2014 (BGHSt 59 218) vergleichbare verfassungskonforme Restriktion des Tatbestands in Erwägung zu ziehen, da der Gesetzgeber für Ausreisen in terroristische Ausbildungslager zum Zwecke der Teilnahme an einer terroristischen Unterweisung (Absatz 2a Alt. 2) von sich aus ein „doppeltes Absichtserfordernis“ in den Tatbestand mit aufgenommen und damit den durch den Senat in seinem Urteil vom 8.5.2014 (BGHSt 59 218) erhobenen Bedenken Rechnung getragen habe.233

59 cc) Bewertung und Konsequenzen. Dass die Bekämpfung terroristischer Aktivitäten nicht dazu führen kann, dass der Rechtsstaat seine verfassungsrechtlichen Garantien zur Disposition stellt, steht außer Frage.234 Ein Verzicht auf auch nur einen dieser Grundsätze birgt die Gefahr eines kriegsrechtsähnlichen Sonderstrafrechts für Terroristen,235 zu dessen Einführung das GG nicht ermächtigt (Rdn. 11).236 Es ist vielmehr ein Gebot der verfassungsrechtlichen Ordnung, terroristische Handlungen nicht als Krieg oder Ausnahmezustand aufzufassen, die von der Beachtung rechtsstaatlicher Anforderungen dispensieren, sondern sie als Straftaten mit den Mitteln des Rechtsstaats zu bekämpfen.237 Regelungen, die wie § 89a nicht nur repressiv vergeltend, sondern auch täterbezogen präventiv wirken, sind dem Strafrecht in Form abstrakter Gefährdungsdelikte im Umwelt-, Wirtschafts- oder Computerstrafrecht, sowie auf der Rechtsfolgenseite jedoch nicht fremd238 und verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich.239 Auch ein Sicherheitsstrafrecht kann verfassungskonform ausgestaltet werden.240 Dies kann, wie einzelne Tatbestände des StGB belegen, auch durch Pönalisierung von Vorbereitungshandlungen im Vorfeld der ins Auge gefassten Rechtsgutverletzung erfolgen.241 In der Rechtsprechung des BGH finden sich überdies Ansätze, auch allgemeine Straftatbestände soweit zu fassen, dass sie bis in das Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutverletzung hineinreichen.242 Dies gilt insbesondere für das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, dessen Voraussetzungen schon bei jedem eigennützigen 230 BGHSt 59 218, 237; BGHSt 62 102, 105. 231 BGHSt 61 36, 39; BGHSt 62 102, 113; BGH NStZ 2018 89; BGH NStZ-RR 2018 42; BGH BeckRS 2017 122780 Rdn. 18; BGH BeckRS 2017 133051 Rdn. 21; BGH BeckRS 2019 6133 Rdn. 11. 232 OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 24; LG Dortmund BeckRS 2017 142592 Rdn. 38. 233 BGHSt 62 102, 113 = NJW 2017 2928 m. Anm. Puschke = StV 2018 80 m. Anm. Gazeas/Grosse-Wilde = GSZ 2018 39 m. Anm. Paul; weitere Anmerkung bei Ambos JR 2017 655. 234 Schäfer MK Rdn. 5; Weißer ZStW 121 (2009) 131, 161. 235 Sog. „Feindstrafrecht“; Jakobs ZStW 117 (2005) 839, 845; Pawlik S. 25 ff. 236 Aliabasi S. 196; Di Fabio NJW 2008 421, 423; Heinrich ZStW 121 (2009) 95,123; Paeffgen FS Amelung 81, 88. 237 BVerfGE 133 277, 333; Goldhammer/Kuhlick/Gärditz S. 23, 31. 238 BGHSt 59 218, 230; Lüttich/Lehmann/Frank S. 77, 87; Heinrich ZStW 121 (2009) 95, 112 ff.; Haverkamp FS Schöch 381, 384; Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 387; Schäfer MK Rdn. 6; krit. Becker Kriminalistik 2010 568, 569; Landau ZStW 121 (2009) 965, 966. 239 Vgl. BVerfGE 28 175, 186, 188 f. – zu § 100e StGB aF (verräterische Beziehungen); BVerfGE 45 187, 256; BVerfGE 64 261, 271 (lebenslange Freiheitsstrafe). 240 Burchard GS Vogel 27, 31; Frisch FS Fischer 315, 317; Hassemer StV 2006 321, 331; Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 387. 241 Z. B. §§ 149, 202c, 234a Abs. 3, 275, 310, 303a Abs. 3, 303b Abs. 5, 316c Abs. 4 StGB, § 19 GÜG. 242 BGHSt 59 218, 230. Engelstätter

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89a

Bemühen als erfüllt anzusehen sind, das darauf gerichtet ist, den Umsatz mit Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern.243 Aber auch Tatbestände, die maßgeblich auf die subjektiven Vorstellungen des Täters abstellen, finden im StGB Berücksichtigung. Beispiele hierfür sind neben der Verabredung zu einem Verbrechen gem. § 30 Abs. 2, die Gewahrsamsbegründung in Zueignungsabsicht i. R. d. §§ 242 Abs. 1, 246 Abs. 1 sowie die Täuschung in Bereicherungsabsicht im Rahmen des Betrugstatbestandes gem. § 263 Abs. 1. Das Staatsschutzstrafrecht kann ebenfalls in dieses System eingeordnet werden. Seine 60 Aufgabe ist es, rechtswidrigen und schuldhaften Beeinträchtigungen der Sicherheit des Staates und seiner Bevölkerung mit den repressiven Mitteln des Strafrechts entgegen zu wirken.244 Ob § 89a insoweit einen Paradigmenwechsel vom repressiven Strafrecht zum präventiven Sicherheitsrecht, mithin eine Wandlung von der Bestrafung ex post hin zu einem präventiven Instrument der Gefahrenverhinderung ex ante manifestiert,245 kann hierbei dahinstehen. Das Staatsschutzstrafrecht bot bereits vor Einführung des § 89a mit Tatbeständen wie der Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80), der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens (§ 83), der Agententätigkeit zu Sabotagezwecken (§ 87) oder dem Auskundschaften von Staatsgeheimnissen (§ 96) strafrechtlichen Schutz im Vorfeld der Rechtsverletzung bei Bestehen einer abstrakten Gefahrenlage.246 Auch soweit seine Tatbestände der effektiven Bekämpfung von Straftaten mit dem Gepräge des Terrorismus dienen, ist ihnen aus dem Blickwinkel des GG ein hohes Gewicht beizumessen.247 Dies rechtfertigt nicht nur die Kriminalisierung mitgliedschaftlicher Betätigungen i. R. d. §§ 129a, b,248 sondern legitimiert auch die strafrechtliche Verfolgung organisationsungebundener Einzeltäter, die die gleichen Ziele wie eine terroristische Vereinigung verfolgen. Soweit seine Tatbestände einen klaren Bezug auf die geplante Gewalttat enthalten und Handlungen mit klarem deliktischen Sinngehalt wie die Ausbildung oder den Umgang mit gefährlichen, deliktspezifischen Gegenständen wie Sprengstoffen oder Waffen verbieten, besteht eine vergleichbare Gefährdungslage wie bei den Vereinigungsdelikten gem. §§ 129a, b.249 Zumindest steht außer Frage, dass sämtliche der durch § 89a Abs. 2, 2a pönalisierten Tathandlungen, würden sie durch ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung begangen, auch den Tatbestand der §§ 129a, b erfüllen würden. Zudem sind mittlerweile sämtliche von § 89a kriminalisierten Tathandlungen auch Bestand- 61 teil verschiedener völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Hier begründet in erster Linie die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 die unionsrechtliche Verpflichtung, die bestehenden Regelungen des StGB beizubehalten.250 Art. 7 bis 9 der Richtlinie erfassen alle Formen terroristisch motivierter Ausbildungen sowie die in § 89a Abs. 2a pönalisierte Fallgruppe terroristisch motivierter Ausreisen. Die in Absatz 2 Nr. 2 und 3 normierten Verschaffungstatbestände lassen sich auf Art. 3 Abs. 1 Buchst. f) der Richtlinie zurückführen. Zwar ist einer „reflexartige Exekution“ europarechtlicher Vorgaben durch den Gesetzgeber gerade auf dem Gebiet des Strafrechts grundsätzlich mit Zurückhaltung zu begegnen, da insbesondere der Schuldgrundsatz zur absolut geschützten Identität der Verfassung gehört und Bestandteil der Ewigkeitsklausel nach Art. 79 Abs. 3 GG ist.251 Der Anwendungsvorrang des europäischen Rechts in einem kohärenten Mehrebenensystem kann daher auch im Falle des

243 BGHSt 50 252. 244 BVerfGE 28 175, 186; Griesbaum FS Nehm 125, 128; Griesbaum FS Breidling 121, 125; Griesbaum/Wallenta NStZ 2013 369, 371. 245 Sieber GS Vogel 351, 366. 246 Vgl. Bader NJW 2009 2853, 2954; BTDrucks. 16/12428 S. 12. 247 BVerfGE 49 24, 56; BVerfGE 115 320, 357; BVerfGE 133 277, 333; BVerfGE 141 220, 267; BGHSt 62 102, 113. 248 Griesbaum FS Nehm 125, 128; Griesbaum/Wallenta NStZ 2013 369, 371; vgl. Weißer ZStW 121 (2009) 131, 136. 249 Vgl. Bäcker S. 376; Sieber NStZ 2009 358, 358 f. 250 Engelstätter GSZ 2019 95, 97; vgl. auch Heger HRRS 2012 211, 213; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Vogel/Eisele AEUV Art. 83 Rdn. 21. 251 Landau EuGRZ 2016 505, 507. 165

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Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

§ 89a nicht absolut gelten, sondern bedarf der Überprüfung und Abwägung im Einzelfall. Dies steht einer aus Art. 23 GG folgenden Berücksichtigung der Inhalte der Terrorismusrichtlinie bei Legitimation und Auslegung der Norm jedoch auch nicht entgegen, zumal die Nichtbeachtung unionsrechtlicher Vorgaben aufgrund einer Beeinträchtigung der Verfassungsidentität durch das BVerfG im Lissabon-Urteil nicht als Regel- sondern als Ausnahmefall konzipiert worden ist.252 Die Europafreundlichkeit des GG gebietet vielmehr, Konflikte des nationalen Rechts mit unionsrechtlichen Vorgaben nach Maßgabe eines konstitutionellen Rechtspluralismus vorrangig im Wege der Auslegung zu lösen.253 Hierbei wäre die Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG ohne Zweifel, aber eben erst auch dann, überschritten, soweit das europäische Terrorismusstrafrecht lediglich als Steuerungsinstrument zur Durchsetzung gesellschaftspolitischer Ziele und nicht als sittlich-ethische Missbilligung eines außerhalb der demokratischen Werteordnung liegenden Verhaltens einzuordnen wäre.254 Dieser Befund gewinnt umso mehr an Gewicht, als dass sich die durch § 89a mit Kriminalstra62 fe bedrohten Handlungen nicht nur auf die EU-Richtlinie, sondern auch auf andere internationale Verpflichtungen stützen lassen. Dies gilt zunächst für das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus (Rdn. 20). Art. 7 des Abkommens in seiner ursprünglichen Fassung begründet schon seit seiner Ratifizierung im Jahr 2011 die völkerrechtlich verbindliche Verpflichtung, den Ausbilder einer terroristisch motivierten Unterweisung mit Kriminalstrafe zu bedrohen. Mit der Ratifizierung des Zusatzprotokolls ist das Abkommen für die Bundesrepublik Deutschland auch hinsichtlich der weiteren Ausbildungs- und Ausreisetatbestände des § 89a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2a verbindlich.255 Die Ausreisetatbestände des Absatzes 2a lassen sich zudem auf die UN-Resolution 2178/2014 stützen, die ebenfalls die Verpflichtung Deutschlands begründet, entsprechende Sachverhalte mit Kriminalstrafe zu bedrohen (Rdn. 18).

63 (1) Hochzonung der subjektiven Anforderungen. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erscheint es vorrangig geboten, § 89a im Wege der verfassungskonformen Auslegung einen mit dem GG vereinbaren Inhalt zu verleihen, anstatt allein schon aufgrund der Vorverlagerung der Strafbarkeit pauschal von der Verletzung zentraler verfassungsrechtlicher Vorgaben auszugehen. Ist das durch den Täter in objektiver Hinsicht verwirklichte Unrecht im Einzelfall als niederschwellig anzusetzen, bieten sich regelmäßig qualifizierte Vorsatzanforderungen an, um die Balance zwischen den internationalen Vorgaben, dem nationalen Verbot eines Gesinnungsstrafrechts, den Vorstellungen des Gesetzgebers und dem Gebot der effektiven Bekämpfung terroristischer Straftaten zu wahren.256 Eine generelle Systematik zu den subjektiven Anforderungen bei Vorbereitungsdelikten ist dem deutschen Strafrecht nicht zu entnehmen. Zwar reicht für einige Vorbereitungstatbestände wie §§ 80, 149, 202c, 275 in subjektiver Hinsicht bereits dolus eventualis. Andererseits verlangt gerade § 310, dem Teile des § 89a Abs. 2 Nr. 2, 3 nachgebildet sind, dass der Täter das von ihm vorbereitete Sprengstoffverbrechen absichtlich fördern muss.257 Generell gilt jedoch: Wer eine objektiv neutrale, für sich genommen kein Unrecht tragende Handlung vornimmt, lädt gleichwohl „Tatschuld“ auf sich, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits eindeutig gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat und sich hinsichtlich

252 Zum Prüfungsmaßstab vgl. BVerfGE 123 267, 413; BVerfGE 126 286, 302; BVerfGE 129 78, 100; BVerfGE 134 366, 384; BVerfG NJW 2016 1150, 1152. 253 Burchard GS Vogel 27, 37; Fischer/Hilgendorf/Engelstätter S. 181, 190 f. 254 Vgl. Landau EuGRZ 2016 505, 507. 255 BGBl. II 2019 S. 636; vgl. BTDrucks. 19/9507 S. 11 ff. 256 Aliabasi S. 294; Kauffmann S. 237; Sieber NStZ 2009 353, 360; Sieber/Vogel S. 151; vgl. auch Rackow FS Maiwald 615, 624 ff. 257 Vgl. zu den einzelnen Delikten Mayk S. 142-144; speziell zu § 310 StGB siehe Fischer § 310 Rdn. 5; Lackner/Kühl/ Heger § 310 Rdn. 3; Sch/Schröder/Heine-Bosch § 310 Rdn. 7; Wolff LK12 § 310 Rdn. 13. Engelstätter

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89a

zukünftiger auch objektives Unrecht verwirklichender Verhaltensweisen festgelegt hat.258 Nach diesem Maßstab stellt die durch den BGH vorgenommene Erhöhung der Anforderungen an das „Ob“ der Gewalttat im Rahmen des subjektiven Tatbestands des § 89a – zumindest für die Fälle, in denen der Täter die vorbereitete Gewalttat auch selbst ausführen will – den einzig überzeugenden Ansatz dar, der nicht nur den Anforderungen des Tat- und Schuldprinzips sondern auch den bestehenden völker- wie unionsrechtlichen Verpflichtungen sowie dem gesetzgeberischen Willen gerecht wird, organisationsungebundene Einzeltäter schon vor Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat strafrechtlich zu verfolgen.259 Nur auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass abstrakt gefährliche Handlungen und nicht präsumtiv gefährliche Täter bestraft werden. § 89a begründet auf diese Weise weder eine Strafbarkeit für Personen, die eine von der Vorschrift objektiv erfasste Tathandlung vornehmen, ohne dass diese auf die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gerichtet ist, noch für Personen, die diese subjektive Vorstellung haben, ohne sie durch eine der im Tatbestand genannten Tathandlungen nach außen zu manifestieren.260 Der Wille des Gesetzgebers steht dieser Auslegung nicht entgegen. Zwar hatte der Gesetzge- 64 ber für § 89a zunächst geringere Anforderungen an den subjektiven Tatbestand vor Augen.261 Diesem Befund kommt auch gewisses Gewicht zu, da eine verfassungskonforme Auslegung gegen den gesetzgeberischen Willen nicht möglich ist.262 Indes relativiert er sich mittlerweile dadurch, dass der Gesetzgeber als unmittelbare Reaktion auf die Entscheidung des BGH vom 8.5.2014 ein Absichtserfordernis in den neugefassten Absatz 2a aufgenommen und damit den von der Rechtsprechung eingeschlagenen Lösungsweg in der Sache akzeptiert hat.263 Unbeschadet dessen trägt der mit der Hochzonung der subjektiven Anforderungen gleichzeitig verbundene Verzicht auf Reduktionen im Bereich des objektiven Tatbestands dem gesetzgeberischen Willen in einem zentralen Punkt auch Rechnung, nämlich sämtliche Erscheinungsformen terroristischer Einzeltäter zu erfassen – von der paramilitärischen Ausbildung in einem Ausbildungslager einer terroristischen Vereinigung im Ausland264 bis hin zu im Geheimen werkelnden Einzeltätern, die aus Alltagsgegenständen wie Zündhölzern, Lichterketten, Glühbrückenzündern, Teethermometern und Einwegspritzen eine Bombe bauen.265

(2) Fremd- und Eigenvorbereitung. Ob eine Hochzonung der Vorsatzanforderungen für alle 65 Varianten des § 89a erforderlich ist, erscheint dagegen zweifelhaft. Der BGH hat sich bislang nur für die Fallkonstellationen festgelegt, in denen der Täter eine staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, die er selbst auch begehen will (sog. Eigenvorbereitung). Ob dies auch erforderlich ist, wenn der Täter die Tat eines Dritten vorbereitet (sog. Fremdvorbereitung), hat der Senat offen gelassen.266 In der Literatur finden sich Stimmen, die in derartigen Fällen von einer Hochzonung der subjektiven Anforderungen hinsichtlich des „Ob“ der Gewalttat absehen wollen und dolus eventualis als hinreichende Vorsatzform erachten.267 Dies gilt insbesondere für die Überlassung von sowie die Ausbildung an Gegenständen, die nur oder ganz überwiegend deliktisch

258 259 260 261 262

Landau EuGRZ 2016 505, 510. Schäfer MK Rdn. 8. BGH NJW 2017 2693, 2694; BGH StV 2018 103, 105. Vgl. BTDrucks. 16/12428 S. 14; Aliabasi S. 312; Fischer Rdn. 37a; Kauffmann S. 96; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4. Vgl. BVerfGE 54 277, 299; BVerfGE 71 81, 105; BVerfGE 86 288, 320; BVerfGE 90 263, 275; BVerfGE 130 372, 398; Valerius FS Heintschel-Heinegg 460, 467. 263 BTDrucks 18/4087 S. 8, 11. 264 Vgl. hierzu BGH BeckRS 2016 115077 Rdn. 5 und BGH NStZ-RR 2018 42. 265 Vgl. hierzu BGH BeckRS 2018 10518 Rdn. 7. 266 BGHSt 59 218, 240. 267 Mayk S. 165; Puschke S. 365 f., 423; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1e, 19; Sieber/Vogel S. 143, 151; aA Aliabasi S. 315. 167

Engelstätter

§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

genutzt werden können.268 Konstellationen der Fremdvorbereitung sind in § 89a an zwei Stellen geregelt. Die praktisch größte Bedeutung kommt dabei dem terroristischen Ausbilder in Absatz 2 Nr. 1 zu, der in konspirativer oder paramilitärischer Umgebung – insbesondere in einem Ausbildungslager einer terroristischen Vereinigung – eine andere Person in Fähigkeiten unterweist, die diese zur Begehung einer Gewalttat verwenden kann. Weitere Fälle der Fremdvorbereitung finden sich in Absatz 2 Nr. 2. Danach wird bestraft, wer einem Dritten bestimmte Tatmittel verschafft oder überlässt. Beide Fälle unterscheiden sich von den übrigen Konstellationen des § 89a Abs. 2 dadurch, dass der Vorbereitungstäter durch die Unterweisung eines Dritten oder die Verschaffung von Tatmitteln ein Gefährdungspotential schafft, das er selbst nicht mehr beherrschen kann. Das durch die Verwirklichung dieser Tatbestände geschaffene Risiko liegt damit höher als in den anderen Konstellationen des Absatzes 2, in denen der Täter eine eigene Tat vorbereitet, von deren Ausführung er selbst dann noch absehen kann, wenn er alle wesentlichen Fähigkeiten erlernt (Absatz 2 Nr. 1) oder alle wesentlichen Tatmittel, Vorrichtungen und Zutaten erworben und verarbeitet hat (Absatz 2 Nr. 2, 3). Dies kann es, soweit die Unterweisung an konkret geeigneten Tatmitteln oder die Weitergabe von deliktspezifischen Gegenständen in Rede steht, rechtfertigen, von erhöhten Anforderungen an den subjektiven Tatbestand abzusehen und zumindest für diese Tathandlungen grundsätzlich dolus eventualis genügen zu lassen. Dies wird namentlich in Betracht kommen, wenn die Vorbereitungshandlung rechtlich zu missbilligen ist, also Tatmittel gestohlen oder weitergegeben werden oder der Ausbilder aus Rechtsgründen nicht zur Unterweisung des Gewalttäters befugt ist.

66 (3) Neutrale Handlungen. Dolus eventualis scheidet dagegen aus bei der Bewertung neutraler, berufsbezogener Handlungen, selbst wenn es hierbei zur Ausbildung an konkret geeigneten Tatmitteln oder Überlassung deliktsspezifischer Gegenstände kommen sollte. Hier ist zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Tat- und Schuldprinzip eine Hochzonung der subjektiven Anforderungen bis zur Schwelle des dolus directus 2. Grades i. S. e. wissentlichen Handelns geboten.269 In der Rechtspraxis geht es hierbei vor allem um Konstellationen des Absatzes 2 Nr. 1, in denen der Täter gegenüber einem eine schwere staatsgefährdende Gewalttat beabsichtigenden Dritten eine an sich rechtmäßige Unterweisungsleistung erbringt, sei es als Fluglehrer oder als Waffenausbilder bei der Bundeswehr. In Betracht kommen aber auch Konstellationen des Absatzes 2 Nr. 2, in denen Mitarbeiter eines Baumarkts, eines Waffengeschäfts, Kaufhauses oder einer Apotheke einem gewaltbereiten Dritten Chemikalien oder Waffen verkaufen, die dieser zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat einsetzen will. Die Strafbarkeit berufsbezogener Handlungen, die durch einen Dritten für deliktische Zwe67 cke verwendet werden, wird im Bereich des § 27 z. B. für Dienstleistungen von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern oder Bankangestellten diskutiert.270 In Rechtsprechung und Literatur werden insoweit verschiedene Restriktionsansätze vorgeschlagen, die teilweise auf die Sozialadäquanz der zu bewertenden Handlung,271 teilweise auf die innere Willensrichtung des potentiellen Gehilfen abstellen.272 Nach dem BGH sind neutrale Handlungen für eine Beihilfestrafbarkeit dann relevant, wenn der Hilfeleistende i. S. e. dolus directus 2. Grades sicher weiß, dass der Haupttäter seine Dienstleistung für eigenes strafbares Verhalten nutzen will. Hält er ein derartiges Vorgehen dagegen nur für möglich, ist er straflos, es sei denn, es liegen im Einzelfall konkrete Umstände vor, die sein Vertrauen in das legale Verhalten des

268 269 270 271 272

Sieber NStZ 2009 358, 359; vgl. auch Frisch FS Fischer 315, 324. AA Mayk S. 206 ff. – auch hier dolus eventualis ausreichend. BGH NStZ 2017 461, 462; Fischer § 27 Rdn. 18; Sch/Schröder/Heine/Weißer § 27 Rdn. 9 ff. Hassemer wistra 1995 41, 81; Weigend FS Nishihara 191, 202 f. Fischer § 27 Rdn. 19c; Heghmanns GA 2000 473, 479; Sch/Schröder/Heine/Weißer § 27 Rdn. 13.

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89a

anderen erschüttern müssen.273 Diese Grundsätze lassen sich auf § 89a für die Fälle übertragen, in denen der Täter die Tat eines Dritten durch eine an sich legale berufsbezogene Handlung vorbereitet.274 Zwar verwirklicht der Täter einer Tat nach § 89a anders als der Gehilfe gem. § 27 eigenständiges und nicht akzessorisches Unrecht.275 Eine strukturelle Ähnlichkeit der Problematik innerhalb § 89a zu den i. R. d. § 27 ausgetauschten Argumenten ist jedoch gleichwohl gegeben. So wird die Vorbereitungshandlung nach § 89a im Falle der Verwirklichung der Gewalttat regelmäßig auch an den Voraussetzungen des § 27 zu messen sein. Ein Grund, den Vorbereitungstäter schlechter zu stellen als den Gehilfen der Haupttat ist jedoch nicht ersichtlich, zumal das Verwirklichungsstadium der Gewalttat im Einzelfall oft vom Zufall abhängig ist.

c) Strafrahmen. Im Ergebnis besteht kein Missverhältnis zwischen Art und Höhe der ange- 68 drohten Sanktion und dem unter Strafe gestellten Verhalten.276 Zwar erscheint problematisch, dass § 89a nicht zwischen dem Gefährdungsgrad der einzelnen Vorbereitungshandlungen differenziert und insbesondere die terroristisch motivierte Ausreise in Absatz 2a demselben Strafrahmen unterwirft, wie die sich im Regelfall erst an die Ausreise anschließende terroristisch motivierte Ausbildung.277 Dass die Höchststrafe von zehn Jahren jedoch in allen denkbaren Fällen unangemessen wäre, ist angesichts der geschützten Rechtsgüter sowie des möglichen Gewichts der durch den Täter geplanten Gewalttat nicht ersichtlich. Zumindest im Bereich der Tatmittelbeschaffung gem. Absatz 2 Nr. 2, 3 wird der Tatbestand i. d. R. mit Straftatbeständen des Nebenstrafrechts aus dem Bereich des Kriegswaffen-, Sprengstoff-, Chemikalien- und Atomrechts konkurrieren, was für sich genommen einen erheblichen Strafrahmen rechtfertigen kann.278 Der Übergang zu einem – ebenfalls mit einer Höchststrafe von zehn Jahren geahndeten – Verbrechen nach § 310 Abs. 1 kann fließend sein und im Wesentlichen nur von der Konkretisierung der Anschlagsplanung abhängen.279 § 310 Abs. 1 Nr. 1 selbst aber sieht – soweit es um die Vorbereitung eines Strahlungsverbrechens geht, die bei entsprechender staatsgefährdender Motivation des Täters auch von § 89a Abs. 2 Nr. 2, 3 erfasst wäre – eine Mindeststrafe von einem Jahr vor. Im Übrigen kann sich auch eine Einzelperson in ihrem Tatplan verstricken; dies gilt insbesondere für einen Täter, der ausnahmslos mit anderen Nutzern des Internets kommuniziert und dadurch anonym bleibt. Ein Ausstieg aus einem derartigen Umfeld dürfte eher unwahrscheinlich sein, zumal es an Einflüssen von außen fehlt, die den Täter in seiner ideologischen Motivation erschüttern könnten.280 Zwar können unter den Tatbestand auch Handlungen subsumiert werden, die einen geringen Unrechts- sowie Schuldgehalt aufweisen. Dem kann jedoch bei der Zumessung der Rechtsfolgen bis hin zur Annahme eines minder schweren Falles gem. Absatz 5 Rechnung getragen werden.281 Nach Absatz 7 kann das Gericht – unbeschadet der Möglichkeit der Einstellung aus Opportunitätsgesichtspunkten gem. §§ 153, 153a StPO – zudem die Strafe nach seinem Ermessen gemäß § 49 Abs. 2 mildern oder sogar vollständig von Strafe absehen.

273 274 275 276

BGHSt 46 107, 112 ff.; BGH NStZ 2000 34; BGH NStZ 2004 41, 43; BGH NStZ 2017 461, 462. Ähnlich Frisch FS Fischer 315, 332. Mayk S. 206. BGHSt 59 218, 228; Aliabasi S. 353; Kauffmann S. 201; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1f; aA Fischer Rdn. 45; Frisch FS Fischer 315, 333; Haverkamp FS Schöch 381, 397; Hellfeld S. 217; Hungerhoff S. 59; Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 391; Steinsiek S. 362 ff. 277 Paul FS Graulich 135, 150. 278 Sieber NStZ 2009 353, 361. 279 Aliabasi S. 351; Kauffmann S. 198. 280 Rackow FS Maiwald 615, 630, 640; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1 f. 281 BGHSt 59 218, 229; Schäfer MK Rdn. 78; Rautenberg S. 349; aA Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 392. 169

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

4. Völkerrechtskonformität gem. Art. 25 GG 69 § 89a enthält räumliche Ausdehnungen der deutschen Strafgewalt. Diese stehen im Spannungsfeld zu dem völkergewohnheitsrechtlich seit der Lotus-Entscheidung des IStGH aus dem Jahr 1927 anerkannten Grundsatz der Nichteinmischung, der verhindern soll, dass ein Staat seine Strafgewalt willkürlich über sein eigenes Territorium auf das Gebiet anderer Staaten der Weltgemeinschaft ausdehnt.282 Verankert im GG wird das völkerrechtliche Interventionsverbot über Art. 25 Abs. 1 Satz 2 GG. Danach ist der Gesetzgeber nicht nur verpflichtet, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beachten. Diese haben auch Vorrang vor ihnen widersprechenden Bundes- oder Landesgesetzen. Ein Verstoß gegen Art. 25 GG führt zwar nicht zur Grundgesetzwidrigkeit des jeweiligen Gesetzes, hat aber seine Nichtanwendbarkeit zur Folge.283 70 Nach dem Gesetzeswortlaut schützt Absatz 1 S. 2 nicht nur die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, sondern allgemein die Sicherheit eines Staates. Weitere Voraussetzungen für die Ausdehnung deutscher Strafgewalt folgen aus Absatz 3. Satz 1 erweitert hier den Anwendungsbereich zunächst auf das gesamte Territorium der EU. Sodann begründet Satz 2 die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auch darüber hinaus, allerdings nur unter den einschränkenden Voraussetzungen, dass die Vorbereitungshandlung entweder durch einen deutschen Staatsbürger (Var. 1) oder durch einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland (Var. 2) begangen wird oder die Gewalttat in Deutschland (Var. 3) oder durch einen deutschen Staatsbürger verübt wird (Var. 4) oder sich gegen einen Deutschen richtet (Var. 5). Ob diese Regelungen völkerrechtlich zulässig sind, ist lebhaft umstritten. Das Völkerrecht kann zwar die Durchbrechung des Nichteinmischungsgrundsatzes im Einzelfall gestatten, dies jedoch nur dann, wenn die entsprechende Regelung auf einen sachlichen Anknüpfungspunkt – einen genuine link – zurückzuführen ist. Dieser kann sich für Taten nach § 89a u. a. aus dem Territorialitätsprinzip, dem aktiven oder passiven Personalitätsprinzip, dem Schutzgrundsatz oder dem Weltrechtsprinzip ergeben, die sich jeweils auch in den nationalen Vorschriften des deutschen Strafanwendungsrechts der §§ 3 ff. widerspiegeln.284

71 a) Ansätze der Rechtsprechung. Die Rechtsprechung hat die Ausdehnung des Schutzbereichs von § 89a auf alle Staaten der Weltgemeinschaft bis dato nicht beanstandet, die Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem völkerrechtlichen Interventionsverbot aber auch nicht eingehend erörtert.285 Der BGH hat allerdings eine zurückhaltende, den konkreten Umständen angemessene Anwendung der Vorschrift auf ausländische Sachverhalte angemahnt und dies insbesondere auf Sachverhalte bezogen, die sich in bereits lange andauernden bewaffneten Konflikten ereignen, sich auf dem Gebiet eines oder mehrerer ausländischer Staaten zutragen und wesentlich durch massive Gewalthandlungen der an dem Konflikt beteiligten zahlreichen Parteien und Gruppierungen geprägt sind.286 Hier kann das Gebot der Nichteinmischung in innerstaatliche Konflikte ausländischer Staaten eine einschränkende Auslegung der Staatsschutzklausel in Fällen gebieten, in denen eine Ausbildung i. S. d. Absatz 2 Nr. 1 nur zur eigenen Verteidigung gegen staatliche Kräfte, aber auch gegen andere Gruppierungen erfolgt (s. Rdn. 82, 95).287

72 b) Meinungsstand in der Literatur. In der Literatur wird die Vereinbarkeit von § 89a mit den völkerrechtlichen Prinzipien des Strafanwendungsrechts eingehend erörtert und im Ergebnis un282 283 284 285

StIGHE 5 71, 90; BGHSt 44 52, 55; Pottmeyer NStZ 1992 57, 58; Roegele S. 49; Schiemann JR 2017 339. Jarass/Pieroth/Jarass Art. 25 GG Rdn. 18; Sachs/Streinz Art. 25 GG Rdn. 93; Steinsiek S. 284. Roegele S. 50 ff.; Schiemann JR 2017 339. BGHSt 61 36, 39; BGHSt 62 103, 106; BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 39; BGH BeckRS 2019 6797 Rdn. 24; OLG München StV 2016 505, 506; OLG Stuttgart BeckRS 2014 Rdn. 16. 286 BGHSt 61 36, 42; Schäfer MK Rdn. 19. 287 BGHSt 61 36, 42. Engelstätter

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89a

terschiedlich bewertet. Einigkeit besteht insoweit, dass die strafanwendungsrechtlichen Regelungen des § 89a unglücklich im besonderen Teil des StGB platziert worden sind. Sachgerechter wäre es gewesen, sie in das allgemeine Strafanwendungsrecht, insbesondere in einen der Katalogtatbestände des § 5 oder des § 6, zu integrieren.288 Unbeschadet dessen vermisst ein Teil der Literatur aber auch rechtlich sinnvolle Anknüpfungspunkte an die völkerrechtlichen Prinzipien.289 Insbesondere die Regelung des Absatzes 3 Satz 2 lasse sich, soweit es um Taten von und gegen deutsche Staatsbürger gehe, nur über eine Kombination aus aktivem wie passivem Personalitätsprinzip rechtfertigen. Ein solches sei aber völkerrechtlich zweifelhaft bis problematisch.290 Dies gelte auch für Taten von Ausländern mit Lebensgrundlage im Inland (sog. Domizilprinzip).291 Andere Teile der Literatur sehen dagegen zumindest in der Ausdehnung der Strafgewalt auf 73 das Gebiet der EU gem. Absatz 3 Satz 1 eine völkerrechtskonforme Regelung, die vornehmlich über ein europäisches Territorialitäts- oder Schutzprinzip i. V. m. den Regelungen des zwischenzeitlich allerdings durch die EU-Richtlinie (EU) 2017/541 ersetzten Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung 2008/919/JI gerechtfertigt sei.292 Auch für die Ausdehnung deutscher Strafgewalt außerhalb der EU werden verschiedene Rechtfertigungsansätze vorgeschlagen. Sie berufen sich in erster Linie auf eine innerhalb der Staatengemeinschaft gestiegene Akzeptanz des aktiven Personalitäts- und des Domizilprinzips, sodass zumindest Taten deutscher Staatsbürger sowie von Ausländern mit Lebensgrundlage im Inland weltweit durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden verfolgt werden könnten.293 Globaler argumentierende Ansätze vertreten zudem die These, dass das Weltrechtsprinzip Taten mit terroristischer Motivation aufgrund der Vielzahl der in diesem Bereich abgeschlossenen Abkommen erfassen soll, auch wenn die jeweilige Tat nicht im Katalog des § 6 enthalten ist.294 Andere Autoren greifen schließlich auf das in § 6 Nr. 9 geregelte Vertragsprinzip zurück, das die Strafverfolgungszuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland begründet, wenn diese sich hierzu in einem innerstaatlichen Abkommen verpflichtet hat. Für die in § 89a Abs. 2 geregelten Vorbereitungshandlungen soll insoweit vor allem die Resolution des UN-Sicherheitsrat 1373/2001 einschlägig sein.295

c) Bewertung. Die Verfassungsmäßigkeit der Ausweitung der deutschen Strafgewalt durch die 74 einzelnen Regelungen des § 89a kann nicht ohne die aktuelle Rechtsentwicklung auf internationaler Ebene bewertet werden, da nur schwerlich von einem Verstoß gegen das Nichteinmischungsprinzip die Rede sein kann, wenn Deutschland in Erfüllung einer völkerrechtlich bindenden, auf Grund eines zwischenstaatlichen Abkommens übernommenen Verfolgungspflicht Auslandstaten nach deutschem Strafrecht ahndet.296 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist mittlerweile im Ergebnis davon auszugehen, dass die Regelungen des § 89a Abs. 3 grundsätzlich mit den Vorgaben des Völkerrechts und damit auch mit Art. 25 Abs. 1 Satz 2 GG im Einklang stehen und verbleibende Einzelfragen durch einschränkende Auslegungen auf Rechtsanwendungsebene zu lösen sind.

288 Rautenberg S. 386; Schiemann JR 2017 339, 346. 289 Deckers/Heusel ZRP 2008 169, 172; Gazeas AnwK Rdn. 78; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 600; Paeffgen NK Rdn. 68; Zöller S. 578; ders. SK Rdn. 39 ff.

290 Rautenberg S. 400; Valerius GA 2011 696, 704; Zöller StV 2012 364, 371; differenzierend Hellfeld S. 233: nur passives Persönlichkeitsprinzip völkerrechtswidrig.

291 Deckers/Heusel ZRP 2008 169, 172; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 600; Roegele S. 122; Steinsiek S. 294; Zöller S. 579; aA Ambos MK vor § 3 Rdn. 31; Kauffmann S. 292. 292 Hellfeld S. 231; Mayk S. 125; Kauffmann S. 282; Rautenberg S. 389; Schäfer MK Rdn. 61; Sch/Schröder/SternbergLieben Rdn. 21; einschr. Gazeas AnwK. Rdn. 78. 293 Mayk S. 127; Kauffmann S. 289; Hungerhoff S. 174; Roegele S. 72. 294 Ambos MK vor § 3 Rdn. 53 ff.; Mayk S. 122; aA Hungerhoff S. 159; Roegele S. 108; Steinsiek S. 298. 295 Aliabasi S. 215; Steinsiek S. 301; krit. Payandeh ZRP 2014 241, 244. 296 BGHSt 46 292, 307; Ambos MK § 6 Rdn. 5; Böse NK § 6 Rdn. 8; Hilgendorf JR 2002 82, 83. 171

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

75 aa) Europäischer Territorialitäts- und Schutzgrundsatz. Absatz 3 Satz 1 lässt sich über den Gedanken eines europäischen Territorialitäts- und Schutzgrundsatzes rechtfertigen.297 Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 der EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 kann jeder Mitgliedstaat seine Gerichtsbarkeit auch für Straftaten begründen, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begangen wurden. Anders als die Vorgängerregelung des Rahmenbeschlusses erfasst die Richtlinie (EU) 2017/541 alle Tathandlungen des § 89a. Sie gilt nicht mehr nur für den terroristischen Ausbilder (Art. 7), sondern auch für den Auszubildenden (Art. 8) und die terroristisch motivierte Ausreise (Art. 9). Die Beschaffung von Tatmitteln und Grundstoffen i. S. v. Absatz 2 Nr. 2, 3 wird in vergleichbarer Weise durch Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) der Richtlinie erfasst. Zwar ist umstritten, ob Richtlinien der EU im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG als völkerrechtliche Abkommen i. S. d. § 6 Nr. 9 einzuordnen sind, da die aus ihnen folgenden Verpflichtungen nicht durch den nationalen Gesetzgeber beschlossen worden sind.298 Dies kann aber dahinstehen, da sich der europäische Schutzgrundsatz auch unmittelbar aus dem Vertrag von Lissabon ableiten lässt,299 in jedem Fall aber als Erweiterung des Staatsschutzprinzips völkerrechtlich abgesichert ist.300 Eine Ausnahme kommt jedoch hinsichtlich Dänemark und Irland in Betracht, die gem. Art. 1 und 2 EUV i. V. m. den Protokollen Nr. 21, 22 zum AEUV nicht an die Maßnahmen der Union zur Terrorismusbekämpfung gebunden sind.301 Im Übrigen verpflichtet sich die EU in Art. 67 Abs. 3 AEUV im Rahmen des Raums, der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts dazu, ihren Bürgern ein „hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten.“302 Art. 83 Abs. 1 AEUV ermächtigt die Union, für den Bereich des Terrorismus Richtlinien mit Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen zu erlassen. Mit der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 hat die EU nicht nur von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht, sondern auch den Schutz der Unionsbürger vor terroristisch motivierten Handlungen durch strafrechtliche Maßnahmen konkretisiert.

76 bb) Vertragsgebiet des Europarats. Auch die Ausweitung der Strafgewalt gem. Absatz 3 Satz 2 über das Gebiet der EU hinaus ist völkerrechtlich zulässig. Für die 37 Mitgliedstaaten der Konvention des Europarats zur Verhütung des Terrorismus aus dem Jahr 2005303 folgt dies in Teilen bereits aus § 6 Nr. 9.304 Nach Ratifizierung des Zusatzprotokolls305 gilt die Konvention für alle Ausbildungs- und Ausreisetatbestände des § 89a, nicht aber für die Verschaffungstatbestände des Absatzes 2 Nr. 2 und Nr. 3.306 Art. 14 des Abkommens verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland zum Erlass von Vorschriften über die Gerichtsbarkeit, die im Wesentlichen den Varianten 1 bis 5 des § 89a Abs. 3 Satz 2 entsprechen. Dies gilt nicht nur für Auslandstaten der Staatsangehörigen des jeweiligen Vertragslandes (Art. 14 Abs. 1 Buchst. c) des Abkommens), sondern auch für Straftaten von staatenlosen Personen, die in diesen Staaten ihren Lebensmittelpunkt haben (Art. 14 Abs. 2 Buchst. d) des Abkommens). Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) bis c) statuiert schließlich das passive Personalitätsprinzip und erfasst terroristische Straftaten, die sich gegen die Mitgliedstaaten oder deren Staatsangehörige richten.

297 Mayk S. 125; Kauffmann S. 282; Schäfer MK Rdn. 61; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; einschr. Gazeas AnwK. Rdn. 78.; vgl. Herzog/El-Ghazi § 89c Rdn. 46 für § 89c Abs. 3 StGB; aA weiterhin Zöller SK Rdn. 40. 298 Böse NK § 6 Rdn. 19; aA Ambos MK § 6 Rdn. 17; Schiemann JR 2017 339, 341. 299 Ambos MK vor § 3 Rdn. 37; Böse NK vor § 3 Rdn. 32. 300 Werle/Jeßberger LK13 vor § 3 Rdn. 270, 271. 301 Vgl. Erwägungsgründe (41), (42) der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541. 302 Hummer ZEuS 2017 145, 154. 303 SEV Nr. 196; in Kraft getreten am 1.6. 2007, BGBl. II 2011 S. 300. 304 Ambos MK § 6 Rdn. 17; SSW/Satzger § 6 Rdn. 14; erforderlich ist die Verabschiedung eines parlamentarischen Zustimmungsgesetzes (Art. 59 Abs. 2 GG) sowie seine Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt II. 305 BGBl. II 2019 S. 636. 306 Zu den Tatbeständen des Zusatzprotokolls vgl. BTDrucks. 19/9507 S. 11. Engelstätter

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89a

cc) Aktives Personalitätsprinzip und Domizilprinzip. Soweit Absatz 3 Satz 2 die deutsche 77 Strafgewalt für deutsche Staatsangehörige (Absatz 3 Satz 2 Var. 1) und Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland (Absatz 3 Satz 2 Var. 2) auch außerhalb der EU und des Vertragsgebiets des Europarats begründet, steht dies ebenfalls im Einklang mit den völkerrechtlichen Vorgaben.307 Auch insoweit handelt die Bundesrepublik mittlerweile in Erfüllung unionsrechtlicher Verpflichtungen. Insbesondere Art. 19 Abs. 1 Buchst. c) der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 verpflichtet die Mitgliedstaaten auch außerhalb der Union zur Verfolgung terroristischer Straftaten eigener Staatsbürger oder bei ihnen gebietsansässiger Personen. Völkerrechtlich lässt sich dies auf das aktive Personalitätsprinzip in Verbindung mit dem Domizilprinzip stützen. Während ersteres bereits völkergewohnheitsrechtlich Anerkennung gefunden hat, in seinen Voraussetzungen jedoch eine gewisse Einheitlichkeit der Staatenpraxis hinsichtlich des konkreten Deliktsbereichs verlangt,308 ist die Anerkennung der Reichweite des Domizilprinzips noch im Vordringen begriffen. Mittlerweile ist es jedoch zumindest für staatenlose Personen in zahlreichen Abkommen enthalten, sodass es zumindest insoweit als genuine link herangezogen werden kann.309 Für den Bereich des Terrorismusstrafrechts veranschaulicht dies nicht nur Art. 19 Abs. 1 Buchst. c) der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 sondern auch Art. 14 Abs. 1 Buchst. c), Abs. 2 Buchst. d) des Abkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus. Für terroristisch motivierte Ausreisen ist zudem die Resolution 2178 (2014) des Sicherheitsrats zu berücksichtigen (s. Rdn. 18).

dd) Passives Personalitätsprinzip. Auch die unter Absatz 3 Satz 2 Var. 3 bis 5 fallenden Tat- 78 handlungen sind aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.310 Die Vorschrift erfasst alle Auslandstaten von Ausländern ohne Gebietsansässigkeit in der Bundesrepublik, bei denen die letztlich vorbereitete Gewalttat durch einen Deutschen begangen, in Deutschland verübt werden oder sich gegen einen Deutschen richten soll. Soweit diesen Regelungen ein hypothetisches Territorialitäts- und passives Personalitätsprinzip zugrunde liegt,311 ist dies aus völkerrechtlicher Sicht zwar grundsätzlich problematisch, zumal das passive Personalitätsprinzip selbst in seiner völkerrechtlichen Anerkennung und Reichweite mangels einheitlicher Handhabung durch die Staatengemeinschaft teils erheblicher Kritik ausgesetzt ist.312 Dem steht jedoch entgegen, dass sich der Gesetzgeber bei diesen Varianten für einen konsequenten Inlandsbezug entschieden hat, der zwar mitunter schwierig festzustellen sein mag, im Einzelfall aber durchaus auch kumulativ vorliegen kann, z. B. wenn ein Ausländer außerhalb der EU einen deutschen Staatsbürger auf die Begehung eines Anschlags in Deutschland vorbereitet, bei dem ausschließlich deutsche Staatsangehörige zu Schaden kommen sollen. Mittlerweile lässt sich aber auch diese Vorschrift auf eine unionsrechtliche Verpflichtung stützen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 1 der EU-Terrorismusrichtlinie (EU) 2017/541 können die Mitgliedstaaten, terroristische Ausbilder, die keine Bürger des jeweiligen Mitgliedstaates sind, strafrechtlich verfolgen, wenn sie einen Staatsangehörigen oder Gebietsansässigen des Mitgliedstaats in der Vorbereitung einer terroristischen Straftat unterweisen.313 Überdies normieren viele Abkommen zum Schutze vor terroristischen Aktivitäten neben dem aktiven auch das passive Personalitätsprinzip, um die

307 308 309 310 311 312 313

Kauffmann S. 289; Schäfer MK Rdn. 62; aA Zöller SK Rdn. 41, 42. Böse NK vor § 3 Rdn. 18; Mayk S. 127; Hungerhoff S. 174; Roegele S. 72. Ambos MK vor § 3 Rdn. 32a; Böse NK vor § 3 Rdn. 18. Werle/Jeßberger LK13 vor § 3 Rdn. 273. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21. Zöller SK Rdn. 44. Ambos MK vor § 3 Rdn. 38; Böse NK vor § 3 Rdn. 20; Roegele S. 81; Werle/Jeßberger LK13 vor § 3 Rdn. 248. Zu den zugrundeliegenden Erwägungen des Unionsgesetzgebers siehe die Mitteilung der Kommission vom 2.12.2015, KOM (2015) 625 endg. S. 25.

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Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

eigene Bevölkerung und das eigene Territorium schützen zu können.314 Auch aus den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats lässt sich eine umfassende Pflicht der Mitgliedstaaten zur Verfolgung von Vorbereitungshandlungen für terroristisch motivierte Straftaten herleiten.315 Es spricht daher Überwiegendes dafür, auch § 89a Abs. 3 Satz 2 Var. 3 bis 5 grundsätzlich als völkerrechtskonforme Regelung zu bewerten und verbleibende Zweifelsfragen durch einschränkende Auslegungen der Norm in der Rechtspraxis zu klären (s. Rdn. 154).

VI. Objektiver Tatbestand 79 Der objektive Tatbestand enthält in Absatz 1 Satz 2 die Legaldefinition des Begriffs der schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Rdn. 80). Die Absätze 2 und 2a konkretisieren die im Einzelnen durch den Gesetzgeber als strafbar angesehenen Vorbereitungshandlungen (Rdn. 96).

1. Schwere staatsgefährdende Gewalttat 80 Der Begriff der schweren staatsgefährdenden Gewalttat ist in Absatz 1 Satz 2 definiert als eine Straftat gegen das Leben in den Fällen des § 211 oder des § 212 oder gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b, die nach den Umständen bestimmt und geeignet ist, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben. Der Gesetzgeber will mit dieser Definition den Kernbereich terroristisch motivierter Handlungen erfassen.316 Durch die Bezeichnung als „schwere“ Gewalttat soll zudem der im Vergleich zu „einfachen“ Gewalttaten gesteigerte Unwert der tatbestandlich erfassten Delikte zum Ausdruck gebracht werden. Dieser erstreckt sich nicht nur auf die Verletzung der hochrangigen Individualrechtsgüter Leben und persönliche Freiheit, erforderlich ist zudem der in der Legaldefinition enthaltene Staatsschutzbezug.317 Insgesamt enthält der Begriff der schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Absatz 1 Satz 2 damit drei Elemente: Die vorbereitete Tat muss zunächst einen der Katalogtatbestände der Vorschrift erfüllen (Rdn. 81). Sie muss darüber hinaus Staatsschutzbezug aufweisen (Staatsschutzklausel – dazu unter Rdn. 84) und schließlich bestimmt und geeignet sein, die staatsschutzbezogenen Rechtsgüter anzugreifen (Eignungsklausel – dazu unter Rdn. 94).

81 a) Katalogtaten. Die vorbereitete Tat muss zunächst einen der vier in Absatz 1 Satz 2 genannten Katalogtatbestände erfüllen. Erfasst werden Straftaten gegen das Leben in den Fällen des § 211 (Mord) und des § 212 (Totschlag) sowie Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a (Erpresserischer Menschenraub) und § 239b (Geiselnahme). Die Aufzählung der Tatbestände ist abschließend. Bereitet also jemand eine Tathandlung vor, die ausschließlich anderen Tatbeständen unterfällt, ist § 89a nicht anwendbar. Seitens der Literatur ist die rechtspolitische Erforderlichkeit der Aufnahme von §§ 239a, b in den Straftatkatalog bezweifelt wor314 Vgl. etwa Art. 5 Abs. 1 Buchst. d) des Internationalen Übereinkommens gegen Geiselnahme vom 18.12.1979 BGBl. II 1980 1361, II 1983 S. 461; Art. 6 Abs. 2 Buchst. a) des Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge vom 15.12.1997 BGBl. II 2002 2506; Art. 7 Abs. 2 Buchst. a) des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9.12.1999 BGBl. II 2003 1923; Art. 9 Abs. 2 Buchst. a) des Übereinkommens zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen vom 13.4.2005 BGBl. II 2007 1587 sowie Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) bis c) des Übereinkommens zur Verhütung des Terrorismus vom 16.5.2005 BGBl. II 2011 300. 315 Aliabasi S. 215; Steinsiek S. 301; krit. Payandeh ZRP 2014 241, 244. 316 BTDrucks. 16/12428 S. 12; Backes StV 2008 654, 655; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 14. 317 BTDrucks. 16/12428 S. 14; Mayk S. 90; Schäfer MK Rdn. 16. Engelstätter

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VI. Objektiver Tatbestand

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den, da diese Taten bei näherer Betrachtung keine Gewaltanwendung i. S. d. Strafrechts voraussetzten und typischerweise auch keinen Staatsschutzbezug aufweisen.318 Dem ist jedoch zumindest hinsichtlich letzteren Gesichtspunkts entgegen zu treten. Zwar können diese Taten – z. B. durch Piraten vor der Küste Somalias – auch aus rein finanziellen Erwägungen und ohne jede politische Motivation begangen werden. Jedoch kam es in der Vergangenheit auch zu zahlreichen politisch motivierten Entführungen im Bereich des nationalen wie internationalen Terrorismus. In Betracht zu ziehen sind hier nicht nur die Entführungshandlungen der RAF und mit ihr assoziierter Organisationen, sondern auch Geiselnahmen westlicher Staatsbürger durch jihadistische Organisationen im Nahen Osten oder Afrika, die ohne Weiteres auch in Gewalttaten münden können.319

aa) Rechtswidrigkeit der Katalogtat. Gesetzesbegründung und -wortlaut enthalten keinen 82 Hinweis zur Relevanz der weiteren Voraussetzungen der in Absatz 1 Satz 2 genannten Katalogtaten. Wäre die Begehung der geplanten Gewalttat jedoch durch einen strafrechtlich anzuerkennenden Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt, wäre auch eine Strafbarkeit nach § 89a zu hinterfragen, da die Vorbereitung einer zu billigenden Handlung nicht ihrerseits mit Strafe bedroht sein kann.320 Bedeutung für die Rechtspraxis gewinnt diese Frage für Fallkonstellationen mit Auslandsbezug, in denen eine völkerrechtliche Rechtfertigung der geplanten Gewalttat in Betracht kommt. Der BGH hat die Problematik bisher in zwei Entscheidungen angesprochen, sie jedoch anderen Merkmalen des Tatbestands zugeordnet. Der Sache nach geht es in beiden Fällen jedoch auch um die Beurteilung der Rechtswidrigkeit der vorbereiteten Gewalttat. So hat der BGH zunächst entschieden, dass eine in einem bewaffneten Konflikt absolvierte Waffenausbildung, die ausschließlich zur Verteidigung gegen Angehörige bewaffneter Gruppierungen oder die regulären staatlichen Streitkräfte genutzt werden soll, nicht geeignet ist, die innere Sicherheit eines Staates zu beeinträchtigen (Rdn. 95).321 In einem weiteren Fall hat der BGH angedeutet, Unrechtsstaaten oder Diktaturen nicht mehr unter den Staatsbegriff des Absatzes 1 Satz 2 zu fassen, wenn ihre Bekämpfung durch die durch den Täter vorbereitete Katalogtat nach § 89a Abs. 1 nach völkervertragsrechtlichen Grundsätzen, z. B. aufgrund eines UN-Mandats, oder nach völkergewohnheitsrechtlichen Prinzipien aufgrund einer entsprechenden Überzeugung der Staatengemeinschaft gerechtfertigt wäre (Rdn. 86).322

bb) Aktualisierungsbedarf des Kataloges. Soweit schon mit der Einführung des § 89a be- 83 zweifelt worden ist, ob die Vorschrift wirklich alle dem Kernbereich des Terrorismus unterfallenden Delikte enthält und nicht vielmehr zusätzlich noch Tatbestände wie §§ 226, 306b, 308, 316c, 330a oder §§ 6–12 VStGB erfasst werden müssten,323 kommt dieser Frage mit Blick auf die Rechtsentwicklung auf EU-Ebene neue Bedeutung zu. Dem deutschen Strafrecht liegt nach wie vor nicht der Begriff einer terroristischen Straftat i. S. d. Art. 3 der EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541, sondern die allein nationalrechtliche Konstruktion der schweren staatsgefährdenden Gewalttat zugrunde.324 Art. 7 und 8 der Richtlinie verpflichten Deutschland jedoch, alle Ausbildungshandlungen, die auf eine in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) bis i) der Richtlinie

318 Fischer Rdn. 12; Gazeas AnwK Rdn. 24; Mayk S. 91; MK Schäfer Rdn. 16; Zöller SK Rdn. 14. 319 Aliabasi S. 154; Kauffmann S. 57 ff. 320 Puschke NJW 2017 2932; vgl. auch Ambos JR 2017 655, 658; Gazeas/Grosse-Wilde StV 2018 84, 86 unter Hinweis auf die Rechtslage in Österreich. BGHSt 61 36, 40. BGHSt 62 103, 106. Gazeas AnwK Rdn. 24; Schäfer MK Rdn. 17; Zweigle S. 250. Engelstätter GSZ 2019 95, 97; Sieber/Vogel, S. 168.

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genannte Handlung gerichtet sind, mit Kriminalstrafe zu bedrohen (s. Rdn. 26).325 Zwar wird die Kaperung eines Luft- oder Wasserfahrzeugs i. S. v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. e) der Richtlinie neben den Voraussetzungen des § 316c i. d. R. auch die Voraussetzungen der §§ 239a, b erfüllen, sodass ihre Vorbereitung durch Absolvierung einer Flug- oder Segelausbildung schon jetzt nach deutschem Recht strafbar wäre. Für die nunmehr in Art. 3 Abs. 1 Buchst. i) der Richtlinie erstmals erfassten Fälle terroristisch motivierter Cyberangriffe im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 2013/ 40/EU326 ist dies jedoch nicht zwingend. Da eine unionskonforme Auslegung in diesem Fall an der Wortlautgrenze des Art. 103 Abs. 2 GG scheitern dürfte (Rdn. 33), muss der Gesetzgeber entscheiden, ob der Katalog des § 89a Abs. 1 Satz 2 überarbeitet werden muss.

84 b) Staatsschutzklausel. Die Katalogtat muss den Umständen nach bestimmt und geeignet sein, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben. Das deutsche Strafrecht geht über die unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 hinaus. Während diese in Art. 3 Abs. 2 Buchst. c) verlangen, dass die jeweilige Tat eine „Zerstörung“ oder zumindest eine „ernsthafte Destabilisierung“ der Grundstrukturen eines Staates zur Folge haben muss, reicht für Absatz 1 Satz 2 bereits eine „einfache Beeinträchtigung“ der betroffenen Rechtsgüter (Rdn. 31).327 Im Übrigen hat sich der Gesetzgeber an der Vorschrift § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a) und b) GVG orientiert, die ihrerseits Elemente des materiellen Strafrechts enthält und durch die Rechtsprechung bereits mehrfach konkretisiert worden ist.328 In der Literatur ist diese Gesetzestechnik teilweise als „problematischer Fremdkörper“ eingeordnet worden, als Übernahme einer Prozessnorm, die dem strafbegründenden Charakter eines Straftatbestandes nicht gerecht werde.329 Der BGH hat sich dieser Kritik nicht angeschlossen und in der Übernahme der Klausel aus dem Prozessrecht keine unzulässige Überdehnung der Strafbarkeit gesehen.330

85 aa) Staat. Der Begriff des Staates ist wertneutral auszulegen, d. h. das Merkmal erfasst alle völkerrechtlich anerkannten Staaten, unabhängig davon, ob sie nach hiesigem Verständnis als Rechts- oder Unrechtsstaaten anzusehen sind. 331 Auch ihre Unterstützung oder Billigung durch die deutsche Außenpolitik ist unerheblich. Absatz 3 enthält hinreichende Anknüpfungspunkte, die die Ausdehnung der deutschen Strafgewalt über das eigene Staatsgebiet hinaus rechtfertigen (Rdn. 69). Der Rechtsanwender kann im Wege der Auslegung einer Strafvorschrift keine 325 Z. B. Angriffe auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a); Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit einer Person (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b); Kapern von Luft- oder Wasserfahrzeugen (Art. 3 Abs. 1 Buchst. e); Freisetzung gefährlicher Stoffe, die Herbeiführung von Bränden und Überschwemmungen oder Explosionen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefährdet wird (Art. 3 Abs. 1 Buchst. g); Unterbrechung der Wasser- und Stromversorgung (Art. 3 Abs. 1 Buchst. h) sowie rechtswidrige Eingriffe in Daten- und Datensysteme (Art. 3 Abs. Buchst. i.). 326 Richtlinie 2013/40/EU über Angriffe auf Informationssysteme und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2005/ 222/JI, ABl. EU 2013 Nr. L 218, 8. 327 BTDrucks. 16/12428 S. 14; Schäfer MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 19. 328 BTDrucks. 16/12428 S. 14 unter Hinweis auf die sog. Eggesin-Entscheidung des BGH – BGHSt 46 238; dazu Mayk S. 100 ff. sowie Schäfer MK Rdn. 18. 329 Gazeas AnwK Rdn. 27; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 594; Zöller SK Rdn. 15. 330 BGHSt 59 218, 234; BGHSt 61 36, 38; BGHSt 62 102, 109. 331 BGHSt 61 36, 39; BGHSt 62 103, 106; BGH NStZ-RR 2019 177; BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 39; OLG München StV 2016 505, 506; OLG Stuttgart BeckRS 2014 Rdn. 16; Aliabasi S. 157; Fischer Rdn. 16; Kauffmann S. 61; Mayk S. 131; Paul GSZ 2018 43, 44; Schäfer MK Rdn. 19; Zweigle S. 277; aA Ambos JR 2017 655, 657; Fischer/Hoven/Raum S. 217, 221; Gazeas AnwK Rdn. 33; Gazeas/Grosse-Wilde StV 2018 84, 87; Paeffgen NK Rdn. 11; Valerius GA 2011 696, 704; Zöller SK Rdn. 17. Engelstätter

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VI. Objektiver Tatbestand

StGB § 89a

außenpolitischen Entscheidungen treffen und bestimmen, welche Staaten aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland die Kriterien eines „Unrechtsregimes“ erfüllen.332 Zwar besteht nach diesen Maßstäben die Gefahr, dass sich der Anwendungsbereich der 86 Vorschrift im Ergebnis effektiv nur noch durch eine restriktive Verfahrensweise bei der Erteilung von Verfolgungsermächtigungen gem. Absatz 4 oder durch Einstellungen gem. §§ 153a-c StPO beschränken lässt.333 Nach dem BGH kommt eine Begrenzung des Tatbestands jedoch in Betracht, soweit die Bekämpfung des in Rede stehenden Staates durch eine nach § 89a vorbereitete Gewalttat nach völkervertragsrechtlichen Grundsätzen, z. B. aufgrund eines UN-Mandats, oder nach völkergewohnheitsrechtlichen Prinzipien aufgrund einer entsprechenden Überzeugung der Staatengemeinschaft, gerechtfertigt wäre.334 Dass es sich im Einzelfall um einen Sachverhalt in einem bereits lange andauernden bewaffneten Konflikt handelt, der sich auf dem Gebiet eines oder mehrerer ausländischer Staaten zuträgt und durch massive Gewalthandlungen der an dem Konflikt beteiligten zahlreichen Parteien und Gruppierungen geprägt ist, reicht hierfür nicht aus.335 Solange politische oder ideologische Ziele durch Einsatz gemeingefährlicher Mittel oder gemeingefährlicher Waffen gegen Unbeteiligte umgesetzt werden, erscheint eine völkerrechtliche Rechtfertigung ausgeschlossen.336 Dies gilt insbesondere für die Beteiligung an einer gegen die reguläre syrische Regierung kämpfenden Gruppierung, die das Ziel verfolgt, das bestehende System zu zerschlagen und durch einen Gottesstaat islamistischer Prägung zu ersetzen.337

bb) Bestand. Nach § 92 Abs. 1 beeinträchtigt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, 87 wer ihre Freiheit von fremder Botmäßigkeit aufhebt oder ein zu ihr gehörendes Gebiet abtrennt. Dies gilt sinngemäß auch, soweit ausländische Staaten von Absatz 1 Satz 2 erfasst werden.338 Die schwere staatsgefährdende Gewalttat muss sich nicht notwendigerweise gegen die Staatsbürger desjenigen Landes richten, dessen Bestand gefährdet werden soll; auch eine Gewalttat gegen amerikanische Staatsbürger in den Niederlanden kann geeignet sein, die Sicherheit der Niederlande zu beeinträchtigen.339 Der Bestand des Staates soll geschützt werden vor Totalannexion durch einen anderen Staat, aber auch vor der Einsetzung einer Regierung, die einer fremden Macht günstig und dienstwillig ist.340 Er umfasst auch die Wahrung der staatlichen Einheit. Diese ist verletzt, sofern ein zum Staat gehörendes Gebiet abgetrennt, einem anderen Staat unterstellt oder zu einem selbständigen Staat erhoben wird.341 Erforderlich ist insofern jedoch eine konkrete Gefährdung des Bestands, wobei es genügt, wenn zu seiner Sicherung erhebliche staatliche Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen.342 Allerdings muss die Beeinträchtigung von einer solchen Intensität sein, dass sie die Funktionstüchtigkeit des Staatsganzen erkennbar in Mitleidenschaft zieht. Dies wird selbst bei schweren terroristischen Anschlägen kaum jemals anzunehmen sein, da diese i. d. R. zwar eine erhebliche Schockwirkung bei der Bevölkerung hinterlassen, jedoch die politische Handlungsfähigkeit des betroffenen Landes 332 333 334 335 336

Mayk S. 133. Schäfer MK Rdn. 19; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Zöller SK Rdn. 17. BGHSt 62 103, 106. BGHSt 61 36, 42; Schäfer MK Rdn. 19. BVerwGE 141 100, 107; BVerwG NVwZ 2017 1798, 1799; BVerwG DVBl. 2017 1435; BVerwG InfAuslR 2018 124, 125; BVerwG BeckRS 2018 23003 Rdn. 26. 337 BGHSt 62 103, 106; BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 40; BGH BeckRS 2019 6797 Rdn. 25; BGH BeckRS 2019 8826 Rdn. 23; vgl. auch Scheuß ZStW 130 (2018) 23, 29, 32, 38; Odendahl/Steiger S. 45, 83; krit. Ambos JR 2017 655, 657; Gazeas/Grosse-Wilde StV 2018 84, 87. 338 Schäfer MK Rdn. 21. 339 Schäfer MK Rdn. 21. 340 Mayk S. 97; Paeffgen NK § 81 Rdn. 403. 341 Fischer § 92 Rdn. 3; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 92 Rdn. 4; Schnarr MDR 1993 589, 592; Steinmetz MK § 92 Rdn. 4. 342 Fischer Rdn. 17. 177

Engelstätter

§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

in den allerwenigsten Fällen lahmlegen.343 Nicht unter das Tatbestandsmerkmal fallen auch Aufstände, Unruhen und Demonstrationen, die allein durch die Polizei kontrolliert werden können.344

88 cc) Sicherheit. Die Sicherheit des Staates erfasst gem. § 92 Abs. 3 Nr. 2 sowohl die innere wie auch die äußere Sicherheit.345 Die äußere Sicherheit eines Staates wird grundsätzlich definiert als Zustand relativer Ungefährdetheit gegenüber gewaltsamen Einwirkungen von außen in militärischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht.346 Sie ist in jedem Fall betroffen, wenn die Verteidigungsfähigkeit des Staates durch einen Angriff einer fremden staatlichen Gewalt beeinträchtigt wird.347 § 92 Abs. 3 Nr. 2 erfasst aber auch Bestrebungen im Vorfeld, die darauf abzielen, die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu erschüttern.348 Nicht erfasst dagegen ist der Schutz der „auswärtigen Beziehungen“ der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten in politischer Hinsicht gem. Art. 32 GG.349 Ob Beeinträchtigungen der äußeren Sicherheit im Rahmen des § 89a überhaupt in Betracht kommen können, erscheint zweifelhaft, weil ein Terrorist keine staatliche Gewalt ausübt.350 In Betracht käme allenfalls ein auf staatliche Veranlassung oder mit staatlicher Unterstützung handelnder Einzeltäter, der mit seiner Gewalttat zwischenstaatliche Spannungen bis hin zu militärischen Auseinandersetzungen auslösen will. In der Rechtspraxis zentral ist das Merkmal der Beeinträchtigung der inneren Sicherheit. 89 Mit diesem Begriff wird grundsätzlich ein Zustand relativer Ungefährdetheit von Bestand und Verfassung eines Staates gegenüber gewaltsamen Aktionen innerstaatlicher Kräfte umschrieben, wobei im Zentrum die Fähigkeit des Staates steht, sich nach innen gegen diese Störungen zur Wehr zu setzen.351 Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein. 352 Die innere Sicherheit ist in der Regel beeinträchtigt, wenn die vorbereitete Tat, so wie der Täter sie sich vorstellt, nach den Umständen geeignet wäre, das innere Gefüge eines Staates zu beeinträchtigen. Zwar erscheint fernliegend, dass selbst Anschlagshandlungen mit hohen Opferzahlen diese Kriterien erfüllen können.353 Nach der Gesetzesbegründung und der h. M. reicht es jedoch in Anknüpfung an § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a) und b) GVG aus, wenn die Tat zwar nicht die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen in Mitleidenschaft zieht, sie aber durch einen ihr innewohnenden Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze des GG einen besonderen Charakter aufweist.354 Dieser ist anzunehmen, wenn durch die Tat das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert wird, vor gewaltsamen Einwirkungen in ihrem Staat geschützt zu sein,355 was insbesondere bei Gewaltanschlägen gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit 343 344 345 346 347

Weißer ZStW 121 (2009) 131,147; Zöller SK Rdn. 18. Aliabasi S. 156; Kauffmann S. 73; Zöller SK Rdn. 18. BTDrucks. 16/12428 S. 14; BGHSt 59, 218, 234. BTDrucks. 16/12428 S. 14; BGH NStZ 1988 215; Nestler ZStW 125 (2013) 259, 298; Zweigle S. 281. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 89a Rdn. 5; Schnarr MDR 1993 589, 592; Steinmetz MK § 92 Rdn. 12; Zöller SK Rdn. 18. 348 BGH NStZ 1988 215; Steinmetz MK § 92 Rdn. 12; Zöller SK Rdn. 18. 349 Nestler ZStW 125 (2013) 259, 293; Steinmetz MK § 92 Rdn. 12; zum Begriff vgl. auch Safferling NStZ 2009 604, 608. 350 Aliabasi S. 157; Hellfeld S. 244. 351 BGHSt 28 312, 316; BGHSt 46 238, 250; BGH NStZ 1988 215; BGH NStZ-RR 2019 177; BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 39; BVerwGE 62 36, 38; Schnarr MDR 1993 589, 592. 352 BVerwGE 123 114, 120; BVerwG NVwZ 2017 1798, 1799; BVerwG DVBl. 2017 1435; im Detail Fahrner ZStW 132 (2020) 84, 94. 353 Becker Kriminalistik 2010 568, 569; Gazeas AnwK Rdn. 29; Hungerhoff S. 101; Walter KJ 2008 443, 449; Weißer ZStW 121 (2009) 131,147; Zöller SK Rdn. 18. 354 BGHSt 59 218, 234; BGHSt 61 36, 39; BGHSt 62 102, 109. 355 LG Frankfurt BeckRS 2014 18021; Schäfer MK Rdn. 22; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5. Engelstätter

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VI. Objektiver Tatbestand

StGB § 89a

in der Bevölkerung der Fall sein dürfte.356 Dies ist auch in Staaten möglich, in denen bereits Bürgerkrieg herrscht, da in diesem Fall derartige Tathandlungen, selbst wenn sie von einem Einzeltäter begangen werden, zu einer weiteren Destabilisierung der Lage beitragen können, die zu einem vollständigen Zusammenbruch staatlicher Strukturen führen kann.357 Bezogen auf das Inland ist der staatsgefährdende Charakter des vorbereiteten Delikts zu 90 bejahen, wenn die Tat der Feindschaft des Täters gegen das freiheitlich-demokratische Staatsund Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland entspringt und er seine potenziellen Opfer nur deshalb auswählt, weil sie dieses System als Amtsträger oder in sonstiger Weise repräsentieren, oder lediglich deshalb angreift, weil sie Bürger oder Einwohner der Bundesrepublik Deutschland sind oder sich im Bundesgebiet aufhalten.358 Dies gilt insbesondere, wenn mit der Tat das friedliche Zusammenleben von Ausländern und Deutschen gestört werden soll.359 Berücksichtigt werden kann zudem die besondere Abscheulichkeit der Tat, ihre länderübergreifende Begehungsweise sowie ihr bundesweites Aufsehen.360 In Teilen der Literatur stößt dieses Verständnis auf Bedenken. Die Norm erfasse letztlich ein 91 bloßes „Sicherheitsgefühl“, das nicht Gegenstand strafrechtlichen Schutzes sein könne.361 Dieses sei gerade bei gezielten Tötungen oder Geiselnahmen staatlicher Repräsentanten schwer zu bestimmen, da von solchen Taten nur solche Personen in ihrem Sicherheitsgefühl tangiert würden, die auch zum potentiellen Opferkreis gehörten.362 Die weite Auslegung habe zudem zur Folge, dass letztlich auch Straftaten allgemein gefährlicher Täter eine Staatsgefährdung aufwiesen. Sie ließe zudem den zweiten Teil der Staatsschutzklausel, der durch Verben wie „beseitigen“, „außer Geltung setzen“ und „untergraben“ an höhere Voraussetzungen gebunden sei, praktisch leerlaufen.363 Den hieraus entwickelten Vorschlägen, das Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung der inneren Sicherheit restriktiv auszulegen und den Anwendungsbereich der Staatsschutzklausel auf Großanschläge zu beschränken,364 ist jedoch nicht zu folgen. Eine derartige Restriktion widerspräche nicht nur dem klaren Willen des Gesetzgebers; sie ist auch verfassungsrechtlich im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG nicht geboten (Rdn. 40).365 Auch Handlungen von Einzeltätern können, z. B. durch den Einsatz großer Mengen an Sprengstoff sowie chemisch-biologischer oder atomarer Kampfstoffe, die Sicherheit eines Staates gefährden.366 § 89a erfasst zudem nur die Vorbereitung der Tat durch einen Einzeltäter. Die schwere staatsgefährdende Gewalttat selbst kann ohne Weiteres auch durch mehrere Täter begangen werden,367 z. B. beim Einsatz zahlreicher durch den Vorbereitungstäter beschaffter Sprengsätze durch eine andere Tätergruppe.

356 Vgl. BVerwG NVwZ 2017 1798, 1799; BVerwG DVBl. 2017 1435; BVerwG InfAuslR 2018 124, 125; BVerwG BeckRS 2018 23003 Rdn. 26. 357 BGHSt 62 102, 110; Paul GSZ 2018 43, 44. 358 BGH NStZ 2010, 468; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8. 359 Schnarr MDR 1993 589, 592; vgl. auch Schroeder Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970) S. 403, 408, 463. 360 BGHSt 46 238, 249; Mayk S. 101. 361 Hellfeld S. 138; Puschke S. 111; Rautenberg S. 283; Zöller SK Rdn. 18; allg. krit. Fahrner ZStW 132 (2020) 84, 97. 362 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 595. 363 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 594 f.; Haverkamp FS Schöch 381, 386; vgl. zu § 120 GVG Schroeder JR 2001 391, 392. 364 Gazeas AnwK Rdn. 29; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 594; Haverkamp FS Schöch 381, 386; Rautenberg S. 283. 365 BTDrucks. 16/12428 S. 14; Aliabasi S. 227 ff.; Hügel S. 35; Hungerhoff S. 100; Kauffmann S. 71; Mayk S. 109; Schäfer MK Rdn. 22. 366 Mayk S. 113; aA Backes StV 2008 654, 656; Hellfeld S. 141; Paeffgen NK § 92 Rdn. 10; Puschke S. 95; Walter KJ 2008 443, 449. 367 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 33; Zöller SK Rdn. 22. 179

Engelstätter

§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

92 dd) Beseitigen, außer Geltung setzen oder untergraben von Verfassungsgrundsätzen. Führt die vorbereitete Tat nicht zu einer Beeinträchtigung des Bestandes der inneren oder äußeren Sicherheit eines Staates, so sind die Voraussetzungen der Staatsschutzklausel gleichwohl erfüllt, wenn die vorbereitete Tat Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland beseitigen, außer Geltung setzen oder untergraben würde. In der Rechtspraxis ist die Bedeutung dieses Teils der Staatsschutzklausel aufgrund des weiten Verständnis der inneren Sicherheit gering.368 Was unter Verfassungsgrundsätzen im Einzelnen zu verstehen ist, ergibt sich aus den Legaldefinitionen des § 92 Abs. 2 (s. § 92 Rdn. 6). Terroristisch motivierte Gewalttaten zielen i. d. R. auf die Zerstörung der demokratischen Grundordnung. Betroffen sein können daher die Grundsätze der Volkssouveränität (§ 92 Abs. 2 Nr. 1), des Rechtsstaats (§ 92 Abs. 2 Nr. 2) sowie das Verbot der Errichtung einer Gewalt- oder Willkürherrschaft (§ 92 Abs. 2 Nr. 6). Ein Verfassungsgrundsatz ist beseitigt, wenn er rechtlich nicht mehr besteht; ein Außer Geltung setzen liegt vor, wenn er zwar rechtlich noch existent ist, faktisch aber nicht mehr beachtet wird.369 Untergraben wird ein Verfassungsgrundsatz schließlich, wenn seine Wirksamkeit in erheblichem Maße herabgesetzt wird.370

93 ee) Internationale Organisation. Der Begriff einer internationalen Organisation ist im völkerrechtlichen Sinne zu verstehen. Erfasst werden nur öffentliche Organisationen, d. h. Zusammenschlüsse von mindestens zwei Staaten oder anderen Völkerrechtssubjekten auf der Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages, die auf Dauer angelegt sind und i. d. R. supranationale Aufgaben erfüllen. Beispiele sind insbesondere die Vereinten Nationen, der Europarat, die EU, die NATO, die OSZE, die WTO aber auch Interpol und der IStGH.371 Nicht erfasst werden Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International oder Greenpeace. Auch sonstige öffentlichrechtliche Zusammenschlüsse mit wirtschaftlicher, kultureller oder caritativer Zielrichtung scheiden aus.372 Bei der Frage, wann eine Beeinträchtigung der Sicherheit oder des Bestandes einer internationalen Organisation vorliegt, ist nicht auf § 92 abzustellen, sondern ein organisationsspezifischer Maßstab anzulegen.373 Insbesondere eine Differenzierung zwischen innerer und äußerer Sicherheit wird – mit Ausnahme der NATO und ähnlicher Militärbündnisse – begrifflich kaum möglich sein.374 Mit Beeinträchtigung der Sicherheit einer Organisation ist die nachweisliche Erschütterung des Vertrauens der Mitglieder gemeint, die Organisationsziele nicht ohne massive Gefährdung durch schwere Gewalttaten verwirklichen zu können. Eine Beeinträchtigung des Bestandes der Organisation kommt in Betracht, wenn ihre Organe einen erheblichen Funktionsverlust zu verzeichnen haben, etwa infolge der Tötung oder der Geiselnahme wichtiger Entscheidungsträger.375

94 c) Eignungsklausel. Die durch die Tathandlung vorbereitete Tat muss nach den Umständen bestimmt und geeignet sein, die staatsschutzbezogenen Rechtsgüter anzugreifen. Die Eignungsklausel dient dazu, die Auswirkungen zu beschreiben, die eine schwere Gewalttat entfalten kön368 AA Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 595, die vorschlagen, zumindest gezielte Anschläge auf Repräsentanten der parlamentarischen Demokratie, z. B. einzelne Abgeordnete, als „Untergraben von Verfassungsgrundsätzen“ bewerten. 369 Aliabasi S. 159; Hungerhoff S. 104; Kauffmann S. 67; Schnarr MDR 1993 589, 592. 370 OLG Düsseldorf NJW 1980 603, 604; Hellfeld S. 246; Schäfer MK Rdn. 25; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 92 Rdn. 16; Zöller SK Rdn. 21. 371 BTDrucks. 16/12428 S. 14; Aliabasi S. 157; Fischer Rdn. 16a; Hungerhoff S. 102; Schäfer MK Rdn. 20; Zöller SK Rdn. 20; krit. Fahrner ZStW 132 (2020) 84, 95. 372 Fischer Rdn. 16a; Gazeas AnwK Rdn. 34; Schäfer MK Rdn. 20; Zöller SK Rdn. 20. 373 Aliabasi S. 157; Schäfer MK Rdn. 20; Zweigle S. 291. 374 Hungerhoff S. 103. 375 Zöller SK Rdn. 20. Engelstätter

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VI. Objektiver Tatbestand

StGB § 89a

nen muss, damit bereits ihre Vorbereitung strafrechtlich relevant ist.376 Zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung muss es nicht kommen.377 Der Begriff der Bestimmung umschreibt die Zielrichtung der Gewalttat. Seine Einordnung als subjektives oder objektives Tatbestandsmerkmal ist umstritten.378 Im Ergebnis handelt es sich jedoch um ein Beweisanzeichen, das im Einzelfall gleichwohl nachgewiesen werden muss.379 Die Bestimmung der Gewalttat kann durch den Täter der Vorbereitungstat, den Täter der späteren Gewalttat aber auch von möglichen Auftraggebern im Hintergrund definiert werden.380 Der Wille des Täters muss die möglichen Folgen der Gewalttat umfassen (s. Rdn. 148).381 Die Eignung der Gewalttat dagegen ist objektives Tatbestandsmerkmal, das in generalisierender Art und Weise aus ex ante Sicht zu beurteilen ist, wenn auch auf Grundlage fiktiver Umstände, da die Gewalttat im Rahmen des § 89a nicht begangen worden ist, sondern ausschließlich in der Vorstellung des Täters existiert.382 Erforderlich ist eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls, aus denen sich der terroristische Hintergrund der Tat ergibt. Maßgebend hierfür können sein: die Prominenz der Opfer, die Öffentlichkeit oder Symbolträchtigkeit des Tatortes, die äußeren Umstände der Tathandlung, aber auch das beabsichtigte Nachtatverhalten, z. B. ein vorbereitetes Bekennerschreiben.383 Die Eignungsklausel kann auch tatbestandsbegrenzende Wirkung entfalten: Nicht jede 95 Gewaltanwendung in einem bewaffneten Konflikt erfüllt die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2. Es sind vielmehr auch Vorbereitungshandlungen denkbar, die aufgrund der Umstände des Einzelfalls keine Eignung aufweisen, die innere Sicherheit des jeweiligen Staates zu beeinträchtigen.384 Zwar hat die Rechtsprechung eine völkerrechtliche Rechtfertigung von terroristischen Ausbildungen im syrischen Bürgerkrieg abgelehnt.385 Dies gilt insbesondere, soweit die Tat gleichzeitig als Anschluss an ausländische terroristische Vereinigungen wie Al Qaida, den IS, die PKK oder die Junud al-sham zu werten sein sollte, da zugunsten dieser Gruppierungen kein völkerrechtliches Kombattantenprivileg besteht.386 Durchläuft ein Täter eine terroristische Ausbildung jedoch nur, weil sie zu den Aufnahmebedingungen der jeweiligen terroristischen Vereinigung gehört, kann die staatsgefährdende Eignung entfallen, wenn der Täter die im Rahmen der Ausbildung erworbenen Kenntnisse nicht als Kämpfer einsetzt, sondern ausschließlich einer geheimdienstlichen Tätigkeit nachgeht, die in der Durchführung von Verhören politischer Gefangener besteht.387 Darüber hinaus kann die Eignung einer Vorbereitungshandlung zur Staatsgefährdung entfallen, wenn sie der Verteidigung gegen ein Kriegsverbrechen der Gegenseite gem. § 7 VStGB dient388 oder ausschließlich zu dem Zweck erfolgt, sich gegen bevorstehende Angriffe rivalisierender Gruppierungen oder der regulären syrischen Armee zu verteidigen

376 377 378 379 380 381

Mayk S. 93. Hellfeld S. 246; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Zöller SK Rdn. 16. Vgl. Mayk S. 218 (obj. Tatbestand); aA Aliabasi S. 317; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19. Fischer Rdn. 22; Kauffmann S. 97; Schäfer MK Rdn. 27; Zöller SK Rdn. 16. Schäfer MK Rdn. 27; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8. BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 39; BGH BeckRS 2019 6797 Rdn. 24; Aliabasi S. 159; Hungerhoff S. 106; Schäfer MK Rdn. 27. 382 BGHSt 59 218, 234; BGHSt 61 36, 39; BGHSt 62 102, 109; BGH NStZ-RR 2019 177. 383 BGH NStZ 2018 89; BGH NStZ-RR 2019 177; BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 39; KG StV 2012 345, 347; Aliabasi S. 159; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 27. 384 BGHSt 61 36, 40; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 29; vgl. Zöller SK Rdn. 17. 385 BGHSt 62 103, 106; Scheuß ZStW 130 (2018) 23, 44; krit. Ambos JR 2017 655, 657; Gazeas/Grosse-Wilde StV 2018 84, 87. 386 BGH NStZ-RR 2014 274 f.; BGH NStZ-RR 2015 10 f.; BGH NStZ-RR 2018 106; OLG München BeckRS 2015 13419 Rdn. 449 ff.; Scheuß ZStW 130 (2018) 23, 29, 32, 38; Odendahl/Steiger S. 45, 83; krit. Ambos ZIS 2016, 505, 514 f.; Überblick zu den völkerrechtlichen Grundlagen bei Krauß LK13 § 129b Rdn. 40 ff. 387 BGH BeckRS 2019 8826 Rdn. 14, 23. 388 Scheuß ZStW 130 (2018) 23, 44 für das Beispiel des Abschusses eines Hubschraubers der syrischen Luftwaffe, der über einem Wohngebiet Fassbomben abwirft. 181

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

(vgl. Rdn. 82).389 Diese Anforderungen sind bei einer Waffenausbildung in den Reihen einer terroristischen Vereinigung, die gegen die reguläre Regierung des Staates Syrien, aber auch gegen andere Gruppierungen kämpft, im Regelfall nicht erfüllt, da der Täter auf einen länger andauernden Kampfeinsatz an verschiedenen Schauplätzen vorbereitet wird, deren konkrete Tatsituation zum Zeitpunkt der Tat nach § 89a nicht absehbar ist. Maßgebend sind jedoch ausschließlich die jeweiligen Umstände des Einzelfalls.

2. Tathandlungen 96 Tathandlung des Absatzes 1 Satz 1 ist die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Dem Begriff der Vorbereitung kommt keine eigenständige Bedeutung zu, da die mit Kriminalstrafe bedrohte Handlung, durch eine Tat nach Absatz 2 oder nach Absatz 2a verwirklicht werden muss.390 § 89a begründet jedoch weder eine Strafbarkeit für Personen, die eine von der Vorschrift erfasste objektive Tathandlung vornehmen, ohne dass diese auf die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gerichtet ist, noch für Personen, die diese subjektive Vorstellung haben, ohne sie durch eine der im Tatbestand genannten Tathandlungen nach außen zu manifestieren. Pönalisiert wird auch nicht die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat durch Handlungen, die nicht im Tatbestand enthalten sind. Unter Strafe gestellt ist allein eine rechtsgutsgefährdende Betätigung in der in Absatz 2, 2a normierten Art und Weise.391 Allein der mit erheblichem Aufwand betriebene Aufbau einer Scheinidentität als Asylbewerber verbunden mit einem konspirativen Verhalten, das nach kriminalistischer Erfahrung für die Vorbereitung einer gewichtigen Straftat spricht, reicht mangels Vorliegens einer katalogisierten Tathandlung gem. Absatz 2, 2a nicht aus, um den Tatbestand zu erfüllen.392 Setzt sich die Vorbereitungshandlung aus Tatbeiträgen mehrerer Personen zusammen, müssen sich deren Tatbeiträge so ergänzen, dass zumindest hinsichtlich einer in Absatz 2 normierten Vorbereitungshandlung die Voraussetzungen der Mittäterschaft i. S. d. § 25 Abs. 2 erfüllt sind (Rdn. 180).393 97 Dass der Vorbereitungstäter mit dem Täter der schweren staatsgefährdenden Gewalttat identisch ist, verlangt die Norm nicht.394 § 89a erfasst auch Fälle der Fremdvorbereitung, in denen der Vorbereitungstäter den späteren Gewalttäter oder auch nur seinen Gehilfen entweder in den für die spätere Gewalttat erforderlichen Fähigkeiten unterweist oder ihnen die für die Tatbegehung notwendigen Tatmittel verschafft. Jedoch muss die Vorbereitungshandlung auch auf die Begehung der späteren Gewalttat gerichtet sein. Das bloße Ausnutzen von Zwischenerfolgen einer an sich tatbestandsmäßigen Handlung für eine schwere Gewalttat reicht nicht aus.395 Ein unmittelbarer zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen der durch § 89a kriminalisierten Vorbereitungshandlung und der letztlich begangenen Gewalttat muss nicht bestehen.396 Dem Gesetzgeber ging es gerade darum, auch Tätigkeiten zu kriminalisieren, die im Vorfeld der intendierten Anschlagshandlung liegen. Im Einzelnen pönalisiert § 89a vier Fallgruppen: die „terroristische Ausbildung“ gem. Ab98 satz 2 Nr. 1 (Rdn. 99), das Verschaffen von Tatmitteln gem. Absatz 2 Nr. 2 (Rdn. 116) oder Grundzutaten gem. Absatz 2 Nr. 3 (Rdn. 119) sowie die „terroristisch motivierte Ausreise“ gem. Absatz 2a

389 BGHSt 61 36, 40; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 29; vgl. Puschke NJW 2017 2932; Zöller SK Rdn. 17. 390 Vgl. BTDrucks. 16/12428 S. 15. 391 BGH NJW 2017 2693, 2694; BGH StV 2018 103, 105; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 9. 392 BGH BeckRS 2017 133051 Rdn. 11–21. 393 BGH NJW 2017 2693, 2694. 394 Schäfer MK Rdn. 33; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 22. 395 Fischer Rdn. 41; Schäfer MK Rdn. 32; Zöller SK Rdn. 22. 396 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Schäfer MK Rdn. 34; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 22; vgl. auch BGH NStZ 2018 89, 90. Engelstätter

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VI. Objektiver Tatbestand

StGB § 89a

(Rdn. 125). Bei der Prüfung der Tatbestände des Absatzes 2 Nr. 2, 3 kommt es regelmäßig zu Überschneidungen mit § 89c Abs. 1, 2, da der Begriff des Vermögenswerts nach § 89c nicht nur Geldmittel, sondern auch körperliche Gegenstände, wie Waffen, Munition, Winterkleidung oder SIMKarten erfasst (vgl. Rdn. 117, 120 sowie § 89c Rdn. 79, zu den Konkurrenzen Rdn. 187).397

a) Ausbildung gem. Absatz 2 Nr. 1. Strafbewehrt gem. Absatz 2 Nr. 1 ist das Unterweisen und 99 das Sich-Unterweisen-Lassen in insgesamt acht verschiedenen Ausbildungsinhalten. Erfasst ist die Unterweisung in der Herstellung und im Umgang mit im Einzelnen in der Vorschrift näher bezeichneten Gegenständen – insbesondere Schusswaffen und Sprengstoffen – aber auch die Unterweisung in nicht näher bezeichneten „sonstigen“ Fertigkeiten. Hinsichtlich der Beschreibung der Ausbildungsinhalte knüpft die Vorschrift zum Teil an 100 den Wortlaut von §§ 310 Abs. 1, 330a Abs. 1 an, sodass aus dem diesbezüglichen Stand der Rechtswissenschaft Anknüpfungspunkte für die Auslegung gewonnen werden können.398 Der Begriff „Umgang“ erfasst alle Tätigkeiten, die auf die Begehung der vorzubereitenden Tat gerichtet sind, über den Transport, die Tarnung, die Lagerung, die Verwendung bis hin zur Vernichtung.399 Taugliche Täter sind sowohl der Ausbilder (Absatz 2 Nr. 1 Alt. 1) wie auch der Auszubildende (Absatz 2 Nr. 1 Alt. 2). Bei der Auslegung des Begriffs der Unterweisung und des Sich-Unterweisen-Lassens kann auf den sprachlich verwandten Begriff der Schulung in § 87 Abs. 1 Nr. 5 zurückgegriffen werden. Unter einer Unterweisung ist daher die allgemeine Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten zu verstehen; Sich-Unterweisen-Lassen bedeutet, sich die erforderlichen spezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen.400 Zwar hatte der Gesetzgeber bei der Einführung des Tatbestands vor allem die Fallgruppe 101 des Besuchs eines Ausbildungscamps einer terroristischen Vereinigung verbunden mit einer Ausbildung an Kriegswaffen im Auge.401 Dass die Tathandlung dort erfolgt, ist jedoch nicht zwingend.402 Die Ausbildung kann über das Internet, per Livestream oder Chat (z. B. Telegram oder WhatsApp),403 aber auch auf legale Weise im Rahmen einer Ausbildung bei der Bundeswehr oder eines Chemiekurses an einer Universität erfolgen.404 Erforderlich ist ein kommunikativer Akt zwischen Unterweisendem und Unterwiesenem, der die Unterrichtung über einen von der Vorschrift erfassten Ausbildungsinhalt zum Gegenstand hat. Er muss darauf gerichtet sein, dass der Unterwiesene die Handlung, mit den ihm vermittelten Kenntnissen und Fähigkeiten nach Abschluss der Unterrichtung auch ausführen kann; ein kollusives Zusammenwirken ist nicht erforderlich.405 Ein persönlicher Kontakt zwischen den beiden Personen ist nicht erforderlich, sie müssen sich noch nicht einmal kennen. Die Wissensvermittlung kann auch einseitig, mittelbar oder auf Abruf per E-Mail oder SMS erfolgen. Jedoch muss dem Lehrenden die Existenz der unterwiesenen Person bekannt sein. Wer lediglich ein Lehrbuch veröffentlicht oder eine allgemeine Handlungsanweisung ins Internet einstellt, unterweist nicht.406 397 Vgl. BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 44; BGH BeckRS 2019 14496 Rdn. 38; Biehl JR 2018 317, 320; Fischer § 89c Rdn. 3; Schäfer MK § 89c Rdn. 12; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 89c Rdn. 3.

398 BTDrucks. 16/12428 S. 13; Zöller SK Rdn. 22. 399 Fischer Rdn. 28; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 12; Mayk S. 52; Schäfer MK Rdn. 35; enger Zöller Terrorismusstrafrecht S. 568. 400 Aliabasi S. 164; Gazeas AnwK Rdn. 52; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 597; Hellfeld S. 248. 401 BTDrucks. 16/12428 S. 15, 17; vgl. insoweit auch die zugrundeliegenden Sachverhalte von BGH BeckRS 2016 115077 Rdn. 5; BGH NStZ-RR 2018 42; BGH NStZ-RR 2019 177; OLG München StV 2016 505. 402 Mayk S. 46; Schäfer MK Rdn. 36; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10. 403 BGH NStZ 2018 89; BGH BeckRS 2019 3832 Rdn. 18 f.; OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 13;. 404 Vgl. hierzu die nach dem Zusatzprotokoll des Übereinkommens des Europarats erfassten Fallgruppen in BTDrucks. 19/9507 S. 14. 405 BGH NStZ 2018 89; OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 13; Haverkamp FS Schöch 381, 391; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 10; Mayk S. 43; Zöller SK Rdn. 28. 406 Schäfer MK Rdn. 37; Zöller SK Rdn. 28. 183

Engelstätter

§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

Das bloße Selbststudium – insbesondere die Lektüre im Internet veröffentlichter Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen – fällt nicht unter die Vorschrift, es sei denn, es kommt nach der Lektüre doch noch zu einem persönlichen Kontakt z. B. in Form eines Feedbacks.407 Zu prüfen ist vielmehr § 91 (s. § 91 Rdn. 27).408 103 Der Tatbestand des Absatzes 2 Nr. 1 erfasst auch Versuchskonstellationen im materiellen Sinne (Rdn. 10). Auf einen Ausbildungserfolg kommt es nicht an.409 Wird die Schulungstätigkeit unerwartet beendet oder abgebrochen, ist der Tatbestand gleichwohl erfüllt. Dass der Unterwiesene die ihm im Rahmen der Ausbildung vermittelte Technik am Ende tatsächlich beherrscht, ist für die Erfüllung des Tatbestands nicht relevant. Eine Ausnahme kommt nur in Betracht für untaugliche Unterweisungshandlungen, z. B. die Unterweisung einer Person, die körperlich oder geistig nicht in der Lage ist, die vermittelten Ausbildungsinhalte in die Tat umzusetzen (s. Rdn. 137). Die Alternative des Sich-Unterweisen-Lassens ist spiegelbildlich zur Unterweisung auszu104 legen.410 Auch hier ist ein kommunikativer Akt zwischen „Schüler“ und „Lehrer“ unabdingbar, nicht jedoch ein Unterweisungserfolg.411 Begrifflich nicht erfasst ist das Studium von Fachliteratur, das Aufrufen von Webseiten und die Nutzung nicht interaktiver Internetinhalte.412 Auch das bloße Üben ohne Anwesenheit des Ausbilders fällt nicht unter die Norm.413 Erforderlich ist auch, dass der Auszubildende die mit der Unterweisung vorbereitete staatsgefährdende Gewalttat tatsächlich kennt. Soweit darüber hinaus ein kollusives Zusammenwirken mit dem Ausbilder gefordert wird,414 steht dies nicht im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers. Dieser wollte gerade auch die Fälle erfassen, in denen sich ein Täter eine Ausbildung erschleicht, ohne dass der Ausbilder den kriminellen Hintergrund seines Tuns erkennt. Anderenfalls wäre ein Täter, der sich unterweisen lassen möchte, um eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen, straflos, wenn er sich zielgerichtet einen gutgläubigen Ausbilder sucht und anstatt zu einer terroristischen Vereinigung in unwegsames Gebiet zu reisen, sich zum Schein als Soldat bei der Bundeswehr verpflichtet.415 102

105 aa) Schusswaffen. Absatz 2 Nr. 1 Var. 1 erfasst die Ausbildung im Umgang mit und in der Herstellung von Schusswaffen. Der Waffenbegriff in Absatz 2 Nr. 1 bleibt hinter den Vorgaben des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus sowie hinter den unionsrechtlichen Vorgaben der Art. 7, 8 der Richtlinie zur Bekämpfung des Terrorismus (EU) 2017/541 zurück, die beide nicht nur die Ausbildung an Feuerwaffen, sondern auch an allen anderen Waffen erfassen (Rdn. 22, 28). Maßgebend für die Strafbarkeit nach deutschem Recht ist Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1 zum WaffG. Erfasst sind damit nur Schusswaffen im verwaltungsrechtlichen Sinn.416 Es muss sich um Gegenstände handeln, die zum Angriff oder zur Verteidigung, zur Signalgebung, zur Jagd, zur Distanzinjektion, zur Markierung, zum Sport oder aber auch zum Spiel bestimmt sind und bei denen Geschosse durch einen Lauf getrieben werden. Nicht erfasst werden gem. Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 2 zum WaffG Schuss407 BGH StV 2018 103, 105; OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 14; Gazeas AnwK Rdn. 51; Mayk S. 43; Schäfer MK Rdn. 37; Zöller SK Rdn. 28; aA Backes StV 2008 654, 657. 408 BGH StV 2018 103, 105, 107; Biehl JR 2018 317, 319; vgl. auch BTDrucks. 19/9507 S. 12. 409 BGH NStZ 2018 89; Aliabasi S. 164; Fischer Rdn. 30; Mayk S. 45; Schäfer MK Rdn. 36; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10. 410 BGH NStZ 2018 89. 411 Krit. Gazeas AnwK Rdn. 52; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10. 412 OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 14; Gazeas AnwK Rdn. 52. 413 Fischer Rdn. 31; Kauffmann S. 85; Mayk S. 45; Schäfer MK Rdn. 38; Zöller SK Rdn. 28. 414 Paeffgen NK Rdn. 43; Zöller SK Rdn. 28. 415 Fischer Rdn. 30; Kauffmann S. 85; Mayk S. 51; Schäfer MK Rdn. 39; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10; aA Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 597. 416 Biehl JR 2018 317, 321; Gazeas AnwK Rdn. 39; Paeffgen NK Rdn. 35; Schäfer MK Rdn. 40. Engelstätter

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VI. Objektiver Tatbestand

StGB § 89a

waffen gleichgestellte Gegenstände, z. B. Armbrüste, oder die in Nr. 1. 3 der Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG aufgeführten Teile von Schusswaffen oder Schalldämpfer.417 Die Ausbildung im Umgang mit derartigen Gegenständen ist jedoch als Vermittlung einer „sonstigen Fertigkeit“ gem. Variante 8 zu bewerten (s. Rdn. 114).

bb) Sprengstoffe. Ebenso erfasst ist die Ausbildung in der Herstellung von oder im Umgang 106 mit Sprengstoffen (Variante 2). Maßgebend ist auch hier die verwaltungsrechtliche Rechtslage, insbesondere die Vorschriften der §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 3 Nr. 1, 4, 5 SprengG. Das Tatbestandsmerkmal erfasst feste, gasförmige oder flüssige Stoffe sowie Zubereitungen, die durch eine nicht außergewöhnliche thermische, mechanische oder andere Beanspruchung zur Explosion gebracht werden können,418 z. B. Dynamit, Nitroglyzerin oder – in der Rechtspraxis aufgrund ihrer verhältnismäßig leichten Herstellbarkeit aus diversen Alltagsutensilien besonders relevant – Triacetontriperoxid (TATP)419 und Ammonal.420

cc) Spreng- und Brandvorrichtungen. Für die Auslegung der Unterweisung im Umgang mit 107 und in der Herstellung von Spreng- und Brandvorrichtungen gem. Variante 3 wird teilweise eine Auslegung anhand sprengstoffrechtlicher Bestimmungen vorgeschlagen.421 Die überwiegende Literatur greift dagegen auf § 316c Abs. 4 zurück, der die Herstellung sonstiger zur Herbeiführung einer Explosion oder eines Brandes bestimmter Stoffe oder Vorrichtungen pönalisiert.422 Beide Ansätze führen zu Abgrenzungsproblemen innerhalb des Tatbestands des Absatzes 2 Nr. 1, da sie letztlich jegliches Zubehör zur Begehung eines Explosionsverbrechens erfassen, obwohl nach dem ausdrücklichen Wortlaut von Variante 7 nur die zur Ausführung der späteren Gewalttat erforderlichen Vorrichtungen tatbestandsmäßig sein sollen. Demgemäß wird mittlerweile ein dritter – waffenrechtlicher – Ansatz vorgeschlagen, der in Anlehnung an Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.4 zu § 2 Abs. 2–4 WaffG alle Gegenstände erfasst, bei denen leicht entflammbare Stoffe so verteilt und entzündet werden, dass schlagartig ein Brand entstehen oder in denen unter Verwendung explosionsgefährlicher oder explosionsfähiger Stoffe eine Explosion ausgelöst werden kann.423 In der Rechtspraxis halten sich die Unterschiede der drei Auslegungsansätze jedoch in Grenzen. Die Abgrenzung zu den von Absatz 2 Nr. 1 Var. 7 erfassten „zur Ausführung der Tat erforderlichen Vorrichtungen“ ist auch dergestalt möglich, dass eine Spreng- oder Brandvorrichtung i. S. v. Variante 3 nach ihrer Art, Zubereitung oder Zusammenfügung bereits eine Apparatur darstellen muss, die unmittelbar zur Begehung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat geeignet ist, während eine „Vorrichtung“ i. S. v. Variante 7 der weiteren Verbindung und Zusammensetzung mit anderen Gegenständen bedarf.424 Als Beispiele in der Praxis für die Verwirklichung von Variante 3 kommen in Betracht: Brandsätze, Molotov-Cocktails, Auto- oder Nagelbomben, Sprengstoffgürtel für Selbstmordattentate sowie brennbare Flüssigkeiten und Gase.

417 Aliabasi S. 160; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 596; Zöller SK Rdn. 24. 418 Fischer Rdn. 26; Mertens S. 107; Mayk S. 58; Schäfer MK Rdn. 40. 419 Zu dieser Substanz vgl. etwa die BGH BeckRS 2018 10518 Rdn. 7; BGH BeckRS 2019 6133 Rdn. 2; OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 4 sowie LG Dortmund BeckRS 2017 142592 Rdn. 24, 30 zugrundeliegenden Sachverhalte. 420 Zu dieser Substanz vgl. BGH BeckRS 2019 3832 Rdn. 19 (Beschaffung von Kältekompressen und Metallkugeln zwecks Gewinnung der Grundzutaten Aluminiumpulver und Ammoniumnitrat). 421 Fischer Rdn. 26. 422 Gazeas AnwK Rdn. 41; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 596; Paeffgen NK Rdn. 37; Schäfer MK Rdn. 40; Zöller SK Rdn. 24. 423 Aliabasi S. 161; Mertens S. 107 ff. 424 Mayk S. 53; Schäfer MK Rdn. 40; Zöller SK Rdn. 24. 185

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

108 dd) Kernbrenn- oder sonstige radioaktive Stoffe. Für Kernbrenn- und sonstige radioaktive Stoffe gem. Variante 4 gilt die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 AtomG. Danach ist der radioaktive Stoff als Oberbegriff zu verstehen und erfasst alle Stoffe, die ein Radionuklid oder mehrere Radionuklide enthalten und deren Aktivität oder spezifische Aktivität im Zusammenhang mit der Kernenergie oder dem Strahlenschutz nach den Regelungen des AtomG oder einer aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen nicht außer Acht gelassen werden kann. Kernbrennstoffe sind gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 AtomG besondere spaltbare Stoffe in Form von Plutonium 239 oder Plutonium 241 (Nr. 1) mit den Isotopen 235 oder 233 angereichertes Uran (Nr. 2), jeder Stoff, der einen oder mehrere der in den Nummern 1 und 2 genannten Stoffe enthält (Nr. 3) oder Stoffe, mit deren Hilfe in einer geeigneten Anlage eine sich selbst tragende Kettenreaktion aufrechterhalten werden kann und die in einer gesonderten Rechtsverordnung bestimmt werden (Nr. 4).425

109 ee) Stoffe, die Gift enthalten oder hervorbringen können. Für die Bestimmung von Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können (Variante 5), kann auf die § 330a Abs. 1 zurückgegriffen werden.426 Ein Gift ist danach jeder anorganische oder organische Stoff, der unter bestimmten Bedingungen durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung die Gesundheit eines Menschen beeinträchtigen kann.427 In Betracht kommen z. B. pflanzliche Pilze, Stechapfelsamen, Rizinussamen und tierische Gifte aber auch Arsen, Zyankali, Säuren, Benzol, Rizin oder Quecksilber.428 Das Gift kann entweder in den jeweiligen Stoffen bereits enthalten sein, aber auch durch diese z. B. durch den Kontakt mit anderen Umweltmedien erst hervorgebracht werden.429

110 ff) Andere gesundheitsschädliche Stoffe. Die Reichweite dieses Tatbestandsmerkmals (Variante 6) ist umstritten. Der Gesetzgeber hat den Begriff § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 entnommen und will mit der Formulierung in erster Linie Krankheitserreger, insbesondere biologische Kampfstoffe, erfassen.430 Im Kontext der Körperverletzungsdelikte erfasst der Begriff jedoch alle mechanisch oder thermisch wirkenden Stoffe, mithin neben Bakterien, Viren, radioaktiv verseuchten Stoffen und sonstigen Krankheitserregern auch zerstoßenes Glas, zerhacktes Metall, Kochsalz sowie heiße und kalte Flüssigkeiten.431 Soweit in Betracht kommt, den Begriff im Rahmen des § 89a nicht zuletzt im Hinblick auf das Tat- und Schuldprinzip dahingehend einschränkend auszulegen, dass nur solche Stoffe von dem Merkmal erfasst werden, die von ihrer Natur her typischerweise und ohne Berücksichtigung ihres Einsatzes im Einzelfall geeignet sind, die Gesundheit von Menschen tatsächlich zu zerstören (vgl. Rdn. 52),432 ist dem nicht zu folgen.433 In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist die Hochzonung der Anforderungen des subjektiven Tatbestands ausreichend (Rdn. 59). Auch auf einfach gesetzlicher Ebene ist eine restriktive Auslegung nicht nur nicht in der Norm angelegt; sie würde zudem dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, der keine Einschränkung des Merkmals in den Gesetzestext mit aufgenommen 425 Gazeas AnwK Rdn. 42; Mayk S. 53; Schäfer MK Rdn. 40; Zöller SK Rdn. 24. 426 Gazeas AnwK Rdn. 43; soweit die Gesetzesmaterialien auf § 330 verweisen, handelt es sich um einen redaktionellen Fehler, vgl. BTDrucks. 16/12428 S. 15.

427 Aliabasi S. 162; Zöller SK Rdn. 25. 428 BGH BeckRS 2019 3832 Rdn. 17 f. (Herstellung des Toxins Rizin aus einer Mischung von Aceton und Rizinussamen). Kaufmann S. 82; Mayk S. 54; Mertens S. 109; Paeffgen NK Rdn. 39. BTDrucks. 16/12428 S. 15. Aliabasi S. 162; Mayk S. 55; Zöller SK Rdn. 25. Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 596; Gazeas AnwK Rdn. 44; Haverkamp FS Schöch 381, 389; Paeffgen NK Rdn. 42; Zöller Terrorismusstrafrecht S. 567; ders. SK Rdn. 25. 433 Fischer Rdn. 26; Mayk S. 61; Kauffmann S. 82; Schäfer MK Rdn. 40.

429 430 431 432

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VI. Objektiver Tatbestand

StGB § 89a

hat. Im Übrigen erscheinen nur schwerlich Fallkonstellationen vorstellbar, in denen die beispielhaft bemühte Unterweisung in die Bedienung eines Wasserkochers auf die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gerichtet ist.

gg) Zur Ausführung der Tat erforderliche besondere Vorrichtungen. Variante 7 kriminali- 111 siert die Ausbildung im Umgang mit sowie in der Herstellung von zur Ausführung der geplanten Gewalttat erforderlichen besonderen Vorrichtungen. Zwar hat der Gesetzgeber den Begriff nur unzureichend und wenig aussagekräftig konkretisiert,434 ein Verstoß gegen das Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 Abs. 2 GG liegt jedoch nicht vor (Rdn. 41).435 Dem Begriff unterfallen in erster Linie technische Apparaturen und Instrumente, Zünder und sonstiges technisches Zubehör für die Durchführung der geplanten Gewalttat, nicht aber Alltagsgegenstände.436 Variante 7 knüpft an § 310 an. Als zur Ausführung der Tat erforderliche besondere Vorrichtung sind dort angesehen worden: selbstgefertigte Zünder, die funktechnische Vorrichtung zur Zündauslösung sowie ein Stahlrohrkörper mit Schlusskappen.437 Die bloße Anhäufung alltäglicher Gegenstände wie Portionierungsspritzen, handelsübli- 112 che Silvesterböller, Zündhölzer sowie Schwefelsäure und Metallkugeln, die nach dem Plan des Täters zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Bombe zusammengesetzt werden sollen, ist solange keine „besondere Vorrichtung“ nach Absatz 2 Nr. 1, wie es nicht zu einer Einfügung in das deliktische Vorhaben aufgrund weitergehender technischer Präparierung gekommen ist.438 Dies gilt auch für den Erwerb von Weckern, Mobiltelefonen, Zündschnüren oder Batterien, die noch nicht mit weiteren Teilen des geplanten Sprengsatzes zu einem vollständigen Zündmechanismus verbunden worden sind.439 Die Sammlung von Gegenständen und Stoffen, die zu einer unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) verarbeitet werden sollen, kann im Einzelfall jedoch § 89a Abs. 2 Nr. 3 unterfallen (Beispiele unter Rdn. 124).440 Von einer Spreng- und Brandvorrichtung gem. Absatz 2 Nr. 1 Var. 3 unterscheidet sich eine „zur Ausführung der Tat besondere Vorrichtung“ gem. Absatz 2 Nr. 1 Var. 7 dadurch, dass sie anders als die von Variante 3 erfassten Gegenstände wie Molotov-Cocktails oder Sprengstoffgürtel noch keine Gesamtapparatur darstellt, sondern der weiteren Zusammensetzung bedarf. Liegt nach diesen Maßstäben eine „besondere Vorrichtung“ vor, so ist ihre Erforderlichkeit 113 zur Ausführung der geplanten Gewalttat zu prüfen. Dieses Merkmal ist erfüllt, wenn der betreffende Gegenstand einen hinreichenden deliktischen Bezug aufweist und ihm im Rahmen der Tatplanung keine untergeordnete Rolle zufällt.441 Auch Vorrichtungen, die lediglich dem Transport oder der Tarnung des geplanten Sprengsatzes dienen, fallen unter den Tatbestand.442 Die Erforderlichkeit zur Tatausführung ist auch gegeben, wenn der Täter bei der Tatplanung in Alternativen denkt und sich z. B. in der Herstellung verschiedener Zündmechanismen (Mobiltelefon, Wecker, Lichtschranke) unterweisen lässt, von denen er aber nur denjenigen zum Einsatz bringen will, für den er sich später die notwendigen Grundbestandteile beschaffen kann. Gleiches gilt für die Vorbereitung sog. Backup-Szenarien, wenn sich der Täter in der Herstellung 434 435 436 437 438

Krit. Fischer Rdn. 27; Schäfer MK Rdn. 41. BGHSt 59 218, 224; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 596; Hellfeld S. 223; Hungerhoff S. 123. BTDrucks. 16/12428 S. 15; vgl. auch BTDrucks. IV/2186, S. 3 zu § 311a StGB aF, nunmehr § 310 StGB. OLG Karlsruhe NStZ 2012 390, 391. OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 18; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 11; Mayk S. 63; vgl. auch Fischer § 310 Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch § 310 Rdn. 5. 439 Gazeas AnwK Rdn. 45; Zöller SK Rdn. 26. 440 Vgl. insoweit den BGH BeckRS 2018 10518 Rdn. 7 zugrundeliegenden Sachverhalt: Ansammlung von Lichterketten, Streichhölzer, Glühbrückenzünder, Einwegspritzen, Funkgeräten, Batteriesäure, Teethermometern und Nagellackentferner, die zur Herstellung von TATP dienen sollten. 441 Vgl. OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 18; Aliabasi S. 233; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 597; Hellfeld S. 223; Schäfer MK Rdn. 41; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12. 442 AA Gazeas AnwK Rdn. 45; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Zöller SK Rdn. 26. 187

Engelstätter

§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

verschiedener Zündmechanismen unterweisen lässt, von denen einige aber nur für den Fall zum Einsatz kommen sollen, dass der Hauptzündmechanismus fehlschlägt.443 Abzustellen ist insoweit auf den vom Täter verfolgten Gesamtplan. Dass er sich durch verschiedene Unterweisungen besonders gründlich vorbereitet, um jegliche Unwägbarkeiten bei der Tatausführung auszuschließen, lässt die Tatbestandsmäßigkeit der letztlich nicht weiter verfolgten Unterweisungen nicht entfallen.

114 hh) Ausbildung in unbenannten Fertigkeiten. Absatz 2 Nr. 1 Var. 8 erfasst schließlich die Ausbildung in nicht benannten sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung einer der im Katalog der Staatsschutzklausel in § 89a Abs. 1 Satz 2 genannten Straftaten dienen. Das deutsche Recht geht mit dieser Formulierung über die Vorgaben des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus sowie die Richtlinie zur Bekämpfung des Terrorismus 2017/541/EU hinaus, die die Unterweisung in „spezifischen Methoden und Verfahren“ fordern (Rdn. 31). Eine „sonstige Fertigkeit“ gem. Variante 8 meint jede beliebige, geistige, technische oder sonstige menschliche Fähigkeit, die sich erlernen oder trainieren lässt. Da Absatz 2 Nr. 1 nur die Ausbildung an Schusswaffen erfasst (Rdn. 105), unterfallen diesem Tatbestand alle anderen Waffenausbildungen, insbesondere der Umgang mit Armbrüsten oder Bögen, aber auch mit Schwertern, Messern oder Äxten. Soweit darüber hinaus gefordert wird, Tathandlungen, die einen objektiv sozialadäquaten 115 Hintergrund aufweisen oder auf legaler Basis genutzt werden können, mangels Unrechtsgehalts aus dem Tatbestand auszuschließen (Rdn. 42, 52),444 ist dem nicht zu folgen.445 Vielmehr ist die für Fallkonstellationen der Eigenvorbereitung vorzunehmende Hochzonung der Anforderungen des subjektiven Tatbestands als ausreichend zu bewerten, um den Anforderungen des GG zu entsprechen (Rdn. 63). Nur diese Lösung wird dem Willen des Gesetzgebers und den internationalen Vorgaben gerecht, der Vielgestaltigkeit terroristischer Handlungsformen angemessen zu begegnen. Tatbestandsmäßig sind damit auch für sich genommen legale Fähigkeiten, die aber für die Umsetzung der geplanten schweren staatsgefährdenden Gewalttat unerlässlich sind, wie z. B. das Fliegen eines Flugzeugs, das Navigieren eines Öltankers oder das Steuern eines LKWs, die mit Gebäuden oder anderen Fahrzeugen kollidieren sollen, um eine Vielzahl von Menschen zu töten.446 In den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen zudem: das Erlernen einer Fremd- oder Programmiersprache zur Vorbereitung eines Cyberangriffs, die Waffenausbildung bei der Bundeswehr, Schießübungen im Schützenverein, der Unterricht in waffenlosen Nahkampftechniken im Sportverein oder Fitnessstudio sowie die Auswahl oder Herstellung von Kleidungsstücken, die geeignet sind, einen Sprengstoffgürtel zu verstecken.447 Die Gesetzesbegründung selbst nennt als Weiteres Beispiel die Unterweisung in logistischen Fähigkeiten, die zur Begehung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat benötigt werden, z. B. die Überwindung oder Manipulation von Wegfahrsperren an einem Kraftfahrzeug, die Beschaffung von gefälschten Dokumenten sowie das Auskundschaften des Tatorts.448 In Betracht kommt auch die Vermittlung einer radikalen ideologischen Einstellung oder Überzeugung im Sinne einer Festigkeit im Glauben, die zur Radikalisierung des Täters und seiner Bereitschaft führt, Hemmschwellen zu überwinden und sein eigenes Leben bei der Begehung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu opfern. 443 Fallbeispiele bei Mayk S. 65 ff. 444 Aliabasi S. 306; Gazeas AnwK Rdn. 47; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 597; SSW/Güntge Rdn. 9; Haverkamp FS Schöch 381, 390; Hellfeld S. 225; Hungerhoff S. 133; Zöller Terrorismusstrafrecht S. 569.

445 So Mayk S. 79; Schäfer MK Rdn. 43. 446 Vgl. BTDrucks. 16/12428 S. 15; zu den internationalen Vorgaben nach dem Zusatzprotokoll des Abkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus siehe BTDrucks 19/9507 S. 12; vgl. auch OLG Hamburg BeckRS 2019 46135 Rdn. 37 (Teilnahme am Fahrschulunterricht). 447 Schäfer MK Rdn. 42; krit. Deckers/Heusel ZRP 2008 169, 171; Zöller SK Rdn. 27 m. w. N. 448 BTDrucks. 16/12428 S. 15. Engelstätter

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VI. Objektiver Tatbestand

StGB § 89a

b) Verschaffungstatbestand gem. Absatz 2 Nr. 2. Absatz 2 Nr. 2 pönalisiert den Umgang 116 mit sämtlichen in Absatz 2 Nr. 1 aufgeführten Gegenständen und Substanzen (Waffen, Sprengstoffe, Spreng- und Brandvorrichtungen, radioaktive, giftige und gesundheitsschädliche Stoffe sowie zur Ausführung der Tat erforderliche Vorrichtungen).449 Auch der verwaltungsrechtlich legale Erwerb oder Besitz der Gegenstände z. B. aufgrund einer waffenrechtlichen Erlaubnis erfüllt das Tatbestandsmerkmal. Die Vorschrift erfasst – entgegen den Vorgaben des Völker- und Europarechts (Rdn. 28) – wie Absatz 2 Nr. 1 lediglich Schusswaffen im waffenrechtlichen Sinne, nicht aber Armbrüste, Küchen- oder Taschenmesser. Auch Fahrzeuge, die der Täter zur Anschlagsbegehung einsetzen will, sind keine Waffen i. S. v. Absatz 2 Nr. 2. Auf der anderen Seite gilt der Tatbestand aber nicht nur für Sprengstoffe und Sprengvorrichtungen, die tatsächlich bei der schweren staatsgefährdenden Gewalttat eingesetzt werden sollen. Er ist vielmehr bereits dann erfüllt, wenn der Täter zunächst nur einen Sprengkörper zu Probezwecken herstellt (sog. „Testbombe“), da auch dies der Vorbereitung der letztlich vorbereiteten Tat dient. Ein Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen dem hergestellten Sprengstoff und seiner tatsächlichen Verwendung bei der geplanten Gewalttat ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus systematischen oder teleologischen Erwägungen.450 Der Täter muss jedoch die tatsächliche Verfügungsgewalt über Gegenstände erlangen, die ihn in die Lage versetzen, in das Versuchsstadium einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat einzutreten. Obwohl es sich um ein unechtes Unternehmensdelikt handelt, ist der Versuch einer Tathandlung nach Absatz 2 Nr. 2 („Herstellen“, „Verschaffen“, „Verwahren“, „Überlassen“) straflos (Rdn. 10). In der Rechtspraxis wird eine Tathandlung nach Absatz 2 Nr. 2 in vielen Fällen auch die 117 Voraussetzungen des objektiven Tatbestands von § 89c Abs. 1, 2 erfüllen, der weitergehend nicht an bestimmte Gegenstandsgruppen, sondern allgemein an Weiterleitung, Entgegennahme oder die Sammlung von Vermögenswerten anknüpft. Hierzu kann auch die Beschaffung von Tatmitteln aller Art (einschließlich Hieb- und Stichwaffen) oder die Anmietung eines Fahrzeugs zählen (vgl. § 89c Rdn. 79; zum Konkurrenzverhältnis siehe Rdn. 187).451 Die vier Tatvarianten von Absatz 2 Nr. 2 lassen sich in Anlehnung an die zu §§ 87 Abs. 1 118 Nr. 3, 310 entwickelten Grundsätze konkretisieren. Unter Herstellen ist die tatsächliche, zur Gebrauchsfertigkeit führende Fertigstellung eines Gegenstandes zu verstehen.452 Erfasst ist auch das Herstellenlassen in mittelbarer Täterschaft durch einen gut- oder bösgläubigen Dritten.453 Eine Sache verschafft sich, wer die tatsächliche Herrschaftsgewalt über sie erhält, sei es durch legalen Erwerb, Fund oder Straftat.454 Die Tatvariante ist in der Rechtspraxis z. B. zu prüfen, sobald bei einem „foreign fighter“ nach seiner Rückkehr aus einem Jihadgebiet nach Deutschland Bilder gefunden werden, die ihn im Besitz von Kriegswaffen zeigen, was einen Anfangsverdacht dahingehend begründet, dass er sich diese i. S. d. Norm zumindest verschafft haben muss. Absatz 2 Nr. 2 kriminalisiert aber auch Fälle der Drittverschaffung, in denen eine dritte Person auf Veranlassung des Täters die Verfügungsgewalt über den betreffenden Gegenstand erlangt.455 Verwahren meint demgegenüber die Ingewahrsamnahme eines Gegenstands einschließlich seiner Aufbewahrung zum späteren Gebrauch.456 Strafbar ist nicht nur die Begründung von Eigen-

449 Gazeas AnwK Rdn. 56; Kauffmann S. 87; Mayk S. 81; Schäfer MK Rdn. 46; Zöller SK Rdn. 27; aA Aliabasi S. 165; wonach zur Ausführung der Tat erforderliche Vorrichtungen (Absatz 2 Nr. 1 Var. 7) nicht von Absatz 2 Nr. 2 erfasst werden. Erfasst seien nur Spreng- und Brandvorrichtungen. 450 BGH BeckRS 2017 122780 Rdn. 25; vgl. auch OLG Hamburg BeckRS 2019 46135 Rdn. 32–36. 451 Vgl. BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 44; Biehl JR 2018 317, 320; Fischer § 89c Rdn. 3; Schäfer MK § 89c Rdn. 12; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 89c Rdn. 3. 452 Gazeas AnwK Rdn. 57; Schäfer MK Rdn. 45. 453 Aliabasi S. 165; Fischer Rdn. 33; Schäfer MK Rdn. 45. 454 Gazeas AnwK Rdn. 57; Mayk S. 81; Schäfer MK Rdn. 45. 455 Aliabasi S. 165; Mertens S. 104; Paeffgen NK Rdn. 45; Zöller SK Rdn. 29. 456 Vgl. dazu BGH BeckRS 2018 29825 Rdn. 9; BGH BeckRS 2019 6133 Rdn. 2 – Deponierung einer größeren, zur Begehung eines Anschlags bestimmten Menge TATP in einer Privatwohnung. 189

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besitz, sondern auch die Verwahrung durch einen Dritten.457 Die Variante des Überlassens eines Gegenstandes an einen anderen ist gegeben, sobald der Täter seine zu diesem Zeitpunkt bestehende Herrschaftsgewalt über einen Gegenstand auf eine andere Person überträgt.458

119 c) Verschaffungstatbestand gem. Absatz 2 Nr. 3. Absatz 2 Nr. 3 kriminalisiert das Sichverschaffen und Verwahren von Gegenständen und Stoffen, die für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen der in Absatz 2 Nr. 1 bezeichneten Art wesentlich sind. Die Norm ist in der Rechtspraxis von erheblicher Bedeutung. Ein Großteil der bislang zu § 89a vorliegenden Judikate befasst sich mit Absatz 2 Nr. 3. Den Entscheidungen liegen jeweils vergleichbare Fallkonstellationen zugrunde: Die jeweiligen Angeklagten befanden sich im Besitz eines Propagandavideos einer terroristischen Vereinigung mit einer Anleitung zur Herstellung des Sprengstoffes TATP. Daraufhin verschafften sie sich auf unterschiedlichen Wegen, die in dem Video genannten Grundstoffe und Gegenstände.459 120 Die einzelnen Tathandlungen („Verschaffen“ und „Verwahren“) orientieren sich an Absatz 2 Nr. 2, die Begrifflichkeiten an Absatz 2 Nr. 1.460 Obwohl die Norm als unechtes Unternehmensdelikt konzipiert ist, ist der Versuch der Verschaffung oder Verwahrung straflos (vgl. Rdn. 10). Der Tatbestand erfasst nur Handlungen von Tätern, die die vorbereitete Gewalttat auch selbst oder mit einem oder mehreren Mittätern begehen wollen. Die Vorbereitung der Tat eines Dritten ist dagegen nicht tatbestandsmäßig.461 Zu prüfen ist in diesen Fällen jedoch § 89c Abs. 1, da es sich bei den von Absatz 2 Nr. 3 erfassten körperlichen Gegenständen regelmäßig um Vermögenswerte im Sinne dieser Norm handeln wird (vgl. § 89c Rdn. 73). Absatz 2 Nr. 3 erfordert dagegen, dass der Täter sich die Gegenstände oder Stoffe mit Gebrauchswillen selbst verschafft und sie auch selbst aufbewahrt. Die Vorschrift ist als Auffangtatbestand im Verhältnis zu Absatz 2 Nr. 2 konzipiert und soll Fälle erfassen, in denen der Täter sich zwar bereits die Grundbestandteile oder -stoffe für die von ihm geplante Gewalttat verschafft, diese aber noch nicht weiterverarbeitet hat. Auch dies kann im Einzelfall zugleich die objektiven Voraussetzungen des § 89c Abs. 2 erfüllen, (vgl. § 89c Rdn. 79; Konkurrenzen Rdn. 187).462 121 Die Literatur qualifiziert Absatz 2 Nr. 3 als Vorbereitungsdelikt zu einem Vorbereitungsdelikt, nämlich einer Handlung nach Absatz 2 Nr. 2.463 Damit ist für die juristische Handhabung der Vorschrift jedoch noch nicht viel gewonnen, da auch die Unterweisung im Umgang mit Sprengstoffen gem. § 89a Abs. 2 Nr. 1 so bezeichnet werden kann. In jedem Fall aber muss der Täter bei einer Tat nach Absatz 2 Nr. 3 mindestens zwei Entscheidungen bis zur endgültigen Rechtsgutverletzung treffen. Zunächst muss er sich entscheiden, die tatbestandsmäßig nach der Vorschrift erworbenen Grundbestandteile oder -stoffe weiter, z. B. zu einem Sprengsatz, zu verarbeiten. Sodann muss er sich entschließen, den von ihm hergestellten Gegenstand tatsächlich einzusetzen und die schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen.464 Angesichts dieser weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit werden im Schrifttum gegen die Norm erhebliche Bedenken im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG465 sowie im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Vorschrift mit

457 Mayk S. 81; Schäfer MK Rdn. 45. 458 Gazeas AnwK Rdn. 57; Mayk S. 81; Schäfer MK Rdn. 45. 459 Vgl. BGHSt 59 218; BGH BeckRS 2018 10518; OLG München BeckRS 2018 13363; LG Frankfurt BeckRS 2014 18021; LG Dortmund BeckRS 2017 142592.

460 BTDrucks. 16/12428 S. 15; Aliabasi S. 166; Gazeas AnwK Rdn. 59; Zöller SK Rdn. 30. 461 KG StV 2012 345, 346; Mayk S. 82; Schäfer MK Rdn. 47. 462 Vgl. Biehl JR 2018 317, 320; Fischer § 89c Rdn. 3; Schäfer MK § 89c Rdn. 12; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 89c Rdn. 3. 463 Gazeas AnwK Rdn. 60; Haverkamp FS Schöch 381, 392; Kauffmann S. 87; Schäfer MK Rdn. 47. 464 Zöller SK Rdn. 30. 465 Backes StV 2008 654, 658; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 598; Gazeas AnwK Rdn. 63; Haverkamp FS Schöch 381, 392; Hellfeld S. 225; Hungerhoff S. 136; Paeffgen NK Rdn. 42; Steinsiek S. 322; Zöller SK Rdn. 30 f. Engelstätter

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dem Tat- und Schuldprinzip466 erhoben (Rdn. 43, 53). Diese Einwände haben in der Sache zwar Gewicht, zumal im Gesetz als einzige Einschränkung des Tatbestands das Merkmal der „Wesentlichkeit“ normiert ist. Sie führen jedoch aufgrund der hier im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH vertretenen Hochzonung der Anforderungen des subjektiven Tatbestands im Ergebnis nicht zur Verfassungswidrigkeit des Tatbestands (Rdn. 63). Aber auch unabhängig von der Verfassungsmäßigkeit des Tatbestands werden diverse Vor- 122 schläge zur Beschränkung der Norm diskutiert. So wird z. B. erwogen, sämtliche sozialadäquaten Handlungen aus dem Anwendungsbereich zu verbannen,467 auch wenn damit für die Norm kaum ein Anwendungsbereich mehr verbliebe.468 Vorgeschlagen wird zudem, den Tatbestand nur als erfüllt anzusehen, wenn der Verwendungszweck des Gegenstandes zielgerichtet verändert worden ist,469 sodass die Verwahrung größerer Mengen chemischer Grundstoffe wie z. B. Wasserstoffperoxid nicht mehr vom Tatbestand erfasst wäre. Möglich erscheint auch, unter Absatz 2 Nr. 3 nur nicht bereits von Absatz 2 Nr. 1, 2 erfasste explosions- und brandgefährliche Stoffe zu subsumieren.470 Als letzter Ansatz wird schließlich eine Einschränkung des Tatbestands auf Gegenstände oder Stoffe vertreten, die für die in Absatz 2 Nr. 1 genannten Tatmittel und Objekte „zwingend erforderlich“ sind.471 Erfasst werden sollen nur noch Gegenstände, die typischerweise zur Herstellung von Tatmitteln für staatsgefährdende Gewalttaten benötigt werden.472 Auch für diese Ansätze spricht, dass das Merkmal der „Wesentlichkeit“ i. S. e. trennscharfen Abgrenzung für die Rechtspraxis ansonsten nur schwerlich mit Leben gefüllt werden kann.473 Zu beachten ist jedoch die Intention des Gesetzgebers, der die Verwahrung auch großer 123 Mengen noch nicht zielgerichtet veränderter Stoffe erfassen wollte. Erfasst sind daher z. B. größere Mengen Wasserstoffperoxid, Schwarzpulver, Chemikalien, Chemikaliengemische, Öl, Benzin, Nägel oder Glassplitter.474 Zwar ist mit der Gesetzesbegründung davon auszugehen, dass fehlende Kleinteile von untergeordneter Bedeutung wie Schrauben oder Nägel für die Erfüllung des Tatbestands nicht relevant sind.475 Auch kann der Erwerb von Gegenständen mit einem alltäglichen Verwendungszweck (z. B. ein Wecker oder ein Handy) grundsätzlich nicht zur Verwirklichung des Tatbestands führen.476 Indes können gerade Alltagsgegenstände für den im konkreten Fall vom Täter geplanten Sprengsatz als Zündmechanismus eine geradezu essentielle Bedeutung haben.477 Dies kann nicht nur auf einen Wecker oder ein Handy zutreffen, sondern auch auf die die Zündung auslösende Spiralfeder oder ein Paket Nägel oder Schrauben, ohne die im Einzelfall die Herstellung einer funktionsfähigen Waffe nicht möglich sein kann.478 Maßgebend kann damit nur eine wertende Gesamtschau im Einzelfall sein.479 Der Tatbestand ist mithin schon dann als erfüllt anzusehen, wenn die Gegenstände oder Stoffe im Falle ihrer Zusammenführung oder technischen Manipulation ein taugliches Kampfmittel i. S. v. Absatz 2 Nr. 1 ergeben können.480 Dabei ist ein bestimmter, beim Täter aufgefundener Gegenstand nur dann 466 Gazeas AnwK Rdn. 60; Hellfeld S. 258; Zöller Terrorismusstrafrecht S. 571; aA Aliabasi S. 309; Kauffmann S. 88; Mayk S. 86; Schäfer MK Rdn. 51. 467 Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 388; Sieber NStZ 2009 353, 362. 468 Hungerhoff S. 136. 469 Backes StV 2008 654, 658. 470 Gazeas AnwK Rdn. 61; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 598; Paeffgen NK Rdn. 52. 471 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 15; Mayk S. 86; Schäfer MK Rdn. 51; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15. 472 Puschke S. 423. 473 Aliabasi S. 239; Schäfer MK Rdn. 49. 474 Gazeas AnwK Rdn. 61; Fischer Rdn. 34; vgl. auch Schäfer MK Rdn. 48. 475 LG Dortmund BeckRS 2017 142592 Rdn. 32. 476 BTDrucks. 16/12428 S. 15. 477 Schäfer MK Rdn. 50; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15. 478 Fischer Rdn. 34; Paeffgen NK Rdn. 49; Petzsche HRRS 2015 33, 34; Rackow FS Maiwald 615, 636. 479 BGHSt 59 218, 241; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 15. 480 BTDrucks. 16/12428 S. 15. 191

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nicht als „wesentlich“ i. S. v. Absatz 2 Nr. 3 anzusehen, wenn das konkret geplante Kampfmittel auch ohne seine Verwendung oder Weiterverarbeitung funktionieren könnte. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Tatbestand nicht nur erfüllt bei der Samm124 lung von Einzelteilen von Waffen (Kolben, Schalldämpfer, Magazinen, Patronen, Zielfernrohr), die der Täter noch zu einer Schusswaffe i. S. d. Absatzes 2 Nr. 1, 2 zusammensetzen muss, sondern auch bei folgenden Stoff- und Gegenstandsansammlungen: Islamistisches Propagandamagazin „Inspire“ mit einer Anleitung zur Herstellung von TATP („make a bomb in the kitchen of your mom“) 20 Päckchen Zündhölzer und Schwarzpulver aus Feuerwerkskörpern in einem Einmachglas dazu drei Rohrbögen aus Metall und mehrere Batterien, eine Lichterkette, drei Wecker und ein Mobiltelefon;481 2 Meter langes Kabel mit Kippschalter ohne Stecker und ohne Isolierung am Ende, eine Rolle Klebeband, eine 9-Volt Blockbatterie, eine 20 ml Kanüle, ein digitales Fieberthermometer, jeweils zwei Gummihandschuhe und zwei Weißblechdosen dazu ein Propaganda-Video des Islamischen Staates mit dem Titel „You must fight them, oh Muwahhid“, in dem ebenfalls die Herstellung von TATP erläutert wird;482 Lichterketten, Streichhölzer, Glühbrückenzünder, Einwegspritzen, Funkgeräte, Batteriesäure, Teethermometer und Nagellackentferner sowie eine nicht näher bezeichnete Videoanleitung aus dem Internet zur Herstellung von TATP;483 in einer elektrischen Kaffeemühle aus Aceton und Rizinussamen hergestelltes Rizin, 250 Metallkugeln, ein Glühbrückenzünder, Ersatzbirnen (1,5 V), zwei Voltmeter und Leitungsdrähte sowie drei Packungen Einmal-Kältekompressen zur Gewinnung von Ammoniumnitrat.484 Offen gelassen wurde der Tatbestand des § 89a Abs. 2 Nr. 3 dagegen für eine Stoffsammlung aus Schraubenzieher, Metallkugeln, Draht, Chinaböller, Werkzeug, eigenhändig hergestellte Leuchtdioden, Klebeband, Portionierungsspritzen, Zündhölzer, eine entladene Autobatterie, eine Flasche sechsprozentige Schwefelsäure sowie ebenfalls die Videodatei „You must fight them, oh Muwahhid“.485

125 d) „Terroristisch motivierte Ausreise“ gem. Absatz 2a. Nach Absatz 2a wird bestraft, wer eine schwere staatsgefährdende Gewalttat dadurch vorbereitet, dass er es unternimmt, zum Zweck der Begehung einer solchen Gewalttat (1. Alternative) oder zum Zweck der in Absatz 2 Nr. 1 genannten Handlungen (2. Alternative – „terroristische Ausbildung“) aus Deutschland auszureisen, um sich in einen Staat zu begeben, in dem Unterweisungen i. S. d. Absatzes 2 Nr. 1 erfolgen. Der Tatbestand will der Reisetätigkeit von Personen entgegen wirken, die Deutschland mit dem Ziel verlassen, sich terroristischen Gruppierungen im Ausland anzuschließen.486 Es handelt sich in allen Konstellationen um eine Inlandstat, die nicht in den Anwendungsbereich des § 89a Abs. 3 fällt und selbst dann keiner Verfolgungsermächtigung Absatz 4 bedarf, wenn eine solche für die beabsichtigte terroristische Ausbildung erforderlich wäre.487 Auch die Ausreise mit dem Ziel, sich zwecks Absolvierung einer paramilitärischen Ausbildung einer Gruppierung im Ausland anzuschließen, für die die Bundesregierung eine Ermächtigung gem. § 129b Abs. 1 Satz 3 bereits versagt hat, ist nach Absatz 2a grundsätzlich strafbar.488 126 Eine Tat nach Absatz 2a ist ein um eigenhändiges Delikt, das nur durch den Ausreisenden selbst begangen werden kann.489 Die Ausreise ist in der Regel der zeitlich letzte Zeitpunkt, den potentiellen Täter einer Gewalttat noch zu erreichen, bevor er sich im Unterweisungsland weiter 481 482 483 484 485 486 487 488 489

BGHSt 59 218; LG Frankfurt BeckRS 2014 18021. LG Dortmund BeckRS 2017 142592 Rdn. 24. BGH BeckRS 2018 10518 Rdn. 7. BGH BeckRS 2019 3832 Rdn. 18. OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 20 f. BTDrucks. 18/4087 S. 6; Schäfer MK Rdn. 52. BGHSt 62 103, 107; Zweigle S. 222 f. Krit. Ambos JR 2017 655, 656; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 19. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 18; Zweigle S. 335.

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radikalisiert, sich in terroristischen Vereinigungen verstrickt und bei seiner Rückkehr eine im Vergleich zur Ausreise größere Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland begründet.490 Darüber hinaus gefährdet die terroristisch motivierte Ausreise erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland, sofern zu erwarten ist, dass sich der Ausreisende an Gewalttaten beteiligen wird, die geeignet sind, die auswärtigen Beziehungen und das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland zu schädigen und im Einzelfall diplomatische Spannungen zu erzeugen.491 Dies gilt insbesondere für die Teilnahme am bewaffneten Jihad.492 Die schwere staatsgefährdende Gewalttat ist bereits hinreichend konkretisiert, wenn der Täter beabsichtigt, sich im Zielland, z. B. Syrien, an Kampfhandlungen zu beteiligen, bei denen auch Regierungssoldaten getötet werden sollen.493 Auch Absatz 2a dient der Umsetzung internationaler Vorgaben, insbesondere der Resoluti- 127 on des UN-Sicherheitsrats 2178/2014.494 Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten in Ziffer 6, jegliche Reisen ins Ausland in der Absicht, dort terroristische Taten zu begehen, bereits im Versuchsstadium strafrechtlich zu verfolgen (Rdn. 18). Eine ähnliche Regelung ist mittlerweile auch in Art. 4 des Zusatzprotokolls zum Abkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus (Rdn. 21) sowie in Art. 9 der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 (Rdn. 26) enthalten. In weiten Teilen des Schrifttums ist die Vorschrift gleichwohl teils auf erhebliche Bedenken gestoßen (Rdn. 54).495 Ungeachtet dessen geht die Rechtsprechung (Rdn. 56) im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung (Rdn. 59 ff.) von der Verfassungsmäßigkeit der Norm aus.496 Der Gesetzgeber hat den Tatbestand des Absatzes 2a im Anschluss an das Urteil des BGH vom 8.5.2014 (BGHSt 59 218) von Gesetzes wegen mit hohen Anforderungen im subjektiven Tatbestand versehen,497 die die Verlagerung der Strafbarkeit in das Vorfeld der Rechtsgutverletzung in verfassungsrechtlicher Hinsicht kompensieren.

aa) Tathandlung. Ausreise ist das Verlassen der Bundesrepublik durch das tatsächliche Über- 128 schreiten der Staatsgrenze.498 Bei der Ausreise auf dem Seeweg ist das Überfahren des Küstenmeerstreifens, regelmäßig die 12-Meile-Zone, maßgeblich; bei der Ausreise mit dem Flugzeug kommt es auf die Luftsäule über dem Staatsgebiet in einer Höhe zwischen 20 und 25 Meilen an.499 Reichweite und Verständnis des Begriffs der schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Absatz 2a entsprechen Absatz 1 S. 2 (s. Rdn. 80 ff.). Besondere Anforderungen an das Ziel der Reise lassen sich der Norm nicht entnehmen. Zielstaaten einer Tat nach Absatz 2a können grundsätzlich alle Staaten der Erde sein, unabhängig davon, ob sie aus deutscher Sicht als „Unrechtsregime“ zu bewerten wären (vgl. Rdn. 85). Soweit die Norm zumindest für die zweite Alternative (vgl. Rdn. 131) verlangt, dass in dem 129 Zielland terroristische Unterweisungen stattfinden, kann hinsichtlich des Begriffs der Unterwei490 BGHSt 62 103, 113; Biehl JR 2015 561, 567; Paul GSZ 2018 43, 44. 491 OVG Münster NVwZ-RR 2014 593, 595; VG Berlin BeckRS 2012 49190; VG Düsseldorf BeckRS 2015 45982; Fischer/Hoven/Raum S. 217, 222. 492 BGH BeckRS 2019 17583 Rdn. 15; OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2011 500; OVG Münster NVwZ-RR 2014 593, 595; OVG Münster BeckRS 2015 42734. VG Berlin BeckRS 2012 49190. 493 BGH BeckRS 2019 17583 Rdn. 14. 494 BTDrucks. 18/4087 S. 1, 6. 495 Aliabasi S. 323; Ambos JR 2017 655, 659; Gazeas/Grosse-Wilde StV 2018 84, 88; Kauffmann/Laissidou JR 2016 163, 172; Paeffgen NK Rdn. 58; Puschke S. 403, 423; ders. StV 2015 457, 464; ders. KriPoZ 2018 101, 103; Zöller GA 2016 90, 103; ders. SK Rdn. 35; Zweigle S. 486; aA Biehl JR 2015 561, 566; Georgiou Kriminalistik 2017 199; Mayk S. 149; Paul GSZ 2018 43. 496 BGHSt 62 102, 113 = NJW 2017 2928 m. Anm. Puschke = StV 2018 80 m. Anm. Gazeas/Grosse-Wilde = GSZ 2018 39 m. Anm. Paul; weitere Anmerkung bei Ambos JR 2017 655. 497 BGHSt 59 218; vgl. BTDrucks. 18/4087 S. 8, 10. 498 Zöller SK Rdn. 33; Zweigle S. 239. 499 Zweigle S. 242 f. 193

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sung auf zu Absatz 2 Nr. 1 verwiesen werden (Rdn. 99 ff.). Zwar hatte der Gesetzgeber bei der Einführung von Absatz 2a in erster Linie Reisen in Krisengebiete im Auge, in denen paramilitärische Ausbildungslager terroristischer Organisationen bestehen.500 Eine zwingende Beschränkung des Tatbestandes auf Reisen, mit dem Ziel ein solches „Terrorcamp“ zu besuchen, lässt sich der Gesetzesbegründung jedoch nicht entnehmen. Auch Wortlaut und Systematik der Norm sprechen für einen einheitlichen Unterweisungsbegriff in Absatz 2a und Absatz 2 Nr. 1, der neben Ausbildungen in „Terrorcamps“ auch für sich genommen legale Handlungen erfassen kann. Für eine Verurteilung erforderlich sind jedoch konkrete Feststellungen im Einzelfall, dass in dem Zielstaat tatsächlich terroristisch motivierte Ausbildungen in der von dem Täter angestrebten Art und Weise durchgeführt werden.501 Zwar kann dem Kriterium angesichts der Weite des Unterweisungsbegriffs auch bei diesem Verständnis nur eine begrenzte praktische Funktion zukommen, die Verfassungsmäßigkeit des Tatbestandes wird gleichwohl über die subjektiven Anforderungen gewahrt (Rdn. 59 ff.). Eine von Teilen der Literatur erwogene einschränkende Auslegung, nur Ausreisen in Länder zu pönalisieren, in denen nachweislich paramilitärische Ausbildungslager terroristischer Vereinigungen bestehen,502 widerspräche zudem Ziffer 6 der UN-Resolution 2178/2014 sowie Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2017/541, die Deutschland verpflichten, jegliche Reisen mit terroristischer Motivation mit Kriminalstrafe zu bedrohen. Tatbestandsmäßig können daher auch Ausreisen in Staaten sein, in denen zwar keine „Terrorcamps“ bestehen, für die jedoch konkrete Feststellungen getroffen werden können, dass Angehörige extremistischer Gruppierungen z. B. im Zielland befindliche allgemein zugängliche Schießstände für Schieß- oder Sprengübungen oder sonstiges Training nutzen.

130 bb) Tatalternativen. Nach der ersten Alternative macht sich strafbar, wer aus Deutschland ausreist, um sich – sei es als Gehilfe oder Täter – an einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat im Ausland zu beteiligen. Die zweite Alternative stellt darüber hinaus auch Ausreisen unter Strafe, die nur das Ziel verfolgen, sich im Ausland für die spätere Teilnahme an Gewalttaten ausbilden zu lassen oder hierzu auszubilden.503 Sie erfasst sowohl den Ausbilder wie auch den Ausbildungswilligen.504 Unklar ist, ob sich der letzte Satzteil des Tatbestands – also das Erfordernis, dass in dem Zielland terroristische Unterweisungen stattfinden – auf beide oder nur auf die letzte Alternative bezieht.505 Der BGH hat diese Frage noch nicht entschieden. Der Wortlaut der Vorschrift ist nicht eindeutig und würde beide Auslegungen zulassen.506 Auch die Gesetzesbegründung differenziert nicht zwischen den beiden Alternativen, sondern stellt nur auf das Phänomen der „foreign fighter“ ab, deren Reiseaktivitäten in Krisengebiete durch die Klausel „praxisnah“ erfasst werden sollen.507 131 Vor diesem Hintergrund schlägt ein Teil der Literatur vor, den letzten Satzteil von Absatz 2 auf beide Alternativen der Norm anzuwenden, mit der Folge, dass Ausreisen zum Zwecke der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nur dann mit Strafe bedroht sind, wenn die Tat in einem Land begangen werden soll, in auch dem terroristische Unterweisungen i. S. v. Absatz 2 Nr. 1 stattfinden.508 Eine Ausreise aus Deutschland mit dem Ziel, unmittelbar nach der

500 BTDrucks. 18/4087 S. 8, 10. 501 BGHSt 62 102, 105. 502 Dafür aber Mayk S. 241 sowie Zweigle S. 330, der wie im Außenwirtschaftsrecht die Erstellung einer Liste von durch § 89a Abs. 2a erfasste Zielstaaten fordert. BTDrucks. 18/4087 S. 7. Biehl JR 2015 561, 562; Mayk S. 239. „missglückte Kopplung“ Biehl JR 2015 561, 567; ders. JR 2018 317, 321; Zöller GA 2016 81, 103. So das Ergebnis der grammatikalischen Auslegung bei Mayk S. 236. BTDrucks. 18/4087 S. 10. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 18; Zöller SK Rdn. 34; Zweigle S. 322; offen gelassen von Schäfer MK Rdn. 54.

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VI. Objektiver Tatbestand

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Einreise einen Anschlag in den Niederlanden zu begehen, wäre demnach straflos, geht man davon aus, dass sich für dieses Land derzeit nicht feststellen lässt, dass auf seinem Staatsgebiet terroristische Unterweisungen durchgeführt werden. Um auch in solchen Fällen ein Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden zu ermöglichen, will ein anderer Teil der Literatur den letzten Satzteil ausschließlich auf die zweite Alternative des Absatzes 2a beschränken.509 Ob in dem Zielland des Täters tatsächlich terroristische Unterweisungen stattfinden, wäre danach nur für Ausreisen relevant, die ausschließlich den Zweck verfolgen, an einer terroristisch motivierten Ausbildung teilzunehmen oder eine solche selbst durchzuführen. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Eine Auslegung von Absatz 2a, die für beide Tatalternativen verlangt, dass in dem Zielland der Reise auch terroristische Unterweisungen stattfinden, würde den völkerrechtlichen Vorgaben der Norm widersprechen. Weder Ziffer 6 der UN-Resolution 2178/2014 noch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 enthalten eine entsprechende Einschränkung. Sie verpflichten die Mitgliedstaaten vielmehr, jegliche Ausreisen, die den Zweck verfolgen, im Zielland eine terroristische Gewalttat zu begehen, mit Kriminalstrafe zu bedrohen. Absatz 2a Alt. 1 ist daher im Rahmens seines Wortlauts dahingehend völkerrechts- und unionskonform auszulegen, dass eine Ausreise, die im Zielstaat unmittelbar in die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat münden soll, durch Absatz 2a unabhängig davon mit Kriminalstrafe bedroht wird, ob in dem Zielstaat im Zeitpunkt der Ausreise auch terroristische Unterweisungen i. S. v. Absatz 2 Nr. 1 erfolgen.

cc) Reiseroute. Die Reiseroute des Täters ist für die Verwirklichung des Tatbestands, der aus- 132 schließlich auf die Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland zu den in der Vorschrift genannten Zwecken abstellt, im Grundsatz nicht relevant. Ob der Ausreisewillige direkt oder über Umwege an sein Ziel gelangt, ist unerheblich.510 Erfasst ist nicht nur die Durchreise durch die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch sämtliche von dem Täter nach seiner Ausreise geplanten Zwischenstopps, die der Täter einlegen muss, um sein letztlich beabsichtigtes Ziel zu erreichen.511 Insbesondere bei Ausreisen in Bürgerkriegsgebiete wie Syrien oder Somalia werden derartige Routen sogar die Regel sein, da die entsprechenden Staaten nicht direkt durch den Ausbildungswilligen angeflogen werden können, will er nicht bereits bei seiner Einreise eine Festnahme durch die reguläre Regierung riskieren. Auch längere Aufenthalte in einem anderen Land als dem Zielstaat hindern die Verwirklichung des Tatbestands nicht, sofern der Täter an seinem ursprünglichen Plan festhält.512 Nicht strafbar nach Absatz 2a sind allerdings Fälle, in denen der Täter sich erst nach seiner Ausreise aus Deutschland überlegt, sich in ein Land zu begeben, um dort eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen oder sich einer terroristischen Ausbildung gem. Absatz 2 Nr. 1 zu unterziehen. dd) Ausreiseversuche. Bei Absatz 2a handelt es sich um ein echtes Unternehmensdelikt 133 (§ 11 Abs. 1 Nr. 6), sodass Versuch und Vollendung einander gleichgestellt sind.513 Strafbar sind sämtliche Verhaltensweisen, die sich materiell als Versuch darstellen, insbesondere auch der fehlgeschlagene Versuch, z. B. wenn der von dem Täter bestiegene Bus unmittelbar vor Grenzübertritt verunfallt. Zwingend ist jedoch, dass der Täter unmittelbar zur Ausreise angesetzt haben mus. Wann dies der Fall ist, richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen der Versuchs-

509 Aliabasi S. 321; Biehl JR 2018 317, 322; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 17; Mayk S. 237; Petzsche/Heger/Metzler/ Petzsche S. 209, 222. Zweigle S. 253. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 18; vgl. auch BGH BeckRS 2019 17583 Rdn. 9. Biehl JR 2018 317, 321; Mayk S. 242. Biehl JR 2015 561, 563; Mayk S. 229; vgl. auch BTDrucks. 18/4087 S. 10.

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Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

strafbarkeit i. S. v. § 22.514 Der Tatbestand ist daher nicht erfüllt, wenn der Täter sich vom Sofa erhebt, um mit Reisevorbereitungen zu beginnen; das Kofferpacken ist straflos.515 Das Versuchsstadium einer Ausreise ist entsprechend dem Begriff des unmittelbaren Ansetzens beim Versuch i. S. v. § 22 erreicht, wenn sie ohne weitere Zwischenschritte unmittelbar bevorsteht oder der Täter sich dies i. S. e. untauglichen Versuchs zumindest vorstellt (vgl. hierzu Rdn. 138). Hierbei ist nach der Art des vom Täter gewählten Transportmittels (Luftweg, Landweg, Seeweg) zu differenzieren.516 Die Beschaffung oder Entgegennahme des Tickets oder eines für die Ausreise bestimmten Fahrzeugs kann zudem die Voraussetzungen des § 89c StGB erfüllen, da eine terroristisch motivierte Ausreise nach Absatz 2a eine finanzierbare Tat i. S. v. § 89c darstellt. (vgl. § 89c Rdn. 79, 89 ff.)

134 (1) Luftweg. Die in der Rechtspraxis bedeutsamste Variante ist die Ausreise mit dem Flugzeug. Nach dem BGH setzt der Täter unmittelbar zur Ausreise an, wenn er bereits eingecheckt, die nachfolgenden Kontrollen passiert hat und sich auf dem Weg zum Boarding befindet.517 Allein das Warten auf den Abflug nach Passieren der Kontrollen reicht für das unmittelbare Ansetzen noch nicht aus.518 Dass der Täter das Flugzeug bereits betreten hat, ist allerdings nicht erforderlich. Auch das Losrollen des Flugzeugs zur Startbahn ist für die Erfüllung des Tatbestands des Absatzes 2a nicht relevant.519 Erforderlich ist jedoch, dass das Flugzeug ohne weitere Zwischenlandung das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland verlassen würde.520 Handelt es sich um einen Zubringerflug zu einem anderen Flughafen in Deutschland, ist der Tatbestand noch nicht erfüllt. Abzustellen ist auf die Flugverbindung, mit der der Täter tatsächlich plant, das Land zu verlassen; maßgeblich ist das Betreten des Transitbereichs.521

135 (2) Landweg. Erfolgt die Ausreise auf dem Landweg, ist die Schwelle des unmittelbaren Ansetzens überschritten, wenn der Täter einen grenznahen Ort erreicht hat und sich in Richtung Grenze in Bewegung setzt.522 Dass er sich von irgendeinem Ort in Deutschland aus in Richtung Grenze in Bewegung setzt, genügt nicht. Der Grenzübertritt muss nach der Vorstellung des Täters ohne wesentliche Zwischenschritte erfolgen. Abzustellen ist auf das Verlassen der letzten Zwischenstation vor dem geplanten Grenzübertritt. Der Tatbestand ist nicht erfüllt, wenn der Täter vor dem Grenzübertritt noch eine Rast oder eine Übernachtung plant. Geht der Täter zu Fuß oder benutzt er ein Zweirad, so muss die Grenze bereits in Sichtweite liegen.523 Dies gilt grundsätzlich auch für die Fahrt mit dem Auto oder einem Reisebus, jedoch kann insoweit mangels faktischer Umkehrmöglichkeit auch das Passieren der letzten Ausfahrtmöglichkeit genügen.524 Bei der Ausreise mit der Bahn ist auf die Abfahrt vom letzten Bahnhof vor der Grenze

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Mayk S. 229; Schäfer MK Rdn. 53. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17. BTDrucks. 18/4087 S. 11. BGHSt 62 102, 104; Schäfer MK Rdn. 53; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Zweigle S. 249; aA Ambos JR 2017 655, 657; Zöller SK Rdn. 33. 518 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17. 519 Mayk S. 234; Schäfer MK Rdn. 53. 520 Biehl JR 2015 561, 568 f. unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH zu § 29 BtMG; vgl. BGH NJW 1990 2072, 2073, BGH NStZ 2008 41; BGH NStZ 2010 222; Weber BtMG § 29 Rdn. 88 m. w. N. 521 Zweigle S. 249 f. 522 Biehl JR 2015 561, 568; Mayk S. 232. 523 Schäfer MK Rdn. 53; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17. 524 Biehl JR 2015 561, 568; vgl. auch BGH NJW 1990 654; OLG Düsseldorf NStZ 1994 548 (jeweils zu § 29 BtMG). Engelstätter

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abzustellen.525 Nach weitergehender Ansicht soll bereits die Einfahrt in den Grenzbereich ausreichen, wobei die für die Schleierfahndung geltende 30-Kilometer-Zone als feste Größe erwogen wird.526 Der BGH hat diese Frage bislang nicht entschieden. Es spricht jedoch Überwiegendes dafür, sich an den zu § 29 BtMG entwickelten Maßstäben zu orientieren und für terroristisch motivierte Ausreisen keine starren Kilometergrenzen festzusetzen.

(3) Seeweg. Beabsichtigt der Täter, Deutschland auf dem Seeweg zu verlassen, wird der Tatbe- 136 stand des Absatzes 2a jedenfalls durch Besteigen des Schiffes erfüllt.527 Im Übrigen kann auf die für die Ausreise mit einem Flugzeug geltenden Maßstäbe verwiesen werden. Auch hier setzt Täter unmittelbar zur Ausreise an, wenn er eingecheckt, die nachfolgenden Kontrollen passiert hat und sich auf dem Weg zur Gangway befindet. Werden mehrere Häfen angelaufen, ist der letzte angelaufene deutsche Hafen vor Verlassen der deutschen Hoheitsgewässer maßgeblich.528 Steuert der Täter das Schiff selbst, kann ein unmittelbares Ansetzen erst mit Einfahrt in internationale Gewässer angenommen werden.529 3. Untaugliche Vorbereitungshandlungen Kann der Täter sein Ziel mit dem von ihm gewählten Mittel tatsächlich nicht erreichen, liegt 137 eine untaugliche Vorbereitungshandlung vor. Bei ihrer strafrechtlichen Bewertung ist zwischen den unechten Unternehmensdelikten in Absatz 2 Nr. 1 bis 3 und dem echten Unternehmensdelikt in Absatz 2a zu differenzieren. Für echte Unternehmensdelikte i. S. v. § 11 Abs. 1 Nr. 6 ist ganz überwiegend anerkannt, 138 dass das Unternehmen einer Tat auch für die Erreichung des anvisierten Zieles untaugliche Handlungen umfasst.530 Ausgeschlossen sind nur der irreale sowie der grob unverständige Versuch i. S. v. § 23 Abs. 3. Tathandlungen nach § 89a Abs. 2a sind daher auch dann tatbestandsmäßig, wenn sie in der Sache ungeeignet sind, das Ziel des Täters zu erreichen. Glaubt er, das von ihm gewählte Verkehrsmittel werde sogleich die Grenze der Bundesrepublik Deutschland überschreiten, obwohl in Wirklich doch noch ein Zwischenstopp durch Busfahrer oder Zugführer geplant ist, oder steigt er versehentlich in den falschen Zug oder Bus ein, ist der objektive Tatbestand des Absatzes 2a gleichwohl gegeben. Ob diese Konstellationen auch bei unechten Unternehmensdelikten strafbar sein können, hängt dagegen von der Auslegung des betroffenen Tatbestandsmerkmals ab (Rdn. 9).531 Die überwiegende Literatur neigt dazu, Handlungen untauglicher Subjekte oder am untauglichen Objekt bei unechten Unternehmensdelikten straflos zu stellen, so nicht die Versuchsstrafbarkeit des unechten Unternehmensdelikts ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist.532 Dies wird z. T. auch für mit den untauglichen Mitteln begangenen Versuch eines un-

525 Biehl JR 2015 561, 568; Mayk S. 234; vgl. Körner/Patzak/Volkmer/Patzak § 29 BtMG Rdn. 119 ff.; Weber BtMG § 29 Rdn. 88 sowie OLG München NStZ 2015 406, 407 zu einer Ausreise mit der Bahn entgegen einem aufenthaltsrechtlichen Ausreiseverbot. 526 Zweigle S. 252. 527 Zweigle S. 251. 528 Biehl JR 2015 561, 569; Schäfer MK Rdn. 53; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17; vgl. auch OLG Hamburg NZWiSt 2016 146 zur illegalen Ausfuhr gefährlicher Abfälle aus Deutschland auf dem Seeweg. 529 Mayk S. 235. 530 Fischer § 11 Rdn. 28; Hilgendorf LK13 § 11 Rdn. 84; Radtke MK § 11 Rdn. 137; Sch-Schröder/Hecker § 11 Rdn. 47; aA Burkhardt JZ 1971 352, 355. 531 Mitsch JuS 2015 97, 103; Radtke MK § 11 Rdn. 144; Saliger NK § 11 Rdn. 62; Sch-Schröder/Hecker § 11 Rdn. 51; Sowada GA 1988 195, 208; Wolters Das Unternehmensdelikt (2001) S. 321. 532 Burkhardt JZ 1971 352, 355; Hilgendorf LK13 § 11 Rdn. 90; Radtke MK § 11 Rdn. 145; Sch-Schröder/Hecker § 11 Rdn. 51; Saliger NK § 11 Rdn. 62; Wolters Das Unternehmensdelikt (2001) S. 321. 197

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Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

echten Unternehmensdelikts erwogen.533 Auch bei den unechten Unternehmensdelikten des Absatzes 2 spricht Überwiegendes dafür, in diesen Fällen von einer Gleichstellung der Tatbestände des Absatzes 2 mit dem echten Unternehmensdelikt nach Absatz 2a abzusehen. Für die Tathandlungen des Absatzes 2 Nr. 2, 3 ergibt sich dies bereits aus Wortlaut und der Gesetzessystematik (Rdn. 10). Aber auch darüber hinaus bestehen keine Anhaltspunkte, wonach § 89a auch objektiv ungefährliche Handlungen erfassen könnte. Sie ergeben sich weder aus der Gesetzbegründung, noch – anders als im Falle des § 89c (s. dort Rdn. 24) – aus den der Vorschrift zugrundeliegenden internationalen Vorgaben. Nimmt der Täter irrig an, einen Gift- oder Kernbrennstoff hergestellt zu haben (Absatz 2 139 Nr. 2) oder sich die hierfür erforderlichen Zutaten verschafft zu haben (Absatz 2 Nr. 3), obwohl die von ihm gesammelten oder hergestellten Stoffe allesamt untauglich sind, ist er nach Absatz 2 ebenso straflos, wie wenn er glaubt, dass die von ihm geplante Gewalttat staatsgefährdende Ausmaße annehmen wird, obwohl sie nur Tatbestände erfüllen würde, die gar nicht im Katalog des Absatzes 1 Satz 2 enthalten sind.534 Dies gilt auch für den Fall der nur vermeintlich geplanten Gewalttat eines Dritten. Stellt der Täter, einen Gegenstand für eine schwere staatsgefährdende Gewalttat eines anderen bereit oder nimmt er eine terroristische Unterweisung eines Anderen vor, obwohl der Unterwiesene gar keine Tat535 oder zumindest keine staatsgefährdende Tat begehen will, manifestiert sich zwar seine terroristische Vorstellung in einer äußerlich wahrnehmbaren Handlung.536 Dies dient jedoch objektiv nicht der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat. Überlässt z. B. der Täter eine Schusswaffe einem verdeckten Ermittler, liegt hierin grundsätzlich nur ein strafloser Versuch des § 89a Absatz 2 Nr. 2.537 Die Strafbarkeit der Handlung nach anderen Tatmodalitäten der Norm, z. B. in Form des Herstellens oder Sichverschaffens, nach § 89c sowie nach anderen an die Vorbereitungshandlung anknüpfenden Tatbeständen nach Waffen- oder Sprengstoffrecht, bleibt hiervon allerdings unberührt (s. auch § 89c Rdn. 65).

VII. Subjektiver Tatbestand 140 Im subjektiven Tatbestand ist zu differenzieren zwischen den Vorbereitungshandlungen des Absatzes 2 (Rdn. 141) und der terroristisch motivierten Ausreise in Absatz 2a (Rdn. 149). Zu bedenken sind zudem die Auswirkungen von etwaigen Fehlvorstellungen und Irrtümern (Rdn. 150).

1. Vorbereitungshandlungen nach Absatz 2 141 Der Vorsatz muss sich auf alle drei Elemente des objektiven Tatbestands beziehen (sog. „TrippelVorsatz“).538 Dies betrifft nicht nur die konkreten Merkmale der jeweils einschlägigen Vorbereitungshandlung. Es bedarf auch eines Bezuges auf die zu einem späteren Zeitpunkt geplante Gewalttat, deren inhaltliche Konkretisierung einschließlich ihrer Bestimmung und Eignung zur Staatsgefährdung ebenfalls in der Vorstellung des Täters abgebildet sein muss.539 Einigkeit besteht dahingehend, dass hinsichtlich der konkreten Merkmale der jeweiligen Vorbereitungs533 Stein/Deiters SK § 11 Rdn. 87; auch Hilgendorf LK13 § 11 Rdn. 90; aA Radtke MK § 11 Rdn. 146; Sch-Schröder/ Hecker § 11 Rdn. 51 – auch insoweit Auslegung im Einzelfall. Z. B. Sprengung eines Briefkastens im Wald, vgl. Mayk S. 191. Z. B. weil es sich um einen Verdeckten Ermittler oder um eine polizeilich geführte V-Person handelt. Mayk S. 190. AA Mayk S. 190; vgl. jedoch BGHSt 34 108, 109; BGH NStZ 1997 493; BGH NStZ 2005 685; BGH NStZ-RR 2002 302; zur vergleichbaren Konstellationen bei Geldfälschung und Hehlerei. 538 Gazeas AnwK Rdn. 68. 539 Aliabasi S. 168; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 595; Kauffmann S. 92.

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VII. Subjektiver Tatbestand

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handlung bedingter Vorsatz ausreicht, um den subjektiven Tatbestand zu erfüllen.540 Regelmäßig wird der Täter zwar wissen, was er tut; die Schwelle zur Strafbarkeit ist jedoch bereits überschritten, wenn er den Vorbereitungscharakter seiner Handlung für möglich hält und dies billigend in Kauf nimmt.541 Im Übrigen ist zwischen der Einstellung des Täters zu differenzieren, ob er die Gewalttat wirklich begehen will („Ob“ der Gewalttat), welche genaue Vorgehensweise ihm hierfür vorschwebt und welche Auswirkungen die Tat seiner Vorstellung nach haben soll („Wie“ der Gewalttat).

a) Vorsatz bezüglich des „Ob“ der Gewalttat. Hinsichtlich des „Ob“ der geplanten Gewalt- 142 tat ist mit der Rechtsprechung des BGH zur Wahrung von Tat- und Schuldprinzip (Rdn. 56, 63) für alle Fälle, in denen der Vorbereitungstäter plant, die staatsgefährdende Gewalttat selbst zu begehen (sog. Eigenvorbereitung), im Wege der verfassungskonformen Auslegung zu fordern, dass er im Zeitpunkt der Tat nach § 89a fest entschlossen sein muss, die Gewalttat später auch zu verüben. Dolus eventualis genügt nicht, um die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands zu erfüllen.542 Sind Vorbereitungstäter und Gewalttäter personenverschieden (sog. Fremdvorbereitung), reicht grundsätzlich bedingter Vorsatz aus, da der Vorbereitungstäter durch seine Vorbereitungsleistung ein zusätzliches Gefahrenmoment für die spätere Rechtsgutverletzung des Gewalttäters schafft, das er nicht mehr kontrollieren kann (Rdn. 65).543 Dies gilt insbesondere, wenn die Vorbereitungshandlung ihrerseits rechtswidrig ist, also Tatmittel gestohlen und sodann weitergegeben werden oder der Ausbilder aus Rechtsgründen nicht zur Unterweisung des Gewalttäters befugt ist. Erschöpft sich die Fremdvorbereitung jedoch in einer neutralen, berufsbezogenen und für sich legalen Handlung, z. B. in der Gewährung von Flugstunden durch einen Fluglehrer oder in der verwaltungsrechtlich zulässigen Abgabe von Chemikalien oder Waffen, ist auch hier eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend erforderlich, dass der Vorbereitungstäter mindestens sicher i. S. e. dolus directus 2. Grades wissen muss, dass der Gewalttäter den erhaltenen Gegenstand oder die erlernte Fähigkeit zu deliktischen Zwecken einsetzen will.544 Dolus eventualis kann jedoch ausreichen, wenn im konkreten Fall Umstände festgestellt werden, die geeignet sind, das Vertrauen des Vorbereitungstäters in die legale Verwendung der vermittelten Fähigkeiten oder des übergebenen Gegenstandes durch den Gewalttäter zu erschüttern (s. Rdn. 66). Da Fallgruppen der Fremdvorbereitung – soweit ersichtlich – noch nicht zu obergerichtli- 143 cher oder höchstrichterlicher Rechtsprechung geführt haben, konzentriert sich die Diskussion in der Rechtspraxis auf die Konkretisierung des festen Tatentschlusses. Ob seine Anforderungen im Einzelfall gegeben sind, ist durch das Tatgericht anhand einer zusammenfassenden Würdigung aller jeweils im konkreten Sachverhalt maßgeblichen Umstände und Beweismittel zu prüfen.545 Der subjektive Tatbestand ist ohne Zweifel nicht erfüllt bei einer zögernden, lediglich tatgeneigten Person, die eine Gewalttat zwar grundsätzlich ins Auge gefasst und auch schon

540 Schäfer MK Rdn. 57; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Zöller SK Rdn. 36. 541 Aliabasi S. 318; Hungerhoff S. 143; Mayk S. 139; Schäfer MK Rdn. 57. 542 BGHSt 59 218, 239; BGHSt 61 36, 39; BGHSt 62 102, 113; BGH NStZ 2018 89; BGH NStZ-RR 2018 42; BGH BeckRS 2017 122780 Rdn. 18; BGH BeckRS 2017 133051 Rdn. 21; OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 24; LG Dortmund BeckRS 2017 142592 Rdn. 38; zustimmend Aliabasi S. 314; Petzche HRRS 2015 33; Sieber/Vogel S. 144; krit. dagegen Mitsch NJW 2015 209; Puschke StV 2015 457; Valerius FS Heintschel-Heinegg 460, 466; Zöller NStZ 2015 373 (nicht weit genug); krit. auch Mayk S. 166 – dolus eventualis für alle Konstellationen hinreichend. 543 Mayk S. 165; Puschke S. 365, 423; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1e, 19; Sieber NStZ 2009 353, 362; Sieber/ Vogel S. 143, 151; aA Aliabasi S. 315; offen gelassen von BGHSt 59 218, 240. 544 AA Mayk S. 206 f. – stets dolus eventualis hinreichend. 545 Mitsch NJW 2015 209, 211; Zöller SK Rdn. 37; vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1e; Radtke/Seinsiek JR 2010 107. 199

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

über Einzelheiten einer möglichen Begehungsweise nachgedacht hat, die Entscheidung über das „Ob“ jedoch noch nicht getroffen hat.546 144 Handelt der Täter auf unsicherer Tatsachengrundlage oder mit Rücktrittsvorbehalt, indem er die Ausführung der Tat von nicht beherrschbaren äußeren Bedingungen – z. B. dem Eintritt eines „Tages X“ – abhängig macht, ist ein fester Tatentschluss gegeben, da für das „Ob“ der Tathandlung auf Seiten des Täters keine weiteren Willensimpulse mehr erforderlich sind und für ihn verbleibende Unsicherheiten lediglich die Art und Weise der Tatausführung betreffen.547 Dies gilt auch in den Fällen sog. Backup-Szenarien, wenn sich der Täter z. B. in der Herstellung verschiedener Zündmechanismen eines Sprengsatzes unterweisen lässt, von denen einige aber nur für den Fall zum Einsatz kommen sollen, dass der Hauptzündmechanismus fehlschlägt oder das Opfer eine von mehreren möglichen Routen nimmt.548 Auch ein Täter, der lediglich den richtigen Zeitpunkt zur Begehung der Gewalttat abwarten will, ist fest entschlossen i. S. d. Rechtsprechung des BGH, da diese Frage nicht das „Ob“ einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sondern das „Wann“ der ins Auge gefassten Gewalttat betrifft. Insoweit ist Restriktion des Tatbestandes nicht geboten.549 Dass der Täter einen festen Tatentschluss einmal gefasst, danach aber wieder aufgegeben hat,550 steht der Annahme des subjektiven Tatbestands nicht entgegen, führt i. d. R. aber zu einer Prüfung der Voraussetzungen von Absatz 7 (Rdn. 173). Die Rechtspraxis geht davon aus, dass eine Person, die alle Brücken hinter sich abbricht 145 und aus Deutschland z. B. nach Syrien, Somalia oder Afghanistan ausreist und sich dort in ein paramilitärisches Ausbildungslager einer terroristischen Vereinigung im Ausland begibt, i. d. R. fest entschlossen ist, seine i. R. d. Ausbildung erworbenen Kenntnisse auch zur späteren Begehung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten einzusetzen.551 Dies gilt auch für einen Täter, der sich im Internet oder per Chat von einem Repräsentanten einer terroristischen Vereinigung oder zumindest ihr nahe stehenden Personen im Bau einer Bombe unterrichten lässt und hierbei zu erkennen gibt, die erlernten Fähigkeiten auch zur Begehung eines Anschlags einsetzen zu wollen.552 Auch die in einem zeitlichen Zusammenhang erfolgende Vornahme mehrerer Tathandlungen des § 89a hintereinander (Ausreise, Ausbildung, Stoffsammlung und Herstellung eines Sprengsatzes) ist als Indiz für einen festen Tatentschluss zu werten. Dies gilt insbesondere, wenn der Täter bereits erste Sprengversuche zu Testzwecken durchführt.553 Auch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Vorbereitungshandlung begangene oder versuchte terroristisch motivierte Ausreisen i. S. d. Absatzes 2a, die jedoch nicht zu einem Anschluss an eine terroristische Vereinigung geführt haben, können als Indiz berücksichtigt werden.554 146 Demgegenüber rechtfertigt der Besitz einer aus dem Internet stammenden Anleitung zur Herstellung eines Sprengstoffes sowie diverser dazu passender Zutaten zwar die Annahme eines Anfangsverdachts i. S. d. § 152 Abs. 2 StPO und die damit verbundene Anordnung strafprozessualer Maßnahmen. Für eine Verurteilung sind indes weitere Feststellungen dahingehend erforderlich, dass der Täter mit den gesammelten Zutaten und Gegenständen auch tatsächlich eine schwere staatsgefährdende Gewalttat verüben wollte.555 Allein der Umstand, dass der Täter sich damit befasst hat, einen Sprengsatz herzustellen und sich im Rahmen eines Selbststudiums

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Mayk S. 159; vgl. BGH NStZ 2013 579; vgl. BGH NStZ-RR 2004 361, 362; Sch/Schröder/Heine/Bosch § 22 Rdn. 18. Mayk S. 160; vgl. BGHSt 12 306, 309 f.; BGH NStZ 1999 395, 396; Sch/Schröder/Heine/Bosch § 22 Rdn. 18. Vgl. die Fallbeispiele bei Mayk S. 65 ff. BGH BeckRS 2019 28508 Rdn. 34; Lohse/Engelstätter GSZ 2020 156, 161. Rackow FS Maiwald S. 615, 616; Zöller SK Rdn. 6. Vgl. BGHSt 62 102, 103; BGH BeckRS 2016 115077 Rdn. 5; BGH NStZ-RR 2018 42; BGH BeckRS 2019 6797 Rdn. 25; BGH BeckRS 2019 17583 Rdn. 14; OLG München StV 2016 505. 552 Vgl. BGH NStZ 2018 89; BGH BeckRS 2018 10518 Rdn. 11. 553 BGH BeckRS 2017 122780 Rdn. 18; vgl. auch LG Frankfurt BeckRS 2014 18021. 554 Vgl. hierzu BGH BeckRS 2019 3832 Rdn. 16 ff.; vgl. OLG München NJW 2019 2404, 2408. 555 BGHSt 59 218, 243. Engelstätter

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VII. Subjektiver Tatbestand

StGB § 89a

dementsprechendes Wissen angeeignet hat, reicht hierfür noch nicht aus.556 Anhaltspunkte für die feste Entschlossenheit des Täters können sich z. B. aus seinen Angaben gegenüber Dritten,557 aus einer Einbindung in terroristische Strukturen, aber auch aus mehrfachem Aufsuchen des geplanten Tatorts zu Erkundungszwecken oder einem vorbereiteten Bekennerschreiben558 ergeben. Verbleibt es nach dem Ergebnis auch intensiver Ermittlungen lediglich bei der Feststellung eines in hohem Maße konspirativen Verhaltens, das zwar aller Erfahrung nach für die Vorbereitung und Planung einer Straftat spricht, jedoch in der Sache nicht weiter aufgeklärt werden kann, lässt dies einen zunächst bestehenden Tatverdacht wieder entfallen.559

b) Vorsatz bezüglich des „Wie“ der Gewalttat. Das „Wie“ der geplanten Gewalttat betrifft 147 in erster Linie die Frage, in welchem Maße sich der Vorbereitungstäter bei der Erfüllung des objektiven Tatbestands schon konkrete Gedanken über die von ihm geplante Gewalttat gemacht haben muss. Darüber hinaus muss er Vorsatz bezüglich der Eignungsklausel des Absatzes 1 Satz 2, also hinsichtlich der Bestimmung und Eignung der geplanten Gewalttat zur Staatsgefährdung aufweisen. Nach der Gesetzesbegründung sind konkrete Vorstellungen i. S. e. genauen Tatplanung des Täters nicht erforderlich. Vielmehr genügt es, dass der Deliktstyp der vorbereiteten Tat bereits hinreichend bestimmt ist, es sich mithin nach der Vorstellung des Täters um eine Katalogtat des Absatzes 1 Satz 2 handeln soll. Auch einer konkreten Vorstellung hinsichtlich Ort, Zeit, Opfer und Art des Anschlags bedarf es nach Auffassung des Gesetzgebers nicht; der subjektive Tatbestand des § 89a soll insoweit weniger strengen Anforderungen als § 30 Abs. 2 unterliegen,560 der für die Strafbarkeit einer Verbrechensverabredung bereits die Konkretisierung wesentlicher Tataspekte verlangt.561 Der gegen dieses weite Verständnis vor allem aus verfassungsrechtlichen Gründen mit Blick 148 auf das Tat- und Schuldprinzip vorgetragenen Kritik,562 ist der BGH aufgrund der von ihm bereits bei der Frage des „Ob“ der Gewalttat vorgenommenen verfassungskonformen Auslegung nur noch im Ansatz gefolgt (Rdn. 56). Danach muss die geplante Tat in der Vorstellung des Vorbereitungstäters jedenfalls soweit konkretisiert sein, dass das Strafgericht überprüfen kann, ob sie im Falle ihrer Begehung die Voraussetzungen der Staatsschutzklausel des Absatzes 1 Satz 2 erfüllen würde.563 Vorstellungen im Hinblick auf Tatort, Tatzeit und die Anzahl der Tatopfer sind hierfür ebenso wenig erforderlich wie die tatsächlichen Erfolgsaussichten der geplanten Vorgehensweise.564 Auch hinsichtlich ihres Gelingens als nach objektiver Bewertung als waghalsig oder riskant zu bewertende Tatpläne erfüllen den Tatbestand (vgl. jedoch Rdn. 137). Das Tatgericht muss jedoch Feststellungen treffen, die belegen, dass die ins Auge gefasste Tat neben den in Absatzes 1 Satz 2 genannten Katalogtatbeständen auch die weiteren Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 erfüllen würde. Bei der terroristisch motivierten Ausreise i. S. v. Absatz 2a wird die schwere staatsgefährdende Gewalttat dadurch konkretisiert, dass der Täter beabsichtigt, sich im Zielland, z. B. Syrien, in Kampfhandlungen im Rahmen des bewaffneten Jihads zu beteiligten, bei denen auch Regierungssoldaten getötet werden sollen.565 Im Übrigen muss der Täter 556 OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 47; vgl. auch OLG München NJW 2019 2404, 2408 (zur Anordnung elektronischer Fußfessel auf verwaltungsrechtlicher Grundlage in demselben Sachverhalt). Vgl. BGH BeckRS 2018 10518 Rdn. 11; BGH BeckRS 2019 6133 Rdn. 10. BGH NStZ 2018 89. BGH BeckRS 2017 133051 Rdn. 21. BTDrucks. 16/12428 S. 14. BGH NStZ 2007 697; BGH NStZ 2009 497, 498; BGH NJW 2013 483, 484; Sch/Schröder/Heine-Weißer § 30 Rdn. 5. KG StV 2012 345, 348; OLG Karlrsuhe StV 2012 348, 350; Aliabasi S. 317; Gazeas AnwK Rdn. 17 ff.; Mayk S. 185 ff. BGHSt 59 218, 237; BGHSt 62 102, 105; ähnlich OLG Karlsruhe StV 2012 348, 350; OLG Stuttgart BeckRS 2014 Rdn. 17; enger KG StV 2012 345, 348; Schäfer MK Rdn. 30; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Zöller SK Rdn. 36. 564 Enger Zweigle S. 269, der die Festlegung auf eine bestimmte Opfergruppe als modus operandi verlangt; vgl. jedoch OLG Hamburg BeckRS 2019 46135 Rdn. 23–48. 565 BGH BeckRS 2019 17583 Rdn. 14.

557 558 559 560 561 562 563

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

hinsichtlich der Eignung der Tat zur Staatsgefährdung nur Eventualvorsatz aufweisen.566 Dies gilt auch für ihre diesbezügliche Bestimmung.567 Ausreichend ist, dass der Täter im Zeitpunkt seiner Vorbereitungshandlung staatsgefährdende Auswirkungen der späteren Gewalttat für möglich hält und in seinen Willen mit aufgenommen hat, ohne dass es ihm darauf ankommen muss, dass diese Folgen im Falle der späteren Verwirklichung der Gewalttat auch tatsächlich eintreten.568

2. Terroristisch motivierte Ausreise gem. Absatz 2a 149 Hinsichtlich der Ausreisehandlung enthält das Gesetz keine besonderen Anforderungen. Insoweit reicht dolus eventualis.569 Darüber hinaus verlangt der Tatbestand des Absatzes 2a jedoch, dass der Täter hinsichtlich der von ihm verfolgten Ziele der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder der Teilnahme an einer terroristischen Ausbildung i. S. v. Absatz 2 Nr. 1 absichtlich mit dolus directus 1. Grades handelt.570 Es reicht die Vorstellung, sich im Zielland an Kampfeinsätzen zu beteiligen, bei denen zumindest auch Soldaten der regulären Regierung getötet werden sollen.571 Hinsichtlich der zweiten Alternative, die im Gegensatz zur ersten Alternative voraussetzt, dass im Zielland terroristische Ausbildungen vorgenommen werden (Rdn. 131), besteht sogar ein „doppeltes Absichtserfordernis“.572 Der Vorbereitungstäter muss nicht nur wissen, dass in dem Zielland terroristische Unterweisungen stattfinden, er muss auch absichtlich das Ziel verfolgen, in dieses Land auszureisen, um dort an einer solchen terroristischen Ausbildung teilzunehmen oder diese durchzuführen. Zweifelhaft ist, ob er darüber hinaus auch schon fest entschlossen zur Begehung einer staatsgefährdenden Gewalttat sein muss. Dies ist im Ergebnis zu verneinen.573 Eine derartige zusätzliche Erweiterung der subjektiven Anforderungen lässt sich weder dem Wortlaut des Gesetzes noch seiner Begründung entnehmen.574 Die verfassungsrechtlichen Anforderungen sind bereits durch das „doppelte Absichtserfordernis“ erfüllt.575 Auch Art. 9 Abs. 1 Variante 3 der EU-Terrorismusrichtlinie 2017/541 und Art. 4 Abs. 1, 2 des Zusatzprotokolls des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus knüpfen die Kriminalisierung einer Ausreise zu Ausbildungszwecken nicht an einen bereits im Zeitpunkt der Ausreise bestehenden Anschlagsvorsatz. Entsprechende Restriktionen lassen sich schließlich auch nicht Ziffer 6 Buchst. a) der UN-Resolutionen 2178 (2014) entnehmen.

566 BGHSt 59 218, 235; BGHSt 61 36, 39; BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 39; BGH BeckRS 2019 6797 Rdn. 24; Schäfer MK Rdn. 56; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Zöller SK Rdn. 16, 36. 567 Fischer Rdn. 37; Mayk S. 219; Kauffmann S. 96; Schäfer MK Rdn. 56; Zöller SK Rdn. 16; krit Gazeas AnwK Rdn. 72; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 596; Hungerhoff S. 150; Paeffgen NK Rdn. 31; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 19 (letzterer differenzierend nach Fremd- und Eigenvorbereitung). 568 BGH NStZ-RR 2019 177; BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 39; BTDrucks. 16/12428 S. 14; Aliabasi S. 159; Hungerhoff S. 106; Schäfer MK Rdn. 27. 569 Mayk S. 243. 570 BTDrucks. 18/4087 S. 8, 10; BGHSt 62 102, 113; Ambos JR 2017 655, 656; Biehl JR 2015 561, 563, 569; ders. JR 2018 317, 322; Schäfer MK Rdn. 59; Zöller SK Rdn. 38; Zweigle S. 320. 571 BGH BeckRS 2019 17583 Rdn. 14. 572 Siehe BGHSt 62 102, 113; Mayk S. 248; Paul GSZ 2018 43; Schäfer MK Rdn. 59; krit. Ambos JR 2017 655, 656; Gazeas/Grosse-Wilde StV 2018 84, 86, wonach nur eine unteilbare Ausreiseabsicht gegeben ist. 573 Ebenso Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 20; aA Zweigle S. 310 f. 574 Vgl. BTDrucks. 18/4087 S. 8. 575 Vgl. BGHSt 62 102, 113; aA Ambos JR 2017 655, 656; Biehl JR 2015 561, 569; Gazeas/Grosse-Wilde StV 2018 84, 86; Puschke NJW 2017 2932; Zöller GA 2016 90, 104. Engelstätter

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VIII. Rechtswidrigkeit und Schuld

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3. Fehlvorstellungen und Irrtümer Behauptet der Täter, nicht gewusst zu haben, im Besitz eines der in Absatz 2 genannten Tatmit- 150 tel gewesen zu sein, so ist diese Fehlvorstellung nach allgemeinen Grundsätzen zu überprüfen. Liegt tatsächliche Unkenntnis vor, z. B. weil ein Dritter das Tatmittel in der Wohnung eines Verdächtigen ohne dessen Wissen deponiert hat, mangelt es entweder bereits am Besitzwillen, zumindest aber kommt ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum gem. § 16 in Betracht. Der Vorsatz hinsichtlich des „Ob“ der Begehung der schweren Gewalttat ist auch zu verneinen, wenn der Vorbereitungstäter annimmt, der Dritte werde das von ihm beschaffte Tatmittel nicht für die eine staatsgefährdende Gewalttat, sondern lediglich für eine allgemeine kriminelle Handlung verwenden. Glaubt der Täter, ein von ihm unternommener Herstellungsversuch (Absatz 2 Nr. 2) habe noch nicht zu einem Gift- oder Kernbrennstoff i. S. d. Gesetzes geführt, obwohl die Anforderungen bei verständiger Subsumtion schon erfüllt sind, oder ist er der rechtlich unzutreffenden Auffassung, das von ihm vorbereitete Tötungsdelikt werde keine Eignung zur Staatsgefährdung aufweisen, obwohl die Anforderungen der Staatsschutzklausel erfüllt sind, handelt es sich dagegen um Fehlbewertungen normativer Tatbestandsmerkmale. Diese sind unerheblich, solange der Täter die dem jeweiligen Tatbestandsmerkmal zugrundeliegenden Tatsachen kennt und die für das jeweilige Tatbestandsmerkmal bedeutsamen Sachverhaltselemente in ihrem wesentlichen Bedeutungsgehalt erfasst hat.576 Ist er gleichwohl der Auffassung, sein Verhalten sei nicht tatbestandsmäßig, handelt es sich um einen Subsumtionsirrtum, der nach den Grundsätzen des Verbotsirrtums gem. § 17 zu behandeln ist.577 In den Fällen der angeblich fehlgeschlagenen Herstellung eines Tatmittels wird zudem Absatz 2 Nr. 3 zu prüfen sein, da die Vornahme eines Herstellungsprozesses regelmäßig den Schluss zulässt, dass der Täter zumindest glaubte, im Besitz der notwendigen Grundzutaten zu sein.

VIII. Rechtswidrigkeit und Schuld Hinsichtlich Rechtswidrigkeit und Schuld gelten die allgemeinen Grundsätze.578 Soweit die 151 Rechtswidrigkeit der geplanten Gewalttat im Zweifel steht, betrifft dies bereits den objektiven Tatbestand des § 89a, da eine gerechtfertigte Katalogtat i. S. v. Absatz 1 Satz 2 entweder schon begrifflich nicht unter das Tatbestandsmerkmal fällt (Rdn. 82), zumindest aber keine Eignung zur Staatsgefährdung haben kann (Rdn. 95).579 Die Rechtswidrigkeit der Vorbereitungshandlung wird dagegen bei Erfüllung des Tatbestands indiziert.580 Rechtfertigungsgründe gem. §§ 32, 34 werden in der Regel ausscheiden, da sie eine Gefahrensituation erfordern, die in den allermeisten Fällen erst zu Versuchsbeginn der Gewalttat in Betracht kommen kann.581 In der Rechtspraxis sind daher am ehesten Fälle des sog. Nötigungsnotstandes denkbar, in denen der Vorbereitungstäter behauptet, zur Vornahme der Tathandlung durch Dritte unter Androhung eines empfindlichen Übels für sich oder einen Dritten gezwungen worden zu sein.582 Ob derartige Einwände im Rahmen des § 34 zur Rechtfertigung, im Rahmen des § 35 zur Entschuldigung des Täters führen oder gänzlich unbeachtlich sind, richtet sich im Ergebnis nach den Umständen

576 BGHSt 3 248, 255; BGHSt 4 347, 352; BGHSt 8 321, 323; Sch-Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster § 15 Rdn. 43a. 577 Fischer § 16 Rdn. 13; Sch-Schröder/Sternberg-Lieber/Schuster § 15 Rdn. 43 ff. 578 Vgl. OLG München BeckRS 2015 13419 Rdn. 450 (in StV 2015 505 nicht abgedruckt); Aliabasi S. 174; Paeffgen NK Rdn. 62; Schäfer MK Rdn. 72. Vgl. BGHSt 62 103, 107; BGHSt 61 36, 40; Puschke NJW 2017 2932. Krit. Ambos JR 2017 655, 659. Vgl. Scheuß ZStW 130 (2018) 23, 44. Dazu Fischer § 35 Rdn 6; Sch-Schröder/Perron § 34 Rdn. 41b.

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Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

des Einzelfalls. Im Regelfall wird dem Vorbereitungstäter durch Einschaltung der Behörden eine anderweitige Möglichkeit zur Verfügung stehen, die ihm drohende Gefahr abzuwenden.583

IX. Rechtsanwendungsrecht gem. Absatz 3 152 Absatz 3 erstreckt den Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts unter den im Gesetz normierten Voraussetzungen auf im Ausland begangene Vorbereitungshandlungen. Der Gesetzgeber hielt dies für erforderlich, um internationale terroristische Aktivitäten zur Vorbereitung terroristischer Anschläge im Inland, z. B. die Ausbildung in sog. Terrorcamps, strafrechtlich erfassen zu können.584 Das Gesetz arbeitet dabei mit einem Zwei-Stufenmodell. Während Absatz 3 sachliche Voraussetzungen normiert, die die Anwendung der deutschen Strafgewalt im Ausland rechtfertigen, koppelt Absatz 4 die Strafverfolgung für einige Konstellationen zusätzlich an eine durch die Bundesregierung zu erteilende Strafverfolgungsermächtigung. Soweit gegen Absatz 3 grundsätzliche Bedenken hinsichtlich der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Regelung erhoben werden, ist diesen nicht zu folgen (Rdn. 74).

1. Tathandlungen in der EU (Absatz 3 Satz 1) 153 Nach dem Wortlaut Absatz 3 Satz 1 ist eine Tathandlung i. S. v. Absatz 2 strafbewehrt, wenn sie im „Ausland“ begangen wird. Wie sich aus dem Umkehrschluss mit Absatz 3 Satz 2 ergibt, meint der Begriff des Auslands in Absatz 3 Satz 1 aber nur das Gebiet der EU, da Absatz 3 Satz 2 für die übrigen Staaten zusätzliche Voraussetzungen normiert.585 Darüber hinaus gelten keine Einschränkungen, sodass auch die Tathandlung eines Afghanen in Portugal nach deutschem Recht vorbehaltlich der Erteilung einer Verfolgungsermächtigung gem. Absatz 4 (Rdn. 163) strafrechtlich verfolgbar ist. Bei der Anwendung der Vorschrift entstehende Juristiktionskonflikte sollen unter Berücksichtigung der in Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 niedergelegten Anknüpfungspunkte gelöst werden. Als solche kommen in Betracht: der Tatort, die Herkunft des Täters oder des Opfers sowie der Ergreifungsort.

2. Tathandlungen außerhalb der EU (Absatz 3 Satz 2) 154 Absatz 3 Satz 2 eröffnet den Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts außerhalb der EU unter den einschränkenden Voraussetzungen, dass die Vorbereitungshandlung entweder durch einen deutschen Staatsbürger (Variante 1) oder durch einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland (Variante 2) begangen wird. Die Voraussetzungen müssen im Zeitpunkt der Tathandlung gegeben sein.586 Der bloße Aufenthalt eines ausländischen Täters im Inland nach der Tat reicht anders als bei § 129b Abs. 1 Satz 2 für die Anwendung der Norm nicht aus. Darüber hinaus ist die deutsche Strafgerichtsbarkeit eröffnet, wenn die Gewalttat in Deutschland (Variante 3) oder durch einen deutschen Staatsbürger verübt werden soll (Variante 4), oder sich gegen einen Deutschen richtet (Variante 5). Ausländische Opfer einer durch die Tat nach § 89a ermöglichten Gewalttat werden von Absatz 3 Satz 2 nicht erfasst. Auch insoweit besteht ein Unterschied zu § 129b Abs. 1 Satz 2. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift könnte für die Anwendbarkeit deut-

583 584 585 586

Vgl. BGHST 39 133, 137; BGHSt 48 255, 261; Fischer § 34 Rdn. 9a. BTDrucks. 16/12428 S. 15 f.; Aliabasi S. 169; Gazeas AnwK Rdn. 76. Aliabasi S. 169; Schäfer MK Rdn. 61; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Zöller SK Rdn. 40. BTDrucks. 16/12428 S. 16; BGHSt 54 264, 269; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 6.

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IX. Rechtsanwendungsrecht gem. Absatz 3

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schen Strafrechts auch der spätere Aufenthalt eines Opfers im Inland ausreichen, selbst wenn er lange nach der Ausführungstat begründet wird.587 Deutscher Staatsbürger i. S. d. Absatzes 3 Satz 2 Var 1 ist nach Art. 116 Abs. 1 GG, wer die 155 deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem 31.12.1937 Aufnahme gefunden hat. Für ehemalige deutsche Staatsangehörige gelten zusätzlich die Voraussetzungen des Art. 116 Abs. 2 GG.588 Zur Auslegung des Begriffs der Lebensgrundlage kann auf § 5 Nr. 8 Buchst. a) zurückgegriffen werden. Danach erfasst das Merkmal, die Summe derjenigen Beziehungen, die den persönlichen und wirtschaftlichen Schwerpunkt eines Menschen im Verhältnis zu seiner Umwelt ausmachen.589 Verlässt ein Ausländer mit Lebensgrundlage in Deutschland das Staatsgebiet, um sich einer terroristischen Vereinigung im Ausland einschließlich der Beteiligung an Kampfeinsätzen anzuschließen, kann eine vor der Ausreise bestehende Lebensgrundlage im Inland wieder entfallen.590 Der maßgebliche Zeitpunkt ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Die Varianten 3 bis 5 erfordern zudem subsumtionsfähige Konkretisierungen hinsicht- 156 lich der geplanten Gewalttat, die über die Anforderungen des subjektiven Tatbestands hinausgehen. Vage Tatpläne, dass die Tat gegen einen Deutschen begangen werden soll, reichen noch nicht aus, um die Anwendung des deutschen Strafrechts im Ausland zu begründen.591 Der Tatbestand von Absatz 3 Satz 2 Var. 3 ist nicht erfüllt, wenn der Täter zwar fest entschlossen ist, eine schwere Gewalttat zu begehen, Deutschland jedoch nur als einen von mehreren möglichen Anschlagsorten im Sinn hat.592 Soweit die vorbereitete Tat nach der 5. Variante von Absatz 2 Satz 3 gegen einen Deutschen begangen werden soll, darf es sich nicht um bloße Zufallsopfer handeln. Bereitet der Täter einen Angriff auf eine Gruppe von Touristen vor, in der sich neben deutschen Staatsbürgern auch Angehörige anderer Nationalitäten befinden, ist deutsches Strafrecht auf den Sachverhalt nur anwendbar, wenn es dem Täter gerade um einen Angriff zum Nachteil der deutschen Staatsbürger geht. Auch der Umstand, dass in dem Land, in dem die terroristische Unterweisung erfolgt, deutsche Soldaten stationiert sind, reicht nicht aus, um die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nach Absatz 3 Satz 2 Var. 5 zu begründen.593 In all diesen Fällen erscheint der für die völkerrechtliche Rechtfertigung erforderliche Inlandsbezug als zu vage, um die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts zu rechtfertigen.

3. Verhältnis zu den §§ 3 ff. Das Verhältnis zwischen Absatz 3 und den allgemeinen rechtsanwendungsrechtlichen Vorgaben 157 der §§ 3 ff. ist noch nicht vollständig geklärt. Die Gesetzesbegründung enthält nur die Aussage, dass Absatz 3 insoweit spezielles Recht enthält, als dass das Erfordernis der anderweitigen Tatortstrafbarkeit nach § 7 Abs. 1, 2 nicht gelten soll.594 Der BGH hat weitergehende Fragen zum Verhältnis zwischen Absatz 3 und dem allgemeinen Rechtsanwendungsrecht bislang offengelassen, strebt jedoch an, den Geltungsbereich von § 129b und § 89a Abs. 3 einheitlich zu bewer-

587 Krit. hierzu Altvater NStZ 2003 179, 181, 184; Kress JA 2005 220, 227; Stein GA 2005 433, 453; einschr. Schäfer MK § 129b StGB Rdn. 22; SSW/Lohse § 129b Rdn. 15: Erfasst sind nur Opfer einer Ausführungstat im Inland.

588 Aliabasi S. 170; Hellfeld S. 274; Zöller SK Rdn. 42. 589 BTDrucks. 16/12428 S. 16; BGHSt 54 264, 269; BGH StV 2013 304, 305; Gazeas AnwK Rdn. 83; Kauffmann S. 291; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 6. BTDrucks. 16/12428 S. 16; BGHSt 54 264, 269; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 6. Vgl. BGH BeckRS 2012 15269 Rdn. 11; Gazeas AnwK Rdn. 80; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 6. Schäfer MK Rdn. 65. BGH BeckRS 2012 15269 Rdn. 11. BTDrucks. 16/12428 S. 16.

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ten.595 § 129b Abs. 1 Satz 2 wiederum ist nach anfänglicher Zurückhaltung für den Fall, dass sich ein Mitglied einer ausländischen terroristischen Vereinigung im Inland aufhält, zumindest in mehreren Haftentscheidungen als lex specialis zu den §§ 3 ff. bewertet worden.596 Dies ist zwischenzeitlich in einer Haftprüfungsentscheidung auf einen aus Deutschland ausgereisten Täter, der sich im Ausland einer terroristischen Vereinigung angeschlossen und bei ihr eine Ausbildung absolviert hatte, auch für § 89a Abs. 3 entschieden worden.597 Darüber hinaus hat sich der BGH auf den Standpunkt gestellt, dass selbst wenn man bei § 129b von einer kumulativen Anwendung der §§ 3 ff. ausginge, diese die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts keinesfalls erweitern, sondern allenfalls einschränken könnte. Anderenfalls würde die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Nicht-EU-Ausland geringeren Anforderungen unterliegen als die Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppierung innerhalb der EU, deren Beteiligungshandlungen an den §§ 3 ff. zu messen wären.598 Nach überwiegender Ansicht der Literatur und Teilen der Instanzgerichtsbarkeit enthält Ab158 satz 3 spezielles Rechtsanwendungsrecht. Die Reichweite der daraus resultierenden Sperrwirkung wird allerdings unterschiedlich bewertet. Nach überwiegender Ansicht sollen von ihr nur die Konstellation des § 7 Abs. 1 (Auslandstaten zu Lasten deutscher Staatsbürger) sowie des § 7 Abs. 2 Nr. 1 (Auslandstaten eines deutschen Staatsbürgers) erfasst werden, mit der Folge, dass das in diesen Normen enthaltene Erfordernis der anderweitigen Tatortstrafbarkeit bei Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht zu prüfen wäre.599 § 7 Abs. 2 Nr. 2 soll dagegen anwendbar bleiben.600

159 a) Anwendbarkeit von §§ 3, 4, 9. Erforderlich für die Anwendung des § 89a Abs. 3 ist zunächst die Feststellung einer Auslandstat. Maßgebend hierfür sind die Voraussetzungen der §§ 3, 4, 9, die neben Absatz 3 anwendbar bleiben.601 Danach umfasst der Begriff des Inlands das deutsche Staatsgebiet einschließlich Landmasse, Binnengewässer, Küstenmeer und darüber liegendem Luftraum.602 § 4 bleibt in Übereinstimmung mit Art. 19 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) der Richtlinie (EU) 2017/541 und Art. 14 Abs. 2 Buchst. e) des Übereinkommens des Europarats ebenfalls anwendbar, sodass Tathandlungen nach § 89a, die sich auf deutschen Schiffen oder Flugzeugen ereignen, ebenfalls dem deutschen Strafrecht unterliegen. Als abstraktes Gefährdungsdelikt (Rdn. 6), setzt § 89a zudem keinen Taterfolg i. S. v. § 9 Abs. 1 Alt. 3 voraus, sodass sich der Tatort allein nach dem Ort der Handlung des Täters bestimmt.603 Während danach terroristisch motivierte Ausreisen nach Absatz 2a stets als Inlandstaten anzusehen sind (Rdn. 125),604 ohne dass es auf die Voraussetzungen des § 89a Abs. 3 ankäme, kann für die anderen Tathandlungen des Absatz 2 zu differenzieren sein: Erfolgt eine Unterweisung wie in der Rechtspraxis häufig über das Internet, so ist ein inländischer Tatort nur für die Person gegeben, die sich auch selbst

595 BGHSt 54 264, 268; BGH NStZ-RR 2011 199, 200; BGH BeckRS 2016 19193 Rdn. 33 ff. 596 BGH BeckRS 2017 108117 Rdn. 16; BGH BeckRS 2017 119137 Rdn. 12; aA BGHR StGB § 89a Abs. 3 Anwendbarkeit 2 (Ermittlungsrichter); offen gelassen von BGH NStZ-RR 2011 199, 200; BGH BeckRS 2016 19193 Rdn. 33 ff.

597 BGH BeckRS 2019 6797 Rdn. 27. 598 BGHSt 54 264, 268. 599 OLG München StV 2016 505, 506: Abs. 3 ergänzt die §§ 5–7; siehe auch Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 599; Schäfer MK Rdn. 69; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Zöller SK Rdn. 41; aA Hellfeld S. 274; zu § 129b vgl. Krauß LK13 § 129b Rdn. 22 ff. 600 Gazeas AnwK Rdn. 81; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 6. 601 Ebenso Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 6. 602 Fischer vor § 3-7 Rdn. 13-17; Lackner/Kühl/Kühl vor § 3 StGB Rdn. 4; Sch/Schröder/Eser/Weißer vor § 3 StGB Rdn. 61; Zöller SK Rdn. 42. 603 Vgl. BGH NStZ 2015 81; BGH NStZ 2017 146, 147 (jew. 3. Strafsenat); anders noch BGHSt 46 212, 220 ff. (1. Strafsenat). 604 BGHSt 62 103, 107; Ambos JR 2017 655, 657. Engelstätter

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IX. Rechtsanwendungsrecht gem. Absatz 3

StGB § 89a

in Deutschland aufhält (vgl. hierzu auch § 91 Rdn. 36). Die Strafverfolgung eines im Ausland befindlichen Schülers oder Lehrers ist nur unter den Voraussetzungen von Absatz 3, 4 möglich. Auch die Regelungen über die Behandlung von Mehrfachtatorten werden durch § 89a 160 Abs. 3 nicht verdrängt. Handelt eine Person an mehreren Tatorten, so ist deutsches Strafrecht ohne Prüfung der Voraussetzungen des Absatzes 3 anwendbar, sobald sich einer der Tatorte im Inland befindet. Bei Mittäterschaft ist jedem Mittäter das Handeln der anderen und daher auch der Ort ihrer Handlung zuzurechnen.605 Stiftet der im Inland aufhältige Teilnehmer den im Ausland befindlichen Haupttäter zu einer Tathandlung nach § 89a Abs. 2 an oder leistet er Beihilfe hierzu, so ist die Teilnahme gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 zwar sowohl im Inland wie auch im Ausland begangen. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts für den Teilnehmer folgt jedoch unmittelbar aus § 9 Abs. 2 S. 2, der die Tat selbst dann als Inlandstat qualifiziert, wenn die Haupttat im Ausland nicht mit Strafe bedroht ist. Auf die Voraussetzungen des Absatzes 3 kommt es auch in diesen Fällen nicht an (zur Erforderlichkeit einer Ermächtigung nach Absatz 4 s. Rdn. 169).

b) Verhältnis zu § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1. Im Verhältnis zu § 7 Abs. 1 sowie des § 7 Abs. 2 161 Nr. 1 enthält § 89a Abs. 3 dagegen spezielles Rechtsanwendungsrecht. Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, in den jeweiligen Tatbeständen auch eigenständige Regelungen zum Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts zu erlassen. Dies gilt insbesondere, soweit dies zur Umsetzung supranationaler Verpflichtungen erforderlich ist, die sich konkret auf eine bestimmte Strafnorm oder eine Gruppe von Tatbeständen beziehen.606 Auch im Fall von § 89a Abs. 3 sprechen unions- wie völkerrechtliche Verpflichtungen dafür, die Norm – soweit ihre Voraussetzungen reichen – als spezielles Rechtsanwendungsrecht auszulegen (vgl. Rdn. 33).607 Ob die Tathandlung – wie dies nach § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 erforderlich wäre – auch nach dem Recht des jeweiligen Tatorts mit Strafe bedroht ist, ist nach ihnen nicht zu prüfen. Nicht nur alle Varianten des Absatzes 3, sondern auch alle Tathandlungen der Absätze 2, 2a werden mittlerweile von den Tatbeständen der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 erfasst. Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) und e) des Regelwerks ist Deutschland verpflichtet, seine Gerichtsbarkeit für terroristische Straftaten nicht nur innerhalb des eigenen Staatsgebiets, sondern auch außerhalb zu begründen, wenn der Täter deutscher Staatsangehöriger oder Gebietsansässiger ist oder sich die Tat gegen Institutionen oder die Bevölkerung Deutschlands richtet. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie gestattet Deutschland darüber hinaus, seine Gerichtsbarkeit auch dann zu eröffnen, wenn die Tat in einem anderen Mitgliedstaat der EU begangen wird. Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie ermöglicht wie § 89a Abs. 3 Satz 2 schließlich die Verfolgung von Auslandstaten von Ausländern, sofern sie einen deutschen Staatsbürger auf die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorbereiten. Auch Art. 14 Abs. 1 Buchst. c), Abs. 2 Buchst. d) des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus legt eine Verdrängung von § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 durch § 89a Abs. 3 nahe. Das Abkommen verpflichtet Deutschland nach Ratifizierung des Zusatzprotokolls genau wie die EU-Richtlinie hinsichtlich sämtlicher Tatmodalitäten des § 89a zur Beachtung des aktiven Personalitäts- und Domizilprinzips, ohne dass es auf das Erfordernis einer Tatortstrafbarkeit ankäme.

c) Subsidiäre Anwendung von § 7 Abs. 2 Nr. 2. Liegen die Voraussetzungen von § 89a 162 Abs. 3 Satz 1, 2 nicht vor, bleibt § 7 Abs. 2 Nr. 2 anwendbar.608 Nach der Vorschrift ist die Verfolgung von Auslandstaten von Ausländern, die nach der Tat im Inland betroffen sind, zulässig, sofern die Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht ist und die betroffene Person nicht ausgeliefert 605 606 607 608 207

BGHSt 39 88, 91; BGH NStZ-RR 2009 197; Fischer § 9 Rdn. 3a. Vgl. BGH BeckRS 2019 21921 Rdn. 6 ff. zu § 96 Abs. 4 AufenthG. Engelstätter GSZ 2019 95, 100. Im Ergebnis ebenso Gazeas AnwK Rdn. 81; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 6. Engelstätter

§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

wird, obwohl ihre Auslieferung an den Heimat- oder Tatortstaat nach Maßgabe des IRG nach nationalen Maßstäben zulässig wäre. Für die Anwendbarkeit der Regelung besteht auch ein Bedürfnis, da der an sich speziellere § 89a Abs. 3 keine Auslandstaten von Ausländern erfasst, die – z. B. in Syrien oder Afghanistan – eine terroristisch motivierte Ausbildung ohne Deutschlandbezüge absolvieren, sodann nach Westeuropa reisen und hier nach der Tat erstmalig im Inland angetroffen werden. Insoweit unterscheidet sich § 89a Abs. 3 von § 129b Abs. 1 Satz 2, der auch diese Fallkonstellationen unmittelbar erfasst. Art. 19 Abs. 4 der Terrorismusrichtlinie (EU) 2017/541 verpflichtet Deutschland jedoch auch für Taten nach § 89a ohne Deutschlandbezug außerhalb der EU seine Gerichtsbarkeit zu eröffnen, wenn es den Betroffenen nicht an den Tatortstaat ausliefert („aut dedere aut iudicare“).609 Lehnt man mit der wohl h. M. eine unmittelbare Anwendung der Vorschriften der Terrorismusrichtlinie ab,610 bleibt nur der Rückgriff auf § 7 Abs. 2 Nr. 2, um diese Vorgaben des Unionsrechts einzuhalten. Ausgenommen ist gem. § 6 Nr. 9 lediglich das Anwendungsgebiet der Konvention des Europarats zur Verhütung des Terrorismus.611 Art. 14 Abs. 3, Art. 18 sowie Art. 19 des Abkommens normieren insoweit eigenständig den Grundsatz „aut dedere aut iudicare“ und enthalten zudem spezielle Modifikationen zum Auslieferungsrecht des IRG.

X. Verfolgungsermächtigung gem. Absatz 4 163 Ist die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts gem. § 89a Abs. 3 gegeben, so ist in den von Absatz 4 erfassten Konstellationen die Verfolgung der Tat nur mit Erteilung einer Strafverfolgungsermächtigung der Bundesregierung möglich. Die Möglichkeit von der Verfolgung der Tat auch gem. § 153c StPO abzusehen, bleibt von Absatz 4 unberührt und wird von der zuständigen Staatsanwaltschaft vor Beantragung einer Ermächtigung zu erwägen sein.612 Bei der Strafverfolgungsermächtigung handelt es sich um eine dem Strafantrag nachgebildete Prozessvoraussetzung, die ihre Rechtsgrundlage in § 77e findet.613 Ihre Erforderlichkeit ist für jeden Beteiligten, gleichgültig ob Täter oder Teilnehmer gesondert zu prüfen.614 Sobald für den betreffenden Beteiligten ein inländischer Tatort besteht, ist die Erteilung einer Ermächtigung nach Absatz 4 mangels Anwendbarkeit des Absatzes 3 selbst dann nicht mehr erforderlich, wenn er zusätzlich auch an Tatorten im Ausland gehandelt hat (vgl. Rdn. 160, 169). Absatz 4 differenziert zwischen Tathandlungen außerhalb und innerhalb der EU. Wird die Vorbereitung in den Fällen des Absatzes 3 Satz 2 außerhalb der EU begangen, bedarf die Strafverfolgung in jedem Fall einer Ermächtigung. Wird die Tat dagegen innerhalb der EU, aber nicht in Deutschland begangen, ist eine Verfolgungsermächtigung erforderlich, wenn der Vorbereitungshandlung der spezifische Inlandsbezug fehlt. § 89a Abs. 4 normiert diesbezüglich vier negativ formulierte Varianten. Danach ist eine Strafverfolgungsermächtigung einzuholen, wenn die Tat nach § 89a weder durch einen Deutschen noch durch einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen wird, darüber hinaus, wenn die ins Auge gefasste Gewalttat nicht durch oder gegen einen Deutschen begangen werden soll.

609 Zu den Voraussetzungen einer Auslieferung wegen terroristischer Straftaten vgl. BGHSt 28 110; OLG Karlsruhe NSTZ-RR 2004 345; OLG Schleswig BeckRS 2019 11960 Rdn. 23 (jeweils am Beispiel von §§ 129a, b StGB).

610 Ambos MK § 6 Rdn. 17; Schiemann JR 2017 339, 341; dafür jedoch Böse NK § 6 Rdn. 19. 611 Zur Anwendbarkeit von § 6 Nr. 9 StGB auf das Abkommen des Europarats s. Ambos MK § 6 Rdn. 17; SSW/ Satzger § 6 Rdn. 14.

612 BTDrucks. 16/12428 S. 16; Aliabasi S. 174; Gazeas AnwK Rdn. 88. 613 Altvater NStZ 2003 179, 182; Ambos ZIS 2016 505, 507; Krauß LK12 § 129b Rdn. 31. 614 Kargl NK Vorbemerk. zu §§ 77 ff. Rdn. 23; Mitsch MK Vorbemerk. zu §§ 77 ff. Rdn. 11. Engelstätter

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X. Verfolgungsermächtigung gem. Absatz 4

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1. Sinn und Zweck § 89a Abs. 4 ähnelt § 129b Abs. 1 Satz 3, der die Verfolgung der Mitgliedschaft in einer terroristi- 164 schen Vereinigung im Ausland ebenfalls an eine Verfolgungsermächtigung koppelt. Weitere Ermächtigungsvorbehalte sind in §§ 90 Abs. 4, 90b Abs. 2, 97 Abs. 3, 194 Abs. 4 sowie in § 353b Abs. 4 normiert. Anders als bei § 129b Abs. 1 Satz 3, der auch Generalermächtigungen erlaubt, handelt es sich bei § 89a Abs. 4 stets um eine Einzelfallentscheidung. Sinn und Zweck der Regelung ist eine Begrenzung der Strafrechtspflege auf strafwürdige und schwerwiegende Fälle.615 Die in den Materialien zu § 129b benannten Fallgruppen lassen sich auch auf § 89a Abs. 4 übertragen. Ein Verzicht auf die Erteilung einer Strafverfolgungsermächtigung wird namentlich bei Personen in Betracht kommen, die sich im Ausland Befreiungsbewegungen oder Widerstandsgruppierungen anschließen, die sich gegen Verhältnisse vor Ort wenden, die einer freiheitlich demokratischen Staatsordnung zuwiderlaufen.616 Da aber allein völker- oder menschenrechtlich anzuerkennende Rechtspositionen dem Be- 165 treffenden nicht zwangsläufig die Befugnis zu ihrer gewaltsamen Durchsetzung verleihen, ist der Verzicht auf eine Verfolgungsermächtigung einer an sich tatbestandsmäßigen Handlung oftmals die einzige Möglichkeit, der deutschen Außenpolitik den notwendigen Spielraum auf internationaler Ebene zu erhalten. Soweit der Ermächtigungsvorbehalt in § 129b Abs. 1 Satz 3 vor diesem Hintergrund als „Politisierung der Justiz“ oder „systemfremde Verfolgungshürde“ kritisiert worden ist, die die Grenzen von Politik und Strafverfolgung verschwimmen lasse,617 gilt dies im Grundsatz auch für den Ermächtigungsvorbehalt des Absatzes 4.618 Jedoch stellt die Vorschaltung eines Ermächtigungsverfahrens durch ein nicht am Strafverfahren beteiligtes Exekutivorgan, auch eine Entpolitisierung der Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden dar.619 Anderenfalls wären Organe der Rechtspflege gezwungen, bei der Anwendung der §§ 129a,b, 89a bis § 89c auch außenpolitisch bedeutsame Entscheidungen zu treffen, obwohl diese Aufgabe durch die Verfassung der Bundesregierung zugewiesen ist, die ihrerseits bei wesentlichen Entscheidungen, wie bei der Ratifizierung internationaler Abkommen oder Auslandseinsätzen der Bundeswehr, den Bundestag beteiligen muss.

2. Verfahren Die Ermächtigung nach Absatz 4 ist durch die Staatsanwaltschaft von Amts wegen zu beantra- 166 gen.620 Der entsprechende Antrag ist an keine Frist gebunden. Im gerichtlichen Verfahren ist das Vorliegen einer Verfolgungsermächtigung durch das Strafgericht von Amts wegen zu überprüfen. Zuständig für ihre Erteilung ist gem. Absatz 4 Satz 1 das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Im Gegensatz zu § 129b Abs. 1 Satz 5 enthält § 89a Abs. 4 keine Ermessensleitlinien. Die Entscheidung der Bundesregierung orientiert sich mithin an einer Abwägung aller maßgeblichen Umstände des jeweiligen Einzelfalls.621 Sie steht im pflichtgemäßen Ermessen, ist nur hinsichtlich ihrer formellen Wirksamkeit, nicht aber hinsichtlich ihrer inhaltlichen Voraussetzungen justiziabel und bedarf keiner Begründung.622 Ob die Ermächtigung zu-

615 BTDrucks. 16/12428 S. 15; Hellfeld S. 270; Schäfer MK Rdn. 71; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 22; vgl. auch BTDrucks. 14/8893 S. 8; Altvater NStZ 2003 179, 181; Krauß LK12 § 129b Rdn. 27 jew. zu § 129b StGB. 616 Vgl. BTDrucks. 14/8893 S. 8; Krauß LK12 § 129b Rdn. 27; Schäfer MK § 129b Rdn. 24. 617 V. Bubnoff NJW 2002 2672, 2675. 618 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 600; Zöller StV 2012 364, 366. 619 Ambos ZIS 2016 505, 511. 620 Gazeas AnwK Rdn. 88; Klemm NStZ 2012 128, 130. 621 Hellfeld S. 270; Schäfer MK Rdn. 71; Zöller SK Rdn. 46. 622 Gazeas AnwK Rdn. 88; Zöller SK Rdn. 46; vgl. Altvater NStZ 2003 179, 182; Krauß LK12 § 129b Rdn. 30 jeweils zu § 129b. 209

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Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

mindest einer Willkürprüfung zu unterziehen ist,623 und ob diese Frage im Strafverfahren oder entsprechend der Überprüfung einer Sperrerklärung gem. § 96 StPO im Verwaltungsprozess zu klären wäre, hat der BGH jedoch offen gelassen.624 Der Beschuldigte hat allerdings keinen Rechtsanspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.625 Der zugrundeliegende Verwaltungsvorgang unterliegt nicht der Akteneinsicht gem. §§ 147, 474 StPO, da es sich um Handakten eines Verwaltungsvorgangs handelt.626 Die Ermächtigung kann bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gem. § 77e i. V. m. 167 § 77d Abs. 1 zurückgenommen, allerdings gem. § 77e i. V. m. § 77d Abs. 1 Satz 3 nicht neu erteilt werden.627 In der Schwebezeit zwischen Beantragung der Ermächtigung und der Entscheidung über ihre Erteilung kann die Staatsanwaltschaft nur solche strafprozessualen Maßnahmen vornehmen, die durch Gefahr im Verzug geboten sind.628 Hierzu können – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – auch Maßnahmen gem. §§ 94, 100a, 100g StPO gehören. Rechtlich möglich ist auch die vorläufige Festnahme des Täters gem. § 127 Abs. 3 StPO sowie der Erlass eines Haftbefehls. In letzterem Fall muss der Ermittlungsrichter gem. § 130 Abs. 1 Satz 1, 2 StPO die Bundesregierung vom Erlass eines Haftbefehls in Kenntnis setzen und unter Fristsetzung von höchstens einer Woche auffordern, über die Erteilung einer Ermächtigung zu entscheiden. Für das staatsanwaltschaftliche Verfahren gelten die Ziffern 7 Abs. 2, 212 Abs. 2, 3 der RiStBV, die den Staatsanwalt verpflichten, die im Einzelfall gebotenen Maßnahmen zu treffen. Lehnt die Bundesregierung die Erteilung einer Ermächtigung ab, so liegt ein Prozesshinder168 nis vor. Das Verfahren ist gem. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen. Die Verfolgung weiterer, durch dieselbe Handlung verwirklichter Straftatbestände ist jedoch möglich, selbst wenn die Delikte formal subsidiär hinter § 89a zurücktreten würden.629 Dies kann z. B. relevant werden, wenn seitens der Bundesregierung eine Strafverfolgungsermächtigung für eine Waffenausbildung im Ausland versagt worden ist, der Täter aber zuvor unter Erfüllung der Voraussetzungen des Absatzes 2a aus Deutschland ausgereist ist. Bei der Ausreise handelt es sich um eine Inlandstat, die nicht an das Ermächtigungserfordernis des § 89a Abs. 4 gekoppelt ist (Rdn. 125). Allerdings wird in diesen Fällen regelmäßig eine Verfahrensweise gem. §§ 153, 153a StPO in Betracht kommen, da der Unrechtsgehalt einer Vorbereitungshandlung zu einer weiteren Vorbereitungshandlung, an deren Verfolgung ihrerseits mangels entsprechender Ermächtigung kein öffentliches Interesse besteht, als gering einzustufen ist.

3. Erforderlichkeit bei Teilnahmehandlungen 169 Zweifelsfragen können sich ergeben, soweit der Teilnehmer den Haupttäter zu einer Tathandlung außerhalb der EU anstiftet oder eine dortige Tat nach § 89a unterstützt, indem er dem Haupttäter z. B. Tarnkleidung per Post zuschickt, die dieser für eine terroristische Unterweisung benötigt. Sollte es in diesem Fall an einer Strafverfolgungsermächtigung gem. Absatz 4 zur Verfolgung des Haupttäters fehlen, z. B. weil dieser nicht ermittelbar oder bereits verstorben ist, bleibt die Teilnahmehandlung gleichwohl verfolgbar. Bei dem Ermächtigungserfordernis in Absatz 4 handelt es sich um eine dem Strafantrag nachgebildete Prozessvoraussetzung.630 Wird eine Ermächtigung für die Haupttat im Ausland nicht erteilt, hat dies auf die Verfolgbarkeit der Tat des Teilnehmers keine Auswirkungen, da wie bei einem Antragsdelikt 623 624 625 626 627 628 629 630

OLG München NJW 2007 2786, 2789; Ambos ZIS 2016 505, 508; Schäfer MK § 129b Rdn. 26 jeweils zu § 129b. BGH NStZ-RR 2014 274; BGH BeckRS 2014 16100 Rdn. 6; vgl. Fischer § 129b Rdn. 14a. Aliabasi S. 174. Ambos ZIS 2016 505, 508. Gazeas AnwK Rdn. 88; Zöller SK Rdn. 46. Krauß LK12 § 129b Rdn. 29; Schäfer MK Rdn. 72; Zöller SK Rdn. 46. Klemm NStZ 2012 128, 132 zum Verhältnis zwischen § 129b und § 20 VereinsG. Altvater NStZ 2003 179, 182; Ambos ZIS 2016 505, 507; Krauß LK12 § 129b Rdn. 31.

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XI. Rechtsfolgen gem. Absatz 5, 6, 92a

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auch ohne Ermächtigung eine vorsätzliche und rechtswidrige Tat i. S. v. § 11 Abs. 1 Nr. 5 vorliegt, an die die Strafbarkeit des Teilnehmers anknüpfen kann.631 Ob eine eigene Strafverfolgungsermächtigung für den Teilnehmer erforderlich ist, bestimmt sich in diesem Fall vielmehr nach dem Tatort der Teilnahme. Haben Haupttäter und Teilnehmer beide im Ausland gehandelt, ist die Strafverfolgung des Teilnehmers nur unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 möglich, was außerhalb der EU regelmäßig die Erforderlichkeit einer Ermächtigung gem. § 89a Abs. 4 nach sich zieht. Hat der Teilnehmer einer Auslandstat dagegen im Inland gehandelt, ist zwar gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 ein Tatort sowohl am Ort der Haupttat wie auch am Ort der Teilnahme gegeben. Die Anwendung deutschen Strafrechts folgt in diesem Fall aus § 9 Abs. 2 S. 2. Eine Strafverfolgungsermächtigung nach Absatz 4 ist mangels Anwendbarkeit von § 89a Abs. 3 nicht erforderlich (s. Rdn. 160).

XI. Rechtsfolgen gem. Absatz 5, 6, 92a Absatz eröffnet für Vorbereitungshandlungen nach Absatz 2 einen Strafrahmen von sechs Mona- 170 ten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Nach Absatz 2a der Vorschrift gilt dieser Strafrahmen auch für die terroristisch motivierte Ausreise und deren Versuch. Anwendbar ist zudem die Kronzeugenregelung des § 46b. 632 Danach kann das Gericht i. V. m. mit § 49 Abs. 1 die Strafe des Täters mildern oder unter den Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 Satz 4 von Strafe absehen, wenn der Täter Hilfe zur Aufklärung oder Verhütung von Taten gem. § 89a leistet. Der Strafrahmen ist in der Literatur mehrheitlich kritisiert worden.633 In der Tat sind vergleichbare Handlungen innerhalb des wie z. B. die Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags in § 310 Abs. 1 Nr. 2 bis 3 lediglich mit einem Höchstmaß von fünf Jahren bedroht. Die konkrete Verabredung zu einem Totschlag, einem erpresserischen Menschenraub oder einer Geiselnahme (§§ 212, 239a, 239b i. V. m. § 30 Abs. 1 Satz 2, 49) sieht eine geringere Mindeststrafe von drei Monaten vor, obwohl der Konkretisierungsgrad der geplanten Tat weiter fortgeschritten sein kann als bei einer Tathandlung nach § 89a. Den auf dieses Missverhältnis gestützten verfassungsrechtlichen Bedenken ist jedoch gleichwohl nicht zu folgen (Rdn. 68).634

1. Minder schwerer Fall Als Korrektiv im Einzelfall wirkt die Regelung des Absatzes 5,635 die für minder schwere Fälle 171 einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht und damit die Möglichkeit eröffnet, zu einer angemessenen Sanktion zu kommen.636 Die Voraussetzungen für einen minder schweren Fall bemessen sich nach den Umständen des Einzelfalls. Von einem minder schweren Fall des § 89a ist auszugehen, wenn nach der tatrichterlichen Beurteilung aufgrund der Strafzumessungskriterien im engeren Sinne und der Gesamtabwägung von Tat- und Täterpersönlichkeit, die strafmildernden Umstände die strafschärfenden derart überwiegen, dass das Tatbild vom Durchschnitt der vorkommenden und vom Gesetzgeber bei der Bestimmung des Regelstrafrahmens bedachten Fälle in einer Art nach unten abweicht, dass die Anwendung des Ausnah631 Vgl. BGHSt 31 132, 133; Fischer § 11 Rdn. 27; Hilgendorf LK13 § 11 Rdn. 80; Radtke MK § 11 Rdn. 131; Sch/Schröder/ Bosch § 77 Rdn. 50.

632 Gazeas AnwK Rdn. 89; Paeffgen NK Rdn. 63; Schäfer MK Rdn. 79; Zöller SK Rdn. 48. 633 Fischer Rdn. 45; Haverkamp FS Schöch 381, 397; Hellfeld S. 217; Hungerhoff S. 59; Paeffgen NK Rdn. 63; Radtke/ Steinsiek ZIS 2008 383, 391; Schäfer MK Rdn. 77; Steinsiek S. 369; Zöller SK Rdn. 48 – alle zu § 89a Abs. 2 StGB; zu § 89a Abs. 2a s. Biehl JR 2015 561, 566; Gazeas DRiZ 2015 218, 221. 634 BGHSt 59 218, 228; Aliabasi S. 353; Kauffmann S. 201; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1 f. 635 BGHSt 59 218, 229; Schäfer MK Rdn. 78; Rautenberg S. 349; aA Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 392. 636 BTDrucks. 16/12428 S. 16; Schäfer MK Rdn. 78; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Zöller SK Rdn. 48. 211

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Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

mestrafrahmens geboten erscheint. Anzustellen ist eine Gesamtabwägung aller Umstände, die für die Wertung von Tat und Täter bedeutsam sein können.637 Unter Anwendung dieser Maßstäbe soll ein minder schwerer Fall in erster Linie bei weit im Vorfeld der Gewalttat liegenden Handlungen sowie bei Taten in Betracht kommen, bei denen der Unrechtsgehalt erheblich vermindert ist, z. B. in den Fällen staatlicher Tatprovokation oder nachrichtendienstlicher oder polizeilicher Überwachung des Geschehens.638 Zu bewerten ist auch die Gefährlichkeit der geplanten Gewalttat, insbesondere die Zerstörungskraft eines geplanten Sprengsatzes.639 Dass sich der Täter aus Frust radikalisiert hat, ist zwar zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, reicht allein für die Annahme eines minder schweren Falles jedoch noch nicht aus.640

2. Führungsaufsicht und Verlust der Wählbarkeit 172 Gem. Absatz 6 kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 Führungsaufsicht anordnen. Ab einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten ist zudem zu erwägen, dem Verurteilten gem. § 92a die Fähigkeit abzuerkennen, öffentliche Ämter zu bekleiden, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen sowie in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen. Erweiterte Möglichkeiten der Einziehung ergeben sich zudem aus § 92b. Die Einziehung eines Geldbetrages, der nicht zur Begehung der Tat oder deren Vorbereitung benötigt worden ist und durch den Täter, z. B. bei der strafbaren Ausreise in ein terroristisches Ausbildungscamp oder bei der Einreise in einen Drittstaat, lediglich mitgeführt wird, ist jedoch auch nach dieser Vorschrift nicht möglich.641

XII. Tätige Reue gem. Absatz 7 173 Angesichts der in Absatz 2, 2a enthaltenen echten wie unechten Unternehmenstatbestände, die Versuch und Vollendung einander gleichstellen, ohne dem Täter die Möglichkeit eines Rücktritts gem. § 24 zu eröffnen, hat der Gesetzgeber in § 89a Abs. 7 Vorschriften über die tätige Reue normiert. Der Gesetzgeber hat sich bei der Fassung der Vorschrift an den Formulierungen des § 83a Abs. 2, 3 orientiert.642 Die Regelung weist aber auch Ähnlichkeiten zu den Tatbeständen der §§ 24, 31, 129 Abs. 6 und 129a Abs. 7 auf.643 Im Ergebnis ermöglicht Absatz 7 eine fakultative Strafmilderung nach § 49 Abs. 2 oder ein Absehen von Strafe. Die Entscheidung hierüber steht im Ermessen des erkennenden Gerichts, das bei seiner Entscheidung alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen hat.644 174 Die Voraussetzungen des Absatzes 7 Satz 1 Alt. 1 sind erfüllt, wenn der Täter freiwillig die weitere Vorbereitung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat aufgibt und eine von ihm verursachte und erkannte Gefahr, dass andere auf seine Handlung aufbauen und die Tat weiter vorbereiten oder sogar ausführen oder, z. B. durch Information der zuständigen Behörden, wesentlich mindert. Aufgeben i. S. e. endgültigen Abstandnahme muss der Täter die vollendete, aber noch nicht beendete Vorbereitungshandlung und nicht die durch die Vorbereitungshandlung intendierte Gewalttat.645 Die Gefahr der weiteren Vorbereitung oder Ausführung muss von 637 638 639 640 641 642 643 644 645

LG Dortmund BeckRS 2017 142592 Rdn. 44; Schäfer MK Rdn. 78; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21. Gazeas AnwK Rdn. 90; Schäfer MK Rdn. 78; Zöller SK Rdn. 48. Z. B. der zusätzliche Einsatz von Münzen als Schrapnell: LG Dortmund BeckRS 2017 142592 Rdn. 47. LG Dortmund BeckRS 2017 142592 Rdn. 46. BGH BeckRS 2017 13804 Rdn. 8. BTDrucks. 16/12428 S. 16; Hellfeld S. 279. Schäfer MK Rdn. 80; Zöller SK Rdn. 51. BTDrucks. 16/12428 S. 16; Aliabasi S. 175; Schäfer MK Rdn. 85; Zöller SK Rdn. 51. Schäfer MK Rdn. 81; Zöller SK Rdn. 51; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 25.

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XIII. Täterschaft und Teilnahme

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ihm verursacht und erkannt worden sein. Für Verursachung genügt auch Mitursächlichkeit. Unabhängig von seinem Tatbeitrag entstandenen Gefahren muss der Täter nicht entgegentreten.646 Erkennen bedeutet positives Wissen, fahrlässige Unkenntnis schadet nicht.647 Eine Gefahr ist abgewendet, wenn jede Möglichkeit ihrer Realisierung ausgeschlossen ist. Eine wesentliche Minderung der Gefahr kann der Tatrichter nur im Wege einer Abwägungsentscheidung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls treffen.648 Misslingen entsprechende Bemühungen des Täters geht dies zu seinen Lasten.649 Absatz 7 Satz 1 Alt. 1 ist auf das Zusammenwirken mehrerer Personen zugeschnitten, gilt 175 aber auch für den Einzeltäter. Soweit in der Literatur gefordert wird, dass es für diesen bereits ausreichen soll, nur die weitere Ausführung der Tat aufzugeben,650 steht dies nicht im Einklang mit dem Wortlaut des Gesetzes, das in allen Fallkonstellationen eine Abwendung oder wesentliche Minderung der verursachten Gefahr verlangt. In der Tat erscheint es kriminalpolitisch bedenklich, einem Vorbereitungstäter die Folgen des Absatzes 7 zu Gute kommen zu lassen, der zwar seinen Entschluss aufgegeben hat, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen, das von ihm erzielte Vorbereitungsergebnis jedoch in einem Zustand zurücklässt, der jederzeit von einem anderen für weitere Vorbereitungen bis hin zur Begehung der Gewalttat genutzt werden kann. Mit „Anderen“ meint das Gesetz jedoch nicht alle beliebigen Dritten, die zufällig die vom Täter geschaffene Gefahrensituation ausnutzen, sondern nur solche Personen, die schon an der Vorbereitungstat als Mittäter oder Teilnehmer beteiligt waren.651 Soweit sich der Täter gemeinsam mit anderen in einem Ausbildungslager einer terroristischen Vereinigung im Umgang mit Sprengstoffen unterweisen lässt, reicht allerdings gleichwohl die bloße Abstandnahme von der Tat, da in diesem Fall die Gefahr unabhängig von seiner Teilnahme entstanden ist, er also die Gefahr nicht verursacht hat.652 Nach Absatz 7 Satz 1 Alt. 2 kann der Täter auch von einer Strafmilderung profitieren, 176 wenn er freiwillig die Vollendung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat verhindert. Das Risiko des Misslingens liegt bei ihm.653 Die Regelung entspricht den Rücktrittsvoraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, sodass insoweit auf die allgemeinen Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Wird die Gefahr ohne Zutun des Täters abgewendet oder wesentlich gemindert, so genügt gem. Satz 2 sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, dieses Ziel zu erreichen. Die Regelung entspricht §§ 24 Abs. 1 Satz 2, 83a Abs. 3, sodass insoweit auf die zu diesen Vorschriften geltenden Grundsätze zurückgegriffen werden kann.

XIII. Täterschaft und Teilnahme Hinsichtlich der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten die allgemeinen Grund- 177 sätze.654 Täter kann grundsätzlich jeder sein. Die Tathandlung kann der Vorbereitung eigener oder fremder staatsgefährdender Gewalttaten dienen. Dass der Vorbereitungstäter mit dem Gewalttäter identisch ist oder an der Gewalttat beteiligt ist, ist nicht erforderlich, auch wenn im Falle ihrer Begehung im Regelfall Beihilfe vorliegen wird.655 Da es sich bei terroristisch

646 647 648 649 650 651 652 653 654 655 213

Hellfeld S. 280. Aliabasi S. 176; Schäfer MK Rdn. 82; Zöller SK Rdn. 51. Schäfer MK Rdn. 82; Zöller SK Rdn. 51. Schäfer MK Rdn. 82; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 25; Zöller SK Rdn. 51. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 25. Aliabasi S. 176; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 22. Schäfer MK Rdn. 82; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 25. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 22. Aliabasi S. 177. Gazeas AnwK Rdn. 37; Schäfer MK Rdn. 33, 73; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 22. Engelstätter

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Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

motivierten Ausreisen gem. Absatz 2a um eigenhändige Delikte handelt, kommen für sie mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft nicht in Betracht.656

1. Mittelbare Täterschaft 178 Mittelbare Täterschaft ist nur für Tathandlungen nach Absatz 2 möglich.657 Sie kommt z. B. in Betracht, soweit der Täter Tatmittel oder besondere Vorrichtungen i S.v. Absatz 2 Nr. 2 durch einen gutgläubigen Dritten erstellen lässt, der keine Kenntnis von der geplanten Gewalttat hat.

2. Unterlassen 179 Auch eine Täterschaft durch Unterlassen i. S. v. § 13 ist bei entsprechender Garantenstellung konstruktiv möglich, z. B. wenn ein Depotverwalter der Bundeswehr oder einer Baufirma untätig zusieht, wie Dritte Stoffe entwenden, um einen Sprengsatz für eine Gewalttat zu bauen.658 Konstruktionsschwierigkeiten bestehen jedoch hinsichtlich des Unterweisungstatbestandes und der terroristisch motivierten Ausreise. In den meisten Fällen dürfte hinsichtlich dieser Tatbestände eine Täterschaft durch Unterlassen aufgrund fehlender Modalitätenäquivalenz auszuschließen sein.659

3. Mittäterschaft 180 Wird eine Vorbereitungshandlung von mehreren Personen begangen, kommt Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 in Betracht, an die nach der Rechtsprechung des BGH jedoch strenge Anforderungen zu stellen sind. § 89a begründet weder eine Strafbarkeit für Personen, die eine von der Vorschrift erfasste Tathandlung vornehmen, ohne dass diese auf die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gerichtet ist, noch für Personen, die diese subjektive Vorstellung haben, ohne sie durch eine der im Tatbestand genannten Tathandlungen nach außen zu manifestieren. Pönalisiert wird auch nicht die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat durch Handlungen, die nicht im Tatbestand enthalten sind. Unter Strafe gestellt ist allein eine rechtsgutgefährdende Betätigung in der in Absatz 2 normierten Art und Weise.660 Demgemäß müssen sich die Tatbeiträge mehrerer Personen so ergänzen, dass sie zumindest hinsichtlich einer der in Absatz 2 normierten Tathandlungen die Voraussetzungen der Mittäterschaft erfüllen.661 Allein die Kenntnis eines Beschuldigten von der Tat des Mitbeschuldigten und sein Wille, diese als gemeinsame anzusehen, vermag die Voraussetzungen einer Mittäterschaft nicht zu begründen.662 Nehmen mehrere Personen an einer terroristisch motivierten Ausbildung nach Absatz 2 Nr. 1 teil, so sind sie nur dann Mittäter i. S. v. § 25 Abs. 2, wenn sie auch die spätere Gewalttat gemeinschaftlich begehen wollen. Bereitet sich dagegen jeder auf seine eigene Gewalttat vor, ist Einzel- oder Nebentäterschaft gegeben.

656 657 658 659 660 661 662

Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 21; vgl. auch BGH BeckRS 2019 17583 Rdn. 16. Kauffmann S. 135; Schäfer MK Rdn. 73. Gazeas AnwK Rdn. 37; Kauffmann S. 119. Paeffgen NK Rdn. 65. BGH NJW 2017 2693, 2694; BGH StV 2018 103, 105. BGH NJW 2017 2693, 2694. BGH NJW 2017 2693, 2694; BGH NStZ-RR 2016 6, 7; BGH BeckRS 2017 115067 Rdn. 12.

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XIII. Täterschaft und Teilnahme

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4. Anstiftung und Beihilfe Die Teilnahme an den Tathandlungen bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen.663 181 Sie ist auch für die Ausreisetatbestände des Absatzes 2a möglich.664 Hinsichtlich der Anstiftung treten keine dogmatischen Besonderheiten auf. Der Vorsatz des Anstifters muss dem Vorsatz des Vorbereitungstäters auch hinsichtlich der geplanten Gewalttat und ihrer Bestimmung und Eignung zur Staatsgefährdung entsprechen.665 Als „Lockspitzel“ oder „agent provocateur“ agierenden V-Personen oder Verdeckten Ermittlern, die den Täter erst zu einer Tat nach § 89a veranlassen oder Hilfe zu ihr leisten, wird es regelmäßig an diesen subjektiven Voraussetzungen fehlen, da sie nicht den Vorsatz aufweisen, durch ihre Handlung eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorzubereiten, sondern diese zu verhindern. Dies gilt auch, soweit der Täter veranlasst wird, zu einem echten Unternehmensdelikt nach Absatz 2a anzusetzen, da auf Seiten des Teilnehmers auch insoweit der Wille zur Vollendung der Tat erforderlich ist.666 Unbeschadet dessen setzt eine Strafbarkeit wegen Beihilfe voraus, dass die Handlung 182 die Verwirklichung eines der Tatbestände der Absätze 2, 2a fördert. Unterstützungshandlungen, die sich in irgendeiner Weise auf die Vorbereitung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat beziehen, aber nicht eine der Tathandlungen der Absätze 2, 2a anknüpfen, können nicht als Beihilfe gewertet werden.667 Sollte die schwere staatsgefährdende Gewalttat tatsächlich begangen werden, kommt zudem Beihilfe zu dieser Tat in Betracht. Nach diesem Maßstab kommt eine Beihilfe für alle unselbständigen, eine Tathandlung nach § 89a aber fördernde Handlungsweisen in Betracht. Regelmäßig wird es sich um Fälle handeln, die im Verhältnis zur Vorbereitungshandlung einen bei weitem geringeren Unrechtsgehalt aufweisen.668 Ihre Verfolgung kann nur bei erhöhten Anforderungen an den Gehilfenvorsatz in Betracht kommen (vgl. Rdn. 66). Rechtlichen Bedenken begegnet die Annahme einer Beihilfe innerhalb einer Reisegruppe zu den Ausreisetaten der Begleiter, wenn sich der Tatbeitrag des Ausreisenden in einer Handlung erschöpft, die er auch selbst zur Begehung seiner eigenen Tat nach Absatz 2a begehen muss, z. B. bei der gemeinsamen Nutzung eines Reisebusses.669 Aufgrund des weiten Begriffs des Vermögenswerts in § 89c wird eine Beihilfehandlung zu § 89a, soweit sie sich in der Weitergabe von Vermögenswerten erschöpft, in vielen Fällen zugleich die Anforderungen des § 89c Abs. 1 Satz 1 erfüllen (vgl. Rdn. 187, § 89c Rdn. 79). Für eine Beihilfehandlung kommen nach diesen Maßstäben z. B. in Betracht: die Bezah- 183 lung einer Reise des Vorbereitungstäters zu einer Pyrotechnikfirma; Kommunikation mit dem Lieferanten von Grundstoffen (1000 Rizinussamen); Zurverfügungstellung eines Amazon-Accounts samt PayPal-Konto zur Bestellung weiterer Grundstoffe durch den Vorbereitungstäter sowie Erwerb eines Zwerghamsters zum Testen der Konzentration des bereits hergestellten Gifts.670 Als Beihilfe zu einer terroristisch motivierten Ausreise sind nach dem Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus z. B. in Betracht zu ziehen: die Planung der Reiseroute oder der Erwerb der Reisetickets.671 Nach der Rechtsprechung kann sie zudem in psychischer Form geleistet werden, indem der Täter andere Perso-

663 664 665 666 667 668

Aliabasi S. 177; Kauffmann S. 135; Schäfer MK Rdn. 74; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 20. BGH BeckRS 2019 3832 Rdn. 23, 36; BGH BeckRS 2019 17583 Rdn. 15. Kauffmann S. 136; Schäfer MK Rdn. 74; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 20. Zweigle S. 338 f.; vgl. auch Wolters Das Unternehmensdelikt (2001) S. 175 ff. BGH NJW 2017 2693, 2695; zust. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 21. Aliabasi S. 177; Gazeas AnwK Rdn. 93; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 20; zur Beihilfe durch „neutrale“ Handlungen vgl. BGH NStZ 2017 461, 462. 669 BGH BeckRS 2019 17583 Rdn. 16. 670 Beispiele nach BGH BeckRS 2019 3832 Rdn. 24 ff. 671 Vgl. BTDrucks. 19/9507 S. 15; Zweigle S. 340. 215

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nen in ihrem Wunsch bestärkt, nach Syrien auszureisen und sich einer jihadistischen Vereinigung anzuschließen.672

XIV. Verhältnis zu anderen Vorschriften 184 Eine Tathandlung nach § 89a kann mit anderen Vorbereitungshandlungen nach dieser Vorschrift, aber auch mit Vorbereitungshandlungen gem. §§ 89b, 89c sowie § 91 konkurrieren. In Betracht kommt regelmäßig zudem die gleichzeitige Verwirklichung weiterer Straftatbestände des Besonderen Teils des sowie des Nebenstrafrechts. Darüber hinaus ist § 89a Gegenstand von Verweisungen innerhalb wie außerhalb des Strafrechts. Von besonderer Bedeutung für die Rechtspraxis ist zudem das Verhältnis der Norm zu verwaltungsrechtlichen Gefahrenabwehrvorgängen, in denen aufgrund der in jüngster Zeit erfolgten Ausweitung der polizeilichen Befugnisse zur Abwehr terroristischer Gefahren mittlerweile nahezu die gleichen Eingriffsbefugnisse wie nach der StPO bestehen.

1. Konkurrenzen innerhalb des § 89a sowie zu §§ 89b, 89c, 91 185 Bereitet der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat durch mehrere Tathandlungen nach Absatz 2 vor, ist im Ergebnis nur eine einheitliche Tat gegeben.673 Ebenfalls nur eine Tat liegt vor, wenn der Täter mehrere staatsgefährdende Gewalttaten durch eine Vorbereitungshandlung vorbereitet.674 Auch verschiedene Einzelakte des Beschaffens und Herstellens von Gegenständen, Stoffen und Zutaten können zu einer Tat nach allgemeinen Grundsätzen verbunden werden.675 Dies gilt auch, wenn der Täter während einer Ausbildung nach Absatz 2 Nr. 1 bereits beginnt, die erlernten Fähigkeiten einzusetzen und anfängt Grundstoffe zur Herstellung von Sprengstoff oder Gift zu beschaffen.676 Tatmehrheit ist anzunehmen, wenn der Täter mehrere Vorbereitungshandlungen begeht, die jeweils auf unterschiedliche Gewalttaten gerichtet sind.677 In diesem Fall führen selbst zeitliche Überschneidungen einzelner Vorbereitungshandlungen nicht zu einer tateinheitlichen Begehungsweise oder tatbestandlichen Handlungseinheit.678 186 Durchläuft der Täter verschiedene Vorbereitungsstufen, die jeweils gesondert mit Kriminalstrafe bedroht wären, so tritt die „Vorbereitung der Vorbereitung“ hinter die zeitlich späteste Handlung im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück. Dies gilt z. B. für Absatz 2a im Verhältnis zu Absatz 2 Nr. 1679 sowie für Absatz 2 Nr. 3 im Verhältnis zu Absatz 2 Nr. 2. Auch mit §§ 89b, 91 kann Gesetzeskonkurrenz in Betracht kommen, soweit die jeweiligen Tathandlungen zeitlich als Vorstufe zu einer weiteren Tathandlung derselben Person nach Absatz 2 zu bewerten sind, oder von ihr zeitgleich durch dieselbe Handlung mitverwirklicht werden.680 Erfüllen die Taten nach §§ 89b, 91 die Anforderungen an eine Beihilfe zu einer nach § 89a strafbaren Vorbereitungshandlung eines anderen, ist Tateinheit (§ 52) anzunehmen. Mit terroristisch motivierten Ausreisen

672 BGH BeckRS 2019 17583 Rdn. 15. 673 Fischer Rdn. 48; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 23; Paeffgen NK Rdn. 66; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26; Zöller SK Rdn. 52. 674 Fischer Rdn. 48; Gazeas AnwK Rdn. 94; Schäfer MK Rdn. 76. 675 Gazeas AnwK Rdn. 94; Schäfer MK Rdn. 76. 676 BGH BeckRS 2019 3832 Rdn. 35. 677 Gazeas AnwK Rdn. 94; Schäfer MK Rdn. 76; Zöller SK Rdn. 52. 678 Fischer Rdn. 48; Schäfer MK Rdn. 76. 679 Biehl JR 2015 561, 570; Schäfer MK Rdn. 76; Zöller SK Rdn. 52; Zweigle S. 346. 680 BTDrucks. 16/12428 S. 17, 18; Kauffmann S. 138; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 23; Paeffgen NK Rdn. 66; Zöller SK Rdn. 52. Engelstätter

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XIV. Verhältnis zu anderen Vorschriften

StGB § 89a

nach Absatz 2a werden Taten nach §§ 89b, 91 dagegen überwiegend in Tatmehrheit (§ 53) stehen, da diese Tatbestände typischerweise getrennt voneinander begangen werden.681 Insbesondere der Tatbestand des § 91 StGB stellt in der Rechtspraxis keine „Vorstufe“ für eine Tat nach Absatz 2a dar, sodass ein Zurücktreten im Wege der Gesetzeskonkurrenz schon aus diesem Grund regelmäßig ausscheiden wird. Besonderheiten gelten im Verhältnis zu § 89c. Dessen Gesetzesbegründung enthält den 187 Hinweis, dass § 89c hinter alle Beteiligungsformen (auch Anstiftung und Beihilfe) an der finanzierten Tat zurücktreten soll, sobald diese in das Versuchsstadium eingetreten ist (§ 89c Rdn. 112).682 Zu den finanzierten Taten nach § 89c StGB gehört aber auch die terroristisch motivierte Ausreise nach § 89a Abs. 2a. Finanziert der Täter die terroristisch motivierte Ausreise eines Dritten, wird dieses Verhalten neben einer Beihilfe zur Tat nach Absatz 2a in aller Regel auch den Tatbestand des § 89c Abs. 1 Satz 1 erfüllen. Folgt man dem Hinweis in der Gesetzesbegründung müsste die täterschaftliche Verwirklichung von § 89c hinter die bloße Teilnahme an einer Tat nach § 89a Abs. 2a zurücktreten.683 Der BGH hat sich noch nicht abschließend festgelegt; in zwei Haftprüfungsentscheidungen jedoch zu erkennen gegeben, dass er entgegen dem Hinweis in der Gesetzesbegründung von einem Vorrang der täterschaftlichen Verwirklichung von § 89c gegenüber der Beilhilfehandlung zu Absatz 2a ausgeht (vgl. § 89c Rdn. 111).684 Eine Einordnung der Tat nach § 89c als mitbestrafte Vortat kommt jedoch in Betracht, 188 soweit sich die Tat nach § 89c als Vorbereitung einer ihr zeitlich nachgelagerten Tat derselben Person nach § 89a darstellt, z. B. wenn der Täter Gelder sammelt und sie im Anschluss zum Erwerb von Gegenständen oder für die eigene Ausreise verwendet. In den verbleibenden Fällen wird regelmäßig Idealkonkurrenz i. S. v. § 52 in Betracht kommen. Dies gilt nicht nur für die zeitgleiche Verwirklichung von § 89a und § 89c durch dieselbe Handlung, sondern auch für Konstellationen, in denen eine Tathandlung nach § 89c zugleich als Beihilfe zu einer Tat eines anderen nach § 89a Abs. 2 zu bewerten ist, ohne dass es zur Verwirklichung einer Gewalttat kommt. Da die Gesetzesbegründung von § 89c diese Konstellation nicht erfasst, wäre insoweit auf die allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen, wonach die Strafe des Täters dem Gesetz mit dem höchsten Strafrahmen zu entnehmen ist. Dies wird im Regelfall der Strafrahmen des § 89c sein.

2. Konkurrenzen zu anderen Straftatbeständen Soweit § 89a mit anderen Straftatbeständen konkurriert, besteht im Wesentlichen Tateinheit 189 gem. § 52. Dies gilt insbesondere für die Straftatbestände, die an die verwaltungsrechtliche unzulässige Herstellung oder Verwahrung von Waffen, Stoffen oder Chemikalien anknüpfen.685 Für die Rechtspraxis bedeutsam sind vor allem die Vorschriften der §§ 22a KWKG, 52 WaffG, 40 SprengG, 95 AMG sowie 27 ChemG. Letztere Vorschrift tritt allerdings gem. § 27 Abs. 6 ChemG als formell subsidiär zurück, soweit die Tathandlung zugleich einen der Tatbestände der §§ 328, 330, 330a erfüllen sollte. Auch die Tatbestände der §§ 80a, 310, 328, 330, 330a können mit Vorbereitungstatbeständen des Absatzes 2 in Tateinheit stehen.686 Dies gilt auch für die Verbrechensverabredung gem. § 30687 sowie für die Bildung bewaffneter Gruppen gem. § 127.688 Mit

681 Zweigle S. 347. 682 BTDrucks. 18/4087 S. 11. 683 Vgl. Herzog/El-Ghazi § 89c Rdn. 58; Schäfer MK § 89c Rdn. 24; Zöller SK § 89c Rdn. 24; aA Matt/Renzikowski/ Henrichs Rdn. 23: Tateinheit aufgrund des höheren Strafrahmens von § 89c StGB. BGH BeckRS 2019 14496 Rdn. 39; BGH BeckRS 2019 18950 Rdn. 29. Kauffmann S. 145; Mertens S. 103 ff., 155 ff.; Rautenberg S. 230; Schäfer MK Rdn. 76. BGH BeckRS 2019 6133 Rdn. 10; Kauffmann S. 144; Rautenberg S. 230. Schäfer MK Rdn. 76; Zöller SK Rdn. 52. Kauffmann S. 144; Rautenberg S. 223.

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den Vereinigungsdelikten der §§ 129, 129a, 129b besteht ebenfalls Tateinheit.689 Nach dem BGH ist beiden Tatbeständen zwar die Vorverlagerung des strafrechtlichen Schutzes in das Vorbereitungsstadium gemein. § 89a erfasst gleichwohl besondere Gefahrenlagen, die durch konkret umschriebene Handlungen begründet werden und die der Gesetzgeber unabhängig von der Einbindung in eine terroristische Vereinigung – schon vor Eintritt in das Versuchsstadium – als strafbedürftig eingestuft hat. Die Verwirklichung derartiger Handlungen setzt eine mitgliedschaftliche Betätigung nicht voraus.690 Das Verhältnis von § 89a zur späteren Gewalttat hat der BGH bislang offengelassen.691 Für 190 die Fälle der Eigenvorbereitung, in denen der Täter die durch die Tat nach § 89a vorbereitete Tat selbst begeht, ist auf die allgemeinen Grundsätze von Beteiligungsversuch im Vorfeld der Tat (§ 30), Versuch (§ 22) und Vollendung zurückzugreifen. Taten nach § 89a treten in diesen Fällen als weniger intensive Deliktsverwirklichung subsidiär im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter den jeweils verwirklichten Tatbestand der Gewalttat (§§ 211, 212, 239a, 239b) zurück.692 Dies gilt auch dann, wenn die Gewalttat nicht über das Versuchsstadium hinausgelangt.693 Bereitet der Täter durch die Tat nach § 89a dagegen die Gewalttat eines Dritten vor (sog. Fremdvorbereitung), wird die Handlung im Falle des Versuchs oder der Vollendung der Gewalttat regelmäßig auch den Tatbestand einer Beihilfe gem. § 27 zu dieser Tat erfüllen. Diese steht zu der vorangegangenen Tat nach § 89a aufgrund des höheren Strafrahmens grundsätzlich in Tateinheit gem. § 52. Insoweit unterscheidet sich § 89a von § 89c, der nach dem Willen des Gesetzgebers hinter alle Beteiligungsformen an der finanzierten Tat zurücktreten soll (§ 89c Rdn. 112).694 Da eine entsprechende gesetzgeberische Intention im Falle des § 89a jedoch nicht dokumentiert ist, erscheint die Annahme von Idealkonkurrenz letztlich aus Klarstellungsgründen gerechtfertigt.

3. Verweisungen in anderen Vorschriften 191 Mit der Einführung des § 89a hat der Gesetzgeber zwei weitere Tatbestände des geändert, die nunmehr auf § 89a verweisen. So stellt § 89a gem. § 261 Abs. 1 Nr. 5 auch nach der Verlagerung von Absatz 2 Nr. 4 in § 89c durch GVVG-ÄndG weiterhin eine taugliche Vortat der Geldwäsche dar. Der Gesetzgeber wollte mit Aufnahme der Vorschrift in die Katalogtatbestände des § 261 in erster Linie die finanzielle Unterstützung von Vorbereitungshandlungen bekämpfen.695 Inwieweit § 261 Abs. 1 Nr. 5 nach Einführung des § 89c für die Rechtspraxis noch ein praktischer Anwendungsbereich verbleibt, ist derzeit nicht absehbar. Als problematisch erweist sich die Aufnahme des § 89a in den Katalog des § 138 Abs. 2 192 Nr. 1. Die Norm verlagert die Strafbarkeit noch weiter ins Vorfeld der eigentlichen geplanten Rechtsgutverletzung, indem sie bereits die Nichtanzeige der Vorbereitung pönalisiert.696 Der Gesetzgeber wollte mit der Erweiterung des § 138 Mitwisser der Vorbereitungshandlung dazu veranlassen, ihr Schweigen zu brechen, um auf diese Weise möglichst frühzeitig Vorbereitungshandlungen für staatsgefährdende Gewalttaten aufdecken zu können.697 § 138 Abs. 2 Satz 2 ordnet für Fälle mit Auslandsbezug allerdings nur für die Nichtanzeige einer Vereinigungsstraftat 689 BGHR StGB 89a Konkurrenzen 1; BGH NStZ-RR 2018 42, 43; BGH BeckRS 2016 115077 Rdn. 5; BGH BeckRS 2019 6797 Rdn. 26; zust. Paeffen NK Rdn. 67; Zweigle S. 350; aA OLG München BeckRS 2015 13419 Rdn. 415 (nicht in StV 2016 505 abgedruckt); Schäfer MK Rdn. 76: Subsidiarität von § 89a StGB. 690 BGHR StGB 89a Konkurrenzen 1. 691 BGH NStZ-RR 2018 42, 43. 692 Fischer Rdn. 48; Gazeas AnwK Rdn. 94; Kauffmann S. 139; Paeffen NK Rdn. 66; Schäfer MK Rdn. 76; Zöller SK Rdn. 52; im Ergebnis auch Zweigle S. 343 (mitbestrafte Vortaten); aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26. 693 Fischer Rdn. 48; Paeffen NK Rdn. 66; Schäfer MK Rdn. 76; aA Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 23. 694 BTDrucks. 18/4087 S. 11; vgl. Herzog/El-Ghazi § 89c Rdn. 58; Schäfer MK § 89c Rdn. 25; Zöller SK § 89c Rdn. 24. 695 BTDrucks. 16/12428 S. 18. 696 Krit. Gazeas Rdn. 83; Paeffgen NK Rdn. 82; Schäfer MK Rdn. 94. 697 BTDrucks. 16/12428 S. 18. Engelstätter

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XIV. Verhältnis zu anderen Vorschriften

StGB § 89a

die Erforderlichkeit einer Verfolgungsermächtigung gem. § 129b Abs. 1 Satz 3 bis 5 an. Für die Verfolgbarkeit einer Tat nach § 138 Abs. 2 Nr. 1 gelten jedoch die §§ 3 ff. Dies gilt auch dann, wenn die nicht angezeigte Tathandlung des Absatzes 2 im Ausland vorgenommen wird und ggf. nur mit Ermächtigung gem. Absatz 4 verfolgbar wäre.698 Verschiedene Vorschriften des besonderen Verwaltungsrechts verweisen auf § 89a. Im Zu- 193 ständigkeitsbereich der Nachrichtendienste sind §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) G10-Gesetz um die Tatbestände der § 89a, 89c erweitert worden. Darüber hinaus ist § 89a in den Katalog des § 23d Abs. 1 Buchst. a) ZFDG integriert worden. Nach dieser Vorschrift kann das Zollkriminalamt persönliche Daten des Betroffenen an die Polizei übermitteln, soweit ihm tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass jemand eine Straftat nach § 89a begeht oder in Zukunft begehen will. Eine weitere Verweisung im Zollrecht findet sich in § 12a Abs. 7 Nr. 2 ZollVG für die Überwachung des grenzüberschreitenden Verkehrs mit Barmitteln und gleichgestellten Zahlungsmitteln hinsichtlich der Finanzierung terroristisch motivierter Reisen gem. Absatz 2a. Im Passrecht ist mit § 7 Abs. 1 Nr. 10 PassG ein obligatorischer Passversagungsgrund ge- 194 schaffen worden, der u. a. Ausreisebeschränkungen gem. § 10 Abs. 1 Satz 2 PassG sowie Passeinziehungen gem. § 8 PassG ermöglichen kann (vgl. dazu auch Rdn. 49).699 Weitere Verweisungen finden sich im Aufenthaltsrecht. Nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG besteht u. a. bei Personen hinsichtlich derer Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass sie eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereiten, ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse,700 das u. a. Maßnahmen gem. §§ 53, 58 AufenthG (Ausweisung und Abschiebung), gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (Einreiseverweigerung), gem. § 15 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG (Zurückweisung an der Grenze) sowie insbesondere gem. § 58a AufenthG (Abschiebung bei terroristischer Gefahr)701 rechtfertigen kann. Gem. § 2 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a) AZRG in Verbindung mit den entsprechenden Durchführungsvorschriften kann ein gegen einen Ausländer bestehender Verdacht, dass er eine Straftat gem. § 89a begeht oder begangen hat, zudem im Ausländerzentralregister gespeichert werden.

4. Verhältnis zu verwaltungsrechtlichen Gefahrenabwehrvorgängen In der Rechtspraxis kollidieren strafrechtliche Ermittlungsverfahren nach § 89a regelmäßig mit 195 verwaltungsrechtlichen Gefahrenabwehrvorgängen.702 Vorbereitungshandlungen nach § 89a sind nach verwaltungsrechtlichen Maßstäben regelmäßig als Gefahren für die öffentliche Sicherheit einzustufen. Danach kann eine terroristische Gefahr nicht nur von Organisationen, sondern auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht als Mitglieder oder Unterstützer in eine terroristische Vereinigung eingebunden sind oder in einer entsprechenden Beziehung zu einer solchen stehen. Erfasst sind grundsätzlich auch Zwischenstufen lose verkoppelter Netzwerke, (virtueller oder realer) Kommunikationszusammenhänge oder „Szeneeinbindungen“, die auf die Realitätswahrnehmung einwirken und geeignet sind, im Einzelfall die Bereitschaft zu wecken oder zu fördern, eine staatsgefährdende Gewalttat zu begehen.703 Demgemäß kann in Fällen, in denen sich eine Person in hohem Maße und seit längerem mit einer militanten und gewaltbereiten Auslegung des Islam identifiziert, den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung dieser radikal-islamistischen Auffassung

698 Krit. Gazeas Rdn. 83 Schäfer MK Rdn. 94; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 138 Rdn. 14. 699 Vgl. dazu VG Düsseldorf BeckRS 2015 45982; VG Hamburg BeckRS 2015 41847. 700 Vgl. aber OVG Berlin-Brandenburg BeckRS 2017 113765 Rdn. 4 – nicht bei einstellungsreifem Ermittlungsverfahren.

701 Dazu BVerwGE 159 296; BVerwG NVwZ 2017 1798, 1799; BVerwG DVBl. 2017 1435; BVerwG InfAuslR 2018 124; sowie BVerwG BeckRS 2018 23003.

702 Bäcker GSZ 2018 213, 217; Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy GSZ 2018 7, 8; Griesbaum/Wallenta NStZ 2013 369, 374; Griesbaum FS Nehm 125, 132 ff.

703 BVerwGE 158 225, 234; BVerwG NVwZ 2017 1798, 1799, 1800; BVerwG DVBl. 2017 1435; BVerwG InfAuslR 2018 124, 125; BVerwG BeckRS 2018 23003 Rdn. 26. 219

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

für gerechtfertigt hält und die Teilnahme am Jihad als verpflichtend ansieht, ein beträchtliches Risiko vorliegen, dass diese Person einen terroristischen Anschlag verübt.704 Zur Abwehr entsprechender Gefahren steht den Verwaltungsbehörden mittlerweile ein präventivpolizeiliches Überwachungsinstrumentarium zur Verfügung, das hinter den strafprozessualen Eingriffsermächtigungen der StPO nicht mehr zurücksteht. Dies gilt insbesondere für die dem Bundeskriminalamt zur Abwendung terroristischer Gefahren nach §§ 5, 38 ff. BKAG eingeräumten Befugnisse, aber auch für die wesentlichen Gefahrenabwehrbefugnisse der Polizeibehörden der Länder. Zu berücksichtigen sind zudem die teilweise bereits beschlossenen, zum Teil noch in der Diskussion befindlichen Regelungen über die Ausweitung des Präventivgewahrsams (vgl. Rdn. 47). Strafprozessualer Anfangsverdacht und verwaltungsrechtliche Gefahr stehen nach der Sicher196 heitsarchitektur des GG grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander.705 Insbesondere das Legalitätsprinzip begründet keinen Vorrang des Strafverfahrensrechts vor verwaltungsrechtlichen Maßnahmen. Vielmehr kann es aufgrund von Überschneidungen von strafprozessualen Anordnungen mit Maßnahmen des Polizei-, Nachrichtendienst- oder Ausländerrechts für den Betroffenen auch zu Kummulationseffekten mit erhöhter Eingriffsintensität kommen.706 Dabei haben die Behörden der Polizei, die anders als die Nachrichtendienste sowohl präventiv als auch repressiv tätig werden können, unabhängig von der staatsanwaltschaftlichen Leitungsbefugnis gem. § 161 Abs. 1 Satz 2 StPO im Ergebnis ein Wahlrecht, nach welchem Rechtsregime sie tätig werden.707 Dies schließt die Möglichkeit ein, ihr Verhältnis zur Staatsanwaltschaft, insbesondere durch den Zeitpunkt der Informationsweitergabe, letztlich selbst zu definieren.708 Dadurch ist es im Einzelfall denkbar, dass durch rechtmäßige Maßnahmen des Verwaltungsrechts strafprozessuale Standards wie Beschuldigtenrechte oder Richtervorbehalte709 umgangen werden oder sogar eine Maßnahme auf verwaltungsrechtlicher Grundlage ergeht, die nach Strafprozessrecht nicht hätte erlassen werden dürfen.710 Sich daraus ergebende Fragen der Zweckbindung und Zweckänderung der erhobenen Daten sind nach Maßgabe der Übermittlungsvorschriften des einschlägigen Fachrechts zu beantworten. Die strafprozessuale Verwertbarkeit richtet sich dabei nach § 161 Abs. 3 StPO.711 Geht es um eine akustische Datenerhebung aus einer Wohnung i. S. v. Art. 13 GG sind je nach Einzelfall die Anforderungen des § 161 Abs. 4 StPO oder § 100e Abs. 6 Nr. 3 StPO einschlägig.712

XV. Prozessuales 197 In prozessualer Hinsicht sind die Regelungen über die Verjährung, die gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Zuständigkeiten sowie die im Rahmen der StPO zulässigen strafprozessualen Maßnahmen von Bedeutung. Bei § 89a handelt es sich um ein Offizialdelikt. Ein Strafantrag oder ein öffentliches Interesse sind zur Verfolgung der Tat grundsätzlich nicht erforderlich. In Fällen mit Auslandsbezug kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 4 jedoch eine Strafverfolgungsermächtigung der Bundesregierung einzuholen sein (Rdn. 163). Die Verjährungsfrist beträgt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 zehn Jahre. Sie beginnt gem. § 78a mit der Beendigung der Tat. 704 BVerwGE 158 225, 237; BVerwG DVBl. 2017 1435; BVerwG NVwZ 2017 1531, 1535 f.; BVerwG BeckRS 2017 113251 Rdn. 22.

705 BGHSt 62 123, 133; vgl. auch BVerfGE 32 373, 380; BVerfGE 80 367, 380; BVerwG NVwZ 2001 1285, 1286; näher Fischer/Hilgendorff/Engelstätter S. 181, 196 f.

706 Bäcker S. 349-361; Sieber GS Vogel 351, 363. 707 BGHSt 62 123, 133; BGH NStZ 2018 296, 297 zust. Nowrousian NStZ 2018 254, 255; krit. Lenk NVwZ 2018 38 ff.; Mitsch NJW 2017 3124, 3125; Roggan GSZ 2018 52, 55.

708 Krit. Bäcker S. 360; Griesbaum/Wallenta NStZ 2013 369, 373. 709 Vgl. BGHSt 62 123, 133 ff. (Durchsuchung gem. §§ 36, 37 HSOG); BGH NStZ 2018 296, 297 (Verwertbarkeit von nach § 10 Abs. 3 ZollVG aufgefundenen Gegenständen).

710 Bäcker GSZ 2018 213, 218; Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy GSZ 2018 7, 8; Gärditz GSZ 2017 1, 4. 711 Vgl. BGHSt 62 123, 133 ff.; BGH NStZ 2018 296, 297; BGH ZD 2018 488. 712 Zur Vorgängerregelung des § 100d Abs. 3 Nr. 5 StPO vgl. BGHSt 54 69, 83 ff. Engelstätter

220

XV. Prozessuales

StGB § 89a

1. Zuständigkeiten Straftaten gem. § 89a fallen in die Zuständigkeit der Bundesländer und dort gem. § 74a Abs. 1 198 Nr. 2 GVG in die ausschließliche Zuständigkeit der Staatsschutzkammern und der ortsansässigen Staatsanwaltschaften. Bei anderen Staatsanwaltschaften des Landes anfallende Vorgänge sind gem. Ziffer 204 Abs. 1 RiStBV unmittelbar zu übersenden. Nur in Jugendsachen ist der Vorrang der Staatsschutzkammer mit Inkrafttreten des StVÄG 1979713 entfallen, sodass für Jugendliche wie Heranwachsende gem. §§ 33, 107 JGG weiterhin die örtlichen Jugendgerichte zuständig sind. Der Zuständigkeit der Jugendgerichte folgt – vorbehaltlich einer entsprechenden Konzentrationsregelung gem. § 143 Abs. 4 GVG – auch die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft. Gegen Jugendliche und Heranwachsende kann vor der Staatsschutzkammer unter den Voraussetzungen des § 103 Abs. 2 JGG verhandelt werden, wenn zu dem Verfahren zumindest ein Erwachsener verbunden ist.714 Werden Jugendliche und/oder Heranwachsende gleichwohl als Einzeltäter zur Staatsschutzkammer angeklagt, so hat diese das Verfahren vor dem Jugendrichter oder dem Jugendschöffengericht zu eröffnen oder der Jugendkammer zur Übernahme vorzulegen.715 Der Generalbundesanwalt kann ein Ermittlungsverfahren gem. § 89a im Wege der Evokation 199 gem. § 120 Abs. 2 Nr. 1 GVG übernehmen, wenn der Sache besondere Bedeutung zukommt. Gibt er das Verfahren nicht gem. § 142a Abs. 4 GVG wieder an die Landesstaatsanwaltschaft zurück, sind die Oberlandesgerichte, in deren Bezirk die Landesregierungen ihren Sitz haben, als im Wege der Organleihe gem. Art. 96 Abs. 5 GG Bundesgerichtsbarkeit ausübende Gerichte zur erstinstanzlichen Entscheidung über die Sache berufen. Sie haben allerdings die Möglichkeit, gem. § 120 Abs. 2 Satz 2 GVG das Verfahren wieder an das Landgericht zu verweisen, wenn eine besondere Bedeutung des Falles nicht mehr gegeben ist. Bei dem Begriff der besonderen Bedeutung i. S. v. § 120 Abs. 2 GVG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung im konkreten Fall aufgrund der mit der Übernahme des Verfahrens auch verbundenen verfassungsrechtlichen Implikationen der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt.716 An seine Voraussetzungen sind strenge Anforderungen zu stellen.717 Eine Evokation wegen besonderer Bedeutung des Falles ist nur möglich, wenn es sich unter Beachtung des Ausmaßes der Rechtsgutverletzung um ein staatsgefährdendes Delikt von erheblichem Gewicht handelt, das die Schutzgüter des Gesamtstaates in einer spezifischen Weise angreift, dass eine Aburteilung durch ein Bundesgerichtsbarkeit ausübendes Gericht geboten ist.718 Maßgeblich ist eine Gesamtwürdigung im Einzelfall, die neben den Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat auch die konkreten Auswirkungen für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Rdn. 89 ff.) und ihr Erscheinungsbild gegenüber Staaten mit gleichen Wertvorstellungen einschließlich einer Signalwirkung für potentielle Nachahmer berücksichtigt.719 In Jugendsachen ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die „Intentionen des Jugendgerichtsgesetzes eher für die Zuständigkeit der Jugendkammer spricht,“720 sodass mitbeschuldigte Erwachsene bei geeigneter Sachlage abzutrennen sind.721 Nach diesem Maßstab sind an die Übernahme eines Verfahrens durch die Bundesjustiz 200 strenge Anforderungen zu stellen. Zwar ist die Staatsschutzklausel des Absatzes 1 Satz 2 an die Voraussetzungen des § 120 Abs. 2 GVG angelehnt (vgl. Rdn. 84). Das bedeutet jedoch noch nicht,

713 714 715 716 717 718

Strafverfahrensänderungsgesetz (StVÄG v. 5.10.1978), BGBl. 1978, Nr. 57 S. 1645. BTDrucks. 8/976 S. 70. Brunner/Dölling JGG § 102 Rdn. 2. BVerfGE 9 223, 229; BGHSt 46 238, 254; Hannich KK § 120 GVG Rdn. 3. BGHSt 53 128, 140 f.; BGH BeckRS 2014 528 Rdn. 26; BGH BeckRS 2016 17711 Rdn. 23. Vgl. BGHSt 46 238, 254; BGHSt 53 128, 140; BGH NStZ 2010, 468; Lüttich/Lehmann/Brauneisen S. 107, 110; Freuding/Frank Forum Strafvollzug 2018 249 ff. 719 BGH NStZ 2008 146, 147; BGH BeckRS 2016 17711 Rdn. 23. 720 BGHSt 46 238, 256; BGH NStZ 2002 447, 448; weitergehend Eisenberg NStZ 1996 263 ff.: Anklage zum OLG nur in Ausnahmefällen; dagegen Schoreit NStZ 1997 69, 70; Welp NStZ 2002 609, 610. 721 Diemer/Schatz/Sonnen JGG § 102 Rdn. 4. 221

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§ 89a StGB

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

dass jedes Verfahren gem. § 89a in den Bereich der Bundesjustiz überführt werden kann. Abzustellen ist vielmehr auf die dem Verfahren zugrundeliegende Tathandlung gem. § 89a Abs. 2, 2a. Dass hier nicht jede in Betracht kommende Vorgehensweise einen staatspolitischen Bezug aufweist, der geeignet wäre, ein gesamtstaatliches Verfolgungsinteresse zu begründen, ist offenkundig.722 Seine Voraussetzungen können sich bei einem nach § 89a geführten Ermittlungsverfahren jedoch z. B. aus Art und Ausmaß der geplanten Gewalttat, aber auch aus der Person des Täters und seiner Einbindung in terroristische Strukturen ergeben, die für sich noch nicht die Voraussetzungen einer terroristischen Vereinigung gem. § 129a, b erfüllen. In der Rechtspraxis wird von der Möglichkeit der Evokation nur zurückhaltend Gebrauch gemacht. Im Zeitraum zwischen 2015 und 2018 kam es im Bereich des Terrorismus im Wege der Evokation lediglich zu neun Verfahrensübernahmen durch die Bundesanwaltschaft.723

2. Strafprozessuale Maßnahmen 201 Bereits mit der Einführung des Grundtatbestandes hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich nahezu aller strafprozessualen Maßnahmen durch Erweiterung der entsprechenden Kataloge in der StPO auch auf § 89a erstreckt, um den Ermittlungsbehörden ein effektives Instrumentarium zur Strafverfolgung des organisatorisch nicht gebundenen Einzeltäters zur Verfügung zu stellen.724 Im Bereich des Haftrechts ist § 89a in den Katalogtatbestand des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO mit aufgenommen worden. Damit kann bei Bestehen eines dringenden Tatverdachts die Anordnung von Untersuchungshaft auch auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützt werden. Von einer Aufnahme in die Katalogtatbestände des Haftgrundes der Schwerkriminalität gem. § 112 Abs. 3 StPO hat der Gesetzgeber jedoch abgesehen. Im Falle einer terroristisch motivierten Ausreise gem. Absatz 2a liegt der Haftgrund der Flucht gem. § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO nicht vor, wenn der Täter nicht ins Ausland gereist war, um sich der Strafverfolgung zu entziehen, sondern Zweck seiner Ausreise die Begehung von Straftaten im Ausland war, die sodann erst Grundlage seiner Strafverfolgung in Deutschland wurden.725 § 89a ist in die Katalogtatbestände der §§ 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a), 100b Abs. 2 Nr. 1 202 Buchst. a), 100g Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) StPO mit aufgenommen worden. Zulässig ist damit u. a. die Überwachung der Telekommunikation (§ 100a StPO), die Online-Durchsuchung (§ 100b StPO), die akustische Überwachung außerhalb (§ 100 f. StPO) sowie innerhalb von Wohnräumen (§ 100c StPO), technische Ermittlungsmaßnahmen bei Mobilfunkgeräten (§ 100i StPO), die Erhebung von Verkehrs- und Verbindungsdaten (§ 100g StPO), der Einsatz von Verdeckten Ermittlern (§ 110a Abs. 1 Nr. 2 StPO) und die Einrichtung von Kontrollstellen (§ 111 StPO). Auch die längerfristige Observation (§§ 163 f., 100h StPO), die Rasterfahndung (§ 98 Abs. 1 Nr. 2 StPO) sowie die Durchsuchung beim Unverdächtigen (§ 103 Abs. 1 Satz 2 StPO) können je nach Gestaltung des Einzelfalls in Betracht kommen.

722 723 724 725

Schäfer MK Rdn. 89. Lüttich/Lehmann/Brauneisen S. 107, 112; vgl. BTDrucks. 19/6684 S. 9 f. BTDrucks. 16/12428 S. 19; ausführlich Hellfeld S. 175 ff.; Rautenberg S. 136 ff. BGH BeckRS 2019 17583 Rdn. 21.

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§ 89b Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (1) Wer in der Absicht, sich in der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a Abs. 2 Nr. 1 unterweisen zu lassen, zu einer Vereinigung im Sinne des § 129a, auch in Verbindung mit § 129b, Beziehungen aufnimmt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Handlung ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger beruflicher oder dienstlicher Pflichten dient. (3) Absatz 1 gilt auch, wenn das Aufnehmen oder Unterhalten von Beziehungen im Ausland erfolgt. Außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt dies nur, wenn das Aufnehmen oder Unterhalten von Beziehungen durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen wird. (4) Die Verfolgung bedarf der Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 1. in den Fällen des Absatzes 3 Satz 2 oder 2. wenn das Aufnehmen oder Unterhalten von Beziehungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht durch einen Deutschen begangen wird. (5) Ist die Schuld gering, so kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.

Schrifttum Aliabasi Die staatsgefährdende Gewalttat (2017); Backes Der Kampf des Strafrechts gegen nicht-organisierte Terroristen, StV 2008 654; Bäcker Kriminalpräventionsrecht (2015); Gazeas/Grosse-Wilde/Kießling Die neuen Tatbestände im Staatsschutzstrafrecht – Versuch einer ersten Auslegung der §§ 89a, 89b und 91 StGB, NStZ 2009 593; Gierharke Zur geplanten Einführung neuer Straftatbestände wegen der Vorbereitung terroristischer Straftaten, ZIS 2008 397; Hellfeld Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (2011); Hügel Strafbarkeit der Anschlagsvorbereitung durch terroristische Einzeltäter (2014); Kauffmann Das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten (2011); Mertens Das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten (GVVG) vom 30. Juli 2009 (2012); Puschke Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen (2017); Rautenberg Rechtsstaatswidriges Feindstrafrecht oder notwendige Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung? (2014); Selzer Organisierte Kriminalität als kriminelle Vereinigung – Eine kritische Auseinandersetzung mit der Reform des § 129 StGB, KriPoZ 2018 224; Sieber Legitimation und Grenzen von Gefährdungsdelikten im Vorfeld von terroristischer Gewalt – Eine Analyse der Vorfeldtatbestände im „Entwurf eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten“, NStZ 2009 353; Zöller Europäisierte Vereinigungsdelikte? – Der Regierungsentwurf zur Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, KriPoZ 2017 26; vgl. im Übrigen das Schrifttum zu § 89a.

Entstehungsgeschichte und Gesetzgebungsanlass § 89b ist gemeinsam mit § 89a durch das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG) in das StGB aufgenommen1 und seit seinem Inkrafttreten nur marginal geändert worden.2 Im Referentenentwurf der Bundesregierung war die von dem Tatbestand erfasste Aufnahme von Beziehungen zu einer terroristischen Vereinigung noch nicht als eigener Tatbestand ausgewiesen, sondern Bestandteil des § 91.3 Die auf

1 Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG) vom 30.7.2009, BGBl. I 2437.

2 Zehnte Zuständigkeitsanpassungsverordnung der Bundesregierung BGBl. 2015 I S. 1474 – derzeitige Amtsbezeichnung des Bundesjustizministeriums in Abs. 4 StGB. 3 Der Referentenentwurf ist nach wie vor online im Internet verfügbar unter:http://www.gesmat.bundesgerichtshof.de/ gesetzesmaterialien/16_wp/staatsschutzstrafrecht/refe.pdf. 223 https://doi.org/10.1515/9783110490008-017

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§ 89b StGB

Schwere staatsgef. Gewalttat: Aufnahme von Beziehungen

den Referentenentwurf folgenden Gesetzesentwürfe der Regierungsfraktionen4 und der Bundesregierung5 splitteten die Regelung des § 91 jedoch in zwei Vorschriften. Die Aufnahme von Beziehungen zu einer terroristischen Vereinigung wird nunmehr von § 89b erfasst. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Gesetzgebungsverfahrens und der Materialien kann auf die Ausführungen zu § 89a verwiesen werden.6 Anlass für die Einführung der Vorschrift war ebenso wie bei § 89a die Einschätzung des Gesetzgebers, dass sich mutmaßliche Terroristen im außereuropäischen Ausland von Angehörigen terroristischer Vereinigungen in paramilitärischen Ausbildungscamps (sog. „Terrorcamps“) im Umgang mit schweren Waffen und Sprengstoff schulen ließen und die im Falle ihrer Rückkehr eine Bedrohung der inneren Sicherheit darstellten.7 Mit § 89b wollte der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, dass ansonsten die Kontaktaufnahme zu einer terroristischen Vereinigung mit dem Ziel, sich im Ausland in der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat – einschließlich der Begehung eines Selbstmordattentats – unterweisen zu lassen, nicht strafrechtlich verfolgt werden könne. Ausbildungswillige Täter würden jedoch regelmäßig vertrauenswürdige Personen benötigen, die ihnen die notwendigen Kontakte und Empfehlungen vermittelten, sodass es im Vorfeld eines Aufenthalts in einem Terrorcamp regelmäßig zu von der Vorschrift erfassten tatbestandlichen Verhaltensweisen komme. 8

Übersicht I.

Kriminalpolitische Bedeutung

1

II.

Rechtsgut und Deliktsnatur

III.

Völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorga3 ben

IV. 1. 2. 3.

Verfassungsrechtliche Vorgaben 4 5 Bestimmtheitsgrundsatz 6 Verhältnismäßigkeit Völkerrechtskonformität gem. Art. 25 GG

V. 1. 2.

Objektiver Tatbestand 9 10 Vereinigung im Sinne der §§ 129a ff Aufnehmen und Unterhalten von Beziehun12 gen

VI.

Subjektiver Tatbestand

VII. Rechtswidrigkeit und Schuld

15

VIII. Tatbestandsausschluss gem. Absatz 2

2

8

IX.

Rechtsanwendungsrecht gem. Absatz 3

X.

Verfolgungsermächtigung gem. Absatz 4

XI.

Rechtsfolgen gem. Absatz 1, 5

XII. Täterschaft und Teilnahme XIII. Konkurrenzen XIV. Prozessuales

16 17 19

20 21

22 23

14

I. Kriminalpolitische Bedeutung 1 In den amtlichen Strafverfolgungsstatistiken ist bislang noch kein Verfahren verzeichnet, dass zu einem Urteil nach § 89b geführt hat. Hinsichtlich der allgemeinen kriminalpolitischen Bedeutung der Vorschriften des GVVG kann auf die Erläuterungen bei § 89a verwiesen werden (dort Rdn. 1).

II. Rechtsgut und Deliktsnatur 2 Bei der Bestimmung des geschützten Rechtsguts bestehen dieselben Schwierigkeiten wie bei der Einordnung der Schutzrichtung der Tatbestände des § 89a (§ 89a Rdn. 14) – allerdings 4 5 6 7 8

BTDrucks. 16/11735. BTDrucks. 16/12428. Zu den Einzelheiten des parlamentarischen Prozesses Kauffmann S. 9; Mertens S. 10; Rautenberg S. 66 ff. BTDrucks. 16/12428 S. 2. BTDrucks. 16/12428 S. 16 f.

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III. Völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben

StGB § 89b

mit der zusätzlichen Problematik, dass eine Tat nach § 89b regelmäßig zeitlich vor den Tathandlungen des § 89a angesiedelt sein wird. Lediglich die Ausreisetatbestände des § 89a Abs. 2a können je nach den Umständen des Einzelfalls vor der Kontaktaufnahme zu einer terroristischen Vereinigung verwirklicht werden. Im Ergebnis ist jedoch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die §§ 89a, 89b mit einer einheitlichen Schutzrichtung versehen wollte, sodass auch § 89b den Bestand, die äußere und innere Sicherheit eines Staates sowie mittelbar die durch die vorbereitete Gewalttat gem. §§ 211, 212, 239a, 239b bedrohten Individualgüter schützt.9 Da allerdings zwischen der bloßen Kontaktaufnahme zu einer terroristischen Vereinigung und dem letztlichen Beginn einer terroristischen Ausbildung im Regelfall noch viele Zwischenschritte liegen können, ist der Bezug zu den durch die Vorschrift geschützten Individualrechtsgütern von geringerer Intensität als bei den Tathandlungen des § 89 Abs. 2.10 Wie § 89a ist auch § 89b als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet.11 In der Variante des Unterhaltens von Beziehungen zu einer terroristischen Vereinigung handelt es sich zudem um eine Dauerstraftat.12 Der Versuch der Kontaktaufnahme ist nicht mit Strafe bedroht. Aufgrund des Gesetzeswortlauts, der nur die Aufnahme von Beziehungen mit dem Ziel der Unterweisung der eigenen Person erfasst, dürfte es sich auch bei § 89b wie bei § 89a Abs. 2a um ein eigenhändiges Delikt handeln.

III. Völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben Wie § 89a ist auch § 89b durch verschiedene Rechtsinstrumente auf internationaler wie euro- 3 päischer Ebene beeinflusst worden. Dies gilt zunächst für die Resolution 1373 (2001) des UNSicherheitsrats (s. § 89a Rdn. 16), das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus (s. § 89a Rdn. 20)13 sowie den zur Zeit der Einführung der Vorschrift noch in Kraft befindlichen EU-Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung 2002/475/JI (s. § 89a Rdn. 24).14 Anders als zu § 89a finden sich in den jeweiligen Regelwerken jedoch keine Vorgaben, die den deutschen Gesetzgeber verpflichten würden, exakt die von § 89b erfassten Tathandlungen mit Kriminalstrafe zu bedrohen.15 Auch in der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung 2017/541/EU,16 die den bestehenden EU Rahmenbeschluss ersetzt, ist keine Vorgabe enthalten, der § 89b entsprechen würde. Lediglich die Resolution 1373 (2001) des UN-Sicherheitsrats verpflichtet die Mitgliedstaaten allgemein, die Planung, Vorbereitung, Durchführung, Unterstützung und Finanzierung terroristischer Handlungen unter Strafe zu stellen und strafrechtlich zu verfolgen. Eine konkrete Verpflichtung einer § 89b entsprechenden Regelung enthält jedoch auch sie nicht.

9 Gazeas AnwK Rdn. 2; Kauffmann S. 51; Paeffgen NK Rdn. 3; Schäfer MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; aA Zöller SK Rdn. 3. 10 Schäfer MK Rdn. 6; Zöller SK Rdn. 3. 11 Fischer Rdn. 3; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 601; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 1. 12 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 5; Schäfer MK Rdn. 8. 13 SEV Nr. 196; in Kraft getreten am 1. Juni 2007, BGBl. II 2011 S. 300. 14 Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vom 13.6.2002, ABl. EU 2002 Nr. L 163, 3 in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2008/919/JI zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vom 28.11.2008, ABl. EU 2008 Nr. L 330, 21. 15 Aliabasi S. 177; Rautenberg S. 71; Schäfer MK Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 1. 16 Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschluss 2002/475/JI und Änderung des Beschlusses 2005/671/JI, ABl. EU 2017 Nr. L 88, 6. 225

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Schwere staatsgef. Gewalttat: Aufnahme von Beziehungen

IV. Verfassungsrechtliche Vorgaben 4 Wie bei § 89a bestehen aufgrund der Verlagerung der Strafbarkeit ins Vorfeld der Rechtsgutverletzung auch gegen § 89b Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Norm mit dem GG.17 Eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage ist bislang nicht ergangen. Wie § 89a Abs. 2a und § 89a Abs. 2 Nr. 3 stellt § 89b die „Vorbereitung der Vorbereitung“ unter Strafe.18 Bis zur letztlich geplanten Rechtsgutverletzung durch die Begehung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat wird regelmäßig eine erhebliche Anzahl von Zwischenschritten erforderlich sein, die ohne Weiteres auch fehlschlagen können.19 Darüber hinaus ist es auch nicht ausgeschlossen, dass der Täter sich trotz der Aufnahme von Beziehungen i. S. d. § 89b Abs. 1 zu einer terroristischen Vereinigung sich letztlich doch gegen die Begehung der Gewalttat entscheidet.20 Dies wirft entsprechend der zu § 89a Abs. 2 Nr. 3, Abs. 2a geführten Diskussion (dazu § 89a Rdn. 50 ff.) auch für § 89b die Frage nach den durch das GG gezogenen Grenzen legitimen staatlichen Strafens auf.21 In Frage stehen die Vereinbarkeit der Norm mit dem Bestimmtheitsgebot gem. § 103 Abs. 2 GG sowie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Da § 89b in Absatz 3 der Vorschrift entsprechend § 89a Abs. 3 auch eine Ausdehnung deutscher Strafgewalt über das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland hinaus vorsieht, besteht zudem ein Spannungsfeld zu den völkerrechtlichen Vorgaben im Rahmen von Art. 25 GG.

1. Bestimmtheitsgrundsatz 5 § 89b verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln ist vielmehr zulässig, wenn sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden, z. B. durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung gewinnen lässt.22 Diese Möglichkeiten sind bei § 89b gegeben.23 Hinsichtlich des Begriffs der terroristischen Vereinigung kann auf den Erkenntnisstand der Rechtswissenschaft zu §§ 129a, b zurückgegriffen werden. Hinsichtlich der Auslegung des Begriffs der Beziehungen hat der Gesetzgeber auf § 100 verwiesen.24 Auch die Tathandlungen des „Aufnehmens“ oder „Unterhaltens“ von Beziehungen lassen sich unter Bestimmtheitsgesichtspunkten hinreichend konkretisieren.

2. Verhältnismäßigkeit 6 Allein der Umstand, dass einige Tathandlungen i. S. d. § 89b auch die Tatbestände der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gem. § 129a Abs. 525 oder des Sich-Bereit-Erklärens zur mitgliedschaftlichen Beteiligung gem. §§ 129a, b, 30 Abs. 226 erfüllen können, lässt die Erforderlichkeit des Tatbestandes unberührt. Es ist dem Gesetzgeber im Rahmen seines Beurteilungsspielraums unbenommen, für die verbleibenden Fälle – auch wenn es in der Rechtspraxis nur

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Aliabasi S. 332; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Paeffgen NK Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 2. Backes StV 2008 654, 658; Fischer Rdn. 3; Sieber NStZ 2009 353, 362. Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 601; Gierhake ZIS 2008 397, 404. Zöller SK Rdn. 2. Schäfer MK Rdn. 9; vgl. BGHSt 62 102, 113 zu § 89a Abs. 2a StGB. BVerfGE 45 363, 371; BVerfGE 86 288, 311; BVerfGE 129 208, 255; BVerfGE 131 268, 307; BVerfGE 143 38, 55. Kauffmann S. 301; aA Backes StV 2008 654, 659; Beck FS Paulus 15, 26; krit. Zöller SK Rdn. 2. BTDrucks. 16/12428 S. 17. Vgl. Schäfer MK Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 2. Vgl. BGH NStZ 2015 455; aA Gundelach StV 2018 111 ff.

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IV. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89b

wenige sein mögen – einen zusätzlichen Straftatbestand zu schaffen, solange seine Entscheidung materiell mit den Bestimmungen des GG im Einklang steht und den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen sowie grundsätzlichen Wertungen der Verfassung entspricht.27 Die Vereinbarkeit der Norm mit Tat- und Schuldprinzip und damit die Verhältnismäßigkeit 7 im engeren Sinne ist unter Berücksichtigung der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 89a ebenfalls als gewahrt anzusehen.28 Soweit erwogen wird, § 89b in der Weise verfassungskonform auszulegen, dass sich die für die Erfüllung des Tatbestandes maßgeblichen Kommunikationsinhalte auf die erstrebte Unterweisung i. S. d. § 89a Abs. 2 Nr. 1 beziehen müssen,29 ist dem nicht zu folgen. Auch eine Willensübereinstimmung zwischen dem Handelnden und der Vereinigung ist nicht zu fordern.30 Eine inhaltliche Beschränkung der Beziehungen lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Auch sog. neutrale oder codierte Beziehungen sollen tatbestandsmäßig sein.31 Obgleich das tatbestandliche Unrecht des § 89b maßgeblich durch subjektiven Tatbestand geprägt wird, während der objektive Unrechtsgehalt schwächer ausgeprägt ist,32wird die verfassungsrechtliche Balance der Norm durch die hohen Anforderungen des subjektiven Tatbestands gewahrt, die schon nach dem Gesetzeswortlaut eine Absicht des Täters voraussetzen, sich in der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unterweisen zu lassen. Eine entsprechende Wertung liegt auch den Tatbeständen des § 89a Abs. 2 Nr. 3, 2a zugrunde, bei denen es sich ebenfalls um Vorbereitungshandlungen zu weiteren Vorbereitungshandlungen handelt (vgl. § 89a Rdn. 121). Auch sie erfassen teils objektiv sozialadäquate Handlungen wie die Sammlung neutraler Gegenstände in § 89a Abs. 2 Nr. 3 oder die Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland in § 89a Abs. 2a. Die Strafwürdigkeit des jeweiligen Verhaltens ergibt sich erst aus dem Hinzutreten subjektiver Umstände, die sich in der Beziehungsaufnahme nach außen manifestieren. Der BGH hat zwar angemerkt, dass sich beide Delikte am Rande des verfassungsrechtlich Zulässigen bewegen,33 die Verfassungsmäßigkeit der Tatbestände im Ergebnis aber nicht in Frage gestellt. Ein sachliches Kriterium, die Vorschrift § 89b abweichend zu bewerten, ist nicht ersichtlich. Dass eine Tathandlung nach § 89b den Tathandlungen der §§ 89a Abs. 2 Nr. 3, 2a in jedem Fall zeitlich vorgelagert sein muss, erscheint nicht zwingend. Es ist durchaus denkbar, dass der Täter erst aus Deutschland ausreist, und sodann erst im Ausland in Beziehung zu einer terroristischen Vereinigung tritt, oder dass er sich zuerst die wesentlichen Gegenstände i. S. d. § 89a Abs. 2 Nr. 3 verschafft und sodann Kontakt zu einem Repräsentanten einer terroristischen Vereinigung aufnimmt, um sich ihre Zusammensetzung näher erläutern zu lassen.

3. Völkerrechtskonformität gem. Art. 25 GG Soweit Absatz 3 die Anwendung deutscher Strafgewalt über das Territorium der Bundesrepublik 8 Deutschland hinaus ausdehnt, steht dies im Spannungsfeld zum völkerrechtlichen Grundsatz der Nichteinmischung, der über Art. 25 Abs. 1 Satz 2 auch im GG verankert ist.34 Absatz 3 S. 2 verzichtet jedoch anders als die Parallelvorschrift § 89a Abs. 3 auf die Normierung eines passiven Personalitätsprinzips (vgl. § 89a Rdn. 78) sondern beschränkt die Ausdehnung des nationa-

27 BVerfGE 90 145, 173; BVerfGE 126 170, 197; BGHSt 59 218, 228. 28 Hügel S. 23; Kauffmann S. 311; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Sieber NStZ 2009 353, 362; krit. Fischer Rdn 2; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Schäfer MK Rdn. 3; aA Aliabasi S. 332; Gazeas AnwK Rdn. 4; Gazeas/Grosse-Wilde/ Kiesling NStZ 2009 593, 601; Gierhake ZIS 2008 397, 404; Hellfeld S. 169; Puschke S. 387; Zöller SK Rdn. 2. 29 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 601; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Zöller SK Rdn. 5. 30 So aber Bäcker S. 375. 31 Fischer Rdn. 5; Hügel S. 16; Kauffmann S. 103; Schäfer MK Rdn. 5; krit. Paeffgen NK Rdn. 6. 32 Schäfer MK Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1. 33 Vgl. BGHSt 59 218, 230 f. zu § 89a Abs. 2 Nr. 3 sowie BGHSt 62 102, 113 zu § 89a Abs. 2a StGB. 34 Für Völkerrechtswidrigkeit Zöller SK Rdn. 2. 227

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len Strafrechts auf Tathandlungen deutscher Staatsbürger sowie von Ausländern mit Lebensgrundlage im Inland. Dies lässt sich in völkerrechtlicher Hinsicht wie bei § 89a Abs. 3 im Ergebnis über das aktive Personalitätsprinzip sowie das Domizilprinzip rechtfertigen, die zumindest im Bereich des Terrorismusstrafrechts eine hinreichende Anerkennung in der Staatengemeinschaft erfahren haben (vgl. § 89a Rdn. 77). Soweit Absatz 3 Satz 1 allerdings für Tathandlungen innerhalb der EU eine unbeschränkte Anwendung des Tatbestandes anordnet, ist dies nicht frei von Bedenken. Anders als bei § 89a Abs. 3 wird bei § 89b Abs. 3 ein Rückgriff auf den europäischen Territorialitäts- oder Schutzgrundsatz dadurch erschwert, dass der Tatbestand des § 89b weder in den Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung 2002/ 475/JI noch in den Vorgaben der jüngst erlassenen Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 seine unionsrechtliche Entsprechung findet. Die insoweit in den jeweiligen Regelwerken enthaltenen strafanwendungsrechtlichen Vorschriften, wie z. B. Art. 19 der Richtlinie 2017/ 541/EU, haben damit für die völkerrechtliche Zulässigkeit von § 89b keine Bedeutung. Die Vorschrift geht vielmehr über die von der EU geforderten Straftatbestände hinaus. Zwar dient die Norm letztlich auch den Zielen des Art. 67 Abs. 3 AEUV. Es spricht jedoch Überwiegendes dafür, sollten deutsche Behörden von einem Sachverhalt Kenntnis erlangen, der nur die Anforderungen des Absatzes 3 Satz 1 nicht aber von Satz 2 erfüllt, die verfahrensrelevanten Tatsachen an den territorial zuständigen Mitgliedstaat weiterzuleiten, damit dieser über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens entscheiden kann. Für das nationale Ermittlungsverfahren könnte sodann gem. § 153 ff. StPO verfahren werden.35

V. Objektiver Tatbestand 9 Der objektive Tatbestand des § 89b erfordert die Feststellung einer terroristischen Vereinigung, zu der der Täter Beziehungen aufgenommen oder unterhalten hat.

1. Vereinigung im Sinne der §§ 129a ff. 10 Der Begriff der terroristischen Vereinigung i. S. v. Absatz 1 stimmt mit dem Vereinigungsbegriff der §§ 129 ff. überein und erfasst sowohl inländische terroristische Vereinigungen gem. § 129a Abs. 1, 2 als auch ausländische Vereinigungen gem. §§ 129a, 129b. Bis zur Legaldefinition des Vereinigungsbegriffs in § 129 Abs. 2 zum 22.7.201736 verstand die Rechtspraxis unter einer Vereinigung einen auf gewisse Dauer angelegten Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgten und unter sich derart in Beziehung standen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlten.37 Mit der auf die Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24.10.2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität zurückgehenden Legaldefinition in § 129 Abs. 2 ist der Vereinigungsbegriff inhaltlich erweitert worden und erfasst nunmehr einen auf längere Dauer angelegten von der Festlegung der Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängigen, organisierten Zusammenschluss von mindestens drei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses. Erfasst werden nunmehr nicht nur sich als einheitlicher Verband führende Personenzusammenschlüsse, sondern auch hierarchisch organisierte Gruppierungen, die allein auf der

35 Zöller SK Rdn. 9. 36 54. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24.10.2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, BGBl. 2017 S. 2440; krit. Selzer KriPoZ 2018 224, 227; Zöller KriPoZ 2017 26, 30. 37 BGHSt 54 69, 111; BGHSt 54 216, 221; BGH NStZ-RR 2018 206, 207. Engelstätter

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V. Objektiver Tatbestand

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Durchsetzung eines autoritären Anführerwillens basieren.38 Die terroristische Zielsetzung einer Gruppierung orientiert sich dagegen weiterhin an den Deliktkatalogen des § 129a Abs. 1 und Abs. 2. Für die Abgrenzung zwischen inländischen und ausländischen Vereinigungen kann auf die 11 bereits in der Rechtspraxis entwickelten Kriterien zu §§ 129a, b zurückgegriffen werden. Abzustellen ist danach auf den jeweiligen Schwerpunkt der Organisationsstruktur der Gruppierung, der sich insbesondere aus dem Ort ergeben kann, von dem die Vereinigung geführt wird oder ihre personellen und sachlichen Ressourcen konzentriert werden.39 Bereits in Deutschland tätige Teilorganisationen einer ausländischen terroristischen Vereinigung können als eigenständige terroristische Vereinigungen im Inland angesehen werden, wenn sie für sich genommen die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des §§ 129 Abs. 2, 129a erfüllen.40 Soweit ausländische terroristische Vereinigungen gem. § 129 Abs. 1 Satz 3 nur mit Erteilung einer Strafverfolgungsermächtigung durch die Bundesregierung verfolgt werden können, ist dies für § 89b Abs. 1 grundsätzlich unerheblich. Der Tatbestand knüpft lediglich an den materiellen Vereinigungsbegriff an, nicht aber an die strafprozessuale Verfolgbarkeit einzelner Mitglieder. Die Ablehnung einer Verfolgungsermächtigung für die Vereinigung, zu der der Täter in Beziehung getreten ist, wird jedoch der Staatsanwaltschaft regelmäßig Anlass geben, in dem entsprechenden Ermittlungsverfahren nach § 89b gem. §§ 153 ff. StPO zu verfahren. Hat die Hauptverhandlung bereits begonnen und zieht die Bundesregierung eine bereits erteilte Verfolgungsermächtigung gem. § 129b Abs. 1 Satz 3 hinsichtlich der in Rede stehenden Gruppierung wieder zurück, kommt für die Tat nach § 89b ein Absehen von Strafe gem. Absatz 5 in Betracht.

2. Aufnehmen und Unterhalten von Beziehungen Der Begriff der „Beziehungen“ umfasst alle Arten kommunikativer und gegenseitiger Kontakte, 12 die mittelbar, unmittelbar, persönlich oder mithilfe eines Kommunikationsmediums bestehen.41 Die Tathandlungen des Aufnehmens oder Unterhaltens orientieren sich an § 100, sodass auf den dortigen Stand der Rechtspraxis zurückgegriffen werden kann.42 Die Aufnahme einer Beziehung kann abstrakt mit der Initiierung der Kommunikationsverbindung gleichgesetzt werden. Erforderlich ist zumindest ein einmaliger auf weitere Fortsetzung angelegter gegenseitiger Kontakt.43 Unterhalten wird eine Beziehung durch jede Tätigkeit, durch die die Fortsetzung einer bereits bestehenden Beziehung bewirkt werden soll.44 Der Versuch der Kontaktaufnahme ist straflos. Tatbestandsmäßig sind persönliche Gespräche, Schriftverkehr, Telefonate, die Verwendung von Telefax und Funkgeräten sowie die Kommunikation per E-Mail, Chat, SMS oder über soziale Netzwerke.45 Einseitige Bemühungen um Kontaktaufnahme reichen nicht aus.46 Erforderlich ist vielmehr eine auf gewisse Dauer angelegte tatsächliche Verbindung, deren Existenz den Beteiligten jeweils bekannt ist.47 Von wem die ursprüngliche Initiative der Kontaktaufnahme ausgeht, ist unerheblich; eine tatbestandsmäßige Beziehung i. S. d. § 89b kann auch dadurch zustande kommen, dass die Kontaktaufnahme von einem Vertreter der terroristischen Vereini-

38 39 40 41 42 43 44 45 46 47

BTDrucks. 18/11275 S. 7, 11; BGH NJW 2018 2970, 2973; BGH NStZ-RR 2018 206, 207; Zöller KriPoZ 2017 26, 29. BGHSt 57 14, 18; Schäfer MK § 129b Rdn. 8. BGHSt 56 28; BGH NJW 2010 3042; Fischer § 129b Rdn. 5a. Aliabasi S. 326; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Schäfer MK Rdn. 11; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2. BTDrucks. 16/12428 S. 17; Fischer Rdn. 5. Aliabasi S. 327; Fischer § 100 Rdn. 3; Gazeas AnwK Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 12; Zöller SK Rdn. 6. Aliabasi S. 327; Schäfer MK Rdn. 12; Paeffgen NK Rdn. 7; Zöller SK Rdn. 6. Fischer Rdn. 5; Zöller SK Rdn. 6. Fischer Rdn. 5; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 601Kauffmann S. 101. Schäfer MK Rdn. 11; enger Paeffgen NK Rdn. 5, Zöller SK Rdn. 6, wonach sich die Beteiligten über das Bestehen einer Beziehung einig sein müssen. 229

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Schwere staatsgef. Gewalttat: Aufnahme von Beziehungen

gung ausgeht und der Täter sich darauf einlässt.48 Als Kommunikationspartner des Täters kommen Rädelsführer und Mitglieder, aber auch Unterstützer einer terroristischen Vereinigung in Betracht.49 Erforderlich ist eine Beziehung zu einer natürlichen Person, die die Vereinigung repräsentiert und befugtermaßen nach außen für sie auftritt.50 Der Tatbestand des § 89b ist nicht erfüllt, soweit lediglich Kontakte zu Mittelsmännern feststellbar sind, durch die abgeklärt werden soll, ob die Aufnahme von Beziehungen zu der Gruppierung möglich ist.51 An den Inhalt der Beziehungen sind keine gesonderten Anforderungen zu stellen. Auch 13 sog. neutrale Beziehungen können tatbestandsmäßig sein. Eine einschränkende Auslegung, wonach sich der Inhalt der für die Erfüllung des Tatbestandes maßgeblichen Kommunikationsinhalte auf die erstrebte Unterweisung i. S. d. § 89a Abs. 2 Nr. 1 beziehen muss,52 ist nicht geboten (Rdn. 7).53

VI. Subjektiver Tatbestand 14 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz hinsichtlich aller Elemente des objektiven Tatbestandes. Bedingter Vorsatz reicht aus. Der Täter muss die tatsächlichen Umstände der Tathandlungen ebenso in seinen Vorsatz mit aufnehmen wie die Tatsachen, die die Voraussetzungen einer terroristischen Vereinigung begründen.54 Darüber hinaus muss er die Absicht i. S. e. dolus directus 1. Grades aufweisen, sich in der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat i. S. d. § 89a Abs. 1 Satz 2 unterweisen zu lassen.55 In Betracht kommt der Erwerb aller Kenntnisse und Fähigkeiten, die in § 89a Abs. 2 Nr. 1 genannt sind und nach Einschätzung des Täters für die Ausführung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat dienlich sein können (s. § 89a Rdn. 100).56 Dass der Täter beabsichtigt, sich in allen für die Tatbegehung erforderlichen Fähigkeiten unterweisen zu lassen, ist nicht erforderlich. Dies gilt auch für die Konkretisierung der ins Auge gefassten Gewalttat.57 Es genügt, dass sich die Unterweisungsabsicht auf einen der im Katalog des § 89a Abs. 1 Satz 2 enthaltenen Tatbestände bezieht, selbst wenn der Täter selbst noch nicht weiß, ob er die i. R. d. Unterweisung erworbenen Kenntnisse später für ein Kapitaloder ein Erpressungsdelikt nutzen will.58 Er muss sich auch noch nicht entschieden haben, ob die ins Auge gefasste Tat durch ihn selbst, einen anderen oder überhaupt nicht begangen werden soll.59 Glaubt der Täter irrig, mit einem Repräsentanten einer terroristischen Vereinigung in Kontakt zu stehen, liegt ein – strafloser – untauglicher Versuch des § 89b vor.60 Fehlvorstellungen über die Reichweite des Begriffs der Beziehungen i. S. d. § 89b Abs. 1 werden dagegen in der Regel als unbeachtliche Subsumtionsirrtümer zu qualifizieren sein.

48 BTDrucks. 16/12428 S. 17; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 5; Schäfer MK Rdn. 11; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Zöller SK Rdn. 6. 49 BTDrucks. 16/12428 S. 17; Aliabasi S. 326; Schäfer MK Rdn. 11; Zöller SK Rdn. 5; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2. 50 Fischer Rdn. 6; Zöller SK Rdn. 5. 51 Fischer Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 14; Zöller SK Rdn. 5. 52 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 601; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Zöller SK Rdn. 5. 53 Fischer Rdn. 5; Hügel S. 16; Kauffmann S. 103; Schäfer MK Rdn. 5; krit. Paeffgen NK Rdn. 6. 54 Aliabasi S. 178; Schäfer MK Rdn. 15; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2. 55 Schäfer MK Rdn. 16; Kauffmann S. 104; Zöller SK Rdn. 8. 56 Schäfer MK Rdn. 16; Fischer Rdn. 8; aA Zöller SK Rdn. 8: nur zwingend notwendige Fertigkeiten erfasst. 57 Aliabasi S. 330; Fischer Rdn. 9; Kauffmann S. 105; Schäfer MK Rdn. 17; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2. 58 Fischer Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 17; Zöller SK Rdn. 8. 59 Fischer Rdn. 9; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Schäfer MK Rdn. 18; Zöller SK Rdn. 8; aA Kaufmann S. 105; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Paeffgen NK Rdn. 11. 60 Fischer Rdn. 6; Zöller SK Rdn. 5. Engelstätter

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IX. Rechtsanwendungsrecht gem. Absatz 3

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VII. Rechtswidrigkeit und Schuld Für die Prüfung der Rechtswidrigkeit und Schuld kann auf die allgemeinen Grundsätze ver- 15 wiesen werden. Die Rechtswidrigkeit wird durch die Verwirklichung des Tatbestandes indiziert. Sollte – im Ausnahmefall – eine Rechtfertigung der geplanten Gewalttat anzunehmen sein, entfällt der objektive Tatbestand des § 89b, da die Vorbereitung einer gerechtfertigten Katalogtat i. S. v. § 89a Abs. 1 Satz 2 auch nach dieser Vorschrift nicht mit Strafe bedroht sein kann (vgl. § 89a Rdn. 82, 95).

VIII. Tatbestandsausschluss gem. Absatz 2 Absatz 2 sieht einen gesetzlich angeordneten Ausschluss des Tatbestandes für Handlungen vor, 16 die der Erfüllung rechtmäßiger oder beruflicher Pflichten dienen. Der Gesetzgeber wollte auf diese Weise den Anwendungsbereich der Norm auf strafwürdige Verhaltensweisen beschränken.61 Die Vorschrift richtet sich z. B. an verdeckte Ermittler, nicht offen ermittelnde Polizeibeamte aber auch an V-Personen oder Angehörige von Nachrichtendiensten, die von den Sicherheitsbehörden eingesetzt werden und i. d. R. unter einer Legende Kontakt mit Repräsentanten einer Vereinigung aufnehmen.62 Ebenfalls straffrei sollen Kontaktverhältnisse sein, die zu wissenschaftlichen Zwecken oder für journalistische Tätigkeiten unterhalten werden. Soweit der Täter über die Rechtmäßigkeit der Pflichterfüllung irrt, befindet er sich in einem Verbotsirrtum, der i. d. R. vermeidbar sein dürfte.63 Die rechtliche Erforderlichkeit der Regelung erscheint fraglich, da wohl kaum eine der betreffenden Personen die nach dem subjektiven Tatbestand zwingend erforderliche Absicht aufweisen dürfte, sich tatsächlich in der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unterweisen zu lassen.64 Letztlich handelt es sich damit in erster Linie um eine rechtsklarstellende Regelung.

IX. Rechtsanwendungsrecht gem. Absatz 3 In Anlehnung an § 89a Abs. 3 normiert auch § 89b Abs. 3 Satz 1 die Ausdehnung deutscher Straf- 17 gewalt für das gesamte Gebiet der EU sowie gem. Absatz 3 Satz 2 auch darüber hinaus, sofern die Tat durch einen deutschen Staatsbürger oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen wird. Wie auch bei § 89a Abs. 3 ist bei der Frage nach der Lebensgrundlage im Inland auf die Summe derjenigen Beziehungen abzustellen, die den persönlichen und wirtschaftlichen Schwerpunkt im Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt ausmachen.65 Für den Begriff der deutschen Staatsbürgerschaft sind wie bei § 89a Abs. 3 die Voraussetzungen des Art. 116 GG zu prüfen (s. 89a Rdn. 155). Soweit gegen die Regelung völkerrechtliche Bedenken im Hinblick auf den Nichteinmischungsgrundsatz erhoben werden,66 ist diesen nach der hier vertretenen Auffassung in Anlehnung an die bei § 89a Abs. 3 bestehende Rechtslage nicht zu folgen, da sowohl das aktive Personalitätsprinzip wie auch das Domizilprinzip zumindest für den Bereich der Terrorismusbekämpfung die erforderliche Anerkennung der Staatengemeinschaft gefunden haben (§ 89a Rdn. 77). Absatz 3 Satz 1 findet weder eine Entsprechung in den unionsrechtlichen Vorgaben noch 18 im Abkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus (vgl. § 89a Rdn. 161), sodass ins61 62 63 64 65 66 231

BTDrucks. 16/12428 S. 17; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2. Fischer Rdn. 10; Schäfer MK Rdn. 19; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2. Schäfer MK Rdn. 20; Zöller SK Rdn. 7. Fischer Rdn. 10; Gazeas AnwK Rdn. 15; Schäfer MK Rdn. 19; Zöller SK Rdn. 7. BTDrucks. 16/12428 S. 17. Zöller SK Rdn. 9; krit. Paeffgen NK Rdn. 17. Engelstätter

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Schwere staatsgef. Gewalttat: Aufnahme von Beziehungen

besondere Art. 19 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung keine Rechtfertigung i. S. e. europäischen Territorial- oder Schutzgrundsatzes begründen kann. Es dürfte sich empfehlen, i. R. d. Absatzes 3 Satz 1 nur Fallgruppen strafrechtlich zu verfolgen, die zusätzlich die Voraussetzungen des Satzes 2 erfüllen. Im Übrigen wäre gem. §§ 153, 153c StPO zu verfahren. Auch hinsichtlich des Verhältnisses zu den §§ 3 ff. stellen sich vergleichbare Fragen wie bei § 89a Abs. 3. Die Rechtsprechung hat sich mit der Frage bislang nicht befassen müssen. Die Literatur geht – soweit das Verhältnis überhaupt diskutiert wird – von einer strafanwendungsrechtlichen Spezialmaterie aus,67 deren Reichweite im Einzelnen allerdings unklar ist. Wie bei § 89a Abs. 3 spricht allerdings Überwiegendes dafür, dass auch § 89b Abs. 3 Satz 2 den Rechtsanwender nur von der Prüfung der Voraussetzungen von §§ 7 Abs. 1, 7 Abs. 2 Nr. 1 befreit und die übrigen Vorgaben der §§ 3 ff. – z. B. §§ 3, 4, 8 aber auch §§ 7 Abs. 2 Nr. 2, 9 Abs. 2 Satz 2 – anwendbar bleiben (vgl. § 89a Rdn. 157).

X. Verfolgungsermächtigung gem. Absatz 4 19 Entsprechend § 89a Abs. 4 stellt § 89b Abs. 4 Nr. 1 die Verfolgung von Straftaten nach Absatz 1 der Vorschrift, die außerhalb der EU, aber unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 Satz 2 durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen werden, unter Ermächtigungsvorbehalt. Dies gilt gem. § 89a Abs. 4 Nr. 2 auch für Taten, die innerhalb der EU nicht durch einen Deutschen begangen werden. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass es für die Strafverfolgung von Inlandstaten aber auch von Straftaten deutscher Staatsbürger im Ausland keiner Ermächtigung bedarf.68 Zuständig für die Erteilung der Ermächtigung ist wie bei § 89a das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Zur Rechtsnatur und den Folgen einer fehlenden Ermächtigung kann auf die Ausführungen zu § 89a Abs. 4 (dort Rdn. 163) verwiesen werden.

XI. Rechtsfolgen gem. Absatz 1, 5 20 Absatz 1 sieht einen im Vergleich zu § 89a Abs. 1 geringeren Strafrahmen mit Freiheitstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Eine Regelung für minder schwere Fälle ist nicht vorgesehen. Jedoch kann das Gericht gem. Absatz 5 im Falle geringer Schuld des Täters von der Verhängung von Strafe absehen. In Betracht kommt dies z. B. bei einem frühzeitigen Abbruch der Beziehungen69 oder der Rücknahme der für die terroristische Vereinigung bestehenden Verfolgungsermächtigung gem. § 129b Abs. 1 Satz 2. Allein die Aufgabe zunächst bestehender Pläne, sich durch eine terroristische Vereinigung unterweisen zu lassen, reicht für die Anwendung von § 89b Abs. 5 jedoch nicht aus.70 Im Falle einer Freiheitsstrafe von über sechs Monaten kann das Gericht gem. § 92a, die Fähigkeit öffentliche Ämter zu bekleiden, sowie das aktive und passive Wahlrecht aberkennen. § 92b erlaubt zudem die Einziehung von Beziehungsgegenständen; die Einziehung der Tatmittel – i. d. R. das zur Kommunikation verwendete Endgerät – richtet sich dagegen nach den allgemeinen Vorschriften (§ 74 ff.).71

67 68 69 70

Paeffgen NK Rdn. 17; Zöller SK Rdn. 9. Schäfer MK Rdn. 22; Zöller SK Rdn. 10. Schäfer MK Rdn. 28; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Zöller SK Rdn. 11. Schäfer MK Rdn. 28; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; aA Gazeas AnwK Rdn. 19; Paeffgen NK Rdn. 18; Zöller SK Rdn. 11. 71 Gazeas AnwK Rdn. 19; Schäfer MK Rdn. 29; Zöller SK Rdn. 12. Engelstätter

232

XIV. Prozessuales

StGB § 89b

XII. Täterschaft und Teilnahme Die Bewertung von Täterschaft und Teilnahme richtet sich nach den allgemeinen Grundsät- 21 zen.72 Eine Täterschaft durch Unterlassen dürfte jedoch regelmäßig an der Modalitätenäquivalenz scheitern. Auch Konstruktionen der mittelbaren Täterschaft oder mittäterschaftlichen Begehungsweise erscheinen aufgrund der Einordnung der Vorschrift als eigenhändiges Delikt ausgeschlossen. Nehmen zwei Personen gemeinschaftlich Kontakt zu einer terroristischen Vereinigung auf und wollen sich beide in der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat unterweisen lassen, ist vielmehr jeweils Einzeltäterschaft in Form der Nebentäterschaft gegeben. Keinen Besonderheiten unterliegen dagegen Anstiftung und Beihilfe. Letztere ist insbesondere durch Überlassen der für die Unterhaltung der Beziehung erforderlichen Kommunikationsmittel (Mobiltelefon, Internetanschluss o. ä.) denkbar. Anstifter oder Gehilfe müssen allerdings bedingten Vorsatz haben, dass der Täter die Beziehung aufnimmt, um sich in der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unterweisen zu lassen.73

XIII. Konkurrenzen Hat der Täter die Beziehung zu einer terroristischen Vereinigung aufgenommen und unterhal- 22 ten, liegt nur eine Tat vor, bei der die Beziehungsaufnahme als mitbestrafte Vortat hinter die Unterhaltung derselben zurücktritt.74 Kommt es zu einer nachfolgenden Vorbereitungshandlung gem. § 89a, z. B. zur Durchführung einer terroristisch motivierten Ausreise oder Ausbildung, tritt die vorangehende Tat gem. § 89b als mitbestrafte Vortat im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück.75 Dies gilt auch, wenn der Täter seinen Plan in die Tat umsetzen kann und die schwere staatsgefährdende Gewalttat verübt wird (vgl. § 89a Rdn. 186).76 Schließt sich der Täter nach erfolgter strafbarer Kontaktaufnahme nach § 89b einer terroristischen Vereinigung an, besteht ebenfalls Gesetzeskonkurrenz, da der Gesetzgeber § 89b auch als Vorbereitungshandlung zu §§ 129a, b konzipiert hat. Dies gilt auch, soweit es im Nachgang zu einer Tat nach § 89b nur zum versuchten Anschluss an eine terroristische Vereinigung gem. §§ 129a, b, 22, 23 oder ihrer Unterstützung i. S. d. § 129a Abs. 5 kommt.77 Tateinheit ist jedoch gegeben mit einem Sich-BereitErklären zu einem Anschluss an eine terroristische Vereinigung gem. § 30 Abs. 2, da beide Taten zeitgleich durch dieselbe Handlung erfolgen, sodass die Konstruktion einer mitbestraften Vortat nicht in Betracht kommt. Tateinheit ist ebenfalls möglich mit § 310.78 Mehrere Taten des § 89b sind dagegen gegeben, wenn der Täter – sei es auch zur gleichen Zeit – Kontakt zu mehreren terroristischen Vereinigungen unterhält.79

XIV. Prozessuales Eine Straftat nach § 89b Abs. 1 verjährt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 in fünf Jahren. Soweit es sich 23 in der Variante des Unterhaltens von Beziehungen um ein Dauerdelikt handelt, beginnt die Verjährungsfrist mit der Beendigung des Kontakts. Wie § 89a fällt auch die Verfolgung von Straftaten nach § 89b in die Verfolgungszuständigkeit der Bundesländer. Da das Delikt im Katalog 72 73 74 75 76 77 78 79 233

Paeffgen NK Rdn. 14; Schäfer MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2. Schäfer MK Rdn. 24; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2: wissentliches Handeln erforderlich. Zöller SK Rdn. 13. BTDrucks. 16/12428 S. 17; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 15. Schäfer MK Rdn. 26. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 26. Fischer Rdn. 14; Schäfer MK Rdn. 26; Zöller SK Rdn. 13. Schäfer MK Rdn. 26. Engelstätter

§ 89b StGB

Schwere staatsgef. Gewalttat: Aufnahme von Beziehungen

des § 74a Abs. 1 Nr. 2 GVG enthalten ist, ist nicht nur die Zuständigkeit der Staatsschutzkammern bei den Landgerichten gegeben. Es besteht zudem die Möglichkeit, dass der Generalbundesanwalt die Verfolgung der Tat gem. § 120 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 GVG an sich zieht. Hinsichtlich der Einzelheiten hierzu kann auf die Kommentierung zu § 89a verwiesen werden (dort Rdn. 199). Dass ein ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des § 89b geführtes Ermittlungsverfahren diese Voraussetzungen erfüllt, scheint in der Rechtspraxis allerdings nur schwerlich vorstellbar. Die Staatsanwaltschaft kann bei der Verfolgung einer Tat nach § 89b nicht auf die besonde24 ren verdeckten Ermittlungsmaßnahmen zurückgreifen, da das Delikt nicht in den Katalogen der §§ 100a Abs. 2, 100b Abs. 2, 100c Abs. 1 Nr. 1 StPO enthalten ist. Dies ist erst möglich, wenn tateinheitlich der Anfangsverdacht einer entsprechenden Straftat, z. B. gem. §§ 129a, b i. V. m. § 3080 gegeben ist. Zulässig bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ist jedoch die Rasterfahndung (§ 98a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO), die Erhebung von Verkehrsdaten (§ 100g Abs. 1 Nr. 2 StPO), Maßnahmen nach § 100h StPO, der Einsatz des IMSI-Catchers (§ 100i Abs. 1 StPO), der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers gem. § 110a StPO, die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung (§ 163e StPO) sowie die längerfristige Observation gem. § 163 f. StPO. Zufallserkenntnisse aus verdeckten verwaltungsrechtlichen Maßnahmen, z. B. nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 G-10 Gesetz, dürfen nur nach Maßgabe der Übermittlungsvorschriften des Fachrechts und den Zweckänderungsbestimmungen des § 161 Abs. 3 StPO verwendet werden.

80 Vgl. BGH NStZ 2015 455; krit. Gundelach StV 2018 111 ff. Engelstätter

234

§ 89c Terrorismusfinanzierung (1) Wer Vermögenswerte sammelt, entgegennimmt oder zur Verfügung stellt mit dem Wissen oder in der Absicht, dass diese von einer anderen Person zur Begehung 1. eines Mordes (§ 211), eines Totschlags (§ 212), eines Völkermordes (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches), eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches), eines Kriegsverbrechens (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 des Völkerstrafgesetzbuches), einer Körperverletzung nach § 224 oder einer Körperverletzung, die einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zufügt, 2. eines erpresserischen Menschenraubes (§ 239a) oder einer Geiselnahme (§ 239b), 3. von Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährlicher Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Absatz 1 bis 3, des § 308 Absatz 1 bis 4, des § 309 Absatz 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Absatz 1, 3 oder 4, des § 316b Absatz 1 oder 3 oder des § 316c Absatz 1 bis 3 oder des § 317 Absatz 1, 4. von Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Absatz 1 bis 3, 5. von Straftaten nach § 19 Absatz 1 bis 3, § 20 Absatz 1 oder 2, § 20a Absatz 1 bis 3, § 19 Absatz 2 Nummer 2 oder Absatz 3 Nummer 2, § 20 Absatz 1 oder 2 oder § 20a Absatz 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Absatz 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen, 6. von Straftaten nach § 51 Absatz 1 bis 3 des Waffengesetzes, 7. einer Straftat nach § 328 Absatz 1 oder 2 oder § 310 Absatz 1 oder 2, 8. einer Straftat nach § 89a Absatz 2a verwendet werden sollen, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Satz 1 ist in den Fällen der Nummern 1 bis 7 nur anzuwenden, wenn die dort bezeichnete Tat dazu bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann. (2) Ebenso wird bestraft, wer unter der Voraussetzung des Absatzes 1 Satz 2 Vermögenswerte sammelt, entgegennimmt oder zur Verfügung stellt, um selbst eine der in Absatz 1 Satz 1 genannten Straftaten zu begehen. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch, wenn die Tat im Ausland begangen wird. Wird sie außerhalb der Mitgliedstaaten der EU begangen, gilt dies nur, wenn sie durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen wird oder die finanzierte Straftat im Inland oder durch oder gegen einen Deutschen begangen werden soll. (4) In den Fällen des Absatzes 3 Satz 2 bedarf die Verfolgung der Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Wird die Tat in einem anderen Mitgliedstaat der EU begangen, bedarf die Verfolgung der Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, wenn die Tat weder durch einen Deutschen begangen wird noch die finanzierte Straftat im Inland noch durch oder gegen einen Deutschen begangen werden soll. (5) Sind die Vermögenswerte bei einer Tat nach Absatz 1 oder 2 geringwertig, so ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. (6) Das Gericht mildert die Strafe (§ 49 Absatz 1) oder kann von Strafe absehen, wenn die Schuld des Täters gering ist. (7) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Absatz 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Täter freiwillig die weitere 235 https://doi.org/10.1515/9783110490008-018

Engelstätter

§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

Vorbereitung der Tat aufgibt und eine von ihm verursachte und erkannte Gefahr, dass andere diese Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen, abwendet oder wesentlich mindert oder wenn er freiwillig die Vollendung dieser Tat verhindert. Wird ohne Zutun des Täters die bezeichnete Gefahr abgewendet oder wesentlich gemindert oder die Vollendung der Tat verhindert, genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, dieses Ziel zu erreichen.

Schrifttum Albers Terrorismusfinanzierungsbekämpfung im globalen Kontext in Albers/Groth (Hrsg.) Globales Recht und Terrorismusfinanzierungsbekämpfung (2014) S. 85; Albers/Groth Globales Recht und Terrorismusfinanzierungsbekämpfung (2014); Aliabasi Die staatsgefährdende Gewalttat (2017); Al-Jumaili Stationen im Kampf gegen die Terrorismusfinanzierung New York – Brüssel – Berlin, NJOZ 2008 188; Andrzejewksi Die Strafbewehrung der Terrorismusembargos der EU im deutschen Außenwirtschaftsrecht (2017); Aston Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats – Resolution 1373 (2001) im Kontext, ZaöRV 2002 257; Backes Der Kampf des Strafrechts gegen nicht-organisierte Terroristen, StV 2008 654; Biehl Erweiterung des strafrechtlichen Instrumentariums zur Terrorismusbekämpfung – Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, JR 2015 561; ders. Strafbarkeitslücken im Terrorismusstrafrecht? Eine Analyse der bestehenden Sanktionsmöglichkeiten terroristisch motivierten Handelns, JR 2018 317; Böse Die Harmonisierung des materiellen Strafrechts durch das Völker- und Europarecht, ZJS 2019 1; Bundesministerium der Finanzen Erste Nationale Risikoanalyse – Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung 2018/2019 online im Internet unter http:// www.bmf.de; Engelstätter Die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 – Deutsches Staatsschutzstrafrecht unter Anpassungsdruck? GSZ 2019 95; Europol Terrorism Situation and Trend Report 2019 (TE-Sat) (2019) online im Internet unter http:// www.europol.europa.eu; FATF-Report Terrorist Financing (2008); FATF-Report The role of HAWALA and other similar service providers in money laundering and terrorist financing (2013); FATF-Report Risk of Terrorist Abuse in Non-profit-organisations (2014); ders. Emerging Terrorist-Financing Risks (2015); ders. Financing of the terrorist organisation Islamic State in Iraq and the Levant (ISIL) (2015); ders. Financing of recruitment for terrorist purposes (2018); ders. Terrorist Financing risk assessment Guidance (2019) – alle jeweils online im Internet unter http//www.fatfgaf.org; Gazeas/Grosse-Wilde/Kießling Die neuen Tatbestände im Staatsschutzstrafrecht – Versuch einer ersten Auslegung der §§ 89a, 89b und 91 StGB, NStZ 2009 593; Gehra/Gittfried/Lienke Prävention von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (2019); Groth Wie global ist das Recht gegen Terrorismusfinanzierung in Albers/Groth (Hrsg.) Globales Recht und Terrorismusfinanzierungsbekämpfung (2014) S. 37; Hartmann/Holland/Holland Geldwäsche in Europa: Terrorismus und organisierte Kriminalität (2018); Haverkamp Staatsschutzstrafrecht im Vorfeld, Festschrift Schöch (2010) 381; Ivanov Die Praxis der Terrorismusfinanzierungsbekämpfung – Nationales und Internationales in Albers/Groth (Hrsg.) Globales Recht und Terrorismusfinanzierungsbekämpfung (2014) S. 255; Krämer Strategien und Maßnahmen der Financial Action Task Force (FATF) zur globalen Durchsetzung ihrer Regeln zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung in Albers/Groth (Hrsg.) Globales Recht und Terrorismusfinanzierungsbekämpfung (2014) S. 203; Lavalle The international Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism, ZaöRV (60) 2000, 491; Macke UN-Sicherheitsrat und Strafrecht (2010); ders. Rechtsstaat und Terrorlisten – Kaltstellung ohne Rechtsschutz? HRRS 2010 74; Meyer/Macke Rechtliche Auswirkungen der Terrorlisten im deutschen Recht, HRRS 2007 445; Odendahl Die Bekämpfung des Terrorismus mit den Mitteln des Völker- und Europarechts (2017); Puschke Der Ausbau des Terrorismusstrafrechts und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, StV 2015 457; ders. Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen (2017); ders. Das neue Terrorismusstrafrecht im Lichte der Verfassung, KriPoZ 2018 101; Radtke/Steinsiek Bekämpfung des internationalen Terrorismus durch Kriminalisierung von Vorbereitungshandlungen? – Zum Entwurf eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren Gewalttaten (Referentenentwurf des BMJ vom 21.4.2008) ZIS 2008 383; dies. Terrorismusbekämpfung durch Vorfeldkriminalisierung? – Das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten, JR 2010 107; Sieber/Vogel Terrorismusfinanzierung (2015); Stricker Die Terrorlisten im Strafrecht (2016); Teichmann Terrorismusfinanzierung Teil 1: Die Bedeutung von Money Transfer Dienstleistern, Kriminalistik 2017 678; ders. Terrorismusfinanzierung Teil 2: Die Bedeutung der Parallelbankensysteme, Kriminalistik 2017 730; ders. Terrorismusfinanzierung Teil 3: Die Bedeutung von Kryptowährungen, Kriminalistik 2018 30; ders. Terrorismusfinanzierung Teil 4: Schwachstellen der Bekämpfung, Kriminalistik 2018 85; Teichmann/Park Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung in Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz, NK 2018 419; Weißer Expertokratie? Über Macht und Ohnmacht von Experten im Hinblick auf die Strafrechtsentwicklung ZStW 129 (2017) 961; Zöller Der Straftatbestand der Terrorismusfinanzierung (§ 89c StGB) GA 2020 249; vgl. im Übrigen das Schrifttum zu § 89a.

Engelstätter

236

Übersicht

StGB § 89c

Entstehungsgeschichte und Gesetzgebungsanlass § 89c ist durch das Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 12.6.2015 – GVVG-ÄndG in das StGB aufgenommen worden und am 20.6.2015 in Kraft getreten. Die Vorschrift ersetzt den ursprünglich in § 89a Abs. 2 Nr. 4 enthaltenen Finanzierungstatbestand. Anlass hierfür waren zum einen Forderungen der Financial Action Task Force (FATF) (s. Rdn. 27), die die Bundesrepublik Deutschland zu einer erhöhten Mindeststrafbarkeit sowie zur Streichung der in § 89a Abs. 2 Nr. 4 enthaltenen Erheblichkeitsschwelle angehalten hatte,1 zum anderen Ziffer 6 lit. b Resolution 2178/2014 des Sicherheitsrats der UN vom 24.9.2014, die von den Mitgliedstaaten verlangte, auch die Finanzierung terroristisch motivierter Reisen mit Kriminalstrafe zu bedrohen (s. Rdn. 26). Zur Umsetzung dieser Vorgaben legten die Bundesregierung sowie die sie tragenden Fraktionen wie schon bei der Einführung des § 89a zwei inhaltsgleiche Gesetzesentwürfe vor.2 Diese sahen u. a. vor, die bis zu diesem Zeitpunkt in § 89 Abs. 2 Nr. 4 normierte Regelung zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung in einen eigenen Tatbestand des § 89c zu überführen. Dabei hatte der Gesetzgeber insbesondere die terroristische Vereinigung „Islamistischer Staat“ (IS) vor Augen, die über umfangreiche finanzielle Ressourcen verfügte.3 Nach einer Beratung im Rechtsausschuss am 22.4.20154 wurde § 89c am 19.6.2015 im Bundesgesetzblatt verkündet.5 Wie schon die Vorgängerregelung orientiert sich auch § 89c an Art. 260 quinquies des Schweizerischen Strafgesetzbuchs, einer dort im Jahr 2003 eingeführten Regelung zur Verfolgung der Finanzierung des Terrorismus.6

Unterschiede zur Vorgängerregelung des § 89a Abs. 2 Nr. 4 Im Vergleich zur Vorgängerregelung des § 89a Abs. 2 Nr. 4 orientiert sich § 89c nicht mehr an dem Begriff der schweren staatsgefährdenden Gewalttat (vgl. hierzu § 89a Rdn. 81), sondern an einem an § 129a Abs. 2 angelehnten Katalogtatbestand. Auch muss nicht mehr objektiv festgestellt werden, dass die verfahrensgegenständlichen Vermögenswerte für die spätere Begehung einer Gewalttat bestimmt sind. § 89c verschiebt diesen Konnex in den subjektiven Tatbestand. Soweit nach § 89a Abs. 2 Nr. 4 die Strafbarkeit der Terrorismusfinanzierung noch auf „nicht unerhebliche“ Vermögensgegenstände beschränkt war, hat der Gesetzgeber in § 89c diese Limitierung aufgegeben. Möglich ist in dieser Konstellation nur noch eine Strafmilderung gem. § 89a Abs. 5.

Gesetzesmaterialien Gesetzesentw. der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, BTDrucks. 18/4087; Reg.Entw. eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, BTDrucks. 18/4279; Bericht und Antrag des Rechtsausschusses des Bundestages BTDrucks. 18/4705.

Übersicht I. 1. 2. 3.

Kriminalpolitische Bedeutung 1 Finanzbedarf terroristischer Gruppierun2 gen 3 Fallgruppen 4 Geldtransfer in Konfliktgebiete

2.

3. III. 1.

Internationale Regelungsstrategien zur Bekämp5 fung der Terrorismusfinanzierung Bedeutung der Financial Action Task Force 6 (FATF)

4.

Bereitstellungsverbote auf der Basis von Terror8 listen („smart sanctions“) 9 a) Vereinte Nationen 11 b) Europäische Union 12 c) Nationales Recht „Know your customer“-Prinzip und „risk based 13 approach“ 15 Einschlägige Straftatbestände

1 2 3 4 5

BTDrucks. 18/4279 S. 1; vgl. Aliabasi S. 143. BTDrucks. 18/4087 v. 24.2.2015 sowie BTDrucks 18/4279 v. 11.3.2015. BTDrucks. 18/4087 S. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1. BTDrucks. 18/4705. BGBl. 2015 I S. 926 – zu den Einzelheiten der parlamentarischen Beratung siehe die Zusammenfassung bei Mayk S. 16. 6 Paeffgen NK Rdn. 3; Schäfer MK Rdn. 1; Zöller SK Rdn. 3; vgl. auch BTDrucks. 16/12428 S. 15 zur Vorgängerregelung § 89a Abs. 2 Nr. 4. 237

Engelstätter

§ 89c StGB

a) b) c)

III.

Terrorismusfinanzierung

Unterstützung einer terroristischen Vereini16 gung gem. § 129a Abs. 5 Satz 1 Zuwiderhandlung gegen Bereitstellungsver17 bote gem. § 18 AWG Abgrenzung zum Anwendungsbereich von 18 § 89c

VI. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

71 Objektiver Tatbestand 72 Begünstigter 73 Vermögenswerte Sammeln 74 76 Entgegennehmen 78 Zurverfügungstellen Überschneidungen mit § 89a

79

Spezifische völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben für § 89c 19 Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (FTC) 20 Resolutionen des UN-Sicherheitsrats 25 Empfehlung Nr. 5 der Financial Action Task 27 Force (FATF) Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 31 Abkommen des Europarats zur Verhütung des 32 Terrorismus 33 Kongruenz des nationalen Rechts 34 Verbleibende Abweichungen a) Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung (FTC) 35 36 b) Unionsrechtliche Vorgaben 37 c) Empfehlungen der FATF d) Völkerrechts- oder unionskonforme Ausle38 gung

VII. Subjektiver Tatbestand 81 1. Vorsatz bezüglich der Finanzierungshandlung 82 2. Vorsatz bezüglich des „Ob“ der finanzierten 83 Tat 3. Vorsatz bezüglich des „Wie“ der finanzierten 84 Tat a) Straftatenkatalog (Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bis 8) 85 87 b) Terroristische Zwecksetzung aa) Katalogtatbestände der Nummern 1 88 bis 7 bb) Katalogtatbestand der Num89 mer 8 cc) Mögliche Rechtfertigung der finanzier91 ten Tat c) Tatbestandsspezifischer Verwendungszu92 sammenhang 4. Fehlvorstellungen und Irrtümer 97

IV.

Rechtsgut und Deliktsnatur

VIII. Rechtswidrigkeit und Schuld

V. 1. 2. 3.

Verfassungsrechtliche Vorgaben 46 47 Meinungsstand in der Literatur 49 Lösungsansätze in der Rechtsprechung 50 Bewertung und Konsequenzen 51 a) Bestimmtheitsgebot 52 b) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 53 aa) Legitime Zielsetzung bb) Verhältnismäßigkeit im engeren 54 Sinne 58 cc) Strafrahmen 59 dd) Restriktive Auslegungen 60 (1) Alltagsgeschäfte (2) Ansammeln und Einsam63 meln (3) Finanzierung von Vorbereitungs64 handlungen (4) Vermeintlich geplante Gewaltta65 ten c) Völkerrechtskonformität gem. Art. 25 67 GG aa) Europäischer Territorialitätsgrund68 satz bb) Spezielle internationale Abkom69 men

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Engelstätter

43

99

IX.

Geltung für Auslandstaten (Absatz 3 und 100 4)

X. 1. 2.

Rechtsfolgen (Absatz 5 bis 7) Minder schwerer Fall (Absatz 5) 105 Tätige Reue (Absatz 7)

XI.

Täterschaft und Teilnahme

103 104

106

XII. Verhältnis zu anderen Vorschriften 109 110 1. Konkurrenzen a) Konkurrenzverhältnis zur finanzierten 111 Tat b) Konkurrenzverhältnis zu weiteren Strafta114 ten 115 2. Verhältnis zur Vorgängerregelung 3. Verweisungen auf § 89c in anderen Vorschrif116 ten XIII. Prozessuales

117

238

I. Kriminalpolitische Bedeutung

StGB § 89c

I. Kriminalpolitische Bedeutung In der Rechtspraxis spielt der Tatbestand des § 89c bislang nur eine untergeordnete Rolle. Nach 1 den amtlichen Statistiken (Fachreihe 10 Reihe 3) ist es seit der Einführung der Norm bis Ende 2017 zu zwei Verurteilungen wegen § 89c gekommen.7 In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind bislang drei Haftentscheidungen im Rahmen einer 6-Monatsprüfung nach § 122 StPO und zwei Entscheidungen im Rahmen einer Haftprüfung während laufender Hauptverhandlung bekannt geworden, in denen § 89c StGB relevant gewesen ist.8

1. Finanzbedarf terroristischer Gruppierungen Ungeachtet dessen wird dem Phänomen der Terrorismusfinanzierung aus sicherheitspoliti- 2 schem wie -praktischem Blickwinkel als wirtschaftlichem Nährboden für terroristische Straftaten auf internationaler wie auf nationaler Ebene eine hohe Bedeutung beigemessen.9 Zwar können die Kosten für die Durchführung eines Anschlages für sich genommen verhältnismäßig gering sein und sich z. B. im Kauf eines Langmessers oder in der Beschaffung eines LKW erschöpfen.10 Jedoch benötigt auch ein organisationsungebundener Einzeltäter zur Begehung der von ihm geplanten Gewalttat in der Regel finanzielle Mittel. Vor allem jedoch die größeren international aktiven terroristischen Vereinigungen wie der Islamische Staat, Al-Qaida, die Taliban oder Al-Shabab sind auf erhebliche Finanzmittel angewiesen, um erfolgreich operieren zu können. Dies gilt nicht nur für die Rekrutierung, Ausbildung und Besoldung ihrer Mitglieder, sondern auch für die Beschaffung von Fahrzeugen, Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen.11 Hinzukommen weitere Kosten für die Installation eines Kommunikationsnetzwerks, die Herstellung von Propagandamitteln aber auch die Bezahlung von Reisekosten sog. „foreign fighters“, die sich aus westlichen Staaten auf den Weg in ein Jihadgebiet machen, um sich dort einer terroristischen Vereinigung anzuschließen.12 Regional verankerte Gruppen, die in der Lage sind, eigene Landstriche zu kontrollieren, bemühen sich zudem, durch Maßnahmen öffentlicher Wohlfahrtspflege und Daseinsvorsorge ihren Rückhalt in der lokalen Bevölkerung zu stärken.13

2. Fallgruppen Die Beschaffung der Geldmittel erfolgt auf vielfältige Weise, lässt sich aber im Wesentlichen auf 3 vier Fallgruppen eingrenzen:14 Die erste Fallgruppe bilden klassisch kriminelle Handlungen wie Diebstahl, Betrug, Schmuggel, Drogen- oder Menschenhandel oder Lösegelderpressungen.15 7 Online im Internet unter https://www.destatis.de. 8 BGH BeckRS 2017 100833; BGH BeckRS 2019 5425; BGH BeckRS 2019 14496; BGH BeckRS 2019 18950; BGH BeckRS 2020, 468. 9 Vgl. nur die Resolution 1373/2001 des UN-Sicherheitsrats Ziffer 1; Erwägungsgründe (13) – (15) der Richtlinie 2017/541/EU zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI und Änderung des Beschlusses 2005/671/JI, ABl. EU 2017 Nr. L 88, 6; BTDrucks. 18/4087 S. 7; Bundesministerium der Finanzen Nationale Risikoanalyse S. 22, 44 ff.; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; krit. Zöller SK Rdn. 4. 10 Bundesministerium der Finanzen Nationale Risikoanalyse S. 45 f.; Albers/Groth/Ivanov S. 255, 257; Sieber/Vogel S. 9; FATF-Report Terrorist Financing 2008 S. 7. 11 FATF-Report Financing of recruitment for terrorist purposes 2018; Sieber/Vogel S. 9. 12 FATF-Report Emerging Terrorist-Financing Risks 2015 S. 24 ff. 13 FATF-Report Emerging Terrorist-Financing Risks 2015 S. 10; Sieber/Vogel S. 9. 14 Vgl. hierzu die Übersicht der Bundesregierung in Bundesministerium der Finanzen Nationale Risikoanalyse S. 46. 15 Albers/Groth S. 19; Europol (TE-Sat) S. 17; FATF-Report Emerging Terrorist-Financing Risks 2015 S. 15, 18; Sieber/ Vogel S. 11. 239

Engelstätter

§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

Hinzu kommen als zweite Fallgruppe Spendensammlungen nicht nur durch Sympathisantenund Unterstützerkreise,16 sondern auch durch teils caritative Hilfsorganisationen. Terroristische Gruppierungen können derartige Organisationen als Tarnung verwenden und die einzelnen Spender über die tatsächliche Verwendung der zugewandten Gelder täuschen, aber auch das Personal von Hilfsorganisationen zum Zwecke der Mittelveruntreuung unterwandern.17 In Betracht kommt zudem die Erhebung von „Zöllen“, „Gebühren“ oder „Steuern“ durch eine terroristische Gruppierung, soweit es um Hilfsprojekte in einem von einer terroristischen Vereinigung kontrollierten Gebiet geht.18 Hilfsorganisationen eignen sich zudem für Maßnahmen der Wohlfahrtspflege oder Daseinsvorsorge, die keinen unmittelbaren Bezug zu terroristischen Gewalttaten haben, jedoch die Verankerung der terroristischen Organisation in der lokalen Bevölkerung stärken.19 In diesen Fällen lässt sich die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in einem Konfliktgebiet oft nur schwer von echter humanitärer Hilfe unterscheiden. Die dritte Fallgruppe bilden Gelder, die im Rahmen der Verwaltung eines durch eine terroristische Gruppierung kontrollierten Gebiets generiert werden. Die Kontrolle über ein Territorium ermöglicht nicht nur die wirtschaftliche Ausbeutung der lokalen Bevölkerung, sie erlaubt auch den Handel mit natürlichen Ressourcen wie Holzkohle, Weizen oder Erdöl.20 Als vierte und letzte Fallgruppe kommt eine unmittelbare wirtschaftliche Geschäftstätigkeit über von Mitgliedern einer terroristischen Vereinigung dominierte Unternehmen in Betracht.21

3. Geldtransfer in Konfliktgebiete 4 Die Akquise der Geldmittel für eine terroristische Organisation erfolgt mit Ausnahme der unmittelbar aus der Verwaltung kontrollierter Gebiete gewonnenen Beträge im Regelfall weit entfernt vom eigentlichen Operationsgebiet. Es stellt sich daher regelmäßig das Problem, gesammelte Spenden, aber auch durch Hehlerei oder Drogenhandel gewonnene Gelder an die zentralen Akteure der jeweiligen terroristischen Vereinigung zu übermitteln.22 In Betracht kommt hier neben dem oft risikoreichen Einsatz von Bargeldkurieren oder Schmugglern,23 die Nutzung etablierter Banksysteme, wobei intelligente Terrorismusfinanzierer eine Kombination aller Methoden verwenden.24 In der Rechtspraxis von erhöhter Relevanz ist die Nutzung des Hawala-Bankings, das weitestgehend ohne tatsächlichen Bargeldtransfer, Aufzeichnungen und Dokumentation auskommt.25 In Betracht kommt aber auch die Nutzung klassischer Banken und Finanzdienstleister wie MoneyGram oder Western Union, die die Gelder als Spenden getarnt über Strohleute an eine terroristische Vereinigung transferieren.26 Noch unklar ist derzeit, welches Potential neuartigen Zahlungsmethoden wie „Bitcoins“ oder anderen Kryptowäh16 Albers/Groth/Ivanov S. 255, 258; FATF-Report Emerging Terrorist-Financing Risks 2015 S. 13; FATF-Report Financing of the terrorist organisation Islamic State in Iraq and the Levant (ISIL) 2015 S. 24 ff. 17 FATF-Report Risk of Terrorist Abuse in Non-profit-organisations 2014 S. 37 f.; Sieber/Vogel S. 11; Teichmann Kriminalistik 2017 730, 731. 18 Europol (TE-Sat) S. 17; FATF-Report Risk of Terrorist Abuse in Non-profit-organisations 2014 S. 41; FATF-Report Emerging Terrorist-Financing Risks 2015 S. 14; Sieber/Vogel S. 11. 19 Sieber/Vogel S. 13, 17. 20 FATF-Report Financing of the terrorist organisation Islamic State in Iraq and the Levant (ISIL) 2015 S. 13; FATFReport Emerging Terrorist-Financing Risks 2015 S. 17; Hartmann/Holland/Holland S. 142; Sieber/Vogel S. 12. 21 Albers/Groth/Ivanov S. 255, 261; FATF-Report Emerging Terrorist-Financing Risks 2015 S. 19; Sieber/Vogel S. 12. 22 Bundesministerium der Finanzen Nationale Risikoanalyse S. 47. 23 Albers/Groth/Ivanov S. 255, 259; FATF-Report Emerging Terrorist-Financing Risks 2015 S: 23; Sieber/Vogel S. 14. 24 Teichmann/Park NK 2018 419, 422. 25 Europol (TE-Sat) S. 17; FATF-Report The role of HAWALA and other similar service providers in money laundering and terrorist financing 2013; Sieber/Vogel S. 15; Teichmann Kriminalistik 2017 730, 733. 26 Albers/Groth/Ivanov S. 255, 266; FATF-Report Emerging Terrorist-Financing Risks 2015 S. 20; Hartmann/Holland/ Holland S. 130; Sieber/Vogel S. 12; Teichmann Kriminalistik 2017 678, 679. Engelstätter

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III. Internationale Regelungsstrategien zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung

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rungen, aber auch dem sog. „Crowdfunding“ im Internet über soziale Netzwerke im Rahmen der Terrorismusfinanzierung zukommt.27 Hier bleibt die weitere Entwicklung der nächsten Jahre abzuwarten.

III. Internationale Regelungsstrategien zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung Die Staatengemeinschaft begegnet der Finanzierung terroristischer Aktivitäten mit verschiede- 5 nen Regelungsstrategien im Drei-Ebenen-Modell auf völker- wie unionsrechtlicher, aber auch auf nationaler Ebene, die sich im Grundsatz in drei Gruppen unterteilen lassen: Die erste Gruppe formuliert Bereitstellungsverbote, die sich gezielt gegen die Organisationen, aber auch gegen einzelne Personen richten können, die auf sog. Terrorlisten geführt werden. Die zweite Gruppe zielt auf die Regulierung des Bankensektors. Ihr zentraler Regelungsansatz ist das „know your customer“-Prinzip sowie darauf aufbauende Ansätze des Risikomanagements („risk based approach“). Die dritte Gruppe, der auch § 89c zuzuordnen ist, besteht in der Kriminalisierung der Terrorismusfinanzierung durch verschiedene Straftatbestände. Soweit der Verdacht besteht, dass eine gemeinnützige Organisation in terroristische Aktivitäten verstrickt ist, kommt zusätzlich zu diesen Ansätzen nach nationalem Recht auch die Möglichkeit eines Vereinsverbots gem. § 3 ggf. i. V. m. §§ 14, 15 VereinsG in Betracht.28 Die einzelnen Regelungsansätze bestehen nicht parallel nebeneinander, sondern sie bedingen sich, sind miteinander verwoben und verflochten und verweisen aufeinander. Dies zeigt sich beispielhaft an der allgemeinen rechtlichen Definition des Begriffs der Terrorismusfinanzierung in § 1 Abs. 2 GwG.29 Diese umfasst die Bereitstellung oder Sammlung von Vermögensgegenständen mit dem Wissen oder in der Absicht, dass sie ganz oder teilweise dazu verwendet werden (sollen), eine Tat nach §§ 129a, b, eine Straftat nach Art. 1 bis 3 des EU-Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung 2002/475/JI30 oder aber eine Tat nach § 89c zu begehen. Dies führt zu einer Konvergenz strafrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Prüfungen, die von den jeweils zuständigen Behörden gleichermaßen anzustellen sind.

1. Bedeutung der Financial Action Task Force (FATF) Von gesteigerter Bedeutung bei der Entwicklung der einzelnen Regelungsansätze sind die Akti- 6 vitäten der Financial Action Task Force (FATF). Bei ihr handelt es sich um ein bei der OECD ansässiges Gremium, das als zwischenstaatlicher Arbeitskreis der Mitgliedstaaten organisiert ist.31 Die FATF wurde 1989 mit dem Auftrag eingesetzt, Methoden der Geldwäsche zu analysieren und die Aufdeckung von Vermögenswerten illegaler Herkunft zu ermöglichen. Sie hat ihre Aktivitäten im Jahr 2003 (5. Mandatsperiode 1999–2004) auf die Terrorismusfinanzierung ausgeweitet und im Jahr 2012 (6. Mandatsperiode 2005–2012) näher präzisiert.32 Neben der Kriminalisierung der Terrorismusfinanzierung fordert die FATF die Einrichtung eines zielgerichteten Sanktionensystems, dies insbesondere mit Blick auf Nichtregierungsorganisationen, die schein-

27 FATF-Report Emerging Terrorist-Financing Risks 2015 S. 30; Teichmann Kriminalistik 2018 30, 32. 28 Hierzu Roth GSZ 2019 89, 91 mit zahlreichen Einzelbeispielen aus dem Bereich islamistischer Hilfsvereine. 29 Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten – Geldwäschegesetz (GwG) vom 23.6.2017 BGBl. I S. 1822. 30 Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vom 13.6.2002, ABl. EU 2002 Nr. L 163, 3 in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2008/919/JI zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vom 28.11.2008, ABl. EU 2008 Nr. L 330, 21 mittlerweile ersetzt durch die Richtlinie 2017/541/EU zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI und Änderung des Beschlusses 2005/671/JI, ABl. EU 2017 Nr. L 88, 6. 31 Krauß LK13 § 129a Rdn. 27 ff.; Albers/Groth/Krämer S. 203, 204; Böse ZJS 2019, 1, 8; Sieber/Vogel S. 39. 32 Albers/Groth/Krämer S. 203, 210; Gehra/Gittfried/Lienke Kap. 1 Rdn. 5, 10; Weisser ZStW 129 (2017) 961, 968. 241

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bar auf caritative Zwecke ausgerichtet sind.33 Insgesamt hat die FATF über 40 Empfehlungen erarbeitet.34 Sie bilden ein konsistentes und vollständiges Regelwerk, das Staaten implementieren sollen, um Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung angemessen zu bekämpfen. Mittlerweile haben über 190 Staaten die Empfehlungen, die seitens der FATF regelmäßig überarbeitet und ergänzt werden, als Maßstab anerkannt.35 Auch IWF und Weltbank verlangen von ihren Kreditnehmern, dass sie sich den FATF-Standards unterwerfen.36 Die FATF agiert zwar global, jedoch nicht auf Grundlage völkerrechtlicher Vereinbarungen. 7 Ihre Arbeitsergebnisse sind nicht demokratisch legitimiert, entfalten aber auch – anders als ein völkerrechtlicher Vertrag oder einige Resolutionen des UN-Sicherheitsrats – keine völkerrechtliche Verbindlichkeit.37 Gleichwohl kommt der FATF eine erhebliche politische Bedeutung zu, die regelmäßig zu gesetzgeberischen Aktivitäten auf nationaler wie internationaler Ebene führt.38 Auch die Einführung der Vorschrift des § 89c im Jahr 2015 geht auf die Empfehlungen der FATF zurück (s. Rdn. 27).39 Der UN-Sicherheitsrat hat die Mitgliedstaaten wiederholt zu Umsetzungen der FATF-Empfehlungen aufgefordert.40 Übernimmt ein internationaler Normgeber, wie z. B. die EU, eine Empfehlung der FATF, erhöht dies regelmäßig sogar den Druck auf den nationalen Gesetzgeber, der sich nunmehr nicht nur der Empfehlung der FATF sondern auch einer völkerrechtlich verbindlichen Verpflichtung gegenübersieht.41 Vor allem aber hat die FATF ein Evaluierungssystem etabliert, dem sich die Mitgliedstaaten freiwillig unterziehen und innerhalb dessen der aktuelle Stand der nationalen Regelungssysteme bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung regelmäßig überprüft wird. Nicht kooperierende oder defizitäre Staaten werden durch ein Listungssytem international geächtet („naming and shaming“), mit Auflagen versehen oder einem Monitoring-System unterworfen, was erhebliche Nachteile für die Anbindung des jeweiligen Staates an das Weltfinanzsystem bis hin zur Einstufung seiner Kreditwürdigkeit haben kann.42 Die nächste Überprüfung der Bundesrepublik Deutschland steht unmittelbar bevor.43

2. Bereitstellungsverbote auf der Basis von Terrorlisten („smart sanctions“) 8 Einen für die Rechtspraxis zentralen Ansatz stellen neben den Empfehlungen der FATF die auf Listen der UN oder der EU basierenden Bereitstellungsverbote dar, die sich gegen terroristische Vereinigungen, aber auch gegen einzelne Personen richten können (sog. „smart sanctions“).44 33 Gehra/Gittfried/Lienke Kap. 1 Rdn. 10; vgl. hierzu die FATF-Reports Risk of Terrorist Abuse in Non-profit-organisations 2014 sowie 2015 beide online im Internet unter http://www.fatf-gafi.org.

34 Böse ZJS 2019, 1, 8; Die Empfehlungen (Stand Juni 2019) sind mit Auslegungshilfen („interpretive notes“) im Internet verfügbar unter fatf-gafi.org.

35 Albers/Groth/Groth S. 37, 41; Albers/Groth/Krämer S. 203, 230; Gehra/Gittfried/Lienke Kap. 1 Rdn. 6; eine aktuelle Liste ist im Internet veröffentlicht unter http://www.fatf-gafi.org. Weisser ZStW 129 (2017) 961, 973. Albers/Groth/Krämer S. 203, 215; Gehra/Gittfried/Lienke Kap. 1 Rdn. 6; Sieber/Vogel S. 39. Gehra/Gittfried/Lienke Kap. 1 Rdn. 5, 10; Weisser ZStW 129 (2017) 961, 971, 973. BTDrucks. 18/4087 S. 1; Weisser ZStW 129 (2017) 961, 976. Z. B. Resolution 1617 (2005) sowie Resolution 2161(2014). Albers/Groth/Albers S. 85, 93; Albers/Groth/Groth S. 37, 45 Albers/Groth/Krämer S. 203, 215; krit. Engelstätter GSZ 2019 95, 99; Weisser ZStW 129 (2017) 961, 971, 979 ff. jeweils am Beispiel von Art. 11 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI und Änderung des Beschlusses 2005/671/JI, ABl. EU 2017 Nr. L 88, 6. 42 Albers/Groth/Albers S. 85, 88; Albers/Groth/Krämer S. 203, 219; Gehra/Gittfried/Lienke Kap. 1 Rdn. 5, 10; Sieber/ Vogel S. 39; Weisser ZStW 129 (2017) 961, 971. 43 Weisser ZStW 129 (2017) 961, 990. 44 Vgl. zu diesen Maßnahmen auch BTDrucks. 16/6236; 16/6879; 16/11873; 17/8190; 17/9786 sowie Bundesministerium der Finanzen Nationale Risikoanalyse S. 50 ff.

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Die einzelnen auf UN- wie EU-Ebene geschaffenen Regelungen sind vor allem hinsichtlich möglicher Rechtsschutzdefizite gegen die Aufnahme einer Organisation oder Person in eine Liste immer wieder Kritik ausgesetzt,45 in ihrem Kern letztlich jedoch unbeanstandet geblieben.46

a) Vereinte Nationen. Im Zusammenhang mit den islamistisch motivierten Terroranschlägen 9 auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam im Jahr 1998 wurde aufgrund der Sicherheitsratsresolutionen Nr. 1267 (1999) und Nr. 1333 (2000) zunächst das Auslandsvermögen der Taliban eingefroren und ein Sanktionskomitee eingesetzt, das eine Liste von Personen und Organisationen mit Verbindungen zu AI-Qaida erstellen sollte, deren Vermögen ebenfalls eingefroren werden sollten.47 Nach den Anschlägen vom 11.9.2001 erweiterte der Sicherheitsrat dieses Regelungsregime um die Resolution Nr. 1373 (2001) (vgl. hierzu § 89a Rdn. 16). Sie verlangt in Ziffer 1 von den Mitgliedstaaten, u. a. Maßnahmen gegen die Finanzierung terroristischer Handlungen zu ergreifen, die Finanzierung terroristischer Organisationen unter Strafe zu stellen sowie das Vermögen von terroristischen Organisationen und von Personen, die terroristische Akte planen oder ausüben, einzufrieren. Nach dem Sturz des Talibanregimes hob der Sicherheitsrat mit Resolution Nr. 1390 (2002) die regionale Beschränkung der Resolutionen Nr. 1267 (1999) und Nr. 1333 (2000) auf Afghanistan auf. Ihre Maßnahmen galten nunmehr weltweit.48 Die Fortführung und Weiterentwicklung der durch die Resolutionen Nr. 1267 (1999) und 1333 (2000) begründeten Terrorliste oblag seitdem dem mit der Resolution Nr. 1267 (1999) eingeführten Sanktionsausschuss sowie dem mit der Resolution Nr. 1373 gegründeten „Counter-Terrorism-Comitee“ (CTC), die beide auf Art. 29 der Charta der UN gestützt wurden.49 Mit den Resolutionen Nr. 1988 (2011) und Nr. 1989 (2011) wurde die Liste geteilt. Der erste 10 Teil bezieht sich ausschließlich auf die Gruppierung der Taliban (Nr. 1988), der zweite dagegen auf die terroristische Vereinigung Al-Qaida und ihre Untergruppierungen (Nr. 1989). Während die Fortführung der Taliban-Liste einem eigenen Sanktionsausschuss überantwortet worden ist,50 obliegt die Fortführung der Al-Qaida-Liste weiterhin den durch Resolution Nr. 1267 (1999) eingeführten Gremien. Gemäß Ziffer 21 der Resolution 2178 (2014) wurde das Sanktionsregime auch auf die im syrischen Bürgerkrieg agierende terroristische Vereinigung IS erstreckt. Im Mai 2014 wurde schließlich die im syrischen Bürgerkrieg aktive Al-Nusra-Front in die Liste aufgenommen.51 Auch für Somalia hat der Sicherheitsrat durch die Resolutionen 733 (1992) und 1844 (2008) ein Listensystem etabliert, das ebenfalls durch ein Sanktionenausschuss verwaltet wird und sich im Wesentlichen gegen die dort agierende terroristische Vereinigung der Al-Shabab und ihr Führungspersonal richtet.52

b) Europäische Union. Nachdem der Europäische Rat bereits zu den Resolutionen Nr. 1267 11 (1999) und Nr. 1333 (2000) Gemeinsame Standpunkte verabschiedet hatte, folgte auf die An45 Krit. Al-Jumaili NJOZ 2008 188; Meyer/Macke HHRS 2007 445, 453; Macke HRRS 2010 74, 84; Schlarmann/ Spiegel NJW 2007 870, 875; Überblick bei SSW/Lohse § 129a Rdn. 7. 46 Vgl. EuGH EuGRZ 2008 673; EuGH EuGRZ 2013 389 ff. Überblick zu den im Anschluss an die Entscheidungen jeweils erfolgten Modifikationen der Listungsverfahren SSW/Lohse § 129a Rdn. 7. 47 Hierzu Krauß LK13 § 129a Rdn. 13; Albers/Groth/Albers S. 85, 108; Al-Jumaili NJOZ 2008 188, 192; Andrzejewski S. 41; Hörmann EuR 2007 120, 125. 48 Albers/Groth/Albers S. 85, 109; Andrzejewski S. 43, Stricker S. 18. 49 Andrzejewski S. 43, Bartelt/Zeitler EuZW 2003 712, 713; Meyer/Macke HHRS 2007 445, 446; Macke HRRS 2010 74, 75; Stricker S. 31; krit. Macke S. 254 f. 50 Resolution 1988 (2011) Ziffer 30; Stricker S. 27. 51 Andrzejewski S. 51. 52 Durch Resolution 1916 (2010) hat der Sicherheitsrat die gegen Somalia bestehenden Sanktionen in Teilen gelockert, um verschiedenen Hilfsorganisationen die Bereitstellung von Versorgungsgütern und technischer Hilfe zu ermöglichen. 243

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schläge vom 11.9.2001 aufgrund des Gemeinsamen Standpunktes 2002/40253 die Umsetzung der Resolution Nr. 1390 (2002) durch die Verordnung (EG) 881/2002,54 die seitdem das maßgebliche Regelwerk der EU zur Umsetzung der Terrorlisten der UN hinsichtlich der terroristischen Vereinigungen Al-Qaida, Taliban und Islamischer Staat bildet.55 Vergleichbare Regelungen bestehen mit der Verordnung (EU) 356/2010 auch für Somalia.56 Praktisch vollzieht sich die Listung durch einen Beschluss des Rates, der etwa im halbjährlichen Abstand aktualisiert wird, wobei der nachfolgende Beschluss die jeweils vorangegangene Entscheidung ersetzt.57 Nach Art. 2 Abs. 1 der jeweiligen Rechtsverordnungen werden alle Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die einer im Anhang gelisteten Person oder Organisation gehören, eingefroren. Neue Vermögenswerte oder Gelder dürfen ihnen nach Absatz 2 der Vorschrift nicht zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich verfügt die EU aber auch über ein eigenes, von den Vorgaben der UN unabhängiges, Listungssystem.58 Maßgebend hierfür ist die aufgrund des Gemeinsamen Standpunktes des Rates 2001/93159 verabschiedete Verordnung (EG) 2580/2001.60 In ihrer Liste erfasst werden Personen, die terroristische Handlungen begehen, sowie Einrichtungen, die unmittelbar oder mittelbar im Eigentum dieser Personen stehen. Der Begriff der terroristischen Straftat entspricht im Wesentlichen Art. 1 des EU-Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung 2002/475/JI,61 der nunmehr durch Art. 3 der Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung62 ersetzt worden ist (vgl. § 89a Rdn. 24). Die Listung ist nicht von der Rechtskraft einer Verurteilung wegen einer terroristischen Straftat abhängig; nach deutscher Praxis ist zumindest eine das Vorliegen eines qualifizierten Verdachts bestätigende gerichtliche Entscheidung in der Regel in Form eines Haftbefehls erforderlich.63

12 c) Nationales Recht. Die Terrorlisten der UN und der EU wirken sich an verschiedenen Stellen auf das nationale Recht aus. Dieses stellt mit § 51 Abs. 2 GwG zunächst eine Generalklausel zur Verfügung, die die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als zentrale Aufsichtsbehörde ermächtigt, die Vorgaben des GwG zwangsweise durchzusetzen. Diese Befugnisse werden durch das Gesetz über das Kreditwesen (KWG) konkretisiert.64 Dieses ermöglicht in § 6a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KWG der BaFin die Untersagung einer Transaktion sowie das Einfrieren von 53 GASP 2002/402, ABl. L 139, 4. 54 Verordnung (EG) 881/2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisation, die mit den ISIL (Da’esh)- und Al-Qaida-Organisationen in Verbindung stehen, ABl. L 139 S. 9; zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 2019/850, ABl. L 139, 8. 55 Krauß LK13 § 129a Rdn. 23; Al-Jumaili NJOZ 2008 188, 197; Albers/Groth/Albers S. 85, 115; Andrzejewski S. 55; Stricker S. 78. 56 Verordnung (EU) 356/2010 über die Anwendung bestimmter restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen aufgrund der Lage in Somalia, ABl. L 105, 1, ber. ABl. 2014 L 294, 49; zuletzt geändert durch VO (EU) 2018/1933, ABl. L 314, 9; Art 4 der Verordnung enthält umfangreiche Ausnahmen für die Durchführung humanitärer Hilfe durch UN-Organisationen. 57 SSW/Lohse § 129a Rdn. 7. 58 Al-Jumaili NJOZ 2008 188, 198; Albers/Groth/Albers S. 85, 115; Andrzejewski S. 55; Stricker S. 79. 59 GASP 2001/931, ABl. L 344, 94; krit. hierzu Bartelt/Zeitler EuZw 2003 712, 713 sowie Gärditz S. 29 f. 60 Verordnung (EG) 2580/2001 über spezifische gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, ABl. L 344, 70; zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 2017/2061, ABl. Nr. L 295, 3. 61 Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vom 13.6.2002, ABl. EU 2002 Nr. L 163, 3 in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2008/919/JI zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vom 28.11.2008, ABl. EU 2008 Nr. L 330, 21. 62 Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschluss 2002/475/JI und Änderung des Beschlusses 2005/671/JI, ABl. EU 2017 Nr. L 88, 6. 63 SSW/Lohse § 129a Rdn. 7. 64 Kreditwesengesetz (KWG) vom 9.9.1998 (BGBl. I S. 2776), zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 25.3.2019 (BGBl. I S. 357); s. hierzu auch Bundesministerium der Finanzen Nationale Risikoanalyse S. 48. Engelstätter

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Geldern, bei denen der Verdacht besteht, dass sie für Zwecke der Terrorismusfinanzierung, insbesondere für Straftaten gem. §§ 129a, b, 89c, verwendet werden sollen. Ein entsprechender Verdacht ist gem. Absatz 2 der Vorschrift insbesondere gegeben, soweit es um ein Konto oder ein Depot einer auf der Terrorismusliste der EU verzeichneten Person oder Organisation geht.65 Dies gilt gem. § 27 Abs. 2 des Gesetzes über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten (ZAG)66 sowie gem. § 6 des Kapitalanlagegesetzbuches (KAGB)67 auch für die diesen Gesetzen unterfallenden Finanztransaktionen. Grenzüberschreitende Finanztransfers unterfallen zudem den Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG),68 die z. B. in § 4 Abs. 2 den Erlass von Handelsbeschränkungen vorsehen. Im Bereich der Terrorismusfinanzierung kommen hier insbesondere Verstöße gegen die Bereitstellungsverbote der Verordnungen (EG) 2580/2001 sowie (EG) 881/ 2002 in Betracht. Art. 7 Abs. 1 lit. b) der Verordnung (EU) 2018/167269 erlaubt im Zusammenspiel mit den Vorschriften des nationalen Zollrechts, insbesondere § 12a Abs. 7 ZollVG, zudem die vorübergehende Verwahrung von Barmitteln, die in die EU eingeführt oder aus der Union verbracht werden sollen und bei denen es Hinweise gibt, dass sie im Zusammenhang mit kriminellen Aktivitäten stehen.

3. „Know your customer“-Prinzip und „risk based approach“ Neben den listenbasierten Bereitstellungsverboten der UN und der EU bilden das „know-your- 13 customer“-Prinzip sowie der Ansatz des „risk based approach“ zentrale Regelungsprinzipien im Kampf gegen die Finanzierung terroristischer Aktivitäten. Die Strategien zielen beide auf den Finanzmarktsektor und begründen Sorgfaltspflichten für die handelnden Personen und Unternehmen Risiken einer Terrorismusfinanzierung – also insbesondere einer Straftat nach den §§ 129a, b sowie § 89c (vgl. § 1 Abs. 2 GwG) – zu erkennen und an die zuständigen Behörden weiterzugeben.70 Beide Grundsätze sind zudem klassischen Beispiele, wie die an sich rechtlich unverbindlichen Empfehlungen der FATF letztlich inhaltsgleich in verbindliche Vorschriften der EU und des nationalen Gesetzgebers transformiert werden.71 Sie verschränken zudem verwaltungsrechtlich geprägte Risikobewertungsverfahren mit der Prüfung der Merkmale des Anfangsverdachts einer Straftat. Das „know-your-customer“-Prinzip wird u. a. in den FATF-Empfehlungen Nr. 10, 20, 22, 35 14 konkretisiert und empfiehlt die Normierung verschiedener Sorgfaltspflichten betreffend die Identifizierung des Vertragspartners, Informationserhebung über Zweck und Art der Geschäftsbeziehung, Abklärung der möglichen Betroffenheit des wirklich „wirtschaftlich Berechtigten“ einer Transaktion sowie die kontinuierliche Überwachung der Geschäftsbeziehung. Die Empfehlungen sind durch die EU zunächst in Art. 8 der 3. Geldwäscherichtlinie72 übernommen und

65 Albers/Groth/Albers S. 85, 119. 66 Zahlungsdienstaufsichtsgesetz (ZAG) vom 17.7.2017 (BGBl. I S. 2446), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 25.3.2019 (BGBl. I S. 357). 67 Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) vom 4.7.2013 (BGBl. I S. 1981), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 18.12.2018 (BGBl. I 2626). 68 Außenwirtschaftsgesetz (AWG) vom 6.6.2013 (BGBL. I S. 1482, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 20.7.2017 (BGBl. I S. 2789). 69 Verordnung (EU) 2018/1672 vom 23.10.2018 über die Überwachung von Barmitteln, die in die Union oder aus der Union verbracht werden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) 1889/2005, ABl. L 284 S. 6. 70 Gehra/Gittfried/Lienke Kap. 1 Rdn. 12 ff. 71 Krit. Albers/Groth/Groth S. 37, 46; Engelstätter GSZ 2019 95, 99; Weisser ZStW 129 (2017) 961, 971, 979 ff. 72 Richtlinie 2005/60/EG zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, ABL. L 309, 15 (sog. 3. Geldwäscherichtlinie). 245

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durch Art. 13, 18 der 4. Geldwäscherichtlinie73 weiter ausdifferenziert worden. Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben detailliert in § 10 Abs. 1 GwG in nationales Recht umgesetzt. Zur Verarbeitung der erhobenen Informationen verpflichtete die EU ihre Mitgliedstaaten – ebenfalls auf Empfehlung der FATF – zudem, über Art. 21, 38 der 3. Geldwäscherichtlinie sowie Art. 51 ff. der 4. Geldwäscherichtlinie eine zentrale Meldestelle in Form der sog. „Financial Intelligence Unit“ (FIU) zu schaffen, deren Einführung und Befugnisse im nationalen Recht in den §§ 27 ff. GwG geregelt sind.74 § 32 Abs. 2 Satz 1 GwG erlaubt der FIU die Übermittlung von Informationen an die Strafverfolgungsbehörden. § 40 GwG gestattet zudem die Unterbrechung von Finanztransaktionen für 30 Tage, bei denen der Verdacht besteht, dass sie Bezug zu einer Terrorismusfinanzierung oder einer anderen staatsschutzrelevanten Tat aufweisen. Die aus dem „know-yourcustomer“-Prinzip folgenden Sorgfaltspflichten sollen nach den Empfehlungen der FATF schließlich umso strenger ausfallen, je höher das Risiko der Transaktionspartner oder des Transaktionsgegenstandes im Hinblick auf eine mögliche Terrorismusfinanzierung einzuschätzen ist. Zu diesem Zweck verpflichtete die EU ihre Mitgliedstaaten über die Vorschriften des Art. 8 Abs. 2 der 3. Geldwäscherichtlinie75 sowie Art. 8 Abs. 1, 2, 4 der 4. Geldwäscherichtlinie zur Implementierung eines unternehmensinternen Risikobewertungssystems („risk based approach“), das im nationalen Recht in den §§ 4 bis 8 GwG geregelt ist. Die Regelungen des deutschen Finanzrechts sind zuletzt mit Wirkung zum 1. Januar 2020 an die Vorschriften der 5. Geldwäscherichtlinie der EU angeglichen worden.76

4. Einschlägige Straftatbestände 15 Den dritten Regelungsansatz bildet schließlich die Sanktionierung der Terrorismusfinanzierung durch Kriminalstrafrecht. Entsprechende Tatbestände können sich aus dem allgemeinen Vermögensstrafrecht, z. B. aus §§ 261, 263, 266, ergeben, aber auch im Nebenstrafrecht zu finden sein. Von gesteigerter Bedeutung für die Rechtspraxis ist § 63 Abs. 1 Nr. 4 ZAG, der i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 1 ZAG, u. a. die ungenehmigte Erbringung von Zahlungsdiensten durch Einzelpersonen mit der Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren bedroht und damit den Geldtransfer über das sog. Hawala-System kriminalisiert.77 Die Tat kann auch Bezugstat für die Bildung einer kriminellen Vereinigung sein, deren Mitglieder sich zur fortgesetzten Begehung ungenehmigter Zahlungsdienstleistungen verbunden haben. Daneben existieren drei Spezialtatbestände, die unmittelbar auf die Finanzierung terroristischer Aktivitäten abzielen. Neben § 89c sind dies der Tatbestand der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gem. § 129a Abs. 5 Satz 1 sowie Zuwiderhandlungen gegen die aus den Terror-Listen der UN und der EU folgenden Bereitstellungverbote, die über § 18 AWG mit Kriminalstrafe bedroht sind.

16 a) Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gem. § 129a Abs. 5 Satz 1. Unterstützung i. S. v. § 129a Abs. 5 Satz 1 bedeutet, die Tätigkeit einer Vereinigung zu fördern, ohne

73 Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der VO (EU) 648/2012 und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG und der Richtlinie 2006/70/EG, ABl. L 141, 73 (sog. 4. Geldwäscherichtlinie). 74 Vgl. hierzu Bundesministerium der Finanzen Nationale Risikoanalyse S. 51 f. 75 Vgl. hierzu insbesondere die Erwägungsgründe (5), (10) und (22) der 3. Geldwäscherichtlinie; Erwägungsgründe (3), (4), (28), (44) der 4. Geldwäscherichtlinie aber auch Erwägungsgrund (14) der Richtlinie 2017/541/EU zur Terrorismusbekämpfung. 76 Gesetz zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur vierten EU-Geldwäscherichtlinie vom 19.12.2019 (BGBl. I S. 2602); zu den Einzelheiten vgl. BTDrucks. 19/13827. 77 BTDrucks. 18/11495 S. 121,144; vgl. auch BGH NStZ-RR 2016 15; BGH BB 2018 1041, 1044 m. Anm. Conreder. Engelstätter

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III. Internationale Regelungsstrategien zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung

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deren Mitglied zu sein.78 Die versuchte Unterstützung ist straflos. Konkrete Straftaten müssen nicht gefördert werden, die Tathandlung kann sich auch allein auf die innere Organisation oder den Zusammenhalt der Vereinigung beziehen.79 Erforderlich ist allerdings, dass sich die Tat auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung in irgendeiner Weise positiv auswirkt.80 Ein messbarer Nutzen für die Gruppierung ist nicht erforderlich.81 Der Tatbestand ist nicht nur bei der Gewährung finanzieller Mittel gegeben, sondern auch bei der Zurverfügungstellung anderer materieller Vorteile, etwa von Waffen oder Fahrzeugen.82 Auch Beihilfehandlungen zugunsten eines Mitglieds bei dessen mitgliedschaftlicher Betätigung erfüllen den Tatbestand.83 Dies kann schon bei der Unterstützung eines Mitglieds bei dessen Bemühen um die Erlangung finanzieller Mittel in Betracht kommen.84 Demgegenüber ist die Sammlung von Geldern ohne Beteiligung von Mitgliedern einer terroristischen Vereinigung, die zwar für diese bestimmt sind, die Vereinigung jedoch nicht erreichen, regelmäßig nicht vom Unterstützungstatbestand erfasst.85 Insbesondere Zusagen von Geldleistungen an eine terroristische Vereinigung können nur dann als strafbare Handlung nach § 129a Abs. 5 Satz 1 gewertet werden, wenn bereits durch die Zusage eine förderliche Wirkung für die Vereinigung festgestellt werden kann.86

b) Zuwiderhandlung gegen Bereitstellungsverbote gem. § 18 AWG. § 18 Abs. 1 AWG 17 stellt die Bereitstellung von Geldern für in den EU-Rechtsverordnungen (EG) 2580/2001 sowie (EG) 881/2002 gelistete terroristische Vereinigungen oder Einzelpersonen unter Strafe (vgl. Rdn. 10). Der Versuch der Tat ist nach Absatz 6 der Vorschrift mit Strafe bedroht. Der Begriff des Bereitstellens erfasst alle mittelbaren und unmittelbaren Realakte, die zu einer Verfügungsbefugnis der Zielperson oder -organisation führen können, einschließlich Schenkung, Tausch oder Rückgabe.87 Hierunter kann auch das Sammeln von Geldern fallen, ohne dass es zu einer faktischen Zugriffsmöglichkeit der Vereinigung oder der Zielperson kommt.88 Erforderlich ist jedoch nicht nur die Feststellung, dass der Empfänger zur Weiterleitung der Gelder an eine terroristische Organisation bereit ist, sondern auch, dass er im Namen oder auf Weisung der gelisteten Gruppierung handelt oder zumindest unter ihrer Kontrolle steht.89 Verstöße gegen Verhaltenspflichten aus verfahrensfehlerhaften Listungen begründen keine Strafbarkeit.90

c) Abgrenzung zum Anwendungsbereich von § 89c. Im Verhältnis zu den Tatbeständen 18 der §§ 129a Abs. 5 StGB, 18 AWG erfüllt § 89c in erster Linie eine Auffangfunktion.91 Vom Tatbestand der Unterstützung gem. § 129a Abs. 5 Satz 1 unterscheidet sich die Vorschrift dadurch, dass sie nicht auf Zuwendungen an eine terroristische Vereinigung, sondern an eine – nicht notwendig organisationsgebundene – Einzelperson abstellt, was mit einer Verengung der terro78 79 80 81 82

Sieber/Vogel S. 69. BGH NJW 2007 2782, 2783; BGHSt 54 69, 117; Krauß LK12 § 129 Rdn. 132. BGH NStZ 1987 551; Sieber/Vogel S. 69. BGHSt 32 243, 244; BGHSt 33 16, 17; BGHSt 54 69, 117; BGH NJW 2013 3257, 3258. Z. B. BGHSt 54 69,117; BGH NStZ-RR 2002 300; BGH NStZ-RR 2015 242; BGH NStZ-RR 2018 72; BGH BeckRS 2018 13715; BGH BeckRS 2019 5425. 83 BGHSt 29 99, 101; BGHSt 54 69, 117; BGHSt 58 318, 326 f.; BGH NStZ-RR 2018, 72, 74. 84 BGHSt 54 69, 117. 85 Engelstätter GSZ 2019 95, 99; Sieber/Vogel S. 74; Weisser ZStW 129 (2017) 961, 990. 86 BGH NStZ 2016 528, 592; vgl. BGH NJW 2018 2425, 2426. 87 OLG Düsseldorf BeckRS 2014 8969; Andrzejewski S. 156; Wagner MK § 18 AWG Rdn. 20. 88 Bundesministerium der Finanzen Nationale Risikoanalyse S. 23; Sieber/Vogel S. 179. 89 Morweiser AWR, § 18 AWG Rdn. 38; vgl. auch OLG München BeckRS 2008 19201 (zur Vorgängerregelung des § 34 AWG). 90 EuGH NJW 2010 2413 2416; Einzefallübersicht bei SSW/Lohse § 129a Rdn. 7. 91 Zöller SK Rdn. 1; vgl. auch Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 391. 247

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ristischen Zwecksetzung auf konkrete in § 89c Abs. 1 Nr. 1 bis 8 normierte Katalogtaten verbunden ist. Dafür ist anders als beim Unterstützungstatbestand wiederum nicht erforderlich, dass die tatgegenständliche Zuwendung ihr Ziel auch erreicht. Ausreichend für den Tatbestand des § 89c ist bereits die Sammlung oder die Entgegennahme von Vermögenswerten für einen der in der Norm definierten terroristischen Zwecke. Das maßgebliche Unterscheidungskriterium zu § 18 AWG ist vor allem darin zu sehen, dass § 89c keine Listung des Zuwendungsempfängers in einer Terrorliste der UN oder der EU voraussetzt, dafür aber auch keine Versuchsstrafbarkeit vorsieht.

III. Spezifische völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben für § 89c 19 Nicht alle der auf völkerrechtlicher wie unionsrechtlicher Ebene zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung entwickelten Instrumente haben unmittelbaren Einfluss auf den Tatbestand des § 89c. Von insgesamt 40 Empfehlungen der FATF ist vor allem die Empfehlung Nr. 5 für § 89c von Bedeutung. Weitere Vorgaben auf völkerrechtlicher Ebene folgen aus dem Internationalen Abkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus aus dem Jahr 1999 sowie aus den auch für § 89a bedeutsamen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats 1373 (2001) und 2178 (2014). Im Unionsrecht sind mit der Richtlinie (EU) 2017/541 zur Bekämpfung des Terrorismus ebenfalls Regelungen eingeführt worden, die den Tatbeständen des § 89c entsprechen. Von geringerer Bedeutung als für den Tatbestand des § 89a ist dagegen das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus aus dem Jahr 2005, das erst in der Fassung des Zusatzprotokolls aus dem Jahr 201592 zumindest einen Teil der durch § 89c erfassten Handlungen kriminalisiert.

1. Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (FTC) 20 Grundlegende Bedeutung für § 89c hat das bereits im Jahr 2004 von Deutschland ratifizierte Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, auch wenn der nationale Gesetzgeber im Zeitpunkt der Ratifizierung noch davon ausging, dass das Abkommen keinen Einfluss auf das deutsche Strafrecht haben würde.93 Art. 2 des FTC kriminalisiert insgesamt zwei Varianten der Terrorismusfinanzierung. Nach Absatz 1 lit. a) der Vorschrift begeht zunächst eine Straftat, wer auf irgendeinem Wege unmittelbar oder mittelbar widerrechtlich und vorsätzlich finanzielle Mittel bereitstellt oder sammelt in der Absicht oder in Kenntnis dessen, dass diese ganz oder teilweise verwendet werden, um eine Handlung zu begehen, die nach verschiedenen völkerrechtlichen Abkommen, als terroristische Straftat zu werten ist. Die einzelnen Abkommen sind dem Vertragswerk als Anhang beigefügt und erfassen im Wesentlichen schwere international als terroristisch geächtete Gewalttaten.94 Art. 2 Abs. 2 lit. b) des FTC kriminalisiert weiter Finanzierungshandlungen, die in der Ab21 sicht oder in Kenntnis dessen erfolgen, dass die Mittel ganz oder teilweise verwendet werden,

92 BGBl. II 2019 S. 636; vgl. BTDrucks.19/9507. 93 BGBl. II 2003 S. 1923; Deutschland war der 22. Zeichnerstaat des Abkommens; zum Entwurf des Ratifizierungsgesetzes vgl. BTDrucks. 15/1507 S. 25; s. Zöller SK Rdn. 2.

94 Z. B. Haager Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen v. 16.12.1970, BGBl. II 1972 S. 1506; Montrealer Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt v. 23.9.1971, BGBl. II 1977 S. 1230; Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt v. 10.3.1988, BGBl. II 1990 S. 494; Übereinkommen gegen Geiselnahme v. 17.12.1979, BGBl. II 1980 S. 1361; Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge v. 15.12.1997, BGBl. II 2002 S. 2507; vgl. die vollständige Liste in BTDrucks. 15/1507 S. 23 sowie Böse ZJS 2019, 1, 8. Engelstätter

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III. Spezifische völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben für § 89c

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um eine Tat zu begehen, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die bei einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn die Handlung darauf abzielt, die Bevölkerung eines Staates einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen. Beide Tatbestände erfassen alle wesentlichen Formen der Finanzierung mit Ausnahme der Aktivitäten von Hilfsorganisationen, die lediglich Aufgaben der Daseinsvorsorge in von terroristischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten übernehmen (vgl. Rdn. 3).95 Auch Zuwendungen an eine Vereinigung ohne Bezug zu einer terroristischen Haupttat, die nach nationalem Recht als Unterstützungshandlung i. S. d. § 129a Abs. 5 Satz 1 zu werten wären, werden von den Tatbeständen des Übereinkommens nicht erfasst. Art. 2 Abs. 3 des FTC bestimmt, dass die tatsächliche Verwendung der Mittel für eine terro- 22 ristische Straftat nicht Voraussetzung für die Strafbarkeit ihrer Finanzierung ist. Absatz 4 und 5 der Vorschrift regeln zudem die Strafbarkeit des Versuchs und der Teilnahme in der Form der Anstiftung und Beihilfe. Art. 7 enthält schließlich Regelungen zum Rechtsanwendungsrecht und normiert als Anknüpfungspunkt zur Begründung der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten neben dem Territorialitätsprinzip auch das aktive sowie das passive Personalitätsprinzip. Art. 9 und 10 des FTC enthalten Regelungen zum Auslieferungsrecht zwischen den Mitgliedstaaten. Art. 10 Abs. 1 des FTC begründet die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, eine Person, die trotz einer Straftat nach Art. 2 des Abkommens nicht an einen anderen nach dem Abkommen für die Strafverfolgung ebenfalls zuständigen Mitgliedstaat ausgeliefert wird, selbst durch die eigenen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte strafrechtlich zu verfolgen („aut dedere aut iudicare“) (vgl. § 89a Rdn. 162). Die Tathandlung des Bereitstellens geht davon aus, dass die finanziellen Mittel ihren En- 23 dadressaten erreicht haben müssen und erfasst auch Handlungen von Mittelspersonen in Finanzierungsketten.96 Der Versuch wird jedoch über Art. 2 Abs. 4 erfasst. Demgegenüber ist für die Tathandlung des Sammelns die Weitergabe der tatgegenständlichen Mittel an eine dritte Person nicht erforderlich. Auf die Art und Weise der Tathandlung kommt es nicht an. Sammeln i. S. d. Abkommens ist vielmehr als aktives Tun zum Zweck der Generierung finanzieller Mittel – im Sinne eines Fundraisings – zu verstehen. Die bloße Entgegennahme finanzieller Mittel oder die Umwidmung bereits ersparter Vermögenswerte reicht hierfür nicht aus.97 Der Tatgegenstand der „finanziellen Mittel“ wird durch Art. 1 des Abkommens konkretisiert und ist weit zu verstehen. Die Herkunft der Gelder ist für die Straftatbestände des Abkommens ebenso unerheblich wie die Frage, ob die finanzierte Tat durch ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung oder einen organisationsungebundenen Einzeltäter begangen werden soll.98 In subjektiver Hinsicht reicht für die Tatbestände des Abkommens hinsichtlich der Tathand- 24 lung grundsätzlich bedingter Vorsatz, hinsichtlich der geplanten terroristischen Verwendung ist jedoch Kenntnis oder Absicht des Täters erforderlich. Dabei ist zwischen Taten nach Art. 2 Abs. 1 lit. a) und Absatz 1 lit. b) des FTC zu differenzieren. Während sich für erstere Taten der Terrorismusbezug schon aus der finanzierten Tat selbst sowie aus dem Umstand ergibt, dass die jeweilige Handlung durch eines der im Anhang aufgeführten Abkommen als international geächtet gilt, ist für Taten nach Absatz 1 lit. b) zusätzlich der Nachweis einer weitergehenden Absicht erforderlich, die Bevölkerung eines Staates einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen. Genaue Kenntnis des Täters von der im Einzelnen geplanten konkreten Tat wird von den Tatbeständen des Übereinkommens nicht verlangt; es genügt die Kenntnis oder Absicht, dass die Mittel zur Begehung einer terroristischen Tat der genannten Art beitragen sollen.99 Zweifelhaft ist die Bewertung von Fäl95 96 97 98 99 249

Sieber/Vogel S. 26. Sieber/Vogel S. 22. Sieber/Vogel S. 22. Lavalle ZaöRV 60 (2000) 491 504; Sieber/Vogel S. 26. Sieber/Vogel S. 27. Engelstätter

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Terrorismusfinanzierung

len, in denen der Empfänger der Zuwendung die vermeintliche finanzierte Tat in Wirklichkeit gar nicht plant.100 Handelt der Zuwendende selbst absichtlich hinsichtlich der terroristischen Verwendung der von ihm transferierten Mittel, kommt es für seine Strafbarkeit auf den Vorsatz des Zuwendungsempfängers nicht mehr an. Hat er dagegen nur vermeintliche Kenntnis von der terroristischen Verwendung seiner Zuwendung, ist nach den Vorgaben des Übereinkommens eine Straftat dagegen nur gegeben, soweit für den Zuwendungsempfänger tatsächlich und objektiv ein terroristischer Verwendungsvorsatz i. S. d. Tatbestände des Abkommens festgestellt werden kann.101

2. Resolutionen des UN-Sicherheitsrats 25 Die durch das FTC begründeten Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland werden ergänzt durch die schon für den Tatbestand des § 89a (vgl. dort Rdn. 16) bedeutsamen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats 1373 (2001) und 2178 (2014). Der Sicherheitsrat gründet beide Resolutionen auf ein weites Verständnis von Art. 39, 41 UN-Charta, die er als Kompetenz für sich in Anspruch nimmt, gemäß Art. 25, 103 UN-Charta verbindliche Entscheidungen zu erlassen, die die Mitgliedstaaten vergleichbar einer Anweisungskompetenz zur Einführung von Straftatbeständen verpflichten.102 Zwar wird die völkerrechtliche Zulässigkeit dieses Vorgehens teilweise als unverhältnismäßige, eigenmächtige „ultra vires“-Handlung des Sicherheitsrats mit teils erheblichen demokratischen Defiziten in Frage gestellt.103 Ungeachtet dieser Kritik ist die Vorgehensweise von den Mitgliedstaaten jedoch im Wesentlichen akzeptiert worden104 und hat nicht nur zur Einführung der bereits beschriebenen Listungssysteme für Einzelpersonen und terroristische Gruppierungen geführt (Rdn. 8), sondern auch die Ausgestaltung des § 89c maßgeblich beeinflusst, wie der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich klargestellt hat.105 Resolution 1373 (2001) trifft hinsichtlich der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung na26 hezu wortgleiche Verpflichtungen zu Art. 2 Abs. 1 des zu diesem Zeitpunkt gerade verabschiedeten FTC (Rdn. 20).106 Die Resolution 2178 (2014) ergänzt diese Regelungen im Hinblick auf das zu diesem Zeitpunkt immer virulenter werdende Problem der sog. „foreign fighters“ (vgl. hierzu § 89a Rdn. 2). Sie verpflichtete die Mitgliedstaaten, nicht nur terroristisch motivierte Ausreisen in Konfliktgebiete, sondern auch ihre Finanzierung mit Kriminalstrafe zu bedrohen. Die konkret aus Ziffer 6 lit. b) der Resolution folgende Verpflichtung orientiert sich – wie schon die UNResolution 1373 (2001) – am Grundtatbestand des Art. 2 des FTC. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Bestrafung der vorsätzlichen Bereitstellung oder Sammlung von Geldern mit der Absicht oder in Kenntnis dessen, dass diese Gelder zur Finanzierung der Reisen von Personen verwendet werden, die ins Ausland reisen, um terroristische Handlungen zu begehen, zu planen, vorzubereiten oder sich daran zu beteiligen, oder Terroristen auszubilden oder sich zu Terroristen ausbilden zu lassen. Die Resolution erweitert die bislang in Art. 2 Abs. 1 des FTC geregelten Finanzierungszwecke um die Finanzierung einer Reise in ein Konfliktgebiet, um sich dort einer terroristischen Gruppierung als Kämpfer anzuschließen. Die übrigen in Ziffer 6 lit. b) der Resolution verwendeten objektiven und subjektiven Merkmale sind in Anlehnung an Art. 2

100 Z. B. weil er den Zuwendenden betrügen will, aber auch weil es sich bei ihm um einen Verdeckten Ermittler oder um eine V-Person handelt, die mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeitet.

101 Sieber/Vogel S. 27 f. unter Hinweis auf die Materialien des Abkommens. 102 Aliabasi S. 215; Albers/Groth/Emmerich-Fritsche S. 133, 157; Ambos MK § 6 Rdn. 24; Macke S. 65; Ohler EUR 2006 848, 854; Payandeh ZRP 2014 241, 242; Odendahl/Schmahl S. 109, 126.

103 Al-Jumaili NJOZ 2008 188, 194; Föh S. 281; Macke, S. 235; aA Aston ZaöRV 2002 257, 284; Gotzel S. 169; Neusüß S. 366.

104 Odendahl/Schmahl S. 109, 127. 105 BTDrucks. 18/4087 S. 1. 106 Sieber/Vogel S. 21. Engelstätter

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III. Spezifische völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben für § 89c

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Abs. 1 des FTC zu interpretieren.107 Dies gilt insbesondere für den Begriff der terroristischen Handlung, die sich entweder aus einem der im Anhang zum FTC gelisteten völkerrechtlichen Verträge ergeben muss (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) des FTC) oder aber auf den Tod oder eine schwere Körperverletzung der Zielperson gerichtet und zudem geeignet sein muss, die Bevölkerung eines Staates einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. b) des FTC).

3. Empfehlung Nr. 5 der Financial Action Task Force (FATF) Von zentraler Bedeutung für die Ausgestaltung des Tatbestandes des § 89c ist ferner die im Jahr 27 2012 erstmals von einem Expertengremium entwickelte Empfehlung Nr. 5 der FATF.108 Diese ist zwar nicht völkerrechtlich verbindlich,109 entfaltet jedoch aufgrund des Sanktionensystems innerhalb der FATF einen erheblichen politischen Druck gegenüber den nationalen Gesetzgebern (Rdn. 7).110 Zudem haben sowohl die UN wie auch die EU Teile der FATF-Empfehlungen übernommen. Auf diese Weise entstehen zusätzliche Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, die Empfehlungen in eigenes nationales Recht umzusetzen.111 Auch § 89c ist ein Beispiel für diese Regelungstechnik. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung des Tatbestandes ausdrücklich auf die Empfehlungen der FATF Bezug genommen, die die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Evaluierung im Jahr 2014 konkret zur Änderung des damaligen § 89a Abs. 2 Nr. 4, insbesondere zum Verzicht auf die in dieser Norm noch enthaltene Erheblichkeitsschwelle sowie zur Erhöhung der Mindeststrafbarkeit, aufgefordert hatte.112 FATF-Empfehlung Nr. 5 verlangt die Kriminalisierung der Terrorismusfinanzierung im Ein- 28 klang mit dem Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung (FTC) aus dem Jahr 1999.113 Bestraft werden soll die Generierung von Vermögenswerten für eine durch ein völkerrechtliches Abkommen geächtete Straftat (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit a) FTC) oder die Finanzierung einer Tötungs- oder Verletzungshandlung mit dem Ziel, die Bevölkerung eines Staates einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit b) FTC). Die Empfehlung verlangt aber nicht nur, die Finanzierung konkreter Terrorakte114 unter Strafe zu stellen, sondern auch die Finanzierung einer terroristischen Vereinigung,115 eines einzelnen „Terroristen“116 oder einer ter-

107 Sieber/Vogel S. 30 ff. 108 Die Empfehlung Nr. 5 ist mit Auslegungshilfen („interpretive notes“) im Internet verfügbar unter http:// www.fatf-gafi.org. 109 Albers/Groth/Krämer S. 203, 215; Gehra/Gittfried/Lienke Kap. 1 Rdn. 6; Sieber/Vogel S. 39. 110 Albers/Groth/Albers S. 85, 93; Albers/Groth/Groth S. 37, 45 Albers/Groth/Krämer S. 203, 215; Gehra/Gittfried/ Lienke Kap. 1 Rdn. 5, 10; Weisser ZStW 129 (2017) 961, 971, 973. 111 Krit. Engelstätter GSZ 2019 95, 99; Weisser ZStW 129 (2017) 961, 971, 979 am Beispiel von Art. 11 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI und Änderung des Beschlusses 2005/671/JI, ABl. EU 2017 Nr. L 88, 6. 112 BTDrucks. 18/4087 S. 7; Schäfer MK Rdn. 5; Zöller SK Rdn. 8. 113 Der Grundtatbestand der Empfehlung Nr. 5 lautet: „Countries should criminalise terrorist financing on the basis of the Terrorist Financing Convention, and should criminalise not only the financing of terrorist acts but also the financing of terrorist organisations and individual terrorits even in the absence of a link to a specific terrorist act or acts. Countries should ensure that such offences are designated als money laundering predicate offences“ (FATFRecommendations Stand Juni 2019 S. 11). 114 Interpretive Note to recommendation 5 Nr. 2 lit. a), Stand Juni 2019 S. 35. 115 Interpretive Note to recommendation 5 Nr. 2 lit. b), Stand Juni 2019 S. 35. 116 Interpretive Note to recommendation 5 Nr. 2 lit. c), Stand Juni 2019 S. 35. 251

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roristisch motivierten Ausreise117 – und zwar selbst dann, wenn die Überlassung oder Verschaffung der Vermögenswerte nicht im Zusammenhang mit einer terroristischen Straftat steht.118 29 Auf die tatsächliche Verwendung der Mittel kommt es nicht an. Dass die durch Finanzierung bezweckte Straftat tatsächlich begangen wird, ist ebenso wenig erforderlich, wie der Umstand, dass die gesammelten und zur Weitergabe bestimmten Vermögensgegenstände ihr Ziel tatsächlich erreichen.119 Auch der Versuch einer Finanzierungshandlung soll strafbar sein.120 Dies gilt auch für Teilnahmehandlungen wie Beihilfe oder Anstiftung. Lediglich Hilfsbeiträge ohne Haupttat sowie die Verabredung zu einer Terrorismusfinanzierung i. S. v. § 30, einschließlich des Versuchs hierzu, sollen nach Auffassung der FATF straflos bleiben.121 Der Vorsatz für das Finanzierungsdelikt soll sich aus den objektiven Tatumständen ergeben.122 Im Hinblick auf das Rechtsanwendungsrecht empfiehlt die FATF den Mitgliedstaaten, ihre Gerichtsbarkeit für den Aufenthaltsort des Finanzierers, der begünstigten terroristischen Vereinigung sowie für den Ort zu begründen, an dem die finanzierte Tat stattfinden soll.123 30 Die Auslegung der weiteren Begrifflichkeiten der Empfehlung orientiert sich entsprechend der Vorgehensweise zu den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats (s. Rdn. 25) an den jeweiligen Vergleichsregelungen des FTC (vgl. Rdn. 20). Auf die Art und Weise der Tathandlung kommt es nicht an.124 Der Tatgegenstand der „finanziellen Mittel“ ist weit zu verstehen. Die Herkunft der Gelder ist für die Strafbarkeit ebenso unerheblich wie die Frage, ob die finanzierte Tat durch ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung oder einen organisationsungebundenen Einzeltäter begangen werden soll.125 Sammeln meint aktives Tun zum Zweck der Generierung von Vermögenswerten. Handelt der Zuwendende absichtlich, kommt es auf den Vorsatz des Zuwendungsempfängers nicht an. Hat er dagegen nur Kenntnis von der geplanten Verwendung der von ihm generierten Mittel ist eine Straftat auch nach den Regularien der FATF nur gegeben, soweit für den Zuwendungsempfänger tatsächlich und objektiv ein terroristischer Verwendungsvorsatz festgestellt werden kann.126

4. Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 31 Während der Rahmenbeschluss 2002/475/JI in der Fassung des Änderungsbeschlusses 2008/ 919/JI127 in Art. 2 Abs. 1 nur Finanzierungshandlungen zugunsten einer Vereinigung mit Kriminalstrafe bedrohte,128 enthält Art. 11 der Richtlinie (EU) 2017/541129 zur Terrorismusbekämpfung in Anlehnung an Empfehlung Nr. 5.2 lit. a), b) der FATF,130 an Ziffer 6 der Resolution 2178 (2014) 131 und damit letztlich auch an Art. 2 Abs. 1 lit b) des FTC einen eigenen Straftatbestand zur 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127

Interpretive Note to recommendation 5 Nr. 3, Stand Juni 2019 S. 35. Interpretive Note to recommendation 5 Nr. 6, Stand Juni 2019 S. 35. Sieber/Vogel, S. 42; Weißer ZStW 129 (2017) 961, 990. Interpretive Note to recommendation 5 Nr. 10, Stand Juni 2019 S. 35. Interpretive Note to recommendation 5 Nr. 4, Stand Juni 2019 S. 35. Interpretive Note to recommendation 5 Nr. 7, Stand Juni 2019 S. 35. Interpretive Note to recommendation 5 Nr. 12, Stand Juni 2019 S. 36. Interpretive Note to recommendation 5 Nr. 2, Stand Juni 2019 S. 35. Interpretive Note to recommendation 5 Nr. 5, Stand Juni 2019 S. 35. Sieber/Vogel S. 44, 47. Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vom 13.6.2002, ABl. EU 2002 Nr. L 163, 3 in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2008/919/JI zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung vom 28.11.2008, ABl. EU 2008 Nr. L 330, 21. 128 Vgl. Sieber/Vogel, S. 118; Sieber/Kreß/Gazeas § 18 Rdn. 23 f. 129 Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI und Änderung des Beschlusses 2005/671/JI, ABl. EU 2017 Nr. L 88, 6; Überblick bei Engelstätter GSZ 2019 95, 96. 130 KOM (2015) 625 endg. S. 22; Weißer ZStW 129 (2017) 961, 979. 131 Vgl. Erwägungsgründe (5), (14) der Richtlinie (EU) 2017/541. Engelstätter

252

III. Spezifische völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben für § 89c

StGB § 89c

Terrorismusfinanzierung. Dieser kriminalisiert absichtliche wie wissentliche Sammlungen oder Bereitstellungen von Geldern, die für eine terroristische Straftat nach Art. 3 bis 10 der Richtlinie verwendet werden sollen. Geht es um die Finanzierung einer terroristischen Katalogtat i. S. v. Art. 3 der Richtlinie,132 die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung oder eine terroristisch motivierte Reise nach Art. 9 der Richtlinie, ist es nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie weder erforderlich, dass die Gelder tatsächlich für eine dieser Straftaten verwendet werden, noch dass der Täter weiß, wofür die Gelder ursprünglich gedacht waren. Gem. Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie ist eine Tathandlung nach Art. 11 durch die Mitgliedstaaten schon im Versuch mit Strafe zu bedrohen. Art. 11 wird flankiert durch Art. 10 der Richtlinie, der die Mitgliedstaaten entsprechend den Vorgaben der UN-Resolution 2178 (2014) verpflichtet, auch die Finanzierung terroristisch motivierter Ausreisen zu kriminalisieren. Soweit FATF Empfehlung Nr. 5 i. V. m. „interpretive note“ Ziffer 2 lit. c) sowie Art. 2 Abs. 1 lit a) des FTC weitergehende Verpflichtungen enthalten, ist dies durch den Unionsgesetzgeber nicht berücksichtigt worden.133 Diesbezügliche Handlungspflichten der nationalen Gesetzgeber können sich damit allenfalls aus dem Völkerrecht, nicht aber aus dem Unionsrecht ergeben.

5. Abkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus Nur geringen Einfluss auf den Tatbestand des § 89c hat das in erster Linie für die Tatbestände 32 des § 89a bedeutsame Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus aus dem Jahr 2005.134 Die Grundfassung des Abkommens verpflichtete die Mitgliedstaaten zwar bereits in erheblichem Maße zur Kriminalisierung von Vorbereitungshandlungen organisationsungebundener Einzeltäter (vgl. hierzu § 89a Rdn. 20), verzichtete jedoch aufgrund des bereits bestehenden Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung aus dem Jahr 1999 (FTC) auf eine Kriminalisierung terroristisch motivierter Finanzierungsbemühungen. Erst das Zusatzprotokoll aus dem Jahr 2015, das der Umsetzung der Resolution 2178 (2014) des UN-Sicherheitsrats dient und sich vor allem mit dem Phänomen der „foreign fighters“ befasst, sieht in Art. 5 Abs. 1 neben der Kriminalisierung terroristisch motivierter Reisen auch die Pönalisierung ihrer Finanzierung vor.135

6. Kongruenz des nationalen Rechts § 89c setzt wesentliche der einschlägigen internationalen Vorgaben um. Durch die Abkopplung 33 der finanzierten Handlung von der Konstruktion der „schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ in § 89a Abs. 1 Satz 2 entspricht die Vorschrift auch wesentlichen Anforderungen von Art. 11 Abs. 1 der erst zu einem späteren Zeitpunkt erlassenen Terrorismusrichtlinie (EU) 2017/541 – zumindest soweit es um die Finanzierung einer im Katalog von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie genannten Gewalttat geht.136 Soweit Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Finanzierung ledliglich geplanter terroristischer Ausbildungen (Art. 7, 8) oder terroristischer

132 Z. B. Angriffe auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können (Art. 3 Abs. 1 lit. a); Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit einer Person (Art. 3 Abs. 1 lit. b); Entführung und Geiselnahme (Art. 3 Abs. 1 lit. c); Kapern von Luft- oder Wasserfahrzeugen (Art. 3 Abs. 1 lit. e) oder Freisetzung gefährlicher Stoffe, die Herbeiführung von Bränden oder Überschwemmungen oder Explosionen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefährdet wird (Art. 3 Abs. 1 lit. g). 133 Engelstätter GSZ 2019 95, 97; Weißer ZStW 129 (2017) 961, 992. 134 SEV Nr. 196; in Kraft getreten am 1.6.2007, BGBl. II 2011 S. 300. 135 Vgl. BTDrucks. 19/9507 S. 14 sowie Anm. 55 des erläuternden Berichts vom 22.10.2015 im Internet verfügbar unter http://www.conventions.coe.int. 136 Engelstätter GSZ 2019 95, 99. 253

Engelstätter

§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

Propaganda (Art. 5) mit Kriminalstrafe zu bedrohen, wird dies im nationalen Recht durch die Beihilfestrafbarkeit zu Taten nach §§ 89a, 91 erfasst. Auch die Vorgaben des Art. 2 Abs. 1 lit b) des FTC sind im deutschen Strafrecht enthalten. Die von dieser Vorschrift zusätzlich erfassten Körperverletzungshandlungen sind in Absatz 1 Nr. 1 normiert. Auch die Finanzierung terroristisch motivierter Ausreisen ist entsprechend Ziffer 6 lit. b) der UN-Resolution 2178 (2014), dem Zusatzprotokoll des Europarats zur Konvention zur Verhütung des Terrorismus aus dem Jahr 2015 sowie der FATF Empfehlung Nr. 5 i. V. m. „interpretive note“ Ziffer 3 in Absatz 1 Nr. 8 aufgenommen worden. Dass die finanzierten Taten tatsächlich begangen werden, ist nach deutschem Recht für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 89c entsprechend den internationalen Vorgaben nicht erforderlich.137

7. Verbleibende Abweichungen 34 Es bestehen aber auch Abweichungen zu den internationalen Vorgaben. Während das deutsche Recht z. B. mit der Kriminalisierung schon der „Entgegennahme“ eines Vermögenswerts in erheblicher Weise über die Vorgaben der UN, der EU oder der FATF hinausgeht,138 bleibt es in anderen Punkten hinter den internationalen Vorgaben in ebenso erheblichem Maße zurück.

35 a) Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung (FTC). Die in Art. 2 Abs. 1 des FTC angelegte Differenzierung zwischen der Finanzierung von Straftaten, die unabhängig von ihrer Motivation allein aufgrund ihrer internationalen Ächtung durch verschiedene völkerrechtliche Verträge139 als terroristisch zu werten sein sollen (Art. 2 Abs. 1 lit. a) des FTC) und Tötungs- oder Verletzungshandlungen, die mit dem Ziel begangen werden, die Bevölkerung eines Staates einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit b) des FTC), ist im nationalen Recht nicht angelegt. Nach der deutschen Regelung des Absatzes 1 Satz 2 müssen vielmehr alle finanzierten Taten – mit Ausnahme der terroristisch motivierten Ausreise – selbst dann in terroristischer Absicht begangen werden, wenn sie bereits aufgrund eines internationalen Abkommens innerhalb der Völkergemeinschaft schon für sich genommen als terroristisch geächtet sind. Auch die in Art. 2 Abs. 4 des FTC enthaltene Forderung nach der Kriminalisierung des Versuchs der Terrorismusfinanzierung ist im deutschen Recht nur für § 18 AWG, nicht aber für §§ 89c, 129a, b umgesetzt worden.

36 b) Unionsrechtliche Vorgaben. Mit der EU-Terrorismusrichtlinie (EU) 2017/541 steht § 89c ebenfalls nicht vollständig im Einklang. Allgemeine Vermögenssammlungen für terroristische Vereinigungen nach Art. 4 des Regelwerks werden von § 89c entgegen Art. 11 Abs. 1, 2 der Richtlinie nicht erfasst.140 Zwar können in der Rechtspraxis die meisten der in Betracht kommenden Fälle über den Tatbestand der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gem. § 129a Abs. 5 Satz 1 (vgl. Rdn. 16) oder die Zuwiderhandlung gegen ein Bereitstellungsverbot gem. § 18 137 BTDrucks. 18/4087 S. 11; Schäfer MK Rdn. 16; Zöller SK Rdn. 8. 138 Sieber/Vogel S. 164. 139 Z. B. Haager Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen v. 16.12.1970, BGBl. II 1972 S. 1506; Montrealer Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt v. 23.9.1971, BGBl. II 1977 S. 1230; Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt v. 10.3.1988, BGBl. II 1990 S. 494; Übereinkommen gegen Geiselnahme v. 17.12.1979, BGBl. II 1980 S. 1361; Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge v. 15.12.1997, BGBl. II 2002 S. 2507; vgl. die vollständige Liste in BTDrucks. 15/1507 S. 23. 140 Engelstätter GSZ 2019 95, 99; Sieber/Vogel S. 178; Weißer ZStW 129 (2017) 961, 989. Engelstätter

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III. Spezifische völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben für § 89c

StGB § 89c

AWG erfasst werden (vgl. Rdn. 17). Sind die Voraussetzungen dieser Tatbestände nicht gegeben, so ist die Sammlung von Vermögenswerten nach deutschem Recht straflos. Dies gilt insbesondere für für eine terroristische Organisation bestimmte Spendensammmlungen, die die Gruppierung nicht erreichen. Geht es um die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach Art. 4 der Richtlinie, ist es nach Art. 11 Abs. 2 weder erforderlich, dass die Gelder tatsächlich für eine dieser Straftaten verwendet werden, noch dass der Täter weiß, wofür die Gelder ursprünglich gedacht waren. Der Versuch einer Finanzierungshandlung ist nach deutschem Recht entgegen Art. 11 Abs. 1, 2 i. V. m. Art 14 Abs. 3 der Richtlinie nur für Taten nach § 18 AWG, nicht aber für Taten nach § 89c und Unterstützungshandlungen gem. §§ 129a, b mit Strafe bedroht. Schließlich orientiert sich § 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 entgegen Art. 11 der Richtlinie und damit auch entgegen der Sicherheitsratsresolution 2178 (2014) weiterhin an dem Begriff der schweren staatsgefährdenden Gewalttat i. S. v. § 89a Abs. 1 Satz 2 und nicht an dem unionsrechtlichen Begriff der terroristischen Straftat (vgl. § 89a Rdn. 25).141

c) Empfehlungen der FATF. Abweichungen bestehen auch im Hinblick auf die FATF-Empfeh- 37 lung Nr. 5 i. V. m. mit den „interpretive notes“ Nr. 2 lit. b), 10, soweit diese unmittelbar auf das FTC Bezug nehmen oder im Falle der Terrorismusrichtlinie Grundlage für die Schaffung der jeweiligen Normen auf Unionsebene gewesen sind. Nicht umgesetzt im deutschen Recht ist zudem Empfehlung Nr. 5 i. V. m. „interpretive note“ Nr. 2 lit. c), die die Mitgliedstaaten zur Kriminalisierung von Finanzierungshandlungen zugunsten eines „Terroristen“ unabhängig davon verpflichtet, ob diese einer terroristischen Vereinigung angehört oder gerade eine terroristische Tat plant. Insoweit besteht allerdings auch keine völkerrechtliche Verpflichtung des deutschen Gesetzgebers, da dieser Teil der Empfehlung bislang weder von der EU noch von den UN in die einschlägigen Regelwerke aufgenommen worden ist.142 Zu berücksichtigen sind zudem erhebliche Überschneidungen zum Regelungsansatz des § 18 AWG, der die Bereitstellung von Vermögenswerten zugunsten von in Terrorlisten der UN oder der EU erfassten Personen mit Kriminalstrafe bedroht (vgl. Rdn. 8, 17).143 Ob darüber hinaus eine weitere Regelung im nationalen Recht eingeführt werden könnte, erscheint aus verfassungsrechtlicher Sicht fraglich, da sie letztlich eine objektiv als neutral zu wertende Handlung zugunsten einer allenfalls abstrakt gefährlichen Person ohne Gefahrenbezug in der Sache kriminalisieren würde. Zudem wäre unklar, welchen zusätzlichen Voraussetzungen zur Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder der Begehung einer terroristischen Gewalttat eine dem Bestimmtheitsgebot des GG genügende Definition eines Terroristen enthalten sollte, da diese beiden Merkmale schon in der „interpretive note“ Nr. 2 lit. a) und b) enthalten sind (zum Terrorismusbegriff vgl. § 89a Rdn. 11). d) Völkerrechts- oder unionskonforme Auslegung. Möglichkeiten, die bestehenden Abwei- 38 chungen des nationalen Rechts durch völkerrechts- oder unionskonforme Auslegungen zu beheben, sind im Hinblick auf das Gesetzlichkeitsprinzip aus Art. 103 Abs. 2 GG zurückhaltend zu beurteilen. Die Verweisung auf den Begriff der schweren staatsgefährdenden Gewalttat in § 89c Abs. 1 Nr. 8 anstelle der in Art. 3 der Richtlinie (EU) 2017/541 geregelten terroristischen Straftaten kann nur durch den Gesetzgeber geändert werden. Dies gilt auch für die Abweichungen des deutschen StGB im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 lit. a) des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (FTC), der die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Finanzierung bestimmter, in verschiedenen Abkommen normierter Tatbestände unabhängig von einer terroristischen Zwecksetzung i. S. v. § 89c Abs. 1 Satz 2 mit Strafe zu bedrohen.

141 Sieber/Vogel S. 173. 142 Engelstätter GSZ 2019 95, 97; Weißer ZStW 129 (2017) 961, 992. 143 Vgl. Sieber/Vogel S. 179. 255

Engelstätter

§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

Ansätze für völkerrechts- oder unionskonforme Auslegungen bestehen jedoch im objektiven Tatbestand. Dies gilt nicht nur für den Begriff des Vermögenswerts, sondern auch für die Tathandlungen des Sammelns und des Zurverfügungstellens, die – im Gegensatz zur Tathandlung der Entgegennahme – ebenfalls in den internationalen Vorgaben normiert sind. Ob diese beiden Tathandlungen jedoch in einer Weise völkerrechts- oder unionskonform ausgelegt werden können, dass sie entsprechend Art. 2 Abs. 4 des FTC sowie entsprechend Art. 11 Abs. 1 i. V. m. Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie (EU) 2017/541 auch versuchte Sammlungs- und Bereitstellungvorgänge erfassen, erscheint fraglich. Die Rechtsprechung hat sich mit dieser Frage noch nicht befassen müssen. In der Strafrechtswissenschaft wird für die Tathandlung des Sammelns in Anlehnung an eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1961 zum Sammeln von Nachrichten für einen fremden Nachrichtendienst nach § 92 StGB a. F.144 vorgeschlagen, dass mindestens eine Person der Aufforderung des Täters nach dem Transfer eines Vermögenswerts nachgekommen sein muss.145 Bis zu diesem Zeitpunkt durch den Täter getätigte, in der Sache aber erfolglose Aufforderungen und Sammlungsaufrufe wären als straflose Versuchshandlungen zu bewerten. Demgegenüber soll es für die Tathandlung des Zurverfügungstellens nicht darauf ankommen, ob der betreffende Vermögenswert seinen bestimmungsgemäßen Empfänger auch tatsächlich erreicht hat. Ausreichen kann auch seine Versendung durch den Täter,146 sodass auch einem Versuch vergleichbare Handlungen unter den Tatbestand – wenn auch unter im Einzelnen strittigen Voraussetzungen147 – zu subsumieren sein könnten. Bei § 89c – wie auch bei § 89a Abs. 2 (vgl. dort Rdn. 7) – handelt es sich um ein unechtes 40 Unternehmensdelikt. Strafbar ist bereits das auf einen bestimmten Erfolg, nämlich die Begehung einer Katalogtat nach Absatz 1 Satz 1, gerichtet Handeln des Täters, unabhängig davon ob dieser Erfolg tatsächlich eintritt.148 Dies bedeutet jedoch nicht, dass schon aus diesem Grund alle materiell als Versuchshandlungen zu wertenden Tätigkeiten von der Norm erfasst werden, selbst wenn dies von internationalen Vorgaben gefordert werden sollte. Eine entsprechende Auslegung des nationalen Rechts kann vielmehr nur in Betracht kommen, wenn sie sich im Rahmen des Wortsinns der Gesetzesfassung bewegt, und weder Gesetzesbegründung noch Gesetzessystematik ihr widersprechen. Sowohl die Tathandlung des Sammelns als auch die Tathandlung des Zurverfügungstellens lassen sich jedoch in einer Weise interpretieren, dass sie nicht nur tatsächliche Vermögenstransfers, sondern auch Vorstufen hierzu erfassen. Dass der Vermögenswert sein Ziel bereits erreicht haben muss, ist bei isolierter Betrachtung des Wortlauts nicht zwingend. Die Tathandlung kann vielmehr auch bereits in dem Transfer des Vermögenswerts aus dem Herrschaftsbereich des Täters an einen Ort gesehen werden, an dem für den Empfänger oder eine von ihm beauftragte Person die Möglichkeit der Gewahrsamsbegründung gegeben ist.149 Auch der Begriff des Sammelns muss nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht in einem Sinne verstanden werden, dass er nur dann erfüllt ist, wenn tatsächlich ein Spender einen Vermögenswert an den Täter übergeben hat.150 Sammeln kann vielmehr auch umschrieben werden als „nach etwas suchen und das Gefundene zu einer größeren Menge zu vereinigen, um es zu verbrauchen oder zu verwerten“ oder als Bitte an verschiedene Personen, 39

144 BGHSt 16 15 18 unter Hinweis auf BGHSt 15 161, 164; BGHSt 15 167, 176. 145 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 599; Haverkamp FS Schöch 381, 394; Herzog/El-Ghazi Rdn. 22; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Sieber/Vogel S. 77; Zöller SK Rdn. 14; aA Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 8. 146 Herzog/El-Ghazi Rdn. 24; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Sieber/Vogel S. 158. 147 Vgl. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 16 (Möglichkeit der Gewahrsamserlangung ausreichend); enger Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8 (Gewahrsambegründung durch einen Mittelsmann im Lager des Täters erforderlich). 148 Vgl. Stein/Deiters SK § 11 Rdn. 85; Sowada GA 1988 195, 199; Wolters Das Unternehmensdelikt (2001) S. 298. 149 Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 16. 150 Herzog/El-Ghazi Rdn. 22; aA Sieber/Vogel S. 77. Engelstätter

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IV. Rechtsgut und Deliktsnatur

StGB § 89c

„etwas zu geben oder zu spenden, um so eine größere Menge davon zusammenzubekommen“.151 Sowohl Art. 2 Abs. 4 des FTC und Art. 11 Abs. 1 i. V. m. Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie (EU) 2017/541 streiten für ein derartiges Verständnis des Wortlauts der Norm. Weder der dokumentierte Wille des Gesetzgebers noch die Gesetzessystematik des § 89c 41 stehen einer derartigen Sichtweise entgegen. Die Gesetzesmaterialien zu § 89c setzen sich zwar mit dem durch dasselbe Gesetz eingeführten echten Unternehmensdelikt des § 89a Abs. 2a auseinander, verweisen hinsichtlich der Tathandlungen des § 89c jedoch pauschal auf die Vorgängervorschrift, deren Tathandlungen mit denen des § 89c identisch seien.152 In den Materialien zu § 89a Abs. 2 Nr. 4 a. F. werden die Tathandlungen jedoch ebenfalls nicht näher definiert, sondern vielmehr der Schwerpunkt auf den Begriff der Erheblichkeitsschwelle und des Vermögenswerts gelegt.153 Auch aus der Gesetzessystematik ergeben sich letztlich keine Gesichtspunkte, die einem erweiterten Begriffsverständnis der Tathandlungen des Sammelns und des Zurverfügungstellens widersprechen. Zwar hat der Gesetzgeber, obwohl dies im Zusammenhang mit der Verabschiedung des GVVGÄndG diskutiert wurde,154 davon abgesehen, § 89c wie § 89a Abs. 2a als echtes Unternehmensdelikt auszugestalten oder gar den Versuch einzelner Tathandlungen gesondert unter Strafe zu stellen. Er hat allerdings in § 89c Abs. 7 Regelungen über die tätige Reue normiert, die nahelegen, dass nicht nur bei § 89a, sondern auch bei § 89c grundsätzlich von einem frühzeitigen Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung auszugehen ist. Auch mit den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des § 89c, insbesondere dem 42 Tat- und Schuldprinzip, ließe sich ein erweitertes Verständnis der Tathandlungen des Sammelns und des Zurverfügungstellens noch in Einklang bringen. Auch in erfolglosen Sammelaufrufen manifestiert sich die rechtsstaatsfeindliche Gesinnung des Täters. Dies kann, wenn auch nur in einem engen Rahmen, der nur die Spendenaufrufe als solche und in keinem Fall ihre Vorbereitung umfasst (Rdn. 75), auch die Bestrafung objektiv ungefährlicher Handlungen legitimieren. Die damit einhergehende Vorverlagerung der Strafbarkeit ließe sich durch die hohen subjektiven Anforderungen des Tatbestandes sowie durch die Regelungen über die tätige Reue in Absatz 7 kompensieren, zumal auch die Völkerrechts- und Europarechtsfreundlichkeit des GG für eine entsprechende Auslegung streitet (vgl. Rdn. 55). Auch die Tathandlung des Zurverfügungstellens ließe sich entsprechend begreifen. Allerdings wären auch hier zur Wahrung von Tatund Schuldprinzip weitere Einschränkungen erforderlich. Die bloße Absendung eines Vermögenswerts kann den Tatbestand daher noch nicht erfüllen. Tatbestandsmäßig können vielmehr nur Sendevorgänge sein, die zumindest zur abstrakten Möglichkeit der Gewahrsamsbegründung durch den Empfänger oder einen von ihm beauftragten Mittelsmann geführt haben (vgl. Rdn. 78).

IV. Rechtsgut und Deliktsnatur Bei § 89c handelt es sich wie bei § 89a, b nicht nur um eine terroristische Straftat (§ 89a Rdn. 11) 43 sondern auch um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das spezielle Vorbereitungshandlungen zu den in Absatz 1 Nr. 1 bis 8 der Norm genannten Katalogtaten erfasst.155 Absatz 1 der Norm regelt die Vorbereitung der Tat eines Anderen (sog. Fremdfinanzierung), Absatz 2 die Vorbereitung einer eigenen Tat (sog. Eigenfinanzierung). Beide Varianten erfordern im Bereich des subjektiven Tatbestandes über den auf den objektiven Tatbestand bezogenen Vorsatz hinausgehende Merkmale (überschießende Innentendenz). Während für die Vorbereitung einer fremden 151 Zu den möglichen Interpretationen nach allgemeinem Sprachgebrauch s. Duden – das Bedeutungswörterbuch (2018) S. 811. BTDrucks. 18/4087 S. 11. BTDrucks. 16/12428 S. 15. Sieber/Vogel S. 158. Paeffgen NK Rdn. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 1; Schäfer MK Rdn. 1; Zöller SK Rdn. 5.

152 153 154 155 257

Engelstätter

§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

Tat bereits das entsprechende Wissen genügen soll, muss bei der Vorbereitung einer eigenen Tat Absicht vorliegen. Der Versuch des § 89c ist von Gesetzes wegen nicht mit Strafe bedroht. Allerdings handelt 44 es sich bei der Vorschrift wie bei § 89a Abs. 2 (§ 89a Rdn. 9) um ein unechtes Unternehmensdelikt. Strafbar ist bereits das auf einen bestimmten Erfolg, nämlich die Begehung einer Katalogtat nach Absatz 1 Satz 1, gerichtete Handeln des Täters, unabhängig davon, ob dieser Erfolg tatsächlich eintritt.156 Aufgrund einer völker- wie unionrechtskonformen Auslegung (Rdn. 38) erfassen die Tathandlungen des Sammelns (Rdn. 75) und des Zurverfügungstellens (Rdn. 78) unter engen Voraussetzungen auch Versuchskonstellationen im materiellen Sinne. Dies gilt nicht für die Tathandlung der Entgegennahme (Rdn. 76), die anders als die beiden anderen Tathandlungen keinen internationalen Vorgaben unterliegt.157 45 Die Bestimmung der durch die Vorschrift geschützten Rechtsgüter ist wie bei § 89a umstritten. Während ein Teil der Literatur auf die durch die in Absatz 1 Satz 1 aufgezählten Katalogtaten geschützten Individualgüter abstellt,158 schützt § 89c wie § 89a den Bestand und die Sicherheit des Staates oder einer internationalen Organisation und damit mittelbar auch die hinter den jeweiligen Katalogtaten stehenden Rechtsgüter.159 Dies folgt aus der systematischen Stellung der Vorschrift im 1. Abschnitt des StGB in unmittelbarem Zusammenhang mit §§ 89a, b, aber auch aus dem Katalogtatbestand des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 8 (Finanzierung einer terroristisch motivierten Ausreise) und – vor allem – aus der terroristischen Zwecksetzung der finanzierten Tat gem. Absatz 1 Satz 2, die nicht auf die durch die finanzierte Tat verletzten Individualgüter abstellt, sondern auf die mit ihr verbundenen Einschüchterungs- oder Bedrohungseffekte innerhalb der Bevölkerung. Vage Begrifflichkeiten wie die gesamte öffentliche Sicherheit oder der öffentliche Frieden160 werden von der Norm nicht erfasst (vgl. § 89a Rdn. 14).

V. Verfassungsrechtliche Vorgaben 46 Für die Verfassungsmäßigkeit von § 89c stellen sich im Grundsatz dieselben Fragen wie für § 89a (vgl. hierzu § 89a Rdn. 35). Die Norm steht als Vorbereitungsdelikt im Spannungsfeld zu Tatund Schuldprinzip und dem Verbot des Gesinnungsstrafrechts. Sie führt in vielen Fällen zur Strafbarkeit der nach der Grundsystematik des deutschen Strafrechts straflosen Beihilfe i. S. v. § 27 zu einer nicht verwirklichten Haupttat.161 Im Verhältnis zu § 89a kann § 89c noch weiter im Vorfeld der ins Auge gefassten Rechtsgutverletzung liegende Handlungen erfassen, die in den meisten Fällen als objektiv neutral zu bewerten sind und selbst noch keine Rechtsgutgefährdung begründen. Diese entsteht vielmehr erst durch die durch den Täter verfolgten Absichten. Wie § 89a ist auch § 89c Teil eines dem Gedanken der Prävention verpflichteten Strafrechts. Soweit Absatz 3 der Norm entsprechend seinem Vorbild des § 89a Abs. 3 zudem die deutsche Strafgewalt über das deutsche Staatsgebiet hinaus ausweitet, stellt sich auch für § 89c die Frage seiner völkerrechtlichen Zulässigkeit. (vgl. § 89a Rdn. 69). Schließlich kann § 89c aufgrund der Verlagerung des Merkmals der terroristischen Gewalttat in den subjektiven Tatbestand (Rdn. 83), vor allem aber aufgrund der weiten Auslegung des Begriffs des Vermögenswerts im Einzelfall die Tatbestandsvoraussetzungen des § 89a unterlaufen (Rdn. 79).

156 Vgl. Stein/Deiters SK § 11 Rdn. 85; Sowada GA 1988 195, 199; Wolters Das Unternehmensdelikt (2001) S. 298. 157 Sieber/Vogel S. 163. 158 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Puschke S. 424; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; vgl. auch Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 387; Sieber NStZ 2009 353; 361 (jew. zur Vorgängerregelung); allg. kritisch zur Bestimmung des Rechtsguts auch Zöller SK Rdn. 6: Die Vorschrift schützt „alles – und damit im Endeffekt eigentlich nichts“. 159 Herzog/El-Ghazi Rdn. 9; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 1; Schäfer MK Rdn. 2. 160 Vgl. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 1. 161 Herzog/El-Ghazi Rdn. 3; Paeffgen NK Rdn. 10. Engelstätter

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89c

1. Meinungsstand in der Literatur Vor diesem Hintergrund werden in der Literatur erhebliche Bedenken gegen § 89c erhoben, die 47 letztlich zur Verfassungswidrigkeit des Tatbestandes führen sollen. Die Vorschrift wird von Teilen der Literatur wie § 89a als Türöffner zu schweren strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen und damit letztlich als symbolisches Strafrecht kritisiert.162 Tatsächlich kann § 89c einen Einstiegstatbestand für Verfahren bilden, die später zu einer Anklage nach § 129a StGB führen.163 Dies ist aus grundgesetzlicher Sicht jedoch nicht per se unzulässig (89a Rdn. 35).164 Erforderlich ist vielmehr positive Feststellung eines Verstoßes gegen Verfassungsgrundsätze. Wie bei § 89a wird insoweit zunächst die Bestimmtheit der Norm in Zweifel gezogen. § 89c kriminalisiere neutrale Verhaltensweisen, ohne das tatbestandliche Handlungsunrecht näher zu umschreiben.165 Diese seien letztlich dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen, mit der Folge, dass ihre Pönalisierung jedenfalls als unangemessen zu bewerten sein soll.166 Darüber hinaus wird auch die Eignung der Norm in Zweifel gezogen, überhaupt einen Beitrag zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung leisten zu können. Moderne Terroristen würden sich nicht nur aus Geldspenden oder -sammlungen finanzieren, sondern auch durch allgemein kriminelle Delikte wie Drogenschmuggel, Raubüberfälle oder Entführungen. Hinzukämen auch quasi legale Handlungen, wie die Erhebung von Zöllen oder der Handel mit Erdöl.167 Auch gegen den Strafrahmen des § 89c werden Bedenken erhoben.168 Dies betrifft vor allem den Wegfall der noch in der Vorgängerregelung normierten Erheblichkeitsschwelle.169 § 89c sieht selbst einen Strafrahmen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren vor. Zumindest ein Teil der in dem Katalog von Absatz 1 Satz 1 aufgeführten Katalogtaten, insbesondere §§ 89a Abs. 2a, 224 aber auch §§ 303b, 305, 305a weisen jedoch allenfalls einen mittelschweren Unrechtsgehalt auf oder sind selbst wiederum nur als Weiteres Vorbereitungsdelikt zu werten.170 Demgegenüber geht ein anderer Teil der Literatur von der Verfassungsmäßigkeit des Tatbe- 48 standes aus,171 auch wenn z. T. ergänzende verfassungskonforme Reduktionen gefordert werden. So wird für Fallkonstellationen der Fremdvorbereitung nach § 89c Abs. 1 vorgeschlagen, den objektiven Tatbestand der Norm dahingehend zu erweitern, dass die Person, der der Täter die Vermögenswerte zur Verfügung stellen will, nicht nur tatsächlich existieren, sondern auch objektiv den Vorsatz haben muss, die von dem Täter gesammelten Werte für eine Katalogtat nach Absatz 1 Satz 1 verwenden zu wollen.172 Auf diese Weise sollen objektiv ungefährliche Handlungen vergleichbar einem untauglichen Versuch aus dem Tatbestand herausgenommen werden, was sich nicht nur mit dem Gesetzeswortlaut („verwendet werden sollen“), sondern auch mit der Straflosigkeit des Versuchs einer Tat nach § 89c begründen lassen soll. Erwogen wird zudem, die Tathandlung des „Sammelns“ als ein interaktives erfolgsbezogenes Verhalten des Täters zu interpretieren, bei dem ein Dritter einer Aufforderung, Vermögenswerte zur Verfügung zu stellen, nachkommt. Nicht erfasst werden soll auf diese Weise das „Ansammeln“ von Vermögenswerten, insbesondere auf legaler Grundlage in Form von Gehalts- oder Rentenzahlungen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt für die Begehung einer Katalogtat umgewidmet 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171

Gazeas AnwK Rdn. 2; Herzog/El-Ghazi Rdn. 13; Paeffgen NK Rdn. 5; Zöller SK Rdn. 4; ders. GA 2020 249, 255. Bundesministerium der Finanzen Nationale Risikoanalyse S. 23. Hofmann ZG 2019 193, 196. Puschke StV 2015 457, 463; AA Haverkamp FS Schöch 381, 394 (zur Vorgängerregelung des § 89a Abs. 2 Nr. 4). Puschke KriPoZ 2018 101, 104. Zöller SK Rdn. 4; ders. GA 2016 91, 106. Haverkamp FS Schöch 381, 395; Zöller SK Rdn. 21. Gazeas AnwK Rdn. 2; Herzog/El-Ghazi Rdn. 6; Paeffgen NK Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 4. Gazeas AnwK Rdn. 2; Puschke KriPoZ 2018 101, 107; ders. S. 425; Zöller GA 2016 91, 105. Herzog/El-Ghazi Rdn. 12; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Schäfer MK Rdn. 1; Sieber/Vogel S. 185 ff. 172 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 11; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; aA Herzog/El-Ghazi Rdn. 34; Sieber/ Vogel S. 166. 259

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§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

werden.173 Auch wird vorgeschlagen, die Tathandlungen der Entgegennahme und des Zurverfügungstellens auf unentgeltliche Weitergaben zu beschränken.174 Soweit der Katalog vom Absatz 1 Satz 1 auch die Finanzierung von Delikten erfasst, die noch keine Rechtsgutverletzung beinhalten, sondern vielmehr als Vorbereitungstatbestände einzuordnen sind,175 wird in Erwägung gezogen, dass der Täter in diesen Fällen auch die Absicht aufweisen muss, dass die durch diese Delikte vorbereitete Gewalttat auch tatsächlich begangen wird.176

2. Lösungsansätze in der Rechtsprechung 49 Die Rechtsprechung hat sich zu diesen Fragen noch nicht abschließend positioniert. § 89c hat in der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH bislang lediglich i. R. v. zwei Haftentscheidungen gem. §§ 121, 122 StPO und einer Haftprüfungsentscheidung während laufender Hauptverhandlung eine Rolle gespielt. In allen drei Entscheidungen hat der BGH den Tatbestand angewendet, ohne die Verfassungsmäßigkeit der Norm gesondert zu erörtern.177 Dies kann als vorsichtiges Indiz dafür gewertet werden, dass die Norm zumindest keinen grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich ihrer Verfassungswidrigkeit begegnet. Schwerpunkt der Ausführungen zu § 89c StGB in den Haftentscheidungen war jeweils die Frage, ob die Norm im konkreten Einzelfall im Vergleich zur Vorgängerregelung des § 89a Abs. 2 Nr. 4 als milderes Gesetz i. S. d. § 2 Abs. 3 zu bewerten ist (Rdn. 115). Konkret hat der BGH die Sammlung und Weitergabe von Geldern oder Gegenständen wie z. B. Tarnfleckshirts, SIM-Karten oder Windjacken, in der Absicht, sie Mitgliedern jihadistischer Gruppierungen in Syrien zur Begehung von Katalogtaten zur Verfügung zu stellen, unter den Tatbestand des § 89c Abs. 1 Nr. 1 subsumiert.178 In der Entscheidung hat der Senat auch zu erkennen gegeben, dass er zumindest in diesem Fall von einem weiten Begriff des Sammelns ausgegangen ist, der nicht nur das Einsammeln, sondern auch das Ansammeln von Vermögenswerten erfasst.179

3. Bewertung und Konsequenzen 50 Unter Berücksichtigung der Rechtsentwicklung auf völker- wie unionsrechtlicher Ebene sowie der bereits zu § 89a ergangenen Rechtsprechung des BGH (§ 89a Rdn. 56) bestehen an der Verfassungsmäßigkeit von § 89c jedoch keine grundsätzlichen Zweifel.

51 a) Bestimmtheitsgebot. Zwar hat der Gesetzgeber in § 89c eine erhebliche Anzahl unbestimmter Rechtsbegriffe verwendet. Dies ist jedoch nicht zu beanstanden, solange sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden, z. B. durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung gewinnen lässt.180 Diese Anfor-

173 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 599; Haverkamp FS Schöch 381, 394; Herzog/El-Ghazi Rdn. 21; Paeffgen NK Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Sieber/Vogel S. 77; Zöller SK Rdn. 14; aA BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 42; Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 11; Schäfer MK Rdn. 8. 174 Herzog/El-Ghazi Rdn. 26. 175 Z. B. § 89c Abs. 1 S. 1 Nr. 7 (Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens gem. § 310) sowie § 89c Abs. 1 S. 1 Nr. 8 (terroristisch motivierte Ausreise gem. § 89a Abs. 2a). 176 Puschke S. 426; krit auch Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 16; Zöller SK Rdn. 8. 177 BGH BeckRS 2017 100833 Rdn. 26; BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 33; BGH BeckRS 2019 14496 Rdn. 38 ff. 178 BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 33; BGH BeckRS 2019 14496 Rdn. 38. 179 BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 42. 180 BVerfGE 45 363, 371; BVerfGE 86 288, 311; BVerfGE 129 208, 255; BVerfGE 131 268, 307; BVerfGE 143 38, 55. Engelstätter

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89c

derungen erfüllt § 89c. Alle in der Norm verwendeten Begriffe sind der Auslegung und damit einer hinreichenden Konkretisierung für den Rechtsanwender zugänglich. Für die inhaltliche Konkretisierung der terroristischen Zwecksetzung in Absatz 1 Satz 2 kann zudem auf den Stand der Rechtswissenschaft zu § 129a Abs. 2 zurückgegriffen werden.181

b) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist im 52 Ergebnis gewahrt.

aa) Legitime Zielsetzung. Dass die Norm mit der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung 53 ein legitimes Ziel verfolgt, steht außer Frage. Dies gilt auch für die Kriminalisierung der Finanzierung einer „terroristisch motivierten Ausreise“ gem. Absatz 1 Satz 1 Nr. 8, die wie die anderen Katalogtaten eine Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt (hierzu § 89a Rdn. 126). Im Übrigen kann die Geeignetheit der Norm nicht mit dem Argument in Zweifel gezogen werden, dass moderne Terroristen sich nicht mehr nur durch Geldsammlungen, sondern auch durch allgemein kriminelle Handlungen oder sogar quasi legale Tätigkeiten finanzieren (Rdn. 3). Zwar sind einige jihadistische Gruppierungen wie der IS, Al-Qaida oder Al-Shabab, die eigene Gebiete kontrollieren oder in der Vergangenheit kontrolliert haben, nicht in dem Maße auf Geldsammlungen von Sympathisanten oder Unterstützern angewiesen, wie eine im Untergrund agierende Gruppierung oder gar ein organisationsungebundener Einzeltäter.182 Doch auch für Angehörige dieser Vereinigungen werden Gelder gesammelt, die sodann auf verschiedenen Wegen ins jeweilige Kampfgebiet transferiert werden. Dies gilt insbesondere für Transfers von Angehörigen, Freunden oder Bekannten sog. „foreign fighters“.183 Vor diesem Hintergrund ist es nach den Maßstäben des GG nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber im Rahmen seiner ihm von der Verfassung eingeräumten Einschätzungsprärogative184 das bereits bestehende Sanktionssystem um einen weiteren Straftatbestand ergänzt, selbst wenn der Anwendungsbereich der Vorschrift in der Rechtspraxis überschaubar sein sollte.

bb) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Die weiteren im Rahmen der Verhältnismäßig- 54 keit aufgeworfenen Fragen lassen sich mit den zu § 89a durch Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft erarbeiteten Grundsätzen (vgl. § 89a Rdn. 44 ff.) einer Lösung zuführen, auch wenn nicht zu verkennen ist, dass § 89c die Schwelle der Strafbarkeit z. T. noch weiter ins Vorfeld der ins Auge gefassten Rechtsgutverletzung verlagert, als dies bei den Tathandlungen des § 89a ohnehin schon der Fall ist.185 § 89c ist jedoch noch stärker als § 89a als Umsetzung völker- wie unionsrechtlicher Vor- 55 gaben anzusehen, die den deutschen Gesetzgeber nicht nur verpflichten, die bestehende Regelungen beizubehalten,186 sondern ihn z. T. sogar noch zu weitergehenden Maßnahmen auffordern, als in dem Tatbestand derzeit normiert sind (Rdn. 34). Zu berücksichtigen sind insoweit Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung (FTC) (Rdn. 20), auf den die Schaffung der Katalogtatbestände von Absatz 1 Nr. 1 bis 7 einschließlich 181 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 13; vgl. auch Schäfer MK Rdn. 16; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6. 182 Sieber/Vogel S. 156; Zöller SK Rdn. 4; ders. GA 2016 91, 106. 183 Sieber/Vogel S. 156; vgl. hierzu die der Entscheidung BGH BeckRS 2019 5425 zugrundeliegende Fallkonstellation (Abhebung von Sozialhilfeleistungen eines nach Syrien ausgereisten Kämpfers durch einen Bekannten und Transfer der Gelder ins Kampfgebiet). 184 BVerfGE 90 145, 173; BVerfGE 120 224, 240; BGHSt 59 218, 227; Kauffmann S. 182; krit. Brodowski/Jahn ZStW 129 (2017) 363, 372; Gärditz JZ 2016 641 ff. 185 Herzog/El-Ghazi Rdn. 13; Schäfer MK Rdn. 12. 186 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; vgl. auch Engelstätter GSZ 2019 95, 97. 261

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§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

der Aufnahme der Körperverletzungsdelikte zurückzuführen ist,187 sowie Art. 11 der Terrorismusrichtlinie (EU) 2017/541, der die Rechtsgedanken des FTC in das Unionsrecht überträgt (Rdn. 31). Indem § 89c in der Rechtspraxis auch die Beschaffung von körperlichen Gegenständen wie Messern oder Armbrüsten erfasst (Rdn. 73),188 ergänzt die Vorschrift überdies die im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 lit. f) der Richtlinie lückenhafte Regelung des § 89a Abs. 2 Nr. 2, die nur für Feuerwaffen gilt (§ 89a Rdn. 105). Soweit Absatz 1 Satz 1 Nr. 8 die Finanzierung terroristisch motivierter Ausreisen kriminalisiert, lässt sich dies zusätzlich auf Ziffer 6 lit. b) der Sicherheitsratsresolution 2178 (2014) (Rdn. 26) und Art. 5 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus (Rdn. 32) stützen. Eine Nichtbeachtung dieser Vorgaben durch den deutschen Gesetzgeber käme nur in Betracht, soweit sie die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG tangieren sollten. Dies wäre jedoch nur denkbar, wenn keine andere Auslegung in Betracht käme, die sowohl die verfassungsrechtlichen wie auch die völkerrechtlichen Vorgaben gleichermaßen berücksichtigt (vgl. § 89a Rdn. 62).189 Dass § 89c in allen denkbaren Auslegungen gegen das GG verstößt, ist nicht ersichtlich. Zwar 56 sind sämtliche von der Vorschrift kriminalisierten Verhaltensweisen als objektiv neutral zu werten, da sich die in ihnen liegende Rechtsgutgefährdung erst zusammen mit den subjektiven Vorstellungen des Täters ergibt. Jedoch ist Tatbeständen, die wie § 89c der effektiven Bekämpfung von Straftaten mit dem Gepräge des Terrorismus und damit dem Schutz der demokratischen und freiheitlichen Ordnung dienen, aus dem Blickwinkel des GG ein hohes Gewicht beizumessen.190 Allerdings sind abstrakte Gefährdungsdelikte verfassungsrechtlich nur unbedenklich,191 soweit sie ein ausreichendes Maß an Unrecht sanktionieren. Hierfür muss sich die kriminalisierte Handlung nach außen manifestieren und eine aktuelle Rechtsgutgefährdung darstellen.192 Soweit das durch den Täter in objektiver Hinsicht verwirklichte Unrecht als niederschwellig anzusetzen ist, ist regelmäßig ein Ausgleich durch qualifizierte Vorsatzanforderungen erforderlich, um die verfassungsrechtliche Balance zwischen dem Verbot eines Gesinnungsstrafrechts, den Vorstellungen des Gesetzgebers und dem Gebot der effektiven Bekämpfung terroristischer Straftaten zu wahren.193 Für die durch § 89c kriminalisierten Handlungen bedeutet dies, dass sie mit Absicht i. S. e. dolus directus 1. Grades begangen werden müssen.194 Handlungen, die lediglich mit dolus eventualis begangen werden, können den Tatbestand in keinem Fall erfüllen.195 Absicht i. S. d. Tatbestandes kann auch nicht als begleitende Zweckvorstellung des Täters i. S. e. Willens begriffen werden, dass die von ihm erbrachte Finanzierungsleistung in seinem Sinne eingesetzt wird.196 Geringere Anforderungen kommen nur im Fall der Finanzierung einer fremden Tat in Betracht, da der Täter in diesem Fall die durch die Weitergabe seiner Mittel an den Zuwendungsempfänger begründete Rechtsgutgefährdung nicht mehr kontrollieren kann. Eine Vorsatzform unterhalb der Schwelle eines sicheren Wissens i. S. e. dolus directus 2. Grades ist jedoch auch in dieser Konstellation verfassungsrechtlich nicht möglich.197 187 188 189 190 191

BTDrucks. 18/4087 S. 11. Vgl. BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 44; Biehl JR 2018 317, 320; Fischer Rdn. 3; Herzog /El-Ghazi Rdn. 19. Vgl. BVerfGE 126 286, 302; BVerfGE 129 78, 100; BVerfGE 134 366, 384; BVerfG NJW 2016 1150, 1152. BVerfGE 49 24, 56; BVerfGE 115 320, 357; BVerfGE 133 277, 333; BVerfGE 141 220, 267; BGHSt 62 102, 113. BGHSt 59 218, 230; Burchard GS Vogel 27, 31; Frisch FS Fischer 315, 317; Hassemer StV 2006 321, 331; Heinrich ZStW 121 (2009) 95,112; Haverkamp FS Schöch 381, 384; Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 387; Schäfer MK Rdn. 6; krit. Becker Kriminalistik 2010 568, 569; Landau ZStW 121 (2009) 965, 966. 192 Griesbaum/Wallenta NStZ 2013 369, 371; Sieber NStZ 2009 353, 356; Weißer ZStW 121 (2009) 131, 161. 193 BGHSt 59 218, 239; BGHSt 62 102, 113; Aliabasi S. 294; Kauffmann S. 237; Sieber NStZ 2009 353, 360; Sieber/ Vogel S. 151. 194 Herzog/El-Ghazi Rdn. 30; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 13; Schäfer Rdn. 15; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Zöller SK Rdn. 19. 195 Sieber/Vogel S. 165. 196 Biehl JR 2015 561, 563; Ders. JR 2018 317, 318. 197 Herzog/El-Ghazi Rdn. 30; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 13; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Zöller SK Rdn. 19; aA Schäfer Rdn. 15: nur dolus directus 1. Grades ausreichend. Engelstätter

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89c

Diesem Maßstab, der im Wesentlichen den Leitlinien des BGH zur Verfassungsmäßigkeit 57 von § 89a (§ 89a Rdn. 56) entspricht, wird § 89c gerecht. Der Gesetzgeber hat sich bei der Ausgestaltung der Vorschrift an der Leitentscheidung des BGH vom 8.5.2014 (BGHSt 59, 218) orientiert und verlangt aufgrund der Neutralität der Tathandlungen des objektiven Tatbestandes für die Tatvariante der Fremdfinanzierung Absicht oder sicheres Wissen, dass die tatgegenständlichen Vermögenswerte für die in der Norm enthaltenen Katalogtaten verwendet werden.198 Will der Täter die ins Auge gefasste Rechtsgutverletzung selbst begehen, ist die Finanzierung nur bei direktem Vorsatz strafbar. Der BGH hat diese Grundsätze für § 89a mittlerweile zu einer gefestigten Rechtsprechung ausgebaut199 und hierbei in seiner Entscheidung zur terroristisch motivierten Ausreise gem. § 89a Abs. 2a auch eine dem Tatbestand des § 89c vergleichbare Gesetzestechnik gebilligt.200 Demgemäß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der BGH, der die Norm bereits in zwei Haftentscheidungen sowie in einer Haftprüfungsentscheidung während laufender Hauptverhandlung angewendet hat, noch grundsätzliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Norm erheben wird, zum derzeitigen Zeitpunkt zurückhaltend zu beurteilen.201

cc) Strafrahmen. Die Ausgestaltung der Rechtsfolgenseite hält sich im Ergebnis ebenfalls inner- 58 halb des grundgesetzlichen Rahmens. Die internationalen Vorgaben enthalten hierzu keine genauen Regelungen, verzichten insbesondere auf die Festlegung konkreter Regelstrafrahmen. Ziffer 2 lit. e) der Sicherheitsratsresolution 1373 (2001), fordert von den Mitgliedstaaten nur, die Terrorismusfinanzierung als „schwere Straftat“ zu klassifizieren. Demgemäß hat der Gesetzgeber den Regelstrafrahmen für Taten nach Absatz 1 und 2 mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verhältnismäßig hoch angesetzt. Aus verfassungsrechtlichem Blickwinkel wirft dies Fragen auf, soweit die finanzierte Tat selbst nur als Vorbereitungsdelikt zu qualifizieren ist oder nur einen mittelschweren Unrechtsgehalt aufweist.202 Dies gilt insbesondere, soweit der Gesetzgeber im Falle der Finanzierung einer gefährlichen Körperverletzung gem. § 224 oder einer terroristisch motivierten Ausreise gem. § 89a Abs. 2a für das Vorbereitungsdelikt denselben Strafrahmen vorsieht, wie für die finanzierte Tat. Dass der Strafrahmen von § 89c in allen denkbaren Fällen unangemessen wäre, lässt sich angesichts der geschützten Rechtsgüter sowie des möglichen Gewichts der durch den Täter finanzierten Gewalttat jedoch nicht feststellen. Der Gesetzgeber hat in den Absätzen 5 bis 7 der Norm zudem verschiedene Möglichkeiten geschaffen, die dem Tatrichter zusätzlich zu den prozessualen Möglichkeiten gem. § 153a StPO weiteren Spielraum eröffnen, eine tat- und schuldangemessene Strafe zu finden. Soweit z. B. im Vergleich zur Vorgängerregelung des § 89a Abs. 2 Nr. 4 die Erheblichkeitsschwelle als Reaktion auf die internationalen Vorgaben entfallen ist, wird dies durch die Aufnahme eines minder schweren Falles in Absatz 5 kompensiert, für den zwingend ein Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren gilt (Rdn. 104).203 Absatz 6 der Norm eröffnet dem Rechtsanwender zudem die Möglichkeit, in Fällen geringer Schuld die Strafe gem. § 49 Abs. 1 zu mildern oder gänzlich von Strafe abzusehen. Der frühzeitigen Vollendung des Tatbestandes wirkt schließlich Absatz 7 entgegen, der vergleichbar der Regelung in § 89a Abs. 7 Voraussetzungen der tätigen Reue normiert (Rdn. 105).

198 BTDrucks. 18/4087 S. 12. 199 BGHSt 61 36, 39; BGH NStZ 2018 89; BGH NStZ-RR 2018 42; BGH BeckRS 2017 122780 Rdn. 18; BGH BeckRS 2017 133051 Rdn. 21; BGH BeckRS 2019 6133 Rdn. 11.

200 BGHSt 62 102, 113. 201 Herzog/El-Ghazi Rdn. 12. 202 Paeffgen NK Rdn. 10; Puschke KriPoZ 2018 101, 107; ders. S. 425; Zöller GA 2016 91, 105; vgl. zu dieser Problematik auch Paul FS Graulich 135, 150 am Beispiel des § 89a Abs. 2a.

203 BTDrucks. 18/4087 S. 12; vgl. hierzu auch Sieber/Vogel S. 182 f. 263

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Terrorismusfinanzierung

59 dd) Restriktive Auslegungen. Die grundsätzliche Vereinbarkeit der Norm mit dem GG schließt nicht aus, sie im Einzelfall gleichwohl einschränkend auszulegen, um die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Tat- und Schuldgrundsatzes zu respektieren.

60 (1) Alltagsgeschäfte. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll § 89c nicht auf Alltagsgeschäfte anwendbar sein, die auf einer Rechtspflicht beruhen. Demgemäß gilt der Tatbestand nicht für Gehalts- oder Rentenzahlungen,204 die Leistung und Entgegennahme von Sozialleistungen, alltägliche Schenkungen sowie die Abwicklung von Kaufverträgen, deren Erträge häufig erst zu einem späteren Zeitpunkt für terroristische Zwecke umgewidmet werden.205 Die Rechtspflicht zur Zahlung – so die Gesetzesbegründung – bestehe in diesen Fällen unabhängig von der Verwendungsabsicht des Täters für eine terroristische Straftat; die rechtlich geschuldete Zahlung sei nicht freiwillig und müsste sowieso erfolgen, sodass weder dem Zuwendenden die Erfüllung der Verpflichtung noch dem Entgegennehmenden die Geltendmachung des Anspruchs vorzuwerfen sei.206 Dies steht zwar im Spannungsfeld zum Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (FTC), das insbesondere die in Erfüllung einer Kaufpreisschuld ausgetauschten Vermögenswerte vorrangig unter dem Gesichtspunkt des Transfers von Wirtschaftsgütern und erst in zweiter Linie unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung einer Rechtspflicht bewertet.207 Gleichwohl führt die Zurückhaltung des nationalen Gesetzgebers zur grundsätzlichen Straflosigkeit der Tathandlungen der Entgegennahme und des Zurverfügungstellens als typische Realakte im Rahmen der Erfüllung synallagmatischer Verpflichtungen. Auch die Tathandlung des Sammelns ist entsprechend auszulegen. Dies darf allerdings nicht dahingehend missverstanden werden, dass auf diese Weise alle 61 zivilrechtlich wirksamen Rechtsgeschäfte vom Anwendungsbereich des § 89c ausgenommen sind und nur die Weitergabe rechtlich nicht geschützter Vermögenswerte dem Tatbestand unterfällt, die selbst aus Straftaten oder zumindest gesetzlich verbotenen Rechtsgeschäften stammen. Auch eine Beschränkung von § 89c auf unentgeltliche Weitergaben von Vermögenswerten ist verfassungsrechtlich nicht geboten.208 Entsprechende Überlegungen würden dem Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus widersprechen, nach dem die rechtliche Einordnung der für die Finanzierung des Terrorismus verwendeten Mittel gerade kein Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit der Terrorismusfinanzierung sein darf (Rdn. 23).209 Auch Handlungen, denen zivilrechtlich Kaufverträge oder Schenkungen zugrunde liegen, können daher den Tatbestand erfüllen.210 Soweit dadurch im Einzelfall die Voraussetzungen der Tatbestände des § 89a Abs. 2 Nr. 2, 3 unterlaufen werden (Rdn. 79), ist dies eine Frage des Verhältnisses der Normen zueinander und keine Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 89c (Rdn. 114). Die Grenze eines Alltagsgeschäfts ist überschritten, soweit das fragliche Rechtsgeschäft un62 mittelbar der Begehung einer Katalogtat nach § 89c Abs. 1 Satz 1 dient. Dies ist insbesondere der Fall, soweit es um die Beschaffung von Tatmitteln für die finanzierte Tat geht, die ihrerseits einen Vermögenswert i. S. d. § 89c darstellen. Verkauft z. B. jemand seinen PKW, um den Kaufpreis zur Bezahlung seiner Reise in ein Konfliktgebiet einzusetzen, in dem er sich einer terroristischen Vereinigung anschließen will, so ist die Entgegennahme des Kaufpreises nach Sinn und Zweck der Norm ebenso wenig ein Alltagsgeschäft, wie die rechtlich für sich genommene verwaltungs- oder zivilrechtlich zulässige Entgegennahme von Tatmitteln z. B. in Form einer 204 205 206 207 208 209 210

Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 11; Sieber/Vogel S. 163; Zöller SK Rdn. 15. Herzog/El-Ghazi Rdn. 27; Sieber/Vogel S. 163. BTDrucks. 18/4087 S. 12. Sieber/Vogel S. 23. AA Herzog/El-Ghazi Rdn. 26. Sieber/Vogel S. 22 f. Biehl JR 2018 317, 320; aA Herzog/El-Ghazi Rdn. 26.

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89c

Schusswaffe, eines Messers einer Axt oder von Chemikalien, die der Täter zur Begehung einer Katalogtat nach § 89c Abs. 1 Satz 1 einsetzen will.211 Dies gilt auch für den käuflichen Erwerb von Gegenständen, z. B. SIM-Karten, Windjacken oder Tarnkleidung, die zwar keine unmittelbaren Tatmittel sind, aber bei der Begehung einer Katalogtat nach § 89c Abs. 1 Satz 1 verwendet werden sollen.212 In der Rechtspraxis wird die Abgrenzung zwischen unbedenklichen Alltagsgeschäften und strafbaren Aktivitäten der Terrorismusfinanzierung häufig nur nach einer Gesamtschau im Einzelfall vorgenommen werden können. Hierbei kann auf die für die Beschaffung von Alltagsgegenständen i. R. v. § 89a Abs. 2 Nr. 3 entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden (§ 89a Rdn. 123).

(2) Ansammeln und Einsammeln. Angesichts des bereits durch den Gesetzgeber vorgenom- 63 menen Ausschlusses von Alltagsgeschäften ist die von Teilen der Literatur vorgeschlagene Beschränkung der Tathandlung des Sammelns auf Fälle des „Einsammelns“, in denen ein interaktives, kommunikatives und erfolgsbezogenes Verhältnis zwischen Sammler und Spender besteht, nicht mehr erforderlich.213 Zwar ist die Strafbarkeit einer Ansammlung von Vermögenswerten nicht durch internationale Vorgaben determiniert (vgl. Rdn. 23) und damit allein an den Vorgaben des nationalen Verfassungsrechts zu messen.214 Beim Ansparen von Vermögenswerten wird es sich jedoch in den allermeisten Fällen um ein schon nach dem gesetzgeberischen Willen tatbestandsneutrales Alltagsgeschäft handeln.215 Unbeschadet dessen würde es aber auch an dem für eine Sammlung charakteristischen Vermögenszufluss (Rdn. 74) beim Täter fehlen, der in diesen Fällen regelmäßig schon vor der Tathandlung nach § 89c vollzogen und nicht erst durch diese erfolgt wäre.216

(3) Finanzierung von Vorbereitungshandlungen. Auch eine einschränkende Auslegung, 64 wonach die Finanzierung einer Vorbereitungshandlung gem. §§ 89a Abs. 2a, 310, 328 verfassungsrechtlich nur zulässig sein kann, wenn der Täter im Zeitpunkt der Finanzierungshandlung auch bereits die Absicht hat, dass die durch diese Taten vorbereitete Gewalttat tatsächlich begangen wird,217 ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Sie ließe sich mit den internationalen Vorgaben des § 89c nicht in Einklang bringen. Nach der Sicherheitsratsresolution 2178 (2014) muss sich der Vorsatz des Täters bei der Finanzierung einer terroristisch motivierten Ausreise zwar darauf beziehen, dass er selbst oder die von ihm unterstützte Person eine grenzüberschreitende Reise in terroristischer Absicht vornehmen soll. Diese muss aber nicht von dem Gedanken getragen sein, am Zielort eine terroristische Gewalttat zu begehen, sondern kann auch in der Absicht erfolgen, zunächst nur eine paramilitärische, terroristische Ausbildung zu absolvieren. Auf diese Weise soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Reisende zu Beginn seiner Ausreise regelmäßig noch keinen Kontakt zu einer terroristischen Gruppierung hat, sodass er noch keine konkreten Vorstellungen über die von ihm zu begehenden Gewalttaten haben wird.218 Dieser Gedanke liegt auch Art. 11 Abs. 1 der Terrorismusrichtlinie (EU) 2017/541 zu-

211 Vgl. Biehl JR 2018 317, 320. 212 Vgl. BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 41. 213 Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 8; vgl. BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 42; aA Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 599 Haverkamp FS Schöch 381, 394; Herzog/El-Ghazi Rdn. 21; Paeffgen NK Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Sieber/Vogel S. 77; Zöller SK Rdn. 14. 214 Sieber/Vogel S. 22. 215 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8. 216 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8. 217 Puschke S. 426. 218 Sieber/Vogel S. 33. 265

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Terrorismusfinanzierung

grunde, der nicht nur die Finanzierung terroristisch motivierter Ausreisen erfasst, sondern i. V. m. Art. 3 Abs. 1 lit. f) der Terrorismusrichtlinie (EU) 2017/541 auch den §§ 310, 328 vergleichbare Tathandlungen. Dass der Finanzierer hierbei absichtlich hinsichtlich einer letztlich durch ihn oder durch eine von ihm unterstützte Person geplante Gewalttat handeln muss, wird von der Richtlinie nicht verlangt. Ausreichend ist vielmehr der nach § 89c Abs. 1, 2 ohnehin schon qualifizierte Vorsatz bezüglich der finanzierten Handlung, sei es in Form der terroristisch motivierten Ausreise oder des Erwerbs von Sprengstoffen, biologischen oder chemischen Substanzen.

65 (4) Vermeintlich geplante Gewalttaten. Glaubt der Täter, einen Vermögenswert für eine Katalogtat des § 89c Abs. 1 für einen Dritten bereitzustellen, obwohl dieser gar keine Tat219 oder zumindest keine terroristische Tat begehen will, lässt dies den Tatbestand von § 89c im Gegensatz zum Tatbestand des § 89a (dort Rdn. 137) unberührt.220 Die Erweiterung des Tatbestandes um ein ungeschriebenes Merkmal der Existenz einer dritten Person, die fest entschlossen ist, eine Katalogtat nach § 89c Abs. 1 Satz 1 zu begehen,221 würde zu einer mit dem Wortlaut der Norm nicht zu vereinbarenden Privilegierung des Finanzierers einer fremden Tat im Vergleich zu einem Täter führen, der eine eigene terroristische Gewalttat vorbereitet. Zwar birgt eine derartige Auslegung im Gegensatz zu § 89a für § 89c die Gefahr der Bestrafung objektiv ungefährlicher Handlungen.222 Dies hat seinen Grund jedoch in einer konstruktiven Entscheidung des Gesetzgebers, die durch die Tathandlung vorbereitete Gewalttat in den Bereich der Vorstellung des Täters und damit in den subjektiven Tatbestand zu verlagern.223 66 Bei einem Tatbestand, der wie § 89c aufgebaut ist, handelt es sich jedoch der Sache nach um die Kriminalisierung eines Versuchs, den nur die Kunst des Gesetzgebers zu einem vollendeten Delikt geformt hat.224 Derartige Gesetzeskonstruktionen sind verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden, solange der durch die Tathandlung manifestierte Schädigungswille des Täters in Form absichtlichen Handelns bereits ein Maß an Gefährlichkeit begründet, das aus grundgesetzlicher Sicht ausreicht, um seine Strafbarkeit zu rechtfertigen.225 Für den Tatbestand des § 89c ist diese Gesetzestechnik für die Fälle absichtlichen Handelns überdies völkerrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (FTC) geboten, der in diesen Fällen eine umfassende Strafbarkeit des Finanzierers unabhängig davon begründet, ob beim Zuwendungsempfänger tatsächlich ein terroristischer Verwendungsvorsatz gegeben ist (Rdn. 30). Auch Art. 11 der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 ist entsprechend konstruiert. Fehlvorstellungen im Rahmen der überschießenden Innentendenz des § 89c tangieren daher nicht den objektiven Tatbestand, sondern begründen lediglich einen Motivirrtum, der dem Anwendungsbereich des § 16 entzogen ist.226 Straflosigkeit kann nur in Betracht kommen, wenn der Täter einer Fehlvorstellung dergestalt unterliegt, dass er annimmt, die finanzierte Tat werde staatsgefährdende Ausmaße annehmen, obwohl die Voraussetzungen des § 89c Abs. 1 Satz 2, etwa bei der Finanzierung der Sprengung eines einsamen Briefkastens im Wald, nicht gegeben sein können.

219 Z. B. weil er den Vorbereitungstäter betrügen will, oder weil es sich bei ihm um einen Verdeckten Ermittler oder um eine polizeilich geführte V-Person handelt. Herzog/El-Ghazi Rdn. 34; Sieber/Vogel S. 158 Fn. 75, 166. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 11. Krit. Sch-Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5. Vgl. Herzog/El-Ghazi Rdn. 13; Schäfer MK Rdn. 12. Vgl. Herzberg ZStW 88 (1976) 68, 95. Sieber/Vogel S. 166; vgl. Jakobs AT 8. Abschnitt. Rdn. 39. Vgl. Puppe NK § 16 Rdn. 7.

220 221 222 223 224 225 226

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V. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 89c

c) Völkerrechtskonformität gem. Art. 25 GG. Auch für § 89c stellt sich die Frage der völker- 67 rechtlichen Zulässigkeit. Wie § 89a Abs. 3 weitet auch § 89c Abs. 3 den Anwendungsbereich des Tatbestandes nicht nur auf das Gebiet der EU aus (Satz 1), sondern erfasst auch Taten außerhalb der Union, sofern diese durch einen Deutschen, durch einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen werden oder sonst einen spezifischen Inlandsbezug aufweisen (Satz 2). Auch muss sich die finanzierte Katalogtat nicht zwingend gegen die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richten. Geschützt werden gem. § 89c Abs. 1 Satz 2 vielmehr alle Staaten der Weltgemeinschaft. Aus völkerrechtlichem Blickwinkel tangiert dies den Grundsatz der Nichteinmischung.227 Verankert im GG ist das völkerrechtliche Interventionsverbot in Art. 25 Abs. 1 Satz 2 GG. Danach ist der Gesetzgeber nicht nur verpflichtet, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beachten. Diese haben auch Vorrang vor ihnen widersprechenden Bundes- oder Landesgesetzen. Ob die Regelungen des § 89c hiermit im Einklang stehen, ist mit den gleichen Argumenten, die auch für § 89a vorgetragen werden, zu hinterfragen (§ 89a Rdn. 72). Der BGH hat sich mit dieser Frage noch nicht beschäftigen müssen. Gesetzesbegründung und Literatur verweisen regelmäßig auf den Stand der Wissenschaft zu § 89a.228 Dies ist im Ansatz auch zutreffend. Jedoch gelten für § 89c aufgrund der im Vergleich zu § 89a teilweise unterschiedlichen internationalen Vorgaben auch Besonderheiten, die die völkerrechtliche Unbedenklichkeit des Tatbestandes im Ergebnis jedoch nicht in Frage stellen, sondern sogar stützen.

aa) Europäischer Territorialitätsgrundsatz. Die Ausdehnung der deutschen Strafgewalt in 68 § 89c Abs. 3 Satz 1 auf das Gebiet der EU lässt sich wie bei § 89a Abs. 3 Satz 1 mit dem Gedanken eines europäischen Territorialitäts- und Schutzgrundsatzes rechtfertigen.229 Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 der Terrorismusrichtlinie (EU) 2017/541 kann jeder Mitgliedstaat seine Gerichtsbarkeit auch für Straftaten begründen, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begangen wurden. Hiervon hat die Bundesrepublik Deutschland mit den Regelungen des § 89c Abs. 3 Satz 1, aber auch mit der Regelung des § 89a Abs. 3 Satz 1 Gebrauch gemacht (vgl. § 89a Rdn. 75).230

bb) Spezielle internationale Abkommen. Soweit § 89c Abs. 3 Satz 2 die Anwendbarkeit des 69 deutschen Strafrechts über das Gebiet der EU hinaus vorsieht, rechtfertigt sich dies über die einschlägigen völkerrechtlichen Abkommen zur Terrorismusfinanzierung, da nur „schwerlich von einem Verstoß gegen das Nichteinmischungsprinzip die Rede sein“ kann, wenn „die Bundesrepublik Deutschland in Erfüllung einer völkerrechtlich bindenden, auf Grund eines zwischenstaatlichen Abkommens übernommenen Verfolgungspflicht die Auslandstat an Ausländern verfolgt und nach deutschem Strafrecht ahndet.“231 Eine außerhalb dieser Regelungen erforderliche völkerrechtliche Rechtfertigung ergibt sich aus dem aktiven und passiven Personalitätsprinzip sowie dem Domizilprinzip. Insoweit kann auf die Ausführungen zu § 89a verwiesen werden (s. 89a Rdn. 77). Für die Finanzierung von Taten nach § 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–7 sind konkret die Vorgaben 70 von Art. 7 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus zu beachten. Dieser enthält Regelungen zum Rechtsanwendungsrecht und normiert als Anknüpfungspunkt zur Begründung der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten neben dem Territorialitätsprinzip auch das aktive und das passive Personalitätsprinzip, die die Regelungen des § 89c 227 StIGHE 5 71, 90; BGHSt 44 52, 55; Pottmeyer NStZ 1992 57, 58; Roegele S. 49; Schiemann JR 2017 339. 228 Vgl. BTDrucks. 18/4087 S. 12; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 9; Paeffgen NK Rdn. 15; Schäfer MK Rdn. 18; Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 20. 229 Herzog/El-Ghazi Rdn. 45; vgl. Mayk S. 125; Kauffmann S. 282; Schäfer MK § 89a Rdn. 61; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 89a Rdn. 21; aA Zöller SK § 89a Rdn. 40 (alle jeweils zu § 89a StGB). 230 Herzog/El-Ghazi Rdn. 46. 231 BGHSt 46 292, 307; Ambos MK § 6 Rdn. 5; Böse NK § 6 Rdn. 8; Hilgendorf JR 2002 82, 83. 267

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Terrorismusfinanzierung

Abs. 3 Satz 2 stützen. Für Taten nach § 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 gelten ergänzend die Vorgaben von Art. 14 der Konvention des Europarats zur Verhütung des Terrorismus aus dem Jahr 2005 in der Fassung des Zusatzprotokolls aus dem Jahr 2015. Die Vorschrift verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland unter verschiedenen Voraussetzungen zur Begründung ihrer Gerichtsbarkeit, die im Wesentlichen den deutschen Regelungen des § 89a Abs. 3 Satz 2 sowie des § 89c Abs. 3 Satz 2 entsprechen (s. § 89a Rdn. 76). Sowohl bei dem Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus als auch bei der Konvention des Europarats zur Verhütung des Terrorismus handelt es sich um verbindliche zwischenstaatliche Abkommen i. S. v. § 6 Nr. 9.232

VI. Objektiver Tatbestand 71 Der objektive Tatbestand von § 89c erfasst in Absatz 1 die Finanzierung einer fremden Tat, an der der Finanzierer weder als Täter noch als Mittäter beteiligt ist (sog. Fremdfinanzierung) sowie in Absatz 2 die Finanzierung einer terroristischen Handlung, die der Finanzierer selbst oder gemeinsam mit anderen begehen will (sog. Eigenfinanzierung).233 Den Teilnehmer an der finanzierten Tat vom Anwendungsbereich der Fremdfinanzierung auszunehmen und ausschließlich dem Anwendungsbereich der Eigenfinanzierung gem. § 89c Abs. 2 zuzuordnen,234 kommt nicht in Betracht, da eine Tathandlung des § 89c Abs. 1 regelmäßig als Beihilfe zur finanzierten Tat zu bewerten sein wird und § 89c Abs. 1 bei einer derartigen Auslegung kein sinnvoller Anwendungsbereich mehr verbliebe.235 Sowohl Fremd- wie auch Eigenfinanzierung müssen sich auf einen Vermögenswert beziehen (Rdn. 73). Die Tathandlungen sind für beide Fallkonstellationen identisch und erfassen das Sammeln (Rdn. 74), die Entgegennahme (Rdn. 76) sowie das Zurverfügungstellen der tatgegenständlichen Wertgegenstände (Rdn. 78). Erfasst wird jedoch in allen Konstellationen nur die Finanzierung von Katalogtaten nach § 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 8, die im Fall der Nummer 1 bis 7 zudem die terroristische Zweckbestimmung gem. Absatz 1 Satz 2 der Norm aufweisen müssen.236 Eine Ausnahme gilt gem. § 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 nur für die Finanzierung terroristisch motivierter Ausreisen, die an den Voraussetzungen von § 89a Abs. 2a zu messen sind.237 Die Finanzierung anderer Taten wird von § 89c nicht erfasst. Alltagsgeschäfte sind von der Anwendung der Norm in Wesentlichen ausgenommen (Rdn. 60).

1. Begünstigter 72 Das Gesetz schränkt die Gruppe der Begünstigten nicht ein. Bei diesen kann es sich um den Finanzier selbst, einen zur Begehung terroristischer Straftaten entschlossenen Täter, eine Organisation, deren Mitglieder terroristische Taten begehen, einen Vermittler oder eine beliebige andere Person oder Organisation handeln.238 Dass der durch die Tat nach § 89c Abs. 1 Satz 1 Begünstigte mit dem Täter der finanzierten Tat personenidentisch ist, wird von der Norm nicht verlangt. § 89c Abs. 1

232 Zur Anwendung von § 6 Nr. 9 auf das Internationale Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vgl. Werle/Jeßberger LK13 vor § 6 Rdn. 134; zur Anwendung von § 6 Nr. 9 auf die Konvention des Europarats vgl. Ambos MK § 6 Rdn. 17; SSW/Satzger § 6 Rdn. 14. 233 BTDrucks. 18/4087 S. 11; Herzog/El-Ghazi Rdn. 15; Paeffgen NK Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2. 234 Zöller SK Rdn. 7. 235 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 6. 236 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 12; Schäfer MK Rdn. 17; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Zöller SK Rdn. 7. 237 Vgl. BGH BeckRS 2019 14496 Rdn. 38; Herzog/El-Ghazi Rdn. 15; Schäfer MK Rdn. 16; Sch/Schröder/SternbergLieben Rdn. 8; Zöller SK Rdn. 10. 238 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 7; Sieber/Vogel S. 105. Engelstätter

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VI. Objektiver Tatbestand

StGB § 89c

erfasst vielmehr auch Kettenweitergaben. Es ist noch nicht einmal erforderlich, dass der bestimmungsgemäße Empfänger des Vermögenswerts tatsächlich plant, eine Katalogtat zu begehen. Im Gegensatz zu § 89a (vgl. dort Rdn. 137) erfasst der objektive Tatbestand des § 89c auch untaugliche Vorbereitungshandlungen, soweit sie sich auf das Merkmal der finanzierten Tat beziehen, die der Gesetzgeber anders als bei § 89a bei § 89c in den subjektiven Tatbestand verlagert hat (Rdn. 65).239 Bezieht sich die Untauglichkeit dagegen, was in der Rechtspraxis nur schwerlich vorstellbar erscheint, auf Elemente des objektiven Tatbestandes, mithin auf den Begriff des Vermögenswerts oder eine der Tathandlungen, gelten dagegen die allgemeinen für unechte Unternehmensdelikte entwickelten Grundsätze.240

2. Vermögenswerte Schon der ursprünglich in § 89a Abs. 2 Nr. 4 StGB normierte Tatbestand der Terrorismusfinan- 73 zierung ging von einem weiten Begriff des Vermögenswerts aus, der neben beweglichen und unbeweglichen Sachen auch Rechte und Forderungen erfasste. Als konkrete Beispiele nannte die Gesetzesbegründung neben der Beschaffung von für die Logistik der geplanten Gewalttat erforderlichen Gegenständen die Anmietung eines Fahrzeugs zur Platzierung einer Autobombe.241 Diese Grundsätze gelten entsprechend den Vorgaben des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (Rdn. 23) auch für die Nachfolgeregelung des § 89c StGB. Ob der Vermögensgegenstand rechtlich geschützt ist, ist unerheblich.242 Das Tatbestandsmerkmal umfasst neben Geld auch bewegliche Gegenstände mit Vermögenswert sowie darüber hinaus auch Rechte und Forderungen.243 Da der Begriff zudem in der amtlichen Überschrift des § 261 StGB sowie in § 263 Abs. 2 Nr. 3 StGB Verwendung findet, kann ergänzend auf den Stand der Strafrechtswissenschaft zu diesen Delikten zurückgegriffen werden.244 Erfasst werden neben Bar- und Buchgeld die für die finanzierte Tat erforderlichen Tatmittel wie (Schuss-)Waffen aller Art (einschließlich Hieb- und Stichwaffen), Spreng- und andere Kampfstoffe einschließlich ihrer Grundsubstanzen, aber auch Kraftfahrzeuge, SIM-Karten, Windjacken oder Tarnkleidung, die bei der Begehung der finanzierten Tat verwendet werden sollen.245 Auch bei Drogen, Schmuck, Antiquitäten oder geraubten Kunstgegenständen handelt es sich um Vermögenswerte i. S. v. § 89c StGB, ebenso bei Gegenständen, die den Täter in vermögenswerter Hinsicht im Sinne ersparter Aufwendungen besser stellen.246

3. Sammeln Sammeln ist jede Tätigkeit, die auf ein planmäßiges, konstantes Entgegennehmen oder Einfor- 74 dern von Vermögenswerten gerichtet ist.247 Auch der käufliche Erwerb von Gegenständen, die 239 Herzog/El-Ghazi Rdn. 34; Sieber/Vogel S. 158 Fn. 75, 166; aA Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 11; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 5. 240 Vgl. hierzu Hilgendorf LK13 § 11 Rdn. 90; Radtke MK § 11 Rdn. 145; Sch-Schröder/Hecker § 11 Rdn. 51; Saliger NK § 11 Rdn. 62; Wolters Das Unternehmensdelikt (2001) S. 321. 241 BTDrucks. 16/12428 S. 15. BTDrucks. 18/4087 S. 11 f. 242 Herzog/El-Ghazi Rdn. 19; vgl. Sieber/Vogel S. 22 f.; vgl. BGH NStZ-RR 2018 221, 223. 243 Gazeas AnwK Rdn. 3; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 12; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Sieber/Vogel S. 79; Zöller SK Rdn. 11. 244 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 6; Herzog/El-Ghazi Rdn. 18; Zöller SK Rdn. 11; vgl.auch BGH BeckRS 2019 14496 Rdn. 38. 245 Vgl. BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 41; Biehl JR 2018 317, 320; Fischer Rdn. 3; Schäfer MK Rdn. 12; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 11; krit. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 6. 246 Herzog/El-Ghazi Rdn. 19. 247 Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 8. 269

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Terrorismusfinanzierung

für die finanzierte Tat des Käufers oder eines Dritten bestimmt sind, z. B. SIM-Karten, Windjacken oder Tarnkleidung, erfüllt den Sammlungsbegriff des § 89c.248 Die im Zusammenhang mit einer Sammlung erfolgende Annahme und Aufbewahrung von Vermögenswerten stellt keine gesonderte Tathandlung dar.249 Ob das Sammeln als Haupt- oder Nebentätigkeit ausgeübt wird, ist ebenfalls unerheblich.250 Eine Beschränkung des Sammlungsbegriffs auf interaktives, kommunikatives Verhalten zwischen Sparer und Sammler i. S. e. „Einsammelns“, bei dem der Aufforderung, Vermögenswerte zur Verfügung zu stellen, auch nachgekommen wird, ist nicht erforderlich (vgl. Rdn. 63).251 Auch Handlungen, bei denen der Täter, z. B. bei allgemeinen Aufrufen über das Internet, nicht in persönlichen Kontakt zu seinen Spendern steht, erfüllen den Tatbestand. Dies gilt grundsätzlich auch für das bloße „Ansammeln“ von Vermögenswerten.252 In den meisten Fällen wird es sich hierbei allerdings um alltägliche Sparvorgänge z. B. von Teilen des Gehalts oder Sozialleistungen handeln, die aufgrund einer Reduktion des Tatbestandes nicht durch § 89c mit Kriminalstrafe bedroht werden (Rdn. 60).253 Kein „Sammeln“ ist insbesondere die Umwidmung bereits beim Täter vorhandener Vermögenswerte für terroristische Zwecke (Rdn. 63).254 Tathandlungen nach § 89c, die sich auf bereits beim Täter vorhandenes oder im Rahmen von Alltagsgeschäften erworbenes Vermögen beziehen, können allenfalls in Form des Zurverfügungstellens von Vermögenswerten begangen werden. Da der Versuch einer Tat nach § 89c nicht mit Strafe bedroht ist, wird gefordert, dass 75 die Handlung des Sammelns mindestens in einem Fall zu einem Vermögenszufluss auf Seiten des Täters geführt haben muss. 255 Bis zu diesem Zeitpunkt durch den Täter getätigte Aufforderungen und Sammlungsaufrufe sollen unter dem Gesichtspunkt des § 89c als straflose Versuchshandlungen zu bewerten sein.256 Eine derartige Sichtweise widerspricht allerdings den § 89c zugrundeliegenden Vorgaben des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung und der EU-Terrorismusrichtlinie, die beide von den Mitgliedstaaten verlangen, schon den Versuch des Sammelns mit Kriminalstrafe zu bedrohen (Rdn. 34). Daher ist der Tatbegriff innerhalb des bestehenden verfassungsrechtlichen Rahmens sowie im Einklang mit Gesetzeswortlaut, -begründung und -systematik auf erfolglose Sammlungsaufrufe, nicht aber ihre Vorbereitung zu erweitern (Rdn. 40). Erfasst wird aber erst die unmittelbare Ansprache von Dritten durch den Täter, die mit der ausdrücklichen Aufforderung zu spenden verbunden sein muss. Straflose Vorbereitungshandlungen sind daher auch nach dieser Definition: die Anfahrt zu einer Spendensammlung in einer Moschee oder anlässlich eines Konzerts, die der Aufforderung vorangehenden Kontaktaufnahmen sowie die Programmierung eines Internetangebots, über das Spendenaufrufe verbreitet werden sollen, z. B. durch die Erstellung einer Homepage, die Einrichtung eines Forums, Messengerkanals oder einer Chatgruppe. Sind diese Handlungen durch einen Gehilfen des Sammlers vorgenommen worden und wird im Anschluss an sie tatsächlich eine Sammlung durchgeführt, ist für diese Person Beihilfe zu § 89c zu prüfen.

248 249 250 251

Vgl. BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 15, 41; Biehl JR 2018 317, 320. Herzog/El-Ghazi Rdn. 20; Kauffmann S. 91. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 8; aA Herzog/El-Ghazi Rdn. 21; Sch/Schröder/SternbergLieben Rdn. 3; Sieber/Vogel S. 77. 252 BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 42; Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 8; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Sieber/Vogel S. 161; Zöller SK Rdn. 14. 253 Vgl. dazu BTDrucks. 18/4087 S. 12. 254 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 599 Herzog/El-Ghazi Rdn. 21; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8; Paeffgen NK Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Sieber NStZ 2009 353, 360; Sieber/Vogel S. 161; Zöller SK Rdn. 14. 255 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 599; Haverkamp FS Schöch 381, 394; Herzog/El-Ghazi Rdn. 22; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Sieber/Vogel S. 77; Zöller SK Rdn. 14. 256 Gazeas AnwK Rdn. 5; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 8; Zöller SK Rdn. 14. Engelstätter

270

VI. Objektiver Tatbestand

StGB § 89c

4. Entgegennehmen Vermögenswerte nimmt entgegen, wer sie in Empfang nimmt, ohne vorher zur Vermögensspen- 76 de aufgefordert zu haben.257 Konstruktiv handelt es sich bei der „Entgegennahme“ um eine zur Täterschaft erhobene Form der notwendigen Teilnahme an der Tathandlung des Zurverfügungstellens. Da sie im Gegensatz zu den beiden anderen Tathandlungen weder völker- noch unionsrechtlich überlagert wird,258 ist das Tatbestandsmerkmal ausschließlich am nationalen Verfassungsrecht zu messen und restriktiv auszulegen. Bei einer Entgegennahme handelt es sich noch stärker als bei der Sammlung oder der Weiterleitung von Vermögenswerten um eine objektiv neutrale Handlung. Eine Vielzahl der in Betracht kommenden Handlungen, insbesondere Schenkungen oder die Abwicklung von Verträgen, wird in der Rechtspraxis allerdings ohnehin als tatbestandsneutrales Alltagsgeschäft zu bewerten sein (Rdn. 60). Ein sinnvoller Anwendungsbereich für die Tathandlung ergibt sich allerdings, soweit der Täter die Vermögenswerte zur Begehung einer eigenen Tat einsetzen will, bei Kuriertätigkeit sowie bei Kettenweitergaben, bei denen der Täter zwar an der Sammlung der Vermögenswerte nicht beteiligt gewesen ist, der entgegengenommene Gegenstand jedoch zur Weitergabe an Dritte bestimmt ist.259 In Einzelfällen können Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen, wenn der Entgegennehmende nur Besitzdiener oder Mittelsmann eines Dritten ist, der weiterhin die Verfügungsgewalt über den Vermögenswert ausübt.260 Hier kann je nach den Umständen des Einzelfalls auch nur Teilnahme an der Terrorismusfinanzierung dieser Person gegeben sein. Die Entgegennahme i. S. v. § 89c erfolgt durch die Begründung fremd- oder eigennützigen 77 Besitzes.261 Kommt es nicht zu einer reellen Übergabe des Vermögensgegenstandes, sondern wird der tatgegenständliche Betrag über einen Finanzdienstleister transferiert, ist die Tathandlung vollendet, sobald der tatgegenständliche Tatbetrag auf dem Konto des Täters gutgeschrieben worden ist.262 Außer Zweifel steht, dass die Tathandlung vorliegt, wenn der tatgegenständliche Vermögenswert seinerseits aus einer rechtswidrigen oder sogar strafbaren Handlung herrührt und mit der Zielsetzung seiner deliktischen Weiterverwendung entgegengenommen worden ist.263 Ob der tatgegenständliche Vermögenswert selbst rechtlich geschützt ist, ist jedoch unerheblich (Rdn. 73). Auch Besitzbegründungen des Täters im Rahmen zivilrechtlich wirksamer Verträge können den Tatbestand erfüllen (Rdn. 61). Erforderlich ist in jedem Fall allerdings eine willentliche Besitzübertragung.264 Erfolgt der Besitzwechsel durch Beteiligung an einer Straftat gegen den tatsächlichen Willen des vorherigen Gewahrsamsinhabers z. B. durch Diebstahl, Raub oder Nötigung kann allenfalls ein Sich-Verschaffen nach § 89a Abs. 2 Nr. 2, 3 gegeben sein (§ 89a Rdn. 118). Eine Entgegennahme bleibt jedoch rechtlich möglich, soweit der Täter den Vermögensgegenstand durch Betrug (§ 263), Begünstigung (§ 257), Hehlerei (§ 259) oder Geldwäsche (§ 261) erlangt hat.

5. Zurverfügungstellen Die Tathandlung des Zurverfügungstellens wird gemeinhin definiert als zweckgerichtetes Über- 78 lassen von Vermögenswerten an einen anderen, was nicht nur unmittelbar, sondern auch mittel-

257 258 259 260 261 262 263 264 271

Gazeas AnwK Rdn. 6; Herzog/El-Ghazi Rdn. 23; Schäfer MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3. Sieber/Vogel S. 163. Vgl. Herzog/El-Ghazi Rdn. 21; Sieber/Vogel S. 163; Zöller SK Rdn. 15. Herzog/El-Ghazi Rdn. 23; Paeffgen NK Rdn. 8. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 15. Herzog/El-Ghazi Rdn. 23; Schäfer MK Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 15. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Sieber/Vogel S. 163. Biehl JR 2018 317, 320; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 9. Engelstätter

§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

bar durch Versendungsvorgänge oder durch einen Dritten erfolgen kann.265 Zwar wird die Tathandlung in erster Linie in Fällen der Fremdfinanzierung Bedeutung erlangen. Jedoch kann sie auch in Fällen der Finanzierung einer eigenen Tat gem. § 89c Abs. 2 einschlägig sein, z. B. wenn der Täter die tatgegenständlichen Vermögenswerte einem Mittäter der gemeinsam ins Auge gefassten Gewalttat zur Verfügung stellt.266 Beispiele für ein Zurverfügungstellen sind regelmäßig die Überweisung, die Übergabe und die Aushändigung des verfahrensgegenständlichen Vermögenswerts. Da die § 89c zugrundeliegenden internationalen Vorgaben von der Bundesrepublik Deutschland verlangen, auch den Versuch des Zurverfügungstellens mit Kriminalstrafe zu bedrohen (Rdn. 34), ist der Tatbestand insoweit völker- und unionskonform auszulegen, dass auch die Versendung eines Vermögenswerts den Tatbestand erfüllen kann, selbst wenn er den bestimmungsgemäßen Empfänger noch nicht erreicht hat. Ausreichend ist bereits das Verschaffen der Möglichkeit der Gewahrsamserlangung durch den Empfänger oder einen von ihm beauftragten Mittelsmann (Rdn. 38).267 Auch für diese Tathandlung bestehen Abgrenzungsschwierigkeiten hinsichtlich der Erfassung von „Alltagsgeschäften“ (vgl. Rdn. 60).

6. Überschneidungen mit § 89a 79 Aufgrund des weiten Begriffs des Vermögenswerts kommt es in der Rechtspraxis insbesondere bei der Tathandlung des Zurverfügungstellens regelmäßig zu Überschneidungen von § 89c mit Tathandlungen nach § 89a einschließlich möglicher Teilnahmehandlungen hierzu (vgl. § 89a Rdn. 117, 120, 129, 182). § 89a Abs. 2 Nr. 2 pönalisiert den Umgang mit gefährlichen Gegenständen und Substanzen wie Schußwaffen, Sprengstoffen, Spreng- und Brandvorrichtungen, radioaktiven, giftigen und gesundheitsschädlichen Stoffen sowie allgemeinen, zur Ausführung der geplanten Gewalttat erforderlichen Vorrichtungen.268 Absatz 2 Nr. 3 der Vorschrift kriminalisiert darüber hinaus das Sichverschaffen und Verwahren von anderen Gegenständen und Stoffen, die für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder für die Begehung der Gewalttat erforderlichen Vorrichtungen wesentlich sind. All diese Gegenstände stellen regelmäßig auch Vermögenswerte nach § 89c dar. § 89c schließt aber auch eine in der Rechtspraxis relevante Lücke im Umgang mit gefährlichen Gegenständen und erfasst im Vergleich zu § 89a Abs. 2 Nr. 2 nicht nur Feuerwaffen, sondern weitergehend auch Hieb- und Stichwaffen sowie Armbrüste oder Bögen. Darüber hinaus fehlt § 89c das strafbarkeitsbeschränkende Merkmal der Wesentlichkeit des § 89a Abs. 2 Nr. 3 (dazu aber Rdn. 60). Auch kommt es nach der Verlagerung der Erheblichkeitsschwelle von der Tatbestandsebene in § 89a Abs. 2 Nr. 4 a. F. auf die Rechtsfolgenseite in § 89c Abs. 5 nicht mehr auf den Marktwert des Vermögenswerts an.269 80 Demgemäß kann sich eine Beihilfehandlung zu einer Tat nach § 89a, die mit der Verschaffung oder der Übergabe eines Vermögenswerts verbunden ist, zugleich als eigenständige täterschaftliche Handlung nach § 89c darstellen. Dies betrifft nicht nur die Verschaffungstatbestände von § 89a Abs. 2, sondern kommt auch für die Bezahlung einer terroristisch motivierten Ausreise gem. Absatz 2a in Betracht (§ 89a Rdn. 129). Auch Beihilfehandlungen zu einer terroristischen Unterweisung nach § 89a Abs. 2 Nr. 1 können die Voraussetzungen von § 89c Abs. 1 Satz 1 erfüllen. Eine Eingrenzung des Tatbestandes des § 89c kann in diesen Fällen nur über die Annahme eines tatbestandsneutralen Alltagsgeschäfts erfolgen (Rdn. 60). Grundsätzlich ist die Kollision

265 266 267 268

Fischer Rdn. 4; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 10; Schäfer MK Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 16. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Sieber/Vogel S. 160. Fischer Rdn. 4; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 10; Schäfer MK Rdn. 10; SSW/Güntge Rdn. 2; Zöller SK Rdn. 16. Kauffmann S. 87; Mayk S. 81; Schäfer MK § 89a Rdn. 46; Zöller SK § 89a Rdn. 27; teilweise aA Aliabasi S. 165; Gazeas AnwK Rdn. 42, wonach zur Ausführung der Tat erforderliche Vorrichtungen (§ 89a Abs. 2 Nr. 1 Var. 7) nicht von § 89a Abs. 2 Nr. 2 erfasst werden. 269 Schäfer MK Rdn. 12; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; krit. Paeffgen NK Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 12. Engelstätter

272

VII. Subjektiver Tatbestand

StGB § 89c

der Anwendungsbereiche beider Normen jedoch eine Frage der Konkurrenzen (Rdn. 110 sowie § 89a Rdn. 187).

VII. Subjektiver Tatbestand Angesichts der durch den objektiven Tatbestand des § 89c bereits bewirkten Verlagerung der 81 Strafbarkeit ins Vorfeld der ins Auge gefassten Gewalttat kommt dem subjektiven Tatbestand eine zentrale Rolle bei der Begrenzung der Strafbarkeit zu. Wie bei § 89a ist auch bei § 89c grundsätzlich zwischen drei Gesichtspunkten zu differenzieren, an die die Vorstellung des Täters anknüpfen muss: die Finanzierungshandlung als solche (Rdn. 82) sowie das „Ob“ (Rdn. 83) und das „Wie“ (Rdn. 84) der finanzierten Tat. Schließlich ist zu fragen, wie die Auswirkungen eventueller Fehlvorstellungen und Irrtümer des Täters zu behandeln sind (Rdn. 97).

1. Vorsatz bezüglich der Finanzierungshandlung Hinsichtlich der eigenen Tathandlung soll zwar bereits bedingter Vorsatz ausreichen.270 Wegen 82 der im Weiteren zu fordernden Manifestation einer Deliktsplanung sowie den gesteigerten Anforderungen an das „Ob“ und „Wie“ der geplanten Tat wird der Täter in der Rechtspraxis jedoch regelmäßig wissentlich handeln.271 Dies zeigt sich anschaulich an der Tathandlung des „Sammelns“, die schon begrifflich stets als zweckgerichtetes Verhalten des Täters zu interpretieren ist.272

2. Vorsatz bezüglich des „Ob“ der finanzierten Tat Hinsichtlich des „Ob“ der Begehung der finanzierten Tat hat sich der Gesetzgeber entschlossen, 83 die zu § 89a ergangene Rechtsprechung des BGH273 (vgl. § 89a Rdn. 56) zu berücksichtigen und zur Wahrung von Tat- und Schuldprinzip hohe Anforderungen an den subjektiven Tatbestand normiert.274 Für die Verwirklichung der Fremdbegehungsalternative von § 89c Abs. 1 ist daher erforderlich, dass der Täter hinsichtlich des „Ob“ der Begehung der finanzierten Tat wissentlich oder absichtlich handelt. Bei der Absicht handelt es sich nicht nur um eine die Tathandlung begleitende Zweckvorstellung des Täters, sondern um „Absicht“ i. S. e. dolus directus 1. Grades (Rdn. 56).275 „Wissentlich“ ist i. S. e. dolus directus 2. Grades zu interpretieren. Auf diese Weise wollte der Gesetzgeber Fälle erfassen, in denen der Täter bewusst die Finanzierung der Straftat eines Dritten betreibt.276 Dass der Täter dies bei seiner Tathandlung nur für möglich hält, reicht nicht aus. Die Tathandlung der Eigenfinanzierung nach Absatz 2 der Norm kann sogar ausschließlich in Form absichtlichen Handelns begangen werden. Auch insoweit ist „Absicht“ i. S. v. dolus directus 1. Grades zu verstehen.277 Wie bei § 89a (vgl. dort Rdn. 144) gilt jedoch,

270 Herzog/El-Ghazi Rdn. 29; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 13; Paeffgen NK Rdn. 11; Schäfer MK Rdn. 14; Zöller SK Rdn. 19. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 11. Herzog/El-Ghazi Rdn. 29. Vgl. BGHSt 59 218; BGHSt 61 36, 39; BGH NStZ 2018 89; BGH NStZ-RR 2018 42; BGH BeckRS 2019 6133 Rdn. 11. BTDrucks. 18/4087 S. 12. Herzog/El-Ghazi Rdn. 30; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 13; Schäfer Rdn. 15; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Zöller SK Rdn. 19; aA Biehl JR 2015 561, 563; Ders. JR 2018 317, 318. 276 BTDrucks. 18/4087 S. 12; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 13. 277 BTDrucks. 18/4087 S. 12; Biehl JR 2015 561, 564; Herzog/El-Ghazi Rdn. 31; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 15; Schäfer Rdn. 15; Zöller SK Rdn. 19.

271 272 273 274 275

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Engelstätter

§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

dass Handlungen auf unsicherer Tatsachengrundlage oder mit Rücktrittvorbehalt, aufgrund nicht beherrschbarer äußerer Bedingungen die Festigkeit des Tatentschlusses nicht berühren, da für das „Ob“ der Tathandlung auf Seiten des Täters keine weiteren Willensimpulse mehr erforderlich sind und für ihn verbleibende Unsicherheiten lediglich die Art und Weise der Tatausführung betreffen.278

3. Vorsatz bezüglich des „Wie“ der finanzierten Tat 84 Fraglich ist, in welchem Maße sich der Vorbereitungstäter bei der Erfüllung des objektiven Tatbestandes schon konkrete Gedanken über die geplante Gewalttat oder die geplante terroristisch motivierte Ausreise gemacht haben muss. Dass es bereits zu einer Vollendung oder einem Versuch der finanzierten Tat gekommen ist, ist nicht erforderlich. Sie muss noch nicht einmal das Stadium der Vorbereitung erreicht haben.279 § 89c soll bereits ihre Planung unter Strafe stellen.280 Hinsichtlich der weiteren Konkretisierung der Vorstellung des Täters kann auf die zu § 89a erarbeiteten Grundsätze zurückgegriffen werden (§ 89a Rdn. 147). Danach muss die geplante Tat in der Vorstellung des Vorbereitungstäters – wenn auch nicht im Umfang des § 30281 – jedenfalls aber soweit konkretisiert sein, dass ein Strafgericht überprüfen kann, ob sie im Falle ihrer Begehung die Voraussetzungen der Staatsschutzklauseln des § 89c Abs. 1 erfüllen würde.282 Vorstellungen im Hinblick auf Tatort, Tatzeit und die Anzahl der Tatopfer sind hierfür zwar nicht erforderlich. Das Tatgericht muss jedoch Feststellungen treffen, die belegen, dass die ins Auge gefasste Tat die an sie durch die Norm gestellten Anforderungen erfüllen würde. Sie muss daher zunächst dem Katalog des § 89c Abs. 1 Satz 1 zuzuordnen sein (Rdn. 85) und hinsichtlich der Katalogtaten Nr. 1 und 7 auch die terroristische Zwecksetzung i. S. v. Absatz 1 Satz 2 erfüllen (Rdn. 88). Finanziert der Täter eine terroristisch motivierte Ausreise sind die Voraussetzungen des § 89a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 89a Abs. 2a maßgeblich (Rdn. 89). Schließlich muss der Täter zumindest das Wissen (Absatz 1) oder die Absicht aufweisen (Absatz 2), dass die verfahrensgegenständlichen Vermögenswerte zur Begehung einer solchen Tat verwendet werden sollen (Rdn. 92).

85 a) Straftatenkatalog (Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bis 8). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe muss sich die Vorstellung des Täters zunächst auf eine Katalogtat nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bis 8 beziehen. Die in § 89c normierten Vorsatzerfordernisse beziehen sich in vollem Umfang auch auf den Katalogtatbestand. In den Fällen der Fremdfinanzierung nach Absatz 1 muss die Zuordnung der Tat demgemäß von einem dolus directus 1. oder zumindest 2. Grades getragen werden. Dient die Finanzierung der Vorbereitung einer eigenen Tat muss der Täter absichtlich handeln. Soweit der Katalog in Absatz 1 Satz 1 Nr. 7 und 8 StGB auch die Finanzierung von Vorbereitungstatbeständen kriminalisiert, ist nicht erforderlich, dass sich der Vorsatz des Täters auch auf die im Anschluss an diese Taten zu begehenden Gewalttaten bezieht (Rdn. 64).283 Ob der Täter neben dem Tatbestand einer Katalogtat auch ihre Rechtswidrigkeit in seine Vorstellung mit aufnehmen muss, mag im Hinblick auf den Wortlaut der Norm zweifelhaft erscheinen. Ist jedoch die Begehung der finanzierten Tat durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt, ist auch die Strafbarkeit ihrer Finanzierung nach § 89c zu hinterfragen. Zumindest kann die Vorbereitung einer rechtlich hinzunehmenden Handlung nicht ihrerseits mit Strafe bedroht sein. Die 278 279 280 281 282 283

Vgl. BGHSt 12 306, 309; BGH NStZ 1999 395, 396; Mayk S. 160; Sch/Schröder/Heine/Bosch § 22 Rdn. 18. Herzog/El-Ghazi Rdn. 32; Schäfer Rdn. 16; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Zöller SK Rdn. 8. BTDrucks. 18/4087 S. 11. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 13. Vgl. BGHSt 59 218, 237; BGHSt 62 102, 105. AA Puschke S. 426.

Engelstätter

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VII. Subjektiver Tatbestand

StGB § 89c

Rechtsprechung diskutiert diese Frage i. R. v. § 89a nicht in Bezug auf die Katalogtat, sondern ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihrer Eignung zur Staatsgefährdung (vgl. § 89a Rdn. 82). Folgt man diesem Ansatz auch für § 89c, hätte dies zur Konsequenz, dass die finanzierte Tat in den entsprechenden Fallkonstellationen zwar noch der Finanzierung einer Katalogtat dient, aber keine terroristische Zweckbestimmung mehr aufzeigt. Der Katalog der Straftaten orientiert sich an der Regelung des § 129a. Die in Nummer 1 und 86 2 aufgeführten Delikte entsprechen denjenigen des § 129a Abs. 1 Nr. 1 und 2. In § 89c ist allerdings in Erfüllung der Vorgaben von Art. 2 Abs. 1 lit b) des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (FTC) zusätzlich der Tatbestand des § 224 aufgeführt (Rdn. 33). Nummer 3 bis 6 entsprechen § 129a Abs. 2 Nr. 2 bis 5. Nummer 7 pönalisiert zusätzlich die Finanzierung des unerlaubten Umgangs mit radioaktiven Stoffen und anderen gefährlichen Stoffen und Gütern (§ 328 Abs. 1 und 2) sowie die Finanzierung der Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens nach § 310 Abs. 1 oder 2.284 Mit dieser Ziffer wollte der Gesetzgeber Art. 2 Abs. 1 des FTC genügen, in dessen Anhang das Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial285 gelistet ist.286 Allerdings ist die Umsetzung insofern missglückt, als dass die Finanzierung besonders geächteter Handlungen nach Art. 2 Abs. 1 lit a) des FTC im Gegensatz zum nationalen Recht nicht an eine § 89c Abs. 1 Satz 2 vergleichbare terroristische Zwecksetzung gebunden sein muss (vgl. Rdn. 35). Nummer 8 kriminalisiert schließlich in Umsetzung der UN-Resolution 2178 (2014) (Rdn. 26) die Finanzierung terroristisch motivierter Ausreisen.287

b) Terroristische Zwecksetzung. Darüber hinaus muss die finanzierte Tat sowohl im Fall 87 der Fremdvorbereitung (Absatz 1 Satz 1) als auch im Fall der Eigenvorbereitung (Absatz 2) eine terroristische Zwecksetzung aufweisen. Die Finanzierung allgemein krimineller Taten wird von der Norm nicht erfasst.

aa) Katalogtatbestände der Nummern 1 bis 7. Hinsichtlich der Katalogtatbestände der 88 Nummern 1 bis 7 gelten insoweit die Voraussetzungen des § 89c Abs. 1 Satz 2. Danach kommt eine Strafbarkeit nur in Betracht, wenn die finanzierte Tat nach der Vorstellung des Täters dazu bestimmt sein soll, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen und durch die Art der Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine Organisation erheblich schädigen kann. Die Klausel ist dem Wortlaut nach identisch mit § 129a Abs. 2, sodass hinsichtlich der Begrifflichkeiten auf den dortigen Stand der Strafrechtswissenschaft und Rechtsprechung verwiesen werden kann.288 Geschützt werden wie bei § 89a alle Staaten der Erde (s. § 89a Rdn. 85). Der Finanzierungstäter des § 89c muss wie der Vorbereitungstäter des § 89a (vgl. § 89a Rdn. 148) die Zweckbestimmung der Tat in seine Vorstellung und in seinen Willen mit aufgenommen haben, da er anderenfalls lediglich eine allgemeinkriminelle Tat finanzieren würde. Dass er beabsichtigt, dass durch die finanzierte Tat tatsächlich eine Schädigung staatlicher Strukturen oder einer Organisation eintritt, ist nicht erforderlich. 284 Krit. zur Aufnahme dieser Vorbereitungsdelikte in den Katalog des § 89c Abs. 1 S. 1 StGB: Zöller GA 2016 91, 105.

285 286 287 288

BGBl. 1990 II S. 326. Herzog/El-Ghazi Rdn. 33; Schäfer Rdn. 16. BTDrucks. 18/4087 S. 11. Gazeas AnwK Rdn. 9; Schäfer Rdn. 17; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Zöller SK Rdn. 10; zu § 129a StGB siehe Krauß LK12 § 129a Rdn. 49; Schäfer MK § 129a Rdn. 43; SSW/Lohse § 129a Rdn. 19. 275

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§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

Ausreichend, aber erforderlich ist insoweit, dass er sowohl in Fällen der Fremdfinanzierung wie auch in Fällen der Eigenfinanzierung i. S. e. dolus eventualis für möglich hält oder billigend in Kauf nimmt, dass im Falle der Ausführung der finanzierten Tat die realistische Gefahr einer solchen Schädigung besteht.289

89 bb) Katalogtatbestand der Nummer 8. Für die Finanzierung einer terroristisch motivierten Ausreise nach Nummer 8 des Katalogs gelten die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 nicht. Der Gesetzgeber war der Auffassung, dass sich die auch hier erforderliche terroristische Zwecksetzung aus den Voraussetzungen des § 89a Abs. 2a ergeben würde.290 Maßgebend für die terroristische Zwecksetzung ist damit nicht eine an § 129a Abs. 2 orientierte Auslegung, sondern der Begriff der schweren staatsgefährdenden Gewalttat i. S. v. § 89a Abs. 1 Satz 2 (§ 89a Rdn. 80), deren Vorbereitung oder Begehung die terroristisch motivierte Ausreise dienen muss (vgl. § 89a Rdn. 125). Da aber auch diese absichtlich begangen werden muss, kumulieren im Zusammenspiel zwischen § 89a Abs. 2a und § 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 verschiedene Anknüpfungspunkte der Vorstellung des Täters, dessen Absicht sich im Falle der Finanzierung einer eigenen Tat nicht nur auf die Bezahlung und Durchführung der Reise, sondern auch auf die Begehung einer Gewalttat (§ 89a Abs. 2a Alt. 1) oder auf die Absolvierung oder Durchführung einer terroristischen Ausbildung in einem Land erstrecken muss, in dem regelmäßig terroristische Ausbildungen durchgeführt werden (§ 89a Abs. 2a Alt. 2).291 Hinsichtlich der Eignung der durch die Ausreise vorbereiteten Gewalttat zur Staatsgefährdung reicht jedoch dolus eventualis. Diese Grundsätze gelten auch für die Finanzierung der Ausreise eines Dritten. § 89c 90 Abs. 1 Satz 1 verlangt hier, dass der Täter beabsichtigt oder zumindest sicher weiß, dass ein Dritter die tatgegenständlichen Vermögenswerte für eine terroristisch motivierte Ausreise i. S. v. § 89a Abs. 2a verwenden will. Diese Tat muss sich der Finanzierungstäter in ihren Grundzügen einschließlich ihrer subjektiven Voraussetzungen vorstellen und in seinen Willen miteinbeziehen. Der Tatbestand des § 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 ist nur erfüllt, wenn der Täter sich eine Person vorstellt, die beabsichtigt, Deutschland zu verlassen, um eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen (§ 89a Abs. 2a Alt. 2) oder durch Absolvierung einer terroristischen Ausbildung im Ausland vorzubereiten (§ 89a Abs. 2a Alt. 1). Dass die Tat des Dritten im Ergebnis zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit eines Staates führt, muss der Finanzierer der Ausreise dagegen nicht bezwecken. Hinsichtlich der Eignung der durch die Ausreise vorbereiteten Gewalttat zur Staatsgefährdung ist auf Seiten des Finanzierers wie auch beim Täter der terroristisch motivierten Ausreise nur bedingter Vorsatz erforderlich.

91 cc) Mögliche Rechtfertigung der finanzierten Tat. Geht man in Übertragung der Rechtsprechung des BGH zu § 89a davon aus, dass eine mögliche Rechtfertigung der finanzierten Tat erst im Rahmen ihrer terroristischen Zwecksetzung zu prüfen ist (Rdn. 85), so kann diese entfallen, wenn die finanzierte Tat ausschließlich dazu dient, sich gegen Angriffe von gegnerischen Gruppierungen, aber auch von Truppen der regulären Regierung zu verteidigen (§ 89a Rdn. 95)292 oder aber nach völkervertragsrechtlichen Grundsätzen, z. B. aufgrund eines UN-Mandats, oder nach völkergewohnheitsrechtlichen Prinzipien aufgrund einer entsprechenden Überzeugung der Staatengemeinschaft gerechtfertigt wäre (vgl. § 89a Rdn. 86).293

289 290 291 292 293

Herzog/El-Ghazi Rdn. 42; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 13; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7. BTDrucks. 18/0487 S. 11; Herzog/El-Ghazi Rdn. 38; Biehl JR 2015 561, 564; Schäfer Rdn. 17. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 16: „Dreifaches Absichtserfordernis“. Vgl. BGHSt 61 36, 40; Matt/Renzikowski/Henrichs § 89a Rdn. 8; Schäfer MK § 89a Rdn. 29. Vgl. BGHSt 62 103, 106.

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VII. Subjektiver Tatbestand

StGB § 89c

c) Tatbestandsspezifischer Verwendungszusammenhang. Von zentraler Bedeutung ist 92 die Vorstellung des Täters hinsichtlich der Verwendung der von ihm transferierten, gesammelten oder entgegengenommenen Mittel. Dem Tatbestandsmerkmal kommt erhebliche Bedeutung für die Abgrenzung zwischen der Finanzierung konkreter Katalogtaten und allgemeinen Finanzierungshandlungen zugunsten terroristischer Vereinigungen zu. Nur für die erste Gruppe ist der Tatbestand des § 89c einschlägig. Terroristisch motivierte Finanzierungshandlungen ohne Bezug zu einer Katalogtat des § 89c können allenfalls den Tatbeständen des § 129a oder des § 18 AWG unterfallen (Rdn. 15). Der Wortlaut der Norm verlangt, dass der Täter sich vorstellt, dass die Vermögenswerte „zur 93 Begehung“ der finanzierten Tat eingesetzt werden sollen. Dies geht über die Vorgängerregelung des § 89a Abs. 2 Nr. 4 a. F. hinaus, nach der der finanzielle Beitrag noch „für die Begehung“ der finanzierten Gewalttat erforderlich sein musste, was auf einen engen, auch materiellen Zusammenhang zwischen Vermögenswert und finanzierter Tat schließen ließ.294 Dass die Tatgegenstände unmittelbar bei der Begehung der finanzierten Tat verwendet werden müssen, wird von § 89c nicht verlangt und würde auch den gesetzgeberischen Willen unterlaufen. Ein Verwendungszusammenhang i. S. d. Norm ist vielmehr nicht nur gegeben, wenn der Vermögenswert unmittelbar bei der Begehung der finanzierten Tat Verwendung findet, sondern auch dann, wenn er mittelbar in Form eines Surrogats zum Einsatz kommt.295 Zeitliche Vorgaben hinsichtlich der Verwendung des Vermögenswerts sind in § 89c ebenfalls nicht enthalten. Sinn und Zweck der Norm sprechen dafür, sämtliche Stadien der Tat von ihrer Vorbereitung, über den Versuch bis zur Vollendung zu erfassen. Ein tatspezifischer Verwendungszusammenhang kommt damit für alle Vermögenswerte in Betracht, deren Sammlung, Entgegenahme oder Weitergabe auf die Begehung der finanzierten Tat gerichtet ist und die dem Täter der finanzierten Tat ihre Vorbereitung und Ausführung ermöglichen oder erleichtern soll. In der Rechtspraxis wird dies vielfach nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls ermittelt werden können. Die Voraussetzungen des tatbestandsspezifischen Verwendungszusammenhangs sind nicht 94 erst erfüllt, wenn der Finanzierungstäter dem Täter der finanzierten Tat ein Tatmittel, insbesondere die Tatwaffe oder Munition zur Verfügung stellt, sondern auch schon dann, wenn er lediglich Bargeld übergibt, das den Täter der finanzierten Tat in die Lage versetzt, Tatmittel oder Tatwerkzeuge, z. B. Schusswaffen, Sprengstoffe oder sonstige zur Begehung der Tat erforderliche Hilfsmittel zu erwerben.296 Der BGH hat diese Voraussetzungen – wenn auch nur in einer Haftentscheidung – angenommen für die Beschaffung von 18 Tarnfleckshirts, 30 SIM-Karten und 13 Windjacken, die für Kämpfer einer jihadistischen Gruppierung in Syrien bestimmt waren und von diesen bei Kampfhandlungen verwendet werden sollten.297 Der Gesetzgeber hatte den Erwerb eines Autos im Auge, in dem ein Sprengsatz platziert werden soll.298 Erfasst ist zudem die Bezahlung von Reisekosten jeglicher Art im Zusammenhang mit einer Gewalttat, dem Erwerb oder Transport illegaler Waffen oder im Zusammenhang mit einer terroristisch motivierten Ausreise nach § 89c Abs. 1 Nr. 8, z. B. in Form der Bezahlung von Bahn- und Flugtickets, aber auch von gefälschten Ausweisdokumenten und Fluchtfahrzeugen. Als Weiteres Beispiel kommt die Anmietung von konspirativen Wohnungen in Betracht, in denen Sprengstoffe hergestellt oder an chemischen Kampfstoffen geforscht werden soll.299 Demgegenüber fehlt der tatbestandsspezifische Verwendungszusammenhang in allen Fäl- 95 len, in denen kein Bezug zu einer Katalogtat nach § 89c Abs. 1 Satz 1 festgestellt werden kann. 294 Sieber/Vogel S. 112; zum Verwendungszusammenhang bei § 89a Abs. 2 Nr. 4 StGB a. F. Backes StV 2008 654, 658; Hellfeld S. 262; Hungerhoff S. 141; Zöller S. 575.

295 Herzog/El-Ghazi Rdn. 35; Sieber/Vogel S. 113; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9: auch für § 89c StGB enger Zusammenhang erfoderlich. 296 Herzog/El-Ghazi Rdn. 36; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9. 297 BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 41. 298 BTDrucks. 16/12428 S. 15. 299 Herzog/El-Ghazi Rdn. 35; Sieber/Vogel S. 113. 277

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§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

Insbesondere allgemeine Zahlungen oder Lieferungen von Gegenständen an eine terroristische Vereinigung oder eines ihrer Mitglieder erfüllen den tatbestandsspezifischen Verwendungszusammenhang des § 89c nur, wenn sie im Zusammenhang mit einer Katalogtat stehen. Während dieser bei Gegenständen noch über ihre Verwendungsmöglichkeiten begründet werden kann, wird dies beim bloßen Transfer von Geldern regelmäßig ausscheiden. In der Rechtspraxis betrifft dies vor allem Spenden und Geldsammlungen, die nicht mit einem konkreten Zweck verbunden sind, sondern ohne Zweckbindung oder allgemein für „den weltweiten Jihad“ oder „für Witwen und Waisen von Selbstmordattentätern“ ohne konkreten Personen- und Organisationsbezug eingeworben werden.300 Dies gilt auch für Aktivitäten von Hilfsorganisationen, die Aufgaben der Daseinsvorsorge in einem von einer terroristischen Gruppierung kontrollierten Gebiet übernehmen sowie für Spenden durch die lediglich der Lebensunterhalt des Empfängers gesichert werden soll.301 § 89c kommt jedoch in Betracht, soweit die geschilderten Zwecke nur vorgetäuscht und in Wirklichkeit gleichwohl Katalogtaten i. S. d. Norm finanziert werden. Ausgeschlossen ist die Norm zudem, soweit medizinische Güter in Form von Medikamen96 ten, Operationseinrichtungen oder Krankenwagen geliefert werden.302 Hier wird im Regelfall nur eine Unterstützungshandlung nach § 129a Abs. 5 Satz 1 in Betracht kommen, so nicht die handelnden Personen selbst als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung einzuordnen sind. Schwierig ist auch die strafrechtliche Bewertung von Zuwendungen an eine terroristische Vereinigung, die für eine wirtschaftliche Tätigkeit der Gruppierung, z. B. den Bau einer Fabrik oder die Beschaffung von Drogen, verwendet werden sollen, deren Erträge erst für Katalogtaten Verwendung finden. Auch hier spricht Überwiegendes dafür, den tatbestandsspezifischen Verwendungszusammenhang des § 89c zu verneinen.303 Selbst, wenn der Täter davon ausgeht, dass die Erträge seiner „Anschubfinanzierung“ letztlich zur Begehung terroristischer Taten verwendet werden, so war seine Finanzierungsleistung selbst noch nicht auf Begehung solcher Taten gerichtet. Im Zeitpunkt seiner Finanzierungsleistung wird in der Regel noch nicht einmal klar gewesen sein, ob die dadurch finanzierte Tätigkeit überhaupt jemals Erträge erbringen würde, die für terroristische Gewalttaten verwendet werden könnten.

4. Fehlvorstellungen und Irrtümer 97 Weiß der Täter nicht, dass die tatgegenständlichen Vermögenswerte für terroristische Zwecke verwendet werden sollen, sondern geht er von einem anderen Verwendungszweck aus, fehlt es am subjektiven Tatbestand. Dies gilt jedoch nicht, soweit er bei zutreffender Kenntnis der Sachlage lediglich aufgrund fehlerhafter Subsumtion auf dem Standpunkt steht, dass die finanzierte Tat nicht die Anforderungen an eine Katalogtat des § 89c Abs. 1 Satz 1 erfüllen wird. Hier kommt allenfalls ein Verbotsirrtum nach § 17 in Betracht. Auch Fehlvorstellungen hinsichtlich der Merkmale des objektiven Tatbestands sind nur beachtlich, soweit sie auf tatsächlicher Unkenntnis beruhen. Insbesondere Fehlbewertungen hinsichtlich des Begriffs des Vermögenswerts, aber auch hinsichtlich der Interpretation der einzelnen Tathandlungen werden sich in der Rechtspraxis jedoch regelmäßig als unbeachtliche Subsumtionsirrtümer erweisen (vgl. § 89a Rdn. 150). Im Gegensatz zu § 89a (dort Rdn. 137) können von § 89c in bestimmtem Umfang auch un98 taugliche Vorbereitungshandlungen erfasst werden. Glaubt der Täter, dass seine Finanzierungshandlung der Begehung einer terroristisch motivierten Tat dienen soll, obwohl der Empfänger gar keine Tat oder zumindest keine staatsgefährdende Tat plant, ist der Tatbestand des § 89c Abs. 1 gleichwohl gegeben. Dies gilt jedoch nicht, soweit der Täter infolge fehlerhafter Subsumtion davon ausgeht, die finanzierte Tat werde staatsgefährdende Ausmaße annehmen, 300 301 302 303

Backes StV 2008 654, 658; Hellfeld S. 262; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 13; Zöller S. 575; ders. SK Rdn. 17. Hellfeld S. 262; Herzog/El-Ghazi Rdn. 37; Zöller SK Rdn. 17. Biehl JR 2018 317, 318. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9.

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IX. Geltung für Auslandstaten (Absatz 3 und 4)

StGB § 89c

obwohl die Voraussetzungen des § 89c Abs. 1 Satz 2, etwa bei der Finanzierung einer Sprengung eines Briefkastens im Wald, in der Sache nicht gegeben sein können (Rdn. 65).

VIII. Rechtswidrigkeit und Schuld Hinsichtlich Rechtswidrigkeit und Schuld gelten die allgemeinen Grundsätze.304 Soweit die 99 Rechtswidrigkeit der finanzierten Tat im Zweifel steht, betrifft dies bereits den subjektiven Tatbestand des § 89c, da eine gerechtfertigte Katalogtat entweder schon begrifflich nicht unter das Tatbestandsmerkmal fällt, zumindest aber keine terroristische Zwecksetzungen aufweisen kann (Rdn. 91).305 Die Rechtswidrigkeit der Finanzierungshandlung wird dagegen bei Erfüllung des Tatbestandes indiziert. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten kann auf die vergleichbare Rechtslage bei § 89a verwiesen werden (§ 89a Rdn. 151).

IX. Geltung für Auslandstaten (Absatz 3 und 4) Absatz 3 erstreckt den Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts entsprechend der Paral- 100 lelregelung des § 89a Abs. 3 auf im Ausland begangene Vorbereitungshandlungen. Wie § 89a arbeitet auch § 89c mit einem Zwei-Stufenmodell. Während Absatz 3 sachliche Voraussetzungen normiert, die die Anwendung der deutschen Strafgewalt im Ausland rechtfertigen, koppelt Absatz 4 die Strafverfolgung für einige Konstellationen zusätzlich an eine Strafverfolgungsermächtigung. Inhaltlich entsprechen die Vorschriften § 89a Abs. 3, 4, sodass auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden kann (§ 89a Rdn. 152, 163).306 Soweit gegen diese Regelungen auch verfassungsrechtliche Bedenken erhoben werden, ist diesen nicht zu folgen (Rdn. 67). Bei Absatz 3 handelt es sich um spezielles Rechtsanwendungsrecht, mit der Folge, dass 101 die Voraussetzungen von § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 nicht zu prüfen sind. Dies lässt sich wie bei § 89a Abs. 3 mittlerweile vor allem über die Vorschriften der EU-Terrorismusrichtlinie (EU) 2017/ 541 begründen, deren Art. 11 auch die Tathandlungen des § 89c erfasst (Rdn. 31) und deren Vorschriften zum Rechtsanwendungsrecht in Art. 19 durch eine kumulative Anwendung von § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 unterlaufen werden würden (vgl. § 89a Rdn. 161).307 Dies gilt auch im Hinblick auf die § 89c zugrundeliegenden internationalen Vorgaben, in denen insbesondere das in § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 enthaltene Erfordernis der anderweitigen Tatortstrafbarkeit nicht normiert ist.308 Liegen die Voraussetzungen von Absatz 3 nicht vor, kann die Vorschrift § 7 Abs. 2 Nr. 2 an- 102 wendbar bleiben. Relevant ist dies vor allem für die Bewertung von Finanzierungshandlungen ohne Deutschlandbezug von Ausländern im Ausland, die über keine Lebensgrundlage in Deutschland verfügen, jedoch nach der Tat im Inland aufgegriffen werden. Im Anwendungsbereich der Terrorismusrichtlinie EU 2017/541 stellt in diesen Fällen die Anwendung von § 7 Abs. 2 Nr. 2 die einzige Möglichkeit dar, dem aus Art. 19 Abs. 4 der Richtlinie folgenden Grundsatz „aut dedere aut iudicare“ nachzukommen. Dieser verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland, auch für Taten nach § 89c, die außerhalb der EU ohne Deutschlandbezug begangen worden sind, zur Eröffnung ihrer Gerichtsbarkeit, wenn sie zuvor die Auslieferung des Betroffenen an den Tatort304 Schäfer MK Rdn. 20. 305 Vgl. hierzu BGHSt 62 103, 107; BGHSt 61 36, 40. 306 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 17; Schäfer MK Rdn. 18; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Zöller SK Rdn. 20.

307 Ebenso Herzog/El-Ghazi Rdn. 45. 308 Art. 7 des Internationalen des Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, Art. 14 der Konvention des Europarats zur Verhütung des Terrorismus aus dem Jahr 2005 in der Fassung des Zusatzprotokolls aus dem Jahr 2015 sowie Ziffer 6 lit. b) der Sicherheitsratsresolution 2178 (2014). 279

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§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

staat abgelehnt hat (vgl. § 89a Rdn. 162). Im Anwendungsbereich des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus309 und der Konvention des Europarats zur Verhütung des Terrorismus310 kann sich dieses Ergebnis über § 6 Nr. 9 z. T. unmittelbar aus den jeweils einschlägigen Regelungen des Abkommens, zumindest aber über eine durch diese Regelungen modifizierte Anwendung von § 7 Abs. 2 Nr. 2 ergeben.311

X. Rechtsfolgen (Absatz 5 bis 7) 103 § 89c sieht für beide Tatvarianten zwar einen einheitlichen, in der Sache aber verhältnismäßig hohen Strafrahmen vor, der von einer Mindeststrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe reicht.312 Die Verhängung einer Geldstrafe kommt damit lediglich unter den Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 in Betracht. In Fällen geringer Schuld ist die Strafe gem. §§ 89c Abs. 6, 49 Abs. 1 zu mildern. Es besteht aber auch die Möglichkeit, gänzlich von Strafe abzusehen. Dies dient der Wahrung der Verhältnismäßigkeit.313 Wird eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verhängt, kann das Gericht gem. § 92a dem Verurteilten die Fähigkeit aberkennen, öffentliche Ämter zu bekleiden, an Wahlen teilzunehmen sowie Rechte aus Wahlen zu erlangen. Nach § 92b bestehen zudem erweiterte Möglichkeiten hinsichtlich der Einziehung von Gegenständen. Nicht in Betracht kommt dagegen die Anordnung von Führungsaufsicht, da in § 89c keine § 89a Abs. 6 vergleichbare Regelung vorgesehen ist.314

1. Minder schwerer Fall (Absatz 5) 104 Wesentliche Bedeutung zur Wahrung der verfassungsmäßigen Balance der Norm (Rdn. 58) kommt Absatz 5 der Norm zu, der für geringwertige Vermögenswerte einen minder schweren Fall normiert, der mit Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren bedroht ist. Die Regelung soll zwar den Wegfall der bis zur Einführung von § 89c in der Vorgängervorschrift des § 89a Abs. 2 Nr. 4 a. F. noch auf Tatbestandsebene verankerten Erheblichkeitsschwelle kompensieren.315 Sie ist aber zugleich auch mit der legislativen Klarstellung verbunden, dass die qualitative Bedeutung eines Vermögenswertes für die Begehung der intendierten Gewalttat im Rahmen von § 89c unerheblich ist.316 Ob es sich bei dem transferierten Vermögenswert um das für die Begehung der Katalogtat maßgebliche Tatmittel handelt, ist für Absatz 5 der Norm ohne Bedeutung. Die Geringwertigkeit ist vielmehr allein nach quantitativen Gesichtspunkten zu bestimmen. Die überwiegende Auffassung geht derzeit vor dem Hintergrund der allgemeinen

309 Zur Anwendung von § 6 Nr. 9 auf das Internationale Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vgl. Werle/Jeßberger LK13 vor § 6 Rdn. 134.

310 Zur Anwendung von § 6 Nr. 9 auf die Konvention des Europarats vgl. Ambos MK § 6 Rdn. 17; SSW/Satzger § 6 Rdn. 14.

311 Art. 7 Abs. 4 i. V. m. Art. 10 Abs. 1 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus sowie Art. 14 Abs. 3, 18 und 19 der Konvention des Europarats zur Verhütung des Terorrismus aus dem Jahr 2005, das nach der Ratifizierung des Zusatzprotokolls aus Jahr 2015 auch für Tathandlungen nach § 89c Abs. 1 Nr. 8 gilt. 312 Krit. zur Höhe des Regelstrafrahmens Herzog/El-Ghazi Rdn. 52; Paeffgen NK Rdn. 10; Sch/Schröder/SternbergLieben Rdn. 12; Sieber/Vogel S. 182; Zöller SK Rdn. 21. 313 BTDrucks. 18/4087 S. 12; Schäfer MK Rdn. 27. 314 Schäfer MK Rdn. 29; Zöller SK Rdn. 22. 315 BTDrucks. 18/4087 S. 12; Schäfer Rdn. 26; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14. 316 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 20; Schäfer MK Rdn. 26; zum diesbezüglich Streitstand zu § 89a Abs. 2 Nr. 4 a. F. vgl. BGH BeckRS 2017 100833 Rdn. 27 m. w. N. Engelstätter

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XI. Täterschaft und Teilnahme

StGB § 89c

Preis-, Einkommens- und Wirtschaftsentwicklung von einer Wertgrenze von 50 Euro aus.317 Bei Auslandstaten ist auf die dortigen Verhältnisse abzustellen und ein entsprechender Wert zu ermitteln.318

2. Tätige Reue (Absatz 7) Angesichts des insbesondere hinsichtlich der Tathandlungen des Sammelns und des Zurverfü- 105 gungstellens verhältnismäßig frühen Zeitpunkts der Tatvollendung enthält Absatz 7 eine Regelung zur Tätigen Reue, die sich an der Parallelvorschrift des § 89a orientiert.319 Problematisch ist auch hier, dass der Gesetzeswortlaut nicht auf die jeweiligen Tathandlungen des § 89c abstellt, sondern in Absatz 7 Satz 1 vielmehr allgemein von der „weitere(n) Vorbereitung der Tat“ spricht. Aufgeben i. S. e. endgültigen Abstandnehmens von der Erreichung des Tatziels muss der Täter auch im Rahmen von § 89c eine vollendete, aber noch nicht beendete Finanzierunghandlung und nicht die durch sie intendierte Gewalttat.320 Dafür kann es je nach den Umständen des Einzelfalls allerdings genügen, eine ursprünglich geplante Weitergabe bereits gesammelter oder entgegengenommener Vermögenswerte zu unterlassen oder zu verhindern.321 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten kann auf die Erläuterungen zu § 89a verwiesen werden (dort Rdn. 173). Sind die Voraussetzungen des Absatzes 7 gegeben, kann die Strafe gem. § 49 Abs. 2 fakultativ gemildert, aber auch gänzlich von Strafe abgesehen werden; die Entscheidung liegt im Ermessen des Gerichts.

XI. Täterschaft und Teilnahme Hinsichtlich der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten die allgemeinen Grundsät- 106 ze. Im Übrigen kann auf die Erläuterungen zu § 89a verwiesen werden (dort Rdn. 177). Täter kann wie bei § 89a grundsätzlich jeder sein. Die Tathandlung kann der Vorbereitung eigener oder fremder staatsgefährdender Gewalttaten dienen. Dass der Finanzierungstäter mit dem Gewalttäter identisch ist oder an der Gewalttat beteiligt ist, ist nicht erforderlich, auch wenn im Falle ihrer Begehung im Regelfall Beihilfe vorliegen wird. Mittelbare Täterschaft sowie eine Tatbegehung durch Unterlassen erscheinen konstruktiv möglich, auch wenn der Rechtspraxis noch keine einschlägigen Fälle bekannt geworden sind. Wird eine Finanzierungshandlung nach § 89c von mehreren Personen begangen, ist Mittä- 107 terschaft gem. § 25 Abs. 2 zu prüfen. Mangels einschlägiger Judikate ist auf die für § 89a geltenden Grundsätze zurückzugreifen. Auch § 89c begründet weder eine Strafbarkeit für Personen, die eine von der Vorschrift erfasste Tathandlung vornehmen, ohne dass diese auf die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gerichtet ist, noch für Personen, die diese subjektive Vorstellung haben, ohne sie durch eine der im Tatbestand genannten Tathandlungen nach außen zu manifestieren. Pönalisiert wird auch nicht die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat durch Handlungen, die nicht im Tatbestand enthalten sind. Unter Strafe gestellt sind

317 Fischer Rdn. 9; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 20; Schäfer MK Rdn. 26; SSW/Güntge Rdn. 7; Zöller SK Rdn. 21; krit. Paeffgen NK Rdn. 10; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14; aA Herzog/El-Ghazi Rdn. 54: 10 Prozent des durchschnittlichen Netto-Monatsgehalts; ähnlich auch Hungerhoff S. 138; Gazeas/Grosse-Wilde/Kießling NStZ 2009 593, 599. 318 Schäfer MK Rdn. 26; Zöller SK Rdn. 21. 319 Schäfer MK Rdn. 28; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 16; Zöller SK Rdn. 23. 320 Vgl. Schäfer MK § 89a Rdn. 81; Zöller SK § 89a Rdn. 51 (beide zu § 89a StGB); aA Herzog/El-Ghazi Rdn. 56 (zu § 89c StGB); Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 89a Rdn. 25 (zu § 89a). 321 Herzog/El-Ghazi Rdn. 56. 281

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Terrorismusfinanzierung

allein Finanzierungshandlungen in der in § 89c Abs. 1 normierten Art und Weise.322 Demgemäß müssen sich die Tatbeiträge mehrerer Personen so ergänzen, dass zumindest hinsichtlich einer der in § 89c normierten Finanzierungshandlungen die Voraussetzungen der Mittäterschaft vorliegen. Allein die Kenntnis eines Beschuldigten von der Tat des Mitbeschuldigten und sein Wille, diese als gemeinsame anzusehen, vermag die Voraussetzungen einer Mittäterschaft auch im Fall des § 89c nicht zu begründen.323 Aufgrund der Weite der Tathandlungen des § 89c sind an eine Beihilfe strenge Anforde108 rungen zu stellen. Regelmäßig wird es sich um Fälle handeln, die im Verhältnis zur Finanzierungshandlung einen noch geringeren Unrechtsgehalt aufweisen und im Regelfall als neutrale Handlungen zu bewerten sein werden. Eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zu § 89c setzt voraus, dass die Handlung die Verwirklichung einer Finanzierungshandlung i. S. d. Norm fördert. Handlungen, die sich in irgendeiner Weise auf die Vorbereitung der schweren staatsgefährdenden Gewalt beziehen, aber nicht an eine Finanzierungshandlung des § 89c anknüpfen, können wie bei § 89a nicht als Beihilfe gewertet werden.324 Sollte die schwere staatsgefährdende Gewalttat tatsächlich begangen werden, kommt zudem Beihilfe zu dieser Tat in Betracht.

XII. Verhältnis zu anderen Vorschriften 109 § 89c kann mit anderen Finanzierungshandlungen nach dieser Vorschrift, aber auch mit Vorbereitungshandlungen gem. §§ 89a, b konkurrieren. In Betracht kommt regelmäßig zudem die gleichzeitige Verwirklichung weiterer Straftatbestände des Besonderen Teils des StGB sowie des Nebenstrafrechts. Darüber hinaus ist § 89c Gegenstand von Verweisungen innerhalb wie außerhalb des Strafrechts. Von besonderer Bedeutung für die Rechtspraxis ist zudem das Verhältnis der Norm zu ihrer Vorgängerregelung § 89a Abs. 2 Nr. 4 a. F.

1. Konkurrenzen 110 Beziehen sich einzelne Tatmodalitäten des § 89c auf denselben Vermögensgegenstand so verdrängt die Tathandlung des Sammelns die Tathandlung des Entgegennehmens und die Tathandlung des Zurverfügungstellens das vorangegangene Sammeln.325 Soweit der Täter eine Katalogtat i. S. v. § 89c Abs. 1 Satz 1 durch mehrere Tathandlungen i. S. d. Norm vorbereitet, ist wie bei § 89a nur eine einheitliche Tat gegeben. Dies gilt umgekehrt auch, wenn der Täter verschiedene Katalogtaten durch eine Finanzierungshandlung vorbereitet. Tatmehrheit ist jedoch zu bejahen, soweit der Täter mehrere Finanzierungshandlungen begeht, die jeweils auf unterschiedliche Katalogtaten gerichtet sind. In diesem Fall führen selbst zeitliche Überschneidungen einzelner Handlungen nicht zu einer tateinheitlichen Begehungsweise oder tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl. § 89a Rdn. 185). § 89c tritt im Wege der Gesetzeskonkurrenz als mitbestrafte Vortat zurück, soweit sich die Handlung als Vorbereitung einer weiteren Vorbereitungshandlung derselben Person insbesondere nach § 89a darstellt (§ 89a Rdn. 188).

111 a) Konkurrenzverhältnis zur finanzierten Tat. Bedeutsam für die Rechtspraxis ist vor allem das Konkurrenzverhältnis zu der durch die Tat nach § 89c StGB finanzierten Tat. Der BGH hat dies bislang nicht abschließend entschieden, in zwei Haftprüfungsentscheidungen 322 Vgl. BGH NJW 2017 2693, 2694; BGH StV 2018 103, 105, jeweils zu § 89a. 323 Vgl. BGH NJW 2017 2693, 2694; BGH NStZ-RR 2016 6, 7; BGH BeckRS 2017 115067 Rdn. 12, ebenfalls zu § 89a StGB.

324 Vgl. BGH NJW 2017 2693, 2695; Matt/Renzikowski/Henrichs § 89a Rdn. 21. 325 BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 42; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 19. Engelstätter

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XII. Verhältnis zu anderen Vorschriften

StGB § 89c

allerdings noch ohne nähere Begründung angedeutet, dass für den Fall der Finanzierung einer terroristisch motivierten Ausreise der Tatbestand des § 89c StGB die regelmäßig zugleich vorliegende Beihilfehandlung zu § 89a Abs. 2a StGB verdrängen könnte.326 Nach der überwiegenden Ansicht der Literatur soll § 89c StGB dagegen in allen Fallkonstellationen, in denen der Täter die finanzierte Tat (mit-)täterschaftlich begeht oder zumindest als Anstifter oder Gehilfe an ihr beteiligt ist, hinter die strafbare Beteiligung an der finanzierten Tat zurücktreten.327 Die Ansicht der Literatur entspricht dem dokumentierten Willen des Gesetzgebers. Auch 112 wenn dieser von einer ausdrücklichen Konkurrenzregelung in § 89c abgesehen hat, so enthält die Gesetzesbegründung gleichwohl den Hinweis, dass Taten nach § 89c in Anlehnung an die Behandlung der Konkurrenzen bei § 30328 behandelt werden und damit regelmäßig als mitbestrafte Vortat im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter die durch die Finanzierung ermöglichte Katalogtat zurücktreten sollen – dies auch im Stadium des Versuchs und in jeder Beteiligungsform.329 Die Gesetzesbegründung unterstreicht auf diese Weise den Auffangcharakter der Norm, deren Aufgabe vornehmlich in der Schließung bestehender Strafbarkeitslücken und nicht in der Verschärfung bereits nach anderen Vorschriften strafbarer Sachverhalte liegen soll. Im Falle der Finanzierung einer fremden Tat, in dem § 89c regelmäßig mit einer Beihilfehandlung zur finanzierten Tat konkurriert, spricht dies nicht für einen Vorrang von § 89c, sondern eher für einen Vorrang der Beihilfehandlung, sodass der Täter nicht aus dem Strafrahmen des § 89c, sondern aus dem Strafrahmen der Teilnahmeregelung zu bestrafen wäre. Dies würde auch dann gelten, wenn der Strafrahmen des § 89c, z. B. bei der Finanzierung einer terroristisch motivierten Ausreise gem. Absatz 1 Nr. 8 im Einzelfall höher ausfiele als der Strafrahmen der Teilnahme gem. §§ 89a Abs. 2a, 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 (vgl. § 89a Rdn. 187).330 Ob ein Rücktritt des Täters von der finanzierten Tat i. S. v. § 24 seine Strafbarkeit nach § 89c 113 wiederaufleben lässt, erscheint dagegen fraglich. Für § 30 ist zwar anerkannt, dass sich ein Rücktritt von der Haupttat auch auf ihre Vorstufen erstreckt.331 Dies würde im Falle des § 89c jedoch die Regelungen der tätigen Reue nach Absatz 7 der Vorschrift unterlaufen. In jedem Falle aber kommt ein Zurücktreten der Norm im Wege der Gesetzeskonkurrenz nur in Betracht, wenn sich auch die finanzierte Tat verwirklicht, deren Begehung der Täter des § 89c im Zeitpunkt seiner Tathandlung beabsichtigte. Bloße Modifikationen wie ein Austausch des Tatmittels, oder Planänderung hinsichtlich Zeit und Ort der geplanten Gewalttat sind hierbei zwar unbeachtlich.332 Die Gesetzeskonkurrenz entfällt jedoch im Falle maßgeblicher Abweichungen von der Vorstellung des Täters hinsichtlich des „Wie“ der geplanten Gewalttat. Werden die tatgegenständlichen Vermögenswerte aufgrund eines neuen Tatentschlusses für eine gänzlich andere Katalogtat verwendet, an der der Täter ebenfalls beteiligt ist, ist für die Annahme von Gesetzeskonkurrenz kein Raum mehr. Die letztlich begangene Tat steht zu der Finanzierungstat des § 89c entsprechend den zu § 30 entwickelten Grundsätzen in Tatmehrheit gem. § 53.333 Bleibt die verwirklichte Tat hinter der intendierten Tat in ihrem Unrechtsgehalt zurück, kann in Anlehnung an die zu § 30 entwickelten Grundsätze auch Tateinheit in Betracht kommen, z. B. wenn es statt der Verwirklichung eines Verbrechens zur Verwirklichung eines Vergehens kommt.334 Ist der 326 BGH BeckRS 2019 14496 Rdn. 39; BGH BeckRS 2019 18950 Rdn. 29. 327 Gazeas AnwK Rdn. 14; Herzog/El-Ghazi Rdn. 58; Schäfer MK Rdn. 24; Zöller SK Rdn. 24; AA Matt/Renzikowski/ Henrichs Rdn. 19; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17, die beide von Idealkonkurrenz ausgehen.

328 Vgl. zu den insoweit zu berücksichtigen Maßstäben BGHSt 14 378, 379; BGH NStZ 1983 364; BGH NJW 1992 2903, 2905; Fischer § 30 Rdn. 27; Joecks MK § 30 Rdn. 73; SSW/Muhrmann § 30 Rdn. 30. 329 BTDrucks. 18/4087 S. 11. 330 AA Matt/Renzikowski/Henrichs § 89a Rdn. 23. 331 Vgl. BGHSt 14 378, 379; BGH NStZ 1983 364; BGH NStZ 1999 449, 450; Joecks MK § 30 Rdn. 76; SSW/Muhrmann § 30 Rdn. 32. 332 Vgl. SSW/Muhrmann § 30 Rdn. 31; BGH NJW 1992 2903, 2905. 333 Vgl. BGHSt 44 91; BGH NStZ 1998 189; Joecks MK § 30 Rdn. 73; Sch/Schröder/Heine/Weißer § 30 Rdn. 38. 334 Vgl. BGHSt 1 241, 242; BGHSt 9 131, 134; Sch/Schröder/Heine/Weißer § 30 Rdn. 39. 283

Engelstätter

§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

Täter an der letztlich begangenen Tat dagegen, z. B. mangels Gehilfenvorsatzes, überhaupt nicht beteiligt, verbleibt es für ihn bei der Straftat nach § 89c.

114 b) Konkurrenzverhältnis zu weiteren Straftaten. Die aufgrund des Hinweises in der Gesetzesbegründung verhältnismäßig weitreichende Einordnung von § 89c als mitbestrafte Vortat führt in der Rechtspraxis regelmäßig dazu, dass die Norm keine Rolle mehr spielt, sobald eine der finanzierten Katalogtaten nach Absatz 1 Satz 1 der Norm das Versuchsstadium erreicht. Erfasst sind hierbei nicht nur die klassischen Anschlagstaten wie Mord, Totschlag, Geiselnahme oder Brandstiftung (Nummer 1 bis 3), sondern auch bestimmte Delikte des Waffenrechts (Nummer 5 und 6), die Vorbereitungstatbestände der §§ 328, 310 (Nummer 7) sowie die terroristisch motivierte Ausreise gem. § 89a Abs. 2a (§ 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 8). Mit anderen, vor Eintritt der Katalogtat in das Versuchsstadium verwirklichten Straftatbeständen wird dagegen regelmäßig Idealkonkurrenz i. S. v. § 52 bestehen. Dies kann nicht nur für bestimmte Vorschriften des Nebenstrafrechts, insbesondere des Sprengstoff- oder Chemikalienrechts, sondern auch für Handlungen in Betracht kommen, die zugleich den Tatbestand des § 89a Abs. 2 – wenn auch nur in Form einer Beihilfe – erfüllen (s. § 89a Rdn. 188). Hinsichtlich der Tatbestände der §§ 129a, b, aber auch hinsichtlich § 261 und §§ 17, 18 AWG, kann auf die zu § 89a ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden.335 Insoweit wird für den Regelfall von Tateinheit auszugehen sein,336 auch wenn der BGH das Konkurrenzverhältnis zu einer Unterstützungshandlung zuletzt ausdrücklich offengelassen hat.337

2. Verhältnis zur Vorgängerregelung 115 Nach welchem Recht Taten, die zeitlich zwar nach Inkrafttreten der Vorgängerregelung des § 89a Abs. 2 Nr. 4 a. F. aber vor Inkrafttreten von § 89c begangen worden sind und nunmehr abgeurteilt werden sollen, zu beurteilen sind, erscheint zweifelhaft. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls. § 2 Abs. 3 bestimmt insoweit, dass im Falle der Änderung des zur Tatzeit geltenden Gesetzes die für den Täter günstigere Regelung anzuwenden ist (Meistbegünstigungsprinzip). Welche Gesetzesfassung für den Täter am günstigsten ist, bestimmt sich dabei nicht nach einem abstrakten Vergleich der Gesetzesfassungen, sondern danach, welche Regelung bei einem Gesamtvergleich die dem Täter günstigste Beurteilung zulässt.338 Im Verhältnis zwischen § 89a Abs. 2 Nr. 4 a. F. und § 89c ist der BGH mittlerweile in zwei Haftentscheidungen davon ausgegangen, dass es sich um eine i. R. v. § 2 Abs. 3 berücksichtigungsfähige Gesetzesänderung handelt, die an den Voraussetzungen der Norm zu messen ist.339 In einem Fall hat der Senat § 89c als milder eingestuft, da die Norm anders als die Vorgängerregelung keine Möglichkeit zur Anordnung von Führungsaufsicht vorsieht.340 Im dem anderen Fall musste der Senat die Frage nicht entscheiden, hat jedoch deutlich gemacht, das für die Prüfung u. a. die nach altem Recht noch im Rahmen des Tatbestands zu prüfende Erheblichkeitsschwelle, aber auch die in § 89c im Vergleich zur Vorgängerregelung erleichterte terroristische Zweckbestimmung maßgeblich sein könnte.341

335 336 337 338

Vgl. hierzu BGHR StGB 89a Konkurrenzen 1; BGH NStZ-RR 2018 42, 43. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 19. BGH BeckRS 2020, 468 Rdn. 31. BGH NStZ 1983 80; BGH NStZ 2000 49, 50; Fischer § 2 Rdn. 10; Sch/Schröder/Hecker § 2 Rdn. 18; Schmitz MK § 2 Rdn. 28. 339 BGH BeckRS 2017 100833 Rdn. 27; BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 45. 340 BGH BeckRS 2019 5425 Rdn. 45; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 19. 341 BGH BeckRS 2017 100833 Rdn. 27. Engelstätter

284

XIII. Prozessuales

StGB § 89c

3. Verweisungen auf § 89c in anderen Vorschriften Wie bereits die Vorgängerregelung des § 89a Abs. 2 Nr. 4 a. F. ist § 89c StGB taugliche Vortat 116 einer Geldwäsche gem. § 261 Abs. 1 Nr. 5. Ihre Nichtanzeige ist anders als im Falle des § 89a jedoch nicht nach § 138 strafbar. Im Gefahrenabwehrrecht kann eine bevorstehende Tat nach § 89c Anknüpfungspunkt für eine Maßnahme nach §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 lit. a) G10-Gesetz sein. Darüber hinaus verweisen zahlreiche Normen des Wirtschaftsverwaltungs- und Bankrechts auf die Vorschrift, z. B. § 1 Abs. 2 Nr. 2 GwG, § 1 Abs. 32 Nr. 2, 6a Abs. 1 KWG. § 89c ist ferner in den Katalog des § 23d Abs. 1 lit. a) ZFdG integriert worden. Danach kann das Zollkriminalamt persönliche Daten des Betroffenen an die Polizei übermitteln, soweit tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass jemand eine Straftat nach § 89c begeht oder in Zukunft begehen will. Eine weitere Verweisung im Zollrecht findet sich in § 12a Abs. 7 Nr. 2 ZollVG für die Überwachung des grenzüberschreitenden Verkehrs mit Barmitteln und gleichgestellten Zahlungsmitteln. Die Durchbrechung des Steuergeheimnisses ist für die Finanzverwaltung unter den Voraussetzungen von § 31b AO möglich.

XIII. Prozessuales Bei § 89c handelt es sich um ein Offizialdelikt. In Fällen mit Auslandsbezug kann unter den Vo- 117 raussetzungen des Absatzes 4 eine Strafverfolgungsermächtigung der Bundesregierung erforderlich sein. Zudem kommt in diesen Fällen eine Verfahrensweise gem. § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 Abs. 2, 3, 4 StPO in Betracht. Die Verjährungsfrist beträgt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 zehn Jahre. Sie beginnt gem. § 78a mit der Beendigung der Tat, also mit dem Abschluss der Finanzierungshandlung. Straftaten nach § 89c fallen in die Zuständigkeit der Bundesländer und dort gem. § 74a 118 Abs. 1 Nr. 2 GVG in die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer und der bei dieser Kammer ortsansässigen Staatsanwaltschaft. Der Generalbundesanwalt kann ein Ermittlungsverfahren gem. § 89c im Wege der Evokation gem. § 120 Abs. 2 Nr. 1 GVG übernehmen, wenn der Sache besondere Bedeutung zukommt. Gibt er das Verfahren nicht gem. § 142a Abs. 4 GVG wieder an die Landesstaatsanwaltschaft zurück, sind die Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte zur erstinstanzlichen Entscheidung über die Sache berufen. Sie haben allerdings die Möglichkeit, gem. § 120 Abs. 2 Satz 2 GVG das Verfahren wieder an das Landgericht zu verweisen, wenn eine besondere Bedeutung des Falles nicht mehr gegeben ist. An die Übernahme eines Verfahrens durch die Bundesjustiz sind auch im Falle des § 89c strenge Anforderungen zu stellen. Hinsichtlich der Einzelheiten und der im Einzelfall anzuwendenden Maßstäbe kann im Grundsatz auf die Ausführungen zu § 89a StGB verwiesen werden (§ 89a Rdn. 200). Speziell im Rahmen des § 89c dürften zu berücksichtigen sein: Art und Höhe des transferierten Vermögenswerts, die Einbindung des Senders und des Empfängers in terroristische Strukturen sowie Tatort, Art und Weise der finanzierten Tat einschließlich des Umstandes, ob diese Tat letztlich zumindest im Versuch begangen worden ist. Der Gesetzgeber hat die für Taten nach § 89a bestehenden Ermittlungsbefugnisse in der StPO 119 auch auf Taten nach § 89c Abs. 1 bis 4 ausgeweitet. Soweit die Voraussetzungen der Absätze 5 bis 6 gegeben sind, es also um geringwertige Vermögenswerte geht, oder aber ein Fall geringer Schuld vorliegt, kommen die Maßnahmen aus Verhältnismäßigkeitsgründen nicht in Betracht.342 Im Übrigen sind insbesondere zulässig: die Telekommunikationsüberwachung (§ 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. a StPO), die Online-Durchsuchung (§ 100b Abs. 2 Nr. 1 lit. a) StPO), akustische Wohnraumüberwachung (§ 100c Abs. 1 Nr. 1 StPO), die Erhebung von Verkehrsdaten (§ 100g Abs. 1 Nr. 1 StPO), der Einsatz des IMSI-Catchers (§ 100i StPO), die Durchsuchung beim Nichtverdächtigen (§ 103 StPO), der Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 110a Abs. 1 Nr. 2 StPO) sowie die Errichtung von Kontrollstellen (§ 111 StPO). § 89c ist zudem wie § 89a im Katalog des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO enthalten. § 443 342 BTDrucks. 18/4087 S. 13; Schäfer MK Rdn. 32; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17. 285

Engelstätter

§ 89c StGB

Terrorismusfinanzierung

Abs. 1 Nr. 1 StPO ermöglicht schließlich die präventive Beschlagnahme des im Geltungsbereich des StGB befindlichen Vermögens eines Beschuldigten, sofern gegen ihn eine Anklage nach § 89c erhoben oder ein entsprechender Haftbefehl erlassen worden ist. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der Beschuldigte das Vermögen während des Strafverfahrens nicht zur Finanzierung weiterer Straftaten einsetzt oder es Dritten zu diesem Zwecke überlässt.343

343 BTDrucks. 18/4087 S. 13; Schäfer MK Rdn. 33; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17. Engelstätter

286

§ 90 Verunglimpfung des Bundespräsidenten (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Bundespräsidenten verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2), wenn nicht die Voraussetzungen des § 188 erfüllt sind. (3) Die Strafe ist Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, wenn die Tat eine Verleumdung (§ 187) ist oder wenn der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt. (4) Die Tat wird nur mit Ermächtigung des Bundespräsidenten verfolgt.

Schrifttum Backes Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz (1970); Beck Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung (1992); Beisel Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen (1997); Bull Freiheit und Grenzen des politischen Meinungskampfes, FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band 2 (2001) 163; Burkiczak Der straf- und ordnungswidrigkeitsrechtliche Schutz der deutschen Staatssymbole, JR 2005 50; Buscher Neuere Entwicklungen der straf- und ehrenschutzrechtlichen Schranken der Meinungsfreiheit und der Kunstfreiheit, NVwZ 1997 1057; Christoph Die Strafbarkeit satirisch überzeichneter Schmähkritik, JuS 2016 599; Dierksmeier Die Würde der Kunst, JZ 2000 883; Fahl Zur Strafbarkeit des Auftritts der Punk-Rock-Band „Pussy Riot“ nach deutschem Strafrecht, StraFo 2013 1; ders. Böhmermanns Schmähkritik als Beleidigung, NStZ 2016 313; Gallandi Staatsschutz und Pressefreiheit (1983); Gärtner Was Satire darf – Eine Gesamtbetrachtung zu den rechtlichen Grenzen einer Kunstform (2009); Gusy Weimar – die wehrlose Republik (1991); Groß Zum Pressestraf- und Pressestrafverfahrensrecht, AfP 1998 358; Hartmann Majästätsbeleidigung und Verunglimpfung des Staatsoberhauptes (§§ 94 ff. RStGB, 90 StGB) (2006); Hong Hassrede und extremistische Meinungsäußerungen in der Rechtsprechung des EGMR und nach dem Wunsiedel-Beschluss des BVerfG, ZaöRV 2010 73; Hörnle Grob anstößiges Verhalten – Strafrechtlicher Schutz von Moral, Gefühlen und Tabus (2005); Karpen/Nohe Die Kunstfreiheit in der Rechtsprechung seit 1992, JZ 2001 801; Kiesel Die Liquidierung des Ehrenschutzes durch das BVerfG, NVwZ 1992 1129; Krutzki „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“ – Eine Dokumentation, KJ 1980 294; Last Die Staatsverunglimpfungsdelikte: §§ 9090b StGB (2000); Liourdi Herkunft und Zweck der Strafbestimmungen zum Ehrenschutz des Staatsoberhaupts (1990); Oppermann Ehrensache Satire – Zur Frage satirischer Ehrbeeinträchtigungen im Strafrecht (2015); Rahmlow Die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht (2006); Rusch/Becker Warum Satire eben doch fast alles darf – Der Fall Böhmermann und seine straf- und rundfunkrechtliche Bewertung, AfP 2016 201; Schaefer 1958 – Schicksalsjahr der Rechtsentwicklung in beiden deutschen Teilstaaten – Das Lüth-Urteil und die Babelsberger Konferenz, JZ 2008 703; Schlichter Der Strafantrag, die Strafverfolgungsermächtigung und die Anordnung der Strafverfolgung unter besonderer Berücksichtigung der Staatsschutzdelikte, GA 1966 353; Schroeder Symbolisches Strafrecht – symbolische Straftaten, FS Hassemer (2010) 617; Seelmann-Eggebert Die Entwicklung des Presse- und Äußerungsrechts in den Jahren 2005–2007, NJW 2008 2551; Wandtke Majestätsbeleidigung versus Urheberrecht, UFITA 2014 109; Zimmermann Die Meinungsfreiheit in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJ 2011 145.

Entstehungsgeschichte Der Tatbestand, der sein Vorbild in den Entwürfen von 1925 und 1927 in Vorschriften zum Schutz des Reichspräsidenten hatte, wurde durch das 1. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 7) als § 95 in das StGB eingefügt. Er erfasste nicht nur die Verunglimpfung des Bundespräsidenten, sondern auch das Auffordern hierzu. Durch das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17), das die Vorschrift in § 90 umbenannte, wurde die letztgenannte Tatvariante gestrichen. Insoweit ist über die §§ 26 und 111 ein ausreichender strafrechtlicher Schutz vorhanden. Im Übrigen brachten das 8. StrÄndG und später das EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I 469; 1975 I 1916; 1976 I 507) nur redaktionelle Veränderungen. Zuletzt wurde Absatz 2 durch das 6. StrRG (Vor § 80 Rdn. 18) technisch geändert.

287 https://doi.org/10.1515/9783110490008-019

Steinsiek

§ 90 StGB

Verunglimpfung des Bundespräsidenten

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

1

II. 1. 2. 3.

Objektiver Tatbestand 2 3 Verunglimpfen 4 Wahrheitsbeweis 5 Tatmodalitäten a) Öffentlich 6 7 aa) Größerer Personenkreis bb) Die Öffentlichkeit des Ortes 8 9 cc) Beispiele 10 b) In einer Versammlung 11 aa) Mindestteilnehmerzahl bb) Möglichkeit der Aufnahme der Äuße12 rung 13 c) Das Verbreiten von Schriften

14

III.

Subjektiver Tatbestand

IV.

Geltungsbereich

V.

Strafrahmen

VI.

Qualifikationstatbestand des Absatzes 3

15 16 17

VII. Teilnahme, Nebenfolgen und Einziehung 18 VIII. Strafverfolgungsermächtigung des Absat19 zes 4 IX.

Konkurrenzen

X.

Opportunitätsprinzip; Zuständigkeit

20 21

I. Zweck der Vorschrift 1 Die Vorschrift richtet sich gegen die Verunglimpfung des Bundespräsidenten.1 Sie erweist der Würde des protokollarisch höchsten Amtes und dessen Inhabers Reverenz. Schutzgut ist das Amt und die Person des Bundespräsidenten während der jeweiligen Amtszeit (BGHSt 16 338). Vielleicht wegen seiner – im Vergleich zum Reichspräsidenten der Weimarer Reichsverfassung – weitgehend entmachteten Stellung, seiner (vorrangig) auf Präsenz, Anteilnahme und Redemacht beschränkten Einflusssphäre im politischen Machtgefüge (aber auch entscheidender Zuständigkeiten bei einzelnen Fragen, die der Bundespräsident unabhängig von politischer Einflussnahme zu treffen hat), ist der Schutz der Ehre des Bundespräsidenten von besonderer Bedeutung. Die Vorschrift steht nicht nur äußerlich an der Spitze der drei Tatbestände, die den „Ehrenschutz“ des Staates, seiner Organe und Symbole zum Gegenstand haben. Der besondere Symbolcharakter des Amtes und die hervorgehobene Organstellung des Bundespräsidenten, die von seiner Eigenschaft als Privatperson kaum zu trennen ist, haben ihr ein besonderes sachliches Gewicht gegeben. Dieses hat im Grad der Vorverlegung des Strafschutzes und der Höhe der Strafdrohung ihren Ausdruck gefunden (BGHSt 11 11, 13). Man kann deshalb sagen, dass in § 90 auch der persönliche Ehrenschutz des Bundespräsidenten weitgehend inbegriffen ist und sich mit dem Schutz des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland als eines freiheitlichen Verfassungsstaates verbindet.2 Denn nahezu jeder Angriff auf die private Ehre des Bundespräsidenten trifft diesen notwendig auch in seiner Autorität als Staatsoberhaupt. Nicht geschützt ist dagegen – nach dem insoweit eindeutigem Wortlaut – sein Vertreter nach Art. 57 GG, auch wenn er Befugnisse des Bundespräsidenten wahrnimmt.3 Dies folgt überdies auch aus der Entstehungsgeschichte und dem Charakter des § 90 als Sondervorschrift. Zudem gewähren die §§ 185 ff. dem Stellvertreter ausreichenden strafrechtlichen Schutz.

1 Kritisch Liourdi S. 169 ff., der die Norm für nicht mehr zeitgemäß hält. 2 Paeffgen NK Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Zöller SK Rdn. 1. 3 Steinmetz MK Rdn. 4; Valerius BeckOK Rn. 2; Last, S. 96, 103 f.; aA Liourdi S. 205; Fischer Rdn. 2 unter zu weitgehender Auslegung von BGHSt 16 338. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 90

II. Objektiver Tatbestand Tathandlung ist das Verunglimpfen des Bundespräsidenten, soweit es öffentlich, in einer Ver- 2 sammlung oder durch Verbreiten von Schriften erfolgt.

1. Verunglimpfen Unter Verunglimpfen ist eine nach Form, Inhalt, Begleitumständen oder Beweggrund erhebli- 3 che Ehrenkränkung im Sinne der §§ 185ff. zu verstehen. Weniger gewichtigere Entgleisungen verwirklichen den Tatbestand noch nicht.4 Sie sind nicht geeignet, das Staatsoberhaupt in seiner von § 90 geschützten Stellung als Repräsentant des Staates zu treffen. Insoweit genügt der übrige gesetzliche Ehrenschutz (§§ 185 ff.). Im Übrigen ist aber auch die Stellung des Bundespräsidenten im politischen Leben zu berücksichtigen. Politische Kritik, sei es auch in harter Form, muss auch gegenüber dem Bundespräsidenten erlaubt sein.5 Denn die freie auch polemische Meinungsäußerung ist ein zentral notwendiges Potential zur Ausübung von Demokratie.6 § 90 greift erst dann ein, wenn nicht mehr die politische Auseinandersetzung mit der Amtsführung des Bundespräsidenten im Vordergrund steht, sondern eine politische und personale schwerwiegende Diskreditierung des Amtes oder der Person des Bundespräsidenten den Angriff beherrscht.7

2. Wahrheitsbeweis Erfolgt die Ehrverletzung durch eine Tatsachenbehauptung, so ist der Wahrheitsbeweis nach 4 § 186 zulässig.8

3. Tatmodalitäten Mit der weiteren tatbestandlichen Voraussetzung, dass das Verunglimpfen „öffentlich, in einer 5 Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften“ erfolgen muss, wird eine weitere Einschränkung des Tatbestandes erstrebt. Sie zielt darauf ab, nur solche Äußerungen zu erfassen, die ein gewisses Aufsehen erregt haben und die bloße Mundpropaganda von Person zu Person (Flüsterwitze) auszuscheiden. Dieser Zweck ist bei der Auslegung der genannten Tatbestandsmerkmale bestimmend.

a) Öffentlich. Das RG hat den Begriff „öffentlich“, der beispielsweise in den §§ 80a, 86a, 90a, 6 90b, 140, 166, 186 und 200 im gleichen Sinne (vgl. § 86a Rdn. 19; auch Laufhütte LK11 § 183a Rdn. 3) wie in § 90 verwendet wird, auf Grundlage seiner ständigen Rechtsprechung dahin erläutert, dass „unbestimmt welche und wie viele Personen der Tat beiwohnen und sie wahrnehmen oder wenigstens wahrnehmen können“ (RGSt 72 67, 68; 73 90). RGSt 57 343, 344 hat dies verständlicher formuliert. Danach ist nicht die Öffentlichkeit des Ortes der Äußerung entscheidend, sondern es kommt vielmehr darauf an, dass eine nach Zahl und „Individualität“ nicht 4 BGHSt 12 364; 16 338, 339; BayObLG JZ 1951 786; OLG Hamm GA 1963 28 f.; OLG Frankfurt NJW 1984 1128, 1129. 5 BGHSt 16 338 340; Steinmetz MK Rdn. 6 und 15; Paeffgen NK Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 4. 6 BVerfGE 5 85, 205; zum Einfluss der Grundrechte § 90a Rdn. 22 ff. und § 90b Rdn. 4, sie wirken tatbestandsausschließend, vgl. auch Fahl NStZ 2016 313, 315.

7 BGHSt 16 338, 340; Wandtke UFITA 2014 109, 138 f.; vgl. auch Fahl StraFO 2013 1, 5. 8 Steinmetz MK Rdn. 7; Paeffgen NK Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; EGMR ÖJZ 1992 803. 289

Steinsiek

§ 90 StGB

Verunglimpfung des Bundespräsidenten

bestimmte Mehrheit von Personen die Äußerung verstehen konnte. Wesentlich ist daher, dass die Art der Äußerung ihre Wahrnehmbarkeit für einen größeren, durch persönliche Beziehungen nicht zusammenhängenden Personenkreis begründet (RGSt 65 112, 113). Demgegenüber fehlt es an der Öffentlichkeit, wenn die Äußerung des Täters auf die Wahrnehmung durch eine einzelne Person oder einen engeren, untereinander verbundenen Personenkreis beschränkt ist oder beschränkt bleiben soll (RGSt 21 254, 256). Dies kann der Fall sein bei den im Aufenthaltsraum eines Krankenhauses anwesenden zwei Patienten (OLG Hamm GA 1980 222, 224), nicht aber beispielsweise bei den Betriebsangehörigen eines großen Werkes (RGSt 44 132, 133 f.; 54 88, 89 f.), den Postbeamten (RG HRR 1932 Nr. 1798), den Bewohnern einer Ortschaft (Schroeder GA 1964 225, 231), den Mitgliedern eines großen Vereins (RGSt 40 262, 263), den Mietwagenbesitzern mit Funkanlage (OLG Celle MDR 1966 347) oder auch, bei entsprechender Größe der Veranstaltung, bei den Teilnehmern an der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft.

7 aa) Größerer Personenkreis. Aus dem tatbestandseinschränkenden Zweck des Merkmals öffentlich folgt, dass bei der Anwesenheit lediglich mehrerer, d. h. mindestens zweier Personen (vgl. RGSt 16 173), noch nicht von einem größeren Personenkreis im dargestellten Sinne die Rede sein kann (OLG Hamm GA 1980 222, 223).9 Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass keine Menschenmenge wie im Falle des früheren § 110 gefordert ist. Man wird daher von einer Personenmehrheit auszugehen haben, deren Zahl sich nicht mehr ohne Weiteres mit einem Blick sicher feststellen lässt.

8 bb) Die Öffentlichkeit des Ortes ist bei mündlichen Äußerungen, auch nach der Rechtsprechung des RG, allenfalls rein tatsächlich von Bedeutung, rechtlich jedoch ohne Belang. Es spielt demnach im Gegensatz zu § 183 a. F. (BGHSt 11 282, 285) auch keine Rolle, ob die anwesenden Personen nach den gegebenen Umständen weiteren Zuzug erhalten könnten oder nicht (OLG Hamm GA 1980 222, 223 zu § 140 Nr. 2). Dagegen kommt es bei einem optischen Zugänglichmachen der Äußerung, insbesondere also in Fällen des Plakatierens, darauf an, dass dies an einem allgemein oder doch – wie etwa in Kasernen oder Schulen – für einen großen Personenkreis zugänglichen Ort geschieht (vgl. auch § 86 Rdn. 26).

9 cc) Beispiele. Der Auffassung, dass öffentliche Begehung auch durch Absenden einer Postkarte möglich sei10 kann nicht gefolgt werden, weil bei der Beantwortung der Frage, ob Dritte Kenntnis nehmen können, Möglichkeiten ausscheiden müssen, deren Verwirklichung nur unter besonders ungewöhnlichen Umständen denkbar ist (so richtig RGSt 37 289, 290 für das Beispiel der Versendung einer beleidigenden Drucksache). Es ist sicher nicht die Regel, dass der Postbote von ihm ausgetragene Postkarten liest. Ebenso kann Schroeder GA 1964 225, 231 bereits nach der Ratio des Gesetzes nicht zugestimmt werden, wenn er es als öffentliche Begehung gelten lassen will, dass der Täter die Äußerung auf Grund eines Gesamtvorsatzes vielen Einzelnen nacheinander mitteilt. Dagegen wird eine Äußerung über Sprechfunk auf der von einer unbestimmten Vielzahl von Personen empfangenen Frequenz als öffentlich im erörterten Sinne anzusprechen sein (OLG Celle MDR 1966 347).

10 b) In einer Versammlung. Die auf eine Versammlung abstellende Variante überschneidet sich mit der öffentlichen Tatbegehung und findet ihren besonderen Sinn in der sog. geschlossenen Versammlung (Betriebsversammlung, Mitgliederversammlung eines Vereins u. dgl.), wo die öf9 Paeffgen NK Rdn. 6 verlangt mindestens fünf Personen. 10 RG HRR 1932 Nr. 1798; OLG Kiel JW 1931 2523, 2524 mit Anm. Engelhard. Steinsiek

290

III. Subjektiver Tatbestand

StGB § 90

fentliche Tatbegehung zweifelhaft sein kann (RGSt 57 343, 344). Versammlung ist eine räumlich vereinigte Personenmehrheit, deren Zusammentreten auf gemeinsamen bewussten Zwecken und Zielen, also auf einem gemeinsamen Willen, beruht (RGSt 21 71, 73; 29 161, 165; vgl. § 86a Rdn. 20). Dem Schutzzweck des § 90 entsprechend beschränkt sich der Begriff der Versammlung nicht auf den der VersammlungsG des Bundes und der Länder.11 Es kann sich dabei auch um künstlerische oder wissenschaftliche Veranstaltungen handeln, private Feste oder sonstige Zusammenkünfte privater Art scheiden dagegen aus.12 Ein Versammlungsleiter ist nicht erforderlich, überhaupt ist jede Form von Organisation entbehrlich (RGSt 21 71, 73; OLG Hamburg GA 1965 155).

aa) Mindestteilnehmerzahl. Keine allgemein gültige Antwort lässt sich auf die Frage geben, 11 welche Mindestteilnehmerzahl vorhanden sein muss, um eine Versammlung im Sinne des § 90 bejahen zu können. Zwar wird zum VersammlungsG die Ansicht vertreten, dass zwei Personen zwar noch nicht ausreichen,13 eine Gruppe von drei Personen dagegen bereits eine Versammlung darstellen kann.14 Demgegenüber ist jedoch zu betonen, dass die Frage nicht einhellig für alle Vorschriften zu beantworten ist, in denen der Begriff Versammlung Verwendung findet.15 Vielmehr ist auf den jeweiligen Gesetzeszweck und den Gesetzeszusammenhang abzustellen. Für § 90 bedeutet dies, dass die Variante Versammlung in der Qualität und Größenordnung der Varianten „öffentlich“ und „Verbreiten von Schriften“ zu sehen ist. Denn die Idee ist die Multiplikation der Nachricht durch eine beachtliche, nicht notwendig unüberschaubare, Personenvielfalt.16 Deshalb sind z. B. Sitzungen eines Vereinsvorstands, die von vornherein auf einen kleinen Personenkreis begrenzt sind, nicht als Versammlung im Sinne der Vorschrift zu werten.

bb) Möglichkeit der Aufnahme der Äußerung. Dass die Äußerung bloß räumlich in der 12 Versammlung getan ist, genügt nicht. Sie muss in kleineren Versammlungen allgemein und in größeren mindestens von einem entsprechenden Teil der Versammelten aufgenommen und verstanden werden können (RGSt 57 343, 344).

c) Das Verbreiten von Schriften bildet die dritte mögliche Modalität der Tatbegehung. Zum 13 Begriff des Verbreitens s. § 86 Rdn. 19 ff.; zum Begriff der Schriften (§ 11 Abs. 3) vgl. die Erläuterungen zu § 11.

III. Subjektiver Tatbestand Es genügt bezüglich aller Tatbestandsmerkmale bedingter Vorsatz.17 Bei Absatz 3 Alt. 2 muss 14 sich der Täter darüber hinaus absichtlich für rechtsstaats- oder sicherheitsgefährdende Bestrebungen einsetzen (§ 89 Rdn. 12).

11 12 13 14

Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5. AA Paeffgen NK Rdn. 8. OLG Düsseldorf JR 1982 299, 300 mit Anm. Merten. BayObLGSt 1965 155, 157; BayObLG NJW 1979 1895, 1896; OLG Hamburg MDR 1965 319; OLG Köln MDR 1980 1040. 15 OLG Koblenz MDR 1981 600, 601; LG Bonn MDR 1974 947; AG Tiergarten JR 1977 207, 208. 16 Paeffgen NK Rdn. 8 setzt eine Anzahl von circa zehn Personen voraus. 17 Fahl NStZ 2016 313, 317; Oppermann S. 99, 129 f. 291

Steinsiek

§ 90 StGB

Verunglimpfung des Bundespräsidenten

IV. Geltungsbereich 15 S. § 5 Nr. 3b. Die im Ausland begangene Tat ist unabhängig vom Recht des Tatorts strafbar, auch wenn der Täter Ausländer ist.

V. Strafrahmen 16 Der Regelstrafrahmen des Absatzes 1 sieht Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. In minder schweren Fällen (Absatz 2) kann das Gericht die Strafe gemäß § 49 Abs. 2 mildern. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Verunglimpfung zugleich die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 188 erfüllt.

VI. Qualifikationstatbestand des Absatzes 3 17 Absatz 3 enthält einen mit einer Anhebung der Mindeststrafandrohung verbundenen selbständigen Qualifikationstatbestand, nicht nur bloße Strafschärfungsmerkmale (BGHSt 32 332 zu § 90a Abs. 3). Er droht Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren für den Fall an, dass sich die Tat als Verleumdung darstellt (§ 187) oder der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt. Zu letzterem s. im Einzelnen § 92 Abs. 3 sowie § 87 Rdn. 18, § 88 Rdn. 9 und § 89 Rdn. 12.

VII. Teilnahme, Nebenfolgen und Einziehung 18 Teilnahme ist grundsätzlich möglich (§ 90b Rdn. 8). Zu Nebenfolgen und Einziehung s. §§ 92a, 92b. § 200, der durch § 90 nicht verdrängt wird, eröffnet eine Befugnis zur Bekanntgabe der Verurteilung.18

VIII. Strafverfolgungsermächtigung des Absatzes 4 19 Die Tat kann nach Absatz 4 nur mit Ermächtigung des Bundespräsidenten verfolgt werden. Die Entscheidung, ob die Ermächtigung zu erteilen sei, muss der Bundespräsident persönlich – auch wenn er nicht mehr im Amt ist – treffen.19 Die Meinung Schlichters GA 1966 353, 360 f. (so z. T. auch Paeffgen NK Rdn. 14), dass bei längerer Verhinderung der Präsident des Bundesrats als der nach Art. 57 GG berufene Vertreter sowie nach Ablauf der Amtszeit der Nachfolger im Amt zur Strafverfolgung ermächtigen könne, ist abzulehnen (vgl. BGHSt 29 282 zu § 90b Abs. 2). Denn die persönliche Entscheidung ist nicht ersetzbar.20 Der Hinweis darauf, dass für die Vorschrift der Schutz des repräsentativen Amtes durchaus im Vordergrund stehe, kann nicht verfangen, weil das Ermächtigungserfordernis den Sinn hat, dem Berechtigten die Vermeidung von Strafverfahren zu ermöglichen, an deren Durchführung er kein Interesse hat. Dieses Ermessen muss ihm vorbehalten sein und darf nicht durch andere durchkreuzt werden können. Der Bundespräsident behält deshalb diese Befugnis auch dann, wenn seine Amtszeit abgelaufen ist (und er, was zur Klarstellung angefügt sei, für neuerliche Angriffe aus § 90 keinen Strafschutz mehr genießt). Zur Ermächtigung s. im Übrigen § 77e. 18 Steinmetz MK Rdn. 26. 19 Steinmetz MK Rdn. 29; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10. 20 Anders als bei Kenntnis von Straftaten durch den Dienstvorgesetzten: BGHSt 44 209. Steinsiek

292

X. Opportunitätsprinzip; Zuständigkeit

StGB § 90

IX. Konkurrenzen Die §§ 185 bis 188 werden durch § 90 verdrängt.21 Im Übrigen kommt Tateinheit mit anderen 20 Äußerungsdelikten des Titels in Betracht (§§ 83, 86, 90a, 90b). Die §§ 190, 192 f. und 200 bleiben anwendbar.22

X. Opportunitätsprinzip; Zuständigkeit Zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips vgl. §§ 153c–e StPO, zur Zuständigkeit § 84 21 Rdn. 39.

21 BGHSt 16 338, 341; Last S. 109, 227. 22 Lackner/Kühl Rdn. 6. 293

Steinsiek

§ 90a Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) 1. die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft oder böswillig verächtlich macht oder 2. die Farben, die Flagge, das Wappen oder die Hymne der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine öffentlich gezeigte Flagge der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ein von einer Behörde öffentlich angebrachtes Hoheitszeichen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder entfernt, zerstört, beschädigt, unbrauchbar oder unkenntlich macht oder beschimpfenden Unfug daran verübt. Der Versuch ist strafbar. (3) Die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, wenn der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt.

Schrifttum Allgaier Ist das Deutschlandlied geltende Nationalhymne? Zum Problem der Staatssymbole, MDR 1988 1022; Basten Von der Reform des politischen Strafrechts bis zu den Anti-Terror-Gesetzen (1983); Beck Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung (1992); Beisel Die Kunstfreiheit des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen (1997); Bemmann Meinungsäußerungsfreiheit und Strafrecht (1981); Berger Das Gesinnungsmoment im Strafrecht (2008); Bull Freiheit und Grenzen des politischen Meinungskampfes, Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001) Bd. 2, 163; Burkiczak Geschichte und Rechtsgrundlagen der deutschen Staatssymbole, Jura 2003 806; Buscher Neuere Entwicklung der straf- und ehrenschutzrechtlichen Schranken der Meinungsfreiheit und der Kunstfreiheit, NVwZ 1997 1057; Busching Der Begehungsort von Äußerungsdelikten im Internet – Grenzüberschreitende Sachverhalte und Zuständigkeitsprobleme, MMR 2015 295; Dierksmeier Die Würde der Kunst, JZ 2000 883; Erhardt Kunstfreiheit und Strafrecht (1989); Fuhr Die Äußerung im Strafgesetzbuch (2001); Groß Zum Pressestraf- und Pressestrafverfahrensrecht, AfP 1998 358; Grünwald Meinungsfreiheit und Strafrecht, KJ 1979 291; Gusy Anmerkung zu BVerfGE 81, 278 und 298, JZ 1990 640; Hellenthal Kein Gesetzesvorbehalt für Nationalhymne! NJW 1988 1294; Henschel Die Kunstfreiheit in der Rechtsprechung des BVerfG, NJW 1990 1937; Hörnle Grob anstößiges Verhalten – Strafrechtlicher Schutz von Moral, Gefühlen und Tabus (2005); Hufen Anm. zu BVerfG v. 15.9.2008 – 1 BvR 1565/05, JuS 2009 950; ders. Anm. zu BVerfG v. 28.11.2011 – 1 BvR 917/09, JuS 2012 1145; Hümmerich/Beucher Keine Hymne ohne Gesetz. Zu den staatsrechtlichen Anforderungen an die Setzung des Symbols Nationalhymne NJW 1987 3227; Karpen/Hofer Die Kunstfreiheit des Art. 5 III 1 GG in der Rechtsprechung seit 1985 – Teil 2, JZ 1992 1060; Kelker Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht (2007); Klein „Einigkeit und Recht und Freiheit“ ins Grundgesetz?, ZRP 2016 12; Krutzki „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“ – Eine Dokumentation zu § 90a StGB, KJ 1980 294; Laitenberber/Bassier Wappen und Flaggen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder (2000); Last Die Staatsverunglimpfungsdelikte: §§ 90–90b StGB (2000); Mori Die Meinungs- und Kunstfreiheit und der Strafschutz der Staatssymbole, JÖR 48 (2000) 117; Muckel Anm. zu BVerfG v. 28.11.2011 – 1 BvR 917/ 09, JA 2012 474; Napoli Aspekte der Strafbarkeit der Presse unter besonderer Berücksichtigung der kurzen Verjährungsfristen der Landespressegesetze (2008); Niedermair Tateinstellungsmerkmale als Strafbedürftigkeitskorrektive, ZStW 106 (1994) 388; Otto Ehrenschutz in der politischen Auseinandersetzung, JR 1983 1; Preisner „Schwarz-Rot-Senf“ – Aufregung angebracht? NJW 2009 897; Rahe Die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 StGB und ihre Bedeutung für das politische Kommunikationsstrafrecht (2002); Rahmlow Die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht (2006); Roggemann Der Schutz von Bären, Löwen und Adlern – zur Reichweite der §§ 90a und b StGB, JZ 1992 934; Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970); ders. Probleme der Staatsverunglimpfung, JR 1979 89; Spendel Zum Deutschland-Lied als Nationalhymne, JZ 1988 744; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts (2000); Terstiege Die Rechtsstellung von Streitkräften in fremdem Territorium – Der strafrechtliche Schutz in Deutschland seit 1945 (2010); Tröndle Das Bundesverfassungsgericht und sein Umgang mit dem „einfachen Recht“, Festschrift Odersky (1996) 259; Tünnesen-Harmes/Westhoff Wiedervereinigung und Nationalhymne, VR 1991 73; dies. Hymne kraft Briefwechsels? NJ 1993 60; Vahle Hoheitliche Wappen und Flaggen – Rechtsfragen beim Gebrauch durch Privatpersonen, DVP 2006 153; ders. Hoheitliche Wappen und Flaggen – Der rechtliche Schutz staatlicher Symbole, DVP 2009 315; Volk Der Strafschutz für Staatssymbole und die Freiheit der Kunst, JR 1984 441; Vormbaum Strafbare Na-

Steinsiek https://doi.org/10.1515/9783110490008-020

294

StGB § 90a

Übersicht

tionalismus-Kritik – Zur Verunglimpfung staatlicher Symbole (§ 90a I Nr. 2 StGB), GA 2016 609; Würkner Anmerkung zu BVerfGE 77 240, NJW 1988 327; ders. Was darf die Satire? JA 1988 183; ders. Freiheit der Kunst, Persönlichkeitsrecht und Menschenwürdegarantie, ZUM 1988 171; Würtenberger Vom strafrechtlichen Kunstbegriff, Festschrift Dreher (1977) 79; ders. Kunst, Kunstfreiheit und Staatsverunglimpfung, JR 1979 309; ders. Karikatur und Satire aus strafrechtlicher Sicht, NJW 1982 610; ders. Satire und Karikatur in der Rechtsprechung, NJW 1983 1144; Zechlin Kunstfreiheit, Strafrecht und Satire, NJW 1984 1091; Zimmermann Die Meinungsfreiheit in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJ 2011 145; ders. Anm. zu BVerfG vom 28.11.2011 – 1 BvR 917/09, NJ 2012 334; Zöbeley Zur Garantie der Kunstfreiheit in der gerichtlichen Praxis, NJW 1985 254; Zwiehoff Der Schutz der Staatssymbole, in: Bemmann/Manoledakis (Hrsg.), Der strafrechtliche Schutz des Staates (1987) 107; i. Ü. s. auch bei § 90.

Entstehungsgeschichte Der Tatbestand wurde vom 1. StrÄndG als § 96 in das StGB (Vor § 80 Rdn. 7) eingefügt. Das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) hat die Vorschrift in § 90a umbenannt und im ersten Absatz die Tatvariante des „Aufforderns“ gestrichen. Insoweit greifen seither allenfalls die §§ 26 und 111 ein. Das 4. StrRG vom 23.11.1973 (BGBl. I 1725) und das EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I 469; 1975 I 1916; 1976 I 507) brachten lediglich redaktionelle Änderungen. Als Vorläufer der Vorschrift ist zum einen § 135 RStGB zu nennen, der den Schutz bestimmter Hoheitszeichen des Kaiserreiches bezweckte. Zum anderen sind die Strafvorschriften der Republikschutzgesetze zu erwähnen, die der Wahrung des Ansehens der Weimarer Republik dienen sollten (insbesondere § 8 des Gesetzes zum Schutz der Republik vom 21.7.1921 – RGBl I 585; vgl. die umfassende Darstellung bei Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 119 ff.).

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

II. 1.

Objektiver Tatbestand des Absatzes 1 2 3 Schutzgegenstände des Absatzes 1 Nr. 1 a) Bundesrepublik Deutschland und Län3 der 4 b) Verfassungsmäßige Ordnung 5 Schutzgegenstände des Absatzes 1 Nr. 2 5 a) Farben und Flaggen 6 b) Wappen 7 c) Nationalhymne 8 Tathandlungen des Absatzes 1 9 a) Verunglimpfen (Nr. 2) 10 aa) Beispiele 11 bb) Einschränkungen 12 b) Beschimpfen (Nr. 1) c) Böswillig Verächtlichmachen 14 (Nr. 1) d) Abgrenzung zwischen Beschimpfen und 16 Verächtlichmachen 18 e) Anwendungsgrundsätze aa) Ermittlung des Aussagege18 halts 19 bb) Wahrheitsbeweis cc) Wiedergabe fremder Äußerun20 gen 21 Öffentlich Einfluss der Grundrechte auf die Gesetzesanwen22 dung 23 a) Meinungsäußerungsfreiheit 24 aa) Schranken des Grundrechts

2.

3.

4. 5.

295

1

b)

III. 1.

bb) Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 90a durch Art. 5 Abs. 1 25 S. 1 GG cc) Einschränkung des Anwendungsbe26 reichs bei politischer Kritik 28 Kunstfreiheit 29 aa) Anwendungsgrundsätze 30 bb) Grenzen der Kunstfreiheit 31 cc) Abwägung 32 dd) Beispiele

3.

Objektiver Tatbestand des Absatzes 2 33 34 Schutzgegenstände des Absatzes 2 34 a) Flaggen 35 b) Hoheitszeichen 37 Tathandlungen des Absatzes 2 37 a) Entfernen 38 b) Zerstören und Beschädigen, 39 c) Unbrauchbarmachen 40 d) Unkenntlich macht 41 e) Beschimpfender Unfug 42 Tatort des Absatzes 2

IV.

Subjektiver Tatbestand

V.

Qualifikation des Absatzes 3

VI.

Versuch

2.

VII. Strafrahmen

43 44

45 46

Steinsiek

§ 90a StGB

Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole

VIII. Teilnahme, Nebenfolgen und Einzie47 hung

XI.

IX.

Geltungsbereich

XII. Strafzumessung; Tenor

X.

Konkurrenzen

48 49

Opportunitätsprinzip; Zuständigkeiten; Parteien50 privileg 51

XIII. Anwendbarkeit auf nichtdeutsche NATO-Trup52 pen

I. Zweck der Vorschrift 1 Zweck der Vorschrift ist vordergründig der Schutz des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland, der Bundesländer, der verfassungsmäßigen Ordnung und bestimmter Staatssymbole gegen Herabwürdigungen.1 Würde sich die Zielrichtung des § 90a jedoch auf den Schutz der „Staatsehre“ beschränken, so wäre in der Tat der gegen die Vorschrift vielfach geäußerten Kritik und der Forderung nach ihrer Abschaffung2 beizupflichten. Ob ein reiner „Ehrenschutztatbestand“ zugunsten des Staates vor der Verfassung, insbesondere Art. 5 Abs. 1 GG, Bestand haben könnte und sich abgesehen hiervon im Hinblick auf ein „säkularisiertes“ Staatsverständnis überhaupt noch rechtfertigen ließe, kann durchaus bezweifelt werden. Indes ist eigentliches Ziel des § 90a, wie sich schon aus § 90a Abs. 3 sowie der systematischen Stellung der Norm ergibt, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Länder und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung zu gewährleisten.3 Da dieser auch dadurch gefährdet werden kann, dass sich durch die straflose Hinnahme von Schmähungen der in § 90a genannten Schutzgegenstände ein Klima der Nichtbeachtung des Staates und seiner Symbole ausbreiten kann,4 lässt sich die weite Vorverlegung des strafrechtlichen Staatsschutzes in diesem Bereich rechtfertigen. Die Norm ist als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet. Sie umfasst damit auch die Bestärkung bereits vorhandener Ansichten. Die Konflikte, die sich aus dem Widerstreit dieser weit gezogenen strafrechtlichen Grenzen einerseits und den Grundrechten des einzelnen Bürgers – insbesondere aus Art. 5 GG – andererseits ergeben, sind durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift im jeweiligen Einzelfall zu lösen (s. Rdn. 22 ff.).5

II. Objektiver Tatbestand des Absatzes 1 2 Tathandlungen sind das Beschimpfen oder böswillige Verächtlichmachen der Bundesrepublik Deutschland, eines ihrer Länder oder ihrer verfassungsmäßigen Ordnung (Absatz 1 Nr. 1) oder das Verunglimpfen bestimmter staatlicher Symbole (Absatz 1 Nr. 2), wobei die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften begangen werden muss.

1 BVerfGE 47 198, 231; BGH NJW 1961 1932; NStZ 2000 643; OLG Frankfurt NJW 1984 1128, 1130; Schroeder JR 1979 89, 90; Würtenberger JR 1979 309, 311 und NJW 1983 1144, 1146 f.

2 Siehe etwa AE Bes. Teil, Politisches Strafrecht (1968) zu §§ 95, 95a, 95b; Backes S. 180 ff.; Bemmann S. 19; Copic Grundgesetz und politisches Strafrecht neuerer Art, S. 137, 153 f.; Schmitt-Glaeser Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, S. 307 ff.; Grünwald KJ 1979 291, 296; Krutzki KJ 1980 294, 314; kritisch auch Hellmer H. Kaufmann-Gedächtnisschrift, S. 747, 755; Zechlin NJW 1984 1091, 1092. 3 BVerfG NJW 2012 1273; OLG Frankfurt NJW 1984 1128, 1130; Schroeder JR 1979 89; Würtenberger JR 1979 309, 311. 4 BGH NStZ 1998 408; 2000 643. 5 Vgl. zur Verfassungskonformität BVerfGE 47 198, 232 f.; BVerfG NJW 1999 204, 205; kritisch Paeffgen NK Rdn. 2, wonach eine allgemeine Vermutung für die freie Rede spricht, die nur bei krassem Überwiegen der Unflätigkeit gegenüber der Sachkritik zurücktritt. Steinsiek

296

II. Objektiver Tatbestand des Absatzes 1

StGB § 90a

1. Schutzgegenstände des Absatzes 1 Nr. 1 a) Bundesrepublik Deutschland und Länder. Nicht mit dem Wortlaut des Absatzes 1 Nr. 1 3 zu vereinbaren ist die zum Teil vertretene Ansicht,6 die Bundesrepublik Deutschland sowie die Bundesländer seien nicht schlechthin als Staaten geschützt, sondern in ihrer besonderen Wesenheit und Gestalt als auf eine freiheitlich-demokratische Ordnung gegründetes Staatswesen; denn bei dieser Auslegung wäre der Schutzgegenstand „verfassungsmäßige Ordnung“ jeder eigenständigen Bedeutung entkleidet.7 Geschützt ist die Bundesrepublik Deutschland bzw. das jeweilige Bundesland als Gesamtheit einer staatlichen Ordnung (Schroeder JR 1979 89, 90 f.: „Sozialwesen“).8 Die Herabwürdigung lediglich der Regierung, der Verwaltung, eines Ministers oder eines für ein bestimmtes Sachgebiet zuständigen Beamten genügt daher nicht.9 Zielt der Angriff aber über die unmittelbar attackierten Staatsorgane hinaus und will mittelbar auch das Staatswesen in seiner Gesamtheit treffen, so kann in diesen Fällen § 90a Abs. 1 Nr. 1 verwirklicht sein.10 Jedoch ist bei der Annahme eines derartigen mittelbaren Angriffs mit der Anwendung von § 90a Abs. 1 Nr. 1 Zurückhaltung geboten.11

b) Verfassungsmäßige Ordnung. Unter dem Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung ist 4 hier die auf der Verfassung beruhende und von dieser geprägte Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 6 32, 37 ff.) als Ganzes zu verstehen. Angriffe auf nur einzelne Rechtssätze oder Einrichtungen genügen daher nicht. Anders als bei § 81 Abs. 1 Nr. 2 (§ 81 Rdn. 6 ff.) ist hier vorrangig der Schutz der Prinzipien und Grundsätze des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes bezweckt, nicht dagegen in erster Linie die konkrete Ausprägung, die diese Prinzipien in der Verfassungswirklichkeit in Form bestimmter staatlicher Organe oder Einrichtungen gefunden haben.12 Von daher versteht es sich von selbst, dass eine Beschimpfung tatsächlich vorhandener verfassungswidriger Zustände vom Tatbestand nicht erfasst wird, und zwar auch nicht als Herabwürdigung der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder (Schroeder JR 1979 89, 91). Letzteres könnte allenfalls bei wahrheitswidriger Behauptung des Bestehens verfassungswidriger Zustände vorliegen (Schroeder a. a. O.).

2. Schutzgegenstände des Absatzes 1 Nr. 2 a) Farben und Flaggen. Die Farben und Flaggen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer 5 Bundesländer ergeben sich aus Art. 22 GG13 und den entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen. Siehe hinsichtlich des Bundes: • Anordnung über die deutschen Flaggen vom 13. November 1996 (BGBl. I S. 1729), zuletzt geändert durch die Anordnung vom 22. November 2005 (BGBl. I S. 3181) • Anordnung des Bundespräsidenten über die Stiftung der Truppenfahnen für die Bundeswehr vom 18. September 1964 (BGBl. I 817); 6 BGHSt 6 324, 325; BGH NJW 1961 1932; BGH NJW 2000 643; OLG Hamm NJW 1977 1932; OLG Celle StV 1983 284; Lackner/Kühl Rdn. 2; Fischer Rdn. 2; Valerius BeckOK StGB Rdn. 1. 7 Zur Abgrenzung der Schutzgegenstände Schroeder JR 1979 89, 90; vgl. auch Würtenberger JR 1979 309, 311. 8 Steinmetz MK Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 17; Zöller SK Rdn. 3. 9 BGHSt 6 324, 326; 7 110, 111; 11 11, 13; BGH NJW 1961 1932, 1933; BGH NStZ 2000 643, 644; OLG Celle StV 1983 284; zutreffend weist Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6 darauf hin, dass dies auch aus dem gesonderten Schutz nach § 90b StGB folge. 10 BGHSt 7 110, 111 f.; 11 11, 14; BGH NJW 1961 1932, 1933; BGH JZ 1963 402, 403; BGH NStZ 2000 643, 644; BGH NStZ 2002 592, 593; OLG Köln GA 1972 214, 215; abl. Paeffgen NK Rdn. 9 ff. und 17 jeweils m. w. N. 11 BGHSt 11 11, 13. 12 Vgl. § 81 Rdn. 6 ff.; Steinmetz MK Rdn. 5; Zöller SK Rdn. 3. 13 In Art. 3 WRV war bereits eine Regelung zur Nationalflagge enthalten. 297

Steinsiek

§ 90a StGB

Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole

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Anordnung über die Dienstflagge der Seestreitkräfte vom 25. Mai 1956 (BGBl. I 447); Bekanntmachung des Bundespräsidenten betreffend das Bundeswappen und den Bundesadler vom 20. Januar 1950 (BGBl. I 26); • Erlass des Bundespräsidenten über die Dienstsiegel vom 20. Januar 1950 (BGBl. I 26), mit Neufassung durch Erlass vom 28. August 1957 (BGBl. I 1328); • Erlass des Bundesminister des Innern über die Amtsschilder der Bundesbehörden vom 25. September 1951 (BGBl. I 927); Das BVerfG sieht den Schutz der Flagge nicht in Art. 22 GG, sondern als Sinnbild des Staatsgefühls und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verfassungsrechtlich verankert (BVerfGE 81 278, 293).

6 b) Wappen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 90a Abs. 1 Nr. 2 schützt die Vorschrift das Wappen der Bundesrepublik Deutschland, also den Bundesadler auf goldgelbem Grund mit Umrahmung, nicht dagegen den Bundesadler als solchen, wenn er nicht im Rahmen des Wappens verwendet wird.14 Seine Verunglimpfung kann aber eine Beschimpfung oder Verächtlichmachung der Bundesrepublik Deutschland sein, § 90a Abs. 1 Nr. 1 (OLG Frankfurt NJW 1991 117, 118).

7 c) Nationalhymne. Nach BVerfG (JZ 1990 638, 640 mit Anm. Gusy) ist die Nationalhymne im Sinne des § 90a Abs. 1 Nr. 2 die dritte Strophe des Deutschlandliedes. Nur insoweit genießt die Nationalhymne strafrechtlichen Schutz15 und Verfassungsrang. Zwar sei der diesbezügliche Briefwechsel zwischen Bundeskanzler und Bundespräsident aus dem Jahre 1952 (abgedruckt bei Hellenthal NJW 1988 1294, 1297) nicht eindeutig, eine Einbeziehung der ersten beiden Strophen würde jedoch angesichts der jahrzehntelangen gegenteiligen Übung das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verletzen.16

3. Tathandlungen des Absatzes 1 8 Begehungsformen sind das Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen und Verunglimpfen. Die vergleichende Auslegung der §§ 90 und 90a Abs. 1 (dazu BGHSt 11 11, 12 ff.) ergibt eine vom Gesetzgeber gewollte Abstufung dieser den Grad der Herabwürdigung kennzeichnenden Begriffe.

9 a) Verunglimpfen (Nr. 2). Unter Verunglimpfen (als schwächste Begehungsform des Absatzes 1) versteht das Gesetz einen nach Form, Inhalt, Begleitumständen oder Beweggrund massiven Ehrangriff (s. im Einzelnen § 90 Rdn. 3). Daher greift bei der Herabwürdigung der Staatssymbole oder der Hymne durch bloße Saloppheiten oder Geschmacklosigkeiten Absatz 1 Nr. 2 noch nicht ein (BGH bei Wagner GA 1963 361 Nr. 14). Maßstab muss sein, ob die Äußerung symbolisch in Frage stellt, was die Bundesrepublik grundlegend prägt.17

14 OLG Frankfurt NJW 1991 117 f.; anders wohl OLG Köln JR 1979 338 f. 15 Hellenthal NJW 1988 1294, 1295; Steinmetz MK Rdn. 9. 16 Zur Frage der Nationalhymne s. auch Hümmerich/Beucher NJW 1987 3227; Hellenthal NJW 1988 1294, 1295; Spendel JZ 1988 744, 748; Allgaier MDR 1988 1022.

17 Steinmetz MK Rdn. 14; s. auch BVerfG NJW 2009 908 f. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand des Absatzes 1

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aa) Beispiele. Ein Verunglimpfen kommt etwa in Betracht bei der Gleichsetzung des NS-Sys- 10 tems mit der Bundesrepublik oder bei deren Bezeichnung als Unrechtsstaat, der die Ermordung ihm unliebsamer Personen hinnehme,18 beim öffentlichen Verbrennen einer Flagge, beim Aufbringen eines Hakenkreuzes auf die Bundesfarben (BGH NJW 1970 1693 f.), bei einer Darstellung des hessischen Landeswappens in der Weise, dass der darin enthaltene Löwe einen Polizeihelm trägt und einen blutverschmierten Gummiknüppel schwingt (OLG Frankfurt NJW 1984 1128, 1129; s. dazu auch BVerfG NJW 1985 263 f.), der bildlichen Darstellung einer „liebevollen Verbindung“ von Bundesadler und Reichsadler mit Hakenkreuz (LG Frankfurt NJW 1989 598; die Aufhebung dieser Entscheidung durch OLG Frankfurt NJW 1991 117 beruhte darauf, dass der Bundesadler nicht im Bundeswappen dargestellt worden war, s. Rdn. 6), einer herabwürdigenden Entstellung des Textes der dritten Strophe des Deutschlandliedes (vgl. LG Baden-Baden NJW 1985 2431) oder einer Fotomontage, die einen auf die Bundesflagge urinierenden Mann darstellt (OLG Frankfurt NStZ 1984 119; OLG Frankfurt NJW 1986 1272).

bb) Einschränkungen. Es ist zu beachten, dass in diesen Fällen der Tatbestand des § 90a 11 Abs. 1 Nr. 2 erhebliche Einschränkungen erfahren kann, wenn durch eine Verurteilung das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG; Rdn. 28 ff.) und/oder der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG; Rdn. 22 ff.) berührt würde (s. etwa BVerfG JZ 1990 635 u. 638 mit Anm. Gusy). Ein Verunglimpfen liegt nicht vor bei Pfuirufen während des Absingens der Nationalhymne bei einer Wahlveranstaltung (OLG Hamm GA 1963 28, 29), der Bezeichnung der Bundesfarben als „schwarz-rot-gelb“ (anders BGH, Urteil vom 16. November 1959 – 3 StR 45/ 59 –) sowie wenn ein Aktionskünstler aus Protest gegen das anlässlich des Totensonntags erfolgte Zeigen einer Reichskriegsflagge an einem Ehrenmal kurzzeitig ein kleines, farblich die Flagge der Bundesrepublik Deutschland repräsentierendes „Jubelfähnchen“ in einen Haufen Pferdemist steckt (LG Aachen NJW 1995 894).

b) Beschimpfen (Nr. 1). Das Beschimpfen ist als eine im Vergleich zum Verunglimpfen ge- 12 steigerte Herabwürdigung zu verstehen, wobei es in der Tatschwere dem böswillig Verächtlichmachen gleichsteht (BGHSt 7 110, 111). Es handelt sich um eine durch Form oder Inhalt besonders verletzende Äußerung der Missachtung, wobei das besonders Verletzende entweder äußerlich in der Rohheit des Ausdrucks oder inhaltlich in dem Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens oder Zustandes zu sehen ist.19 Der Aussagegehalt einer Äußerung und damit ihre Qualifizierung als Beschimpfung richtet sich nach ihrem objektiven Sinngehalt, also danach, wie ein unbefangener Dritter sie unter den gegebenen Umständen verstehen musste.20 Dabei kann das Beschimpfen in einzelnen Formulierungen, aber auch im Gesamtzusammenhang liegen (BGH NStZ 2000 643, 644). Es kommt daher weder darauf an, wie der Täter die Äußerung verstanden wissen wollte (RG JW 1930 2139), noch wie die Adressaten sie verstanden haben (OLG Frankfurt NJW 1984 1128, 1129). Erfolgt die Äußerung aus Unmut, Gedankenlosigkeit oder Oberflächlichkeit, ohne volles Verständnis ihres gedanklichen Inhalts, so kann dies ihrer Bewertung als Beschimpfung entgegenstehen.21 Hier fließen Elemente der inneren Tatseite in den Begriff ein.

18 BVerfG NJW 1999 204 f.; BGH NStZ 2002 592. 19 RGSt 61 308; BGHSt 7 110, 111; BGH NJW 1961 1932, 1933; BGH NStZ 2000 643, 644; BayObLG NStZ-RR 1996 135; Steinmetz MK Rdn. 11; Paeffgen NK Rdn. 8. Zu weitgehend ist jedoch die von diesem (Rdn. 8 a. E.) vorgenommene Tatbestandsbegrenzung auf eine objektiv massiv übersteigerte Kritik ohne nachvollziehbaren Tatsachenkern oder sachlichen Inhalt, der es subj. primär oder allein auf ein Beschimpfen ankomme. 20 BGHSt 7 110, 111; BGH NJW 1961 1932, 1933; OLG Frankfurt NJW 1984 1128, 1129. 21 BGHSt 7 110 f.; vgl. RGSt 57 185; RG JW 1929 1148. 299

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Beispiele. Je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls kann nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts, bei deren Interpretation aber Zurückhaltung geboten ist, der Gebrauch bloßer Schimpfworte (RGSt 57 185, wo der Ausdruck „Spitzbuben“ nicht als ausreichend angesehen wurde; RGSt 57 209, 211, wo die Bezeichnung der Regierungsmitglieder als „Massenmörder“ genügte) oder die Behauptung einer Tatsache schimpflicher Art (RGSt 28 403, 405 ff. zu § 166: „Ritualmord“; RGSt 65 422, 423: Behauptung, den Tod von 10.000 Soldaten verschuldet zu haben) genügen. In anderen Fällen wird beides zusammentreffen (RGSt 61 308: „Überläuferfarben, mit denen die Front gemeuchelt wurde“).

14 c) Böswillig Verächtlichmachen (Nr. 1). Das Tatbestandsmerkmal des Verächtlichmachens ist für sich genommen erheblich weiter als der Begriff des Beschimpfens und wird diesem seinem sachlichen Gewicht nach erst durch das zusätzliche Erfordernis böswilligen Handelns angeglichen (BGHSt 7 110, 111). Der Begriff des Verächtlichmachens umfasst daher jede auch bloß wertende Äußerung, durch welche die Bundesrepublik Deutschland, ein Bundesland oder die verfassungsmäßige Ordnung als der Achtung der Staatsbürger unwert oder unwürdig hingestellt wird.22 Die Behauptung eines sittlichen Makels ist nicht erforderlich.23 15 Mit dem Merkmal der Böswilligkeit ist ein Handeln aus niederträchtiger, feindseliger Gesinnung, die Motivierung des Tuns mit verwerflichen Beweggründen gemeint.24 Der Täter freut sich der Rechtswidrigkeit seiner Handlung und ihrer verderblichen Wirkung. Verschließt der Täter hartnäckig seine Augen vor den Umständen, die seine Behauptung widerlegen, oder sieht er trotz vorhandener Möglichkeit um der Wirkung willen von einer abgemilderten Formulierung ab, so wird auch dies häufig den Schluss auf eine entsprechende Motivation zulassen.25 Das Merkmal böswillig ist ein besonderes persönliches Merkmal im Sinn von § 28 Abs. 1.26

16 d) Abgrenzung zwischen Beschimpfen und Verächtlichmachen. Die Merkmale des Beschimpfens und böswilligen Verächtlichmachens überschneiden sich weitgehend (BGHSt 7 110, 111). Doch liegt gerade im Bereich der inneren Tatseite ihre wesentliche Unterscheidung, weil Böswilligkeit ex definitione stets absichtliches Handeln voraussetzt, während es für das Beschimpfen nur darauf ankommt, ob der Täter den beschimpfenden Sinn der Worte – zumindest mit bedingtem Vorsatz – in sein Bewusstsein aufgenommen hat.27 17 Beispiele. Als Beispiele für ein Beschimpfen oder böswilliges Verächtlichmachen im Sinne des § 90a Abs. 1 Nr. 1 sind in Betracht gezogen worden: die Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland als „Unrechtsstaat“ (BGHSt 7 110, 111), als „Staat der Verbrecher und Vaterlandsverräter“ (BGH bei Schmidt MDR 1979 707), als „traurigsten und würdelosesten Abschnitt der deutschen Geschichte, sodass die BRD so schnell wie möglich durch das Reich ersetzt werden müsse“ (BGH NStZ 2003 145) oder die Bezeichnung von Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland als „Betrugsmanöver“ (VGH Mannheim NJW 1976 2177). Die Parole „Tod der FaschistenBRD!“ soll dagegen den Tatbestand nicht erfüllen, weil die Bundesrepublik Deutschland damit zwar als nationalistisch-totalitär, aber noch nicht als Unrechtsstaat bezeichnet oder mit dem

22 BGHSt 3 346, 348; 7 110, 111. 23 BGHSt 3 346, 348; anders LG Bremen MDR 1951 757. 24 RGSt 48 174, 176; 66 139, 140; 72 118 f.; BGH bei Wagner GA 1961 19 Nr. 11 und 12 zu § 96; BGH NStZ 2003 145; BayObLG NJW 1953 874.

25 Steinmetz MK Rdn. 13; eher abl. Paeffgen NK Rdn. 14, der die allgemeine staatsfeindliche Gesinnung des Täters nicht als wesentliches Indiz für die Böswilligkeit des Handelnden genügen lässt; erheblich weiter Schroeder JR 1979 89, 92, der genügen lässt, dass der Täter hartnäckig Erkenntnisquellen, die seine Behauptung widerlegen, oder Möglichkeiten, sich weniger anstößig zu äußern, ausschlägt. 26 Steinmetz MK Rdn. 13; Paeffgen NK Rdn. 14; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 7. 27 RG JW 1930 2139; BGHSt 7 110, 112; BGH NJW 1961 1932, 1933. Steinsiek

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II. Objektiver Tatbestand des Absatzes 1

StGB § 90a

Nazi-Regime gleichgestellt wird (BayObLG NJW 1998 2542, 2544). Entgegen BGHSt 3 346, 347 kann der Vergleich der Bundesrepublik Deutschland mit einer „frisch gestrichenen Coca-ColaBude“ für sich wohl kaum als erhebliche Herabwürdigung im Sinne eines Beschimpfens oder Verächtlichmachens angesehen werden. Die Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland als „Bimbes-Republik“ und „käuflicher Saustall“, die Bundesrepublik Deutschland und ihre freiheitliche demokratische Grundordnung seien minderwertig und müssten durch das „Dritte Reich“ ersetzt werden, erfüllen, jedenfalls wegen des Bezuges auf das Dritte Reich, den Tatbestand (vgl. BGH NStZ 2003 145, 146); entsprechendes wurde für die Behauptung angenommen, der deutsche Staat habe 19 Personen, zuletzt das RAF-Mitglied Grams, „ermordet“ und versuche, aus diesen Morden „Selbstmord zu machen“ (BayObLG NStZ-RR 1996 135).

e) Anwendungsgrundsätze aa) Ermittlung des Aussagegehalts. Der Aussagegehalt einer Äußerung ist nach ihrem ob- 18 jektiven Sinngehalt zu ermitteln, wobei sich die Tathandlung aus einzelnen Formulierungen, aber auch aus dem Gesamtzusammenhang ergeben kann.28 Neben Wortlaut und Kontext sind auch außerhalb liegende Umstände zu berücksichtigen.29

bb) Wahrheitsbeweis. Die Entscheidung BGH NJW 1961 1932, 1933 ist zum Teil dahingehend 19 interpretiert worden, dass es auf die Richtigkeit der behaupteten Tatsache nicht ankomme. Der BGH hat inzwischen dargelegt, dass die Entscheidung so nicht zu interpretieren ist.30 Entsprechend § 186 ist der Wahrheitsbeweis zuzulassen. Ist dieser geführt, kann sich ein Beschimpfen allenfalls noch aus der Form der Äußerung ergeben.

cc) Wiedergabe fremder Äußerungen. Wer die beschimpfende Äußerung eines Dritten ver- 20 breitet, ist nur dann Täter des § 90a Abs. 1 Nr. 1, wenn er sich die Äußerung ausdrücklich oder konkludent derart zu eigen macht, dass er durch die Verbreitung selbst beschimpft (RGSt 65 185, 190 f., BGH NStZ 2018 589). Die bloße Weitergabe reicht nicht aus (LG Berlin JR 1979 120, 121; OLG Düsseldorf NJW 1980 71). Die Abgrenzung ist Tatfrage, die aufgrund der Umstände des Einzelfalles – insbesondere eines eventuellen eigenen Kommentars oder Vorspanns zu der Äußerung des anderen – zu entscheiden ist (OLG Köln NJW 1979 1562; vgl. auch BGH, Urteil vom 11.7.1979 – 3 Str 165/79; Urteil vom 23.8.1979 – 4 StR 207/79 –). Sie lässt sich nicht auf der Grundlage irgendwelcher „allgemeiner Erfahrungssätze“ vornehmen. Der Annahme Schroeders (JR 1979 89, 93), wer einen Text beschimpfenden Inhalts ohne ausdrückliche Distanzierung nachdrucke, identifiziere sich regelmäßig mit dessen Aussagegehalt, kann daher in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden.31 Andererseits kann es auch nicht auf eine ausdrückliche Zustimmungserklärung mit dem Gewicht einer Billigung im Sinne des § 140 ankommen.

4. Öffentlich s. dazu § 90 Rdn. 6 bis 9; zur Versammlung vgl. § 90 Rdn. 10. Zum Verbreiten von Schriften 21 wird auf § 86 Rdn. 19 ff. und die Erläuterungen zu § 11 verwiesen. Ein Verbreitungserfolg im Sinne einer tatsächlichen Kenntnisnahme durch einen größeren Personenkreis ist nicht erfor28 29 30 31 301

BGH NStZ 2000 643, 644. BVerfGE 93 266, 295 f. BGH NStZ 2000 643, 644. Abl. auch Giehring StV 1985 30, 34; Steinmetz MK Rdn. 17; Paeffgen NK Rdn. 16. Steinsiek

§ 90a StGB

Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole

derlich.32 Für Druckwerke gilt die presserechtliche Verjährung (BGH NStZ-RR 1999 10, Presseinhaltsdelikt).

5. Einfluss der Grundrechte auf die Gesetzesanwendung 22 Als rechtsstaatlich verfasste Demokratie (Art. 20 GG) ist die Bundesrepublik Deutschland in ihrem von der inneren Zustimmung ihrer Bürger abhängigen Bestand auf ein Mindestmaß an Achtung dieser Bürger ihr gegenüber angewiesen.

23 a) Meinungsäußerungsfreiheit. Für die Auslegung des § 90a Abs. 1 (insbes. Nummer 1) hat zunächst das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) wesentliche Bedeutung. Dieses gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Der Begriff der Meinung umfasst zunächst Werturteile, und zwar grundsätzlich unabhängig von Wert, Richtigkeit, Vernünftigkeit und Form der Äußerung.33 Auch Tatsachenbehauptungen sind in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG einbezogen. Dies gilt jedoch nicht, wenn sie bewusst oder erwiesen unwahr sind.34 Jeder soll sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann (BVerfGE 82 272, 280). Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG schützt die Meinungsäußerungsfreiheit sowohl im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen, mit der sie eng verbunden ist, als auch im Interesse des demokratischen Prozesses, für den sie konstitutive Bedeutung hat. Auch scharfe und überzogene Kritik entzieht einer Äußerung nicht den Schutz des Grundrechts. Werturteile sind vielmehr durchweg von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt, ohne dass es dabei auf Begründetheit oder Richtigkeit ankäme (BVerfG NJW 1999 204, 205).

24 aa) Schranken des Grundrechts. Das Grundrecht wird allerdings nicht schrankenlos gewährt, sondern findet seine Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen (Art. 5 Abs. 2 GG), zu denen auch § 90a zählt (BVerfGE 47 198, 231). Jedoch sind grundrechtsbeschränkende Vorschriften des einfachen Rechts wiederum im Lichte des eingeschränkten Grundrechts auszulegen, damit dessen wertsetzende Bedeutung für das einfache Recht auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt.35 Es soll damit im Wege einer Güterabwägung erreicht werden, dass sowohl die in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verbürgten Freiheiten als auch die durch § 90a geschützten Rechtsgüter so weit wie möglich gewahrt werden (BVerfGE 47 198, 232; 69 257, 269 f.). Dabei ist besonders zu beachten, dass die Meinungsäußerungsfreiheit ein für die freiheitlich-demokratische Grundordnung geradezu konstituierendes Grundrecht darstellt, weil sie die freie Auseinandersetzung der Ideen und Interessen garantiert, die für das Funktionieren dieser Staatsordnung lebenswichtig ist und gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist.36 Der Meinungsäußerungsfreiheit kommt bei der gebotenen Güterabwägung daher insbesondere dann ein erhebliches Gewicht zu, wenn es sich um die strafrechtliche Bewertung einer im öffentlichen Meinungskampf getätigten Äußerung handelt (vgl. BVerfGE 12 113, 125).

32 33 34 35

BGH NStZ 2017 405, 406. BVerfGE 61 1, 7 ff. BVerfGE 61 1, 8; BVerfG NJW 2003 660, 661. Sog. „Wechselwirkungstheorie“; ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. etwa BVerfGE 7 198, 210 f. (LüthUrteil); 12 113, 125; 24 278, 282; 47 198, 232; 68 226, 231; 69 257, 269 f.; 93 266, 294. 36 BVerfGE 7 198, 208, 210 f.; 12 113, 125; 93 266, 293 f.; BVerfG NJW 1995 3303, 3304; 1999 204, 205; BGH NStZ 2003 145, 146. Steinsiek

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bb) Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 90a durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. 25 Dies lässt sich nicht allgemein bestimmen. Die Frage kann stets nur im konkreten Einzelfall durch Abwägung aller jeweils maßgeblichen Gesichtspunkte entschieden werden. Um einen wirksamen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit zu gewährleisen, stellt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur Anforderungen an die Auslegung und Anwendung meinungsbeschränkender Gesetze, sondern auch an die Erfassung und Würdigung der Äußerung selbst. Dies ist Sache der Strafgerichte. Bei mehrdeutigen Äußerungen setzt eine strafbarkeitsbegründende Auslegung voraus, dass andere Deutungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden können. Es darf daher keine zur Verurteilung führende Auslegung zugrunde gelegt werden, wenn andere (straflose) Deutungsmöglichkeiten nicht „mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen“ werden können.37 Kriterien für die Auslegung sind der Wortlaut, der sprachliche Kontext der Äußerung sowie die für die Zuhörer erkennbaren Begleitumstände, unter denen die Äußerung fällt (BGH NStZ 2002 592). Unterfällt die Äußerung auch nach ihrem so ermittelten Sinngehalt einem Straftatbestand, so folgt die fallbezogene Abwägung zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit auf der einen und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie eingeschränkt ist, auf der anderen Seite (BVerfG NJW 1999 204, 206). Dabei sollen die in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verbürgten Freiheiten und die damit kollidierenden Interessen soweit wie möglich gewährt werden. Die insoweit maßgebliche Rechtsprechung des BVerfG kann nur eine allgemeine Orientierungshilfe sein. So müssen Tatsachenbehauptungen in Form von wahren Aussagen in der Regel hingenommen werden, unwahre dagegen nicht.38 Beim öffentlichen Meinungskampf spricht (außer wenn eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung untrennbar mit einem Werturteil verbunden ist) eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede.39 Von einer nach § 90a strafbaren Meinungsäußerung kann erst dann ausgegangen werden, wenn aufgrund ihrer konkreten Art und Weise der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik, eines Landes, die Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik zu gefährden.40 Auch sollte bedacht werden, ob zu dem abwertenden Urteil selbst Anlass gegeben wurde, was speziell für in der Öffentlichkeit stehende Personen gilt.41

cc) Einschränkung des Anwendungsbereichs bei politischer Kritik. Eine Auslegung des 26 § 90a, die an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik im Rahmen der politischen Auseinandersetzung – auch wenn sich die Kritik direkt gegen den Staat oder die Verfassung richtet – überhöhte Anforderungen stellt, wäre mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht zu vereinbaren. Politische Kritik, auch wenn sie hart und unsachlich ist, erfüllt daher für sich allein nie einen Straftatbestand.42 Auch ablehnende und scharfe Kritik am Staat, selbst wenn sie mit der Propagierung verfassungsfeindlicher Ziele verbunden ist, unterfällt für sich genommen nicht dem Tatbestand des § 90a.43 Die Äußerung kann aber dann strafbar sein, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung einer Person im Vordergrund steht.44 Im Interesse der Meinungsäuße37 BVerfGE 93 266, 295 f.; BVerfG NJW 1994 2943, 2944; 1995 3303, 3305; 1999 204, 205; 2009 909; BGH NStZ 2003 145.

38 BGH NStZ 2002 592, 593. 39 BVerfG NJW 1994 2943. 40 BVerfG NJW 2012 1273, 1274; BGH NStZ 2012 564. Dies sei etwas der Fall, wenn der Bundesrepublik jede Legitimation abgesprochen und ihre Ersetzung durch ein anderes staatliches System gefordert werde.

41 BVerfG NJW 1984 1741, 1746. 42 BGHSt 19 311, 317; BGH JZ 1963 402; vgl. auch BVerfG NJW 1991 95, 96; 1999 204, 205; 2009, 908 (Bezeichnung der Bundesflagge als schwarz-rot-senf; ablehnend dazu Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 11). 43 BVerfGE 47 198, 231 f.; BVerfG NJW 1999 204, 205; BGH NStZ 2002 592; BGH NStZ 2003 145, 146. 44 BVerfG NJW 1999 204, 206 lässt offen, ob die Grundsätze der Schmähkritik auf § 90a Abs. 1 Nr. 1 anwendbar sind; BVerfG NJW 2003 3760 für §§ 185, 193 StGB; BGH NStZ 2003 145 f.; KG NJW 2003 685, 687; BVerfGE 82 272, 284; 93 266, 294; BGH NStZ 2000 643, 644. 303

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Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole

rungsfreiheit darf der Begriff der Schmähkritik jedoch nicht zu weit ausgelegt werden (BVerfGE 82 272, 284; 93 266, 294). Eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen, so dass Schmähkritik bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben wird.45 Zielrichtung der politischen Kritik. Für § 90a ist zusätzlich zu beachten, dass sich politi27 sche Kritik meist nicht direkt gegen die Bundesrepublik Deutschland, eines ihrer Länder oder die verfassungsmäßige Ordnung, sondern regelmäßig gegen bestimmte staatliche Organe, einzelne politische Maßnahmen oder Politiker richten wird, was an sich die Schutzgegenstände dieser Vorschrift nicht berührt. Die Norm kann in diesen Fällen nur dann eingreifen, wenn sich aus Form oder Inhalt der herabwürdigenden Äußerung ergibt, dass die Bundesrepublik Deutschland, ein Land oder die verfassungsmäßige Ordnung mit dem beschimpften staatlichen Organ identifiziert wird, die Herabwürdigung also über das konkrete Angriffsobjekt einen Schutzgegenstand des § 90a angreift. Beispiele hierfür bilden etwa das in der Entscheidung des OLG Köln GA 1972 214 behandelte Flugblatt oder der sog. „Buback-Nachruf“.46 Zur Frage, inwieweit ein – auch kommentierter – Nachdruck eines eindeutig strafbaren Textes seinerseits den Tatbestand des § 90a Abs. 1 erfüllt, s. Rdn. 20.

28 b) Kunstfreiheit47. Neben der Meinungsäußerungsfreiheit hat bei der Auslegung des § 90a Abs. 1 (insbes. Nr. 2) die in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG garantierte Kunstfreiheit besonderes Gewicht. Zur Frage der Reichweite dieses Grundrechts kann zunächst auf die Ausführungen bei § 86a Rdn. 27 ff. verwiesen werden.48

29 aa) Anwendungsgrundsätze. Von wesentlicher Bedeutung ist, dass das den Tatbestand des § 90a Abs. 1 Nr. 1 und 2 verwirklichende Verhalten nicht isoliert betrachtet werden darf, vielmehr ist im Wege der Gesamtschau zu entscheiden, ob die tatbestandsmäßigen Herabwürdigungen bloße Übertreibungen, Entstellungen und Geschmacklosigkeiten darstellen oder ihnen ein darüber hinausgehendes Gewicht zukommt und sie damit nicht mehr durch die Kunstfreiheit gedeckt sind.49 Bei mehreren Interpretationsmöglichkeiten des Gesamtwerks entfällt die Strafbarkeit, wenn auch nur eine von ihnen die Grundwerte der Verfassung nicht in aggressiv kämpferischer Weise in Frage stellt.50

30 bb) Grenzen der Kunstfreiheit. Steht nach den in § 86a Rdn. 27 bis 32 genannten Kriterien fest, dass eines der in § 90a Abs. 1 Nr. 2 bezeichneten staatlichen Symbole durch ein dem Geltungsbereich der Kunstfreiheit zuzuordnendes Tun herabgewürdigt wurde, so ist damit eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift noch nicht schlechthin ausgeschlossen. Zwar wird die Kunstfreiheit in Art. 5 Abs. 3 GG vorbehaltlos gewährleistet. Dennoch gilt sie nicht schrankenlos.51 Sie

45 BVerfGE 93 266, 294; BVerfG NJW 1999 204, 206. 46 Abgedruckt bei LG Göttingen NJW 1979 1558 f.; s. dazu auch OLG Köln NJW 1979 1562; BGH, Urteil vom 30.1.1979 – 5 StR 642/78 – und vom 23.8.1979 – 4 StR 207/79 –; OLG Bremen JR 1979 118; LG Berlin JR 1979 120.

47 Zusammenfassend zur Rspr. des BVerfG Beisel S. 361 ff.; Dierksmeier S. 885 ff.; Hentschel NJW 1990 1937. 48 S. dazu auch Beisel S. 361 ff.; Dierksmeier S. 885 ff.; Würtenberger FS Dreher, S. 79 ff.; JR 1979 309; NJW 1982 610, 613 ff.; NJW 1983 1144; Zechlin NJW 1984 1091; Volk JR 1984 441; Zöbeley NJW 1985 254; Würkner JA 1988 183; Erhardt Kunstfreiheit und Strafrecht; Henschel NJW 1990 1937. 49 BGH NStZ 1998 408; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Zöller SK Rdn. 10. 50 BVerfGE 81 298, 307; kritisch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19. 51 BVerfGE 30 173, 193; 36 213, 228; 77 240, 253 ff. Steinsiek

304

II. Objektiver Tatbestand des Absatzes 1

StGB § 90a

findet ihre Grenzen nicht nur in den Grundrechten Dritter, sondern auch in anderen Verfassungsbestimmungen,52 denn ein geordnetes menschliches Zusammenleben fordert nicht nur gegenseitige Rücksichtnahme der Bürger, sondern auch eine funktionierende staatliche Ordnung, die die Effektivität des Grundrechtsschutzes überhaupt erst sicherstellt.53 Kunstwerke, welche die verfassungsrechtlich gewährleistete Ordnung beeinträchtigen, unterliegen daher nicht erst dann Schranken, wenn sie den Bestand des Staates oder der Verfassung unmittelbar gefährden.54

cc) Abwägung. Nach Ermittlung der beiderseits betroffenen Werte sind diese gegeneinander 31 abzuwägen. In allen Fällen, in denen andere Verfassungsgüter mit der Kunstfreiheit in Widerstreit geraten, muss ein verhältnismäßiger Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Zweck ihrer Optimierung gefunden werden.55 Keinem der Werte, mit Ausnahme der Menschenwürde, darf von vornherein Vorrang vor anderen eingeräumt werden.56 Es ist also in einer einzelfallbezogenen Abwägung der schonendste Ausgleich widerstreitender verfassungsrechtlich geschützter Interessen zu suchen. Dies gilt auch im Blick auf § 90a Abs. 1 Nr. 2, weil der Schutz der dort genannten staatlichen Symbole letztlich der Bewahrung verfassungsrechtlich gewährleisteter Rechtsgüter dienen soll (BVerfG NJW 1990 1982, 1983), nämlich dem Bestand von Staat und Verfassung (s. oben Rdn. 1). Dabei wird die Kunstfreiheit jedoch eher zurückzutreten haben, wenn sie vorrangig in ihrem Wirkbereich berührt ist, und umso stärkeres Gewicht besitzen, je mehr der Werkbereich57 betroffen ist.58 Wie bei der Meinungsfreiheit (Rdn. 26 f.) ist bei politischer Kritik besondere Zurückhaltung bei der Annahme von Strafbarkeiten nach § 90a zu üben.59

dd) Beispiele. Durch die Kunstfreiheit kann auch das Abspielen eines verunglimpfenden Lie- 32 des während einer Demonstration gedeckt sein, selbst wenn der Abspielende das Lied nicht selbst geschaffen hat;60 anders beim wiederholten Abspielen eines inkriminierten Liedes während einer Demonstration im Zusammenwirken mit über Lautsprecher verbreiteten Parolen, durch welche die im Lied enthaltenden groben Missachtungskundgebungen verstärkt werden (BGH NStZ 1998 408). Das Plakat „Isolationsfolter“ kann von Kunstfreiheit gedeckt sein (OLG Köln JR 1979 338 f.). Nach LG Frankfurt NJW 1989 598 ist die Darstellung des Wappens der Bundesrepublik Deutschland durch dessen bildliche „liebevolle Vereinigung“ mit dem Hakenkreuz nicht durch die Kunstfreiheit gedeckt. Die Darstellung des Bundesadlers als „Skelettvogel“ ist eine durch Art. 5 GG gedeckte politische Karikatur (LG Heidelberg NStE Nr. 8). Das Plakat Hessenlöwe mit Polizeihelm und blutverschmiertem Schlagstock soll dagegen nicht straflos sein (OLG Frankfurt NJW 1984 1128 f.; vgl. dazu BVerfG NJW 1985 263, 264). Das Stecken einer (kleinen) deutschen Bundesfahne in einen Haufen Pferdemist kann von der Kunstfreiheit gedeckt sein, wenn hiermit das Bewusstsein gegen provokatives Zeigen der Reichskriegsflagge geschärft werden soll (LG Aachen NJW 1995 894).

52 BVerfGE 30 173, 193. 53 BVerfG NJW 1990 1982, 1983. 54 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19. Eine mind. mittelbare Gefährdung wird aber zu fordern sein (auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG bezogen BVerfG NJW 2012 1273, 1274). 55 BVerfGE 30 173, 193; BVerfG NJW 1990 1882, 1883; NJW 2001 596; vgl. BVerfGE 77 240, 253 mit Anm. Würkner NJW 1988 327. 56 BVerfGE 81 278, 297 f.; 83 130, 143. 57 Zu den Begriffen Werk- und Wirkbereich s. § 86a Rdn. 28. 58 BVerfGE 77 240, 254 mit Anm. Würkner NJW 1988 327; Henschel NJW 1990 1937, 1942; § 86a Rdn. 28. 59 Zu weitgehend aber BGH, Beschluss vom 30.10.2018 – 3 StR 27/18. 60 BVerfG NJW 2001 596, 597. 305

Steinsiek

§ 90a StGB

Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole

III. Objektiver Tatbestand des Absatzes 2 33 Tathandlungen des Absatzes 2 sind das Entfernen, Zerstören, Beschädigen und Unbrauchbaroder Unkenntlichmachen einer öffentlich gezeigten Flagge der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder eines von einer Behörde öffentlich angebrachten Hoheitszeichens dieser Körperschaften, sowie das Verüben beschimpfenden Unfugs an einem dieser staatlichen Symbole.

1. Schutzgegenstände des Absatzes 2 34 a) Flaggen. Geschützt sind öffentlich gezeigte Bundes- oder Landesflaggen (vgl. Art. 22 GG), seien sie amtlich oder von privater61 Seite angebracht; geschützt sind also auch die lediglich als Schmuck verwendeten Bundes- und Landesflaggen. Öffentlich gezeigt wird eine Flagge, wenn sie nach der erkennbaren Intention dessen, der sie angebracht hat, für einen größeren, durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis an dieser Stelle bei entsprechender Beleuchtung wahrnehmbar sein soll und wahrgenommen werden kann. Erfasst wird also nicht nur das Hissen an einem öffentlichen Ort oder an einer Stelle, die von allgemein zugänglichen Orten aus eingesehen werden kann, sondern auch das Anbringen in einem Gebäude, um sie einem dort Einlass findenden Personenkreis sichtbar zu machen. Der Tatbestand erfordert nicht die tatsächliche Wahrnehmung durch andere Personen als den Täter vor oder während der Tathandlung, Wahrnehmbarkeit genügt. Auch ändert es nichts, dass die Veranstaltung, aus deren Anlass die Flagge aufgezogen worden war, zum Tatzeitpunkt bereits beendet ist (BGH bei Wagner GA 1961 18 Nr. 3 zu § 96).

35 b) Hoheitszeichen des Bundes oder eines Landes. Zu denken ist an Fahnen, Standarten, Schilder, Wappen, Skulpturen, Grenzpfähle, Schlagbäume, gegebenenfalls auch die Kokarde an einer Dienstmütze eines Soldaten oder uniformtragenden Beamten (OLG Braunschweig NJW 1953 875). Ein derartiger Gegenstand ist dann ein Hoheitszeichen, wenn er die Autorität des Staates öffentlich zum Ausdruck bringen soll. Dies ist der Fall, wenn er nach dem erkennbaren Willen der zuständigen Organe des Bundes oder eines Landes dazu bestimmt oder verwendet wird, das Bestehen der Staatsgewalt öffentlich zum Ausdruck zu bringen und damit kundzutun, dass der betreffende Ort oder die betreffende Sache dieser Staatsgewalt unterworfen und gewidmet sei (RGSt 31 143, 147; 63 286, 287). Die in RGSt 31 143, 147 behandelten Markierungssteine für den Wasserstand kämen für eine Tat nach § 90a Abs. 2 schon deshalb nicht in Betracht, weil sie kein Staatswappen trugen. Das Hoheitszeichen muss – anders als bei § 90a Abs. 2 1. und 2. Var. – auf Veranlassung 36 einer Behörde (§ 11 Abs. 1 Nr. 7) öffentlich angebracht worden sein. Dies bedeutet nicht, dass das Zeichen öffentlich sichtbar sein muss.62 Es genügt, wenn das Zeichen so angebracht ist, dass es an dem jeweiligen Ort – etwa auch in einem allgemein zugänglichen Gebäude – von beliebigen Personen wahrgenommen werden kann.

2. Tathandlungen des Absatzes 2 37 a) Entfernen ist jedes Wegnehmen von dem Ort, an dem die Flagge oder das Zeichen angebracht ist, ohne dass es auf einen Zueignungswillen des Täters ankommt. Bei der Flagge genügt das Einholen, auch wenn sie sonst an Ort und Stelle belassen wird. Ein Hoheitszeichen ist auch 61 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Fischer Rdn. 9. 62 Steinmetz MK Rdn. 21; Paeffgen NK Rdn. 31; aA OLG Braunschweig NJW 1953 875; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 16; Fischer Rdn. 9; Valerius BeckOK StGB Rdn. 10. Steinsiek

306

V. Qualifikation des Absatzes 3

StGB § 90a

dann entfernt, wenn der Täter es in der Nähe liegen lässt. Dagegen reicht es nicht aus, wenn das Hoheitszeichen von seinem Aufbewahrungsort entfernt wird, um dadurch dessen öffentliche Anbringung aus bestimmtem Anlass zu verhindern.

b) Zerstören und Beschädigen, etwa durch Verbrennen, s. die Erläuterungen bei § 303.

38

c) Unbrauchbarmachen bedeutet Beseitigen der Funktionstüchtigkeit, wobei es ausreicht, 39 dass das Tatobjekt seine Tauglichkeit als Hoheitszeichen im Wesentlichen verliert.

d) Unkenntlich macht eine Flagge oder ein Zeichen, wer dessen Erkennbarkeit beseitigt. Das 40 Tatbestandsmerkmal des Unkenntlichmachens hat eine Auffangfunktion gegenüber den übrigen Begehungsformen.63 Gedacht ist hier vor allem an das Überkleben oder das leicht abwaschbare und deshalb nicht als Beschädigen zu wertende Übermalen von Schildern, aber auch das teilweise Einziehen von Flaggen, die der Täter nicht vom Fahnenmast löst, denen er aber die Sichtbarkeit nimmt.

e) Beschimpfender Unfug ist eine rohe, im Sinne einer Herabwürdigung verletzende Form 41 der Missachtung in Bezug auf den geschützten Gegenstand (RGSt 42 201, 202). Dabei muss sich die Kundgabe räumlich unmittelbar gegen den Gegenstand richten, eine Substanzverletzung oder Funktionsstörung muss jedoch nicht eintreten. Zu denken ist etwa an das Urinieren auf ein Hoheitszeichen (OLG Frankfurt NStZ 1984 119, 120 f.), das Besudeln eines Hoheitszeichens mit Unrat, das Anspucken, das Umsägen eines Fahnenmastes mitsamt der Fahne (BGH bei Wagner GA 1961 18 Nr. 3 zu § 96). Ob bereits das Tippen an die Kokarde einer Dienstmütze verbunden mit einer abfälligen Bemerkung über die Bundesfarben ausreicht (OLG Braunschweig NJW 1953 875, 876), erscheint dagegen zweifelhaft.

3. Tatort des Absatzes 2 Die Tat nach Absatz 2 ist auch dann strafbar, wenn sie im Ausland begangen wird, unabhängig 42 vom Recht des Tatorts und – anders als nach Absatz 1 – unabhängig davon, wer der Täter ist (§ 5 Nr. 3b).

IV. Subjektiver Tatbestand Es ist für Absatz 1 und 2 jeweils vorsätzliches Handeln erforderlich. Abgesehen vom böswilligen 43 Verächtlichmachen, das eine entsprechende Absicht voraussetzt (s. Rdn. 15), genügt bedingter Vorsatz.

V. Qualifikation des Absatzes 3 Absatz 3 beinhaltet einen selbständigen Qualifikationstatbestand, nicht lediglich bloße Straf- 44 schärfungsmerkmale (BGHSt 32 332). Setzt sich der Täter mit seiner Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze 63 Steinmetz MK Rdn. 22. 307

Steinsiek

§ 90a StGB

Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole

ein (s. hierzu im Einzelnen § 92 Abs. 3 sowie § 87 Rdn. 18 und § 88 Rdn. 9), so verschärft sich das Strafmaß erheblich.

VI. Versuch 45 Nur in den Fällen des Absatzes 2 ist der Versuch strafbar (Absatz 2 S. 2). Es liegt ein Wahndelikt vor, wenn der Täter irrtümlich einen Absatz 2 nicht unterfallenden Gegenstand für ein taugliches Schutzobjekt hält (bspw. auch ein Stadtwappen als geschützt ansieht); ein untauglicher Versuch liegt vor, wenn er einen nicht durch § 90a Abs. 2 geschützten Gegenstand als einen dem Schutz des Absatzes 2 unterfallenden hält (bspw. ein Stadt- für ein Landeswappen hält).64

VII. Strafrahmen 46 Die Strafe ist für die Fälle des Absatzes 1 wie für die des Absatzes 2 Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Absatz 3 (Qualifikation) droht dagegen eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe an.

VIII. Teilnahme, Nebenfolgen und Einziehung 47 Teilnahme ist grundsätzlich möglich (§ 90b Rdn. 8). Zu Nebenfolgen und Einziehung s. §§ 92a, 92b.

IX. Geltungsbereich 48 Für Auslandstaten vgl. § 5 Nr. 3a und b. Ob insbesondere bei Internetsachverhalten daneben eine Anwendung von § 9 Abs. 1 augeschlossen sein soll, erscheint zweifelhaft, da die durch den Gesetzgeber für § 90a vorgesehene differenzierte Regelung in § 5 Nr. 3 keine Rückschlüsse und auf den daneben stehenden § 9 zulässt.65

X. Konkurrenzen 49 Tateinheit kommt in Betracht mit §§ 86, 86a, 89, 90, 90b, von Absatz 2 insbesondere auch mit § 304. Dagegen tritt § 303 zurück.66 Treffen mehrere Begehungsformen des Absatzes 2 oder des Absatzes 1 mit Absatz 2 zusammen, so liegt nur eine Tatbestandsverwirklichung vor (BGH bei Wagner GA 1961 18 Nr. 3 zu § 96).

XI. Opportunitätsprinzip; Zuständigkeiten; Parteienprivileg 50 Zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips s. §§ 153c–e StPO. Besondere Zuständigkeiten sind nur für Taten nach § 90a Abs. 3 vorgesehen (s. § 74a Abs. 1 Nr. 2 GVG). Zum Parteienprivileg s. Vor § 80 Rdn. 25 ff.

64 Steinmetz MK Rdn. 27; Paeffgen NK Rdn. 40. 65 So aber Steinmetz MK Rdn. 3. 66 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Zöller SK Rdn. 20; Fischer Rdn. 21. Steinsiek

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XIII. Anwendbarkeit auf nichtdeutsche NATO-Truppen

StGB § 90a

XII. Strafzumessung; Tenor Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GG muss auch bei der Zumessung der Sanktion für eine verbotene Mei- 51 nungsäußerung Beachtung finden.67 Im Fall des § 90a Abs. 3 ist der Urteilstenor dahin zu fassen, dass der Angeklagte der schweren Verunglimpfung des Staates schuldig ist.68

XIII. Anwendbarkeit auf nichtdeutsche NATO-Truppen Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 gelten auch zum Schutz der in der Bundesrepublik Deutschland statio- 52 nierten nichtdeutschen NATO-Truppen (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 NATO-TruppenschutzG, NTSG) in Bezug auf die nationalen Symbole dieser Truppen.

67 BGH NStZ 2003 145, 146. 68 BGH NStZ 2003 145, 146. 309

Steinsiek

§ 90b Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) ein Gesetzgebungsorgan, die Regierung oder das Verfassungsgericht des Bundes oder eines Landes oder eines ihrer Mitglieder in dieser Eigenschaft in einer das Ansehen des Staates gefährdenden Weise verunglimpft und sich dadurch absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Die Tat wird nur mit Ermächtigung des betroffenen Verfassungsorgans oder Mitglieds verfolgt.

Schrifttum S. bei §§ 90, 90a.

Entstehungsgeschichte Der vom 1. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 7) als § 97 eingeführte Tatbestand ist durch das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) umformuliert worden. Sachlich bedeutsame Änderungen waren (wie in den beiden vorausgehenden Tatbeständen) die Streichung der Alternative „oder dazu auffordert“ und der Subsidiaritätsklausel, die vor allem im Hinblick auf den früheren § 94 in Verbindung mit den dort angeführten Organisationstatbeständen von Belang war und mit dem Wegfall und der Verkürzung der sonst konkurrierenden Tatbestände ihren Sinn verlor (BGHSt 8 191, 193). Art. 1 Nr. 4 des 4. StrRG vom 23.11.1973 (BGBl. I 1725) und Art. 19 Nr. 11 EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I 469; 1975 I 1916; 1976 I 507) brachten nur redaktionelle Veränderungen.

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

1

II. 1. 2. 3.

Tathandlung 2 Schutzgegenstände 4 Verunglimpfen 6 Öffentlich

III.

Subjektiver Tatbestand

IV.

Teilnahme

V.

Nebenfolgen und Einziehung

VI.

Geltungsbereich für Auslandstaten

VII. Ermächtigung 11 1. Zuständigkeit zur Erteilung 13 2. Auslegungsfähigkeit

3

VIII. Konkurrenzen

10

12

14

7 IX.

Opportunitätsprinzip; Zuständigkeit

15

8 9

I. Zweck der Vorschrift 1 Die Vorschrift bezweckt nur vordergründig den Schutz des Ansehens bestimmter Verfassungsorgane und ihrer Mitglieder. Ähnlich wie bei § 90a (s. dort Rdn. 1) ist eigentliches Ziel des § 90b die Bewahrung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung (vgl. BGH StV 1982 218, 219), soweit diese in den in § 92 Abs. 2 genannten Verfassungsgrundsätzen Ausdruck gefunden hat. Dies wird durch die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 90b Abs. 1 besonders deutlich. Zudem folgt dies aus der systematischen Stellung der Norm im Ersten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB.1 Die

1 Steinmetz MK Rdn. 1; z. T. abw. Valerius BeckOK StGB Rn. 1 (geschützt seien auch die Verfassungsorgane als solche). Steinsiek https://doi.org/10.1515/9783110490008-021

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II. Tathandlung

StGB § 90b

Vorschrift dient somit nicht dem persönlichen Ehrenschutz der Mitglieder der bezeichneten Verfassungsorgane.2

II. Tathandlung Tathandlung ist das Verunglimpfen bestimmter Verfassungsorgane oder eines ihrer Mitglieder 2 in dieser Eigenschaft, wenn dies in einer das Ansehen des Staates gefährdenden Weise sowie öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) erfolgt.

1. Schutzgegenstände sind die Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder (also Bundestag, Bundesrat, Länder- 3 parlamente bzw. deren Entsprechungen in den Stadtstaaten), die Bundesregierung und die Regierungen der Länder, die Verfassungsgerichte des Bundes und der Länder sowie jedes Mitglied der vorbezeichneten Verfassungsorgane in dieser Eigenschaft, also nicht auch als Privatperson (wie der Bundespräsident in § 90). Jedoch ist es nicht mehr wie nach der ursprünglichen Fassung des 1. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 7: „oder in einem ihrer Mitglieder als verfassungsmäßiges Organ“) notwendige Voraussetzung, dass in dem Angriff auf das Mitglied zugleich ein Angriff auf die Körperschaft im Ganzen liegt. Freilich wird beides meist zusammentreffen. Jedenfalls genügt es auch nach der veränderten Fassung nicht, dass das einzelne Mitglied nur als Privatperson oder Teil der Politik angegriffen wird (BGHSt 8 191, 193).

2. Verunglimpfen Vgl. zunächst die Ausführungen bei § 90 Rdn. 3. Gemeint ist eine nach Form, Inhalt, Begleitum- 4 ständen oder Beweggrund gewichtige Ehrenkränkung.3 Auch für § 90b ist zu beachten, dass politische Kritik, auch wenn sie hart, unsachlich oder polemisch überspitzt ist, vom Tatbestand nicht erfasst wird. Die Richtigkeit oder Unrichtigkeit, etwa der Politik der Bundesregierung, kann nicht Gegenstand gerichtlicher Beurteilung sein (BGH JZ 1963 402, 403). Gleiches gilt für Kritik an den anderen in § 90b genannten Verfassungsorganen oder deren Entscheidungen. Dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) sowie der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) ist in diesem Zusammenhang bei der Auslegung des Tatbestandes besondere Beachtung zu schenken (§ 90a Rdn. 22 ff.). Wann eine von der Meinungsäußerungsfreiheit nicht mehr gedeckte Schmähung eines Verfassungsorgans oder eines seiner Mitglieder vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (s. näher § 90a Rdn. 23 ff.). Ein Beispiel dafür bildet der der Entscheidung OLG Düsseldorf NJW 1980 603 zugrunde liegende Sachverhalt, wo ein Mitglied der Bundesregierung als „Schreibtischmörder, Versicherungsschwindler, Dieb, Hehler, Zwangsarbeitsminister, Erpresser und Lohndrücker, Endlöser und Sterbehelfer des Finanzkapitals“ bezeichnet wurde. Zum Wahrheitsbegriff, s. § 90 Rdn. 4. Eine weitere Einschränkung des Tatbestandes besteht darin, dass die Verunglimpfung nach 5 Art oder Gewicht so beschaffen sein muss, dass sie das Ansehen des Staates gefährdet. Dies bedeutet, dass infolge der Verunglimpfung eine konkrete Gefährdung des Ansehens der Bun-

2 BGHSt 8 191, 193; BGH NJW 1957 837; Lackner/Kühl Rdn. 1; Steinmetz MK Rdn. 1; Paeffgen NK Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Zöller SK Rdn. 1; Fischer Rdn. 2. 3 BGHSt 12 364; 16 338, 339. 311

Steinsiek

§ 90b StGB

Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen

desrepublik Deutschland insgesamt eintreten muss,4 was jedoch nur schwer feststellbar sein wird. Das Merkmal der konkreten Gefährdung des Ansehens des Staates ist auch für das Verhältnis des § 90b zu § 90a bedeutsam. Da die in der Verunglimpfung des Organs liegende Herabsetzung des Staates vom Tatbestand des § 90b mit erfasst wird, ist nicht ohne Weiteres allein wegen des dafür ausreichenden tatsächlichen Hintergrunds auch eine Anwendung des § 90a Abs. 1 möglich. Doch ist es je nach Sachlage denkbar, dass eine rein äußerlich nur auf den Staat bezogene Äußerung in Wahrheit ein Verfassungsorgan treffen soll oder umgekehrt. Insoweit kann dann Tateinheit gegeben sein.5 Die Frage ist vor allem auch im Hinblick auf das Erfordernis der Ermächtigung bedeutsam.

3. Öffentlich 6 dazu s. § 90 Rdn. 4 bis 7; zur Versammlung vgl. § 90 Rdn. 10. Zum Verbreiten von Schriften wird auf § 86 Rdn. 19 ff. und die Erläuterungen zu § 11 verwiesen.

III. Subjektiver Tatbestand 7 Hinsichtlich sämtlicher Merkmale des objektiven Tatbestandes ist zumindest bedingter Vorsatz erforderlich (BGH bei Wagner GA 1961 21 unter B.5). Darüber hinaus muss der Täter mit der Tat die Absicht verfolgen, sich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einzusetzen (s. hierzu im Einzelnen § 92 Abs. 2 und 3, § 87 Rdn. 18 und § 88 Rdn. 9). Es handelt sich hierbei, wie in den §§ 88 und 89, um ein notwendiges subjektives Tatbestandsmerkmal und nicht wie bei den §§ 90, 90a lediglich um einen Qualifikationstatbestand (BGHSt 32 332). Der Einsatz für die genannten Bestrebungen muss sich nicht aus der Tathandlung selbst ergeben, etwa aus dem Inhalt der verbreiteten Schrift (BGHSt 29 159, 160 f., BGH StV 2017 379). Ausreichend ist vielmehr, wenn der Täter die verunglimpfende Schrift als Mittel zur Verfolgung der verfassungsfeindlichen Ziele einsetzt. Daher ist das Gericht bei der Ermittlung der Absicht des Täters beispielsweise nicht auf den Inhalt von ihm hergestellter oder verbreiteter Schriften beschränkt (BGH bei Wagner GA 1961 21 unter B.4, BGH v. 4.5.2016 – 3 StR 392/15). Andererseits muss die Absicht der Tathandlung zugrunde liegen, was sich aus der Verknüpfung des objektiven mit dem subjektiven Tatbestand durch das Wort „dadurch“ ergibt (OLG Düsseldorf NJW 1980 603, 604). Es genügt daher nicht, wenn ein Mitglied einer Vereinigung, die sich die Abschaffung der geltenden Verfassung zum Ziel gesetzt hat, an einer von dieser durchgeführten, ein Verfassungsorgan verunglimpfenden Flugblattaktion teilnimmt. Vielmehr muss die Aktion selbst als Bestrebung gegen die Verfassung dienen (OLG Düsseldorf a. a. O.). Der Nachweis einer unspezifischen, rechtspopulisitischen Gesinnung des Täters ist für eine entsprechende Absicht nicht ausreichend (BGH v. 4.5.2016 – 3 StR 392/15). Setzt sich der Täter durch die Tat für verfassungswidrige Bestrebungen ein und will er dadurch zugleich eine unverbotene Partei in der Bundesrepublik Deutschland unterstützten, so steht, weil Verunglimpfen keine sozialadäquate Parteitätigkeit ist, Art. 21 GG der Anwendung des § 90b nicht entgegen.6 Irrtümer diesbzgl. sind Verbotsirrtümer.

4 OLG Düsseldorf NJW 1980 603; kritisch Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 404 f.; nach Paeffgen NK Rdn. 6 ist das Kriterium wegen dessen ohnehin bestehender Diffusität, zumal aber als Gefährdungserfolg, schwer nachweisbar. Er versteht unter dem Begriff „Staat“ die Bundesrepublik Deutschland als grundgesetzlich verfasste freiheitliche Demokratie. 5 BGHSt 7 110, 111; 11 11, 12; BGH JZ 1963 402, 403; RGSt 57 185. 6 BGHSt 29 50, 51; Steinmetz MK Rdn. 8; Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 5; Valerius BeckOK Rdn. 5; aA Paeffgen NK Rdn. 8. Steinsiek

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VII. Ermächtigung

StGB § 90b

IV. Teilnahme Teilnahme ist grundsätzlich möglich (§ 89 Rdn. 14). BGHSt 8 165 hat den Adressaten der Verbrei- 8 tung einer Schrift als Teilnehmer einer Tat nach § 97 a. F. qualifiziert, wenn er die Schrift mit dem Willen der weiteren Verbreitung entgegennimmt. Seine Teilnahmehandlung würde jedoch in der späteren eigenen Verwirklichung des Tatbestandes aufgehen und sollte daher nur als straflose Vorbereitung zu werten sein.

V. Nebenfolgen und Einziehung S. §§ 92a, 92b.

9

VI. Geltungsbereich für Auslandstaten S. § 5 Nr. 3a.

10

VII. Ermächtigung Die Ermächtigung des betroffenen Verfassungsorgans oder Mitglieds ist Verfahrensvorausset- 11 zung zur Strafverfolgung. Anders als bei der Stellung eines Strafantrags ist keine Befristung vorgesehen. Die Ermächtigung muss lediglich bis zum Eintritt der Strafverfolgungsverjährung erteilt sein (§ 77e).

1. Zuständigkeit zur Erteilung Richtete sich die Tat unmittelbar gegen das Verfassungsorgan, so ist dessen Ermächtigung erfor- 12 derlich. Sie wird durch den nach Gesetz oder Geschäftsordnung berufenen Amtsträger erklärt, nachdem ein Beschluss des betreffenden Kollegialorgans gefasst wurde, und hängt in ihrer Wirksamkeit von einem solchen Beschluss ab (vgl. BVerfGE 6 309, 323). Richtete sich die Tat allein gegen ein Mitglied, so kann nur dieses (vgl. § 90 Rdn. 19), nicht auch an seiner Stelle das Kollegialorgan, die Ermächtigung erteilen (ebenso Schlichter GA 1966 353, 364). Dass in diesem Fall die Ermächtigung bei längerer Verhinderung durch den Vertreter im Amt erteilt werden kann, wird von Schlichter a. a. O. angenommen. Dem kann hier ebenso wenig wie im Falle des § 90 (s. dort Rdn. 18 u. 19) zugestimmt werden (BGHSt 29 282). Es handelt sich um eine unübertragbare persönliche Befugnis des jeweiligen Organwalters/Mitglieds.7 Diese besteht auch nach Beendigung des Amtes für bis dahin begangene Taten fort. Anders ist es, wenn ein Kollegialorgan betroffen ist. Hier besteht das Recht, die Ermächtigung zu erteilen, für das Kollegium unabhängig von einem Wechsel seiner persönlichen Zusammensetzung. Ausgeschiedene Mitglieder haben kein Mitwirkungsrecht für die in ihrer Amtszeit vorgefallenen Taten. Lag bereits ein förmlicher Beschluss zur Nichterteilung der Ermächtigung vor, so ist dieser bindend, so dass eine neue Regierung oder ein neues Parlament diese Entscheidung nicht später umstoßen kann.8 Sind nebeneinander mehrere Organe oder Mitglieder zur Ermächtigung befugt, so kann jeder dieses Recht selbständig ausüben (§§ 77e, 77 Abs. 4).

7 Lackner/Kühl Rdn. 7; Paeffgen NK Rdn. 15; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 7; Fischer Rdn. 6; Valerius BeckOK Rdn. 9. 8 AA Steinmetz MK Rdn. 15; Paeffgen NK Rdn. 15. 313

Steinsiek

§ 90b StGB

Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen

2. Auslegungsfähigkeit 13 Die Ermächtigung ist der Auslegung zugänglich. Eine als Strafantrag bezeichnete Erklärung ist auch dann als Ermächtigung anzusehen, wenn sie auf eine Strafverfolgung des Täters aus allen rechtlichen Gesichtspunkten abzielt (BGH bei Wagner GA 1961 22 unter C.4). In einem wegen Beleidigung gestellten Strafantrag liegt dagegen noch nicht ohne Weiteres eine Ermächtigung nach § 90b.9 Ist jedoch in einem als Strafantrag bezeichneten Schreiben eines Organträgers ausdrücklich von einer Verunglimpfung im Sinne des § 90b gesprochen, so wird darin eine Ermächtigung zu sehen sein (BGH bei Wagner GA 1961 22 unter C.2). Wird umgekehrt nur die Ermächtigung erteilt, so kann darin schon deshalb nicht zugleich ein Strafantrag liegen, weil dieser ein positives Strafverlangen beinhaltet, während die Ermächtigung nur den Handlungsspielraum für Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörde eröffnet (RGSt 33 68, 70).

VIII. Konkurrenzen 14 Mit §§ 86, 90 und 90a besteht in der Regel Tateinheit. Das Verhältnis zu gleichzeitig verwirklichten Vergehen nach §§ 185 bis 188 ist nach wie vor umstritten. BGHSt 6 159, 160 hatte Tateinheit angenommen. Davon ist BGH bei Schmidt MDR 1981 90 (in BGHSt 29 50 insoweit nicht abgedruckt) abgewichen und hat ohne nähere Begründung auf die Möglichkeit von Gesetzeskonkurrenz hingewiesen (s. auch BGH NJW 1953 1722, 1723). Dieser Auffassung ist mit Lackner/Kühl (Rdn. 6) der Vorrang zu geben. Er legt zutreffend dar, dass gegenüber den §§ 185 ff. Spezialität mit Vorrang des § 90b anzunehmen ist, weil jede Tat nach § 90b auch eine Beleidigung einschließt.10 Dies gilt auch gegenüber § 188.11 Wird beim Zusammentreffen § 188 Abs. 2 verdrängt, ist die dort vorgeschriebene Mindeststrafe zu beachten.

IX. Opportunitätsprinzip; Zuständigkeit 15 Zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips s. §§ 153c – e StPO. Bezüglich der Zuständigkeit gilt das bei § 84 Rdn. 39 Gesagte entsprechend.

9 BGH MDR 1954 754; aA OLG Hamm GA 1953 28 mit zust. Anm. Grützner. 10 AA Steinmetz MK Rdn. 12 und Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1 und 10, nach deren Auffassung der Annahme von Gesetzeskonkurrenz die abweichenden Schutzgüter entgegenstehen; so auch Paeffegen NK Rdn. 13, der jedoch § 90a davon ausnimmt (a. a. O. Rdn. 14). 11 BGH NJW 1953 1722, 1723 (zur Vorgängernorm des § 187a); aA Lackner/Kühl Rdn. 6. Steinsiek

314

§ 91 Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die nach ihrem Inhalt geeignet ist, als Anleitung zu einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Abs. 1) zu dienen, anpreist oder einer anderen Person zugänglich macht, wenn die Umstände ihrer Verbreitung geeignet sind, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen, 2. sich eine Schrift der in Nummer 1 bezeichneten Art verschafft, um eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen. (2) Absatz 1 Nr. 1 ist nicht anzuwenden, wenn 1. die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst und Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient oder 2. die Handlung ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger beruflicher oder dienstlicher Pflichten dient. (3) Ist die Schuld gering, so kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.

Schrifttum Aliabasi Die staatsgefährdende Gewalttat (2017); Backes Der Kampf des Strafrechts gegen nicht-organisierte Terroristen, StV 2008 654; Bäcker Kriminalpräventionsrecht (2015); Biehl Strafbarkeitslücken im Terrorismusstrafrecht? Eine Analyse der bestehenden Sanktionsmöglichkeiten terroristisch motivierten Handelns, JR 2018 317; Eisele Computer- und Medienstrafrecht (2013); Engelstätter Die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 – Deutsches Staatsschutzstrafrecht unter Anpassungsdruck? GSZ 2019 95; Engelstätter/Maslow Islamistische Propaganda: Strafbarkeit de lege lata – Handlungsimpulse de lege ferenda, GSZ 2018 138; Gazeas/Grosse-Wilde/Kießling Die neuen Tatbestände im Staatsschutzstrafrecht – Versuch einer ersten Auslegung der §§ 89a, 89b und 91 StGB, NStZ 2009 593; Gierharke Zur geplanten Einführung neuer Straftatbestände wegen der Vorbereitung terroristischer Straftaten, ZIS 2008 397; Heinrich Die Staatsschutzdelikte im Lichte des Medienstrafrechts – Teil 2: Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats, ZJS 2017 301; Kauffmann Das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten (2011); Puschke Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen (2017); Rautenberg Rechtsstaatswidriges Feindstrafrecht oder notwendige Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung? (2014); Satzger Internationales und Europäisches Strafrecht, 8. Aufl. (2018); Sieber Legitimation und Grenzen von Gefährdungsdelikten im Vorfeld von terroristischer Gewalt – Eine Analyse der Vorfeldtatbestände im „Entwurf eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten“, NStZ 2009 353; Zöller Willkommen in Absurdistan, GA 2010 607; vgl. im Übrigen das Schrifttum zu § 89a.

Entstehungsgeschichte § 91 ist neben §§ 89a, b als dritte Vorschrift durch das Gesetz zu Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG) in das StGB aufgenommen worden und seitdem unverändert geblieben.1 Soweit der Referentenentwurf noch vorsah,2 die heutigen Tatbestände des § 89b und des § 91 in einer Vorschrift zusammenzufassen, hat sich dies im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen können. Die auf den Referentenentwurf folgenden Gesetzesentwürfe der Regierungsfraktionen3 und der Bundesregierung4 splitteten die Regelung des § 91 vielmehr in zwei getrennte Vorschriften. Der bereits bestehende § 91 wurde zu § 91a. Die Norm wurde zudem in

1 Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG) vom 30.7.2009, BGBl. I 2437.

2 Der Referentenentwurf ist nach wie vor online im Internet verfügbar unter:http://www.gesmat.bundesgerichtshof.de/ gesetzesmaterialien/16_wp/staatsschutzstrafrecht/refe.pdf. 3 BTDrucks. 16/11735. 4 BTDrucks. 16/12428. 315 https://doi.org/10.1515/9783110490008-022

Engelstätter

§ 91 StGB

Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

den Katalog des § 92b aufgenommen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Gesetzgebungsverfahrens und der Gesetzesmaterialien kann auf die Ausführungen zu § 89a verwiesen werden.5

Gesetzgebungsanlass Anlass für die Einführung der Vorschrift war die wachsende Bedeutung und zunehmende Verbreitung detaillierter Anleitungen zur Herstellung von Sprengsätzen und anderen Vorrichtungen im Internet.6 Zwar unterfiel dieser Phänomenbereich bereits dem Anwendungsbereich der Tatbestände der §§ 111, 130a sowie des § 52 Abs. 1 Nr. 4 WaffG. Gleichwohl bestand nach Auffassung des Gesetzgebers eine Regelungslücke, die durch § 91 Abs. 1 geschlossen werden sollte. Die waffenrechtlichen Vorschriften erfassten in der bei Einführung der Vorschrift geltenden Fassung lediglich die Anleitung oder Aufforderung zur Herstellung von bestimmten Gegenständen wie Molotow-Cocktails oder unkonventionellen Spreng- oder Brandvorrichtungen.7 § 111 setzte eine Aufforderung mit Appellcharakter voraus, d. h. die Äußerung des Betroffenen musste erkennbar darauf abzielen, ihre Adressaten unmittelbar zur Begehung bestimmter rechtswidriger Taten zu motivieren, wobei umstritten war, welchen Grad die Konkretisierung der zu erwartenden Tat haben musste.8 Der Tatbestand des § 130a erfasste in Absatz 1 nur Schriften, die bereits ihrem Inhalt nach bestimmt waren, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine der in § 126 Abs. 1 genannten Katalogtaten zu begehen. Inhaltlich neutrale Schriften wurden gem. Absatz 2 Nr. 1 nur erfasst, wenn sie in einer entsprechenden Absicht i. S. e. dolus directus 1. Grades verbreitet wurden.9 Nach Auffassung des Gesetzgebers bestand damit eine Strafbarkeitslücke für Fallkonstellationen, in denen eine inhaltlich neutrale Schrift unter Umständen verbreitet wird, aus deren Zusammenspiel sich erst die Eignung ergibt, die Bereitschaft anderer zu fördern, eine Gewalttat zu begehen und in denen die erforderliche Absicht nach § 130a Abs. 2 Nr. 1 nicht nachgewiesen werden kann.10 Dies galt insbesondere für das Herunterladen von sog. „Anleitungen zum Bombenbau“ aus dem Internet.11 Um die Lücke zu schließen, schuf der Gesetzgeber die Tatbestände des § 91. Die im Vergleich zu § 130a Abs. 2 Nr. 1 geringeren Anforderungen an den subjektiven Tatbestand in § 91 Abs. 1 sollten durch ergänzende Anforderungen an die objektive Tathandlung kompensiert werden. Die Norm knüpft nicht an den Katalog des § 126 Abs. 1, sondern allein an den engeren Begriff der schweren staatsgefährdenden Gewalttat in § 89a Abs. 1 Satz 2 an.

Bevorstehende Novellierung Am 4.9.2019 legte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches mit dem Titel „Modernisierung des Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Ausland“ vor.12 Dieser sieht die Ersetzung des bislang in § 11 Abs. 3 StGB geregelten Schriftenbegriffs durch einen Inhaltsbegriff vor. Infolgedessen sollen alle Straftatbestände, die den Schriftenbegriff enthalten oder auf ihn verweisen, geändert werden. Dies betrifft auch § 91, in dem das Wort „Schrift“ durch den Begriff „Inhalt“ ersetzt werden soll.13 Der Gesetzgeber reagiert mit dem Entwurf auf die veränderte Lebenswirklichkeit bei der Verbreitung strafbarer Inhalte, die nicht mehr vorrangig durch Weitergabe von Trägermedien oder Druckwerken erfolgt, sondern über das Internet mit seiner Vielzahl verschiedener Kommunikationsformen einschließlich „Live-“ oder „On-Demand-Streams“ bzw. sog. „Over-the-Top“-Diensten.14

5 Zu weiteren Einzelheiten des parlamentarischen Prozesses einschließlich jeweiligen Beiträge aus dem politischen Raum siehe BTDrucks. 16/12428 S. 12, 17; Kauffmann S. 9; Mertens S. 10; Rautenberg S. 66 ff.

6 Vgl. hierzu Aliabasi S. 181; Engelstätter/Maslow GSZ 2018 138; Kauffmann S. 106 ff. 7 BTDrucks. 16/12428 S. 17; Schäfer MK Rdn. 1. 8 BGHSt 31 16, 22; BGHSt 32 310, 312; BGH NStZ-RR 2005 73, 74; Bosch MK § 111 Rdn. 6; einzelne Beispiele bei Engelstätter/Maslow GSZ 2018 138, 141.

9 BTDrucks. 16/12428 S. 12, 17; Schäfer MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1. 10 BTDrucks. 16/12428 S. 17; Engelstätter/Maslow GSZ 2018 138, 139; Fischer Rdn. 3. 11 BTDrucks. 16/12428 S. 13, 17; Schäfer MK Rdn. 1. 12 Online unter http://www.bmjv.de. 13 Referentenentwurf S. 7; BTDrucks. 19/19859 S. 55. 14 Referentenentwurf S. 21; BTDrucks. 19/19859 S. 1, 25 ff. Engelstätter

316

StGB § 91

II. Rechtsgut und Deliktsnatur

Übersicht I.

Kriminalpolitische Bedeutung

1

II.

Rechtsgut und Deliktsnatur

III.

Völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorga3 ben Vorgaben für Absatz 1 Nr. 1 4 6 Vorgaben für Absatz 1 Nr. 2 7 Kongruenz des nationalen Rechts

1. 2. 3.

25 27

3.

c) Zweite Eignungsklausel Tathandlung nach Nummer 2

VI. 1. 2.

Subjektiver Tatbestand 30 Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 2

2

VII. Tatbestandsausschluss gem. Absatz 2 VIII. Rechtswidrigkeit und Schuld

IV. 1. 2.

V. 1.

2.

Verfassungsrechtliche Vorgaben 8 Bestimmtheitsgrundsatz 11 13 Verhältnismäßigkeit a) Tathandlungen nach § 91 Abs. 1 14 Nr. 1 b) Tathandlungen nach § 91 Abs. 1 15 Nr. 2 Objektiver Tatbestand 16 17 Tatobjekt 18 a) Schrift 20 b) Anleitung 21 c) Erste Eignungsklausel 22 Tathandlungen nach Nummer 1 23 a) Anpreisen (Nummer 1 Alt. 1) b) Zugänglichmachen (Nummer 1 Alt. 24 2)

31 32

IX. 1. 2.

33

34

Rechtsanwendungsrecht 35 Bewertung von Tathandlungen im Aus36 land Unmittelbare Anwendung internationaler Vorga38 ben gem. § 6 Nr. 9

X.

Rechtsfolgen gem. Absatz 1 und 3

XI.

Täterschaft und Teilnahme

XII. Konkurrenzen XIII. Prozessuales

42

43

47 48

I. Kriminalpolitische Bedeutung Nach den amtlichen Statistiken der (Fachreihe 10, Reihe 3 des Bundesamtes für Statistik) ist es 1 im Jahr 2017 zu zwei Verurteilungen wegen einer Tat nach § 91 gekommen.15 Weitere Verurteilungen sind in den Statistiken nicht enthalten. Zwar spielt die Norm in vielen Fallgestaltungen organisationsungebundener Einzeltäter eine Rolle. Soweit sich diese aus dem Internet eine Anleitung verschaffen, um daraus den Sprengstoff TATP herzustellen, tritt § 91 jedoch regelmäßig hinter § 89a Abs. 2 Nr. 3 zurück, sobald der Täter mit der Beschaffung der Grundsubstanzen beginnt (vgl. § 89a Rdn. 124, 186). Hinsichtlich des grundsätzlichen Regelungsansatzes kann auf die Ausführungen zu § 89a verwiesen werden (s. § 89a Rdn. 1 ff.).

II. Rechtsgut und Deliktsnatur Bei der Bestimmung der von § 91 geschützten Rechtsgüter bestehen dieselben Schwierigkeiten 2 wie bei der Einordnung der Schutzrichtung der Tatbestände der §§ 89a, b (s. § 89a Rdn. 14). Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die §§ 89a, 89b, 91 mit einer einheitlichen Schutzrichtung versehen wollte, sodass auch § 91 den Bestand, die äußere und innere Sicherheit eines Staates sowie mittelbar die durch die vorbereitete Gewalttat gem. §§ 211, 212, 239a,

15 Online unter https://www.destatis.de. 317

Engelstätter

§ 91 StGB

Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

239b bedrohten Individualgüter schützt.16 Soweit die strukturell vergleichbaren Tatbestände der §§ 130a, 111, 126 zudem auch den öffentlichen Frieden schützen, ist dies in der Norm nicht angelegt.17 Da allerdings zwischen der Verbreitung einer Anleitung zum Bombenbau oder ihrer Verschaffung zur letztlichen Tatausführung im Regelfall viele Zwischenschritte liegen, ist der Bezug zu den durch die Vorschrift geschützten Individualrechtsgütern von geringerer Intensität als bei den Tathandlungen des § 89 Abs. 2.18 Wie die §§ 89a, 89b sind auch die Tatbestände des § 91 als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestaltet.19 Bei § 91 Abs. 1 Nr. 1 handelt es sich um ein sog. Anschlussdelikt. Diese betreffen Fälle, in denen der Täter einem Dritten einen potentiell gefährlichen Gegenstand wie z. B. Waffen aber auch Informationen zur Verfügung stellt.20 Die Tat ist zusätzlich als Verbreitungsdelikt zu qualifizieren, bei dem es nicht entscheidend auf die innere Einstellung des Täters zu dem Inhalt der angepriesenen oder dem Empfänger zugänglich gemachten Schrift ankommt.21 Bei dem Verschaffungstatbestand des § 91 Abs. 1 Nr. 1 handelt es sich um ein Planungsdelikt, bei dem die Gefährdung des geschützten Rechtsguts nicht allein auf der Tathandlung sondern maßgeblich auf den subjektiv manifestierten Planungen, persönlichen Vorstellungen oder Absichten des Täters beruht.22

III. Völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben 3 § 91 ist im Zusammenhang mit denselben völker- und unionsrechtlichen Vorgaben zu sehen, die auch die Vorschrift des § 89a beeinflusst haben (vgl. dort Rdn. 15 ff.). Zwar weisen die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats noch keinen unmittelbaren Bezug zu der Vorschrift auf. Dies gilt jedoch nicht für das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus (vgl. § 89a Rdn. 20)23 und die EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 (vgl. § 89a Rdn. 25).24 Danach bestehen mittlerweile für beide Tathandlungen des § 91 internationale Vorgaben, die bei Auslegung und Anwendung der Vorschrift berücksichtigt werden müssen.

1. Vorgaben für Absatz 1 Nr. 1 4 Vorgaben für eine Tathandlung nach Absatz 1 Nr. 1 ergeben sich zunächst aus Art. 5 des Übereinkommens des Europarats. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, das öffentliche Verbreiten oder sonstige Zugänglichmachen einer Botschaft mit dem Vorsatz zur Begehung einer terroristischen Straftat anzustiften, mit Kriminalstrafe zu bedrohen. Ob die Äußerung die Begehung der Straftat befürwortet, soll nach dem Vertragstext unschädlich sein. Maßgeblich ist nur, dass die Äußerung die Gefahr begründet, dass eine entsprechende Straftat tatsächlich begangen wird. Die Bundesregierung will die aus Art. 5 des Abkommens folgende Kriminalisierungspflicht nicht nur durch die §§ 111, 129a, b, 26 bis 30, sondern auch durch § 91 Abs. 1 Nr. 1 erfüllen.25

16 Gazeas AnwK Rdn. 3; Kauffmann S. 51; Paeffgen NK Rdn. 4; Schäfer MK Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1 unter Verweis auf § 89b Rdn. 1; aA Zöller SK Rdn. 4 (nur Individualgüterschutz).

17 Paeffgen NK Rdn. 5; Schäfer MK Rdn. 4; aA Gazeas AnwK Rdn. 3; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 601; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 1. 18 Schäfer MK Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 3. 19 Fischer Rdn. 3; Gazeas AnwK Rdn. 4; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 602; Zöller SK Rdn. 4. 20 Vgl. Aliasbasi S. 123; Sieber NStZ 2009 353, 359. 21 Schäfer MK Rdn. 5. 22 Vgl. Aliabasi S. 127; Sieber NStZ 2009 353, 359; Steinsiek S. 189. 23 SEV Nr. 196; in Kraft getreten am 1.6.2007, BGBl. II 2011 300. 24 Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschluss 2002/475/JI und Änderung des Beschlusses 2005/671/JI, ABl. EU 2017 Nr. L 88, 6. 25 BTDrucks. 17/3801 S. 30; Gazeas AnwK Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 2. Engelstätter

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III. Völkerrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben

StGB § 91

Eine weitere Regelung ergibt sich aus dem Unionsrecht. Hier verpflichtet Art. 5 der Richtli- 5 nie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 die Mitgliedstaaten nahezu inhaltsgleich zu Art. 5 des Übereinkommens des Europarats, das öffentliche Verbreiten oder sonstiges öffentliche Zugänglichmachen einer Äußerung mit der Absicht zu einer terroristischen Straftat nach Art. 3 der Richtlinie (§ 89a Rdn. 25) anzustiften, strafrechtlich zu verfolgen, wenn dieses Verhalten direkt oder indirekt, etwa durch die Verherrlichung terroristischer Handlungen, die Begehung einer terroristischen Straftat befürwortet und dadurch die Gefahr begründet, dass eine oder mehrere solcher Straftaten begangen werden können. Als Tatmittel soll vor allem die Verbreitung über das Internet oder soziale Medien erfasst werden. Ob die Aufforderung bei einem ihrer Empfänger tatsächlich zu einem Tatentschluss geführt hat, ist unerheblich.26 Nach den Erwägungsgründen der Richtlinie soll die Vorschrift der aus Sicht der Union zunehmenden Bedrohung entgegenwirken, die von Personen ausgeht, die sich aus dem Ausland durch Angehörige einer terroristischen Vereinigung inspirieren oder anweisen lassen, selbst aber in Europa bleiben. Bei der Beurteilung, ob die Verbreitung der Äußerung tatsächlich die Begehung einer terroristischen Straftat begründet, sollen insbesondere der Urheber und der Empfänger der Botschaft sowie der Kontext, in dem die Handlung erfolgt, berücksichtigt werden.27

2. Vorgaben für Absatz 1 Nr. 2 Während sich nach allgemeiner Auffassung Absatz 1 Nr. 2 der Norm unter der Ägide der Rahmen- 6 beschlüsse nicht auf unionsrechtliche Vorgaben stützen ließ,28 hat sich dies mit Inkrafttreten der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 geändert. Mit Art. 8 enthält das Regelwerk erstmals die unionsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten nicht nur den „Ausbilder“ sondern auch den „Absolventen“ einer terroristisch motivierten Ausbildung strafrechtlich zu verfolgen. Eine vergleichbare Regelung ist auch in Art. 3 des Zusatzprotokolls zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus enthalten.29 Nach Erwägungsgrund (11) der Richtlinie und den Anmerkungen Ziffer 40, 41 des erläuternden Berichts zum Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarats30 sollen diese Vorschriften nicht nur die klassische Ausbildung in einem „Terrorcamp“ erfassen, sondern auch den Erwerb von Wissen und praktischen Fähigkeiten sowie den Erhalt von Unterlagen über das Internet. Während nach dem Zusatzprotokoll des Europarats noch ein persönlicher Kontakt zwischen Ausbilder und Absolventen erforderlich ist,31 erfasst das Unionsrecht auch das Selbststudium über das Internet oder durch Konsultation anderen Unterweisungsmaterials, sofern es auf aktivem Verhalten beruht und in der Absicht erfolgt, eine terroristische Straftat zu begehen oder zu ihrer Begehung beizutragen (Einzelheiten s. Rdn. 27 ff.).32 Als Indizien für den Vorsatz sollen insbesondere die Art des Materials und die Häufigkeit der Einsichtnahme herangezogen werden können. Insbesondere die auch von dem deutschen Gesetzgeber in den Blick genommene Fallgruppe des Herunterladens eines Leitfadens zur Herstellung von Sprengstoffen aus dem Internet33 soll nach Erwägungsgrund (11) der Richtlinie 26 Vgl. SEK (2007) 1424, 17; Engelstätter/ Maslow GSZ 2018 138, 142; Zimmermann ZIS 2009 1, 3. 27 Vgl. die Erwägungsgründe (4), (6) und (10) der Richtlinie (EU) 2017/541; zu den Erwägungen des Unionsgesetzgebers siehe auch die Mitteilung der Kommission vom 2.12.2015, KOM (2015) 625 endg. S. 19.

28 Gazeas AnwK Rdn. 4; Schäfer MK Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 2 (jeweils zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Terrorismusrichtlinie). 29 Vgl. BTDrucks. 19/9507 S. 8. 30 BGBl. II 2019 S. 636; BTDrucks.19/9507. 31 Vgl. BTDrucks. 19/9507 S. 14. 32 Erwägungsgrund (11) ist in dem Entwurf der EU-Kommission nicht enthalten und geht über die ursprüngliche Intention der EU-Kommission hinaus. Danach sollte es in das Ermessen der Mitgliedsstaten gestellt werden, welche Fälle des Selbststudiums mit Kriminalstrafe bedroht sein sollten, vgl. Mitteilung der Kommission vom 2.12.2015, KOM (2015) 625 endg. S. 20. 33 BTDrucks. 16/12428 S. 17. 319

Engelstätter

§ 91 StGB

Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

als Absolvierung einer Ausbildung nach Art. 8 des Regelwerks gelten. Nicht tatbestandsmäßig soll dagegen der Besuch einer Internetseite sowie die Sammlung von Material für Zwecke der Wissenschaft und Forschung sein.

3. Kongruenz des nationalen Rechts 7 Der Tatbestand des § 91 ist teilweise weiter, teilweise aber auch enger gefasst als die internationalen Vorgaben. Die Norm knüpft nicht an eine terroristische Straftat i. S. v. Art. 3 der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung, sondern allein an die nationalrechtliche Konstruktion der schweren staatsgefährdenden Gewalttat gem. § 89a Abs. 1 Satz 2 an. Danach ist zwar die Gefahrenschwelle der Beeinträchtigung der inneren Sicherheit schneller überschritten als dies nach dem Unionsrecht der Fall ist.34 Jedoch knüpft die schwere staatsgefährdende Gewalttat nur an vier Bezugstatbestände an, während Art. 3 der Terrorismusrichtlinie insgesamt zehn Basisstraftaten enthält (vgl. § 89a Rdn. 83).35 Auch begründen Art. 5 der Terrorismusrichtlinie sowie Art. 5 des Übereinkommens des Europarats nur eine Kriminalisierungsverpflichtung für öffentlich verbreitete Schriften.36 Eine derartige Einschränkung ist in – zumindest dem Wortlaut nach – in § 91 Abs. 1 Nr. 1 nicht enthalten. Soweit Art. 8 der Terrorismusrichtlinie und Art. 3 des Zusatzprotokolls des Abkommens des Europarats auch die Absolvierung einer terroristischen Ausbildung kriminalisieren, ist dies für den Fall eines persönlichen Kontakts zwischen Ausbilder und Absolventen bereits über § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB erfasst (§ 89a Rdn. 102).37 Nur soweit die Terrorismusrichtlinie zusätzlich auch das Selbststudium über das Internet erfasst, ist § 91 Abs. 1 Nr. 2 einschlägig.38 Schließlich enthält § 91 im Gegensatz zu §§ 89a Abs. 3, 89b Abs. 3, 89c Abs. 3 und § 129b Abs. 1 Satz 2 entgegen Art. 19 der Terrorismusrichtlinie und Art. 14 des Abkommens des Europarats keine besonderen Vorgaben zum Rechtsanwendungsrecht, sodass für § 91 allein die Voraussetzungen der §§ 3 ff. StGB zu prüfen sind (Rdn. 35).39

IV. Verfassungsrechtliche Vorgaben 8 Wie alle Tatbestände des GVVG sieht sich auch § 91 StGB erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Anders als § 89a war die Norm allerdings noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. In der Sache werden jedoch gegen § 91 ähnliche Einwände vorgetragen, wie sie auch gegen § 89a erhoben werden (hierzu § 89a Rdn. 35 ff.). Viele Autoren sehen die Norm zu weit im Vorfeld der durch den Täter ins Auge gefassten Rechtsgutverletzung angesiedelt, was zu einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG in Form des Bestimmtheitsgebots,40 zumindest aber zu einer Überschreitung des Schuldprinzips und damit zu einem Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz führen soll.41 34 Vgl. Schäfer MK § 89a Rdn. 24; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 89a Rdn. 4; Zöller SK § 89a Rdn. 19. 35 Engelstätter GSZ 2019 95, 98; Sieber/Vogel, S. 168. 36 Für eine einschränkende Auslegung insoweit Gazeas AnwK Rdn. 3; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 602; Paeffgen NK Rdn. 6; aA Schäfer MK Rdn. 4. 37 BGH NStZ 2018 89; OLG München BeckRS 2018 13363 Rn. 13. 38 Vgl. BGH StV 2018 103, 105, 107; Biehl JR 2018 317, 319; Engelstätter GSZ 2019 95, 97. 39 Gazeas AnwK Rdn. 27; Schäfer MK Rdn. 33. 40 Backes StV 2008 654, 659; Bäcker S. 368; Fischer Rdn. 19; Sieber NStZ 2009 353, 363 Zöller SK Rdn. 3, 9; zweifelnd Schäfer MK Rdn. 3; aA Aliabasi S. 243; Kauffmann S. 302; Steinsiek S. 336 f. 41 Gazeas AnwK Rdn. 21; Paeffgen NK Rdn. 8; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 602; Gierhake ZIS 2008 397, 403, 405; Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 393; Sieber NStZ 2009 353, 363; Weißer ZStW ZStW 121 (2009) 131, 151; Zöller SK Rdn. 3, 7, 12, 15; aA Bader NJW 2009 2853, 2855; Hügel S. 26; Kauffmann S. 311; Matt/Renzikowski /Henrichs Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; differenzierend Aliabasi S. 354; Puschke S. 427; Steinsiek S. 356 (Verfassungswidrigkeit lediglich von § 91 Abs. 1 Nr. 2). Engelstätter

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IV. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 91

Das Ausmaß der § 91 Abs. 1 Nr. 1 immanenten Vorverlagerung zeigt der Vergleich zu § 130a. 9 Die Norm sanktioniert ebenfalls die Anleitung zu Straftaten durch Verbreitung von Schriften, knüpft jedoch anders als § 91 nicht an den Katalog der schweren staatsgefährdenden Gewalttat in § 89a Abs. 1 Satz 2 an, sondern bezieht sich auf den erheblich längeren Katalog in § 126 Abs. 1, der u. a. auch schweren Landfriedensbruch (§ 125a), schwere Körperverletzung (§ 226) aber auch Raub und räuberische Erpressung (§§ 249 bis 215, 255) enthält. § 130a erfasst in Absatz 2 Nr. 1 wie § 91 grundsätzlich auch die Verbreitung inhaltlich neutraler Schriften, knüpft dies jedoch subjektiv an die Absicht des Täters, die Bereitschaft anderer zu wecken oder zu fördern, eine solche Tat zu begehen. Für § 91 Abs. 1 Nr. 1 hat der Gesetzgeber aufgrund von Nachweisproblemen in der Rechtspraxis von der Normierung einer derartigen Einschränkung abgesehen, sodass für die Verbreitung neutraler Schriften, die als Anleitung für eine schwere staatsgefährdende Gewalttat i. S. d. § 89a Abs. 1 Satz 2 dienen können, grundsätzlich bedingter Vorsatz ausreicht.42 Die in § 130a enthaltene Absicht hat der Gesetzgeber als 2. Eignungsklausel in den objektiven Tatbestand transferiert.43 Zwar kriminalisiert § 130a in Absatz 1 auch die Verbreitung von Schriften unter geringeren subjektiven Anforderungen. In diesem Fall darf die Schrift jedoch gerade nicht inhaltlich neutral sein, sondern muss ihrem Inhalt nach dazu bestimmt sein, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine Tat i. S. d. § 126 Abs. 1 zu begehen. Im Falle des § 91 Abs. 1 Nr. 1 besteht jedoch kein Zurechnungszusammenhang zwischen der Tathandlung der Norm und der späteren Gewalttat. Der Anschlusstäter handelt mangels Bestimmung durch den Vortäter oder die von ihm verbreitete Schrift vielmehr vollständig autonom.44 § 91 Abs. 1 Nr. 2 ist dagegen an § 89a Abs. 2 Nr. 1 angelehnt und zielt auf terroristisch moti- 10 vierte Ausbildungen im Wege des Selbststudiums (s. Rdn. 27 ff.), denen der für eine Strafbarkeit nach § 89a Abs. 2 Nr. 1 erforderliche kommunikative Akt zwischen „Schüler“ und „Ausbilder“ fehlt.45 Insofern unterscheidet sich die der Vorschrift zugrundeliegende Gefährdungslage im Ausgangspunkt nicht von der durch § 89a erfassten Gefahrensituation. § 91 verzichtet jedoch anders als § 89a Abs. 2 Nr. 1 auf die Normierung konkreter Regelbeispiele, die Gegenstand einer Schrift i. S. d. Norm sein können (z. B. Umgang mit Waffen und Sprengstoffen), sondern verweist lediglich auf die 1. Eignungsklausel in Absatz 1 Nr. 1 der Vorschrift. Soweit § 91 Abs. 1 Nr. 1 zusätzlich auf die Umstände der Verbreitung abstellt, hat dies für die Tathandlung nach Absatz 1 Nr. 2 keine Relevanz.46 Außerdem handelt es sich allein bei dem Bezug einer Datei aus dem Internet um einen nach außen inhaltlich neutralen Vorgang, dessen Strafbarkeit erst in subjektiver Hinsicht durch das Erfordernis einer Absicht i. S. e. dolus directus 1. Grades begründet wird.47

1. Bestimmtheitsgrundsatz Auf der Basis der beschriebenen Gesetzessystematik soll § 91 Abs. 1 Nr. 1 das Bestimmtheitsge- 11 bot vor allem durch die Kombination der beiden Eignungsklauseln hinsichtlich der Schrift und der Umstände ihrer Verbreitung verletzen, die auf das ebenfalls unbestimmte Merkmal der schweren staatsgefährdenden Gewalttat in § 89a Abs. 1 Satz 2 verweisen und damit zu einer erheblichen Verwässerung des Tatbestandes führten.48 Die zweite Eignungsklausel, die die Um-

42 43 44 45

BTDrucks. 16/12428 S. 17; Engelstätter/ Maslow GSZ 2018 138, 143; Schäfer MK Rdn. 1. Paeffgen NK Rdn. 17a; Gazeas AnwK Rdn. 18; Kauffmann S. 114; Zöller SK Rdn. 9. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Sieber NStZ 2009 353, 363; Zöller SK Rdn. 3. Vgl. BTDrucks. 16/12428 S. 18; Aliabasi S. 333; Biehl JR 2018 317, 319; Heinrich ZJS 2017 301, 312; zu § 89a Abs. 2 Nr. 1 s. BGH NStZ 2018 89; OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 13. 46 Aliabasi S. 343; Gazeas AnwK Rdn. 19; vgl. Schäfer MK Rdn. 19. 47 Schäfer MK Rdn. 20; Zöller SK Rdn. 12. 48 Gazeas AnwK Rdn. 19; Zöller SK Rdn. 3. 321

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§ 91 StGB

Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

stände der Verbreitung betrifft, lasse zudem offen, wie die Verbreitung zu erfolgen habe.49 Zusätzlich soll der Bestimmtheitsgrundsatz aufgrund eines „chilling effects“ zur Meinungsfreiheit tangiert sein, da der Tatbestand nicht nur die Kommunikationsfreiheit der Internetnutzer einschränke, sondern auch die Internetprovider in ihren beruflichen Pflichten beträfe.50 Der Tatbestandsbeschreibung des § 91 Abs. 1 Nr. 2 soll schließlich jegliche Begrenzungsfunktion fehlen, sodass sich angesichts der Sozialadäquanz eines Download-Vorgangs der Täter nicht hinreichend von einem Nicht-Täter unterscheiden ließe.51 Die Einwände sind jedoch nicht geeignet, die Bestimmtheit der Norm in Frage zu stellen. 12 Soweit sie die Kriminalisierung sozial adäquater Verhaltensweisen betreffen, geht es wie bei § 89a (vgl. dort Rdn. 50) um die Reichweite des Tatschuldprinzips und damit um die Verhältnismäßigkeit der Vorschrift im engeren Sinne. Die Bestimmbarkeit der Norm nach Art. 103 Abs. 2 GG ist dagegen solange gegeben, wie sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden, durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung gewinnen lässt.52 Diese Anforderungen sind für beide Tathandlungen des § 91 Abs. 1 aber als erfüllt anzusehen.53 Hinsichtlich des Schriftenbegriffs, der Tathandlungen (Anpreisen, Verbreiten, Zugänglichmachen (Absatz 1 Nr. 1) und Verschaffen (Absatz 1 Nr. 2) kann auf den Stand der Strafrechtswissenschaft zu §§ 130a, 146 Abs. 1 Nr. 2 sowie zu § 89a Abs. 2 Nr. 3 zurückgegriffen werden. Inhaltlich neutrale Schriften sind dem StGB nicht fremd und unter Rückgriff auf § 130a ebenfalls auslegungsfähig. Dies gilt auch für das Merkmal der schweren staatsgefährdenden Gewalttat, das durch Strafrechtswissenschaft und Rechtsprechung zu § 89a Abs. 1 Satz 2 mittlerweile hinreichend konkretisiert worden ist (vgl. § 89a Rdn. 80 ff.).

2. Verhältnismäßigkeit 13 Deutlich schwerer wiegen dagegen die im Hinblick auf die Grenzen des Tatschuldprinzips erhobenen Einwände. Sie führen jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit der Vorschrift.

14 a) Tathandlungen nach § 91 Abs. 1 Nr. 1. Die durch den BGH für § 89a Abs. 2 vorgenommene Hochzonung der subjektiven Anforderungen (§ 89a Rdn. 56 ff.) 54 ist bei § 91 nicht möglich. Einer entsprechenden Auslegung der Norm steht neben dem erklärten Willen des Gesetzgebers55 der Umstand entgegen, dass auf diese Weise die Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich § 130a Abs. 2 Nr. 1 angeglichen werden würde, womit der Tatbestand letztlich wieder überflüssig wäre. § 91 Abs. 1 Nr. 1 ist im Ergebnis jedoch gleichwohl als verhältnismäßig zu bewerten. Überlegungen, die Norm einschränkend auszulegen, dass die jeweilige Tathandlung öffentlich erfolgen müsse,56 oder wie bei § 111 mit einer Aufforderung zur Begehung der Gewalttat verbunden werden muss,57 führen nicht weiter.58 Zwar würde eine entsprechende Auslegung im Einklang mit den internationalen Vorgaben von Art. 5 der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/ 49 50 51 52 53 54 55 56

Sieber NStZ 2009 353, 363; Zöller SK Rdn. 9. Sieber NStZ 2009 353, 363. Fischer Rdn. 19; Gazeas AnwK Rdn. 22; Zöller SK Rdn. 12; zw. Schäfer MK Rdn. 20. BVerfGE 45 363, 371; BVerfGE 86 288, 311; BVerfGE 129 208, 255; BVerfGE 131 268, 307; BVerfGE 143 38, 55. Im Ergebnis ebenso Aliabasi S. 344; Kauffmann S. 302; Steinsiek S. 334 ff. Vgl. hierzu BGHSt 59 218, 238; BGHSt 61 36, 39; BGHSt 62 102, 113. BTDrucks. 16/12428 S. 17. Aliabasi S. 340; Gazeas AnwK Rdn. 3; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 602; Paeffgen NK Rdn. 6; Puschke S. 402. 57 Vgl. Zimmermann ZIS 2009 1, 4. 58 Vgl. Fischer Rdn. 10; Heinrich ZJS 2017 301, 314; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 10; Schäfer MK Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 8. Engelstätter

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IV. Verfassungsrechtliche Vorgaben

StGB § 91

541 und dem Abkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus stehen (vgl. Rdn. 4). Jedoch handelt es sich insoweit lediglich um Mindestvorgaben. Es ist dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, sofern es das eigene Verfassungsrecht zulässt, auch niedrigere Schwellen der Strafbarkeit festzulegen.59 Vor allem aber würde eine entsprechende Auslegung an der Wortlautgrenze scheitern, wonach ausdrücklich auch die einfache Verbreitung im Zwei-Personen-Verhältnis von der Strafbarkeit nach § 91 Abs. 1 Nr. 1 erfasst sein soll. Im Ergebnis kann damit die Verfassungsmäßigkeit des § 91 Abs. 1 Nr. 1 nur mit der im Vergleich zu § 130a Abs. 1 erhöhten abstrakten Gefährlichkeit des verbreiteten Inhalts begründet werden, die nicht an den Katalog des § 126 Abs. 1, sondern an den engeren Begriff der staatsgefährdenden Gewalttat in § 89a Abs. 1 Satz 2 anknüpft.60 Darüber hinaus dürfte es sich zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Balance als erforderlich erweisen, strenge Maßstäbe an die äußeren Umstände der Verbreitung zu stellen (Rdn. 22), die der Täter, wenn auch nicht in Form des dolus directus 2. Grades,61 zudem in seine Vorstellung mit aufgenommen haben muss (Rdn. 31). Dies wird in der Rechtspraxis im Einzelfall zwar mitunter zu Nachweisschwierigkeiten führen. Zumindest die vom Gesetzgeber bei der Einführung der Vorschrift ins Auge gefassten Konstellationen dürften von einer derartigen Auslegung jedoch erfasst werden.62

b) Tathandlungen nach § 91 Abs. 1 Nr. 2. Auch die Verhältnismäßigkeit von § 91 Abs. 1 Nr. 2 15 ist im Ergebnis gegeben.63 Tat- und Schuldprinzip sind letztlich aus den gleichen Erwägungen gewahrt, die auch die Verfassungsmäßigkeit von § 89a stützen (s. § 89a Rdn. 59 ff.). Der Tatbestand gleicht in seiner Struktur § 89a Abs. 2a, der mit der Ausreise aus Deutschland ebenfalls einen sozialadäquaten Vorgang erfasst, von der Rechtsprechung jedoch als verfassungskonform bewertet worden ist (BGHSt 62, 102; vgl. § 89a Rdn. 56 ff.).64 Für § 91 Abs. 1 Nr. 2 ist wie für den Ausreisetatbestand des § 89a Abs. 2a bereits von Gesetzes wegen dolus directus 1. Grades erforderlich. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Tathandlung des § 91 Abs. 1 Nr. 2 mittlerweile gem. Art. 8 i. V. m. Erwägungsgrund (11) der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 als Absolvierung einer terroristischen Ausbildung anzusehen ist. Die Vorschrift verpflichtet Deutschland nicht nur, entsprechende Handlungen zu pönalisieren, sondern begründet für den nationalen Gesetzgeber zugleich ein Entkriminalisierungsverbot hinsichtlich bereits bestehender Tatbestände (§ 89a Rdn. 61). Aus verfassungsrechtlicher Sicht wird die Verhältnismäßigkeit zudem dadurch gewahrt, dass lediglich flüchtige Kenntnisnahmen strafrechtlich relevanter Inhalte den objektiven Tatbestand auch dann nicht erfüllen, wenn sie mit technisch bedingten Zwischenspeicherungen verbunden sind (Rdn. 28). Zwar erscheint unwahrscheinlich, dass ein Beschuldigter, der beim Download einer Anleitung i. S. d. § 91 StGB von Sicherheitsbehörden ertappt wird, von sich aus zugeben wird, dies in der Absicht der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat getan zu haben.65 Als vollzugsunfähig erweist sich der Tatbestand gleichwohl nicht, da sich die entsprechende Absicht auch aus anderen Tatsachen, z. B. Asservaten oder den Angaben von Zeugen, ergeben kann.

59 60 61 62

Vgl. Art. 1 der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1. So aber Aliabasi S. 344; Paeffgen NK Rdn. 19; aA Fischer Rdn. 15; Gazeas AnwK Rdn. 23; Schäfer MK Rdn. 22. BTDrucks. 16/12428 S. 17: Verbreitung an tatgeneigten Personenkreis, Verbreitung über islamistische Internetangebote, in denen zu Terrorakten aufgerufen wird. 63 Ebenso Bader NJW 2009 2853, 2855; Hügel S. 26; Kauffmann S. 311; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 1; Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; aA Aliabasi S. 345; Gazeas AnwK Rdn. 21; Paeffgen NK Rdn. 8; Puschke S. 427; Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 393; Zöller GA 2010 607, 619. 64 Vgl. hierzu BGHSt 62 102, 113 = NJW 2017 2928 m. Anm. Puschke = StV 2018 80 m. Anm. Gazeas/Grosse-Wilde = GSZ 2018 39 m. Anm. Paul; weitere Anmerkung bei Ambos JR 2017 655. 65 Zöller GA 2010 607, 619. 323

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§ 91 StGB

Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

V. Objektiver Tatbestand 16 Der objektive Tatbestand enthält insgesamt drei Tathandlungen (zwei Tathandlungen in Absatz 1 Nr. 1, eine Tathandlung in Absatz 1 Nr. 2).

1. Tatobjekt 17 Alle Tathandlungen beziehen sich auf eine Schrift, die ihrem Inhalt nach geeignet sein muss, als Anleitung zu einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat i. S. v. § 89a Abs. 1 Satz 2 zu dienen.

18 a) Schrift. Bei einer Schrift im strafrechtlichen Sinne handelt es sich um eine stofflich verkörperte Zusammenstellung von für einen gedanklichen Inhalt stehenden Zeichen, der gem. § 11 Abs. 3 auch Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen gleichgestellt sind.66 Dies ist insbesondere für Tathandlungen im Internet von entscheidender Bedeutung, die dem Gesetzgeber gerade Anlass zur Einführung der Vorschrift des § 91 gegeben haben.67 Taugliche Tatobjekte können mithin nicht nur hand- oder maschinengeschriebene oder ausgedruckte Seiten oder Zeichnungen auf Papier sein, sondern auch Datenspeicher wie CD-ROM, DVD, USB-Stick, interne wie externe Festplatten, Flashspeicher von Smartphones oder Tablets sowie SD-Speicherkarten, die über technische Geräte wie Computer, Tablets oder Smartphones für den Menschen wahrnehmbar gemacht werden können.68 Auch Internetserver selbst einschließlich sog. Cloudspeicher und damit sämtliche im Internet veröffentlichten Inhalte gehören zum Kreis der tauglichen Tatobjekte.69 Ob die betreffende Datei zum Download bereitgestellt wird, per E-Mail oder Messengerdienst versandt werden soll oder ob die betreffenden Informationen nur auf einer Webseite abgerufen werden können, ist für das Vorliegen eines tauglichen Tatobjekts nicht relevant.70 19 Nicht unter den Schriftenbegriff fallen mangels Dauerhaftigkeit der Verkörperung der entsprechenden Informationen allerdings Übertragungen in Echtzeit in Form sog. „livestreams“. Diese erfüllen den Schriftenbegriff erst dann, wenn sie digital aufgezeichnet und anschließend auf Datenspeicher festgehalten werden, sodass sie als Download zur Verfügung gestellt oder mittels E-Mail oder Messenger versandt werden können.71 Soweit andere Verbreitungsdelikte wie §§ 130 Abs. 2 Nr. 2, 130a Abs. 3, oder § 184d auch die Verbreitung inkriminierter Inhalte via Rundfunk und Telemedien sanktionieren,72 hätte eine entsprechende Fassung von § 91 Abs. 1 Nr. 1 zwar auch zur Erfassung der sog. „livestreams“ geführt. Ihre Erforderlichkeit darf jedoch bezweifelt werden, da im Falle einer Liveunterweisung über das Internet, in der z. B. das Anfertigen eines Sprengstoffgürtels gezeigt wird, bereits die Voraussetzungen des § 89a Abs. 2 Nr. 1 gegeben sein dürften (vgl. § 89a Rdn. 102). Ungeachtet dessen hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 4.9.2019 einen Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Ausland“ vorgelegt.73 Dieser sieht vor,

66 67 68 69 70 71 72 73

Aliabasi S. 332; Fischer § 11 Rdn. 33; Zöller SK Rdn. 5; generell zum Schriftenbegriff BGHSt 32 1 ff. BTDrucks. 16/12428 S. 17. Aliabasi S. 332; Biehl JR 2018 317, 319; Kauffmann S. 110; Zöller SK Rdn. 5. Fischer Rdn. 6; Gazeas AnwK Rdn. 8; Paeffgen NK Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 5. Aliabasi S. 333; Kauffmann S. 110; Zöller SK Rdn. 5. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 4; Gazeas AnwK Rdn. 8; Zöller SK Rdn. 5. Vgl. BTDrucks. 18/2601 S. 24. Der Gesetzesentwurf ist online im internet unter http://www.bmjv.de; vgl. BTDrucks. 19/19859 S. 8.

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V. Objektiver Tatbestand

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den Schriftenbegriff in § 11 Abs. 3 durch einen Inhaltsbegriff zu ersetzen.74 Sollte das Gesetz in dieser Form beschlossen werden, würde der Schriftenbegriff in § 91 entfallen und durch den dann neugefassten Inhaltsbegriff ersetzt werden. In diesem Fall würde die Norm alle Bereitstellungsformen im Internet erfassen, unabhängig davon, ob sie bereits auf einem verkörperten Datenträger gespeichert sind. Dies würde für das sog. „Live-“ oder „On-Demand-Streaming“ aber auch für sog. „Over-the-Top-Dienste“ wie z. B. „Skype out“ gelten.75

b) Anleitung. Unter einer Anleitung ist eine „Kenntnisse vermittelnde unterrichtende Schilde- 20 rung“ zu verstehen, die jedoch keine Merkmale des Billigens oder Aufforderns zum Inhalt hat.76 Ihr Inhalt liegt daher regelmäßig noch im Vorfeld und unterhalb der Schwelle der Anstiftung, einer Aufforderung zu Straftaten gem. § 111 oder auch des Billigens gem. § 140 Nr. 2.77 Maßgebend sind die jeweiligen Umstände im Einzelfall. Auch eine lediglich subtile, mittelbare Motivierung zur Tatbegehung, mit der ein Tat- oder Nachahmungsanreiz geschaffen wird, kann ausreichen, solange sich ihr Inhalt – wie etwa bei einem Kriminalroman – nicht im Unverbindlichen verliert.78 Eine Anleitung i. S. d. § 91 muss so detailliert sein, dass sie in eine Tatbestandsverwirklichung münden kann und von einem verständigen Durchschnittsadressaten nachvollzogen werden kann.79 Als konkrete Beispiele aus der Rechtspraxis kommen in Betracht: technische Anleitungen für den Bombenbau über Tunnelbohrmaschinen,80 das islamistische Propagandamagazin „Inspire“ mit einer Anleitung zur Herstellung von TATP („make a bomb in the kitchen of your mom“)81 sowie das Propaganda-Video des Islamischen Staates mit dem Titel „You must fight them, oh Muwahhid“, in dem ebenfalls die Herstellung von TATP erläutert wird.82 Religiöse oder politische Rechtfertigungsschriften werden als Anleitung i. S. d. § 91 zu bewerten sein, solange sie nicht nur allgemein das „Ob“ einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat legitimieren, selbst aber keine inhaltlichen Bezüge zur Art und Weise ihrer möglichen Begehung aufweisen. Auch Inhalte, die die Anforderungen einer Anleitung erst im Wege einer Gesamtschau erfüllen („Mosaik-Anleitung“), fallen unter den Tatbestand.83 Dies gilt z. B. für eine handschriftliche Skizze, die einen Herstellungsprozess in mehreren, lediglich durch Pfeile verbundenen Stufen zeigt, verbunden mit einer lediglich aus Abkürzungen bestehenden Zutatenliste und einem Foto aus einem islamistischen Propagandavideo.84 Erforderlich ist jedoch in diesem Fall, dass die Anleitung auch inhaltlich richtig ist. Untaugliche Darstellungen werden von § 91 ebenso wenig erfasst wie für jedermann kenntliche Informationen (z. B. „C4 ist ein effektiver Sprengstoff“ oder „Kopfschüsse sind sehr effektiv“).85 74 § 11 Abs. 3 soll danach lauten: „Inhalte im Sinne der Vorschriften, die auf diesen Absatz verweisen, sind solche die in Schriften, auf Ton- oder Bildträgern, in Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Verkörperungen enthalten sind oder auch unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden“; BTDrucks. 19/19859 S. 7. 75 Referentenentwurf S. 21 f; BTDrucks. 19/19859 S. 25 ff. 76 Aliabasi S. 333; Biehl JR 2018 317, 319; Gazeas AnwK Rdn. 9; Kauffmann S. 110; Fischer § 130a Rdn. 7; Paeffgen NK Rdn. 10. 77 Gazeas AnwK Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 10. 78 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Schäfer MK Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 7. 79 Paeffgen NK Rdn. 11; Schäfer MK Rdn. 10. 80 BGH BeckRs 2017 126426 Rdn. 2, 38. 81 Vgl. BGHSt 59 218; LG Frankfurt BeckRS 2014 18021. 82 Vgl. BGH BeckRS 2018 10518 Rdn. 7; OLG München BeckRS 2018 13363 Rdn. 4; LG Dortmund BeckRS 2017 142592 Rdn. 24. 83 Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 602; Kauffmann S. 111; Paeffgen NK Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 7. 84 Vgl. OLG München NJW 2019 2404, 2406 in einem Verfahren über die Anordnung einer elektronischen Fußfessel auf verwaltungsrechtlicher Grundlage. 85 Aliabasi S. 334; Biehl JR 2018 317, 319; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 5; Paeffgen NK Rdn. 9; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 3. 325

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Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

21 c) Erste Eignungsklausel. Der Inhalt der Schrift muss die Eignung aufweisen, als Anleitung für eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu dienen. Dass die Schrift hierfür i. S. e. „perfekten Plans“ sowohl die Tatvorbereitung (z. B. den Bau einer Bombe) als auch die Tatbegehung (z. B. die Verbringung der Bombe an den Tatort und Zündung) thematisiert, wird von der Norm jedoch nicht verlangt.86 Ausreichend ist bereits eines der beiden Elemente. Der Tatbestand des § 91 soll nach dem Willen des Gesetzgebers im Gegensatz zu § 130a gerade auch inhaltlich neutrale Schriften erfassen, die isoliert betrachtet keine Tendenz aufweisen, die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu fördern, zu initiieren oder sonst zu billigen oder gutzuheißen.87 Der Tatbestand erfasst daher z. B. Gebrauchsanweisungen, technische Anleitungen, Warnhinweise bis hin zur zusammenfassenden Darstellung von Ermittlungsergebnissen in einer Verfahrensakte, die sich entweder auf die Tatbegehung oder ihre Vorbereitung beziehen.88

2. Tathandlungen nach Nummer 1 22 Die Vorschrift kriminalisiert mit dem „Anpreisen“ sowie dem „Zugänglichmachen“ einer Schrift zwei mögliche Tathandlungen, die jedoch jeweils unter der Voraussetzung begangen werden müssen, dass die Umstände ihrer Verbreitung geeignet sein müssen, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen (Zweite Eignungsklausel).

23 a) Anpreisen (Nummer 1 Alt. 1). Der Begriff des „Anpreisens“ ist als werbende, den Inhalt der Schrift besonders hervorhebende Äußerung zu verstehen, die nicht notwendigerweise mit der Ermöglichung eines direkten Zugriffs auf die Schrift verbunden sein muss.89 In vielen Fällen wird sich der Tatgehalt des „Anpreisens“ in einer Vorbereitungshandlung eines nachfolgenden „Zugänglichmachens“ erschöpfen.90 Ausreichend ist jedoch, dass die Tathandlung gegenüber einer Person vorgenommen wird; eine Mehrheit von Erklärungsempfängern ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu fordern (Rdn. 14).91 Der Tatbestand kann auch durch Beiträge in einem Internetforum, einem Messengerkanal oder einem Chat verwirklicht werden, in dem der Inhalt der jeweiligen Schrift positiv dargestellt wird.92

24 b) Zugänglichmachen (Nummer 1 Alt. 2). Ein Zugänglichmachen i. S. d. Tatbestandes ist in Anlehnung an §§ 130 Abs. 1, 2 Nr. 1; 130a Abs. 1, 2 Nr. 1, 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 sowie an § 184 Abs. 1 Nr. 1 zu bejahen, wenn eine Schrift in den Wahrnehmungsbereich des Empfängers gebracht wird, sodass dieser die Möglichkeit erlangt, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen.93 Wie bei der Tathandlung des Anpreisens reicht es bereits aus, wenn der Täter die Schrift nur einer Person zugänglich macht (vgl. Rdn. 14).94 Der Täter muss im Gegensatz zum Anpreisen den

86 Aliabasi S. 334; Gazeas AnwK Rdn. 9; Matt/Renzikowski/Steinmetz/Henrichs Rdn. 5; aA Paeffgen NK Rdn. 11. 87 BTDrucks. 16/12428 S. 17; Heinrich ZJS 2017 301, 313; Schäfer MK Rdn. 11; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3: Nur Schriften mit einer Anleitungstendenz sind erfasst. Aliabasi S. 334; Biehl JR 2018 317, 319; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 4; Schäfer MK Rdn. 11; Zöller SK Rdn. 7. Kauffmann S. 112; Paeffgen NK Rdn. 15; Schäfer MK Rdn. 13. Gazeas AnwK Rdn. 12; Schäfer MK Rdn. 14. Heinrich ZJS 2017 301, 313; Schäfer MK Rdn. 13; Zöller SK Rdn. 8; aA Gazeas AnwK Rdn. 12. Gazeas AnwK Rdn. 12; Schäfer MK Rdn. 13; Zöller SK Rdn. 8. Aliabasi S. 336; Kauffmann S. 112; Schäfer MK Rdn. 15; Zöller SK Rdn. 8; vgl. auch BGHSt 46 212; BGHSt 47 55, 60; BGH NStZ-RR 2014 47 (jew. zu § 184 StGB). 94 Heinrich ZJS 2017 301, 313; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 10; Schäfer MK Rdn. 15; Zöller SK Rdn. 8; aA Aliabasi S. 342; Gazeas AnwK Rdn. 15.

88 89 90 91 92 93

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V. Objektiver Tatbestand

StGB § 91

Inhalt der Schrift weder gutheißen noch befürworten.95 Er muss ihn sich auch nicht zu eigen machen.96 Bei der Tatbegehung im Internet kann das Zugänglichmachen durch das Versenden einer E-Mail, das Bereitstellen der Schrift auf einer Webseite aber auch durch das Teilen, die Verbreitung oder Veröffentlichung von Weblinks erfolgen, die auf den Speicherort der Schrift verweisen.97 Dabei ist es unerheblich, ob sich dieser auf einer vom Täter betriebenen oder einer für ihn fremden Webseite befindet.98 Ausreichend ist auch der Verweis auf eine neutrale Homepage eines Unternehmens oder einer Universität, auf der Schriften i. S. d. Tatbestandes gespeichert sind.99 Den Tatbestand erfüllt auch die Beschreibung konkreter Suchschritte, wenn der Suchende danach ohne größeren Aufwand zu der betreffenden Schrift gelangen kann.100 Kein Zugänglichmachen liegt jedoch vor, wenn der Suchende trotz der Hinweise des Täters nicht auf den von ihm begehrten Inhalt zugreifen kann, weil dieser z. B. durch einen Code oder ein Passwort geschützt ist, das ihm der Täter nicht mitgeteilt hat.101

c) Zweite Eignungsklausel. Die Verwirklichung des Tatbestandes von Absatz 1 Nr. 1 StGB ist 25 schließlich an eine zweite Eignungsklausel gebunden, die verlangt, dass die Umstände der Verbreitung, also des Anpreisens oder des Zugänglichmachens der tatbestandsmäßigen Schrift geeignet sein müssen, die Bereitschaft anderer zu wecken oder zu fördern, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen. Der Begriff der schweren staatsgefährdenden Gewalttat ist identisch mit § 89a Abs. 1 Satz 2.102 Hinsichtlich der Einzelheiten kann auf die dortige Kommentierung verwiesen werden (§ 89a Rdn. 80 ff.). Die Klausel orientiert sich im Übrigen an § 130a Abs. 2 ist jedoch nicht als überschießende Innentendenz sondern als objektives Tatbestandsmerkmal konstruiert.103 An die Feststellung ihrer Voraussetzungen sind zur Wahrung von Tatund Schuldprinzip strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Rdn 14).104 „Fördern“ ist das Verstärken bereits vorhandener, „Wecken“ das Hervorrufen noch nicht bestehender Tatbereitschaft.105 Beide Alternativen müssen nicht die Intensität einer Aufforderung i. S. d. § 111 erreichen.106 Es genügt vielmehr eine abstrakt-objektive Eignung des Verbreitungskontextes.107 Auf die individuellen Umstände in Bezug auf einen bestimmten Empfänger kommt es nicht an.108 Auch dass es tatsächlich in einem Einzelfall zu einer erfolgreichen Stimulation des Empfängers kommt, ist nicht erforderlich.109 Eine Bereitschaft i. S. d. Tatbestandes ist bereits gegeben, bei einer allgemeinen subjektiven Tatgeneigtheit, die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat i. S. d. § 89a Abs. 1 Satz 2 in Betracht zu ziehen.110 Abzustellen ist insoweit zunächst auf den unmittelbaren Handlungskontext und die Um- 26 stände der Verbreitungshandlung, z. B. in Form der Einstellung oder Verlinkung auf einschlägi-

95 Gazeas AnwK Rdn. 13; Kauffmann S. 113; Schäfer MK Rdn. 15; Zöller SK Rdn. 8; aA Paeffgen NK Rdn. 16. 96 Aliabasi S. 337; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 603; Kauffmann S. 113; Schäfer MK Rdn. 15; Zöller SK Rdn. 8. 97 Gazeas AnwK Rdn. 14; Schäfer MK Rdn. 15; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 8. 98 Aliabasi S. 336; Zöller SK Rdn. 8; aA Paeffgen NK Rdn. 17 unter Hinweis auf § 52 Abs. 1 Nr. 4 WaffG. 99 Schäfer MK Rdn. 15; Zöller SK Rdn. 8. 100 Aliabasi S. 337; Schäfer MK Rdn. 15. 101 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 10. 102 Zöller SK Rdn. 9. 103 Aliabasi S. 338; Paeffgen NK Rdn. 17a; Gazeas AnwK Rdn. 18; Kauffmann S. 114; Zöller SK Rdn. 9. 104 AA Gazeas AnwK Rdn. 17; Kauffmann S. 114; Schäfer MK Rdn. 18: „keine überhöhten Anforderungen“. 105 BTDrucks. 16/12428 S. 18; Heinrich ZJS 2017 301, 313; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 10. 106 Aliabasi S. 338; Schäfer MK Rdn. 18; Zöller SK Rdn. 10. 107 Gazeas AnwK Rdn. 16; Fischer Rdn. 14; Schäfer MK Rdn. 18; Zöller SK Rdn. 10. 108 Fischer Rdn. 14; Schäfer MK Rdn. 18; Zöller SK Rdn. 10. 109 Schäfer MK Rdn. 18; Zöller SK Rdn. 10. 110 Paeffgen NK Rdn. 18; Schäfer MK Rdn. 18; Zöller SK Rdn. 10. 327

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§ 91 StGB

Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

ge insbesondere islamistische aber auch rechts- oder linksextreme Internetseiten.111 Auch konspiratives Vorgehen kann die Voraussetzungen der Eignungsklausel erfüllen.112 Maßgebend sind jedoch stets die Umstände des Einzelfalls.113 Ein für die Rechtspraxis wichtiges Indiz ist der Grad der Radikalisierung des Forums oder der Internetseite, in die die Schrift eingebunden ist.114 Die Voraussetzungen der Klausel können dabei bereits dann vorliegen, wenn die Schrift über eine Internetseite abrufbar ist, die ihrerseits ausdrücklich oder konkludent durch Verwendung entsprechender Symbole, die Begehung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten als legitimes Ziel zur Durchsetzung eigener politischer Interessen gutheißt.115 Dies ist der Fall, wenn die Schrift über ein islamistisches Internetforum oder einen islamistischen Messengerkanal verfügbar ist, in dem zugleich zu Anschlägen gegen die westliche Welt aufgerufen wird oder aber nur Bilder der Anschläge auf das World Trade Center in New York gezeigt werden.116 Aber auch ein neben einer Anleitung zum Bombenbau platziertes Symbol eines durchgestrichenen Sternbanners kann die erforderliche Eignung belegen.117 Tatbestandsmäßig kann auch eine Übergabe der Schrift in neutralem Rahmen (z. B. in einer Moschee, auf einem Konzert oder bei einem Fußballspiel) sein, wenn personenbezogene Feststellungen auf Seiten des Täters oder des Empfängers getroffen werden können, die belegen, dass die Übergabe auf das Wecken oder Fördern einer Tatbereitschaft gerichtet war.118

3. Tathandlung nach Nummer 2 27 Nummer 2 zielt auf die Fälle des terroristisch motivierten Selbststudiums, in denen sich der Täter ohne persönlichen Kontakt zum Ausbilder eine Anleitung aus dem Internet verschafft, um sich die für die Begehung eines Anschlags erforderlichen Kenntnisse anzueignen. Die Vorschrift kriminalisiert bereits den Verschaffungsvorgang als solchen; die Verbreitungsumstände sind unerheblich.119 Anwendbar auf Tathandlungen nach § 91 Abs. 1 Nr. 2 ist nur die erste Eignungsklausel (Rdn. 20). Eine Übertragung der Voraussetzungen der zweiten Eignungsklausel (vgl. Rdn. 25) scheidet dagegen aus. Soweit gegen die Tathandlung verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot und das Tatschuldprinzip erhoben worden sind,120 ist diesen im Ergebnis nicht zu folgen (Rdn. 15). Für die Auslegung der Tathandlung des Sichverschaffens kann auf § 89a Abs. 2 Nr. 3 (vgl. dort Rdn. 120), aber auch auf § 146 Abs. 1 Nr. 2 zurückgegriffen werden.121 Erforderlich ist das Erlangen einer – nicht notwendig physischen – Verfügungsgewalt über eine Anleitungsschrift i. S. d. Tatbestandes; darunter fällt jede – auch unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften (z. B. §§ 202a, 242) erfolgende – Form der Besitzbegründung an gedruckten oder geschriebenen Schriften sowie die Speicherung digitaler Informationen.122 111 Fischer Rdn. 13; Schäfer MK Rdn. 17; Zöller SK Rdn. 10; krit. in Bezug auf Internet-Links Sieber NStZ 2009 353, 363.

112 Fischer Rdn. 13; Heinrich ZJS 2017 301, 313; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Schäfer MK Rdn. 17; aA Gazeas AnwK Rdn. 16; Zöller SK Rdn. 10. Gazeas AnwK Rdn. 16. Gazeas AnwK Rdn. 16; Zöller SK Rdn. 10. Gazeas AnwK Rdn. 17; Schäfer MK Rdn. 17; Zöller SK Rdn. 10. BTDrucks. 16/12428 S. 18; Gazeas AnwK Rdn. 17; Schäfer MK Rdn. 17. Schäfer MK Rdn. 17; Zöller SK Rdn. 10; aA Gazeas AnwK Rdn. 17; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 603. 118 Ähnlich Gazeas AnwK Rdn. 17. 119 Aliabasi S. 343; Gazeas AnwK Rdn. 19; Schäfer MK Rdn. 19. 120 Aliabasi S. 345; Gazeas AnwK Rdn. 21; Paeffgen NK Rdn. 8; Puschke S. 427; Radtke/Steinsiek ZIS 2008 383, 393; Zöller GA 2010 607, 619; aA Bader NJW 2009 2853, 2855; Hügel S. 26; Kauffmann S. 311; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1. 121 Gazeas AnwK Rdn. 19; Zöller SK Rdn. 13. 122 Fischer Rdn. 17; Gazeas AnwK Rdn. 19; Paeffgen NK Rdn. 20; Schäfer MK Rdn. 19; Zöller SK Rdn. 13.

113 114 115 116 117

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VI. Subjektiver Tatbestand

StGB § 91

Ausreichend ist auch, dass der Täter die Herrschaft über den Zugang z. B. im Wege des sog. Webhostings oder über externe Speichermedien ausübt.123 Der flüchtige, nur vorübergehende Zugriff auf eine tatbestandliche Schrift wird im Ein- 28 klang mit den Vorgaben des Art. 8 i. V. m. Erwägungsgrund (11) der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 von der Vorschrift nicht erfasst. Nicht tatbestandsmäßig ist die Kenntnisnahme tatbestandsmäßiger Inhalte anlässlich eines bloßen Besuchs einer Internetseite, selbst wenn dieser mit technisch bedingten Zwischenspeicherungen auf dem Endgerät verbunden ist.124 Dies ist kriminalpolitisch zwar insoweit zu hinterfragen, als dass auf diese Weise ein besonders umsichtig handelnder Täter privilegiert wird, der einen Download des ihn interessierenden Inhalts dadurch vermeidet, dass er ihn immer wieder neu im Browser aufruft,125 entspricht jedoch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers.126 Auch unverlangt erhaltene EMails erfüllen noch nicht den Tatbestand, da es i. d. R. zu diesem Zeitpunkt noch an einem Willen zur Besitzbegründung über die Schrift fehlt, der jedoch später gefasst werden kann.127 Zweifelhaft ist auch, ob bereits ein Downloadvorgang als tatbestandsmäßiges Verschaffen gesehen werden kann oder ob der Täter die Datei auf seinem Rechner zumindest einmal angesehen haben muss. Gegen eine Strafbarkeit spricht zwar, dass dem Täter der Inhalt der Schrift im Zeitpunkt des Download noch nicht in jedem Fall bekannt sein muss, sodass letztlich bereits das bloße Eruieren von Tatmöglichkeiten bestraft werden könnte.128 Es erscheint jedoch in der Rechtspraxis fernliegend, dass ein Täter „blind“ Dateien aus dem Internet herunterlädt, ohne sich zuvor durch Lektüre der Homepage oder einen Blick auf den Dateitext über den Inhalt der Anleitung informiert zu haben. Der objektive Tatbestand ist daher bereits durch den DownloadVorgang als solchen erfüllt.129 Wenn der Täter andere Inhalte erhält, als er erwartet hat, ist dies vielmehr eine Frage der subjektiven Tatseite. Inwieweit diese Einschränkungen in Zukunft bestehen bleiben, erscheint fraglich, da der 29 Gesetzgeber beabsichtigt, den Schriftenbegriff des § 11 Abs. 3 durch einen Inhaltsbegriff zu ersetzen, der nicht nur verkörperte Schriften auf Ton-, Bild- und Datenträgern erfassen wird, sondern auch alle Inhalte, die unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden (Rdn. 19).130 Sollte der Referentenentwurf zu einer Änderung des StGB führen, wird gleichwohl zu beachten sein, dass die Straflosigkeit nur flüchtiger Kenntnisnahmen im Internet auch verfassungsrechtlich geboten ist (Rdn. 15). Diese Vorgabe wird durch die Erweiterung des Schriftenbegriffs nicht umgangen werden können.

VI. Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale, 30 wobei für alle Tathandlungen dolus eventualis ausreicht.131 Eine Ausnahme kommt gem. § 10 TMG132 für Diensteanbieter i. S. d. Telemediengesetzes in Betracht, die erst ab bei positiver Kenntnis vom Inhalt der Schrift und ihren Verbreitungsumständen einem Strafbarkeitsrisiko 123 Heinrich ZJS 2017 25, 36; Matt/Renzikowski/ Henrichs Rdn. 11; Paeffgen NK Rdn. 20; Schäfer MK Rdn. 19; Zöller SK Rdn. 13.

124 BTDrucks. 16/12428 S. 18; Erwägungsgrund (11) Richtlinie (EU) 2017/541; Aliabasi S. 343; Biehl JR 2018 317, 319; Paeffgen NK Rdn. 20; Schäfer MK Rdn. 19; Zöller SK Rdn. 13. Krit. Biehl JR 2018 317, 319; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 603; Zöller SK Rdn. 13. BTDrucks. 16/12428 S. 18. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Zöller SK Rdn. 13. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1. Biehl JR 2018 317, 319; Schäfer MK Rdn. 19; Zöller SK Rdn. 13. Referentenentwurf vom 4.9.2019 S. 5. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 21. Telemediengesetz (TMG) vom 26.2.2007 (BGBl. I 179), das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 28.9.2017 (BGBl. 3350) geändert worden ist.

125 126 127 128 129 130 131 132

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Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

ausgesetzt sind (vgl. Rdn. 44). Für die Tathandlung nach Absatz 1 Nr. 2 ist zusätzlich erforderlich, dass der Täter die Absicht aufweist, mithilfe der Schrift eine schwere staatsgefährdende Gewalttat i. S. d. § 89a Abs. 1 Satz 2 zu verüben. In der Rechtspraxis werden im Regelfall hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes erhebliche Nachweisschwierigkeiten entstehen, da allein die Speicherung einer tatbestandsmäßigen Schrift noch keinen Rückschluss auf die zugrundeliegenden Motive des Täters zulässt.133 Anhaltspunkte können sich z. B. aus Angaben des Beschuldigten gegenüber Dritten oder aus im Rahmen einer Durchsuchung aufgefundenen Asservaten ergeben.

1. Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 31 Für eine Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 muss sich der Vorsatz zwingend erstrecken auf den Inhalt der Schrift und die sich aus ihr ergebende abstrakte Anleitungseignung (erste Eignungsklausel); darüber hinaus auf die Tathandlung in Form des Anpreisens oder Zugänglichmachens und schließlich auf die Verbreitungsumstände (zweite Eignungsklausel). Allein die Kenntnis oder die billigende Inkaufnahme der Verbreitungsumstände reicht nicht aus; vielmehr sind konkrete Feststellungen erforderlich, dass der Täter auch bezüglich der Förderungseignung mindestens bedingt vorsätzlich gehandelt hat.134

2. Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 2 32 Für eine Tathandlung nach Absatz 1 Nr. 2 muss sich der Vorsatz neben der Tathandlung in Form des Sichverschaffens ebenfalls auf die Schrift und die ihr immanente Anleitungseignung erstrecken (erste Eignungsklausel). Diese Anforderungen sind im Fall des Erhalts unverlangter E-Mails oder Briefe noch nicht erfüllt. Der erforderliche Wille zur Besitzbegründung kann jedoch später gefasst werden.135 Darüber hinaus weist Absatz 1 Nr. 2 zugleich mit der für den Zeitpunkt des Sichverschaffens erforderlichen Absicht, mit der Hilfe der Schrift eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen, eine überschießende Innentendenz auf. Der Täter muss gerade unter Nutzung der Schrift eine Tat i. S. d. § 89a Abs. 1 Satz 2 begehen wollen (dolus directus 1. Grades). Er muss also im Zeitpunkt des Verschaffungsvorgangs gerade diesen Zweck verfolgen wollen.136 Dass der Täter sich die Schrift unter dem Vorbehalt verschafft, in ihr nur möglicherweise für seine im Übrigen feststehende Planung nützliche Informationen zu finden, steht der Annahme einer Absicht nicht entgegen.137 Dies gilt auch, wenn er sich nach umfangreichen Internetrecherchen mehrere Anleitungsschriften verschafft, um aus diesen eine Auswahl zu treffen und sich dann die für ihn nützlichste Schrift heraussucht (vgl. § 89a Rdn. 144).138

VII. Tatbestandsausschluss gem. Absatz 2 33 Für Tathandlungen nach Absatz 1 Nr. 1 sieht Absatz 2 der Vorschrift einen Tatbestandsausschluss vor, der hinsichtlich seiner Nummer 1 der „Sozialadäquanzklausel“ von § 86 Abs. 3 in

133 Schäfer MK Rdn. 22; Zöller SK Rdn. 15. 134 Fischer Rdn. 15; Gazeas AnwK Rdn. 23; Schäfer MK Rdn. 22; aA Aliabasi S. 344; Paeffgen NK Rdn. 19 (dolus directus 2. Grades). 135 Aliabasi S. 344; Schäfer MK Rdn. 23; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Zöller SK Rdn. 13. 136 Fischer Rdn. 18; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 24. 137 Gazeas AnwK Rdn. 24; Rautenberg S. 52; Schäfer MK Rdn. 24; Zöller SK Rdn. 15. 138 Fischer Rdn. 18; Gazeas AnwK Rdn. 24; Schäfer MK Rdn. 24; Zöller SK Rdn. 15. Engelstätter

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IX. Rechtsanwendungsrecht

StGB § 91

seiner Nummer 2 der „Berufsklausel“ in § 184b Abs. 5 Nr. 3 entspricht.139 Entsprechende Vorschriften sind auch in § 130 Abs. 7 und § 130a Abs. 4 enthalten.140 Nach Absatz 2 Nr. 1 fehlt es bereits an der Tatbestandsmäßigkeit eines grundsätzlich unter Absatz 1 Nr. 1 zu subsumierenden Verhaltens, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst und Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient. Nach Absatz 2 Nr. 1 der Vorschrift sind auch an sich tatbestandsmäßige Handlungen ausgenommen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger, beruflicher oder dienstlicher Pflichten dienen. Auf diese Weise – vergleichbar der Regelung in § 89b Abs. 2 (Rdn. 16) – sollte der Anwendungsbereich der Vorschrift auf die nach Einschätzung des Gesetzgebers strafwürdigen Fälle beschränkt werden.141 In der Rechtspraxis wird die Vorschrift praktisch leerlaufen, weil es in den von ihr erfassten Fällen bereits regelmäßig an den Voraussetzungen des subjektiven Tatbestandes fehlen wird. Nicht tatbestandsmäßig nach Absatz 2 ist insbesondere die wissenschaftliche Forschung oder Schulung Dritter im Umgang mit Sprengvorrichtungen durch schriftliches Material i. S. d. Tatbestandes.142 Dass derjenige, der die Schrift anpreist oder einem anderen zugänglich macht, auch zugleich im Rahmen seines Berufes Sprengvorrichtungen entwickelt, herstellt, anwendet, zerstört oder unbrauchbar macht, ist trotz der insoweit nicht eindeutigen Gesetzesbegründung nicht erforderlich.143

VIII. Rechtswidrigkeit und Schuld Die Beurteilung der durch die Erfüllung des Tatbestands indizierten Rechtswidrigkeit richtet 34 sich ebenso wie die Beurteilung der persönlichen Schuld des Täters nach den allgemeinen Grundsätzen. Soweit die Tathandlung nach § 91 StGB oder die durch sie vorbereitete staatsgefährdende Gewalttat im Zusammenhang mit einem länger andauernden bewaffneten Konflikt erfolgt, kann auf die Ausführungen zu § 89a (dort Rdn. 82, 95) verwiesen werden.

IX. Rechtsanwendungsrecht Anders als §§ 89a Abs. 3, 89b Abs. 3, 89c Abs. 3 und § 129b Abs. 1 Satz 2 enthält § 91 keine Rege- 35 lungen zum Rechtsanwendungsrecht. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts für Tathandlungen nach dieser Vorschrift bestimmt sich allein nach Maßgabe der §§ 3 ff.144 Am 4.9.2019 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zwar einen Gesetzesentwurf zur Erweiterung der Strafbarkeit bei Handlungen im Ausland vorgelegt, der vorsieht, den Anwendungsbereich der Regelungen der §§ 86, 86a 111, 130 nach dem Vorbild des § 89a Abs. 3 zu erweitern (Rdn. 19).145 Eine vergleichbare Änderung des § 91 ist zum derzeitigen Zeitpunkt nicht beabsichtigt. Dies steht jedoch nicht im Einklang mit Art. 14 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus und Art. 19 der EU-Terrorismusrichtlinie (EU) 2017/541, die auch für Taten nach § 91 u. a. das aktive Personalitätsprinzip sowie das Domizilprinzip statuie-

139 140 141 142 143 144 145

BTDrucks. 16/12428 S. 18; Aliabasi S. 183; Heinrich ZJS 2017 301, 314; Rautenberg S. 52. Schäfer MK Rdn. 25. BTDrucks. 16/12428 S. 18. Gazeas AnwK Rdn. 26; Schäfer MK Rdn. 25. BTDrucks. 16/12428 S. 18; Schäfer MK Rdn. 25; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Zöller SK Rdn. 11. Gazeas AnwK Rdn. 27; Schäfer MK Rdn. 33. Der Gesetzesentwurf ist online im Internet unter http://www.bmjv.de. Die entsprechende Bundestagsdrucksache sieht insoweit eine Erweiterung des Katalogs von § 5 vor; BTDrucks. 19/19859 S. 6.

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§ 91 StGB

Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

ren und die Mitgliedstaaten ungeachtet der Strafbarkeit am jeweiligen Tatort der Handlung zur Strafverfolgung eigener Staatsbürger verpflichten (Rdn. 7, 38).146

1. Bewertung von Tathandlungen im Ausland 36 Da § 91 als abstraktes Gefährdungsdelikt konzipiert ist, das keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB aufweist, stellt sich wie für alle Verbreitungsdelikte auch für diese Norm die Frage der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts, soweit sich der Täter im Ausland aufhält und tatbestandsmäßige Schriften über das Internet verbreitet.147 In der Literatur sind zur Anwendung des deutschen Strafrechts auch in diesen Fällen verschiedene Begründungsmöglichkeiten vorgeschlagen worden. Während ein Ansatz durch eine teleologische Reduktion der §§ 3, 9 für die Anwendung deutschen Strafrechts ein finales, auf die Bundesrepublik Deutschland gerichtetes Interesse des Täters verlangt,148 soll nach anderen Autoren bereits eine territoriale Spezifizierung ausreichen, die schon dann in Betracht komme, wenn die jeweilige Internetpräsenz in deutscher Sprache erscheine, sich auf deutsche Sachverhalte oder Personen beziehe oder aus sonstigen Gründen einen besonderen Bezug zu Deutschland aufweise.149 Ein dritter Ansatz will unter § 9 Abs. 1 Var. 3 auch sog. „Tathandlungserfolge“ fassen, die unabhängig von der Einordnung des jeweiligen Tatbestands als Erfolgs- oder Gefährdungsdelikt eintreten können. Beim Zugänglichmachen von Schriften über das Internet soll danach ein deutscher Tatort an technische Voraussetzungen geknüpft werden und nur gegeben sein, wenn die erforderlichen Daten im Wege einer „Push-Technologie“ aktiv aus dem Ausland ins Inland übertragen werden.150 Keine befriedigende Lösung zur Bestimmung des Tatorts stellt das in § 3 TMG geregelte Herkunftslandprinzip dar, das – selbst wenn man seine Anwendbarkeit im Strafrecht unterstellt151 – nur für den jeweiligen Diensteanbieter gelten würde, nicht aber für die die ins Auge gefasste Gewalttat vorbereitenden Nutzer relevant wäre. Der BGH hat seine Position in dieser Frage zwischenzeitlich geändert: Der 1. Strafsenat ging 37 zunächst von einem inländischen Erfolgsort überall dort aus, wo die Tat ihre Gefährlichkeit für das geschützte Rechtsgut entfalten könne und eröffnete die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts am Beispiel eines Internetangebots mit volksverhetzendem Inhalt von Australien aus auch unabhängig von einer gezielten Übermittlung ins Inland oder einem Zugriff eines inländischen Providers.152 Dem ist der nunmehr für Propagandadelikte zuständige 3. Strafsenat, wenn auch bislang nur für die Tatbestände der §§ 86a, 130, entgegengetreten. Er ist der Auffassung, dass sich ein inländischer Erfolgsort gemäß § 9 Abs. 1 3. Alt. für abstrakte Gefährdungsdelikte nicht begründen lässt. Es sei vielmehr Aufgabe des Gesetzgebers, die hinsichtlich der Verbreitung propagandistischer Inhalte aus dem Ausland bestehende Strafbarkeitslücke zu schließen.153 Demgemäß unterfällt die Verbreitung tatbestandlicher Schriften i. S. v. § 91 nur dann dem deutschen Strafrecht, wenn der Täter selbst im Inland gehandelt hat, also die Schrift von einem im Ausland befindlichen Server heruntergeladen, im Inland über soziale Netzwerke weiterverbreitet oder auf einem im Inland befindlichen Server abgespeichert hat. Die Bereitstellung der Schrift auf einem Server im Ausland unterfällt gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 nur dann der deutschen Strafgewalt, wenn ein deutscher

146 147 148 149 150 151

Engelstätter/Maslow GSZ 2018 138, 143; Engelstätter GSZ 2019 95, 99. Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 2. Collardin CR 1995 618, 621; Rautenberg S. 413. Hilgendorf NJW 1997 1873, 1877. Sieber NJW 1999 2068, 2072; Kauffmann S. 270. So Altenhain MK § 3 TMG Rdn. 5; Böse NK vor § 3 Rdn. 39; Handel MMR 2017 227, 231; Kudlich JA 2002 798, 799; aA Ambos § 1 Rdn. 20; Eisele § 3 Rdn. 17; Satzger § 5 Rdn. 53. 152 BGHSt 46 212 (220 ff.). 153 BGH NStZ 2015, 81; BGH NStZ 2017 146, 147; ebenso Böse NK § 9 Rdn. 11; Sch/Schröder/Eser/Weißer § 9 Rdn. 6a; Handel MMR 2017 227, 228. Engelstätter

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IX. Rechtsanwendungsrecht

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Staatsbürger die Tat begangen hat und die Tat auch am Tatort mit Kriminalstrafe bedroht ist. Dies gilt auch, wenn die Schrift durch eine terroristische Vereinigung gezielt für den deutschen Abnehmerkreis entworfen und in deutscher Sprache hergestellt worden ist.154

2. Unmittelbare Anwendung internationaler Vorgaben gem. § 6 Nr. 9 Der Verzicht des Gesetzgebers auf besondere Regelungen zum Rechtsanwendungsrecht in § 91 führt zu Friktionen mit dem Abkommen des Europarats zur Terrorismusverhütung und der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541, die für öffentlich verbreitete Schriften i. S. v. § 91 Abs. 1 Nr. 1 jeweils eigene Regelungen zum Rechtsanwendungsrecht enthalten, die durch das nationale Recht unterlaufen werden. Im Falle der Terrorismusrichtlinie gilt dies auch für Tathandlungen nach § 91 Abs. 1 Nr. 2 in Form des Selbststudiums über das Internet (vgl. Rdn. 7). Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 lit. c) und e) der Richtlinie ist Deutschland verpflichtet, seine Strafgerichtsbarkeit für terroristische Straftaten nicht nur innerhalb des eigenen Staatsgebiets, sondern auch außerhalb zu begründen, wenn der Täter Staatsangehöriger oder Gebietsansässiger in der Bundesrepublik ist, oder sich die Tat gegen Institutionen oder die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland richtet. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie gestattet zudem, die deutsche Gerichtsbarkeit auch dann zu eröffnen, wenn die Tat in einem anderen Mitgliedstaat der EU begangen wurde. Aus dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus ist für öffentlich erfolgende Tathandlungen nach § 91 Abs. 1 Nr. 1 zudem Art. 14 Abs. 1 lit. c), Abs. 2 lit. d) zu beachten, der die Mitgliedstaaten ebenso wie die EU-Richtlinie zur Einführung des aktiven Personalitäts- und Domizilprinzips verpflichtet. Das nach deutschem Strafecht jeweils gem. § 7 Abs. 2 für alle Varianten zu berücksichtigende Erfordernis der anderweitigen Tatortstrafbarkeit ist nach diesen Vorschriften nicht zu prüfen. Da mangels einer § 89a Abs. 3 vergleichbaren Regelung im Rahmen von § 91 keine Ansätze für unions- oder völkerrechtskonforme Auslegungen bestehen, können die beschriebenen Widersprüche derzeit nur durch eine unmittelbare Anwendung von Art. 14 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus oder von Art. 19 der Terrorismusrichtlinie (EU) 2017/541 über die Generalklausel des § 6 Nr. 9 überwunden werden. Dies ist für das Übereinkommen des Europarats zwar zu bejahen (§ 89a Rdn. 76), erfasst jedoch nur öffentliche Tathandlungen i. S. v. § 91 Abs. 1 Nr. 1 und diese auch nur innerhalb des Vertragsgebiets der Konvention. In der Rechtspraxis vor allem relevant sind jedoch Fälle, in denen die Tathandlung außerhalb der Mitgliedstaaten des Europarats, in einem Konfliktgebiet wie z. B. in Afghanistan, Syrien, dem Jemen oder Somalia erfolgt. Diese können von den deutschen Strafverfolgungsorganen ohne die Einschränkungen des § 7 Abs. 2 nur verfolgt werden, wenn man auch Art. 19 der EUTerrorismusrichtlinie für unmittelbar anwendbar erachtet. Nach überwiegender Ansicht fallen der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten bedürfende Richtlinien nicht in den Anwendungsbereich von § 6 Nr. 9.155 Zwar kann nach Ablauf der Umsetzungsfrist auch eine unmittelbare Geltung von EU-Richtlinien in Betracht kommen, wenn die jeweilige Bestimmung inhaltlich unbedingt und in ihrer Formulierung hinreichend genau gefasst ist und schon für sich genommen eine objektive Verpflichtung des Staates begründet, deren Inhalt sich mit der für die Rechtsanwendung erforderlichen Sicherheit durch Auslegung, Systematik sowie Sinn und Zweck der jeweiligen Bestimmung ermitteln lässt.156 Strafbarkeitsbegründende Regelungen sind nach nationalem Recht jedoch gem. Art. 103 Abs. 2 GG an einen strengen nationalen Gesetzesvorbehalt gekoppelt, dessen Nichtbeachtung weder durch die Be154 Engelstätter/Maslow GSZ 2018 138, 139. 155 Ambos MK § 6 Rdn. 17; SSW/Satzger § 6 Rdn. 14; Schiemann JR 2017 339, 341; aA Böse NK § 6 Rdn. 19. 156 Callies/Ruffert AEUV Art. 28 Rdn. 53; Grabitz/Hilf/Nettesheim AEUV Art. 288 Rdn. 147, 151; Streinz/Schroeder AEUV Art. 288 AEUV Rdn. 93. 333

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teiligung des EU-Parlaments noch durch die Nichtausübung der „Notbremseregelung“ des Art. 83 Abs. 3 AEUV kompensiert werden kann. Auch andere völkerrechtliche Abkommen können gem. § 6 Nr. 9 nur dann unmittelbar angewendet werden, wenn der deutsche Gesetzgeber eine dem Abkommen entsprechende Regelung schafft, oder zumindest aber ein allgemeines Zustimmungsgesetz zu dem jeweiligen Abkommen verabschiedet. Da eine unmittelbare Anwendung der Vorgaben der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (EU) 2017/541 damit ausscheidet, ist letztlich der Gesetzgeber gefordert, die bestehenden Diskrepanzen zu beheben.

X. Rechtsfolgen gem. Absatz 1 und 3 42 Der für die Ahndung einer Tat gem. § 91 Abs. 1 eröffnete Strafrahmen liegt bei Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Der Versuch ist straflos. Die Vorschrift enthält auch keine Regelungen über Regelbeispiele oder minder schwere Fälle. Bei geringer Schuld ist nach Absatz 3 der Vorschrift unter den Voraussetzungen des § 60 auch ein Absehen von Strafe möglich. Nach §§ 74 ff. unterliegen die Tatmittel wie Druckmaschinen oder Computer der Einziehung. Für Beziehungsgegenstände ergibt sich dies aus § 92b Satz 1 Nr. 2. § 92a ermöglicht schließlich ab einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten die Aberkennung der dort genannten Statusrechte.

XI. Täterschaft und Teilnahme 43 Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen.157 Erfolgt die Tat durch Verbreitung von Druckwerken können auch Autoren und Verlage als Täter in Betracht kommen, sofern sie die erforderlichen subjektiven Voraussetzungen aufweisen. Bei wissenschaftlichen Beiträgen kommt ein Tatbestandsausschluss über Absatz 2 in Betracht. Erfolgt die Tathandlung über das Internet, ist grundsätzlich derjenige als Täter anzusehen, der den Verbreitungsvorgang i. S. e. Tatherrschaft maßgeblich beeinflusst.158 Als Gehilfen für Taten nach Absatz 1 Nr. 1 und 2 kommen in erster Linie Personen in Betracht, die dem Täter die notwendige technische Ausrüstung zur Begehung der Tat zur Verfügung stellen. Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen hierbei für diejenigen, die eine lediglich schriftlich vorhandene Unterlage digitalisieren und einem Dritten zur Verfügung stellen, der die Schrift sodann weiteren Personen zugänglich macht. Hier kann je nach Einzelfall Beihilfe zu den an die Übergabe anschließenden Verbreitungshandlungen, aber auch schon ein eigenständiges täterschaftliches Zugänglichmachen gegenüber dem Dritten gegeben sein. Auch Betreiber einer Internetplattform oder Anbieter von Internetdiensten können – bei 44 Vorliegen der entsprechenden strafanwendungsrechtlichen Voraussetzungen (Rdn. 35) – Täter oder Gehilfen einer Tat nach § 91 sein. Erfolgt die Tat über einen Anbieter oder eine Plattform, die ausschließlich terroristischen oder kriminellen Zwecken („underground economy“) dient, können die jeweiligen Betreiber eine kriminelle Vereinigung gem. § 129 Abs. 2 bilden, die sich durch das Zugänglichmachen entsprechender Schriften zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach § 91, aber auch zur fortgesetzten Begehung von Unterstützungshandlungen gem. § 129a Abs. 5 verbunden hat.159 Aber auch für Betreiber legaler Internetdienste, die von Tätern zum Vertrieb oder zur Speicherung benutzt werden, kann sich im Einzelfall ein Strafbarkeitsrisiko ergeben. In Betracht kommen hier vor allem ein Unterlassen i. V. m. § 13, wenn ein Internetprovider Kenntnis von einer tatbestandlichen Schrift nach § 91 auf seinen Servern erhalten hat, jedoch keine Anstrengungen unternimmt, hiergegen vorzugehen. Auch bei der Verschaffung oder der Versendung tatbestandlicher Schriften ist der Täter einer Tat nach § 91 im Regelfall auf einen 157 Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 14; Schäfer MK Rdn. 25; zw. Gazeas AnwK Rdn. 32; Paeffgen NK Rdn. 20. 158 Ähnlich Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 14. 159 Krit. insoweit Ceffinato JuS 2017 403, 408. Engelstätter

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XI. Täterschaft und Teilnahme

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Diensteanbieter angewiesen, der den Versand sowie die Zwischenspeicherung der jeweiligen Datei bis hin zur Bereitstellung einer E-Mail-Adresse übernimmt. Zweifelhaft ist, ob bei den insoweit erforderlichen Prüfungen auch die Haftungsprivilegien 45 des TMG berücksichtigt werden müssen. Nach § 7 Abs. 1 TMG haftet ein Diensteanbieter grundsätzlich nur für eigene Inhalte. Beschränkt sich seine Dienstleistung auf die Durchleitung von Informationen, so ist eine Haftung nach § 8 Abs. 1 TMG ausgeschlossen, wenn er die Übermittlung nicht veranlasst hat (Nr. 1), den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt hat (Nr. 2) und auch die übermittelten Inhalte weder verändert noch ausgewählt hat (Nr. 3). § 9 TMG enthält eine ähnliche Regelung für technisch bedingte Zwischenspeicherungen zur beschleunigten Übermittlung von Informationen (Cache-Verfahren). Das bedeutsamste Haftungsprivileg ergibt sich aus § 10 TMG (s. Rdn. 30). Danach sind Diensteanbieter für fremde Inhalte, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, solange sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder Information haben und sie unverzüglich tätig werden, um den Inhalt zu löschen oder den Zugang zu ihm zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben. Die Vorschrift wird konkretisiert durch § 1 Abs. 3 NetzDG,160 der auch Taten nach § 91 als rechtswidrige Inhalte definiert, für die der jeweilige Betreiber gem. § 3 Abs. 2 NetzDG ein System installieren muss, dass im Fall des Bekanntwerdens entsprechender Inhalte Löschung binnen 24 Stunden für offensichtlich rechtswidrige Inhalte (Nr. 2) sowie binnen sieben Tagen für einen einfach rechtswidrigen Inhalt garantieren muss (Nr. 3). Handeln der Diensteanbieter und der Nutzer gemeinschaftlich, kommen die Haftungsprivilegien nach dem TMG nicht in Betracht.161 Dies steht – zumindest für den Bereich der Terrorismusbekämpfung – im Einklang mit den Vorgaben von Art. 21 i. V. m. den Erwägungsgründen (22), (23) der Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung, die – wenn auch nur für öffentliche Verbreitungshandlungen – die Mitgliedstaaten zur Einführung von Lösch- oder Sperrverfahren verpflichten, eine Haftung eines Internetunternehmens jedoch erst ab tatsächlicher Kenntnis des inkriminierten Inhalts verlangen.162 Das Verhältnis zwischen dem TMG und den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts ist 46 umstritten und wird insbesondere am Beispiel von § 184 bei der Verbreitung pornographischer Schriften z. T. lebhaft diskutiert.163 Selbst wenn man davon ausgeht, dass § 10 TMG für den Internetprovider noch keine Garantenstellung i. S. v. § 13 begründet, so wird sich eine solche regelmäßig nach der allgemeinen Unterlassungsdogmatik unter dem Gesichtspunkt der Herrschaft über eine Gefahrenquelle ergeben.164 Für § 91 kann dies jedoch nur für die Variante des Zugänglichmachens in Absatz 1 Nr. 1 Alt. 2 in Betracht kommen. Das Unterlassen der Löschung des inkriminierten Inhalts kann weitere Taten des Nutzers nach § 91 im Sinne einer Beihilfe gem. § 27 fördern und im Einzelfall auch ein selbständiges Zugänglichmachen darstellen. Die weiteren Tathandlungen werden dagegen regelmäßig beendet sein, bevor der Internetprovider Kenntnis von der tatbestandlichen Schrift erhält. Sie werden auch nicht dadurch erneut begangen, dass der Diensteanbieter keine Sperrung der jeweiligen Informationen vornimmt. Sukzessive Beihilfe ist in diesem Stadium nicht mehr möglich. Eine bereits beendete Haupttat kann nicht mehr gefördert werden.165

160 Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) vom 1.9.2017 (BGBl. I 3352).

161 Vgl. § 8 Abs. 1 S. 3, § 10 S. 2 TMG. 162 Erwägungsgrund (23) der Richtlinie (EU) 2017/ 541 zur Terrorismusbekämpfung. 163 Für eine Anwendbarkeit des TMG etwa Bode ZStW 127 (2015) 937, 980; Freund MK § 13 Rdn. 159, 163; Hilgendorf NStZ 2000 518, 519; Sch/Schröder/Bosch § 13 Rdn. 44; aA Ceffinato JuS 2017 403, 408; Fischer § 184 Rdn. 32; Jahn FS Wessing 537, 550. 164 Vgl. hierzu Hörnle NJW 2002 1008, 1011. 165 Vgl. BGH NStZ-RR 2017 198; Fischer § 27 Rdn. 6a. 335

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XII. Konkurrenzen 47 Die Tatvarianten in Absatz 1 können zueinander in Tateinheit gem. § 52 stehen.166 Es kommt aber auch Tatmehrheit gem. § 53 in Betracht, wenn etwa der Täter sich zunächst eine Schrift verschafft (§ 91 Abs. 1 Nr. 2) und diese sodann an Personen weiter verteilt, mit denen er die spätere Gewalttat begehen will (§ 91 Abs. 1 Nr. 1).167 Besteht diese Absicht bereits zu Beginn des Verschaffungsvorgangs, erscheint es sachgerecht, diesen als mitbestrafte Vortat zu bewerten und nur eine Tat nach § 91 Abs. 1 Nr. 1 anzunehmen.168 Macht der Täter die Schrift mit einem Verbreitungsakt mehreren Personen zugänglich, liegt gleichwohl nur eine Tat vor.169 Tateinheit ist möglich zwischen § 89b und § 91 Abs. 1 Nr. 2.170 Auch zu den Vereinigungsdelikten der §§ 129a, b können die Tatvarianten des § 91 in Tateinheit stehen.171 Dies gilt auch für die Tatbestände der §§ 83, 109h, 126, 130, 131 sowie für § 140.172 Mündet die Vorbereitungshandlung nach § 91 in weitere Vorbereitungshandlungen nach § 89a (z. B. in Form der Unterweisung der in der Schrift enthaltenen Inhalte (§ 89a Abs. 2 Nr. 1) oder in Form der Verschaffung der in der Schrift genannten Zutaten (§ 89a Abs. 2 Nr. 2–3) tritt § 91 hinter § 89a im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück (§ 89a Rdn. 186).173 Dies gilt auch im Verhältnis zu §§ 111, 130a, da § 91 nach dem Willen des Gesetzgebers gerade Lücken dieser Tatbestände schließen sollte.174 Mit terroristisch motivierten Ausreisen nach § 89a Abs. 2a wird dagegen regelmäßig Tatmehrheit bestehen, da diese Tatbestände typischerweise getrennt voneinander begangen werden und eine Tat nach § 91 StGB keine „Vorstufe“ für eine Tat nach § 89a Abs. 2a darstellt.175

XIII. Prozessuales 48 Die Verjährungszeit beträgt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 fünf Jahre nach Beendigung der Tat. Soweit die Tat nach Absatz 1 Nr. 1 mittels eines Druckwerks als Presseinhaltsdelikt begangen wird, kommt die kurze presserechtliche Verjährung zur Anwendung.176 Für die Verfolgung der Tat sind ausschließlich die Justizbehörden der Länder zuständig. Da die Vorschrift nicht im Katalog des § 74a Abs. 1 GVG enthalten ist, ist eine Übernahme des Verfahrens in die Zuständigkeit der Bundesjustiz gem. §§ 74a Abs. 2, 120 Abs. 2 GVG im Wege der Evokation ausgeschlossen.177 Sie kommt nur in Betracht, soweit die Tat nach § 91 eine gemeinsame prozessuale Tat i. S. d. § 264 StPO mit anderen Tatbeständen bildet, für die eine Zuständigkeit der Bundesjustiz besteht (§ 120 Abs. 1 GVG) oder zumindest begründet werden kann (§ 120 Abs. 2 GVG). § 91 ist nicht in den Katalogtatbeständen der §§ 100a, 100c StPO enthalten, sodass die entsprechenden strafprozessualen Maßnahmen allein wegen dieser Tat nicht verhängt werden können.178 Zulässig sind 166 167 168 169 170 171 172 173

Fischer Rdn. 22; Gazeas AnwK Rdn. 33; Schäfer MK Rdn. 29. Gazeas AnwK Rdn. 33; Schäfer MK Rdn. 29; Zöller SK Rdn. 18. Gazeas AnwK Rdn. 33; Zöller SK Rdn. 18. Fischer Rdn. 22; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 15; Schäfer MK Rdn. 29; Zöller SK Rdn. 18. Gazeas AnwK Rdn. 33; Schäfer MK Rdn. 29. BGH StV 2018 103, 107; Fischer Rdn. 22; Gazeas AnwK Rdn. 33; Schäfer MK Rdn. 29; Zöller SK Rdn. 18. Gazeas AnwK Rdn. 33; Schäfer MK Rdn. 29; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 15; Zöller SK Rdn. 18. BTDrucks. 16/12428 S. 18; Kauffmann S. 139; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 15; Schäfer MK Rdn. 29; Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9. 174 BTDrucks. 16/12428 S. 17; Kauffmann S. 143; Zöller SK Rdn. 18; aA Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 15: Subsidiariät zu § 111 StGB, Spezialität zu § 130a StGB; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9: Subsidiarität zu § 130a StGB; Tateinheit mit § 111 StGB; noch anders die derzeit wohl hM: Fischer Rdn. 22; Gazeas AnwK Rdn. 33; Rautenberg S. 226; Schäfer MK Rdn. 29: Spezialität zu § 130a StGB, Tateinheit zu § 111 StGB. 175 Zweigle S. 347. 176 Gazeas AnwK Rdn. 35; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 17; Schäfer MK Rdn. 34. 177 Schäfer MK Rdn. 35; Zöller SK Rdn. 19. 178 Gazeas AnwK Rdn. 36; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 17; Schäfer MK Rdn. 36; Zöller SK Rdn. 19. Engelstätter

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XIII. Prozessuales

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lediglich die allgemeinen Ermittlungsmaßnahmen, was in der Rechtspraxis in der Regel auf Durchsuchung, Sicherstellung und Beschlagnahme verbunden mit der Vernehmung des Beschuldigten und ggf. weiterer Zeugen hinauslaufen wird. Bei der Tat handelt es sich um ein Offizialdelikt.179 Ein Strafantrag oder ein besonderes öffentliches Interesse zur Strafverfolgung sind nicht erforderlich. Im Falle der Voraussetzungen des § 91 Abs. 3 eröffnet § 154b StPO eine zusätzliche Einstellungsmöglichkeit zu den §§ 153, 153a StPO; für Taten mit Auslandsbezug kommt zudem eine Einstellung nach § 153c Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2, 3, 4 StPO in Betracht.180

179 Schäfer MK Rdn. 37. 180 Gazeas AnwK Rdn. 34a; Matt/Renzikowski/Henrichs Rdn. 17; Zöller SK Rdn. 19. 337

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§ 91a Anwendungsbereich Die §§ 84, 85 und 87 gelten nur für Taten, die durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen werden.

Schrifttum Krauth/Kurfess/Wulf Zur Reform des Staatsschutzstrafrechts durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1968 577; Langrock Der besondere Anwendungsbereich der Vorschriften über die Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats (1972); Lüttger Das Staatsschutzstrafrecht gestern und heute, JR 1969 121; Schroeder Der „räumliche Geltungsbereich“ der Strafgesetze, GA 1968 354; Valerius Internationaler Terrorismus und nationales Strafanwendungsrecht, GA 2011 696; Woesner Das neue Staatsschutzstrafrecht, NJW 1968 2129.

Entstehungsgeschichte Der durch das 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) eingeführte § 91 enthielt ursprünglich nicht nur Anwendungsbeschränkungen bezüglich der §§ 84, 85 und 87 (§ 91 Nr. 1 a. F.), sondern auch hinsichtlich der §§ 86, 86a und 88 (§ 91 Nr. 2 a. F.) sowie der §§ 90a Abs. 1 und 90b (§ 91 Nr. 3 a. F.). Ihre heutige, auf den Regelungsgehalt des § 91 Nr. 1 a. F. beschränkte, Fassung erhielt die Vorschrift durch Art. 19 Nr. 12 EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I 469; 1975 I 1916; 1976 I 507). § 91 Nr. 2 a. F. konnte gestrichen werden, weil die dort aufgeführten Vorschriften bereits selbst Begrenzungen ihres Anwendungsbereichs beinhalten. § 91 Nr. 3 a. F. ging in § 5 Nr. 3 auf. Durch das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (BGBl. 2009 I. 2437) wurde § 91 in § 91a umbenannt, ohne dass hiermit inhaltliche Änderungen einhergingen.

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

1

II. 1. 2.

Regelungsgehalt der Vorschrift 2 2 Räumlicher Geltungsbereich 3 Wechselnder Tätigkeitsort

3. 4. 5. 6.

Tatbegehung durch pflichtwidriges Unterlas4 sen 5 Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft 6 Teilnahme 7 Öffentliches Auffordern zu Straftaten

I. Zweck der Vorschrift 1 Durch den Ausschluss des Erfolgsorts als Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit enthält die Norm eine Ausnahme gegenüber § 9. Mit der Einführung des § 91 a. F. wurde in erster Linie das Ziel verfolgt, eine übertriebene Ausdehnung des bundesdeutschen Staatsschutzstrafrechts auf staatliche und politische Aktivitäten in der ehemaligen DDR zu unterbinden und dadurch die Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands zu fördern (vgl. Sonderausschussbericht Vor § 80 Rdn. 11; BTDrucks. V/2860 S. 5 f.).1 Jedoch ist die Vorschrift in ihrem Regelungsgehalt über dieses Ziel dann noch hinausgegangen, indem sie auch Taten nach §§ 84, 85 und 87, die von Bundesbürgern im Ausland begangen werden, von der Strafbarkeit ausklammert. So kann ein Deutscher als Hintermann oder Rädelsführer einer verbotenen verfassungswidrigen Partei oder Vereinigung straflos deren Ziele vom Ausland her weiter fördern. Dies gilt auch für Teilnahmehandlungen, weil jemand, der als Täter straflos ist, dies auch als Teilnehmer sein muss. Die Vorschrift wurde daher zu Recht kritisiert.2

1 Langrock S. 1 ff.; Steinmetz MK Rdn. 1; Paeffgen NK Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Zöller SK Rdn. 1. 2 Lüttger JR 1969 121, 129; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8; wobei sich der Hauptkritikfall der bisher wegen § 91a straflosen ausländischen Schulung für Sabotagehandlungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 5) durch Einführung von § 89a weitgehend erledigt haben dürfte. Steinsiek https://doi.org/10.1515/9783110490008-023

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II. Regelungsgehalt der Vorschrift

StGB § 91a

II. Regelungsgehalt der Vorschrift 1. Räumlicher Geltungsbereich Die Tat muss durch eine innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB (das Gebiet, in 2 dem die Gesetzgebungsgewalt des Bundes besteht) ausgeübte Tätigkeit verwirklicht werden. § 91a trennt damit die Tätigkeit – also das eigene Verhalten des Täters – von der Tatbestandsverwirklichung. Das folgt daraus, dass die §§ 84, 85 ausdrücklich verlangen, dass der Erfolg der Straftaten im Inland eintritt und § 87 Vorbereitungshandlungen für Taten im Inland mit Strafe bedroht.3 § 91a klammert also die Distanzdelikte (s. dazu die Erläuterungen bei § 9) und alles das aus, was der Täter nicht innerhalb des Geltungsbereichs, sei es persönlich oder durch eben dort tätige Helfer, sondern von außen her bewirkt.4

2. Wechselnder Tätigkeitsort Streitig ist, wie sich das in Fällen auswirkt, in denen der Täter den Taterfolg durch eine Tätigkeit 3 innerhalb und außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs herbeigeführt hat. Nach Fischer5 soll die Strafvorschrift greifen, sofern mindestens vor Beendigung der Tat noch ein Tätigwerden innerhalb des Geltungsbereichs zu verzeichnen ist. Das entspricht jedoch nicht der Intention des Gesetzgebers (Sonderausschussprotokoll; Vor § 80 Rdn. 11; V S. 1919 f.), der jegliche außerhalb des Geltungsbereichs geübte Tätigkeit strikt aus dem Tatbestand herausnehmen wollte. Es kann deshalb der Auffassung von Fischer,6 dass auswärtige Teilakte einer natürlichen Handlungseinheit oder eines Dauerdelikts mit dem im Geltungsbereich verwirklichten Tatteil zusammen tatbestandsmäßig seien, also gleichsam durch diesen Tatteil in den Tatbestand hereingezogen würden, nicht gefolgt werden.7 Vielmehr kommt es für die Anwendung des Tatbestandes ausschließlich darauf an, ob das vom Täter im Geltungsbereich entfaltete Tun den Tatbestand verwirklicht hat. Bei Dauerdelikten sind daher die Teilakte, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB vorgenommen werden, nicht zu berücksichtigen.8 Was damit an auswärtiger Tätigkeit zusammenhängt, hat lediglich indizielle Bedeutung und kann nur bei der Strafzumessung mit ins Gewicht fallen.9

3. Tatbegehung durch pflichtwidriges Unterlassen Es wird vertreten, dass sich der Täter im Geltungsbereich aufhalten muss, wenn seine Pflicht 4 zum Handeln akut wird.10 Dagegen hält es Sternberg-Lieben11 für unerheblich, ob der Täter sich beim Wirksamwerden einer inländischen Handlungspflicht im Ausland aufhält, sofern nur vorher innerhalb des Geltungsbereichs bereits eine Rechtspflicht aus Ingerenz entstanden ist. Dabei soll in diesem Fall die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Erfolgsverhinderung besonders sorgfältig zu prüfen sein. Beide Auffassungen können sich auf den Wortlaut berufen. Da der Entste-

3 4 5 6 7 8

Steinmetz MK Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5. Langrock S. 104, 105 ff. u. 111 f.; vgl. auch BVerwG NVwZ 2010 1372, 1374. Fischer Rdn. 3. Fischer Rdn. 3. Steinmetz MK Rdn. 4. Langrock S. 117; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Paeffgen NK Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Zöller SK Rdn. 4. 9 AA Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Steinmetz MK Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Zöller SK Rdn. 2. 10 Steinmetz MK Rdn. 5; Paeffgen NK Rdn. 6; Zöller SK Rdn. 5; Fischer Rdn. 4; Ellbogen BeckOK Rdn. 4. 11 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; so auch Langrock S. 126 ff. 339

Steinsiek

§ 91a StGB

Anwendungsbereich

hungszeitpunkt für die Handlungspflicht und nicht die konkrete Erfolgsabwendungspflicht12 maßgebend ist, ist der Ansicht, dass die Anwesenheit im Bundesgebiet bei Aktualisierung der Handlungspflicht nicht notwendig ist, der Vorzug zu geben. Entsprechendes gilt, wenn dem Täter die Handlungspflicht erst im Ausland bekannt wird.

4. Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft 5 Bei der Mittäterschaft wird der Tatbeitrag des im Ausland handelnden Mittäters dem im Inland handelnden Täter nicht gemäß § 25 Abs. 2 zugerechnet.13 Dies gilt auch für den mittelbaren Täter.14

5. Teilnahme 6 Für die Teilnahme (§§ 26, 27) enthält § 91a eine Sonderregelung zu § 9 Abs. 2. Wird der Haupttäter in der Bundesrepublik Deutschland tätig, der Teilnehmer jedoch nicht, so wird letzterer nach einhelliger Auffassung von den Tatbeständen der §§ 84, 85 und § 87 nicht erfasst, ist also staflos. Auch wer als Anstifter oder Gehilfe innerhalb des Geltungsbereichs an einer außerhalb des Geltungsbereichs begangenen, und daher an einer nach § 91 nicht strafbaren, Haupttat teilnimmt, kann von keiner der angeführten Strafvorschriften erfasst werden.15 Es handelt sich um eine materiell-rechtliche Beschränkung, so dass die Akzessorietäts-Regeln eingreifen. Dagegen bejaht Sternberg-Lieben16 die Strafbarkeit mit der Folge, dass nur der Haupttäter von dem Strafverfolgungshindernis profitiert, weil er, was aber hier verneint wird, die Regelung mehr als eine prozessuale denn eine materielle Exemtion versteht.

6. Öffentliches Auffordern zu Straftaten 7 Für eine Aufforderung (§ 111) zu den in § 91a zitierten Straftaten ist § 91a entsprechend anzuwenden.17 Für eine derartige Auslegung spricht bereits der Gesetzeszweck, zumal die Problematik während des Gesetzgebungsverfahrens gesehen wurde.

12 13 14 15 16 17

AA Paeffgen NK Rdn. 6. Langrock S. 181 f.; Steinmetz MK Rdn. 6. BGHSt 40 218; 42 65. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Paeffgen NK Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 6; Fischer Rdn. 5. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6. Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 577, 582; Steinmetz MK Rdn. 8; Paeffgen NK Rdn. 8; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; zweifelnd Fischer Rdn. 5. Steinsiek

340

VIERTER TITEL Gemeinsame Vorschriften § 92 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes beeinträchtigt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, wer ihre Freiheit von fremder Botmäßigkeit aufhebt, ihre staatliche Einheit beseitigt oder ein zu ihr gehörendes Gebiet abtrennt. (2) Im Sinne des Gesetzes sind Verfassungsgrundsätze 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf die Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte und 6. der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft. (3) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen (Absatz 1), 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, 3. Bestrebungen gegen Verfassungsgrundsätze solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, einen Verfassungsgrundsatz (Absatz 2) zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.

Schrifttum Aliabasi Die staatsgefährdende Gewalttat (2017); Denninger Freiheit durch Sicherheit? StV 2002 96; Fahrner Die Sicherheit im Staatsschutzstrafrecht ZStW 132 (2020) 84; Gazeas/Grosse-Wilde/Kießling Die neuen Tatbestände im Staatsschutzstrafrecht – Versuch einer ersten Auslegung der §§ 89a, 89b und 91 StGB, NStZ 2009 593; Gusy Die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 105 (1980) 249; Hellfeld Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (2011); Hungerhoff Vorfeldstrafbarkeit und Verfassung (2013); Kauffmann Das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten (2011); Lüttger Das Staatschutzrecht gestern und heute, JZ 1969 121; Nestler Der Schutz der äußeren Sicherheit Deutschlands durch das Strafrecht, ZStW 125 (2013) 259; Ruhrmann Die Angriffsziele der Staatsgefährdungsdelikte: „Staatsgefährdende Absichten und Bestrebungen“, NJW 1960 992; Safferling Die Gefährdung der „auswärtigen Beziehungen“ der Bundesrepublik Deutschland als strafwürdiges Verhalten im Außenwirtschaftsverkehr – Zum Beschluss des BGH vom 13.1.2009 – AK 20/08 = BGHSt 53, 128 = NStZ 2009, 335, NStZ 2009 604; Schnarr Innere Sicherheit – die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts nach § 120 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 GVG, MDR 1993 589; Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970); Schulz Die freiheitliche demokratische Grundordnung – strafrechtliche Anwendbarkeit statt demokratischer Grundkonsens, KJ 2015 288; Ullrich „Extremismus“: Ein Rechtsbegriff und seine Bedeutung JZ 2016 169; Walter Der Rechtsstaat verliert die Nerven. Zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren Gewalttaten, KJ 2008 443; Willms Zum Begriff der „verfassungsfeindlichen Bestrebungen“, JZ 1959 629; Woesner Das neue Staatschutzrecht, NJW 1968 21; vgl. im Übrigen die Literaturnachweise bei § 89a.

341 https://doi.org/10.1515/9783110490008-024

Engelstätter

§ 92 StGB

Begriffsbestimmungen

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde vom 8. StrÄndG im Anschluss an § 88 des 1. StrÄndG geschaffen, den sie in Absatz 1 und 2 mit gewissen Modifikationen übernommen und in Absatz 3 im Anschluss an § 380 des E 1962 erweitert hat.

Gesetzesmaterialien Entwurf eines Strafgesetzbuches E 1962 mit Begründung, BTDrucks. IV/650; Antrag der SPD-Fraktion, BTDrucks. V/ 102; Entwurf eines Achten Strafrechtsänderungsgesetz; BTDrucks. V/898; Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BTDrucks. V/2860.

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

II.

Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesre2 publik Deutschland (Absatz 1) 3 Freiheit von fremder Botmäßigkeit 4 Beseitigung der staatlichen Einheit 5 Gebietsabtrennung

1. 2. 3. III. 1.

1

8

2.

Einzelne Verfassungsgrundsätze

IV. 1. 2.

Bestrebungen (Absatz 3) 10 12 Bestandsbeeinträchtigung (Nummer 1) Innere und äußere Sicherheit (Num13 mer 2) Beseitigen von Verfassungsgrundsätzen (Num15 mer 3)

3.

Verfassungsgrundsätze (Absatz 2) 6 Freiheitliche demokratische Grundord7 nung

I. Zweck der Vorschrift 1 Die Vorschrift enthält Legaldefinitionen mehrerer im ersten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB verwendeter Begriffe. Die systematische Stellung der Vorschrift wird allgemein als missglückt bezeichnet. Da in ihr ausschließlich grundlegende Begrifflichkeiten erläutert werden, wäre sie besser „vor der Klammer“ des Staatsschutzstrafrechts, also vor § 80a platziert worden.1

II. Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland (Absatz 1) 2 Absatz 1 enthält im Zusammenspiel mit Absatz 3 Nr. 1 Auslegungshilfen für die Tatbestände der §§ 81 Abs. 1 Nr. 1 (Hochverrat gegen den Bund), 87 Abs. 1 (Agententätigkeit zu Sabotagezwecken), 88 Abs. 1 (Verfassungsfeindliche Sabotage), 89 Abs. 1 (Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und Sicherheitsorgane), 89a Abs. 1 S. 2 (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat), 90 Abs. 3 (Verunglimpfung des Bundespräsidenten), 90a Abs. 3 (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole) sowie § 90b (verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen). Die Schutzrichtung der Vorschrift erstreckt sich primär auf den Bestand des Bundesstaates. Die Bundesländer werden von den Vorschriften der §§ 80 bis 101a nur im Ausnahmefall erfasst (vgl. §§ 82 Abs. 1 Nr. 1, 2, 83 Abs. 2, 90a Abs. 1 Nr. 1, 2, 90b Abs. 1). Jedoch sind Angriffe auf den Bestand, die Sicherheit oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Bundeslandes regelmäßig als Angriffe auf die Bundesrepublik Deutschland selbst zu werten.2

1 Paeffgen NK Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Zöller SK Rdn. 1. 2 Steinmetz MK Rdn. 2. Engelstätter

342

III. Verfassungsgrundsätze (Absatz 2)

StGB § 92

1. Freiheit von fremder Botmäßigkeit Das Merkmal schützt die völkerrechtliche Souveränität und die faktische Unabhängigkeit der 3 Bundesrepublik von der Einflussnahme durch fremde Staaten. Die Freiheit von fremder Botmäßigkeit ist aufgehoben, sobald Deutschland der Herrschaft einer fremden Macht unterworfen ist. Eine durch militärische Intervention erzwungene Totalannexion ist hierfür nicht erforderlich. Die staatliche Souveränität muss formal nicht angetastet werden. Erfasst ist vielmehr auch die Einrichtung eines Vasallen- oder Satellitenstaates durch Installation einer Regierung, die einer fremden Macht treu ergeben ist.3 Nicht unter das Tatbestandsmerkmal fällt die Übertragung staatlicher Hoheitsrechte gem. Art. 23 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Art. 24 Abs. 1, 1a GG auf eine zwischenstaatliche Einrichtung oder Staatengemeinschaft, soweit die verfassungsrechtliche Identität der Bundesrepublik Deutschland gewahrt bleibt und sie nicht ihre Fähigkeit zu selbstverantwortlicher politischer und sozialer Gestaltung der Lebensverhältnisse verliert.4

2. Beseitigung der staatlichen Einheit Eine Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland kommt weiter in Be- 4 tracht, soweit die zu beurteilende Handlung auf die Beseitigung der staatlichen Einheit abzielt. Strafrechtlich geschützt ist der status quo der staatlichen Struktur der Bundesrepublik Deutschland als Bundesstaat. Als Tathandlungen kommen insbesondere die Umstrukturierung des Staates in einen Staatenbund oder mehrere Einzelstaaten sowie die Umwandlung eines Bundeslands in einen souveränen Einzelstaat in Betracht.5

3. Gebietsabtrennung Sie ist gegeben, sobald Teile des Staatsgebiets in den Hoheitsbereich eines anderen Staates 5 übergehen.6 Dies kann – wie bei der Aufhebung der Freiheit von fremder Botmäßigkeit – durch Annexion als Folge militärischer Intervention aber auch durch Unabhängigkeitsbestrebungen eines oder mehrerer Bundesländer erfolgen, die zur Neugründung eines Staates auf deutschem Boden führen.7 Geschützt ist die territoriale Integrität der Bundesrepublik Deutschland, mithin das Inland i. S. v. § 3. Erfasst werden damit nicht nur das Festland, sondern auch die Binnengewässer und das Küstenmeer.8

III. Verfassungsgrundsätze (Absatz 2) Absatz 2 enthält i. V. m. Absatz 3 Nr. 3 der Vorschrift Auslegungshilfen für die Tatbestände der 6 §§ 87 Abs. 1 (Agententätigkeit zu Sabotagezwecken), 88 Abs. 1 (Verfassungsfeindliche Sabotage), 89a Abs. 1 S. 2 (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat), sowie § 90 Abs. 3 (Verunglimpfung des Bundespräsidenten).9 Der Katalog der in Absatz 2 angeführten Verfassungsgrundsätze konkretisiert den strafrechtlichen Schutz der freiheitlichen demokrati3 4 5 6 7 8

Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; SSW/Güntge Rdn. 2; Zöller SK Rdn. 3. Fischer Rdn. 2; Steinmetz MK Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 3; vgl. auch BVerfGE 123 267, 344 ff. SSW/Güntge Rdn. 2; Steinmetz MK Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 4. Fischer Rdn. 3; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5. OLG Schleswig NJW 2018 1699, 1701; Steinmetz MK Rdn. 5; Zöller SK Rdn. 5. Fischer vor § 3-7 Rdn. 13; Lackner/Kühl/Kühl vor § 3 StGB Rdn. 4; Sch/Schröder/Eser/Weißer vor § 3 StGB Rdn. 61; Zöller SK Rdn. 5. 9 Steinberg MK Rdn. 6. 343

Engelstätter

§ 92 StGB

Begriffsbestimmungen

schen Grundordnung gem. Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG. Er deckt sich nicht mit dem Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung in §§ 81 Abs. 1 Nr. 2 (Hochverrat gegen den Bund), 82 Abs. 1 Nr. 2 (Hochverrat gegen ein Land), 85 Abs. 1 Nr. 2 (Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot), 86 Abs. 1 Nr. 2 (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen), 89 Abs. 1 (Verfassungsfeindliche Einwirkung auf die Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane), 90a Abs. 1 Nr. 1 (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole).10

1. Freiheitliche demokratische Grundordnung 7 Der Katalog des Absatzes 2 enthält die Grundprinzipien, die eine freiheitliche Demokratie substantiell von einem totalitären Staat unterscheiden.11 Die Auslegung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hat der Gesetzgeber dem BVerfG überlassen, um dessen besondere Kompetenz für die Aberkennung der Grundrechte und das Verbot von politischen Parteien zu respektieren.12 Um den strafrechtlichen Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gleichwohl kongruent zu seinem verfassungsrechtlichen Inhalt erfassen zu können, stellt das Gesetz allerdings den positiv formulierten Grundsätzen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 5 eine negative Formulierung in Absatz 2 Nr. 6 gegenüber, die das BVerfG auch in seine Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit aufgenommen hat.13 Soweit die einzelnen Grundsätze des Absatzes 2 über die verfassungsrechtliche Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinausgehen, ist die Vorschrift restriktiv auszulegen, und zwar in dem Sinne dass von ihr nur Prinzipien erfasst werden, die für die Existenz einer freiheitlichen Demokratie unabdingbar sind.14 Dies betrifft neben dem Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft in erster Linie den Grundsatz der Unmittelbarkeit als Teil der Wahlgrundsätze des Art. 38 GG (§ 92 Abs. 2 Nr. 1).15 In Betracht kommen aber auch die Gewährleistung einer parlamentarischen Opposition einschließlich Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament (§ 92 Abs. 2 Nr. 3, 4).16 In der Rechtspraxis wurde dieser Umstand bislang allenfalls am Rande behandelt.17 Soweit es um die Beurteilung von Tendenzen in kommunistischer und nationalsozialistischer Richtung ging, traf, wie die bei Wagner angeführten Beispiele aus der Rechtsprechung zeigen, der Katalog in seiner Kernsubstanz zu, ohne dass es auf die Unterschiede zwischen dem Wortlaut des Gesetzes und der verfassungsgerichtlichen Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung angekommen wäre.18

2. Einzelne Verfassungsgrundsätze 8 Im Einzelnen enthält der Katalog in Nummer 1 das Prinzip der Volkssouveränität (Art. 20 GG), das Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 79 Abs. 3 GG) sowie die allgemeinen Grundsätze für Wahlen zur Volksvertretung (Art. 28 Abs. 1, 38 Abs. 1 GG). Nummer 2 und Nummer 5 des Kataloges normieren das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie mit dem ihm eng verbundenen Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte (Art. 97 Abs. 1 GG). Nummer 3 schützt das Recht auf

10 Fischer Rdn. 5; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Laufhütte/Kuschel LK12 Entstehungsgeschichte; Schafheutle JZ 1951 609, 612 f. 11 Zöller SK Rdn. 8. 12 Echterhölter JZ 1953 656; Paeffgen NK Rdn. 6. 13 BVerfGE 2 1, 12; BVerfGE 5 85, 140; vgl. auch Ullrich JZ 2016 169, 172. 14 Lackner/Kühl/Kühl vor § 3 StGB Rdn. 5; Paeffgen NK Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6. 15 Vgl. dazu aber BGHSt 7 222, 227. 16 Steinmetz MK Rdn. 7; Zöller SK Rdn. 8. 17 BGHSt 7 222, 227. 18 Wagner GA 1961 1; 1963 353; 1965 353; 1966 300. Engelstätter

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IV. Bestrebungen (Absatz 3)

StGB § 92

parlamentarische Opposition gem. Art. 21 Abs. 1 GG; Nummer 4 die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung (Art. 67 GG). Nummer 6 des Kataloges enthält mit dem „Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft“ schließlich eine Generalklausel. Diese richtet sich gegen jeden Versuch, auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland eine Diktatur oder ähnliche Herrschaft, z. B. nach dem Muster des nationalsozialistischen Herrschaftssystems19 oder nach dem Muster der DDR20 zu errichten.21 Darüber hinaus schließt sie die Rechtsminderung von Angehörigen einer bestimmten Volksgruppe durch Gesetzgeber und Verwaltung aus. Eine Gewalt- und Willkürherrschaft ist allerdings noch nicht gegeben, wenn einzelne Amtsträger in ihrem Tätigkeitsbereich die Grundrechte missachten oder dem Geist des GG zuwiderhandeln – es sei denn, sie üben ein maßgebliches Regierungsamt aus.22 Es wird in der Rechtspraxis selten vorkommen, dass ein bestimmter Verfassungsgrundsatz 9 abstrakt angesprochen und zum Ziel eines Angriffs gemacht wird. Es ist dann Aufgabe des Tatrichters, in richtiger Durchleuchtung des Tatsachenstoffs zu ergründen, ob in ihm ein gegen einen der genannten Verfassungsgrundsätze gerichteter Angriff steckt. Ein Beispiel bildet insoweit die beabsichtigte „Übernahme der Befehlsgewalt über die Bundeswehr durch die werktätige Klasse“, die durch den BGH als Angriff gegen das Prinzip der parlamentarischen Verantwortlichkeit (Nummer 4) und der Gewaltenteilung gewertet worden ist.23

IV. Bestrebungen (Absatz 3) Der Begriff der Bestrebungen war ursprünglich vom Gesetz nicht besonders definiert. Daraus 10 ergaben sich in der Rechtsprechung gewisse Unstimmigkeiten, die teilweise auf außerhalb der Person des Täters bestehende kollektive Tendenzen des gesellschaftlichen Lebens abstellten,24 teilweise es aber auch genügen ließen, dass der Täter seine eigenen Ziele verfolgte.25 Die jetzt vorhandene gesetzliche Definition ist dahingehend zu verstehen, dass Bestrebungen aktiv-tätige Bemühungen ihres Trägers mit dem Ziel sind, einen der drei in Absatz 3 normierten Erfolge zu erreichen.26 Sie müssen im Zeitpunkt der Tathandlung bereits existent sein; es genügt jedoch, wenn sie mit der Tathandlung selbst offenbart werden.27 Nach dem Wortlaut des Gesetzes („deren Träger … darauf hinarbeiten“) ist zudem erforderlich, dass es sich um Bemühungen von mindestens zwei Personen handelt, zu denen in der Regel auch der Beschuldigte gehören wird.28 Kein Träger einer Bestrebung i. S. d. Absatz 3 StGB ist der allein agierende Einzeltäter, der ausschließlich eigene Interessen verfolgt.29 Ist der Täter selbst auch Träger der Bestrebung, so ist die Definition des Absatzes 3 erfüllt, soweit es sich um tatsächlich im Gang befindliche Bemühungen mindestens einer weiteren Person handelt, die dem Täter namentlich nicht bekannt zu sein braucht und der es darauf ankommt, allein oder mit anderen den Erfolg zu erreichen, und die für dieses Ziel aktiv tätig wird.30 Richtet sich eine Tat sowohl gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik als auch gegen Verfassungsgrundsätze, so ist bei der 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

BGH bei Wagner GA 1966 300 Nr. 15. BGH bei Wagner GA 1961 1 Nr. 3. Paeffgen NK Rdn. 9; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Steinberg MK Rdn. 8; Zöller SK Rdn. 7. BGHSt 13 375, 377; Paeffgen NK Rdn. 9; Steinberg MK Rdn. 8; Zöller SK Rdn. 7. BGH JZ 1977 28, 30 mit. Anm. Schroeder; Laufhütte/Kuschel LK12 Rdn. 6; Paeffgen NK Rdn. 8; Zöller SK Rdn. 7. BGHSt 11 171, 175. BGHSt 13 32, 35; vgl. hierzu Willms JZ 1959 629. Fischer Rdn. 7; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Steinmetz MK Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 10. Schroeder S. 306; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Steinmetz MK Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 10. Paeffgen NK Rdn. 10; Steinmetz MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Zöller SK Rdn. 10; aA Fischer Rdn. 7. 29 Paeffgen NK Rdn. 10; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 13. 30 Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 13. 345

Engelstätter

§ 92 StGB

Begriffsbestimmungen

Strafzumessung zu berücksichtigen, dass ein doppelter gegen artverschiedene Rechtsgüter gerichteter Angriff vorliegt.31 11 Für Bestrebungen i. S. v. Absatz 3 muss sich der Täter aktiv einsetzen. Die §§ 88 Abs. 1, 89 Abs. 1, 90 Abs. 3, 90a Abs. 3 sowie § 90b Abs. 1 verlangen absichtliches Vorgehen. Dagegen kann der Einsatz für eine Bestrebung im Rahmen einer Agententätigkeit zu Sabotagezwecken nach § 87 Abs. 1 auch wissentlich erfolgen. Durch die Betonung der subjektiven Zielstrebigkeit wollte der Gesetzgeber die Strafbarkeit auf aktive kämpferische Täter beschränken und bloße Mitläufer ausklammern.32 Soweit das Gesetz absichtliches Vorgehen verlangt, muss der Täter also gerade tätig werden, um mit der Tat eine konkrete Bestrebung i. S. d. Absatz 3 zu fördern. Nicht erforderlich ist jedoch, dass sich der Täter mit der verfassungsfeindlichen Zielsetzung der Bestrebung komplett identifiziert. Hinsichtlich der in Absatz 3 Nr. 1–3 normierten Erfolge reicht vielmehr dolus eventualis, d. h. der Täter muss damit rechnen, dass die von ihm unterstützte Bestrebung auf ein im Katalog des Absatzes 3 enthaltenes Ziel gerichtet ist. Auch der allein aus finanziellen Gründen handelnde Täter ist daher von den genannten Tatbeständen erfasst.33

1. Bestandsbeeinträchtigung (Nummer 1) 12 Die in Nummer 1 geregelten Bestrebungen sind bedeutsam für die Auslegung der §§ 87 Abs. 1 (Agententätigkeit zu Sabotagezwecken), 88 Abs. 1 (Verfassungsfeindliche Sabotage), 89 Abs. 1 (Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und Sicherheitsorgane), § 89a (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat), 90 Abs. 3 (Verunglimpfung des Bundespräsidenten), 90a Abs. 3 (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole) sowie § 90b (verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen). Gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind Bestrebungen die darauf abzielen, den Bestand des Staates in einer von § 92 Abs. 1 erfassten Weise zu beeinträchtigen. Allein die Leugnung der Freiheit der Bundesrepublik Deutschland von fremder Botmäßigkeit ist noch keine aktiv-tätige Bemühung im Sinne eines Hinarbeitens auf die Herbeiführung eines derartigen Zustandes.34

2. Innere und äußere Sicherheit (Nummer 2) 13 Die in Nummer 2 geregelten Bestrebungen sind bedeutsam für die Auslegung der §§ 87 Abs. 1 (Agententätigkeit zu Sabotagezwecken), 88 Abs. 1 (Verfassungsfeindliche Sabotage), 89 Abs. 1 (Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und Sicherheitsorgane) sowie für die §§ 109e–g (Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln sowie Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst). Für § 89a Abs. 1 S. 2, der wegen seiner Fokussierung auf Einzeltäter keine Bestrebungen voraussetzt, gilt dies hinsichtlich der Definition des Sicherheitsbegriffs (vgl. hierzu § 89a Rdn. 88 ff.). Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sind solche, deren Träger darauf hinarbeiten, die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen,35 insbesondere ihre Fähigkeit, sich nach innen oder außen gegen Störungen zur Wehr zu setzen.36 Die äußere Sicherheit eines Staates wird grundsätzlich definiert als Zustand relativer Ungefährdetheit gegenüber gewaltsamen Einwirkungen von außen in militärischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht.37 Erfasst ist auch die Verankerung der Bundes31 32 33 34 35 36 37

BGH JZ 1977 28, 30 mit. Anm. Schroeder; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 10. Laufhütte/Kuschel LK12 Rdn. 12; krit. Paeffgen NK Rdn. 14. Fischer § 87 Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 11; aA Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Paeffgen NK Rdn. 14. BGH NStZ 2018 589; BGH StV 2017 379, 380. Dazu BTDrucks. 16/12428 S. 14; BGHSt 59, 218, 234. BGHSt 28 312, 316 f.; BGH NStZ 1988 215; Schroeder S. 423; Zöller SK Rdn. 14. BTDrucks. 16/12428 S. 14; BGH NStZ 1988 215; Nestler ZStW 125 (2013) 259, 298.

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IV. Bestrebungen (Absatz 3)

StGB § 92

republik Deutschland in kollektiven Bündnissystemen oder internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der NATO.38 Die äußere Sicherheit ist in jedem Fall betroffen, wenn die Verteidigungsfähigkeit des Staates durch einen Angriff einer fremden staatlichen Gewalt beeinträchtigt wird.39 Nummer 2 erfasst aber auch Bestrebungen im Vorfeld, die darauf abzielen, die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern.40 Nicht unter den Begriff der äußeren Sicherheit fällt dagegen der Schutz der „auswärtigen Beziehungen“ der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten i. S. v. Art. 32 GG.41 Die innere Sicherheit umschreibt demgegenüber einen Zustand relativer Ungefährdetheit 14 von Bestand und Verfassung eines Staates gegenüber gewaltsamen Aktionen innerstaatlicher Kräfte, wobei im Zentrum die Fähigkeit des Staates steht, sich nach innen gegen diese Störungen zur Wehr zu setzen.42 Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein.43 Eine Bestrebung richtet sich gegen die innere Sicherheit, wenn sie gegen das innere Gefüge des Staates gerichtet ist. Ausreichend, aber auch erforderlich ist hierfür, dass sie durch einen ihr innewohnenden Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze des GG einen besonderen Charakter aufweist.44 Dieser ist anzunehmen, wenn die Bestrebung das Vertrauen der Bevölkerung erschüttern will, vor gewaltsamen Einwirkungen in ihrem Staat geschützt zu sein,45 was insbesondere bei Gewaltanschlägen gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit der Fall ist.46 Eine möglicherweise stark durch die Medien stimulierte Beeinträchtigung eines allgemeinen Sicherheitsgefühls reicht jedoch nicht aus.47 Eine Beeinträchtigung der inneren Sicherheit kann jedoch in Betracht kommen, wenn die Bestrebungen des Täters der Feindschaft des Täters gegen das freiheitlich-demokratische Staats- und Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland entspringen und er seine potenziellen Opfer nur deshalb auswählt, weil sie dieses System als Amtsträger oder in sonstiger Weise repräsentieren, oder ohne jeden persönlichen Bezug lediglich deshalb angreift, weil sie Bürger oder Einwohner der Bundesrepublik Deutschland sind oder sich im Bundesgebiet aufhalten.48 Dies gilt insbesondere, wenn mit der Tat das friedliche Zusammenleben von Ausländern und Deutschen gestört werden soll.49 Eine Beeinträchtigung der inneren Sicherheit kann sich zudem aus der besonderen Abscheulichkeit der Tat, ihrer länderübergreifenden Begehungsweise oder ihres bundesweiten Aufsehens ergeben.50 Bestrebungen gegen die innere Sicherheit sind auch dann noch möglich, wenn der Staat bereits in Bürgerkrieg verfallen ist, da in diesem Fall entsprechende Tathandlungen, selbst wenn sie von einem Einzeltäter begangen werden, zu einer weiteren Destabilisierung der Lage beitragen können, die zu einem vollständigen Zusammenbruch staatlicher Strukturen führen kann.51

38 Steinmetz MK Rdn. 14. 39 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 89a Rdn. 5; Schnarr MDR 1993 589, 592; Steinmetz MK Rdn. 12; Zöller SK § 89a Rdn. 18. 40 BGH NStZ 1988 215; Steinmetz MK Rdn. 12; Zöller SK § 89a Rdn. 18. 41 Nestler ZStW 125 (2013) 259, 293 ff. Steinmetz MK Rdn. 12; zum Begriff vgl. auch Safferling NStZ 2009 604, 608. 42 BGHSt 28 312, 316; BGHSt 46 238, 250; BGH NStZ 1988 215; BVerwGE 62 36, 38; Schnarr MDR 1993 589, 592. 43 Vgl. BVerwGE 123 114, 120; BVerwG NVwZ 2017 1799; BVerwG DVBl. 2017 1435; im Detail Fahrner ZStW 132 (2020) 84, 94. 44 BGHSt 59 218, 234; BGHSt 61 36, 39; BGHSt 62 102, 109. 45 LG Frankfurt BeckRS 2014 18021; Schäfer MK § 89a Rdn. 22; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 89a Rdn. 5. 46 Vgl. BVerwG NVwZ 2017 1799; BVerwG DVBl. 2017 1435; BVerwG InfAuslR 2018 124, 125; BVerwG BeckRS 2018 23003 Rdn. 26. 47 Steinmetz MK Rdn. 12; allg. krit. Fahrner ZStW 132 (2020) 84, 97. 48 BGH NStZ 2010, 468. 49 Schnarr MDR 1993 589, 592; vgl. auch Schroeder S. 403, 408, 463. 50 BGHSt 46 238, 249; Mayk S. 101. 51 BGHSt 62 102, 110; Paul GSZ 2018 43, 44. 347

Engelstätter

§ 92 StGB

Begriffsbestimmungen

3. Beseitigen von Verfassungsgrundsätzen (Nummer 3) 15 Die in Nummer 3 geregelten Bestrebungen sind bedeutsam für die Auslegung der §§ 87 Abs. 1 (Agententätigkeit zu Sabotagezwecken), 88 Abs. 1 (Verfassungsfeindliche Sabotage), 89 Abs. 1 (Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und Sicherheitsorgane), 90 Abs. 3 (Verunglimpfung des Bundespräsidenten), 90a Abs. 3 (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole) sowie § 90b (verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen). § 89a Abs. 1 S. 2 ist hinsichtlich der Tathandlungen „Untergraben“, „Beseitigen“ und „Außer Geltung setzen“ betroffen (§ 89a Rdn. 92). Tatbestandlich erfasst ist das Hinarbeiten auf die Aushöhlung oder Überwindung der im Katalog des Absatzes 2 normierten Verfassungsgrundsätze. Hinarbeiten i. S. d. Vorschrift meint zielgerichtetes, aktives und aggressives Verhalten.52 Ein Verfassungsgrundsatz ist beseitigt, wenn er rechtlich nicht mehr besteht. Außer Geltung setzen liegt vor, wenn der Grundsatz zwar rechtlich noch existent ist, faktisch aber nicht mehr beachtet wird.53 Untergraben wird ein Verfassungsgrundsatz schließlich, wenn seine Wirksamkeit in erheblichem Maße herabgesetzt wird.54 Seine bloße Missbilligung reicht hierfür nicht aus.55 Dies gilt auch für Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, eine Verfassungsänderung in einer nach dem GG zulässigen Weise herbeizuführen.56 Auch der Vorschlag, im Rahmen des § 89a Abs. 1 S. 2 gezielte Tötungen von staatlichen Repräsentanten als Untergraben von Verfassungsgrundsätzen zu bewerten,57 entfernt sich vom bisherigen Begriffsverständnis der Tatmodalitäten (dazu § 89a Rdn. 91, 92).58

52 Steinmetz MK Rdn. 10. 53 Aliabasi S. 159; Hungerhoff S. 104; Schnarr MDR 1993 589, 592. 54 BGHSt 4 291; BGHSt 13 32, 37; OLG Düsseldorf NJW 1980 603, 604; Hellfeld S. 246; v. Weber JZ 1954 198; Schroeder S. 301 ff. 55 BVerfG AfP 2005 454, 458; Paeffgen NK Rdn. 12; Steinmetz MK Rdn. 15. 56 Steinmetz MK Rdn. 15; Zöller SK Rdn. 15. 57 Gazeas Anwk § 89a Rdn. 12, 16; Gazeas/Grosse-Wilde/Kiesling NStZ 2009 593, 595. 58 Ebenso Paeffgen NK Rdn. 13a; Steimetz MK Rdn. 15. Engelstätter

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§ 92a Nebenfolgen Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wegen einer Straftat nach diesem Abschnitt kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkennen (§ 45 Abs. 2 und 5).

Schrifttum Last Die Staatsverunglimpfungsdelikte: §§ 90-90b (2000); Oelbermann Wahlrecht und Strafe – Die Wahl aus dem Justizvollzug und die Aberkennung des Wahlrechts durch das Strafgericht (2011); Sobota Die Nebenfolge im System strafrechtlicher Sanktionen – Eine Untersuchung zur Dogmatik der Nebenfolge sowie zur Einordnung von Normen als Nebenfolge (2015); Stein „Wer die Wahl hat ---“ – Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und der Ausschluss vom Wahlrecht wegen strafgerichtlicher Verurteilung, GA 2004 22; Weinrich Statusmindernde Nebenfolgen als Ehrenstrafen im Sanktionensystem des StGB (2009).

Entstehungsgeschichte § 92a in der Fassung des 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) ersetzte die §§ 85 und 98 a. F., in denen getrennt für die Abschnitte Hochverrat und Staatsgefährdung Regelungen über Geldstrafen und Nebenfolgen enthalten waren. Die jetzige Fassung ist auf Nebenfolgen beschränkt. Sie beruht auf Art. 19 Nr. 13 EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I 469; 1975 I 1916; 1976 I 507).

Übersicht I.

Bedeutung der Vorschrift

II.

Einzelheiten

III.

Rechtsfolge

1

IV.

Schutz der nichtdeutschen NATO-Trup4 pen

2 3

I. Bedeutung der Vorschrift Die Vorschrift ist eine besondere gesetzliche Regelung im Sinne des § 45 Abs. 2 und Abs. 5. Die 1 dort genannten Statusfolgen können alternativ oder kumulativ bereits verhängt werden, wenn der Täter wegen eines Verbrechens oder Vergehens nach diesem Abschnitt zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten – auch wenn die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde1 – verurteilt wird. Dabei findet die Vorschrift auch dann Anwendung, wenn nur wegen Versuchs, Teilnahme oder versuchter Beteiligung verurteilt wird. § 92a lässt die ergänzend zu beachtenden §§ 45 bis 45b unberührt.

II. Einzelheiten Dass eine Verurteilung wegen eines Delikts des Ersten Abschnitts in Tateinheit mit dem Delikt 2 eines anderen Abschnitts erfolgt ist, steht der Anwendung der Vorschrift nicht entgegen. Im Falle von Tatmehrheit kommt es in erster Linie darauf an, ob eine Einzelstrafe von mindestens sechs Monaten wegen eines Delikts aus dem Ersten Abschnitt ausgesprochen worden ist.2 Doch kann nach der ratio der Norm der Ausspruch auch an eine Gesamtstrafe von nur sechs Monaten 1 Steinmetz MK Rdn. 5. 2 Ellbogen BeckOK Rn. 2. 349 https://doi.org/10.1515/9783110490008-025

Steinsiek

§ 92a StGB

Nebenfolgen

anknüpfen, wenn die der Gesamtstrafe zugrundeliegenden Einzelstrafen sich sämtlich auf ein Delikt des Ersten Abschnitts beziehen.3 Wurde fälschlich Tateinheit statt Tatmehrheit angenommen, so kann der Angeklagte durch den Ausspruch der Nebenfolge beschwert sein, wenn ein Delikt aus dem Ersten Abschnitt mit einem Delikt aus einem anderen Abschnitt zusammentrifft. Denn es wird in diesem Fall regelmäßig nicht auszuschließen sein, dass eine zutreffend ausgesprochene Einzelstrafe geringer als sechs Monate gewesen wäre.

III. Rechtsfolge 3 Die Entscheidung, ob der Tatrichter auf § 92a zurückgreift und für welchen Zeitraum die Nebenfolge angeordnet wird, trifft er nach pflichtgemäßem Ermessen. Er kann die Nebenfolgen einzeln oder zusammen aussprechen, wobei die jeweils abzuerkennende Berechtigung sowie deren Dauer ausdrücklich auszusprechen ist. Da den Nebenfolgen Strafcharakter zukommt, sind die allgemeinen Strafzumessungsregeln des § 46 zu beachten und eine entsprechende Begründung zu geben.4 Maßgebend sind dabei allein Präventionsgesichtspunkte.

IV. Schutz der nichtdeutschen NATO-Truppen 4 Bei Vergehen nach den §§ 87, 89 und 90a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, die sich gegen die nichtdeutschen NATO-Truppen, die in der Bundesrepublik Deutschland stationiert sind, richten (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 – 3 NTSG), ist § 92a ebenso anwendbar.

3 BGH NJW 2008 929; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Zöller SK Rdn. 1; zweifelnd Paeffgen NK Rdn. 3. 4 Vgl. im übrigen die Erläuterungen zu §§ 45 ff. Steinsiek

350

§ 92b Einziehung Ist eine Straftat nach diesem Abschnitt begangen worden, so können 1. Gegenstände, die durch die Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, und 2. Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach den §§ 80a, 86, 86a, 89a bis 91 bezieht, eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden.

Schrifttum Beisel Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen (1997); Brauch Die außergerichtliche Einziehung von Vermögenswerten im Strafverfahren, NStZ 2013 503; Erhardt Kunstfreiheit und Strafrecht (1989); Eser Die strafrechtlichen Sanktionen gegen das Eigentum (1969); ders. Informationsfreiheit und Einziehung, NJW 1970 784; Faller Güterabwägung bei Einziehung von Schrifttum, MDR 1971 1; von Gerkan Die Einwirkung der Informationsfreiheit auf die Einziehung verfassungsfeindlicher Schriften, MDR 1967 91; Maurach Die Objekte der Einziehung nach § 86 StGB, JZ 1964 529; Müller-Römer Staatsschutz und Informationsfreiheit, ZRP 1968/69 6; Wagner Beschlagnahme und Einziehung staatsgefährdender Massenschriften, MDR 1961 93; ders. Zur Einziehung nach § 86 StGB, MDR 1964 797 und 885; Wenkebach Die vorbeugende Einziehung verfassungsfeindlicher Schriften, NJW 1962 2094; Willms Anmerkung zu BGHSt 23 208, JZ 1970 514; s. im übrigen auch bei § 74.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde vom 8. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 12 bis 17) als Nachfolgebestimmung der früheren §§ 86, 98 Abs. 2 geschaffen. Art. 19 Nr. 14 EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I 469; 1975 I 1916; 1976 I 507) strich mit Rücksicht auf die umfassende Regelung in §§ 73 ff. die in Absatz 2 enthaltene Vorschrift über den Verfall und korrigierte die Verweisung. Durch das GVVG (BGBl. 2009 I 2437) wurde in Nr. 2 der Katalog der Bezugstatbestände erweitert und die Angabe „90 bis 91“ durch „89a bis 91“ ersetzt. Durch das Gesetz zur Reform der stafrechtlichen Vermögensabschöpfung (BGBl. 2017 I 817) haben sich zum 1.7.2017 die in Bezug genommenen Vorschriften zur Einziehung geändert.

Übersicht I.

Allgemeines

1

II.

Einziehung von Gegenständen nach Satz 1 2 Nr. 1

III.

Einziehung von Beziehungsgegenständen nach 3 Satz 1 Nr. 2

4

IV.

Einziehung nach § 74d

V.

Rechtsfolge

VI. 1. 2.

Beschränkung durch Art. 5 GG 6 Informationsfreiheit 7 Kunstfreiheit

VII. Prozessuales

5 6

7

I. Allgemeines Während die Sondervorschrift für die Einziehung im 1. StrÄndG (Vor § 80 Rdn. 7) – § 86 a. F. – 1 im Verhältnis zu den allgemeinen Vorschriften über die Einziehung noch völlig selbständige Bedeutung besaß, weil sie im Unterschied zu diesen die Einziehung von Surrogaten und von in fremdem Eigentum stehenden Sachen gestattete1 und allgemein das Vorliegen des äußeren Tatbestandes der Straftat genügen ließ,2 hat § 92b im Zuge der Neuordnung des Einziehungsrechts durch das EGOWiG vom 24.5.1968 (BGBl. I 503) diese Besonderheiten eingebüßt. Die Vorschrift stellt sich mit seinem Satz 1 Nr. 1 nur noch als überflüssige Wiederholung des § 74 Abs. 1 1 BGHSt 19 158, 159 f. 2 BGHSt 15 399, 400; 19 63, 68. 351 https://doi.org/10.1515/9783110490008-026

Steinsiek

§ 92b StGB

Einziehung

dar. Da Satz 1 auch im Übrigen nicht als Ersetzung, sondern bloß als Ergänzung der §§ 74 ff. zu verstehen ist, bringt eine solche „Zweispurigkeit“ (Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 13; Vor § 80 Rdn. 11) auch im Übrigen mehr Verwirrung als zusätzliche Substanz.3

II. Einziehung von Gegenständen nach Satz 1 Nr. 1 2 Danach können alle Gegenstände, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, eingezogen werden. Die Vorschrift entspricht § 74 Abs. 1. Satz 1 Nr. 1 und enthält keine Erweiterung der Einziehungsmöglichkeiten. Die Anknüpfungstat muss grundsätzlich volldeliktisch verwirklicht worden sein. Unter den Voraussetzungen des § 74b Abs. 1 kann eine (nur) rechtswidrige Tat genügen.4 Als Gegenstände im Sinne dieser Vorschriften gelten auch nichtkörperliche Rechte.5 Zur Einziehung von Bargeld s. BGH NJW-Spezial 2018, 57.

III. Einziehung von Beziehungsgegenständen nach Satz 1 Nr. 2 3 Das sind Gegenstände, die in das Tatgeschehen verstrickt sind und dem Täter als Objekt seines Handelns gedient haben, ohne Tatprodukte oder Tatmittel zu sein.6 Ob diese vom Gesetzgeber gewollte Erweiterung der Einziehungsmöglichkeiten notwendig ist, ist bereits deshalb fraglich, weil es letztlich doch um Tatprodukte und Tatwerkzeuge geht.7 Erfasst sind die in den angeführten Tatbeständen der §§ 80a, 86, 86a und 89a bis 91 behandelten Schriften und sonstigen Propagandamittel, bei denen sich der Sonderausschuss des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform nicht sicher war, ob die Rechtsprechung sie als instrumenta oder producta sceleris über Nr. 1 oder § 40 Abs. 1 a. F. erfassen werde.8 Grundsätzlich bedarf es auch hier einer volldeliktischen Tat, es sei denn, es liegt ein Sicherungsgrund im Sinne von § 74b Abs. 1 vor.

IV. Einziehung nach § 74d 4 Mit der Einziehungsmöglichkeit nach Satz 1 Nr. 2 konkurriert die Sicherungseinziehung von Schriften (§ 11 Abs. 3) nach § 74d Abs. 1 S. 1. Danach können nicht nur Schriften, die bei der konkreten Tat Tatmittel, Taterzeugnis oder Beziehungsgegenstand waren, sondern auch „tatunbeteiligte“ Stücke im Umfang von § 74d Abs. 2 oder Abs. 3 eingezogen werden, wenn auch nur ein einziges Exemplar durch irgendeine mit Strafe bedrohte Handlung verbreitet, allgemein zugänglich gemacht oder zur Verbreitung bestimmt worden ist.9 § 74d Abs. 1 S. 2 berechtigt zudem, die zur Herstellung dienenden Vorrichtungen unbrauchbar zu machen. Im Verhältnis zu § 74d wurde § 92b S. 1 Nr. 2 deshalb für notwendig angesehen, weil sich die Einziehung nach § 74d nicht auf Stücke erstrecken könne, die sich im Besitz anderer als der in § 74d Abs. 2 bezeichneten Personen (Dritte) befänden (Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 13; Vor § 80 Rdn. 11). Die insoweit als Sonderregelung verstandene Norm geht indes ins Leere. Die Einbezie-

3 Nach Paeffgen NK Rdn. 2 handelt es sich um eine schlecht kaschierte, zudem kompetenzwidrig erlassene, weil präventiv polizeiliche Maßnahme-Ermächtigung. 4 Steinmetz MK Rdn. 2; kritisch Paeffgen NK Rdn. 5. 5 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4. 6 Ellbogen BeckOK Rdn. 5. 7 Ebenso Paeffgen NK Rdn. 6. 8 Vgl. Sonderausschussprotokoll V S. 1253; Vor § 80 Rdn. 11; offen gelassen in BGHSt 23 64, 69. 9 Steinmetz Rdn. 8; Fischer Rdn. 4. Steinsiek

352

VII. Prozessuales

StGB § 92b

hung des Dritten ist trotz § 74 Abs. 3 für alle Fälle des § 92b durch den Verweis auf § 74a – unter den dort genannten Voraussetzungen – geregelt, daneben ist auch § 74b Abs. 1 Nr. 2 anwendbar.

V. Rechtsfolge Nach § 92b steht die Einziehung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (BGH NStZ 2017 89), 5 ist also fakultativ,10 mit der Folge aus § 74 f. (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).11 Der Tatrichter hat sich dabei an den Grundsätzen der Tat- und Schuldangemessenheit, sowie dem Grad des Sicherungsbedürfnis zu orientieren. Dagegen schreibt § 74d die Einziehung (mit den sich aus Absatz 3 insoweit ergebenden Einschränkungen) zwingend vor.12 Beim Zusammentreffen mit § 92b geht § 74d vor (BGHSt 23 208, 209). Für die Entschädigung (§ 74b Abs. 2 und 3), Ersatzeinziehung (§ 74c), Wirkung der Einziehung (§ 75) und selbständige Einziehung (§ 76a) gelten die genannten allgemeinen Regeln.

VI. Beschränkung durch Art. 5 GG 1. Informationsfreiheit Kommt die Einziehung von Schriften in Betracht, so hat das Gericht die durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 6 GG gewährleistete Meinungs- und Informationsfreiheit zu beachten und eine Güterabwägung zwischen diesen grundrechtlich geschützten Interessen und den durch § 92b (mittelbar) geschützten Rechtsgütern vorzunehmen (vgl. zur Meinungsäußerungsfreiheit § 90a Rdn. 23 ff.).13 Diese Pflicht gilt im Übrigen auch im Anwendungsbereich des § 74d, obwohl die Einziehung dort grundsätzlich zwingend vorgeschrieben ist.14

2. Kunstfreiheit Vgl. zunächst § 86a Rdn. 27 bis 32 und § 90a Rdn. 28 ff. Durch die Einziehung oder die Zerstörung eines Unikats kann in den Werkbereich der Kunstfreiheit eingegriffen werden.15

VII. Prozessuales Die Anordnung der Einziehung muss grundsätzlich in den Tenor der Entscheidung als Vollstre- 7 ckungstitel aufgenommen werden. Dabei sind die einzelnen Gegenstände konkret zu bezeichnen. Bei besonderem Umfang kann die Angabe einer Sammelbezeichnung oder die Aufnahme einer Anlage genügen. In den Urteilsgründen sollte der Wert der eingezogenen Gegenstände festgestellt werden.

10 11 12 13 14

Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7. BGHSt 23 64, 69. BVerfG 27 71, 79 ff.; von Gerkan MDR 1967 91; Paeffgen NK Rdn. 3. BGHSt 23 208, 210; 23 267, 269; Faller MDR 1971 1, 3 f.; Eser NJW 1970 784, 768; aA Willms LK10 Rdn. 6 u. JZ 1970 514. 15 Beisel S. 375, 377 ff.; Steinmetz MK Rdn. 10. 353

Steinsiek

ZWEITER ABSCHNITT Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt Schrifttum Ahrens Der Begriff des Staatsgeheimnisses im deutschen und ausländischen Staatsschutzrecht, Diss. Hamburg 1966; Albrecht Verfolgungsverjährung und DDR-bezogene Straftaten – Keine Aussicht auf ein Ende der Auseinandersetzung? GA 2000 123; Albrecht/Kadelbach Zur strafrechtlichen Verfolgung von DDR-Außenspionage, NJ 1992 137; A. Arndt Das Geheimnis im Recht, NJW 1960 2040; ders. Demokratische Rechtsauslegung am Beispiel des Begriffes „Staatsgeheimnis“ NJW 1963 24; ders. Das Staatsgeheimnis als Rechtsbegriff und als Beweisfrage, NJW 1963 465; ders. Der BGH und das Selbstverständliche (§ 100 StGB [a. F.]) NJW 1966 25; ders. Landesverrat (1966); C. Arndt Das Grundgesetz und die Strafverfolgung von Angehörigen der Hauptverwaltung Aufklärung, NJW 1991 2466; ders. Bestrafung von Spionen der DDR, NJW 1995 1803; H. Arndt Die landesverräterische Geheimnisverletzung, ZStW 66 (1954) 41; Baumann Zur Reform des politischen Strafrechts, JZ 1966 329; Bellstedt Zur staatsrechtlichen Problematik von Geheimpatenten und -gebrauchsmustern, DÖV 1961 811; Böckenförde Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat (1967); Bottke in Lampe (Hrsg.) Die Verfolgung von Regierungskriminalität der DDR nach der Wiedervereinigung Bd. II (1993); Breithaupt Das illegale Staatsgeheimnis, NJW 1968 1712 und NJW 1969 266; Bull in Verfassungsschutz und Rechtsstaat (1981); Classen Zur strafrechtlichen Verfolgbarkeit früherer Geheimdienstangehöriger der Deutschen Demokratischen Republik in der Bundesrepublik Deutschland, JZ 1991 717; ders. Straffreiheit für DDR-Spione: Verschlungene Pfade zu einem vernünftigen Ergebnis, NStZ 1995 371; Dehn Liegt in der Rechtsprechung des BVerfG zum Verfolgungshindernis bzw. zur Strafmilderung in Fällen von geheimdienstlicher Agententätigkeit von Angehörigen des MfS der früheren DDR ein Wiederaufnahmegrund? NStZ 1997 143; Deiseroth Nachrichtendienstliche Überwachung durch US-Stellen in Deutschland – Rechtspolitischer Handlungsbedarf ZRP 2013 194; Demuth Datenfischer statt Schlapphut – Spionagestrafrecht veraltet? DRiZ 2015 14; Denninger Die Trennung von Verfassungsschutz und Polizei und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, ZRP 1981 231; Dietrich Rekonstruktion eines Staatsgeheimnisses, RW 4/2016 566; Doehring Zur Ratio der Spionenbestrafung – Völkerrecht und nationales Recht, ZRP 1995 293; Engberding Technologietransfer als geheimdienstliche Agententätigkeit, Kriminalistik 1986 352; ders. Spionageziel Wirtschaft, Kriminalistik 1993 409; Engländer/ Zimmermann Whistleblowing als strafbarer Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen? Zur Bedeutung des juristisch-ökonomischen Vermögensbegriffs für den Schutz illegaler Geheimnisse bei § 17 UWG, NZWiSt 2012 328; Eser Deutsche Einheit: Übergangsprobleme im Strafrecht, GA 1991 241; Evers Verfassungsschutz und Rechtsstaat (1981) 55; Ewer/ Thienel Völker-, unions- und verfassungsrechtliche Aspekte des NSA-Datenskandals, NJW 2014 30; Fischer-Lescano Internationalrechtliche Regulierung des Whistleblowing – Anpassungsbedarf im dt. Recht – Teil 1, AuR 2016 4; Franck/ Steigert Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von WikiLeaks, CR 2011 380; Fricke Vervollkommnung der sozialistischen Gesetzlichkeit, Deutschlandarchiv 1977 452; ders. Der Wahrheit verpflichtet (2000); Friehe/Lipp Freies Geleit für Edward Snowden? DÖV 2014 601; Fritsche Wirtschaftsspionage, Kriminalistik 2001 472; Fritsche/Eisvogel Freiheitlichkeit und Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland, ZFIS 1998 195; Frowein/Wolfram/Schuster Völkerrechtliche Fragen der Strafbarkeit von Spionen aus der ehemaligen DDR (1995); Fuss Pressefreiheit und Geheimnisschutz, NJW 1962 2225; Gärditz/Stuckenberg Vorratsdatenspeicherung à l’américaine – Zur Verfassungsmäßigkeit der Sammlung von Telefonverbindungsdaten durch die NSA, JZ 2014 209; Gallandi Staatsschutzdelikte und Pressefreiheit (1983); Gehrlein Die Strafbarkeit der Ost-Spione auf dem Prüfstand des Verfassungs- und Völkerrechts, Diss. Saarbrücken 1996; Geppert Probleme der Strafrechtsanwendung im Zeichen der deutschen Einheit, Jura 1991 610; Germann Rechtsstaatliche Schranken im internationalen Strafrecht, SchwZStR 1954 237; Gornig Die Verantwortlichkeit politischer Funktionsträger nach völkerrechtlichem Strafrecht, NJ 1992 4; Gribbohm Auf der Suche nach dem richtigen Recht – Gedanken zum Beschluß des Großen Senats für Strafsachen vom 3.5.1994 (BGHSt. 40, 138), Festschrift Odersky (1996) 387; Gröpl Die Nachrichtendienste im Regelwerk der deutschen Sicherheitsverwaltung, Diss. München 1993; Güde Die Geheimnissphäre des Staates und die Pressefreiheit (1959); Gusy Befugnisse des Verfassungsschutzes zur Informationserhebung, DVBl 1991 1288; ders. Der Schutz des Staates gegen seine Staatsform: Die Landesverratsrechtsprechung in der Weimarer Republik, GA 1992 195; Hannich Die Zuständigkeitsregelungen für die Strafverfolgung von Proliferation – Staatsschutz oder Wirtschaftsstraftat? Festschrift Nehm (2006) 139; Harnischmacher/Heumann Die Staatsschutzdelikte in der Bundesrepublik Deutschland (1984); Hausmann Der militärische Landesverrat und die Pressefreiheit, Diss. Freiburg 1967; Heinemann Der publizistische Landesverrat, NJW 1963 4; Heinemann/Posser Kritische Bemerkungen zum politischen Strafrecht in der Bundesrepublik, NJW 1959 121; Heselhaus Rechtsprechung Öffentliches Recht, JA 1996 9; Hesse Verfassungsrechtsprechung im geschichtlichen Wandel, JZ 1995 265; H. G. Hesse Der Schutz von Staatsgeheimnissen im neuen Patentrecht, BB 1968 1058; Hettel/Kirschhöfer Aus aktuellem Anlass: Die Strafbarkeit geheimdienstlicher Spionage in der Bundesrepublik Deutschland, HRRS 2014 341; Hillenkamp Offene oder verdeckte Amnestie – über Wege strafrechtlicher

Barthe/Schmidt https://doi.org/10.1515/9783110490008-027

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Schrifttum

StGB Vor § 93

Vergangenheitsbewältigung, JZ 1996 179; Hirsch Das sog. „illegale Staatsgeheimnis“, NJW 1968 2330; Holthausen Das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsrecht in der Rechtsprechung, NStZ-RR 1998 225; Huber Die aktuelle Entscheidung: Die Strafbarkeit von MfS-Spionen, Jura 1996 301; Huber/de With Der unverzichtbare Zeuge – Recht und Pflicht zur Vernehmung Edward Snowdens vor dem NSA-Untersuchungsausschuss, NJW 2014 2698; Ignor/Müller Spionage und Recht, StV 1991 573; Jähnke Grenzen des Fortsetzungszusammenhangs, GA 1989 376; Jagusch Pressefreiheit, Redaktionsgeheimnis, Bekanntmachen von Staatsgeheimnissen, NJW 1963 177; Jakobs Literaturbericht zu Paeffgen: Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses und die allgemeine Irrtumslehre, ZStW 93 (1981) 901; ders. in Isensee (Hrsg.) Vergangenheitsbewältigung durch Recht (1992) 37, 61 ff. Jerouschek/Kölbel Souveräne Strafverfolgung, NJW 2001 1601, Jescheck Pressefreiheit und militärisches Geheimnis (1964); ders. Zur Reform des politischen Strafrechts, JZ 1967 6; ders. Die Behandlung des sog. illegalen Staatsgeheimnisses im neueren politischen Strafrecht, Festschrift Engisch (1969) 584; Kaiser Strafrechtliche Aufgabenzuweisungen an die Bundesregierung, JR 2016 679; Kasper Staatsschutz und Völkerrecht, NJ 1992 432; ders. Die Strafbarkeit von DDR-Geheimdienstmitarbeitern, MDR 1994 545; Kern Der Strafschutz des Staates und seine Problematik (1963); Kersten Die Entwicklung der allgemeinen Strafbestimmungen gegen den Landesverrat in Deutschland vom Preußischen Strafgesetzbuch von 1851 bis zur Gegenwart, Diss. Köln 1975; Kinkel Wiedervereinigung und Strafrecht, JZ 1992 485; Klug Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale beim Staatsgeheimnisbegriff, Festschrift Engisch (1969) 570; Kniesel „Neues“ Polizeirecht und Kriminalitätskontrolle, Kriminalistik 1996 229; Koch Korruptionsbekämpfung durch Geheimnisverrat? Strafrechtliche Aspekte des Whistleblowing, ZIS 2008 500; Kölbel Zur wirtschaftsstrafrechtlichen Institutionalisierung des Whistleblowing, JZ 2008 1134; Kohlmann Der Begriff des Staatsgeheimnisses und das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit von Strafvorschriften (1969); Krauth/Kurfess/Wulf Zur Reform des Staatsschutz-Strafrechts durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1968 577, 609, 731; Kreicker Konsularische Immunität und Spionage – Anmerkungen zu BGH, Beschluss vom 27. Juni 2013 – StB 7/13, ZIS 2014 129; Krey Zum Begriff des „Wohls der Bundesrepublik Deutschland“ in § 99 Abs. 1 und 2 (a. F.) ZStW 79 (1967) 103; ders. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe – ein Gericht läuft aus dem Ruder – Kritische Anmerkungen anläßlich des Sitzblockaden-Beschlusses des Ersten Senats vom 10. Januar 1995, JR 1995 221 und 265; Küchenhoff Landesverrat, Oppositionsfreiheit und Verfassungsverrat, Die neue Gesellschaft 1963 124; Küpper Zum Verhältnis von dolus eventualis, Gefährdungsvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit, ZStW 100 (1988) 758; ders. Strafrechtsprobleme im vereinten Deutschland, JuS 1992 723; Kumm Probleme der Geheimhaltung von technischen Erfindungen im Interesse der Staatssicherheit, GRUR 1979 672; Kutscha Der Lauschangriff im Polizeirecht der Länder, NJW 1994 85; Lackner Das Vierte Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1957 401; ders. Landesverräterische Agententätigkeit, ZStW 78 (1966) 695; Lampe Politische und juristische Aspekte der Spionageprozesse in Weber/Piazolo (Hrsg.) Eine Diktatur vor Gericht (1994); ders. Die strafrechtliche Aufarbeitung der DDR-Spionage, Festschrift BGH 50 (2000) 449; Lampe/Schneider Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Beendigung der geheimdienstlichen Agententätigkeit im Sinne von § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB, GA 1999 105; Lange Zur Preisgabe von Staatsgeheimnissen, JZ 1965 297; Laufhütte Staatsgeheimnis und Regierungsgeheimnis, GA 1974 52; Leupolt Die rechtliche Aufarbeitung des DDR-Unrechts (2003); v. Lex Die Voraussetzungen eines wirksamen Staatsschutzes in der Bundesrepublik, DÖV 1960 281; Lippolt Die Strafbarkeit der DDRSpionage und ihre Verfassungsmäßigkeit, NJW 1992 18; Lisken Polizei und Verfassungsschutz, NJW 1982 1481; Löffler Der Verfassungsauftrag der Presse – Modellfall Spiegel (1963); Loos/Radtke MfS-Offiziere als (Mit-)Täter des Landesverrats (§ 94 StGB)? StV 1994 565; Lüddersen Kontinuität und Grenzen des Gesetzlichkeitsprinzips bei grundsätzlichem Wandel der politischen Verhältnisse, ZStW 104 (1992) 735; ders. Zu den Folgen des „Beitritts“ für die Strafjustiz der Bundesrepublik Deutschland, StV 1991 483; Lüttger Staatsschutzverfahren – statistisch gesehen, MDR 1967 165, 257, 349; ders. Das Staatsschutzstrafrecht gestern und heute, JR 1969 121; ders. Geheimschutz und Geheimnisschutz, GA 1970 129; Luther Zur Anwendung des Strafrechts nach dem Einigungsvertrag, NJ 1991 395; ders. Der Einigungsvertrag über die strafrechtliche Behandlung von DDR-Alttaten nach der Einigung Deutschlands, DtZ 1991 433; Maihofer Pressefreiheit und Landesverrat, Blätter für deutsche und internationale Politik 1963 26 und 107; ders. Staatsschutz im Rechtsstaat, Blätter für deutsche und internationale Politik 1964 32, 123; ders. Der Landesverrat, in Reinisch (Hrsg.) Die deutsche Strafrechtsreform (1967) 151; ders. Der vorverlegte Staatsschutz, in Baumann (Hrsg.) Mißlingt die Strafrechtsreform? (1969) 186; Martin Wie steht es um unseren Staatsschutz? JZ 1975 312; Marxen/Werle Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht (1999); Mittelbach Das Staatsgeheimnis und sein Verrat, JR 1953 288; Möhrenschlager Das Siebzehnte Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1980 161; Müller-Emmert Die Reform des politischen Strafrechts, NJW 1968 2134; MüllerJacobsen § 99 StGB – Straftatbestand unter Anpassungsdruck? Festschrift Widmaier (2008) 693; Müller/Wache Opportunitätserwägungen bei der Verfolgung von Straftaten gegen die äußere Sicherheit, Festschrift Rebmann (1989) 321; Nathusius Wirtschaftsspionage, Kriminalistik 2001 242; Naucke Die strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität (1996); Nehm Das nachrichtendienstliche Trennungsgebot und die neue Sicherheitsarchitektur, NJW 2004 3289; Odersky Die Rolle des Strafrechts bei der Bewältigung politischen Unrechts (1992); Pabsch Auswirkungen der europäischen Integrationsverträge auf das deutsche Strafrecht, NJW 1959 2002; Pabst Einschränkung des Legalitätsprinzips bei Verfolgung von Staatsschutzdelikten, NJW 1965 1564; ders. Zum Begriff der geheimdienstlichen Tätigkeit in § 99 Abs. 1

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Barthe/Schmidt

Vor § 93 StGB

Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

StGB, JZ 1977 427; Paeffgen Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses (§ 97b StGB) und die allgemeine Irrtumslehre (1979); ders. Unterbrechung der geheimdienstlichen Tätigkeit (§ 99 StGB) und konkurrenzrechtlicher Handlungsbegriff, JR 1999 89; ders. Das externe Weisungsrecht des Justizministers – ein obsoletes Institut? Gedächtnisschrift Schlüchter (2002) 563; Pitzer Zur Verfassungsmäßigkeit von Regierungsgutachten im Landesverratsverfahren, NJW 1962 2235; Popp Konkurrenzen und Verjährung bei jahrelanger geheimdienstlicher Agententätigkeit, Jura 1999 577; Reitstötter Geheime Erfindungen, GRUR 1959 557; Renzikowski Vergangenheitsbewältigung durch Vergeltung? JR 1992 270; Ridder/Heinitz Staatsgeheimnis und Pressefreiheit (1963); Ridder/Stein Die Freiheit der Wissenschaft und der Schutz von Staatsgeheimnissen, DÖV 1962 361; Riegel Die Tätigkeit der Nachrichtendienste und ihre Zusammenarbeit mit der Polizei, NJW 1979 952; Rieß Verfahrenshindernisse von Verfassungs wegen, JR 1985 45; Rissing-van Saan Die Behandlung rechtlicher Handlungseinheiten in der Rechtsprechung nach Aufgabe der fortgesetzten Handlung (unter besonderer Berücksichtigung des Staatsschutz-Strafrechts), Festschrift BGH 50 (2000) 475; Rittstieg Zur Strafbarkeit der Spionage für die ehemalige DDR, NJW 1994 912; Roeder Der Landesverrat nach dem deutschen und österreichischen Strafgesetzentwurf, ZStW 76 (1964) 359; Ruge (Hrsg.) Landesverrat und Pressefreiheit (1963); Ruhrmann Verfassungsfeindliche und landesverräterische Beziehungen, NJW 1959 1201; Rutkowski Landesverrat, Kriminalistik 1980 491, 544; Samson Geteiltes Strafrecht im vereinten Deutschland, NJ 1991 143; Schätzler Die versäumte Amnestie, NJ 1995 57; Schafheutle Das Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1951 609; Schlichter Der Strafantrag, die Strafverfolgungsermächtigung und die Anordnung der Strafverfolgung unter besonderer Berücksichtigung der Staatsschutzdelikte, GA 1966 353; Schlüchter/Duttge Spionage zugunsten des Rechtsvorgängerstaats als Herausforderung für die Strafrechtsdogmatik – Zugleich Besprechung von BGH, Urteil vom 18. Oktober 1995 – 3 StR 324/94 – NStZ 1996 457; dies. Beteiligung an DDR-Spionage – Fall Wienand, NStZ 1998 618; Schlüchter/Duttge/Klumpe Verjährung eines tatbestandlichen Handlungskomplexes am Beispiel geheimdienstlicher Agententätigkeit, JZ 1997 995; Schmahl Effektiver Rechtsschutz gegen Überwachungsmaßnahmen ausländischer Geheimdienste? JZ 2014 220; Schmidt Verjährungsprobleme bei Straftaten der Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR, NStZ 1995 262; ders. Anmerkung zu BayObLG vom 24. August 1995, JR 1996 430; Schmidt/Wolff Geheimdienstliche Agententätigkeit bei illegalem Technologietransfer – Anmerkung zu BGH (ER) vom 22. Dezember 2004 und BGH vom 14. Juli 2005, NStZ 2006 161; Schmidt-Hieber/Kiesewetter Parteigeist und politischer Geist in der Justiz, NJW 1992 1790; Schmidt-Leichner Das Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951, NJW 1951, 857; Schnarr Irritationen um § 120 II S. 1 Nr. 2 GVG, MDR 1988 89; ders. Innere Sicherheit – die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts nach § 120 II 1 Nr. 3 GVG, MDR 1993 589; Schneidewin Zur Auslegung der Begriffe Verfassungsverrat und Landesverrat, JR 1954 241; Scholz Der Begriff des Staatsgeheimnisses im freiheitlichen Rechtsstaat, Diss. Saarbrücken 1970; Scholz/Pitschas Informationelle Selbstbestimmung; Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970); ders. Der Schutz des äußeren Friedens im Strafrecht, JZ 1969 41; ders. Der Schutz staatsbezogener Daten im Strafrecht, NJW 1981 2278; ders. Die Strafbarkeit der Ausforschung der Bundesrepublik durch die DDR, JR 1995 441; Schünemann in Lampe (Hrsg.) Die Verfolgung von Regierungskriminalität der DDR nach der Wiedervereinigung (1993) 173; Schüssler Pressefreiheit und „journalistischer“ Landesverrat, NJW 1965 282; Schulze Cyber-„War“ – Testfall der Staatenverantwortlichkeit (2015); Simma/Volk Der Spion, der in die Kälte kam. Zur BGH-Entscheidung über die Strafbarkeit der DDR-Spionage, NJW 1991 871; Simonet Notwendigkeit eines Gesetzes zum Schutz von Whistleblowern? RdA 2013 236; Sowada Die „notwendige Teilnahme“ als funktionales Privilegierungsmodell im Strafrecht (1992); Stratenwerth Publizistischer Landesverrat 1965; Stree Publizistischer Geheimnisverrat im Bereich des Staatsschutzes, ZStW 78 (1966) 663; ders. Die neuen Vorschriften über Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit – eine halbherzige Reform, in Baumann (Hrsg.) Mißlingt die Strafrechtsreform? (1969) 171; Többens Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung in Deutschland, NStZ 2000 505; Träger Anmerkung zu BGHSt 39 260 = NStZ 1993 587, NStZ 1994 282; ders. Zur Strafbarkeit früherer Mitarbeiter der Geheimdienste der DDR wegen Landesverrats, Anmerkung zu BGH vom 30. Juli 1993, NStZ 1994 282; Träger/Mayer/Krauth Das neue Staatsschutzstrafrecht in der Praxis, Festschrift BGH 25 (1975) 227; Treiber Asyl für Snowden – Zum Schutz eines Grenzen Überschreitenden gegenüber entgrenzter Verfolgung, DÖV 2015 90; Trentmann Die Weisungsfeindlichkeit des strafprozessualen Anfangsverdachts – Gedanken zu §§ 146, 147 GVG und § 152 Abs. 2 StPO anlässlich des Falls netzpolitik.org, JR 2015 571; Tröndle Das Bundesverfassungsgericht und sein Umgang mit dem „einfachen Recht“, Festschrift Odersky (1996) 259; Trüstedt Der Schutz von Staatsgeheimnissen im Patent- und Gebrauchsmusterrecht, BB 1960 1141; Tuffner Der strafrechtliche Schutz von Wirtschaftsgeheimnissen im Staatsschutzrecht und Wettbewerbsrecht, Diss. Erlangen 1978; Vogel Der Straftatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit – kein Experimentierfeld für den Gesetzgeber, ZRP 1982 38; Voigt Weltweiter Datenzugriff durch US-Behörden – Auswirkungen für deutsche Unternehmen bei der Nutzung von Cloud-Diensten, MMR 2014 158; Volk Anmerkung zum Beschluss des 1. Strafsenats des Kammergerichts vom 22. Juli 1991 – (1) 3 StE 9/91 – 4 – (13/91), JR 1991 431; ders. Übermaß und Verfahrensrecht – Zur Spionage-Entscheidung des BVerfG, NStZ 1995 367; Wagner Staatsschutz und Funktion der Presse, DRiZ 1966 251; ders. Der Beitrag der Rechtsprechung in Staatsschutzverfahren zu den Problemen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches, ZStW 80 (1968) 283; Wassermann Regierungskriminalität und justitielle Aufarbeitung – Möglichkeit und Grenzen, DRiZ 1993 137; ders. Schlußstrich unter die SED-Verbrechen?

Barthe/Schmidt

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Übersicht

StGB Vor § 93

Zur Debatte um eine Amnestie für SED-Funktionärs- und DDR-Regierungskriminalität, NJW 1994 2666; v. Weber Zum Begriff des Staatsgeheimnisses, JZ 1964 127; Weitemeier Organisierte Kriminalität in Russland, Kriminalistik 1999 651; Welp Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes, NJW 2002 1; Werkmeister/Steinbeck Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts bei grenzüberschreitender Cyberkriminalität, wistra 2015 209; Werthebach/Droste-Lehnen Organisierte Kriminalität, ZRP 1994 57; Weßlau Vorfeldermittlungen (1989); Widmaier Strafbarkeit der DDR-Spionage gegen die Bundesrepublik auch noch nach der Wiedervereinigung? NJW 1990 3169; ders. Verfassungswidrige Strafverfolgung der DDR-Spionage – Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 II GG, NJW 1991 2460; ders. DDR-Spionage und Rechtsstaat, NJ 1995 345; Wiedmann Inwieweit widerspricht § 97b StGB allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen? Diss. Tübingen 1971; Wilke Das Kammergericht im Irrgarten des Ostwestrechts, NJW 1991 2465; Willms Staatsgeheimnis und politische Parteien, JZ 1960 159; ders. Der Sachverständige im Landesverratsprozeß, NJW 1963 190; ders. Zur Reform der Strafvorschriften über den Landesverrat, Der Staat 1963 213; ders. Landesverrat durch die Presse, DRiZ 1963 14; ders. Mehr oder weniger Strafrecht beim Landesverrat? DRiZ 1965 389; Woesner Das Mosaikgeheimnis im strafrechtlichen Staatsschutz, NJW 1964 1877; ders. Grundgesetz und Strafrechtsreform, NJW 1966 1729; ders. Reform des Staatsschutzstrafrechts, NJW 1967 753; ders. Das neue Staatsschutzstrafrecht, NJW 1968 2129; Wolf Der rechtliche Nebel der deutsch-amerikanischen „NSAAbhöraffäre“, JZ 2013 1039; Wolter Proliferation, Whistleblowing und Wahlfeststellung im Rahmen des Landesverrats, Festschrift Paeffgen (2015) 287; Zabeck Das Tatbestandsmerkmal „Lieferung von Gegenständen“ i. S. d. § 99 StGB, NStZ 2008 668; Zillmer Ist die Preisgabe illegaler Staatsgeheimnisse strafbar? NJW 1966 910; Zuck Blick in die Zeit: Spione in Ost und West, MDR 1991 1009. Siehe auch Laufhütte/Kuschel LK12 Vor § 80 Rdn. 37.

Speziell zu BVerfGE 92, 277: Albrecht Das Rechtsstaatsprinzip des Gesamtstaates, NJ 1995 337; C. Arndt Bestrafung von Spionen der DDR, NJW 1995 1803; Classen Straffreiheit für DDR-Spione: Verschlungene Pfade zu einem vernünftigen Ergebnis, NStZ 1995 371; Doehring Zur Ratio der Spionenbestrafung – Völkerrecht und nationales Recht, ZRP 1995 293; Gehrlein Die Strafbarkeit der Ost-Spione auf dem Prüfstand des Verfassungs- und Völkerrechts, Diss. Saarbrücken 1996; Hillenkamp Offene oder verdeckte Amnestie – über Wege strafrechtlicher Vergangenheitsbewältigung, JZ 1996 179; Huber Die aktuelle Entscheidung: Die Strafbarkeit von MfS-Spionen, Jura 1996 301; Müller „Verliererjustiz“ für DDR-Spionage, Die politische Meinung 1995 45; Schlüchter/Duttge Spionage zugunsten des Rechtsvorgängerstaats als Herausforderung für die Strafrechtsdogmatik – Zugleich Besprechung von BGH, Urteil vom 18. Oktober 1995 – 3 StR 324/ 94 – NStZ 1996 457; Schmidt Anmerkung zu BayObLG vom 24. August 1995, JR 1996 430; Schroeder Die Strafbarkeit der Ausforschung der Bundesrepublik durch die DDR, JR 1995 441; Volk Übermaß und Verfahrensrecht – Zur Spionage-Entscheidung des BVerfG, NStZ 1995 367; Wassermann Ein schwerer Schlag für die strafrechtliche Aufarbeitung des DDR-Regimes, Welt am Sonntag vom 28. Mai 1995; ebenda Rupert Scholz Die Grenzen der Zuständigkeit überschritten; Widmaier DDR-Spionage und Rechtsstaat, NJ 1995 345; Zuck Amnesty national, NJW 1995 1801.

Zur staats- und völkerrechtlichen Problematik insgesamt: Dahm/Delbrück/Wolfrum Völkerrecht Bd. I/1 (1989) 67 ff., 183 f., 254 f., 320 f.; Doehring Spionage im Friedensvölkerrecht in Verfassungsschutz in der Demokratie 1990 307; Frowein Deutschlands aktuelle Verfassungslage, VVDStRL Bd. 49 (1990) 7 sowie DÖV 1990 607 ff.; Frowein/Wolfram/Schuster Völkerrechtliche Fragen der Strafbarkeit von Spionen aus der ehemaligen DDR (1995); Gusy Spionage im Völkerrecht, NZWehrR 1984 187; Huber Die Staatensukzession (1898) 123 ff.; Ipsen Völkerrecht 5. Aufl. (2004) 248 ff., 344 f., 525 ff., 1030 ff.; Jescheck in Bernhardt, Encyclopedia of Public International Law, Instalment 4 (1982) „War Crimes“ 294 ff.; Oehler Internationales Strafrecht 2. Aufl. (1983) 122 ff., 577 ff.; Verdross/Simma Universelles Völkerrecht 3. Aufl. (1984) 276 ff., 285 ff., 762 ff., 779 ff., 869 ff., 901 ff.; Wengler Völkerrecht Bd. II (1964) 933 ff.

Übersicht I.

Zur geschichtlichen Entwicklung des strafrechtli1 chen Schutzes der äußeren Sicherheit

II.

Der strafrechtliche Schutz der äußeren Sicher2 heit in heutiger Sicht 2 Das Achte Strafrechtsänderungsgesetz 3a Positive Bewertung

1. 2.

357

3.

Entkräftung früherer Bedenken

III.

Weitere Strafvorschriften zum Geheimnis4 schutz 4 Dienst- und Geschäftsgeheimnisse Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollge4a setz

1. 2.

3b

Barthe/Schmidt

Vor § 93 StGB

3.

4.

Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

Patent-, Gebrauchsmuster- und Topographiean4b meldungen 5a a) Patentgesetz 5b b) Gebrauchsmustergesetz c) Gesetz über internationale Patentüberein5c kommen 5d d) Halbleiterschutzgesetz 5e Nichtanzeige von Straftaten

VI.

Ausdehnung des strafrechtlichen Schutzes auf 9 sogenannte Euratom-Geheimnisse

VII. 1. 2. 3.

Verfahrensrechtliche Besonderheiten Lockerung des Verfolgungszwanges 11 Vermögensbeschlagnahme Strafprozessuale und andere Maßnah12 men Hauptverhandlung und Urteil 13

4. IV.

V. 1. 2. 3. 4. 5.

Der Geltungsbereich der Vorschriften des Zwei6 ten Abschnitts Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes zu7 gunsten der NATO-Vertragsstaaten 7 Ergänzung der Tatbestände des StGB Nichtanwendbarkeit der Erweiterungsvorschrif8 ten im früheren Land Berlin Ersetzung des Art. 7 des 4. StRÄndG durch § 1 8a NATO-Truppenschutzgesetz NATO-Geheimnisse als Staatsgeheimnisse der 8b Bundesrepublik Verfolgbarkeit von Angehörigen der Stationie8c rungsstreitkräfte

VIII. Zuständigkeiten IX. 1. 2.

3. 4. 5.

10 10

14

Recht des Einigungsvertrags 15 Rechtsprechung und Literatur bis zur Entschei15 dung des BVerfG Die Entscheidung des Bundesverfassungsge16 richts vom 15. Mai 1995 a) Pflicht zur Durchsetzung des staatlichen 19 Strafanspruchs b) Überschreitung der verfassungsgerichtli20 chen Grenzen c) Kritik an der Entscheidung im Schrift21 tum 22 Folgewirkungen der Entscheidung Verjährung 23 Sonstige Auswirkungen des Einigungsvertra24 ges

I. Zur geschichtlichen Entwicklung des strafrechtlichen Schutzes der äußeren Sicherheit 1 Tatbestände über den Verrat haben in der deutschen Rechtsgeschichte eine alte Tradition. Als frühes Beispiel mag Art. 124 der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. gelten. Nähere Umschreibungen und Eingrenzungen im Sinne einer auch nur groben Skizzierung von bestimmten, grundlegenden Unrechtsmerkmalen ließen jedoch noch lange auf sich warten.1 Die Entwicklung eines strafrechtlichen Staatsschutzes im heutigen Sinne setzte in Deutschland etwa ab Mitte des 18. Jahrhunderts ein. Wegbereiter war vor allem das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794, welches das vage umrissene weite Feld der Staatsverbrechen einschränkte und bereits die klassische, bis ins heutige Recht nachwirkende Unterscheidung zwischen Hochverrat und Landesverräterei einführte. Landesverräterei waren danach Unternehmen, durch die der Staat gegen fremde Mächte in äußere Gefahr und Unsicherheit gesetzt wurde (Zweiter Teil, 20. Titel § 100 ALR). Die in der Folge ergangenen Strafgesetze entwickelten den Schutz der äußeren Sicherheit des Staates nicht wesentlich weiter. Erwähnenswert sind insoweit das württembergische StGB von 1839 (RegBl. Württ. 101), das auch diplomatische Geheimnisse in seinen Schutz einbezog (Art. 146 Nrn. 1 und 2), und das preußische StGB von 1851 (GS Preuß. 1806 bis 1870 4. Aufl. 1897 1. Abt. S. 224), das – wohl erstmals – das öffentliche Bekanntmachen von Staatsgeheimnissen oder zum Staatswohl geheimhaltungsbedürftiger Urkunden und Nachrichten ausdrücklich unter Strafe stellte (§ 71 Nr. 1).

1 Vgl. die Darstellung bei J. M. Ritter Verrat und Untreue an Volk, Reich und Staat (1942) S. 162 ff. Barthe/Schmidt

358

I. Zur geschichtlichen Entwicklung des strafrechtlichen Schutzes

StGB Vor § 93

Auch das RStGB von 18712 brachte hierzu keine besonderen Neuerungen. Wichtige Ergänzungen enthielten hingegen die sogenannten Spionagegesetze von 1893 (RGBl. I 205) und 1914 (RGBl. I 195), die einen umfassenden Schutz gegen die Ausspähung militärischer Geheimnisse sicherstellen sollten (vgl. im Einzelnen Steinsiek LK Vor § 80 Rdn. 3). Der Nationalsozialismus nahm sich des Staatsschutzstrafrechts naturgemäß in besonderer Weise an. So brachte bereits die „Verordnung des Reichspräsidenten gegen den Verrat am deutschen Volk und hochverräterische Umtriebe“ vom 28. Februar 1933 (RGBl. I 85) zusätzliche Straftatbestände und vor allem eine drastische Verschärfung der Strafdrohungen. Pönalisiert war nun auch schon die öffentliche Mitteilung oder Erörterung von unechten oder unwahren Nachrichten, wenn dadurch das Reichswohl gefährdet wurde (§ 3). Ihren Höhepunkt erreichte diese für totalitäre Staaten typische Entwicklung schließlich mit der sogenannten Verratsnovelle vom 24. April 1934 (RGBl. I 341; näher hierzu bei Steinsiek LK Vor § 80 Rdn. 4 f.). Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Vorstellungen über ein Neues Staatsschutzstrafrecht einerseits geprägt von den schlimmen Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit, die es zu verarbeiten galt, andererseits von der damaligen politischen Entwicklung, die im Zeichen wachsender Spannungen zwischen Ost und West stand und zur Teilung Deutschlands führte. Für die Bundesrepublik sollte dem das 1. StRÄndG vom 30. August 1951 (BGBl. I 739) Rech- 1a nung tragen, das eine umfassende Neuregelung brachte. Die von ihm für den Bereich des Landesverrats gezeichneten Strukturen, die teilweise dem alten Spionagegesetz von 1914 entsprachen, wurden trotz vielseitiger Kritik erst durch das 8. StRÄndG vom 25. Juni 1968 (BGBl. I 741) substantiellen Änderungen unterzogen, deren Grundkonzeption auch auf das Verfahrensrecht nicht ohne Einfluss blieb (vgl. zu allem Steinsiek LK Vor § 80 Rdn. 7 bis 18).3 Die Entwicklung des Staatsschutzstrafrechts in der früheren DDR war von Anfang an von der 1b Zielsetzung geprägt, mithilfe der Strafbestimmungen die SED-Herrschaft zu festigen, freiheitliche Bestrebungen zu unterdrücken und das entsprechend zu gestaltende „Recht“ als Instrument der machtpolitischen Vorstellungen des in den damaligen Ostblock eingebundenen totalitären Regimes einzusetzen. Die Fassung der Tatbestände, die in ihrer Häufung und Weite mehr und mehr perfektioniert wurden, sollte zwar den Anschein gewisser Rechtsstaatlichkeit vermitteln; ihr wahrer Charakter offenbarte sich jedoch in einer von drakonischen Strafen gekennzeichneten „Rechtsprechung“, die ganz im Dienste des Staates stand und im Grunde jede von der Staatsdoktrin abweichende politische Ansicht bekämpfte.4 Eine grundlegende Wandlung bahnte sich erst mit den politischen Ereignissen im Herbst 1989 an, die eine friedliche, demokratische Umwälzung des Staatswesens hin zum Rechtsstaat auslösten und mit dem Verfassungsgrundsätzegesetz vom 17. Juni 1990 (GBl. I 299) ihre Bestätigung als revolutionärer Neubeginn fanden.5 Eine der notwendigen Folgen dieser Entwicklung war die alsbaldige Neuregelung des Staatsschutzstrafrechts durch das 6. StRÄndG-DDR vom 29. Juni 1990 (GBl. I 526), das jedoch schon am 3. Oktober 1990 mit dem Einigungsvertrag (Art. 8) vom bundesdeutschen Strafrecht abgelöst und ersetzt wurde (Näheres dazu bei Steinsiek LK Vor § 80 Rdn. 19 und hier Rdn. 15).

2 S. die §§ 87 ff. StGB für den Norddeutschen Bund, das ab 1. Januar 1872 für das Deutsche Reich galt, Gesetz vom 15.5.1871 (RGBl. I 127). 3 Zur geschichtlichen Entwicklung weiter die rechtshistorische Abhandlung bei Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970) S. 7 ff. und die Übersicht bei Harnischmacher/Heumann Die Staatsschutzdelikte in der Bundesrepublik Deutschland (1984) S. 18 bis 24; ferner Kersten Die Entwicklung der allgemeinen Strafbestimmungen gegen den Landesverrat in Deutschland vom Preuß. StGB von 1851 bis zur Gegenwart, Diss. Köln 1975. 4 Eingehend Schroeder a. a. O. (Fn. 3) S. 272 f.; Schroeder Die neue Entwicklung des Strafrechts in beiden deutschen Staaten, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament vom 22.1.1988, S. 18 f.; Fricke Deutschlandarchiv 1977, S. 452 und 1979, S. 787; hierzu auch E.-W. Böckenförde Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, 1967, S. 36 f. und 68 f.; vgl. ferner die Abweichende Meinung der Richter Klein, Kirchhof und Winter zu BVerfGE 92 277, 341, 354 f. und dazu Schroeder JR 1995, 441 f.; Doehring ZRP 1995 293. 5 S. Hans H. Klein Verfassungskontinuität im revolutionären Umbruch, FS Peter Lerche 1993 463. 359

Barthe/Schmidt

Vor § 93 StGB

Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

II. Der strafrechtliche Schutz der äußeren Sicherheit in heutiger Sicht 1. Das Achte Strafrechtsänderungsgesetz 2 Grundlage des heutigen Rechtszustandes in der Bundesrepublik Deutschland ist die Neuordnung des Staatsschutzstrafrechts durch das 8. StRÄndG. Das Hauptanliegen des Reformwerks von 1968 war, Straftatbestände, die rechtspolitisch nicht mehr erforderlich schienen, abzubauen und die verbleibenden Tatbestände präziser zu umschreiben (Art. 103 Abs. 2 GG). Es sollte, wie damals im Bundestag zum Ausdruck kam, ein „Stück normales Friedensrecht“ geschaffen werden mit dem Ziel einer Einschränkung, wie sie sich bereits in der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHSt 6 318, 346; 7 11; 7 222; 18 151, 246, 336) und des BVerfG (BVerfGE 6 32, 38; 10 118; 12 296) als Tendenz abgezeichnet hatte.6 Hierzu gehörte auch das Bestreben, „das zukünftige Strafrecht von Bestimmungen zu entlasten, die begrüßenswerte Kontakte zwischen den Menschen beider Teile Deutschlands oder die geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus behindern würden“ (Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 1). Als Neuerungen sind besonders hervorzuheben: Die Einengung des Begriffs des Staatsgeheimnisses mit der Beschränkung des Geheimhaltungsbereichs auf Angelegenheiten der äußeren Sicherheit, die Regelung des illegalen Staatsgeheimnisses, die Lösung des Problems des sogenannten publizistischen Landesverrats, die Ersetzung des umstrittenen Beziehungstatbestands in § 100e a. F. durch Tätigkeitstatbestände und die Streichung der §§ 100b, 100d Abs. 2 und 3 sowie 100f (s. insoweit auch Steinsiek LK Vor § 80 Rdn. 14). Auch nach der Konzeption des 8. StRÄndG zielt der überwiegende Teil der Vorschriften des 2. Abschnitts auf die Abwehr von Gefahren für die äußere Sicherheit des Staates, wie sie durch Bekanntwerden von Staatsgeheimnissen ausgelöst werden können. Der Schutz des Staatsgeheimnisses (§ 93) steht deshalb nach wie vor im Mittelpunkt. Diesem Schutz sollen insbesondere die Strafvorschriften für den Landesverrat (§ 94), das Offenbaren von Staatsgeheimnissen (§ 95) und ihre Preisgabe (§ 97) dienen. Außerdem ist die landesverräterische Agententätigkeit, also das Tätigwerden zur Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen für eine fremde Macht (§ 98), unter Strafe gestellt. Für ein modernes Staatsschutzstrafrecht genügt das jedoch nicht. Das Tätigkeitsfeld der 3 Nachrichtendienste reicht seit langem über das Gebiet klassischer Spionage hinaus. Geheimdienstliche Konzepte und Planungen werden heute mehr denn je von den jeweils gegebenen politischen Interessen und Bestrebungen bestimmt, die differenzierte, weit gefächerte Einsatzmöglichkeiten fordern. Stehen – wie in der Zeit der Blockbildung und massiver Spannungen zwischen Ost und West – harte, machtpolitische, gar ideologisch untermauerte Gegensätze grundsätzlicher Art im Raum, so werden die nachrichtendienstlichen Aktivitäten auf eine entsprechend umfassende, systematische Erfassung des Gesamtpotentials des Ziellandes mit einer Vielfalt von Einzeloperationen ausgerichtet sein, deren Gefährlichkeit nicht zu unterschätzen ist. Die jetzt vorliegenden Erkenntnisse über Art, Umfang und Effizienz der Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), des zentralen Nachrichtendienstes der früheren DDR, belegen dies mehr als deutlich.7 Es geht solchen Spionageorganisationen – erst recht, wenn ihr Auftrag von totalitären Machtansprüchen bestimmt und keinen rechtsstaatlichen Kontrollen und Schranken unterworfen ist – nicht mehr nur darum, einzelne Staatsgeheimnisse auszuforschen; gewonnen werden soll ein Gesamtbild der politischen, militärischen, wirtschaftlichen, geistigen

6 Vgl. Träger/Mayer/Krauth FS BGH 1975 227, 231 f. 7 Hierzu OLG Stuttgart NJW 1993 1406 (m. Anm. Lampe), das eingehende Feststellungen über die Aufgaben des MfS im SED-Staat und über seine Arbeitsweisen enthält; desgleichen die Anmerkung von Schroeder zu BGHSt 38 75 (= JR 1992 205 f.). Dazu Gehrlein Die Strafbarkeit der Ost-Spione auf dem Prüfstand des Verfassungs- und Völkerrechts, Diss. Saarbrücken 1996 S. 3 f. Barthe/Schmidt

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II. Der strafrechtliche Schutz der äußeren Sicherheit in heutiger Sicht

StGB Vor § 93

und moralischen Kräfte des Zielstaates, um darauf aufbauend dem eigenen Land machtpolitische Vorteile – insbesondere auf internationaler Ebene – zu verschaffen (vgl. BVerfGE 57 250, 263 f.; 92 277, 318). Der Strukturwandel in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in der Politik und in den internationalen Beziehungen der Staaten sowie die Häufung von in ihren Auswirkungen oft nur schwer überschaubaren und berechenbaren (sicherheits-)politischen und wirtschaftlichen Krisen lassen mehr und mehr diese Bereiche in all ihren Zusammenhängen zum Gegenstand einer je nach der aktuellen Interessenlage intensivierten Spionagetätigkeit werden. Nachrichten aus den politischen Entscheidungszentren, aus Regierungen, Ministerien, Parlamenten, Parteigremien, den Führungsebenen der Gewerkschaften, der Wirtschaft und den Verbänden, aber auch aus Wissenschaft und Technik, können für einen fremden Staat oft mehr Bedeutung und Gewicht haben, als Belege über örtliche Veränderungen in der Verteidigungsplanung, die möglicherweise präziser durch Mittel der modernen Technik zu verifizieren sind. Wenn sich auch in einzelnen Ausspähungsfällen der aufgezeigten Art eine unmittelbare Gefahr für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oft nicht feststellen lassen wird, so kann doch der Schaden, der auf politischer Ebene droht, etwa durch Verschiebung von Kräfteverhältnissen, durch Verlust von Vertrauen und Einwirkungsmöglichkeiten oder gar durch Gefährdung zwischenstaatlicher Beziehungen (s. § 100a), beträchtlich sein. Ihn abzuwehren oder jedenfalls zu begrenzen, wird umso schwerer fallen, wenn seine Ursache Teil eines fremden, umfassenden machtpolitischen Konzepts ist, das in vielfacher Hinsicht fortzuwirken vermag und auf kaum kontrollierbare Einflussnahme, auch auf gezielte Irreführung, angelegt sein kann. Überall dort, wo solche Ziele durch aktive geheimdienstliche Betätigung gefördert werden, wo sich der Täter in den nachrichtendienstlichen Apparat einfügt, besteht ernste Gefahr für vitale Interessen des freiheitlich verfassten Staates, ohne dass es darauf ankommt, welcher Natur die Informationen sind, auf deren Sammlung die Spionagetätigkeit gerichtet ist (vgl. BVerfGE 57 250, 263 ff., 267; 92 277, 318).8 Der Gesetzgeber hat dem daher zu Recht durch die Einführung eines zentralen Spionagetatbestandes Rechnung getragen: § 99 pönalisiert jede gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübte geheimdienstliche Tätigkeit für einen fremden Nachrichtendienst, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Vorschrift soll ebenso wie alle anderen Bestimmungen des Staatsschutzstrafrechts dazu beitragen, der Bundesrepublik den „Freiraum“ zu sichern, den sie benötigt, um sich in den Gegenläufigkeiten der internationalen Politik möglichst unbehindert und wirksam bewegen zu können, ihre eigenen politischen Vorstellungen zum Tragen zu bringen und so die Grundlage zu gewährleisten, auf der sich freiheitliche Demokratie mit ihren Grundrechtsgarantien verwirklichen und weiterentwickeln lässt (s. dazu BVerfGE 57 250, 268 f.; 92 277, 317 f.; KG NStZ 2004, 209 m. Anm. Lampe). So gesehen kommt gerade auch § 99, der nicht nur die äußere Sicherheit der Bundesrepublik im Blick hat, eine wichtige Funktion im Regelungsgefüge des Staatsschutzstrafrechts zu, das seiner Natur nach nichts anders sein soll als notwendiges rechtliches Instrumentarium zur Sicherung einer sich ihrer Wertvorstellungen gewissen wehrhaften, rechtsstaatlichen Demokratie (vgl. BVerfGE 5 85, 138 f.).9

8 S. auch Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 55; Kern S. 27; Träger/Mayer/Krauth FS BGH 1975 227, 231. 9 Der früher für das Staatsschutzstrafrecht maßgebende Ausgangspunkt der Treupflichtverletzung als unrechtbegründendes Merkmal ist im Zuge der „Modernisierung“ durch den Schutzgedanken weitgehend verdrängt worden. Er findet sich im vorliegenden Abschnitt in § 100 wieder und klingt in den vom Gesetz ausgewiesenen besonders schweren Fällen (s. § 94 Abs. 2 Nr. 1, § 98 Abs. 1 Satz 2, auch § 97 Abs. 2) an, die gleichzeitig auf die allgemeine Bedeutung dieser Verratskomponente für das Strafmaß hinweisen. Vgl. zu allem Steinsiek LK Vor § 80 Rdn. 20 bis 24; Lackner ZStW 78 (1966) 695, 709 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 82 Rdn. 21 ff.; zur Fragwürdigkeit des Treubruchgedankens s. auch Stree ZStW 78 (1966) 663, 665; umfassend: Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 329 ff., 343 ff. und 478 ff.; dazu auch Schroeder JR 1995 441 f. sowie der beachtenswerte Aufsatz von Loos/Radtke StV 1994 565, 570 ff. 361

Barthe/Schmidt

Vor § 93 StGB

Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

2. Positive Bewertung 3a Aus heutiger Sicht hat sich die durch das 8. StRÄndG geschaffene Konzeption der strafrechtlichen Vorschriften zum Landesverrat und zur – sonstigen10 – Gefährdung der äußeren Sicherheit bewährt. Sie hat, wie es der Gesetzgeber beabsichtigte, ein Mehr an Freiraum geschaffen, ohne den strafrechtlichen Rechtsgutschutz zu vernachlässigen. Die gefestigte Auslegung der Strafnormen durch die Rechtsprechung, welche die den Tatbeständen in ihrer Anknüpfung an die aktuelle sicherheitspolitische Gefahrenlage immanente Flexibilität (s. hierzu § 93 Rdn. 14, § 94 Rdn. 8 sowie §§ 98 Abs. 2, 99 Abs. 3) wahrt, bietet – nicht zuletzt mit Blick auf die flankierenden prozessualen Möglichkeiten (§§ 153, 153c, 153d, 153e StPO) – eine ausreichende Grundlage, den gewichtigen Veränderungen und Verschiebungen der Kräfteverhältnisse auf internationaler Ebene, dem Wechsel der Spannungsfelder im politischen Raum und dem nur schwer überschaubaren Wandel der Interessenlagen auf nachrichtendienstlicher Ebene11 Rechnung zu tragen. Gleichzeitig gewährleistet sie diejenigen Probleme rechtsstaatlich sachgerecht zu lösen, die sich aufgrund des durch § 5 Nr. 4 und § 9 erweiterten Geltungsbereichs der Strafvorschriften schon immer ergeben haben und weiterhin ergeben werden (vgl. dazu Rdn. 6). Auch die drängenden Fragen, welche die deutsche Wiedervereinigung für das Staatsschutzstrafrecht mit sich brachte, hätten sich anhand des vorgegebenen strafrechtlichen und strafprozessualen Instrumentariums bei richtiger verfassungskonformer Anwendung rechtsstaatlich bedenkenfrei und zugleich befriedigend beantworten lassen. Dass hier eine nicht all zu sehr zurückhaltende, ausgewogen differenzierende, gleichzeitig aber auch auf weitere Aufklärung schweren Unrechts hinwirkende Amnestieregelung des Gesetzgebers viel zur Vereinfachung beigetragen und das entstandene Unbehagen entschärft hätte, steht dieser Feststellung nicht entgegen (s. insoweit Rdn. 15 ff.). Einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung, die diese Aufgabe des Gesetzgebers vorwegnimmt, dabei jedoch Wege beschreitet, die sich nur schwerlich in das einschlägige Rechtssystem einpassen lassen, aber nicht nur deshalb als problematisch erscheinen, hätte es nicht bedurft.12

3. Entkräftung früherer Bedenken 3b Die früher vor allem in Bezug auf das Spannungsverhältnis zwischen Ost und West geäußerten Bedenken, strafrechtliche Hürden könnten für allseits erwünschte grenzüberschreitende Kommunikationsbestrebungen hinderlich sein und den notwendigen brückenschlagenden Verkehr zwischen Politikern, Wirtschaftsleuten, Wissenschaftlern, Journalisten, Sportlern und anderen im Wege stehen, dürften heute entkräftet sein (vgl. BVerfGE 57 250, 265 f.; Vogel ZRP 1982 38 f. m. w. N.).

III. Weitere Strafvorschriften zum Geheimnisschutz 1. Dienst- und Geschäftsgeheimnisse 4 Der strafrechtliche Schutz aufgrund der §§ 93 ff. wird ergänzt durch verschiedene andere Straftatbestände. Das Amtsdelikt der Verletzung des Dienstgeheimnisses (§ 353b) schützt über 10 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 3 weisen mit Recht darauf hin, dass die Überschrift des Zweiten Abschnitts der Korrektur bedarf. 11 Als Beispiel genannt sei hier nur der oft geheimdienstlich gesteuerte, international vereinbarte Embargobestimmungen und Rüstungsbeschränkungen unterlaufende Technologietransfer in politische Krisengebiete. 12 Vgl. hierzu BVerfGE 92 277, 325 f., insb. die Abweichende Meinung der Richter Klein, Kirchhof und Winter S. 346 f., sowie BGHSt 39 260, 273 = NStZ 1993 587 ff. m. Anm. Träger NStZ 1994 282; Volk NStZ 1995 367 ff.; Claaßen NStZ 1995 371; Schroeder JR 1995 441 ff.; Gehrlein a. a. O. (Fn. 7); Näheres ferner in Rdn. 15 ff. Barthe/Schmidt

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III. Weitere Strafvorschriften zum Geheimnisschutz

StGB Vor § 93

Sicherheitsbelange hinaus dienstlich geheim gehaltene und geheimhaltungsbedürftige Sachverhalte (s. Vormbaum LK12 § 353b Rdn. 2). Einen weiteren Schutz soll die Möglichkeit der Ausschließung der Öffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren bieten (§ 353d i. V. m. § 172 Nr. 1 und § 174 Abs. 2 GVG). Im privaten Bereich ist der Verrat von Geschäftsgeheimnissen strafbewehrt (§§ 203 bis 205 StGB; §§ 17 bis 19 UWG, aufgehoben mit Wirkung vom 26. April 2019 durch Art. 5 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie EU 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung vom 18. April 2019, BGBl. I 466, jetzt § 23 GeschGehG). Weitere Strafvorschriften zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen sind oder waren zur Zeit ihrer Geltung § 120 BetrVG, § 69 SchwbG (außer Kraft seit 2. Juli 2001), § 404 AktG, § 85 GmbHG, § 151 GenG, § 333 HGB und § 42 BDSG (vgl. hierzu Többens NStZ 2000 505, 511). Diese Straftatbestände können auch im Bereich des Schutzes der äußeren Sicherheit Bedeutung erlangen, wenn der Verratsgegenstand kein Staatsgeheimnis im Sinne des § 93 ist und auch eine Zusammenarbeit der Mittelsmänner der fremden Macht mit dem dortigen Geheimdienst (s. § 99) nicht nachweisbar ist. In solchen Fällen (z. B. des Technologietransfers) lässt sich oft nur feststellen, dass es sich um Mitarbeiter eines Unternehmens eines fremden Staates handelt.13 Zu beachten sind ferner die §§ 201 und 202a bis d StGB sowie § 148 i. V. m. § 89 f. TKG (zu den Konkurrenzen vgl. § 96 Rdn. 8).

2. Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetz In ähnlicher Weise wie die §§ 93 ff. bezwecken das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und das 4a Kriegswaffenkontrollgesetz (KriegswaffKG) den strafrechtlichen Schutz der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch die §§ 17 und 18 AWG sowie §§ 19 ff. KriegswaffKG (s. dazu auch Lampe/Hegmann MK Vor § 93 Rdn. 29; Holthausen NStZ-RR 1998 225; Zabeck NStZ 2008 668). Beide Gesetze dienen dazu, im Interesse der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland den Verkehr und den Handel mit Waffen einer umfassenden staatlichen Kontrolle zu unterwerfen (BGHSt 41 348, 358). Aus § 6 Abs. 4 KriegswaffKG i. V. m. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AWG folgt, dass die nach einem Gesetz erforderliche Genehmigung nicht die nach dem anderen Gesetz erforderliche Genehmigung ersetzt (vgl. Diemer in Erbs/Kohlhaas, Außenwirtschaftsgesetz, Vorbemerkung Rdn. 10). Fallen die auszuführenden Gegenstände sowohl unter die Kriegswaffenliste (Anlage zum KriegswaffKG) als auch unter die Ausfuhrliste (Anlage zur AWV), so ist die Genehmigung nach beiden Gesetzen erforderlich (Diemer a. a. O. m. w. N.). Demnach kann bei einer Ausfuhr ohne die erforderliche Genehmigung tateinheitlich gegen § 19 KriegswaffKG und gegen §§ 17, 18 AWG verstoßen werden (BGHSt 41, 348, 356 noch zu § 34 AWG a. F.). Die Beschaffung von Gütern, die dem Genehmigungsvorbehalt der bundesdeutschen Behörden unterliegen, unter Umgehung des AWG und KriegswaffKG gehört seit einigen Jahrzehnten verstärkt zur operativen Tätigkeit fremder Geheimdienste (s. hierzu Lampe/Hegmann MK Vor § 93 Rdn. 29). Soweit es um die Ausspähung und den Verrat von Staatsgeheimnissen geht, kann neben den oben genannten Strafvorschriften auch der Tatbestand des § 94 StGB verwirklicht sein. Hat ein Geheimdienst die Abwicklung des Geschäftes organisiert oder daran mitgewirkt, kommt eine Strafbarkeit der Beteiligten auch wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit in Betracht (vgl. insoweit auch die Qualifikationen der § 17 Abs. 2 Nr. 1 und § 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG). Unabhängig davon hat der Gesetzgeber durch das 2. JuMoG vom 22. Dezember 2006 (BGBl. I 3416) in solchen Proliferationsfällen, denen „Staatsschutzqualität“ zukommt, die Strafverfolgungskompetenz dem Bund und hier speziell dem Generalbundesanwalt zugewiesen – §§ 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, 142a Abs. 1 Satz 1 GVG (sogenannte evokative Zuständigkeit; insoweit positivrechtlich überholt die Kritik von Müller-Jacobsen in FS Widmaier 2008 693, 700). 13 Vgl. Tuffner Der strafrechtliche Schutz von Wirtschaftsgeheimnissen im Staatsschutzrecht und Wettbewerbsrecht S. Diss. Erlangen 1978 S. 49 ff. 363

Barthe/Schmidt

Vor § 93 StGB

Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

3. Patent-, Gebrauchsmuster- und Topographieanmeldungen 4b Schließlich wird der strafrechtliche Schutz von Staatsgeheimnissen durch § 52 PatentG, § 9 GebrauchsmusterG, Art. II § 14 IntPatÜbkG14 und § 4 Halbleiterschutzgesetz15 auf Patentanmeldungen, Gebrauchsmusteranmeldungen und Topographieanmeldungen erweitert. Damit soll die Lücke geschlossen werden, die sich dadurch ergibt, dass nichtdeutsche Patentämter – mögen sie als Adressaten einer Patent- oder Gebrauchsmusteranmeldung auch „Unbefugte“ im Sinne der Tatbestände des StGB sein – in aller Regel nicht Teil oder Mittelsmänner einer fremden Macht im Sinne des § 94 Abs. 1 Nr. 1 sind16 oder dass das Staatsgeheimnis, welches Gegenstand einer Anmeldung ist, möglicherweise noch nicht von einer amtlichen Stelle der Bundesrepublik oder auf deren Veranlassung geheim gehalten wird (vgl. §§ 95, 97). Mit Blick auf die Zusammenhänge und im Interesse möglichst vollständiger Darstellung 5 seien die Bestimmungen, die eine Weitergabe von Staatsgeheimnissen technischer und wissenschaftlicher Art, insbesondere im Gewande der Patent- oder Gebrauchsmusteranmeldung, hindern und damit eine weitere Tür des Transfers von sicherheitsrelevantem Wissen („Know-how“) schließen sollen, hier mit ihrem wesentlichen Inhalt wiedergegeben.

5a a) Patentgesetz. Soweit es um die Anmeldung von Patenten, die ein Staatsgeheimnis enthalten, im Ausland geht, lauten die einschlägigen Vorschriften des Patentgesetzes auszugsweise: § 50 (1) Wird ein Patent für eine Erfindung nachgesucht, die ein Staatsgeheimnis (§ 93 des Strafgesetzbuches) ist, so ordnet die Prüfungsstelle von Amts wegen an, dass jede Veröffentlichung unterbleibt. Die zuständige oberste Bundesbehörde ist vor der Anordnung zu hören. Sie kann den Erlass einer Anordnung beantragen. (2) und (3) … (4) Die Absätze 1 bis 3 sind auf eine Erfindung entsprechend anzuwenden, die von einem fremden Staat aus Verteidigungsgründen geheim gehalten und der Bundesregierung mit deren Zustimmung unter der Auflage anvertraut wird, die Geheimhaltung zu wahren. § 52 (1) Eine Patentanmeldung, die ein Staatsgeheimnis (§ 93 des Strafgesetzbuches) enthält, darf außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes nur eingereicht werden, wenn die zuständige oberste Bundesbehörde hierzu die schriftliche Genehmigung erteilt. Die Genehmigung kann unter Auflagen erteilt werden. (2) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. entgegen Absatz 1 Satz 1 eine Patentanmeldung einreicht oder 2. einer Auflage nach Absatz 1 Satz 2 zuwiderhandelt.

5b b) Gebrauchsmustergesetz. In § 9 GebrauchsmusterG17 heißt es: (1) Wird ein Gebrauchsmuster angemeldet, dessen Gegenstand ein Staatsgeheimnis (§ 93 des Strafgesetzbuches) ist, so ordnet die für die Anordnung gemäß § 50 des Patentgesetzes zuständige Prüfungsstelle von Amts wegen an, dass die Offenlegung (§ 8 Abs. 5) und die Bekanntmachung im Patentblatt (§ 8 Abs. 3) unterbleiben. Die zuständige oberste Bundesbehörde ist vor der Anordnung zu hören. Sie

14 Gesetz über internationale Patentübereinkommen vom 21.6.1976 (BGBl. II 649), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 17.7.2017 (BGBl. I 2541). 15 Gesetz über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen vom 22.10.1987 (BGBl. I 2294), zuletzt geändert durch Art. 12 des in Fn. 14 genannten Gesetzes vom 17.7.2017. 16 S. Tuffner a. a. O. (Fn. 13) S. 43. 17 In der durch Art. 10 des Gesetzes vom 17.7.2017 (Fn. 14) geltenden Fassung. Barthe/Schmidt

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III. Weitere Strafvorschriften zum Geheimnisschutz

StGB Vor § 93

kann den Erlass einer Anordnung beantragen. Das Gebrauchsmuster ist in ein besonderes Register einzutragen. (2) Im Übrigen sind die Vorschriften des § 31 Abs. 5, des § 50 Abs. 2 bis 4 und der §§ 51 bis 56 des Patentgesetzes entsprechend anzuwenden. Die nach Absatz 1 zuständige Prüfungsstelle ist auch für die in entsprechender Anwendung von § 50 Abs. 2 des Patentgesetzes zu treffenden Entscheidungen und für die in entsprechender Anwendung von § 50 Abs. 3 und § 53 Abs. 2 des Patentgesetzes vorzunehmenden Handlungen zuständig.

c) Gesetz über internationale Patentübereinkommen. Für europäische und internationale 5c Patentanmeldungen gelten u. a. folgende Bestimmungen des IntPatÜbkG:18 Artikel II §4 Einreichung europäischer Patentanmeldungen beim Deutschen Patent- und Markenamt (1) … (2) Europäische Anmeldungen, die ein Staatsgeheimnis (§ 93 des Strafgesetzbuches) enthalten können, sind beim Deutschen Patent- und Markenamt nach Maßgabe folgender Vorschriften einzureichen: 1. In einer Anlage zur Anmeldung ist darauf hinzuweisen, dass die angemeldete Erfindung nach Auffassung des Anmelders ein Staatsgeheimnis enthalten kann. 2. … 3. Das Deutsche Patent- und Markenamt prüft die nach Maßgabe der Nummer 1 eingereichten Anmeldungen unverzüglich darauf, ob mit ihnen Patentschutz für eine Erfindung nachgesucht wird, die ein Staatsgeheimnis (§ 93 des Strafgesetzbuches) ist. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Patentgesetzes entsprechend; § 53 des Patentgesetzes ist anzuwenden. 4. Ergibt die Prüfung nach Nummer 3, dass die Erfindung ein Staatsgeheimnis ist, so ordnet das Deutsche Patent- und Markenamt von Amts wegen an, dass die Anmeldung nicht weitergeleitet wird und jede Bekanntmachung unterbleibt. … § 14 Unzulässige Anmeldung beim Europäischen Patentamt Wer eine Patentanmeldung, die ein Staatsgeheimnis (§ 93 des Strafgesetzbuches) enthält, unmittelbar beim Europäischen Patentamt einreicht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Artikel III §2 Geheimhaltungsbedürftige internationale Anmeldungen (1) Das Deutsche Patent- und Markenamt prüft alle bei ihm als Anmeldeamt eingereichten internationalen Anmeldungen darauf, ob mit ihnen Patentschutz für eine Erfindung nachgesucht wird, die ein Staatsgeheimnis (§ 93 des Strafgesetzbuches) ist. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Patentgesetzes entsprechend; § 53 des Patentgesetzes ist anzuwenden. (2) Ergibt die Prüfung nach Absatz 1, dass die Erfindung ein Staatsgeheimnis ist, so ordnet das Deutsche Patent- und Markenamt von Amts wegen an, dass die Anmeldung nicht weitergeleitet wird und jede Bekanntmachung unterbleibt. …

d) Halbleiterschutzgesetz. Nach § 4 Abs. 4 Satz 3 Halbleiterschutzgesetz ist § 9 Gebrauchs- 5d musterG zum Schutz geheimer Topographien entsprechend anzuwenden. Strafbar ist danach in diesen Bereichen nur das vorsätzliche Vergehen (s. § 15 StGB); bedingter Vorsatz genügt. Ist der Täter über die Geheimhaltungsbedürftigkeit im Zweifel, so kann ihm bedingter Vorsatz dann nicht zur Last gelegt werden, wenn das Patentamt binnen vier Monaten 18 Gesetz über internationale Patentübereinkommen vom 21.6.1976 (Fn. 14). 365

Barthe/Schmidt

Vor § 93 StGB

Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

nach Anmeldung kein Veröffentlichungsverbot angeordnet und auch die Prüfungsfrist nicht verlängert hat; denn § 53 PatentG lautet: (1) Wird dem Anmelder innerhalb von vier Monaten seit der Anmeldung der Erfindung beim Patentamt keine Anordnung nach § 50 Abs. 1 zugestellt, so können der Anmelder und jeder andere, der von der Erfindung Kenntnis hat, sofern sie im Zweifel darüber sind, ob die Geheimhaltung der Erfindung erforderlich ist (§ 93 des Strafgesetzbuches), davon ausgehen, dass die Erfindung nicht der Geheimhaltung bedarf. (2) Kann die Prüfung, ob jede Veröffentlichung gemäß § 50 Abs. 1 zu unterbleiben hat, nicht innerhalb der in Absatz 1 genannten Frist abgeschlossen werden, so kann das Patentamt diese Frist durch eine Mitteilung, die dem Anmelder innerhalb der in Absatz 1 genannten Frist zuzustellen ist, um höchstens zwei Monate verlängern.

Die Irrtumsregelung des § 97b ist hier nicht anwendbar, weil sie § 52 PatentG, Art. II § 14 IntPatÜbkG nicht in Bezug nimmt. Mit Hesse BB 1968 1058, 1059 ist davon auszugehen, dass § 52 PatentG aus dem Gesichtspunkt der Gesetzeskonkurrenz zurücktritt, wenn die Tat (unerlaubte Patentanmeldung im Ausland) auch nach den Vorschriften der §§ 93 ff. strafbar ist. Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte19 und der Zielsetzung der patentgesetzlichen Strafvorschrift (sachgegebene Subsidiarität) und gilt auch für Art. II § 14 IntPatÜbkG.20

4. Nichtanzeige von Straftaten 5e Die Nichtanzeige von Straftaten gegen die äußere Sicherheit nach den §§ 94 bis 96, 97a und 100 ist strafbedroht (§ 138 Abs. 1 Nr. 3).

IV. Der Geltungsbereich der Vorschriften des Zweiten Abschnitts 6 Der persönliche Geltungsbereich der Straftatbestände des Abschnitts erstreckt sich grundsätzlich auf jedermann. Nur der Tatbestand des § 100 setzt voraus, dass der Täter Deutscher ist, der seine Lebensgrundlage in der Bundesrepublik hat. Räumlich gelten die Bestimmungen der §§ 93 ff. auch für im Ausland21 begangene Taten uneingeschränkt (§ 5 Nr. 4). Damit folgen die Tatbestände dem sogenannten Schutzgrundsatz; der Treubruchsgedanke kommt lediglich noch in § 100 zum Ausdruck (vgl. im Einzelnen Werle/Jeßberger LK Vor §§ 3 ff. Rdn. 244 ff. und § 5 Rdn. 82 ff. sowie oben Rdn. 3 Fn. 9). Die Erstreckung der Anwendbarkeit der §§ 93 ff. auf Auslandstaten (§ 5 Nr. 4) verstößt weder gegen das Grundgesetz noch gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG). Dies gilt auch für § 9, der den Begriff des Tatorts umschreibt und insoweit die Grenzen des Anwendungsbereichs nach dem Ubiquitätsprinzip bestimmt. Grundsätzlich sind die Staaten von Völkerrechts wegen in der Gestaltung ihres Strafrechts frei. Es ist ihnen vor allem unbenommen, Handlungen mit Strafe zu bedrohen, welche die eigene Sicherheit gefährden, gleichgültig, wo die Tat begangen wurde. Eine solche Ausdehnung des Geltungsbereichs mag zwar die Interessen fremder Staaten berühren, soweit deren Angehörige von der Strafdrohung erfasst werden. Eine völkerrechtlich relevante 19 Vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 32. 20 S. zu den patentrechtlichen Strafvorschriften auch Busse/Keukenschrijver Patentgesetz, 8. Aufl. (2016) §§ 52 f.; H. G. Hesse BB 1968 1058; zudem Bellstedt DÖV 1961 811; Kumm GRUR 1979 672; Trüstedt BB 1960 1141. 21 Der Begriff des Inlands im Sinne des § 3 erfasst lediglich den Geltungsbereich des StGB. In der Zeit vor der Wiedervereinigung, spätestens seit dem Grundlagenvertrag (21.12.1972), waren in der DDR begangene Taten grundsätzlich wie Auslandstaten zu behandeln (BGHSt 30 1, 4, 7; BGHR StGB § 3 Inland 1; Laufhütte/Kuschel LK12 Vor § 80 Rdn. 33). Barthe/Schmidt

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IV. Der Geltungsbereich der Vorschriften des Zweiten Abschnitts

StGB Vor § 93

Beeinträchtigung ist darin jedoch nicht zu sehen (einschränkend Wengler Völkerrecht II, S. 938, 953 und 1055). Dies gilt selbst dann, wenn sich die Strafdrohung – wie hier – auch gegen Bedienstete des fremden Staates richtet, die im offiziellen Auftrag handeln.22 Die Grundsätze staatlicher Immunität (Immunität ratione materiae) greifen insoweit nur, wenn der Betroffene den diplomatischen Schutz entsprechender Übereinkommen genießt.23 Verfahrensrechtlich ist für im Ausland verübte Straftaten nach den §§ 93 ff. neben den §§ 153, 153a und b StPO vor allem § 153c StPO von Bedeutung (s. dazu auch Rdn. 10). Diese Vorschrift wird gerade dort als Korrektiv zu wirken haben, wo – wie auch bei entsprechenden Distanz- und Teilnahmedelikten (§ 9) – es darum geht, die Einbindung des Täters in das für ihn fremde Recht angemessen zu berücksichtigen und rechtsstaatlich unbefriedigende Ergebnisse zu vermeiden.24 Im Übrigen werden bei der Verfolgung solcher Straftäter insbesondere auch auf der Ebene des materiellen Strafrechts (vgl. §§ 17, 46, 56 und 60) die Eigenheiten der Verhältnisse und Einwirkungen des Tatumfelds ins Gewicht fallen und zu erwägen sein.25 Die Rechtsprechung geht nach alledem zutreffend davon aus, dass der Erstreckung der Strafbarkeit nach den §§ 93 ff. auf Auslandstaten weder aus dem Schuldprinzip noch aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen, dass vielmehr diese Regelung im Interesse des Schutzes des Staates legitimiert ist und in ihrer normativen Ausgestaltung insgesamt den rechtsstaatlichen Erfordernissen genügt.26 Eine andere Frage ist allerdings, ob die angesichts des technischen Fortschritts in der heutigen Zeit vermehrt vom Ausland aus vorgenommenen Spionagetätigkeiten mithilfe des deutschen Strafund Strafprozessrechts tatsächlich effektiv unterbunden oder in ihren Auswirkungen zumindest begrenzt werden können. Dass es nicht selten unmöglich sein wird, die an derartigen Handlungen beteiligten Personen zu identifizieren sowie ihrer habhaft zu werden, zeigen die Ermittlungen des Generalbundesanwalts im Zusammenhang mit der umfassenden Abhörtätigkeit der National Security Agency (NSA), die sich selbst gegen führende deutsche Politiker einschließlich der Bundeskanzlerin („Kanzler-Handy“) gerichtet haben soll (s. hierzu die Presseerklärung des GBA 20/2015 vom 12. Juni 2015 zur Einstellung des dort gegen unbekannte Mitarbeiter US-amerikanischer Nachrichtendienste wegen des Verdachts der Ausspähung eines von der Bundeskanzlerin genutzten Mobiltelefons geführten Ermittlungsverfahrens, im Internet abrufbar unter https://www.generalbundesanwalt.de, wonach der Tatvorwurf mit den Mitteln des Strafprozessrechts nicht gerichtsfest zu beweisen gewesen sei).27 Ähnliche Aufklärungs- und Beweisschwierigkeiten werden sich regelmäßig bei der Verfolgung von Cyberangriffen aus dem Ausland, mithin von mittels netzgebundener Technologien erfolgten Zugriffen auf Daten, die dem Schutz der deutschen Rechtsordnung unterlie-

22 BVerfGE 92 277, 317, 320 f. mit umfangreichen Nachweisen; ebenso BGHSt 39 260, 262 f., 268 f.; dazu Frowein/ Wolfram/Schuster Völkerrechtliche Fragen der Strafbarkeit von Spionen aus der ehemaligen DDR (1995) S. 8 bis 23.

23 Vgl. hierzu die Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 (Art. 29 ff.) und über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (Art. 41 ff.); dazu BVerfGE 96 68; ferner BGH NStZ 2013 600 zur fehlenden Immunitätsausnahme nach den WÜK und WÜD für Spionagedelikte m. zust. Anm. Kreicker ZIS 2014 129. 24 Werle/Jeßberger LK § 9 Rdn. 52 und 112; Paeffgen NK § 93 Rdn. 21; Lackner/Kühl/Heger § 9 Rdn. 5 und 7, jeweils m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt § 153c StPO Rdn. 3 und 13. 25 S. hierzu auch BVerfGE 95 96, 140 f.; grundlegend Oehler Rdn. 122 ff. (mit Fn. 33), 126, 577 ff., 590 bis 600; soweit dort Gesichtspunkte anklingen, die dem Treubruchgedanken nahestehen (vgl. BGHSt 13 46 sowie Fn. 9), werden sie in der Regel im aufgezeigten Zusammenhang Berücksichtigung finden; beachtenswert dazu auch Germann SchwZStR 1954 237, 248. 26 BVerfGE 92 277, 317 f.; BGHSt 30 294; 32 104, 107; 37 305, 307; 38 75; 39 260, 269; BayObLG NStZ 1992 281, 283. Zu den Besonderheiten, die sich aufgrund der Wiedervereinigung im vorliegenden Zusammenhang ergeben, s. Rdn. 15 ff. 27 Vgl. zum „NSA-Datenskandal“ ferner Wolf JZ 2013 1039; Ewer/Thienel NJW 2014 30; Gärditz/Stuckenberg JZ 2014 209; Schmahl JZ 2014, 220; Voigt MMR 2014, 158; Demuth DRiZ 2015 14. 367

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Vor § 93 StGB

Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

gen, ergeben. Soweit diese (noch) keine Staatsschutzqualität aufweisen, werden die oben in Rdn. 4 ff. genannten Straftatbestände häufig einschlägig sein.28

V. Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes zugunsten der NATO-Vertragsstaaten 1. Ergänzung der Tatbestände des StGB 7 Art. 7 Abs. 1 des 4. StRÄndG vom 11. Juni 1957 (BGBl. I 597) in der Fassung vom 13. August 1997 (BGBl. I 2038), der inzwischen durch § 1 Abs. 1 des Gesetzes über den Schutz der Truppen des Nordatlantikpaktes durch das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (NATO-Truppen-Schutzgesetz – NTSG) ersetzt worden ist (s. sogleich unter Rdn. 8a), erweiterte den strafrechtlichen Schutz der §§ 93 bis 97 und 98 bis 100 i. V. m. den §§ 101, 101a auf die nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes,29 ihre in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen sowie die im Land Berlin anwesenden Truppen der drei westlichen Schutzmächte. Nach dem Abzug der Stationierungstruppen aus Berlin beschränkte sich der strafrechtliche Schutz auf die in der Bundesrepublik verbliebenen westlichen Streitkräfte. Die Bestimmungen des StGB galten mit den in Art. 7 des 4. StRÄndG näher bezeichneten Maßgaben. Die Erweiterungsvorschriften ergänzten insoweit die Tatbestände des StGB (vgl. BGHSt 32 104). Mit ihnen sollte die völkerrechtliche Verpflichtung erfüllt werden, die der Bundesrepublik nach dem NATO-Truppenstatut gegenüber den Partnern des Nordatlantikvertrages oblag.30 Die teilweise beträchtlichen Erweiterungen, welche die Straftatbestände des StGB dadurch erfuhren, fanden indessen nur auf solche Taten Anwendung, die im räumlichen Geltungsbereich des 4. StRÄndG begangen wurden (Art. 7 Abs. 4 des 4. StRÄndG). § 5 Nr. 4 StGB griff hier nicht; jedoch war § 3 i. V. m. § 9 zu beachten.31

2. Nichtanwendbarkeit der Erweiterungsvorschriften im früheren Land Berlin 8 Die Erweiterungsvorschriften waren danach bis zum 3. Oktober 1990 im früheren Land Berlin, also dem Westteil der Stadt, nicht anwendbar, obgleich sie auch die dortigen Stationierungstruppen der drei westalliierten Mächte schützen sollten.32 Der eingeschränkte Geltungsbereich des Gesetzes genügte der völkerrechtlichen Verpflichtung gegenüber den nichtdeutschen Vertragsstaaten, die „Maßnahmen einzuleiten, die [die Bundesrepublik] für erforderlich hält, um innerhalb ihres Hoheitsgebiets angemessenen Schutz der Truppen … zu gewährleisten“ (Art. 29 des Zusatzabkommens).33 Den Schutzvorschriften auch im früheren Land Berlin (West) Geltung zu verschaffen, sah sich der Gesetzgeber ersichtlich durch die alliierten Vorbehaltsrechte gehin28 Näher zur grenzüberschreitenden Cyberkriminalität Werkmeister/Steinbeck wistra 2015 209; Lampe/Hegmann MK Vor § 93 Rdn. 30; speziell zur Rückverfolgungsproblematik (Attribution) bei Angriffen auf Computernetzwerke Schulze Cyber-„War“ 2015 S. 36 ff. 29 Nach dem zu Art. 7 Abs. 1 Nr. 4 des 4. StRÄndG (in Verbindung mit § 99) ergangenen Urteil BGHSt 32 104, 108, 113 sollen nur solche Vertragsstaaten geschützt sein, die Truppen in der Bundesrepublik stationiert haben. Näheres bei § 99 Rdn. 11. 30 S. Art. VII Abs. 11 des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19.6.1951 (NATO-Truppenstatut – NTS) BGBl. 1961 II 1190, 1198 und Art. 29 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut vom 3.8.1959 BGBl. 1961 II 1218, 1242 f. (Vertragsgesetz zu beiden Abkommen vom 18.8.1961 BGBl. II 1183); dazu Begründung des Regierungsentwurfs des 4. StRÄndG BTDrucks. 2/3039 S. 8, 23 f.; weiter BGHSt 32 109 ff. sowie § 99 Rdn. 11. 31 Vgl. BGHSt 38 75 (= JR 1992 204 f. m. Anm. Schroeder); wie die Feststellungen im zugrunde liegenden Urteil des OLG Stuttgart jedoch ausweisen, hat der BGH hier Mittäterschaft und damit auch die Anwendung des § 9 zu Unrecht verneint; Paeffgen NK Rdn. 17. 32 Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. Art. 5 Nr. 1 des 8. StRÄndG. 33 BGBl. 1961 II 1218, 1242. Barthe/Schmidt

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V. Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes zugunsten der NATO-Vertragsstaaten

StGB Vor § 93

dert (s. BTDrucks. II/3039 S. 22 f. und 25). Das dort für erforderlich Gehaltene hatten die drei westalliierten Mächte mit dem Erlass der Verordnung Nr. 511 vom 15. Oktober 1951 (GBl. Berlin S. 1112 f.) schon selbst veranlasst. Dieses Besatzungsrecht mit Gesetzesrang enthielt in seinen Artikeln 1 und 2 umfassende Strafvorschriften zum Schutze der alliierten Interessen; Vorschriften, die vor allem jede gegen die Berliner Stationierungstruppen gerichtete Spionage mit harten Strafen bedrohten. Die Verordnung, die keine Verjährung vorsah, ist erst durch das Übereinkommen zur Regelung bestimmter Fragen in Bezug auf Berlin vom 25. September 1990 mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 suspendiert und am gleichen Tag gemäß § 1 des Gesetzes zur Überleitung von Bundesrecht nach Berlin (West) [6. Überleitungsgesetz] vom 25. September 1990 (BGBl. I 2106) durch Art. 7 des 4. StRÄndG ersetzt worden.34

3. Ersetzung des Art. 7 des 4. StRÄndG durch § 1 NATO-Truppenschutzgesetz Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und dem Abzug der Alliierten Streitkräfte aus 8a Berlin war es indes unumgänglich, Art. 7 des 4. StRÄndG zu novellieren und an die neuen Verhältnisse anzupassen (vgl. dazu schon Schmidt LK12 Rdn. 8 und Paeffgen NK Rdn. 18). Dies ist mit dem durch Bekanntmachung vom 27. März 2008 (BGBl. I 490) neugefassten § 1 NTSG nunmehr geschehen. Die Bestimmung lautet in ihrer aktuellen Fassung wie folgt: §1 Anwendung von Strafvorschriften zum Schutz der Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes (1) Zum Schutz der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes und ihrer in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen gelten die §§ 93 bis 97 und 98 bis 100 in Verbindung mit den §§ 101 und 101a des Strafgesetzbuches mit folgender Maßgabe: 1. Den Staatsgeheimnissen im Sinne des § 93 des Strafgesetzbuches entsprechen militärische Geheimnisse der Vertragsstaaten. Militärische Geheimnisse im Sinne dieser Vorschrift sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, welche die Verteidigung betreffen und von einer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes befindlichen Dienststelle eines Vertragsstaates mit Rücksicht auf dessen Sicherheit oder die Sicherheit seiner in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen geheim gehalten werden. Ausgenommen sind Gegenstände, über deren Geheimhaltung zu bestimmen Angelegenheit der Bundesrepublik Deutschland ist, sowie Nachrichten darüber. 2. In den Fällen des § 94 Abs. 1 Nr. 2 des Strafgesetzbuches tritt an die Stelle der Absicht, die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen, die Absicht, den betroffenen Vertragsstaat oder seine in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen zu benachteiligen. 3. In den Fällen der §§ 94 bis 97 des Strafgesetzbuches tritt an die Stelle der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland die Gefahr eines schweren Nachteils für die Sicherheit des betroffenen Vertragsstaates oder seiner in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen. 4. In den Fällen des § 99 des Strafgesetzbuches tritt an die Stelle der gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübten geheimdienstlichen Tätigkeit eine gegen den betroffenen Vertragsstaat oder seine in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen ausgeübte geheimdienstliche Tätigkeit. 5. In den Fällen des § 100 des Strafgesetzbuches tritt an die Stelle der Bundesrepublik Deutschland der betroffene Vertragsstaat. 6. In den Fällen der §§ 94 bis 97 des Strafgesetzbuches ist die Strafverfolgung nur zulässig, wenn die oberste militärische Dienststelle der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen

34 Das Übereinkommen zur Regelung bestimmter Fragen in Bezug auf Berlin, das die Grundlage für die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte und für die Übertragung der entsprechenden Kompetenz auf den Bundesgesetzgeber beinhaltet, ist durch Verordnung vom 28.9.1990 am 3.10.1990 vorläufig in Kraft gesetzt worden (BGBl. II 1273 ff., BGBl. 1994 26 ff.); das Sechste Überleitungsgesetz ist gemäß Bekanntmachung vom 3.10.1990 ebenfalls an diesem Tage in Kraft getreten (BGBl. I 2153). 369

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Vor § 93 StGB

Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

des betroffenen Vertragsstaates oder der Leiter ihrer diplomatischen Vertretung erklärt, dass die Wahrung des Geheimnisses für die Sicherheit des Vertragsstaates oder seiner in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen zur Zeit der Tat erforderlich war. 7.

An die Stelle der Ermächtigung der Bundesregierung nach § 97 Abs. 3 des Strafgesetzbuches tritt das Strafverlangen der obersten militärischen Dienststelle der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen des betroffenen Vertragsstaates oder des Leiters ihrer diplomatischen Vertretung. (2) und (3) …

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nur für Straftaten, die im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes begangen werden.

4. NATO-Geheimnisse als Staatsgeheimnisse der Bundesrepublik 8b Bei allem ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine gegen die Stationierungsstreitkräfte der NATO-Vertragsstaaten gerichtete geheimdienstliche Tätigkeit oftmals auch Interessen der Bundesrepublik berührt und militärische Geheimnisse der NATO-Streitkräfte auch Staatsgeheimnisse der Bundesrepublik Deutschland sein können (s. dazu § 93 Rdn. 18).35

5. Verfolgbarkeit von Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte 8c Schließlich sei angemerkt, dass Angehörige der Stationierungsstreitkräfte eines NATO-Mitgliedsstaates nach dem Staatsschutzstrafrecht keine Sonderstellung haben. Sie können sich somit ihrerseits nach den §§ 94 ff. strafbar machen, wenn sie im Auftrag des Stationierungsstaates eine gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Agententätigkeit ausüben.36

VI. Ausdehnung des strafrechtlichen Schutzes auf sogenannte Euratom-Geheimnisse 9 Eine weitere Ausdehnung des strafrechtlichen Schutzes bringt Art. 194 Abs. 1 Euratom-Vertrag.37 Die Vorschrift lautet: (1) Die Mitglieder der Organe der Gemeinschaft, die Mitglieder der Ausschüsse, die Beamten und Bediensteten der Gemeinschaft sowie alle anderen Personen, die durch ihre Amtstätigkeit oder durch ihre öffentlichen oder privaten Verbindungen mit den Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft oder mit den gemeinsamen Unternehmen von den Vorgängen, Informationen, Kenntnissen, Unterlagen oder Gegenständen, die aufgrund der von einem Mitgliedstaat oder einem Organ der Gemeinschaft

35 Vgl. ferner BGHSt 32 104, 106 f.; 38 75, 77 (= JR 1992 204 ff. m. Anm. Schroeder). In solchen Fällen waren die Berliner Gerichte bei Alttaten nicht gehindert, einen Anklagevorwurf, der eine Tat zum Nachteil der Stationierungsstreitkräfte zum Gegenstand hatte, allein nach den Tatbeständen des StGB zu beurteilen (z. B. BGH, Beschluss vom 27.7.1971 – 3 ARS 40/70 – 4 BJs 187/68). Siehe zudem aus jüngerer Zeit OLG Koblenz, Urteil vom 19.11.2013 – 3 StE 1/ 13-2 (bestätigt durch BGH, Beschluss vom 1.10.2014 – 3 StR 150/14) betreffend einen als Zivilangestellten im Datenverarbeitungs- und IT-Bereich der NATO im Hauptquartier der Alliierten Luftstreitkräfte für Zentraleuropa in Ramstein beschäftigten Angeklagten, der sich nach den Feststellungen des OLG Zugang zu einer Reihe von geheimhaltungsbedürftigen Dateien, deren Kenntnis durch Unbefugte die Sicherheit der NATO gefährden konnte und die nach der Würdigung des Gerichts als Staatsgeheimnisse anzusehen waren, verschaffte, um diese einem Angehörigen eines fremden Geheimdienstes zuzuspielen. 36 Vgl. dazu Art. VII 2b und c NATO-Truppenstatut (BGBl. II 1961 1190, 1194 f.); Paeffgen NK Rdn. 16; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Vor §§ 80 ff. Rdn. 19. 37 Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) vom 25.3.1957 (BGBl. II 1014, 1114, 1116); VertragsG vom 27.7.1957 (BGBl. II 753). Barthe/Schmidt

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VII. Verfahrensrechtliche Besonderheiten

StGB Vor § 93

erlassenen Vorschriften unter Geheimschutz stehen, Kenntnis nehmen oder Kenntnis erhalten, sind verpflichtet, diese Vorgänge, Informationen, Kenntnisse, Unterlagen oder Gegenstände, auch nach Beendigung dieser Amtstätigkeit oder dieser Verbindungen, gegenüber allen nicht berechtigten Personen sowie gegenüber der Öffentlichkeit geheim zu halten. Jeder Mitgliedstaat behandelt eine Verletzung dieser Verpflichtung als einen Verstoß gegen seine Geheimhaltungsvorschriften; er wendet dabei hinsichtlich des sachlichen Rechts und der Zuständigkeit seine Rechtsvorschriften über die Verletzung der Staatssicherheit oder die Preisgabe von Berufsgeheimnissen an. Er verfolgt jeden seiner Gerichtsbarkeit unterstehenden Urheber einer derartigen Verletzung auf Antrag eines beteiligten Mitgliedstaates oder der Kommission.

Die Vertragsvorschrift ist innerstaatliches Recht (BGHSt 17 121, 122). Sie enthält nicht nur einen deklaratorischen Hinweis auf deutsches Strafrecht, sondern bewirkt, dass die Straftatbestände des Landesverratsabschnitts anzuwenden sind, wenn eine Verletzung der Geheimhaltungspflicht aus Art. 194 Abs. 1 Euratom-Vertrag vorliegt. Die Tatbestände des nationalen Strafrechts werden entsprechend erweitert (vgl. Pabsch NJW 1959 2002, 2003). Erfasst werden danach auch solche „schlichten“ Geheimnisse aus dem Euratom-Bereich, die nach Rang und Bedeutung nicht mit dem Gewicht deutscher Staatsgeheimnisse (§ 93) vergleichbar sind. Wie sich jedoch die „Umsetzung“ der völkerrechtlichen Vorgabe in das deutsche Strafrecht im Einzelnen vollzieht, wieweit die einzelnen Tatbestände durch die andersgeartete Interessenlage modifiziert werden, ist nicht ausdrücklich festgelegt. Es fehlen gesetzliche Vorschriften, die – wie Art. 7 Abs. 1 des 4. StRÄndG oder nunmehr § 1 Abs. 1 NTSG – die bewirkte Erweiterung näher beschreiben und verdeutlichen (hierzu die Kritik von Pabsch a. a. O. S. 2004 a. E.). Insoweit ist es der Rechtsprechung überlassen, in Auslegung der vertraglichen Erweiterungsvorschrift (Art. 194 Abs. 1 Euratom-Vertrag) und der dort in Bezug genommenen Strafrechtsnormen die sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen zu beantworten. Große praktische Bedeutung wird diesen allerdings kaum zukommen. Euratom-Geheimnisse sind meist gemeinsame Geheimnisse der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und damit auch solche der Bundesrepublik; sie können sich auch aus Erkenntnissen zusammenfügen, die von verschiedenen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eingebracht worden sind. Infolge der engen Interessenverknüpfung wird ein Zugriff auf Euratom-Geheimnisse, die dem Verteidigungsbereich zuzurechnen sind (Art. 24 Satz 1 EuratomVertrag), regelmäßig auch die äußere Sicherheit der Bundesrepublik berühren. Eine Strafverfolgung wird sich daher unmittelbar auf die §§ 93 ff. stützen können, ohne dass Art. 194 Abs. 1 Euratom-Vertrag herangezogen werden müsste (s. dazu BayObLG, Beschluss vom 20.12.1996 – 3 St 21/96; Paeffgen NK Rdn. 19). Eine vergleichbare Vorschrift wie Art. 194 Abs. 1 des Euratom-Vertrages enthält der Vertrag von Almelo vom 4. März 1970, in Kraft getreten am 19. Juli 1971 (BGBl. 1971 II 930). Aufgrund dieses Staatsvertrages wurde seit 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden das Gasultrazentrifugenverfahren zur Urananreicherung mit staatlicher Unterstützung entwickelt, um die Brennstoffversorgung der im Aufbau befindlichen Kernkraftwerke sicherzustellen. Das Verfahren konnte jedoch auch zur rüstungstechnischen Nutzung von Kernenergie eingesetzt werden und war in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach Gegenstand von Strafverfahren (vgl. BayObLG, Urteil vom 29.6.1999 – 3 St/96; LG Stuttgart, Urteil vom 28.5.2004 – 10 KLs 141 Js 28271/03).

VII. Verfahrensrechtliche Besonderheiten 1. Lockerung des Verfolgungszwanges Die StPO sieht bei Landesverrat und den sonstigen Taten gegen die äußere Sicherheit erweiter- 10 te Möglichkeiten vor, von der Strafverfolgung abzusehen (s. §§ 153c, 153d und 153e StPO). § 153c StPO hat im Blick auf die mit der Wiedervereinigung eröffneten Zugriffsmöglichkeiten 371

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Vor § 93 StGB

Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

und die damit verbundene Problematik (vgl. Rdn. 3 und 6) noch an Bedeutung gewonnen. Das Absehen von der Strafverfolgung ist nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bei Auslandstaten auch gerechtfertigt, wenn sie zu unbilligen Härten führen würde, insbesondere aber auch dann, wenn der Täter oder Teilnehmer einer anderen Rechtsordnung unterstand und dadurch in Konfliktsituationen geraten ist (Meyer-Goßner/Schmitt StPO § 153c Rdn. 3). § 153d StPO dehnt die in § 153c Abs. 3 und 4 enthaltene Regelung für die in Bezug genommenen Straftaten im Interesse höherer Flexibilität auf Inlandstaten im engeren Sinne aus. In Staatsschutzstrafsachen hat hierbei der Generalbundesanwalt eine zentrale staatsanwaltliche Zuständigkeit. Diese soll die Gewähr für eine gleiche, rechtsstaatliche Rechtsanwendung und sachgerechte Berücksichtigung der vom Gesetz angesprochenen Interessen bieten. Da seine Entschließung oft auch auf der Beurteilung politischer Sachverhalte und staatlicher Positionen der Bundesrepublik beruhen wird, wird sie von der Natur der Sache her meist nur im Zusammenwirken mit der zuständigen politischen Instanz getroffen werden können. Für ministerielle Weisungen dürfte hier aber in der Regel wenig Raum sein.38 Bezüglich des Schutzes der NATO-Stationierungsstaaten und deren Streitkräfte ist beim Absehen von der Strafverfolgung § 4 NTSG (zum früher geltenden Art. 9 des 4. StRÄndG s. Schmidt LK12 Rdn. 10 m. w. N.) zu beachten.

2. Vermögensbeschlagnahme 11 Bei Verbrechen nach den §§ 94, 96 Abs. 1, 97a und 100 kann gemäß § 443 StPO in der seit dem 25. Juli 2015 (BGBl. I 1332) geltenden Fassung vor Ergehen eines tatrichterlichen Urteils eine Vermögensbeschlagnahme angeordnet werden (vgl. dazu Schmidt KK Rdn. 1 f.; Paeffgen NK Rdn. 22). Diese gilt dem inländischen Vermögen des Beschuldigten, setzt allerdings voraus, dass bereits Anklage erhoben oder im Ermittlungsverfahren Haftbefehl gegen ihn erlassen worden ist. Da der Anwendungsbereich der Vorschrift den Tatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99) nicht umfasst, ist die Bestimmung nur von geringer praktischer Bedeutung. Im Ermittlungsverfahren ist es häufig zeitraubend, die tatsächlichen Grundlagen für den Erlass eines Haftbefehls nach den §§ 94, 96 Abs. 1 und 97a zu beschaffen. Diese Tatbestände setzen einen Angriff gegen ein Staatsgeheimnis oder ein illegales Staatsgeheimnis voraus. Der entsprechende Tatverdacht lässt sich meist nur nach zeitraubender sachverständiger Begutachtung untermauern. Das hat zur Folge, dass Agenten, gegen die zunächst lediglich wegen des Verdachts geheimdienstlicher Tätigkeit im Sinne von § 99 die Untersuchungshaft angeordnet wird, genügend Zeit verbleibt, mithilfe ihrer nachrichtendienstlichen Helfershelfer ihr Vermögen ganz oder teilweise in Sicherheit zu bringen. Soll die Vorschrift über die Vermögensbeschlagnahme ihren Sinn erfüllen, wird eine erneute Neufassung unumgänglich sein.

3. Strafprozessuale und andere Maßnahmen 12 Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, jemand könne als Täter oder Teilnehmer Straftaten nach den §§ 94 bis 100a begangen, diese versucht oder vorbereitet haben, so darf auch ohne Wissen der hiervon Betroffenen die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation angeordnet werden (§ 100a Abs. 1 und 2 Nr. 1a StPO).39 Hinsichtlich der Grenzen der Verwertbarkeit insoweit erlangter Erkenntnisse s. BGHSt 41 30, 31 ff. Die durch das OrgKG vom 15. Juli 1992 (BGBl. I 1302) in die StPO eingefügten §§ 98a und b, 110a bis 110c sowie weitere verfahrensrechtliche Bestimmungen (z. B. §§ 100b bis 100j oder 38 Hierzu auch Träger/Mayer/Knauth FS BGH 1975 227, 232 f.; aA Paeffgen GS Schlüchter 563, 579. 39 Zu den einzelnen Anordnungsvoraussetzungen einer Telekommunikationsüberwachung vgl. Bruns KK § 100a StPO Rdn. 27 ff. m. w. N. Barthe/Schmidt

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VII. Verfahrensrechtliche Besonderheiten

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§ 163f StPO) eröffnen darüber hinaus auch für den Bereich des Staatsschutzes die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen die gebotenen Ermittlungen mithilfe der Rasterfahndung, des Einsatzes Verdeckter Ermittler oder besonderer technischer Mittel oder einer längerfristigen Observation (dazu BVerfG NJW 2004 999; BGHSt 41 42, 43 ff.; 41 64, 65 ff. = JR 1996 515 ff. m. Anm. Beulke/Rogat; 42 103, 104 ff.; zum Ganzen s. Paeffgen NK Rdn. 23) zu betreiben.40 In diesem Zusammenhang sind auch die gesetzlichen Bestimmungen zu sehen, welche die rechtliche Grundlage für die präventive Arbeit der Polizei in Bund und Ländern, des Verfassungsschutzes und der Nachrichtendienste bilden, Vorgaben und Grenzen für diese Aufgabenbewältigung mit Blick auf die verfassungsrechtliche Problematik festlegen und die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit der Behörden unter Berücksichtigung des gebotenen Datenschutzes schaffen sollen. Das Gesetz zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes vom 20. Dezember 1990,41 das in seinem Art. 1 das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), in Art. 2 das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz – BVerfSchG) und in den Art. 3 und 4 die Gesetze über den Militärischen Abschirmdienst (MAD-Gesetz – MADG) und über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz – BNDG) enthielt, sowie die Polizeiverwaltungsgesetze der Länder42 brachten eine Neuregelung der Befugnisse der genannten Behörden, die in teilweiser Anlehnung an die abgelösten Vorschriften43 den aktuellen Anforderungen zu entsprechen versuchte.44 Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 10 GG sind jedoch vom Gesetzgeber nach wie vor nur nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz – G 10) vom 26. Juni 200145 und des dort geregelten Verfahrens eröffnet. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst sind danach befugt, zur Abwehr drohender Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes einschließlich der Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen sowie die dem Brief- oder Postgeheimnis unterliegenden Sendungen zu öffnen und einzusehen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 G 10).46 Zentrale Voraussetzung einer solchen Anordnung ist, dass tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, jemand plane, begehe oder habe bestimmte katalogmäßig benannte Straftaten begangen. Zu diesen zählen auch die Taten nach dem Landesverratsabschnitt (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 und 5 G

40 Die gesetzlichen Schranken für solche Ermittlungsmaßnahmen orientieren sich überwiegend an den Grundsätzen, von denen sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zu Art. 10 und Art. 13 GG sowie zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat leiten lassen (BVerfGE 30 1; 67 157; 85 386; 93 181; 20 162; 65 1; 71 183; 78 77). 41 BGBl. I 2954. 42 So etwa das Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (POG) von Rheinland-Pfalz vom 10.11.1993 (RPGVBl. 595), das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 22.9.2017 (RPGVBl. 237) mehrfach geändert wurde. 43 Vgl. hierzu das Zusammenarbeitsgesetz in der Fassung vom 7.8.1972 (BGBl. I 1382). 44 S. dazu Gusy DVBl 1991 1288 und Kutscha NJW 1994 85. Die vorgenannten Gesetze haben in den vergangenen Jahren zum Teil erhebliche Änderungen und Ausweitungen erfahren. Exemplarisch für eine solche gesetzgeberische Ausweitung der Kompetenzen der Sicherheitsbehörden zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus ist das von Seiten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 141 220) im Jahr 2016 für teilweise verfassungswidrig erklärte Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) zu nennen. 45 BGBl. I 1254, ber. 2298; 2017 I 154, zuletzt geändert durch Art. 38 Elfte ZuständigkeitsanpassungsVO vom 19.6.2020 (BGBl. I 1328). 46 Vgl. insoweit auch die Begründung zum Regierungsentwurf des G 10 aus dem Jahr 1967 (BTDrucks. V/1880 S. 6) sowie – zu späteren Gesetzesänderungen des am 1. November 1968 ursprünglich in Kraft getretenen Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 13.8.1968 (BGBl. I 949) – BTDrucks. 12/6853 S. 42 bis 45 und 12/7837 S. 3, jeweils aus dem Jahr 1994. In Bezug auf die in Rdn. 8 angesprochenen Fragen fällt auf, dass das G 10 unter den zu schützenden Rechtsgütern nur die Sicherheit der Stationierungsstreitkräfte nennt, nicht aber auch den Entsendestaat selbst (s. hierzu BVerfGE 30 1 ff., 30; BGHSt 32 104, 108 ff.; § 99 Rdn. 11). 373

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Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

10). Die Anordnung ist allerdings gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 G 10 nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Sie darf sich zudem nur gegen den Verdächtigen oder gegen Personen richten, von denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Verdächtigen bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Verdächtige ihren Anschluss benutzt. Maßnahmen, die sich auf Sendungen beziehen, sind nur hinsichtlich solcher Sendungen zulässig, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie von dem, gegen den sich die Anordnung wendet, herrühren oder für ihn bestimmt sind, wobei Abgeordnetenpost nicht in eine Maßnahme einbezogen werden darf, die sich gegen einen Dritten richtet (s. dazu § 3 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 G 10). Zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sowie zeugnisverweigerungsberechtigter Personen vgl. die §§ 3a und b, zum Verfahren die §§ 9 bis 13 und zur Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium und die sogenannte G 10-Kommission § 1 Abs. 2 und die §§ 14 bis 16 G 10.47

4. Hauptverhandlung und Urteil 13 Bei der Verfolgung von Straftaten gegen die äußere Sicherheit können sich besondere Probleme für die Beweisaufnahme und für die Beweiswürdigung des Tatrichters ergeben. Speziell Fragen der Erreichbarkeit von Zeugen aus dem nachrichtendienstlichen Bereich spielen hier häufig eine Rolle (§§ 244 Abs. 3 und 5, 251 Abs. 2 StPO). Soll etwa ein Verfassungsschutzbeamter als Zeuge über Hinweise anonym bleibender Gewährsleute aussagen, hat der Tatrichter den Beweiswert der Bekundungen besonders kritisch zu prüfen, sich der Grenzen seiner Überzeugungsbildung bewusst zu sein, sie zu wahren und das in den Urteilsgründen zum Ausdruck zu bringen. Das Gebot äußerster Vorsicht bei der Beweiswürdigung gilt in Fällen solcher „mittelbarer Beweisführung“ im besonderen Maße, wenn das zu Beweisende erst über eine oder mehrere Zwischenstationen zur Kenntnis des Zeugen gelangte.48 Soweit in diesen Verfahren über Sachverhalte zu verhandeln ist, bei deren Offenlegung eine Gefährdung der Staatssicherheit zu besorgen wäre, kann nach § 172 Nr. 1 GVG die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden mit der Folge, dass für Presse, Rundfunk und Fernsehen das in § 174 Abs. 2 GVG normierte, strafbewehrte (§ 353d) Veröffentlichungsverbot gilt. Einen weiteren Schutz soll § 138b StPO bieten, der für Staatsschutzsachen die – zusätzliche – Möglichkeit eröffnet, einen Verteidiger auszuschließen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, es also nahe liegt, dass seine Mitwirkung eine Gefahr für die Sicherheit des Staates herbeiführen würde (dazu Willnow KK § 138b StPO Rdn. 2 f.; Meyer-Goßner/Schmitt § 138b StPO Rdn. 1 f.).

VIII. Zuständigkeiten 14 Die erstinstanzliche Zuständigkeit für das Hauptverfahren liegt für die Verfolgung von Taten nach den §§ 94 bis 100a (und nach § 52 Abs. 2 PatentG, § 9 Abs. 2 GebrauchsmusterG sowie § 4 Abs. 4 HalblSchG) in den Bundesländern grundsätzlich bei dem OLG, in dessen Bezirk die 47 Zu den Ausführungsgesetzen der Bundesländer zum G 10 vgl. etwa das Gesetz zur Ausführung des Artikel 10Gesetzes des Landes Baden-Württemberg vom 13.5.1969 (BWGBl. 79), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.12.2018 (BWGBl. 1552), und das Gesetz über die Aufgaben der G10-Kommission im Bayerischen Landtag und zur Ausführung des Art. 10-Gesetzes – G 10 des Freistaates Bayern vom 11.12.1984 (BayGVBl. 522, BayRS 12-2-I), das zuletzt durch § 1 Abs. 15 der Verordnung vom 26.3.2019 (BayGVBl. 98) geändert worden ist. 48 S. hierzu BVerfGE 57 250, 273 ff.; BVerfG – 2. Kammer – Beschluss vom 19.7.1995 – 2 BvR 1142/93, NStZ 1995 600; BGHSt 17 382; 33 70; 34 15; 36 159; 38 263, 277; 42 15, 24 f.; BGH NStZ-RR 2018 21; ferner EGMR, Urteil vom 15.12.2015 – 9154/10, StV 2017 213 (zur Verurteilung eines Angeklagten bei Abwesenheit von Belastungszeugen). Barthe/Schmidt

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IX. Recht des Einigungsvertrags

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Landesregierung ihren Sitz hat (§ 120 Abs. 1 Nr. 3 GVG). Die Bundesländer können jedoch durch Vereinbarung die Zuständigkeit eines dieser Oberlandesgerichte auch für das Gebiet eines anderen Landes begründen (§ 120 Abs. 5 Satz 2 GVG). Aufgrund solcher Abkommen sind im alten Bundesgebiet für Bremen, Schleswig-Holstein (seit 2012) und Hamburg das Hanseatische OLG in Hamburg, für Rheinland-Pfalz und das Saarland das OLG Koblenz zuständig.49 Für das Beitrittsgebiet war bis zu der Anpassung des Gerichtsaufbaus das Kammergericht zuständig (EV Anl. I Kap. III Sachgebiet A Abschnitte III Nr. 1 l). Inzwischen ist auch dort den neugeschaffenen Oberlandesgerichten die Zuständigkeit übertragen worden, wobei das Hanseatische OLG in Hamburg seit 2012 ebenfalls für Staatsschutzstrafsachen aus dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern zuständig ist (vgl. Feilcke KK § 120 GVG Rdn. 2 m. w. N.).50 Über das Rechtsmittel der Revision gegen die erstinstanzlichen Urteile der Oberlandesgerichte entscheidet der BGH (§ 135 Abs. 1 GVG). Die staatsanwaltliche Zuständigkeit regelt § 142a GVG. In Fällen illegalen Technologietransfers und Proliferation (dazu auch § 99 Rdn. 5 bis 8) ist die Zuständigkeit zur Strafverfolgung der relevanten Tatbestände auf Bund und Länder aufgeteilt: Nach dem durch das 2. JuMoG vom 22. Dezember 2006 (vgl. insoweit bereits oben Rdn. 4a) eingefügten § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GVG sind die Oberlandesgerichte – über die in § 120 Abs. 1 genannten Delikte hinaus – im ersten Rechtszug (ausnahmsweise) auch zuständig für die Verhandlung und Entscheidung bei Straftaten nach dem AWG sowie solchen nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 und § 20 Abs. 1 KriegswaffKG, wenn die Tat nach den Umständen entweder a) geeignet ist, die äußere Sicherheit oder die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden, oder b) bestimmt und geeignet ist, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, und der Generalbundesanwalt wegen der besonderen Bedeutung des Falles die Verfolgung übernimmt. Die Oberlandesgerichte üben bei Vorliegen dieser Voraussetzungen Bundesgerichtsbarkeit aus (s. § 120 Abs. 6 und 7 GVG), Anklagebehörde ist gemäß § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG der Generalbundesanwalt. In allen anderen Fällen sind die Landesstaatsanwaltschaften zur Verfolgung berufen (zu dem unbestimmten Rechtsbegriff der „besonderen Bedeutung“ in § 120 Abs. 2 GVG vgl. BGHSt 46 238; BGH NStZ 2009 335, 338; Feilcke KK § 120 GVG Rdn. 3 ff. m. w. N.; zur früheren Rechtslage Schmidt LK12 Rdn. 14; Hannich in FS Nehm 2006 139, 148; Schmidt/Wolff NStZ 2006 161, 165).

IX. Recht des Einigungsvertrags 1. Rechtsprechung und Literatur bis zur Entscheidung des BVerfG Die Rechtslage vor dem Einigungsvertrag (3. Oktober 1990) und die allgemeinen Auswirkungen 15 des Vertrags sind von Laufhütte/Kuschel LK11 Vor § 80 Rdn. 35 bis 37 dargelegt worden. Der Ergänzung bedürfen nur die Ausführungen (LK11 Rdn. 39 f.), die sich mit der Frage der Anwendbarkeit der Strafvorschriften des Zweiten Abschnitts – Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit – auf Spionagetätigkeiten befassen, welche in der früheren DDR und von dort ausgehend von Staatsbürgern der DDR in der Bundesrepublik gegen diese betrieben wurden. Hierzu hat sich in der Literatur eine Vielzahl an Auffassungen und Einwendungen ergeben, deren Gedankenreichtum sich vom Friedensvölkerrecht über die Haager Landkriegsordnung zu

49 S. im Übrigen Brem. G. vom 29.9.1970 (Brem.GBl. 123); Brem. G. vom 16.6.1978 (Brem.GBl. 163, 194); Hamb. G. vom 12.10.1970 (HmbGVBl. 271); Hamb. G. vom 13.3.1978 (HmbGVBl. 73, 325); Hamb. G. vom 18.5.2012 (HmbGVBl. 196); Schl.-H. G. vom 30.5.2012 (GVOBl. Schl.-H. 550); RhPf. G. vom 20.12.1971 (RPGVBl. 304); RhPf. G. vom 21.7.1978 (RPGVBl. 584); Saarl. G. vom 15.12.1971 (SaarABl. 848); Saarl. G. vom 12.7.1978 (SaarABl. 696). 50 Hamb. G. vom 18.5.2012 (HmbGVBl. 194); M-V G. vom 2.7.2012 (GVOBl. M-V 250). 375

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Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

verschiedenen, jeweils als einschlägig beurteilten Verfassungsgrundsätzen spannt51 und auch Differenzierungen in der Auslegung der Strafbestimmungen selbst aufweist.52 Die Rechtsprechung hat sich eingehend mit diesen Argumenten befasst. Mit Ausnahme des Kammergerichts, das in seinem Vorlagebeschluss vom 22.7.1991 (NJW 1991 2501 = JR 1991 426) die Strafverfolgung der von DDR-Bürgern vom Boden der DDR aus gegen die Bundesrepublik entfalteten Spionagetätigkeit wegen Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), insbesondere wegen angeblicher Unvereinbarkeit mit dem in Art. 3 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden „Gerechtigkeitsgedanken“, und aus Gründen des Vertrauensschutzes im Blick auf die Schranken unechter Rückwirkung (vgl. BVerfGE 68 287, 307) sowie aufgrund Art. 31 der Haager Landkriegsordnung für unzulässig hielt,53 sind die Gerichte von der Anwendbarkeit der §§ 94, 99 StGB und der Verfolgbarkeit solcher Taten ausgegangen.54 Der Einigungsvertrag – so auch das KG – habe an der Geltung dieser Vorschriften, die nach dem Ubiquitätsprinzip (§ 9) und nach dem Schutzgrundsatz (§ 5 Nr. 4) auch Taten auf dem Gebiet der früheren DDR erfassten, nichts geändert. Art. 315 Abs. 4 EGStGB beinhalte, dass die Übergangsregelung des Art. 315 Abs. 1 bis 3 EGStGB auf solche Fälle nicht anzuwenden sei.55 Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Einwendungen hiergegen griffen nicht durch. Den ihnen zugrunde liegenden Gesichtspunkten, denen – vor allem bei einer Gesamtschau – durchaus Bedeutung zukomme, könne durch Berücksichtigung bei der Strafzumessung und durch großzügige Anwendung der §§ 153 ff. StPO ausreichend Rechnung getragen werden.56

2. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Mai 1995 16 Die lange erwartete Entscheidung des BVerfG vom 15. Mai 1995 (BVerfGE 92 277) hat zwar bestätigt, dass die §§ 94 und 99 mit dem Grundgesetz auch insoweit vereinbar sind, als sie in Verbindung mit den §§ 3, 5 Nr. 4 und § 9 für die im Dienste der DDR betriebene Spionage gegen die Bundesrepublik weiterhin eine Bestrafung vorsehen. Das Gericht hat hierin weder einen Verstoß gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Verbot rückwirkender Strafgesetze gesehen noch eine Verletzung des Art. 3 GG (BVerfGE a. a. O. 318 f., 323 ff.). Auch völkerrechtliche Grundsätze, die einer Ahndung solcher Taten entgegenstünden, hat es nicht feststellen können; dies auch nicht in Bezug auf das völkerrechtliche Sukzessionsrecht (a. a. O. 320 ff.). Dessen ungeachtet hat es jedoch gleichzeitig entschieden, dass es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerspreche, wenn in der mit dem Beitritt der DDR entstandenen einzigartigen Situation der nach wie vor bestehende, auf die §§ 94 und 99 gegründete Strafanspruch der Bundesrepublik gegenüber Bürgern der DDR durchgesetzt wird, die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung ihren Lebensmittelpunkt in der DDR hatten und allein vom Boden der DDR oder solcher Staaten aus gehandelt 51 Dazu etwa Widmaier NJW 1990 3169 (Völkerrecht, Gleichheitssatz); Zuck MDR 1991 1009 (Grundsatz des fairen Verfahrens); Ignor/Müller StV 1991 573 (Schuldgrundsatz); Albrecht/Kadelbach NJ 1992 137 (Vertrauensschutz); Classen JZ 1991 717 (Art. 103 Abs. 2 GG). 52 Vgl. beispielsweise C. Arndt NJW 1991 2466, 2467, der allerdings die strafrechtliche Tragweite des Schutzgrundsatzes (§ 5 Nr. 4) und des Ubiquitätsprinzips (§ 9) verkennt. Dass der Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung auf dem Gebiet der früheren DDR keine Jurisdiktionsgewalt zustand, änderte nichts an der Wirksamkeit der Entscheidung des Gesetzgebers, den Geltungsbereich seiner Strafbestimmungen zum Schutz des Staates auf die DDR zu erstrecken (s. Rdn. 6 sowie BVerfGE 92 277, 325); beachtenswert auch Loos/Radtke StV 1994 565 (zu § 94) und Schroeder NJW 1981 2278 ff. (zu § 99). 53 Hierzu NJW 1991 2501 m. Anm. Wilke S. 2465 und C. Arndt S. 2466; JR 1991 426 m. Anm. Volk. 54 Die Auffassung des BGH ist in der überzeugend begründeten Entscheidung BGHSt 39 260 (= NStZ 1993 587 m. Anm. Träger NStZ 1994 282) dargelegt; im gleichen Sinne haben das BayObLG und die OLGe Düsseldorf, Koblenz und Hamburg entschieden. Die OLGe Celle und Frankfurt haben den Beschluss des BVerfG (BVerfGE 92 277) abgewartet. 55 Vgl. Gribbohm LK11 § 2 Rdn. 60, 60a und 70, § 1 Rdn. 85. 56 BGHSt 39 260, 273; s. auch OLG Koblenz StV 1991 464 mit abl. Anm. Widmaier und Fetscher. Barthe/Schmidt

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haben, in denen sie vor Bestrafung oder Auslieferung sicher waren und diese Sicherheit für sie erst durch die Wiedervereinigung entfallen ist. Für solche Personen besteht daher ein unmittelbar verfassungsrechtlich begründetes Verfolgungshindernis (a. a. O. 325, 326 ff., 335 f.). Dieses greift nicht, wenn bei Taten in Drittstaaten die Auslieferung an die Bundesrepublik drohte; es steht einer Strafverfolgung auch – und nur – insoweit nicht entgegen, als der Drittstaat selbst eine gegen die Bundesrepublik gerichtete, auf seinem Boden ausgeübte Spionagetätigkeit mit Strafe bedroht (a. a. O. 336). Bei Bürgern der DDR, die in der Bundesrepublik Spionage gegen diese und ihre Verbündeten betrieben haben oder in anderen Staaten entsprechend tätig waren, ohne dort vor Auslieferung oder Strafverfolgung sicher zu sein, muss nach Auffassung des BVerfG die für die vorgenannte Tätergruppe durch „Annahme“ eines verfassungsrechtlichen Verfolgungshindernisses bewirkte „Straflosigkeit“ im Einzelfall entweder bei der „Entscheidung über die weitere Strafverfolgung“ oder bei der Strafzumessung „maßgebliche Berücksichtigung finden“ (a. a. O. 337). Der Beschluss des BVerfG beendet zwar im Grundsatz die Diskussion um die Strafbarkeit 17 der „Spionage“, die vor der Wiedervereinigung von der DDR gegen die Bundesrepublik betrieben wurde. Seine Begründung wirft jedoch sowohl in verfassungsrechtlicher Hinsicht als auch unter strafrechtlichem und strafprozessualem Blickwinkel Fragen auf, die eine kritische Stellungnahme fordern. Welche weitere Bedeutung die Entscheidung künftig für das Staatsschutzstrafrecht erlangen wird, ist nur schwer abzusehen. Sie dürfte sich angesichts der apodiktischen Argumentation und Wertung in diesem Bereich jedenfalls nicht allein mit dem wiederholten Hinweis des Gerichts auf die „Einzigartigkeit“ der Ausgangslage in Grenzen halten lassen (a. a. O. 325, 327, 330).57 Vorweg sei angemerkt: Es sprach gewiss viel dafür, die – auch vom Standpunkt des BVerfG 18 aus – nach wie vor gesetzlich begründete Strafbarkeit der vom Boden der DDR aus gegen die Bundesrepublik betriebenen „Spionagetätigkeit“ kritisch zu überdenken und nach einem Weg zu suchen, der den Auswirkungen des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik angemessen Rechnung trägt und gleichzeitig die Belange des Staatsschutzes wahrt. Nachdem jedoch die Versuche, im Wege einer Amnestie eine sachgerechte generelle Lösung der vielschichtigen, differenzierten Problematik herbeizuführen, in den parlamentarischen Beratungen gescheitert waren (s. BTDrucks. 11/7762, 11/7871, 12/6370),58 hätte das BVerfG – ein zulässiges Verfahren vorausgesetzt – im Rahmen seiner Kompetenz allenfalls prüfen können, ob dieses „Unterlassen“ des Gesetzgebers angesichts der Einmaligkeit der durch die Wiedervereinigung und durch den Einigungsvertrag bewirkten Erstreckung der Jurisdiktion der Bundesrepublik auf das Gebiet der früheren DDR mit Blick auf die geltenden Staatsschutzstrafbestimmungen der §§ 94, 99 i. V. m. §§ 3, 5 Nr. 4, 9 mit der Verfassung vereinbar ist (vgl. hierzu aber BVerfGE 2 213, 222, 224 f.; 10 234, 238 f., 241 ff.; 36 174; 46 214, 222 f.). Unter Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip, speziell auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, durch Kreation eines unmittelbar aus der Verfassung hergeleiteten Verfolgungshindernisses eine unbestimmte, nach abstrakt-generellen Kriterien abgegrenzte Gruppe von Straftätern von der Strafverfolgung auszunehmen und damit selbst die Wirkung einer – wenn auch sehr unvollkommenen – „Amnestie“ herbeizuführen, überschreitet

57 Dazu die Abweichende Meinung der Richter Klein, Kirchhof und Winter (BVerfGE 92 277, 341 ff.), der sowohl in den Ausführungen zu den Grenzen verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung als auch in der sonstigen Argumentation im Wesentlichen zuzustimmen ist; vgl. insoweit auch BayObLG NJW 1996 669 = JR 1996 427 m. Anm. W. Schmidt; C. Arndt NJW 1995 1803; Classen NStZ 1995 371, 374; Doehring ZRP 1995 293; Hillenkamp JZ 1996 179, 180 f.; Heselhaus JA 1996 9; Huber Jura 1996 301; Paeffgen NK Rdn. 30 f.; H. W. Schmidt Aus der Rechtsprechung des BGH in Staatsschutzsachen – 1. Teil – NStZ 1996 372 f.; Schroeder JR 1995 441; Volk NStZ 1995 367. 58 Hillenkamp JZ 1996 179, 180 f.; Kinkel JZ 1992 485, 486; Schätzler NJ 1995 57; Schünemann in Lampe (Hrsg.) Die Verfolgung von Regierungskriminalität der DDR nach der Wiedervereinigung (1993) S. 188 und 191; Träger NStZ 1994 282; Wassermann NJW 1994 2666; Fischer § 99 Rdn. 4; Lackner/Kühl/Kühl § 2 Rdn. 23. 377

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Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

die Grenzen, die der Verfassungsgerichtsbarkeit gezogen sind.59 Das Entscheidungsergebnis ist auch in der Rechtsprechung des Gerichts ohne Beispiel.60

19 a) Pflicht zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Schuldangemessenes Strafen ist Sache des Staates. Allein das Gesetz bestimmt, wo und wieweit er strafen darf (BVerfGE 86 288, 346). Es schreibt aber auch vor, dass dort, wo es in Einklang mit der Verfassung Strafe androht, Straftäter im rechtsstaatlichen Interesse verfolgt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden müssen.61 Ausnahmen von diesem Prinzip bedürfen grundsätzlich der gesetzlichen Regelung. Dazu gehören insbesondere die Vorschriften über die Einstellung des Strafverfahrens, erst recht aber die Schaffung von Strafausschließungsgründen62 oder die Amnestie (BVerfGE 46 214, 222 ff.). Die im Rechtsstaatsprinzip und im Gleichbehandlungsgebot wurzelnde Pflicht des Staates, den „Strafanspruch“ durchzusetzen (BVerfGE a. a. O.), mag darüber hinaus im Einzelfall an grundrechtliche Schranken stoßen, die der Durchführung oder Fortsetzung des Verfahrens entgegenstehen, wenn ganz besondere, extreme Umstände vorliegen, die unabhängig von der Aufgabe der materiellen Rechtsanwendung verfassungsrechtliche Bedeutung für das konkrete Prozessgeschehen haben.63 Man mag zudem der Auffassung sein können, dass das – auch aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts – verfassungsgemäße strafrechtliche und strafprozessuale Instrumentarium zur Begrenzung des staatlichen „Strafanspruchs“ nicht ausreichte, um die besondere Problematik der „Spionagestraftaten“ zugunsten der früheren DDR nach der Wiedervereinigung zufriedenstellend zu lösen.64 Das erlaubt jedoch der Rechtsprechung nicht – auch nicht dem Bundesverfassungsgericht – neues Recht, das einem solchen Mangel abhelfen und demzufolge eine Vielzahl von Fallgestaltungen unterschiedlichsten Gewichts65 einer generell-abstrakten Regelung unterwerfen soll, also nach Inhalt und Tragweite naturgemäß der Präzisierung durch den Gesetzgeber bedarf, selbst zu setzen (s. BVerfGE 20 162, 218 f.; 77 65, 82). Dies um so weniger, als das ins Feld geführte Rechtsstaatsprinzip dafür keine näher umrissene verfassungsrechtliche Vorgabe enthält, sondern nicht zuletzt im Blick auf die in ihm selbst angelegten, hier besonders augenfälligen Gegenläufigkeiten (Legalitätsprinzip, Gerechtigkeitspostulat, Rechtsgebundenheit) zwingend eine Konkretisierung nach den jeweiligen sachlichen Gegebenheiten unter Berücksichtigung des vom Gesetzgeber vorgezeichneten strukturellen Systems an Rechtssätzen

59 S. hierzu BVerfGE 92 277, 341 ff., 365 (Abw. Meinung); Classen NStZ 1995 371, 373 f., 375; Schroeder JR 1995 441, 443; Volk NStZ 1995 367. 60 Ein Ansatz findet sich allerdings in BVerfGE 90 145 (Cannabis), die im Ergebnis die Ausscheidung nicht strafwürdigen, aber vom Straftatbestand erfassten Verhaltens unter Hinweis auf die vom Gericht angenommene „Gleichwertigkeit“ materiell-rechtlicher Begrenzung der Strafvorschrift und strafprozessualer Einschränkung des Verfolgungszwangs über eine vom Übermaßverbot vorgegebene Handhabung der Möglichkeiten zur Einstellung des Verfahrens (insb. § 31a BtMG) vorschreibt (BVerfGE 90 145, 164 [Leitsatz 3], 189 f.). Die vom Gericht vermisste einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften durch Verwaltungsvorschriften herbeizuführen und so für die Zukunft die Wirkung einer materiell-rechtlichen Tatbestandsbegrenzung zu erzielen, dürfte jedoch selbst auf verfassungsrechtliche Schranken stoßen (vgl. BVerfGE 90 145, 146, 224 f. [Abw. Meinung des Richters Sommer]; dazu auch BVerfGE 9 223, 228 ff.). 61 BVerfGE 46 214, 222 f.; s. dazu auch BVerfGE 9 223, 228; 16 194, 202; 44 353, 374; 51 324, 343 f. 62 Vgl. Rönnau LK Vor § 32 ff. Rdn. 394. 63 Hierzu BVerfGE 51 324, 343 ff.; 92 277, 342 (Abw. Meinung); BVerfG (Kammer) NJW 1986 3021; BerlVerfGH JR 1993 99 (= NJW 1993 515) m. Anm. Meurer JR 1993 89; BGHSt 32 345, 350 ff.; 35 137; OLG Stuttgart JR 1994 81; OLG Zweibrücken NStZ 1989 134; LG Berlin StV 1991 371 (dazu Scheffler JZ 1992 131); Meyer-Goßner/Schmitt StPO Einl. Rdn. 147 f.; Rieß JR 1985 45. 64 S. aber Rdn. 6 und 10, hierzu BVerfGE 92 277, 362 ff. (Abw. Meinung) und Classen NStZ 1995 371, 373 f.; welche umfassende Prüfung des „einfachen“ Rechts und welche sorgfältige Abwägung die verfassungsgerichtliche Feststellung voraussetzt, eine Norm als Teil eines gesetzlichen Regelungssystems und dieses selbst genüge punktuell nicht rechtsstaatlichen Erfordernissen, vermittelt BVerfGE 45 187, 223 ff., 242 ff., 253 ff. 65 Vgl. W. Schmidt JR 1996 430, 431. Barthe/Schmidt

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fordert (vgl. BVerfGE 45 187, 246; 57 250, 276; 70 297, 308 ff.). Für den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt nichts anderes. Mit der Verweisung in BVerfGE 92 277, 327 auf Hanack LK11 § 62 Rdn. 8 wird gerade die Notwendigkeit solcher Konkretisierung im Zusammenhang mit der Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe im Maßregelrecht (a. a. O. Rdn. 9) und mit dessen besonderer Zielsetzung (Gefahrenabwehr durch spezialpräventive Einwirkung) belegt (a. a. O. Rdn. 1, 4, 9 ff.). Im Bereich staatlichen Strafens liegt ein umfassendes System von Rechtssätzen vor, die in ihren Ausprägungen ein rechtsstaatliches Verfahren garantieren und sowohl materiell-rechtlich als auch strafprozessual ausgewogene Reaktionen nach der Schwere des Unrechts, nach den Umständen der Tat im weiten Sinne, nach dem Maß der Schuld des Täters, nach den – auch verfassungsgerichtlich – anerkannten Strafzwecken und nach den jeweiligen Gegebenheiten, die das von der allgemeinen Aufgabe des Strafrechts bestimmte öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beeinflussen, ermöglichen sollen (dazu BVerfGE 45 187, 253 ff.; 46 214, 223; 51 176, 183). Nur unter Einbeziehung dieser gesetzlichen Vorgaben, zu denen insbesondere auch § 153c StPO und die speziell für das Staatsschutzstrafrecht geschaffenen Regelungen der § 98 Abs. 2, § 99 Abs. 3 und §§ 153d, 153e StPO gehören (s. Rdn. 10), ließe sich die Frage beantworten, ob überhaupt, unter welchen „Bedingungen“ und wieweit der „Vollzug“ von Strafvorschriften, gegen die von Verfassungs wegen nichts einzuwenden ist, für eine generell-abstrakt abgegrenzte Vielzahl von Fällen und Tätern zu einer besonderen „Schärfe“ und deshalb zu einer übermäßigen, unzumutbaren Beeinträchtigung der Rechte der Betroffenen führen kann. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip im engeren Sinne66 gestattet hier keine Ausnahme. Es verlangt angesichts der weiten, vielschichtigen Problematik, dass alle im konkreten Zusammenhang relevanten strafrechtlichen und strafprozessualen Umstände und Gesichtspunkte, insbesondere auch ihre Bedeutung für eine an rechtsstaatlichen Grundsätzen und Garantien ausgerichtete Rechtspflege (BVerfGE 80 367, 375), in die Abwägung einzubeziehen sind und ihre Gewichtung sach- und systemgerechter Beurteilung zu unterliegen hat. Die Besonderheiten, die sich hier aus der Erstreckung des Geltungsbereichs der Strafvorschriften auf das Tatgeschehen im Bereich der früheren DDR ergeben (§§ 3, 5 Nr. 4, 9) und vielfältige strafbare Verhaltensweisen charakterisieren, die im Auftrag dieses Staates oder jedenfalls in seinem Interesse ins Werk gesetzt wurden, müssen danach zwar angemessen Berücksichtigung finden (vgl. Rdn. 6). Eine Entbindung von der gerade hier unabdingbaren Gesamtschau und Gesamtwürdigung lässt sich damit aber ebenso wenig begründen wie eine Sichtweise, welche die nach Vollendung der Straftaten durch die Wiedervereinigung eingetretene breite Möglichkeit der Strafverfolgung in den Mittelpunkt der Abwägung rückt und so von vornherein einem staatspolitischen Geschehnis entscheidende Bedeutung zumisst,67 das weder den Unrechts- und Schuldgehalt der Straftaten berühren noch den durch die Strafverfolgung (Strafzwecke) zu bewirkenden Rechtsgutschutz (BVerfGE 45 187, 253) in Frage stellen kann (s. BVerfGE 92 277, 327, 334 sowie 346 f., 348 f. Abweichende Meinung).68

b) Überschreitung der verfassungsgerichtlichen Grenzen. Dass sich das „Abwägungsver- 20 fahren“ der Mehrheit des Senats weder in seinem Ansatz noch in seinem Ergebnis mit den inhärenten Grenzen in Einklang bringen lässt, die der Anwendung des Rechtsstaatsprinzips und der von ihm abgeleiteten Verfassungsgrundsätze durch die Notwendigkeit enger Einbindung in die konkrete Problematik und in das dafür vom Gesetzgeber vorgesehene sachbezogene Regelungs66 Dazu Maunz/Dürig/Herzog Art. 20 Abschn. VII Rdn. 117 ff. 67 BVerfGE 92 277, 327 f. 68 Die Auffassung Schroeders in JR 1995 441, 445, dass es mit dem Wegfall der DDR und der von ihr ausgehenden Gefahr auch an einem Strafzweck fehle, wird vom Bundesverfassungsgericht zu Recht nicht geteilt (BVerfGE a. a. O.). Vgl. dazu auch BGHSt 39 260, 267 f.; BayObLG NStZ 1992 281, 283; HansOLG bei H. W. Schmidt MDR 1993 504; Odersky Die Rolle des Strafrechts bei der Bewältigung politischen Unrechts 1992 S. 25 f.; Naucke Die strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität 1996 S. 32 f.; aA Jakobs in Isensee (Hrsg.) Vergangenheitsbewältigung durch Recht, S. 61 ff.; differenzierend Schünemann a. a. O. (Fn. 58) 189 ff. 379

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Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

gefüge gesetzt sind, haben die dissentierenden Richter überzeugend dargelegt (BVerfG a. a. O. 341 f., 346 ff.). Auf der Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hätte das Bundesverfassungsgericht als Organ der rechtsprechenden Gewalt zur Herleitung eines so weitreichenden, differenzierenden und strafprozessual kaum fassbaren verfassungsrechtlichen Verfolgungshindernisses und damit zusammenhängender Ausstrahlungswirkungen auf weitere, außerhalb der DDR bewirkte Spionagetätigkeiten allenfalls kommen können, wenn das Verfassungsprinzip – methodisch sachgerecht gehandhabt – dies strikt gefordert hätte, wenn dem Gesetzgeber insoweit also kein Gestaltungsspielraum geblieben wäre (BVerfGE 20 162, 218 f.; 77 65, 82).69 Die Gründe der Entscheidung vermögen dies indes nicht zu belegen. Es wird zwar auf verschiedene Gesichtspunkte abgestellt, die gegen eine weitere Verfolgbarkeit sprechen sollen. Eine klare verfassungsrechtliche Zuordnung dieser Positionen, die teils eher geeignet wären, das vom Gericht vorweg als verfassungsgemäß bestätigte Schutzprinzip oder die Ausführungen zu Art. 3 GG in Frage zu stellen (BVerfGE 92 277, 317 f.), fehlt jedoch ebenso wie eine ausgewogene Auseinandersetzung mit der eingangs getroffenen Feststellung, dass das Strafrecht seinen rechtsstaatlich vorgegebenen Zweck nur erfüllen kann, wenn es auch durchgesetzt wird (a. a. O. 326; BVerfGE 46 214, 222). Die als zentrales Argument angeführte Ambivalenz der Spionagehandlungen vermag in diesem Zusammenhang wenig zu überzeugen. Es trifft zu, dass das Völkerrecht auf seiner Ebene die Spionagetätigkeiten des Staates gewissermaßen „neutral“ beurteilt und sich einer Bewertung enthält. Dies ist aus der Achtung der Gleichheit der Staaten und ihrer Souveränität zu verstehen, die gleichzeitig eine Einwirkung auf die innerstaatliche Ausgestaltung entsprechender Strafvorschriften ausschließt (Doehring ZRP 1995 293 ff.). Ebenso richtig ist aber auch, dass jeder Staat, auch wenn er selbst nachrichtendienstliche Aufklärung betreibt, aus Gründen der Selbsterhaltung sich gegen die Ausforschung seiner Daten zur Wehr setzen muss. Die Verfassung sieht das nicht anders (vgl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 10b, Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, BVerfGE 30 1, 19 f.). Das Bundesverfassungsgericht selbst hat den Schutz des Staates, dem die Strafvorschriften der §§ 93 ff. dienen, als „verfassungsrechtliches Gebot obersten Ranges“ gewertet (BVerfGE 20 162, 222).70

21 c) Kritik an der Entscheidung im Schrifttum. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere die rechtsschöpferische Herleitung eines verfassungsrechtlichen Verfolgungshindernisses und seiner in der Begründung nur wenig aussagekräftigen Ausstrahlungswirkungen, ist im Schrifttum auf breite Kritik gestoßen, Kritik auch von der Seite, die eine Nichtbestrafung befürwortet.71 Zutreffend wird geltend gemacht, dass die verfassungsgerichtliche Argumentation weder Aufschluss gibt, weshalb sich aus einem durchaus materiell-rechtlichen Ansatz (s. BVerfGE 92 277, 318) und einer verfassungsrechtlichen Prüfung auf der zwischen Strafnorm und Straferkenntnis liegenden Ebene (BVerfGE a. a. O. 326 f.) ein generelles Verdikt ergeben soll, das als Verfahrenshindernis besonderer Art prozessual zu wirken hat, noch weiterführende Gedanken über dessen Funktionsweise innerhalb der Systematik des Gesetzes enthält.72 Nahezu einhellig wird auch darauf abgestellt, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz,

69 S. in diesem Zusammenhang auch Hesse JZ 1995 265, 267; Krey JR 1995 221 ff. und 265 ff.; Tröndle FS Odersky 1996 259, 261 f.

70 Vgl. hierzu schon Rdn. 3 sowie Gehrlein a. a. O. (Fn. 7) 126 f.; Schroeder JR 1995 441 ff. 71 Classen NStZ 1995 371; Doehring ZRP 1995 293; Hillenkamp JZ 1996 179; Huber Jura 1996 301, 306; Naucke a. a. O. (Fn. 68) S. 38 Fn. 59; Schroeder JR 1995 441; Volk NStZ 1995 367 f.; Lampe/Hegmann MK Vor § 93 Rdn. 13 f.; Fischer § 99 Rdn. 4; Lackner/Kühl/Kühl § 2 Rdn. 23, jeweils m. w. N.; treffend Wolter SK Vor § 93 Rdn. 19 ff.; zustimmend allerdings Albrecht NJ 1995 337, mit anderer Begründung auch Widmaier NJ 1995 345, 346; im Ergebnis ebenso Schlüchter/Duttge (NStZ 1996 457, 460), die zumindest über einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zur Schuldausschließung kommen wollen. 72 Volk NStZ 1995 367, 369 spricht von „widersinniger Fehlkonstruktion“ und „dogmatischem Monstrum“, Naucke a. a. O. (Fn. 68) S. 38 Fn. 39 davon, dass „einfach ein Prozeßhindernis aus Verhältnismäßigkeit erfunden“ wird. Barthe/Schmidt

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wie er in der Staatsrechtsdogmatik verstanden wird, die Entscheidung nicht zu tragen vermag und dass der Weg des Gerichts, anstelle des Gesetzgebers selbst eine „Generallösung“ zu schaffen, durchgreifenden Bedenken begegnet, zu einer nur schwer zu rechtfertigenden Bevorzugung der leitenden Funktionäre in den Zentralstellen des MfS führt und in der Art der Argumentation überdies dazu beitragen kann, einer „freien Rechtsschöpfung der Fachgerichte Tür und Tor zu öffnen“.73 Als befriedigende Lösung der „widersprüchlichen Lage“ bleibe im Grunde nur eine auf die Spionage beschränkte Amnestie.74

3. Folgewirkungen der Entscheidung Die Problematik, welche die Rechtsprechung mit Blick auf die Bindungswirkung75 des 22 verfassungsgerichtlichen Beschlusses zu bewältigen hatte, zeichnet sich in den bis heute ergangenen Entscheidungen der Fachgerichte ab. Mit dem BayObLG (NJW 1996 669 = JR 1996 427 m. Anm. W. Schmidt), das sich eingehend mit dem für seine Entscheidung bedeutsamen Teil der Beschlussbegründung befasst, ist davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht ungeachtet der materiell-rechtlichen Argumentation bewusst die prozessuale Lösung einer Tatbestandsbegrenzung vorgezogen hat. Das verfassungsrechtliche Verfolgungshindernis, das die Strafbarkeit der betroffenen Spionagehandlungen nicht beseitigen soll, berührt deshalb die Frage des Beginns der Verjährung für eine Straftat nach § 99 nicht, die von einem DDR-Bürger, der seine Lebensgrundlage am 3. Oktober 1990 in der DDR hatte, zunächst in der Bundesrepublik begangen, dann aber in der DDR „fortgesetzt“ und dort beendet wurde (§ 78a Satz 1); es schließt aber die vom Boden der DDR ausgegangene Agententätigkeit von der Strafverfolgung aus. Im Falle der Fortsetzung von der DDR aus begangener Spionagetätigkeit in der Bundesrepublik dürfte das Verfolgungshindernis jedoch nicht unmittelbar durchgreifen. Die Gründe, die das Bundesverfassungsgericht zu seiner „Annahme“ geführt haben, werden aber bei der gebotenen Einzelfallprüfung zu berücksichtigen sein (s. BVerfGE 92 277, 336 f., 338 ff.). Bei DDR-Bürgern, die ihre gegen die Bundesrepublik gerichtete Spionagetätigkeit (§§ 94, 99, auch 96, 98) teils von der DDR aus, teils in Drittstaaten ausgeübt haben, greift das Verfolgungshindernis nicht durch, wenn im Drittstaat die Auslieferung drohte und danach in der Bundesrepublik eine Verurteilung wegen der gesamten, bis dahin verwirklichten Straftat möglich gewesen wäre. Auch bei dieser – wohl nur hypothetischen – Fallgestaltung werden jedoch die Tathandlungen nicht verfolgbar sein, die nach der Rückkehr in die DDR dort verwirklicht wurden. Drohte keine Auslieferung, wird es darauf ankommen, ob und in welchem Umfang der Drittstaat selbst derartige gegen die Bundesrepublik gerichtete Taten verfolgt. Entscheidend ist die drittstaatliche strafrechtliche Regelung (vgl. BVerfGE a. a. O., BGHSt 41 292, 295). Würde diese – etwa entsprechend dem Ubiquitätsprinzip (§ 9) – auch Tatteile erfassen, die von der DDR aus, wenn auch nur „vorbereitend“, ins Werk gesetzt worden waren, wären auch diese vorbehaltlich des Ergebnisses der vom Bundesverfassungsgericht für diese Sachverhalte geforderten Einzelfallprüfung verfolgbar. Nach BVerfGE 92 277 – 2. Leitsatz – soll die Entscheidung die Frage der Straflosigkeit und Verfolgbarkeit früherer Mitarbeiter der Geheimdienste der DDR wegen ihrer zuvor gegen die Bundesrepublik oder deren NATO-Partner gerichtete Spionagetätigkeit behandeln. Dass nur dieser Täterkreis angesprochen ist, lässt sich der Entscheidung selbst nicht ohne Weiteres entnehmen (dazu BVerfGE a. a. O. 325 f.). Auch für den Bürger der DDR, dem sich dort in seinem Umfeld (Besucher aus der Bundesrepublik, Postsendungen etc.) Gelegenheit bot, ohne staatliche Einflussnahme und Führung im Sinne der §§ 94, 99 (wohl auch §§ 96, 98) tätig zu werden, wird das vom Bundesverfassungsgericht geschaffene Verfolgungshindernis gelten müssen (s. hierzu 73 Classen NStZ 1995 371, 374 f. unter Hinweis auf Hesse JZ 1995 265, 268 und Krey JR 1995 221, 223 ff. 74 Vgl. Lackner/Kühl/Kühl § 2 Rdn. 23; dagegen Doehring ZRP 1995 293, 296 f. S. dazu auch Rdn. 3 ff. und 6. 75 BGHSt 41 292 f.; H. W. Schmidt NStZ 1996 372 f.; differenzierend W. Schmidt JR 1996 430 ff. 381

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Vor § 93 StGB

Vorbemerkungen zum Zweiten Abschnitt

§ 98 Rdn. 2a und § 99 Rdn. 3). Andererseits wird man davon ausgehen dürfen, dass das Bundesverfassungsgericht die bereits vor der Wiedervereinigung wegen „Spionage“ gegen die Bundesrepublik verurteilten DDR-Bürger nicht in seine Entscheidung einbezogen wissen wollte, selbst wenn sich der Untergang ihres Staates auch auf sie noch nachteilig hätte auswirken können (BVerfGE a. a. O. 325, 332, 336 f.). Für am 3. Oktober 1990 schon anhängige Verfahren sieht dies das Gericht jedoch anders (BVerfGE a. a. O. 301 f., 336 f., 339 f.). Dass die Strafverfolgung vor der Wiedervereinigung eingeleitet und unbeeinflusst von der Erstreckung der Jurisdiktion der Bundesrepublik auf das Gebiet der früheren DDR durchgeführt wurde, könnte danach, wenn überhaupt, nur im Rahmen der Abwägung im Einzelfall Berücksichtigung finden. Die sich angesichts der Besonderheiten der verfassungsrechtlichen Vorgaben aufdrängende Frage, ob gegen vor der verfassungsgerichtlichen Entscheidung ausgesprochene rechtskräftige Verurteilungen eine Wiederaufnahme (§ 79 BVerfGG) möglich sei, hat der BGH mit seinen Beschlüssen vom 28. November 1996 – StB 12 und 13/96 – bejaht.76 Der Strafsenat geht davon aus, dass das verfassungsrechtliche Verfolgungshindernis nach seiner Begründung und in seiner Wirkung nicht nur dem Verfahrensrecht zuzuordnen sei; es gleiche eher einem materiell-rechtlichen Strafausschließungsgrund, der zudem bei veränderten Rahmenbedingungen (vgl. BVerfGE 92 277, 336 ff.) zu einem bloßen, allerdings verfassungsrechtlich begründeten besonderen Strafmilderungsgrund „herabsinken“ könne. Es handele sich der Sache nach um eine Fallgestaltung, wie sie von § 79 Abs. 1 3. Fall BVerfGG erfasst werde. Entsprechendes müsse auch in den – seltenen – Fällen gelten, in denen der vom Bundesverfassungsgericht entwickelte besondere Strafmilderungsgrund noch nicht berücksichtigt werden konnte und der Tatrichter die ihn tragenden Gesichtspunkte entweder überhaupt nicht gesehen oder in ihrer generellen Tragweite grundsätzlich verkannt hat. Dem wird man im Blick auf die Besonderheiten der Rechtslage im Ergebnis zustimmen können. Aus der Rechtsprechung zu § 79 BVerfGG, die sich mit solchen exzeptionellen Fallgestaltungen bislang nicht zu befassen hatte, lassen sich durchgreifende Einwendungen nicht herleiten. Teilt man die Auffassung des BGH, dass ungeachtet der gewollten verfassungsgerichtlichen Entscheidung für ein Strafverfolgungshindernis materiell-rechtliche Komponenten für die Zulässigkeit der Wiederaufnahme ausschlaggebend sind, so erscheint auch die Nichtanwendung von § 363 StPO konsequent;77 dies insbesondere dann, wenn man in den vom BVerfG benannten „Ausstrahlungswirkungen“ (BVerfGE a. a. O.) nicht nur eine je nach Sachlage verfassungsrechtlich vorgegebene Pflicht zur „Strafmilderung“ sieht (dazu Volk NStZ 1995 367, 369). Bei der Vielfalt von Fallgestaltungen auf dem Gebiet nachrichtendienstlicher Betätigung wird es auch nicht immer vorbehaltlos befriedigen, dass die verfassungsgerichtlichen Erwägungen nur den Bürgern der früheren DDR zugute kommen. Auch Bundesbürger, die als ehemalige Bürger der DDR anlässlich von Besuchen dort in Verstrickung geraten sind oder als Überzeugungstäter – möglicherweise unter Verleihung der DDR-Staatsbürgerschaft78 – auf den „Schutz“ der DDR bauen konnten, mochten sich durch die Wiedervereinigung in ähnlich veränderter Lage sehen (vgl. insoweit auch Rdn. 3 Fn. 9). Eine rechtsstaatliche und rechtspolitisch akzeptable Lösung des gesamten, vielschichtigen Problemkreises hätte wohl nur durch eine ausgewogene Amnestie erreicht werden können, in die allerdings auch die mit der geheimdienstlichen Tätigkeit in der Regel in engem Zusammenhang stehenden Begleitdelikte, für die nach BVerfGE 92 277, 331 die verfassungsrechtlichen Folgerungen nicht in Betracht kommen (s. hierzu BGHSt 41 282, 301 ff.), hätten einbezogen werden müssen. Nach der Entscheidung des BVerfG dürfte dafür jedoch kein Raum mehr geblieben sein (vgl. BVerfG a. a. O. S. 326 und die abw. Meinung S. 365).

76 BGHSt 42 314 ff., 324 ff. = NJW 1997 670 ff. und NStZ 1997 140 ff. m. zust. Anm. Dehn. 77 Vgl. BGHSt 18 239, 343 f. 78 Treffend BGH NStZ 1997 79, 80 a. E., insoweit in BGHSt 42 215 ff. nicht abgedruckt. Barthe/Schmidt

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4. Verjährung Allgemein zu Fragen der Verjährung, insbesondere in Bezug auf Alttaten nach § 99 und die 23 Frage der rechtlichen Einordnung des verfassungsgerichtlich vorgegebenen Verfolgungshindernisses, s. Jähnke LK11 §§ 78a Rdn. 3, 8, 78c Rdn. 51 f.; Lackner/Kühl/Kühl § 2 Rdn. 27 ff.; Schmidt NStZ 1995 262; ferner BGHSt 42 215 = NJW 1996 3424 f.; BGHSt 43 1 = NJW 1997 1715 und NStZ 1997 487 ff. m. Anm. Rudolphi sowie den Besprechungsaufsatz von Schlüchter/Duttge/Klumpe JZ 1997 995 ff.; BGHSt 43 321 = BGHR StGB § 99 Ausüben 6, NJW 1998 1723 ff. und hierzu Anm. Schlüchter/Duttge NStZ 1998 618 ff.

5. Sonstige Auswirkungen des Einigungsvertrages Zu den Auswirkungen des Einigungsvertrags auf den strafrechtlichen Schutz der NATO-Vertrags- 24 staaten und ihrer Stationierungstruppen vgl. Rdn. 7 ff. und 15 ff.

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§ 93 Begriff des Staatsgeheimnisses (1) Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheim gehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. (2) Tatsachen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder unter Geheimhaltung gegenüber den Vertragspartnern der Bundesrepublik Deutschland gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen verstoßen, sind keine Staatsgeheimnisse.

Schrifttum Siehe Vorbemerkung zum Ersten und Zweiten Abschnitt Vor § 80 sowie Vorbemerkungen zu § 93.

Entstehungsgeschichte Die sogenannte Verratsnovelle vom 24. April 1934 (RGBl. I 341; vgl. hierzu Steinsiek LK Vor § 80 Rdn. 5; LK Vor § 93 Rdn. 1) behandelte den Landesverrat in einem besonderen Abschnitt, dessen Straftatbeständen erstmals eine Legaldefinition der Begriffe „Staatsgeheimnis“ und „Verrat“ vorangestellt wurde. Durch die Einführung eines allgemeinen materiellen Staatsgeheimnisbegriffs entfiel die bis dahin vorgenommene Unterscheidung zwischen militärischem und diplomatischem Geheimnis.1 Die Qualifikation als Staatsgeheimnis ergab sich danach unmittelbar aus dem Inhalt des in Frage stehenden Sachverhalts, ohne dass dieser einer ausdrücklichen Geheimhaltungsanordnung unterliegen musste. Die maßgeblichen materiellrechtlichen Kriterien und zugleich das geschützte Rechtsgut waren damals „das Wohl des Reiches“ und „das Interesse der Landesverteidigung“ (§ 88 Abs. 1 RStGB i. d. F. der Verratsnovelle). Die mit dem 1. StRÄndG vom 30. August 1951 (BGBl. I 739) in das StGB eingefügten neuen Bestimmungen zum Schutze der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wiesen in § 99 Abs. 1 wiederum eine Legaldefinition des Staatsgeheimnisses auf, die durch das 8. StRÄndG vom 25. Juni 1968 (BGBl. I 741) substantielle Einschränkungen erfuhr und nunmehr präzisiert in § 93 Abs. 1 enthalten ist (vgl. zu beiden Gesetzen Steinsiek LK Vor § 80 Rdn. 7 bis 17; LK Vor § 93 Rdn. 1a und 2 f.). Auch die neue Definition hält am materiellen Begriff des Staatsgeheimnisses fest. Bedeutsame Änderungen erbrachten die ausdrückliche Eingrenzung des Geheimhaltungsbereichs auf Angelegenheiten der äußeren Sicherheit, die grundsätzliche Ausgrenzung diplomatischer Geheimnisse und die beträchtliche Anhebung der Schwelle zum Staatsgeheimnis. Neu ist auch der in § 93 Abs. 2 enthaltene Ansatz zur Regelung der Problematik des illegalen Staatsgeheimnisses, der in den §§ 97a, 97b seine Ergänzung findet. Diese Vorschriften gründen auf den Erfahrungen der Weimarer Republik. Damals waren Verstöße gegen im Versailler Friedensvertrag2 verankerte Rüstungsbeschränkungen offenbart worden;3 die dazu ergangenen Urteile hatten Fragen aufgeworfen, die angesichts der völkerrechtlichen Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Bündnis und der fortschreitenden internationalen Verflechtung in ähnlicher Weise jederzeit wieder aktuell werden konnten. Der Regierungsentwurf des 8. StRÄndG hatte zunächst eine Rechtfertigungslösung für illegale, mit der verfassungsmäßigen Ordnung unvereinbare Geheimnisse im Auge (Entwurf §§ 99a Abs. 5, 99c Abs. 1 S. 2, BTDrucks. V/898 S. 7 f., 32); der SPD-Entwurf sah demgegenüber eine Lösung vor, die zwar ebenfalls auf den Widerstreit mit der verfassungsmäßigen Ordnung abstellte, aber einem Ausschluss des Tatbestandes den Vorzug gab (Entwurf § 99 Abs. 5, BTDrucks. V/102 S. 2, 8; vgl. zur Würdigung der Entwürfe Jescheck JZ 1967 6, 10 f.). Im BT-Sonderausschuss für die Strafrechtsreform waren die Auffassungen darüber geteilt, wo die Grenzen zum nicht schutzwürdigen illegalen Geheimnis liegen sollten und wie sie zu definieren seien (s. Prot. V/1488 ff., 2003 ff., 2028 ff., 2058 ff.). Die Gesetz gewordene Lösung ist das Ergebnis eines politischen Kompro-

1 Vgl. § 92 Nr. 1 StGB damaliger Fassung und § 1 Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3.6.1914 (Spionagegesetz 1914 [RGBl. I 195]); zum Verhältnis beider Vorschriften: Schneidewin in M. Stengleins Kommentar zu den strafrechtlichen Nebengesetzen des Deutschen Reiches 5. Aufl. (1931) Zweiter Band Vorbem. und Anm. 16 zu § 1 Spionagegesetz 1914 (S. 411 f., 423). 2 RGBl. I 1919 687, 963. 3 Bekannt sind vor allem die spektakulären Fälle Fechenbach, Bullerjahn und von Ossietzky; vgl. die kurze Darstellung bei Paeffgen Verrat S. 5 ff. m. w. N.; s. auch RGSt 62 65; zum Ossietzky-Urteil des RG vom 23.11.1931 vgl. Breithaupt NJW 1968 1712 Fn. 1 und BGHSt 20 342, 356. Barthe/Schmidt https://doi.org/10.1515/9783110490008-028

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I. Der Begriff des Staatsgeheimnisses (Absatz 1)

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misses, der den Weg des Tatbestandsausschlusses vorzeichnet, illegale Geheimnisse aber nicht ohne Weiteres frei und straflos verfügbar macht (§§ 97a, 97b; vgl. dazu Hirsch NJW 1968 2330; ferner Paeffgen Verrat S. 15 ff.; zum Gang der Beratungen des Sonderausschusses s. die zusammenfassende, übersichtliche Darstellung bei Kohlmann S. 143 ff.). Den rechtspolitischen Ausgangspunkt der Regelung hatte Adolf Arndt4 bereits früher grundsätzlich dahin gekennzeichnet, dass „etwas Rechtswidriges seinem Wesen nach dem Wohl der Bundesrepublik Deutschland unmöglich dienen“ könne und folglich ein illegales Staatsgeheimnis „undenkbar“, ein „Widerspruch in sich“ sei. Auf die dogmatischen und sonstigen Misshelligkeiten, die sich aus der Regelung des § 97b ergeben, wird noch einzugehen sein (vgl. § 97b Rdn. 13 ff.). Zur Entwicklung des strafrechtlichen Schutzes militärischer Geheimnisse der NATO-Vertragsstaaten, den heute § 1 Abs. 1 NTSG (vormals Art. 7 Abs. 1 des 4. StRÄndG) gewährleistet, wird auf die Darstellung bei Steinsiek LK Vor § 80 Rdn. 35 und LK Vor § 93 Rdn. 7 ff. verwiesen.

Übersicht I. 1. 2.

3.

4.

Der Begriff des Staatsgeheimnisses (Ab1 satz 1) 1 Gegenstand des Schutzes 2 Geheimhaltungsobjekte 2a a) Tatsachen 2b b) Gegenstände 2c c) Erkenntnisse 3 Geheimhaltungsfähigkeit a) Begrenzter Personenkreis 3a 4 b) Zugänglichkeit 5 c) Das sogenannte Mosaikgeheimnis 6 d) Vorkenntnisse unbefugter Dritter 7 Geheimhaltungsbedürftigkeit a) Objektives Geheimhaltungsinteresse und 7a materieller Geheimnisbegriff b) Die einzelnen Tatbestandsmerk10 male 10a aa) Vor einer fremden Macht 13 bb) Äußere Sicherheit cc) Gefahr eines schweren Nach14 teils (1) Abstrakter Gefahrbegriff und Bedeutungsschwelle des Nach15 teils (2) Sammlung und Auswertung von 16 Einzeltatsachen (3) Keine Saldierung mit Vortei17 len

5. II. 1. 2. 3.

4. 5. III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

dd) Bezugspunkt der Sicherheitsbe18 lange 19 Subjektive Voraussetzungen Das illegale Staatsgeheimnis (Absatz 2) 20 20 Die Funktion der Vorschrift 21 Tatsachenbegriff des Absatzes 2 22 Objektiver Rechtsverstoß a) Die freiheitliche demokratische Grundord22a nung b) Zwischenstaatliche Rüstungsbeschränkun23 gen Das Verhältnis von Absatz 2 zu NATO-Vertrags24 staaten- und Euratom-Geheimnissen 25 Subjektive Seite, Illegalität und Irrtum Der Schutz von Staatsgeheimnissen im Lichte 26 gegenläufiger Interessen 27 Politisch-parlamentarischer Bereich Exekutiv-staatlicher und privater Be29 reich Nachrichtendienstlicher Bereich (Spielmate30 rial) 31 Rechtsanwälte, Ärzte und Geistliche 32 Zwangslagen des Täters 33 Presse- und Meinungsfreiheit 34 Wissenschaftsfreiheit

I. Der Begriff des Staatsgeheimnisses (Absatz 1) 1. Gegenstand des Schutzes § 93 definiert den Begriff des Staatsgeheimnisses und damit den Gegenstand des Schutzes, der 1 durch die folgenden Straftatbestände gewährleistet werden soll; diese beziehen sich auf die Umschreibung des § 93 und enthalten weitere Merkmale, welche die strafrechtliche Sanktion auslösen. Die Definition selbst stellt lediglich auf die Geheimhaltungsfähigkeit bestimmter Fak4 Adolf Arndt Landesverrat, S. 17. 385

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Begriff des Staatsgeheimnisses

ten und deren (materielle) Geheimhaltungsbedürftigkeit ab. Sie hat also nicht etwa irgendwelche Treuepflichten von Geheimnisträgern im Blick, sondern ist allein im Schutzgedanken verwurzelt: Die Qualifikation als Staatsgeheimnis ergibt sich letztlich aus der Bedeutsamkeit des in Frage stehenden Sachverhalts für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik (s. im Einzelnen Rdn. 13 ff.); auf eine – wie auch immer geartete – Deklaration des Vorganges als geheimhaltungspflichtig kommt es nicht an. Damit ist der Zweck des strafrechtlichen Schutzes vorgegeben: Es geht um die Sicherheit der Bundesrepublik gegenüber Beeinträchtigungen von außen (vgl. Rdn. 13). Geschützt sein soll all das, was die Position der Bundesrepublik in ihrem Verhältnis zu anderen Staaten wesentlich bestimmt und im Interesse der Stabilität und Erhaltung ihrer Machtstellung geheim zu halten ist. Die Fähigkeit des Staates, sich nach außen hin zu behaupten, seine Verteidigungsbereitschaft und seine Verteidigungskraft sollen nicht Schaden nehmen (s. hierzu auch Vor § 93 Rdn. 3). Im Mittelpunkt solchen Schutzes steht naturgemäß der militärische Bereich im weitesten Sinne. Aber auch andere Felder, die in ihren Verflechtungen und Wechselwirkungen Sicherheitsbelange berühren und für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik bedeutsam sein können, werden mitumfasst (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/ 2860 S. 16; s. ferner unten Rdn. 13 a. E.).

2. Geheimhaltungsobjekte 2 Gegenstand eines Staatsgeheimnisses (Geheimhaltungsobjekte) sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Diese müssen echt sein (Paeffgen NK Rdn. 8). Von Tatsachen kann man schon ihrem Wesen nach nur sprechen, wenn sie wahr sind. Unwahre Tatsachenbehauptungen, gefälschte oder verfälschte Gegenstände und Erkenntnisse („getürkte Geheimnisse“) fallen demnach nicht unter den Begriff des Staatsgeheimnisses; das ergibt sich auch aus der Normierung eines besonderen Straftatbestandes der landesverräterischen Fälschung (§ 100a; vgl. Maurach/ Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 13).

2a a) Tatsachen. Tatsachen sind alle nach Raum und Zeit bestimmte, vergangene und gegenwärtige, nicht aber zukünftige Begebenheiten oder Zustände. Darunter fallen sowohl äußere als auch innere Vorgänge, wie z. B. Ansichten, Absichten, Pläne u. a.5 Zukünftige Sachverhalte, die grundsätzlich keine Tatsachen sind (s. RGSt 67 2, 3), können jedoch als „Erkenntnisse“ von der Vorschrift erfasst sein. Im Übrigen hat der Begriff „Tatsachen“ hier die gleiche Bedeutung wie in § 263 (Fischer Rdn. 2; Paeffgen NK Rdn. 9; Lampe/Hegmann MK Rdn. 4).

2b b) Gegenstände. Gegenstand im Sinne des § 93 ist alles Körperliche (Sch/Schröder/SternbergLieben Rdn. 3; Lampe/Hegmann MK Rdn. 5). Der Begriff unterfällt streng genommen dem der Tatsache (Roeder ZStW 76 [1964] 359, 364); denn Existenz und Eigenschaften eines Gegenstandes sind Zustände und damit Tatsachen. Bewegliche und unbewegliche Sachen, Naturschöpfungen und künstliche Anlagen (vgl. RGSt 25 45, 48) können Gegenstände sein. Ob der Mensch für sich genommen als Gegenstand im Sinne der Norm angesehen werden kann (s. insoweit BGH bei Wagner GA 1961 129, 141 [zu § 99 D] Nr. 5 und GA 1968 294 Nr. 74 lit. e), wo der verschleppte V-Mann-Führer, der als Quelle für weitere Informationen und für die Bestätigung bislang bei einem fremden Nachrichtendienst angefallener Erkenntnisse gelten konnte, nach damaligem

5 Vgl. RGSt 41 193, 194; 55 129, 131; 56 227, 231; BGHSt 6 385; H. Arndt ZStW 66 (1954) 41, 43 ff. Barthe/Schmidt

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Recht als Verkörperung eines Staatsgeheimnisses erachtet wurde6), mag zwar mit Blick auf die Wortlautgrenze aus Art. 103 Abs. 2 GG bezweifelt werden; letztlich kann diese Frage jedoch in der Regel deshalb dahinstehen, weil jedenfalls das Wissen und die Fähigkeiten des Menschen, dessen man sich durch Verschleppung oder Anwerbung versichert, als Tatsachen oder Erkenntnisse einzuordnen sein können.7 Auf eine besondere Hervorhebung typischer Arten von Gegenständen, wie sie noch in § 99 a. F. enthalten war (Schriften, Zeichnungen, Modelle und Formeln), hat der Gesetzgeber in § 93 schließlich verzichtet.

c) Erkenntnisse. Erkenntnisse sind gedankliche, insbesondere wissenschaftliche Einsichten in 2c Zusammenhänge. Dazu gehören etwa – auch private – Erfindungen, Entdeckungen, Forschungsergebnisse oder politische wie militärische Analysen.8 Zu ihnen zählen alle geistigen, auch nichtwissenschaftlichen Schöpfungsakte, die im Vergleich zu den Ursprungstatsachen selbständig sind und bisher Unbekanntes wertend zutage fördern. Sie sind nicht erst dann Staatsgeheimnisse, wenn sie dargestellt oder sonst verkörpert sind, sondern bereits als rein gedankliche Vorgänge (Laufhütte GA 1974 52 Fn. 4). Von besonderer Bedeutung ist der Begriff der „Erkenntnisse“ für das sogenannte Mosaikgeheimnis (vgl. Rdn. 5). Einen anschaulichen Überblick darüber, was unter der Geltung des früheren, weiter gefassten Staatsgeheimnisbegriffs (§ 99 a. F.) in der Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte als Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, insbesondere aus dem nachrichtendienstlichen und militärischen Bereich, qualifiziert wurde, vermittelt die Zusammenstellung bei Wagner GA 1961 131 ff.

3. Geheimhaltungsfähigkeit Die Tatsachen, Gegenstände und Erkenntnisse müssen zur Zeit der Tat noch geheim sein (soge- 3 nannte Geheimhaltungsfähigkeit), d. h. sie dürfen nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sein (zur Kritik an dem Ausdruck Paeffgen NK Rdn. 12 f.). Die Geheimhaltungsbedürftigkeit allein genügt nicht. Das Geheimsein ist notwendige Voraussetzung des Geheimhaltens; denn offenkundige Dinge können der Kenntnis anderer nicht wieder entzogen und deshalb nicht mehr geheim gehalten werden. Geheimsein ist indessen seiner Natur nach relativ: Es kann – wie in aller Regel – ein kleinerer oder auch größerer Personenkreis eingeweiht sein, dessen Wissen weiteren Kreisen vorenthalten ist und auch vorenthalten werden kann (vgl. RGSt 25 45, 48; 74 110, 111).9

a) Begrenzter Personenkreis. Der Personenkreis, der Zugang zu den Tatsachen, Gegenstän- 3a den oder Erkenntnissen hat, muss begrenzt sein. Auf seine Größe, insbesondere seinen zahlen-

6 Dem folgend noch Schmidt LK12 Rdn. 2; Wolter SK Rdn. 6; ebenso H. Arndt ZStW 66 (1954) 41, 45; aM die inzwischen wohl überwiegende Ansicht im Schrifttum, so etwa Fischer Rdn. 2; Sonnen AK Rdn. 34; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; SSW/Vogler Rdn. 2; Ellbogen BeckOK Rdn. 5; Anders/Mavany AnwK Rdn. 3; vgl. dazu auch Paeffgen NK Rdn. 10 und Lampe/Hegmann MK Rdn. 6. 7 So zutreffend Anders/Mavany AnwK Rdn. 3; ähnlich Lampe/Hegmann MK Rdn. 6. 8 H. Arndt ZStW 66 (1954) 41, 46; Mittelbach JR 1953 288; Roeder ZStW 76 (1964) 359, 364; Paeffgen NK Rdn. 11; als Beispiel können auch nachrichtendienstliche Aufklärungsergebnisse gelten, wenn sie, wie etwa zusammenfassende Lageberichte des BND, auf sachkundigen Einschätzungen, Beurteilungen und Wertungen der ermittelten Sachverhalte und der entsprechenden Quellen beruhen (vgl. BGHSt 24 72, 76; BayObLGSt 1991 127, 129; 1993 39, 43). 9 S. dazu auch Schneidewin in M. Stengleins Kommentar zu den strafrechtlichen Nebengesetzen des Deutschen Reiches 5. Aufl. (1931) Zweiter Band Anm. 3a) zu § 1 Spionagegesetz 1914 (S. 413 f.). 387

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mäßigen Umfang, auf die namentliche Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit der Personen kommt es grundsätzlich nicht an. Das Merkmal lässt sich am ehesten negativ erfassen: Alles, was nicht jedermann offen steht, ist nur einem begrenzten Kreis zugänglich. Da hier das „relative Geheimsein“ umschrieben werden soll, muss sich allerdings der Umfang des in Betracht kommenden Personenkreises noch in einem Rahmen halten, der ein allgemeines Bekanntwerden des Geheimzuhaltenden nicht erwarten lässt; die Geheimnisträger müssen zur Geheimhaltung in der Lage, die Gruppen der möglichen Mitwisser noch feststellbar oder wenigstens nach allgemeinen Gesichtspunkten beschreibbar und so auch überschaubar sein. Sinngerecht verstanden wird also die Begrenzbarkeit dieses Personenkreises verlangt (s. Fischer Rdn. 3; Wolter SK Rdn. 9; Lampe/Hegmann MK Rdn. 7; Laufhütte GA 1974 52, 53 f.; Röder ZStW 76 [1964] 359, 362; aA Paeffgen NK Rdn. 13 m. w. N., der auf die Begrenztheit der Mitwisser, die bei größeren Personenzahlen durch – generell taugliche – Sicherungsmaßnahmen gewährleistet sein müsse, abstellt). Die Begrenzbarkeit wird sich oft anhand verbindender Merkmale feststellen lassen. In Betracht kommen die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Betrieb, einer Dienststelle oder einer ihrer Abteilungen, in dessen oder deren Bereich der geheim zu haltende Sachverhalt fällt, ferner bestimmte Dienststellungen oder sonst eine gemeinsame, verbindende Aufgabe (vgl. Maurach/ Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 14, die als Beispiel für letztere die Mitarbeit an einem gemeinsamen Forschungsprojekt, sei es innerhalb oder außerhalb derselben Forschungsstelle, anführen). Auch Maßnahmen, die zur Sicherung der Geheimhaltung von Tatsachen und Erkenntnissen getroffen werden, können einen Personenkreis begrenzbar machen (z. B. VS-Einstufung; s. Laufhütte GA 1974 52, 54). Geheimnisträger kann sowohl der private Einzelne als auch ein Kreis sein, der sich ganz aus Privatpersonen zusammensetzt; die Kenntnis einer staatlichen Stelle ist nicht erforderlich (Prot. V/148). Insoweit kommen in erster Linie Forschungsinstitute, Vertreter der Wissenschaft und Mitarbeiter von Wirtschaftsunternehmen in Frage.

4 b) Zugänglichkeit. Für die Begrenzbarkeit des Personenkreises ist nicht nur auf diejenigen Personen abzustellen, die positive Kenntnis von dem Sachverhalt haben, der das Staatsgeheimnis ausmacht. Der Wortlaut der Vorschrift geht vielmehr von der Zugänglichkeit, also der Möglichkeit aus, sich Zugang zum Wissen um jenen Sachverhalt zu verschaffen. Damit ist nur die wirkliche, sichere und zuverlässige Zugangsmöglichkeit gemeint. Diese setzt voraus, dass die Tatsachen etc. mit den Sinnesorganen wahrnehmbar und in ihrem sachlichen Aussagegehalt erkennbar sind (dazu BGHSt 7 234, 235; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 15). Demnach können auch Dinge geheim sein, die zwar äußerlich allgemein wahrnehmbar und insoweit bekannt sind, sich in ihrer Bedeutung oder in ihrer Funktion jedoch nur einem besonders kundigen Personenkreis erschließen (so auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9). Zu denken ist etwa an waffentechnische Geräte, die auf einer Ausstellung gezeigt werden, deren Einzelheiten und Funktionsweise jedoch nur einem über bestimmte weitere Informationen verfügenden Kreis von Fachleuten verständlich sind. In diesem Fall mag zwar, zumindest sofern die Gerätschaft als Waffe erkannt wird, ihre Existenz dann kein Geheimnis (mehr) sein, wohl aber ihre Funktionsweise (vgl. die insoweit berechtigte Kritik von Paeffgen NK Rdn. 14). Ein begrenzbarer Personenkreis ist schließlich auch dann gegeben, wenn Außenstehende sich allenfalls durch rechtswidriges Handeln eine Zugangsmöglichkeit verschaffen könnten. Mit anderen Worten: Die allgemeine Zugänglichkeit kann durch „Begrenzungsmaßnahmen“, wie etwa Betretens- oder Fotografierverbote, rechtswirksam eingeengt und ausgeschlossen werden (Klug FS Engisch 1969 570, 574 ff.).

5 c) Das sogenannte Mosaikgeheimnis. Die Frage nach der Geheimhaltungsfähigkeit stellt sich vor allem bei Zusammenstellungen allgemein zugänglicher Einzeltatsachen (Problem des sogenannten Mosaikgeheimnisses). In der Regel wird die bloße Sammlung solcher Tatsachen, ihre Aufzählung und ihre Darstellung im Zusammenhang noch nicht Anlass geben, ihr Barthe/Schmidt

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Geheimsein anzunehmen. Anderes könnte schon dann gelten, wenn die so vermittelte Gesamtschau Ansatzpunkte für weitere Einsichten bietet, die den Geheimbereich berühren. Im Anschluss an die sehr weitgehende Auffassung des Reichsgerichts bejahte der BGH nur in solchen Fällen die Staatsgeheimnisqualität, in denen die Zusammenstellung etwas qualitativ Eigenständiges, mithin eine neue Erkenntnis, verkörperte.10 Dem Gesetzgeber ging allerdings auch dieses Verständnis vom Mosaikgeheimnis noch zu weit. Zur näheren Eingrenzung fügte er deshalb in § 93 das Erfordernis der begrenzten Zugänglichkeit ein (s. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 15; BGHSt 24 72, 76). Damit sind aus dem Begriff des Staatsgeheimnisses solche Auswertungen von Tatsachen etc. ausgeschieden, die Ergebnisse beinhalten, welche jedermann aufgrund eigener Gedankengänge und Folgerungen sowie durch Fleißarbeit zu gewinnen in der Lage ist. Das bloße Sammeln, Auswerten und Analysieren allgemein zugänglicher Nachrichten soll grundsätzlich nicht behindert werden; dies gilt im Blick auf die Informations- und Pressefreiheit insbesondere für die journalistische und publizistische Arbeit. Ist Auftraggeber allerdings ein fremder Geheimdienst, so greift § 99 ein (Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 15 f.). Für die Auswertung offenkundiger Tatsachen wird aber auch heute noch anderes zu gelten haben, wenn sie durch den Einsatz besonderer, nicht jedermann zur Verfügung stehender technischer Mittel oder persönlicher Fähigkeit und Erfahrung zu einer neuen Erkenntnis führt, die einen geistigen Schöpfungsakt widerspiegelt und gegenüber den zugrunde liegenden, allgemein zugänglichen Einzeltatsachen eine eigenständige, besonders qualifizierte und geheim zu haltende Aussage enthält, zu der nur bestimmte Personen Zugang haben. Dies mag beispielsweise in Frage kommen, wenn Geheimniskundige, etwa Angehörige der Abwehr, vermöge ihres Wissens um bestimmte geheime Erkenntnisse aus offenen Tatsachen etc. Lagebilder oder Beurteilungen erarbeiten, deren Zuverlässigkeit gerade auf ihrer spezifischen Erfahrung beruht.11 In all diesen Fällen wird jedoch ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen sein, welcher der in der Vorschrift selbst konkretisierten Absicht des Gesetzgebers Rechnung trägt, im Interesse der Grundrechtspositionen des Bürgers und der Medien die Grenzen der Strafbarkeit bei Sachverhalten der hier angesprochenen Art wesentlich zurückzunehmen. Unter diesem Blickwinkel werden sich Abgrenzungsprobleme vor allem dann zeigen, wenn die zusammengestellten und ausgewerteten Fakten zwar ausnahmslos offen und allgemein zugänglich sind, die Analyse aber, obgleich auch Ergebnis von Fleiß und intensiver Gedankenarbeit, letztlich doch auf besonderer Sachkunde fußt, die sich der Betroffene indessen nicht von Berufs wegen im sicherheitsempfindlichen, etwa nachrichtendienstlichen Bereich, sondern aufgrund jahrelanger Befassung mit – offenen – Sicherheitsproblemen erworben hat. Ein eigenständiger geistiger Schöpfungsakt liegt hier zweifellos vor. Doch bleibt zu beantworten, ob „jedermann zur Verfügung stehende“ persönliche Fähigkeiten und Erfahrungen eingesetzt worden sind. Die Voraussetzung der Analyse, die lange, befähigende Erfahrung im Umgang mit offenen, aber sicherheitsrelevanten Tatsachen bringt hic et nunc nicht „jedermann“ mit. Der Jedermann könnte sie sich indes mit vergleichbarem Aufwand und Einsatz über längere Zeit hinweg verschaffen. Ob dann der Gebrauch „geistiger Mittel“ zur Auswertung offener Tatsachen ein solches Maß und eine so hohe Qualität erreicht, dass er der Fähigkeit eines professionellen, erfahrenen Nachrichtenmannes zur Analyse nicht nachsteht und damit ausnahmsweise auch zur Annahme eines Staatsgeheimnisses führen kann, wird letztlich der Tatrichter zu bewerten haben.

10 Zur Entwicklung der Rechtsprechung vor dem 8. StRÄndG: RGSt 25 45 f.; RGRiZ 1924 391; BGHSt 7 234; 15 17; BGH NJW 1965 1187 („Spiegel-Verfahren“) und 1190 („Quick-Verfahren“); hierzu auch OLG Bremen NJW 1964 2363; Woesner NJW 1964 1877. Zum Ganzen Paeffgen NK Rdn. 15 f. 11 Vgl. dazu Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609 f.; Laufhütte GA 1974 52, 55; Sonderausschussbericht BTDrucks. V/ 2860 S. 16; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 11 bis 13; Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Lampe/Hegmann MK Rdn. 12; SSW/Vogler Rdn. 5; Ellbogen BeckOK Rdn. 11 f.; einschränkender Wolter SK Rdn. 17; Sonnen AK Rdn. 38; krit. Klug FS Engisch 570, 574 ff.; Lüttger JR 1969 121, 126; gegen die h. M. Paeffgen NK Rdn. 16. 389

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Beruht eine aufgrund der Zusammenstellung von Fakten gewonnene Einsicht nicht nur auf offenen, sondern zu einem jedenfalls ins Gewicht fallenden Teil auch auf „verschlossenen“ Tatsachen oder Erkenntnissen, so wird die Geheimhaltungsfähigkeit des Ganzen in der Regel zu bejahen sein (vgl. BGHSt 25 145, 156). Von selbst versteht sie sich dort, wo schon alle Einzeltatsachen nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind. Eine fortlaufende Berichterstattung über geheim gehaltene, sicherheitsrelevante Vorgänge und Maßnahmen, die einem fremden Nachrichtendienst zuverlässige, sachlich wertvolle Hinweise über die organisatorische und personelle Struktur der gegnerischen Abwehr, deren Methoden und Operationen, Erfolge und Misserfolge verschaffen, mag erst in ihrer Gesamtheit die Beurteilung rechtfertigen, dass der vermittelte Erkenntnisgehalt die Bedeutungsschwelle zum Staatsgeheimnis überschritt (s. Rdn. 14 und 16). Ein unzulässiger Rückgriff auf die sogenannte Mosaiktheorie liegt solcher Feststellung nicht zugrunde (OLG Düsseldorf, Urteil vom 5.2.1992 – IV 34/91; 3 StE 12/91 – 2 [4] 8).12

6 d) Vorkenntnisse unbefugter Dritter. Die begrenzte Zugänglichkeit und damit die Geheimhaltungsfähigkeit kann in Zweifel gezogen werden, wenn Unbefugte bereits Kenntnis von den Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen erlangt haben. Entscheidend ist hier, ob die über den begrenzten Kreis im Sinne des § 93 Abs. 1 hinausgedrungene Kenntnis schon derart verbreitet ist, dass von einem Geheimnis nicht mehr die Rede sein kann (s. in anderem Zusammenhang RGSt 26 5, 8; 38 62, 65 f.; Vormbaum LK12 § 353b Rdn. 7). Die Qualifikation als Geheimnis (das Geheimsein) entfällt, wenn es einem verständigen und erfahrenen Menschen ohne Weiteres möglich ist, sich unter Benutzung allgemein zugänglicher, zuverlässiger Quellen von seinem Inhalt, seinem Gegenstand zu überzeugen (vgl. BVerfGE 10 177, 183; s. auch BGHSt 6 292, 293). Zufällige Kenntnisnahme durch einzelne Personen, etwa das Auffinden geheimer Schriftstücke durch eine Raumpflegerin oder Passanten, beseitigt an sich die Geheimniseigenschaft noch nicht (anders Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8). Der Kreis derer, die auf solche oder ähnliche Weise unbefugt Kenntnis erlangt haben, wird sich in solchen Fällen regelmäßig eingrenzen lassen. Es wird zumeist nicht davon auszugehen sein, dass das Wahrgenommene weiterverbreitet oder die Möglichkeit erleichterten Zugriffs bekannt wird. Auch der zufällig Kenntnis erhaltende Unbefugte steht seinerseits unter Strafdrohung, etwa der des Preisgabetatbestandes (§ 97). Aber auch ein Bekanntwerden in breiteren Kreisen, ja selbst eine Presseveröffentlichung setzt denjenigen, der ein Geheimnis in Erfahrung bringen will, nicht immer hinreichend sicher und zuverlässig ins Bild. Er wird in der Regel nach Bestätigung suchen. Dieser kommt gerade im nachrichtendienstlichen Bereich besondere Bedeutung zu. Demnach schließen insbesondere bloße Gerüchte oder durchgesickerte Nachrichten, die keine Gewissheit vermitteln können, die Geheimhaltungsfähigkeit (begrenzte Zugänglichkeit) nicht aus. Ebenso wenig ist das der Fall, wenn das Geheimnis bereits an fremde Mächte verraten oder einzelnen Unbefugten preisgegeben worden ist; es muss allerdings noch für den Mitteilungsempfänger – unter dem Gesichtspunkt der Bestätigung – bedeutsam sein (vgl. BGHSt 20 342, 350 f., 377, 383). Maßgeblich für die Beurteilung im Einzelfall ist, ob mit der Kenntnisnahme geheimer Tatsachen durch Unbefugte die Geheimhaltungsfähigkeit in dem Sinne gesprengt ist, dass sich nun jedermann ohne großen Aufwand Zugang zu ihnen verschaffen kann, und dass kein Personenbereich bleibt, dem auch weiterhin die sichere, zuverlässige Kenntnis des Geheimnisses verwehrt werden kann.13 In besonders gelagerten Fällen können allerdings „Vorveröffentlichungen“ die begrenzte Zugänglichkeit – auch unter dem Gesichtspunkt der Bestätigung – beseitigen. Dies wird davon 12 S. hierzu auch BGHSt 24 72, 76; BGHR StGB § 94 Verrat 1; § 99 Ausüben 1; BayObLGSt 1991 127, 129; 1993 39, 43. 13 Im Wesentlichen wie hier Fischer Rdn. 4; Wolter SK Rdn. 13; Ellbogen BeckOK Rdn. 13; Baumann JZ 1966 329, 334; aA Paeffgen NK Rdn. 17; zum früheren Staatsgeheimnisbegriff: BGH bei Wagner GA 1961 129 Nr. 4; BGH NJW 1965 1190 f.; Roeder ZStW 76 (1964) 359, 362; vgl. auch RGSt 38 108, 110; 74 110, 111. Barthe/Schmidt

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abhängen, von wem eine solche vorausgegangene Veröffentlichung stammt, insbesondere ob der Verfasser und das Publikationsorgan sichere Gewähr für die Richtigkeit des Inhalts bieten. Fehlt es hieran, bleibt also eine Zweitveröffentlichung oder eine sonstige neuerliche Weitergabe als Bekräftigung bedeutsam, so wird diese als (erneute) Straftat zu werten sein. Eine bloße Wiederholung der Pressemeldung (auch in einem anderen Medium) dürfte allerdings in der Regel nicht als strafrechtlich relevante Bekräftigung oder Bestätigung beurteilt werden können. Anders mag es sein, wenn die frühere Mitteilung ergänzt worden ist, indem ihr neue Nachrichten hinzugefügt oder zusätzlich amtliche Quellen, Materialien und Beweisstücke benannt wurden (s. Jescheck Pressefreiheit S. 26), wenn schon die größere Sachkunde oder Seriosität des (zweiten) Verfassers oder des veröffentlichenden Organs eine bestätigende Wirkung entfaltet, oder wenn sich etwa im Umfeld des Gegenstands der Zweitveröffentlichung Veränderungen ergeben haben, die nunmehr deren besondere Bedeutung zu begründen vermögen (krit. zur sogenannten Bestätigungstheorie unter der Geltung des früheren Landesverratsstrafrechts BVerfGE 21 239, 242 f.).

4. Geheimhaltungsbedürftigkeit Die Geheimhaltung vor einer fremden Macht muss erforderlich sein, um die Gefahr eines schwe- 7 ren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden (Geheimhaltungsbedürftigkeit).

a) Objektives Geheimhaltungsinteresse und materieller Geheimnisbegriff. Die Qualifi- 7a zierung als Staatsgeheimnis hängt mit dieser Umschreibung unmittelbar vom Inhalt des in Frage stehenden Sachverhalts ab. Maßgebend für das Bestehen der strafrechtlichen Geheimhaltungsbedürftigkeit ist ausschließlich das objektive Geheimhaltungsinteresse (materieller Geheimnisbegriff). Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, an eine formelle Sekretur anzuknüpfen, wie sie z. B. durch eine mehr oder weniger formelhafte Anordnung, den Vorgang als geheime oder vertrauliche Verschlusssache zu behandeln, geschaffen wird (formeller Geheimnisbegriff). Ein Geheimhaltungsvermerk nach der Verschlusssachenanweisung vermag daher noch kein Staatsgeheimnis zu begründen. Ihm kann jedoch indizielle Bedeutung für dessen Vorliegen zukommen (Lüttger GA 1970 129, 144 f.). Der bestehende oder fehlende Geheimhaltungswille einzelner Personen oder auch staatlicher Stellen ist demnach für die Bewertung der Geheimhaltungsbedürftigkeit an sich rechtlich unerheblich (aA Paeffgen NK Rdn. 29). Von Staats wegen lässt sich einerseits nichts als Staatsgeheimnis deklarieren, was nicht geheimhaltungsbedürftig ist; andererseits kann die Geheimniseigenschaft auch nicht in rechtsrelevanter Weise verneint werden, wenn ein Sachverhalt objektiv, aus sich heraus, die Geheimhaltung gebietet. Das Staatsgeheimnis ist in seiner Entstehung wie in seiner Aufhebung als solches „unverfügbar“ (krit. Paeffgen NK Rdn. 30: „staatsrechtliche Bizarrerie“). Zwar wird es sich – meist aus politischen, vor allem verteidigungspolitischen Gründen – nicht selten als erforderlich erweisen, Staatsgeheimnisse fremden Stellen, etwa der Regierung eines Bündnispartners, bekannt zu geben und anzuvertrauen. Das berührt jedoch ihre Bewertung als Staatsgeheimnisse und ihre Unverfügbarkeit als solche nicht (s. Rdn. 27). Die Geheimhaltungsfähigkeit kann allerdings infolge solcher Handhabung verloren gehen; dies insbesondere dann, wenn sich eine ausufernde Praxis entwickeln sollte, die sich über die Grenzen effektiver Absicherung hinwegsetzt. Der Gesetzgeber hat mit dem Abstellen auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit in § 93 Abs. 1 8 für die Strafvorschriften zum Schutz der äußeren Sicherheit mit Recht dem materiellen Begriff des Staatsgeheimnisses den Vorzug gegeben vor dem formellen und dem faktischen, für den allein die tatsächliche Geheimhaltung entscheidend ist. Formeller wie faktischer Geheimnisbegriff vermögen nicht zu verhindern, dass der strafrechtlich geschützte Geheimnisbereich auf Sachverhalte ausgedehnt wird, deren Geheimhaltung sachlich nicht oder nicht mehr geboten 391

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§ 93 StGB

Begriff des Staatsgeheimnisses

ist. Zwar wären der Rechtsunterworfene und der Rechtsanwendende regelmäßig der Prüfung enthoben, ob der vorgefundene Sachverhalt tatsächlich die Geheimhaltung erfordert; lediglich die das Geheimnis verwaltenden staatlichen Stellen hätten eine solche Prüfung vorzunehmen. Diese müsste dann aber fortwährend erfolgen, wenn einer Ausuferung des Geheimnisschutzes wirksam begegnet und dem Sinn des Staatsschutzstrafrechts entsprochen werden soll.14 Andererseits wäre aber auch die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass wichtige Vorgänge ungeschützt blieben, sei es, weil die staatlichen Stellen noch keine Kenntnis von ihnen erlangt haben, sei es, weil Maßnahmen zur (faktischen) Geheimhaltung noch nicht veranlasst worden sind. Eine solche Problematik stellt sich auf der Grundlage des materiellen Geheimnisbegriffs nicht. Danach werden alle von ihm erfassten Erkenntnisse schon von ihrer Entstehung an geschützt, auch wenn sie noch dem privaten Bereich zuzuordnen sind; sie fallen aus dem Schutzbereich, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Das Staatsgeheimnis ist, so verstanden, nicht ein Geheimnis des Staates, sondern ein solches zugunsten des Staates. Der Begriff schließt selbst solche Sachverhalte ein, die sich einer formellen Sekretur entziehen, etwa aktuelle Maßnahmen im Verteidigungsbereich wie Truppenbewegungen, Waffenausstattung u. a., oder privates Wissen, private Erfindungen, die einer öffentlichen Stelle noch nicht zugänglich sind (vgl. Woesner NJW 1967 753, 757). Die gesetzlichen Regelungen im Patentgesetz (§§ 31 Abs. 5, 50 bis 54) und im Gebrauchsmustergesetz (§ 9) allein würden nicht genügen, um den keineswegs gering zu veranschlagenden Schaden zu verhüten, der durch Preisgabe oder Offenbarung privater Erfindungen und industriellen „Know-hows“, soweit sie für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik bedeutsam sind, entstehen kann (s. auch Vor § 93 Rdn. 4 ff.). Durch das Abstellen auf die inhaltsabhängige Geheimhaltungsbedürftigkeit aktualisiert 9 sich die Menge der Staatsgeheimnisse vom Sachverhalt her gleichsam stets von selbst. Indem der strafrechtliche Schutz sich daran orientiert, ist er auf das Notwendige beschränkt und entspricht damit rechtsstaatlicher Zielsetzung. Zwar wird die Abgrenzungsfunktion, die formeller Geheimerklärung und tatsächlicher Geheimhaltung zukommt, rechtlich vernachlässigt; deren Warnfunktion besteht für den Täter aber fort. Eine gewisse Unschärfe der Grenze zwischen „geheimhaltungsbedürftig“ und „nicht geheimhaltungsbedürftig“ und die Wandelbarkeit der Anschauungen zu diesen Merkmalen kann hingenommen werden. Beides geht nicht über den im Strafrecht üblichen und auch gebotenen, durch Auslegung zu erschließenden Bewertungsrahmen hinaus. Zu folgern, dass das in den entsprechenden Straftatbeständen aufgenommene Merkmal des „Staatsgeheimnisses“ nicht genügend bestimmt sei (im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG), wäre deshalb verfehlt (krit. dazu Paeffgen NK Rdn. 20). Soweit es um die tatsächlichen Feststellungen und ihre Wertung geht, kann sich der Richter im Einzelfall der Hilfe von Sachverständigen bedienen (zu dem Problem des Einflusses der Sachverständigen vgl. Wagner DRiZ 1966 251, 252; Willms NJW 1963 190). Unsicherheiten und Zweifel müssen sowohl hinsichtlich der objektiven als auch der subjektiven Seite zugunsten des Täters durchschlagen. Der gelegentlich erschwerten Erkennbarkeit materieller Staatsgeheimnisse hat der Gesetzgeber im Übrigen in den Fällen der §§ 95, 96 Abs. 2 und 97 dadurch Rechnung getragen, dass dort zusätzlich die faktische Geheimhaltung des Staatsgeheimnisses gefordert wird. Die in § 93 enthaltene Definition des Staatsgeheimnisses bleibt davon unberührt. Wo der Straftatbestand allerdings an die faktische Geheimhaltung anknüpft, wird eine Strafverfolgung nur in Betracht kommen, wenn geeignete Vorkehrungen zur Geheimhaltung des Staatsgeheimnisses getroffen worden sind (§ 95 Rdn. 3). Daran wird es in der Regel fehlen, solange der Staat keine Kenntnis von den geheimhaltungsbedürftigen Sachverhalten hat (vgl. Rdn. 5) und auch keine vorsorglichen Maßnahmen – etwa in bestimmten Bereichen – veranlasst worden sind (s. § 95 Rdn. 4; Wolter SK Rdn. 19). Von einem rein faktischen Geheimnisbegriff gehen die Vorschriften über die Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes auf die NATO-Vertragsstaaten aus. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 NTSG (ab14 Zu den Nachteilen des formellen und des faktischen Geheimnisbegriffs vgl. auch Baumann JZ 1966 329, 333; RegE BTDrucks. V/898 S. 37. Barthe/Schmidt

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I. Der Begriff des Staatsgeheimnisses (Absatz 1)

StGB § 93

gedruckt Vor § 93 Rdn. 8a) entsprechen den Staatsgeheimnissen im Sinne des § 93 nur die militärischen Geheimnisse der Vertragsstaaten, die von einer in der Bundesrepublik befindlichen Dienststelle eines Vertragsstaates geheim gehalten werden. Die Definition des militärischen Geheimnisses schließt danach das Erfordernis tatsächlicher Geheimhaltung ein.

b) Die einzelnen Tatbestandsmerkmale. Zu den einzelnen Merkmalen, die sachlich die Ge- 10 heimhaltungsbedürftigkeit begründen, gilt:

aa) Vor einer fremden Macht. Die in Rede stehenden Tatsachen, Gegenstände oder Erkennt- 10a nisse müssen der Geheimhaltung vor einer fremden Macht bedürfen. Damit sind Einrichtungen angesprochen, die sich auf höchster Ebene in öffentlicher „Machtfülle“ repräsentieren. Fremd sind sie, wenn sie sich außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes befinden.15 Keine fremde Macht sind daher die einzelnen Länder der Bundesrepublik; im Verhältnis zu diesen gilt allenfalls § 353b.16 Gemeint sind vielmehr in erster Linie ausländische Staaten, repräsentiert durch ihre Regierungen, sowie mit gleichartigen oder ähnlichen Machtmitteln ausgestattete zwischen- und überstaatliche Einrichtungen.17 Diese müssen nicht zwingend legal oder bereits völkerrechtlich anerkannt sein. Auch Exilregierungen oder aufständische Gruppen innerhalb eines fremden Staatsgebiets können eine fremde Macht darstellen, wenn sie staatliche Funktionen ausüben wollen und dazu – zumindest teilweise – auch in der Lage sind (so z. B. jedenfalls bis Ende 2001 die Taliban in Afghanistan). Kriminelle oder terroristische Vereinigungen im Sinne der §§ 129, 129a und 129b, welche diese Voraussetzungen (noch) nicht erfüllen, scheiden indessen aus.18 Im Blick auf das Erfordernis der „Fremdheit“ der Macht könnte sich in seltenen – wohl eher 11 theoretischen – Ausnahmefällen die Frage stellen, ob danach das Zentrum, die „Residenz“ der Macht stets außerhalb des Bundesgebiets liegen muss. Zu denken wäre etwa an Exilregierungen oder an internationale Organisationen, die sich zwar hier niederlassen, aber wegen ihrer besonderen Aufgabenbereiche bei funktionaler Betrachtung als „fremd“ angesehen werden könnten. Falls sie überhaupt den Begriff der „Macht“ erfüllen (vgl. Rdn. 10a), mag es für den Regelfall nahe liegen, am Erfordernis auch „geographischer Fremdheit“ festzuhalten. Dies wird insbesondere für Exilregierungen gelten müssen, die gleichsam nur geduldet werden und unter den sich aus dem Vereinsgesetz19 ergebenden Einschränkungen agieren müssen (s. nur §§ 3 und 14 f. VereinsG). Als dem eigenen staatlichen Einfluss entzogene Urheber äußerer Gefährdung (vgl. zu diesem Kriterium: Krauth Prot. V/1269) werden sie kaum in Betracht kommen. Gefährden oder verletzen sie in Verfolgung ihrer politischen Ziele die innere oder äußere Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik, so können gegen sie geeignete Schutzmaßnahmen getroffen werden (vgl. § 14 f. VereinsG). Anders kann es sich allerdings verhalten bei internationalen Einrichtungen, die in der Bundesrepublik ihren Sitz haben. Sie werden zumeist von anderen Staaten mitgetragen und können sich regelmäßig auf staatliche Garantien berufen, die eine gewisse „Unantastbarkeit“ vermitteln. Innerhalb dieser 15 Der Treubruchgedanke im Sinne früherer Verratstatbestände soll mit dem Wort „fremd“ nicht angesprochen sein (vgl. Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 332 ff.).

16 So auch Wolter SK Rdn. 21; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 16; Ellbogen BeckOK Rdn. 17. 17 S. BGHSt 39 260, 274 ff.; BayObLGSt 1991 127, 129; 1993 39, 43. 18 Vgl. dazu die von Paeffgen NK Rdn. 22 erhobenen Bedenken; S. hierzu im Übrigen Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Wolter SK Rdn. 21; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Lampe/Hegmann MK Rdn. 16; SSW/Vogler Rdn. 8; Ellbogen BeckOK Rdn. 16; zu politisch und/oder religiös motivierten (ausländischen) Terrororganisationen, insb. zum sogenannten Islamischen Staat, Dietrich RW 4/2016 566, 578 f.; zur Al-Qaida Anders/Mavany AnwK Rdn. 12: „im Regelfall“ keine fremde Macht i. S. d. § 93. 19 Vom 5.8.1964 (BGBl. I 593), zuletzt geändert durch Art. 149 der Verordnung vom 19.6.2020 (BGBl. I 1328). 393

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Organisationen und durch sie wirken so fremde, außerhalb der Bundesrepublik situierte Kräfte mit unterschiedlichem Einfluss (s. Fischer Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Lampe/Hegmann MK Rdn. 15). Auf die Art und die Gestaltung der politischen Beziehungen der fremden Macht zur Bundes12 republik kommt es hier nicht an. Die Bündnispartner, die Mitgliedstaaten des NATO-Paktes und die Staaten der Europäischen Union sind daher fremde Mächte im Sinne des § 93. Auch im Verhältnis zu ihnen oder zu sonstigen politisch befreundeten Staaten wird es immer Interessen geben, die einen Geheimnisschutz fordern (vgl. hierzu BGH bei Wagner GA 1961 130 Nr. 12). Gleiches gilt für zwischenstaatliche Einrichtungen, welche die Bundesrepublik mitträgt (Art. 24 Abs. 1 GG). Eine ganz andere Frage ist es, inwieweit die Bundesregierung solchen Institutionen oder den Mitgliedstaaten des gemeinsamen Bündnisses befugtermaßen Zugang zu Staatsgeheimnissen verschaffen kann (s. dazu Rdn. 27). Für die Annahme eines Staatsgeheimnisses genügt es, wenn der Sachverhalt lediglich vor einer einzigen fremden Macht geheim gehalten werden muss (so auch Fischer Rdn. 6); das ergibt sich aus Wortlaut und Sinn der Vorschrift.

13 bb) Äußere Sicherheit. Das Geheimhaltungsbedürfnis muss in der Gewährleistung der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik gründen. Damit sind ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten gemeint, sich gegen Angriffe, Pressionen, Eingriffe, Störungen oder ähnliche (evtl. verdeckte) Einflussnahmen zu wehren und ihre Machtstellung auf internationaler Ebene relativ ungefährdet zu erhalten.20 Die Bezeichnung des Rechtsguts „äußere Sicherheit“, das im Mittelpunkt des § 93 und der auf diese Vorschrift Bezug nehmenden Tatbestände steht, begrenzt zugleich den sachlichen Bereich des zu Schützenden. Unmittelbar angesprochen sind mit diesem Merkmal alle Gebiete, auf denen zu äußerer Sicherheit beigetragen wird. Hierzu zählt nicht nur der Verteidigungssektor; Sicherheit nach außen wird heute mehr denn je durch wirksame politische Gestaltung, insbesondere durch die Außen- und Bündnispolitik gewährleistet, deren Grundlagen auch im inneren Gefüge des Staates verwurzelt sind. Die politische Entwicklung im Osten und Südosten, die zwar zu einer Entschärfung der Spannungen zwischen West und Ost führten, dort aber auch neue Krisenherde und vielschichtige, auch sicherheitspolitische Probleme mit sich brachte, unterstreicht dies nur. Im Einzelnen gilt: Die äußere Sicherheit wird zunächst durch Vorkehrungen zur militärischen Landesverteidigung verbürgt. Insoweit ist alles angesprochen, was der Sicherstellung der Verteidigungsfähigkeit und der Verteidigungsbereitschaft dient, der gegenwärtige Stand der militärischen Anstrengungen ebenso wie die Planung für die Zukunft, die Absichten und Maßnahmen zur Ausrüstung der Streitkräfte und die betreffenden militärischen Geräte und Waffensysteme selbst. Erst recht gehören hierher die Vorkehrungen und Anweisungen für Krisenfälle, die Aufgabenzuweisungen innerhalb des Verteidigungsbündnisses und nicht zuletzt die Verbindungen und Bezüge der militärischen Interessen zu Wirtschaft und Industrie (s. auch Rdn. 14 f.). „Äußere Sicherheit“ reicht so weit über die spezifischen Angelegenheiten militärischer Verteidigung hinaus; der Gesetzgeber hat gerade deshalb auf diese Kriterien abstellen können, ohne unvertretbare Einbußen in Kauf nehmen zu müssen (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 16). Grundsätzlich fällt auch die nachrichtendienstliche Aufklärung und Abwehr einschließlich ihrer personellen und organisatorischen Struktur sowie ihres Berichtswesens in den Bereich „äußere Sicherheit“ (s. BGHSt 24 72, 74 f.; Lüttger JR 1969 121, 126; Träger/Mayer/Krauth FS BGH 1975 227, 232). Die Sicherheitslage wird wesentlich mitbestimmt von einer wirkungsvollen 20 Vgl. Fischer Rdn. 7; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Wolter SK Rdn. 27; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Lampe/ Hegmann MK Rdn. 17; Möhrenschlager JZ 1980 161, 164; Schroeder a. a. O. (Fn. 15) S. 391 beschreibt die äußere Sicherheit als den jeweiligen Zustand relativer Ungefährdetheit gegenüber fremden Staaten. S. zur Entstehung dieser sachlichen Begrenzung des Geheimbereichs auch Kohlmann S. 136 ff. Barthe/Schmidt

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I. Der Begriff des Staatsgeheimnisses (Absatz 1)

nachrichtendienstlichen Arbeit, die dazu beitragen soll, Gefährdungen von außen, etwa militärische Kräfteverschiebungen und Zielsetzungen, rechtzeitig zu erkennen, um Raum für Gegenmaßnahmen zu schaffen (vgl. hierzu BayObLGSt 1991 127, 129; 1993 39, 43; ferner BVerwG NJW 2008 2135, 2137 zur strategischen Telefonüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst). Dass dieser Bereich nachrichtendienstlicher Betätigung, gleichgültig ob Aufklärung oder Abwehr, besonders schutzbedürftig ist, liegt auf der Hand. Enttarnungen von Gewicht, welche die eigenen Dienste treffen, führen hier in der Regel zu nur schwer ausgleichbaren Erkenntnisdefiziten. Sie können überdies den Ansatz zu gezielten Desinformationen bieten und so zu Fehlentscheidungen verleiten, die weitere Nachteile herbeiführen. Hinzu kommt der Vertrauensverlust, der es bei befreundeten Nachrichtendiensten fraglich erscheinen lassen kann, ob ihre Zusammenarbeit mit deutschen Diensten und der Austausch von Erkenntnissen weiterhin ohne Einschränkung zu verantworten sind. Indessen zählen nicht alle nachrichtendienstlichen Belange ohne Weiteres zum Schutzbereich des § 93 Abs. 1; nicht jeder drohende nachrichtendienstliche Schaden berührt zugleich die äußere Sicherheit der Bundesrepublik. Werden beispielsweise bestimmte Abwehrmaßnahmen eigener Dienste durch fremde Aktivitäten beeinträchtigt, so wird es darauf ankommen, ob diese Vorkehrungen der Wahrung der äußeren Sicherheit dienen sollten. Dies wird nicht zwingend der Fall sein, wenn es etwa darum ging, Vorgänge rein diplomatischer Art abzuschirmen, letztlich also Geheimnisse zu schützen, die der Gesetzgeber grundsätzlich aus dem Staatsgeheimnisbegriff ausnehmen wollte (Sonderausschussbericht BTDrucks. V/ 2860 S. 16; s. BGHSt 24 72, 78 zur Ausspähung des Planes einer Botschafterkonferenz). Anderes muss aber gelten, wenn die Abwehrarbeit an sich in wesentlichen Teilbereichen getroffen und in ihrer Wirksamkeit erheblich beeinträchtigt oder neutralisiert wird (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 7.2.1992 – BStE 12/91 – 2[4]). Die äußere Sicherheit ist nicht nur betroffen, wenn eine unmittelbare militärische Kräfteverschiebung im Verhältnis zu einem potentiellen Gegner in Frage steht. Sie läuft auch Gefahr, wenn eine nachteilige Veränderung der Machtposition der Bundesrepublik in den Bündnissystemen droht, die sie in der Regel auch allgemein politisch anfälliger macht. Eine Mitgefährdung der äußeren Sicherheit kann überdies erwachsen aus Zwangsmaßnahmen wie Blockaden, einem Embargo oder anderen Aktionen „politischer Erpressung“. Sie kann darüber hinaus auch in Betracht kommen beim Bekanntwerden innenpolitischer oder diplomatischer Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, einschließlich solcher wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Art, sofern diese jedenfalls auch die äußere Sicherheitslage der Bundesrepublik in erheblicher Weise berühren (s. BGHSt 24 72, 75, 78; Fischer Rdn. 7; Wolter SK Rdn. 27).

cc) Gefahr eines schweren Nachteils. Die Geheimhaltung muss geboten sein, um die Gefahr 14 eines schweren Nachteils für das Rechtsgut der äußeren Sicherheit abzuwenden.

(1) Abstrakter Gefahrbegriff und Bedeutungsschwelle des Nachteils. Der Gefahrbegriff 15 des § 93 ist ein generell-abstrakter. Es kommt darauf an, ob allgemein gesehen das Bekanntwerden der Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse bei einer fremden Macht – zum jeweiligen Handlungszeitpunkt – geeignet ist, einen schweren Nachteil für die äußere Sicherheit herbeizuführen (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 16; Paeffgen NK Rdn. 25; Wolter SK Rdn. 28). Demgegenüber setzen die Straftatbestände der §§ 94, 95, 97, 97a, 99 Abs. 2 Nr. 2, 100 Abs. 2 S. 2 und 100a eine konkrete Gefahr, also eine im Einzelfall eingetretene Gefährdung voraus. Die abstrakte Nachteilsgefahr im Sinne des § 93 Abs. 1 kann auch dann zu bejahen sein, wenn das preisgegebene Material gleichsam nur „der Schlüssel“ zu weiteren, gewichtigeren Sachverhalten ist und den Zugang zu diesen eröffnet (s. dazu Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 362). Mit dem Erfordernis des schweren Nachteils, der zu besorgen sein muss, hat der Gesetzgeber die Schwelle zum Staatsgeheimnis so hoch angehoben, dass nur noch Nachteile von wirk395

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Begriff des Staatsgeheimnisses

lich gewichtiger Bedeutung für die äußere Sicherheit den Begriff des Staatsgeheimnisses erfüllen (z. B. BGHR StGB § 94 Staatsgeheimnis 1; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5). Ob ein geheimer Sachverhalt solche Bedeutung hat, dass sein Bekanntwerden bei einer fremden Macht derartig schwere Folgen nach sich zieht, ist in erster Linie eine Frage tatsächlicher Natur und daher vom Tatrichter zu beantworten (BGHSt 24 72, 75; vgl. auch Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609, 610). Die Möglichkeit einer nur leichten Verstimmung der Regierung eines ausländischen Staates ist sicher nicht ausreichend, wohl aber die Gefahr ernsthafter Machtverschiebungen im außenpolitischen Kräftefeld, die in der Regel auf die äußere Sicherheitslage durchschlagen. Schwerwiegen wird regelmäßig die Beeinträchtigung militärischer Organisation und Planung, deren Bekanntwerden entsprechende Gegenmaßnahmen auslöst (hierzu Fischer Rdn. 8; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 20).21 Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an Erkenntnisse über tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierungen der NATO-Vertragsstaaten, über ernsthafte Rivalitäten und Interessenkonflikte innerhalb des Paktes, an Erkenntnisse also, die, an eine Macht des früheren Ostblocks weitergeleitet, diese in die Lage versetzen konnten, die Bündnissolidarität der Vertragspartner zu untergraben und damit die Abschreckungskraft der NATO zu mindern (s. OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.12.1975 – IV – 3/75 [3] – [4 StE 1/75 GBA] – S. 115). Weiter kommen in Betracht Unterlagen und Berichte über militärische Übungen und Erfahrungen, deren Kenntnis gewichtige Schwachstellen aufdeckt oder Verteidigungsmaßnahmen kalkulierbar macht; ferner Alarmpläne und Mobilmachungsunterlagen größerer militärischer Einheiten, deren Befehlslage und Lagekarten. Auch die Zugriffsmöglichkeit zu sicherheitsrelevanten Dateien gehört hierher.22 Hingegen wird die erforderliche Bedeutung meist fehlen bei einzelnen Sprechtafeln, Gliederungsschemata von Fernsprechverbindungen, Leitwegeanzeigern für den Fernschreibverkehr, Codewörtern sowie allgemeinen Dienst- und Ausbildungsvorschriften (z. B. Heeresdienstvorschriften) mit Führungs- und Kampfgrundsätzen (zustimmend Paeffgen NK Rdn. 26). Geheimhaltungsbedürftigkeit begründenden Rang im Sinne des § 93 Abs. 1 wird schließlich regelmäßig den personellen und organisatorischen Strukturen der Aufklärungs- und Sicherheitsbehörden im nachrichtendienstlichen Bereich zukommen, wenn mit ihrer Kenntnis gleichzeitig der Einblick in Details der Aufgabenverteilung und Zuständigkeiten verbunden ist.23 Solches Wissen kann vielerlei Angriffspunkte bieten, Ansätze zur Aufdeckung von Agenten, ihrer Führer, der Führungswege, besonderer nachrichtendienstlicher Methoden sowie der Verbindungen zu anderen, auch ausländischen Nachrichtendiensten (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 15.9.1982 – 4 StE 1/82). Gleiches gilt etwa für Lageberichte des Bundesnachrichtendienstes, die bei sachkundiger Auswertung Hinweise auf die Informationsquellen geben und mit ihrer Preisgabe die Möglichkeit eröffnen, wesentliche Teile des Dienstes in bestimmten Zielgebieten lahm zu legen (s. BGHSt 24 72, 76 f.). Im Blick auf die Notwendigkeit der Abschirmung von Nachrichtenquellen kann im Einzelfall auch das Bekanntwerden von Namen einzelner Bediensteter des Verfassungsschutzes Gewicht erlangen, mag es auch in aller Regel bei im Bundesgebiet tätigen Sachbearbeitern von geringerer Relevanz sein (vgl. zu sogenannten Personalgeheimnissen Prot. V/1506 f.). Zu eng ist die Auffassung des BGH im Beschluss vom 5.6.1996 – BGHR StGB § 94

21 Nach der Einschränkung, die der Begriff des Staatsgeheimnisses durch Einführung der Merkmale „Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit“ 1968 erfahren hat (8. StRÄndG), können die Beispiele aus der früheren Rechtsprechung nicht mehr ohne Weiteres herangezogen werden. Vgl. dennoch die umfangreichen Nachweise zum Staatsgeheimnis bei Wagner GA 1961 129 ff., GA 1967 108 und GA 1968 293 ff. 22 Vgl. BGHR StGB § 94 Staatsgeheimnis 1; OLG Celle, Urteil vom 23.2.1993 – 3 StE 2/92; OLG Koblenz, Urteil vom 15.6.1993 – 3 StE 8/92. 23 S. dazu BayObLGSt 1991 127, 129 f.; vgl. aber BGHR StGB § 94 Verrat 2. Zur Veröffentlichung nachrichtendienstlicher Organisationsstrukturen, aus denen auf die Leistungsfähigkeit der betreffenden Behörde (hier: des Bundesamtes für Verfassungsschutz) sowie auf die geplante „erweiterte Fachunterstützung“ bei der Aufklärung internetbasierter Straftaten geschlossen werden kann (Fall „Netzpolitik.org.“), Dietrich RW 4/2016 566 und Trentmann JR 2015 571. Barthe/Schmidt

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I. Der Begriff des Staatsgeheimnisses (Absatz 1)

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Verrat 1. Bei der aufgehobenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle ging es darum, dass die Angeklagte an das MfS etwa zwei Jahrzehnte lang über weitgehend alle Angelegenheiten einer MAD-Gruppe berichtet hat. Die Gesamtheit dieser preisgegebenen Informationen wurde vom Tatrichter zusätzlich zu den verratenen Nuklearstandorten (vgl. BGHR StGB § 94 Staatsgeheimnis 1) als Staatsgeheimnis gewertet. Aus dem technisch-wissenschaftlichen Bereich sind beispielhaft als besonders bedeutsam zu nennen Erkenntnisse über schnelle Datenübertragungsverbindungen im Hochfrequenz- und Ultrahochfrequenzbereich, Konstruktionshinweise auf für die Verteidigung wichtige militärische Gerätschaften und Waffeninstrumentarien wie Steuereinheiten von Raketen u. a., unter Umständen auch schon die Enttarnung einer verborgenen Produktionsstätte eines bestimmten militärischen Geräts (vgl. Woesner NJW 1968 2129, 2133). Die technische Entwicklung kann allerdings eine solche Bewertung nachhaltig beeinflussen. Was etwa bei der Einführung eines Waffensystems noch Staatsgeheimnis war, kann diese Bedeutung durch Verbreitung bestimmter Techniken oder wissenschaftlicher Erkenntnisse rasch verlieren.24 Die Bedeutungsschwelle zum Staatsgeheimnis wird mangels drohenden schweren Nachteils in der Regel dort noch nicht überschritten sein, wo lediglich Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Offiziers oder eines Nachrichtenmannes in Rede stehen (Bestechlichkeit, Überschuldung, homosexuelle Veranlagung; s. Güde Prot. V/1436). Bei besonders hoher und verantwortungsvoller Dienststellung kann dies jedoch anders zu beurteilen sein (vgl. Möhrenschlager JZ 1980 161, 164 Fn. 31; aA Paeffgen NK Rdn. 26).

(2) Sammlung und Auswertung von Einzeltatsachen. Eine Sammlung und Auswertung 16 von größtenteils geheim gehaltenen Einzeltatsachen (z. B. von Amtsgeheimnissen), die für sich gesehen die Bedeutungsschwelle zum Staatsgeheimnis noch nicht überschreiten (keine Gefahr eines schweren Nachteils), kann in ihrer Summierung sehr wohl als Staatsgeheimnis zu werten sein. Mit einer – zweifelhaften – Anwendung der „Mosaiktheorie“ (vgl. Rdn. 5) hat das nichts zu tun; es handelt sich hier nicht um eine Zusammenfassung allgemein zugänglicher Tatsachen (dazu BGHSt 24 72, 76; 25 145, 149 f.; BGHR StGB § 94 Verrat 1; Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609).

(3) Keine Saldierung mit Vorteilen. Nach verbreiteter Ansicht sollen bereits bei der Prüfung, 17 ob die abstrakte Gefahr eines schweren Nachteils vorliegt, neben den möglichen negativen Auswirkungen auch positive Folgen zu berücksichtigen sein, die das Bekanntwerden von Tatsachen etc. bei allgemeiner Betrachtung für die äußere Sicherheit und die Machtposition der Bundesrepublik haben kann: Vor- und Nachteile seien gegeneinander abzuwägen und zu saldieren. Bei einer solchen Gesamtschau könne die Annahme eines schweren Nachteils ausgeschlossen sein. Dies sei auch dann möglich, wenn die Sicherheitsposition der Bundesrepublik gegenüber einem Staat geschwächt, jedoch zugleich gegenüber einem anderen Staat gestärkt werde (vgl. Fischer Rdn. 7; Wolter SK Rdn. 31; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 18). Ob eine solche Saldierung bereits auf der Ebene des Staatsgeheimnisbegriffs stattzufinden hat, ist jedoch zu bezweifeln. Man wird die Definition des § 93 kaum mit derartigen Erwägungen belasten können, ohne dem Begriff die erforderliche Klarheit und Bestimmtheit zu nehmen, zumal ein „saldierungsfähiger Vorteil“ konkrete Gestalt haben müsste (s. zum früheren Recht [§ 99 a. F.] Krey ZStW 79 [1967] 103, 110 f.). Der richtige Ort für eine solche Gesamtschau dürfte vielmehr das Merkmal der konkreten Gefahr sein, wie sie verschiedene Straftatbestände erfordern (§§ 94 ff.).25 Tatbedingte und -bezweckte Vorteile werden überdies – wenn auch nur in seltenen Fällen – auf der Rechtfertigungsebene eine Rolle spielen (problematisch; vgl. Rdn. 30). 24 Vgl. hierzu auch BayObLGSt 1993 39, 40 (= MDR 1994 821). 25 Ebenso Anders/Mavany AnwK Rdn. 18. 397

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18 dd) Bezugspunkt der Sicherheitsbelange. Die Gefahr eines schweren Nachteils muss sich gerade für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ergeben. Fremde nationale Geheimnisse – auch solche verbündeter Staaten – gehören grundsätzlich nicht zum Definitionsbereich des § 93 Abs. 1. Sie können allerdings dann zugleich deutsche Staatsgeheimnisse sein, wenn sie nach hier verbracht, also deutschen – nicht notwendigerweise amtlichen – Stellen anvertraut worden sind und die weiteren Voraussetzungen der Geheimhaltungsbedürftigkeit, insbesondere im Blick auf die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik, vorliegen. Dies wird häufig der Fall sein, wenn deutsche amtliche Stellen von ausländischen Stellen im Rahmen militärischer oder sonstiger sicherheitspolitischer Zusammenarbeit in bestimmte Tatsachen eingeweiht werden oder wenn im Bereich der Rüstungsindustrie private Firmen international kooperieren (insoweit wohl zu eng Laufhütte GA 1974 52, 57 f.; s. auch BayObLGSt 1957 84; BayObLG, Urteil vom 29.6.1999 – 3 St/96). Erfindungen, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gemacht worden sind, können nur dann ein Staatsgeheimnis im Sinne des § 93 sein, wenn sie ihrer Substanz nach hier belegen sind (vgl. Laufhütte GA 1974 52, 53). Als NATO-Geheimnisse werden gemeinsame Geheimnisse der Mitglieder des Nordatlantikpaktes bezeichnet; sie sind auch solche der Bundesrepublik Deutschland und stehen folglich ohne Weiteres unter dem strafrechtlichen Schutz der §§ 93 ff., wenn und soweit sie die Voraussetzungen eines Staatsgeheimnisses im Übrigen erfüllen (BGH bei Holtz MDR 1980 105; bei H. W. Schmidt MDR 1981 90 [zu § 99]; Laufhütte GA 1974 52, 57; auch Vor § 93 Rdn. 8b). Militärische Geheimnisse der NATO-Vertragsstaaten sind Tatsachen, Erkenntnisse oder Gegenstände, welche die Verteidigung betreffen und von einer in der Bundesrepublik befindlichen Dienststelle eines Vertragsstaates mit Rücksicht auf dessen Sicherheit oder die Sicherheit der hier stationierten Truppen (faktisch) geheim gehalten werden. Nach der Erweiterungsvorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 1 NTSG entsprechen sie deutschen Staatsgeheimnissen.26 Art. 194 Abs. 1 des Euratom-Vertrages27 erweitert den Gegenstand des strafrechtlichen Schutzes auf die in dem Vertrag vorgesehenen Geheimhaltungspflichten (vgl. Vor § 93 Rdn. 9). Bei Anwendung der einzelnen Straftatbestände wird anstelle der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik eine solche für entsprechende Belange der Europäischen Atomgemeinschaft vorliegen müssen, wie sie durch die verletzte Geheimhaltungspflicht geschützt werden sollen (s. vor allem Art. 24 S. 1 Euratom-Vertrag).

5. Subjektive Voraussetzungen 19 Bei der Verwirklichung der Straftatbestände, die sich auf ein Staatsgeheimnis beziehen (§§ 94 ff.), muss der Vorsatz des Täters alle Merkmale des Staatsgeheimnisses umfassen. Insoweit genügt dolus eventualis (BGH MDR 1964 68, 69). Der Täter braucht die Bewertung eines Sachverhalts als „Staatsgeheimnis“ jedoch nicht zu vollziehen. Es reicht die Kenntnis und Billigung der sie tragenden Tatsachen. Er muss wissen oder wenigstens billigend in Kauf nehmen, dass der in Betracht kommende Sachverhalt nicht allgemein zugänglich und aus den benannten Gründen geheimhaltungsbedürftig ist. Bei einer Vorveröffentlichung muss er zumindest billigend damit rechnen, dass diese noch keine allgemeine Zugänglichkeit begründet hat, etwa weil sie unrichtig, veraltet oder nicht hinreichend zuverlässig war und deshalb in ihrem Inhalt oder Wahrheitswert einer fremden Macht nicht genügen würde, vielmehr von ihr für berichtigungs-, ergänzungs- oder bestätigungsbedürftig erachtet wird. Die Bejahung eines bedingten Vorsatzes wird jedenfalls dann wenig problematisch sein, wenn der Täter ein professioneller Agent ist; einem solchen kommt es in aller Regel darauf an, seinem Auftraggeber neue Sachverhalte oder wenigstens bestätigende Tatsachen etc. zukommen zu lassen, wenn er nicht gar einen ganz bestimmten Beschaffungsauftrag hierzu hat. Gleiches gilt für Täter, die aufgrund ihrer Beschäfti26 S. dazu Vor § 93 Rdn. 7 ff. 27 Vertragsgesetz vom 27.7.1957 BGBl. II 753; Vertrag vom 25.3.1957 BGBl. II 1014, 1115. Barthe/Schmidt

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gung in sicherheitsempfindlichen Bereichen Zugang zu Verschlusssachen haben und es trotz entsprechender Sicherheitsbelehrungen darauf anlegen, stets aktuelles Material zu liefern. Bei Vorgängen, die aus dem diplomatischen, innenpolitischen, wirtschaftlichen, technischen oder wissenschaftlichen Bereich stammen, ist besonders darauf zu achten, dass der bedingte Vorsatz deren gleichzeitige Erheblichkeit für die äußere Sicherheit umfassen muss. Er hat sich insbesondere auch auf die Umstände zu erstrecken, welche die abstrakte Nachteilsgefahr als Gefahr eines „schweren“ Nachteils ausweisen. Ein Irrtum über die rechtliche Qualifikation von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen als Staatsgeheimnis trotz Kenntnis der zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände kann dem Täter nur unter den Voraussetzungen des Verbotsirrtums (§ 17) zugute kommen. Glaubt er beispielsweise irrig, die Annahme eines Staatsgeheimnisses bedürfe formeller Sekretur, so handelt es sich um einen Subsumtionsirrtum, der als Verbotsirrtum erheblich sein kann (Fischer Rdn. 20).

II. Das illegale Staatsgeheimnis (Absatz 2) 1. Die Funktion der Vorschrift Die Funktion der Vorschrift über illegale Geheimnisse,28 die ohne Vorbild ist,29 liegt darin, be- 20 stimmte, mit dem Makel einer besonderen Rechtsverletzung behaftete Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse schon definitorisch aus dem Staatsgeheimnisbegriff zu eliminieren. Verstöße gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen sollen nicht unter dem Schutzmantel des Staatsgeheimnisses begangen werden können. Der Gesetzgeber hat dem Interesse der Öffentlichkeit, von solchen Rechtsbrüchen zu erfahren, dem Anliegen, Abhilfe zu schaffen, und den Grundrechten des Offenbarenden auf Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) größeres Gewicht beigelegt als dem Schutz vor auch in diesen Fällen gegebenen Gefahren für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik. Damit folgte er – soweit Verfassungsverstöße in Rede stehen – der Linie, die der BGH bereits früher, bevor das illegale Staatsgeheimnis gesetzlich geregelt war, vorgezeichnet hatte (BGHSt 20 342, 365): In einem Verfassungsgefüge, so der BGH, das wie das Grundgesetz von der Rechtsidee beherrscht wird, sei das Rangverhältnis zwischen den obersten Rechtswerten, soweit sie zu den bestimmenden Grundsätzen der Verfassung gehören, und den politischen Werten eindeutig festgelegt. Alles politische Wirken sei der höheren Idee des Rechts unterworfen und durch sie begrenzt; denn das Recht sei kein Werkzeug der Macht. Nur dieses Rangverhältnis entspreche dem Wesen eines Rechtsstaates, wie er durch das Grundgesetz geschaffen worden sei. Die Wahrung dieser obersten Rechts- und Verfassungswerte gehe allen politischen Zweckmäßigkeitserwägungen vor. Es gebe deshalb einen Kernbereich des Verfassungsrechts, bei dessen Verletzung jeder das Recht haben müsse, sofort und ohne jeden Umweg die Öffentlichkeit anzurufen, auch wenn dies zwingend zur Preisgabe von Staatsgeheimnissen führe. Allerdings hat der Gesetzgeber auch solche illegalen Staatsgeheimnisse (§ 93 Abs. 2) nicht uneingeschränkt straflos verfügbar gestellt. Die Zusammenschau mit dem besonderen Tatbestand des Verrats illegaler Geheimnisse an eine fremde Macht oder ihre Mittelsmänner (§ 97a) erhellt, dass nur ein Offenbaren und Preisgeben illegaler Vorgänge (im Sinne des § 93 Abs. 2) sanktionslos bleibt. Diese Einschränkung besteht zu Recht: Denn die heimliche und unmittelbare Weitergabe an eine fremde Macht, eben der Verrat, der weiter mit Strafe bedroht ist, wird kaum je den Anstoß dafür geben wollen, den illegalen Zustand gleichsam aus eigener Kraft über

28 Genau genommen ist nicht das Geheimnis als solches illegal, sondern sein Gegenstand (vgl. Paeffgen Verrat S. 3 f. Fn. 11). 29 S. Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609. 399

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die „öffentliche Kontrolle“ im eigenen Lande zu beheben (vgl. auch die Erläuterungen zu § 97a Rdn. 1). Die Regelung des illegalen Staatsgeheimnisses dient nach alledem letztlich auch dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und konkretisiert – soweit es um den Verstoß gegen Rüstungsbeschränkungsvereinbarungen geht – das verfassungsrechtliche Verbot friedensstörender Handlungen (Art. 26 Abs. 1 GG), ohne jedoch in der derzeitigen Form von Verfassungs wegen geboten zu sein.30 Die Illegalität im Sinne des § 93 Abs. 2 hat für die Straftatbestände, welche die Definition des Staatsgeheimnisses in Bezug nehmen, dem klaren Wortlaut der Vorschrift zufolge tatbestandsausschließende Wirkung (negatives Tatbestandsmerkmal); sie führt nicht lediglich zur Rechtfertigung.31 Andere als die in § 93 Abs. 2 aufgeführten Verletzungen von Recht und Gesetz, die einem Staatsgeheimnis anhaften können, entziehen dieses nicht dem Schutz der §§ 94 ff. Das ergibt der Gegenschluss aus § 93 Abs. 2. Ein solchermaßen illegales Staatsgeheimnis behält ungeachtet des Rechtsverstoßes seinen Charakter als Staatsgeheimnis (zur Problematik der Rechtfertigung einer Offenbarung oder Preisgabe in solchen Fällen s. Rdn. 33). Anderes muss allerdings gelten, wenn der ihm anhaftende Verstoß gegen eine im Range unter der Verfassung stehende Norm sich zugleich als Rechtsbruch im Sinne des § 93 Abs. 2 darstellt, etwa weil jene Norm einen der in § 93 Abs. 2 angesprochenen Verfassungsgrundsätze konkretisiert (vgl. Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8).

2. Tatsachenbegriff des Absatzes 2 21 Obwohl § 93 Abs. 2 lediglich an den Begriff der Tatsachen anknüpft, ist damit keine sachliche Beschränkung verbunden. Umfasst werden alle wie auch immer gearteten Vorgänge und Sachverhalte, also auch Gegenstände und Erkenntnisse. Das gebietet schon der Sinn der Bestimmung. Auch in Absatz 1 schließt der Tatsachenbegriff die sogenannten inneren Tatsachen ein (s. Rdn. 2a).

3. Objektiver Rechtsverstoß 22 Die Tatsache muss objektiv mit einem Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen die Rüstungsbeschränkungsvereinbarung behaftet sein. Es ist unerheblich, ob diejenigen Personen, die diesen Verstoß zu verantworten haben, sich seiner bewusst sind oder sonst subjektiv vorwerfbar gehandelt haben. Allein dieses Verständnis genügt dem Regelungszweck und vermeidet praktisch nicht zu bewältigende Unsicherheiten.

22a a) Die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die freiheitliche demokratische Grundordnung meint die obersten Grundwerte des freiheitlich und demokratisch verfassten Staates, die das Grundgesetz innerhalb der staatlichen Gesamtordnung – der „verfassungsmäßigen Ordnung“ – als fundamental ansieht und die das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben hat (BVerfGE 2 1, 12 f.; s. auch Art. 18, 21 Abs. 2 und 91 GG): Sie lässt sich als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach

30 Vgl. Maunz/Dürig GG Art. 26 Rdn. 30. 31 Fischer Rdn. 12; Wolter SK Rdn. 35; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 24; Lampe/Hegmann MK Rdn. 29; Sonnen AK Rdn. 51; Ellbogen BeckOK Rdn. 21; Anders/Mavany AnwK Rdn. 19; nach Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 30 wäre eine Lösung vorzuziehen, die § 93 Abs. 2 als Rechtfertigungsgrund verstünde („geringsten Friktionen“); ähnlich Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 10; s. dazu auch Jescheck FS Engisch 1969 584 und Paeffgen NK Rdn. 34. Barthe/Schmidt

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dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu ihren grundlegenden Prinzipien sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. An diese Umschreibung durch das BVerfG hat der Gesetzgeber angeknüpft (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 16 f.). Sie stimmt im Wesentlichen überein mit der Begriffsbestimmung der Verfassungsgrundsätze in § 92 Abs. 2 (s. auch BGHSt 23 64, 71 f. zu § 86 Abs. 2; vgl. ferner Steinsiek LK § 86 Rdn. 4; insoweit zw. Paeffgen NK Rdn. 37). Es liegt in der Natur solcher Konstitutionsprinzipien, dass die praktische Anwendung auf bestimmte Sachverhalte, die an und für sich den Staatsgeheimnisbegriff erfüllen, gewisse Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringen kann.

b) Zwischenstaatliche Rüstungsbeschränkungen. Als zwischenstaatlich vereinbarte Rüs- 23 tungsbeschränkungen kommen insbesondere in Betracht: – Protokoll Nr. III über Rüstungskontrolle vom 23. Oktober 1954 (im Rahmen des Beitritts der Bundesrepublik zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag; Gesetz vom 24. März 1955 – BGBl. II 256 ff., 266 ff.; vgl. BTDrucks. I/3500, 3900, 4297, II/1000, 1200, 1284, 1286), in Kraft seit 5. Mai 1955 (BGBl. II 628). Dort hat die Bundesrepublik auf die Herstellung von atomaren, bakteriologischen sowie chemischen Waffen und von weit reichenden Geschossen, Kriegsschiffen bestimmter Größe sowie strategischen Bombern verzichtet. – Vertrag vom 5. August 1963 über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser (Gesetz vom 29. Juli 1964 – BGBl. II 906; vgl. BTDrucks. IV/ 1682, 2286), in Kraft für die Bundesrepublik seit 1. Dezember 1964 (BGBl. 1965 II 124). – Vertrag vom 1. Juli 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (sogenannter Atomwaffensperrvertrag; Gesetz vom 4. Juni 1974 – BGBl. II 785; BTDrucks. 7/994, 1694, 1696), in Kraft für die Bundesrepublik seit 2. Mai 1975 (BGBl. 1976 II 552; s. auch Verifikationsabkommen vom 5. April 1973 – BGBl. 1974 II 794). – Vertrag vom 11. Februar 1971 über das Verbot der Anbringung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresboden und dem Meeresuntergrund (Gesetz vom 12. Mai 1972 – BGBl. II 325; vgl. BTDrucks. VI/2761, 3185), in Kraft für die Bundesrepublik seit 18. November 1975 (BGBl. 1977 II 29). – Übereinkommen vom 10. April 1972 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen (Gesetz vom 21. Februar 1983 – BGBl. II 132; BTDrucks. 9/1951, 2185, 2251), in Kraft für die Bundesrepublik seit 7. April 1983 (BGBl. II 436). – Übereinkommen vom 18. Mai 1977 über das Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken (Umweltkriegsübereinkommen); (Gesetz vom 21. Februar 1983 – BGBl. II 125; vgl. auch BTDrucks. 9/1952, 2186), in Kraft für die Bundesrepublik seit 24. Mai 1983 (BGBl. II 564). – Vertrag vom 19. November 1990 über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag); Gesetz vom 12. Dezember 1991 (BGBl. II 1154). – Übereinkommen vom 13. Januar 1993 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen; Gesetz zum Chemiewaffenübereinkommen vom 5. Juli 1994 (BGBl. II 806). Der Verstoß gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen muss, wenn es sich um ein illegales Geheimnis im Sinne des § 93 Abs. 2 handeln soll, unter Geheimhaltung gegenüber den anderen Vertragspartnern einer solchen Vereinbarung vonstattengehen (s. Breithaupt NJW 1968 1712; Hirsch NJW 1968 2330). Nur die Kenntnis aller Vertragspartner der Bundesrepub401

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lik vermag dem Verstoß die Beachtlichkeit (= Illegalität) im Sinne des § 93 Abs. 2 zu nehmen; die Kenntnis nur einzelner von mehreren Vertragsstaaten genügt dazu nicht (vgl. Fischer Rdn. 14; Paeffgen NK Rdn. 38; Wolter SK Rdn. 37).32 Die Praxis erfährt mit dieser Einschränkung in denjenigen Fällen eine Erleichterung, in denen der betreffende völkerrechtliche Vertrag bereits überholt, aber noch nicht ausdrücklich aufgehoben oder abgeändert worden ist: Werden dann die vertragswidrigen Rüstungsmaßnahmen allen Vertragspartnern bekannt gemacht, so sind mit diesen verbundene Staatsgeheimnisse nicht illegal (s. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 17).

4. Das Verhältnis von Absatz 2 zu NATO-Vertragsstaaten- und EuratomGeheimnissen 24 Soweit militärische Geheimnisse der NATO-Vertragsstaaten und ihrer hier stationierten Truppen in Rede stehen, deren Schutz § 1 Abs. 1 NTSG gewährleistet, hindert die Illegalität des Geheimnisses die Tatbestandsmäßigkeit einer Straftat nach den §§ 94 ff. i. V. m. § 1 NTSG nicht. Die Erweiterungsvorschriften selbst kennen ein „illegales Geheimnis“ nicht. § 93 ist in § 1 Abs. 1 NTSG zwar mit in Bezug genommen, nicht aber die §§ 97a, 97b, die wesentlicher Teil der strafrechtlichen Regelung des illegalen Staatsgeheimnisses sind. Hinzu kommt, dass die Stationierungsmächte für ihre militärischen Geheimnisse auf der Beibehaltung des faktischen Geheimnisbegriffs bestanden haben, weil sie nur so den geschützten Geheimbereich selbst abzugrenzen vermögen (vgl. hierzu Jescheck FS Engisch 584, 597 f.). Anders könnte es sich bezüglich der sogenannten Euratom-Geheimnisse verhalten (s. Vor § 93 Rdn. 9; § 93 Rdn. 18 a. E.). Nach Art. 194 Abs. 1 des Euratom-Vertrags33 haben die Mitgliedstaaten „hinsichtlich des sachlichen Rechts … ihre Rechtsvorschriften über die Verletzung der Staatssicherheit“ anzuwenden. Deshalb wird es nahe liegen, die Anwendbarkeit der Vorschriften, die das illegale Staatsgeheimnis betreffen, jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen; entsprechende Fallgestaltungen werden sich allerdings kaum ergeben.

5. Subjektive Seite, Illegalität und Irrtum 25 Hält der Täter bei einer Tathandlung im Sinne der §§ 94 ff. in subjektiver Hinsicht (vgl. Rdn. 19) die Voraussetzungen der Illegalität des Staatsgeheimnisses irrtümlich für erfüllt, ist die einschneidende Irrtumsregelung des § 97b zu beachten. Nimmt er irrig einen Fall „leichterer“, jenseits des § 93 Abs. 2 liegender Illegalität an, so gelten die allgemeinen Irrtumsregeln. Eine entsprechende Anwendung des § 97b, die zuungunsten des Täters wirken würde, scheidet aus (vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 97b Rdn. 1; Fischer § 97b Rdn. 9; dazu im Einzelnen noch bei § 97b).

III. Der Schutz von Staatsgeheimnissen im Lichte gegenläufiger Interessen 26 Besonderheiten der Weitergabe in verschiedenen Bereichen und Lagen. Der Schutz von Staatsgeheimnissen im Interesse der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik kann auch dann, wenn es nicht um ein illegales Geheimnis im Sinne des § 93 Abs. 2 geht, in einem Spannungsfeld mit gegenläufigen Interessen stehen. Diese sind vielfältiger Natur und gewinnen für die Tatbestände des Verrats, der Offenbarung und Preisgabe von Staatsgeheimnissen unterschiedli32 Zu den sich daraus insbesondere im Spannungsfall ergebenden verteidigungspolitischen Bedenken Jescheck FS Engisch 584, 593 f. 33 VertragsG vom 27.7.1957 BGBl. II 753; Vertrag vom 25.3.1957 BGBl. II 1014, 1115. Barthe/Schmidt

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che Bedeutung. Für bestimmte Fallgestaltungen kann das dazu führen, dass die Weitergabe eines Staatsgeheimnisses schon nicht den in Frage kommenden Tatbestand erfüllt, weil der Mitteilungsempfänger zur Entgegennahme befugt ist oder weil – wie nach den einzelnen Straftatbeständen erforderlich – keine konkrete Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit entsteht (Tatbestandsausschluss). Darüber hinaus kommen Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- und Strafausschließungsgründe in Betracht.

1. Politisch-parlamentarischer Bereich Im politisch-parlamentarischen Bereich wird die Bundesregierung im Rahmen ihrer Kompeten- 27 zen als befugt zu erachten sein, Staatsgeheimnisse an eine fremde Macht oder zwischenstaatliche Institutionen weiterzugeben, wenn sie dazu aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarung verpflichtet oder der Adressat nach einer derartigen Übereinkunft als Mitteilungsempfänger vorgesehen ist (vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 94 Rdn. 10; anders wohl Fischer Rdn. 17 f., der von Rechtfertigung ausgeht). Im Einzelfall wird es auf den Inhalt der völkerrechtlichen Vereinbarung und auf den Umfang eventuell übertragener Souveränitätsrechte ankommen. Im NATO- und Euratombereich gehen die Möglichkeiten des befugten Zuganges zu deutschen Staatsgeheimnissen sehr weit. Dem entspricht die vertragliche Zusicherung gegenseitigen Schutzes der Geheimsphäre nach den innerstaatlichen Strafvorschriften.34 Der Bundesregierung wird zudem bei der Weitergabe eines Staatsgeheimnisses eine gewisse Dispositionsmacht zuzuerkennen sein, die jedoch ihre Grenze in den Straftatbeständen findet. Da die Regierung für die Ausübung dieser Dispositionsmacht „ausgestattet“ ist, d. h. über eine auch insoweit sachverständige Administration verfügt, welche die Grundlage für die fundierte Beurteilung der Wirkungen einer Weitergabe zu schaffen vermag, wird es bei der gebotenen sorgfältigen Vorgehensweise regelmäßig nicht zum Eintritt einer konkreten Gefahr für die äußere Sicherheit kommen. Die Bundesregierung wird in solchen Weitergabefällen Vorkehrungen treffen und beim Mitteilungsempfänger veranlassen, welche die Geheimhaltung – in diesem dann erweiterten Kreise – auch weiterhin gewährleisten (s. hierzu vor allem § 97). Im Ausnahmefall gibt die Dispositionsmacht der Bundesregierung darüber hinaus die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntgabe eines Staatsgeheimnisses (vgl. §§ 95, 97). Steht etwa ein zur Verteidigung hochwirksames, neues Waffensystem zur Verfügung, kann es nach Analyse der Lage angebracht erscheinen, dessen Existenz und Einsatzmöglichkeiten bekannt zu geben, um so die Abschreckung eines möglichen Angreifers zu erhöhen. Dies führt strafrechtlich zu einer sogenannten Saldierung der durch die Veröffentlichung bedingten Vor- und Nachteile (dazu Rdn. 17), so dass es auch hier – aufs Ganze gesehen – am Eintritt der konkreten Gefahr fehlen wird. Ein nicht unmittelbar in der fachlichpolitischen Exekutivverantwortung Stehender kann sich eine solche Dispositionsmacht hingegen nicht anmaßen. Er ist in aller Regel auch nicht imstande, die Folgen einer Bekanntgabe für die äußere Sicherheitslage der Bundesrepublik qualifiziert zu beurteilen, muss mithin wohl stets in Kauf nehmen, eine tatbestandsmäßige konkrete Gefahr zu bewirken (vgl. Baldus Prot. V 109 f.; krit. A. Arndt ebendort). „Befugt“ zur Kenntnisnahme von Staatsgeheimnissen ist grundsätzlich auch der Bundes- 28 tag, im Verhältnis zur Bundesregierung insoweit, als ihm diese zur Auskunft verpflichtet ist. Eine gewichtige Rolle spielt das parlamentarische Frage- und Interpellationsrecht, das den Mitgliedern der Bundesregierung die verfassungsrechtliche Pflicht auferlegt, auf Fragen Rede und Antwort zu stehen und den Abgeordneten die zur Ausübung ihres Mandats erforderlichen Informationen zu verschaffen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang aber auch die grundsätzliche 34 Vgl. Art. VII Abs. 11 des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19.6.1951 (NATO-Truppenstatut – NTS) BGBl. 1961 II 1190, 1198; Art. 29 des Zusatzabkommens zum NTS vom 3.8.1959 BGBl. 1961 II 1218, 1242 f. (Vertragsgesetz zu beiden Abkommen vom 18.8.1961 BGBl. II 1183). S. ferner Art. 194 Abs. 1 Euratom-Vertrag vom 25.3.1957 BGBl. II 1014, 1115 (Vertragsgesetz vom 27.7.1957 BGBl. II 753). 403

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Pflicht der Regierung, parlamentarischen Untersuchungsausschüssen im Rahmen des Untersuchungsverfahrens einschlägige Unterlagen zur Verfügung zu stellen und bestimmte Akten herauszugeben (s. BVerfGE 57 1, 5; 67 100, 129 f.; 70 324, 355). Indessen erfahren diese Auskunftsrechte des Parlaments auch erhebliche Einschränkungen. So ist die Bundesregierung nicht gehalten, Verschlusssachen vorzulegen (zu denen Staatsgeheimnisse regelmäßig zählen), wenn ein Untersuchungsausschuss den von der Regierung für notwendig erachteten Geheimschutz nicht gewährleistet35 (BVerfGE 67 100, 137; zudem BVerfGE 143 101 zur Vorlage der sogenannten NSA-Selektorenlisten an den NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages). Im Übrigen wird der Auskunftsanspruch in Geheimsachen nicht weitergehen, als dies aus Gründen der parlamentarischen Arbeit unerlässlich ist. Eine Befugnis des Bundestages – aber auch anderer sachlich zuständiger Stellen – zur Kenntnisnahme von Staatsgeheimnissen kann sich überdies aus dem Petitionsrecht ergeben (Art. 17 GG). Im Rahmen einer Bittschrift oder Beschwerde kann es erforderlich werden, ein Staatsgeheimnis zu erörtern. Der Petent hat dann dafür Sorge zu tragen, dass auf dem Wege zur zuständigen Stelle der Geheimnisschutz gewahrt bleibt; er muss seinerseits davon ausgehen können, dass dies auch beim Empfänger der Fall ist. Die Volksvertretungen sind indessen nicht allgemein und nicht für jedes Staatsgeheimnis empfangsbefugt; vielmehr ist das jeweils zuständige Parlament anzugehen. In Angelegenheiten der äußeren Sicherheit wird das regelmäßig nicht ein Länderparlament sein (vgl. BGHSt 20 342, 364). Sieht man von dem besonders liegenden Fall des § 97b Abs. 1 S. 2 ab, ist auch der einzelne Bundestagsabgeordnete in der Regel nicht der richtige – befugte – Ansprechpartner. Aus Gründen des Schutzes der äußeren Sicherheit wird man vielmehr verlangen müssen, dass der für das Sachgebiet zuständige Ausschuss des Bundestages angerufen wird (s. insoweit auch BGHSt 20 342, 364; Fischer Rdn. 18; Wolter SK § 94 Rdn. 14; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 94 Rdn. 10; zweifelnd Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 38; mit Blick auf Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG krit. Paeffgen NK Rdn. 40a; aA Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 17). Soweit sich Abgeordnete in parlamentarischen Gremien zu Staatsgeheimnissen äußern, sind sie vor Strafverfolgung durch Art. 46 Abs. 1 GG und § 36 geschützt.36 Schließlich kommt als befugter Adressat für Staatsgeheimnisse auch der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages in Betracht (vgl. Art. 45b GG, § 1 WehrbeauftragtenG). Von einer generellen, umfassenden Befugnis wird man allerdings angesichts der Regelung, derzufolge ihm der Bundesminister der Verteidigung Auskunft und Akteneinsicht verweigern darf, soweit zwingende Geheimhaltungsgründe entgegenstehen (§ 3 Nr. 1 WehrbeauftragtenG), nicht ausgehen können. Besondere Bedeutung wird dieser Frage wohl nicht zukommen; bei der Weitergabe eines Staatsgeheimnisses an ihn wird grundsätzlich eine konkrete Gefahr für die äußere Sicherheit zu verneinen sein (Tatbestandsausschluss). Für alle Fälle von Eingaben (Petitionen) gilt, dass sie, wenn in ihnen ein Staatsgeheimnis zur Sprache kommt, nicht missbräuchlich, insbesondere nicht zum Schein verfolgt werden dürfen (s. BGH, Beschlüsse vom 12.5.1954 – 6 StR 3/54 – und vom 21.12.1955 – 6 StR 86/55). Handelt es sich nicht um ein echtes Anliegen, deckt das Petitionsrecht die Weitergabe schon aus solchen Gründen nicht ab.

35 Vgl. die Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages (Anlage 3 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, BGBl. 1980 I 1237) vom 25.6.1980 (BGBl. I 1237, 1256). S. zu Geheimhaltungsmöglichkeiten im parlamentarischen Bereich auch § 3 Abs. 1 Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes vom 11.4.1978 (BGBl. I 453); § 4 Abs. 9 Haushaltsgesetz 1984 vom 22.12.1983 (BGBl. I 1516) zur Genehmigung des Haushalts der Geheimdienste (dazu BVerfGE 70 324); § 9 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) vom 13.8.1968 (BGBl. I 949) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 11.2.2005 (BGBl. I 239, 3194, 3196); dazu BVerfGE 30 1. 36 Deshalb hat der Gesetzgeber auch das frühere ausdrückliche Abgeordnetenprivileg (§ 100 Abs. 3 a. F.) beseitigt; s. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 17. Barthe/Schmidt

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III. Der Schutz von Staatsgeheimnissen im Lichte gegenläufiger Interessen

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Die Verantwortungsträger der politischen Parteien sind unbefugte Dritte (dazu Willms JZ 1960 159, 160 f.). Allerdings kann es – wie auch in anderen Bereichen – im Einzelfall geboten sein, diese Personen zu unterrichten, etwa um Straftaten eines eingeschleusten Agenten (vgl. § 99) entgegenzuwirken und den Täter zu überführen. Bei sachgerechtem Vorgehen wird hier in aller Regel ein Rechtfertigungsgrund greifen, wenn sich nicht ohnehin eine Gefährdung der Sicherheitsinteressen ausschließen lässt.

2. Exekutiv-staatlicher und privater Bereich Im exekutiven staatlichen Bereich sowie im privaten Bereich (etwa in der Rüstungsindustrie) 29 erfolgt die interne Weitergabe eines Staatsgeheimnisses befugtermaßen an denjenigen, der aufgrund seines Tätigkeitsfeldes notwendigerweise mit der Materie befasst ist, sofern die Maßgaben der jeweiligen Geheimhaltungsvorschriften beachtet werden (vgl. z. B. Verschlusssachenanweisung; s. auch § 97 Rdn. 10). Das Bundespatentamt ist bei Patentanmeldungen zur Kenntnisnahme von Staatsgeheimnissen befugt (vgl. §§ 50 ff. PatentG). Es kann unter den in § 31 Abs. 5 S. 1 PatentG (s. auch § 54 PatentG) normierten Voraussetzungen seinerseits – dann „befugten“ – Dritten Einsicht in Akten gewähren, die sogenannte Geheimpatente und Geheimanmeldungen (= Staatsgeheimnisse) enthalten.

3. Nachrichtendienstlicher Bereich (Spielmaterial) Soweit auf nachrichtendienstlichem Felde sogenanntes Spielmaterial preisgegeben oder „ver- 30 raten“ wird, um dem gegnerischen Geheimdienst die Vertrauenswürdigkeit eines in Wirklichkeit gegen ihn arbeitenden Agenten vorzutäuschen, wird das Gelieferte zumeist nicht von derartiger Bedeutung sein, dass ein schwerer Nachteil für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik zu besorgen ist. Das preisgegebene Material ist bekannt, den Folgen der Preisgabe kann von zuständiger Stelle von vornherein entgegengewirkt werden. In Betracht kommt zudem eine Saldierung mit den Ergebnissen des „Spiels“, das immer auf eine Verbesserung der Sicherheitslage angelegt sein wird (vgl. Rdn. 17). Eine Rechtfertigung würde, wenn sich dennoch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik ergäbe, allerdings nur in extremen Fällen angenommen werden können (s. etwa § 34). Im Blick auf die Unverfügbarkeit des Staatsgeheimnisses (vgl. Rdn. 7a) dürfte insbesondere eine rechtfertigende Einwilligung in die Preisgabe ausscheiden (s. dazu auch § 99 Rdn. 15).

4. Rechtsanwälte, Ärzte und Geistliche Als Adressaten der Weitergabe von Staatsgeheimnissen können ferner Rechtsanwälte, Ärzte und 31 Geistliche in Betracht kommen, denen sich ein Geheimnisträger anvertraut. Sie sind – obschon im Allgemeinen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen zur Verschwiegenheit verpflichtet – grundsätzlich nicht zur Kenntnisnahme von Staatsgeheimnissen „befugt“. Deshalb wird hier immer zu prüfen sein, ob der Mitteilende auf die Verschwiegenheit des Mitteilungsempfängers vertrauen durfte und ob es objektiv oder zumindest nach der Vorstellung des Mitteilenden an der Herbeiführung der konkreten Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit fehlt (vgl. BGHSt 20 342, 348 ff.).37 Sollen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe durchgreifen, müssen schon besonders gewichtige Rechtsgutsgefährdungen vorliegen, die zugleich 37 Zur früheren Rechtslage für den Fall der Unterrichtung eines Rechtsanwalts durch einen Rechtsrat suchenden Geheimnisträger s. auch Träger LK11 § 353b Rdn. 28. 405

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§ 93 StGB

Begriff des Staatsgeheimnisses

die Mitteilung des Staatsgeheimnisses an die schweigepflichtige Person als unerlässlich erscheinen lassen. Ob es etwa seelische Belastungen oder Gewissensnöte erlauben, ohne vorherige Konsultierung des Vorgesetzten oder ohne vorangegangene Bemühungen um Abhilfe und Freistellung sich einem Therapeuten oder Geistlichen zu offenbaren, wird nur bei ganz extremen Fallgestaltungen zu erwägen sein.

5. Zwangslagen des Täters 32 Die üblichen Druck- und Drohmittel (Kompromate), die den Täter in eine gewisse Zwangslage bringen und die fremde Nachrichtendienste beim Anwerben und Führen von Agenten anwenden, vermögen in aller Regel keine Rechtfertigung oder Entschuldigung zu begründen (vgl. allerdings den Strafausschließungsgrund des § 98 Abs. 2 S. 2). Anderes kann gelten, wenn sich der Täter in einem totalitären Machtbereich befindet, dort mit rechtsstaatswidriger Verfolgung rechnen muss und Leib und Leben in Gefahr sieht (s. dazu die umfassende Rechtsprechungsübersicht bei Wagner ZStW 80 [1968] 283, 320 ff.; vgl. ferner Wagner GA 1961 321, 340 ff.). Auch dann darf aber nur soviel preisgegeben werden, wie zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist (aA Paeffgen NK § 94 Rdn. 23).

6. Presse- und Meinungsfreiheit 33 Bei Offenbarung und Preisgabe von Staatsgeheimnissen gegenüber der Presse und durch die Presse ist zu berücksichtigen: Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistet die Pressefreiheit, die ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen findet (Art. 5 Abs. 2 GG). Diese relativieren die Freiheit der Presse indessen nicht, sondern sind in ihrer Auslegung stets an dem Grundwert und der hohen Bedeutung zu messen, die der freien Presse für das Funktionieren der Demokratie zukommt (s. dazu BVerfGE 20 162, 174 ff.; 21 239, 243). Jede Einengung, die nicht von der Rücksicht auf mindestens gleichwertige Rechtsgüter unbedingt geboten ist, gilt es zu verhindern (vgl. BVerfGE 20 162, 177). Die Lösung von Konflikten mit kollidierenden Verfassungswerten ist in einer Abwägung zu suchen (BVerfGE 21 239, 243). Das Schutzgut, das der Pressefreiheit hier gegenübersteht, ist die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, der die Wahrung von militärischen und anderen Staatsgeheimnissen dient. Der Rang dieses Schutzgutes ist geeignet, die Pressefreiheit jedenfalls dann zurücktreten zu lassen, wenn die Bekanntgabe bestimmter Staatsgeheimnisse die Sicherheit der Bundesrepublik ernsthaft gefährden würde (BVerfGE a. a. O.; s. auch BVerfGE 57 250, 268). Vor dem Inkrafttreten des 8. StRÄndG hat das Bundesverfassungsgericht in seinem „Spiegel“-Urteil hervorgehoben, dass dieser Konflikt nicht von vornherein und allgemein mit der Begründung gegen die Pressefreiheit entschieden werden könne, diese habe den Bestand der Bundesrepublik zur notwendigen Voraussetzung und gehe mit dessen Verlust selbst zugrunde. Zum Bestand der Bundesrepublik gehöre auch ihre freiheitliche demokratische Grundordnung, der es eigen sei, dass die Staatsgeschäfte der ständigen Kritik oder Billigung des Volkes unterstünden. Aus dieser Sicht seien Geheimhaltung im Interesse der Staatssicherheit und Pressefreiheit keine sich ausschließenden Gegensätze. Beide seien vielmehr durch das höhere Ziel, den Bestand der Bundesrepublik – im recht verstandenen Sinne – zu sichern, einander zuzuordnen. Konflikte zwischen beiden Staatsnotwendigkeiten müssten im Blick auf dieses Ziel gelöst und im Einzelfall die Bedeutung der mitgeteilten Erkenntnisse sowohl für den potentiellen Gegner wie für die politische Urteilsbildung des Volkes berücksichtigt werden. Die Gefahren, die der Sicherheit des Landes aus der Veröffentlichung erwachsen könnten, seien gegen das Bedürfnis des Volkes abzuwägen, über wichtige Vorgänge auch auf dem Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik unterrichtet zu werden (BVerfGE 20 162, 177 f., 222).

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406

III. Der Schutz von Staatsgeheimnissen im Lichte gegenläufiger Interessen

StGB § 93

Nachdem sich der Gesetzgeber des 8. StRÄndG des Konflikts zwischen Staatsgeheimnisschutz und Pressefreiheit in besonderer Weise angenommen und versucht hat, ihn weitgehend zu regeln, bleibt für Abwägungen im Einzelfall kein großer Raum. Der veröffentlichende Journalist ist grundsätzlich vom Makel des Landesverräters freigestellt worden, es sind die Preisgabeund Offenbarungstatbestände (§§ 95, 97) geschaffen, die sogenannte Mosaiktheorie zurückgedrängt, die Schwelle zum Staatsgeheimnis angehoben und das illegale Staatsgeheimnis vom Schutz der §§ 94, 95 und 97 ausgenommen worden. All diese Regelungen tragen den Erfordernissen einer freien Presse und ihrer Bedeutung für den demokratischen Rechtsstaat Rechnung. Es erscheint deshalb nur noch schwer vorstellbar, dass in Fällen, in denen immer die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik vor Augen steht, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG das Geheimhaltungsinteresse des Staates zurückzudrängen vermögen. Gänzlich auszuschließen ist eine solche Fallgestaltung, die zu einer Rechtfertigung von Grundrechts wegen führen kann, allerdings nicht (anders Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 34).38 Mit Blick auf die Entscheidung des Gesetzgebers, dessen Anliegen insbesondere die Lösung der Problematik des sogenannten publizistischen Landesverrats war, nicht zuletzt aber auch im Interesse geordneter Staatsführung, werden insoweit jedoch strenge Maßstäbe gelten müssen. Der BGH hatte bereits in seinem vor Inkrafttreten des 8. StRÄndG ergangenen Paetsch-Urteil (BGHSt 20 342, 362 ff.) hervorgehoben, dass das Grundrecht der freien Meinungsäußerung auch das Recht umfasse, Missstände im öffentlichen Leben, insbesondere Gesetzes- und Verfassungsverstöße staatlicher Stellen, mit dem Ziel zu rügen, sie abzustellen. Müsse dabei ein Staatsgeheimnis preisgegeben werden, so handele der Rügende dann nicht rechtswidrig, wenn er die Preisgabe auf das Notwendige beschränke und sich zunächst bei der zuständigen Stelle und der Volksvertretung um Abhilfe bemüht habe, bevor er als äußerstes Mittel (ultima ratio) die Öffentlichkeit anrufe. Denn er habe, gleich welchen Weg er gehe, den größtmöglichen Schutz des zu erörternden Geheimnisses anzustreben, insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass der Kreis der Einzuweihenden auf möglichst wenige und zuverlässige Personen beschränkt werde (BGHSt 20 342, 364). Schon nach damaliger Rechtslage war mithin allenfalls in außergewöhnlichen Fällen vorstellbar, dass es im Blick auf die Wechselwirkung zwischen den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 und dem Geheimhaltungsinteresse zugunsten der Sicherheit der Bundesrepublik gerechtfertigt sein könnte, sofort und unmittelbar an die Öffentlichkeit zu treten. Ein Recht auf Bekanntgabe eines Staatsgeheimnisses „um jeden Preis“ gab und gibt es danach nicht. Gefordert wurde vor allem, dass der Preisgebende den Willen hatte, durch seine Tat Abhilfe zu schaffen (subjektives Rechtfertigungselement). Diese Maßstäbe gelten im Grundsatz noch heute. Auch der Gesetzgeber ist bei seiner „Regelung des illegalen Staatsgeheimnisses“ ersichtlich hiervon ausgegangen (§§ 93 Abs. 2, 97a, 97b). Das wird, jedenfalls in den Fällen der Preisgabe von Staatsgeheimnissen, die mit einem Rechtsverstoß „minderer Schwere“ belastet sind, nicht unberücksichtigt bleiben dürfen.

7. Wissenschaftsfreiheit Auch die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) vermag regelmäßig die Preisgabe eines Staats- 34 geheimnisses nicht zu rechtfertigen. Dieses Grundrecht schützt nicht nur die wissenschaftliche Betätigung selbst, sondern zudem die Verbreitung, Publikation und Lehre wissenschaftlicher Erkenntnisse (Maunz/Dürig/Scholz Grundgesetz Art. 5 Abs. 3 Rdn. 83). Es unterliegt zwar über den Treuevorbehalt in Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG hinaus keiner weiteren ausdrücklichen Einschränkung. Auch die ohne Vorbehalt gewährten Freiheitsrechte des Grundgesetzes müssen aber stets im Rahmen gemeinschaftsgebundener Verantwortung gesehen werden (vgl. BVerfGE 47 327,

38 Wie hier Fischer Rdn. 18; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 12; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 27. 407

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§ 93 StGB

Begriff des Staatsgeheimnisses

369; ferner BVerfGE 30 173, 193). Ihre Grenzen sind allerdings nur aus der Verfassung selbst herzuleiten und zu bestimmen. Zu dem Kernbestand der Normen des Strafrechts, die verfassungsmäßige Werte konkretisieren und schützen und die deshalb der Wissenschaftsfreiheit Grenzen ziehen können, zählen die Bestimmungen über den Landesverrat (Maunz/Dürig/Scholz Grundgesetz Art. 5 Abs. 3 Rdn. 188 f.). Hier gilt aber ebenso wie hinsichtlich der Pressefreiheit (Rdn. 33), dass das Interesse an der Selbsterhaltung des Gemeinwesens und am Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung die Wissenschaftsfreiheit nicht schon von vornherein zurückzudrängen vermag. Bei der Abwägung im Einzelfall ist vielmehr den Wertprinzipien der Verfassung, insbesondere der Bedeutung der miteinander kollidierenden Verfassungspositionen und dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter Wahrung der Einheit des Grundgesetzes Rechnung zu tragen (BVerfGE 47 327, 379 f.). Der wissenschaftliche Freiraum ist nach der Wertung des Grundgesetzes nicht für eine von Staat und Gesellschaft isolierte, sondern für eine letztlich am Wohle des Einzelnen und der Gemeinschaft dienende Wissenschaft verfassungsrechtlich garantiert (s. hierzu BVerfGE 47 327, 370). Unter Verhältnismäßigkeitsaspekten ist zu berücksichtigen, dass hier vornehmlich der sogenannte Wirkbereich der Wissenschaftsfreiheit beschränkt, der Werkbereich, also insbesondere die forschende Betätigung, aber nur selten berührt wird (vgl. Scholz a. a. O. Rdn. 65). Art. 5 Abs. 3 GG gibt dem Wissenschaftler überdies keinen Anspruch auf Zugang zu Staatsgeheimnissen, um diese als Grundlage eigener Forschung nutzen zu können. Der danach grundsätzlich versperrte Zugriff hindert ihn nicht an selbständiger Durchforschung des betreffenden Sachgebietes (s. Bellstedt DÖV 1961 811, 817; krit. zum Verhältnis von Wissenschaftsfreiheit und Staatsgeheimnis: Ridder/Stein DÖV 1962 361; Woesner NJW 1966 1729, 1731 f.).

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§ 94 Landesverrat (1) Wer ein Staatsgeheimnis 1. einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder 2. sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders verpflichtet, oder 2. durch die Tat die Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.

Schrifttum Insoweit wird Bezug genommen auf die Vorbemerkungen zu § 93.

Entstehungsgeschichte Der Tatbestand geht zurück auf das 8. StRÄndG1 und hat eine redaktionelle Änderung durch Art. 19 Nr. 15 EGStGB2 erfahren. Siehe zum Zustandekommen des 8. StRÄndG auch SPD-Entwurf (dort § 99) BTDrucks. V/102, Begründung S. 8; Regierungsentwurf des 8. StRÄndG (dort § 99) BTDrucks. V/898, Begründung S. 31; Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 17; ferner Prot. V/1438 ff., 1507, 1972, 1998 ff.; dazu auch AE § A 17; E 62 § 383 BTDrucks. IV/650 und die zusammenfassende Darstellung Vor § 93 Rdn. 2 ff. Seine aktuelle Fassung hat er seit dem 13. November 1998 (BGBl. I 3322, 3356 f.).

Übersicht I.

Gegenstand des Landesverrats, Stellung der Vorschrift im Gefüge des Zweiten Abschnitts, verfas1 sungsrechliche Beurteilung

II. 1. 2.

Die Tat 2 2 Absatz 1 Nummer 1 4 Absatz 1 Nummer 2 a) Sonst an einen Unbefugten Gelangenlas4a sen 6 b) Öffentliches Bekanntmachen c) Benachteiligungs- oder Begünstigungsab7 sicht Herbeiführung der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepub8 lik Deutschland Erweiterung des Tatbestandes auf NATO-Vertragsstaaten- und Euratom-Geheimnis10 sen

3.

4.

III.

Rechtfertigung, innerer Tatbestand und Irrtums11 fragen

IV.

Der Versuch; Abgrenzung zur Vollen12 dung

V.

Zur Beteiligung

VI.

Besonders schwerer Fall – Absatz 2

13 15

VII. Zusammentreffen 18 18 1. Verrat mehrerer Staatsgeheimnisse 2. Tat- und Gesetzeseinheit bei gleichzeitiger Ver19 wirklichung anderer Straftatbestände 3. Rechtliches Zusammentreffen mit dem Verrat von NATO-Vertragsstaaten- und Euratom-Ge20 heimnissen

1 Vom 25.6.1968 BGBl. I 741, 745. 2 Vom 2.3.1974 BGBl. I 469, 479. 409 https://doi.org/10.1515/9783110490008-029

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§ 94 StGB

VIII. Wahlfeststellung

Landesverrat

21

IX.

Verjährung bei Presseinhaltsdelikten

X.

Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

22 23

I. Gegenstand des Landesverrats, Stellung der Vorschrift im Gefüge des Zweiten Abschnitts, verfassungsrechliche Beurteilung 1 Gegenstand des Landesverrats sind nur echte Staatsgeheimnisse (§ 93 Abs. 1). Der Verrat gefälschter oder verfälschter Geheimnisse ist ebenso wenig tatbestandsmäßig (beachte aber § 100a) wie der Verrat illegaler Geheimnisse im Sinne des § 93 Abs. 2. Dieser wird jedoch unter den Voraussetzungen des § 97a wie Landesverrat bestraft. Die Stellung des Tatbestandes im Abschnitt über den Landesverrat macht deutlich, dass es sich hier um die zentrale Strafvorschrift handelt, die den „gemeinen Landesverräter“ erfassen will, den unmittelbaren Angriff auf die Geheimsphäre des Staates. Dementsprechend ist die Vorschrift ausgestaltet. Verratsgegenstand ist das Staatsgeheimnis; daneben weist der Tatbestand objektive und subjektive Voraussetzungen aus, welche ihn von den Strafvorschriften des Offenbarens von Staatsgeheimnissen (§ 95) und der Preisgabe von Staatsgeheimnissen (§ 97) abheben, die wesentlich geringere Strafen androhen. Diese Differenzierung war ein wesentliches Anliegen der Reformbestrebungen. Mit ihr wurde die Voraussetzung geschaffen, dem Täter aus dem publizistischen Bereich, der im Rahmen seiner auf Unterrichtung der Öffentlichkeit gerichteten beruflichen Tätigkeit Informationen mit Staatsgeheimnischarakter preisgibt oder offenbart, den Makel des Verräters zu nehmen (s. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 17). Der Blick auf den eröffneten Strafrahmen zeigt, dass der Gesetzgeber den Landesverrat neben den friedensgefährdenden Beziehungen (§ 100) in diesem Abschnitt als das Delikt mit dem größten Unrechtsgehalt wertet. Die Vorschrift ist verfassungsgemäß (zu verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. Paeffgen NK Rdn. 3). § 94 verstößt weder gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG noch gegen die Grundrechte aus Art. 2 und 5 GG. Dies gilt auch, soweit aufgrund des strafrechtlichen Schutzprinzips (§ 5 Nr. 4) oder der Vorschriften über den Tatort (§ 9) die Strafbarkeit auf im Ausland bewirkte Tathandlungen erstreckt wird; allgemeine Regeln des Völkerrechts werden dadurch nicht verletzt.3 Verfassungsrechtliche Besonderheiten gelten jedoch zugunsten früherer DDR-Bürger. Näheres ist Vor § 93 in den Rdn. 6 und 15 ff. ausgeführt.

II. Die Tat 1. Absatz 1 Nummer 1 2 Im Falle des Absatzes 1 Nr. 1 besteht die Tathandlung in der Mitteilung eines zur Zeit der Tat bestehenden Staatsgeheimnisses4 an eine fremde Macht oder an einen ihrer Mittelsmänner. Zum Begriff des Staatsgeheimnisses s. § 93 Rdn. 1 ff. Ein Staatsgeheimnis wird einer fremden Macht (dazu § 93 Rdn. 10a ff.) mitgeteilt, wenn es unmittelbar an die Personen oder Organe gelangt, die nach den vorgegebenen Organisationsstrukturen die fremde Macht repräsentieren.5 Mittelsmänner einer fremden Macht sind Personen, von denen aufgrund ihrer Aufgabe, ihrer Tätigkeit oder ihrer Stellung im oder zum Gesamt3 S. BVerfGE 92 277, 317 f.; 45 363, 370 f.; 25 88, 98; 25 69, 78; 20 162, 177. 4 Vgl. BGH bei Wagner DRiZ 1962 351; dazu BayObLGSt 1993 39, 40 = MDR 1994 821. 5 BGHSt 39 260, 274 f.; Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Lampe/ Hegmann MK Rdn. 6; Preisendanz Rdn. 2; s. auch Paeffgen NK Rdn. 6: „unmittelbares Zusammenwirken mit den Verantwortlichen der fremden Macht“. Barthe/Schmidt

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II. Die Tat

StGB § 94

gefüge des fremden Machtapparates zu erwarten ist, dass sie das ihnen mitgeteilte Staatsgeheimnis – ggf. über weitere Mittelsmänner – der „letztzuständigen“ Stelle der fremden Macht, ihren Repräsentanten, zuleiten,6 die kraft ihrer Kompetenz im Rahmen ihrer Leitungsfunktion veranlassen oder entscheidend darauf hinwirken können, dass das ihnen vorgelegte Verratsmaterial in konkrete, die äußere Sicherheit der Bundesrepublik gefährdende politische oder militärische Maßnahmen umgesetzt wird. Anders als die Mittelsmänner, deren Rolle sich gerade in der Weiterleitung (Mitteilung) der erlangten geheimen Erkenntnisse an die fremden Macht- und Entscheidungszentren erfüllt und damit die Strafbarkeit nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 auslöst, sind diejenigen, welche die fremde Macht auf höchster Ebene repräsentieren und an der entsprechenden Leitungs- und Exekutivkompetenz teilhaben, als letzte Adressaten der Mitteilung anzusehen. Beschränken diese sich auf die Entgegennahme des Verratsmaterials, greift § 94 Abs. 1 Nr. 1 nicht, auch nicht nach den Regeln mittäterschaftlicher Zurechnung der Tatbeiträge ihrer Mittelsmänner. Sie können sich jedoch der Teilnahme am Landesverrat ihrer Zuträger schuldig machen, wenn ihr Verhalten über die Verwertung der geheimen Erkenntnisse im eigenen Machtzentrum und Entscheidungsbereich hinausgeht, etwa wenn sie das Erlangte, das seine Qualität als Staatsgeheimnis noch nicht verloren hat, anderen fremden Staaten zugänglich machen und damit eine zusätzliche Gefährdung im Sinne des § 94 bewirken.7 Zu diesen Repräsentanten zählen die Angehörigen fremder Nachrichtendienste – gleich 2a welchen Ranges – grundsätzlich nicht. Wie andere Personen, die im Bereich der Nachrichtenbeschaffung für die fremde Macht tätig sind, gehören sie in der Regel zum Kreis der Mittelsmänner im Sinne des § 94 Abs. 1 Nr. 1 und können als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommen, wenn sie als Staatsgeheimnis zu bewertendes Verratsmaterial weiter „mitteilen“, sei es innerhalb ihrer Organisation, sei es durch Kundgabe an eine andere fremde Macht. Fällt allerdings die Verwertung und Umsetzung des Verratsmaterials wegen seines spezifisch nachrichtendienstlichen Inhalts in die ausschließliche Zuständigkeit der Leitung des Geheimdienstes, wird § 94 Abs. 1 Nr. 1 auch auf diese nicht anwendbar sein, wenn sie sich auf die Entgegennahme des Staatsgeheimnisses beschränkt und nicht selbst bei der Beschaffung der geheimen Erkenntnisse mitwirkt oder durch Weitergabe an Dienststellen anderer Staaten den Tatbestand erfüllt. Fallgestaltungen solcher Art werden im Blick auf das Gewicht und die Bedeutung des Verratsmaterials für die fremde Macht (§ 93) allerdings die Ausnahme sein.8 Personen, die als Mittelsmänner einer fremden Macht fungieren, werden entsprechend ihrem nachrichtendienstlichen Auftrag in den verschiedensten Positionen zu finden sein, häufig in staatlichen oder halbstaatlichen Einrichtungen mit Auslandsbezug, etwa als Botschafts- und Gesandtschaftsangehörige, als Konsularpersonal, aber auch als Bedienstete internationaler Organisationen oder als Mitglieder von Delegationen vielfältigster Art. Die Mitteilung muss vom Täter an die fremde Macht oder einen ihrer Mittelsmänner gerich- 3 tet sein. Das Merkmal Mitteilen und der Vergleich mit den Begehungsformen des Abs. 1 Nr. 2 (s. auch §§ 95, 97) machen deutlich, dass hier die Fälle erfasst werden sollen, in denen der Täter sich selbst an die Adressaten wendet und ihnen – in diesem Sinne „unmittelbar“ – das Verratsmaterial übergibt oder zuleitet. Deren Einverständnis wird nicht vorausgesetzt (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 17). „Mitteilen“ umfasst jedes Verhalten, das der fremden Macht oder ihrem Mittelsmann den Besitz des Staatsgeheimnisses verschafft oder die Kenntnis seines Inhalts vermittelt. Der Täter kann sich hierzu gutgläubiger oder bösgläubiger Boten bedienen; er kann nachrichtentechnische und geheimdienstliche Praktiken oder sonstige Wege zur Übermittlung nutzen. So wird als Mitteilen auch zu werten sein, wenn der Täter geheimes 6 Vgl. Fn. 5; hierzu Wolter SK Rdn. 5; Sonnen AK Rdn. 14; Lampe/Hegmann MK Rdn. 7. 7 S. BGHSt 39 273 ff. (= NStZ 1993 587 m. Anm. Träger NStZ 1994 282); Wolter SK Rdn. 6 ff.; Fischer Rdn. 3; Lackner/ Kühl/Kühl Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 20; Lampe/Hegmann MK Rdn. 6; anders noch BayObLGSt 1991 127; 1992 24, das den Kreis der Repräsentanten unvertretbar weit ausgedehnt hatte; dazu Loos/Radtke StV 1994 565 ff.; Ignor/Müller StV 1991 573 ff. 8 BGHSt 39 273, 280; hierzu Fn. 7. 411

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§ 94 StGB

Landesverrat

Material bereitlegt, um dem Boten oder dem Mittelsmann selbst den Zugriff oder die Kenntnisnahme zu ermöglichen (zum Mitteilen durch ein garantenpflichtwidriges Unterlassen vgl. Wolter SK Rdn. 4 m. w. N.). Teilt der Täter das Staatsgeheimnis hingegen einem Dritten (Unbefugten) mit, der weder als Bote in Betracht kommt noch Mittelsmann der fremden Macht ist, ist § 94 Abs. 1 Nr. 1 auf ihn nicht anwendbar (s. aber § 94 Abs. 1 Nr. 2, §§ 95, 97, 353b).9 Wird das Staatsgeheimnis durch Übergabe einer Sache (verkörpertes Staatsgeheimnis) mitgeteilt, so ist es ausreichend, wenn der Repräsentant der fremden Macht oder deren Mittelsmann Gewahrsam daran erlangt; eine „inhaltliche“ Kenntnisnahme ist nicht erforderlich (vgl. BGH und BayObLG bei Wagner GA 1961 140 f. Nrn. 1, 2 und 7; BGH NJW 1965 1187, 1190). Mit der Übergabe an einen Mittelsmann der fremden Macht ist die Tat formell vollendet, weil damit regelmäßig schon eine konkrete Sicherheitsgefährdung für die Bundesrepublik Deutschland eintritt.10 Beendet ist die Tat jedoch erst mit der Weitergabe des Staatsgeheimnisses an die fremde Macht selbst, an die zuständigen Repräsentanten, deren Entscheidungen die Sicherheitsgefährdung weiter konkretisiert (BGHSt 39 278 f.). Wird ein geheimer Vorgang, etwa aus Sicherheitsgründen, in getrennten Teilen so aufbewahrt, dass diese erst in einer einander ergänzenden Zusammenfassung den als Staatsgeheimnis zu wertenden Erkenntnisgehalt ergeben, so erfüllt der Täter, der allein einen Teil der fremden Macht übermittelt, den Tatbestand des Landesverrats nur, wenn diese bereits im Besitz des anderen Teils des Staatsgeheimnisses ist. Trifft dies nicht zu, kann seine Tat als landesverräterische Agententätigkeit im Sinne des § 98 Abs. 1 Nr. 1 zu bewerten sein, weil er die fremde Macht dem Besitz des Staatsgeheimnisses näher bringt (BGHSt 25 145, 149). Angesichts der bis heute festzustellenden Bemühungen einzelner Staaten, sich die technischen Voraussetzungen zur – auch militärischen – Nutzung der Atomkraft zu verschaffen, können sich in solchem Zusammenhang auch Fragen hinsichtlich der Anwendung des Art. 194 Abs. 1 Euratom-Vertrag ergeben; dies insbesondere dann, wenn interessierte Staaten von verschiedener Seite technische Details erlangen, die für sich nicht als Staatsgeheimnis im Sinne des § 93 anzusehen sind, jedoch zusammengefügt ein Instrumentarium ergeben, auf dessen Geheimhaltung der Euratom-Vertrag und auch die Sicherheitsvorschriften der Vertragspartner abzielen (s. hierzu Vor § 93 Rdn. 9 und § 93 Rdn. 18).

2. Absatz 1 Nummer 2 4 Im Falle des Absatzes 1 Nr. 2 lässt der Täter das Staatsgeheimnis an einen sonst Unbefugten gelangen oder macht es öffentlich bekannt, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen.

4a a) Sonst an einen Unbefugten Gelangenlassen. Abweichend von der Tathandlung nach Nr. 1 genügt es, wenn der Empfänger ein beliebiger Unbefugter ist. Unbefugt ist jeder, dem gegenüber der Täter nicht zur Offenbarung berechtigt oder verpflichtet ist (vgl. insoweit § 93 Rdn. 26 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 38; Willms JZ 1960 159). Eine Befugnis des Dritten zur Kenntnisnahme kann sich aus einer ausdrücklichen Regelung für die Weitergabe der Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse ergeben, die das Staatsgeheimnis ausmachen (so etwa aus völkerrechtlichen Vereinbarungen, gesetzlichen Auskunftspflichten oder Dienstanweisungen). Der Rang einer solchen „Befugnisregelung“ kann unterschiedlich sein. Mangels anderweitiger, höherrangiger Vorschriften ist Berechtigter möglicherweise auch jemand, der im 9 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 36 f.; Sonnen AK Rdn. 13; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Fischer Rdn. 3; Lampe/Hegmann MK Rdn. 6. 10 S. dazu BGHSt 39 273, 278 sowie Rdn. 8 und 12; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Fischer Rdn. 3; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5. Barthe/Schmidt

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II. Die Tat

StGB § 94

Rahmen seiner internen sachlichen Kompetenz (seines Tätigkeitsbereichs) aus Sachgründen von einem seinerseits aufgrund interner allgemeiner Anweisung, aber eventuell auch nur aufgrund entsprechender fester Übung zur (begrenzten) Weitergabe Befugten eingeweiht wird (z. B. im privaten Bereich). Eine Berechtigung kann unter Umständen aus der Natur der Sache folgen, etwa wenn der Assistent des Forschers oder dessen Sekretärin mit den Dingen befasst werden muss (krit. dazu Paeffgen NK Rdn. 16). Möglich ist ferner, dass es zwar an einer ausdrücklichen Weitergabebefugnis mangelt, aber aus den Grundsätzen eines größeren Regelungswerkes – beispielsweise eines Bündnisvertrags – die Befugnis zur Weitergabe zwingend herzuleiten ist. Die Beispiele zeigen, dass die Berechtigung von der Eigenart des Bereiches abhängt, in dem das Staatsgeheimnis angesiedelt ist. Wo allerdings die Weitergabebefugnis von den dazu Berufenen ausdrücklich geregelt und bestimmten Anforderungen unterworfen ist, sind die entsprechenden Vorschriften (z. B. die Verschlusssachenanweisung) strikt zu beachten und zur Abgrenzung heranzuziehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die allgemein erteilte Ermächtigung, mit VSSachen eines bestimmten Geheimhaltungsgrades umzugehen, nicht ohne Weiteres die Befugnis zur Befassung mit einem konkreten Staatsgeheimnis im Einzelfall beinhaltet. Ein allgemeines Recht auf Kenntnis von Staatsgeheimnissen gibt es weder für Parlamentsabgeordnete11 noch für Mitglieder politischer Parteien oder für die Presse (hierzu im Einzelnen bei § 93 Rdn. 28 und 33). Das Gelangenlassen umfasst jede Handlung oder Unterlassung, durch die der Täter – 5 wenn es sich um körperliche Gegenstände wie schriftliche Mitteilungen, Zeichnungen, Bilder etc. handelt – dem Unbefugten die Möglichkeit verschafft, von dem Staatsgeheimnis Kenntnis zu nehmen. In solchen Fällen wird nicht vorausgesetzt, dass der Unbefugte tatsächlich den Inhalt erfasst, also Bild oder Zeichnung sieht oder die Mitteilung liest.12 Die körperliche Inbesitznahme des Gegenstandes genügt, ebenso die bloße Übernahme des Inhalts auf einen anderen „Nachrichtenträger“ (z. B. das Ablichten oder Fotografieren durch einen Agenten im Beisein des Täters; s. auch Lange JZ 1965 297 Fn. 2). Bei nichtverkörperten Tatsachen und Erkenntnissen ist es dagegen zur Vollendung der Tat erforderlich, dass der Unbefugte sie geistig erfasst oder sonst inhaltlich aufnimmt (bloßes Auswendiglernen reicht aus); dies ergibt sich aus dem Begriff des „Gelangenlassens an“ (vgl. BGH NJW 1965 1187, 1190).

b) Öffentliches Bekanntmachen. Das öffentliche Bekanntmachen eines Staatsgeheimnisses 6 ist lediglich ein modifiziertes Gelangenlassen an Unbefugte. Darunter ist nicht nur eine Veröffentlichung in der Presse zu verstehen, sondern jede Handlung, die einer unbestimmten Vielzahl von Personen die Kenntnisnahme ermöglicht. Es kommt nur auf die Wahrnehmbarkeit, also auf die Möglichkeit des Wahrnehmens an, nicht aber darauf, dass dies auch tatsächlich geschieht. Die Veröffentlichung kann erfolgen durch Zeitungen, sonstige Schriften, Bilder, Zeichnungen, optische und akustische Vorführungen, durch körperliche Zurschaustellung des Gegenstandes oder über das Internet. Erfasst werden demnach auch neuere Erscheinungsformen wie Veröffentlichungen auf der Enthüllungsplattform WikiLeaks (so zutr. Anders/Mavany AnwK Rdn. 10).13 Die gezielte Bekanntgabe an eine einzelne Person ist dagegen auch dann nicht öffentlich, wenn der Täter will oder damit rechnet und auch rechnen muss, dass diese das Staatsgeheimnis ihrerseits an wei11 Zu weitgehend Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 17; zweifelnd Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 38; wie hier Paeffgen NK Rdn. 16; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Lampe/Hegmann MK Rdn. 9; Wolter SK Rdn. 14. 12 BGH LM (1957) Nr. 2 zu § 99 (a. F.); BGH NJW 1965 1187, 1190; BayObLGSt 1954 88; H. Arndt ZStW 66 (1954) 41, 60 f.; Lampe/Hegmann MK Rdn. 10. 13 Näher zum Phänomen des Whistleblowing Koch ZIS 2008 500; Kölbel JZ 2008 1134; Franck/Steigert CR 2011 380; Engländer/Zimmermann NZWiSt 2012 328; Simonet RdA 2013 236; Wolter FS Paeffgen 287; Fischer-Lescano AuR 2016 4; s. ferner Wolter SK Rdn. 33 unter Hinweis auf die in jüngerer Zeit (erneut) diskutierte Schaffung eines „strafrechtlichen Whistleblower-Paragraphen“. 413

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Landesverrat

tere Unbefugte übermitteln wird. Das Geheimnis muss in seinem Sinngehalt der Öffentlichkeit unterbreitet werden. Die für den Unkundigen nicht erkennbare Übermittlung eines Staatsgeheimnisses durch eine Veröffentlichung mit zuvor festgelegtem Inhalt (verschlüsselte Anzeige) ist kein öffentliches Bekanntmachen, kann indessen als Tathandlung unter Absatz 1 Nr. 1 fallen (hierzu RegE des 8. StRÄndG BTDrucks. V/898 Begründung S. 31). Das Bekanntmachen vor einem größeren, allerdings zahlenmäßig begrenzten Personenkreis ist öffentlich, wenn dieser Kreis nicht durch besondere persönliche oder sonst eine gewisse Vertrautheit begründende wechselseitige Beziehungen zusammengehalten wird. Gleiches gilt für von Dritten wahrnehmbare Äußerungen in Bahn, Bus oder Flugzeug (vgl. H. Arndt ZStW 66 [1954] 41, 62). In der Praxis werden solche Fälle im Rahmen des § 94 allerdings kaum Bedeutung gewinnen, weil regelmäßig die in subjektiver Hinsicht geforderte Benachteiligungs- oder Begünstigungsabsicht fehlen wird (s. aber §§ 95, 97). Erfolgt die Äußerung gezielt, um einem Dritten das Mithören zu ermöglichen, wird bereits die Alternative des Gelangenlassens an einen Unbefugten oder die Begehungsform des Absatzes 1 Nr. 1 vorliegen.

7 c) Benachteiligungs- oder Begünstigungsabsicht. Beide Tatbestandsalternativen der Nummer 2 setzen weiterhin voraus, dass der Täter in der Absicht handelt, entweder die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen. Aus dem Gesetzestext „um … zu“ folgt, dass es dem Täter auf diesen Erfolg ankommen muss; Haupt- oder gar Endziel braucht das hingegen nicht zu sein (vgl. BGHSt 18 246; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6). Das Tatbestandsmerkmal ist daher auch erfüllt, wenn sich der Täter daneben von anderen Erwägungen leiten lässt, etwa in Bereicherungsabsicht handelt. Selbst wenn das zweckgerichtete Wollen in erster Linie die Belohnung des Verrats im Auge hat, wird der Täter in der Regel als unvermeidliches Zwischenziel die Benachteiligung oder Begünstigung im Sinne des § 94 Abs. 1 Nr. 2 mitanstreben. Der Streit, ob die Benachteiligungs- oder Begünstigungsabsicht wegen des Schutzzwecks der Vorschrift gerade (auch) auf Sicherheitsbelange zielen muss, irgendwelche anderen Voroder Nachteile also nicht genügen,14 ist praktisch kaum bedeutsam. Da ein Staatsgeheimnis Verratsgegenstand sein muss, das per definitionem auf die äußere Sicherheit der Bundesrepublik bezogen ist (s. § 93 Abs. 1), und des Weiteren durch den Verrat eine konkrete Gefahr gerade für diese eintreten muss, liegt es nahe, dass auch die Benachteiligungs- oder Begünstigungsabsicht des Täters (im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2) in aller Regel in die gleiche Richtung gehen wird. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich allerdings keine solche Einengung. Sie lässt sich auch nicht aus dem Schutzzweck des Straftatbestandes (vgl. Wolter SK Rdn. 18; Lampe/ Hegmann MK Rdn. 13) herleiten; schon jenseits der nach Absatz 1 Nr. 2 erforderlichen Absicht gewährleisten der Staatsgeheimnisbegriff und die Voraussetzung einer konkreten Nachteilsgefahr für die äußere Sicherheit, dass der Anwendungsbereich der Norm nicht weiterreicht als für den Schutz des Rechtsguts geboten. Der mit „weniger spezifizierter“ Schädigungsabsicht Handelnde ist nicht minder strafwürdig, wenn er, die konkrete Gefährdung wichtiger Sicherheitsbelange der Bundesrepublik in Kauf nehmend, geheime Sachverhalte verrät und dadurch diese Gefahr aktualisiert.

3. Herbeiführung der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland 8 Die Tathandlung nach Absatz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 muss die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführen. Das Weitergeben eines 14 So wohl noch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15 Wolter SK Rdn. 18; Sonnen AK Rdn. 21; SSW/Vogler Rdn. 11; aA Fischer Rdn. 7; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; s. auch Lampe/Hegmann MK Rdn. 12 f. und Paeffgen NK Rdn. 19. Barthe/Schmidt

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Staatsgeheimnisses an einen Unbefugten begründet also noch nicht ohne Weiteres den strafwürdigen Verrat. Es muss vielmehr eine durch den Geheimnisbruch bewirkte Konkretisierung der in § 93 Abs. 1 vorausgesetzten abstrakten Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit hinzutreten.15 Eine solche konkrete Gefahr besteht, wenn der Eintritt eines Schadens naheliegt; nicht ausreichend ist dessen nur gedankliche Möglichkeit. Es bedarf einer auf festgestellten Tatsachen begründeten Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts. Auf den genauen Grad der Wahrscheinlichkeit kommt es dabei nicht an (krit. dazu Paeffgen NK Rdn. 10, der mangels „stochastischer Sinnhaftigkeit“ insoweit zwar keinen Prozentsatz oder Wahrscheinlichkeitswert angeben will, jedoch zumindest eine „sehr hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts“ verlangt; in diese Richtung auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2.7.2018 – III – 6 StS 3/18, Rdn. 21 [zur parallelen Problematik in § 95 Abs. 1]: „große Wahrscheinlichkeit“; dagegen allerdings nunmehr ausdrücklich BGH, Beschluss vom 29.11.2018 – StB 34/18, Rdn. 30, BGHSt 63 288 = NStZ 2019 402 ff. m. zust. Anm. Ellbogen). Die Abgrenzung zwischen nur abstrakter Möglichkeit und einer solchen Wahrscheinlichkeit, mit der aus gegebener Sachlage nach menschlicher Erfahrung und den Gesetzen der Verursachungslehre ein schädigender Erfolg zu erwarten ist, ist im Einzelfall aufgrund tatrichterlicher Würdigung vorzunehmen.16 Gelangt das Staatsgeheimnis an eine fremde Macht oder deren Mittelsmann (s. oben Rdn. 2 ff.; BGHSt 39 273 ff.), liegt der Gefahreneintritt in aller Regel auf der Hand; auch im Fall einer Veröffentlichung des Geheimnisses dürfte die konkrete Gefahr im Allgemeinen bestehen. Mit dem Gelangenlassen an einen Unbefugten wird – so der BGH im Beschluss vom 29.11.2018 (StB 34/18, Rdn. 27) – zwar häufig eine mögliche Gefährdung des Staatswohls verbunden sein; diese Feststellung allein soll indessen nicht genügen. Die Annahme einer konkreten Gefährdung erfordere vielmehr „die auf Tatsachen beruhende Wahrscheinlichkeit, das Staatsgeheimnis werde dadurch unmittelbar oder mittelbar einer fremden Macht zugänglich werden, vor der es zum Wohle der Bundesrepublik geheim gehalten werden“ müsse. Derartige Tatsachen, die positiv festzustellen seien, könnten schon „in der Person des Unbefugten, aber auch außerhalb seines Persönlichkeitsbereichs liegen“, wobei es ausreiche, dass „sonstige Umstände“ gegeben seien, die „bei normalen Ablauf der Geschehnisse mit Wahrscheinlichkeit erwarten [ließen], dass eine fremde Macht von dem Staatsgeheimnis Kenntnis erlangen werde“ (BGH a. a. O. Rdn. 28 m. w. N.). Nicht erforderlich sei hingegen die Prüfung, ob die fremde Macht zur Zeit des Offenbarens feindselige Aktivitäten geplant und die Nutzung des durch den Verrat erlangten Vorteils unmittelbar bevorgestanden habe; es genüge die Feststellung der verbesserten Möglichkeiten der fremden Macht (BGH a. a. O. m. w. N.). Demgegenüber soll der Gefahreneintritt in der Gesamtschau der Umstände insbesondere dann zu verneinen sein, wenn der unbefugte Empfänger im Einzelfall die volle Gewähr dafür bietet, dass er von dem Geheimnis keinen die äußere Sicherheit beeinträchtigenden Gebrauch machen werde, was beispielsweise bei besonderer beruflicher Verschwiegenheitspflicht und persönlicher Zuverlässigkeit des Empfängers in Betracht komme (BGH a. a. O. Rdn. 29; zur Unterrichtung eines um Rechtsrat angegangenen Rechtsanwalts vgl. BGHSt 20 342, 348 f.; zum Herantreten an einen Bundestagsabgeordneten BGHSt a. a. O. 364). Der Ansicht des BGH ist zu folgen. Für eine einschränkende Auslegung des Tatbestandsmerkmals der konkreten Gefahr im Sinne einer „großen“ oder sogar „sehr hohen Wahrscheinlichkeit“ des Schadenseintritts bietet weder der Gesetzeswortlaut einen Anhalt noch erscheinen die genannten Eingrenzungskriterien aufgrund ihrer fehlenden Bestimmtheit praktikabel. Umgekehrt spricht gegen ein (zu) weites Verständnis des Gefahrbegriffs speziell in § 94, dass ein solches der Ausgestaltung der Vorschrift als konkretes Gefährdungsdelikt nicht gerecht würde. Dies gilt vor allem für die in der strafrechtlichen Literatur vertretene Ansicht, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland könne schon dadurch gefährdet sein, dass das Staatsgeheimnis „in die Hände eines unkontrollierbaren Dritten“ gerät (so Fischer Rdn. 6). Denn zum 15 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Lampe/Hegmann MK Rdn. 14; Fischer Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 39; Jescheck JZ 1967 6, 9; Schneidewin JR 1954 241, 244. 16 Vgl. die zusammenfassende Darstellung zum Gefahrenbegriff bei Lange JZ 1965 297 m. w. N.; dazu BGHSt 18 271 ff.; 20 342, 348; BGH MDR 1963 426; BayObLG NJW 1957 1327 f.; Paeffgen NK Rdn. 10 f. 415

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einen kann der betreffende Dritte möglicherweise überhaupt kein Interesse an der Übermittlung und Weiterleitung des Geheimnisses haben, so dass unter Umständen zu keinem Zeitpunkt eine – wie auch immer geartete – Gefahr der Kenntnisnahme durch eine fremde Macht bestanden hat (s. hierzu bereits Paeffgen NK Rdn. 11, der mit Recht auf die Möglichkeit des „Versickerns“ der Information hinweist). Zum anderen käme bei einer derart extensiven Auslegung dem Begriff der Gefahr neben der Tathandlung des „Gelangenlassens“ an einen Unbefugten in Absatz 1 Nr. 2 kaum noch eine eigenständige (eingrenzende) Bedeutung zu, was mit Blick auf das vom BVerfG wiederholt – wenn auch in anderem Zusammenhang (dazu etwa BVerfGE 87 209, 229; 92 1, 16 f.; 126 170, 198) – betonte „Verschleifungsverbot“ problematisch erscheint. An der hier früher vertretenen Rechtsauffassung (vgl. Schmidt LK12 Rdn. 8 unter Bezugnahme auf BayObLG bei Wagner GA 1961 141 Nr. 6), wonach im Fall des Gelangenlassens eines Staatsgeheimnisses an einen Unbefugten der Gefahreneintritt regelmäßig bereits dann zu bejahen sein sollte, wenn der Empfänger nicht die volle Gewähr dafür bietet, dass er von dem Geheimnis keinen die äußere Sicherheit beeinträchtigenden Gebrauch machen werde, wird nach alledem nicht mehr festgehalten. Bei der Übergabe von sogenanntem Spielmaterial im Rahmen nachrichtendienstlicher Operativmaßnahmen wird eine konkrete Gefahr zumeist nicht entstehen, weil in der Regel schon vor der Übergabe die erforderlichen Abwehrmaßnahmen getroffen worden sind. An einer solchen Gefahr fehlt es häufig auch dann, wenn der Unbefugte oder ein „agent provocateur“ entsprechend vorgefasstem Entschluss die vom Täter ausgehändigten Unterlagen, die ein Staatsgeheimnis enthalten, an die zuständige Behörde der Bundesrepublik weitergibt, sie also gleichsam zurückreicht.17 In diesem Fall kommt aber eine Bestrafung wegen untauglichen Versuchs in Betracht (Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 39). Mangeln wird es an einer konkreten Nachteilsgefahr schließlich dann, wenn das Staatsgeheimnis an eine verbündete Macht weitergegeben wird, von der Geheimhaltung verlässlich erwartet werden darf (s. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 17). Im Einzelfall können auch hier die näheren Umstände, etwa im Persönlichkeitsbereich des Adressaten, eine andere Beurteilung fordern (vgl. aber auch § 93 Rdn. 27 ff.). Die Gefahr muss ursächlich durch die Tathandlung bewirkt worden sein („dadurch“). Steht 9 fest,18 dass das Staatsgeheimnis der fremden Macht bereits vorher sicher bekannt war, aus ihrer Sicht also nicht mehr der Bestätigung oder Ergänzung bedurfte, so ist die Nachteilsgefahr nicht durch den gegenständlichen Verrat eingetreten (s. insoweit auch § 93 Rdn. 6). In der Praxis wird ein solcher Fall kaum vorkommen (aA Paeffgen NK Rdn. 13 Fn. 53 unter Hinweis auf die beiden früheren Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz und späteren MfS-Informanten Kuron und Tiedge); eine sichere und zuverlässige „Vorkenntnis“ der fremden Macht müsste in ihrem sachlichen Gehalt schon einer „Einweihung“ durch offizielle Stellen der Bundesrepublik gleichkommen. Ansonsten wird eine Nachricht – jedenfalls solange sie noch geheimhaltungsfähig im Sinne des § 93 Abs. 1 ist (vgl. § 93 Rdn. 3 ff.) – aus der Sicht der fremden Macht nahezu immer als bestätigungsbedürftig beurteilt werden. Der Einwand, das verratene Geheimnis sei dem Mitteilungsempfänger bereits sicher bekannt gewesen, wird daher nur bei besonderen, sehr seltenen Fallgestaltungen durchgreifen (zur subjektiven Tatseite § 93 Rdn. 19). Zum Begriff des schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik kann auf die Ausführungen zu § 93 (vgl. dort Rdn. 13 bis 18) verwiesen werden. Bei der hier vorzunehmenden konkreten Prüfung ist allerdings eine Saldierung geboten, wenn der Verrat auch zu Vorteilen für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik geführt hat. Eine solche Gesamtbetrachtung könnte etwa dazu führen, dass die konkrete Gefahr eines schweren Nachteils zu verneinen ist, wenn die Tat die Sicherheitslage gegenüber einer bestimmten fremden Macht zu verschlechtern droht, sie im Verhältnis zu einer dritten Macht aber ins Gewicht fallend verbessert. Positive Folgen, die nicht die Belange der äußeren Sicherheit berühren, sind in die Gesamt17 S. hierzu BGH bei Wagner GA 1961 141 Nr. 4 = LM (1957) Nr. 5 zu § 99 a. F. m. Anm. Jagusch; H. Arndt ZStW 66 (1954) 41, 64.

18 Dazu Baumann JZ 1966 329, 334. Barthe/Schmidt

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III. Rechtfertigung, innerer Tatbestand und Irrtumsfragen

betrachtung nicht einzubeziehen. Sie können also nicht zu einer Kompensation führen, sondern allenfalls die Frage einer Rechtfertigung aufwerfen oder bei der Schuldzuweisung und Strafbemessung Berücksichtigung finden.19

4. Erweiterung des Tatbestandes auf NATO-Vertragsstaaten- und EuratomGeheimnissen Nach § 1 Abs. 1 NTSG (zum Wortlaut s. Vor § 93 Rdn. 8a) ist der strafrechtliche Schutz, den § 94 10 bewirkt, auf militärische Geheimnisse der NATO-Vertragsstaaten erweitert, die Stationierungstruppen in der Bundesrepublik haben.20 Geschützt sind jedoch nur die Geheimnisse, die von einer im Bundesgebiet befindlichen Dienststelle dieser Vertragsstaaten aus Sicherheitsgründen tatsächlich geheim gehalten werden. An die Stelle der in § 94 Abs. 1 Nr. 2 geforderten Benachteilungsabsicht zu Lasten der Bundesrepublik tritt eine solche zu Lasten des betroffenen Vertragsstaates oder seiner Stationierungsstreitkräfte (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 NTSG). Weiteres Tatbestandsmerkmal ist die Herbeiführung der Gefahr eines schweren Nachteils für die Sicherheit des Vertragsstaates oder der Stationierungstruppen, § 1 Abs. 1 Nr. 3 NTSG. Die Strafverfolgung setzt die Erklärung einer Stelle des Vertragsstaates dahin voraus, dass die Wahrung des Geheimnisses zur Zeit der Tat erforderlich war (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 NTSG). Wie der Landesverrat (§ 94) ist die Straftat nach § 1 Abs. 1 NTSG ein konkretes Gefährdungsdelikt, das auch dort begangen ist, wo die Gefahr (der Erfolg) eintritt. Die Strafvorschrift ist daher grundsätzlich auch auf Verratstätigkeiten im Ausland anzuwenden, sofern diese eine konkrete (Inlands-)Gefahr für den betroffenen Vertragsstaat oder seine in der Bundesrepublik stationierten Truppen bewirken (vgl. §§ 3, 9 Abs. 1 und § 1 Abs. 4 NTSG, wonach Abs. 1 der Vorschrift nur für Straftaten gelten soll, die im räumlichen Geltungsbereich des NTSG begangen wurden). § 5 Nr. 4 greift hier nicht, weil damit nur inländische Rechtsgüter geschützt werden.21 Zu den sogenannten Euratom-Geheimnissen s. Rdn. 3 a. E. sowie Vor § 93 Rdn. 9; § 93 Rdn. 18 a. E., 24; BGHSt 17 121 und Pabsch NJW 1959 2002.

III. Rechtfertigung, innerer Tatbestand und Irrtumsfragen Eine Rechtfertigung nach den allgemeinen Vorschriften wird in Betracht kommen, wenn der 11 Täter in eine Zwangslage gerät und um Leib und Leben fürchten muss (vgl. § 93 Rdn. 32). Das öffentliche Informationsinteresse (Art. 5 Abs. 1 GG) wird dagegen als Rechtfertigungsgrund in der Regel ausscheiden (s. dazu § 93 Rdn. 33). Das ergibt sich schon aus der Struktur des Tatbestandes, der in Absatz 1 Nr. 1 den Verrat an eine fremde Macht und in Absatz 1 Nr. 2 die „illoyale Absicht“ voraussetzt (vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19). Der innere Tatbestand erfordert mindestens bedingten Vorsatz. Unbeschadet der in Nr. 2 verlangten Benachteiligungs- oder Begünstigungsabsicht (s. Rdn. 7) ist der Eventualvorsatz auch hinsichtlich der konkreten Nachteilsgefahr genügend.22 Es reicht also aus, wenn der Täter mit der Möglichkeit rechnet, dass durch sein Handeln die Nachteilsgefahr für die äußere Sicherheit eintritt, sei es auch nur durch eine bestätigende Wirkung im Blick auf bereits vorverratene Geheim19 Vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 18; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 39; s. auch Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 415 und Paeffgen NK Rdn. 12 m. w. N. in Fn. 50 und 51. 20 Vgl. Vor § 93 Rdn. 7 ff. und § 93 Rdn. 9, 18 und 24. 21 S. insoweit BGHSt 32 104, 108, 113; 38 75, 77 m. Anm. Schroeder JR 1992 204; Gribbohm LK11 § 9 Rdn. 20, 36 ff. (noch zu Art. 7 Abs. 1 des 4. StrÄndG); Paeffgen NK Rdn. 14. 22 BGHSt 20 100 f.; BGH MDR 1964 68 f.; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Paeffgen NK Rdn. 21; Wolter SK Rdn. 12 und 18; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Sonnen AK Rdn. 19 ff.; Fischer Rdn. 7; Lampe/Hegmann MK Rdn. 16. 417

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nisse, und wenn er diese Gefahr billigend in Kauf nimmt. Bei nachrichtendienstlichen Agenten wird man hiervon in aller Regel ausgehen können; erfahrungsgemäß wollen sie ihren Auftraggebern Erkenntnisse vermitteln, die für diese noch von Wert sind (vgl. auch § 93 Rdn. 19). Nicht erforderlich ist, dass der Täter die von ihm verratenen Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse rechtlich zutreffend als Staatsgeheimnis bewertet. Es genügt, wenn er die einer solchen Wertung zugrunde liegenden Umstände kennt (§ 93 Rdn. 19). Eine rechtliche Fehlbewertung ist als Subsumtionsirrtum zu qualifizieren, der den Vorsatz nicht ausschließt, jedoch einen Verbotsirrtum (s. § 17) begründen kann (vgl. Fischer § 16 Rdn. 13 m. w. N.; Vogel/Bülte LK § 16 Rdn. 108 f.; krit. Paeffgen NK Rdn. 21). Dies gilt auch für den Fall, dass der Täter glaubt, ein Staatsgeheimnis setze eine formelle Sekretur voraus. Kennt er hingegen die den Staatsgeheimnisbegriff ausfüllenden Tatbestandsmerkmale – wie z. B. die begrenzte Zugänglichkeit einer Tatsache oder diejenigen Umstände, welche die Geheimhaltungsbedürftigkeit begründen – nicht, liegt ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum (s. § 16) vor. Hält der Täter ein von ihm verratenes Staatsgeheimnis irrtümlich für ein illegales im Sinne des § 93 Abs. 2, so ist die Irrtumsregelung des § 97b zu beachten. Verrät er umgekehrt ein illegales Staatsgeheimnis (§ 93 Abs. 2), von dem er irrig meint, es sei legal, und liegen die übrigen Voraussetzungen des § 94 Abs. 1 Nr. 1 vor, so handelt es sich nicht etwa um einen (untauglichen) Versuch des Landesverrats nach dieser Vorschrift; vielmehr gilt die für diesen Fall geschaffene besondere Regelung des § 97a (so auch Paeffgen NK Rdn. 22; Sch/Schröder/SternbergLieben Rdn. 16 bis 18; Lampe/Hegmann MK Rdn. 17). Anders allerdings im Falle des § 94 Abs. 1 Nr. 2: Hier ist ein (untauglicher) Versuch anzunehmen, wenn der Täter ein illegales Staatsgeheimnis (§ 93 Abs. 2) irrtümlich für legal hält; denn die besondere Regelung des § 97a deckt lediglich die Mitteilung eines Geheimnisses im Sinne des § 94 Abs. 1 Nr. 1 ab.

IV. Der Versuch; Abgrenzung zur Vollendung 12 Der Versuch ist strafbar (§§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1). Er beginnt beim unmittelbaren Ansetzen zur Mitteilungshandlung, zu dem Gelangenlassen an den Unbefugten oder dem öffentlichen Bekanntmachen (§ 22; vgl. BGHSt 24 72, 78 f.). Das Ausspähen eines Staatsgeheimnisses gemäß § 96 Abs. 1 ist grundsätzlich noch kein versuchter Landesverrat: Es fehlt an dem unmittelbaren Ansetzen zum Verrat, wenn sich der Täter – etwa bei seiner Dienststelle – ein Dokument beschafft, das ein Staatsgeheimnis enthält, und es in seine Wohnung mitnimmt. Anders ist es, wenn dort bereits ein Treffpartner wartet, um das Beschaffte zu übernehmen. Das Fotografieren von Unterlagen, das Anfertigen eines schriftlichen Vermerks und das Bereitlegen des auf diese Weise hergestellten Materials zur Weiterleitung an den Führungsoffizier eines fremden Nachrichtendienstes beim nächsten Treffen gehen zwar über das Sichverschaffen im Sinne des § 96 hinaus, erreichen jedoch noch nicht das Versuchsstadium des Landesverrats (BGHSt 24 72, 78 f.). Für die Annahme eines Versuchs ist es hingegen ausreichend, wenn sich der Beschaffer mit dem Dokument oder dem sonstigen Gegenstand auf den Weg zu einem nachrichtendienstlichen Treff begibt, bei dem die Übergabe stattfinden soll (aA Paeffgen NK Rdn. 24). Gleiches gilt, wenn der Täter den Gegenstand zum Zwecke des Verbringens an den Mittelsmann oder an einen Unbefugten in den Postversand gibt. Solange sich ein verkörpertes Staatsgeheimnis verschlossen in der Postbeförderung befindet, liegt indessen regelmäßig eine konkrete Nachteilsgefahr und mithin auch Tatvollendung noch nicht vor. Die mit postdienstlichen Verrichtungen beauftragten Personen haben von Rechts wegen grundsätzlich nicht die Möglichkeit, vom Inhalt einer Sendung Kenntnis zu nehmen (s. dazu § 39 Abs. 3 S. 1 PostG). Räumt der Täter den Besitz an dem Gegenstand einem als Boten fungierenden Dritten ein, der als Unbefugter im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 anzusehen ist, so ist die Tat damit in der Regel vollendet (vgl. zum „Empfangsboten“ BayObLGSt 1954 88; s. aber auch BGH bei Wagner GA 1961 140 f. Nr. 3). Eine konkrete Nachteilsgefahr kann dagegen ausnahmsweise fehlen, wenn der Täter noch zuverlässig in der Lage ist, seinen (unbefugten) Boten zurückzurufen; hier kann jedoch Versuch gegeben sein. Barthe/Schmidt

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V. Zur Beteiligung

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Der Eintritt der konkreten Gefahr führt im Falle der Mitteilung des Staatsgeheimnisses an einen Mittelsmann (Absatz 1 Nr. 1) auch dann zur Vollendung, wenn damit der fremden Macht selbst – durch einen ihrer Repräsentanten – noch nicht zur Kenntnisnahme verholfen ist.23 Auch bei der Mitteilung eines Staatsgeheimnisses an einen Unbefugten nach Absatz 1 Nr. 2 ist es für die Vollendung des Landesverrats, ungeachtet der Absicht des Täters, eine fremde Macht zu begünstigen, nicht erforderlich, dass die fremde Macht davon erfährt (vgl. Lange JZ 1965 297). Weitere Beispiele aus der früheren Rechtsprechung finden sich bei Wagner ZStW 80 (1968) 283, 307. Zu Fragen, die sich beim Rücktritt vom Versuch stellen, s. Rdn. 19.

V. Zur Beteiligung Für die Beteiligung am Landesverrat gelten die allgemeinen Regeln der §§ 25 bis 27.24 Wie sonst 13 bedarf es zur Mittäterschaft des einverständlichen Zusammenwirkens mit verteilten Rollen aufgrund gemeinsamen Tatentschlusses. Jeder der Mittäter muss die Tat als eigene wollen und durch eigene Leistung den angestrebten Erfolg herbeizuführen suchen. Indessen muss nicht jeder alle Ausführungshandlungen selbst vornehmen (vgl. Wagner ZStW 80 [1968] 283, 317). Absatz 1 Nr. 2 erfordert jedoch bei jedem Mittäter die Benachteiligungs- oder Begünstigungsabsicht,25 weil das Prinzip der Zurechnung kraft Akzessorität für die Mittäterschaft nicht gilt; diese trägt ihren Unrechtsgehalt in sich selbst und bezieht ihn nicht aus fremder Tat. Im Rahmen des gemeinsamen Tatentschlusses werden gegenseitig lediglich die Tatbeiträge zugerechnet (s. Jescheck/Weigend § 63 I 2 [675]). Die Teilnahme i. e. S. (Anstiftung und Beihilfe; vgl. § 28 Abs. 1) setzt u. a. voraus, dass der 14 Teilnehmer die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen erfasst. Handelt er selbst in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ohne die Benachteiligungs- oder Begünstigungsabsicht, kann er gleichwohl nach dieser Bestimmung bestraft werden; allerdings muss er um die Absicht des Haupttäters wissen, damit sie ihm zugerechnet werden kann.26 Dieses Ergebnis gründet in der Unterscheidung zwischen täterbezogenen und tatbezogenen Merkmalen. Besondere persönliche Merkmale sind als täterbezogen nach § 28 zu behandeln, wenn es um Motive und Tendenzen geht, die das Gesinnungsunrecht kennzeichnen; sie sind nur demjenigen Tatbeteiligten zuzurechnen, in dessen Person sie zutreffen. Tatbezogen sind hingegen Merkmale, welche die Verwerflichkeit der Tat als solcher erhöhen, das äußere Bild der Tat prägen oder außerhalb des Tatbestandes auf Verwirklichung in der Außenwelt abzielen (sogenannte überschießende Innentendenz); sie fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 28, sondern sind akzessorisch zu behandeln.27 Die Benachteiligungs- oder Begünstigungsabsicht im Sinne des § 94 Abs. 1 Nr. 2 ist ein tatbezogenes Merkmal, folglich akzessorisch zu beurteilen. Es hebt die Verwerflichkeit der Tat besonders hervor und kennzeichnet einen erstrebten Taterfolg, der zur Tatvollendung indessen nicht eintreten muss („überschießende Innentendenz“; zu § 94 Abs. 1 Nr. 2 im Ergebnis wie hier Paeffgen NK Rdn. 25; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Wolter SK Rdn. 22).28 Der Adressat eines Staatsgeheimnisses kann Teilnehmer sein, wenn sein Verhalten sich nicht auf die bloße Entgegennahme der Mitteilung beschränkt. Handelt er dabei in Verratsab23 24 25 26 27

BGHSt 39 278; vgl. auch Rdn. 3. BGHSt 39 274 ff.; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6a. Hierzu Paeffgen NK Rdn. 25; Schünemann LK12 § 25 Rdn. 168; Sch/Schröder/Heine/Weißer § 25 Rdn. 89. S. dazu Schünemann LK12 § 26 Rdn. 59 und § 27 Rdn. 54 ff. Paeffgen NK Rdn. 25; Sch/Schröder/Heine/Weißer § 28 Rdn. 15 ff.; s. dazu auch BGHSt 17 215, 217; 22 375, 380; 23 39 f.; 103, 105; BGH NJW 1994 272. 28 Ebenso Sonnen AK Rdn. 25; Lampe/Hegmann MK Rdn. 19; SSW/Vogler Rdn. 14; Anders/Mavany AnwK Rdn. 15; aA jedoch Fischer Rdn. 5, der den ohne böse Absicht gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2 handelnden Teilnehmer nach § 95 bestrafen will. 419

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sicht, wird § 96 durchgreifen. Mittelsmänner einer fremden Macht werden meist Mittäter im Sinne des § 94 Abs. 1 Nr. 1 sein, da sie gemäß ihrem Auftrag das ihnen mitgeteilte Staatsgeheimnis an die Repräsentanten der fremden Macht weiterzuleiten haben (s. Rdn. 2 f.); für sie kann jedoch bei entsprechender Fallgestaltung auch nur Anstiftung oder Beihilfe in Betracht kommen, etwa beim Wechsel in der Führung eines Agenten nach Anwerbung und Auftragserteilung.29 Gehilfe kann sein, wer als (bösgläubiger) Bote einen „toten Briefkasten“ oder ein sonstiges Depot leert, um die darin befindliche Mitteilung, die ein Staatsgeheimnis enthält, an den unbefugten Empfänger gelangen zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn er im Auftrag des Empfängers handelt; allerdings ist – wie sonst auch – ein „doppelter Gehilfenvorsatz“ erforderlich.30 Entscheidend ist, ob der Bote mit der Möglichkeit rechnet, die Mitteilung enthalte ein Staatsgeheimnis, und ob er auch dem mitteilenden Täter behilflich sein will. Dabei muss der Gehilfe die Identität des Haupttäters nicht kennen; eines direkten Kontaktes mit ihm bedarf es ebenfalls nicht (hierzu im Einzelnen Schünemann LK12 § 27 Rdn. 10 und 37 ff.; Sch/Schröder/Heine/Weißer § 27 Rdn. 14 ff.). Die Beihilfehandlung dauert an, solange der Bote die Mitteilung weiterbefördert (BayObLGSt 1954 88). Im Einzelfall kann zweifelhaft sein, ob der Zwischenträger lediglich die untergeordnete Rolle eines rein mechanisch tätig werdenden Abholers und Überbringers spielt und dies auch will, oder ob er eigenständig, als Täter, handelt. Beihilfe kann, die subjektiven Voraussetzungen unterstellt, schließlich dann vorliegen, wenn der Gehilfe für den Täter Informationen sammelt, die für sich gesehen keine Staatsgeheimnisse sind, deren sachkundige Auswertung jedoch dem Täter die Kenntnis eines Staatsgeheimnisses erschließt (vgl. § 93 Rdn. 5).

VI. Besonders schwerer Fall – Absatz 2 15 Die Bestimmungen für besonders schwere Fälle nach Absatz 2 sind verfassungsgemäß; für Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 hat das BVerfG bereits entschieden, dass dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernis (Art. 103 Abs. 2 GG) genügt ist (BVerfGE 45 363, 370 ff.; 86 288, 314). Die beiden Regelfälle sind in ihrem Wortlaut den Regelbeispielen des besonders schweren Falles einer geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 Abs. 2) ähnlich. Maßgeblich für die Annahme eines besonders schweren Falles ist auch bei § 94 Abs. 2 eine Gesamtbewertung aller für die Strafzumessung wesentlichen tat- und täterbezogenen Umstände. Es kommt darauf an, ob das gesamte Tatbild einschließlich der Täterpersönlichkeit bei Gesamtbetrachtung aller wesentlichen belastenden und entlastenden Umstände vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, das die Anwendung des höheren Strafrahmens gebietet. Die Regelbeispiele sind dabei wesentliche Bewertungsrichtlinien; ihnen kommt maßstabsbildende Bedeutung zu. Sie stellen jedoch keinen abschließenden Katalog dar (s. BGHSt 28 318, 319 f.). Liegt ein Beispielsfall nicht vor, so kann die sich daraus ergebende Gegenschlusswirkung durch eine besondere Gefährlichkeit des Täters oder andere schulderhöhende Umstände aufgehoben werden; dies führt dann zur Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles außerhalb der Regelbeispiele. Andererseits kann im Einzelfall die durch das Vorliegen eines Regelbeispiels begründete Vermutung eines besonders schweren Falles aber auch durch mildernde Umstände widerlegt werden.31 29 BGHSt 39 274, 278 ff. m. Anm. Träger NStZ 1994 282; BGHR StGB § 94 Beihilfe 1 und 2; dazu BayObLG NStZ 1992 281; 543; Wolter SK Rdn. 6 ff.; Lampe/Hegmann MK Rdn. 19; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 20 f.; Sonnen AK Rdn. 14; Fischer Rdn. 5; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; aA Ignor/Müller StV 1991 573 ff.; differenzierend Loos/Radtke StV 1994 565 ff. 30 Vgl. BayObLGSt 1954 88, 90 = GA 1955 213; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Lampe/Hegmann MK Rdn. 19; dazu allgemein auch Schünemann LK12 § 27 Rdn. 54 ff. 31 BGH bei Detter NStZ 1991 177, 178; BGH NStZ 1982 425; OLG Düsseldorf, Urteil vom 7.2.1992 (IV – 34/91) S. 93 ff.; Schneider LK Vor § 46 Rdn. 21 ff.; Paeffgen NK Rdn. 26. Barthe/Schmidt

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VI. Besonders schwerer Fall – Absatz 2

StGB § 94

Das Regelbeispiel nach Nummer 1 setzt den Missbrauch einer verantwortlichen Stel- 16 lung voraus, die den Täter zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders verpflichtet. Unerheblich ist, ob es sich um eine Stellung aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses, eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses oder eines freien Mitarbeiterverhältnisses handelt. Maßgeblich ist allein die besondere, sich unmittelbar aus der Stellung ergebende Eigenverantwortung des Täters für die Geheimhaltung des Staatsgeheimnisses. Dazu bedarf es keiner ausdrücklichen Verpflichtung (BGH bei H. W. Schmidt MDR 1994 238; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 25; zw. Paeffgen NK Rdn. 27). Die Voraussetzungen können auch auf einen Täter zutreffen, der in einer verhältnismäßig untergeordneten Position tätig ist, jedoch für den Geheimschutz bedeutsame Aufgaben wahrnimmt, z. B. als Verwalter von Kryptomaterial oder Verschlusssachenregistrator (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.6.1979 – V – 5/78 [1] – 6 StE I/ 78 GBA; KG Berlin, Urteil vom 27.1.1999 – [2/1] 3 StE 5/93 – 4 [1] [17/93]; krit. Paeffgen NK Rdn. 27), oder der eine für den Schutz von Staatsgeheimnissen besonders „neuralgische“ Funktion ausübt, wie es etwa auf Datenanalysten oder Systemadministratoren (Edward Snowden32) zutreffen dürfte (ebenso Anders/Mavany AnwK Rdn. 17). Personen mit derartigen Funktionen wie auch Schreibkräfte einer Behörde oder eines Industriebetriebes, die zum engeren Personal zählen und dabei regelmäßigen Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Dokumenten haben, werden jedoch nach der Verschlusssachenanweisung oder auf ähnlicher Grundlage im allgemeinen zur Geheimhaltung ausdrücklich verpflichtet sein (s. dazu BGHR StGB § 94 Verrat 1). Ist eine solche ausdrückliche Verpflichtung zur gewissenhaften Geheimbehandlung sowie die Ermächtigung zur Verschlusssachenbearbeitung auf entsprechend hoher Stufe erfolgt, werden die Voraussetzungen des Regelfalles nach Nummer 1 meist zu bejahen sein (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.12.1975 – IV – 3/75 [3] – 4 StE 1/75 GBA – S. 38 und 116). Das Regelbeispiel nach Nummer 2 fußt auf einer Steigerung der gemäß Absatz 1 tatbe- 17 standsbegründenden Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Es hebt das Erfolgsunrecht des Landesverrats durch den Begriff „besonders“ von dem Tatbestandsmerkmal der Gefahr eines schweren Nachteils in § 94 Abs. 1 ab. Die damit verbundene beträchtliche Verschärfung des Strafrahmens bis hin zu der Möglichkeit, auch lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen, verdeutlicht, dass es sich um einen ganz außergewöhnlichen Fall handeln muss.33 Ein besonders schwerer Nachteil kann beispielsweise drohen, wenn der Täter durch ein und dieselbe Handlung mehrere Staatsgeheimnisse verraten hat, deren Geheimhaltung von höchster Bedeutung war (s. BayObLGSt 1991 127, 131 = NStZ 1992 281; 1993 39, 41 = MDR 1994 821). Ob er die Gefahr eines „schweren“ oder aber eines „besonders schweren“ Nachteils für die äußere Sicherheit herbeigeführt hat, ist eine Wertungsfrage (krit. Paeffgen NK Rdn. 28). Die zutreffende Einschätzung der Gefahr muss vom Vorsatz des Täters deshalb nicht umfasst sein. Er muss lediglich die tatsächlichen Umstände kennen oder billigend in Kauf nehmen, welche die Wertung tragen (BGH NStZ 1984 165). Auch eine Teilnahme am Landesverrat kann als besonders schwerer Fall zu werten sein. Das setzt jedoch voraus, dass sich gerade Handlung und Rolle des Teilnehmers als solcher Fall darstellen (krit. dazu Paeffgen NK Rdn. 28).

32 Zu dessen Fall Deiseroth ZRP 2013 194; Wolf JZ 2013 1039; Friehe/Lipp DÖV 2014 601; Gärditz/Stuckenberg JZ 2014 209; Hettel/Kirschhöfer HRRS 2014 341; Huber/de With NJW 2014 2698; Voigt MMR 2014 158; Treiber DÖV 2015 90, 96; Werkmeister/Steinbeck wistra 2015 209. 33 BGH NStZ 1984 165 = bei H. W. Schmidt MDR 1984 184; Wolter SK Rdn. 24 („Verrat von Atomgeheimnissen“); Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 25; Fischer Rdn. 9; Lampe/Hegmann MK Rdn. 27; Sonnen AK Rdn. 31. 421

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Landesverrat

VII. Zusammentreffen 1. Verrat mehrerer Staatsgeheimnisse 18 Der Landesverrat ist kein Dauerdelikt (BGH NStZ 1996 492 = BGHR StGB § 94 Verrat 1). Verrät der Täter in zeitlichen Abständen mehrere Staatsgeheimnisse, wird meist Tatmehrheit (§ 53) anzunehmen sein. Hat ein Agent Zugang zu geheimen Vorgängen, wird er in der Regel gemäß seinem nachrichtendienstlichen Auftrag bemüht sein, insbesondere solche Unterlagen seinen Auftraggebern zu liefern. Soweit diese – kontinuierlichen – Lieferungen Erkenntnisse vermitteln, die, im Zusammenhang gesehen, über ein oder auch mehrere Staatsgeheimnisse Aufschluss geben, wird von tatbestandlicher Handlungseinheit auszugehen sein.34 Dagegen soll eine Zusammenfassung mehrerer Verhaltensweisen, die jede für sich den Tatbestand des § 94 erfüllen, zu einer fortgesetzten Handlung nicht mehr in Betracht kommen, nachdem der Große Senat für Strafsachen (BGHSt 40 138) ihre Annahme auf Fälle beschränkt hat, in denen sie nach dem Straftatbestand zur Erfassung des verwirklichten Unrechts unumgänglich ist (BGH NStZ 1996 492, 493). Ob ein solch genereller Ausschluss mit Blick auf die Besonderheiten und Vielschichtigkeit der zu erfassenden Fallgestaltungen und Tatkomplexe immer mit der Forderung unverkürzter Unrechtsbewertung vereinbar ist, mag zweifelhaft sein.35 Insoweit wird der Rechtsfigur der natürlichen Handlungseinheit trotz ihrer Nähe zur fortgesetzten Handlung weiterhin Bedeutung zukommen, wenn sie in ihrem ursprünglichen – engen – Sinn angewandt wird, also nur in den Fällen, in denen es gilt, besondere, an sich untrennbare Vorgänge, die sich nur formal als mehrfache Tatbestandserfüllung darstellen, ihrem wirklichen Sinngehalt entsprechend als Einheit zu erfassen. Wo etwa ein speziell geschulter Täter in einem besonders sicherheitsempfindlichen Bereich von vornherein auf die Beschaffung konkreter Staatsgeheimnisse angesetzt ist und diesen Auftrag fortlaufend erfüllt, den Tatbestand des Verrats in engem räumlich-zeitlichen Zusammenhang mehrfach verwirklicht, wird gegen eine Zusammenfassung zur natürlichen Handlungseinheit im Blick auf BGHSt 40 138 wenig einzuwenden sein. Dass auch eine solche Wertung die Feststellung voraussetzt, welche Einzelakte die Übermittlung eines Staatsgeheimnisses zum Gegenstand hatten, versteht sich von selbst (vgl. insoweit BayObLG 1991 129, 131; 1993 39, 42; ergänzend dazu BGHSt 41 368 ff. = JR 1996 511 ff. m. Anm. Puppe S. 513 ff.).

2. Tat- und Gesetzeseinheit bei gleichzeitiger Verwirklichung anderer Straftatbestände 19 Das Offenbaren von Staatsgeheimnissen (§ 95), die landesverräterische Agententätigkeit (§ 98) und die geheimdienstliche Agententätigkeit (§ 99) treten gegenüber dem Landesverrat aufgrund der in den §§ 95 Abs. 1, 98 Abs. 1 und 99 Abs. 1 enthaltenen Subsidiaritätsklauseln zurück. Dies gilt im Falle des § 99 auch dann, wenn der Täter mit seiner geheimdienstlichen Agententätigkeit weitere Ziele verfolgt als den Verrat eines Staatsgeheimnisses und die Straftat nach § 99 nur teilweise mit Verratstaten (§ 94) rechtlich zusammenfällt (BGHSt 24 72, 79 ff.). Der Tatbestand des Landesverrats und auch der des versuchten Landesverrats gehen der landesverräterischen Ausspähung (§ 96 Abs. 1) vor, sofern dasselbe Staatsgeheimnis in Rede 34 BGHSt 24 72, 77; BGH NStZ 1996 492; ähnlich BayObLGSt 1991 127, 129, 131; 1993 39, 42, das natürliche Handlungseinheit annimmt; Lackner/Kühl/Kühl Vor § 52 Rdn. 10; Fischer Vor § 52 Rdn. 2 und 6; Sch/Schröder/SternbergLieben/Bosch Vor § 52 Rdn. 13 und 15 ff.; Rissing-van Saan LK Vor § 52 Rdn. 23 ff., 28; Vogler LK10 Vor § 52 Rdn. 15 und 31; hierzu auch Paeffgen JR 1999 89, 90 f. und 97 f. sowie NK Rdn. 29. 35 S. Rissing-van Saan LK Vor § 52 Rdn. 69 ff.; dazu Gribbohm FS Odersky 1996 387, 389, 397 ff.; Jähnke GA 1989 376, 382. Barthe/Schmidt

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VII. Zusammentreffen

StGB § 94

steht. Denn die Ausspähung erweist sich hier als bloße Vorbereitungshandlung.36 Ein Rücktritt vom versuchten Landesverrat (§§ 94, 22 bis 24) oder auch von der Verabredung zum Landesverrat (s. §§ 30 Abs. 2, 94, 31) bewirkt hingegen keine Strafbefreiung von dem vollendeten Delikt des § 96 Abs. 1 (so auch Fischer § 96 Rdn. 5; Wolter SK § 96 Rdn. 11 f.; Lackner/Kühl/Kühl § 96 Rdn. 5). Nach Sternberg-Lieben (Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 96 Rdn. 16) soll allerdings in solchen Fällen auch das bereits vollendete Gefährdungsdelikt aus § 96 Abs. 1 von der strafbefreienden Wirkung des Rücktritts miterfasst werden. Der Täter bliebe danach insgesamt straflos. Dies hätte zur Folge, dass er sich Strafbefreiung für die bereits vollendete Ausspähung immer dann verschaffen könnte, wenn er auch den Landesverrat noch versucht und von ihm zurücktritt. Dagegen wäre er zu bestrafen, wenn seine Tat nur bis zur vollendeten Ausspähung gedieh. Um die „gröbsten Ungerechtigkeiten“ zu beseitigen, will Sternberg-Lieben (Sch/Schröder/Sternberg-Lieben a. a. O.) die Rücktrittsregelung des § 98 Abs. 2 auf § 96 analog anwenden (vgl. dazu auch Sonnen AK § 96 Rdn. 9 f. und Paeffgen NK Rdn. 31). Gegen eine solche Analogie spricht jedoch neben dem eindeutigen Gesetzeswortlaut vor allem der Umstand, dass § 96 in seinem Unrechtsgehalt schwerer wiegt als § 98 (so zutreffend Wolter SK § 96 Rdn. 12, der ferner darauf hinweist, dass der Täter im Falle eines Rücktritts vom Versuch des Landesverrats unter Umständen im Besitz des nach § 96 erlangten Staatsgeheimnisses bleibt und damit weiterhin eine Gefahr für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik darstellt). Ist der Landesverrat im Stadium des Versuchs der Beteiligung (§ 30) steckengeblieben (versuchte Anstiftung, Verabredung zum Landesverrat), so kommt Tateinheit mit der versuchten oder vollendeten landesverräterischen Ausspähung (§§ 96 Abs. 1, 22) in Betracht. Denn der Beteiligungsversuch im Sinne des § 30 umfasst nicht ohne Weiteres den Unrechts- und Schuldgehalt der Ausspähung (§ 96 Abs. 1).37 Zu den Voraussetzungen der Konsumtion s. Rissing-van Saan LK Vor § 52 Rdn. 164 ff. Tateinheit zwischen § 94 und § 97a ist möglich, wenn ein Teil des Verratsmaterials unter § 94 fällt, also ein (legales) Staatsgeheimnis zum Gegenstand hat, ein anderer hingegen von § 97a erfasst wird, weil er ein illegales Geheimnis (§ 93 Abs. 2) betrifft. Die Straftaten, durch die sich der Täter das Staatsgeheimnis beschafft hat (z. B. Diebstahl, Nötigung, Urkundenfälschung), können ebenfalls zum Landesverrat in Tateinheit stehen. Tateinheit ist auch möglich mit den Delikten nach den §§ 133 (Verwahrungsbruch), 334 (Bestechung) und 353b (Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht), und zwar auch mit dessen Absatz 2 (vgl. dazu Vormbaum LK12 § 353b Rdn. 58 m. w. N.); ebenso mit den Tatbeständen des Hochverratstitels (§§ 81 ff.) und der Agententätigkeit zu Sabotagezwecken (§ 87). Aufschlussreich im Einzelnen ist auch heute noch die Rechtsprechungsübersicht zur früheren Rechtslage bei Wagner ZStW 80 (1968) 283, 337 ff.

3. Rechtliches Zusammentreffen mit dem Verrat von NATO-Vertragsstaaten- und Euratom-Geheimnissen Werden durch dieselbe Handlung ein deutsches Staatsgeheimnis (§ 93) und ein militärisches 20 Geheimnis eines NATO-Vertragsstaates im Sinne des § 1 Abs. 1 NTSG verraten, so ist Tateinheit anzunehmen. Zwar erweitern die besonderen Bestimmungen zum Schutze der nichtdeut36 Vgl. BGHSt 6 385, 390; Wolter SK Rdn. 27; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 96 Rdn. 18; Fischer § 96 Rdn. 1; Lampe/Hegmann MK Rdn. 22; SSW/Vogler Rdn. 17; aA Anders/Mavany AnwK Rdn. 24, nach denen § 96 im Fall des nur versuchten Landesverrats bestehen bleiben soll. 37 Im Ergebnis wie hier Fischer § 96 Rdn. 5; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 96 Rdn. 18; Lampe/Hegmann MK Rdn. 22; aA BGHSt 6 385, 390 f., wo mit Blick auf die Strafrahmen angenommen wurde, dass die versuchte Anstiftung zum Landesverrat die versuchte Ausspähung aufzehre; ebenso Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9; Wolter SK § 96 Rdn. 14; Sonnen AK Rdn. 11. 423

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Landesverrat

schen Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes nur den Tatbestand des § 94. Sie ersetzen aber auch einzelne Merkmale durch andere und bringen insbesondere eine Modifizierung des geschützten Rechtsguts ein. Bei einem Zusammentreffen ist daher der besondere Unrechts- und Schuldgehalt im Sinne dieser Sondervorschriften zum Ausdruck zu bringen. Die Verurteilung hat also beispielsweise zu erfolgen wegen Landesverrats (§ 94 Abs. 1 Nr. 1) in Tateinheit mit Verrat militärischer Geheimnisse eines NATO-Vertragsstaates (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 3 NTSG i. V. m. § 94 Abs. 1 Nr. 1). Der BGH hat allerdings insoweit zu dem früheren Beziehungstatbestand des § 100e a. F. eine andere Auffassung vertreten (BGH MDR 1964 160; die Annahme von Tateinheit deuten an: Amtliche Begründung des RegE des 4. StRÄndG BTDrucks. II/3039 S. 23; Lackner JZ 1957 401, 406). Danach wird auch die Möglichkeit zu bejahen sein, zwischen dem Verrat von EuratomGeheimnissen (§ 94 i. V. m. Art. 194 Abs. 1 Euratom-Vertrag) und Landesverrat (§ 94) Tateinheit anzunehmen (s. auch Vor § 93 Rdn. 9; § 93 Rdn. 18 und 24, jeweils a. E.).

VIII. Wahlfeststellung 21 Die Möglichkeit der ungleichartigen Wahlfeststellung (dazu Dannecker LK12 Anh § 1 Rdn. 131 ff.; Fischer § 1 Rdn. 18 ff.) kommt u. a. in Betracht zwischen § 94 Abs. 1 Nr. 1 und § 97a S. 1, wenn die Merkmale des illegalen Staatsgeheimnisses (§ 93 Abs. 2) nicht feststellbar sind (so auch Paeffgen NK Rdn. 32; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 97a Rdn. 2). Wahlfeststellung mit dem Tatbestand der landesverräterischen Fälschung (§ 100a Abs. 1) scheidet aus; die Bestimmungen (§§ 94 Abs. 1, 100a Abs. 1) sind in psychologischer Hinsicht nicht gleichwertig (vgl. BGHSt 20 100 ff.). Hier dringt der Täter in den Geheimbereich des Staates ein; dort (§ 100a Abs. 1) täuscht er dies nur wider besseres Wissen vor, ohne ein spezifisches staatliches Geheimhaltungsinteresse zu verletzen, handelt also gleichsam wie ein Verleumder. Die innere Beziehung der Täter zu ihrer Tathandlung kann danach nicht als einigermaßen gleichgeartet bewertet werden (s. BGHSt a. a. O.).

IX. Verjährung bei Presseinhaltsdelikten 22 Begeht der Täter Landesverrat durch öffentliches Bekanntmachen des Staatsgeheimnisses in einem Presseerzeugnis, so sind die besonderen presserechtlichen Verjährungsvorschriften in den Landespressegesetzen zu beachten.38 Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmungen ist, dass eine Veröffentlichung oder eine Verbreitung des Staatsgeheimnisses durch ein Presseerzeugnis erfolgt ist.39 Ist es dazu – etwa wegen einer vorausgegangenen Beschlagnahme – nicht gekommen, bleibt es bei den allgemeinen Verjährungsvorschriften (BGHSt 8 245, 246). Die Verjährung beginnt mit der Veröffentlichung oder Verbreitung des Druckwerkes. Bei aufeinanderfolgender Verbreitung eines Druckwerkes beginnt die Strafverfolgungsverjährung nach den Landespressegesetzen bereits mit dem ersten Verbreitungsakt (BGHSt 25 347); wird die Verbreitung aufgegeben, weil der Vorrat des Druckwerkes beschlagnahmt worden ist, entschließt sich der Täter nach dessen unerwarteter Rückgabe aber erneut zur Verbreitung, beginnt die Verjährung nunmehr begangener Presseinhaltsdelikte mit dem ersten auf dem neuen Entschluss beruhenden Verbreitungsakt (BGHSt 33 271). Bei Veröffentlichung verschiedener Druckwerke, Neuauflagen oder verschiedener Teile von Druckwerken beginnt die Verjährung für jedes 38 Vgl. hierzu Löffler/Cornils Presserecht 2015 Einl. Rdn. 99 und Löffler/Kühl a. a. O. § 24 LPG, dort auch Rdn. 87 bis 103; Stöckel in Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze P 190, Pressegesetze der Länder, Vorbemerkung Rdn. 9, § 25 LPG Nordrhein-Westfalen Rdn. 2 ff., 6 und 8. 39 Zum Begriff der Presseinhaltsdelikte s. BGHSt 26 40, 43; 27 353, 354; BGHR PresseG-NW § 25 Verjährung 1; Greger/Weingarten LK § 78 Rdn. 14 ff. Barthe/Schmidt

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X. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

StGB § 94

Druckwerk oder jeden Teil gesondert zu laufen. Für Fälle des Fortsetzungszusammenhangs (vgl. aber BGHSt 40 138, 154), der natürlichen Handlungseinheit oder tatbestandlichen Bewertungseinheit gilt keine Ausnahme; die Verjährungsfrist läuft auch hier ab dem ersten Veröffentlichungs- oder Verbreitungsakt (BGHSt 27 18, 20 f.; Greger/Weingarten LK § 78 Rdn. 17; Löffler/ Kühl a. a. O. [Fn. 38] § 20 LPG Rdn. 70 f.; § 24 LPG Rdn. 59 ff.). Ist eine Druckschrift verbreitet worden, so kommt die kurze presserechtliche Verjährungsfrist auch den der Verbreitung vorausgegangenen Vorbereitungshandlungen des Verbreiters zugute. Diese gehen in dem anschließenden plangemäßen Verbreiten auf und bilden mit ihm eine Pressestraftat (BGH bei Holtz MDR 1977 807, 809). Für jeden an der Verbreitung beteiligten Täter (Verleger, Buchhändler u. a.) beginnt die Verjährung mit seiner Verbreitungstätigkeit (BGHSt 25 347, 354). Von der kurzen Verjährungsfrist des Presserechts profitiert auch der Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) an dem Presseinhaltsdelikt (s. BGH NStZ 1982 25 m. w. N.). Die Verjährungsfristen für das als Presseinhaltsdelikt begangene Verbrechen des Landesverrats betragen nach den Pressegesetzen einiger Bundesländer nur sechs Monate (§ 15 Abs. 1 BayPresseG, § 12 Abs. 1 HessPresseG), in anderen Bundesländern dagegen ein Jahr (§ 25 Abs. 1 LPresseG Nordrhein-Westfalen, § 24 Abs. 1 Nds-PresseG, § 24 Abs. 1 LPresseG Bremen, § 66 Abs. 1 Saarländ. Mediengesetz, § 17 Abs. 1 LPresseG Schleswig-Holstein, § 22 Abs. 1 LPresseG Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz, § 23 Abs. 1 LPresseG Hamburg, § 16 Abs. 1 LPresseG Brandenburg, § 15 Abs. 1 LPresseG Sachsen-Anhalt und § 14 Abs. 2 LPresseG Thüringen). In Baden-Württemberg gilt die kurze presserechtliche Verjährungsfrist von einem Jahr bei Verbrechen indessen nicht für den Landesverrat (§§ 24 Abs. 1 S. 2, 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 LPresseG BW); insoweit bleibt es bei der Frist des § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB; für den Verjährungsbeginn ist weiter die spezifische presserechtliche Vorschrift maßgeblich (vgl. etwa § 24 Abs. 3 LPresseG BW). In Sachsen (§ 14 Abs. 1 Sächs. LPresseG) ist eine kurze Verjährungsfrist von sechs Monaten nur für Fälle der Verletzung der Garantenpflicht (§ 12 Abs. 2) vorgesehen. Es wird ausdrücklich auf § 78 StGB verwiesen. Von den presserechtlichen Verjährungsbestimmungen wird nicht der Fall der Weitergabe eines Staatsgeheimnisses – z. B. gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 – an einen unbefugten Journalisten erfasst, der es dann veröffentlichen lässt.

X. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges Als Nebenfolge kommt die Aberkennung der Fähigkeit in Betracht, öffentliche Ämter zu beklei- 23 den oder Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, oder die Aberkennung des Rechts, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen (§ 101). Darüber hinaus ist die Möglichkeit der Einziehung von Gegenständen nach Maßgabe des § 101a vorgesehen. Am 1. Juli 2017 trat das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung in Kraft (BGBl. I 872; zur Begründung s. BTDrucks. 18/9525); hierdurch haben sich die in Bezug genommenen Vorschriften zur Einziehung geändert (näher dazu bei § 101a). Zum räumlichen Geltungsbereich vgl. § 5 Nr. 4 sowie Vor § 93 Rdn. 6 ff. und § 94 Rdn. 10. Hinsichtlich der Zuständigkeiten wird auf die Ausführungen Vor § 93 Rdn. 14 verwiesen. Zu den besonderen Möglichkeiten des Absehens von der Strafverfolgung s. §§ 153c Abs. 2 und 4, 153d, 153e StPO (hierzu auch Vor § 93 Rdn. 10).40 Die Nichtanzeige des Landesverrats ist strafbedroht (§ 138 Abs. 1 Nr. 3 StGB).

40 Ferner Müller/Wache FS Rebmann 321. 425

Barthe/Schmidt

§ 95 Offenbaren von Staatsgeheimnissen (1) Wer ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird, an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, wenn die Tat nicht in § 94 mit Strafe bedroht ist. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. § 94 Abs. 2 Satz 2 ist anzuwenden.

Schrifttum S. die Literaturhinweise Vor § 93. Hervorzuheben sind: A. Arndt NJW 1963 24; Fuss NJW 1962 2225; Jescheck Pressefreiheit und militärisches Geheimnis (1964); ders. Zur Reform des politischen Strafrechts, JZ 1967 6; ders. Die Behandlung des sog. illegalen Staatsgeheimnisses im neueren politischen Strafrecht, Festschrift Engisch (1969) 584; Jagusch Pressefreiheit, Redaktionsgeheimnis, Bekanntmachen von Staatsgeheimnissen, NJW 1963 177; Stratenwerth Publizistischer Landesverrat (1965); Stree Publizistischer Geheimnisverrat im Bereich des Staatsschutzes, ZStW 78 (1966) 663; Willms Landesverrat durch die Presse, DRiZ 1963 14.

Entstehungsgeschichte Der Tatbestand des Offenbarens von Staatsgeheimnissen wurde durch das 8. StRÄndG1 eingeführt, seine Fassung durch Art. 1 Nr. 32 des 1. StrRG2 sowie Art. 19 Nr. 16 EGStGB3 geändert. Die Vorschrift ist vor allem auf das Bestreben des Gesetzgebers zurückzuführen, den sogenannten publizistischen Landesverrat aus dem Bereich des gemeinen Landesverrats herauszulösen (vgl. § 94 Rdn. 1). Den Anstoß dafür gab nicht zuletzt das „Spiegel“-Verfahren, in dem das Bundesverfassungsgericht Gelegenheit fand, zur Frage der Verfassungsmäßigkeit von Durchsuchungen in Presseräumen Stellung zu nehmen und sich über das Verhältnis des Grundrechts der Pressefreiheit zu den (alten) Landesverratsbestimmungen zu äußern (BVerfGE 20 162; siehe auch BGH NJW 1965 1187). Mit der Neuregelung hat der Gesetzgeber zugleich einem früher vereinzelt geforderten allgemeinen Presseprivileg eine Absage erteilt (vgl. die Nachweise bei Jescheck JZ 1967 6, 10; siehe Stratenwerth Publizistischer Landesverrat S. 75 Fn. 25). Vgl. zu weiteren Einzelheiten des Zustandekommens die Materialien zum 8. StRÄndG: RegE (dort § 99a) BTDrucks. V/898 Begründung S. 30, 32; Sonderausschussbericht BTDrucks. V/ 2860 S. 14, 18 f.; Prot. V/1265, 1434 ff., 1438 f., 1448 ff., 1471 ff., 1488 ff., 1508 f., 1972; siehe ferner A E § A 15.

Übersicht VI.

I.

Allgemeines

1

II. 1. 2. 3.

Tatobjekt 2 2a Staatsgeheimnis Tatsächliche Geheimhaltung 4 Amtliche Stelle

III.

Tathandlung

IV.

Erweiterung des strafrechtlichen Schut6 zes

V.

Rechtfertigung

Innerer Tatbestand und Irrtumsfragen

8

VII. Versuch, Beteiligung und besonders schwerer 9 Fall 3

5

VIII. Zusammentreffen

10

IX.

Verjährung bei Presseinhaltsdelikten

X.

Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

11 12

7

1 Vom 25.6.1968 BGBl. I 741, 745. 2 Vom 25.6.1969 BGBl. I 645, 652. 3 Vom 2.3.1974 BGBl. I 469, 479. Barthe/Schmidt https://doi.org/10.1515/9783110490008-030

426

II. Tatobjekt

StGB § 95

I. Allgemeines Die §§ 95 Abs. 2 und 97 sind als Vergehenstatbestände konzipiert. Darin kommt zum Ausdruck, 1 dass der Gesetzgeber die hier angesprochenen Sachverhalte im Verhältnis zum Landesverrat in ihrem Schuld- und Unrechtsgehalt erheblich geringer wertet. Der Tatbestand des Offenbarens eines Staatsgeheimnisses (§ 95) soll als Auffangtatbestand all die Fälle erfassen, in denen sich der Täter weder – wie beim Landesverrat vorausgesetzt – an eine fremde Macht oder einen ihrer Mittelsmänner wendet (siehe § 94 Abs. 1 Nr. 1) noch in der dort erforderlichen Benachteiligungsoder Begünstigungsabsicht handelt (hierzu § 94 Abs. 1 Nr. 2). Im Blick auf die Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) erweist sich die Vorschrift als allgemeines, einschränkendes Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG.4

II. Tatobjekt Gegenstand der Tat ist ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Ver- 2 anlassung geheim gehalten wird.

1. Staatsgeheimnis Es müssen die Voraussetzungen eines materiellen Staatsgeheimnisses im Sinne des § 93 Abs. 1 vor- 2a liegen. Dieses muss „echt“ sein; es darf nicht illegal im Sinne des § 93 Abs. 2 sein (siehe dazu § 93 Rdn. 1 ff.).

2. Tatsächliche Geheimhaltung Der materielle Staatsgeheimnisbegriff des § 93 Abs. 1 wird hier noch um das zusätzliche Erfordernis 3 tatsächlicher Geheimhaltung ergänzt (faktisches Element).5 Daraus folgt, dass es eines Geheimhaltungswillens bedarf (vgl. Fischer Rdn. 2 a. E. m. w. N.); dieser allein genügt allerdings nicht. Es müssen Geheimhaltungsmaßnahmen getroffen sein, die geeignet sind, ein Bekanntwerden des Staatsgeheimnisses über denjenigen begrenzbaren Personenkreis hinaus zu verhindern, der befugtermaßen Zugang zu ihm hat. In Betracht kommen vor allem eine formelle Sekretur, die besondere Verpflichtung derjenigen, welche mit dem Staatsgeheimnis umgehen, oder Sperrmaßnahmen wie Zugangsverbote, Kontrollen, gesicherte Verwahrung unter Beachtung von Geheimschutzordnungen und Verschlusssachenanweisungen. Eine förmliche Einstufung nach einer Verschlusssachenanweisung ist nicht unbedingt erforderlich, wenn nur für andere geeignete Schutzmaßnahmen gesorgt ist. Damit können auch diejenigen Fälle erfasst werden, in denen eine formelle Sekretur nicht möglich ist oder für den Täter – etwa bei unvollständiger Ablichtung einer Urkunde – nicht erkennbar ist. Die Schutzmaßnahmen, die auch schon vor dem Entstehen des Staatsgeheimnisses getroffen worden sein können, müssen in ihrem wesentlichen Gehalt praktiziert und beachtet werden; nachlässige Handhabung im Einzelfall steht dem nicht entgegen. An der faktischen Geheimhaltung wird es dort fehlen, wo die Vorkehrungen unvollständig oder sonst nicht hinreichend wirksam sind, um eine Geheimhaltung zu ermöglichen. Das Merkmal der tatsächlichen Geheimhaltung ist im Lichte des gesetzgeberischen Anliegens zu sehen, den hier in Betracht kommenden Täterkreis – nicht zuletzt auch Publizisten und öffentliche Bedienstete – nur dann zu bestrafen, wenn der Staat seinerseits alles getan hat, um

4 Vgl. BVerfGE 20 162, 177 f.; 21 239, 242; 57 250, 268; 92 277, 317 f.; s. dazu auch § 93 Rdn. 33. 5 BGHSt 63 288 = NStZ 2019 402, 403 mit Anm. Ellbogen. 427

Barthe/Schmidt

§ 95 StGB

Offenbaren von Staatsgeheimnissen

das Staatsgeheimnis zu schützen. Zugleich kommt den von der Strafvorschrift vorausgesetzten Maßnahmen je nach ihrer Art eine Warnfunktion zu.6

3. Amtliche Stelle 4 Die Geheimhaltung muss durch eine amtliche Stelle oder jedenfalls auf deren Veranlassung hin erfolgen. Als „amtlich“ in diesem Sinne ist jede Stelle zu verstehen, die einen fest umrissenen Kreis staatlicher Aufgaben erfüllt, gleichviel, ob sie zu dem Bereich der gesetzgebenden Organe, der vollziehenden Gewalt oder der Rechtsprechung gehört. Dazu zählen sämtliche Stellen unmittelbarer und mittelbarer Staatsverwaltung im umfassenden Sinne ebenso wie militärische Dienststellen und parlamentarische Ausschüsse. Der Begriff ist weit auszulegen; er soll den gesamten staatlichen Bereich abdecken und darf deshalb nicht nur im Sinne eines verwaltungsrechtlichen Amtsbegriffes gedeutet werden.7 Auch die tatsächliche Geheimhaltung durch Private auf Veranlassung einer amtlichen Stelle genügt. Die Veranlassung kann förmlich oder konkludent (z. B. bei bestimmter tatsächlicher Übung), für den Einzelfall oder generell erfolgt sein (vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; aA bezüglich konkludenter Veranlassung Paeffgen NK Rdn. 4, zustimmend Ellbogen BeckOK Rn 4). Auch hier muss das Staatsgeheimnis im Zeitpunkt der Veranlassung noch nicht bestanden haben; die amtliche Stelle kann vielmehr die Geheimhaltung durch Private schon vorab veranlassen. In der Praxis spielt das insbesondere bei der Vergabe von Aufträgen an private Rüstungsunternehmen eine Rolle (siehe dazu die Darstellung in OVG Münster NJW 1985 281; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Lampe/Hegmann MK Rdn. 8). Aus alledem folgt, dass diejenigen privaten Erfindungen als Tatobjekte ausscheiden, deren Entwicklung oder Existenz amtlichen Stellen noch unbekannt ist, mögen sie auch materiell Staatsgeheimnisse (im Sinne des § 93) sein. Sieht man von den Fällen der amtlicherseits vorweg veranlassten Geheimhaltung ab, so ist hier die tatsächliche Geheimhaltung durch private Hand, also eine nicht amtliche Stelle, bedeutungslos. Einen gewissen Schutz bieten insoweit jedoch die Regelungen der §§ 31 Abs. 5, 50 bis 54 PatentG, § 9 GebrauchsmusterG, Art. II § 14 IntPatÜbkG (siehe dazu Vor § 93 Rdn. 4 ff.), wenn nicht der Landesverratstatbestand (§ 94) greift. Wird bei der Anmeldung eines Patents, welches ein Staatsgeheimnis (§ 93) enthält, durch die Prüfstelle ein Veröffentlichungsverbot angeordnet (§ 50 Abs. 1 PatentG), so erweist sich dieses nicht als amtliche Veranlassung des Anmelders oder eines Dritten zur Geheimhaltung im Sinne des § 95 Abs. 1. Denn die Suspendierung der an sich gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichung und die damit verbundenen Beschränkungen der Akteneinsicht (vgl. §§ 54 und 31 Abs. 5 S. 1 PatentG) verpflichten diese Personen nicht ihrerseits zum Geheimschutz; solcher könnte von amtlichen Stellen mit dem Patentanmelder allenfalls frei vereinbart werden. Da dem Patentamt die Befugnis fehlt, den Anmelder und Dritte durch einen eigenständigen Akt ohne Weiteres zur Geheimhaltung zu zwingen, bleibt ihm nur der Weg, die Patentanmeldung selbst amtlich geheim zu halten, um so in der Folge den strafrechtlichen Schutz der §§ 95, 97 greifen zu lassen. Es praktiziert deshalb ergänzend zu der Anordnung nach § 50 Abs. 1 PatentG einen VS-Schutz, der auf Richtlinien des Bundesministers der Justiz beruht. Die Patentanmeldung wird intern in den Geheimhaltungsgrad „GEHEIM“ usw. eingestuft. Das Patentamt unterrichtet den Anmelder hiervon, belehrt ihn über die strafrechtlichen Bestimmungen und empfiehlt ihm

6 Vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 15; Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609, 611; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2 ff., 6 f.; Fischer Rdn. 2; Wolter SK Rdn. 3 ff.; Sonnen AK Rdn. 13 ff.; Krauth JZ 1968 611; dazu auch Lüttger JR 1968 121, 125 und GA 1970 129, 149 f. 7 Siehe zur Wahl des Begriffs „amtliche Stelle“: Prot. V/1508 f.; weiter Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 18; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Fischer Rdn. 2. Barthe/Schmidt

428

VI. Innerer Tatbestand und Irrtumsfragen

StGB § 95

zweckdienliche Schutzvorkehrungen (vgl. BPatGE 24 218, 220 f.; Kumm GRUR 1979 672, 676; Benkard/Schäfers Patentgesetz 14. Aufl. § 50 Rdn. 12, 15).

III. Tathandlung Der Täter handelt hier nicht – wie beim Landesverrat (§ 94 Abs. 1) – für eine fremde Macht 5 oder einen ihrer Mittelsmänner und auch ohne die dort vorausgesetzte (§ 94 Abs. 1 Nr. 2) besondere Benachteiligungs- oder Begünstigungsabsicht. Es genügt, wenn er das in dem oben beschriebenen Sinne (Rdn. 3 f.) geheim gehaltene Staatsgeheimnis an einen Unbefugten gelangen lässt (siehe dazu § 94 Rdn. 4 f., § 93 Rdn. 26 ff.) oder öffentlich bekanntmacht (siehe § 94 Rdn. 6) und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt (BGHSt 63 288 = NStZ 2019 402 ff. mit Anm. Ellbogen). Zum Begriff der konkreten Gefahr wird auf BGH a. a. O. und die Erläuterungen zu § 94 Rdn. 8, zu dem des schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auf die Ausführungen bei § 94 Rdn. 9 und § 93 Rdn. 13 bis 18 verwiesen. Zum publizistischen Landesverrat und dessen Geschichte siehe Schaar Publizistischer Landesverrat – Fremdkörper in unserer Rechtsordnung MMR 2015 557 sowie zum Whistleblowing und zur Veröffentlichung auf einer sogenannten Enthüllungsplattform im Internet (Wikileaks-Affäre s. § 94 Rdn. 6 und Paeffgen Rdn. 4).

IV. Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes Der Tatbestand ist nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 6 NTSG (vormals Art. 7 Abs. 1 Nr. 1, 6 3 und 6 des 4. StRÄndG) zum Schutz militärischer Geheimnisse von NATO-Vertragsstaaten erweitert (abgedruckt Vor § 93 Rdn. 8a); Näheres dazu siehe Vor § 93 Rdn. 7 ff.; § 93 Rdn. 18, 24; § 94 Rdn. 10 sowie BGHSt 32 104, 108; 38 75, 76 f. Zu den sog. Euratom-Geheimnissen vgl. Vor § 93 Rdn. 9; § 93 Rdn. 18, 24; § 94 Rdn. 10, 23. Zu den Konkurrenzen siehe § 94 Rdn. 20.

V. Rechtfertigung Eine Rechtfertigung kann in außergewöhnlichen Fällen in Betracht kommen. Zum rechtfertigen- 7 den Notstand siehe insoweit die bei § 93 Rdn. 32 aufgeführten Sachverhalte; zur Rechtfertigung im Falle der Unterrichtung der Öffentlichkeit über das mit einem besonders schweren Rechtsverstoß (außerhalb des § 93 Abs. 2) behaftete Staatsgeheimnis unter Berufung auf die Meinungsoder Pressefreiheit s. § 93 Rdn. 33.8

VI. Innerer Tatbestand und Irrtumsfragen Für den inneren Tatbestand ist bedingter Vorsatz ausreichend. Dieser muss sich auch auf die 8 faktische Geheimhaltung erstrecken. Für deren Erkennbarkeit wird beispielsweise ein Geheimhaltungsvermerk auf einem Dokument regelmäßig genügen (BGHSt 63 288 = NStZ 2019 402, 404 mit Anm. Ellbogen; vgl. auchWolter SK Rdn. 10). Auf die Erläuterungen zu § 94 Rdn. 11 wird verwiesen. Hält der Täter ein von ihm offenbartes – legales – Staatsgeheimnis irrtümlich für illegal im Sinne des § 93 Abs. 2, so ist die Irrtumsregelung des § 97b zu beachten. Hält er umgekehrt ein 8 Vgl. hierzu auch Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Wolter SK Rdn. 11 ff.; Ellbogen BeckOK Rdn. 8 ff.; Sonnen AK Rdn. 19; Lampe/Hegmann MK Rdn. 16; ergänzend: § 93 Rdn. 26 ff. 429

Barthe/Schmidt

§ 95 StGB

Offenbaren von Staatsgeheimnissen

solch illegales Staatsgeheimnis irrig für legal und offenbart es, so liegt ein untauglicher Versuch vor (vgl. § 94 Rdn. 11).

VII. Versuch, Beteiligung und besonders schwerer Fall 9 Der Versuch ist strafbar (§§ 95 Abs. 2, 23 Abs. 1). Zum Eintritt in das Versuchsstadium und zur Vollendung siehe bei § 94 Rdn. 12. Das bloße Auskundschaften von Staatsgeheimnissen (§ 96 Abs. 2) ist lediglich Vorbereitungshandlung zum Offenbaren, in der Regel also noch kein unmittelbares Ansetzen hierzu (vgl. § 22). Die Beteiligung beurteilt sich nach den allgemeinen Regeln (vgl. auch § 94 Rdn. 13). Wegen der Voraussetzungen eines besonders schweren Falles (Absatz 3) wird auf die Erläuterungen zu § 94 Rdn. 15 bis 17 Bezug genommen.

VIII. Zusammentreffen 10 Das Offenbaren von Staatsgeheimnissen ist kraft gesetzlicher Regelung gegenüber dem Landesverrat subsidiär (Absatz 1 a. E.), geht aber dem Auskundschaften von Staatsgeheimnissen (§ 96 Abs. 2) vor, wenn ein und dasselbe Staatsgeheimnis in Frage steht. Letzteres gilt auch dann, wenn es beim Versuch des Offenbarens geblieben ist (vgl. BGHSt 6 385, 390; Fischer § 96 Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 96 Rdn. 18; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; aA Paeffgen NK Rdn. 11). Beim strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Offenbarens eines Staatsgeheimnisses bleibt der Täter jedoch nach § 96 Abs. 2 strafbar, wenn dessen Voraussetzungen gegeben sind. Hierzu kann auf die Ausführungen zu § 94 Rdn. 19 verwiesen werden. Im Blick auf die Unterschiedlichkeit des geschützten Rechtsgutes kann Tateinheit mit § 353b (Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht) bestehen (siehe Vormbaum LK12 § 353b Rdn. 58 m. w. N.).

IX. Verjährung bei Presseinhaltsdelikten 11 Offenbart der Täter ein Staatsgeheimnis durch öffentliches Bekanntmachen in einem Presseerzeugnis, so sind die besonderen presserechtlichen Verjährungsvorschriften in den Landespressegesetzen zu beachten. Soweit dort nicht auf eine spezielle Regelung verzichtet wurde (Sachsen, Thüringen), beträgt die Verjährungsfrist für das als Presseinhaltsdelikt begangene Vergehen des Offenbarens eines Staatsgeheimnisses einheitlich sechs Monate. Näheres siehe § 94 Rdn. 22.

X. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges 12 Dem Täter kann als Nebenfolge die Fähigkeit aberkannt werden, öffentliche Ämter zu bekleiden oder Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen (§ 101). § 101a sieht die Einziehung von Gegenständen nach näherer Maßgabe vor. Hinsichtlich finanzieller Zuwendungen ist die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB anzuordnen (vgl. § 101a Rdn. 8). Zur Zuständigkeit siehe Vor § 93 Rdn. 14, zu besonderen Möglichkeiten des Absehens von der Strafverfolgung sind die §§ 153c Abs. 2 und 4, 153d, 153e StPO zu beachten (vgl. dazu Vor § 93 Rdn. 10; § 94 Rdn. 23). Die Nichtanzeige einer Tat des Offenbarens von Staatsgeheimnissen ist strafbedroht (§ 138 Abs. 1 Nr. 3).

Barthe/Schmidt

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§ 96 Landesverräterische Ausspähung; Auskundschaften von Staatsgeheimnissen (1) Wer sich ein Staatsgeheimnis verschafft, um es zu verraten (§ 94), wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Wer sich ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird, verschafft, um es zu offenbaren (§ 95), wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar.

Schrifttum Insoweit wird auf die Angaben Vor § 93 verwiesen.

Entstehungsgeschichte Die Bestimmung, deren Absatz 1 (landesverräterische Ausspähung) dem früheren § 100 Abs. 2 im Wesentlichen entspricht, wurde durch das 8. StRÄndG1 eingefügt (zu rechtspolitischen Bedenken vgl. Paeffgen NK Rdn. 3). Sie erhielt ihre jetzige Fassung durch Art. 1 Nr. 33 des 1. StrRG2 und Art. 19 Nr. 17 EGStGB.3

Übersicht I.

Allgemeines

1

II.

Tatobjekt

III.

Tathandlungen

IV.

Verrats- (Absatz 1) oder Offenbarungsabsicht 4 (Absatz 2)

2 3

V.

Weitere subjektive Voraussetzungen

VI.

Versuch

6

7

VII. Zusammentreffen

8

VIII. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

9

I. Allgemeines Es handelt sich um zwei selbständige sogenannte Vorfeldtatbestände, durch die Vorberei- 1 tungshandlungen zum Landesverrat (§ 94) und zum Offenbaren von Staatsgeheimnissen (§ 95) als landesverräterische Ausspähung (Absatz 1) und als Auskundschaften von Staatsgeheimnissen (Absatz 2) unter Strafe gestellt sind; die Tatbestände knüpfen an § 94 und § 95 an. Die landesverräterische Ausspähung (Absatz 1) ist ein Verbrechen, das Auskundschaften von Staatsgeheimnissen (Absatz 2) ein Vergehenstatbestand (vgl. § 12). Vollständigkeitshalber ist auf § 114 OWiG hinzuweisen, der das unbefugte Betreten militärischer Anlagen mit Bußgeld belegt. Eine solche Ordnungswidrigkeit kann bei entsprechender Fallgestaltung gegeben sein, wenn der Nachweis einer strafbaren Handlung nach § 96 scheitert (vgl. § 21 OWiG).

II. Tatobjekt Als Tatobjekt kommt jeweils nur ein echtes Staatsgeheimnis im Sinne des § 93 in Betracht 2 (siehe dazu § 93 Rdn. 1 ff.). Das Verschaffen eines illegalen Staatsgeheimnisses (§ 93 Abs. 2) ist 1 Vom 25.6.1968 BGBl. I 741, 745. 2 Vom 25.6.1969 BGBl. I 645, 652. 3 Vom 2.3.1974 BGBl. I 469, 479. 431 https://doi.org/10.1515/9783110490008-031

Barthe/Schmidt

§ 96 StGB

Landesverräterische Ausspähung; Auskundschaften von Staatsgeheimnissen

über § 97a unter den dort beschriebenen Voraussetzungen strafbar. Beim Auskundschaften von Staatsgeheimnissen (Absatz 2) muss es sich zudem um ein Geheimnis handeln, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheim gehalten wird (siehe dazu § 95 Rdn. 4). Die Tatbestände sind nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und 6 des NTSG auf militärische Geheimnisse der NATO-Vertragsstaaten erweitert. Dazu, zu den sogenannten EuratomGeheimnissen und zu den Konkurrenzen s. § 95 Rdn. 6.

III. Tathandlungen 3 Das Sichverschaffen erfordert eine aktive, auf die Erlangung eines Staatsgeheimnisses gerichtete Tätigkeit, der nach Absatz 1 eine Verratsabsicht, nach Absatz 2 eine Offenbarungsabsicht zugrunde liegen muss (siehe Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 19). Die auf diese Willensrichtung zurückgehende Handlung muss dazu führen, dass der Täter das Staatsgeheimnis in irgendeiner Form aufnimmt; ist es dergestalt in einem Gegenstand verkörpert, dass eine Loslösung oder Übertragung dem Täter nicht möglich ist, wird die Erlangung von Gewahrsam vorausgesetzt. Nicht notwendig ist, dass der Täter das Staatsgeheimnis inhaltlich zur Kenntnis nimmt und den Sachverhalt versteht. Vielmehr genügt es, dass er sich in den Stand setzt, das Geheimnis weitergeben zu können, etwa durch bloßes unreflektiertes Auswendiglernen (z. B. einer Formel; s. dazu BGH bei Wagner GA 1961 143 Nr. 1 Abs. 1). Das Sichverschaffen kann auch auf vielfältige andere Weise erfolgen, z. B. durch Erlauschen, Beobachten, Ausfragen, Abschreiben oder -zeichnen, Ablichten, Fotografieren, durch Erpressung, Diebstahl u. ä. (vgl. auch H. Arndt ZStW 66 [1954] 41, 65 zu § 100a Abs. 2 a. F.; siehe ferner BGHSt 6 385; 24 72, 78 f.); selbst ein „formal legaler“ Weg kommt in Betracht (BGH bei Wagner GA 1961 144 Nr. 9), beispielsweise die statthafte Aushändigung durch den Verschlusssachenverwalter oder einen Vorgesetzten, insoweit allerdings vorausgesetzt, dass der Täter nicht lediglich unwesentliche Aktivitäten entwickelt hat, um an das Staatsgeheimnis zu gelangen. Das Fehlen der Befugnis, Zugang zu dem Staatsgeheimnis zu erlangen, ist dem Merkmal des Sichverschaffens nicht immanent (Maurach/ Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 42; Paeffgen NK Rdn. 5; anders Roeder ZStW 76 [1964] 359, 370 zu § 100 Abs. 2 a. F.).4 Grundsätzlich kann auch der zum Umgang mit dem Staatsgeheimnis Befugte körperlichen oder geistigen Zugriff im Sinne eines Sichverschaffens nehmen; eine Ausspähung oder ein Auskundschaften wird jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn der Täter besondere Anstalten oder Maßnahmen treffen muss (Anforderung ohne dienstlichen Anlass, Vorstelligwerden etc.), wenn er also nicht etwa nur den eigenen Panzerschrank zu öffnen braucht. Das ist z. B. der Fall, wenn sich ein Zivilangestellter im Datenverarbeitungs- und IT-Bereich der NATO den unbeschränkten Zugang zu geheimhaltungsbedürftigen Dateien verschafft (OLG Koblenz, Urt. v. 19.11.2013 – 3 StE 1/13-2). Ein – wie immer geartetes – Unterlassen oder ein zufälliges Erlangen des Staatsgeheimnisses (z. B. zufälliges Mithören, Fund) scheiden als Tathandlung im Allgemeinen aus; dies ergibt sich schon aus der Bedeutung des Verschaffens-Begriffs, der ein aktives Tun und einen „Erwerbswillen“ voraussetzt (vgl. H. Arndt a. a. O. S. 66; zu besonderen Fallkonstellationen beim Fund siehe Rdn. 5 a. E.).

IV. Verrats- (Absatz 1) oder Offenbarungsabsicht (Absatz 2) 4 Die für die Ausspähung (Absatz 1) erforderliche Verratsabsicht muss sich auf eine der beiden Begehensformen des Landesverrats beziehen, also entweder auf die zielgerichtete Mitteilung des Staatsgeheimnisses an eine fremde Macht bzw. einen ihrer Mittelsmänner (siehe § 94 Abs. 1 Nr. 1) oder auf das Gelangenlassen an einen Unbefugten bzw. das öffentliche Bekanntmachen

4 Vgl. zur Wortbedeutung auch Wahrig Wörterbuch der deutschen Sprache 6. Aufl. 1997 Stichwort „verschaffen“. Barthe/Schmidt

432

IV. Verrats- (Absatz 1) oder Offenbarungsabsicht (Absatz 2)

StGB § 96

in Benachteiligungs- oder Begünstigungsabsicht (§ 94 Abs. 1 Nr. 2).5 Beim Auskundschaften (Absatz 2) muss sich die Offenbarungsabsicht lediglich auf das Gelangenlassen an einen Unbefugten bzw. auf das öffentliche Bekanntmachen erstrecken (vgl. § 95). Die Verrats- oder Offenbarungsabsicht braucht nicht das alleinige Motiv des Täters zu sein. Daneben kann er auch von anderen Gründen bestimmt werden, beispielsweise eigener Neugier oder einem in Aussicht gestellten persönlichen Vorteil (vgl. H. Arndt ZStW 66 [1954] 41, 65). Die Absicht muss bereits zur Zeit des Sichverschaffens bestehen (vgl. BGH bei Wagner 5 GA 1961 145 Nr. 12). Wird sie erst im Nachhinein gefasst, fehlt es an dem erforderlichen Zweckzusammenhang mit der Tathandlung. Es genügt allerdings, wenn die Verrats- oder Offenbarungsabsicht bis zur Beendigung des Verschaffensaktes hinzutritt.6 Maßgeblich hierfür ist mithin der Zeitpunkt, zu dem der Täter alles getan hat, was im konkreten Fall zum Verschaffen gehört, ihm also beispielsweise den gesicherten Gewahrsam an einem Gegenstand vermittelt, der das Staatsgeheimnis verkörpert. Fraglich kann allerdings sein, ob und unter welchen Umständen ein Sichverschaffen auch dann in Betracht kommt, wenn jemand bereits – befugter- oder unbefugterweise – Gewahrsam an einem Staatsgeheimnis oder sonst Zugang zu ihm hat und erst jetzt eine Verrats- oder Offenbarungsabsicht fasst. Das Tatbestandsmerkmal dürfte hier jedenfalls dann erfüllt sein, wenn sich dieser Entschluss des Täters in einer finalen Handlungsweise manifestiert, die ersichtlich auf das neue Ziel, den Verrat, gerichtet ist und den Weg dazu gerade ermöglichen soll, wenn etwa die Beschaffenheit des Staatsgeheimnisses (Umfang, komplizierte Zusammenhänge u. a.) den Täter dazu nötigt, zusätzliche Maßnahmen (Ablichtungen, Erläuterungen etc.) zu treffen, um die geheimen Sachverhalte und Erkenntnisse dem amtlichen Schutzbereich zu entziehen (vgl. hier BGHSt 24 72, 78 f.) und dem Nutznießer der ins Auge gefassten Folgetat die Bedeutung der Vorgänge und ihre Verwertbarkeit vermitteln zu können (s. BGH bei Wagner GA 1961 143 C Nr. 1). Gleiches wird gelten, wenn der Täter selbst dienstlich keinen unmittelbaren, jederzeitigen Zugang zu geheimen Unterlagen hat, aber durch gezielte Aktenanforderung, durch Aushorchen von Kollegen oder durch nicht dienstlich veranlasste Nachforschungen in fremden Diensträumen an das Staatsgeheimnis herankommt. Wird dieser „Zugangsakt“, der dem Täter aufgrund seiner Nähe zum Staatsgeheimnis zwar von vornherein möglich war, in der erforderlichen Absicht vollzogen, so kann wohl ein – jetzt im Sinne der Folgetat zweckbestimmtes – Sichverschaffen bejaht werden. Anders dürfte es sich hingegen verhalten, wenn der Betroffene äußerlich keine Aktivitäten entfalten muss, um sich das Staatsgeheimnis im Sinne der gefassten Absicht verfügbar zu machen, etwa wenn er es schon vorher geistig erfasst, gewissermaßen „im Kopfe hat“, so dass das Herausbringen aus dem geschützten (dienstlichen) Bereich keinerlei Anstalten erfordert.7 Besondere Fallgestaltungen können sich beim Fund eines Staatsgeheimnisses ergeben (siehe dazu Rdn. 3 a. E.). Erkennt der Finder sofort dessen Bedeutung oder rechnet er mit der Möglichkeit, dass es sich um ein Staatsgeheimnis handelt, wird er auch dann noch, während er den Gegenstand an sich nimmt, die entsprechende Verrats- oder Offenbarensabsicht fassen können, weil die Verschaffenshandlung noch nicht beendet ist. Nimmt er indessen den Gegenstand an sich, um ihn aus anderen als den in § 96 umschriebenen Gründen für sich zu behalten oder um ihn abzuliefern, ist die später hinzutretende Absicht im Sinne des § 96 Abs. 1 oder Abs. 2 insoweit folgenlos. Das bloße Unterlassen einer Anzeige oder der Ablieferung (vgl. §§ 965, 978 BGB) erfüllt den Tatbestand ohnehin nicht (siehe auch Rdn. 3).

5 Vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5 f.; Wolter SK Rdn. 6; Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Lampe/ Hegmann MK Rdn. 7. 6 Vgl. Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Lampe/ Hegmann MK Rdn. 7. 7 Vgl. hierzu Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; enger wohl Wolter SK Rdn. 6; Lackner/Kühl/ Kühl Rdn. 3; Sonnen AK Rdn. 5; Lampe/Hegmann MK Rdn. 5. 433

Barthe/Schmidt

§ 96 StGB

Landesverräterische Ausspähung; Auskundschaften von Staatsgeheimnissen

V. Weitere subjektive Voraussetzungen 6 Die geforderte Absicht braucht sich nicht auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Staatsgeheimnisses und die für die Bundesrepublik im Offenbarungsfalle erwachsende konkrete Gefahr für die äußere Sicherheit zu erstrecken; insoweit genügt bedingter Vorsatz. Dies ergibt der systematische Zusammenhang zwischen den Bestimmungen der §§ 94, 95 und 96 Abs. 1 und 2. Die Formulierung „um es zu verraten“ bzw. „um es zu offenbaren“ kennzeichnet nur den weiteren Tatplan, die Vorstellung des Täters über den weiteren Verlauf seines Handelns zur Erfüllung jener Deliktstatbestände, das allerdings im Falle des § 94 Abs. 1 Nr. 2 seinerseits von einer bestimmten Absicht getragen sein muss. Bei irriger Annahme, ein legales Geheimnis sei illegal (§ 93 Abs. 2), kann der Täter nach § 97b zu bestrafen sein. Geht er hingegen irrtümlich davon aus, ein illegales Geheimnis sei legal, gilt bei der mit einer Verratsabsicht im Sinne des § 94 Abs. 1 Nr. 1 einhergehenden landesverräterischen Ausspähung (Absatz 1) die Bestimmung des § 97a (siehe dort S. 2); im Übrigen (landesverräterische Ausspähung bei Verratsabsicht nach § 94 Abs. 1 Nr. 2) und auch beim Auskundschaften (Absatz 2) eines illegalen, aber vom Täter für legal gehaltenen Geheimnisses kommt untauglicher Versuch in Betracht (vgl. § 94 Rdn. 11).

VI. Versuch 7 Der Versuch ist hinsichtlich beider Tatbestände strafbedroht; bei dem Vergehen nach Absatz 2 (Auskundschaften) ist dies ausdrücklich normiert (vgl. § 23 Abs. 1). Wie allgemein ist das Versuchsstadium erreicht, wenn unmittelbar zur Ausspähung (Absatz 1) oder zum Auskundschaften (Absatz 2) angesetzt wird. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Täter Verschlusssachen, bei denen es sich um Staatsgeheimnisse handelt, aussortiert, um sie abzulichten, oder wenn er eine Kamera mit zur Dienststelle nimmt, um hierfür bereitgelegte Dokumente in Verrats- oder Offenbarungsabsicht zu fotografieren. Der Erwerb einer Kamera zu diesem Zweck ist lediglich eine straflose Vorbereitungshandlung. Ein Versuch kann auch darin zu sehen sein, dass sich der Täter mit einem Geheimnisträger verabredet, um diesen gezielt (konkretisiert) im Gespräch auszuhorchen;8 des Weiteren in dem Beginn der Überwindung von Sperren oder Kontrollmaßnahmen. Soll nach dem Plan des Täters die Handlung noch nicht dazu führen, das Staatsgeheimnis zu erlangen, sondern ihn nur näher an sein Ziel zu bringen, so kann es an einem unmittelbaren Ansetzen zur Tat fehlen, etwa dann, wenn der Täter zunächst von Dritten nur einen Weg zum Geheimnisträger oder zum Geheimnis selbst zu erfahren sucht, sich beispielsweise erst Sperr- und Kontrollmaßnahmen erläutern lässt. Die Ausspähung „vermeintlicher Staatsgeheimnisse“ kann als untauglicher Versuch zu werten sein (s. OLG Hamm bei Wagner GA 1961 145 Nr. 11 und 13; BGH NJW 1958 2025).

VII. Zusammentreffen 8 Die landesverräterische Ausspähung (Absatz 1) tritt gegenüber dem vollendeten und dem versuchten Landesverrat (§ 94) zurück, sofern ein und dasselbe Staatsgeheimnis in Rede steht; die Ausspähung ist lediglich Vorbereitungshandlung und Vorstufe der Verwirklichung des Landesverrats.9 Werden dagegen verschiedene Staatsgeheimnisse einerseits ausgespäht, andererseits 8 Vgl. BGHSt 6 385; BGH bei Wagner GA 1961 143 f. C Nr. 1 und 7; BGH NJW 1958 2025; OLG Hamm bei Wagner GA 1961 145 Nr. 11 und 13; aA Paeffgen NK Rdn. 8.

9 Zur Subsidiarität sogenannter Durchgangsdelikte s. Rissing-van Saan LK Vor § 52 Rdn. 150; Konsumtion nehmen Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 42 und 48 unter Berufung auf BGHSt 6 385, 390 an; wie hier aber Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 18; Wolter SK Rdn. 13; vgl. auch RGSt 19 13, 15; H. Arndt ZStW 66 (1954) 41, 67. Barthe/Schmidt

434

VIII. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

StGB § 96

verraten, so kann Tateinheit zwischen Landesverrat (§ 94) und landesverräterischer Ausspähung (§ 96 Abs. 1) bestehen. Gleiches gilt für das Verhältnis des Auskundschaftens von Staatsgeheimnissen (Absatz 2) zum Offenbaren von Staatsgeheimnissen (§ 95). Ist der Landesverrat im Vorbereitungsstadium des Versuchs der Beteiligung (im Sinne des § 30) steckengeblieben (etwa versuchte Anstiftung, Verabredung zum Landesverrat), kommt Tateinheit mit landesverräterischer Ausspähung (§ 96 Abs. 1) oder deren Versuch (§§ 96 Abs. 1, 22) in Betracht10 Tritt der Täter vom versuchten Landesverrat (§§ 94, 22 bis 24) oder auch von der Verabredung zum Landesverrat (siehe §§ 94, 30 Abs. 2, 31) zurück, so bewirkt dies – im Blick auf dasselbe Staatsgeheimnis – keine Strafbefreiung für das vollendete Delikt nach § 96 Abs. 1 (siehe zu Begründung und Streitstand im Einzelnen bei § 94 Rdn. 19). Zwischen § 96 Abs. 1 und § 97a ist Tateinheit möglich, wenn ein legales Staatsgeheimnis und ein illegales Geheimnis (§ 93 Abs. 2), das von § 97a erfasst wird, Gegenstand der Ausspähung sind. Die landesverräterische Ausspähung (§ 96 Abs. 1) geht der landesverräterischen Agententä- 8a tigkeit (§ 98) sowie der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99) aufgrund der in diesen Bestimmungen enthaltenen Subsidiaritätsklauseln vor. Das gilt auch dann, wenn die geheimdienstliche Agententätigkeit vorwiegend anderen Zielen gedient hat als der Ausspähung von Staatsgeheimnissen (BGHSt 24 72, 79 f.) oder wenn es nur zum Versuch der Ausspähung (§§ 96 Abs. 1, 22) gekommen ist. Begeht der Täter beim Ausspähen (Absatz 1) oder Auskundschaften (Absatz 2) des Staatsgeheimnisses weitere Straftaten („Verschaffungstaten“, z. B. Diebstahl, Erpressung, Bestechung), besteht Tateinheit (H. Arndt ZStW 66 [1954] 41, 67). Das wird auch für das Ausspähen von Daten (§ 202a) gelten, weil jener Tatbestand die Überwindung einer besonderen Sicherung gegen unbefugten Zugang erfordert und nach § 96 bestimmte Anforderungen an das Tatobjekt, ein Staatsgeheimnis, gestellt werden; Gesetzeskonkurrenz wird danach ausscheiden (vgl. zu deren Voraussetzungen Rissing-van Saan LK Vor § 52 Rdn. 107 ff.). Siehe im Übrigen zum Zusammentreffen § 94 Rdn. 18 bis 20.

VIII. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges Als Nebenfolge kommt nach § 101 in Betracht, dem Täter die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu 9 bekleiden oder Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, oder das Recht abzuerkennen, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen. § 101a sieht die Einziehung von Gegenständen nach näherer Maßgabe vor. Hinsichtlich finanzieller Zuwendungen ist die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB anzuordnen (vgl. § 101a Rdn. 8). Das Vermögen oder einzelne Vermögensgegenstände eines Beschuldigten, gegen den wegen einer Straftat nach § 96 Abs. 1 StGB die öffentliche Klage erhoben oder Haftbefehl erlassen worden ist, können mit Beschlag belegt werden (§ 443 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Zur Zuständigkeit vgl. Vor § 93 Rdn. 14, zu besonderen Möglichkeiten des Absehens von der Strafverfolgung sind die §§ 153c Abs. 2 und 4, 153d, 153e StPO zu beachten (dazu Vor § 93 Rdn. 10). Die Nichtanzeige sowohl der landesverräterischen Ausspähung (Absatz 1) als auch des Auskundschaftens von Staatsgeheimnissen (Absatz 2) ist unter Strafe gestellt (§ 138 Abs. 1 Nr. 3).

10 Vgl. Fischer Rdn. 5; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 18; aA BGHSt 6 385, 390 f.; Lackner/Kühl/Kühl § 94 Rdn. 9; vgl. dazu auch § 94 Rdn. 19. 435

Barthe/Schmidt

§ 97 Preisgabe von Staatsgeheimnissen (1) Wer ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird, an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht und dadurch fahrlässig die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird und das ihm kraft seines Amtes, seiner Dienststellung oder eines von einer amtlichen Stelle erteilten Auftrags zugänglich war, leichtfertig an einen Unbefugten gelangen läßt und dadurch fahrlässig die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) Die Tat wird nur mit Ermächtigung der Bundesregierung verfolgt.

Schrifttum Auf die Hinweise Vor § 93 wird Bezug genommen.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift über die Preisgabe von Staatsgeheimnissen wurde durch das 8. StRÄndG1 neu konzipiert; sie ist dem früheren § 100c (a. F.) nachgefolgt und erhielt durch Art. 19 Nr. 18 EGStGB2 ihre gesetzliche Überschrift. Siehe zum Zustandekommen u. a. SPD-Entwurf BTDrucks. V/102 S. 2, 8 f. (dort § 100); RegE BTDrucks. V/898 S. 8, 33 f. (dort § 99c), Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 19 f.; Prot. V/1461 ff., 1509, 1973 ff. Vgl. auch A E § A 19 und E 1962 § 385 BTDrucks. IV/650.

Übersicht I.

Allgemeines

II.

Vorsätzliche Preisgabe von Staatsgeheimnissen 2 (Absatz 1) 2 Tatobjekt 3 Tathandlung und Nachteilsgefahr 4 Innerer Tatbestand 6 Versuch und Beteiligung

1. 2. 3. 4. III. 1.

1

Leichtfertige Preisgabe von Staatsgeheimnissen 7 (Absatz 2) 7 Tatobjekt und Täterkreis 7a a) Kraft Amtes oder Dienststellung 8 b) Kraft Auftrages 9 c) Zugänglichkeit

2. 3.

4.

10 Tathandlung und Nachteilsgefahr 11 Innerer Tatbestand a) Voraussetzungen des Staatsgeheimnisses, tatsächliche Geheimhaltung und Stellung des Täters 11a 11b b) Gelangenlassen an Unbefugten 11c c) Nachteilsgefahr 12 Versuch und Beteiligung

IV.

Militärische Geheimnisse der NATO-Vertragsstaa13 ten, Euratom-Geheimnisse

V.

Rechtfertigung

13a

1 Vom 25.6.1968 BGBl. I 741, 745. 2 Vom 2.3.1974 BGBl. I 469, 479. Barthe/Schmidt https://doi.org/10.1515/9783110490008-032

436

II. Vorsätzliche Preisgabe von Staatsgeheimnissen (Absatz 1)

VI.

Presseinhaltsdelikte

VII. Strafverfolgung

13b 14

VIII. Zusammentreffen IX.

StGB § 97

15

Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

16

I. Allgemeines Die Bestimmung enthält zwei Tatbestände. Absatz 1 stellt die vorsätzliche Preisgabe eines 1 auch faktisch geheim gehaltenen Staatsgeheimnisses mit der Folge fahrlässiger Verursachung der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit unter Strafe; dabei handelt es sich um eine sogenannte Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination.3 Nach Absatz 2 ist die leichtfertige Preisgabe eines faktisch geheim gehaltenen Staatsgeheimnisses mit ebenfalls fahrlässig herbeigeführter Gefährdungsfolge strafbar; da hier nur ein besonderer Täterkreis in Betracht kommt, erweist sich dieser Tatbestand als echtes Sonderdelikt. Beide Tatbestände ergänzen die Strafvorschrift über das Offenbaren von Staatsgeheimnissen (§ 95), die hinsichtlich der bewirkten Gefahr subjektiv mehr, nämlich Vorsatz voraussetzt. Die Vergehenstatbestände (siehe § 12) des § 97 sind – wie auch § 95 – allgemeines, vorbehaltenes Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG.4 Für die Pönalisierung der leichtfertigen Preisgabe nach Absatz 2 besteht nach wie vor ein kriminalpolitisches Bedürfnis; die Strafvorschrift über die Verletzung eines Dienstgeheimnisses (§ 353b Abs. 1) erfordert für die Tathandlung Vorsatz; disziplinarrechtliche Maßnahmen können nur im Bereich des Dienstrechts greifen (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 20).

II. Vorsätzliche Preisgabe von Staatsgeheimnissen (Absatz 1) 1. Tatobjekt Gegenstand des strafrechtlichen Schutzes ist auch hier das echte (materielle) Staatsgeheimnis 2 (im Sinne des § 93), das überdies von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheim gehalten wird (faktisches Element; siehe dazu im Einzelnen § 95 Rdn. 3 f.). Gibt der Täter ein illegales Staatsgeheimnis (im Sinne des § 93 Abs. 2) preis, ist er nicht nach § 97 strafbar; es fehlt eine Bestimmung, welche die Strafbarkeit hierauf erstreckt (anders § 97a für den Landesverrat [nach § 94 Abs. 1 Nr. 1] und die landesverräterische Ausspähung [§ 96 Abs. 1]).

2. Tathandlung und Nachteilsgefahr Die Tathandlung besteht wie beim Offenbaren im Sinne des § 95 darin, dass der Täter das Staats- 3 geheimnis an einen Unbefugten gelangen lässt (dazu § 94 Rdn. 4 ff., § 93 Rdn. 26 ff.) oder öffentlich bekanntmacht (siehe § 94 Rdn. 76). Dadurch – als Folge – muss die konkrete Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik herbeigeführt worden sein (siehe § 94 Rdn. 8 f.; § 93 Rdn. 13 bis 18). Das Merkmal der Gefährdung ist nicht schon dann erfüllt, wenn nach allgemeinen Erfahrungssätzen (abstrakt) eine Gefahr heraufbeschworen wird; vielmehr ist erforderlich, dass im gegebenen Einzelfall (konkret) eine Gefahr geschaffen worden ist. Es muss also – infolge der Tathandlung – die auf Tatsachen beruhende Wahrscheinlichkeit bestehen, das Staatsgeheimnis werde unmittelbar oder mittelbar einer fremden Macht zugänglich werden, vor der es zum Schutze der äußeren Sicherheit (siehe § 93 Abs. 1) geheim gehalten werden muss. Tatsachen, die diese Wahrscheinlichkeit begründen, können beispielsweise schon in der Person eines Unbefugten, aber auch außerhalb seines Persönlichkeitsbe3 Vgl. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 104 ff.; zum Begriff Krey/Schneider NJW 1970 640. 4 Vgl. BVerfGE 20 162, 177 f.; 21 239, 242; 57 250, 268; 92 277, 317 f.; siehe auch § 93 Rdn. 33. 437

Barthe/Schmidt

§ 97 StGB

Preisgabe von Staatsgeheimnissen

reichs liegen (Absatz 1 Alternative 1).5 Ob eine konkrete Gefahr eingetreten ist, ist Tatfrage (vgl. Jagusch Anm. zu BGH LM [1957] Nr. 5 zu § 99 [a. F.]; Lange JZ 1965 297, 299). Sie wird im Falle des öffentlichen Bekanntmachens (Absatz 1 Alternative 2) regelmäßig zu bejahen sein; es liegt auf der Hand, dass fremde Mächte in Verfolgung ihres umfassenden Aufklärungsinteresses die einschlägigen Veröffentlichungen auswerten lassen und so Zugriff auf das Staatsgeheimnis nehmen (siehe auch Rdn. 5).

3. Innerer Tatbestand 4 Subjektiv ist – abgesehen von der Gefährdungsfolge – mindestens bedingter Vorsatz erforderlich. Dieser muss auch die Merkmale des Staatsgeheimnisbegriffs sowie die amtliche oder amtlich veranlasste Geheimhaltung umfassen; insoweit besteht kein Unterschied zum Tatbestand des Offenbarens von Staatsgeheimnissen (§ 95). Hinsichtlich der Herbeiführung der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik genügt Fahrlässigkeit; bedingter Vorsatz insoweit führt bereits zur Strafbarkeit nach § 95. Fahrlässig handelt, wer bei der ihm nach den Umständen möglichen, nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten zumutbaren Sorgfalt hätte erkennen müssen, dass durch sein – insoweit vorsätzliches – Verhalten das Staatsgeheimnis unmittelbar oder mittelbar einer fremden Macht zugänglich werden könne. Voraussehbar ist im Allgemeinen nicht nur die regelmäßige, sondern auch die nur mögliche Folge des Verhaltens des Täters, sofern sie für ihn nicht außerhalb aller Lebenserfahrung liegt. Ein strenger Maßstab wird dann gelten müssen, wenn es sich um einen besonders sachkundigen Täter, etwa um einen mit Geheimsachen befassten Offizier oder um einen Bediensteten eines Verfassungsschutzamtes, handelt (vgl. BGHSt 20 342, 348 f.). Fahrlässigkeit hinsichtlich der Gefährdung der äußeren Sicherheit kann allerdings nicht allein schon darin gesehen werden, dass der Täter das Staatsgeheimnis überhaupt an einen Unbefugten hat gelangen lassen. Dies gilt auch dann, wenn er mit der Weitergabe dienst- oder sonst pflichtwidrig gehandelt, beispielsweise gegen eine Verschlusssachenanweisung verstoßen hat. Eine solche Pflichtverletzung wird aber Ausgangspunkt weiterer Erwägungen zur inneren Tatseite sein. Gerade der Verstoß gegen interne Geheimhaltungsanweisungen kann sich als gewichtiges Indiz für die Annahme fahrlässigen Handelns erweisen. Diese Vorschriften resultieren aus langzeitigen Erfahrungen im Umgang mit Geheimnissen. Sie signalisieren, dass bei ihrer Übertretung eine konkrete Gefahr, der sie begegnen wollen, nicht fern liegt. Dieser Erfahrungswert, der in der Regel durch wiederholte Belehrungen und Hinweise stetig vor Augen geführt wird, wird daher bei der Beurteilung einer Tat, die unter Missachtung der Geheimhaltungsanweisungen begangen wurde, meist schwerer wiegen als etwa die zur Verteidigung angeführte scheinbare Vertrauenswürdigkeit des Unbefugten, für die oft nur unsichere Anhaltspunkte geltend gemacht werden können (Lange JZ 1965 297, 300). Entscheidend werden hier jedoch grundsätzlich die Umstände des einzelnen Falles sein (vgl. BGH MDR 1963 426 Nr. 120; BGHSt 20 342, 349, 378 ff. zu dem Fall der Unterrichtung eines um Rechtsrat angegangenen Anwalts). Hat der Täter das Staatsgeheimnis – vorsätzlich – öffentlich bekannt gemacht (Absatz 1 Al5 ternative 2), so wird allerdings nur bei außergewöhnlichen Fallgestaltungen eine bloß fahrlässige Gefahrenverursachung in Betracht kommen. In der Regel wird hier der Täter auch hinsichtlich der Tatfolge bedingt vorsätzlich handeln und mithin den Tatbestand des § 95 (Offenbaren eines Staatsgeheimnisses) erfüllen; wer die Staatsgeheimnisqualität bestimmter Vorgänge und deren Bekanntgabe bewusst in Kauf nimmt, wer also mit der abstrakten Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit im Falle der Kenntnisnahme durch eine fremde Macht rechnet, der wird regelmäßig auch die durch sein Handeln heraufbeschworene konkrete Gefahr wenigstens billigend in Kauf nehmen. Indessen lässt sich eine nur fahrlässige Herbeiführung dieser Gefahr in den Fällen des öf5 Vgl. BGH MDR 1963 426 Nr. 120; BGHSt 20 342, 348, jeweils zu § 100c StGB a. F.; vgl. ferner Lange JZ 1965 297 ff.; Paeffgen NK Rdn. 4; ausführlicher hierzu § 94 Rdn. 8 und – zur abstrakten Gefahr – § 93 Rdn. 14. Barthe/Schmidt

438

III. Leichtfertige Preisgabe von Staatsgeheimnissen (Absatz 2)

StGB § 97

fentlichen Bekanntmachens nicht völlig ausschließen6 Für subjektive Differenzierungen wird vor allem dort Raum sein, wo bei Beurteilung der konkreten Gefahr eine Saldierung mit durch die Tat herbeigeführten Vorteilen in Frage kommt (vgl. § 93 Rdn. 17).

4. Versuch und Beteiligung Eine Teilnahme an der (vorsätzlichen) Preisgabe eines Staatsgeheimnisses (Absatz 1) ist mög- 6 lich. Eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination wie hier ändert nichts daran, dass sich die Tat als Vorsatztat im Sinne der Teilnahmebestimmungen darstellt (siehe § 11 Abs. 2). Erforderlich ist allerdings, dass dem Teilnehmer im Hinblick auf die konkrete Gefährdung ebenfalls Fahrlässigkeit zur Last fällt (vgl. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 109; Paeffgen NK Rdn. 8). Der Versuch ist nicht strafbar (siehe §§ 12, 23 Abs. 1).

III. Leichtfertige Preisgabe von Staatsgeheimnissen (Absatz 2) 1. Tatobjekt und Täterkreis Tatobjekt ist hier ebenfalls ein auch faktisch geheim gehaltenes Staatsgeheimnis (siehe Rdn. 2; 7 § 95 Rdn. 3). Allerdings ist der Täterkreis beschränkt: Das Staatsgeheimnis muss dem Täter kraft seines Amtes, seiner Dienststellung oder eines von einer amtlichen Stelle erteilten Auftrages zugänglich gewesen sein.

a) Kraft Amtes oder Dienststellung. Kraft Amtes ist das Staatsgeheimnis zugänglich, wenn 7a der Täter zu ihm als Amtsträger in einer amtlichen Beziehung steht (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2). Ähnliches gilt für den Begriff der Dienststellung: Gerade sie muss ihm die Preisgabe ermöglichen. Der Täter handelt in der Regel als Angehöriger des öffentlichen Dienstes. Die gesonderte Nennung dieser Alternative neben dem Amtsinhaber spricht jedoch dafür, dass hier eine funktionale, weitreichende Betrachtungsweise am Platz ist. Erfasst werden grundsätzlich auch Angestellte und Arbeiter, wenn sie bei einer Behörde, einem Gericht oder bei einer anderen Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, beschäftigt oder für sie tätig sind, aber auch Personen, die sonst wie aufgrund eines Dienstvertrages diesem Bereich zuzurechnen sind. Einer förmlichen Verpflichtung auf die gewissenhafte Erfüllung der Obliegenheiten,7 wie sie z. B. in § 353b Abs. 1 Nr. 2 vorausgesetzt wird, bedarf es nicht. Die Tatbestandsalternative „Zugänglichkeit kraft Dienststellung“ dürfte danach all diejenigen Fälle ergreifen, in denen der Täter nicht als Privater Zugang zum Staatsgeheimnis hat. b) Kraft Auftrages. Kraft eines von einer amtlichen Stelle (siehe dazu § 95 Rdn. 4) erteilten 8 Auftrags hat der Täter Zugang, wenn ihm – auch als Privatmann – dieses im Rahmen der Auftragserfüllung ermöglicht wird. Typischerweise wird das der Fall sein bei Gutachtens-, Forschungs- und Fertigungsaufträgen an Unternehmen, an Forschungsinstitute und Sachverständige. Der Auftrag muss nicht unmittelbar dem Täter selbst erteilt sein; es genügt, wenn der Täter im Rahmen des an seinen Arbeitgeber gerichteten Auftrags tätig wird und er dies weiß. Die von Hengsberger LK9 vertretene Ansicht, diese Alternative (Zugang kraft Auftrages) ergreife nur Personen in leitender Stellung, also nicht etwa untergeordnet bei der Auftragserfüllung Tätige, 6 So auch Wolter SK Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 7; Lampe/Hegmann MK Rdn. 9; aA Fischer Rdn. 3. 7 Aufgrund des Gesetzes über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen in der Fassung des Art. 42 EGStGB vom 2.3.1974 BGBl. I 469, 547, Änderungsgesetz vom 15.8.1974 BGBl. I 1942. 439

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§ 97 StGB

Preisgabe von Staatsgeheimnissen

ist nach dem Wortlaut des Absatzes 2 nicht zwingend. Dort ist nicht von einem „ihm“ – dem Täter – erteilten Auftrag, sondern ganz allgemein von „einem Auftrag“ die Rede. Andererseits gilt es, den hier angesprochenen Täterkreis abgrenzbar und allgemein bestimmbar zu halten. Diese Eingrenzung wird aber durch die Verknüpfung mit dem Merkmal der Zugänglichkeit zu leisten sein: Gerade der Auftrag und seine Erfüllung müssen die Zugriffsmöglichkeit schaffen. Mit anderen Worten: Die Stellung des Täters muss eine gewisse Nähe zum Auftrag haben, die beispielsweise der Raumpflegerin in einem Industriebetrieb oder Forschungsinstitut in aller Regel abgehen wird; anders kann es indessen auch hier liegen, wenn etwa – um im Beispiel zu bleiben – Pflegepersonal aus Sicherheitsgründen eigens für einen bestimmten, räumlich abgegrenzten Geheimbereich ausgesucht und bestellt worden ist.

9 c) Zugänglichkeit. Die Zugänglichkeit aufgrund der vorbezeichneten Stellung des Täters meint nicht die rechtliche Befugnis zum Zugriff. Es genügt, dass der Täter aufgrund seiner Stellung oder infolge seiner Nähe zu dem erteilten Auftrag die tatsächliche Möglichkeit hat, sich die Kenntnis des Staatsgeheimnisses oder den Besitz an dem das Staatsgeheimnis verkörpernden Gegenstand zu verschaffen. Das kann auch in der Weise geschehen, dass er – immer jedoch in Ausnutzung seiner Stellung – seine internen Befugnisse überschreitet, z. B. verbotenerweise Unterlagen eines Mitarbeiters oder seines Chefs einsieht (vgl. in anderem Zusammenhang: RGSt 32 265, 267). Nicht erforderlich ist, dass er bei Tatbeginn bereits Kenntnis oder Besitz hat; es reicht hin, wenn er sich das Staatsgeheimnis mit Tatbeginn aufgrund der vorhandenen Zugangsmöglichkeit verschafft. Erfährt er dieses von dritter Seite und gibt es preis, so ist der Tatbestand des § 97 Abs. 2 nicht erfüllt, wiewohl die Zugangsmöglichkeit im Sinne der Vorschrift bestehen mag. In solchem Falle fehlt es an der vom Tatbestand vorausgesetzten Verknüpfung zwischen dem äußeren Tatgeschehen und der Stellung des Täters (vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Wolter SK Rdn. 8; Lampe/Hegmann MK Rdn. 12).

2. Tathandlung und Nachteilsgefahr 10 Strafbedroht ist hier allein das Gelangenlassen an einen Unbefugten; das öffentliche Bekanntmachen wird als Tathandlung nicht aufgeführt. Daraus ergibt sich indessen keine Einengung des Bereichs der abgedeckten Tathandlungen; das öffentliche Bekanntmachen ist nur eine modifizierte Form des Gelangenlassens an einen Unbefugten, wird also hiervon mit erfasst (vgl. § 94 Rdn. 6; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10 f.). Allgemein zu diesem Merkmal siehe die Kommentierung zu § 94 Rdn. 4 f. Ob jemand zum Umgang mit einem Staatsgeheimnis befugt ist oder nicht, richtet sich nach den für den jeweiligen Bereich getroffenen Regelungen oder, wenn solche nicht bestehen, nach Natur und Eigenart des Vorganges. Allein die Ermächtigung zum Handhaben von Verschlusssachen bis zu einer bestimmten Geheimhaltungsstufe erlaubt noch nicht den Zugang zu allen Geheimsachen dieser Art. Auch bei der leichtfertigen Preisgabe muss durch das Gelangenlassen an einen Unbefugten 10a die konkrete Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik herbeigeführt worden sein (dazu Rdn. 3; § 94 Rdn. 8 f.).

3. Innerer Tatbestand 11 Auf der subjektiven Tatseite gelten, wie Aufbau und Wortlaut der Vorschrift zeigen, dreierlei Maßstäbe:

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III. Leichtfertige Preisgabe von Staatsgeheimnissen (Absatz 2)

StGB § 97

a) Voraussetzungen des Staatsgeheimnisses, tatsächliche Geheimhaltung und Stel- 11a lung des Täters. Des mindestens bedingten Vorsatzes bedarf es hinsichtlich der Voraussetzungen des Staatsgeheimnisses, dessen tatsächlicher Geheimhaltung und der besonderen Stellung des Täters (so auch Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Paeffgen NK Rdn. 16; Wolter SK Rdn. 9; Lampe/Hegmann MK Rdn. 13; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14, der im Blick auf das Staatsgeheimnis und die Zugänglichkeit lediglich Leichtfertigkeit verlangt).

b) Gelangenlassen an Unbefugten. Bei der eigentlichen Tathandlung, dem Gelangenlassen 11b des Staatsgeheimnisses an einen Unbefugten, muss dem Täter Leichtfertigkeit zur Last fallen. Kurz gesagt: Er muss grob fahrlässig, jedenfalls aber mit einem erhöhten Grad von Fahrlässigkeit handeln, also eine schwerwiegende Sorgfaltspflichtverletzung begehen.8 Der Maßstab lässt sich auch umschreiben mit besonderem Leichtsinn, besonderer Gleichgültigkeit oder grober Achtlosigkeit (vgl. OLG Hamm NStZ 1983 459 f.). Bei der Beurteilung ist auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abzuheben (vgl. Fischer § 15 Rdn. 20). Leichtfertig wird beispielsweise regelmäßig derjenige handeln, der eine Unterlage, die ein Staatsgeheimnis enthält und als Verschlusssache mit dem Grad „GEHEIM“ oder „STRENG GEHEIM“ eingestuft ist, während seiner Abwesenheit offen in seinem Arbeitszimmer liegen lässt, wer den Schlüssel seines Panzerschranks nicht abzieht oder bei längerer Abwesenheit die Zahlenkombination des Panzerschrankschlosses nicht verwirft; ferner derjenige, der Durchschlag- oder Konzeptpapier, das die Entzifferung eines Staatsgeheimnisses ermöglicht, in einen allgemein zugänglichen Papierkorb wirft, Diktattonbänder nicht löscht und dennoch offen ablegt, entgegen einer Verschlusssachenanweisung Unterlagen, die ein Staatsgeheimnis enthalten, ungeschützt transportiert, sie so unsicher verwahrt, dass unbefugte Dritte ohne Weiteres Kenntnis nehmen oder sie ablichten können. Solches wird weiter anzunehmen sein bei der Aufbewahrung von Unterlagen in einem geparkten Fahrzeug oder in einer ungesicherten Wohnung; schließlich auch dann, wenn die Wohnung zwar gesichert ist, die sonstigen häuslichen Verhältnisse eine Einsichtnahme Unbefugter (auch Familienangehöriger) aber nicht als ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15). Darüber hinaus drängt sich die Annahme von Leichtfertigkeit auf, wenn jemand in einem öffentlichen Verkehrsmittel oder sonst außerhalb des dienstlichen Bereichs Unterlagen „vergisst“, sich in der Öffentlichkeit mit einem anderen Befugten über den Gegenstand eines Staatsgeheimnisses unterhält, Ferngespräche über nicht abhörsichere Telefonleitungen oder gar über Mobiltelefon führt und moderne Kommunikationsformen wie Email oder SMS benutzt. Neben diesen Fällen des leichtfertigen Gelangenlassens an einen Unbefugten gibt es aber auch solche, in denen der Täter das Staatsgeheimnis vorsätzlich weitergibt, indessen leichtfertig davon ausgeht, der Dritte sei „Befugter“, die Leichtfertigkeit sich also nur auf die Fehleinschätzung der Befugnis bezieht (vgl. Fischer Rdn. 4). So kann es beispielsweise liegen, wenn sich der Täter nicht hinreichend vergewissert, ob sein Gesprächspartner zum Umgang mit Verschlusssachen der in Betracht kommenden Geheimhaltungsstufe berechtigt ist.

c) Nachteilsgefahr. Endlich genügt hier ebenso wie bei dem Tatbestand des Absatzes 1 für die 11c Verursachung der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit einfache Fahrlässigkeit. Insoweit wird auf Rdn. 4 und die Kommentierung bei § 94 Rdn. 8 f. verwiesen. 4. Versuch und Beteiligung Der Versuch ist nicht strafbar (§§ 12, 23 Abs. 1); eine Teilnahme ist nicht möglich, weil sie hin- 12 sichtlich der Tathandlung des Haupttäters Vorsatz erfordern würde (vgl. §§ 11 Abs. 2, 26, 27 Abs. 1). 8 Zum Begriff der Leichtfertigkeit vgl. Paeffgen NK Rdn. 17 m. w. N.; siehe auch BGHSt 14 240, 255; 20 315, 323 f. 441

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Preisgabe von Staatsgeheimnissen

IV. Militärische Geheimnisse der NATO-Vertragsstaaten, Euratom-Geheimnisse 13 Beide Tatbestände sind nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 Nr. 1, 3, 6 und 7 des NTSG auf militärische Geheimnisse der NATO-Vertragsstaaten erweitert (abgedruckt Vor § 93 Rdn. 8a; siehe dazu näher Vor § 93 Rdn. 7 ff.; § 93 Rdn. 18, 24). Zu den Konkurrenzen siehe bei § 94 Rdn. 20; zu den sogenannten Euratom-Geheimnissen vgl. Vor § 93 Rdn. 9; § 93 Rdn. 18 und 24 sowie § 94 Rdn. 10 und 20.

V. Rechtfertigung 13a Zur Frage einer Rechtfertigung siehe bei § 93 Rdn. 30 ff. und § 95 Rdn. 7.

VI. Presseinhaltsdelikte 13b Bei Presseinhaltsdelikten sind die besonderen Verjährungsvorschriften der Landespressegesetze zu beachten (siehe bei § 94 Rdn. 22; § 95 Rdn. 11).

VII. Strafverfolgung 14 Die Strafverfolgung setzt für beide Tatbestände die Ermächtigung der Bundesregierung voraus (Absatz 3; vgl. §§ 77e, 77d Abs. 1). Diese wird durch den jeweils fachlich zuständigen Ressortminister erteilt, in dessen Geschäftsbereich das Staatsgeheimnis angesiedelt ist. Der Minister handelt dabei – unter seiner eigenen Amtsbezeichnung – ausdrücklich oder stillschweigend namens der Bundesregierung. Er ist berechtigt, für seinen Bereich die Bundesregierung nach außen zu vertreten (vgl. Art. 65 GG), und nicht verpflichtet, seine Ressortzuständigkeit und eine etwaige im Innenverhältnis gebotene Billigung durch andere Minister oder das Kabinett nachzuweisen. Seine Erklärung gegenüber der Strafverfolgungsbehörde gilt als solche der Bundesregierung (aA Kaiser JR 2016, 679, 685; dazu ausführlich: Schlichter GA 1966 353, 365 ff.; ferner Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609, 611; für eine zentrale Vorbereitung der Ermächtigungsentscheidung durch den Bundesminister der Justiz noch Müller-Emmert Prot. V/1468 f.). Geht es um militärische Geheimnisse der Stationierungsstaaten im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 3 des NTSG (siehe Vor § 93 Rdn. 8a), so tritt an die Stelle der Ermächtigung durch die Bundesregierung das Strafverlangen der obersten militärischen Dienststelle der hier stationierten betroffenen Truppen oder des Leiters der jeweiligen diplomatischen Vertretung (§ 1 Abs. 1 Nr. 7 NTSG). Das Ermächtigungserfordernis soll sicherstellen, dass nur solche Taten verfolgt werden, bei denen dies im Blick auf die gesamten Umstände geboten erscheint; dabei soll es insbesondere auf das Gewicht des Verschuldens sowie auf Art und Maß der konkreten Gefährdung ankommen (so Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 20). Die Fassung der Tatbestände wird jedoch für solche Differenzierungserwägungen nur wenig Raum lassen (fahrlässige Verursachung der Gefahr eines schweren Nachteils!).

VIII. Zusammentreffen 15 Rechtliches Zusammentreffen ist möglich mit § 353b Abs. 1; s. dazu auch § 98 Rdn. 20 und Fischer Rdn. 6; dagegen Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Sonnen AK Rdn. 11.

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IX. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

StGB § 97

IX. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges Als Nebenfolge kann dem Täter auch hier die Fähigkeit aberkannt werden, öffentliche Ämter 16 zu bekleiden oder Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, oder das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen (§ 101). § 101a sieht die Einziehung von Gegenständen vor (siehe dort). Hinsichtlich finanzieller Zuwendungen ist die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB anzuordnen (vgl. § 101a Rdn. 8). Zu den Zuständigkeiten (vgl. Vor § 93 Rdn. 14). Die besonderen Verfahrensvorschriften zum Absehen von der Strafverfolgung (§§ 153c Abs. 2, Abs. 4, 153d, 153e; dazu Vor § 93 Rdn. 10) dürften im Blick auf die Möglichkeit, die Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht zu erteilen (§ 97 Abs. 3) oder zurückzunehmen (siehe §§ 77e, 77d Abs. 1), von nur geringer praktischer Bedeutung sein. Die Nichtanzeige der Preisgabetaten ist nicht strafbedroht (vgl. Wortlaut des § 138 Abs. 1 Nr. 3, der § 97 ausnimmt).

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§ 97a Verrat illegaler Geheimnisse Wer ein Geheimnis, das wegen eines der in § 93 Abs. 2 bezeichneten Verstöße kein Staatsgeheimnis ist, einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird wie ein Landesverräter (§ 94) bestraft. § 96 Abs. 1 in Verbindung mit § 94 Abs. 1 Nr. 1 ist auf Geheimnisse der in Satz 1 bezeichneten Art entsprechend anzuwenden.

Schrifttum Auf die Literaturhinweise Vor § 93 wird Bezug genommen.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde durch das 8. StRÄndG1 eingeführt, um die Lücke zu schließen, die durch die Herausnahme des illegalen Geheimnisses aus dem Definitionsbereich des Staatsgeheimnisses entstanden ist. § 97a ist – wie § 97b – ein Teil der Regelung des illegalen Staatsgeheimnisses, die auf einem rechtspolitischen Kompromiss beruht (vgl. dazu näher § 93 [Entstehungsgeschichte]). Ausgangspunkt dieser Regelung ist die Erkenntnis, dass auch das aus dem Staatsgeheimnisbegriff eliminierte illegale Geheimnis (§ 93 Abs. 2) gegen heimliche Weitergabe an eine fremde Macht sowie gegen Ausspähung in Verratsabsicht geschützt werden müsse (zum systematischen Hintergrund dieser Lösung und ihrem Sinn siehe Rdn. 1; vgl. dazu Hirsch NJW 1968 2330; kritisch Breithaupt NJW 1968 1712).

Übersicht I.

Allgemeines

1

II.

Tatobjekt

III. 1. 2. 3.

Verrat illegaler Geheimnisse (Satz 1) Tathandlung und Nachteilsgefahr 4 Innerer Tatbestand 5 Verweis auf § 94 StGB

IV.

Ausspähung illegaler Geheimnisse 6 (Satz 2)

2 3

7

V.

Versuch

VI.

Wahlfeststellung

8

VII. Zusammentreffen

9

3 VIII. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

10

I. Allgemeines 1 Der Gesetzgeber hat nicht alle mit rechtlichen Mängeln verbundenen, sondern nur die mit besonders gewichtigen Rechtsverstößen behafteten Geheimnisse vom Staatsgeheimnisbegriff ausgenommen (§ 93 Abs. 2). Er hat diese indessen nicht frei verfügbar gestellt, sondern den Verrat und die Ausspähung illegaler Geheimnisse einer besonderen Regelung unterworfen (§§ 97a, 97b). Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde: Mit dem Herausnehmen des illegalen Geheimnisses aus dem Staatsgeheimnisbegriff und dem sich daraus ergebenden weitgehenden Versagen des strafrechtlichen Schutzes soll im Interesse einer Heilung oder Beseitigung des illegalen Vorganges dessen öffentliches Bekanntmachen, typischerweise seine Publikation in den Medien, sowie das Offenbaren gegenüber Unbefugten, also auch gegenüber Journalisten, ermöglicht werden. Das Auslösen einer öffentlichen Diskussion oder von Gesprächen in anderen Kreisen über Missstände und gewichtige Rechtsverletzungen wird als Anstoß zur Abhilfe ver1 Vom 25.6.1968 BGBl. I 741, 745. Barthe/Schmidt https://doi.org/10.1515/9783110490008-033

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II. Tatobjekt

StGB § 97a

standen („demokratisches Erörterungsinteresse“2). Dabei entstehende Gefahren für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik werden hingenommen. Diese Abstufung der Interessen, der Vorrang des Anliegens, der angesprochenen Illegalität entgegenzuwirken, hat den Gesetzgeber sogar veranlasst, hier ein subjektives Rechtfertigungselement für die Weitergabe nicht zu fordern (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 20). Dem „Heilungsinteresse“ der staatlichen Gemeinschaft wird allerdings dort regelmäßig nicht mehr Rechnung getragen, wo der Täter das illegale Geheimnis unmittelbar an eine fremde Macht oder deren Mittelsmann weitergibt oder es in dieser Absicht ausspäht. Ein solches, meist konspiratives, heimliches Vorgehen wird nur selten geeignet sein, zur „Reinigung von der Illegalität“, der ratio des § 93 Abs. 2, beizutragen. Hingegen verbleibt die – bewusst herbeigeführte – Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit (vgl. dazu Maassen Prot. V/2058). Die Folgen der Tat reduzieren sich hier aus der Sicht der staatlichen Gemeinschaft und ihrer Rechtsordnung in aller Regel auf das Nachteilige, ohne dass die Chance erwüchse, den illegalen Zustand zu remedieren. So gesehen, erweist sich das vom Tatbestand des § 97a erfasste Handeln als objektiv unangemessen (vgl. Paeffgen Verrat S. 224); es bleibt die Gefährdung der äußeren Sicherheit. Für die differenzierende gesetzgeberische Lösung sprechen danach gute Gründe, die es rechtsstaatlich als erträglich erscheinen lassen, das illegale Geheimnis (§ 93 Abs. 2) in gewissen Grenzen in den strafrechtlichen Schutz einzubeziehen.3 Dieser Schutz beschränkt sich auf zwei Tatbestände: Mit Strafe bedroht sind der Verrat an eine fremde Macht (§ 97a Satz 1) und die Vorbereitungshandlung zum Verrat, nämlich die Ausspähung des illegalen Geheimnisses (§ 97a Satz 2).

II. Tatobjekt Gegenstand der Tat ist bei beiden Tatbeständen das definitorisch aus dem Staatsgeheimnisbegriff 2 herausgelöste illegale Geheimnis im Sinne des § 93 Abs. 2. Es muss also um geheime Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse gehen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (hierzu § 93 Rdn. 22a) oder unter Geheimhaltung vor den jeweiligen Vertragspartnern der Bundesrepublik gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen (siehe bei § 93 Rdn. 23) verstoßen. Das ergibt sich unmittelbar aus der Bezugnahme auf § 93 Abs. 2 im Wortlaut der Vorschrift. Lediglich aus diesen Gründen fallen solche Tatsachen, Gegenstände und Erkenntnisse nicht unter den Staatsgeheimnisbegriff. Daraus folgt zweierlei: Zum einen verlieren Geheimnisse, die anderweitig mit Rechtsverstößen behaftet sind, nicht ihre Eigenschaft als Staatsgeheimnis; sie stehen unmittelbar im Schutz der §§ 94 und 96 (dazu § 93 Rdn. 20 a. E.). Zum zweiten muss das – im Sinne des § 93 Abs. 2 – illegale Geheimnis alle anderen Voraussetzungen der Definition des Staatsgeheimnisses (§ 93 Abs. 1) erfüllen: Es darf nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sein (Geheimhaltungsfähigkeit, vgl. insoweit bei § 93 Rdn. 3 ff.) und es muss der Geheimhaltung vor einer fremden Macht bedürfen, um die (abstrakte) Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik abzuwenden (Geheimhaltungsbedürftigkeit, siehe die Erläuterungen bei § 93 Rdn. 7 ff.). Die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit kann sich hier gerade aus der Illegalität des Geheimnisses ergeben (ebenso Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 6); eine Einschränkung, die das ausschlösse, lässt sich auch dem Zusammenhang der Regelung nicht entnehmen. Militärische Geheimnisse der NATO-Vertragsstaaten im Sinne des § 1 Abs. 1 NTSG (abgedruckt Vor § 93 Rdn. 8a) werden vom Tatbestand des § 97a nicht erfasst. Die Erweiterungsbestimmungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 NTSG nehmen nicht auf die Vorschrift Bezug. Für das sogenannte Euratom-Geheimnis dürfte § 97a jedoch gelten (siehe § 93 Rdn. 24; ferner Vor § 93 Rdn. 9; § 93 Rdn. 18 a. E.) 2 So Paeffgen Verrat S. 54 im Anschluss an A. Arndt Landesverrat, passim; vgl. auch Paeffgen NK Rdn. 2 m. w. N. 3 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Paeffgen NK Rdn. 2; Wolter Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Lampe/Hegmann MK Rdn. 1; Sonnen AK Rdn. 1 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 22 ff. 445

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Verrat illegaler Geheimnisse

III. Verrat illegaler Geheimnisse (Satz 1) 1. Tathandlung und Nachteilsgefahr 3 Tathandlung ist das Mitteilen eines illegalen Geheimnisses an eine fremde Macht oder ihren Mittelsmann (vgl. Huber/de With NJW 2014 2698, 2701 zur Strafbarkeit von Edward Snowden); sie ist derjenigen des Landesverrats nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 gleich. Insoweit kann auf die Erläuterung jener Vorschrift verwiesen werden (siehe zum Begriff der fremden Macht, zur Mittelsmannstellung und zur Bedeutung des Tätigkeitswortes „mitteilen“ § 93 Rdn. 10a ff. und § 94 Rdn. 2 ff.). Tatfolge muss wie dort (§ 94 Abs. 1 Nr. 1) die konkrete Nachteilsgefahr für die äußere Sicherheit sein (vgl. § 94 Rdn. 8 f.), die auch hier wesentlich in der Illegalität des Geheimnisses (§ 93 Abs. 2) gründen kann (vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Fischer Rdn. 2).

2. Innerer Tatbestand 4 In subjektiver Hinsicht ist mindestens bedingter Vorsatz gefordert. Zu Fragen des Irrtums ist zu bemerken: Erachtet der Täter ein illegales Geheimnis irrig als (legales) Staatsgeheimnis, so ist er dennoch wie ein Landesverräter zu bestrafen (§ 97a S. 1), nicht etwa wegen (untauglichen) versuchten Landesverrats (§ 94 Abs. 1 Nr. 1). Dies ergibt der Regelungszusammenhang zwischen den §§ 94 Abs. 1 Nr. 1 und 97a Satz 1; gerade auch solche Fälle sollen aufgefangen und der Täter der Bestrafung wegen vollendeten Delikts zugeführt werden.4 Umstritten ist der umgekehrte Fall: Hält der Täter ein (legales) Staatsgeheimnis irrtümlich für illegal, so wollen Fischer (Rdn. 3, § 97b Rdn. 2) und Wolter (SK Rdn. 3, § 97b Rdn. 3) nicht etwa § 97b angewendet wissen, sondern § 97a. Der Täter werde schon beim Verrat eines illegalen Staatsgeheimnisses (in der Form des § 94 Abs. 1 Nr. 1) wie ein Landesverräter bestraft; dies müsse erst recht gelten, wenn er ein (legales) Staatsgeheimnis mitteile und lediglich irrig an dessen Illegalität glaube; auf die weiteren Voraussetzungen des § 97b könne es danach nicht ankommen. Dem steht jedoch der – eindeutige – Wortlaut des § 97b entgegen (so auch Paeffgen NK Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Sonnen AK Rdn. 5; Lampe/Hegmann MK Rdn. 9). Für die Praxis dürfte die Streitfrage allerdings bedeutungslos sein. Der Verrat eines Geheimnisses durch Mitteilen an eine fremde Macht oder deren Mittelsmann (§ 94 Abs. 1 Nr. 1) wird kaum je ein angemessener Weg sein, der (vermeintlichen) Illegalität abzuhelfen, so dass die Bestrafung letztlich hier (über § 97b) wie dort (über § 97a) aus § 94 Abs. 1 Nr. 1 erfolgen kann. Erkennt der Täter das illegale Geheimnis in seinen Voraussetzungen als solches, meint er jedoch, etwa gerade im Blick auf die Illegalität, es straflos verraten zu dürfen, liegt ein Verbotsirrtum vor, der nicht nach § 97b, sondern nach § 97a in Verbindung mit den allgemeinen Vorschriften zu behandeln ist (§ 17).

3. Verweis auf § 94 StGB 5 Die Strafe wird im Falle des Verrats eines illegalen Geheimnisses (§ 93 Abs. 2) § 94 entnommen. Hier gelten aufgrund des umfassenden Verweises in Satz 1 auch die Bestimmungen über den besonders schweren Fall nach § 94 Abs. 2 (siehe im Einzelnen bei § 94 Rdn. 15 ff.).

4 Vgl. Fischer Rdn.3; SSW/Vogler Rdn. 3; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Wolter SK Rdn. 3; Lampe/Hegmann MK Rdn. 9; aA Paeffgen NK Rdn. 6. Barthe/Schmidt

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VIII. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

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IV. Ausspähung illegaler Geheimnisse (Satz 2) Der objektive Tatbestand setzt voraus, dass der Täter sich ein illegales Geheimnis im Sinne 6 des § 93 Abs. 2 (dazu Rdn. 2 und § 93 Rdn. 20 bis 23) verschafft (zum Sichverschaffen vgl. bei § 96 Rdn. 3). Er muss bei dem Verschaffensakt von der Absicht geleitet sein, das illegale Geheimnis im Wege der Mitteilung an eine fremde Macht oder deren Mittelsmann zu verraten (§ 94 Abs. 1 Nr. 1; siehe zur Verratsabsicht bei § 96 Rdn. 4 f.). Nicht erfasst wird mithin der Fall, dass der Täter sich des illegalen Geheimnisses bemächtigt, um es durch öffentliches Bekanntmachen oder das Gelangenlassen an einen sonst Unbefugten zu verraten. Die Verratsform des § 94 Abs. 1 Nr. 2 ist hier also – anders als in § 96 Abs. 1 – ausgenommen. Über die bei der Tathandlung erforderliche Verratsabsicht hinaus genügt auf der subjektiven Tatseite bedingter Vorsatz. Zu Irrtumsfragen siehe Rdn. 4. Ergänzend wird auf die Erläuterungen bei den §§ 94, 96 verwiesen. Für die Ausspähung des illegalen Geheimnisses (§ 93 Abs. 2) gilt der Strafrahmen des § 96 Abs. 1.

V. Versuch Der Versuch sowohl des Verrats als auch der Ausspähung illegaler Geheimnisse ist strafbar; es 7 handelt sich um Verbrechenstatbestände (vgl. § 23 Abs. 1). Die Strafe ist § 94 bzw. § 96 Abs. 1 (jeweils in Verbindung mit § 23 Abs. 2) zu entnehmen. Im Übrigen wird für § 97a S. 1 auf die Erläuterungen bei § 94 Rdn. 12, für § 97a S. 2 auf die bei § 96 Rdn. 7 verwiesen.

VI. Wahlfeststellung Eine (ungleichartige) Wahlfeststellung ist möglich sowohl zwischen den Tatbeständen des 8 Landesverrats (in der Begehungsform des § 94 Abs. 1 Nr. 1) und dem Verrat illegaler Geheimnisse (§ 97a S. 1) als auch zwischen der landesverräterischen Ausspähung (§§ 96 Abs. 1, 94 Abs. 1 Nr. 1) und der Ausspähung illegaler Geheimnisse (§ 97a S. 2).5

VII. Zusammentreffen § 97a geht kraft gesetzlicher Regelung der Vorschrift des § 99 (geheimdienstliche Agententätig- 9 keit) vor (siehe § 99 Abs. 1, Subsidiaritätsklausel). Die Straftat der geheimdienstlichen Agententätigkeit tritt auch dann zurück, wenn sie nur teilweise mit Taten nach § 97a zusammenfällt (vgl. BGHSt 24 72, 79 ff.). Tateinheit zwischen den Delikten nach § 94 und § 97a Satz 1 sowie zwischen denen nach § 96 Abs. 1 und § 97a Satz 2 ist möglich, wenn ein Teil der Tatobjekte sich als (legales) Staatsgeheimnis, ein anderer sich hingegen als illegales Geheimnis erweist.

VIII. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges Als Nebenfolge kommt nach § 101 in Betracht, dem Täter die Fähigkeit zur Beikleidung öffentli- 10 cher Ämter oder zur Erlangung von Rechten aus öffentlichen Wahlen sowie das Recht zum Wählen und Stimmen in öffentlichen Angelegenheiten abzuerkennen. § 101a sieht die Einziehung von Gegenständen nach näherer Maßgabe vor. Hinsichtlich finanzieller Zuwendungen ist die Einziehung gemäß § 73 Abs. 1 StGB anzuordnen (s. § 101a Rdn. 8). Das Vermögen oder einzelne 5 Vgl. Paeffgen NK Rdn. 6; Ellbogen BeckOK Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Wolter SK Rdn. 4 und 8; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Fischer Rdn. 1; Lampe/Hegmann MK Rdn. 10. 447

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§ 97a StGB

Verrat illegaler Geheimnisse

Vermögensgegenstände eines Beschuldigten, gegen den wegen einer Straftat nach § 97a StGB die öffentliche Klage erhoben oder Haftbefehl erlassen worden ist, können mit Beschlag belegt werden (§ 443 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO). Zu den staatsanwaltlichen und gerichtlichen Zuständigkeiten wird auf die Kommentierung Vor § 93 Rdn. 14 verwiesen. Besondere Möglichkeiten des Absehens von der Strafverfolgung sind in §§ 153c Abs. 2 und 4, 153d, 153e StPO normiert (vgl. Vor § 93 Rdn. 10). Die Nichtanzeige einer Straftat nach § 97a ist unter Strafe gestellt (§ 138 Abs. 1 Nr. 3).

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§ 97b Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses (1) Handelt der Täter in den Fällen der §§ 94 bis 97 in der irrigen Annahme, das Staatsgeheimnis sei ein Geheimnis der in § 97a bezeichneten Art, so wird er, wenn 1. dieser Irrtum ihm vorzuwerfen ist, 2. er nicht in der Absicht handelt, dem vermeintlichen Verstoß entgegenzuwirken, oder 3. die Tat nach den Umständen kein angemessenes Mittel zu diesem Zweck ist, nach den bezeichneten Vorschriften bestraft. Die Tat ist in der Regel kein angemessenes Mittel, wenn der Täter nicht zuvor ein Mitglied des Bundestages um Abhilfe angerufen hat. (2) War dem Täter als Amtsträger oder als Soldat der Bundeswehr das Staatsgeheimnis dienstlich anvertraut oder zugänglich, so wird er auch dann bestraft, wenn nicht zuvor der Amtsträger einen Dienstvorgesetzten, der Soldat einen Disziplinarvorgesetzten um Abhilfe angerufen hat. Dies gilt für die für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten und für Personen, die im Sinne des § 353b Abs. 2 verpflichtet worden sind, sinngemäß.

Schrifttum Auf die Vor § 93 angeführte Literatur wird verwiesen. Hervorzuheben sind an dieser Stelle: Jescheck Die Behandlung des sog. illegalen Staatsgeheimnisses im neueren politischen Strafrecht, Festschrift Engisch (1969) 584; Paeffgen Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses (§ 97b StGB) und die allgemeine Irrtumslehre (1979) sowie hierzu die Rezensionen von Jakobs ZStW 93 (1981) 90 und Otto GA 1981 419; Wiedmann Inwieweit widerspricht § 97b StGB allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen? Diss. Tübingen 1971; s. zur Historie auch Klug Der Ossietzky-Prozeß 1931, Festschrift Baumgärtel (1990) 249.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist Teil der 1968 eingeführten Regelung zum illegalen Geheimnis1 (näher dazu bei § 93 Entstehungsgeschichte und Rdn. 20; bei § 97a Entstehungsgeschichte und Rdn. 1). Sie hat ihre jetzige Fassung durch Art. 19 Nr. 19 EGStGB2 sowie Art. 1 Nr. 1 des 17. StRÄndG3 erhalten. Die irrige Annahme eines illegalen Geheimnisses im Sinne des § 93 Abs. 2 soll nach dem Willen des Gesetzgebers dem Täter nur unter strengen Voraussetzungen zugute kommen können; wegen der Gefahren, die mit dem Verrat, der Preisgabe, dem Offenbaren und dem Ausspähen eines nur nach der Vorstellung des Täters illegalen, in Wirklichkeit aber legalen Staatsgeheimnisses (i. S. d. § 93) für die äußere Sicherheit verbunden sind, sollen besonders hohe Anforderungen an die Sorgfalt vorheriger Prüfung der Frage der Illegalität gestellt werden (Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 20. Zum Gang des Gesetzgebungsverfahrens vgl. RegE [dort § 99a Abs. 5] BTDrucks. V/898, S. 7, 32 f.; Prot. V/1265 f., 1471 f., 1488 f., 2028 f., 2058 f., 2064 f.; Formulierungshilfen Prot. V/1274 f. [§§ 99aa, 99cc], 2067 f. [§ 99e]).

Übersicht I.

Allgemeines

II. 1.

Tatbestand 2 Tat im Sinne der §§ 94 bis 97 und irrige Annah2 me eines illegalen Geheimnisses Die weiteren Voraussetzungen in Ab2a satz 1 a) Besonderheiten bezüglich § 97 Ab3 satz 2

2.

1

b)

Die einzelnen Varianten in Absatz 1 S. 1 3a Nr. 1 bis 3 aa) Vorwerfbarkeit des Irrtums (Absatz 1 4 S. 1 Nr. 1) bb) Fehlende Entgegenwirkungsabsicht 5 (Absatz 1 S. 1 Nr. 2) cc) Tat kein angemessenes Mittel (Ab6 satz 1 S. 1 Nr. 3)

1 8. StRÄndG vom 25.6.1968 BGBl. I 741, 745 f. 2 Vom 2.3.1974 BGBl. I 469, 479. 3 Vom 21.12.1979 BGBl. I 2324. 449 https://doi.org/10.1515/9783110490008-034

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§ 97b StGB

3.

4. 5.

Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses

Personen in besonderer Pflichtenstellung (Ab7 satz 2) a) Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr 7a (Absatz 2 Satz 1) b) Anrufung eines Dienst- oder Disziplinarvor8 gesetzten c) Dienstliches Anvertrautsein oder Zugäng9 lichkeit d) Die für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten und sonstige Personen im Sinne von Absatz 2 Satz 2 9a e) Anforderungen an die Abhilfebitte 10 NATO-Vertragsstaaten- und Euratom-Geheim11 nisse 11a Versuch

12

III.

Tenorierung

IV. 1. 2. 3. 4. 5.

Zur Kritik an der Vorschrift 13 13a Allgemeiner Gleichheitssatz 14 Schuldgrundsatz 15 Verfassungskonforme Auslegung 15a Die Ansichten Jeschecks und Paeffgens 16 Eigene Stellungnahme a) Zweck der Vorschrift 17 b) Kein Verstoß gegen den Schuldgrundsatz 18 c) Der Gesichtspunkt der Risikoverteilung 19

I. Allgemeines 1 Die Vorschrift wird ganz überwiegend als eigenständiger Tatbestand verstanden, der eine Irrtumsregelung „sui generis“ enthält (vgl. Maassen Prot. V/2059; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1, 3; Lampe/Hegmann MK Rdn. 2; Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609, 612; für eine Bewertung als „Rechtfertigungslösung“ allerdings Jescheck FS Engisch 584, 594 ff.; Maurach/Schroeder/ Maiwald I § 85 Rdn. 30; Paeffgen NK Rdn. 2). Die Sonderregelung schaltet im Falle des Irrtums über die Illegalität eines Geheimnisses (im Sinne des § 93 Abs. 2) die an und für sich nach den allgemeinen Irrtumsregeln eintretenden Folgen aus. Tatbestands- und Verbotsirrtum werden nicht unterschieden. Derjenige, der sich auf einen solchen Irrtum beruft, soll damit nur dann durchdringen, wenn er zuvor alles getan hat, um diesen Irrtum zu vermeiden (Absatz 1 Nr. 1), und wenn er in „guter Absicht“ (Absatz 1 Nr. 2) und mit angemessenen Mitteln (Absatz 1 Nr. 3) vorgeht (vgl. Arndt Prot. V/2034, 2059, sowie BTVerh. 5. Wp. StenB 177, Sitzung S. 9537 B). Für Personen in besonderer Pflichtenstellung, vornehmlich Amtsträger und Soldaten, werden an die Angemessenheit des Vorgehens besondere Anforderungen gestellt (Absatz 2). Von den in Absatz 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 aufgeführten Voraussetzungen darf keine vorliegen, wenn der Täter straffrei ausgehen soll; die Bejahung nur einer der Voraussetzungen führt zur Strafbarkeit (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 20; Fischer Rdn. 3; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 3; Wolter SK Rdn. 1, 4; Lampe/Hegmann MK Rdn. 7). Die praktische Bedeutung der Bestimmung ist bislang gering. Ändern könnte sich das allerdings, wenn ein im Lichte des § 93 Abs. 2 bedenklicher sicherheitspolitischer Weg eingeschlagen würde oder wenn der politische Konsens in grundlegenden Fragen der Sicherheit verloren ginge und vor allem im Wertungsbereich einer sich zuspitzenden Konfrontation Platz machen müsste. Die Vorschrift hat wegen ihrer dogmatischen Besonderheiten und vor allem im Blick auf den verfassungsverbürgten Schuldgrundsatz vehemente Kritik erfahren (dazu im Einzelnen Rdn. 13 ff.).

II. Tatbestand 1. Tat im Sinne der §§ 94 bis 97 und irrige Annahme eines illegalen Geheimnisses 2 Ein strafbarer „Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses“ (siehe zur Tenorierung Rdn. 12) setzt objektiv eine Tat im Sinne der §§ 94 bis 97 voraus, mithin den Verrat, das Offenbaren, Ausspähen, Auskundschaften oder Preisgeben eines (legalen) Staatsgeheimnisses (§ 93) als Tatobjekt. Auch in subjektiver Hinsicht müssen die Voraussetzungen eines dieser Barthe/Schmidt

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II. Tatbestand

StGB § 97b

Bezugstatbestände erfüllt sein. Der Täter nimmt allerdings irrig an, der Gegenstand seiner Tat sei ein illegales Geheimnis (§ 93 Abs. 2), verstoße also gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder – unter Geheimhaltung gegenüber den jeweiligen Vertragspartnern – gegen eine zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkung (siehe dazu bei § 93 Rdn. 20 bis 23). Damit ist zum einen die irrtümliche Annahme eines Sachverhaltes erfasst, der, läge er tatsächlich vor, die Illegalität des Geheimnisses nach § 93 Abs. 2 begründen würde. Zum anderen fällt darunter auch die fehlerhafte Einschätzung, der richtig erkannte Lebenssachverhalt beinhalte einen Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder eine zwischenstaatliche Rüstungsbeschränkung. Von dem in § 97b vorausgesetzten Irrtum, der sich allein auf die Illegalität des Geheimnisses im Sinne des § 93 Abs. 2 erstreckt, ist derjenige zu unterscheiden, der sich auf andere Merkmale des Staatsgeheimnisbegriffs (Geheimhaltungsfähigkeit, Geheimhaltungsbedürftigkeit) und der Bezugstatbestände (§§ 94 bis 97) im Übrigen bezieht, oder der andere als die in § 93 Abs. 2 bezeichneten Rechtsverstöße zum Gegenstand hat; dafür gelten die allgemeinen Regeln (§§ 16, 17).

2. Die weiteren Voraussetzungen in Absatz 1 In Absatz 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 und Absatz 1 S. 2 sind die weiteren Voraussetzungen normiert.

2a

a) Besonderheiten bezüglich § 97 Absatz 2. Von den in Absatz 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 aufgeführ- 3 ten Varianten muss lediglich eine vorliegen, um die Strafbarkeit des Täters zu begründen. Eine Besonderheit gilt insoweit nur für die leichtfertige Preisgabe eines Staatsgeheimnisses (§ 97 Abs. 2) in der irrigen Annahme seiner Illegalität im Sinne des § 93 Abs. 2. Hier sind die Nummern 2 und 3 des § 97b Abs. 1 nicht anwendbar (Fischer Rdn. 7; Wolter SK Rdn. 4; Lackner/ Kühl/Kühl Rdn. 3; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Lampe/Hegmann MK Rdn. 7). Die leichtfertige, also nicht – auch nicht bedingt – vorsätzliche Geheimnispreisgabe schließt es schon begrifflich aus, dass der Täter in der Absicht handelt, dem vermeintlich illegalen Zustand entgegenzuwirken, und dass er die Preisgabe bewusst als Mittel zu diesem Zweck einsetzt (vgl. Rdn. 6 a. E.). Wollte man dennoch auf der Anwendbarkeit der Nummern 2 und 3 bestehen, könnte der über die Illegalität (§ 93 Abs. 2) irrende Täter den Anforderungen des § 97b nie genügen, folglich nie straffrei ausgehen; die Bezugnahme des § 97b auch auf § 97 Abs. 2 ergäbe kein sinnvolles Zusammenspiel der Regelungen. Anders jedoch dann, wenn in solchen Fällen seine Anwendbarkeit auf die Voraussetzungen der Nummer 1 zurückgeführt wird (sog. teleologische Reduktion).4 Die leichtfertige Preisgabe (§ 97 Abs. 2) ganz aus dem Anwendungsbereich des § 97b herauszulösen und nach allgemeinen Regeln (§§ 16, 17) zu behandeln, verbietet der klare Wortlaut der Bestimmung.

b) Die einzelnen Varianten in Absatz 1 S. 1 Nr. 1 bis 3. Zu den einzelnen Varianten (Ab- 3a satz 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3, Absatz 1 Satz 2) ist zu bemerken:

aa) Vorwerfbarkeit des Irrtums (Absatz 1 S. 1 Nr. 1). Die irrige Annahme der Illegalität des 4 Staatsgeheimnisses nach § 93 Abs. 2 ist dem Täter vorzuwerfen (Absatz 1 S. 1 Nr. 1), wenn er bei seiner Beurteilung nicht das Maß an Sorgfalt hat walten lassen, das nach Sachlage objektiv geboten und das ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen und Fähigkeiten auch zuzumuten war. Vorwerfbarkeit des Irrtums in diesem Sinne ist Schuld am Irrtum, Belastetsein mit der 4 Vgl. Larenz/Canaris Methodenlehre, 3. Aufl. (1995) S. 145, 210 zum sinnhaften Aufeinanderbezogensein von Normen. 451

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§ 97b StGB

Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses

Verantwortung für ihn (vgl. BGHSt 2 194, 200; Fischer Vor § 13 Rdn. 28). Die Vorwerfbarkeit kann sich daraus ergeben, dass der Täter eine Prüfung unterlässt oder dass er sie nicht in der erforderlichen und zumutbaren Weise durchführt. Regelmäßig wird er verpflichtet sein, sich an kompetenter Stelle unter größtmöglicher Schonung des Geheimnisses zu erkundigen. Daraus erhellt, dass die aus Absatz 1 S. 1 Nr. 1 folgenden Anforderungen sich in tatsächlicher Hinsicht mit denjenigen überschneiden können, die sich aus der Angemessenheitsklausel (Absatz 1 S. 1 Nr. 3, Absatz 2) ergeben. Welche Auskunftsaktivitäten im Einzelfall geboten sind, lässt sich nicht allgemein sagen. Im Blick auf das Gewicht des in Rede stehenden Rechtsgutes, die äußere Sicherheit, und der Schwere des dem Staat angelasteten Vorwurfs, gegen fundamentale Verfassungsprinzipien zu verstoßen oder wichtige völkerrechtliche, der Friedenssicherung dienende Verpflichtungen missachtet zu haben (s. § 93 Rdn. 22 ff.), werden die Anforderungen jedoch entsprechend hoch zu stellen sein. Für Amtsträger und Soldaten gilt ohnehin die besondere Anrufungspflicht nach Absatz 2 (siehe dazu Rdn. 8). Hat der Täter alle ihm zu Gebote stehenden Erkundigungs- und Prüfungsmöglichkeiten ausgeschöpft und dürfte er dennoch auf der Grundlage seines individuellen Erkenntnisvermögens zu der irrigen Annahme gelangen, das legale Geheimnis sei illegal im Sinne des § 93 Abs. 2, so ist ihm der Irrtum nicht vorzuwerfen. Eine besondere Gewissensanspannung (vgl. BGHSt 2 194), die über die objektiv gebotene und subjektiv zumutbare Prüfung hinausgeht, ist nicht vonnöten (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 20; ebenso Paeffgen NK Rdn. 7).

5 bb) Fehlende Entgegenwirkungsabsicht (Absatz 1 S. 1 Nr. 2). Der Täter wird auch dann bestraft, wenn ihm die Absicht fehlt, dem vermeintlichen Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder – unter Geheimhaltung gegenüber einem Vertragspartner – gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen entgegenzuwirken (fehlende Entgegenwirkungsabsicht; Absatz 1 S. 1 Nr. 2). Diese Heilungsabsicht lässt sich dahin umschreiben, dass es dem Täter darauf ankommen muss, eine Fortdauer der Rechtsverletzung im Sinne des § 93 Abs. 2 im Ergebnis einzudämmen und zu verhindern. Damit ist das Handeln aus anderen Motiven, etwa aus Sensationslust oder Imponiersucht, ausgeschieden; solchenfalls ist die Tat auch dann strafbar, wenn der irrige Glaube an die Illegalität des Staatsgeheimnisses nicht vorwerfbar ist (siehe Absatz 1 S. 1 Nr. 1). Handelt der Täter nicht nur in Heilungsabsicht, sondern auch aus anderen Gründen, so ist dies unschädlich, solange das Heilungsinteresse nicht in den Hintergrund gedrängt wird, es dem Täter also noch hierauf ankommt. Bestehen in tatsächlicher Hinsicht Zweifel am Vorliegen solcher Absicht, so ist zugunsten des Täters von ihr auszugehen; die Fassung der Vorschrift lässt erkennen, dass das Fehlen der Absicht nachzuweisen ist (vgl. auch Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 21; Fischer Rdn. 4; Wolter SK Rdn. 6; Sch/Schröder/SternbergLieben Rdn. 5; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Lampe/Hegmann MK Rdn. 9).

6 cc) Tat kein angemessenes Mittel (Absatz 1 S. 1 Nr. 3). Der Täter des Verratens, Offenbarens, Ausspähens, Auskundschaftens oder Preisgebens in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses ist schließlich auch dann strafbar, wenn seine Tat kein angemessenes Mittel zu dem Zweck ist, dem Rechtsverstoß nach § 93 Abs. 2 entgegenzuwirken (Absatz 1 S. 1 Nr. 3). In diesem Falle ist es – als Folge der Alternativität der Nummern 1 bis 3 des Absatzes 1 S. 1 – unerheblich, ob der Irrtum über die Illegalität unverschuldet ist und Heilungsabsicht vorliegt. Die Angemessenheit des Mittels ist objektiv und ex ante zu beurteilen. Sie setzt voraus, dass die Tat in ihrer konkreten Erscheinung geeignet ist, dem vermeintlich illegalen Vorgang (im Sinne des § 93 Abs. 2) entgegenzuwirken, also den Anstoß zur Abhilfe zu geben. Darüber hinaus ist abzuwägen, ob das Ausmaß der angenommenen Illegalität (nach § 93 Abs. 2) es als noch hinnehmbar erscheinen lässt, zum Zwecke des Entgegenwirkens eine Gefahr solchen Gewichts herbeizuführen, wie sie durch die Tat ausgelöst wurde. Es gilt, das schonendste Mittel einzusetzen. Daraus folgt zum einen, dass nur soviel preisgegeben werden darf, wie erforderlich ist, um dem verBarthe/Schmidt

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II. Tatbestand

StGB § 97b

meintlich illegalen Zustand (§ 93 Abs. 2) abzuhelfen. Zum anderen muss der Kreis derjenigen, die „eingeweiht“ werden, um „Gegenwirkung“ zu erzielen, auf das gebotene Maß begrenzt bleiben. In der Regel wird zunächst Gelegenheit zur Heilung des vermeintlich illegalen Zustandes gegeben werden müssen; dies schließt grundsätzlich ein, eine ausreichende Zeitspanne zuzuwarten, es sei denn, die Abhilfe wird rundheraus abgelehnt. Kommen verschiedene Stufen von Abhilfemöglichkeiten in Betracht, kann es nötig sein, die Bemühungen danach auszurichten und entsprechend zu steigern. Eine sofortige Tat nach den §§ 94 bis 97, ohne vorherige anderweitige Abhilfeversuche, wird allenfalls in extremen Ausnahmesituationen als angemessen erachtet werden können, etwa dann, wenn eine zeitliche Verzögerung untragbar wäre oder sich von vornherein sicher sagen ließe, dass alle in Betracht kommenden Abhilfemöglichkeiten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg versprechen. Bei alledem wird zu beachten sein, dass die im Blick auf die gesetzlichen Anforderungen unternommenen Abhilfebemühungen dazu führen können, den Irrtum des Täters über die Illegalität des Geheimnisses im Sinne des § 93 Abs. 2 auszuräumen oder nunmehr jedenfalls als vorwerfbar zu werten (Absatz 1 S. 1 Nr. 1). Die Vorschrift sieht ausdrücklich vor, dass in der Regel ein Mitglied des Bundestages anzurufen ist (Absatz 1 S. 2), ehe eine Tathandlung i. S. d. §§ 94 bis 97 als angemessenes „Gegenwirkungsmittel“ bewertet werden kann. Der Täter kann aber auch einen zuständigen Bundestagsausschuss um Abhilfe ersuchen. Im Einzelfall kann es genügen, wenn er die zuständige, mit der Sache befasste Stelle anruft und dieser Weg im Blick auf die Besonderheiten des Sachverhalts und die Zweckerreichung als gleichwertig zu erachten ist. Immer aber wird er zu prüfen haben, ob nicht noch weitere Anstrengungen – auch außerhalb des Bundestages – geboten sind. In die hier geforderte Abwägung sind alle Umstände, die der Sachverhalt ausweist, einzubeziehen. Die tatsächlichen Umstände, welche die Unangemessenheit des Mittels begründen, müssen vom Vorsatz des Täters umfasst sein; denn ein nur objektives Verständnis der Angemessenheitsprüfung würde dem Schuldprinzip nicht gerecht. Auf einen Irrtum insoweit sind die allgemeinen Irrtumsregeln anzuwenden (siehe auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9).

3. Personen in besonderer Pflichtenstellung (Absatz 2) Für Personen in besonderer Pflichtenstellung erweitert Absatz 2 die Anforderungen an die „An- 7 gemessenheit des Weges“. Systematisch ist diese Regelung der Angemessenheitsklausel in Absatz 1 S. 1 Nr. 3 zuzuordnen.

a) Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr (Absatz 2 Satz 1). Wer Amtsträger ist, 7a ergibt sich aus der Definition des § 11 Abs. 1 Nr. 2 und 2a (dazu im Einzelnen und ausführlich Hilgendorf LK § 11 Rdn. 19 bis 60). Soldat ist, wer aufgrund der Wehrpflicht oder nach freiwilliger Verpflichtung in einem Wehrdienstverhältnis steht (§ 1 Abs. 1 S. 1 SoldatenG; siehe zur Wehrpflicht §§ 1 ff. WehrpflichtG). In einem sich aus der Wehrpflicht ergebenden Wehrdienstverhältnis befinden sich auch noch die Angehörigen der Reserve mit Dienstgrad, solange sie zum Wehrdienst einberufen sind (§ 1 Abs. 2 SoldatenG). Das Wehrdienstverhältnis beginnt mit dem für den Diensteintritt des Soldaten festgesetzten Zeitpunkt; es endet mit dem Ablauf des Tages, an dem der Soldat aus der Bundeswehr ausscheidet (§ 2 SoldatenG).

b) Anrufung eines Dienst- oder Disziplinarvorgesetzten. Vor einer Weitergabe des ver- 8 meintlich illegalen Geheimnisses an Dritte haben Amtsträger einen Dienstvorgesetzten, Soldaten einen Disziplinarvorgesetzten um Abhilfe anzurufen. Dienstvorgesetzter ist, wer im hierarchischen Aufbau einer Verwaltung für die beamtenoder arbeitsrechtlichen Entscheidungen über die persönlichen Angelegenheiten der ihm nach453

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§ 97b StGB

Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses

geordneten Amtsträger zuständig ist (vgl. § 3 Abs. 2 BBG). Die Dienstvorgesetztenstellung ist regelmäßig nicht aufgrund Gesetzes eingeräumt, sondern im Verwaltungswege (s. Plog/Wiedow/ Beck BBG [2002] § 3 Rdn. 18; zu den beamtenrechtlichen Regelungen in den Ländern vgl. die Hinweise ebendort Rdn. 25). Das Gesetz (Absatz 2) befindet aus gutem Grunde die Anrufung eines Dienstvorgesetzten für genügend; der Amtsträger ist also nicht gehalten, den unmittelbaren Dienstvorgesetzten anzugehen. Zu diesem können Spannungen bestehen, die es – zumindest psychologisch – erschweren, der gesetzlichen Pflicht nachzukommen; möglicherweise wird der unmittelbare Dienstvorgesetzte auch mit der vermeintlichen Illegalität verantwortlich befasst sein. Deshalb wird hier der Weg auch zum nächsthöheren Dienstvorgesetzten bis hin zum parlamentarisch verantwortlichen Minister eröffnet (dazu Plog/Wiedow/Beck a. a. O. Rdn. 14 und Paeffgen NK Rdn. 17). Stets muss der betroffene Amtsträger aber einen seiner Dienstvorgesetzten, dem er untersteht, anrufen. Vom Begriff des Dienstvorgesetzten zu unterscheiden ist der allgemeine Vorgesetzte, dessen sachlichen Anordnungen und Weisungen der Amtsträger Gehorsam schuldet, beispielsweise also der Referatsleiter oder der Abteilungsleiter (vgl. Plog/ Wiedow/Beck a. a. O. § 55 Rdn. 5). Er kommt hier als Anrufungsinstanz nicht in Betracht, es sei denn, er ist zugleich Dienstvorgesetzter. Ansprechadressat des Soldaten ist ein Disziplinarvorgesetzter. Die Disziplinargewalt ist in § 28 Wehrdisziplinarordnung (WDO) je nach der Dienststellung des Soldaten abgestuft. Maßgeblich ist daher, welcher nächstvorgesetzte Offizier die Befugnis innehat, Disziplinarmaßnahmen zu verhängen und die sonst dem Disziplinarvorgesetzten obliegenden Entscheidungen und Maßnahmen zu treffen (siehe § 27 WDO). Das kann ein Kompaniechef oder ein Offizier in entsprechender Dienststellung sein, aber auch ein Kommandeur (vgl. im Einzelnen § 28 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 WDO). Oberster Disziplinarvorgesetzter ist der Bundesminister der Verteidigung (§ 27 Abs. 1 S. 2 WDO); auch an ihn kann sich ein Soldat mithin wenden, wenn er die Illegalität eines Vorgangs im Sinne des § 93 Abs. 2 besorgt. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages ist nicht Disziplinarvorgesetzter der Soldaten; seine Anrufung genügt also den Anforderungen des Absatzes 2 nicht, kann jedoch dazu führen, dass die Schuld geringer zu werten ist und eine Einstellung des Verfahrens in Betracht kommen kann (ebenso Paeffgen NK Rdn. 14).

9 c) Dienstliches Anvertrautsein oder Zugänglichkeit. Der Tatgegenstand, das Staatsgeheimnis, muss dem Täter (nach Absatz 2) dienstlich anvertraut oder zugänglich gewesen sein. Zum Begriff des Zugänglichseins wird auf die Anmerkungen bei § 97 Rdn. 9, zum Anvertrauen auf diejenigen bei § 353b Rdn. 13 Bezug genommen. Für den Amtsträger und den Soldaten muss sich die faktische Zugänglichkeit gerade aus seiner Stellung ergeben.

9a d) Die für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten und sonstige Personen im Sinne von Absatz 2 Satz 2. Sinngemäß gilt die besondere Pflicht des Absatzes 2 auch für die für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten (§ 11 Abs. 1 Nr. 4; dazu Hilgendorf LK § 11 Rdn. 65 bis 74), darüber hinaus für diejenigen Personen, die der besonderen Geheimhaltungspflicht aus § 353b Abs. 2 unterliegen. Für den öffentlichen Dienst besonders verpflichtet sind Personen, die förmlich auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten verpflichtet wurden (§ 1 VerpflichtungsG)5 oder solche Personen, die diesen nach einer Verpflichtung auf anderer Rechtsgrundlage gleichgestellt sind (§ 2 VerpflichtungsG). Betroffen sind mithin in erster Linie Schreibkräfte, Boten, Raumpflegerinnen und Personen in vergleichbarer Stellung (vgl. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 66 ff.). Die für den öffentlichen Dienst besonders verpflichteten Personen haben sich mit dem Abhilfe-

5 Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen in der Fassung des Art. 42 EGStGB vom 9.3.1974 BGBl. I 479, 547, letztes Änderungsgesetz vom 15.8.1974 BGBl. I S. 1942. Barthe/Schmidt

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II. Tatbestand

StGB § 97b

begehren an den die Dienstaufsicht der verpflichtenden Stelle Führenden oder die höheren dienstaufsichtsrechtlichen Chargen zu wenden. Die besondere Geheimhaltungspflicht aus § 353b Abs. 2 setzt voraus, dass der Täter zur Geheimhaltung eines Gegenstandes oder einer Nachricht aufgrund des Beschlusses eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes oder eines seiner Ausschüsse verpflichtet ist, oder dass ihm eine andere amtliche Stelle eine solche Verpflichtung – unter Hinweis auf die Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung – auferlegt hat. Insoweit kann wegen der Einzelheiten auf die Erläuterungen zu § 353b verwiesen werden (Vormbaum LK § 353b Rdn. 42 bis 52). Die von amtlicher Stelle Verpflichteten (§ 353b Abs. 2 Nr. 2) haben sich zur Abhilfe an die Dienstvorgesetzten dieser Stelle zu wenden. Beruht die Geheimhaltungspflicht auf dem Beschluss eines Gesetzgebungsorgans oder seines Ausschusses (§ 353b Abs. 2 Nr. 1), so kommt als Adressat der Abhilfebitte der Präsident des Parlaments oder der Vorsitzende des Ausschusses in Betracht.

e) Anforderungen an die Abhilfebitte. Die Abhilfebitte muss nach Art und Inhalt zweifels- 10 frei als solche gekennzeichnet sein und auch den vermeintlich illegalen Vorgang hinreichend deutlich darstellen. Sie kann sich in vielfältiger Weise äußern (mündlich, schriftlich), muss allerdings so angebracht werden, dass auf dem Wege zum Adressaten die Geheimhaltung als gewährleistet erscheint. Sorgt der Dienst- oder Disziplinarvorgesetzte oder die sonst anzurufende Person nicht für Abhilfe, so muss sich der Irrende auch hier im Anschluss regelmäßig an ein Mitglied des Bundestages (siehe Absatz 1 S. 2) wenden. Erübrigen wird sich das nur, wenn schon die aus Absatz 2 folgende Pflicht zur Anrufung eines Abgeordneten führt (z. B. des Bundestagspräsidenten, des Ausschussvorsitzenden; dazu Rdn. 9a a. E.). Alle Abhilfebegehren (Absatz 1 Satz 2; Absatz 2) müssen grundsätzlich dem Angerufenen einen angemessenen Zeitraum zugestehen, die Abhilfe ins Werk zu setzen. Erst wenn nach Ablauf dieser Zeitspanne Remedur abgelehnt wird oder schlicht nicht erfolgt, kann der Täter den nächsten Schritt gehen. Anders kann es sein, wenn die Abhilfe sofort ausdrücklich versagt wird oder mit Sicherheit nicht zu erwarten ist (siehe Rdn. 6). Auch hier ist darauf zu achten, dass die begründete Ablehnung einer Abhilfebitte zur Vorwerfbarkeit des Irrtums im Sinne des Absatzes 1 S. 1 Nr. 1 führen kann. 4. NATO-Vertragsstaaten- und Euratom-Geheimnisse Für den Verrat vermeintlich illegaler Geheimnisse der NATO-Vertragsstaaten im Sinne des § 1 11 Abs. 1 NTSG (abgedruckt Vor § 93 Rdn. 8a) gilt § 97b nicht, weil er von den Erweiterungsbestimmungen nicht in Bezug genommen wird (siehe § 1 Art. 1 NTSG); diese kennen ein illegales Geheimnis nicht (vgl. bei § 93 Rdn. 24). Das hat zur Folge, dass auf diesem Felde die allgemeinen Irrtumsgrundsätze gelten. Für sog. Euratom-Geheimnisse dürfte die Vorschrift indessen anzuwenden sein (siehe Art. 194 Abs. 1 Euratom-Vertrag [abgedruckt Vor § 93 Rdn. 9]; vgl. § 93 Rdn. 24; ferner Vor § 93 Rdn. 9; § 93 Rdn. 18 a. E.).

5. Versuch Soweit der Versuch der Bezugstatbestände (§§ 94 bis 97) strafbar ist, kommt er auch hier in Be- 11a tracht.

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§ 97b StGB

Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses

III. Tenorierung 12 Nach § 260 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO ist in der Urteilsformel die rechtliche Bezeichnung der Tat anzugeben, deren ein Angeklagter schuldig gesprochen wird; dabei soll die gesetzliche Überschrift des Tatbestandes verwandt werden. Die Überschreibung des § 97b gebraucht den Begriff des „Verrats“.6 Dieser ist indessen durch das Delikt des Landesverrats (§ 94; siehe auch § 96 Abs. 1) besetzt und steht insoweit neben den Begriffen des Offenbarens und Preisgebens (§§ 95, 97). In § 97b umgreift er hingegen alle Bezugstatbestände (§§ 94 bis 97), lässt also im Schuldspruch nicht erkennen, welche Tathandlung dem Spruch in concreto zugrunde liegt. Deshalb wird die Sollvorschrift des § 260 Abs. 4 StPO es dem Richter gestatten, in der Urteilsformel um deren Aussagekraft willen deutlicher zu werden: So kann z. B. wegen „Offenbarens eines Staatsgeheimnisses in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses“ verurteilt werden (zustimmend Paeffgen NK Rdn. 32).

IV. Zur Kritik an der Vorschrift 13 § 97b hat in der Literatur nachhaltige Kritik erfahren;7 die Vorschrift sieht sich dabei auch verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt; allerdings bestand bislang ersichtlich kein Anlass, diese auf dem dafür gegebenen Weg zu prüfen (vgl. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG). Die kritischen Stimmen seien hier kurz zusammengefasst:

1. Allgemeiner Gleichheitssatz 13a Bedenken werden im Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) geäußert, der dem Gesetzgeber u. a. verbietet, wesensmäßig Gleiches unterschiedlich zu behandeln,8 und ihm auferlegt, seine Lösungen im Rahmen eines von ihm selbst gewählten Systems zu halten, wenn nicht hinreichende Sachgründe für eine abweichende Regelung bestehen (sog. Systemgerechtigkeit; vgl. BVerfGE 61 138, 148): Während der Gesetzgeber im Allgemeinen Teil des StGB den Verbots- und den Tatbestandsirrtum differenziert und eben allgemein geregelt habe (§§ 16, 17), würden in § 97b beide einheitlich gehandhabt. Des Weiteren seien die übrigen Merkmale des Staatsgeheimnisbegriffs – also abgesehen von der Frage der Legalität (§ 93 Abs. 2) – weiter nach den allgemeinen Irrtumsvorschriften zu würdigen; irre beispielsweise jemand über die Erforderlichkeit der Geheimhaltung, sei dies nach den §§ 16, 17 zu beurteilen. Ein einleuchtender, sachgerechter Grund für diese Differenzierung fehle. Der Gesetzgeber habe hier sein eigenes System nicht durchgehalten. Wenn er den Gefahren, die mit dem Offenbaren eines Staatsgeheimnisses verbunden seien, mit einer strengeren Irrtumsregelung habe begegnen wollen, so hätte er mit dieser alle Irrtumsfälle erfassen müssen, die Merkmale des Staatsgeheimnisses beträfen. Schließlich sei es widersprüchlich, in dem Offenbaren eines (wirklich) illegalen Geheimnisses kein tatbestandliches Unrecht zu sehen (siehe § 93 Abs. 2), hingegen den in nicht vorwerfbarer Weise über die Legalität eines Staatsgeheimnisses Irrenden nur unter besonders strengen Voraussetzungen strafbar zu lassen (näher zu dieser Auffassung Fischer Rdn. 2 und 10; Sch/

6 Überschriftsregelung durch Art. 19 Nr. 207 EGStGB vom 2.3.1974 BGBl. I 469, 500. 7 Die Terminologie der namhaften Kritiker ist deutlich; sie reicht von der Bewertung „dogmatische Anomalie“ (Fischer Rdn. 2) über „legislatorische Eskapade“, bei der es dem Gesetzgeber nicht an Leidenschaft, wohl aber an Augenmaß gefehlt habe (Lüttger JR 1969 121, 129 f.), über „kriminalpolitisch verfehlt“ und „mit dem Schuldgrundsatz unvereinbar“ (Wolter SK Rdn. 11), „verunglückter Auffangtatbestand“ (Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1) bis zu der Einschätzung „Ausdruck überängstlichen … in erhebliche dogmatische Schwierigkeiten führenden Kleinmuts“ (Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 27; zustimmend Paeffgen NK Rdn. 2). 8 Dazu BVerfGE 1 14, 32; 45 376, 380 f.; 55 72, 90; 55 114, 128. Barthe/Schmidt

456

IV. Zur Kritik an der Vorschrift

StGB § 97b

Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Wolter SK Rdn. 12 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 29).

2. Schuldgrundsatz Weiter wird der Standpunkt vertreten, die besondere Irrtumsregelung (§ 97b) verletze den verfas- 14 sungsverbürgten Schuldgrundsatz. Dieser gebiete u. a., Tatbestand und Rechtsfolge, gemessen an der Idee der Gerechtigkeit, sachgerecht aufeinander abzustimmen. Mit anderen Worten: Die angedrohten Strafen müssten in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der beschriebenen Taten und zu dem Verschulden des Täters stehen und so dem Strafrichter im Einzelfall ein schuldangemessenes Strafen ermöglichen.9 Dem werde § 97b nicht gerecht: Die Vorschrift führe dazu, dass jemand wegen vorsätzlicher Tatbegehung bestraft werden könne, wiewohl er sich in einem nicht vorwerfbaren Irrtum über ein das Tatunrecht konstituierendes negatives Tatbestandsmerkmal befunden habe (Bestrafung ohne Schuld); für diesen und die anderen im Blick auf die Voraussetzungen des Absatzes 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 einschlägigen Fälle sei nicht einmal die Möglichkeit einer Strafrahmenmilderung vorgesehen (hierzu §§ 17 Satz 2, 49 Abs. 1; Fischer Rdn. 8; Wolter SK Rdn. 13; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; vgl. auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Lampe/Hegmann MK Rdn. 3 und Lüttger JR 1969 121, 129 f.; aA ohne weitere Begründung: Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609, 611).

3. Verfassungskonforme Auslegung Auf der Grundlage dieser Rechtsansichten wird teilweise eine verfassungskonforme Ausle- 15 gung der Bestimmung für erforderlich erachtet (siehe Fischer Rdn. 8; Wolter SK Rdn. 14).10 Erwogen wird: a) eine Art (verfassungskonformer) Reduktion des Tatbestandes. Sei dem Täter sein Irrtum nicht vorzuwerfen, so handele er ohne Schuld und müsse straflos bleiben (Wolter SK Rdn. 14); b) eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 (des jeweils geltenden Bezugsstrafrahmens nach den §§ 94 bis 97). Sie soll vorzunehmen sein, wenn der Täter auch nur eine der sich aus den Nummern 1 bis 3 des Absatzes 1 S. 1 ergebenden Voraussetzungen für seine Straflosigkeit verwirklicht hat und seine Schuld deshalb gemildert ist; insbesondere aber dann, wenn der Irrtum nicht vorwerfbar ist (Fischer Rdn. 8). Nach anderer Auffassung (Wolter SK Rdn. 14; dazu auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9) muss die Strafe selbst im Falle eines vorwerfbaren Irrtums (Absatz 1 Satz 1 Nr. 1) gemildert werden können, weil auch hier in der Regel ein minderer Schuldvorwurf in Betracht komme; bei Vorliegen einer der anderen Varianten (Absatz 1 S. 1 Nr. 2 oder 3) soll das Milderungserfordernis indessen entfallen (Wolter SK Rdn. 14); c) die Annahme eines besonders schweren Falles (in Verbindung mit dem jeweiligen Bezugstatbestand) auch bei vorwerfbarem Irrtum im Blick auf den irrtumsbedingt geminderten Schuldgehalt nur in seltenen Ausnahmefällen oder gar nicht zuzulassen (Wolter SK Rdn. 14; Fischer Rdn. 8).

9 Vgl. BVerfG 6 389, 439; 41 121, 125 f., 45 187, 259 f. 10 Weitergehende Konsequenzen zieht Wiedmann Inwieweit widerspricht § 97b StGB allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen? Diss. Tübingen 1971, S. 41 ff., der § 97b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 sowie Abs. 2 mangels eigenständiger Verbotsmaterie für verfassungswidrig und nichtig hält. 457

Barthe/Schmidt

§ 97b StGB

Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses

4. Die Ansichten Jeschecks und Paeffgens 15a Jescheck und Paeffgen haben versucht, die aufgezeigte Problematik aufzuarbeiten, indem sie § 97b als Rechtfertigungsgrund (Jescheck Die Behandlung des sog. illegalen Staatsgeheimnisses im neueren politischen Strafrecht, Festschrift für Engisch [1969] S. 584, 596; siehe auch Maurach/ Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 30) bzw. § 93 Abs. 2 als einen „als negatives Tatbestandsmerkmal gefassten Rechtfertigungsgrund“ und § 97b als darauf bezogene Regelung eines Erlaubnistatbestandsirrtums (Paeffgen Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses [97b StGB] und die allgemeine Irrtumslehre [1979] S. 223 ff.; ders. NK Rdn. 20) werten. Paeffgen meint auf dieser Grundlage, der Gesetzgeber könne eine Rechtfertigung von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig machen. Diese Interpretationsversuche müssen jedoch angesichts des Wortlauts der Vorschriften und der gesetzgeberischen Vorstellungen (vgl. nur Maassen Prot. V/2058) als gescheitert gelten, mögen sie auch beredtes Zeugnis von „reichem argumentatorischen Geschick“11 ablegen.

5. Eigene Stellungnahme 16 Die verfassungsrechtlichen Bedenken sind beachtenswert. Sie lassen sich nicht mit dem Hinweis übergehen, die praktische Bedeutung der Vorschrift sei bislang gering (hierzu schon Rdn. 1).

17 a) Zweck der Vorschrift. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ist § 97b im Blick auf die Ausklammerung des illegalen Geheimnisses aus dem Grundtatbestand gewissermaßen als „Sicherung“ gedacht: Niemand soll sich in einer so schwierigen, vielschichtigen Frage wie der Illegalität eines Staatsgeheimnisses im Sinne des § 93 Abs. 2 „leichthin“ auf einen Irrtum berufen können.12 Man war sich im Gesetzgebungsverfahren durchaus bewusst, dass hier ein neuralgischer Punkt der Regelung liegt, der sich leicht zu einer empfindlichen Einbruchstelle ausweiten könnte, wenn die politische Situation den entsprechenden Nährboden schafft und bei schwindendem Grundkonsens in Fragen der Sicherheit die ansonsten greifenden Hemmnisse mehr und mehr entfallen. So gesehen erscheint es zumindest nicht als sachwidrig, in diesem empfindlichen Bereich des Staatsschutzstrafrechts, bei dem es immer um die Abwehr der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit des Gemeinwesens geht, eine auf das Merkmal der Illegalität des Geheimnisses im Sinne des § 93 Abs. 2 beschränkte, erhöhte Anforderungen stellende Irrtumsregelung zu treffen und so der besonderen Art und Tragweite eines solchen Irrtums Rechnung zu tragen. Die dem Gesetzgeber durch Art. 3 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit (vgl. BVerfGE 18 121, 124; 55 72, 90) dürften danach auch angesichts der aufgezeigten unterschiedlichen Rechtsfolgen nicht überschritten sein.

18 b) Kein Verstoß gegen den Schuldgrundsatz. Soweit die Kritik auf dem Schuldgrundsatz fußt (siehe Rdn. 14) und ihre Angriffe sich gegen die gleichen Strafrahmen bei Irrtum und Nichtirrtum richten (Rechtsfolgenverweisung in § 97b), können sie bei der Strafzumessung im Einzelfall aufgefangen werden. Zu übermäßigem Strafen wird der Tatrichter, der die Gesamtumstände zu berücksichtigen und hierbei auch diese besondere Problematik zu beachten hat, nicht gezwungen sein. Obwohl für den Täter des § 97b derselbe Strafrahmen vorgegeben ist wie für den des Bezugsdelikts, wird sich bei der Straffindung nach § 97b, also bei der Einordnung der Tat in der „Skala“ des Strafrahmens, in aller Regel eine tat- und schuldangemessene Begrenzung ergeben, die aus dem Aufeinanderbezogensein der Tatbestände folgt. Im Übrigen wird auch 11 So Jakobs ZStW 93 (1981) S. 901, 908 zu Paeffgens Untersuchung; Jakobs spricht weiter von dem Versuch Paeffgens, eine „missratene Vorschrift zurechtzuinterpretieren“; siehe zu Paeffgen auch Wolter SK Rdn. 13.

12 Vgl. die Äußerung des Abg. Arndt BTVerh. 5. Wp. StenB der 177. Sitzung S. 9537 A. Barthe/Schmidt

458

IV. Zur Kritik an der Vorschrift

StGB § 97b

eine entsprechende Anwendung der Strafrahmenmilderungsvorschrift des § 49 in Betracht zu ziehen sein.

c) Der Gesichtspunkt der Risikoverteilung. Irrt der Täter nicht vorwerfbar über die Illegali- 19 tät des Geheimnisses, ergeben sich allerdings gewichtige Bedenken gegen die Regelung. Unter dem Satz „Keine Strafe ohne Schuld“, dem Verfassungsrang zukommt und der seine Grundlage im Rechtsstaatsprinzip sowie in Art. 1 Abs. 1 GG findet (vgl. BVerfGE 50 125, 133 m. w. N.; 95 96, 140), stellt sich die Frage, ob Umstände die Strafbarkeit begründen können sollen (siehe Absatz 1 S. 1 Nr. 2 und 3), die bei der irrtumsfreien Tathandlung, bezogen auf ein (objektiv) illegales Geheimnis, keine Verbotsmaterie sind. „Schuld“ des Täters wird man hier nur in Betracht ziehen können, wenn sie mit Elementen einer Risikotragung verbunden wird (vgl. die Untersuchung Wiedmanns a. a. O. [Fn.10], S. 102 ff., der diesen Weg jedoch verwirft). § 97b bürdet dem Betroffenen das Risiko des Irrtums über die Illegalität des Geheimnisses auf, wenn er nicht besonderen Anforderungen (Absatz 1 S. 1 Nr. 2 und 3) gerecht wird, die der Gesetzgeber im Blick auf die schweren Tatfolgen und das Gewicht des in Rede stehenden Rechtsgutes stellt. Zurechenbare Schuld im Umgang mit dem nur vermeintlich illegalen Staatsgeheimnis wird letztlich darin gründen, dass der Täter die Tathandlung vornimmt, ohne diesen Maßgaben zu genügen, die aber erfüllt sein müssen, um den vermeidbaren Irrtum über die Illegalität strafrechtlich erheblich werden zu lassen. Ein Wertungswiderspruch, der sich daraus ergeben soll, dass das Offenbaren eines wirklich illegalen Geheimnisses kein tatbestandliches Unrecht ist (vgl. Rdn. 13 a. E.), dürfte nicht bestehen. Die angesprochene Risikoverteilung trifft grundsätzlich auch den Täter, der das tatsächlich illegale Geheimnis offenbart. Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich in den §§ 113 Abs. 4, 125 Abs. 2 und 136 Abs. 4 ähnliche Regelungen getroffen. Den Vorschriften ist gemein, dass derjenige, der die Legalität staatlicher Maßnahmen bestreitet und dabei Individualrechtsgüter oder Gemeinschaftswerte tangiert, das Risiko der Einschätzung tragen soll. Eine solche Risikoverteilung zum Nachteil des „Widerstandsleistenden“ weicht zwar von den Grundsätzen zur Putativnotwehr ab, ist aber – wie etwa § 186 im Bereich der Beleidigungsdelikte zeigt – nicht völlig systemfremd und wohl auch nicht unbillig (vgl. dazu Rosenau LK § 113 Rdn. 65 ff. sowie Krauß LK12 § 125 Rdn. 95 f. und § 136 Rdn. 47 ff.).

459

Barthe/Schmidt

§ 98 Landesverräterische Agententätigkeit (1) Wer 1. für eine fremde Macht eine Tätigkeit ausübt, die auf die Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen gerichtet ist, oder 2. gegenüber einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 94 oder § 96 Abs. 1 mit Strafe bedroht ist. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren; § 94 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 gilt entsprechend. (2) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter freiwillig sein Verhalten aufgibt und sein Wissen einer Dienststelle offenbart. Ist der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 von der fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner zu seinem Verhalten gedrängt worden, so wird er nach dieser Vorschrift nicht bestraft, wenn er freiwillig sein Verhalten aufgibt und sein Wissen unverzüglich einer Dienststelle offenbart.

Schrifttum Auf die Literaturangaben Vor § 93 wird verwiesen.

Entstehungsgeschichte Die Bestimmung über die landesverräterische Agententätigkeit ist mit dem 8. StRÄndG1 in das StGB aufgenommen worden und hat ihre gegenwärtige Fassung durch Art. 1 Nr. 29 des 1. StrRG2 und Art. 19 Nr. 20 EGStGB3 erhalten. Zusammen mit dem zentralen Spionagetatbestand des § 99 hat sie den alten Tatbestand der verräterischen Beziehungen (§ 100e a. F.) abgelöst. Jener hatte wegen seiner weiten Fassung Kritik erfahren (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 21; Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609, 612 f.; siehe zur alten Rechtslage und zu den Änderungsvorschlägen Lackner ZStW 78 [1966] 695). Zur Entstehung wird weiter auf den SPD-Entwurf (BTDrucks. V/102 [dort § 100e]) und auf den Regierungsentwurf (BTDrucks. V/898 [dort § 100 Abs. 2 und 3]) verwiesen (siehe ferner Prot. V/1517 f., 1569, 1625, 1631 f.; vgl auch E 1962 § 387 BTDrucks. IV/650).

Übersicht I.

Allgemeines

II.

Ausüben einer landesverräterischen Agententä2 tigkeit (Absatz 1 S. 1 Nr. 1) 2a Tathandlung 3 Zweckrichtung 5 Adressat der Tätigkeit (Begünstigter) 6 Innerer Tatbestand 6a Zusammentreffen

1. 2. 3. 4. 5.

1

III.

Sichbereiterklären zur landesverräterischen 7 Agententätigkeit (Absatz 1 S. 1 Nr. 2)

IV.

Militärische Geheimnisse der NATO-Vertragsstaa8 ten, Euratom-Geheimnisse

V.

Rechtfertigung und Entschuldigung

8a

1 Vom 25.6.1968 BGBl. I 741, 746. 2 Vom 25.6.1969 BGBl. I 645, 652. 3 Vom 2.3.1974 BGBl. I 469, 479. Die hier vorgenommene Änderung war inhaltlich bereits durch Art. 1 Nr. 4 des 2. StrRG (vom 4.7.1969 BGBl. I 717, 740) erfolgt; diese Bestimmung wurde durch Art. 18 III EGStGB (a. a. O. S. 478) aufgehoben. Barthe/Schmidt https://doi.org/10.1515/9783110490008-035

460

II. Ausüben einer landesverräterischen Agententätigkeit (Absatz 1 S. 1 Nr. 1)

VI.

Versuch und Beteiligung

3.

15 d) Rechtsfolgen 16 Absatz 2 Satz 2 16a a) Psychische Zwangslage b) Zeitpunkt der Offenbarung 17 18 c) Rechtsfolge Beschränkte Wirkung des Absatzes 2

IX.

Konkurrenzen

X.

Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

9 2.

VII. Der besonders schwere Fall (Absatz 1 10 Satz 2) VIII. Tätige Reue (Absatz 2) 11 1. Absatz 2 Satz 1 12 12a a) Freiwillige Aufgabe der Tat 13 b) Offenbarungshandlung c) Adressat der Offenbarung 14

StGB § 98

19

20 21

I. Allgemeines Der Tatbestand soll aktives Täterverhalten im Vorfeld des Landesverrats sowie der landesverrä- 1 terischen Ausspähung (§§ 94, 96 Abs. 1) erfassen. Diese „vorgelagerte Agententätigkeit“, die Anbahnungs- und Vorbereitungshandlungen im weiteren Sinne einschließt, war früher nach § 100e a. F. strafbar. Die §§ 98, 99 sollten als Nachfolgetatbestände (vgl. BGH, Urteil vom 8.7.1969 – 6 StE 2/68 – S. 75 ff. und dazu BVerfGE 28 175, 178, 186, 189 ff.) den Anwendungsbereich jener Vorschrift einengen. Das bloße Aufnehmen und Unterhalten von Beziehungen, die lediglich äußerlich betrachtet die Mitteilung von Staatsgeheimnissen zum Gegenstand haben und bei denen der Betroffene vom fremden Beziehungspartner nur ausgeforscht wird, sollte nicht mehr mit Strafe bedroht sein.4 Die landesverräterische Agententätigkeit (§ 98) wird häufig mit der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99) tateinheitlich einhergehen (vgl. BGHSt 25 145, 150). Während hier jede Tätigkeit erfasst wird, die eine fremde Macht der Kenntnis von Staatsgeheimnissen näher bringen soll, ist es dort die Tätigkeit für deren Geheimdienst, dessen nachrichtendienstliche Arbeit – Beschaffung von Erkenntnissen jedweder Art – unterstützt und gefördert werden soll. Zu anderen Abweichungen in der Wortfassung vgl. BGHSt 24 369, 377.

II. Ausüben einer landesverräterischen Agententätigkeit (Absatz 1 S. 1 Nr. 1) In der Begehungsform des Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ist das Ausüben einer Tätigkeit für eine fremde Macht 2 mit Strafe bedroht; diese Tätigkeit muss auf die Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen gerichtet sein.

1. Tathandlung Der Begriff des Ausübens einer Tätigkeit kennzeichnet ein aktives Tun. Ein Unterlassen oder ein 2a sonst nur passives Verhalten scheidet als Tathandlung aus.5 Es ist nicht erforderlich, dass die Tätigkeit von gewisser Dauer ist. Zwar wird mit dem Begriff „eine Tätigkeit ausüben“ im allgemeinen Sprachgebrauch ein gewisses Element der Dauer verbunden. Daraus lässt sich jedoch nicht herleiten, dass ein einmaliges Tätigwerden das Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt. Die Fassung der Vor4 BVerfGE 28 175, 178, 186, 189 ff.; 57 250, 263, 265; BGHSt 24 369, 370 f.; 28 169, 172; BGHR StGB § 99 Ausüben 1; BGHSt 42 215, 216 ff.; 43 1, 4 ff. = NStZ 1997 487 m. Anm. Rudolphi (S. 489) und Besprechungsaufsatz Schlüchter/ Duttge/Klumpe in JZ 1997 995; Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 21 f.; Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609, 612 m. w. N.; s. auch Vor § 93 Rdn. 2 f. 5 BVerfGE 57 250, 265 f.; Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 21; Paeffgen NK Rdn. 6; Fischer Rdn. 2; Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Wolter SK Rdn. 2; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2. 461

Barthe/Schmidt

§ 98 StGB

Landesverräterische Agententätigkeit

schrift, ihr Platz und ihre Bedeutung im Gefüge der Neuregelung sprechen gegen eine so enge Auslegung, die auch in den Gesetzesmaterialien keine Stütze findet. Gerade im Blick auf die angestrebte Ablösung des alten Beziehungstatbestandes (§ 100e a. F.) und die damit verbundenen Einschränkungen wurde im Gesetzgebungsverfahren, wenn auch nur vereinzelt, ein einmaliges Tun als Tathandlung ausdrücklich für genügend erachtet (vgl. Güde Prot. V/1629 r. Sp. unten). Unterfiele eine solche Aktivität, die im Einzelfall in Zielrichtung und Ausführung gefährlicher sein kann als manche auf Dauer angelegte Tätigkeit, nicht dem Tatbestand, so wäre der strafrechtliche Schutz in einem nicht unwesentlichen Teil lückenhaft. Eine solche einengende Auslegung brächte überdies beachtliche Auslegungsschwierigkeiten mit sich (gewisse Dauer?), die der Gesetzgeber des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes bei seinem Bemühen um wirksame und praktikable, klar umrissene und dem einzelnen zumutbare Strafvorschriften sicherlich nicht in Kauf nehmen wollte.6 „Ausüben einer Tätigkeit“ i. S. des § 98 kennzeichnet danach ebenso wie in § 99 einen Tatbestand, der zwar schon durch eine Einzelhandlung erfüllt sein kann, der aber seinem Sinne nach insbesondere ein darüber hinaus fortdauerndes, gleichermaßen zielgerichtetes Tätigsein treffen soll.7 Die ausgeübte Tätigkeit muss nicht spezifisch geheimdienstlicher, sie kann vielmehr beliebiger Natur sein. Ein vorheriges Sichbereiterklären (im Sinne der Nummer 2) gegenüber der fremden Macht oder deren Mittelsmann wird nicht vorausgesetzt. Der Täter kann die Tätigkeit auch von sich aus, ohne fremden Auftrag und ohne zuvor Kontakt mit der fremden Macht oder deren Mittelsmann aufgenommen zu haben, ausüben, wenn nur die vorausgesetzte Zweckrichtung gegeben ist.8

2. Zweckrichtung 3 Die Tätigkeit muss auf die Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen gerichtet sein. Gemeint sind Staatsgeheimnisse im Sinne des § 93; illegale Geheimnisse (§ 93 Abs. 2) oder andere Tatsachen bleiben außer Betracht. Die Zweckrichtung braucht während der Tathandlung noch nicht konkretisiert zu sein. Die insoweit unbestimmte Fassung („von Staatsgeheimnissen“) verdeutlicht, dass auch eine Tätigkeit ergriffen wird, die zunächst ganz allgemein auf Staatsgeheimnisse abzielt. Dies entspricht dem gesetzgeberischen Anliegen, Staatsgeheimnissen einen möglichst frühen Schutz angedeihen zu lassen. Einerseits sollen all die Handlungen erfasst werden, denen die generelle Zielrichtung immanent ist, ohne dass bereits Konkretes angesprochen wäre; andererseits geht es auch um die Einbeziehung von Sachverhalten, in denen der Täter zwar schon ein bestimmtes Staatsgeheimnis im Blick hat, sein Handeln aber weder das Stadium der versuchten Ausspähung (§§ 96 Abs. 1, 22) erreicht noch die Voraussetzungen des § 30 (i. V. m. § 96 Abs. 1) erfüllt, und deshalb die Subsidiaritätsklausel des § 98 Abs. 1 S. 1 letzter Halbsatz noch nicht greift.9 Die ausgeübte Tätigkeit muss vom Zweck des Erlangens und Mitteilens (von Staatsgeheimnissen) beherrscht und bestimmt sein. Erlangen heißt hier, Kenntnis von Staatsgeheimnissen nehmen oder Gewahrsam an ihnen oder ihrer Verkörperung begründen, um sie letztlich der

6 Vgl. BGHSt 31 317, 318 ff. zu § 99 = NStZ 1983 550 f. m. zutr. Anm. Stree S. 551 ff.; Schmidt LM Nr. 7 zu § 99 StGB 1975; Lackner/Kühl/Kühl § 99 Rdn. 2; Paeffgen NK Rdn. 6; Fischer Rdn. 2; kritisch dagegen Schroeder JZ 1983 671, 672 [sub 3] und NJW 1981 2278, 2281; s. dazu auch § 99 Rdn. 3. 7 Vgl. BGHSt 42 215, 216 ff.; 43 1, 4 ff. = NStZ 1997 487, 488; BGHR StGB § 99 Ausüben 1, 3 und 4. 8 BGHSt 25 145, 146 ff.; dazu auch BGHSt 24 369, 372; OLG Hamburg NJW 1989 1371; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3 und 7; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Paeffgen NK Rdn. 8; Wolter SK Rdn. 7; Fischer Rdn. 4; Lampe/Hegmann MK Rdn. 5. 9 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Wolter SK Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 9; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Fischer Rdn. 4; Lampe/Hegmann MK Rdn. 6. Barthe/Schmidt

462

II. Ausüben einer landesverräterischen Agententätigkeit (Absatz 1 S. 1 Nr. 1)

StGB § 98

fremden Macht zugänglich machen zu können. Das Mitteilen als Endzweck meint die Übermittlung (noch zu beschaffender) Staatsgeheimnisse an eine fremde Macht. Die Vollendung des Delikts setzt nicht voraus, dass der Täter mit dem Erlangen oder Mitteilen schon begonnen hat; erforderlich ist allein die dahingehende Handlungsrichtung. Ist er bereits dabei, den Zweck zu verwirklichen, ihn ins Werk zu setzen, wäre darin in der Regel schon ein Versuch der Ausspähung oder des Landesverrats zu sehen, die Erfüllung von Tatbeständen also, die hier das Vergehen nach § 98 zurücktreten ließen (vgl. Rdn. 20). Die Zweckerreichung selbst kann je nach Plan und Vorgehen entweder dem Täter selbst oder Dritten aufgegeben sein. Es genügt, dass der Täter einen Tatbeitrag leistet, der dazu dient, ihn oder einen anderen im Sinne der Zielsetzung näher an Staatsgeheimnisse heranzubringen. Erfasst wird jedes Tun, das bestimmt und objektiv geeignet ist, zur Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen hinzuführen, den Zugriff darauf zu erleichtern. Nicht erforderlich ist, dass die Tätigkeit bereits eine unmittelbare und sichere Zugangsmöglichkeit eröffnet (dazu OLG Celle, Urteil vom 16.9.1975 – 4 StE 3/ 75 – S. 37). Als Beispiele seien genannt: Das Herausfinden des Verwahrungsortes von Staatsgeheimnissen, das Sichverschaffen von Schlüsseln zu Verwahrungsplätzen oder das Knüpfen von Kontakten zu Geheimnisträgern, die ihrerseits den Zugang zu Staatsgeheimnissen eröffnen sollen; ferner die Bewerbung um eine Arbeitsstelle in einem hochsicherheitsempfindlichen Bereich (vgl. OLG Celle a. a. O.) oder das Ableisten einer Wehrübung, die dem Täter die Möglichkeit vertiefter Ausbildung und so des Zugangs zu Staatsgeheimnissen geben soll; des Weiteren das Bemühen um eine Einstellung als Referent in einem Amt, die mit der Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen bis zur Stufe „GEHEIM“ verbunden wird (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.12.1975 – IV – 3/75 [3] [4 StE 1/75 GBA] – S. 112 f.). Es scheiden allerdings solche Handlungen aus, die nicht von der genannten Zweckrichtung beherrscht werden, wie etwa das Schulen oder Erproben von Störungstrupps oder von bestimmten Vertrauensmännern, die allgemein nachrichtendienstlich tätig werden sollen (§ 99), ohne auf Staatsgeheimnisse angesetzt zu sein. Die Strafvorschrift (Absatz 1 S. 1 Nr. 1) erfasst auch Handlungen, die darauf angelegt sind, einer 4 fremden Macht wesentliche Teile eines Staatsgeheimnisses zu übermitteln, Tatsachen also, die für sich genommen noch kein Staatsgeheimnis darstellen, die aber von solcher Bedeutung sind, dass sie zusammen mit anderen Erkenntnissen ein solches ergeben. Dabei wird nicht vorausgesetzt, dass die fremde Macht bereits im Besitz der weiteren Kenntnisse ist, die der Ergänzung bedürften; entscheidend bleibt – insoweit anders als bei §§ 94, 96 Abs. 1 –, dass der Zugang zum Staatsgeheimnis näher rückt.10 Das finale Element des Tatbestandes, das Ausgerichtetsein der ausgeübten Tätigkeit auf die Erlangung oder Mitteilung von (vollständigen) Staatsgeheimnissen, wird gerade in solchen Fällen in aller Regel gegeben sein, mag die Tathandlung dieses Ziel zunächst auch nur mittelbar, „auf Umwegen“ verfolgen. Insoweit genügt, dass der Endzweck jedenfalls dem Geschehenszusammenhang innewohnt, als Ziel angestrebt wird und nicht fern und vage im Ungewissen liegt. Unter dieser Prämisse wird Absatz 1 S. 1 Nr. 1 auch solche Fälle treffen, in denen der Täter zunächst und unmittelbar lediglich der Erlangung oder Mitteilung solcher Tatsachen nachgeht, die nicht Teil eines Staatsgeheimnisses sind, die aber die Grundlage weiteren Ausforschens eines Staatsgeheimnisses sein können.11 Die Rechtsprechung zu dem früheren Tatbestand der landesverräterischen Beziehungen (§ 100e a. F.), die es genügen ließ, dass die Beziehungen ihrer Natur nach möglicherweise in der Zukunft („letztlich“) auf die Mitteilung von Staatsgeheimnissen abzielen würden (vgl. etwa BGHSt 15 230, 231; 18 336, 337), ist auf § 98 nicht übertragbar.

10 BGHSt 25 145, 149 f.; aA Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 61; Sonnen AK Rdn. 6; kritisch Paeffgen NK Rdn. 10. 11 Vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Wolter SK Rdn. 4; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Fischer Rdn. 4; Lampe/ Hegmann MK Rdn. 6. 463

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Landesverräterische Agententätigkeit

3. Adressat der Tätigkeit (Begünstigter) 5 Der Tatbestand erfordert, dass die zweckgerichtete Tätigkeit für eine fremde Macht ausgeübt wird. Das Handeln des Täters muss dazu bestimmt sein, ein Staatsgeheimnis oder dessen wesentliche Teile an eine fremde Macht gelangen zu lassen. Es bedarf auch insoweit lediglich einer Zielvorstellung. Eine Verbindung des Täters zu einer fremden Macht braucht noch nicht zu bestehen, er muss sich nicht einmal darüber im Klaren sein, an welche fremde Macht das Staatsgeheimnis gelangen soll, wenn nur der Handlungszweck darin liegt, es irgendeiner, später zu bestimmenden Macht zukommen zu lassen (s. hierzu auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Wolter SK Rdn. 7). Zur Definition des Begriffs der fremden Macht wird auf die Erläuterung zu § 93 Rdn. 10a bis 12 verwiesen. Die Vorschrift verzichtet darauf, neben der fremden Macht ausdrücklich deren Mittelsmänner aufzuführen, wie das in Absatz 1 S. 1 Nr. 2 sowie in § 94 Abs. 1 Nr. 1 geschehen ist. Dadurch erfährt der Tatbestand aber keine sachliche Einschränkung. Die landesverräterische Agententätigkeit kann durchaus darauf gerichtet sein, Staatsgeheimnisse über einen Mittelsmann der fremden Macht an diese gelangen zu lassen; auch in diesem Falle erfolgt sie „für“ diese Macht. Ausgeschieden wird mit der Umschreibung allerdings die Tätigkeit für Stellen oder Personen, die keinerlei Mittelsfunktion für eine fremde Macht wahrnehmen (zu den Einzelheiten und Abgrenzungsfragen beim Mittelsmann s. § 94 Rdn. 2 f.).

4. Innerer Tatbestand 6 Der innere Tatbestand erfordert mindestens bedingten Vorsatz. Die erforderliche Zielgerichtetheit des Täterhandelns begründet insoweit nicht etwa ein Absichtserfordernis.12 Zwar wird es regelmäßig der Täter sein, der den umschriebenen Zweck anstrebt; für die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes ist dies aber nicht Voraussetzung. Es wird Fälle geben, in denen etwa der Mittelsmann einer fremden Macht einen konkreten Auftrag mit entsprechender Zielrichtung erteilt und der Täter dies – ohne dass es ihm selbst auf die Erreichung des Zwecks ankommt – billigend in Kauf nimmt und auftragsgemäß handelt (in BGHSt 31 317, 331 f. – zu § 99 – offengelassen). Schließlich kann es auch so liegen, dass bei gemeinschaftlichem Vorgehen (vgl. § 25 Abs. 2) einer der Mittäter auf die Mitteilung von Staatsgeheimnissen zielt, der andere nicht. Ist für diesen aber nicht zweifelhaft oder rechnet er jedenfalls damit, dass das Vorgehen des Mittäters – und damit auch die eigene Tathandlung, die dessen Handeln ergänzt – auf die Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen gerichtet ist, und akzeptiert er dies, so erfüllt auch er – bedingt vorsätzlich – den Tatbestand des § 98 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 (dazu OLG Koblenz, Urteil vom 4.6.1976 – [2] 4 StE 2/75 – S. 106). Wird die Tätigkeit lediglich zum Schein ausgeübt, will der Täter also in Wahrheit nicht, dass die fremde Macht Staatsgeheimnisse erlangt, so fehlt es am Vorsatz.13

12 AA Wolter SK Rdn. 8 und 10; auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8 und 15; Fischer Rdn. 6; Matt/Renzikowski/Kubli Rdn. 4; Lampe/Hegmann MK Rdn. 9; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 59; Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 304; ders. JZ 1983 671, 672; Paeffgen NK Rdn. 11: Der Täter muss bzgl. der Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen sowie des Handelns für eine fremde Macht mit dolus directus 2. Grades (sicherem Wissen) handeln. 13 Fischer Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Paeffgen NK Rdn. 11; Wolter SK Rdn. 8, 10; Lampe/Hegmann MK Rdn. 9; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2, der diese Auffassung als h. M. wiedergibt, dabei aber auch auf seine (Lackners) frühere Kritik in ZStW 78 (1966) 695, 702 ff. hinweist. Barthe/Schmidt

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III. Sichbereiterklären zur landesverräterischen Agententätigkeit (Absatz 1 S. 1 Nr. 2)

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5. Zusammentreffen Erschöpft sich die landesverräterische Agententätigkeit, wie meist, nicht in einem einzigen, auf die 6a Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen gerichteten und abzielenden Betätigungsakt (vgl. Rdn. 2), sondern liegt ihr ein Aufklärungs- oder Beschaffungsvorhaben im Sinne des § 98 Abs. 1 zugrunde, das mehrere Tätigkeitsakte notwendig macht, möglicherweise auch in der Zielsetzung gleichzeitig verschiedene verräterische Interessen verfolgt, so werden diese Tätigkeitsakte, auch wenn sie in größeren zeitlichen Intervallen durchgeführt wurden, insgesamt vom Tatbestand des § 98 Abs. 1 erfasst und als zusammengehöriger Handlungskomplex zur tatbestandlichen Handlungseinheit verbunden (s. BGHSt 42 215 ff.; 43 1, 4 ff., jeweils zu § 99; Paeffgen NK Rdn. 11; vgl. auch Rdn. 2). Erfüllt die Tätigkeit gleichzeitig die Merkmale des § 99 Abs. 1, verwirklicht sie sich also im geheimdienstlichen Rahmen, so treffen beide Taten tateinheitlich zusammen (BGHSt 25 105, 150; dazu auch Rdn. 20). Beendigt im Sinne des § 78a ist die Tat nach § 98 Abs. 1 in solchen Fällen erst dann, wenn der Täter von diesem Vorhaben absieht und seine Tätigkeit insoweit gänzlich einstellt. Unterbrechungen, die nicht nur vorübergehender Natur sind und sich auch nicht als ein die spätere Fortsetzung sichernder oder in sonstiger Hinsicht wesenseigener Teil des Tatgeschehens darstellen, können der Feststellung einer fortdauernden Handlungseinheit entgegenstehen. Für die Beendigung der Tat nach § 99 Abs. 1 gilt grundsätzlich nichts anderes; Differenzierungen ergeben sich jedoch aus der Verschiedenheit der Tatbestände. Entfällt etwa nach Versetzung eines Agenten aus einem sicherheitsempfindlichen Bereich ersichtlich jede Möglichkeit der Aufklärung geheimer Sachverhalte, so kann daraus die Beendigung der Straftat nach § 98 Abs. 1 folgen; die Fortsetzung der Tätigkeit im Sinne des § 99 Abs. 1 bleibt davon unberührt (vgl. dazu BGHSt 42 215, 216 ff.; 43 1, 4; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7). Auch für sie beginnt die Verjährung erst mit der Beendigung der Straftat, d. h. mit der endgültigen Einstellung der geheimdienstlichen Tätigkeit.14 Weder aus der Rechtsnatur der Verjährung (s. dazu BVerfGE 25 269, 287, 294; Greger/Weingarten LK Vor § 78 Rdn. 7 ff.) noch aus den §§ 78a und 78c Abs. 3 Satz 2 lassen sich stichhaltige Gründe ableiten, die von der Strafnorm vorgegebene tatbestandliche Handlungseinheit aufzuspalten, um für zeitlich zurückliegende Teile der Tat die Möglichkeit frühzeitigerer Verjährung zu eröffnen. Der Tatbegriff im Sinne der §§ 78, 78a meint die einzelne Gesetzesverletzung, die Verwirklichung des Tatbestandes einschließlich des tatbestandlichen Erfolgs (Greger/Weingarten LK §§ 78, 78a Rdn. 3; Fischer § 78a Rdn. 1). Von dieser Gesetzeslage ist bei der Anwendung der Verjährungsvorschriften auszugehen (Greger/Weingarten LK Vor § 78 Rdn. 13). Entscheidend ist danach, dass sich das gesamte Tatgeschehen als tatbestandliche Handlungseinheit erweist und eventuelle zeitliche Unterbrechungen sich als der Tat immanent darstellen.15

III. Sichbereiterklären zur landesverräterischen Agententätigkeit (Absatz 1 S. 1 Nr. 2) Die Tatbestandsvariante der Nr. 2 pönalisiert das Sichbereiterklären zu einer Tätigkeit nach 7 Nummer 1. Gegenstand der Erklärung ist danach das Bekunden der Bereitschaft zum täterschaftlichen Ausüben der Agententätigkeit (siehe Rdn. 2 ff.); wer sich lediglich zur Beihilfe bereiterklärt, erfüllt die Voraussetzungen der Nummer 2 nicht.16 Die Erklärung kann schriftlich oder mündlich, ausdrücklich oder konkludent (schlüssig) erfolgen, muss in ihrem Bedeutungs14 BGHSt 42 215; 43 321 = BGHR StGB § 99 Ausüben 6 = StV 1998 195 f.; dazu die krit. Anm. von Schlüchter/Duttge NStZ 1998 618 ff.; Paeffgen JR 1999 89, 94 f. und NK Rdn. 11. 15 BGHSt 43 321; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7; Fischer Rdn. 12; auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 36; Wolter SK § 99 Rdn. 7, jedoch kritisch distanzierend in NStZ 1997 489 f. (Anm. zu BGHSt 43 1, 4 ff.); kritisch auch Schlüchter/ Duttge/Klumpe JZ 1997 995 und Schlüchter/Duttge NStZ 1998 618, 619 ff. (Anm. zu BGHSt 43 321); dazu BGH bei H. W. Schmidt §§ 94, 99 NStZ 1998 610 f. 16 Vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Paeffgen NK Rdn. 12; Wolter SK Rdn. 9; Lampe/Hegmann MK Rdn. 10. 465

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gehalt allerdings zweifelsfrei sein. Sie kann auf der Initiative des Täters selbst oder auf einer Anregung von außen, mithin auch der fremden Macht beruhen (vgl. Sch/Schröder/SternbergLieben Rdn. 13) und auf verschiedene Weise übermittelt werden. Verhandelt jemand lediglich mit dem Mittelsmann einer fremden Macht, so ist darin noch keine Bekundung im Sinne des Tatbestandes zu sehen (BGH JZ 1961 505 f. zu § 100e a. F.). Die Erklärung muss der fremden Macht oder ihrem Mittelsmann zugehen, d. h. so in deren Machtbereich gelangen, dass diese von ihr Kenntnis nehmen können.17 Erst mit dem Zugang der Erklärung hat sich der Täter in die gefährliche Verstrickung begeben, welche die Strafwürdigkeit der Tat begründet (BGHSt 25 145, 146). Die Frage, wann die Erklärung als zugegangen – und die Tat damit als vollendet – zu erachten ist, ist auf der Grundlage der zu § 130 Abs. 1 BGB entwickelten Maßstäbe zu beantworten. Einer Annahme der Bereitschaftsbekundung durch die fremde Macht oder deren Mittelsmann bedarf es nicht (s. dazu OLG Celle NStZ 1991 82). Subjektiv ist direkter Vorsatz erforderlich (ebenso Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Paeffgen NK Rdn. 13; Wolter SK Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 59; aA AK-Sonnen Rdn. 9; Fischer Rdn. 6). Die Erklärung muss ernstlich, also nicht bloß zum Schein abgegeben worden sein.18 Führt das Sichbereiterklären (Nummer 2) zum Ausüben (Nummer 1) der landesverräterischen Agententätigkeit, so verliert es als dessen Vorstufe seine selbständige Bedeutung und tritt zurück (vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17).

IV. Militärische Geheimnisse der NATO-Vertragsstaaten, Euratom-Geheimnisse 8 Der Tatbestand ist nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des NTSG (abgedruckt Vor § 93 Rdn. 8a) auf militärische Geheimnisse der NATO-Vertragsstaaten erweitert (siehe auch Vor § 93 Rdn. 7 ff.; § 93 Rdn. 18, 24). Auch sogenannte Euratom-Geheimnisse stehen aufgrund der Regelung in Art. 194 Abs. 1 Euratom-Vertrag unter dem Schutz der Vorschrift (vgl. die Erläuterungen Vor § 93 Rdn. 9; § 93 Rdn. 18, 24).

V. Rechtfertigung und Entschuldigung 8a Zu den Möglichkeiten einer Rechtfertigung oder Entschuldigung wird auf § 93 Rdn. 26, 30 und 32 verwiesen (für die Fälle einer Tätigkeit im Rahmen eigener nachrichtendienstlicher Abwehr oder Aufklärung s. § 99 Rdn. 15).19

VI. Versuch und Beteiligung 9 Der Versuch ist in beiden Begehungsformen nicht strafbar (§§ 23 Abs. 1, 98 Abs. 1 S. 1 a. E. [Strafdrohung]). Zum Ausüben der landesverräterischen Agententätigkeit kann Beihilfe geleistet werden, wenn der Gehilfe die Ausübungshandlung (Nummer 1) nur mittelbar unterstützt, beispielsweise durch das Schreiben von Briefen (kritisch Paeffgen NK Rdn. 18). Zwar vertritt der BGH zur ge17 OLG Celle NJW 1991 579 = NStZ 1991 82 zu § 99 Abs. 1 Nr. 2; Paeffgen NK Rdn. 13; Wolter SK Rdn. 9; Fischer Rdn. 5; Lampe/Hegmann MK Rdn. 10; Sonnen AK Rdn. 8; zweifelnd hingegen im Blick auf die h. M. zur Entbehrlichkeit des Zuganges beim sich Bereiterklären nach § 30 Abs. 2: Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13; dazu jedoch Schünemann LK12 § 30 Rdn. 90 f. 18 Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 21; Prot. V/1522, 1528; Paeffgen NK Rdn. 13; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Wolter SK Rdn. 10. 19 S. dazu auch Wolter SK Rdn. 11; Fischer Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 94 Rdn. 15, § 98 Rdn. 9. Barthe/Schmidt

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VII. Der besonders schwere Fall (Absatz 1 Satz 2)

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heimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 Abs. 1 Nr. 1) die Auffassung, eine besondere Beihilfe könne es neben der täterschaftlichen Förderung von Aktivitäten eines fremden Geheimdienstes angesichts der Weite des Tatbestandes nicht geben; aus diesem Grunde habe man auch während der Gesetzesberatungen einen zunächst vorgesehenen selbständigen Beihilfetatbestand fallengelassen (BGHSt 24 369, 377 f. m. w. N.). Diese Argumentation, in ihrer Allgemeinheit ohnehin fragwürdig (vgl. ausführlicher bei § 99 Rdn. 16), lässt sich aber nicht ohne Weiteres auf § 98 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 übertragen. Anders als bei der geheimdienstlichen Agententätigkeit nach § 99 Abs. 1 Nr. 1, die jede – dem Wesen nach geheimdienstliche – Tätigkeit erfasst, welche die Aktivitäten eines fremden Nachrichtendienstes fördert, ist in § 98 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lediglich das auf die Beschaffung von Staatsgeheimnissen gerichtete Handeln unter Strafe gestellt. Die Gefahr einer unerwünschten und bedenklichen Ausweitung des Bereichs des Strafbaren ist hier schon deshalb nicht zu befürchten (wie hier Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Lampe/Hegmann MK Rdn. 14; anders Wolter SK Rdn. 12). Eine Beihilfe zum Sichbereiterklären (Nummer 2) ist entgegen verbreiteter Ansicht (Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 16; Wolter SK Rdn. 12) ebenfalls möglich. Ein stichhaltiger Grund, der die Anwendung der Beihilfe-Vorschrift (§ 27) hindern könnte, ist nicht ersichtlich. Vor allem sind die Erwägungen, mit denen die Möglichkeit einer Beihilfe zu § 30 Abs. 2 (Sichbereiterklären zu einem Verbrechen) abgelehnt wird (siehe BGHSt 14 156, 157 zu § 49a a. F.), nicht hierher übertragbar (vgl. Lampe/Hegmann MK Rdn. 15). Dort wird im Wesentlichen darauf abgehoben, dass § 30 Abs. 2 keine selbständige Strafvorschrift ist, sondern Handlungen erfasst, die sich zwar auf bestimmte Straftatbestände beziehen, die aber ohne die Vorschrift, weil nur im Vorfeld situiert, nicht strafbar wären. Insoweit spricht vieles dafür, dass der Gesetzgeber durch § 30 Abs. 2 nicht noch andere, entferntere Formen der Beteiligung als die in § 30 Abs. 2 selbst Umschriebenen erfasst wissen wollte (vgl. BGHSt 14 156). Das Sichbereiterklären nach § 98 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ist jedoch ein eigenständiger, im besonderen Teil des Strafgesetzbuches normierter Straftatbestand, der einer bestimmten Gefährdungslage entgegenwirken und den ihr entsprechenden Unrechtsgehalt der Tat erfassen will. Hier kann Beihilfe durchaus in Betracht kommen; beispielsweise dann, wenn jemand dem Täter bei Abgabe und Übermittlung der Bereitschaftserklärung hilfreich zur Seite steht, ohne selbst Täter der §§ 94, 96 Abs. 1 – sei es auch nur des Versuchs oder der versuchten Beteiligung im Sinne des § 30 – zu sein (s. die Subsidiaritätsklausel in § 98 Abs. 1 S. 1 letzter Halbsatz; dazu Rdn. 20). Immer wird jedoch in solchen Fällen auch in Frage stehen, ob nicht Täterschaft nach Nummer 1 (Ausüben) vorliegt, wie das etwa bei der Anstiftung zu beiden Begehensformen des § 98 Abs. 1 in der Regel der Fall sein wird (zur Beihilfe zum früheren Beziehungstatbestand des § 100e [a. F.] finden sich Rechtsprechungsnachweise bei Wagner GA 1962 10 ff.).

VII. Der besonders schwere Fall (Absatz 1 Satz 2) Für besonders schwere Fälle ist ein höherer Strafrahmen vorgesehen, der von einem Jahr bis zu 10 zehn Jahren Freiheitsstrafe reicht. Die Vorschrift verweist zur Verdeutlichung auf das Regelbeispiel in § 94 Abs. 2 S. 2 Nr. 1. Es setzt den Missbrauch einer verantwortlichen Stellung voraus, die den Täter zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders verpflichtet (Näheres hierzu bei § 94 Rdn. 16). Die Indizwirkung des Regelbeispiels kann widerlegt werden (s. dazu Schneider LK Vor § 46 Rdn. 21 ff. sowie § 94 Rdn. 16). Die hier in Betracht kommenden Sachverhalte werden allerdings in der Praxis nur selten zur Bestrafung aus § 98 Abs. 1 S. 2 führen; der kraft seiner Position zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders Verpflichtete wird sich, wenn er unter Missbrauch seiner Stellung eine Tätigkeit im Sinne des § 98 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ausübt, alsbald in den Bereichen der Strafbarkeit nach den §§ 96 Abs. 1, 94 Abs. 1 Nr. 1, jeweils in Verbindung mit § 22, bewegen (versuchte landesverräterische Ausspähung, versuchter Landesverrat); Ähnliches gilt für das Sichbereiterklären (§ 98 Abs. 1 S. 1 Nr. 2) im Blick auf § 30 Abs. 2 i. V. m. §§ 96 Abs. 1, 94 Abs. 1 Nr. 1. In den meisten Fällen dieser Art wird daher die Subsidiaritätsklausel des § 98 467

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Abs. 1 S. 1 letzter Halbsatz greifen (siehe Rdn. 20) und das Vergehen der landesverräterischen Agententätigkeit zurücktreten. Ist jedoch bei solchen Fallgestaltungen der Strafrahmen der vorgehenden Delikte nach § 49 Abs. 1 (i. V. m. § 30 oder § 23 Abs. 2) zu mildern und unterschritte die danach mögliche und ins Auge gefasste Strafe diejenige, die nach § 98 Abs. 1 S. 2 als Mindeststrafe auszusprechen wäre, so ist wenigstens auf diese Mindeststrafe zu erkennen.20 Die eigentliche Bedeutung des Regelbeispiels liegt demnach in seiner Eigenschaft als maßstabbildende Wertungsrichtlinie, die gewisse Vorgaben für die Beurteilung der „unbenannten“ besonders schweren Fälle liefern soll (vgl. BGHSt 28 318, 320 mit Bespr. Bruns JR 1979 353). Dieser Beurteilung ist eine Gesamtbewertung aller für die Strafbemessung wesentlichen tat- und täterbezogenen Gesichtspunkte zugrunde zu legen; es kommt darauf an, ob das konkrete Tatbild nach Würdigung aller objektiven, subjektiven und die Persönlichkeit des Täters betreffenden Umstände, die der Tat innewohnen oder die im Zusammenhang mit ihr stehen, vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des höheren Strafrahmens geboten erscheint (dazu BGHSt 23 254, 257; 28 318, 319). Liegt dies nicht fern, sieht der Tatrichter aber dennoch von der Annahme eines besonders schweren Falles ab, so müssen die Urteilsgründe jedenfalls erkennen lassen, dass er die ihm obliegende umfassende Prüfung und Wertung vorgenommen hat (vgl. BGHSt 28 318, 320).

VIII. Tätige Reue (Absatz 2) 11 Absatz 2 sieht (fakultativ) die Möglichkeit vor, den Strafrahmen zu mildern oder ganz von Strafe abzusehen (Satz 1); für die Fälle des Satzes 2 schreibt er (obligatorisch) die Straflosigkeit des Täters vor. Damit hat der Gesetzgeber die Konsequenzen daraus gezogen, dass bei den Begehungsformen des § 98 Abs. 1, die sich als strafrechtlich verselbständigte „Vorstufen“ darstellen, ihrer Natur nach ein Rücktritt nach den allgemeinen Bestimmungen nicht in Betracht kommt (siehe § 24 und Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19). Mit der Regelung der tätigen Reue soll dem Täter ein Anreiz gegeben werden, sich aus seiner gefährlichen Verstrickung zu lösen und durch Offenbarung dazu beizutragen, dass eine auf die Erlangung von Staatsgeheimnissen gerichtete Tätigkeit in all ihren Verästelungen erkannt und unterbunden werden kann (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 21). Die Vorschrift differenziert zwischen Tätern, die von der fremden Macht oder deren Mittelsmännern zur Tat gedrängt, also unter Druck gesetzt worden sind, und solchen, die sich ohne derartigen Anlass verstrickt haben. Sie wird prozessual ergänzt durch § 153e StPO.

1. Absatz 2 Satz 1 12 Nach Absatz 2 Satz 1 muss der Täter freiwillig sein Verhalten aufgeben und sein Wissen einer Dienststelle offenbaren, um dem Richter die Möglichkeit der Strafrahmenmilderung oder des Absehens von Strafe zu eröffnen. Eine gewisse Zwangslage bei der Tat wird hier nicht vorausgesetzt (anders Satz 2; vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 21 f.).

12a a) Freiwillige Aufgabe der Tat. Das Aufgeben der Tat erfordert endgültiges, uneingeschränktes und ernstliches Abstandnehmen. Es versteht sich von selbst, dass ein bloßes Unterbrechen oder ein Abwandeln der Modalitäten der verräterischen Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 S. 1 Nr. 1 nicht genügt. Hatte der Täter sich entsprechend Absatz 1 S. 1 Nr. 2 bereiterklärt, so reicht aus, dass er davon absieht, der Erklärung nachzukommen und die Tätigkeit aufzunehmen. Es genügt hier (Ab20 Vgl. BGHSt 1 152, 156; 10 312, 315; Fischer Rdn. 9 und Vor § 52 Rdn. 23; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Vor § 52 Rdn. 141. Barthe/Schmidt

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VIII. Tätige Reue (Absatz 2)

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satz 1 S. 1 Nr. 2) also das bloße Untätigbleiben, das allerdings subjektiv vom Aufgabewillen getragen sein und sich in der Offenbarungshandlung (siehe dazu Rdn. 13) niederschlagen muss. Für die Beurteilung, ob die Aufgabe der Tat freiwillig erfolgt ist, sind ähnliche Maßstäbe anzulegen, wie bei dem gleichen Merkmal in der Rücktrittsvorschrift des § 24 (vgl. insoweit Lilie LK12 § 24 Rdn. 220 ff.). Ausschlaggebend ist die Willenssituation des Täters. Freiwillig ist die Aufgabe nur, wenn für ihn auch ein anderes Verhalten, nämlich die Fortsetzung der Tat, in Betracht kommt und ihm das „Aufgeben“ nicht gleichsam aufgezwungen wird. Dieses muss – nach seiner Vorstellung – von seinem Willen, seinen freien Erwägungen abhängen; es darf ihm nicht nachgerade durch die Verhältnisse „abgenötigt“ werden. Unfreiwillig in diesem Sinne handelt der Täter, der lediglich aufgibt, weil er meint, Weiteres Tun sei aussichtslos oder seine Entdeckung stehe unmittelbar bevor.

b) Offenbarungshandlung. Darüber hinaus ist die Offenbarung seines Wissens gefordert. 13 Auch für sie gilt das Merkmal der Freiwilligkeit. Der Gesetzgeber hat das Adverb „freiwillig“ – wie sich aus dessen Stellung hinter dem Subjekt des Bedingungssatzes ergibt – beiden Verben, dem Aufgeben und dem Offenbaren, beigeordnet; es bezieht sich auf das ihm unmittelbar folgende und auch auf das weitere in diesem Satzteil beschriebene Merkmal. Der Text lautet gerade nicht: „… wenn der Täter sein Verhalten freiwillig aufgibt und sein Wissen … offenbart“, sondern es heißt (verkürzt): wenn er freiwillig sein Verhalten aufgibt und sein Wissen … offenbart (BGHSt 27 120, 122 f.). Diese Auslegung folgt nicht nur dem Wortlaut der Vorschrift; sie entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Krauth Prot. V/1541) und wird insbesondere dem kriminalpolitischen Sinn der Vergünstigung gerecht, die im Abwehrinteresse des Staates dem „reuigen“ Täter zugute kommen soll; ein „unfreiwilliges“, d. h. nur unter dem Druck des Verfahrens oder der sonstigen Verhältnisse zustande gekommenes Offenlegen fügt sich schwerlich in diese Vorstellung ein. Offenbaren heißt, dem Erklärungsempfänger, einer Dienststelle, ein Wissen zu vermitteln, das den zuständigen Behörden aus der Sicht des Offenbarenden noch verborgen ist oder von dem diese jedenfalls noch keine sichere Kenntnis haben. Diese Bedeutung des Begriffs liegt auch anderen strafgesetzlichen Vorschriften zugrunde (§§ 87 Abs. 3, 203 Abs. 1 und 2, 353b Abs. 1; siehe BGHSt 27 120, 121). Der Täter muss sein gesamtes Wissen um die Tat, also alle seine hierbei erlangten Kenntnisse über eine gegen die Bundesrepublik gerichtete, auf Nachrichtenbeschaffung angelegte Tätigkeit umfassend mitteilen.21 Dazu zählen nicht nur die für die Tathandlung unmittelbar bedeutsamen Umstände,22 sondern auch solche Kenntnisse, die der Täter nur gelegentlich seiner strafbaren Handlung erworben hat. Dies folgt aus dem Sinn der Regelung, welche die in Rede stehende Rechtswohltat an eine Art Wiedergutmachung knüpft, welche dazu beitragen soll, Angriffe auf die äußere Sicherheit der Bundesrepublik zu erkennen und abzuwehren (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 21). Hat der Täter aufgrund seiner Verbindungen, die seinem strafbaren Verhalten zugrunde liegen, und im Zusammenhang damit von anderen nachrichtendienstlichen Aktivitäten erfahren, von Bestrebungen also, die gleich seiner eigenen Tätigkeit und in aller Regel von derselben fremden Stelle veranlasst, gegen die Sicherheit des Staates gerichtet sind, so ist es konsequent, eine Strafrahmenmilderung oder gar ein Absehen von Strafe auf der Grundlage tätiger Reue von einer umfassenden Offenbarung dieser Kenntnisse abhängig zu machen. Die Grenzen der aus § 138 Abs. 1 Nr. 3 folgenden Anzeigepflicht werden bei solcher Auslegung nicht missachtet. Dieser Straftatbestand gibt für das Verständnis der hier in Rede stehenden Reuevorschrift nichts her. Die jeweilige Ausgangslage ist eine völlig andere: Dort ist eine an der Tat nicht beteiligte Person anzeigepflichtig (dazu Fischer § 138 Rdn. 18); hier geht es um den Täter einer vollendeten landesverräterischen Agententätigkeit, dem der Gesetzgeber um den Preis umfassender Offenlegung, die sich als Wiedergutmachungsbemühen – einem in der Strafzumessung beheimateten Begriff (vgl. § 46 Abs. 2) – 21 Vgl. BGHSt 27 120, 122; Fischer Rdn. 10; Lampe/Hegmann MK Rdn. 18; Steinsiek LK § 87 Rdn. 20. 22 AA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26; Wolter SK Rdn. 20; Sonnen AK Rdn. 18; s. auch Paeffgen NK Rdn. 22. 469

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§ 98 StGB

Landesverräterische Agententätigkeit

darstellt, die Chance einer Rechtsfolgenvergünstigung gewährt, ihm eine „goldene Brücke baut“. In solchem Zusammenhang wird man wohl kaum von einer dem Täter in unzumutbarer Weise angesonnenen „Denunziation“ sprechen können. Zu welchem Zeitpunkt sich der Täter offenbaren muss, um dem Richter die Möglichkeit des Absehens von Strafe oder der Strafrahmenmilderung zu eröffnen, schreibt Absatz 2 Satz 1 nicht ausdrücklich vor. Im Gegensatz zu Absatz 2 Satz 2, der „unverzügliches“ Offenbaren verlangt, bedarf es hier (Satz 1) dessen nicht; der Täter braucht also sein Wissen nicht etwa sofort bei einer Befragung im Rahmen von Abwehrmaßnahmen offen zu legen. Allerdings wird der Tatrichter – wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 S. 1 gegeben sind – bei seiner Ermessensentscheidung über die Folge (Absehen von Strafe, Strafrahmenmilderung) dem Zeitpunkt der Offenbarung im Blick auf den mit ihr verbundenen Wiedergutmachungsgedanken je nach Lage des Falles gewichtige Bedeutung beizumessen haben (siehe BGHSt 27 120, 122). Je später eine Offenbarung bei bereits aufgenommenen Ermittlungen erfolgt, desto kritischer wird auch die Frage ihrer Freiwilligkeit zu prüfen sein. In den tatrichterlichen Urteilsgründen sind diese Umstände eingehend darzulegen; insbesondere gilt es festzustellen, wie es zu der Offenbarung gekommen ist und was den Täter zu ihr bewogen hat (vgl. BGHSt 27 120, 123 f.).

14 c) Adressat der Offenbarung. Die Offenlegung muss gegenüber einer Dienststelle erfolgen. Dies muss nicht eine bestimmte, für die Verfolgung von Straftaten gegen die äußere Sicherheit zuständige Dienststelle sein; es genügt vielmehr, dass irgendeine amtliche Stelle unterrichtet wird. Damit soll dem Täter die Offenlegung im Einzelfall erleichtert werden. Er kann sich – steht er im öffentlichen Dienst – auch seinem Dienstvorgesetzten anvertrauen. Als „eine Dienststelle“ im Sinne des § 98 Abs. 2 wird indessen nur derjenige Offenbarungsadressat gelten können, von dem die Weitergabe der offenbarten Tatsachen an eine zuständige Dienststelle (Strafverfolgungsbehörden, mit der Auswertung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse befasste Stellen wie die Verfassungsschutzämter, der Bundesnachrichtendienst oder der Militärische Abschirmdienst) erwartet werden kann (vgl. Steinsiek LK § 87 Rdn. 20).

15 d) Rechtsfolgen. Folge der tätigen Reue im Sinne des Absatzes 2 S. 1 ist, dass der Richter nach seinem Ermessen (fakultativ) den Strafrahmen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von Strafe absehen kann. Bei seiner Entscheidung hat er den gesamten Sachverhalt zu würdigen, vor allem die Tat selbst und auch die Umstände, die den Täter zum Aufgeben seines Verhaltens und zur Offenbarung veranlassten. Der Zeitpunkt der Offenlegung kann hier ebenso eine Rolle spielen (siehe Rdn. 13 a. E.) wie eine spätere Distanzierung von der Offenbarung (vgl. BGHSt 27 120, 123 f.). Einer Ermessensentscheidung nach Absatz 2 Satz 1 steht nicht entgegen, dass die Tat sich als besonders schwerer Fall (Abs. 1 S. 2) darstellt (s. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 21 f.; anders für Absatz 2 Satz 2: vgl. dazu Rdn. 18); dies wird indessen im Rahmen der Ermessensausübung entsprechend zu berücksichtigen sein. Sieht das Gericht von Strafe ab, so ist der Täter in der Urteilsformel schuldig zu sprechen; ebenso ist die Rechtsfolge, das Absehen von Strafe, in den Tenor aufzunehmen (§ 260 Abs. 4 S. 4 StPO). Der Angeklagte hat auch in diesem Fall und insoweit die Verfahrenskosten zu tragen (§ 465 Abs. 1 S. 2 StPO). Die Entscheidung wird allerdings nicht in das Bundeszentralregister eingetragen (siehe § 4 BZRG), es sei denn, es werden zugleich Maßregeln verhängt (vgl. Hubrach LK12 § 60 Rdn. 35 ff.). – Zeigt sich bereits während der Ermittlungen oder jedenfalls bis zum Beginn der Hauptverhandlung, dass die Voraussetzungen des Absehens von Strafe vorliegen, so kann gemäß § 153b StPO auch die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts, das für die Hauptverhandlung zuständig wäre, von der Anklageerhebung absehen oder, wenn die öffentliche Klage bereits erhoben ist, das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft sowie des Angeschuldigten das Verfahren einstellen (siehe aber auch § 153e StPO). Bei der Milderung des Strafrahmens nach § 49 Abs. 2 gelten die allgemeinen Grundsätze. Barthe/Schmidt

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VIII. Tätige Reue (Absatz 2)

StGB § 98

2. Absatz 2 Satz 2 Nach Absatz 2 Satz 2 wird – obligatorisch – der Täter nicht bestraft, wenn er freiwillig sein 16 Verhalten aufgibt (siehe dazu Rdn. 12a) und sein Wissen unverzüglich einer Dienststelle offenbart; allerdings erfordert dieser persönliche Strafaufhebungsgrund (vgl. Fischer Rdn. 11), dass der Täter von der fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner (siehe dazu bei § 94 Rdn. 2) zu seinem Verhalten gedrängt worden ist.

a) Psychische Zwangslage. Das Merkmal des Drängens setzt voraus, dass sich der Täter 16a bei Beginn und während seines strafbaren Handelns in einer seine freie Willensentschließung beeinträchtigenden Lage der Bedrängnis befunden hat. Das gesamte rechtswidrige, tatbestandsmäßige Handeln muss auf dem „Gedrängtsein“ beruhen, also ununterbrochen, vom Anfang bis zu seiner Beendigung, auf dieses zurückzuführen sein. Die fremde Macht oder deren Mittelsmann müssen diese Lage geschaffen oder ausgenutzt und den Täter so zur Tat bestimmt haben (vgl. Wolter SK Rdn. 22). Die psychische Zwangslage des Täters braucht jedoch nicht auf eine Bedrohung oder Nötigung zurückzugehen und deren Intensität zu erreichen; eine „gewisse Zwangslage“ reicht hin.23 Für strengere Anforderungen ist sowohl nach dem Wortlaut der Vorschrift als auch nach ihrer Entstehungsgeschichte kein Raum (Prot. V/1541 f.; Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 22; s. auch Wolter SK a. a. O.); sie wären überdies nicht mit dem Ziel der Regelung vereinbar, der häufigen, immer wieder erfolgreichen Druckausübung fremder Nachrichtendienste entgegenzuwirken und im Interesse einer möglichst frühen und umfassenden Aufdeckung solcher Aktivitäten auch dem (bloß) bedrängten Täter einen wirksamen Anreiz für eine unverzügliche Offenbarung zu bieten. Ein Ausufern des Anwendungsbereichs der Vorschrift wird durch ihre weiteren Merkmale verhindert. Zwangslagen, die für nachrichtendienstliche Anbahnungen genutzt werden, ergaben sich oft aus – möglicherweise sogar provozierten – Verstößen von Besuchern der früheren Ostblockstaaten gegen dortige Vorschriften (Devisenbestimmungen, Aufenthaltsbedingungen etc.), aus zweifelhaften Kontakten an Urlaubsorten oder auch aus der Androhung von Repressalien gegen in Ostblockstaaten lebende Familienangehörige. Die Vorschrift ist bewusst so gefasst, dass sie auch demjenigen zugutekommt, der im Bundesgebiet von einer fremden Macht oder deren Mittelsmann in eine bedrängte Lage versetzt worden ist (vgl. Krauth Prot. V/1542; RegE [§ 100] BTDrucks. V/898 Begründung S. 35). b) Zeitpunkt der Offenbarung. Der Täter muss unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern 17 (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB), nach Wegfall der Zwangslage sein gesamtes Wissen (siehe Rdn. 13) einer Dienststelle offenbaren. Ist dies erst zu einem späteren Zeitpunkt geschehen und kommt daher Straffreiheit nach Absatz 2 Satz 2 nicht in Betracht, ist damit die Anwendung des Absatzes 2 Satz 1 nicht ausgeschlossen.

c) Rechtsfolge. Die Straffreiheit nach Absatz 2 S. 2 führt zum Freispruch, wenn daneben keine 18 anderen Delikte tateinheitlich begangen worden sind (dazu Rdn. 19). Sie tritt nicht ein, wenn die Voraussetzungen eines besonders schweren Falles (Abs. 1 Satz 2) gegeben sind (so auch Wolter SK Rdn. 21). Absatz 2 Satz 2 bezieht sich – anders als Satz 1 – ausdrücklich nur auf die Tatbe-

23 So auch Wolter SK Rdn. 22; Paeffgen NK Rdn. 25; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Tröndle/Fischer Rdn. 11; Lampe/ Hegmann MK Rdn. 22; Sonnen AK Rdn. 19; Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609, 613; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben (Rdn. 30) verlangt mindestens die Androhung eines empfindlichen Übels i. S. des § 240. 471

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§ 98 StGB

Landesverräterische Agententätigkeit

standsvarianten des Absatzes 1 Satz 1, nicht auf die Regelung des besonders schweren Falles. Dies ist auch sinnvoll: Der in besonderem Maße aufgrund seiner Stellung zur Geheimhaltung Verpflichtete (siehe Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 2 i. V. m. § 94 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) soll – anders als der „Normalbürger“ – nicht schon wegen einer gewissen Zwangslage straffrei ausgehen; von ihm wird, nicht zuletzt angesichts seiner Treuepflicht, ein Mehr an Widerstandskraft erwartet. Erwägungen ähnlicher Art werden auch bei den unbenannten, atypischen besonders schweren Fällen durchgreifen. Allerdings werden all diese Fallgestaltungen nach Absatz 2 Satz 1 zu prüfen sein (vgl. Rdn. 15).

3. Beschränkte Wirkung des Absatzes 2 19 Die sich aus der tätigen Reue (Abs. 2) ergebenden Rechtsfolgen sind auf die Tat nach § 98 beschränkt. Steht diese in Tateinheit mit anderen Straftatbeständen, so werden deren Folgen von den Wirkungen des § 98 Abs. 2 nicht berührt (Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 22; Wolter SK Rdn. 24). Der Text der Bestimmung stellt klar, dass lediglich die Bestrafung des Täters nach dieser Vorschrift entfällt.

IX. Konkurrenzen 20 Im Verhältnis zum Landesverrat (§ 94) und zur landesverräterischen Ausspähung (§ 96 Abs. 1) tritt § 98 als subsidiär zurück (siehe § 98 Abs. 1 S. 1 letzter Halbsatz). Dies gilt auch dann, wenn es nur zum Versuch oder zum Versuch der Beteiligung (§ 30) an einem Verbrechen nach den §§ 94, 96 Abs. 1 gekommen ist und die landesverräterische Agententätigkeit (§ 98) weitere Ziele verfolgt hat als die Tat nach § 94 oder § 96 Abs. 1.24 Tritt der Täter vom versuchten Landesverrat, der versuchten landesverräterischen Ausspähung oder vom Versuch der Beteiligung mit strafbefreiender Wirkung nach § 24 oder § 31 zurück, lebt die Strafbarkeit nach § 98 wieder auf.25 Tateinheit mit anderen Delikten ist nach den allgemeinen Vorschriften und Maßstäben möglich, z. B. mit § 99 und § 353b. Der Gesetzgeber hat das Verhältnis der §§ 98, 99 zueinander bei gleichen Strafdrohungen bewusst im Sinne der Idealkonkurrenz geregelt (Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 21, 23), um damit die Möglichkeit zu schaffen, durch eine der jeweiligen Beweislage angepasste Anwendung des § 154a StPO das Verfahren „praktisch“ zu gestalten. Dies führt in den meisten Fällen der Idealkonkurrenz (zwischen den §§ 98, 99) dazu, dass der Beschuldigte nur unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99) verfolgt wird (siehe BGHSt 25 145, 150). – Mit den Preisgabe- und Offenbarungsdelikten wird wegen der dort vorausgesetzten, andersgearteten Sachverhalte Tateinheit nicht in Betracht kommen (Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 21). Straftaten, die in Verfolgung der landesverräterischen Tätigkeit begangen werden (Beschaffungsdelikte), stehen zu § 98 in der Regel in Idealkonkurrenz. Zur Konkurrenz mit den Vorschriften zum Schutz militärischer Geheimnisse der NATO-Vertragsstaaten (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 NTSG, abgedruckt Vor § 93 Rdn. 8a) und von Euratom-Geheimnissen vgl. die Ausführungen bei § 94 Rdn. 20.

24 BGHSt 24 72, 79 ff.; Wolter SK Rdn. 25; Paeffgen NK Rdn. 30; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7; SSW/Vogler Rdn. 10; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 35, der Tateinheit annimmt, wenn die Tätigkeit oder das Sichbereiterklären nach § 98 nicht auf die konkreten Staatsgeheimnisse beschränkt waren, welche die Strafbarkeit gemäß den §§ 94 und 96 auslösten. 25 Vgl. Rudolphi SK Rdn. 25; Lampe/Hegmann MK Rdn. 24; Paeffgen NK Rdn. 30; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 28; Sonnen AK Rdn. 13. Barthe/Schmidt

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X. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

StGB § 98

X. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges Die Vorschriften über die Nebenfolgen (§ 101) und die Einziehung (§ 101a) sind zu beachten. 21 Hinsichtlich finanzieller Zuwendungen ist die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB anzuordnen (vgl. § 101a Rdn. 8). Zu den Zuständigkeiten wird auf die Erläuterungen Vor § 93 Rdn. 14 verwiesen; zu den besonderen Möglichkeiten des Absehens von der Strafverfolgung siehe die §§ 153c Abs. 2 und 4, 153d, 153e StPO (vgl. dazu auch Vor § 93 Rdn. 10). Die Nichtanzeige des Delikts steht nicht unter Strafdrohung (siehe § 138 Abs. 1 Nr. 3).

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§ 99 Geheimdienstliche Agententätigkeit (1) Wer 1. für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, oder 2. gegenüber dem Geheimdienst einer fremden Macht oder einem seiner Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 94 oder § 96 Abs. 1, in § 97a oder in § 97b in Verbindung mit § 94 oder § 96 Abs. 1 mit Strafe bedroht ist. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten werden, mitteilt oder liefert und wenn er 1. eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung solcher Geheimnisse besonders verpflichtet, oder 2. durch die Tat die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. (3) § 98 Abs. 2 gilt entsprechend.

Schrifttum Auf die Angaben Vor § 93 wird verwiesen. Vgl. insbesondere Goldmann Die behördliche Genehmigung als Rechtsfertigungsgrund, Diss. Freiburg 1967; Pabst Zum Begriff der geheimdienstlichen Tätigkeit in § 99 Abs. 1 StGB, JZ 1977 427; Schroeder Der Schutz staatsbezogener Daten im Strafrecht, NJW 1981 2278; Vogel Der Straftatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit – kein Experimentierfeld für den Gesetzgeber, ZRP 1982 38.

Entstehungsgeschichte Der mit dem 8. StRÄndG1 in das StGB eingefügte Tatbestand ist zusammen mit § 98 der früheren Vorschrift über die verräterischen Beziehungen (§ 100e a. F.) nachgefolgt, die wegen ihrer weiten Fassung Kritik erfahren hatte (dazu bei § 98 [Entstehungsgeschichte]; Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609, 612 mit Hinweisen auf die Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform). Zum Gesetzgebungsverfahren siehe SPD-Entwurf BTDrucks. V/102 (dort § 100e Abs. 1), RegE BTDrucks. V/898 (dort § 100 Abs. 1), Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 22; Prot. V/ 1517 ff., 1527 ff., 1539 f., 1541 f., 1569, 1625 ff., 1975, 2092, 2102. Vgl. des Weiteren AE § A 20; E 1962 § 387 BTDrucks. IV/650.

Übersicht I.

Allgemeines

II.

Ausüben einer geheimdienstlichen Agententätig2 keit (Absatz 1 Nr. 1) 2a Tathandlung 3 a) Ausüben einer Tätigkeit 4 b) Geheimdienstlich c) Adressat der Tätigkeit (Begünstig5 ter) 5a aa) Geheimdienst 5b bb) Fremde Macht

1.

cc)

1

2.

Zielgerichtetheit des Handelns 5c 6 d) Einzelfälle e) Indizwirkung der Anwendung konspirati7 ver Methoden 8 Gegen die Bundesrepublik Deutschland 8 a) Innerstaatliche Belange b) Erweiterungen des Schutzes des 8b § 99

1 Vom 25.6.1968 BGBl. I 741, 746. Barthe/Schmidt https://doi.org/10.1515/9783110490008-036

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StGB § 99

I. Allgemeines

3. 4.

aa) Im Inland lebende Ausländer und 9 ihre Organisationen 10 bb) NATO und Partnerstaaten 10a cc) Verbände und Institutionen dd) Dienststellen fremder Staaten, insb. 10b Botschaften 11 c) § 1 Abs. 1 Nr. 4 NTSG 12 Zweckrichtung 13 Innerer Tatbestand

III.

Sichbereiterklären zur geheimdienstlichen Agententätigkeit (Absatz 1 Nr. 2) 14

IV.

Rechtfertigung und Entschuldigung

V.

Versuch und Beteiligung

VI.

Der besonders schwere Fall (Absatz 2)

1. 2.

3. 4.

VII. Tätige Reue (Abs. 3)

17a

22

VIII. 1. 2. 3.

Zusammentreffen 23 23 Tatbestandliche Handlungseinheit Die Subsidiaritätsklausel 24 Verhältnis zu anderen Delikten und Strafklage25 verbrauch

IX.

Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

15

16

17 Allgemeines Die Voraussetzungen im Einzelnen 18 a) § 99 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 19 b) §§ 99 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 20 Strafbemessung 21 Subjektive Anforderungen

26

17

I. Allgemeines Der „zentrale Spionagetatbestand“ des § 99 ist ein wesentlicher Teil der Reform des Staats- 1 schutzstrafrechts durch das 8. StRÄndG.2 Die Vorschrift soll mit dazu beitragen, den Bereich des Strafwürdigen in kriminalpolitisch vertretbarer Weise einzuschränken; sie soll gleichzeitig aber auch sicherstellen, dass den gewandelten Methoden moderner Nachrichtendienste mit einem geeigneten, rechtsstaatlichen Anforderungen gerecht werdenden strafrechtlichen Instrumentarium begegnet werden kann (Näheres Vor § 93 Rdn. 2 f.). § 99 löst sich deshalb vom Begriff des Staatsgeheimnisses und entkleidet diesen seiner sonst beherrschenden Stellung im Gefüge des Landesverratsabschnitts (vgl. BVerfGE 57 250, 263 ff.; 92 277, 317 f.). Der Tatbestand, der die Tat als abstraktes Gefährdungsdelikt ausweist (Sch/Schroeder/Sternberg-Lieben Rdn. 18; Paeffgen NK Rdn. 2; Lackner ZStW 78 [1966] 696, 710), hat jede geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik im Blick, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Diese Umschreibung bezieht sich nicht nur auf Belange, die unmittelbar die äußere Sicherheit des Staates betreffen; sie will alle nachrichtendienstlichen Bestrebungen erfassen, gleichgültig, ob sie auf die Abklärung allgemeiner politischer, auch gesellschaftspolitischer Verhältnisse abzielen oder ob sie die Nachrichtenbeschaffung aus sonstigen Bereichen der Bundesrepublik, etwa aus Wirtschaft und Technik, zum Inhalt haben (s. dazu KG NStZ 2004, 209 m. Anm. Lampe). Dabei kommt es nicht darauf an, ob das ins Auge gefasste Nachrichtenmaterial „offen“ ist oder geheim gehalten wird, ob es gewichtig ist oder weniger bedeutsam.3 Gemäß § 5 Nr. 4 erfasst § 99 auch alle im Ausland begangenen geheimdienstlichen Tätigkeiten gegen die Bundesrepublik. Täter können auch die Angehörigen fremder Geheimdienste selbst sein.4 Der Tatbestand erfasst hingegen nicht solche Personen, die lediglich Objekt der Ausforschungsbemühungen eines fremden Geheimdienstes werden, ohne sich aktiv in dessen Dienst 2 Siehe hierzu Fn. 1. 3 BVerfGE 57 250, 262 ff., 265; 92 277, 317 f.; BGHSt 43 321; 31 317, 320, 322; 24 370 ff., 375 f.; BGHR StGB § 99 Ausüben 1; Paeffgen NK Rdn. 3; Wolter SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1a, 14, Fischer Rdn. 5; Lampe/Hegmann MK Rdn. 14; Sonderausschussbericht BTDrucks. V 2860 S. 22; Krauth Prot. V/1517; dazu Vor § 93 Rdn. 2. 4 BVerfGE 92 277, 317 f.; BGHSt 24 369, 370 f.; 39 260, 262; ferner Vor § 93 Rdn. 6; kritisch Schroeder NJW 1981 2278, 2281 f. 475

Barthe/Schmidt

§ 99 StGB

Geheimdienstliche Agententätigkeit

zu stellen. Bloße Beziehungen zu einem fremden Geheimdienst sind nicht strafbar. Die – durchaus erwünschten – zwischenstaatlichen Kontakte zwischen Wissenschaftlern, Technikern, Kaufleuten und Politikern sollen nicht unter dem „Damoklesschwert“ möglicher strafrechtlicher Ermittlungen stattfinden (vgl. Krauth Prot. V/1517 und § 98 Rdn. 1); es bleibt Raum genug für vielfältigen Gedankenaustausch, auch für wissenschaftliche, technische und politische Auseinandersetzung, obschon solche Kontakte erfahrungsgemäß von fremden Geheimdiensten nicht selten ausgenutzt werden, um zu nachrichtendienstlich interessanten Erkenntnissen zu gelangen.5 Die Vorschrift ist verfassungsgemäß (aA Paeffgen NK Rdn. 4: Trotz der verfassungsgerichtlichen Approbation sei diese Aussage zu bezweifeln.). Sie verstößt weder gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG noch gegen die Grundrechte aus Art. 2 und 5 GG oder gegen sonstiges Verfassungsrecht. Das gilt auch, soweit aufgrund des strafrechtlichen Schutzprinzips (§ 5 Nr. 4) oder der Vorschriften über den Tatort (§ 9) die Strafbarkeit auf im Ausland bewirkte Tathandlungen erstreckt wird.6 Verfassungsrechtliche Besonderheiten gelten jedoch zugunsten früherer DDR-Bürger. Näheres hierzu ist Vor § 93 Rdn. 6 und 15 ff. ausgeführt.

II. Ausüben einer geheimdienstlichen Agententätigkeit (Absatz 1 Nr. 1) 2 In der Tatbestandsvariante des Absatzes 1 Nr. 1 ist das Ausüben einer geheimdienstlichen Tätigkeit für den Geheimdienst einer fremden Macht und gegen die Bundesrepublik Deutschland unter Strafe gestellt; die Tätigkeit muss auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet sein.

1. Tathandlung 2a Die Merkmale „Ausüben einer geheimdienstlichen Tätigkeit für den Geheimdienst einer fremden Macht“ verdeutlichen, dass – im Gegensatz zum früheren § 100e – die bloße Aufnahme und das bloße Unterhalten von Beziehungen zu einem fremden Geheimdienst dem Tatbestand nicht unterfällt. Die Strafvorschrift will den Täter erfassen, der, gleichgültig wie sich sein Verhältnis zum Geheimdienst im Einzelnen darstellt, in dessen Interesse geheimdienstlich tätig wird.

3 a) Ausüben einer Tätigkeit. Das Ausüben einer geheimdienstlichen Tätigkeit setzt ein aktives Verhalten voraus. Der Täter muss sich derart in den Dienst der fremden nachrichtendienstlichen Ausforschungstätigkeit stellen, dass er sich nicht mehr als bloßes (passives) Ausforschungsobjekt begreifen kann. Er muss eine aktive Tätigkeit für den fremden Geheimdienst entfalten und dadurch seine Bereitschaft verwirklichen, sich funktionell in diesen Dienst und seine Bestrebungen einzugliedern.7 Damit wird grundsätzlich jedes Verhalten erfasst, das die Aktivitäten des fremden Geheimdienstes fördert, ohne dass zuvor eine dahingehende Abrede getroffen worden, eine auch nur stillschweigende Verpflichtung zur Mitarbeit oder gar eine Eingliederung in den organisatorischen Apparat des fremden Geheimdienstes erfolgt sein müsste (vgl. BGHSt 24 369, 372). Dazu zählt auch das schlichte Sammeln von Material, um es später einem fremden Geheimdienst zukommen zu lassen (aA Paeffgen NK Rdn. 9). Ob sich im Einzelfall das Verhalten des Täters als aktives Ausüben einer geheimdienstlichen Tätigkeit darstellt, wird sich oft nur aus dem Gesamtsachverhalt erschließen lassen (s. BGHSt 24 369, 373). 5 BVerfGE 57 250, 265 ff.; BGHSt 24 369, 370 f.; siehe auch Vor § 93 Rdn. 3; § 98 Rdn. 1. 6 BVerfGE 92 277, 317 f.; 57 250, 262 ff.; vgl. auch BVerfGE 28 175, 183 ff. und 189 ff. 7 BVerfGE 57 250, 265 ff.; BGHSt 42 215 ff.; 43 1, 4 ff.; dazu § 98 Rdn. 2 mit Fn. 5. Barthe/Schmidt

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II. Ausüben einer geheimdienstlichen Agententätigkeit (Absatz 1 Nr. 1)

StGB § 99

Mit dem Begriff des „Ausübens“ einer geheimdienstlichen Tätigkeit wird zwar nach allgemeinem Sprachgebrauch ein gewisses Element der Dauer verbunden. Dies rechtfertigt es jedoch nicht zu folgern, eine nicht auf längere Zeit angelegte, etwa nur einmalige Tätigkeit werde vom Tatbestand nicht erfasst.8 Sachlich treten die Gefahren, denen § 99 Abs. 1 Nr. 1 zu begegnen bestimmt ist, nicht erst bei einer fortdauernden Tätigkeit auf, sondern schon bei einer Kontaktaufnahme, die zur einmaligen Nachrichtenübermittlung, zur Mitteilung einzelner Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse führt. Es erscheint danach als ausgeschlossen, dass das Gesetz diese Fälle vom strafrechtlichen Schutz ausnehmen sollte, zumal im Gesetzgebungsverfahren – den heutigen § 98 betreffend – zum Ausdruck gebracht wurde, dass ein solch einmaliges Tun als Tathandlung ausreiche (vgl. Güde Prot. V/1629).9 „Ausüben einer Tätigkeit“ im Sinne des § 99 kennzeichnet danach ebenso wie in § 98 einen Tatbestand, der zwar schon durch eine Einzelhandlung erfüllt sein kann, der aber seinem Sinn nach insbesondere ein darüber hinausreichendes, fortlaufendes, gleichermaßen zielgerichtetes Tätigsein treffen soll,10 das durch die Verknüpfung mit dem Adjektiv geheimdienstlich charakterisiert wird und alle Handlungen des Täters umfasst, die einem fremden Geheimdienst – in der Regel aufgrund einer entsprechenden Beziehung zum Täter – als eine Art fördernder Dienstleistung im Sinne des § 99 Abs. 1 zugute kommen sollen. Vor allem solcher „Dienstleistung“, welche die verschiedensten Beschaffungs- und Informationstätigkeiten des Agenten einschließt, soll der zentrale Spionagetatbestand (Rdn. 1) entgegenwirken. Er erfasst die einzelnen Tätigkeitsakte in ihrer Gesamtheit und verbindet sie als zusammengehörigen Handlungskomplex zur tatbestandlichen Handlungseinheit.11 Eine Aufspaltung dieser Einheit lässt sich angesichts der gesetzlichen Vorgaben nicht rechtfertigen, auch nicht im Blick auf die Frage der Verjährung.12 Für die den Lauf der Verjährungsfrist in Gang setzende Beendigung der geheimdienstlichen Agententätigkeit ist entscheidend, dass die Tätigkeit im Rahmen einer Beziehung ausgeübt wird. Wenn diese nicht abgebrochen wird, sondern die Agententreffs fortgesetzt werden sollen, sobald dies zur Wahrung der Geheimhaltungsbelange und zur Sicherung der Effektivität der weiteren Ausspähung sinnvoll erscheint, hat die geheimdienstliche Tätigkeit nicht ihren tatsächlichen Abschluss gefunden. Denn mit dem Aufrechterhalten der Beziehung, dem „ImDienst-Bleiben“, besteht ein spezifisches Teilelement der geheimdienstlichen Agententätigkeit fort (BGHSt 43 1, 8).

b) Geheimdienstlich. Die Kennzeichnung der Tätigkeit als geheimdienstliche meint ein Han- 4 deln des Täters, das dem Bild entspricht, welches für die Arbeit von Agenten und anderen Hilfspersonen, die für nachrichtendienstliche Zwecke eingesetzt werden, typisch ist; Heimlichkeit und konspirative Methoden sind nicht unbedingt erforderlich, wenngleich die Regel.13 Auch wenn die Spionagetätigkeit „offen“, in nach außen alltäglich erscheinenden Handlungen verwirklicht wird, wohnt ihr typisch Geheimdienstliches inne, das in seiner Bedeutung auf irgendeine Weise – vorher oder im Nachhinein – zutage treten wird (BGHSt 25 145, 147; OLG Hamburg NJW 1989 1371). Fallgestaltungen, in denen sich der Betroffene als Mitarbeiter oder Zuträger eines fremden Geheimdienstes versteht und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 vorliegen, es seiner Tätigkeit indessen durchgängig an der geheimdienstlichen Natur fehlt, dürf8 Siehe BGHSt 31 317, 318 f.; ebenso Paeffgen NK Rdn. 11; Stree NStZ 1983, 551; aA Maurach/Schroeder/Maiwald II § 95 Rdn. 59; Schroeder NJW 1981, 2278, 2281 f.

9 S. § 98 Rdn. 2a und dort Fn. 6. 10 Vgl. BGHSt 42 215, 216 ff.; 43 1, 4 ff. = NStZ 1997 487, 488; BGHR StGB § 99 Ausüben 1, 3 und 4. 11 BGHSt 42 215 ff.; 43 1, 4 ff.; 43 321; dazu auch BGHSt 28 169, 170 ff. sowie Paeffgen NK Rdn. 11. 12 S. dazu § 98 Rdn. 6a; aA Paeffgen NK Rdn. 12: Das bloße „Aufrechterhalten der Beziehung“ zu einem fremden Geheimdienst darf nicht als einheitsstiftender Aspekt herangezogen werden. 13 Vgl. BGHSt 24 369, 372; BGH, Beschluss v. 9.5.2006 – StB 4/06 – NStZ 2007 93 ff.; siehe auch BayObLG NJW 1971 1417 f. und Paeffgen NK Rdn. 8, 10. 477

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ten kaum zu finden sein. Man würde allerdings dem Gesetzgeber nicht gerecht, wollte man dem Merkmal jede tatbestandliche Relevanz absprechen mit der Begründung, es sage nichts aus, was sich nicht bereits aus den weiteren Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 ergebe.14 Mit dem Zusatz, die Tätigkeit müsse geheimdienstlich sein, wird ihr Wesen genauer bestimmt und sichergestellt, dass nur derjenige den Tatbestand erfüllt, der sich jedenfalls funktionell in den Dienst der fremden Nachrichtenorganisation stellt (s. Rdn. 6). Der bloß Ausgeforschte, auch der einer nachrichtendienstlichen Befragung Unterworfene wird erst dann geheimdienstlich tätig, wenn er sich aktiv an der Aufklärungsarbeit des Befragers beteiligt, sich gewissermaßen mit dessen Interessen identifiziert. Die Verknüpfung der Tatbestandsmerkmale und die Charakterisierung der Tätigkeit als „geheimdienstliche“ zeigen, dass zur Täterschaft mehr gehört als bloßes Handeln für einen fremden Nachrichtendienst, dass es einer gewissen Mindestqualität zu- und eingeordneten Tuns bedarf, mag es nun konspirativ, heimlich oder auch „offen“ und äußerlich unverfänglich sein (vgl. hierzu BGHSt 43 321 = BGHR StGB § 99 Ausüben 6 = StV 1998 195). Im Einzelfall kann die Abgrenzung zwischen strafloser Hinnahme der Ausforschung und aktiver Arbeit für den fremden Geheimdienst durch Preisgabe von Informationen schwierig sein; beides kann vom äußeren Erscheinungsbild her ineinander übergehen (siehe auch Rdn. 6 a. E.). Dies nimmt dem Merkmal der Ausübung einer geheimdienstlichen Tätigkeit jedoch nicht seine Bestimmtheit, ist vielmehr eine Frage des Nachweises der Tat (s. BVerfGE 57 250, 265 ff.; 92 277, 317 f.).

5 c) Adressat der Tätigkeit (Begünstigter). Die geheimdienstliche Tätigkeit muss für den Geheimdienst einer fremden Macht ausgeübt werden.

5a aa) Geheimdienst. Unter den Begriff „Geheimdienst“ fallen die ständigen Einrichtungen in staatlichen Bereichen, zu deren Aufgaben es gehört, aus fremden Machtbereichen für ihren eigenen Staat und in dessen breit gefächerten Informationsinteresse Nachrichten vielfältiger Art – nicht nur aus Geheimbereichen – zu beschaffen, zu sammeln und auszuwerten, ein Auftrag, der in der Regel die Anwendung konspirativer Methoden voraussetzt.15 Der Geheimdienst muss staatlichen Zwecken dienen; private Organisationen, die ohne staatlichen Auftrag handeln – etwa private Informationsdienste –, scheiden als „Begünstigte“ aus. Struktur und Organisation des Dienstes sind unerheblich. Abwehrdienste, die sich außerhalb ihres Landes mit der Spionageabwehr befassen, sind zumeist Geheimdienste im Sinne des Tatbestandes; solche Dienste nehmen in aller Regel zumindest auch spezifisch nachrichtendienstliche Aufgaben wahr, sammeln Informationen aus fremden staatlichen Bereichen, werten sie aus oder geben sie zu diesem Zweck weiter. Ebenso unterfällt dem Begriff ein auf die Beschaffung ausschließlich von Wirtschafts- oder Wissenschaftsgeheimnissen spezialisierter, möglicherweise selbständig organisierter staatlicher Geheimdienst.16 Erfasst werden ferner sowohl Tarnorganisationen (siehe Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 22) als auch Personen, die ihrerseits für einen Geheimdienst tätig sind (Mittelsmänner). Die Bezeichnung, unter der eine unmittelbar beteiligte Organisation auftritt, ist grundsätzlich ebenso bedeutungslos wie ihre vorgebliche Aufgabenstellung. Entscheidend ist, ob hinter dieser Person oder Einrichtung der fremde Geheimdienst steht und diesem die ausgeübte Tätigkeit zugute kommen soll. Für einen fremden Geheimdienst kann deshalb auch derjenige tätig werden, der „nur“ mit einer diplomatischen Vertretung oder einer Handelsorganisation unmittelbare Verbindung pflegt, sofern diese zumindest nebenher und in gewisser Weise institutionalisiert geheimdienstliche Aufgaben wahrnimmt 14 So aber Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Stree NStZ 1983 551 f.; wie hier Paeffgen NK Rdn. 8 und Fischer Rdn. 5 m.w.N.

15 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 3; Fischer Rdn. 6; Lampe/Hegmann MK Rdn. 6. 16 Fischer Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Wolter SK Rdn. 3; Lampe/Hegmann MK Rdn. 6. Barthe/Schmidt

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und in dieser Eigenschaft zum Täter Verbindung hat. Meist wird jedoch bei solchen Fallgestaltungen ein Mittelsmann des fremden Nachrichtendienstes, der gleichzeitig als Angehöriger der betreffenden Organisation auftritt, für die Verbindung Sorge tragen (s. § 94 Rdn. 2 f.). Beim illegalen Technologietransfer ist das Tatbestandsmerkmal „Geheimdienst einer fremden Macht“ in der Regel erfüllt, wenn es sich beim Vertragspartner des Technologiehändlers um die Stelle eines ausländischen Beschaffungsnetzwerkes handelt, dessen Aufgabe es ist, unter Anwendung typischer konspirativer Methoden – insbesondere zur Verschleierung des Endnutzers und des wahren Verwendungszwecks embargobelasteter Güter – im westlichen Ausland technologische Erzeugnisse zu erwerben, die z. B. für die Entwicklung und Produktion von ABCWaffen oder ein Raketenprogramm benötigt werden (vgl. dazu Zabeck NStZ 2008 668). Diesem Zweck dienen vor allem die Einschaltung ziviler Tarnfirmen, die Vermischung von erlaubten und embargobehafteten Geschäften, die wahrheitswidrige Angabe „unverdächtiger“ Endnutzer sowie der Umweg über im Ausland ansässige Gesellschaften. Maßgeblich ist eine funktionale Betrachtungsweise (BGH – Ermittlungsrichter – NStZ 2006 160 f.; Schmidt/Wolff NStZ 2006 161, 162; Hannich FS Nehm 139, 144). Eine einschränkende Auffassung vertritt das Thüringer Oberlandesgericht (vgl. Beschluss vom 1.3.2006 – 3 StE 1/06-4): Eine funktionale Betrachtung könne nur dann entscheidend sein, wenn es sich um eine staatliche Stelle handelt, die zur heimlichen Gewinnung von proliferationsrelevanten Erkenntnissen im Ausland die beschriebenen Methoden einsetzt. Gehe es um die Beschaffung von Produkten, so bestehe lediglich ein staatliches Nutzungs- und kein Ausforschungsinteresse. Die handelnde Stelle sei dann kein Geheimdienst. Dem ist entgegenzuhalten, dass eine strikte Differenzierung zwischen Ausforschungs- und Nutzungsbestreben weder inhaltlich zielführend erscheint, noch geeignet ist, den aktuellen staatsschutzrechtlichen Herausforderungen im Hinblick auf die Abwehr fremden nachrichtendienstlichen Vorgehens in einer vernetzten multipolaren Welt gerecht zu werden. Die geheimdienstlichen Aktivitäten militärisch ambitionierter, totalitär strukturierter Länder mit Verbindungen zu „nichtstaatlichen“ Terrororganisationen sind nur in geringem Maße darauf gerichtet, klassische Militäraufklärung oder politische Ausforschung zu betreiben. Sie sind in viel stärkerem Maße darauf fokussiert, bestehende innerstaatliche Strukturen abzusichern, potentielle Feindstaaten durch terroristische Aktionen zu schädigen und die eigene militärische Aufrüstung zu unterstützen. Das Nutzungsinteresse wird in Fällen von Proliferation17 mit nachrichtendienstlichen Mitteln mithin fast immer Endzweck einer Operation sein. Häufig werden sich Ausforschungs- und Nutzungsinteresse auch überlappen, in mehr oder minder unterschiedlicher Intensität vorhanden sein oder sich einander bedingen. Dies wirkt sich jedoch nicht modifizierend auf Art und Umfang der geheimdienstlichen Beteiligung im funktionalen Sinne aus. Richtig erscheint es mithin, in Fällen von vertikaler Proliferation unter Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel auf die Sensibilität des zu liefernden Guts im Kontext der erstrebten Nutzung und der Erwerbshemmnisse im Ausland abzustellen, gilt es die Frage zu beantworten, ob die Lieferung eines Gegenstandes ein geheimdienstliches Interesse bedient. Der fremde Geheimdienst kann sich auch eines privaten Agentendienstes als „Mittelsmann“ bedienen. Steht der private, geheim arbeitende Dienst in einem festen, möglicherweise langfristig angelegten Auftragsverhältnis zu fremden Regierungsstellen, nicht zu einem Geheimdienst, so ist er bei funktionaler Betrachtung als Tarneinrichtung Geheimdienst der fremden Macht. Ob er darüber hinaus auch noch für andere Staaten tätig ist, ist unerheblich (vgl. Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 6; Wolter SK Rdn. 3; Schmidt/Wolff NStZ 2006 161, 162).

bb) Fremde Macht. Begünstigter der Tätigkeit muss der Geheimdienst einer fremden Macht 5b sein. Insoweit wird auf die Erläuterungen zu § 93 (dort Rdn. 10) Bezug genommen. Da der Begriff ohne jede Einschränkung gebraucht wird, fällt darunter auch der Geheimdienst einer mit der Bundesrepublik verbündeten Macht. In solchen Fällen ist indessen sorgfältig zu prüfen, ob 17 Zum Begriff der Proliferation s. Zabeck NStZ 2008 668. 479

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die Tätigkeit in ihrer Zielsetzung wirklich „gegen die Bundesrepublik“ gerichtet ist (s. Rdn. 13a; vgl. auch § 153d StPO sowie Paeffgen NK Rdn. 14).

5c cc) Zielgerichtetheit des Handelns. Die geheimdienstliche Tätigkeit muss für den Geheimdienst der fremden Macht ausgeübt werden. Dies erfordert zielgerichtetes Handeln: Die Früchte der Tätigkeit sollen (letztlich) dem fremden Geheimdienst zugutekommen. Ein Zugang der Mitteilung ist jedoch entbehrlich; es genügt, wenn der Täter ohne vorherige Kontaktaufnahme Nachrichten sammelt, um sie an einen fremden Geheimdienst weitergeben zu können (vgl. BGHSt 24 369, 372; OLG Hamburg NJW 1989 1371; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12). „Für“ den Geheimdienst einer fremden Macht handelt auch, wer eine bedeutsame Mitteilung einem anderen mit dem Ziel und in der Annahme zukommen lässt, dieser werde sie an einen solchen Dienst weiterleiten (vgl. BGHSt 25 145, 148). Es wird nicht verlangt, dass sich der Täter vorher zu der Tätigkeit (im Sinne der Nummer 2) bereiterklärt hat (BGHSt 25 145, 146; Schroeder NJW 1981 2278, 2281; aA Paeffgen NK Rdn. 14; Fischer Rdn. 7).

6 d) Einzelfälle. Für die am häufigsten anzutreffenden geheimdienstlichen Aktivitäten gilt danach: Unproblematisch sind die Fälle, die nachrichtendienstlich fest eingebundene Mitarbeiter betreffen, seien sie als Residenten oder als Agenten (auch Probeagenten) eingesetzt, seien sie mit Führungsaufgaben betraut oder zur unmittelbaren Nachrichtenbeschaffung bestimmt. Ebenso wenig werden die Fälle der Kuriertätigkeit (Nachrichtenübermittlung, Materialtransport, Beschickung und Leerung sogenannter toter Briefkästen) besondere Fragen aufwerfen, mag es sich hierbei auch nur um die einmalige Beförderung eines Briefes handeln (dazu BGHSt 31 317; kritisch zu letzterem Wolter SK Rdn. 10; Schroeder JZ 1983 671 f.). Oft werden diese Tätigkeiten sich zudem auf Sachverhalte beziehen, welche die eigentliche klassische Spionage betreffen, etwa die Abklärung von Personen in verantwortlicher Position oder die Aufklärung sicherheitsempfindlicher Bereiche zum Inhalt haben. Auch die Ausführung von Erkundungsaufträgen allgemeiner Art wie Feststellungen über bestimmte bautechnische Gegebenheiten, über geographische Vorgaben und Infrastrukturen, die als Posten fremder militärischer Planung in Betracht kommen, gehört hierher. Eine geheimdienstliche Tätigkeit übt aber auch derjenige aus, der sich einem fremden Geheimdienst als Agent andient und auf sich selbst als lohnenden Partner geheimdienstlicher Zusammenarbeit hinweist; er ist dann in eigener Person Gegenstand seiner Mitteilung an den fremden Geheimdienst (vgl. BGHSt 25 145, 148). Schwierigere Abgrenzungsprobleme haben sich in Fällen der Vernehmung oder Befragung durch einen fremden Geheimdienst ergeben. Die Einlassung der Betroffenen, meist Besucher und Übersiedler, aber auch Überläufer, ist erfahrungsgemäß unterschiedlich: die einen versuchen, Sachantworten zu vermeiden und sich mit belanglosen Angaben aus der Situation zu „retten“, andere üben Zurückhaltung, und wieder andere geben ihr Wissen, das erfragte und nicht erfragte, uneingeschränkt preis (s. Träger/Mayer/Krauth FS BGH 1975 227, 246). Für die hier maßgebende Beurteilung wird es auf den Gesamtsachverhalt, insbesondere auf das Gesamtverhalten des Betroffenen ankommen (vgl. BGHSt 24 369, 373; 30 294, 297; BGH NJW 1977 1300), nicht zuletzt auch darauf, ob nach Art, Intensität und Umfang der Befragung Möglichkeiten bestanden, sich weiterer Ausforschung zu entziehen. Lässt sich feststellen, dass der Betroffene sich bemüht hat, dem fremden Dienst ein möglichst lückenloses Bild seiner Kenntnisse zu vermitteln, dass er allgemein eine besonders willige und gute Mitarbeit an den Tag gelegt hat, etwa um sich das Wohlwollen der Befrager zu sichern, dass er aus eigenem Antrieb bestimmte Erkenntnisse weitergegeben oder schon im Vorhinein mit der Befragung gerechnet und sich durch Mitnahme von Unterlagen oder Einprägen interessanter Erkenntnisse besonders auf diese vorbereitet hat, so wird man regelmäßig auch von einer aktiven Mitwirkung an der Ausforschungstätigkeit des fremden Geheimdienstes ausgehen können, die den Betroffenen aus der

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Situation des bloßen Ausforschungsobjekts heraushebt.18 Ein Anzeichen für eine solche Bereitschaft zur Mitarbeit kann auch die trotz böser Erfahrungen wiederholte Herbeiführung entsprechender Kontaktierungsmöglichkeiten sein (vgl. BGH, Urteil vom 9.1.1974 – 3 StR 6/73 II [bei Träger/Mayer/Krauth a. a. O. S. 247]). In der Regel wird man sagen können: Je aktueller, gewichtiger und umfangreicher die nachrichtendienstlich interessanten Kenntnisse des Befragten sind und je gefährlicher ihre Preisgabe für die Interessen der Bundesrepublik ist, desto eher wird ein ungehemmtes, vollständiges Eingehen auf die Befragung, ein bereitwilliges detailliertes Mitteilen, die Annahme rechtfertigen, der Betroffene habe an fremder nachrichtendienstlicher Aktivität mitgewirkt. Dies wird vor allem dann gelten müssen, wenn er kraft seiner Stellung zur Wahrung der Interessen der Bundesrepublik besonders verpflichtet war (s. BGHSt 24 369, 374 f.; BGH NJW 1977 1300; zustimmend Paeffgen NK Rdn. 15). Eine aktive Mitarbeit wird fernliegen oder zu verneinen sein, wenn das Verhalten des Betroffenen den Eindruck vermittelt, er habe die Befragung lediglich erduldet, nur unvollständige und unrichtige oder nur solche Antworten gegeben, die situationsbedingt zutreffend sein mussten, aber weniger bedeutungsvoll waren (vgl. BGHSt 30 294, 296 f.). Ob im Einzelfall ein geschickteres Verhalten möglich und angezeigt gewesen wäre und ob die Angaben auf das Mindestmaß beschränkt wurden, ist nicht entscheidend (dazu BGH, Urteil vom 9.1.1974 – 3 StR 6/73 II – [bei Träger/Mayer/Krauth a. a. O. S. 248]). Wird jemand im Rahmen üblicher Kontakte – etwa als Journalist, Wissenschaftler, Wirtschaftsmann oder Politiker – nach und nach zur geheimdienstlichen Mitarbeit hingeführt, so ist die Grenze zum Strafbaren überschritten, wenn der Betroffene das Bestreben durchschaut oder es zumindest billigend in Kauf nimmt und sich dennoch in die intensivierten Kontakte aktiv so einfügt, dass er nach seinem Gesamtverhalten als Mitarbeiter des fremden Geheimdienstes anzusehen ist.19 In den Fällen illegaler Technologie-Beschaffung durch nachrichtendienstlich gesteuerte Handelsbeziehungen wird es maßgeblich darauf ankommen, ob der hiesige „Handelspartner“ ausreichende Kenntnisse hat, um sich über seinen wirklichen Auftraggeber und den eigentlichen Zweck des Geschäfts klar zu werden.20 Eine restriktive Auffassung vertritt der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (NStZ-RR 2005 305 unter Hinweis auf BGHSt 24, 369; vgl. auch Beschl. v. 9.5.2006 – 3 StE 1/06-4, StB 4/06). Danach ist allein aufgrund des konspirativen Vorgehens eines Beschuldigten zur Verdeckung eines Verstoßes gegen das Exportverbot kein tragfähiger Schluss darauf möglich, dass er sich mit der Lieferung zugleich in die Ausforschungsbestrebungen eines fremden Geheimdienstes im Bereich der Militärtechnologie einordnen wollte. Dem ist in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall nicht zuzustimmen. Bei der geheimdienstlichen Agententätigkeit bedarf es nicht einer Eingliederung in den organisatorischen Apparat des Dienstes (BGHSt 24, 369). Sie liegt bereits dann vor, wenn der Beschuldigte eine aktive Mitarbeit für den Geheimdienst entfaltet und dadurch seine Bereitschaft verwirklicht, sich – wenn auch nicht förmlich, so doch funktionell – in diesen Dienst und dessen Bestrebungen einzugliedern. Dazu gehört nicht notwendig der Wille und das Bewusstsein, als Angehöriger dieses Dienstes in diesem mitzuarbeiten (BGHSt 24, 369, 372). Entscheidend ist, dass sich der Technologiehändler in das gewünschte konspirative Verhalten einspannen lässt (s. BGH NStZ 1986, 166) und durch die Lieferung der gewünschten Gegenstände zur Mitwirkung an den Beschaffungsaktivitäten des Dienstes auf dessen Seite schlägt (vgl. BGHSt a. a. O. S. 373; Schmidt/Wolff NStZ 2006 161, 163). Das Thüringer Oberlandesgericht greift in seinem Beschluss vom 1.3.2006 (3 StE 1/06-4) die oben dargestellte Überlegung des 3. Senats auf und führt aus: „Es ist ausgesprochen naheliegend […], dass die Angeklagten mit ihrem konspirativen und heimlichen Vorgehen allein der Entdeckung des eigenen strafbaren 18 Siehe BGHSt 24 369, 373 f.; aber auch BayObLG NJW 1971 1417; OLG Frankfurt NStZ 1982 31 [Leitsatz]; aA Paeffgen NK Rdn. 15. 19 Hierzu BGHSt 43 321 = NJW 1998 1723; ebenso Paeffgen NK Rdn. 15. 20 Vgl. Engberding Kriminalistik 1986 352, 353; Paeffgen NK Rdn. 20; s. dazu auch Vor § 93 Rdn. 3a und dort Fn. 11, § 94 Rdn. 3 a. E. 481

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Verstoßes gegen das Exportverbot vorbeugen wollten. […] Die Angeklagten sind nicht über das hinausgegangen, was ihrer Rolle als Verkäufer der Vibrationsprüfanlage entsprach und ferner zur Verdeckung des Verstoßes gegen das Exportverbot erforderlich war.“ Viel näherliegender als die Annahme des Gerichts, das Tun der Angeklagten sei allein von der vorgreifenden Sorge um spätere Bestrafung getragen gewesen, war im zu entscheidenden Fall jedoch die Deutung des Verhaltens der Angeklagten dahin gehend, dass ihnen daran gelegen war, die Durchführung der Ausfuhr und damit das Gelingen der mit nachrichtendienstlichen Mitteln durchgeführten Beschaffungsoperation zu sichern. Dass es ihnen dabei nicht vorrangig um nachrichtendienstliche Zuarbeit, sondern vielmehr um den aus einem erfolgreichen Verkauf resultierenden finanziellen Profit ging, steht der Wertung ihres Verhaltens als Ausübung einer geheimdienstlichen Agententätigkeit nicht entgegen; dies ist selbst dann nicht der Fall, wenn wirtschaftliche Erwägungen ausschließliches Handlungsmotiv der Technologiehändler für die Zusammenarbeit mit einem fremden Geheimdienst sind. Ein finanzielles Eigeninteresse ist auch der klassischen Spionage nicht fremd. Die sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen den Beschluss des Thüringer OLG hat der BGH verworfen (Beschl. v. 9.5.2006 – 3 StE 1/06-4, StB 4/06). In den nicht zum Kernbereich „klassischer“ Agententätigkeit gehörenden Fällen hängt die Strafbarkeit nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 davon ab, ob die Lieferung der jeweiligen Gegenstände dem Erkenntnisgewinn dient und nicht nur ein Nutzungsinteresse des Empfängerlandes befriedigt (Anschluss an BGH NStZ 2007 93; BGH NStZ-RR 2005 305; OLG München, Beschl. v. 19.3.2009 – 6 St 10/08).

7 e) Indizwirkung der Anwendung konspirativer Methoden. Der Auftrag der staatlichen Geheimdienste und die Aktivitäten, die seiner Erfüllung dienen, sind zwar in allen Erscheinungsformen dem staatlichen Hoheitsbereich zuzurechnen. Die geheimdienstliche Tätigkeit ist jedoch nicht mit dem sonstigen hoheitlichen Handeln vergleichbar. Alle Nachrichtendienste müssen grundsätzlich ihre Organisationen, ihre personelle Struktur und Zusammensetzung sowie ihre Arbeitsweisen und Hilfsmittel nach außen hin tarnen; sie sind in aller Regel auf eine Arbeit im Verborgenen angewiesen. Die Anwendung konspirativer Methoden und die Besonderheiten der hierbei geübten Praktiken können daher ein gewichtiges Indiz sein, Indiz für das Vorliegen geheimdienstlicher Tätigkeit überhaupt, Hinweis aber auch dahin, welcher fremde Geheimdienst am Werke war und welche Zielrichtungen verfolgt wurden (vgl. auch BGH, Beschl. v. 9.5.2006 – 3 StE 1/06-4). Mithilfe der Sachkunde und des Erfahrungsschatzes der Spionageabwehr lassen sich insoweit oftmals entscheidende Erkenntnisse gewinnen. Beispielhaft als typisch geheimdienstliche, konspirative Verhaltensweisen sind zu nennen: Eigens gestaltete Anbahnungs- und Verstrickungsgespräche mit nachfolgender Verpflichtungserklärung, Empfang von Agentenlohn gegen unverfängliche Quittung, das Führen von Decknamen, der Besitz hervorragend gefälschter Ausweispapiere und Leben unter entsprechender Legende, getarnte und abgesicherte Treffen mit Instrukteuren, Führungsoffizieren und legalen wie illegalen Residenten, Verwenden sichtbarer oder unsichtbarer Geheimschriften, die Verbindung über Kuriere, über sogenannte tote Briefkästen und über Agentenfunk, die Benutzung besonderer Kameras und Filme (Dokumentenphotographie), eigens präparierter Aufbewahrungsverstecke und Verbringungsbehältnisse („Container“), schließlich auch die Bereithaltung von Fluchtpapieren und Fluchtgeld. Für den nachrichtendienstlich gesteuerten Außenhandel, der dem illegalen Technologietransfer dient, ist die Verschleierung von Einzelheiten der Geschäftsabwicklung kennzeichnend (sogenannte Neutralisierung der Ware, Verschleiern der Transportwege, Erstellen von Scheinrechnungen u. ä.: s. dazu Engberding Kriminalistik 1986 352).

2. Gegen die Bundesrepublik Deutschland 8 a) Innerstaatliche Belange. Die geheimdienstliche Tätigkeit muss gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt werden, d. h. gegen ihre Belange gerichtet sein. Maßgebend ist, ob Barthe/Schmidt

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im Einzelfall der konkrete Gegenstand der Ausforschungsbemühungen dem Bereich der Bundesrepublik als ihre Angelegenheit zuzuordnen ist sowie deren Interesse an ihm.21 Übermittelt ein Behördenmitarbeiter dem Geheimdienst eines ausländischen Staates Informationen aus amtlichen Registern, welche die Behörden des ausländischen Staates im Wege der Amts- oder Rechtshilfe nicht oder nur unter Erfüllung von die Rechte der Betroffenen schützenden Bedingungen erhalten könnten, so ist diese Informationsübermittlung gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichtet. Der Anwendungsbereich der Strafvorschrift ist danach jedoch nicht beschränkt auf die Aus- 8a forschung rein staatlicher Angelegenheiten. In den Schutz sind grundsätzlich alle Sachgebiete einbezogen, durch deren Ausspähung Belange des Gemeinwesens, Interessen der Gesamtheit berührt werden. Hierzu gehören insbesondere auch die Bereiche der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Technik (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 23). Denn auch insoweit können staatliche Belange zumindest mittelbar berührt und die Bundesrepublik in ihrer funktionalen Stellung als politische Macht betroffen sein (s. BGHSt 29 325, 331). Wo die Grenze hinsichtlich der Beeinträchtigung deutscher Belange im Einzelnen verläuft, ist bislang nicht eindeutig erklärt (BGH – Ermittlungsrichter – NStZ 2006 160 f.). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs neigt zu einer weiten Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals; danach soll „der tatbestandlichen Voraussetzung, dass sich die geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet, … die Bedeutung zu(kommen), dass geheimdienstliche Aktivitäten, die – nach dem Gegenstand der damit verbundenen Ausforschungsbemühungen – die Interessen der Bundesrepublik – ausnahmsweise – nicht berühren, vom Tatbestand ausgenommen“ sind (BGH NJW 1980 2635; ähnlich BGHSt 32 104). Nach Auffassung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs versteht die dort in Bezug genommene Stelle des schriftlichen Berichts des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (BTDrucks. V/2860 S. 23) das Tatbestandsmerkmal enger; hiernach stellt dieses Kriterium „eine wichtige Begrenzung des Tatbestandes“ dar und „erfasst nur die geheimdienstlichen Operationen fremder Mächte, die sich gegen die Bundesrepublik Deutschland als Zielland richten und ihre Interessen beeinträchtigen“. Diese Voraussetzungen hat der Ermittlungsrichter in dem zu entscheidenden Fall abgelehnt, weil eigentliches Zielland der Tätigkeit des Beschuldigten Frankreich war; denn dort sollten die technischen Geräte hergestellt und von dort sollten sie bezogen werden. Die Interessen der Bundesrepublik Deutschland waren nach seiner Meinung allein aufgrund der Tatsachen, dass der Beschuldigte in der Bundesrepublik seinen Wohnsitz sowie einen Firmensitz hat und dass er deutscher Staatsangehöriger ist, nicht beeinträchtigt (BGH – Ermittlungsrichter, Beschl. v. 22.12.2004 – 3 BGs 191/04). Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Insoweit ist zu bedenken, dass § 4 AWG und die aufgrund der Ermächtigungsnorm ergangene Außenwirtschaftsverordnung den Rahmen vorgibt, in dem sich die bundesdeutschen Interessen bewegen. § 4 AWG hat folgenden Wortlaut: Beschränkungen und Handlungspflichten zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und der auswärtigen Interessen (1) Im Außenwirtschaftsverkehr können durch Rechtsverordnung Rechtsgeschäfte und Handlungen beschränkt oder Handlungspflichten angeordnet werden, um 1. die wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten, 2. eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten, 3. eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu verhüten, 4. die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der Artikel 36, 52 Absatz 1 und des Artikels 65 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu gewährleisten oder 5. einer Gefährdung der Deckung des lebenswichtigen Bedarfs im Inland oder in Teilen des Inlands entgegenzuwirken und dadurch im Einklang mit Artikel 36 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die Gesundheit und das Leben von Menschen zu schützen.

21 BGHSt 29 325, 327 ff.; 32 104, 107; 38 75, 77; 41 292, 301; KG NStZ 2004 209 m. Anm. Lampe. 483

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Geheimdienstliche Agententätigkeit

(2) Ferner können im Außenwirtschaftsverkehr durch Rechtsverordnung Rechtsgeschäfte und Handlungen beschränkt oder Handlungspflichten angeordnet werden, um 1. Beschlüsse des Rates der Europäischen Union über wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik umzusetzen, 2. Verpflichtungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union durchzuführen, die in unmittelbar geltenden Rechtsakten der Europäischen Union zur Durchführung wirtschaftlicher Sanktionsmaßnahmen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik vorgesehen sind, 3. Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen umzusetzen oder 4. zwischenstaatliche Vereinbarungen umzusetzen, denen die gesetzgebenden Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes zugestimmt haben. (3) Als Beschränkung nach den Absätzen 1 und 2 gilt die Anordnung von Genehmigungserfordernissen oder von Verboten. (4) Beschränkungen und Handlungspflichten sind nach Art und Umfang auf das Maß zu begrenzen, das notwendig ist, um den in der Ermächtigung angegebenen Zweck zu erreichen. Sie sind so zu gestalten, dass in die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung so wenig wie möglich eingegriffen wird. Beschränkungen und Handlungspflichten dürfen abgeschlossene Verträge nur berühren, wenn der in der Ermächtigung angegebene Zweck erheblich gefährdet wird. Sie sind aufzuheben, sobald und soweit die Gründe, die ihre Anordnung rechtfertigten, nicht mehr vorliegen.

Bewegt sich beim illegalen Technologietransfer eine Lieferung22 in diesem Rahmen, werden auch die Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 99 berührt. Entscheidend kann demnach nicht sein, ob der eigentliche Warenverkehr außerhalb des Bundesgebiets stattfindet. Besteht eine Genehmigungspflicht nach dem AWG und wird diese durch eine nachrichtendienstliche Operation umgangen, sind die Voraussetzungen des § 99 in der Regel erfüllt. Problematisch können Fälle sein, in denen durch geschickte und im Einzelnen nicht nachweisbare Vertragsgestaltungen die Genehmigungspflichten nach dem AWG z. B. durch eine Vermittlertätigkeit umgangen werden. In diesen Fällen kommt es entscheidend darauf an, ob eine Lieferung vom Gesetzeszweck des AWG erfasst wird und den in § 4 AWG näher bezeichneten Interessen der Bundesrepublik zuwiderläuft. Vermittelt beispielweise ein Deutscher im Ausland an einen fremden Staat über dessen Geheimdienst Gegenstände, die der Herstellung von Atomwaffen dienen, so steht die Verletzung bundesdeutscher Interessen außer Frage, selbst wenn sich nicht klären lässt, aufgrund welcher vertraglichen Grundlagen die Lieferung stattgefunden hat und eine Genehmigungspflicht nach dem AWG zweifelhaft ist. Nur solche geheimdienstlichen Aktivitäten sind vom Tatbestand ausgenommen, die nach ihrer Zielsetzung und der Art ihrer Ausführung die staatlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland überhaupt nicht tangieren, etwa weil sie ausschließlich gegen individuelle Belange gerichtet sind, oder, mögen sie auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik ausgeübt werden, allein ausländische Positionen beeinträchtigen könnten.23 Ein allgemeines politisches Interesse der Bundesrepublik am Unterbleiben jeglicher Operationen fremder Geheimdienste auf ihrem Gebiet vermag in solchen Fällen die Strafbarkeit nicht zu begründen. Der Tatbestand wäre selbst dann nicht erfüllt, wenn ein Schutz der der Ausforschung ausgesetzten fremden Angelegenheiten, z. B. im Blick auf die außenpolitischen Konstellationen, von deutscher Seite als durchaus erwünscht erschiene. Nicht jegliches Interesse, das die Bundesrepublik an Angelegenheiten fremder Staaten nimmt, reicht aus, um diese im Sinne des § 99 zu ihren eigenen zu machen. Eine solche Auslegung würde dem Merkmal „gegen die Bundesrepublik Deutschland“ den wesentlichen, Schranken setzenden Sinngehalt nehmen und dazu führen, dass grundsätzlich jede Agententätigkeit fremder Geheimdienste von der Strafvorschrift erfasst würde (s. BGHSt 29 325 und 32 104). Geht der der geheimdienstlichen Aktivität zugrunde liegende Auftrag allerdings 22 Hierzu Zabeck NStZ 2008 668. 23 Vgl. BGHSt 29 325, 328 ff.; Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 23; dazu auch BGHSt 32 104, 106 f.; BVerfGE 57 250, 267 m. w. N.; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19 ff.; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Fischer Rdn. 8; Wolter SK Rdn. 11; Lampe/Hegmann MK Rdn. 15 und 18. Barthe/Schmidt

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II. Ausüben einer geheimdienstlichen Agententätigkeit (Absatz 1 Nr. 1)

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weiter, zielt er – neben der Ausrichtung auf ausländische Angelegenheiten – auch auf die Ausforschung des Umfelds und ergreift er dabei die in den Bereich der Bundesrepublik einbezogenen Verhältnisse, so ist dieses Bestreben als Teil allgemeiner nachrichtendienstlicher Aufklärungsarbeit anzusehen, als Teil der fortwährenden Bemühungen, sich ein möglichst genaues und zuverlässiges Bild von allen bedeutsamen Gegebenheiten in der Bundesrepublik zu verschaffen. In solchen Fällen reicht auch das entsprechende Abwehrinteresse der Bundesrepublik aus, um die Spionagetätigkeit als gegen sie gerichtet zu bewerten (vgl. BGHSt 29 325, 327 f., 331; zuletzt BGH NStZ-RR 2019 177; BVerfGE 57 250, 267). Unerheblich ist, ob in der Bundesrepublik durch die geheimdienstliche Aktion ein konkreter Nachteil entsteht oder eine konkrete Gefahr erwächst; § 99 stellt die geheimdienstliche Agententätigkeit unter Strafe, weil sie an sich und als solche gefährlich ist (abstrakte Gefährdung; dazu BGHSt 29 325, 331; BVerfGE 57 250, 267).

b) Erweiterungen des Schutzes des § 99. Im Einzelnen folgt hieraus:

8b

aa) Im Inland lebende Ausländer und ihre Organisationen. Der Tatbestand des Absatzes 1 9 Nr. 1 ist in der Regel auch dann erfüllt, wenn die geheimdienstliche Tätigkeit sich gegen hier lebende Ausländer (insbesondere Emigranten und Asylanten) oder deren Organisationen richtet (vgl. BGHSt 29 325). Das Kammergericht (NStZ 2004 209 m. Anm. Lampe) stimmt der Entscheidung BGHSt 29 325 im Ergebnis zwar zu, meint aber, die damalige Rechtsprechung lasse sich nicht mehr ohne Weiteres für jedwede Gruppierung auf die heutige Zeit übertragen. Es bejaht eine gegen Ausländer gerichtete (strafbare) geheimdienstliche Tätigkeit in den Fällen, in denen die Zielperson unter dem Schutz der Bundesrepublik Deutschland („im eigenen Lager“) steht. Nur dann seien die Interessen der Bundesrepublik Deutschland berührt. Der Entscheidung des Kammergerichts ist zwar im Ergebnis, nicht aber in der Begründung zuzustimmen (ebenso Lampe a. a. O. S. 211). Solcherlei Ausforschungstätigkeit wird, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, in aller Regel den Belangen der Bundesrepublik zuwiderlaufen. Ausländerorganisationen sind heute mehr denn je Elemente des politischen und gesellschaftlichen Lebens, die im staatlichen Raum ihre Bedeutung haben. Sie stehen in vielfältiger Beziehung zu amtlichen Stellen, zu deutschen Verbänden und Vereinigungen. Ihre Bestrebungen, meist mit außen- und innenpolitischen Zielsetzungen recht unterschiedlicher Prägung und Resonanz verknüpft, können der Bundesrepublik nicht gleichgültig sein. Die Ausforschung solcher Organisationen auf deutschem Boden berührt die Bundesrepublik regelmäßig in ihrer funktionalen Stellung als politisches Gebilde (BGHSt 29 325, 331 f.; BGH NStZ-RR 2017 275; NStZ-RR 2019 177). Sie läuft in der Regel den Interessen der Bundesrepublik zuwider, wenn sie sich gegen hier lebende Exilanten richtet, sofern sich diese unter dem Schutz von Art. 5 GG in legaler Weise politisch betätigen, weil solche Ausforschungen zumindest dazu geeignet sind, bei den Betroffenen – begründet oder unbegründet – Angst vor Repressionen gegen die eigene Person oder gegen Angehörige auszulösen und so den ihnen zustehenden Freiraum für politisches Engagement einzuengen (vgl. BGH, Beschluss vom 30.6.2010 – 3 BJs 5/07-2; KG, Urteil vom 8.5.2008 – [1] 3 StE 1/08 – 2 [4/08]). Schon das bloße Bewusstsein der Ausforschung durch Organe des fremden Staates kann bewirken, dass ein Ausländer von seinem Recht auf Teilhabe an der politischen Willensbildung nicht mehr unbefangen Gebrauch macht und damit in der Ausübung von Grundrechten beeinträchtigt wird. Dies kann nicht hingenommen werden, weil die Bundesrepublik Deutschland zum Schutz der Grundrechte schon von Verfassungs wegen verpflichtet ist (vgl. BGH und KG a. a. O. m. w. N.). Das Interesse an der Abwehr solcher Ausforschungsbemühungen fremder Mächte mag allenfalls dort fehlen, wo es diesen vornehmlich um die Abklärung von Sachverhalten und Beziehungen aus ihrem eigenen Bereich (Beweggründe für Auswanderungen, Fluchtgründe, Planungen gegen den Heimatstaat etc.) geht und eine Auswertung der angestrebten Erkenntnisse zum Nach485

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teil der Bundesrepublik von vornherein ausscheidet. Gleiches kann gelten, wenn der Täter lediglich als sogenannter Einflussagent (siehe Rdn. 17) mit entsprechend begrenztem Auftrag zu wirken oder den Einsatz solcher Agenten vorzubereiten hat (vgl. BGHSt 29 325, 336; Schroeder NJW 1981 2278, 2283). Eine geheimdienstliche Agententätigkeit ist nicht ohne Weiteres gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichtet, wenn sie Mitglieder oder Unterstützer von durch die Europäische Union gelisteten ausländischen terroristischen Vereinigungen, insbesondere mit internationalem Haftbefehl gesuchte Führungsmitglieder, betrifft (BGHSt 60 158; BGH NStZ-RR 2019 177). Es bedarf vielmehr einer Einbeziehung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles in wertender Betrachtung. In solchen Fällen ist das Tatbestandsmerkmal (gegen die Interessen der Bundesrepublik) jedenfalls immer dann erfüllt, wenn das Vorgehen des Agenten sich nicht in der nachrichtendienstlichen Betätigung erschöpft, sondern unabhängig davon auch einen weiteren Straftatbestand erfüllt (BGH NStZ 2018 590, 592, NStZ-RR 2019 177). Darunter fallen kann beispielsweise der Verrat von Dienstgeheimnissen nach § 353 b StGB (BGH NStZ 2018 590; Anschluss an BGHSt 60 158). Das staatliche Interesse an der Abwehr von Ausforschungsaktivitäten, die gegen einzelne, in der Bundesrepublik lebende Ausländer gerichtet sind, folgt in der Regel aus der Zielsetzung der geheimdienstlichen Bestrebungen. Die Verbindungen und die hierbei anfallenden Erkenntnisse werden erfahrungsgemäß genutzt, um geheimdienstliche Mitarbeiter zu gewinnen, um terroristische Unternehmungen, etwa Anschläge auf missliebige Emigranten, vorzubereiten und ins Werk zu setzen (s. BGHSt 18 87 [Staschynskij]) oder um Klarheit über die Einstellung der entsprechenden Personen oder Personenkreise für den Fall zu schaffen, dass es zu Konflikten und Auseinandersetzungen kommt (vgl. BGHSt 29 325, 332 ff.). Eine zumindest mittelbare Beeinträchtigung der Belange der Bundesrepublik, deren Bemühungen um die Aufrechterhaltung ihrer und ihrer Bürger Sicherheit in Frage stehen, ist insoweit nicht von der Hand zu weisen (ebenso im Ergebnis Paeffgen NK Rdn. 17). Andererseits wird es gerade auch hier Fälle geben, in denen nach Art und Inhalt des Ausforschungsauftrags ein Interesse der Bundesrepublik im Sinne des § 99 das „Wohl des Staates“ (vgl. Schroeder NJW 1981 2278, 2282), nicht berührt sein wird.24

10 bb) NATO und Partnerstaaten. Jede gegen die NATO als solche und ihre Stellen, insbesondere ihre zentralen Dienststellen, ausgeübte Agententätigkeit richtet sich zugleich gegen die Bundesrepublik Deutschland. Die Mitgliedschaft der Bundesrepublik im nordatlantischen Bündnis ist nach wie vor einer der wichtigsten Faktoren der staatlichen Sicherheitspolitik. Sicherheitsinteressen des Bündnisses lassen sich von den Sicherheitsbelangen der Bundesrepublik nicht trennen. NATO-Geheimnisse sind gemeinsame Geheimnisse der Mitglieder des Nordatlantikpaktes und damit auch Geheimnisse der Bundesrepublik, geheimdienstliche Aktivitäten gegen NATO-Einrichtungen treffen zugleich die Bundesrepublik, mag das Ziel des Angriffs auch außerhalb ihres Staatsgebiets liegen. Der Schutzbereich des § 99 muss nicht an den Staatsgrenzen enden (vgl. BGH bei Holtz MDR 1980 105; bei H. W. Schmidt MDR 1981 90; Lampe/Hegmann MK Rdn. 20). Von der geheimdienstlichen Tätigkeit gegen NATO-Stellen ist diejenige zu unterscheiden, die sich auf die Ausforschung der Angelegenheiten der Partnerstaaten oder deren in der Bundesrepublik stationierten Truppen beschränkt; insoweit sind die Erweiterungsvorschriften des § 1 Abs. 1 NTSG heranzuziehen (siehe Rdn. 11).

10a cc) Verbände und Institutionen. Die großen Verbände, die Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften, aber auch die Parteien, Firmengruppen und Forschungsinstitute sind Zielob24 S. dazu KG NStZ 2004 209 m. Anm. Lampe; kritisch zu der weitgehenden Rechtsprechung des BGH Lackner/ Kühl/Kühl Rdn. 4; Wolter SK Rdn. 11; ausführlicher Schroeder NJW 1981 2278, 2282 f. Barthe/Schmidt

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II. Ausüben einer geheimdienstlichen Agententätigkeit (Absatz 1 Nr. 1)

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jekte, die eng mit den staatlichen Interessen der Bundesrepublik verflochten sind. Ihre Ausforschung wird in aller Regel die Bundesrepublik mittreffen, ihre politische, gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Machtstellung berühren. Ähnliches gilt hinsichtlich der Vertriebenenverbände, die im politischen Leben des Staates eine nicht unbedeutende Rolle spielen und auch im außenpolitischen Kräftespiel den unterschiedlichsten Interessen begegnen. Insbesondere dann, wenn die von dort erstrebten nachrichtendienstlichen Erkenntnisse ins Gewicht fallende, der Bundesrepublik abträgliche außenpolitische Angriffe oder Positionen stützen sollen (z. B. ernsthafte Vorwürfe der Duldung oder Unterstützung „revanchistischer Bestrebungen und Strömungen“ etc.), wird die Grenze zur Strafbarkeit überschritten (vgl. auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Schroeder NJW 1981 2278, 2283).

dd) Dienststellen fremder Staaten, insb. Botschaften. Geheimdienstliche Operationen ge- 10b gen hier belegene Dienststellen fremder Staaten können je nach Fallgestaltung durchaus auch als nachrichtendienstliche Angriffe gegen die Bundesrepublik zu beurteilen sein. Spielt sich das Ausforschungsunternehmen allerdings innerhalb einer solchen Dienststelle, etwa einer Botschaft, ab und geht es dabei – ausschließlich – um die Aufklärung dortiger Angelegenheiten, so wird zumeist ein strafrechtlich relevantes Abwehrinteresse der Bundesrepublik zu verneinen sein (s. BGHSt 29 325, 330).

c) § 1 Abs. 1 Nr. 4 NTSG. Der strafrechtliche Schutz vor geheimdienstlicher Tätigkeit ist über 11 den Bereich der Belange der Bundesrepublik Deutschland hinaus nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 Nr. 4 NTSG – abgedr. Vor § 93 Rdn. 8a – auf Angelegenheiten der Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes und ihrer in der Bundesrepublik stationierten Truppen erweitert. Nach dem Wortlaut der Vorschrift würden alle geheimdienstlichen Ausforschungsaktivitäten erfasst, die sich gegen Vertragsstaaten richten, gleichgültig, welches Ziel im Einzelnen verfolgt wird. Dieses Ergebnis widerspräche ersichtlich dem Sinn der Regelung, mit der lediglich der aus den NATOAbkommen sich ergebenden völkerrechtlichen Pflicht der Bundesrepublik zum strafrechtlichen Schutz der Stationierungsstreitkräfte genügt werden sollte (vgl. Vor § 93 Rdn. 7; NATO-Truppenstatut Art. VII Abs. 11; Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut Art. 29).25 In den strafrechtlichen Schutz einbezogen sind danach nur Belange derjenigen Vertragsstaaten, die hier Truppen stationiert haben. Auf die anderen Staaten des NATO-Paktes wird der Straftatbestand des § 99 nicht erstreckt (BGHSt 32 104, 109; BGH NStZ-RR 2012 244 LS). Nach der Rechtsprechung des BGH können Gegenstand der Ausforschung sämtliche Angelegenheiten des NATO-Vertragsstaates (Entsendestaates) sein; ein erkennbarer Zusammenhang mit den Stationierungstruppen braucht nicht zu bestehen. Die Erweiterungsvorschrift nennt als Schutzobjekte ausdrücklich den „betroffenen Vertragsstaat“ des Nordatlantikvertrags und die in der Bundesrepublik stationierten Truppen dieses Vertragsstaates. Die Entsendestaaten sind danach strafrechtlich im gleichen Umfang vor geheimdienstlicher Agententätigkeit geschützt wie die Bundesrepublik selbst. Die einzig wirksame Einschränkung besteht darin, dass § 1 Abs. 4 NTSG einen Tatort im räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes voraussetzt (BGHSt 32 104, 113; 38 75, 77 noch zu Art. 7 des 4. StRÄndG). Dass sich der BGH bei dem eindeutigen Wortlaut der Erweiterungsvorschrift an einer noch weitergehenden einengenden Auslegung gehindert sah, ist einsichtig. Er kann sich zudem darauf berufen, dass sich ein wirksamer Schutz der Stationierungsstreitkräfte nur unvollkommen realisieren ließe, wenn sich das Gesetz über die nicht leicht durchschaubaren und noch schwerer auflösbaren Zusammenhänge zwischen Angelegenheiten der Stationierungsstreitkräfte und denen des sie entsendenden Vertragsstaates hinweggesetzt 25 Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19.6.1951 (NATO-Truppenstatut – NTS) BGBl. 1961 II 1190, 1198 und Zusatzabkommen zum NTS vom 3.8.1959 BGBl. 1961 II 1218, 1242 f. (Vertragsgesetz zu beiden Abkommen vom 18.8.1961 BGBl. II 1183). 487

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und eine Regelung getroffen hätte, die sich ausdrücklich auf die Stationierungsstreitkräfte beschränkt (BGHSt 32 104, 112 f.). Andererseits ist nicht zu verkennen, dass der Gesetzeszweck – Schutz der Stationierungstruppen – auch für eine engere Auslegung sprechen könnte und dass durchaus bezweifelt werden kann, ob die weite Fassung des Gesetzes wirklich gewollt war (s. dazu BGH, a. a. O. 108 ff. sowie Vor § 93 Rdn. 8 f.). Eine (erneute) Novellierung könnte hier Klarheit schaffen. Soweit sich geheimdienstliche Aktivitäten gegen in der Bundesrepublik stationierte Truppen – also nicht gegen anderweitige Belange des stationierenden Vertragsstaates – richten, wird der Erweiterungsbestimmung des § 1 Abs. 1 Nr. 4 NTSG allerdings nur eingeschränkte praktische Bedeutung zukommen. In allen Fällen, in denen gemeinsame NATO-Geheimnisse eine Rolle spielen, ist die Agententätigkeit auch gegen die Bundesrepublik selbst gerichtet (vgl. Rdn. 10), so dass die Erweiterungsbestimmung gar nicht herangezogen werden muss. Aber auch in anderen die Stationierungstruppen betreffenden Fällen kann § 99 greifen. Dies hängt davon ab, ob die geheimdienstlichen Aktivitäten zugleich auf Angelegenheiten der Bundesrepublik abzielen. Im Blick auf die engen Beziehungen zwischen den Bündnispartnern auf sicherheitspolitischer Ebene und des daraus resultierenden Ineinandergreifens der Angelegenheiten der Stationierungsstreitkräfte und der Bundeswehr liegt dies nicht fern.26 Die Ergänzungsvorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 4 NTSG ist – wie § 99 Abs. 1 Nr. 1 selbst – mit dem Grundgesetz vereinbar; sie ist hinreichend bestimmt und hält sich im Rahmen der dem Gesetzgeber zukommenden Gestaltungsfreiheit (BVerfG [Vorprüfungsausschuss] MDR 1985 290 f.; BVerfGE 92 277, 282 f., 301 ff. und 339 f.). Die Agententätigkeit ist auch dann gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet und somit nach § 99 strafbar, wenn Vorgänge der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union gemäß dem Vertrag von Lissabon Ausspähungsgegenstand sind (OLG Stuttgart, Urt. v. 2.7.2013 – 4b – 3 StE 5/12; BGH, Beschlüsse vom 3.4.2012 – 1 BGs 149 und 152/12; offen gelassen in BGH NStZ-RR 2012 244 und BGH, Beschluss v. 2.8.2012 – 3 BJs 41/11 – 3 AK 24 und 25/12). Das gilt jedenfalls dann, wenn diese sich – wie hier – inhaltlich mit Fragen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU befassen und die zu beurteilenden geheimdienstlichen Tätigkeiten, die zum Abfluss der Informationen führen, zumindest auch von deutschem Territorium aus stattfinden. Es ist kein Grund ersichtlich, diese Thematik anders zu behandeln als vom Bundesgerichtshof für die NATO entschieden – dessen Überlegungen zur NATO treffen der Sache nach auch hier zu. Es gibt keine Hinweise, dass der deutsche Gesetzgeber den strafrechtlichen Schutz vor geheimdienstlichen Ausspähungen von EU-Angelegenheiten schwächer ausgestaltet sehen wollte als in NATO-Zusammenhängen (OLG Stuttgart a. a. O.). Auf Ausspähungsaktivitäten im Euratom-Bereich wird § 99 im Blick auf die enge Verflechtung der Interessen der Bundesrepublik mit dem Gemeinschaftsinteressen ebenfalls meist unmittelbar anzuwenden sein. Art. 194 Abs. 1 Euratom-Vertrag27 hat nur in den Fällen Bedeutung, in denen eine Berührung deutscher Belange nicht festzustellen ist (siehe Rdn. 8). Von § 99 erfasst wird dann jedoch nur die geheimdienstliche Tätigkeit, die sich zugleich als Geheimnisverletzung im Sinne des Art. 194 Abs. 1 Euratom-Vertrag darstellt. Richtet sich die Tat gegen Euratom-Geheimnisse, die in ihrem Gewicht deutschen Staatsgeheimnissen gleichkommen, so greifen die zu deren Schutz vorgesehenen Tatbestände ein (vgl. § 93 Rdn. 18 a. E., 24 und Vor § 93 Rdn. 9).

26 Zu weit allerdings BGH, Beschluss vom 27.7.1971 – 3 ARs 40/70 – 4 BJs 187/68 – S. 5; enger BGHSt 32 104, 107 und 38 75, 77 = JR 1992 204 m. Anm. Schroeder; vgl. hierzu auch Rdn. 8 f. sowie Schroeder NJW 1981 2278, 2282 f.

27 Vertragsgesetz vom 27.7.1957 BGBl. II 753; Vertrag vom 25.3.1957 BGBl. II 1014, 1015. Barthe/Schmidt

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3. Zweckrichtung Die Ausübung der geheimdienstlichen Agententätigkeit muss weiter einem bestimmten Zweck 12 dienen, der sie beherrscht: Sie muss auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet sein. Näheres zu diesen Zielobjekten ist den Erläuterungen bei § 93 Rdn. 2 ff. zu entnehmen. Es ist nicht erforderlich, dass sie als geheimhaltungsbedürftig erachtet oder tatsächlich in irgendeiner Weise geheim gehalten werden; sie brauchen nicht von großer Bedeutung zu sein (siehe BGHSt 31 317, 320), und es kann sich auch um illegale Geheimnisse im Sinne des § 93 Abs. 2 oder um mit anderweitigen Rechtsmakeln behaftete Tatsachen handeln (vgl. Fischer Rdn. 9; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Lampe/Hegmann MK Rdn. 14). Aus der Aufzählung und der Beschreibung der Zielobjekte, auf welche die geheimdienstliche Tätigkeit gerichtet ist, ist keine sachliche Einschränkung des Tatbestandes abzuleiten (s. auch Rdn. 1). Unter der Mitteilung als Endzweck der Tätigkeit ist die Übermittlung an den fremden Geheimdienst zu verstehen (siehe auch § 94 Rdn. 2 ff.; § 98 Rdn. 3). Der Begriff der Lieferung28 besagt nichts anderes; er korrespondiert mit dem des „Gegenstandes“. Dass abweichend vom Tatbestand der landesverräterischen Agententätigkeit (§ 98 Abs. 1 S. 1 Nr. 1) die Erlangung von Tatsachen nicht ausdrücklich erwähnt wird, hat keine Bedeutung. Die unterschiedliche Fassung beruht insoweit lediglich auf einem Redaktionsversehen im Gesetzgebungsverfahren.29 Der geheimdienstlich agierende Täter muss mit dem Mitteilungs- oder Lieferungsakt noch nicht begonnen haben; seine Tat ist bereits vollendet, wenn die ausgeübte Tätigkeit die entsprechende Handlungsrichtung ausweist (vgl. BGHSt 31 317, 320). Eine Zweckerreichung, die Mitteilung oder Lieferung, die auch durch Dritte bewirkt werden kann, wird vom Tatbestand nicht vorausgesetzt. Entscheidend ist, dass der Täter die Aktivitäten des fremden Geheimdienstes fördert und so an ihnen teilhat, mag die Erreichung des Ziels seiner Tätigkeit auch fernliegen. Der Tatbestand erfasst also nicht nur die Sachverhalte der Informationsübermittlung im engeren Sinne. Er schließt alle Vorbereitungshandlungen und Hilfsdienste mit ein. Dazu zählen das Tätigwerden im Rahmen des Aufbaus eines Nachrichtennetzes ebenso wie das Anwerben von Agenten oder die Durchführung von Probeaufträgen zur Vorbereitung auf spätere Einsätze.30 Nur solche geheimdienstliche Tätigkeiten unterfallen dem Tatbestand nicht, die ausschließlich eine andere als die beschriebene Zielrichtung haben, etwa lediglich auf Sabotage ausgerichtet sind oder bloße Beeinflussung, Desinformierung o. ä. zum Inhalt haben (vgl. Rdn. 8 ff.; BGHSt 29 325, 336). In der Regel wird jedoch ein solcher „Einflussagent“ zugleich Beschaffungsaufträge (Lageberichte) auszuführen haben und damit im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 tätig werden. Ohne Einfluss auf die Tatbestandserfüllung ist es, welche übergeordneten Zwecke der fremde Geheimdienst mit dem Einsatz des Täters verfolgt.

4. Innerer Tatbestand Der innere Tatbestand verlangt mindestens bedingten Vorsatz. Das ergibt sich nach allgemei- 13 nen Auslegungsgrundsätzen aus dem Wortlaut der Bestimmung. Besondere Gesichtspunkte, nach denen eine Einschränkung der Strafbarkeit durch die Voraussetzung eines alle Tatbestandsmerkmale umfassenden direkten Vorsatzes veranlasst wäre, sind nicht ersichtlich (s. BGHSt 31 317, 322 mit Anm. Schmidt LM Nr. 7 zu § 99 StGB 1975 und Stree NStZ 1983 552). Für die von § 99 vorausgesetzte Zweckrichtung der Tätigkeit („auf … gerichtet“) gilt nichts anderes. 28 Zum illegalen Technologietransfer vgl. Rdn. 6 und Zabeck NStZ 2008, 668. 29 S. zu den Einzelheiten BGHSt 24 369, 377; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Lampe/Hegmann MK Rdn. 14; aA Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 59; Paeffgen NK Rdn. 16; kritisch auch Wolter SK Rdn. 9. 30 Dazu BGHSt 31 317, 320; Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 23; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Lampe/Hegmann MK Rdn. 14; kritisch zum Probeauftrag Wolter SK Rdn 10. 489

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Geheimdienstliche Agententätigkeit

Es genügt, wenn der fremde Geheimdienst einem von ihm ausgehenden Auftrag die tatbestandliche Zielrichtung gibt und der bedingte Vorsatz des Täters diesen Umstand einschließt (in BGHSt 31 317, 321 noch offengelassen). Der Täter akzeptiert in diesem Fall die geheimdienstliche Zielsetzung und ordnet ihr seine Tätigkeit unter. Ein direkt vorsätzliches oder gar absichtliches Handeln wird auch insoweit nicht vorausgesetzt.31 Die Gefahr, der die Strafvorschrift entgegenwirken soll, ist in all diesen Fällen gegeben; der Täter hat sich geheimdienstlich verstrickt und nimmt dies billigend in Kauf (BGHSt a. a. O. 323 f.). Seine Tätigkeit, deren konkrete Bedeutung für den fremden Spionageapparat ihm oft verborgen bleibt, deren Charakter im übrigen er aber vor Augen hat (BGHSt a. a. O.), ist immer Teil der geheimdienstlichen Aktivität, den der Gesetzgeber ebenso dem Tatbestand unterstellt haben will wie den Tatbeitrag des mit direktem Vorsatz handelnden Agenten.32 Dem gesetzgeberischen Anliegen, die Personen von der Strafbarkeit auszunehmen, die lediglich Objekt der Ausforschungsbemühungen fremder Geheimdienste sind (vgl. Rdn. 1 und 3), tragen bereits die übrigen Tatbestandsmerkmale – in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung – hinreichend Rechnung. Wird eine geheimdienstliche Tätigkeit für den Geheimdienst der fremden Macht nur zum 13a Schein ausgeübt und will der Betroffene jegliche Mitteilung von Nachrichten oder sonstigem Material vermeiden, so fehlt insoweit der erforderliche Vorsatz. Handelt er hingegen ohne solchen Vorbehalt oder lässt er es dennoch zu einer Nachrichtenübermittlung kommen, so ist in der Regel der subjektive Tatbestand erfüllt. Eine solche „Scheintätigkeit“ kann jedoch gerechtfertigt sein, wenn sie aus gewichtigen übergeordneten Gründen veranlasst ist (siehe Rdn. 15; vgl. auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26).

III. Sichbereiterklären zur geheimdienstlichen Agententätigkeit (Absatz 1 Nr. 2) 14 Nach der zweiten Tatbestandsvariante der Vorschrift macht sich derjenige strafbar, der sich schriftlich oder mündlich, ausdrücklich oder konkludent, aber ernstlich und inhaltlich zweifelsfrei gegenüber dem Geheimdienst einer fremden Macht zur geheimdienstlichen Agententätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 bereiterklärt. Diese Bestimmung entspricht § 98 Abs. 1 S. 1 Nr. 2. Insoweit kann auf § 98 Rdn. 7 Bezug genommen werden (zum Begriff der fremden Macht siehe bei § 93 Rdn. 10a, zu dem des Mittelsmannes bei § 94 Rdn. 2).

IV. Rechtfertigung und Entschuldigung 15 Für eine Rechtfertigung oder Entschuldigung gelten die allgemeinen Bestimmungen. Die Druck- und Drohmittel, die fremde Geheimdienste oft bei der Anwerbung und dem Einsatz von Agenten anwenden, begründen in der Regel noch keinen Notstand; doch wird es auf den Einzelfall ankommen (Näheres hierzu bei § 93 Rdn. 32). Fraglich ist die rechtliche Bewertung einer „Erlaubnis zur geheimdienstlichen Tätigkeit für einen fremden Geheimdienst“, die in besonderen Fällen mit dem Einsatz eigener Agenten verbunden sein kann und erteilt wird, um über die angeknüpften Kontakte zu wichtigen nachrichtendienstlichen Erkenntnissen zu kommen. Zu dem früheren Beziehungstatbestand des § 100e (a. F.) haben die Obergerichte überwiegend den Standpunkt vertreten, die Tat sei nicht rechtswidrig, wenn sie mit Wissen und Willen einer dafür zuständigen deutschen Stelle erfolge („rechtfertigende Gestattung“; siehe die Rechtsprechungsnachweise bei Wagner GA 1962 3 ff.

31 Anders wohl Wolter SK Rdn. 13; vgl. auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 25; Paeffgen NK Rdn. 20; Lackner/ Kühl/Kühl Rdn. 6; Fischer Rdn. 12; Lampe/Hegmann MK Rdn. 26; zudem § 98 Rdn. 6. 32 Siehe dazu den Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 23. Barthe/Schmidt

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IV. Rechtfertigung und Entschuldigung

StGB § 99

[sub I Nrn. 1, 6, 8 und 11]; vom BGH offengelassen im Urt. v. 6.12.1954 – StE 17/54 –, bei Wagner a. a. O. [sub I Nr. 2]). Auch heute wird im Blick auf die §§ 98, 99 eine Rechtfertigung aufgrund behördlicher Erlaubnis für angängig gehalten; diese soll den Verzicht auf die konkrete Befolgung der Verbotsnorm beinhalten.33 Voraussetzung ist allerdings, dass sich die erlaubende Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse hält. Gerade dies aber ist in Fällen, in denen es um die Verletzung von Strafvorschriften zum Schutz des Staates geht, um ein Rechtsgut also, das seiner Natur nach nicht der „Verwaltung“ einer Behörde unterstellt ist, nicht unproblematisch. Für die Nachrichten- und Abwehrdienste der Bundesrepublik fehlte es bis 1990 an einer zentralen Regelung, die expressis verbis eine solche Zuständigkeit zuweist. Die Verfassungsschutzämter durften zwar zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nachrichtendienstliche Mittel anwenden;34 ob und inwieweit damit aber die Kompetenz verbunden sein sollte, in bestimmten Einzelfällen auf die „Befolgung“ der in Rede stehenden „Strafnormen zu verzichten“, erschien zweifelhaft. Im Jahr 1990 haben das Bundesverfassungsschutzgesetz,35 das MAD-Gesetz36 und das BND-Gesetz37 insoweit eine Änderung gebracht, als nunmehr auch MAD und BND wie das BfV zur Erfüllung ihrer Aufgaben nachrichtendienstliche Mittel anwenden sowie „Vertrauensleute und Gewährspersonen“ einsetzen dürfen (§ 8 Abs. 2 BVerfSchG, § 4 MADG, § 3 BNDG; s. dazu auch Vor § 93 Rdn. 12). Auf dieser Rechtsgrundlage wird man – mit der bisherigen gerichtlichen Spruchpraxis und der h. M. in der Literatur – die Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung der für den Staatsschutz zuständigen sachkompetenten Organe für solche Handlungen anerkennen müssen, mit denen rechtlich billigenswerte Anliegen verfolgt werden, deren Ziele im Einzelfall das staatliche Verbotsinteresse überwiegen.38 Jedenfalls hinsichtlich der Tätigkeitsdelikte der §§ 98, 99 wird aufgrund der Eigenart des zu erfassenden Täterverhaltens und der besonderen Anstrengungen, die zur Abwehr der Spionageaktivitäten fremder Mächte erforderlich sind, eine Ausnahme von dem Grundsatz gelten müssen, dass Rechtsgüter der Allgemeinheit nicht disponibel seien. Es hieße den Zweck der Strafvorschriften zum Schutz des Staates ins Gegenteil verkehren, wenn sie gegen Personen angewandt würden, die mit ihrem Handeln der Bundesrepublik nicht schaden, sondern nützen wollen, deren Einsatz fremde nachrichtendienstliche Bestrebungen aufdecken und wirkungslos werden lassen soll. Eine tatbestandsmäßige Handlung verliert ihre Strafwürdigkeit, wenn sie von dieser Zielrichtung getragen ist und unter Anleitung des eigenen, der institutionalisierten Kontrolle durch Regierung und Parlament unterworfenen Dienstes vonstatten geht.39 Irrt der Betroffene über das Vorliegen des Erlaubnistatbestands oder verkennt er die Grenzen der Rechtfertigung, gelten die allgemeinen Grundsätze (§§ 16, 17; vgl. in diesem Zusammenhang auch BGH bei Wagner GA 1962 3 f. Nr. 2 und die weiteren Rechtsprechungsnachweise S. 4 f. Nr. 4, 7, 8, 9, 10 und 11).

33 Vgl. Fischer Vor § 32 Rdn. 5, § 98 Rdn. 7; siehe auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26 sowie Paeffgen NK Rdn. 21 und § 98 Rdn. 16. 34 § 3 Abs. 3 BVerfSchG vom 27.9.1950 (BGBl. I 662) i. d. F. vom 7.8.1972 (BGBl. I 1382). 35 BVerfSchG vom 20.12.1990 (BGBl. I 2954, 2970), zuletzt geändert durch Art. 16 der Verordnung vom 19.6.2020 (BGBl. I 1328). 36 MAD-Gesetz vom 20.12.1990 (BGBl. I 2954, 2977), zuletzt geändet durch Art. 18 der Verordnung vom 19.6.2020 (BGBl. I 1328). 37 BND-Gesetz vom 20.12.1990 (BGBl. I 2954, 2979), zuletzt geändert durch Art. 19 der Verordnung vom 19.6.2020 (BGBl. I 1328). 38 Vgl. Goldmann Die behördliche Genehmigung als Rechtfertigungsgrund, Diss. Freiburg 1967 222. 39 S. in anderem Zusammenhang (zu § 93 a. F.) BGHSt 19 221, 225; ferner zu den Landesverratsdelikten Jakobs Strafrecht AT 16. Abschnitt Rdn. 28; Jescheck Strafrecht AT § 34 III 4; Goldmann a. a. O. (Fn. 38) S. 223 f.; zum Rechtszustand vor dem 8. StrÄndG Kohlrausch/Lange StGB 43. Aufl. (1961) Vor § 51 Anm. II 3b (S. 194); dazu die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten der §§ 153c, 153d und 153e StPO. 491

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Geheimdienstliche Agententätigkeit

V. Versuch und Beteiligung 16 Der Versuch ist nicht strafbar (siehe §§ 23 Abs. 1, 99 Abs. 1 [Strafdrohung]). Für die Mittäterschaft und Anstiftung gelten die allgemeinen Regeln. Mittäterschaft wird auch gegeben sein, wenn zwischen dem geheimdienstlichen Führungsmann und seinen Agenten Einvernehmen darüber bestand, in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken eine Zielperson zur Mitarbeit zu gewinnen und wenn zu diesem Zweck gemeinschaftliche Treffen stattfanden, um gemeinsam in gegenseitiger Abstimmung die Anwerbung zu betreiben (aA wohl BGHSt 38 75, 77 = JR 1992 204 f. m. Anm. Schroeder, der dort auch den näheren Sachverhalt wiedergibt, auf die Frage der Anwendbarkeit von § 9 StPO aber nicht eingeht). Eine Beihilfe zur geheimdienstlichen Agententätigkeit soll nach BGHSt 24 369, 377 f. nicht in Betracht kommen. § 99 Abs. 1 erfasst danach jede die Aktivität des fremden Geheimdienstes fördernde Tätigkeit, sofern sie sich als geheimdienstliche erweist (vgl. Rdn. 4), und qualifiziert sie als täterschaftliches Handeln (siehe auch BGH NStZ 1986 165 f.). Der BGH hebt maßgeblich auf die Verhandlungen im Gesetzgebungsverfahren ab, die diese Auffassung bestätigen: Ein ursprünglich erwogener verselbständigter Beihilfetatbestand, der auch eine geheimdienstliche Tätigkeit verlangt habe und vornehmlich die Arbeit von Kurieren, das Beschicken und Leeren toter Briefkästen sowie die Ausführung von Probeaufträgen habe treffen sollen, sei nicht Gesetz geworden; man sei davon ausgegangen, dass diese Handlungen bereits dem Tatbestand der (täterschaftlichen) Ausübung einer geheimdienstlichen Agententätigkeit (Absatz 1 Nr. 1) unterfielen (dazu die Formulierungshilfe Prot. V/1275; ferner Prot. V/1519, 1522, 1528, 1540). Eine über die zur Täterschaft erhobene Hilfeleistung hinausgehende strafbare Beihilfe habe ausgeschlossen werden sollen, um der gesetzgeberischen Intention Rechnung zu tragen, bloße Objekte fremder Ausforschungstätigkeit keiner Strafdrohung zu unterwerfen (vgl. BGHSt 24 369, 377 f.; s. auch Wolter SK Rdn. 16). Ob der Entstehungsgeschichte allerdings ein so entscheidender Einfluss auf die Auslegung der Vorschrift eingeräumt werden kann, ob sie mit der aufgezeigten Motivation eine tragende Grundlage bietet, jegliche Anwendung des Tatbestandes der Beihilfe auszuschließen, ist fraglich. Auch bei Berücksichtigung des breiten Spektrums möglichen Täterverhaltens dürfte sich nach Wortlaut und Systematik der Strafvorschriften (§§ 27, 99) jedenfalls noch ein „schmaler Bereich“ für die Annahme von Beihilfe ergeben.40 Weshalb etwa derjenige, der den Agenten in seinem schon gefassten Tatentschluss bestärkt oder letzte Hemmungen beseitigt, nicht wegen sogenannter psychischer Beihilfe soll belangt werden können, ist schwer einsichtig. Ebenso wenig wird im Falle einer Erfolgsabwendungspflicht die Möglichkeit einer Beihilfe durch Unterlassen generell ausgeschlossen werden können (dazu BGH StV 1982 516 f.; Schünemann LK12 § 27 Rdn. 52 f.). Von einer Täterschaft, die den entsprechenden Täterwillen, die gewollte aktive geheimdienstliche Mitarbeit voraussetzt, wird man bei solchen Fallgestaltungen regelmäßig nicht ausgehen können (vgl. zu der vergleichbaren Problematik bei § 98 Rdn. 9). Auch in Fällen illegalen Technologietransfers wird der, welcher die Aufgabe eines fremden Dienstes, sensible Waren zu beschaffen, lediglich durch Vermittlung oder Lieferung fördert, ohne sich durch aktive Mitarbeit funktionell in diesen einzugliedern, als Teilnehmer anzusehen sein (s. Schmidt/Wolff NStZ 2006 161, 163).

VI. Der besonders schwere Fall (Absatz 2) 1. Allgemeines 17 Absatz 2 sieht, ähnlich wie § 98 Abs. 1 S. 2 (vgl. dort Rdn. 10), einen höheren Strafrahmen für besonders schwere Fälle vor, die durch zwei Regelbeispiele gekennzeichnet werden (siehe zur Re40 Vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 22; Lampe/Hegmann MK Rdn. 24; wohl auch Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3 und Fischer Rdn. 14; aA Paeffgen NK Rdn. 22: Beihilfe ist ausgeschlossen. Barthe/Schmidt

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VI. Der besonders schwere Fall (Absatz 2)

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gelbeispieltechnik Schneider LK Vor § 46 Rdn. 21 ff. sowie § 94 Rdn. 15). Maßgeblich für die Feststellung eines solchen Falles ist eine Gesamtbewertung aller für die Straffindung wesentlichen tatund täterbezogenen Umstände (vgl. etwa BGHSt 23 254, 257; 28 318 mit Anm. Bruns JR 1979 353). Drängt sich vom Sachverhalt her eine solche Würdigung auf, so müssen die tatrichterlichen Urteilsgründe erkennen lassen, dass sie vorgenommen worden ist (BGHSt 28 318, 320). Ist keiner der beiden Regelfälle gegeben, so kann dennoch die dadurch bedingte sogenannte Gegenschlusswirkung – Verneinung eines besonders schweren Falls – durch weitere Merkmale der Fallgestaltung, die auf einen außergewöhnlichen Unrechtsgehalt der Tat oder auf eine vom Täter ausgehende erhöhte Gefahr schließen lassen, aufgehoben werden. Die Annahme eines atypischen besonders schweren Falles wird beispielsweise naheliegen, wenn über längere Zeit eine Vielzahl von bedeutenden Erkenntnissen preisgegeben und dadurch beträchtlicher Schaden angerichtet wurde.

2. Die Voraussetzungen im Einzelnen Die Regelbeispiele des Absatzes 2, die lediglich indizielle Wirkung für das Vorliegen eines be- 17a sonders schweren Falles haben, setzen zunächst voraus, dass der Täter geheime Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse (siehe zu diesen Merkmalen Rdn. 12 und § 93 Rdn. 2 ff.) mitteilt oder liefert. Diese müssen also von einer amtlichen Stelle oder jedenfalls auf deren Veranlassung faktisch geheim gehalten werden (vgl. die Erläuterungen zu § 95 Rdn. 3 f.). Handelt es sich um Staatsgeheimnisse und illegale Geheimnisse im Sinne des § 93 Abs. 2, die weitergegeben worden sind, so wird regelmäßig die Subsidiaritätsklausel des § 99 Abs. 1 letzter Halbsatz greifen und zum Schuldspruch nach den dort genannten Tatbeständen führen; anders kann es sein, wenn der Täter irrig von einem „schlichten Amtsgeheimnis“ ausgeht und hinsichtlich der vorgehenden Tatbestände ohne den erforderlichen Vorsatz handelt (hierzu Fischer Rdn. 15; Lampe/Hegmann MK Rdn. 37; Wolter SK Rdn. 18).

a) § 99 Abs. 2 S. 2 Nr. 1. Das Regelbeispiel der Nummer 1 verlangt zusätzlich, dass der Täter 18 eine verantwortliche Stellung missbraucht, die ihn zur Wahrung gerade der preisgegebenen („solcher“) Geheimnisse, auch schlichter Amtsgeheimnisse, besonders verpflichtet (siehe dazu § 94 Rdn. 16). Der Rechtsgrund dieser Vertrauensstellung kann verschieden sein. Die besondere Pflicht zu Geheimhaltung muss sich aus der Bedeutung der Position des Täters ergeben; diese muss eine herausgehobene Eigenverantwortung für den Geheimschutz begründen (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 23). Einer ausdrücklichen Verpflichtung zur Geheimhaltung bedarf es nicht (aA Paeffgen NK Rdn. 25). Eine solche Vertrauensstellung hat auch derjenige inne, der bei ansonsten untergeordneter Tätigkeit regelmäßig mit Geheimsachen umzugehen, sie mitzuverwalten hat (z. B. Sekretärinnen, Schreibkräfte, Büroangestellte, die zum sogenannten Schlüsselpersonal zählen). Die Mitteilung oder Lieferung der Tatsachen etc. muss gerade auf den besonderen Möglichkeiten beruhen, welche die Stellung dem Täter bietet; diese muss er pflichtwidrig ausnutzen, mithin missbrauchen (s. BGHSt 28 318, 325).

b) §§ 99 Abs. 2 S. 2 Nr. 2. Das zweite Regelbeispiel (Nummer 2) nennt die Gefahr eines 19 schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland, die durch die Preisgabe von Geheimnissen herbeigeführt worden sein muss. Anders als in § 94 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 bedarf es nicht der Gefahr eines besonders schweren Nachteils. Die Vorschrift setzt die gleiche Gefährdungsebene voraus wie die Tatbestände des Landesverrats (§ 94 Abs. 1; dort Rdn. 8 und bei § 93 Rdn. 14 ff.) und des Offenbarens von Staatsgeheimnissen (§ 95 Abs. 1; vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 23). Indessen zählt hier nicht nur der Nachteil für die äußere Sicherheit; auch die Gefahr schwerer innenpolitischer, gesamtwirtschaftlicher, wissenschaftlich-technischer oder sonstiger, die politische Stellung der Bundesrepublik beeinträchtigender Nachteile 493

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Geheimdienstliche Agententätigkeit

ist einbezogen. Die Nachteilsgefahr muss ursächlich durch die Tathandlung bewirkt und konkret eingetreten sein. Ein Schaden darf nicht nur als gedanklich möglich erscheinen. Er muss aufgrund der festgestellten tatsächlichen Umstände naheliegen; auf den genauen Grad der Wahrscheinlichkeit kommt es nicht an.41 Die Gefahr für die politische Stellung der Bundesrepublik wird in der Regel darin bestehen, dass die fremde Macht über ihren Geheimdienst in die Lage versetzt wird, die gewonnenen geheimen Erkenntnisse je nach deren Art unmittelbar zur Erlangung politischer Vorteile, zur „Übervorteilung“, zu nutzen. Hierfür kann unter Umständen schon das bloße Wissen um bestimmte geheime Dinge genügen. Wie im Einzelnen die fremde Macht oder ihr Geheimdienst die erlangten Erkenntnisse verwerten, ist nicht entscheidend. Eine Verschlechterung der politischen Stellung der Bundesrepublik, eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu ihrem Nachteil, kann auf vielfältige Weise erreicht werden, nicht zuletzt auch durch gezielte Veröffentlichungen, die politischen Maßnahmen der fremden Macht zu Lasten der Bundesrepublik entsprechenden Nachdruck verleihen (hierzu BGHSt 28 318, 326).

3. Strafbemessung 20 Bei der Strafbemessung wird strafschärfend zu berücksichtigen sein, wenn der Täter beide Regelbeispiele verwirklicht hat oder wenn neben einem Regelfall weitere Umstände gegeben sind, die ihrerseits schon für sich allein die Annahme eines atypischen besonders schweren Falles begründen. Der Tatrichter ist hier zu sorgfältiger Abwägung veranlasst, die auch den Besonderheiten der Fallgestaltungen, der Tatmotive und des Täterverhaltens im Bereich des Staatsschutzstrafrechts Rechnung trägt. Zutreffend weist der BGH (BGHSt 28 318, 326 f.) in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in vielen Fällen der gefährlichsten Agententätigkeit der Strafzweck der Spezialprävention nur eine untergeordnete Rolle spielt, während das mit Mitteln staatlichen Strafens allgemein verfolgte Ziel der Abschreckung potentieller Täter auch dort seinen Sinn behält. Innerhalb des Rahmens für die schuldangemessene Strafe werden auch solche Gesichtspunkte in die Beurteilung einzubeziehen sein (BGHSt a. a. O.; 20 264, 267 m. w. N.; zur strafschärfenden Berücksichtigung einer herausgehobenen politischen Stellung des Täters innerhalb des Normalstrafrahmens vgl. BGH bei Holtz MDR 1981 453).

4. Subjektive Anforderungen 21 Der Täter muss in Kenntnis derjenigen tatsächlichen Umstände handeln, die den besonders schweren Fall begründen, zumindest mit ihrem Vorliegen rechnen und dies billigend in Kauf nehmen.

VII. Tätige Reue (Abs. 3) 22 Die Regelung des § 98 Abs. 2 ist entsprechend anzuwenden (siehe im Einzelnen dort Rdn. 11 ff.). Kurz zusammengefasst gilt: Um die Voraussetzung für die in § 98 Abs. 2 Satz 1 (i. V. m. § 99 Abs. 3) vorgesehene mögliche Vergünstigung zu erfüllen, muss der Täter sein Verhalten freiwillig aufgeben und freiwillig sein gesamtes Wissen um die Tat einer Dienststelle offenbaren, von der er die Weitergabe an die zuständige Stelle erwarten kann. Der Zeitpunkt der Offenbarung ist nicht vorgeschrieben. Das hat in den Fällen des § 99, der sich in seiner Grundstruktur von § 98 in wesentlichen Punkten unterscheidet, die auf den ersten Blick als fragwürdig erscheinende Folge, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine mögliche (fakultative) Rechtsfol41 Dazu Lange JZ 1965 297 m. w. N.; Paeffgen NK Rdn. 26; siehe auch BGHSt 18 271 ff.; 20 342, 348; BGH MDR 1963 426; BayObLG NJW 1957 1327, 1328; vgl. ferner die Erläuterungen zur konkreten Gefahr bei § 94 Rdn. 8. Barthe/Schmidt

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VIII. Zusammentreffen

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genvergünstigung selbst dann gegeben sind, wenn der Entschluss zur – allerdings rückhaltlosen – Offenbarung erst nach langjähriger geheimdienstlicher Tätigkeit verwirklicht wird, die möglicherweise zum Geheimnisverrat im Sinne des § 99 Abs. 2 und entsprechender schwerer Nachteilsgefahr oder gar Nachteilen geführt hat (vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 29; Paeffgen NK Rdn. 24; Wolter SK Rdn. 21). Dem Gesetzgeber ist allerdings zugutezuhalten, dass der die Reueregelung tragende Grundgedanke (s. § 98 Rdn. 11) auch für solche Fallgestaltungen seinen Sinn behält. Sachgerechte, befriedigende Lösungen werden sich immer mithilfe der Ermessensklausel des § 98 Abs. 2 S. 1 finden lassen; die konkreten Tatumstände sind in die vorzunehmende Gesamtbewertung einzustellen und ins Verhältnis zu den Wiedergutmachungsbemühungen des Täters zu setzen (vgl. auch § 98 Rdn. 13 a. E., 15; BGHSt 27 120, 122). Ist es im Rahmen der Agententätigkeit zur Preisgabe von Amts- und Dienstgeheimnissen gekommen, verbleibt es ohnehin bei der Anwendbarkeit des § 353b. Bei § 98 Abs. 2 Satz 2 (i. V. m. § 99 Abs. 3), der einen (obligatorischen) persönlichen Strafaufhebungsgrund ausweist, werden sich solche Fragen meist nicht stellen; die Vorschrift verlangt, dass der Täter sich unverzüglich nach Beendigung der Bedrängnislage offenbart.

VIII. Zusammentreffen 1. Tatbestandliche Handlungseinheit Der Tatbestand des § 99 wird zwar schon durch eine einmalige geheimdienstliche Betätigung 23 verwirklicht; er erfasst jedoch seinem Sinn nach jedes über den Einzelfall hinausreichende Verhalten, das mit gleicher Zielrichtung – s. Rdn. 2 – jeweils den Tatbestand erfüllt und durch diesen zur tatbestandlichen Handlungseinheit verbunden wird.42 Mit der Ablösung des früheren Beziehungstatbestands des § 100e durch den Tätigkeitstatbestand des § 99 hat sich der aus dem Lebenssachverhalt zu erschließende Charakter der Agententätigkeit, die sich regelmäßig innerhalb einer auf gewisse Dauer angelegten Verbindung zu einem fremden Geheimdienst in einzelnen Betätigungsakten vollzieht, nicht verändert. Der Aufrechterhaltung des Agentenverhältnisses kommt auch dann Bedeutung zu, wenn es sich nicht in Aktivitäten manifestiert; sie belegt, dass der Täter weiterhin im „Dienst“ des fremden Geheimdienstes steht (BVerfGE 57 250, 265) und in diesem Sinne seine von § 99 erfassten „Dienstleistungen“ erbringen wird. Solange diese Verbindung nicht abgebrochen wird, die geheimdienstliche Tätigkeit – in welcher Form auch immer – fortgesetzt werden soll (vgl. BGHSt 28 169, 170 f.), ist die Tat nicht beendet. Erst mit ihrer Beendigung aber beginnt die Verfolgungsverjährung zu laufen.43

2. Die Subsidiaritätsklausel Die Subsidiaritätsklausel des § 99 Abs. 1 letzter Halbsatz lässt die geheimdienstliche Agententä- 24 tigkeit hinter die mit schwerer Strafdrohung ausgestatteten Tatbestände des Landesverrats (§ 94) und der landesverräterischen Ausspähung (§ 96 Abs. 1) zurücktreten, und zwar auch in den Irrtumsfällen der §§ 97a, 97b (dazu Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 23). Das Vergehen nach § 99 ist auch dann subsidiär, wenn es, wie meist der Fall, als Handlungskomplex, der die einzelnen Tätigkeitsakte für den begünstigten fremden Geheimdienst zur tatbestandlichen Handlungseinheit verbindet, nur teilweise mit den Verrats- oder Ausspähungstaten rechtlich zusammenfällt. Der Gesetzgeber will in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung zu 42 BGHSt 42 215, 217; 43 1, 44 ff.; dazu BGHSt 28 169, 173 sowie Rdn. 3; vgl. auch Paeffgen NK Rdn. 12 und 27. 43 BGHSt 43 1, 4 ff. = NStZ 1997 487 m. krit. Anm. Wolter (489) und Besprechungsaufsatz Schlüchter/Duttge/Klumpe (JZ 1997 995 ff.); BGHSt 43 321 = NJW 1998 1723 m. Anm. Schlüchter/Duttge (NStZ 1998 610 ff.); s. ferner § 98 Rdn. 6a und Vor § 93 Rdn. 22 a. E. 495

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Geheimdienstliche Agententätigkeit

§ 100e a. F. (vgl. BGHSt 6 333, 385) die Nachfolgebestimmungen der §§ 98, 99 ersichtlich als Vorschriften zum Vorfeldschutz verstanden wissen, die uneingeschränkt zurückzutreten haben, wenn sich die geheimdienstlichen Verbindungen, auf denen die Agententätigkeit gemäß § 99 in der Regel fußt (s. BGHSt 28 169, 173), zum Verrat oder zur Ausspähung von Staatsgeheimnissen entwickeln. Sähe man es anders, verlöre die Subsidiaritätsklausel weitgehend ihre praktische Bedeutung.44 Die Subsidiaritätsklausel greift auch dann, wenn es nur zum Versuch oder zum Versuch der Beteiligung (§ 30) an einem Verbrechen nach den §§ 94, 96 Abs. 1 gekommen ist. Bei strafbefreiendem Rücktritt vom Versuch kann jedoch die Strafbarkeit wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit (§ 99) wieder aufleben (vgl. §§ 24, 31; s. auch bei § 98 Rdn. 20). Gleiches gilt, wenn zwar hinsichtlich der Straftaten nach §§ 94, 96 Abs. 1 Verjährung eingetreten ist, nicht aber bezüglich der Straftat nach § 99 (hierzu BGHSt 28 169, 173; BGH NStZ 1984 310). Aus Gründen der Subsidiarität lässt es sich nicht rechtfertigen, den Agenten (im Sinne des § 99) lediglich deswegen günstiger zu stellen, weil er nicht nur den allgemeineren Tatbestand des § 99, sondern zusätzlich einen der in der Subsidiaritätsklausel genannten Verbrechenstatbestände erfüllt hat (BGH bei Holtz MDR 1984 625). Der sicherheitsgefährdende Nachrichtendienst gemäß § 109f tritt aufgrund der in jener Bestimmung enthaltenen Subsidiaritätsvorschrift gegenüber der geheimdienstlichen Agententätigkeit zurück (vgl. § 109f Abs. 1 S. 1 letzter Halbsatz; BGHSt 27 133, 134).

3. Verhältnis zu anderen Delikten und Strafklageverbrauch 25 Im Übrigen gelten die allgemeinen Grundsätze. Tateinheit kann insbesondere bestehen mit typischen Beschaffungsdelikten wie beispielsweise Diebstahl, Unterschlagung, Verletzung des Briefgeheimnisses oder Verwahrungsbruch, ebenso mit der Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht (§ 353b), aber auch mit der landesverräterischen Agententätigkeit nach § 98 (siehe dazu bei § 98 Rdn. 20), mit Tatbeständen des Wehrstrafgesetzes – WStG – (vgl. zum Zusammentreffen zwischen § 19 WStG und § 100e a. F. BGHSt 17 50, 61 f.; OLG Celle NJW 1966 1133) und mit Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG). Als möglich erscheint auch Tateinheit mit dem Verbrechen friedensgefährdender Beziehungen (§ 100), mit dem Vergehen der landesverräterischen Fälschung (§ 100a) und mit der Agententätigkeit zu Sabotagezwecken (§ 87).45 Zu einem Vergehen des sicherheitsgefährdenden Abbildens (§ 109g) kann ebenfalls Tateinheit bestehen; eine Verurteilung nur wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit würde den besonderen Unrechtsgehalt der Tat nach § 109g nicht erfassen.46 Zur Frage der Konkurrenz einer Tat gemäß § 99 mit einer solchen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 NTSG oder nach Art. 194 Abs. 1 Euratom-Vertrag s. § 94 Rdn. 20. Die rechtskräftige Aburteilung einer geheimdienstlichen Agententätigkeit, die sich in der Regel als tatbestandliche Handlungseinheit darstellen wird, hat grundsätzlich den Verbrauch der Strafklage hinsichtlich tateinheitlich begangener Taten zur Folge (vgl. BGHSt 6 92, 97; 29 288, 293).47 Dieser Grundsatz gilt indessen, wie BGH und BVerfG anerkennen, nicht ausnahmslos, weil der prozessuale Tatbegriff – der für die materielle Rechtskraftwirkung und mithin für 44 Vgl. BGHSt 24 72, 80 f.; Wolter SK Rdn. 22; Lampe/Hegmann MK Rdn. 34; siehe auch Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7 zu § 98; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 36 f., der Tateinheit annimmt, wenn sich das Bereiterklären zur oder das Ausüben der Agententätigkeit im Sinne des § 99 Abs. 1 nicht auf Tathandlungen beschränkt, die von den §§ 94, 96 Abs. 1 erfasst werden. 45 Vgl. Wolter SK Rdn. 23; Lampe/Hegmann MK Rdn. 35; dazu aber auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 38. 46 BGHSt 27 133 f.; Lackner/Kühl/Kühl § 98 Rdn. 7; Fischer § 109g Rdn. 9; aA Sch/Schröder/Eser § 109g Rdn. 26; Schroeder LK11 § 109g Rdn. 17; Wolter SK § 109g Rdn. 21. 47 Zwar hat der 3. Strafsenat des BGH bei den §§ 129 ff. seine Rechtsprechung zum Konkurrenzverhältnis von Handlungen, die sich als Beteiligungsakte zu einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung darstellen und Barthe/Schmidt

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IX. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

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den Umfang des Strafklageverbrauchs maßgebend ist – vom sachlichen Begriff der Tateinheit (§ 52) zu trennen ist (BGHSt 29 288, 292 ff.; dazu auch BVerfGE 56 22, 27 ff.). Deshalb ließ die Rechtsprechung die nachträgliche Verfolgung eines tateinheitlich mit dem Organisationsvergehen nach § 129 begangenen Mordes zu,48 begründete das indessen mit der besonderen Tatbestandsstruktur des § 129 (BVerfGE 56 22, 33 f.). Trotz dieser Betonung des Ausnahmecharakters (BGHSt a. a. O., 293) wird jedoch zu fragen sein, ob die die Entscheidung tragenden Erwägungen nicht auch hinsichtlich einer Straftat nach § 99 Platz greifen müssen (s. hierzu Krauth FS Kleinknecht 215 ff., 225, 240). Auch sie wird über einen längeren Zeitraum durch eine Anzahl von Handlungen verwirklicht, die zwar in der generellen Zweckrichtung übereinstimmen, im Übrigen aber die verschiedensten Inhalte haben können (vgl. BGHSt 18 87). Insoweit ist dem BGH zuzustimmen, wenn er die Strafklage wegen eines im Verlauf langjähriger Spionagetätigkeit begangenen schweren Verbrechens gemäß § 234a durch eine vorangegangene Aburteilung nach § 99 nicht als verbraucht wertet (BGHSt 41 292, 300; Fischer Rdn. 17; Lampe/Hegmann MK Rdn. 36).

IX. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges Auf der Rechtsfolgenseite sind die Möglichkeiten der Aberkennung der Fähigkeit, öffentliche 26 Ämter zu bekleiden oder Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und des Rechts, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen (§ 101), sowie die Bestimmung über die Einziehung (§ 101a) zu beachten. Hinsichtlich finanzieller Zuwendungen ist die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB anzuordnen (vgl. dazu § 94 Rdn. 23 und § 101a Rdn. 8). Zu den Zuständigkeiten siehe Vor § 93 Rdn. 14, zu den besonderen Möglichkeiten des Absehens von der Strafverfolgung vgl. die §§ 153c Abs. 2 und 4, 153d, 153e StPO (siehe dazu auch Vor § 93 Rdn. 10). Die Nichtanzeige der geheimdienstlichen Agententätigkeit ist nicht strafbar (§ 138 Abs. 1 Nr. 3).

zugleich den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen, modifiziert (BGHSt 60 308). Danach unterbleibt eine Verknüpfung zur Tateinheit jedenfalls mit solchen Handlungen, die auch den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen und der Zwecksetzung der Vereinigung oder sonst deren Interessen dienen (s. dazu LK-Rissing-van Saan § 52 Rdn. 36 ff.). Ob der Senat diese Sichtweise auch auf seine Rechtsprechung zu § 99 übertragen wird, lässt sich aus der Entscheidung indes noch nicht folgern. 48 S. dazu die teils kritischen Stellungnahmen von Gössel JR 1982 111; Grünwald StV 1981 326; Rieß NStZ 1981 74; vgl. ferner Werle NJW 1980 2617 und auch OLG Karlsruhe JR 1978 34. 497

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§ 100 Friedensgefährdende Beziehungen (1) Wer als Deutscher, der seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, in der Absicht, einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen, zu einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes oder zu einem ihrer Mittelsmänner Beziehungen aufnimmt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter durch die Tat eine schwere Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. (3) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren.

Schrifttum Auf die Hinweise Vor § 93 wird Bezug genommen.

Entstehungsgeschichte Der Tatbestand ist dem der früheren „Agententätigkeit“ nach § 100d (a. F.) nachgefolgt, der noch wesentlich weitergehend solche Beziehungen unter Strafe stellte, die Maßnahmen und Bestrebungen von außerhalb herbeiführen oder fördern sollten, welche darauf gerichtet waren, Bestand und Sicherheit der Bundesrepublik zu beeinträchtigen (§ 100d Abs. 2 a. F.), und der überdies die sogenannte Lügenpropaganda mit Strafe bedrohte (§ 100d Abs. 3 a. F.; vgl. dazu die Rechtsprechungsnachweise bei Wagner GA 1961 147 ff.). Der Regierungsentwurf eines StGB aus dem Jahr 1962 (E 1962, BTDrucks. IV/650) sah einen an § 100d Abs. 1 a. F. anknüpfenden Tatbestand „landesverräterische Friedensgefährdung“ (§ 388) vor. Der von Professoren vorgelegte Alternativentwurf eines StGB (AE) wollte die Bestimmung ganz gestrichen wissen. Nach einem SPD-Entwurf (BTDrucks. V/102, Begründung S. 9), der § 100d a. F. bis auf dessen Absatz 1 für entbehrlich hielt, und dem Regierungsentwurf eines 8. StRÄndG (BTDrucks. V/898, Begründung S. 36 [dort § 100a]) wurde schließlich die derzeitige Fassung auf der Grundlage der Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform Gesetz1 (siehe Prot. V/1319 ff.; Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 23 f.).

Übersicht I.

Allgemeines

1

II. 1. 2. 3.

Der äußere Tatbestand 2a Täterkreis 3 Beziehungspartner 4 Tathandlung

III. 1. 2.

Innerer Tatbestand 5 5 Allgemeiner Tatvorsatz 5a Besondere Absicht

2

9

IV.

Rechtfertigung

V.

Versuch

VI.

Der besonders schwere und der minder schwere 10a Fall (Absatz 2 und 3)

10

VII. Zusammentreffen

11

VIII. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

12

I. Allgemeines 1 Die Vorschrift richtet sich gegen denjenigen, der als Deutscher gegen sein eigenes Land feindselige Maßnahmen von außen her in Gang bringen will (vgl. Güde Prot. V/1324). Es handelt sich 1 8. StRÄndG vom 25.6.1968 BGBl. I 741, 746. Barthe/Schmidt https://doi.org/10.1515/9783110490008-037

498

II. Der äußere Tatbestand

StGB § 100

um einen Beziehungstatbestand mit dem Charakter eines abstrakten Gefährdungsdelikts. Die Beschränkung des Täterkreises weist ihn als ein echtes Sonderdelikt aus, dem auch der Gedanke des Treuebruchs zugrunde liegt.2 Er zählt zu den Landesverratsstraftaten, weil er auch dem Schutz der äußeren Machtstellung der Bundesrepublik dient (dazu Wulf Prot. V/1319). Die Fassung stellt auf die Herbeiführung eines bewaffneten Unternehmens ab. Dessen Förderung ist in den Tatbestand nicht mehr einbezogen worden (anders noch der RegE und auch § 100d Abs. 1 a. F.). Eine Einbeziehung hätte bereits ausgebrochene Feindseligkeiten vorausgesetzt; dieser Bereich sollte jedoch gesonderter Regelung vorbehalten bleiben (vgl. Wulf Prot. V/1320, 1325). Ausgeschieden wurden auch die Fälle, in denen der Täter Zwangsmaßregeln (z. B. einen Boykott oder eine Blockade) gegen die Bundesrepublik bewirken will. Dieser Begriff galt als zu unbestimmt (s. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 24). Vom Tatbestand ausgenommen sind ferner Beziehungen zu Vereinigungen etc., die innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB residieren. Im Blick auf die Gewährleistung des äußeren Friedens wird ein kriminalpolitisches Bedürfnis für die Vorschrift nach wie vor zu bejahen sein (siehe Sonderausschussbericht a. a. O. S. 23), wenngleich ihre praktische Bedeutung gering ist.

II. Der äußere Tatbestand Der äußere Tatbestand setzt voraus, dass ein Deutscher, der seine Lebensgrundlage im räumli- 2 chen Geltungsbereich des StGB hat, zu einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs oder zu einem ihrer Mittelsmänner Beziehungen aufnimmt oder unterhält.

1. Täterkreis Der Täterkreis ist durch ein strafbegründendes persönliches Merkmal eingeschränkt, das 2a während der Tatbegehung erfüllt sein muss (vgl. § 28 Abs. 1; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Wolter SK Rdn. 7): Täter kann nur ein Deutscher sein. Es muss sich also um jemanden handeln, der deutscher Staatsangehöriger nach den Vorschriften des Staatsangehörigkeitsrechts oder „sonstiger Deutscher“ im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ist (dazu Werle/Jeßberger LK Vor §§ 3 ff. Rdn. 345 ff.; Paeffgen NK Rdn. 3; Fischer § 7 Rdn. 2 f.). Die deutsche Staatsangehörigkeit wird durch Geburt, Erklärung, Annahme als Kind oder durch Einbürgerung erworben (siehe §§ 1, 3 ff. Staatsangehörigkeitsgesetz [StAG]).3 Ihr Verlust tritt u. a. ein durch Entlassung, Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, Verzicht oder Annahme als Kind durch einen Ausländer (§§ 17 ff. StAG).4 Die „sonstigen Deutschen“ im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG müssen als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden haben. Der Begriff der Volkszugehörigkeit lässt sich in Anlehnung an § 6 BVFG5 dahin umschreiben, dass sich der Betroffene in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt haben muss, was in bestimmten Umständen, wie Abstammung, Sprache, Erziehung 2 S. Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Paeffgen NK Rdn. 2; Wolter SK Rdn. 1; Lampe/Hegmann MK Rdn. 2. 3 Vom 22.7.1913 RGBl. 583, BGBl. III Nr. 102-1 (Sammlung des Bundesrechts), zuletzt geändert durch Art. 4 der Verordnung vom 19.6.2020 (BGBl. I 1328).

4 Weiterführend zu den staatsangehörigkeitsrechtlichen Fragen Makarov/v. Mangoldt Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht 3. Aufl. (Stand: Dezember 2004). 5 Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 10.8.2007 (BGBl. I 1902), zuletzt durch Art. 162 der Verordnung vom 19.6.2020 (BGBl. I 1328) geändert. 499

Barthe/Schmidt

§ 100 StGB

Friedensgefährdende Beziehungen

und Kultur, Bestätigung zu finden hat. Auf die Weiterübertragung und den Verlust des Status als „sonstiger Deutscher“ im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG lassen sich die Erwerbs- und Verlustbestimmungen des StAG entsprechend anwenden (Maunz/Dürig GG Art. 116 Rdn. 83; Fischer § 7 Rdn. 3). Zusätzlich ist erforderlich, dass der Täter seine Lebensgrundlage zum Zeitpunkt der Beziehungsaufnahme oder während des Unterhaltens der Beziehungen im räumlichen Geltungsbereich des StGB haben muss. Die Lebensgrundlage bestimmt sich nach der Summe der Lebensbeziehungen einer Person; es kommt darauf an, wo der persönliche und wirtschaftliche Daseinsschwerpunkt liegt (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 23 f.). Ein nur vorübergehender Aufenthalt außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB, mag er auch von längerer Dauer sein, reicht nicht hin, um eine Verlagerung der Lebensgrundlage annehmen zu können, wenn die betroffene Person durch wesentliche, ihre Lebensverhältnisse bestimmende Beziehungen mit der Bundesrepublik verbunden bleibt. Dies wird beispielsweise für Diplomaten der Bundesrepublik sowie Soldaten und Beamte gelten, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs tätig sind und mit ihren Familien dort wohnen, ebenso für Auslandsstudenten, Auslandskorrespondenten der Medien und Auslandsvertreter der Wirtschaft. Nicht zum möglichen Täterkreis zählen hingegen jene Deutsche, die ihre Lebensbasis mit der Absicht nach außerhalb verlegt haben, nicht mehr zurückzukehren. Daran vermag auch längerer Aufenthalt in der Heimat nichts zu ändern. Wo die Tat begangen worden ist, ist unerheblich (§ 5 Nr. 4).

2. Beziehungspartner 3 Partner der Beziehungen des Täters muss eine Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Vorschrift sein. Die Begriffe Regierung und Vereinigung sind sprachlich mit einem festen Bedeutungsgehalt versehen. Zu den Vereinigungen gehören auch politische Parteien.6 Als Einrichtung ist jedwede andere Stelle zu verstehen. Es kann sich um staatliche, auch kommunale Stellen unterhalb der Regierungsebene handeln, bei den Vereinigungen aber auch um freie Gruppierungen. Diese bedürfen nicht etwa einer gewissen Dauerhaftigkeit in ihrem Bestehen oder in ihrer Zusammensetzung, so dass beispielsweise auch Kongresse und Ausschüsse erfasst werden.7 Zu den Einrichtungen und Vereinigungen zählen zudem bewaffnete Gruppen, die von außen her die Bundesrepublik als Staat in ein bewaffnetes Unternehmen verwickeln können (s. Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609, 613; aA Paeffgen NK Rdn. 4). Maßgebliche Teile der Einrichtung oder Vereinigung müssen außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes bestehen; unter dieser Voraussetzung ist es unerheblich, wenn sich andere Teile bereits im Inland aufhalten (vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 86 Rdn. 10). Beziehungen zu Mittelsmännern der Einrichtung etc. genügen (zum Begriff des Mittelsmannes siehe bei § 94 Rdn. 2). Der Mittelsmann muss im Gegensatz zu der Regierung, Vereinigung oder Einrichtung, für die er tätig ist, nicht außerhalb der Bundesrepublik ansässig sein; er kann auch Deutscher sein. Das „residenzbezogene“ Merkmal gilt, wie die Fassung der Vorschrift erhellt, lediglich der Vereinigung, Einrichtung oder Regierung, nicht aber dem Mittelsmann (so auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8 f.).

6 Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 24; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Lampe/Hegmann MK Rdn. 8. 7 Vgl. zum früheren § 100d BGHSt 10 163, 168; BGH bei Wagner GA 1961 149 Nr. 7; siehe auch Steinsiek LK § 86 Rdn. 15; aA Paeffgen NK Rdn. 4. Barthe/Schmidt

500

III. Innerer Tatbestand

StGB § 100

3. Tathandlung Der Täter muss zu dem vorbezeichneten Partner Beziehungen aufnehmen oder unterhalten. 4 Die Aufnahme von Beziehungen setzt eine Verbindung, eine Fühlungnahme voraus, die allerdings nicht vom Willen des Beziehungspartners mitgetragen und von ihm akzeptiert werden muss. Insbesondere ist das Erzielen einer Übereinstimmung im Sinne der Absicht des Täters (Herbeiführen eines Krieges etc.) nicht erforderlich. Daher genügt das (einseitige) Angebot des Täters, wenn es nur den von ihm ins Auge gefassten Beziehungspartner erreicht.8 Es ist nicht einmal nötig, dass der Beziehungspartner sofort erkennt, was der Täter im Schilde führt. Zur Vollendung bedarf es also nicht der Offenbarung seiner Absicht gegenüber dem anderen Teil. Die Rechtsprechung zu dem früheren § 100e a. F. („verräterische Beziehungen“) lässt sich nur begrenzt als Auslegungshilfe heranziehen: Dort mussten die Beziehungen auf einen bestimmten Gegenstand gerichtet sein, auf die Mitteilung von Staatsgeheimnissen. Hier hingegen genügt die Aufnahme der Beziehungen, wobei der Aufnehmende nur eine bestimmte Absicht verfolgen muss (vgl. dennoch zu § 100e a. F.: BGHSt 15 230 f.; 17 50, 63; aber auch BayObLG JZ 1963 68; OLG Celle NJW 1965 457). Bei der Beziehungsaufnahme ist es grundsätzlich gleichgültig, von welchem Teil die Initiative ausgeht. Lehnt der Betroffene das Ansinnen einer fremden Einrichtung ab, fehlt es an der Aufnahme von Beziehungen durch ihn (OLG Neustadt/Weinstraße GA 1959 156). Die Kontaktaufnahme kann schriftlich oder mündlich, persönlich oder durch Boten oder durch moderne Kommunikationsmittel wie z. B. Email oder SMS erfolgen. Erreicht die abgegangene Nachricht weder die fremde Einrichtung noch deren Mittelsmann, wird Versuch vorliegen (siehe hierzu Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald a. a. O.; Paeffgen NK Rdn. 6). Ist die Beziehung aufgenommen und wird sie fürderhin unterhalten, so setzt dies allerdings eine Übereinstimmung der Beziehungspartner jedenfalls dahin voraus, dass die Verbindung besteht; das Beziehungsziel des Täters braucht vom Partner auch jetzt noch nicht geteilt zu werden. Das Unterhalten manifestiert sich in jeder Tätigkeit, die auf Fortdauer der Beziehung gerichtet ist. Zwischen diesen einzelnen Handlungen können längere Unterbrechungen liegen, wenn nur beide Partner weiterhin davon ausgehen, dass die Beziehung fortbesteht. Ihre Beendigung setzt erkennbaren Abbruch voraus. Im Einzelfall ist dies Tatfrage. Das Unterhalten der Beziehungen ist Dauerdelikt.9

III. Innerer Tatbestand 1. Allgemeiner Tatvorsatz Subjektiv muss der Täter, soweit der äußere Tatbestand in Rede steht, mit mindestens be- 5 dingtem Vorsatz handeln (aA Paeffgen NK Rdn. 9: dolus directus 2. Grades). In aller Regel wird direkter Vorsatz gegeben sein. Bedingter Vorsatz wird dort in Frage kommen, wo der Täter über die Stellung seines Beziehungspartners im Zweifel ist, indessen damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass dieser die Voraussetzungen erfüllt, die nach § 100 an ihn zu stellen sind.

8 Eine Willensübereinstimmung – zum Teil verschiedenen Grades – verlangen indessen Fischer Rdn. 3; Lackner/ Kühl/Kühl Rdn. 3; Paeffgen NK Rdn. 6; Wolter SK Rdn. 5; wie hier Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Lampe/ Hegmann MK Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 66. 9 Vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; weiterhin Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald II a. a. O.; aA Paeffgen NK Rdn. 7. 501

Barthe/Schmidt

§ 100 StGB

Friedensgefährdende Beziehungen

2. Besondere Absicht 5a Darüber hinaus muss der Täter in der Absicht handeln, einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Es muss ihm also auf die Erreichung dieser Ziele ankommen. Dass er möglicherweise noch weitergehende Ziele verfolgt, ist unerheblich (s. Lampe/Hegmann MK Rdn. 10; Wolter SK Rdn. 9). Die Absicht muss sich auf die Herbeiführung eines in groben Umrissen schon beschreibbaren bewaffneten Konflikts richten (Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 9; Wolter SK Rdn. 11). Eine Konkretisierung als Vorhaben, wie bei den Sonderausschussberatungen erwähnt (vgl. Maasen Prot. V/ 1323), ist nicht erforderlich. Ein solchermaßen eingeschränkter Tatbestand könnte seinen Schutzzweck nur unvollkommen erfüllen; er griffe erst bei schwerer, ernster Friedensgefährdung. Der Wille, eine bereits in Gang befindliche Auseinandersetzung zu fördern, ist der in § 100 vorausgesetzten Absicht nicht gleichzusetzen. Diese muss auf „Herbeiführung“ gerichtet sein. Was schon im Gange ist, bereits abläuft, kann wohl unterstützt, aber nicht mehr herbeigeführt werden.10 6 Krieg im eigentlichen Sinne ist zu verstehen als die Auseinandersetzung zwischen Staaten unter Einsatz ihrer bewaffneten Macht. Soll die Nennung des „Krieges“ neben dem „bewaffneten Unternehmen“ einen Sinn haben, werden allerdings auch Aktionen, die sich faktisch nicht als kriegerische Handlungen mit Waffengewalt darstellen, von § 100 erfasst werden. Eine brauchbare Abgrenzung, die dem Zweck der Vorschrift entspricht, dürfte insoweit der völkerrechtliche Kriegsbegriff bieten, mag er auch in Randbereichen umstritten sein (vgl. Strupp/ Schlochauer/Mosler Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Aufl., 2. Band, Stichwort „Kriegsbeginn“ S. 327 ff.; Kunz ebendort, Stichwort „Kriegsbegriff“ S. 329 ff.). Danach kann auch durch bloße Kriegserklärung, welche die Ankündigung des Einsatzes bewaffneter Macht einschließt, der Kriegszustand herbeigeführt werden, ohne dass es tatsächlich zu feindseligen Handlungen kommt (vgl. Mosler a. a. O.; Verdross/Simma Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., § 1337 S. 902: „Nicht notwendig militärische Rechtseingriffe“). Erst recht wäre der widerstandslos geduldete Einmarsch einer bewaffneten fremden Macht als Kriegshandlung zu werten.11 Nicht unter den Kriegsbegriff fallen gewisse kriegsähnliche Handlungen („measures short of war“) wie etwa die militärische Blockade und die militärisch vorgetragene Repressalie12 (Kunz a. a. O. S. 330); sie können jedoch als „bewaffnete Unternehmen“ zu werten sein. Bewaffnete Unternehmen sind alle bewaffneten internationalen Konflikte. Dazu gehört 7 u. a. das Einsickern fremder, nicht von staatlichen Stellen getragener Partisanen- oder GuerillaVerbände (s. Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609, 613). Es muss sich jedoch immer um gewaltsame Angriffe mit dem Charakter kriegerischer Handlungen, also um ein organisiertes umfangreicheres Vorgehen mit Waffengewalt von außen her handeln (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 24; Fischer Rdn. 4; Lampe/Hegmann MK Rdn. 12). Das Anzetteln innerer Unruhen oder die Herbeiführung bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen und deren Unterstützung fallen nicht unter den Begriff.13 Bewusst vom Tatbestand ausgenommen sind auch die früher in § 100d Abs. 1 a. F. aufgeführten „Zwangsmaßregeln“. Solange sie nicht mit Waffengewalt ins

10 Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Wolter SK Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 66 ff.; Paeffgen NK Rdn. 9. 11 Dazu Mosler a. a. O. S. 328 f.; enger als hier Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Wolter SK Rdn. 11; wohl auch Wulf Prot. V/1319. Siehe zudem Art. 3 lit. a) des Anhangs zur Resolution 3314 (XXIX) der UNGeneralversammlung vom 14.12.1974, wonach eine Invasion oder eine, wenn auch nur vorübergehende, militärische Besetzung als Angriffshandlung („act of aggression“) gelten soll. 12 Die Repressalie mit militärischen Mitteln wird durch die UN-Charta (Art. 2 Ziff. 4) untersagt (vgl. Dahm Völkerrecht II [1961] S. 433; Verdross/Simma Universelles Völkerrecht 3. Aufl. [1984] §§ 480, 1346; nicht unbestritten). 13 So auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 10; Wulf Prot. V/ 1319; aA wohl Maurach/Schroeder/Maiwald II § 85 Rdn. 68. Barthe/Schmidt

502

IV. Rechtfertigung

StGB § 100

Werk gesetzt werden, erfüllen Boykotte, Sanktionen, Blockaden, Störungen von Verkehrsverbindungen und völkerrechtliche Repressalien nichtmilitärischer Art die Voraussetzungen des § 100 nicht (hierzu Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 24).14 Die Maßnahmen, die der Täter herbeiführen will, sollen sich gegen die Bundesrepublik 8 Deutschland richten. Ein Angriff gegen deutsche Truppen im Ausland, die dort internationale Verpflichtungen erfüllen, genügt aufgrund des Schutzzweckes der Norm nicht (vgl. Lampe/Hegmann MK Rdn. 13). An dieses subjektive Merkmal knüpft die Vorschrift über die Erweiterung des Tatbestandes zum Schutz der nichtdeutschen NATO-Vertragsstaaten an, die auch auf § 100 verweist. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 des NTSG tritt an die Stelle der Bundesrepublik Deutschland der betroffene Vertragsstaat des Nordatlantikpaktes. Demnach macht sich auch derjenige Deutsche mit Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich des StGB strafbar, der durch Aufnahme oder Unterhalten von Beziehungen der in § 100 genannten Art einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen gegen einen NATO-Vertragsstaat herbeizuführen beabsichtigt. Rechtspolitisch gründet diese weitgreifende Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Vorschrift in den Charakteristika des NATO-Vertrages:15 Es handelt sich um ein Verteidigungsbündnis, dessen Parteien in Art. V des Vertrages vereinbart haben, (a) dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird, und (b) dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet und dies die Anwendung von Waffengewalt einschließt. Angesichts dieser Beistandspflicht im Angriffsfalle ist es folgerichtig, den strafrechtlichen Schutz entsprechend zu erweitern.

IV. Rechtfertigung Eine Rechtfertigung aufgrund Völkerrechts ist ausgeschlossen (siehe Sch/Schröder/Sternberg- 9 Lieben Rdn. 14; Paeffgen NK Rdn. 13). Die Bemerkung im Regierungsentwurf (BTDrucks. V/898 Begründung S. 36), der Tatbestand gehe – wie sich aus „allgemeinen Grundsätzen“ ergebe – „unausgesprochen davon aus“, dass völkerrechtlich gerechtfertigte Handlungen nicht erfasst würden, begegnet durchgreifenden Bedenken. Die Geltung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts für die Bewohner der Bundesrepublik (Art. 25 S. 2 GG) kann Rechte und Pflichten für den Einzelnen nur bewirken, wenn der entsprechende Völkerrechtssatz nach seinem Inhalt rechtsund pflichtenbegründenden Charakter für Einzelpersonen haben soll und kann (vgl. Maunz/ Dürig/Herdegen GG Art. 25 Rdn. 85 ff.).16 Das in Betracht kommende Völkerrecht, das nach seiner Natur und seinem Inhalt primär das Verhalten und die Beziehungen des Staates bestimmt, greift nicht auf den Einzelnen durch. Es verwehrt insbesondere nicht, im Blick auf die Treuepflicht des Bürgers einen Straftatbestand zu schaffen, der grundsätzlich alle Bestrebungen mit Sanktionen belegt, das eigene Land mithilfe fremder Kräfte kriegerischen Maßnahmen auszusetzen und den Frieden zu gefährden. Aber auch andere Rechtfertigungsgründe scheiden im Blick auf die Besonderheit des Tatbestands aus. Fälle, in denen etwa eine Berufung auf Art. 20 Abs. 4 GG in Betracht käme, sind kaum vorstellbar.

14 Siehe aber Art. 3 lit. c) des Anhangs zur Resolution 3314 (Fn. 11), der die Blockade der Häfen oder Küsten eines Staates durch die Streitkräfte eines anderen Staates als Aggressionsakt definiert.

15 Vertragsgesetz vom 24.3.1955 BGBl. II 256, Vertragswortlaut BGBl. 1955 II 289. 16 Siehe ferner Doehring Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht (1963) S. 152 ff., insbesondere S. 158 und 160 f. 503

Barthe/Schmidt

§ 100 StGB

Friedensgefährdende Beziehungen

V. Versuch 10 Der Versuch sowie der Versuch der Beteiligung im Sinne des § 30 sind mit Strafe bedroht; die Tat ist Verbrechen (siehe §§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1, 100 Abs. 1 [Strafdrohung]).

VI. Der besonders schwere und der minder schwere Fall (Absatz 2 und 3) 10a Der Tatbestand sieht für den besonders schweren und für den minder schweren Fall besondere Strafrahmen vor. Insoweit gelten die allgemeinen Maßstäbe (vgl. Schneider LK § 46 Rdn. 288 ff.). Für den besonders schweren Fall ist ein Regelbeispiel angeführt: Er ist indiziert, wenn für den Bestand der Bundesrepublik eine schwere Gefahr herbeigeführt wird; diese muss konkret eingetreten sein. Aus dem „Schwereerfordernis“ folgt, dass nicht schon die bloße Gefahr eines bewaffneten Konflikts ausreicht, sondern der Bestand der Bundesrepublik akut bedroht sein muss.17

VII. Zusammentreffen 11 Beim Zusammentreffen eines Verbrechens der friedensgefährdenden Beziehungen mit anderen Taten gelten die allgemeinen Grundsätze. Tateinheit mit § 99 wird häufig sein. Entgegen Wolter SK Rdn. 13 wird § 100 nicht durch das Verbrechen der Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80), das seit dem 1. Januar 2017 durch das Verbrechen der Aggression (§ 13 VStGB) ersetzt ist, verdrängt (siehe auch Lampe/Hegmann MK Rdn. 16; Paeffgen NK Rdn. 17; aA Laufhütte LK12 80 Rdn. 20). Die Tat nach § 100 ist ihrer Natur nach nicht bloße Vorstufe der Deliktsverwirklichung nach § 13 VStGB; der Tatbestand umfasst vielmehr auch andere Arten des Angriffs auf das Rechtsgut „Frieden“. Dass § 13 VStGB auch die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges gegen die Bundesrepublik von außen her erfasst (siehe § 1 Satz 2 Alt. 2 VStGB) und damit in diesen Fällen die Tat nach § 100 Durchgangsstadium des Verbrechens der Aggression sein kann, ändert hieran nichts; insoweit handelt es sich lediglich um eine der möglichen Sachverhaltsgestaltungen, aus der sich grundsätzliche dogmatische Folgerungen für das Verhältnis der Tatbestände zueinander nicht ziehen lassen. Mithin lässt sich auch nicht sagen, dass der Unrechtsgehalt des § 13 VStGB regelmäßig denjenigen der Tat nach § 100 miterfasse (siehe zu den Voraussetzungen sachgegebener Subsidiarität und der Konsumtion Rissingvan Saan LK Vor § 52 Rdn. 148 ff. und Rdn. 164 ff.).

VIII. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges 12 Nebenfolgen der Tat sind in § 101, die Einziehung ist in § 101a geregelt. Hinsichtlich finanzieller Zuwendungen ist die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB anzuordnen (vgl. § 101a Rdn. 8). Das Vermögen oder einzelne Vermögensgegenstände eines Beschuldigten, gegen den wegen einer Straftat gemäß § 100 StGB die öffentliche Klage erhoben oder Haftbefehl erlassen worden ist, können mit Beschlag belegt werden (§ 443 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO). Zu den Zuständigkeiten siehe die Erläuterungen Vor § 93 Rdn. 14, zu den besonderen Möglichkeiten des Absehens von der Strafverfolgung siehe die §§ 153c Abs. 2 und 4, 153d, 153e StPO (vgl. dazu Vor § 93 Rdn. 10). Die Nichtanzeige der Tat ist mit Strafe bedroht (§ 138 Abs. 1 Nr. 3).

17 Hierzu Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Fischer Rdn. 5; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Paeffgen NK Rdn. 15; Wolter SK Rdn. 12. Barthe/Schmidt

504

§ 100a Landesverräterische Fälschung (1) Wer wider besseres Wissen gefälschte oder verfälschte Gegenstände, Nachrichten darüber oder unwahre Behauptungen tatsächlicher Art, die im Falle ihrer Echtheit oder Wahrheit für die äußere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht von Bedeutung wären, an einen anderen gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um einer fremden Macht vorzutäuschen, daß es sich um echte Gegenstände oder um Tatsachen handele, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer solche Gegenstände durch Fälschung oder Verfälschung herstellt oder sie sich verschafft, um sie in der in Absatz 1 bezeichneten Weise zur Täuschung einer fremden Macht an einen anderen gelangen zu lassen oder öffentlich bekanntzumachen und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht herbeizuführen. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter durch die Tat einen besonders schweren Nachteil für die äußere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht herbeiführt.

Schrifttum Insoweit wird auf die Hinweise Vor § 93 Bezug genommen.

Entstehungsgeschichte Der Tatbestand ist Nachfolger des früheren § 100a, der ebenfalls als „landesverräterische Fälschung“ bezeichnet wurde, der indessen für den Fall der (unterstellten) Echtheit der in Rede stehenden Gegenstände, Tatsachen etc. noch die Staatsgeheimnisqualität verlangte und allgemeiner den Schutz des „Wohls der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder“ im Blick hatte. Er wurde mit dem 8. StRÄndG abgelöst1 (Rechtsprechungsnachweise zur alten Fassung bei Wagner GA 1961 146 f.; zu Entwürfen einer Regelung siehe E 1962 §§ 389, 391 BTDrucks. IV/650 S. 77, 580 f.: SPD-Entwurf BTDrucks. V/102 S. 2, 8 [dort § 98a, Abschnitt „Staatsverleumdung“]; RegE BTDrucks. V/898 [dort § 100b] S. 8 f., 36 f.; der Alternativentwurf der Strafrechtsprofessoren wollte § 100a a. F. ersatzlos gestrichen wissen. Zur Diskussion im Sonderausschuss siehe vor allem Prot. V/1333 ff.).

Übersicht I.

Allgemeines

II.

Landesverräterische Fälschung in der Form des Gelangenlassens an einen anderen und des öf2 fentlichen Bekanntmachens (Absatz 1) 2 Tatobjekt a) Gefälschte oder verfälschte Gegenstände, Nachrichten darüber oder unwahre Tatsa2a chenbehauptungen

1.

1

b)

2. 3. 4.

Bedeutung für die äußere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik zu ei3 ner fremden Macht 4 Tathandlung 5 Nachteilsgefahr 7 Innerer Tatbestand

1 Vom 25.6.1968 BGBl. I 741, 746 f. 505 https://doi.org/10.1515/9783110490008-038

Barthe/Schmidt

§ 100a StGB

III.

Landesverräterische Fälschung

IV.

Landesverräterische Fälschung in der Form des Herstellens oder Sichverschaffens (Ab8 satz 2) 8a Rechtfertigung

V.

Der Versuch (Absatz 3)

VI.

Der besonders schwere Fall (Absatz 4)

VII. Zusammentreffen

9a

10

VIII. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

11

9

I. Allgemeines 1 Die Bestimmung zielt darauf ab, Handlungen zu unterbinden, die durch Täuschung fremder Mächte eine Gefahr für die Stellung der Bundesrepublik im internationalen Machtgefüge oder für ihre äußere Sicherheit mit sich bringen. Ihr liegt die Erkenntnis zugrunde, dass gezielte Falschmeldungen die äußere Sicherheit und die außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik erheblich gefährden können (vgl. RegE § 100b BTDrucks. V/898 S. 36; Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 24). Insbesondere Behauptungen, die bestimmte militärische Planungen oder spektakuläre Absprachen auf außenpolitischer Ebene vortäuschen, lassen sich angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten in entsprechender Aufmachung leicht als Mittel einsetzen, das Vertrauen anderer Staaten in die Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Berechenbarkeit der Außenpolitik der Bundesrepublik, in Sonderheit das Vertrauen der Verbündeten in ihre Bündnisfähigkeit, zu untergraben (siehe Begründung des RegE [dort zu § 100b] BTDrucks. V/898 S. 36). Im Blick auf die derzeitigen globalen Verflechtungen auf den verschiedensten Gebieten der Außen-, Wirtschafts- und Militärpolitik und ihren zwischenstaatlichen Abhängigkeiten sind die Folgen solcher Verleumdungsmethoden, von fremden Nachrichtendiensten geschickt praktiziert, nicht zu unterschätzen (vgl. die Beispiele Prot. V/1336, 1338 f.). Systematisch handelt es sich bei dem Delikt um eine Art Staatsverleumdung. Bei der fremden Macht soll ein Eindruck hervorgerufen werden, der zu Maßnahmen führen kann, welche der Bundesrepublik nachteilig sind. Durch die Ablösung des Tatbestandes vom Begriff des Staatsgeheimnisses – an den § 100a a. F. noch anknüpfte – ist der Anwendungsbereich der Vorschrift zwar teilweise ausgedehnt worden; andererseits aber hat er auch eine Einschränkung dadurch erfahren, dass die Gefahr eines schweren Nachteils und ein Handeln des Täters wider besseres Wissen gefordert wird. Insoweit kann von einer rechtspolitisch unerwünschten uferlosen Ausweitung des Tatbestandes keine Rede sein. Er lässt auch der Presse- und Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) genügend Raum (dazu Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 24). Die ausdrückliche Aufnahme des öffentlichen Bekanntmachens in die Vorschrift soll gezielte Falschmeldungen in Publikationsorganen verhindern, die oft auch durch ein Dementi nicht schnell genug auszuräumen sind und gefährlich sein können (vgl. Güde und Lenz Prot. V/1338 f.; Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1968 609, 613 a. E.). Die NATO-Vertragsstaaten und ihre Stationierungsstreitkräfte sind durch die Bestimmung nicht besonders geschützt; die Erweiterungsvorschrift des § 1 Abs. 1 des NTSG nimmt § 100a nicht in Bezug (siehe Vor § 93 Rdn. 8a).

II. Landesverräterische Fälschung in der Form des Gelangenlassens an einen anderen und des öffentlichen Bekanntmachens (Absatz 1) 1. Tatobjekt 2 Tatobjekte sind gefälschte oder verfälschte Gegenstände, Nachrichten darüber oder unwahre Behauptungen tatsächlicher Art, die im Falle ihrer Echtheit oder Wahrheit für die äußere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik zu einer fremden Macht von Bedeutung wären.

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II. Gelangenlassen an einen anderen und Bekanntmachen (Abs. 1)

StGB § 100a

a) Gefälschte oder verfälschte Gegenstände, Nachrichten darüber oder unwahre Tat- 2a sachenbehauptungen. Unter einem Gegenstand ist alles Körperliche zu verstehen, also bewegliche wie unbewegliche Sachen. Der Fälschungsbegriff des Tatbestandes ist ein eigenständiger. Gefälscht oder verfälscht ist ein Gegenstand, wenn ihm eine unzutreffende Herkunft beigelegt wird, ihm teilweise oder vollständig ein nicht der Realität entsprechender Aussagegehalt gegeben oder untergeschoben wird, oder aber eine Verwendungsmöglichkeit vorgegeben wird, die ihm nicht zukommt.2 Als Beispiele seien vorgebliche Regierungsdokumente, Fernschreiben oder amtliche Aktenstücke angeführt, die in Wirklichkeit nicht von der Bundesregierung stammen, die aber den Anschein erwecken und belegen sollen, dass dort gewisse Absichten oder Planungen verfolgt würden (vgl. Prot. V/1334, 1336). Die Person des Herstellers ist irrelevant (Wolter SK Rdn. 3; Ellbogen BeckOK Rdn. 2; aA Paeffgen NK Rdn. 4). Nachrichten über gefälschte oder verfälschte Gegenstände sind zutreffende, d. h. insoweit wahre Angaben über diese Gegenstände (in ihrer ge- oder verfälschten Form). Unwahre Nachrichten sind als unwahre Behauptungen tatsächlicher Art nach dem folgenden Merkmal des Absatzes 1 zu bewerten.3 Aus dem Erfordernis des Handelns wider besseres Wissen kann entgegen Fischer (Rdn. 6) nur hergeleitet werden, dass auch der eine Nachricht weitergebende Täter um die Fälschung des Gegenstandes wissen muss, nicht aber, dass die Nachricht als solche unwahr zu sein hat (Wulf Prot. V/1333 a. E.). Zur sprachlichen Bedeutung des Begriffs der „Nachricht“ vgl. BGHSt 30 15, 16 f. Unwahre Behauptungen tatsächlicher Art müssen die Realität falsch darstellen. Der Behauptungsinhalt kann als Ergebnis eigener oder fremder Wahrnehmung wiedergegeben werden oder auch als Schlussfolgerung erscheinen. Werturteile scheiden aus (siehe zur Abgrenzung von Werturteil und Tatsachenbehauptung Fischer § 186 Rdn. 1 f.).

b) Bedeutung für die äußere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik zu 3 einer fremden Macht. Die Bedeutsamkeit der Gegenstände etc. beurteilt sich auf der Grundlage einer Unterstellung: Es ist (fiktiv) davon auszugehen, dass der Gegenstand echt, die Behauptung wahr ist. Bedeutsam ist ein Vorgang dann, wenn er für die bezeichneten Sachgebiete, die äußere Sicherheit oder die auswärtigen Beziehungen, von gewisser Erheblichkeit ist. Es darf sich also nicht lediglich um einen völlig belanglosen Vorgang oder einen nebensächlichen Umstand handeln, bei dem auf der Hand liegt, dass er die Sicherheitslage der Bundesrepublik oder ihre auswärtigen Beziehungen bei der gebotenen globalen Betrachtungsweise nicht berührt. Eine weitergehende Einschränkung ergibt sich aus dem Zusammenspiel mit dem Merkmal der Gefahr eines schweren Nachteils; dieses führt dazu, dass letztlich nur für die Stellung der Bundesrepublik wirklich wichtige Angelegenheiten die Anforderungen des Tatbestandes zu erfüllen vermögen (näher dazu Rdn. 5 f.). Der Vorgang, um den es geht, braucht weder geheimhaltungsfähig noch geheimhaltungsbedürftig zu sein; er kann im Range unter der Stufe des Staatsgeheimnisses (§ 93 Abs. 1) stehen (vgl. Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 36; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Lampe/Hegmann MK Rdn. 5). Unerheblich ist, ob die Gegenstände oder Behauptungen, wären sie echt bzw. wahr, illegal im Sinne des § 93 Abs. 2 oder sonst mit dem Makel des Rechtswidrigen behaftet wären. Eine dahingehende Einschränkung lässt sich dem Tatbestand nicht entnehmen. Sein Sinn verlangt vielmehr nach einer Auslegung, die auch rechtswidrige Vorgänge erfasst. Gerade die Weitergabe oder Veröffentlichung ge- oder verfälschter, angeblich verfassungswidriger oder sonst illegaler Sachverhalte ist oft in besonderem Maße dazu angetan, Beziehungen zu ausländischen Mächten schwerwiegend zu beeinträchtigen. Je bösartiger die Fälschung, desto gefährlicher kann die Gefahr außenpolitischer Brunnenvergiftung sein. Es liefe dem Zweck der 2 Wolter SK Rdn. 3; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 3; SSW/Vogler Rdn. 4; krit. Paeffgen NK Rdn. 4. 3 So auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Wolter SK Rdn. 4; Lampe/Hegmann MK Rdn. 4; aA wohl Fischer Rdn. 6; siehe zu dem Meinungsstreit überdies Paeffgen NK Rdn. 4. 507

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§ 100a StGB

Landesverräterische Fälschung

Vorschrift zuwider, solche Handlungen von der Strafbarkeit auszunehmen (siehe auch BGHSt 10 163, 172 f. zu § 100a a. F.; Wulf Prot. V/1334). Die Bedeutung der Vorgänge muss sich im Blick auf die äußere Sicherheit (vgl. hierzu § 93 Rdn. 13) oder die Beziehungen der Bundesrepublik zu einer fremden Macht (zum Begriff der fremden Macht § 93 Rdn. 10a) erschließen. Die Aufnahme der auswärtigen Beziehungen als Tatbestandsmerkmal macht deutlich, dass sie die Rahmenbedingungen für die äußere Sicherheit des Staates mitbestimmen. In Betracht kommen unwahre Behauptungen über militärische Planungen, militärtechnische Entwicklungen, gefälschte Modelle oder Schriften darüber, angebliche Verstöße gegen internationale Rüstungsbeschränkungsvereinbarungen, ferner unwahre Behauptungen über angebliche Geheimverträge mit einem Inhalt, der das Verhältnis zu bestimmten Staaten belasten kann, des Weiteren etwa die wahrheitswidrige Behauptung, Nachrichtendienste der Bundesrepublik bereiteten in fremden Staaten illegale Maßnahmen vor (siehe dazu BGHSt 10 163, 173).

2. Tathandlung 4 Tathandlung ist das Gelangenlassen der Fälschung an einen anderen oder deren öffentliches Bekanntmachen. Das Gelangenlassen umfasst jedes Handeln oder Unterlassen, durch welches der Täter dem Dritten die Möglichkeit verschafft, an dem Gegenstand, der unwahren Behauptung oder der Nachricht Gewahrsam zu erlangen (an den letzteren nur, soweit sie verkörpert sind) oder Kenntnis davon zu nehmen, in besonderen Fällen kann auch – bei Behauptungen oder Nachrichten – bloßes Auswendiglernen ohne inhaltliches Zurkenntnisnehmen genügen (hierzu § 94 Rdn. 5 und BGH NJW 1965 1187, 1190). Anders als bei den Tatbeständen der §§ 94, 95 und 97 muss der Dritte hier nicht Unbefugter sein. Entscheidend ist allein die Täuschungsabsicht des Täters, der danach darauf aus sein muss, der fremden Macht die Fälschung irgendwie zuzuspielen. Auch wenn er sich dazu eines „befugten“ Zwischenträgers bedient, von dem er die Weitergabe erwartet, erfüllt er den Tatbestand der Vorschrift. Der Täter kann den Dritten sogar über die Fälschung und seine Absichten ins Bild setzen (vgl. RegE [dort zu § 100b] BTDrucks. V/898 S. 36 a. E.). Das öffentliche Bekanntmachen ist lediglich eine modifizierte Form des Gelangenlassens an einen anderen. Darunter ist eine Handlung zu verstehen, die einer unbestimmten Vielzahl nicht im Einzelnen bestimmter Personen die Kenntnisnahme ermöglicht; ob und inwieweit diese auch tatsächlich Kenntnis nehmen, ist unerheblich (siehe im Übrigen bei § 94 Rdn. 6). Erfasst wird u. a. die Veröffentlichung in Presseerzeugnissen. Zu den Besonderheiten solcher Fälle, insbesondere den bei Presseinhaltsdelikten zu beachtenden kurzen presserechtlichen Verjährungsfristen, wird auf die Erläuterungen zu § 94 Rdn. 22 verwiesen. Nicht erforderlich ist, dass die Fälschungen originär vom Täter herrühren, er die Gegenstände selbst hergestellt oder die unwahren Behauptungen selbst erstmals „in die Welt gesetzt“ hat. Der Tatbestandsverwirklichung steht auch nicht grundsätzlich entgegen, dass die unwahre Behauptung schon von anderer Seite öffentlich bekannt gemacht worden ist; der neuerlichen Tathandlung kann insoweit eine Bestätigungswirkung zukommen, welche die schon eingetretene Gefahr aktualisiert und steigert (vgl. bei § 94 Rdn. 9).

3. Nachteilsgefahr 5 Durch die Tathandlung muss die konkrete Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik zu einer fremden Macht herbeigeführt werden (siehe zum Gefahrenbegriff bei § 94 Rdn. 8). Dazu ist es nicht erforderlich, dass die fremde Macht tatsächlich getäuscht wird. Eine Gefährdung kann auch dann vorliegen, wenn bei der fremden Macht Unsicherheit über bestimmte Vorgänge hervorgerufen wird; des Weiteren dann, Barthe/Schmidt

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II. Gelangenlassen an einen anderen und Bekanntmachen (Abs. 1)

StGB § 100a

wenn sie die Täuschung zwar durchschaut, jedoch die Situation zu Maßnahmen ausnutzen könnte, die der äußeren Machtstellung der Bundesrepublik nachteilig sind.4 Der drohende schwere Nachteil für die äußere Stellung der Bundesrepublik kann sich z. B. als Verschiebung des außenpolitischen Kräfteverhältnisses oder als Zweifel an der Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik darstellen; er kann aber auch darin gesehen werden, dass Machtpositionen eines fremden Staates zur Geltung gebracht und gegen die Bundesrepublik ausgespielt werden. Es genügt, wenn der Nachteil nur für die Beziehungen zu der zu täuschenden fremden Macht droht. Ein dem Nachteil entsprechender Zuwachs an Macht des fremden Staates wird nicht verlangt (dazu RegE BTDrucks. V/898 S. 37). Die Gefahr muss ursächlich durch das Gelangenlassen an einen anderen oder das Bekanntmachen bewirkt worden sein. Der Tatbestand ist mithin selbst dann erfüllt, wenn Maßnahmen amtlicher deutscher Stellen, auch wenn sie schon im Blick auf die Tathandlung ergriffen worden sind, bei der Verursachung der Gefahr mitgewirkt oder sie gar vergrößert haben (vgl. RegE BTDrucks. V/898 S. 36). Hat die vorausgegangene Tat eines anderen bereits die Gefahr in ihrer konkreten Gestalt herbeigeführt, fehlt es an der Kausalität der nachfolgenden Tathandlung, es sei denn, dieser käme Bedeutung unter dem Gesichtspunkt der Bestätigung zu (siehe § 94 Rdn. 9). Der drohende Nachteil muss schwer wiegen (vgl. die Erläuterungen bei § 93 Rdn. 14 und 6 bei § 94 Rdn. 9). Daraus folgt, dass der Gegenstand der „Verleumdungshandlung“ von Gewicht sein muss. Insoweit erfahren die das Tatobjekt kennzeichnenden Merkmale eine gewisse Einschränkung (hierzu Rdn. 1 f.). Nur unbedeutende Belange werden ohne wirklichen Einfluss auf die Machtstellung der Bundesrepublik sein. Damit scheidet der schlichte „Nachrichtenschwindel“, wie er gelegentlich zwischen Geheimdiensten üblich ist, aus (vgl. Prot. V/1337 f.). Bei der Bewertung wird vor allem auf die aktuelle politische Lage abzustellen sein, in welche die Tat hineinwirkt. In einer drastisch zugespitzten Krisensituation können unter Umständen schon solche unwahren Behauptungen außergewöhnliche Wirkungen hervorrufen, die in Zeiten relativer Entspannung weniger Beachtung finden.

4. Innerer Tatbestand Der innere Tatbestand verlangt, dass der Täter, soweit die Fälschung in Rede steht, wider bes- 7 seres Wissen handelt. Er muss also die sichere Kenntnis haben, dass der Gegenstand ge- oder verfälscht bzw. die Behauptung unwahr ist. Überdies muss er beabsichtigen, einer fremden Macht die Echtheit des Gegenstandes oder die Wahrheit der Behauptung vorzutäuschen und sie dadurch irrezuführen. Es ist unschädlich, wenn ihm die Täuschung nicht gelingt; die Bestimmung setzt den Erfolg der Täuschung nicht voraus (siehe Rdn. 8). Die Täuschungsabsicht muss nicht gegenüber dem unmittelbaren Empfänger bestehen, wenn dieser die Behauptung oder den Gegenstand nur weitergeben soll.5 Hinsichtlich der Herbeiführung der Gefahr, also des Taterfolges, genügt bedingter Vorsatz.6 Geht der Täter irrtümlich von einer Fälschung aus, so kann er wegen Versuchs zu verurteilen sein. Gibt er einen gefälschten Gegenstand oder eine unwahre Tatsachenbehauptung weiter, glaubt aber irrig an die Echtheit bzw. Wahrheit, so kommt untauglicher Versuch nach §§ 94, 95 in Betracht.

4 Vgl. RegE BTDrucks. V/898 S. 36; Fischer Rdn. 5; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Paeffgen NK Rdn. 8; Wolter SK Rdn. 8; Lampe/Hegmann MK Rdn. 7. 5 Dazu Fischer Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Wolter SK Rdn. 9; Lampe/Hegmann MK Rdn. 8. 6 Fischer Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Wolter SK Rdn. 9; Paeffgen NK Rdn. 9; Lampe/Hegmann MK Rdn. 8. 509

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§ 100a StGB

Landesverräterische Fälschung

III. Landesverräterische Fälschung in der Form des Herstellens oder Sichverschaffens (Absatz 2) 8 Die Begehungsform des Absatzes 2 erfasst bestimmte Vorbereitungshandlungen zur landesverräterischen Fälschung nach Absatz 1. Der Täter muss Gegenstände der in Absatz 1 bezeichneten Art (siehe Rdn. 2 f.) durch Fälschung oder Verfälschung hergestellt oder sich verschafft haben. Unter dem Merkmal des Sichverschaffens ist eine aktive, auf die Erlangung eines derart gefälschten oder verfälschten Gegenstandes gerichtete Tätigkeit zu verstehen, in deren Folge der Täter in irgendeiner Weise Gewahrsam an diesem erlangt (vgl. im Übrigen § 96 Rdn. 3). Bei dem Herstellen oder Sichverschaffen muss er bereits in der Absicht handeln, die Gegenstände zur Täuschung einer fremden Macht an einen anderen gelangen zu lassen oder öffentlich bekanntzumachen (siehe dazu Rdn. 4) und die Bundesrepublik Deutschland der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit oder ihre Beziehungen zu einer fremden Macht auszusetzen. Weitergehend als in der Begehungsform des Absatzes 1 muss er also auch hinsichtlich des letztlich angestrebten Erfolges der Gefahr von Absicht geleitet sein und diesen nicht bloß billigend in Kauf nehmen.

IV. Rechtfertigung 8a Eine Rechtfertigung der Tat, auch im Hinblick auf die Pressefreiheit, dürfte wegen der erforderlichen Täuschungsabsicht grundsätzlich ausscheiden.

V. Der Versuch (Absatz 3) 9 Der Versuch beider Begehungsformen ist strafbedroht (§§ 100a Abs. 3, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 2).

VI. Der besonders schwere Fall (Absatz 4) 9a Für den besonders schweren Fall ist ein höherer Strafrahmen vorgesehen. Das Regelbeispiel steigert die nach Absatz 1 tatbestandsbegründende konkrete Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit oder die auswärtigen Beziehungen zu einem besonders schweren Nachteil, der eingetreten sein muss; die Gefahr muss sich also realisiert haben (vgl. zu dem besonderen Schweregrad des Nachteils auch bei § 94 Rdn. 9).

VII. Zusammentreffen 10 Die Begehungsform des Absatzes 2 ist gegenüber der des Absatzes 1 als Durchgangsstadium subsidiär (s. Rissing-van Saan LK Vor § 52 Rdn. 150). Wenn der Täter in solchem Falle mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch des Absatzes 1 zurücktritt, lebt die Strafbarkeit nach Absatz 2 wieder auf. Für eine Erstreckung der Rücktrittswirkungen auf die „Vorbereitungshandlungen“ des Absatzes 2 fehlt die Grundlage.7 – Eine analoge Anwendung der Vorschriften über die tätige Reue auf die vollendete Tat nach Absatz 2 – bei einem Rücktritt von der Tat nach Absatz 1 – lässt sich nicht mit dem Hinweis auf die Subsidiarität der Vorbereitungshandlung begründen. Im Übrigen gelten die allgemeinen Grundsätze. Tateinheit mit Urkundenfälschung (§ 267) ist möglich; dort wird ein anderes Rechtsgut, die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsver7 Anders Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17 ff.; Paeffgen NK Rdn. 15; siehe zu dem ähnlich liegenden Problem bei § 94 dort Rdn. 19; wie hier Fischer Rdn. 7; Wolter SK Rdn. 14; Lampe/Hegmann MK Rdn. 13. Barthe/Schmidt

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VIII. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges

StGB § 100a

kehrs, geschützt (vgl. Prot. V/1991). Auch mit Taten nach §§ 80 (§ 13 VStGB), 83, 84, 85, 94, 99 kann die Straftat nach § 100a rechtlich zusammentreffen.8 Eine Wahlfeststellung zwischen Landesverrat (§ 94) und landesverräterischer Fälschung (§ 100a Abs. 1) scheidet mangels „psychologischer Gleichwertigkeit“ aus (BGHSt 20 100 zu § 100a a. F.). Beim Landesverrat dringt der Täter in den Geheimbereich des Staates ein; bei der landesverräterischen Fälschung handelt es sich indessen um eine Art Verleumdung; die innere Beziehung des Täters zur Tat ist eine andere.9

VIII. Nebenfolgen, Einziehung und Sonstiges Als Nebenfolge kommt die Aberkennung der Fähigkeit in Betracht, öffentliche Ämter zu beklei- 11 den oder Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, sowie des Rechts, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen (§ 101). Die Möglichkeit der Einziehung von ge- oder verfälschten Gegenständen im Sinne des Tatbestandes sieht § 101a vor. Hinsichtlich finanzieller Zuwendungen ist die Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB anzuordnen (s. § 101a Rdn. 8). Zu den Zuständigkeiten vgl. Vor § 93 Rdn. 14, zu den besonderen Möglichkeiten des Absehens von der Strafverfolgung siehe §§ 153c Abs. 2 und 4, 153d, 153e StPO (vgl. Vor § 93 Rdn. 10). Die Nichtanzeige des Vergehens ist nicht mit Strafe bedroht (siehe § 138 Abs. 1 Nr. 3).

8 Fischer Rdn. 9; Wolter SK Rdn. 16. 9 BGHSt 20 100, 103 f.; Fischer Rdn. 9; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Paeffgen NK Rdn. 18; Lackner/Kühl/ Kühl Rdn. 5; kritisch Wolter SK Rdn. 17. 511

Barthe/Schmidt

§ 101 Nebenfolgen Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wegen einer vorsätzlichen Straftat nach diesem Abschnitt kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkennen (§ 45 Abs. 2 und 5).

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift über die Nebenfolgen wurde in ihrer derzeitigen Fassung durch Art. 19 Nr. 21 EGStGB1 geschaffen, der am 1. Januar 1975 in Kraft getreten ist (siehe Art. 326 Abs. 1 EGStGB). Vorläufer war § 101 Nr. 3 a. F.2 in Verbindung mit § 31 Abs. 2 und 5 a. F.3 Im Übrigen wird auf die Erläuterungen bei Hirsch LK11 Vor § 45 verwiesen.

Übersicht I.

Allgemeines

II.

Voraussetzungen

1

III.

Rechtsfolgen

4

2

I. Allgemeines 1 Die Bestimmung ergänzt die allgemeine Regelung über den Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts in § 45. In Bezug genommen wird indes nur der dort normierte fakultative Verlust (§ 45 Abs. 2 und 5), den der Richter anordnen kann, soweit das Gesetz es – wie eben in § 101 – besonders vorsieht. Der in jener Vorschrift ebenfalls geregelte, kraft Gesetzes, also ohne ausdrücklichen Ausspruch eintretende Verlust der Amtsfähigkeit und Wählbarkeit bei einer Verurteilung zur Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen eines Verbrechens (§ 45 Abs. 1) wird nicht berührt. Bei den Nebenfolgen nach § 101 handelt es sich der Sache nach um Nebenstrafen (vgl. dazu die Überschrift des Titels Vor § 38, Steinsiek LK § 92a Rdn. 3 und Paeffgen NK Rdn. 4 ff.).

II. Voraussetzungen 2 Die in der Vorschrift aufgezählten Folgen können neben der Strafe (Freiheitsstrafe, Geldstrafe, Nebenstrafe i. e. S.) angeordnet werden, wenn der Täter wegen einer vorsätzlichen Straftat nach den §§ 94 bis 100a zu einer mindestens sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt wird. Da eine Vorsatztat gefordert ist, scheidet die leichtfertige Preisgabe eines Staatsgeheimnisses (§ 97 Abs. 2) als Grundlage für die Anordnung einer Nebenfolge aus. Auf die Bewertung eines Delikts als Vorsatztat ist es ohne Einfluss, wenn der jeweilige Tatbestand hinsichtlich einer verursachten besonderen Tatfolge Fahrlässigkeit genügen lässt (siehe § 11 Abs. 2). Die Aberkennung kann auch ausgesprochen werden, wenn die Verurteilung nach den in Betracht kommenden Tatbeständen des Abschnitts in Verbindung mit den Erweiterungsbestim1 Vom 2.3.1974 BGBl. I 469, 479. 2 In der Fassung des 8. StRÄndG vom 25.6.1968 BGBl. I 741, 747, geändert durch Art. 1 Nr. 34 des 1. StrRG vom 25.6.1969 BGBl. I 645, 652, abgedruckt bei Hengsberger LK9 § 101. 3 Für die noch früher, vor dem 1.4.1970 begangenen Taten hat der Gesetzgeber in den Art. 89 und 90 des 1. StrRG (BGBl. I 645, 678, abgedruckt bei Tröndle LK10 § 45 Rdn. 44) eine Übergangsregelung vorgesehen, die bei Tröndle LK9 § 31 Rdn. 44 ff. kommentiert ist. Barthe/Schmidt https://doi.org/10.1515/9783110490008-039

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III. Rechtsfolgen

StGB § 101

mungen zum Schutz der NATO-Vertragsstaaten und ihrer in der Bundesrepublik stationierten Truppen erfolgt (§ 1 Abs. 1 des NTSG, abgedruckt Vor § 93 Rdn. 8a; vgl. Vor § 93 Rdn. 7 ff.), und ebenso bei einer Bestrafung wegen einer Tat, die sogenannte Euratom-Geheimnisse zum Gegenstand hat (siehe dazu Vor § 93 Rdn. 9; § 93 Rdn. 18 a. E., 24). Wird eine Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten gebildet, weil eine oder mehre- 3 re Taten gemäß den §§ 94 bis 100a (ohne § 97 Abs. 2) realkonkurrieren mit einer oder mehreren Taten nach Vorschriften außerhalb des Landesverratsabschnitts, so können die Nebenfolgen nach § 101 dann ausgesprochen werden, wenn wegen eines nebenfolgefähigen Delikts im Sinne der Bestimmung (Vorsatztat aus dem Landesverratsabschnitt) wenigstens eine sechsmonatige Einzelfreiheitsstrafe in Ansatz gebracht worden ist. Eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten genügt für die Anordnung indessen ohne Weiteres dann, wenn ausschließlich Vorsatztaten nach dem Landesverratsabschnitt sachlich zusammentreffen. Besteht zwischen einer Tat nach dem Landesverratsabschnitt und einer anderen Idealkonkurrenz und beträgt die Freiheitsstrafe dafür mindestens sechs Monate, so steht diese Konkurrenz den Nebenfolgen gemäß § 101 nicht im Wege (vgl. auch Steinsiek LK § 92a Rdn. 2). Unerheblich ist weiter, ob die mindestens sechsmonatige Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird oder nicht; eine dahingehende Differenzierung lässt sich der Bestimmung nicht entnehmen.

III. Rechtsfolgen Der Richter kann aberkennen: die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus 4 öffentlichen Wahlen zu erlangen, ferner das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen. Die Anordnung ergeht für die Dauer von zwei bis zu fünf Jahren (§ 45 Abs. 2 und 5). Da die Aberkennung auf einer „Kann-Bestimmung“ fußt, also fakultativ ist und Strafcharakter hat, muss sie in die Strafzumessungserwägungen einbezogen werden (s. auch § 267 Abs. 3 S. 1 StPO). Unter Beachtung der Grundsätze des § 46 ist darüber zu befinden, ob und für wie lange sie ausgesprochen wird. Die verschiedenen Nebenfolgen können einzeln oder auch nebeneinander angeordnet werden, gegebenenfalls auch, soweit sie über die im Falle des § 45 Abs. 1 automatisch eintretenden Folgen hinausgehen (betr. das Stimmrecht). Bei Anwendung des Jugendstrafrechts muss die Aberkennung allerdings unterbleiben (§§ 6 Abs. 1, 105 Abs. 1 JGG). Der Ausspruch der Nebenfolge ist in das Zentralregister einzutragen (§§ 3 Nr. 1, 5 Abs. 1 Nr. 7 BZRG). Hinsichtlich der weiteren Wirkungen der Anordnung, deren Eintritt und deren zeitliche Berechnung gelten die §§ 45 Abs. 3 und 4, 45a. Die vorzeitige Wiederverleihung der Fähigkeiten und Rechte regelt § 45b.

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Barthe/Schmidt

§ 101a Einziehung Ist eine Straftat nach diesem Abschnitt begangen worden, so können 1. Gegenstände, die durch die Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, und 2. Gegenstände, die Staatsgeheimnisse sind, und Gegenstände der in § 100a bezeichneten Art, auf die sich die Tat bezieht, eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden. Gegenstände der in Satz 1 Nr. 2 bezeichneten Art werden auch ohne die Voraussetzungen des § 74 Abs. 3 Satz 1 und des § 74b eingezogen, wenn dies erforderlich ist, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden; dies gilt auch dann, wenn der Täter ohne Schuld gehandelt hat.

Schrifttum Siehe die Erläuterungen zu § 92b und Wagner ZStW 80 (1968) 283, 295 ff.

Entstehungsgeschichte Die Einziehungsvorschrift ist in dieser Fassung durch das 8. StRÄndG eingeführt und später durch Art. 19 Nr. 22 EGStGB und das Gesetz zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.2017 (BGBl. I 872) geringfügig geändert worden. Die vorangegangene alte Regelung ergab sich aus den §§ 101 Abs. 2, 86 a. F. Anders als dort hat sich der Gesetzgeber hier nicht zu einer Verweisung auf die Einziehungsbestimmung des Abschnitts über Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates – § 92b – entschlossen, obgleich Aufbau und Inhalt in Teilen übereinstimmen. Besonderes Anliegen war, eine „erweiterte Sicherungseinziehung“ zu ermöglichen (§ 101a S. 3). Vgl. zur Entstehung weiterhin Sonderausschussbericht BTDrucks. V/2860 S. 25; Prot. V/1255 ff.

Übersicht I.

Allgemeines

1

II. 1. 2. 3. 4.

Einziehungsfälle 2 3 Einziehung nach § 101a S. 1 Nr. 1 4 Einziehung nach § 101a S. 1 Nr. 2 Weitere Voraussetzungen der Einziehung 6 Rechtsfolge

III.

Erweiterte Einziehungsmöglichkeiten

IV.

Selbständiges Einziehungsverfahren

V.

Wirkungen der Einziehung

7 8

9

5

I. Allgemeines 1 Die Bestimmung enthält keine spezielle Regelung, welche die Anwendung der allgemeinen Einziehungsvorschriften (§§ 74 ff.) sperren würde. Diese werden nur teils ergänzt und teilweise erweitert. Damit soll den besonderen Erfordernissen des Landesverratsstrafrechts Rechnung getragen werden (dazu BGHSt 23 208, 209 f. zu § 92b; Schmidt LK12 § 74 Rdn. 61, 63). Die Vorschrift ist im Regelungszusammenhang mit den §§ 74 ff. allerdings recht kompliziert und unübersichtlich (vgl. Müller/Emmert Prot. V/1257 f.; s. zur Kritik auch Steinsiek LK § 92b Rdn. 1). Das Nebenund Miteinander im Verhältnis zu den allgemeinen Bestimmungen (§§ 74 ff.) wird es schon wegen der Verschiedenheiten in der Wirkung erforderlich machen, bei der Entscheidung die Gesamtregelung zu berücksichtigen. Bei der Einziehung von Schriften ist insbesondere § 74d zu beachten, dessen Rechtsfolgen zwingend sind. Liegen die Voraussetzungen beider Regelungen vor (§ 74d, § 101a), so bleibt kein Raum mehr für eine Ermessensentscheidung nach § 101a Satz 1 (vgl. BGHSt 23 208, 210 zu § 92b).

Barthe/Schmidt https://doi.org/10.1515/9783110490008-040

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II. Einziehungsfälle

StGB § 101a

Zur dogmatischen Einordnung der Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten wird auf die Erläuterungen von Schmidt Vermögensabschöpfung Rdn. 350 ff. verwiesen. Für die Einziehung des Agentenlohns gelten die § 73 ff.

II. Einziehungsfälle Satz 1 regelt zwei Gruppen von Einziehungsfällen. Beide setzen für die Einziehung eine Straftat 2 nach dem Landesverratsabschnitt voraus. Da die Vorschrift, anders als § 74 Abs. 1 und § 101, keine Vorsatzstraftat verlangt, wird auch die leichtfertige Preisgabe von Staatsgeheimnissen (§ 97 Abs. 2) erfasst. Der jeweilige Tatbestand muss grundsätzlich in objektiver und subjektiver Hinsicht verwirklicht sein; auf die Begehungsform kommt es nicht an. Die Einziehung kann auch dann angeordnet werden, wenn sich die Strafbarkeit der Anknüpfungstat erst in Verbindung mit den Erweiterungsbestimmungen zum Schutz der NATO-Vertragsstaaten und ihrer in der Bundesrepublik stationierten Truppen ergibt (siehe § 1 Abs. 1 NTSG; vgl. Vor § 93 Rdn. 7 ff.; § 94 Rdn. 10). Gleiches gilt bei einer Bestrafung in Bezug auf Euratom-Geheimnisse (dazu Vor § 93 Rdn. 9; § 93 Rdn. 18 a. E., 24).

1. Einziehung nach § 101a S. 1 Nr. 1 Satz 1 Nr. 1 sieht die Einziehung vor für Tatprodukte und Tatmittel (Tatwerkzeuge). Insoweit 3 unterscheidet sich die Bestimmung weder von § 92b noch wesentlich von § 74 Abs. 1 (der allerdings eine vorsätzliche Straftat fordert).

2. Einziehung nach § 101a S. 1 Nr. 2 Satz 1 Nr. 2 ergreift auch Tatobjekte (sogenannte Beziehungsgegenstände), die in § 74 Abs. 1 4 nicht aufgeführt sind (zum Begriff des Tatobjektes bzw. Beziehungsgegenstandes siehe Schmidt Vermögensabschöpfung Rdn. 413 ff.). Diese müssen entweder Staatsgeheimnisse (§ 93) sein oder enthalten, oder aber es muss sich um Gegenstände handeln, die ge- oder verfälscht sind und die im Falle ihrer Echtheit für die äußere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik zu einer fremden Macht von Bedeutung wären (Fälschungen im Sinne des § 100a Abs. 1). Illegale Geheimnisse gemäß § 93 Abs. 2 können folglich nur unter den Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 Tatobjekte (Beziehungsgegenstände) im Sinne der Regelung sein (Lampe/Hegmann MK Rdn. 4).

3. Weitere Voraussetzungen der Einziehung Die weiteren Voraussetzungen für eine Einziehung sowohl nach Satz 1 Nr. 1 als auch nach Nr. 2 5 folgen grundsätzlich aus den §§ 74 Abs. 3 Satz 1 und 74a. Das ergibt sich aus § 74 Abs. 3 Satz 2, der die entsprechende Geltung des § 74 Abs. 3 Satz 1 dann vorschreibt, wenn besondere Einziehungsbestimmungen greifen (Wulf Prot. V/1257). § 74a wird in Satz 2 des § 101a ausdrücklich für anwendbar erklärt. Nach § 74 Abs. 3 Satz 1 kommen für die Einziehung Gegenstände in Betracht, die Tatbeteiligten gehören oder zustehen. § 74a erstreckt die Möglichkeit der Einziehung auf tatunbeteiligte, bestimmte subjektive Voraussetzungen erfüllende Personen. § 74b sieht die Einziehung vor, wenn der Gegenstand nach seiner Art und den Umständen die Allgemeinheit gefährdet oder wenn die Gefahr besteht, dass er zur Begehung einer rechtswidrigen Tat dienen wird; in diesen Fällen steht der Einziehung nicht entgegen, dass der Täter ohne

515

Barthe/Schmidt

§ 101a StGB

Einziehung

Schuld gehandelt hat (§ 74b Abs. 1 Nr. 1). Die Einziehung ist hier ebenfalls gegenüber „Dritteigentümern“ zulässig (§ 74b Abs. 1 Nr. 2).

4. Rechtsfolge 6 Die Einziehung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Richters; Satz 1 ist eine „Kann-Bestimmung“. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten (siehe § 74f); deshalb kommen auch Ersatzmaßnahmen gemäß § 74f Abs. 1 Satz 2 und 3 in Betracht. Bei der Einziehung von Schriften ist die Tragweite des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten (vgl. BGHSt 23 208).

III. Erweiterte Einziehungsmöglichkeiten 7 Satz 3 erweitert die Einziehungsmöglichkeiten beträchtlich. Ohne dass es noch auf die Voraussetzungen des § 74 Abs. 3 Satz 1, also die Stellung des Betroffenen zum Gegenstand, oder dessen Gefährlichkeit (im Sinne des § 74b) ankäme, ist allein entscheidend, ob die Einziehung erforderlich ist, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik abzuwenden (s. zu diesem Merkmal § 93 Rdn. 14 ff.). Dabei ist unerheblich, ob der Täter, dessen Tat sich auf den Gegenstand bezieht, mit oder ohne Schuld gehandelt hat. Dies ist vor allem von Bedeutung für die vom Tatbestand des § 100a erfassten Gegenstände. Sind die Voraussetzungen erfüllt, muss der Gegenstand eingezogen werden; das ergibt sich aus der hier veränderten, von Satz 1 abweichenden Formulierung „werden … eingezogen“ (hierzu auch Wolter SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8). Die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik wird bei verkörperten Staatsgeheimnissen, die sich in einem staatlicherseits nicht kontrollierten Bereich befinden, regelmäßig bestehen (vgl. BGH, Beschluss vom 13.2.1985 – 7 BJs 129/84 – 3 – Geh. – StB 2 – 3/85).

IV. Selbständiges Einziehungsverfahren 8 Die Einziehung kann unter bestimmten Voraussetzungen auch in einem selbständigen Verfahren erfolgen (siehe § 76a, §§ 435 ff. StPO). Dies ist vor allem bedeutsam in den Fällen, in denen Agenten, die vor der Enttarnung standen, gewarnt wurden und sich rechtzeitig absetzen konnten (OLG Celle NStZ-RR 1996 209). Das im Hoheitsbereich der Bundesrupublik Deutschland befindliche Vermögen oder einzelne Vermögensgegenstände eines Beschuldigten, gegen den wegen einer Straftat nach den §§ 94 oder 96 Abs. 1, § 97a oder § 100 die öffentliche Klage erhoben oder Haftbefehl erlassen worden ist, können mit Beschlag belegt werden (§ 443 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO).

V. Wirkungen der Einziehung 9 Zu den Wirkungen der Einziehung (§ 75) wird auf die Erläuterungen bei Schmidt Vermögensabschöpfung Rdn. 600 ff. verwiesen. Dies gilt auch bezüglich der Einziehung von Agentenlohn nach § 73 (vgl. Rdn. 85 ff.).

Barthe/Schmidt

516

DRITTER ABSCHNITT Straftaten gegen ausländische Staaten Vorbemerkungen zum Dritten Abschnitt Schrifttum Ahrens Anmerkungen zum Fall Böhmermann, Betrifft Justiz 2016 89; Altendorfer Causa Böhmermann – Rechtlicher Spagat zwischen Schmähkritik und Satire DuD 2016 376; Christoph Die Strafbarkeit satirisch überzeichneter Schmähkritik, JuS 2016 599; Dahm/Delbrück/Wolfrum Völkerrecht I/1, 2. Aufl. (1989); Dreher Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1953 421; Fahl Böhmermanns Schmähkritik als Beleidigung, NStZ 2016 313; ders. Zur Strafbarkeit des Verbrennens israelischer Fahnen in Berlin, Jura 2018, 453; Gerland Feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten, VDB I 113; Heinke Unzulässiges Festhalten an einer überkommenen Strafnorm, ZRP 2016 121; Heinrich Über die Entbehrlichkeit der Tatbestände der §§ 103, 353a StGB ZStW, 2017 425; Heinze Lex non grata, GA 2016 767; Jescheck Straftaten gegen das Ausland, Festschrift Rittler (1957) 275; Jescheck/Mattes (Hrsg.) Die strafrechtlichen Staatsschutzbestimmungen des Auslandes, 2. Aufl. (1968); Keßeböhmer/Schmitz Hinterziehung ausländischer Steuern und Steuerhinterziehung im Ausland, § 370 Abs. 6 und 7 AO, wistra 1995, 1; Kaiser Strafrechtliche Aufgabenzuweisungen an die Bundesregierung, JR 2016 679; Kleinfeller Die Verletzung von Hoheitszeichen (§§ 103a, 135 RStGB) VDB II 305; Kühne Der strafrechtliche Ehrenschutz ausländischer Staatsoberhäupter als Instrument des Imports freiheitsfeindlicher Vorstellungen? GA 2016 435; v. Liszt Die strafbaren Handlungen gegen ausländische Staaten in den Strafgesetzentwürfen der Gegenwart, Festschrift v.Martitz (1991) 437; Lüttger Bemerkungen zur Methodik und Dogmatik des Strafschutzes für nichtdeutsche öffentliche Rechtsgüter, Festschrift Jescheck I (1985) 121; Schelzke Ändert Jan Böhmermann das StGB? – Über die Abschaffung des § 103 StGB, HRRS 2016 248; Schlichter Der Strafantrag, die Strafverfolgungsermächtigung und die Anordnung der Strafverfolgung unter besonderer Berücksichtigung der Staatsschutzdelikte, GA 1966 353; Simson Der Ehrenschutz ausländischer Staatsoberhäupter, Diplomaten und Staatssymbole im Lichte der Rechtsvergleichung, Festschrift Heinitz (1972) 737; Triepel Völkerrecht und Landesrecht 1899; Verdross/Simma Universelles Völkerrecht 3. Aufl. (1984); v. Weber Der Schutz fremdländischer staatlicher Interessen im Strafrecht, Frank-Festg. II (1930) 269; Vormbaum Majestätsbeleidigung, JZ 2017 413; Wilke Der strafrechtliche Schutz der DDR, ihrer Organe und ihrer Emissäre in der Bundesrepublik Deutschland, ROW 1975 302; Wohlers Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte (2000).

Entstehungsgeschichte Das KRG Nr. 11 hatte die früheren §§ 102, 103 (hochverräterische Handlungen gegen fremde Staaten, Beleidigung auswärtiger Landesherrn oder Regenten) aufgehoben, den durch die Novelle vom 6.2.1876 eingeschalteten § 103a (Verletzung ausländischer Hoheitszeichen) und den alten § 104 (Gesandtenbeleidigung) jedoch bestehen lassen. Durch das 3. StrÄndG vom 4. August 19531 wurde der Abschnitt im Ganzen neu gefasst. Dabei verzichtete der Gesetzgeber auf die Einbeziehung des Hochverrats gegen fremde Staaten und ging damit dem Dilemma aus dem Weg, auch Regime eines strafrechtlichen Schutzes teilhaftig werden zu lassen, die eher als Adressaten eines Widerstandsrechts in Betracht kämen. In der statt dessen geschaffenen Vorschrift zum Schutz der körperlichen Integrität amtlich in der Bundesrepublik Deutschland wirkender auswärtiger Organpersonen klingt die frühere Regelung nur noch insoweit an, als sich der Tatbestand auf das auswärtige Staatsoberhaupt bezieht und damit dem früheren § 83 Abs. 1 (hochverräterischer Anschlag auf den Bundespräsidenten) verwandt ist. Aber auch sonst hat sich die Neuregelung nicht nur von der Nomenklatur des Kaiserreichs gelöst, sondern eine Reihe sachlicher Änderungen gegenüber dem alten Rechtszustand gebracht, insbesondere den Kreis der geschützten Personen erweitert.2 Die Zählung des Abschnitts ist durch das 8. StrÄndG vom 25. Juni 19863 von Vierter in Dritter Abschnitt geändert worden. Das EGStGB Art. 19 Nr. 23 ff. brachte einige redaktionelle Änderungen. § 103 (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) ist mit Wirkung vom 1.1.2018 durch das Gesetz zur Reform der Straftaten gegen ausländische Staaten vom 17.7.20174 aufgehoben worden. Mit Wirkung vom 24.6.2020 wurde der Anwendungsbereich des § 104 erweitert und in § 104a wurden die Erfordernisse der Gegenseitigkeit und der Ermächtigung zur Strafverfolgung gestrichen.5

1 2 3 4 5

BGBl. I 735. S. dazu Dreher JZ 1953 421, 427. BGBl. I 741. BGBl. I 2439. BGBI. I 1247.

517 https://doi.org/10.1515/9783110490008-041

Weiß

Vor § 102 StGB

Vorbemerkung zum Dritten Abschnitt

Übersicht I.

Schutzgegenstand

1

II.

Recht des Einigungsvertrages

2

III.

Kriminalpolitische Bedeutung

3

I. Schutzgegenstand 1 In der Änderung der Abschnittsüberschrift, die ursprünglich „Feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten“ hieß, spiegelt sich die Tatsache wider, dass die Überschrift dank des derzeit geltenden § 104a nicht mehr zur Bestimmung des Anwendungsbereichs der einzelnen Tatbestände herangezogen werden muss. Eine weitergehende sachliche Bedeutung daraus abzuleiten erscheint wenig sinnvoll, weil der Begriff des befreundeten Staates nach der h. M. ohnehin auf jeden Staat anzuwenden war, zu dem diplomatische Beziehungen unterhalten wurden. Die Ansicht, dass Schutzgegenstand der §§ 102 ff. die ausländischen Staaten, ihre Organpersonen und Hoheitszeichen selbst seien, bedarf dieser Stütze nicht, sondern wird dadurch erkennbar gemacht, dass die Strafverfolgung ein Strafverlangen der fremden Regierung voraussetzt. Da aber andererseits nur Staaten den Schutz genießen, die mit der Bundesrepublik diplomatische Beziehungen unterhalten, und die Strafverfolgung auch von der Ermächtigung der Bundesregierung abhängt, dienen die Vorschriften ersichtlich zugleich dem Interesse der Bundesrepublik an guten und ungestörten Beziehungen zu anderen Staaten. In diesem doppelten Schutzzweck, dem kein Gegensatz innewohnt, zeigt sich die enge Berührung dieser Strafbestimmungen mit dem Völkerrecht, das weitgehend Vertragsrecht und dem beiderseitigen Interesse der Partner zugewandt ist. Unter diesem Aspekt6 muss der Streit darüber, ob dem einen oder anderen Schutzzweck ein Vorrang oder ein stärkeres Gewicht zukomme, müßig erscheinen. Für die Auslegung der einzelnen Tatbestände ist er unergiebig.7 Da es sich um Organe oder Einrichtungen eines fremden Staates handeln muss, sind Amtsträger oder Institutionen von supra- und internationalen Organisationen (wie etwa der EU, UN oder NATO) als solche nicht geschützt, würden dies aber wohl de lege ferenda verdienen.8

II. Recht des Einigungsvertrages 2 Gemäß Art. 8 (i.Verb. mit Anlage 1 Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt III Nr. 1) des Einigungsvertrages gelten die §§ 102 bis 104a seit dem 3.10.1990 auch auf dem Gebiet der früheren DDR. Durch deren Beitritt zur Bundesrepublik hat sich die an den Auslandsbegriff anknüpfende Frage, ob die §§ 102 bis 104 auch den Schutz der Staatspersonen und -symbole der DDR umfassen, erledigt.9 Auf die Darstellung etwaiger Rechtsanwendungsprobleme auf vor dem 3.10.1990 in der früheren DDR begangener Taten kann mangels praktischer Bedeutung verzichtet werden, zumal die Taten inzwischen verjährt sein dürften.10

6 Vgl. Triepel Völkerrecht und Landesrecht 1899 S. 33 ff. 7 Im einzelnen Jescheck S. 276 ff.; Dreher JZ 1953 421, 426 f.; Kreß MK Rdn. 5 ff.; Kargl NK Rdn. 4 ff. 8 Sch/Schröder/Eser Rdn. 3. 9 S. dazu Willms LK10 Rdn. 2. 10 S. dazu Laufhütte LK11 Rdn. 2. Weiß

518

III. Kriminalpolitische Bedeutung

StGB Vor § 102

III. Kriminalpolitische Bedeutung Die praktische Bedeutung der Vorschriften des Dritten Abschnitts ist seit jeher gering.11 In jünge- 3 rer Vergangenheit erlangte lediglich der mit Wirkung vom 1.1.2018 aufgehobene § 103 StGB im Zusammenhang mit der „Causa Böhmermann“ eine – auch außenpolitische – Bedeutung. Im März 2016 hatte der Satiriker Jan Böhmermann ein Lied mit dem Titel „Schmähkritik“ öffentlich vorgetragen, das sich gegen den amtierenden türkischen Staatspräsidenten Erdogan richtete.12 Auch § 104a StGB rückte in diesem Zusammenhang in den Fokus der wissenschaftlichen Diskussion, insbesondere die Frage, ob für die Ermächtigung zur Strafverfolgung die Bundesregierung als Kollegialorgan oder der jeweilige Ressortminister zuständig ist.13 Ebenfalls diskutiert wurde aus diesem Anlass die Frage, inwieweit die Vorschriften des Dritten Abschnitts insgesamt noch zeitgemäß sind und ob Reformbedarf bei der Ausgestaltung besteht.14

11 12 13 14 519

Wolter AK Rdn. 8 f.; Sch/Schröder Eser Rdn. 1; Wolter SK Rdn. 7; Kreß MK Rdn. 16 f. Einzelheiten bei Fahl NStZ 2016 313 ff. S. auch Kargl NK Rdn. 9 ff.; Wolter SK Rdn. 8 ff. S. die Ausführungen bei § 104a Rdn. 8. Vgl. Kreß MK § 102 Rdn. 21. Weiß

§ 102 Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten (1) Wer einen Angriff auf Leib oder Leben eines ausländischen Staatsoberhaupts, eines Mitglieds einer ausländischen Regierung oder eines im Bundesgebiet beglaubigten Leiters einer ausländischen diplomatischen Vertretung begeht, während sich der Angegriffene in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe, in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkennen (§ 45 Abs. 2 und 5).

Schrifttum s. Vorbemerkungen.

Entstehungsgeschichte Siehe Vorbemerkungen. Das EGStGB Art. 19 Nr. 24 beseitigte in Absatz 1 die Subsidiaritätsklausel und fügte den Absatz 2 an.

Übersicht I.

Angriff gegen ausländische Staatsperso1 nen 1 Ausländische Staatsoberhäupter 2 Ausländische Regierungsmitglieder Die im Bundesgebiet beglaubigten Leiter ausländischer diplomatischer Vertretungen 3 4 Familienmitglieder

IV.

Subjektiver Tatbestand

V.

Strafe

VI.

Konkurrenzen

II.

Aufenthalt im Inland in amtlicher Eigen5 schaft

VIII. Besondere Verfolgungsvoraussetzungen

III.

Angriff auf Leib oder Leben

1. 2. 3. 4.

7

8

VII. Nebenfolgen

9 10 11

6

I. Angriff gegen ausländische Staatspersonen Geschützt sind:

1. Ausländische Staatsoberhäupter 1 also je nach der geltenden Verfassung die fremden Staatspräsidenten oder Monarchen, auch der Papst.1 Bei präsidialen Kollegialorganen, etwa dem Schweizer Bundesrat, unterfallen sämtliche Mitglieder dem Begriff des Staatsoberhaupts.2 Wesentliches Kennzeichen ist die verfassungsrechtli-

1 VGH München NJW 2011 793, 795. 2 Kreß MK Rdn. 7. Weiß https://doi.org/10.1515/9783110490008-042

520

II. Aufenthalt im Inland in amtlicher Eigenschaft

StGB § 102

che Befugnis zur völkerrechtlichen Vertretung,3 sei es beim Abschluss von Verträgen mit anderen Staaten, sei es bei der Beglaubigung oder dem Empfang von Gesandten (vgl. Art. 59 Abs. 1 GG).

2. Ausländische Regierungsmitglieder Dies sind, sofern das jeweilige (nationale) Verfassungsrecht nichts anderes vorsieht, die Spitzen 2 der Exekutive, d. h. der Regierungschef und die Minister sowie im gleichen Rang stehende Personen, mögen sie auch eine andere Bezeichnung tragen (secretary of state), jedoch nicht andere nachgeordnete Staatsbeamte.4 Auch Mitglieder der Regierung des Einzelstaats eines Bundesstaats sind hier nicht gemeint, es sei denn, der Einzelstaat besäße eine besondere diplomatische Vertretung und unterhielte eigene diplomatische Beziehungen zu Deutschland.5

3. Die im Bundesgebiet beglaubigten Leiter ausländischer diplomatischer Vertretungen Dazu gehören die Botschafter, Gesandten, und Geschäftsträger unter Einschluss der päpstlichen 3 Nuntien, dagegen nicht ohne ausdrücklich vereinbarte Gleichstellung die Leiter von Handelsmissionen und nicht die Konsuln. Der Schutz der Diplomaten gilt für die Dauer der Akkreditierung. Er reicht zeitlich nicht nur, wie Sch/Schröder/Eser Rdn. 5, Fischer Rdn. 3, und Kreß MK Rdn. 11 meinen, von der Überreichung des Beglaubigungsschreibens bis zur Überreichung des Abberufungsschreibens, sondern von der Einreise zum Zwecke des Amtsantritts (üblicherweise nach Erteilung des Agréments) bis zur Ausreise nach der Abberufung,6 wobei dann freilich ein verlängerter Aufenthalt als Privatmann nicht mehr zählen kann. Entscheidender Gesichtspunkt ist dabei, dass die diplomatischen Vorrechte den Missionschefs allgemein in diesem weiteren Rahmen zugebilligt werden.7 Es ist kein vernünftiger Grund zu erkennen, warum für den strafrechtlichen Schutz etwas anderes gelten sollte. Ob dieser auch für den Fall des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen bis zur Grenzüberschreitung nach Zustellung der Pässe reicht, kann freilich bezweifelt werden,8 doch ist diese Frage im Hinblick auf § 104a ohne praktische Bedeutung.

4. Familienmitglieder Geschützt ist stets nur der Missionschef. Auf die Staatsangehörigkeit kommt es nicht an. Famili- 4 enangehörigen und anderen, nicht ausdrücklich genannten Amtsträgern ausländischer Stellen, wie dem Personal ausländischer Vertretungen, kommt der Sonderschutz des § 102 nicht zugute.9

II. Aufenthalt im Inland in amtlicher Eigenschaft Das Merkmal „aufhält“ ist in zeitlicher Hinsicht ohne besondere Bedeutung, es besagt nur, dass 5 sich der Angegriffene zur Tatzeit in der Bundesrepublik befinden muss, also z. B. auch bei der 3 4 5 6 7

Sch/Schröder/Eser Rdn. 2; Kargl NK Rdn. 1; Kreß MK Rdn. 7. Sch/Schröder/Eser Rdn. 4. Kreß MK Rdn. 9. Wolter SK Rdn. 4; Kargl NK Rdn. 3. Dahm/Delbrück/Wolfrum Völkerrecht Bd. I/1 2. Aufl. (1989) S. 275; Verdross/Simma Universelles Völkerrecht 3. Aufl. (1984) S. 579 f.; wie hier auch Blei BT § 120 I; Wolter AK Rdn. 3. 8 Verneinend Kargl NK Rdn. 1. 9 Sch/Schröder/Eser Rdn. 6; Fischer Rdn. 1a; Kargl NK Rdn. 1; Wolter SK Rdn. 4. 521

Weiß

§ 102 StGB

Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten

Durchreise im Luftraum. Schiffe unter deutscher Flagge sind ebenfalls umfasst, soweit sie auf Gewässern im Inland fahren.10 Eines Aufenthaltes im Wortsinne bedarf es nicht. Der Angegriffene muss einem amtlichen Geschäft nachgehen. Das ist nicht der Fall, wenn ein Staatsoberhaupt als Privatmann reist, trifft aber zu, wenn es zum Staatsbesuch in einem Nachbarland die Bundesrepublik passiert. Es kommt nicht darauf an, ob der fremde Gast gerade im Tatzeitpunkt seine amtliche Tätigkeit in bestimmter Form ausübt oder durch die Tat speziell in seiner amtlichen Tätigkeit getroffen werden soll.11

III. Angriff auf Leib oder Leben 6 Der Angriff muss sich unmittelbar gegen Leib oder Leben des geschützten Staatsmannes oder Diplomaten richten, also auf dessen Person. Da der Tatbestand als Unternehmensdelikt ausgestaltet ist, ist die Tat auch ohne Eintritt eines Verletzungserfolges vollendet.12 Es muss jedoch zumindest die zeitweilige Gefahr einer Verletzung der körperlichen Unversehrtheit herbeigeführt werden.13 Dabei reicht als Ziel des Angriffs jede Körperverletzung im Sinne des § 223 aus.14 Die von Wolter AK Rdn. 515 befürwortete Einschränkung des Tatbestandes auf Angriffe, die ernstliche Gefahren oder Wirkungen begründen, findet im Wortlaut der Vorschrift keine Stütze und ist im Hinblick auf deren Schutzzweck (s. Vorbem. Rdn. 2) auch nicht gerechtfertigt; denn etwa schon das versuchte Ohrfeigen eines ausländischen Staatsoberhauptes vermag im Einzelfall die Beziehungen zu dem anderen Staat zu stören. Die geringe Intensität eines Angriffs ist daher allein im Rahmen der Strafzumessung zu würdigen oder kann gegebenenfalls zu einer Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153a StPO führen. Es ist jedoch zu beachten, dass der Begriff des Angriffs auf Leib oder Leben enger ist als derjenige der Gewalt etwa in §§ 113, 240, 252. Die bloß mittelbare Einwirkung auf die Person genügt auch dann nicht, wenn sie nicht nur als seelischer, sondern als körperlicher Zwang empfunden wird.16 Der Täter muss in feindlicher Gesinnung unmittelbar auf die Person des Staatsmannes oder Diplomaten einwirken, was regelmäßig, aber nicht notwendig (z. B. Gift) unter Entfaltung von Körperkraft geschehen wird. Bloße Drohungen genügen nicht. Auf den Beweggrund kommt es nicht an.

IV. Subjektiver Tatbestand 7 Es ist zumindest bedingter Vorsatz erforderlich. Dieser muss sich auch auf den umschriebenen Status der ausländischen Staatsperson beziehen,17 denn dieser ist echtes Tatbestandsmerkmal, nicht – woran mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Vorschrift gedacht werden könnte – bloße Bedingung der Strafbarkeit. Das folgt nicht nur aus der Herkunft des Tatbestandes von der früheren, die hochverräterische Handlung gegen ein befreundetes Land erfassenden Vorschrift, sondern ergibt sich auch aus der Parallele zu § 103 und schließlich daraus, dass der Gesetzgeber die Strafbarkeitsbedingungen zusammen mit den besonderen Prozessvoraussetzungen für den Abschnitt in § 104a zusammengefasst hat. Jedoch ist insoweit keine Kenntnis fremden Verfassungsrechts gefordert, vielmehr genügt eine entsprechende Wertung in der Laiensphäre. 10 11 12 13 14 15

Vgl. Kreß MK Rdn. 12. Kreß MK Rdn. 13; Wolter SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eser Rdn. 7; Kargl NK Rdn. 3; Wolter AK Rdn. 7. Vgl. RGSt 59 264, 265. Ähnlich RGSt 52 34, 35; 54 89, 90. Ebenso Kreß MK Rdn. 16; Wolter SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eser Rdn. 7; Fischer Rdn. 5; Kargl NK Rdn. 4. Die zur Stützung herangezogenen Entscheidungen (BGH bei Dallinger MDR 1975 22 und 196) befassen sich mit dem Merkmal „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben“ in § 177 und sind für § 102 unergiebig. 16 RGSt 54 89, 90. 17 Sch/Schröder/Eser Rdn. 9; Kargl NK Rdn. 3. Weiß

522

VIII. Besondere Verfolgungsvoraussetzungen

StGB § 102

V. Strafe Die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, in besonders schweren Fällen 8 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

VI. Konkurrenzen Nach Wegfall der Subsidiaritätsklausel ist jetzt Tateinheit mit allen Delikten der Körperverlet- 9 zung und Tötung möglich.18

VII. Nebenfolgen Nebenfolgen sind in Absatz 2 geregelt, der wörtlich dem § 92a entspricht, auf dessen Erläute- 10 rungen verwiesen wird. Die dort genannten Rechte können auch einzeln aberkannt werden.19

VIII. Besondere Verfolgungsvoraussetzungen Wegen der besonderen Verfolgungsvoraussetzungen s. § 104a. Zuständig für die Verfolgung 11 ist der Generalbundesanwalt (§§ 142a Abs. 1 S. 1, 120 Abs. 1 Nr. 4 GVG), der das Verfahren – von den Fällen des § 142a Abs. 3 GVG abgesehen – vor Anklageerhebung an die Landesstaatsanwaltschaft abgibt (§ 142a Abs. 2 Nr. 1a GVG). Zur Aburteilung zuständig ist das OLG am Sitz der Landesregierung (§ 120 Abs. 1 Nr. 4 GVG). Für das Gebiet der früheren DDR sind die Besonderheiten gemäß Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Bst. 1 (1) der Anlage 1 zum Einigungsvertrag zu beachten. Zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips vgl. §§ 153d, 153e StPO i. V. m. § 120 Abs. 1 Nr. 4 GVG.20

18 Kreß MK Rdn. 22; Wolter SK Rdn. 11; Kargl NK Rdn. 6. 19 Kargl NK Rdn. 7; Wolter AK Rdn. 11. 20 Nach der Ansicht von Kreß MK Rdn. 24 ist § 153e StPO seiner Formulierung nach nicht auf § 102 StGB zugeschnitten. 523

Weiß

§ 103 weggefallen

Weiß https://doi.org/10.1515/9783110490008-043

524

§ 104 Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten (1) Wer eine auf Grund von Rechtsvorschriften oder nach anerkanntem Brauch öffentlich gezeigte Flagge eines ausländischen Staates oder wer ein Hoheitszeichen eines solchen Staates, das von einer anerkannten Vertretung dieses Staates öffentlich angebracht worden ist, entfernt, zerstört, beschädigt oder unkenntlich macht oder wer beschimpfenden Unfug daran verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer öffentlich die Flagge eines ausländischen Staates zerstört oder beschädigt und dadurch verunglimpft. Den in Satz 2 genannten Flaggen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind. (2) Der Versuch ist strafbar.

Schrifttum s. Vorbemerkungen.

Entstehungsgeschichte Siehe Vorbemerkungen. Die Vorschrift wurde durch das 3. StrÄndG1 eingefügt. Sie trat an die Stelle des durch die Novelle vom 26.2.18762 geschaffenen § 103a. Die seit 24.6.2020 geltende aktuelle Fassung geht auf das 58. Strafrechtsänderungsgesetz vom 12.6.20203 zurück.

Übersicht I.

III.

Subjektiver Tatbestand

1. 2. 3.

Verletzung ausländischer Flaggen und Hoheits1 zeichen 2 Flagge 3 Hoheitszeichen Öffentlich 4

IV.

Versuch

V.

Konkurrenzen

II.

Tathandlungen

VI.

Besondere Verfolgungsvoraussetzungen

5

6

7 8 9

I. Verletzung ausländischer Flaggen und Hoheitszeichen Der Tatbestand ist im Vergleich zum früheren § 103a erheblich erweitert. Er knüpft in seiner 1 Fassung an die Vorschrift zum Schutz der entsprechenden inländischen Symbole, den § 90a, an. Auf die Anmerkungen zu jener Vorschrift wird verwiesen. Einen über § 104 hinausgehenden Schutz erfährt das Wappen der schweizerischen Eidgenossenschaft wegen seiner Verwandtschaft zum Zeichen des Roten Kreuzes in § 125 Abs. 2 OWiG. Seine unbefugte Benutzung i. S. dieser Vorschrift kann auch ohne die Voraussetzungen des § 104a als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Schutzzweck der Norm ist zum einen das Ansehen ausländischer Staaten, zum anderen das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an guten und ungestörten Beziehungen zu anderen Staaten.4

1 2 3 4

Vgl. vor § 102 vor Rdn. 1. RGBl. 25. BGBI. I 1247. BT-Drs. 19/19201 S. 14.

525 https://doi.org/10.1515/9783110490008-044

Weiß

§ 104 StGB

Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten

1. Flagge 2 Ausländische Flaggen sind bereits geschützt, wenn eine Privatperson sie öffentlich, also durch beliebige Personen wahrnehmbar, zeigt, d. h. so anbringt, dass sie von anderen Personen wahrgenommen werden sollen, sofern das Zeigen auf Grund von Rechtsvorschriften geschieht (z. B. Schifffahrtsabkommen oder Luftverkehrsabkommen)5 oder einem anerkannten Brauch entspricht (Staatsbesuche, Sportveranstaltungen, Ausstellungen, Tagungen mit internationalem Zuschnitt, Kurorte und Hotels, die damit ausländischen Gästen entgegenkommen).6 Das Hissen muss also keineswegs von einem bestimmten Staatsangehörigen des betreffenden Landes veranlasst sein.7 Die seit 24.6.2020 geltende Fassung der Vorschrift erweitert den Anwendungsbereich. Strafbar nach dem neu eingefügten Absatz 1 Satz 2 macht sich jetzt auch, wer öffentlich die Flagge eines ausländischen Staates zerstört oder beschädigt und dadurch verunglimpft, wobei Satz 3 auch solche Flaggen erfasst, die den in Satz 2 genannten zum Verwechseln ähnlich sind. Grund für die Erweiterung des Anwendungsbereichs ist, dass nach der bisherigen Vorschrift etwa das öffentliche Verbrennen einer ausländischen Staatsflagge im Zuge einer Demonstration nicht erfasst war.8 Nach dem Willen des Gesetzgebers kann eine solche Handlung das Schutzgut des § 104 aber ebenso beeinträchtigen wie die anderen Tathandlungen, die bereits bisher unter Strafe gestellt waren.9 Dementsprechend erfasst die Vorschrift auch solche Flaggen, die den offiziellen zum Verwechseln ähnlich sind.10

2. Hoheitszeichen 3 In Betracht kommen Fahnen, Standarten, Schilder, Wappen, Skulpturen, Grenzpfähle, Schlagbäume. Als Zeichen der Staatsautorität hat ein solcher Gegenstand dann zu gelten, wenn er im gegebenen Falle nach dem erkennbaren Willen der ausländischen Regierung dazu bestimmt und verwendet worden ist, das Bestehen ihrer Staatsgewalt öffentlich zum Ausdruck zu bringen und dadurch kundzutun, dass der betreffende Ort oder die betreffende Sache dieser Staatsgewalt unterworfen und gewidmet sei.11 Als anerkannte Vertretungen des ausländischen Staates kommen nicht nur diplomatische Vertretungen, sondern etwa auch Konsulate in Betracht.12

3. Öffentlich 4 Dass die ausländische Flagge öffentlich gezeigt bzw. das ausländische Hoheitszeichen öffentlich angebracht sein muss, bedeutet nicht, dass sie öffentlich sichtbar sein müssen.13 Es genügt,

5 Vgl. a. Art. 20 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961, Art. 29 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963; Kreß MK Rdn. 7; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2; Kargl NK Rdn. 2; Wolter AK Rdn. 3. 6 Für eine restriktive Auslegung „anerkannter Bräuche“ im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot und damit gegen eine Ausdehnung auf nicht-staatliche Veranstaltungen mit internationalem Bezug: Kreß MK Rdn. 9; Wolter SK Rdn. 4. Kargl NK Rdn. 2 hält dagegen eine restriktive Anwendung mit Blick auf den von ihm bejahten inländischen Schutzzweck allenfalls in der Weise für geboten, dass man bei der Frage der Anerkennung des Brauchs die Sicht des „beleidigten“ Staates nicht außer Acht lässt. 7 Wie hier: Lackner/Kühl Rdn. 1; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2; Fischer Rdn. 1; Wolter AK Rdn. 3. 8 Vgl. Fahl Jura 2018 453 ff. 9 BT-Drs 19/19201 S. 14. 10 S. vorige Fn. 11 RGSt 31 147; 63 287. 12 Kreß MK Rdn. 11; Wolter SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eser Rdn. 3; Fischer Rdn. 1; Kargl NK Rdn. 3. 13 So aber OLG Braunschweig NJW 1953 875; Kreß MK Rdn. 6. Weiß

526

V. Konkurrenzen

StGB § 104

wenn die Symbole so angebracht sind, dass sie an einem der Allgemeinheit zugänglichen Ort (z. B. auch in einem Gebäude) von beliebigen Personen wahrgenommen werden können.14

II. Tathandlungen Entfernen ist jedes Wegnehmen von dem Ort der Anbringung auch ohne Zueignungsabsicht, etwa 5 das bloße Niederholen einer Flagge. Jedoch kann ein Entfernen vom Ort der Aufbewahrung mit dem Ziel, ein Anbringen aus bestimmtem Anlass scheitern zu lassen, nicht ausreichen.15 Zerstört ist eine Sache, wenn ihre Brauchbarkeit gänzlich aufgehoben ist. Eine Teilzerstörung kann eine Zerstörung oder Beschädigung sein. Unkenntlichmachen ist ein Verändern der mühelosen Erkennbarkeit durch Beschmieren, Verstellen, Zuhängen oder in anderer Weise, soweit hierdurch noch keine Zerstörung oder Beschädigung des Symbols herbeigeführt wird.16 Beschimpfender Unfug ist eine besonders rohe und herabwürdigende Form der Missachtung.17 Unfug wird „daran“ verübt, wenn er sich ersichtlich gegen das Zeichen richtet und in seiner unmittelbaren Nähe stattfindet, z. B. Urinieren auf das Symbol,18 Anspucken des Zeichens, Ausspucken in Richtung auf das Zeichen, herabsetzende Bewegungen auf das Zeichen hin.19 S. auch die Kommentierung zu § 90a. Der neu eingefügte Absatz 1 Satz 2 gilt nur für den Fall des Verunglimpfens in Form des Zerstörens oder Beschädigens. Der Gesetzgeber hat damit bezweckt, dem Ultima-ratio-Grundsatz im Strafrecht Genüge zu tun und nur solche Tathandlungen zu erfassen, mit denen symbolhaft das Existenzrecht oder Ansehen des betroffenen Staates in Frage gestellt wird.20

III. Subjektiver Tatbestand Es ist zumindest bedingter Vorsatz erforderlich. Ähnlich wie bei § 102 hinsichtlich des Status 6 der ausländischen Staatsperson muss der Täter hier zumindest in laienhafter Wertung die Bedeutung des ausländischen Staatssymbols erfassen.

IV. Versuch Der Versuch ist gem. Absatz 2 strafbar.

7

V. Konkurrenzen Bei Wegnahme ist Tateinheit mit Diebstahl möglich. Gegenüber der Sachbeschädigung geht 8 § 104 als die speziellere Vorschrift vor. Jedoch wird § 303 anwendbar, wenn eine Bestrafung nach § 104, vor allem wegen Fehlens einer Voraussetzung nach § 104a, ausscheidet. Zur Anwendung des § 304 auf das Entfernen einer Fahne s. RGSt 65 354, 356.

14 15 16 17 18 19 20 527

Kreß MK Rdn. 10; Kleinfeller S. 306; Wolter AK Rdn. 5. Sch/Schröder/Eser Rdn. 4. Kreß MK Rdn. 12 und Sch/Schröder/Eser Rdn. 4: Zerstörung der Symbolwirkung. RGSt 43 201, 202; 57 209, 211; 61 308. OLG Frankfurt NStZ 1984 119. OLG Braunschweig NJW 1953 875, 876; im konkreten Fall allerdings zweifelhaft. BT-Drs 19/19201 S. 14. Weiß

§ 104 StGB

Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten

VI. Besondere Verfolgungsvoraussetzungen 9 Wegen der besonderen Verfolgungsvoraussetzungen s. § 104a. Eine besondere Zuständigkeit besteht hier nicht.

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§ 104a Voraussetzungen der Strafverfolgung Straftaten nach diesem Abschnitt werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält und ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt.

Schrifttum s. Vorbemerkungen.

Entstehungsgeschichte Siehe Vorbemerkungen. EGStGB Art. 19 Nr. 26 ersetzte das Wort Vergehen durch Straftaten und strich den durch die Neuregelung in §§ 77d, 77e überflüssig gewordenen Satz 2 über die Zurücknahme der Ermächtigung. Kritisch zur bis zum 23. Juni 2020 geltenden Fassung des § 104a aus kriminalpolitischer Sicht Wolter AK Rdn. 8. Die seit 24. Juni 2020 geltende Fassung wurde durch das 58. Strafrechtsänderungsgesetz vom 12. Juni 2020 eingeführt.1 Danach ist es jetzt nur noch erforderlich, dass die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält und ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt. Weggefallen sind die Voraussetzungen, dass die Gegenseitigkeit verbürgt ist und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.

Übersicht I.

Strafbarkeitsbedingungen und Verfahrensvo1 raussetzungen

III. 1.

II. 1. 2.

Strafbarkeitsbedingungen 2 Bestehen diplomatischer Beziehungen 4 Verbürgte Gegenseitigkeit

2.

5 Verfahrensvoraussetzungen Das Strafverlangen der ausländischen Regie6 rung 8 Ermächtigung der Bundesregierung

3

I. Strafbarkeitsbedingungen und Verfahrensvoraussetzungen Die bis 23. Juni 2020 geltende Vorschrift knüpfte eine Bestrafung nach den §§ 102–104 an vier 1 „Bedingungen“, von denen zwei als Bedingungen der Strafbarkeit und zwei als Prozessvoraussetzungen anzusehen sind.2 Die Unterscheidung ist vor allem bedeutsam für die Fassung des Urteilsspruchs, der bei Fehlen einer Strafbarkeitsbedingung auf Freispruch, beim Fehlen einer Prozessvoraussetzung auf Einstellung des Verfahrens zu lauten hat (§ 260 Abs. 1 und 3 StPO), und für die Zulässigkeit vorläufiger Maßnahmen, die wie die vorläufige Festnahme (§ 127 Abs. 3 StPO), der Erlass eines Haftbefehls (§ 130 StPO), die Anordnung einer Beschlagnahme oder Durchsuchung (vgl. RGSt 33 380, 381) beim Fehlen eines objektiven Strafbarkeitsmerkmals ausgeschlossen sind, bei einer fehlenden Prozessvoraussetzung jedoch möglich sein können.3

1 BGBl. I 1247. 2 Ebenso Wolter SK Rdn. 1–4; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2, 3; Fischer Rdn. 1–4; Lackner/Kühl Rdn. 1; differenzierend Kargl NK Rdn. 2–6 der die Verbürgung der Gegenseitigkeit im Tatzeitpunkt als objektive Bedingung der Strafbarkeit und im Zeitpunkt des Urteils als Prozessvoraussetzung einordnet. Die übrigen drei Bedingungen betrachtet er als Prozessvoraussetzungen; aA Kreß MK Rdn. 6-7, der sämtliche Bedingungen im Hinblick auf den Wortlaut, die Überschrift und die Normgenese als Prozessvoraussetzungen ansieht; vgl. zur Gegenseitigkeitsverbürgung als objektive Bedingung der Strafbarkeit Keßeböhmer/Schmitz wistra 1995 1, 4; grds. zur Abgrenzung der Strafbarkeitsbedingung von der Prozessvoraussetzung Roxin AT I, 4. Aufl. 2006, § 23 Rdn. 41 ff. 3 Zu weiteren Folgen vgl. Kargl NK Rdn. 2. 529 https://doi.org/10.1515/9783110490008-045

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§ 104a StGB

Voraussetzungen der Strafverfolgung

Zum Beispiel dann, wenn Strafverlangen/Ermächtigung noch nicht vorliegen, jedoch noch erteilt werden können, dürfen die strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, insb. vorläufige Festnahme (§ 127 StPO) und Erlass eines Haftbefehls (§ 130 StPO), durchgeführt werden.4 Sie sind wegen der Eingriffsschwere allerdings ausgeschlossen, wenn von vornherein feststeht, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden oder diese sehr unwahrscheinlich sind. Die seit 24.Juni 2020 geltende Fassung der Vorschrift verlangt nur noch, dass die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält und ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt.

II. Strafbarkeitsbedingungen 2 Strafbarkeitsbedingung (objektives Strafbarkeitsmerkmal) ist:

1. Bestehen diplomatischer Beziehungen 3 zum anderen Staat mindestens seit Begehung der Tat. Es ist immer zu bejahen, wenn beiderseits ständige Gesandtschaften (Missionen) errichtet sind, kann jedoch auch dann gegeben sein, wenn einer der Partner oder beide sich beständig durch die Mission eines dritten Staates vertreten lassen, so wie etwa das Gesandtschaftsrecht Liechtensteins von der Schweiz wahrgenommen wird. Anders verhält es sich natürlich in Fällen der Wahrnehmung der Interessen durch einen dritten Staat nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen.

2. Verbürgte Gegenseitigkeit 4 zur Zeit der Tat und der Strafverfolgung, d. h. das Bestehen einer im Wesentlichen gleichen Strafnorm im Recht des anderen Staates und die Gewähr ihrer Anwendung verlangte die bis 23. Juni 2020 geltendeFassung der Norm.5 Wie Wolter AK Rdn. 3 zu Recht betont, kommen als derartige gleiche Strafnormen nicht die allgemeinen Delikte etwa zum Schutz des Lebens, der Körperintegrität oder Ehre in Betracht, da ansonsten die Strafbarkeitsbedingung der Gegenseitigkeit weitgehend leer liefe. Vielmehr muss es sich um Vorschriften handeln, die – wie die §§ 102 ff. – als eigener Tatbestand oder zumindest im Wege einer Qualifikation jedenfalls auch den Schutz ausländischer Interessen bezwecken.6 Diese Strafbarkeitsbedingung ist seit Inkrafttreten der aktuellen Fassung am 24. Juni 2020 entfallen. Begründet wird dies damit, dass nach Ansicht des Gesetzgebers die guten und ungestörten Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu ausländischen Staaten auch dann betroffen sein können, wenn der ausländische Staat in seinem Recht keine vergleichbaren Strafnormen kennt.7

4 Vgl. Kargl NK Rdn. 6; Wolter AK Rdn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 130 Rdn. 1; § 127 Rdn. 21; Schultheis KK § 127 Rdn. 44; § 130 Rdn. 2. 5 RGSt 38 75, 89; s. dazu vor allem die rechtsvergleichende Darstellung von Simson, die sich auf S. 739 mit dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 (BGBl. II 1964, 959) befasst; Keßeböhmer/ Schmitz wistra 1995 1, 4, verlangen die Geltung des Legalitätsprinzips für die ausländische Norm; ebenso Kargl NK Rdn. 5; aA Kreß MK Rdn. 20 mit der Begründung, dass angesichts des Erfordernisses der Ermächtigung zur Strafverfolgung in § 104a auch die deutsche Strafverfolgung dem Legalitätsprinzip nicht uneingeschränkt verpflichtet sei. 6 Vgl. Kreß MK Rdn. 19; Kargl NK Rdn. 5. 7 BT-Drs 19/19201 S. 15. Weiß

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III. Verfahrensvoraussetzungen

StGB § 104a

III. Verfahrensvoraussetzungen Die nachfolgend dargestellten Verfahrensvoraussetzungen müssen vorliegen:

5

1. Das Strafverlangen der ausländischen Regierung Es muss sachlich konkretisiert sein, also eine bestimmte Tat im Sinne des § 264 StPO bezeich- 6 nen. Übermittelt wird es durch die Organe, die den betreffenden Staat allgemein nach außen hin oder speziell gegenüber der Bundesrepublik Deutschland vertreten. Es kann also ebenso durch den Außenminister oder den Botschafter des fremden Staates gegenüber dem Bundeskanzler oder dem Bundesminister des Auswärtigen erklärt werden. Diese zur Vertretung der Bundesrepublik nach außen bestellten Organe sind Adressaten und legitimierte Empfänger der Erklärung, nicht das deutsche Gericht oder die ihm zugeordnete Staatsanwaltschaft. Das deutsche Gericht hat auch nicht zu prüfen, ob die Erklärung des übermittelnden und hierzu nach Völker- und staatsrechtlichen Grundsätzen legitimierten Organs dem Auftrag der von ihm vertretenen Regierung entspricht.8 Widerspricht das Strafverlangen dagegen offensichtlich dem Willen der vertretenen Regierung, überschreitet also das vertretende Organ erkennbar seine Vertretungsmacht, so ist die daraus folgende Unwirksamkeit des Strafverlangens von den deutschen Strafverfolgungsorganen zu beachten.9 Das Strafverlangen ist kein Strafantrag. Doch sind gem. § 77e für das Strafverlangen die 7 §§ 77 und 77d entsprechend anwendbar. Das Strafverlangen kann daher zurückgenommen werden (§ 77d). Dagegen ist die Verweisung auf § 77 unergiebig, zumal sich aus ihr keine Anwendung des § 158 StPO ableiten lässt. Eine bestimmte Form des Strafverlangens ist also vom Gesetz nicht vorgeschrieben. Zwar wird es regelmäßig in einer Note, also schriftlich übermittelt werden. Doch erscheint dies nicht unerlässlich. Es müsste vielmehr auch möglich sein, dass der fremde Missionschef das Strafverlangen zum Gegenstand einer bloß mündlichen Demarche macht. In diesem Fall wäre der Vorgang durch das die Erklärung entgegennehmende Organ der Bundesrepublik urkundlich zu fixieren. Doch kann das Prinzip der Verbürgung der Gegenseitigkeit auch in solchen Formfragen eine Rolle spielen. Da § 77b nicht entsprechend gilt, ist das Strafverlangen nicht an eine Frist gebunden.

2. Ermächtigung der Bundesregierung Die Strafverfolgung bedarf nach der bis 23. Juni 2020 geltenden Fassung der Norm der Ermäch- 8 tigung „der Bundesregierung“. Nach herrschender Meinung10 ist der Begriff so auszulegen, dass grundsätzlich der Bundesminister des Auswärtigen als zuständiger Ressortminister über die Erteilung der Ermächtigung rechtlich bindend im Außenverhältnis zu entscheiden hat. Die Gegenmeinung ist, unter anderem unter Heranziehung des Wortlauts der Vorschrift, der Ansicht, rechtlich bindend könne die Ermächtigung nur durch die Bundesregierung als Kollegialorgan gemäß Art. 62 GG erteilt werden.11 Der nach wie vor h. M. ist der Vorzug zu geben: Aus dem Grundgesetz folgt, dass ein Bundesminister zwar an die Richtlinien des Bundeskanzlers gebunden, im Übrigen aber gemäß Art. 65 Satz 2 GG selbständig und nach außen für sein Ressort verantwortlich zeichnet. Eine kollegiale Beschlussfassung des (gesamten) Bundeskabinetts ist nach dem Grundgesetz demgemäß grundsätzlich nur in Fällen vorgesehen, in denen besonders 8 RG GA Bd. 55 334. 9 Sch/Schröder/Eser Rdn. 3; Wolter AK Rdn. 4; Kargl NK Rdn. 9. 10 Bauer/Gmel LK12 Rdn. 6; Schlichter GA 1966 353, 367, 368; Sch/Schröder/Eser Rdn. 3; Kargl NK Rdn. 8; Fischer Rdn. 5 sowie § 97 Rdn. 5; SSW/Lohse Rdn. 6. 11 Kreß MK Rdn. 25; Wolter SK Rdn. 8; Kaiser JR 2016 679. 531

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Voraussetzungen der Strafverfolgung

bedeutsame Entscheidungen in Frage stehen, die den Kernbestand der Funktionen der Bundesregierung als Kollegialorgan betreffen, z. B. die Vorlage von Gesetzentwürfen nach Art. 76 Abs. 1 GG.12 Die Frage, ob eine Ermächtigung erteilt werden soll, gehört nicht zu diesem Kernbestand, sodass der Begriff „Bundesregierung“ in § 104a nicht im Sinne der Gegenmeinung auszulegen ist. Dies wird auch durch den Vergleich mit weiteren Straftatbeständen bestätigt, die im Zusammenhang mit der erforderlichen Ermächtigung den Begriff „Bundesregierung“ verwenden, etwa § 353a Abs. 2 und § 97 Abs. 3. Die eher geringe (außen-) politische Bedeutung des Vertrauensbruchs im auswärtigen Dienst nach § 353a kann mit der in den §§ 102 und 104 geregelten Tatbeständen gleichgesetzt werden. Dasselbe gilt für § 97, der fahrlässiges bzw. leichtfertiges Verhalten unter Strafe stellt. Entsprechenden Straftaten kommt in der Regel äußerst geringe (außen-) politische Bedeutung zu. Nach überwiegender Ansicht ist dementsprechend auch in diesen Fällen der jeweilige Fachminister zuständig.13 Zudem hat der Gesetzgeber z. B. im Rahmen der Aufhebung des § 353c Abs. 4 a. F. und der Neufassung des § 353b ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit dem in § 353c Abs. 4 a. F. ebenfalls verwendeten Begriff „Bundesregierung“ der entsprechende Ressortminister gemeint ist. Dies entspreche „bisheriger Auslegung und Praxis“.14 Dem steht auch nicht entgegen, dass das BVerfG in mehreren Entscheidungen festgestellt hat, der Begriff „Bundesregierung“ sei im Sinne des Art. 62 GG auszulegen.15 Diese Entscheidungen sind nicht auf Gesetze übertragbar, die aus der Zeit vor der Klarstellung durch das BVerfG (1999) stammen.16 Äußert sich die Bundesregierung nicht von sich aus, hat die Staatsanwaltschaft die Ermächtigung von Amts wegen einzuholen.17 Eine Ermächtigung liegt auch dann vor, wenn die Bundesregierung die Erklärung abgibt, gegen die Ahndung einer konkreten Tat keinen Widerspruch einzulegen.18

12 Ausführlich dazu Schlichter GA 1966 366 f. m. w. N. Ebenso Maunz/Dürig/Herzog Art. 65 GG Rdn. 76, wonach das GG zahlreiche Bestimmungen, in denen bestimmte Aufgaben bzw. Befugnisse der Bundesregierung als solche zugewiesen werden, enthält. Die Summe dieser Bestimmungen stellt den verfassungsrechtlich gesicherten Kernbestand der Funktionen der Bundesregierung als Kollegialorgan dar. 13 Zu § 353a vgl. Voßen MK § 353a Rn. 24 m. w. N.; zu § 97 vgl. Lampe/Hegmann MK § 97 Rdn. 22 m. w. N. 14 BT-Drs 8/3067, S. 6 f. Vgl. auch Voßen MK § 353a Rn. 24 m. w. N. 15 Vgl. Kreß MK Rdn. 25. 16 Maunz/Dürig/Herzog Art. 62 GG Rdn. 17 (dort Fn. 1). 17 RGSt 33 66, 70. 18 Kargl NK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch § 77e Rdn. 2. Weiß

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VIERTER ABSCHNITT Straftaten gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen Vorbemerkungen zum Vierten Abschnitt Schrifttum Dreher Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1953 421; M. E. Mayer Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte, VDB I 257; Ramm Die Freiheit der Willensbildung – Ein Grundprinzip der Rechtsordnung, NJW 1962 465. Weiteres Schrifttum s. bei § 105 sowie vor §§ 107 bis 108e.

Entstehungsgeschichte Der vierte Abschnitt, dessen Wortlaut im Wesentlichen der Bekanntmachung der Neufassung des StGB vom 1.9.19691 entspricht, hatte im RStGB den mit der Überschrift „Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte“ versehenen fünften Abschnitt zum Vorläufer, der ursprünglich nur fünf Tatbestände umfasste und im Jahre 1923 durch den Tatbestand der Versammlungssprengung (§ 107a) erweitert wurde, zu dem es jetzt in dem elf Tatbestände umfassenden Abschnitt keine Entsprechung mehr gibt. Seine jetzige Fassung beruht auf dem 3. StrÄndG vom 4.8.1953.2 Spätere Änderungen hatten vorwiegend gesetzestechnischen Charakter. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen bei den einzelnen Vorschriften und die Vorbemerkungen zu den §§ 107 bis 108d verwiesen.

Übersicht I.

Rechtsgut

1

II.

Schutzbereich

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I. Rechtsgut Einheitliches Rechtsgut der in diesem Abschnitt zusammengefassten Tatbestände sind Freiheit und 1 Achtung der demokratischen Willensbildung und Willensäußerung.3 Dieses Rechtsgut wird in §§ 105–106b hinsichtlich der Willensbildung innerhalb der Verfassungsorgane als der Repräsentation des Volkes, in den übrigen Strafvorschriften hinsichtlich der grundlegenden Bildung des Volkswillens bei Wahlen und Abstimmungen der Bürger geschützt. Es hat damit eine der Repräsentativverfassung der Bundesrepublik Deutschland gemäße doppelte Ausstrahlung, die seine Einheitlichkeit nicht in Frage stellt. Der E 1962 wollte das durch Aufgliederung des Abschnitts in zwei Titel deutlich machen, von denen der erste Straftaten gegen Verfassungsorgane, der zweite Straftaten bei Wahlen und Abstimmungen umfassen sollte. Indessen ist zu bemerken, dass die §§ 107 ff. auch den Schutz solcher Wahlen und Abstimmungen einschließen, die in den vorausgehenden Vorschriften nicht geschützte Repräsentativorgane betreffen. Vgl. im Einzelnen bei § 108d.

II. Schutzbereich Geschützt sind nur inländische Einrichtungen und Staatsorgane von Bund und Ländern, nur 2 „deutsche Belange“,4 die Wahlen zum europäischen Parlament also nur in ihrem deutschen Teilausschnitt.

1 2 3 4

BGBl. I 1445. BGBl. I 735. Vgl. Ramm NJW 1962 465, 466 f.; OLG Düsseldorf NJW 1978 2562, 2563. BGHSt 8 349, 355; BGHSt 39 54, 65; Sinn SK vor § 105 Rdn. 3.

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§ 105 Nötigung von Verfassungsorganen (1) Wer 1. ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes oder einen seiner Ausschüsse, 2. die Bundesversammlung oder einen ihrer Ausschüsse oder 3. die Regierung oder das Verfassungsgericht des Bundes oder eines Landes rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt nötigt, ihre Befugnisse nicht oder in einem bestimmten Sinne auszuüben, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Schrifttum Angerer/Stumpf Nochmals: Auswirkungen der neuen Sitzblockade – Entscheidung des BVerfG, NJW 1996 2216; Altvater Anm. zu BVerfGE 92,1, NStZ 1995 278; Amelung Sitzblockaden, Gewalt und Kraftentfaltung, NJW 1995 2584; ders. Zur Strafbarkeit einer Straßenblockade als Nötigung, NStZ 1996 230; Arnold Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240, JuS 1997 289; Arzt Anmerkung zu BGHSt 32 165, JZ 1984 428; Bergmann Zur strafrechtlichen Beurteilung von Straßenblockaden als Nötigung (§ 240 StGB) unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung, Jura 1985 457; Bertuleit Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsrechtsakzessorischer Nötigung (1994); Bitzilekis Über die strafrechtliche Bedeutung des Widerstandsrechts, in: Bemmann/Manoledakis (Hrsg.) Der strafrechtliche Schutz des Staates (1986) S. 55; Bohnert Gibt es eine Drittbeziehung bei der strafrechtlichen Nötigung? JR 1982 397; Brendle Lärm als körperliche Einwirkung – Gewaltbegriff und Einheit der Rechtsordnung, NJW 1983 727; Brink Demonstrationsfreiheit und Nötigungstatbestand, KJ 1983 421; Brink/Keller Politische Freiheit und strafrechtlicher Gewaltbegriff, KJ 1983 107; Brohm Demonstrationsfreiheit und Sitzblockaden, JZ 1985 501; Brüggemeier Maßnahmen zivilen Ungehorsams in haftungsrechtlicher Perspektive, KJ 1984 48; Callies Der Begriff der Gewalt im Systemzusammenhang der Straftatbestände (1974); Dearing Sitzblockade und Gewaltbegriff – ein Vergleich der deutschen und österreichischen Judikatur zur Nötigung, StV 1986 125; Dingeldey Anmerkung zu BGH NStZ 1982 158, NStZ 1982 160; Doehring Das Widerstandsrecht des Grundgesetzes und das überpositive Recht, Der Staat 1969 429; Fischer Anm. zu BGHSt 45 253, NStZ 2000 142; Frankenberg Ziviler Ungehorsam und rechtsstaatliche Demokratie, JZ 1984 266; Geilen Der Tatbestand der Parlamentsnötigung (1957); Giehring Verkehrsblockierende Demonstrationen und Strafrecht, in: von Lüderssen/Sack (Hrsg.) Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, 2. Teilbd. (1980) S. 513; Graßhof Auswirkungen der neuen Sitzblockadenentscheidung des BVerfG, NJW 1995 3085; Graul Nötigung durch Sitzblockade, JR 1994 51; dies. Anm. zu BGHSt 45 253, JR 2001 117; Grube Aus der Rechtsprechung des BGH in Staatsschutzsachen NStZ-RR 2013 233; Hassemer Ziviler Ungehorsam – ein Rechtfertigungsgrund, Festschrift Wassermann (1985) 325; Herzberg Die nötigende Gewalt (§ 240), GA 97 251; ders. Die Sitzblockade als Drohung mit einem empfindlichen Übel, GA 98 21; ders. Das Ankündigen einer erlaubten Übelszufügung: Nötigung, GA 2014, 545; Hoffmanns Die „Lufthansa-Blockade“ 2001 – eine (strafbare) Online-Demonstration?, ZIS 2012, 409; Hoyer Das Ankündigen einer erlaubten Übelszufügung: Nötigung?, GA 2014, 545; Hruschka Die Nötigung im System des Strafrechts, JZ 1995 737; Karpen „Ziviler Ungehorsam“ im demokratischen Rechtsstaat, JZ 1984 249; Keller Strafrechtlicher Gewaltbegriff und Staatsgewalt (1982); Knödel Der Begriff der Gewalt im Strafrecht (1962); Koffka Der Begriff der Gewalt im Strafrecht (Bespr. von Knödel), JR 1964 39; Köhler Vorlesungsstörung als Gewaltnötigung? NJW 1983 10 und 1595; Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte (1982); Krauß Die Beurteilung „passiver Resistenz“ – restriktive oder extensive Auslegung der Gewaltnötigung? NJW 1984 905; Krey Probleme der Nötigung mit Gewalt – dargelegt am Beispiel des Fluglotsenstreiks, JuS 1974 418; ders. Anm. zu BGH NStZ 1995 541; ders. Kritische Anmerkungen anlässlich des SitzblockadenBeschlusses des 1. Senats vom 10. Januar 1995, JR 1995 265; Kühl Sitzblockaden vor dem Bundesverfassungsgericht, StV 1987 122; ders. Verwerflichkeit und Rechtfertigung bei der Nötigung, JZ 2013, 449; Laker Ziviler Ungehorsam (1982); Leb Zur Strafbarkeit von Blockaden in der jüngsten Rechtsprechung, KJ 1984 202; Küpper/Bode Neuere Entwicklung zur Nötigung durch Sitzblockaden, Jura 1993 187; Lindenstruth Die Nötigung von Verfassungsorganen (§ 105 StGB) und die Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans (§ 106 StGB) (1988); Magnus Der Gewaltbegriff der Nötigung (§ 240 StGB) im Lichte der neuesten BVerfG-Rechtsprechung, NStZ 2012, 538; dies. Wechselwirkungen von Strafrecht und Verfassungsrecht am Beispiel der Nötigung, in: Brunhöber u. a. (Hrsg.), Strafrecht und Verfassungsrecht, 2. Symposium Junger, Strafrechtlerinnen und Strafrechtler, 2012, 139; Martin Zur strafrechtlichen Beurteilung „passiver Gewalt“ bei Demonstrationen, Festschrift BGH 25 (1975) 211; MarWeiß https://doi.org/10.1515/9783110490008-047

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Übersicht

StGB § 105

xen Demonstrationsfreiheit und strafrechtlicher Gewaltbegriff, KJ 1984 54; Müller-Dietz Zur Entwicklung des strafrechtlichen Gewaltbegriffs, GA 1974 33; ders. Was ist Gewalt im strafrechtlichen Sinn? Was ist gewaltfrei? in: Böhme (Hrsg.) Ziviler Ungehorsam? (1984) S. 16; Neuberger Das Recht und die Grenzen der studentischen Demonstrationen, GA 1969 1; Niese Streik und Strafrecht (1954); Ostendorf Kriminalisierung des Streikrechts (1987); Paeffgen Unzeitgemäße (?) Überlegungen zum Gewalt- und Nötigungsbegriff, Festschrift Grünwald S. 433; Preuß Nötigung durch Demonstrationen? Festschrift Schmid (1985) 419; Prittwitz Sitzblockaden – ziviler Ungehorsam oder strafbare Nötigung?, JA 1987 17; Radtke Überlegungen zum Verhältnis von „zivilem Ungehorsam“ zur „Gewissenstat“, GA 2000 19; Roxin Strafrechtliche Bemerkungen zum zivilen Ungehorsam, Festschrift Schüler-Springorum (1993) 441; Sax Parlamentsnötigung durch Streik? NJW 1953 368; Sinn Die Nötigungsstrafbarkeit von Protesthandlungen, in: Löhnig/Preisner/Schlemmer, Ordnung und Protest 2015 115; Eb.Schmid Anmerkung zu BayObLG JZ 1969 207, JZ 1969 395; Scholz Nötigung von Verfassungsorganen durch Streik? Jura 1987 190; Scholz R. Sitzblockade und Verfassung – zur neuen Entscheidung des BVerfG, NStZ 1995 417; Schroeder Schreien als Gewalt und Schuldspruchberichtigung durch Beschluss – BGH NJW 1982 189, JuS 1982 491; ders. Widerstand gegen Willensmittler als Nötigung? NJW 1985 2392; ders. Sitzblockade keine Gewalt, Jus 1995 875; ders. Die Grundstruktur der Nötigung und die Möglichkeiten zur Beseitigung ihrer durch das BVerfG geschaffenen Lücken, NJW 1996 2627; Schüler-Springorum Strafrechtliche Aspekte zivilen Ungehorsams, in: Glotz (Hrsg.) Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat (1983) S. 76; Sinn Die Nötigung im System des heutigen Strafrechts (2000); ders. Gewaltbegriff – quo vadis? NJW 2002 1024 f.; Stöcker Anmerkung zu BayObLG JZ 1969 207, JZ 1969 396; Tiedemann Bemerkungen zur Rechtsprechung in den sog. Demonstrationsprozessen, JZ 1969 717; Wallau Der Mensch in §§ 240, 241, 253 StGB und die Verletzung der Rechte juristischer Personen, JR 2000 312; Wassermann Zur Rechtsordnung des politischen Kampfes in der verfassungsstaatlichen Demokratie, JZ 1984 263; Weingärtner Demonstration und Strafrecht (1986); Willms Anmerkung zu BGHSt 32 165, JR 1984 120; Wolter Gewaltanwendung und Gewalttätigkeit, NStZ 1985 193 und 245; ders. Verfassungskonforme Restriktion und Reform des Nötigungstatbestandes, NStZ 1986 241.

Materialien SonderAProt. V/712, 741, 755, 1725, 1934; SonderABer. BTDrucks. V/2860 S. 25.

Entstehungsgeschichte Die ursprüngliche Fassung des als Parlamentssprengung oder als Parlamentsnötigung bezeichneten § 105 StGB schloss sich eng an § 82 PrStGB an. Sie betraf das Unternehmen, gesetzgebende Körperschaften auseinander zu sprengen, zum Fassen oder Unterlassen von Beschlüssen zu nötigen und einzelne Mitglieder aus ihnen gewaltsam zu entfernen. Das 3. StrÄndG1 beschränkte sich darauf, die Adressaten der Nötigung den Bezeichnungen des Grundgesetzes anzupassen. Erst das 8. StrÄndG vom 25. Juni 19682 brachte im Anschluss an § 395 E 1962 auf eine Initiative des Sonderausschusses die vollständige Neufassung der Vorschrift, die nun die Bundesversammlung sowie Regierungen und Verfassungsgerichte von Bund und Ländern in den Strafschutz einbezog und dementsprechend die Überschrift „Nötigung von Verfassungsorganen“ erhielt. Auch die bis dahin im Gesetzestext nicht angesprochenen Parlamentsausschüsse wurden jetzt ausdrücklich erwähnt. Die Umschreibung der Tathandlung wurde zusammengefasst, die Vorschrift durch die Herausnahme des nunmehr vollständig von § 106 erfassten Angriffs auf Einzelmitglieder der angesprochenen Körperschaften als Kollektivschutznorm systematisiert, das Nötigungsmittel – Gewalt oder Drohung mit Gewalt – genauer bezeichnet, mit der Einfügung des Erfordernisses der Rechtswidrigkeit eine dem § 240 Abs. 2 entsprechende adäquate Begrenzung der Strafbarkeit angestrebt, die Strafdrohung unter Wahrung des Verbrechenscharakters ermäßigt. Eine weitere vom Vorschlag des E 1962 abweichende Änderung bestand darin, den Unternehmenstatbestand durch einen Tätigkeitstatbestand zu ersetzen.

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

1

II. 1. 2.

Tatobjekt 2 Die Gesetzgebungsorgane 4 Bundesversammlung

3

3.

Regierungen, Verfassungsgerichte

III. 1.

Tathandlung Nötigungsziel

5

6 7

1 Vgl. Vor § 102 vor Rdn. 1. 2 BGBl. I 741. 535

Weiß

§ 105 StGB

Nötigung von Verfassungsorganen

a) b)

3.

Befugnisse 8 Rechtmäßigkeit der erzwungenen Entschei9 dung c) Verfassungswidrigkeit der verhinderten 10 Entscheidung d) Geschäftsordnungsgemäße Befas11 sung 12 Nötigungsmittel 13 a) Gewalt b) Drohung mit Gewalt 14 15 c) Abgrenzung der Nötigungsmittel d) Normative Tatbestandseinschränkung 16 aa) Direkte Nötigung eines Verfassungsor17 gans bb) Indirekte Nötigung eines Verfassungs18 organs 21 cc) Kollektivangriffe 22 Nötigungswirkung

IV.

Die Rechtswidrigkeit

2.

1. 2.

Keine entsprechende Anwendung des § 240 24 Abs. 2 26 Besondere Rechtfertigungsgründe 27 a) Bundeszwang 28 b) Widerstandsrecht 29 c) Das Streikrecht. 30 d) Demonstrationsrecht 31 e) „Recht auf zivilen Ungehorsam“ 32 f) Art. 26 GG.

V.

Vorsatz und Irrtum

VI.

Versuch

34

VII. Konkurrenzen VIII. Zuständigkeiten IX.

33

37 41

Recht des Einigungsvertrags

42

23

I. Zweck der Vorschrift 1 Zweck der Vorschrift ist der Schutz der Funktionsfähigkeit (im Sinne der Möglichkeit der Ausübung der verfassungsmäßigen Befugnisse) und der Funktionsfreiheit (im Sinne der Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung bei der Befugnisausübung) der höchsten körperschaftlich gebildeten Verfassungsorgane als Kollektive vor nötigender Gewalteinwirkung. Die Nötigung von Einzelmitgliedern oder von Einzelorganen (Bundespräsident) wird von § 106 erfasst. Kennzeichnend für den Tatbestand ist seine bei den Beratungen im Sonderausschuss immer wieder anklingende Verwandtschaft zum Verfassungshochverrat. Geht es dort um die dauernde oder vorübergehende Ausschaltung der für die staatliche Willensbildung maßgeblichen demokratischen Institutionen, so geht es hier um das Beugen des Willens der geschützten Verfassungsorgane im Einzelfall.3

II. Tatobjekt 2 Tatobjekt sind folgende Verfassungsorgane, die erschöpfend aufgezählt sind:

1. Die Gesetzgebungsorgane 3 (Parlamente) des Bundes und der Länder, also Bundestag, Bundesrat (vgl. Art. 50, 77 Abs. 2, 79 Abs. 2 GG), die Landtage, die Bürgerschaften der Stadtstaaten, das Abgeordnetenhaus von Berlin, vor seiner Abschaffung in Bayern auch der Senat, ferner die geschäftsordnungsmäßig eingesetzten Ausschüsse dieser Organe (vgl. Art. 43 ff. GG). Nicht durch § 105, sondern nur durch die allgemeinen Vorschriften (§ 240) geschützt werden andere rechtsetzende Körperschaften wie Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts (Kreistage, Bezirkstage, Gemeindekörperschaf-

3 BGHSt 32 165, 170; Ruhrmann NJW 1957 281, 282. Weiß

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III. Tathandlung

StGB § 105

ten, Landschaftsverbandsversammlungen) und kirchliche Körperschaften; ferner gehören nicht zu den Gesetzgebungsorganen die Fraktionen der Parteien.

2. Bundesversammlung Die Bundesversammlung und ihre Ausschüsse (Art. 54 GG; Ges. v. 25.4.1959 – BGBl. I 230).

4

3. Regierungen, Verfassungsgerichte Die Regierungen des Bundes (Art. 62 GG) und der Länder (im technischen Sinne der obersten 5 Landesbehörden, also einschließlich der Senate der Stadtstaaten (aber ausschließlich der „Regierungen“ im Sinne von Landesmittelbehörden) sowie die Verfassungsgerichte des Bundes (Art. 92 ff. GG) und der Länder, wobei sich der Schutz des § 105 der Natur der Sache entsprechend beim Bundesverfassungsgericht auf seine beiden Senate, nicht auf das Gericht als Gesamtheit bezieht. Andere Gerichte genießen nicht den Schutz des § 105.

III. Tathandlung Tathandlung ist das Nötigen des Verfassungsorgans hinsichtlich der Ausübung seiner Befug- 6 nisse.

1. Nötigungsziel ist, dass das Verfassungsorgan eine ihm gesetzlich obliegende Befugnis entweder gar nicht oder 7 in einem bestimmten Sinn ausübt. Erfasst werden sowohl äußere Eingriffe im Sinne einer Behinderung des Zusammentretens, eines Verhinderns der Beschlussfassung oder eines „Auseinandersprengens“, also eine (zeitweise) Lahmlegung des Organs, als auch die Beeinflussung des Verhaltens bei Abstimmungen in konkreten Einzelfällen.

a) Befugnisse. Allerdings muss es sich jeweils um Angelegenheiten handeln, die in die Zustän- 8 digkeit des betreffenden Verfassungsorgans fallen, für die es also eine „Befugnis“ besitzt.4 Gemeint sind hiermit alle Kompetenzen, die die Verfassung dem jeweiligen Organ verleiht. Für die Parlamente kommt insbesondere das Gesetzgebungsrecht, daneben aber auch die Zuständigkeit in Einzelfragen, wie etwa die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Art. 44 GG) oder die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten (Art. 46 GG) in Betracht. In den von § 105 geschützten Handlungsbereich der Regierungen fällt auch deren Befugnis, als oberste Verwaltungsbehörden – sei es auch nur im Wege der Rechts- oder Fachaufsicht – einzelne Verwaltungsfragen zu entscheiden.5 Die Nötigung des Verfassungsorgans zu Beschlüssen, für die es nicht zuständig ist, lässt sich dagegen nur über § 240 erfassen.6

4 Vgl. BGHSt 32 165, 177; Lackner/Kühl Rdn. 4; Sch/Schröder/Eser Rdn. 9; Fischer Rdn. 3; Wohlers NK Rdn. 6; Müller MK Rdn. 12 lässt die „formale Befugnis“ – unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit – genügen.

5 S. etwa BGHSt 32 165: Flughafenausbau. 6 Vgl. RGJW 1924 816, wo das gleiche im Anschluss an RGSt 18 350, 351 für den Begriff der Amtshandlung des früheren § 114 gesagt ist; offen gelassen in BGHSt 32 165, 177. 537

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§ 105 StGB

Nötigung von Verfassungsorganen

9 b) Rechtmäßigkeit der erzwungenen Entscheidung. Ohne Bedeutung für die Erfüllung des objektiven Tatbestandes des § 105 ist es, ob die abgenötigte Entscheidung ihrem Inhalt nach rechtmäßig ist oder nicht. Selbst rechtlich gebotene Entscheidungen dürfen nicht gewaltsam erzwungen werden.7

10 c) Verfassungswidrigkeit der verhinderten Entscheidung. Der objektive Tatbestand des § 105 ist selbst dann erfüllt, wenn ein Verfassungsorgan dazu genötigt wird, einen verfassungswidrigen Beschluss zu unterlassen. Dies folgt schon daraus, dass allein das Bundesverfassungsgericht die Kompetenz besitzt zu entscheiden, ob eine legislative oder administrative Maßnahme der Verfassung widerspricht. Diese Zuständigkeitsordnung kann nicht dadurch überspielt werden, dass es der einzelne Bürger in die Hand nimmt, (vermeintlich) verfassungswidrige Beschlüsse zu verhindern.8 Dies gilt auch, wenn das Bundesverfassungsgericht selbst genötigt werden soll, (vermeintlich) verfassungswidriges Handeln zu unterlassen; denn da das Bundesverfassungsgericht als höchster Hüter der Verfassung zu deren verbindlicher Interpretation berufen ist, ist der einzelne nicht befugt, demgegenüber sein Verfassungsverständnis mit den Nötigungsmitteln des § 105 durchzusetzen.9

11 d) Geschäftsordnungsgemäße Befassung. Nicht erforderlich ist, dass das Verfassungsorgan mit der Angelegenheit bereits befasst ist.10 Vielmehr ist die Norm weit auszulegen. Danach ist es ausreichend, dass das Organ gezwungen werden soll, zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammenzutreten oder eine bestimmte Angelegenheit auf die Tagesordnung zu setzen. Nur so kann ein ausreichender Schutz der selbständigen Willensbildung erreicht werden.11

2. Nötigungsmittel 12 sind wie in § 81 Gewalt und Drohung mit Gewalt; sie sind einerseits gegenüber §§ 106, 240 eingeschränkt, da nicht jede Drohung mit einem empfindlichen Übel erfasst wird, andererseits gegenüber den §§ 124, 125 und 125a erweitert, da nicht nur Gewalttätigkeiten einbezogen werden; erfasst ist jede Art von Gewalt. Der Gewaltbegriff des § 105 ist dem des § 81 weitgehend angeglichen.12

13 a) Gewalt. Zum Begriff der Gewalt s. im Einzelnen die Erläuterungen zu § 240. Nach der – mit dem GG zu vereinbarenden (BVerfGE 73 206, 242 ff.; BVerfGE 92 1, BVerfGE 104 92) – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt Gewalt dann vor, wenn der Täter durch eine – sei es auch nur geringe – körperliche Kraftentfaltung13 eine körperlich wirksame Zwangswirkung auf das Opfer ausübt.14 Dabei sind auch die Fallgestaltungen einzubeziehen, in denen ein psychisch

7 Vgl. hierzu ebenfalls RGJW 1924 816 sowie RGSt 54 152, 163; h. M.: Müller MK Rdn. 12; Sinn SK Rdn. 13; Fischer Rdn. 3; Kargl NK Rdn. 6.

8 Sinn SK Rdn. 13; aA insoweit Sch/Schröder/Eser Rdn. 10. 9 Zweifelnd Wolter AK Rdn. 48; wie hier Müller MK Rdn. 23. 10 Geilen S. 134 ff.; Müller MK Rdn. 12; Sch/Schröder/Eser Rdn. 8; Wolf S. 223; Wolter AK Rdn. 49. 11 Müller MK Rdn. 12.. 12 Vgl. BGHSt 32 165, 174. 13 BGHSt 1 145, 147; 5 245, 246; 19 263, 265; 23 46, 54; 37 350, 353; 41 182,185; BGH NStZ 1982 158, 159. 14 BGHSt 23 126, 127; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 3, 4, 7, 9, 14; BGH MDR 1981 857, 858; BGH NStZ 1982 158, 159; BGH NStZ 1995 230; OLG Schleswig NStZ-RR 2018 157 (Fall Puigdemont); vgl. a. Sinn SK Rdn. 6; Kargl NK Rdn. 4; Wolter AK Rdn. 10. Weiß

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III. Tathandlung

StGB § 105

wirkender Druck eine solche Intensität erreicht, dass er vom Opfer als körperlich wirksamer Zwang empfunden wird, etwa die Abgabe von Schreck- oder Warnschüssen15 oder die Bedrohung mit einer Schusswaffe.16 Will der Täter das Verfassungsorgan dadurch nötigen, dass er Gewalt nicht unmittelbar gegenüber dem Verfassungsorgan, sondern gegenüber Dritten und Sachen ausübt, so ist sie tatbestandsmäßig nur dann, wenn der hiervon auf das Verfassungsorgan ausgehende Druck unter Berücksichtigung sämtlicher die Nötigungslage kennzeichnender Umstände geeignet erscheint, den dem Täterverlangen entgegenstehenden Willen des Verfassungsorgans zu beugen.17 Wirkt der Zwang allein auf die Psyche des Opfers ein, ist keine Gewalt gegeben.18 Dies hat das BVerfG in seiner „Sitzblockadenentscheidung“ vom 10. Januar 199519 klargestellt. Danach verstößt die erweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs20 im Zusammenhang mit Sitzblockaden gegen Art. 103 Abs. 2 GG, soweit die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist.21 Da die Ausübung von Zwang bereits im Begriff der Nötigung enthalten sei und die Benennung bestimmter Nötigungsmittel in § 240 Abs. 1 die Funktion habe, innerhalb der Gesamtheit denkbarer Nötigungen die strafwürdigen einzugrenzen, könne die Gewalt nicht mit dem Zwang zusammenfallen, sondern müsse über diesen hinausgehen.22 In der körperlichen Einwirkung auf den zu Nötigenden sieht die h. M. das die Gewalt kennzeichnende Kriterium. Bei der Frage, wie der Körperbezug beschaffen sein muss, gehen die Meinungen allerdings auseinander.23 Nach der Rechtsprechung genügt auch geringer körperlicher Aufwand – dazu gehören das Sich-Hinsetzen oder Sich-auf-die-Fahrbahn-Begeben bei einer Straßenblockade mit der Folge eines Verkehrsstaus – den Anforderungen an den Gewaltbegriff, wenn seine Auswirkungen den Bereich des rein Psychischen verlassen und (auch) physisch wirkend sich als körperlicher Zwang darstellen.24

b) Drohung mit Gewalt. ist in § 105 als das weitere Nötigungsmittel angefügt und stellt eine 14 Steigerung gegenüber der Drohung mit einem empfindlichen Übel in §§ 106, 240 dar. Drohung bedeutet hier wie auch sonst die als ernstlich hingestellte Ankündigung eines angeblich vom Willen des Ankündigenden abhängigen und von diesem für den Betroffenen als fühlbar angesehenen Übels.25 § 105 setzt die Androhung eines qualifizierten Übels, nämlich der künftigen Anwendung von Gewalt im Volumen der vom Tatbestand vorausgesetzten Zwangswirkung voraus. Der Unterschied zur Gewaltanwendung liegt darin, dass diese bereits ein Übel für das Opfer verwirklicht, während die Drohung erst ein solches Übel in Aussicht stellt. Drohung mit Gewalt zielt immer und ausschließlich auf eine rein seelische Einwirkung ab.26

c) Abgrenzung der Nötigungsmittel. Gewaltanwendung und Drohung mit Gewalt schließen 15 sich nicht gegenseitig aus, sondern können je nach Sachlage zusammentreffen, wenn der schon 15 16 17 18

BGH GA 1962 145. BGHSt 23 126, 127; 39 133, 136. Kargl SK Rdn. 4; vgl. auch OLG Schleswig NStZ-RR 2018 157 (Fall Puigdemont). BVerfGE 92 1 16 ff. = NStZ 1995 275, 276 m. Anm. Altvater NStZ 1995 278, 281; BGHSt 23 126, 127; BGH NStZ 1982

159.

19 20 21 22 23 24

BVerfGE 92 1. Vgl. BGHSt 23 46 – Laepple-Fall, Straßenbahnblockade. BVerfGE 92 1 18 f.; vgl. a. BVerfGE 104 92, 101 f. BVerfGE 92 1 17. Vgl. Träger/Altvater LK11 § 240 Rdn. 41 m. w. N.; Altvater NStZ 1995 278, 281. BGHSt 41 182, 185 ff.; – offen gelassen BVerfGE 104 92; vgl. a. BGHSt 44 34, 39 ff. (Anbringen eines Hindernisses auf Schienenweg); BGH NStZ-RR 2002 236; zur Kasuistik: Fischer § 240 Rdn. 23 ff. 25 Vgl. z. B. BGHSt 7 197, 198 und 252, 253; 16 316, 318. 26 Vgl. z. B. RGSt 64 113, 116; auch BGHSt 19 263, 266. 539

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§ 105 StGB

Nötigung von Verfassungsorganen

begangene Gewaltakt mit der Androhung weiterer gleichartiger oder anderweitiger Gewaltakte verbunden ist oder bei einer Dauereinwirkung aufrechterhalten werden soll. Es ist auch denkbar, dass ein bestimmter Gewaltakt wie etwa die Tötung eines Menschen nur im Stadium der Drohung die vom Tatbestand vorausgesetzte Zwangswirkung entfalten kann, im Augenblick seiner Verwirklichung jedoch diese Zwangswirkung einbüßt, sofern er nicht zum Fundus einer fortbestehenden Drohung mit weiteren Gewaltakten wird. Überhaupt kommt der Tatmodalität einer Drohung mit Gewalt im Falle des § 105, wo es ums Beugen geht, größere praktische Bedeutung zu als bei § 81, wo die Macht der Verfassungsorgane gebrochen werden soll und damit die Tatmodalität der (angewandten) Gewalt in den Vordergrund tritt.

16 d) Normative Tatbestandseinschränkung. Nicht jede Nötigungshandlung, die die dargestellten Voraussetzungen der Gewalt oder der Drohung mit Gewalt erfüllt, ist jedoch ohne Weiteres tatbestandsmäßig im Sinne des § 105. Vielmehr ist, ähnlich wie bei § 240,27 §§ 249, 25328 und § 177,29 der Kreis der dem § 105 unterfallenden Nötigungsmittel normativ einzuschränken, und zwar nicht nur im Hinblick auf das Prinzip der Selbstverantwortung des Opfers für den Schutz seiner Rechtsgüter,30 sondern auch wegen der verfassungsrechtlich31 gebotenen Zurückhaltung des Strafrechts im Bereich politischer Auseinandersetzungen. Danach werden von § 105 nur solche Gewaltanwendungen oder -androhungen gegen Dritte oder Sachen erfasst, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, den Willen des betroffenen Verfassungsorgans zu beugen.32 Es ist daher ohne Bedeutung, ob das Verfassungsorgan im konkreten Fall dem Druck nachgibt, etwa weil es ihm keinen angemessenen Widerstand entgegensetzt oder den gebotenen Widerstand aufgibt. Entscheidend ist vielmehr, ob von dem Verfassungsorgan in der konkreten Lage erwartet werden kann und muss, dass es – insbesondere aufgrund seiner besonderen Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit – auch im Rahmen heftiger Auseinandersetzungen dem Druck standhält.33 Gewalt oder Drohung mit Gewalt im Sinne des § 105 liegt danach nur dann vor, wenn die erzeugte Zwangswirkung eine derartige Intensität erreicht, dass sich das verantwortungsbewusste Verfassungsorgan zur Kapitulation vor der Forderung des Täters gezwungen sehen kann, um schwerwiegende Schäden von seinen Mitgliedern, dem Gemeinwesen oder einzelnen Bürgern abzuwenden.34 Dabei ist bezüglich der erforderlichen Intensität des ausgeübten Druckes zwischen den verschiedenen Verfassungsorganen und der Art der angewendeten Nötigungsmittel zu differenzieren.35

17 aa) Direkte Nötigung eines Verfassungsorgans. In den Fällen, in denen das Verfassungsorgan selbst von der Gewaltanwendung oder der Drohung mit Gewalt betroffen ist, werden nur gravierende Einschränkungen der Funktionsfähigkeit des Organs bzw. seiner Willensbildung von § 105 umfasst. In Betracht kommt etwa das Schaffen oder Androhen unmittelbarer und nicht umgehbarer Leibes- oder Lebensgefahren für die Mitglieder des Organs in ihrer Gesamtheit. Auch wenn das Verfassungsorgan in seiner Gesamtheit ohne Fluchtmöglichkeit eingesperrt und

27 BGHSt 31 195, 20. 28 BGHSt 7 252, 254; 16 341; 18 75; 18 329. 29 BGH bei Dallinger MDR 1975 196 und 367; BGH NJW 1981 2204; BGH NStZ 1995 230; BGHSt 42 378; vgl. allg. zum Begriff des Nötigens BGHSt 45 253, 258 mit Anm. Fischer NStZ 2000 142 ff. 30 Vgl. Arzt JZ 1984 428, 429. 31 Vgl. BVerfG NStZ 1990 487, 488. 32 BGHSt 32 165, 174 m. Anm. Willms JR 1984 120 und Arzt JZ 1984 428; weitergehend Sch/Schröder/Eser Rdn. 6, Kargl NK Rdn. 3 sieht diese Beschränkung als problematisch an. 33 Vgl. auch BGH NStZ 1992 278. 34 BGHSt 32 165, 174 f. 35 Vgl. Willms JR 1984 120, 121. Weiß

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III. Tathandlung

StGB § 105

dadurch an der Ausübung seiner Befugnisse gehindert wird, liegt § 105 vor. Dagegen scheiden sonstige, die Arbeit des Verfassungsorgans nur vorübergehend oder unwesentlich beeinträchtigende Einwirkungen, die ohne größere Schwierigkeiten beseitigt oder umgangen werden können, aus dem Tatbestand des § 105 aus. Dies gilt etwa für die Sperrung des Zugangs zum Sitz des Verfassungsorgans durch Sitzblockaden,36 die Störung von Parlamentssitzungen bzw. Verhandlungen des Bundesverfassungsgerichts durch Lärm37 oder unspezifizierte Bombendrohungen, die die zeitweilige Räumung eines Plenar- oder Sitzungssaales erforderlich machen (anders dagegen, wenn ein Sprengstoffanschlag auf das Verfassungsorgan als Ganzes für den Fall angedroht wird, dass dieses eine bestimmte Entscheidung trifft). Gegebenenfalls kann hier bezüglich der einzelnen Organmitglieder § 106 vorliegen.

bb) Indirekte Nötigung eines Verfassungsorgans. Die normative Einschränkung des Tatbe- 18 standes ist vor allem dann bedeutsam, wenn der Täter auf ein Verfassungsorgan Druck dadurch erzeugt, dass er Gewalt gegen Dritte ausübt oder androht.38 Auf den Dritten rein psychisch vermittelter Druck, auch wenn er für diesen körperliche Zwangswirkung entfaltet, kann den Tatbestand des § 105 nur bei besonderen Voraussetzungen erfüllen. Dies gilt z. B. bei Androhung oder Durchführung der Blockade von Zu- und Abfahrten eines Flughafens, um eine Landesregierung zu einer bestimmten Entscheidung zu zwingen, jedenfalls dann, wenn Wiederholung des Drucks angedroht wird, bis die Regierung nachgibt.39 Zwar treten bei der in diesem Rahmen gebotenen Bewertung, ob einem Dritten angetane 19 oder angedrohte Gewalt auf das Verfassungsorgan eine im Blick auf § 105 relevante Zwangswirkung ausübt, eventuelle persönliche Beziehungen eines oder mehrerer Mitglieder des genötigten Organs zu dem Dritten in den Hintergrund. Völlig unbeachtlich sind sie jedoch nicht. Es ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei welcher die Nähe der verwandtschaftlichen oder sonstigen Beziehung des Dritten zu dem Mitglied des Verfassungsorgans, der Grad der dem Dritten drohenden Gefahr und die personelle Größe des Verfassungsorgans in Beziehung zu setzen sind. So wird beispielsweise ein Senat des Bundesverfassungsgerichts, bei welchem eine engere persönliche Beziehung seiner wenigen Mitglieder untereinander anzunehmen ist, eher durch eine – auch nicht allzu schwerwiegende – Bedrohung eines Verwandten eines seiner Mitglieder in seinen Entscheidungen beeinflussbar sein als etwa der Bundestag mit seiner Vielzahl von Abgeordneten. Dagegen erfüllt die Androhung schwerwiegender Gewalttätigkeiten gegen Dritte, etwa Folterungen oder die Drohung mit deren Tötung, regelmäßig auch dann den Tatbestand des § 105, wenn der Dritte keinem der Mitglieder des genötigten Organs nahe steht. Dies gilt etwa für den Fall, dass ein bewaffneter Täter in einem Zug Geiseln nimmt und androht, diese zu erschießen, sollten Mitglieder der Bundesregierung nicht eine Presseerklärung mit einem bestimmten Inhalt abgeben.40 Die Relevanz der Zwangswirkung kann auch dadurch bewirkt oder verstärkt werden, dass 20 die Person, mit deren körperlicher Beeinträchtigung gedroht wird, etwa als fremder Diplomat in besonderer Weise unter dem Schutz des Staates steht. In diesem Fall kann Bedrohung mit körperlich wirksamer Gewalt das für den Tatbestand erforderliche Maß auch erreichen, wenn sie eine Gefährdung für das Leben dieser Person nicht einschließt. Je nach den Umständen ergeben sich also unterschiedliche Anforderungen.

36 37 38 39 40

Vgl. BGHSt 23 46. Vgl. BGH NStZ 1982 158; Wohlers NK Rdn. 4. Kritisch zur Anerkennung mittelbarer Gewalt als Nötigungsmittel, im Ergebnis aber bejahend Müller MK Rdn. 16. BGHSt 32 165, 176. Vgl. KG NStZ 2017, 94.

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§ 105 StGB

Nötigung von Verfassungsorganen

21 cc) Kollektivangriffe. Schwierigkeiten kann die Beurteilung des Nötigungsdrucks vor allem dort bereiten, wo ein größerer Personenkreis einen Kollektivangriff führt, der eine Vielzahl von (für sich genommen keine hinreichende Zwangswirkung ausstrahlenden) Einzelakten umfasst. Hier kommt es auf eine Gesamtbetrachtung an, für die es wesentlich erscheint, welche Wirkung den Einzelakten in ihrer Zusammenfassung zukommt. Körperlich wirksame Gewaltanwendung muss dem Ganzen das Gepräge geben, und es muss auszuschließen sein, dass es sich aus der Sicht der strafrechtlich zur Verantwortung gezogenen Person um nicht kalkulierte Entgleisungen handelt. Doch ist für die Bemessung der Zwangswirkung auch jedes sonstige kohärente Geschehen von Belang, das diese in ihrem Gewicht steigert. Zu denken ist dabei besonders an die Kombination mit für sich nicht rechtswidrigen Aktionen, deren Teilnehmer mit der Zielsetzung gewaltsamer Einwirkung nicht übereinstimmen und deshalb für ihre Person den § 105 nicht verwirklichen. Natürliche und legitime politische Spannungen können Anknüpfungspunkte liefern, die sich ein überlegt handelnder Täterkreis zunutze machen kann und die dadurch zur Intensität der Zwangswirkung beitragen.

3. Nötigungswirkung 22 ist hier, wenn man vom Sprachgebrauch des § 240 ausgeht, ein im Gesetz näher umschriebenes, durch vis compulsiva erzwungenes Handeln (im engeren Sinne der willentlichen Tätigkeit) oder Unterlassen (im Sinne des willentlichen Nichtausführens einer bestimmten Tätigkeit) oder durch vis absoluta erzwungenes Dulden (im Sinne des nicht willentlichen, rein passiven Untätigbleibens). Der Tatbestand des § 105 kennzeichnet die Straftat anders als § 81 als Erfolgsdelikt. Den Erfolg umschreibt das Gesetz alternativ: entweder erzwungene Nichtausübung oder erzwungene Ausübung der in den Tätigkeitsbereich fallenden Befugnisse überhaupt oder einzelner von ihnen in einem bestimmten Sinn. Der Tatbestand ist weit auszulegen.41 Er ist bereits dann erfüllt, wenn das Verfassungsorgan gezwungen wird, zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammenzutreten, die Tagesordnung entsprechend zu fassen oder eine Presseerklärung bestimmten Inhalts abzugeben.42 Die erzwungene Nichtausübung kann bewirkt werden durch „Auseinandersprengen“ des Verfassungsorgans, d. h. durch Auseinandertreiben der schon versammelten Mitglieder in der Weise, dass das Organ beschlussunfähig wird, oder umgekehrt durch das Verhindern des Zusammentretens des Verfassungsorgans oder seiner Beschlussfähigkeit oder Beschlussfassung, aber auch durch Zwang zur Beschlussfassung im Rahmen der Zuständigkeit in dem vom Täter gewünschten Sinn, wobei es unerheblich ist, ob der erzwungene Beschluss sachlich verfehlt oder richtig, zur Zeit unnötig oder notwendig ist.43 Im zuletzt genannten Fall kann es oft schwierig sein, festzustellen, ob wirklich ein für die Mehrheitsbildung erforderlicher Teil der Mitglieder der Nötigung nachgegeben hat oder der eigenen Überzeugung gefolgt ist. Jedenfalls könnte die Neigung bestehen, den Mitgliedern des Organs die für sie unter Umständen recht peinliche Frage nach ihren Motiven in weiter Auslegung des § 68a StPO zu ersparen und auf eine Bestrafung wegen Versuchs auszuweichen. Zwar hätte dieses Problem durch die Beibehaltung des früheren Unternehmenstatbestandes umgangen werden können. Angesichts des Umstandes, dass sich diese Schwierigkeiten nur bei der Einflussnahme auf die Willensbildung, nicht aber bei der Unterbindung der Befugnisausübung ergeben, und im Übrigen die Versuchsstrafbarkeit nur zu einer fakultativen Strafmilderung führt, kann hieraus jedoch kein gewichtiges Argument gegen die Ausgestaltung des § 105 als Erfolgsdelikt hergeleitet werden.

41 Müller MK Rdn. 12. 42 Zu letztgenanntem Beispiel vgl. KG NStZ-RR 2017 94. 43 Vgl. RGSt 54 152, 163. Weiß

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IV. Die Rechtswidrigkeit

StGB § 105

IV. Die Rechtswidrigkeit Das Rechtswidrigkeitsmerkmal in Abs. 1 ist kein Tatbestands-, sondern ein allgemeines Verbre- 23 chensmerkmal.

1. Keine entsprechende Anwendung des § 240 Abs. 2 Nach seiner dogmatischen Bedeutung ist § 105 lex specialis zu § 240. Hiervon zu trennen ist 24 die Frage, ob auch der Abs. 2 des § 240 im Falle des § 105 angewandt werden soll, obwohl hier eine qualifizierte Drohung statt der Drohung mit einem empfindlichen Übel gefordert wird. Der Gesetzgeber hätte diese Frage, wenn er sie bejahen wollte, mit einer schlichten Verweisung beantworten können. Wenn er statt dessen nur ein undeutliches Ja aussprach, indem er mit der Rechtswidrigkeit der Tathandlung etwas an sich Selbstverständliches betonte, so zeigt das ebenso wie die Bemerkung in der Begründung BTDrucks. V/2860 S. 25, das Rechtswidrigkeitsmerkmal „nehme die Adäquanzklausel des § 240 Abs. 2 in Bezug“, dass er sich des qualitativen Unterschieds der beiden Tatbestände im Verhältnis von geschütztem Rechtsgut und Tathandlung bewusst war und sich deshalb scheute, beide einfach gleichzusetzen. Die Ausführungen auf S. 3 des Berichts lassen zusätzlich erkennen, dass es ihm bei der Einfügung des Merkmals in erster Linie, wenn nicht sogar ausschließlich darum ging, einer zu weit gehenden Kriminalisierung des Streiks vorzubeugen. Der Streik soll, wie es dort heißt, sozialadäquat und damit nicht rechtswidrig sein können, „wenn der von ihm ausgeübte Druck auf gesellschaftliche Gruppen oder staatliche Einrichtungen den bis ins Letzte nicht normierten, sondern aus der Wirklichkeit des politischen Lebens zu entnehmenden Spielregeln politischer Auseinandersetzung noch entspreche“. In der Lehre wird, ohne besonders auf Einzelheiten einzugehen, überwiegend eine entspre- 25 chende Anwendung des § 240 Abs. 2 bejaht.44 Die – auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs45 zu entnehmende – Auffassung, im Rahmen des § 105 sei eine entsprechende Anwendung des § 240 Abs. 2 abzulehnen, verdient den Vorzug.46 Wegen der Beschränkung der Nötigungsmittel auf Gewalt und Drohung mit Gewalt und deren zusätzlicher normativen Einschränkung ist, anders als bei dem offen gefassten Tatbestand des § 240, bei § 105 zur Begründung der Rechtswidrigkeit eine besondere Prüfung der Verwerflichkeit der Tat nicht nur nicht erforderlich, sie ginge vielmehr sogar ins Leere.47 Es sind nämlich keine Fälle denkbar, in denen trotz Nichteingreifens eines allgemeinen (z. B. §§ 32, 34) oder besonderen Rechtfertigungsgrundes der Einsatz der von § 105 vorausgesetzten massiven Zwangsmittel als nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 angesehen werden könnte. Beispielsweise kann sich die vom Bundesverfassungsgericht48 und auch vom Bundesgerichtshof49 im Hinblick auf § 240 Abs. 2 verneinte Frage, ob jegliche Gewaltanwendung praktisch indiziell für die Verwerflichkeit der Tat sei, bei § 105 angesichts der dort geforderten massiven Gewalt überhaupt nicht stellen. Damit ist die Rechtsprechung entsprechend der Intention des E 1962 (Begründung zu § 395, S. 584) von der Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen politische Kampfmaßnahmen gegen eines der in § 105 genannten Verfassungsorgane verwerflich sind, entlastet. Die Rechtswidrigkeit einer im Sinne des § 105 tatbestandsmäßigen Handlung entfällt daher nur, wenn ein allgemeiner oder besonderer Rechtfertigungsgrund vorliegt. 44 Lackner/Kühl Rdn. 5; Sinn SK Rdn. 15; Sch/Schröder/Eser Rdn. 10; Fischer Rdn. 3 hält die entsprechende Anwendung des § 240 Abs. 2 für fraglich; Woesner NJW 1968 2129, 2131. 45 BGHSt 32 165, 176. 46 So auch Maurach/Schroeder/Maiwald II § 86 Rdn. 6; Müller MK Rdn. 22; Wolter AK Rdn. 54. 47 So auch Kargl NK Rdn. 8. 48 BVerfGE 73 206, 256. 49 BGHSt 34 71, 77; 35 270, 274. 543

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§ 105 StGB

Nötigung von Verfassungsorganen

2. Besondere Rechtfertigungsgründe 26 Als derartige besondere Rechtfertigungsgründe werden in der Rechtslehre diskutiert:

27 a) Bundeszwang. Der Bundeszwang gegenüber den Ländern nach Art. 37 GG.

28 b) Widerstandsrecht. Das subsidiäre Widerstandsrecht aller Deutschen nach Art. 20 Abs. 4 GG gegen Versuche, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen.50 Es wird ausschließlich zur Bewahrung oder Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Rechtsordnung gewährt. Ein Widerstandsrecht auf Veränderung dieser Ordnung kann dem Art. 20 Abs. 4 GG dagegen nicht entnommen werden. Außerdem ist die Subsidiaritätsklausel zu beachten. Ob andere Abhilfe in deren Sinn nicht möglich ist, wird differenziert zu beantworten sein.51 Eine Tat, durch die ein Parlament oder eine Regierung an einer verfassungswidrigen Entscheidung gehindert werden soll, kann nicht über Art. 20 Abs. 4 GG gerechtfertigt sein, weil hier Abhilfe durch Anrufung des Bundesverfassungsgerichts möglich ist.

29 c) Das Streikrecht.52 Es war vor dem 17. Ges. zur Ergänzung des GG v. 24.6.1968 (BGBl. I 709) nur in einigen Länderverfassungen und ist seitdem in Art. 9 Abs. 3 GG geregelt. Dort ist einerseits von „Arbeitskämpfen … zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ die Rede, also im Sinne des Arbeitsrechts von den wirtschaftlichen Streiks der Arbeitnehmer und den wirtschaftlichen Aussperrungen der Arbeitgeber, nicht von den „politischen“ Streiks oder „politischen“ Aussperrungen. Andererseits werden diese wirtschaftlichen (sog. „arbeitsrechtlichen“) Arbeitskämpfe nur dann durch Art. 9 Abs. 3 GG legitimiert und im dortigen Umfang gegenüber Eingriffen nach den dort aufgeführten Notstandsvorschriften privilegiert, wenn sie von „Vereinigungen … geführt“ werden, die nach dem dortigen Abs. 1 „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ gebildet sind, also von Arbeitnehmerund Arbeitgeberkoalitionen. Soweit letzteres nicht der Fall ist, handelt es sich um „wilde“ Arbeitskämpfe, also wilde Streiks und wilde Aussperrungen. Erfasst, legitimiert und privilegiert werden hiernach durch Art. 9 Abs. 3 GG nur die von den zuständigen Vereinigungen geführten wirtschaftlichen Arbeitskämpfe, dies jedoch nur, wenn die Kampfmaßnahmen sich gegen den „Tarifpartner“ richten. Sollen durch die Maßnahmen dagegen politische Organe zu einem – sei es auch wirtschaftspolitischen – Handeln oder Unterlassen gezwungen werden, so liegt ein politischer Arbeitskampf vor. Für die Prüfung des § 105 ist dabei von Bedeutung, ob das Ziel der Beeinflussung von Verfassungsorganen mit Mitteln erreicht werden soll, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, den Willen des betreffenden Verfassungsorgans zu beugen. Auch der wirtschaftliche Arbeitskampf ist in das Gefüge der Verfassungsordnung eingebettet und setzt die Achtung ihrer Institutionen voraus. Der Einsatz der von § 105 vorausgesetzten qualifizierten Nötigungsmittel kann daher außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 20 Abs. 4 GG durch das Streikrecht nicht gerechtfertigt werden.

50 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Böckenförde JZ 1970 168; vgl. a. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben vor §§ 32 ff. Rdn. 65. 51 Vgl. a. Müller MK Rdn. 26: Befugnis nur im Extremfall, z. B. bei Erlass eines „Ermächtigungsgesetztes“; Wolter AK Rdn. 59. 52 S. hierzu Sax NJW 1953 368; Niese Streik und Strafrecht (1954); Ostendorf Kriminalisierung des Streikrechts (1987); Scholz Jura 1987 190. Weiß

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IV. Die Rechtswidrigkeit

StGB § 105

d) Demonstrationsrecht. Das Demonstrationsrecht, d. h. das Recht, mit anderen Personen 30 unter freiem Himmel räumlich zusammenzutreten oder zusammenzubleiben, um hierdurch eine gemeinsame Meinung unmittelbar gegenüber dritten Personen zum Ausdruck zu bringen. Dieses Recht ist durch Art. 5, 8 GG einerseits gewährleistet, andererseits zugleich beschränkt; es besteht nach Sinn und Zweck dieser Vorschriften nur in dem Umfange, als die Meinungskundgabe sich als „Mittel des geistigen Meinungskampfes“53 darstellt, d. h. ausschließlich mit geistigen Argumenten geführt wird.54 Es begründet als solches weder ein Recht zur Gewaltanwendung, soweit Behinderungen nicht durch die Sozialadäquanz gerechtfertigt sind,55 noch auch nur ein Recht auf Anhörung durch dritte Personen.56 Im Übrigen fallen alle Demonstrationen unter den Begriff der Versammlung im weiteren Sinn; sie sind nach dem Sprachgebrauch des Versammlungsgesetzes § 14 entweder eine (stehende) „Versammlung unter freiem Himmel“57 oder ein „Aufzug“ (unter freiem Himmel).58 Danach sind auch Demonstrationen grundsätzlich anmeldepflichtig. Andererseits sind, wie auch § 15 Abs. 3 VersammlG59 erkennen lässt, nicht angemeldete sog. „Spontandemonstrationen“ nicht schon deshalb illegal.60 Für die Beantwortung der Frage, ob eine dem Tatbestand des § 105 unterfallende Handlung durch die Art. 5 und 8 GG gerechtfertigt sein kann, ist diese Unterscheidung jedoch nicht bedeutsam. Es gelten hier die Ausführungen zum Streikrecht entsprechend. Die Art. 5 und 8 GG rechtfertigen nicht die Anwendung oder Androhung massiver Gewalt im Sinne des § 105.61

e) „Recht auf zivilen Ungehorsam“. Das „Recht auf zivilen Ungehorsam“,62 das jedoch – 31 unabhängig von der Frage, ob und in welchem Umfang es überhaupt als strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund anzuerkennen ist – aus den für das Streik- und Demonstrationsrecht genannten Gründen im Rahmen des § 105 ebenfalls keine rechtfertigende Wirkung entfalten könnte.

f) Art. 26 GG.63 Ob Art. 26 GG überhaupt rechtfertigende Wirkung zu entfalten vermag, kann 32 offen bleiben. Jedenfalls kommt er bezüglich § 105 nicht als Rechtfertigungsgrund in Betracht. Dies folgt daraus, dass das Führen oder Vorbereiten eines Angriffskrieges – wie sich gerade aus Art. 26 GG und auch aus §§ 80, 80a ergibt – nicht in der Befugnis eines deutschen Verfassungs-

53 BVerfGE 25 256, 264 f. 54 BGHSt 44 34, 41; BayObLG NJW 1969 1127; OLG Köln NJW 1970 1322, 1324; OLG Celle NJW 1970 206, 207; AG Frankfurt a. M. NStZ 2006 399, 400.

55 Vgl. BVerfGE 73 206, 249 f.; 82 236, 264; 104 92, 108; BVerfG NJW 1991 91, 93; BGHSt 35 270, 282 f.; 44 34, 41 f. 56 BGHSt 23 46, 56 f.; BayObLG NJW 1969 1127; OLG Köln NJW 1970 64, 65; vgl. aber BverfGE 104 92, 110 mit abweichendem Votum von Rin Haas BVerfGE 104 115, 117 und kritischer Anm. Sinn NJW 2002 1024, 1025.

57 Vgl. insoweit Ott NJW 1969 454, 455; nach dem Sprachgebrauch und Gesetzeszweck abzulehnen ist die erweiternde Auslegung von Merten MDR 1968 621, 622, wonach auch Veranstaltungen in geschlossenen Räumen einzubeziehen seien. 58 Z. B. BayObLG JR 1969 65, 68. 59 Versammlungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2366) geändert worden ist. 60 Vgl. Neuberger GA 1969 1, 11; Merten MDR 1968 621, 624; Hoch JZ 1969 18. 61 Vgl. BGHSt 32 165, 181 f.; vgl. a. Träger/Altvater LK11 § 240 Rdn. 109 ff. 62 S. dazu Bergmann Jura 1985 457, 464; Bitzilekis a. a. O.; Brüggemeier KJ 1984 249 ff.; Frankenberg JZ 1984 266 ff.; Hassemer FS Wassermann, S. 325 ff.; Karpen JZ 1984 249 ff.; Laker a. a. O. S. 237 ff.; Prittwitz JA 1987 17 ff.; Radtke GA 2000 19 ff.; Roxin FS Schüler-Springorum S. 441 ff.; Sch/Schröder/Eisele § 240 Rdn. 26; Schüler-Springorum a. a. O. S. 76 ff.; Wassermann JZ 1984 263 ff. 63 Vgl. AG Frankfurt DuR 1985 454 ff.; kritisch AG Schwäbisch Gmünd NJW 1985 211, 212. 545

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§ 105 StGB

Nötigung von Verfassungsorganen

organs liegt. Die Nötigung zur Unterlassung derartiger Handlungen erfüllt daher schon nicht den objektiven Tatbestand des § 105.64

V. Vorsatz und Irrtum 33 Wie bei § 24065 genügt bedingter Vorsatz, der das Nötigungsziel und das Nötigungsmittel einschließlich der Zwangseignung umfassen muss, aber nicht das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit einzuschließen braucht. Die irrige Annahme des Täters, die von ihm in allen Tatbestandsmerkmalen erfasste Tat sei nicht rechtswidrig, ist als Verbotsirrtum zu behandeln.66

VI. Versuch 34 Der Versuch ist strafbar, da die Tat ein Verbrechen ist (§ 12 Abs. 1) und auch im Falle des Absatz 2 bleibt (§ 12 Abs. 3). Da der Tatbestand als Erfolgsdelikt ausgestaltet ist, tritt Vollendung erst mit dem erzwungenen Tätigwerden oder Untätigbleiben des Verfassungsorgans ein. Droht der Täter mit einer fraglos tatbestandsmäßigen Gewalt (z. B. Drohung mit gemeinge35 fährlichen Sprengsätzen), die der Empfänger entgegen dessen Ansicht nicht ernst nimmt (z. B. Zweifel an der Befähigung des Täters, unrealistische Forderungen usw.), kommt eine Strafbarkeit wegen untauglichen Versuchs in Betracht. Denn in einem solchen Fall ist das Tatmittel objektiv geeignet, den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen und dies stimmt mit der subjektiven Vorstellung des Täters überein. Irrt der Täter hingegen über die erforderliche Intensität der Gewalt bzw. Gewaltdrohung, 36 indem er bloß annimmt, er habe eine zur Nötigung ausreichende Gewalt angewendet oder angedroht, führt dies nicht zum untauglichen Versuch. Vielmehr ist lediglich von einem straflosen Wahndelikt auszugehen, da der Irrtum ein normatives Merkmal betrifft.67 Der Täter dehnt insoweit die Reichweite der strafrechtlichen Norm – zu seinen Ungunsten – aus.

VII. Konkurrenzen 37 Gesetzeskonkurrenz besteht mit Vorrang des § 105 als abschließende Sonderregelung zu § 240. § 240 findet auch dann keine Anwendung, wenn § 105 wegen nicht ausreichender Intensität des Nötigungsmittels nicht eingreift.68 Dies folgt, soweit man die Nötigung des Verfassungsorgans als Gesamtheit ins Auge fasst, schon daraus, dass die normative Tatbestandseinschränkung des § 105 auf § 240 durchschlägt: Ist das Nötigungsmittel in objektiver Sicht nicht geeignet, die Willensausübung des Verfassungsorgans zu unterbinden oder seine Willensbildung zu beeinflussen, da von diesem ein Standhalten in besonnener Selbstbehauptung zu erwarten ist, scheidet auch eine Strafbarkeit nach § 240 aus.69 Soweit sich die Tat gleichzeitig als Nötigung einzelner Mitglieder des Verfassungsorgans darstellt, hat § 106 als lex specialis Vorrang vor § 240. Aus den genannten Gründen ist es auch nicht möglich, dass sich eine Tat als Versuch des § 105 in Tateinheit mit vollendeter Nötigung (§ 240) darstellt.70 64 AA Müller MK Rdn. 28, der die formale Befugnis eines Verfassungsorgans für ausreichend erachtet und die Rechtswidrigkeit einer solchen Nötigung an den Rechtfertigungsgründen des Art. 20 Abs. 4 GG oder § 34 misst. BGHSt 5 245, 246. BGHSt 2 194, 201, 205, 209; 4 1, 5 und 80, 86; 21 18, 20. Müller MK Rdn. 30. BGHSt 32 165, 176; vgl. zum Begriff der abschließenden Sonderregelung Rissing-van Saan LK12 vor § 52 Rdn. 117 f. Vgl. BGHSt 31 195, 201. AA Wolter AK Rdn. 64.

65 66 67 68 69 70

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IX. Recht des Einigungsvertrags

StGB § 105

§ 240 kann nur dann eingreifen, wenn das Verfassungsorgan zu einem Tätigwerden außer- 38 halb seiner Befugnisse oder allein zum Gebrauchmachen von seinen Befugnissen, ohne dass der Täter eine Zielrichtung vorgibt, also zum Fällen einer Entscheidung egal in welcher Richtung, gezwungen wird. Jedoch sind auch insoweit die Einschränkungen gemäß BGHSt 31 195, 201 zu beachten.71 Gesetzeskonkurrenz besteht mit Vorrang der §§ 81 Abs. 1 Nr. 2, 82 Abs. 1 Nr. 2 (Speziali- 39 tät) bei hochverräterischen Angriffen gegen die durch die Verfassungsorgane repräsentierte verfassungsmäßige Ordnung.72 40 Idealkonkurrenz ist möglich mit § 106,73 mit §§ 239a, 239b und 316c.74

VIII. Zuständigkeiten Für die Verfolgung ist der Generalbundesanwalt zuständig (§§ 142a Abs. 1 S. 1, 120 Abs. 1 Nr. 5 41 GVG), der das Verfahren – von den Fällen des § 142a Abs. 3 GVG abgesehen – vor Anklageerhebung an die Landesstaatsanwaltschaft abgibt, wenn sich die Tat gegen ein Verfassungsorgan eines Landes richtete (§ 142a Abs. 2 Nr. 1b GVG). Für die Aburteilung zuständig ist das OLG am Sitz der Landesregierung (§ 120 Abs. 1 Nr. 5 GVG). Zur Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips vgl. §§ 153d, 153e StPO in Verb. mit § 120 Abs. 1 Nr. 5 GVG.

IX. Recht des Einigungsvertrags Dazu wird auf die Vorauflage verwiesen.

71 72 73 74 547

42

BGH NStZ 1992 278. Sax NJW 1953 369; nach Fischer Rdn. 5 kommt auch Tateinheit in Betracht. Sinn SK Rdn. 18 u. § 106 Rdn. 8; Wolter AK Rdn. 66. Preisendanz Anm. 4. Weiß

§ 106 Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans (1) Wer 1. den Bundespräsidenten oder 2. ein Mitglied a) eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes, b) der Bundesversammlung oder c) der Regierung oder des Verfassungsgerichts des Bundes oder eines Landes rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, seine Befugnisse nicht oder in einem bestimmten Sinne auszuüben, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Schrifttum s. bei § 105.

Entstehungsgeschichte Die ursprüngliche Fassung des Tatbestandes betraf allein die Hinderung eines Parlamentsmitglieds, „sich an den Versammlungsort zu begeben oder zu stimmen“, durch die Nötigungsmittel der Gewalt oder der Bedrohung mit einer strafbaren Handlung. Durch das 8. StrÄndG wurden auch die Mitglieder anderer Verfassungsorgane und der bis dahin in § 83 a. F. geschützte Bundespräsident in den Schutzbereich der Norm einbezogen. Die Nötigungsmittel wurden auf die Androhung eines empfindlichen Übels erweitert und auch die Nötigung zur Befugnisausübung im vom Täter gewünschten Sinn in den Tatbestand aufgenommen.

Übersicht I.

Zweck

1

II.

Tatobjekt

III. 1. 2. 3. 4. 5.

Tathandlung 8 9 Nötigungsziel 10 Befugnisse 11 Nötigungsmittel 12 Nötigungswirkung 13 Täter

IV.

Rechtswidrigkeit

2

V.

Vorsatz und Irrtum

VI.

Versuch

17

VII. Konkurrenzen VIII. Zuständigkeiten IX.

16

18 19

Recht des Einigungsvertrages

20

14

I. Zweck 1 Zweck der Vorschrift ist es, die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung des Bundespräsidenten bzw. der einzelnen Mitglieder der von § 105 in ihrer Gesamtheit geschützten Verfassungsorgane zu gewährleisten. § 106 greift bei Nötigung einer der genannten Einzelpersonen ein, auch wenn gleichzeitig eine Anzahl oder ganze Gruppe gleicher Funktionsträger (z. B. eine ganze Fraktion) angegriffen wird. Wenn hierdurch zugleich das ganze Kollegium (Parlament, Regierung, Gericht) betroffen wird, ist auch § 105 erfüllt.

Weiß https://doi.org/10.1515/9783110490008-048

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III. Tathandlung

StGB § 106

II. Tatobjekt Tatobjekte sind (in erschöpfender Aufzählung, also nicht auch bei den Verfassungsorganen tätige Verwaltungsbeamte und sonstige Mitarbeiter): 1. der Bundespräsident in seiner Eigenschaft als einziges nichtkollektives Verfassungsorgan (Art. 82 GG) einschließlich seines verfassungsmäßigen Vertreters (Art. 57 GG) in dieser Eigenschaft;1 2. Mitglieder eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes; nicht geschützt ist z. B. der als Regierungsvertreter ins Parlament entsandte Ministerialbeamte oder ein Beamter des Bundespräsidialamtes;2 3. Mitglieder der Bundesversammlung; 4. Mitglieder der Regierung oder des Verfassungsgerichts des Bundes oder eines Landes. Bei Mitgliedern der Bundes- oder einer Landesregierung macht es keinen Unterschied, ob sie ausgesprochen in ihrer Funktion als Angehörige des Verfassungsorgans oder als Leiter ihres Ministeriums als einer obersten Behörde des Bundes oder Landes tätig sind.3 Dagegen wollte das OLG Düsseldorf4 die Vorschrift bei Nötigung eines Bundesministers in seiner Eigenschaft als Behördenleiter nicht zur Anwendung bringen; es hat mit dieser Auffassung lediglich bei Blei BT § 100 II Zustimmung gefunden.

2 3

4

5 6 7

III. Tathandlung Tathandlung ist das Nötigen des Bundespräsidenten oder eines Mitglieds der genannten Verfas- 8 sungsorgane hinsichtlich der Ausübung seiner ihm in dieser Eigenschaft zustehenden Befugnisse.

1. Nötigungsziel ist, dass die Einzelperson eine ihr zustehende Befugnis entweder gar nicht oder in einem be- 9 stimmten Sinn ausübt, z. B. an der Parlamentssitzung nicht teilnimmt oder dort nicht oder in einem vom Täter gewollten Sinne abstimmt oder die Parlamentssitzung vor der Abstimmung verlässt. Nicht einbezogen, sondern lediglich nach § 240 zu beurteilen ist wie bei § 105 (s. dort Rdn. 15, 25) der Fall, dass der Parlamentarier usw. genötigt wird, seine Befugnisse wahrzunehmen, also z. B. sich an der Parlamentssitzung zu beteiligen und dort mit abzustimmen, ohne dass der Täter eine Zielrichtung vorgibt.

2. Befugnisse Es werden die Rechte geschützt, die dem Bundespräsidenten oder dem einzelnen Mitglied des 10 jeweiligen Verfassungsorgans durch die Verfassung, einfaches Gesetz oder auch die Geschäftsordnung des Verfassungsorgans eingeräumt sind. Hierunter fällt beispielsweise auch das Recht eines Parlamentsabgeordneten auf Teilnahme und Mitberatung in einer Fraktionssitzung, nicht jedoch seine Tätigkeit als Parteipolitiker, wie etwa die Teilnahme an oder die Abstimmung bei einem Parteikongress oder das Halten einer Wahlrede.5

1 2 3 4 5

Müller MK Rdn. 4; Sinn SK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eser Rdn. 1a; Fischer Rdn. 1; Karg NK Rdn. 2. OLG Düsseldorf NJW 1978 2562, 2563. Schoreit MDR 1979 633; Sch/Schröder/Eser Rdn. 1a; Kargl NK Rdn. 2; Müller MK Rdn. 4; Wolter AK Rdn. 2. NJW 1978, 2563. Fischer Rdn. 2.

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§ 106 StGB

Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans

3. Nötigungsmittel 11 sind nicht nur – wie in § 105 – Gewalt und Drohung mit Gewalt (s. dazu die Ausführungen bei § 105). Vielmehr wird in § 106 jede Drohung mit einem empfindlichen Übel – wie in § 240 – erfasst.6 Eine Tat, die nur deshalb nicht unter § 105 fällt, weil lediglich mit einem empfindlichen Übel gedroht wird, kann daher unter § 106 fallen.7 Das bedeutet, dass die in § 106 genannten Einzelpersonen, weil sie in höherem Maße als ein Kollektiv gegen nötigenden Druck anfällig sind,8 einen weitergehenden Schutz genießen.

4. Nötigungswirkung 12 Wegen der Nötigungswirkung gelten die Ausführungen zu § 105 entsprechend. Auch § 106 ist ein Erfolgsdelikt.

5. Täter 13 kann ein Außenstehender aber auch ein Mitglied des Verfassungsorgans selbst sein.9 Ähnlich wie bei § 105 braucht der Täter die Nötigungsmittel nicht unmittelbar gegen das Mitglied zu richten. Vielmehr ist der Tatbestand auch dann erfüllt, wenn der Täter schwerwiegende Gewalttätigkeiten gegen einen Dritten oder gar dessen Tötung androht.10

IV. Rechtswidrigkeit 14 Das Rechtswidrigkeitsmerkmal in Abs. 1 ist ebenso wie in § 105 kein Tatbestands-, sondern ein allgemeines Verbrechensmerkmal. Anders jedoch als bei § 105 ist die ausdrückliche Aufnahme des Rechtswidrigkeitsmerkmals in den Tatbestand der Vorschrift als Bezugnahme auf § 240 Abs. 2 zu verstehen.11 Denn ähnlich wie bei § 240 Abs. 1 handelt es sich bei § 106 Abs. 1 um einen „offenen Tatbestand“, bei welchem die Rechtswidrigkeit nicht durch die Erfüllung des objektiven Tatbestandes indiziert wird, sondern vielmehr einer besonderen Begründung durch Prüfung der Verwerflichkeit der Tat bedarf. Dies folgt zum einen daraus, dass der Kreis der tauglichen Nötigungsmittel in § 106 im Vergleich zu § 105 erweitert ist und demjenigen des § 240 entspricht, zum anderen, dass die für die normative Einschränkung der tatbestandlichen Nötigungsmittel des § 105 maßgeblichen Gesichtspunkte (s. § 105 Rdn. 11) auf § 106 nur begrenzt12 übertragbar sind. In die in entsprechender Anwendung des § 240 Abs. 2 somit gebotene besondere Prü15 fung der Verwerflichkeit der Tat kann im Einzelfall die grundgesetzliche Gewährleistung des Streik- oder Demonstrationsrechts, die bei § 105 als besonderer Rechtfertigungsgrund ausscheidet (s. § 105 Rdn. 20 f.), als Abwägungsgesichtspunkt mit einzubeziehen sein. Im Übrigen wird

6 Einschränkend Wohlers NK Rdn. 2. 7 Fischer Rdn. 2. 8 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald II § 86 Rdn. 13. 9 Kargl NK Rdn. 3; Müller MK Rdn. 8; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2. 10 KG NStZ 2017 94; Müller MK Rdn. 8; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2; Fischer Rdn. 2; Wolter AK Rdn. 11. 11 Vgl. Müller MK Rdn. 10; Sinn SK Rdn. 5; aA Wolter AK Rdn. 7; SSW/Vogler Rdn. 5; Kargl NK Rdn. 6 vertritt die Ansicht, dass Fälle, in denen eine tatbestandlich relevante Gewaltanwendung oder Drohung vorliegt und bei denen trotzdem das Verhalten des Täters als nicht verwerflich anzusehen sein soll, praktisch nur schwer vorstellbar seien, jedenfalls dann, wenn man von einer restriktiven Auslegung der Nötigungsmittel ausgeht. 12 Vgl. BGH NStZ 1992 278. Weiß

550

IX. Recht des Einigungsvertrages

StGB § 106

zur Verwerflichkeitsprüfung auf die Erläuterungen zu § 240 Abs. 2 verwiesen. Wegen der sonstigen Rechtfertigungsgründe wird auf § 105 Rdn. 19 ff. Bezug genommen. Die Rechtfertigung der Gewaltanwendung kann sich zu § 106 auch aus der Geschäftsordnung des Parlaments als Grundlage für die Entfernung eines widerstrebenden Angeordneten aus dem Sitzungssaal ergeben.13

V. Vorsatz und Irrtum Vorsatz und Irrtum sind ebenso wie bei zu § 105 zu beurteilen.

16

VI. Versuch Versuch ist, da § 106 ein Vergehen ist (§ 12 Abs. 2) und auch im Falle des Absatz 3 bleibt (§ 12 17 Abs. 3), durch Absatz 2 ausdrücklich unter Strafe gestellt. Der Tatbestand ist in Übereinstimmung mit der früheren Fassung als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Vollendung tritt daher erst mit dem erzwungenen Tätigwerden oder Untätigbleiben der geschützten Person ein.

VII. Konkurrenzen Gesetzeskonkurrenz mit Vorrang des § 106 als lex specialis besteht zu § 240. Im Übrigen wird 18 auf die Ausführungen bei § 105 Bezug genommen.

VIII. Zuständigkeiten Bezüglich der Zuständigkeiten und der Anwendbarkeit des Opportunitätsprinzips gilt das bei 19 § 105 Gesagte entsprechend.

IX. Recht des Einigungsvertrages Dazu wird auf die Vorauflage verwiesen.14

20

13 Vgl. RGSt 47 270, 276. 14 Dort Rdn. 9. 551

Weiß

§ 106a weggefallen

Weiß https://doi.org/10.1515/9783110490008-049

552

§ 106b Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans (1) Wer gegen Anordnungen verstößt, die ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes oder sein Präsident über die Sicherheit und Ordnung im Gebäude des Gesetzgebungsorgans oder auf dem dazugehörenden Grundstück allgemein oder im Einzelfall erlässt, und dadurch die Tätigkeit des Gesetzgebungsorgans hindert oder stört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Strafvorschrift des Absatzes 1 gilt bei Anordnungen eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder seines Präsidenten weder für die Mitglieder des Bundestages noch für die Mitglieder des Bundesrates und der Bundesregierung sowie ihre Beauftragten, bei Anordnungen eines Gesetzgebungsorgans eines Landes oder seines Präsidenten weder für die Mitglieder der Gesetzgebungsorgane dieses Landes noch für die Mitglieder der Landesregierung und ihre Beauftragten.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift geht auf § 4 des Gesetzes über die Befriedung der Gebäude des Reichstags und der Landtage vom 8.5.19201 zurück. Sie wurde durch das 1.StrÄndG vom 30.8.19512 eingefügt und in dem Abs. 1 durch Art. 19 Nr. 29 EGStGB neu gefasst, nachdem zunächst an die Umwandlung in eine Ordnungswidrigkeit gedacht war.3

Übersicht I.

Zweck der Vorschrift

II.

Täter

III.

Tathandlung

1

2 3

5

IV.

Subjektiver Tatbestand

V.

Konkurrenzen

VI.

Recht des Einigungsvertrages

6 7

I. Zweck der Vorschrift Zwar wird durch die Vorschrift unmittelbar das vom Parlamentspräsidenten (vgl. für den Bun- 1 destag Art. 40 Abs. 2 GG) ausgeübte Hausrecht und seine Polizeigewalt im Parlamentsgebäude und auf dem dazugehörenden Grundstück geschützt. Doch ist dies nicht die eigentliche Zielrichtung des § 106b. Wie sich aus seiner systematischen Stellung und dem durch das EGStGB eingefügten Erfordernis einer Behinderung oder Störung der Tätigkeit des Gesetzgebungsorgans ergibt, bezweckt er vielmehr in erster Linie den Schutz der Funktionsfähigkeit der genannten Gesetzgebungsorgane.4

II. Täter Der Täterkreis ist durch Absatz 2 in dem Sinne auf das Publikum beschränkt, dass die Parlamen- 2 tarier, Regierungsmitglieder und ihre Beauftragten des Bundes nicht von den angeführten Bundesparlamentsanordnungen und eines Landes nicht von seinen entsprechenden Landesparlamentsanordnungen betroffen sind. Insoweit bestehen Tatbestandsausschlüsse. Hingegen 1 2 3 4

RGBl. S. 909. BGBl. I 739. Vgl. Vor § 80 Rdn. 7. Vgl. Sturm JZ 1975 6, 8; Wolter AK hält § 106b für überflüssig, so auch Müller MK Rdn. 3. Sch/Schröder/Eser Rdn. 1; SK Rdn. 1; Wolter AK Rdn. 1; Ramm NJW 1962 465, 466; abweichend Lackner/Kühl Rdn. 1 der allein die Polizeigewalt in Parlamentsgebäuden als geschützt ansieht. 553 https://doi.org/10.1515/9783110490008-050

Weiß

§ 106b StGB

Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans

zählen die Parlamentarier usw. des Bundes in den Ländern und die Parlamentarier usw. jedes Landes in allen anderen Ländern und im Bund (soweit sie nicht Mitglieder des Bundesrates sind) zum Publikum, also zum Täterkreis.

III. Tathandlung 3 Tathandlung ist der Verstoß gegen eine die Sicherheit und Ordnung im Parlamentsgebäude oder auf dem dazugehörenden Grundstück betreffende allgemeine Regelung, wie etwa die Hausoder auch die Geschäftsordnung,5 oder gegen eine entsprechende Einzelfallanordnung,6 auch wenn sich diese nur gegen eine einzelne Person richtet.7 Das schließt, was in der ursprünglichen Fassung ausdrücklich angesprochen war, Anordnungen ein, die das Betreten des Gebäudes oder des zugehörigen Grundstücks und das Verweilen an diesen Orten regeln. Es handelt sich bei § 106b um eine Blankettvorschrift, die der Ausfüllung durch die ent4 sprechenden Anordnungen bedarf,8 jedoch nur eingreift, wenn die Zuwiderhandlung – durch welche Mittel auch immer – eine Hinderung oder Störung der Tätigkeit des Gesetzgebungsorgans bewirkt, also die Tätigkeit zumindest zeitweise unmöglich macht oder sie unmittelbar erschwert.9

IV. Subjektiver Tatbestand 5 Es ist zumindest bedingter Vorsatz erforderlich, der sich auch auf das Bestehen der Anordnung und deren Verletzung beziehen muss.

V. Konkurrenzen 6 § 112 OWiG tritt gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 OWiG zurück, kommt jedoch zur Anwendung, wenn es zu keiner Hinderung oder Störung der Tätigkeit des Gesetzgebungsorgans gekommen ist und § 106b daher entfällt. Mit §§ 105, 106 ist Tateinheit möglich;10 ebenso, da beide Tatbestände nicht deckungsgleich sind, mit § 123.11

VI. Recht des Einigungsvertrages 7 Insoweit wird auf die Ausführungen in der Vorauflage verwiesen.12

5 6 7 8

OLG Celle NStZ 1986 410. OLG Hamburg NStZ-RR 2007 233. Sch/Schröder/Eser Rdn. 2. Vgl. für den Bundesrat die gem. § 6 Abs. 3 GeschO BRat erlassene Hausordnung (GeschO BRat v. 26.11.1993, BGBl. I 2007), für den Bundestag die aufgrund Art. 40 Abs. 1 GG i. V. m. § 7 Abs. 2 GeschO BTag erlassene Hausordnung (GeschO BTag v. 2.7.1980, BGBl. I 1237). 9 Lackner/Kühl Rdn. 3; Kargl NK Rdn. 4: mehr als nur unerheblich erschwert. 10 Müller MK Rdn. 10; SinnSK Rdn. 7; einschränkend Wolter AK Rdn. 7, der Gesetzeskonkurrenz in den Fällen befürwortet, in denen die Tätigkeit des Gesetzgebungsorgans so nachhaltig gestört wird, dass sie im Ergebnis nicht mehr ausgeübt werden kann. 11 Lackner/Kühl Rdn. 4; Müller MK Rdn. 10; Sinn SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Eser Rdn. 6; Fischer Rdn. 1; nach Wolter AK Rdn. 7 ist an Subsidiarität oder Konsumtion zu denken. 12 Dort Rdn. 4. Weiß

554

Vorbemerkungen zu den §§ 107 bis 108e Schrifttum Arnold/Kühl Zur strafrechtlichen Beurteilung von Wahlfälschungen in der DDR, NJ 1992 476; Barton Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung, NJW 1994 1098; Beining (K)ein Selfie in der Wahlkabine, JA 2018 29; Bruns Urkundenfälschung an Stimm- und Wahlzetteln, NJW 1954 456; Böckenförde Strafverfahren und Wahlgeheimnis, NJW 1967 239; Breitbach Stimmennötigung, Wahlprüfung und das Argument der Macht, DuR 1984 432; Dölling Personale Beziehung bei Wählerbestechung, NStZ 1987 68; Dürr Lücken oder Sackgasse-Strafvorschriften gegen Fehlverhalten von Abgeordneten? ZRP 1979 264; Geerds Anmerkung zu BGHSt 33 336, JR 1986 253, 257; Greiser Die Briefwahlunterlagen als Gesamturkunde, NJW 1978 927; Günther Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik im vereinten Deutschland, ZStW 103 (1991) 851; Härtl Wahlstraftaten, Diss. München 2006; Hausen Der strafrechtliche Schutz bei parteiinternen Wahlen, ZParl 2011 550; Höchst Unrechtskontinuität zwischen ost- und bundesdeutschen Strafnormen? JR 1992 360; Hübner Die strafrechtliche Beurteilung von DDR-Wahlfälschungen nach der Wiedervereinigung (1997); König Anm. zu BGHSt 39 54, JR 1993 207; Klein Straflosigkeit der Abgeordnetenbestechung, ZRP 1979 174; Kühne Die Abgeordnetenbestechung (1971); Laufhütte Strafrechtliche Probleme nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und ihre Bewältigung durch die Strafsenate des Bundesgerichtshofs, Festschrift BGH 50, (2000) 409; Libertus Rechtliche Aspekte des Einsatzes von social Bots de lege lata und de lege ferenda, ZUM 2018 20; Lorenz Zum „Beitrittsprinzip“ und zur Strafbarkeit von DDR-Wahlfälschungen, NStZ 1992 422; ders. DDR-Wahlfälschungen vor Gericht, MDR 1993 705; M. E. Mayer Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte, VDB I 257; Mösl Anm. zu BGHSt 29 380, LM § 107a StGB Nr. 1; Oehler Anm. zu BGHSt 29 380, JR 1981 519; Olderog Die Wahl- und Abgeordnetenbestechung, Diss. Kiel 1965; Oppermann Wahlprüfung, Wahlbeeinflussung und Wählernötigung – BVerfGE 66 369, JuS 1985 519; Ransiek Strafrecht und Korruption, StV 1996 446; Rosenthal Über den reichsrechtlichen Schutz des Wahlgeheimnisses (1918); Rostalski „Fake News“ und die „Lügenpresse – ein (neuer) Fall für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht? RW 2017 436; Samson Die strafrechtliche Behandlung von DDR-Alttaten nach der Einigung Deutschlands, NJW 1991 335; ders. Zur Straflosigkeit von DDRWahlfälschungen, StV 1992 141; Schoreit Zur Auslegung des § 106 Abs. 1 Nr. 2c StGB, MDR 1979 633; Schroeder Anm. zu OLG Hamm, JZ 1957 583, JZ 1957 584; ders. Rückwirkung milderen Rechts und Wiedervereinigung, NStZ 1993 216; Schulze Zur Frage der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung, JR 1973 485; Steinbach Social Bots im Wahlkampf ZRP 2017 10; Tiedemann Strafrecht und Wahlrecht, NJW 1967 1013; Weber Die Wahlfälschungen in Dresden, JR 1995 403; G. Wolf Straftaten bei Wahlen und Abstimmungen, Diss. Bonn 1961; Zimmermann Die Wahlfälschung (§§ 107a f. StGB) im Gefüge des strafrechtlichen Schutzes der Volkssouveränität ZIS 2011 982. Zum Schrifttum betreffend § 108e in der seit 1. September 2014 geltenden Fassung s. auch die Kommentierung zu dieser Vorschrift.

Übersicht Recht des Einigungsvertrages

1

Entstehungsgeschichte Eine der wesentlichen Voraussetzungen des auf den Grundlagen der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 GG) und des Repräsentationsprinzips (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) aufbauenden demokratischen Rechtsstaats ist der ordnungsgemäße Ablauf der Wahlen in allen öffentlichen Angelegenheiten. Dieser wird in erster Linie durch die entsprechenden Wahl- und Abstimmungsordnungen gewährleistet, bedarf aber auch einer umfassenden strafrechtlichen Absicherung. Dieser Erkenntnis, die im Zuge der Ausbildung demokratischer Strukturen in Deutschland nur langsam gewachsen ist, wird das StGB auch heute noch nicht in ausreichendem Maße gerecht. Die ursprüngliche Fassung des StGB stellte in § 107 a. F. die Wahlbehinderung, in § 108 a. F. die Wahlfälschung und in § 109 a. F. den Stimmenkauf und -verkauf unter Strafe. Dabei galt § 107 a. F. nur für Wahlen in Ausübung staatsbürgerlicher Rechte, während die §§ 108, 109 a. F. auf alle Wahlen in öffentlichen Angelegenheiten, etwa auch solche im Rahmen von Religionsgemeinschaften,1 Anwendung fanden. Diese Differenzierung wurde in der Rechtsprechung des Reichsgerichts ausdrücklich anerkannt.2 Eine Erweiterung brachte erst das 3. StrÄndG v. 4.8.1953 (BGBl. I 735), indem es besondere Vorschriften gegen Fälschung von Wahlunterlagen (§ 107b), Verletzung des Wahlgeheimnisses § 107c, Wählernötigung (§ 108) und Wählertäuschung (§ 108a) einfügte und den bisherigen § 109, der

1 RG GA Bd. 54 292. 2 RGSt 41 121, 124 ff.; 64 298, 303. 555 https://doi.org/10.1515/9783110490008-051

Weiß

Vor § 107 StGB

Vorbemerkungen zu den §§ 107 bis 108e

als Tathandlungen nur das Kaufen einer Stimme durch den Wahlkandidaten oder einen Dritten sowie das Verkaufen der Stimme durch den Stimmberechtigten erfasst hatte, als nunmehrigen § 108b durch Anpassung an die §§ 331 bis 334 auf gewisse Vorbereitungshandlungen ausdehnte. Andererseits begrenzte das 3. StrÄndG die Schutzfunktion der §§ 107 ff. Es bestimmte nämlich in einer neuen Vorschrift, die damals § 109a und nach dem 4. StrÄndG v. 11.6.1957 (BGBl. I 597) § 108d benannt wurde, dass die §§ 107 ff. künftig nur die unmittelbare Volkswillensbildung der Aktivbürgerschaft bei den Urabstimmungen, also die Wahlen und Abstimmungen zu den Parlamenten betreffen sollten und nicht die Wahlen und Abstimmungen der Abgeordneten in den Parlamenten. Das bedeutete eine von den Regierungsvorschlägen abweichende,3 bedauerliche Einengung des Anwendungsbereichs der §§ 107 ff. Zuvor war in der Rechtslehre der Standpunkt vertreten worden, dass der Schutz gegen Stimmenkauf und -verkauf (§ 109 a. F.) sich auf alle Wahlen und Abstimmungen in öffentlichen Angelegenheiten beziehe, insbes. auch auf die Abstimmungen der Abgeordneten im Bundestag und den Landtagen.4 Diese Auslegung entsprach der weiteren Ausdeutung, die der damals maßgebende Begriff der öffentlichen Angelegenheiten in der Rspr. gefunden hatte.5 Erst durch das 28. StrÄndG vom 13. Januar 1994 (BGBl. I 84) wurde die Vorschrift des § 108e in der damaligen Fassung eingeführt, die am 22. Januar 1994 in Kraft trat. Die Regelung stellt in Anlehnung an die Auslegung früherer Strafvorschriften und an den Entwurf eines Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1962 (E 62, dort § 404) den Stimmenkauf und Stimmenverkauf und damit das Abstimmungsverhalten in den Volksvertretungen unter Strafe. Bereits zuvor hatte das Schrifttum eine Regelung der Abgeordnetenbestechung nachdrücklich gefordert.6 Die bis zum 31. August 2014 geltende Fassung der Vorschrift war wegen ihres beschränkten Geltungsbereichs als ausgesprochen halbherzige Regelung bezeichnet worden, die wohl nie praktische Bedeutung erlangen werde. Insoweit wurde erneuter Regelungsbedarf gesehen.7 Den Beratungen in den parlamentarischen Gremien lagen Gesetzentwürfe der Fraktionen CDU/CSU und FDP (BTDrucks. 12/5927), der SPD (BTDrucks. 12/1630) sowie der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen (BTDrucks. 12/1739) zu Grunde (vgl. BTDrucks. 12/6092). Die restriktive Tatbestandsfassung8 war im Rahmen der Beratungen zum neu gefassten 30. Abschnitt durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. August 1997 nicht in Frage gestellt worden. Nach wie vor nicht pönalisiert wurde durch die bis zum 31. August 2014 geltende Fassung der Vorschrift das Abstimmungsverhalten außerhalb des Parlaments, also auch nicht in den Fraktionen, sowie Belohnungen für Abstimmungen in der Vergangenheit. Nicht erfasst waren auch Zahlungen zur Sicherung des allgemeinen Wohlverhaltens des Begünstigten (sog. „Anfüttern“). Streitig war, ob es ausreicht, wenn der Vorteil einem „Dritten“ zufließt. Am 1. September 2014 ist die aktuell geltende Fassung des § 108e in Kraft getreten. Der Neufassung der Vorschrift in ihrer jetzigen Gestalt ging die Unterzeichnung der UN-Konvention zur Bekämpfung von Korruption9 durch die Bundesregierung im Dezember 2003 voraus. Die Konvention verpflichtet jeden Vertragsstaat, Korruption von Amtsträgern zu verfolgen. Unter den Begriff fallen Personen, die nicht nur durch Ernennung, sondern auch durch eine Wahl ein Amt in einem Bereich der drei Gewalten innehaben. Ratifiziert wurde das Übereinkommen mit Gesetz vom 27. Oktober 2014.10 Die aktuelle Fassung des § 108e dient der Umsetzung der Vorgaben dieses Übereinkommens sowie des Strafrechtsübereinkommens des Europarats über Korruption vom 27. Januar 1999.11 Wegen der Einzelheiten zur Entstehungsgeschichte der ab 1. September 2014 geltenden Fassung der Vorschrift wird auf die Ausführungen bei § 108e verwiesen.

Recht des Einigungsvertrages 1 Insoweit wird auf die Ausführungen in der Vorauflage verwiesen.12 3 Vgl. Dreher JZ 1953 421, 427. 4 Schönke 5. Aufl. (1951) § 109 Anm. 1; vgl. auch Kohlrausch/Lange 39./40. Aufl. (1950) § 109 Anm. I mit § 108 Anm. I; Schwarz14 (1951) § 109 Anm. 1 mit § 108 Anm. 1. Vgl. etwa RGSt 41 121, 125 ff.; 64 298, 303. Laufhütte LK11 Rdn. 4; Geerds JR 1986 251; Klein ZRP 1979 174. Vgl. die Ausführungen in der Vorauflage, auch bei § 108e Rdn. 5. Kritisch: Barton NJW 1994 1098, 1100 f.; Ransiek StV 1996 446, 452 f.; vgl. a. BGH NStZ 2006 389, 392. United Nations Convention against Corruption (UNCAC) vom 31.10.2003, in Kraft getreten am 14.12.2005. Der Text mit Übersetzung findet sich in BT-Drs. 17/5932 S. 4 ff. 10 BGBl. 2014 II 762. 11 BT-Drs. 18/476 S. 5. 12 Dort Rdn. 1-3.

5 6 7 8 9

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556

§ 107 Wahlbehinderung (1) Wer mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt eine Wahl oder die Feststellung ihres Ergebnisses verhindert oder stört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe, in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Schrifttum s. Vorbemerkungen.

Entstehungsgeschichte Zur Entwicklung des Wahlstrafrechts s. zunächst die Vorbemerkungen vor § 107. Die Vorschrift, ohne Vorbild in einer früheren Regelung, wurde vom 3. StrÄndG eingefügt und nahm die Stelle der Vorschrift ein, an die der jetzige § 108 anknüpft. Zur Vorgeschichte s. Wolf S. 217 f.

Übersicht I.

Normzweck

II. 1. 2. 3.

Tatobjekt 2 3 Wahlen 4 Sonstige Abstimmungen Unterschreiben eines Wahlvorschlags oder für 5 ein Volksbegehren

III. 1. 2.

Tathandlung Verhindern 8 Stören

1

6

3.

Tatmittel

9

IV.

Taterfolg

10

V.

Subjektiver Tatbestand

VI.

Versuch

VII. Strafe

11

12 13

7 VIII. Konkurrenzen IX.

14

Recht des Einigungsvertrages

15

I. Normzweck § 107 bezweckt die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Gesamtablaufs des Wahlvorgangs 1 einschließlich der ordnungsgemäßen Stimmenauszählung zur Ermittlung des Wählerwillens,1 also der ordnungsgemäßen Ausübung des Wahlrechts durch die Gesamtheit der im Wahlfalle Stimmberechtigten. Die Vorschrift bezweckt nicht den Schutz der freien Stimmabgabe des einzelnen Stimmberechtigten; vielmehr greifen hierfür die §§ 108–108b ein.

II. Tatobjekt Tatobjekt sind die in § 108d erschöpfend aufgeführten Akte der unmittelbaren Volkswillensbil- 2 dung der Aktivbürgerschaft2 in den Urabstimmungen, nämlich

1 Vgl. RGSt 63 382, 387; BayObLG NStZ 1981 30. 2 BVerfGE 8 104, 114. 557 https://doi.org/10.1515/9783110490008-052

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§ 107 StGB

Wahlbehinderung

1. Wahlen 3 im Sinne derjenigen Abstimmungen, durch welche die Stimmberechtigten, soweit sie sich beteiligen, ihre Stimme einer Person oder mehreren Personen geben, um diese aus dem Kreis der zur Wahl stehenden Personen für einen bestimmten Tätigkeitsbereich auszuerlesen.3 Nach der Aufzählung in § 108d werden durch die §§ 107 bis 108c alle Wahlen zu den Volksvertretungen und alle sonstigen Wahlen des Volkes im Bund, in den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden erfasst, also die Bundestags-, Landtags-, Bürgerschafts-, Kreistags- und Gemeindewahlen, desgleichen die Wahlen zum Europäischen Parlament und die Urwahlen zur Sozialversicherung. Nicht erfasst sind Wahlen zu anderen Körperschaften und Wahlen innerhalb der Parlamente wie z. B. die Wahl des Bundeskanzlers;

2. Sonstige Abstimmungen 4 (§ 108d S. 1), also Stimmabgaben von Stimmberechtigten zu einer bestimmten sachlichen Angelegenheit außerhalb der Wahlen. Die unter 1. erwähnte Aufzählung begrenzt ebenfalls erschöpfend die in Betracht kommenden Stimmabgaben (z. B. nach Art. 29 Abs. 3 bis 5, 118 GG);

3. Unterschreiben eines Wahlvorschlags oder für ein Volksbegehren 5 Das Unterschreiben eines Wahlvorschlags (§ 108d S. 2) im Rahmen der Aufzählung nach 1., z. B. nach § 20 Abs. 2 BWahlG, oder für ein Volksbegehren, soweit ein solches im gleichen Rahmen vorgesehen ist, z. B. nach Art. 29 Abs. 2 GG.

III. Tathandlung 6 Tathandlung ist das Verhindern oder Stören des Gesamtvorgangs der Wahl (im weiteren Sinne der Tatobjekte unter II) oder der Feststellung ihres Ergebnisses mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt.

1. Verhindern 7 ist das Unmöglichmachen der Wahl, indem entweder die Stimmabgabe – etwa durch die Blockade von Wahllokalen4 – oder die Feststellung des Wahlergebnisses, also das Auszählen der Stimmen und die Beurkundung des Ergebnisses,5 z. B. durch Entwenden von Wahlurnen oder Vernichtung von Wahlzetteln,6 unterbunden wird.

2. Stören 8 ist das Verursachen einer wesentlichen Erschwerung oder Verzögerung des einen oder anderen Aktes der Wahl.

3 4 5 6

Vgl. auch RGSt 64 298, 304. Müller MK Rdn. 7. Vgl. BayObLG NStZ 1981 30. Sch/Schröder/Eser Rdn. 5.

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IX. Recht des Einigungsvertrages

StGB § 107

3. Tatmittel sind Gewalt oder Drohung mit Gewalt. Insoweit wird auf die Ausführungen zu § 105 verwiesen. 9

IV. Taterfolg Bei § 107 handelt es sich um ein Erfolgsdelikt. Es muss die Wahl in ihrer Gesamtheit verhindert 10 oder gestört worden sein. Dies ist der Fall, wenn der Gesamtablauf der Wahl nicht ordnungsgemäß erscheint und Bedenken gegen die richtige Ermittlung des Wählerwillens erweckt. Das setzt voraus, dass nicht nur die Stimmabgabe bzw. Ermittlung des Willens einzelner Wähler beeinträchtigt, sondern der Wahlvorgang bezüglich einer größeren Zahl individuell nicht bestimmter Wähler betroffen wird (ansonsten ist § 108 einschlägig).

V. Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand genügt Vorsatz in Form von dolus eventualis.

11

VI. Versuch Der Versuch ist nach Absatz 2 strafbar. Vollendung der Tat tritt erst, aber andererseits auch 12 bereits mit der Störung im obigen Sinne der Störungswirkung ein.

VII. Strafe Die Tat ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, in besonders schweren Fällen 13 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bedroht. Als mögliche Nebenfolge ist § 108c in Verb. mit § 45 Abs. 2 und 5 zu beachten.

VIII. Konkurrenzen Gesetzeskonkurrenz besteht zu § 240 mit Vorrang des § 107 als lex specialis. Idealkonkurrenz 14 ist möglich mit § 108 und § 274.7

IX. Recht des Einigungsvertrages Zum Recht des Einigungsvertrages s. die Ausführungen in der Vorauflage.

15

7 Wolf S. 222; Müller MK Rdn. 15. 559

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§ 107a Wahlfälschung (1) Wer unbefugt wählt oder sonst ein unrichtiges Ergebnis einer Wahl herbeiführt oder das Ergebnis verfälscht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer das Ergebnis einer Wahl unrichtig verkündet oder verkünden lässt. (3) Der Versuch ist strafbar.

Schrifttum s. Vorbemerkungen.

Entstehungsgeschichte Zur Entwicklung des Wahlstrafrechts s. zunächst die Vorbemerkungen vor § 107. Die Vorschrift des § 107a ist vom 3. StrÄndG sachlich an die Stelle des durch sie erweiterten früheren § 108 gesetzt worden.

Übersicht I.

Normzweck

II.

Tatobjekt

III. 1. 2.

Tathandlungen 3 4 Unbefugtes Wählen Sonstiges Herbeiführen eines unrichtigen Wahl7 ergebnisses 8 Verfälschen eines Wahlergebnisses Unrichtiges Verkünden oder Verkündenlassen ei9 nes Wahlergebnisses

3. 4.

1 2

IV.

Subjektiver Tatbestand; Irrtum

V.

Versuch

VI.

Strafe

10

11 12

VII. Konkurrenzen

13

VIII. Recht des Einigungsvertrages

15

I. Normzweck 1 § 107a bezweckt die Sicherung des Zustandekommens eines richtigen, d. h. dem gesetzmäßig erklärten Willen der stimmberechtigten Wähler entsprechenden Wahlergebnisses und dessen richtiger Verkündung. Er schützt damit das Interesse der Allgemeinheit an ordnungsgemäßen Wahlen.1 Die Vorschrift, die den Schutz vor der Herbeiführung unrichtiger Wahlergebnisse allgemein gewährleisten soll, wird ergänzt durch die dem gleichen Schutzzweck dienenden, aber spezielle Tathandlungen erfassenden §§ 108 und 108a. Sie ist demnach der generelle Auffangtatbestand für diejenigen Verursachungen unrichtiger Wahlergebnisse, die nicht in den §§ 108 und 108a2 besonders geregelt sind. Das gilt an sich auch für § 107b, ist aber dort durch eine Subsidiaritätsklausel besonders geregelt; siehe unten Rdn. 9. Nicht hierher gehört § 108b, da es dort unerheblich ist, ob der Vorteilsempfänger im Sinne seiner Überzeugung oder gegen diese gehandelt hat.

1 BGHSt 29 380, 386; OLG Zweibrücken NStZ 1986 554, 555; Sch/Schröder/Eser Rdn. 1; Kargl NK Rdn. 1. 2 Vgl. hierzu BGHSt 9 338, 340. Weiß https://doi.org/10.1515/9783110490008-053

560

III. Tathandlungen

StGB § 107a

II. Tatobjekt Tatobjekt des § 107a ist das Ergebnis einer Wahl, einer sonstigen Abstimmung oder eines Volks- 2 begehrens bzw. einer Unterschriftensammlung für einen Wahlvorschlag oder ein Volksbegehren (§ 108d).

III. Tathandlungen Die Vorschrift stellt folgende Tathandlungen unter Strafe:

3

1. Unbefugtes Wählen Diese Tatbestandsalternative ist als Hauptbeispiel des Herbeiführens eines unrichtigen Wahler- 4 gebnisses zu verstehen.3 Sie ist erfüllt, wenn der Täter eine Stimme abgibt, ohne für diese Stimmabgabe im Besitz eines Stimmrechts zu sein. Dies kann der Fall sein, wenn ihm das Stimmrecht aberkannt worden ist,4 er aus sonstigen Gründen von der Wahl ausgeschlossen ist,5 das erforderliche Wahlalter noch nicht erreicht hat6 oder sonstige Voraussetzungen des Stimmrechts – etwa bei der Bundestagswahl7 die Bedingung, am Wahltag mindestens drei Monate im Wahlgebiet gewohnt oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt zu haben8 – nicht erfüllt. Unerheblich ist es, ob der Täter – beispielsweise weil er nur zum Zwecke unberechtigter Wahl einen Scheinwohnsitz begründet hat – trotz fehlenden Wahlrechts in die Wählerliste eingetragen wird, denn eine solche Eintragung hat keine das Wahlrecht begründende Wirkung.9 Unbefugt wählt auch, wer ein zweites Mal wählt, nachdem sein Stimmrecht bereits ver- 5 braucht ist,10 wer unter falschem Namen für einen anderen wählt11 oder trotz Unzulässigkeit der Stellvertretung für einen anderen einen Wahlvorschlag unterschreibt12 oder einen Stimmzettel ausfüllt.13 Insbesondere bei der Briefwahl ergeben sich im letztgenannten Sinne erhebliche Manipulationsmöglichkeiten.14 Ein Wähler, der die Staatsangehörigkeit mehrerer Staaten der EU besitzt, erfüllt den Tatbestand, wenn er sein Stimmrecht für die Wahl zum Europäischen Parlament bereits wahrgenommen hat und in Deutschland entgegen § 6 Abs. 4 EUWG ein Weiteres Mal seine Stimme abgibt.15 Wer unbefugt wählt, führt stets ein unrichtiges Wahlergebnis herbei, denn er bewirkt, 6 dass bei der Auszählung eine ungültige Stimme als gültige mitgezählt wird16 und sich damit das Stimmenverhältnis unter den zur Wahl stehenden Kandidaten oder Vorschlägen ändert.17 Dies reicht als Taterfolg aus. Nicht erforderlich ist, dass durch die unberechtigte Stimmabgabe das Ergebnis der Wahl im Sinne des Erfolges eines Wahlvorschlages beeinflusst wird. Auch 3 Schröder JZ 1957 584; Sinn SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Eser Rdn. 3; abweichend Wolf S. 231. 4 S. etwa § 13 Nr. 1 BWahlG in Verb. mit §§ 45 Abs. 5, 92a, 101 oder 108c. 5 S. § 13 Nrn. 2 und 3 BWahlG. 6 Art. 38 Abs. 2 GG. 7 Vgl. für die Kommunalwahl BVerfG NVwZ 1993 55. 8 § 12 Abs. 1 Nr. 2 BWahlG. 9 RGSt 37 297, 299; 37 380, 383. 10 RGSt 37 297, 298; 37 380, 384 f. 11 Sinn SK Rdn. 4; Müller MK Rdn. 8. 12 OLG Hamm JZ 1957 583 m. Anm. Schröder; Sinn SK Rdn. 4. 13 BGHSt 29 380 m. Anm. Oehler JR 1981 519 und Mösl LM § 107a Nr. 1; OLG Zweibrücken NStZ 1986 554. 14 Zur kriminalpolitischen Bedeutung der Vorschrift s. Müller MK Rdn. 4. 15 Müller MK Rdn. 11, 14. 16 BGHSt 29 380, 383 im Anschluss an RGSt 7 144, 145; 20 420 ff.; 41 121, 123. 17 Vgl. RGSt 62 6; 63 382, 386. 561

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§ 107a StGB

Wahlfälschung

wenn der Täter unbefugt für einen Dritten stimmt, führt er stets ein unrichtiges Wahlergebnis herbei, unabhängig davon, wie der Berechtigte gestimmt hätte, also auch dann, wenn der eigentlich Wahlberechtigte sein Stimmrecht in gleicher Weise ausgeübt hätte, wie es der Täter für ihn getan hat. Denn auch in diesem Fall wird eine ungültige Stimme mitgezählt und damit das Schutzgut des § 107a beeinträchtigt, wie der BGH gegenüber den zumindest missverständlichen Äußerungen des RG18 zu Recht klargestellt hat.19 Dieses Ergebnis trägt auch dem Schutz des Wahlgeheimnisses Rechnung, mit dem die Strafverfolgung in Konflikt geriete, wenn aufgeklärt werden müsste, wie sich ein Stimmberechtigter bei Teilnahme an der Wahl entschieden hätte.20

2. Sonstiges Herbeiführen eines unrichtigen Wahlergebnisses 7 Damit ist jedes Bewirken eines unrichtigen Wahlergebnisses gemeint, das nicht den speziellen Tathandlungen der §§ 108, 108a oder dem unbefugten Wählen unterfällt. Das tatbestandliche Tun muss vor Beendigung der Stimmabgabe der Stimmberechtigten und damit vor dem Vorliegen des Wahlergebnisses stattfinden.21 Wahlergebnis ist das sich aus den abgegebenen Stimmen ergebende Stimmenverhältnis. Wird dieses durch unerlaubte Eingriffe verändert, wird das Wahlergebnis unrichtig. Als derartige Eingriffe kommen etwa das Entfernen abgegebener Stimmzettel aus der Wahlurne, das Einbringen zusätzlicher Stimmzettel während des Wahlgangs22 oder das Ausgeben eines schon ausgefüllten Wahlzettels23 in Betracht.

3. Verfälschen eines Wahlergebnisses 8 Es kommt von dem Zeitpunkt an in Betracht, in dem das Wahlergebnis vorliegt, also ab Beendigung der Stimmabgabe durch die Stimmberechtigten,24 gleichgültig ob vor oder nach der Feststellung (Auszählung und Beurkundung) des Wahlergebnisses. Verfälscht wird das Wahlergebnis, „wenn seine Ermittlung und Feststellung in einer der tatsächlichen Ausübung des Wahlrechts nicht entsprechenden Weise dergestalt geschieht, dass an Stelle des in Wirklichkeit vorliegenden richtigen Ergebnisses ein anderes unter dem Scheine, dass es das Richtige sei, zur Darstellung gelangt“.25 Das kann z. B. geschehen durch Einschmuggeln oder Herausnehmen von Wahlzetteln nach Beendigung der Stimmabgabe oder durch unrichtige Beurkundung26 oder durch unrichtiges Auszählen der Stimmen.27 Ein schon gefälschtes Ergebnis kann Gegenstand weiterer Verfälschung sein.28

4. Unrichtiges Verkünden oder Verkündenlassen eines Wahlergebnisses 9 Es setzt dessen ordnungsgemäße Feststellung voraus, kommt also als Tathandlung erst von diesem Zeitpunkt an in Betracht. Nach dem Sinn der Vorschrift, die einen Schutz vor Irreführung

18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

RGSt 63 382, 386. BGHSt 29 380 m. Anm. Oehler JR 1981 519 und Mösl LM § 107a Nr. 1. BGHSt 29 380, 384 ff. m. w. N. BGHSt 29 380, 384 ff. m. w. N. RGSt 7 144, 145. RGSt 63 382, 386. RGSt 56 387, 389; 62 6, 7 f.; OLG Koblenz NStZ 1992 134; Sinn SK Rdn. 5. RGSt 63 382, 386. Vgl. RGSt 56 387, 389. RGSt 20 420, 422. Sinn SK Rdn. 5; Kargl NK Rdn. 4.

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562

VII. Konkurrenzen

StGB § 107a

über die politische Willensbildung bezweckt, ist der Täterkreis hier auf Personen begrenzt, welche einen amtlichen Auftrag zur Verkündung haben und in dessen Ausübung handeln. Demgemäß handelt es sich um ein Sonderdelikt.29 Die Anmaßung eines solchen Auftrags genügt nicht.30 Die Bekanntgabe durch Nichtbeauftragte, insbes. durch die Presse, ist nicht tatbestandsmäßig.

IV. Subjektiver Tatbestand; Irrtum Es genügt Vorsatz in der Form des dolus eventualis. Die irrige Annahme einer Wahlbefugnis, 10 z. B. auf Grund einer in Wahrheit unwirksamen Vollmacht eines Stimmberechtigten, ist Tatbestandsirrtum.31 In der Wahlbekanntmachung der Gemeindebehörde wird unter Wiedergabe des Inhalts ausdrücklich auf § 107a Abs. 1 und 3 hingewiesen (§ 48 Abs. 1 Nr. 6 der Bundeswahlordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 2002 (BGBl. I S. 1376), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 18. Juni 2019 (BGBl. I S. 834) geändert worden ist.

V. Versuch Der Versuch ist in Absatz 3 unter Strafe gestellt. Hierfür in Betracht kommen insbesondere auch 11 die in § 107b Abs. 1 Nrn. 1–3 aufgeführten Tathandlungen, soweit sie sich über das Stadium reiner Vorbereitungshandlungen hinaus bis zum Beginn einer Tatausführung nach § 107a entwickeln, jedoch keine Tatvollendung im Sinne dieser Vorschrift eintritt.

VI. Strafe Neben der Strafdrohung von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe ist § 108c zu be- 12 achten (Nebenfolge im Sinne des § 45 Abs. 2 und 5).

VII. Konkurrenzen Gesetzeskonkurrenz des § 107a als generellem Auffangtatbestand32 besteht zu den vorrangigen 13 Spezialtatbeständen der §§ 108 und 108a.33 Andererseits besteht Gesetzeskonkurrenz mit Vorrang des § 107a im Verhältnis zu § 107b auf Grund der dortigen Subsidiaritätsklausel. 14 Idealkonkurrenz kommt in Betracht mit §§ 271, 348;34 § 274 Nr. 135 und § 267.36

29 Sinn SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eser Rdn. 7; Blei BT § 99 II 2; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 86 Rdn. 20. 30 Sch/Schröder/Eser Rdn. 7; Sinn SK Rdn. 6. AA Fischer Rdn. 3. 31 Schröder JZ 1957 584; Sinn SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Eser Rdn. 4; Fischer Rdn. 2; aA OLG Hamm JZ 1957 583: Verbotsirrtum. 32 S. Rdn. 1. 33 Müller MK Rdn. 24; Sinn SK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eser Rdn. 10; Fischer Rdn. 5; so für § 108a auch Lackner/Kühl § 108a Rdn. 2; aA Wolf S. 232: Idealkonkurrenz; so auch für § 108 Lackner/Kühl Rdn. 4 unter Bezugnahme auf RGSt 63 382. 34 RGSt 56 387, 390. 35 RGSt 22 182, 1830. 36 BGHSt 12 108, 112; OLG Stuttgart NJW 1954 486; OLG Köln NJW 1956 1609; OLG Hamm JZ 1957 583; OLG Koblenz NStZ 1992 134; aA zu §§ 267, 274 Nr. 1: Bruns NJW 1954 456, der auch für die in die Wahlurne eingelegten Wahlzettel entgegen der Rspr. die Urkundeneigenschaft mangels genügender Individualisierung des Ausstellers verneint. 563

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§ 107a StGB

Wahlfälschung

VIII. Recht des Einigungsvertrages 15 Zum Recht des Einigungsvertrages s. die Ausführungen in der Vorauflage.

Weiß

564

§ 107b Fälschung von Wahlunterlagen (1) Wer 1. seine Eintragung in die Wählerliste (Wahlkartei) durch falsche Angaben erwirkt, 2. einen anderen als Wähler einträgt, von dem er weiß, dass er keinen Anspruch auf Eintragung hat, 3. die Eintragung eines Wahlberechtigten als Wähler verhindert, obwohl er dessen Wahlberechtigung kennt, 4. sich als Bewerber für eine Wahl aufstellen lässt, obwohl er nicht wählbar ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. (2) Der Eintragung in die Wählerliste als Wähler entspricht die Ausstellung der Wahlunterlagen für die Urwahlen in der Sozialversicherung.

Schrifttum s. Vorbemerkungen.

Entstehungsgeschichte Zur Entwicklung des Wahlstrafrechts s. zunächst die Vorbemerkungen vor § 107. Die durch das 3. StrÄndG geschaffene Vorschrift wurde durch Art. 12 Abs. 4 u. Art. 19 Nr. 30 EGStGB redaktionell angepasst. Absatz 2 kam durch Art. II § 11 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung vom 23.12.1976 (BGBl. I 3845, 3869) – hinzu und wurde durch Art. 3 Abs. 3 des Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen vom 27.7.1984 (BGBl. I 1029, 1033) dahin gehend geändert, dass der Begriff „Wahlausweis“ durch den weitergehenden Begriff „Wahlunterlagen“ ersetzt wurde.

Übersicht I.

Normzweck

II. 1. 2. 3.

Tathandlungen 2 2 Erwirken der eigenen Eintragung 3 Eintragen eines Nicht-Wahlberechtigten Verhindern der Eintragung eines Wahlberechtig4 ten 5 Die Kandidatur eines Nicht-Wählbaren

4.

1

5.

Urwahlen in der Sozialversicherung

III.

Subjektiver Tatbestand

IV.

Konkurrenzen

V.

Recht des Einigungsvertrages

6

7

8 9

I. Normzweck Der Zweck des § 107b ist grundsätzlich derselbe wie der des § 107a, speziell jedoch die Gewähr- 1 leistung der Richtigkeit der für die ordnungsmäßige Durchführung der in § 108d gekennzeichneten Abstimmungsakte unerlässlichen schriftlichen Unterlagen. Indem § 107b weitgehend Vorbereitungshandlungen zu § 107a als eigenständige Tatbestände unter Strafe stellt, verfolgt er wie dieser das Ziel, unrichtigen Wahlergebnissen entgegenzuwirken.

565 https://doi.org/10.1515/9783110490008-054

Weiß

§ 107b StGB

Fälschung von Wahlunterlagen

II. Tathandlungen 1. Erwirken der eigenen Eintragung 2 Das Erwirken der eigenen Eintragung in die Wählerliste durch falsche Angaben (Nummer 1; z. B. über Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, Alter), also die Vorbereitung eigener Beteiligungsmöglichkeit an der Wahl trotz hierfür fehlenden Wahlrechts. Zwar hängt das Bestehen oder Nichtbestehen des aktiven Wahlrechts nicht von der Eintragung in die Wählerlisten ab, die nur die Legitimationsprüfung erleichtern sollen, sondern von den Wahlgesetzen;1 jedoch schafft die unrichtige Eintragung in die Wählerliste die Gefahr eines unrichtigen Wahlergebnisses. Täter kann nur der für sich selbst Handelnde sein.

2. Eintragen eines Nicht-Wahlberechtigten 3 Das Eintragen eines Nicht-Wahlberechtigten in die Wählerliste (Nummer 2). Täter kann jedermann außer dem Einzutragenden sein, also nicht nur ein mit der Führung der Wählerliste amtlich Beauftragter, sondern auch jemand, der dessen Gutgläubigkeit als mittelbarer Täter benutzt, um einen Dritten unberechtigt eintragen zu lassen, schließlich auch jemand, der, ohne amtlich beauftragt zu sein, die Eintragung eines Dritten vornimmt, nachdem er sich Zugang zu der Wählerliste verschafft hat.

3. Verhindern der Eintragung eines Wahlberechtigten 4 Das Verhindern der Eintragung eines Wahlberechtigten in die Wählerliste (Nummer 3). Dem Verhindern steht das Streichen einer schon vorhandenen Eintragung eines Wahlberechtigten gleich. Täter kann jedermann sein, also sowohl der Listenführer als auch ein Dritter, der durch falsche Angaben im Sinne der Nummer 1 oder auf andere Weise den Listenführer zur Unterlassung der Eintragung oder zur Streichung bestimmt oder der die Streichung selbst vornimmt.

4. Die Kandidatur eines Nicht-Wählbaren 5 für die Wahl (Nummer 4). Praktisch geschieht dies dadurch, dass der Kandidat sich in die Bewerberliste aufnehmen lässt, wodurch diese unrichtig wird. Es genügt bereits, dass der Nicht-Wählbare sich eintragen lässt. Auf eine Verkündung der Wahlliste kommt es nicht an.2

5. Urwahlen in der Sozialversicherung 6 Da für die Urwahlen in der Sozialversicherung3 keine Wählerlisten geführt werden, mussten nach Einbeziehung dieser Wahlen in den Strafschutz der §§ 107 ff. die Wahlunterlagen der Sozialversicherungswahlen den Wahllisten gleichgestellt werden, wenn der Tatbestand des § 107b mit den Nummern 1. bis 3. nicht leer laufen sollte. Das ist mit der Anfügung des Absatz 2 geschehen.

1 Vgl. RGSt 37 380, 383. 2 Sinn SK Rdn. 2. 3 §§ 55 SGB IV; §§ 43 ff. SGB IV. Weiß

566

V. Recht des Einigungsvertrages

StGB § 107b

III. Subjektiver Tatbestand Es ist Vorsatz erforderlich, jedoch muss unterschieden werden: Hinsichtlich Nummer 1 und 4 7 genügt dolus eventualis; für die Nummer 2 und 3 ist Wissentlichkeit (dolus directus 2. Grades) notwendig, also dolus eventualis nicht ausreichend. Wissentlichkeit bedeutet hier die sichere Kenntnis.4

IV. Konkurrenzen Gesetzeskonkurrenz besteht auf Grund der Subsidiaritätsklausel im Sinne des Vorrangs aller 8 Vorschriften, die eine schwerere Strafe androhen, also insbes. §§ 107a, 271 und 348.

V. Recht des Einigungsvertrages Zum Recht des Einigungsvertrages s. die Ausführungen in der Vorauflage.5

9

4 Sinn SK Rdn. 4; Müller MK Rdn. 10. 5 Dort Rdn. 7; vor § 107 Rdn. 1. 567

Weiß

§ 107c Verletzung des Wahlgeheimnisses Wer einer dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienenden Vorschrift in der Absicht zuwiderhandelt, sich oder einem anderen Kenntnis davon zu verschaffen, wie jemand gewählt hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Schrifttum s. Vorbemerkungen.

Entstehungsgeschichte Zur Entwicklung des Wahlstrafrechts s. zunächst die Vorbemerkungen vor § 107. Die Vorschrift wurde durch das 3. StrÄndG eingefügt und geht auf den Entwurf 1927 (§ 110) zurück.

Übersicht I.

Normzweck

1

II.

Tathandlung

III.

Subjektiver Tatbestand

IV.

Die strafprozessuale Bedeutung des Wahlge4 heimnisses

V.

Recht des Einigungsvertrages

2 5

3

I. Normzweck 1 § 107c bezweckt die strafrechtliche Absicherung des Schutzes des Wahlgeheimnisses. Dabei ist unter Wahlgeheimnis der Inhalt (also das „Wie“) der Abstimmungsentscheidung des Stimmberechtigten bei einer der in § 108d bezeichneten Wahlen oder sonstigen Abstimmungen zu verstehen, nicht auch das „Ob“ der Teilnahme an der Abstimmung.1 Doch knüpft § 107c nicht direkt an den Bruch des so verstandenen Wahlgeheimnisses, sondern an die Verletzung von dem Schutze des Wahlgeheimnisses dienenden Vorschriften an. Es handelt sich bei ihm daher um ein Blankettgesetz, das der Ausfüllung durch die entsprechenden Wahlgesetze des Bundes2 und der Länder sowie der zusätzlichen Verwaltungsanordnungen bedarf.

II. Tathandlung 2 Tathandlung ist das Zuwiderhandeln gegen eine blankettausfüllende Norm im Sinne von Rdn. 1, z. B. durch Kennzeichnen des Wahlzettels oder Einsicht in die Wahlzelle beim Wahlvorgang.3 Doch hat sich diese Fassung des § 107c nach den Erfahrungen über die Möglichkeiten, in das Wahlgeheimnis unbefugt einzudringen, als unzureichend erwiesen, namentlich bei Wahlen in Sonderbezirken4 und Briefwahlen.5 Vgl. dazu z. B.: Es besteht keine blankettausfüllende Norm zur Geheimhaltung der Unterschriften eines Wahlvorschlags für die Bundestagswahl.6 Deshalb ist in § 106 E 1962 eine allgemeinere Fassung, die von einer Verweisung auf blankett1 2 3 4 5 6

Sinn SK Rdn. 1. Vgl. § 33 BWahlG; §§ 50, 51, 56, 57 BWO. Weitere Beispiele bei Müller MK Rdn. 5. Vgl. §§ 61 ff. mit § 13 BWO. § 36 BWahlG. OLG Celle NdsRpfl. 1961 134; ferner OLG Karlsruhe GA 1977 312.

Weiß https://doi.org/10.1515/9783110490008-055

568

V. Recht des Einigungsvertrages

StGB § 107c

ausfüllende Normen absieht, vorgeschlagen worden.7 Es handelt sich insoweit um ein fortbestehendes Reformanliegen.8

III. Subjektiver Tatbestand Neben dem Vorsatz bezüglich der Verletzung dem Wahlgeheimnis dienender Vorschriften, für 3 den dolus eventualis genügt, erfordert der subjektive Tatbestand die Absicht der Kenntnisverschaffung vom Inhalt der Abstimmung des Wählers. Dabei bedeutet hier die Absicht den dolus directus 1. Grades9 in dem Sinne, dass es dem Täter auf die inhaltliche Kenntnisnahme – wenn auch um eines weiteren Zieles willen (z. B. Vorteilserlangung) – ankommt; Absicht ist hier also die angestrebte Zielvorstellung, nicht notwendig die motivierende Erfolgsvorstellung. Nicht erfasst wird eine Absicht, in Erfahrung zu bringen, ob (nicht wie) jemand gewählt hat, ebenso wenig die Absicht, die Kenntnis vom „Wie“ der Abstimmung auf andere Weise als durch Zuwiderhandlung gegen eine Schutzvorschrift zu erlangen, z. B. durch Aushorchen von Angehörigen des Wählers.10 Dass der Täter seine Absicht erreicht, gehört nicht zum Tatbestand; vielmehr ist die Tat bereits mit der Verletzung der Schutzvorschrift in Ausspähungsabsicht vollendet.

IV. Die strafprozessuale Bedeutung des Wahlgeheimnisses Die strafprozessuale Bedeutung des Wahlgeheimnisses ist umstritten. Böckenförde11 leitet 4 aus dem Grundsatz der Gewährleistung des Wahlgeheimnisses ein strafprozessuales Beweiserhebungsverbot ab, das schlechthin die Vernehmung eines Zeugen über den Inhalt seiner Stimmabgabe unzulässig macht, selbst wenn er zur Aussage bereit sei.12 Das würde aber dazu führen, dass die §§ 108, 108a, z. T. auch § 108b praktisch weitgehend bedeutungslos würden; denn ohne Anhörung des Wählers wird das Gericht schwerlich zu einer Überzeugungsbildung gelangen können. Der Wähler, der das Opfer der Manipulationen ist, wäre dann ungeschützt. Das ist keinesfalls der Sinn der Gesamtregelung. Vielmehr ist ein derartiges Beweisverbot nicht anzuerkennen. Der verfassungsmäßigen Bedeutung des Schutzes des Wahlgeheimnisses einerseits und dem aktiven Geheimhaltungsinteresse des Wählers im Einzelfall andererseits ist damit genügend gedient, dass ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht zugebilligt wird.13

V. Recht des Einigungsvertrages Zum Recht des Einigungsvertrages s. die Ausführungen in der Vorauflage.14

5

7 Vgl. Begründung S. 592. 8 So auch Müller MK Rdn. 3; Sinn SK Rdn. 2. 9 Vgl. BGHSt 21 283, 284. 10 Müller MK Rdn. 6; Fischer Rdn. 3, der darauf hinweist, dass in diesem Fall § 203 Abs. 2 zu prüfen ist. 11 NJW 1967 239 f. 12 Ebenso BVerwGE 49 75, 77 ff. für Personalratswahlen. 13 Richtig Tiedemann NJW 1967 1013 f. und dort Fn. 10; so auch schon RGSt 63 382, 388; Müller MK Rdn. 7; Sinn SK Rdn. 5; offen gelassen in BGHSt 29 380, 386.

14 vor § 107 Rdn. 1. 569

Weiß

§ 108 Wählernötigung (1) Wer rechtswidrig mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, durch Missbrauch eines beruflichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses oder durch sonstigen wirtschaftlichen Druck einen anderen nötigt oder hindert, zu wählen oder sein Wahlrecht in einem bestimmten Sinne auszuüben, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe, in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Schrifttum s. Vorbemerkungen.

Entstehungsgeschichte Zur Entwicklung des Wahlstrafrechts s. zunächst die Vorbemerkungen vor § 107. Der vorher in § 107 behandelte Tatbestand beruht in seiner jetzigen Fassung auf dem 3. StrÄndG. Das 8. StrÄndG brachte redaktionelle Änderungen.

Übersicht I.

Normzweck

1

II. 1.

2.

Tathandlung 2 3 Nötigungsmittel a) Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen 4 Übel b) Missbrauch eines beruflichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses; 5 sonstiger wirtschaftlicher Druck 9 Nötigungserfolg

III.

Rechtswidrigkeit

IV.

Vorsatz und Irrtum

V.

Versuch

VI.

Strafe

11

12 13

VII. Konkurrenzen

14

VIII. Zeugnisverweigerungsrecht IX.

Recht des Einigungsvertrages

15 16

10

I. Normzweck 1 § 108 bezweckt in erster Linie den Schutz der freien Entscheidung des einzelnen Stimmberechtigten über das Ob und Wie seiner Stimmabgabe.1 Er ist insofern das Gegenstück zu § 107, der generell die ordnungsgemäße Ausübung des Stimmrechts durch die Gesamtheit der im Einzelfalle Stimmberechtigten, also den Wahlvorgang als solchen schützt.2 Zugleich hat § 108 eine mittelbare Schutzwirkung zur Verhinderung unrichtiger Wahlergebnisse.3

II. Tathandlung 2 Tathandlung ist das „Nötigen“ oder „Hindern“ eines Wahlberechtigten in Bezug auf die Ausübung seines Wahlrechts unter Einsatz bestimmter Nötigungsmittel.

1 Kargl NK Rdn. 1; Sinn SK Rdn. 1; Müller MK Rdn. 1. 2 Vgl. § 107 Rdn. 1. 3 Vgl. § 107a Rdn. 1; s. auch BGHSt 9 338, 340 zu § 108a. Weiß https://doi.org/10.1515/9783110490008-056

570

II. Tathandlung

StGB § 108

1. Nötigungsmittel Als Nötigungsmittel zählt § 108 auf: Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel, Miss- 3 brauch eines beruflichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses oder sonstiger wirtschaftlicher Druck.

a) Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel. Dazu wird auf die Erläuterungen zu 4 § 240 verwiesen.

b) Missbrauch eines beruflichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses; 5 sonstiger wirtschaftlicher Druck. Da der Einsatz dieser Nötigungsmittel stets offene oder versteckte Drohungen enthält, handelt es sich bei ihnen lediglich um Konkretisierungen des Nötigungsmittels „Drohung mit einem empfindlichen Übel“,4 wobei wiederum der Missbrauch eines beruflichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses nur eine beispielhafte Ausformung des Nötigungsmittels „wirtschaftlicher Druck“ darstellt. Die Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale hat sich daher nach den Kriterien zu richten, die für die „Drohung mit einem empfindlichen Übel“ maßgeblich sind. Nach der Ansicht des BVerfG5 scheiden solche Handlungen aus dem Tatbestand aus, die objektiv untauglich sind, einen Wähler zu dem angesonnenen Verhalten zu nötigen. Dies entspricht der auch vom BGH6 befürworteten normativen Einschränkung der Tatbestände der Nötigungsdelikte. Nach der genannten Entscheidung des BVerfG7 ist wirtschaftlicher Druck nur dann tatbestandsmäßig im Sinne des § 108, wenn er dem Wähler als unausweichliche Handlungsanweisung erscheint. Diese enge Auslegung weicht von dem Voraussetzungen ab, die bei anderen Nötigungstatbeständen vorliegen müssen. Dort wird allgemein das Vorliegen einer Drohung mit einem empfindlichen Übel nicht davon abhängig gemacht, dass beim Genötigten ein unausweichlicher oder unwiderstehlicher Handlungsdruck entsteht. Daher spricht viel dafür, für die Ausübung wirtschaftlichen Drucks gemäß § 108 die Androhung oder Ausführung für den Genötigten wirtschaftlich nachteiliger Maßnahmen genügen zu lassen, soweit es nicht völlig ausgeschlossen erscheint, dass sich ein besonnener Wähler durch die Maßnahme in seinem Wahlverhalten im Sinne des Nötigers beeinflussen lassen könnte.8 Dass der Nachteil tatsächlich eintritt, ist nicht erforderlich.9 Wenn daher beispielsweise 6 ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern – und sei es auch nur verklausuliert – die Schließung seines Betriebs oder den Abbau von Arbeitsplätzen für den Fall eines bestimmten Wahlausganges ankündigt und gleichzeitig zur Wahl einer bestimmten Partei auffordert10 oder Stellenbewerbern mitteilt, dass nur bei einem bestimmten Wahlausgang ihre Einstellung in Betracht kommen könne,11 ist der objektive Tatbestand des § 108 erfüllt.12 Allgemein gehaltene, im öffentlichen Meinungskampf abgegebene Äußerungen von Un- 7 ternehmern über mögliche wirtschaftliche Konsequenzen eines bestimmten Wahlausganges

4 AA Lackner/Kühl Rdn. 2 und Wolf S. 258, die hierin eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 108 sehen; wie hier: Müller MK Rdn. 9; Sinn SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Eser Rdn. 6; Kargl NK Rdn. 2; Wolter AK Rdn. 3. 5 BVerfGE 66 369, 380. 6 S. die Nachweise bei § 105 Rdn. 16. 7 A. a. O. S. 384. 8 Ebenso Müller MK Rdn. 11; Kargl NK Rdn. 3; kritisch zu BVerfGE 66 369 auch Breitbach DuR 1984 432 ff. und Oppermann JuS 1985 519, 521 f. Der engen Auslegung des BVerfG folgend Sinn SK Rdn. 3. 9 Fischer Rdn. 6. 10 Vgl. BVerfGE 66 369, 373. 11 Vgl. BVerfGE 66 369, 375. 12 So auch Müller MK Rdn. 11. 571

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§ 108 StGB

Wählernötigung

sind hingegen auch dann nicht tatbestandsmäßig, wenn sich diese Konsequenzen für ihre jeweiligen Arbeitnehmer oder bei ihnen Arbeit Suchende nachteilig auswirken könnten (z. B. Betriebsschließungen; Produktionsverlagerungen ins Ausland; Entlassungen, Investitions- oder Einstellungsstopps) und daher geeignet erscheinen, deren Wahlverhalten im Sinne des Unternehmers zu beeinflussen. Häufig wird es hier schon an einer Drohung fehlen, weil die in Aussicht gestellten negativen Konsequenzen eines bestimmten Wahlausganges nicht als vom Drohenden abhängig, sondern als Ergebnis einer zu erwartenden verfehlten Politik dargestellt werden (Warnung). Wird auf die nach Ansicht des Äußernden drohenden wirtschaftlichen Folgen einer Wählerentscheidung zugunsten „Radikaler von rechts und links“ hingewiesen, liegt dementsprechend lediglich eine Warnung vor13 Die Grenze wird dort überschritten sein, wo sich derartige Äußerungen – eventuell ver8 bunden mit der Wahlaufforderung für eine bestimmte Partei – direkt an bestimmte von dem Unternehmer wirtschaftlich Abhängige richten und dabei ausdrücklich oder auch nur konkludent darauf hingewiesen wird, dass sich die Konsequenzen eines bestimmten Wahlausganges gerade auch auf den Angesprochenen nachteilig auswirken werden.14

2. Nötigungserfolg 9 § 108 ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Nach seinem Tatbestand kann die Nötigungswirkung bestehen im – erzwungenen Gebrauchmachen vom Wahlrecht überhaupt; – erzwungenen Gebrauchmachen vom Wahlrecht in einem bestimmten Sinn; – erzwungenen Unterlassen des Gebrauchmachens vom Wahlrecht in einem bestimmten Sinn; – erzwungenen Unterlassen des Gebrauchmachens vom Wahlrecht überhaupt. Im letzteren Falle ist auch an den Einsatz von vis absoluta zu denken (z. B. Einsperren des Opfers während der gesamten Wahlzeit).

III. Rechtswidrigkeit 10 § 108 ist lex specialis zu § 240.15 Er ist wie dieser von den objektiven tatbestandlichen Voraussetzungen her weit gefasst und als sog. „offener“ Tatbestand zu bezeichnen. Nach h. M. ist daher über das im Tatbestand des § 108 ausdrücklich erwähnte allgemeine Verbrechensmerkmal der Rechtswidrigkeit die Adäquanzklausel des § 240 Abs. 2 entsprechend anzuwenden.16 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Anwendung von Gewalt oder Drohung jedenfalls bei dem qualifizierten Nötigungstatbestand des § 108 bereits typisches Unrecht darstellt; ein (rechtfertigender) innerer Zusammenhang zwischen der vom Täter angestrebten Beugung des Willens des Wahlberechtigten und dem Nötigungsmittel erscheint angesichts des spezifischen Nötigungsziels kaum denkbar.17

IV. Vorsatz und Irrtum 11 Zu Vorsatz und Irrtum vgl. die Kommentierung zu § 105.18 13 14 15 16 17 18

VG Dresden NVwZ-RR 2006 225 f. Oppermann JuS 1985 519, 523. Sch/Schröder/Eser Rdn. 10; Kargl NK Rdn. 7; Sinn SK Rdn. 9. Sch/Schröder/Eser Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 3; Fischer Rdn. 5. Im Ergebnis ebenso Müller MK Rdn. 14; Wolter AK Rdn. 6. Dort Rdn. 33.

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572

IX. Recht des Einigungsvertrages

StGB § 108

V. Versuch Der Versuch ist nach Absatz 2 strafbar. Da der Tatbestand als Erfolgsdelikt ausgestaltet ist, liegt 12 Vollendung erst mit Eintritt der Nötigungswirkung vor.19

VI. Strafe § 108 droht Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, für besonders schwere Fälle Frei- 13 heitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren an. In Ergänzung zur Strafdrohung ist § 108c zu beachten (Nebenfolge im Sinne des § 45 Abs. 2 und 5).

VII. Konkurrenzen Gesetzeskonkurrenz mit Vorrang des § 108 als lex specialis besteht zu § 107a20 und zu § 240. 14 Idealkonkurrenz kommt mit § 107 in Betracht.

VIII. Zeugnisverweigerungsrecht Zum Zeugnisverweigerungsrecht des genötigten Stimmberechtigten s. § 107c Rdn. 4.

15

IX. Recht des Einigungsvertrages Zum Recht des Einigungsvertrages vgl. die Ausführungen in der Vorauflage, vor § 107 Rdn. 1. 16

19 S. Rdn. 9. 20 Vgl. – auch zur Gegenmeinung – § 107a Rdn. 13 f. 573

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§ 108a Wählertäuschung (1) Wer durch Täuschung bewirkt, dass jemand bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen nicht oder ungültig wählt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Schrifttum s. Vorbemerkungen.

Entstehungsgeschichte Zur Entwicklung des Wahlstrafrechts s. zunächst die Vorbemerkungen vor § 107. Die Vorschrift wurde durch das 3. StrÄndG eingeführt. Sie geht auf § 105 des Entwurfs 1927 zurück.

Übersicht I.

Normzweck

1

II.

Tathandlungen

III.

Subjektiver Tatbestand

2 8

9

IV.

Versuch

V.

Konkurrenzen

VI.

Recht des Einigungsvertrages

10 11

I. Normzweck 1 Den Zweck des § 108a umschreibt der Bundesgerichtshof1 wie folgt: „in erster Linie Schutz des einzelnen Wählers gegen eine Täuschung, die den Verlust seines Stimmrechts zur Folge hat, mittelbar aber auch Vorsorge gegen eine Verfälschung des Wahlergebnisses entsprechend dem wirklichen Willen der Wählergesamtheit“. Wie § 108, so ist auch § 108a ein Gegenstück zu § 107.2 Auf die mittelbare Schutzwirkung des § 108a zur Verhinderung unrichtiger Wahlergebnisse wurde bereits hingewiesen.3 Die praktische Bedeutung des § 108a liegt im Schutz unkundiger, gebrechlicher oder behinderter, auf Rat oder Hilfe bei der Abstimmung angewiesener Personen vor Irreführungen hinsichtlich ihrer Willensbildung oder Willensbetätigung.4

II. Tathandlungen 2 Tathandlung ist ein Täuschen (z. B. Irreführung über den Sinn der Wahl, den Wahltag, die Wahlzeit, das Ende des Wahlvorgangs, die Art und Weise der Stimmabgabe, die richtige Kennzeichnung des Stimmzettels), durch das im Stimmberechtigten hinsichtlich der konkreten Abstimmung ein Irrtum mit der Folge verursacht wird, dass der Stimmberechtigte5 3 1. zwar weiß, dass er eine Wahlhandlung vornimmt, seine Erklärung jedoch infolge der Täuschung eine andere Bedeutung hat, als er vermeint (Erklärungsirrtum über den Inhalt

1 BGHSt 9 338, 340. 2 Vgl. § 107 und § 108, jeweils Rdn. 1. 3 Rdn. 1 zu § 107a; vgl. auch Müller MK Rdn. 1; Nach der Ansicht von Sinn SK Rdn. 1 steht das Allgemeininteresse im Vordergrund.

4 Sinn SK Rdn. 1; Sch/Schröder/Eser Rdn. 1; Müller MK Rdn. 1. 5 Vgl. BGHSt 9 338, 339 f. Weiß https://doi.org/10.1515/9783110490008-057

574

VI. Recht des Einigungsvertrages

StGB § 108a

der Erklärung; z. B. durch Unterschieben eines vorbereiteten Stimmzettels mit einem anderen als dem vorgespiegelten Inhalt); oder 2. nicht einmal erkennt, dass er eine wahlrechtlich erhebliche Handlung vornimmt (ebenfalls Erklärungsirrtum über den Inhalt der Erklärung; z. B. Unterschrift unter einen Wahlvorschlag auf Grund der Vorspiegelung, es handle sich um die Unterschrift unter ein Leumundszeugnis6); oder 3. gegen seinen Willen nicht wählt, z. B. weil ihm vorgespiegelt wurde, der in Wahrheit für den betreffenden Tag festgesetzte Wahltermin sei erst eine Woche später (Motivirrtum für die Willensbildung, den Wahlwillen nicht zu verwirklichen; zu unterscheiden von dem unbeachtlichen Motivirrtum für die Unterlassung der Bildung oder für die Aufgabe eines Wahlwillens, z. B. weil dem Stimmberechtigten die Teilnahme an der Wahl durch eine lügnerische Wahlpropaganda verleidet worden war); oder 4. gegen seinen Willen ungültig wählt, weil ihm z. B. vorgespiegelt worden war, er könne den Stimmzettel mit einem Zusatz oder Vorbehalt versehen7 (Erklärungsirrtum über die Form der Erklärung). Die Tathandlung kann in Form eines Tuns von jedermann als Täter, in Form eines Unterlassens (z. B. der Berichtigung eines Irrtums des Stimmberechtigten über die Wahlzeit oder die Form der Wahlhandlung) nur von demjenigen als Täter begangen werden, der eine Garantenstellung hat. Diese kann sich aus dem Gesetz ergeben.8

4

5

6

7

III. Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand genügt Vorsatz in der Form des dolus eventualis.9

8

IV. Versuch Der Versuch ist in Absatz 2 unter Strafe gestellt. Er beginnt mit dem Anfang der Täuschungs- 9 handlung, auch wenn zB. der Stimmberechtigte die Täuschung sogleich durchschaut. Da der Tatbestand als ein Erfolgsdelikt ausgestaltet ist, gehört zur Vollendung entweder die Stimmabgabe oder das endgültige Nichtwählen oder das Ungültigwählen.10

V. Konkurrenzen Gesetzeskonkurrenz mit Vorrang des § 108a als lex specialis besteht zu § 107a.11 Idealkonkur- 10 renz kommt z. B. mit § 267 in Betracht.12

VI. Recht des Einigungsvertrages Zum Recht des Einigungsvertrages vgl. die Ausführungen in der Vorauflage, vor § 107 Rdn. 1. 11

6 BGHSt 9 338. 7 Vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5 BWahlG. 8 Vgl. § 33 Abs. 2 i. V. m. § 14 Abs. 5 BWahlG für Vertrauenspersonen, etwa wenn der Wähler leseunkundig ist. 9 Müller MK Rdn. 10; Kargl NK Rdn. 2. 10 Müller MK Rdn. 8. 11 Vgl. Rdn. 9 zu § 107; s. auch Sinn SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eser Rdn. 4; Fischer Rdn. 2. 12 OLG Köln NJW 1956 1609; Sinn SK Rdn. 5; Müller MK Rdn. 12. 575

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§ 108b Wählerbestechung (1) Wer einem anderen dafür, dass er nicht oder in einem bestimmten Sinne wähle, Geschenke oder andere Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer dafür, dass er nicht oder in einem bestimmten Sinne wähle, Geschenke oder andere Vorteile fordert, sich versprechen lässt oder annimmt.

Schrifttum s. Vorbemerkungen.

Entstehungsgeschichte Zur Entwicklung des Wahlstrafrechts s. zunächst die Vorbemerkungen vor § 107. Die durch das 3. StrÄndG1 eingefügte Vorschrift enthält eine Erweiterung des Tatbestandes des § 109 a. F. über den Stimmenkauf. Art. 19 Nr. 31 EGStGB brachte nur redaktionelle Änderungen.

Übersicht I.

Normzweck

II. 1.

Tathandlungen 2 Anbieten, Versprechen oder Gewähren von Vor2 teilen Fordern, Sich-versprechen-Lassen oder Anneh4 men von Vorteilen

2.

1

3.

Geschenke oder andere Vorteile

III.

Versuch

IV.

Strafe; Einziehung

V.

Konkurrenzen

VI.

Recht des Einigungsvertrages

5

7 8 9 10

I. Normzweck 1 § 108b bezweckt den Schutz der Sachlichkeit der Stimmabgabe der wahlberechtigten Bürger bei den in § 108d genannten Wahlen und Abstimmungen.2 Zur Erreichung dieses Zieles stellt er in Anlehnung an die §§ 331–334 den sog. Stimmenkauf und -verkauf und gewisse Vorbereitungshandlungen hierzu unter Strafe. § 108b Abs. 1 sanktioniert die aktive Wählerbestechung, während sich Absatz 2 auf die passive Wählerbestechlichkeit, das Verhalten des Wählers als Stimmverkäufer, bezieht. § 108b erfasst nicht die Bestechung von bereits gewählten Mandatsträgern.3 Diese ist in § 108e geregelt.

II. Tathandlungen 1. Anbieten, Versprechen oder Gewähren von Vorteilen 2 Wegen der Einzelheiten dieser Tatbestandsmerkmal des Absatzes 1 kann auf die entsprechenden Erläuterungen zu § 333, dem der Absatz 1 nachgebildet ist, verwiesen werden. Der angebotene, 1 Vgl. vor § 105 vor Rdn. 1. 2 BGHSt 33 336, 338 m. Anm. Dölling NStZ 1987 69 und Geerds JR 1986 253; vgl. auch BayObLGSt. 1958 67, 68; Sch/ Schröder/Eser Rdn. 1. 3 Sch/Schröder/Eser Rdn. 1; Kargl NK Rdn. 1. Weiß https://doi.org/10.1515/9783110490008-058

576

II. Tathandlungen

StGB § 108b

versprochene oder gewährte Vorteil muss als Gegenleistung4 dafür gedacht sein, dass der Wahlberechtigte sein Stimmrecht überhaupt nicht oder in einem bestimmten Sinne ausübt. Dazu genügt es bereits, dass der Wahlberechtigte ungültig oder bei im Übrigen freier Wahl nur einen bestimmten Kandidaten nicht wählen soll.5 Dass sich der Wahlberechtigte in seinem Stimmverhalten tatsächlich beeinflussen lässt, ist nicht erforderlich.6 Da bereits das ausdrückliche oder stillschweigende In-Aussicht-Stellen („Anbieten, Versprechen“) des Vorteils genügt, muss der Täter, bei dem es sich nicht um einen Wahlbewerber handeln muss, den Vorteil nicht tatsächlich gewähren oder auch nur gewähren wollen. Es genügt, dass er sich zum Abschluss der sog. Unrechtsvereinbarung7 bereit zeigt. Diese Unrechtsvereinbarung setzt voraus, dass zwischen dem Täter und dem Begünstigten 3 eine bestimmte personale Beziehung hergestellt werden oder bestehen muss, die im Hinblick auf den gewährten Vorteil zu einer wenn auch nur gefühlsmäßigen Verpflichtung des Empfängers, in der vom Bestechenden gewünschten Weise abzustimmen, führt oder führen kann.8 Versprechen oder pauschale Zuwendungen an eine unbestimmte Personenmehrheit ohne diesen Bezug schaffen derartige Bindungen nicht und fallen damit nicht unter den Tatbestand. Dies gilt etwa für die in Werbepostkarten enthaltene Ankündigung, im Falle der Wahl eines bestimmten Kandidaten an einer Verlosung teilnehmen zu können.9 Eine personale Beziehung wird auch nicht durch die üblicherweise im „Straßenwahlkampf“ an beliebig viele einzelne Wähler verteilten kleineren Geschenke wie Kugelschreiber, Kalender, Blumen usw. geschaffen. Angesichts des geringen Werts dieser an alle interessierten Passanten gegebenen Werbegeschenke ist von vornherein ausgeschlossen – und auch vom Verteilenden nicht beabsichtigt –, dass beim Empfänger eine gefühlsmäßige Verpflichtung zur Wahl in einem bestimmten Sinne hervorgerufen wird.10

2. Fordern, Sich-versprechen-Lassen oder Annehmen von Vorteilen Wegen der Einzelheiten dieser Tatbestandsmerkmale des Absatzes 2 kann auf die entsprechen- 4 den Erläuterungen zu den §§ 331, 332, denen Absatz 2 nachgebildet ist, verwiesen werden. Dass der Wahlberechtigte sich durch den Vorteil tatsächlich beeinflussen lässt oder auch nur bereit war, sich beeinflussen zu lassen, ist nicht erforderlich. Es genügt, dass er sich zur Käuflichkeit bereit zeigt.11 Zur Unrechtsvereinbarung und zum Inhalt der Gegenleistung s. Rdn. 2, zum Vorteil s. Rdn. 4.

3. Geschenke oder andere Vorteile Die „Geschenke“ stellen lediglich eine beispielhafte Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals 5 „Vorteile“ dar. Letzteres ist wie bei den §§ 331–334 auszulegen. Als Vorteil ist daher jede Leistung materieller oder immaterieller Art anzusehen, auf die der Empfänger keinen Rechtsanspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder persönliche Lage objektiv verbessert.12 Ausrei-

4 Vgl. dazu etwa BGHSt 15 239, 242, 251 f.; 20 1, 2; BGH NStZ 1994 277. 5 Müller MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2; Kargl NK Rdn. 2. 6 Kargl NK Rdn. 2. 7 S. dazu BGHSt 16 40, 46; 47 295; 306 ff. 8 BGHSt 33 336, 339 mit zust. Anm. Dölling NStZ 1987 69; kritisch Geerds JR 1986 253, 254 f. und Kargl NK Rdn. 2. 9 So zutr. Dölling NStZ 1987, 69 und Müller MK Rdn. 8.gegen BayObLGSt. 1958 67, 68. 10 Müller MK Rdn. 8. 11 BGHSt 15 239, 242. 12 BGHSt 31 264, 279 m. w. N.; 33 336, 339; 35 128, 133; 47 295, 304. 577

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§ 108b StGB

Wählerbestechung

chend ist, dass der Vorteil dem Begünstigten nur mittelbar zugute kommt,13 etwa einem Verein zugewendete Vorteile, dem Vereinsvorsitzenden oder auch einem Vereinsmitglied.14 6 Dieser umfassende Vorteilsbegriff ist bei § 108b jedoch problematisch. Demokratische Wahlkämpfe sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass die Kandidaten den Wählern versprechen, sich für deren Interessen einzusetzen. Da die Interessen der Bürger unterschiedlich sein können, ist es legitim, wenn Wahlbewerber mit dem Versprechen, Maßnahmen für bestimmte Interessengruppen treffen zu wollen, um Stimmen werben, auch wenn nur ein eng begrenzter Personenkreis begünstigt würde.15 Der Vorteilsbegriff des § 108b ist daher einschränkend auszulegen. Ein Unrechtszusammenhang fehlt, wenn der Vorteil als sozialadäquat angesehen werden kann.16 Kein Vorteil im Sinne von § 108b ist das Versprechen von Maßnahmen, die sich im Rahmen der rechtmäßigen Ausübung des von dem Wahlbewerber angestrebten Amtes halten. Dagegen sind vom Vorteilsbegriff erfasst alle Leistungen aus dem Privatvermögen des Täters und alle Zuwendungen, die nur im Wege rechtswidriger Amtsausübung verschafft werden können.

III. Versuch 7 Der Versuch ist nicht strafbar. Da die Tat nach Absatz 1 bereits mit der Kenntnisnahme des Angebots usw. durch auch nur einen Wahlberechtigten vollendet ist17 und die Tat nach Absatz 2 mit der Kenntnisnahme der Forderung usw. durch einen präsumtiven Vorteilsgeber, besteht für die Strafbarkeit des Versuchs auch kein Bedürfnis.

IV. Strafe; Einziehung 8 Sowohl für die aktive (Absatz 1) wie die passive (Absatz 2) Wählerbestechung droht § 108b Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe an. Die Ergänzung der Strafdrohung in § 108c (Nebenfolge nach § 45 Abs. 2 und 5) ist zu beachten. Ein durch eine Tat nach § 108b erlangter Vermögensvorteil unterliegt der Einziehung nach §§ 73 ff.

V. Konkurrenzen 9 Gesetzeskonkurrenz mit Vorrang des § 108b als lex specialis besteht zu § 107a.18 Idealkonkurrenz mit § 263 kommt dann in Betracht, wenn der Bestechende entsprechend vorgefasster Absicht sein Versprechen nicht einhält oder der Empfänger nicht wie vereinbart abstimmt.19

VI. Recht des Einigungsvertrages 10 Zum Recht des Einigungsvertrages s. die Ausführungen in der Vorauflage, vor § 107 Rdn. 1.

13 14 15 16 17 18

BGHSt 14 123, 128; Kargl NK Rdn. 3. S. BGHSt 33 336, 339. So zutreffend Dölling NStZ 1987 69. BGHSt 33, 336, 338 f.; Sinn SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2; Fischer Rdn. 3 und § 331 Rdn. 25; Wolter AK Rdn. 1. BayObLGSt. 1958 67, 70. Müller MK Rdn. 12; Sinn SK Rdn. 6; aA Kargl NK Rdn. 4: Idealkonkurrenz zu § 107a wegen der unterschiedlichen Schutzrichtungen möglich. 19 Müller MK Rdn. 12; Kargl NK Rdn. 4; SSW/Vogler Rdn. 6; Sinn SK Rdn. 6. Anders noch die Vorauflage: Idealkonkurrenz mit § 263 kommt nicht in Betracht, da Leistungen, die verbotenen Zwecken dienen, nicht zum Vermögen im Sinne des § 263 gehören. Weiß

578

§ 108c Nebenfolgen Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wegen einer Straftat nach den §§ 107, 107a, 108 und 108b kann das Gericht die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkennen (§ 45 Abs. 2 und 5).

Entstehungsgeschichte Zur Entwicklung des Wahlstrafrechts s. zunächst die Vorbemerkungen vor § 107. Die jetzige Fassung der ursprünglich als § 109 vom 3. StrÄndG eingefügten Vorschrift beruht auf Art. 19 Nr. 32 EGStGB.

Übersicht I.

Nebenfolgen

1

II.

Automatische Statusfolge

2

I. Nebenfolgen Als fakultative Nebenfolgen werden hier die Aberkennung der (passiven) Wählbarkeit („Fähig- 1 keit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen“) und die Aberkennung des (aktiven) Wahlrechts („des Rechts, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen“), kumuliert oder getrennt, durch Richterspruch neben Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten zugelassen. Es handelt sich bei § 108c um eine Ausführungsvorschrift zu § 45 Abs. 2 (Wählbarkeit) und Abs. 5 (Wahlrecht). Aus diesen Absätzen ergibt sich zugleich, dass die Aberkennung für mindestens zwei Jahre und höchstens fünf Jahre ausgesprochen werden kann; in diesem Rahmen hat das Gericht Spielraum, vorbehaltlich der nachträglichen Änderung nach § 45b. Wie die Nebenfolgen dogmatisch einzuordnen sind, ist umstritten, dürfte aber letztlich ohne Bedeutung bleiben, weil deren Verhängung bei der Zumessung der Hauptstrafe zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen sind.1 Bei § 107b, 107c und 108a findet die Vorschrift keine Anwendung.

II. Automatische Statusfolge Von dieser Nebenstrafe ist die automatische Statusfolge des § 45 Abs. 1 zu unterscheiden, die 2 ohne besonderen Richterspruch bei Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr wegen eines Verbrechens (begangen als Täter oder Teilnehmer, in Vollendungs- oder Versuchsform oder in der Vorbereitungsform des § 302) kraft Gesetzes eintritt. In § 45 Abs. 1 ist auch der Verlust der Wählbarkeit mit erwähnt. Die Dauer des Verlustes ist hier bindend auf fünf Jahre festgelegt, vorbehaltlich der nachträglichen Änderung nach § 45b.

1 Ausführlich zum Meinungsstreit und der rechtlichen Einordnung vgl. Schneider LK13 § 45 Rdn. 1 m. w. N. 2 Vgl. Sch/Schröder/Kinzig § 45 Rdn. 3. 579 https://doi.org/10.1515/9783110490008-059

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§ 108d Geltungsbereich Die §§ 107 bis 108c gelten für Wahlen zu den Volksvertretungen, für die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, für sonstige Wahlen und Abstimmungen des Volkes im Bund, in den Ländern, in kommunalen Gebietskörperschaften, für Wahlen und Abstimmungen in Teilgebieten eines Landes oder einer kommunalen Gebietskörperschaft sowie für Urwahlen in der Sozialversicherung. Einer Wahl oder Abstimmung steht das Unterschreiben eines Wahlvorschlags oder das Unterschreiben für ein Volksbegehren gleich.

Entstehungsgeschichte Zur Entwicklung des Wahlstrafrechts s. zunächst die Vorbemerkungen vor § 107. Die durch das 3. StrÄndG ursprünglich als § 109a eingefügte Vorschrift wurde durch Art. 19 Nr. 33 EGStGB redaktionell geändert. Die Einbeziehung der Urwahlen in der Sozialversicherung1 erfolgte durch das Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung vom 23.12.1976 (BGBl. I 3845) –, der Wahlen zum Europäischen Parlament durch das Europawahlgesetz vom 16.6.1978 (BGBl. I 709). Die Vorschrift in ihrer jetzigen Fassung beruht auf dem 48. StrAndG vom 23.4.2014. Zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der §§ 107 ff. durch den Landesgesetzgeber.2 Hier wird der Anwendungsbereich der §§ 107 bis 108c geregelt. Insoweit wird auf die Vorbemerkung vor § 107 Bezug genommen; insbesondere auch auf die dortige Kritik zur Gesamtregelung. Wegen der Begriffe der Wahlen und der Abstimmungen wird auf Rdn. 6 ff. zu § 107 verwiesen. Der Sprachgebrauch des Gesetzes ist nicht glücklich; doch ist mit ihm vereinbar, den Abstimmungsbegriff als Oberbegriff zu verwenden. Er entspricht dann dem Begriff der Wahl im weiteren Sinne (z. B. bei Wahlhinderung, Wahlhandlung, Wahlgeheimnis usw.).

1 Wolter AK vor § 105 Rdn. 1 hält dies für systemwidrig. 2 S. Lenzen JR 1980 133. Weiß https://doi.org/10.1515/9783110490008-060

580

§ 108e Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern (1) Wer als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornehme oder unterlasse, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer einem Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil für dieses Mitglied oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass es bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornehme oder unterlasse. (3) Den in den Absätzen 1 und 2 genannten Mitgliedern gleich stehen Mitglieder 1. einer Volksvertretung einer kommunalen Gebietskörperschaft, 2. eines in unmittelbarer und allgemeiner Wahl gewählten Gremiums einer für ein Teilgebiet eines Landes oder einer kommunalen Gebietskörperschaft gebildeten Verwaltungseinheit, 3. der Bundesversammlung, 4. des Europäischen Parlaments, 5. einer parlamentarischen Versammlung einer internationalen Organisation und 6. eines Gesetzgebungsorgans eines ausländischen Staates. (4) Ein ungerechtfertigter Vorteil liegt insbesondere nicht vor, wenn die Annahme des Vorteils im Einklang mit den für die Rechtsstellung des Mitglieds maßgeblichen Vorschriften steht. Keinen ungerechtfertigten Vorteil stellen dar 1. ein politisches Mandat oder eine politische Funktion sowie 2. eine nach dem Parteiengesetz oder entsprechenden Gesetzen zulässige Spende. (5) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkennen.

Schrifttum v. Arnim Abgeordnetenkorruption, JZ 1990 1014; ders. Der gekaufte Abgeordnete – Nebeneinkünfte und Korruptionsproblematik NVwZ 2006 249; van Aaken Genügt das deutsche Strafrecht den Anforderungen der VN-Konvention gegen Korruption? – Eine rechtsvergleichende Studie zur politischen Korruption unter besonderer Berücksichtigunder Rechtslage in Deutschland, ZaöRV 2005 407; Barton Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung, NJW 1994 1098; Becker Korruptionsbekämpfung im parlamentarischen Bereich, Diss. Bonn 1998; Becker Anmerkung zum Urteil des BGH vom 17.3.2015 – 2 StR 281/14, NStZ 2015 454; Brouwer Lobby-Compliance – Wege zu einer besseren und transparenteren Gesetzgebung, CCZ 2019 2; Busch Ist die strafwürdige Beeinflussung und Beeinflussbarkeit von Bundestagsabgeordneten durch § 108e StGB hinreichend geregelt? Diss. Hamburg 2016; Dahs/Müssig Strafbarkeit kommunaler Mandatsträger als Amtsträger? NStZ 2006 191; Deiters Zur Frage der Strafbarkeit von Gemeinderäten wegen Vorteilsannahme und Bestechlichkeit, NStZ 2003 453; Epp Die Abgeordnetenbestechung – § 108e StGB (1997) = Schriften zum Strafrecht und Strafprozessrecht, Bd. 29; van Essen Schärfere Gesetze gegen Abgeordnetenbestechung? ZRP 2013 190; Francuski Die Neuregelung der Abgeordnetenbestechung (§ 108e), HRRS 2014 220; Fritz Erweiterung der Abgeordnetenbestechung, NJW-Spezial 2014 184; Gänßle Das Antikorruptionsstrafrecht, NStZ 1999 543; Geerds Über Änderungen der Bekämpfung krimineller Korruption, JR 1996 309; ders. Strafbarkeitsrisiken kommunaler Amts- und Mandatsträger im Zusammenhang mit der Errichtung eines Windparks, wistra 2017 381; Grüll Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung, ZRP 1992 371; Haak Abgeordnetenbestechung: Zu den Auswirkungen des § 108e Abs. 2, Abs. 3 StGB n. F. auf den Anwendungsbereich des Art. 2 § 2 IntBestG, ZWH 2015 175; Hauck Über Sinn und Widersinn der von GRECO unterbreiteten Vorschläge zur Änderung der Korruptionstatbestände in §§ 108e, 299 und 311 ff. StGB, wistra 2010 255; Heinrich Zur Notwendigkeit der Unterscheidung von Amtsträgern und Mandatsträgern bei der Gestaltung der strafrechtlichen Korruptionstatbestände, ZIS 2016 382; Heisz Die Abgeordnetenbestechung nach § 108e StGB – Schließung einer Regelungslücke? (1998); Hoven/Kubiciel Das Verbot der Mandatsträgerbestechung-Strafgrund und Umfang des neuen § 108e StGB, NK 2014 339; Hoven Die Strafbarkeit der

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§ 108e StGB

Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern

Abgeordnetenbestechung, Wege und Ziele einer Reform des § 108e StGB, ZIS 2013, 33; dies. Aktuelle rechtspolitische Entwicklungen im Korruptionsstrafrecht – Bemerkungen zu den neuen Strafvorschriften über Mandatsträgerbestechung und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, NStZ 2015 553; Jäckle Sturzgeburt – „Hauruck“-Gesetzgebung bei der Mandatsträgerbestechung, ZRP 2014 121; Kempf Überlegungen zur Neufassung der Abgeordnetenbestechung und – bestechlichkeit (§ 108e StGB), Festschrift Schiller (2014), 359; Klein Straflosigkeit der Abgeordnetenbestechung, ZRP 1979 174; Kühne Die Abgeordnetenbestechung (1971); Korte Der Einsatz des Strafrechts zur Bekämpfung der internationalen Korruption, wistra 1999 81; Mayer Abgeordnetenbestechung (§ 108e a. F. StGB) – eine Vorschrift auf dem Prüfstand, Diss. Tübingen 2014; Michalke Der neue § 108e StGB – „Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern“, CB 2014 215; Möhrenschlager Die Struktur des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung auf dem Prüfstand, Festschrift Weber (2004) 217; Müller „Handlung im Auftrag oder auf Weisung“ – Anmerkungen zur Normgenese des § 108e StGB, Festschrift von Heintschel-Heinegg (2015); Peek Strafrecht als Mittel der Bekämpfung politischer Korruption – Zur Reform des Tatbestandes der Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB), ZStW 2008 785; Peters Korruption in Volksvertretungen, Diss. München 2017; Ransiek Strafrecht und Korruption, StV 1996 446; Saliger/Sinner Korruption und Betrug durch Parteispenden, NJW 2005 1073; Satzger Der reformierte § 108e StGB – Bestechlichkeit und Bestechung von Abgeordneten nach neuem Recht, Jura 2014 1022; Schaller Strafrechtliche Probleme der Abgeordnetenbestechung, Diss. Tübingen 2002; Schlüchter Zur (Un-)Lauterkeit in den Volksvertretungen, Festschrift Geerds (1995) 713; Schulze Zur Frage der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung, JR 1973 485; Stein Schärfere Gesetze gegen Abgeordnetenbestechung? ZRP 2013 190; Trips-Hebert Die Neuregelung der Mandatsträgerbestechlichkeit und – bestechung, JR 2015 372; Willems Die Neuregelung der Abgeordnetenbestechung und ihre Auswirkungen auf die Praxis, CCZ 2015 29; Wolf Abgeordnetenkorruption und Strafrecht – Eine unendliche Geschichte? ZRP 2012 251; ders. Regulierungsproblem Abgeordnetenbestechung: Eine Analyse neuerer Entwicklungen, CCZ 2013 99; Zieschang Das EU-Bestechungsgesetz und das Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung, NJW 1999 105.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist durch das 28. StrÄndG1 in das Strafgesetzbuch eingefügt und durch das 48. StrÄndG2 vollständig neugefasst worden. Die bis 31.8.2014 geltende Fassung war am 22.1.1994 in Kraft getreten. Sie erweiterte den Anwendungsbereich der Straftaten „bei Wahlen und Abstimmungen“. Vor Einfügung des § 108e betrafen die Vorschriften nur die unmittelbare Willensbildung der Aktivbürgerschaft bei den Urabstimmungen.3 Die Abstimmungen der Abgeordneten in den Volksvertretungen waren nicht erfasst; die Abgeordnetenbestechung war damit straflos. Diese Lücke versuchte § 108e a. F. zu schließen. Die Vorschrift stellte in Anlehnung an die Auslegung früherer Strafvorschriften und an den Entwurf eines Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1962 den Stimmenkauf und den Stimmenverkauf, damit das Abstimmungsverhalten in den Volksvertretungen, unter Strafe. Den Beratungen in den parlamentarischen Gremien lagen Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und FDP (BTDrucks. 12/ 5927), der SPD (BTDrucks. 12/1630) sowie der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen (BTDrucks. 12/1739) zu Grunde (vgl. BTDrucks. 12/6092).4 Der Tatbestand des § 108e a. F. war sehr restriktiv gefasst. Die beschränkte Reichweite der Vorschrift war im Rahmen der Beratungen zum neu gefassten 30. Abschnitt des Strafgesetzbuches nicht in Frage gestellt worden. Es wurde insoweit als weitgehend unbefriedigend empfunden, dass dadurch nach wie vor einzelne strafwürdige Verhaltensweisen straffrei blieben.5 So wurden Abhängigkeiten, die durch eine gleichzeitige Mitgliedschaft des Abgeordneten in Interessenverbänden oder in Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen entstehen, durch die Vorschrift nicht erfasst. Dies galt auch dann, wenn diese Abhängigkeiten aus mitunter großzügigen materiellen Zuwendungen resultierten, die einen Abgeordneten mehr als nur in Versuchung führen, bei einer bestimmten Abstimmung die Interessen des Verbands oder des Unternehmens über die der Allgemeinheit zu stellen. Neben der Mitgliedschaft in solchen Verbänden und Unternehmen können Interessenlagen, die den Abgeordneten in einem gewünschten Sinne verpflichten, auch durch Spenden zur Kontaktpflege, Vergabe von Veröffentlichungs- und Vortragshonoraren oder über inhaltsleere Beraterverträge entstehen. Nach der Wertung des Bundesverfassungsgerichts sind solche Einkünfte ohne adäquate Gegenleistung mit dem unabhängigen Status des Abgeordneten unvereinbar.6 Eine klare Abgrenzung zwischen strafbaren und noch politisch

1 2 3 4

28. StrÄndG vom 13.1.1994, BGBl. I 84. 48. StrAndG vom 23.4.2014, BGBl. I 410. Siehe Laufhütte LK11 Vor §§ 107 bis 108d, § 108d Rdn. 1. Zur Historie der Gesetzgebung siehe Schulze JR 1973 486; Möhrenschlager FS Weber 217 ff.; Barton NJW 1994 1098; zur Anhörung im Rechtsausschuss siehe DRZ 1993 365 ff. 5 Barton NJW 1994 1098; Hoven NStZ 2015 553; vgl. auch Kargl NK Rdn. 3. 6 BVerfGE 40 296, 319 = NJW 1975 2331 ff. Weiß

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Entstehungsgeschichte

StGB § 108e

üblichen Interessenverstrickungen und Verhaltensweisen wurde von der Vorschrift insoweit nicht geschaffen. Eine weitere Anwendbarkeitslücke bestand darin, dass in § 108e a. F. lediglich die Beeinflussung einer künftigen Stimmabgabe unter Strafe gestellt wurde, nicht dagegen die anschließende Belohnung (sog. Dankeschön-Spende). Als besonders kritikwürdig wurde die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Wahlen und Abstimmungen gesehen. Regelmäßig sind im Zeitpunkt der konkreten Abstimmung aber die eigentlichen Meinungsbildungsprozesse in Arbeitskreisen und Fraktionen bereits abgeschlossen und werden bei der Abstimmung lediglich umgesetzt. Gerade aber in diesen, eine Abstimmung vorbereitenden Gremien findet der eigentliche Austausch von Meinungen und Standpunkten statt, sodass die Möglichkeiten einer Einflussnahme auf das Ergebnis einer Abstimmung dort weitaus größer sind als bei der anschließenden Abgabe der einzelnen Stimme.7 Letztlich ließen die vielfältigen Beschränkungen im Anwendungsbereich des § 108e a. F. auch eine Schieflage innerhalb des gesetzlichen Regelungswerks zur Bekämpfung der Korruption entstehen. So wurde mit dem Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung vom 10.9.19988 im dortigen Art. 2 § 2 eine Vorschrift in nationales Recht übertragen, die hinsichtlich des Stimmenkaufs einen deutlich weiteren Anwendungsbereich umfasst als § 108e a. F. Dort wird unter Strafe gestellt, einem Mitglied eines ausländischen oder internationalen Gesetzgebungsorgans einen Vorteil für die Vornahme einer mit dem Mandat zusammenhängenden Handlung oder Unterlassung zu versprechen oder zu gewähren, um sich oder einem Dritten einen Auftrag oder unbilligen Vorteil im internationalen Wirtschaftsverkehr zu verschaffen. Die Strafvorschrift umfasst mithin nicht nur den Kauf einer Stimme für eine bestimmte zukünftige Wahl, sondern auch jede künftige Vornahme einer mit dem Mandat zusammenhängenden sachfremden Interessenwahrnehmung.9 Damit hatte die Integrität ausländischer und internationaler Parlamente einen weitergehenden Schutz erfahren, als er für inländische galt.10 Der somit von Anfang an als zu eng gefasst bewertete Anwendungsbereich der Abgeordnetenbestechung erfuhr dementsprechend eine weitgehende Kritik.11 Sie ging zum Teil so weit, in § 108e a. F. lediglich „symbolisches Strafrecht“ zu sehen, das, angereichert mit „Täuschungselementen“, die Lösung der zu bewältigenden Probleme eher verhindern als fördern sollte.12 Auch der Bundesgerichtshof äußerte deutliche Kritik an der Vorschrift und sah gesetzgeberischen Handlungsbedarf, um Strafbarkeitslücken zu schließen.13 Es bestand insoweit kaum Zweifel an einem entsprechenden erneuten Regelungsbedarf.14 Dabei wurde deutlich gemacht, dass nicht unterschätzt werden sollte, welch hohen Stellenwert das Maß an Korruption und die Konsequenz seiner Bekämpfung in einem Staat als Faktoren für das nationale Ansehen und für die Wahl als Wirtschaftsstandort im internationalen Vergleich haben. Auch das Bild der Politik in der Öffentlichkeit und die diesbezüglich zu beklagende Politikverdrossenheit hängen maßgeblich von einer ernst gemeinten und praktisch wirksamen Bekämpfung der Korruption in diesem Bereich ab. Die vielfältigen, von der Wissenschaft, von Juristenvereinigungen und von nicht-staatlichen Organisationen erarbeiteten konkreten Änderungsvorschläge für § 108e a. F. brachten dies deutlich zum Ausdruck.15

7 Vgl. Vorauflage Rdn. 3. 8 IntBestG (BGBl. II 2327); vgl. auch BGH NStZ 2006 389. 9 Müller MK Rdn. 11. 10 Zum Einfluss internationaler Übereinkünfte auf § 108e a. F. vgl. auch Mayer 45 ff.; Busch 16 ff. 11 Nachweise bei Hoven NStZ 2015 553. 12 Barton NJW 1994 100; Becker 53 ff. 13 BGH NStZ 2006 389 ff. 14 Vgl. Ramsiek StV 1996 446, 452, der anstelle der überwiegend geforderten Ausdehnung des Straftatbestandes wegen der in der Praxis schwierigen Beweislage im subjektiven Bereich dessen ersatzlose Streichung erwägt. Die auch von ihm als nötig empfundene Kontrolle im parlamentarischen Bereich soll nach diesem Vorschlag nicht durch die Strafverfolgungsbehörden, sondern effektiver durch andere Mechanismen, insbesondere bei erhöhter Transparenz durch die Medien erfolgen. 15 Exemplarisch dazu das Eckpunktepapier Abgeordnetenbestechung des Transparency International Deutschland e. V. vom 9.12.2004. Darin wurden im Wesentlichen folgende Erweiterungen des Tatbestands des § 108e a. F. gefordert: – Ausweitung der Strafbarkeit auf alle Handlungen/Unterlassungen, die bei Wahrnehmung des Mandats erfolgen – Erfassung auch immaterieller Gegenleistungen – Einbeziehung von im Nachhinein gewährter Gegenleistungen; siehe auch die Beschlüsse des 61. Deutschen Juristentages, NJW 1996 2997; Möhrenschläger FS Weber 232. 583

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Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern

Der Neufassung des § 108e in seiner jetzigen Gestalt ging die Unterzeichnung der UN-Konvention zur Bekämpfung von Korruption16 durch die Bundesregierung im Dezember 2003 voraus. Die Konvention verpflichtet jeden Vertragsstaat, Korruption von Amtsträgern zu verfolgen. Unter den Begriff fallen Personen, die nicht nur durch Ernennung, sondern auch durch eine Wahl ein Amt in einem Bereich der drei Gewalten innehaben. Ratifiziert wurde das Übereinkommen mit Gesetz vom 27.10.2014.17 Die aktuelle Fassung des § 108e dient der Umsetzung der Vorgaben dieses Übereinkommens sowie des Strafrechtsübereinkommens des Europarats über Korruption vom 27.1.1999.18

Übersicht I. II.

Normzweck 1 Deliktscharakter

III. 1.

Objektiver Tatbestand 3 Täterkreis 3 a) Abgeordnete des Bundestages und der 4 Landtage (Absatz 1 und 2) b) Mitglieder einer Volksvertretung einer kommunalen Gebietskörperschaft (Absatz 3 5 Nr. 1.) c) Mitglieder des Europäischen Parlaments (Absatz 3 Nr. 4.) sowie einer parlamentarischen Versammlung einer internationalen Organisation (Absatz 3 Nr. 5.) und eines Gesetzgebungsorgans eines ausländischen 6 Staates (Absatz 3 Nr. 6.) 7 Tathandlungen 8. Bei der Wahrnehmung des Mandats 9 Vorteil

2. 3. 4.

2

5. 6.

14 Unrechtsvereinbarung Im Auftrag oder auf Weisung

IV.

Subjektiver Tatbestand

V.

Versuch, Vollendung und Beendigung

VI.

Täterschaft und Teilnahme

16

19

24

VII. Mandatsfreiheit und Indemnität VIII. Strafandrohung

20

25

26

IX.

Nebenfolgen

X.

Konkurrenzen

XI.

Zuständigkeit und Verfahrensrecht

27 28 32

I. Normzweck 1 Schutzgut ist das öffentliche Interesse an der Integrität des parlamentarischen Meinungsbildungsprozesses, an der Unabhängigkeit der Mandatsausübung sowie der Sachbezogenheit parlamentarischer Entscheidungen.19 Der dem Abgeordneten das Mandat erteilende Bürger muss darauf vertrauen können, dass dieser ausschließlich zum Wohle und im Interesse der Allgemeinheit handelt.20 Die Strafvorschrift soll verhindern, dass der Abgeordnete demokratisch nicht legitimierte private Interessen Einzelner oder Gruppen vertritt und diesen gegen entsprechende Zuwendung unter Verletzung der Integrität und Sachlichkeit parlamentarischer Entscheidungsprozesse seine Stimme zur Verfügung stellt oder dies auch nur zu tun vorgibt.21 Allerdings verbietet dies einem Abgeordneten nicht, von Korruption unbeeinflusste Partikularinteressen zu vertreten,

16 United Nations Convention against Corruption (UNCAC) vom 31.10.2003, in Kraft getreten am 14.12.2005. Der Text mit Übersetzung findet sich in BT-Drs. 17/5932 S. 4 ff. BGBl. 2014 II 762. BT-Drs. 18/476 S. 5. BT-Drs. 18/476 S. 6. Zur Kritik, den Vertrauensschutz und die Unabhängigkeit des Mandats in die Bestimmung des Rechtsguts einbeziehen zu wollen vgl. Kargl NK Rdn. 6 f. 21 Sinn SK Rdn. 7 f.; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2; Kargl NK Rdn. 5; Busch 23 f.

17 18 19 20

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III. Objektiver Tatbestand

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die seiner politischen Überzeugung entsprechen und deren Verfolgung transparent und nachvollziehbar ist.22

II. Deliktscharakter Bei der Mandatsträgerbestechung handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.23 Die 2 Tat nach Absatz 1 ist ein Sonderdelikt, das nur von einem der in der Vorschrift bezeichneten Mandatsträger begangen werden kann.

III. Objektiver Tatbestand 1. Täterkreis Hinsichtlich der in Absatz 1 und 3 genannten Mandatsträger handelt es sich um ein Sonderde- 3 likt. Täter der in Absatz 2 geregelten Bestechung von Mandatsträgern kann dagegen jedermann sein, auch andere Mandatsträger. Wie bei den Straftaten im Amt des dreißigsten Abschnitts muss die Mandatsträgereigenschaft zum Zeitpunkt der Tat bestanden haben.24 Dies folgt bei § 108e bereits aus dem eindeutigen Wortlaut. Erstbewerber um ein Mandat sind damit nicht erfasst, was insbesondere in Wahlkämpfen zu dem Ergebnis führen kann, dass der Erstbewerber um ein Mandat, der zum Beispiel einen Vorteil für den Fall fordert, dass er erstmalig gewählt wird, nach § 108e straflos bleibt, während der Wahlkampfgegner, der sich als Mandatsträger um die Wiederwahl bewirbt, in diesem Fall unter den Tatbestand der Vorschrift fiele.25 Im Einzelnen erfasst die Vorschrift Mitglieder folgender Gremien:

a) Abgeordnete des Bundestages und der Landtage (Absatz 1 und 2). Diesen gleichge- 4 stellt sind nach Absatz 3 Nr. 3. die Mitglieder der Bundesversammlung, deren Aufgabe nach Art. 54 Abs. 1 Satz 1 GG die Wahl des Bundespräsidenten ist. Eine Besonderheit besteht hier darin, dass sich die Bundesversammlung nicht nur aus Abgeordneten des Bundestages zusammensetzt, sondern nach Art. 54 Abs. 3 GG zur Hälfte auch aus den von den Länderparlamenten gewählten Personen besteht. Letztere müssen nicht Mitglieder der jeweiligen Landesparlamente sein. Häufig handelt es sich um prominente Vertreter der Zivilgesellschaft, die bestimmten Parteien nahestehen oder von denen sich die Parteien einen Werbeeffekt erhoffen. Dies birgt, ungeachtet der Regelung des § 7 Abs. 3 BPräsWahlG, wonach die Mitglieder der Bundesversammlung in ihrer Entscheidung unabhängig und an Weisungen und Aufträge nicht gebunden sind, die nicht zu unterschätzende Gefahr von unlauteren Einflussnahmen.26 Die Mitglieder des Bundesrates werden nicht erfasst, weil dieser aus Vertretern der Landesregierungen besteht und nicht aus gewählten Mandatsträgern.

22 Müller MK Rdn. 1. 23 Müller MK Rdn. 2; SSW/Rosenau Rdn. 6 sieht in der Vorschrift ein Unternehmensdelikt. Praktische Auswirkungen auf die Reichweite des Tatbestands hat dies indessen nicht, vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 26.

24 Sowada LK § 331 Rdn. 4; Hoffmann/Mildeberger StV 2006 665 ff.; Peters 267. 25 So auch Busch 31 f., die dies im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 GG für bedenklich hält. 26 Fischer Rdn. 11 weist darauf hin, dass die wenig durchschaubaren Usancen bei der Auswahl dieser Personen dringend einer Durchdringung gerade auch im Hinblick auf korruptive Verstrickungen bedürfen; vgl. auch Kargl NK Rdn. 11. 585

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§ 108e StGB

Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern

5 b) Mitglieder einer Volksvertretung einer kommunalen Gebietskörperschaft (Absatz 3 Nr. 1.). Dies sind gewählte Mitglieder der Volksvertretungen der kommunalen Gebietskörperschaften. Darunter fallen Stadt- und Gemeinderäte sowie Mitglieder von Kreistagen und Gemeindeverbänden, zum Beispiel im Bereich der Wasser- und Energieversorgung.27 Nach Absatz 3 Nr. 2 sind auch erfasst Mitglieder eines Gremiums einer für ein Teilgebiet eines Landes oder einer kommunalen Gebietskörperschaft gebildeten Verwaltungseinheit, sofern sie in unmittelbarer und allgemeiner Wahl ein entsprechendes Mandat erlangt haben. Dies sind beispielsweise Ortschaftsräte eines eingemeindeten Stadtteils. Bei den Volksvertretungen der Gemeinden und Gemeindeverbände ist zu beachten, dass die dortigen Mandatsträger neben der Tätigkeit im legislativen Bereich im Einzelfall auch Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen können und dann als Amtsträger i. S.d § 11 Abs. 1 Nr. 2 handeln.28 Bei den Mitgliedern der Gemeinderäte kommt es hierfür insbesondere auf ihre Stellung und Aufgabenzuweisung an, die sich aus der Gemeindeordnung des jeweiligen Bundeslandes ergibt.

6 c) Mitglieder des Europäischen Parlaments (Absatz 3 Nr. 4.) sowie einer parlamentari-

schen Versammlung einer internationalen Organisation (Absatz 3 Nr. 5.) und eines Gesetzgebungsorgans eines ausländischen Staates (Absatz 3 Nr. 6.). Die Vorschriften gelten uneingeschränkt für deutsche Mitglieder der genannten Gremien. Erfasst werden darüber hinaus aber auch ausländische Mandatsträger. Dies folgt aus dem Wortlaut, der keine Beschränkungen vorsieht und dem Umstand, dass die aktuelle Fassung des § 108e der Umsetzung von Vorgaben sowohl des Strafrechtsübereinkommens des Europarats über Korruption vom 27.1.1999 als auch des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption vom 31.10.2003 dient.29 Beide Übereinkommen beziehen sich auch auf die Bestechlichkeit und Bestechung ausländischer und internationaler Mandatsträger.30 Hinzu kommt, dass die Folge einer Beschränkung auf deutsche Abgeordnete eine nicht zu rechtfertigende unterschiedliche Behandlung im Falle der gleichzeitigen Bestechung eines deutschen und ausländischen Mandatsträgers wäre.31 Im Falle eines ausländischen Mandatsträgers ist nach §§ 3, 9 das Territorialprinzip zu beachten. Bei einer Tatbegehung im Inland werden danach sowohl deutsche als auch ausländische Täter erfasst. Bei Begehung im Ausland ist § 7 Abs. 2 Nr. 2 zu beachten.32 Für die Tatalternative der Bestechung von Mitgliedern des Europäischen Parlaments findet auch das IntBestG Anwendung.33

2. Tathandlungen 7 Die Vorschrift hat die in § 299 Abs. 1 und den §§ 331-334 verwendeten Tatbestandsmerkmale zur Umschreibung der Tathandlungen des Forderns, Sich-Versprechen-Lassens und Annehmens übernommen.34 Es wird daher auf die dortigen Kommentierungen verwiesen.

27 28 29 30

Müller MK Rdn. 17; Fischer Rdn. 9. BT-Drs. 18/476 S. 5, 8; BGH NStZ 2006 389; BGH NStZ 2007 36; BGH NStZ 2015 451. BT-Drs. 18/476 S. 5; vgl. auch Sch/Schröder/Eser Rdn. 10. Art. 6 des Europaratsübereinkommens, Art. 15 und 16 des Übereinkommens der Vereinten Nationen. Der dort genannte Amtsträgerbegriff erfasst nach Art. 2 auch Mandatsträger. 31 Vgl. Becker 32. 32 Sch/Schröder/Eser Rdn. 10; Müller MK Rdn. 21. 33 Art. 2 § 2 IntBestG v. 10.9.1998 – BGBl. II 2327. 34 BT-Drs. 18/476 S. 7. Weiß

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III. Objektiver Tatbestand

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3. Bei der Wahrnehmung des Mandats Die vorzunehmende oder zu unterlassende Handlung muss bei der Wahrnehmung des Man- 8. dats des Mitglieds eines in der Vorschrift genannten Gremiums erfolgen. Erfasst werden sämtliche Tätigkeiten in den Parlaments- und Fraktionsgremien, also solche im Rahmen der parlamentarischen Arbeit im Plenum, den Ausschüssen sowie den Arbeitskreisen und -gruppen der Parteifraktionen.35 Es genügt aufgrund der Einschränkung nicht, dass die Tätigkeit in einem irgendwie gearteten Zusammenhang mit dem Mandat steht.36 So sind Tätigkeiten bei parteiinternen Gremien, zum Beispiel einem Parteitag, ebenso wenig erfasst wie Verhaltensweisen im Rahmen einer Nebentätigkeit37 und Fälle, in denen lediglich die Autorität als Mandatsträger oder dessen persönliche Kontakte genutzt werden.38 Sofern Mandatsträger zugleich exekutive Aufgaben wahrnehmen, zum Beispiel in ihrer Funktion als Minister oder Parlamentspräsident, unterfallen sie nicht der Vorschrift, sondern sind als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 zu betrachten.39 Aufgrund des Wortlauts sind Amtsträger im Sinne dieser Vorschrift eindeutig nicht in den Tatbestand einbezogen. In welchen Fällen Mitglieder einer Volksvertretung einer kommunalen Gebietskörperschaft im Sinne des Absatz 3 Nr. 1 als Mandats- oder Amtsträger handeln, ist in den landesrechtlichen Vorschriften jeweils unterschiedlich geregelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der h. M. sind Mitglieder von Gemeinderäten dann als Amtsträger tätig, wenn sie nicht in Ausübung ihres freien Mandats handeln. Für die Abgrenzung gegenüber der bloßen Mitwirkung an der politischen Willensbildung prüft der Bundesgerichtshof in diesen Fällen, ob der kommunale Mandatsträger in der konkreten Entscheidungssituation ersetzbar und die Entscheidung inhaltlich eher dem politischen oder dem verwaltenden Bereich zuzuordnen ist.40 Nachträgliche Zuwendungen für vom Mandatsträger bereits vorgenommene Handlungen werden von der Vorschrift nicht erfasst.41

4. Vorteil Der Vorteilsbegriff deckt sich mit dem des § 331 StGB. Vorteil ist jede Leistung, auf die der Emp- 9 fänger keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder persönliche Lage (zumindest vorübergehend) objektiv messbar verbessert. Dementsprechend fallen auch immaterielle Zuwendungen unter die Definition. Ebenso sind Drittvorteile erfasst, etwa Leistungen an die Partei, welcher der Mandatsträger angehört, an seine Angehörigen oder an einen Interessenverband.42 Nach dieser Auslegung fallen unter den Begriff zum Beispiel auch Einladungen in die „VIP-Lounge“ bei einem Fußballspiel oder Zuwendungen im Rahmen einer angeblichen Nebentätigkeit, sofern sie wertmäßig außer Verhältnis zu der Leistung des Mandatsträgers stehen.43 Grenzen werden allerdings in Absatz 1 und 2, anders als bei den §§ 299, 331, dadurch ge- 10 setzt, dass der Vorteil ungerechtfertigt sein muss. Der Gesetzgeber hat mit dieser Einschränkung beabsichtigt, aus seiner Sicht bestehenden Besonderheiten im parlamentarischen Raum gerecht zu werden, wo es Zuwendungen gebe, die zulässig seien und die Schwelle zur Strafbar-

35 36 37 38 39 40 41 42 43 587

BT-Drs. 18/476 S. 8. Vgl. dazu Busch 101. BT-Drs. 18/476 S. 8. Fischer Rdn. 27. Sch/Schröder/Eser Rdn. 8; Fischer Rdn. 17. BGHSt 51 44, 51 f. Hoven NStZ 2015 553, 554. BT-Drs. 18/476 S. 7. Vgl. auch Fischer Rdn. 23 f. Weiß

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Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern

keit nicht überschritten oder, etwa Parteispenden, berechtigt sein könnten.44 Die Unrechtmäßigkeit des Vorteils ist als Tatbestandsmerkmal gestaltet.45 11 Absatz 4 nennt zwei konkrete Fälle, in denen der Vorteil nicht ungerechtfertigt ist: Nach Absatz 4 Satz 2 Nr. 1 stellen ein politisches Mandat oder eine politische Funktion keinen ungerechtfertigten Vorteil dar. Unter die Begriffe fallen zum Beispiel ein Ministeramt, der Fraktionsvorsitz und die Mitgliedschaft in einem Parlamentsausschuss, aber auch Listenplätze bei Wahlen oder Parteiämter.46 Da nur politische Funktionen ausgenommen sind, kann ein Posten in einem staatlichen Unternehmen, etwa einem Energieversorger, einen ungerechtfertigten Vorteil darstellen. Dies hat gerade auf kommunaler Ebene eine große praktische Relevanz.47 Nach den Erläuterungen im entsprechenden Gesetzentwurf48 sollen durch die Einschränkung die Fälle ausgeklammert werden, in denen ein Mandatsträger sich gegebenenfalls gegen die eigene Überzeugung parteiinternen „politischen“ Positionierungen unterwirft, um sich die Aufstellung als Kandidat oder die Wahl oder Ernennung in bestimmte politische Funktionen oder Ämter zu sichern. Die Vorschrift berücksichtigt demnach die Funktionsweise des politische Systems, in dem sich Kandidaten den politischen Versprechen ihrer Parteien gegenüber den Wählern unterwerfen, sei aus aus eigener Überzeugung oder sei es ausschließlich, um entsprechende Posten zu erhalten.49 Die Einschränkung hat in der Literatur erhebliche Kritik erfahren.50 12 Nach Absatz 4 Satz 2 Nr. 2 sind zulässige Parteispenden ebenfalls vom Tatbestand ausgeschlossen. Solche liegen nach § 25 Abs. 2 Nr. 7 PartG und § 4 Abs. 4 der Verhaltensregeln für Abgeordnete des Bundestags51 dann nicht vor, wenn sie erkennbar in Erwartung oder als Gegenleistung eines bestimmten wirtschaftlichen oder politischen Vorteils gewährt werden.52 Auch diese Regelung hat Kritik erfahren.53 Der Zusatz „oder entsprechenden Gesetzen“ stellt nach dem Willen des Gesetzgebers klar, dass auch ausländische Gesetze, welche Regelungen über die Zulässigkeit von Parteispenden treffen, zum Ausschluss der Strafbarkeit führen können.54 13 Über die in der Vorschrift genannten konkreten Fälle hinaus enthält Absatz Satz 1 eine allgemeine Rechtmäßigkeitsklausel. Danach ist der Vorteil insbesondere dann nicht ungerechtfertigt im Sinne der Absätze 1 und 2, wenn dessen Annahme im Einklang mit den für die Rechtsstellung des Mitglieds maßgeblichen Vorschriften steht. Der entsprechende Gesetzentwurf55 nennt beispielhaft Spenden nach § 44a Abs. 2 Satz 4 das AbgG, die Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages56 sowie die dazu von dem Präsidenten des Deutschen Bundestages erlassenen Ausführungsbestimmungen und weist darauf hin, dass die Landtage und Gemeindeordnungen der Länder entsprechende Gesetze und darauf basierende Verhaltensregeln für ihre Mitglieder erlassen haben. Darüber hinaus sollen, sofern es an entsprechenden Vorschriften fehlt, die „anerkannten parlamentarischen Gepflogenheiten“ für die Frage der Unrechtmäßigkeit heranzuziehen sind. Als gerechtfertigt anzusehen sind daher nach den Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages geldwerte Zuwendungen oder andere Ver44 45 46 47 48 49 50

BT-Drs. 18/476 S. 7. Sinn SK Rdn. 13; Fischer Rdn. 38; Sch/Schröder/Eser Rdn. 18. SSW/Rosenau Rdn. 9. Müller MK Rdn. 28. BT-Drs. 18/476 S. 10. So auch Müller MK Rdn 28b. S. Kargl NK Rdn. 19, der davon spricht, dadurch werde die vom Gesetzgeber ebenfalls zum Rechtsgut erhobene Sachbezogenheit politischer Entscheidungen zum bloßen Lippenbekenntnis. Sie legitimiere den kaum verhüllten „Ausverkauf von Regierungsposten“ und bestätige die Vorurteile gegen die „da oben“; s. auch Fischer Rdn. 44; Anders/Mavany AnwK Rdn. 21. 51 Anlage 1 der Geschäftsordnung des Bundestags. 52 BT-Drs. 18/476 S. 10; s. auch § 44a Abs. 2 Satz 3 AbgG. 53 Fischer Rdn. 45 spricht von einer „tautologisch wirkenden“ Regelung. 54 BT-Drs. 18/476 S. 10. 55 BT-Drs. 18/476 S. 7, S. 9. 56 Anlage 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Weiß

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III. Objektiver Tatbestand

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günstigungen aus Anlass der Wahrnehmung interparlamentarischer oder internationaler Beziehungen, die Teilnahme an Veranstaltungen zur politischen Information, zur Darstellung der Standpunkte des Deutschen Bundestages oder seiner Fraktionen oder als Repräsentant des Deutschen Bundestages sowie Gastgeschenke, die im Zusammenhang mit dem Mandat stehen.57 Auch Zuwendungen im Rahmen einer Lobbytätigkeit, Beraterverträge, Vortragshonorare und Reisen dürften nach dem Willen des Gesetzgebers nicht ungerechtfertigt sein, sofern kein Zusammenhang mit einem konkreten Verhalten des Mandatsträgers besteht.58 Im Hinblick auf § 44a Abs. 2 AbgG sind ungerechtfertigt dagegen Zuwendungen, die nur deshalb gewährt werden, weil dafür die Vertretung und Durchsetzung der Interessen des Leistenden im Bundestag erwartet wird oder die Zuwendung ohne angemessene Gegenleistung des Mandatsträgers gewährt wird.59

5. Unrechtsvereinbarung Ebenso wie bei den Korruptionstatbeständen der §§ 299, 331 ff. müssen der Vorteil für den Man- 14 datsträger und dessen Verhalten im Sinne einer qualifizierten Unrechtsvereinbarung kausal verknüpft sein. Dies folgt, ebenso wie beispielsweise bei der Bestechlichkeit nach § 332 aus der Formulierung „Gegenleistung dafür“ in Absatz 1. Im Vergleich zu § 108e a. F. ist dieses Kausalverhältnis jetzt einerseits erweitert, andererseits aber auch beschränkt. Bei § 108e a. F. genügte das Bestehen einer Kausaltität in dem Sinne, dass die materielle Zuwendung dazu dienen musste, den Abgeordneten zu einem bestimmten Wahl- oder Abstimmungsverhalten zu veranlassen. Erforderlich, aber auch ausreichend war eine über die allgemeine Kontaktpflege hinausgehende Absprache über den ursächlichen Gebrauch des Stimmrechts in einer konkretisierten Angelegenheit. Die Vorschrift erweitert diesen Zusammenhang nunmehr dadurch, dass der Anwendungsbe- 15 reich hinsichtlich der vereinbarten, vom Mandatsträger zu erbringenden Handlung oder Unterlassung nicht auf Wahlen und Abstimmungen beschränkt ist, sondern sich auf jegliches Verhalten erstreckt, das im Zusammenhang mit der Wahrnehmung des Mandats steht. Im Vergleich zu § 108e a. F. wird der Anwendungsbereich auf der anderen Seite jetzt dadurch beschränkt, dass die Handlung des Mandatsträgers im Auftrag oder auf Weisung des Vorteilsgebers erfolgen soll.

6. Im Auftrag oder auf Weisung Die Formulierung „im Auftrag oder auf Weisung“ ist Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG entnommen, 16 wonach Abgeordnete des Deutschen Bundestages an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Der Gesetzgeber knüpft mit diesem Tatbestandsmerkmal an den Schutzzweck der Vorschrift an, der auch die freie Ausübung des Mandats umfasst.60 Nicht erfasst werden sollen durch diese Einschränkung Vorteile, die nur allgemein für die Mandatsausübung, etwa zur Klimapflege, zugewendet werden61 oder die der Mandatsträger wegen der von ihm gemäß seiner inneren Überzeugung vertretenen Positionen erhält, während 57 BT-Drs. 18/476 S. 9; vgl. auch Sch/Schröder/Eser Rdn. 18. 58 SSW/Rosenau Rdn. 9; Sch/Schröder/Eser Rdn. 18; kritisch Müller MK Rdn. 31 der darauf hinweist, es entspreche nicht dem Zweck einer Vorschrift zur Korruptionsbekämpfung, Gepflogenheiten zu verfestigen, die in der Öffentlichkeit Anlass zur Besorgnis geben, Mandatsträger ließen sich von bestimmten Interessengrupen aushalten; kritisch auch Kargl NK Rdn. 18. 59 BT-Drs. 18/476 S. 9. 60 SSW/Rosenau Rdn. 5; BT-Drs 18/476 S. 8. 61 Fischer Rdn. 34; SSW/Rosenau Rdn. 10. 589

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die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten ist, wenn er sich „kaufen lässt“, indem er sich den Interessen des Vorteilsgebers unterwirft und seine Handlungen nicht durch seine freie politische Überzeugung, sondern durch die Vorteilsgewährung bestimmt sind.62 Dies widerspreche, so die Begründung in dem Gesetzentwurf, dann so sehr der Stellung eines unabhängigen Abgeordneten, dass eine Bestrafung zum Schutz der politischen Willensbildung erforderlich sei.63 17 Die Einschränkung des Tatbestandes durch das Erfordernis des Handelns „im Auftrag oder auf Weisung“ ist aus verschiedenen Gründen erheblicher Kritik ausgesetzt.64 So sei dadurch ein Tatnachweis erheblich erschwert, denn es werde sich ohne eine entsprechende Einlassung des Mandatsträgers kaum nachweisen lassen, dass er, unabhängig von einer versprochenen oder erhaltenen Zuwendung, aufgrund seiner inneren Überzeugung gehandelt oder er sich, gegen seine Überzeugung, den Interessen des Vorteilsgebers unterworfen habe.65 Diese Kritik überzeugt nicht. Innere Vorgänge wie das Motiv für ein bestimmtes Verhalten können stets nur durch die Bewertung objektiv vorliegender Indizien ermittelt werden. Dies gilt auch bei den auf Amtsträger abzielenden Korruptionsdelikten, die eine entsprechende Einschränkung nicht enthalten. Auch hier muss in der Regel aufgrund von Indizien überprüft werden, ob eine Unrechtsvereinbarung, die in den seltensten Fällen schriftlich erfolgt, vorlag. Bei der Mandatsträgerbestechung kann als Indiz zum Beispiel dienen, dass der Abgeordnete seine Einstellung zu einer politischen Frage im engen zeitlichen Zusammenhang mit einer nachweislich gewährten Vergünstigung ändert66 oder die Zuwendung angesichts der Gesamtumstände so hoch ist, dass dies als Indiz dafür zu werten ist, es handele sich nicht um eine Zahlung zur allgemeinen Klimapflege, sondern um die Erfüllung einer Unrechtsvereinbarung, mit welcher der Mandatsträger eine von § 108e erfasste Gegenleistung zugesagt hat.67 Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof hierbei der vom Vorsatz umfasste Erklärungswert des Verhaltens, wobei sowohl mögliche innere Vorbehalte des Mandatsträgers noch seine Behauptung, dass er sich ohnehin im Sinne des Zuwendenden habe verhalten wollen, Einfluss auf die Strafbarkeit haben können.68 Möglicherweise mit der Einschränkung „im Auftrag oder auf Weisung“ einhergehende Beweisprobleme rechtfertigen daher für sich betrachtet noch keine Kritik an der Ausgestaltung der Vorschrift. Kritisiert wird des weiteren, dass ein „Auftrag“ oder eine „Weisung“ begrifflich ein Unter18 ordnungsverhältnis voraussetzt, was den typischen Merkmalen der Korruption entgegenlaufe, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Geber und Nehmer auf einer gleichberechtigten Ebene stehen, wenn sie Leistung und Gegenleistung aushandeln.69 Der Gesetzgeber führt diesbzgl. aus, die Begriffe „Auftrag“ und „Weisung“ seien weit zu verstehen, es sei nicht erforderlich, dass es sich um einen rechtsgeschäftlichen Auftrag oder eine förmliche Weisung handele, erfasst werden soll vielmehr jede Handlung, die bezweckt, einen Abgeordneten dazu zu bewegen, sich dem Interesse des Auftrag- oder Weisungsgebers zu unterwerfen. Die Merkmale seien – ebenso wie die Tatbestandsmerkmale „Kaufen“ oder „Verkaufen“ in § 108e StGB a. F. – im Sinne eines allgemeinen Sprachgebrauchs zu verstehen.70 Dementsprechend, so die Begründung des Gesetzentwurfs, stehe einer Handlung im „Auftrag oder auf Weisung“ nicht entgegen, dass die Initiative für eine entsprechende Unrechtsvereinbarung von dem Mandatsträger ausgehe. Insbesondere der Tatbestand des „Forderns“ könne auch dadurch verwirklicht werden, dass der Man-

62 BT-Drs. 18/476 S. 7. 63 BT-Drs. 18/476 S. 8. 64 Jäckle ZRP 2014 121, 122; Hoven NStZ 2015 553, 555; Becker NStZ 2015 451, 455; Michalke CB 2014 215, 218; Sch/ Schröder/Eser Rdn. 21; Sinn SK Rdn. 12; vgl. auch Kargl NK Rdn. 21 f. Hoven NStZ 2015 553, 555; Michalke CB 2014 339, 348; Sch/Schröder/Eser Rdn. 21; Müller MK Rdn. 41. Fischer Rdn. 37. BGH NStZ-RR 2009 12. BGH NStZ 2015 451, 454; so auch BT-Drs. 18/476 S. 5 ff. Vgl. Jäckle ZRP 2014 121, 122, der von einer „win-win-Situation spricht; Sinn SK Rdn. 12; Kargl NK Rdn. 22. BT-Drs 18/476 S. 8.

65 66 67 68 69 70

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V. Versuch, Vollendung und Beendigung

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datsträger sich bereit erklärt, als Gegenleistung für einen Vorteil nach Weisung des Vorteilsgebers zu agieren, und so seine „Beauftragung“ durch den Vorteilsgeber „einwirbt“.71 Der Bundesgerichtshof ist der Interpretation durch den Gesetzgeber gefolgt,72 ohne näher darauf einzugehen, ob diese Auslegung ggf. in Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots geraten könnte.73 Dementsprechend liegt es nahe, das Merkmal „im Auftrag oder auf Weisung“ als, wenn auch gesetzestechnisch missglückten, rein deklaratorischen Hinweis zu sehen,74 mit dem klargestellt werden sollte, dass die Abschaffung des imperativen Mandats durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG einen Ausschluss der Strafbarkeit nicht in jedem Fall rechtfertigen darf.Folgt man mit dem Bundesgerichtshof der Ansicht, dass das Merkmal weit und im Sinne eines allgemeinen Sprachgebrauchs zu verstehen ist,75 so erübrigt sich auch die weitere Kritik, dass diese Einschränkung weder in Art. 15 UNCAC76 noch in Art. 4 und 2 des Strafrechtsübereinkommens des Europarats vom 27. Januar 199977 vorgesehen ist.78

IV. Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, wobei Eventualvorsatz ausreicht. Die- 19 ser muss sich insbesondere auch auf den Inhalt der Unrechtsvereinbarung beziehen. So ist es erforderlich, dass der Mandatsträger zumindest bedingt vorsätzlich davon ausgeht, die materielle Vergünstigung werde ihm für ein bestimmtes künftiges Verhalten im Zusammenhang mit seinem Mandat gewährt wird und nicht nur deshalb, um sein allgemeines Wohlwollen zu gewinnen, oder weil dies im Rahmen allgemeiner Klimapflege politisch üblich ist.79 Ein diesbezüglicher Irrtum ist als Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu behandeln.80 Der Vorsatz entfällt nicht deshalb, weil der Mandatsträger mit dem inneren Vorbehalt handelt, sich nicht an die Unrechtsvereinbarung halten zu wollen. Entscheidend ist insoweit der vom Vorsatz erfasste äußere Erklärungswert des Verhaltens. Der Mandatsträger kann sich in diesen Fällen auch nicht darauf berufen, er habe ohnehin im Sinne des Zuwendenden handeln wollen.81

V. Versuch, Vollendung und Beendigung Der Versuch der Tat ist, anders als etwa bei der Bestechlichkeit nach § 332, nicht unter Strafe 20 gestellt. Dadurch entstehen keine Strafbarkeitslücken, denn mit den Tatbestandsvarianten des Forderns, Sich-Versprechen-Lassens, Anbietens und Versprechens wird die Strafbarkeit weit vorverlagert.82 Ein straffreier Versuch des Forderns und Anbietens liegt vor, wenn das entsprechen-

71 S. vorige Fußnote. 72 BGH NStZ 2015 451, 454. 73 So aber Hoven NStZ 2015 553, 555; Sinn SK Rdn. 12 weist darauf hin, dass durch eine solche Auslegung die juristische Terminologie zur Alltagssprache degradiert werde. 74 Vgl. Francuski HRRS 2014 220, 227; Becker NStZ 2015 454, 455. 75 BGH NStZ 2015 451, 454. 76 United Nations Convention against Corruption vom 31.10.2003, in Kraft getreten am 14.12.2005. Der Text mit Übersetzung findet sich in BT-Drs. 17/5932 S. 4 ff. 77 BT-Drs. 18/476 S. 5. 78 Hoven NStZ 2015 553, 555; vgl. auch Müller MK Rdn. 42, wonach diese Interpretation darauf hinauslaufe, zugunsten der völkerrechtlich angemessenen Interpretation ein systematisch einschränkendes Tatbestandsmerkmal in seiner Funktion zu übergehen, was grundlegenden Bedenken begegne. 79 Sch/Schröder/Eser Rdn. 23. 80 Sinn SK Rdn. 15. 81 Vgl. BGHSt 15 88; BGH NStZ 2006 389, 392; BGH NStZ 2015 451, 454; Fischer Rdn. 51; Kargl NK Rdn. 24. 82 BTDrucks. 18/476, S. 6; kritisch Kargl NK Rdn. 28. 591

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de Ansinnen zwar abgesandt, dem Adressaten aber nicht zugegangen ist.83 Dasselbe gilt für die Tatbestandsvarianten des Sich-Versprechen-Lassens und des Versprechens. Auch hier liegt lediglich ein strafloser Versuch vor, wenn die Erklärung zwar geäußert, aber nicht in die Sphäre des Adressaten gelangt ist.84 21 Für die Frage, wann Vollendung und Beendigung anzunehmen sind, kann auf die bei den §§ 331 ff. geltenden Maßstäbe zurückgegriffen werden.85 Die Tat ist vollendet, wenn dem Adressaten die Forderung oder das Angebot zugegangen sind.86 Der Abschluss oder gar die spätere Einhaltung einer konkreten Unrechtsvereinbarung ist hier für den Eintritt der Vollendung nicht erforderlich.87 Auch der Vornahme der entsprechenden Handlung durch den Mandatsträger und der tatsächlichen Zuwendung des Vorteils bedarf es nicht.88 Bei den Tatvarianten des Sich-Versprechen-Lassens und des Versprechens muss hinzukommen, dass der jeweilige Adressat aktiv auf das Ansinnen eingegangen ist, die Unrechtsvereinbarung mithin geschlossen wurde.89 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Tat ebenso wie bei der Bestechung 22 von Amtsträgern nach § 334 mit der Gewährung des letzten Vorteils beendet, sofern nicht die vereinbarte mandatsbezogene Leistung nachfolgt. In diesem Fall tritt Beendigung erst mit der späteren Handlung des Mandatsträgers ein.90 Bedeutung hat dies wegen § 78a für den Beginn der Verjährung. Tätige Reue ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen.91 23

VI. Täterschaft und Teilnahme 24 Zur Täterschaft siehe die Ausführungen bei Rdn. 3. Der Mandatsträger ist zugleich notwendiger Teilnehmer der Tat des Bestechenden und umgekehrt, wobei jedoch die Teilnahme hinter die jeweilige Täterschaft zurücktritt.92 Die Teilnahme richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen, wobei eine Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 für den Teilnehmer an der Bestechlichkeit des Mandatsträgers trotz des Sonderdeliktscharakters auszuschließen sein wird, da angesichts der gleichen Strafdrohung für den Mandatsträger und den Dritten der Unwertgehalt der Tat nach dem Willen des Gesetzgebers derselbe ist.93 Die Mandatsträgereigenschaft ist kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1.94

VII. Mandatsfreiheit und Indemnität 25 Die verfassungsrechtlich in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Rechte der Mandatsfreiheit und Indemnität des Abgeordneten werden durch die Vorschrift nicht in 83 84 85 86 87 88 89 90

Fischer § 333 Rdn. 4, § 331 Rdn. 30c; Sch/Schröder/Heine/Eisele § 331 Rdn. 67. Fischer Rdn. 51. Sinn SK Rdn. 11; Kargl NK Rdn. 26; Fischer Rdn. 51. Kargl NK Rdn. 26; Fischer Rdn. 51. Müller MK Rdn. 2; Kargl NK Rdn. 26. Fischer Rdn. 51. Busch 116. BGH Urteil vom 19.6.2008 – 3 StR 90/08 – Rdn. 5, 7,8 juris für die §§ 332, 334 unter Verweis auf BGH Urteil vom 10.1.2008 – 3 StR 462/07 – Rdn. 22 juris für § 108e a. F.; Fischer Rdn. 52; Sch/Schröder/Eser Rdn. 26. Kritisch Kargl NK Rdn. 27, wonach gegen die Ausweitung des Beendigungszeitraums spreche, dass es hinsichtlich der Verjährungsfrist und der Teilnahme auf eine Umwandlung in ein Erfolgsdelikt hinauslaufe, wenn man den „materiellen Unrechtskern“ erst nach Vollendung der Tat in der unrechtmäßigen Mandatsausübung erblickt. 91 Sinn SK Rdn. 16; Fischer Rdn. 53. 92 Fischer Rdn. 54. 93 Sinn SK Rdn. 16; Sch/Schröder/Eser Rdn. 24; ausführlich dazu auch Peters 438 ff. 94 Fischer Rdn. 54. Weiß

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X. Konkurrenzen

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unzulässiger Weise tangiert. Hinsichtlich der Mandatsfreiheit macht mit der Regelung des § 108e der Gesetzgeber von seinem in Art. 38 Abs. 3 GG verankerten Recht auf nähere Ausgestaltung der Grundsätze des Abgeordnetenmandats Gebrauch. Im Hinblick auf das Grundrecht der Indemnität betrifft der Tatbestand nicht das garantierte freie Abstimmungsverhalten des Mandatsträgers selbst, sondern den Umstand, dass der Mandatsträger sich für ein bestimmtes Verhalten in Bezug auf sein Mandat „kaufen“ lässt.95

VIII. Strafandrohung Die Strafandrohung beträgt Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe und liegt damit im 26 Mindestmaß unter den in §§ 332, 334 für den Amtsträger vorgesehenen Strafen. Dagegen entspricht sie der Strafandrohung aus Art. 2 § 2 IntBestG. Bemerkenswert ist, dass sich dieselbe Strafandrohung sowohl an den bestechenden Täter als auch an den Mandatsträger wendet. Dies dürfte dem Unrechtsgehalt des Stimmenverkaufs durch den Abgeordneten, der insoweit eine besondere Pflichtenstellung hat, nicht gerecht werden. Die der Strafandrohung damit immanente Privilegierung des Abgeordneten erscheint nicht nachvollziehbar und stößt auf berechtigte Kritik.96

IX. Nebenfolgen Mögliche Nebenfolgen sind in Absatz 2 geregelt. Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens 27 sechs Monaten kann das Gericht das aktive und passive Wahlrecht aberkennen.97 Trifft die Aberkennung der Wählbarkeit einen Bundestagsabgeordneten, so kann der Ältestenrat nach § 47 Abs. 1 Nr. 3 BWahlG den Verlust der Mitgliedschaft im Bundestag beschließen.98

X. Konkurrenzen Als mögliche Konkurrenzen kommt Tateinheit mit § 263 in Betracht, wenn ein Mandatsträger 28 die Vornahme eines bestimmtes künftigen Verhaltens nur vortäuscht, um dadurch in den Genuss des vereinbarten Vorteils zu gelangen.99 Auf der Seite des Bestechenden kann Idealkonkurrenz mit einer Erpressung bestehen.100 Hinsichtlich der Anwendung der §§ 331 ff. ist zu differenzieren: Soll der Vorteilsempfänger 29 nach der entsprechenden Unrechtsvereinbarung bei Wahrnehmung seines Mandats im Sinne des Absatz 1 handeln, kommt ausschließlich § 108e in Betracht, der insoweit eine abschließende Sonderregelung darstellt, welche die Anwendung der §§ 331 ff. ausschließt.101 Diese Vorschriften gelten nur fürAmtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2. Eine differenzierte Betrachtung ist erforderlich, wenn der Bestochene Mandatsträger ist, etwa Mitglied eines Gemeinderates, und zugleich Funktionen wahrnimmt, die eine Amtsträgereigenschaft im Sinne des § 11 begründen. Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn das Ratsmitglied zugleich dem Aufsichtsrat eines kommunalen Energieversorgers angehört, mithin Verwaltungsaufgaben wahrnimmt. In 95 BT-Drs. 18/476 S. 7; Sch/Schröder/Eser Rdn. 25; Peters 448 f. 96 Sinn SK Rdn. 17. 97 Vgl. §§ 45-45b. 98 Zum Mandatsverlust von Europa- und Landtagsabgeordneten siehe Epp Diss. Trier 1997, 463 ff. 99 Sch/Schröder/Eser Rdn. 28; Sinn SK Rdn. 20; SSW/Rosenau Rdn. 14; Epp Diss. Trier 1997, 216. 100 Sinn SK Rdn. 20. 101 BGH NStZ 2006 389, 390; BGH NStZ 2015 451, 453 f.; SSW/Rosenau Rdn. 14; Kargl NK Rdn. 29; Becker NStZ 2015 454; Dahs/Müssig NStZ 2006 191, 195. 593

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diesen Konstellationen ist maßgeblich, ob die zugrundeliegende Unrechtsvereinbarung sich auf ein Verhalten des Vorteilsnehmers in seiner Funktion als Amts- oder aber als Mandatsträger bezieht. Ist Ersteres der Fall, kommen statt der Sonderregelung des § 108e die §§ 331 ff. zur Anwendung.102 30 Tateinheit zwischen § 108e und den §§ 331 ff. kann in diesen Fällen einer Doppelfunktion des Vorteilsempfängers vorliegen, wenn dieselbe Unrechtsvereinbarung sich sowohl auf sein Verhalten als Mandats- als auch seine Funktion als Amtsträger bezieht. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Mitglied eines Gemeinderats sich in diesem Gremium in bestimmter Weise verhalten soll, etwa um zu bewirken, dass ein bestimmtes landwirtschaftliches Grundstück des Bestechenden in einen vom Gemeinderat zu beschließenden Bebauungsplan einbezogen wird und in derselben Unrechtsvereinbarung festgelegt wird, derselbe Vorteilsempfänger solle in seiner Funktion als Mitglied eines rein exekutiv tätigen Bauausschusses derselben Gemeinde dafür sorgen, dass derselbe Bestechende auch noch eine bestimmte Baugenehmigung erhält.103 31 Der weiter gefasste Art. 2 § 2 IntBestG verdrängt § 108e.104 Art. 2 § 2 IntBEstG findet Anwendung bei der Bestechung eines Mandatsträgers, der einem ausländischen oder internationalen Parlament angehört – also auch dem in § 108e genannten Europaparlament.105

XI. Zuständigkeit und Verfahrensrecht 32 Zuständig sind nach der zeitgleich mit der Strafvorschrift eingeführten Norm des § 120b GVG106 erstinstanzlich die Oberlandesgerichte, in deren Bezirk die Landesregierungen ihren Sitz haben. Zuständig für die strafrechtlichen Ermittlungen ist gemäß §§ 141, 142 Abs. 1 Nr. 2 GVG die jeweilige Generalstaatsanwaltschaft. Anders als in den Fällen, in denen der Generalbundesanwalt Anklage erhebt, üben die Oberlandesgerichte im Rahmen des § 120b keine Bundes-, sondern Landesgerichtsbarkeit aus. Mit der Zuständigkeitskonzentration soll nach dem Willen des Gesetzgebers gewährleistet werden, dass die befassten Justizorgane über die erforderliche Erfahrung und die für den Umgang mit Korruptionsvorwürfen gegen Mandatsträger erforderliche Sensibilität verfügen.107 § 120b GVG gilt nicht für Tatvorwürfe nach § 108e a. F. Diesbzgl. verbleibt es bei dem üblichen Instanzenzug.108 Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 StPO ist zuständig der Ermittlungsrichter des Oberlandesge33 richts. Nach § 100a Abs. 2 Nr. 1.b) StPO kann bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Überwachung der Telekommunikation angeordnet werden.

102 BGH NStZ 2015 451, 453; Müller MK, Rdn. 32; Fischer Rdn. 56; Sch/Schröder/Eser Rdn. 28; Saliger/Singer NJW 2005 1073, 1074; Peters 475, 487 ff. Diese spricht zu Recht von einer Disparität von Amts- und Mandatsträgereigenschaft, sodass kein Zusammentreffen und damit auch keine Tateinheit möglich ist. Ebenso Kargl NK Rdn. 29. Dies gilt allerdings nicht in bestimmten Konstellationen, bei denen der Vorteilsempfänger eine Doppelfunktion wahrnimmt, in der er sowohl Amts- als auch Mandatsträger ist. Vgl. dazu die Ausführungen bei der nachfolgenden Fn. Zu § 108e a. F. vgl. Deiters NStZ 2003 458. 103 Ebenso wohl Kargl NK Rdn. 29; vgl. zur Doppelfunktion ein- und derselben Person als Mandats- und Amtsträger auch BGH NStZ 2015 451 ff. 104 Sch/Schröder/Eser Rdn. 4. 105 Zu den verschiedenen Fallkonstellationen siehe Schaller 39 ff., 47; Peters 508 ff. 106 48. StrAndG vom 23.4.2014, BGBl. I 410. 107 BT-Drs 18/607, S. 9; kritisch zu der Zuständigkeitskonzentration Kargl NK Rdn. 30; Müller MK Rdn. 53; Fischer Rdn. 57, der von einer „Selbstüberhebung der Abgeordneten gegenüber anderen von Strafverfahren wegen Bestechung betroffenen Bürgern“ spricht. 108 Thüringer OLG Beschluss vom 26.2.2015 – 1 St 292 OJs 2/14 (2). Weiß

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FÜNFTER ABSCHNITT Straftaten gegen die Landesverteidigung Vorbemerkungen zum Fünften Abschnitt Schrifttum *

Bauer Selbstverstümmelung und Dienstentziehung durch Täuschung im deutschen Strafrecht (1996); Dau nullum crimen sine lege – ist § 109 StGB im Frieden ein ius nudum? NZWehrr 2013 252; ders. Wehrstrafgesetz, bei: Erbs/ Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 4 W 50, (Stand 1.2.2019); Hertel Die Zukunft des Wehrstrafrechts (2014); Kohlhaas Das Vierte Strafrechtsänderungsgesetz, NJW 1957 929; Lackner Das Vierte Strafrechtsänderungsgesetz. A. Materielles Recht, JZ 1957 401; Ladiges Die Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung gemäß § 109 StGB – eine im Frieden obsolete Vorschrift? NZWehrr 2013 203; H. E. Müller Was bedeutet „Landesverteidigung“ im StGB? NStZ 2002 633; Steinlechner/Walz Wehrpflichtgesetz, 6. Aufl. (2003); Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970); Wagner Führen die neuen Aufgaben der Bundeswehr zu einer Strafbarkeitslücke? NZWehrr 2011 156; Zillich Wehrdienstumgehung in der Bundesrepublik. Methoden, Ursachen und strafrechtliche Beurteilung, Diss. München 1971.

Entstehungsgeschichte des Abschnitts als solchem Die Vorläufer der §§ 109, 109a, 109c, 109h waren ursprünglich als §§ 141–143, der Vorläufer des § 109b als § 112, der Vorläufer des § 109g Abs. 1 als § 360 Abs. 1 Nr. 1 im StGB enthalten. Eine Zusammenfassung in einem eigenen Abschnitt fand sich schon in den Entwürfen seit 1909. Die §§ 141–143 StGB wurden durch das Ges. v. 28.6.1935 abgeändert, als Vorläufer des § 109e durch Ges. v. 4.9.1941 der § 143a eingefügt, die §§ 112, 141–143 StGB durch die KrStrVO v. 17.8.1938 außer Geltung gesetzt, sämtliche Vorläufer durch das KRG Nr. 11 v. 30.1.1946 aufgehoben. § 109h wurde eingefügt in das StGB als § 141 durch das 2. StRÄndG v. 6.3.1953. Vorläufer der übrigen Vorschriften (zugunsten der ehemaligen Besatzungsmächte) wurden z. T. in Anhang A zum Truppenvertrag i. d. F. der Bek. v. 30.3.1955. §§ 109– 109g, 109i in das StGB eingefügt, § 141 als § 109h umgestellt durch das 4. StRÄndG v. 11.6.1957. Änderung der Strafdrohungen erfolgte durch das 1. StrRG. §§ 109b–109c wurden aufgehoben durch das EGStGB 1974.

Gesetzesmaterialien Protokolle des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuss), 2. Wahlperiode; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuss) über den Entwurf eines Vierten Strafrechtsänderungsgesetzes, BTDrucks. 2/3407.

Übersicht I.

Rechtsgut. Abschnittsüberschrift

II.

Gliederung des Abschnitts

III.

Bedeutung der Vorschriften

1

2

5

IV.

Geltungsbereich

V.

Ausdehnung des Schutzbereichs

6

3

I. Rechtsgut. Abschnittsüberschrift Als geschütztes Rechtsgut benennt die Abschnittsüberschrift nicht die militärischen Einrichtun- 1 gen des Staates als solche, sondern die „Landesverteidigung“. Der Begriff betont defensive Ausrichtung und Territorialbezug; gemeint ist die Fähigkeit des Staates, die inländische Zivilbevölkerung mit militärischen Mitteln vor Angriffen von außen zu schützen. Das kann nicht mit der * Die Kommentierung zu den §§ 109-109k wurde bis zur 12. Auflage von Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich-Christian Schroeder betreut. Struktur und Inhalt der Kommentierung konnten zu großen Teilen beibehalten werden. Der Bearbeiter ist Herrn Prof. Dr. Schroeder zu Dank verpflichtet. 595 https://doi.org/10.1515/9783110490008-062

Coen

Vor § 109 StGB

Vorbemerkung zum Fünften Abschnitt

Gebietshoheit gleichgesetzt werden,1 weil sich der Schutz weit in das Vorfeld entsprechender Gefährdungen erstreckt. Die militärischen Aufgaben erschöpfen sich aber auch in der Bundesrepublik nicht in einer – so verstandenen – Landesverteidigung. Die in Art. 24 Abs. 2 GG angelegte Einordnung in ein „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ lässt sich bei regionalen Verteidigungsbündnissen wie der NATO zwar noch als Ausdehnung der Selbstverteidigung auf ein größeres Bündnisgebiet auffassen;2 militärische Maßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nach Art. 42 ff. der Charta der Vereinten Nationen sprengen aber die Eingrenzung durch einen Territorialbezug (zur Verfassungsmäßigkeit der deutschen Beteiligung BVerfGE 90, 186 ff.). Darüber hinaus sind der Bundeswehr durch das 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 24.6.1968 (BGBl. I S. 709) unter engen Voraussetzungen Aufgaben zur Gefahrenabwehr im Inland (Art. 87a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 GG) und zur Katastrophenhilfe (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG) übertragen worden. Von den einzelnen Tatbeständen des Abschnitts nehmen nur §§ 109d–109f, 109k Bezug auf 1a den Begriff der Landesverteidigung, und dies in unterschiedlicher Weise. In § 109d bezieht sich der objektive Tatbestand auf die Eignung zu einer Störung der Tätigkeit der Bundeswehr als solcher, der subjektive Tatbestand verlangt aber eine Absicht zur Behinderung der Landesverteidigung. In § 109e tritt der Schutz der Zivilbevölkerung gegen Kriegsgefahren gleichrangig neben die Landesverteidigung; ebenso wie § 109f setzt dieser Tatbestand allerdings den Eintritt einer Gefahr für näher spezifizierte Rechtsgüter voraus, die nicht deckungsgleich mit der Landesverteidigung sind. §§ 109, 109a flankieren die Wehrpflicht und schützen damit die personellen Ressourcen der Bundeswehr; § 109h dient zumindest auch diesem Zweck. § 109g schließlich stellt ganz allgemein auf die Sicherheit der Bundesrepublik und die Schlagkraft der Truppe ab. Der Abschnittstitel ist daher weniger als erschöpfende Bezeichnung des Rechtsguts, son1b dern eher als Themenangabe aufzufassen. Das schließt es aus, hieraus eine Einschränkung der Tatbestände abzuleiten,3 zumal es ex ante regelmäßig nicht möglich ist, ein die Streitkräfte schädigendes oder gefährdendes Verhalten so zu kalibrieren, dass die Funktion der Landesverteidigung ausgespart wird. Umgekehrt ist es aber auch unzulässig, die durch den Begriff der Landesverteidigung begrenzten Tatbestände (§§ 109d, 109e und 109f) auf die neuen Aufgaben der Bundeswehr zu erweitern, selbst wenn dies zu Strafbarkeitslücken führen kann (Kreutz NZWehrr 2000 230; H. E. Müller NStZ 2002 633, 635; Wagner NZWehrr 2011, 156, 159).

II. Gliederung des Abschnitts 2 Der Abschnitt lässt, abgesehen davon, dass die §§ 109, 109a die Erfüllung der Wehrpflicht behandeln und die aufgehobenen §§ 109b, 109c die Verleitung von Bundeswehrsoldaten regelten, kein Gliederungsmerkmal erkennen. Die Einordnung der relevanten Rechtsgüter wurde bereits unter I. berührt. Die §§ 109, 109a und – jedenfalls auch – 109h schützen die Durchsetzung der Wehrpflicht bzw. der Verpflichtung zum Wehrdienst schlechthin und damit das „Menschenpotential der Landesverteidigung“ (Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 II), die personellen Verteidigungsmittel (Schroeder § 37), wobei § 109a auf Wehrpflichtige und § 109 auf die bloße Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht abstellt. Schutzgut des § 109a ist damit der Personalbestand der Bundeswehr, der §§ 109, 109h dagegen weitergehend das Wehrpotential der Bundesrepublik. § 109e erfasst die sachlichen Verteidigungsmittel, die §§ 109d, 109f und 109g schützen die Funktionsfähigkeit dieser Verteidigungsmittel gegen Aufdeckung und unspezifische „Störung“ durch Äußerungen (vgl. Schroeder § 37; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 III, IV). Technische Gemeinsamkeiten bestehen zwischen den §§ 109 und 109a („sich oder einen anderen“), 109e, 109g (konkrete Gefährdungsdelikte, jedoch mit teilweise differierenden Objekten). § 109f stimmt mit den konkre1 AA Schmidhäuser BT 21/II. 2 AA Müller NStZ 2002 633, 635. 3 AA Sch/Schröder/Eser Vor §§ 109 ff. Rdn. 1. Coen

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V. Ausdehnung des Schutzbereichs

StGB Vor § 109

ten Gefährdungsdelikten in den Schutzobjekten überein, schützt sie aber vor dagegen gerichteten Bestrebungen, während § 109d ein nach der Formulierung der Gefährdung („Eignung“) und ihres Objekts abweichendes Gefährdungsdelikt bildet. Durch die Mindeststrafandrohung von drei Monaten Freiheitsstrafe erscheinen die §§ 109, 109e und 109h, durch die Einbeziehung aller Auslandstaten (s. Rdn. 5) die §§ 109, 109e, 109f und 109g als schwerwiegender gekennzeichnet.

III. Bedeutung der Vorschriften Für typische Soldatendelikte enthält das Wehrstrafgesetz i. d. F. v. 24.5.1974 (BGBl. I S. 1213) m. 3 Änderungen einschlägige Tatbestände. Der Fünfte Abschnitt des StGB enthält teils Korrespondenzbestimmungen für Taten von und an (Noch-)Nichtsoldaten (§§ 109, 109a, vgl. dazu §§ 17, 18 WStG), im Übrigen im WStG nicht enthaltene Tatbestände. Während bei Taten von Soldaten an sich oder anderen Soldaten und bei Teilnahmehandlungen von Soldaten die Bestimmungen des WStG bis auf wenige Lücken als leges speciales vorgehen, können in den übrigen Fällen generell auch Soldaten Täter sein. Die Tatbestände für Taten von und an Nichtsoldaten stellen statt des Wehrdienstes auf die Wehrpflicht ab und sind damit teils (freiwilliger Wehrdienst) enger, teils (Zivildienst) weiter als die Tatbestände des WStG. Bei den §§ 109f, 109g ist die Konkurrenz der Vorschriften über Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit zu beachten, die die (äußere) Sicherheit der Bundesrepublik mit höheren Strafdrohungen schützen. Für das Jahrzehnt 2008 bis 2017 weist die Justizstatistik Gerichtsverfahren gegen 16 Perso- 4 nen aus (acht nach § 109 und je vier nach § 109a und § 109h). Die Vorschriften sind damit in der Praxis wenig bedeutsam. Dogmatisch sind sie jedoch wegen der komplizierten Deliktstypen (Gefährdungsdelikte, Absichtsdelikte, sogar in Kombination – § 109d –, Vorsatz-FahrlässigkeitsKombination) besonders interessant und anspruchsvoll.

IV. Geltungsbereich Die §§ 109–109h gelten auch bei Begehung im Ausland, die §§ 109a, 109d und 109h jedoch nur, 5 wenn der Täter Deutscher ist und seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich des StGB hat (§ 5 Nr. 5 StGB). Der Anknüpfung an die deutsche Staatsangehörigkeit steht das Diskriminierungsverbot in Art. 18 Abs. 1 AEUV nicht entgegen, weil sie Folge der fehlenden Vereinheitlichung des Strafrechts ist.4 Hinsichtlich der in der früheren DDR gegen die Bundeswehr und die Landesverteidigung der Bundesrepublik begangenen Taten (Art. 315 Abs. 4 EGStGB i. d. F. der Anlage I zum Einigungsvertrag) ergaben sich die gleichen Probleme wie beim Landesverrat und der Gefährdung der äußeren Sicherheit (BGH NJW 1991 929; Simma/Volk NJW 1991 871).

V. Ausdehnung des Schutzbereichs Nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 NATO-Truppen-Schutzgesetz (NTSG) i. d. F. der Bek. v. 27.3.2008 (BGBl. I 6 S. 490) gelten die §§ 109d–109g i. V. mit den §§ 109i, 109k auch für Taten gegen die in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes, die sich zur Zeit der Tat im räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten. Dabei treten an die Stelle der Bundesrepublik Deutschland der betreffende Vertragsstaat, an die Stelle der Bundeswehr diese Truppen und an die Stelle der Landesverteidigung die Verteidigung der Vertragsstaaten. Die Straftat selbst muss aber in der Bundesrepublik begangen worden sein (§ 1 Abs. 4 NTSG; zur Vorgängerregelung BGHSt 38 75 m. Anm. Schroeder JR 1992 205). 4 AA Pfaffendorf ZStW 129 (2017) 146, 159 f. 597

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§ 109 Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung (1) Wer sich oder einen anderen mit dessen Einwilligung durch Verstümmelung oder auf andere Weise zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht oder machen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Führt der Täter die Untauglichkeit nur für eine gewisse Zeit oder für eine einzelne Art der Verwendung herbei, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. (3) Der Versuch ist strafbar.

Entstehungsgeschichte Ursprünglich § 142 StGB; abgeändert durch Ges. v. 28.6.1935; außer Geltung gesetzt durch §§ 5 Abs. 1 Ziff. 3, 6 Abs. 2 KrStrVO v. 17.8.1938; aufgehoben durch KRG Nr. 11 v. 30.1.1946. Wiedereingeführt in das StGB in neuer Fassung durch das 4. StRÄndG v. 11.6.1957; abgeändert durch das 1. StrRG v. 25.6.1969 und das EGStGB 1974.

Übersicht I.

Rechtsgut – Grundstruktur

II.

Die Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehr3 pflicht Fortbestehen und Aussetzung der Wehr3 pflicht Anwendung nur im Spannungs- und Verteidigungsfall 4 5 Der relevante Personenkreis

1. 2. 3. III. 1. 2. 3. 4.

IV.

1

Untauglich 6 6 Allgemeines Verhältnis zum Wehrersatzwesen 7 8 Ursachen der Untauglichkeit 9 Arten der Untauglichkeit 9 a) Absolute Untauglichkeit 10 b) Relative Untauglichkeit 11 aa) für eine gewisse Zeit bb) für eine einzelne Art der Verwen12 dung

13 14

1. 2.

Verstümmelung Auf andere Weise

V. 1. 2. 3.

Untauglich machen lassen 15 16 Sich untauglich machen lassen Einen anderen untauglich machen las17 sen 18 Unterlassen

VI.

Innerer Tatbestand

VII. Ärztlicher Eingriff

19 20

VIII. Sozialadäquanz

21

IX.

Rechtsfolgen

X. 1. 2.

Zusammentreffen 23 Allgemeines 24 § 17 WStG

22 23

Durch Verstümmelung oder auf andere 13 Weise

I. Rechtsgut – Grundstruktur 1 Die Vorschrift schützt die Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht und damit das Menschenpotential der Landesverteidigung (Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 II). Demgemäß erfasst sie jede Beeinträchtigung der Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht, sei es beim Täter selbst oder bei einem anderen (Selbstverstümmelung und Fremdverstümmelung). Damit durchbricht sie die grundsätzliche Straflosigkeit der Körperselbstverletzung im deutschen Recht. Jedoch schützt sie die personellen Ressourcen der Landesverteidigung nicht absolut: Die Tötung eines

Coen https://doi.org/10.1515/9783110490008-063

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II. Die Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht

StGB § 109

Wehrpflichtigen bleibt außerhalb des Tatbestandes; die durch Tötungs- bzw. Selbsttötungsversuch eingetretene Wehruntauglichkeit fällt darunter nur bei entsprechendem Eventualvorsatz.1 Der Gesetzgeber hat die Vorschrift – ebenso wie § 109a – über die Aussetzung der Wehr- 2 pflicht zum 30.6.2011 hinaus bestehen lassen, geht jedoch davon aus, dass sie nur noch im Spannungs- und Verteidigungsfall Anwendung findet (Rdn. 4). Allerdings ist sie auch noch aus anderen Gründen anachronistisch: Selbstverletzendes Verhalten wird heute in erster Linie als psychiatrisches Problem verstanden. Als rationales Kalkül macht es nur dann Sinn, wenn der Wehrpflichtige damit rechnen muss, als „Kanonenfutter“ „verheizt“ zu werden. Das mag zwar für Kriege im 20. Jahrhundert keineswegs untypisch gewesen sein, ist aber in einem demokratischen Staat mit einer Parlamentsarmee nicht mehr zu erwarten, erst recht nicht angesichts der technozentrischen Natur heutiger Kriegsführung und der demographischen Entwicklung. Zugleich scheinen sich feste Begriffe von militärischer Tauglichkeit aufgrund der sich ändernden Personalanforderungen aufzulösen. Soweit die Vorschrift eine Fremdverstümmelung nur dann erfasst, wenn sie mit Einwilligung des Betroffenen erfolgt, überzeugt dies nicht, denn bei fehlender Einwilligung ist das Rechtsgut des Wehrpotentials in gleicher Weise betroffen. Der Hinweis auf die „typische Gefährlichkeit“ des Zusammenwirkens2 befriedigt nicht.3 Die früher zum Teil vertretene Sperrwirkung der Strafuntergrenze in § 109 bei Anwendung des § 2234 lässt sich ohne verbotene Analogie nicht begründen (Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 II Rdn. 8).

II. Die Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht 1. Fortbestehen und Aussetzung der Wehrpflicht Die Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des 3 § 109. Wehrpflichtig sind alle Männer vom vollendeten 18.Lebensjahr an, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind und ihren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik haben oder ihren ständigen Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik haben und entweder ihren früheren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik hatten oder einen Pass oder eine Staatsangehörigkeitsurkunde der Bundesrepublik Deutschland besitzen oder sich auf andere Weise ihrem Schutz unterstellt haben (§ 1 Abs. 1 WehrpflG). Das Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 v. 28.4.2011 (BGBl. I 678) hat die Wehrpflicht nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt; konkrete Handlungspflichten ergeben sich aus ihr allerdings erst im Spannungs- oder Verteidigungsfall (§ 2 WehrpflG). Enden würde die Wehrpflicht dann am 31.12. des Jahres, in dem der Wehrpflichtige 60 Jahre alt wird (§ 3 Abs. 4 und 5 WehrpflG). Zu erfüllen ist die Wehrpflicht im Spannungs- oder Verteidigungsfall nach § 3 Abs. 1 S. 1 WehrpflG durch den Wehrdienst (zu dessen Inhalt §§ 4 ff. WehrpflG) oder – bei dessen Verweigerung aus Gewissensgründen – durch den Zivildienst.5

2. Anwendung nur im Spannungs- und Verteidigungsfall Nach bisherigem Verständnis stellt § 109 nicht auf die Verhinderung der konkreten Erfüllung 4 der Wehrpflicht oder auch nur auf die Beseitigung der Wehrpflicht als abstrakte Verpflichtung, als Belastbarkeit mit einer Verpflichtung ab (Scherer/Krekeler/Steinlechner § 1 I 1), sondern auf 1 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 11; Müller MK Rdn. 4, 17; Sinn SK Rdn. 8; Schölz/Lingens § 17 Rdn. 19. Für Ausschluss auch dieses Falles aus § 109 Sch/Schröder/Eser Rdn. 9; Ostendorf AK Rdn. 13.

2 E 1962, Begr. S. 596; Kohlrausch/Lange IV; Schölz/Lingens § 17 Rdn. 18 (er argumentiert jedoch in Wahrheit mit der Untauglichmachungsabsicht). 3 Kohlhaas NJW 1958 135; Jagusch LK8 Rdn. 5; Blei § 101 I; Sch/Schröder/Eser Rdn. 16. 4 Vor allem Kohlhaas NJW 1957 929 und 1958 135. 5 Gegen die Einbeziehung der „Kriegsdienstverweigerer“ mangels „Schutzgutverletzung“ Ostendorf AK Rdn. 3, 7. 599

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§ 109 StGB

Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung

die Herbeiführung der abstrakten Untauglichkeit zu ihrer Erfüllung. Taugliches Tatobjekt ist nicht nur, wer konkret oder abstrakt (vgl. OLG Hamm NJW 1974 568, 570) wehrpflichtig ist, sondern jeder, bei dem die Wehrpflicht noch eintreten kann. Die theoretische Möglichkeit, dass der Gesetzgeber die Wehrpflicht weiter ausdehnen könnte (etwa auf Frauen oder Personen über 60 Jahren), genügt dagegen nicht. Diese Grundsätze hätten bei konsequenter Anwendung zur Folge, dass § 109 auch außerhalb des Spannungs- und Verteidigungsfalls anwendbar bliebe, wenn auch der Nachweis eines entsprechenden bedingten Vorsatzes (Rdn. 19) jedenfalls in Zeiten ruhiger außenpolitischer Sicherheitslage problematisch wäre (Müller MK Rdn. 5; Ladiges NZWehrr 2013 203). Dem steht der ausdrücklich bekundete Wille des Gesetzgebers entgegen, dass die Vorschriften nur im Spannungs- oder Verteidigungsfall gelten sollen (BTDrucks. 17/ 4821 S. 13). Da die Wehrpflicht außerhalb des Spannungs- und Verteidigungsfalls zwar abstrakt fortbesteht, aber keinen Inhalt hat, lässt sich auch das Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale nicht bestimmen (Dau NZWehrr 2013 252). Nach derzeitiger Rechtslage kommt eine Strafbarkeit daher nur für Taten in Betracht, die nach Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls (Art. 80a, 115a GG) beendet werden (§ 2 Abs. 1); die Norm ist Zeitgesetz (§ 2 Abs. 4).

3. Der relevante Personenkreis 5 Unter der Voraussetzung einer tatsächlich abzuleistenden Wehrpflicht geht der in Betracht kommende Personenkreis allerdings über die aktuell Wehrpflichtigen hinaus. So war die Anwendbarkeit des § 109 auf unter Achtzehnjährige unbestritten.6 Das Gleiche muss aber auch für andere Fälle der möglichen Wehrpflicht gelten, so für über 45-jährige im Hinblick auf den möglichen Verteidigungsfall (vgl. § 3 Abs. 3 WehrpflG), für das Ruhen der Wehrpflicht bei Deutschen, die ihren ständigen Aufenthalt und ihre Lebensgrundlage außerhalb der Bundesrepublik haben, wenn sie beabsichtigen, ihren ständigen Aufenthalt im Ausland beizubehalten (vgl. näher § 1 Abs. 2, 3 WehrpflG), für den Ausschluss vom Wehr- und Zivildienst wegen der Verhängung bestimmter Strafen oder Maßregeln (§ 10 WehrpflG, § 9 ZivildienstG) und andere Fälle der vorübergehenden Nichtheranziehung, etwa bei der Zurückstellung (§ 12 WehrpflG, § 11 ZivildienstG), der Unabkömmlichstellung (§ 13 WehrpflG, § 16 ZivildienstG) und der Nichtheranziehung zum Wehr- und Zivildienst wegen anderweitiger Dienstverpflichtungen (§§ 13a, 13b WehrpflG, §§ 14 ff. ZivildienstG).7 Es wäre auch ganz unverständlich, wenn jemand kurz vor dem Wegfall der genannten Voraussetzungen straflos eine Untauglichmachung für die Folgezeit begehen könnte. Freilich darf die Erfüllung der Wehrpflicht nicht ganz fern liegen. Im Übrigen wird in diesen Fällen häufig der Vorsatz fehlen. Nicht zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich gemacht werden kann dagegen, wer nach § 9 Nr. 1 WehrpflG, § 8 Abs. 1 ZivildienstG ohnedies dauernd dienstunfähig ist und wer nach § 11 Abs. 1 WehrpflG, § 10 ZivildienstG vom Wehrdienst befreit ist (Jagusch LK8 Rdn. 2a). Fälle, bei denen zum Antrag auf Befreiung Berechtigte (§ 11 Abs. 2 WehrpflG, § 10 Abs. 2 ZivildienstG) sich untauglich machen oder machen lassen (für Strafbarkeit Jagusch LK8 Rdn. 2 a), sind kaum denkbar.

III. Untauglich 1. Allgemeines 6 § 109 stellt auf die Untauglichkeit zur „Erfüllung der Wehrpflicht“ ab, die nach Rdn. 3 zu differenzieren ist. Indessen bestimmt sich nach § 7 ZivildienstG die Tauglichkeit für den Zivildienst nach der Tauglichkeit für den Wehrdienst; § 8 ZivildienstG ist gleichlautend mit § 9 WehrpflG. 6 Lackner/Kühl Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 9; Sch/Schröder/Eser Rdn. 4; Fischer Rdn. 2. 7 Abw. z. T. Jagusch LK8 Rdn. 2a. Coen

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III. Untauglich

StGB § 109

Der Begriff „untauglich“ bezieht sich auf die entsprechenden Begriffe in den §§ 8a, 9 WehrpflG, 7, 8 ZivildienstG. Die Herbeiführung anderer Wehr- oder Zivildienstausnahmen (Ausschluss,8 Befreiung, Zurückstellung, Unabkömmlichstellung, Nichtheranziehung) fällt nicht unter den Tatbestand. Andererseits stellt dieser Begriff auf die tatsächlichen, nicht die rechtlichen Verhältnisse ab, so dass er auch gegeben ist, wenn bei einer vorübergehenden Untauglichkeit der Wehrdienst und damit (s. Rdn. 4) die Erfüllung der Wehrpflicht rechtlich fortdauern.

2. Verhältnis zum Wehrersatzwesen Der Strafrichter hat über die Frage der Untauglichkeit selbständig zu entscheiden. Verwaltungs- 7 vorschriften über die Festsetzung der Tauglichkeitsgrade (früher ZDv 46/I, nunmehr Zentralvorschrift A1-831/0-4000 „Wehrmedizinische Begutachtung“) binden ihn nicht, sind freilich ein wichtiger Anhalt. Die Entscheidung der Wehrersatzbehörde über die Tauglichkeit ist zwar ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, aber nur hinsichtlich der Heranziehung zum Wehrdienst, während hinsichtlich der Tauglichkeit nur eine feststellende Wirkung besteht (vgl. BGHSt 5 106, 110). Der Strafrichter ist daher an die Feststellung der Wehrersatzbehörde nicht gebunden.9 Freilich kann das Strafverfahren ausgesetzt werden (analog § 262 StPO; vgl. auch § 396 Abs. 1 AO).

3. Ursachen der Untauglichkeit Die Untauglichkeit kann auf körperlichen oder geistigen Mängeln beruhen (so § 17 Abs. 4 S. 1 8 WehrpflG). Im Übrigen sind die Arten der Untauglichkeit überaus mannigfach. In Frage kommen namentlich der Verlust von Gliedmaßen, Infektionskrankheiten, leistungsbeeinträchtigende Narben, nach der Zentralvorschrift A1-831/0-4000 (s. Rdn. 7) auch ein besonders hohes oder niedriges Körpergewicht, schädlicher Gebrauch oder Abhängigkeit von Drogen auch in der Vergangenheit, dauerhafte Störungen der Geschlechtsidentität.

4. Arten der Untauglichkeit a) Absolute Untauglichkeit. § 109 Abs. 1 verlangt, wie sich aus Abs. 2 ergibt, eine dauernde 9 und totale Untauglichkeit, d.h einen Zustand, bei dem der Wehrpflichtige nicht zum Wehr- bzw. Zivildienst herangezogen (§ 9 WehrpflG, § 8 ZivildienstG) und der Wehr- bzw. Zivildienstleistende entlassen wird (§ 29 Abs. 2 WehrpflG, § 43 Abs. 1 Nr. 11 ZivildienstG). Für die Dauerhaftigkeit der Untauglichmachung genügt, dass mit einer Behebung nach wissenschaftlicher Erfahrung nicht gerechnet zu werden braucht; außergewöhnliche Behebungsmöglichkeiten bleiben außer Betracht (Schölz/Lingens § 17 Rdn. 4). Auf die Möglichkeit ärztlicher Beseitigung kommt es – wie bei der „dauernden Entstellung“ nach § 226 StGB (vgl. BGHSt 17 161) – nicht an, zumal für den Untauglichgemachten trotz seiner Einwilligung (s. Rdn. 2) keine Rechtspflicht besteht, eine bestehende Untauglichkeit durch Behandlung oder Operation zu beseitigen (Scherer/Krekeler/ Steinlechner § 9 I 1).

b) Relative Untauglichkeit. Abs. 2 enthält keine Privilegierung, sondern eine Erweiterung des 10 Tatbestandes auf die Herbeiführung einer nur zeitweise oder für eine einzelne Art der Verwendung geltenden Untauglichkeit. Diese beiden Formen der Untauglichkeit werden im Schrifttum 8 So auch die h. L.: Jagusch LK8 2b, 4; Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 3; Sch/Schröder/Eser Rdn. 12. 9 AA RGSt 44 264, 269; Schölz/Lingens § 17 Rdn. 12; Kohlrausch/Lange § 109 III; Maurach BT § 64a II 2a aa; wie hier Müller MK Rdn. 16; Sch/Schröder/Eser Rdn. 8; Sinn SK Rdn. 9. 601

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§ 109 StGB

Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung

als „relative Untauglichkeit“ zusammengefasst.10 Sie können auch gemeinsam auftreten (vgl. BayObLG NJW 1973 2257, 2258); dies ist bei der Strafzumessung strafmildernd zu berücksichtigen.

11 aa) für eine gewisse Zeit. Der Begriff deckt sich nicht mit dem der „vorübergehenden“ Untauglichkeit nach §§ 8a Abs. 1, 12 Abs. 1 Nr. 1 WehrpflG, der eine Untauglichkeit für mindestens vier Wochen verlangt (vgl. Scherer/Krekeler/Steinlechner § 8a Anm. III 3). Die Untauglichkeit für einige Tage genügt (RGSt 33 280; BayObLG NJW 1973 2257, 2258); die Ersetzung der Worte „zeitweise“ durch „für eine gewisse Zeit“ durch das EGStGB 1974 sollte nicht die erforderliche Zeitdauer verlängern, sondern nur klarstellen, dass eine einmalige Untauglichkeit genügt (BTDrucks. 7/550 S. 219). Doch muss auch hier (vgl. Rdn. 5) eine Erfüllung der Wehrpflicht in Frage kommen (Lackner/Kühl Rdn. 3). Bedenken gegen die Unbestimmtheit bei Schmitz Unrecht und Zeit (2001) S. 75, 123.

12 bb) für eine einzelne Art der Verwendung. Es muss sich generell um eine „Art der Verwendung“, nicht um eine einzelne Dienstverrichtung handeln. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Gegensatz zu § 17 Abs. 2 WStG a. F. („teilweise Untauglichkeit zum Wehrdienst“). Andererseits braucht keine Untauglichkeit für ganze Waffengattungen vorzuliegen, wie sich aus der Abweichung von § 142 i. d. F. von 1935 ergibt. Beispiele: Verwendung als Funker, Kraftfahrer oder in der Schreibstube. Bei der militärischen Ausbildung und Übungen entscheidet der Zweck (BayObLG NJW 1973 2257, 2258 m. Anm. Schroeder NZWehrR 1974 33, 34). Unter diese Alternative fällt über den Wortlaut des Gesetzes hinaus auch der Ausschluss für mehrere einzelne Arten der Verwendung, sofern die Untauglichkeit noch nicht absolut ist, sondern noch einzelne Arten der Verwendung möglich sind. Dagegen schließt die Möglichkeit, einzelne Dienstverrichtungen auszuführen, den Tatbestand nicht aus (BayObLG a. a. O.).

IV. Durch Verstümmelung oder auf andere Weise 1. Verstümmelung 13 ist die Abtrennung oder Zerstörung eines Körpergliedes (in der weiten Auslegung zu § 226 StGB), ohne Rücksicht auf die Art der Herbeiführung.11

2. Auf andere Weise 14 Generalklausel, die alle Arten der Herbeiführung des Erfolgs, nämlich der körperlichen oder geistigen Untauglichkeit, umfasst. Eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung ist nicht erforderlich. Insbesondere kann ein nicht akut gebotener ärztlicher Eingriff unter den Tatbestand fallen.12

10 Fischer Rdn. 3; Kargl NK Rdn. 10; Lackner/Kühl Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 10; Müller MK Rdn. 13; Sch/Schröder/Eser Rdn. 5 ff.; Sinn SK Rdn. 7.

11 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 12; Kargl NK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eser Rdn. 11; Entw. 1962, Begr. zu § 147; für Beschränkung auf mechanische Einwirkung Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 4; Schölz/Lingens § 17 Rdn. 13. 12 BayObLG NJW 1973 2257, 2258 m. Anm. Schroeder NZWehrr 1974 33, 34; Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 4; aA Ostendorf AK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eser Rdn. 12; Sinn SK Rdn. 12. Coen

602

V. Untauglich machen lassen

StGB § 109

V. Untauglich machen lassen Dem „untauglich machen“ ist das „untauglich machen lassen“ gleichgestellt. Hierbei erweist 15 sich die Zusammenfassung der früher getrennten Selbst- und Fremdverstümmelung in einem Tatbestand als wenig glücklich.

1. Sich untauglich machen lassen Das „sich untauglich machen lassen“ wird nämlich traditionell der Selbstverstümmelung gleich- 16 gestellt und bedeutet hier, dass nicht nur die Veranlassung, sondern – wie bei § 218 StGB – schon das bloße Zulassen einbezogen wird.13

2. Einen anderen untauglich machen lassen Dagegen kann das „einen anderen untauglich machen lassen“ schon aus sprachlichen, aber 17 auch aus sachlichen Gründen nur die Veranlassung bedeuten (Schroeder Der Täter hinter dem Täter (1965) S. 141 f.; zust. Schöne Unterlassene Erfolgsabwendungen und Strafgesetz (1974) S. 201 f.). Aber auch die Einbeziehung jeder Veranlassung erscheint materiell nicht gerechtfertigt. Daher ist die Beziehung des „Lassens“ auf die Fremdverstümmelung als Redaktionsversehen anzusehen und die Strafbarkeit auf Fälle der mittelbaren Täterschaft zu beschränken.14

3. Unterlassen Das Unterlassen eines Wehrpflichtigen gegenüber einem fremden menschlichen Eingriff wur- 18 de bereits unter dem Begriff „sich untauglich machen lassen“ subsumiert (Rdn. 16). Es verbleibt das Unterlassen gegenüber Vorgängen, die nicht menschliche Angriffe darstellen: Erkrankungen, deren Verschlimmerung, Angriffe von Tieren, Naturkräfte. Die Ausdehnung der für Soldaten bestehenden Pflicht zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit (§ 17a Abs. 1 SoldG) auf alle Wehrpflichtigen erscheint unzulässig.15 Dadurch werden eventuelle Bedenken gegen die Gleichstellung des Unterlassens mit dem Tun (§ 13 Abs. 1 StGB)16 überspielt. Hinsichtlich der Fremdverstümmelung durch Unterlassen gelten die allgemeinen Grundsät- 18a ze. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Garantenstellung gerade in bezug auf die Wehrtauglichkeit, nicht nur auf die Gesundheit im Allgemeinen bestehen muss. Handlungspflichtig ist z. B. das Personal von Bundeswehrkrankenhäusern, nicht aber Familienangehörige (Maurach/ Schroeder/Maiwald II § 87 II Rdn. 14).

13 Vgl. Schroeder Der Täter hinter dem Täter (1965) S. 141 f.; Kohlrausch/Lange VI 4; Müller MK Rdn. 24; Sinn SK Rdn. 15; Sch/Schröder/Eser Rdn. 13; Fischer Rdn. 4; Wohlers NK Rdn. 6; Schöne Unterlassene Erfolgsabwendungen und Strafgesetz (1974) S. 201 f. 14 So auch E 1962, Begr. S. 596. Zust. Fischer Rdn. 4; Müller MK Rdn. 14; Sch/Schröder/Eser Rdn. 16; Sinn SK Rdn. 17. 15 AA Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 4; Maurach BT § 64a II A 2a bb bis zur 5. Aufl.; Ostendorf AK Rdn. 10. Der hier vertretenen Auffassung zustimmend Kargl NK Rdn. 10; Müller MK Rdn. 22; Schöne a. a. O. (Fußn. 13) S. 202; Sch/ Schröder/ Eser Rdn. 13; Sinn SK Rdn. 15. 16 Vgl. hierzu E 1962, Begr. S. 125. 603

Coen

§ 109 StGB

Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung

VI. Innerer Tatbestand 19 Es genügt Vorsatz, und zwar auch bedingter; eine Absicht, die viele Probleme erspart hätte, ist nicht erforderlich.17 Strafbar ist daher schon, wer die Wehruntauglichkeit bei der Verfolgung anderer Ziele, z. B. Renten- oder Versicherungsbetrug, Suizid (s. Rdn. 1), billigend in Kauf genommen hat. Der Vorsatz muss insbesondere auch – wenigstens nach „Parallelwertung in der Laiensphäre“ – das normative Tatbestandsmerkmal der Wehrpflicht umfassen. Unkenntnis der – möglichen (s. Rdn. 6) – Wehrpflicht ist daher Tatbestandsirrtum (vgl. Welzel § 72 I 1; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 II A 3). Erreicht der Täter entgegen seiner Absicht nur eine relative Wehruntauglichkeit, so liegt Absatz 2 in Tateinheit mit Versuch des Absatz 1 vor.18

VII. Ärztlicher Eingriff 20 Bei erfolgreichen Heileingriffen entfällt der Tatbestand, soweit der Patient schon vorher untauglich war (und u. U. gerade wieder tauglich gemacht wird). Dagegen greift der Tatbestand ein, wenn durch nicht akut gebotene Operationen eine aktuelle Erfüllung der Wehrpflicht (z. B. die Teilnahme an einer Wehrübung) unmöglich gemacht wird (s. Rdn. 14). Trotz Ausstellung eines Attestes kann der Vorsatz des Arztes (s. Rdn. 19) fehlen, wenn er die akute Wehrpflichtigkeit erst nach dem Eingriff erfahren hat. Die lege artis vorgenommene, aber fehlgeschlagene Behandlung fällt ebenfalls nicht unter den Tatbestand, da der Vorsatz fehlt. Soweit eine Kastration nach §§ 2 ff. KastG vom 15.8.1969 (BGBl. I S. 1143) früher zur Untauglichkeit führte, wurde Straflosigkeit angenommen (Schroeder LK12 Rdn. 20). Unabhängig von der aktuellen wehrmedizinischen Bewertung der Transsexualität muss Ähnliches für geschlechtsändernde Operationen gelten, durch die lediglich die grundrechtlich geschützte (vgl. BVerfGE 121 175, 190 f.) empfundene Geschlechtsidentität der Betroffenen zum Ausdruck gebracht wird.

VIII. Sozialadäquanz 21 Die Teilnahme an riskanten Sportarten kann nicht wegen der fehlenden Untauglichmachungsabsicht aus dem Tatbestand ausgeschieden werden (so aber BVerwG – Wehrdienstsenat NZWehrr 1976 20, 24), da eine solche vom Tatbestand nicht verlangt wird (s. Rdn. 19). Der für den subjektiven Tatbestand ausreichende dolus eventualis dürfte gelegentlich gegeben sein. Jedoch ist die Teilnahme auch an riskanten Sportarten sozialadäquat (vgl. auch Kargl NK Rdn. 11; Müller MK Rdn. 28; Ostendorf AK Rdn. 13).

IX. Rechtsfolgen 22 Die Strafe ist bei Absatz 1 Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, bei Absatz 2 Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. S. § 47 StGB. U.U. kommt § 60 StGB in Betracht.

17 AA Ostendorf AK Rdn. 13. 18 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 16; Kargl NK Rdn. 14; Sch/Schröder/Eser Rdn. 20; Warda Jura 1979 116 Fußn. 77. AA Welzel § 72 I 1. Coen

604

X. Zusammentreffen

StGB § 109

X. Zusammentreffen 1. Allgemeines Der Versuch des Absatzes 1 kann neben der Vollendung des Absatzes 2 in Idealkonkurrenz be- 23 rücksichtigt werden (s. Rdn. 19). Im Verhältnis zu den §§ 223 ff. (die Einwilligung ist wegen § 228 StGB unwirksam)19 besteht wegen der Verschiedenheit der Rechtsgüter und der z. T. höheren Strafen Idealkonkurrenz.20

2. § 17 WStG § 17 WStG ist lex specialis für die Untauglichmachung zum Wehrdienst von Soldaten durch Sol- 24 daten, geht aber über § 109 hinaus (s. schon Vor § 109 Rdn. 3). Wegen Anstiftung und Beihilfe zu § 17 sind auch Nichtsoldaten strafbar (§ 1 Abs. 4 WStG). Dabei darf jedoch eine Täterschaft nicht in eine Teilnahme umgedeutet werden, auch wenn sich andernfalls keine Möglichkeit der Bestrafung ergibt.21 Eine Konkurrenz zwischen § 109 und §§ 17 WStG, 26, 27 StGB scheidet danach aus. Für nichtsoldatische Teilnehmer gilt im Übrigen, soweit sich die §§ 109 StGB, 17 WStG decken, § 28 Abs. 2 mit der Folge der Anwendung des § 109, soweit § 17 WStG über § 109 StGB hinausgeht, § 28 Abs. 1 StGB.22 Die Hinweise auf die unverständliche Privilegierung des Soldaten, gegen den bei relativer Untauglichmachung neben der Freiheitsstrafe bloßer Strafarrest angedroht ist (Kohlrausch/Lange VII 2; Maurach BT5 § 64a II A 4; Jagusch LK8 Rdn. 7), richten sich zu Unrecht gegen die Lösung der Konkurrenzverhältnisse, da nach § 12 WStG gegenüber Nichtsoldaten Strafarrest überhaupt nicht verhängt werden kann.

19 Lackner/Kühl Rdn. 7; Sinn SK Rdn. 22; einschränkend Kargl NK Rdn. 16; Müller MK Rdn. 35; Ostendorf AK Rdn. 16; Hertel S. 39. 20 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 19; Kargl NK Rdn. 16; Müller MK Rdn. 35; Sch/Schröder/Eser Rdn. 21; Hertel S. 40. 21 Schroeder Der Täter hinter dem Täter (1965) S. 74, 79; aA Schölz/Lingens § 17 Rdn. 23 ff. 22 Ebenso Bauer S. 82 f.; Lackner/Kühl Rdn. 6; Schölz/Lingens § 17 Rdn. 26; Sinn SK Rdn. 22. AA Kargl NK Rdn. 16; Sch/Schröder/Eser Rdn. 17; differenzierend Müller MK Rdn. 38. 605

Coen

§ 109a Wehrpflichtentziehung durch Täuschung (1) Wer sich oder einen anderen durch arglistige, auf Täuschung berechnete Machenschaften der Erfüllung der Wehrpflicht dauernd oder für eine gewisse Zeit, ganz oder für eine einzelne Art der Verwendung entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Entstehungsgeschichte Ursprünglich § 143 StGB; abgeändert durch Ges. v. 28.6.1935; außer Geltung gesetzt durch §§ 5 Abs. 1 Ziff. 3, Abs. 4, 6 Abs. 2 KrStrVO v. 17.8.1938; aufgehoben durch KRG Nr. 11 v. 20.1.1946. Wiedereingefügt in das StGB durch das 4. StrÄndG v. 11.6. 1957; abgeändert durch das 1. StrRG und das EGStGB 1974.

Übersicht I.

Allgemeines

II.

Der Erfüllung der Wehrpflicht entziehen

III.

Durch arglistige, auf Täuschung berechnete Ma4 chenschaften 5 Machenschaften 6 Arglistig Auf Täuschung berechnet 7

1. 2. 3.

1

4. 5.

Adressat der Machenschaften 9 Durch

IV.

Innerer Tatbestand

V.

Rechtsfolgen

VI.

Zusammentreffen

8

2 10

11 12

I. Allgemeines 1 Die Vorschrift schützt die Erfüllung der Wehrpflicht und damit den Personalbestand der Bundeswehr.1 Sie ist eine Parallelbestimmung zu dem für Taten von Soldaten an Soldaten geltenden § 18 WStG. Der Vorwurf der unzulänglichen Bestimmtheit der Vorschrift nach Art. 103 Abs. 2 GG wegen des Merkmals „arglistige, auf Täuschung berechnete Machenschaften“2 ist verfehlt (s. Rdn 4–7).

II. Der Erfüllung der Wehrpflicht entziehen 2 Zur Wehrpflicht und ihrer Erfüllung s. § 109 Rdn. 3, 4. Im Gegensatz zu § 109 (s. § 109 Rdn. 5) stellt § 109a nicht auf die abstrakte Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht ab, sondern auf die konkrete Erfüllung. Die Entziehung davon ist objektiv erforderlich, während sich § 143 a. F. StGB insoweit mit der Absicht bzw. (ab 1935) dem Vorsatz begnügt hatte.3 Es ist daher erforderlich, dass der Wehrpflichtige zum Wehr- oder Zivildienst nicht herangezogen oder davon freigestellt wird (Schölz/Lingens § 18 Rdn. 4). Nach geltender Rechtslage ist ein solcher Erfolgseintritt 1 AA Wohlers NK4 Rdn. 1: Funktionsfähigkeit der Wehr- und Ersatzdienstinstitutionen. 2 Woesner NJW 1963 275; Lemmel Unbestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen im Besonderen Teil des Strafrechts und der Grundsatz nullum crimen sine lege (1970) S. 184.

3 Bedenklich OLG Hamm NJW 1974 568, 570, wenn es das „Inbetrachtkommen“ für den Wehrdienst und die „Eignung zur Entziehung“ ausreichen läßt. Allerdings hat das Gericht die Anwendung des Tatbestandes an der fehlenden Kausalität des Täterverhaltens (s. Rdn. 9) scheitern lassen. Dies macht jedoch die Erweiterung des Merkmals „der Erfüllung der Wehrpflicht entziehen“ völlig sinnlos. Coen https://doi.org/10.1515/9783110490008-064

606

III. Durch arglistige, auf Täuschung berechnete Machenschaften

StGB § 109a

nur im Spannungs- oder Verteidigungsfall möglich: Die Wehrpflicht besteht zwar formell fort (§ 1 WehrpflG), ist aber ausgesetzt und zieht daher keine weiteren Handlungspflichten nach sich (§ 2 WehrpflG). Auch eine rein tatsächliche Entziehung – wie etwa die Vortäuschung von Urlaubsgründen –, die wie bei § 109 (s. dort Rdnr. 6) genügen würde, kommt daher zur Zeit nicht in Betracht (Hertel S. 49). Ebenso wie § 109 erfasst § 109a nicht nur eine dauernde und gänzliche (absolute), sondern 3 auch die Entziehung für eine gewisse Zeit oder für eine einzelne Art der Verwendung. S. dazu § 109 Rdn. 10–12. Im Gegensatz zu § 109 gilt hierfür keine mildernde Strafdrohung.

III. Durch arglistige, auf Täuschung berechnete Machenschaften Die Formulierung bezeichnet eine gesteigerte Form der Täuschungshandlung. Sie weicht sowohl 4 von § 143 a. F. („auf Täuschung berechnete Mittel anwendet“) als auch von § 83 MStGB i. d. F. von 1940 („ein auf Täuschung berechnetes Mittel anwendet oder sonst arglistig handelt“) ab. Die Entziehung ohne Täuschungshandlung, z. B. durch Flucht ins Ausland oder Sichverbergen im Inland, reicht daher nicht aus. Der Begriff „arglistige Machenschaften“ wird vielfach als eine Tautologie angesehen.4 Die von Schrifttum und Rechtsprechung entwickelten Erfordernisse lassen sich jedoch in folgender Weise auf die einzelnen Begriffsmerkmale aufteilen, was zu einem Ergebnis führt, das teils enger, teils weiter als die h. L. ist.

1. Machenschaften Mit diesem Begriff sollte einerseits die Verwendung verkörperter Täuschungsmittel und syste- 5 matischer Lügen erfasst, andererseits die einfache Lüge ausgeschlossen werden.5 Zu eng ist es daher, ein „methodisches, berechnetes Gesamtverhalten“ zu verlangen.6 Der Täter muss vielmehr über die bloße Lüge hinaus etwas „machen“, z. B. Krankheitssymptome simulieren (RGSt 29 218), schriftliche Unterlagen vorlegen (OLG Hamm NJW 1974 568, 572), Dritte zur Bekräftigung seiner Behauptungen einschalten.7 Typisch waren früher Ummeldungen zum Schein nach Berlin (OLG Hamburg NJW 1965 1674; OLG Celle NJW 1965 1675).

2. Arglistig Derartige Machenschaften reichen allerdings (z. B. bei der Vorlage bestellter Briefe von Angehö- 6 rigen) zur Strafbarkeit nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass sie arglistig sind. Arglistig bedeutet hier nicht wie in § 170 a. F. StGB aus unlauterer Absicht oder unlauteren Beweggründen entsprungen,8 da die Wehrpflichtentziehung schon für sich einen erheblichen Unrechtsgehalt aufweist. Das Merkmal soll wie in § 123 BGB nach neuerer Interpretation die Grenzen erlaubter Übertreibung aufzeigen. Gemeint ist daher ein gewisser Grad von Raffinement oder Verwerflich-

4 Dreher JZ 1957 397; Kohlrausch/Lange § 109a I; Schölz/Lingens § 18 Rdn. 8 ff.; Sch/Schröder/Eser Rdn. 7–9; Bohnert GA 1978 363. 5 BTDrucks. 2/3040 S. 29 (zu § 18 WStG). 6 So Kohlrausch/Lange I 1; Lackner/Kühl Rdn. 3; Jagusch LK8 4; Sinn SK Rdn. 6; Schölz/Lingens § 18 Rdn. 8; Fischer Rdn. 3; OLG Celle NStZ 1986 168: Ummeldung nach Berlin zum Schein und irreführendes Schreiben an das Kreiswehrersatzamt. 7 Im Ergebnis übereinstimmend Jagusch LK8 Rdn. 4; Kargl NK Rdn. 3; Sch/Schröder/Eser Rdn. 7–9. 8 So Kohlrausch/Lange I 2. Dagegen auch Jagusch LK8 Rdn. 4; Sch/Schröder/Eser Rdn. 7–9. 607

Coen

§ 109a StGB

Wehrpflichtentziehung durch Täuschung

keit durch Ausnutzung von Mitgefühl und Vertrauen.9 Daher scheiden aus „plumpe Täuschungshandlungen“10 und fehlende Absicherung gegen einen sorgfältig prüfenden Vorgesetzten.11

3. Auf Täuschung berechnet 7 Mit diesen – erst vom Bundestagsausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht eingeführten – Worten sollten arglistige Vorbereitungshandlungen für eine Wehrpflichtentziehung in anderer Weise, insbesondere durch Selbstverstümmelung (Herbeiführung einer Krankheit), ausgeschieden werden.12 Eine Täuschung, d. h. eine Irrtumserregung, ist nicht erforderlich,13 ja nicht einmal eine objektive Eignung zur Täuschung (Kohlrausch/Lange I 3). Die erforderliche Ursächlichkeit kann sich auch aus anderen Gründen ergeben (s. Rdn. 9). Erst recht wird dadurch das bloße Unterlassen der Richtigstellung eines ohne Machenschaften erregten Irrtums ausgeschlossen (BayObLGSt 1962 222).

4. Adressat der Machenschaften 8 Ebensowenig wie beim Betrug der Verfügende (vgl. OLG Stuttgart NJW 1962 502) braucht bei der Wehrpflichtentziehung die Wehrbehörde unmittelbarer Adressat der Täuschungshandlung zu sein. Es genügt vielmehr, dass die Machenschaften gegenüber Instanzen vorgenommen werden, die als Informationsquellen für die Wehrbehörden in Betracht kommen (OLG Hamburg NJW 1965 1674).

5. Durch 9 Die arglistigen, auf Täuschung berechneten Machenschaften müssen für die Wehrpflichtentziehung ursächlich sein. Die Ursächlichkeit fehlt, wenn die Erfüllung der Wehrpflicht aus einem anderen Grunde entfällt (OLG Hamm NJW 1974 5); in diesem Falle allerdings immer noch Strafbarkeit wegen Versuchs (Abs. 2). Die Ursächlichkeit liegt vor allem dann vor, wenn die Täuschung eingetreten ist, aber auch dann, wenn die Adressaten zu einer vorübergehenden Freistellung zwecks weiterer Prüfung veranlasst worden sind (OLG Celle NJW 1965 1677; NStZ 1986 168).

IV. Innerer Tatbestand 10 Bis auf die Absicht der Täuschung (s. Rdn. 7) genügt bedingter Vorsatz, während der Zweck der Täuschungshandlung auf andere Erfolge (z. B. Entschuldigung für Urlaubsüberschreitung, Erschleichung von Vergünstigungen) gerichtet sein kann. 9 Vgl. Schölz/Lingens § 18 Rdn. 8; Sch/Schröder/Eser Rdn. 7–9; OLG Celle NZWehrR 1961 130; 1962 75; AG Verden bei Kohlhaas/Schwenck § 18 WStG Nr. 5: Vorspiegelung des Todes der Mutter und eines Anrufes des Vaters unter gleichzeitiger Vorspiegelung, dieser sei höherer Bundeswehrsoldat; OLG Hamm NJW 1974 568: Vorlage unzutreffender Studienbescheinigungen (bedenklich allerdings die Auffassung, die Tatsache, dass die Bescheinigungen formal echt waren, unterstreiche noch die Raffinesse des Vorgehens). 10 Schölz/Lingens § 18 Rdn. 8. Zust. OLG Celle NZWehrR 1961 130; 1962 75. 11 Schölz/Lingens § 18 Rdn. 8. Zust. BayObLGSt 1962 221; OLG Hamm NJW 1974 568, 569. 12 Schriftl. Bericht des Ausschusses S. 2; Dreher JZ 1957 397. 13 OLG Celle NJW 1965 1677; zust. Sch/Schröder/Eser Rdn. 11; Sinn SK Rdn. 8; aA Schölz/Lingens § 18 Rdn. 12. Coen

608

VI. Zusammentreffen

StGB § 109a

V. Rechtsfolgen Die Strafe ist Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu fünf Jahren; eine Differenzierung hinsicht- 11 lich der Grade der Entziehung ist – anders als bei § 109 – nur im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungsgründe (§ 46) möglich. S. § 47 StGB. Die zuständige Wehrersatzbehörde ist nicht Verletzter nach § 172 StPO.14

VI. Zusammentreffen § 18 WStG ist lex specialis für die Wehrpflichtentziehung von Soldaten durch Soldaten, geht 12 aber über § 109a hinaus (s. schon Vor § 109 Rdn. 3). S. im Einzelnen § 109 Rdn. 24. Idealkonkurrenz ist vor allem denkbar mit §§ 267, 271, 277, 278, 279.

14 Graalmann-Scheerer LR § 172 Rdn. 60; aA OLG Hamm GA 1973 156; Schroeder LK12 Rdn. 11. 609

Coen

§§ 109b, 109c weggefallen

Coen https://doi.org/10.1515/9783110490008-065

610

§ 109d Störpropaganda gegen die Bundeswehr (1) Wer unwahre oder gröblich entstellte Behauptungen tatsächlicher Art, deren Verbreitung geeignet ist, die Tätigkeit der Bundeswehr zu stören, wider besseres Wissen zum Zwecke der Verbreitung aufstellt oder solche Behauptungen in Kenntnis ihrer Unwahrheit verbreitet, um die Bundeswehr in der Erfüllung ihrer Aufgabe der Landesverteidigung zu behindern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Schrifttum Greiser Eine bedeutungslose Strafbestimmung, NJW 1973 231; Kreutz Der Straftatbestand der Störpropaganda gegen die Bundeswehr (§ 109d StGB) und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht, NZWehrr 2000 230; Ratuschny § 109d – Lügnerische Propaganda gegen die Bundeswehr, Diss. Köln 1960.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde durch das 4. StRÄndG v. 11.6.1957 in das StGB eingefügt. Vorgänger ist nicht – wie oft behauptet (vgl. Rdn. 1) – § 5 Abs. 1 Nr. 1 KrStrVO, sondern allenfalls § 1 des Heimtückegesetzes v. 20.12.1934, der jedoch viel weiter ging (vgl. Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970) § 12 III 2). Vgl. auch § 181 KE. Geändert durch das 1. StrRG und das EGStGB 1974.

Übersicht I.

Allgemeines

II.

Aufbau der Vorschrift

III.

Verfassungsrechtliche Problematik

IV. 1. 2. 3.

Der Gegenstand der Handlungen 4 4 Behauptungen 5 Behauptungen tatsächlicher Art 6 Unwahr oder gröblich entstellt 6 a) Unwahr 7 b) Gröblich entstellt Eignung der Verbreitung zur Störung der Tätig8 keit der Bundeswehr

4.

1 2 3

V. 1. 2.

9 Die Tathandlungen Aufstellen zum Zweck der Verbreitung 10 Verbreitung

VI.

Subjektiver Tatbestand

VII. Versuch

11

13

VIII. Rechtsfolgen IX.

9

Zusammentreffen

14 15

I. Allgemeines § 109d war als sog. „Maulkorbparagraph“ die umstrittenste Bestimmung des 4. StRÄndG.1 Der 1 Tatbestand ist jedoch durch die Erfordernisse bewusst unwahrer oder gröblich entstellter Tatsachenbehauptungen und der Absicht der Behinderung der Bundeswehr in der Landesverteidigung hinreichend, nach überwiegender Ansicht sogar bis zur Bedeutungslosigkeit, eingeschränkt2 und damit zugleich von der berüchtigten Wehrkraftzersetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 KrStrVO abgegrenzt. Damit genügt keine Verleumdung der Bundeswehr. Andererseits erfasst 1 Vgl. Prot. der 196., 198. und 199. Sitzung des BT-Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht; Verhandlungen des Deutschen BT, 2. Wahlperiode, S. 10855, 10908 ff., 10930 ff., 11752 ff.; Lackner JZ 1957 402, 403.

2 S. hierzu die Fälle bei Greiser NJW 1973 231 f. und BGH JR 1977 28 m. Anm. Schroeder; für Streichung Hertel S. 257 ff. 611 https://doi.org/10.1515/9783110490008-066

Coen

§ 109d StGB

Störpropaganda gegen die Bundeswehr

§ 109d über Beeinträchtigungen der Einsatzmotivation hinaus jede Behinderung der Bundeswehr durch unwahre Tatsachenbehauptungen (s. näher Rdn. 8).

II. Aufbau der Vorschrift 2 Die Vorschrift enthält zwei Tatbestände, deren ersterer eine Vorbereitungshandlung für den zweiten enthält und dessen Tathandlung (Verbreiten) in Form einer entsprechenden Absicht in sich aufnimmt. Im Gegensatz zu den §§ 131 a. F., 186, 187, 263 StGB stellt die Vorschrift nicht mehr auf den widersinnigen Begriff der unwahren bzw. erdichteten oder falschen Tatsache (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald I § 41 Rdn. 25) und deren Behauptung oder Verbreitung ab, sondern von vornherein auf unwahre Behauptungen tatsächlicher Art und deren Aufstellung oder Verbreitung (vgl. schon §§ 317 ff. E 1927, § 164 Abs. 2 StGB i. d. F. vom 26.5.1933, § 90 f. StGB i. d. F. vom 24.4.1934, § 1 Heimtückegesetz vom 20.12.1934, § 100d Abs. 3 StGB i. d. F. vom 30.8.1951; vgl. auch § 100a StGB). Das eigentliche Gravamen der Tatbestände, die Störung bzw. Behinderung der Tätigkeit der Bundeswehr, ist einmal in Form einer teilkonkretisierten Gefährdung („geeignet“, s. näher Rdn. 8), zum anderen in Form einer Absicht einbezogen. Diese Absicht ist trotz des missverständlichen Wortlauts der Vorschrift für beide Tatbestände erforderlich.3 Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte (Schriftl. Bericht S. 3 ff.), vor allem aber aus dem Verhältnis der beiden Tatbestandsalternativen zueinander: es wäre sinnwidrig, wenn der Vorbereitungstatbestand der ersten Alternative geringere subjektive Voraussetzungen vorsähe als der Vollendungstatbestand der zweiten Alternative. Die Tatbestände gleichen daher strukturell den §§ 164 Abs. 2, 229 a. F. StGB (Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 35, 39).

III. Verfassungsrechtliche Problematik 3 Als Äußerungsdelikt und besonders wegen des Erfordernisses der Verbreitung bzw. der Verbreitungsabsicht (s. Rdn. 9, 10) tangiert § 109d die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit nach Art. 5 GG. Das Erfordernis der Unwahrheit bzw. gröblichen Entstellung (s. Rdn. 6, 7) nimmt die Vorschrift nur hinsichtlich der Meinungsfreiheit aus dem Freiheitsbereich des Art. 5 GG heraus, und auch dies nur nach h. L.4 Die Wahrheit oder gar Nichtentstelltheit dürften als nach BVerfGE 7 198 ff. dagegen abzuwägendes Rechtsgut nicht ausreichen; angesichts der schädlichen Wirkungen, die sog. „fake news“ auf die öffentliche Meinungsbildung zeigen, wird man heute allerdings wieder zurückhaltender dabei sein, die Entstellung als geradezu legitimes Mittel zur Aufrüttelung einer lethargischen Öffentlichkeit sehen zu wollen.5 Hinreichend ist die Behinderung der Bundeswehr in der Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgabe der Landesverteidigung (s. Rdn. 12), wobei dieser Erfolg freilich nicht eintreten, sondern nur von der Absicht des Täters umfasst sein muss. Möglichen Bedenken gegenüber ist darauf hinzuweisen, dass auch bei der das Spiegel-Urteil BVerfGE 20 162 eingehend berücksichtigenden Reform des Staatsschutzrechts der Landesverrat aus einer Gefährdung und einer Schädigungsabsicht kombiniert und auf die bei bloßer öffentlicher Bekanntmachung verlangte Geheimhaltung verzichtet wurde (vgl. §§ 95 ff.). Notfalls gibt das Merkmal der Behinderung der Bundeswehr (s. Rdn. 8, 12) die Möglichkeit zu einer verfassungskonformen Auslegung, insbesondere zu einer Tolerierung der üblichen Presseberichterstattung. 3 Ebenso Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 39; Müller MK Rdn. 19; Sinn SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eser Rdn. 10. 4 Nachw. und Kritik bei Maunz/Dürig/Herzog/Grabenwarter Art. 5 Abs. 2 Rdn. 48 ff. 5 Vgl. die Begründung zum RegE, BTDrucks. 2/3039 S. 12 (kein Recht, „durch unwahre oder gröblich entstellte Nachrichten Unruhe zu stiften“). Coen

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IV. Der Gegenstand der Handlungen

StGB § 109d

IV. Der Gegenstand der Handlungen 1. Behauptungen sind Äußerungen mit dem Anspruch auf Richtigkeit. Es scheiden daher aus Vermutungen, 4 Scherze. Andererseits schließt eine Verschleierung durch Zusätze wie „soweit bekannt“, „soviel ich weiß“ oder die Einkleidung in eine Frage („Trifft es zu, dass …?“) oder in einen Verdacht das Vorliegen einer Behauptung nicht aus (vgl. Frank § 186 II 3). Wer als Urheber der Behauptung hingestellt wird („aus Regierungskreisen heißt es“), spielt hier im Gegensatz zu § 186 StGB keine Rolle, da die Angabe eines fremden Urhebers ihrerseits wieder eine Behauptung darstellt.

2. Behauptungen tatsächlicher Art Mit diesem Erfordernis sollten im Interesse der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) Werturteile und 5 Meinungsäußerungen ausgeschlossen werden (Schriftl. Bericht S. 4, 5). Da auch § 186 StGB für Tatsachenbehauptungen eine höhere Strafe vorsieht als § 185 StGB für Werturteile, können die dort entwickelten bewährten Auslegungsgrundsätze herangezogen werden. Insbesondere sind hier die in BGHSt 6 159; 6 357 entwickelten Grundsätze heranzuziehen, wonach bei flüchtiger Betrachtungsweise als Tatsachenbehauptungen erscheinende Äußerungen nur als Pseudowahrheiten verkleidete Werturteile im Sinne bestimmter Ideologien sein können („der Bundeskanzler bereitet einen neuen Weltkrieg vor“, „verschärfter Terror gegen junge Patrioten des deutschen Volkes“).6 Denn bei § 109d sollte jeder Anschein eines Ehren- oder Ideologieschutzes vermieden werden. Nebenbei gesagt liegt in den genannten Urteilen eine eindrucksvolle Entglorifizierung der betreffenden Ideologie.

3. Unwahr oder gröblich entstellt a) Unwahr. Bei den auf eine Unwahrheit abstellenden Vorschriften (§§ 164, 186, 187, 263 StGB) 6 wird es allgemein als ausreichend angesehen, dass der wesentliche Kern, der wesentliche Inhalt der Behauptung falsch ist (s. z. B. RGSt 41 59). b) Gröblich entstellt. Der Begriff „gröblich entstellt“ muss daher weitergehen. Der Begriff der 7 „entstellten Tatsachen“ nach § 131 a. F. StGB wurde allgemein als Abweichung von der Wahrheit „in wesentlichen Punkten“ aufgefasst.7 Bei § 263 StGB genügt für die Entstellung sogar die Verzerrung durch Zusätze und Auslassungen.8 Für die Entstellung muss es daher auch hier im Gegensatz zur Unwahrheit kennzeichnend sein, dass ein „wahrer Kern“ vorhanden ist, der jedoch durch Zusätze oder Auslassungen, insbesondere durch Aus-dem-Zusammenhang-Reißen, in seinem Wahrheitsgehalt beeinträchtigt wird. Die Abweichung muss gröblich sein, d. h. so, dass sie wesentliche Punkte betrifft und die zugrundeliegende Tatsache kaum noch wiederzuerkennen ist. Die Abweichung muss sofort ins Auge fallen und nicht erst bei einer detaillierten Analyse erkennbar sein. Dem Rechtsausschuss kam es darauf an, ein bloßes nicht unerhebliches Abweichen von der Wahrheit, ein bloßes Zurücktreten des Wahrheitsgehalts gegenüber dem Unwahrheitsgehalt von Gesamtbehauptungen auszuschließen.9 6 7 8 9

Ebenso BGH JR 1977 28 m. Anm. Schroeder; abw. Jagusch LK8 Anm. 2. v. Hippel VDB 2 73; Schönke/Schröder17 § 131 Rdn. 4. Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/Perron § 263 Rdn. 6. Protokoll der 198. Sitzung S. 14, Schriftl. Bericht S. 5.

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Coen

§ 109d StGB

Störpropaganda gegen die Bundeswehr

4. Eignung der Verbreitung zur Störung der Tätigkeit der Bundeswehr 8 Die Vorschrift verlangt keine Verbreitung und damit auch keine konkrete Gefahr der Störung der Tätigkeit der Bundeswehr. Verlangt wird lediglich, dass die Tatsachen abstrakt gesehen von einer solchen Beschaffenheit sind, dass eine Verbreitung, d. h. ein Bekanntwerden in einem größeren Personenkreis (s. näher Rdn. 10), die Tätigkeit der Bundeswehr stören könnte. Es handelt sich um eine hypothetische konkrete Gefährdung. Bei der zweiten Alternative, die die Verbreitung selbst erfasst, verwandelt sich die hypothetische allerdings in die konkrete Prüfung, ob die Verbreitung die Tätigkeit der Bundeswehr stören kann (nach Hoyer Die Eignungsdelikte (1987) S. 187 „Eignungsdelikt“, nach Kargl NK Rdn. 5 „konkretes Gefährlichkeitsdelikt“). Im Gegensatz zu der erforderlichen Absicht (s. Rdn. 12) wird hier auf die Tätigkeit der Bundeswehr schlechthin, also neben der Landesverteidigung auch den Schutz ziviler Objekte und die Hilfe bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen (s. Vor § 109, Rdn. 1), abgestellt.10 Es muss sich aber um eine Störung der Tätigkeit der Bundeswehr als solcher handeln, d. h. um eine spürbare Störung der Gesamttätigkeit oder größerer Einzeloperationen; die Störung einzelner Bundeswehrangehöriger und sonstige kleinere Behinderungen bleiben außerhalb des Tatbestandes. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die im RegE (BTDrucks. 2/3039) enthaltene Alternative des Handelns „um andere vom Wehrdienst abzuhalten“ in das Gesetz nicht mit aufgenommen wurde. Andererseits braucht nur eine Störung, d. h. eine Behinderung (vgl. Rdn. 12) und Erschwerung, keine totale oder auch nur partielle Lahmlegung vorzuliegen. Die Art der hypothetischen Störung ist gleichgültig. In Frage kommen zunächst Einwirkun8a gen auf Bundeswehrangehörige und Wehrpflichtige, darunter gefälschte Ausmusterungs- und Freistellungsbescheide, Ankündigung des Einsatzes im Irak, Diskreditierung von Vorgesetzten, Vergiftung des Betriebsklimas, Vorspiegelung der Gesundheitsschädlichkeit bestimmter Tätigkeiten. Einschlägig sind aber auch Einwirkungen auf Zivilpersonen, die für die Bundeswehr tätig sind, z. B. Hervorrufung von Streiks in Rüstungsbetrieben durch bewusst unwahre Behauptungen, schließlich aber sogar Einwirkungen auf gänzlich Unbeteiligte, z. B. die Verursachung von Verstopfungen auf wichtigen Straßen durch Falschmeldungen über Kundgebungen (vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 7), sehenswerte Unglücksfälle, Panikmache.

V. Die Tathandlungen 1. Aufstellen zum Zweck der Verbreitung 9 Eine besondere Form der Aufstellung der Behauptung, insbesondere Öffentlichkeit, ist nicht verlangt. Jedoch muss der Täter zum Zweck der Verbreitung (s. Rdn. 10) handeln, d. h. es muss ihm darauf ankommen,11 dass er durch weitere eigene Handlungen (vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 9) oder mittelbar über andere die Behauptung verbreitet.

2. Verbreitung 10 Verbreitung bedeutet hier wie sonst (vgl. §§ 74d, 86, 86a, 184; Ausnahme §§ 186, 187 StGB), dass die Behauptung einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wird.12 Die Auslegung, dass 10 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 38; aA Fischer Rdn. 4; Kargl NK Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 3; Ostendorf AK Rdn. 3; Sch/Schröder/Eser Rdn. 7; Sinn SK Rdn. 6. 11 Kargl NK Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 6; Sinn SK Rdn. 9; weitergehend für direkten Vorsatz Sch/Schröder/Eser Rdn. 9; Jagusch LK8 5a. 12 Dagegen fassen Sch/Schröder/Eser Rdn. 13/14 das Verbreiten hier wie bei den §§ 186, 187 als Weitergabe als Gegenstand fremden Wissens auf, verlangen aber zusätzlich die Gefahr des Bekanntwerdens in weiteren Kreisen. Coen

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IX. Zusammentreffen

StGB § 109d

die Weitergabe an eine einzelne Person genügt, wenn der Täter damit rechnet, dass sie ihrerseits weiteren Personen Mitteilung machen werde,13 ist angesichts des ersten Wahltatbestandes hier nicht möglich.14

VI. Subjektiver Tatbestand „Wider besseres Wissen“ verlangt direkten Vorsatz hinsichtlich der Unwahrheit oder gröbli- 11 chen Entstellung. Die Formulierung „in Kenntnis ihrer Unwahrheit“ wurde lediglich gewählt, um eine Wiederholung zu vermeiden;15 sie bedeutet also das Gleiche und bezieht sich insbesondere auch auf die gröbliche Entstellung.16 Im Übrigen genügt bedingter Vorsatz, insbesondere hinsichtlich der Eignung der Verbreitung zur Störung der Tätigkeit der Bundeswehr. Darüber hinaus ist bei beiden Tatbestandsalternativen (s. Rdn. 2) die Absicht der Behinde- 12 rung der Bundeswehr in der Erfüllung ihrer Aufgabe der Landesverteidigung erforderlich (hierzu Vor §§ 109 ff. Rdn. 1). Absicht bedeutet hier nicht nur direkten Vorsatz, andererseits aber auch nicht Beweggrund,17 sondern, dass es dem Täter auf diesen Erfolg ankommt.18 Die Behinderung der Bundeswehr in der Erfüllung ihrer Aufgabe verlangt wie bei der entsprechenden Eignung (s. Rdn. 8) einerseits ein gewisses Ausmaß der Behinderung, verzichtet aber andererseits auf eine totale oder partielle Lahmlegung. Die Absicht muss sich – im Gegensatz zu der objektiven Eignung (s. Rdn. 8) – auf eine Behinderung in der Erfüllung der Aufgabe der Landesverteidigung richten; beabsichtigte Behinderungen bei den Aufgaben im Rahmen des inneren Notstands oder UN-Friedensmissionen reichen daher nicht aus (Müller MK Rdn. 21; Wagner NZWehrr 2011, 156, 157).

VII. Versuch Versuch (Abs. 2) kommt vor allem in Irrtumsfällen in Betracht, etwa wenn der Täter eine wahre 13 Behauptung für falsch hält oder unzutreffend von einer Eignung ausgeht, die Tätigkeit der Bundeswehr zu stören (Müller MK Rdn. 28).

VIII. Rechtsfolgen Die Strafe ist Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. S. § 47 StGB. 14 Einziehung der producta und instrumenta sceleris nach § 109k. Zur Verjährung bei Begehung durch Presseveröffentlichungen s. § 78 Rdn. 14 ff.

IX. Zusammentreffen Idealkonkurrenz ist möglich insbesondere mit §§ 86, 89, 100a, 164, 186, 187, 187a.19

15

S. hierzu auch Schroeder GA 1964 225, 236. 13 BGHSt 19 63, 71 m. Nachw. 14 Zust. Fischer Rdn. 3; Sinn SK Rdn. 10. 15 Prot. der 198. Sitzung der 2. Wahlp. des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, S. 8. 16 Ebenso Kohlrausch/Lange Anm. III; Schönke/Schröder/Eser Rdn. 16. 17 Abw. Schafheutle Prot. der 198. Sitzung der 2. Wahlp. des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, S. 6 f.; Jagusch LK8 8; OLG Celle NJW 1962 1581. 18 Schriftl. Bericht S. 3; Lackner/Kühl 4c; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 39; Sch/Schröder/Eser Rdn. 10. 19 AA Fischer JZ 1990 68. 615

Coen

§ 109e Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln (1) Wer ein Wehrmittel oder eine Einrichtung oder Anlage, die ganz oder vorwiegend der Landesverteidigung oder dem Schutz der Zivilbevölkerung gegen Kriegsgefahren dient, unbefugt zerstört, beschädigt, verändert, unbrauchbar macht oder beseitigt und dadurch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die Schlagkraft der Truppe oder Menschenleben gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer wissentlich einen solchen Gegenstand oder den dafür bestimmten Werkstoff fehlerhaft herstellt oder liefert und dadurch wissentlich die in Absatz 1 bezeichnete Gefahr herbeiführt. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. (5) Wer die Gefahr in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig, in den Fällen des Absatzes 2 nicht wissentlich, aber vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist.

Entstehungsgeschichte Zuerst § 143a i. d. F. des Ges. v. 28.6.1935; abgeändert durch Ges. v. 2.7.1936; ersetzt durch § 1 WehrkraftschutzVO v. 25.11.1939; wiedereingefügt in das StGB als § 143a durch Ges. v. 4.9.1941; aufgehoben durch KRG Nr. 11 v. 30.1.1946. § 10 Anhang A zum Truppenvertrag i. d. F. der Bek. v. 30.3.1955. Wiedereingefügt in das StGB in neuer Fassung durch das 4. StRÄndG v. 11.6.1957; abgeändert durch das 1. StrRG v. 25.6.1969 und das EGStGB 1974.

Übersicht I.

Allgemeines

II. 1. 2.

4.

Tatobjekte 2 2 Wehrmittel Einrichtungen und Anlagen der Landesverteidi3 gung Einrichtungen oder Anlagen des Zivilschut4 zes 5 Nicht erforderlich

III. 1. 2.

Die Tathandlungen des Absatzes 1 6 Absatz 1 7 Absatz 2

IV.

Unbefugt

3.

1

V.

2. 3.

Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik 9 Deutschland usw Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland 10 11 Die Schlagkraft der Truppe 12 Menschenleben

VI.

Innerer Tatbestand

13

VII. Versuch (Absatz 3)

15

1.

6 VIII. Rechtsfolgen IX.

Zusammentreffen

16 17

8

I. Allgemeines 1 Die Vorschrift erfasst in der umfassenden Formulierung ähnlicher Tatbestände (§§ 87 Abs. 2 Nr. 2, 305a, 316b, 317) die Beschädigung usw. von Wehrmitteln, Anlagen und Einrichtungen der Landesverteidigung und des Zivilschutzes. Absatz 2 bezieht die fehlerhafte Herstellung und Lieferung ein. Die Wehrmittel usw. werden nur geschützt, soweit die dahinter stehenden Rechtsgüter der Sicherheit der Bundesrepublik und der Schlagkraft der Truppe, aber auch allgemein Menschenleben, gefährdet werden. Die Tat ist eine „Sabotagehandlung“ nach § 87. Coen https://doi.org/10.1515/9783110490008-067

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II. Tatobjekte

StGB § 109e

II. Tatobjekte 1. Wehrmittel sind Gegenstände, die nach ihrer Natur oder aber auch nach besonderer Zweckbestimmung der 2 Abwehr bewaffneter Angriffe dienen, also auch Präventivwaffen (zu eng BTDrucks. 2/3039 S. 13 und h. L.: für den bewaffneten Einsatz der Truppe bestimmt). Darunter fallen nicht nur Großgeräte wie Schiffe, Flugzeuge, Panzer, Raketen, Funk- und Radargeräte, sondern auch Munition, Ferngläser, Kartenmaterial, Tiere (Meldehunde, Pferde, Brieftauben), Treibstoffe, Uniformen und Proviant. Dagegen fallen unter den Tatbestand nicht Gegenstände, die nur mittelbar der Abwehr dienen, wie reines Ausbildungs- und Übungsmaterial.1

2. Einrichtungen und Anlagen der Landesverteidigung Diese Begriffe stellen im Gegensatz zu dem des Wehrmittels mehr auf die örtliche Fixierung oder 3 die Kombination von Einzelelementen ab (vgl. auch §§ 88, 316b), wobei Anlagen eine gewisse Festigkeit und Beständigkeit (vgl. Kohlrausch/Lange § 316b II; Sch/Schröder/Eser Rdn. 5) und ein Zurücktreten der menschlichen Leistung zur bloßen „Bedienung“ verlangen. In Frage kommen z. B. Flugplätze, Befestigungen; Flakstellungen, Raketenabschussbasen, Radaranlagen. „Anlagen“ können auch gestaltete Natur (Dämme, Waldstreifen), nicht aber diese selbst sein (Müller MK Rdn. 9; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 5). Das „Dienen“ bezieht weitergehend als beim „Wehrmittel“ (s. Rdn. 2) auch eine mittelbare Förderung der Landesverteidigung ein, z. B. durch Rüstungsbetriebe, Forschungsinstitute, Versuchsanstalten, Lagerhäuser, Übungsplätze. Das macht es erforderlich, in den Begriff der Anlage bzw. Einrichtung auch Teilanlagen innerhalb solcher Betriebe einzubeziehen, z. B. einzelne Maschinen (RGSt 75 217). Die Eigentumsverhältnisse sind unbeachtlich; das „Dienen“ kann auch durch Pacht, Miete oder Beschlagnahme herbeigeführt werden (Sch/Schröder/Eser Rdn. 8). Die Mittelbarkeit des Dienens darf aber nicht zu weit erstreckt werden (Druckerei für die Truppenzeitung!). Erforderlich ist ferner, dass die Einrichtung oder Anlage mindestens vorwiegend der Landesverteidigung dient. Ein Betrieb, der zu 50 % Rüstungsaufträge erledigt, reicht also nicht aus, erst recht nicht Einrichtungen oder Anlagen, die erst im Verteidigungsfall in die Landesverteidigung einbezogen werden können. Nicht erfasst sind auch Anlagen, die ausschließlich der Führung von Auslandseinsätzen dienen (zum Einsatzführungskommando der Bundeswehr Wagner NZWehrr 2011, 156, 160 f.).

3. Einrichtungen oder Anlagen des Zivilschutzes Erfasst wird der Schutz der Zivilbevölkerung vor kriegsbedingten Gefahren, gleichgültig, ob die 4 Schutzmaßnahmen ziviler oder militärischer Natur sind; insoweit handelt sich nur um eine Klarstellung (Schriftl. Bericht S. 6). In Frage kommen Luftschutzanlagen wie Sirenen und Bunker, Arzneimittelvorratslager, Krankenwagen. Vgl. hierzu Zivilschutz- u. Katastrophenhilfegesetz (ZSKG) v. 25.3.1997 (BGBl. I S. 726) m. Änderungen. Für den Begriff der Einrichtungen und Anlagen und das Erfordernis des Dienens gilt i. Üb. das Gleiche wie bei der Landesverteidigung (s. Rdn. 3). Dass öffentliche Schutzräume als Mehrzweckbauten ausgeführt sind (§ 7 Abs. 1 S. 1 ZSKG), schließt das Dienen für den Zivilschutz nicht aus.

1 Maurach/Schroeder/Maiwald § 87 Rdn. 31; Sinn SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Eser Rdn. 3; aA Jagusch LK8 2. 617

Coen

§ 109e StGB

Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln

4. Nicht erforderlich 5 ist, dass die unter Rdn. 2 bis 4 aufgeführten Objekte bereits fertiggestellt sind. Dies würde zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass die Zerstörung kurz vor der Inbetriebnahme nicht unter den Tatbestand fiele. Auch die in Absatz 2 genannten Begehungsweisen (s. Rdn. 7) deuten darauf hin, dass der Schutz bereits im Herstellungsstadium eingreifen soll.

III. Die Tathandlungen des Absatzes 1 1. Absatz 1 6 Die Tathandlungen des Absatz 1 sind wie bei anderen modernen Sabotagetatbeständen (§§ 87 Abs. 2 Nr. 2, 316b, 317) entsprechend der modernen Funktionsvereitelung und Zustandsveränderung bei der Sachbeschädigung (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald I § 36 Rdn. 9 ff.) formuliert. Die Handlungsweisen gehen teilweise ineinander über. Zerstören ist die stärkste Form der Beschädigung und verlangt eine so wesentliche Beschädigung, dass das Objekt irreparabel ist, nicht mehr als solches, sondern allenfalls noch als Wrack existiert (RGSt 39 223). Beschädigen verlangt demgegenüber nur Substanzverletzungen, die die Brauchbarkeit beeinträchtigen, freilich nicht ganz unerheblich. Da das „Unbrauchbarmachen“ gesondert erfasst ist, bedarf es hier nicht der entsprechenden Erweiterung wie bei der Sachbeschädigung. Verändern ist die Zustandsveränderung ohne Beschädigung, d. h. Substanzverletzung (RGSt 37 53; RG JW 1920 1036), z. B. Ausschalten elektrisch betriebener Anlagen, Verrückung von auf Ziele eingestellten Waffen oder Geräten, Manipulationen an der Software. Unbrauchbar machen ist die sonstige Beseitigung der Funktionsfähigkeit, ohne dass das Wehrmittel selbst verändert wird, z. B. durch Störsender oder Abdeckung von Lichtsignalen. Beseitigen ist die räumliche Entfernung vom ordnungsgemäßen Stand- oder Aufbewahrungsort. Dazu genügt auch das Verstecken am Aufbewahrungsort,2 nicht dagegen die bloße Nichtzurückschaffung eines zunächst ordnungsmäßig mitgeführten Wehrmittels (RGSt 12 247; RG DStR 1939 179), da die im Entwurf enthaltene Begehungsweise des „Preisgebens“ im Rechtsausschuss bewusst gestrichen worden ist (Schriftl. Bericht S. 6).

2. Absatz 2 7 erfasst darüber hinaus die fehlerhafte Herstellung oder Lieferung der in Absatz 1 genannten Objekte oder dafür bestimmter Werkstoffe. Herstellung ist jede Anfertigung ohne Rücksicht auf die Stellung als Werkunternehmer nach § 631 BGB. Bei der modernen Fertigung in Großbetrieben sind die allgemeinen Teilnahmegrundsätze zu beachten. Der Arbeiter kann vorsatzloses Werkzeug des Unternehmers sein; ist er eingeweiht, so befreit ein eventueller Gehilfenwille nicht von der Täterschaft. Fehlerhaft ist die Herstellung, wenn sie anerkannten Erfahrungssätzen oder vorhandenen besonderen Erfahrungen widerspricht und dadurch die Tauglichkeit für die bestimmungsmäßige Funktion beeinträchtigt ist. Auf die zivilrechtliche Haftung kommt es nicht an. Neben der Herstellung wird auch die Lieferung, d. h. die Überlassung durch Rechtsgeschäft (Jagusch LK8 Rdn. 9) erfasst. Diese Alternative hat selbständige Bedeutung, wenn die Lieferung nicht durch den Hersteller erfolgt oder dieser den Fehler erst nach der Herstellung bemerkt (Jagusch LK8 Rdn. 9). Im Gegensatz zu § 329 a. F., § 92a i. d. F. vom 1934 ist die völlige Nichterfüllung des Lieferungsvertrages straflos (Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 33) – ein kaum verständlicher Wertungswiderspruch des Gesetzes. Werkstoffe sind nicht nur Rohma-

2 RGSt 26 413; noch weitergehend Sch/Schröder/Eser Rdn. 10; Jagusch LK8 4. Coen

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V. Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland usw.

StGB § 109e

terialien, sondern alle Gegenstände, die als Bestandteil der unter Rdn. 2–4 genannten Objekte dienen sollen, also auch Halbfabrikate und zum Einbau bestimmte Fertigfabrikate.

IV. Unbefugt Dieses Merkmal, das nur bei Absatz 1 (Rdn. 6) genannt ist, soll klarstellen, dass die Befugnis 8 des Unternehmers zur Veränderung oder Aufgabe seines Betriebes nach bürgerlichem oder öffentlichem Recht die Strafbarkeit – genauer gesagt die Rechtswidrigkeit3 – ausschließt (BTDrucks. 2/3039 S. 13).

V. Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland usw. Erforderlich ist eine konkrete Gefährdung, d. h. die Herbeiführung eines Zustandes, in dem der 9 Eintritt eines Schadens naheliegt (vgl. BGHSt 17 50; 18 271; BGH NJW 1971 441). Die Gefährdungsobjekte entsprechen weitgehend denen der §§ 2 Nr. 3, 19, 21 WStG.

1. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst nach der Legaldefinition des § 92 Abs. 3 Nr. 2 StGB deren äußere und innere Sicher- 10 heit. Hierunter ist der jeweilige Zustand relativer Ungefährdetheit gegenüber fremden Staaten und gewaltsamen Aktionen innerstaatlicher Kräfte zu verstehen (eingehend Schroeder § 36).4 Es muss sich immer um eine spürbare Auswirkung auf den Gesamtzustand der Sicherheit handeln; geringere Gefahren können nur mit dem Rechtsgut der Schlagkraft der Truppe erfasst werden.

2. Die Schlagkraft der Truppe resultiert aus der Einsatzfähigkeit ihres technischen Potentials, der Einsatzfähigkeit und -bereit- 11 schaft der Soldaten und der Funktions- und Operationsfähigkeit des Gesamtapparates (vgl. Schroeder § 37; BGH NJW 1971 441). Durch die erforderlichen Tatbestandshandlungen wird dieses Schutzobjekt hier nicht auf den erstgenannten Teilbereich eingeengt; tatbestandsmäßig ist auch die Gefährdung der Einsatzbereitschaft der Soldaten durch Beschädigung von Wehrmitteln. Der Begriff der Schlagkraft der Truppe ist dem der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland vorgelagert, verlangt aber immerhin noch spürbare Auswirkungen auf die Gesamtschlagkraft, so dass der Ausfall einzelner Waffen oder Soldaten nur bei wichtigen Funktionen genügt.5 Der Eintritt oder die Befürchtung unerheblicher Schäden reichen nicht aus (BGH NJW 1971 441). Grenzfall LG Lüneburg NZWehrr 1964 180: Gefährdung der Schlagkraft der Truppe durch Beschädigung des Bordtelefons eines Minensuchbootes.

3 Sinn SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Eser Rdn. 13; aA Jagusch LK8 7: Tatbestandsmerkmal. 4 Schölz/Lingens § 2 Rdn. 58. Für Beschränkung auf die äußere Sicherheit Müller MK Rdn. 28; Ostendorf AK Rdn. 11; Wohlers NK Rdn. 5. In BGH NJW 1971 441 wird die Gefährdung der äußeren Sicherheit für den konkreten Fall bejaht, aber nicht zum ausschließlichen Tatbestandserfordernis erklärt. 5 Vgl. auch Schölz/Lingens § 2 Rdn. 59; H. Arndt S. 189 und – noch zurückhaltender – Erbs/Kohlhaas/Dau § 2 WStG Rdn. 44. 619

Coen

§ 109e StGB

Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln

3. Menschenleben 12 Geschützt ist jedermann, nicht nur das Menschenpotential der Bundeswehr (s. dazu Rdn. 1). Das Merkmal entspricht damit dem bei den neueren allgemeinen Gefährdungsdelikten üblichen (vgl. §§ 307 ff. StGB) und geht sogar noch darüber hinaus, da die Gefährdung des Täters selbst genügt.6 Andererseits genügt die bloße Leibesgefahr nicht.

VI. Innerer Tatbestand 13 Während für die Tathandlungen des Absatz 1 (s. Rdn. 6) der bedingte Vorsatz genügt, ist für die Handlungen des Absatz 2 (s. Rdn. 7) Wissentlichkeit erforderlich, und zwar auch hinsichtlich der Gefährdung. Dieses Merkmal umfasst nach dem Sprachgebrauch der neueren Bestimmungen des StGB (anders der Entw. 1962, vgl. Begr. S. 131) den gesamten direkten Vorsatz (Schroeder LK11 § 16 Rdn. 84 m. Nachw.). Auch diese Bestimmung wurde zum Schutz der Unternehmer getroffen (Protokoll der 195. Sitzung S. 11, 198. Sitzung S. 19). Der Irrtum über die Befugnis ist Verbotsirrtum (s. Rdn. 8). Absatz 5 erfasst gegenüber den Absätzen 1 und 2 verringerte subjektive Beziehungen zur 14 Gefahr, und zwar gegenüber Absatz 1 Fahrlässigkeit, gegenüber Absatz 2 außerdem den bedingten Vorsatz. Hinsichtlich der Sabotagehandlung selbst verbleibt es beim Vorsatz, bei Absatz 2 beim direkten Vorsatz. Zur Behandlung dieser Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination als Vorsatztat s. Erl. zu §§ 11, 18.

VII. Versuch (Absatz 3) 15 Bei den Handlungen nach Absatz 1 und 2 ist der Versuch strafbar. Er ist bei Nichteintritt der gewollten Gefährdung, aber auch schon bei Misslingen der Sabotagehandlung gegeben.

VIII. Rechtsfolgen 16 Die Strafe ist bei vorsätzlicher bzw. direkt vorsätzlicher Gefährdung (Absatz 1, 2) Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in schweren Fällen von einem bis zu zehn Jahren (Absatz 4), bei fahrlässiger bzw. bedingt vorsätzlicher Gefährdung (Absatz 5) Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. S. § 47 StGB. Nach § 109i ist neben einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter und Erlangung von Rechten aus öffentlichen Wahlen sowie des Wahlrechts möglich. Nach § 109k Nr. 1 ist eine Einziehung der producta und instrumenta sceleris sowie des Tatentgelts möglich. § 74a ist anzuwenden.

IX. Zusammentreffen 17 Da § 109e nicht auf die Eigentumsverhältnisse abstellt, besteht gegenüber den §§ 303 ff. Idealkonkurrenz;7 ausgenommen § 109e Abs. 5 gegenüber § 305. Idealkonkurrenz ist möglich mit §§ 93 f., 123 f., 242 ff. Mit den §§ 87 f., 306 ff. besteht je nach dem im einzelnen bedrohten Schutz-

6 Schölz/Lingens § 2 Rdn. 60; BayObLG NJW 1959 734; aA Ostendorf AK Rdn. 11. 7 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 30; Müller MK Rdn. 37; Sinn SK Rdn. 16; aA Fischer Rdn. 10; Kargl Rdn. 8; Kohlrausch/Lange VI; Lackner/Kühl Rdn. 10; Sch/Schröder/Eser Rdn. 19. Coen

620

IX. Zusammentreffen

StGB § 109e

objekt Ideal- oder Gesetzkonkurrenz.8 Eine Ausnahme besteht nur für Absatz 5 wegen dessen ausdrücklicher Subsidiaritätsklausel, die freilich nicht umgekehrt eine Spezialität der Absätze 1 bis 4 umfasst (unzutr. Kohlhaas NJW 1957 931).

8 Kohlrausch/Lange VI; Lackner/Kühl Rdn. 10; Sch/Schröder/Eser Rdn. 19. 621

Coen

§ 109f Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst (1) Wer für eine Dienststelle, eine Partei oder eine andere Vereinigung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes, für eine verbotene Vereinigung oder für einen ihrer Mittelsmänner 1. Nachrichten über Angelegenheiten der Landesverteidigung sammelt, 2. einen Nachrichtendienst betreibt, der Angelegenheiten der Landesverteidigung zum Gegenstand hat, oder 3. für eine dieser Tätigkeiten anwirbt oder sie unterstützt und dadurch Bestrebungen dient, die gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe gerichtet sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Ausgenommen ist eine zur Unterrichtung der Öffentlichkeit im Rahmen der üblichen Presse- oder Funkberichterstattung ausgeübte Tätigkeit. (2) Der Versuch ist strafbar.

Schrifttum Lüttger Zur Abgrenzung des objektiven Tatbestandes der §§ 92 und 109f StGB sowie zum Presse- und Funkprivileg des § 109f Abs. 1 Satz 2, MDR 1966 629, 713; Schroeder Der Schutz staatsbezogener Daten im Strafrecht, NJW 1981 2278.

Entstehungsgeschichte Eingefügt in das StGB durch das 4. StRÄndG v. 11.6.1957; abgeändert durch das 1. StrRG v. 25.6.1969 und das EGStGB 1974. Vgl. schon vorher § 4 Anhang A zum Truppenvertrag i. d. F. der Bek. v. 30.3.1955.

Übersicht I.

Allgemeines

II. 1.

Der äußere Tatbestand 2 2 Gegenstand a) Angelegenheiten der Landesverteidi2 gung 3 b) Nachrichten 4 Die Tathandlungen 4 a) Nachrichten sammeln 5 b) Betreiben eines Nachrichtendienstes 6 c) Anwerben 7 d) Unterstützen Für eine Dienststelle, eine Partei oder eine andere Vereinigung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes, für eine verbotene Vereinigung oder für einen ihrer 8 Mittelsmänner 9 a) Dienststellen 10 b) Außerhalb Deutschlands 11 c) Verbotene Vereinigungen d) Mittelsmänner einer Dienststelle, Partei 12 oder Vereinigung

2.

3.

1

Coen https://doi.org/10.1515/9783110490008-068

4.

Bestrebungen dienen, die gegen die Sicherheit der Bundesrepublik oder die Schlagkraft der Truppe gerichtet 13 sind

III.

Innerer Tatbestand

IV.

3.

Übliche Presse- und Funkberichterstat15 tung 15 Presseprivileg 16 Voraussetzungen der Straflosigkeit a) Zur Unterrichtung der Öffentlich16 keit 17 b) Üblichkeit der Berichterstattung 18 Rechtsfolge

V.

Versuch (Absatz 2)

VI.

Rechtsfolgen

1. 2.

VII. Zusammentreffen

14

19 20 21

622

II. Der äußere Tatbestand

StGB § 109f

I. Allgemeines Die Vorschrift erfasst den Nachrichtendienst und das Sammeln von Nachrichten über Angele- 1 genheiten der Landesverteidigung. Sie war ähnlich schon in § 4 Anhang A zum Truppenvertrag enthalten. Vgl. auch Art. 274 schweizer. StGB. Ihre praktische Bedeutung ist allerdings gering (für Streichung Hertel S. 276). Gegenüber dem Landesverrat kommt sie nur bei offenen Tatsachen und bei solchen Tatsachen zum Zuge, deren Weitergabe nicht die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit beinhaltet. Dabei wird jedoch in der Regel der Tatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99) eingreifen, so dass für § 109f nur Nachrichtendienste übrig bleiben, die nicht in geheimdienstlicher Weise erfolgen, wobei angesichts der Straflosigkeit der üblichen Presseberichterstattung (Absatz 1 Satz 2) nur ein sehr schmaler Bereich verbleibt. § 109f ist dem § 92 i. d. F. des 1. StRÄndG nachgebildet, dessen Auslegung daher z. T. auch hier verwertbar ist; allerdings ist das für die Staatsgefährdungstatbestände des 1. StRÄndG charakteristische Absichtsmerkmal durch ein objektives Merkmal ersetzt worden.

II. Der äußere Tatbestand 1. Gegenstand a) Angelegenheiten der Landesverteidigung sind alle Angelegenheiten, die die Aufgaben 2 oder Interessen der Landesverteidigung betreffen; auf den Nutzen für die fremde Dienststelle kommt es nicht an (BGHSt 15 161, 164). Der Schutz der Zivilbevölkerung mit anderen als militärischen Mitteln ist nicht erfasst (s. Vor § 109 Rdn. 1).1 Die Angelegenheiten der Landesverteidigung beschränken sich nicht auf deren Institutionen und auch nicht auf Vorgänge in der Bundesrepublik (vgl. BTDrucks. 2/3039 S. 14). Die Einbeziehung von Angelegenheiten der verbündeten NATOStaaten (Jagusch LK8 Rdn. 3) ist wegen § 1 Abs. 2 Nr. 4 NTSG (s. Vorb. Rdn. 6) nicht erforderlich.

b) Nachrichten hierüber sind Angaben aller Art ohne Rücksicht darauf, ob sie geheim sind 3 oder offen. Unwahre Angaben fallen nicht darunter,2 da dies mit dem Sprachgebrauch nur schwer zu vereinbaren ist und sich überdies die Lieferung falscher Angaben mit ihren ganz anders gearteten Gefahren im deutschen Recht traditionell vom echten Verrat abhebt (vgl. § 100a). Die für die Gegenauffassung in Anspruch genommene Entscheidung des Schweiz. Bundesgerichts 65 I 335 bezieht sich überdies auf das Spitzelgesetz, das den Schutz des Einzelnen vor Denunzierung bezweckt (vgl. Schroeder ROW 1967 68), und ist daher nicht einschlägig. 2. Die Tathandlungen a) Nachrichten sammeln verlangt eine auf Erlangung mehrerer Nachrichten gerichtete Tätig- 4 keit, die bereits zu einem Teilerfolg geführt haben muss (BGHSt 16 15, 18); die Einzelakte werden vom Gesetz zu einer Einheit zusammengefasst (BGHSt 16 26, 33). An die im Schrifttum z. T. verlangten Kriterien einer gewissen Dauer und Systematik3 dürfen jedenfalls keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (zust. Kargl NK Rdn. 6; Müller MK Rdn. 10; Sinn SK Rdn. 9). Ob 1 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87; Rdn. 2, 43; Ostendorf AK Rdn. 2; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 3; Sinn SK Rdn. 3; SSW/Lohse Rdn. 1. 2 Zust. Fischer Rdn. 3 (ab 51. Aufl.); Kargl NK Rdn. 5; Müller MK Rdn. 9; Ostendorf AK Rdn. 7; Sinn SK Rdn. 3; aA Lüttger MDR 1966 629, 633, 634, 715. 3 Lackner JZ 1957 404; Lackner/Kühl Rdn. 3; Lüttger MDR 1966 629, 630; Ostendorf AK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2. Abl. BGHSt 16 15, 18. 623

Coen

§ 109f StGB

Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst

das Nachrichtensammeln Haupt- oder (z. B. bei einer Reise durch die Bundesrepublik) Nebenaufgabe des Täters ist, ist belanglos (BGHSt 15 167, 176; Lüttger MDR 1966 629, 633).

5 b) Betreiben eines Nachrichtendienstes ist das längere Unterhalten eines gewissen organisatorischen Apparates, der sich personell auf den Täter selbst beschränken kann (Jagusch LK8 4). Diese Variante hat neben dem Nachrichtensammeln kaum selbständige Bedeutung, da der Betreiber eines Nachrichtendienstes mindestens durch die Entgegennahme der von Unteragenten gesammelten Nachrichten seinerseits wieder Nachrichten sammelt. Die Alternative erklärt sich aus der Anlehnung an Art. 274 schweizer. StGB, der sich auf sie beschränkt. Nach dem Wortlaut könnte sie allenfalls insofern selbständige Bedeutung gewinnen, als das Betreiben eines Nachrichtendienstes auch die Ausgabe von Nachrichten, etwa im Interesse der Beunruhigung der Bevölkerung oder der Irreführung deutscher Behörden, umfasst. Indessen ist dies nach dem Sinn und Zweck des Tatbestandes, der die Offenlegung der eigenen Landesverteidigung verhindern soll, ausgeschlossen (vgl. auch Rdn. 4).

6 c) Anwerben ist die Gewinnung von Personen für die unter Rdn. 4 und 5 genannten Tätigkeiten. Dass es hierbei nicht auf einen Erfolg ankommen soll,4 widerspricht sowohl dem Sprachgebrauch (vgl. auch §§ 109h, 232 Abs. 1, anders das „Werben“ in § 129) als auch der Gleichstellung mit dem – erfolgreichen – Unterstützen als auch der gesonderten Erfassung des Versuchs (zust. Sinn SK Rdn. 11).

7 d) Unterstützen ist die hier zur Täterschaft erhobene Beihilfe. Diese Variante wird besonders dann praktisch, wenn jemand einzelne Tatsachen oder nicht für eine Dienststelle gesammelte, sondern im Rahmen des Wehrdienstes, der Berufstätigkeit oder sonst erworbene Kenntnisse an einen Nachrichtendienst weitergibt (vgl. BGHSt 23 308, 309; BGH NJW 1971 441, 442). Im Gegensatz zu dem Nachrichtensammeln und dem Betreiben eines Nachrichtendienstes muss hier ein Erfolg vorliegen, der jedoch nur in einer (nicht notwendig wesentlichen, aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 2) Förderung des Sammelns selbst bestehen kann. Eine Unterstützung kann auch in einer Bestätigung bereits bekannter Tatsachen liegen (BGHSt 23 308, 310; BGH NJW 1971 441, 442).

3. Für eine Dienststelle, eine Partei oder eine andere Vereinigung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes, für eine verbotene Vereinigung oder für einen ihrer Mittelsmänner 8 müssen die unter Rdn. 4 und 5 aufgeführten Tätigkeiten ausgeübt werden, d. h. in der Absicht, sie diesen Stellen zugute kommen zu lassen. Ein Erfolg dieser Absicht ist ebensowenig erforderlich (BGHSt 15 161, 164) wie ein Auftragsverhältnis. Entgegen der missglückten Fassung des Gesetzes ist nicht die Unterstützung eines Nachrichtendienstes für eine fremde Macht (z. B. eines deutschen Nachrichtendienstes im Auftrag einer verbündeten Macht) strafbar, sondern die Unterstützung des Betreibens eines Nachrichtendienstes für eine fremde Macht!

9 a) Dienststellen sind mit der öffentlichen Gewalt verbundene Stellen aller Art, wobei es angesichts der verbreiteten Auslagerung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB) nicht mehr auf den staatlichen Charakter ankommen kann. Auch der Parteienbegriff des § 2 Abs. 1 PartG kann wegen der fremden Verhältnisse nur mit Einschränkungen heran4 Fischer Rdn. 2; Lüttger MDR 1966 629, 630; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2. Wie hier Kargl NK Rdn. 3; Müller MK Rdn. 13. Coen

624

II. Der äußere Tatbestand

StGB § 109f

gezogen werden. Vereinigungen sind alle sonstigen Zusammenschlüsse von Personen. Auf die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses kann es dabei nicht ankommen.

b) Außerhalb Deutschlands. Die Dienststellen, Parteien oder anderen Vereinigungen müssen 10 außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes sein, d. h. ihren Sitz dort haben, wenn auch die Organisation oder Tätigkeit sich auf den Geltungsbereich erstreckt (vgl. § 15 VereinsG v. 5.8.1964, BGBl. I S. 593 m. Änd.). „Dieses Gesetz“ meint im Gegensatz zum älteren Sprachgebrauch, aber auch zum geltenden AT (z. B. § 11), den konkreten Tatbestand des § 109f (BTDrucks. 2/3039 S. 14). Die Begrenzung auf den „räumlichen Geltungsbereich“ des Gesetzes, die sich auf die alten Bundesländer ohne Berlin (West) bezog, hat durch die Wiedervereinigung ihre Bedeutung verloren. Die aufgeführten Stellen brauchen selbst keine Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik zu verfolgen, doch wird sich dies meist aus dem Erfordernis des „Dienens“ (s. Rdn. 13) ergeben (vgl. Lüttger MDR 1966 629, 633 f.). Notwendig ist dies jedoch nicht (z. B. Weitergabe an eine pazifistische Organisation, die die Nachrichten publiziert).

c) Verbotene Vereinigungen sind nicht nur Vereinigungen, die nach Art. 9 Abs. 2 GG, §§ 3 ff. 11 VereinsG v. 5.8.1964 (BGBl. I 593) verboten sind, sowie deren Ersatzorganisationen (§ 8 VereinsG), sondern auch nach Art. 21 Abs. 2 GG, § 32 PartG für verfassungswidrig erklärte Parteien sowie deren Ersatzorganisationen (§ 33 PartG).5

d) Mittelsmänner einer Dienststelle, Partei oder Vereinigung. Erfasst ist endlich auch 12 das Sammeln von Nachrichten für Mittelsmänner einer der aufgeführten Institutionen, d. h. Personen, die von ihnen zum Empfang von Nachrichten bestimmt sind.6 Auf den Aufenthaltsort kommt es hier nicht an.

4. Bestrebungen dienen, die gegen die Sicherheit der Bundesrepublik oder die Schlagkraft der Truppe gerichtet sind Durch dieses Merkmal wird der Tatbestand, der auch die Tätigkeit von Militärkorrespondenten, 13 Militärattaches, Militärwissenschaftlern und dgl. erfasst, eingeengt. Für die Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik gilt die Legaldefinition des § 92 Abs. 3 Nr. 2: Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Bestrebungen sind Bemühungen, die in gewisser Weise organisiert oder institutionalisiert (Verlag, Rundfunk) sind (vgl. Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970) § 21 IV). Zur (äußeren und inneren) Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland vgl. § 109e Rdn. 10, zur Schlagkraft der Truppe vgl. § 109e Rdn. 11. Da der Täter derartigen Bestrebungen dienen muss, müssen diese – anders als bei dem „sich einsetzen für …“ der §§ 87 ff. – bereits unabhängig von dem Täter existent sein. „Dienen“ verlangt das Tätigwerden für die Bestrebungen, d. h. in ihrem Interesse ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Förderung der Bestrebungen (BGH NJW 1970 1887; BGHSt 19 344, 346; 15 161, 163), ihre Ziele (so aber Sch/Schröder/Eser Rdn. 5) oder gar eine konkrete Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik (BGHSt 19 344, 346; 15 161, 163; 23 308, 311). Ebensowenig ist erforderlich, dass der Täter sich in die Bestrebungen eingliedert oder ihnen unterordnet (BGHSt 19 344, 346) oder sich

5 Fischer Rdn. 4 (unter Verweis auf §§ 84, 85 StGB); Müller MK Rdn. 18; Sch/Schröder/Eser Rdn. 4; Sinn SK Rdn. 7. 6 Abw. Fischer § 94 Rdn. 3; Sch/Schröder/Eser § 94 Rdn. 5, die teils auf die Tätigkeit „für“ einen anderen, teils auf die Erwartung der Weitergabe abstellen. Wie hier Sinn SK Rdn. 7. 625

Coen

§ 109f StGB

Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst

zu ihrem Werkzeug macht.7 Das Merkmal des „Dienens“ führt also nicht zu einer wesentlichen Einschränkung des Tatbestandes, sondern stellt nur den Bezug zu den begünstigten Dienststellen etc. nach Rdn. 9 bis 11 her, vgl. aber Rdn. 10. Die eingehende Kenntnis eines Staates von den militärischen Angelegenheiten eines anderen ist grundsätzlich geeignet, dessen Stellung zu schwächen, ohne dass es auf die aktuell verfolgte Außenpolitik der jeweiligen Staaten ankommt (BGH 3 StR 491/79). Das Dienen enthält auch kein besonderes Absichts- oder Wissenselement, so dass bedingter Vorsatz genügt.8

III. Innerer Tatbestand 14 Erforderlich ist Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt, und zwar auch hinsichtlich des Dienens (s. Rdn. 13; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 9). Der Vorsatz muss insbesondere bereits beim Sammeln der Nachrichten die Tätigkeit für eine auswärtige Dienststelle usw. umfassen, doch greift andernfalls die Alternative der Unterstützung eines Nachrichtendienstes ein. (s. Rdn. 7).

IV. Übliche Presse- und Funkberichterstattung 1. Presseprivileg 15 Bei der Schaffung des Gesetzes war man davon ausgegangen, dass die Vorschrift Journalisten deutscher Zeitungen wegen des Erfordernisses der Tätigkeit „für“ eine auswärtige Dienststelle etc. (s. Rdn. 8) und Journalisten ausländischer Zeitungen wegen des Erfordernisses des Dienens gegenüber sicherheitsfeindlichen Bestrebungen nicht erfasse (BTDrucks. 2/3039 S. 14). Um letzteres „unter allen Umständen sicherzustellen“, wurde das sog. Presseprivileg des Absatz 1 Satz 2 eingefügt (Schriftlicher Bericht S. 7). Diese Auffassung ist jedoch unzutreffend, da einmal für das „Dienen“ bloßer bedingter Vorsatz genügt (s. Rdn. 13) und zum anderen nach Absatz 1 Nr. 3 schon die bloße Unterstützung von Nachrichtendiensten erfasst wird (s. Rdn. 7), die auch bei Berichterstattern inländischer Zeitungen gegeben sein kann. Danach hätte sich ein Ausschluss aus dem Tatbestand allenfalls auf Grund der umstrittenen These von der Wechselwirkung zwischen Art. 5 Abs. 1 GG und den ihn begrenzenden allgemeinen Gesetzen ergeben (vgl. BVerfGE 7 198).

2. Voraussetzungen der Straflosigkeit Die Straflosigkeit ist an folgende Voraussetzungen geknüpft:

16 a) Zur Unterrichtung der Öffentlichkeit. Es muss sich um eine Tätigkeit zur Unterrichtung der Öffentlichkeit handeln. Die Bestimmung hat damit die Unterscheidung zwischen öffentlicher Bekanntmachung und Mitteilung an bestimmte Empfänger, die sich beim Landesverrat erst später durchgesetzt hat (BVerfGE 20 162, 180 f.; §§ 94 f. i. d. F. des 8. StRÄndG), vorweggenommen. Es handelt sich insoweit um ein Absichtsmerkmal, d. h. es muss dem Täter hierauf ankommen, während umgekehrt eine Nichtveröffentlichung durch das Presseorgan das Privileg nicht entfallen lässt, und zwar selbst dann nicht, wenn der Täter damit rechnet.9 Weiß der Täter

7 Anders Lackner/Kühl Rdn. 4; BGHSt 11 171, 179 ff. für § 100d Abs. 2 a. F. wegen der Weite jenes Tatbestandes. 8 BGHSt 19 344, 347; BTDrucks. 2/3039 S. 14; Ostendorf AK Rdn. 13. AA Sch/Schröder/Eser Rdn. 9. 9 Welzel NJW 1962 20; Schroeder LK11 § 16 Rdn. 77. AA BGHSt 16 1, 5. Coen

626

VII. Zusammentreffen

StGB § 109f

allerdings sicher, dass seine Berichte nicht zur Unterrichtung der Öffentlichkeit benutzt werden, so kann das Privileg nicht eingreifen.

b) Üblichkeit der Berichterstattung. Der Täter muss darüber hinaus im Rahmen der übli- 17 chen Presse- oder Funkberichterstattung handeln. In Frage kommen Korrespondenten, Redakteure, Archivare, Herausgeber. Dieser Begriff ist nicht nur faktisch, sondern normativ zu verstehen,10 so dass eingerissene Missbräuche nicht gedeckt sind. Dabei ist – trotz der Ausrichtung der Klausel auf ausländische Korrespondenten – auf die Üblichkeit nach im Inland anerkannten Grundsätzen abzustellen (Lüttger MDR 1966 629), so dass eine staatlich gesteuerte Agitation, wie in diktatorischen Staaten, nicht unter den Begriff fällt. Üblich in diesem Sinne ist eine Presse- und Rundfunkberichterstattung dann, wenn das Informationsinteresse der Allgemeinheit das Interesse der Landesverteidigung überwiegt.11 Üblich ist auch die Militärberichterstattung, sei es für allgemeine Zeitungen und Zeitschriften, sei es für Spezialzeitschriften (vgl. Schriftlicher Bericht S. 7), doch ist hierbei auf eine Tarnung besonders zu achten. Dies gilt auch für eine Berichterstattung im Internet (auch in Form von Blogs, Tweets u. dgl.), die dann, aber auch nur dann der Presse- und Rundfunkberichterstattung gleichzustellen sein wird, wenn sie sich an äquivalenten journalistischen Maßstäben orientiert.

3. Rechtsfolge Absatz 1 S. 2 enthält einen Tatbestandsausschluss.12

18

V. Versuch (Absatz 2) Der Versuch ist strafbar, doch bleibt für ihn angesichts der Vorverlagerung des Tatbestandes 19 auf das bloße Sammeln, Unterstützen und Dienen wenig Raum.

VI. Rechtsfolgen Die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. S. § 47 StGB. Neben einer Frei- 20 heitsstrafe von mindestens einem Jahr ist die Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter und Erlangung von Rechten aus öffentlichen Wahlen sowie des Wahlrechts möglich (§ 109i Nr. 2). Einziehung der instrumenta und producta sceleris nach § 109k.

VII. Zusammentreffen § 109f gilt nur, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist. Das ist 21 insbesondere der Fall bei den §§ 94 ff. und (wegen § 101) 98, 99.13 Doch ist hierbei zu berücksichtigen, dass in § 109f der Versuch unter Strafe gestellt ist.

10 Lüttger MDR 1966 629, 714; Sch/Schröder/Eser Rdn. 7. AA Ostendorf AK Rdn. 12. 11 Vgl. auch Sch/Schröder/Eser Rdn. 7 und Lüttger MDR 1966 629, 714, wo jedoch nur auf die Abwägung durch den Täter abgestellt wird. 12 Fischer Rdn. 5; Kargl NK Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 5; Sch/Schröder/Eser Rdn. 6; Sinn SK Rdn. 14. 13 Vgl. BGH MDR 1959 1029 für § 100c i. d. F. von 1951. 627

Coen

§ 109g Sicherheitsgefährdendes Abbilden (1) Wer von einem Wehrmittel, einer militärischen Einrichtung oder Anlage oder einem militärischen Vorgang eine Abbildung oder Beschreibung anfertigt oder eine solche Abbildung oder Beschreibung an einen anderen gelangen lässt und dadurch wissentlich die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer von einem Luftfahrzeug aus eine Lichtbildaufnahme von einem Gebiet oder Gegenstand im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes anfertigt oder eine solche Aufnahme oder eine danach hergestellte Abbildung an einen anderen gelangen lässt und dadurch wissentlich die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in Absatz 1 mit Strafe bedroht ist. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Abbildung oder Beschreibung an einen anderen gelangen lässt und dadurch die Gefahr nicht wissentlich, aber vorsätzlich oder leichtfertig herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Tat ist jedoch nicht strafbar, wenn der Täter mit Erlaubnis der zuständigen Dienststelle gehandelt hat.

Entstehungsgeschichte Absatz 1 ursprünglich § 360 Abs. 1 Nr. 1; ersetzt durch § 12 Nr. 3 des Ges. gegen den Verrat militärischer Geheimnisse v. 3.6.1914; dieser ersetzt durch § 92 f. i. d. F. des Ges. v. 24.4.1934; abgeändert durch Ges. v. 22.11.1942; aufgehoben durch KRG Nr. 11 v. 30.1.1946. § 6 Anhang A zum Truppenvertrag i. d. F. der Bek. v. 30.3.1955. Absatz 2 zuerst § 33 LuftVG v. 21.8.1936. Beide Vorschriften eingefügt in das StGB durch das 4. StRÄndG v. 11.6.1957; abgeändert durch das 1. StrRG v. 25.6.1969 und das EGStGB 1974.

Übersicht I.

Überblick

II.

Abbildung militärischer Gegenstände (Ab2 satz 1) 2 Tatobjekte 2 a) Wehrmittel b) Militärische Einrichtung oder An3 lage 4 c) Militärischer Vorgang 5 Tathandlungen 5 a) Anfertigen einer Abbildung 6 b) Anfertigen einer Beschreibung c) An einen anderen gelangen lassen

1.

2.

1

b)

Gelangenlassen einer solcher Aufnahme oder einer danach hergestellten Abbildung 10 an einen anderen

IV.

Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik 11 Deutschland usw

V.

Innerer Tatbestand

VI.

Behördliche Erlaubnis

VII. Versuch (Absatz 3)

2.

Luftaufnahmen (Absatz 2) 8 Gebiet oder Gegenstand im räumlichen Gel8 tungsbereich dieses Gesetzes 9 Tathandlungen a) Anfertigen einer Lichtbildaufnahme von ei9 nem Luftfahrzeug aus

Coen https://doi.org/10.1515/9783110490008-069

13 14

7 VIII. Rechtsfolgen

III. 1.

12

IX. 1. 2.

15

Zusammentreffen 16 16 Innerhalb der Absätze 1 und 2 Verhältnis zu anderen Vorschriften

17

628

II. Abbildung militärischer Gegenstände (Absatz 1)

StGB § 109g

I. Überblick Die Vorschrift enthält zwei verschiedene Tatbestände: die Anfertigung und Weitergabe von Ab- 1 bildungen militärischer Gegenstände (Absatz 1) und von Luftaufnahmen (Absatz 2). Absatz 2 ist gegenüber Absatz 1 subsidiär. Der E 1962 sah eine Aufspaltung in zwei Paragraphen vor (§§ 414, 414a). Beide Tatbestände stimmen überein in den Tatbestandshandlungen der Anfertigung und des Gelangenlassens an einen anderen sowie dem zusätzlichen Erfordernis der Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik oder der Schlagkraft der Truppe, das die Tatbestände erheblich einengt.

II. Abbildung militärischer Gegenstände (Absatz 1) 1. Tatobjekte a) Wehrmittel. S. § 109e Rdn. 2, 5.

2

b) Militärische Einrichtung oder Anlage. Die Abweichung von § 109e („Einrichtung oder 3 Anlage, die ganz oder teilweise der Landesverteidigung dient“) wurde bewusst gewählt, um der Landesverteidigung nur mittelbar dienende Einrichtungen (s. § 109e Rdn. 3) auszuschließen (BTDrucks. 2/3039 S. 15). Damit werden indes Anlagen einbezogen, die überhaupt nicht der Landesverteidigung, sondern anderen militärischen Zwecken (z. B. Auslandseinsätzen) dienen.1 Andererseits genügt nicht die Zuordnung zur Bundeswehr (z. B. Kantinen, Kasinos, Sportplätze), sondern es ist eine spezifisch militärische Bedeutung erforderlich. Auf die Eigentumsverhältnisse kommt es nicht an; es genügt die Verfügungsgewalt der Bundeswehr. Wie bei § 109e (s. dort Rdn. 5) fallen auch erst im Bau befindliche Einrichtungen unter den Tatbestand (vgl. auch Sch/ Schröder/Eser Rdn. 7). Im Übrigen s. § 109e Rdn. 3.

c) Militärischer Vorgang. Das Gesetz stellt zutreffend in Rechnung, dass die militärische 4 Schlagkraft nicht nur von der Geheimhaltung der statischen Wehrmittel, sondern mindestens ebenso von der ihres dynamischen Einsatzes abhängt. Militärische Vorgänge sind Versuche, Übungen, Manöver, Transporte von Wehrmitteln und Truppen. Auch hierbei (vgl. Rdn. 3) muss die notwendige Begrenzung durch einen unmittelbaren Bezug zu militärischen Einsatzzwecken gefunden werden. Bloße Vorgänge in der Bundeswehr, z. B. Untergebenenmisshandlungen, Ehrenparaden, feierliche Verpflichtung der Rekruten, reichen nicht aus.

2. Tathandlungen a) Anfertigen einer Abbildung ist jede bildliche Wiedergabe durch Fotografie, Zeichnung, 5 dreidimensionale Darstellung u. dgl. Da eine totale Abbildung ohnehin kaum möglich ist, genügt die Wiedergabe von Details. Nicht erforderlich sind Naturgetreuheit und Allgemeinverständlichkeit; es genügen technische oder verschlüsselte Zeichnungen. b) Anfertigen einer Beschreibung ist die Wiedergabe durch Worte oder sonstige Chiffren, 6 nach BGH NJW 1971 441 auch eine Skizze nach der Erinnerung. Im Übrigen gelten die gleichen Merkmale wie bei der Abbildung (s. Rdn. 5), so dass insbesondere Geheimsprachen und -schrif1 SSW/Lohse Rdn. 2. 629

Coen

§ 109g StGB

Sicherheitsgefährdendes Abbilden

ten ausreichen. In Verbindung mit dem Wort „anfertigen“ verlangt die Beschreibung eine Verkörperung; der bloße mündliche Bericht bleibt straflos. Das ist zwar eine Lücke; doch würde der Tatbestand andernfalls unerträglich ausgedehnt.2 Wie bei § 11 Abs. 3 StGB sind etwa auch Tonträger und Datenspeicher erfasst.

7 c) An einen anderen gelangen lassen. Vgl. §§ 94 ff., 184 Abs. 1 Nr. 6. Wer eine einschlägige Abbildung oder Beschreibung in Besitz hat, wird vom Gesetz zum Garanten der Nichtweitergabe erklärt; eine besondere Pflichtwidrigkeit ist nicht erforderlich (aA Jagusch LK8 Rdn. 4). Erforderlich ist allerdings eine eigene Verfügungsgewalt des Täters; Vermittlung der Weitergabe oder Mithilfe ist nur Beihilfe. Wie der Täter die Verfügungsgewalt erlangt hat, ist gleichgültig; in Frage kommen Anfertigung nach Rdn. 5, 6, derivativer Erwerb, Fund, Diebstahl, Unterschlagung. Erforderlich ist, dass der andere wenigstens für kurze Zeit (Herstellung von Fotokopien!) die tatsächliche Verfügungsgewalt erlangt; die bloße Gelegenheit zur Kenntnisnahme reicht dagegen nicht aus (aA Jagusch LK8 Rdn. 4).

III. Luftaufnahmen (Absatz 2) 1. Gebiet oder Gegenstand im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes 8 Die Objekte der verbotenen Luftaufnahmen sind umfassend umschrieben. Eine militärische Bedeutung wird nicht verlangt; wegen der Subsidiarität gegenüber Absatz 1 dürfte sich der Tatbestand sogar auf nichtmilitärische Gegenstände beschränken. Im Übrigen bildet die einzige Einschränkung die Beschränkung auf Gebiete und Gegenstände im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, d. i. die Bundesrepublik. Die örtliche Beschränkung bezieht sich nur auf die Belegenheit des abgebildeten Gebiets; für den Tatort verbleibt es bei den allgemeinen Grundsätzen (s. vor allem § 9 Abs. 1).

2. Tathandlungen 9 a) Anfertigen einer Lichtbildaufnahme von einem Luftfahrzeug aus. Lichtbildaufnahmen sind Foto- und Filmaufnahmen, auch in digitaler Form; sonstige Abbildungen genügen im Gegensatz zu Absatz 1 nicht, ebensowenig sonstige technische Aufzeichnungen, z. B. durch Wärmespürgeräte. Luftfahrzeuge sind nach § 1 Abs. 2 LuftVG i. d. F. v. 10.5.2007 (BGBl. I S. 698), zul. geänd. durch Art. 1 Drittes G zur Harmonisierung des Haftungsrechts im Luftverkehr vom 10.7.2020 (BGBl. I S. 698), Flugzeuge, Drehflügler, Luftschiffe, Segelflugzeuge, Motorsegler, Freiund Fesselballone, Rettungsfallschirme, Flugmodelle, Luftsportgeräte und sonstige für die Benutzung des Luftraums bestimmte Geräte, sofern sie in Höhen von mehr als 30 Metern über Grund oder Wasser betrieben werden können. Hinzu kommen Raumfahrzeuge, Raketen und ähnliche Flugkörper, solange sie sich im Luftraum befinden, und unbemannte Fluggeräte, die nicht zu Zwecken des Sports oder der Freizeitgestaltung betrieben werden, also sog. Drohnen. Diese Begriffsbestimmung ist umfassend; aus dem Tatbestand scheiden damit einerseits Luftaufnahmen von Türmen und Bergen aus, andererseits Daten von weltraumgestützten Erdfernerkundungssystemen (vgl. hierzu § 28 Abs. 1 Nr. 1 bis 6, § 29 Satellitendatensicherheitsgesetz vom 23.11.2007, BGBl. I S. 2590).

2 So auch Sinn SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eser Rdn. 5; Fischer Rdn. 3. AA Jagusch LK8 Rdn. 4. Coen

630

VI. Behördliche Erlaubnis

StGB § 109g

b) Gelangenlassen einer solcher Aufnahme oder einer danach hergestellten Abbil- 10 dung an einen anderen. S. hierzu Rdn. 7 und Rdn. 5. Außerhalb des Tatbestandes bleiben die bloße Anfertigung einer Abbildung sowie die Anfertigung und Weitergabe einer Beschreibung.

IV. Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland usw. S. hierzu § 109e Rdn. 9–11. Eine Gefährdung kann nicht schon in den unter Rdn. 5–10 aufgeführ- 11 ten Verhaltensweisen als solchen gesehen werden.3 Da es andererseits fraglich ist, wieso das bloße Anfertigen einer Abbildung, Beschreibung oder Luftaufnahme bereits zu einer Gefährdung führen kann, müssen die Anforderungen an die konkrete Gefährdung hier niedriger angesetzt werden als sonst; zulässig und erforderlich ist eine gewisse Typisierung der Gefahr nach der Bedeutung der Objekte, den Verbindungen des Täters und dem Interesse fremder Stellen.4 Unzulässig BGH NJW 1971 441: Eigenschaft als Grundlage für die Gewinnung weiterer sicherheitsabträglicher Erkenntnisse; das ist eine nur mittelbare Gefährdung. Der Gesetzgeber selbst hat die nichtwissentliche Gefährdung nur in Verbindung mit der Weitergabe einer Abbildung strafrechtlich erfasst (Abs. 4, s. Rdn. 12–13). Bei der Anfertigung etc. von Luftaufnahmen nach Absatz 2, die sich wegen der Subsidiarität 11a gegenüber Absatz 1 auf Aufnahmen nichtmilitärischer Objekte beschränkt, wird eine Gefährdung allerdings auch nach diesen Grundsätzen nur selten vorliegen. In Frage kommen Aufnahmen, die kartographisch nicht erfasste Aufschlüsse geben, z. B. über den Straßenzustand, Aufnahmen, die keine militärischen Anlagen, sondern gerade Verteidigungslücken offenbaren, und Aufnahmen, bei denen der Täter die Erfassung militärischer Objekte nicht erwartet hatte.

V. Innerer Tatbestand Während hinsichtlich der konkreten Tathandlungen (s. Rdn. 5–7, 9–10) bedingter Vorsatz ge- 12 nügt, ist hinsichtlich der Gefährdung Wissentlichkeit, d. h. direkter Vorsatz (s. § 109e Rdn. 13), erforderlich. Für Absatz 1 2. Alt. sieht Absatz 4 eine Erweiterung vor: danach ist auch die bedingt vorsätzliche oder leichtfertige Gefährdung strafbar. Leichtfertigkeit ist grobe Fahrlässigkeit.5

VI. Behördliche Erlaubnis Das Erfordernis einer behördlichen Freigabe (vgl. § 27 Abs. 2 a. F. LuftVG, §§ 83–89 a. F. 13 LuftVZO), das die Taten nach Absatz 1 und 2 ohnehin nicht rechtfertigen konnte, da sie angesichts des erforderlichen direkten Gefährdungsvorsatzes regelmäßig erschlichen oder unter irrigen Voraussetzungen erteilt sein musste (BTDrucks. 2/3039 S. 150), ist mit Art. 37 3. Rechtsbereinigungsgesetz (BGBl. 1990 I 1221) zum 1.7.1990 entfallen. Bei einer nur bedingt vorsätzlichen oder leichtfertigen Gefährdung der Sicherheit der Bun- 13a desrepublik oder der Schlagkraft der Truppe (Absatz 4) entfällt die Strafbarkeit, wenn der Täter mit Erlaubnis der zuständigen Dienststelle gehandelt hat (Absatz 4 S. 2). Diese kann die Tat allerdings nicht rechtfertigen, da die Behörde über die Sicherheit und Schlagkraft nicht verfü-

3 Jagusch LK8 Rdn. 5; Lange JZ 1965 298, 300, 304; Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970) § 22 III.

4 Zutr. Jagusch LK8 Rdn. 5; allgemein Lange a. a. O.; Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht (1970) § 22 III. Zust. im Ergebnis auch Müller MK Rdn. 22.

5 Schroeder LK11 § 16 Rdn. 208 ff.; § 18 Abs. 3 E 1962; RGSt 71 37, 175; BayObLG NJW 1959 734; BGHSt 14 240, 255; vgl. §§ 138 Abs. 3 StGB, §§ 21, 41 Abs. 3 WStG. Vgl. ferner Steinberg ZStW 2019, 888, 931 f. 631

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§ 109g StGB

Sicherheitsgefährdendes Abbilden

gen kann.6 Die Annahme der Begründung: schuldunabhängige negative Strafbarkeitsbedingung,7 ist nicht nur willkürlich, sondern enthält auch eine ungerechtfertigte Vergünstigung bzw. Benachteiligung für den Täter. Es liegt vielmehr ein Verbotsirrtum vor, dessen Unvermeidbarkeit vom Gesetz selbst bestimmt wird.8 Das liegt auf der Linie der „strengen Schuldtheorie“ (Schroeder LK11 § 16 Rdn. 47) und bedeutet, dass der Täter die Erlaubnis gekannt haben muss und dass eine irrtümliche Annahme nur bei Unvermeidbarkeit schuldausschließend wirkt.

VII. Versuch (Absatz 3) 14 Er ist, wie sich aus der Stellung des Absatz 3 ergibt, sowohl bei Absatz 1 als auch bei Absatz 2 strafbar. Wie bei allen zweiaktigen Delikten kommt er nicht nur bei einem Fehlschlag der konkreten Tathandlung, sondern auch bei einem Nichteintritt der Gefahr in Betracht.

VIII. Rechtsfolgen 15 Die Strafe ist in den Absätzen 2 und 4 milder als in Absatz 1. S. § 47 StGB. Nach § 109k ist eine Einziehung der producta und instrumenta sceleris sowie der Abbildungen, Beschreibungen und Aufnahmen möglich.

IX. Zusammentreffen 1. Innerhalb der Absätze 1 und 2 16 gelten für das Verhältnis zwischen dem Anfertigen und dem Gelangenlassen die zur Urkundenfälschung entwickelten Rechtsgrundsätze, d. h., es liegt nur eine einheitliche Handlung vor.9 Absatz 2 ist gegenüber Absatz 1 subsidiär. Zwischen einem Versuch nach Absatz 1 und einer Vollendung nach Absatz 2 ist jedoch Idealkonkurrenz möglich.10

2. Verhältnis zu anderen Vorschriften 17 § 109g wird von den Landesverratstatbeständen infolge Spezialität verdrängt, verdrängt jedoch seinerseits die §§ 5 Abs. 2, 27 Abs. 1 Nr. 1 SchutzbereichsGes. v. 7.12.1956 (BGBl. I S. 899 m. Änd.). Idealkonkurrenz ist dagegen möglich mit § 109f.

6 AA Jagusch LK8 Rdn. 6; Kohlrausch/Lange V. 7 BTDrucks. 2/3039 S. 16. Zust. Lackner/Kühl Rdn. 4. 8 Ähnlich Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 52; Sch/Schröder/Eser Rdn. 13; Sinn SK Rdn. 10. Zust. Kargl NK Rdn. 11; Müller MK Rdn. 29. 9 Jagusch LK8 4; Sch/Schröder/Eser Rdn. 9; Sinn SK Rdn. 6. Zur gleichen Frage bei der Urkundenfälschung s. Miehe GA 1967 270 ff.; abw. BGHSt 17 97. 10 Jagusch LK8 15; Sch/Schröder/Eser Rdn. 26; Sinn SK Rdn. 21. Vgl. allgemein BGHSt 21 78. Coen

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§ 109h Anwerben für fremden Wehrdienst (1) Wer zugunsten einer ausländischen Macht einen Deutschen zum Wehrdienst in einer militärischen oder militärähnlichen Einrichtung anwirbt oder ihren Werbern oder dem Wehrdienst einer solchen Einrichtung zuführt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Entstehungsgeschichte Ursprünglich § 141 StGB; seit Ges. v. 28.6.1935 § 141a; aufgehoben durch KRG Nr. 11 v. 30.1.1946. Wiedereingefügt in das StGB als § 141 durch das 2. StRÄndG v. 6.3.1953; umgestellt als § 109h durch das 4. StRÄndG v. 11.6.1957; abgeändert durch das 2. StRG v. 4.7.1969 und durch das EGStGB 1974.

Übersicht I.

Rechtsgut

1

5.

Dem Wehrdienst zuführen

II.

Tatobjekt

2

IV.

Vorsatz

8

III. 1.

Der objektive Tatbestand 3 Der Wehrdienst in einer militärischen oder mili3 tärähnlichen Einrichtung 4 Zu Gunsten einer ausländischen Macht Anwerben 5 6 Den Werbern zuführen

V.

Versuch

9

VI.

Rechtsfolgen

2. 3. 4.

VII. Zusammentreffen

7

10 11

I. Rechtsgut Der Sinn der historisch überkommenen Vorschrift ist fraglich und umstritten. Der Eintritt 1 eines Wehrpflichtigen in fremde Streitkräfte kann nach § 8 Abs. 1 WehrpflichtG der Genehmigung bedürfen, ist aber absichtlich nicht strafrechtlich untersagt (Entw. 1962, Begr. S. 595 f.). Immerhin findet sich die Pönalisierung der Verleitung zu einem nicht strafbaren Verhalten auch sonst, vgl. §§ 180, 232 StGB. Wenn auch § 109h nicht auf Wehrpflichtige, sondern auf alle Deutschen abstellt, schützt der Tatbestand in erster Linie das Verteidigungspotential der Bundesrepublik, an dessen Erhaltung ungeachtet der Aussetzung der Wehrpflicht ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Daneben schützt er außenpolitische Interessen der Bundesrepublik.1 Zum Teil wird auch ein individualschützender Charakter der Norm postuliert,2 was praktische Auswirkungen etwa für § 7 Abs. 1 StGB und im Hinblick auf die Verletzteneigenschaft (z. B. für § 172 Abs. 1 StPO) hätte. Dagegen spricht aber, dass der Tatbestand keinerlei Ausbeutung voraussetzt und die Verleitung zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung auch sonst nicht strafbar ist.3

1 Hertel S. 84 f.; Maurach Mat. I S. 241; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 25; Müller MK Rdn. 1 f.; BTDrucks. I/1307 S. 32.

2 Hardwig GA 1955 143; Jagusch LK8 Rdn. 1; Lackner/Kühl Rdn. 1; Sch/ Schröder/Eser Rdn. 1; Sinn SK Rdn. 1. 3 Hertel S. 84. 633 https://doi.org/10.1515/9783110490008-070

Coen

§ 109h StGB

Anwerben für fremden Wehrdienst

II. Tatobjekt 2 Tatobjekt können nur Deutsche sein. Nach h. L. fallen darunter auch Frauen;4 dem ist zuzustimmen, da auch bei ausländischem Wehrdienst von Frauen eine Gefährdung außenpolitischer Interessen in Betracht kommt. Eine teleologische Einschränkung ist geboten, soweit die Bundesrepublik bei Mehrstaatern zugunsten des ausländischen Staates auf die Heranziehung zur Wehrpflicht verzichtet (vgl. etwa Art. 21 f. Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit vom 6.11.1997, BGBl. 2004 II S. 578); im Übrigen lässt sich hinsichtlich im Ausland lebender Deutscher eine sinnvolle Eingrenzung bereits über die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts sicherstellen.5

III. Der objektive Tatbestand 1. Der Wehrdienst in einer militärischen oder militärähnlichen Einrichtung 3 kann selbstverständlich nicht im technischen Sinn der §§ 4 ff. WehrpflichtG aufgefasst werden. § 109h löst sich mit dem Hinweis auf militärähnliche Einrichtungen bewusst von der rechtlichen Organisationsform. Militärische Einrichtungen sind Verbände, die offen mit Waffengewalt zumindest auch äußere Angriffe abwehren bzw. unternehmen sollen. Militärähnliche Einrichtungen sind Einrichtungen, die diesem Zweck getarnt dienen, z. B. als „Grenzschutz“, Polizei (bei entsprechender Bewaffnung), Wehrsportverband, Gesellschaft für Sport und Technik. Eine Einrichtung nur zum Schutz der inneren Ordnung genügt nicht. Eine unmittelbare Beteiligung am Waffeneinsatz ist nicht erforderlich; der Dienst in der Militärverwaltung reicht aus.6

2. Zu Gunsten einer ausländischen Macht 4 Ausländische Mächte (vgl. auch §§ 93 ff.) sind nicht nur fremde Staaten, zwischen- und überstaatliche Machtgebilde,7 sondern auch nicht anerkannte Machtgebilde wie Regierungen oder von der zuständigen Regierung nicht kontrollierte Aufständische, Milizen wie der sog. „Islamische Staat“, Befreiungsfronten und dgl.8 Es scheiden aus über- oder zwischenstaatliche Einrichtungen, an denen die Bundesrepublik beteiligt ist.9 Die eigenartige Formulierung „zugunsten …“ kann nicht bedeuten, dass eine mittelbare Förderung durch inländische Formationen ausreicht (so Werner LK8 § 141 IV), da dies angesichts der Bündnisverpflichtungen und der fließenden Grenzen der Souveränität zu einer unerträglichen Unbestimmtheit des Tatbestandes führen würde.

4 Fischer Rdn. 1a; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 28; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2. 5 Für Einschränkung auf im Inland wohnende Deutsche Fischer Rdn. 1a; Kargl NK Rdn. 4; Müller MK Rdn. 6; Sinn SK Rdn. 3; SSK/Lohse Rdn. 2; Valerius BeckOK Rdn. 2. 6 Kargl NK Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 2; Müller MK Rdn. 9; Sinn SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Eser Rdn. 6. 7 So Entw. 1962, Begr. S. 601; Kargl NK Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 2; Müller MK Rdn. 10. 8 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 87 Rdn. 28; Sch/Schröder/Eser Rdn. 5. 9 Vgl. Entw. 1962, Begr. S. 601. Nach Jagusch LK8 Rdn. 7 und Lackner/Kühl Rdn. 4 entfällt hier nur wegen Art. 24 GG die Rechtswidrigkeit. Coen

634

VII. Zusammentreffen

StGB § 109h

3. Anwerben ist nicht ein nur finaler Begriff, sondern verlangt das Zustandekommen einer Verpflichtung, die 5 freilich nicht wirksam zu sein braucht.10

4. Den Werbern zuführen Bei der Tatbestandsalternative des „Zuführens“ unterscheidet das Gesetz. Den Werbern zufüh- 6 ren ist eine verselbständigte Beihilfe zur Anwerbung. Ein Erfolg der letzteren ist nicht erforderlich; es genügt die Herstellung der Einwirkungsmöglichkeit. Der Begriff zuführen ist nicht räumlich zu verstehen; der Werber kann auch zu dem Anzuwerbenden gebracht werden (Jagusch LK8 Rdn. 3).

5. Dem Wehrdienst zuführen Dieses Merkmal verlangt die Herbeiführung der Eingliederung in den Wehrdienst. In Frage kom- 7 men neben der Eingliederung auf Grund einer vorangegangenen Anwerbung vor allem List, Gewalt und Drohung. Problematisch die h. L., die „Wehrdienst“ hier (im Gegensatz zu der 1. Alt.) als Wehrdienststelle versteht, ein Verbringen in deren Einflussbereich genügen lässt und die Anwerbung durch diese Stelle verlangt.11 Freilich muss es sich um eine Eingliederung in den Wehrdienst handeln; die Zuführung zum Zwecke des Verhörs oder der Geiselnahme reicht nicht aus.

IV. Vorsatz Es genügt bedingter Vorsatz. Der Vorsatz muss insbesondere die Bundesangehörigkeit des Anzu- 8 werbenden (s. Rdn. 2) und das Werbungsziel des Wehrdienstes (s. Rdn. 3) umfassen.

V. Versuch Der Versuch ist strafbar (Absatz 2) und ist vor allem bei einem Nichtzustandekommen der Ver- 9 pflichtung oder der Eingliederung in den fremden Wehrdienst gegeben.

VI. Rechtsfolgen Die Strafe ist Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. S. § 47 StGB.

10

VII. Zusammentreffen Tateinheit ist möglich mit § 100, § 129b Abs. 1 i. V. m. § 129a, §§ 144, 234,12 234a, 239, 240.

11

10 Fischer Rdn. 2; Kargl NK Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 3; Müller MK Rdn. 8; Sinn SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eser Rdn. 4. 11 LG Hamburg NJW 1958 1053; Fischer Rdn. 3; Hertel S. 86 f.; Kargl NK Rdn. 6 Lackner/Kühl Rdn. 3; Müller MK Rdn. 13; Sch/Schröder/Eser Rdn. 7, 10; Sinn SK Rdn. 8.

12 Fischer Rdn. 7; Müller MK Rdn. 16; Kargl NK Rdn. 8. AA Frank § 141 I 2 und Binding II 2 S. 701 auf Grund der a. F. 635

Coen

§ 109i Nebenfolgen Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer Straftat nach den §§ 109e und 109f kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zustimmen, aberkennen (§ 45 Abs. 2, 5).

Entstehungsgeschichte Inhaltlich teilweise in den früheren Einzelvorschriften enthalten. In das StGB eingefügt durch das 4. StRÄndG v. 11.6.1957; der frühere Absatz 2 abgeändert und ausgegliedert als § 109k durch das 8. StRÄndG v. 25.61968. Abgeändert durch das 1. StrRG und das EGStGB 1974. Die Vorschrift ist eine besondere Bestimmung i. S. des § 45 Abs. 2, 5. S. die Erläuterungen zu § 45. Entgegen der Überschrift des Paragraphen handelt es sich um eine Nebenstrafe;1 die Bezeichnung „Nebenfolge“ wurde gewählt, weil der Strafcharakter im Hintergrund steht.2 S. näher bei § 45.

1 Fischer § 45 Rdn. 7; Lackner/Kühl § 45 Rdn. 3; Sch/Schröder/Kinzig § 45 Rdn. 8. 2 Lackner/Kühl § 45 Rdn. 3. Coen https://doi.org/10.1515/9783110490008-071

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§ 109j weggefallen

637 https://doi.org/10.1515/9783110490008-072

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§ 109k Einziehung Ist eine Straftat nach den §§ 109d bis 109g begangen worden, so können 1. Gegenstände, die durch die Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, und 2. Abbildungen, Beschreibungen und Aufnahmen, auf die sich eine Straftat nach § 109g bezieht, eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden. Gegenstände der in Satz 1 Nr. 2 bezeichneten Art werden auch ohne die Voraussetzungen des § 74 Absatz 3 Satz 1 und des § 74b eingezogen, wenn das Interesse der Landesverteidigung es erfordert; dies gilt auch dann, wenn der Täter ohne Schuld gehandelt hat.

Entstehungsgeschichte Inhaltlich teilweise in den früheren Einzelvorschriften enthalten. In das StGB eingefügt als § 109i Abs. 2 durch das 4. StRÄndG v. 11.6.1957; abgeändert und ausgegliedert durch das 8. StRÄndG v. 25.6.1968. Die in Absatz 2 vorgesehene Möglichkeit der Einziehung des Tatentgelts wurde durch das EGStGB 1974 aufgehoben, da sie seit dem 2.StrRG allgemein in den §§ 73 ff. vorgesehen ist. Satz 3 wurde durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung v. 13.4.2017 (BGBl. I S. 872) angepasst.

Übersicht I.

Allgemeines

1

II.

Producta et instrumenta sceleris (Num2 mer 1)

III.

Abbildungen, Beschreibungen und Aufnahmen 3 nach § 109g (Nummer 2)

I. Allgemeines 1 Die dem § 101a nachgebildete Vorschrift ist überaus kompliziert und missverständlich formuliert. Schon bei der Abfassung erschien es „sehr fraglich, ob Aussicht bestehe, dass sie in der Praxis einigermaßen richtig angewandt werde“.1

II. Producta et instrumenta sceleris (Nummer 1) 2 Die Einziehung der producta und instrumenta sceleris sowie von Schriften usw. ist nach den §§ 74 ff. bei allen vorsätzlichen Verbrechen und Vergehen möglich. Diese Möglichkeit wird durch die Beschränkung auf die §§ 109d–109g in § 109k nicht ausgeschlossen. § 109k erweitert vielmehr für die genannten Tatbestände die Möglichkeit der Einziehung auf täterfremde Gegenstände bei schuldhaftem Verhalten des Inhabers (§ 74a) und wiederholt dabei nur die allgemeine Zulässigkeit der Einziehung.2

1 Güde Beratungen des Sonderaussch. f. d. StrReform V/1259. 2 Beratungen des Sonderausschusses f. d. StrReform V/1259; Fischer Rdn. 3. Coen https://doi.org/10.1515/9783110490008-073

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III. Abbildungen, Beschreibungen und Aufnahmen nach § 109g (Nummer 2)

StGB § 109k

III. Abbildungen, Beschreibungen und Aufnahmen nach § 109g (Nummer 2) Nummer 2 erweitert die Einziehungsmöglichkeit auf die Abbildungen, Beschreibungen und Auf- 3 nahmen nach § 109g. Ob unter die „Beziehungsgegenstände“ nur Abbildungen, Beschreibungen und Aufnahmen fallen, die der Täter an einen anderen gelangen lässt, während andere als producta sceleris unter Nummer 1 einzuordnen seien (so Fischer Rdn. 3), ist fraglich, da jedenfalls in Satz 3 die Gegenstände in weitestem Umfang gemeint sind (so auch Fischer Rdn. 3). In diesem Fall kommt es nicht auf die Eigentumsverhältnisse (§ 74 Abs. 3 Satz 1) oder ein schuldhaftes Verhalten des Inhabers (§ 74a) an; an die Erforderlichkeit im Interesse der Landesverteidigung sind auch geringere Anforderungen zu stellen als an die Gefährdung der Allgemeinheit oder die Gefahr der Begehung rechtswidriger Taten (§ 74b Abs. 1). Damit ist auch § 74 Abs. 3 Satz 2 ausgeschlossen.

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§ 110 weggefallen

Rosenau https://doi.org/10.1515/9783110490008-074

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§ 111 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, wird wie ein Anstifter (§ 26) bestraft. (2) Bleibt die Aufforderung ohne Erfolg, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Die Strafe darf nicht schwerer sein als die, die für den Fall angedroht ist, dass die Aufforderung Erfolg hat (Absatz 1); § 49 Abs. 1 Nr. 2 ist anzuwenden.

Schrifttum Barton Widerstand gegen die Staatsgewalt, HdbStrafR (2019) § 20; Bock/Harrendorf Strafbarkeit und Strafwürdigkeit tatvorbereitender computervermittelter Kommunikation, ZStW 126 (2014) 337; Busse Der Kosovo-Krieg vor deutschen Strafgerichten, NStZ 2000 631; Dreher Der Paragraph mit dem Januskopf, Festschrift Gallas (1973) 307; Engelage Ist das Abschneiden der Heftnummer auf Volkszählungsbögen strafbar? NJW 1987 2801; Fahl Kann die Aussetzung eines Kopfgeldes durch Notwehr gerechtfertigt werden? JA 2014 808; Fincke Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des Strafrechts (1975); Franke Strukturmerkmale der Schriftenverbreitungstatbestände, GA 1984 452; Geppert Strafrechtliche Gedanken zum Kosovo-Krieg, Gedächtnisschrift Meurer (2002) 315; Graul Nötigung durch Sitzblockade, JR 1994 51; Hambel Die öffentliche Aufforderung zu Straftaten, ZJS 2019 10; Herzberg Anstiftung zur unbestimmten Haupttat, JuS 1987 617; Jahn Aufrufe zum Ungehorsam, KJ 2000 489; Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 (1985) 751; Kasiske Die Anstiftung durch Aufforderung an einen unbestimmten Personenkreis und ihr Verhältnis zu § 111 StGB, GA 2016 756; Kelker OnlineDemonstrationen – ein Fall „additiver Mittäterschaft“? GA 2009 86; Kissel Aufrufe zum Ungehorsam und § 111 StGB (1996); Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte (1982); Kraft/Meister Rechtsprobleme virtueller Sit-ins, MMR 2003 366; Löhnig Verbotene Schriften im Internet, JR 1997 496; Mansdörfer Strafbarkeit der Werbung für Terrororganisationen, HRRS 2007 366; Ostendorf/Frahm/Doege Internetaufrufe zur Lynchjustiz und organisiertes Mobbing, NStZ 2012 529; Paeffgen Überlegungen zu § 111 StGB. § 111 – wirklich ein janusköpfiger Tatbestand? Festschrift Hanack (1999) 591; Rogall Die verschiedenen Formen des Veranlassens fremder Taten, GA 1979 11; Rudolphi Gewerkschaftliche Beschlüsse über Betriebsbesetzungen bei Aussperrungen als strafbares Verhalten gemäß § 111 StGB, RdA 1987 160; Samson Die öffentliche Aufforderung zur Fahnenflucht an Natosoldaten, JZ 1969 258; Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht (1985); Schulte/Kanz Daumen hoch?! – Die Like-Funktion im sozialen Netzwerk Facebook aus strafrechtlicher Perspektive, ZJS 2013 24; Schumann Die „rechtswidrige“ Haupttat als Gegenstand des Teilnahmevorsatzes, Festschrift Stree/Wessels (1993) 383; Stockmann Zur Bedeutung von § 116 OWiG für das Kartellordnungswidrigkeitenrecht, BB 1978 1188; ders. Die Aufforderung zur Begehung rechtswidriger Taten, § 111 StGB, Diss. Berlin 1980; Stree Strafrechtsschutz im Vorfeld von Gewalttaten, NJW 1976 1177; Walther Zur Anwendbarkeit der Vorschriften des strafrechtlichen Jugendmedienschutzes auf im Bildschirmtext verbreitete Mitteilungen, NStZ 1990 523; Weidner Die öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB), Diss. Göttingen 1997.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift des § 111 StGB1 ist durch das 3. StrRG vom 20. Mai 1970 (BGBl. I S. 505) in Anlehnung an § 292 E 1962 (vgl. Begr. S. 464) neu gefasst und durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) an den neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches angepasst worden. Die gegenwärtige Fassung des § 111 Abs. 1 beruht auf der Bekanntmachung der Neufassung des Strafgesetzbuches vom 2.1.1975 (BGBl. I S. 1 ff.), des § 111 Abs. 2 auf der Änderung durch Art. 1 Nr. 3 des 14. StRÄndG vom 22.4.1976 (BGBl. I S. 1056), die Überschrift auf Art. 19 Nr. 207 des EGStGB. Das 6. StRG vom 26.1.1998 (BGBl. I S. 164) hat die Vorschrift unberührt gelassen.

Gesetzesmaterialien E 3. StrRG BTDrucks. VI/139; Schriftl. Ber. zum 3. StrRG, BTDrucks. VI/502; E StGB 1962 Begr. S. 464; Reg. Entw. eines 13. StRÄndG, BTDrucks. 7/3030, 3064; Schriftl. Ber. BTDrucks. 7/4549; Prot. 7/2237 ff., 2245 ff., 2249.

1 Kritisch zu dieser Bestimmung insgesamt Baumann/Frosch JZ 1970 116 f. 641 https://doi.org/10.1515/9783110490008-075

Rosenau

§ 111 StGB

Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

Übersicht I. 1. 2. 3.

4. II. 1.

2.

Grundlagen 1 1 Normzweck 3 Rechtsgut Dogmatische Strukturen 7 a) Differenzierter Strafrahmen b) Verhältnis zur Anstiftung c) Deliktsnatur 12 15 Praktische Bedeutung

3.

7 9

Objektiver Tatbestand 16 16 Zum Begriff der Aufforderung 17 a) Begriff 19 b) Befürworten 20 c) Parolen 21 d) Konkretisierung und Ernstlichkeit 25 e) Art und Weise 26 f) Fremde Erklärungen 27 g) Medienberichterstattung 29 h) Unbestimmter Personenkreis Handlungsformen der Aufforderung 32 33 a) Öffentliche Aufforderung 35 aa) Fallbeispiele 36 bb) Rundfunk, Fernsehen, Presse 37 cc) Bildschirmtext, Internet 38 b) In einer Versammlung 41 c) Verbreiten von Schriften 42 aa) Schriftenbegriff 43 bb) Verbreiten 45 cc) Gegenbeispiele

46 d) Abgrenzung zur Anstiftung 47 Tatbestandserfolg 47 a) Rechtswidrige Tat aa) Vorsatztat 48 50 bb) Ordnungswidrigkeit 51 cc) Auslandsbezug dd) Ausbleiben des Erfolges 52 ee) Unterlassung, Teilnahme- und Vorbe53 reitungshandlungen b) Fallgestaltungen 55 c) Konkretisierungsanforderungen an die 56 Tat 60 d) Erfolg (Absatz 1) und Kausalität 64 e) Erfolglose Aufforderung (Absatz 2)

III.

Subjektiver Tatbestand

IV.

Rechtswidrigkeit

V.

Schuld

VI.

Täterschaft und Teilnahme

VII. Rücktritt

67

69 71

73

VIII. Konkurrenzen IX.

66

74

Strafantrag, Verjährung

78

I. Grundlagen 1. Normzweck 1 § 111 StGB stellt die öffentliche Aufforderung zu Straftaten unter Strafe und ergänzt dadurch die Vorschriften über die Anstiftung in den §§ 26, 30 Abs. 1 StGB. Absatz 1 regelt dabei die erfolgreiche Aufforderung, was sich aus einem Umkehrschluss aus Absatz 2 ergibt, in dem die erfolglose Aufforderung mit einem eigenen Strafrahmen normiert ist (s. dazu Rdn. 64). Führt die Aufforderung zu einer rechtswidrigen Tat, wird der Auffordernde nach Absatz 1 wie ein Anstifter bestraft. Damit Absatz 1 ein eigenständiger Anwendungsbereich zukommen kann, werden für § 111 StGB geringere Anforderungen hinsichtlich der Konkretisierung der rechtswidrigen Tat verlangt, als dies bei der Anstiftung nach § 26 StGB für die vorsätzliche und rechtswidrige Tat eines anderen geschieht (ausführl. Rdn. 21). Der Grund dafür wird in der besonderen Gefährlichkeit der Tatbestandsverwirklichung des § 111 StGB gesehen, die sich in der öffentlichen oder quasi-öffentlichen Begehungsweise manifestiert (dazu Rdn. 5). Eine weitere Ausdehnung der Strafbarkeit enthält Absatz 2, in dem – anders als in § 30 Abs. 1 StGB – eine Beschränkung auf Verbrechen i. S. v. § 12 Abs. 1 StGB fehlt. Einerseits die Funktion, die Regelungen der Anstiftung zu ergänzen, andererseits die Aus2 gestaltung als eigenständiger Tatbestand machen § 111 StGB zu einem janusköpfigen Wesen.2 2 Stockmann S. 56; aA für § 111 Abs. 2 Weidner S. 79. Rosenau

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I. Grundlagen

StGB § 111

Er steht „mit einem Bein im Allgemeinen Teil des Strafrechtgesetzbuchs, mit einem anderen im Besonderen Teil“.3 Hieraus ergibt sich eine Reihe von Zweifelsfragen bei der Auslegung der Norm.

2. Rechtsgut Wer § 111 StGB vornehmlich als Vorschrift des Allgemeinen Teils über die Teilnahme ansieht, 3 wird den Strafgrund der Norm als mittelbaren Schutz der Rechtsgüter der jeweiligen Tat verstehen, zu deren Begehung aufgefordert wurde.4 Wer ihn primär als eigenständiges Delikt des Besonderen Teils begreift, kommt nicht umhin, einen Schutzzweck zu bestimmen, welcher außerhalb der Rechtsgüter zu suchen wäre, die jeweils die öffentlich aufgeforderten Straftaten im Auge haben. Dieses Rechtsgut wird mit dem inneren Gemeinschaftsfrieden umschrieben.5 Ein Rechtsgut des Gemeinschaftsfriedens ist auch gemeint, wenn die Norm mit dem provokativen Angriff auf die Geltung der Rechtsordnung,6 die Autorität des Staates7 oder die Beeinträchtigung der Normgeltung8 begründet wird. Vereinzelt wird § 111 darauf reduziert und als eine Vorschrift des Besonderen Teils angesehen.9 Der Bundesgerichtshof lässt diese Frage offen.10 Die h. M. sieht in § 111 nicht lediglich einen erweiternden Annex der Teilnehmerhaftung mit 4 der Konsequenz, dass der Regelungszweck auf den Schutz der Rechtsgüter beschränkt wäre, die durch die aufgeforderte Tat gefährdet wären. Sie sieht zutreffend daneben auch den Gemeinschaftsfrieden als zweites, eigenständiges Rechtsgut mitgeschützt. Folgerichtig war die Vorschrift des § 292 – Vorbild der geltenden Regelung – ursprünglich im Abschnitt über die öffentliche Ordnung bzw. den Gemeinschaftsfrieden eingeordnet worden. Also bezieht sich der Schutz des § 111 sowohl auf das durch die Straftat, zu der aufgefordert wird, bedrohte Rechtsgut als auch auf den inneren Frieden der Gemeinschaft.11 Die Gefährdung des Gemeinschaftsfriedens als weiterer Strafgrund des § 111 ergibt sich 5 zwangsläufig aus einer öffentlichen oder quasi-öffentlichen, an einen unbestimmten Personenkreis gerichteten Aufforderung zu Straftaten. Z. T. wird darauf abgestellt, dass eine derart qualifizierte Aufforderung einerseits geeignet ist, unkontrollierbare kriminelle Aktionen zu veranlassen; andererseits sind ihre Auswirkungen weder überschaubar noch steuerbar und einer weiteren Einflussnahme des Auffordernden in aller Regel entzogen, was insgesamt ihre besondere Gefährlichkeit begründe.12 Ersteres ist durchaus zweifelhaft, auch wenn diese Überlegungen den historischen Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm geleitet haben.13 Denn ob eine Steigerung der Gefährlichkeit gegenüber der regulären Anstiftung des § 26 StGB nicht eher eine Fiktion darstellt, zumal praktisch relevanter die erfolglose Aufforderung des § 111 Abs. 2 StGB sein dürfte,14 erscheint keineswegs ausgemacht. Massenpsychologische Phänomene sind vorstellbar. Bei der öffentlichen Aufforderung fehlt es aber regelmäßig an einer emotionalen Bin3 Dreher FS Gallas 307. 4 Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 1; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Wolters SK Rdn. 2; Kissel S. 144; Paeffgen NK Rdn. 3; ders. FS Hanack 591, 599 f.; ähnlich auch Bosch MK Rdn. 2. 5 BGHSt 29 258, 267; BayObLG NJW 1994 396, 397; Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 134; Sch/Schröder/Eser Rdn. 1. 6 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 44 Rdn. 38; Plate ZStW 84 (1972) 294, 303. 7 Stockmann S. 53. 8 Jakobs ZStW 97 (1985) 777. 9 Vgl. Fincke S. 76 ff.; Rogall GA 1979 11, 15. 10 BGHSt 29 258, 267. 11 Vgl. E 1962 Begr. S. 464; SSW/Fahl Rdn. 1; Fischer Rdn. 1; Jakobs ZStW 97 (1985) 751, 774, 777; M. Heinrich HKGS Rdn. 2; Rogall GA 1979 11, 16, 18; Rudolphi RdA 1987 160; Sch/Schröder/ Eser Rdn. 1. 12 Vgl. v Bubnoff LK11 Rdn. 5; Dreher NJW 1970 1156; ders. FS Gallas 312 f.; Fischer Rdn. 8; Samson JZ 1969 259 f.; KG JR 1971 255. 13 Vgl. Begr. zu § 292 E 1962 S. 464; Reg. Entw. 13. StRÄndG S. 6; Prot. 7/2238; s. auch BTDrucks. 7/3030 S. 6. 14 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 44 Rdn. 40. 643

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§ 111 StGB

Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

dung und einem dadurch entstehenden intensiveren Einfluss, wie sie bei der versuchten Anstiftung eines konkreten Haupttäters gegeben ist und schneller und in höherem Maße für das ins Visier genommene Rechtsgut gefährlich ist.15 Bei der öffentlichen Aufforderung dagegen fehlt es an einem bestimmten Adressaten. Es ist bei ihr vorstellbar, dass sich niemand verantwortlich angesprochen fühlt und sie gleichsam ins Leere geht. Der Täter hat zwar „eine Fackel geworfen“, weiß aber nicht, ob sie sich entzünden wird.16 Die höhere Gefährlichkeit gegenüber der ordinären Anstiftung ist daher auf das Rechtsgut 6 des Gemeinschaftsfriedens zu beziehen. Dieses wird durchaus weit stärker betroffen, das Vertrauen der Gesellschaft in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung ist häufig intensiver erschüttert, wenn zu einer Straftat – horribile dictu – in aller Öffentlichkeit animiert wird, als wenn eine entsprechende Tat ohne ein solches Vorspiel schlicht ausgeführt wird. Das zeigt sich plastisch in Situationen, in denen etwa durch irrgeleitete, vorgebliche Fatwas zur Tötung von Kritikern radikaler islamischer Regime oder des Islams aufgefordert wird. Die Unruhe der Bevölkerung ist in derartigen Fällen besonders hoch und vielfach gegenüber der Erschütterung bei erfolgter Tat potenziert. Daher lässt sich das Rechtsgut des gefährdeten Gemeinschaftsfriedens auch nicht mit dem Argument abtun, schon die Begehung jeder anderen Straftat erschüttere diesen bereits und könne nicht als Rechtsgrund herhalten.17

3. Dogmatische Strukturen 7 a) Differenzierter Strafrahmen. Die im Rechtsgut angelegte Bipolarität hat den Gesetzgeber mehrfach beschäftigt. Während das Gesetz bei der erfolgreichen Aufforderung nach Absatz 1 unverändert an die für den Anstifter (§ 26) angedrohte Strafe anknüpft,18 hat das 14. StRÄndG die Strafdrohung für die erfolglose Aufforderung nach Absatz 2 geändert. Die wechselvolle Entwicklung dieser Strafdrohung und die der erneuten Änderung zugrundeliegende Diskussion beruhen wesentlich auf den Schwierigkeiten einer eindeutigen Klärung von Wesen und dogmatischer Struktur dieser Vorschrift,19 ihrer Verzahnung sowohl mit dem Allgemeinen wie dem Besonderen Teil des StGB. Während die bis zum Jahre 1953 geltende Fassung des Absatzes 2 eine eigenständige Straf8 drohung vorsah, glich das 3. StRÄndG vom 4.8.1953 den Strafrahmen an den der erfolglosen Anstiftung (§ 30 Abs. 1 StGB) an. Mit dem 14. StRÄndG sieht Absatz 2 nunmehr wieder einen im wesentlichen eigenständigen, von der Haupttat losgelösten Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Jedoch wird der Art und Schwere der angesonnenen Tat zugunsten des Täters immerhin insoweit Rechnung getragen, als die zu verhängende Strafe im Höchstmaß weiter begrenzt wird durch die für diese Straftat angedrohte und nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 gemilderte Strafe. Dem Gesetzgeber erschien in Fällen, in denen erfolglos zu einer mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Straftat aufgefordert wird, der Strafrahmen von 3 bis 15 Jahren als wesentlich überhöht, zumal er minder schweren Fällen unbedachter Äußerungen in der erregten Atmosphäre politischer Versammlungen oder öffentlich am Stammtisch auch unter Berücksichtigung der mangelnden Rücktrittsmöglichkeit nicht gerecht werden kann (vgl. Reg.Entw. eines 13. StRÄndG, BTDrucks. 7/3030 S. 6, 7; 7/3064 S. 1; Prot. 7/2238 f.). Die Regelung des Absatzes 2 hat im Schrifttum bedingte Zustimmung,20 aber auch Kritik21 erfahren, wobei 15 Paeffgen FS Hanack 598; Kasiske GA 2016 756, 761. 16 Dreher FS Gallas 313. 17 Bosch MK Rdn. 2; Wolters SK Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 93 Rdn. 1; Paeffgen FS Hanack 599 f.; ders. NK Rdn. 8; zutreffend Ast HdbStrafR § 25 Rdn. 88; Kasiske GA 2016 756, 762. Krit. Rogall GA 1979 11, 17. Vgl. hierzu Dreher FS Gallas 307 und Paeffgen FS Hanack 591. Sch/Schröder/Eser Rdn. 21; Stree NJW 1976 1179. Fischer Rdn. 8.

18 19 20 21

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I. Grundlagen

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insbesondere auf eine unzureichende Berücksichtigung der handlungsspezifischen Gefährlichkeit der öffentlichen Verbrechensaufforderung und auf eine ungerechtfertigte unterschiedliche Unrechtsbewertung in den Absätzen 1 und 2 abgestellt wird.22 Den Kritikern gegen die in § 111 Abs. 2 sichtbar werdende Unrechtsbewertung ist indes entgegenzuhalten, dass die Haftung für eine erfolglose öffentliche Aufforderung mit dem „Partialunrecht“ der Rechtsfriedensstörung im Vordergrund steht (vgl. Rdn. 5 f.), weswegen der Strafrahmen nach Absatz 2 zu Recht eigenständig ist und nur mittelbar an den Rahmen für die propagierte Straftat gebunden ist.23

b) Verhältnis zur Anstiftung. Die Vorschrift des § 111 pönalisiert die Aufforderung zu rechts- 9 widrigen Taten und ergänzt die Vorschriften der §§ 26, 30 über die Anstiftung, ist aber kein bloßer Sonderfall der Anstiftung i. S. einer lediglich tatbestandlich verselbständigten Teilnahmeform.24 Der Vorschrift kommt eine über die Funktion eines bloßen Auffangtatbestandes25 hinausgehende Bedeutung und Selbständigkeit zu, auf die bereits der Strafgrund (Rdn. 5 f.), die gesetzliche Verankerung im Besonderen Teil sowie die eigenständige Strafdrohung des Absatzes 2 hinweisen.26 Während die Anstiftung (§§ 26, 30 Abs. 1) die Einwirkung auf einen individuell bestimmten Täter oder Täterkreis (Rdn. 30) und die Ausrichtung auf eine bestimmte, im wesentlichen konkretisierte Tat (Rdn. 56) voraussetzt, ist im Rahmen des § 111 die Konkretisierungsschwelle der angesonnenen Tat niedriger anzusetzen; die Fälle der individuellen Einwirkung werden hier nicht erfasst (Rdn. 29). Die gegenüber der Anstiftung geringeren Anforderungen an die Handlung des Auffordernden, d. h. an die Konkretisierung von angesonnener Tat und Täter, finden ihren Ausgleich in deren vorstehend skizzierter gesteigerter Gefährlichkeit für den Rechtsfrieden. Damit ist auf die Abgrenzung zwischen Anstiftung und der Aufforderung i. S. des § 111 er- 10 höhte Aufmerksamkeit zu lenken. Besonderes Gewicht gewinnt die Frage, ob die Aufforderung zu einer konkreten Tat, gerichtet an eine nicht eingegrenzte Vielzahl von Adressaten, bei schweren Taten den Tatbestand des § 111 Abs. 2 erfüllt oder versuchte Anstiftung ist; denn dann fallen die Strafrahmen aufgrund der nicht akzessorischen Strafe des § 111 Abs. 2 in krasser Form auseinander.27 Ob eine tatbestandliche Überschneidung von Anstiftung und Aufforderung möglich ist, 11 hängt von der im Schrifttum ersichtlich nicht einheitlichen Abgrenzung des Adressatenkreises und dem vorausgesetzten Maß der Konkretisierung der angesonnenen Tat ab. Dazu im einzelnen Rdn. 30 u. 56.

c) Deliktsnatur. Wie sich insbesondere aus der Pönalisierung der erfolglosen Aufforderung 12 (Absatz 2) ergibt, liegt der Schwerpunkt der Tat – über ihren unmittelbaren Erfolg oder Misserfolg hinausreichend – auf dem Gefährdungsunwert. Die Aufforderung zu Straftaten wird daher zu Recht als abstraktes Gefährdungsdelikt qualifiziert.28 Teilweise wird – abweichend von der hier vertretenen Auffassung (Rdn. 5 f.) – ein eigen- 13 ständiges Rechtsgut bei dieser Vorschrift verneint und deren Zuordnung zur Kategorie der abstrakten Gefährdungsdelikte in Abrede gestellt.29 Der Schutz soll sich auf die Rechtsgüter der Bezugstatbestände beschränken. Das überzeugt aufgrund der unzutreffenden Rechtsgutsbestim22 23 24 25 26 27 28

Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8. Jakobs ZStW 97 (1985) 751, 777. AA Wolters SK Rdn. 2. Geppert GedS Meurer 32; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1. Vgl. Dreher FS Gallas 307 ff.; auch KG JR 1971 255. Fischer Rdn. 8; vgl. Rdn. 65. BGHSt 29 258, 267; Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 134; Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 1; Dreher FS Gallas 312; SSW/Fahl Rdn. 1; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 1; M. Heinrich HK-GS Rdn. 19. 29 Schroeder S. 11, 21; Wolters SK Rdn. 2. 645

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§ 111 StGB

Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

mung nicht. Der weitere Einwand, die erhöhte abstrakte Gefährlichkeit lasse sich aufgrund des verminderten Einflusses auf das deliktische Geschehen nicht belegen, wenn z. B. coram publico zu einer bestimmten Tat aufgefordert werde,30 geht am Umstand vorbei, dass es nicht primär auf die Gefahren für die von der animierten Straftat bedrohten Rechtsgüter, sondern auf die Gefahren für den Gemeinschaftsfrieden ankommt. Zugleich ist § 111 aufgrund der Ausformung anstiftungsähnlichen Verhaltens zu einem eigen14 ständigen Tatbestand als Aufforderungsdelikt zu kategorisieren.31 Er gehört mit dem Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1) in diese Gruppe. Der beiden Vorschriften zugrundeliegende Begriff der Aufforderung ist einheitlich auszulegen.32 Eine tatbestandliche Überschneidung kommt dann in Betracht, wenn eine Aufforderung volksverhetzenden Charakters den Konkretisierungsanforderungen (Rdn. 21 ff.) hinsichtlich der Tat, zu der aufgerufen wird, entspricht und damit unmittelbar bestimmte mitgeschützte Rechtsgüter gefährdet. Der Anwendungsbereich des § 130 reicht indes weiter.33 Daneben ist § 111 auch Äußerungsdelikt.34

4. Praktische Bedeutung 15 Die Strafvorschrift des § 111 hat nur eingeschränkt praktische Bedeutung erlangt.35 Die Fälle des § 111 werden zwar seit 1970 in der allgemeinen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nicht mehr getrennt ausgewiesen, sondern mit der Straftatengruppe des Sechsten Abschnitts insgesamt erfasst. Indes kommt insoweit den Erhebungen des selbständigen polizeilichen Meldedienstes über Staatsschutzdelikte ein gewisser Aussagewert zu; dieser schlüsselt unter der Straftatengruppe XI Delikte der allgemeinen Kriminalität, „die ein politisches Element… enthalten“, gesondert auf, eine Straftatengruppe, der die Fälle des § 111 im Hinblick auf die spezifische Deliktsnatur und die bekanntgewordenen Erscheinungsformen zu einem nicht unwesentlichen Teil zugeordnet werden dürften.36 Hinsichtlich der insoweit erfassten Fälle ergibt sich folgendes Zahlenbild: 1982 108; 1983 108; 1984 116; 1985 84; 1986 74; 1987 529; 1988 143; 1989 44; 1990 32; 1991 160; 1992 46; 1993 111; 1994 75; 1995 80; 1996 99; 1997 115; 1998 145; 1999 147; 2000 82. Ab dem Erhebungsjahr 2001 sind die Belastungszahlen aus der PKS nicht mehr zu entschlüsseln. Aussagekräftiger dürften angesichts der methodischen Probleme der Kriminalstatistik, auch wenn das Dunkelfeld bei der öffentlichen Tathandlung von geringerer Fehlerrelevanz ist, die Verurteilungsstatistiken des Statistischen Bundesamtes sein. Diese weisen die nachfolgenden Fallzahlen auf: 2000 6; 2001 10; 2002 14; 2003 10; 2004 9; 2005 15; 2006 10; 2007 7; 2008 9; 2009 10; 2010 10; 2011 7; 2012 19; 2013, 25; 2014 25; 2015 30; 2016 93; 2017 72; 2018 50.37 Sie belegen augenfällig die immer noch marginale Rolle des Tatbestandes.38 Der auffällige Zahlenanstieg im Jahre 1987 in der PKS erklärt sich damit, dass die Strafnorm des § 111 im Zusammenhang mit den über die ganze Bundesrepublik verbreiteten Aktionen gegen die Volkszählung 1987 Aktualität erlangt hatte. Diese Zählung erfolgte auf der Grundlage des nach der Teilnichtigkeitserklärung des ersten Volkszählungsgesetzes 1983 durch das BVerfG (BVerfGE 65, 1 ff.) nunmehr verfassungskonformen39 zweiten Volkszählungsgesetzes 1987. Die Boykottaufrufe forder-

30 31 32 33 34 35 36 37

Bosch MK Rdn. 3; s. auch hier unter Rdn. 5 f. Bosch MK Rdn. 3. BGHSt 32 320, 313, Matt/Renzikowski/Altenhain § 130 Rdn. 7. Vgl. Bloy JR 1985 207; Rogall GA 1979 11, 17 f. BGH NStZ 2015 512, 514; Franke GA 1984 452, 462; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 4. Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 134; vgl. bis 1970 die Angaben bei Laufhütte und Müller-Emmert, Prot. 7/2239 f. Bosch MK Rdn. 4. Statistisches Bundesamt Deutschland, Fachserie 10 Reihe 3, abrufbar unter https://www.destatis.de, abgerufen am 30.12.2019. 38 Paeffgen NK Rdn. 9. 39 BVerfG NJW 1987 2805; 1988 961 f.; 962, 963. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

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ten zur Unbrauchbarmachung möglichst vieler Erhebungsunterlagen auf, um die Volkszählung zum Scheitern zu bringen. Gerade solche Massenphänomene entsprechen dem spezifischen Erfassungsbereich des § 111. Der in den Aufrufen40 aufgezeigte Weg des Abschneidens der Kennnummern der Volkszählungsfragebögen führt gegebenenfalls zu einer Beseitigung deren bestimmungsgemäßer Brauchbarkeit unter gleichzeitig relevanter Substanzverletzung. Solche Aufrufe sollen somit eine öffentliche Aufforderung zur Sachbeschädigung geringwertiger Sachen gem. § 303 enthalten haben,41 wobei sich zugleich die kriminalpolitische Problematik der Strafnorm zeigt, indem legitime und für die Demokratie auch notwendige Protestformen einschließlich Formen des zivilen Ungehorsams allzu leicht in strafrechtlich relevante Bereiche abgleiten. Der Sache nach handelte es sich eher um Verwaltungsunrecht,42 zumindest war hier die Anwendung der strafprozessualen Opportunitätsmöglichkeiten der §§ 153 ff. StPO geboten. Ein weiterer Anlass zur Befassung mit § 111 waren Vorgänge im Zusammenhang mit dem Golfkrieg 1991:43 Aufrufe zum Verlassen der Truppe zwecks Verhinderung eines Einsatzes im Krisengebiet bzw. im Rahmen der Sicherung der türkischen NATO-Flanke u. ä. Derartige Aufrufe können als öffentliche Aufforderung zur Fahnenflucht oder zum Ungehorsam verstanden werden (s. aber Rdn. 23). Auch bei der Bekämpfung rassistischer oder ausländerfeindlicher Tendenzen oder von politischen Aktionen gegen den Anbau genetisch veränderte Lebensmittel,44 die nicht selten mit Aufrufen zu bestimmten Straftaten verbunden sind, kommt der Strafvorschrift ein gewisser Stellenwert zu. Parallel zu der verbreiteten Nutzung des Internets, insbesondere der sozialen Medien (Facebook etc.), lässt sich ein Anstieg der Fallzahlen beobachten. Auffällig ist die Verdopplung der Fallzahlen in der Verurteilungsstatisik aus dem Jahr 2016 und das ebenfalls höhere Niveau in 2017. Es liegt nicht fern, dies jedenfalls z. T. auf die Verrohung, u. a. in politisch motivierten Diskussionen im Internet zurückzuführen.

II. Objektiver Tatbestand 1. Zum Begriff der Aufforderung Tathandlung ist die Aufforderung zur Begehung einer rechtswidrigen Tat. Die Aufforderung 16 stellt damit das zentrale Merkmal des § 111 dar.

a) Begriff. Eine Aufforderung ist eine verbale wie non-verbale Willenskundgebung, von dem 17 oder den Aufgeforderten ein bestimmt bezeichnetes Tun oder Unterlassen zu fordern. Kennzeichnend ist die Einwirkung auf die Motivation anderer mit dem Ziel, diese zur Begehung von rechtswidrigen Taten zu veranlassen. Die Rspr. spricht davon, dass sich die Kundgabe an den Verstand des anderen wendet, der von der Richtigkeit oder Zweckmäßigkeit des geforderten Tuns bzw. Unterlassens überzeugt werden soll;45 ob aber genauso gut die Emotionen des Gegenübers mit angesprochen werden können,46 ist solange nicht zweifelhaft, sofern nur eine Willensbeeinflussung mit intendiert wird. Insofern scheint der Begriff der Aufforderung weitgehend dem Bestimmen zur Haupttat bei der Anstiftung zu entsprechen.47 Zur Aufforderung gehört jedoch eine Kundgabe, die den Willen des Auffordernden erkennbar macht, den anderen zu ei40 41 42 43 44 45 46 47 647

OLG Celle JR 1988 433 m. Anm. Geerds. BayObLGSt 38 58, 59; OLG Köln NJW 1988 1102, 1103 m. abw. Rspr Nachw.; Engelage NJW 1987 2802. Bosch MK Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 9; Kissel S. 26. Kissel S. 46 ff., 191 ff. OLG Stuttgart NStZ 2008 36. RGSt 63 170, 173. Paeffgen NK Rdn. 12. Wolters SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Eser Rdn. 3. Rosenau

§ 111 StGB

Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

nem bestimmten Handeln zu bringen. Es genügt also nicht jede Art von Beeinflussung anderer wie bei § 26.48 § 111 ist insoweit enger. Eine nur mittelbare Einwirkung auf fremde Entschlüsse – etwa die wahrheitswidrige Darstellung oder Vorspiegelung eines Vorfalls in der Erwartung, bei anderen den Entschluss zu bestimmten strafbaren Vergehen auszulösen – reicht nicht aus. Es kommt darauf an, dass die Äußerung erkennbar darauf abzielt, die Adressaten unmittel18 bar zur Begehung der angesonnenen rechtswidrigen Taten motivieren zu wollen.49 Sie muss den Appellcharakter als begriffsnotwendiges Moment deutlich machen.50 Wegen eines fehlenden Aufforderungselementes wird die reine Sachinformation, z. B. die bloße Flugblattinformation über eine Blockadeaktion ohne irgendwie gearteten Teilnahmeaufruf als tatbestandsunerheblich angesehen.51 Nicht erforderlich ist, dass zu bewusst strafbarem Tun aufgefordert wird.52 In Hinblick auf die vorausgesetzte abstrakte Gefährlichkeit müssen irgendwelche möglichen Adressaten erreicht werden, so dass die Aufforderung in deren Einfluss- bzw. Wahrnehmungsbereich gelangt, eine Kenntnisnahme ist dagegen nicht zu verlangen.53 Bei öffentlicher Aufforderung (vgl. Rdn. 33) verbaler Art oder durch Plakatanschlag wird dies regelmäßig der Fall sein. Nicht ausreichend ist jedoch z. B. die bloße Absendung von Flugblättern, weil der bloße Aufforderungsversuch nicht erfasst wird, auch nicht durch Absatz 2.54

19 b) Befürworten. Von dem Auffordern zu Straftaten ist das bloße Befürworten von Straftaten abzugrenzen, das seit Aufhebung des § 88a im Jahr 1981 nicht mehr strafbar ist. Das Befürworten liegt unterhalb der Schwelle der Aufforderung und wird mithin von § 111 nicht erfasst.55 Das bloße Befürworten bleibt begrifflich hinter der Aufforderung zurück, weil die unmittelbar an die Motivation anderer gerichtete, bestimmte Erklärung fehlt. Es enthält nicht die der Aufforderung wesenseigene Kundgebung, einen anderen zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen bringen zu wollen.56 Die Befürwortung schafft lediglich ein für Tatentschlüsse anderer gedeihliches psychisches Klima (Entw. 14. StRÄndG BTDrucks. 7/3030, S. 8). Bloße Äußerungen, eine Straftat sei begrüßenswert, erwünscht, notwendig oder unvermeidbar, erweisen sich daher ohne Verknüpfung mit einer deutlichen unmittelbaren Motivierungstendenz und mit einem appellativ-imperativen Erklärungscharakter lediglich als tatbestandsunerhebliche Befürwortungen.57 Dementsprechend ist die Befürwortung strafbarer Handlungen innerhalb eines öffentlich ausgetragenen Theorienstreits über die ideologische und strategische Konzeption einer nicht mehr fortbestehenden radikalen Bewegung als tatbestandsunerheblich beurteilt worden.58 Andererseits hat der BGH Erklärungen, die schwere, von einer bestimmten kriminellen Vereinigung begangene Verbrechen „auch als in Zukunft erstrebenswert“ kennzeichnen, als Aufforderung gewertet, solche Verbrechen zu begehen.59 Auch Richtlinien und Empfehlungen straftatbefürwortenden Charakters, die noch keinen Willen zur unmittelbaren Motivation des potentiellen Täterkreises er48 Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 4; Kostaras S. 146 ff.; Rogall GA 1979 11, 15 f.; ders. KK-OWiG § 116 Rdn. 8; Rudolphi RdA 1987 160, 162. 49 BGHSt 28 312, 314; 32 310, 313; SWW-Fahl Rdn. 2; Rudolphi RdA 1987 160, 162; Kostaras, S. 147, 151. 50 OLG Celle NStZ 2013 720, 721; Bloy JR 1985 206; Rogall KK-OWiG § 116 Rdn. 9; vgl. SSW/Lohse § 130 Rdn. 16. 51 Vgl. LG Bremen StV 1986 439, 440; Paeffgen NK Rdn. 12; Sch/Schröder/Eser Rdn. 3; krit. Bosch MK Rdn. 7. 52 Vgl. RGSt 59 149. 53 Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 6; aA RGSt 5 60, 71; 7 113, 115; 58 197, 198; Erbs/Kohlhaas/Senge OWiG § 116 Rdn. 5; weitergehend Franke GA 1984 452, 465 f., 471; Paeffgen NK Rdn. 28 und Stockmann BB 1978 1188, 1191, die eine inhaltliche Kenntnisnahme seitens Dritter verlangen. 54 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3. 55 Vgl. BGHSt 28 312, 314; 31 16, 22; 32 310, 311, 313; OLG Köln MDR 1983 338; NJW 1988 1102, 1103; KG StV 1981 525, 526. 56 Rogall GA 1979 11, 22. 57 BGHSt 32 310, 311. 58 KG StV 1981 525, 526. 59 BGHSt 31 16, 22. Rosenau

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kennen lassen, sind nicht als Aufforderung zu der befürworteten Tat zu werten. In diesem Zusammenhang werden Empfehlungen an zuständige Gewerkschaftsfunktionäre für die Durchführung zukünftiger Arbeitskämpfe erörtert, die den Einsatz bestimmter Kampfmittel wie rechtswidriger Betriebsbesetzungen vorsehen;60 bei einer Aktualisierung – im Falle einer Ausführung der Empfehlung durch die angesprochenen Funktionäre und deren erfolgreichen Aufrufs zu Betriebsbesetzungen – käme indes Anstiftung oder Aufforderung zu einer Straftat nach § 111 in Verbindung mit § 123 in Betracht (Rdn. 49). Derzeit ist in der rechtspolitischen Diskussion, ob die Tatvariante des Befürwortens angesichts der Verrohung und Verbreitung hetzender Äußerung(en?) in den sozialen Medien wieder eingeführt werden soll.61 Dagegen ist allerdings der ultima ratio-Charakter des Strafrechts anzuführen, das strukturnotwendig fragmentarisch ist, will es rechtsstaatlich bleiben. Es besteht die Gefahr, dass auch die notwendig scharfe politische Auseinandersetzung in der Demokratie pönalisiert wird und leidet. Die Situation in der Türkei sollte den Gesetzgeber zur Vorsicht gemahnen.

c) Parolen. Einer besonderen Prüfung bedarf es hinsichtlich des Aufforderungscharakters je- 20 weils bei Parolen, d. h. bei knapp formulierten, schlagwortartigen Aufrufen, Äußerungen und Vorstellungen. Er muss dem Aussagegehalt der Parole in objektivierbarer Weise zu entnehmen sein. Die Äußerung muss ihrem sozialen Sinngehalt nach unter Berücksichtigung der aktuellen Bezüge als Aufforderung zu verstehen sein, das Wissen und Wollen des Äußernden müssen in der Öffentlichkeit bzw. von dem Leser der Parole als ernstliche Aufforderung erfasst werden können.62 Der Appell zur Realisierung durch einen Erklärungsadressaten muss sich somit dem verständigen Leser aus dem imperativen Wortlaut oder jedenfalls aus dem objektiven Aussagegehalt der Parole offenbaren. So ist der Aufruf „Besetzt die leerstehenden Häuser“ Aufforderung zum Hausfriedensbruch. Fehlt dieses Aufforderungselement, so begründet auch ein zum Ausdruck gebrachtes Einverständnis mit der Straftat oder Erwünschtsein des Taterfolges (Rdn. 19) keine Tatbestandserheblichkeit der Parole.

d) Konkretisierung und Ernstlichkeit. Ein wichtiges Weiteres Kriterium ist die hinreichende 21 Konkretisierung der angesonnenen Tat. Die Aufforderung muss das vom Erklärungsadressaten erwartete Verhalten eindeutig als Straftat einer bestimmten Art erkennbar machen. Die Anforderungen an die Tatbestimmtheit der angesonnenen Tat sind im Verhältnis zur Anstiftung bei der strafbaren Aufforderung nach § 111 geringer.63 Die von den Erklärungsadressaten erwartete Tat muss jedoch zumindest ihrer Art und ihrem rechtlichen Wesen nach gekennzeichnet sein. Einengend wird vom BGH zusätzlich eine Opferkennzeichnung in allgemeinen Wendungen gefordert.64 Bei detaillierten Handlungsbeschreibungen, wie das „Schottern“ der Bahnstrecke für die Castor-Transporte nach Dannenberg, an welchem Tattag und Tatort vorgesehen sind, genügen diesen Konkretisierungsanforderungen.65 So liegt es auch, wenn zur Selbstjustiz unter Namensnennung des Opfers und Beschreibung der zu erstürmenden Polizeiwache aufgefordert wird.66 Bei der Anstiftung werden hingegen die Anforderungen an die Bestimmtheit der Tat im allgemeinen überwiegend dahin definiert, dass die in Aussicht genommene Tat in ihren wesent-

60 Rudolphi RdA 1987 160, 163 f. 61 Vgl. lto vom 3.12.2019, abzurufen unter www.lto.de/recht/hintergruende/h/lambrecht-pruefung-wiedereinfuehrung-tatbestand-befuerwortung-straftaten-stgb-hetze-internet/; zuletzt abgerufen am 2.1.2020. 62 BGHSt 32 310, 311; Bloy JR 1985 206. 63 Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 137; Fischer Rdn. 4a; AA Rogall GA 1979 11, 18; vgl. Dreher FS Gallas 321. 64 BGHSt 32 310, 312. 65 OLG Celle NStZ 2013 720, 721. 66 Ostendorf/Frahm/Doege NStZ 2012 529, 532. 649

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

lichen Umrissen von der Vorstellung des Bestimmenden erfasst wird, ohne dass sich der Anstifter jede Einzelheit der Tat vorstellen muss.67 22 Die Erklärung muss – dem Auffordernden bewusst – den Eindruck der Ernstlichkeit machen und machen sollen, braucht aber nicht ernst gemeint zu sein.68 Dabei ist der Sinngehalt der Äußerung nicht losgelöst vom gesellschaftlichen als auch geistigen Hintergrund und dem Kontext auszulegen, indem sie gefallen ist.69 Ein am Wortlaut der Äußerung haftendes Verständnis genügt nicht.70 Eine tatbestandsrelevante Aufforderung kann zu verneinen sein, wenn der Aussagegehalt der Erklärung im allgemeinen Verständnis hinter deren wörtlichen Sinn zurückbleibt und objektiv nicht den Eindruck der Ernstlichkeit erweckt. Als für Dritte motivationsungeeignet sind solche Äußerungen und Parolen auszuscheiden, die trotz ihres möglicherweise imperativen Wortlauts wegen ihrer Absurdität und erkennbar mangelnden Ernstlichkeit in ihrer Wirkung auf den objektiven Beobachter kein echtes Aufforderungselement enthalten. Überzeichnete, ironisch-provokative Darstellungen sprechen ebenfalls gegen den Eindruck der Ernstlichkeit.71 Beispielsweise sind Flugblattparolen „Wir werden Feste feiern, die die Stadt erzittern lassen! Wir werden Demonstrationen machen, die ihnen die nackte Furcht lehren wird!“ denkbar ungeeignet, den öffentlichen Frieden zu beeinträchtigen.72 Gleiches muss gelten für drastisch überzeichnete Äußerungen im Rahmen heftiger politscher Debatten wie diejenige, „diese Marionetten in der Regierung …, das sind Verbrecher, denen gehört die Tür eingetreten“, zumal wenn die Aussage relativiert wird, dass man das verbal verstehe.73 Geschmacklosigkeiten und politische Grenzüberschreitungen sind in Deutschland nicht strafbar. Vom bloßen Wortlaut her überschießende Äußerungen, die sich bei verständiger Würdi23 gung ihres Aussagegehalts unter Berücksichtigung der beabsichtigten Provokationswirkung für den Leser erkennbar als bloße flegelhafte Unmutsäußerung oder überzogene Missfallensäußerung erweisen, stellen ebenfalls keine tatbestandserhebliche Aufforderung dar. Diese Auslegungsmöglichkeit kommt in Betracht, wenn die Äußerung ersichtlich ein reales Tatopfer gar nicht ins Auge fasst. Wendungen wie „Tod dem Klerus“ lassen sich nur schwer als ernstgemeinte Appelle zur Begehung von Straftaten verstehen und werden vom hier maßgeblichen verständigen Beobachter als Ausdruck der Missbilligung gesellschaftlicher und politischer Institutionen eingeordnet.74 Es mangelt hier bereits an einer realisierbaren Handlungsanweisung. Auch die propagierte „Feldbefreiung“ von genmanipulierten Pflanzen ist zutreffend als politische Unmutsäußerung und Provokation bewertet worden.75 Dabei hat das Tatgericht die Implikationen der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG mit zu berücksichtigen und den Begriff des Aufforderns bei der Subsumtion der gefallenen Erklärungen unter dieses Merkmal an Art. 5 Abs. 1 GG orientiert eng auszulegen.76 Erweisen sich diese im Rahmen des Erklärungskontextes als – wenn auch überpointierte – Teilnahme an der gesellschaftlichen Meinungsbildung und am politischen Meinungskampf, sind strenge Anforderungen an die Konkretisierung vermeintlicher angesonnener Straftaten zu stellen, wie die Mitteilung eines konkreten Tatortes und Zeitpunktes.77 Es muss in diesen Fällen geradezu ins Auge stechen, dass ein kriminelles Verhalten gewünscht wird. Demonstrationscharakter kommen vor diesem Hintergrund auch Flugblättern zu, in denen Bundeswehrsoldaten aufgefordert wurden, die weitere Beteiligung am 67 Jescheck/Weigend AT S. 688; Wessels/Beulke/Satzger Rdn. 891. 68 BGHSt 32 310; OLG Thüringen NStZ 1995, 445; Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 3; Sch/Schröder/Eser Rdn. 6; aA Bosch MK Rdn. 9. 69 OLG Hamm NStZ 2010 452 f.; Fischer Rdn. 4c. 70 OLG Celle NStZ 2013 720, 721; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 3. 71 OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2003 327, 328. 72 LG Berlin StV 1982 472. 73 AA Hambel ZJS 2019 10, 13 f. 74 BGH NJW 1984 1631; Bosch MK Rdn. 9. 75 OLG Stuttgart NStZ 2008 36, 37; KG NJW 2001 2896; aA Vassilaki MMR 2007 436 f. 76 Gänßle NStZ 1999 90. 77 OLG Stuttgart NStZ 2008 36, 37. Rosenau

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Kosovo-Krieg zu verweigern („Entfernen Sie sich von der Truppe!“ und „Verweigern Sie deshalb Ihre Einsatzbefehle!“). Zutreffend hat das Kammergericht dies als plakative Meinungsäußerung gewertet, weil es erkennbar den Initiatoren des Protestes nicht auf eine massenhafte Befehlsverweigerung ankam.78 Mit einer Demontage des Tatbestandes hat die verfassungskonforme Auslegung nichts zu tun.79 Eine bloße Unmutsäußerung kann nach den Umständen des Einzelfalles auch dann in Be- 24 tracht kommen, wenn der in der Erklärung Genannte aufgrund des Äußerungszusammenhangs erkennbar nicht als Individualperson und potentielles Opfer, sondern als Repräsentant einer gesellschaftlichen Institution oder politischen Partei erscheint, gegen die sich der Unmut des Täters richtet. Die Möglichkeit einer solchen Auslegung hat der Bundesgerichtshof hinsichtlich der von einem Außenseiter an Häuserwänden angebrachten Parolen „Tötet Cremer“, „Brandt an die Wand“, „Tod Wehner und Brandt“ erwogen.80 Das Gericht ist insoweit nicht auf den Mitteilungs- und Schrifteninhalt beschränkt,81 der allein eine zuverlässige Abgrenzung von echter Handlungsanweisung zu bloßen verbal-radikalen Exzessen oder Missfallenskundgebungen nicht immer ermöglicht. Es handelt sich um eine Frage der Beweiswürdigung, in die der aktuelle situative Zusammenhang der Kundgabe und sämtliche Begleitumstände mit einfließen.82

e) Art und Weise. Die Aufforderung kann ausdrücklich oder durch schlüssige Handlung er- 25 folgen,83 auch in versteckter bzw. verklausulierter – für jeden Eingeweihten jedoch verständlicher – Form,84 durch Überredung, Raterteilung, „informatorische Ratschläge“ z. B. in Boykottflugschriften und durch „Tipps“,85 nicht dagegen – anders als bei der Anstiftung nach § 26 – durch bloßes Anreizen86 als psychologisch berechnete Stimmungsmache (vgl. Entw. 14. StRÄndG, BTDrucks. 7/3030, S. 8). Dieses ist gekennzeichnet durch eine Beeinflussung, die einen Reiz zum Handeln weckt und den Angereizten kraft eigenen Entschlusses zum Handeln bringt.87 So stellt der Text des Flugblattes „Schnipp-Schnapp – da war die Nummer ab“ lediglich ein bloßes Anreizen zu einer Beschädigung (§ 303) der Volkszählungsbögen dar (LG Koblenz NStE Nr. 2 zu § 111). Aufforderungscharakter hat dagegen die in imperativer Form gehaltene schriftliche Erklärung „Schneide Codierung aus dem Bogen“.88 Gleiches gilt für provokative Äußerungen und indirekte Beeinflussungsversuche ohne Appellcharakter. Als nicht ausreichend wurde etwa die detaillierte Beschreibung verschiedener Methoden des Schwarzfahrens in einem Zeitschriftenartikel angesehen,89 weil ein persönlicher Appell der Journalisten zur Nachahmung nicht festgestellt war. Da die Form der Aufforderung ohne Belang ist, sind indirekte Einflussnahmen nicht von vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 111 ausgenommen. Das scheinbare Abraten in Form der sog. Brutus-Rede hat dann appellativen Charakter, wenn die gegenteiligen wahren Absichten des Animierenden mit den Händen zu greifen sind.90

78 79 80 81 82 83 84 85 86

KG NJW 2001 2896, 2897; aA Fischer Rdn. 4c; dazu auch Rdn. 55. Verfehlt Schroeder JR 2001 474. BGHSt 32, 310 = JR 1985 205 m. Anm. Bloy; zustimmend Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 44 Rdn. 41. AA LG Koblenz NStE Nr. 2 zu § 111; LG Berlin StV 1982 472. Paeffgen NK Rdn. 12. RGSt 4 106, 108; 47 411, 413; Stockmann BB 1978 1188, 1190. RGSt 72 329, 338. OLG Celle JR 1988 433; OVG Koblenz NJW 1987 2250; LG Koblenz MDR 1987 1047; Geerds JR 1988 436. Vgl. OLG Köln MDR 1983 338; LG Koblenz NJW 1988 1609; Bosch MK Rdn. 10; Rogall GA 1979 11, 16 u. KK-OWiG § 116 Rdn. 9. 87 Vgl. RGSt 47 411, 413; 63 170, 173. 88 BayObLGSt 1988 58, 61 f. 89 OLG Köln MDR 1983 338. 90 Bosch MK Rdn. 10; Wolters SK Rdn. 20; Paeffgen FS Hanack 605; aA v. Bubnoff LK11 Rdn. 9. 651

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26 f) Fremde Erklärungen. Der Aufforderungscharakter dieses Äußerungsdelikts setzt seiner Natur nach eine den Willen des Äußernden erkennbar machende Kundgebung voraus, einen eigenen Appell, dass von den Adressaten seiner Äußerung strafbare Handlungen begangen werden sollen.91 Wird lediglich eine fremde Erklärung, die einen auf Begehung einer rechtswidrigen Tat zielenden Aufruf zum Inhalt hat, als solche in den tatbestandlichen Verbreitungsformen wiedergegeben, mitgeteilt oder über sie – z. B. in Presse, Rundfunk oder Fernsehen – berichtet, so liegt darin folgerichtig nicht ohne Weiteres eine Kundgebung im Sinne des § 111. Ein täterschaftlich begangenes Äußerungsdelikt ist in solchen Fällen nur anzunehmen, wenn derjenige, der über eine zu Straftaten auffordernde fremde Äußerung wörtlich berichtet oder sie verbreitet, zugleich durch die Art und Weise der Wiedergabe, durch eine ausdrückliche Identifizierung mit der Äußerung, durch eine eigene Zusatzerklärung oder ähnliches unmissverständlich erkennen lässt, dass er sich diese fremde Äußerung zu eigen macht.92 Ohne derartige Identifizierung mit dem strafbaren Äußerungsgehalt einer solchen fremden Erklärung kann sie in der Regel dem, der über sie öffentlich berichtet, nicht als eigene Erklärung zugerechnet werden. Das Setzen des Like-Buttons in den sozialen Medien, welches i. d. R. schnell, belanglos und ohne große Überlegung erfolgt, signalisiert zwar eine gewisse, zumindest vorsichtige Zustimmung. Das etwas gefällt, bleibt noch im Unverbindlichen und ist zu wenig an Identifikation, um bereits von einem Zu-Eigen-Machen auszugehen.93 Die automatische Verbreitung an „Freunde“ durch Facebook ändert an dieser Bewertung nichts. Ein Appell bleibt aus. In Betracht kommt aber u. U. eine Beihilfe zu strafbarer fremder Äußerung mit Aufforderungscharakter durch deren Verbreitung.94 Es soll das bloße Abspielen eines volksverhetzenden Liedes im Radio mit dem Text „Tret‘ einfach rein“ genügen,95 wie auch der Eintrag des eigenen Namens in die Liste der Unterzeichner einer Aufforderung zum Castor-Schottern.96 Verfehlt ist die Lesart, der Betreiber eines Zeitschriftenstandes mache sich bereits durch gezieltes Auslegen einer Zeitschrift und der aufgeschlagenen Seite mit der Aufforderung zur Straftatbegehung den fremd verfassten Artikel zu eigen. Hier mangelt es an einem wie auch immer gearteten Bekenntnis zum Inhalt.97

27 g) Medienberichterstattung. Die Aufforderungsdelikte (§§ 111, 130) sind als Presseinhaltsdelikte begehbar.98 Das bloße Veröffentlichen bzw. öffentliche Verbreiten von fremden Schrifteninhalten, die zu Straftaten auffordern, begründen keine Vermutung, dass sich der Verbreitende die fremde Äußerung zu eigen macht und den jeweiligen strafbaren Inhalt der Veröffentlichung auch als eigene Meinungsäußerung mittragen will. Es gelten vielmehr die vorstehenden allgemeinen Abgrenzungskriterien. So besteht auch keine Vermutung des Täterwillens zuungunsten des verantwortlichen Redakteurs einer periodischen Druckschrift, d. h. desjenigen, der im Auftrag des Verlegers das Druckwerk auf strafrechtlich relevante Äußerungen zu prüfen hat und kraft seines Einspruchs Veröffentlichungen verhindern kann.99 Es geht um eine widerlegbare Veröffentlichungsvermutung, die sich – ausschließlich im Rahmen der spezifisch pressestrafrechtlichen Haftung bei presserechtlichen Sorgfaltspflichtverletzungen (z. B. § 20 Abs. 2 LPG BaWü) – im Falle der Unaufklärbarkeit als Beweisregel zu Lasten des verantwortlichen Redakteurs auswirkt. Für die strafbare Aufforderung nach § 111 als Täter oder Teilnehmer hat sie keinerlei Bedeutung. Gegen-

91 Vgl. Franke GA 1984 452, 462. 92 BGHSt 36 363, 367, 371; BGH NStZ 2015 512, 514; OLG Frankfurt a. M. NJW 1983 1207; BayObLG NJW 1998, 1087; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2003, 327, 328; Fischer Rdn. 2a. Schulte/Kanz ZJS 2013 24, 26 f. Vgl. BGHSt 36 363, 370 f.; 29 258, 266 f. BGH NStZ 2015 512, 514. OLG Celle NStZ 2013 720, 721. Vgl. Franke GA 1984 452, 462; aA KG JR 1984 249. Löffler/Kühl LPG § 20 Rdn. 54. Groß Presserecht Rdn. 657; Löffler/Kühl LPG § 20 Rdn. 86.

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über den allgemeinen Strafgesetzen wie § 111 sind im übrigen die pressestrafrechtlichen Sonderbestimmungen subsidiär. Die wahrheitsgemäße sowie ausschließlich und erkennbar Informationszwecken dienende 28 Berichterstattung über fremde Äußerungen strafbaren Inhalts, die den spezifischen Berichterstattungsmaßstäben entspricht, ist unter Beachtung der verfassungsrechtlich geschützten Presse- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) bei differenzierter Kennzeichnung des berichtenden Charakters straflos. Die verfassungsrechtlich verbürgte Pressefreiheit gebietet zudem einen eher restriktiven Ansatz bei der Auslegung des Merkmals „Auffordern“.100 Soweit sich die Medien indes schlicht zum Sprachrohr strafrechtlich relevanter Äußerungen machen, verlassen sie den Bereich sozialadäquater bzw. gerechtfertigter Berichterstattung.101 Da sich die Medien damit den Text noch nicht zu eigen machen, fordern sie zwar nicht selbst auf, sind folglich nicht Täter des § 111. Es kommt aber strafbare Beihilfe der Verantwortlichen zu einem Vergehen nach § 111 in Betracht, wenn eine von einem Fernsehteam eigens aufgenommene Erklärung des Organisators einer Blockadeaktion, die zu einer gewalttätigen Demonstration aufruft, ausgestrahlt würde, ohne dass sich der Sender distanzierte oder die Aufforderung nach journalistisch anerkannten Maßstäben begleitend kommentierte.

h) Unbestimmter Personenkreis. Die Aufforderung muss sich nach h. M. an einen unbe- 29 stimmten, nicht individualisierten Personenkreis richten,102 sie darf die Adressaten nicht in deren Individualität ansprechen. Für die Abgrenzung dürfte die Unüberschaubarkeit der Auswirkungen der Aufforderung und die mangelnde Möglichkeit weiterer Einflussnahme des Auffordernden ein Hinweis sein. Im Rahmen größerer Aktionen (Volkszählungsboykott, Aufrufe zu Gehorsamsverweigerung und Verlassen der Truppe) wird der Auffordernde in der Regel die Diskussionsteilnehmer an einem Informationsstand oder die ein Flugblatt entgegennehmenden Passanten nicht als konkrete Einzelpersonen, sondern als anonyme Teile der Zielgruppe oder als Personen ansprechen, über die ein Weiterwirken der Argumente und Parolen erhofft wird. Auch bei einem größeren Adressatenkreis kann es indes an der bei § 111 vorausgesetzten Unbestimmtheit mangeln, wenn der angesprochene Personenkreis z. B. aufgrund seiner Funktion bestimmbar ist.103 Falls die Möglichkeit der Tatbegehung nur bei einer der angesprochenen Personen vorliegt oder vorliegen kann, steht das der Anwendbarkeit des § 111 nicht entgegen, falls der Auffordernde den Täter nicht selbst konkret bestimmt.104 Wendet sich der Auffordernde an eine individuelle, bestimmte Einzelperson, so ist § 111 auch dann nicht anwendbar, wenn die Aufforderung in der Öffentlichkeit oder einer Versammlung erfolgt. Das gilt selbst dann, wenn die weiteren Voraussetzungen einer strafbaren Anstiftung (§§ 26, 30) nicht vorliegen, weil es z. B. an einer hinreichenden Konkretisierung der angesonnenen Tat mangelt oder erfolglos zu einem Vergehen aufgefordert wird. Insoweit kann nicht auf die Vorschrift des § 111 zurückgegriffen werden.105 Es fehlt dann an der typischen Gefährdung des allgemeinen Rechtsfriedens, welche über diejenige einer Einzeltat hinausreicht (Rdn. 5 f.). Der mögliche Adressatenkreis grenzt die Aufforderung i. S. d. § 111 und die Anstiftungs- 30 handlung i. S. d. § 26 voneinander ab. Die Anstiftung richtet sich an eine bestimmte Person oder

100 OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2003 327, 328. 101 Vgl. Willms JR 1984 121; auch BGHSt 29 258, 269. 102 Bosch MK Rdn. 11; M. Heinrich HK-GS Rdn. 13; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 5; Wolters SK Rdn. 8; M. Heinrich HK-GS Rdn. 13; Sch/Schönke/Eser Rdn. 4; Stockmann BB 1978 1188, 1190; vgl. auch E 1962 Begr. zu § 292 S. 464; undeutlich Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3 einer- und Rdn. 4 andererseits. 103 Rudolphi RdA 1987 160, 163. 104 Sch/Schröder/Eser Rdn. 4. 105 Fischer Rdn. 3; vgl. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Rogall GA 1979 11, 17; aA offenbar Baumann/Weber/Mitsch § 30 Rdn. 58; Bosch MK Rdn. 11. 653

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

an einen individuell bestimmbaren Personenkreis,106 die Aufforderung hingegen ist an einen unbestimmten, individuell nicht überschaubaren Personenkreis gerichtet. So ist nicht nach § 111, sondern als Anstiftung zur – indes zweifelhaften – Nötigung die Aufforderung an die studentischen Teilnehmer eines „Go-in“ zu beurteilen, die Mitglieder des Universitätskonvents zwecks Anhörung einer Resolution am Verlassen der Aula zu hindern.107 31 Vereinzelt wird die Aufforderung an eine bestimmte Person oder einen bestimmbaren Personenkreis zur Begehung nicht konkretisierter Taten (z. B. Tötungen) unter § 111 subsumiert.108 Andere wollen die Fälle der Aufforderung an einen unbestimmten Personenkreis zu einer konkretisierten Tat zugleich als Anstiftung und als Aufforderung nach § 111 bestrafen.109 Diese Abweichungen führen zu Unschärfen der Grenzziehung. Eine tatbestandliche Überschneidung mit der Anstiftung erscheint nach h. M. praktisch nur denkbar, wenn z. B. in einer Versammlung zugleich bestimmte und unbestimmte Adressaten angesprochen werden.110

2. Handlungsformen der Aufforderung 32 Die Aufforderung muss öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Tonträgern, Abbildungen oder Darstellungen geschehen. Diese drei Handlungsformen erfassen in ihrem Zusammenspiel den Einsatz aller Medien in ihren spezifischen Wirkungsweisen. Das gilt für die Medien mit nicht verkörperter audieller und visueller Wirkungsweise (Internet) wie für die nicht an die Übergabe bzw. Weitergabe einer Schrift etc. gebundenen Arten der Verbreitung (Plakatanschlag); sie sind der öffentlichen bzw. quasi-öffentlichen Begehungsweise zuzuordnen.111 Das rein visuelle Wahrnehmbarmachen und die bloße verbale Wiedergabe bei nicht-öffentlicher Zugänglichkeit sind tatbestandlich unbeachtlich; es fehlt insoweit an dem die strafrechtliche Erfassung begründenden Gefährlichkeitsmoment.

33 a) Öffentliche Aufforderung. Öffentlich ist die Aufforderung dann, wenn sie von einer tatsächlich vorhandenen größeren, zahlenmäßig unbestimmten Anzahl individuell nicht bestimmter Personen wahrgenommen werden kann.112 Das Merkmal „öffentlich“ bezieht sich wesentlich auf die Art der Begehung. Es ist daher ohne Belang, ob die Aufforderung an einem öffentlichen oder nichtöffentlichen Ort erfolgt.113 Die Öffentlichkeit besteht in der Unbestimmtheit des angesprochenen Personenkreises, an den die Aufforderung ergeht. Maßgeblich ist, dass der Wirkungsbereich der Aufforderung nicht übersehen werden kann und die Äußerung wegen mangelnder Überschaubarkeit des potentiellen Täterkreises und der dem Auffordernden entglittenen Steuerungsmöglichkeit besonders gefährlich erscheint. Öffentliche Aufforderungen sind etwa denkbar bei Wahlkundgebungen, öffentlichen Diskussionen u. ä., durch Verteilen von Flugblättern an Passanten114 oder durch Plakatanschlag an allgemein zugänglichen Orten. Bei dem Anschlagen eines Plakates ist entscheidend, dass es mit dem die Aufforderung zur Begehung von Straftaten enthaltenden Teil dem Anblick potentieller Betrachter allgemein zugänglich gemacht wird. An der Öffentlichkeit der Aufforderung fehlt es indes mangels unmittelbarer Wahrnehmungsmöglichkeit selbst dann, wenn eine Broschüre mit einer derart beanstandeten 106 107 108 109 110 111 112 113 114

Sch/Schröder/Heine/Weißer § 26 Rdn. 18 u. Sch/Schröder/Eser Rdn. 1; Rogall GA 1979 11, 16 f. Vgl. BGH 2 StR 699/77 v. 15.3.1978. Vgl. Bosch MK Rdn. 11. Dreher FS Gallas 323 f. Wolters SK Rdn. 8, 16; Rogall GA 1979 11, 18. Franke GA 1984 452, 457 f., 460 f. Vgl. RGSt 3 361, 362; 37 289, 290; 72 67; 73 90; OLG Karlsruhe NStZ 1988 416, 417; M. Heinrich HK-GS Rdn. 15. RGSt 63 431, 432; 65 112, 113. Franke GA 1984 452, 460.

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 111

Passage in einem Buch- und Zeitschriftenstand zum Verkauf ausliegt, solange der Inhalt nicht unmittelbar wahrgenommen werden kann.115 Anders kann es sich je nach Einzelfallgestaltung verhalten, wenn die Broschüre aufgeschlagen ausliegt und die Seiten mit der Aufforderung zur Straftatbegehung jedermann ins Auge springen. Freilich fehlt es dann regelmäßig an der Aufforderung (Rdn. 26). Ob die Möglichkeit besteht, dass eine unbestimmte Anzahl von Personen die Aufforderung 34 wahrnehmen, ist nach den Erfahrungen des täglichen Lebens zu beurteilen. Dabei müssen, soll nicht der Begriff der Öffentlichkeit überspannt werden, Möglichkeiten ausscheiden, die erfahrungsgemäß nicht Wirklichkeit werden, deren Verwirklichung vielmehr nur durch besondere, ungewöhnliche Umstände herbeigeführt wird. Die Anwesenheit Unbeteiligter, von denen die Weitergabe der Äußerung erwartet werden kann, genügt bei verbaler Aufforderung, so z. B. bei Aufforderung zu militärischer Gehorsamsverweigerung.116 Öffentliche Begehung ist zu verneinen, wenn die Aufforderung tatsächlich oder nach dem Willen des Animierenden beschränkt war oder beschränkt bleiben sollte und nur einer einzelnen Person oder einem engeren, durch besondere wechselseitige Beziehungen der Einzelnen gekennzeichneten, abgeschlossenen Kreis kundgetan wird. Äußerungen gegenüber einem solchen Personenkreis sind selbst dann nicht öffentlich, wenn der Täter mit der Weitergabe seiner Äußerung an die Öffentlichkeit rechnet (vgl. jedoch Rdn. 43). Öffentlich handelt ferner nicht, wer sich nacheinander gegenüber einer unbestimmten Anzahl einzelner Personen äußert.117

aa) Fallbeispiele. Der Handlungsform der öffentlichen Aufforderung sind beispielsweise zu- 35 zuordnen: Aufforderung durch Plakatanschlag, wenn sich der Anschlag an einer allgemein zugänglichen Stelle befindet (OLG Karlsruhe, Urt. v. 6.7.1989 – 1 Ss 60/89);118 Anschlagen plakativer Druckschriften, Zeitungen oder Flugblätter an einen Bauzaun;119 Anbringung eines Aufrufs an eine Reklamesäule;120 Schaufensteraushang einer schriftlichen Aufforderung;121 Verteilen von Flugblättern an Passanten auf einem Marktplatz;122 Anbringen eines auffälligen Aufklebers mit auffordernder Parole an einen PKW im Straßenverkehr;123 Aufsprühen von Parolen mit Aufforderungscharakter auf allgemein zugängliche Glasfronten und Häuserwände124 oder mittels roter Leuchtfarbe auf die Rückseite von Schilderbrücken über der Autobahn;125 verbale Aufforderung durch Aufrufe an einem Informationsstand (VGH Mannheim, Beschl. v. 15.5.1987 – 5 S 1110/87); Aufrufe bei Umzügen und Demonstrationen mit Auftakt- und Schlusskundgebung;126 Aufforderung durch Lautsprecher an allgemein zugänglichen Plätzen;127 durch Rap, also Sprechgesang auf der Bühne;128 bei Einsatz von Piratensendern.129

115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 655

KG JR 1984 249. Vgl. Rogall KK-OWiG § 116 Rdn. 20. Sch/Schröder/Eisele § 184 Rdn. 47; aA Schroeder GA 1964 231. Erbs/Kohlhaas/Senge OWiG § 116 Rdn. 7. Vgl. LG Berlin StV 1982 472. Vgl. BayObLG NJW 1979 2162. Sch/Schröder/Eisele § 184 Rdn. 47. OLG Karlsruhe Die Justiz 1989 66; vgl. BVerfG JR 1991 13. Vgl. OLG Frankfurt NJW 1984 1128; Bottke JR 1983 300. BGH NJW 1984 1631. Vgl. BGHSt 33 16. OVG Koblenz NJW 1987 2250. Samson JZ 1969 261; Sch/Schröder/Eisele § 184 Rdn. 47. LG Mainz NJW 2000 2220. Wolters SK Rdn. 8. Rosenau

§ 111 StGB

Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

36 bb) Rundfunk, Fernsehen, Presse. Für die Art und Weise der öffentlichen Kundgabe einer strafrechtlich relevanten Aufforderungserklärung kommen mangels gesetzlicher Eingrenzung alle Medien in Betracht, mittels derer ein Gedankeninhalt sinnlich wahrnehmbar gemacht werden kann.130 Die öffentliche Aufforderung kann über Rundfunk und Fernsehen erfolgen,131 z. B. die Propagierung von Betriebsbesetzungen durch Erklärungen im Rundfunk.132 Sie kann auch mittels der Presse begangen werden. Öffentlich ist die Aufforderung strafbaren Inhalts mit ihrer tatsächlichen Veröffentlichung in dem Presseorgan.133 Ihre bloße Mitteilung an die Zeitungsredaktion zum Zwecke der Veröffentlichung vermag das Merkmal der Öffentlichkeit noch nicht zu begründen. In der Rechtsprechung wird etwa die Veranlassung einer Veröffentlichung der Aufforderung strafbaren Inhalts als Anzeige in einer Zeitung als öffentliche Aufforderung gekennzeichnet.134 Ferner wird eine öffentliche Aufforderung bejaht, wenn die Aufforderungserklärung gegenüber einem Journalisten abgegeben wird und dieser die Aufforderung in der Zeitung veröffentlicht.135 In Fällen letzterer Art bestimmt sich die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die objektiv veranlasste öffentliche Aufforderung maßgeblich nach der subjektiven Tatseite. Bei nicht wörtlicher Wiedergabe einer Pressemitteilung mit Aufforderungscharakter durch das Presseorgan wird indes eine öffentliche Aufforderung des Verfassers der Pressemitteilung verneint.136

37 cc) Bildschirmtext, Internet. Eine öffentliche Aufforderung kann auch über das Medium des Bildschirmtextes als „elektronischer Zeitung“137 begangen werden, wobei die strafbaren Erklärungen zum Abruf gespeichert und für alle Teilnehmer am Bildschirmtext jederzeit abrufbar sind.138 Die abrufbereiten Äußerungen sind hier einem großen, individuell nicht feststehenden oder jedenfalls durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis zugänglich. Der damit begründete Öffentlichkeitsbegriff setzt nicht voraus, dass eine Mehrzahl von Personen dieselbe Information gleichzeitig abruft. Gleiches gilt für die Verbreitung von Aufforderungen im Internet139 und den sozialen Medien (Facebook,140 Instagramm, Twitter). Sofern eine unbestimmte Anzahl von Nutzern Zugriff hat, sind dort abgelegte Informationen öffentlich, selbst wenn Zugangskontrollen vorgesehen sind.141 Für Chatrooms gilt prinzipiell nichts anderes, soweit sich der Chatter an einen unbestimmten Personenkreis im Chatroom und nicht unmittelbar an ein bestimmtes, anonymisiertes Gegenüber wendet.142 Chatrooms kommen nur dann in Betracht, wenn der Teilnehmerkreis nicht mehr überschaubar ist. Das ist ab zehn Personen noch nicht der Fall (vgl. Rdn. 40).143 Sobald eine Zugangskontrolle und -beschränkung erfolgt, scheitert hieran das Merkmal der Öffentlichkeit nicht,144 genauso wenig wie an der bei Facebook erforderlichen Mitgliedschaft.145

130 Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 4; Franke GA 1984 452, 458 f. 131 Erbs/Kohlhaas/Senge OWiG § 116 Rdn. 7; Göhler/Gürtler OWiG § 116 Rdn. 5; Rogall KK-OWiG § 116 Rdn. 20; Willms JR 1984 121; Sch/Schröder/Eisele § 184 Rdn. 47. 132 Rudolphi RdA 1987 160, 162. 133 Vgl. OLG Stuttgart NJW 1972 2220, 2221. 134 OLG Karlsruhe NStZ 1988 416, 417; OLG Frankfurt a. M. StV 1990 209, 210. 135 OLG Karlsruhe Die Justiz 1991 200. 136 OLG Frankfurt a. M. StV 1990 209, 210. 137 Ladeur NJW 1986 2749. 138 Walther NStZ 1990 524. 139 Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 4; Kraft/Meister MMR 2003 366, 372. 140 Ostendorf/Frahm/Doege NStZ 2012 529, 532; Heinze ZStW 126 (2014) 866, 898. 141 Sieber JZ 1996 494, 495 f.; Walther NStZ 1990 524. 142 Bosch MK Rdn. 18 m. w. N. 143 Bock/Harrendorf ZStW 126 (2014) 337, 350 f.; vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 10. 144 Bock/Harrendorf ZStW 126 (2014) 337, 350; SSW/Fahl Rdn. 4, aA Kasiske GA 2016 756, 764. 145 Ostendorf/Frahm/Doege NStZ 2012 529, 532. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 111

b) In einer Versammlung. Neben die öffentliche Tatbegehung tritt als gleichgestellte Bege- 38 hungsform die Aufforderung in einer Versammlung. Der Versammlungsbegriff ist nicht unumstritten und wird teilweise unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der anzuwendenden Normen146 (im GG, dem VersG, §§ 80a, 86a und 90) unterschiedlich weit gefasst und ist für § 111 selbständig zu bestimmen.147 Der Begriff der Versammlung setzt eine räumlich zu einem bestimmten Zweck vereinigte Personenmehrheit voraus, die eine nicht allzu kleine Zahl von Personen umfasst148 und nach h. M. durch eine gemeinsame Meinungsbildung oder -äußerung charakterisiert ist.149 Das Tatbestandsmerkmal in einer Versammlung überschneidet sich mit der öffentlichen 39 Tatbegehung. Eine eigenständige Funktion kommt dem Versammlungsmerkmal deshalb nur zu, soweit es über den Öffentlichkeitsbegriff hinausreicht. Daher sind der Gesetzessystematik folgend auch die Fälle erfasst, in denen wegen des geschlossenen Charakters der Veranstaltung (Betriebsversammlung, Mitgliederversammlung eines Vereins u. dgl.)150 die öffentliche Tatbegehung zweifelhaft sein kann.151 Der quasi-öffentliche Begehungscharakter der Aufforderung in einer Versammlung, der nach den gesetzgeberischen Intentionen die gesetzliche Gleichstellung rechtfertigt, ist darin zu sehen, dass sich der Auffordernde allgemein an eine solche Personenmehrheit wendet und schon dadurch die typische, den Strafgrund bildende Gefahr für den Gemeinfrieden schafft. Die Annahme, dass geschlossene Versammlungen von § 111 nicht erfasst seien, ließe sich nur halten wenn dem Merkmal der Versammlung lediglich Klarstellungsfunktion zukäme. Der Gesetzestext gibt dafür allerdings keinerlei Anhaltspunkte her. Die quantitativen Anforderungen an die eine Versammlung bildende Personenmehrheit 40 werden unterschiedlich beurteilt. Während es nach einer Ansicht auf die Größe der Versammlung nicht ankommt,152 wird von anderen einschränkend eine „Vielzahl“ von Personen153 vorausgesetzt. Dieser Auffassung ist beizupflichten. Zwar führt sie zu einer unterschiedlichen Auslegung des Begriffs der Versammlung in § 90 und § 111, was aber in der Konsequenz der tatbestandsspezifischen Definition liegt (Rdn. 38). Der Fortfall des zusätzlichen Attributs „vor einer Menschenmenge“ mit dem Entwurf 1962 im Zuge der Angleichung des § 111 an § 292 E 1962 weist lediglich darauf hin, dass damit vor allem die nichtöffentlichen Versammlungen einbezogen werden sollten (vgl. E 1962 Begr. S. 344). Insofern wird das Merkmal bei einer einschränkenden Auslegung der Versammlung mitnichten überflüssig.154 Die Notwendigkeit einer schwer zu überblickenden Personenvielfalt (wenn nicht unbedingt einer unübersehbaren Anzahl i. S. einer Menschenmenge) folgt dem Telos der Norm, die gesteigerte Gefährlichkeit für den Rechtsfrieden gegenüber der Anstiftungssituation zu pönalisieren und korreliert im übrigen mit den Kautelen der Aufforderung, welche sich an eine unbestimmte Personenmehrheit richten muss.155 Richtet sich die Aufforderung nur an einzelne, aber bestimmte Versammlungsmitglieder, so greift § 111 also mangels der vorausgesetzten, typischen Gefährlichkeit nicht ein, und zwar auch dann nicht, wenn die Voraussetzungen der §§ 26, 30 nicht erfüllt sind.

146 Vgl. OLG Köln MDR 1980 1040; OLG Düsseldorf GA 1981 521; Franke NStZ 1984 127. 147 Bosch MK Rdn. 20; vgl. OLG Koblenz MDR 1981 600 zu § 86a; Sch/Schröder/Eser § 111 Rdn. 7 einerseits, Sch/ Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 90 Rdn. 5 andererseits. 148 RGSt 21 71, 73; vgl. auch Zöller SK § 90 Rdn. 4; Göhler/Gürtler OWiG § 116 Rdn. 6. 149 Dietel/Gintzel Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 10. Aufl. (1991) § 1 Rdn. 163; Broß DVBl. 1981 208 f.; OLG Düsseldorf JR 1982 299 m. Anm. Merten; OLG Köln MDR 1980 1040 zu § 106a a. F. 150 Für den Bezug des Merkmals auf geschlossene Veranstaltungen ebenso Fischer Rdn. 5; Wolters SK Rdn. 8; Erbs/ Kohlhaas/ Senge Rdn. 8 und Rogall KK-OWiG Rdn. 21 jew. zu § 116 OWiG; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 7–10. 151 RGSt 57 343, 344. 152 v. Bubnoff LK11 Rdn. 14; Fischer Rdn. 5. 153 Bosch MK Rdn. 17; Wolters SK Rdn. 8; Paeffgen NK Rdn. 24; Rogall KK-OWiG § 116 Rdn. 21; Sch/Schröder/Eser Rdn. 7-10. 154 Verfehlt Dreher FS Gallas 314. 155 Rdn. 29; i. E. wie hier Bosch MK Rdn. 21; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 93 I Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 24. 657

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§ 111 StGB

Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

41 c) Verbreiten von Schriften. Als dritte Handlungsform kommt das Verbreiten von Schriften hinzu. Eine Überschneidung der Begehungsvarianten ist insoweit möglich, als diese Form wie bei dem Verteilen von Flugblättern an Passanten156 öffentlich oder durch Schriftenübergabe in einer nichtöffentlichen Versammlung erfolgt.

42 aa) Schriftenbegriff. Der Begriff der Schriften steht stellvertretend für die in § 11 Abs. 3 genannten Gegenstände bzw. Darstellungsmedien. Mit dieser Verweisung wird die Verbreitung durch Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen tatbestandlich miterfasst. Für diesen Sammelbegriff ist es unerheblich, ob die Wahrnehmung unmittelbar oder nur durch den Einsatz technischer Hilfsmittel möglich ist. Einbezogen sind demnach CDs, Schallplatten, Tonbänder, auch kombinierte Ton-Bild-Träger wie DVDs, Videobänder für Videorecorder und ähnliche Kassetten für privates Fernsehen.157 Abbildungen sind z. B. Dias, Photos und Filmstreifen. Die Darstellung erscheint als Oberbegriff der übrigen Verbreitungsmedien.158

43 bb) Verbreiten. Der Bereich der Schriftenverbreitung gewinnt praktische Bedeutung, soweit er nicht bereits von den beiden anderen Handlungsformen erfasst wird, bei der nichtöffentlichen Übergabe von Schriften außerhalb von nichtöffentlichen Versammlungen.159 Schriften und diesen gleichgestellte Darstellungen (§ 11 Abs. 3) verbreitet, wer sie einem größeren, individuell nicht feststehenden Personenkreis zugänglich macht.160 Ein Verbreiten ist hingegen bei einem Adressatenkreis zu verneinen, der nach Zahl, Individualität oder gemeinschaftlicher beruflicher Funktion bestimmt ist. Das gilt etwa, wenn der Verfasser das Schriftstück strafbaren Aufforderungsinhalts einem abgegrenzten Kreis von Redakteuren einer bestimmten Zeitung zuleitet;161 im Falle eines Zeitungsabdrucks kommt hier jedoch öffentliche Tatbegehung in Betracht (Rdn. 36). Das Verbreiten setzt nach herkömmlichem Verständnis eine besondere Art des Zugänglichmachens der Schrift voraus, und zwar in ihrer Substanz, nicht nur dem Inhalt nach.162 Verbreiten ist daher nur die mit einer Gewahrsamsübertragung, d. h. einer körperlichen Weitergabe verbundene Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Schrift gegenständlich, also nicht nur durch bloße Bekanntgabe ihres Inhalts einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen.163 Verbreitungsarten, die nicht an die körperliche Übergabe der Schrift gebunden sind, etwa die Inhaltswiedergabe durch Vorlesen oder das visuelle Wahrnehmbarmachen bei Plakatanschlägen, Aufkleber an Fahrzeugen (s. Rdn. 35) usw. werden von der dritten Handlungsvariante entsprechend nicht erfasst. Soweit sie nicht den beiden anderen Begehungsalternativen unterfallen, sind sie tatbestandlich irrelevant. Die Aushändigung einer Schrift an eine einzelne Person kann indes genügen, wenn damit gerechnet wird, dass sie die Schrift nicht vertraulich behandeln, sondern weiteren noch unbekannten Personen zugänglich machen werde.164 Eine mit der Aushändigung verbundene Absicht ist hier nicht vorauszusetzen (Rdn. 66). Unter den genannten Voraussetzungen kann auch ein Verleihen genügen.165 Wird die Schrift einem bestimmten

156 OLG Karlsruhe Die Justiz 1989 66. 157 OLG Düsseldorf NJW 1967 1142; LG Duisburg NStZ 1987 367; Franke GA 1984 452, 455. 158 Zur Zusammenfassung der Darstellungsmedien unter dem Schriftenbegriff vgl. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 116 ff.; Franke GA 1984 452, 454 ff.; Walther NStZ 1990 523 f. 159 Franke GA 1984 452, 460. 160 BGHSt 13 257, 258; 18 63, 64; OLG Hamburg JR 1983 298, 299; OLG Düsseldorf NJW 1974 1474, 1475. 161 Vgl. OLG Frankfurt StV 1990 209. 162 Hilgendorf LK § 11 Rdn. 122. 163 OLG Frankfurt NJW 1984 1128; StV 1990 209; OLG Hamm NStZ 1989 578, 579; Franke GA 1984 452, 459 ff. 164 BGHSt 16 63, 71; krit. Franke GA 1984 467 ff. 165 BGHSt 13 257, 258. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 111

Empfänger unter dem Vorbehalt noch auszuhandelnder Bedingungen für eine Verbreitung übersandt, so liegt eine straflose Vorbereitungshandlung vor; wie bei der Zusendung eines Manuskripts an den Verleger zwecks bloßer Prüfung einer etwaigen Veröffentlichung.166 Tatvollendung setzt voraus, dass mindestens eine Schrift in den Einfluss- bzw. Wahrnehmungsbereich eines Empfängers gelangt ist, von dem aus nach der Vorstellung des Täters mit einer nicht mehr kontrollierbaren Weitergabe zu rechnen ist. Zu beachten ist, dass die Definition des Zugänglichmachens im Rahmen der neuen elektro- 44 nischen Medien und damit der Verbreitungsbegriff Modifikationen unterliegen. Der BGH hat die Datenübermittlung im Internet als Verbreiten qualifiziert, obgleich von körperlicher Übergabe schlecht gesprochen werden kann. Wenn aber die strafbaren Inhalte auf dem Computer des Internetnutzers im Arbeitsspeicher oder einem anderen dauerhaften Speichermedium angelangt sind, ist das Merkmal erfüllt.167

cc) Gegenbeispiele. Nach vorstehenden Abgrenzungskriterien ist kein Verbreiten von 45 Schriften: das Vorrätighalten zwecks Verbreitung; das offene Anbieten zum Kauf bzw. Auslegen zum Verkauf;168 Plakatanschläge;169 das Anbringen und Mitführen eines Aufklebers am PKW;170 das bloße wörtliche Vorlesen aus einer Druckschrift oder das Abspielen eines Tonträgers;171 mangels Gewahrsamsübertragung am Datenträger das Zugänglichmachen einer Aufforderung zu Straftaten über das Medium des Internets; dieses Verhalten ist indes als öffentliche Aufforderung erfassbar.172 Kein Verbreiten liegt auch im Verfassen einer Pressemitteilung vor, deren Inhalt die Leser nur durch sinngemäße Wiedergabe über einen Zeitungsartikel zur Kenntnis nehmen.173 d) Abgrenzung zur Anstiftung. Die Art und Weise sowie die Mittel der Tatveranlassung 46 können zwar bei Aufforderung und Anstiftung in wesentlichen Bereichen übereinstimmen. Jedoch ergeben sich aus den spezifischen Merkmalen des Aufforderungsbegriffs und der damit verknüpften unmittelbaren Motivierungstendenz mit Appellcharakter hinsichtlich der Einwirkungsmittel Beschränkungen. Der Begriff des Aufforderns stellt sich als Form des Bestimmens zu einer Tat im Sinne des § 26 dar, ist jedoch enger174 als der Begriff der Anstiftung. Das Auffordern setzt eine stärkere gedankliche Beziehung zwischen Agitator und den Empfängern der Kundgabe voraus.175 Die Anstiftung erfasst weitergehend jede Form der psychischen Beeinflussung,176 nach darüber hinausgehender Auffassung jede Art der Verursachung des Tatentschlusses,177 auch bloß befürwortende Äußerungen, Anreizungen, Formen des scheinbaren Abratens, der provokativen oder wahrheitswidrigen Schilderung von Ereignissen, das Schaffen einer pro-

166 167 168 169 170

BGH MDR 1966 687. BGHSt 47 55, 59 f.; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 11 m. w. N. zur Problematik. KG JR 1984 249; dazu Rdn. 26 und 33. BayObLG NJW 1979 2162; aA BGHSt 19 308, 310 zu § 93; s. indes Rdn. 35 zur möglichen öffentlichen Begehung. Vgl. OLG Hamburg NStZ 1983 127 m. Anm. Franke NStZ 1984 126 u. Bottke JR 1983 300; auch OLG Hamm NStZ 1989 578, 579. 171 BGHSt 18 63, 64; 19 308, 310; OLG Frankfurt NJW 1984 1128; Erbs/Kohlhaas/Senge OWiG § 116 Rdn. 14. 172 Rdn. 37; vgl. anders BGHSt 47 55, 59 f.; Rdn. 44. 173 OLG Frankfurt StV 1990 209. 174 Rdn. 17; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 3; Wolters SK Rdn. 7. 175 Rdn. 17; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 93 Rdn. 1. 176 Vgl. Lackner/Kühl/Heger § 26 Rdn. 2 m. w. N. 177 Hoyer SK § 26 Rdn. 5; Herzberg Täterschaft S. 53, 146. 659

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§ 111 StGB

Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

vozierenden Situation und sonstige nur mittelbare Einwirkungen. Solche Einwirkungsformen umfasst dagegen die Aufforderung nicht.178

3. Tatbestandserfolg 47 a) Rechtswidrige Tat. Bezugsgegenstand der Aufforderung ist eine rechtswidrige Tat. Hierzu rechnen nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 nur solche Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen, also strafrechtlich sanktioniert sind.

48 aa) Vorsatztat. Die Aufforderung muss sich – entsprechend der gesetzlichen Regelung – auf die rechtswidrige Verwirklichung eines Straftatbestandes richten, die jedoch nicht notwendig schuldhaft zu sein braucht. Diese letztere Erweiterung ist jedoch praktisch ohne Bedeutung. Sie würde nur den Fall treffen, in dem sich der Auffordernde ausschließlich an Schuldunfähige wendet, eher ein reiner „Kathederfall“.179 Jedoch muss es sich bei der Tat, zu der aufgefordert wird, um eine vorsätzliche Tat handeln.180 Es gilt auch hier das Prinzip der limitierten Akzessorietät;181 insoweit kommt der in der Aufforderung enthaltene, anstiftungsähnliche Charakter zum Tragen und wirkt sich die Verwandtschaft zur Anstiftung aus.182 Eine Aufforderung zu fahrlässigen Taten wäre schon begrifflich nicht denkbar. In der Konsequenz der Anlehnung an die Anstiftung unterfällt dem Tatbestand auch eine Aufforderung zu einem erfolgsqualifizierten Delikt i. S. des § 18 oder zu einer Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination i. S. d. § 11 Abs. 2.183 Das Ergebnis wird derjenige bezweifeln wollen, der die Janusköpfigkeit des § 111 verneint und die Norm nicht anstiftungsähnlich sieht. Die Rechtsfolgenanordnung des Absatzes 1 „wie ein Anstifter“ lässt sich aber wie eine gesetzliche – und damit in Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG unbedenkliche – Analogie zu den Teilnahme-Regeln verstehen. Tatbestandserheblich sind alle angesonnenen Handlungen, die in Bundes- oder Landesge49 setzen mit Strafe bedroht sind, also sowohl Verbrechen als auch Vergehen. Über § 111 Abs. 2 ist auch die erfolglose Aufforderung zu Vergehen unter Strafe gestellt, die in § 30 nicht erfasst wird. Das ist durch die gesteigerte Gefährlichkeit gerechtfertigt, die der Aufforderung unter den besonderen Umständen des § 111 innewohnt. Die Aufforderung nach § 111 ist auch möglich zu solchen Straftaten, deren Tatbestand selbst in einem Auffordern besteht (§ 130 Abs. 1 Nr. 1).184 Eine Strafbarkeit wegen Aufforderung zu einer nach § 111 strafbaren Aufforderung zu Hausfriedensbrüchen käme etwa in Betracht, wenn aufgrund gewerkschaftlicher Erklärungen über bestimmte Kampfmaßnahmen die zuständigen Funktionäre eine rechtswidrige Betriebsbesetzung185 beschließen und die jeweiligen Arbeitnehmer sodann dazu unmittelbar aufrufen würden.186

178 Rogall GA 1979 11, 15 f.; ders. KK-OWiG § 116 Rdn. 8 f.; Rudolphi RdA 1987 160, 162; Kostaras S. 147, 151; aA Wolters SK Rdn. 7.

179 Bosch MK Rdn. 12; Horstkotte Prot. VI/366. 180 Geppert GedS Meurer 322; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eser Rdn. 12; aA OLG Hamm JMBlNRW 1963 212. 181 Dazu Schünemann LK Vor § 26 Rdn. 18. 182 Bosch MK Rdn. 12; Paeffgen FS Hanack 613. 183 Wolters SK Rdn. 5. 184 Vgl. RGSt 23 172, 73. 185 OLG Hamm JMBlNRW 1952 12. 186 Vgl. Rudolphi RdA 1987 160, 163 f., der hier Anstiftung erwägt. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 111

bb) Ordnungswidrigkeit. Der Anwendungsbereich des § 111 hat sich mit der Beseitigung der 50 Übertretungen und deren Umwandlung in Ordnungswidrigkeiten verkleinert. Die Aufforderung zur Begehung einer Ordnungswidrigkeit oder zu einer Handlung, die nur eine Dienstoder Ordnungsstrafe zulässt, fällt – wie sich schon aus der gesetzlichen Begriffsbestimmung der rechtswidrigen Tat in § 11 Abs. 1 Nr. 5 ergibt – nicht unter § 111. Die öffentliche Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten wird von der – durch das EGStGB als Ersatzvorschrift eingeführten – Bestimmung des § 116 OWiG erfasst, die eine dem § 111 entsprechende Funktion im Ordnungswidrigkeitenrecht erfüllt.187 Anders als bei § 111 Abs. 2 wird jedoch in § 116 OWiG wegen Fehlens von erhöhten Mindestgeldbußen nicht zwischen erfolgreicher und erfolgloser Aufforderung unterschieden.

cc) Auslandsbezug. Die angesonnene Tat muss im Hinblick auf das Rechtsgut des inneren 51 Gemeinschaftsfriedens eine sein, die im Geltungsbereich des Strafgesetzbuches begangen werden soll;188 § 111 zählt somit zu den Delikten mit tatbestandsimmanenter Beschränkung auf das Inland (Vor § 110 Rdn. 5). Die Aufforderung zu solchen Taten kann jedoch auch an potentielle Adressaten außerhalb dieses Geltungsbereichs gerichtet sein, z. B. an vom Ausland her agierende extremistische Gruppierungen. Bei Aufforderung zu den in § 91 genannten Straftaten werden Verbreitungshandlungen aus dem räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuchs vorausgesetzt (Prot. V/1920).

dd) Ausbleiben des Erfolges. Für den Begriff der Aufforderung kommt es nicht darauf an, ob 52 ein Erfolg eingetreten ist; ist der Erfolg ausgeblieben, so ist es unerheblich, aus welchem Grund das geschah, ob etwa die Aufgeforderten der Aufforderung nicht Folge leisten konnten oder nicht wollten. Der Eintritt oder Nichteintritt des Erfolges ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

ee) Unterlassung, Teilnahme- und Vorbereitungshandlungen. Unerheblich ist, ob es sich 53 bei der angesonnenen Tat um eine solche im Sinne eines Verbots- oder Gebotsgesetzes handelt.189 Auch die Aufforderung zu strafbaren Teilnahme- oder Vorbereitungshandlungen (z. B. § 83) werden von der Vorschrift erfasst. Im Rahmen einer Aufforderung zur Anstiftung gelten die Grundsätze zu § 30 entsprechend; jedoch ist insoweit gegenüber den Fällen der sog. Kettenanstiftung unter dem Gesichtspunkt der Friedensgefährdung als Strafgrund des § 111 eine gewisse Einschränkung geboten. § 30 erfasst sowohl den Fall der Anstiftung zur versuchten Anstiftung wie die erfolglos versuchte Anstiftung zur Anstiftung.190 Eine strafbare Aufforderung nach § 111 dürfte demgegenüber voraussetzen, dass ein Aufgeforderter zumindest versucht hat, einen Dritten zu einer rechtswidrigen Tat zu bestimmen.191 Bei der bloßen erfolglosen Aufforderung zur Anstiftung erscheint vom Strafgrund des § 111 her gesehen eine Strafwürdigkeit nicht gegeben; hier ist die maßgeblich gefährliche, bei quasi-öffentlicher Begehung eine mögliche Friedensgefährdung kennzeichnende unmittelbare Einwirkung auf potentielle Täter noch nicht erfolgt. Bei erfolgreicher Aufforderung zu Beihilfe (etwa zum Landfriedensbruch durch Zurverfü- 54 gungstellung von geeigneten Gerätschaften, Waffen etc.) sind die Grundsätze der Anstiftung zur

187 188 189 190 191 661

SSW/Fahl Rdn. 3; Rogall KK-OWiG § 116 Rdn. 1; Stockmann BB 1978 1188 ff. Bosch MK Rdn. 12; Fischer Rdn. 4; aA Wolters SK Rdn. 5. RGSt 4 106, 108. Vgl. auch BGH NJW 1960 1163, 1164; Jescheck/Weigend AT S. 703 ff.; Maurach JZ 1961 143. Sch/Schröder/Eser Rdn. 14. Rosenau

§ 111 StGB

Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

Beihilfe192 heranzuziehen (Strafmilderung §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 entsprechend).193 Ein derartiger Fall liegt auch bei der Aufforderung zur Unterstützung des Betriebs eines ungenehmigten Senders durch Lieferung von Sendebeiträgen bzw. Zurverfügungstellung von Kassetten und sonstigem Sendematerial vor.194

55 b) Fallgestaltungen. Als konkrete Fallgestaltungen des § 111 werden erörtert: Aufrufe zu Sachbeschädigung durch Abschneiden der Kennnummern des Volkszählungs-Fragebogens, § 303 (Rdn. 15); der Aufruf zur Nichterfüllung der in § 12 VZG 1987 begründeten, verfassungsrechtlich sanktionierten195 Auskunftsverpflichtung, die gemäß §§ 15, 23 BStatG196 bußgeldbewehrt ist,197 wird von § 116 OWiG erfasst; Aufforderung zum Sabotieren von Fahrpreiserhöhungen durch Schwarzfahren, § 265a;198 Aufforderung zur Beseitigung öffentlich angeschlagener dienstlicher Schriftstücke, § 134.199 Aufforderung, ein Vergehen nach § 129 zu begehen, z. B. in Bekennerschreiben, Kampfaufrufen etc.;200 Aufruf zu unfriedlicher Demonstration mittels einer am Schreibtisch abgegebenen, vom Fernsehen aufgenommenen und ausgestrahlten Erklärung, § 125;201 Aufruf zu gewalttätigen Boykottaktionen, §§ 125, 240; vgl. Startbahn-West-Fall,202 in dem wegen Mitbeherrschung des Tatgeschehens durch den Auffordernden eine täterschaftliche Beteiligung an den angesonnenen Taten angenommen wurde; Aufrufe zu Betriebsbesetzungen durch die Arbeitnehmer als Kampfmaßnahme gegen Aussperrungen durch Arbeitgeber, § 123:203 Aufrufe an Armeeangehörige zur Verweigerung des dienstlichen Einsatzes in Krisengebieten, eher nicht strafbar nach § 111 in Verbindung mit §§ 16, 19 WStG, soweit an deutsche Soldaten und Rekruten gerichtet, und in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 des Vierten StRÄndG i. d. F. des Art. 147 EGStGB (BGBl. 1974 I S. 576 f.),204 soweit als potentielle Adressaten nichtdeutsche Angehörige der NATO-Streitkräfte angesprochen werden; dagegen nicht schon die bloß spekulative Befürwortung von Fahnenflucht für den Fall einer künftigen – den Einsatzbereich der Bundeswehr erweiternden – Verfassungsänderung.205

56 c) Konkretisierungsanforderungen an die Tat. Die rechtswidrige Tat, zu der aufgefordert wird, muss hinreichend bestimmt bezeichnet und festgestellt sein. Die Vorschrift des § 111 erfasst aber nicht nur die an einen unbestimmten Personenkreis gerichtete Aufforderung zur Begehung einer in Einzelheiten konkret abschließend bestimmten Tat. Vielmehr sind an die Konkretisierung unter Berücksichtigung von Strafgrund und gewisser tatbestandlicher Eigenständigkeit des § 111 geringere Anforderungen zu stellen als bei der Anstiftung. Allerdings darf andererseits nicht außer Betracht bleiben, dass der Auffordernde – wie die Bezugnahme in § 111 Abs. 1 auf die Anstiftung zeigt – nach dem Strafrahmen der angesonnenen Tat zu bestrafen ist. Auch die Strafdrohung für die erfolglose Aufforderung (Absatz 2) enthält trotz weitgehender Verselbständigung – wie Satz 2 zeigt – noch eine beschränkte Beziehung zum Strafrahmen der 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205

Vgl. Jescheck/Weigend AT S. 697; Hoyer SK § 26 Rdn. 32. Sch/Schröder/Eser Rdn. 14. OLG Karlsruhe NStZ 1985 78; BayObLG MDR 1984 685. BVerfG NJW 1990 3139. Zur Reichweite der Bußgelddrohung BayObLGSt 1988 58, 61. OLG Frankfurt NStZ 1989 127; OLG Karlsruhe NStZ 1988 416, 417. OLG Köln MDR 1983 338. OLG Karlsruhe Die Justiz 1991 200. Offen gelassen in BGHSt 31 16, 22; vgl. auch BGHSt 36 363. Vgl. Willms JR 1984 121. BGH NJW 1984 931, 935; BVerfG NJW 1991 91. Vgl. Rudolphi RdA 1987 160, 161 f. Schölz WStG § 16 Rdn. 35. OLG Karlsruhe NStZ 1993 389, 391.

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II. Objektiver Tatbestand

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auszuführenden Tat. Die Mindestanforderungen an die Konkretisierung haben sich also daran zu orientieren, dass § 111 eine – wenn auch schmale – Verbindung zur animierten, im Falle des Absatzes 1 verwirklichten Tat voraussetzt. Den unterschiedlichen Gesichtspunkten wird Rechnung getragen, wenn die angesonnene Tat jedenfalls ihrer Art und ihrem rechtlichem Wesen nach gekennzeichnet ist.206 Eine Bestimmung der Tat nach Zeit, Ort, konkretem Objekt oder Tatopfer,207 subjektiven Elementen (z. B. §§ 211, 242)208 und sonstigen tatsächlichen Umständen ist auch in den Umrissen nicht erforderlich.209 Ausreichend ist z. B., wenn in den Formen des § 111 aufgerufen wird, Kaufhäuser anzuzün- 57 den, Banken zu plündern, eine prominente Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zu ermorden oder zu entführen, Asylanten, wo immer möglich, zu misshandeln u. ä. Hinreichend bestimmt ist auch der Aufruf an die Arbeitnehmer zu Betriebsbesetzungen im Falle einer Aussperrung. Die auffordernde Hetze in Parolen und öffentlicher Rede wird sich häufig nur in einer allgemeinen Kennzeichnung der Opfergruppe und bildhafter Andeutung des Delikttypus objektivieren. Das ist ausreichend,210 jedenfalls dann, wenn das erwartete Verhalten als Straftat einer bestimmten Art erkennbar ist. Nach obiger Grenzziehung wird dagegen die allgemein gehaltene Aufforderung zur Begehung irgendwelcher Straf- oder Gewalttaten schlechthin von § 111 nicht erfasst. Im Gegensatz dazu braucht in § 130 Abs. 1 Nr. 1 nicht zu einer bestimmten Tat aufgefordert zu werden. Bloßen „Mubahala“-Verwünschungsformeln, mit denen ein Islamkritiker stigmatisiert werden soll („Dann möge der allmächtige Schöpfer ihn für sein Verbrechen bestrafen“), erfüllen die Anforderungen an die konkreten Straftaten, zu denen aufgerufen wird, hingegen nicht.211 Ob schon die Aufforderung zum bloßen Ungehorsam gegen eine bestimmte, nur nach ih- 58 ren abstrakten Tatbestandsmerkmalen gekennzeichnete Strafnorm ausreicht,212 erscheint zweifelhaft. Zumindest wird dies von der Art der Straftat abhängen. So dürfte bei der Aufforderung zum Widerstand gegen die Staatsgewalt, die eine weite Skala von Möglichkeiten ganz unterschiedlichen Gewichts umfasst, jedenfalls die Kennzeichnung vorauszusetzen sein, welcher Art von Amtshandlungen Widerstand geleistet werden soll.213 Die Parole „Leistet Widerstand!“ ist auch deshalb zu unbestimmt, weil die Widerstandsvorschrift des § 113 Gewalt oder Drohung mit Gewalt als Tatmittel voraussetzt.214 Nicht hinreichend bestimmt ist ferner die Aufforderung zu „Festen, die die Stadt erzittern lassen“215 oder „dem Frankfurter Flughafen einen Besuch abzustatten“. Indessen braucht sich die Kennzeichnung der Straftat, zu der aufgerufen wird, nicht allein und erschöpfend aus der Äußerung als solcher zu ergeben; sie kann sich auch in ihrem aktualitätsbezogenen Äußerungszusammenhang aufgrund der Begleitumstände hinreichend erschließen. So ist der Blockadeaufruf „ab 12.30 Uhr bis 22.00 Uhr ist morgen der Flughafen dicht“ im Rahmen einer bestimmten Großaktion gegen eine Flughafenerweiterung zumindest als Aufforderung zu strafbarer Nötigung hinreichend bestimmt.216 Der Aufruf zu „Demonstrationen, die ihnen die nackte Furcht lehren werden“ ist als Aufforderung zu gewalttätigem Landfriedensbruch nicht hinreichend bestimmt.217 „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft“ mag im Umfeld vorangegangener gewalttätiger Auseinandersetzungen politischer Gruppierungen den nötigen 206 RGSt 65 200. 207 AA BGHSt 32 310, 312; auch BGHSt 31 16, 22; Sch/Schröder/Eser Rdn. 13, die eine Opferkennzeichnung in allgemeinen Wendungen fordern.

208 Dreher FS Gallas, S. 318; Nehm JR 1993 122. 209 RGSt 65 200, 202; Bloy JR 1985 207; Herzberg JuS 1987 618; Wolters SK Rdn. 20; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Rogall GA 1979 11, 17; auch KG JR 1971 255; aA LG Lübeck StV 1984 207. 210 Herzberg JuS 1987 618. 211 OLG Oldenburg NJW 2006 3735, 3736; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. 212 Bejahend Dreher FS Gallas 307, 318; Fischer Rdn. 4b. 213 Vgl. auch RGSt 39 387. 214 Wolters SK Rdn. 20. 215 Vgl. LG Berlin StV 1982 472. 216 Vgl. BGH NJW 1984 931, 934; BVerfG NJW 1991 91, 93. 217 Wolters SK Rdn. 20; LG Berlin StV 1982 472; aA v. Bubnoff LK11 Rdn. 23. 663

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

Bestimmtheitsgrad aufweisen.218 Jedenfalls ist dann, wenn Aufrufe mehrere naheliegende Deutungen zulassen, nach dem in dubio pro reo-Grundsatz die straffreie Variante zu Grunde zu legen.219 59 Bei Aufrufen zu Sitzdemonstrationen (Sitzblockaden) stellt das BVerfG hohe Konkretisierungsanforderungen auf.220 Die vom BVerfG zu § 240 Abs. 2 herausgestellten Feststellungs- und Beurteilungskriterien einer Blockadenötigung (BVerfGE 73 206, 257, 260 f.; 76 211, 217) können nicht einfach unter Hinweis auf den unterschiedlichen tatbestandlichen Charakter des § 111 beiseite geschoben werden.221 Zutreffend weist Bosch darauf hin,222 dass sich das Unrecht der Nötigung durch die Verwerflichkeit erst konstituiert und entsprechend niemand zu einer Straftat auffordert, der nicht auch selbst Umstände im Auge hat, die in ihrer Gesamtschau die Verwerflichkeit begründen.223 Die ein solches Urteil tragenden Komponenten müssen hinreichend bereits bei der Aufforderung konturiert sein. Zu nennen sind Dauer und Intensität der angesonnenen Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten Betroffener, Sachbezug des Auffordernden zum Protestgegenstand, Zahl der Aufgeforderten, Dringlichkeit der blockierten Geschäfte, Absichten des Auffordernden.224 Wer zu bloßen Sitzblockaden auffordert, fordert darüber hinaus nicht zu Gewalt225 und schon deshalb nicht zur strafbaren Nötigung auf.226 Für Online-Blockaden gilt nichts anderes, so dass die Aufforderung zu shitstorms nicht unter § 111 fällt.227 Das Rechtsgut des Gemeinschaftsfriedens (Rdn. 5) wird durch beiderlei Blockaden nicht berührt. Wenn im Rahmen des § 111 damit jongliert wird, dass die Umstände der konkreten Durchführung der Sitzblockade für den Auffordernden spekulativ bleiben müssten und er deren Auswirkungen nicht steuern könne,228 äußert sich darin das Unbehagen einer Strafjustiz, die – wie schon bei der bedenklichen, eine Strafbarkeit konstruierenden „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH229 – ihren Frieden mit gewaltlosen Widerstandsformen in der postmodernen Gesellschaft nicht gefunden hat.230

60 d) Erfolg (Absatz 1) und Kausalität. Die Vorschrift des § 111 trifft eine Unterscheidung danach, ob die Aufforderung Erfolg hatte oder erfolglos war; im einen Falle tritt die Bestrafung nach Absatz 1, im anderen nach Absatz 2 ein. Der Fall der erfolgreichen Aufforderung setzt die Feststellung des kausalen Zusammenhangs zwischen der Aufforderung und der Tat nach den allgemeinen Grundsätzen voraus. Wie sich schon aus dem Begriff der Aufforderung ergibt (vgl. Rdn. 17), genügt anders als bei § 26 nicht jede Art der Beeinflussung. Vielmehr muss die Aufforderung als solche Ursache der verwirklichten Tat sein. Es ist zwar nicht erforderlich, dass der Täter die Aufforderung selbst vernommen hat; jedoch muss er zumindest durch Dritte Kenntnis von der Aufforderung erhalten haben. Dagegen ist nicht ausreichend, dass die Tat Folge der durch die Aufforderung hervorgerufenen, allgemeinen Aufregung war.231 Im Hinblick auf die 218 Vgl. RGSt 51 200. 219 Bosch MK Rdn. 14. 220 3. Kammer des 1. Senates, NStZ 1991 279 = JR 1991 13, 15 m. krit. Anm. Glaeser; NJW 1992 2689; s. a. Nehm JR 1993 121 f. v. Bubnoff LK11 Rdn. 23; Otto BT § 63 Rdn. 65: vgl. Nehm JR 1993 121 f. Bosch MK Rdn. 15. I.E. zustimmend auch Paeffgen NK Rdn. 15 Fn. 55; M. Heinrich HK-GS Rdn. 11. BVerfG NStZ 1991 279. Vgl. BVerfGE 91 1, 17 f. OLG Frankfurt a. M. MMR 2006 547, 550 f. OLG Frankfurt a. M. MMR 2006 547, 550 f; aA Gercke MMR 2006 493. Zu § 111 i. V. m. § 303a vgl. Kelker GA 2009 88, 89 ff. 228 BayObLGSt 1992 15 ff. = JR 1993 117 m. Anm. Nehm. 229 BGHSt 41 182 ff. 230 Vgl Nehm JR 1993 120: „mit unverhohlenem Widerwillen“. 231 Dreher FS Gallas, S. 307, 327; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; aA RGSt 57 285.

221 222 223 224 225 226 227

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II. Objektiver Tatbestand

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unterschiedlichen Strafdrohungen ist im strafgerichtlichen Urteil die Mitteilung unerlässlich, ob die Aufforderung befolgt worden oder ohne Erfolg geblieben ist. War die Aufforderung von Erfolg begleitet, so ist der Auffordernde wie ein Anstifter zu 61 bestrafen. Die Strafdrohung richtet sich unverändert nach der für den Anstifter (§ 26) vorgesehenen Strafe, d. h. der Auffordernde unterliegt der vollen Täterstrafe (vgl. aber Rdn. 54 für den Fall der Aufforderung zur Beihilfe). Die Aufforderung hat Erfolg, wenn ein Aufgeforderter die ihm angesonnene rechtswidrige Tat begangen oder die Einwirkung zumindest zu einem strafbaren Versuch geführt hat. Im Falle eines strafbefreienden Rücktritts eines Aufgeforderten lässt der nur diesem zukommende persönliche Strafaufhebungsgrund232 die Haftung des Auffordernden nach Absatz 1 unberührt. § 111 enthält eine eigene, selbständige Straftat, deren Urheber als Täter dieses Delikts, 62 nicht als Teilnehmer der infolge der Aufforderung von anderen begangenen, strafbedrohten Handlungen bestraft wird, und zwar nicht als Anstifter, sondern wie ein Anstifter. Jedoch bedingt die enge Anlehnung an § 26, dass sich die Deliktsqualifikation (§ 12) bei § 111 Abs. 1 nach der Tat richtet, zu der aufgefordert worden ist. Von § 111 werden auch dem Fall des agent provocateur vergleichbare Fallgestaltungen 63 erfasst; ein auf Tatvollendung gerichteter Wille wird nicht vorausgesetzt (Rdn. 66).233 Das ist durch die Erwägung gerechtfertigt, dass mit der Erreichung potentieller Adressaten der Aufforderung die für § 111 spezifische Gefahr (vgl. Rdn. 5) eintritt. Dreher234 will derartige Fälle nach den Grundsätzen der nicht ernst gemeinten Aufforderung (vgl. Rdn. 22 f.) behandelt sehen.

e) Erfolglose Aufforderung (Absatz 2). Die Regelung des Absatzes 2, die den Fall der erfolg- 64 losen Aufforderung erfasst, greift ein, wenn es aus irgendwelchen Gründen nicht einmal zu einer strafbaren Vorbereitungs- oder Versuchshandlung gekommen ist, wenn der Aufgeforderte schon von sich aus zur Begehung der Tat entschlossen war235 oder es sonst an der Kausalität der Aufforderung für die begangene Tat mangelt; ferner, wenn die begangene Tat von der in der Aufforderungserklärung objektivierten Vorstellung des Auffordernden qualitativ erheblich abgewichen ist.236 Einzubeziehen ist auch der Fall, dass dem Aufgeforderten entgegen der Vorstellung des Auffordernden bei der Tatbegehung ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht.237 Absatz 2 erfüllt eine ähnliche Funktion wie § 30 gegenüber § 26. Für den Fall der erfolglosen Aufforderung sieht Absatz 2 eine eigenständige Strafdro- 65 hung – Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe – vor. Diese Regelung ist bedeutsam für die Fälle der erfolglosen Aufforderung zu Taten, die mit einer erhöhten Mindeststrafe oder einem fünf Jahre übersteigenden Höchstmaß bedroht sind. In Fällen, in denen für das angesonnene Delikt zeitige Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren angedroht wird, ist die Strafe im Höchstmaß weiter begrenzt: Die Strafe darf nicht schwerer sein als die für den Fall der erfolgreichen Aufforderung angedrohte und nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 geminderte Strafe; es darf also höchstens auf drei Viertel des für das vollendete Delikt angedrohten Höchstmaßes erkannt werden (vgl. Bericht 14. StRÄndG BTDrucks. 7/4549 S. 8; Prot. 7/2247).238 Insoweit findet auch bei der erfolglosen Aufforderung trotz an sich eigenständiger Strafdrohung das Anstiftungselement mit der es kennzeichnenden Beziehung zur angesonnenen Tat zugunsten des Auffordernden beschränkt Berücksichtigung. Die erfolglose Aufforderung trägt Vergehenscharakter. Bei der konkreten 232 Vgl. Jescheck/Weigend AT S. 548. 233 So auch Fischer Rdn. 6; Wolters SK Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Plate ZStW 84 (1972) 294, 303; aA Sch/ Schröder/Eser Rdn. 17. Dreher FS Gallas 307, 313. RGSt 65 200, 202. Vgl. Wolters SK Rdn. 17. Sch/Schröder/Eser Rdn. 21; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 93 Rdn. 9. Laufhütte MDR 1976 445.

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

Strafbemessung innerhalb des von Absatz 2 abgegrenzten Strafrahmens wird sich der durch die Höhe der Strafdrohung bestimmte Stellenwert der angesonnenen Tat im allgemeinen Strafrahmengefüge als Orientierungsmaßstab anbieten.239

III. Subjektiver Tatbestand 66 Für den inneren Tatbestand ist Vorsatz erforderlich; bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz muss sich insbesondere auch auf die Modalitäten der Tatbegehung (öffentlich) usw. erstrecken. Er muss sich auf eine hinreichend bestimmte sowie vorsätzliche Tat des Aufgeforderten beziehen, braucht jedoch nicht auf Tatvollendung der animierten Tat gerichtet sein.240 Der Auffordernde braucht die Tat nicht ernstlich zu wollen; er muss jedoch zumindest billigend in Kauf nehmen, dass seine Aufforderung ernst genommen wird.241 Dolus eventualis ist sowohl hinsichtlich der Modalität der Tatbegehung als auch hinsichtlich des Gegenstands der öffentlichen Aufforderung, der angesonnenen Tat, ausreichend.242 Die abweichende Auffassung, die hinsichtlich der Begehung der rechtswidrigen Tat durch einen anderen einen zielgerichteten Willen (dolus directus 1. oder 2. Grades) des Auffordernden verlangt,243 findet in § 111 keine ausreichende Stütze.244 Weder der Gesetzeswortlaut noch die Auslegung der Vorschrift ergeben, dass bzgl. der Deliktsverwirklichung eine besonders qualifizierte Form der Willensrichtung vorliegen müsse.245 Der Vorsatz, der dem eines Anstifters gleichzustellen ist, erfordert keine Kenntnis der Strafrechtswidrigkeit der angesonnenen Tat; es genügt, dass der Auffordernde sich des tatsächlichen Inhalts seiner Aufforderung bewusst ist.246 Ein Irrtum über die Umstände, die für die Rechtswidrigkeit der Haupttat maßgeblich sind, lässt den Vorsatz entfallen.247 Ein (Bewertungs-)Irrtum über die Rechtswidrigkeit der angesonnenen Tat als solche betrifft dagegen lediglich das Unrechtsbewusstsein und ist Subsumtionsirrtum (Verbotsirrtum)248 und schließt nicht den Vorsatz aus (Rdn. 69). Im Übrigen kommt einem Irrtum des Auffordernden Bedeutung nach den allgemeinen, zu § 16 entwickelten Grundsätzen zu.

IV. Rechtswidrigkeit 67 Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe werden bei einer Tat nach § 111 keine praktische Bedeutung erlangen. Auch der rechtfertigende Gesichtspunkt der prozessual zulässigen Verteidigung bzw. des Verteidigungszusammenhangs249 wird zur Rechtfertigung einer Aufforderung nach § 111 allenfalls ausnahmsweise in Betracht kommen.250 Prozesserklärungen eines Angeklagten, die Aufrufe zu rechtswidrigen Taten enthalten, überschreiten in der Regel den Rahmen zulässiger Verteidigung. Ihr imperativer Charakter deutet darauf hin, dass sie nicht der Rechtfer239 240 241 242

Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 21. Wolters SK Rdn. 9; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 17. OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2003 327, 328; Rdn. 22. SSW/Fahl Rdn. 9; Fischer Rdn. 6; M. Heinrich HK-GS Rdn. 22; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; vgl. OLG Karlsruhe Die Justiz 1991 200 für eine öffentliche Aufforderung zur Verletzung amtlicher Bekanntmachungen; OLG Celle NJW 1988 1101, 1102; OLG Karlsruhe Die Justiz 1989 65; Geerds JR 1988 436 für Aufrufe zur Beschädigung von Volkszählungsbögen. 243 Sch/Schröder/Eser Rdn. 17. 244 So nun auch OLG Celle NStZ 2013 720, 722; Ostendorf/Frahm/Doege NStZ 2012 529, 532. 245 Vgl. Fischer § 15 Rdn. 5. 246 Vgl. Fischer Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6. 247 AG Tiergarten NStZ 2000 144, 146 mit Anm. Hussels NStZ 2000 650, 651; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 12. 248 Rdn. 69 – vgl. Busse NStZ 2000, 634; Dreher FS Gallas 307, 327; Welzel Strafrecht, S. 500. 249 Vgl. BGHSt 29 99, 105 ff. 250 BGHSt 31 16, 22 m. krit. Anm. Gössel JR 1983 118. Rosenau

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V. Schuld

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tigung begangenen Unrechts dienen, sondern auf Nutzung der Öffentlichkeitswirkung zielen und ohne jegliche Beeinträchtigung der Verteidigung unterbleiben können. Ob Fortsetzungsparolen strafbaren Inhalts,251 die werbenden Charakter für eine kriminelle Vereinigung (§ 129) enthalten, noch im rechtfertigenden Gesamtzusammenhang des Verteidigungsvorbringens gesehen werden können,252 erscheint jedenfalls zweifelhaft, wenn durch solche Prozesserklärungen weitere Straftatbestände wie §§ 111, 140 erfüllt werden. Aufforderungen zu rechtswidrigen Taten sind nicht schon dann straflos, wenn sie „im Rahmen“ sonst zulässiger Prozesserklärungen abgegeben werden.253 Derartige Aufforderungen nach § 111 überschreiten auch die Grenzen erlaubter Verteidigertätigkeit.254 Bei mit dem Mandanten abgesprochenen Pressemitteilungen des Verteidigers, die derart überzogene Prozesserklärungen wiedergeben, kommt im Falle ihrer Veröffentlichung Beihilfe zu einer strafbaren Aufforderung nach § 111 in Betracht (Rdn. 26).255 Abzulehnen sind Versuche, unmittelbar aus Art. 5 GG einen Rechtfertigungsgrund abzulei- 68 ten.256 Richtig ist indes, dass Freiheitsverbürgungen für die Anwendung des § 111 eine Rolle spielen, sei es, dass bei der Bewertung eines Verhaltens Berücksichtigung findet, dass harsche Willenskundgaben nicht zwingend zu einer Straftat auffordern wollen, sondern legitime Mittel im Meinungskampf, zumal bei grundlegenden, die Gesellschaft berührenden Fragen, darstellen können;257 sei es, dass die Beurteilung des Unrechtsbewusstseins vor der verfassungsrechtlichen Folie des Art. 5 Abs. 1 GG zu erfolgen hat (dazu Rdn. 69).

V. Schuld Für einen Verbotsirrtum ist kein Raum, wenn es sich bei der strafbaren Aktion, zu der aufgefor- 69 dert wird, um eine gezielte Normverletzung als Mittel der politischen Auseinandersetzung handelt. Die irrige Annahme des Auffordernden, das Verhalten, zu dem er aufgerufen hat, sei keine Straftat, betrifft lediglich das Unrechtsbewusstsein und kann nur einen Verbotsirrtum begründen.258 Bei breiter öffentlicher Diskussion der Strafrechtswidrigkeit der angesonnenen Tat und weitgehend geklärter Rechtslage (z. B. Volkszählungsboykott nach dem zweiten Volkszählungsgesetz 1987, Rdn. 15) wird in der Regel der Verbotsirrtum als vermeidbar angesehen werden können.259 Ist die Rechtslage aber diffus und nicht hinreichend geklärt, ist die Frage komplexer. Sie wurde bei Aufforderungen zur Fahnenflucht im Kosovo-Krieg aktuell, der ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates völkerrechtlich zumindest zweifelhaft war und als denkbarer Angriffskrieg auch keine Strafbarkeit der Fahnenflucht nach § 16 Abs. 1 bzw. § 19 Abs. 1 WStG hätte auslösen können (§ 22 Abs. 1 Satz 1 WStG). Entsprechend hätte die Agitation, sich als Soldat nicht am Jugoslawien-Krieg zu beteiligen, nicht zu einer Straftat aufgerufen.260 In solchen Situationen kann ein unvermeidbarer Verbotsirrtum angenommen werden. Bei zweifelhafter Sachlage kann den Betroffenen nicht zugemutet werden, auf politische Teilhabe an einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage zu verzichten,261 wobei mit Blick auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung schon in Frage steht, ob überhaupt eine Aufforderung zu einer Straftat, 251 252 253 254 255 256

BGHSt 31 16, 20 ff. So BGH 31 16, 22; aA Gössel JR 1983 119 f. Vgl. Rogall KK-OWiG § 116 Rdn. 30. BGHSt 32 243, 247; 29 106. AA BGHSt 31 16, 23. OLG Celle NStZ 2013 720, 722; LG Mainz NJW 2000 2220, 2221 zu Art. 5 Abs. 3 GG; Fischer Rdn. 5a; aA Kissel S. 235 ff., 265 ff. 257 Vgl. LG Berlin NJ 2000 660, 661 zum Kosovo-Krieg. 258 OLG Celle NJW 1988 1101, 1102. 259 Bosch MK Rdn. 31; Geerds JR 1988 436. 260 Vgl. eingehend Busse NStZ 2000 631 ff.; Jahn KJ 2000 492; LG Berlin NJ 2000 660, 661; offengelassen durch KG NJW 2001 2896 2897. 261 AA Busse NStZ 2000 634; Paeffgen NK Rdn. 37: bedingtes Unrechtsbewusstsein. 667

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§ 111 StGB

Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

nämlich der Desertion, anzunehmen ist oder nicht eher eine zugespitzte Form im Meinungskampf.262 70 Wenn der Auffordernde bei zutreffender Erfassung des Unrechtsumfangs seines Verhaltens irrig davon ausgeht, seine Tat sei eine Ordnungswidrigkeit, sein Verhalten sich indes als Straftat erweist, kommt ein Verbotsirrtum nicht in Betracht.263 Das ist etwa der Fall, wenn der Auffordernde die angesonnene Tat irrig als Ordnungswidrigkeit nach dem BStatG und nicht als eine strafbare Handlung nach § 303 ansieht, sein Verhalten also in Wahrheit nicht lediglich eine Ordnungswidrigkeit nach § 116 OWiG darstellt, sondern als strafbare Aufforderung nach § 111 erscheint.264

VI. Täterschaft und Teilnahme 71 Die Teilnahme an Taten nach § 111 Abs. 1 und Abs. 2 ist im Hinblick auf den eigenständigen Tatbestandscharakter dieser Vorschrift und deren Ausgestaltung als eigener Unrechtstyp möglich. Sie richtet sich nach den allgemeinen Regeln (§§ 26, 27).265 Paeffgen will mit dem kriminalpolitischen Einwand des übersetzten Strafrahmens die Beihilfe zu § 111 Abs. 2 von der Strafbarkeit ausnehmen.266 Der Hinweis auf § 30 gerät jedoch schief. Denn es geht nicht um die versuchte Beihilfe, die § 30 auch bei Verbrechen nicht kennt, sondern um die Beihilfe zum Versuch. Mit dem Gesetz lässt sich ein Abweichen von den allgemeinen Regeln nicht begründen. Soweit die Aufforderungsdelikte (§§ 111, 130) als Presseinhaltsdelikte begangen werden, kommt der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme besondere Bedeutung zu. Die pressestrafrechtlichen Sondertatbestände greifen nur ein, soweit eine Bestrafung als Täter oder Teilnehmer nach den allgemeinen Strafgesetzen wegen fehlender Voraussetzungen ausscheidet. Mittäterschaft kommt in Betracht bei gemeinschaftlicher Plakatierungsaktion;267 ferner im 72 Verhältnis zwischen (außen stehendem) Verfasser bzw. Einsender einer schriftlichen Aufforderung strafbaren Inhalts (z. B. Bekennerschreiben, Kampfaufrufe etc.) und dem jeweiligen Presseverantwortlichen (Herausgeber, Verleger, für die Veröffentlichung verantwortlicher Redakteur einer periodischen Druckschrift), vorausgesetzt, dass der unkommentierte Zeitungsbeitrag zugleich als eigene Meinungsäußerung der verantwortlichen Redaktionsmitglieder aufgefasst werden kann. Ist letzteres nicht nachweisbar, so ist der Verfasser bzw. Einsender als mittelbarer Täter (§ 25 Abs. 1 2. Alt., Begehung mittels der Presse), der verantwortliche Redakteur als Gehilfe des (außen stehenden) Verfassers strafbar (Rdn. 28). Hat der für die Veröffentlichung unmittelbar Verantwortliche im Falle einer Zeitungsanzeige mit strafbarer Aufforderung268 von dem strafbaren Inhalt fahrlässig keine Kenntnis genommen, so ist der Anzeigenaufgeber mittelbarer Täter, die Strafbarkeit des Redakteurs wegen fahrlässiger presserechtlicher Sorgfaltspflichtverletzung richtet sich nach dem pressestrafrechtlichen Sondertatbestand. z. B. des § 20 Abs. 2 LPG BW. Stellt ein Einsender der Redaktion einen selbstverfassten Artikel oder eine entsprechende Pressemitteilung strafbaren Aufforderungscharakters als Material zur Verfügung, die der verantwortliche Redakteur nach eigener Entschließung abändert und verarbeitet, so kommt bei dem Einsender in erster Linie Anstiftung oder u. U. auch Beihilfe zu dem Aufforderungsdelikt des Redakteurs in Betracht,269 soweit sich der abgedruckte Beitrag im wesentlichen im Rahmen der in der eingesandten Schrift objektivierten Vorstellung des Einsenders hält. Die Veröffentlichung 262 263 264 265 266 267 268 269

So mit guten Gründen LG Berlin NJ 2000 660, 661. Vgl. OLG Celle NJW 1987 78, 79; Herzberg GA 1993 439, 454; Lackner/Kühl § 17 Rdn. 2. OLG Düsseldorf MDR 1989 89. So zur Beihilfe BGHSt 29 258, 266 f.; Wolters SK Rdn. 12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9. Paeffgen NK Rdn. 45. Vgl. BGHSt 19 308, 310. OLG Karlsruhe NStZ 1988 416, 417. Vgl. OLG Frankfurt StV 1990 209; Löffler/Kühl LPG § 20 Rdn. 85.

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VIII. Konkurrenzen

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des Textes einer öffentlich gehaltenen Rede, die zu rechtswidrigen Taten auffordert, stellt sich für den Redner als neue oder fortgesetzte Tathandlung nach § 111 durch die abgesprochene öffentliche Verbreitung, für den Redakteur als Beihilfe hierzu dar.270 Der Drucker ist in der Regel, sofern er von dem Inhalt des Druckwerks überhaupt Kenntnis nimmt, unter Berücksichtigung der begrenzten betriebsinternen Verantwortung – vor allem für die drucktechnische Herstellung – lediglich als Gehilfe anzusehen.271 Insoweit bedarf es indes einer besonders genauen Prüfung der subjektiven Voraussetzungen strafbarer Beihilfe.

VII. Rücktritt Ein strafbefreiender Rücktritt ist nicht möglich.272 § 111 enthält keine Rücktrittsvorschrift. Das er- 73 scheint letztlich folgerichtig. Hebt man unter dem Gesichtspunkt der Friedensstörung auf eine gewisse Eigenständigkeit des § 111 ab, so könnte in dem späteren Widerruf schon deshalb kein Rücktritt gesehen werden, weil die Tat mit der Aufforderung und Kenntnisnahme durch einen Aufgeforderten vollendet ist. Räumt man dagegen dem Anstiftungselement den Vorrang ein und stellt auf eine Vergleichbarkeit mit der Gestaltung der Vorschrift des § 30 ab, so könnte bei § 111 Abs. 2 eine entsprechende Anwendung des § 31 erwogen werden.273 Eine solche Rücktrittsmöglichkeit wird jedoch in der Regel schon aus praktischen Gründen ausscheiden, weil der Auffordernde bei öffentlicher oder quasi-öffentlicher Begehung zu einer späteren Einflussnahme und Steuerungsmöglichkeit im Sinne einer Tatverhinderung gar nicht in der Lage ist (vgl. Reg. Entw. eines 13. StRÄndG BTDrucks. 7/3030 S. 7).274 Dieser letztere Gesichtspunkt war mitbestimmend für die Herabsetzung der Strafrahmenuntergrenze mit der Folge der gesetzlichen Verselbständigung des § 111 Abs. 2. Die entsprechenden Erwägungen gelten auch für die abweichende, weitergehende Auffassung von Wolters,275 nach der sich der Auffordernde in entsprechender Anwendung des § 24 Abs. 2 Straffreiheit verschaffen können soll, solange die angesonnene rechtswidrige Tat eines anderen nur bis zum strafbaren Versuch gediehen ist. Die über den hier konkret handelnden Anderen weit hinausgehende öffentliche bzw. quasi-öffentliche Einwirkung des Auffordernden ist vollendet, die ihr innewohnende Gefährlichkeit für den Rechtsfrieden hat sich in dem strafbaren Versuchshandeln manifestiert; für Rücktrittserwägungen ist kein Raum.

VIII. Konkurrenzen Werden infolge der Aufforderung mehrere strafbare Handlungen begangen, so ist dennoch nur 74 eine Tat im Sinne des § 111 Abs. 1 gegeben.276 Begeht der Auffordernde auch selbst die Tat, zu der er auffordert, tritt § 111 unbeschadet der zusätzlichen Rechtsgutbeeinträchtigung im Hinblick auf den inneren Gemeinschaftsfrieden als mitbestrafte Begleittat zurück.277 Soweit eine tatbestandliche Überschneidung mit der Anstiftung in Ausnahmefällen über- 75 haupt möglich erscheint, ist im Verhältnis zu §§ 26, 30 im Hinblick auf die Beeinträchtigung des

Vgl. Hanack LK11 § 140 Rdn. 35. Vgl. BGH NJW 1981 61, 63; Löffler/Kühl LPG § 20 Rdn. 92. Fischer Rdn. 8; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 19; Weidner S. 199; Prot. 7/2239. Bosch MK Rdn. 34; Paeffgen NK Rdn. 41; Sch/Schröder/Eser Rdn. 17. Dreher FS Gallas 307, 313. Wolters SK Rdn. 23. Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 146. Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 146; Fischer Rdn. 9; Schroeder Straftaten S. 30; offengelassen für § 129: BGHSt 31 16, 22; aA v. Bubnoff LK11 Rdn. 32.

270 271 272 273 274 275 276 277

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

zusätzlichen Rechtsguts in § 111 (Gemeinschaftsfrieden) Tateinheit anzunehmen.278 Solch eine Tateinheit mit §§ 26, 30 kommt in Betracht, wenn sich der Auffordernde zugleich an bestimmte und unbestimmte Adressaten wendet (Rdn. 9 ff.). Tateinheit ist möglich mit §§ 80a, 89 und 130 Abs. 2 Nr. 1.279 Auch mit § 125 (3. Alternative – 76 Einwirken auf eine Menschenmenge) ist Tateinheit möglich; jedoch tritt § 125 aufgrund der gesetzlichen Subsidiaritätsregelung zurück, wenn die Straftat, zu der aufgefordert wird, schwerer bestraft wird als der Landfriedensbruch (§ 125: „soweit die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwerer Strafe bedroht ist“). Ferner mit § 129, wenn der Auffordernde zur Begehung von die spezifischen Vereinigungszwecke kennzeichnenden und fördernden Straftaten öffentlich auffordert. Tateinheit mit § 130a kommt in Betracht, wenn die Anleitung im Sinne eines weitergehenden Angriffs auf das geschützte Rechtsgut (öffentlicher Frieden) über die Aufforderung hinausgeht; bei Deckungsgleichheit des Gegenstands der Anleitung und Aufforderung tritt § 130a zurück.280 Im Verhältnis zu § 111 gehen als lex specialis vor: §§ 52 Abs. 1 Nr. 4, 40 Abs. 1 WaffG – 77 Aufforderung zur Herstellung von Molotow-Cocktails etc.; § 23 VersG – Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten nach § 29 I Nr. 1, 3 VersG: Während die Teilnahme an einer untersagten oder aufgelösten Versammlung eine Ordnungswidrigkeit darstellt, wird bei der öffentlichen Aufforderung zu dieser Versammlung aus der lediglich akzessorischen Handlung eine Straftat.281

IX. Strafantrag, Verjährung 78 Eines Strafantrags oder der Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung bedarf es bei § 111 schon angesichts der zweifachen, zugleich auf den inneren Frieden der Gemeinschaft bezogenen Schutzrichtung (Rdn. 5) nicht, auch wenn zu Straftaten wie §§ 303, 223 aufgefordert wird, die ihrerseits nur bei Vorliegen einer dieser Voraussetzungen (§§ 303c, 230 Abs. 1) verfolgbar sind.282 Die Aufforderungsdelikte sind als Presseinhaltsdelikte begehbar.283 Gegebenenfalls richtet 79 sich die Verjährung nach den Pressegesetzen der Länder; s. Erl. zu § 78.

278 Dreher FS Gallas 307, 324; Fischer Rdn. 9; Kasiske GA 2016 756, 764; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 21; Sch/ Schröder/Eser Rdn. 23; aA Geerds JR 1988 435; Wolters SK Rdn. 16; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10; BGH 2 StR 699/77 v. 15.3.1978: Subsidiarität. 279 Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 11. 280 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm § 130a Rdn. 12; Rudolphi/Stein SK § 130a Rdn. 21; aA Rogall GA 1979 11, 21: generelle Subsidiarität. 281 Vgl. Kunert NStZ 1989 455. 282 OLG Stuttgart NJW 1989 1939, 1940; aA Wolters SK Rdn. 13 aufgrund der unterschiedlichen Rechtsgutbetrachtung. 283 Löffler/Kühl LPG § 20 Rdn. 54, vgl. Rdn. 27. Rosenau

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§ 112 weggefallen

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§ 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn 1. der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, 2. der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder 3. die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird. (3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig. (4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.

Schrifttum Amelung Die Rechtfertigung von Polizeivollzugsbeamten, JuS 1986 329; Backes/Ransiek Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, JuS 1989 624; Barton Widerstand gegen die Staatsgewalt, HdbStrafR (2019) § 20; Baumann/Frosch Der Entwurf eines 3. StrRG, JZ 1970 113, 117 ff.; Benfer Zum Begriff „Rechtmäßigkeit der Amtshandlung“ in § 113 III StGB, NStZ 1985 255; Bergmann Die Milderung der Strafe nach § 49 II StGB, zugl. ein Beitrag zu § 113 Abs. 4 StGB (1988); Börner Legendierte Polizeikontrollen aus der Perspektive des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, JZ 2018 870; Born Kann auf die Zuziehung von Zeugen bei der Durchsuchung durch Polizeibeamte (§ 105 Abs. 2 StPO) wirksam verzichtet werden? JR 1983 52; Bosch Der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) – Grundfälle und Reformansätze, Jura 2011 268; Caspari Gewalt gegen Polizeibeamte – Lösungen durch eine Reform des § 113 StGB? NJ 2011 318; Deiters Rechtsgut und Funktion des § 113 StGB, GA 2002 259; Denninger Polizei und demokratische Politik, JZ 1970 145; Dreher Das 3. StrRG und seine Probleme, NJW 1970 1153, 1156 ff.; ders. Die Sphinx des § 113 Abs. 3, 4 StGB, Gedächtnisschrift Schröder (1978) 359; ders. Nochmals zur Sphinx des § 113 StGB, JR 1984 401; Erb Notwehr gegen rechtswidriges Verhalten von Amtsträgern, Festschrift Gössel (2002) 217; ders. Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte: Strafschärfung als Kriminalpolitik? KriPoz 2018 48; Erichsen Polizeiliche Standardmaßnahmen, Jura 1993 45; Fahl Ist § 113 StGB i. V. m. § 114 StGB (noch) eine Privilegierung? ZStW 124 (2012), 311; ders. Die Änderungen durch das Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften aus rechtsdogmatischer Sicht, ZStW 130 (2018) 745; Falk Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – ein praxisbezogenes Forschungsprojekt (2000); Fallak Legale Illegalität – Überlegungen zur Abschaffungsreife der §§ 113-114 StGB (2017); Foth Anm. zum Beschluss des BVerfG vom 1.9.2008 – 2 BvR 2238/07, NStZ-RR 2009 138; Geerds Über strafprozessuale Maßnahmen, insbesondere Entnahme von Blutproben bei Verdacht der Trunkenheit am Steuer, GA 1965 321; ders. Einzelner und Staatsgewalt im geltenden Strafrecht (1969); Geppert Zum strafrechtlichen „Rechtmäßigkeits“-Begriff (§ 113 StGB) und zur strafprozessualen Gegenüberstellung, Jura 1989 274; Götz Die Entwicklung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts, NVwZ 1984 211; Günther Der Begriff der Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungshandlung, NJW 1973 311; Herzberg Der Privatdetektiv, JuS 1973 234; ders. Handeln in Unkenntnis einer Rechtfertigungslage, JA 1986 190; Hilger Neues Strafverfahrensrecht durch das OrgKG, NStZ 1992 457, 523; Hippel/Weiß Eingriffsqualität polizeilicher Observierungen, JR 1992 316; Hirsch Zur Reform der Reform des Widerstandsparagraphen (§ 113),

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Schrifttum

StGB § 113

Festschrift Klug (1983) 235; Hoffmann-Holland/Koranyi Rechtsgüterschutz durch Strafrechtsvereinfachung – Zu den Auswirkungen einer Streichung der §§ 113 f. StGB, ZStW 127 (2015) 913; Jellinek Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen (1908); Keller/Griesbaum Das Phänomen der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, NStZ 1990 416; Kleinknecht Die Anwendung unmittelbaren Zwangs bei der Blutentnahme, NJW 1974 2181; Knierim Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, Gesamtes Strafrecht aktuell (2018) 36; Kniesel Die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, NJW 1992 857; Koch/Wirth Anm. zum Beschluss des BVerfG vom 1.9.2008 – 2 BvR 2238/07, ZJS 2009 90; Kormann System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte (1910, Neudruck 1962); Krüger Neue Rechtsprechung und Gesetzgebung zum gefährlichen Werkzeug in §§ 113, 224, 244 StGB, JURA 2011 887; Küper Die „pflichtgemäße Prüfung“ bei der Zuziehung von Durchsuchungszeugen, NJW 1971 1681; ders. Die Bedeutung des § 105 II StPO für die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung (§ 113 III StGB), JZ 1980 633; ders. Tatbestandsgrenzen des Widerstandsdelikts (§ 113 I StGB) in dogmatischer Analyse, Festschrift Frisch (2013) 985; Kulhanek Gewaltsamer und tätlicher Widerstand – Eine systematische Betrachtung der neuen §§ 113, 114 StGB und ihres praktischen Kontexts, JR 2018 551; Lenk Der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte im grenzüberschreitenden Kontext, GA 2019 455; Lenz Die Diensthandlung und ihre Rechtmäßigkeit in § 113 StGB, Diss. Bonn 1987; Lisken Über Aufgaben und Befugnisse der Polizei im Staat des Grundgesetzes, ZRP 1990 15; Lüke Die Bedeutung vollstreckungsrechtlicher Erkenntnisse für das Strafrecht, Festschrift Arthur Kaufmann (1993) 565; Magnus Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften – zur Reform des §§ 113 ff. StGB, GA 2017 530; Maul Demonstrationsrecht und allg. Strafbestimmungen, JR 1970 81; Messer „Widerstand“ sinnvoll? – Stellungnahme zum Gesetzesentwurf zur Änderung des § 113 StGB, NKrimP 2011 2; Meyer Begriff der Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungshandlung, NJW 1972 1845; 1973 1074; Möbius Die Funktion des Straftatbestands des § 113, Diss. Regensburg 1985; Naucke Straftatsystem und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 3 und 4), Festschrift Dreher (1977) 459; ders. Die Duldungspflicht gegenüber rechtswidrigem hoheitlichen Handeln im Strafrecht (1996); Niehaus/Achelpöhler Anm. zum Beschluss des BVerfG vom 30.4.3007 – 1 BvR 1090/06, StV 2008 71; Oppe Rechtmäßige Amtsausübung bei Widerstand gegen die Vollstreckungshandlung, MDR 1961 196; Ostendorf Die strafrechtliche Rechtmäßigkeit rechtswidrigen hoheitlichen Handelns, JZ 1981 165; Paeffgen Allgemeines Persönlichkeitsrecht der Polizei u. § 113 StGB, JZ 1979 516; Pestalozza Die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung in § 113 StGB, DStR 1939 34; Plonka Zulässigkeit und Grenzen der Freiheitsentziehung und Durchsuchung bei der (allein) beabsichtigten Blutentnahme gem. § 81a StPO, PVT 1984 141; Puschke Gewalt und Widerstand gegen Polizeibeamte – Befunde und Diskurs, NKrimP 2013 28; ders. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 StGB – eine Privilegierung auch in der Praxis? Festschrift Eisenberg (2009) 153; ders./Rienhoff Zum strafrechtlichen Schutz von Polizeibeamtinnen und -beamten, JZ 2017 924; Rathgeber Individualrechtsschutz im Angesicht „erlebnisorientierter Gewalttäter“ KritV 2012 314; Rehbinder Die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung in § 113, GA 1963 33; Reil Die „wesentliche Förmlichkeit“ beim Rechtmäßigkeitsbegriff des § 113 III StGB, JA 1998 143; Reinhart Das Bundesverfassungsgericht wechselt die Pferde: Der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff, StV 1995 101; ders. Abschied vom strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff, NJW 1997 911; Rönnau/Hohn Notwehr gegen Hoheitsträger – ein neues Kapitel in der Geschichte des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs, StV 2016 313; Rogall Das Notwehrrecht des Polizeibeamten, JuS 1992 551; ders. Moderne Fahndungsmethoden im Licht gewandelten Grundrechtsverständnisses, GA 1985 1; Rostek Der unkritische Befehlsempfänger, NJW 1975 862; Roxin Der strafrechtliche Rechtswidrigkeitsbegriff beim Handeln von Amtsträgern – eine überholte Konstruktion, Festschrift Pfeiffer (1988) 45; Sander Können „unbeteiligte“ Dritte i. S. d. 113 Abs. 1 StGB Widerstand leisten? JR 1995 491; Sax Tatbestand und Rechtsgutverletzung, JZ 1976 9 ff., 15 ff., 80 ff., 429 ff.; Schall Gesetzliche Grundlagen der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung beim Widerstand gegen die Staatsgewalt, Diss. Heidelberg 1980; Schiemann Das Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, NJW 2017 1846; Schmid Schutzzweck und Stellung des § 113 StGB im System der Straftatbestände, JZ 1980 56; Schünemann Rundum betrachtet, JA 1972 703, 775; ders. Die Funktion der Abgrenzung von Unrecht und Schuld, in Schünemann u. Dias (Hrsg.) Bausteine des europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposium für Claus Roxin (1995) 149; Schumann Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der anderen (1986); H. Seebode Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung in § 113 Abs. 3 und 4 StGB (1988); M. Seebode Gezielt tödlicher Schuß, StV 1991 80; Seier Gesetzeseinheit und ihre Rechtsfolgen, Jura 1983 232; Singelnstein/Puschke Polizei, Gewalt und das Strafrecht – Zu den Änderungen beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, NJW 2011 3473; Simon Anm. zum Beschluss des BVerfG vom 1.9.2008 – 2 BvR 2238/07, NStZ 2009 83; Steinberg/Zetzmann/Dust Strafrahmenerhöhung bei § 113 StGB, JR 2013 7; Steinke § 163 Abs. 1 StPO, eine Generalermächtigung für polizeiliche „Eingriffe“? MDR 1980 456; Stöckel Ungeklärte Notwehrprobleme beim Widerstand gegen die Staatsgewalt, JR 1967 281; Stratenwerth Verantwortung und Gehorsam (1958); Stree Zu OLG Frankfurt NJW 1987 389 – Vollstreckungstätigkeit, JuS 1988 187; Thiele Zum Begriff der Rechtmäßigkeit bei § 113 Abs. 3 StGB, JR 1975 353; ders. Verbotensein und Strafbarkeit des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, JR 1979 397; Triffterer Zur subjektiven Seite der Tatbestandsausschließungs- und Rechtfertigungsgründe, Festschrift Oehler (1985) 209; ders. Ein rechtfertigender (Erlaubnistatbestands-)Irrtum? Irr-

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§ 113 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

tumsmöglichkeiten beim polizeilichen Einsatz und deren dogmatische Einordnung, Festschrift Mallmann (1978) 373; Vitt Gedanken zum Begriff der „Rechtmäßigkeit der Diensthandlung“ bei § 113 StGB, ZStW 106 (1994) 581; Wagner Die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung, JuS 1975 224; ders. Amtsverbrechen (1975); Wania Grundfragen der Irrtumsregelung in § 113 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 StGB (2017); Warda Irrtumslehre 3, Jura 1979 113; Weber Grundgesetz und formeller Rechtmäßigkeitsbegriff – BVerfGE 92, 191, JuS 1997 1080; Welp Der Amtsträgerbegriff, Festschrift Lackner (1987) 761; Werle Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, JuS 1993 935; Zimmermann Anm. zum Beschluss des OLG Hamm vom 3.5.2009 – 3 Ss 180/09, JR 2010 361; Zöller/Steffens Grundprobleme des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) JA 2010 161; Zöller Neue Straftatbestände zum Schutz vor Gewalt gegen Polizeibeamte, ZIS 2015 445; ders. Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften durch das Strafrecht? – Überlegungen zum 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs, KriPoZ 2017 143; Zopfs Der „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ als privilegierte Form der „Nötigung“ oder der „Körperverletzung“? GA 2000 527; ders. Das 44. Strafrechtsänderungsgesetz – ein „gefährlicher Eingriff“ in § 113 StGB? GA 2012 259. Vgl. weiter die Vorbemerkung zum 6. Abschnitt.

Entstehungsgeschichte § 113 ist durch das 3. StrRG neu gefasst worden.1 Im Anschluss an die Beratungen der Großen Strafrechtskommission sah der E 1962 in den §§ 418 und 419 von dem Widerstandsbegriff ab und wollte einerseits die Nötigung zur Vornahme sowie andererseits die Nötigung zur Unterlassung einer Diensthandlung bestrafen, ohne besonders auf einen Vollstreckungsbeamten abzustellen. Der tätliche Angriff sollte ebenso wie früher erfasst werden (§ 419 Abs. 3); infolge der geänderten Begriffsbestimmung erwies es sich als notwendig, den Versuch in die Strafbarkeit einzubeziehen (§§ 418 Abs. 2 und 419 Abs. 2); besonders schwere Fälle, für die Regelbeispiele aufgestellt wurden, sollten härter bestraft werden (§ 422); schließlich trug man dem Schuldgedanken durch eine entsprechende Irrtumsregelung in § 419 Abs. 5 Rechnung (vgl. die Begründung zum E 1962 S. 602 ff.). Der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform des Bundestags in der 5. Wahlperiode behandelte diesen Vorschlag im März 1969 und gelangte zu den sog. Garmischer Beschlüssen; sie entsprachen weitgehend dem E 1962 (zusammengefasst in dem Protokoll über die 150. Sitzung, V/3398 ff.). Das Gesetz kam aber damals nicht mehr zustande. Der neugebildete Sonderausschuss für die 6. Wahlperiode beriet erneut und legte einen von der großen Mehrheit gebilligten Kompromiss vor, der zu den früheren §§ 113 und 114 führte (Schriftl. Ber., BTDrucks. VI/502 S. 3 ff.). § 113 wurde unter dem Gesichtspunkt der Vereinheitlichung des Sprachgebrauchs durch Art. 18 Nr. 43 des EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469) neu gefasst (vgl. E EGStGB, BTDrucks. 7/550 Begr. S. 219). Mit dem 6. StrRG vom 26.1.1998 (BGBl. I S. 164) wurde in der Beschreibung des besonders schweren Falles des § 113 Abs. 2 Satz 2 der Begriff der „schweren Körperverletzung“ durch den Begriff der „schweren Gesundheitsschädigung“ ersetzt, weil der Schutz der körperlichen Unversehrtheit eine Erweiterung über die sehr spezielle schwere Körperverletzung des heutigen § 226 (§ 224 a. F.) hinaus erfahren sollte (vgl. E 6 StrRG, BTDrucks. 13/8587 Begr. S. 27 f.). In der 17. und 18. Wahlperiode kam es zu weiteren, die Struktur der Tatbestände berührenden Änderungen. Zunächst wurden mit dem 44. StrRÄndG vom 1.11.2011 (BGBl. I S. 2130) der Strafrahmen des Grunddelikts des § 113 Abs. 1 auf drei Jahre Freiheitsstrafe und damit auf das Maß der Nötigung angehoben und die Strafschärfungsgründe um das gefährliche Werkzeug in § 113 Abs. 2 ergänzt – letzteres als Reaktion einer Kammerentscheidung des BVerfG (NStZ 2009 83). Daneben wurde § 114 um einen Absatz 3 ergänzt, um Rettungskräfte ausdrücklich in den Anwendungsbereich aufzunehmen (Reg E BTDrucks. 17/4143; Beschluss des RAussch. BTDrucks. 17/6506). Mit dem 52. StrRÄndG vom 23.5.2017 (BGBl. I S. 1226) wurde der tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte als eigene Norm in § 114 mit verschärftem Strafrahmen gefasst und aus dem § 113 Abs. 1 entsprechend herausgelöst. Damit wird eine stärkerer Schutz von Vollstreckungsbeamten bezweckt. Dem soll eine nochmalige Erweiterung der Regelbeispiele dienen. Neben der notwendig gewordenen Neunumerierung – § 114 wurde zu § 115 – waren redaktionelle Anpassungen nötig (Fraktionsentwurf BTDrucks. 18/11161; Beschluss des RAussch. BTDrucks. 18/12153).

Übersicht I. 1. 2. 3.

Grundlagen 1 Regelungsübersicht 3 Rechtsgut Dogmatik des § 113

1 4.

a) Privilegierender Spezialfall 6 b) Deliktsnatur 7 Praktische Bedeutung

5

5

1 Zur geschichtlichen Entwicklung s. die Darstellung bei Liszt/Schmidt § 171 I; Möbius Funktion des § 113 S. 2 ff.; Paeffgen NK Rdn. 1; H. Seebode S. 4 ff.; Fallack S. 63 ff. Rosenau

674

StGB § 113

Übersicht

II. 1. 2.

3.

4.

5.

675

Objektiver Tatbestand 10 10 Übersicht 11 Geschützte Personen a) Begriff des Amtsträgers und Solda11 ten 13 b) Inländische Amtsträger c) Vollstreckungsbeamter – Begriff und Krite15 rien 16 aa) Beispiele bb) Vollstreckungstätigkeit von Soldaten 17 Vollstreckungshandlung 18 18 a) Begriff der Vollstreckungshandlung 19 b) Rechtsprechungsbeispiele c) Beginn und Ende der Vollstreckungshand20 lung 21 Tathandlungen 22 a) Widerstand 23 b) Gewalt 24 c) Rechtsprechungsbeispiele 25 d) Drohung mit Gewalt 26 Rechtmäßigkeit der Diensthandlung a) Dogmatische Einordnung des Rechtsmäßig27 keitsbegriffs 29 aa) Tatbestandsmerkmal bb) Objektive Strafbarkeitsbedin30 gung 31 cc) Rechtfertigungselement 33 b) Inhaltliche Bestimmung aa) Strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbe34 griff bb) Verwaltungsrechtlicher Rechtmäßig35 keitsbegriff cc) Vollstreckungsrechtlicher Rechtmä36 ßigkeitsbegriff dd) Diskussion 37 c) Einzelne Rechtmäßigkeitsvoraussetzun41 gen 42 aa) Sachliche Zuständigkeit 43 bb) Örtliche Zuständigkeit cc) Einhaltung wesentlichen Förmlichkei44 ten 47 dd) Vollziehung von Staatsakten ee) Pflichtgemäße Ermessensaus49 übung ff) Rechts- und Tatsachenirrtümer des 50 Amtsträgers 52 gg) Handeln auf Befehl hh) Weitere Beispiele aus der Rechtspre53 chung ii) Eingriffsbefugnisse und Notwehr des 60 Amtsträgers 61 d) Folgen fehlender Rechtmäßigkeit aa) Rechtfertigung des Widerstan61 des

e)

bb) Notwehr bei fehlender Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshand62 lung Folgen bei Rechtmäßigkeit der Diensthand63 lung

III.

Subjektiver Tatbestand

IV. 1.

Irrtumsregelung 65 Irrige Annahme der Rechtmäßigkeit (Absatz 3 S. 2) 66 Irrige Annahme der Unrechtmäßigkeit (Ab67 satz 4) 68 a) Vermeidbarer Irrtum 69 b) Unvermeidbarer Irrtum c) Voraussetzungen für die Unvermeidbarkeit 70 d) Folgen des unvermeidbaren Irr71 tums 72 e) Irrtum eines Dritten

2.

V. 1. 2.

3.

4. 5. VI. 1.

2.

64

Rechtsfolgen 73 73 Strafrahmen Besonders schwere Fälle (Absatz 2 74 Satz 2) 75 a) Waffe oder gefährliches Werkzeug aa) Begriff der Waffe 76 bb) Begriff des gefährlichen Werk79 zeugs 80 cc) Beisichführen 81 dd) Tat 82 Gewalttätigkeit mit schwerer Folge 83 a) Begriff der Gewalttätigkeit 84 b) Verwirklichung durch den Täter 85 c) Angegriffener d) Gefahr des Todes oder einer schweren Ge86 sundheitsschädigung 88 Gemeinschaftliche Begehung 91 Vorsatzerfordernis Konkurrenzen 92 92 Verhältnis zu § 240 93 a) Vollendung, Versuch 94 b) Nötigung zum Unterlassen c) Nötigung außerhalb des Tatbestandes des 95 § 113 d) Nötigung unterhalb des tatbestandlichen 96 Widerstands 99 e) Irrtum über Amtsträgereigenschaft 101 Sonstige Konkurrenzverhältnisse

VII. Recht des Einigungsvertrages

102

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§ 113 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

I. Grundlagen 1. Regelungsübersicht 1 § 113 Abs. 1 normiert Tathandlung und Handlungsobjekt und damit den objektiven Tatbestand. Zum Tatbestand des Absatzes 1 gehört, dass einer bereits begonnenen oder unmittelbar bevorstehenden bestimmten Vollstreckungshandlung Gewalt oder Drohung mit Gewalt entgegengesetzt wird, um den Amtsträger zur Unterlassung dieser Vollstreckungshandlung zu nötigen.2 Die Absätze 2 bis 4 sind durch das 3. StrRG neu gefasst worden. Nach Absatz 3 ist die Strafbarkeit der Tat gemäß § 113 ausgeschlossen, falls die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Mit der Ausgliederung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung aus der gesetzlichen Verhaltensumschreibung des Absatzes 1 und der Anordnung der Straflosigkeit bei fehlender Rechtmäßigkeit hat der Gesetzgeber die sachliche Funktion dieses Merkmals nicht ändern und seine dogmatische Einordnung nicht festlegen wollen. Ungeachtet dessen lassen sich hieraus wie auch aus der Irrtumsregelung des Absatzes 3 Satz 2 und des Absatzes 4 systematische Folgerungen ziehen (vgl. Rdn. 27 f.). Der umgekehrte Irrtum wird in Absatz 3 Satz 2 geregelt; danach begründet die irrige Annahme des Täters, die Vollstreckungshandlung sei rechtmäßig, keine Strafbarkeit. Die Irrtumsvorschrift des Absatzes 4 orientiert sich an der Regelung des Verbotsirrtums, modifiziert diese aber in wesentlichen Punkten und stellt insofern eine komplexe Sonderregelung dar. Durch die Vorschrift des Absatzes 2 werden schließlich besonders schwere Fälle mit Regelbeispielen erfasst. § 113 ist durch Art. 19 Nr. 43 des EGStGB dem vereinheitlichten Sprachgebrauch angepasst worden. Insoweit ist der Begriff des Amtsträgers i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 an die Stelle des Beamtenbegriffs getreten und die Amtshandlung durch den umfassenderen Begriff der Diensthandlung ersetzt worden, der auch die Diensthandlung des Soldaten (vgl. §§ 23, 24, 29 WStG) einschließt (vgl. EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 219). Die komplizierte Regelung, die die Schwierigkeiten der Interessenabwägung sichtbar 2 macht, führt zu dogmatischen Problemfragen, bezüglich derer eine bis in alle Verästelungen stimmige, friktionsfreie Lösung kaum erreichbar erscheint (pointiert Bottke JA 1980 98: „Rätselecke“ für Dogmatiker). Die Neuregelungen haben noch weniger Kohärenz und weitere Ungereimtheiten erzeugt.3 Der mit unverminderter Intensität weitergeführte Meinungsstreit über die dogmatische Einordnung des Rechtmäßigkeitsmerkmals (Rdn. 27 ff.) hat indes für die praktische Rechtsanwendung nur geringe Bedeutung. Denn das Gesetz hat die einschlägigen Rechtsfolgen im Rahmen einer pragmatischen Lösung des Interessenkonflikts (Absatz 3, 4) abschließend geregelt; die unterschiedliche dogmatische Zuordnung hat keine rechtlichen Folgen mehr.4 Von maßgeblicher praktischer Bedeutung ist dagegen die ebenfalls kontrovers diskutierte Frage, nach welchen Kriterien die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung zu bestimmen ist (Rdn. 33 ff.). Der Sache nach geht es insoweit um eine interessenausgewogene Einschränkung des Widerstandsrechts des Betroffenen.5

2. Rechtsgut 3 In § 113 geht es um den Schutz der rechtmäßigen Betätigung staatlicher Vollstreckungsgewalt vor Widerstand. Unmittelbares Angriffsobjekt der Tat ist das den Staatswillen verkörpernde und durchsetzende Organ. Die Vorschrift will die Durchführung des Staatswillens, mithin auch das staatliche Gewaltmonopol sichern Es geht damit primär um den Schutz der Autorität staatli2 BGH StV 1983 278 f. 3 Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 17 u. 21. 4 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 31; Eisele BT 1 Rdn. 1529; Geppert Jura 1989 274, 275; Kindhäuser Rdn. 28; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 702; unzutreffend Pflieger HK-GS Rdn. 11.

5 Vgl. Bergmann Strafmilderung S. 115; Amelung JuS 1986 335 f.; Amelung/Brauer JR 1985 475. Rosenau

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I. Grundlagen

StGB § 113

cher Vollstreckungsakte, worin zugleich der dogmatische Grund der Existenz des § 113 neben § 240 zu sehen ist.6 Der Schutz der vollstreckenden Personen ist mittlerweile nur noch Reflexwirkung.7 Indem die Alternative des tätlichen Angriffs aus § 113 herausgenommen und im § 114 als eigener Tatbestand gefasst wurde, sind diese nun über § 114 geschützt. Denjenigen, die schon immer ausschließlich die Autorität staatlicher Vollstreckungsakte geschützt sehen wollten,8 ist der Gesetzgeber entgegengekommen. Denn mit der Neufassung ist bei § 113 eine Beeinträchtigung der Vollstreckungshandlung konstitutiv geworden. Der Gesetzgeber hat diese Konsequenzen freilich übersehen. Es heißt in der Gesetzesbegründung, § 113 schütze in zweiter Linie, über den Schutz des staatlichen Gewaltmonopols hinaus, „auch die Personen, die zu Vollstreckung berufen sind“.9 Da allerdings das Gesetz klüger sein kann als seine Verfasser, mehr noch, da es klüger sein muss als seine Verfasser,10 ist die Gesetzesfassung für die Rechtsgutsbestimmung maßgebend, aus der der individualschützende Aspekt eliminert wurde. § 113 und § 114 zielen daher nun auf unterschiedlich zu bestimmende Rechtsgüter.11 Da die Autorität der staatlichen Vollstreckung § 113 legitimitert, darf der Umstand, dass sich ein Täter gegen einen Repräsentanten des Staates gerichtet hat, nicht als Strafschärfungsgrund gewertet werden; darin läge ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3.12 Bei der Begehungsalternative des Widerstandes steht die Schutzbedürftigkeit der staatl. 4 Vollstreckungsmaßnahme als solcher im Vordergrund. Die Person des Amtsträgers oder Soldaten muss beim Widerstand nicht notwendig in Gefahr gebracht werden. Der Widerstand muss nicht zu einer Beeinträchtigung des Staatsaktes führen. Dies braucht insoweit auch nicht vom Täter beabsichtigt zu sein. Das staatliche Gewaltmonopol ist das den § 113 maßgeblich legitimierende Rechtsgut, der legitime Durchsetzungsanspruch des Staates ist nicht nur als mittelbares Schutzgut anzuerkennen.13

3. Dogmatik des § 113 a) Privilegierender Spezialfall. Jedes Widerstandleisten verfolgt zugleich den Zweck, den be- 5 rufenen Amtsträger oder Soldaten zur Unterlassung der Vollstreckungshandlung zu nötigen.14 § 113 ist ein privilegierter Spezialfall der Nötigung.15 Die Qualifikation als lex specialis ergibt sich dogmatisch bereits aus dem Umstand, dass das bereits (doppelt) in § 240 umschriebene Nötigungsverhalten genau so auch dem § 113 zugrundeliegt, hier nun aber konkreter in einer 6 Steinberg/Zetzmann/Dust JR 2013 7, 10. 7 Sch/Schröder/Eser Rdn. 2; Fischer Rdn. 2; aA zur geltenden Rechtslage Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 4; Eisele BT 1 Rdn. 1515; SSW/Fahl Rdn. 1; ders. ZStW 124 (2012) 311, 314; Puschke/Rienhoff JZ 2017 924, 929; Wessels/Hettinger/ Engländer Rdn. 624; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 1; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 645; M. Heinrich HK-GS Rdn. 1; Rengier BT 2 § 53 Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 5; Singelnstein/Puschke NJW 2011 3473, 3475; zutreffend anders zur vormaligen Rechtslage vor dem 52. StrÄndG BGHSt 21 334, 365; 5 StR 249/55 v. 5.7.1955; RGSt 41 82, 85; Tiedemann Prot. VI/207; einschränkend Otto JR 1983 74, Hirsch FS Klug, S. 235, 240. 8 Bosch MK Rdn. 2; Deiters GA 2002 275; Fischer Rdn. 2; Möbius S. 103; Paeffgen NK Rdn. 7; Schmid JZ 1980 58. 9 BTDrucks. 17/4143, S. 6. 10 Radbruch Rechtsphilosophie8 (1973) 207. 11 Busch/Singelnstein NStZ 2018 510, 511. 12 BGH 2 StR 119/13, Urt. vom 9.10.2013 HRRS 2014 Nr. 28, Rdn. 14. 13 So aber Wolters SK Rdn. 2, 3 u. Zielinski AK Rdn. 4, 7. 14 BGHSt 25 313, 314. 15 Erb KriPoz 2018 48; Knierim Kap. 2 Rdn. 6; Singelnstein/Puschke NJW 2011 3473, 3475; vgl. zur alten Rechtslage BGHSt 48, 233, 238 f.; OLG Frankfurt NJW 1973 1806; KG StV 1988 437; BayObLG MDR 1988 517; aA BR in seiner Stellungnahme zum 44. StrÄndG, BTDrucks 17/4143 S. 10; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 6; Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 26; Eisele BT 1 Rdn. 1515; Fischer Rdn. 2a; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 33; Schmid JZ 1980 56, 58; krit. aufgrund der Entwicklungsgeschichte der §§ 113, 240 Hirsch FS Klug, S. 235 ff. 677

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§ 113 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Vollstreckungssituation umschrieben ist.16 Indes sind die Privilegierungsmerkmale kläglich zusammengestrichen worden. Mit der Anhebung des oberen Strafrahmens auf das Nötigungsniveau hat der Gesetzgeber 2011 (Rdn. 1) den lange niedrigeren Grundstrafrahmen beseitigt. Es bleiben die günstigere Irrtumsregelung des Absatzes 417 und das Fehlen der Versuchsstrafbarkeit. Damit bleibt § 113 ein privilegierter Tatbestand,18 zumal ihn sonst systematisch der Gesetzgeber hätte gleich streichen und die Widerstandsfälle der Nötigung zuweisen können. Das ist nicht geschehen.19 Diese Besserstellung des Täters ist darauf zurückzuführen, dass der Lage des von der Vollstreckung Betroffenen Rechnung getragen werden soll, dem ein gewisser Erregungszustand bei der Durchführung der gegen seine Person gerichteten Maßnahmen zugute gehalten wird und der aufgrund der affektiven Situation besondere Nachsicht verdient.20 Ein Eskalationsrisiko besteht insbesondere bei eingriffsintensiven Maßnahmen, wie sie mit der Festnahme, der Ingewahrsamnahme oder Blutentnahme einhergehen.21 Selbst bei heute häufiger deeskalierendem Verhalten von Polizeibeamten bleibt das konflikt- und affektträchtige Spannungsverhältnis zwischen dem Bürger und dem Repräsentanten der Staatsmacht in der Welt.22 Die Überzeugungskraft dieses Arguments wird erstens nicht dadurch eingeschränkt, dass in der Strafpraxis die verhängten Sanktionen signifikant höher ausfallen als bei der Nötigung;23 denn das Gesetz gibt den Maßstab vor, nicht die Justiz, die sich den Vollstreckungsbeamten verbunden fühlt. Das Argument lässt sich auch nicht mit dem Hinweis auf die parallele Situation bei einer JedermannFestnahme nach § 127 Abs. 1 StPO entkräften, bei der ungeachtet einer vergleichbaren Zwangslage § 240 einschlägig ist.24 Das übergeht, dass bei der Privatfestnahme nicht ein eingeschränkter Rechtmäßigkeitsbegriff (dazu Rdn. 34) dem Betroffenen besondere Duldungspflichten im Sinne einer Absicherung des staatlichen Gewaltmonopols auferlegt. Dass unbeteiligte Dritte, die für den Betroffenen Partei ergreifen, nicht unter die Privilegierung fallen, sondern nach § 240 zu bestrafen sind,25 ergibt sich aus der besonderen Situation. Denn die Gemütslage eines unmittelbaren Betroffenseins liegt bei der Einmischung einer dritten Person typischerweise nicht vor. Vielmehr ist die privilegierende Wirkung des § 113 Ausdruck der gesetzgeberischen Intention, die gegenläufige Interessen von betroffenem Bürger einerseits und dem Schutz des zur Vollziehung von Staatsakten berufenen Amtsträgers andererseits ausgewogen auszutarieren, was im übrigen auch der Grund für einen spezifischen Rechtmäßigkeitsbegriff im Rahmen des § 113 ist (dazu Rdn. 39). Der besondere Schutz, der dem Amtsträger oder Soldaten durch § 113 gewährt werden soll, weil diese angesichts ihrer Stellung und Tätigkeit besonders häufig ungerechtfertigten Angriffen ausgesetzt sind,26 wird auf diese Weise wieder mit guten Gründen stückweise zurückgenommen. Soweit der Amtsträger tätlich angegriffen wird und dessen persönliches Interesse an der eigenen körperlichen Integrität neben das staatliche Vollstreckungsinteresse als schutzwürdig tritt, greift nun systematisch stimmig § 114 ein. Im übrigen weist § 113 gegenüber § 240 insoweit eine gewisse strengere Ausgestaltung auf, als die Nötigung eines Vollstreckungsbeamten bei rechtmäßiger Vollstreckung mangels einer § 240 Abs. 2 entsprechenden Rechtfertigungsklausel schlechthin rechtswidrig ist.27

16 17 18 19 20

Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 32. Nur darauf abstellend Rathgeber KritV 2012 314, 318. Wolters SK Rdn. 2. Dafür sprechen sich aus Hoffmann-Holland/Koranyi ZStW 127 (2015) 913, 930 f. BGH VRS 5 198, 199; Ber. BTDrucks. VI/502 S. 3 f.; Blei JA 1973 208; Paeffgen NK Rdn. 3; aA Arzt/Weber/Heinrich/ Hilgendorf BT § 45 Rdn. 6. 21 Puschke FS Eisenberg 153; 157. 22 Krit. Steinberg/Zetzmann/Dust JR 2013 7, 10. 23 Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 3. 24 Sch/Schröder/Eser Rdn. 3. 25 Wolters SK Rdn. 18; vgl. Rdn. 73. 26 Vgl. BGH GA 1955 244. 27 Vgl. Dreher NJW 1970 1157; OLG Frankfurt NJW 1973 1806, 1807. Rosenau

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b) Deliktsnatur. § 113 ist unechtes Unternehmensdelikt,28 das allein durch eine finale Hand- 6 lungsbeschreibung ohne das Erfordernis einer Zielerreichung bestimmt wird: Es genügt das Vorliegen der beschriebenen Tatsituation. Das ist bei § 113 gegeben, erfolglose Tathandlungen sind in die Deliktsvollendung einbezogen worden. Damit ist ein Rücktritt versperrt.

4. Praktische Bedeutung § 113 spielt im Sechsten Abschnitt des StGB noch die dominierende Rolle. Es deutet sich an, 7 dass mittlerweile oft gleich nach § 114 angeklagt wird. § 113 ist kein typisches Demonstrationsdelikt. Die meisten Verstöße gegen diese Vorschrift fallen bei der allgemeinen Verbrechensbekämpfung oder Gefahrenabwehr an; etwa wenn dem Polizeibeamten bei der Verhaftung oder Verkehrskontrolle, dem Gerichtsvollzieher bei der Zwangsvollstreckung Widerstand geleistet wird (mündl. Bericht des Abgeordneten Schlee vor dem Bundestag, 6. Wahlp., Prot. S. 1943). Ausweislich der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes kommt der Straf- 8 vorschrift des § 113 eine gewisse praktische Bedeutung zu; die Zahl der jährlich erfassten Fälle ist bei deliktsspezifisch hoher Aufklärungsquote von 98 % beträchtlich, die Aburteilungszahlen der letzten Jahre belaufen sich auf zwischen 5840 (2014) und 5214 (2018); die Verurteiltenstatistik weist folgende Zahlen aus: 2014 4629, 2015 4677, 2016 5024, 2017 5464, 2018 4722.29 Die Zahlen bewegen sich auf gleichbleibendem Niveau und sind in den letzten Jahren angestiegen.30 Der Rückgang 2018 ist damit zu erklären, dass ein Teil der Fälle als tätlicher Angriff auf Volltreckungsbeamte nach § 114 abgeurteilt wird. Die Mehrzahl der Konflikte entstammt dem Bereich bereits existierender Auseinandersetzungen unter Privaten, bei denen die Polizei als Regelungs- und Entscheidungsinstanz gerufen wird.31 Eine zunehmende Konfliktbereitschaft gegenüber der Polizei zeigt sich daneben bei ausländerfeindlichen Ausschreitungen und gewalttätiger Randale am Rande von Sportgroßveranstaltungen (Hooligans). § 113 wird zutreffend als privilegierender Sonderfall des Nötigungsverbotes umschrieben 9 (Rdn. 5). Die Praxis dagegen versagt der Privilegierungsthese die Gefolgschaft: Trotz desselben Strafrahmens sind bei § 113 die Strafen signifikant gegenüber § 240 erhöht.32 Im Gegensatz zu § 240 finden sich zudem nahezu keine Einstellungen und auch doppelt so viele Verurteilungen zu kurzfristigen Freiheitsstrafen.33 Die höheren Verfolgungsraten bei § 113 gegenüber § 240 dürften ihre Erklärung in dem Umstand finden, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte bei Angriffen gegen Hoheitsträger, insbesondere gegen Polizeibeamte, regelmäßig eine geringere Toleranzschwelle zeigen und sich in der Pflicht sehen, diese Vollstreckungsorgane – die ja oftmals auch ihre eigenen sind – zu schützen. Eine Nötigungshandlung gegenüber jedermann, die zur Einstellung nach § 153 StPO führte, wird entsprechend nicht eingestellt, sondern zur Anklage gebracht, wenn ein Polizeibeamter das Opfer ist. Gegen diesen Befund ist wegen der hohen Bedeutung des staatlichen Gewaltmonopols für den Rechtsfrieden in der Gesellschaft wenig zu erinnern, auch wenn in einzelnen Fällen den Strafverfolgungsorganen ein höheres Maß an Gelassenheit und Augenmaß anzuraten wäre.34

28 Vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6; BGH NStZ 2013 336; Bosch MK Rdn. 3; Puschke FS Eisenberg 153; 154; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2.

29 Statistisches Bundesamt Deutschland, Fachserie 10 Reihe 3, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Startseite.html; zuletzt abgerufen am 30.12.2019.

30 Zur statistischen Unerheblichkeit des § 113 an der Gesamtkriminalittät – 0,4 % aller Straftaten, die §§ 111 bis 121 eingeschlossen – Falk S. 3; Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 3. 31 Falk S. 18. 32 Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 4. 33 Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 3; Paeffgen NK Rdn. 6; Puschke/Rienhoff JZ 2017 924, 927. 34 Kritisch gegen die Berechtigung des Tatbestands insgesamt als Norm Leviathan’scher Provinienz Fallack S. 42 ff., 107 u. 272. 679

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§ 113 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

II. Objektiver Tatbestand 1. Übersicht 10 Geschützt werden Amtsträger und Soldaten der Bundeswehr, die zur Vollstreckung i. S. d. Absatzes 1 berufen sind und sich bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung befinden. Der Amtsträgerbegriff konstituiert das Unrecht, welches sich gegen die Autorität der hoheitlichen Vollstreckungsgewalt richtet. Der Amtsträger stellt hier als „Willensmittler“ der Staatsgewalt35 gleichsam das Handlungsobjekt dar. Der Begriff der Diensthandlung ist i. S. d. Fassung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 E 1962 (Begr. S. 119) zu verstehen (vgl. EEGStGB S. 219) und umfasst alle Handlungen, durch die ein Amtsträger oder Soldat Aufgaben des öffentlichen Dienstes wahrnimmt. Aus dem Bereich der Diensthandlungen werden von § 113, wie Gesetzesfassung und Überschrift klarstellen, nur die typischen Vollstreckungshandlungen erfasst. Vorausgesetzt wird also, dass der Amtsträger die Verwirklichung des konkretisierten, d. h. auf einen bestimmten Fall anzuwendenden, notfalls zwangsweise durchsetzbaren staatlichen Willens anstrebt.

2. Geschützte Personen 11 a) Begriff des Amtsträgers und Soldaten. § 113 beschränkt sich auf Amtsträger und Soldaten der Bundeswehr. Der Begriff des Amtsträgers ergibt sich aus § 11 Abs. 1 Nr. 2, der des Soldaten aus § 1 Abs. 1 Satz 1 SoldG. Er erfasst nicht nur Beamte im staatsrechtlichen Sinne, Richter sowie Angestellte des öffentlichen Dienstes, sondern auch sonstige Personen, die dazu bestellt sind, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Es handelt sich um den Bereich der Eingriffsverwaltung bzw. ordnenden Verwaltung in Wahrnehmung von Aufgaben der staatlichen Anordnungsund Zwangsgewalt.36 Zwar können auch Bedienstete von privatrechtlich organisierten Unternehmen der Daseinsvorsorge Amtsträger sein, wenn das Unternehmen öffentliche Aufgaben wahrnimmt und bei einer Gesamtschau als „verlängerter Arm“ des Staates erscheint.37 Diese Amtsträger sind aber nicht mit dem typischen Vollstreckungshandeln betraut, welches § 113 umfasst. Den Amtsträgern ist der in § 115 genannte Personenkreis gleichgestellt; nehmen die dort genannten Nichtamtsträger in Ausübung ihrer Rechte und Pflichten Vollstreckungshandlungen oder Hilfsleistungen vor, so sind diese im Falle eines Widerstandes den Diensthandlungen eines Amtsträgers i. S. d. § 113 gleichgestellt. Bedeutungslos ist es, ob die Anstellung des Amtsträgers oder die Einberufung des Soldaten 12 vernichtbar ist. Der Staatswille und die zu seiner Ausführung herangezogenen Organe verlangen einen Schutz auch bei Mangelhaftigkeit des Anstellungsaktes, sofern die übrigen Voraussetzungen des Tatbestandes gegeben sind.38 Das gleiche gilt für den nichtigen Anstellungsakt; auch in diesem Falle kann die tatsächliche Ausübung des übertragenen Amtes zur Anwendung des § 113 ausreichen.39 Bei einer solchen Lage ist aber stets sorgfältig zu prüfen, ob die Diensthandlungen des Beauftragten rechtmäßig und ob überhaupt die Amtsträgerschaft im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 zu bejahen ist.40

35 36 37 38 39

Schroeder NJW 1985 2392. Welp FS Lackner 761, 776 f. BGHSt 49 240, 249; BGH NStZ 2007 211, 212. RGSt 2 82, 83. Sch/Schröder/Eser Rdn. 7; ferner Battis BBG § 15 Rdn. 6; Münch/Schmidt-Aßmann/Kunig BesVerwR 6. Kap. Rdn. 105. 40 Vgl. RGSt 55 161, 162. Rosenau

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b) Inländische Amtsträger. Grundsätzlich bezieht sich § 113 nur auf inländische Amtsträger,41 13 d. h. genauer auf solche der Bundesrepublik.42 Die grundsätzliche Beschränkung von § 113 auf deutsche öffentliche Rechtsgüter (inländische Vollstreckungsgewalt) ergibt sich aus § 11 Abs. 1 Nr. 2.43 Der Schutz der ausländischen Staatsgewalt und deren Organe ist in der Regel nicht Sache des deutschen Gesetzgebers und könnte einer Einmischung in die inneren Verhältnisse dieser Staatsgewalt gleichkommen. Soweit ein Tätigwerden ausländischer Beamten im Inland aufgrund internationaler Verträge bzw. mit Einwilligung der zuständigen einheimischen Stellen (z. B. Pass- und Zollkontrollen) oder eine Zusammenarbeit deutscher und nichtdeutscher Amtsträger (z. B. bei dem Einsatz ausländischer Polizeibeamten zur Verbrechensbekämpfung auf dem Gebiet der Bundesrepublik) in Frage steht, ist eine differenzierende Betrachtung erforderlich. Es kommt maßgeblich darauf an, wessen Hoheitsgewalt im Einzelfall ausgeübt wird. In den Ermächtigungsfällen, in denen deutsche Behörden die Betätigung nichtdeutscher Hoheitsgewalt auf deutschem Gebiet völker- und staatsrechtlich gestatten, verbleibt es bei der Ausübung fremder Hoheitsgewalt, die durch § 113 nicht geschützt ist. Auch eine gesetzliche Regelung einer solchen Ermächtigung lässt den nichtdeutschen Charakter der ausgeübten Hoheitsgewalt unberührt und begründet allein noch keinen Strafschutz für diese. Eine Strafschutzausdehnung bedarf ggf. eines ausdrücklichen, den Bestimmtheitsanforderungen genügenden Gesetzes, wie sie beispielsweise in Hinblick auf §§ 331 ff. durch das EUBestG vom 10.9.1998 (BGBl. II S. 2340) und das IntBestG vom 10.9.1998 (BGBl. II S. 2327) erfolgt war.44 Ohne ein solches steht das Analogieverbot einer Anwendung von § 113 entgegen.45 Dies führt jedoch nicht zur Straffreiheit des Täters; es verbleibt eine Strafbarkeit nach § 240 mit einer aus der Nichtanwendbarkeit von § 113 folgenden Begrenzung (keine Versuchsstrafbarkeit, Strafrahmenobergrenze entsprechend § 113.46 Andererseits gibt es Fälle internationaler Zusammenarbeit, in denen nichtdeutsche Amtsträger zur Erfüllung bestimmter Aufgaben in begrenztem Umfang mit der Ausübung deutscher Hoheitsgewalt betraut, sie gleichsam darin einbezogen werden können. Geschieht dies, sind diese Amtsträger durch § 113 i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 2b oder c gegen Angriffe geschützt.47 Es verbleiben allerdings Rechtsbereiche, in denen ein Schutz fremder Amtsträger nach § 113 14 erforderlich erscheint, jedoch mangels gesetzlicher Regelung derzeit noch nicht besteht. Im Falle der Schaffung übergreifender europäischer Verfolgungszuständigkeiten, z. B. eines Europ. Kriminalamts (Europol) oder einer Europ. Staatsanwaltschaft (EUStA; VO EU 2017/1939)48 mit Hoheits- und Wirkungsrechten in allen Staaten (vgl. Art. 69g u. Art. 69e Abs. 1 AEUV – Vertrag von Lissabon, ABl. 2007 Nr. C 306), bedarf es zwecks Gewährleistung des Strafschutzes für solche supranationalen Ämter und deren Inhaber der ausdrücklichen gesetzlichen Erstreckung der deutschen Strafnormen. Solange nichtdeutsche Polizeibeamte bei gestatteter Vollstreckungstätigkeit im deutschen Inland noch nicht durch § 113 geschützt sind, bleibt nach geltendem Recht jeweils die Möglichkeit, deren Einbindung durch Übertragungsakte i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2b oder c zu erwägen, um den wünschenswerten Strafschutz bewirken zu können.

c) Vollstreckungsbeamter – Begriff und Kriterien. Die Amtsträger und Soldaten müssen 15 zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen und Ver-

41 42 43 44

OLG Hamm NJW 1960 1536 m. Anm. Schröder JZ 1960 576. Fischer Rdn. 3; Niewerth NJW 1973 1219. Vor § 110 Rdn. 9; Gössel FS Oehler 107; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 651. Mittlerweile sind beide Regelungen mit § 335a in das Kernstrafrecht überführt worden; SSW/Rosenau § 335a Rdn. 1. 45 Lenk GA 2019 445, 465; Lüttger Abhandlungen und Vorträge S. 334 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 69 Rdn. 9; unzutr. Krehl NJW 1992 605 zu § 136 II. 46 OLG Hamm JZ 1960 576 m. Anm. Schröder JZ 1960 576. 47 Fischer Rdn. 3; Lüttger Abhandlungen und Vorträge S. 335 f.; vgl. auch Hilgendorf LK § 11 Rdn. 22. 48 Abl. L 283/1 vom 31.10.2017. 681

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fügungen berufen sein. Die Durchsetzung des in Gesetzen usw. näher bezeichneten bzw. in Entscheidungen aktualisierten Staatswillens im Einzelfall gegenüber Personen und Sachen, notfalls durch Zwang, muss zu ihrem Aufgabenbereich gehören.49 Die frühere Fassung nannte „Gesetze, Befehle und Anordnungen der Verwaltungsbehörden sowie Urteile und Verfügungen der Gerichte“. Eine sachliche Änderung war mit der Neufassung nicht beabsichtigt.50 Dem Amtsträger, dem die Vollstreckung von Gesetzen oder Rechtsverordnungen obliegt, steht regelmäßig das Recht der eigenen selbständigen Entschließung zur unmittelbaren Verwirklichung des Gesetzeswillens zu. Er schafft rechtlich zunächst eine Grundverfügung, die er dann zugleich durchsetzt.51 Hierzu zählen z. B. die Anwendung sofortigen Zwangs in Eilfällen bei Gefahr im Verzug,52 das Haltegebot eines Polizisten an einen Kraftfahrer im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle,53 ferner die Anordnung und Durchsetzung einer Blutprobe gemäß § 81a Abs. 2 StPO durch einen Polizeibeamten als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft – § 152 GVG, § 53 Abs. 2 OWiG.54 Demgegenüber werden die Amtsträger (insbes. Gerichtsvollzieher), die Urteile, Gerichtsbeschlüsse oder Verfügungen zu vollstrecken haben, nur im Auftrag sonstiger Staatsorgane tätig und haben deren Entschließungen und Anordnungen zur Ausführung zu bringen. Den – Urteilen und Beschlüssen gleichgestellten – Verfügungen sind bereits erlassene Akte der Staatsgewalt mit Außenwirkung zuzuordnen. Hierunter fallen sowohl gerichtliche Verfügungen55 als auch Akte der Verwaltungsbehörden,56 sowie dem Bürger gegenüber bereits erlassene Verwaltungsakte57 und Allgemeinverfügungen. Es braucht sich im übrigen nicht stets um Amtsträger zu handeln, denen die typische Aufgabe der Vollstreckung übertragen ist; vielmehr können, je nach den Umständen, auch andere darunter fallen, sofern die Vollstreckung überhaupt im Rahmen deren Amtstätigkeit liegt.

16 aa) Beispiele. Zu den Vollstreckungsbeamten gehören vor allem die Polizeibeamten, und zwar unabhängig davon, ob sie sich in Uniform oder Zivil befinden,58 ferner die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft nach § 152 GVG.59 Auch Kriminalkommissaranwärter können darunter fallen;60 dgl. Gefängniswachtmeister;61 Lehrer an öffentlichen Schulen, sofern sie die öffentliche Gewalt (Durchsetzung der Schulordnung) anordnungsgemäß ausüben;62 Vollzugsbeamte des Bundes gem. § 6 UZwG, u. a. Zollbeamte,63 Finanzbeamte, insbesondere Steuerfahndungs- (§ 404 AO) und Vollziehungsbeamte,64 Bahnpolizisten65 bzw. die inzwischen mit den bahnpolizeilichen Aufgaben betrauten Beamten der Bundespolizei (§ 3 BPolG), Beamte der Bundesgerichte, Luftaufsichtsbeamte, Polizeivollzugsbeamte des Bundes; ferner Vollstreckungsbe49 50 51 52 53 54 55

BGH NJW 1982 2081. Horstkotte Prot. VI/313. Vgl. Günther NJW 1973 311; OLG Celle NJW 1973 2215; auch Wagner JuS 1975 225. § 6 II VwVG, Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BayPAG, § 52 II PolG BW. Vgl. BGHSt 25 313, 315; zust. Krause JR 1975 118 u. Teubner DRiZ 1975 243; aA augenscheinlich Fischer Rdn. 4. Vgl. OLG Köln VRS 48 24, 25. Z. B. der richterliche Vorführungsbefehl nach § 134 StPO, der mit polizeilicher Hilfe vollstreckt wird; BGH NStZ 1981 22, 23; Gleß LR § 134 StPO Rdn. 2. 56 Horstkotte Prot. VI/313. 57 Günther NJW 1973 311; auch Wagner JuS 1975 225. 58 RG DR 1942 1782; OLG Hamburg VRS 24 193, 195, KG JW 1937 762. 59 Vgl. auch § 53 Abs. 2 OWiG; BGHSt 24 125, 130; OLG Köln VRS 48 24, 25. 60 RG HRR 1939 Nr. 1375. 61 RG HRR 1938 Nr. 1206. 62 RGSt 41 82, 86; 35 182, 183; 28 19; 25 89, 90. 63 BayOLGSt 1951 374, 377. 64 §§ 285, 287 AO; OLG Hamburg NJW 1984 2898; Klein-Brockmeyer AO § 285 Rdn. 3. 65 Vgl. BGHSt 21 334, 361; OLG Köln NJW 1982 296; StV 1982 359; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1953 152; OLG Stuttgart VM 1973 67; OLG Hamm NJW 1973 2117. Rosenau

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amte der gesetzlichen Versicherungsanstalten;66 insbesondere Gerichtsvollzieher,67 und zwar auch bei Zustellungen auf Betreiben der Partei;68 u. U. auch der Schlachthofdirektor bei seuchenpolizeilichen Eilmaßnahmen;69 amtliche Tierärzte und öffentlich bestellte Fleischkontrolleure (§§ 22a, 22b FlHG). Bei Vollzugsbeamten des Wohnungsamtes hat OLG Frankfurt die Amtsträgereigenschaft auch dann bejaht, wenn sie unbeeidigt sind.70 Zu den Vollstreckungsbeamten können schließlich auch Richter gehören, wenn sie kraft ihres Amtes eine Anordnung ausführen oder vollstrecken, z. B. bei Ausübung der Sitzungspolizei71 oder bei Vollstreckungstätigkeit des Jugendrichters als Vollstreckungsleiter. Keine Vollstreckungshandlung ist die schlichte Fürsorgetätigkeit eines Jugendamtsangestellten.72

bb) Vollstreckungstätigkeit von Soldaten. Bei den Soldaten der Bundeswehr bestimmt 17 das UZwGBw vom 12.8.1965 (BGBl. I S. 796), wer zur Vollstreckung befugt und unter welchen Voraussetzungen diese zulässig ist. Vollstreckungshandlungen gegenüber Zivilpersonen können sich insoweit zur Sicherung militärischer Anlagen und der ungestörten Dienstausübung militärischer Einheiten für Feldjäger und sonstiges militärisches Wachpersonal als erforderlich erweisen. Im Verhältnis zwischen Soldaten untereinander verdrängen in der Regel die §§ 24, 25 WStG den § 113.73 Dem militärischen Wach- und Sicherheitspersonal kommt gegenüber Soldaten Vorgesetzteneigenschaft i. S. d. §§ 24, 25 WStG kraft besonderer Aufgabenstellung zu.74 Bei einer Tat gegen zugezogene Zivilpersonen sind indes die §§ 114 Abs. 2, 113 einschlägig (§ 115 Rdn. 11). Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 5 des 4. StRÄndG i. V. m. dem 8. StRÄndG i. d. F. des 3. StrRG sind die §§ 113, 114 Abs. 2 auch auf Widerstandshandlungen gegen „Soldaten oder Beamte“ der in der Bundesrepublik stationierten NATO-Truppen anzuwenden.

3. Vollstreckungshandlung a) Begriff der Vollstreckungshandlung. Vorausgesetzt wird, dass der geschützte Amtsträger 18 sich bei der Vornahme einer Vollstreckungshandlung befunden hat, m. a. W. eine konkrete, gezielte Vollstreckungsmaßnahme zur Regelung eines bestimmten Falles getroffen hat. Seine amtliche Tätigkeit muss dem eigentlichen Vollstreckungsbereich zuzurechnen sein; sie muss bereits begonnen haben und darf noch nicht abgeschlossen sein. Ein maßgebliches Kriterium ist insoweit der unmittelbare Bezug zum Objekt der Vollstreckung.75 Dem Vollstreckungshandeln zuzuordnen sind nicht nur die eigentlichen Zwangsmaßnahmen (Festnahme, Durchsuchung, Beschlagnahme) bzw. die sonstigen Vollstreckungsakte (Versiegeln einer Baustelle etc.), sondern auch unmittelbar vorangehende, sachbezogene (Eröffnung, Mitteilung an Betroffenen) oder auf die bezweckte Vollstreckungsmaßnahme unmittelbar hinführende Verhaltensakte des Amtsträgers, wobei es auf deren objektive Ausführbarkeit (der Festzunehmende befindet sich nicht in seiner Wohnung) nicht ankommt, ferner abschließende Tätigkeitsakte des Amtsträgers. Die Voraussetzungen einer Vollstreckungshandlung sind gegeben, wenn der Amtsträger mit seiner Tätigkeit den konkretisierten, d. h. auf einen bestimmten Fall anzuwendenden und nach

66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 683

OLG Frankfurt NJW 1972 268. Vgl. KG GA 1975 213. RGSt 41 82. Vgl. LG Verden NdsRpfl. 1974 256, 257. NJW 1951 852; aA OLG Hamm HESt 2 217, ähnlich RGSt 39 95, 96. RGSt 15 227, 230; 41 82, 86. OLG Schleswig SchlHA 1983 83, 84 Nr. 17. Fischer Rdn. 5; Horstkotte Prot. VI/312; Schölz/Lingens WStG § 24 Rdn. 18. § 3 VorgV i. V. m. § 1 Abs. 4 SG, § 1 Abs. 1 UZwGBw; vgl. Scherer § 3 VorgV Rdn. 1. Otto JR 1983 73. Rosenau

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Umfang und Inhalt durch das Gesetz oder die in § 113 bezeichneten Staatsorgane begrenzten staatlichen Willen, notfalls mit den Mitteln des Zwangs, zu verwirklichen hat bzw. durchzusetzen bezweckt.76 Auszuscheiden hat somit zunächst die Wahrnehmung privater Interessen anlässlich der Berufstätigkeit des Amtsträgers.77 Etwas anderes gilt jedoch, wenn er in hoheitlicher Pflichterfüllung private Rechte gegen Einwirkungen Unbefugter schützt.78 Nicht unter die Vollstreckungshandlungen fällt der Erlass von Bußgeldbescheiden oder Verwaltungsakten wie auch solche amtliche Tätigkeit, die jeder Amtsträger in einfacher Anwendung der Gesetze vornimmt.79 Denn hierbei geht es noch nicht um Verwirklichung einer konkreten Regelung im Einzelfall, sondern zunächst um die Regelung als solche. Schlichte Überwachungs- oder Ermittlungstätigkeit genügen nicht.80 Polizeilich präventive Maßnahmen wie die vorsorgliche – schützende oder beobachtende – Begleitung eines Demonstrationszugs durch Polizeibeamte oder die Wahrnehmung von Schutzaufgaben zugunsten einer bestimmten Person oder Sache stellen keine Vollstreckungshandlung dar.81 Das bloße Beobachten von Personen, von denen möglicherweise Straftaten zu erwarten sind, zwecks Ermöglichung eines unverzüglichen Einschreitens im gegebenen Falle macht die polizeiliche Diensthandlung noch nicht zur Vollstreckungshandlung.82 Eine zunächst reine polizeiliche Präventivmaßnahme verdichtet sich erst nach dem Auftreten einer konkreten Störung oder zumindest konkreter Anhaltspunkte für eine unmittelbar zu erwartende Störung mit dem Versuch ihrer Abwendung, dem Ansetzen zu ihrer Verhinderung bzw. dem unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Einschreiten zu einer Vollstreckungshandlung. Keine Vollstreckungshandlungen sind etwa der Streifengang von Bundeswehrsoldaten im Kasernengelände,83 die allgemeinen Streifenfahrten von Polizeibeamten,84 die nicht erzwingbare Vernehmung von Beschuldigten durch die Polizei,85 die schlichte Fürsorgetätigkeit eines Jugendamtsangestellten,86 die Fahrt des Richters zu einer Amtshandlung,87 die bloße Ermittlungstätigkeit von Polizeibeamten,88 z. B. Befragung von Straßenpassanten89 oder die Überprüfung der Bereifung eines geparkten PKW;90 jedoch kann hier die Ermittlungstätigkeit alsbald in eine Vollstreckungshandlung übergehen, wenn wegen Verkehrsuntüchtigkeit des Fahrzeugs die Verhinderung einer Wegfahrt veranlasst ist; ebenso wenn im Zuge von Ermittlungen konkrete Abwehrmaßnahmen erforderlich werden.91 Die Nötigung zur Unterlassung nicht vollstreckender, sondern sonstiger Diensttätigkeiten wird nun von § 114 erfasst.

19 b) Rechtsprechungsbeispiele. Den Vollstreckungshandlungen sind zuzurechnen Durchsuchungen z. B. bei Verdacht verbotenen Waffenbesitzes;92 Beschlagnahmen; die Durchsetzung

76 BGHSt 25 313, 315; BGH NStZ 1982 328; OLG Celle NJW 1973 2215; OLG Hamm NJW 1974 1831, 1832; KG StV 1988 437; NStZ 1989 121; auch Hassemer JuS 1974 669. 77 RGSt 29 199, 201. 78 Vgl. OLG Stuttgart Justiz 1972 156; BGH NStZ 1982 328; NJW 1982 2081; auch Laubenthal JuS 1993 908 f. 79 Sch/Schröder/Eser Rdn. 10. 80 BGH NJW 1982 2081. 81 KG StV 1988 437; Stree JuS 1988 192. 82 KG NStZ 1989 121. 83 BGH bei Holtz MDR 1983 621. 84 OLG Hamm JMBlNRW 1965 44, 45; OLG Zweibrücken NJW 1966 1086, 1087; OLG Celle NJW 1973 2215. 85 BayObLG JR 1963 67 mit Anm. Dünnebier. 86 OLG Schleswig SchlHA 1983 83. 87 RGSt 14 259, 261. 88 Vgl. BGH NStZ 1982 328; OLG Schleswig SchlHA 1983 84 Nr. 18. 89 OLG Zweibrücken NJW 1966 1086. 90 OLG Frankfurt NJW 1973 1806, 1087. 91 OLG Schleswig SchlHA 1983 84 Nr. 18. 92 OLG Stuttgart NJW 1971 629. Rosenau

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von Blutentnahmen;93 die gewaltsame Entfernung einer Person aus der Polizeiwache zwecks Verhinderung der Fortsetzung eines Hausfriedensbruchs;94 die Entfernung des Eindringlings beim Hausfriedensbruch;95 der polizeiliche Einsatz von Tränengas gegenüber einer Menschenansammlung;96 Maßnahmen nach § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 UZwGBw einer Bundeswehrstreife auf dem Kasernengelände z. B. bei einem Überfall;97 bereits das Betreten des Hauses zur Verhaftung eines bestimmten Straftäters, selbst wenn der Gesuchte in dem Haus dann nicht gefunden wird und deshalb ein Zugriff nicht möglich ist;98 das polizeiliche Sich-Zugang-Verschaffen zu einem Spielkasino bei bestehendem Verdacht, dass dort gerade unerlaubtes Glücksspiel stattfindet;99 die gezielte Suche nach dem Täter einer rechtswidrigen Zueignungshandlung, mit der die Rückgabe der Sache an den Geschädigten veranlasst werden soll;100 die Beweissicherung oder die Sicherstellung einer Sache gegenüber einem Täter, der sich diese durch eine rechtswidrige Handlung zugeeignet hat;101 konkrete Abwehrmaßnahmen, die im Zuge von Ermittlungen erforderlich werden;102 das Wegbringen einer durch eine konkret drohende Straftat gefährdeten Person aus dem Einwirkungsbereich des Täters;103 konkrete erkennungsdienstliche Maßnahmen;104 die zwangsweise Durchsetzung einer Identifizierungsgegenüberstellung;105 das vorübergehende Festhalten zur Personalienfeststellung gem. §§ 163b, 163c StPO,106 die über § 46 Abs. 1 OWiG für das Bußgeldverfahren entsprechend anwendbar sind;107 das Festhalten zur Identitätsfeststellung (§ 163b Abs. 1 Satz 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG) zwecks Sicherstellung der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit und deren Aufklärung;108 eine Befugnisnorm zur vorläufigen Festnahme besteht insoweit nicht, § 127 StPO ist nicht entsprechend anwendbar (§ 46 Abs. 3 OWiG);109 Anhalteweisung an einen bestimmten Verkehrsteilnehmer zur Beseitigung einer andauernden Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit;110 das Haltegebot eines Polizeibeamten gegenüber einem bestimmten Kraftfahrer bei konkretem Trunkenheitsverdacht oder Verdacht einer Verkehrsunsicherheit des Fahrzeugs111 oder zur Ermöglichung der Festnahme auf Grund vorliegenden Haftbefehls;112 das anlässlich einer allgemeinen Verkehrskontrolle gegebene Stopzeichen.113 Der Beginn einer bestimmten Vollstreckungstätigkeit liegt nicht nur in dem Haltegebot an den Kraftfahrer aus besonderem Anlass, sondern schon in der Weisung zum Anhalten zwecks allgemeiner Personen- und Fahrzeugkontrolle gemäß § 36 Abs. 1, 5 StVO.114 Die allgemeine Verkehrskontrolle wird noch nicht mit der Aufforderung zum Anhalten an einen bestimmten Verkehrsteilnehmer zu einer konkreten Vollstreckungshandlung, 93 BGHSt 24 125; OLG Köln VRS 48 24, 25. 94 OLG Hamm NJW 1974 1831, 1832. 95 OLG Schleswig SchlHA 1976 167; LG Bonn NStZ 1984 169; Wagner JZ 1987 712. 96 KG NStZ 1989 121. 97 Vgl. BGH GA 1983 411. 98 BGH NStZ 1982 328. 99 KG NStZ 1989 121. 100 BGH NJW 1982 2081. 101 Otto JR 1983 73. 102 OLG Schleswig SchlHA 1983 84, 84 Nr. 18. 103 BayObLG JR 1989 24 m. zust. Anm. Bottke. 104 Vgl. AG Hamburg StV 1985 364. 105 Geppert Jura 1989 277. 106 Vgl. Kurth NJW 1979 1378; BVerfG NVwZ 1992 767 zu den verfassungsrechtlichen Grenzen. 107 BGHSt 32 248, 251; OLG Köln StV 1982 359; Volk JR 1979 208. 108 OLG Köln NJW 1982 296; Göhler/Seitz OWiG vor § 59 Rdn. 139 ff. 109 Lampe KK OWiG § 46 Rdn. 20. 110 BGHSt 32 248, 252. 111 OLG Koblenz VRS 56 38, 39; OLG Hamm NJW 1973 1891; BGH 4 StR 109/70 v. 25.6.1970; OLG Frankfurt NJW 1974 572, 573; auch Blei JA 1974 322.

112 OLG Hamm DAR 1958 330, 331. 113 BGHSt 25 313; OLG Celle NJW 1973 2215; OLG Hamm NJW 1973 1240; Küper FS Frisch 985, 989. 114 Krause JR 1975 118; Teubner DRiZ 1975 243. 685

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

sondern erst bei einem konkreten Tatverdacht gegen eine bestimmte Person.115 Dagegen gehören hierher die polizeiliche Razzia mit Personenkontrolle;116 Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen an Kontrollstellen zum Zwecke der Aufklärung bestimmter Straftaten etwa im Rahmen von Großfahndungen nach terroristischen Anschlägen (§ 111 StPO);117 die zur Aufklärung einer Straftat gebotenen Identitätsfeststellungen auch von unverdächtigen Personen im Rahmen der §§ 163b Abs. 2, 163c StPO sowie Wohnungsdurchsuchungen in Gebäuden zwecks Ergreifung von bestimmten Beschuldigten (§ 103 Abs. 1 Satz 2 StPO).

20 c) Beginn und Ende der Vollstreckungshandlung. Nach der alten Fassung des § 113 wurde bestraft, wer dem Beamten „in“ der Ausübung seines Amtes Widerstand leistete. Die geltende Fassung erfasst den Widerstand „bei“ der Vornahme einer solchen Diensthandlung. Die Vollstreckungshandlung muss bereits begonnen haben und darf noch nicht beendet sein. Der Transport der gepfändeten Gegenstände zum Büro des Gerichtsvollziehers etwa gehört noch zur Vollstreckungshandlung.118 Diese Begriffe des Beginns und der Beendigung sind aber nicht rein förmlich zu verstehen. Sie können auch Ereignisse erfassen, die damit in unmittelbarem Zusammenhang stehen und mit ihnen einen einheitlichen Vorgang bilden. Die Grenzen sind fließend. Maßgeblicher Anhaltspunkt für die Zugehörigkeit zur Vollstreckungstätigkeit gegen eine bestimmte Person oder Sache ist, dass sich der Amtsträger bei seinem Handeln im – möglichen119 – „Kontaktbereich“ des von der Amtshandlung Betroffenen bzw. der zu vollstreckenden Amtshandlung befindet.120 Die Fahrt zum Vollstreckungsort gehört regelmäßig noch nicht zur Vollstreckungstätigkeit als solcher,121 wohl aber die sachbezogenen Verhaltensakte des Amtsträgers ab Eintreffen am Einsatzort. Ein derart enger Zusammenhang mit der eigentlichen hoheitlichen Tätigkeit, der die Verhaltensakte des Vollstreckungsbeamten nach natürlicher Lebensauffassung als Bestandteil der ergriffenen Maßnahme erscheinen lässt,122 ist unter Berücksichtigung des „Kontaktbereich“-Gesichtspunkts zu bejahen, sobald der Herrschaftsbereich (Haus, Garten, Fabrikgelände) des von der Zwangsmaßnahme Betroffenen betreten wird oder ein zwar allgemein zugänglicher, aber räumlich abgegrenzter Bereich (z. B. ein Festplatz) zwecks Festnahme eines dort gesichteten Straftäters erreicht wird. Der Zusammenhang endet mit dem Verlassen der derart begrenzten Räume nach Erledigung der Dienstgeschäfte. § 113 Abs. 1 ist danach einschlägig, wenn der Beamte auf dem Rückweg zu seinem am Rande des Festplatzes abgestellten Dienstfahrzeug angegriffen wird,123 ferner wenn der Versiegelungstrupp nach Vornahme der Versiegelung der Baustelle an dem Verlassen des Geländes, auf dem die Vollstreckung durchzuführen war, und am Abtransport der sachlichen Hilfsmittel gewaltsam gehindert oder beim Verlassen des Geländes attackiert wird.124 Die Amtsausübung des Gerichtsvollziehers beginnt, wenn er den unmittelbaren Bereich der Stelle betritt, an der er die Vollstreckungshandlung vorzunehmen hat,125 z. B. mit dem Betreten der Wohnung des Schuldners, und endet erst mit dem Verlassen dieses Ortes,126 ggf. mit der Verbringung der Sache in das Pfandlo115 OLG Frankfurt NJW 1974 572; Ehlen/Meurer NJW 1974 1776; vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 14; aA v. Bubnoff LK11 Rdn. 11a. 116 KG NJW 1975 887; zu einer aufklärungs- und gefahrenabwehrbezogenen Kombination BVerfG NJW 1977 1489, 1490. 117 Vgl. BGHSt 36 30; Kurth NJW 1979 1377, 1381 ff. 118 Blei BT8 § 102 II 2. 119 Vgl. BGH NJW 1982 2081. 120 RGSt 22 227, 229; BayObLG MDR 1988 517; Sch/Schröder/Eser Rdn. 15; Otto JR 1983 73. 121 Vgl. AG Tiergarten NJW 1988 3218. 122 BGH NStZ 1982 328; BayObLG MDR 1988 517; krit. Otto JR 1983 73. 123 BGH NJW 1982 2081. 124 Vgl. BayObLG MDR 1988 517. 125 RGSt 22 227, 228 f. 126 RGSt 41 82, 84. Rosenau

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kal. Dagegen fallen Gewalt oder Nötigung, die außerhalb, d. h. vor oder nach der Vollstreckungshandlung begangen werden, nicht unter § 113, sondern unter § 240. Allerdings hat die Rspr. in § 113 als Tathandlungen solche Handlungen einbezogen, die sich bewusst und gewollt gegen eine unmittelbar bevorstehende Vollstreckung richten,127 dagegen die Anwendung des § 113 ausgeschlossen, wenn der unmittelbare Zusammenhang fehlte.128 Auf der Grenze liegt der in BGHSt 18 133 entschiedene Fall. Dort hatten sich Personen, die in einer Landesheilanstalt verwahrt waren, verbarrikadiert, um der Polizei das erwartete Eindringen zu verwehren. Der BGH hat darin ein vorweggenommenes tätiges Handeln erblickt, das sich gegen die unmittelbar bevorstehende Vollstreckung richtete und zu dem Zeitpunkt fortwirkte, in dem sie durchgeführt wurde.129 Man kann dieser Entscheidung im Hinblick auf das gewaltsame Fortwirken bis zum Beginn der eigentlichen Vollstreckung zustimmen.130 Es reicht also aus, wenn die eigene Kraftentfaltung des Täters gleichsam als vorweggenommener Widerstand gegen eine alsbald erwartete Vollstreckung schon vor Beginn der Diensthandlung erfolgt, sofern sie sich als Widerstand gegen den Amtsträger im Zeitpunkt dessen Tätigwerdens auswirkt,131 etwa beim Abschließen der Wohnung in Erwartung des erst später eintreffenden Gerichtsvollziehers oder durch Innenverriegelung des Kraftfahrzeugs in Erwartung alsbaldiger gezielter polizeilicher Kontrollmaßnahmen.132 Die Einbeziehung des sog. vorweggenommenen Widerstandes muss insbesondere kriminalpolitisch verstanden werden, weil bei den Widerstandleistenden die privilegierende Ausnahmesituation ebenso vorweggenommen erscheint133 und der strengere Strafrahmen des § 240 nicht gerechtfertigt erscheint.134

4. Tathandlungen Als Tathandlungen erfasst § 113 die eigentliche Widerstandshandlung gegen einen Vollstre- 21 ckungsbeamten. Für eine teleologische Reduktion bei „nichtkommunikativem Verhalten“ des Vollstreckungsbeamten135 lässt sich aus dem tatbestandlichen Schutzzweck nichts Entscheidendes herleiten.

a) Widerstand. Widerstand ist jede aktive, gegen den Amtsträger gerichtete Tätigkeit, die nach 22 der Vorstellung des Täters geeignet ist, die Vollziehung der Diensthandlung zu verhindern oder zu erschweren.136 Soweit das Vorgehen des Täters auf eine Verhinderung abzielt, deckt sich das Merkmal des Widerstandes mit der Nötigung zum Unterlassen einer Diensthandlung.137 Die Nötigung im Rahmen sonstiger Amtstätigkeit sowie der Zwang zur Vornahme von Vollstreckungshandlungen fallen nicht unter § 113. Jedoch genügt zum Widerstandleisten bereits die vorsätzliche Erschwerung der Vollstreckungshandlung.138 Den Eintritt des Erfolges setzt § 113 seinem Charakter als unechtem Unternehmensdelikt entsprechend nicht voraus; bestraft wird vielmehr der zielgerichtete Widerstand als solcher; ob der Beamte daran scheitert oder ihn über127 128 129 130 131

RGSt 41 181, 183; OLG Stuttgart NJW 1948 636. RGSt 14 259. Vgl. dazu die Anm. von Ruß NJW 1963 1165. Ebenso Fischer Rdn. 7a; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 12; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 16. Horn/Wolters SK Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 19; Pflieger HK-GS Rdn. 8; Zielinski AK Rdn. 17. 132 OLG Celle NStE Nr. 6 zu § 113. 133 AA Bosch MK Rdn. 14; Küper FS Frisch 985, 1001. 134 Schief BGHSt 18 133, 135 f. 135 Backes/Ransiek JuS 1989 626; krit. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6. 136 BGH NStZ 2013 336. 137 Vgl. BGHSt 25 313, 314; OLG Koblenz NStE Nr. 2 zu § 113. 138 Vgl. Dreher NJW 1970 1156. 687

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windet, ist gleichgültig. Untaugliche Widerstandshandlungen, die noch den Charakter einer Widergesetzlichkeit tragen, reichen aus.139

23 b) Gewalt. Der Widerstand muss mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt geleistet werden. Der Gewaltbegriff ist umstritten.140 Die Tendenz der Rechtsprechung zum Gewaltbegriff geht zwar allgemein dahin, dessen Gewicht von der Kennzeichnung des Mittels der Einwirkung auf die Zwangswirkung des Täterverhaltens zu verlagern.141 Der Gewaltbegriff wird indes im StGB nicht einheitlich gebraucht; vielmehr ist sein Inhalt nach dem jeweiligen Tatbestand, d. h. unter Einbeziehung des tatbestandlichen Handlungszieles gesondert zu ermitteln.142 Zunächst ist Gewalt in § 113 nicht gleichbedeutend mit Gewalttätigkeit in §§ 124, 125, die ein aggressives Verhalten voraussetzt.143 Das bringt das Gesetz schon dadurch zum Ausdruck, dass es – abweichend von Absatz 1 – in Absatz 2 Nr. 2 ausdrücklich von einer Gewalttätigkeit spricht,144 die beiden Begriffe somit abschichtet. Andererseits stimmt die in Absatz 1 genannte Gewalt auch nicht mit dem § 240 zugrundegelegten Gewaltbegriff überein, sondern ist enger zu verstehen.145 Dabei steht das Zwangsmittel im Vordergrund, weniger die Zwangswirkung. Die Verbindung mit dem „Widerstand“, also einer aktiven Tätigkeit,146 zeigt, dass rein passives Verhalten ebensowenig ausreicht wie bloßer Ungehorsam.147 Die Widerstandsleistung mit Gewalt muss sich – unmittelbar oder mittelbar – gegen die Person des Amtsträgers, d. h. des zur Vollstreckung des Staatswillens berufenen Organs bei der Vornahme der Vollstreckungshandlung richten.148 Dies wird durch die straferschwerenden Regelbeispiele des Absatzes 2 sowie durch die die Vorschrift charakterisierende Privilegierung (vgl. Rdn. 5) des Täters bestätigt.149 Die bloße Flucht ist nicht ausreichend.150 Die Drohung mit der Selbstverbrennung ist nicht gegen die Person des Vollstreckenden gerichtet und genügt daher nicht.151 Die bloße Einwirkung auf Sachen scheidet entsprechend als Mittel des Widerstandes aus;152 z. B. das Zerstören der Pfandsache in Gegenwart des Gerichtsvollziehers; das Durchbrechen einer rein gegenständlichen Straßensperre durch einen flüchtigen KFZ-Fahrer. Der Begriff der Gewalt ist danach in § 113 Abs. 1 als eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftäußerung, d. h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft, gegen den Amtsträger zu verstehen, der an sich geeignet ist, die Durchfüh139 Vgl. Fischer Rdn. 22; Sch/Schröder/Eser Rdn. 40 f. 140 Vgl. zu § 113 etwa Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 20 ff., die entscheidend auf den Nötigungseffekt abstellen; Horn/Wolters SK Rdn. 16, der Gewalt als Zwangsmittel auf vis absoluta beschränkt; Backes/Ransiek JuS 1989 624, 625 u. Keller Gewaltbegriff (1982) S. 261, auch JuS 1984 109, 116, die als Gewalt nur Angriffe auf Leben, Körperintegrität oder Bewegungsfreiheit erfassen; Zielinski AK Rdn. 27 u. Calliess Begriff der Gewalt im Systemzusammenhang der Straftatbestände (1974) S. 39, die die Einwirkung auf Sachen als Modus der Widerstandsleistung nicht erfassen; Baumann/Frosch JZ 1970 115, 120, die auf die Stärke der Willensbeugung abstellen. 141 Vgl. BGHSt 8 102; 19 263, 265; 23 46; 34 71, 77; BGH NStZ 1985 71; BayObLG JZ 1986 404, 405; zur Entwicklung vgl. Calliess Begriff der Gewalt S. 39; Keller JuS 1984 109; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 378 ff.; Krey Probleme der Nötigung mit Gewalt, JuS 1974 418; Müller-Dietz GA 1974 33; Martin FS BGH 211; Otto NStZ 1992 569; Schroeder JuS 1982 491; Starck JZ 1987 145; Tröndle GA 1973 325. 142 BGHSt 23 46, 49; 32 165, 170; auch Martin FS BGH, S. 211, 213 f. 143 BGH 23 46, 52 f.; Martin FS BGH, S. 211, 221. 144 Dreher NJW 1970 1161. 145 Ber. BTDrucks. VI/502 S. 4; Prot. V/2886; Calliess Begriff der Gewalt S. 39; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 15; Otto JR 1983 74; Tiedemann JZ 1969 720; aA Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 656, 368 ff. 146 Horstkotte Prot. V/2886. 147 H.M.; vgl. nur Horn/Wolters SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Eser Rdn. 42; Tiedemann, JZ 1969 720. 148 Vgl. Prot. VI/311; BGHSt 18 133, 134 f.; OLG Hamm NStZ 1995 547, 548; OLG Dresden NStZ-RR 2015 10; Küper FS Frisch, S. 985, 995. 149 Vgl. Calliess Begriff der Gewalt, S. 39. 150 BGH NStZ 2013 336, 337. 151 OLG Hamm NStZ 1995 547, 548. 152 Sch/Schröder/Eser Rdn. 42. Rosenau

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rung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren,153 letzterenfalls etwa dergestalt, dass der Amtsträger die Diensthandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen.154 Insoweit kommt der spezifischen Eignung des Verhaltens zur Zwangswirkung kennzeichnende Bedeutung zu.155 In Betracht kommt auch der Einsatz von Sachen;156 der Aufbau von Hindernissen wie das Verstellen des Wohnungszugangs mit einem schweren Eichentisch157 oder das den Weg versperrende Abstellen eines schweren Fahrzeugs;158 das „Schneiden“ von Polizeifahrzeugen, um diese am Überholen zwecks Festnahme zu hindern;159 der Einsatz der Motorkraft des Fahrzeugs;160 schnelles Zufahren auf den Vollstreckungsbeamten.161 Die Handlung braucht nicht unmittelbar gegen die Person des Amtsträgers gerichtet zu sein. Insbesondere bedarf es nicht einer Berührung seines Körpers; es genügt vielmehr eine nur mittelbar gegen die Person, aber unmittelbar gegen eine Sache gerichtete Einwirkung, wenn sie nur von dem Beamten körperlich empfunden wird.162 Ausreichend sind gezielte Steinwürfe auf ein bemanntes Polizeifahrzeug,163 ungeachtet vorhandener Schutzvorrichtungen (Fenstervergitterung), sofern nach den konkreten Tatumständen die in § 113 vorausgesetzte Nötigungssituation zu bejahen ist, die Polizeibeamten sich z. B. am Aussteigen zur Vornahme der Vollstreckungshandlung gehindert sehen; ferner das Schießen des festzunehmenden Täters auf die Reifen des ihn verfolgenden Polizeifahrzeugs;164 der plötzliche Sprung vor ein Polizeifahrzeug zwecks Verhinderung der Weiterfahrt;165 hier strahlt die Sachgewalt auf die Person des Amtsträgers aus. Auch der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform ist davon ausgegangen, dass den vorgenannten einengenden Grundsätzen zu folgen sei.166 Nach diesen Grundsätzen richtet sich vor allem auch die Unterscheidung zwischen bloßem Ungehorsam und Widerstand mit Gewalt, deren Grenzen allerdings insoweit verschwimmen.

c) Rechtsprechungsbeispiele. In der Rechtsprechung spielen die Fälle eine bedeutende Rol- 24 le, in denen sich Kraftfahrer gegen das Eingreifen von Polizeibeamten wehren. Die unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Beamten ist offensichtlich, wenn der die Kontrolle Ausübende bereits zugegriffen hat und durch das An- oder Weiterfahren abgeschüttelt wird167 oder der Täter anfährt, obwohl der Polizeibeamte gerade vermittels eines Griffs durch das halb geöffnete PKWFenster zum Entriegeln der Türe angesetzt168 oder den Angeklagten am Arm oder Pullover ergriffen hatte.169 Gewalt ist es ferner, wenn der Täter auf den Polizisten zufährt und ihn zwingt,

153 BGHSt 18 133, 134; BGH NStZ 2013 336, 337; OLG Karlsruhe NJW 1974 2142 f.; OLG Celle NStE Nr. 6; OLG Dresden NStZ-RR 2015 10. BayObLG JR 1989 24; Geppert Jura 1989 275. Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1982 1111, 1112; BayObLG JR 1989 24. RGSt 45 156. Vgl. BGH JZ 1981 35. Vgl. BayObLG MDR 1988 517. BGHSt 48 233, 235, 238. BGH VRS 56 141, 143. Rdn. 78; OLG Düsseldorf NJW 1982 1111; zur Typizität und Abgrenzung von § 315b Ranft Jura 1987 611. Vgl. BGH 21.9.1983, 3 StR 224/83; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 22; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 697 u. 719; aA Zielinski AK Rdn. 27. 163 AA AG Tiergarten NJW 1988 3218. 164 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 22. 165 BayObLG MDR 1989 376. 166 Prot. VI/313 ff.; Ber. BTDrucks. VI/502 S. 4. 167 BGHSt 28 87, 91; BGH VRS 19 188, 190; 4 44; 56 141, 143. 168 BGH 4 StR 109/70 v. 25.6.1970. 169 OLG Karlsruhe Die Justiz 1981 239.

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beiseite zu springen,170 u. U. auch schon, wenn der Täter die Zwangswirkung durch plötzliches Anfahren und dichtes Vorbeifahren mit seinem PKW an zwei kontrollierenden Polizeibeamten auslöst.171 Das gleiche gilt, wenn der verfolgte Kraftfahrer die Polizeibeamten am Überholen hindert.172 In diesen Fällen schaltet der Täter mithilfe der der Körperkraft des Beamten weit überlegenen Motorkraft seines PKW die Wirkung des Beamtenzugriffs aus. Gewaltsamen Widerstand leistet auch, wer sich bei Vornahme einer von Polizeibeamten durchgeführten Vollstreckungshandlung dem anfahrenden Polizeifahrzeug in den Weg stellt.173 Dagegen ist es bloßer Ungehorsam und keine Gewaltanwendung, wenn der Kraftfahrer das Haltezeichen des Polizeibeamten unbeachtet lässt und die Polizeikontrolle ohne Behinderung der Beamten durchfährt;174 hier hat der Täter die Motorkraft des PKW nur zum schnelleren Davonkommen benutzt. Nicht selten ist auch der Widerstand durch Gewaltanwendung gegenüber dem Gerichtsvollzieher. Stellt sich der Schuldner ihm entgegen und verhindert auf diese Weise den Zutritt zu den Räumen, in denen sich die Pfandsache befindet, oder hält er die Türen zu, so übt er Gewalt unmittelbar gegen die Person des Amtsträgers aus.175 Das gleiche soll gelten, wenn er die Tür vor oder nach dem Eintritt des Gerichtsvollziehers verschließt.176 Ebenso wurde bei einem Autofahrer entschieden, der die Fahrzeugtüren von innen verriegelte.177 Dagegen ist es kein gewaltsamer Widerstand gegen den Beamten, wenn der Schuldner nur auf die Sache einwirkt.178 Deswegen ist § 113 unanwendbar, wenn sie der Schuldner vor den Augen des Gerichtsvollziehers vernichtet oder aus dem Fenster wirft; hingegen genügt es, wenn er sie dem Gerichtsvollzieher, der sie bereits an sich genommen hat, wieder zu entreißen sucht.179 Aktive Gewaltanwendung ist auch das Verschließen der Stahlgittertür in einer Barrikade als einzigem Zugang zu einem besetzten Haus zwecks Verhinderung polizeilichen Zutritts.180 Auch die Abgabe eines Schreckschusses ist als Gewalt im Sinne des § 113 oder mindestens als Drohung damit zu verstehen.181 Ebenso ist die Betäubung durch narkotische Mittel eine Gewaltanwendung nach § 113, und zwar auch dann, wenn sie dem Opfer ohne Aufwendung körperlicher Kraft beigebracht werden.182 Bloßes Unterlassen – z. B. Nichtöffnen der Tür bei Erscheinen der Vollstreckungsbeamten – reicht angesichts des tatbestandlich vorausgesetzten „Leistens von Widerstand“, einer aktiven Tätigkeit, nicht aus.183 Am gewaltsamen Widerstand fehlt es bei rein passivem Verhalten, also etwa beim Nichtaufstehen des Festzunehmenden, dem Sitzenbleiben auf den Straßenbahnschienen oder dem Sich-wegtragen-lassen.184 Deswegen ist es keine Gewaltanwendung, wenn der Schuldner seinen Hund, der den Zugang zum Pfandgegenstand versperrt, trotz Aufforderung des Gerichts-

170 BGH NJW 1953 672; bei Dallinger MDR 1955 143, 144; VRS 26 202; 22 435, 437; BGHSt 25 313; bei Spiegel DAR 1987 195; OLG Düsseldorf NJW 1982 1111, 1112; OLG Hamm NJW 1973 1240; 1891; OLG Koblenz VRS 56 38; DAR 1973 219; KG VRS 11 198, 200; OLG Hamm DAR 1958 330, 331. 171 OLG Koblenz DAR 1980 348. 172 BGHSt 14 395, 398; 48 233, 235, 238; OLG Köln NJW 1968 1247. 173 BayObLGSt 1988 7, 8 f. m. Anm. Bottke JR 1989 25; krit. Ostendorf JZ 1989 573. 174 BGH bei Dallinger MDR 1955 144; BGH 4 StR 384/70 v. 12.11.1970; Sch/Schröder/Eser Rdn. 44; aA OLG Köln VRS 27 103, 104. 175 Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 15, 17. 176 BGHSt 18 133, 134; RGSt 27 405, 406; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 15, 17; aA Zielinski AK Rdn. 27 und wohl auch RGSt 41 82, 84; vgl. auch Sch/Schröder/Eser Rdn. 43; Tiedemann JZ 1969 720, die zwar das Einsperren, nicht aber das Aussperren des Amtsträgers als Widerstandleisten durch Gewalt ansehen. 177 OLG Düsseldorf NZV 1996 458, 459; aA Ostendorf JZ 1997 1104; Seier/Rohlfs NZV 2006 460. 178 Calliess Begriff der Gewalt, S. 39. 179 Vgl. OLG Oldenburg NdsRpfl. 1953 152. 180 BGH 3 StR 224/83 v. 21.9.1983. 181 RG Recht 1914 Nr. 707; vgl. ferner zu § 249 BGH 2 StR 464/75 v. 22.10.1975 und 2 StR 505/74 v. 26.11.1975. 182 BGHSt 1 145, 147; aA RGSt 72 349, 351; 58 98, 99; 56 87, 88. 183 Vgl. Krey//Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 656; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 16. 184 Vgl. BGHSt 18 133, 134; Sch/Schröder/Eser Rdn. 40/41; offengelassen in BGHSt 23 46, 51. Rosenau

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vollziehers nicht entfernt.185 Voraussetzung für diese Beurteilung ist, dass der Schuldner den Hund nicht gerade an der betreffenden Stelle angebunden hat, um dem Gerichtsvollzieher den Zugang zu verwehren; hat er das getan, so liegt der Fall nicht anders als beim Zuhalten oder Verschließen der Tür. Von einem „untätigen Widerstand“ kann nur so lange die Rede sein, wie der Täter die Amtshandlung lediglich dadurch erschwert, dass er dem mit der Verhaftung oder dem Fortschaffen betrauten Beamten nichts anderes als das Gewicht seines Körpers entgegensetzt. Bereitet er dem Polizisten darüber hinausgehende Schwierigkeiten, wie durch Entgegenstemmen, Stemmen der Füße gegen den Boden, Festklammern an einem Treppengitter,186 krampfhaftes Festhalten am Lenkrad,187 am Wagendach bzw. der Türumrandung eines PKW,188 durch heftig kreisende Bewegungen zwecks Befreiung aus dem Griff eines Polizeibeamten189 oder Losreißen, etwa um die Durchsetzung einer Blutentnahme zu verhindern oder einer vorläufigen Festnahme zu entgehen,190 oder durch sonstiges heftiges Sträuben gegen einen Abtransport, ist das Merkmal des gewaltsamen Widerstandes gegeben.191 Denn derartige Verhaltensweisen sind durch den oftmals nicht unerheblichen Einsatz von Körperkraft gekennzeichnet.192 Keine Gewalt stellt das bloße Sich-Entziehen aus dem lockeren Griff das Polizeibeamten dar.193 Im Grenzbereich liegt das feste Einhaken oder Aneinanderklammern mehrerer Personen zwecks Verhinderung ihres polizeilichen Abtransports.194 Auf der Grenze liegt ebenso der Fall, in dem sich der untätige Widerstand gegen die freie Entfaltungsmöglichkeit des Beamten richtet, wenn ihm z. B. die Ausübung seiner Tätigkeit dadurch unmöglich gemacht wird, dass Demonstranten sich vor die Tür der Polizeiwache setzen, einhaken und den Ein- oder Ausgang blockieren. Man wird diese Lage derjenigen gleichsetzen können, bei welcher der Täter den Gerichtsvollzieher aus- oder einsperrt und den Gewaltbegriff bejahen.195 Keine Gewalt liegt schon begrifflich vor,196 wenn sich Demonstranten auf die Straße legen, um den Einsatz berittener Polizei gegen Ruhestörer zu verhindern, oder wenn sich Personen zwecks Verhinderung des Abtransports eines Festgenommenen vor und hinter dem polizeilichen Streifenwagen auf die Straße setzen; denn hier mangelt es an der Entfaltung von Körperkraft.197 Die Behauptung eines Unterschieds zum Ungehorsam und rein passiven Verhalten198 wirkt konstruiert.

d) Drohung mit Gewalt. Drohung mit Gwalt ist die Ankündigung der künftigen Gewaltanwen- 25 dung in dem soeben gekennzeichneten Sinne. Die Ankündigung kann nicht nur mit Worten, sondern auch durch Gesten erfolgen,199 etwa durch Vorhalten einer Waffe oder durch bedrohliches Hochheben eines Stuhles.200 Auch das bedrohliche Zulaufen auf einen vollstreckenden Polizeibeamten unter lautem Schreien und „Herumfuchteln mit den Armen“ zwecks Vereitelung 185 186 187 188 189 190 191

OLG Neustadt GA 1961 60. AA Blei BT § 102 II 3. BGH VRS 56 141, 143. OLG Köln VRS 71 183, 186. OLG Hamburg NJW 1976 2174. OLG Frankfurt NJW 1974 572; OLG Stuttgart NJW 1971 629. RGSt 2 411, 412 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 17; Sch/Schröder/Eser Rdn. 44; Fischer Rdn. 24; aA Backes/Ransiek JuS 1989 624, 625; Blei BT § 102 II 3; Zielinski AK Rdn. 27. 192 BVerfG NJW 2006 136. 193 OLG Dresden NStZ-RR 2015 10; zust. Hecker JuS 2015 562, 564. 194 Vgl. Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 497 u. Fn. 15; gegen Gewalt AG Frankfurt StV 1985 373, 374; Ostendorf JZ 1987 336. 195 Vgl. Prot. V/2895; VI/314 f.; krit. Backes/Ransiek JuS 1989 625. 196 Vgl. BVerfGE 91 1, 17 f. 197 BVerfG NJW 2006 136; AG Frankfurt StV 1985 373, 374; aA OLG Düsseldorf StV 1986 103, 104. 198 v. Bubnoff LK11 Rdn. 15. 199 OLG Hamm NJW 1973 1240. 200 KG NJW 1975 887, 888. 691

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der Festnahme eines Dritten ist dieser Alternative zuzuordnen.201 Der Begriff der Drohung wird gleichbedeutend verwendet wie in § 240 (vgl. die dortige Erl.). Erforderlich ist allerdings, dass Gewalt angedroht wird; andere Nötigungsmittel genügen nicht. Es ist erforderlich aber auch hinreichend, dass der Täter weiß oder billigend damit rechnet, die Drohung sei geeignet, beim Bedrohten Furcht vor ihrer Verwirklichung hervorzurufen.202 Die Drohung braucht nicht ernst gemeint zu sein; es genügt, wenn der Drohende meint und will, dass der Bedrohte sie für ernst hält,203 so z. B. beim Entgegentreten mit einem ungeladenen Gewehr.204 Auch mit einem erst nach Beendigung der Amtstätigkeit vorzunehmenden Gewaltakt kann wirksam gedroht werden,205 dgl. mittelbar durch Gewalt gegen Sachen. Ob der Bedrohte das Übel zu fürchten hat, ist gleichgültig. Das Inaussichtstellen von Gewalt gegen die Allgemeinheit kann genügen. Die Drohung mit einem sonstigen empfindlichen Übel (bloßstellende Presseveröffentlichung, Strafanzeige, Dienstaufsichtsbeschwerde; Selbstverbrennung206) reicht nicht aus.

5. Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 26 Nach § 113 Abs. 1 a. F. hing die Bestrafung von der „rechtmäßigen“ Amtsausübung ab.207 Das Wort fehlt in der neuen Fassung des Absatzes 1. Dadurch hat sich aber sachlich nichts geändert. Denn gemäß § 113 Abs. 3 S. 1 darf, ebenso wie früher, nicht aus § 113 bestraft werden, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist (Rdn. 34 ff.). Die Übernahme des Wortes „rechtmäßig“ in einen besonderen Absatz, wie sie bereits in den Garmischer Beschlüssen vorgesehen war (Prot. V/3399), ist nur aus „methodischen und rechtstheoretischen Gründen“ erfolgt (Prot. VI/304 und 311).

27 a) Dogmatische Einordnung des Rechtsmäßigkeitsbegriffs. Nach der von der Rechtsprechung und einem großen Teil des Schrifttums zur a. F. vertretenen Meinung war die Rechtmäßigkeit objektive Bedingung der Strafbarkeit, so dass ein Irrtum des Täters darüber unbeachtlich war;208 allerdings befinden sich in diesen Entscheidungen bereits Hinweise auf Ausnahmefälle, in denen die strenge Durchführung jenes Grundsatzes einen Verstoß gegen das Schuldprinzip enthalten könnte. Im Schrifttum fand sich auch die Ansicht, dass die Widerrechtlichkeit ein Tatbestandsmerkmal des § 113 und dass beim Irrtum der § 59 a. F. (§ 16 n. F.) anzuwenden sei.209 Welzel war der Auffassung, dass „der Zusatz von der Rechtmäßigkeit der Amtshandlung … lediglich das ohnehin selbstverständliche Erfordernis der Rechtswidrigkeit der Widerstandsleistung“ hervorhebe; demgemäß richte sich der Irrtum darüber nach den Grundsätzen des Verbotsirrtums.210 Während nach früherem Rechtszustand die dogmatischen Einordnungsmöglichkeiten zu 28 einer unterschiedlichen Strafbarkeitsbegrenzung führten, ist der Strafbarkeitsumfang – insbesondere durch die abschließende Regelung der Irrtumsproblematik – nunmehr klar abgegrenzt. Die Neufassung des § 113 durch das 3. StrRG ist in den Absätzen 3 und 4 eigene Wege gegangen. Sie stellt allerdings jedenfalls nach herkömmlicher Betrachtungsweise – was dem Sonderausschuss bewusst war (Prot. VI/305 bis 309) – eine klare dogmatische Zuordnung des Merkmals

201 202 203 204 205 206 207 208 209 210

Vgl. OLG Koblenz NStE § 113 Nr. 2. Vgl. BGH NJW 1976 976. Vgl. OLG Hamm OLGSt § 113 S. 23. RGSt 9 176, 177. Sch/Schröder/Eser Rdn. 45 f. OLG Hamm NStZ 2005 547, 548. Zur Entwicklung dieses Erfordernisses vgl. Möbius S. 58 ff.; Bosch MK Rdn. 11. BGHSt 21 334, 364 ff.; 4 161, 163; jeweils m. w. N. Frank Anm. VII, Liszt/Schmidt § 171 II 4. JZ 1952 19 und Strafrecht, S. 503.

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II. Objektiver Tatbestand

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der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung in Frage.211 Insoweit werden unterschiedliche Möglichkeiten erörtert.

aa) Tatbestandsmerkmal. Teilweise wird die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung als Tatbe- 29 standsmerkmal eingeordnet. Zur Begründung werden unterschiedliche Ansätze und Konstruktionen verwendet, die Problemeinbindung des Absatzes 4 ist differenziert. Einige Vertreter dieser Auffassung212 setzen bei der Beurteilung der sachlichen Einordnung des Rechtmäßigkeitsmerkmals bei der Rechtsgutsfrage (Schutzgut: rechtmäßige Betätigung der Vollstreckungsgewalt) an und suchen von hier aus die Zuordnung zur Tatbestandsebene nachzuweisen. Von einer solchen rechtsgutsbegrenzenden Funktion her gesehen wird die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung als unrechtskonstituierendes Tatbestandselement gekennzeichnet,213 das aus rein kriminalpolitischen Erwägungen dem Vorsatzerfordernis entzogen sei.214 Für Eser handelt es sich bei § 113 Abs. 1, 3 der Sache nach um eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination, bei der für die in § 113 Abs. 1 genannten Tatbestandselemente Vorsatz nötig, für das Merkmal der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung Fahrlässigkeit (Absatz 4) ausreichend sei,215 d. h. insoweit lediglich vorauszusetzen sei, dass der Täter deren Rechtmäßigkeit hätte erkennen können. Die Irrtumsregelung des Absatzes 4 wird als verkappte bzw. gesetzgeberisch misslungene Fahrlässigkeitsregelung interpretiert. Um auch noch § 113 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 (Strafbarkeit trotz Unvermeidbarkeit des Irrtums) erklären zu können, muss diese Auffassung Fahrlässigkeit auch darin sehen, dass der Täter sich spontan zur Wehr setzt, anstatt ihm zumutbare Rechtsbehelfe zu ergreifen;216 aA insoweit Jakobs, der Absatz 4 Satz 2 als weiteren Tatbestand (Verbot abstrakter Gefährdung rechtmäßiger Vollstreckung) zu erklären sucht; hier soll die Rechtmäßigkeit objektive Strafbarkeitsbedingung sein.217 Zu einer Fahrlässigkeitslösung, die eine Einordnung als Tatbestandsmerkmal stützen könnte, hat sich indes der Gesetzgeber bewusst nicht entschlossen. Denn er ist dem von Bockelmann218 gemachten Vorschlag eines ergänzenden Fahrlässigkeitstatbestandes nicht gefolgt.219 Gegen eine dogmatische Erfassung der Rechtmäßigkeit als Tatbestandsmerkmal spricht ihre Ausgliederung aus der gesetzlichen Verhaltensumschreibung des Absatzes 1.220 Die Regelung des Absatzes 3 Satz 2 wäre gegebenenfalls unverständlich und überflüssig.221 Mit einer solchen Auffassung ist ferner die Irrtumsregelung nicht vereinbar, die in Absatz 4 eine von § 16 abweichende Beurteilung des Irrtums vorsieht.222 Auf dem Boden einer modifizierten Tatbestandslösung argumentieren Naucke,223 der den insoweit regelwidrigen Absatz 4 als gesetzlich vorgesehene Ausnahme von § 16 kennzeichnet, ferner Sax,224 der im Rahmen neuer dogmatischer Ansätze zwischen echten Tatbestandsmerkmalen und solchen besonderer Art – nicht vorsatzbezogenen „objektiven 211 Vgl. Hassemer JuS 1975 399; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 17 f.; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 662; Schünemann JA 1972 707; H. Seebode (Fn. 1) S. 105, zugl. m. Überblick zum unterschiedlichen Meinungsstand S. 46 ff.; vgl. aber Sax JZ 1976 9, 16. 212 Sch/Schröder/Eser Rdn. 20; Jakobs AT 6/65; Zielinski AK Rdn. 18, 20; früher auch Hirsch ZStW 84 (1972) 390 f., s. aber Rdn. 33. 213 Zielinski AK Rdn. 18; krit. Dreher GedS Schröder 365 f., 374, 379; JR 1984 402. 214 Sch/Schröder/Eser Rdn. 20. 215 Für Absatz 4 Satz 1 ebenso Jakobs AT 6/65. 216 Krit. Bergmann [Fn. 33] S. 117; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 661. 217 AT 6/65; zust. Zielinski AK Rdn. 21. 218 Prot. VI/170, 173/174; vgl. auch Niederschriften 13 58; Tiedemann Prot. VI/208. 219 Vgl. de With, Pinger, Sturm Prot. VI/304 f., 310. 220 Vgl. Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 701. 221 Vgl. Dreher GedS Schröder 371, 373; Sch/Schröder/Eser Rdn. 20a, 54; krit. Hirsch ZStW 84 [1972] 388, 392 Fußn. 21. 222 Paeffgen NK Rdn. 66. 223 FS Dreher 459, 472 ff.; krit. Dreher GedS Schröder 371 ff.; H. Seebode S. 52 ff., 66 ff. 224 JZ 1976 9, 15 f., 80 ff., 430 f.; krit. Dreher GedS Schröder 371 ff.; H. Seebode S. 52 ff., 66 ff. 693

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Strafwürdigkeitsvoraussetzungen“ – unterscheidet; die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung wird als Strafwürdigkeitsvoraussetzung dem – vom notwendig vorsatzbezogenen gesetzlichen Tatbestand unterschiedenen, als übergreifende Kategorie gedachten – Unrechtstatbestand zugeordnet, weil sie das typische, strafbare Unrecht des § 113 als unrechtskonstituierendes Merkmal mitbestimme.225 Hinsichtlich der Strafwürdigkeitsvoraussetzungen sollen danach (abgewandelte) Verbotsirrtumsregeln gelten.226

30 bb) Objektive Strafbarkeitsbedingung. Teilweise wird auch (und gerade) nach der Neufassung an der Meinung festgehalten, dass die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung eine objektive Bedingung der Strafbarkeit sei.227 Dabei wird an die auch der Neufassung zugrundeliegende Tendenz einer weitgehenden Risikoüberbürdung auf den sich Auflehnenden angeknüpft, der eine jedenfalls faktische Vermutung rechtmäßiger Vollstreckungstätigkeit gegen sich hat. Die Annahme einer objektiven Strafbarkeitsbedingung mag zwar mit der Fassung des Absatzes 3 Satz 1 vereinbar sein; gegen sie spricht jedoch die Irrtumsregel des Absatzes 4. Die frühere Rspr. hatte den Weg der Strafbarkeitsbedingung eingeschlagen, um den Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit auszuschalten, der aber nunmehr nach Absatz 4 erheblich ist. Diese Auffassung lässt im übrigen die Bedeutung des Rechtmäßigkeitsmerkmals für das Tatunrecht außer Betracht.228 Friktionen ergeben sich daraus, dass gegen widerrechtliche Vollstreckungshandlungen Notwehr möglich sein muss, bei Annahme einer objektiven Strafbarkeitsbedingung die Rechtswidrigkeit der Widerstandsleistung aber bestehen bliebe.229

31 cc) Rechtfertigungselement. Der Vorzug ist nach wie vor der Rechtfertigungslösung zu geben, die weitgehend an Boden gewonnen hat.230 Das in Absatz 1 typisierte Tatunrecht besteht im Widerstand gegen einen hoheitlichen Vollstreckungsakt, der seinerseits in einem Rechtsstaat regelmäßig eine Vermutung der Rechtmäßigkeit für sich hat.231 Die tatbestandliche Umschreibung des Absatz 1 hat hier also unrechtsbegründende Funktion. Dem Fehlen der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung kommt eine rechtfertigende Wirkung, d. h. die Bedeutung eines rechtfertigenden Elements zu, welches die Rechtswidrigkeit des Widerstandes als solche entfallen lässt. Es handelt sich mit den folgenden Regelungsbesonderheiten bei Absatz 3 um einen spezialgesetzlichen Rechtfertigungsgrund eigener Art.232 Diese Auffassung dürfte die bestehenden Spannungen einigermaßen befriedigend überbrücken, wobei allerdings gesetzliche Besonderheiten zu berücksichtigen bleiben. Ein Verteidigungswille, d. h. Kenntnis der Unrechtmäßigkeit der Diensthandlung, 225 Ähnlich Wolters SK Rdn. 24. 226 Sax JZ 1976 430 f. 227 Krause Jura 1980 449; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 701 „durch § 113 IV modifizierte objekt. Bedingung …“; ähnlich Pinger Prot. VI/305; KG NJW 1972 781, 782; differenzierend Blei II § 102 III; ferner mit der Abschichtung zwischen Absatz 3 und 4 bei Maurach Nachtr. II S. 12 f. 228 Vgl. Dreher GedS Schröder 359, 369; Sch/Schröder/Eser Rdn. 19. 229 Vgl. Dreher FS Heinitz 221; zu den verschiedenen Einwänden ferner Dreher GedS Schröder 367 ff.; Bosch MK Rdn. 27. 230 Im Anschluss an Dreher NJW 1970 1158; ders GedS Schröder 359, 379; ders JR 1984 401 auch Bosch MK Rdn. 30; Fischer Rdn. 20; Heimann-Trosien LK9 Rdn. 20; Herdegen FS BGH 202; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 39; Niemeyer JZ 1976 315; Paeffgen JZ 1979 521; H. Seebode S. 109; auch Schölz FS Dreher 482; OLG Bremen NJW 1977 158; krit. Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 704; Wolters SK Rdn. 24; Naucke FS Dreher 459, 471; Tiedemann Prot. VI/208. 231 Dreher GedS Schröder 359, 365, 379; JR 1984 401/402; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 39; H. Seebode (Fn. 1) S. 93 f. m. w. N. 232 Zu der Annahme eines Rechtspflichtmerkmals vgl. etwa Dreher FS Heinitz 221; Niemeyer JZ 1976 315; Gössel GA 1980 153; Otto BT § 91 Rdn. 10; Pinger Prot. VI/310; Schölz FS Dreher 482 f.; Wania S. 178; aA Hirsch FS Klug 235, 249 Fn. 57. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

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wird nicht vorausgesetzt.233 Denn Absatz 3 S. 2 bestimmt, dass die irrige Annahme der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung (umgekehrter Irrtum) die rechtfertigende Wirkung unberührt lässt. Während sonst bei Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements teilweise Haftung wegen Tatvollendung,234 vorwiegend Haftung wegen untauglichen Versuchs235 angenommen wird, hat der Gesetzgeber eine solche Folge ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. Prot. V/2890: mit gutem Grund „zur Vorbeugung doktrinärer Mißverständnisse“).236 Dem liegt – ähnlich wie bei § 22 WStG – die Erwägung zugrunde, dass bei rechtswidrigem staatlichem Vorgehen der Betroffene auch dann nicht bestraft werden soll, wenn er die Rechtswidrigkeit nicht erkennt (Niederschriften 13 53). Fehlende Rechtmäßigkeit (Absatz 3) rechtfertigt nur den Widerstand als solchen und führt zum Entfallen des § 113. Die Unrechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung kennzeichnet diese zugleich als rechtswidrigen Angriff, gegen den Notwehr möglich ist.237 Die Strafbarkeit des Widerstandleistenden wegen eines über den Widerstand hinausgehenden Delikts beurteilt sich außerhalb des § 113 nach den §§ 32, 33.238 Entlastet das Gesetz den Täter bei rechtswidrigem Vorgehen der Staatsgewalt und nimmt es auf dessen Interessen weitgehend Rücksicht, schlägt dagegen bei objektiv rechtmäßiger Diensthandlung der starke Schutz der staatlichen Gewalt durch. § 113 Abs. 4 S. 2 verweist denjenigen, der irrtümlich die Rechtswidrigkeit der Maßnahme annimmt, auf den Rechtsweg gegen diese Maßnahme, will er straffrei bleiben, selbst dann, wenn der Täter in hohem Maße sorgfältig die Frage der Rechtmäßigkeit bedenkt. Das Risiko, sich doch gegen eine rechtmäßige Diensthandlung zur Wehr gesetzt zu haben, trifft in vollem Umfang den Bürger. Nicht zu Unrecht wird hier ein Widerspruch gesehen: einerseits Rücksichtnahme auf jenen bei rechtswidrigem Staatshandeln, andererseits höchster Schutz der vollziehenden Gewalt bei deren Rechtmäßigkeit.239 Zu der komplexen Irrtumsregelung des Absatzes 4 und ihrer Abweichung von den für den Irrtum über Rechtfertigungsgründe geltenden Regeln vgl. Rdn. 67 ff.; ferner Prot. V/2928 f. Von den Vertretern einer modifizierten Rechtfertigungslösung wird folgendermaßen differen- 32 ziert: Der Widerstand gegen jegliche – auch rechtswidrige240 – Vollstreckungshandlung wird für rechtswidrig erachtet, sofern er die Voraussetzungen des § 32 nicht erfüllt241 oder statt der zumutbaren Wahrnehmung eines Rechtsbehelfs begangen wird.242 Der dann überschießende Inhalt des Absatzes 3 wird teilweise als unwiderlegliche Vermutung für einen der Notwehrüberschreitung (§ 33) entsprechenden Entschuldigungsgrund oder als objektiver Strafausschließungsgrund gedeutet.243 Diese Auffassungen, insbesondere die „Notwehreröffnungslösung“ von Hirsch, dürften indes weder mit der Fassung des § 113 Abs. 3 Satz 1, 2 in Einklang zu bringen sein noch mit der Zielsetzung des Gesetzes, einen absoluten Schutz des Bürgers vor einem unrechtmäßigen Vorgehen des Vollstreckungsbeamten zu gewährleisten.244 Absatz 3 sieht weder eine Erforderlichkeitsvoraussetzung noch das Vorhandensein eines Verteidigungswillens vor,

233 AA Hirsch FS Klug 251. 234 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 43; Hirsch LK10 vor § 32 Rdn. 59, 61; Schmidhäuser 6/24; Trifterer FS Oehler 225. 235 KG GA 1975 213; Bockelmann/Volk S. 207 u. Niederschriften 13 59; Günther SK vor § 32 Rdn. 91; Jakobs AT 11/ 22 f.; Jescheck/Weigend S. 330; Herzberg JA 1986 190; Hruschka GA 1980 16 f.; Rönnau LK vor § 32 Rdn. 81; SSW/ Rosenau vor § 32 Rdn. 16; Rudolphi SK § 22 Rdn. 29 u. FS Maurach 58; Stratenwerth/Kuhlen AT § 9 Rdn. 154. 236 Vgl. auch Bosch MK Rdn. 30; Dreher JR 1984 403. 237 Vgl. aber Dreher NJW 1970 1159. 238 Dreher JR 1984 405. 239 Wolters SK Rdn. 22; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 41 f. 240 Vgl. Horn/Wolters SK Rdn. 22; krit. Dreher GedS Schröder 359, 384. 241 Hirsch FS Klug 235, 243 ff. unter Aufgabe der Deutung als Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination; zust. Lenz Diensthandlung S. 174. 242 Bergmann S. 124, 126 f.; Thiele JR 1979 397, 398; krit. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 42. 243 Entschuldigungsgrund Hirsch FS Klug 235, 243 ff.; Strafausschließungsgrund Bergmann S. 124, 126 f.; Thiele JR 1979 397, 398; Horn/Wolters SK Rdn. 22. 244 Vgl. Dreher JR 1984 401 f.; ders. GedS Schröder 359, 365; Sch/Schröder/Eser Rdn. 19. 695

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die eine derartige Aufspaltung rechtfertigen könnten. Vereinzelt wird Absatz 3 zum Strafausschließungsgrund erklärt.245

33 b) Inhaltliche Bestimmung. Kontrovers wird diskutiert, wie das Merkmal der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung (Absatz 3 Satz 1) zu verstehen ist. Es lassen sich drei unterschiedliche Richtungen ausmachen. Der gesetzmäßige oder vollstreckungsrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff246 verlangt, dass die Vollstreckungshandlung unter Berücksichtigung der gesamten materiellen Rechtslage rechtmäßig ist, kommt also dem Bürger weitgehend entgegen und schränkt die Strafbarkeit entsprechend weitgehend ein. Auf der anderen Seite der denkbaren Skala steht der verwaltungsrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff,247 der allein aufgrund einer verbindlichen verwaltungsrechtlichen Wirkung von einer rechtmäßigen Diensthandlung ausgeht, also lediglich das nichtige Verwaltungshandeln, dessen Rechtswidrigkeit diesem geradezu auf der Stirn geschrieben steht, als rechtswidrig einstuft. Diese Ansicht ist eher bürgerfeindlich und weitet die Strafbarkeit extrem aus. Der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff248 schließlich nimmt zwischen den extremen Deutungsmöglichkeiten – der Gesetzmäßigkeitstheorie und der Gleichsetzung mit verwaltungsrechtlicher Verbindlichkeit – eine vermittelnde Position ein und steht damit in Einklang mit der gesetzgeberisch angestrebten konzeptionellen Interessenausgewogenheit zwischen vollstreckungsbetroffenem Bürger und vollstreckendem Amtsträger.

34 aa) Strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff. Das für die Zwecke des § 113 entwickelte Verständnis der Rechtmäßigkeit deckt sich nicht mit dem materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff. Nach letzterem ist unrechtmäßig, was nach den Regeln des Verwaltungsrechts nicht der Rechtsordnung entspricht. Die Rechtsprechung hat für § 113 eine Begriffsbestimmung entwickelt, bei der es weniger auf die sachliche, materielle Richtigkeit des Eingriffs249 als auf die formale Rechtmäßigkeit ankommt. Danach führen nur bestimmte schwere Mängel der Diensthandlung zu deren Unrechtmäßigkeit. In Betracht kommen Zuständigkeitsmängel, fehlende Form, nicht pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und besondere Mängel beim Handeln auf Befehl.250 Abweichend davon ging – in Anknüpfung an Welzel (Niederschriften 13 55 f.) – ein Vorschlag des BMJ bei den Beratungen der 5. Wahlperiode (Prot. V/2889, 2900) von der Fragestellung aus, was sich der Betroffene gefallen lassen müsse und was nicht. Danach sollte im Rahmen einer verwaltungsrechtlichen Lösung die Rechtmäßigkeit einer Diensthandlung entfallen, wenn diese entweder nichtig sei oder jedenfalls fehlerhaft und dem Betroffenen die Beschränkung auf die vorgesehenen Rechtsbehelfe ausnahmsweise nicht zugemutet werden könne. Dieser Vorschlag, der bei den Beratungen des Sonderausschusses in seiner Tragweite möglicherweise missverstanden wurde,251 ist jedoch nicht Gesetz geworden. Der Gesetzgeber war sich vielmehr bei der Fassung des § 113 n. F. über die Beibehaltung des sog. strafrechtlichen

245 246 247 248

Bottke JA 1980 98. Krey/Hellmann/Heinrich Rdn. 676; Paeffgen NK Rdn. 40 f. m. w. N. Heute etwa noch Erb FS Gössel 230; Otto BT § 91 Rdn. 15. Mit punktuellen Abweichungen Fischer Rdn. 11; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7 ff.; Sch/Schröder/Eser Rdn. 22; H. Seebode S. 195; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 706 ff.; krit. Bergmann Strafmilderung S. 113 f.; Amelung JuS 1986 329, 334 f.; Roxin FS Pfeiffer 45 ff. 249 KG Berlin NStZ 2006 414; Rostek NJW 1972 1335; s. Schall S. 52 f., 57. 250 Vgl. hierzu Prot. V/2887 ff.; BGHSt 21 334, 361 ff.; OLG Celle NJW 1971 154; BayObLG JR 1989 24; Dreher NJW 1970 1158. 251 Vgl. Thiele JR 1975 355. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

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Rechtmäßigkeitsbegriffs einig,252 wenn er das auch nicht in der Vorschrift selbst zum Ausdruck gebracht hat (Prot. VI/304; Ber. BTDrucks. VI/502 S. 5).

bb) Verwaltungsrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff. Gegen die spezifisch strafrechtliche 35 Abgrenzung wendet sich vielfach Kritik im neueren Schrifttum, die bei der Bestimmung des Rechtmäßigkeitsbegriffs auf abweichende Kriterien abstellt.253 Teilweise wird der Rechtmäßigkeitsbegriff i. S. d. § 113 Abs. 3 etwa mit der Verbindlichkeit nach öffentlichem Recht gleichgesetzt, wodurch ein dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung zuwiderlaufender Norm- oder Wertungswiderspruch, d. h. ein Auseinanderfallen der öffentlich-rechtlichen Duldungspflicht und der Reichweite des Widerstandsrechts des Bürgers, vermieden werden soll. Dieser verwaltungsrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff sieht auf der Grundlage einer Wirksamkeitstheorie in Anlehnung an § 44 Abs. 1 VwVfG lediglich die Vollstreckung nichtiger Vollstreckungsakte (oder nicht vollstreckbarer Urteile oder Verwaltungsakte) als unrechtmäßige Diensthandlung.254 Auch eine Differenzierung zwischen Tatsachen- und Rechtsirrtum des Amtsträgers entfällt. Zur Rechtfertigung wird vor allem auf den Normzweck abgestellt, der in einer möglichst weitgehenden Sicherung der Durchsetzung des verbindlichen Staatswillens gesehen wird. Diese Auffassung erscheint indes zu eng; sie verschiebt den Interessenausgleich zu Lasten des Bürgers.255

cc) Vollstreckungsrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff. Die vollstreckungsrechtlichen Lö- 36 sungansätze256 legen dagegen mit gewissen Unterschieden die materiellen öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen zugrunde. Das „Irrtumsprivileg“ des Staates257 wird wie jegliche „Subjektivierung der Eingriffsvoraussetzungen“ abgelehnt.258 Es wird zwischen Grundund Vollzugsakt unterschieden.259 Die Rechtmäßigkeitsbeurteilung erfolgt nach den speziellen vollzugsrelevanten Normen, die indes auf die Verwirklichung des materiellen Rechts angelegt sind und damit in der Regel nur Eingriffe erlauben, die den gesetzlichen Eingriffsvoraussetzungen des materiellen Rechts entsprechen; sie darf sich nur im Rahmen ausdrücklicher gesetzlicher Ausnahmeregelungen von der materiell-objektiven Betrachtung abheben.260 Es wird also eine Synchronisierung des § 113 mit der vollziehungsrechtlichen Rechtslage für erforderlich und die öffentlich-rechtliche Zulässigkeit der Dienst-, d. h. Vollstreckungshandlung für ausschlaggebend gehalten.261 Dabei wird u. a. maßgeblich auf die vorläufige Vollstreckbarkeit i. w. S. und den Prognose- bzw. Gefahreinschätzungscharakter als Leitgesichtspunkte abgestellt, die eine

252 Grundlegend hierzu OLG Karlsruhe NJW 1974 2142; KG NJW 1972 781; 1975 887; GA 1975 213; OLG Köln NStZ 1986 234, 235; VRS 71 183, 185; NJW 1975 889; MDR 1976 67; OLG Hamm GA 1973 244; OLG Düsseldorf NJW 1984 1571. 253 Vgl. Meyer NJW 1972 1845; NJW 1973 1074; Wagner Amtsverbrechen S. 824; JuS 1975 224 ff.; andererseits Thiele JR 1975 353, 1979 397 ff., 1981 30 f.; Schünemann JA 1972 703, 775; ferner Rostek NJW 1975 862; Schellhammer NJW 1972 319. 254 Lüke FS Arthur Kaufmann II 568. 255 Zu deren Kritik vgl. Bergmann S. 115 Fn. 167; Bosch MK Rdn. 33; Günther NJW 1973 309 ff.; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Schall S. 284 f.; H. Seebode S. 168 ff., 196; Thiele JR 1975 353; Schünemann JA 1972 703, 709. 256 Amelung JuS 1986 329; Backes/Ransiek JuS 1989 624; Benfer NStZ 1985 255; Fallack S. 154; Ostendorf JZ 1981 165; Paeffgen NK Rdn. 41; Rengier BT 2 § 53 Rdn. 19; Schünemann JA 1972 703; Thiele s. Fn. 36; auch Schall Grundlagen S. 285 ff.: vollstreckungsrechtlich modifizierte Gesetzmäßigkeitstheorie. 257 Jescheck/Weigend S. 392. 258 Amelung JuS 1986 329, 335; Ostendorf JZ 1981 165, 172; Roxin FS Pfeiffer 45, 50. 259 Thiele JR 1975 353, 356; Ostendorf JZ 1981 165, 172. 260 Amelung JuS 1986 329, 336; Backes/Ransiek JuS 1989 624, 628. 261 Schünemann JA 1972 703 ff.; 710, 775; Thiele, Fn. 36; Ostendorf JZ 1981 165, 172 f. 697

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Vollstreckungshandlung trotz „materieller Unrichtigkeit“ als rechtmäßig erscheinen lassen.262 Deswegen müsse gar nicht auf einen zweifelhaften, gesonderten Begriff zurückgegriffen werden. Eingriffsvoraussetzungen wie die der Anscheinsgefahr oder des Tatverdachtes berücksichtigten bereits hinreichend die Situation der vor Ort handelnden Beamten, bei der oftmals i. S. einer effektiven Gefahrenabwehr rasches Eingreifen notwendig ist, und lässt deren Handeln rechtmäßig sein, auch wenn sich ex post die Situation als Scheingefahr herausstellen sollte.263 Neben dieser ersten, den Amtsträger vom Rechtswidrigkeitsrisiko entlastenden Ebene wird als zweite Ausgleichsebene zwischen den Interessen des Vollstreckungsbeamten und des betroffenen Bürgers die Notwehreinschränkung des Bürgers zugunsten zumutbarer Rechtsbehelfe selbst bei rechtswidrigen Eingriffen hervorgehoben.264 Andere argumentieren in Anlehnung an die vollstreckungsregelnde Vorschrift des § 6 Abs. 2 VwVG, die sich mit der in ihr enthaltenen Anforderung („innerhalb ihrer – der Amtsträger – gesetzlichen Befugnisse“) in vergleichbarer Weise an der materiellen Rechtmäßigkeit orientiert.265

37 dd) Diskussion. Die Kritiker bemängeln am strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff, dass im Ergebnis dem „zackigen Durchgreifen“ von Vollstreckungsbeamten ein gegenüber den Freiheitsrechten der Bürger nicht vertretbarer Vorrang gewährt werde.266 Der Bürger müsse selbst ein rechtswidriges Handeln eines Staatsdieners dulden und könne sich nicht zur Wehr setzen, wie er es bei vergleichbaren Maßnahmen durch eine Privatperson gem. § 32 StGB tun könnte. Insbesondere wenn es um Eingriffe in die grundrechtlich verbürgten Freiheiten der Versammlung und der Meinungsäußerung gehe, drücke sich im kritisierten Ansatz ein überholtes obrigkeitliches Staatsverständnis aus.267 Das BVerfG hat in einem Kammerbeschluss die Verurteilung eines Demonstranten gem. 38 § 113 aufgehoben, der ohne Anmeldung aus einer Versammlung heraus eine Wahlkampfveranstaltung der CDU mit einem Megaphon gestört hatte. Die Polizei hatte den Demonstranten nach Anstiftung durch den Landesinnenminister in Gewahrsam genommen, wobei es in einem Tumult zu Widerstandshandlungen gekommen war.268 Im Rahmen dieser Entscheidung wird ausdrücklich der eingeschränkte, d. h. strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff sanktioniert.269 Der BGH sieht ebenfalls keine verfassungsrechtlich tragenden Einwände.270 Moniert hatte die Kammer dagegen, dass der Rahmen dieses Begriffes von den Fachgerichten zu eng gezogen worden war. Dieser sei im Lichte der Bedeutung der Grundrechte, hier der Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG, zu bestimmen und verlange als wesentliche Förmlichkeit bei der Entfernung eines Demonstranten die Auflösung bzw. den Ausschluss nach § 13 Abs. 2 bzw. § 18 Abs. 3 VersammlG. Mit der Entscheidung hat die Kammer zugleich Stimmen widersprochen, die in der Judikatur des BVerfG einen „Abschied vom strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff“ sehen wollten.271 Vorangegangen waren Aufhebungen in Ordnungswidrigkeitenverfahren, bei denen das BVerfG den strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff als Grundlage einer Geldbuße verworfen hatte. Die Verurteilung bei Verweigerung der Personalien gem. § 111 Abs. 1 OWiG erfordert nicht nur ein for262 Schünemann JA 1972 703 ff.; 710, 775; zur Gruppe der sog. Verdachts- und Gefahrtatbestände Schall S. 287; Roxin FS Pfeiffer 45, 50 f.; Bsp. b. H. Seebode S. 155; vgl. auch Amelung JuS 1986 329, 336; Backes/Ransiek JuS 1989 624, 628; Ostendorf JZ 1981 165, 172 f., 175; Spendel LK § 32 Rdn. 68 ff.; Triffterer FS Mallmann 373, 394 f. 263 Niehaus/Achelpöhler StV 2008 73. 264 Amelung JuS 1986 329, 336; aA Benfers NStZ 1985 255, 256. 265 Backes/Ransiek JuS 1989 628; Ostendorf JZ 1981 172; Thiele JR 1975 356; JR 1979 401. 266 Schünemann JA 1972 708; Jahn JuS 2013 268,269 f. 267 Niehaus/Achelpöhler StV 2008 74; Roxin FS Pfeiffer 52; vgl. auch Wolters SK Rdn. 12, allerdings beschränkt auf Irrtümer des Amtsträgers. 268 BVerfG NVwZ 2007 1180; zum Sachverhalt s. auch Niehaus/Achelpöhler StV 2008 71. 269 BVerfG NVwZ 2007 1180, 1181. 270 BGHSt 60 253, 259. 271 Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 8, 107 f.; Reinhart NJW 1997 911; vgl. auch Weber JuS 1997 1080, 1081. Rosenau

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mell, sondern ein materiell rechtmäßiges Auskunftsverlangen.272 Zutreffend wird zur Strafbarkeit nach § 113 StGB abgegrenzt und zwischen Sanktionssituation und Handlungssituation unterschieden. Der Schutz des § 113 StGB greift in der Situation der unmittelbaren Vollzugshandlung vor Ort.273 In der ruhigen Situation der nachträglichen Sanktionierung einer Ordnungswidrigkeit kann dagegen die strenge materielle Rechtsprüfung verlangt werden, weil einem perpetuierten Eingriff in Grundrechte nicht die Notwendigkeiten staatlicher Vollzugsinteressen gegenüberstehen.274 Am strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff ist mithin festzuhalten. Er ist geeignet, die typi- 39 schen Interessenskonflikte von Bürgern einerseits und Vollstreckungsbeamten andererseits auf einer mittleren, wohl abgewogenen Linie auszutarieren.275 Diese Linie entspricht auch der gesetzgeberischen Intention, welche die von den im Schrifttum unternommenen Ansätze verlassen würden. Eine „einseitig-obrigkeitliche(n) Privilegierung“276 der Beamten besteht nur zum Schein. Denn die Duldungspflicht des Bürgers, auch materiell nicht rechtmäßige Amsthandlungen zunächst hinzunehmen und nicht dagegen aufzubegehren, und der damit korrelierende Schutz des Amtsträgers qua Strafrecht dient nicht nur der Entschlusskraft der Vollstreckungsbeamten, die häufig ad hoc entscheiden müssen und nicht durch vollumfängliche Beachtung materieller Voraussetzungen in ihren Entscheidungen gelähmt sein sollen.277 Das allein trägt den strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff nicht. Die Duldungspflicht findet ihre Legitimation im staatlichen Gewaltmonopol, das für den Rechtsfrieden in der Gesellschaft unabdingbar ist und durch § 113 abgesichert wird. Diese präventive Absicherung der Duldungspflicht betrifft ein eigenständiges Rechtsgut von erheblichem Gewicht.278 Der Schutz der eigenen Grundrechtsausübung im Rahmen der Notwehr ist dagegen ein denkbar ungeeigneter Weg. Er würde in der Situation einer Vollstreckungshandlung nur weitere Polizeibeamte auf den Plan rufen mit der Gefahr ausufernder Eskalation.279 Es erscheint auch nicht unzumutbar, die betroffenen Bürger auf den (nachträglichen) Rechtsweg zu verweisen. Zum einen ist dieser in der Idee des staatlichen Gewaltmonopols verankert, zum anderen ist er keineswegs ineffektiv und daher inadäquat,280 weil er durchaus Disziplinarmaßnahmen bis hin zu Entschädigungszahlungen (vgl. Art. 41 EMRK) nach sich ziehen kann. Zudem ist die Eingriffsintensität der staatlichen Maßnahmen durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip von vornherein begrenzt; anders als bei den rechtswidrigen Angriffen durch Private droht regelmäßig nicht der endgültige Verlust des beeinträchtigten Rechtsguts.281 Der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff ist seiner ratio nach auf die Regelungsprobleme 40 des § 113 bezogen und kann auf andere Tatbestände, z. B. solche, die Freiheitsentziehungen erfassen, nicht übertragen werden. Für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten gilt er ebensowenig282 wie für richterliche Entscheidungsakte wie eine gerichtliche Unterbringungsanordnung.283

272 BVerfGE 92 191, 199 ff. mit Anm. Göhler GA 1996 181; Roellecke NJW 1995 3101; Weber JuS 1997 1080; vgl. auch BVerfG 87 399, 412 f. BVerfG NVwZ 2007 1180, 1181. Bosch MK Rdn. 36. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7. Roxin FS Pfeiffer 52. BGHSt 4 161, 163; 21 365; 60 253, 259 f.; KG StV 2001 260. BVerfG NVwZ 2007 1180, 1181 f.; vgl. BGHSt 60 253, 260 f. Erb FS Gössel 222; Vitt ZStW 106 (1994) 585 Fn. 14. AA Niehaus/Achelpöhler StV 2008 74. BGHSt 60 253, 261 f. BVerfGE 91 191, 199 ff. Vgl. Otto NStZ 1985 75; Amelung/Brauer JR 1985 475; verfehlt OLG Schleswig NStZ 1985 74.

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41 c) Einzelne Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen. Für den – vom Gesetzgeber vorausgesetzten (s. Rdn. 34) – strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff ist erforderlich, dass die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Beamten sowie die wesentlichen Förmlichkeitskriterien für die Amtshandlung vorliegen. Zudem ist eine pflichtgemäße Prüfung der tatsächlichen Eingriffsvoraussetzungen zu verlangen.284 Im Einzelnen gilt folgendes:

42 aa) Sachliche Zuständigkeit. Der Amtsträger oder Soldat muss sachlich und örtlich zuständig sein. Die sachliche Zuständigkeit setzt voraus, dass die Handlung in den Kreis seiner Amts- oder Dienstgeschäfte fällt. Das ist nicht der Fall, wenn er hilft, rein private Ansprüche durchzusetzen,285 oder wenn ein Richter persönlich pfändet. Polizeibeamte, die nicht Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG) sind, dürfen keine Anordnungen nach den §§ 81a Abs. 2, 81c Abs. 5, 98 Abs. 1, 105 Abs. 1 StPO aus eigenem Entschluss treffen und alsdann durchführen.286 Die Annahme von Gefahr im Verzug darf nicht auf spekulativ-hypothetischen Erwägungen, sondern muss auf Tatsachen gestützt sein. Anderenfalls kann sich der Beamte nicht auf seine nachrangige Anordnungskompetenz berufen.287 Etwaige Mängel bei der Anstellung des Beamten berühren grundsätzlich die sachliche Zuständigkeit nicht. Der Polizeibeamte verliert seine sachliche Zuständigkeit nicht dadurch, dass er sich in Zivil befindet288 oder dass er gerade dienstfrei hat.289 Sie fehlt ihm aber, wenn er eine Person – ohne dass die Voraussetzungen des § 127 StPO oder § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO ggf. i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG vorliegen – zwangsweise nur zur polizeilichen Vernehmung vorführt290 oder zwecks Personalienfeststellung vorläufig festnimmt oder festhält und zur nächstgelegenen Polizeiwache verbringt.291 Zollbeamte nehmen über die Grenzabfertigungsmaßnahmen hinaus auch allgemeine grenzpolizeiliche Präventivmaßnahmen zur vorbeugenden Abwehr von allgemeinen Straftaten wahr, jedoch nur auf deutschem Hoheitsgebiet, ohne eine entsprechende völkerrechtliche Vereinbarung (Grenzabkommen) dagegen nicht an einer auf ausländischem Hoheitsgebiet befindlichen Grenzabfertigungsstelle.292 Entsprechende Regelungen finden sich beispielsweise im SDÜ.293 Die bahnpolizeilichen Aufgaben sind gemäß § 3BPolG der Bundespolizei zugewiesen. Für Soldaten und zivile Wachpersonen ergibt sich die sachliche Zuständigkeit aus § 1 UZwGBw.

43 bb) Örtliche Zuständigkeit. Neben der sachlichen muss die örtliche Zuständigkeit des Amtsträgers oder Soldaten gegeben sein.294 Sie richtet sich jedenfalls dann nach dessem Amtsbezirk, wenn dessen Befugnisse ihrer Art nach eng an den Ort der Ausübung gebunden sind. So stehen der Bundespolizei als Bahnpolizei nach § 3 BPolG polizeiliche Befugnisse grundsätzlich nur auf dem Bahngebiet zu.295 Zum Bahngebiet gehören auch die Ladestraßen eines Güterbahnhofs, in

284 BVerfGE 91 191; BGHSt 60 253, 258; KG NStZ 2006 414; Rdn. 50. 285 RGSt 40 212, 215 f.; 29 199, 201; 26 291, 293. 286 RGSt 11 175, 177. Zur Qualifikation als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft kraft Gesetzes oder aufgrund landesrechtlicher Rechtsverodnungen s. Meyer-Goßner GVG § 152 Rdn. 6 ff.; zu ihrem Darlegungserfordernis im Urteil vgl. OLG Düsseldorf NJW 1991 580. 287 KG NStZ 2006 414, 415. 288 RG DR 1942 1782; OLG Hamburg VRS 24 193, 195. 289 OLG Neustadt JR 1959 28. 290 BGH NJW 1962 1020, 1021. 291 Vgl. OLG Bremen NJW 1977 158, 159 mit krit. Anm. Thomas NJW 1977 1072. 292 OLG Koblenz MDR 1987 957, 958; Lenk GA 2019 445, 446. 293 Dazu ausführlich Lenk GA 2019 445, 446 ff. 294 BGHSt 4 110 mit Anm. Kern JZ 1953 702; BayObLG NJW 1954 362; OLG Hamm NJW 1954 206; aA OLG Braunschweig NdsRpfl. 1947 90. 295 Vgl. OLG Schleswig SchlHA 1983 31. Rosenau

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der Regel dagegen nicht die Bahnhofsvorplätze,296 es sei denn, dass zu dem Vorplatz geöffnete Verladerampen einen Verladebetrieb bedingen.297 An der räumlichen Begrenzung der sonderpolizeilichen Zuständigkeit auf das Gebiet der Bahnanlagen hält § 3 Abs. 1 BPolG – vor allem für den präventiven Aufgabenbereich – im Grundsatz fest (BTDrucks. 12/1091 S. 8 zur Vorgängerregelung des § 2a BGSG). Für Ausnahmefälle ist indes eine Eilzuständigkeit gesetzlich verankert. So besteht auch außerhalb der Bahnanlagen eine Berechtigung der Bundespolizei zu vorläufigen Zwangsmaßnahmen im Rahmen seiner sachlichen Zuständigkeit, wenn eine auf dem Bahngebiet auf frischer Tat betroffene Person nur im Wege der Nacheile außerhalb des Bahngeländes (z. B. Bahnhofsvorplatz) verfolgt und ergriffen bzw. nach Entweichen wiederergriffen werden kann (§ 58 Abs. 3 i. V. m. § 1 Abs. 7 BPolG); oder wenn die allgemeine Polizei bei einer unmittelbar drohenden Gefahr für den Betrieb der Bahn nicht rechtzeitig eingreifen kann (vgl. die länderpolizeigesetzlichen Ermächtigungsvorschriften, z. B. § 30a Abs. 1 Nr. 3 SOG Hamb.). Besteht eine räumliche Beschränkung, wird der Amtsbereich nicht dadurch erweitert, dass der Betreffende zur Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft bestellt worden ist. Grundsätzlich gilt zwar diese Bestellung für den ganzen Bezirk der Staatsanwaltschaft; das gilt aber nur, wenn sich der Amtsbezirk des Amtsträgers damit deckt. Ist das nicht der Fall, so verbleibt es bei der örtlichen Zuständigkeit nur für den hauptamtlichen Bezirk.298 Im übrigen kann aber die Frage der örtlichen Zuständigkeit nicht allgemein, weder nach der Einteilung der Polizeibezirke noch für alle Diensthandlungen eines bestimmten Amtsträgers entschieden werden. Vielmehr kommt es jeweils auf die Art der vorgenommenen Diensthandlungen an.299 So wirken z. B. strafbare Handlungen vielfach über den Begehungsort hinaus. Die polizeiliche Aufgabe, Verbrechen zu verhüten, ist allgemeiner Art; deswegen kann die Rechtmäßigkeit polizeilichen Einschreitens in solchen Fällen nicht von der Einteilung der Dienstbezirke abhängen.300 Sie endet aber wegen des föderativen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich an den Landesgrenzen.301 Jedoch können Landesgesetze und Staatsverträge Zuständigkeiten schaffen, die nicht an die Landesgrenzen gebunden sind; davon haben verschiedene Länder Gebrauch gemacht.302 Dagegen genügt für eine solche Erweiterung der Zuständigkeit nicht die bloße Vereinbarung der örtlichen Polizeistellen untereinander.303 Das BayObLGSt verneint in der erstgenannten Entscheidung ferner die örtliche Zuständigkeit des Gemeindepolizisten für außerhalb seines Bezirks vorgenommene Diensthandlungen, wenn nicht die im Landesrecht vorgesehene Ausnahme (Eilfall) gegeben ist. Wirkt allerdings in solchen Fällen ein örtlich zuständiger Polizeibeamter mit den nicht zuständigen zusammen, so ist in der Regel zu deren Gunsten der § 113 über den § 115 Abs. 2 anwendbar. Schließlich sind die Polizeibeamten gemäß § 167 GVG nicht an die Landesgrenzen gebunden, wenn sie einen Flüchtigen verfolgen, um ihn festzunehmen (befugte Nacheile); die Verfolgung muss aber im eigenen Lande begonnen haben.304 Die ländergrenzenübergreifende Kompetenz der Beamten des BKA (z. B. Festnahmerecht im ganzen Bundesgebiet) findet ihre Grundlage in der Aufgabenzuweisung (§ 4 BKAG); die Eingriffsbefugnisse der Vollzugsbeamten des BKA richten sich nach der StPO und dem UZwG. Ein polizeiliches Einschreiten auf ausländischem Staatsgebiet setzt eine entsprechende bilaterale völkervertragliche Vereinbarung (z. B. Grenzabkommen) voraus. Ein solches existiert im Rahmen des Schengen-Verbundes für die meisten europäischen Nachbarstaaten Deutschlands nach Art. 40 f. SDÜ (Schengen II) vom 19.6.1990.305 Landespolizeibeamte eines Grenzbundeslandes dürfen einen

296 297 298 299 300 301 302 303 304 305 701

OLG Hamm NJW 1973 2117; OLG Oldenburg NJW 1973 291; aA noch BGHSt 21 334, 361. OLG Stuttgart VRS 46 24; vgl. auch Dernbach NJW 1975 679. RGSt 66 339, 340; BayObLG NJW 1954 362, 363; Fischer Rdn. 16; aA RGSt 38 218, 219. BGHSt 4 110, 112. Vgl. § 30a SOG Hamb.; RG DR 1942 1782. BGHSt 4 110, 113. BayObLG NJW 1954 362; OLG Hamm NJW 1954 206. BayObLGSt 1960 40, 43 und NJW 1954 362. OLG Hamm NJW 1954 206. BGBl. II 1993, 1013; vgl. Hecker § 5 Rdn. 38 f.; Paeffgen NK Rdn. 52. Rosenau

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an einer auf ausländischem Hoheitsgebiet befindlichen Grenzabfertigungsstelle Betroffenen nicht zum Zwecke der Entnahme einer Blutprobe ergreifen und in die Bundesrepublik verbringen.306 Diesbezügliche Fehlvorstellungen des Amtsträgers sind unbeachtlich; sie betreffen die unabdingbar vorausgesetzte Eingriffskompetenz und vermögen die Unrechtmäßigkeit der Diensthandlung nicht zu korrigieren.307

44 cc) Einhaltung wesentlichen Förmlichkeiten. Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung hängt ferner von der Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten ab.308 Ob sie wesentlich sind, ist regelmäßig danach zu beurteilen, ob sie für die Wahrung der dem Betroffenen zustehenden Rechte unentbehrlich sind,309 wobei die Bedeutung der betroffenen Grundrechte ausstrahlt.310 Deswegen greifen Ansätze, die nur auf die Zulässigkeit des Vollstreckungsaktes unbeschadet der Qualität und Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Grundaktes abstellen und entsprechend nur die Vorschriften heranziehen, die spezifisch vollstreckungsrechtlicher Art sind,311 zu kurz. Die Grenzziehung zwischen relevanten und irrelevanten Vorschriften zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist an anderer Stelle zu suchen. Dabei ist es zwar ein beachtlicher Hinweis für die Wesentlichkeit, wenn die Form in einem Gesetz angeordnet ist. Ein sicherer Beweis ist es aber nicht; denn auch Gesetze können Sollvorschriften enthalten, die für den Schutz des Betroffenen bedeutungsvoll sind.312 Somit ist jeweils nach Inhalt und Sinn der Formvorschrift zu prüfen, ob es sich um wesentliche, die Rechtmäßigkeit berührende, oder unbedeutende, evtl. nur innerdienstliche Anordnungen handelt, z. B. über das Tragen vorgeschriebener Dienstkleidung, Abzeichen313 oder über die Reihenfolge von Alkoholtest und Blutentnahme, sofern letztere nicht unverhältnismäßig ist.314 Die Belehrung des Schuldners vor der Durchsuchung nach § 758 ZPO über seine Rechte aus Art. 13 GG ist eine wesentliche Förmlichkeit;315 dgl. das Vorliegen einer besonderen zusätzlichen richterlichen Anordnung – über das Leistungsurteil hinaus – für die Durchsuchung der Wohnung zum Zwecke der Pfändung beweglicher Sachen gemäß § 758 ZPO,316 sofern nicht der Schuldner die Räume – neben der Wohnung auch die Arbeits-, Betriebsund Geschäftsräume – im Bewusstsein rechtserheblichen Handelns zugänglich macht.317 Eine solche richterliche Durchsuchungsanordnung ist dagegen entbehrlich bei Gefahr im Verzug, d. h., wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde;318 ferner bei bloßer Taschenpfändung,319 auch in Schank- oder Gasträumen Dritter,320 es sei denn, dass diese gegen den Willen des Schuldners in dessen Wohnung stattfin-

306 307 308 309

OLG Koblenz MDR 1987 957. Vgl. OLG Koblenz MDR 1987 957. BGHSt 21 334, 361; KG GA 1975 213. Vgl. BGHSt 5 93; BayObLG JZ 1980 109; KG StV 2005 260, 261; AG Schwandorf NStZ 1987 280, 281 bzgl. Androhungs-, Begründungs- und Unterrichtungserfordernissen; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 13; Reil JA 1998 145. 310 BVerfG NVwZ 2007 1180, 1182. 311 Reif JA 1998 149. 312 RGSt 17 122, 125. 313 RG 17 122, 125; 25 112, 115. 314 OLG Köln NStZ 1986 234, 235. 315 Vgl. Zöller/Stöber ZPO § 758 Rdn. 8; aA Langheid MDR 1980 22; Schneider NJW 1980 2377, 2383. 316 BVerfGE 51 97; 76 83, 89; NJW 1981 2111. 317 Schubert MDR 1980 365. 318 BVerfGE 51 97, 111. 319 OLG Köln NJW 1980 1531, 1532. 320 OLG Hamburg MDR 1984 963; OLG Düsseldorf DGVZ 1987 75, 76; auch Zöller/Stöber ZPO § 758 Rdn. 6. Rosenau

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den soll;321 ferner bei der Herausgabevollstreckung nach § 883 Abs. 1 ZPO.322 Ein wesentliches Formerfordernis ist die Zuziehung von Zeugen zur Zwangsvollstreckung im Falle des § 759 ZPO.323 Jedoch bedarf es dieser Zuziehung nicht, wenn sich der Schuldner in der Zwischenzeit der Zwangsvollstreckung geflissentlich entziehen will und der Gerichtsvollzieher Maßnahmen trifft, um dies zu verhindern.324 Hatte der Gerichtsvollzieher zwei Hilfspolizisten zunächst als Zeugen zugezogen und schreiten sie dann zu seiner Unterstützung zwecks Überwindung von Widerstand ein, so bedarf es nicht noch der Zuziehung weiterer Zeugen.325 Die Vorlage das Haftbefehls ist auch im Ermittlungsverfahren wesentlich gemäß § 114a 45 StPO.326 Dagegen bedarf es nicht der Übergabe des Haftbefehls, wenn er die Vollstreckungshaft betrifft.327 Bei der Festnahme zur Identitätsfeststellung gem. § 163b Abs. 1 S. 1 StPO ist die Eröffnung der Tat, derer der Betroffene verdächtig ist, wesentlich (§ 163a Abs. 4 S. 1 StPO).328 Würde allerdings die Eröffnung die Festnahme gefährden, soll ihr Fehlen die Rechtmäßigkeit nicht tangieren.329 Gleiches gilt, wenn der Grund der Personalienfeststellung auf der Hand liegt.330 Die Zuziehung von Zeugen bei einer Durchsuchung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (§§ 102, 103 StPO) ist eine wesentliche Förmlichkeit, von deren Beachtung die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung abhängt.331 § 105 Abs. 2 StPO, der die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Durchsuchung vorwiegend zum Schutz des Betroffenen bezweckt,332 hat grundsätzlich zwingenden Charakter; die Möglichkeitsklausel („wenn möglich“) lässt aber Ausnahmen zu, z. B. bei Vereitelungsgefahr infolge des zu erwartenden Zeitverlustes (also bei Gefahr im Verzug) oder bei sonstigen erheblichen Schwierigkeiten wie einer beträchtlichen Personengefährdung von etwa zugezogenen Zeugen; sie setzt keine absolute Unmöglichkeit voraus.333 Hinsichtlich der Möglichkeit der Zuziehung räumt die Vorschrift dem Amtsträger einen Beurteilungsspielraum ein; vorausgesetzt wird eine dem Entscheidungsdruck angemessene sorgfältige Prüfung durch den Amtsträger. Ein Irrtum des Amtsträgers über die „Möglichkeit“ der Zuziehung ist unschädlich.334 Das Unterbleiben der Prüfung z. B. aus Normunkenntnis (§ 105 Abs. 2 StPO) führt zu einer Rechtswidrigkeit der Durchsuchung, falls es an einer Objektivierbarkeit der Gefährdung fehlt.335 Die Inhaber der nach § 103 StPO durchsuchten Räume können nicht zugleich Durchsuchungszeugen sein.336 Irrt der Amtsträger hierüber, so ist sein Handeln dennoch rechtswidrig. Der Verzicht des Betroffenen auf die Beachtung des Absatzes 2 ist zulässig und wirksam,337 die Durchsuchung ggf. rechtmäßig (§ 113 Abs. 3). Die nicht zutreffend deklarierte Durchsuchungs-

321 Schneider NJW 1980 2378. 322 AG Darmstadt DGVZ 1979 187; Langheid MDR 1980 22; Schneider NJW 1980 2379; aA Zöller/Stöber ZPO § 883 Rdn. 10. RGSt 24 389, 390; OLG Hamm MDR 1951 440; OLG Hamburg JR 1955 272, 273. OLG Hamburg JR 1955 272, 273; aA wohl OLG Hamm MDR 1951 440. RGSt 55 216. OLG Köln JMBlNRW 1965 151, 152; OLG Hamm OLGSt § 113 S. 17. OLG Hamm OLGSt § 113 S. 17. OLG Hamm NStZ 2013 62, 63; LG Köln StV 2020 183. KG StV 2020 149. OLG Hamm NStZ 2013 62, 63. BGH NStZ 1986 84, 85; BayObLG JZ 1980 109 m. Anm. Thiele JR 1981 30; OLG Stuttgart MDR 1984 249; OLG Karlsruhe NStZ 1991 50, 52; OLG Schleswig SchlHA 1985 116; aA OLG München NJW 1972 2275, 2276. 332 BayObLG JZ 1980 109; OLG Celle StV 1985 137, 139. 333 Geerds FS Dünnebier 178. 334 OLG Celle StV 1985 137, 138; Schäfer LR25 § 105 StPO Rdn. 27. 335 Vgl. BayObLG JZ 1980 109; OLG Stuttgart Die Justiz 1984 24, 25; aA OLG Stuttgart NJW 1971 629, krit. hierzu Küper NJW 1971 1683 f., JZ 1980 636. 336 OLG Celle StV 1985 137, 138; zur Tauglichkeit einer Vertrauensperson nach § 106 Abs. 1 Satz 2 StPO s. OLG Karlsruhe NStZ 1991 50, 52. 337 OLG Celle StV 1985 137, 138; OLG Stuttgart Die Justiz 1984 24, 25; Born JR 1983 52, 54, 57; einschr. Rengier NStZ 1981 374.

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maßnahme im Rahmen einer sog. legendierten Kontrolle wird dann als rechtmäßig einzustufen sein, wenn der Polizeibeamte, der sie durchführt, im guten Glauben handelt. Ist er sich im Klaren darüber, dass die vorgeschobene Verkehrskontrolle nur dem Zweck diente, vermutetes Rauschgift zu finden, und wird dieses Ziel verheimtlich, soll das dann nicht zur Unrechtmäßigkeit der Maßnahme führen, wenn diese nach Maßgabe einer anderen gefahrenrechtlichen Ermächtigungsgrundlage möglich gewesen wäre.338 Dagegen sieht das OLG Celle in der falschen Belehrung einen Grund, der die Diensthandlung rechtswidrig werden lässt. Im konkreten Fall hatten sich die Beamten auf eine allgemeine Verkehrskontrolle nach § 36 Abs. 5 StVO gestützt, sind tatsächlich aber wegen des Verdachts einer Verkehrsstraftat repressiv und nicht präventiv eingeschritten.339 Weitere Beispiele. Der Vorführungsbefehl erfordert schriftlichen Erlass (arg. aus § 134 46 Abs. 2 StPO). Voraussetzung für die Vollstreckung eines Vorführungsbefehls (§ 134 StPO) ist dessen Eröffnung vor weiteren Maßnahmen unmittelbaren Zwangs (Aufbrechen der Wohnungstür, Fesselung etc.); erst nach dieser Eröffnung ist der Vorzuführende zum Gehorsam i. S. d. § 113 verpflichtet.340 Wohnungsdurchsuchung: Die Bekanntgabe des Durchsuchungszwecks vor Betreten und Durchsuchung von Wohnungen zur polizeilichen Gefahrenabwehr ist wesentliche Eingriffsvoraussetzung (vgl. Art. 24 Abs. 3 Bay. PAG; Ausnahme: Gefährdung des Durchsuchungserfolgs), insbesondere bei Wohnungen Dritter341 und vor Beginn einer nächtlichen Durchsuchung.342 Für die Wohnungsdurchsuchung eines erfolglos zum Strafantritt Geladenen bedarf es keiner besonderen richterlichen Durchsuchungsanordnung.343 Stillschweigende Anordnungen zur Durchsuchung zwecks Ergreifung des Beschuldigten enthalten Haftbefehle (§§ 112, 453c StPO), Unterbringungsbefehle (§ 126a StPO), Vorführungsbefehle (§§ 134, 230 Abs. 2 StPO) sowie rechtskräftige Strafurteile und Strafbefehle aufgrund des Haftbefehls zu ihrer Vollstreckung (§ 457 StPO). Bei Anwendung unmittelbaren Zwangs (z. B. Art. 64 Abs. 1 S. 1 Bay. PAG) ist in der Regel dessen vorherige Androhung erforderlich, nicht jedoch bei notwendigem Sofortvollzug bzw. unabdingbarer Gefahrenabwehr und bei einer Maßnahme nach § 81a StPO.344 Vor Identifizierungsmaßnahmen ist der dafür maßgebliche Grund, insbesondere auch das zur Last gelegte Fehlverhalten zu eröffnen,345 ausgenommen bei Gefährdung des Vollstreckungszwecks. Im Versammlungsrecht sind die Eingriffsbefugnisse im Lichte der Grundrechte zu sehen, so dass die Auflösung der Versammlung wie der Ausschluss eines Versammlungsteilnehmers aufgrund deren Bedeutung für die Sicherung der Versammlungsfreiheit wesentliche Kautelen sind.346 Lautsprecherdurchsagen unterer Baubehörden ersetzen die Anordnung des Platzverweises nicht.347 Ordnungswidrigkeiten: Die Verweigerung der Aushändigung der Fahrzeugpapiere durch einen Ordnungswidrigkeitsverdächtigen gegenüber einem kontrollierenden Polizeibeamten ist nicht rechtswidrig, solange dem Betroffenen nicht der Grund der amtlichen Aufforderung eröffnet wird.348 Unterbringung: Eine Unterbringung nach den Unterbringungs- bzw. PsychKG der Länder aufgrund einer richterlichen Unterbringungsanordnung ist rechtmäßig i. S. d. § 113 Abs. 3, selbst wenn diese durch ein „Gutachten“ eines falschen Arztes veranlasst wurde.349 338 339 340 341 342 343

BGH JZ 2017 1119, 1121 ff. m. Anm. Brodowski; aA Börner JZ 2018 870, 873 f. OLG Celle StV 2013 25, 26. BGH NStZ 1981 22; OLG Stuttgart Die Justiz 1982 339, 340. Vgl. OLG Schleswig SchlHA 1978 184, Nr. 30. OLG Schleswig SchlHA 1985 116. OLG Düsseldorf NJW 1981 2133, 2134; Kaiser NJW 1980 875, 876 – implizierte Befugnis; aA Benfer NJW 1980

1611.

344 345 346 347 348 349

OLG Koblenz VRS 54 357, 358. OLG Düsseldorf NJW 1991 580; OLG Düsseldorf NStE Nr. 7 zu § 113. BVerfG NVwZ 2007 1180, 1182 f. AG Düren StV 2020 197. OLG Oldenburg StV 1983 205; OLG Hamm NStZ 1982 76. OLG Schleswig JZ 1984 1048.

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dd) Vollziehung von Staatsakten. Im Falle der Vollziehung von Entschließungen anderer 47 Staatsorgane – wie Urteile, gerichtliche Beschlüsse und Verfügungen sowie vollziehbare Verwaltungsakte – orientiert sich die Frage der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung in der Regel an der rechtlichen Wirksamkeit des auszuführenden Staatsaktes, wobei die Frage dessen materieller Richtigkeit zurücktritt.350 Unwirksam mangels genauer Bezeichnung ist etwa eine gerichtliche Beschlagnahmeanordnung, in der Gegenstände vorweg pauschal beschlagnahmt werden.351 Lediglich die Vollstreckung nichtiger oder (noch) nicht vollstreckbarer Staatsakte begründet hier die Rechtswidrigkeit der Diensthandlung.352 Diese Folge hat auch für gerichtliche Urteile zu gelten, wenn sie in einer rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechenden Weise zustande gekommen sind und der Vollstreckungsbeamte dies weiß. Abgesehen davon hat jedoch der Amtsträger richterliche Entscheidungen in der Regel auch dann zu vollstrecken, wenn sie unrichtig sind und ihm dies bekannt ist.353 Insoweit verbleibt kein Raum für eine Eigenbeurteilung des Vollstreckungsbeamten. Auch die wegen einer befristeten Duldung nach § 60a AufentG an sich unzulässige Abschiebung soll nicht zur Rechtswidrigkeit führen, wenn die Polizeibeamten auf Aufforderung der zuständigen Ausländerbehörde handeln. Zweifelhaft ist freilich die Wertung des BGH, dass das selbst dann noch gelten solle, wenn der Betroffene auf die Duldung hingewiesen und den Bescheid vorgelegt hat.354 Indes kann die Vollstreckungshandlung als solche rechtswidrig sein, wenn sie selbst infolge Nichteinhaltung wesentlicher Förmlichkeiten dem Gesetz widerspricht.355 Davon zu unterscheiden ist die unmittelbare Vollziehung von materiellen Gesetzen und 48 Rechtsverordnungen, so etwa die vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 1 u. 2 StPO, wobei auch Absatz 1 – neben der ausnahmsweisen Gestattung eines Bürgerhandelns pro magistratu – zugleich für hoheitliches Tätigwerden gilt,356 oder die zwangsweise Durchsetzung einer Blutentnahme zwecks Feststellung der BAK gemäß § 81a StPO, u. U. durch Verbringen zur Polizeiwache oder Vorführung bei einem Arzt.357 In diesen Fällen steht dem Beamten regelmäßig das Recht zu, die sachlichen Voraussetzungen für den Eingriff zur unmittelbaren Verwirklichung des Gesetzeswillens kraft eigener Entschließung zu konkretisieren. ee) Pflichtgemäße Ermessensausübung. Ist bei der Vollstreckung von Gesetzen ein unbe- 49 stimmter Rechtsbegriff zu beurteilen, ist dem Amtsträger hinsichtlich der Feststellung der tatbestandlichen Eingriffsvoraussetzungen ein Beurteilungspielraum oder hinsichtlich der Art der Ausführung ein Ermessensspielraum eingeräumt,358 so handelt er nicht nur rechtmäßig, wenn er bei Innehaltung dieses Spielraums zu einem richtigen Ergebnis kommt, sondern schon dann, wenn er sich auf Grund pflichtgemäßer Ermessensausübung in verantwortungsbewusster Weise um die Wahrung des Beurteilungs- oder Ermessensspielraums bemüht.359 Das gilt auch in anderen Fällen, in denen ein Abwägungsspielraum verbleibt, z. B. bei der Pfändung. Der Beamte, der bei seinem Einschreiten oft noch ungewisse, nicht nach allen Richtungen aufklär350 Vgl. Günther NJW 1973 311; Ostendorf JZ 1981 172. 351 BVerfG NJW 1992 551, 552 m. w. N. 352 Vgl. BGHSt 60 253, 263; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11; Rehbinder GA 1963 37 f.; Wagner JuS 1975 225 Anm. 15 m. w. N.

353 Vgl. OLG Kiel SJZ 1947 323, 324 mit krit. Anm. Arndt; ferner BGH MDR 1964 71; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 34. 354 BGHSt 60 253, 265 f. 355 Vgl. OLG Hamburg NJW 1984 2898, 2900. 356 Vgl. Rogall JuS 1992 557 f.; Arzt FS Kleinknecht 1 ff. 357 BGHSt 24 125, 130 ff.; OLG Köln VRS 48 24, 25; OLG Köln NStZ 1986 234; VRS 71 183, 185. 358 Vgl. Küper NJW 1971 1681; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10; Stratenwerth S. 172 ff.; Wagner JuS 1975 226; auch Thiele JR 1975 354, 1981 30. 359 Zum Unterbleiben einer pflichtgemäßen sorgfältigen Abwägung vgl. Küper NJW 1971 1683, JZ 1980 637; KG NJW 1972 781, 782 a. E.; aA OLG Stuttgart NJW 1971 629: rechtsfolgenlos. 705

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bare Sachlagen zu beurteilen hat, soll nicht schon deshalb den mit der rechtmäßigen Amtsführung verbundenen strafrechtlichen Schutz verlieren, weil sich das Ergebnis seiner Prüfung sachlich als unzutreffend erweist. Daher ist es für die Frage der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung insoweit nicht entscheidend, ob das Ergebnis verwaltungsrechtlich zutreffend oder falsch ist, wenn der Amtsträger auf Grund sorgfältiger Prüfung in der Annahme gehandelt hat, zu der ausgeübten Tätigkeit berechtigt und verpflichtet zu sein. Hierbei ist die Frage nach der Erforderlichkeit der Diensthandlung nicht auf Grund der nachträglich ermittelten Sachlage zu beurteilen. Es kommt vielmehr nur darauf an, ob er im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher Abwägung der ihm erkennbaren Gesamtumstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte,360 die Maßnahme sich also als Ergebnis sorgsamer Prüfung des Amtsträgers ex ante innerhalb eines in der konkreten Vollstreckungssituation noch vertretbaren Beurteilungsrahmens gehalten hat.361 Die Prüfungsanforderungen an den Amtsträger korrelieren mit der Handlungssituation; denn er soll bei unübersichtlichen Lagen nicht eingehende rechtliche Erwägungen anstellen müssen. Bei überschaubarer und gesicherter Lage sind entsprechend höhere Anforderungen an die Vertretbarkeit der Entscheidung zu stellen.362 Bei schuldhaften Abwägungsfehlern, Willkür oder missbräuchlicher Auslegung der Amtsbefugnisse ist dagegen die Unrechtmäßigkeit des Handelns zu bejahen.363 Diese Grundsätze gelten etwa bei der Beurteilung der Voraussetzungen polizeilichen Einschreitens zur Gefahrenabwehr364 oder zur Verhinderung strafbarer Handlungen365 und bei der Beurteilung des Fluchtverdachts nach § 127 Abs. 2 StPO.366 Unrechtmäßig ist etwa die Unterbringung eines Häftlinges gem. § 88 Abs. 2 Nr. 5 StVollzG in einen besonders gesicherten Haftraum, wenn sich dieser bereits im eigenen Haftraum unter Verschluss befindet und ruhig verhält. In einer solchen Situation verlangt eine situationsangemessene Beurteilung, etwa Alternativen wie die Beobachtung vorzusehen.367 Die pflichtgemäße Ermessensprüfung als legitimierendes Element wird indes entbehrlich, sofern die Amtshandlung ohnehin den Anforderungen des objektiven Rechts, d. h. den Bedingungen ihrer Zulässigkeit entspricht.368

50 ff) Rechts- und Tatsachenirrtümer des Amtsträgers. Weitgehende Übereinstimmung besteht dahin, dass ein unverschuldeter Irrtum des Amtsträgers über die tatsächlichen Voraussetzungen für dessen Einschreiten die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung unberührt lässt.369 Die „staatliche Rechtsordnung würde sich mit sich selbst in Widerspruch setzen“, wenn sie die auf Grund eines pflichtgemäßen Ermessens vorgenommene Diensthandlung als nicht rechtmäßig ansehen würde.370 Die Anhänger des vollstreckungsrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff (Rdn. 36) geißeln dies mit durchaus diffamierender Konnotation als Irrtumsprivileg.371 Der Bür-

360 BayObLG JR 1989 24. 361 OLG Köln VRS 71 183, 185; NStZ 1986 234, 235; AG Hamburg StV 1985 364; vgl. auch Küper JZ 1980 633, 636; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 15.

362 KG NStZ 2006 414, 415. 363 BGHSt 21 334, 363; 4 161, 164 f.; KG NJW 1972 781, 782; 1975 888; BayObLG NJW 1965 1088, 1089; BayObLGSt 1954 59; Hirsch ZStW 82 [1970] 411, 417; krit. u. a. Ostendorf JZ 1981 168; Thiele JR 1975 353; Wagner JuS 1975 224. 364 OLG Celle NJW 1979 57, 58; KG NStZ 1989 121; BayObLGSt 1988 7, 9; OLG Köln StV 1982 359; JMBlNRW 1969 286; OLG Bremen NJW 1977 158; BayObLG JR 1989 24. 365 OLG Köln NStZ 1986 234, 235; OLG Schleswig SchlHA 1978 184 Nr. 31; BGH 4 StR 109/70 v. 25.6.1970. 366 BGH VRS 38 115, 116. 367 KG NStZ 2006 414, 415. 368 KG NJW 1972 781, 782; Küper JZ 1980 637; Lenckner FS H. Mayer 175, 181; Triffterer FS Mallmann 373, 390 f. Fn. 49; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 16. 369 BGHSt 24 125, 130 ff.; VRS 38 115, 117; KG NJW 1975 887, 888. 370 RGSt 61 297. 371 Wolters SK Rdn. 12. Rosenau

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ger schulde nur dem Gesetz, nicht aber der Gutgläubigkeit von Amtsträgern Gehorsam.372 Zur Unrechtmäßigkeit führt nach h. M. hier nur ein grobes Verschulden; der auf einfache Fahrlässigkeit zurückzuführende Irrtum reicht nicht aus.373 Eine solche kann dem pflichttreuesten Amtsträger unterlaufen; es würde seine Entschlusskraft lähmen, wenn sein Vorgehen schon deswegen als unrechtmäßig zu gelten hätte. Ein die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung nicht berührender Irrtum liegt z. B. vor, wenn der Amtsträger infolge Personenverwechslung (Prot. V/ 2923) oder eines sich später nicht bestätigenden Tatverdachts einen Unschuldigen festnimmt. Diese Regeln gelten entsprechend für das Sich-schlüssig-werden eines Gerichtsvollziehers über die tatsächlichen Voraussetzungen einer Pfändung, wenn etwa der Gerichtsvollzieher irrtümlich in der falschen Wohnung pfändet.374 Diese Grundsätze sollen nach der angeführten Rechtsprechung nur für einen Irrtum des 51 Amtsträgers oder Soldaten auf tatsächlichem Gebiet gelten. Irrt er jedoch über die rechtliche Zulässigkeit seines Einschreitens, so nimmt die h. A. zutreffend an, dass die Amtshandlung unrechtmäßig ist.375 Z. T. wird bezweifelt, ob diese Unterscheidung trägt. Die Erwägungen, dass der Amtsträger im Moment des schnellen Handelns nicht immer das Richtige treffen mag, gelten in gleichem Maße für die tatsächliche wie die rechtliche Lage. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich in der Regel um Vollzugskräfte handelt, deren rechtliche Ausbildung nicht vollständig sein kann und die sich bei geringfügiger rechtlicher Fehlbeurteilung schwerwiegenden Notwehrakten ausgesetzt sehen.376 Allerdings trifft dieser Einwand die gesetzliche Systematik insgesamt. Das StGB unterscheidet aber bewusst zwischen Tatsachen- und Rechtsirrtum und weist jenem sehr viel weitreichendere Verantwortungsfreistellungen zu (§ 16 Abs. 1, Erlaubnistatbestandsirrtum analog § 16 Abs. 1). Eine ausgewogene Verteilung der Interessen des Amtsträgers und des Bürgers gebietet daher nicht, auch noch beim reinen Rechtsirrtum das Handeln des Beamten als nicht rechtswidrig zu privilegieren. Die Problematik verlagert sich freilich auf die Frage, ob ein Irrtum über normative Merkmale als Tatsachen- oder Rechtsirrtum zu qualifizieren wäre.377

gg) Handeln auf Befehl. Handelt der Vollstreckungsbeamte auf Anordnung oder Befehl einer 52 vorgesetzten Behörde, obliegen also Konkretisierung des Gesetzes und Vollzug zwei verschiedenen Amtsträgern – zu den hiervon zu unterscheidenden Fällen der Vollstreckung von Entscheidungen anderer Staatsorgane vgl. Rdn. 47 –, so gelten folgende Grundsätze: Der Vollstreckungsbeamte handelt stets rechtmäßig, wenn er einen von dem örtlich und sachlich zuständigen Vorgesetzten erteilten, dienstlichen, nicht offensichtlich rechtswidrigen Befehl im Vertrauen auf dessen Rechtmäßigkeit in gesetzlicher Form vollzieht,378 auch dann, wenn sich seine Vorgesetzten über die Voraussetzungen des Einschreitens geirrt haben. Nach der ständigen Rechtsprechung der Obergerichte spielt es hier keine Rolle, ob dieser Irrtum tatsächlicher oder rechtlicher Natur ist; der Ausführende ist in dem einen wie dem anderen Falle gedeckt, also auch dann,

372 Zielinski AK Rdn. 24. 373 Vgl. OLG Celle NJW 1971 154; OLG Hamm VRS 26 435, 436; GA 1973 244; BayObLG JR 1989 24; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 12; Neuheuser S. 207; Sch/Schröder/Eser Rdn. 28; einschr. Triffterer FS Mallmann 373, 395 ff., 415.

374 Vgl. RGSt 61 297. 375 BGHSt 24 125, 127; RGSt 30 348, 350; BayObLG NJW 1965 1088; BayObLGSt 1954 59, 62; OLG Hamm VRS 26 435, 436; JMBlNRW 1959 221; NJW 1951 771; OLG Zweibrücken VRS 40 192, 193; KG GA 1975 213, 214; Fischer Rdn. 18; Wolters SK Rdn. 12; Reinhart StV 2005, 103 f.; Sch/Schröder/Eser Rdn. 29; aA v. Bubnoff LK11 Rdn. 34. 376 Vgl. etwa BayObLGSt 1954 59; v. Bubnoff LK11 Rdn. 34; Werner LK8 Anm. V 3a; Stratenwerth S. 190; Pinger Prot. VI/306; auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 16; Thiele JR 1975 353; differenzierend Sch/Schröder/Eser Rdn. 29; krit. Wagner JuS 1975 225. 377 Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 29; Bosch MK Rdn. 51. 378 KG StV 2005 260 f. 707

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wenn der Vorgesetzte die Rechtslage verkannt hat.379 Indes kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer auf Befehl vollzogenen Maßnahme auch auf das eigene Wissen bzw. in gewissem Umfang auf die eigene, bei Wahrung im dienstlichen Weisungsbereich üblicher Sorgfalt gegebene Erkenntnismöglichkeit des Weisungsempfängers an, wobei dessen Prüfungspflicht im Rahmen einer dienstlichen Anordnungssituation eingeschränkt ist.380 Nach diesen Grundsätzen richtet sich auch die Beurteilung der Polizeihilfe bei Vollstreckungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers (§§ 758 III, 753 ZPO). So lässt der Irrtum des Gerichtsvollziehers, der das Einschreiten von Polizeibeamten zu seiner Unterstützung veranlasst, über tatsächliche oder rechtliche Voraussetzungen seines eigenen Handelns im Rahmen der Zwangsvollstreckung die Rechtmäßigkeit des Einschreitens der Polizeibeamten unberührt, sofern diese den Irrtum des Gerichtsvollziehers nicht erkennen. Es kommt ferner nicht unbedingt darauf an, ob sich der Vorgesetzte im Rahmen seines pflichtmäßigen Ermessens gehalten hat; auch eine rechtswidrige Anordnung führt noch nicht zwangsläufig zur Unrechtmäßigkeit der Ausführung durch den Angewiesenen.381 Allerdings kann eine solche Anordnung diese Wirkung nur entfalten, wenn die Dienststelle, von der sie ausgeht, örtlich und sachlich wenigstens im allgemeinen Rahmen zuständig ist und die vorgeschriebenen Formen eingehalten hat.382 Diese Zuständigkeit fehlt z. B., wenn Amtshandlungen verlangt werden, die auf fremdem Hoheitsgebiet vollstreckt werden sollen383 oder in private Beziehungen eingreifen.384 Ebensowenig kann eine Anordnung den Vollstreckungsbeamten binden, wenn die Rechtswidrigkeit der angeordneten Maßnahme offenkundig auf der Hand liegt,385 die angeordnete Maßnahme bereits ihrer Art nach rechtlich unzulässig ist386 oder wenn der Vorgesetzte seine Amtsgewalt missbraucht und der Untergebene dies erkennt. Das gleiche gilt, wenn letzterer weiß, dass sich der Anordnende über die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen des Einschreitens geirrt hat,387 oder wenn dies für ihn nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich war, sich ihm also aufdrängen musste. Ein solcher Fall wäre etwa gegeben, dass es sich im Falle angeordneter Unterstützung des Gerichtsvollziehers bei der von den Pfändungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers betroffenen Wohnung in Wahrheit nicht um die Schuldnerwohnung handelt oder wenn der Polizeibeamte erkennt, dass eine Personenverwechslung vorliegt.388 Hier kann sich der Vollstreckungsbeamte zu seinem Schutz nicht auf die erteilte – möglicherweise aufgrund pflichtgemäßer Prüfung nach dem gegebenen Kenntnisstand des Vorgesetzten sachlich einwandfreie – Weisung berufen; vielmehr gereicht ihm zum Vorwurf, dass er trotz Kenntnis des wahren Sachverhalts und damit unrechtmäßig i. S. d. § 113 gehandelt hat.389 Gleiches gilt erst recht, wenn ihm eine strafbare Handlung angesonnen wird.390 Handelt der Vollstreckungsbeamte an sich im Rahmen seiner Amtsbefugnisse, jedoch entgegen einem ihm von seinen Vorgesetzten erteilten Befehl, so übt er

379 BGHSt 4 161, 162; RGSt 55 161, 162; 58 193, 195; RG LZ 1926 451; KG NJW 1972 781; OLG Köln NJW 1975 889; MDR 1976 67, 68; OLG Karlsruhe NJW 1974 2142; krit. Paeffgen JZ 1979 523; Rostek NJW 1972 1335; 1975 862; vgl. ferner Thiele JR 1975 358. 380 Vgl. Schumann S. 36, 38. 381 So die Rspr.; vor allem OLG Karlsruhe NJW 1974 2142, 2143; Jescheck/Weigend S. 390 ff.; Stratenwerth S. 168 ff.; aA Amelung JuS 1986 337; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 18; Fischer Rdn. 19; wohl auch Sch/Schröder/ Eser Rdn. 31; zum militärischen Befehl vgl. Scherer SoldG § 11 Rdn. 9; Schölz/Lingens WStG § 2 Rdn. 32. 382 RGSt 59 330, 335; 55 161, 163; 40 212, 215 f.; 29 199, 201; 26 291, 292. 383 BGH v. 7.2.1961 – 5 StR 483/60. 384 RGSt 29 199, 201; 40 212, 215. 385 Jescheck/Weigend S. 393. 386 Sch/Schröder/Eser Rdn. 31. 387 BayObLG VRS 29 261, 263 f.; Sch/Schröder/Eser Rdn. 31; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 19 f.; Stratenwerth S. 180; Scherer SoldG § 11 Rdn. 7. 388 Vgl. Jescheck/Weigend S. 394; Schölz/Lingens WStG § 2 Rdn. 25, 29. 389 Stratenwerth S. 180. 390 RGSt 54 337. Rosenau

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sein Amt nicht rechtmäßig aus.391 Umstritten ist, ob und inwieweit der Untergebene zu einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit des ihm erteilten Befehls berechtigt und verpflichtet ist. Von der Rspr. wird eine Prüfungspflicht für den Regelfall verneint.392 Indessen wird man davon ausgehen müssen, dass der Untergebene die Rechtmäßigkeit des Befehls immerhin in gewissen Grenzen und insoweit nur im Rahmen des ihm nach den Umständen Möglichen zu prüfen hat bzw. prüfen kann, so z. B. wenn die Weisung ganz aus dem Rahmen der Befugnisse des Vorgesetzten fällt, aber auch dann, wenn sich bei dem Untergebenen Zweifel hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen einstellen.393

hh) Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung. Diesen lag regelmäßig die herrschende 53 Ansicht über die Bedeutung des tatsächlichen und rechtlichen Irrtums auf Seiten des Vollstreckungsbeamten zugrunde: Widerstandsleistungen sind besonders häufig, wenn Polizeibeamte gegen Kraftfahrer ein- 54 schreiten, die unter Alkoholeinfluss stehen. Hier ist vielfach die vorläufige Festnahme zwecks Entnahme einer Blutprobe erforderlich. Die rechtliche Grundlage dafür ist, wenn nicht die Voraussetzungen des § 127 Abs. 2 StPO gegeben sind, der § 81a StPO. In dieser Bestimmung ist zugleich die Befugnis für eine Festnahme und zwangsweise Verbringung zum Arzt enthalten. Denn der mit dem § 81a StPO verfolgte Zweck wäre, jedenfalls bei der Blutentnahme, nicht erreichbar, wenn das Gesetz nicht zugleich die Mittel zur Durchsetzung zur Verfügung gestellt hätte. Daraus folgt, dass die Polizisten als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft den Beschuldigten notfalls zwangsweise zum Arzt, nach den örtlichen Verhältnissen auch zum Krankenhaus oder rechtsmedizinischen Institut, bringen dürfen.394 Es ist auch zulässig, dass sie ihn auf die Polizeiwache mitnehmen, um dort die Durchführung der Blutentnahme durch einen Arzt zu veranlassen.395 Ebenso dürfen sie zu diesem Zwecke dessen Wohnung betreten,396 nach überwiegender Meinung allerdings nur unter den Voraussetzungen der §§ 102 ff. StPO.397 In jedem Falle ist aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Er kann dazu führen, dass dem Beschuldigten die Auswahl des Arztes vorbehalten bleiben muss, wenn dies ohne Schwierigkeiten und Verzögerungen möglich ist;398 ferner verbietet dieser Grundsatz, den Betroffenen ohne zwingenden Anlass bis zum Erscheinen des Arztes in eine Zelle einzusperren.399 Einer vorherigen ausdrücklichen Anordnung bedarf es nicht; es genügt, wenn sie sich aus den Umständen unmissverständlich ergibt.400 Sind die den Tatbestand aufnehmenden Polizisten keine Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, so sind sie nur auf Grund des § 81a StPO weder zur Festhaltung des Beschuldigten noch zu seiner Verbringung auf die Wache befugt; jedoch können sie die Weiterfahrt des Betrunkenen durch Wegnahme des Zündschlüssels ver-

391 RGSt 31 76, 79. 392 OLG Karlsruhe NJW 1974 2142, 2143; KG NJW 1972 781, 782; BGHSt 4 161, 162; krit. Rostek NJW 1975 862; Thiele JR 1975 357 f.; Ostendorf JZ 1981 173; Wagner JuS 1975 224. 393 Vgl. hierzu auch Jescheck/Weigend S. 394; aA Stratenwerth S. 179. 394 U.a. BayObLG VRS 66 275; JR 1964 149 mit zust. Anm. Dünnebier und Tiedemann JZ 1964 625; OLG Bremen NJW 1966 743; OLG Schleswig NJW 1964 2215; OLG Hamburg MDR 1965 152; OLG Köln VRS 30 186, 187; OLG Stuttgart Die Justiz 1971 29; OLG Köln VRS 48 24, 25; NStZ 1986 234, 235; OLG Koblenz DAR 1973 219; OLG Frankfurt MDR 1979 694; Hentschel Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot (10. Aufl.) Rdn. 16 ff.; Kleinknecht NJW 1964 2181; Kaiser NJW 1964 580. 395 BayObLGSt 1964 34; OLG Hamburg MDR 1965 152; OLG Köln VRS 30 186, 187; 71 184; OLG Schleswig SchlHA 1978 183 Nr. 29; Meyer-Goßner StPO § 81a Rdn. 29. 396 OLG Stuttgart Die Justiz 1971 29; OLG Köln VRS 48 24, 25; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1972 21, 22. 397 OLG Düsseldorf VRS 41 429 f.; Senge KK § 81a Rdn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt StPO § 81a Rdn. 29. 398 BayObLG NJW 1964 459, 460. 399 OLG Hamburg MDR 1965 152, 153. 400 OLG Neustadt MDR 1962 593; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1965 199. 709

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hindern.401 Gemäß § 81a StPO darf die Blutprobe nur von einem Arzt entnommen werden; ein Medizinalassistent ist dafür nicht zuständig. Zwingt ein Polizeibeamter den Betroffenen, den Eingriff einem solchen Assistenten zu gestatten, so hängt nach h. A. die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung davon ab, ob sich der Beamte in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht geirrt hat: Hält er den Assistenten ohne grobes Verschulden für einen Arzt, so ist Widerstand unzulässig;402 meint er aber, auch der Medizinalassistent dürfe die Probe entnehmen, so soll sein Vorgehen unrechtmäßig sein.403 Nicht gedeckt durch § 81a StPO wird der Zwang zum Blasen in ein Teströhrchen zwecks Prüfung der Atemluft.404 Das gleiche gilt für das Verbringen zur Unfallstelle; jedoch kann dies zulässig sein, wenn die Voraussetzungen des § 127 Abs. 2 StPO gegeben sind.405 Die Festnahme zwecks Blutentnahme rechtfertigt nicht die körperliche Durchsuchung.406 Eine vorläufige Festnahme nach §§ 127 Abs. 2, 112 Abs. 2 Nr. 3a StPO kommt in Betracht, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu befürchten ist, dass der Beschuldigte durch aktives Tun (Nachtrunk) seinen physischen oder psychischen Zustand in einer die Wahrheitsfindung erschwerenden Weise verändern werde (Bosch KMR § 81a Rdn. 34). Auch bei Verkehrsordnungswidrigkeiten ist die zwangsweise Blutentnahme in Anwendung des § 81a StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG gemäß § 53 Abs. 2 OWiG möglich. In allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland bestehen Gesetze, nach denen die 55 Polizei unter gewissen Voraussetzungen Zwangsmaßnahmen gegen Personen und Sachen (Beschlagnahmen, Durchsuchungen, Festnahmen) ergreifen darf. Vgl. für Bayern: PolizeiaufgabenG i. d. F. der Bek. v. 14.9.1990 (GVBl. S. 397); Baden-Württemberg: PolG i. d. F. der Bek. v. 13.1.1992 (GBl. S. 1); Berlin: ASOG v. 11.10.2006 (GVBl. S. 930) und UZwG v. 22.6.1970 (GVBl. S. 921); Brandenburg: BbgPolG v. 19.3.1996 (GVBl. S. 74); Bremen: BremPolG v. 6.12.2001 (GBl. S. 441); Hamburg: Ges. zum Schutz der öffentlichen Sicherheit u. Ordnung (SOG) v. 14.3.1966 (GVBl. S. 77); Hessen: Ges. über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) v. 26.6.1990 (GVBl. I S. 197); Mecklenburg-Vorpommern: SOG MV i. d. F. der Bek. v. 9.5.2011 (GVBl. S. 114); Niedersachsen: Ges. über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (NdsSOG) v. 19.1.2005 (GVBl. S. 9); Nordrhein-Westfalen: PolG i. d. F. d. Bek. v. 25.7.2003 (GVNW S. 441); Rheinland-Pfalz: POG i. d. F. v. 10.11.1993 (GVBl. S. 595); Saarland: SPolG v. 8.11.1989 (ABl. S. 1750) i. d. F. der Bek. v. 26.3.2001 (ABl. S. 1074); Sachsen: SächsPolG i. d. F. der Bek. v. 13.8.1999 (GVBl. S. 466); Sachsen-Anhalt: SOG LSA i. d. F. der Bek. v. 20.5.2014 (GVBl. S. 182); Schleswig-Holstein: LVwG i. d. F. der Bek. v. 2.6.1992 (GVOBl. S. 243, 534); Thüringen: Thür. PAG v. 4.6.1992 (GVBl. S. 199). Der BGH hat in einem obiter dictum gewichtige Zweifel geäußert, ob diese Landesgesetze 56 wirksam sind, soweit sie sich auf die gleichen Sachverhalte beziehen, wie sie in den §§ 98, 105 und 127 StPO geregelt sind; zu einer abweichenden, insbesondere weitergehenden Einschränkung der Grundrechte seien die Länder gemäß Art. 72, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG nicht befugt.407 Man wird hier zu unterscheiden haben, ob es sich um die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (vgl. §§ 46, 53 OWiG) handelt oder um die Erfüllung sonstiger polizeilicher Aufgaben (z. B. Gefahrenabwehr, zu der auch die präventive Verhinderung drohender Straftaten gehört).408 Bei der erstgenannten Gruppe (Verfolgung von Straftaten) sind die Beschlagnahme, Durchsuchung und Verhaftung an die Voraussetzungen der §§ 98, 105 und 127 StPO gebunden, weil die StPO insoweit eine abschließende Regelung enthält. Eine subsidiäre Anwendung der 401 OLG Saarbrücken NJW 1959 1190; BGH VRS 39 184. 402 BGHSt 24 125, 132; krit. Schünemann JA 1972 709, 775; Thiele JR 1975 353; aA Bergmann S. 114 Fn. 164: Recht des Betroffenen auf Widerstand über § 34. BayObLG NJW 1965 1088; OLG Hamm DAR 1964 221, 222. BayObLGSt 1963 15; 1964 34; OLG Schleswig VRS 30 344, 346; BGH bei Dallinger MDR 1970 897. OLG Hamm JMBlNRW 1965 198. LG Berlin NJW 1971 620; OLG Schleswig SchlHA 1978 183, 184 Nr. 29: Durchsuchung auf dem Polizeirevier. BGH NJW 1962 1020; aA RGSt 67 351; s. a. OLG Schleswig SchlHA 1978 184 Nr. 29; krit. Schmidt NJW 1962 2190. OLG Bremen NJW 1977 158, 159; BGHSt 38 388, 389 f.; BGH NJW 1982 2081.

403 404 405 406 407 408

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landespolizeigesetzlichen Normen auf dem Gebiet der repressiven Strafverfolgung ist nicht möglich.409 So darf die vorläufige Festnahme eines Verdächtigen nur unter der Voraussetzung des § 127 StPO (Abs. 1: auf frischer Tat betroffen, Fluchtverdacht; Abs. 2: Gefahr im Verzug, dringender Tatverdacht, Fluchtgefahr), nicht jedoch aufgrund landespolizeigesetzlicher Bestimmungen über die Ingewahrsamnahme erfolgen. Bei den sonstigen polizeilichen Aufgaben kann dagegen die Befugnis der Polizei zur Ergreifung jener Maßnahmen auf Grund des Landesrechts nicht angezweifelt werden. Die neuen Polizeigesetze enthalten keine Befugnisse zur Strafverfolgung, sondern im wesentlichen reines Gefahrenabwehrrecht. Zulässig sind danach u. a. freiheitseinschränkende Maßnahmen gegen Personen zur Gefahrenabwehr (Art. 17 Bay. PAG, § 35 PolG NRW), der Schutzgewahrsam zur Verhinderung von Selbstmord (§ 28 Abs. 1 Nr. 2c PolG BW;),410 die Entfernung einer durch eine drohende Straftat gefährdeten Person.411 Die polizeilichen Eingriffsmaßnahmen müssen sich im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Art. 104 Abs. 2 GG halten. Indes ist die scharfe Trennung der vorbeugenden von der strafverfolgenden Tätigkeit der Polizei sachbedingt nicht immer möglich (vgl. z. B. das Ineinanderfließen bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen §§ 81b, 163b StPO bzw. § 14 PolG NRW etc.; ferner die Festnahmebefugnis gegenüber aus Anstalten Entwichenen, Art. 17 Abs. 3 Bay. PAG); die Bereiche können etwa beim Einschreiten gegen die Fortsetzung strafbarer Handlungen ineinander übergehen, die polizeiliche Einwirkung sowohl die Straftataufklärung als auch die Gefahrenabwehr bezwecken. So kann eine Razzia mit Durchsuchung (§ 41 Abs. 3 PolG NRW, § 38 Abs. 6 HSOG) von Räumlichkeiten (z. B. Drogenberatungsstelle)412 sowohl der Täterfahndung (Rauschgifthändler) als auch der Unterbindung von Straftaten (Rauschgifthandel) dienen. Derartig zweckkombinierte polizeiliche Maßnahmen sind zulässig; sie können auf Landesrecht gestützt werden. Zwang zur Identitätsfeststellung kann nach den §§ 163b, 163c StPO, § 46 OWiG, bzw. nach § 127 Abs. 1 StPO angewendet werden. Diese Regelungen lassen die polizeilichen Normen mit Ermächtigung zum Zwang (§ 26 Abs. 2 PolG BW; Art. 13 Abs. 2 Bay. PAG: Festhalten zur Personenfeststellung) als tragfähige Eingriffsgrundlage unberührt, sofern die Maßnahme ausschließlich vorbeugende Zielsetzung hat oder lediglich zugleich der Strafverfolgung dient..413 Verschiedene höchstrichterliche Entscheidungen verweisen auf Landesrecht. Das gilt vor al- 57 lem für das Mitnehmen zur Polizeiwache, wenn die Personalien des Betroffenen nicht sofort festgestellt werden können oder es untunlich ist, dies an Ort und Stelle zu erledigen.414 Dagegen wird in dem zuvor genannten Rahmen nichts einzuwenden sein. Über die vorübergehende Festhaltung zu diesem Zweck415 ist der Polizeibeamte berechtigt, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen das Bevorstehen einer Straftat, die es zu verhindern gilt, angenommen werden kann. Zulässig ist auch die Personalienfeststellung eines in einer Stadt nachts im Auto schlafenden Menschen;416 ferner die kurzfristige Wegnahme des Führerscheins, um einen Angetrunkenen von der Weiterfahrt abzuhalten; jedoch mit der Pflicht zur Rückgabe nach der Ausnüchterung, falls die Voraussetzungen der §§ 94, 111a StPO nicht vorliegen.417 Hat sich der Täter sofort vollständig ausgewiesen, erklärt er aber, dass er keine Aussage vor der Polizei machen wolle, darf er nicht, wenn nicht die Voraussetzungen des § 127 StPO vorliegen, zur Dienststelle verbracht

409 410 411 412 413

Götz NVwZ 1984 212; Rogall GA 1985 7. BayObLG NJW 1989 1815 m. Anm. Bottke JR 1989 475. BayObLG JR 1989 24 m. Anm. Bottke. Vgl. BVerfG NJW 1977 1489. Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 33. Zur Kontrollstelle nach § 26 Abs. 1 Nr. 5 PolG BW, § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW und den daran anknüpfenden Personenfeststellungsmaßnahmen krit. Lisken ZRP 1990 19. 414 BayObLG MDR 1964 617; BayObLGSt 1959 38; 1957 221; 1956 170; OLG Braunschweig NJW 1956 1808; OLG Bremen NJW 1977 158, 160; auch OLG Koblenz VRS 45 110. 415 Vgl. ferner RG JW 1925 1000; 1935 3393; OLG Hamm JMBlNRW 1960 192; OLG Braunschweig GA 1953 28. Nach OLG Bremen NJW 1977 158, 160 mit krit. Anm. Thomas NJW 1977 1072. 416 OLG Koblenz VRS 45 110, 111. 417 OLG Braunschweig NJW 1956 1808. 711

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werden; denn er ist nicht verpflichtet, sich dort zum Hergang sachlich zu äußern.418 Die Ingewahrsamnahme (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW) ist zulässig, um einen nächtlichen betrunkenen Randalierer zur Ausnüchterung auf die Wache zu nehmen, nicht aber zur zwangsweisen Verbringung eines Stadtstreichers „aufs Land“.419 Zum polizeilichen Platzverweis zwecks Gefahrenabwehr s. § 13 RhPf POG, § 34 PolG NRW; die zwangsweise Entfernung von einer Örtlichkeit ist zulässig gegenüber dem Eindringling beim Hausfriedensbruch,420 ferner gegenüber einem widerspenstigen Gast im Falle des unbefugten Verweilens im Gastraum über die Sperrstunde hinaus421 oder bei unmittelbar drohender tätlicher Auseinandersetzung mit anderen Gästen des Lokals.422 Der Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr berechtigt auch zur polizeilichen Sicherstellung einer Sache, um den Eigentümer vor Verlust oder Beschädigung zu schützen (§§ 43 Ziff. 2, 50 PolG NRW; § 32 Abs. 1 PolG BW), notfalls unter Anwendung von Zwangsmitteln.423 § 81b 2. Alt. StPO, eine rein materiell-polizeirechtliche Vorschrift (Oehm MDR 1986 99, 100, 102 f.; s. aber Götz NVwZ 1984 216), gestattet die zwangsweise erkennungsdienstliche Behandlung einschließlich der zwangsweisen Verbringung des Betroffenen zur Polizeidienststelle zwecks ihrer Durchführung. Polizeiliche Eingriffsbefugnisse aufgrund sonstiger Vorschriften: Festnahmerecht der Polizei gemäß § 30 Abs. 2 IfSG;424 Zuführung Wehrpflichtiger oder Dienstleistender auf Ersuchen der zuständigen Stelle (§ 44 Abs. 3 WPflG, § 23a ZDG) als Maßnahme des Verwaltungszwangs (§ 12 VwVG, §§ 5, 26 LVwVG BW); zur Auffindung kann die Polizei dessen Wohnung durchsuchen, u. U. auch Räume Dritter (§ 44 Abs. 4 WPflG); lebensmittelüberwachungsrechtliche Eilmaßnahmen (§ 41 f LMBG). Die Judikatur zur Rechtmäßigkeit ist umfangreich und naturgemäß auf die Umstände 58 des Falles zugeschnitten. Folgendes wird hervorgehoben: Der Streit, ob § 163 StPO lediglich Aufgabenzuweisungs-, aber keine Eingriffsbefugnisnorm sei,425 hat sich durch die berichtigenden Worte des Gesetzgebers im StVÄG vom 2.8.2000 (BGBl. I S. 1253) erübrigt. § 163 Abs. 1 S. 2 StPO sieht nun eine generelle Eingriffsbefugnis der Polizei für Ermittlungen vor (vgl. MeyerGoßner/Schmitt StPO § 163 Rdn. 1). Bei schwererwiegenden Grundrechtseingriffen, die in ihrer Eingriffsintensität den gesetzlich geregelten Zwangsmaßnahmen entsprechen, wird aber weiterhin eine spezielle Eingriffsermächtigung zu verlangen sein.426 Für entsprechende polizeiliche Maßnahmen mit derartigem Eingriffscharakter von „größerer Eingriffsintensität“ (vgl. EOrgKG BTDrucks. 12/989 S. 33) bedarf es somit einer besonderen gesetzlichen Grundlage. Ein großer Teil der Entscheidungen des Reichsgerichtes über die Rechtmäßigkeit der 59 Amtshandlung beruht auf Länderrecht, das heute nicht mehr gilt. Andere Urteile des RG sind auch heute noch ohne wesentliche Einschränkung bedeutsam, wobei vielfach die Unterscheidung zwischen dem Irrtum des Beamten über die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen seines Eingreifens eine Rolle spielt. Nach dem RG lässt sich die Frage, ob ein Gegenstand unpfändbar, ob er Vermögen des Schuldners ist, ob er in dessen oder eines Dritten Gewahrsam steht, ob die Durchsuchung von Wohnungen und Behältnissen statthaft ist, trotz ihrer rechtlichen Natur regelmäßig nur nach den im Einzelfall vorliegenden tatsächlichen Verhältnissen beurteilen und erfordert – zumal bei undurchsichtiger Sachlage – eine nach pflichtmäßigem Ermessen zu treffende Entscheidung des Amtsträgers.427 Deswegen kann die irrtümliche Pfändung in einer anderen Wohnung als der des Schuldners rechtmäßig sein. Unrechtmäßig ist die

418 419 420 421 422 423 424 425 426 427

BayObLGSt 1956 170; OLG Schleswig VRS 30 344, 346; aA für das frühere Recht RGSt 67 351. LG Mainz MDR 1983 1044. OLG Schleswig SchlHA 1976 167, Nr. 23; LG Bonn NStZ 1984 169; Wagner JZ 1987 712. RGSt 42 16, 17 f. LG Bonn NStZ 1984 169. BGH NJW 1982 2081. Vgl. OLG Köln GA 1966 344. Vgl. BayObLGSt 1959 37, 38 m. N.; OLG Hamm JMBlNRW 1959 221; v. Bubnoff LK11 Rdn. 38 m. w. N. Erb LR § 163 StPO Rdn. 6; Pflieger/Ambos HK-GS § 163 StPO Rdn. 1. RGSt 61 297, 298.

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Diensthandlung, wenn der Gerichtsvollzieher den Schuldner zwingt, ihm beim Aufsuchen der Pfandsache behilflich zu sein. Das Recht, Störer einer Durchsuchung festzunehmen (§ 164 StPO), besteht nur bei formell zulässigen Amtshandlungen, nicht dagegen z. B. im Falle unzulässigen Unterbleibens der Zuziehung von Durchsuchungszeugen nach § 105 Abs. 2 StPO.428 § 102 StPO bleibt Eingriffsgrundlage einer Durchsuchung auch, wenn Dritte (z. B. Eltern) Mitinhaber der tatsächlichen Herrschaft über Räumlichkeiten sind, die von Verdächtigen bewohnt werden.429 Eine photographische Dokumentation der Durchsuchung bzw. der durchsuchten Räume (§§ 102 f. StPO) ist nur zur Ermöglichung erforderlicher weiterer Durchsuchungs- oder Spurensicherungsmaßnahmen oder zur Sicherung der Beweise zulässig.430 Der Irrtum des Amtsträgers darüber, ob bei Beschlagnahme nach § 98 Abs. 1 StPO Gefahr im Verzuge ist, muss die Rechtmäßigkeit nicht beeinträchtigen.431 Das vom Amtsträger ausgeübte Ermessen ist nicht pflichtgemäß, wenn er entweder das Bewusstsein hatte, dass ein genügender Anlass für die Diensthandlung nicht vorlag, oder wenn er nach ausreichender Prüfung der tatsächlichen Umstände, soweit sie nach Lage der Sache möglich war, dieses Bewusstsein hätte erlangen müssen.432 Der Gerichtsvollzieher darf gemäß § 758 ZPO die Kleidung des Schuldners, die er am Leibe trägt, untersuchen.433 Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung wird noch nicht dadurch berührt, dass der Beamte unter Alkoholeinwirkung steht; anders ist es, wenn er sinnlos betrunken ist und trotzdem tätig werden will.434 Das in Art. 147 Abs. 1 Hess. Verf. jedermann eingeräumte Widerstandsrecht darf innerhalb der rechtsstaatlichen Ordnung in den Fällen einer Verfassungsverletzung durch verfassungswidrige einzelne Verwaltungsakte (z. B. Polizeiverfügungen) nur auf dem hierfür eingerichteten Rechtswege geltend gemacht werden; Selbsthilfe zum Zwecke der Wiederherstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes ist bei einer solchen Lage gegenüber einzelnen Verwaltungsakten unzulässig.435 Die Verkehrserziehung ist grundsätzlich Aufgabe der Polizei; zu diesem Zwecke darf sie Personen anhalten und ermahnen, wenn sie sich verkehrswidrig verhalten haben.436 Radarmessungen zur Feststellung überhöhter Geschwindigkeit sind rechtmäßige Amtsausübung. Der Gerichtsvollzieher darf bis zur Beendigung der Zustellungshandlung in der Wohnung des Schuldners verweilen.437 Mit der Unangemessenheit des Verweilens ab beginnender Durchsuchung zusätzlicher Räume oder Behältnisse zwecks Erledigung weiterer Pfändungsaufträge (§ 827 Abs. 3 ZPO) ohne eigene richterliche Durchsuchungsanordnung wird der Aufenthalt des Gerichtsvollziehers in der Schuldnerwohnung unrechtmäßig.438 Ein Polizeibeamter handelt nicht in rechtmäßiger Amtsausübung, wenn er bei Übermittlung einer Ladung und Einholung einer Auskunft in der Wohnung des Beschuldigten trotz dessen Widerspruchs länger verweilt, als unbedingt notwendig ist.439 Dagegen ist ein solches Verweilen nach bayerischem Landesrecht zulässig, wenn der Polizeibeamte zu prüfen hat, ob für ein Kraftfahrzeug eine Haftpflichtversicherung besteht, und notfalls beauftragt ist, die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen.440 Ein Vollstreckungsbeamter des Hauptzollamtes handelt nicht rechtmäßig, wenn er die Wohnung eines Zollschuldners betritt, um bisher unbekannte Beitreibungsmöglichkeiten durch Lohnpfändung zu ermitteln.441 Strafprozessuale 428 429 430 431 432 433 434 435 436 437 438 439 440 441 713

Vgl. OLG Stuttgart Die Justiz 1984 25; Born JR 1983 52, 54. BGH NStZ 1986 84, 85. OLG Celle StV 1985 138, 139. RGSt 37 32, 37. RGSt 26 22, 27. RGSt 16 21, 220. RG DR 1942 1782. BGH NJW 1953 1639. OLG Hamburg VRS 24 193. OLG Hamm JMBlNRW 1965 9; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 35; Bosch MK Rdn. 48. BVerfGE 76 83, 91 f.; vgl. Bittmann DGVZ 1989 136. OLG Hamm JMBlNRW 1959 221; ähnlich BayObLG MDR 1962 1007. BayObLG DAR 1965 275. OLG Hamm MDR 1960 696. Rosenau

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Zwangsmaßnahmen setzen hinreichende Anhaltspunkte (§ 152 Abs. 2 StPO) für eine Straftat voraus; sie sind nicht zulässig, um solche erst aufzuspüren. Ein vorläufig Festgenommener bzw. Festgehaltener (§ 127 StPO bzw. § 81a StPO) darf nach § 102 StPO nur bei konkreten Anhaltspunkten für die Auffindung beschlagnahmefähiger Sachen, z. B. das Mitführen von Waffen, durchsucht werden.442 Die Beschuldigteneigenschaft als Zulässigkeitsvoraussetzung kann auch mit der Anordnung einer nur gegen einen Beschuldigten zulässigen Maßnahme (z. B. § 81a StPO) begründet werden.443 Polizeiliches Handeln beschränkt sich nicht auf die Abwehr einer bestehenden Gefahr, sondern erstreckt sich auch auf Sachlagen, die bei objektiver Prüfung den Anschein einer Gefahr erwecken.444 Die erkennungsdienstliche Behandlung setzt Erforderlichkeit zur Aufklärung und Verhältnismäßigkeit voraus; sie ist bei weniger eingreifenden Möglichkeiten einer Personalienüberprüfung jedenfalls bei wenig gewichtigem strafrechtlichen Vorwurf nicht zulässig.445 Bei einer Razzia müssen im Rahmen der Personenkontrolle auch Nichtverdächtige oder Nichtstörer ihre Personalien auf Verlangen ausweisen. Die Polizei darf danach Prostituierte zwangsweise zur Sichtungsstelle des Gesundheitsamtes bringen.446 Photos eines beschuldigten Demonstranten sind je nach Lage des Einzelfalles als ähnliche Maßnahme i. S. d. § 81b StPO zwecks Identifizierung im Strafverfahren zulässig bzw. rechtmäßig.447 Das gilt auch dann, wenn sich der Betroffene durch Personalausweis ausgewiesen hat. Das Selbsthilferecht des Polizeibeamten gemäß § 164 StPO gilt nur für die Dauer der Diensthandlung und darf nicht weiter gehen, als erforderlich ist, um den Widerstand gegen die Durchführung zu brechen; daher ist keine Abführung zur Wache zulässig, wenn die Diensthandlung ohne diese Verbringung möglich ist.448 Der Störung einer zulässigen Wohnungsdurchsuchung kann durch Absonderung in einem (bereits überprüften) Raum des durchsuchten Hauses – und zwar auch im Falle eines sich weisungswidrig verhaltenden Verdächtigen (§ 102 StPO) – begegnet werden.449 Die Einbehaltung des Führerscheins ist bei einem betrunkenen Kraftfahrer auf Grund Landesrechts bis zur Beendigung des verkehrsunsicheren Zustandes zulässig.450 Die rechtmäßige Vornahme einer Diensthandlung endet, wenn der Polizeibeamte den Betroffenen unberechtigt schlägt; sie kann erst wieder beginnen, wenn der Beamte die Fortsetzung der rechtmäßigen Ausführung in einer nach außen in Erscheinung tretenden Weise deutlich zum Ausdruck bringt.451 Der Polizeibeamte darf dem Betroffenen die Hände aus den Taschen reißen, wenn der Verdacht besteht, dass er dort Waffen 452versteckt hat.453 Verweigert ein Gast nach Eintritt der Sperrstunde das Verlassen der Gastwirtschaft (§ 28 Abs. 2 Nr. 4 GastG), so darf ihn der Polizeibeamte gewaltsam entfernen; gleiches gilt im Fall des Verbleibens trotz ausdrücklichen Lokalverbots.454 Zwecks Verhinderung der Fortsetzung strafbarer Handlungen können die Polizeibeamten eine Person, die durch eine begonnene oder drohende Straftat gefährdet ist, aus dem Gefahrenbereich wegbringen. Die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln zur Erlangung von Beweisen in Drogenstrafverfahren ist als Verstoß gegen die Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG zu qualifizieren, zugleich ist sie konventionswidrig. Anderslautende deutsche Judikatur,455 die dieses Verfahren unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für rechtmäßig gehalten hat, ist mit der Verurtei442 443 444 445 446 447 448 449 450 451 452 453 454 455

OLG Schleswig SchlHA 1978 183, 184. Vgl. OLG Karlsruhe Die Justiz 1986 143, 144. KG NJW 1975 887, 888. AG Hamburg StV 1985 364. OLG Köln GA 1966 344, 345. OLG Köln MDR 1976 67 f. OLG Celle MDR 1955 692; ebenso BayObLGSt 1962 316. OLG Stuttgart Die Justiz 1984 25. OLG Köln VRS 37 33. OLG Oldenburg NJW 1952 1189. BayObLG JR 1989 24. OLG Celle NJW 1971 154; OLG Zweibrücken VRS 40 192, 193. LG Bonn NStZ 1984 169. BVerfG StV 2000 1; OLG Bremen NStZ-RR 2000 270.

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lung Deutschlands durch die Große Kammer des EGMR hinfällig.456 Dagegen ist die Überprüfung der Mundhöhle durch einen Polizeibeamten auch durch den Griff an den Hals, also mittels körperlicher Gewalt, zur Auffindung von Rauschgift nach § 102 StPO zulässig.457

ii) Eingriffsbefugnisse und Notwehr des Amtsträgers. Das Recht zur (vorläufigen) Festnah- 60 me oder zur körperlichen Untersuchung (z. B. §§ 81a, 127 StPO) schließt notwendigerweise die Befugnis ein, zur zwangsweisen Durchsetzung der von dem Betroffenen unbeachtet gelassenen Vollstreckungsanordnung oder zur Beseitigung des von ihm geleisteten Widerstands unmittelbaren Zwang anzuwenden.458 Als Zwangsmittel kommen je nach den konkreten Erfordernissen des Falles gewaltsames Öffnen und Betreten von Räumen, Beseitigung von als Widerstandsmittel eingesetzten Sachen, evtl. unter Beschädigung, Eingriffe in die Fortbewegungs- und Willensfreiheit (i. S. d. §§ 239, 240 Abs. 1) sowie in begrenztem Rahmen auch – über das „feste Anfassen“ oder „Anpacken“459 hinausgehende – die körperliche Integrität tangierende Handlungen in Betracht,460 die bei entsprechendem Widerstand unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Herbeiführung oder Aufrechterhaltung der erforderlichen Freiheitsentziehung notwendig sind.461 Hinsichtlich der Grenzen der Zwangsmittel ist auf den in den gesetzlichen Regeln über die Anwendung unmittelbaren Zwangs abgesteckten Rahmen zurückzugreifen.462 Erst jenseits der Berechtigung der Zwangsmaßnahmen aus den für die hoheitliche Betätigung maßgeblichen Vorschriften stellt sich die weitere Frage eines Notwehrrechts des Amtsträgers. Ein Ausschluss allgemeiner Rechtfertigungsgründe bei hoheitlichem Handeln,463 insbesondere der Notwehr des zum Selbstschutz handelnden Amtsträgers, oder eine differenzierende Aufspaltung in eine strafrechtliche Rechtswidrigkeit (Rechtfertigung) und polizeirechtliche Rechtswidrigkeit464 kann indes weder dem Strafrecht selbst noch den landesrechtlichen Polizeigesetzen (s. vielmehr die ausdrücklichen Notrechtsvorbehalte, z. B. § 54 Abs. 2 HSOG, § 60 Abs. 2 SOG LSA) entnommen werden. Dem Polizeibeamten stehen vielmehr bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 32 StGB die Notwehrbefugnisse zu,465 wenn ihm bei Ausübung rechtmäßiger Vollstreckungstätigkeit ein sich als gegenwärtiger rechtswidriger Angriff darstellender aggressiver Widerstand entgegengesetzt wird.466 Die personenbezogenen Notrechte des StGB stellen aber keine Erweiterung hoheitlicher Eingriffsbefugnisse dar.467

d) Folgen fehlender Rechtmäßigkeit aa) Rechtfertigung des Widerstandes. Absatz 3 Satz 1 bestimmt, dass die Tat nicht nach 61 § 113 strafbar ist, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Diese Regelung entspricht der bisherigen Rechtsprechung, welche allerdings die Rechtmäßigkeit als objektive Bedingung der 456 NJW 2006 3117. 457 OLG Celle NJW 1997 2463, 2464. 458 S. Geerds Jura 1987 319 f.; Krause LR25 § 81a Rdn. 64; Hilger LR § 127 Rdn. 28, 34, 43; Bosch KMR § 81a Rdn. 35; Wankel KMR § 127 Rdn. 10 f.

459 OLG Stuttgart NJW 1984 1694, 1695. 460 OLG Koblenz VRS 54 357, 359. 461 Schultheis KK § 127 Rdn. 27; Hilger LR § 127 StPO Rdn. 28, 31; Rogall JuS 1992 554 f.; LG Bonn NStZ 1984 169; aA Arzt FS Kleinknecht 10; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 39.

462 Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1974 806; BayObLG NStZ 1988 518, 519; Molketin NStZ 1989 488. 463 Jakobs AT 12/41 ff. 464 M. Seebode FS Klug 359 ff.; FS Krause 375 ff.; StV 1991 80, 85 m. w. N.; dazu Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 22 ff.; aA Sch/Schröder/Lenckner/Perron § 32 Rdn. 42b.

465 Vgl. Schmidhäuser JZ 1991 939; Rogall JuS 1992 551, 552. 466 Vgl. Spendel JR 1991 250; begrenzend Schaffstein GedS Schröder 97, 111 f.; Schall S. 283. 467 Amtl. Begr. ME PolG A 3.44; SSW/Rosenau Vor § 32 Rdn. 27; aA Roxin AT I § 15 Rdn. 12. 715

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§ 113 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Strafbarkeit ansah (vgl. Rdn. 31 ff.). Die den Widerstand als solchen (§ 113) rechtfertigende Wirkung des Absatzes 3 tritt ohne Rücksicht darauf ein, ob eine Abwehr des Betroffenen in dem geleisteten Maße erforderlich war, ob auch ein dem Betroffenen zumutbares Rechtsmittel ausgereicht hätte oder ob der Widerstandleistende die Unrechtmäßigkeit der Diensthandlung erkannt bzw. mit Verteidigungswillen gehandelt hat.468 Die Vorschrift schließt ihrem Wortlaut nach indes nur die Strafbarkeit nach § 113 aus; je nach Sachlage kann aber die Tat, falls die Widerstandshandlung zugleich weitere Tatbestände erfüllt, als Körperverletzung, Sachbeschädigung usw. strafbar sein, soweit sie nicht durch Notwehr (§ 32) gerechtfertigt ist (Begr. zum E 1962 S. 606). Satz 2 des Absatzes 3 stellt klar, dass auch die irrige Annahme des Täters, die Vollstreckungshandlung sei rechtmäßig, keine Strafbarkeit nach § 113 begründet.

62 bb) Notwehr bei fehlender Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung. Die fehlende Rechtmäßigkeit der Diensthandlung rechtfertigt den Widerstand als solchen, lässt somit § 113 entfallen.469 Die Unrechtmäßigkeit qualifiziert die Diensthandlung zugleich als rechtswidrigen Angriff, gegen den Notwehr zulässig ist.470 Verwirklicht die Widerstandshandlung weitere Tatbestände wie etwa die §§ 212, 22, 223 ff., 303, so kommt es insoweit auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 32 an,471 nun insbesondere auch des Verteidigungswillens.472 Wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig (Absatz 3 Satz 2), fehlt ihm der Wille, sich gegen ein rechtswidriges Vorgehen zur Wehr zu setzen (Verteidigungswille). Hier bleibt die Widerstandshandlung – soweit sie andere Straftatbestände als § 113 erfüllt – nach diesen Tatbeständen strafbar, z. B. als Versuch von § 224, aber auch als Vollendung des § 223, soweit sich die Körperverletzung als Notwehrüberschreitung (und insoweit auch als Erfolgsunwert) darstellt.473 Denn Absatz 3 Satz 2 will mit seinem klarstellenden Hinweis nur die Strafbarkeit nach § 113 ausschließen.474 Bei gegebener Notwehrlage bleibt stets zu prüfen, ob die Art der Verteidigung nicht rechtsmissbräuchlich ist und daher als nicht geboten angesehen werden muss.475 Insoweit wird man der in Absatz 4 behandelten Zumutbarkeitsfrage eine nicht unwesentliche Bedeutung beizulegen haben. Dort ist dem Gedanken Rechnung getragen, dass von dem Betroffenen, selbst wenn er sich im Recht fühlt und – nach den Umständen – fühlen darf, die Prüfung zu verlangen ist, ob er sich nicht mit Rechtsbehelfen zu begnügen hat. Die gleiche Beurteilung liegt bei der Notwehr gegen eine unrechtmäßige Diensthandlung nahe, insbesondere wenn Verteidigungsmaßnahmen ergriffen werden, die in keinem Verhältnis zu den Nachteilen stehen, die durch das unrechtmäßige Vorgehen des Beamten verursacht werden,476 etwa wenn die gewählte Verteidigung eine erhebliche Verletzung oder gar den Tod des Amtsträgers herbeiführen könnte.477 Glaubt sich der Täter in Kenntnis aller Erlaubnistatumstände zu einer objektiv rechtsmiss-

468 Bosch MK Rdn. 53; Dreher JR 1984 402 f.; aA Hirsch FS Klug 235, 251. 469 Vgl. Rdn. 32; Fischer Rdn. 20; Herdegen FS BGH 202; OLG Bremen NJW 1977 158, 160. 470 BGHSt 4 161, 163 f.; BayObLGSt 1954 59, 64; OLG Köln StV 1982 359; AG Schwandorf StV 1987 299, 300; OLG Darmstadt NJW 1951 165, 166 a. E.; OLG Stuttgart NJW 1971 629; KG GA 1975 213, 215; OLG Hamm GA 1973 244, 245; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 15; Prot. V/2890. 471 Dreher FS Heinitz 221; Kindhäuser Rdn. 17. 472 BGH NStZ 1981 22, 23. 473 Zur Folge fehlenden Verteidigungswillens vgl. allerdings Rdn. 67; Rudolphi SK § 22 Rdn. 29; Günther SK vor § 32 Rdn. 91; SSW/Rosenau Vor § 32 Rdn. 16; KG GA 1975 213, 215. 474 Fischer Rdn. 28. 475 Vgl. BayObLGSt 1954 59, 65; BGH NStZ 1981 22, 23; ähnl. Amelung JuS 1986 336 f.; Roxin FS Pfeiffer 51 f.; Schall S. 283. 476 Fischer Rdn. 20; Dreher NJW 1970 1159; vgl. auch BayObLGSt 1954 59, 65; Bedenken bei Horstkotte Prot. VI/17. 477 BGH NStZ 1981 22, 23; OLG Hamm JR 2010 362 f. m. Anm. Zimmermann JR 2010 361; AG Schwandorf StV 1987 299, 300. Rosenau

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IV. Irrtumsregelung

StGB § 113

bräuchlichen und daher nicht gerechtfertigten Abwehrmaßnahme berechtigt, so handelt es sich um einen nach § 17 zu behandelnden Verbotsirrtum.478

e) Folgen bei Rechtmäßigkeit der Diensthandlung. Ist die Diensthandlung rechtmäßig, 63 ist der Widerstand objektiv rechtswidrig. Die Irrtumsregelung des Absatzes 4, die bei entschuldbarem Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit unter Umständen zur Straflosigkeit des Widerstandes führen kann, lässt die für die Position des Amtsträgers maßgebliche objektive Rechtslage unberührt; sie betrifft lediglich die Frage der Vorwerfbarkeit.479 Die Fälle der vermeintlichen Notwehr werden im Rahmen des § 113 im wesentlichen durch Absatz 4 erfasst; für die Anwendung der Grundsätze über die Putativnotwehr bleibt insoweit kein Raum.480 Erfüllt die Widerstandshandlung daneben weitere Tatbestände (§§ 223 ff., 303), so gelten insoweit die allgemeinen Regeln über die Putativrechtfertigung.481 Gegen widerrechtliche Begleithandlungen einer sonst rechtmäßigen Diensthandlung (z. B. grundlose Misshandlung des Täters, etwa durch Faustschlag ins Gesicht, bei an sich zulässiger Festnahme) ist Notwehr möglich.482 Bei nur vermeintlich unzulässigem Begleitverhalten des Amtsträgers – wenn z. B. ein Ausholen zum Faustschlag missgedeutetet wird – ist Putativnotwehr denkbar.483

III. Subjektiver Tatbestand Zum subjektiven Tatbestand gehört das Bewusstsein des Täters, dass ihm ein Amtsträger oder 64 Soldat oder eine gleichgestellte Person (§ 115) gegenübersteht, die eine Diensthandlung vornimmt,484 und dass er dieser Handlung durch sein Verhalten ein Hindernis bereitet.485 Bedingter Vorsatz genügt.486 Fehlt der Vorsatz in Bezug auf § 113, so kann auf andere Tatbestände, die durch dieselbe Handlung verletzt sein sollten, zurückgegriffen werden. Auf die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung muss sich der Vorsatz nicht erstrecken, weil diese kein Tatbestandsmerkmal ist. Das ergibt auch der Umkehrschluss aus Absatz 4 (vgl. Rdn. 28 ff.).487

IV. Irrtumsregelung Einen Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung hatte die frühere Rechtsprechung 65 in der Regel für unbeachtlich gehalten.488 Das hielt der Gesetzgeber des 3. StrRG für bedenklich, weil auf diese Weise dem Schuldgrundsatz nicht ausreichend Rechnung getragen werde.489 Er hat deswegen in Absatz 4 eine neue Irrtumsregelung eingeführt, die sich an den § 17 in der Fassung des 2. StrRG (Verbotsirrtum) anlehnt, ihm aber nicht voll entspricht. Dabei wird aus Zweckmäßigkeitsgründen, entgegen der sonstigen Übung, zunächst der verschuldete und dann der unverschuldete Irrtum behandelt, weil letzterer durch die Zumutbarkeitsklausel zu ergänzen 478 479 480 481 482

Vgl. OLG Hamm GA 1973 245. Horstkotte Prot. V/2891; VI/16. Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 55, 59; Stöckel JR 1967 281, 283. OLG Hamm GA 1973 244; OLG Bremen NJW 1977 158, 160; Fischer Rdn. 29; Stöckel JR 1967 282. OLG Oldenburg NJW 1952 1189; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 15; Spendel JR 1991 250; Stöckel JR 1967 284; wenig überzeugend dagegen Hettinger GA 1982 544. 483 Sch/Schröder/Eser Rdn. 59. 484 BGH v. 13.10.1978 – 3 StR 279/78S. 3; OLG Stuttgart MDR 1983 78. 485 RG DR 1942 1782. 486 RGSt 47 270, 279 f.; Fischer Rdn. 27. 487 Paeffgen NK Rdn. 76. 488 Zuletzt BGHSt 21 334, 365 f. 489 Paeffgen NK Rdn. 76. 717

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§ 113 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

war und sich sonst sprachliche Schwierigkeiten ergeben hätten.490 Der vermeidbar Irrende wird besser gestellt als beim Verbotsirrtum nach § 17 S. 2; denn ihm wird eine Strafmilderung nicht nur nach § 49 Abs. 1, sondern nach § 49 Abs. 2 eingeräumt, zudem ist sogar das Absehen von Strafe möglich.491 Der unvermeidbar Irrende dagegen steht schlechter als beim Verbotsirrtum nach § 17 S. 1, weil er nur dann straflos bleibt, wenn neben der Unvermeidbarkeit des Irrtums die Unzumutbarkeit tritt, Rechtsbehelfe einzulegen.

1. Irrige Annahme der Rechtmäßigkeit (Absatz 3 S. 2) 66 Nimmt der Täter irrig an, eine unrechtmäßige Diensthandlung sei rechtmäßig, oder hat er sich über den Charakter der unrechtmäßigen Diensthandlung überhaupt keine Gedanken gemacht, bleibt er nach Absatz 3 Satz 2 straflos. Eines subjektiven Rechtfertigungselements bedarf es hier ebenso wie bei § 22 Abs. 1 S. 2 WStG492 nicht.493 Der Gesetzgeber hat durch die Regelung des Absatzes 3 Satz 2 einer möglichen unterschiedlichen dogmatischen Einordnung des Rechtmäßigkeitsmerkmals und deren eventuellen Folgerungen Rechnung getragen.494

2. Irrige Annahme der Unrechtmäßigkeit (Absatz 4) 67 Die komplexe Vorschrift des § 113 Abs. 4 ist eine Sonderregelung, die den allgemeinen Irrtumsregeln vorgeht.495 Systematisch wird die Kernregelung teilweise als Sonderform des Irrtums über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes eingeordnet,496 die indes nicht der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie folgt,497 sondern eher als Ausdruck der strengen Schuldtheorie betrachtet wird,498 oder als Spezialregel auf der Grundlage der Verbotsirrtumsgrundsätze.499 Absatz 4 knüpft mit der Vermeidbarkeit des Irrtums jedenfalls an Kriterien der Verbotsirrtumsregelung an. Abweichend von § 17 genügt hier nicht das Fehlen der Unrechtseinsicht (ignorantia). Ist die Vollstreckungshandlung rechtmäßig und macht sich der Täter über die Frage der Rechtmäßigkeit keinerlei Gedanken, so ist der Widerstand bei gegebenem Vorsatz nach § 113 strafbar.500 Absatz 4 setzt voraus, dass der Täter abwägt und zur Einschätzung kommt, die Vollstreckungshandlung ist unrechtmäßig. Er muss die Unrechtmäßigkeit irrig positiv annehmen.501 Der Irrtum über die tatsächlichen Grundlagen der Bewertung und der Bewertungsirrtum werden in Absatz 4 nicht unterschieden, sondern dogmatisch gleichgestellt.502 Der Begriff der Rechtmäßigkeit ist derselbe wie in Absatz 3.503 Absatz 4 erfasst jede irrige Annahme 490 491 492 493 494

Horstkotte Prot. VI/320. Paeffgen NK Rdn. 76. Hierzu Schölz FS Dreher 479 ff., 483. Vgl. Rdn. 63; Niederschriften 13 53; Dreher FS Heinitz 221, JR 1984 405; Herdegen FS BGH 202. E 1962 Begr. S. 606; Prot. V/2890, 2925; vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 40; Dreher JR 1984 403; insofern wäre ein deklaratorischer Charakter (Fallack S. 257) kein Vorwurf. 495 Krit. Schünemann Coimbra-Symposium 169 ff. 496 Bergmann S. 128; Krümpelmann ZStW Beiheft 1978 55; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 38; wohl auch Dreher GedS Schröder 382 f. 497 Vgl. BGHSt 31 264, 286 f.; Jescheck/Weigend S. 464 ff.; Prot. V/2928; VI/310. 498 Hirsch FS Klug, S. 253; Gössel GA 1980 153; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 38; Paeffgen NK Rdn. 77, anders aber ders. JZ 1979 523: Sonderform des Erlaubnistatbestands- und des Erlaubnisirrtums; abl. Dreher JR 1984 403. 499 Fischer Rdn. 29; Dreher JZ 1970 1158; Horstkotte Prot. V/2891. 500 Bosch MK Rdn 59; Paeffgen NK Rdn. 78. 501 Vgl. OLG Köln VRS 71 183, 186; Dreher JR 1984 403; NJW 1970 1158; Sax JZ 1976 430 f. 502 Vgl. Herdegen FS BGH 202; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 20; vgl. auch Schölz FS Dreher 479, 488. 503 Horstkotte, Sturm Prot. VI/332 f.; Raabe Prot. VI/197; aA Meyer Prot. VI/332; Thiele JR 1979 399. Rosenau

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IV. Irrtumsregelung

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einer Unrechtmäßigkeit der Vollstreckungstätigkeit des Amtsträgers.504 Das gilt in gleicher Weise, wenn sich der Betroffene von dem vollstreckenden Amtsträger rechtswidrig angegriffen glaubt,505 wenn der aufgrund einer Personenverwechslung irrtümlich Festgenommene das Handeln des Polizeibeamten eben deshalb für unrechtmäßig hält oder wenn der Betroffene den Umfang seiner Duldungspflichten verkennt. Ein Irrtum über die Rechtmäßigkeit polizeilichen Einschreitens zwecks Verhinderung der Weiterfahrt ist zu verneinen, wenn der Kraftfahrer selbst mit seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit rechnet.506

a) Vermeidbarer Irrtum. Ist der Irrtum vermeidbar, gleichgültig, ob er sich auf Rechts- oder 68 Tatfragen bezieht, kann das Gericht die Strafe entsprechend dem § 49 Abs. 2 mildern oder bei geringer Schuld von Strafe absehen. Das bezieht sich aber nur auf eine Bestrafung „nach dieser Vorschrift“; der Täter bleibt also für andere Straftaten, die durch dieselbe Handlung verwirklicht werden, nach den für diese geltenden Regeln verantwortlich.507 Soweit eine Strafmilderung in Frage steht, hat die Vorschrift nur in den Fällen des Absatzes 2 eine echte Relevanz (Prot. VI/ 320). Doch wird dann häufig schon ein besonders schwerer Fall zu verneinen sein. Ein Absehen von Strafe nach § 113 kommt in Betracht, wenn sich aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände unter vorrangiger Berücksichtigung des Irrtums einschließlich des Grades seiner Vermeidbarkeit und der weiteren im Rahmen des Absatzes 4 milderungsrelevanten Umstände eine nur geringe Schuld des Täters ergibt.508 b) Unvermeidbarer Irrtum. Ist der Irrtum unvermeidbar, bleibt der Täter nicht ohne Weiteres 69 aus § 113 straflos. Vielmehr hat der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit den Garmischer Beschlüssen, den Vorschlägen des Richterbundes und verschiedener Sachverständigen die sog. Rechtsbehelfsklausel eingefügt (Schriftl. Ber. BTDrucks. VI/502 S. 6). Im Hinblick auf das dem Täter des Widerstandes zufallende Risiko509 lässt – abweichend von § 17 – die Unvermeidbarkeit des Irrtums noch nicht schlechthin den Schuldvorwurf entfallen. Das Risiko des Widerstandes wird nur dann als nicht vorwerfbar angesehen, wenn dem Täter die Ergreifung eines Rechtsbehelfs gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung nicht zumutbar war (s. Niederschriften 13 53, 69). Dieser Regelung liegt das Bemühen des Gesetzgebers um den Ausgleich des Interessenkonflikts zwischen dem Schutzbedürfnis des Amtsträgers und dem vermeintlichen Verteidigungsinteresse des irrenden Täters (Ber. BTDrucks. VI/502 S. 6) zugrunde. Im Rechtsstaat können vermeintlich rechtswidrige Hoheitsakte mit Rechtsmitteln bekämpft werden. Auch dem nicht vorwerfbar Irrenden wird deshalb nach der gesetzgeberischen Entscheidung das Widerstandsrisiko dann aufgebürdet, wenn er sich mit einem zumutbaren Rechtsbehelf begnügen könnte. Die Vorwerfbarkeit ergibt sich hier aus dem gewaltsamen Entgegenstellen trotz ausreichender Rechtswahrungsmöglichkeiten durch Nutzung der Rechtsbehelfe.510 Somit ist neben der Frage nach der Unvermeidbarkeit des Irrtums auch zu klären, ob es dem Täter nicht zuzumuten war, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren. Das Erfordernis der Unzumutbarkeit eines dem Widerstand vorgeschalteten Rechtsmit-

504 505 506 507 508

Vgl. OLG Köln NJW 1982 296, 297. OLG Schleswig SchlHA 1983 83, 85. BGH VRS 39 184. Horstkotte Prot. VI/310, 320 f. Vgl. Dreher GedS Schröder 359, 384; auch Bergmann S. 128 ff., 133 ff., der allerdings insoweit nach Irrtumsarten differenziert und vor allem auf Fehlvorstellungen hinsichtlich der Erforderlichkeit der Widerstandsleistung (Rechtsbehelfsmöglichkeit) abstellt. 509 BGHSt 21 334, 365; OLG Bremen NJW 1977 158, 160. 510 Vgl. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 22. 719

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§ 113 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

tels ist eine besondere Ausformung des Erforderlichkeitsgesichtspunkts.511 Das bedeutet, dass der Bürger, der sich von seinem Standpunkte aus zu Unrecht durch ein Vorgehen der Staatsgewalt angegriffen fühlt, nicht sofort mit Widerstand antworten darf. Er hat vielmehr zu erwägen, ob ihm nicht Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen, die ihm zu seinem vermeintlichen Recht verhelfen können. Die Zumutbarkeit hat sich vor allem an einer konkreten Abwägung der durch den staatlichen Eingriff entstehenden oder zu erwartenden Nachteile, deren Schwere sowie der umfänglichen und zeitlichen Möglichkeiten einer Abhilfe durch Rechtsbehelfe und der Schäden, die durch den Widerstand des Betroffenen drohen, zu orientieren. „Eine Schuld ist ausgeschlossen, wenn das Wagnis der Widerstandsleistung ebensowenig vorgeworfen werden kann, wie die Art und Weise dieses Widerstandes …“.512 Wer z. B. infolge einer Verwechslung festgenommen wird, muss es in der Regel auf sich nehmen, zur Wache mitzugehen und dort den Irrtum aufzuklären. Die Unzumutbarkeit wird anzunehmen sein, wenn ein entsprechender Rechtsbehelf mutmaßlich zu spät käme und bei Verzicht auf Widerstand ein nicht wiedergutzumachender, bei entsprechender Güterabwägung unzumutbarer Schaden (etwa an Freiheit, Gesundheit usw.) zu besorgen ist.513 Daraus ergibt sich zugleich, dass diese Rechtsbehelfsklausel, die ihre Parallele in § 97b findet, nicht gegen den Schuldgrundsatz verstößt.514 Richtet sich die Zwangsmaßnahme wie bei der Pfändung515 bzw. Beschlagnahme gegen Sachen oder ist ein sonst etwa drohender Vermögensschaden ohne Weiteres ausgleichbar, so ist der Rechtsweg einzuschlagen. Verzicht auf Widerstand zugunsten von Rechtsbehelfen muss auch erwartet werden, wenn es sich um verhältnismäßig geringfügige hoheitliche Eingriffe handelt, wenn dem Widerstandstäter kein unmittelbarer Nachteil aus der Vollstreckungshandlung droht oder er nicht unmittelbar betroffen ist. Im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung ist im übrigen die Intensität der Abwehrhandlung mit den aus ihr resultierenden Gefahren für den vollstreckenden Beamten (Prot. V/2889), aber auch Art und Umfang der Beeinträchtigung staatlicher Vollstreckungstätigkeit unter Berücksichtigung von deren Bedeutung und Eilbedürftigkeit zu beachten.516 Erscheint eine erfolgversprechende Abwehr nur im Wege massiver Gefährdung für Leben oder Gesundheit des Vollstreckungsbeamten möglich, verbleibt es bei der Verweisung auf den Rechtsweg.517 Die Zumutbarkeitsfrage ist nach den dem Täter bekannten Umständen, d. h. auf der tatsächlichen Beurteilungsgrundlage, wie sie sich aus der Sicht des Täters darstellte, zu entscheiden, also auch auf irrig angenommener unzumutbarkeitsindizierender Tatsachengrundlage.518 Hielt der Täter trotz zutreffender Kenntnis der Sachlage die Beschränkung auf den Rechtsweg irrig für unzumutbar, so ist ein solcher Bewertungsirrtum unerheblich,519 lässt also den Schuldvorwurf nicht entfallen. Für den kaum praktisch werdenden Fall eines unvermeidbaren Bewertungsirrtums wird eine Lösung nach dem Gesichtspunkt fehlender Zumutbarkeit oder unmittelbar gemäß § 17 Satz 1 vorgeschlagen.520 In Fällen, in denen es dem Täter gar nicht um die Verhinderung von Vollstreckungshandlungen geht, sondern es ihm nur auf Tätlichkeiten ankommt, kommt Absatz 4 nicht zum Tragen.521

511 512 513 514 515 516 517 518

Vgl. Krümpelmann ZStW Beiheft 1978 55. BGHSt 21 334, 366. Niederschriften 13 53, 69; E 1962 Begr. zu § 419 S. 607; krit. Sax JZ 1976 429, 431. Dreher NJW 1970 1159. OLG Köln MDR 1975 417, 418. Bergmann S. 132. Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 48. Dreher Prot. V/2934; Hirsch FS Klug 252; Bergmann S. 132; einschr. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 44, die hier auf § 35 Abs. 2 analog zurückgreifen wollen. 519 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 22. 520 Bergmann S. 132, 136 Fn. 269; Hirsch FS Klug 235, 252. 521 Sch/Schröder/Eser Rdn. 57; Zielinski AK Rdn. 43; vgl. auch Fischer Rdn. 30. Rosenau

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IV. Irrtumsregelung

StGB § 113

c) Voraussetzungen für die Unvermeidbarkeit. Für die Voraussetzungen, unter denen der 70 Irrtum als unvermeidbar anzusehen ist, gelten die auch sonst für den Verbotsirrtum entwickelten Grundsätze.522 Der staatliche Vollstreckungsakt hat regelmäßig die Vermutung der Rechtmäßigkeit für sich. Den Widerstehenden trifft das Risiko, sich gegen eine rechtmäßige Diensthandlung zu wenden.523 Eine Tatbestandsverwirklichung mit Rechtfertigungstendenz ist riskantes Verhalten und löst Sorgfaltspflichten aus.524 Die Berufung auf einen entschuldigenden Irrtum ist demjenigen versagt, der handelt, ohne – wie er weiß – die rechtliche Tragweite seines Handelns zu übersehen.525 Es sind daher gewichtige Gründe für die Annahme einer unrechtmäßigen Diensthandlung erforderlich, wenn auf Grund dieser Annahme die Unvermeidbarkeit des Irrtums festgestellt werden soll. Müssen sich nach der konkreten Sachlage dem Täter bei gehöriger Anspannung seiner Erkenntniskräfte zumindest Zweifel an seiner Befugnis zum Widerstand aufdrängen, hat er rechtskundigen Rat einzuholen (was indes einem unvorhergesehen von einer Vollstreckungshandlung Betroffenen nur selten möglich sein wird)526 oder sein vermeintliches Recht auf dem Rechtsweg zu verfolgen. Wer die Rechtsordnung aus politischen oder weltanschaulichen Gründen als für sich nicht verbindlich ablehnt, kann sich hierauf im Rahmen der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums nicht berufen;527 ebensowenig darf er sich damit verteidigen, dass er das Verbot nicht genau gekannt habe, wenn er immerhin damit gerechnet und die Zuwiderhandlung trotzdem gewollt hat.528 Bei sich aufdrängendem ordnungswidrigen Verhalten einer Person ist deren Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Personalienfeststellung durch Polizeibeamte in der Regel vermeidbar.529 Ein unvermeidbarer Irrtum kommt bei Widerstand gegen polizeiliche Selbstmordverhinderung in Betracht, weil der Betroffene hier möglicherweise situationsbedingt die Rechtmäßigkeit des gegen ihn gerichteten polizeilichen Einsatzes nicht erkennen kann.530 Unter Berücksichtigung der strengen Beurteilungsmaßstäbe werden sich je nach konkreter Sachverhaltsgestaltung gerade in Fällen der nach spezifisch strafrechtlichen Kriterien (Rdn. 34 ff.) rechtmäßigen, den spezialgesetzlichen Eingriffsnormen indes nicht entsprechenden Vollstreckungshandlungen eher Anhaltspunkte ergeben, die auf einen unvermeidbaren Irrtum hinweisen oder jedenfalls zu einer eingehenderen Prüfung und Erörterung der Vermeidbarkeitsfrage Anlass geben können. Dementsprechend hat das OLG Köln einen unvermeidbaren Irrtum in einem Fall angenommen, in dem der Widerstehende bei unrechtmäßiger Zwangsvollstreckung des Gerichtsvollziehers irrig auch von einer unrechtmäßigen Diensthandlung der gemäß §§ 758 Abs. 3, 753 ZPO zugezogenen Polizisten ausgegangen war.531 Angesichts der Geringfügigkeit des Pfändungsbetrages und der kurzfristigen Entbehrlichkeit der gepfändeten Gegenstände konnte jedoch dem Betroffenen hier zugemutet werden, sich mit der Erinnerung (§ 766 ZPO) gegen das Vorgehen des Gerichtsvollziehers zu wenden. In einem solchen Falle ermöglicht allerdings das Gesetz im Hinblick auf die Unvermeidbarkeit des Irrtums eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 2 oder ein Absehen von Strafe. Die Kriterien der Vermeidbarkeit des Irrtums über die Rechtmäßigkeit und die der Zumutbarkeit von Abhilfe auf dem Rechtsweg sind – ungeachtet der Schuldgehaltsrelevanz auch des Rechtsbehelfsgesichtspunkts – deutlich zu trennen; sie werden indes von der Rspr. teilweise unzulässig vermengt.532

522 Vgl. Vogel LK § 17 Rdn. 35 ff.; ferner Rudolphi SK § 17 Rdn. 24 ff., 30 ff.; differenzierend Bergmann S. 130. 523 Vgl. Niederschriften 13 58; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 39; Sax JZ 1976 430 f.; OLG Bremen NJW 1977 158, 160; s. a. BGHSt 21 334, 366. 524 Vgl. Krümpelmann ZStW Beiheft 1978 48. 525 Vgl. Welzel JZ 1953 267. 526 Bergmann S. 130. 527 OLG Karlsruhe NJW 1974 2144, 2147. 528 BGHSt 4 1, 3; Dreher NJW 1970 1159; Schriftl. Ber. BTDrucks. VI/502 S. 6. 529 OLG Hamburg JR 1979 206. 530 BayObLG NStZ 1989 186. 531 NJW 1975 889 f. 532 Vgl. OLG Hamburg JR 1979 206, 207; OLG Karlsruhe NJW 1974 2144, 2147; hierzu Bergmann S. 131. 721

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

71 d) Folgen des unvermeidbaren Irrtums. War der Irrtum unvermeidbar und war dem Betroffenen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen zu begnügen, so ist die Tat nicht strafbar. Das gilt aber, ebenso wie im Falle des Absehens von Strafe im Falle des vermeidbaren Irrtums, nur für die Strafbarkeit aus § 113. War ihm zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen zu wehren, kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung aus § 113 absehen. Ein Absehen von Strafe wird – ungeachtet fehlender ausdrücklicher Verknüpfung – nur bei geringer Schuld in Betracht kommen.533 Insgesamt gesehen schafft die Regelung des Absatzes 4 über § 49 Abs. 2 einen Rahmen, der eine angemessene Reaktion auf die denkbaren unterschiedlichen Fallkonstellationen ermöglicht.534

72 e) Irrtum eines Dritten. Die Anwendbarkeit des § 113 ist auf die Person beschränkt, gegen die sich die Vollstreckungshandlung richtet. § 113 wirkt daher wie ein Sonderdelikt,535 auch wenn das im Gesetzeswortlaut nicht unmittelbar zum Ausdruck kommt. Als Täter kommen daher nicht Dritte in Betracht, die sich einmischen,536 weil bei diesen die psychologische, die Privilegierung des § 113 tragende Sondersituation nicht besteht. Diejenigen, die dagegen auch den Dritten als tauglichen Täter sehen,537 bekommen mit der Rechtsbehelfsklausel des Absatzes 4 Satz 2 Schwierigkeiten. Denn dem Dritten steht mangels Betroffenheit in der Regel kein Rechtsbehelf gegen die vermeintlich unrechtmäßige Diensthandlung zu.538 Das führt zur Konsequenz, dass der Dritte gegenüber dem unmittelbar Betroffenen privilegierter wäre. Bei diesem träte die Straflosigkeit schon mit der Unvermeidbarkeit des Irrtums ein. Versucht wird, diese Unstimmigkeit durch den ergänzend herangezogenen Gesichtspunkt zu überbrücken, ob ein verständiger und pflichtbewusster Bürger eingegriffen hätte.539 Wenig überzeugend sind Auswege, den Begriff des Rechtsbehelfs schlicht weitestgehend auszulegen und alle Möglichkeiten von der Dienstaufsichtsbeschwerde bis zur verwaltungsgerichtlichen Klage zu erfassen. Auf diesem Wege findet sich dann der dringend gesuchte „Rechtsbehelf“ im allgemeinen Petitionsrecht an die zuständige Stelle nach Art. 17 GG.540 Freilich stellt sich dann das Folgeproblem, dass derartige Dienstaufsichtsbeschwerden bekanntermaßen sprichwörtlich fruchtlos sind und damit als unzumutbar zu qualifizieren wären.

V. Rechtsfolgen 1. Strafrahmen 73 Als Strafe ist nach Absatz 1 Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorgesehen. Angesichts dieser flexiblen Strafdrohung konnte der Gesetzgeber auf die Berücksichtigung mildernder Umstände (§ 113 Abs. 2 a. F.) verzichten. Die §§ 113 bis 115 sind Anknüpfungstatbestand für die Anordnung der Entziehung des Jagdscheins (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 BJagdG).

533 534 535 536 537

Vgl. Fischer Rdn. 31. Vgl. Krümpelmann ZStW Beiheft 1978 50. AA Bosch Jura 2011 268; 269; Fischer Rdn. 31; Küper BT S. 473; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 6. Rdn. 5; Wolters SK Rdn. 18; Paeffgen NK Rdn. 81; Sander JR 1995 494; Zielinski AK Rdn. 1, 5, 12. KG StV 1988 437; Backes/Ransiek JuS 1989 624, 629; Bosch MK Rdn. 6 u. 63; v. Bubnoff LK11 Rdn. 50; Deiters GA 2002 275; Ellbogen/Hentschke JA 2003 412, 418; Fischer Rdn. 22; Zopfs GA 2000 543. 538 Bosch MK Rdn. 63; Heimann-Trosien LK9 Rdn. 40; Paeffgen NK Rdn. 81; Zielinski AK Rdn. 43; vgl. auch Horn/ Wolters SK Rdn. 20. 539 Sch/Schröder/Eser Rdn. 58. 540 Fischer Rdn. 31; Sch/Schröder/Eser Rdn. 58. Rosenau

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V. Rechtsfolgen

StGB § 113

2. Besonders schwere Fälle (Absatz 2 Satz 2) Bei besonders schweren Fällen ist eine Strafschärfung vorgesehen. Dann ist auf eine Mindest- 74 freiheitsstrafe von sechs Monaten zu erkennen, während das Höchstmaß fünf Jahre beträgt. Das Gesetz ist den mittlerweile gängigen Weg gegangen, dass es Regelbeispiele als Leitbilder für die richterliche Wertung vorgibt. Bei den besonders schweren Fällen mit Regelbeispielen handelt es sich um Strafzumessungsregeln,541 wenngleich sie Tatbestandsähnlichkeit besitzen.542 § 113 Abs. 2 Satz 2 nennt seit der letzten Reform 2017 drei Regelbeispiele. Nummer 1 das Mitführen von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen; Nummer 2 die gefahrensetzende Gewalttätigkeit bei der Tatbegehung und Nummer 3 die gemeinschaftliche Tatbegehung. Der EÄndGVersG/StGB 1979 (BTDrucks. 8/2677) strebte zum Schutz der Sicherheitskräfte gegen rechtswidrige Angriffe einen Wegfall der Gebrauchsabsicht beim Schusswaffenführen und eine weitere Konkretisierung durch Aufnahme der körperlichen Verletzung des Angegriffenen als zusätzliches Regelbeispiel an. Diese Änderungsvorschläge konnten sich zunächst nicht durchsetzen (BTDrucks. 8/ 3726; BTPlenarProt. 8/216/17325). Mit dem 52. StrRÄndG vom 23.5.2017 (BGBl. I S. 1226) wurde die Gebrauchsabsicht bei der Waffe und dem gefährlichen Werkzeug schließlich doch gestrichen. Die Herbeiführung einer ernsthaften Verletzung des Angegriffenen kann indes als unbenannter, sonstiger besonders schwerer Fall erfasst werden (vgl. auch Rdn. 77). Die Regelbeispiele sollen aufzeigen, unter welchen Voraussetzungen die Strafschärfung für angebracht gehalten wird, ohne den Richter aber daran zu binden. Der Richter kann also auch dann, wenn die Voraussetzungen der Regelbeispiele vorliegen, einen besonders schweren Fall verneinen; nur bedarf es hierfür einer besonderen Begründung. Die Indizwirkung des Regelbeispiels kann allerdings nur durch besondere weitere Strafzumessungsfaktoren mit der Folge der Maßgeblichkeit des normalen Strafrahmens kompensiert werden,543 und zwar nur bei Vorliegen von – für sich oder in ihrer Gesamtheit – herausgehobenen Milderungsumständen, die bei der Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des dem Regelbeispiel zugrundeliegenden Sinngehalts und dem Maß der Beeinträchtigung des Schutzzwecks der Vorschrift das Unrecht der Tat oder die Schuld des Täters vom Regelfall abheben, dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens als unangemessen erscheint.544 Dabei können die üblichen Strafzumessungsfaktoren die Indizwirkung des Regelbeispiels kompensieren.545 Andererseits kann der Richter die Voraussetzungen für die Strafschärfung bejahen, ohne dass die in den Beispielen angeführten Merkmale gegeben sind.546 Das wird bei § 113 häufiger in Betracht kommen, als etwa bei der umfangreicheren Regelung des § 243. Zu denken ist insbesondere an Widerstand unter verbaler Bedrohung mit einer schweren Straftat. Diese Möglichkeit war als „Bedrohung mit einem Verbrechen“ überhaupt als Regelbeispiel unter Nummer 2 des Katalogs in § 422 E 1962 sowie in den Entwürfen der SPD/ FDP und CDU/CSU angesetzt. Gestrichen wurde sie, weil man Zweifel über die Auslegung, über die Ernsthaftigkeit der Drohung sowie eine unzulässige Belastung des Betroffenen befürchtete, der sich häufig nicht darüber klar sei, was ein Verbrechen oder ein Vergehen sei. Dagegen wurde die größere Strafwürdigkeit nicht in Abrede gestellt, wenn der Täter ernsthaft mit besonders schwerwiegenden Maßnahmen droht. Bei einer solchen Lage kann daher ein besonders schwerer Fall angenommen werden (vgl. Prot. VI/326). Die Kennzeichnung als besonders schwerer Fall ist nicht in den Urteilstenor aufzunehmen.547 Bei der Beurteilung nach Jugendstrafrecht hat der Ausspruch, dass es sich um einen besonders schweren Fall handle, zu unterbleiben.548 541 542 543 544 545 546 547 548 723

BGHSt 23 254, 256. BGHSt 26 167, 173; 29 359, 368; 33 370, 374. Vgl. BGHSt 23 254, 257; 24 248, 249. BGH NJW 1987 2450; BGH StV 1989 432; OLG Karlsruhe NJW 1978 1697, 1699. Fischer § 46 Rdn. 91. BGH NJW 1970 1196. BGHSt 23 254, 257; 27 287, 289; BGH NStZ 1984 262, 263. BGH NJW 1977 304; GA 1976 369; 1 StR 502/73 v. 12.2.1974. Rosenau

§ 113 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

75 a) Waffe oder gefährliches Werkzeug. Als erstes Regelbeispiel führt das Gesetz den Fall an, dass der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt.

76 aa) Begriff der Waffe. Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen Schusswaffen und anderen Waffen. Es sagt nicht, was mit dem Wort Waffe gemeint ist. Aus der Entstehungsgeschichte ergeben sich hierfür keine sicheren Anhaltspunkte. Die angestrebte Gleichschaltung mit § 125a ist nicht zustande gekommen (Prot. VI/306; EÄndGVersG/StGB 1979, BTDrucks. 8/2677); denn dort ist von einer Schusswaffe (Nummer 1) oder einer anderen Waffe (Nummer 2) die Rede. Dem Antrag, neben der Waffe „einen anderen gefährlichen Gegenstand“ zu benennen und damit eine dem § 244 Abs. 1 Nr. 2 verwandte Regelung herbeizuführen (Schlee Prot. VI/321), wurde nicht entsprochen. Man einigte sich schließlich auf den Begriff der Waffe schlechthin und meinte, dass man die Auslegung der Rechtsprechung überlassen könne. Dabei wurde allerdings auch die Ansicht vertreten, dass der Waffenbegriff nicht im technischen, sondern im allgemeinen Sinne zu verstehen sei (Sturm Prot. VI/325), ohne dass die Ausschussmitglieder dies aber als ihre Ansicht bestätigt hätten (Prot. VI/225 f.). Mittlerweile ist die damals noch verworfene Ergänzung cum grano salis mit dem 44. StrRÄndG vom 1.11.2011 (BGBl. I S. 2130) Gesetz geworden. Die Auslegung ist anhand des Zwecks, der mit der Nummer 1 verfolgt wird, sowie des Wort77 lauts der Vorschrift vorzunehmen. Die Strafschärfung ist wegen der besonderen Gefährlichkeit der Tatausführung vorgesehen. Diese Gefährlichkeit ergibt sich aus der Art des mitgeführten Gegenstands. Als Waffe im Sinne der Nummer 1 wurde jeder Gegenstand angesehen, der nach seiner Beschaffenheit und typischer Zweckbestimmung geeignet ist, im Angriff oder in der Verteidigung erhebliche Verletzungen zuzufügen. Hierzu gehörten als Wurfgeschosse mitgeführte oder am Tatort aufgenommene Pflaster- und Ziegelsteine,549 sonstige als Schlagwerkzeuge geeignete Gegenstände: als Stichwaffe zu benutzende Schraubenzieher550 ebenso wie Chemikalien und Sprengkörper. Rspr. und Lehre haben lange auch ein Kraftfahrzeug als Waffe im nichttechnischen Sinne verstanden.551 Damit ist die Wortlautgrenze des Begriffes „Waffe“ jedoch überschritten. Denn anders als eine Waffe dient ein KFZ entsprechend seines bestimmungsmäßigen Gebrauches nicht als Angriffs- oder Verteidigungsmittel. Es wäre allenfalls unter den Begriff des gefährlichen Werkzeuges zu subsumieren. Die bislang gängige Auffassung kollidiert daher mit dem auch für die Strafzumessungsregeln gültigen Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG und ist zurecht vom BVerfG gerügt worden.552 Das gegen den Beamten eingesetzte KFZ kann aber die Annahme eines unbenannten, besonders schweren Falles rechtfertigen.553 Das dürfte in zahlreichen Fällen naheliegen, so dass die Klarstellung durch die 2. Kammer d. Zweiten Senats d. BVerfG kaum Auswirkungen auf die Strafzumessung in der Praxis der Strafgerichte hatte. Indem nun der Gesetzgeber als Oberbegriff das gefährliche Werkzeug eingefügt hat, hat sich dieser Streit zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit erledigt. Das entsprechend eingesetzte KFZ stellt sich unproblematisch als ein gefährliches Werkzeug dar. Damit hat sich zugleich der Streit um die Auslegung des Waffenbegriffs erledigt. Mit Waffe ist nur noch eine Waffe im technischen Sinn gemeint.554 78 Mangels abstrakter Gefahr genügt eine Scheinwaffe nicht (Attrappe, Spielzeugpistole, das zur Vortäuschung einer Schusswaffe verwendete gebogene Plastikrohr555) oder eine nicht ge549 LG Berlin NStZ 1992 37; Dölling JR 1987 467, 468. 550 BGH v. 9.8.1972 – 2 StR 264/72. 551 BGHSt 26 176, 179 f.; BGH VRS 44 422, 423; 4 StR 198/76 v. 30.9.1976; OLG Karlsruhe Die Justiz 1981 239; Janiszewski NStZ 1982 108. BVerfG NJW 2008 3627, 3629. BVerfG NJW 2008 3627, 3629; Krüger Jura 2011 887, 889. Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 128. Vgl. BGH NJW 1992 920.

552 553 554 555

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brauchsbereite Schusswaffe, sofern sie nicht als Hieb- oder Schlagwerkzeug verwendet werden kann. Immerhin wird bei Gebrauch einer solchen vorgetäuschten Waffe jeweils zu prüfen sein, ob nicht aus allgemeinen Erwägungen auch hier ein unbenannter besonders schwerer Fall in Betracht kommt. Das wird insbesondere anzunehmen sein, wenn der Täter dem Amtsträger ein Metallrohr ins Genick setzt, das sich wie der Lauf einer Schusswaffe anfühlen soll;556 aber auch dann, wenn die Tatbeteiligten selbst eine Schusswaffe irrig als gebrauchsbereit angesehen und den Schusswaffengebrauch zumindest angedroht haben.557

bb) Begriff des gefährlichen Werkzeugs. Mit der nunmehr geltenden Gesetzesfassung hat 79 der Gesetzgeber das gefährliche Werkzeug neben die Waffe gestellt. Dieses ist, wie aus dem Wortlaut zu entnehmen ist („… oder ein anderes …“), der Oberbegriff. Die Neufassung entspricht dem Wortlaut des § 224 Abs. 1 Nr. 2. Danach ist unter einem gefährlichen Werkzeug jeder Gegenstand zu fassen, der nach der Art der konkreten Verwendund dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Freilich ist dem Gesetzgeber derselbe gesetzgeberische Fauxpas unterlaufen wie schon bei der entsprechenden Ergänzung des § 244 Abs. 1, wo auch nachträglich das gefährliche Werkzeug eingefügt wurde.558 Die Schwierkeiten ergeben sich bei der Auslegung dadurch, dass anders als in § 224 Abs. 1 Nr. 2 nun – wie auch in § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) – ein Gebrauch oder auch nur Gebrauchsabsicht des Gegenstandes nicht verlangt wird: die Qualifizierung dieses Gegenstandes als „gefährlich“ lässt sich aber nur anhand der konkreten Verwendung vornehmen. Der BGH spricht von gesetzgeberischen Misslichkeiten, die „gegebenenfalls durch eine adäquate Neufassung des Gesetzes zu beseitigen“ seien.559 Statt eine adäquate Neufassung zu normieren, kopiert der Gesetzgeber das schwer lösbare Rechtsproblem aus dem § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) in § 113 hinein. Der BGH hat sich in der Leitentscheidung zu § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) gegen subjektiv wie objektiv einschränkende Kriterien gewandt. Die Gefährlichkeit soll sich also weder aus einer konkreten Verwendungsabsicht oder einer Art Widmung des Täters ergeben noch aus der objektiven Waffenähnlichkeit, Waffenersatzfunktion oder der Einsatzmöglichkeit.560 Er versteht das gefährliche Werkzeug denkbar weit. Es genügt, wenn der Gegenstand abstrakt-objektiv gefährlich ist, weil dann bereits die latente Gefahr des Einsatzes als Nötigungsmittel bestehe.561 Im Ergebnis dürfte unter dem gefährlichen Werkzeug das zu verstehen sein, was bereits bislang mit dem Waffenbegriff verbunden worden ist. Es geht um Gegenstände (damit also um bewegliche Sachen, die nicht Körperteile sind), die nach ihrer Beschaffenheit abstrakt geeignet sind, im Angriff oder in der Verteidigung erhebliche Verletzungen zuzufügen. Was früher Waffe war, ist heute das gefährliche Werkzeug: das KFZ, der Pflaster- oder Ziegelstein. Im übrigen gelten zu den Einzelheiten die Erl. zu § 244 entsprechend.

cc) Beisichführen. Für das Beisichführen gelten ebenfalls die Erl. zu § 244 entsprechend. Es 80 ist nicht erforderlich, dass der Tatbeteiligte die Waffe schon vor der Tat in Verwendungsabsicht an sich nimmt. Mit der Neufassung 2017 wird Gebrauchsabsicht nicht mehr vorausgesetzt. Vielmehr genügt es, dass er, was insbesondere bei unfriedlichen Demonstrationen zu beachten ist, das gefährliche Werkzeug (z. B. Pflastersteine) zu irgendeinem Zeitpunkt der Tatausführung aufnimmt,562 etwa einen am Tatort vorgefundenen gefährlichen Gegenstand zwecks Einsatzes gegen Vollstreckungsbeamte ergreift oder sich erst während der Tat zur Verwendung eines mitge556 557 558 559 560 561 562

Vgl. BGH JuS 1992 438; Tenckhoff/Arloth JuS 1985 130. BGH v. 9.8.1972 – 2 StR 264/72. Fahl ZStW 130 (2018) 745, 756, Kulhanek JR 2018 551, 557; Magnus GA 2017 531, 538; Messer NKrimP 2011 1, 2. BGHSt 52 257, 269. BGHSt 52 257, 264 ff. zu den verschiedenen Ansätzen jeweils m. w. N. BGHSt 52 257, 268. Vgl. Dölling JR 1987 468.

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führten Gegenstandes als Waffe entschließt. Die Erstreckung der Indizwirkung des Regelbeispiels auf andere Tatbeteiligte, d. h. die Zurechnung der in Nummer 1 erfassten erschwerenden Umstände, setzt deren Kenntnis voraus, dass Waffen in Verwendungsabsicht mitgeführt werden.563 Es genügt nun, dass der Täter oder ein anderer an der Tat Beteiligter (u. U. ein Gehilfe) die Waffe oder das Werkzeug während der Tatbegehung bei sich führt. Eine Verwendungsabsicht wird nicht mehr verlangt. Es reicht aus, dass sich der Gegenstand mehr oder weniger zufällig in Reichweite des Täters befindet.564 Wer regelmäßig eine Pistole bei sich trägt oder zu Hause aufbewahrt oder wer ein Messer in der Tasche hat, fällt unter die Nr. 1.

81 dd) Tat. Die Tat, bei der der Täter die Waffe oder das gefährliche Werkzeug bei sich führt, besteht im Widerstandleisten. Wie bereits ausgeführt (Rdn. 25), braucht die Handlung nicht unmittelbar gegen die Person des Amtsträgers oder Soldaten gerichtet zu sein. Notwendig ist aber, dass die Einwirkung von ihm körperlich empfunden wird. Unter diesen Voraussetzungen ist als gefährlich auch ein Gegenstand anzusehen, mit dem unmittelbar nur eine Sache betroffen, mittelbar aber die Person des Amtsträgers oder Soldaten in Mitleidenschaft gezogen werden soll. In Betracht kommen z. B. Brechstangen zum Umstürzen oder Brandsätze zum Anzünden von bemannten Polizeiautos. Ausreichend ist schon, dass der Täter eine mögliche Personengefährdung von Amtsträgern durch das gefährliche Werkzeug billigend in Kauf nimmt.565

3. Gewalttätigkeit mit schwerer Folge 82 Nach dem zweiten Regelbeispiel liegt ein besonders schwerer Fall vor, wenn der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

83 a) Begriff der Gewalttätigkeit. Der Begriff der Gewalttätigkeit deckt sich nicht mit dem der Gewalt in § 113 Abs. 1 oder in § 240. Er entspricht vielmehr dem in § 125 verwendeten Begriff und verlangt eine körperliche Einwirkung mittels eines aggressiven Verhaltens.566 Zu denken ist etwa an Steinwürfe oder das Legen von Sprengkörpern u. ä.

84 b) Verwirklichung durch den Täter. Im Gegensatz zur Nr. 1 ist hier nur der Täter, nicht auch ein „anderer Beteiligter“ genannt. Das Regelbeispiel erfüllt somit, wie die von Nr. 1 abweichende Gesetzesfassung zeigt, nur derjenige Täter, der die vorausgesetzte Handlungsmodalität eigenhändig verwirklicht.567 Die gefahrsetzende Gewalttätigkeit kann aufgrund des eindeutigen Wortlautes nicht nach den Grundsätzen des § 25 Abs. 2 zugerechnet werden.568

85 c) Angegriffener. Die Tat muss sich gegen den Angegriffenen richten. Das ist das geschützte Vollstreckungsorgan (Rdn. 11), der Amtsträger oder Soldat. Ferner gehören die in § 114 genannten Personen dazu. Ebenso wie im Fall der Nr. 1 kann die unmittelbare Einwirkung auf eine Sache genügen, wenn damit die Person des Beamten usw. mittelbar betroffen werden soll. 563 564 565 566 567 568

Vgl. BGHSt 27 56; Arzt JuS 1972 577; Wessels FS Maurach 307. Erb FS Fischer 301, 306. Vgl. zur alten Rechtslage Dölling JR 1987 469; Sch/Schröder/Eser Rdn. 65. BVerfG NJW 1974 1859; BGHSt 23 46, 52 f.; vgl. ferner § 125 Rdn. 28 ff. $$$. Vgl. BGHSt 27 56, 58; Sch/Schönke/Eser Rdn. 66; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 716. AA Bosch MK Rdn. 76; Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte [1986] S. 286.

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d) Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung. Weitere Vorausset- 86 zung ist, dass der Angegriffene in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird; z. B. durch Zufahren mit dem PKW in Gefährdungsbewusstsein, nicht jedoch bei langsamem Zufahren;569 ferner durch Schläge mit einer massiven Eisenstange auf den Kopf570 oder durch Abdrücken der Luft.571 Die Gewalttätigkeit muss eine konkrete Individualgefahr (Lebens- oder Leibesgefahr) ursächlich herbeiführen. Es ist also nach den Umständen des Einzelfalls in Verbindung mit der allgemeinen Lebenserfahrung zu prüfen, ob mit der naheliegenden Möglichkeit der angegebenen Folgen ernsthaft zu rechnen war.572 Auf deren Eintritt kommt es ebensowenig an wie darauf, ob sie nur noch durch Schutzmaßnahmen des Bedrohten oder eine sonstige plötzliche Wendung der Dinge verhindert werden können.573 Der Begriff der schweren Gesundheitsschädigung (vgl. § 225 Abs. 3 Nr. 1) geht über die 87 schwere Körperverletzung i. S. des § 226 Abs. 1, die bis zum 6. StrRG vom 26.1.1998 als Beschreibung des besonders schweren Falles verwendet wurde, hinaus. Er umfasst auch schwerwiegende, also langwierige, lebensbedrohende oder quälende Krankheiten, die aber heilbar sind.574 Die erhebliche Beeinträchtigung der bisherigen Arbeitsfähigkeit kann dazu genügen (BTDrucks. 13/8587 S. 28).

4. Gemeinschaftliche Begehung Nach dem dritten Regelbeispiel liegt ein besonders schwerer Fall vor, wenn der Täter mit 88 einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich die Tat begangen hat. Dieses Regelbeispiel wurde durch das 52. StrRÄndG vom 23.5.2017 (BGBl. I S. 1226) eingeführt. Es sollte dem erhöhten Gefährdungspotential Rechnung getragen werden, wenn sich der Vollstreckungsbeamte über den Widerstandleistenden hinaus mehreren Personen gegenüber sieht und auch so in seinen Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt ist. Ein gemeinschaftliches Vorgehen erhöht für den betroffenen Polizeibeamten die Gefahr (BTDrucks. 18/11161, S. 2, S. 9). Der Gesetzgeber hat auf die Formulierung eines gemeinschaftlichen Handelns aus dem Tat- 89 bestand der gefährlichen Körperverletzung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 zurückgegriffen. Die dort gefundene Formulierung gilt als missglückte Gesetzesfassung, weil sie in sich widersprüchlich ist. Ein Weiteres Mal wird, wie bereits beim ungereimten Regelbeispiel des Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs (Rdn. 79), so das Krebsgeschwür einer dogmatisch misslichen Fassung im StGB gestreut. Bei der gemeinschaftlichen Begehung ist die Formulierung missglückt, weil sie zwei nicht übereinstimmende Beteiligungsformen verknüpft. Das gemeinschaftliche Handeln wird legal in § 25 Abs. 2 definiert: es bezeichnet die Mittäter. Die Beteiligten dagegen sind nach der Legaldefinition des § 28 Abs. 2 nicht nur Täter und damit eingeschlossen auch Mittäter, sondern auch Teilnehmer. Diese wiederum werden nach der weiteren Legaldefinition des § 28 Abs. 1 aus den Beteiligungsformen der Anstifter oder Gehilfen gebildet. Damit gerät dieses Regelbeispiel perplex. Zum einen werden die Voraussetzungen der Mittäterschaft aufgerufen (über den Begriff „gemeinschaftlich“), zum anderen genügt es, wenn die Voraussetzungen der Anstiftung oder lediglich der Beihilfe bis hin zur psychischen Beihilfe vorliegen. Es ist mit Blick auf das vom Gesetzgeber ausgemachte Gefährdungspotential für den Vollstreckungsbeamten durchaus ein Unterschied, ob dieser sich Mittätern gegenüber sieht, die auf der Grundlage eines

569 OLG Koblenz VRS 56 38, 39. 570 BGH MDR 1976 15. 571 BGH v. 25.1.1978 – 3 StR 501/77, vgl. auch BGHSt 26 176, 182; BGH NStE Nr. 1 zu § 315b; OLG Koblenz DAR 1973 219.

572 Vgl. auch BGH NJW 1971 441 zu § 109g. 573 BGHSt 22 341, 344. 574 Bosch MK Rdn. 76; Paeffgen NK Rdn. 87. 727

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gemeinsamen Tatplanes im arbeitsteiligen Zusammenwirken Widerstand leisten, oder ob die weiteren Anwesenden den Angreifer lediglich mental unterstützen. Aufgrund des in sich unstimmigen Wortlauts besteht über die Auslegung der Norm Streit. 90 Ein Teil der Lehre verficht die strenge Linie, nach der es sich bei den Beteiligten stets um Mittäter handeln muss.575 Die mittäterschaftsneutrale Position der h. M. lässt dagegen jede Form der Beihilfe ausreichen.576 Drittens wird vermittelnd u. a. nur die psychische Beihilfe oder Beihilfe und Anstiftung ausgeschlossen, weil es dann an der spezifischen Gefährlichkeit fehle.577 Der BGH hat sich auf die Seite der h. M. gestellt, allerdings eingeräumt, dass der Wortlaut etwas missverständlich sei.578 Es genügt danach auch eine gegenüber der Mittäterschaft schwächere Beteiligungsform, soweit der Gehilfe am Tatort auch anwesend ist und bewusst die Position des Widerstand leistenden Täters verstärkt.579 Damit greift die ratio der Strafschärfung zu, die auf die höhere Bedrohungslage für den Vollstreckungsbeamten abstellt.580 Zu den Einzelheiten ist auf die Kommentierung zu § 224 Abs. 1 Nr. 4 zu verweisen.

5. Vorsatzerfordernis 91 Wie sonst auch können die besonders schweren Fälle des Widerstands mangels anderweitiger gesetzlicher Bestimmung nur vorsätzlich verwirklicht werden.581 Für die Nummer 1 wird die Praxis das Vorsatzerfordernis besonders streng einfordern müssen, um nicht unbillige, den Schuldgrundsatz verletzende Ergebnisse zu produzieren. Denn da beim gefährlichen Werkzeug weder Verwendungsabsicht noch konkrete Gefährlichkeit verlangt werden, kann der bloße Zufall zur Anwendung des Regelbeispiels führen. Es genügt, wenn der Täter zufällig einen gefährlichen Gegenstand dabei hat, etwa der Studienrat das Obstmesser oder der Zimmermann den Hammer an der Gürtelschnalle.582 Für die Nummer 2 gilt keine Ausnahme.583 Der abweichenden Auffassung, die die Regeln des § 18 entsprechend anwendet und für die Herbeiführung der Gefahr Fahrlässigkeit genügen lässt,584 kann nicht beigetreten werden. Die Bedeutung der Vorschrift der Nummer 2 wird durch das Vorsatzerfordernis nicht in Frage gestellt. Das Vorsatzerfordernis ergibt sich einmal aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und der gesetzlichen Regelungssystematik der Regelbeispiele, die als tatbestandsähnlich einen Quasi-Vorsatz verlangen. Zu beachten ist schließlich, dass die konkrete Gefährdung nicht mit der das Erfolgsunrecht charakterisierenden Gefahrverwirklichung bei den erfolgsqualifizierten Delikten vergleichbar ist.585 Auch die Rechtsprechung geht einhellig davon aus, dass die der Nummer 2 entsprechenden Regelungen hinsichtlich der Herbeiführung der Gefahr zumindest bedingten Vorsatz voraussetzen.586

575 Krey/Hellmann/Heinrich BT I Rdn. 268; Paeffgen NK § 224 Rdn. 24; Schroth NJW 1998 2861; jeweils zur gleichgelagerten Problematik des § 224 Abs. 1 Nr. 4. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 6 Rdn. 56; Wolters JuS 1998 582, 584; Kulhanek JR 2018 551, 557. Sch/Schönke/Sternberg-Lieben Rdn. 11b m. w. N. BGHSt 47 383, 386. Vgl. BGHSt 47 383, 387. Fahl ZStW 130 (2018) 745, 758; Magnus GA 2017 531, 539. Vgl. Wessels FS Maurach 295, 300 f.; FS Lackner 423, 426; auch E 1962 Begr. zu § 62 S. 185. Vgl. Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 128; Erb KriPoz 2018 48, 49. Vgl. Jescheck/Weigend S. 261; Ostendorf JuS 1982 426, 431; Paeffgen NK Rdn. 87. Heimann-Trosien LK9 § 113 Rdn. 51. Vgl. Jakobs AT 9/30; Ostendorf JuS 1982 431. BGHSt 26 176, 244; BGH VRS 44 422; bei Dallinger MDR 1975 21; OLG Karlsruhe Die Justiz 1981 239; zur Begr. krit. Blei JA 1975 804 f.

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VI. Konkurrenzen

StGB § 113

VI. Konkurrenzen 1. Verhältnis zu § 240 Jedes Widerstandleisten vefolgt zugleich den Zweck, den Beamten oder Soldaten zu einer Dul- 92 dung oder Unterlassung zu nötigen (Rdn. 22). In der Regel wird dadurch auch der Tatbestand des § 240 erfüllt. Der § 113 geht aber seiner zum Teil günstigeren Irrtumsregelung in Absatz 4 (möglicherweise Absehen von Strafe) als lex specialis dem allgemeineren Tatbestand des § 240 vor.587 Das wurde bereits früher so gesehen588 und hat sich durch die heutige Fassung nicht geändert.589 Jedoch bietet die Abgrenzung der beiden Vorschriften Schwierigkeiten, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 113 nicht erfüllt sind.

a) Vollendung, Versuch. § 113 lässt zur Vollendung schon das Widerstandleisten genügen, 93 ohne dass es auf den Eintritt des Nötigungserfolgs – das Unterbleiben der Vollstreckung – ankommt. Er ist unechtes Unternehmensdelikt.590 Der Versuch – das Ansetzen zur Widerstandsleistung, deren Durchführung verhindert wird – ist nach § 113 nicht strafbar. Derartige handlungsbezogene Versuche im Rahmen des § 113 können nicht durch einen Rückgriff auf § 240 erfasst werden, §§ 240, 22, 23 ist gesperrt.591 Anders liegt indes der Fall, wenn die in § 113 beschriebene Tathandlung unter irrtümlicher Annahme der Tauglichkeit des Handlungsobjekts begangen wird, also eine entsprechende Nötigungshandlung vorliegt, die sich gegen einen nur vermeintlichen Amtsträger richtet.

b) Nötigung zum Unterlassen. Schwierigkeiten bereitet der Fall, wenn zwischen einem Nöti- 94 gen zum Unterlassen und einem solchen zum Handeln zu unterscheiden ist. Hindert etwa der Täter durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt den Polizisten, eine Person festzunehmen, so ist regelmäßig der Tatbestand des § 113 gegeben; verlangt er mit denselben Mitteln die Freilassung des eben Festgenommenen oder die Entsiegelung der Pfandsache, so ist § 240 anwendbar. Wird zweifach Zwang angewandt, kann sich Realkonkurrenz von § 113 und § 240 ergeben.592 Beide Tathandlungen können ineinander übergehen593 und dann eine natürliche Handlungseinheit bilden.

c) Nötigung außerhalb des Tatbestandes des § 113. Tateinheit (§§ 113, 240 Abs. 3) ist da- 95 nach möglich, wenn der Täter über die auf Verhinderung der Vollstreckungshandlung gerichtete Widerstandsleistung hinaus den Amtsträger mittels der Nötigungshandlung zugleich zu einer weitergehenden Handlung (z. B. Festnahme eines Dritten, Sicherstellung von beanspruchtem Geld bei diesem) zu zwingen sucht.594 In diesem Falle besteht kein Anlass, den § 113 als lex

587 BGHSt 48 233, 238 f.; BGH VRS 35 174; 50 94, 95; BGH 4 StR 359/86 v. 5.8.1986, NStE Nr. 1 zu § 315b; Busch/ Singelnstein NStZ 2018 510, 513; Caspari NJ 2011 318, 325; Wania S. 196 aA Schmid JZ 1980 58: stets Tateinheit.

588 BGH VRS 35 174; BGH bei Dallinger MDR 1968 895; RGSt 31 3, 4; KG VRS 11 198; vgl. indes die relativierende Auswertung der Entwicklungsgeschichte b. Hirsch FS Klug, S. 236 ff. Zopfs GA 2012 259, 271 f. Rdn. 6; vgl. Sch/Schröder/Eser § 11 Rdn. 50; Hirsch FS Klug 236. BGHSt 30 235, 236; Seier Jura 1983 232. Bosch MK Rdn. 65. Vgl. Dreher NJW 1970 1157; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 26. BayObLG JR 1989 24.

589 590 591 592 593 594 729

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§ 113 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

specialis gegenüber § 240 anzusehen; vielmehr ist aus beiden Tatbeständen zu bestrafen. Tateinheit kommt also in Betracht, wenn das Verhalten des Täters über § 113 hinausreicht. Das wird z. T. auch dann angenommen, wenn der Täter nicht mit Gewalt, sondern mit einem anderen Übel droht,595 etwa der eigenen Selbstverbrennung.596 Das ist verfehlt; denn übersehen wird, dass die Drohung mit einem anderen Übel in jedem Falle geringfügiger als die Drohung mit Gewalt einzustufen ist. Daher gelten die sogleich zu erörternden Regeln bei der Nötigung unterhalb der Schwelle des § 113. Im Ergebnis wäre die gänzliche Straflosigkeit anzunehmen. Das Nötigen von anderen Amtsträgern als Vollstreckungsbeamten oder die Tatausführung vor Beginn und nach Beendigung der Diensthandlung (vgl. Rdn. 20) ist nicht nach § 113 strafbar; hier ist zu prüfen, ob § 240 eingreift.

96 d) Nötigung unterhalb des tatbestandlichen Widerstands. In Fällen, in denen der Widerstand nicht das für § 113 erforderliche Maß erreicht, indem statt mit Gewalt mit dem schwächeren, empfindlichen Übel gedroht wird, entfällt § 113. Strittig ist, ob dann noch auf § 240 zurückgegriffen werden kann. Eine Ansicht wendet § 240 in modifizierter Form an. Dann gebiete es der Privilegierungsge97 sichtspunkt des § 113, Absatz 3 und 4 des § 113 analog zugunsten des Täters anzuwenden, gleichsam in den § 240 normativ hineinzuspiegeln.597 Denn der § 113 will den Betroffenen begünstigen, weil ihm ein gewisser Erregungszustand zugute gehalten wird (Rdn. 5). Wenn die von ihm eingesetzten Mittel nicht das in § 113 vorausgesetzte Maß erreichen, jedoch die Voraussetzungen des § 240 erfüllen (Drohung mit einem empfindlichen Übel), würde bei einer Wortauslegung der Täter die ihm durch § 113 gewährten Vergünstigungen verlieren und wäre aus dem mindestens zum Teil strengeren § 240 zu bestrafen, obwohl seine Schuld geringer ist als bei voller Verwirklichung des § 113. Ein solches Ergebnis ist widersprüchlich und unannehmbar. Es wäre dadurch zu vermeiden, dass zwar aus § 240 zu bestrafen, jedoch § 113 Abs. 3 und 4 zugunsten des Betroffenen entsprechend anzuwenden ist;598 desgleichen wäre der Grund, der die Privilegierung gem. § 113 rechtfertigt, im Wege einer § 113 entsprechenden Strafrahmenbegrenzung strafmildernd zu berücksichtigen.599 Auch bei dem Fehlen sonstiger Voraussetzungen des § 113 soll auf die allgemeine Bestimmung des § 240 zurückgegriffen werden können; etwa bei einer von § 113 nicht erfassten Auslandstat eines Widerstands gegen ausländische Vollstreckungsbeamte. Konsequenterweise sei auch hier eine Limitierung des Strafrahmens entsprechend § 113 geboten.600 98 Diese Ansicht erscheint wenig konsequent. Vorzuziehen ist daher die Auffassung, die § 113 als abschließende Spezialregelung begreift und den Rückgriff auf § 240 gänzlich versperrt sieht. Nur so kann verhindert werden, dass die Privilegierungsfunktion des § 113 unterlaufen wird.601 Mit der Einbeziehung des Strafrahmens des § 113 in den § 240 wird im Ergebnis nach § 113 verurteilt, dessen Voraussetzungen gerade nicht erfüllt sind. Der Gesetzgeber hat § 113 als Delikt sui generis602 gestaltet und die psychische Zwangslage dessen privilegieren wollen, der

595 596 597 598 599 600 601

Lackner/Kühl/Heger Rdn. 26. OLG Hamm NStZ 1995 547, 548. OLG Hamm NStZ 1995 547, 548; Ehlen/Meurer NJW 1974 1777; Otto BT § 91 Rdn. 24 f.; Rengier BT 2 § 53 Rdn. 41. OLG Hamm NStZ 1995 547, 548; v. Bubnoff LK11 Rdn. 65; Dreher NJW 1970 1157; Lackner/KühlHeger Rdn. 26. Hirsch FS Klug 235, 243; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 26; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 698; Schmidt 1980 56. Rdn. 5; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 652 f.; Sch/Schröder/Eser Rdn. 68; vgl. OLG Hamm NJW 1960 1536. BGHSt 30 235, 236; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 25; Backes/Ransiek JuS 1989 629; Horn/Wolters SK Rdn. 23; Joecks Rdn. 43; Möbius S. 104; M. Heinrich HK-GS Rdn. 41; Sch/Schröder/Eser Rdn. 43, 45/46, 68; Schomburg ZRP 1986 67. 602 Zopfs GA 2000 535 f. Rosenau

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StGB § 113

sich einer staatlichen Vollstreckungshandlung gegenübersieht. In dieser prekären Situation sollte nur derjenige bestraft werden, der sich mit besonderen Widerstandsleistungen widersetzt. Die ratio des § 113 gebietet daher, denjenigen straflos zu lassen, der mit seinem Handeln unterhalb dieser Schwelle bleibt.603

e) Irrtum über Amtsträgereigenschaft. Wenn der Täter nicht weiß, dass er einem Amtsträger 99 oder Soldaten gegenübersteht, er sich z. B. im Falle seiner vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 1 StPO (durch eine Zivilstreife der Polizei) gegen eine vermeintlich private Zwangsmaßnahme wendet, ist er dann zwar unter Umständen mangels Vorsatzes nicht aus § 113 strafbar, wohl aber aus § 240, soweit dessen sonstige Voraussetzungen gegeben sind. Hier besteht kein Anlass, ihm die Vergünstigungen des § 113 zukommen zu lassen, weil ja die Gründe hierfür (Erregung über den staatlichen Eingriff) fehlen.604 Die Bestrafung aus dem milderen Strafrahmen des § 113 Abs. 1 würde die in § 113 getroffene gesetzgeberische Wertung unterlaufen.605 Verkennt der Täter, dass eine Vollstreckungshandlung vorliegt, richtet sich die Strafbarkeit ebenfalls ausschließlich nach § 240.606 Führt die Verkennung der Amtsträgereigenschaft etwa eines Polizeibeamten in Zivil, den der Täter für eine Privatperson hält, zu einer Fehleinschätzung als rechtswidriger Angriff, so ist das nötigende Abwehrverhalten des Täters (§ 240 Abs. 1, 3) nach den Grundsätzen der Putativnotwehr zu beurteilen.607 Im umgekehrten Fall, wenn also der Täter annimmt, eine Privatperson gehöre zu den nach 100 den §§ 113, 114 geschützten Beamten, griff früher die Versuchsstrafe ein, die aber bereits durch Art. 2 Nr. 16 des 3. StRÄndG vom 4.8.1953 (BGBl. I S. 735, 741) wieder gestrichen wurde. Es handelt sich insoweit um einen Fall des (betr. die rechtliche Qualität des Handlungsobjekts) untauglichen Versuchs, der trotz der Kennzeichnung des § 113 als unechtes Unternehmensdelikt von dieser Vorschrift nicht erfasst wird.608 Jedoch ist auf den § 240 zurückzugreifen. Einer Erfassung dieses Irrtumsfalls durch § 16 Abs. 2 und der daraus hergeleiteten Anwendbarkeit des § 113 stehen der nicht ausschließlich privilegierende Charakter des § 113 (Rdn. 5) und die Andersartigkeit der geschützten Rechtsgüter der konkurrierenden Normen (Rdn. 3) entgegen.609 Im Ergebnis besteht aber weitgehend Einigkeit: Hier muss der Privilegierungsvorstellung des Täters dadurch Rechnung getragen werden, dass nun die Strafrahmenbegrenzungen des § 113 berücksichtigt werden.610

2. Sonstige Konkurrenzverhältnisse Tateinheit ist möglich mit § 123,611 aber auch Tatmehrheit, wenn der Hausfriedensbruch nur bei 101 Gelegenheit des Vergehens gegen § 113 begangen wird.612 Ferner kommt Tateinheit mit § 120,613

603 Küper BT S. 472. 604 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 41; Wessels/Hettinger/Engländer Rdn. 699; Zielinski AK Rdn. 35; abw. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 20: §§ 113, 240, 22, 52. 605 Arzt/Weber BT2 § 45 Rdn. 4; so aber Sch/Schröder/Eser Rdn. 51. 606 AA Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 20. 607 Sch/Schröder/Eser Rdn. 51; s. Lackner/Kühl/Heger § 32 Rdn. 19. 608 Jakobs AT 25/7. 609 Sch/Schröder/Eser Rdn. 52; aA Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 41; Horn/Wolters SK Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 21. 610 Sch/Schröder/Eser Rdn. 52; aA Herzberg JuS 1973 239. 611 OLG Koblenz OLGSt § 120 S. 1. 612 BayObLG JR 1957 148. 613 OLG Koblenz OLGSt § 120 S. 1. 731

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§ 113 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

§ 142,614 §§ 223 ff.,615 schon aus Klarstellungsgründen,616 § 185,617 § 242 bei noch nicht beendetem Diebstahl,618 § 255619 und § 303 in Betracht; desgleichen mit §§ 125 und 125a.620 Tateinheit ist auch denkbar zwischen § 113 (Absatz 2 Nr. 1 u. 2) u. § 315b beim Einsatz des KFZ als Tatmittel des Widerstands gegen Polizeibeamte621 und mit § 316 StGB, § 21 StVG622 sowie mit mehreren Taten während einer auf einer einzigen Willensentscheidung beruhenden „Polizeiflucht“.623 § 241 wird von § 113 bei Widerstand durch eine Drohung i. S. d. § 241 verdrängt.624 Strafbestimmungen für besondere Fälle von Widersetzlichkeit gegenüber Vorgesetzten gehen als Sondervorschriften dem § 113 vor, wie § 116 SeemG. § 22 VersG ist Spezialregelung für Widerstands- und Angriffshandlungen gegen Leiter und Ordner einer öffentlichen Versammlung, betrifft aber nicht Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte.625 Tateinheit oder Tatmehrheit kann, je nach Lage des Falles, zwischen § 113 Abs. 2 Nr. 1 und § 244 Abs. 1 Nr. 1 bestehen. Im Verhältnis zu §§ 43, 54 Abs. 2 Nr. 2 LMG (gewaltsame Behinderung von Kontrollbeamten) ist § 21 OWiG zu beachten. Zwischen § 113 Abs. 2 Nr. 1 und den Delikten nach dem WaffenG ist Tateinheit möglich.626 Bzgl. mehrerer, einander folgenden Widerstandshandlungen besteht natürliche Handlungseinheit.627 Der Widerstand gegen mehrere Beamte ist als natürliche Handlungseinheit zu werten.628 Bei tateinheitlichem Zusammentreffen mit § 111 OWiG u. §§ 62, 64a EBO – z. B. bei unbefugter Benutzung der Bahnanlagen zur Flugblattverteilung mit daran anknüpfendem vergeblichen Personalienfeststellungsversuch und Widerstand gegen die zu deren Erzwingung erfolgte Festnahme – ist nur § 113 anzuwenden.629 Über das Verhältnis zu §§ 24, 25 WStG vgl. Rdn. 17. Schließlich ist Tateinheit auch zwischen § 113 und § 114 StGB möglich.630

VII. Recht des Einigungsvertrages 102 Zum Recht des Einigungsvertrags siehe v. Bubnoff LK11 Vor § 110 Rdn. 9 ff. und § 113 Rdn. 69.

614 615 616 617 618 619 620

BGH VRS 13 135; vgl. aber RG HRR 1938 Nr. 1448. RGSt 41 82, 84; BGH NJW 2020 2347, 2348 f. aA Zopfs GA 2012 259, 272 f. Horn/Wolters SK § 223 Rdn. 28b; BGH NJW 2020 2347, 2348 f. aA bei Versuch Lackner/Kühl/Heger Rdn. 26. RG JW 1928 1456. BGHR § 113 Konkurrenzen 2. BGHR § 113 Konkurrenzen Nr. 1. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben § 125 Rdn. 31/32; Lackner/Kühl/Heger § 125 Rdn. 16; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 54; aA Fischer Rdn. 40, der meint, dass § 125 den § 113 verdrängt. 621 BGHSt 26 176, 177; OLG Düsseldorf NJW 1982 1111, 1112. 622 OLG Koblenz VRS 56 38, 40. 623 BGH NStE Nr. 38 zu § 24 StGB. 624 BGH bei Dallinger MDR 1973 902; BGH 4 StR 243/78, 30.5.1978 S. 2; RGSt 54 206; aA Schmidt 1980 58. 625 Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel VersG § 22 Rdn. 5, 11. 626 Vgl. BGH 4 StR 359/86, 5.8.1986, NStE Nr. 1 zu § 315b. 627 BGH VRS 56 141, 142. 628 Vgl. BGH VRS 35 418 noch zur überkommenen fortgesetzten Handlung, vgl. auch BGH HRRS 2016 Nr. 1039, Rdn. 5. 629 § 21 OWiG; OLG Köln NJW 1982 296. 630 BGH NJW 2020 2347, 2349. Rosenau

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§ 114 Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte (1) Wer einen Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei einer Diensthandlung tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) § 113 Absatz 2 gilt entsprechend. (3) § 113 Absatz 3 und 4 gilt entsprechend, wenn die Diensthandlung eine Vollstreckungshandlung im Sinne des § 113 Absatz 1 ist.

Schrifttum Busch/Singelnstein Was ist ein „tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“? Schutzgut und Reichweite des neuen § 114 StGB, NStZ 2018 510; Caspari Gewalt gegen Polizeibeamte – Lösungen durch eine Reform des § 113 StGB? NJ 2011 318; Jäger Wieviel Vorsatz setzt der tätliche Angriff voraus? Anm. zum Beschluss des OLG Hamm vom 12.2.2019 – 4 RVs 9/19, JA 2019 705; Knierim Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, Gesamtes Strafrecht aktuell (2018) 36; König/Müller Einordnung des neuen § 114 StGB im bisherigen System der „Widerstandstaten“, ZIS 2018 96; Kulhanek Gewaltsamer und tätlicher Widerstand – Eine systematische Betrachtung der neuen §§ 113, 114 StGB und ihres praktischen Kontexts, JR 2018 551; Puschke/Rienhoff Zum strafrechtlichen Schutz von Polizeibeamtinnen und -beamten, JZ 2017 924; Schermaul Der „tätliche Angriff“ im Rahmen des § 114 StGB, JuS 2019 663; Singelnstein Anm. zum Beschluss des BGH vom 11.6.2020 – 5 StR 157/20, NJW 2020 2349; Weiteres Schrifttum bei § 113.

Entstehungsgeschichte § 114 in der derzeit geltenden Fassung geht zurück auf das 52. StrÄndG vom 23.5.2017 (BGBl. I S. 1226). Der tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte wurde als eigene Norm in § 114 gefasst. Er war zuvor als zweite Tatbestandsvariante in § 113 Abs. 1 enthalten. Mit der Änderung verbindet der Gesetzgeber einen stärkeren Schutz von Vollstreckungsbeamten. Das soll zum einen durch den erhöhten Strafrahmen erreicht werden, zum anderen durch die Streichung des Merkmals der Vollstreckungshandlung, um auch einfaches polizeiliches Handeln zu erfassen. Schließlich werden die den Täter einer Widerstandshandlung nach § 113 günstiger stellenden Irrtumsregelungen des § 113 Abs. 3 und 4 nicht auf solche Diensthandlungen übertragen, die keine Vollstreckungshandlungen darstellen. (Fraktionsentwurf BTDrucks. 18/11161, S. 8 u. 10; Beschluss des RAussch. BTDrucks. 18/12153, S. 1).

Übersicht I. 1. 2. 3.

4.

Grundlagen 1 1 Rechtsgut Regelungszweck und Kritik 7 Dogmatik des § 114 a) Selbständiger Tatbestand 8 b) Deliktsnatur 9 Praktische Bedeutung

II. 1. 2. 3.

Objektiver Tatbestand 10 10 Geschützte Personen 11 Diensthandlung 14 Tätlicher Angriff

4.

Rechtmäßigkeit der Diensthandlung (Absatz 3) 16

III.

Subjektiver Tatbestand

IV.

Irrtumsregelung

V.

Rechtsfolgen

VI.

Konkurrenzen

2 17

7

733 https://doi.org/10.1515/9783110490008-078

18 20 22

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§ 114 StGB

Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte

I. Grundlagen 1. Rechtsgut 1 § 114 verfolgt einen duopoligen Rechtsgüterschutz und weist damit eine andere Schutzrichtung als § 113 auf.1 Zum einen wird – ähnlich wie in der Urnorm des § 113 – das den Staatswillen verkörpernde oder durchsetzende Organ geschützt. Die Vorschrift sichert damit auch das staatliche Gewaltmonopol. Anders als in § 113 und über diesen hinausreichend werden nun aber neben Vollstreckungshandlungen auch allgemeine Diensthandlungen mit einbezogen. Es geht nicht allein um den Schutz staatlicher Vollstreckungshandlungen, sondern um den Schutz der Staatsgewalt schlechthin und der Autorität staatlichen Handelns,2 welches von Vollstreckungsbeamten vorgenommen wird. Zum Teil wird dem die Rechtsgutsqualität abgesprochen.3 Teilweise wird bestritten, dass es um staatliches Handeln gehe, weil gerade neben der Vollstreckungstätigkeit nun auch schlichtes Amtshandeln vom Schutzbereich erfasst sei.4 Diese Kritik übersieht freilich, dass sich auch im letzteren Staatlichkeit ausdrückt. Neben dieses Allgemeinrechtsgut tritt als gleichrangig das individuelle Rechtsgut der körperlichen Integrität von in dienstlicher Eigenschaft handelnden Vollstreckungsbeamten. Das ergibt sich aus der Begehungsform des tätlichen Angriffs. Vor solchem soll der Amtsträger in seiner Stellung als staatliches Vollstreckungsorgan geschützt werden. Auch hinter dieser Begehungsform steht der Gedanke einer Sicherung staatlicher Tätigkeit, deren Verwirklichung einen besonderen Schutz des Amtsträgers erfordert, der mit seiner Tätigkeit dem staatlichen Gewaltmonopol dient.

2. Regelungszweck und Kritik 2 Der Gesetzgeber hat sich vor seine Vollstreckungsorgane stellen wollen, die sich gehäuft auch schweren tätlichen Angriffen und erhöhter Aggressivität ausgesetzt sahen. Ob dieser Eindruck zunehmender Gewalt Amtsträgern gegenüber der Realität entsprochen hat, wird kriminologisch vielfach bestritten, zumal bekanntermaßen die vom Gesetzgeber angeführten Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (BTDrucks. 18/11161, S. 1) die Kriminalitätsbelastung erfassungsbedingt niemals zutreffend wiedergeben können.5 Freilich schlagen in der rechtspolitischen Debatte solche Realitätsargumente selten durch. Im Zweifel beruft sich der Gesetzgeber auf seinen Beurteilungsspielraum. Die Materialien jedenfalls sprechen davon, Polizistinnen und Polizisten „verdienten … einen besonderen Schutz“ (BTDrucks. 18/11161, S. 1). Denn diese wie auch andere Amtsträger repräsentieren staatliche Gewalt. Es ist eine kriminologische Binsenweisheit, dass die Erhöhung des Strafrahmens genauso 3 wenig wie etwa die Einführung der Todesstrafe eine erhöhte Abschreckungswirkung mit sich brächte.6 Daher wird nicht nur von politischer Seite, sondern auch in Teilen der Wissenschaft die in der 18. Legislaturperiode erfolgte Neufassung als reine Symbolpolitik gebrandmarkt.7

1 Busch/Singelnstein NStZ 2018 510, 511; Kulhanek JR 2018 551, 553. 2 Wolters SK Rdn. 2; Steinberg/Zetzmann/Dust JR 2013 7, 10; nur mittelbar Sch/Schröder/Eser Rdn. 1; Schermaul JuS 2019 663.

3 Busch/Singelnstein NStZ 2018 510, 511; Puschke/Rienhoff JZ 2017 924, 929. 4 Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 27; Zöller KriPoz 2017 143, 146 f. 5 Knierim Kap. 2 Rdn. 4; Puschke NKrimP 2013 28, 30 ff. m. w. N.; ders./Rienhoff JZ 2017 924, 925; Singelnstein/ Puschke NJW 2011 3473, 3476; Zöller KriPoz 2017 143 f.; Zopfs GA 2012 259, 262.

6 Caspari NJ 2011 318, 328; Messer NKrimP 2011 1, 2; Zöller KriPoz 2017 143, 148; vgl. Schiemann NJW 2017 1846, 1848 f.; zur Todesstrafe siehe nur Kreuzer GdS Vogler 163, 166 ff. m. w. N.

7 Einerseits die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke, BTDrucks. 18/12153, S. 5; andererseits Singelnstein/Puschke NJW 2011 3473, 3477; Zöller KriPoz 2017 143, 150; Zopfs GA 2012 259, 266; vgl. Hettinger GA 2012 377, 378. Rosenau

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I. Grundlagen

StGB § 114

Der Gesetzgeber argumentiert schließlich mit der Bürgernähe der Polizei. Anders als in 4 Vollstreckungsszenarien, bei denen sich die Beamten – etwa bei einer als gewalttätig eingeschätzten Demonstration – im Vorfeld mit Schutzbekleidung und -ausrüstung ausstatten können, ist dies im regulären Streifendienst nicht gewollt, um die Distanz zum Bürger zu verringern. Das führt aber zu einer erhöhten Gefährdung bei allgemeinen Diensthandlungen, der mit der Ausdehnung der Strafbarkeit begegnet werden solle (BTDrucks. 18/11161, S. 10). Diese Argumentation ist nicht unplausibel. Soweit dagegen vorgebracht wird, bei tätlichen Angriffen gegen Vollstreckungshandlungen greife die Überlegung nicht und könne damit den höheren Strafrahmen nicht tragen,8 wird übersehen, dass in diesem Szenario die Eskalationsgefahr für die eingesetzten Beamten und damit deren Gefährdung höher erscheinen muss. Eingewendet wird schließlich, dass die Pönalisierung eines tätlichen Angriffs auf Dienst tu- 5 ende Vollstreckungsbeamte überflüssig sei, weil diese bereits hinreichend durch die §§ 223, 224 geschützt seien. Die ursprüngliche Strafbarkeitslücke, die zur Einführung der Tätlichkeitsvariante geführt hatte, habe sich spätestens mit der Einführung der versuchten Körperverletzung durch das 6. StrRG (BGBl. I 1998, S. 164) von selbst geschlossen. Nunmehr werde der tätlich angegriffene Polizeibeamte doppelt geschützt: durch §§ 223, 22, 23 sowie durch § 114.9 Das ist allerdings kein schlagender Einwand, kann dieser auch in anderen Zusammenhängen auftretenden Multiplizierung der Strafbarkeit durch Konkurrenzlösungen begegnet werden. Zum anderen ist anders als bei der versuchten Körperverletzung bei § 114 ein Rücktritt ausgeschlossen. Das verhindert, dass ein Störer Straffreiheit erlangt, wenn er den letzten Pflasterstein liegen lässt und nicht wirft, obwohl die Polizeibeamten bereits massiven Gefährdungen ausgesetzt gewesen waren.10 Die These, § 114 sei verfassungswidrig, weil er andere Amtsträger wie Lehrer nicht auch 6 erfasse und willkürlich einzelne Statusgruppen einem besonderen Schutz unterstelle,11 verfängt nicht. Denn Lehrer treten dem Bürger nicht in einer Funktion als Vollstreckungsbeamte gegenüber. Nur bei diesen darf der Gesetzgeber von einem besonderen Konfliktpotential ausgehen, selbst wenn Vollstreckungshandlungen noch nicht im Raume stehen. Die Amtsträger werden aber mit einer solchen Funktion stets in Verbindung gebracht. Daran konnte der Gesetzgeber als zulässiges Differenzierungskriterium anknüpfen und hat folglich nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG verstoßen.

3. Dogmatik des § 114 a) Selbständiger Tatbestand. Mit § 114 hat der Gesetzgeber einen selbständigen Tatbestand 7 konstruiert,12 der losgelöst von § 113 zu verstehen ist. § 114 erweist sich damit weder als bloße noch als selbständige Qualifikation.13 Denn diese wäre dadurch gekennzeichnet, dass ein Weiteres Merkmal zu den Tatbestandsmerkmalen hinzutritt. Hier entfällt mit der Vollstreckungshandlung dagegen ein Merkmal, ein Weiteres, davon unabhängiges Merkmal, tritt mit dem tätlichen Angriff hinzu, ganz abgesehen davon, dass sich die Opferqualifikation auffächert. Man sollte auch nicht von einer „faktischen Qualifikation“14 sprechen. § 114 erweist sich als eigenständiges Delikt. Aus der kriminologischen und systematischen Verwandtschaft zu § 113 dürfen keine dogmatischen Konsequenzen geschlossen werden.15 Mit der Neufassung ergibt sich im System 8 Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 55. 9 Zöller KriPoz 2017 143, 147; vgl. auch Paeffgen NK § 113 Rdn. 4 f. 10 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1. 11 Zöller ZIS 2015 445, 451. 12 Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 1; Magnus GA 2017 531, 533. 13 Busch/Singelnstein NStZ 2018 510, 513; SSW/Fahl Rdn. 1; ders. ZStW 130 (2018) 745, 753; König/Müller ZIS 2018 96, 97; aA Knierim Kap. 2 Rn. 7.

14 Barton HdbStrafR § 20 Rn. 19. 15 Vgl. Jescheck/Weigend S. 269. 735

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§ 114 StGB

Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte

der Widerstandsdelikte ein Paradigmenwechsel.16 Da sich an der Privilegierung im § 113 de lege lata nach im Grundsatz nichts geändert hat (§ 113 Rdn. 3), lässt sich mit der Neufassung der § 113 ff. jedoch allenfalls von einem kleinen Paradigmenwechsel sprechen.

8 b) Deliktsnatur. § 114 ist wie § 113 als unechtes Unternehmensdelikt einzuordnen.17 Es genügt das Vorliegen der beschriebenen Tatsituation. Erfolglose Tathandlungen sind in die Deliktsvollendung einbezogen worden. Denn für die Tathandlung, den tätlichen Angriff, genügt auch der Versuch der Körperverletzung (Rdn. 11). Damit ist ein Rücktritt versperrt.

4. Praktische Bedeutung 9 § 114, der in der Fassung als tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte am 30.5.2017 in Kraft trat, weist in der Strafverfolgungsstatistik 2018 bei 2535 Aburteilungen 2334 Verurteilungen auf.18 Es zeichnet sich bereits ab, dass ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Widerstandshandlungen von § 113 nach § 114 verschoben wurde, was die harte Haltung der Justiz gegenüber Widerstandstätern – gerade in Bayern19 – nochmals bestätigt.

II. Objektiver Tatbestand 1. Geschützte Personen 10 Die Tatobjekte sind identisch mit denen des § 113. Darunter fallen also Amtsträger gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 und Soldaten der Bundeswehr nach § 1 Abs. 1 Satz 1 SoldG. Es gelten die Ausführungen zu § 113 (Rdn. 11 ff.). Die Amtsträger oder Soldaten müssen dazu berufen sein, Gesetze, Rechtsverordnungen, Urteile, Gerichtsbeschlüsse und Verfügungen zu vollstrecken (§ 113 Rdn. 15–17). Eine Vollstreckungshandlung muss dieser Personenkreis dagegen nicht vornehmen. Anders als bei § 113 verlangt § 114 lediglich, dass die Vollstreckung eines hoheitlichen Willens grundsätzlich in den Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich des Amtsträgers oder des Soldaten fällt.20 Entsprechend gestaltet sich auch die Tatsituation anders als bei § 113.

2. Diensthandlung 11 § 114 verlangt nur noch, dass der Vollstreckungsbeamte während einer Diensthandlung angegriffen wird. Musste bei § 113 der Widerstand gegen eine bestimmte Vollstreckungshandlung gerichtet sein, genügt nun eine allgemeine Diensthandlung als Ziel des Täters. Zu Diensthandlungen zählen bloße Ermittlungstätigkeiten, für die im Gesetzgebungsprozess als Beispiele genannt wurden: Streifenfahrten und Streifengänge, Reifenkontrollen, Unfallaufnahmen oder Befragungen (BTDrucks. 18/11161, S. 9).21 Das Anhalten eines PKW durch die erhobene Hand des Polizisten ist ebenso Diensthandlung.22 Dazu gehören auch Verrichtungen im innerpolizeilichen 16 Weiter Barton HdbStrafR § 20 Rn. 4. 17 Puschke/Rienhoff JZ 2017 924, 931; Wolters SK Rdn. 5. 18 Statistisches Bundesamt Deutschland, Fachserie 10 Reihe 3, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Startseite.html; zuletzt abgerufen am 30.12.2019. 19 Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 3; s. § 113 Rdn. 9. 20 Knierim Kap. 2 Rdn. 19. 21 Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 5. 22 OLG Hamm bei Jäger JA 2019 705, 706. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

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Dienst, wie die Aufnahme von Strafanzeigen, die Vernehmung von Beschuldigten und Zeugen23 sowie die Antragsbearbeitung.24 Präventiv-polizeiliches Handeln wie die Begleitung eines Demonstrationszuges oder die Verkehrsregelung durch Polizisten stellen ebenfalls Diensthandlungen dar.25 Der Begriff ist denkbar weit und erfasst jede von einem Hoheitsträger in dienstlicher Eigenschaft durchgeführte Handlung.26 Der betroffene Beamte muss bei einer Diensthandlung attackiert werden. Das setzt voraus, dass dieser sich überhaupt im Dienst befindet. Nicht erfasst ist der Beamte, der krank geschrieben ist, sich im Urlaub befindet oder spontan als Privatmann bei einer Straftat eingreift. Auch auf der Heimfahrt, selbst wenn diese in Uniform erfolgt, scheidet die Anwendung des § 114 aus.27 Der im Dienst befindliche Amtsträger handelt nicht dienstlich bei rein privaten Verrichtungen, etwa beim Mittagstisch oder beim Rauchen vor der Wache. Neben den allgemeinen Diensthandlungen sind Vollstreckungshandlungen ohne Weiteres 12 mit umfasst, weil sie jedenfalls Diensthandlungen darstellen.28 Insofern hat für die Erfüllung des Tatbestandes die Abgrenzung von Vollstreckungshandlung einerseits und sonstiger Diensthandlung andererseits (zur Begrifflichkeit und Abgrenzung § 113 Rdn. 18-20) keine Bedeutung mehr. Allerdings wird die Grenzziehung wieder relevant, sobald ein Irrtum des Täters im Raum steht. Denn für diesen Fall hat der Gesetzgeber eine differenzierte Regelung vorgesehen. Betrifft der Irrtum die Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungshandlung, gelten die Regelungen des § 113 Abs. 3 und Abs. 4. Gilt der Irrtum dagegen der Rechtmäßigkeit einer sonstigen Diensthandlung, kommen beide Absätze nicht zum Tragen. Es bleibt bei den allgemeinen Rechtsfertigungs- und Irrtumsregeln.29 Der Angriff muss „bei“ einer Diensthandlung erfolgen. Das verlangt, dass letztere bereits 13 begonnen hat.30 Die Tathandlung muss daher frühestens zu Beginn oder spätestens am Ende der Diensthandlung erfolgen.31 Es gelten auch insoweit die Ausführungen zu § 113 (Rdn. 20). Anders als dort im Ansatz von der Rspr. vertreten,32 wird man bei § 114 aber die unmittelbar bevorstehende Diensthandlung nicht von § 114 erfasst sehen können. Dafür besteht auch keinerlei Bedürfnis, weil durch den Begriff der „Diensthandlung“ der erfasste Tätigkeitsbereich bereits ausgeweitet ist.33 Anders als bei einer Vollstreckungshandlung gehört die Fahrt zum Einsatzort oder die Abfahrt nach Abschluss des Einsatzes bereits bzw. noch zur Diensthandlung. Auch das erhöhte Strafmaß spricht gegen eine zu weite Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Norm.34 Die Verhinderung einer in der Zukunft noch zu tätigenden Diensthandlung, der sog. vorweggenommene Widerstand (§ 113 Rdn. 20), ist damit nach § 240 oder § 223 zu beurteilen.35

3. Tätlicher Angriff Anders als bei § 113, bei dem der geleistete Widerstand mittels der Tatmodalitäten Gewalt oder 14 Bedrohung mit Gewalt erfolgt, verlangt § 114 einen bei der Diensthandlung geleisteten tätlichen Angriff. Darunter ist eine mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten oder

23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 737

Fischer Rdn. 4. SSW/Fahl Rdn. 4. Knierim Kap. 2 Rdn. 21; weitere Beispiele bei Magnus GA 2017 531, 536. Dallmeyer BeckOK Rdn. 4. Wolters SK Rdn. 4. Schiemann NJW 2017 1846, 1847. Knierim Kap. 2 Rdn. 32 f. Knierim Kap. 2 Rdn. 22. Dallmeyer BeckOK Rdn. 4; Paeffgen NK § 113 Rdn. 18. RGSt 41 82,89; BGHSt 18 133, 135 f.; 25 313, 314 f. Barton HdbStrafR § 20 Rn. 56. Dallmeyer BeckOK Rdn. 4; Knierim Kap. 2 Rdn. 22. Knierim Kap. 2 Rdn. 22. Rosenau

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Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte

Soldaten zielende Einwirkung zu verstehen,36 und zwar ohne Rücksicht auf den Erfolg, u. U. auch körperliche Einwirkungen, die nicht unter den Begriff der versuchten oder vollendeten Körperverletzung zu subsumieren sind.37 Die Art und Umstände des Täterhandelns müssen also die feindselige Zielrichtung einer körperlichen Einwirkung aufweisen. Zur körperlichen Berührung braucht es nicht gekommen zu sein; es genügt also das Ausholen zum Schlag, wie in der Leitentscheidung des RG, bei der ein Student am Bahnhof mit der Hand zum Schlag gegen den dienstlich auftretenden Stationsvorsteher ausholte und nur durch einen Portier, der ihm in den Arm fiel, an der Ausführung des Schlages gehindert wurde.38 Mangels unmittelbaren Ansetzens bedeutet das Zulaufen auf einen vollstreckenden Polizeibeamten unter lautem Schreien und „Herumfuchteln mit den Armen“ noch keinen tätlichen Angriff.39 Gleiches ist bei einer drohend erhobenen Hand oder Zeigefinger anzunehmen. Es fehlt an der Körperverletzungsrelevanz.40 Als tätlicher Angriff zu werten ist dagegen, wenn der PKW auf den Beamten zugesteuert wird, der zur Vermeidung einer Verletzung zur Seite gehen muss.41 Ebenso der gezielte Wurf einer Flasche gegen Polizeibeamte,42 auch wenn der Wurf fehlgeht, sowie das Zurückwerfen von Reizgaskörpern in Richtung auf die räumende Polizei bei polizeilichem Einsatz von Tränengas gegenüber einer Menschenansammlung. Weitere Beispiele wären fehlgehende Schläge oder Tritte gegen Polizisten.43 Die Abgabe eines Schreckschusses wird man, wenn er den anderen zwar einschüchtern soll, aber nicht körperlich verletzen kann, nicht als tätlichen Angriff verstehen können; denn der Täter will damit gerade nicht auf den Körper des Beamten einwirken.44 Doch kann darin eine Widerstandsleistung durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt liegen und bei Vollstreckungshandlungen § 113 eingreifen.45 Anders ist bei dem gezielten Anlegen einer scharf geladenen Waffe auf den Beamten zu entscheiden, weil hier ein Körperbezug angebahnt ist.46 Das Übergießen des Beamten mit einer erheblichen Menge Brennspiritus, so dass die Oberbekleidung bis auf die Haut durchnässt ist, ist eine hinreichende körperliche Einwirkung.47 Die Freiheitsberaubung oder das Herausdrängen des Beamten aus der Tür ist eine auf den Körper des Beamten zielende Einwirkung und kann als tätlicher Angriff gewertet werden; ebenso das Ergreifen des Beamten am Oberarm und Herumreißen unter bedrohlichem Erheben der geballten Faust.48 Der Angriff muss während der Diensthandlung erfolgen,49 braucht indes keine Elemente des Widerstandleistens zu enthalten. Nicht erforderlich ist, dass mit dem Angriff die amtliche Tätigkeit erschwert werden soll; auch Schläge aus Wut über die Durchführung der Diensthandlung reichen zur Anwendung des § 114 aus, wenn der Täter z. B. aufgrund einer allgemeinen Feindseligkeit gegen den Staat handelt.50 Nicht ausreichend aber ist ein rein persönlich motivierter Racheakt gegen den dienstausübenden Beamten.51 Z. T. wird vertreten, dass das bisherige Verständnis vom Tatbestandsmerkmal des tätlichen 15 Angriffs aufgrund der Neufassung der Norm einer Neuausrichtung bedarf und einschränkend 36 37 38 39 40 41 42 43 44

RGSt 59 264, 265; BSG NJW 2003 164. Vgl. BGH NJW 1982 2081; NJW 2020 2347 f.; Otto JR 1983 74; Kulhanek JR 2018 551, 554. RGSt 7 301. Vgl. OLG Koblenz NStE zu § 113 Nr. 2. Schermaul JuS 2019 663, 665. OLG Hamm bei Jäger JA 2019 705, 706. KG StV 1988 437. Dallmeyer BeckOK Rdn. 5; Schermaul JuS 2019 663, 665. RG Recht 1914 Nr. 707; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 657; Wolters SK Rdn. 5; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 4, vgl. § 121 Rdn. 38. 45 RGSt 66 353; auch Horn/Wolters SK Rdn. 15. 46 BSG NJW 2003 164. 47 BGH NStZ 2007 701, 702. 48 BGH NJW 1982 2081. 49 KG StV 1988 437. 50 Fischer Rdn. 5. 51 Fischer Rdn. 5; Sch/Schröder/Eser Rdn. 4.; aA SSW/Fahl Rdn. 5. Rosenau

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III. Subjektiver Tatbestand

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auszulegen sei. Bislang sei wegen des Zusammenhangs von Widerstandshandlung und tätlicher Gewalt – beide Tatalternativen waren in § 113 vereint gewesen – selbst leichte Gewaltanwendung wie Schubsen oder ein Stemmen gegen den Körper des Polizisten erfasst gewesen. Dieser geringe Unrechtsgehalt werde weder dem Rechtsgut des § 114 gerecht noch sei der Strafrahmen dazu schuldangemessen.52 Vorgeschlagen wird daher eine restriktive Auslegung des tätlichen Angriffs. Dieser umfasse nur solche auf den Körper zielende Handlungen, welche in der konkreten Situation geeignet sind, den Körper zu verletzen.53 Wie bei § 223 muss das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt werden können.54 Allerdings enthält der Wortlaut keinen Anhaltspunkt für eine derartige Auslegung. Ganz im Gegenteil ist der Begriff wörtlich von § 113 übernommen worden. Damit spricht auch historisch nichts für den restriktiven Ansatz. Vielmehr hat der Gesetzgeber ganz bewusst als Reaktion auf vermeintlich zunehmende Übergriffe auf Vollstreckungsbeamte die Strafbarkeit ausdehnen wollen.55 Eine restriktive Auslegung würde diesen Ansatz konterkarieren und damit auch dem Telos des § 114 widersprechen.56 Freilich sind das bloße Stemmen gegen ein Hinwegtragen und ein leichtes Anrempeln bereits nach bisherigem, zutreffenden Verständnis mangels Körperverletzungsrelevanz kein tätlicher Angriff.

4. Rechtmäßigkeit der Diensthandlung (Absatz 3) Das Gesetz sieht eine differenzierte Lösung vor. Stellt die Diensthandlung eine Vollstreckungs- 16 handlung dar, verweist Absatz 3 auf § 113 Abs. 3. Damit muss die Diensthandlung rechtmäßig sein. Es gilt der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff, der ein Rechtfertigungsmerkmal darstellt. Es kann insoweit auf die Kommentierung zu § 113 verwiesen werden (§ 113 Rdn. 26 ff. und 34 ff.). Die allgemeine Diensthandlung dagegen, die nicht zugleich Vollstreckungshandlung ist, kann auch unrechtmäßig sein, ohne dass die Strafbarkeit des Täters entfällt. Das ergibt sich eindeutig durch die Beschränkung der Entsprechungsklausel des § 114 Abs. 3. Dass der Täter gleichwohl strafbar bleibt, wird damit erklärt, dass Vollstreckungsbeamte bei der Verrichtung ihrer dienstlichen Tätigkeiten vorbehaltlos gegen körperliche Beeinträchtigungen geschützt werden sollten.57 Nicht zu Unrecht wird diese Ausdehnung des Schutzes auch bei rechts- oder gesetzeswidrigem hoheitlichen Verhalten kritisiert.58 Der Widerstandleistende bleibt danach nur strafbar, soweit die Rechtfertigungsgründe der §§ 32 und 34 greifen.

III. Subjektiver Tatbestand Vorsatz. Wie bei § 113 ist zumindest dolus eventualis erforderlich.59 Dabei muss der Vorsatz die 17 jeweilige Tatsituation erfassen. Dem Täter muss insbesondere bewusst sein, dass eine Diensthandlung vorliegt und sein tätlicher Angriff sich gegen einen Vollstreckungsbeamten richtet, der eine dienstliche Handlung vornimmt.60

52 53 54 55 56

Jäger JA 2019 705, 707; Puschke/Rienhoff JZ 2017 924, 930. Busch/Singelnstein NStZ 2018 510, 512; Puschke/Rienhoff JZ 2017 924, 930. Puschke/Rienhoff JZ 2017 924, 930. Schermaul JuS 2019 663, 665. OLG Hamm bei Jäger JA 2019 705, 706; ebenso BGH NJW 2020 2347, 2348, der auf die „seit über 140 Jahren von der Rechtsprechung in ständiger Übung praktizierte Auslegung dieses Merkmals“ abstellt. Krit. dazu Singelnstein NJW 2020 2349. 57 Sch/Schröder/Eser Rdn. 6. 58 Knierim Kap. 2 Rdn. 23. 59 Fischer Rdn. 7; Knierim Kap. 2 Rdn. 30. 60 SSW/Fahl Rdn. 7; Sch/Schröder/Eser Rdn. 8; Fischer Rdn. 7. 739

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Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte

IV. Irrtumsregelung 18 Absatz 3. Auch bei den Irrtumsregelungen differenziert § 114 zwischen Vollstreckungshandlungen einerseits und schlichten, allgemeinen Diensthandlungen andererseits. Bei Vollstreckungshandlungen wird auf die Irrtumsregelung des § 113 Abs. 3 Satz 1 sowie Absatz 4 verwiesen. Hinsichtlich der Irrtumsregelungen kann auf die entsprechende Kommentierung (§ 113 Rdn. 65 ff.) verwiesen werden. Deren Privileg hat der Gesetzgeber dagegen nicht auf den Täter übertragen, der gegen allgemeine Diensthandlungen tätlich vorgeht. Als Grund wird genannt, dass die Privilegierungsregeln nicht außerhalb von Vollstreckungssituationen gelten sollen (BTDrucks. 18/11161, S. 10). Damit erweist sich die gesetzgeberische Differenzierung als Folge der Privilegierung des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Rdn. 5) und bestätigt mittelbar die Ausführungen zur Rechtsnatur des § 113. Bei allgemeinen Diensthandlungen gelten (lediglich) die allgemeinen Irrtumsregeln. Nimmt der Täter irrig an, bei der allgemeinen Diensthandlung handele es sich um eine 19 Vollstreckungshandlung, führt dieser Irrtum ebenfalls nicht zu den privilegierenden besonderen Irrtumsregeln des § 113 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4. Es bleibt insoweit bei den allgemeinen Irrtumsregeln.61 Dass der ungebildete Laie nicht erkennen könnte, ob er es mit einer Vollstreckungshandlung oder einer allgemeinen Diensthandlung zu tun habe,62 ist wenig wahrscheinlich. Der Bürger wird den Unterschied, ob ein Amtsträger vollstreckend tätig wird, in der Parallelwertung in seiner Laiensphäre nachvollziehen können. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob er festgenommen oder ihm ein Gegenstand gepfändet wird, oder ob lediglich ein Beamter zum Tatort fährt oder eine Befragung vornimmt. Auf diese Fähigkeit kommt es aber im Ergebnis gar nicht an, weil der Gesetzgeber die Einordnung des Irrtums allgemeingültig geregelt hat.

V. Rechtsfolgen 20 Strafrahmen. § 114 sieht gegenüber § 113 einen verschärften Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vor. Eine Geldstrafe ist damit grundsätzlich ausgeschlossen. Die speziellen Milderungsgründe bei Irrtümern gelten nur für Vollstreckungshandlungen, nicht für allmeine Diensthandlungen. Bei diesen kann eine Strafmilderung nur über die allgemeinen Strafmilderungsgründe nach §§ 46a und 46b erreicht werden.63 21 Über § 114 Abs. 2 finden die Regelbeispiele des § 113 Abs. 2 entsprechende Anwendung. Damit ist eine Ahndung mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahre möglich. Im Verhältnis zu anderen Straftatbeständen mit derselben Strafdrohung, die aber eine Erfolgsverwirklichung verlangen, ist der Strafrahmen bemerkenswert hoch.64 Der Gesetzgeber sieht dies darin begründet, dass sich ein Polizeibeamter in der Ausübung des allgemeinen Dienstes nicht ständig eines Angriffs versieht, weil er mangels Vollstreckungsakt keine Aggression erwarten muss, sich nicht auf den Angriff vorbereitet und daher besonders schutzwürdig erscheint (BTDrucks. 18/11161, S. 10). Missglückt und systematisch inkonsistent ist der Verweis in § 114 Abs. 2 auf die Regelbeispiele des § 113 Abs. 2 insoweit, als dass er zu einem Strafrahmen von maximal fünf Jahren Freiheitsstrafe führt, der mit dem des Grundtatbestandes des § 114 Abs. 1 so gut wie identisch ist.65 Lediglich die Mindeststrafhöhen unterscheiden sich um drei Monate.

61 62 63 64 65

SSW/Fahl Rdn. 7. König/Müller ZIS 2018 96, 100. Knierim Kap. 2 Rdn. 35. Knierim Kap. 2 Rdn. 36. Schiemann NJW 2017 1846, 1847 f.; SSW/Fahl Rdn. 8.

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VI. Konkurrenzen

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VI. Konkurrenzen Im Falle des tätlichen Angriffs bei einem Widerstand gegen eine Vollstreckungshandlung wird 22 angenommen, § 113 werde durch § 114 konsumiert.66 Da allerdings nicht beide Normen regelmäßig oder doch typischerweise zusammenfallen, weil § 114 nun auch schlichte Diensthandlungen einbezieht, spricht einiges gegen diese wertungsmäßige Gesetzeskonkurrenz, so dass von Tateinheit (§ 52) zwischen § 113 und § 114 auszugehen ist.67 Auch die Eigenständigkeit beider Tatbestände mit unterschiedlichen Rechtsgütern spricht für Tateinheit.68 Nur so wird klargestellt, dass sowohl eine Widerstandsleistung gegen eine Vollstreckungshandlung erfolgt ist (was allein § 114 nicht erkennen lässt) und zugleich ein tätlicher Angriff gegen einen Amtsträger vorliegt (was allein § 113 nicht deutlich werden lässt).69 Zu § 223 besteht aus Gründen der Klarstellung ebenfalls Tateinheit, auch wenn hier zu 23 Recht gewisse Unschärfen ausgemacht werden.70 § 114 verdrängt die versuchte Körperverletzung, weil dem tätlichen Angriff die auf den Körper gerichtete Zielsetzung immanent ist.71 Für diejenigen, die dagegen § 223 vorgehen lassen, entfaltet sich die Sperrwirkung des Mindeststrafmaßes der an sich verdrängten Norm. § 114 sieht, anders als § 223, ein Mindestmaß von drei Monaten Freiheitsstrafe vor. Damit ergibt sich auch bei der versuchten Körperverletzung gegen einen im Dienst befindlichen Beamten über § 114 eine deutlich erhöhte Mindeststrafe.72 Zu sonstigen Konkurrenzen gelten die Ausführungen zu § 113 (Rdn. 101) entsprechend.

66 67 68 69 70 71 72 741

König/Müller ZIS 2018 96, 99; vgl. Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 27 f. BGH NJW 2020 2347, 2349; Fahl ZStW 130 (2018) 745, 753 f.; ders. GA 2019 721, 732. BGH NJW 2020 2347, 2349; Sch/Schröder/Eser Rdn. 8; Fischer Rdn. 12. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 122 m. w. N. vgl. BGH NJW 2020 2347 f. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 5; Dallmeyer BeckOK Rdn. 7. König/Müller ZIS 2018 96, 100. Rosenau

§ 115 Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen (1) Zum Schutz von Personen, die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind, ohne Amtsträger zu sein, gelten die §§ 113 und 114 entsprechend. (2) Zum Schutz von Personen, die zur Unterstützung bei der Diensthandlung hinzugezogen sind, gelten die §§ 113 und 114 entsprechend. (3) Nach § 113 wird auch bestraft, wer bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert. Nach § 114 wird bestraft, wer die Hilfeleistenden in diesen Situationen tätlich angreift.

Schrifttum Fahl Die Änderungen durch das Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften aus rechtsdogmatischer Sicht, ZStW 130 (2018) 745; Heger/Jahn Den Helfern zu Hilfe: Verbesserter Schutz für professionelle zivile Helfer durch § 305a und § 114 Abs. 3 StGB? JR 2015 508; Weiteres Schrifttum bei § 113.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist durch das 3. StrRG vom 20.5.1970 (BGBl. I S. 505) als § 114 eingeführt und durch das Einführungsgesetz zum StGB (Art. 19 Nr. 44 EGStGB) vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469) an den Sprachgebrauch des neuen Allgemeinen Teils des StGB angepasst worden. Es erfolgte eine Neufassung mit der Bekanntmachung der Neufassung des StGB vom 2.1.1975 (BGBl. I S. 1, 43); die Überschrift beruht auf Art. 19 Nr. 207 des EGStGB; Absatz 1 wurde sprachlich an § 152 Abs. 1 GVG durch Art. 12c des 1. JuMoG vom 24.8.2004 (BGBl. I 2207) angeglichen, indem der nicht mehr zeitgemäße Begriff des Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft durch den neutralen der Ermittlungsperson ersetzt wurde. Durch das 44. StrRÄndG vom 1.11.2011 (BGBl. I S. 2130) wurde die Norm noch als § 114 um einen Absatz 3 ergänzt, um Rettungskräfte ausdrücklich in den Anwendungsbereich aufzunehmen (Reg E BTDrucks. 17/4143; Beschluss des RAussch. BTDrucks. 17/6506). Da mit dem 52. StrRÄndG vom 23.5.2017 (BGBl. I S. 1226) der tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte als eigene Norm nun als § 114 gefasst wurde, wurde mit redaktionellen Anpassungen § 114 zu § 115 (Fraktionsentwurf BTDrucks. 18/11161; Beschluss des RAussch. BTDrucks. 18/12153). Die Vorschrift soll – jedoch unter beträchtlichen Einschränkungen – die früheren Bestimmungen über den Forstwiderstand (§§ 117–119) erfassen (vgl. Schriftl. Bericht, BTDrucks. VI/502 S. 6 f.; Prot. VI/326–329 und 333–341). Dem Wortlaut nach geht sie über diesen Bereich hinaus, ohne dass aber Einzelfälle in den Beratungen angeführt worden sind. Der neue Absatz 3 zieht Hilfskräfte von Feuerwehren, Rettungsdiensten und Katastrophenschutz unter den Schutz des § 113, indem er diesen Personenkreis den Vollstreckungsbeamten gleichstellt. Damit will der Gesetzgeber den Respekt und die Wertschätzung für solche, Hilfe leistenden Personen unterstreichen (BTDrucks. 18/11161 S. 9). Die Bedeutung des § 115 Abs. 1 ist gering zu veranschlagen; denn die §§ 117 ff., an deren Stelle die Bestimmung getreten ist, haben zur Zeit ihrer Geltung nur zu einer geringen Zahl von Verurteilungen geführt (Prot. VI/329). Durch § 115 Abs. 2 wird ein Teil des § 113 Abs. 3 a. F. erfasst. Anders ist § 115 Abs. 3 zu bewerten. Die Erstreckung der Strafbarkeit bei Widerstandshandlungen nach § 113 und bei tätlichen Angriffen nach § 114 auch bei sonstigen professionell Hilfeleistenden wird sich auch in der Praxis niederschlagen. Die Fallzahlen sind allerdings noch gering. Für 2018 weist die Strafverfolgungsstatistik bei 44 Aburteilungen lediglich 34 Verurteilungen aus, die sich auf §§ 115 Abs. 3 i. V. m. § 113 oder § 114 stützen.1

Übersicht I.

Regelungszweck

1

II.

Personenkreis mit staatlichen Vollzugsaufgaben 6 (Absatz 1)

1. 2.

6 Polizeiliche Pflichtenstellung Ermittlungspersonen der Staatsanwalt8 schaft

1 Statistisches Bundesamt Deutschland, Fachserie 10 Reihe 3, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Startseite.html; zuletzt abgerufen am 30.12.2019. Rosenau https://doi.org/10.1515/9783110490008-079

742

StGB § 115

I. Regelungszweck

3.

Vollstreckungshandlung

9

III. 1. 2.

Hinzugezogene Personen (Absatz 2) 11 Nichtamtsträger 12 Vollstreckungshelfer

IV. 1. 2. 3.

Hilfs- und Rettungsdienste (Absatz 3) 13 Geschützte Personen 17 Tatsituation Tathandlung 18 a) Behinderung (Absatz 3 Satz 1)

b) 10

Tätlicher Angriff (Absatz 3 Satz 2)

V. 1. 2. 3.

Subjektiver Tatbestand Vorsatz bei Absatz 1 Vorsatz bei Absatz 2 Vorsatz bei Absatz 3

VI.

Rechtsfolgen

21

23 23 24 25

13

VII. Konkurrenzen

26 29

18

I. Regelungszweck Die Vorschrift des § 115 enthält in seinen Absätzen 1 und 2 keinen eigenen Straftatbestand. 1 Diese erweitern vielmehr lediglich den Anwendungsbereich der §§ 113, 114 durch Ausdehnung des Kreises der geschützten Personen. § 115 Abs. 1 und 2 ermöglicht die Heranziehung des §§ 113, 114 auch bei Angriffen und Widerstand gegen bestimmte Nichtamtsträger, soweit diese Vollstreckungshandlungen im Sinne des §§ 113, 114 vornehmen, auch bei hoheitlichem Vorgehen mittels Maßnahmen, zu denen an sich auch ein Privatmann befugt wäre (§ 127 Abs. 1 StPO). Auch hier werden dagegen Privatpersonen, die private Zwangsmaßnahmen (§ 229 BGB, § 127 Abs. 1 StPO) einleiten, nicht einbezogen. Zu ihren Gunsten greift ggf. der strengere § 240. § 115 führt aufgrund der Existenz des § 240 zu keiner Erweiterung des Schutzbereiches des § 113, 114, sondern erweitert gegenüber der Nötigung dessen Privilegierungsfunktion.2 Absatz 1 erstreckt den Anwendungsbereich des §§ 113, 114 auf Vollstreckungshandlungen von Personen ohne Amtsträgereigenschaft i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2, die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind. Absatz 2 ordnet die entsprechende Anwendung des § 113 zum Schutze von Personen an, die zur Unterstützung von Diensthandlungen, also dienstlich zugezogen sind. Anders ist § 115 Abs. 3 einzuordnen. Strukturell bildet er einen eigenen Tatbestand, der 2 lediglich für die Rechtsfolgen auf § 113 bzw. § 114 verweist.3 Das ergibt sich aus dem Umstand, dass hier weder die Autorität des staatlichen Handelns noch die individuelle körperliche Integrität eines Vollstreckungsbeamten geschützt wird. Weder die Vollstreckungssituation des § 113 noch die Diensthandlungssituation des § 114 spielen eine Rolle. Stattdessen geht es um die Behinderung oder den tätlichen Angriff (nur insoweit ergibt sich eine Tathandlungsparallele zu § 114) von bestimmen Hilfs- und Rettungspersonen. Treffender hätte eine Regelung im Umfeld des § 323c erfolgen sollen.4 Wie dort geht es um den Schutz von betroffenen Individuen bei Unglücksfällen, bei gemeiner Gefahr oder in Not. Erkennbar handelt es sich bei der Behinderung privater Rettungsdienste nicht um Widerstand gegen die Staatsgewalt, so der Titel des Sechsten Abschnitts des StGB.5 Hinsichtlich des tätlichen Angriffs stellt sich § 115 Abs. 3 als speziell ausgestaltetes Körperverletzungsdelikt dar, schützt also neben der Hilfeleistung das individuelle Rechtsgut der körperlichen Integrität.6 Dogmatisch wird der Befund der tatbestandlichen Eigenständigkeit dadurch bestätigt, dass 3 trotz einiger Parallelen zu den §§ 113, 114 anders als dort das Vorgehen der Rettungskräfte durch 2 Wolters SK Rdn. 2. 3 Fahl ZStW 124 (2012) 311, 320; SSW/Fahl Rdn. 2; Fischer Rdn. 1; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; M. Heinrich HK-GS § 114 Rdn. 11.

4 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1. 5 SSW/Fahl Rdn. 2; Zöller KriPoz 2017 143, 147. 6 M. Heinrich HK-GS § 114 Rdn. 11. 743

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§ 115 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten Gleichstehenden

das Einschreiten das Täters tatsächlich beeinflusst werden muss. § 115 Abs. 3 ist damit kein Unternehmensdelikt, sondern Erfolgsdelikt. Gefordert wird der tatbestandliche Erfolg der Behinderung der Hilfeleistung.7 4 Als gesetzgeberischer Grund wird für den erweiteren Anwendungsbereich nach § 115 Abs. 1 und 2 im Schriftlichen Bericht (BTDrucks. VI/502 S. 6, 7) angeführt, dass auch solche Personen, die zwar keine Amtsträger sind, deren sich der Staat aber zur Erfüllung hoheitsrechtlicher Aufgaben bedient und die er damit gesteigerten Gefahren aussetzt, der gleiche strafrechtliche Schutz gewährt werden soll wie Amtsträgern. Dabei wird jedoch verkannt, dass § 113 den Täter und nicht den Beamten privilegiert.8 Soweit es sich um das Verhältnis zu § 240 handelt, ist hierauf bei den Beratungen sogar mehrfach hingewiesen worden (Prot. VI/328, 335, 339). Soweit es um den tätlichen Angriff geht, trifft die Schutzerwägung nur bei nicht eintretender Körperverletzung zu. Ratio des § 115 Abs. 3. Die am 5.11.2011 in Kraft getretene Regelung des heutigen § 115 5 Abs. 3 soll Feuerwehrleute, Rettungskräfte sowie Mitglieder des Katastrophenschutzes vor Behinderungen und tätlichen Angriffen bei Hilfseinsätzen schützen (BTDrucks. 17/4143, S. 6 f). Damit wird im Hinblick auf die pönalisierte Behinderung das Rechtsgut im Schutz von betroffenen Individuen bei Unglücksfällen, bei gemeiner Gefahr oder in Not anzusiedeln sein.9 Soweit auf den tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 verwiesen wird, tritt neben die Hilfeleistung das individulle Rechtsgut der körperlichen Integrität der Hilfspersonen selbst.10 Diese sind in der Notsituation in besonderer Weise verletzlich, weil sie sich typischerweise ganz auf die Notlage konzentrieren und nicht um den eigenen Schutz kümmern können.11

II. Personenkreis mit staatlichen Vollzugsaufgaben (Absatz 1) 1. Polizeiliche Pflichtenstellung 6 § 115 Abs. 1 bezieht sich zunächst auf Personen, denen staatliche Vollzugsaufgaben obliegen, die aber keine Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 sind. Auch aus diesem Kreise ist eine Auswahl getroffen. Erfasst werden solche Personen, die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben, ohne mangels Bestellungsakt solche zu sein. Gedacht ist vor allem an § 25 Abs. 2 BJagdG i. d. F. vom 29.9.1976 (BGBl. I S. 2849). Danach fallen darunter die bestätigten Jagdaufseher innerhalb ihres Dienstbezirks in Angelegenheiten des Jagdschutzes, sofern sie Berufsjäger und forstlich ausgebildet sind. Sie erhalten ihre Funktion kraft Gesetzes, sobald die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Die Einzelheiten über die Bestätigung und Ausbildung regelt das jeweilige Landesrecht. Dieses kann auch über den § 25 Abs. 2 BJagdG hinaus Nichtbeamte zur Vollstreckung berufen und ihnen die Rechte und Pflichten von Polizeibeamten verleihen (vgl. §§ 29 Abs. 1 Nr. 1; 30 LJagdG BW). Das kann etwa bei den auf Grund besonderer Vorschriften über den Forst-, Feld- und Fischereischutz- Berechtigten der Fall sein (vgl. Art. 35 Abs. 2 BayWaldG; § 68 Abs. 1 Nr. 18 VwVG NRW). Soweit jedoch Forst- und Feldhüter sowie Fischereiaufseher ihre Position aufgrund eines hoheitlichen Bestellungsaktes erhalten, sind sie den Amtsträgern nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 zuzurechnen und werden durch §§ 113, 114 unmittelbar geschützt.12 Ordnungsbedienstete von Privatbahnen13 und Ordnungskräfte eines unter staatli7 Zopfs GA 2012 259, 274; Paeffgen NK § 114 Rdn. 11a. 8 Vgl. § 113 Rdn. 5; Bosch MK § 114 Rdn. 1; Dreher NJW 1970 1157; Sch/Schröder/Eser Rdn. 3. 9 Bosch MK § 114 Rdn. 11; M. Heinrich HK-GS § 114 Rdn. 11; Zöller KriPoz 2017 143, 147. 10 M. Heinrich HK-GS § 114 Rdn. 11. 11 Erb KriPoz 2018 48, 50. 12 Bosch MK § 114 a. F. Rdn. 4; vgl. § 50 Abs. 2 und 4 Satz 4 FischG BW; § 53 Abs. 3 u. 4 LFoG NW; § 68 Abs. 1 Nr. 17 VwVG NW; § 67 Abs. 2 S. 2, § 79 Abs. 4 LWaldG BW; Art. 29 BayWaldG.

13 Anschlussbahnen, vgl. RGSt 10 325, 327 f. Rosenau

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II. Personenkreis mit staatlichen Vollzugsaufgaben (Absatz 1)

StGB § 115

chem Einfluss stehenden U-Bahn- oder Busbetriebs14 haben – über die jedermann zustehenden Rechte hinaus – keine hoheitlichen Eingriffsbefugnisse. Ihr Handeln wird weder von §§ 113, 114 geschützt, noch werden solche Ordnungskräfte über § 115 in den Schutz einbezogen. § 25 Abs. 1 BJagdG überträgt den Jagdausübungsberechtigten und bestätigten Jagdaufse- 7 hern, die weder Berufsjäger noch forstlich ausgebildet sind, mit dem Jagdschutz nach § 23 BJagdG ebenfalls öffentlich-rechtliche Aufgaben. Durch Landesrecht ist das vielfach auf Fischereiausübungsberechtigte und andere Personen erweitert, und es sind ihnen gewisse hoheitliche Vollstreckungsbefugnisse zugewiesen worden.15 Der Gesetzgeber hat sie aber, soweit sie nicht schon Amtsträger sind und § 113 unterfallen, bewusst und gewollt nicht in die Vorschrift des § 115 Abs. 1 einbezogen (Schriftl. Ber. BTDrucks. VI/502 S. 7). Das Ergebnis ist widerspruchsvoll; das gilt um so mehr, als bei Widerstandsleistungen diesen Personen gegenüber nunmehr der § 240 anwendbar ist, und die in § 113 vorgesehene Privilegierung des Täters entfällt; sie also meistens stärker als die Amtsträger geschützt sind.16 Der Gesetzgeber hat das aber in Kauf genommen, wohl um den Anschein eines (in Wirklichkeit gar nicht vorhandenen) besonderen Feudalschutzes von Waldeigentümern zu vermeiden. Paeffgen moniert zu Recht eine verquere Logik, die darin zu sehen ist, dass eine „antifeudale Attitüde zu einer verschärften Strafbarkeit des Widerständlers“ nach § 240 führt.17 Da diese Begründung des Gesetzgebers heute nicht mehr tragen kann und die Durchschlagskraft historischer Auslegung mit dem Zeitverlauf verblassen muss, ist die gesetzgeberische Entscheidung im Rahmen einer täterbegünstigenden Analogie zu korrigieren. Es sind alle Jagdund Fischereiausübungsberechtigten in § 115 Abs. 1 einzubeziehen.18 Es ist wenig konsistent, wenn nach überwiegender Ansicht beim Verhältnis des § 113 zu § 240 die Privilegierungen des § 113 entweder in analoger Anwendung der Strafrahmen (§ 113 Rdn. 97) oder die Annahme einer Sperrwirkung (§ 113 Rdn. 98) zum Tragen kommen, bei § 115 eine Korrektur des Gesetzes aber ausgeschlossen sein soll. Der Täter befindet sich auch gegenüber dem schlichten Jagdausübungsberechtigten, der Vollstreckungshandlungen durchführt, in der privilegierenden psychischen Zwangssituation. Für ihn ist es gleichgültig, ob die staatliche Zwangsandrohung von einer Person mit oder ohne zusätzliche polizeiliche Pflichtenstellung erfolgt.19

2. Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft Zur Qualifikation als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft kraft Gesetzes oder aufgrund 8 landesrechtlicher Rechtsverordnungen s. § 152 GVG. Diese werden fast immer Amtsträger i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 sein und schon deswegen unter §§ 113, 114 fallen. Ausnahmen sind aber möglich. Im Allgemeinen ist es Sache der Länder, die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft gem. § 152 Abs. 2 GVG zu bestellen (Horstkotte Prot. VI/333). Es gibt aber auch solche Ermittlungspersonen kraft Gesetzes, z. B. die bereits erwähnten bestätigten Jagdaufseher gem. § 25 Abs. 2 BJagdG (Rdn. 6), Vollzugsbeamte des Bundes und der Länder gem. § 4 Abs. 1, 2, § 19 Abs. 1 BKAG in der Fassung des Ges. v. 7.7.1997 (BGBl. I S. 1650), die Zoll- und Steuerfahndungsbeamten gem. § 404 Satz 2, 2. Halbs. AO, § 37 Abs. 3 MOG u. a.; sie brauchen nicht unbedingt Amtsträger zu sein, wenn sie es auch fast durchweg sind und mithin unmittelbar von § 113 erfasst werden.

14 15 16 17 18

OLG Hamburg NJW 1984 624. Prot. VI/335; vgl. dazu §§ 23, 24 JagdG BW; Art. 42 JagdG Bay; § 27 HessJagdG; Art. 34 NdsJagdG; § 25 JagdG NW. Vgl. Dreher NJW 1970 1159. NK § 114 Rdn. 5. Otto BT § 91 Rdn. 3; Paeffgen NK § 114 Rdn. 5; Sch/Schröder/Eser Rdn. 3; aA v. Bubnoff LK11 Rdn. 3; Fischer Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 II Rdn. 11; s. auch Bosch MK § 114 Rdn. 5, der bei grundsätzlicher Kritik eine Analogie für möglich hält. 19 Sch/Schönke/Eser Rdn. 3. 745

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§ 115 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten Gleichstehenden

3. Vollstreckungshandlung 9 Absatz 1 setzt voraus, dass eine der dort erfassten Personen im Rahmen der ihr gesetzlich zuerkannten Befugnisse eine Vollstreckungshandlung ausgeführt hat. Vollstreckungshandlungen sind Handlungen in Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben, die der Vollstreckung einer der in § 113 Abs. 1 genannten Rechtsnormen oder Staatsakte dienen (vgl. § 113 Rdn. 18). Zu Vollstreckungshandlungen des in § 25 Abs. 2 BJagdG genannten, behördlich bestätigten Jagdaufsehers gehört etwa das Anhalten des Wilderers, die Feststellung dessen Personalien, die Abnahme des erlegten Wildes, die Wegnahme von Wildereigeräten und Waffen in seinem Dienstbezirk.20 Nehmen solche Personen in Ausübung ihrer Rechte und Pflichten Vollstreckungshandlungen vor, so sind diese im Falle eines Widerstandes oder tätlichen Angriffs den Diensthandlungen eines Amtsträgers i. S. d. § 113 gleichgestellt. Vom Gesetz gleichgestellt werden also nicht die in den beiden Vorschriften genannten Personenkreise, sondern die Vollstreckungshandlungen den Diensthandlungen i. S. des § 113. Nach dem Schriftl. Bericht (BTDrucks. VI/502 S. 7) soll damit vermieden werden, dass der in Absatz 1 genannte zusätzliche Personenkreis in einem weiteren Maße gegenüber tätlichen Angriffen geschützt werde als die Gruppe der in § 113 erfassten Vollstreckungsbeamten. Diese differenzierende Erwägung erscheint wenig plausibel,21 weil die §§ 113-115 Abs. 1 und 2 ohnehin nur bei Handlungen in Ausübung hoheitlicher Gewalt in Frage kommen, womit eine übereinstimmende Grenze gezogen ist.

III. Hinzugezogene Personen (Absatz 2) 10 Absatz 2 bestimmt in Anlehnung an § 113 Abs. 3 a. F., dass § 113 entsprechend zum Schutze von Personen gilt, die von einem Amtsträger, d. h. Vollstreckungsbeamten im Sinne des § 113, oder von einem Nichtamtsträger mit Hoheitsbefugnissen nach Absatz 1 zur Unterstützung bei der Diensthandlung hinzugezogen sind. Gleiches gilt bei Diensthandlungen von Angehörigen der NATO-Streitkräfte (Art. 4 Nr. 1a des 3. StrRG i. V. m. Art. 7 Abs. 2 des 4. StRÄndG). Bei einer Tat von Soldaten gegen Soldaten verdrängt § 24 Abs. 2 WStG den § 115 Abs. 2.22 Letztere Vorschrift greift jedoch ein im Fall der Zuziehung eines Zivilisten oder des tätlichen Angriffs auf den zugezogenen Soldaten, der nicht Vorgesetzter ist.

1. Nichtamtsträger 11 Unter die Vorschrift fallen in erster Linie Nichtamtsträger, wie Beauftragte eines Abschleppdienstes,23 die Zeugen gem. § 105 StPO, § 759 ZPO bei Durchsuchungen,24 medizinisches Personal bei körperlichen Untersuchungen gem. § 81a StPO25 oder der Spediteur bei der Sachpfändung nach § 808 ZPO.26 Es können u. U. aber auch nicht speziell in dieser Eigenschaft zugezogene Amtsträger gemeint sein, wenn z. B. der örtlich zuständige Polizeibeamte einen unzuständigen bittet, ihn bei einer Verhaftung zu unterstützen. In Betracht kommt auch ein bei einer Vollstreckungsaktion gegen BtM-Täter zugezogener V-Mann, der nicht Amtsträger mit Vollstreckungsbefugnis,27 aber Gehilfe der mit der Verbrechensbekämpfung betrauten Kriminalpoli20 21 22 23 24 25 26 27

Vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 LJagdG BW; Art. 42 Abs. 1 Nr. 1 BayJG; § 25 Abs. 4 Nr. 1 LJG NW. Sch/Schröder/Eser Rdn. 7. Schölz/Lingens WStG § 24 Rdn. 18. Vgl. Coester-Waltjen JK 93, BGB § 839/7. RGSt 25 253; Sch/Schröder/Eser Rdn. 16. Bosch MK § 114 Rdn. 8. Zielinski AK Rdn. 10. BGH NJW 1980 846, 847; aA Wagner JZ 1987 595.

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IV. Hilfs- und Rettungsdienste (Absatz 3)

StGB § 115

zei ist. Die Zuziehung kann sowohl durch den Vollstreckungsbeamten selbst wie durch die vorgesetzte Behörde erfolgen. Der Zugezogene kann unter Umständen seinerseits wieder dritte Hilfspersonen beauftragen, wie z. B. der Leiter des Abschleppdienstes seinen Fahrer. Allerdings muss sich der zuziehende Beamte mindestens stillschweigend hiermit einverstanden erklären, und die dritte Person muss nach außen als Teilhaber dessen Hoheitsgewalt erscheinen.28

2. Vollstreckungshelfer Die Vorschrift erfasst nur dienstlich zugezogene Personen. Wer sich unaufgefordert einmischt, 12 ist nicht „zugezogen“; es bedarf vielmehr der ausdrücklichen oder stillschweigenden Billigung des Vollstreckungsbeamten. Die zugezogene Person muss auf Grund ihrer Beziehungen zum Vollzugsbeamten nach außen bei der Ausübung hoheitlicher Gewalt als Beteiligter erscheinen.29 Ferner muss eine unterstützende Tätigkeit vorliegen. Eine solche kann allerdings – wie bei einem Zeugen der Hausdurchsuchung – in einer bloßen passiven Anwesenheit bestehen. Eine Person, welcher der Beamte die selbständige Vornahme einer Amtshandlung übertragen hat (z. B. einen Gefangenentransport), ist nicht zugezogen im Sinne des § 115 Abs. 2.30 Da diesen keine Berechtigung zur Ausübung unmittelbaren Zwanges zukommt, fallen sie auch nicht unter Absatz 1.31 Nicht erforderlich ist, dass die Zuziehung erst während der Widerstandsleistung stattfindet.

IV. Hilfs- und Rettungsdienste (Absatz 3) 1. Geschützte Personen Als geschützen Personenkreis nennt Absatz 3 Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophen- 13 schutzes und von Rettungsdiensten. Diese werden vor Behinderungen bei ihrer Tätigkeit und vor tätlichen Angriffen geschützt, wie sie insbesondere bei Großschadensereignissen und ähnlichen Katastrophensituationen drohen.32 Dem Gesetzgeber schwebten Situationen vor, bei denen etwa ein sympathisierender Mob Löscharbeiten bei brennenden Flüchtlingsheimen behinderte oder Ausschreitungen von Hooligans.33 Mit der speziellen strafrechtlichen Schutzrichtung will der Gesetzgeber damit zugleich seinen Respekt und seine Wertschätzung für solche Personen ausdrücken, die sich in den entsprechenden Organisationen in den Dienst der Allgemeinheit stellen (BTDrucks. 18/11161 S. 9). Geschützt sind Mitarbeiter von Feuerwehren, unabhängig davon, ob diese in Freiwilligen 14 Feuerwehren oder in städtischen oder staatlichen Wehren Dienst tun.34 Damit wird auch die Berufsfeuerwehr eingeschlossen, wobei bei Werksfeuerwehren § 115 Abs. 3 dann nicht greift, wenn diese lediglich im Betrieb tätig sind und sich nicht zugleich an Einsätzen im öffentlichen Raum beteiligen.35 Darüber hinaus lässt der Wortlaut keine weitere Einschränkung zu. Die Annahme, nur (landes-)gesetzlich angeordnete Feuerwehren und zur Hilfeleistung berufene Rettungsdienste unterfielen dem Schutz des § 115 Abs. 3,36 ist somit abzulehnen. 28 29 30 31 32 33 34 35 36 747

Vgl. Sch/Schönke/Eser Rdn. 17. Sch/Schröder/Eser Rdn. 17. RGSt 32 246 f. Sch/Schröder/Eser Rdn. 16. Fischer Rdn. 5. Bosch MK § 114 Rdn. 10. Heger/Jahn JR 2015 508, 510. Fischer Rdn. 6. Wolters SK Rdn. 10; Sch/Schröder/Eser Rdn. 21; Fischer Rdn. 6. Rosenau

§ 115 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten Gleichstehenden

Katastrophenschutz. Auch bei der an zweiter Stelle genannten Katastrophenschutzeinrichtung ist deren öffentliche oder private Organisationsform ohne Belang. Es kommen sowohl öffentliche Dienste wie der THW als auch private oder kommunale Dienste in Betracht.37 Als Beispiele zu nennen sind der DLRG, das DRK etc. Rettungsdienst. Der Begriff ist umfassend zu verstehen. Rettungsdienst ist nicht technisch 16 gemeint, meint also auch den Notarzt und die Rettungssanitäter. Erfasst werden neben den eigens genannten Feuerwehren inklusive den freiwilligen Feuerwehren auch private Zivilschutzeinrichtungen.38 Gemeint sind Organisationen wie die DLRG, die Bergwacht, die Seenotrettung, der Arbeiter-Samariterbund, der Allgemeine Rettungsverband, der ADAC, der Malteser-Hilfsdienst und andere mehr.39 Nicht erfasst sind dagegen deren Helfer, weil eine dem Absatz 2 entsprechende Regelung fehlt.40 15

2. Tatsituation 17 Es muss ein Unglücksfall, eine gemeine Gefahr oder Not vorliegen. Der Gesetzgeber übernimmt damit die Begrifflichkeit des § 323c. Es kann insoweit auf die Ausführungen zu § 323c verwiesen werden.

3. Tathandlung 18 a) Behinderung (Absatz 3 Satz 1). Die Tathandlung ist das Behindern. Darunter ist jede spürbare, nicht unerhebliche Störung der Rettungstätigkeit zu verstehen.41 Ausreichend ist, wenn eine Hilfsperson behindert wird.42 Diese muss in der Hilfeleistung gestört werden, sie muss also tatsächlich Hilfe leisten. Das ergibt sich aus dem Wortlaut („bei“). Allerdings ist nicht notwendig, dass sich die geleistete Hilfe in der konkreten Notsituation als erforderlich erweist. Z. T. wird verlangt, dass die Abwehrmaßnahme des Hilfsdienstes geeignet ist und diese die Wahrscheinlichkeit des (weiteren) Schadenseintritts minimiert.43 Argumentiert wird damit, dass § 115 Abs. 3 ein Erfolgsdelikt darstellt, also die Hilfeleistung tatsächlich behindert worden sein müsse. Das könne aber nicht angenommen werden, wenn sie schon gar nicht erforderlich gewesen ist. Diese Logik verkennt allerdings, dass der Begriff der Behinderung unvollständige Störungen bereits mit erfasst (Rdn. 18). Darüber hinaus wird zu Recht darauf hingewiesen, dass gerade im Vorfeld der Rettungsmaßnahmen, etwa bei der Blaulichtfahrt zum Unfallort, oft noch gar nicht mit Sicherheit festzustellen ist, ob der Rettungswagen tatsächlich benötigt und damit „erforderlich“ sein wird.44 19 Auch vorbereitende Handlungen der Hilfsdienste werden erfasst, wie etwa die Anfahrt zum Unglücksort45 oder das Herrichten der Einsatzmittel, etwa des Rettungsbootes. Auch das Versperren des Rettungsweges46 und das Verstopfen der Rettungsgasse gehören dazu. Die rettende Person muss sich folglich nicht am Einsatzort befinden.47 Auch Bedienstete in Einsatzleitstellen 37 38 39 40 41

Sch/Schröder/Eser Rdn. 21. Heger/Jahn JR 2015 508, 510. SSW/Fahl Rdn. 5; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 13; Paeffgen NK § 114 Rdn. 11b. Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 4; Singelnstein/Puschke NJW 2011 3473, 3474. SSW/Fahl Rdn. 5; vgl. BTDrucks. 18/12153, S. 7, allerdings zu einer nicht Gesetz gewordenen Erweiterung des § 323c. 42 Fischer Rdn. 9. 43 Wolters SK § 114 Rdn. 11. 44 Heger/Jahn JR 2015 508, 512. 45 Fischer Rdn. 9. 46 Sch/Schröder/Eser Rdn. 22. 47 SSW/Fahl Rdn. 5. Rosenau

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V. Subjektiver Tatbestand

StGB § 115

sind erfasst.48 Ein Zusammenhang der Behinderung muss mit der vorgenommenen Hilfeleistung bestehen, so dass das Bereiten verwaltungstechnischer Schwierigkeiten nicht ausreicht.49 Eine endgültige Verhinderung der Rettungsbemühungen ist nicht erforderlich. Zwar ist § 115 20 Abs. 3 ein Erfolgsdelikt (Rdn. 3). Aber im Begriff der Behinderung sind unvollkommene Störungen bereits enthalten. Diese müssen allerdings eine nicht ganz unerhebliche Erschwernis bedeuten. Das kann anzunehmen sein, wenn der Hilfswillige nicht unerhebliche Umwege fahren muss, um zum Einsatzort zu gelangen.50 Lediglich versuchte, ohne Auswirkungen gebliebenen Hinderungshandlungen erfüllen den Tatbestand dagegen nicht.51

b) Tätlicher Angriff (Absatz 3 Satz 2). Zweite mögliche Tathandlung ist der tätliche Angriff 21 gegen die hilfeleistende Person. Liegt ein solcher vor, wird auf die Rechtsfolgen des § 114 verwiesen. Der tätliche Angriff entspricht der Tathandlung des § 114 Abs. 1. Es kann auf die dortigen Ausführungen (§ 114 Rdn. 15 f) verwiesen werden. Der Angriff hat während oder in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hilfeleistung zu erfolgen.52 Fraglich ist, ob auch der Hilfsbedürftige selbst als Täter in Betracht kommt. So kommt es 22 gar nicht so selten vor, dass der Verletzte sich gegen die Rettungsbemühungen des Sanitäters gewalttätig zur Wehr setzt. Vom Wortlaut her ist der Hilfsbedürfige nicht als Täter ausgenommen. Da aber § 115 Abs. 3 nicht nur den Schutz der Helfer im Blick hat, sondern zugleich die Individualrechtsgüter des Hilfsbedürftigen als Rechtsgut schützen will, ist der Ansicht zuzustimmen, die den Tatbestand teleologisch reduziert.53 Bei Identität von Hilfsbedürftigem und Täter liegt die Behinderung oder die Tätlichkeit außerhalb des Schutzbereichs der Norm. § 115 Abs. 3 greift nicht. Der Hilfeleistende wird in diesem Fall durch eine mögliche Bestrafung des Hilfebedürftigen aus den §§ 223 ff., 240 hinreichend geschützt.54

V. Subjektiver Tatbestand 1. Vorsatz bei Absatz 1 Der Vorsatz des Täters muss das Bewusstsein umfassen, dass die gegen ihn tätig werdende 23 Person die persönliche Qualifikation des § 115 besitzt, d. h. in Ausübung hoheitlicher Gewalt eine Vollstreckungshandlung vornimmt. Bei fehlendem Vorsatz kommen nur die anderen, evtl. daneben erfüllten Tatbestände (§§ 240, 223 ff.) in Betracht (vgl. § 113 Rdn. 64).

2. Vorsatz bei Absatz 2 In subjektiver Hinsicht muss der Täter hier die spezifischen Funktionen der Hilfsperson erkannt 24 haben. Er muss also wissen, dass die fragliche Person von dem Amtsträger zu der Vollstreckungshandlung zugezogen wurde. Hat er das nicht erkannt, so mangelt es am Vorsatz. Hält er ein Eingreifen des Zugezogenen für rechtswidrig, so liegt ein Verbotsirrtum gem. § 17 vor.55

48 49 50 51 52 53 54 55 749

Fischer Rdn. 9. Fischer Rdn. 10; Lacker/Kühl/Heger Rdn. 4. Fischer Rdn. 10. Bosch MK § 114 Rdn. 12; Dallmeyer BeckOK Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4. Fischer Rdn. 11. Heger/Jahn JR 2015 508, 511; Erb KriPoz 2018 48, 50. Heger/Jahn JR 2015 508, 511. AA Bosch MK § 114 Rdn. 14. Rosenau

§ 115 StGB

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten Gleichstehenden

3. Vorsatz bei Absatz 3 25 Der Vorsatz muss die Gefahren- und Schadenslage wie die Zugehörigkeit der helfenden Person zu den genannten Rettungsdiensten umfassen.56 Es genügt mangels anderweitiger gesetzlicher Konkretisierungen dolus eventualis.57 Das ist deswegen nicht unproblematisch, weil bereits das Zuparken von Feuerwehrzufahrten einen Vorsatz begründen könnte.58 Hier wird man an das kognitive Vorsatzelement entsprechend hohe Anforderungen stellen müssen und verlangen, dass dem Täter die konkrete Möglichkeit vor Augen stand, einen Einsatz zu behindern. Andernfalls käme es zu abwegigen Ergebnissen, weil klares Ordnungswidrigkeitsunrecht in strafbares Verhalten umgemünzt würde.

VI. Rechtsfolgen 26 Liegen die Voraussetzungen des § 115 vor, ist auf die Grundsätze zurückzugreifen, wie sie zu den §§ 113, 114 entwickelt worden sind. Zwar haben die Absätze 1 und 2 insoweit nicht den gleichen Wortlaut. In Absatz 2 ist die entsprechende Anwendung des § 113 vorgesehen, während in Absatz 1 gesagt wird, dass die Diensthandlung eines Amtsträgers im Sinne des § 113 der Vollstreckungshandlung bestimmter Personen gleichstehe. Das führt jedoch zu keinem unterschiedlichen Ergebnis. Auf die Erläuterung zu § 113, insbesondere auch zu Absatz 2 bis 4, wird Bezug genommen. Sofern der Täter über die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung als solcher irrt, greift die Irrtumsregelung des § 113 Abs. 4 ein (s. § 113 Rdn. 67 ff.). Zur irrigen Annahme der Rechtmäßigkeit einer unrechtmäßigen Vollstreckungshandlung s. § 113 Rdn. 66. § 115 kann im Einzelfall zu einem auf den ersten Blick überraschend anmutenden Ergebnis 27 führen. So wird der Eigentümer, der einen Dieb auf Bitten eines Polizeibeamten hin festnimmt, über § 115 Abs. 2 lediglich von § 113 geschützt. Hätte er dagegen selbständig die Verteidigungsrechte des § 32 oder § 127 Abs. 1 StPO in Anspruch genommen, wäre § 240 anzuwenden.59 Leistet der Täter in diesem Fall nicht mit Gewalt oder Drohung damit Widerstand, sondern durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, so bleibt er sogar straflos und ist nicht nach § 240 zu belangen.60 Das ist mit der staatlichen Vollstreckungssituation zu erklären, in die sich der Eigentümer einbeziehen lässt, weswegen dem Täter die Privilegien des § 113 zukommen (vgl. Rdn. 5). § 115 Abs. 3 verweist in der Tatalternative der Behinderung von Rettungsdiensten auf den 28 Regelstrafrahmen des § 113 Abs. 1 sowie gfls. auf dessen Strafschärfungen des Absatzes 2. Für tätliche Angriffe bestimmt sich die Strafe aus dem erhöhten Regelstrafrahmen des § 114 Abs. 1.61 Auch hier kommen die strafschärfenden Regelbeispiele des § 113 Abs. 2 über den Verweis in § 114 Abs. 2 zur Anwendung.

VII. Konkurrenzen 29 Die Konkurrenzfrage stellt sich für § 115 Abs. 3. Z. T. wird aus dem systematischen Zusammenhang zu § 113 angenommen, dass auch hier eine spezielle Regelung existiert, die die Anwen-

56 57 58 59 60

Fischer Rdn. 12. Bosch MK § 114 Rdn. 13; Paeffgen NK § 114 Rdn. 11d. Vgl. Paeffgen NK § 114 Rdn. 11d; Zopfs GA 2012 259, 274, Fn. 122. Sch/Schröder/Eser Rdn. 19. Ausführlich dazu § 113 Rdn. 92 ff.; Paeffgen NK § 114 Rdn. 11; Sch/Schröder/Eser Rdn. 19; aA v. Bubnoff LK11 Rdn. 11. 61 Sch/Schröder/Eser Rdn. 24. Rosenau

750

VII. Konkurrenzen

StGB § 115

dung des § 240 wie bei § 113 nach ganz h. M. sperrt.62 Andere plädieren für Tateinheit, weil sonst ein ziviler Helfer dann nicht mehr vom Strafrecht geschützt werde, wenn sich dieser lediglich mit einer Androhung mit einem empfindlichen Übel konfrontiert sieht.63 Hier fehlt es an der durch § 115 Abs. 3 geforderten Gewalt oder Androhung mit Gewalt. Da § 115 Abs. 3 aber als ein gegenüber den Widerstandsdelikten eigenständiger Tatbestand zu qualifizieren ist (Rdn. 2), vermag der Hinweis auf den behaupteten systematischen Zusammenhang nicht zu überzeugen. Dieser fehlt gerade. Zudem hat der Gesetzgeber Feuerwehrleute und Rettungskräfte „unabhängig von bereits vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten“ schützen wollen (BTDrucks. 17/4141, S. 6). Das spricht dafür, zwischen § 240 und § 115 Abs. 3 i. V. m. §§ 113 oder 114 Tateinheit (§ 52) anzunehmen.64 Untereinander stehen § 115 Abs. 3 Satz 1 und § 115 Abs. 3 Satz 2 in Gesetzeskonkurrenz. Da der tätliche Angriff typischerweise zugleich eine Behinderung darstellt, konsumiert er (Absatz 3 Satz 2) die Alternative der Behinderung (Absatz 3 Satz 1).65

62 Fahl ZStW 124 (2012) 311, 323; SSW/Fahl Rdn. 9; Paeffgen NK § 114 Rdn. 13; Singelnstein/Puschke NJW 2011 3473, 3475.

63 Heger/Jahn JR 2015 508, 514; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4. 64 Bosch MK § 114 Rdn. 12; Zopfs GA 2012 259, 274. 65 SSW/Fahl Rdn. 9. 751

Rosenau

§§ 116–119 weggefallen

Rosenau https://doi.org/10.1515/9783110490008-080

752

§ 120 Gefangenenbefreiung (1) Wer einen Gefangenen befreit, ihn zum Entweichen verleitet oder dabei fördert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ist der Täter als Amtsträger oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter gehalten, das Entweichen des Gefangenen zu verhindern, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) Einem Gefangenen im Sinne der Absätze 1 und 2 steht gleich, wer sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird.

Schrifttum Barton Widerstand gegen die Staatsgewalt, HdbStrafR (2019) § 20; Feller Die strafrechtliche Verantwortung des Entscheidungsträgers für die Gewährung von Vollzugslockerungen nach dem Strafvollzugsgesetz und im Maßregelvollzug, Diss. Bochum 1991; Gropp Deliktstypen mit Sonderbeteiligung (1992); Grünebaum Zur Strafbarkeit des Therapeuten im Maßregelvollzug bei fehlgeschlagenen Lockerungen (1996); Helm Das Delikt der Gefangenenbefreiung (2010); Herrlein/Werner Täterschaft und Teilnahme bei der Anstiftung zur Selbstbefreiung, § 120 I StGB, JA 1994 561; Herzberg Täterschaft, Mittäterschaft und Akzessorietät der Teilnahme, ZStW 99 (1987) 49; Hess Beiträge zur Lehre von der Gefangenenbefreiung (1904); Holthausen Zum Tatbestand des Förderns in den neuen Strafvorschriften des Kriegswaffenkontrollgesetzes, NJW 1991 203; Jung u. a. Einführung in das neue Strafrecht (1974); Krey Der Fall „Peter Lorenz“ – Probleme des rechtfertigenden Notstands bei der Auslösung von Geiseln, ZRP 1975 97; Kusch Die Strafbarkeit von Vollzugsbediensteten bei fehlgeschlagenen Lockerungen, NStZ 1985 385; Lange Die notwendige Teilnahme (1940); Laubenthal Der Schutz des Strafvollzugs durch das Strafrecht, Festschrift Otto (2007) 659; H. Mayer Teilnahme und Gefangenenmeuterei, JZ 1956 434; M.E. Mayer Die Befreiung von Gefangenen (1906); Nagel Gefangenenbefreiung durch Richter? NStZ 2001 233; Ostendorf Strafbare Angriffe auf einzelne Staatsgewalten sowie auf den Bestand staatlicher Maßnahmen, JZ 1994 555; ders. Das Verbot einer strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Ahndung der Gefangenenselbstbefreiung, NStZ 2007 313; Rössner Die strafrechtliche Beurteilung der Vollzugslockerungen, JZ 1984 1065; Peglau Strafvollstreckungsvereitelung durch Mitwirkung beim Erschleichen von Freigang, NJW 2003 3256; Rudolphi Täterschaft und Teilnahme bei der Strafvereitelung, Festschrift Kleinknecht (1985) 379; Schaffstein Die strafrechtliche Verantwortlichkeit Vollzugsbediensteter für den Missbrauch von Vollzugslockerungen, Festschrift Lackner (1987) 795; Schatz Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang beim fahrlässigen Erfolgsdelikt und die Relevanz hypothetischer Kausalverläufe – Zum Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens bei fehlgeschlagener Lockerungsgewährung, NStZ 2003 585; Schneider Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips, Diss. Berlin 1992; Siegert Die Gefangenenbefreiung, JZ 1973 308 ff.; Sommer Verselbständigte Beihilfehandlungen und Straflosigkeit des Gehilfen, JR 1981 490; Sturm Änderungen des Bes. Teils des StGB durch das EGStGB, JZ 1975 6 ff.; Vogler Rechtshilfe durch Vollstreckung ausländischer Strafurteile, Festschrift Jescheck (1985) 1379; Wagner Rechtsprechung zu den Straftaten im Amt seit 1975, JZ 1987 705; Wienhausen Die Straflosigkeit der Gefangenenselbstbefreiung (2012); Wolter Notwendige Teilnahme und straflose Beteiligung, JuS 1982 343.

Entstehungsgeschichte Das bis zum Inkrafttreten des EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469) geltende Recht unterschied außerhalb des Grundtatbestandes der Gefangenenbefreiung (§ 120 a. F.) danach, ob der Täter mit der Beaufsichtigung oder Begleitung des Gefangenen beauftragt war (§ 121 Abs. 1 a. F.) oder ob ihm darüber hinaus als Beamten die Beaufsichtigung, Begleitung oder Bewachung anvertraut war (§ 347 Abs. 1 a. F.). Durch besondere Vorschriften stellte es die in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten den Gefangenen gleich (§§ 122a, 347 Abs. 2 a. F.) und bedrohte das Befreien und die Erleichterung des Entweichens von Personen mit Strafe, die auf behördliche Anordnung in einer Anstalt untergebracht waren (§ 122b a. F.). Diese komplizierte Regelung, die in ihrem systematischen Aufbau nach dem tauglichen Täter differenzierte, führte zu Abgrenzungsschwierigkeiten, Friktionen und Inkonsequenzen. Der Gesetzgeber hat die Materie deshalb in Anlehnung an § 425 E 1962 (vgl. Begr. S. 610) in Art. 19 Nr. 45 EGStGB neu gestaltet. Die bisherigen Bestimmungen der §§ 120, 121, 122a, 122b und 347 a. F. StGB sind in einer einzigen Strafvorschrift (§ 120 n. F. StGB) zusammengefasst worden. Die Fahrlässigkeitstatbestände des Entweichenlassens von Gefangenen (§§ 121 Abs. 2, 347 Abs. 2 a. F.) wurden – als mit den Bestrebungen eines modernen Strafvollzugs unvereinbar – bereits durch das 1. StrRG vom 25.6.1969 (BGBl. I S. 645) Art. 1 Nr. 39, 96 (Ber. BTDrucks. V/4094 S. 28) aufgehoben.

753 https://doi.org/10.1515/9783110490008-081

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§ 120 StGB

Gefangenenbefreiung

Zur historischen Entwicklung der Vorschrift in der früheren Fassung vgl. Hess Beiträge zur Lehre von der Gefangenenbefreiung (1904); Hofmann Die Gefangenenbefreiung in ihren historischen Grundlagen sowie in rechtsvergleichender und dogmatischer Darstellung (1903); v. Liszt/Schmidt (25. Aufl.) § 173 II; zu ihrer näheren Entstehungsgeschichte Hofmann S. 32 ff. und M. E. Mayer Die Befreiung von Gefangenen (1906) 1 ff., 35 ff. § 120 Abs. 1, der angesichts der Straflosigkeit der Selbstbefreiung mit seiner Pönalisierung bloßer Förderungshandlungen die infolge des Akzessorietätsgrundsatzes gegebenen Strafbarkeitslücken überwindet, hat eine gesetzgeberische Vorbildfunktion bei der Schaffung des Tatbestands des Förderns in den neuen Strafvorschriften des Kriegswaffenkontrollgesetzes (§§ 19, 20 KWKG) erlangt, die der – nach den Erfahrungen des Golfkonfliktes notwendigen – strafrechtlichen Erfassung der Hilfeleistung deutscher Staatsangehörigen zum Aufbau einer ABC-Waffenproduktion im Ausland dienen (Begr. BTDrucks. 11/4609 S. 10).1 Auch Reformvorschläge zur Neugestaltung des § 258 zwecks strafrechtlicher Erfassung der Beteiligung eines Dritten an der Selbstbegünstigung des Vortäters orientieren sich an § 120 als gesetzgeberischem Muster für ein verselbständigtes Teilnahmedelikt.2 Im Ergebnis hat der Gesetzgeber diese Parallele auch für die als selbständigen Tatbestand umschriebene Förderung des Suizids in Anspruch (§ 217) genommen.3 Dabei wird verkannt, dass die Vorbildfunktion des § 120 hier nicht trägt. Die Straffreiheit der Selbstbefreiung gründet sich auf kriminalpolitischen Überlegungen, obgleich ein tragfähiges Rechtsgut (Rdn. 8) existiert. An einem solchen mangelt es gerade bei § 217.4

Gesetzesmaterialien EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 219 f.; Schriftl. Bericht BTDrucks. 7/1261 S. 11; Prot. 7/209 ff.; vgl. ferner E 1962 Begr. zu § 425 S. 610 ff.; Niederschriften XIII S. 85, 594, 599, 623, 628; Reg. Bulletin Nr. 151/74 S. 1530 v. 13.12.1974.

Übersicht I. 1. 2.

3. 4. II. 1.

2.

3.

Grundlagen 1 1 Systematische Einordnung 2 Regelungsgehalt – Übersicht 2 a) Grundtatbestand 5 b) Qualifikation 6 c) Verwahrte (Absatz 4) 7 d) Versuchsregelung 8 Rechtsgut Praktische Bedeutung 9 Objektiver Tatbestand 10 10 Begriff des Gefangenen (Absatz 1) 11 a) Begriff 14 b) Abgrenzung zu Privatgefangenen 15 c) Beispiele d) Auslieferung und Vollstreckungs16 hilfe 17 Begriff des Verwahrten (Absatz 4) 17 a) Allgemeines 18 b) Verwahrung 19 c) Abgrenzung zu § 121 Abs. 4 20 d) Beispiele 21 e) Nicht erfasste Fälle 22 Wirksamkeit der Freiheitsentziehung

4.

5.

III. 1. 2. 3. 4.

Beginn und Ende des Gewahrsamsverhältnis23 ses 23 a) Beginn 24 b) Ende 25 c) Vollzugslockerungen 32 d) Freiheitsbewusstsein 33 Tathandlungen 34 a) Befreien 35 aa) Mittel 39 bb) Vollzugslockerung 40 b) Verleiten 41 c) Fördern des Entweichens 41 aa) Allgemeines 44 bb) Teilnahme cc) Mittelbare Förderungshandlun46 gen Gefangenenbefreiung im Amt (Absatz 2) 47 Allgemeines 48 Pflichtenstellung 49 Einzelheiten 50 Aufhebung eines Haftbefehls

47

1 Vgl. Holthausen NJW 1991 203. 2 Vgl. BGH JR 1984 337; Rudolphi FS Kleinknecht 379, 391 f., 394 u. JR 1984 339. 3 Wobei diese Norm, wovor die deutsche Strafrechtswissenschaft beizeiten gewarnt hatte (vgl. Rosenau LK12 Rdn. 91 m. w. N.), inzwischen vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt worden ist; 2 BvR 2347/15 u. a. v. 26.2.2020.

4 Rosenau LK12 Vor § 211 Rdn. 87. Rosenau

754

StGB § 120

I. Grundlagen

IV.

Subjektiver Tatbestand

V.

Unterlassen

VI.

Rechtfertigungsgründe

VII. 1. 2. 3.

Täterschaft und Teilnahme 56 Täter Teilnahme des Gefangenen Teilnahme Dritter 61

51

4.

52 55 56 58

Teilnahme von Garanten

62

VIII. Vollendung – Versuch – Rücktritt 63 1. Tatvollendung 63 65 2. Versuch a) Reichweite der Versuchsstrafbarkeit 65 66 b) Versuchsbeginn bei 2. und 3. Var 69 c) Versuchsbeginn bei § 120 Abs. 2 3. Rücktritt 70 IX.

Konkurrenzen

71

I. Grundlagen 1. Systematische Einordnung Der Gesetzgeber hat die Strafvorschrift unter den Sechsten Abschnitt „Widerstand gegen die 1 Staatsgewalt“ eingereiht. Diese systematische Einordnung ist zweifelhaft.5 Einerseits dienen die Tatbestände der Gefangenenbefreiung (§§ 120, 121) überwiegend der Durchsetzung der Strafgefangenschaft und damit der Sicherung der Strafvollstreckung, also zu Zwecken des Strafrechts selbst. Andererseits dienen sie durch die Einbeziehung des staatlichen Gewahrsams an Gefangenen schlechthin (Untersuchungsgefangene, vorläufig Festgenommene, Ordnungs- und Zwangsmitteln Unterworfene) einem weitergehenden Schutz und sind so als Straftaten gegen die staatliche Tätigkeit zu charakterisieren.6

2. Regelungsgehalt – Übersicht a) Grundtatbestand. Absatz 1 enthält den Grundtatbestand der Gefangenenbefreiung. Be- 2 straft wird nur die Befreiung anderer, die Selbstbefreiung ist – parallel wie die Selbstbegünstigung nach §§ 257, 258 – aus kriminalpolitischen Gründen nicht tatbestandsmäßig. Damit wird auf die besondere personale Situation des Gefangenen Rücksicht genommen.7 Dieser befindet sich in einer besonderen Motivationslage, welche ihn aufgrund des natürlichen, menschlichen Freiheitsdranges zur Flucht verleitet (BTDrucks IV/650 S. 610). Das kommt einer notstandsähnlichen Lage gleich, auf die der Gesetzgeber Rücksicht genommen hat.8 Mit der Begehungsform des Verleitens zum Entweichen wird auch die Anstiftung zur 3 Selbstbefreiung tatbestandlich erfasst. Darin liegt eine Erweiterung, die die sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Anstiftungs- und Beihilfehandlungen zur Selbstbefreiung im früheren Recht beseitigt hat. Daneben treten die selbständig vertypten Begehungsformen des Befreiens und Förderns. Letztere entspricht sachlich der Beihilfe (vgl. BTDrucks. 7/550 220). Die Begehungsmodalitäten des Verleitens und Förderns sind zu selbständigen Tatbeständen erhobene Teilnahmehandlungen an der nicht mit Strafe bedrohten Selbstbefreiung (vgl. EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220),9 weil eine akzessorische Teilnahme an der Selbstbefreiung 5 Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 1. 6 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 92 Rdn. 12; Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht (1985) S. 9. 7 BGHSt 4 396, 400; 17 374; RGSt 3 140, 141; Herzberg JuS 1975 794; Köhler JuS 1984 766 f.; Schünemann LK vor § 26 Rdn. 30 ff.; Welzel Strafrecht, S. 123; Wolter JuS 1982 343, 346. 8 Gropp Deliktstypen, S. 241 ff.; Helm S. 242; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 6; Welzel Strafrecht, S. 123; Wolter JuS 1982 343, 346; krit. Wienhausen S. 100. 9 AA Zielinski AK Rdn. 8. 755

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§ 120 StGB

Gefangenenbefreiung

mangels strafbarer Haupttat ausscheidet. Die Begehungsarten des Verleitens und Förderns sind der Sache nach Fälle strafbarer Teilnahme an strafloser Haupttat. Ihre tatbestandliche Verselbständigung bedingt, dass für sie aus Teilnahmeregeln, wie sie etwa in §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 30 für die akzessorischen Teilnahmeformen Ausdruck finden, keine Folgerungen hergeleitet werden können. An beiden Alternativen dagegen ist strafbare Teilnahme nach den allgemeinen Regeln möglich.10 4 Das Gesetz stellt die drei Begehungsmodalitäten des Abs. 1 im Strafrahmen und damit in der Unrechtsbewertung einander gleich. Diese Gleichstellung erscheint wegen der Schwierigkeit einer exakten Grenzziehung zwischen den einzelnen Begehungsformen, den Merkmalen Befreien und Fördern des Entweichens einerseits, dem Verleiten und der psychischen Beihilfe andererseits, folgerichtig.11 Die hiergegen gerichteten Bedenken vermögen nicht zu überzeugen; der Hinweis auf § 27 Abs. 2 Satz 2 greift nicht.12 Die allgemeinen Teilnahmegrundsätze stecken für die beiden tatbestandlich verselbständigten Teilnahmehandlungen keinen sachlich verbindlichen Rahmen im Sinne einer gebotenen Strafmaßdifferenzierung ab. Sie gebieten auch nicht die Ausklammerung des versuchten Verleitens aus der Versuchsstrafbarkeit. Einzuräumen ist, dass sich gewisse Spannungen hinsichtlich der Strafbarkeit des erfolglos versuchten Anstiftens, des Beginns des Versuchsstadiums und des Fehlens der Strafmilderung bei der Beihilfe ergeben.13

5 b) Qualifikation. Absatz 2 enthält einen benannten Strafschärfungsgrund, der hinsichtlich des Qualifikationsgrundes an die Stelle des unechten Amtsdelikts des § 347 Abs. 1 a. F. getreten ist. Die Qualifikationsvorschrift erfasst die Amtsträger und die für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten (§ 11 Abs. 1 Nr. 2, 4), die das Entweichen des Gefangenen zu verhindern gehalten sind. Die Tathandlung ist allerdings dem Abs. 1 zu entnehmen. Die Qualifikationstat nach Abs. 2 ist nun ein Vergehen (§ 12 Abs. 2). Sie ist als unechtes Amtsdelikt ausgestaltet;14 die Teilnahme Außenstehender ist somit möglich; deren Strafbarkeit richtet sich – unter Beachtung von § 28 Abs. 2 – nach § 120 Abs. 1 (s. Rdn. 61).

6 c) Verwahrte (Absatz 4). Da Absatz 1 an dem engen Gefangenenbegriff festgehalten hat, werden die Verwahrten in Absatz 4 dem Gefangenen gleichgestellt. Diese Gleichstellung verdeutlicht, dass der Gesetzgeber das schutzwürdige Interesse an der Aufrechterhaltung des Gewahrsams bei behördlich Verwahrten nicht generell geringer bewertet wissen will als bei Strafgefangenen. Auch die Strafschärfung des § 120 Abs. 2 ist insoweit anwendbar. Insgesamt wird der Durchlässigkeit des Maßregelvollzugs, insbesondere der Überweisungsmöglichkeit von Strafhaft in die sozialtherapeutische Anstalt nach § 9 StVollzG und dem Prinzip des Vikariierens der Maßregeln untereinander Rechnung getragen, die eine differenzierende Betrachtung als nicht sachgerecht erscheinen lassen (vgl. Prot. 7/210).

7 d) Versuchsregelung. In Absatz 3 wird die Strafbarkeit des Versuchs für alle Begehungsformen der Gefangenenbefreiung vorgesehen. Zum Versuch des Verleitens und Förderns sowie zum Beginn des Versuchs bei den tatbestandlich verselbständigten Teilnahmeformen s. Rdn. 65 ff.

10 Zur Frage des Verhältnisses von verselbständigter Beihilfehandlung und Teilnahmebestrafung nach § 27 Sommer JR 1981 490, 494 f. Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 2. So aber Siegert JZ 1973 309. Vgl. Blei JA 1973 168; Jung S. 117; Lackner/Kühl Rdn. 8; Sch/Schröder/Eser Rdn. 9, 23. Barton AnwK Rdn. 10; Bosch MK Rdn. 3; Geppert Jura 1981 43.

11 12 13 14

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I. Grundlagen

StGB § 120

3. Rechtsgut § 120 beschreibt einen Tatbestand der Auflehnung gegen die Staatsgewalt, nämlich den Haft- 8 oder Verwahrungsbruch durch Fremdbefreiung des Gefangenen (Abs. 1) oder behördlich Verwahrten (Abs. 4) sowie durch Anstiftung oder Beihilfe zu dessen Selbstbefreiung. Der Angriff richtet sich gegen ein Hoheitsrecht des Staates. Die Bezeichnung des geschützten Rechtsguts als Haftrecht des Staates15 oder als Recht der Staatsgewalt zur Freiheitsentziehung16 ist einerseits missverständlich; denn dieser Begriff umfasst auch die Inhaftnahme. § 120 verteidigt jedoch nicht das Recht zur Inhaft- oder Inverwahrungnahme, sondern zum Inhafthalten; nicht den Vorgang der Freiheitsentziehung, sondern den Zustand der von Rechts wegen entzogenen Freiheit. Andererseits ist als Zielrichtung auch die staatliche Vollzugstätigkeit mit in das Rechtsgutsverständnis einzubeziehen, damit der Tatbestand nicht zu einem Delikt des schlichten Ungehorsams gegenüber staatlicher Tätigkeit degeneriert.17 Angriffsgegenstand des Vergehens ist somit die behördlich begründete und formell legitimierte Verwahrungsgewalt des Staates über solche Personen.18 Andere sehen, ohne dass dies praktische Auswirkungen hätte, nur das öffentlich begründete Gewahrverhältnis19 oder die staatliche Hoheits- und Verwahrungsgewalt20 geschützt. Die Rechtspflege als solche, die in hiesigem Zusammenhang durch § 258 umfasst wird, liegt außerhalb des Schutzzwecks.21

4. Praktische Bedeutung Die praktische Bedeutung der Vorschrift des § 120 wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird 9 der Tatbestand angesichts der vorrangigen Relevanz des Strafvollzugsbereichs und der großen Zahl von – im Falle deren Fehlschlags nicht nach § 120 erfassbaren – Vollzugslockerungen als entbehrlich bezeichnet.22 Die Strafverfolgungsstatistik verzeichnet über die letzten fünf Jahre hinsichtlich der Zahl der Verurteilten folgende Zahlen: 2014 53; 2015 38; 2016 46; 2017 30; 2018 30.23 Diese Fallzahlen sprechen für eine untergeordnete Relevanz.24 Sie lagen in den siebziger und achtziger Jahren mit deutlich über 100 Verurteilten höher, was möglicherweise mit der weniger ausgefeilten Sicherheitstechnik in den Anstalten zu erklären sein könnte.25

15 16 17 18

BGH NJW 1954 1693 f. BGHSt 9 262, 263; Helm S. 45. Bosch MK Rdn. 1; Ostendorf NK Rdn. 3; Zielinski AK Rdn. 4. Vgl. BGHSt 37 388, 390: der „formell ordnungsgemäß angeordnete staatliche Gewahrsam in Form einer Unterbringung“; vgl. Horn/Wolters SK Rdn. 2; Zielinski StV 1992 227, 228. 19 Vgl. RGSt 7 245: die verwirklichte Gefangenschaft; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 1; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 § 7 Rdn. 708; Lackner/Kühl Rdn. 1. 20 Vgl. BGHSt 9 262, 263: der „obrigkeitliche Gewahrsam“ an der Person, ihre „Verstrickung“ im Sinne eines besonderen öffentlichen Gewaltverhältnisses; RGSt 39 7, 8: das ausgeübte Haftrecht. 21 Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 § 7 Rdn. 708; Lackner/Kühl Rdn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 7; Peglau NJW 2003 3256 f.; Kusch NStZ 1985 385; Zielinski StV 1992 226, 227; and. S. 52; Koch HK-GS Rdn. 1. 22 Kusch NStZ 1985 393; s. a. Wagner JZ 1987 709. 23 Statistisches Bundesamt Deutschland, Fachserie 10 Reihe 3, abrufbar unter https://www.destatis.de, zuletzt abgerufen am 2.2.2020. 24 Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 150; vHH/Dallmeyer Rdn. 2. Dieser Befund steht in auffallendem Kontrast zu einer gewissen Beliebtheit im Rahmen publizierter juristischer Falllösungen, vgl. Bischoff/Jungkamp JuS 2008 908; Britz/ Müller-Dietz JuS 1998 237; Hardtung JuS 1998 719; Laubenthal JuS 1989 827; Miehe JuS 1996 1000; Neubacher JuS 2005 1101; Weber Jura 1984 367; Tenckhoff/Arloth JuS 1985 129; Zimmermann JuS 2011 629. 25 Nagel NStZ 2001 233; Ostendorf NK Rdn. 4. 757

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§ 120 StGB

Gefangenenbefreiung

II. Objektiver Tatbestand 1. Begriff des Gefangenen (Absatz 1) 10 Der Tatbestand des § 120 wendet sich gegen die widerrechtliche faktische Aufhebung bzw. den Bruch staatlichen Zwangsgewahrsams von Gefangenen (Abs. 1) und von sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt Verwahrten (Abs. 4). Die Abgrenzung von Gefangenen und Verwahrten in vorstehendem Sinne, die für die Vorschrift des § 120 als solche wegen der Gleichstellung an sich keine große praktische Bedeutung hätte, ist in Zusammenhang mit der Meutereivorschrift des § 121 zu sehen, die den Täterkreis – mit einer gewissen Erweiterung – auf Gefangene beschränkt wissen will. Es ist daher erforderlich, als übereinstimmenden Ausgangspunkt beider Vorschriften den Gefangenenbegriff einheitlich einzugrenzen. Gem. Art. 7 Abs. 2 Nr. 6 des 4. StRÄndG vom 11.6.1957 – geändert durch das 8. StRÄndG vom 25.6.1968, durch Art. 4 Nr. 1a, cc des 3. StrRG vom 20.5.1970 und zuletzt durch Art. 147 EGStGB – gilt § 120 auch für die widerrechtliche Befreiung von Gefangenen und Untergebrachten der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten NATO-Truppen, ein Fall der gesetzlichen Ausdehnung des Strafschutzes über die inländische staatliche Tätigkeit hinaus auf den von in der Bundesrepublik stationierten Truppen ausgeübten Personengewahrsam (Vor § 110 Rdn. 3 ff.).26

11 a) Begriff. Eine allumfassende Definition des Gefangenenbegriffs dürfte nicht möglich sein. Sie ist in systematischer Abgrenzung zu den in § 120 Abs. 4 gleichgestellten Verwahrten zu bestimmen. Daher passen die an der früheren Rechtsprechung des RG orientierten, mehr oder minder abgewandelten Begriffsbestimmungen27 für die heutige Fassung nicht mehr. Die im Schrifttum in Anlehnung an spätere Entscheidungen vertretene Definition,28 die auf das staatliche Ingewahrsamhalten in Ausübung von Polizei- oder Strafgewalt abhebt,29 geht zu weit, weil sie die Sicherungsverwahrten und Untergebrachten mit einschließt. Gefangenenstatus hat eine Person, der wegen einer Verfehlung in einem auf deren Ahn12 dung im weitesten Sinne angelegten hoheitlichen Verfahren durch gerichtlichen oder polizeilichen Akt der Unterstellung unter die Gewalt einer zuständigen Behörde die Freiheit entzogen worden ist.30 Auch diese Kennzeichnung des Gefangenenbegriffs ist allerdings unvollständig. Insoweit handelt es sich nur um den maßgeblichen Kernbereich der zu erfassenden Fälle. Dem Gefangenenbegriff sind darüber hinaus z. B. Kriegsgefangene und Internierte zuzurechnen. Eine auf die unmittelbare Ahndung strafbaren Unrechts begrenzte Zielsetzung beim Gefangenengewahrsam ist entsprechend zu eng und weder begrifflich noch mit der ratio der Norm begründbar.31 Dagegen unterfallen dem Gefangenenbegriff unter Berücksichtigung des Maßnahmezwecks und -charakters nicht die nach §§ 63 ff. in einer Anstalt Untergebrachten und die nach anderen Bestimmungen (Rdn. 18; z. B. UBG BW) aus Gründen der öffentlichen Sicherheit behördlich Verwahrten, die deshalb von Absatz 1 ausdrücklich abgeschichtet, von Absatz 4 gesondert erfasst und den Gefangenen lediglich gleichgestellt werden (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 220). Dies ergibt sich auch aus der Fassung des § 121. § 121 geht von dem engen Gefangenenbegriff des § 120 Abs. 1 aus, erweitert diesen aber durch ausdrückliche (§ 121 Abs. 4) Einbeziehung der Sicherungsverwahrten, womit für § 121 eine Täterschaft von sonstigen Untergebrachten (§§ 63, 64) ausgeschlossen ist.32 Auch daraus folgt für § 120, der eine solche Erweiterungsklausel nicht 26 27 28 29 30 31 32

BGBl. I 1957 S. 597; 1968 S. 741; 1970 S. 505; 1974 S. 576. RGSt 12 162, 163; 37 366, 368; 39 189, 191; 44 171. Vgl. RGSt 48 226, 227; 73 347. Vgl. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; auch BayObLG VRS 66 275, 276. Barton AnwK Rdn. 4; Bosch MK Rdn. 8; Fischer Rdn. 2. So aber Helm S. 86. Vgl. EEGStGB S. 221; Ber. BTDrucks. 7/1261 S. 11; Prot. 7/211; vgl. § 121 Rdn. 8.

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 120

enthält, dass alle Fälle der Unterbringung im Maßregelvollzug (§ 61 Nr. 1–3) einschließlich der Sicherungsverwahrung (nicht schlüssig insoweit E 1962 S. 611) und sonstige behördliche Verwahrungsfälle in den Anwendungsbereich der Gleichstellungsklausel des § 120 Abs. 4 fallen, derart untergebrachte Personen nach den Intentionen des Gesetzes also nicht den Gefangenen im Sinne des Abs. 1 zuzuordnen sind. Als rechtliche Grundlage für die in Absatz 1 vorausgesetzte Freiheitsentziehung kommt jede 13 auf einer entsprechenden Eingriffsnorm beruhende innerstaatliche behördliche Anordnung in Betracht, die auf die Begründung staatlichen Gewahrsams ausgerichtet ist und es rechtfertigt, den Status des Inhaftierten in dem (zuvor) abgegrenzten Rahmen als Gefangenen zu kennzeichnen.

b) Abgrenzung zu Privatgefangenen. Die Vorschrift erfasst nur den Bruch öffentlichen Ge- 14 wahrsams, den sich die Staatsmacht über eine Person durch eine legitime Freiheitsentziehung verschafft hat. Private Gewaltverhältnisse des einzelnen Menschen über einen anderen bleiben außer Betracht; die Befreiung aus irgendwelchem, sonstwie entstandenem Zustand der Unfreiheit – so etwa Freiheitsentziehungen kraft elterlicher Gewalt wie Ausgehverbot, Stubenarrest – ist tatbestandlich irrelevant.33

c) Beispiele. Zu den Gefangenen im Sinne des § 120 Abs. 1 sind demnach zu rechnen: Strafge- 15 fangene (RGSt 37 366, 368) jeder Art, mag es sich um allgemeine Kriminalstrafen oder Jugendstrafen (§§ 17 ff. JGG), um Ordnungs- oder Disziplinarstrafen (§§ 51, 70 Abs. 1, § 81c Abs. 6, § 95 Abs. 2 StPO, § 178 GVG, §§ 380, 390, 890 ZPO), um Zwangs- (Beuge-)Strafen oder um Erzwingungshaft handeln;34 Arrestanten im Wehrstraf- und -disziplinararrest;35 im Zuchtmittel des Jugendarrests;36 im Sicherheitsarrest der §§ 918, 936 ZPO; in der Ordnungshaft des § 177 GVG,37 ferner des § 106 KO a. F.; jedoch nicht im Schularrest;38 Untersuchungsgefangene von der Ergreifung auf Grund des Haftbefehls (§ 115 StPO) an,39 auch dann, wenn sie unter Aufrechterhaltung der Haft in eine Krankenanstalt verlegt oder zur Beobachtung nach § 81 StPO eingewiesen werden;40 nicht jedoch, wenn die Haft unterbrochen oder aufgehoben wird;41 zur Vollstreckung nach § 457 StPO Verhaftete;42 vorläufig Festgenommene (§ 127 StPO; BTDrucks. 7/550 S. 220), wenn die Festnahme von der Behörde, bei Soldaten gemäß § 17 WDO43 oder bei Zivilisten nach § 6 UZwGBw, bewirkt ist oder sonst zu ihrem Gewahrsam führt;44 nicht jedoch bei Festnahme durch „jedermann“, solange sich der Festgenommene in dessen Gewahrsam befindet;45 zwangsweise Vorgeführte,46 solange damit eine Verwahrung verbunden ist. An dieser

33 Vgl. OLG Hamm JMBlNRW 1962 220. 34 § 70 Abs. 2 StPO; §§ 888, 889, 890 ZPO; BVerfGE 20 323 – §§ 901, 909 ZPO; BGHSt 4 308, 309 – §§ 96, 48 Abs. 2 OWiG – § 334 AO. 35 § 9 WStG; §§ 22, 49 WDO; BVerfGE 22 311, 317; Fischer Rdn. 2. 36 § 13 Abs. 2 Nr. 3, § 16 JGG; BGHSt 18 209; Brunner JGG § 16 Rdn. 1; BGH 5 StR 920/52 v. 26.11.1952. 37 Dazu BGHSt 4 308, 309. 38 RGSt 39 7; BayObLGSt 19 178 unter Aufgabe früherer gegenteiliger Rspr. 39 RGRspr. 4 356; 7 273; BGHSt 9 62; 12 306. 40 BGH GA 1965 204, 205; Bosch MK Rdn. 11; aM Fischer Rdn. 3, der sie den Untergebrachten zurechnen will, was u. U. einen regelmäßigen Statuswechsel zur Folge hätte. 41 RG GA Bd. 50 104: RGSt 19 330, 331; OLG Celle MDR 1968 782; Lackner/Kühl Rdn. 3. 42 RGSt 8 313; §§ 908, 909 ZPO; RG GA Bd. 37 433. 43 Vgl. Schölz/Lingens WStG § 48 Rdn. 8. 44 BGHSt 20 305, 307; RGSt 12 426, 427. 45 RGSt 13 254, 255; 67 298, 299; Fischer Rdn. 2. 46 §§ 51, 134, 230, 329, 387 StPO; §§ 380 Abs. 2, 619 Abs. 3, 654 ZPO; § 21 Abs. 3 InsO; RGSt 12 162, 63; BGHSt 9 62; aA BVerwG JR 1958 153, 154, jedoch durch BVerfGE 22 21, 26 überholt; Wolters SK Rdn. 4. 759

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Gefangenenbefreiung

fehlt es, wenn eine Person zur Blutentnahme nach § 81a StPO verbracht wird;47 Kriegsgefangene,48 weil und solange sie sich in der Gewalt der „bewaffneten Macht“ befinden, also nicht bei vollständiger Freilassung auf Ehrenwort oder gegen Versprechen (Rdn. 24). Kriegsgefangene sind auch gefangengesetzte Deserteure;49 internierte Zivilpersonen.50

16 d) Auslieferung und Vollstreckungshilfe. Die Auslieferungshaft in ihren verschiedenen Ausgestaltungen (§§ 15, 16, 34, 45 IRG)51 und die Vollstreckungshilfehaft als strafvollzugsförmige Haft mit Rechtshilfecharakter52 stellen sich als von § 120 geschützte Formen innerstaatlichen Gewahrsams dar. Ob der insoweit Inhaftierte dem Gefangenen oder lediglich dem umfassenderen Begriff des behördlich Verwahrten (Abs. 4) zugeordnet werden kann, ist für die Tatbestandserheblichkeit nach § 120 letztlich bedeutungslos, entscheidet aber über die tatbestandliche Erfassung nach § 121. Vogler verneint die Gefangeneneigenschaft unter Hinweis auf den Rechtshilfecharakter und die fehlende Ausübung deutscher Strafgewalt.53 Für eine solche Einengung dürfte jedoch kein zwingender Grund bestehen. Gegenstand des Strafschutzes ist in beiden Vorschriften ausschließlich die aufgrund eines innerstaatlichen Hoheitsaktes behördlich begründete Verwahrungsgewalt des Staates (Rdn. 8; § 121 Rdn. 4), die im Falle des Befreiens bzw. des gewaltsamen Ausbruchs aus der Auslieferungs- bzw. Vollstreckungshilfehaft verletzt wird. Die Auslieferungshaft wird auf der Grundlage des Haftbefehls eines deutschen Gerichts nach den Regeln der Untersuchungshaft vollzogen. Die strafvollzugsförmige Vollstreckungshilfehaft hat zur Rechtsgrundlage die Exequatur-Entscheidung eines deutschen Gerichts,54 die an das ausländische Straferkenntnis anknüpft, es gleichsam umfasst und – unter Umwandlung der ausländischen Sanktion in eine solche des deutschen Rechts – mit Vollstreckungswirkung im Inland ausstattet, m. a. W. eine von einem deutschen Gericht verantwortete freiheitsentziehende Entscheidung i. S. d. Art. 104 Abs. 2 GG, der gemäß dem formellen Prüfungsprinzip eine Überprüfung des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts auf dessen Tatbestandserheblichkeit auch im Sinne einer deutschen Sanktionsnorm zugrunde liegt. Das gilt auch für die Auslieferungshaft auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls (§§ 78 ff. IRG). Sie richtet sich nach den deutschen Vollstreckungs- und Vollzugsvorschriften. Ein innerstaatlicher Strafbezug ist keine notwendige Voraussetzung des Gefangenenbegriffs.

2. Begriff des Verwahrten (Absatz 4) 17 a) Allgemeines. Über § 120 Abs. 1 hinausgehend betrifft Absatz 4 die Befreiung von Personen, die nicht Gefangene im Sinne des Abs. 1 sind, vielmehr sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt werden. Dieser weitergehende Personenkreis wird den Gefangenen gleichgestellt, die widerrechtliche Aufhebung des Gewahrsams bei solchen behördlich Verwahrten – wie die Geltung derselben Strafdrohung zeigt – in gleicher Weise rechtlich missbilligt. Von dem Merkmal der behördlichen Anordnung wird auch die richterliche Anordnung umfasst. Das folgt aus der Klarstellung in § 11 Abs. 1 Nr. 7.

47 BayObLG NJW 1984 1192; Fischer Rdn. 2; Wolters SK Rdn. 4. 48 Begriff: III. Genfer Abk., Art. 4, 5, BGBl. 1954 II S. 838; RGSt 37 368; 55 228; RMG 20 52; Pfenninger DRiZ 1950 389.

49 50 51 52

RMG 21 85. IV. Genfer Abk., Art. 78, BGBl. 1954 II S. 917; RMG 19 228 f., i. üb. überholt; Sch/Schröder/Eser Rdn. 3. Vgl. v. Bubnoff Auslieferung (1989) S. 36 f., 42 f. §§ 48 ff. IRG, Art. 2 Abs. 2, 9 ff. TransfÜbk; Art. 1 RatifikationsG vom 26.9.1991, BGBl. II S. 1006; Art. 68, 69 DurchführungsÜbk zum Schengener Übk., BAnz. 1990 Nr. 217a S. 15. 53 Vogler FS Jescheck 1379, 1397. 54 S. Erkl. der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 3 Abs. 3 TransfÜbk. BGBl. 1992 II S. 99. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 120

b) Verwahrung. Die Verwahrung tritt an die Stelle des Merkmals der Gefangenschaft in Ab- 18 satz 1. Sie setzt begrifflich einen Zwangsgewahrsam voraus, der dem Verwahrten nach objektiver Betrachtung die körperliche Bewegungsfreiheit entzieht. Bleibt diese grundsätzlich erhalten, wird sie nur eingeengt, wie z. B. durch Ausgangsbeschränkungen einer Hausordnung in einer Einrichtung über Tag und Nacht,55 fehlt es an einer Verwahrung im Sinne des Absatzes 4. Diese Vorschrift ist auch nicht einschlägig bei einer Maßnahme des Vormundschaftsrichters nach § 1666 Abs. 1 BGB, außer wenn diese auf Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt lautet,56 deren mögliche Herbeiführung von dem am 1.1.1991 in Kraft getretenen neuen Jugendhilferecht (vgl. KJHG BGBl. 1990 I 1163) unberührt bleibt.57 Die behördliche Verwahrung besteht ebenso wie die Gefangenschaft nicht nur in der Anstalt selbst, sondern in gleicher Weise unter der Aufsicht, Bewachung oder Begleitung der kraft Amtes oder auf Grund einer Aufsichtspflicht dazu berufenen Personen innerhalb wie außerhalb des Anstaltsbereichs.

c) Abgrenzung zu § 121 Abs. 4. Zu beachten ist die gesetzliche Differenzierung zwischen 19 den Merkmalen „verwahrt wird“ (§ 120 Abs. 4) und „untergebracht ist“ (§ 121 Abs. 4). In § 120 Abs. 4 hat der Gesetzgeber – entgegen einer abweichenden Anregung des Bundesrates – bewusst an dem Merkmal „verwahrt“ festgehalten. Mit der Verwendung dieses Merkmals wird der Gefahr einer zu engen Auslegung und damit Einschränkung des gesetzlichen Anwendungsbereichs begegnet, die der Unterbringungsbegriff im spezifischen Sinne des neuen Maßregelsystems auslösen könnte (vgl. Ber. BTDrucks. 7/1261 S. 11; Prot. 7/210). Bezüglich des Begriffs der Unterbringung im Sinne der §§ 61 ff. ist festzuhalten, dass sich der rechtliche Status des Verurteilten im Falle einer Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel (§ 67a StGB) nach der ursprünglich angeordneten Maßregel richtet, die eigentliche Vollzugsgrundlage bleibt.58 Der rechtliche Unterbringungsstatus wird durch die Verlegung in eine andere Anstaltsart nicht berührt. An diesen Grundsatz knüpft auch die Fassung des § 121 Abs. 4 an, dessen Täterkreis Personen, deren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet ist und die anschließend in ein psychiatrisches Krankenhaus oder den Vollzug einer Entziehungsanstalt überwiesen werden (§ 67a Abs. 2), an sich weiterhin unterfallen. Das in § 120 Abs. 4 zugrundegelegte Merkmal der behördlich angeordneten Verwahrung erfasst dagegen als umfassender Oberbegriff zwanglos einerseits Fälle wie die Unterbringung nach § 30 Abs. 2 IfSG (vgl. § 37 Abs. 2 des aufgehobenen BSeuchG), andererseits die Fälle der Unterbringung sowie des Vollzugs einer Maßregel in einem (anderen) Anstaltstypus (§§ 61, 67a Abs. 1, 2). Ist derjenige, der in den Vollzug einer anderen Maßregel überwiesen wird, auch nicht im spezifischen Sinne des Maßregelsystems in der betreffenden Anstalt untergebracht, so wird er doch in ihr „verwahrt“ (vgl. Prot. 7/209). Der gemäß § 9 StVollzG in einer sozialtherapeutischen Anstalt befindliche Verurteilte unterfällt bereits dem Gefangenenbegriff des Abs. 1, weil die Unterbringung in diesem Anstaltstypus nur im Rahmen des Vollzugs einer Freiheitsstrafe möglich ist (vgl. § 121 Rdn. 11).

d) Beispiele. Zu den auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrten Personen (Ab- 20 satz 4) gehören im einzelnen: Sicherungsverwahrte, ferner die nach §§ 63, 64 in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt endgültig oder nach § 126a StPO dort einstweilig Maßregel-Untergebrachten; Beschuldigte, die außerhalb der Untersuchungshaft59 55 § 34 Abs. 1 SGB VIII; vgl. Münder/Meysen/Trenczek/Struck/Trenczek SGB VIII § 34 Rn. 15 f.; BGH NJW 1963 1412 vgl. aber Rdn. 20. Vgl. OLG Hamm JMBlNRW 1964 174 zu § 122b a. F. Vgl. Oberloskamp ZfJ 1990 263; Rüfner NJW 1991 2. Vgl. v. Bubnoff JR 1976 424. Ohne diese Einschränkung Fischer Rdn. 3.

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gemäß § 81 StPO, Jugendliche und Heranwachsende, die gemäß §§ 73, 109 JGG sich zur Beobachtung in einer Anstalt befinden; Jugendliche, die in einem Erziehungsheim einstweilen untergebracht sind, weil sie eine Jugendstrafe zu gewärtigen haben (§ 71 Abs. 2 JGG); auch Jugendliche, die in einer geschlossenen Einrichtung über Tag und Nacht (§ 34 SGB VIII) untergebracht sind, sofern dies als Erziehungsmaßregel nach §§ 9 Nr. 2, 12 Nr. 2 JGG angeordnet wurde.60 Fehlt das Zwangselement der jugendstrafrechtlichen Anordnung, und erfolgt die Unterbringung als Erziehungshilfe nach § 27 SGB VIII, unterfallen die Jugendlichen nicht dem Verwahrtenbegriff;61 ferner die in einem abgeschlossenen Krankenhaus(-teil) nach § 30 IfSG Untergebrachten; Ausländer in Abschiebungshaft (§ 62 AufenthG);62 nach landesrechtlichen Unterbringungsgesetzen Anstaltsverwahrte,63 z. B. nach dem UBG BW (GBl. 1991 794) oder dem PsychKG NRW,64 auch dann, wenn diese Unterbringung in einem psychiatrischen Landeskrankenhaus in Unterbrechung der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe65 erfolgt (insoweit kein fortbestehender Gefangenenstatus nach Abs. 1); insbesondere die von einer öffentlichrechtlichen Unterbringung aufgrund gerichtlicher Anordnung im Interesse Dritter bzw. der Allgemeinheit betroffenen Personen,66 dagegen nicht die durch einen Betreuer (§ 1896 BGB) gemäß § 1906 Abs. 1 BGB Untergebrachten, ungeachtet der insoweit vorausgesetzten vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung (§ 1906 Abs. 2 BGB; Art. 104 Abs. 2 GG), die keine Anordnungsfunktion, sondern – wie auch die Dispositionsbefugnis des Betreuers über die Beendigung der Unterbringung ohne gerichtliche Genehmigung beleuchtet – ausschließlich Kontrollfunktion zum Schutz des Betreuten hat.67 Bei dieser freiheitsentziehenden Form der zivilrechtlichen Unterbringung, die nicht im Interesse der Allgemeinheit oder Dritter (Gefährdung) angeordnet werden kann und von der öffentlich-rechtlichen Unterbringung bewusst abgeschichtet wird (Entw. BTDrucks. 11/4528 S. 54), handelt es sich um kein von einem spezifischen behördlichen Gewahrsamsinteresse getragenes, strafrechtlich geschütztes Verwahrungsverhältnis i. S. d. § 120.

21 e) Nicht erfasste Fälle. Weder unter Absatz 1 noch unter Absatz 4 des § 120 fallen der nach § 127 Abs. 1 StPO von einer Privatperson Festgenommene,68 der Karzer- und Schularrestant.69 Bei zwangsweiser Verbringung zum Arzt zwecks Entnahme einer Blutprobe nach § 81a StPO fehlt es im Hinblick auf die kurzfristige Freiheitsentziehung als Maßnahme des unmittelbaren Zwangs unter dem Gesichtspunkt der von vornherein zweckbedingt beschränkten Dauer an einem schützenswerten öffentlichen Gewahrsam.70

3. Wirksamkeit der Freiheitsentziehung 22 Es ist für § 120 unerheblich, ob die Freiheitsentziehung sachlich-rechtlich gerechtfertigt ist.71 Es kommt lediglich auf das formell ordnungsgemäße Zustandekommen des Gewahrsams an.72 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Vgl. Eisenberg JGG § 12 Rdn. 19 ff.; auch Brunner JGG § 12 Rdn. 2 f., 9. Bosch MK Rdn. 10. SSW/Fahl Rdn. 3; Sch/Schröder/Eser Rdn. 4. Vgl. BayObLGZ 1963 177, 178. BGHSt 37 388 f. Vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1991 302. Zur Abgrenzung Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein Betreuungsrecht Rdn. 489, 505, 537, 572, 581. E BtG BTDrucks. 11/4528 S. 148; vgl. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. Vgl. RGSt 67 293. Vgl. RGSt 39 7. BayObLG MDR 1984 511 m. Anm. Händel BA 1984 451; vgl. auch Rdn. 15. BGH GA 1965 204, 206 zu § 120 a. F.; SSW/Fahl Rdn. 4; vHH/Dallmeyer Rdn. 4; Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 1. Vgl. KG JR 1980 513 m. Anm. Ostendorf JR 1981 292; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 3; Maurach/Schroeder/ Maiwald II § 72 Rdn. 5; Weber Jura 1984 380; Wolters SK Rdn. 4; Zielinski StV 1992 227, 229. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

StGB § 120

Daher befindet sich auch der unschuldig Verurteilte von Rechts wegen in Strafhaft oder Maßregelvollzug. Ebenso ist der grundlos Verhaftete, selbst wenn sich die Festnahme als tatbestandliche Freiheitsberaubung (§ 239) eines Amtsträgers darstellt, von Gesetzes wegen in staatlichem Gewahrsam. Andererseits ist bei Ausbrechern der Zustand der Gefangenschaft oder Verwahrung nicht schon dann wiederhergestellt, wenn diese auf Grund eines Suchbildes oder Steckbriefes von einer Privatperson aufgegriffen und versehentlich einer unzuständigen Stelle – z. B. Ablieferung eines Strafgefangenen in einer psychiatrischen Klinik statt im Gefängnis oder bei der Polizei – übergeben werden. Maßgebend ist also, dass der Gewahrsam rechtsförmlich und mithin rechtswirksam begründet, d. h. im letzteren Falle wiederhergestellt ist. Nach RGSt 39 191 soll nicht einmal die „äußere“ Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme nötig sein. Bei dem dort beurteilten Sachverhalt ist aber damit wohl nur ausgedrückt, dass der gesetzlichen Form schon dann Genüge getan ist, wenn der Beamte zu der Maßnahme allgemein kraft Amtes befugt ist, ohne dass auch seine örtliche oder sachliche Zuständigkeit in dem Einzelfall festgestellt werden müsste. Auch der Rechtmäßigkeitsbegriff i. S. d. § 113 Abs. 3 kommt hier nicht zum Tragen.73 Bei rechtswirksam begründetem Gewahrsam ist eine rechtfertigende Nothilfe grundsätzlich ausgeschlossen (Rdn. 55). Im – praktisch kaum denkbaren – Falle eines grob fehlerhaft-nichtigen Festnahmeakts würde es hingegen mangels eines geschützten staatlichen Gewahrsams an einer tatbestandserheblichen Befreiungshandlung fehlen.74

4. Beginn und Ende des Gewahrsamsverhältnisses a) Beginn. Die Gefangenschaft bzw. Verwahrung beginnt mit der vorschriftsmäßigen Be- 23 gründung des öffentlichen Gewahrsams75 – z. B. mit der polizeilichen Festnahme zwecks Einlieferung aufgrund eines Haft- oder Vollstreckungshaftbefehls – und dauert an, solange dieser tatsächlich besteht.76 Daher genügt nicht die Zuführung eines vorläufig Festgenommenen an die Polizeibehörde, wenn diese dessen Übernahme ablehnt (§§ 127a, 128 StPO),77 ebensowenig die bloße Ankündigung der Verhaftung.78 Natürlich reicht auch die Anordnung der Haft oder einstweiligen Unterbringung (§ 114, § 126a StPO; § 901 ZPO) nicht aus; der Beschuldigte bzw. Schuldner muss tatsächlich ergriffen werden.79 Das geschieht ohne Förmlichkeit. Die Vereitelung der Inverwahrnahme bzw. Unterbringung bei angeordneter Anstaltsverwahrung vor ihrem Beginn fällt nicht unter § 120 Abs. 4. Das Bestehen des öffentlichen Gewahrsams ist indes nicht von der räumlichen Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt abhängig. Ein tatbestandserhebliches Befreien ist somit auch unmittelbar nach der polizeilichen Festnahme möglich, durch die ein wirksamer staatlicher Gewahrsam begründet worden ist.80 Bei Zwangsverbringung in eine Anstalt oder in ein psychiatrisches Krankenhaus zur Beobachtung aufgrund eines gerichtlichen Einweisungsbeschlusses nach § 81 StPO und eines durch die Polizei zu vollstreckenden Vorführungsbefehls dazu81 wird die Befreiung aus dem (Polizei-)Gewahrsam während des Abtransportes von § 120 Abs. 1 erfasst. Eine Unterbrechung des staatlichen Gewahrsams tritt auch nicht etwa während der durch angeordneten Ortswechsel notwendigen Überführungsfahrten 73 KG JR 1980 513; Sch/Schröder/Eser Rdn. 1; vgl. insoweit auch Genfer Abk. über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12.8.1949, Art. 3 Nr. 1 Abs. 2b; desgleichen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12.8.1949, Art. 3 Nr. 1 Abs. 2b; Art. 34; BGBl. 1954 II. 781, 838, 917. 74 Vgl. KG JR 1980 513, 514. 75 RG GA Bd. 37 433. 76 RGSt 13 254, 256. 77 RGSt 67 299. 78 RG GA Bd. 37 433; RMG 8 223. 79 § 115 StPO; § 909 ZPO; M. E. Mayer S. 22. 80 Vgl. KG JR 1980 513. 81 OLG Hamm NJW 1966 685; Krause LR27 § 81 Rdn. 35 ff. 763

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§ 120 StGB

Gefangenenbefreiung

ein, z. B. bei Verlegung in eine andere Vollzugsanstalt, bei Überführung in ein (Vollzugs-)Krankenhaus infolge Erkrankung oder zur Beobachtung nach §§ 81, 81a StPO, bei Verbringung des in Auslieferungshaft befindlichen Verfolgten zum Flugplatz zwecks Durchführung der Auslieferung. Es handelt sich hierbei um Fälle des „mobilen“ Gewahrsams (s. a. Rdn. 27). Zu den Fällen der Vollzugslockerung s. Rdn. 25 ff.

24 b) Ende. Die Gefangenschaft bzw. Verwahrung endet mit dem tatsächlichen Gewahrsam, d. h. mit der faktischen Aufhebung des Gewahrsams,82 regelmäßig durch Entlassung aus der Haft, dem Maßregelvollzug oder sonstiger Anstaltsunterbringung in weitestem Sinne, z. B. nach Strafverbüßung oder Strafunterbrechung wegen Vollzugsunfähigkeit (§§ 45, 46 StVollstrO), bei bedingter Entlassung aus dem Straf- oder Maßregelvollzug, durch Entlassung nach Ablauf der zulässigen Unterbringungshöchstdauer (§ 67d), bei Aufhebung des Haftbefehls (§ 120 StPO) oder Unterbringungsbefehls (§ 126a Abs. 3 StPO), nach erreichtem Haftziel oder Ablauf der zulässigen Hafthöchstdauer (§§ 902, 913 ZPO). Die Kriegsgefangenschaft endet durch Heimschaffung und bei vorheriger gänzlicher Freilassung,83 auch auf Ehrenwort oder gegen Versprechen (III. Genf. Abk. Art. 21, 118). Wird der Kriegsgefangene nur teilweise freigelassen, erhält er z. B. gegen Ehrenwort die Erlaubnis, sich innerhalb eines bestimmten Ortes frei zu bewegen, so dauert seine Gefangenschaft an; denn er wird an diesem Ort effektiv festgehalten.84 Selbstverständlich endet jede Gefangenschaft bzw. Verwahrung durch eine gelungene Flucht oder bei sonstigem Gewahrsamsverlust,85 etwa infolge nachlässiger Aufsichtsführung, so dass der Gefangene oder behördlich Verwahrte sich beliebig entfernen kann.86 Bei Anstaltsgewahrsam endet die Gefangenschaft erst, wenn der flüchtige Gefangene die Anstaltsmauern hinter sich gelassen hat. In der Haftanstalt ist er niemals frei.87 Dagegen genügt es, dass er sich der Gewalt des Aufsehers oder Begleiters nur vorübergehend entzieht.88 Das Gewahrsamsverhältnis besteht selbst dann nicht mehr, wenn er sofort verfolgt und alsbald wieder gefasst wird. Entsprechend tritt, erfolgt eine solche Entziehung aufgrund einer Gefangenenbefreiung, der tatbestandliche Erfolg ein. Für diesen ist die kurze oder längere Dauer erlangter Freiheit ebenso ohne Bedeutung89 wie eine freiwillige Rückkehr in die Gefangenschaft.90 Bei Verlegung und – erforderlichenfalls überwachter – Unterbringung von Straf- oder Untersuchungsgefangenen in einem Krankenhaus außerhalb des Vollzugs infolge Krankheit besteht die Gefangenschaft fort; nicht jedoch, wenn die Strafvollstreckung zwecks klinischer Behandlung unterbrochen worden ist (§ 65 StVollzG).91

25 c) Vollzugslockerungen. Die Vollzugsregelungen nach dem StVollzG unterscheiden im geschlossenen Vollzug (§§ 10 Abs. 2, 141 Abs. 2 StVollzG) den Vollzug innerhalb und – als Lockerungen i. w. S. – außerhalb der Justizvollzugsanstalt.92 Außerhalb der Justizvollzugsanstalt sieht § 11 StVollzG die Lockerungen unter Aufsicht (Außenbeschäftigung, Ausführung) und ohne Aufsicht (Freigang, Ausgang) vor. Im offenen Vollzug (§§ 10 Abs. 1, 141 Abs. 2 StVollzG) kann es

82 83 84 85 86 87 88 89 90 91

Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 666. RGSt 55 227, 228. Vgl. dazu Frank § 120 Anm. II. RGSt 37 366; RMG 21 269, 270; III. Genf. Abk. Art. 91; Helm S. 72. BGH 1 StR 680/59 v. 19.1.1960; RGSt 57 75. Binding Lehrbuch II 2 § 234 V A; M. E. Mayer S. 23; zweifelnd RMG 20 271, 273. RMG 9 24; Wolters SK Rdn. 6 f. RGSt 26 54; 36 402, 403. M. E. Mayer S. 24. Vgl. OLG Celle MDR 1968 782; Calliess/Müller-Dietz StVollzG § 65 Rdn. 3, 4; Meyer-Goßner/Schmitt StPO § 461 Rdn. 1. 92 Vgl. Calliess/Müller-Dietz StVollzG § 11 Rdn. 2; Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal StVollzG § 11 Rdn. 1. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

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insgesamt an einer Beaufsichtigung fehlen.93 In der Frage, bei welchen Vollzugsgestaltungen der Inhaftierte noch Gefangener i. S. v. § 120 Abs. 1 ist, besteht Übereinstimmung lediglich dahin, dass im geschlossenen Vollzug innerhalb der Anstalt der Gefangenenstatus immer begründet ist (Rdn. 24). Für die übrigen Bereiche des Strafvollzugs hat sich eine differenzierte Meinungsvielfalt entwickelt: bejaht wird der Gefangenenstatus i. S. v. § 120 Abs. 1 nach der engsten Abgrenzung nur, wenn bei Außenbeschäftigung und Ausführung nach § 11 StVollzG eine besonders qualifizierte Aufsicht praktiziert wird,94 nach der auch hier vertretenen, schutzgut- und gewahrsamsbegrifflich orientierten Auslegung bei jeder Aufsicht nach § 11 StVollzG,95 nach der weitestgehenden Auffassung jedoch auch bei Vollzugslockerungen ohne Aufsicht nach § 11 StVollzG (Freigang und Ausgang), bei Urlaub nach §§ 13, 35 Abs. 1 StVollzG und sogar bei offenem Vollzug.96 Entscheidendes Beurteilungskriterium für den strafrechtlichen Begriff des Gefangenen 26 ist bei allen nach Abs. 1 in Betracht kommenden Formen staatlicher Freiheitsentziehung einschließlich des Strafvollzugsbereichs das Vorliegen eines tatsächlichen behördlichen Gewahrsams über den Inhaftierten. An diesem Merkmal, das hier weder strengeren noch geringeren Anforderungen unterliegt, sind die einzelnen Vollzugsgestaltungen zu messen. Über den geschlossenen Vollzug in der Anstalt hinaus (Rdn. 24) bleibt außerhalb der Anstalt 27 der maßgebliche staatliche Gewahrsam und damit die Gefangenschaft aufrechterhalten, wenn eine – situationsbezogen zu beurteilende – Aufsicht i. S. v. § 11 StVollzG angeordnet und ausgeübt wird (Außenbeschäftigung, Ausführung). Eine besonders qualifizierte Form der Aufsicht, etwa im Sinne einer konkreten physischen Verhinderbarkeit des Entweichens97 ist nicht erforderlich.98 Das Merkmal tatsächlichen amtlichen Gewahrsams zur Abgrenzung des strafrechtlichen Gefangenenbegriffs ist auch dann noch erfüllt, wenn das faktische staatliche Herrschaftsverhältnis über den Inhaftierten in einer gelockerten Form ausgeübt wird. Insoweit ist ein begriffsvergleichender Blick auf den ebenfalls bestimmte Lockerungen mitumfassenden Gewahrsamsbegriff nach § 242 nicht versagt.99 Der behördliche Gewahrsam besteht selbst dann fort, wenn z. B. ein körperlich stärkerer (ruhiger) Gefangener durch einen körperlich schwächeren Vollzugsbeamten ausgeführt wird.100 Insofern ist der Gewahrsam sozial-normativ zu bestimmen. Ein Abstellen rein auf die physische Verhinderbarkeit als Beurteilungsmaßstab würde im übrigen einen im Einzelfall häufig nicht durchführbaren Kräftevergleich zwischen Gefangenem und Bewacher erforderlich machen und hätte erhebliche praktische Abgrenzungsschwierigkeiten zur Folge; eine qualifizierte Form der Aufsicht müsste zudem für Dritte erkennbar sein (Problem der Vorsatzfeststellung). Tatbestands- und angriffsrelevanter Bezugspunkt sind andererseits nur die – die Gefangenen- bzw. Verwahrteneigenschaft nach Absatz 1 und 4 noch nicht tangierenden – Gewahrsamslockerungen bei Vollzug unter Aufsicht i. S. v. § 11 StVollzG, nicht dagegen der weitergehende Bereich der Vollzugslockerungen ohne fortbestehenden Gewahrsam (Gewahrsamsaufhebung). Von einem zwar gelockerten, aber fortbestehenden Gewahrsam ist noch auszugehen, wenn der mit der Bewachung von Gefangenen während der Außenarbeit betraute Aufseher sich für kurze Zeit von der Arbeitsstelle dergestalt entfernt, dass er auf die 93 Calliess/Müller-Dietz StVollzG § 10 Rdn. 2. 94 Kusch NStZ 1985 386 f.; Sch/Schröder/Eser Rdn. 6. 95 SSW/Fahl Rdn. 5; Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 3; Wolters SK Rdn. 6; Joecks/Jäger Rdn. 9 f.; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 II Rdn. 6; Peglau NJW 2003 3257; Rengier BT 2 § 54 Rdn. 6; Zielinski AK Rdn. 17. 96 Barton HdbStrafR § 20 Rdn. 152; Bosch MK Rdn. 14; Grünenbaum S. 138; Ostendorf NK Rdn. 6; ders. NStZ 2007 313; Otto BT § 92 Rdn. 3; Rössner JZ 1984 1067 f.; Schaffstein FS Lackner 795; Laubenthal JuS 1989 827, 830; ders. FS Otto 664; Neubacher JuS 2005 1101, 1105; Fischer Rdn. 4; auch Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3, der allerdings insoweit ein tatbestandserhebliches Befreien nach Abs. 1 verneint, Rdn. 7 a. E.; offengelassen von BGHSt 37 388, 392. 97 Koch HK-GS Rdn. 5; Kusch NStZ 1985 386 f.; Sch/Schröder/Eser Rdn. 6. 98 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 6. 99 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 6; s. aber Zielinski StV 1992 227, 229. 100 AA Kusch NStZ 1985 386. 765

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Gefangenenbefreiung

Bewegungen der Gefangenen nicht einwirken und sie auch vorübergehend nicht wahrnehmen kann, der Gefangene sich aber nach tatsächlicher Gestaltung noch in der Gewalt des Aufsehers befindet;101 ferner, wenn der Gefangene einem besonders verpflichteten Privatunternehmer zur Beschäftigung zugewiesen ist, welcher sich nur in Abständen von der Anwesenheit des Gefangenen überzeugt;102 auch bei nur eingeschränkt kontrolliertem Aufenthalt auf dem Anstaltsgelände einer psychiatrischen Krankenanstalt.103 Die Gefangenschaft (Abs. 1) endet mit dem Wegfall der Aufsicht (Rdn. 24).104 Der maßgebliche staatliche Gewahrsam besteht nicht mehr, wenn keine Aufsicht ausgeübt 28 wird, d. h. bei Freigang, Ausgang (§ 11 StVollzG), Urlaub (§§ 13, 35 Abs. 1 StVollzG) und i. d. R. bei offenem Vollzug. Das für den strafrechtlichen Begriff der Gefangenschaft nach Absatz 1 maßgebliche Abgrenzungskriterium der tatsächlichen behördlichen Verwahrungsgewalt gilt auch für diese Vollzugsgestaltungen. Dass im Sinne des Strafvollstreckungs- und Strafvollzugsrechts insoweit Strafhaft „vollstreckt“ wird, lässt das straftatbestandliche Abgrenzungskriterium unberührt und erfüllt den strafrechtlichen Gewahrsamsbegriff in den Fällen des Vollzugs ohne Aufsicht nicht. Eine rein vollzugsrechtliche Betrachtung des strafrechtlichen Gefangenenbegriffs105 wird dem Schutzgut und der Strafwürdigkeit des Täterverhaltens nach § 120 Abs. 1 nicht gerecht. Bei Vollzugsformen ohne Aufsicht kann von einem gelockerten staatlichen Gewahrsam, der 29 gebrochen werden könnte, nicht mehr gesprochen werden. Die Behauptung kriminalpolitisch wünschenswerter Straferstreckung106 auf zeitgemäße Formen des offenen Vollzugs kann die durch Art. 103 Abs. 2 GG gesperrte Wortlautgrenze nicht aufheben.107 Wer schon frei ist, kann nicht befreit werden. Die tatbestandlich vorausgesetzte Befreiung eines Gefangenen ist folglich nicht bei jenem möglich, der sich ohne jegliche Bindung zum staatlichen Vollzug bewegen kann.108 So kann auch nicht der geflohene Gefangene befreit werden, obgleich er noch nicht aus der Strafhaft entlassen ist. Das wird auch nicht von Bosch in Abrede gestellt,109 wäre aber die Konsequenz einer Ansicht, die die Gefangenschaft bis zur Entlassung aus dem Vollzug behauptet.110 Für den Bereich des Absatzes 4 streitet der Wortlaut ebenfalls gegen die weitestgehende Lehrmeinung. Ein Untergebrachter, der außerhalb der Anstalt unbegleitet beschäftigt ist, ist währenddessen schon begrifflich nicht „verwahrt“.111 30 Die Vorschrift des § 120 wendet sich ausschließlich gegen die widerrechtliche Aufhebung staatlichen Zwangsgewahrsams, der den Gefangenen körperliche Bewegungsfreiheit nimmt. Der Betroffene ist jedoch im offenen Vollzug und beim Freigang gerade nicht in vorstehendem Sinne entscheidend in seiner Freiheit beschränkt bzw. seiner Freiheit beraubt. Beim Freigang mangelt es generell ebenso wie beim erlaubten Ausgang ohne Aufsicht an dem tatsächlichen Gewahrsam, den die Vollzugsanstalt zwecks Erleichterung der sozialen Eingliederung des Betroffenen (§ 2 Abs. 1, § 3 StVollzG) bei dessen mutmaßlicher Eignung bewusst aufgibt. Damit entfällt der tatbestandsspezifische Angriffsgegenstand. § 120 ist deshalb nicht anwendbar. Daran vermag nicht zu ändern, dass die strafrechtliche Sanktionierung einer Einflussnahme Dritter auf den Freigänger im Sinne einer Vollzugsentziehung – § 258 dürfte allenfalls bei zusätzlichen weiteren Aktivitäten des Dritten in Betracht kommen – kriminalpolitisch wünschenswert erscheinen 101 RGSt 26 334 f.; 36 402, 403. 102 BGH 1 StR 680/59 v. 19.1.1960. 103 Vgl. BGHSt 37 388, 391 f. mit weitergehender Gesamtbetrachtung, aber hier übereinstimmendem Ergebnis, weil jedenfalls zum Zeitpunkt der Entlassung die Aufsicht bestand.

104 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 6 f., u. 11; Zielinski AK Rdn. 17; auch Wolters SK Rdn. 7. 105 Rössner JZ 1984 1065 ff.; Schaffstein FS Lackner 795; Schwind/Böhm/Jehle StVollzG § 11 Rdn. 14; Laubenthal JuS 1989 827, 830; Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3, 7; krit. Zielinski StV 1992 228. Bosch MK Rdn. 14; Rössner JZ 1984 1067. So auch Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 3. So auch Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; vgl. Feller S. 129. Bosch MK Rdn. 13. Bosch MK Rdn. 14 m. w. N. Dies wird in BGHSt 9 262 übergangen.

106 107 108 109 110 111

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II. Objektiver Tatbestand

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könnte. Dass die Zulässigkeit eines modernen offenen Vollzugs eine strafbewehrte Absicherung voraussetzt, kann indes nicht überzeugen. Die für die abweichende, rein vollzugsrechtliche Sicht des strafrechtlichen Gefangenenbe- 31 griffs angeführten Gründe sind nicht stichhaltig. Das Bemühen um eine einheitliche Bestimmung der Gefangenschaft nach dem StVollzG und § 120 Abs. 1 StGB führt zu einer vom Schutzzweck der Strafnorm nicht veranlassten Ausweitung des strafrechtlichen Gefangenenstatus, und zwar nur für die Fälle der Vollzugslockerung.112 Die dahingehende Auffassung begibt sich damit des einheitlichen, für alle Gestaltungen behördlicher Freiheitsentziehung nach Abs. 1 und 4 gleichermaßen geltenden Kriteriums. Im übrigen macht die aus der strafvollzugsrechtlichen Fassung begründete Ausweitung des strafrechtlichen Begriffs der Gefangenschaft eine bei dem Merkmal des Befreiens ansetzende, begrenzende Korrektur erforderlich, die im Ergebnis zu der hier vertretenen Auffassung mangelnder Tatbestandserheblichkeit führt.113 Die Befürchtung, ein strafrechtlich enger abgegrenzter Begriff der Gefangenschaft könnte bei der Gewährung von Vollzugslockerungen zu einer möglichen Strafbarkeit des Anstaltsleiters und damit zu einer Kriminalisierung von Vollzugsangelegenheiten führen,114 ist unbegründet. Eine durch den Anstaltsleiter rechtsförmlich einwandfrei angeordnete Vollzugslockerung im Rahmen einer einschlägigen Rechtsnorm des StVollzG erfüllt bereits nicht die tatbestandliche Handlungsform des Befreiens.115 Im übrigen hat das Bestreben, über einen strafvollzugsrechtlich gesehenen weiten Gefangenenbegriff die Anordnung von Vollzugslockerungen ohne Aufsicht aus dem tatbestandlichen Erfassungsbereich des § 120 auszugrenzen, weil der Gefangene dann nicht in den Status eines Befreiten überführt werde, Auswirkungen zu Lasten Außenstehender. Diese Dritten werden – über einen als rechtsgutorientiert strafwürdig anzuerkennenden Bereich hinaus – als potentielle Täter einer tatbestandserheblichen Befreiungs-, Verleitungs- oder Förderungshandlung nach Abs. 1 bei Freigang, Ausgang, Urlaub und offenem Vollzug erfasst; so etwa die Überredung zur Nichtrückkehr nach einem Urlaub als Verleitung zur Selbstbefreiung.116

d) Freiheitsbewusstsein. Die Beendigung der Gefangenschaft setzt nicht voraus, dass sich 32 der Gefangene seiner Freiheit bewusst wird. Maßgebend ist allein, dass er dem staatlichen Gewahrsam entzogen, z. B. für die Aufsichtsperson nicht mehr greifbar ist. Die Frage der Bewusstheit wird sich ohnehin nur in seltenen Fällen stellen, wenn etwa der bewusstlose Gefangene aus der Krankenstation befreit wird oder ein Untergebrachter aufgrund von Bewusstseinsstörungen seine Gefangenschaft nicht als solche wahrnimmt. Die bloße Möglichkeit der Befreiung, z. B. die offene Zellentür, hebt die Gefangenschaft oder Verwahrung noch nicht auf.

5. Tathandlungen Tathandlungen sind das Befreien des Gefangenen oder Verwahrten, das Verleiten zum sowie 33 das Fördern des Entweichens. Die erste Begehungsform ist ihrer Natur nach täterschaftlich.117 Die beiden letzteren Begehungsformen sind zu selbständigen Tatbeständen erhobene Teilnahmeformen an der straflosen Selbstbefreiung des Gefangenen. Sie erfassen nur die unmittelbare Teilnahme an der Selbstbefreiung.118 An diesen verselbständigten Teilnahmetatbeständen ist 112 113 114 115

Vgl. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3. Vgl. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7 a. E. Rössner JZ 1984 1066. Vgl. Rdn. 34; zur Rechtfertigung bei Annahme von Tatbestandserheblichkeit vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 6 u. 16. 116 Rössner JZ 1984 1068. 117 Vgl. Rudolphi FS Kleinknecht 379, 391 f. 118 S. Rdn. 46; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 11. 767

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wiederum Teilnahme nach den allgemeinen Regeln möglich.119 Die Anwendungsbereiche der einzelnen Merkmale gehen tatsächlich häufig ineinander über, die Grenzen sind fließend. Das gilt einmal hinsichtlich der schwierigen Abgrenzung zwischen Verleiten (Anstiftung) und Fördern durch psychische Beihilfe, zum anderen aber auch zwischen Befreien und Fördern. So wird das Nichtverschließen der Zelle, das es dem Gefangenen ermöglicht zu entweichen, als Fördern der Selbstbefreiung,120 das Öffnen der Anstaltstür, auf dass der Gefangene entweiche, als Befreiung121 gewertet. In beiden Fällen wird der Täter mitursächlich für das Freiwerden des Gefangenen; das Freiwerden erfordert jeweils aber auch die Mitwirkung des Gefangenen selbst, dessen Entweichen. Als mögliches inhaltliches Kriterium wird für Grenzfälle darauf abgestellt, von wem die Initiative zu dem Geschehen ausgeht.122 Da die Begehungsformen des Abs. 1 in ihrem Unwertgehalt gleichgestellt sind, ist die Unterscheidung in solchen Grenzfällen praktisch von nachgeordneter Bedeutung. Befreien und Fördern des Entweichens können auch durch pflichtwidriges Unterlassen von Garanten begangen werden (Rdn. 35).

34 a) Befreien. Befreien ist dem Begriff nach jede tatsächliche Aufhebung der Gefangenschaft oder Verwahrung, der Bruch staatlichen Gewahrsams trotz bestehenden Haftrechts. Sie ist nicht beschränkt auf den Haftbruch gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamshalters.123 Das wird insbesondere in Absatz 2 deutlich. Es ist also unerheblich, ob das Entweichen des Gefangenen gegen oder ohne Willen des Anstalts- oder Bewachungspersonals oder mit dessen Zutun erfolgt. Täter der Gefangenenbefreiung nach § 120 können Außenstehende, aufsichtsführende Amtsträger, also auch der Anstaltsleiter,124 oder auch mit der Begleitung oder Beaufsichtigung des Gefangenen betraute Privatpersonen sein. Für das Merkmal der Befreiung ist es daher ohne Belang, ob Gewahrsamshalter ein Amtsträger oder eine beauftragte Privatperson, etwa der Werkmeister, dem Gefangene zur Arbeit zugewiesen sind, oder der mit der Bewachung im Krankenhaus betraute Krankenpfleger ist.125 Eine Befreiung kann ohne Zutun des Gefangenen, sogar gegen seinen Willen (etwa durch gewaltsame Entführung) erfolgen. Sie kann in einem täterschaftlichen Alleinhandeln des Aufsichtsführenden liegen, der den Gefangenen ohne dessen oder eines Anderen Zutun in Freiheit setzt. Unerheblich ist, ob der – etwa infolge bewussten Unbewachtlassens seitens der Aufsichtsperson – freigewordene Gefangene von seiner Befreiung Kenntnis erlangt, flieht oder fliehen will.126 Entscheidend ist der tatsächliche Verlust staatlichen Gewahrsams.

35 aa) Mittel. Unerheblich ist, was für ein Mittel zur Befreiung angewandt wird, Zwang, Drohung, List, Täuschung127 bzw. irgendeine Art, den Willen des Gewahrsamshalters zu brechen oder zu umgehen. Ausreichend ist etwa das Weglocken einer Aufsichtsperson während der Außenbeschäftigung.128 In Frage kommen ferner Einwirkungen auf gegenständliche Sicherheitsvorkehrungen der Anstalt.129 Der Haftbruch kann auch in einem pflichtwidrigen Unterlassen gebotener Maßnahmen liegen. So entspricht das pflichtwidrige Nichteinschreiten eines Aufsichtspflichtigen in seinem Unrechtsgehalt einer aktiven Befreiungshandlung.

119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129

Vgl. Rdn. 61; Sommer JR 1981 490, 494 f. RGSt 15 345, 346. RGSt 3 140; 5 324, 325. Bei Täter-, d. h. Drittinitiative, Befreiung, andernfalls Fördern; vgl. Siegert JZ 1973 308 f. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Siegert JZ 1973 108. Fischer Rdn. 5. RGSt 19 330, 331 f. Rdn. 32; Ostendorf NK Rdn. 12. RGSt 34 8, 9 f. Vgl. RGSt 34 8, 9 f. Sch/Schröder/Eser Rdn. 8.

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II. Objektiver Tatbestand

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Die rechtsförmlich einwandfreie Haftentlassung ist schon tatbestandlich kein Befreien 36 i. S. d. § 120 (vgl. Rdn. 50). Gleiches gilt für rechtsförmliche, von den zuständigen Gerichten angeordnete Entlassungen aus der Anstaltsverwahrung nach Absatz 4, selbst wenn sie dem materiellen Recht widersprechen.130 Untaugliches Befreiungsmittel ist aber auch die willkürlich rechtswidrige Aufhebung des 37 Haftbefehls durch den Richter, selbst wenn sich die Entscheidung als Rechtsbeugung darstellt.131 Vor einer solchen Handlung wahrt hinreichend die spezielle Regelung des § 339. Hier kommt es nur darauf an, dass der Richter für die getroffene Entscheidung das sachlich zuständige Organ war, eine rechtsförmige, aber dem materiellen Recht nicht entsprechende Haftentlassung ist kein Befreien; der Gefangene wird nicht widerrechtlich befreit, sondern von Rechts wegen entlassen.132 Eine andere Sichtweise wäre inkonsistent. Denn wenn das Rechtsgut in der behördlich begründeten formal legitimierten Verwahrungsgewalt zu sehen ist (Rdn. 8) und es lediglich auf das formal ordnungsgemäße Zustandekommen des Gewahrsams ankommt (Rdn. 22), können umgekehrt bei der Auflösung dieses Verhältnisses nun nicht materiell-rechtliche Maßstäbe gelten.133 Mit seiner Entscheidung lehnt sich der Richter nicht gegen den bestehenden Gewahrsam der Staatsgewalt auf, sondern entzieht ihm – rechtsförmlich einwandfrei – die gesetzliche Grundlage. Das Haftrecht des Staates, das durch rechtsförmliche Gefangensetzung entstanden ist, wird durch die legitimierte Stelle förmlich aufgegeben. Eine solche Art missbräuchlicher Ausnutzung der Staatsgewalt ist nicht nach § 120, sondern ggf. nach § 339 – möglicherweise in Tateinheit mit § 258a zu beurteilen.134 Entsprechendes (§ 258a) hätte für eine etwaige willkürliche Anordnung des Staatsanwalts zu gelten, den Untersuchungshäftling gemäß § 120 Abs. 3 StPO freizulassen. Daher ist die zwar rechtswidrige, aber wirksame richterliche Aufhebung des Haftbefehls (§ 120 Abs. 1 Satz 2 StPO), etwa als Folge eines – auf einer nach § 35 entschuldigten Rechtsbeugung beruhenden – freisprechenden Urteils, keine Befreiung, so dass eine Tatbestandsverwirklichung nach § 120 Abs. 1 in mittelbarer Täterschaft durch den nötigenden Hintermann ausscheidet.135 Ein tatbestandserhebliches Befreien kann indes bei formell ordnungsgemäß gerichtlich an- 38 geordneter Verwahrung – z. B. nach dem PsychKG NRW (§§ 10 f.) – auch in Form einer Entlassungsanordnung und Entlassung aus der psychiatrischen Anstalt durch den insoweit nicht anordnungsbefugten Anstaltsleiter erfolgen. Entscheidungen über die Dauer und Aufhebung einer solchen Unterbringung liegen in der alleinigen Kompetenz des Gerichts. Der Anstaltsleiter hat hier – ähnlich wie bei der gerichtlichen Aufhebung des Haftbefehls (s. a. Rdn. 50) – lediglich nach gerichtlicher Aufhebung der Unterbringung oder nach Ablauf der gerichtlich festgesetzten Unterbringungsdauer (§§ 15 PsychKG NRW) die Entlassung tatsächlich zu vollziehen.136 Eigenverantwortliche Entscheidungs- und Anordnungsbefugnisse stehen ihm nicht zu; er hat insoweit auch aus vollstreckungs- und vollzugsrechtlicher Sicht keine eigene rechtliche Verfügungsmacht.137

bb) Vollzugslockerung. Kein tatbestandliches Befreien ist die förmliche vollzugsbehördliche 39 Anordnung einer im Strafvollzugsgesetz vorgesehenen Vollzugslockerung wie Urlaub, Ausgang

130 BGHSt 37 388, 392. 131 Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 714; Wolters SK Rdn. 9; Zielinski AK Rdn. 29; vgl. BGHSt 10 294 ff.; aA Bosch MK Rdn. 19; Lackner/Kühl/Heger § 339 Rdn. 11; Sch/Schröder/Eser Rdn. 19a. 132 BGHSt 37 388, 394; Fischer Rdn. 5. 133 Vgl. auch Wolters SK Rdn. 9. 134 Vgl. BGHSt 10 294. 135 Rdn. 56; aA Weber Jura 1984 367, 380. 136 BGHSt 37 338, 393. 137 AA Begemann NStZ 1992 276, 277; Zielinski StV 1992 227, 229 f., die die mangelnde rechtliche Entlassungskompetenz übergehen; ähnlich auch Bosch MK Rdn. 19. 769

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§ 120 StGB

Gefangenenbefreiung

durch den sachlich und örtlich zuständigen Vollzugsleiter (§ 156 StVollzG) im Rahmen einer entsprechenden Rechtsnorm.138 Insoweit handelt es sich um eine rechtsförmlich einwandfreie, wirksame Beurlaubung durch die legitimierte Stelle, um eine (zeitlich begrenzte) Aufhebung des staatlichen Gewahrsams von Rechts wegen. Das ist auch bei einer sachlich-rechtlichen Fehlbeurteilung der Fall,139 selbst dann, wenn der Anordnende eine evtl. Nichtrückkehr des Beurlaubten für möglich hält und sich damit abfindet.140 Bei derart pflichtwidriger bzw. missbräuchlicher Ausübung der Anordnungsbefugnisse kommen indes bei elementaren und bewussten Verstößen gegen Gesetz und Recht eine Strafbarkeit nach § 339, sonst lediglich disziplinarrechtliche Folgen in Betracht. Eine weitergehende Haftung des Anstaltsleiters für voraussehbare Folgen einer unbefugten Lockerungsanordnung – Begehung von Gewaltdelikten durch den Entlassenen nach Entlassung – wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung auf Grund rechtswidrigen gefahrbringenden Vorverhaltens ist denkbar.141 Eine aufgrund eigener Entschließung eines Vollzugsleiters erfolgende (endgültige) Entlassung des Gefangenen bzw. die von einem Befreiungswillen getragene Freilassung durch ihn oder andere Vollzugsbedienstete stellt sich mangels einer gesetzlich begründeten Anordnungsbefugnis und Verfügungszuständigkeit als Bruch staatlichen Gewahrsams und damit als Befreien nach Absatz 1 dar (wobei zugleich ein tateinheitlicher Verstoß gegen §§ 258, 258a in Betracht kommt).142 Tatbestandserhebliches Befreien nach Absatz 1 ist auch bei einer mittels Nötigung, Geiselnahme etc. erzwungenen faktischen Freisetzung durch Vollzugsleiter bzw. Vollzugsbedienstete zu bejahen, wobei die besondere Notlage über die Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsebene zur Straflosigkeit führt (s. a. Rdn. 56, dort auch zur mittelbaren Täterschaft).

40 b) Verleiten. Der Begriff des Verleitens wird vom Strafgesetz mehrdeutig verwendet. So ist das Verleiten in § 160 als das Bestimmen eines anderen zu unvorsätzlicher Tat zu verstehen. Erfasst werden dort Fälle der Falschbekundung in mittelbarer Täterschaft.143 Im Rahmen des § 120 hat das Merkmal jedoch einen anderen Bedeutungsgehalt. Mit dem Begriff des Verleitens wurde bei Konzipierung der Vorschrift an den Sprachgebrauch des sachlich ähnlichen § 86 bzw. § 76 a. F. JWG – inzwischen aufgehoben (Art. 22 Nr. 1 KJHG) und durch das KJHG abgelöst – angeknüpft (vgl. Niederschriften XIII Anhang S. 600). Dort war mit Verleiten zur Selbstentziehung der Sache nach Anstiftung im Sinne des § 26 gemeint. Dieselbe Bedeutung hat das Verleiten auch in Abs. 1 des § 120.144 Mit der tatbestandlich verselbständigten Anstiftung ist eine frühere Gesetzeslücke geschlossen. Verleiten ist also das vorsätzliche Bestimmen eines Gefangenen zur Selbstbefreiung, das Hervorrufen des Entschlusses zum Entweichen. Die Einwirkung des Verleitenden muss ursächlich sein. War der Gefangene zum Entweichen bereits fest entschlossen (omnimodo facturus), kommt nur Strafbarkeit wegen Versuchs des Verleitens (Abs. 3) in Frage (s. Rdn. 66 ff.). Als Mittel der Einwirkung auf den Gefangenen sind u. a. Überredung wie auch Drohung in Betracht zu ziehen, nicht aber Gewalt oder Täuschung. Ein Haftbruch gegen den Willen des Gefangenen, etwa durch gewaltsame Entführung, ist täterschaftliches Befreien im Sinne des Abs. 1 1. Var. (vgl. Rdn. 34). Der Fall der Täuschung stellt sich als mittelbare Täterschaft dar und unterfällt ebenfalls der ersten Begehungsform.145 Mit dem Verleiten soll nur die – wegen tatbestandsloser Haupttat sonst nicht strafbare – Anstiftung des Gefangenen oder des Verwahr138 139 140 141 142 143 144

Fischer Rdn. 5. BGHSt 37 388, 392. Vgl. Wolters SK Rdn. 9; Kusch NStZ 1985 385, 388; Zielinski AK Rdn. 23. BGHSt 37 388; 49 1; vgl. auch LG Göttingen NStZ 1985 410; Schatz NStZ 2003 581 ff. AA Begemann NStZ 1992 276, 277; Zielinski StV 1992 227, 229. Vgl. Lackner/Kühl/Heger § 160 Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm § 160 Rdn. 1. EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220; Prot. 7/209; E 1962 Begr. zu § 425 S. 611; vgl. zu dem Begriff auch BGHSt 4 305; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 45 Rdn. 58; Barton AnwK Rdn. 8; SSW/Fahl Rdn. 7. 145 Vgl. M. E. Mayer S. 27 Fn. 2; Siegert JZ 1973 309. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

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ten erfasst werden. Wer aus eigenem Antrieb durch Bitten, Überredung oder Bestechung auf den Gewahrsamshalter bzw. Aufsichtspflichtigen einwirkt und diesen zu einem Entweichenlassen des Gefangenen – etwa bei einer Außenbeschäftigung – veranlasst, ist daher lediglich wegen Anstiftung (§ 26) zur Gefangenenbefreiung (Absatz 1 bzw. je nach Stellung des Aufsichtspflichtigen Absatz 2), gegebenenfalls über § 28 Abs. 2 aus § 120 Abs. 1, zu bestrafen.146

c) Fördern des Entweichens aa) Allgemeines. Die dritte Begehungsform der Förderung des Entweichens stellt sich als tat- 41 bestandlich verselbständigte Beihilfe zur straflosen Selbstbefreiung dar. Das Entweichen des Gefangenen oder Verwahrten fördert, wer dessen Vorhaben ermöglicht oder in irgendeiner Weise erleichtert.147 An sich sagt § 120 über die Art der Hilfeleistung nichts Näheres aus. Da sie trotz der gesetzestechnischen Ausgestaltung zur Haupttat eine Beihilfehandlung ist, kann sie indes dem Inhalt nach unbedenklich gemäß den zu § 27 geltenden Grundsätzen bestimmt werden.148 Sie umfasst daher jeden Beistand durch Rat und Tat, kann aber auch durch pflichtwidriges Unterlassen eines Aufsichtspflichtigen gewährt werden.149 Nur muss der Beistand der Selbstbefreiung des Gefangenen dienlich gewesen sein, also in (mit)ursächlichem Zusammenhang mit ihr stehen.150 Das lässt sich aus der Strafbarkeit des Versuchs in Absatz 3 folgern.151 Ausreichend ist die dem Gefangenen oder Verwahrten vorher zugesagte persönliche Begünstigung i. S. d. § 258, weil sie ihn in seinem Entschluss zu fliehen bestärkt;152 desgleichen das Einschmuggeln eines Sägeblattes, auch wenn der Gefangene, mit besserem Ausbruchswerkzeug ausgerüstet, von jenem nur im Notfall Gebrauch machen will, aber deswegen in seinem Vorhaben bestärkt wird. Dagegen wird der Tatbestand nur bis zum – strafbaren (Abs. 3) – Versuch verwirklicht, wenn der Gefangene das Sägeblatt als untauglich wegwirft oder wenn es, vorher entdeckt, ihn gar nicht erreicht, etwa weil das Zuschmuggeln verhindert wird153 oder die Sendung mit Ausbruchswerkzeugen von der Anstaltsleitung abgefangen wird.154 Nicht als Fördern zum Entweichen eines Gefangenen sind Anordnungen von Richtern ein- 42 zustufen, vorgeführten, gefangenen Zeugen in der Hauptverhandlung zuvor angeordnete Fesselungen u. ä. abzunehmen.155 Auch wenn die Sicherungsmaßnamen durch dritte Haftrichter oder Justizvollzugsanstalten angeordnet worden waren, steht dem Vorsitzenden aufgrund der sitzungspolizeilichen Befugnisse des § 176 GVG die formelle Befugnis zu, entsprechende Anordnungen auch gegen den Willen der Anstaltsleitung durchzusetzen. Hier hat die Zeugenpflicht und die ordnungsgemäße Durchführung einer Hauptverhandlung, für deren Einhaltung der Richter der Hauptverhandlung Sorge trägt, angesichts des Gewichtes einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege Vorrang vor anderen staatlichen Interessen, insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass Sicherungsmaßnahmen nicht stets Ausdruck einer Abwägung mit Gefährdungsmomenten darstellen, sondern auch auf rechtspolitischen Vorgaben beruhen und je nach Couleur der zuständigen Justizminister von einem auf den anderen Tag wechseln können. Eine behauptete Strafbarkeit des Richters scheitert zudem an der Sperrwirkung des § 339 wie am fehlenden Gehilfenvorsatz.

146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 771

Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 12. Zum Begriff des Förderns vgl. auch § 19 Abs. 1 Nr. 2, § 20 Abs. 2 Nr. 2 KWKG; Holthausen NJW 1991 203. H.M.; RGSt 25 65, 67; zur begrifflichen Kongruenz von Beihilfe und Fördern vgl. BGH NStZ 1985 318. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 45 Rdn. 60; Ostendorf NK Rdn. 14; Sturm JZ 1975 8. Bosch MK Rdn. 22; SSW/Fahl Rdn. 7; Sch/Schröder/Eser Rdn. 11/12. Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 12. BGH 5 StR 306/65 v. 7.9.1965. BGHSt 9 62. BGH 5 StR 72/61 v. 2.5.1961. Verfehlt Nagel NStZ 2001 234. Rosenau

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Gefangenenbefreiung

Tatbestandliche Vollendung liegt mit der Aufhebung der Gefangenschaft oder Verwahrung vor, d. h. wenn der Gefangene sich dem staatlichen Gewahrsam entzogen hat. Eine dem Gefangenen nach geglückter Flucht oder nach Beendigung der Befreiung, gewährte Unterstützung – die Verhinderung der Wiederergreifung – fällt von vornherein nicht unter den § 120;156 insoweit ist § 258 einschlägig.

44 bb) Teilnahme. Die Teilnahme an den Tathandlungen des Absatzes 1 richtet sich nach den allgemeinen Regeln (Begr. zu § 425 E 1962 S. 611, dem die Neufassung des Absatzes 1 wörtlich entspricht). Das dürfte auch für mittelbare Unterstützungshandlungen gelten, wenn z. B. dem Mittelsmann des Gefangenen das Ausbruchswerkzeug beschafft wird.157 45 Die Beihilfe Außenstehender zur Fremd- bzw. Drittbefreiung (Abs. 1 1. Var.) wird – wie bisher – nicht von der täterschaftlichen Begehungsform des Förderns i. S. d. Abs. 1 3. Alt. erfasst, sondern ist lediglich unselbständige, haupttatabhängige Teilnahme. Demgegenüber wurde zum früheren Recht vereinzelt die Auffassung vertreten, dass Beihilfe zur Fremdbefreiung als mittelbare Unterstützung der Hilfe zur Selbstbefreiung gleichgestellt werden könne.158 Die Frage ist für die Strafbarkeit des Versuchs bedeutsam. Die Beihilfe Außenstehender zur Drittbefreiung wird richtigerweise nicht unmittelbar aus § 120, sondern nach §§ 120, 27 bestraft.

46 cc) Mittelbare Förderungshandlungen. Bei mittelbaren Förderungshandlungen zur schlichten Selbstbefreiung im eigentlichen Sinne – so wenn ein Außenstehender an den Gewährsmann des Gefangenen Eisensägeblätter aushändigt, die dieser in die Anstalt einschmuggelt und mit deren Hilfe dem Gefangenen die Flucht gelingt – ist Folgendes zu erwägen: An sich ist zwar die Förderung beim Entweichen sachlich eine Beihilfehandlung. Nach den allgemeinen Grundsätzen über das Zusammentreffen mehrerer Beteiligungsformen ist Beihilfe zur Beihilfe als Beihilfe zur Haupttat anzusehen.159 Die mittelbare Beihilfe wird danach regelmäßig nicht unterschiedlich bewertet.160 Es fragt sich jedoch, ob eine sinngemäße Übertragung der zur Kettenbeihilfe entwickelten Grundsätze auf die Begehungsform des Förderns beim Entweichen möglich wäre: kann die Beihilfe zum Fördern selbst Fördern sein? Diese Sichtweise hätte folgende Auswirkungen: Alle nur mittelbaren Beihilfehandlungen würden in gleicher Weise als täterschaftlich verselbständigtes Fördern im Sinne des § 120 Abs. 1 – unter (insoweit keineswegs sachbedingtem) Ausschluss der der Beihilfe eigenen, obligatorischen Strafmilderung (§ 27 Abs. 2) – erfasst, eine regelwidrige Folge, die auch angesichts der fließenden Grenzen zwischen den Begehungsformen des Befreiens und Förderns zu sachwidrigen Differenzierungen führen müsste. Ferner ergäbe sich daraus abweichend von der grundsätzlichen Straflosigkeit versuchter Beihilfe eine uneingeschränkte Pönalisierung derartiger versuchter mittelbarer Beihilfehandlungen und damit eine wohl unvertretbare Ausweitung der Versuchsstrafbarkeit (vgl. Absatz 3). Sprechen schon diese Folgerungen gegen eine Übertragbarkeit der Grundsätze zur Kettenbeihilfe, so ist auch dem Gesetzeswortlaut („ihn dabei fördert“) in Verbindung mit der gleichläufigen Regelung beim Verleiten (vgl. Rdn. 40) zu entnehmen, dass als tatbestandlich verselbständigtes und in diesem Sinne täterschaftliches Fördern nicht auch mittelbare Unterstützung im Wege bloßen Hilfeleistens zu Befreiungs- oder Förderungshandlungen Dritter einbezogen werden soll. Von der tatbestandlichen Begehungsform des Förderns der Selbstbefreiung (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 220) wird vielmehr nur solche Hilfestellung erfasst, die dem Gefangenen entweder unmittelbar oder auf

156 157 158 159 160

Vgl. zur a. F. RGSt 25 65, 66. Wie hier Fischer Rdn. 7. Sch/Schröder/Eser Rdn. 11/12, s. sogleich Rdn. 46. Vgl. Binding Lehrbuch II 2 § 235 II 3b; dagegen zutreffend schon M. E. Mayer S. 28. Vgl. Hoyer SK vor § 26 Rdn. 30; Sch/Schröder/Heine/Weißer § 27 Rdn. 25. Vgl. RGSt 23 300; Jescheck/Weigend AT S. 697.

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III. Gefangenenbefreiung im Amt (Absatz 2)

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dessen Veranlassung geleistet wird.161 Dafür spricht auch die Gleichstellung im Unwert mit dem täterschaftlichen Befreien. Für mittelbare Unterstützungshandlungen (Beihilfe zur Drittbefreiung und zu tatbestandlichen Förderungshandlungen Dritter) gelten somit die allgemeinen Regeln (obligatorische Strafmilderung nach § 27 Abs. 2; Straflosigkeit versuchter Beihilfe). Zur Auswirkung bei Garanten vgl. Rdn. 32.

III. Gefangenenbefreiung im Amt (Absatz 2) 1. Allgemeines Die tatbestandliche Qualifikation erfasst Personen, die als Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2) oder 47 als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete (§ 11 Abs. 1 Nr. 4) gehalten sind, das Entweichen des Gefangenen zu verhindern. Zum Begriff der Amtsträger und der für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten vgl. Erl. zu § 11. Gemäß § 48 Abs. 1, 2 WStG sind den Amtsträgern im Rahmen des § 120 Abs. 2 Soldaten gleichgestellt.162 Die Qualifikationstat des Absatz 2 hat Vergehenscharakter (§ 12 Abs. 2). Die Tathandlung ergibt sich aus Absatz 1. Bei Tatbegehung durch Unterlassen eines pflichtgemäßen Einschreitens gilt ebenso wie beim aktiven Befreien oder Fördern des Entweichens in gleicher Weise der Strafrahmen des Abs. 2 mit der Milderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2.163 Insoweit ist nicht auf die Strafdrohung des Absatzes 1 zurückzugreifen (vgl. Rdn. 53).164 Zu Teilnahmefragen Rdn. 62.

2. Pflichtenstellung Die in Frage kommenden Personen (Amtsträger, förmlich Verpflichtete) müssen zur Verhinde- 48 rung des Entweichens gehalten sein. Diese in Absatz 2 vorausgesetzte Pflicht kann sich aus der dienstlichen Stellung, einem dienstlichen Auftrag oder einer sonstigen, mit dem Amt zusammenhängenden Garantenstellung ergeben. Es genügt, dass der Amtsträger Beaufsichtigung, Begleitung oder Bewachung des Gefangenen im Einzelfall übernommen oder übertragen erhalten hat. Es muss sich nicht um seine dienstliche Hauptfunktion handeln. Als potentieller Täterkreis des Absatzes 2 sind in erster Linie das eigentliche Aufsichtspersonal der Vollzugsanstalten und die Polizeibeamten (etwa beim Gefangenentransport) anzusprechen, ferner Soldaten, die befehlsgemäß Gefangene begleiten oder beaufsichtigen. Daneben kommen als Täter wegen der sich kraft ihrer Dienststellung ergebenden Pflichten zur Fluchtverhinderung weiter in Betracht der Leiter der Vollzugsanstalt;165 der Haft- oder Ermittlungsrichter und Staatsanwalt, der sich einen Gefangenen (vorläufig Festgenommenen, Untersuchungshäftling) vorführen lässt (vgl. StPO §§ 115, 128, 162, 163a), solange er sich in seinem Einflussbereich befindet; schließlich auch der Polizeibeamte, der bei einem erkannten Gefangenenausbruch nicht einschreitet.166 Vom Grundtatbestand bereits nicht erfasst wird der erkennende Richter, der pflichtwidrig über die Haftentlassung des Häftlings entscheidet (s. Rdn. 37).

161 Ostendorf NK Rdn. 19; Sch/Schröder/Eser Rdn. 11/12; Tenckhoff/Arloth JuS 1985 129, 134; Maurach/Schroeder/ Maiwald II § 72 Rdn. 11. 162 Vgl. Lingens/Korte WStG § 48 Rdn. 2 f., 8. 163 AA Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 14. 164 AA Siegert JZ 1973 310 und Zielinski AK Rdn. 31. 165 Vgl. RGSt 58 271. 166 Sch/Schröder/Eser Rdn. 19. 773

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3. Einzelheiten 49 Mangels einer derartigen, in Abs. 2 vorausgesetzten Dienst- und Pflichtenstellung werden von dieser Vorschrift nicht erfasst Anstaltsärzte (E 1962 S. 611);167 Sanitätsoffiziere;168 Anstaltsgeistliche;169 Anstaltspädagogen;170 Gefängnisbeamte, deren Aufgabe ausschließlich in der Erledigung von Verwaltungs- und Büroarbeiten besteht;171 sonstiges Anstaltspersonal, das nur im technisch-organisatorischen Bereich tätig ist.172 Alle diese Personen sind auf Grund ihrer ganz anderen Funktionen keine Garanten staatlichen Gewahrsams und können nicht Täter nach Absatz 2 sein. Letzteres gilt auch für Arbeiter und Angestellte der Anstalt, die nicht unter den Personenkreis des § 11 Abs. 1 Nr. 2 und 4 fallen (E 1962 S. 611). Befreiungs- und Förderungshandlungen solcher Personen können nur nach Absatz 1 bestraft werden; desgleichen bei pflichtwidrigem Unterlassen von Personen, die – weder Amtsträger noch förmlich Verpflichtete – im Einzelfall eine Aufsichtspflicht übernommen haben.

4. Aufhebung eines Haftbefehls 50 Die pflichtwidrige Aufhebung des Haftbefehls durch den Richter entspricht schon nicht der Tathandlung des Absatzes 1 (Befreien) und erfüllt deshalb weder Absatz 2 noch Absatz 1. Obschon sachlich unrechtmäßig, ergeht sie doch gesetzesförmlich und ist insofern ein Gegenstück zu der materiell widerrechtlichen, aber formgerechten Freiheitsentziehung (Rdn. 22). Für das Aufsichtspersonal in der Vollzugsanstalt, das in Kenntnis der sachlich ungerechtfertigten, aber rechtsförmlich einwandfreien und wirksamen Aufhebung des Haftbefehls die richterliche Freilassungsanordnung tatsächlich vollzieht und den Häftling auf freien Fuß setzt, kommt ein tatbestandsmäßiges Handeln nach Absatz 1 nicht in Betracht. Zur Anordnung von Vollzugslockerungen durch den Vollzugsleiter im Rahmen der einschlägigen Bestimmungen des StVollzG s. Rdn. 25 ff.

IV. Subjektiver Tatbestand 51 Für den subjektiven Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, der sich vor allem auf die faktische Aufhebung der Gefangenschaft oder Verwahrung, d. h. die Freisetzung trotz bestehenden Haftrechts erstrecken muss. Bedingter Vorsatz genügt.173 Bei den verselbständigten Teilnahmeformen muss die von dem Gefangenen gewählte Art des Entweichens nicht notwendig vom Vorsatz mit umfasst sein. Da tatbestandliche Bezugspersonen Gefangene oder Verwahrte sind, muss der Täter sich jedenfalls unter laienhafter Parallelwertung der Gefangenen- oder Verwahrteneigenschaft bewusst sein. Ein diesbezüglicher vorsatzausschließender Irrtum dürfte allerdings kaum unterlaufen, wenn die Befreiung aus einer Gefangenen- oder Verwahrungsanstalt vonstatten gehen soll; eher schon, wenn sich das Vorhaben gegen eine Aufsichtsperson richtet, z. B. gegen einen Kriminalbeamten, den der Täter für eine Privatperson hält. Unerheblich ist es für die Gefangeneneigenschaft, ob ein sachlich-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Haftgrund be167 168 169 170 171 172 173

Fischer Rdn. 8; Ostendorf NK Rdn. 10. Lingens/Korte WStG § 48 Rdn. 8. Fischer Rdn. 8; Schafheutle Niederschriften XIII S. 89. Lackner/Schwalm Niederschriften XIII S. 90. RGSt 27 611. Z. B. Küchen- und sonstiges Anstaltshilfspersonal – Niederschriften XIII Anhang S. 600. Bosch MK Rdn. 24; Fischer Rdn. 10; Ostendorf NK Rdn. 16; Zielinski AK Rdn. 27; aA Rössner JZ 1984 1065, 1070, der für die Begehungsform des Förderns Befreiungsabsicht voraussetzt; krit. Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 II Rdn. 6 u. Rdn. 15. Rosenau

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V. Unterlassen

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steht oder fortbesteht (Rdn. 22). Daher ist es kein Tatbestands-, sondern ein Verbotsirrtum, wenn der Täter – fälschlich oder zutreffend – annimmt, der Gefangene werde zu Unrecht in Haft gehalten mangels ausreichenden Tatverdachts, mangels Flucht- oder Verdunkelungsgefahr oder weil er überhaupt unschuldig sei, und wenn der Täter sich deshalb zur eigenmächtigen Befreiung des Gefangenen für befugt hält. Bei vermeintlich ordnungsgemäßer Freilassung, d. h. der irrtümlichen Annahme deren tatsächlicher Voraussetzungen, fehlt es am Vorsatz.174 Die irrtümliche Meinung eines nicht Legitimierten, zur Aufhebung eines bestehenden Haftrechts befugt zu sein, begründet einen Verbotsirrtum.175

V. Unterlassen Der Tatbestand der Gefangenenbefreiung (Befreien und Fördern des Entweichens) kann auch 52 durch unechtes Unterlassen eines Garanten (vgl. § 13) verwirklicht werden. So greift Unterlassungsstrafbarkeit in gleicher Weise ein, wenn ein Aufseher durch bewusste Nichtbetätigung der Sicherungseinrichtungen ein Entweichen ermöglicht, als Begleiter beim Transport eines Gefangenen dessen Entführung in die Freiheit nicht entgegentritt oder bei der Aushändigung von Ausbruchswerkzeugen an einen Gefangenen durch Besucher nicht einschreitet. Die Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen setzt voraus, dass der Betreffende rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg – der Haftbruch, die Aufhebung der staatlichen Verwahrungsgewalt – nicht eintritt (Garantenstellung). Als Täterkreis kommen hier insbesondere die in Abs. 2 genannten Amtsträger sowie nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 förmlich Verpflichtete in Betracht, die gehalten sind, das Entweichen zu verhindern (vgl. Rdn. 48). Abs. 2 umschreibt jedoch nicht abschließend alle möglichen Garantenstellungen, sondern nur diejenigen, bei denen der Gesetzgeber eine Strafschärfung für angezeigt gehalten hat.176 Bei anderen Personen kann sich eine Garantenpflicht aus freiwilliger Übernahme oder Übertragung von Aufsichtspflichten ergeben. In diesen Fällen bestimmt sich die Strafbarkeit einer pflichtwidrigen Nichthinderung des Erfolges nach Abs. 1. Zu denken ist hier etwa an private Unternehmer, Werkmeister und Vorarbeiter, denen Gefangene auf vertraglicher Grundlage zur Arbeit zugewiesen sind und von diesen überwacht werden;177 ferner der mit der Aufsicht betraute Krankenpfleger in Krankenanstalten, die Gefangene zur Beobachtung und Behandlung aufgenommen haben,178 also Fälle einer Garantenstellung, die nach früherem Recht von § 121 a. F. erfasst wurden.179 Die Haftung eines Garanten setzt dessen Handlungsfähigkeit voraus; sie fehlt z. B., wenn der einzige Aufsichtsbeamte nachts von Gefangenen überwältigt und in eine Zelle eingesperrt wird, so dass er den Ausbruch nicht verhindern kann. Zur Abgrenzung zur Beihilfe s. Rdn. 62. Hinsichtlich des Täterkreises des Absatzes 2 ist auch bei Tatbestandsverwirklichung 53 durch unechtes Unterlassen von dem Strafrahmen des Absatzes 2 auszugehen, wobei allerdings die fakultative Strafmilderung des § 13 Abs. 2 zu berücksichtigen ist.180 Nach anderer Ansicht soll sich dagegen auch bei diesem Personenkreis die Unterlassungsstrafbarkeit nach Absatz 1 richten.181 Gegen die Heranziehung der Strafdrohung des Absatzes 2 auch auf Unterlassungsfälle wird eingewandt, dass die die Garantenpflicht begründenden Umstände in unzulässiger Weise zum Nachteil des Täters doppelt verwertet würden; denn die Umstände, die eine Gleichstel174 175 176 177 178 179 180

Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 21. SSW/Fahl Rdn. 10; Ostendorf NK Rdn. 16; Welzel S. 508. AA Koffka Niederschriften XIII S. 89, 90. Vgl. Schafheutle Niederschriften XIII S. 89 u. Anhang S. 600; RGSt 36 402; 53 292. RGSt 19 330, 331 f. Vgl. Dreher Niederschriften XIII S. 89. Gegen eine solche Milderungsmöglichkeit Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 15 unter Hinweis auf die besondere Pflichtenstellung und der deswegen gerade erhöhten Strafe. 181 Siegert JZ 1973 308, 310. 775

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Gefangenenbefreiung

lung mit den Begehungstatbeständen ermöglichen sollten, würden hier zugleich in den Dienst einer Strafschärfung gegenüber der Begehungsform gestellt.182 Diese Bedenken sind indes nicht begründet. Vielmehr ist zu differenzieren zwischen der Pflichtenstellung als aufsichtspflichtiger Garant und der Eigenschaft als Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst förmlich Verpflichteter. Die Strafschärfung des Absatzes 2 gründet sich nicht in der Garantenstellung als solcher, sondern in dem besonderen Amtsträgerstatus, der die Garantenpflichtverletzung als besonders schwerwiegende öffentliche Dienstpflichtwidrigkeit qualifiziert.183 Dem Entweichenlassen als solchem kommt grundsätzlich jedenfalls Förderungsqualität 54 zu.184 Ob man die Nichthinderung des Haftbruchs durch Entweichenlassen eher als Befreien einzustufen habe,185 bleibt für die Entsprechensfrage (§ 13) ohne Auswirkungen, weil beide Begehungsformen in ihrem Unrechtsgehalt vom Gesetz gleich bewertet werden.

VI. Rechtfertigungsgründe 55 Eine Rechtfertigung tatbestandlichen Befreiens ist in Ausnahmefällen bei Amtsträgern unter dem Gesichtspunkt des rechtfertigenden Notstands (§ 34) denkbar. Die Problematik wird im Zusammenhang mit dem Fall der Geiselnahme Peter Lorenz zwecks Freipressung von Terroristen diskutiert.186 Das führt zu einer schwierigen Interessenabwägung in vergleichbaren Fällen, die über die Frage der Annahme eines rechtfertigenden oder bloß entschuldigenden oder übergesetzlich entschuldigenden Notstands entscheidet.187 Tatbestandserhebliche Befreiungs- und Förderungsakte Dritter sind im Falle materieller Unschuld bzw. grundloser Festnahme des Gefangenen grundsätzlich nicht durch Nothilfe (§ 32) gerechtfertigt. Die nach § 120 allein maßgebliche Rechtswirksamkeit der Begründung bzw. Aufrechterhaltung des staatlichen Gewahrsams (Rdn. 22) schließt hier die Annahme eines rechtswidrigen Angriffs aus.188

VII. Täterschaft und Teilnahme 1. Täter 56 des Vergehens gegen § 120 kann jedermann sein – ein Außenstehender wie eine mit der Begleitung oder Beaufsichtigung des Gefangenen betraute Person, mit Ausnahme des Gefangenen oder Verwahrten selbst.189 Auch Mitgefangene können sich nach § 120 (in allen Begehungsformen) strafbar machen – etwa wenn ein Mitgefangener dem Ausbruchswilligen aus der Werkstatt der Anstalt Ausbruchswerkzeuge verschafft –, soweit ihr Handeln nicht zugleich auch ihrer eigenen Befreiung dient (Rdn. 57). Gefangenenbefreiung (Absatz 1) in Form der mittelbaren Täterschaft ist denkbar, wenn etwa ein Angehöriger des Gefangenen einen Vollzugsbediensteten in eine Notstandslage nach § 35 bringt, der dieser nur durch die vom Hintermann bezweckte 182 183 184 185 186 187 188

So wohl auch Jung S. 117; Zielinski AK Rdn. 31. Vgl. Bülow Prot. 7/210; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 12; Sch/Schröder/Eser Rdn. 20; auch Blei JA 1973 168. Vgl. Dreher und Gallas Niederschriften XIII S. 89; Sturm JZ 1975 8; BTDrucks. 7/550 S. 220. Siegert JZ 1973 308, 310. Krey ZRP 1975 97; zu diesem Fall auch Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 669. Vgl. Bosch MK Rdn. 30; Weber Jura 1984 367, 370 ff. KG JR 1980 513, 514; Sch/Schröder/Eser Rdn. 16; Laubenthal FS Otto, S. 662; abw. Wolters SK Rdn. 12, der Nothilfe mangels Erforderlichkeit verneint; vgl. auch Ostendorf JR 1981 292 f., der als ausgleichende Gesichtspunkte für die grundsätzliche Respektierung des Gefangenenstatus auch bei materiell ungerechtfertigter Freiheitsentziehung die Rechtsgarantien des Art. 104 GG, die Rechtsbehelfsmöglichkeiten des Gefangenen und die Strafnormen zum Schutz vor willkürlich ungerechtfertigter Freiheitsentziehung nennt. Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 669 stufen die handelnde Regierung als untauglichen Täter ein. 189 BGHSt 4 397, 400. Rosenau

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VII. Täterschaft und Teilnahme

StGB § 120

faktische Freisetzung des Gefangenen entgehen kann; nicht jedoch, wenn er durch Nötigung des Richters eine förmliche Aufhebung des Haftbefehls erreicht.190 Bei den Fällen der Täuschung des Amtsträgers ist zu differenzieren: eine der ersten Begehungsform unterfallende mittelbare Täterschaft ist zu bejahen, wenn ein Außenstehender durch Vortäuschung einer gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Freilassungsanordnung nach § 120 StPO bzw. § 24 IRG mittels eines fingierten Anrufs der vermeintlichen Geschäftsstelle des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft bei der Vollzugsanstalt die Freilassung des Gefangenen bewirkt. Für eine mittelbare Täterschaft ist dagegen kein Raum, wenn der Dritte den sachlich und örtlich zuständigen Anstaltsleiter durch Vorlage eines – den lebensbedrohlichen Krankheitszustand der Mutter des Gefangenen bescheinigenden – gefälschten ärztlichen Attests zur Gewährung von Sonderurlaub aufgrund der Amtsrechtsnorm des § 35 StVollzG veranlasst, aus dem der Gefangene nicht zurückkehrt;191 hier wird der Gefangene nicht widerrechtlich befreit, sondern die rechtsförmliche einwandfreie Beurlaubung durch die legitimierte Stelle veranlasst (Rdn. 39); für den Veranlasser käme hier lediglich eine Strafbarkeit nach §§ 258 Abs. 2, 267 in Betracht. Täterschaft des Gefangenen oder Verwahrten nach § 120 kommt nicht in Betracht. Das Ge- 57 setz lässt ähnlich wie bei der Selbstbegünstigung die schlichte Selbstbefreiung des Gefangenen, die Eigenbefreiung als solche straflos;192 das bloße Entweichen wie auch das Nutzen einer vom Aufsichtspersonal eröffneten Fluchtchance wird tatbestandlich nicht erfasst. Allerdings ist dies kein Freibrief für Rechtsgüterverletzungen; werden zugleich andere Straftatbestände verwirklicht (z. B. §§ 223 f., 303), bleibt die Strafbarkeit nach diesen Vorschriften unberührt.193 Die gewaltsame Selbstbefreiung mehrerer fällt unter § 121 Abs. 1 Nr. 2.

2. Teilnahme des Gefangenen Die Frage, ob eine strafbare Teilnahme auch des Gefangenen oder Verwahrten selbst an einer 58 Tat nach Absatz 1 möglich ist, wird in Schrifttum und Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt. Es handelt sich insoweit um die Fälle, in denen der tatbegünstigte Gefangene über die nach dem Tatbestand vorausgesetzte Rolle – das Ausnutzen der gebotenen Gelegenheit zum Entweichen – hinausgeht, wenn er etwa einen Dritten anstiftet, ihn zu befreien oder bei der Selbstbefreiung zu unterstützen. Die Frage der Strafbarkeit einer derartigen rollenüberschreitenden Teilnahme lässt sich nicht von allgemeinen Erwägungen über das Wesen von Täterschaft und Teilnahme her beantworten.194 Was die dritte Begehungsform des Förderns anbelangt, so handelt es sich zwar der Sache nach um eine Teilnahme an einer tatbestandslosen Haupttat. Die Beihilfe zur Selbstbefreiung ist jedoch zu einem selbständigen Straftatbestand ausgeprägt. An einer derart tatbestandlich verselbständigten Teilnahme ist wiederum Teilnahme möglich (vgl. E 1962 S. 611), deshalb auch eine solche des (tatbegünstigten) Gefangenen an sich denkbar.195 Die Frage der Strafbarkeit einer derartigen Teilnahme in Fällen, in denen ein Tatbegünstigter nicht Täter sein kann, ist nach dem Sinngehalt des fraglichen Tatbestands bzw. dem sachlichen Grund des Tatbestandsausschlusses zu entscheiden.196 Die Straflosigkeit täterschaftlicher Selbstbefreiung findet ihren Grund in dem aus dem menschlichen Freiheitsdrang resultierenden Motivationsdruck, somit in einer besonderen personalen Situation des Gefangenen (Rdn. 2). Die Nichter-

190 191 192 193 194 195 196 777

Rdn. 37; aA Weber Jura 1984 380. Vgl. auch Wolters SK Rdn. 9. Vgl. BGHSt 4 397, 400; RGSt 3 140, 141 zur a. F. BGH 2 StR 374/52 v. 11.11.1952; M. E. Mayer S. 12. Vgl. Welzel Strafrecht, S. 123; Wolter JuS 1982 344; andererseits Lange S. 86 ff. Vgl. auch Schröder JZ 1961 264. Vgl. Herzberg JuS 1975 794; Welzel S. 123. Rosenau

§ 120 StGB

Gefangenenbefreiung

fassung eines täterschaftlichen Entweichens beruht somit auf Schulderwägungen.197 Dieser Gesichtspunkt muss aber wegen der gleichgelagerten Motivationslage folgerichtig auch dann durchschlagen und zur Straflosigkeit führen, wenn der Gefangene einen Dritten anstiftet, ihn zu befreien oder bei seiner Selbstbefreiung zu unterstützen.198 Für die materielle Bewertung kann es nicht von Belang sein, ob der Gefangene sich selbst befreit oder sich hierbei der Hilfe eines Dritten bedient. Der die Straflosigkeit der Selbstbefreiung tragende Grundgedanke gilt in gleicher Weise für 59 das gemeinsame Entweichen von zwei oder mehreren Gefangenen unter wechselseitiger – auch bloß psychischer – Unterstützung; die Straflosigkeit des die Selbstbefreiung des anderen unterstützenden Verhaltens setzt voraus, dass der dem anderen geleistete Hilfsbeitrag ein die eigene Befreiung in irgendeiner Weise förderndes oder erleichterndes Mittel ist, es sich also um eine gleichsam faktisch notwendige Teilnahme handelt, und dass für die Beteiligten die Selbstbefreiung im Vordergrund steht. Verhilft dagegen ein Gefangener lediglich bei Gelegenheit199 der Selbstbefreiung einem Mitgefangenen – etwa durch Öffnen von dessen Zellentür mit dem beschafften Einheitsschlüssel – zur Flucht, ohne dass dies der Durchführung oder Erleichterung der eigenen Befreiung dient oder dienen soll, so wird die Ermöglichung der Flucht des anderen nicht als Mittel der Selbstbefreiung von dem diese kennzeichnenden Motivationsdruck umfasst und ist daher tatbestandserheblich i. S. d. § 120 Abs. 1.200 60 Die alte Judikatur, die insoweit durch die Neufassung des § 120 nicht berührt wird, grenzt den straflosen Bereich lediglich ein. Sie lässt den die Straflosigkeit des Entweichens tragenden Grund lediglich bei wechselseitiger Unterstützung in Fällen gemeinsamer Flucht mehrerer Gefangenen, die einander nur die der eigenen Befreiung (zugleich) dienliche Hilfe leisten, durchschlagen.201 Darüber hinaus soll auch die Anstiftung eines (später) mitfliehenden Mitgefangenen zur Hilfeleistung bei der Eigenbefreiung des Anstifters straflos bleiben.202 Halten sich gemeinschaftlich fliehende Gefangene in dem so abgesteckten Rahmen und tun nicht mehr als das zum Gelingen für notwendig Gehaltene, so wird § 120 in allen Beteiligungsformen für unanwendbar angesehen. Demgegenüber wird als strafbare Anstiftung zu § 120 Abs. 1 gewertet, wenn der Gefangene einen Dritten dazu anstiftet, ihn zu befreien oder beim Entweichen zu fördern.203 Angestifteter Dritter kann hiernach auch ein Mitgefangener sein, der den Anstifter lediglich bei dem Entweichen unterstützen soll und sich selbst nach § 120 Abs. 1, 3. Alternative strafbar macht. Diese Differenzierung erscheint wenig konsequent; denn die besondere Motivationslage, derentwegen die täterschaftliche Selbstbefreiung straflos ist, gilt in gleicher Weise für die personale Situation des Gefangenen als Anstifter.204 Das Selbstbefreiungsprivileg beschränkt 197 Wolter JuS 1982 343, 346 hebt auf die „notstandsähnliche Lage“ als regulierendes Prinzip auf der Schuldebene ab; zur dogmengeschichtlichen Einordnung der Straflosigkeit bei Selbstbeteiligung Gropp Deliktstypen, S. 241 ff. 198 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 45 Rdn. 65; SSW/Fahl Rdn. 13; Gropp Deliktstypen, S. 244; Helm S. 357; Lackner/Kühl/Heger § 120 Rdn. 11; Wolters SK § 120 Rdn. 14; Ostendorf NK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eser § 120 Rdn. 15; Welzel Strafrecht, S. 123, 507. Vgl. Herzberg, der von einer gebotenen Orientierung an dem Grundgedanken der §§ 28 Abs. 2, 29 her argumentiert; auch Schünemann LK vor § 26 Rdn. 31, der auf das Fehlen eines Strafgrundes der Teilnahme hinweist; Strafverfolgung und Strafvollzug seien nicht gegen eine Selbstentziehung des Delinquenten geschützt, so dass auch deren mittelbare Beeinträchtigung ihn nicht inkulpieren könne; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 13 und Ostendorf NStZ 2007 313, 314 mit dem Argument a maiore ad minus; Bosch MK Rdn. 34 plädiert für die analoge Anwendung von § 258 Abs. 5; dagegen nur Herrlein/Werner JA 1994 562. 199 OLG Celle JZ 1961 263, 264. 200 Vgl. Schröder JZ 1961 264; Wolter JuS 1982 343, 346 f.; weitergehend wohl Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 45 Rdn. 65. 201 Vgl. BGHSt 17 369, 374 m. Anm. Deubner NJW 1962 2260; BGH GA 1965 205, 206; OLG Celle JZ 1961 263 m. Anm. Schröder; OLG Hamm NJW 1961 2232 gegen RG GA Bd. 59 116, 117; OLG Oldenburg NJW 1958 1598. 202 BGHSt 17 369, 375. 203 Vgl. BGHSt 17 369, 373; aA Fischer Rdn. 9; E 1962 S. 611; auch Niederschriften XIII Anhang S. 600. 204 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 45 Rdn. 65; Barton AnwK Rdn. 13; Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 12; Tenckhoff/Arloth JuS 1985 129, 135; Wolters SK Rdn. 14. Rosenau

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VII. Täterschaft und Teilnahme

StGB § 120

sich damit nicht auf eine, streng formal betrachtete Befreiung in eigener Sache.205 Systematisch ergibt sich das aus der ausdrücklichen Pönalierung einer solchen Situation durch das Merkmal der Zusammenrottung in § 121.206

3. Teilnahme Dritter Die Teilnahme Dritter an den Tatbestandshandlungen des Absatzes 1 richtet sich nach den allge- 61 meinen Grundsätzen. So ist etwa die Einwirkung Außenstehender auf Aufsichtspersonen durch Bitten, Überredung oder Bestechung gemäß §§ 120, 26 strafbar. Teilnahme ist – wie ausgeführt – auch an den verselbständigten Teilnahmetatbeständen des § 120 nach den allgemeinen Regeln möglich (vgl. Rdn. 44). So liegt Anstiftung zum Fördern vor, wenn die Verlobte des Gefangenen den Vollzugsbeamten veranlasst, dem Gefangenen Ausbruchswerkzeug zu verschaffen, mittels dessen sich dieser dann befreit (s. Rdn. 40). Bei Beteiligung von Amtsträgern und Außenstehenden ist § 28 Abs. 2 zu beachten; die Strafbarkeit der ersteren bestimmt sich nach Abs. 2; die der letzteren nach Abs. 1 des § 120 (vgl. Baldus/Schafheutle Niederschriften XIII S. 88).

4. Teilnahme von Garanten Bei Garanten (Bewachungs- und Aufsichtspflichtigen) hatte das frühere Recht auch mittelbare 62 Unterstützungshandlungen in §§ 121, 347 a. F. als täterschaftliches Handeln („dessen Befreiung befördert“) tatbestandlich verselbständigt.207 Anders als die früheren Bestimmungen, die in ihrem systematischen Aufbau nach dem tauglichen Täter differenzierten, erfasst jedoch das geltende Recht in § 120 gleichermaßen Außenstehende wie aufsichtspflichtige Garanten; die Tathandlungen des § 120 Abs. 1 n. F. gelten einheitlich. Knüpft man an die obigen Erwägungen (Rdn. 33) zur Abgrenzung des Förderungsmerkmals in Abs. 1 an, so ergeben sich bei Garanten gewisse Unebenheiten. Informiert z. B. ein Aufsichtsbeamter einen Außenstehenden (etwa einen Gewährsmann des Gefangenen) über ausnutzbare Mängel im Sicherungssystem der Anstalt, Möglichkeiten zur Ausschaltung von Warnanlagen oder erforderliche Spezialwerkzeuge zur Überwindung von Sicherungseinrichtungen und kommt es unter Ausnutzung dieser Wissensvermittlung zu einer (Fremd- oder Förderung einer Selbst-)Befreiung, so ist dieser Tatbeitrag des Beamten folgerichtig als Beihilfe (§ 27) zu § 120 zu werten. Darüber hinaus begründet aber die Nichthinderung des Haftbruchs durch den die Gegebenheiten durchschauenden Beamten dienstpflichtwidriges Unterlassen. Misst man dem bloßen Untätigbleiben eines den Erfolgseintritt nicht hindernden Garanten lediglich die Bedeutung einer Beihilfe zu,208 so ist in vorstehendem Beispielsfall der gesamte Tatbeitrag des Aufsichtspflichtigen als einheitliche Beihilfeleistung (§§ 120, 27) anzusehen; bestimmend ist der aktive Tatbeitrag, das pflichtwidrige Unterlassen ist lediglich dessen konsequente Fortführung. Die Strafe wäre nach dieser Auffassung im Rahmen der §§ 120 Abs. 2, 28 Abs. 2, 27 Abs. 2 zu bestimmen. Legt man dagegen die Auffassung zugrunde, dass jedenfalls in Fällen, in denen der Unterlassende auf Grund besonderer Beziehungen zu dem geschützten Rechtsgut für dessen Bestand einzustehen hat, Täterschaftsregeln gelten,209 so wäre in vorstehendem Beispielsfall die dienstpflichtwidrige Nichthinderung des Haftbruchs als Unterlassungstäterschaft zu werten, der bei der Beurteilung der 205 AA Helm S. 361 f. 206 Die Gegeneinwände von Helm S. 367 f. und Bosch MK Rdn. 34, vermögen diesen dogmatischen Einwand nicht zu entkräften.

207 Vgl. v. Bubnoff LK9 § 121 Rdn. 7 ff.; § 347 Rdn. 5 f. 208 Vgl. Gallas JZ 1952 372, 1960 686, 687; Lackner/KühlHeger § 27 Rdn. 5. 209 Vgl. Sch/Schröder/Heine/Weißer Vorbem. § 25 Rdn. 87 f.; Sch/Schröder/Bosch § 13 Rdn. 31; hierzu auch Stein SK vor § 13 Rdn. 39. 779

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Vorrang vor dem aktiven Beihilfebeitrag zukäme.210 Die Strafe wäre hiernach im Rahmen des § 120 Abs. 2 unter Berücksichtigung der fakultativen Strafmilderung des § 13 Abs. 2 zu bestimmen.

VIII. Vollendung – Versuch – Rücktritt 1. Tatvollendung 63 Vollendung tritt bei allen Begehungsmodalitäten mit der Aufhebung der Gefangenschaft oder Verwahrung ein; die Fremdbefreiung vollendet sich, wenn der Gefangene bzw. Verwahrte dem staatlichen Gewahrsam entzogen ist, das Verleiten und Fördern zur Selbstbefreiung, wenn er ihm selbst entronnen ist. Wann wiederum dies der Fall ist, wird je nach der Art des Gewahrsams verschieden sein. Von der geschlossenen Anstalt, dem umzäunten Internierungslager aus beginnt die Freiheit regelmäßig, wenn Mauer oder Stacheldraht überwunden sind.211 Im übrigen ist die Befreiung vollendet, wenn Aufsicht, Begleitung oder Bewachung der Gewahrsamsgewalt abgeschüttelt sind.212 Mangels Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Überwachung ist der Gefangene der Gewalt der Aufsichtsperson auch dann tatsächlich bereits entronnen, wenn er für die Stimme der Aufsichtsperson noch erreichbar ist oder durch einen dazwischentretenden Unbeteiligten aufgehalten wird. Solange jedoch die Aufsichtsperson den Fluchtversuch schon im Ansatz zu vereiteln vermag, sei es auch mit verlängertem Arm, besteht ihre Gewahrsamsgewalt fort. Der flüchtende Gefangene, der durch Waffengebrauch (Warnschuss) oder durch unmittelbares Nachsetzen (Wachhunde) noch im Sichtbereich gestellt wird, hat den Fuß noch nicht in die Freiheit gesetzt; wohl aber, wenn es ihm gelungen war, sich auch nur für eine Zeit lang so zu verbergen, dass er erst aufgespürt werden musste.213 Die bloß vorübergehende tatsächliche Aufhebung der Verwahrungsgewalt reicht somit aus. Dies alles gilt gleichermaßen für alle drei Begehungsformen des § 120.214 64 Mit Vollendung der Befreiung ist das Vergehen gegen § 120 in der Regel auch beendet. Zu mehr als zur Erlangung der Freiheit kann das Befreiungsunternehmen nicht führen; eine gesicherte Freiheit, Schutz vor dem Wiederzugriff, kann es nicht gewährleisten. Darum fällt der zu solchem Zweck nach erlangter Freiheit gewährte Beistand nicht unter den § 120.215 Insoweit ist § 258 StGB einschlägig.

2. Versuch 65 a) Reichweite der Versuchsstrafbarkeit. Der Versuch ist strafbar (Absatz 3). Die Versuchsstrafbarkeit, deren kriminalpolitischer Grund in dem deliktsspezifischen besonderen Tatanreiz zu sehen ist, erfasst alle Begehungsarten des Absatz 1, auch das Verleiten zum und das Fördern des Entweichens. Da nur die erste Begehungsform eigentlich täterschaftliches Handlungsunrecht enthält, die anderen beiden Modalitäten hingegen der Sache nach Teilnahmecharakter tragen (Rdn. 33), ergibt sich die Merkwürdigkeit, dass der Versuch der Anstiftung oder Beihilfe zur ersten Begehungsform, nämlich zur Fremdbefreiung als einem Vergehen allgemeinen Regeln folgend straflos bleibt,216 während das versuchte Verleiten oder Fördern der Selbstbefrei210 211 212 213 214 215 216

Vgl. Herzberg JuS 1975 171; Sch/Schröder/Eser Rdn. 20. RGSt 25 65, 66; RMG 20 273. RG GA Bd. 37 171, 174. RGSt 36 402, 404. Missverständlich BGHSt 9 62, 63 zu § 120 a. F. RGSt 25 65, 66. BGHSt 7 234, 237; 14 156, 157.

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VIII. Vollendung – Versuch – Rücktritt

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ung dagegen kraft ausdrücklicher Vorschrift strafbar ist. Aus der begrenzten Strafbarkeit der versuchten Anstiftung (§ 30) und der grundsätzlichen Straflosigkeit versuchter Beihilfe können aber insoweit keine Folgerungen gezogen werden,217 weil es sich bei dem Verleiten und Fördern des Entweichens nach der gesetzlichen Konzeption eben nicht um akzessorische Teilnahmeformen handelt, sondern um verselbständigte Begehungsformen. Dem Versuch eines unmittelbaren Inbeziehungstretens zu dem Gefangenen – sei es mit Verleitungs- oder Förderungscharakter – wird ersichtlich ein höherer Gefährdungsunwert beigemessen. Auch der untaugliche Versuch ist strafbar. Wer eine Person, die wegen des Verdachts der Trunkenheit im Verkehr einer Blutprobe zugeführt werden soll, der Polizei zu entziehen sucht, kann wegen Versuchs der Gefangenenbefreiung strafbar sein.218

b) Versuchsbeginn bei 2. und 3. Var. Die gesetzliche Umprägung der Anstiftungs- oder Bei- 66 hilfehandlungen in Absatz 1 2. und 3. Variante zur Täterschaft hat die weitere Folge, dass der Versuch dieser Vergehen nicht erst mit der Ausführung der Selbstbefreiung beginnt, sondern – ganz unabhängig davon, ob es überhaupt hierzu kommt – schon mit dem Beginn einer Einflussnahme oder der ersten fördernden Handlung seinen Anfang nimmt. Das Gelingen des Entweichens entscheidet zwar über die Vollendung des Delikts; sein Misslingen oder Unterbleiben ist aber ohne Einfluss auf die Abgrenzung zwischen Vorbereitung und Versuch des Verleitens oder Förderns. Beim Verleiten wird der Bereich des strafbaren Versuchs mit dem Beginn der Einwirkung auf den Gefangenen im Sinne einer Selbstbefreiung, sei es gesprächsweise oder durch Absenden einer entsprechenden schriftlichen – auch verschlüsselten bzw. kaschierten – Erklärung überschritten. Die Abfassung eines derartigen Briefes ist straflose Vorbereitung. Mit jeder Handlung, die die Erklärung aus dem Bereich des Verleitenden in den Bereich des Gefangenen bringen soll, wird zur Verwirklichung des Tatbestands des Verleitens unmittelbar angesetzt. Ohne Belang ist, ob die Erklärung dem Gefangenen zugeht oder vorher abgefangen wird und ob der Gefangene sie versteht. Ein Versuch des Verleitens zum Entweichen kommt vor allem dann in Betracht, wenn 67 der Gefangene das Ansinnen zurückweist, wenn er den auf Grund des Verleitens gefassten Entschluss vor Beginn der Ausführung des Entweichens wieder aufgibt, aber auch dann, wenn der Gefangene zum Entweichen bereits fest entschlossen, die Einwirkung also nicht kausal war, oder wenn er – auf Grund der Einwirkung dazu veranlasst – einen erfolglosen Fluchtversuch unternimmt. Auch bei der Begehungsform des Förderns ist in gleicher Weise zu beachten, dass die Aus- 68 führungshandlung, mit der der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt, die Hilfeleistung zur Selbstbefreiung ist, die gerade auch den vorbereitenden Beistand umfasst.219 Das Misslingen oder Unterbleiben des Entweichens hat keine Bedeutung dafür, wann die Hilfeleistung zu Ende geführt ist. Hat der Täter alles nach seiner Meinung zur Förderung der Selbstbefreiung des Gefangenen Nötige getan, so ist er dennoch nur wegen Versuchs der Förderung des Entweichens schuldig, wenn der erstrebte Erfolg, aus welchen Gründen auch immer, ausbleibt.220 Die Tat ist aber auch schon dann versucht, wenn seine Hilfe, vorzeitig entdeckt, den Gefangenen gar nicht erreicht, sofern nur die Gefangenschaft in ihrem Fortbestand durch seine Handlungsweise unmittelbar gefährdet worden war221 – so etwa, wenn das Zuschmuggeln von Ausbruchswerkzeugen, Plastiksprengstoff, Zündern etc. verhin217 AA Siegert JZ 1973 309; dagegen Bülow Prot. 7/210; Sch/Schröder/Eser Rdn. 23. 218 Vgl. BayObLG VRS 66 275, den Gefangenenstatus zutreffend verneinend, was bei bloßer irriger Annahme des Gefangenenstatus zu einem straflosen Wahndelikt, bei falscher Annahme einer vorläufigen Festnahme durch die Polizei zu einem untauglichen Versuch führt. 219 BGHSt 9 62, 63. 220 RG JW 1929 2714; RG HRR 1935 Nr. 1629. 221 BGHSt 9 62, 64. 781

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dert wurde oder das eingebackene Sägeblatt im Kuchenpaket entdeckt und dem Gefangenen nicht zugegangen ist. Nur Versuch liegt auch dann vor, wenn die Förderungshandlung für die geglückte Flucht in keiner Weise mit ursächlich war.

69 c) Versuchsbeginn bei § 120 Abs. 2. In den Garantenfällen des Absatzes 2 beginnt das strafbare Versuchsstadium, wenn sich der Aufsichtsbeamte des Gebotenseins eines pflichtgemäßen Einschreitens zur Verhinderung einer Fremd- oder Selbstbefreiung bewusst ist – so wenn er das Zuschmuggeln von Ausbruchswerkzeugen durch einen Besucher oder Ausbruchsvorbereitungen von Gefangenen erkannt hat – und dennoch keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergreift.222

3. Rücktritt 70 Die Vorschriften über den Rücktritt vom Versuch (§ 24 Abs. 1) sind für alle Begehungsformen des Absatzes 1 unmittelbar anwendbar. Demnach ist zwischen beendetem und unbeendetem Versuch zu unterscheiden.223 Auch bei den verselbständigten Teilnahmehandlungen ist nicht etwa systemwidrig auf § 24 Abs. 2 bzw. § 31 zurückzugreifen.224

IX. Konkurrenzen 71 Zusammentreffen kann § 120 in Tateinheit mit §§ 113, 114, §§ 223 ff.,225 mit § 240 sowie mit § 303 und § 334.226 Ferner besteht Tateinheit mit §§ 258, 258a,227 jedoch gilt das Angehörigenprivileg des § 258 Abs. 6 nicht auch für § 120;228 denn es fehlt bei § 120 eine ausdrückliche, dem § 258 Abs. 6 entsprechende Regelung.229 Historisch wie teleologisch betrachtet wird diese Auslegung gestützt.230 Ein Angehöriger liefert bei § 120 keine ihm nahestehende Person aus, sondern greift in ein bereits bestehendes Gewahrsamsverhältnis ein, so dass die Notsituationen nicht vergleichbar sind. Kontaktaufnahmen im Vorfeld der Gefangenenbefreiung wird durch die Bußgeldvorschrift 72 des § 115 OWiG über den unerlaubten Verkehr mit Gefangenen begegnet.231 Für das Verhältnis zu § 120 gilt § 21 OWiG.232

222 223 224 225

Vgl. Sch/Schröder/Eser § 22 Rdn. 50, 53; auch Stein SK vor § 13 Rdn. 54 ff. BGH 3 StR 409/53 v. 26.5.1954 zur a. F.; zu den Kriterien vgl. Erl. zu § 24. Bosch MK Rdn. 38; Sch/Schröder/Eser Rdn. 23; auch BGHSt 15 198, 199; aA Zielinski AK Rdn. 37. BGH GA 1965 204, 206; Fischer Rdn. 12; Koch HK-GS Rdn. 14; Ostendorf NK Rdn. 21; aA SSW/Fahl Rdn. 14: Konsumtion. 226 BGHSt 6 308, 309; 5 StR 306/65 v. 7.9.1965. 227 Vgl. RGSt 7 244, 245; Fischer Rdn. 12, § 258 Rdn. 9; Händel BA 1984 452; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 13; einschr. SSW/Fahl Rdn. 14; Bosch MK Rdn. 39; Koch HK-GS Rdn. 14; Zielinski AK Rdn. 38: i. d. R. Gesetzeskonkurrenz. 228 RGSt 57 301, 302; SSW/Fahl Rdn. 1; Koch HK-GS Rdn. 14; aA Ostendorf NK Rdn. 21. 229 RGSt 57 301, 302. 230 Ausführlich Helm S. 374 ff. 231 Ostendorf NK Rdn. 21, dazu Göhler OWiG § 115 Rdn. 1, 2. 232 Fischer Rdn. 12. Rosenau

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§ 121 Gefangenenmeuterei (1) Gefangene, die sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften 1. einen Anstaltsbeamten, einen anderen Amtsträger oder einen mit ihrer Beaufsichtigung, Betreuung oder Untersuchung Beauftragten nötigen (§ 240) oder tätlich angreifen, 2. gewaltsam ausbrechen oder 3. gewaltsam einem von ihnen oder einem anderen Gefangenen zum Ausbruch verhelfen, werden mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) In besonders schweren Fällen wird die Meuterei mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter 1. eine Schußwaffe bei sich führt, 2. eine andere Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, um diese oder dieses bei der Tat zu verwenden, oder 3. durch eine Gewalttätigkeit einen anderen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. (4) Gefangener im Sinne der Absätze 1 bis 3 ist auch, wer in der Sicherungsverwahrung untergebracht ist.

Schrifttum Blauth „Handeln für einen anderen“ nach geltendem und kommendem Strafrecht, Diss. Heidelberg 1968; Herzberg Akzessorietät der Teilnahme und persönliche Merkmale, GA 1991 145; ders. Der agent provocateur und die „Besonderen persönlichen Merkmale“ (§ 28 StGB) JuS 1983 737; Hofmann Die Gefangenenbefreiung in ihren historischen Grundlagen sowie in rechtsvergleichender und dogmatischer Darstellung, Diss. Darmstadt 1903; John Aufruhrdelikte, Handbuch des deutschen Strafrechts (HH) Bd. III S. 123; Knödel Der Begriff der Gewalt im Strafrecht (1962); Laubenthal Der Schutz des Strafvollzugs durch das Strafrecht, Festschrift Otto (2007) 659; H. Mayer Teilnahme und Gefangenenmeuterei, JZ 1956 454; M.E. Mayer Die Befreiung von Gefangenen (1906); ders. Der Widerstand gegen Amtshandlungen, VDB Bd. I S. 434; Ostendorf Strafbare Angriffe auf die Staatsgewalt, JZ 1997 1104; ders. Das Verbot einer strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Ahndung der Gefangenenselbstbefreiung, NStZ 2007 313; Schomaker Der Tatbestand der Gefangenenmeuterei unter Berücksichtigung des Entwurfs eines StGB E 1962, Diss. Berlin 1967; Schroeder Die Teilnahme bei § 122 Abs. 3 StGB, NJW 1964 1113; Sturm Änderungen des Bes. Teils des StGB durch das Einführungsgesetz zum StGB, JZ 1975 6; Tenckhoff/Arloth Freiheit um jeden Preis, JuS 1985 129.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift des § 121 über die Gefangenenmeuterei ist in Anlehnung an die §§ 423, 424 E 1962 (Begr. S. 609) durch Art. 19 Nr. 45 des EGStGB (BGBl. 1974 I S. 469 ff.) neu gefasst worden und ersetzt die früheren Vorschriften der §§ 122, 122a a. F. (EEGStGB S. 220). Mit dem 6. StrRG vom 26.1.1998 (BGBl. I S. 164) wurde in der Beschreibung des besonders schweren Falles des § 121 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 der Begriff der „schweren Körperverletzung“ durch den Begriff der „schweren Gesundheitsschädigung“ ersetzt, weil der Schutz der körperlichen Unversehrtheit eine Erweiterung über die sehr spezielle schwere Körperverletzung des heutigen § 226 (§ 224 a. F.) hinausgehend erfahren sollte. Auf die konkrete Gefahr einer der in § 226 umschriebenen Folgen sollte es nicht mehr ankommen (vgl. E 6 StrRG, BTDrucks. 13/8587 Begr. S. 27 f.). Zuletzt wurde durch das 44. Gesetz zur Änderung des StGB eine Anpassung bei den Regelbeispielen vorgenommen (BGBl. 2011 I S. 2130). In § 121 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ist neben dem Beisichführen einer Waffe zum Zwecke der Verwendung nun auch das gefährliche Werkzeug erfasst. Damit wurde ein Gleichlauf mit dem ebenfalls reformierten § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB bezweckt, und zwar auch als Reaktion einer Kammerentscheidung des BVerfG (NStZ 2009 83) zum Waffenbegriff. Zur Übergangsfassung bis zur endgültigen Aufgabe der sozialtherapeutischen Anstalt durch das StVollzÄndG vom 20.12.1984 (BGBl. I 1654) vgl. v. Bubnoff LK11. Zur Entstehungsgeschichte der ursprünglichen Fassung vgl. RGSt 58 76, 77; 69 289, 290.

783 https://doi.org/10.1515/9783110490008-082

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Gefangenenmeuterei

Gesetzesmaterialien EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220 f.; Schriftl. Bericht BTDrucks. 7/1261 S. 11; Prot. 7/209 f.; E 1962 Begr. S. 609; Niederschriften Bd. 13 S. 593, 598, 623; RegBulletin Nr. 151/74 S. 1530; zum StVollzÄndG 1984: Entw. BTDrucks. 10/309; Schriftl. Bericht BTDrucks. 10/2213; zum 6. StrRG Reg E BTDrucks. 13/8587, Beschl Empfehlung u. Bericht BTDrucks. 13/9064; zum 44. StrÄndG: Reg E BTDrucks. 17/4143; Beschl Empfehlung u. Bericht BTDrucks. 17/6506.

Übersicht I. 1. 2. 3.

4. II. 1.

2.

Grundlagen 1 1 Regelungsübersicht 4 Rechtsgut 5 Deliktsnatur 5 a) Aufruhrdelikt 6 b) Sonderdelikt 7 Praktische Bedeutung Objektiver Tatbestand 8 8 Handlungssubjekt 8 a) Gefangene b) In der Sicherungsverwahrung Untergebrachte 9 10 c) Überweisung in andere Maßregel d) Vollzug in sozialtherapeutischer An11 stalt 12 e) Kriegsgefangene 13 f) Außenseiter 14 Tathandlung 15 a) Sich Zusammenrotten 23 b) Meutereihandlungen 23 aa) Zeitliche Koinzidenz 24 bb) Vereinte Kräfte cc) Meutereihandlungen im Einzel27 nen (1) Nötigung oder tätlicher Angriff 28 (Nummer 1) 29 (a) Angriffsobjekt (b) Rechtmäßige Amtsaus31 übung

(2) (3)

32 (c) Nötigung 38 (d) Tätliches Angreifen Gewaltsames Ausbrechen (Nummer 2) 40 Ausbruchshilfe (Num51 mer 3)

III.

Subjektiver Tatbestand

IV. 1. 2.

Täterschaft und Teilnahme 54 Täter 55 Teilnehmer

V.

Tatvollendung und Versuch

VI. 1.

Rechtsfolgen 58 58 Besonders schwere Fälle (Absatz 3) 59 a) Beisichführen einer Schusswaffe b) Beisichführen einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs in Verwendungsab60 sicht 61 c) Gewalttätigkeit mit schwerer Folge d) Unbenannt besonders schwere Fälle 63 64 e) Vorsatzerfordernis Andere an den Regelbeispielen Betei65 ligte

2.

VII. Konkurrenzen

53 54

56

67

I. Grundlagen 1. Regelungsübersicht 1 Der heutige § 121 erfasst die Gefangenenmeuterei, die im Absatz 1 tatbestandlich umschrieben wird. Die Gefangenenmeuterei ist ein zweiaktiges Delikt. Nach dem Erfordernis des sprachlich wenig geglückten Zusammenrottens muss eine der Meutereihandlungen der Nummern 1 bis 3 „mit vereinten Kräften“ begangen werden. Das Gesetz nennt drei Begehungsformen: die Nötigung i. S. d. § 240 oder den Angriff auf Amtsträger und gleichgestellte Personen, der tätliches Vorgehen erfordert (Nummer 1); das gewaltsame Ausbrechen (Nummer 2) und das ZumAusbruch-Verhelfen (Nummer 3). Die Tat ist Vergehen mit für strafbar erklärtem Versuch (Absatz 2). Auf die Ausgestaltung 2 als Unternehmensdelikt, wie sie § 122 a. F. für die Fälle des Nötigens und des gewaltsamen Aus-

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I. Grundlagen

StGB § 121

brechens vorsah, wurde verzichtet. Damit besteht nun in Fällen des Versuchs die Möglichkeit der Strafmilderung (§ 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1). Ferner ist Rücktritt vom Versuch nach § 24 möglich. Der Regelstrafrahmen ist gegenüber dem früheren Recht, entgegen den Vorschlägen des 3 Bundesrates, im Mindestmaß von sechs auf drei Monate ermäßigt worden, um auch Fällen von vergleichsweise geringem Unrechtsgehalt gerecht zu werden.1 Insoweit wurde insbesondere auf die von der Rechtsprechung im Rahmen des § 122 Abs. 2 a. F. behandelten Fälle des Durchschneidens elektrisch geladener Drähte2 sowie das Abbrechen eines vorher angesägten Gitterstabs3 hingewiesen. Absatz 3 der Vorschrift erfasst mit der Gesetzestechnik der Regelbeispiele besonders schwere Fälle. Die Regelung orientiert sich an der entsprechenden Vorschrift des § 125a über besonders schwere Fälle des Landfriedensbruchs.

2. Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist wie in den Fällen der Gefangenenbefreiung (§ 120 Rdn. 8) die Ver- 4 wahrungsgewalt des Staates. Sie ist Angriffsgegenstand, in Gestalt des Haftpersonals in allen Tatbeständen, in Absatz 1 Nr. 2 und 3 auch in Gestalt der Verwahrungseinrichtungen.4 Mit dem Schutz des Haftpersonals (also der Vollstreckungsorgane) bezieht § 121 zugleich den Schutzzweck des § 113 mit ein. Diese Sichtweise eines bipolaren Rechtsgutes des § 120 und des § 113 wird überwiegend vertreten.5 Im Ergebnis nicht anders erscheint auch die alternative Rechtsgutsbestimmung, die den Schutz der Anstaltssicherheit und Anstaltsordnung als Grundlage für den Vollzug von Freiheitsstrafen in den Vordergrund stellt und den Schutz des Haftpersonals zwangsläufig mitumfasst sehen will, wobei unklar bleibt, ob letzteres als bloßer Reflex gesehen wird.6 Diese Ansicht wird freilich der Bedeutung, die § 121 dem Schutz der Vollzugsbediensteten zumisst, nicht gerecht. Diese zeigt sich in der ausdrücklichen Aufnahme der höchstpersönlichen Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit im Regelbeispiel des Absatzes 3 S. 2 Nr. 3. Zu Recht wird eine frühere Judikatur kritisiert, die im Absatz 2 a. F., dem heutigen Absatz 1 Nr. 2 u. 3 n. F., nicht die Verwahrung der Gefangenen, sondern die Unversehrtheit der Abschlusseinrichtungen als geschütztes Rechtsgut sieht.7 Indes genießen die Abschlusseinrichtungen den besonderen Schutz des § 121 nur deshalb, weil sie der Verwahrung der Gefangenen dienen und Ausdruck der Verwahrungsgewalt des Staates sind. Ihre stoffliche Unversehrtheit wäre schon durch § 303 geschützt. Offenbar ist BGHSt 15 198, 200 deshalb von BGHSt 16 34, 35 stillschweigend aufgegeben worden.8

3. Deliktsnatur a) Aufruhrdelikt. § 121 ist seiner Struktur nach, wie ein Vergleich insbesondere mit dem frühe- 5 ren § 115 ergibt, ein Aufruhrdelikt und kann daher in Absatz 1 Nr. 1 u. 3 überhaupt nicht, in Absatz 1 Nr. 2 allenfalls bedingt als eine Ausnahme von dem Grundsatz der Straflosigkeit der 1 2 3 4

Ber. BTDrucks. 7/1261 S. 11; Prot. 7/210; Bulletin Nr. 151/74 S. 1530. BGH 2 StR 374/51 v. 11.11.1952. BGH 4 StR 163/61 v. 16.6.1961. BGHSt 16 34, 35; RGSt 55 67, 68 und schon RGSt 2 80, 81; Schomaker S. 7, 9. s. Rdn. 41; vgl. auch Calliess Der Gewaltbegriff S. 38, der als geschütztes Rechtsgut die Kommunikations- und Anordnungsstruktur der Anstalt ansieht. 5 Barton AnwK Rdn. 1; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Kindhäuser/Hilgendorf LPK Rdn. 1; Koch HK-GS Rdn. 1; Ostendorf NK Rdn. 3; Sch/Schröder/Eser Rdn. 1. 6 Bosch MK Rdn. 1. 7 BGHSt 15 198, 200, auch BayObLGSt 1965 151, 152. 8 Krit. ebenso Bosch MK Rdn. 1. 785

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Gefangenenmeuterei

Selbstbefreiung bezeichnet werden.9 Der innere Grund für die strenge, im Vergleich zu den §§ 113, 125, 240 schärfere Strafe ist die nicht gering einzuschätzende Gefahr, die bei Ausschreitungen sich zusammenschließender Gefangener, oft von Gewalttätern, für die Ordnung und das Eigentum in der Anstalt, für Leib und Leben des Wachpersonals, bei Gelingen eines Ausbruchs auch für die Allgemeinheit, insgesamt für die öffentliche Sicherheit entsteht.10 Die Vorschrift des § 121 beschreibt den Tatbestand eines solchen gefährlichen Rotten- und Gewaltdelikts, tastet also die Straflosigkeit schlichter Selbstbefreiung nicht an.11

6 b) Sonderdelikt. Der Tatbestand des § 121 ist als Sonderdelikt gefasst.12 Als Täter kommen nur Personen in Frage, die Gefangene sind und sich in der Zusammenrottung befinden.

4. Praktische Bedeutung 7 Die Verurteiltenstatistik weist für die letzten fünf Jahre folgende Zahlen aus: 2014 4; 2015 2; 2016 2; 2017 4; 2018 5.13 Diese Zahlen manifestieren die beschränkte Bedeutung des Tatbestandes.14 Die durchweg verhängten Freiheitsstrafen bewegen sich im unteren Bereich, wobei sich ein auffälliges Ungleichgewicht von Erwachsenen- zum Jugendstrafrecht zeigt: Hier fallen die Sanktionen deutlich höher aus.15 In der Polizeilichen Kriminalstatistik wird die Straftat des § 121 nicht gesondert erfasst.

II. Objektiver Tatbestand 1. Handlungssubjekt 8 a) Gefangene. Der Begriff des Gefangenen wird in § 121 Abs. 1 in gleicher Weise verstanden wie in § 120 Abs. 1 bei der Gefangenenbefreiung. Auch die Meutereivorschrift geht von dem engen Gefangenenbegriff aus (vgl. § 120 Rdn. 12).

9 b) In der Sicherungsverwahrung Untergebrachte. § 121 Absatz 4 erweitert den Begriff des Gefangenen. Für die Fälle der Meuterei werden die in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen ausdrücklich in den Gefangenenbegriff einbezogen. Nur dieser spezifischer Teil der Unterbringungsfälle wird also anders als in § 120 Abs. 4 den Gefangenen nicht lediglich gleichgestellt.16 Diese Differenzierung hat gesetzestechnische Auswirkungen auf andere untergebrachte Gruppen. Die nach §§ 63, 64 in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt Untergebrachten oder andere behördlich Verwahrte können sich so nicht wegen Meuterei strafbar machen. Gegen diesen Personenkreis soll – anders als bei Sicherungsverwahr-

9 Vgl. zu § 122 a. F. insoweit RGSt 15 217, 220; M. E. Mayer S. 15 f.; Schomaker S. 6; aM Maurach JZ 1953 342. 10 Vgl. BGH 4 StR 581/65 v. 14.1.1966; RGSt 55 67, 68; 69 294, 296; RG GA Bd. 45 120, 121; Bd. 51 48. 11 Vgl. BGHSt 4 396, 400; Bosch MK Rdn. 2; vHH/Dallmeyer Rdn. 1, SSW/Fahl Rdn. 1. 12 Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 2; Fischer Rdn. 2. 13 Statistisches Bundesamt Deutschland, Fachserie 10 Reihe 3, abrufbar unter https://www.destatis.de, zuletzt abgerufen am 2.2.2020.

14 Ostendorf NK Rdn. 4. 15 Bosch MK Rdn. 3, 1986 schon Zielinksi AK Rdn. 28. 16 Vgl. Ber. BTDrucks. 7/1261 S. 11; Prot. 7/211; EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 221; vgl. § 120 Rdn. 12. SSW/Fahl Rdn. 3; die weitere Ansicht von Koch HK-GS Rdn. 2, ist mit dem klaren Wortlaut des Abs. 4 nicht vereinbar. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

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ten – die strenge Meutereivorschrift nicht angewandt werden. Der Gesetzgeber hält insoweit ersichtlich die allgemeinen Strafbestimmungen gegen Gewalttaten für ausreichend.17

c) Überweisung in andere Maßregel. § 121 Abs. 4 verwendet bewusst den Unterbringungs- 10 begriff im spezifischen Sinne des neuen (so neu ist es ja nicht mehr) Maßregelsystems der §§ 61 ff. Insoweit ist zu beachten, dass sich der rechtliche Status des Verurteilten auch im Falle einer Überweisung (§ 67a StGB) nach der ursprünglich angeordneten Maßregel richtet.18 Entscheidend bleibt der Inhalt der gerichtlichen Unterbringungsanordnung. Personen, deren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder der nachträglichen Sicherungsverwahrung angeordnet ist und die anschließend in ein psychiatrisches Krankenhaus oder den Vollzug einer Entziehungsanstalt überwiesen werden (§ 67a Abs. 2), unterfallen weiterhin dem Absatz 4. Indes wird es hier meist an den weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 121 fehlen, weil eine Zusammenrottung eines Gefangenen bzw. von der Anordnung der Sicherungsverwahrung Betroffenen (Absatz 4) mit einem sonst behördlich Verwahrten nicht ausreicht (Rdn. 54). Wirkt allerdings ein von der Maßregelanordnung nach § 66 Betroffener nach Überweisung gemäß § 67a Abs. 2 in den Maßregelvollzug einer psychiatrischen Anstalt mit einem dorthin vorübergehend gemäß § 81 StPO eingewiesenen Untersuchungsgefangenen (s. § 120 Rdn. 15) zusammen, so ist die Meutereivorschrift des § 121 anwendbar.

d) Vollzug in sozialtherapeutischer Anstalt. In Anknüpfung an die ursprüngliche Maßre- 11 gelkonzeption (§ 65) bezog sich § 121 Abs. 4 (i. d. F. des Art. 19 Nr. 45 EGStGB) vor seiner Abänderung (durch Art. 3 Nr. 2 StVollzÄndG, BGBl. 1984 I S. 1655) ausdrücklich auch auf die in der sozialtherapeutischen Anstalt Untergebrachten. Der Eliminierung der sozialtherapeutischen Anstalt als – nie in Kraft getretener – Maßregel aus dem StGB (durch Art. 2 Nr. 3 des StVollzÄndG 1984) lagen ungeachtet sachorientierter, kriminalpolitischer und strafideologischer Gesichtspunkte vor allem finanzielle Erwägungen zugrunde, die zu dem § 65 betreffenden Aufhebungsvorschlag des Bundesrates (BTDrucks. 10/309 S. 9) führten.19 Das StVollzÄndG 1984 hat indes zugunsten der sog. Vollzugslösung entschieden, bei der die Sozialtherapie als Modalität des Strafvollzugs erhalten bleibt; die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt ist danach als spezielle Vollzugsmaßnahme im Rahmen des Strafvollzugs anzusehen. Der gemäß § 9 StVollzG aufgrund einer Ermessensentscheidung der Vollzugsbehörde in einer sozialtherapeutischen Anstalt befindliche Verurteilte unterfällt somit bereits dem Gefangenenbegriff des § 121 Abs. 1, weil die Unterbringung in diesem Anstaltstypus nur im Rahmen des Vollzugs einer Freiheitsstrafe möglich ist. Einer besonderen Einbeziehungsregelung wie bei der Sicherungsverwahrung bedarf es hiernach nicht.

e) Kriegsgefangene. Auch Kriegsgefangene (§ 120 Rdn. 15) sind mögliche Täter, weil sie 12 grundsätzlich den Gesetzen des Gewahrsamsstaates unterliegen. Machen sie sich einer strafbaren Handlung allein in der Absicht schuldig, ihre Flucht zu erleichtern, und wenden sie dabei keine Gewalt gegen Personen an, so darf die Tat jedoch nur disziplinarrechtlich geahndet werden. Ebenso dürfen Kriegsgefangene, die zur Flucht oder zu einem Fluchtversuch geholfen haben, nur mit einer Disziplinarstrafe belegt werden (Art. 82, 93 Abs. 2, 3 Genfer Abk. v. 12.8.1949, BGBl. 1954 II 781, 838). § 121 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 sind daher gegen Kriegsgefangene nicht anwendbar, wenn sie bei einem Ausbruch nur öffentliches Eigentum, z. B. die Absperrvorrichtungen

17 Vgl. zum früheren Recht BGH GA 1965 205. 18 Bosch MK Rdn. 6; Laubenthal FS Otto, S. 661; v. Bülow Prot. 7/209. 19 Vgl. Kaiser/Dünkel/Ortmann ZRP 1982 198; Rosenau StV 1999 388, 397; Schöch ZRP 1982 207, 209. 787

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Gefangenenmeuterei

beschädigen oder zerstören. Die Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts in RMG 20 50 und 21 83, 85 sind insofern überholt.

13 f) Außenseiter. Für Außenseiter kommt nur Teilnahme an § 121 in Betracht. Als Außenseiter sind sowohl Gefangene, die der Zusammenrottung nicht angehören20 wie Außenstehende anzusehen; sie können nur wegen strafbarer Teilnahme an der Meuterei belangt werden.

2. Tathandlung 14 Gemeinsame Voraussetzung aller tatbestandlichen Begehungsformen ist es, dass Gefangene sich zusammenrotten und die Meutereihandlungen i. S. d. Nr. 1 bis 3 mit vereinten Kräften begehen.

15 a) Sich Zusammenrotten. Zusammenrotten bedeutet räumliches Zusammentreten oder Zusammenhalten von mindestens zwei Gefangenen zu einem gemeinschaftlichen, im Wege erkennbar bedrohlichen oder gewaltsamen Verhaltens zu erreichenden Zweck. Kennzeichnend ist ihr geschlossenes Auftreten zu rechtswidrigem Handeln. Dieses unterscheidet sie von dem Verein (§ 2 Abs. 1 VereinsG), der Vereinigung (§§ 85 ff., 129 ff.);21 die notwendig rechtswidrige Absicht unterscheidet sie von der Versammlung (§§ 80a, 111; § 1 VersG), der Ansammlung (3. StrRG Art. 2)22 und dem Aufzug (§ 1 VersG). 16 Dem altertümlich anmutenden Begriff haftet ein abwertender Sinn („rotten“) und ein Zahlenwert an („zusammen“). Der allgemeine Sprachgebrauch und das Strafgesetz verwenden ihn jedoch nicht in gleicher Bedeutung.23 Übereinstimmend versehen sie ihn zwar mit einem abwertenden Vorzeichen,24 den ihm innewohnenden Zahlenwert bemessen sie jedoch verschieden. Dem Strafgesetz genügen zwei, dem Sprachgebrauch erst Menschen in größerer Anzahl. Gemeinhin hat die Sprache eine öffentliche Zusammenrottung vor Augen, aufrührerische Situationen also, wie sie das Gesetz selbst in §§ 124, 125 und früher eigens in § 115 voraussetzt. Während das StGB aber in §§ 124, 125 (a. F.) durch Hinzufügen des Merkmals der „Menschenmenge“ wenigstens im Ergebnis mit dem Sprachgebrauch gleichzieht, bleibt die Diskrepanz im übrigen bestehen. Besonders deutlich war dies im früheren § 115.25 Der Befund ist für das Strafrecht in gewisser Weise heikel; denn einer Auslegung über die Wortlautgrenze hinaus steht Art. 103 Abs. 2 GG entgegen.26 Die überkommene Vorstellung, eine Bande könne aus lediglich zwei Mitgliedern bestehen, ist entsprechend auch aufgrund der Wortbedeutung der Bande von der Rspr. aufgegeben worden.27 In Anlehnung an die zitierte Entscheidung des Großen Strafsenates des BGH wird in der Literatur eine Abkehr von der bisherigen Auslegung vertreten und die Zusammenrottung als ein Zusammenschluss von mehreren, d. h. mehr als zwei Personen verstanden.28

20 21 22 23 24 25

Vgl. BGHSt 9 119, 120. BGHSt 20 45, 60. Frowein NJW 1969 1081. M. E. Mayer VDB Bd. I 434, 469; DJZ 1905 57; aM RGSt 3 1, 2. BGHSt 23 46, 52; Heilborn ZStW Bd. 18 (1898) 171 f.; Tiedemann JZ 1968 766. Pointiert Binding Lehrb. § 275 III A 1a; S. 805, Fn. 4: Wer sagte wohl von einem Ehepaar, das sich der Exmittierung durch den Gerichtsvollzieher bis auf die Straße hin widersetzt, es habe sich dazu zusammengerottet? 26 BVerfGE 71 108, 115; 92 1, 12. 27 BGHSt 46 321 ff. 28 Ostendorf NK Rdn. 8; Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 4. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

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Indes lässt sich die ganz überwiegende Ansicht, die lediglich zwei Gefangene genügen 17 lässt,29 halten. Die reflexive Form „sich zusammenrotten“ lässt eine Deutung zu, bei der eine Zusammenrottung im sprachlichen Sinne, nämlich bestehend aus mehreren Personen, noch nicht entstanden, wohl aber angelegt ist. Das ist bereits beim Zusammenschluss von zwei Gefangenen der Fall, bei dem schon deren geschlossenes, vereintes Vorgehen in der potentiell aufgeladenen Anstaltssituation einen eigenständigen Teilnahmeanreiz für unbeteiligte Gefangene bedeutet.30 An diese Aktionsgefahr für die Anstaltssicherheit und -ordnung lässt sich anknüpfen, um ein Zusammenrotten von zwei Anstaltsinsassen ausreichend sein zu lassen. Dabei ist die besonders sensible Lage in einer Anstalt mit zu berücksichtigen. In den besonderen Gewaltverhältnissen der Verwahrungs- und Befehlsunterworfenheit ist einerseits die Strenge der Staatsgewalt fühlbarer, der Anreiz, sich gegen sie aufzulehnen, stärker als sonst. Zudem sind hier schon zwei aufsässige Gefangene eine Übermacht über den einzelnen Aufsichtsbeamten oder Vorgesetzten und damit eine Bedrohung der Ordnung und Sicherheit in der Anstalt.31 Die Rspr. hat entsprechend, angefangen von RGSt 2 80, 81 f. und RMG 3 128, 131 bis zu BGHSt 20 305, 307, stets daran festgehalten, dass schon zwei Gefangene den Tatbestand des § 122 a. F. (§ 121 n. F.) verwirklichen können. Das negative Vorzeichen der Zusammenrottung setzt die Absicht der zusammengeschlos- 18 senen Personen voraus, ein gemeinsames Ziel durch geschlossenes Auftreten gegen die Staatsmacht rechtswidrig zu erreichen. Gewalt und Drohung braucht von der Zusammenrottung nicht von vornherein gewollt zu sein.32 Im § 121 sind Zusammenrottung und Gewalttat bzw. bedrohliches Handeln in zeitlicher, nicht in kausaler Folge verknüpft. Daher ist nicht nötig, dass die Zusammenrottung im Sinn hat, gerade eine der Tatbestandshandlungen zu begehen33 und noch weitere Gewalt zu verüben.34 Wohl aber muss sie ihre rechtswidrige Absicht erkennen lassen.35 Diese wird im Bereich des § 121 unschwer an der Bedrohlichkeit geschlossenen Auftretens der Gefangenen abzulesen sein.36 Das die Zusammenrottung von der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2)37 unterscheidende Merkmal 19 ist das geschlossene Auftreten der Rotte als eine Einheit, das in der von der Rspr. entwickelten Formulierung ein „räumliches Zusammentreten oder Zusammenhalten“ zu gemeinschaftlichem rechtswidrigen Handeln verlangt.38 Tuchfühlung ist nicht vonnöten;39 Lockerung darf aber nicht zur Auflösung des räumlichen Zusammenhangs führen.40 Der geistige Urheber eines Ausbruchsplans, der die Ausführung Mitgefangenen überlässt und erst nach geglücktem Unternehmen auf dem geschaffenen Fluchtweg selbst entflieht, der führende Kopf, der die Rotte, von ihr deutlich abgesetzt (z. B. aus der Zelle über Sprechfunk) leitet, kann zwar der Mittäterschaft der von der Rotte bei der Meuterei verübten Straftaten schuldig sein; Täter der Meuterei selbst 29 Bosch MK Rdn. 7; vHH/Dallmeyer Rdn. 3; SSW/Fahl Rdn. 4; Fischer Rdn. 3; Koch HK-GS Rdn. 4; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 3; Laubenthal FS Otto 663; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 18; Rengier BT 2, § 54 Rdn. 11; Schomaker S. 14 ff.; Sch/Schröder/Eser Rdn. 4; Wolters SK Rdn. 5; aM Binding Lehrb. § 236 2; Heilborn ZStW Bd. 18 (1898) 168 ff.; John Handbuch des deutschen Strafrechts Bd. III S. 123, 147. 30 Bosch MK Rdn. 7. 31 Vgl. Tenckhoff/Arloth JuS 1985 129, 130. 32 AA AG Bochum NJW 1971 155. 33 RGSt 69 294, 296. 34 RGRspr. Bd. 8 322. 35 RGSt 2 80, 81; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; aA Wolters SK Rdn. 5 und Zielinski AK Rdn. 8, die insoweit darauf abstellen, dass diese in den Meutereihandlungen ohnehin zum Ausdruck kommen. 36 BGHSt 23 46, 52; RGSt 54 313, 314; RGSt 69 294 und schon RGSt 3 1, 2; RMG 20 50, 53; 160, 162; BGH NJW 1954 1694 zu §§ 115, 125 a. F.; RGSt 53 305; 56 281 zu § 115 a. F.; RGSt 20 405, 406; 52 118, 119 und RMG 5 57 zu § 125 a. F.; E 1962, Begr. zu § 295 S. 469 f.; BGH NZWehrr 1968 112 zu § 27 WStG; RMG 10 22, 25 zu § 106 MilStGB 1940. 37 RGSt 15 217, 220. 38 RGSt 2 80, 81 und 3 1, 2; dem folgend BGH NJW 1954 1694; NZWehrr 1968 112; OLG Schleswig SchlHA 1976 167. 39 RGSt 60 331, 332. 40 BGH 5 StR 454/68 v. 24.9.1968; OGHSt 2 364, 366. 789

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ist er nicht, weil er bei dieser nicht räumlich-körperlich in der Rotte mitgewirkt hat.41 Bei räumlicher Trennung ist eben keine „Zusammenrottung“ möglich; insoweit besteht nicht die typische Gefahrenlage, der § 121 begegnen will.42 Einzelgefangene in nebeneinander liegenden Zellen, die durch Klopfzeichen verabreden, gemeinsam auszubrechen, sind daher nicht zusammengerottet, wenn sie, jeder in seiner Zelle, auf dieses Ziel hinarbeiten,43 auch nicht dann, wenn sie Löcher in die Zwischenwand stemmen, durch die sie sich zwar verständigen, auch Werkzeug zureichen, durch die sie aber nicht zusammentreten können;44 anders ist bei ausreichend großer Öffnung zum Hindurchkriechen zu entscheiden.45 Selbst dann besteht noch keine Zusammenrottung, wenn sie gemeinschaftlich und zugleich an der Beseitigung von Hindernissen arbeiten, die ihrem Zusammenkommen im Wege stehen, solange dieser Versuch nicht gelingt.46 Eine Zusammenrottung besteht somit auch dann nicht, wenn der eine von außen die Schließfeder des Türschlosses hochdrückt und der andere von innen den Sperrriegel zurückschiebt.47 Dagegen ist das Zusammenrotten zweier Gefangener in einer Zelle ohne Weiteres möglich;48 ebenso, wenn unmittelbar körperlicher Kontakt ermöglicht wird.49 Da es kein Wesenszug der Zusammenrottung ist, dass sie zu dem Zweck gebildet wird, ihr 20 rechtswidriges Vorhaben gerade mit Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt durchzusetzen, sind ihre Entstehung und ihr Bestand unabhängig davon, ob es später zu Aufsässigkeiten oder zum Ausbruch kommt.50 Mithin ist es, falls doch dergleichen geschieht, für ihr Bestehen ohne Bedeutung, ob sich alle oder nur einzelne Rottenmitglieder an der Nötigung, dem tätlichen Angriff oder dem gewaltsamen Ausbruch beteiligen oder ob nur ein einziges Mitglied sie ausführt.51 Demgemäß ist es möglich, dass sich die Rotte – ein Beteiligungsbegriff eigener, von der Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 verschiedener Art – aus Meutereitätern und Meutereigehilfen zusammensetzt.52 21 Die Zusammenrottung kann ausdrücklich verabredet sein oder stillschweigend zustande kommen.53 Sie kann auch aus einer zunächst unverfänglichen Zellengemeinschaft entspringen.54 Die Verabredung ist ein Anzeichen für eine Zusammenrottung; sie begründet diese jedoch noch nicht; es muss der räumliche Zusammenschluss hinzutreten.55 Das Zusammenrotten muss ernstlich gewollt sein. Macht ein Gefangener nur zum Schein mit, so besteht die Zusammenrottung nur unter den übrigen; bleibt nur ein Gefangener übrig, weil insgesamt bloß zwei beteiligt waren, so fehlt es an dem Merkmal überhaupt;56 insoweit ist die für eine Zusammenrottung charakteristische erhöhte Gefährlichkeit nicht gegeben. Im Falle der bloßen Scheinbeteiligung an Meutereiplänen eines von zwei Gefangenen kommt für den Ausbruchswilligen, Nötigenden etc., der von den tatsächlichen Voraussetzungen einer Zusammenrottung ausgeht, ein untaugli-

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52

RGSt 50 85, 86; BGH 4 StR 581/65 v. 14.1.1966 zu § 122 a. F.; RGSt 58 207, 208 zu § 125 a. F. RG GA Bd. 51 48. RG LZ 1922 79. RGSt 50 85, 86. OLG Koblenz OLGSt § 122 a. F. S. 8. RGSt 54 313, 314 f. AM RMG 20 160, 162. Seit RGSt 2 80, 81 st.Rspr. OLG Koblenz OLGSt § 122 a. F. S. 7; OLG Düsseldorf MDR 1971 774. RGSt 42 266 f.; ungenau BGH 2 StR 374/51 v. 11.11.1952. RGSt 15 217, 220; RG GA Bd. 51 48. RGSt 69 294 f.; RG HRR 1937 Nr. 680 gibt die gegenteilige Ansicht RGSt 17 47, 49 auf, dass alle Rottenmitglieder Mittäter seien; bedenklich BGHSt 9 119, 120. 53 RG GA Bd. 39 326, 327. 54 BGH NJW 1953 1031; BGH 2 StR 248/68 v. 19.6.1968, bei Dallinger MDR 1968 895; RMG 5 57, 58. 55 RGSt 5 377, 378. 56 OLG Hamm JZ 1953 342 m. zust. Anm. Maurach. Rosenau

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cher Versuch in Betracht.57 Das Zusammenwirken eines Gefangenen mit einer nicht unter Absatz 1 und Absatz 4 fallenden behördlich verwahrten Person reicht nicht aus.58 Im Tatbestand ist die Zusammenrottung allerdings für sich allein (strafloser) Torso.59 In 22 strafbarer Weise setzt die Verwirklichung des Tatbestands erst ein, wenn ein Mitglied in der geschlossen auftretenden Rotte mit einer Nötigungs- oder Angriffshandlung oder mit dem Ausbruch beginnt.60 Dabei kommt es dann freilich darauf an, ob das einzelne Rottenmitglied als Mittäter handelt oder nur unterstützend mitwirkt.

b) Meutereihandlungen aa) Zeitliche Koinzidenz. Tatbestandserheblich ist die Zusammenrottung auch nur dann, 23 wenn sie während der eigentlichen Meutereihandlungen oder bei dem Ausbruch oder der Ausbruchshilfe entsteht oder fortbesteht.61 Hat sie sich vorher aufgelöst, sind z. B. gemeinsam planende Gefangene einzeln ausgebrochen, ist der Meutereitatbestand nicht gegeben.62 Tatbestandslos ist es, wenn die Zusammenrottung nach geglücktem Unternehmen, etwa auf der Flucht, noch fortgesetzt worden ist.63 Unerheblich ist es ferner, ob die Zusammenrottung innerhalb oder außerhalb der Anstalt gebildet, die Meuterei hier oder dort begangen wird. Die Meuterei kann auch bei Außenarbeiten oder im Gerichtssaal während der Verhandlung erfolgen.64 bb) Vereinte Kräfte. Das Gesetz setzt weiter voraus, dass die Verübung der Meutereihandlun- 24 gen durch die zusammengerotteten Gefangenen mit vereinten Kräften erfolgt. In diesem Merkmal wiederholt sich das Erfordernis geschlossenen Auftretens der Zusammenrottung.65 Dennoch hat der Gesetzgeber abweichend von dem Vorbild des § 423 E 1962 an dem Merkmal der Zusammenrottung festgehalten. Was das Gesetz mit vereinten Kräften meint, erschließt am besten der Gegensatz. Wenn 25 Gefangene zunächst ein gemeinschaftliches Vorgehen geplant haben, dann aber jeder für sich allein nötigt, tätlich angreift oder gewaltsam ausbricht, fehlt gerade das Charakteristikum der Meuterei: das Handeln in der Mehrheit als Einheit.66 Tritt die Rotte aber räumlich zusammengeschlossen auf, so braucht nicht jedes einzelne Mitglied handgreiflich zu werden.67 Die Rotte vereinigt ihre Kräfte zum Handeln auch dann, wenn aus ihrer Mitte nur einzelne Mitglieder nötigen, tätlich angreifen oder beim Ausbruch bzw. der Ausbruchshilfe gewaltsam werden und die übrigen eingriffsbereit oder wenigstens unterstützungswillig dabei sind.68 Ob die einen als (Mit-)Täter, die anderen mit Gehilfenvorsatz handeln, ist gleichgültig.69 Täter können ihre Kräfte wie mit Mittätern, so auch mit Gehilfen vereinigen. Ausreichend ist, dass ein Gefangener aktiv handelt, während andere – dem aktiv Tätigen bewusst – als bloße Gehilfen ihm entsprechend der bedrohlichen Tendenz der Zusammenrottung Unterstützung gewähren.70 Bloß untätiges Da57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 791

Vgl. Zielinski AK Rdn. 18. BGH GA 1965 205. Binding Lehrb. § 236 3; Heilborn ZStW Bd. 18 (1898) 166. „Zusammenrotten und …“; RG GA Bd. 45 120; RGSt 15 217, 220; 42 266, 278; 54 314, 316. RGSt 50 85, 86. BGH 4 StR 581/65 v. 14.1.1966. RG GA Bd. 54 478, 479. BayObLG GA 1966 280, 281. Hofmann S. 70; aM Schomaker S. 19. BGH 2 StR 374/51 v. 11.11.1952 (5); 4 StR 581/65 v. 14.1.1966; RGSt 15 217, 220. BGH 4 StR 818/52 v. 5.11.1953; RG JW 1933 429, 430. RG DStrZ 1920 56, 57. RMG 10 22, 27; Fischer Rdn. 4. OLG Karlsruhe NStZ 1999 136; AG Berlin-Tiergarten NJW 1988 3218, 3219. Rosenau

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beistehen genügt allerdings nicht. Der Wille mitzumachen oder wenigstens zu unterstützen, muss erkennbar bleiben.71 Daher reicht es aus, wenn von zwei Gefangenen nur der eine ausbrechen will, demgemäß gewaltsam vorgeht und der andere ihn hierbei durch Aufpassen, durch Ablenkung der Aufmerksamkeit des Wachpersonals (z. B. mittels Steinchenwerfens)72 oder zumindest erkennbar psychisch unterstützt.73 Der zweite soll dabei sogar aufgrund von Alkoholgenuss schuldunfähig sein können.74 Die Kräftevereinigung dauert an, bis sich die Zusammenrottung nach Erfolg oder Misser26 folg auflöst. Der danach überraschend gestartete Alleingang eines Gefangenen fällt nicht unter § 121. Wohl aber trifft das für alle während der Dauer der Zusammenrottung begangenen Meutereihandlungen zu, selbst wenn sie nicht gerade in demselben Augenblick begangen werden. Dass die Meuterer in diesem Sinn zugleich am Werk sind, ist nicht erforderlich.75 Mit vereinten Kräften können sie auch bei einer Aufeinanderfolge von Gewalttätigkeiten handeln, z. B. wenn der eine den Aufseher überwältigt, dann ein anderer ihm den Schlüsselbund entreißt, nun der erste den Aufseher in die Zelle schleift und der zweite schließlich die Tür zusperrt. Bedingung ist nur, dass währenddessen die Gemeinsamkeit des Unternehmens noch andauert, die Zusammenrottung fortbesteht, der eine sich nicht schon vom anderen löst.76 Die Gefangenschaft muss zur Zeit der Tathandlung noch bestehen. Handlungen nach gelungener Flucht, die lediglich die Wiederergreifung abwenden sollen, sind nicht tatbestandserheblich.

27 cc) Meutereihandlungen im Einzelnen. Als Meutereihandlungen, die mit vereinten Kräften begangen sein müssen, sieht § 121 Abs. 1 drei Begehungsvarianten vor.

28 (1) Nötigung oder tätlicher Angriff (Nummer 1). Die erste Variante betrifft das Nötigen oder tätliche Angreifen eines Anstaltsbeamten, eines anderen Amtsträgers oder eines mit ihrer Beaufsichtigung, Betreuung oder Untersuchung von Gefangenen Beauftragten. Angriff und Nötigung brauchen mit einem Ausbruch oder einer Ausbruchshilfe nicht zusammenzuhängen,77 letztere werden, wenn sie gewaltsam sind, von den Nrn. 2 und 3 erfasst. Meuterei kann auch die Auflehnung gegen vermeintlich schlechte Behandlung sein, der tätliche Racheakt gegen einen strengen Beamten, der Überfall auf den Anstaltsleiter, um eine Verlegung in eine andere Abteilung oder um eine andere Beschäftigung zu erzwingen.

29 (a) Angriffsobjekt. Die Tathandlungen richten sich gegen die Anstaltsbeamten, andere Amtsträger oder die mit der Beaufsichtigung, Betreuung oder Untersuchung Beauftragten. Angriffsobjekt sind hiernach zunächst einmal alle im Dienst der betreffenden Anstalt stehenden Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), also nicht allein das eigentliche beamtete Aufsichtspersonal, sondern auch solche Beamte der Anstalt, die nicht mit Aufsichtsaufgaben betraut sind. Hierzu gehören somit u. a. der Anstaltsleiter, Anstaltsärzte, Bürokräfte sowie sonstiges beamtetes Personal aus dem technisch-organisatorischen Bereich der Anstalt. Andere Amtsträger sind solche Personen, die weder den Anstaltsbeamten noch den Beauftragten zuzurechnen sind, m. a. W. Richter oder beamtete Mitglieder sonstiger Dienststellen, die hoheitliche Aufgaben in der Straf71 BGH 4 StR 163/61 v. 16.6.1961; RGSt 47 178, 180 f.; RGSt 17 47, 49, hierzu jedoch RG HRR 1937 Nr. 680; BayObLG NJW 1955 1806 f. 72 Vgl. Tenckhoff/Arloth JuS 1985 130. 73 RG GA Bd. 39 326, 327. 74 OLG Karlsruhe NStZ 1999 136. 75 RMG 21 139, 141. 76 An der Grenze BGHSt 20 305, 307. 77 BGH 4 StR 632/09 v. 9.3.2010 Rdn. 4, vgl. Zielinski AK Rdn. 11. Rosenau

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anstalt wahrzunehmen haben (vgl. E 1962 Begr. S. 609; EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220), so etwa der Haft- und Untersuchungsrichter, Staatsanwälte oder Polizeibeamte, die in der Vollzugsanstalt Vernehmungen durchführen; der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, der eine Revisionsbegründung in der Haftanstalt protokolliert; auch der Notar bei einer Testamentsaufnahme in der Anstalt. Vorausgesetzt ist also, dass der Amtsträger dienstliche Aufgaben in der Vollzugsanstalt wahrnimmt. Es reicht nicht aus, dass sich etwa ein Beamter zufällig in einer Besuchergruppe befindet.78 Mitgefangene sind kein taugliches Angriffsobjekt. Gewalt gegen sie fällt nicht unter die Nummer 1. Bei der dritten Gruppe der Bezugspersonen, gegen die sich die Meutereihandlungen richten 30 können, wird der Strafschutz gegenüber dem früheren Rechtszustand über die mit der Beaufsichtigung Beauftragten hinaus auf die mit der Betreuung und Untersuchung von Gefangenen Beauftragten ausgedehnt (vgl. EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220).79 Sonstige Beauftragte in diesem Sinne sind nicht nur solche, die unter den Personenkreis des § 11 Abs. 1 Nr. 4 fallen. Insoweit werden zunächst einmal die nicht beamteten Begleit-, Bewachungs- oder Aufsichtspersonen erfasst, so – sei es dienstlich verpflichtet (§ 11 Abs. 1 Nr. 4) oder nicht – Wärter und Werksaufseher, die zur Außenarbeit zugewiesene Gefangene aus der Anstalt abzuholen, zurückzugeleiten und während der Arbeit zu bewachen haben; aber auch private Aufsichtspersonen wie etwa der Unternehmer oder Vorarbeiter, der auf Zuweisung Gefangene beschäftigt, und der mit der Aufsicht betraute Krankenpfleger in der Krankenanstalt (vgl. § 120 Rdn. 52). Zu den mit der Betreuung Beauftragten sind zu rechnen Geistliche, Sozialarbeiter, Psychologen, Pädagogen und ärztliches Pflegepersonal, zu den mit der Untersuchung Beauftragten nicht beamtete medizinische und sonstige Sachverständige sowie hinzugezogene Privatärzte. Gegen diese Personen können Meutereihandlungen nur während der Dauer des Auftrags begangen werden, z. B. von der Übernahme zur Außenarbeit bis zur Wiedereinlieferung in die Anstalt.

(b) Rechtmäßige Amtsausübung. Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung der Aufsichtsper- 31 son ist – anders als nach § 113 Abs. 3 – keine (ungeschriebene) Strafbarkeitsvoraussetzung. Nummer 1 greift auch bei einem Vorgehen gegen rechtswidrige Diensthandlungen ein. § 121 Abs. 1 Nr. 1 setzt nicht voraus, dass sich der Anstaltsbeamte überhaupt in der Ausübung des Amtes befindet. Auch der Überfall auf den nach Dienstschluss heimgehenden Aufseher kann den Meutereitatbestand erfüllen. Im übrigen handelt es sich um ein Problem der Rechtswidrigkeit. Selbstverständlich kann gegen den widerrechtlich handelnden Anstaltsbeamten im Einzelfall Notwehr bzw. Nothilfe – etwa zugunsten eines von Aufsehern misshandelten Mitgefangenen – gegeben sein; es ist jedoch gegen unrechtmäßiges Gefangenhalten in der Regel ausgeschlossen (§ 120 Rdn. 22).

(c) Nötigung. Die Begehungsform des Nötigens entspricht, wie der ausdrückliche Klammerhin- 32 weis in Nummer 1 ergibt, dem § 240. Aus der Verweisung folgt einmal, dass als Nötigungsziel wie in § 240 jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen gemeint ist und dass der Tatbestand ferner die Anwendung der in § 240 vorausgesetzten Mittel der Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel erfordert (EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220). Die in der Rspr. zu § 122 a. F. vertretene Auffassung,80 als Nötigungsmittel brauchten weder Gewalt noch Drohung angewandt zu werden, vielmehr genüge dafür jede Art unbefugten Zwangs, der die freie Willensentschließung der Aufsichtsperson beeinträchtige, ist – unabhängig von ihrer sachlichen Fragwürdigkeit –81 78 Fischer Rdn. 5. 79 Sturm JZ 1975 8. 80 Vgl. RGSt 58 76, 78; BGH NJW 1951 160; hiergegen Schomaker S. 31; Welzel Strafrecht, S. 508; AG Bochum NJW 1971 155. 81 Vgl. schon Hübner LK9 § 122 Rdn. 17. 793

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damit kraft gesetzlicher Klarstellung unhaltbar. Sie war ohnehin dem Vorwurf ausgesetzt, die Tathandlung mit der Zusammenrottung zu identifizieren, die dieser von selbst anhaftenden Bedrohlichkeit mit der Nötigung gleichzusetzen und damit den Tatbestand zu verkürzen.82 Als tatbestandserheblich ist danach jedes Vorgehen zu bewerten, durch das ein Anstaltsbeamter oder eine andere der in Nummer 1 genannten Personen durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel rechtswidrig zu einem Verhalten i. S. des § 240 veranlasst wird. Bei der Handlung, auf deren Vornahme oder Unterlassung die Nötigung abzielt, braucht es sich nicht um eine Diensthandlung zu handeln. Der Gewaltbegriff ist ebenso wie in § 240 auszulegen; eine dem gegenüber einengende Auslegung in § 121 ist nicht veranlasst. Der Gewaltbegriff in der Alternative der Gewaltnötigung genügt dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG.83 Gewalt ist der physisch vermittelte Zwang zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands84 bei zugleich – nicht notwendig erheblichem – Einsatz körperlicher Kraftentfaltung, der sich auf die Person, gegen die er sich richtet, nicht nur als seelischer, sondern als körperlicher Zwang auswirkt. Körperlich wirkt sich ein Zwang aus, wenn das Opfer ihm gar nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in unzumutbarer Weise begegnen kann.85 Zum Gewaltbegriff vgl. Erl. zu § 240. Die vorstehende Auslegung des Gewaltbegriffs wie auch die etwas weitere des BGH, wie sie etwa in BGHSt 23 46, 54,86 ferner in BGHSt 32 165, 170; 34 71, 77 – allerdings unter zunehmend kritischer Beleuchtung des Schrifttums87 – Ausdruck gefunden hat, gibt auch die Lösung in Fällen passiven Widerstandes vor. Bloße Sitzstreiks stellen begrifflich schon keine Gewalt dar,88 eine Bestrafung derartigen passiven Verhaltens als Gewalt verstieße damit gegen den nulla poena sine lege-Grundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG. Dieses Verdikt muss auch die „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofes89 treffen, der die mutige wie richtige Entscheidung des BVerfG nicht akzeptieren mag und daher eine Strafbarkeit konstruiert. Jedenfalls wäre der Versuch, einen Sitzstreik auf den Gängen der Strafanstalt oder möglicherweise auch ein anordnungswidriges schlichtes Verbleiben im Gemeinschaftsraum der Anstalt zwecks Erzwingung einer bestimmten Handlung in Anlehnung an die überkommene Rspr.90 als Gewalt zu pönalisieren, nicht mehr haltbar. Ebensowenig kann die schlichte Arbeitsniederlegung oder Arbeitsverweigerung bei Außenarbeit ausreichen.91 Auf eine besondere Aufnahme der Begehungsform des Widerstandleistens hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet; denn der Begriff der Nötigung erfasst regelmäßig auch das Leisten von Widerstand.92 Bei Gewalt gegen eine (Aufsichts-)Person zwecks Ermöglichung des Ausbruchs bzw. der Ausbruchshilfe können die Nrn. 2 und 3 zudem einschlägig sein (Rdn. 41). Tatvollendung ist erst gegeben, wenn der eigentliche Nötigungserfolg eingetreten, d. h. es zu dem von den Tätern erstrebten Verhalten des Genötigten gekommen ist.93 Demgegenüber 82 In diese Richtung wieder Bosch MK Rdn. 9; Wolters SK Rdn. 5; Zielinski AK Rdn. 8. 83 Vgl. BVerfGE 73 206; 76 211; zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gewaltbegriffs Erichsen JK 93, GG Art. 8 I/ 5; Kühl StV 1987 122; krit. Calliess NJW 1985 1506, 1509; NStZ 1987 209 ff.; Kaufmann NJW 1988 2581, 2582. Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 342 m. w. N. BayObLGSt 1989 115, 116 f.; Otto NStZ 1987 212, 213; ders. NStZ 1992 568, 570. M. Bespr. von Martin FS BGH 211; Ott NJW 1969 2023; Tröndle GA 1973 325; auch Haffke ZStW 84 (1972) 37 ff. Hirsch FS Tröndle 19; Jakobs GedSH. Kaufmann 791; Frankenberg StV 1987 395; Keller JuS 1984 109; Krauß NJW 1984 905; Sommer NJW 1985 769; Wolter NStZ 1985 193, 245 ff. mit unterschiedlichen Ansätzen. 88 Vgl. BVerfGE 91 1, 17 f. 89 BGHSt 41 182 ff. 90 Vgl. die überholte Judikatur zum Gewaltbegriff etwa bei BGHSt 23 46, 54; 32 165, 170; 38 350, 353. 91 Vgl. Fischer Rdn. 6; Ostendorf NK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eser Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 8; aA AG Bochum NJW 1971 155. 92 EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220; Prot. 7/210; so auch BGH 4 StR 77/68 v. 10.4.1968, bei Dallinger MDR 1968 895 zu § 113. 93 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 739; Zielinski AK Rdn. 11.

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vertreten manche die Auffassung, ein eigentlicher Nötigungserfolg wie nach § 240 werde in Nummer 1 beim Nötigen nicht vorausgesetzt.94 Der Klammerhinweis beziehe sich lediglich auf die Nötigungsmittel und Nötigungsziele. Zur Begründung wird auf eine Parallele zum tätlichen Angriff und das Aufgehen der „unechten Unternehmenshandlung“ des Widerstandleistens im Merkmal der Nötigung hingewiesen. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Die gesetzliche Neufassung hat entgegen dem früheren Recht auf die Ausgestaltung der Begehungsformen der Nötigung und des gewaltsamen Ausbruchs als Unternehmenstatbestände verzichtet und dafür in Absatz 2 den Versuch für strafbar erklärt.95 Nach der – täterfreundlicheren – Neufassung muss es demnach zum abgenötigten Verhalten kommen. Andernfalls hätte die gerade im Hinblick auf die Begehungsformen des Nötigens und gewaltsamen Ausbrechens eingeführte Versuchsstrafbarkeit keinerlei Sinn. Die gegenteilige Auffassung würde im übrigen dem Angeklagten die mit der Versuchsregelung zusammenhängende Rücktrittsmöglichkeit (§ 24) nehmen und die Möglichkeit einer Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 unterlaufen.96 Das Aufgehenlassen des Merkmals des Widerstandleistens in der Nötigung gibt keinen Anlass zu einer anderen Auslegung. Als Form der Nötigung bedarf es auch insoweit eines Nötigungserfolges, der in der Erschwerung oder Verhinderung der Diensthandlung zu sehen ist. Angesichts der klaren gesetzlichen Regelung können auch aus der vom Gesetzgeber beibehaltenen Begehungsform des tätlichen Angreifens, die bereits durch die Vornahme der Handlung verwirklicht ist, schon deren sachlich unterschiedlicher Gestaltung wegen keine Folgerungen gezogen werden. Die Rechtswidrigkeitsregel des § 240 Abs. 2 ist an sich auch bei dem Tatbestand der Meu- 37 terei anwendbar.97 Sie könnte unter besonderen konkreten Umständen ausnahmsweise Bedeutung erlangen, wenn sich die Meuterei gegen eine schwerwiegende rechtswidrige Amtshandlung oder die Aufrechterhaltung eines gewichtigen rechtswidrigen Zustands wendet. Allerdings dürfte die Klausel im Regelfall bei der Meuterei kaum praktische Bedeutung erlangen (E 1962 S. 609). Jedenfalls in Fällen der Gewaltanwendung wird die Meuterei in der Begehungsform der Nötigung regelmäßig als rechtswidrig zu beurteilen sein.98

(d) Tätliches Angreifen. ist gekennzeichnet durch eine feindselige, unmittelbar auf den Kör- 38 per des Amtsträgers oder sonstigen Beauftragten zielende Einwirkung. Durch die – in Anlehnung an § 113 Abs. 1 a. F. (§ 114 Abs. 1 n. F.) erfolgte – Einfügung des Merkmals „tätlich“ ist ausdrücklich klargestellt, dass verbale Angriffe nicht genügen (EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220). Angriffsgegenstand ist nicht wie in § 32 ein beliebiges Rechtsgut, sondern ähnlich wie in § 102 Leib und Leben bzw. Körperintegrität des geschützten Personenkreises. Andererseits ist das Merkmal nicht buchstäblich, etwa in dem Sinn zu nehmen, dass die körperliche Unversehrtheit des Angegriffenen leiden müsste.99 Es gehört nicht zu seinem Inhalt, dass der beabsichtigte Erfolg eintritt; der Angriff kann missglücken. Im Bereich des § 121 braucht es daher – ebenso wie in § 113 a. F. (§ 114 Abs. 1 n. F.) – zu keiner körperlichen Verletzung, selbst nicht zu einer körperlichen Berührung zu führen (wie vordem die „Gewalt an der Person“ im früheren § 117 Abs. 2),100 geschweige denn zum handfesten Anfassen.101 Demgemäß ist der Hieb, der Stich, der scharfe Schuss ein tätlicher Angriff, auch wenn er fehlgeht; dagegen nicht der Schreckschuss, 94 Wolters SK Rdn. 8; Küper BT S. 544; Sch/Schröder/Eser Rdn. 8; SSW/Fahl Rdn. 7; Tenckhoff/Arloth JuS 1985 130: beendeter Nötigungsversuch ausreichend. 95 EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220; E 1962 S. 609; Niederschriften Bd. 13 Anhang S. 598 „nachdem die Nötigung nicht mehr als Unternehmenstatbestand ausgestaltet ist“; Bülow Prot. 7/210; Sturm JZ 1975 6, 9. 96 Ostendorf NK Rdn. 15. 97 Bosch MK Rdn. 15. 98 Vgl. BGHSt 23 46, 54 f.; SSW/Fahl Rdn. 7. 99 Restriktiv Zielinski AK Rdn. 12. 100 RGSt 16 172. 101 RGSt 28 32, 33 f. 795

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wenn er den anderen zwar einschüchtern soll, aber nicht körperlich verletzen kann.102 Anders ist bei dem gezielten Anlegen einer scharf geladenen Waffe auf den Beamten zu entscheiden, weil hier ein Körperbezug angebahnt ist.103 Ein tätlicher Angriff ist entsprechend auch das Ausholen mit der Stich-, Wurf- oder Schlagwaffe,104 nicht aber die Drohung mit einer verletzungsuntauglichen Scheinwaffe, z. B. das Ansetzen eines Pfeifenstiels als vermeintlicher Schusswaffe im Rücken des Wachpostens (hier greift indes die Nötigungsalternative mittels Drohung, vgl. § 114 Rdn. 14) oder das Ausholen zur nur symbolischen Geste.105 Die Gegenansicht106 beruft sich auf Judikate,107 in denen jedoch die andere Frage der Gewaltanwendung behandelt wird – und ferner darauf, dass der tätliche Angriff nicht einmal die Absicht körperlicher Berührung bedinge, weil er z. B. auf Freiheitsentziehung abzielen könne.108 Indes lässt sich aus dem letztgenannten Grund keinerlei Verzicht auf die Absicht körperlicher Einwirkung herleiten. Der Körperlichkeitsbezug ist vielmehr mit dem tätlichen, d. h. mittels einer Tätlichkeit unternommenen Angriff untrennbar verbunden.109 Gerade das Beispiel der Freiheitsberaubung beweist dies, weil sie das körperliche Befinden erheblich beeinträchtigen kann (§ 239 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4).110 Das Übergießen des Beamten mit einer erheblichen Menge Brennspiritus, so dass die Oberbekleidung bis auf die Haut durchnässt ist, ist eine hinreichende körperliche Einwirkung.111 Zur Abgrenzung des tätlichen Angreifens von einer nicht feindseligen Handgreiflichkeit vgl. BSG NJW 1986 2663. Durch bloßes Nichtstun kann kein Angriff tätlich geführt werden.112 Über den tätlichen An39 griff s. ferner § 114 Rdn. 14.

40 (2) Gewaltsames Ausbrechen (Nummer 2). Tathandlung der Nummer 2 ist das gewaltsame Ausbrechen. Abweichend vom früheren Recht wurde von einer Ausgestaltung als Unternehmensdelikt abgesehen. Die Nummer 3 erfasst das gewaltsame Verhelfen zum Ausbruch. Soweit es um die Ausbruchshilfe für einen an der Zusammenrottung Beteiligten geht, hatte die frühere Rechtsprechung diesen Fall über § 122 Abs. 2 a. F. erfasst.113 Die Neufassung des § 121 bezieht nunmehr in Nummer 3 über diesen Fall hinaus auch die gewaltsame Ausbruchshilfe für einen anderen Gefangenen ein. Nach überwiegender Auffassung sollen Angriffsgegenstand hier allein die sächlichen Ab41 schlusseinrichtungen sein, die den Gefangenen von der Freiheit trennen; der Ausbruch mittels Gewalt gegen eine Person – jedenfalls aus dem in Nummer 1 genannten Personenkreis – wird der Nummer 1 zugerechnet114 und darüber hinaus jede gewaltsame Aktion gegen Personen als durch Nummer 1 abschließend geregelt angesehen.115 Auch die Rspr. zu § 122 Abs. 2 a. F. hielt ursprünglich diese Linie ein.116 Die Nummer 1 betrifft Gewalt- und Nötigungshandlungen unab102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114

RGSt 41 181, 182 f. BSG NJW 2003 164. RGSt 58 110, 112. Vgl. Tenckhoff/Arloth JuS 1985 130. Sch/Schröder/Eser § 114 Rdn. 4. RGSt 66 353, 355; RGSt 60 157 und BGHSt 23 126, 127. RGSt 41 181, 182. RGSt 59 264, 265. RGSt 28 32, 33; 27 405, 406 mit allerdings schiefer Begr., die aus dem damaligen Gewaltbegriff zu erklären ist. BGH NStZ 2007 701, 702. RGSt 4 374, 376. RG GA Bd. 39 326, 329. Vgl. Wolters SK Rdn. 11; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Tenckhoff/Arloth JuS 1985 130; Zielinski AK Rdn. 13; ferner zu § 122 a. F. Frank § 122 Anm. I 2 d; Welzel Strafrecht S. 508. 115 Bosch MK Rdn. 18; Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 5; SSW/Fahl Rdn. 10; Joecks/Jäger Rdn. 12; Sch/Schröder/ Eser Rdn. 8, 11; Wolters SK Rdn. 11. 116 RGSt 49 429, 430; BGHSt 15 198, 200; BGH 1 StR 581/63 v. 3.3.1964; BayObLGSt 1965 151; anders BGHSt 16 34, 35. Rosenau

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II. Objektiver Tatbestand

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hängig von dem Zweck, den die zusammengerotteten Gefangenen verfolgen (Rdn. 28). Gerade der Zweck eines gewaltsamen Ausbruchs ist Thema der Nummern 2 und 3. Eine Beschränkung auf bestimmte, sächliche Ausbruchsmittel ist in der Vorschrift nicht enthalten, auch nicht in ihrer Wortwahl. Die Nummer 1 stellt keine abschließende Regelung für gewaltsames Vorgehen gegen Personen dar.117 Daraus folgt aber auch nicht, dass die Nummern 2 und 3 gegenüber der Nummer 1 die spezielle Regelung seien,118 zumal das mit der Tat verwirklichte Unrecht bei Gewalt gegen Personen im Schuldspruch nicht hinreichend klargestellt werden könnte und ein praktisches Bedürfnis für diese Spezialitätsthese nicht erkennbar ist.119 Da die Meuterei ein Delikt der Auflehnung gegen die Staatsgewalt ist, erfassen die Nrn. 2 und 3 nur solche gewaltsamen Ausbruchshandlungen, die sich gegen die staatliche Verwahrungsmacht in ihrer sächlichen oder persönlichen Verkörperung richten. Gefangene, die bei ihrer Ausbruchsaktion im Wege der Nötigung oder Überwältigung gegen Personen vorgehen, die nicht kraft ihrer Dienststellung oder ihres Auftrags Garanten staatlichen Gewahrsams sind oder deren Funktion nicht zumindest in weiterem Sinne Ausfluss oder Verkörperung staatl. Verwahrungsmacht ist (vgl. Rdn. 30), fallen nicht unter die Nummern 2 und 3, sondern sind insoweit nach allgemeinen Vorschriften strafbar.120 Das gilt etwa bei der Nötigung oder Überwältigung von Mitgefangenen oder Anstaltsbesuchern, weil diese nicht zur Sicherung des amtlichen Gewahrsams berufen sind.121 Abweichend vertritt Fischer122 die Auffassung, dass Fälle der Gewaltanwendung gegen andere Personen als die in Nummer 1 genannten – etwa gegen Mitgefangene (zur Verhinderung einer Meldung der Ausbruchsaktion durch sie) – von Nummer 2 erfasst werden.123 Gewaltsames Ausbrechen bedeutet die Herbeiführung einer – wenn auch nur vorübergehenden – Aufhebung der Freiheitsentziehung mit den Mitteln der Gewalt. Die Begehungsform setzt nicht voraus, dass die Freiheit für längere Zeit erlangt werden soll. Das Vorhaben, zunächst einmal zu entkommen, reicht aus. Nicht einmal die Absicht, demnächst in die Gefangenschaft zurückzukehren, schließt den Tatbestand aus.124 Vollendet ist die Tat in dieser Begehungsform, wenn der Ausbruch gelingt, d. h. wenn der staatliche Gewahrsam über den jeweiligen Gefangenen – wenn auch nur vorübergehend – aufgehoben ist.125 Damit ist die Tat zugleich auch beendet;126 sie ist kein Dauerdelikt, das sich bis zur Rückführung in die Gefangenschaft fortsetzt. Nur Versuch liegt ungeachtet eines gelungenen Mauerdurchbruchs vor, wenn das letzte Sachhindernis (z. B. das Außentor) nicht überwunden werden konnte;127 ebenfalls nur Versuch, wenn der Ausbrecher nach Überwindung des letzten Sachhindernisses, z. B. nach Übersteigen der Gefängnismauer sofort von einem Vollzugsbeamten in Empfang genommen wird;128 hier wird der staatliche Gewahrsam auch nicht vorübergehend aufgehoben. Als Täter der Nummer 2 kommt in Frage, wer selbst mit ausbricht. Ist die Flucht nur einigen von mehreren Tätern der Nummer 2 tatsächlich geglückt, kann von den Zurückgebliebenen neben versuchter Tat nach Nummer 2 zugleich vollendet gewaltsame Ausbruchshilfe im Sinne

117 118 119 120 121 122 123 124 125

vHH/Dallmeyer Rdn. 6; Fischer Rdn. 8; Koch HK-GS Rdn. 5; Rengier BT 2 § 54 Rdn. 13. So aber v. Bubnoff LK11 Rdn. 32. Bosch MK Rdn. 18; vgl. auch Laubenthal FS Otto, S. 664. Vgl. Schomaker S. 40 f. zu § 122 a. F. So auch Bosch MK Rdn. 18; Wolters SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eser Rdn. 11. Rdn. 8. So auch OLG Celle MDR 1964 693. Vgl. RGSt 41 357, 358; Allfeld Lehrb.8 § 131 II 1; Maurach BT5 § 71 III D 1. Vgl. BGH 1 StR 704/74 v. 13.2.1975, bei Dallinger MDR 1975 542; 1 StR 416/75 v. 23.9.1975; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Koch HK-GS Rdn. 10; Rengier BT 2 § 54 Rdn. 14. 126 Offengelassen in BGH NStZ 1995 339 mit Anm. Wolters. 127 Vgl. Tenckhoff/Arloth JuS 1985 130. 128 Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 11; aA Wolters SK Rdn. 11. 797

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der Nummer 3 unter den dort vorausgesetzten Umständen verwirklicht sein.129 Anders als bei § 120 (dort Rdn. 58) ist im Hinblick auf die besonders gefährliche Begehungsweise auch die eigennützige bzw. wechselseitige Ausbruchshilfe von Mitgefangenen strafbar. Außenseiter, insbesondere Mitgefangene, die der Zusammenrottung nicht angehören, können Teilnehmer an der Begehungsform des gewaltsamen Ausbruchs sein.130 Gewaltsam ist der Ausbruch bei allen Tathandlungen nach Nummer 1, außer wenn er durch schlichte Drohung erzwungen werden soll. Ein solcher Fall ist denkbar, aber situationsfremd. Gewalt gegen die sächlichen Abschlusseinrichtungen erfordert nicht etwa eine außergewöhnliche Anstrengung, sondern nur eben so viel Kraft wie zur Überwindung des Widerstands der Abschlusseinrichtungen gegen ihre nicht ordnungsmäßige Eröffnung aufgewendet werden muss.131 Abschlusseinrichtung ist alles, was das eigenmächtige Entkommen der Gefangenen verhindern soll, die Mauern und Verschlüsse der Haftanstalt, der Stacheldraht um das Außen- oder Hilfslager, der Transportwagen („grüne Minna“), selbst die Zeltplane über dem behelfsweise zur Beförderung eingesetzten LKW.132 Der Abschluss braucht nicht unmittelbar ins Freie zu führen; das Aufbrechen von Innenwänden und Zwischenkammern genügt.133 Beispiele aus der Rspr.: Gewaltsam ist der Ausbruch beim Durchsägen des Zellengitters oder bei seinem Lösen mittels Schraubenschlüssels;134 beim Abreißen eines Gitterstabs, auch wenn dieser schon angesägt ist;135 beim Durchbrechen von Innenwänden einer Arbeitsbaracke;136 beim Durchschneiden der Drahtumzäunung eines Lagers137 oder ihrem Untergraben;138 beim Durchtrennen des Seiles, mit dem die Zeltplane am LKW befestigt ist;139 beim Eröffnen eines Schlosses mit solcher Kraft, dass der Bart des (falschen) Schlüssels abbricht.140 Nicht gewaltsam ist der Ausstieg durch ein zuvor von einem Gefangenen allein aufgestemmtes, mit lose wiedereingefügten Ziegeln verdecktes Mauerloch;141 das Überklettern einer Mauer;142 die Verwendung eines Dietrichs oder Nachschlüssels;143 das Entfernen einer vorher entkitteten Glasscheibe;144 das Auffangen eines herabfallenden Stücks des zuvor in einer Einzelaktion durchtrennten Elektrozauns.145 Gewalt gegen mittelbare Abschlussvorrichtungen soll ausreichen; so durch Aufbrechen eines Raumes zur Beschaffung von Schlüsseln oder Zivilkleidern für die Flucht.146

129 AA Wolters SK Rdn. 12; Zielinski AK Rdn. 13, 17: nur beendeter Versuch nach Nummer 2. 130 BGHSt 9 119, 120: Beihilfe durch Zusage der Fluchtunterstützung nach gelungenem Ausbruch; BGH 3 StR 1031/ 51 v. 21.2.1952: Beiseiteschaffen des beim Ausbruchsversuch anfallenden Bauschutts; RG GA Bd. 45 120, 121: Herrichten von Ausbruchswerkzeug für einen Mitgefangenen; Maurach JZ 1953 342: Randalieren, um die Aufsicht von einem Ausbruchsunternehmen anderer abzulenken. 131 Knödel S. 170. 132 BayObLGSt 1965 151, 152 ff.; dass ein Notbehelf erst durch ausdrückliche Bestimmung durch die zuständige Stelle und nicht schon kraft tatsächlicher Verwendung zur Abschlusseinrichtung wird, ist übertrieben formalistisch. 133 RGSt 49 429, 431; OLG Hamburg JZ 1951 656; beachte aber Rdn. 45. 134 RG DStrZ 1921 369; BGHSt 12 306, 308. 135 BGH 4 StR 163/61 v. 16.6.1961. 136 RG GA Bd. 56 86, 87. 137 BGH 2 StR 374/51 v. 11.11.1952. 138 RMG 20 50, 53. 139 BayObLGSt 1965 151, 152. 140 RGSt 17 47, 50. 141 RGSt 27 397, 398. 142 RG DStrZ 1921 369. 143 BGHSt 16 34, 35. 144 BGH v. 16.6.1961 – 4 StR 163/61. 145 BGH v. 11.11.1952 – 2 StR 374/51. 146 Vgl. RGSt 49 429, 430. Rosenau

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IV. Täterschaft und Teilnahme

StGB § 121

(3) Ausbruchshilfe (Nummer 3). Die Nummer 3 stellt die Fälle der tatbestandlich verselbstän- 51 digten sog. Ausbruchshilfe unter Strafe. Sie betrifft die Förderungsbeiträge der ohne eigenes Fluchtinteresse an der Zusammenrottung Beteiligten. Die erste Alternative erfasst die Förderung der Flucht anderer Beteiligten (Meuterer), wenn ein Gefangener zwar an der Zusammenrottung mitwirkt, nicht aber selbst die Absicht hat, mit auszubrechen. Mit der zweiten Alternative wird das Verhelfen zum Ausbruch für einen an der Zusammenrottung nicht beteiligten Gefangenen erfasst. Insoweit handelt es sich um einen qualifizierten Sonderfall der Gefangenenbefreiung (§ 120 Abs. 1) in der Begehungsform des Förderns einer Selbstbefreiung, den der Gesetzgeber wegen der besonders gefährlichen Begehungsweise nicht in § 120, sondern in § 121 geregelt hat.147 Die Verwirklichung der Begehungsform der Nummer 3 erfordert, dass die an der Zusammen- 52 rottung Beteiligten mit vereinten Kräften gewaltsam Gefangenen zum Ausbruch verhelfen. Auch die Strafbarkeit nach Nummer 3 setzt kein eigenhändiges, gewaltsames Vorgehen voraus.148 Erforderlich ist vielmehr, dass aus dem Kreis der Meuterer zur Ermöglichung oder Förderung der Flucht eines Beteiligten oder eines unbeteiligten anderen Gefangenen Gewalthandlungen im oben gekennzeichneten Sinne (Rdn. 50) erfolgen. Gerade die aus der Rotte hervorgehende Gewalt begründet die besondere Gefährlichkeit, die die gesetzliche Einbeziehung auch des Falles der Fluchthilfe für einen unbeteiligten Gefangenen rechtfertigt. Die Hilfe muss in einer Gewalthandlung bestehen. Daher fällt die einem unbeteiligten Gefangenen gewährte Fluchtunterstützung (etwa durch Ablenkung des Aufsichtspersonals etc.) ohne Gewaltakte aus der Rotte auch dann nicht unter Nummer 3, wenn der Entweichende seinerseits Gewalt z. B. gegen Abschlussvorrichtungen anwendet.149 Geht von zwei Meutereibeteiligten lediglich der Ausbruchswillige gewaltsam vor, während ihn der andere Beteiligte durch Aufpassen, Ablenkung des Wachpersonals u. ä. unterstützt, so ist der unterstützende Tatbeitrag der gewaltsamen Selbstbefreiung des Ausbrechenden untergeordnet und daher nur als Beihilfe zum Ausbruch nach Nummer 2 zu werten (Rdn. 25).150

III. Subjektiver Tatbestand Bei allen tatbestandlichen Begehungsformen ist Vorsatz erforderlich; bedingter Vorsatz ge- 53 nügt.151 Der Vorsatz muss sowohl die Zusammenrottung als auch ein Handeln mit vereinten Kräften im Sinne der Nrn. 1 bis 3, mithin die Bedrohlichkeit geschlossenen Auftretens zu rechtswidrigem Handeln, umfassen. Bei dem Tatbestand des gewaltsamen Ausbruchs ist die Absicht, sich der Gefangenschaft dauernd zu entziehen, nicht erforderlich.152

IV. Täterschaft und Teilnahme 1. Täter Als Täter des Sonderdelikts kommen nur Personen in Frage, die Gefangene sind und sich in 54 der Zusammenrottung befinden. Die Frage der (Mit-)Täterschaft ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen; eigenhändige Vornahme einer Gewalthandlung i. S. d. Absatzes 1 Nrn. 1 bis 3 ist für die Annahme der Täterschaft nicht erforderlich. Zur Bejahung der Mittäter147 148 149 150 151 152 799

Vgl. EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220; E 1962 Begr. S. 609; Prot. 7/210. Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 16. Bosch MK Rdn. 23; Sch/Schröder/Eser Rdn. 13/14. Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 13/14. Vgl. Fischer Rdn. 10. Vgl. RGSt 41 357. Rosenau

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Gefangenenmeuterei

schaft reicht bei gewaltsamem Vorgehen des einen Tatbeteiligten die auf arbeitsteilige Tatbestandsverwirklichung gegründete Vornahme von Handlungen durch den anderen Beteiligten aus, die einen kausalen Beitrag zur Durchführung des gemeinschaftlichen Tatplans (z. B. Ausbruch) aufgrund eines gemeinschaftlichen Entschlusses darstellen, so z. B. das absprachegemäß gezielte Ablenken des Wachpostens.153 Andererseits kann Meutereigehilfe auch sein, wer sich in der Zusammenrottung befindet (Rdn. 20). Wirkt ein Gefangener mit behördlich Verwahrten oder anderen Außenseitern zusammen, ist die Vorschrift des § 121 unanwendbar.154 Zur Teilnahme von Außenseitern an der Begehungsform der Nummer 2 s. Rdn. 47; zu Teilnahmefragen bei Fluchtunterstützung s. Rdn. 52.

2. Teilnehmer 55 Die Regelung des § 28 Abs. 1, die eine obligatorische Strafmilderung vorsieht, findet auf (außenstehende) Teilnehmer keine Anwendung.155 Bei dem Merkmal des „Gefangenen“ in § 121 handelt es sich um kein personales Moment im Sinne des § 28 Abs. 1, sondern ein tatbezogenes Merkmal.156 Insbesondere ist dieses Merkmal nicht etwa Ausdruck einer besonderen personalen Pflichtenstellung, etwa mit der Überlegung, dass nur die Gefangenen die Pflicht zur Wahrung der Ruhe und Ordnung in der Anstalt treffe.157 In der Verletzung einer solchen Pflicht liegt aber nicht der Strafgrund des § 121. Die Beschränkung des Täterkreises in § 121 resultiert allein aus rechtsgutsbezogenen Überlegungen unter Berücksichtigung der für die Tatbegehung vorausgesetzten Lebenssituation. Sie beruht auf der Erwägung, dass das geschützte Rechtsgut, die durch das Haftpersonal repräsentierte oder in den Abschlusseinrichtungen Ausdruck findende staatliche Verwahrungsgewalt, für Gefangene im Sinne einer Verletzung oder Gefährdung am unmittelbarsten erreichbar ist. Die Gefangeneneigenschaft kennzeichnet nur die situationsbedingte Nähe zum Rechtsgut; der Strafgrund beruht auf der besonderen Gefährlichkeit des tatbestandlichen Handelns.158 Dagegen fehlt beim Außenseiter die besondere Stresssituation der Gefangenschaft, so dass eine Strafmilderung ausgerechnet für ihn sinnwidrig wäre.159

V. Tatvollendung und Versuch 56 Im Falle des tätlichen Angriffs wird der Tatbestand bereits durch die Vornahme der Handlung verwirklicht.160 Bei der Begehungsform der Nötigung ist Tatvollendung erst mit dem Eintritt des Nötigungserfolges (s. Rdn. 36), bei dem gewaltsamen Ausbruch und der Ausbruchshilfe erst mit dem Gelingen des Ausbruchs gegeben (Rdn. 44).161 57 Der Versuch ist strafbar (Absatz 2). Die Einführung der Versuchsstrafbarkeit beruht auf dem Verzicht auf die früheren Unternehmenstatbestände. Der Versuch beginnt mit dem Ansetzen zu den Tathandlungen der Nummern 1 bis 3. Bei dem Ausbruch und der Ausbruchshilfe ist gemeinsame Planung ebenso erst Vorbereitung wie das Handeln einzelner Gefangener außer153 Vgl. Tenckhoff/Arloth JuS 1985 129, 132. 154 Vgl. BGH GA 1965 205. 155 Bosch MK Rdn. 27; SSW/Fahl Rdn. 14; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 21; Sch/Schröder/Eser Rdn. 16.

156 Zur Problematik des § 28 Sch/Schröder/Heine/Weißer § 28 Rdn. 10 ff., 18; Hoyer SK § 28 Rdn. 2 ff. 157 Roxin LK10 § 28 Rdn. 41; aA Ostendorf NK Rdn. 6; Schünemann LK § 28 Rdn. 59. 158 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 45 Rdn. 67; Blauth S. 75, 77, 107; Wolters SK Rdn. 13; Jakobs AT 23/24; Sch/ Schröder/Eser Rdn. 16; Zielinski AK Rdn. 21. 159 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 72 Rdn. 21. 160 AA Zielinski AK Rdn. 12, 19, der die tatsächliche Herbeiführung einer körperlichen Beeinträchtigung voraussetzt. 161 Vgl. Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 739. Rosenau

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VI. Rechtsfolgen

StGB § 121

halb der Rotte, das der Ausbruchsaktion einen glatten Ablauf sichern soll. Der Versuch beginnt mit der ersten Gewalthandlung aus der Mitte der geschlossenen Rotte.162 Zu Versuchsfällen nach Nummer 2 s. Rdn. 45. Nur versuchte Ausbruchshilfe nach Nummer 3 liegt vor, wenn die gewaltsame Förderungshandlung für den gelungenen Ausbruch in keiner Weise mitursächlich war. Die Strafe kann im Falle des Versuchs nach § 23 Abs. 2 gemildert werden. Strafbefreiender Rücktritt vom Versuch ist möglich (§ 24).

VI. Rechtsfolgen 1. Besonders schwere Fälle (Absatz 3) Besonders schwere Fälle der Meuterei (§ 121 Abs. 3), gleich welcher Begehungsform, führen zur 58 Schärfung der Freiheitsstrafe auf die Zeit von 6 Monaten bis zu 10 Jahren (Absatz 3). Ob ein besonders schwerer Fall vorliegt, ist unter Abwägung aller Zumessungstatsachen auf Grund einer Gesamtbewertung der tat- und täterbezogenen Umstände zu entscheiden.163 Absatz 3 folgt den Prinzipien der schweren Fälle mit Regelbeispielen, die Leitbilder für die richterliche Wertung darstellen, von der Rspr. allerdings als tatsbestandsähnlich und im Wesen nicht tiefgreifend von selbständigen Qualifikationstatbeständen unterschieden gekennzeichnet werden.164 Ihrer Struktur nach sind sie den Strafzumessungsregeln zuzuordnen.

a) Beisichführen einer Schusswaffe. Der erste besonders schwere Fall ist regelmäßig gege- 59 ben, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Schusswaffe bei sich führt; wobei die Gebrauchsbereitschaft (etwa das Mitführen von Munition) vorausgesetzt wird.165 Zum Begriff der Schusswaffe und zum Begriff des Beisichführens s. Erl. zu § 244. Bei Schusswaffen genügt das Bewusstsein des Mitführens; eine Verwendungsabsicht ist nicht erforderlich. Allerdings kann ein Beisichführen zwar noch nach Tatvollendung, nicht aber nach Tatbeendigung Bedeutung gewinnen.166 Da bei der Begehung nach § 121 Abs. 1 Nr. 2 die Tatvollendung mit der Tatbegehung zusammenfällt, tritt die Regelwirkung nicht ein, wenn die Waffe erst außerhalb der Anstalt in einer Entfernung von 200 bis 300 m zur Verfügung steht, mithin erst nach dem Ausbruch. Bleibt es in einer solchen Konstellation nur beim Versuch des Ausbruchs, weil die 6 m hohe Mauer noch nicht überwunden ist, und ist zum Regelbeispiel noch nicht angesetzt worden, wird die Indizwirkung nicht ausgelöst.167

b) Beisichführen einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs in Verwendungsab- 60 sicht. Eine Strafschärfung ist ebenfalls regelmäßig vorzunehmen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter eine andere Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden. Ursprünglich wurde die Waffe wie in § 125a Satz 2 Nr. 2 auch als Waffe im nicht technischen Sinn verstanden (EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220). Auch ein von meuternden Gefangenen gekaperter PKW, mit denen sie auf die Justizbeamten losgefahren wären, konnte danach unter dieses Merkmal subsumiert werden. Das BVerfG hat sich zutreffend einer solchen Auslegung im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG entgegengestellt, weil der Wortlaut so überdehnt wurde. Ein PKW stellt

162 163 164 165 166 167 801

Vgl. RGSt 54 314, 316; bedenklich weitgehend BGHSt 16 34, 36 f. BGHSt 23 254, 257. BGHSt 26 167, 173; 29 359, 368; 33 370, 374; BGH 4 StR 501/18 v. 30.1.2019. BGHSt 24 276; 2 StR 464/75 v. 22.10.1975. BGHSt 31 105 106 f.; BGH NStZ 1995 339. BGH NStZ 1995 339 mit Anm. Wolters; Ostendorf JZ 1997 1105. Rosenau

§ 121 StGB

Gefangenenmeuterei

im allgemeinen Sprachverständnis keine Waffe dar.168 Da die missbräuchliche Nutzung die Gefährlichkeit der Tat erhöht, hat der Gesetzgeber reagiert und als als Oberbegriff für Absatz 2 Nr. 2 das gefährliche Werkzeug hinzugegefügt. Dieses Merkmal erfasst unproblematisch einen dermaßen eingesetzten PKW. Denn darunter ist jeder Gegenstand zu fassen, der nach der Art der konkreten Verwendund dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Die Neufassung entspricht dem Wortlaut des § 224 Abs. 1 Nr. 2. Zu den Einzelheiten kann auf die Erl. dort verwiesen werden. Mit der Neufassung hat sich zugleich die weite Auslegung des Waffenbegriffs erledigt. Mit Waffe ist nur noch eine Waffe im technischen Sinn wie eine Hieb-, Stoß- oder Schlagwaffe gemeint.169 Auch der Ausweg, in solchen Fällen einen nicht benannten besonders schweren Fall der Gefangenenmeuterei anzunehmen,170 hat sich damit erübrigt. Eine bloße Scheinwaffe (z. B. ein dem Wachposten zur Vorspiegelung einer vorhandenen Schusswaffe in den Rücken gebohrter Pfeifenstiel)171 genügt nicht, es sei denn, dass der Täter den Gegenstand als Schlagwerkzeug benutzen kann und will (z. B. eine Schreckschusspistole). Es genügt, wenn sich der Tatbeteiligte bei Tatbegehung entschließt, den Gegenstand als Waffe zu benutzen. Im Gegensatz zu Nr. 1 wird hier Gebrauchsabsicht vorausgesetzt. Diese ist zu bejahen, wenn ein Tatbeteiligter die Waffe bei sich hat, um sich ihrer im Bedarfsfall zu bedienen.

61 c) Gewalttätigkeit mit schwerer Folge. Nach dem dritten Regelbeispiel liegt ein besonders schwerer Fall vor, wenn der Täter durch eine Gewalttätigkeit einen anderen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. Die Gewalttätigkeit muss eine konkrete Individualgefahr (Lebens- oder Leibesgefahr) ursächlich herbeiführen. Dies kann durch einen unmittelbaren Angriff auf Menschen geschehen oder durch eine Gewalttätigkeit, die gegen Sachen gerichtet ist, in der Wirkung aber auch Menschen erfasst. Der gefährdete „andere“ braucht weder der unmittelbar Angegriffene zu sein, noch dem in Absatz 1 Nr. 1 genannten Personenkreis (Haftpersonal usw.) anzugehören,172 vielmehr genügt eine Gefährdung jedes anderen, auch Unbeteiligten. Allerdings wird der Teilnehmer der Zusammenrottung nicht erfasst; denn er ist als solcher kein „anderer“. Dessen Gefährdung ist nach den Gesichtspunkten der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung nicht den weiteren Teilnehmern der Zusammenrottung zurechenbar.173 62 Der Begriff der schweren Gesundheitsschädigung (vgl. § 225 Abs. 3 Nr. 1) geht über die schwere Körperverletzung i. S. des § 226 Abs. 1, die bis zum 6. StrRG vom 26.1.1998 als Beschreibung des besonders schweren Falles verwendet wurde, hinaus. Er umfasst auch schwerwiegende, also langwierige, lebensbedrohende oder quälende Krankheiten, die aber heilbar sind. Die erhebliche Beeinträchtigung der bisherigen Arbeitsfähigkeit kann dazu genügen (BTDrucks. 13/8587 S. 28).

63 d) Unbenannt besonders schwere Fälle. Über die Regelbeispiele hinaus kann ein sonstiger besonders schwerer Fall, z. B. bei Anrichtung erheblichen Sachschadens oder der Verletzung zahlreicher Menschen174 oder dem Ingangsetzen einer regelrechten Gefangenenrevolte großen Ausmaßes,175 in Betracht kommen.

168 169 170 171 172 173 174 175

Im Kontext des § 113; BVerfG NJW 2008 3627, 3629; offengelassen durch BGH NStZ 2010 508. SSW/Fahl Rdn. 16; Fischer Rdn. 12. BGH NStZ 2010 508 f. Vgl. Tenckhoff/Arloth JuS 1985 130 f. Bosch MK Rdn. 33; SSW/Fahl Rdn. 17; aA Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte S. 285. Zutreffend Fischer Rdn. 15; wohl auch Bosch MK Rdn. 33; aA v. Bubnoff LK11 Rdn. 44. Fischer Rdn. 12. Bosch MK Rdn. 34; Sch/Schröder/Eser Rdn. 22.

Rosenau

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VII. Konkurrenzen

StGB § 121

e) Vorsatzerfordernis. Wie sonst können auch die besonders schweren Fälle der Meuterei 64 mangels abweichender Regelung nur vorsätzlich begangen werden. Vorausgesetzt ist also grundsätzlich ein auf die Merkmale des Regelbeispiels bezogener, zumindest bedingter (Quasi-)Vorsatz.176 Das Regelbeispiel Nummer 3 setzt dementsprechend voraus, dass der Tatbeteiligte durch seinen Tatbeitrag einen anderen vorsätzlich in die genannte Gefahr bringt.177

2. Andere an den Regelbeispielen Beteiligte Absatz 3 entspricht in seiner Ausgestaltung weitgehend § 125a Satz 2 Nr. 1 bis 3. Allerdings setzt 65 § 121 Abs. 3 keine Eigenhändigkeit voraus („der Täter oder ein anderer Beteiligter“); anders als bei § 125a178 erfüllt im Sinne des Absatzes 3 also nicht nur derjenige Täter das Regelbeispiel, der eigenhändig dessen Voraussetzungen verwirklicht. Andere Beteiligte i. S. des Absatzes 3 können daher Mittäter und – in der Zusammenrot- 66 tung befindliche wie außenstehende – Meutereigehilfen sein, wie bei einer Hilfeleistung beim Ausbruch durch bewaffnete Wärter.179 Für jeden Tatbeteiligten ist gesondert zu prüfen, ob sein Tatbeitrag als besonders schwerer Fall zu werten ist.180 Die Erstreckung der Indizwirkung eines Regelbeispiels auf andere Beteiligte, d. h. die Zurechnung der (tatbezogenen) erschwerenden Umstände, die ein Beteiligter verwirklicht, setzt voraus, dass die anderen um ihre Verwirklichung wissen oder sie zumindest billigend in Kauf nehmen (§ 16 Abs. 1 analog).181 Auch die durch bloße Gehilfen verwirklichten erschwerenden Umstände können unter diesen Voraussetzungen den Meuterern zugerechnet werden. Wird der Tatbestand eines Gehilfen als besonders schwerer Fall gewertet, so gilt die obligatorische Strafmilderung nach § 27 Abs. 2.182

VII. Konkurrenzen Innerhalb des § 121 Abs. 1 ist unter den einzelnen Nummern schon aus Klarstellungsgründen 67 zur Bezeichnung der betroffenen Rechtsgüter Tateinheit möglich.183 Andere wollen in den Meutereihandlungen verschiedene, unselbständige Begehungsformen desselben Delikts sehen, deren Zusammentreffen keine Konkurrenz begründet.184 Dies folgt der nicht überzeugenden These, die Gefährlichkeit des Zusammenrottens werde durch die Meutereihandlungen indiziert. Der BGH folgt dieser Ansicht jedenfalls dann, wenn die Gefangenenmeuterei des Absatz 1 Nr. 1 im Versuchsstadium stecken bleibt.185 Die allgemeineren Vorschriften der §§ 113, 114 und 240 werden als typische Begleittaten 68 von § 121 Abs. 1 verdrängt.186 Bei Außenstehenden ist allerdings Idealkonkurrenz von Teilnahme

176 Vgl. Wessels FS Maurach 300 f.; ders. FS Lackner 426; auch E 1962 Begr. zu § 62 S. 185. 177 Vgl. § 113 Rdn. 88; zu den entsprechend gefassten Regelbeispielen des § 113 Abs. 2 Nr. 2 und § 125a Satz 2 Nr. 3 StGB s. BGHSt 26 176, 244. Vgl. BGHSt 27 56. Bosch MK Rdn. 30; Sch/Schröder/Eser Rdn. 21. Fischer Rdn. 14. Vgl. BGHSt 27 56, 57. Wolters SK Rdn. 17; Wessels FS Maurach 307. Matt/Renzikowski/Dietmeier Rdn. 11; Fischer57 Rdn. 13; Zielinski AK Rdn. 25; aA SSW/Fahl Rdn. 20, Ostendorf NK Rdn. 24; Sch/Schröder/Eser Rdn. 23. 184 Bosch MK Rdn. 35; vHH/Dallmeyer Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Sch/Schröder/Eser Rdn. 23; Tenckhoff/ Arloth JuS 1985 130; Wolters SK Rdn. 15. 185 BGH 4 StR 632/09 v. 9.3.2010. 186 Spezialität 2013 BGH 2 StR 58/57 v. 20.3.1957 für § 113; Fischer Rdn. 16; Wolters SK Rdn. 15; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9.

178 179 180 181 182 183

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Rosenau

§ 121 StGB

Gefangenenmeuterei

an § 121 mit Täterschaft nach § 113 oder § 240 zu deren Klarstellung möglich.187 § 120 Abs. 1 tritt hinter der Nummer 3 des § 121 Abs. 1 als qualifiziertem Sonderfall der Gefangenenbefreiung zurück.188 69 Tateinheit besteht mit Körperverletzungs- und Tötungsdelikten;189 mit Diebstahl; mit (schwerem) Raub;190 mit § 27 WStG;191 wegen der unterschiedlichen Rechtsgüter bei der Beschädigung von Abschlussmitteln auch mit § 303.192 70 Konkurrenzprobleme tauchen weder zwischen den einzelnen Regelbeispielen des Absatzes 3 noch zwischen Grundtatbestand und Erschwerungsgründen auf, weil die Regelbeispiele keinen selbständigen Tatbestand bilden.193 Bei der Verwirklichung von mehreren Modalitäten des Absatzes 3 liegt nur ein schwerer Fall der Gefangenenmeuterei vor. Tateinheit des Absatzes 3 ist möglich mit allen Vorschriften, zu denen schon der Grundtatbestand des Absatzes 1 in Idealkonkurrenz treten kann; ferner bei Absatz 3 Nr. 1 mit § 53 Abs. 3 Nr. 1 WaffenG.

187 Bosch MK Rdn. 36; Sch/Schröder/Eser Rdn. 23. 188 Barton AnwK Rdn. 11; SSW/Fahl Rdn. 20; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9. 189 BGH 1 StR 5/68 v. 28.5.1968, bei Dallinger MDR 1968 727 für § 223a; BGH 1 StR 508/69 v. 10.3.1970; 2 StR 58/57 v. 20.3.1957 für §§ 211, 43 a. F.; Sch/Schröder/Eser Rdn. 23; aA Zielinski AK Rdn. 24 bzgl. §§ 223, 223a: Gesetzeskonkurrenz. 190 BGH 5 StR 441/58 v. 4.11.1958; LG Verden an der Aller NStZ-RR 2007 200; Fischer Rdn. 16; Tenckhoff/Arloth JuS 1985 132. 191 Schölz/Lingens Rdn. 22. 192 OLG Celle MDR 1964 693; Bosch MK Rdn. 36; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Ostendorf NK Rdn. 26; nach Sch/ Schröder/Eser Rdn. 23 u. Zielinski AK Rdn. 24 nur, soweit sich die Tat nicht lediglich gegen Abschlussvorrichtungen richtet; verneinend RG GA Bd. 56 87; RG DJZ 1921 700. 193 Vgl. Wessels FS Maurach 295, 307. Rosenau

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§ 122 weggefallen

805 https://doi.org/10.1515/9783110490008-083

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Sachregister

A Abbildung – Einziehung 109k 3 – sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 5 Abhängigkeitsverhältnis 108 5 ff. Abhilfebitte 97b 10 Abschlusseinrichtungen – Gefangenenmeuterei 121 4 – gewaltsames Ausbrechen 121 41, 121 49 Absehen von Strafverfolgung – äußere Sicherheit Vor 93 10 – friedensgefährdende Beziehungen 100 12a – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 26 – Landesverrat 94 23 – landesverräterische Agententätigkeit 98 21 – landesverräterische Ausspähung 96 9 – landesverräterische Fälschung 100a 11 – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 12 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 16 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 11 – abstraktes Gefährdungsdelikt – Agententätigkeit zur Sabotage 87 1 – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 2 – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 1 – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 2 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 2 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 1 – friedensgefährdende Beziehungen 100 1 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 1 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 2 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 12 – Terrorismusfinanzierung 89c 43 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 1 – Verunglimpfung des Staates 90a 1 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 6 agent provocateur – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 63 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 181 Agenten 99 6 Agententätigkeit zur Sabotage 87 1 ff. – abstraktes Gefährdungsdelikt 87 1 807 https://doi.org/10.1515/9783110490008-084

– Auftrag 87 3 – Auskundschaften 87 11 f. – ausländische Stelle 87 4 – Bereithalten 87 10 – Einziehung 87 21 – Gesamtwirtschaft 87 8 – Inlandstaten 87 17 – kämpferische Haltung 87 18 – Konkurrenzen 87 23 – Lager 87 14 – Mehrfachhandlungen 87 23 – NATO-Truppen 87 22 – Nebenfolgen 87 21 – Opportunitätsprinzip 87 23 – Parteienprivileg 87 24 – Sabotagehandlungen 87 5 ff. – Sabotagemittel 87 13 – Schutzgut 87 1 – Störung des Betriebes 87 7 – Stützpunkte 87 14 – subjektiver Tatbestand 87 18 – Tathandlung 87 2 ff., 87 9 ff. – tätige Reue 87 20 – Tätigkeitsdelikt 87 1 – Tatort 87 17 – Teilnahme 87 19 – Verbindung herstellen/aufrechterhalten 87 16 – Verschaffen 87 13 – Verwahren 87 13 – Vorsatz 87 18 Aggressionsverbrechen 80a 3 aktiv kämpferische Tendenz 86 7 allgemeinkundige Tatsachen 86 6 Alltagsgeschäfte 89c 60 ff. ALR Vor 93 1 Amnestie Vor 93 18, Vor 93 22 – Staatsschutzgesetzgebung Vor 80 16 amtliche Stelle 95 4 Amtsträger – Gefangenenbefreiung im Amt 120 47 – inländische ~ 113 13 f. – Meutereihandlungen 121 29 – tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 10 – Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 7 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 11 f. Angehörigenprivileg 120 71 Klie

Sachregister

Angriff auf ausländische Organe/Vertreter 102 1 ff. – Angriff auf Leib/Leben 102 6 – Aufenthalt im Inland 102 5 – besondere Verfolgungsvoraussetzungen 102 11 – Familienangehörige 102 4 – Konkurrenzen 102 9 – Leiter ausländischer Vertretungen 102 3 – Missionschef 102 4 – Nebenfolgen 102 10 – Opportunitätsprinzip 102 11 – Regierungsmitglieder 102 2 – Staatsoberhäupter 102 1 – Strafrahmen 102 8 – subjektiver Tatbestand 102 7 – Unternehmensdelikt 102 6 – Vorsatz 102 7 – Zuständigkeit 102 11 Angriffskrieg 80a 3 Anknüpfungstat 92b 2 Anleitung 91 20 Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 1 ff. – abstraktes Gefährdungsdelikt 91 2 – Anleitung 91 20 – Anpreisen 91 23 – Anschlussdelikt 91 2 – Auslandstaten 91 35 ff. – Bedeutung 91 1 – Bestimmtheitsgrundsatz 91 11 – Deliktsnatur 91 2 – Eignungsklausel 91 21, 91 26 f. – Ermittlungsmaßnahmen 91 48 – Europäische Union 91 3 ff., 91 38 ff. – flüchtige Kenntnisnahmen 91 15, 91 28 – internationale Vorgaben 91 38 ff. – Internet 91 44 – Kongruenzen zum nationalen Recht 91 7 – Konkurrenzen 91 47 – Mosaik-Anleitung 91 20 – neutrale Schriften 91 9 – presserechtliche Verjährung 91 48 – Rechtsanwendungsrecht 91 35 ff. – Rechtswidrigkeit 91 34 – Schriften 91 18 f. – Schuld 91 34 – Schutzgut 91 2 – Selbststudium 91 6 f., 91 10, 91 27 – Sozialadäquanz 91 33 – Strafrahmen 91 42 – subjektiver Tatbestand 91 30 ff. – Tatbestandsausschluss 91 33 Klie

– Täterschaft 91 43 ff. – Tathandlung 91 22 ff., 91 27 ff. – Tatobjekt 91 17 ff. – Teilnahme 91 43 ff. – TMG-Haftungsprivilegien 91 45 – Verfassungsrecht 91 8 ff. – Verhältnismäßigkeit 91 13 ff. – Verjährung 91 48 – Völkerrecht 91 3 ff. – Vorsatz 91 30 ff. – Vorverlagerung 91 9 – Zugänglichmachen 91 24 – Zuständigkeit 91 48 Anpreisen 91 23 Ansammeln 89c 63 Anschlussdelikt 91 2 Ansehensgefährdung 90b 5 Anstiftung – Aufforderung 111 46 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 26 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 16 – Hochverrat gegen den Bund 81 32 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 1 ff., 111 9 ff., s. a. dort – verfassungsfeindliche Sabotage 88 8 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 181 Anvertrauen 97b 9 Anwerben 109f 6 Anwerben für fremden Wehrdienst 109h 1 ff. – Anwerben 109h 5 – ausländische Macht 109h 4 – Deutsche 109h 2 – Konkurrenzen 109h 11 – Schutzgut 109h 1 – Strafrahmen 109h 10 – Tatobjekt 109h 2 – Versuch 109h 9 – Vorsatz 109h 8 – Wehrdienst 109h 3 – Zuführen 109h 6 f. Anzeigepflicht – äußere Sicherheit Vor 93 5e – friedensgefährdende Beziehungen 100 12a – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 26 – Hochverrat gegen den Bund 81 40 – Landesverrat 94 23 – landesverräterische Agententätigkeit 98 21 – landesverräterische Ausspähung 96 9 – landesverräterische Fälschung 100a 11 – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 12 808

Sachregister

– Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 16 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 11 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 22 Appellcharakter 111 18 Arglist 109a 6 Arrestanten 120 15 Ärzte 93 31 ärztlicher Eingriff 109 20 Aufforderung 111 16 ff. – Anstiftung 111 46 – Appellcharakter 111 18 – ausdrückliche ~ 111 25 – Befürworten 111 19 – Begriff 111 17 – Brutus-Rede 111 25 – erfolglose ~ 111 64 f. – Ernstlichkeit 111 22 – fremde Erklärungen 111 26 – Konkretisierung 111 21 – Like-Button 111 26 – Medienberichterstattung 111 27 f. – öffentliche ~ 111 33 ff. – Parolen 111 20 – Personenkreis, unbestimmter 111 29 ff. – schlüssige ~ 111 25 – Tatbestimmtheit 111 21 – Unmutsäußerung 111 23 – versteckte ~ 111 25 Aufforderungsdelikt 111 14 Aufruhrdelikt 121 5 Aufsicht 120 27 f. Aufstacheln 80a 4 Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 1 ff. – abstraktes Gefährdungsdelikt 80a 1 – Aggressionsverbrechen 80a 3 – Angriffskrieg 80a 3 – Art der Verbreitung 80a 5 – Aufstacheln 80a 4 – äußere Sicherheit 80a 1 – bestimmtes Unternehmen 80a 3 – Erfolg 80a 4 – feindselige Haltung 80a 4 – Inlandstaten 80a 7 – Konkurrenzen 80a 9 – Schutzgut 80a 1 – subjektiver Tatbestand 80a 6 – Täterschaft 80a 7 – Tathandlung 80a 2 ff. – Tatort 80a 7 – Teilnahme 80a 7 – Verbreiten von Schriften/Ton-Bildträgern 80a 5 809

– Versammlung 80a 5 – Völkerfriedensschutz 80a 1 – Vorsatz 80a 6 – zielgerichtetes Handeln 80a 6 – Zuständigkeit 80a 10 Aufstellen zur Verbreitung 109d 9 Auftrag – Agententätigkeit zur Sabotage 87 3 – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 16 ff. Ausbildung – Ausbildungsinhalte 89a 100 – besondere Vorrichtung 89a 112 f. – Brandvorrichtungen 89a 107 – Erfolg 89a 103 – gesundheitsschädliche Stoffe 89a 110 – Gift 89a 109 – radioaktive Stoffe 89a 108 – Schusswaffen 89a 105 – Selbststudium 89a 102 – Sich-Unterweisen-Lassen 89a 104 – Sprengvorrichtungen 89a 107 – Terror-Camps 89a 101 – unbenannte Fertigkeiten 89a 114 f. – Versuch 89a 103 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 99 ff. Ausbruchshilfe 121 51 f. Ausfuhr 86 34 Auskundschaften 87 11 f. Ausländer 99 9 Ausländerorganisationen 99 9 ausländische Kämpfer s. foreign fighters ausländische Macht 109h 4 ausländische Mandatsträger 108e 6 ausländische Schriften 86 9, 86 13 ff. ausländische Staaten Vor 102 1 ff. ausländische Stelle – Agententätigkeit zur Sabotage 87 4 – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 9 f. ausländische Vereinigungen 109f 9 f. Auslandstaten – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 35 ff. – äußere Sicherheit Vor 93 6 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 25 – Staatsgefährdung 91a 1 ff. – Staatsschutzstrafrecht Vor 80 34 – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 15 – Verunglimpfung des Staates 90a 42, 90a 48 Klie

Sachregister

– Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 10 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 153 ff., 89a 162 Auslieferungshaft 120 16 Ausreiseverbotslösung 89a 49 Ausreiseversuche 89a 133 ff. Aussagegehalt 90a 18 Außenseiter – Gefangenenmeuterei 121 13 – gewaltsames Ausbrechen 121 47 Außenwirtschaftsgesetz Vor 93 4a Außenwirtschaftsverordnung 99 8a äußere Sicherheit 92 13; Vor 93 1 ff. – Absehen von Strafverfolgung Vor 93 10 – ALR Vor 93 1 – Amnestie Vor 93 18 – Anzeigepflicht Vor 93 5e – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 1 – Auslandstaten Vor 93 6 – Außenwirtschaftsgesetz Vor 93 4a – Beweisaufnahme Vor 93 13 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 2 – BRD Vor 93 1a – Cyberangriffe Vor 93 6 – DDR Vor 93 1b – DDR-Spionage Vor 93 15 ff. – Dienstgeheimnisverletzung Vor 93 4 – Einigungsvertrag Vor 93 15 ff. – Einziehung 101a 1 ff. – Ermittlungsmaßnahmen Vor 93 12 – Euratom-Geheimnisse Vor 93 9 – friedensgefährdende Beziehungen 100 1 ff., s. a. dort – Gebrauchsmustergesetz Vor 93 5b – Gefahr eines schweren Nachteils 93 14 ff., s. a. dort – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 1 ff., s. a. dort – Geheimhaltungsbedürftigkeit 93 13 – Geschäftsgeheimnisverletzung Vor 93 4 – Halbleiterschutzgesetz Vor 93 5d – IntPatÜbkG Vor 93 5c – Kriegswaffenkontrollgesetz Vor 93 4a – Landesverrat 94 1 ff., s. a. dort – landesverräterische Agententätigkeit 98 1 ff., s. a. dort – landesverräterische Ausspähung 96 1 ff., s. a. dort – landesverräterische Fälschung 100a 1 ff., s. a. dort Klie

– militärische Kräfteverschiebung 93 13 – militärische Landesverteidigung 93 13 – National Security Agency Vor 93 6 – Nationalsozialismus Vor 93 1 – NATO-Truppen Vor 93 7 ff. – Nebenfolgen 101 1 ff. – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 1 ff., s. a. dort – Patentgesetz Vor 93 5a – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 1 ff., s. a. dort – Schutzgrundsatz Vor 93 6 – Spionagegesetze Vor 93 1 – Staatsgeheimnis 93 1 ff., s. a. dort – Staatsschutzklausel 89a 88 – strafrechtlicher Schutz Vor 93 1 ff. – Straftatbestände Vor 93 2, Vor 93 4 – TKÜ Vor 93 12 – Veränderung der Machtposition 93 13 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 9 – Vermögensbeschlagnahme Vor 93 11 – Zuständigkeit Vor 93 14 Äußerungsdelikt 111 14 Ausspähung 97a 6 Ausüben – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 2 ff. – landesverräterische Agententätigkeit 98 3 Autorität staatlichen Handelns – tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 1 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 3 B Bedeutungsschwelle 93 14 f. Beendigung – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 22 – Gefangenenbefreiung 120 64 Befragung 99 6 Befreien 120 34 ff. – Aufhebung des Haftbefehls 120 37 – Entlassung aus der Psychiatrie 120 38 – Haftentlassung 120 36 – Mittel 120 35 – Vollzugslockerungen 120 39 Befugnisse – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 10 – Nötigungsziel 105 8 Befürworten 111 19 Behauptungen 109d 4 f. Behindern 115 17 ff. Behinderungsabsicht 109d 12 810

Sachregister

behördliche Erlaubnis 109g 13 f. Beihilfe – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 26 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 16 – Hochverrat gegen den Bund 81 33 – landesverräterische Agententätigkeit 98 9 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 54 – Propagandamittelverbreitung 86 43 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 15 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 8 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 182 f. Beisichführen 113 80 Bekenntnis 86a 14 Benachteiligungsabsicht 94 7 Bereithalten 87 10 Bereitstellung von Waffen 83 8 Bereitstellungsverbote – Terrorismusfinanzierung 89c 8 ff. – Zuwiderhandlung 89c 17 Beschädigen – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 6 – Verunglimpfung des Staates 90a 38 Beschaffungsvorhaben 98 6a Beschimpfen 90a 12 f., 90a 16 f. beschimpfender Unfug – Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 5 – Verunglimpfung des Staates 90a 41 Beschreibung – Einziehung 109k 3 – sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 6 Beseitigen 109e 6 besonders schwerer Fall – friedensgefährdende Beziehungen 100 10 – Gefangenenmeuterei 121 58 ff. – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 17 ff. – Landesverrat 94 15 ff. – landesverräterische Agententätigkeit 98 10 – landesverräterische Fälschung 100a 9 – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 9 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 74 ff. Bestand der BRD 92 2 ff. – Beeinträchtigung 92 3 ff., 92 12 – Bestandshochverrat 81 2 ff. – fremde Botmäßigkeit 92 3 – Gebietsabtrennung 92 5 – Hochverrat Vor 80 12 – staatliche Einheit 92 4 811

– Staatsgefährdung Vor 80 13 – Staatsschutzgesetzgebung Vor 80 7 ff. – Staatsschutzklausel 89a 87 Bestandshochverrat 81 2 ff. – Abtrennung eines Gebietes 81 5 – Aufhebung der Freiheit 81 3 – Beseitigung der staatlichen Einheit 81 4 – Legaldefinition 81 2 Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 1 ff. – abstraktes Gefährdungsdelikt 108e 2 – Auftrag 108e 16 ff. – ausländische Mandatsträger 108e 6 – Beendigung 108e 22 – Bundestagsabgeordnete 108e 4 – Bundesversammlung 108e 4 – Indemnität 108e 25 – kommunale Volksvertreter 108e 5 – Konkurrenzen 108e 28 ff. – Landtagsabgeordnete 108e 4 – Mandatsfreiheit 108e 25 – Mitglieder internationaler Organe 108e 6 – Nebenfolgen 108e 27 – Parteispenden 108e 12 – politische Funktion 108e 11 – Rechtmäßigkeitsklausel 108e 13 – Schutzgut 108e 1 – Sonderdelikt 108e 2 f. – Strafrahmen 108e 26 – subjektiver Tatbestand 108e 19 – Täterkreis 108e 2 ff. – Täterschaft 108e 24 – Tathandlung 108e 7 – tätige Reue 108e 23 – Tatnachweis 108e 17 – Teilnahme 108e 24 – TKÜ 108e 33 – Unrechtsvereinbarung 108e 14 f. – Unterordnungsverhältnis 108e 18 – Versuch 108e 20 – Vollendung 108e 21 – Vorsatz 108e 19 – Vorteile 108e 9 ff. – Vorteile, ungerechtfertigte 108e 10 ff. – Wahrnehmung des Mandats 108e 8 – Weisung 108e 16 ff. – Zuständigkeit 108e 32 f. Bestimmtheitsgrundsatz – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 11 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 5 – Terrorismusfinanzierung 89c 51 Klie

Sachregister

– Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 37 ff. Bestrebungen 92 10 ff. bewaffnete Unternehmen 100 7 Beweisaufnahme Vor 93 13 Beweisverbot 107c 4 Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 1 ff. – abstraktes Gefährdungsdelikt 89b 2 – äußere Sicherheit 89b 2 – Bedeutung 89b 1 – Bestimmtheitsgrundsatz 89b 5 – Beziehung, neutrale 89b 13 – Beziehungsaufnahme 89b 12 f. – Ermittlungsmaßnahmen 89b 24 – Europäische Union 89b 3 – innere Sicherheit 89b 2 – Journalisten 89b 16 – Konkurrenzen 89b 22 – minder schwerer Fall 89b 20 – Nachrichtendienste 89b 16 – Nichteinmischungsprinzip 89b 8 – Polizeibeamte 89b 16 – Rechtsanwendungsrecht 89b 17 f. – Rechtswidrigkeit 89b 15 – Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung 89b 3 – Schuld 89b 15 – Schuldprinzip 89b 7 – Schutzgut 89b 2 – Strafrahmen 89b 20 – subjektiver Tatbestand 89b 14 – Tatbestandsausschluss 89b 16 – Täterschaft 89b 21 – Tatprinzip 89b 7 – Teilnahme 89b 21 – terroristische Vereinigung 89b 10 f. – Verfassungsrecht 89b 4 ff. – Verfolgungsermächtigung 89b 19 – Verhältnismäßigkeit 89b 6 f. – Verjährung 89b 12 – Völkerrecht 89b 3, 89b 8 – Vorsatz 89b 14 – Wissenschaftler 89b 16 Beziehungsgegenstände 92b 3, 101a 4 Bild-/Tonträger 86 27 Bildschirmtext 111 37 Blankettvorschrift 106b 4 Böswilligkeit 90a 15 Botschaft 99 10b Brandvorrichtungen 89a 107 BRD – äußere Sicherheit Vor 93 1a Klie

– Bestand der ~ 92 2 ff., s. a. dort – friedensgefährdende Beziehungen 100 8 – Gefahr eines schweren Nachteils 93 18 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 8 ff. – Hochverrat Vor 80 12 – Landesverrat Vor 80 15 – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 10 – Staatsgefährdung Vor 80 13 – Staatsschutzgesetzgebung Vor 80 7 ff. – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 9 – Verunglimpfung des Staates 90a 3 Brechmittel 113 59 Brutus-Rede 111 25 Bundesländer 90a 3 Bundespatentamt 93 29 Bundespräsident – Nötigung des ~en 106 1 ff., s. a. dort – Verfolgungsermächtigung 90 19 – Verunglimpfung des ~en 90 1 ff., s. a. dort Bundesregierung 93 27 Bundestag – Staatsgeheimnis 93 28 – Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 6 Bundestagsabgeordnete 108e 4 Bundesversammlung – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 4 – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 5 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 4 Bundeswehrs. a. Landesverteidigung – Störpropaganda gegen die ~ 109d 1 ff., s. a. dort – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 3 Bundeszwang – Hochverrat gegen den Bund 81 26 – Hochverrat gegen ein Land 82 6 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 27 C Chatrooms 111 37 Cyberangriffe Vor 93 6 D Darstellungen 86 10 Darstellungszweck 86a 30 Datenspeicher 86 10 Dauerdelikt – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 33 – friedensgefährdende Beziehungen 100 4 – Landesverrat 94 18 812

Sachregister

– Staatsgefährdung 91a 3 DDR – äußere Sicherheit Vor 93 1b – Landesverteidigung Vor 109 5 DDR-Spionage – Abwägung Vor 93 20 – Amnestie Vor 93 18 – äußere Sicherheit Vor 93 15 ff. – Bindungswirkung Vor 93 22 – BVerfG Vor 93 16 ff. – Rechtsstaatsprinzip Vor 93 19 – Strafanspruch Vor 93 19 – Täterkreis Vor 93 22 – Verfolgungshindernis Vor 93 16, Vor 93 21 – Verjährung Vor 93 23 – Wiederaufnahme Vor 93 22 Demonstrationsrecht 105 30 Dienstgeheimnisverletzung Vor 93 4 Diensthandlung 113 10 – Rechtmäßigkeit der ~ 113 26 ff., s. a. dort – tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 11 ff. Dienststelle 99 10b Dienstvorgesetzter 97b 8 diplomatische Beziehungen 104a 3 Distanzdelikt – Staatsgefährdung 91a 2 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 11 Disziplinarvorgesetzter – Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 8 Domizilprinzip – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 77 Drängen 98 16 Dritteigentümer 101a 5 Drohung – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 11 – Wählernötigung 108 4 Drohung mit Gewalt 81 16, 105 14 – Hochverrat gegen ein Land 82 5 – Wahlbehinderung 107 9 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 23, 113 25 Durchsuchung 113 45 E Edward Snowden 94 16 Eigenfinanzierung 89c 43 eigenhändiges Delikt 89a 126 Eigenvorbereitung 89a 65, 89a 142 813

Eignungsklausel – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 21, 91 26 f. – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 94 f. Einfuhr 86 33 Eingriffsbefugnisse 113 60 Einigungsvertrag – äußere Sicherheit Vor 93 15 ff. – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 20 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 42 – Staatsschutzstrafrecht Vor 80 37 – Störung eines Gesetzgebungsorgans 106b 7 – Straftaten gegen ausländische Staaten Vor 102 2 – Wahlbehinderung 107 15 – Wählernötigung 108 16 – Wählertäuschung 108a 11 – Wahlfälschung 107a 15 – Wahlgeheimnisverletzung 107c 5 – Wahlstrafrecht Vor 107 1 – Wahlunterlagenfälschung 107b 9 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 102 Einrichtung 100 3 einsamer Wolf 89a 3 Einsammeln 89c 63 einstweilige Anordnungen 84 22 Einwirken 89 4 ff. Einziehung 92b 1 ff., 101a 1 ff. – Abbildungen 109k 3 – Agententätigkeit zur Sabotage 87 21 – Anknüpfungstat 92b 2 – äußere Sicherheit 101a 1 ff. – Beschreibungen 109k 3 – Bezeichnung 92b 7 – Beziehungsgegenstände 92b 3, 101a 4 – Dritteigentümer 101a 5 – Ermessen 92b 5, 101a 5 – Fälschung 101a 4 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 31 – friedensgefährdende Beziehungen 100 12 – Gefahr eines schweren Nachteils 101a 6 – Gegenstände 92b 2 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 26 – Hochverrat gegen den Bund 81 36 – Hochverrat gegen ein Land 82 8 – Informationsfreiheit 92b 6 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 41 Klie

Sachregister

– Kunstfreiheit 92b 6 – Landesverrat 94 23 – landesverräterische Agententätigkeit 98 21 – landesverräterische Ausspähung 96 9 – landesverräterische Fälschung 100a 11 – Landesverteidigung 109k 1 ff. – Luftaufnahmen 109k 3 – objektives Verfahren 101a 7 – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 12 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 16 – Propagandamittelverbreitung 86 46 – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 16 – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 20 – sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 15 – Sicherungseinziehung von Schriften 92b 4 – Staatsgefährdung 92b 1 ff. – Staatsgeheimnis 101a 4 – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 14 – Tatbeteiligte 101a 5 – Tatmittel 101a 3 – Tatobjekte 101a 4 – Tatprodukte 101a 3 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 18 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 17 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 13 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 10 – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 18 – Verunglimpfung des Staates 90a 47 – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 9 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 18 – Wählerbestechung 108b 8 – Wirkungen 101a 8 Einziehungsanordnungen 84 22 Entfernen – Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 5 – Verunglimpfung des Staates 90a 37 Entgegennehmen 89c 76 f. Erfolgsdelikt – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 12 – Wahlbehinderung 107 10 – Wählernötigung 108 9 – Widerstand/Angriff gegen Nichtamtsträger 115 3 Erforderlichkeit 89a 169 Erkenntnisse 93 2c Erklärungsirrtum 108a 3 f. Klie

Erlangen 98 3 Ermessen – Einziehung 92b 5, 101a 5 – Nebenfolgen 92a 3 – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 49 – tätige Reue 98 15 Ermittlungsmaßnahmen – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 48 – äußere Sicherheit Vor 93 12 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 24 – Terrorismusfinanzierung 89c 119 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 201 f. Ernstlichkeit 111 22 Ersatzorganisation – BVerfG 84 5 – Fortführung unter neuem Namen 84 7 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 4 ff. – Gründung einer neuen Organisation 84 8 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 5 – neue Partei 84 8 – Parteienprivileg Vor 80 27 – Unterstützung einer Organisation 84 36 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 3 ff. – Verwaltungsverfahren 84 6 Euratom-Geheimnisse – äußere Sicherheit Vor 93 9 – Gefahr eines schweren Nachteils 93 18 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 11 – illegales Staatsgeheimnis 93 24 – Landesverrat 94 10 – landesverräterische Agententätigkeit 98 8 – landesverräterische Ausspähung 96 2 – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 6 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 13a – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 2 – Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 11 Europäische Union – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 3 ff., 91 38 ff. – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 3 – Terrorismusfinanzierung 89c 19 – Terrorlisten 89c 11 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 23 ff. Europarat – Terrorismusfinanzierung 89c 32 814

Sachregister

– Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 20 ff., 89a 76 Evokation – Terrorismusfinanzierung 89c 118 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 199 F Fahrlässigkeit 97 4, 97 11c fake news 109d 3 Fälschung – Einziehung 101a 4 – landesverräterische Fälschung 100a 2a Familienangehörige 102 4 Farben 90a 5 FDJ-Abzeichen 86a 8 Feldjäger 113 17 Fernsehen 111 36 Fesselungen 120 42 Feuerwehr 115 14 Financial Action Task Force – nationales Recht 89c 37 – Terrorismusfinanzierung 89c 6 f., 89c 27 ff. Financial Intelligence 89c 14 Finanzbedarf 89c 2 Flaggen – Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 2 – Verunglimpfung des Staates 90a 5, 90a 34 Fördern des Entweichens 120 41 ff. – Beihilfe 120 41 – Fesselungen 120 42 – mittelbares ~ 120 46 – Teilnahme 120 44 f. – Vollendung 120 43 foreign fighters – Terrorismusfinanzierung 89c 2 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 1 f., 89a 18, 89a 118 Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 1 ff. – abstraktes Gefährdungsdelikt 84 1 – andere Sachentscheidungen des BVerfG 84 22 – Anstiftung 84 26 – Beihilfe 84 26 – Dauerstraftat 84 33 – einstweilige Anordnungen 84 22 – Einziehung 84 31 – Einziehungsanordnungen 84 22 – Erfolg, organisationsbezogener 84 11, 84 20 – Ersatzorganisation 84 2, 84 4 ff., s. a. dort – Geltungsbereich, räumlicher 84 29 815

– Hintermann 84 15 – Konkurrenzen 84 37 – Mehrfachhandlungen 84 32 ff. – Mitgliedsbeiträge 84 19 – mitgliedschaftliche Betätigung 84 17 ff., 84 33 – Mitläuferklausel 84 30 – Nebenfolgen 84 31 – Opportunitätsprinzip 84 38 – organisatorischer Zusammenhalt 84 11 f., 84 34 – Parteiverbote 84 3 ff., 84 34, s. a. dort – politische Fortsetzungstendenz 84 12 – Rädelsführer 84 14 – Rücktritt 84 28 – Schutzgut 84 1 – Strafrahmen 84 30 – subjektiver Tatbestand 84 25 – Tatbestandsirrtum 84 25 – Täterschaft 84 13 ff. – Tathandlung 84 11 f. – tätige Reue 84 28 – Teilnahme 84 26 – Unterstützung durch Nichtmitglieder 84 20 – Unterstützung einer Ersatzorganisation 84 36 – Verbotsirrtum 84 25 – Versuch 84 27 – Vollstreckungsentscheidungen 84 23 – vollziehbare Maßnahmen 84 23 – Vorsatz 84 25 – Zuständigkeit 84 39 – Zuwiderhandeln 84 24 freiheitliche demokratische Grundordnung 86 4, 92 7 – illegales Staatsgeheimnis 93 22a Freiheitsbewusstsein 120 32 Freiheitsstrafe 101 2 fremde Erklärungen 111 26 fremde Macht – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 5b – Geheimhaltungsbedürftigkeit 93 10a ff. – Landesverrat 94 2 – landesverräterische Agententätigkeit 98 5 Fremdfinanzierung 89c 43 Fremdvorbereitung 89a 65, 89a 142 friedensgefährdende Beziehungen 100 1 ff. – Absehen von Strafverfolgung 100 12a – Absicht zu bewaffneten Unternehmen 100 5a ff. – abstraktes Gefährdungsdelikt 100 1 – Anzeigepflicht 100 12a – besonders schwerer Fall 100 10 – bewaffnete Unternehmen 100 7 Klie

Sachregister

– Beziehungsaufnahme/-unterhaltung 100 4 – BRD 100 8 – Dauerdelikt 100 4 – Deutsche 100 2a – Einrichtung 100 3 – Einziehung 100 12 – Konkurrenzen 100 11 – Krieg 100 6 – minder schwerer Fall 100 10 – Mittelsmänner 100 3 – NATO-Pakt 100 8 – Nebenfolgen 100 12 – Rechtfertigung 100 9 – Regelbeispiel 100 10 – Regierung 100 3 – Schutzgut 100 1 – subjektiver Tatbestand 100 5 ff. – Täterkreis 100 2a – Vereinigung 100 3 – Versuch 100 10 – Vorsatz 100 5 – Zuständigkeit 100 12a Fühlungnahme zu fremden Mächten 83 8 Führungsaufsicht 89a 172 Fünfbroschürenurteil – Verfassungshochverrat 81 8 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 4 Funkberichterstattung 109f 15 ff. G Gebietsabtrennung 92 5 Gebietshochverrat – Hochverrat gegen den Bund 81 2 ff. – Hochverrat gegen ein Land 82 3 Gebrauchsmustergesetz Vor 93 5b Gefahr eines schweren Nachteils 93 14 ff. – Abwägung 93 17 – Bedeutungsschwelle 93 14 f. – BRD 93 18 – Einziehung 101a 6 – Euratom-Geheimnisse 93 18 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 19 – Landesverrat 94 8 f. – landesverräterische Fälschung 100a 5 – Nachrichtendienste 93 14 – NATO-Geheimnisse 93 18 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 3, 97 10 – Saldierung der Vor-/Nachteile 93 17 – Sammlung von Einzeltatsachen 93 16 – technische Entwicklung 93 15 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 3 Klie

gefährliches Werkzeug – Gefangenenmeuterei 121 60 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 79 Gefangene 120 10 ff. – Arrestanten 120 15 – Auslieferungshaft 120 16 – Begriff 120 11 ff. – Beispiele 120 15 – Gefangenenmeuterei 121 8 – Gefangenenstatus 120 12 – öffentlicher Gewahrsam 120 14 – Privatgefangene 120 14 – Strafgefangene 120 15 – Untersuchungsgefangene 120 15 – Vollstreckungshilfehaft 120 16 – Vorgeführte 120 15 – vorläufig Festgenommene 120 15 Gefangenenbefreiung 120 1 ff. – Angehörigenprivileg 120 71 – Bedeutung 120 9 – Beendigung 120 64 – Befreien 120 34 ff., s. a. dort – Fördern des Entweichens 120 41 ff., s. a. dort – Gefangene 120 10 ff., s. a. dort – Gefangenenbefreiung im Amt 120 47 ff., s. a. dort – Gewahrsamsverhältnis 120 23 ff., s. a. dort – Konkurrenzen 120 71 – Kontaktaufnahmen 120 72 – mittelbare Täterschaft 120 56 – Qualifikation 120 5 – Rechtfertigung 120 55 – Rücktritt 120 70 – Schutzgut 120 8 – Selbstbefreiung 120 2, 120 57 – subjektiver Tatbestand 120 51 – Täterschaft 120 56 f. – Tathandlung 120 33 ff. – Teilnahme des Gefangenen 120 58 ff. – Teilnahme Dritter 120 61 – Teilnahme von Garanten 120 62 – Unterlassen 120 52 ff. – Verleiten 120 40 – Versuch 120 7, 120 65 ff. – Verwahrte 120 6, 120 17 ff., s. a. dort – Verwahrungsgewalt 120 8 – Vollendung 120 63 – Vorsatz 120 51 – Wirksamkeit der Freiheitsentziehung 120 22 Gefangenenbefreiung im Amt 120 47 ff. – Amtsträger 120 47 816

Sachregister

– Aufhebung eines Haftbefehls 120 50 – Pflichtenstellung 120 48 – Qualifikation 120 47 – Täterkreis 120 48 Gefangenenmeuterei 121 1 ff. – Abschlusseinrichtungen 121 4 – Aufruhrdelikt 121 5 – Außenseiter 121 13 – Bedeutung 121 7 – Begehungsformen 121 1 – besonders schwerer Fall 121 58 ff. – Deliktsnatur 121 5 f. – gefährliches Werkzeug 121 60 – Gefangene 121 8 – Gewalttätigkeit 121 61 f. – Handlungssubjekt 121 8 f. – Konkurrenzen 121 67 ff. – Kriegsgefangene 121 12 – Meutereihandlungen 121 23 ff., s. a. dort – Regelbeispiele 121 58 ff. – Scheinwaffe 121 60 – Schusswaffe 121 59 – Schutzgut 121 4 – Sicherungsverwahrte 121 9 – Sonderdelikt 121 6 – sozialtherapeutische Anstalt 121 11 – Strafrahmen 121 3 – subjektiver Tatbestand 121 53 – Täterschaft 121 54 – Tathandlung 121 14 ff. – Teilnahme 121 13, 121 55 – Unterbringung 121 10 – Versuch 121 2, 121 57 – Verwahrungsgewalt 121 4 – Vollendung 121 56 – Vorsatz 121 53 – Waffe 121 60 – Zusammenrotten 121 15 ff., s. a. dort Gegenstand – landesverräterische Fälschung 100a 2a – Staatsgeheimnis 93 2b Gegenstandsansammlungen 89a 123 f. Geheimdienst 99 5a geheimdienstliche Agententätigkeit 99 1 ff. – Absehen von Strafverfolgung 99 26 – abstraktes Gefährdungsdelikt 99 1 – Agenten 99 6 – aktives Verhalten 99 3 – Anstiftung 99 16 – Anzeigepflicht 99 26 – Ausländer 99 9 – Ausländerorganisationen 99 9 817

– Außenwirtschaftsverordnung 99 8a – Ausüben 99 2 ff. – Befragung 99 6 – Beihilfe 99 16 – besonders schwerer Fall 99 17 ff. – Botschaft 99 10b – BRD 99 8 ff. – Dienststellen fremder Staaten 99 10b – Einziehung 99 26 – Euratom-Geheimnisse 99 11 – fremde Macht 99 5b – Gefahr eines schweren Nachteils 99 19 – Geheimdienst 99 5a – geheimdienstlich 99 4 – Handlungseinheit 99 3 – hoheitliches Handeln 99 7 – klassische Spionage 99 6 – Konkurrenzen 99 23 ff. – Kuriertätigkeit 99 6 – Lieferung 99 12 – Mittäterschaft 99 16 – Mitteilung 99 12 – Mittelsmänner 99 5a – Nachrichtendienste 99 5a – nachrichtendienstliche Mittel 99 4 – NATO-Geheimnisse 99 10 – NATO-Pakt 99 11 – NATO-Truppen 99 11 – Nebenfolgen 99 26 – Objekt der Ausforschung 99 1 – Rechtfertigung 99 15 – Regelbeispiele 99 17a ff. – Residenten 99 6 – Sachgebiete 99 8a – Sichbereiterklären 99 14 – Strafzumessung 99 20 – subjektiver Tatbestand 99 13 – Subsidiaritätsklausel 99 24 – tätige Reue 99 22 – Technologietransfer 99 5a, 99 6, 99 8a – Teilnahme 99 16 – verantwortliche Stellung 99 18 – Verbände 99 10a – Verbrauch der Strafklage 99 25 – Verfassungsrecht 99 1 – Vernehmung 99 6 – Versuch 99 16 – Vorsatz 99 13 – zielgerichtetes Handeln 99 5c – Zielrichtung 99 8 ff. – Zuständigkeit 99 26 – Zweckerreichung 99 12 Klie

Sachregister

Geheimhaltungsbedürftigkeit 93 7 ff. – äußere Sicherheit 93 13 – faktischer Geheimnisbegriff 93 9 – fremde Macht 93 10a ff. – Gefahr eines schweren Nachteils 93 14 ff., s. a. dort – Merkmale 93 10 ff. – militärische Landesverteidigung 93 13 – Nachrichtendienste 93 13 – NATO-Geheimnisse 93 18 – NATO-Truppen 93 9 – objektives Geheimhaltungsinteresse 93 7a Geheimhaltungsfähigkeit 93 3 ff. – begrenzter Personenkreis 93 3a – Kenntnis Unbefugter 93 6 – Mosaikgeheimnis 93 5 – Personenkreis 93 3a – Presseveröffentlichung 93 6 – Vorveröffentlichungen 93 6 – Zugänglichkeit 93 4 – Zusammenstellung zugänglicher Einzeltatsachen 93 5 Geheimhaltungsobjekt 93 2 ff. Geheimhaltungspflicht 97b 9a Geistliche 93 31 Gelangenlassen – Landesverrat 94 5 – landesverräterische Fälschung 100a 4 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 10 – sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 7 Gemeinschaftsfrieden 111 3 ff. Gesamtwirtschaft 87 8 Geschäftsgeheimnisverletzung Vor 93 4 Geschenke 108b 5 Gesetzgebungsorgan – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 4 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 3 – Störung eines Gesetzgebungsorgans 106b 1 ff., s. a. dort Gesinnungsstrafrecht 89c 46 gesundheitsschädliche Stoffe 89a 110 Gewahrsamsverhältnis 120 23 ff. – Aufsicht 120 27 f. – Beginn 120 23 – Ende 120 24 – Freiheitsbewusstsein 120 32 – Vollzugslockerungen 120 25 ff. Gewalt 81 15, 105 13 – gewaltsames Ausbrechen 121 48 – Hochverrat gegen ein Land 82 5 – Meutereihandlungen 121 33 Klie

– Wahlbehinderung 107 9 – Wählernötigung 108 4 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 23 Gewaltmonopol – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 39 – tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 1 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 3 gewaltsames Ausbrechen 121 40 ff. – Abschlusseinrichtungen 121 41, 121 49 – Außenseiter 121 47 – Begriff 121 43 – Gewalt 121 48 – Täterschaft 121 46 – Versuch 121 45 – Verwahrungsgewalt 121 42 – Vollendung 121 44 Gewalttätigkeit – Gefangenenmeuterei 121 61 f. – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 82 ff. Gift 89a 109 Gleichheitssatz 97b 13a gröbliche Entstellung 109d 7 Grundrechte 90a 22 ff. Grundstoffe 89a 119 Gruppe 88 7 H Haftbefehl – Gefangenenbefreiung im Amt 120 37, 120 50 – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 45 Haftentlassung 120 36 Hakenkreuz 86a 6 f. Halbleiterschutzgesetz Vor 93 5d Handeln auf Befehl 113 52 Handlungseinheit – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 3 – landesverräterische Agententätigkeit 98 6a Hawala-Banking 89c 4 Herstellen – landesverräterische Fälschung 100a 8 – Propagandamittelverbreitung 86 30 Hilfsdienste 115 13 ff. Hintermann – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 15 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 12 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 6 818

Sachregister

Hochverrat – BRD Vor 80 12 – Hochverrat gegen den Bund 81 1 ff., s. a. dort – Hochverrat gegen ein Land 82 1 ff., s. a. dort – Nationalsozialismus Vor 80 5 – tätige Reue 83a 1 ff., s. a. dort – Vorbereitung eines Hochverrats 83 1 ff., s. a. dort – Weimarer Republik Vor 80 2 Hochverrat gegen den Bund 81 1 ff. – Anstiftung 81 32 – Anzeigepflicht 81 40 – Beihilfe 81 33 – Bestandshochverrat 81 2 ff., s. a. dort – Bundeszwang 81 26 – direkte Nötigung 81 19 – Drohung mit Gewalt 81 16 – Einziehung 81 36 – Gebietshochverrat 81 2 ff. – Gewalt 81 15 – Kollektivangriffe 81 21 – Kollektivdelikt 81 13 – Konkurrenzen 81 37 – Nebenfolgen 81 36 – Nötigungsrichtung 81 18 ff. – Nötigungswirkung 81 22 – Opportunitätsprinzip 81 38 – Parteienprivileg 81 34 – Rechtfertigungsgründe 81 26 ff. – Rechtswidrigkeit 81 24 ff. – Schutzgut 81 1 – Strafrahmen 81 35 – Streikrecht 81 27 – subjektiver Tatbestand 81 23 – Tatbestandsbeschränkung 81 17 – Täterschaft 81 30 – Tathandlung 81 13 – Tatmittel 81 14 ff. – Teilnahme 81 31 ff. – Unternehmen 81 13 – Unternehmensdelikt 81 1, 81 13 – Verfassungshochverrat 81 6 ff., s. a. dort – Verfassungsorgan 81 18 f. – Versammlungsrecht 81 28 – Vorsatz 81 23 – ziviler Ungehorsam 81 29 – Zuständigkeit 81 39 Hochverrat gegen ein Land 82 1 ff. – Bundeszwang 82 6 – Drohung mit Gewalt 82 5 – Einziehung 82 8 – Gebietshochverrat 82 3 819

– Gewalt 82 5 – Integrität der Bundesländer 82 1 – Konkurrenzen 82 9 – Nebenfolgen 82 8 – Opportunitätsprinzip 82 10 – Parteienprivileg 82 6 – Rechtfertigungsgründe 82 6 – Rechtswidrigkeit 82 6 – Schutzgut 82 1 – Strafrahmen 82 7 – subjektiver Tatbestand 82 6 – Täterschaft 82 6 – Tatmittel 82 5 – Teilnahme 82 6 – Unternehmen 82 5 – Unternehmensdelikt 82 1 – Verfassungshochverrat 82 4 – Zuständigkeit 82 11 Hoheitszeichen – Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 3 – Verunglimpfung des Staates 90a 35 f. I Identifizierungsmaßnahmen 113 46 illegales Staatsgeheimnis 93 20 ff. – Euratom-Geheimnisse 93 24 – freiheitliche demokratische Grundordnung 93 22a – Irrtum 93 25 – Landesverrat 94 11 – NATO-Truppen 93 24 – Rüstungsbeschränkungen, zwischenstaatliche 93 23 – Tatsachen 93 21 – Verrat illegaler Geheimnisse s. a. dort – Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 1 ff., s. a. dort – Vorsatz 93 25 Indemnität 108e 25 Informationsfreiheit 92b 6 Inland 89a 159 Inlandstaten – Agententätigkeit zur Sabotage 87 17 – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 7 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 24 – Propagandamittelverbreitung 86 29 – Staatsschutzstrafrecht Vor 80 33 – terroristisch motivierte Ausreise 89a 125 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 11 Klie

Sachregister

innere Sicherheit 92 14 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 2 – Staatsschutzklausel 89a 89 internationale Organisation 89a 93 Internet – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 44 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 37 – Zugang des Propagandamittels 86 28 Interventionsverbot s. Nichteinmischungsprinzip IntPatÜbkG Vor 93 5c Irrtumsprivileg – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 50 f., 113 53 f. – tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 18 f. Islamischer Staat (Flagge) 86a 8 islamistischer Terrorismus 89a 4 J Jagdaufseher 115 6 Jagdausübungsberechtigte Journalisten 89b 16

115 7

K kämpferische Haltung 87 18 Katalogtaten – Terrorismusfinanzierung 89c 85 f. – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 81 ff. Katastrophenschutz 115 15 Keltenkreuz 86a 7 Kennzeichen 86a 4 ff. – Ersatzorganisation 86a 5 – FDJ-Abzeichen 86a 8 – Gesamtbetrachtung 86a 10 – Hakenkreuz 86a 6 f. – Islamischer Staat (Flagge) 86a 8 – Keltenkreuz 86a 7 – nationalsozialistische Organisationen 86a 6 f. – Organisationsbezug 86a 9 – zum Verwechseln ähnliche ~ 86a 10 Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 1 ff. – Absicht späterer Verbreitung/Verwendung 86a 37 – Auslandstaten 86a 25 – Einziehung 86a 41 – Inlandstaten 86a 24 – Kennzeichen 86a 4 ff., s. a. dort Klie

– Konkurrenzen 86a 42 – Nebenfolgen 86a 41 – Opportunitätsprinzip 86a 43 – Schutzgut 86a 1 – Sozialadäquanz 86a 26 ff., s. a. dort – Strafrahmen 86a 40 – subjektiver Tatbestand 86a 37 f. – Tatbestandsirrtum 86a 38 – Tathandlung 86a 3, 86a 11 ff. – Tatort 86a 24 ff. – Teilnahme 86a 39 – Verbotsirrtum 86a 38 – Verbreiten 86a 3, 86a 11 f. – Verwenden 86a 3, 86a 13 ff., s. a. dort – Vorbereitungshandlungen 86a 3 – Vorsatz 86a 37 – Zuständigkeit 86a 43 Kettenverbreitung 86 21 know your customer-Prinzip 89c 13 f. Kollektivangriffe – Hochverrat gegen den Bund 81 21 – Nötigungsmittel 105 21 Kollektivdelikt – Hochverrat gegen den Bund 81 13 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 10 kommunale Volksvertreter 108e 5 Kompromate 93 32 Konkurrenzen – Agententätigkeit zur Sabotage 87 23 – Angriff auf ausländische Organe/Vertreter 102 9 – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 47 – Anwerben für fremden Wehrdienst 109h 11 – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 9 – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 28 ff. – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 22 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 37 – friedensgefährdende Beziehungen 100 11 – Gefangenenbefreiung 120 71 – Gefangenenmeuterei 121 67 ff. – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 23 ff. – Hochverrat gegen den Bund 81 37 – Hochverrat gegen ein Land 82 9 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 42 – Landesverrat 94 18 ff. – landesverräterische Agententätigkeit 98 20 – landesverräterische Ausspähung 96 8 f. 820

Sachregister

– landesverräterische Fälschung 100a 10 – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 18 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 37 ff. – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 10 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 74 ff. – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 15 – Propagandamittelverbreitung 86 47 – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 17 – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 21 – sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 16 f. – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 15 – Störung eines Gesetzgebungsorgans 106b 6 – tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 22 f. – Terrorismusfinanzierung 89c 110 ff. – Vereinigungsverbotsverstoß 85 18 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 19 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 14 – Verfolgungsermächtigung 90 20 – Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 8 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 9 – Verunglimpfung des Staates 90a 49 – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 14 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 19 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 184 ff., 89a 189 ff. – Wahlbehinderung 107 14 – Wählerbestechung 108b 9 – Wählernötigung 108 14 – Wählertäuschung 108a 10 – Wahlfälschung 107a 13 f. – Wahlunterlagenfälschung 107b 8 – Wehrpflichtentziehung durch Täuschung 109a 12 – Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung 109 23 f. – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 92 ff. – Widerstand/Angriff gegen Nichtamtsträger 115 28 konspirative Aktivitäten 83 8 Kontaktaufnahmen 120 72 Kontaktbereich 113 20 Kraftfahrer – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 54 821

– Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 24 Krieg 100 6 Kriegsgefangene 121 12 Kriegswaffenkontrollgesetz Vor 93 4a Kronzeugenregelung 89a 170 Kunstfreiheit – Darstellungszweck 86a 30 – Einziehung 92b 6 – Niveaukontrolle 86a 29 – Sozialadäquanz 86 39 – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 3 – Verunglimpfung des Staates 90a 28 ff. – Werkbereich 86a 28 – Wirkbereich 86a 28 Kuriertätigkeit 99 6 L Lager 87 14 Landesverrat 94 1 ff. – Absehen von Strafverfolgung 94 23 – Anzeigepflicht 94 23 – Benachteiligungsabsicht 94 7 – besonders schwerer Fall 94 15 ff. – besonders schwerer Nachteil 94 17 – BRD Vor 80 15 – Dauerdelikt 94 18 – Deutsches Reich Vor 80 3 – Edward Snowden 94 16 – Einziehung 94 23 – Euratom-Geheimnisse 94 10 – fremde Macht 94 2 – Gefahr eines schweren Nachteils 94 8 f. – Gegenstand 94 1 – Gelangenlassen 94 5 – illegales Staatsgeheimnis 94 11 – Kenntnis Unbefugter 94 4a f. – Konkurrenzen 94 18 ff. – landesverräterische Agententätigkeit 98 1 ff., s. a. dort – landesverräterische Ausspähung 96 1 ff., s. a. dort – landesverräterische Fälschung 100a 1 ff., s. a. dort – Missbrauch verantwortlicher Stellungen 94 16 – Mittäterschaft 94 13 – Mitteilung 94 2 – Mittelsmänner 94 2 f. – Nachrichtendienste 94 2a – Nationalsozialismus Vor 80 5 – NATO-Geheimnisse 94 10, 94 20 Klie

Sachregister

– Nebenfolgen 94 23 – öffentlich Bekanntmachen 94 6 – presserechtliche Verjährung 94 22 – publizistischer ~ 95 5 – Rechtfertigung 94 11 – Regelbeispiele 94 16 f. – Rücktritt 94 12 – Spiegel-Affäre Vor 80 11 – Staatsgeheimnis 94 1 – subjektiver Tatbestand 94 11 – Subsidiaritätsklausel 94 19 – Subsumtionsirrtum 94 11 – Tathandlung 94 2, 94 4 ff. – Tatmehrheit 94 18 – Teilnahme 94 14 – Verbotsirrtum 94 11 – Verfassungsrecht 94 1 – Versuch 94 12 – Vollendung 94 12 – Vorsatz 94 11 – Wahlfeststellung 94 21 – WikiLeaks 94 6 – Zuständigkeit 94 23 landesverräterische Agententätigkeit – Absehen von Strafverfolgung 98 21 – Anzeigepflicht 98 21 – Ausüben 98 2 f. – Beihilfe 98 9 – Beschaffungsvorhaben 98 6a – besonders schwerer Fall 98 10 – Einziehung 98 21 – Erlangen 98 3 – Euratom-Geheimnisse 98 8 – fremde Macht 98 5 – Handlungseinheit 98 6a – Konkurrenzen 98 20 – Mitteilen 98 3 – NATO-Geheimnisse 98 8 – Nebenfolgen 98 21 – Rechtfertigung 98 8a – Regelbeispiel 98 10 – Sichbereiterklären 98 7 – Staatsgeheimnis 98 3 – Staatsgeheimnisteile 98 4 – subjektiver Tatbestand 98 6 – tätige Reue 98 11 ff., s. a. dort – Unterbrechungen 98 6a – Unterlassen 98 2a – Versuch 98 9 – Vorfeldtatbestände 98 1 – Vorsatz 98 6 – Zuständigkeit 98 21 Klie

98 1 ff.

landesverräterische Ausspähung 96 1 ff. – Absehen von Strafverfolgung 96 9 – Anzeigepflicht 96 9 – Einziehung 96 9 – Euratom-Geheimnisse 96 2 – Konkurrenzen 96 8 f. – NATO-Geheimnisse 96 2 – Nebenfolgen 96 9 – Offenbarungsabsicht 96 4 – Sichverschaffen 96 3 – Staatsgeheimnis 96 7 – Tathandlung 96 3 – Tatobjekt 96 2 – Verratsabsicht 96 4 – Vorfeldtatbestände 96 1 – Vorsatz 96 6 – Zuständigkeit 96 9 landesverräterische Fälschung 100a 1 ff. – Absehen von Strafverfolgung 100a 11 – Anzeigepflicht 100a 11 – Bedeutsamkeit der Gegenstände 100a 3 – besonders schwerer Fall 100a 9 – Einziehung 100a 11 – Fälschung 100a 2a – Gefahr eines schweren Nachteils 100a 5 – Gegenstand 100a 2a – Gelangenlassen 100a 4 – Herstellen 100a 8 – Konkurrenzen 100a 10 – Nachrichten 100a 2a – NATO-Truppen 100a 1 – Nebenfolgen 100a 11 – öffentliches Bekanntmachen 100a 4 – Presseerzeugnisse 100a 4 – Rechtfertigung 100a 7 – Regelbeispiel 100a 9 – Schutzgut 100a 1 – Sichverschaffen 100a 8 – Staatsverleumdung 100a 1 – subjektiver Tatbestand 100a 7a – Tathandlung 100a 4, 100a 8 – Tatobjekt 100a 2 ff. – unwahre Behauptungen 100a 2a – Versuch 100a 9 – Versuch, untauglicher 100a 7a – Vorbereitungshandlungen 100a 8 – Vorsatz 100a 7a – Wahlfeststellung 100a 10 – wider besseres Wissen 100a 7a – Zuständigkeit 100a 11 Landesverteidigung Vor 109 1 ff. – Angelegenheiten der ~ 109f 2 822

Sachregister

– Anwerben für fremden Wehrdienst 109h 1 ff., s. a. dort – Ausland Vor 109 5 – DDR Vor 109 5 – Einziehung 109k 1 ff. – NATO-Truppen Vor 109 6 – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 1 ff., s. a. dort – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 1 ff., s. a. dort – sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 1 ff., s. a. dort – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 1 ff., s. a. dort – Wehrpflichtentziehung durch Täuschung 109a 1 ff., s. a. dort – Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung 109 1 ff., s. a. dort Landesverteidigungseinrichtungen/anlagen 109e 3 Landtagsabgeordnete 108e 4 Landweg 89a 135 legendierte Kontrolle 113 45 Leichtfertigkeit 97 1, 97 7 ff., 97 11b Lichtbildaufnahme 109g 9 Lieferung 99 12 Like-Button 111 26 livestream 91 19 Lockspitzel 89a 181 Luftaufnahmen – Einziehung 109k 3 – sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 8 ff. Luftweg 89a 134 M Machenschaften 109a 5 Machtpositionen 81 10 f. Mandatsfreiheit 108e 25 manifestierter Schädigungswille 89c 66 Maulkorbparagraph 109d 1 Medienberichterstattung – Aufforderung 111 27 f. – Sozialadäquanz 111 28 medizinische Güter 89c 96 Mehrfachhandlungen – Agententätigkeit zur Sabotage 87 23 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 32 ff. – Propagandamittelverbreitung 86 47 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 19 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 14 Mehrfachtatorte 89a 160 823

Meinungsäußerungsfreiheit – Staatsgeheimnis 93 33 – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 3 Verunglimpfung des Staates 90a 23 ff. Meistbegünstigungsprinzip 89c 115 Mengenverbreitung 86 21 Meutereihandlungen 121 23 ff. – Amtsträger 121 29 – Angriffsobjekt 121 29 f. – Ausbruchshilfe 121 51 f. – Gewalt 121 33 – gewaltsames Ausbrechen 121 40 ff., s. a. dort – Nötigung 121 28 ff., 121 32 ff. – passives Verhalten 121 34 – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 121 31 – tätlicher Angriff 121 28 ff., 121 38 – vereinte Kräfte 121 24 ff. – Widerstandleisten 121 35 – zeitliche Koinzidenz 121 23 minder schwerer Fall – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 20 – friedensgefährdende Beziehungen 100 10 – Terrorismusfinanzierung 89c 104 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 171 Missionschef 102 4 Mitgliedsbeiträge 84 19 mitgliedschaftliche Betätigung 84 17 ff., 84 33 Mitläuferklausel 84 30 Mittäterschaft – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 16 – Landesverrat 94 13 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 72 – Staatsgefährdung 91a 5 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 180 – Zusammenrotten 121 19 Mitteilen – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 12 – landesverräterische Agententätigkeit 98 3 mittelbare Täterschaft – Gefangenenbefreiung 120 56 – Staatsgefährdung 91a 5 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 178 Mittelsmänner – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 5a – Landesverrat 94 2 f. – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 12 Klie

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Mosaik-Anleitung 91 20 Mosaik-Geheimnis 93 5 N Nachrichten – landesverräterische Fälschung 100a 2a – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 3 Nachrichtendienste 99 5a – Betreiben eines ~s 109f 5 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 16 – Gefahr eines schweren Nachteils 93 14 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 1 ff., 99 5a, s. a. dort – Geheimhaltungsbedürftigkeit 93 13 – Indizien 99 7 – Landesverrat 94 2a – sicherheitsgefährdender ~ 109f 1 ff., s. a. dort – Staatsgeheimnis 93 30 National Security Agency Vor 93 6 Nationalhymne 90a 7 Nationalsozialismus Vor 93 1 NATO-Geheimnisse – Gefahr eines schweren Nachteils 93 18 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 10 – Geheimhaltungsbedürftigkeit 93 18 – Landesverrat 94 10, 94 20 – landesverräterische Agententätigkeit 98 8 – landesverräterische Ausspähung 96 2 – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 6 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 13a – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 2 – Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 11 NATO-Pakt – friedensgefährdende Beziehungen 100 8 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 11 – Staatsschutzstrafrecht Vor 80 36 NATO-Truppen – Agententätigkeit zur Sabotage 87 22 – äußere Sicherheit Vor 93 7 ff. – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 11 – Geheimhaltungsbedürftigkeit 93 9 – illegales Staatsgeheimnis 93 24 – landesverräterische Fälschung 100a 1 – Landesverteidigung Vor 109 6 – Nebenfolgen 92a 4, 101 2 – Staatsschutzstrafrecht Vor 80 35 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 21 – Verunglimpfung des Staates 90a 52 Nebenfolgen 92a 1 ff., 101 1 ff. – Agententätigkeit zur Sabotage 87 21 Klie

– Angriff auf ausländische Organe/Vertreter 102 10 – äußere Sicherheit 101 1 ff. – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 27 – Ermessen 92a 3 – fakultative ~ 101 1, 101 4 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 31 – Freiheitsstrafe 101 2 – friedensgefährdende Beziehungen 100 12 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 26 – Hochverrat gegen den Bund 81 36 – Hochverrat gegen ein Land 82 8 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 41 – Landesverrat 94 23 – landesverräterische Agententätigkeit 98 21 – landesverräterische Ausspähung 96 9 – landesverräterische Fälschung 100a 11 – NATO-Truppen 92a 4, 101 2 – Nebenstrafen 101 1 – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 12 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 16 – Propagandamittelverbreitung 86 46 – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 16 – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 20 – Staatsgefährdung 92a 1 ff. – Statusfolgen 92a 1 – Strafzumessung 101 4 – Tatmehrheit 92a 2 – Tatrichter 92a 3 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 18 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 17 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 13 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 10 – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 18 – Verunglimpfung des Staates 90a 47 – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 9 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 18 – Wahlstrafrecht 108c 1 f. neutrale Handlungen 89a 66 f. Nichtamtsträger 115 11 Nichtanzeige 89a 192 Nichteinmischungsprinzip – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 8 – Terrorismusfinanzierung 89c 67 ff. – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 69 ff. 824

Sachregister

Niveaukontrolle 86a 29 Nötigung – Meutereihandlungen 121 28 ff., 121 32 ff. – Nötigung des Bundespräsidenten 106 1 ff., s. a. dort – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 1 ff., s. a. dort – Nötigung von Verfassungsorganen 105 1 ff., s. a. dort – Nötigungsmittel 105 12 ff., s. a. dort – Nötigungsziel 105 7 ff., s. a. dort – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 5, 113 9, 113 92 ff., 113 95 ff. Nötigung des Bundespräsidenten 106 1 ff. – Befugnisse 106 10 – Drohung 106 11 – Erfolgsdelikt 106 12 – Konkurrenzen 106 18 – Nötigungsmittel 106 11 – Nötigungswirkung 106 12 – Nötigungsziel 106 9 – Rechtswidrigkeit 106 13 f. – Täterschaft 106 13 – Versuch 106 17 – Vertreter 106 3 – Vorsatz 106 16 – Zuständigkeit 106 19 Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 1 ff. – Befugnisse 106 10 – Bundesversammlung 106 5 – Drohung 106 11 – Einigungsvertrag 106 20 – Erfolgsdelikt 106 12 – Gesetzgebungsorgan 106 4 – Konkurrenzen 106 18 – Nötigungsmittel 106 11 – Nötigungswirkung 106 12 – Nötigungsziel 106 9 – Opportunitätsprinzip 106 19 – Rechtswidrigkeit 106 13 f. – Regierung 106 6 f. – Täterschaft 106 13 – Tathandlung 106 8 ff. – Tatobjekt 106 2 – Verfassungsgerichte 106 6 – Versuch 106 17 – Vorsatz 106 16 – Zuständigkeit 106 19 Nötigung von Verfassungsorganen 105 1 ff. – Bundesversammlung 105 4 825

– Bundeszwang 105 27 – Demonstrationsrecht 105 30 – Einigungsvertrag 105 42 – Gesetzgebungsorgane 105 3 – Konkurrenzen 105 37 ff. – Nötigungsmittel 105 12 ff., s. a. dort – Nötigungswirkung 105 22 – Nötigungsziel 105 7 ff., s. a. dort – Opportunitätsprinzip 105 41 – Rechtfertigung 105 26 ff. – Rechtswidrigkeit 105 23 ff. – Regierung 105 5 – Schutzgut 105 1 – Streikrecht 105 29 – Tathandlung 105 6 ff. – Tatobjekt 105 2 ff. – Verbotsirrtum 105 33 – Verfassungsgerichte 105 5 – Versuch 105 34 ff. – Versuch, untauglicher 105 35 – Vorsatz 105 33 – Wahndelikt 105 36 – Widerstandsrecht 105 28 – ziviler Ungehorsam 105 31 – Zuständigkeit 105 41 Nötigungsmittel 105 12 ff. – Abgrenzung 105 15 – direkte Nötigung 105 17 – Drohung mit Gewalt 105 14 – Gewalt 105 13 – Gewaltandrohung gegen Dritte 105 19 – indirekte Nötigung 105 18 ff. – Kollektivangriffe 105 21 – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 11 – Relevanz der Zwangswirkung 105 20 – Tatbestandseinschränkung 105 16 ff. – Wählernötigung 108 3 ff. Nötigungsrichtung 81 18 ff. Nötigungswirkung – Hochverrat gegen den Bund 81 22 – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 12 Nötigungsziel 105 7 ff. – Befugnisse 105 8 – geschäftsordnungsgemäße Befassung 105 11 – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 9 – Rechtmäßigkeit der Entscheidung 105 9 – Verfassungswidrigkeit der Entscheidung 105 10 Notwehr 113 60, 113 62 Klie

Sachregister

O Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 1 ff. – Absehen von Strafverfolgung 95 12 – amtliche Stelle 95 4 – Anzeigepflicht 95 12 – besonders schwerer Fall 95 9 – Einziehung 95 12 – Euratom-Geheimnisse 95 6 – Konkurrenzen 95 10 – NATO-Geheimnisse 95 6 – Nebenfolgen 95 12 – Patentanmeldung 95 4 – presserechtliche Verjährung 95 11 – publizistischer Landesverrat 95 5 – Rechtfertigung 95 7 – Staatsgeheimnis, faktisches 95 3 – Staatsgeheimnis, materielles 95 2a – subjektiver Tatbestand 95 8 – Tathandlung 95 5 – Tatobjekt 95 2 ff. – tatsächliche Geheimhaltung 95 3 – Teilnahme 95 9 – Veranlassung 95 4 – Versuch 95 9 – Vorsatz 95 8 – Zuständigkeit 95 12 öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 1 ff. – abstraktes Gefährdungsdelikt 111 12 – agent provocateur 111 63 – Anstiftung 111 1, 111 9 ff. – Aufforderung 111 16 ff. – Aufforderungsdelikt 111 14 – Ausbleiben des Erfolges 111 52 – Auslandsbezug 111 51 – Äußerungsdelikt 111 14 – Bedeutung 111 15 – Beihilfe 111 54 – Bildschirmtext 111 37 – Chatrooms 111 37 – Deliktsnatur 111 12 – differenzierter Strafrahmen 111 7 f. – Erfolg 111 60 ff. – erfolglose Aufforderung 111 64 f. – Fallgestaltungen 111 55 – Fernsehen 111 36 – Gemeinschaftsfrieden 111 3 ff. – Internet 111 37 – Kausalität 111 60 – Konkretisierung 111 56 – Konkurrenzen 111 74 ff. – Mittäterschaft 111 72 Klie

– öffentliche Aufforderung 111 33 ff. – Ordnungswidrigkeit 111 50 – Presse 111 36 – Presseinhaltsdelikte 111 27, 111 79 – presserechtliche Verjährung 111 79 – rechtswidrige Tat 111 47 – Rechtswidrigkeit 111 67 f. – Rücktritt 111 73 – Rundfunk 111 36 – Schriften 111 41 ff. – Schuld 111 69 f. – Schutzgut 111 3 ff. – shitstorms 111 59 – Sitzblockaden 111 59 – soziale Medien 111 37 – Strafantrag 111 78 f. – subjektiver Tatbestand 111 66 – Tatbestandserfolg 111 47 ff. – Täterschaft 111 71 – Teilnahme 111 53, 111 71 – Ungehorsam 111 58 – Verbotsirrtum 111 69 – Versammlung 111 38 ff. – Verwünschungsformeln 111 57 – Vorbereitungshandlungen 111 53 – Vorsatztat 111 48 f. öffentlicher Dienst 97b 9a öffentliches Bekanntmachen – landesverräterische Fälschung 100a 4 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 3 Opportunitätsprinzip – Agententätigkeit zur Sabotage 87 23 – Angriff auf ausländische Organe/Vertreter 102 11 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 38 – Hochverrat gegen den Bund 81 38 – Hochverrat gegen ein Land 82 10 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 43 – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 19 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 41 – Propagandamittelverbreitung 86 48 – tätige Reue 83a 9 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 18 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 20 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 15 – Verfolgungsermächtigung 90 21 – Verunglimpfung des Staates 90a 50 – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 15 826

Sachregister

– Vorbereitung eines Hochverrats 83 20 Ordnungswidrigkeit – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 50 – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 46 Organisationsdelikte Vor 80 26 f. organisationsungebundene Einzeltäter 89a 3 organisatorische Vorkehrungen 83 8 organisatorischer Zusammenhalt – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 11 f., 84 34 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 12 P Parolen 111 20 Parteiarbeit Vor 80 32 Parteienprivileg Vor 80 25 ff. – Agententätigkeit zur Sabotage 87 24 – allgemeine Strafgesetze Vor 80 28 ff. – Bestandsgarantie Vor 80 25 – Ersatzorganisation Vor 80 27 – Hochverrat gegen den Bund 81 34 – Hochverrat gegen ein Land 82 6 – organisationsbezogenes ~ Vor 80 32 – Organisationsdelikte Vor 80 26 f. – Parteiarbeit Vor 80 32 – Parteiverbot Vor 80 25 – Schutzgarantie Vor 80 25 – Verbotsirrtum Vor 80 32 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 20 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 15 – verfassungsfeindliche Tendenz Vor 80 30 f. – Verunglimpfung des Staates 90a 50 – Verwaltungsverfahren Vor 80 27 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 16 Parteispenden 108e 12 Parteiverbote 84 3 ff. – Bindung der Strafgerichte 84 9 f. – Ersatzorganisation 84 4 ff., s. a. dort – Fortführung unter neuem Namen 84 7 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 34 – Gründung einer neuen Organisation 84 8 – neue Partei 84 8 – Propagandamittel 86 12 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 2 ff. Passrecht 89a 194 Patentanmeldung 95 4 Patentgesetz Vor 93 5a Personalitätsprinzip 89a 77 f. Petitionsrecht 93 28 Pfändung 113 59 Pflichtenstellung 120 48 827

Planmäßigkeit 89 6 Platzverweis 113 46 politische Kritik 90a 26 f. politische Parteien 93 28 Polizeibeamte 89b 16 polizeiliche Prävention 113 18 Präventivgewahrsam 89a 47 f. Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 1 ff. – Absehen von Strafverfolgung 97 16 – Anzeigepflicht 97 16 – Einziehung 97 16 – Euratom-Geheimnisse 97 13a – Fahrlässigkeit 97 4, 97 11c – Gefahr eines schweren Nachteils 97 3, 97 10 – Gegenstand 97 2 – Gelangenlassen 97 10 – Kenntnis Unbefugter 97 3 – Konkurrenzen 97 15 – leichtfertige ~ 97 1, 97 7 ff., 97 11b – NATO-Geheimnisse 97 13a – Nebenfolgen 97 16 – öffentliches Bekanntmachen 97 3 – presserechtliche Verjährung 97 13c – Rechtfertigung 97 13b – Sonderdelikt 97 1 – Staatsgeheimnis, faktisches 97 2 – subjektiver Tatbestand 97 4 f., 97 11 ff. – Tathandlung 97 3 – Teilnahme 97 6, 97 12 – Verfolgungsermächtigung 97 14 – Versuch 97 12 – Vorsatz 97 4 f., 97 11a – Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination 97 1 – Zugänglichkeit kraft Amtes 97 7a – Zugänglichkeit kraft Auftrag 97 8 – Zuständigkeit 97 16 Presse 111 36 Presseberichterstattung 109f 15 ff. Pressefreiheit – Staatsgeheimnis 93 33 – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 3 Presseinhaltsdelikte 111 27, 111 79 Presseinlandsdelikt 86 44 presserechtliche Verjährung – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 48 – Landesverrat 94 22 – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 11 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 79 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 13c Klie

Sachregister

– Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 14 – Verunglimpfung des Staates 90a 21 Presseveröffentlichung 93 6 Proliferation Vor 93 14 Propaganda – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 5 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 8 Propagandamittel 86 3 ff. – aktiv kämpferische Tendenz 86 7 – allgemeinkundige Tatsachen 86 6 – ausländische Einrichtungen 86 15 – ausländische Regierungen 86 13 – ausländische Schriften 86 9, 86 13 ff. – ausländische Vereinigungen 86 14 – Bezug zur verbotenen Vereinigung 86 16 – Darstellungen 86 10 – Datenspeicher 86 10 – ehemalige nationalsozialistische Organisation 86 17 f. – freiheitliche demokratische Grundordnung 86 4 – inhaltliche Ausrichtung 86 6 – Legaldefinition 86 3 – Parteiverbote 86 12 – Vereinigungsverbot 86 12 – verfassungswidrige Organisationen 86 11 ff. – Verkörperung 86 10 – Völkerverständigung 86 5 – vorkonstitutionelle Schriften 86 8 – Zugang des Propagandamittels 86 25 ff., s. a. dort Propagandamittelverbreitung 86 1 ff. – Ausfuhr 86 34 – Beihilfe 86 43 – Einfuhr 86 33 – Einziehung 86 46 – Herstellen 86 30 – Inlandstaten 86 29 – Kettenverbreitung 86 21 – Konkurrenzen 86 47 – Mehrfachhandlungen 86 47 – Mengenverbreitung 86 21 – Nebenfolgen 86 46 – Opportunitätsprinzip 86 48 – Presseinlandsdelikt 86 44 – Propagandamittel 86 3 ff., s. a. dort – Schutzgut 86 1 – Sozialadäquanz 86 36 ff., s. a. dort – Strafrahmen 86 45 – subjektiver Tatbestand 86 42 – Tatbestandsausschluss 86 36, 86 41 Klie

– Tatbestandsirrtum 86 42 – Tathandlung 86 19 ff. – Teilnahme 86 43 – Verbotsirrtum 86 42 – Verbreiten 86 19 ff. – Verjährung 86 44 – vertrauliche Ubermittlung 86 24 – Völkerfriedensschutz 86 1 – Vorrätighalten 86 31 – Vorsatz 86 42 – Weitergabe an Einzelne 86 22 – Weitergabe an größeren Personenkreis 86 23 – Zugang des Propagandamittels 86 25 ff., s. a. dort – Zugänglichmachen in Datenspeichern 86 35 – Zuständigkeit 86 48 Prozesshindernis 89a 168 Q Qualifikation – Gefangenenbefreiung 120 5 – Gefangenenbefreiung im Amt 120 47 – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 17 – Verunglimpfung des Staates 90a 44 R Radarmessungen 113 59 Rädelsführer – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 14 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 12 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 6 radioaktive Stoffe 89a 108 Rahmenbeschlüsse zur Terrorismusbekämpfung 89a 24 Razzia 113 59 Rechtfertigung – friedensgefährdende Beziehungen 100 9 – Gefangenenbefreiung 120 55 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 15 – Hochverrat gegen den Bund 81 26 ff. – Hochverrat gegen ein Land 82 6 – Landesverrat 94 11 – landesverräterische Agententätigkeit 98 8a – landesverräterische Fälschung 100a 7 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 26 ff. – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 7 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 67 f. – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 13b – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 31 f. – Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 15 828

Sachregister

– Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 61 Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 1, 113 26 ff. – dogmatische Einordnung 113 27 ff. – Durchsuchung 113 45 – Eingriffsbefugnisse 113 60 – Ermessensausübung 113 49 – fehlende ~ 113 61 ff. – formale ~ 113 34 – Gewaltmonopol 113 39 – Haftbefehl 113 45 – Handeln auf Befehl 113 52 – Identifizierungsmaßnahmen 113 46 – Irrtumsprivileg 113 50 f., 113 53 f. – Judikatur 113 58 ff. – Kraftfahrer 113 54 – Landesgesetze 113 55 ff. – legendierte Kontrolle 113 45 – Meutereihandlungen 121 31 – Notwehr 113 60, 113 62 – Ordnungswidrigkeit 113 46 – örtliche Zuständigkeit 113 43 – Pfändung 113 59 – Platzverweis 113 46 – Radarmessungen 113 59 – Razzia 113 59 – Rechtfertigung des Widerstandes 113 61 – Rechtfertigungselement 113 31 f. – Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen 113 41 ff. – sachliche Zuständigkeit 113 42 – Strafbarkeitsbedingung 113 30 – strafrechtliche ~ 113 34, 113 37 ff. – Tatbestandsmerkmal 113 29 – tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 16 – unmittelbarer Zwang 113 46 – Unterbringung 113 46 – Verkehrserziehung 113 59 – verwaltungsrechtliche ~ 113 35 – vollstreckungsrechtliche ~ 113 36 – Vollziehung von Staatsakten 113 47 – Vorführungsbefehl 113 46 – wesentliche Förmlichkeiten 113 44 – Wohnungsdurchsuchung 113 46 Rechtmäßigkeitsklausel 108e 13 Rechtsanwälte 93 31 Rechtsanwendungsrecht – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 35 ff. – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 17 f. 829

– Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 152 ff. rechtsextremistischer Terrorismus 89a 4 Rechtsgüter des Staatsschutzstrafrechts Vor 80 20 Rechtsstaatsprinzip Vor 93 19 Rechtswidrigkeit – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 34 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 15 – Hochverrat gegen den Bund 81 24 ff. – Hochverrat gegen ein Land 82 6 – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 13 f. – Nötigung von Verfassungsorganen 105 23 ff. – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 67 f. – verfassungsfeindliche Sabotage 88 10 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 151 – Wählernötigung 108 10 Regierung – Angriff auf ausländische Organe/Vertreter 102 2 – friedensgefährdende Beziehungen 100 3 – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 6 f. – Nötigung von Verfassungsorganen 105 5 Reiseroute 89a 132 Residenten 99 6 Rettungsdienste 115 15 Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung 89a 25 ff., 89a 61 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 3 – Divergenzen zum nationalen Recht 89a 29 ff. – Kongruenzen zum nationalen Recht 89a 27 f. – Mindestvorgaben 89a 34 – Terrorismusfinanzierung 89c 31 – unionskonforme Auslegung 89a 32 ff. risk based approach 89c 13 f. Rücktritt – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 28 – Gefangenenbefreiung 120 70 – Landesverrat 94 12 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 73 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 6 Rundfunk 111 36 Rüstungsbeschränkungen, zwischenstaatliche 93 23 Klie

Sachregister

S Sabotagehandlungen 87 5 ff. Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 1 ff. – Beschädigung 109e 6 – Beseitigen 109e 6 – BRD 109e 10 – Einziehung 109e 16 – fehlerhafte Herstellung/Lieferung 109e 7 – Gefährdung der Sicherheit 109e 9 ff. – Gefährdung von Leib/Leben 109e 12 – Herstellungsstadium 109e 5 – Konkurrenzen 109e 17 – Landesverteidigungseinrichtungen/anlagen 109e 3 – Nebenfolgen 109e 16 – Schlagkraft der Truppe 109e 11 – Schutzgut 109e 1 – Strafrahmen 109e 16 – subjektiver Tatbestand 109e 13 f. – Tathandlung 109e 6 f. – Tatobjekt 109e 2 ff. – Unbrauchbarmachen 109e 6 – Verändern 109e 6 – Versuch 109e 15 – Vorsatz 109e 13 – Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination 109e 14 – Wehrmittel 109e 2 – Werkstoffe 109e 7 – Zerstörung 109e 6 – Zivilschutzeinrichtungen/-anlagen 109e 4 Sabotagemaßnahmen 83 8 Sabotagemittel 87 13 Sabotageobjekte 88 3 Sammeln 89c 74 f. Scheinbeteiligung 121 21 Scheinwaffe – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 78 – Gefangenenmeuterei 121 60 Schlagkraft der Truppe – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 11 – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 13 Schriften – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 9, 91 18 f. – Begriff 91 18, 111 42 – livestream 91 19 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 41 ff. Klie

– Sicherungseinziehung 92b 4 – Sozialadäquanz 86 40 – Verbreiten 111 43 – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 13 – Verunglimpfung des Staates 90a 21 – Verwenden 86a 21 – Zugang des Propagandamittels 86 26 Schuldprinzip – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 7 – Terrorismusfinanzierung 89c 46 – Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 14 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 50 ff., 89a 56 ff. Schusswaffe – Ausbildung 89a 105 – Gefangenenmeuterei 121 59 Schutzbereitschaft 89 11 Schutzgrundsatz Vor 93 6 Schutzgut – Agententätigkeit zur Sabotage 87 1 – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 2 – Anwerben für fremden Wehrdienst 109h 1 – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 1 – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 1 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 2 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 1 – friedensgefährdende Beziehungen 100 1 – Gefangenenbefreiung 120 8 – Gefangenenmeuterei 121 4 – Hochverrat gegen den Bund 81 1 – Hochverrat gegen ein Land 82 1 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 1 – landesverräterische Fälschung 100a 1 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 1 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 3 ff. – Propagandamittelverbreitung 86 1 – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 1 – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 1 – Staatsschutzstrafrecht Vor 80 20 – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 1 – Störung eines Gesetzgebungsorgans 106b 1 – Straftaten gegen ausländische Staaten Vor 102 1 830

Sachregister

– tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 1 – Terrorismusfinanzierung 89c 43 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 1 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 1 – Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 1 – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 1 – Verunglimpfung des Staates 90a 1 – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 1 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 14 – Wahlbehinderung 107 1 – Wählerbestechung 108b 1 – Wählernötigung 108 1 – Wählertäuschung 108a 1 – Wahlfälschung 107a 1 – Wahlgeheimnisverletzung 107c 1 – Wahlunterlagenfälschung 107b 1 – Wehrpflichtentziehung durch Täuschung 109a 1 – Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung 109 1 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 3 f. Seeweg 89a 136 Selbstbefreiung 120 2, 120 57 Selbststudium – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 6 f., 91 10, 91 27 – Ausbildung 89a 102 shitstorm 111 59 sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 1 ff. – Angelegenheiten der Landesverteidigung 109f 2 – Anwerben 109f 6 – ausländische Dienststelle 109f 9 f. – ausländische Parteien 109f 9 f. – ausländische Vereinigungen 109f 9 f. – Bedeutung 109f 1 – Betreiben eines Nachrichtendienstes 109f 5 – Einziehung 109f 20 – Funkberichterstattung 109f 15 ff. – Gefährdung der Sicherheit 109f 13 – Gegenstand 109f 2 f. – Konkurrenzen 109f 21 – Mittelsmänner 109f 12 – Nachrichten 109f 3 – Nachrichten sammeln 109f 4 – Nebenfolgen 109f 20 831

– Presseberichterstattung 109f 15 ff. – Schlagkraft der Truppe 109f 13 – Schutzgut 109f 1 – Strafrahmen 109f 20 – subjektiver Tatbestand 109f 14 – Tathandlung 109f 4 ff. – verbotene Vereinigungen 109f 11 – Versuch 109f 19 – Vorsatz 109f 14 sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 1 ff. – Abbildung 109g 5 – behördliche Erlaubnis 109g 13 f. – Beschreibung 109g 6 – Einziehung 109g 15 – Gefährdung der Sicherheit 109g 11 f. – Gelangenlassen 109g 7 – Konkurrenzen 109g 16 f. – Lichtbildaufnahme 109g 9 – Luftaufnahmen 109g 8 ff. – militärische Einrichtung/Anlage 109g 3 – militärischer Vorgang 109g 4 – Strafrahmen 109g 15 – subjektiver Tatbestand 109g 12 – Tathandlung 109g 5 ff. – Tatobjekt 109g 2 ff. – Versuch 109g 14 – Wehrmittel 109g 2 Sicherungseinziehung 92b 4 Sicherungsverwahrte 121 9 Sichverschaffen – landesverräterische Ausspähung 96 3 – landesverräterische Fälschung 100a 8 Sitzblockaden 111 59 Soldaten – Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 7 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 11 f., 113 17 Sonderdelikt – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 2 f. – Gefangenenmeuterei 121 6 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 1 Sozialadäquanz 86 36 ff. – Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen 86 38, 86a 34 – ähnliche Zwecke 86a 36 – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 33 – Berichterstattung über Geschichte 86a 35 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 26 ff. – Kunstfreiheit 86 39, 86a 27 ff., s. a. dort – Medienberichterstattung 111 28 Klie

Sachregister

– Schriften 86 40 – staatsbürgerliche Aufklärung 86 37, 86a 34 – Tatbestandsausschluss 86 36 – Verteidigerhandeln 86 39 – Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung 109 21 – Wissenschaftsfreiheit 86 39, 86a 33 ff. soziale Medien 111 37 sozialtherapeutische Anstalt 121 11 Sozialversicherung 107b 6 Spannungsfall 109 4 Spiegel-Affäre Vor 80 11 Sprengvorrichtungen 89a 107 Staat 89a 85 f. staatsbürgerliche Aufklärung 86 37, 86a 34 Staatsgefährdung – Agententätigkeit zur Sabotage 87 1 ff., s. a. dort – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 1 ff., s. a. dort – Anwendungsbereich 91a 1 ff. – Auslandstaten 91a 1 ff. – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 1 ff., s. a. dort – BRD Vor 80 13 – Dauerdelikt 91a 3 – Distanzdelikt 91a 2 – Einziehung 92b 1 ff., s. a. dort – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 1 ff., s. a. dort – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 1 ff., s. a. dort – Mittäterschaft 91a 5 – mittelbare Täterschaft 91a 5 – Nebenfolgen 92a 1 ff., s. a. dort – öffentliches Auffordern zu Straftaten 91a 7 – Propagandamittelverbreitung 86 1 ff., s. a. dort – Tätigkeitsort 91a 3 – Teilnahme 91a 6 – Terrorismusfinanzierung 89c 1 ff., s. a. dort – Unterlassen 91a 4 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 1 ff., s. a. dort – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 1 ff., s. a. dort – verfassungsfeindliche Sabotage 88 1 ff., s. a. dort – Verfassungshochverrat 81 8 – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 1 ff., s. a. dort – Verunglimpfung des Staates 90a 1 ff., s. a. dort – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 1 ff., s. a. dort Klie

– Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 1 ff., s. a. dort Staatsgeheimnis 93 1 ff. – Ärzte 93 31 – Auskundschaften 96 1 ff. – Begriff 93 1 – Begriff, materieller 93 7a f. – Bundespatentamt 93 29 – Bundesregierung 93 27 – Bundestag 93 28 – Einziehung 101a 4 – Erkenntnisse 93 2c – exekutiver Bereich 93 29 – Fund 96 5 – gegenläufige Interessen 93 26 ff. – Gegenstand 93 2b – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 1 ff., s. a. dort – Geheimhaltungsbedürftigkeit 93 7 ff., s. a. dort – Geheimhaltungsfähigkeit 93 3 ff., s. a. dort – Geheimhaltungsobjekt 93 2 ff. – Geistliche 93 31 – illegales ~ 93 20 ff., s. a. dort – Kompromate 93 32 – Landesverrat 94 1 ff., s. a. dort – landesverräterische Agententätigkeit 98 1 ff., 98 3, s. a. dort – landesverräterische Ausspähung 96 1 ff., 96 7, s. a. dort – Meinungsäußerungsfreiheit 93 33 – Nachrichtendienste 93 30 – Offenbaren von ~sen 95 1 ff., s. a. dort – Petitionsrecht 93 28 – politisch-parlamentarischer Bereich 93 27 f. – politische Parteien 93 28 – Preisgabe von ~sen 97 1 ff., s. a. dort – Pressefreiheit 93 33 – privater Bereich 93 29 – Rechtsanwälte 93 31 – Subsumtionsirrtum 93 19 – Tatsachen 93 2a – Verbotsirrtum 93 19 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 1 ff., s. a. dort – Vorsatz 93 19 – Wehrbeauftragte 93 28 – Wissenschaftsfreiheit 93 34 Staatsoberhäupter 102 1 Staatsschutzgesetzgebung Vor 80 1 ff. – 8. StrÄndG Vor 80 12 ff. – Amnestie Vor 80 16 – BRD Vor 80 7 ff. – DDR Vor 80 19 832

Sachregister

– Kontrollratsgesetz Vor 80 6 – Nationalsozialismus Vor 80 4 f. – Reichsgründung Vor 80 1 ff. – Spiegel-Affäre Vor 80 11 Staatsschutzklausel – äußere Sicherheit 89a 88 – innere Sicherheit 89a 89 – internationale Organisation 89a 93 – Sicherheitsgefühl 89a 91 – Staat 89a 85 f. – Verbreitung allgemeiner Unsicherheit 89a 89 – Verfassungsgrundsätze 89a 92 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 40, 89a 84 ff. Staatsschutzstrafrecht Vor 80 20 ff. – Anwendungsbereich 91a 1 ff. – Aufgabe 89a 60 – Auslandstaten Vor 80 34 – äußere Sicherheit Vor 93 1 ff., s. a. dort – Einigungsvertrag Vor 80 37 – Einschränkungen Vor 80 22 ff. – Geltungsbereich Vor 80 33 ff. – Grenzen Vor 80 22 ff. – Inlandstaten Vor 80 33 – modernes ~ Vor 93 3 – NATO-Pakt Vor 80 36 – NATO-Truppen Vor 80 35 – Notwendigkeit Vor 80 21 – Parteienprivileg Vor 80 25 ff., s. a. dort – Rechtsgüter Vor 80 20 – Schutzgut Vor 80 20 – Staatsgeheimnis 93 1 ff., s. a. dort – Verfassungsgrundsätze Vor 80 20 – Verhältnismäßigkeit Vor 80 23 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 60 – Wirkungen des Verfahrensrechts Vor 80 23 – Zuständigkeit Vor 80 38 – Zwei-plus-Vier-Vertrag Vor 80 36 Staatsverleumdung 100a 1 Statusfolgen – Nebenfolgen 92a 1 – Wahlstrafrecht 108c 2 Steuergeheimnis 89c 116 Stimmverhalten 108b 2 Stoffansammlungen 89a 123 f. Stören – verfassungsfeindliche Sabotage 88 4 – Wahlbehinderung 107 8 Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 1 ff. – Aufstellen zur Verbreitung 109d 9 833

– Behauptungen 109d 4 f. – Behinderungsabsicht 109d 12 – Eignung zur Störung 109d 8 f. – Einziehung 109d 14 – fake news 109d 3 – gröbliche Entstellung 109d 7 – Konkurrenzen 109d 15 – Kunstfreiheit 109d 3 – Maulkorbparagraph 109d 1 – Meinungsäußerungsfreiheit 109d 3 – Pressefreiheit 109d 3 – presserechtliche Verjährung 109d 14 – Schutzgut 109d 1 – Strafrahmen 109d 14 – subjektiver Tatbestand 109d 11 f. – Tathandlung 109d 9 f. – Unwahrheit 109d 6 – Verbreiten 109d 10 – Verfassungsrecht 109d 3 – Versuch 109d 13 – Vorbereitungshandlungen 109d 2 – Vorsatz 109d 11 – wider besseres Wissen 109d 11 Störung eines Gesetzgebungsorgans 106b 1 ff. – Blankettvorschrift 106b 4 – Einigungsvertrag 106b 7 – Konkurrenzen 106b 6 – Schutzgut 106b 1 – subjektiver Tatbestand 106b 5 – Täterkreis 106b 2 – Tathandlung 106b 3 – Vorsatz 106b 5 Strafantrag 111 78 f. Strafbarkeitsbedingung – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 30 – Straftaten gegen ausländische Staaten 104a 1 ff. Strafrahmen – Angriff auf ausländische Organe/Vertreter 102 8 – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 42 – Anwerben für fremden Wehrdienst 109h 10 – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 26 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 20 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 30 – Gefangenenmeuterei 121 3 – Hochverrat gegen den Bund 81 35 – Hochverrat gegen ein Land 82 7 Klie

Sachregister

– Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 40 – Propagandamittelverbreitung 86 45 – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 16 – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 20 – sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 15 – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 14 – tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 20 – Terrorismusfinanzierung 89c 58, 89c 103 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 17 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 16 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 5 – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 16 – Verunglimpfung des Staates 90a 46 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 17 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 68, 89a 170 ff. – Wahlbehinderung 107 13 – Wählerbestechung 108b 8 – Wählernötigung 108 13 – Wahlfälschung 107a 12 – Wehrpflichtentziehung durch Täuschung 109a 11 – Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung 109 22 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 73 – Widerstand/Angriff gegen Nichtamtsträger 115 25 ff. Straftaten gegen ausländische Staaten Vor 102 1 ff. – Angriff auf ausländische Organe/Vertreter 102 1 ff., s. a. dort – Bedeutung Vor 102 3 – diplomatische Beziehungen 104a 3 – Einigungsvertrag Vor 102 2 – Schutzgut Vor 102 1 – Strafbarkeitsbedingung 104a 1 ff. – Strafverlangen 104a 6 f. – verbürgte Gegenseitigkeit 104a 4 – Verfahrensvoraussetzungen 104a 1, 104a 5 ff. – Verfolgungsermächtigung 104a 8 ff. – Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 1 ff., s. a. dort Strafverlangen 104a 6 f. Strafzumessung – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 20 – Nebenfolgen 101 4 Klie

– Verunglimpfung des Staates 90a 51 Streikrecht – Hochverrat gegen den Bund 81 27 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 29 Stützpunkte 87 14 subjektiver Tatbestand – Agententätigkeit zur Sabotage 87 18 – Angriff auf ausländische Organe/Vertreter 102 7 – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 30 ff. – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 6 – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 19 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 14 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 25 – friedensgefährdende Beziehungen 100 5 ff. – Gefangenenbefreiung 120 51 – Gefangenenmeuterei 121 53 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 13 – Hochverrat gegen den Bund 81 23 – Hochverrat gegen ein Land 82 6 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 37 f. – Landesverrat 94 11 – landesverräterische Agententätigkeit 98 6 – landesverräterische Fälschung 100a 7a – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 8 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 66 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 4 f., 97 11 ff. – Propagandamittelverbreitung 86 42 – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 13 f. – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 14 – sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 12 – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 11 f. – Störung eines Gesetzgebungsorgans 106b 5 – tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 17 – Terrorismusfinanzierung 89c 81 ff. – Vereinigungsverbotsverstoß 85 14 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 7 ff. – verfassungsfeindliche Sabotage 88 9 – Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 6 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 4 – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 14 834

Sachregister

– Verunglimpfung des Staates 90a 43 – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 7 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 12 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 55, 89a 140 ff. – Wahlbehinderung 107 11 – Wählertäuschung 108a 8 – Wahlfälschung 107a 10 – Wahlgeheimnisverletzung 107c 3 – Wahlunterlagenfälschung 107b 7 – Wehrpflichtentziehung durch Täuschung 109a 10 – Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung 109 19 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 64 – Widerstand/Angriff gegen Nichtamtsträger 115 22 ff. Subsidiaritätsklausel – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 24 – Landesverrat 94 19 Subsumtionsirrtum – Landesverrat 94 11 – Staatsgeheimnis 93 19 – Terrorismusfinanzierung 89c 97 – terroristisch motivierte Ausreise 89a 150 Systemgerechtigkeit 97b 13a T Tatbestandsirrtum – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 25 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 38 – Propagandamittelverbreitung 86 42 – terroristisch motivierte Ausreise 89a 150 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 14 – Wahlfälschung 107a 10 Taterfolg 88 5 Täterkreis – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 2 ff. – DDR-Spionage Vor 93 22 – friedensgefährdende Beziehungen 100 2a – Gefangenenbefreiung im Amt 120 48 – Störung eines Gesetzgebungsorgans 106b 2 – Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung 109 5 Täterschaft – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 43 ff. 835

– Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 7 – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 24 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 21 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 13 ff. – Gefangenenbefreiung 120 56 f. – Gefangenenmeuterei 121 54 – gewaltsames Ausbrechen 121 46 – Hochverrat gegen den Bund 81 30 – Hochverrat gegen ein Land 82 6 – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 13 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 71 – tätige Reue 83a 7 – Terrorismusfinanzierung 89c 106 ff. – terroristisch motivierte Ausreise 89a 177 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 6 f. – Vorbereitung eines Hochverrats 83 13 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 177 ff. Tathandlung – Agententätigkeit zur Sabotage 87 2 ff., 87 9 ff. – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 22 ff., 91 27 ff. – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 2 ff. – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 7 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 11 f. – Gefangenenbefreiung 120 33 ff. – Gefangenenmeuterei 121 14 ff. – Hochverrat gegen den Bund 81 13 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 3 – Landesverrat 94 2, 94 4 ff. – landesverräterische Ausspähung 96 3 – landesverräterische Fälschung 100a 4, 100a 8 – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 8 ff. – Nötigung von Verfassungsorganen 105 6 ff. – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 3 – Propagandamittelverbreitung 86 19 ff. – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 4 ff. – sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 5 ff. – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 9 f. – terroristisch motivierte Ausreise 89a 128 f. – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 2, 89 4 ff. Klie

Sachregister

– Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 5 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 3 – Verunglimpfung des Staates 90a 2, 90a 33 ff. – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 2 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 2 ff. – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 96 ff. – Wahlbehinderung 107 6 ff. – Wählerbestechung 108b 2 ff. – Wählernötigung 108 2 ff. – Wählertäuschung 108a 2 ff., 108a 7 – Wahlfälschung 107a 3 ff. – Wahlgeheimnisverletzung 107c 2 – Wahlunterlagenfälschung 107b 2 ff. tätige Reue – Absehen von Strafe 98 15 – Agententätigkeit zur Sabotage 87 20 – Aufgeben der Tat 98 12a – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 23 – Dienststelle 98 14 – Drängen 98 16 – Ermessen 98 15 – Folge 98 15 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 28 – Freiwilligkeit 98 12a f. – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 22 – Hochverrat 83a 1 ff. – landesverräterische Agententätigkeit 98 11 ff. – Milderung des Strafrahmens 98 15 – Offenbarung des Wissens 98 13 – Opportunitätsprinzip 83a 9 – Rechtsfolgen 83a 8 – Strafaufhebungsgrund 98 16 ff. – Straffreiheit 98 18 – Täterschaft 83a 7 – Terrorismusfinanzierung 89c 105 – Unverzüglichkeit 98 17 – Versuch, beendeter 83a 4 – Versuch, fehlgeschlagener 83a 5 – Versuch, unbeendeter 83a 3 – Vollendung 83a 2 – Vorbereitung des Hochverrats 83a 6 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 173 ff. – Zeitpunkt 98 13 – Zwangslage 98 16 Tätigkeitsdelikt 87 1 Klie

Tätigkeitsort 91a 3 tätlicher Angriff – Meutereihandlungen 121 28 ff., 121 38 – Widerstand/Angriff gegen Nichtamtsträger 115 20 f. tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 1 ff. – Amtsträger 114 10 – Autorität staatlichen Handelns 114 1 – Bedeutung 114 2 ff., 114 9 – Deliktsnatur 114 8 – Diensthandlung 114 11 ff. – geschützte Personen 114 10 – Gewaltmonopol 114 1 – Irrtum 114 18 f. – Konkurrenzen 114 22 f. – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 114 16 – Regelbeispiele 114 21 – Schutzgut 114 1 – Strafrahmen 114 20 – subjektiver Tatbestand 114 17 – tätlicher Angriff 114 14 f. – Unternehmensdelikt 114 8 – Vollstreckungshandlungen 114 12 Tatmehrheit – Landesverrat 94 18 – Nebenfolgen 92a 2 Tatmittel – Einziehung 101a 3 – Hochverrat gegen den Bund 81 14 ff. – Hochverrat gegen ein Land 82 5 Tatnachweis 108e 17 Tatort – Agententätigkeit zur Sabotage 87 17 – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 7 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 24 ff. – Verunglimpfung des Staates 90a 42 Tatprinzip – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 7 – Terrorismusfinanzierung 89c 46 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 50 ff., 89a 56 ff. Tatprodukte 101a 3 Tatrichter 92a 3 Tatsachen – illegales Staatsgeheimnis 93 21 – Staatsgeheimnis 93 2a Täuschen 108a 2 836

Sachregister

Technologietransfer – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 5a, 99 6, 99 8a – Zuständigkeit Vor 93 14 Teilnahme – Agententätigkeit zur Sabotage 87 19 – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 43 ff. – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 7 – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 24 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 21 – Fördern des Entweichens 120 44 f. – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 26 – Gefangenenbefreiung 120 58 ff. – Gefangenenmeuterei 121 13, 121 55 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 16 – Hochverrat gegen den Bund 81 31 ff. – Hochverrat gegen ein Land 82 6 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 39 – Landesverrat 94 14 – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 9 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 53, 111 71 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 6, 97 12 – Propagandamittelverbreitung 86 43 – Staatsgefährdung 91a 6 – Terrorismusfinanzierung 89c 106 ff. – Vereinigungsverbotsverstoß 85 15 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 14 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 8 – Verfolgungsermächtigung 89a 169 – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 18 – Verunglimpfung des Staates 90a 47 – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 8 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 14 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 181 ff. Territorialitätsgrundsatz 89c 68 Terror-Camps – Ausbildung 89a 101 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 2 Terrorismus 89a 11 ff. Terrorismusfinanzierung 89c 1 ff. – abstraktes Gefährdungsdelikt 89c 43 – Alltagsgeschäfte 89c 60 ff. – Ansammeln 89c 63 837

– Bedeutung 89c 1 ff. – Begünstigter 89c 72 – Bereitstellungsverbote 89c 8 ff. – Bereitstellungsverbotsverstoß 89c 17 – Bestimmtheitsgrundsatz 89c 51 – Deliktsnatur 89c 43 ff. – Eigenfinanzierung 89c 43 – Einsammeln 89c 63 – Einschätzungsprärogative 89c 53 – Entgegennehmen 89c 76 f. – Ermittlungsmaßnahmen 89c 119 – Europäische Union 89c 19 – Europarat 89c 32 – Evokation 89c 118 – Fallgruppen 89c 3 – Financial Action Task Force 89c 6 f., 89c 27 ff. – Financial Intelligence 89c 14 – Finanzbedarf 89c 2 – finanzierte Tat 89c 111 f. – foreign fighters 89c 2 – Fremdfinanzierung 89c 43 – Geldtransfer in Konfliktgebiete 89c 4 – Gesinnungsstrafrecht 89c 46 – Hawala-Banking 89c 4 – internationale Abkommen 89c 69 f. – internationale Regelungsstrategien 89c 5 ff. – Katalogtaten 89c 85 f. – know your customer-Prinzip 89c 13 f. – Konkurrenzen 89c 110 ff. – manifestierter Schädigungswille 89c 66 – medizinische Güter 89c 96 – Meistbegünstigungsprinzip 89c 115 – minder schwerer Fall 89c 104 – nationales Recht 89c 33 ff. – Nichteinmischungsprinzip 89c 67 ff. – qualifizierte Vorsatzanforderungen 89c 56 – realistische Gefahr 89c 88 – Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung 89c 31 – risk based approach 89c 13 f. – Sammeln 89c 74 f. – Schuldprinzip 89c 46 – Schutzgut 89c 43 – smart sanctions 89c 8 ff. – Steuergeheimnis 89c 116 – Strafrahmen 89c 58, 89c 103 – Straftatbestände 89c 15 ff. – Straftatenkatalog 89c 85 f. – subjektiver Tatbestand 89c 81 ff. – Subsumtionsirrtum 89c 97 – Täterschaft 89c 106 ff. – tätige Reue 89c 105 – Tatprinzip 89c 46 Klie

Sachregister

– Teilnahme 89c 106 ff. – Territorialitätsgrundsatz 89c 68 – terroristisch motivierte Ausreise 89c 89 – terroristische Zwecksetzung 89c 87 ff. – Terrorlisten 89c 8 ff., s. a. dort – Übereinkommen zur Bekämpfung der ~ 89c 20 ff. – UN-Resolutionen 89c 25 f. – unionskonforme Auslegung 89c 38 ff. – Unternehmensdelikt 89c 44 – Unterstützung terroristischer Vereinigungen 89c 16 – Verbotsirrtum 89c 97 – Verfassungsrecht 89c 46 ff. – Verfolgungsermächtigung 89c 117 – Verhältnismäßigkeit 89c 52 ff. – vermeintlich geplante Gewalttaten 89c 65 f. – Vermögenswerte 89c 73 – Verweisungen 89c 116 – Verwendungszusammenhang 89c 92 ff. – Völkerrecht 89c 19 ff., 89c 67 ff. – völkerrechtskonforme Auslegung 89c 38 ff. – Vorbereitungshandlungen 89c 64, 89c 72 – Vorbereitungshandlungen, untaugliche 89c 98 – Vorsatz 89c 82 f., 89c 84 ff. – Zurverfügungstellen 89c 78 – Zuständigkeit 89c 118 terroristisch motivierte Ausreise 89a 125 ff. – Ausreiseversuche 89a 133 ff. – eigenhändiges Delikt 89a 126 – Inlandstaten 89a 125 – Landweg 89a 135 – Luftweg 89a 134 – Reiseroute 89a 132 – Seeweg 89a 136 – Subsumtionsirrtum 89a 150 – Tatalternativen 89a 130 f. – Tatbestandsirrtum 89a 150 – Täterschaft 89a 177 – Tathandlung 89a 128 f. – Terrorismusfinanzierung 89c 89 – Transportmittel 89a 133 – Unternehmensdelikt 89a 133 – Verbotsirrtum 89a 150 – Verfassungsrecht 89a 127 – Versuch 89a 133 ff. – Vorsatz 89a 149 – Zielland 89a 129 terroristische Vereinigung 89b 10 f. terroristische Zwecksetzung 89c 87 ff. Klie

Terrorlisten – Europäische Union 89c 11 – nationales Recht 89c 12 – Terrorismusfinanzierung 89c 8 ff. – Vereinte Nationen 89c 9 f. Testbombe 89a 116 TKÜ – äußere Sicherheit Vor 93 12 – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 33 Transportmittel 89a 133 U ultima-ratio Grundsatz 89a 45 f. Umsturz – Verfassungshochverrat 81 9 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 5 UN-Resolutionen 89c 25 f. Unbrauchbarmachen – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 6 – Verunglimpfung des Staates 90a 39 Ungehorsam – Hochverrat gegen den Bund 81 29 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 31 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 58 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 23 Unkenntlichmachen – Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 5 – Verunglimpfung des Staates 90a 40 unmittelbarer Zwang 113 46 Unmutsäußerung 111 23 Unrechtsvereinbarung – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 14 f. – Wählerbestechung 108b 3 Untauglichkeit 109 6 ff. – absolute ~ 109 9 – Arten 109 9 ff. – relative ~ 109 10 ff. – Ursachen 109 8 – Verwendungsart 109 12 – Wehrersatzwesen 109 7 – zeitweise ~ 109 11 – Zivildienst 109 6 Unterbrechungen 98 6a Unterbringung – Gefangenenmeuterei 121 10 – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 46 – Verwahrte 120 19 Untergrabungsabsicht 89 10 838

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Unterlassen – Gefangenenbefreiung 120 52 ff. – landesverräterische Agententätigkeit 98 2a – Staatsgefährdung 91a 4 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 179 – Wählertäuschung 108a 7 – Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung 109 18 Unternehmen – Hochverrat gegen den Bund 81 13 – Hochverrat gegen ein Land 82 5 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 3 Unternehmensdelikt – Angriff auf ausländische Organe/Vertreter 102 6 – echtes ~ 89a 7 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 24 – Hochverrat gegen den Bund 81 1, 81 13 – Hochverrat gegen ein Land 82 1 – tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 8 – Terrorismusfinanzierung 89c 44 – terroristisch motivierte Ausreise 89a 133 – unechtes ~ 89a 9 – Versuch 89a 8 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 7 ff. – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 6 Unterordnungsverhältnis 108e 18 Untersuchungsgefangene 120 15 Unwahrheit 109d 6 Urwahlen 107b 6 V Verächtlichmachen 90a 14, 90a 16 f. Verändern 109e 6 Veranlassung 95 4 verbotene Vereinigungen 109f 11 Verbotsirrtum – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 25 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 38 – Landesverrat 94 11 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 33 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 69 – Parteienprivileg Vor 80 32 – Propagandamittelverbreitung 86 42 – Staatsgeheimnis 93 19 – Terrorismusfinanzierung 89c 97 839

– terroristisch motivierte Ausreise 89a 150 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 14 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 4 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 65 Verbreiten 86a 11 f. – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 3 – Propagandamittelverbreitung 86 19 ff. – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 10 Verbreiten von Schriften/Ton-Bildträgern 80a 5 verbürgte Gegenseitigkeit 104a 4 Verein 85 11 Vereinigung 85 8 ff., 85 11 – friedensgefährdende Beziehungen 100 3 Vereinigungsverbot 86 12 Vereinigungsverbotsverstoß 85 1 ff. – § 20 VereinsG 85 19 – ausländische Vereine 85 10 – Beihilfe 85 15 – Einziehung 85 18 – Ersatzorganisation 85 3 ff. – Hintermann 85 12 – Konkurrenzen 85 18 – Nebenfolgen 85 18 – Opportunitätsprinzip 85 18 – organisatorischer Zusammenhalt 85 12 – Parteiverbote 85 2 ff. – Rädelsführer 85 12 – Strafrahmen 85 17 – subjektiver Tatbestand 85 14 – Tatbestandsirrtum 85 14 – Teilnahme 85 15 – Unanfechtbarkeit 85 7 – Verbotsirrtum 85 14 – Verein 85 11 – Vereinigung 85 8 ff., 85 11 – Vereinigungsverbot 85 6 – Versuch 85 16 – Vorsatz 85 14 – Zuständigkeit 85 18 Vereinte Nationen – Terrorlisten 89c 9 f. – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 16 ff. verfassungsfeindliche Einwirkung 89 1 ff. – abstraktes Gefährdungsdelikt 89 1 – äußere Sicherheit 89 9 – Bundeswehr 89 3 – doppelte Absicht 89 7 ff. Klie

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– Einwirken 89 4 ff. – Einziehung 89 17 – geschützter Personenkreis 89 3 – Konkurrenzen 89 19 – Mehrfachhandlungen 89 19 – NATO-Truppen 89 21 – Nebenfolgen 89 17 – öffentliche Sicherheitsorgane 89 3 – Opportunitätsprinzip 89 20 – Parteienprivileg 89 20 – Planmäßigkeit 89 6 – Propagandamaterial, schriftliches 89 5 – Schutzbereitschaft 89 11 – Schutzgut 89 1 – Sicherheit der BRD 89 9 – Strafrahmen 89 16 – subjektiver Tatbestand 89 7 ff. – Tathandlung 89 2, 89 4 ff. – Teilnahme 89 14 – Untergraben der Schutzbereitschaft 89 8 ff. – Untergrabungsabsicht 89 10 – verfassungsmäßige Ordnung 89 9 – Verjährung 89 18 – Versuch 89 13 – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 7 – Vorsatz 89 7 verfassungsfeindliche Sabotage 88 1 ff. – Anstiftung 88 8 – Beihilfe 88 8 – Distanzdelikte 88 11 – doppelte Absicht 88 9 – Einziehung 88 13 – Gruppe 88 7 – Hintermann 88 6 – Inlandstaten 88 11 – Konkurrenzen 88 14 – Mehrfachhandlungen 88 14 – Nebenfolgen 88 13 – Opportunitätsprinzip 88 15 – Parteienprivileg 88 15 – Rädelsführer 88 6 – Rechtswidrigkeit 88 10 – Sabotageobjekte 88 3 – Schutzgut 88 1 – Störhandlung 88 4 – subjektiver Tatbestand 88 9 – Taterfolg 88 5 – Täterschaft 88 6 f. – Teilnahme 88 8 – Versuch 88 12 – Zuständigkeit 88 15 Klie

verfassungsfeindliche Tendenz Vor 80 30 f. Verfassungsgerichte – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 6 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 5 Verfassungsgrundsätze 92 6 ff. – äußere Sicherheit 92 13 – Beseitigen von ~n 92 15 – freiheitliche demokratische Grundordnung 92 7 – innere Sicherheit 92 14 – Staatsschutzklausel 89a 92 – Staatsschutzstrafrecht Vor 80 20 Verfassungshochverrat 81 6 ff. – Angriffsobjekt 81 6 – Begriff 81 12 – BGH 81 8 ff. – Fünfbroschürenurteil 81 8 – geschichtliche Entwicklung 81 7 – Hochverrat gegen ein Land 82 4 – KPD 81 9 – Machtpositionen 81 10 f. – Schutzgegenstand 81 12 – Staatsgefährdung 81 8 – Umsturz 81 9 – verfassungsmäßige Ordnung 81 6 ff. verfassungsmäßige Ordnung – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 9 – Verfassungshochverrat 81 6 ff. – Verunglimpfung des Staates 90a 4 Verfassungsorgan 90b 3 – Hochverrat gegen den Bund 81 18 f. – Nötigung von ~en 105 1 ff., s. a. dort – Nötigung von Mitgliedern eines ~s 106 1 ff., s. a. dort – Verunglimpfung von ~en 90b 1 ff., s. a. dort Verfassungsrecht – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 8 ff. – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 4 ff. – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 1 – Landesverrat 94 1 – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 3 – Terrorismusfinanzierung 89c 46 ff. – terroristisch motivierte Ausreise 89a 127 – Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 13 ff. verfassungswidrige Organisationen 86 11 ff. Verfolgungsermächtigung – Ablehnung 89a 168 – Antrag 89a 166 840

Sachregister

– Begriff 89a 163 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 19 – Erforderlichkeit 89a 169 – Ermächtigungsvorbehalt 89a 165 – Konkurrenzen 90 20 – Opportunitätsprinzip 90 21 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 14 – Prozesshindernis 89a 168 – Straftaten gegen ausländische Staaten 104a 8 ff. – Teilnahmehandlungen 89a 169 – Terrorismusfinanzierung 89c 117 – Verfahren 89a 166 ff. – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 19 – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 11 ff. – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 163 ff. – Zuständigkeit 90 21 – Zweck 89a 164 Verhältnismäßigkeit – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 13 ff. – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 6 f. – Staatsschutzstrafrecht Vor 80 23 – Terrorismusfinanzierung 89c 52 ff. – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 44 ff. Verhindern 107 7 Verjährung – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 48 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 12 – DDR-Spionage Vor 93 23 – presserechtliche ~ s. dort – Propagandamittelverbreitung 86 44 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 18 – Verunglimpfung des Staates 90a 21 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 197 Verkehrserziehung – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 59 Verleiten – Gefangenenbefreiung 120 40 Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 1 ff. – beschimpfender Unfug 104 5 – besondere Verfolgungsvoraussetzungen 104 9 – Entfernen 104 5 841

– Flaggen 104 2 – Hoheitszeichen 104 3 – Konkurrenzen 104 8 – öffentliche Wahrnehmbarkeit 104 4 – Schutzgut 104 1 – subjektiver Tatbestand 104 6 – Tathandlung 104 5 – Unkenntlichmachen 104 5 – Versuch 104 7 – Vorsatz 104 6 – Zerstörung 104 5 Verleumdung 90 17 Vermögensbeschlagnahme Vor 93 11 Vermögenswerte 89c 73 Vernehmung 99 6 Verrat illegaler Geheimnisse 97a 1 ff. – Absehen von Strafverfolgung 97a 11 – Anzeigepflicht 97a 11 – Ausspähung 97a 6 – Einziehung 97a 10 – Euratom-Geheimnisse 97a 2 – Gefahr eines schweren Nachteils 97a 3 – Gegenstand 97a 2 – Geheimnis 97a 2 – Konkurrenzen 97a 9 – NATO-Geheimnisse 97a 2 – Nebenfolgen 97a 10 – Strafrahmen 97a 5 – subjektiver Tatbestand 97a 4 – Tathandlung 97a 3 – Verbotsirrtum 97a 4 – Versuch 97a 7 – Vorsatz 97a 4 – Wahlfeststellung 97a 8 – Zuständigkeit 97a 11 Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 1 ff. – Abhilfebitte 97b 10 – Amtsträger 97b 7 – Angemessenheit des Mittels 97b 6 – Anvertrauen 97b 9 – besondere Pflichtenstellung 97b 7 ff. – Bezugstatbestände 97b 2 – Bundestag 97b 6 – Dienstvorgesetzter 97b 8 – Disziplinarvorgesetzter 97b 8 – Euratom-Geheimnisse 97b 11 – fehlende Entgegenwirkungsabsicht 97b 5 – Geheimhaltungspflicht 97b 9a – Gleichheitssatz 97b 13a – Irrtumsregelung 97b 15 – leichtfertige Preisgabe 97b 3 – NATO-Geheimnisse 97b 11 Klie

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– öffentlicher Dienst 97b 9a – Rechtfertigung 97b 15 – Risikoverteilung 97b 19 – Schuldprinzip 97b 14 – Soldat 97b 7 – Systemgerechtigkeit 97b 13a – Tenorierung 97b 12 – Verfassungsrecht 97b 13 ff. – Versuch 97b 11 – Vorwerfbarkeit des Irrtums 97b 4 – Zugänglichkeit 97b 9 Verratsabsicht 96 4 Versammlung – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 5 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 38 ff. – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 10 ff. – Verunglimpfung des Staates 90a 21 Versammlungsrecht 81 28 Verschaffen – Agententätigkeit zur Sabotage 87 13 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 116 ff., 89a 119 ff. Versuch – Anwerben für fremden Wehrdienst 109h 9 – Ausbildung 89a 103 – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 20 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 27 – friedensgefährdende Beziehungen 100 10 – Gefangenenbefreiung 120 7, 120 65 ff. – Gefangenenmeuterei 121 2, 121 57 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 16 – gewaltsames Ausbrechen 121 45 – Landesverrat 94 12 – landesverräterische Fälschung 100a 9 – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 17 – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 9 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 12 – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 15 – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 19 – sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 14 – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 13 – tätige Reue 83a 3 ff. – terroristisch motivierte Ausreise 89a 133 ff. – terroristische Unterweisung 89a 10 Klie

– Unternehmensdelikt 89a 8 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 16 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 13 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 12 – Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 7 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 7 – Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 11 – Verunglimpfung des Staates 90a 45 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 15 – Wahlbehinderung 107 12 – Wählerbestechung 108b 7 – Wählernötigung 108 12 – Wählertäuschung 108a 9 – Wahlfälschung 107a 11 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 93 Verteidigerhandeln 86 39 Verteidigungsfall 109 4 vertrauliche Ubermittlung 86 24 Verunglimpfen 90 3 – Beispiele 90a 10 – Einschränkungen 90a 11 – Verunglimpfung des Staates 90a 9 ff. – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 4 f. Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 1 ff. – Auslandstaten 90 15 – Einziehung 90 18 – Nebenfolgen 90 18 – öffentliche ~ 90 6 ff. – Ort 90 8 – Personenkreis 90 7 – Qualifikation 90 17 – Schriften 90 13 – Schutzgut 90 1 – Strafrahmen 90 16 – subjektiver Tatbestand 90 14 – Tatmodalitäten 90 5 ff. – Teilnahme 90 18 – Verfolgungsermächtigung 90 19 – Verleumdung 90 17 – Versammlung 90 10 ff. – Verunglimpfen 90 3 – Vorsatz 90 14 – Wahrheitsbeweis 90 4 Verunglimpfung des Staates 90a 1 ff. – abstraktes Gefährdungsdelikt 90a 1 – Auslandstaten 90a 42, 90a 48 – Aussagegehalt 90a 18 – Beschädigen 90a 38 842

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– Beschimpfen 90a 12 f., 90a 16 f. – beschimpfender Unfug 90a 41 – Böswilligkeit 90a 15 – BRD 90a 3 – Bundesländer 90a 3 – Einziehung 90a 47 – Entfernen 90a 37 – Farben 90a 5 – Flaggen 90a 5, 90a 34 – Grundrechte 90a 22 ff. – Hoheitszeichen 90a 35 f. – Konkurrenzen 90a 49 – Kunstfreiheit 90a 28 ff. – Kunstfreiheit (Beispiele) 90a 32 – Kunstfreiheitsgrenzen 90a 30 – Meinungsäußerungsfreiheit 90a 23 ff. – Nationalhymne 90a 7 – NATO-Truppen 90a 52 – Nebenfolgen 90a 47 – öffentliche ~ 90a 21 – Opportunitätsprinzip 90a 50 – Parteienprivileg 90a 50 – politische Kritik 90a 26 f. – presserechtliche Verjährung 90a 21 – Qualifikation 90a 44 – Schriften 90a 21 – Schutzgegenstände 90a 3 f., 90a 5 ff. – Schutzgut 90a 1 – Strafrahmen 90a 46 – Strafzumessung 90a 51 – subjektiver Tatbestand 90a 43 – Tathandlung 90a 2, 90a 8 ff., 90a 33 ff. – Tatort 90a 42 – Teilnahme 90a 47 – Unbrauchbarmachen 90a 39 – Unkenntlichmachen 90a 40 – Verächtlichmachen 90a 14 – verfassungsmäßige Ordnung 90a 4 – Versammlung 90a 21 – Versuch 90a 45 – Verunglimpfen 90a 9 ff. – Vorsatz 90a 43 – Wahrheitsbeweis 90a 19 – Wappen 90a 6 – Wiedergabe fremder Äußerungen 90a 20 – Zerstören 90a 38 – Zuständigkeit 90a 50 Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 1 ff. – Ansehensgefährdung 90b 5 – Auslandstaten 90b 10 – Einziehung 90b 9 843

– Konkurrenzen 90b 14 – Nebenfolgen 90b 9 – öffentliche ~ 90b 6 – Opportunitätsprinzip 90b 15 – Schutzgegenstände 90b 3 – Schutzgut 90b 1 – subjektiver Tatbestand 90b 7 – Tathandlung 90b 2 – Teilnahme 90b 8 – verfassungsfeindliche Einwirkung 90b 7 – Verfassungsorgane 90b 3 – Verfolgungsermächtigung 90b 11 ff. – Verunglimpfen 90b 4 f. – Zuständigkeit 90b 15 Verwahren 87 13 Verwahrte 120 6, 120 17 ff. – Begriff 120 17 – Beispiele 120 20 – nicht erfasste Fälle 120 21 – Unterbringung 120 19 – Verwahrung 120 18 Verwahrungsgewalt – Gefangenenbefreiung 120 8 – Gefangenenmeuterei 121 4 – gewaltsames Ausbrechen 121 42 Verwaltungsakt 113 18 Verwaltungsrecht 89a 193 Verwaltungsverfahren – Ersatzorganisation 84 6 – Parteienprivileg Vor 80 27 Verweisungen – Terrorismusfinanzierung 89c 116 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 191 ff. Verwenden – Begriff 86a 13 – Bekenntnis 86a 14 – Eingrenzung 86a 14 f. – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 3, 86a 13 ff. – öffentliches ~ 86a 19 – Schriften 86a 21 – Schutzzweckverletzung 86a 17 – Schutzzweckverletzung, fehlende 86a 16 – Versammlung 86a 20 – Verwendensart 86a 18 ff. – Vorbereitungshandlungen 86a 23 – Zugänglichmachen in Datenspeichern 86a 22 Verwendungszusammenhang 89c 92 ff. Verwünschungsformeln 111 57 Völkerfriedensschutz – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 1 Klie

Sachregister

– Propagandamittelverbreitung 86 1 Völkerrecht – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 3 ff. – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 3, 89b 8 – Terrorismusfinanzierung 89c 19 ff., 89c 67 ff. – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 15 ff., 89a 69 ff. Völkerverständigung 86 5 Volksbegehren 107 5 Vollendung – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 21 – Fördern des Entweichens 120 43 – Gefangenenbefreiung 120 63 – Gefangenenmeuterei 121 56 – gewaltsames Ausbrechen 121 44 – Landesverrat 94 12 – tätige Reue 83a 2 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 93 Vollstreckungsbeamter 113 15 ff. Vollstreckungsentscheidungen 84 23 Vollstreckungshandlungen 113 10, 113 18 ff. – Beginn 113 20 – Begriff 113 18 – Beispiele 113 19 – Ende 113 20 – Kontaktbereich 113 20 – polizeiliche Prävention 113 18 – tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 12 – Verwaltungsakt 113 18 – vorweggenommener Widerstand 113 20 – Widerstand/Angriff gegen Nichtamtsträger 115 9 Vollstreckungshelfer 115 12 Vollstreckungshilfehaft 120 16 vollziehbare Maßnahmen 84 23 Vollzugslockerungen – Befreien 120 39 – Gewahrsamsverhältnis 120 25 ff. Vorbereitung des Hochverrats 83a 6 Vorbereitung eines Hochverrats 83 1 ff. – Angriffsgegenstand 83 5 – Anzeigepflicht 83 22 – Bereitstellung von Waffen 83 8 – Bestimmtheit der Mittel 83 7 – Bestimmtheit des Unternehmens 83 3 ff. – Bestimmtheit, zeitliche 83 6 – Einziehung 83 18 – Erreichbarbarkeit des Erfolgs 83 9 Klie

– Fühlungnahme zu fremden Mächten 83 8 – Fünfbroschürenurteil 83 4 – Kollektivdelikt 83 10 – Konkurrenzen 83 19 – konspirative Aktivitäten 83 8 – Nebenfolgen 83 18 – Opportunitätsprinzip 83 20 – organisatorische Vorkehrungen 83 8 – Parteienprivileg 83 16 – Propaganda 83 8 – Sabotagemaßnahmen 83 8 – Schutzgut 83 1 – Strafrahmen 83 17 – subjektiver Tatbestand 83 12 – Täterschaft 83 13 – Tathandlung 83 2 ff. – Teilnahme 83 14 – Umsturz 83 5 – Unternehmen 83 3 – Unternehmensart 83 5 – Versuch 83 15 – Vorbereitungshandlungen 83 8 – Vorbereitungshandlungen, entfernte 83 11 – Vorbereitungshandlungen, gefährliche 83 9 ff. – Vorsatz 83 12 – Zuständigkeit 83 21 Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 1 ff. – abstraktes Gefährdungsdelikt 89a 6 – agent provocateur 89a 181 – Anstiftung 89a 181 – Ausbildung 89a 99 ff. – ausländische Kämpfer 89a 1 f. – Auslandstaten 89a 153 ff., 89a 162 – Ausreiseverbotslösung 89a 49 – Bedeutung 89a 1 ff. – Beihilfe 89a 182 f. – Bestimmtheitsgrundsatz 89a 37 ff. – Deliktsnatur 89a 5 ff. – deutscher Staatsbürger 89a 155 – Domizilprinzip 89a 77 – doppelte Absicht 89a 58 – Eigenvorbereitung 89a 65, 89a 142 – Eignungsklausel 89a 94 f. – einsamer Wolf 89a 3 – Ermittlungsmaßnahmen 89a 201 f. – Europäische Union 89a 23 ff. – Europarat 89a 20 ff., 89a 76 – Evokation 89a 199 – Fallgruppen 89a 98 – foreign fighters 89a 1 f., 89a 18, 89a 118 – formelle Verfassungsmäßigkeit 89a 36 844

Sachregister

– Fremdvorbereitung 89a 65, 89a 142 – Führungsaufsicht 89a 172 – Gegenstandsansammlungen 89a 123 f. – Grundstoffe 89a 119 – Hochzonung der Vorsatzanforderungen 89a 63 f. – Inland 89a 159 – Interventionsverbot 89a 69 ff. – islamistischer Terrorismus 89a 4 – Katalogtaten 89a 81 ff. – Konkurrenzen 89a 184 ff., 89a 189 ff. – Kronzeugenregelung 89a 170 – Lockspitzel 89a 181 – Mehrfachtatorte 89a 160 – minder schwerer Fall 89a 171 – mitbestrafte Vortat 89a 188 – Mittäterschaft 89a 180 – mittelbare Täterschaft 89a 178 – neutrale Handlungen 89a 66 f. – Nichtanzeige 89a 192 – Nichteinmischungsprinzip 89a 69 ff. – organisationsungebundene Einzeltäter 89a 3 – Passrecht 89a 194 – Personalitätsprinzip 89a 77 f. – Präventivgewahrsam 89a 47 f. – Rahmenbeschlüsse zur Terrorismusbekämpfung 89a 24 – Rechtsanwendungsrecht 89a 152 ff. – rechtsextremistischer Terrorismus 89a 4 – Rechtswidrigkeit 89a 151 – Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung 89a 25 ff. – Schuld 89a 151 – Schuldprinzip 89a 50 ff., 89a 56 ff. – Schutzbereich 89a 69 ff. – Schutzgut 89a 14 – schwere staatsgefährdende Gewalttat 89a 80 ff. – Sich-Unterweisen-Lassen 89a 104 – sonstige Fertigkeiten 89a 42 – Staatsschutzklausel 89a 40, 89a 84 ff., s. a. dort – Staatsschutzstrafrecht 89a 60 – Stoffansammlungen 89a 123 f. – strafprozessuale Maßnahmen 89a 201 f. – Strafrahmen 89a 68, 89a 170 ff. – subjektiver Tatbestand 89a 55, 89a 140 ff. – Täterschaft 89a 177 ff. – Tathandlung 89a 96 ff. – tätige Reue 89a 173 ff. – Tatprinzip 89a 50 ff., 89a 56 ff. – Teilnahme 89a 181 ff. 845

– Territorialitäts-/Schutzgrundsatz 89a 75 – Terror-Camps 89a 2 – Terrorismus 89a 11 ff. – terroristisch motivierte Ausreise 89a 125 ff., s. a. dort – Testbombe 89a 116 – ultima-ratio Grundsatz 89a 45 f. – Unterlassen 89a 179 – Unternehmensdelikt 89a 7 ff. – Vereinte Nationen 89a 16 ff. – Verfassungsrecht 89a 35 ff. – Verfolgungsermächtigung 89a 163 ff. – Verhältnismäßigkeit 89a 44 ff. – Verjährung 89a 197 – Verschaffen 89a 116 ff., 89a 119 ff. – Verwaltungsrecht 89a 193 – verwaltungsrechtliche Gefahrenabwehrvorgänge 89a 195 f. – Verweisungen 89a 191 ff. – Völkerrecht 89a 15 ff., 89a 69 ff. – Vorbereitungshandlungen 89a 141 ff. – Vorbereitungshandlungen, untaugliche 89a 137 ff. – Vorbereitungsstufen 89a 186 – Vorrichtungen 89a 41 – Vorsatz 89a 141 ff., 89a 147 f. – Vorsatz, qualifizierter 89a 63 – Wählbarkeitsverlust 89a 172 – Wesentlichkeit 89a 43, 89a 121 – Zuständigkeit 89a 198 ff. Vorbereitungshandlungen – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 3 – landesverräterische Fälschung 100a 8 – öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 53 – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 2 – Terrorismusfinanzierung 89c 64, 89c 72, 89c 98 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 8 ff. – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 137 ff., 89a 141 ff. Vorbereitungsstufen 89a 186 Vorfeldtatbestände – landesverräterische Agententätigkeit 98 1 – landesverräterische Ausspähung 96 1 Vorführungsbefehl 113 46 Vorgeführte 120 15 Vorrätighalten 86 31 Vorrichtungen 89a 41 Vorsatz – Agententätigkeit zur Sabotage 87 18 Klie

Sachregister

– Angriff auf ausländische Organe/Vertreter 102 7 – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 30 ff. – Anwerben für fremden Wehrdienst 109h 8 – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 6 – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 19 – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 14 – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 25 – friedensgefährdende Beziehungen 100 5 – Gefangenenbefreiung 120 51 – Gefangenenmeuterei 121 53 – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 13 – Hochverrat gegen den Bund 81 23 – illegales Staatsgeheimnis 93 25 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 37 – Landesverrat 94 11 – landesverräterische Agententätigkeit 98 6 – landesverräterische Ausspähung 96 6 – landesverräterische Fälschung 100a 7a – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 16 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 33 – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 8 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 4 f., 97 11a – Propagandamittelverbreitung 86 42 – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 13 – sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 109f 14 – Staatsgeheimnis 93 19 – Störpropaganda gegen die Bundeswehr 109d 11 – Störung eines Gesetzgebungsorgans 106b 5 – Terrorismusfinanzierung 89c 82 f., 89c 84 ff. – terroristisch motivierte Ausreise 89a 149 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 14 – verfassungsfeindliche Einwirkung 89 7 – Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 6 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 4 – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 14 – Verunglimpfung des Staates 90a 43 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 12 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 63 f., 89a 141 ff., 89a 147 f. – Wahlbehinderung 107 11 Klie

– Wählernötigung 108 11 – Wahlfälschung 107a 10 – Wahlgeheimnisverletzung 107c 3 – Wahlunterlagenfälschung 107b 7 – Wehrpflichtentziehung durch Täuschung 109a 10 – Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung 109 19 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 91 – Widerstand/Angriff gegen Nichtamtsträger 115 22 ff. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 1 – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 14 Vorteile – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 9 ff. – Wählerbestechung 108b 5 f. Vorveröffentlichungen 93 6 W Waffe – Gefangenenmeuterei 121 60 – Wiederstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 76 ff. Wählbarkeitsverlust 89a 172, s. a. Nebenfolgen Wahlbehinderung 107 1 ff. – Drohung mit Gewalt 107 9 – Einigungsvertrag 107 15 – Erfolgsdelikt 107 10 – Gewalt 107 9 – Konkurrenzen 107 14 – Schutzgut 107 1 – sonstige Abstimmungen 107 4 – Stören 107 8 – Strafrahmen 107 13 – subjektiver Tatbestand 107 11 – Taterfolg 107 10 – Tathandlung 107 6 ff. – Tatmittel 107 9 – Tatobjekt 107 2 ff. – Verhindern 107 7 – Versuch 107 12 – Volksbegehren 107 5 – Vorsatz 107 11 – Wahlen 107 3 – Wahlvorschlag 107 5 Wahlen 107 3 Wählerbestechung 108b 1 ff. – aktive ~ 108b 1 – Einigungsvertrag 108b 10 846

Sachregister

– Einziehung 108b 8 – Geschenke 108b 5 – Konkurrenzen 108b 9 – passive ~ 108b 1 – Schutzgut 108b 1 – Stimmverhalten 108b 2 – Strafrahmen 108b 8 – Tathandlung 108b 2 ff. – Unrechtsvereinbarung 108b 3 – Versuch 108b 7 – Vorteile 108b 5 f. – Vorteilsforderung 108b 4 – Vorteilsversprechen 108b 2 Wahlergebnis – richtiges ~ 107a 1 – unrichtiges ~ 107a 6 f. – unrichtiges Verkünden 107a 9 – Verfälschen 107a 8 – Wahlfälschung 107a 1, 107a 6 f. Wählernötigung 108 1 ff. – Abhängigkeitsverhältnis 108 5 ff. – Drohung 108 4 – Einigungsvertrag 108 16 – Erfolgsdelikt 108 9 – Gewalt 108 4 – Konkurrenzen 108 14 – Nötigungserfolg 108 9 – Nötigungsmittel 108 3 ff. – Rechtswidrigkeit 108 10 – Schutzgut 108 1 – Strafrahmen 108 13 – Tathandlung 108 2 ff. – Versuch 108 12 – Vorsatz 108 11 – wirtschaftlicher Druck 108 5 – Zeugnisverweigerungsrecht 108 15 Wählertäuschung 108a 1 ff. – Einigungsvertrag 108a 11 – Erklärungsirrtum 108a 3 f. – Irrtum 108a 2 – Konkurrenzen 108a 10 – Schutzgut 108a 1 – subjektiver Tatbestand 108a 8 – Tathandlung 108a 2 ff., 108a 7 – Täuschen 108a 2 – ungültige Wahl 108a 6 – Unterlassen 108a 7 – Versuch 108a 9 – Wahlverhinderung 108a 5 Wahlfälschung 107a 1 ff. – Einigungsvertrag 107a 15 – Ergebnis 107a 2 847

– Konkurrenzen 107a 13 f. – Schutzgut 107a 1 – Strafrahmen 107a 12 – subjektiver Tatbestand 107a 10 – Tatbestandsirrtum 107a 10 – Tathandlung 107a 3 ff. – Tatobjekt 107a 2 – unbefugtes Wählen 107a 4 ff. – unrichtiges Verkünden 107a 9 – Verfälschen eines Ergebnisses 107a 8 – Versuch 107a 11 – Vorsatz 107a 10 – Wahlergebnis, richtiges 107a 1 – Wahlergebnis, unrichtiges 107a 6 f. Wahlfeststellung – Landesverrat 94 21 – landesverräterische Fälschung 100a 10 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 8 Wahlgeheimnisverletzung 107c 1 ff. – Absicht der Kenntnisverschaffung 107c 3 – Beweisverbot 107c 4 – Einigungsvertrag 107c 5 – Schutzgut 107c 1 – subjektiver Tatbestand 107c 3 – Tathandlung 107c 2 – Vorsatz 107c 3 – Zeugnisverweigerungsrecht 107c 4 Wahlstrafrecht – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 1 ff., s. a. dort – Einigungsvertrag Vor 107 1 – Nebenfolgen 108c 1 f. – Statusfolge 108c 2 – Wahlbehinderung 107 1 ff., s. a. dort – Wählerbestechung 108b 1 ff., s. a. dort – Wählernötigung 108 1 ff., s. a. dort – Wählertäuschung 108a 1 ff., s. a. dort – Wahlfälschung 107a 1 ff., s. a. dort – Wahlgeheimnisverletzung 107c 1 ff., s. a. dort – Wahlunterlagenfälschung 107b 1 ff., s. a. dort Wahlunterlagenfälschung 107b 1 ff. – Einigungsvertrag 107b 9 – Eintragen eines Nicht-Wahlberechtigten 107b 3 – Erwirken eigener Eintragung 107b 2 – Kandidatur eines Nicht-Wählbaren 107b 5 – Konkurrenzen 107b 8 – Schutzgut 107b 1 – Sozialversicherung 107b 6 – subjektiver Tatbestand 107b 7 – Tathandlung 107b 2 ff. – Urwahlen 107b 6 Klie

Sachregister

– Verhindern der Eintragung 107b 4 – Vorsatz 107b 7 Wahlvorschlag 107 5 Wahndelikt 105 36 Wahrheitsbeweis – Verunglimpfung des Bundespräsidenten 90 4 – Verunglimpfung des Staates 90a 19 Wappen 90a 6 Wehrbeauftragte 93 28 Wehrdienst 109h 3 Wehrersatzwesen 109 7 Wehrmittel – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 2 – sicherheitsgefährdendes Abbilden 109g 2 Wehrpflicht – Untauglichkeit 109 6 ff., s. a. dort – Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung 109 3 Wehrpflichtentziehung durch Täuschung 109a 1 ff. – Adressat der Machenschaften 109a 8 – Arglistigkeit 109a 6 – Konkurrenzen 109a 12 – Machenschaften 109a 5 – Schutzgut 109a 1 – Strafrahmen 109a 11 – subjektiver Tatbestand 109a 10 – Täuschungsberechnung 109a 7 – Täuschungshandlung 109a 4 – Ursächlichkeit 109a 9 – Vorsatz 109a 10 – Wehrpflichtentziehung 109a 2 Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung 109 1 ff. – andere Herbeiführungsart 109 14 – ärztlicher Eingriff 109 20 – Fremdverstümmelung 109 15 ff. – Konkurrenzen 109 23 f. – Schutzgut 109 1 – Sozialadäquanz 109 21 – Spannungsfall 109 4 – Strafrahmen 109 22 – subjektiver Tatbestand 109 19 – Täterkreis 109 5 – Tatobjekt 109 4 – Untauglichkeit 109 6 ff., s. a. dort – Unterlassen 109 18 – Verstümmelung 109 13 – Verteidigungsfall 109 4 – Vorsatz 109 19 – Wehrpflichtentziehung 109 3 f. Klie

Weisung 108e 16 ff. Werkbereich 86a 28 Werkstoffe 109e 7 Wesentlichkeit 89a 43, 89a 121 Widerstand 113 22 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 1 ff. – Amtsträger 113 11 f. – Autorität staatlicher Vollstreckungsakte 113 3 – Bedeutung 113 7 ff. – Beisichführen 113 80 – Beispiele 113 24 – besonders schwerer Fall 113 74 ff. – Deliktsnatur 113 6 – Diensthandlung 113 1, 113 10 – Drohung mit Gewalt 113 23, 113 25 – Einigungsvertrag 113 102 – Feldjäger 113 17 – Gefahr des Todes 113 86 – gefährliches Werkzeug 113 79 – gemeinschaftliche Begehung 113 88 ff. – geschützte Personen 113 11 ff. – Gewalt 113 23 – Gewaltmonopol 113 3 – Gewalttätigkeit 113 82 ff. – inländische Amtsträger 113 13 f. – Irrtum 113 65 – Irrtum eines Dritten 113 72 – Irrtum über die Rechtmäßigkeit 113 66 – Irrtum über die Unrechtmäßigkeit 113 67 ff. – Irrtum, unvermeidbarer 113 69 ff. – Irrtum, vermeidbarer 113 68 – Konkurrenzen 113 92 ff. – Kraftfahrer 113 24 – Nötigung 113 5, 113 9, 113 92 ff., 113 95 ff. – Privilegierungsmerkmale 113 5, 113 9 – Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 1, 113 26 ff., s. a. dort – Rechtsbehelfsklausel 113 69 – Rücktritt 113 6 – Scheinwaffe 113 78 – Schutzgut 113 3 f. – schwere Gesundheitsschädigung 113 87 – Soldaten 113 11 f., 113 17 – Strafrahmen 113 73 – subjektiver Tatbestand 113 64 – Tathandlung 113 21 ff. – Ungehorsam 113 23 – Unternehmensdelikt 113 6 – Verbotsirrtum 113 65 – Versuch 113 93 – Versuch, untauglicher 113 100 848

Sachregister

– Vollendung 113 93 – Vollstreckungsbeamter 113 15 ff. – Vollstreckungshandlungen 113 10, s. a. dort – Vorsatz 113 91 – Waffe 113 76 ff. – Widerstand 113 22 Widerstand/Angriff gegen Nichtamtsträger 115 1 ff. – Behindern 115 17 ff. – Erfolgsdelikt 115 3 – Ermittlungspersonen der StA 115 8 – Feuerwehr 115 14 – Hilfsdienste 115 13 ff. – hinzugezogene Personen 115 10 ff. – Jagdaufseher 115 6 – Jagdausübungsberechtigte 115 7 – Katastrophenschutz 115 15 – Konkurrenzen 115 28 – Nichtamtsträger 115 11 – Personenkreis 115 6 ff. – polizeiliche Pflichtenstellung 115 6 – Rettungsdienste 115 15 – Strafrahmen 115 25 ff. – subjektiver Tatbestand 115 22 ff. – Tathandlung 115 17 ff. – tätlicher Angriff 115 20 f. – Tatsituation 115 16 – Vollstreckungshandlungen 115 9 – Vollstreckungshelfer 115 12 – Vorsatz 115 22 ff. Widerstandsrecht 105 28 WikiLeaks 94 6 Wirkbereich 86a 28 Wissenschaftsfreiheit – Beziehungsaufnahme zu staatsgefährdenden Gewalttaten 89b 16 – Sozialadäquanz 86 39, 86a 33 ff. – Staatsgeheimnis 93 34 Wohnungsdurchsuchung 113 46 Z Zerstören – Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 109e 6 – Verletzung ausländischer Flaggen/Hoheitszeichen 104 5 – Verunglimpfung des Staates 90a 38 Zeugnisverweigerungsrecht – Wählernötigung 108 15 – Wahlgeheimnisverletzung 107c 4 zielgerichtetes Handeln 80a 6 849

Zivildienst – Untauglichkeit 109 6 – Wehrpflicht 109 3 ziviler Ungehorsam – Hochverrat gegen den Bund 81 29 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 31 Zivilschutzeinrichtungen/-anlagen 109e 4 Zugang des Propagandamittels 86 25 ff. – Bild-/Tonträger 86 27 – Internet 86 28 – öffentlicher ~ 86 35 – Schriften 86 26 Zugänglichkeit – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 7a ff. – Verrat irrig illegaler Geheimnisse 97b 9 Zugänglichmachen 91 24 Zurverfügungstellen 89c 78 Zusammenrotten 121 15 ff. – Anzahl 121 16 – ausdrückliches ~ 121 21 – Meutereigehilfen 121 20 – Mittäterschaft 121 19 – negatives Vorzeichen 121 18 – rechtswidrige Absicht 121 15, 121 18 – Scheinbeteiligung 121 21 – stillschweigendes ~ 121 21 Zuständigkeit – Angriff auf ausländische Organe/Vertreter 102 11 – Anleitung zu staatsgefährdenden Gewalttaten 91 48 – Aufstacheln zum Aggressionsverbrechen 80a 10 – äußere Sicherheit Vor 93 14 – Bestechlichkeit von Mandatsträgern 108e 32 f. – Fortführung verfassungswidriger Parteien 84 39 – friedensgefährdende Beziehungen 100 12a – geheimdienstliche Agententätigkeit 99 26 – Hochverrat gegen den Bund 81 39 – Hochverrat gegen ein Land 82 11 – Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 86a 43 – Landesverrat 94 23 – landesverräterische Agententätigkeit 98 21 – landesverräterische Ausspähung 96 9 – landesverräterische Fälschung 100a 11 – Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 106 19 – Nötigung von Verfassungsorganen 105 41 – Offenbaren von Staatsgeheimnissen 95 12 – Preisgabe von Staatsgeheimnissen 97 16 Klie

Sachregister

– Proliferation Vor 93 14 – Propagandamittelverbreitung 86 48 – Staatsschutzstrafrecht Vor 80 38 – Technologietransfers Vor 93 14 – Terrorismusfinanzierung 89c 118 – Vereinigungsverbotsverstoß 85 18 – verfassungsfeindliche Sabotage 88 15 – Verfolgungsermächtigung 90 21 – Verrat illegaler Geheimnisse 97a 11

Klie

– Verunglimpfung des Staates 90a 50 – Verunglimpfung von Verfassungsorganen 90b 15 – Vorbereitung eines Hochverrats 83 21 – Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten 89a 198 ff. Zuwiderhandeln 84 24 Zwangslage 98 16 Zwei-plus-Vier-Vertrag Vor 80 36

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