Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen: Zu den Legitimationsbedingungen entsprechender Rechtseingriffe [1 ed.] 9783428552559, 9783428152551

Probleme der strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen sind nicht nur strafrechtstheoretisch relevant, s

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German Pages 228 Year 2017

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Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen: Zu den Legitimationsbedingungen entsprechender Rechtseingriffe [1 ed.]
 9783428552559, 9783428152551

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Schriften zum Strafrecht Band 313

Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen Zu den Legitimationsbedingungen entsprechender Rechtseingriffe

Von

Franziska Mulch

Duncker & Humblot · Berlin

FRANZISKA MULCH

Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen

Schriften zum Strafrecht Band 313

Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen Zu den Legitimationsbedingungen entsprechender Rechtseingriffe

Von

Franziska Mulch

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT.

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15255-1 (Print) ISBN 978-3-428-55255-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85255-0 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg im Wintersemester 2016 / 2017 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis einschließlich Juni 2017 berücksichtigt werden. Zu tiefem Dank verpflichtet bin ich meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Georg Freund, der durch seine her­ vorragende Betreuung und stetige Bereitschaft zum Gedankenaustausch wie kein anderer zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat. Herrn Professor Dr. Jens Puschke, LL.M. (King’s College), danke ich für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens und seine wertvollen Anre­ gungen zu meiner Arbeit. Danken möchte ich auch meinen lieben Kolleginnen am Institut für Krimi­ nalwissenschaften in Marburg  – sowohl für die gute Zusammenarbeit als auch die herzliche Atmosphäre im täglichen Miteinander. Ein besonderer Dank gilt Anna Lena Nowicki und Franziska Walther. Ih­ nen danke ich für ihr Interesse an meiner Arbeit und die kritische Durchsicht des Manuskripts, mehr noch aber für ihre Freundschaft, die weit über den fachlichen Bereich hinausgeht. Von Herzen bedanken möchte ich mich bei Martin Weidenauer – nicht nur für die unermüdliche Unterstützung in jeder Phase meiner Arbeit, sondern auch für seine Aufmunterungen, seine Geduld und Zuneigung. Aufrichtiger Dank gebührt gleichsam meinen Eltern. Sie haben meine Ausbildung stets uneingeschränkt gefördert und mich in meinen Entschei­ dungen bestärkt. Meine Dankbarkeit für ihren liebevollen und bedingungs­ losen Rückhalt vermag ich mit Worten nicht auszudrücken. Marburg, im September 2017

Franziska Mulch

Inhaltsverzeichnis Erster Teil

Einführung und Problemstellung 

13

Zweiter Teil Grundlagen 

16

A. Konkretisierung der Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 I. Zum Begriff der juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 II. Sanktionen und andere Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Staatliche Maßnahmen als Rechtseingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 C. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . I. Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geeignetheit und Erforderlichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 20 20 21

Dritter Teil

Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck 

22

A. Aufgabe und Legitimation von Strafe: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei strafrechtlichen Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Legitimes Ziel der strafrechtlichen Sanktionsnorm – Was bezweckt Strafe? 23 1. Strafe als Instrument des Rechtsgüterschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Das normentheoretische Konzept der personalen Straftatlehre . . . . . . 28 a) Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm – Verschiedenheit der Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Strafe als Mittel zur Abwendung eines Normgeltungsschadens . . . 30 aa) Verhaltensnormverstoß als Grundvoraussetzung der Strafbar­ keit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 bb) Verhältnismäßigkeit der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 c) Zur Klarstellung: Getrennte Verhältnismäßigkeitsprüfungen beider Normenkategorien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Sanktionsnorm . 37 III. Zur Verdeutlichung: Das Schuldprinzip als Konkretisierung im Hinblick auf die Geeignetheit von Strafe als Reaktion auf personales Verhaltens­ unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

10 Inhaltsverzeichnis B. Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen de lege ferenda? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Zur Frage der rechtlichen Legitimierbarkeit von Strafe gegenüber juristischen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Konzept einer originären Strafbarkeit juristischer Personen  . . . . . . . . 48 a) Zur Frage der Begründung von Verhaltensnormen gegenüber juristischen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 aa) Kann sich die juristische Person normgemäß bzw. normwid­ rig verhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bb) Die juristische Person als Normadressat durch den Gesetzge­ ber bestimmt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (1) Folgeprobleme der „Strafkonkretisierung“ bei fingierter Straffähigkeit juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (2) Neues Strafverständnis: Strafe ohne Vorwurf? . . . . . . . . . 62 b) Zur Verdeutlichung: Auch keine „Schuldfähigkeit“ juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Konzept einer derivativen Strafbarkeit juristischer Personen kraft Zurechnung des Fehlverhaltens natürlicher Personen . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Zwischenergebnis: Keine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristi­ scher Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 II. Zum Vergleich: Die juristische Person im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Unterscheidung zivilrechtlicher und strafrechtlicher Zurechnungs­ kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Haftung als zivilrechtlicher Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Vierter Teil

Ordnungswidrigkeitenrechtliche Mittel 

81

A. Abgrenzung der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Mittel zur Strafe . . . . 83 I. Qualitative Unterscheidung: Sozialethik als hinreichendes Abgrenzungs­ kriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Strukturelle Gleichheit: Intensität des Unwertgehalts als Abgrenzungs­ kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 B. Zur Frage der rechtlichen Legitimierbarkeit der Geldbuße gegenüber juristischen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Konzept einer originären Verantwortlichkeit juristischer Personen . . . . . . II. Konzept einer derivativen Verantwortlichkeit juristischer Personen . . . . . 1. § 30 OWiG als Zurechnungsvorschrift? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 30 OWiG als täterschaftsbegründende Norm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis: Nicht-Legitimierbarkeit der Geldbuße gegenüber juristischen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90 91 93 93 98 100

Inhaltsverzeichnis11 Fünfter Teil

Andere staatliche Maßnahmen: Würdigung vorhandener Institute und Überlegungen de lege ferenda 

A. Das Recht der Vermögensabschöpfung im Strafgesetzbuch . . . . . . . . . . . . I. Zum besseren Verständnis der gegenwärtigen Gesetzeslage: Verfall und Einziehung gem. §§ 73 ff., 74 ff. StGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfall gem. §§ 73 ff. StGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einziehung gem. §§ 74 ff. StGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einziehung von Taterträgen, Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten gem. §§ 73 ff., 74 ff. StGB – neue Fassung seit Juli 2017  . . . . . . . . . . . . 1. Überblick über die Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritische Würdigung der Neuregelung im Hinblick auf juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

102 102 102 102 109 112 112 114

B. Das Recht der Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 I. Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Abgrenzung der Maßregeln der Besserung und Sicherung zur Strafe . 120 2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als zentrales Legitimations­ kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Legitimer Zweck  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit  . . . . . . . . . . . 126 3. Legitimierbarkeit von Maßregeln gegenüber juristischen Personen und Auseinandersetzung mit kritischen Einwänden . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Andere Maßnahmen der Gefahrenabwehr im öffentlichen Recht . . . . . . . 131 1. Übersicht de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Zur Klarstellung: Legitimierbarkeit gefahrenabwehrender ­Maßnahmen gegenüber juristischen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Kritische Würdigung einzelner Maßnahmen der Gefahrenabwehr de lege lata und de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Als Maßnahmen der Gefahrenabwehr nicht legitimierbare bzw. ungeeignete staatliche Maßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Sanktionsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 cc) Aktien- / Anteilsverwässerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 dd) Zwangsverpachtung / Zwangsverkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Einwirkung auf die Unternehmenstätigkeit zum Zweck der „Besserung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 aa) Reformgebende Maßnahmen – Bestandsaufnahme und ­kritische ­Würdigung ihrer rechtlichen Legitimations­grund­ lagen und ihrer Geeignetheit zur Gefahrenabwehr  . . . . . . . . . 140 (1) Zur Problematik gerichtlicher Weisungen . . . . . . . . . . . . . 142 (2) Zwischenergebnis: Keine reformgebenden Maßnahmen von staatlicher Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

12 Inhaltsverzeichnis bb) Exkurs: Alternativen zu staatlichen Maßnahmen – Dritt- und Selbstkontrolle der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterbindung und Beschränkung der Unternehmenstätigkeit zum Zweck der Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dauerhafte oder temporäre Tätigkeitsverbote und -beschrän­ kungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gewerbe- und Betriebsuntersagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Andere Tätigkeitsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Entzug von Konzessionen, Betriebserlaubnissen und Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Auftragssperren und -beschränkungen . . . . . . . . . . . . (c) Veröffentlichung belastender Fakten . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufsicht und Verwaltung durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausgestaltung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegenüber ­juristischen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Maßregelmodell oder verwaltungsrechtliche Fachgesetze? . . . . . . . . . 2. Spezifische Voraussetzungen für Anordnung und Dauer gefahren­ abwehrender Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beurteilung der Gefahrensituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnismäßigkeit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maßnahmen der Gefahrenabwehr auch gegenüber juristischen ­Personen des öffentlichen Rechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145 150 151 151 155 159 159 161 163 167 170 172 177 177 181 182

Sechster Teil Schlussbetrachtung 

184

A. Auswertung: Gewinnabschöpfung und Gefahrenabwehr als legitime Ziele staatlicher M ­ aßnahmen gegenüber juristischen Personen . . . . . . . . 184 I. Verfassungsrechtliche Vorgaben: Staatliche Schutzpflichtverletzung durch Nichtpönalisierung juristischer Personen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 II. Europäische Vorgaben: Pflicht zur Einführung von Sanktionen gegen­ über juristischen Personen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 B. Exkurs: Strafrechtliche Individualverantwortlichkeit bei unternehmens­ bezogenen Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 C. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

Erster Teil

Einführung und Problemstellung „Das Criminalrecht hat zu thun mit dem natürlichen Menschen als einem denkenden, wollenden, fühlenden Wesen. Die juristische Person ist aber kein solches, sondern nur ein Vermögen habendes Wesen, liegt also ganz aus dem Bereich des Criminalrechts“.

So charakterisiert Friedrich Carl von Savigny1 die juristische Person und deren Verhältnis zum Strafrechtssystem. Ebenso wie v. Savigny haben sich auch der 40. Deutsche Juristentag 1953 und eine im Jahre 2000 vom Bundes­ justizministerium eingesetzte Kommission zur Reform des deutschen Straf­ rechts gegen die Einführung einer Strafbarkeit juristischer Personen ausge­ sprochen.2 Dennoch gibt es wiederkehrende Bestrebungen innerhalb der deutschen Strafrechtswissenschaft, die sich hiervon abwenden und eine eigene Unter­ nehmensstrafbarkeit begründen möchten.3 Einen jüngeren Vorstoß in diese Richtung bildet etwa der Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuches, den die Landesregierung Nordrhein-Westfalen im Herbst 2013 vorstellte.4 Dieser Entwurf soll der Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden dienen und umfasst materiell-rechtli­ 1  v. Savigny, System  II, S. 312. Zur dennoch berechtigten Kritik an v. Savignys Fiktionstheorie etwa im Hinblick auf die Stellung juristischer Personen im Zivilrecht vgl. u. a. Engisch, in: 40. DJT, Band  II, S. E16 ff.; Mittelsdorf, Unternehmensstraf­ recht im Kontext, S. 23 ff. (jeweils auch bezugnehmend auf andere Theorien). 2  Heinitz, in: 40. DJT, Band  I, S. 65, 90; Abschlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, 2000, S. 190 ff. 3  Vgl. überblicksartig Löffelmann, JR 2014, 185 f. Zur historischen Entwicklung einer etwaigen Forderung Busch, Grundfragen, S. 32 ff.; Eidam, in: Eidam, Unterneh­ men und Strafe, Kap. 5 Rn. 488 ff.; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 320 ff.; Haas, ARSP-Beiheft 134 (2012), 125, 126 ff.; Laue, Jura 2010, 339; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 96 ff. Vgl. auch Schünemann, ZIS 1/2014, 1 f., der etwaige Regelungsvorschläge als „rechtspoli­ tische Zombies“ bezeichnet, da sie zwar verworfen werden, dennoch aber nach einer „gewissen Latenzzeit“ wiederkehren. Ausführlich auch bereits Heinitz, in: 40. DJT, Band I, S. 65 ff. 4  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013; wei­ tere Vorstöße in diese Richtung hat Scholz, ZRP 2000, 435, 436 f., zusammengefasst.

14

1. Teil: Einführung und Problemstellung

che sowie verfahrensrechtliche Regelungen zur Sanktionierung von juristi­ schen Personen. Das derzeit geltende Strafgesetzbuch enthält keine Regelung zur Verant­ wortlichkeit juristischer Personen. Bestraft werden können bislang aus­ schließlich natürliche Personen.5 Lediglich in § 14 StGB findet sich eine Regelung bezüglich juristischer Personen, nämlich über die Zurechnung be­ sonderer Merkmale, die zwar bei der juristischen Person, nicht aber der handelnden natürlichen Person selbst, vorliegen. Darüber hinaus werden die Maßnahmen der Einziehung der §§ 73 ff., 74 ff. StGB auch gegenüber juristi­ schen Personen angewendet. Sanktionierungen finden sich jedoch speziell im Ordnungswidrigkeitenrecht; hier bestehen im Rahmen der §§ 30, 130 OWiG Regelungen, die die juristische Person selbst betreffen. Gemäß § 30 OWiG können gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen Geldbußen verhängt werden, wenn ein – in § 30 Abs. 1 OWiG näher definiertes – Organ der juristischen Person eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereini­ gung treffen, verletzt worden sind oder die juristische Person oder Personen­ vereinigung hierdurch bereichert worden ist oder bereichert werden sollte.6 Unter Umständen ist nach geltendem Recht gem. § 30 Abs. 4 OWiG auch eine sog. isolierte Verbandsgeldbuße, d. h. eine Geldbuße nur gegen die juris­ tische Person oder Personenvereinigung, ohne dass gegen die natürliche Person ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet worden ist, möglich.7 Darüber hinaus zu nennen sind Regelungen außerhalb des Ordnungswidrig­ keitenrechts: etwa die Abführung des Mehrerlöses nach § 10 Abs. 2 WiStG, wirtschaftsrechtliche Tätigkeitsverbote bzw. -beschränkungen nach §§ 35, 51 GewO, § 20 BImSchG, § 21 SchwArbG oder gar die Möglichkeit der Auflö­ sung nach § 396 AktG, § 62 GmbHG, Art. 18 GG i. V. m. §§ 39 Abs. 2, 13 Nr. 1 BVerfGG, §§ 43, 44 BGB.8 An der beschriebenen und von einigen als unzulänglich angesehenen Situ­ ation, dass juristische Personen jedenfalls nicht im klassischen Sinne straf­ rechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, wird immer wieder Kritik laut. Sie beruht in erster Linie auf kriminalpolitischen Erwägungen 5  Statt vieler Achenbach, JuS 1990, 601, 605; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 121; Jescheck/Weigend, AT, § 23 VII 1. 6  Vgl. hierzu allgemein etwa Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor  §§ 25 ff. Rn. 122; Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 146 f.; Laue, Jura 2010, 339, 342 ff.; Ransiek, Unternehmen, S. 98 ff., 110 ff. 7  Vgl. statt vieler Jescheck/Weigend, AT, § 23 VII 2; Leipold, NJW-Spezial 2008, 216; Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 162 ff.; Zieschang, GA 2014, 91, 92. 8  Dazu näher unten (Fünfter Teil B. II.). Vgl. hierzu überblicksartig auch Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 37 ff.; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 87 ff.



1. Teil: Einführung und Problemstellung15

und bezieht sich vor allem auf Ziele, wie die Abkehr von Umweltbeeinträchti­ gun­gen,9 eine effektivere Korruptionsbekämpfung und die Verhinderung von Wirtschaftsstraftaten im Rahmen der Vermögensdelikte. Auch die Frage der Produktverantwortlichkeit ist bei der Diskussion um die Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen von Bedeutung.10 Darüber hinaus spielen innereuropäische Tendenzen hinsichtlich einer straf­ rechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen sowie entsprechende Entwicklungen in einigen Mitgliedsstaaten der EU eine Rolle für die Debatte auf deutscher Seite.11 Eine strafrechtliche Sanktionierung juristischer Personen stellt für viele die Lösung dieser Problemstellungen dar. So etwa im Rahmen des Gesetzesent­ wurfs der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, bei dem die „materiellrechtliche wie prozessuale“ Verantwortlichkeit von Verbänden auf eine ei­ gene gesetzliche Grundlage gestellt wird, indem der Verband für pflichtwid­ rige Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter einstehen muss, wenn die Pflicht entweder den Verband selbst trifft, die Zuwiderhandlung diesen bereichert hat oder jedenfalls bereichern sollte.12 Im Folgenden soll geklärt werden, ob  – und wenn ja, unter welchen Vor­ aussetzungen  – eine Sanktionierung juristischer Personen legitimierbar ist. Neben der entsprechenden Thematik auf strafrechtlicher Ebene interessiert hierbei auch die bereits bestehende Sanktionsmöglichkeit des Ordnungswid­ rigkeitenrechts in §§ 30, 130 OWiG. Darüber hinaus soll der Blick aber auch auf andere staatliche Maßnahmen gerichtet werden, die ihrerseits ebenfalls einer Legitimationsgrundlage bedürfen. Zu nennen sind etwa die Regelungen der §§ 73 ff., 74 ff. StGB13 sowie solche des Verwaltungsrechts. Schließlich soll geklärt werden, ob es darüber hinausgehender staatlicher Maßnahmen gegenüber juristischen Personen bedarf.

9  Vgl. zu dieser Thematik etwa Ralf Busch, Unternehmen und Umweltstrafrecht; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 54 ff., 243 ff.; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht. 10  Zum Meinungsstand innerhalb dieses Problembereichs, in dem häufig die Ge­ sundheit und die Körperintegrität einer Vielzahl von Menschen betroffen sind, vgl. den Sammelband mit dem Titel Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefah­ ren, hrsg. v. Georg Freund u. Frauke Rostalski. 11  Vgl. dazu noch unten (Sechster Teil A. II.). 12  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013, S. 3; für die Einführung eines entsprechenden Straftatbestandes im Strafgesetzbuch u. a. auch Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 130. 13  Auf die entsprechenden Regelungen auf ordnungswidrigkeitenrechtlicher Ebene wird nur am Rande eingegangen.

Zweiter Teil

Grundlagen A. Konkretisierung der Begrifflichkeiten I. Zum Begriff der juristischen Person Wenn über die Frage nach der Einführung einer strafrechtlichen Verant­ wortlichkeit juristischer Personen diskutiert wird, fallen meist unterschiedli­ che Bezeichnungen im Hinblick auf den Rechtsadressaten auf.14 Unter einer juristischen Person versteht man allgemein eine körperschaftlich verfasste, von ihrem Mitgliederbestand grundsätzlich unabhängige Organisation mit einer eigenen, ihr von der Rechtsordnung zuerkannten Rechtspersönlich­ keit.15 Hingegen findet sich in Bezug auf den Begriff Unternehmen keine entsprechende Definition, vielmehr gibt es hier eine Vielzahl unterschiedli­ cher Ansatzpunkte. Einerseits sei das Unternehmen „eine einheitliche, einem selbständigen Rechtssubjekt zugeordnete Zusammenfassung personeller, materieller und immaterieller Faktoren, mit welcher auf Dauer ein wirtschaft­ licher Zweck verfolgt wird“,16 andererseits nur ein „sozialer Schnittpunkt spezifischer Interessensverfolgung“.17 Darüber hinaus wird teilweise auch der Verband in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. Hierunter versteht man einen Zusammenschluss von natürlichen oder juristischen Personen oder Vereinigungen zur Förderung gemeinsamer Interessen, insbesondere wirt­ schaftlicher, sozialer, kultureller oder politischer Natur.18 Im Folgenden soll vornehmlich der Begriff der juristischen Person, die ihrerseits Träger des Unternehmens ist, gebraucht werden.19 Dennoch wird teilweise auch der Begriff des Unternehmens bzw. des Verbandes verwendet, wenn die Spezi­ dazu etwa Böse, ZStW 126 (2014), 132, 150. statt vieler Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 34. 16  Materiell-ökonomischer Unternehmensbegriff, EuGH, Urteil v. 13.07.1962, 17 und 20/61, Slg. 1962, 653, 687. 17  Teubner, KritV 1987, 61, 63 m. w. N. in Fn. 9. 18  Creifelds/Weber, Rechtswörterbuch, Stichwort: „Verbände“. 19  Vgl. insofern auch Teubner, KritV 1987, 61, 78 f., der von einer zirkulären Be­ ziehung von Unternehmen und juristischer Person spricht: „ ‚Träger‘ des Unterneh­ mens ist das als juristische Person verfaßte Kollektiv; ‚Substrat‘ der juristischen Person ist das als Kollektiv personifizierte Unternehmen“. 14  Vgl.

15  Dazu



A. Konkretisierung der Begrifflichkeiten

17

fika der juristischen Person für den Gang der Untersuchung nicht von Bedeu­ tung sind.20

II. Sanktionen und andere Maßnahmen In der Diskussion um eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen fällt überdies auf, dass Begriffe zur Kategorisierung staatlicher Rechtseingriffe, mit denen bestimmte Zwecke verfolgt werden, nicht einheit­ lich verwendet werden. Häufig wird als Oberbegriff sämtlicher staatlicher – in die Rechte Einzelner eingreifender – Maßnahmen etwa der Begriff „Sank­ tionen“ verwendet.21 Dies führt jedoch zu Verwirrungen, da hierdurch eine Abgrenzung der Maßnahmen untereinander erschwert wird und die Anforde­ rungen an diese nicht klar benannt werden können. Der Ursprung des Begriffs der Sanktion stammt aus dem lateinischen Wort „sanctio“, was Strafgesetz oder Strafbestimmung bedeutet. Insofern ist die Sanktion zunächst spezifisch im Strafrecht zu verorten und als eine Reaktion auf bestimmte Verhaltensweisen zu verstehen, die die Einhaltung von Nor­ men bezwecken soll.22 Gekennzeichnet ist die spezifisch strafrechtliche Sanktion durch die primäre Rechtsfolge des Schuldspruchs23 und die sekun­ däre des Strafausspruchs.24 Neben den spezifisch strafrechtlichen lassen sich auch in anderen Bereichen Sanktionen finden, die ebenfalls eine Reaktion auf eine bestimmte Verhaltensweise darstellen – etwa im Rahmen ordnungs­ widrigkeitenrechtlicher Regelungen (vgl. z. B. §§ 30, 130 OWiG). Für die entsprechende Reaktion ist deren Missbilligungscharakter wesentlich. Lob oder Neutralität wäre nicht geeignet, den Zweck der Maßnahme zu erreichen. 20  Die Betrachtung soll auch auf Personengesellschaften anwendbar sein, soweit sie gleichermaßen rechtlich verselbständigt sind wie die juristische Person bzw. sich eine entsprechende Problematik ihnen gegenüber stellt. 21  Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 231, 240, etwa fasst unter den Begriff der Sanktionen gegenüber juristischen Personen sämtliche staatlichen Maßnahmen. Zwar schlägt er i. E. selbst ein Maßnahmenmodell vor, doch führt der einheitliche Sprachgebrauch von „Sanktionen“ zunächst zu Verwirrung. Auch an den Äußerungen von Kaspar, ZStW 127 (2015), 654 ff., 667 ff., zeigt sich, dass in dieser Begriffsver­ wendung erhebliche Probleme begründet sind: Er bezeichnet sowohl die Strafe als auch die Maßregeln der Besserung und Sicherung als Sanktionen und schreibt ihnen in diesem Zusammenhang sogar gleiche Zielsetzungen zu. Dass beide Institute jedoch völlig unterschiedlichen Zwecken dienen, ergibt sich noch ausführlich unten (Fünfter Teil B. I. 1.). 22  Schubert/Klein, Das Politlexikon, Stichwort: „Sanktion“. 23  Zur Bedeutung des Schuldspruchs vgl. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 105 ff.; ders., in: Straftat, S. 43, 49 ff.; ders., GA 1999, 509 ff.; Freund/Rostalski, JZ 2015, 164 ff.; Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 621 ff. 24  Freund, AT, § 1 Rn. 26 f.; ders., GA 1999, 509.

18

2. Teil: Grundlagen

Um angemessen zwischen etwaigen missbilligenden Reaktionen auf be­ stimmte Normverstöße und sonstigem staatlichen Handeln differenzieren zu können, darf der Begriff der „Sanktionen“ daher nicht verwendet werden, wenn es um Maßnahmen geht, die nicht als missbilligende Reaktion auf ei­ nen Verhaltensnormverstoß zu begreifen sind. Das wäre irreführend. Als Oberbegriff aller staatlichen Eingriffe gegenüber dem Einzelnen sollte der allgemeine Begriff der „Maßnahmen“ verwendet werden. Diese kann man in gefahrenabwendende / -abwehrende, ahndende, beugende und solche zur Ge­ winnabschöpfung untergliedern. Letztere finden sich etwa in den Vorschriften über die Einziehung von Taterträgen gem. §§ 73 ff. StGB; sie dienen allein dem Ausgleich und sind insofern streng von den Maßnahmen mit Vorwurfscharakter zu unterschei­ den.25 Gefahrenabwendende bzw. -abwehrende Maßnahmen sind die auf die Zu­ kunft gerichteten Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie sonstige Maßnahmen zum Schutz von Rechtsgütern in der Zukunft.26 Ahndende Maßnahmen  – also Sanktionen, die diesen Namen tatsächlich verdienen  – sind klassische Strafen sowie missbilligende Reaktionen auf Ordnungswidrigkeiten und beziehen sich auf die Vergangenheit.27 Diese Sanktionen stellen lediglich einen Teilbereich der staatlichen Maßnahmen dar. Problematisch erscheint in diesem Kontext allerdings, dass landläufig Beu­ gemaßnahmen  – etwa solche gegenüber einem anderen Staat  – als Sanktio­ nen bezeichnet werden. Ihnen ist mit der Sanktion zwar tatsächlich inhärent, dass es sich um eine Reaktion auf ein – hierbei noch immer andauerndes – zu missbilligendes Verhalten handelt, weshalb der Begriff der Sanktion nicht schlichtweg als falsch anzusehen ist. Jedoch unterscheiden sich solche Beu­ gemaßnahmen von klassischer Strafe dadurch, dass eine Verhaltensweise in der Zukunft beeinflusst werden soll;28 sie werden in den Dienst des zu errei­ 25  Dazu

noch unten (Fünfter Teil A. I. 1. und II.). Präventiver Freiheitsentzug, S. 4. Dazu noch ausführlich unten (Fünfter Teil B.). Vgl. auch die Ausführungen zu §§ 74 ff. StGB (Fünfter Teil A. I. 2. und II.). 27  Ebenso Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 4; zum Begriff der „ahndenden Sanktionen“ in Form von Strafe und Geldbuße vgl. auch Achenbach, ZIS 5/2012, 178, 179. Zutreffend auch Pietzcker, NZBau 2003, 242. Entscheidend für diese Ein­ ordnung ist das Vorverständnis, dass Strafe und Geldbuße einen Vorwurf beinhalten – dazu noch unten [Dritter Teil A. I. 2. b), II. und Vierter Teil A. II.]. Zu den zweifel­ haften Versuchen, dennoch eine „Strafe ohne Vorwurf“ zu konstruieren, vgl. ebenfalls noch unten [Dritter Teil B. I. a) bb) (2)]. 28  Vgl. etwa auch die sog. Beugehaft oder Zwangsgelder gegenüber einem Zeu­ gen. 26  Remde,



C. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 19

chenden Ziels gestellt.29 Daher ist es zum Zweck der Klarheit und Einheit­ lichkeit der Begriffsverwendung geboten, in diesen Fällen ebenfalls von Maßnahmen, nämlich beugenden, zu sprechen und den Begriff der Sanktion gänzlich für solche Bereiche aufzusparen, in denen tatsächlich ein begangener Verhaltensnormverstoß geahndet wird. Nur durch eine präzise Differenzierung dieser unterschiedlichen staatlichen Maßnahmen kann die jeweilige Zielsetzung verdeutlicht werden und nur so kann die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Legitimationsgrundlagen, insbesondere der Kriterien der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, überprüft werden.

B. Staatliche Maßnahmen als Rechtseingriffe Unabhängig davon, ob es sich um gefahrenabwendende, ahndende oder beugende Maßnahmen handelt, stellt jede dieser Vorgehensweisen gegenüber dem Einzelnen einen Eingriff in dessen Güter und Interessen, mithin einen Rechtseingriff, dar. Daher muss sich jede dieser Maßnahmen rechtfertigen bzw. rechtlich legitimieren lassen.

C. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Den Kernpunkt innerhalb der Frage nach der rechtlichen Legitimation staatlicher Maßnahmen bildet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser wird als fester Bestandteil des öffentlichen Rechts angesehen, wenn auch die Frage nach der Herleitung, ob dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG entstammend30 und / oder zugleich integraler Bestandteil der Grundrechtsdogmatik,31 nicht einheitlich beantwortet wird. Konkret bezeich­ net der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Regel vier Prüfungsschritte: Der staatliche Eingriff muss einen legitimen Zweck verfolgen und hierfür geeignet, erforderlich und angemessen sein.32 29  Frisch,

ZStW 102 (1990), 343, 357. etwa Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 39; Eser/Hecker, in: Schönke/ Schröder, Vor § 1 Rn. 32. 31  Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 19 m. w. N. 32  Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allgemein vgl. BVerfGE 30, 292, 316; Arndt/Fetzer, Öffentliches Recht, Rn. 134 ff.; Degenhart, Staatsrecht  I, Rn. 417 ff.; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 39, 300 ff.; Grabitz, AöR 98 (1973), 568 ff.; Ipsen, Staatsrecht  II, Rn. 182 ff.; M. Ch. Jakobs, Verhältnismäßigkeit; Maurer, Staats­ recht  I, § 8 Rn. 55 ff.; Kingreen/Poscher, Staatsrecht  II, Rn. 297 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 145 ff.; Schnapp, JuS 1982, 850 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 30  So

20

2. Teil: Grundlagen

I. Legitimer Zweck Entscheidend ist zunächst, welcher reale Zweck mit der jeweiligen Maß­ nahme verfolgt werden soll. Diese Frage muss speziell für jede konkret in Rede stehende Maßnahme beantwortet werden. Denn die Bestimmung des jeweiligen Zwecks der staatlichen Maßnahme hat weichenstellenden Charak­ ter für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im weiteren und im engeren Sinne. Ein „undifferenzierter Gebrauch“ staatlicher Maßnahmen mit ihren „je spezifischen Eigenschaften“ und Zwecken wäre insofern gefährlich, da sich gerade hieraus Konsequenzen für den legitimen Einsatzbereich der jeweili­ gen Maßnahmen ergeben.33 Es gilt daher insbesondere, die verschiedenen Zweckrichtungen unterschiedlicher staatlicher Maßnahmen herauszuarbeiten und mit dieser Maßgabe die Einhaltung der Kriterien des Verhältnismäßig­ keitsgrundsatzes zu überprüfen.

II. Geeignetheit und Erforderlichkeit Geeignet ist der Eingriff, wenn er für den angestrebten Zweck förderlich ist.34 Insofern sind insbesondere solche Mittel ungeeignet und damit auch unverhältnismäßig, welche zur Erreichung des Zwecks schlechthin untaug­ lich sind.35 Im Rahmen der Erforderlichkeit wird sodann die Frage gestellt, ob es unter gleich geeigneten Mitteln ein milderes Mittel gibt, welches den Bürger weniger belastet.36 Hierbei müssen insbesondere die Eigenart und Intensität des Eingriffs, die Zahl der Betroffenen sowie belastende oder be­ Art. 20 Rn. 179 ff.; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 84 II; Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 229 ff. 33  So Freund, GA 2010, 193, in Bezug auf Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung. Nur anhand des Zwecks lasse sich überprüfen, ob das jeweils einge­ setzte Mittel „funktionsgerecht und im Hinblick auf das Gewicht der kollidierenden Interessen angemessen ist“; ders., GA 1995, 4. Dazu allgemein auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 181, wonach der „Zweck staatlichen Handelns […] genau bestimmt sein muss“. 34  BVerfGE 30, 292, 316; 33, 171, 187; 67, 157, 173; 90, 145, 172; 96, 19, 23; 100, 313, 373; 103, 293, 307; vgl. auch Arndt/Fetzer, Öffentliches Recht, Rn. 137 f.; Degenhart, Staatsrecht  I, Rn. 419; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 303; Ipsen, Staatsrecht  II, Rn. 189 f.; Maurer, Staatsrecht  I, § 8 Rn. 57; Michael/Morlok, Grund­ rechte, Rn. 619; Kingreen/Poscher, Staatsrecht  II, Rn. 301 f.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 150 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 182. 35  BVerfGE 30, 250, 262 ff.; 65, 116, 126; 100, 313, 373. 36  BVerfGE 30, 292, 316; 33, 171, 187; 90, 145, 172; Arndt/Fetzer, Öffentliches Recht, Rn. 139 ff.; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 419; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 304 ff.; Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 191 f.; Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 57; Michael/ Morlok, Grundrechte, Rn. 620 ff.; Kingreen/Poscher, Staatsrecht II, Rn. 303 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 152 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 183.



C. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 21

günstigende Einwirkungen auf Dritte bzw. die Allgemeinheit Berücksichti­ gung finden.37

III. Angemessenheit Im Rahmen der Angemessenheit (oder Verhältnismäßigkeit i. e. S.) sind  – häufig mehrere – Grundrechtspositionen unter Berücksichtigung der sich ge­ genüberstehenden Interessen gegeneinander abzuwägen.38 Insbesondere sind hierbei das Ausmaß der Belastungen, die durch die staatliche Maßnahme bei dem Betroffenen entstehen, und das Interesse des Staates, welches er mit der Maßnahme verfolgt, bzw. der Nutzen für die Allgemeinheit zu betrachten.39 Anhand dieser allgemeinen Kriterien, die sich aus dem Verhältnismäßig­ keitsgrundsatz ergeben, sollen im Folgenden verschiedene staatliche Maß­ nahmen auf ihre rechtliche Legitimierbarkeit gegenüber juristischen Personen hin überprüft werden. Dabei ist es zunächst von entscheidender Bedeutung, den jeweiligen Zweck der Maßnahme konkret herauszuarbeiten, um hieran die weiteren Anforderungen ausrichten zu können. Denn nur wenn man sich vor Augen geführt hat, was bezweckt wird, kann man prüfen, ob das Mittel die zur Erreichung dieses Zwecks notwendigen weiteren Kriterien erfüllt.40

37  Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 183; Stern, in: Stern, Staats­ recht III/2, § 84 II. 3. a). 38  BVerfGE 77, 84, 111 f.; 90, 145, 173; Arndt/Fetzer, Öffentliches Recht, Rn. 149 ff.; Degenhart, Staatsrecht  I, Rn. 419; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 307 ff.; Ipsen, Staatsrecht  II, Rn. 193 ff.; Maurer, Staatsrecht  I, § 8 Rn. 57; Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 623 ff.; Kingreen/Poscher, Staatsrecht  II, Rn. 307 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 154 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 184. 39  Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 307; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 184. 40  Freund, GA 2010, 193; i. d. S. auch Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 357.

Dritter Teil

Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck A. Aufgabe und Legitimation von Strafe: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei strafrechtlichen Sanktionen Das Strafrecht ist Teil  des öffentlichen Rechts.41 Daher gelten für jede Bestrafung, die stets einen Eingriff in grundrechtlich verbürgte Rechtspositi­ onen des Einzelnen darstellt42 und sogar als „schärfste Waffe des Staates“43 bezeichnet wird, zunächst die gleichen grundgesetzlichen Legitimationsbe­ dingungen wie bei jeder Art von Rechtseingriffen des Staates gegenüber dem Einzelnen.44 Neben den speziell für das Strafrecht bestehenden Anforderun­ gen (vgl. Art. 102, Art. 103 GG) muss die Maßnahme daher vor allem mit

41  Es sei nur aufgrund seiner besonderen Bedeutung und auch aus traditionellen Gründen verselbständigt worden, vgl. Roxin, AT I, § 1 Rn. 5; i. d. S. auch Dubber, FS Lüderssen, S. 179, 193; Gropp, AT, § 1 Rn. 35; Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/ Eisele, AT, § 2 Rn. 58; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 4; anders sieht dies Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 36 ff., 59, der das Strafrechtssystem des Allgemeinen Teils gegenüber dem Verfassungsrecht als autonom einstuft. 42  Strafe ist stets eine tadelnde Übelszufügung (in unterschiedlichen Ausprägun­ gen), welche vor allem verbürgte Freiheitsrechte betrifft, vgl. Freund, AT, § 1 Rn. 1; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 15; Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 5. 43  BVerfGE 39, 1, 45; ähnlich BVerfGE 90, 145, 172; i. d. S. auch Dubber, FS Lü­ derssen, S. 179 sowie Appel, Verfassung und Strafe, S. 19 f. m. w. N. in Fn. 2, 23, 25, der dies jedoch relativiert, indem er andere staatliche Maßnahmen benennt, die für den Betroffenen ebenso bzw. gar schwerer wiegen können, S. 27. 44  Freund, AT, § 1 Rn. 1; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 37; i. d. S. auch Jung, GA 1996, 507, 511, wonach der Zwangscharakter des Strafrechts dieses Rechtsgebiet zu „dem Prüfstein für das Konzept rechtsstaatlicher Garantien“ werden lasse; Sachs, in: Unternehmensstrafrecht, S. 195 ff.; Weigend, FS Hirsch, S. 917 ff. Vgl. zu den Legitimationsbedingungen staatlicher Eingriffe bereits oben (Zweiter Teil  C.) sowie speziell für die strafrechtliche Beurteilung, insbesondere im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Appel, Verfassung und Strafe, S. 19 f., 22 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 ff., 139 ff.; ders., Vorsatz und Risiko, S. 47; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 137 ff., 275 ff.; Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, Vor § 1 Rn. 30 ff.



A. Aufgabe und Legitimation von Strafe23

dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar sein,45 dessen Prüfung im „Zentrum der Dogmatik zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen“46 steht und damit im Strafrecht einen klassischen Anwendungsfall findet.47 Konkret geht es um die „Legitimation der Ermäch­ tigung zum Vorwurf“, auf dem alle Sanktionsmittel aufbauen.48 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz trat in seinen grundlegenden Aussagen bereits früh in Erscheinung. Schon Beccaria hat sachlich zutreffend darauf hingewiesen, dass eine rationale und zugleich gerechte Strafe unter anderem „notwendig“ und „die unter den gegebenen Umständen kleinstmögliche“ so­ wie „den Verbrechen angemessen“ sein müsse.49 Dies bestätigte auch das BVerfG in einer frühen Entscheidung, wonach „die angedrohte Strafe in ei­ nem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zu dem Verschulden des Täters stehen muß“ und „nach Art und Maß der unter Strafe gestellten Hand­ lung nicht schlechthin unangemessen oder grausam sein“ darf.50

I. Legitimes Ziel der strafrechtlichen Sanktionsnorm – Was bezweckt Strafe? 1. Strafe als Instrument des Rechtsgüterschutzes? Für die Konkretisierung der Frage nach dem Sinn und Zweck von Strafe ist es unumgänglich zu klären, was Strafe ausdrückt bzw. was es bedeutet, in 45  Andere Vorgaben, die sich aus Art. 103 Abs. 2 GG und mittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben (etwa der Gesetzlichkeitsgrundsatz sowie der sich daraus ableitende Bestimmtheitsgrundsatz, das Rückwirkungs- und das Analogieverbot), ha­ ben für die Betrachtung gerichtet auf juristische Personen keine eigenständige Bedeu­ tung. Vgl. hierzu aber allgemein Appel, Verfassung und Strafe, S. 22 ff.; Freund, AT, § 1 Rn. 22; Julia Heinrich, Die gesetzliche Bestimmung von Strafschärfungen, S. 51 ff. sowie gerichtet auf Strafe und Maßregeln Remde, Präventiver Freiheitsent­ zug, S. 31 ff. 46  Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 8; zur Notwendigkeit der Rechtfertigung von Strafe vgl. ausführlich Zürcher, Legitimation von Strafe, S. 17 ff. 47  Kritisch sieht das Appel, Verfassung und Strafe, S. 182 ff., der bei einer  – wie vom BVerfG dargelegten – generalpräventiven Ausrichtung des Strafrechts dem Ver­ hältnismäßigkeitsgrundsatz im Strafrecht wegen der Unsicherheiten und Prognoseab­ hängigkeit der Regelungen eine „geringe Durchschlagskraft“ beimisst. 48  Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 287; vgl. auch Frisch, NStZ 2013, 249, 253, der das Verhältnismäßigkeitsprinzip als „vernunftorien­ tierte Endkontrolle“ bezeichnet; zur Verhältnismäßigkeit im Strafrecht und Strafpro­ zessrecht vgl. Wolter, NStZ 1993, 1, 4 f., der jedoch das Verhältnismäßigkeitsprinzip als weder „systembildend“ noch „systembegrenzend“ ansieht, da das „einigende Band des Verfassungsrechts“ zu lose geknüpft sei. 49  Beccaria, Von Verbrechen und Strafen, XLII, S. 114. 50  BVerfGE 6, 389, 439.

24

3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

Abgrenzung zu nicht strafrechtlich relevantem Geschehen von einer Straftat zu sprechen. Allerdings sind die Begriffe der Strafe und der Straftat sowohl juristisch als auch philosophisch beeinflusst und wurden in den vergangenen Jahrhunderten vielfach diskutiert und auf sehr unterschiedliche Weise konzi­ piert.51 Insofern bedarf es hierfür eines Blickes auf die Straftheorien, d. h. eines Blickes auf die Frage, was Strafe ist bzw. welche Funktion sie hat. Die Herausarbeitung des heute überzeugenden Begriffs der Strafe und des darauf bezogenen Straftatbegriffs hat ihren Ursprung nämlich maßgeblich in der Statuierung eines zulässigen Strafzwecks und der konsequenten Abkehr von über lange Zeit diskutierten Straftheorien, die so nicht mehr vertreten werden können.52 Im Wesentlichen stehen sich innerhalb der Strafrechtswissenschaft zwei Konzepte hinsichtlich der Strafzwecke gegenüber, die als absolute und rela­ tive Theorien bezeichnet werden. Letztere zielen – mit verschiedenen Er­ scheinungsformen im Einzelnen – auf die Verhinderung von Straftaten in der Zukunft ab.53 Innerhalb der relativen Straftheorien werden wiederum zwei Ansätze unterschieden, die General-54 und die Spezialprävention55. 51  Vgl. hierzu Frisch, GA 2015, 65; ders., GA 2007, 250 ff., 255 ff. (insbesondere auch zum Einfluss der Rechtsphilosophie auf die Diskussion über den Sinn und Zweck von Strafe). 52  Vgl. dazu sogleich die Darstellung der sog. absoluten Straftheorien. 53  Zu den Anfängen relativer Straftheorien vgl. Beccaria, Von Verbrechen und Strafen, XVI, S. 51 ff.; XLI, S. 107 ff. 54  Vgl. zur positiven Generalprävention, bei der die Bestrafung als Bestätigung der Normgeltung für die Allgemeinheit dient, u. a. Jakobs, Staatliche Strafe, S. 31 ff.; Kindhäuser, AT, § 2 Rn. 14; ders., Gefährdung als Straftat, S. 343 ff.; Meier, Straf­ rechtliche Sanktionen, S. 22 f.; Müller-Dietz, FS Jescheck, S. 813 ff.; Peralta, ZIS 10/2008, 506 ff.; Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 2 Rn. 26 ff. Hin­ sichtlich der negativen Generalprävention, bei der die Bestrafung des Täters als „ne­ gatives Exempel“ (so Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 10 f. m. w. N. zu Vorund Nachteilen der negativen Generalprävention) andere von der Begehung von Straftaten abhalten soll, vgl. Feuerbach, Lehrbuch, §§ 13 ff., 81 sowie überblicksartig Hörnle, Straftheorien, S. 24 f.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 22 ff.; kritisch hinsichtlich etwaiger Effekte etwa Timm, Gesinnung und Straftat, S. 43. 55  Ausführlich zur auf v. Liszt, ZStW 3 (1883), 1 ff., zurückgehenden Spezialprä­ vention Frister, AT, Kap. 2 Rn. 14 ff.; Gropp, AT, § 1 Rn. 189 ff.; Hörnle, Straftheo­ rien, S. 20 ff.; Krey/Esser, AT, § 5 Rn. 142 ff.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 24 ff.; Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 2 Rn. 32 ff. Zur Spezialprä­ vention bei Strafe vgl. auch Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 422 ff., der bei Strafe von einem „präventiven Überschuss“ spricht, S. 516. Insofern könnten im Rahmen der angemessenen Reaktion auf einen Verhaltensnormverstoß in Form von Strafe durchaus dann auch spezialpräventive Aspekte Berücksichtigung finden, z. B. durch die Resozialisierungsaufgabe des Staates. Jedoch werde hierdurch nicht die Spezial­ prävention zum Zweck der Bestrafung, vielmehr finde sie gelegentlich mit dieser statt. Dies sei etwa bei „funktional äquivalenten“ Straftaten der Fall, von denen man­



A. Aufgabe und Legitimation von Strafe25

Im Rahmen der absoluten Theorien steht – anlehnend an die Ideen He­ gels56 und Kants57 – allein die Vergeltung der begangenen Tat aus Gerech­ tigkeitsgründen im Mittelpunkt.58 Der Täter soll, weil er einem anderen in che „spezialpräventiv schädlich und andere spezialpräventiv nützlich“ seien. Hier werde der Normgeltungsschaden auch dann abgewendet, wenn man sich für die dem Täter in der Zukunft förderlichere Strafe entscheide. Schünemann, ZIS 1/2014, 1, 2, spricht insofern i. R.d. Spezialprävention von nützlichen „side effects“. Weiterführend dazu Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 13, 15, 21, 28 f. (mit etwaigen Beispie­ len), 37 f. Darüber hinaus könne Spezialprävention im Rahmen der Strafzwecke aber keine Rolle spielen, andernfalls müsste immer dann auf Strafe verzichtet werden, wenn es an einer spezialpräventiven Notwendigkeit gegenüber dem Täter fehlt, etwa bei einer einmaligen Begehungsmöglichkeit oder anderen Beweggründen, die dann beglichen sind, vgl. Frisch, GA 2015, 65, 71; Spezialprävention sei demnach nur ei­ nes von mehreren Zielen, welches nicht einmal durchgehend Bedeutung finde, ders., ZStW 102 (1990), 343, 360. Darüber hinaus bestehe die Gefahr, dass ein „Delikts­ recht, das einseitig auf spezialpräventive Zwecke ausgerichtet“ sei, die Wendung zu einer drakonischen Bekämpfung von „Volksschädlingen“ nehmen könne, wenn ihm ein begrenzendes Prinzip – etwa der Schuldausgleich – fehle, vgl. Zippelius, Rechts­ philosophie, S. 200. Kritisch auch Murmann, FS Frisch, S. 1131, 1138 f. Zur weiter­ führenden Kritik bezüglich der Spezialprävention bei Strafe, die auf ein reines Täter­ strafrecht abziele, vgl. auch Timm, Gesinnung und Straftat, S. 115 ff. m. w. N. in Fn. 316, 317; hinsichtlich der Bedeutung spezialpräventiver Zielsetzungen, die ledig­ lich als „theoretisches Fundament“ im Polizeirecht Anwendung fänden, dort aber ei­ nen legitimen Stellenwert innerhalb der Gesamtrechtsordnung inne hätten, vgl. S. 44 mit Fn. 96, 112 ff., 118; i. d. S. auch Freund, in: Straftat, S. 43 ff. mit Fn. 3; Frisch, ZStW 94 (1982) 565 ff.; Müller-Dietz, ZStW 94 (1982), 599 ff.; vgl. auch Roxin, AT I, § 6 Rn. 23. Zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung in diesem Zusam­ menhang noch unten (Fünfter Teil B. I.). 56  Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 101; eine Auseinandersetzung mit den Prämissen Hegels findet sich auch im Sammelband „Strafe – Warum?“, hrsg. v. Andrew v. Hirsch. 57  Kant, Metaphysik der Sitten, S. 225 ff.; i. S. dieser Einordnung Kants etwa Freund, AT, § 1 Rn. 3 f. mit Fn. 5; Gropp, AT, § 1 Rn. 173 ff.; Jakobs, AT, 1/19; ders., Staatliche Strafe, S. 11 ff.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 2 ff. m. w. N. in Fn. 3; ders., GA 2015, 185, 187 f.; gegen diese Einordnung Altenhain, GS Keller, S. 1 ff.; Bielefeldt, GA 1990, 108 ff.; Byrd/Hruschka, JZ 2007, 957 ff.; Mosbacher, ARSP 90 (2004), 210 ff. 58  Im Sinne einer strengen Anwendung der Vergeltungstheorie vgl. Kants Inselbei­ spiel: „Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflöste (z.B das eine Insel bewohnende Volk beschlösse, auseinander zu gehen und sich in alle Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Thaten werth sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf die Bestrafung nicht ge­ drungen hat, weil es als Theilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtig­ keit betrachtet werden kann“ (Kant, Metaphysik der Sitten, S. 229); zur Idee der Vergeltung aus jüngerer Zeit Bielefeldt, GA 1990, 108 ff.; Walter, ZIS 7/2011, 636 ff. Vgl. auch Duff, in: Tatproportionalität, S. 23, 43, wonach der Täter durch die Übels­ zufügung das Unrecht seines Verhaltens erkenne, bereue und wiedergutmache. Vgl. auch Kargl, GA 1998, 53 ff. sowie überblicksartig Krey/Esser, AT, § 5 Rn. 132 ff.; kritisch Timm, Gesinnung und Straftat, S. 53 m. w. N. in Fn. 137.

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

irgendeiner Form Leid zugefügt hat, dieses ebenfalls zu spüren bekommen. Strafe soll demnach lediglich Selbstzweck in Form eines nachträglichen (re­ pressiven) Unrechts- und Schuldausgleichs und gänzlich losgelöst von etwa­ igen präventiven Zweckerwägungen für die Zukunft sein.59 In diesem Ver­ ständnis zeigt sich jedoch bereits die Schwäche jener Theorien: Der Staat erkennt die Grundrechte jedes Menschen – auch die des Täters – an. Er darf nur dann in diese Rechte eingreifen, wenn dabei die verfassungsrechtlichen Begrenzungen, die stets für solche staatlichen Eingriffe gelten, gewahrt wer­ den, wenn also insbesondere ein legitimer Zweck in Form des Schutzes ei­ ner anderen rechtlich geschützten Position vorliegt und der staatliche Ein­ griff für die Aufrechterhaltung dieser Position notwendig ist.60 Durch eine zweckfreie (funktionslose) Übelszufügung beim Täter in Form der Strafe kann der Staat jedoch keine andere schützende Wirkung entfalten, sodass absolute und gänzlich zweckfreie Straftheorien einer grundsätzlichen Legiti­ mation von Strafe entbehren.61 Kurz gesprochen: Strafe kann niemals Selbst­ zweck sein. Vielmehr muss der Einsatz von Strafe stets zweckrational legi­ timierbar sein.62 Durch eine Bestrafung wird massiv in grundrechtlich ver­ bürgte Rechtspositionen eingegriffen; die Legitimation solcher staatlicher Eingriffe kann daher nur aufgrund eines wichtigen staatlichen Ziels erfolgen. In keinem Fall ist es dem Staat erlaubt, eine absolute Gerechtigkeit herstel­ len zu wollen,63 wie es anhand einer rein auf gerechte Vergeltung orientier­ 59  Vgl. zur Idee des Schuldausgleichs durch Strafe auch Haas, Strafbegriff, Staats­ verständnis und Prozessstruktur, S. 261 f.; Kühl, FS Volk, S. 275, 279 ff.; kritisch hierzu Frisch, GA 2015, 65, 71; Roxin, JuS 1966, 377, 378; ders., GA 2015, 185, 187 ff.; Schünemann, ZStW 126 (2014), 1, 8 f.: Es erscheine fraglich, inwiefern es möglich ist, dass Strafe die Schuld des Täters wirklich auszugleichen vermag; hierfür sei etwa das Zivilrecht, nicht aber ein staatlicher „Tadel des Täters“ tauglich. Vgl. auch BGHSt 24, 40, 42, wonach Strafe nicht die Aufgabe habe, „Schuldausgleich um ihrer selbst willen zu üben“, sondern nur gerechtfertigt sei „wenn sie sich zugleich als notwendiges Mittel zur Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Strafrechts er­ weist“. I. d. S. auch Freund, AT, § 1 Rn. 2; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 200. 60  Gropp, AT, § 1 Rn. 105. 61  Freund, AT, § 1 Rn. 4; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 28; ders., in: Straftat, S. 43, 73 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 305 f.; vgl. hierzu auch Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 19 ff.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 8; ders., GA 2015, 185, 188; umfassend geht Timm, Gesinnung und Straftat, S. 53 ff., auf den Stellenwert absoluter Straftheorien und etwaige Kritik hieran i. R. eines Strafrechtskonzeptes ein. 62  Freund, AT, § 1 Rn. 2. 63  Dies wäre dem Staat ohnehin nicht möglich, vgl. Gropp, AT, § 1 Rn. 180; Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S. 43 ff. Zudem müsste dann die Frage beantwor­ tet werden, warum allein Strafe zur Herstellung von Gerechtigkeit eingesetzt werden soll, nicht aber z. B. andere Ausgleichsmaßnahmen etwa in Form einer Wiedergutma­ chung, vgl. Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 20; Remde, Präventiver Freiheitsent­ zug, S. 9. Vgl. auch Roxin, AT  I, § 3 Rn. 8; ders., GA 2015, 185, 188, wonach der



A. Aufgabe und Legitimation von Strafe

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ten Strafe zu fordern wäre.64 Eine gänzlich zweckfreie Strafe ist daher nicht legitimierbar. Straftheorien, die Strafe allein um ihrer selbst fordern, sind zu verwerfen.65 Ein wichtiges Anliegen der staatlichen Gemeinschaft liegt hingegen im Schutz der Daseins- und Entfaltungsbedingungen des Einzelnen, die durch Straftaten gefährdet werden, mithin im Rechtsgüterschutz.66 Diese Einsicht gründet auf der Vorstellung, dass der Staat die Rechtsgüter des Einzelnen zu schützen hat. Warum dies der Fall ist, ergeben staatstheore­ tische Erwägungen: Nach Hobbes haben sich die Menschen im Rahmen eines Gesellschaftsvertrages,67 der durch die Unterwerfung der Bürger unter den Staat und deren hierdurch eingeschränkte Freiheitsbestrebungen im Aus­ tausch gegen Sicherheit und Schutz entstehe, zusammengeschlossen, um so der Willkür des andernfalls herrschenden Naturzustandes zu entgehen.68 Durch die Übertragung des Gewaltmonopols auf den Staat könne eben dieser die Sicherheit der Menschen auch garantieren, indem er mit entsprechenden Maßnahmen gegen diejenigen vorgehen kann, die sich gegen die Ordnung auflehnen. Insofern sei der Schutz der Bürgerinnen und Bürger  – wie im Gesellschaftsvertrag mit ihnen als Gegenleistung für ihre Unterwerfung be­ Staat als „menschliche Einrichtung“ weder fähig noch berechtigt sei, „die metaphysi­ sche Idee der Gerechtigkeit zu verwirklichen“. S. dazu auch Frisch, GA 2015, 65, 70. 64  Vgl. statt vieler Freund, AT, § 1 Rn. 2, 4; ders., GA 1995, 4, 5 f.; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 37 ff., wonach eine „absolute, vollkommen zweck­ freie Straftheorie“ mit dem Verfassungsrecht nicht vereinbar sei, der Gedanke der „gerechten Vergeltung“ aber durchaus einen berechtigten Stellenwert besitze, jedoch ausschließlich unter Berücksichtigung der Straffunktion auch für die Zukunft; i. d. S. auch Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 46; Heinrich, AT, Rn. 14; Müller-Dietz, Grundfragen, S. 72; Roxin, AT  I, § 3 Rn. 37; ders., GA 2015, 185, 187 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 40. 65  Zum dennoch berechtigten Stellenwert des hier beschriebenen Ausgleichs unten (Dritter Teil A. II., III.). 66  Freund, AT, § 1 Rn. 2, 4, 5, 10, 23 m. w. N.; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 37 ff.; vgl. auch Berz, Rechtsgüterschutz, S. 32 ff.; Gropp, AT, § 1 Rn. 199; Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 149 ff.; Noll, FS Mayer, S. 219 ff., 227; Roxin, AT I, § 3 Rn. 1 ff.; ders., GA 2015, 185, 190 ff.; Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, Vor § 1 Rn. 30. Zum Begriff des Rechtsguts und den Versuchen einer Begrenzung des Straf­ rechts vgl. die Ausführungen bei Appel, Verfassung und Strafe, S. 340 ff.; Frister, AT, Kap. 3 Rn. 20 f.; Jakobs, AT, 2/12 ff.; Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 194 ff.; Krey/ Esser, AT, § 1 Rn. 5 ff.; Rengier, AT, § 3 Rn. 3 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn.  11 f. Nach Roxin, AT  I, § 2 Rn. 7, sind dies „alle Gegebenheiten oder Zwecksetzungen […], die für die freie Entfaltung des Einzelnen, die Verwirklichung seiner Grund­ rechte und das Funktionieren eines auf dieser Zielvorstellung aufbauenden staatlichen Systems notwendig sind“. 67  Zum Modell des Gesellschaftsvertrages vgl. die Nachweise bei Timm, Gesin­ nung und Straftat, S. 42, 81 f., 138 f., 238, 262 ff. 68  Vgl. hierzu Timm, Gesinnung und Straftat, S. 42, 81, 136.

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

stimmt  – Hauptaufgabe des Staates.69 In diesem Zusammenhang könne sich der Staat jedoch nicht allein auf seinen Schutzbereich gegenüber dem einzel­ nen Bürger beschränken, vielmehr müsse er auch im Verhältnis der Bürger untereinander tätig werden, wenn die Freiheitsausübung eines Bürgers mit Beeinträchtigungen eines anderen einhergehe.70 Insofern bilden die Grund­ rechte, die klassischerweise als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat fungieren,71 gleichzeitig ein Fundament für staatliche Schutzpflichten gegen­ über dem Einzelnen. Durch das Strafrecht wird gerade diese Schutzaufgabe des Staates für die Rechtsgüter bzw. berechtigten Interessen der Bürger rea­ lisiert.72 2. Das normentheoretische Konzept der personalen Straftatlehre Allein zur Zufügung von Leid ist Strafe nicht legitimierbar, sondern nur dann, wenn der Staat hierdurch seine im Rahmen der ihm obliegenden Schutzpflicht bestehende Rechtsgüterschutzaufgabe verwirklicht und die Zu­ fügung von Leid hierfür unumgänglich ist. Allerdings stößt auch der Rechtsgüterschutzgedanke an Grenzen: Der Schutz konkreter Rechtsgüter, wie etwa des Lebens, der körperlichen Unver­ sehrtheit oder der Freiheit, kann niemals durch Strafe erreicht werden. Zum Zeitpunkt der Bestrafung hat sich die strafrechtlich relevante Tat bereits er­ eignet; das Kind ist bildlich gesprochen bereits in den Brunnen gefallen.73 69  Daher wird dem Staat überwiegend eine generelle Schutzpflicht bezüglich ele­ mentarer Daseins- und Entfaltungsbedingungen zugesprochen, Amelung, Rechtsgüter­ schutz und Schutz der Gesellschaft, S. 318 ff.; Bettermann, Der totale Rechtsstaat, S. 6 f.; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 78; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 46 ff.; Murmann, AT, § 8 Rn. 2 f. Vgl. zu den unterschiedlichen Ansätzen hinsicht­ lich der Begründung staatlicher Schutzpflichten Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 59 ff.; Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 30 ff. sowie zu den Ansätzen des BVerfG ausführlich Appel, Verfassung und Strafe, S. 62 ff., 163 ff. 70  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410 ff.; Calliess, JZ 2006, 321, 322 ff., 325. 71  Statt vieler Arndt/Fetzer, Öffentliches Recht, Rn. 362; Hufen, Staatsrecht II, § 5 Rn. 1 ff.; Kingreen/Poscher, Staatsrecht  II, Rn. 80 ff. Die einzigen tatsächlich im Grundgesetz verankerten Schutzpflichten finden sich in Art. 6 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. 72  Vgl. hierzu auch BVerfGE 27, 18, 29; 39, 1, 46; 45, 187, 253 (Schutz der „ele­ mentaren Werte der Gemeinschaft“); 88, 203, 257; 90, 145, 184 (Schutz „wichtige[r] Gemeinschaftsbelange“); Calliess, JZ 2006, 321, 322 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 46 ff.; Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 27. Die konkrete Ermächtigungsgrundlage für dieses ius puniendi des Staates ergibt sich insoweit aus der in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG normierten konkurrierenden Gesetzgebung, die hierdurch beim Bund liegt. 73  Freund, AT, § 1 Rn. 6; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 80 f.; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 66; ders., GA 2010, 193, 195; Gropp, AT, § 1 Rn. 143; i. d. S. auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 452 ff.



A. Aufgabe und Legitimation von Strafe29

Eine dem Rechtsgüterschutzgedanken entsprechende Verhaltenskontrolle setzt demnach weit vor einer möglichen strafrechtlichen Reaktion an. Durch die Strafe selbst erfolgt daher kein Schutz konkreter Rechtsgüter, die durch die begangene Straftat bereits beeinträchtigt worden sind. a) Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm – Verschiedenheit der Rechtsgüter Der Gedanke des Rechtsgüterschutzes kann somit nicht ohne eine wichtige Modifikation auf die Zielsetzung der Strafe übertragen werden. Strafe kommt für den konkreten Rechtsgüterschutz immer zu spät, die spezifische Zielset­ zung der Strafe muss insofern in anderer Form konkretisiert werden. Dies kann allein anhand der beiden auf die Normenlehre Bindings74 zu­ rückgehenden Normenkategorien geschehen:75 Rechtsgüterschutz kann immer nur für die Zukunft erfolgen. Dies ge­ schieht durch das Aufstellen von Ge- und Verboten, denen sich die Bürger unterordnen und sich so gegen gütergefährdende oder -schädigende Verhal­ tensweisen entscheiden.76 Jene Ge- und Verbote werden als Verhaltensnor­ men bezeichnet. Eine solche Verhaltensnorm ist etwa in dem ganz allgemein formulierten und im Einzelfall konkretisierungsbedürftigen Verbot „Du sollst nicht töten!“ zu erblicken.77 Der jeweiligen Verhaltensnorm liegen konkrete Rechtsgüter – wie Leben, Leib, Eigentum – zugrunde.78 Wird die Verhaltens­ 74  Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 155 ff.; vgl. hierzu auch Lagodny, Straf­ recht vor den Schranken der Grundrechte, S. 80 f. 75  Zur Unterscheidung von Verhaltens- und Sanktionsnorm Appel, Verfassung und Strafe, S. 431 ff.; Freund, AT § 1 Rn. 5 ff.; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 51 ff., 85 ff., 112 f.; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 69; ders., GA 1995, 4, 6 ff.; ders., GA 2010, 193, 194 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 59 f., 77, 348, 356 f., 502 ff.; ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 ff.; ders., FS Stree/ Wessels, S. 69, 82 ff.; Kindhäuser, AT, § 2 Rn. 1 ff.; ders., Gefährdung als Straftat, S. 29 f., 132 ff.; Kühl, in: Lackner/Kühl, Vor  § 13 Rn. 6; Murmann, AT, § 8 Rn. 4 ff.; Otto, Jura 1995, 468, 471; Renzikowski, ARSP-Beiheft 104 (2005), 115, 116 ff.; ders., FS Gössel, S. 3 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 41 f.; Vogel, Norm und Pflicht, S. 27 ff. 76  Freund, AT, § 1 Rn. 5 ff., § 2 Rn. 10; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 81 f.; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 66 ff.; ders., GA 2010, 193, 195 f.; ders., in: Straftat, S. 43, 48; ders., FS Herzberg, S. 225, 229; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 41; vgl. auch Kindhäuser, AT, § 2 Rn. 6. 77  Freund, AT, § 1 Rn. 6; vgl. auch Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 2, wo­ nach eine Norm im Rahmen der sozialen Kontrolle jede rechtliche, ethische oder so­ ziale Regel sei, deren Befolgung unter bestimmten Bedingungen von den Mitgliedern der Gesellschaft erwartet werde. 78  Freund, AT, § 1 Rn. 9, 23; ders., GA 2010, 193, 195.

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

norm befolgt, so ist das entsprechende Rechtsgut angemessen geschützt und für eine Bestrafung des rechtstreuen Bürgers fehlt jegliche Berechtigung. Wird eine rechtlich legitimierte Verhaltensnorm hingegen übertreten, ist hierin ein Verstoß gegen die rechtliche Verhaltensordnung zu erblicken.79 Dieser kann den Anknüpfungspunkt einer Strafbarkeit bilden, er ist gewisser­ maßen Grundvoraussetzung der Strafbarkeit. Jedoch ist der Rechtsgüter­ schutzgedanke keine Besonderheit des Strafrechts, sondern als Legitimati­ onsgrundlage der Verhaltensnorm (selbstverständliche) Ursprung jedes staat­ lichen Ge- oder Verbots.80 Verhaltensnormen sind daher zunächst einmal strafrechtsneutral.81 Die Strafbarkeit eines Normverstoßes wird von den Sanktionsnormen als der zweiten Normenkategorie bestimmt, welche etwa in Form der Strafge­ setze ausgestaltet sind und die ihnen vorangestellte rechtlich legitimierte Verhaltensnorm mit einer Strafandrohung versehen. Nicht hingegen regeln die Sanktionsnormen, was ge- oder verboten ist; dies bestimmt sich allein anhand der vorgelagerten Verhaltensnormen.82 Den Sanktionsnormen liegen somit unmittelbar keine konkreten Rechtsgüter als Schutzgut zugrunde. Um Strafe gegenüber einer Person legitimieren zu können, muss jedoch auch nach begangener Rechtsgutsverletzung noch ein für die Sanktions­ norm – über die konkreten Rechtsgüter hinaus existierendes – zu schützendes und schutzfähiges Rechtsgut begründet werden können. Ein solches kann allein in der empirischen Geltungskraft der vom Straftäter übertretenen Ver­ haltensnorm liegen. b) Strafe als Mittel zur Abwendung eines Normgeltungsschadens Im Verstoß einer verantwortlichen Person gegen eine rechtlich legitimierte Verhaltensnorm ist stets eine Infragestellung der Normgeltung zu erblicken,83 weil der Normbrüchige konkludent zum Ausdruck bringt, dass anstelle der 79  Freund, AT, § 1 Rn. 12 ff.; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 51. Zur rechtlichen Legitimation von Verhaltensnormen noch unten [Dritter Teil A. I. 2. b) bb)]. 80  Appel, Verfassung und Strafe, S. 572; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 291. 81  Appel, Verfassung und Strafe, S. 569. 82  Freund, AT, § 1 Rn. 12. Diese zu bestimmen könne kein Strafrechtssystem leis­ ten, vielmehr seien Fragen nach der Legitimität von Verhaltensnormen anhand der Kriterien des zu schützenden Rechtsguts sowie der konkreten Art des Schutzes durch das Ge- oder Verbot bereits im Vorfeld zu bestimmen, so zutreffend Timm, Gesinnung und Straftat, S. 64. 83  Freund, AT, § 1 Rn. 8, 11a; Frisch, GA 2015, 65, 77.



A. Aufgabe und Legitimation von Strafe31

„Sollensanforderungen“ seine eigenen abweichenden Maximen gelten sol­ len.84 In der Tat gelten zwar die tatsächlichen Normanforderungen weiterhin, doch muss dies zum Schutz der empirischen Normgeltung auch verdeutlicht werden. Ohne eine auf den Verhaltensnormverstoß – d. h. den Widerspruch des Täters gegenüber der Verhaltensnorm – folgende Reaktion könnte dieser für künftige Fälle einen Normgeltungsschaden durch die Negation des legiti­ mierten Norminhaltes zur Folge haben, der in letzter Konsequenz in einen Normverfall umzuschlagen drohte.85 Eine solche Infragestellung oder gar Missachtung der Normgeltung kann daher grundsätzlich nicht ungeachtet hingenommen werden. Andernfalls ent­ stünde langfristig ein Schaden in Bezug auf die empirische Normgeltung.86 Daher ist auf eine Übertretung der Verhaltensnorm angemessen87 zu reagie­ ren. Diese Reaktion wird von der Sanktionsnorm beschrieben; sie definiert, ob und wie der Infragestellung der Geltungskraft einer Verhaltensnorm ent­ gegnet werden soll  – Rechtsgut der Sanktionsnorm ist daher die Geltungs­ kraft der Verhaltensnorm.88 Insofern ist Zweck der Bestrafung ausschließlich 84  Freund,

AT, § 1 Rn. 8; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 89. AT, § 1 Rn. 8, 12; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 82 ff., 89: In diesem Zusammenhang reiche auch bereits die begründbare Gefahr eines Normgel­ tungsschadens für das Eingreifen von Sanktionsnormen aus, da der Staat andernfalls seiner Schutzaufgabe nicht gerecht werde. 86  Freund, AT, § 1 Rn. 9; vgl. auch Frisch, GA 2015, 65, 77, der Strafe i. d. S. als die notwendige Reaktion beschreibt, deren es bedarf, um die in der Tat des Täters liegende Infragestellung der Normgeltung wirksam zurückzuweisen, „nämlich der sonst drohenden Schwächung der Präventionskraft der Strafdrohung entgegenzutre­ ten“, um so „die Verbindlichkeit der verletzten Verhaltensnorm weiter zu gewährleis­ ten“. Vgl. auch Jakobs, Staatliche Strafe, S. 28 ff.; ders., AT, 1/15, der i. S. general­ präventiver Zielsetzungen den Zweck der Strafe insofern als „Einübung in Normver­ trauen […], in Rechtstreue […], in die Akzeptation der Konsequenzen“ und schließlich „in Normanerkennung“ benennt. 87  Nur eine angemessene Reaktion auf den individuellen Verhaltensnormverstoß kann das Unrecht überzeugend abbilden und vom Täter und der Allgemeinheit akzep­ tiert werden; dies erfolgt i. R. einer Schuldstrafenbestimmung. Zur Angemessenheit vgl. Freund, AT, § 1 Rn. 10, 11a; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 107 f., 126; ders., GA 1995, 4, 7 ff.; ders., GA 1999, 509, 510, 534, 536 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 51 ff.; ders., ZStW 99 (1987), 349, 367 ff.; 372 f.; ders., FS BGH IV, S. 269, 279; Marquardt, Aspekte des Vikariierens, S. 28; Noll, FS Mayer, S. 219, 223; Schünemann, in: Tatproportionalität, S. 185, 194. Vgl. auch Freund, GA 2010, 193, 195, wonach demzufolge auch nur die gerechte Strafe notwendig sei; so auch bereits v. Liszt, ZStW 3 (1883), 1, 31. Näher zu den Aspekten der Schuldstrafenbestimmung unten (Dritter Teil  A. II., III.). Zur Angemessenheit der Strafzumessung vgl. auch Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 794 ff., zur Thematik der Akzeptanz von Normen in Bezug auf Gerechtigkeit ebenfalls ders., GA 2007, 250, 263 ff. 88  Appel, Verfassung und Strafe, S. 442 f.; 449 ff.; Freund, AT, § 1 Rn. 9, 23; § 2 Rn. 10; ders., GA 2010, 193, 195; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 67. 85  Freund,

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

der Schutz der Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm und nur ver­ mittelt durch die Verhaltensnorm der dieser zugrunde liegende Rechtsgüter­ schutz.89 Die Strafgesetze als solche – so auch potentielle strafrechtliche Sanktionen gegenüber juristischen Personen – ordnen demnach nur an, „auf welche Ver­ haltensnormverstöße unter welchen weiteren Voraussetzungen strafrechtlich reagiert werden soll“.90 Die Übertretung einer rechtlich legitimierten Verhal­ tensnorm, d. h. der Verstoß gegen eine solche, ist Mindestbedingung einer jeden Straftat.91 Das Strafrecht hat somit einen sekundären oder akzessori­ schen Charakter  – es wäre überflüssig, wenn die Verhaltensnormen der pri­ 89  Freund, AT, § 1 Rn. 7, 10, 11a; Frisch, FS BGH IV, S. 269, 278; vgl. auch Gropp, AT, § 1 Rn. 143; Kühl, in: Lackner/Kühl, Vor  § 13 Rn. 3 f.  – Dieses Konzept wird teilweise als „Verfeinerung“ der sog. positiven Generalprävention bezeichnet, vgl. Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 11. Zur Kritik einer rein generalpräventi­ ven Zielsetzung vgl. Appel, Verfassung und Strafe, S. 183 ff., der in diesem Zusam­ menhang die fehlende empirische Überprüfbarkeit generalpräventiver Zielsetzungen rügt; ebenso Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 82, der das im Präventionsgedanken liegende Sicherheitsbedürfnis als unerreichbares Ziel anführt. Weiterführende Kritik, die insbesondere i. R.d. Strafzumessung laut wird, kommt etwa von Hassemer, Straf­ recht, S. 50, der „das zentrale normative Problem des Präventionsparadigmas“ in seiner „Maßlosigkeit“ sieht. I. d. S. auch Timm, Gesinnung und Straftat, S. 45 ff., die Strafe niemals i. S. generalpräventiver Erwägungen als reines Mittel zur Förderung künftigen normgemäßen Verhaltens der Gesellschaftsmitglieder verstanden wissen möchte, sondern hierin allenfalls einen Nebeneffekt sieht, ohne den Strafe allemal legitimiert werden kann und zu legitimieren ist, S. 56 m. w. N. in Fn. 148. Zwar seien thematische Überschneidungen mit positiv generalpräventiven Erwägungen nicht zu übersehen, grundsätzlich müsse jedoch von einem absoluten Strafkonzept ausgegan­ gen werden (Fn. 150 m. w. N.). Insofern sei Kernpunkt der Strafe die „geltungssi­ chernde ausgleichende Ahndung des Verhaltensnormverstoßes“, vgl. Timm, Gesin­ nung und Straftat, S. 52 ff., 62. Vgl. hierzu auch Murmann, FS Frisch, S. 1131, 1136, wonach Prävention nicht die Strafe legitimiere, sondern der schuldangemessenen Strafe lediglich genauere Konturen verleihe. Aus der Perspektive der Prävention  – jedoch ebenfalls den Aspekt der Vergeltung miteinbeziehend  – argumentiert Freund, AT, § 1 Rn. 4, 10; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 37 ff., wonach im Rahmen eines zweckrationalen Strafrechtskonzeptes dem Gedanken der gerechten Vergeltung ein gebührender Stellenwert zukomme, indem nur eine angemessen miss­ billigende Reaktion auf den begangenen Normverstoß der Aufgabe der Strafe gerecht werde. I. d. S. auch Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 201, wonach nur eine Strafe, „die nicht bloß Präventivmaßnahme, sondern zugleich Vergeltung ist“, den Täter als eine zur Selbstbestimmung fähige Person achte. Auf dieser Linie auch Haas, Strafbegriff, Staatsverständnis und Prozessstruktur, S. 262 ff.; Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 20, 28, wonach eine an Tatschwere und Verschulden orientierte Strafe auch wirk­ lich verhängt werden muss. 90  Freund, AT, § 1 Rn. 12 m. w. N. Insofern ist es auch widersprüchlich, wenn von „Verstößen“ gegen die Sanktionsnorm die Rede ist. Vielmehr wird gegen eine Verhal­ tensnorm verstoßen, die Sanktionsnorm in Form des Strafgesetztes jedoch erfüllt. 91  Freund, AT, § 2 Rn. 8.



A. Aufgabe und Legitimation von Strafe33

mär geltenden rechtlichen Ordnung des Verhaltens der Bürger eingehalten würden.92 Mit der Bestrafung wird dem Täter vor Augen geführt, dass er sich gegen die Normgeltung gewendet hat, damit diese auch aus Sicht der Allgemein­ heit langfristig keinen Schaden nimmt. Ihm wird hierfür ein konkreter Vor­ wurf gemacht, der sich im Schuldspruch ausdrückt.93 Der Strafausspruch, etwa in Form von Geld- oder Freiheitsstrafe, wäre ohne den Schuldspruch nur ein sinnloses Übel, weil er keinen kommunikativen Inhalt besitzt.94 Die Voraussetzungen von Strafe als Mittel zur Abwendung eines Normgeltungs­ schadens ergeben sich daher schon aus ihrem Charakter selbst: Sie muss immer auch einen persönlichen Vorwurf dahingehend beinhalten, dass eine Verhaltensnorm übertreten wurde. Eine „Strafe“ ohne Vorwurf hingegen ist keine Strafe.95 aa) Verhaltensnormverstoß als Grundvoraussetzung der Strafbarkeit Als Grundvoraussetzung jeder Strafbarkeit muss nach dem oben Gesagten eine Verhaltensnorm begründbar sein, die dem Schutz eines konkreten Rechtsguts dient und im Hinblick auf andere betroffene Güter und Interessen rechtlich legitimiert werden kann.96 Nur dann ist das für die Sanktionsnorm notwendige Schutzgut in Form der Geltungskraft einer bestimmten Verhal­ tensnorm gegeben. 92  Appel, Verfassung und Strafe, S. 431 f. m. w. N. in Fn. 20; Freund, AT, § 1 Rn. 12; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 28, 125; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 28, 66; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 112 ff.; Sanktions­ normen haben insofern allein die „nachgelagerte“ Funktion, die bestehenden Verhal­ tensnormen in ihrem Bestand zu schützen, Timm, Gesinnung und Straftat, S. 64, 71 ff. 93  Schuldspruch und Strafe können daher als die staatliche Antwort auf die Beein­ trächtigung der Normgeltung angesehen werden, vgl. etwa Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 107 f. m. w. N. in Fn. 184. Zur Bedeutung des Schuldspruchs vgl. auch die Nachweise oben (Fn. 23). 94  Zum Begriff der Kommunikation in Bezug auf den mit der Strafe verbunden Tadel vgl. die Nachweise unten (Fn. 113). 95  Zu den Versuchen, dennoch eine „Strafe ohne Vorwurf“ gegenüber juristischen Personen zu begründen s. noch unten [Dritter Teil B I. 1. a) bb) (2)]. 96  Zum Kriterium der rechtlichen Legitimation vgl. Freund, Erfolgsdelikt und Un­ terlassen, S. 52 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 47 ff., 64 ff., wonach nicht „be­ liebige Verhaltensnormen in ihrer Geltungskraft mit den Mitteln des Strafrechts zu schützen“ seien, sondern ausschließlich „legitime Verhaltensnormen“. Dazu noch unten [Dritter Teil A. I. 2. b) bb)].

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

Um zu einem zweckrational legitimierten und damit sinnvollen Rechtsgü­ terschutzkonzept zu gelangen, muss somit zwingend ein System rechtlich legitimierter Verhaltensnormen – als primäre Normenordnung – bestehen.97 So sind spezifische Verhaltensanforderungen zu konkretisieren, die sich auf den Schutz konkreter Rechtsgüter beziehen und die von bestimmten Perso­ nen in bestimmten Situationen einzuhalten sind. bb) Verhältnismäßigkeit der Verhaltensnorm Für jede Verhaltensnorm muss insofern ein entsprechend schutzwürdiges Rechtsgut zu begründen sein, welches sich als legitimes Schutzobjekt ­erweist. Darüber hinaus muss die Verhaltensnorm  – ebenso wie die Sanktionsnorm bzw. der Straftatbestand als solcher – geeignet, erforderlich und angemessen sein, den angestrebten Zweck  – hier den konkreten Rechtsgüterschutz  – zu erreichen. Erst wenn diese Frage der Legitimation der Verhaltensnorm ge­ klärt ist, stellt sich die weitere Frage, ob bei einem Verhaltensnormverstoß eine Strafbarkeit in Betracht kommt.98 Geeignet können nur solche Verhaltensnormen sein, die im Verhaltenszeit­ punkt, also ex ante, ansetzen99 und so den Betreffenden, bereits bevor er ein schädigendes Verhalten vornimmt, an bestimmte Rechtsgüter schützende Geoder Verbote binden. Dabei muss der Betreffende auch zur Normbefolgung in der Lage sein. „Verhaltensnormen“, die von den potentiellen Normadres­ 97  Freund, AT, § 1 Rn. 11, 12 ff.; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 27 ff. Ebenso Timm, Gesinnung und Straftat, S. 48 f., die den Prozess der Verhaltensnorm­ bildung als einen „Wertungsakt“ bezeichnet; i. d. S. auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 431 f.; Frisch, FS Stree/Wessels, S. 69, 82. Vgl. auch Müller-Franken, FS Bethge, S. 223, 250, wonach das Grundgesetz voraussetze, dass die Bürger im Um­ gang miteinander auch von sich aus Normen bildeten, die einen verträglichen Ge­ brauch ihrer Freiheit ermöglichten. Nur so werde ein Zustand friedlicher Koexistenz erreicht, vgl. Freund, GA 2010, 193, 194 m. w. N. in Fn. 5. Auch Naucke, in: Haupt­ probleme der Generalprävention, S. 9, 23 f., stellt insofern – i. R.d. Konzepts der Ge­ neralprävention – klar, dass die Vereinbarkeit des Strafzwecks der Prävention mit den Grundrechten des Einzelnen davon abhängig sei, dass „der Kreis der präventionswür­ digen Verhaltensweisen gerecht festgelegt ist“. 98  Zum verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Rahmen der Verhaltensnormen s. Freund, AT, § 1 Rn. 17 ff.; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 52 ff., 73 ff.; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 163 ff.; ders., GA 1995, 4, 6 f.; ders., FS Herzberg, S. 225, 229; ders., in: Straftat, S. 43, 46 f.; Frisch, Tatbe­ standsmäßiges Verhalten, S. 74 ff., 129 f.; ders., FS Stree/Wessels, S. 69, 82 f.; Georgy, Verantwortlichkeit von Amtsträgern, S. 21 f.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 64 ff. 99  Zur Beurteilung der Verhaltensnorm aus ex-ante Perspektive vgl. Freund, Er­ folgsdelikt und Unterlassen, S. 56 ff., ders., GA 2010, 193, 195; i. d. S. auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 86.



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saten gar nicht befolgt werden können, sind gerade nicht für den Schutz konkreter Rechtsgüter geeignet.100 Im Rahmen der Erforderlichkeit ist vor allem darauf abzustellen, ob der Zweck des Ge- oder Verbots auch durch eine weniger belastend wirkende andere Verhaltensnorm zu erreichen ist; dann ließe sich nur diese im Hin­ blick auf die Einhaltung des konkreten Nutzens legitimieren.101 Den zu schützenden Rechtsgütern steht insbesondere die Handlungs- und Entfaltungsfreiheit des potentiell Normunterworfenen gegenüber: Dieser wird bereits durch das Aufstellen etwaiger Verhaltensge- oder verbote in seinen Gütern und Interessen beschränkt.102 Die Legitimation der Verhaltens­ normenordnung muss daher anhand einer Güter- und Interessenabwägung erfolgen, welche die sich gegenüberstehenden Schutzrichtungen im Einzelfall miteinander in Beziehung setzt.103 Es ist naheliegend, dass im Rahmen eines solchen Abwägungsprozesses Kollisionen zwischen den Belangen der betei­ ligten Personen entstehen  – konkret jedenfalls der Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG auf der einen und Rechtsgütern, wie Leben, Leib, Freiheit oder Eigentum auf der anderen Seite.104 Dieses „Kollisionsproblem“105 muss – soweit es nicht auf andere Weise gelöst werden kann – angemessen für eine Seite entschieden werden. So wird automatisch ein sachgerecht limitiertes,106 aber auch flexibles – d. h. sich den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen anpassendes  – System legitimer Verhaltensnormen geschaf­ fen, welches sich auf den Schutz konkreter Rechtsgüter bezieht. 100  Vgl. Appel, Verfassung und Strafe, S. 439, der insoweit den Begriff der „objek­ tiven Unmöglichkeit“ gebraucht. 101  Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 73. 102  Zwar stellt die Vollstreckung der Strafe sicherlich den deutlichsten Grundrecht­ seingriff innerhalb des Strafrechts dar, dennoch wird durch die vorgelagerte Verhal­ tensnorm bereits ex-ante auf den Bürger eingewirkt, seine Entscheidung für und ge­ gen eine strafbare Handlung beeinflusst und so auf seine Freiheitsinteressen einge­ wirkt, Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 52; ders., GA 2010, 193, 194. Vgl. auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 173; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 95, wonach Prüfungsmaßstab für die Verhaltensvorschrift ein spezielles Freiheitsgrundrecht oder die allgemeine Handlungsfreiheit sei; ebenso Timm, Gesinnung und Straftat, S. 64. I. d. S. auch  – wenngleich im Folgenden etwas relativierend – Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 365. 103  Freund, AT, § 1 Rn. 13, 17; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 64. 104  Bei juristischen Personen ist an deren Rechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG zu denken. 105  Freund, AT, § 1 Rn. 17. 106  Das bedeutet aber auch ein teils bewusst lückenhaftes System rechtlich legiti­ mierter Verhaltensnormen, vgl. z. B. die Fälle des sogenannten erlaubten Risikos, etwa im Straßenverkehr; s. dazu Freund, AT, § 1 Rn. 14; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 155 f. mit Beispielen.

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c) Zur Klarstellung: Getrennte Verhältnismäßigkeitsprüfungen beider Normenkategorien Es zeigt sich, dass im Hinblick auf die Differenzierung der Normenkatego­ rien die Anknüpfungspunkte und Abwägungsinteressen hinsichtlich Verhal­ tens- und Sanktionsnorm stets gesondert betrachtet werden müssen:107 Zu­ nächst ist zu klären, ob die Verhaltensnorm den Maßstäben des Grundgeset­ zes entspricht, insbesondere zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist, um etwa die Handlungsfreiheit des Betref­ fenden rechtmäßig einschränken zu können. Nur wenn ein Verstoß gegen eine solche rechtlich legitimierte Verhaltensnorm als Mindestbedingung der Strafbarkeit, bezogen auf konkret in Rede stehende Rechtsgüter und Interes­ sen, begründet werden kann, sind weitere Kriterien der Strafbarkeit zu be­ trachten. So ist dann die Frage zu erörtern, ob darüber hinaus auch die Sanktionsnorm dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, d. h. die rechtlich missbilligte Übertretung der Verhaltensnorm tatsächlich mit den Mitteln des Strafrechts zu sanktionieren ist.108 Es findet somit im Rahmen des Strafrechts eine doppelte oder zweistufige Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich der Verhaltens- und der Sanktions­ norm statt,109 welche sich jeweils auf die konkret gegenüberstehenden be­ 107  Anders sieht dies Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 211 ff., 218 f., 224 ff., 364 ff., der die Frage aufwirft, ob eine solche strikte Trennung von Verhaltens- und Sankti­ onsnorm i. R.d. Verhältnismäßigkeitsprüfungen möglich sein kann, schließlich sei insbesondere bei der Bestimmung der Eingriffstiefe innerhalb der Angemessenheits­ prüfung der Verhaltensnorm zu berücksichtigen, ob es sich um eine strafbewehrte handele. In diesem Falle nämlich müsse die Rechtsfolge  – als besonders gravie­ rende – innerhalb der Abwägung des Eingriffs durch die Verhaltensnorm spezielle Berücksichtigung finden. Indessen verkennt diese Betrachtungsweise, dass bei undif­ ferenzierter Betrachtung schon die Bestimmung des legitimen Zwecks der jeweiligen Norm nicht möglich ist, vgl. dazu auch Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 28 mit Fn. 41. 108  I. d. S. Appel, Verfassung und Strafe, S. 322, 559, wonach auch die Verhaltens­ norm „einer genauen abwehrrechtlichen Grundrechtsprüfung“ unterzogen werden müsse. Anders sei dies bei rein polizeirechtlichen Maßnahmen: Ihnen liege gerade kein staatlicher Vorwurf zugrunde, sodass eine zusätzliche Legitimation der Maß­ nahme nicht erforderlich sei, vgl. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grund­ rechte, S. 291. 109  Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 f. mit Fn. 33. Ebenso Freund, Er­ folgsdelikt und Unterlassen, S. 86; zur im Vorfeld an die Sanktionsnorm eigenständig zu legitimierenden Verhaltensnorm vgl. auch Timm, Gesinnung und Straftat, S. 64 ff. Für eine strikte Trennung spricht sich auch Vogel, Norm und Pflicht, S. 28, aus. Dass auch das BVerfG mittlerweile eine solche zweistufige Prüfung vornimmt, zeigt Appel, Verfassung und Strafe, S. 79 m. w. N. in Fn. 96. Auch Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 153, macht deutlich, dass Verhaltensnorm und Sanktionsnorm „gesondert zu rechtfertigen“ sind.



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rechtigten Belange bezieht. Die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte in Form des „legitimen Zwecks“ bilden dabei zum einen für die Sanktions­ norm  – wie erläutert  – der Strafzweck in Form des Schutzes der Normgel­ tung, zum anderen auf der vorgelagerten Ebene der Verhaltensnorm der konkrete Rechtsgüterschutz, der lediglich mittelbar innerhalb der Sanktions­ norm Berücksichtigung findet.110

II. Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Sanktionsnorm Das oben Gesagte verdeutlicht auch, dass im Rahmen der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Sanktionsnorm nicht allein darauf abgestellt wer­ den darf, ob ein Rechtsgut hierdurch geschützt werden kann. Der Einsatz von Strafe muss vielmehr anhand des Strafzwecks (bezugnehmend auf ein be­ stimmtes Rechtsgut) konkretisiert werden, d. h. er muss zum Schutz der durch den Verhaltensnormverstoß gefährdeten Normgeltung geeignet, erfor­ derlich und angemessen sein.111 Hierbei gilt es stets, den besonderen Charak­ ter von Strafe „als staatliche Maßnahme mit erheblicher Eingriffsintensität“112 zu berücksichtigen. Denn Strafe weist neben der Übelszufügung in Form von Geld- oder Freiheitsstrafe das Spezifikum eines an den Normbrüchigen ge­ richteten Ausspruchs des Tadels auf.113 Insofern muss konkret auf die Geeig­ 110  Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 291. Anders sieht dies etwa Tiedemann, FS Baumann, S. 7, 11 f. („Tatbestände des Besonderen Teils […], die dem Rechtsgüterschutz dienen“). 111  Hinsichtlich der Erforderlichkeit vgl. Frisch, GA 2015, 65, 76. Dass hierbei der Rechtsgüterschutz nicht völlig außer Acht gelassen werden kann, sondern diesem gerade auch im Einzelfall gedient werden müsse, macht Remde, Präventiver Frei­ heitsentzug, S. 27, deutlich, indem gerade eine ganz bestimmte Strafe im Einzelfall zu legitimieren sei; die Frage der Angemessenheit sei demnach nicht nur für das Ob, sondern auch für das Wie der Strafe (also die Strafzumessung) von erheblicher Be­ deutung. 112  Timm, Gesinnung und Straftat, S. 71; Strafe ist insofern der intensivste staatli­ che Rechtseingriff, vgl. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 87. 113  Dies stellt eine Kommunikation mit dem Täter bzw. einen Appell an ihn und die Allgemeinheit dar, der vor Augen führt, dass das Verhalten so nicht geduldet wird, vgl. Timm, Gesinnung und Straftat, S. 71. I. S. eines Widersprechens durch Strafe auch Bloy, FS Frisch, S. 59, 72; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 86 mit Fn. 117 (Ohne die Aussage, „daß sich der Normbrüchige von Rechts wegen so nicht hätte verhalten dürfen, daß er in diesem Sinne Unrecht getan hat“, sei es „schlichtweg unmöglich, einem drohenden Normgeltungsschaden entgegenzuwirken“, diese Aus­ sage beinhalte zwangsläufig einen Vorwurf, S. 106); ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 68, 71; ders., AT, § 1 Rn. 8; ders., GA 2010, 193, 195; Frisch, FS BGH IV, S. 269, 278 f., 290 mit Fn. 184; Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 111 ff.; ders., in: Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 59 f., 63; ders., in: Rechtsphilo­

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netheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit von Strafe im Sinne einer Antwort des Staates gegenüber dem Normbrüchigen eingegangen werden. Den Rechtsgüterschutz fördert das Aufstellen von Ge- und Verboten als Verhaltensnormenordnung. Um diese Normenordnung vor Schäden durch nicht geahndete Verstöße zu schützen, regeln die Sanktionsnormen, auf wel­ che Verhaltensnormverstöße wie zu reagieren ist. Dabei werden die von den Sanktionsnormen jeweils in Bezug genommenen Verhaltensnormverstöße regelmäßig nur der Art nach beschrieben, ohne dass darin ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz liegt. Insofern wird durch die Androhung von Strafe und die – wenn alle Tatbe­ standsvoraussetzungen vorliegen – darauf folgende Bestrafung des Täters diesem selbst und der Allgemeinheit verdeutlicht, dass sein Verhalten der Normenordnung widersprochen hat und so nicht hingenommen wird. Grund­ sätzlich ist Strafe daher ein geeignetes Mittel, um die Normgeltung zu stabi­ lisieren und so mittelbar dem Rechtsgüterschutz zu dienen.114 Dies kann jedoch ausschließlich für solche Sanktionsnormen gelten, durch die die Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm auch tatsächlich wie­ derhergestellt werden kann.115 Etwa in Fällen, in denen die Bestrafung eine staatliche Überreaktion darstellen würde, kann nicht mit einer Akzeptanz der Strafe durch den Täter und die Allgemeinheit gerechnet werden, sodass die Normgeltung langfristig eher Schaden nähme, als stabilisiert zu werden. Es fehlt dann an der zweckrationalen Legitimierbarkeit der Bestrafung mangels entsprechenden personalen Fehlverhaltens nebst Folgen. Mithin kann nur eine gerechte, also eine angemessene, auch eine notwendige Strafe darstellen und damit geeignet sein, den Normgeltungsschaden abzuwenden.116 Bereits in die Beurteilung der Eignung fließen demnach Aspekte der Erforderlichkeit und der Angemessenheit mit ein. Im Rahmen der Erforderlichkeit ist zum einen auf den Charakter der Be­ strafung i. S. eines staatlichen Vorwurfs, zum anderen auf ihre Effektivität für sophische Kontroversen, S. 135 ff. („Strafe als Kommunikation“); Otto, GA 1981, 481, 485; Schünemann, GA 2015, 274, 279. Vgl. auch Hörnle, Straftheorien, S. 7, die in den Strafgesetzen einen „Akt der Kommunikation“ sieht. 114  Weigend, FS Hirsch, S. 917, 926 f.; vgl. zusammenfassend auch Remde, Prä­ ventiver Freiheitsentzug, S. 27. Dass dies nur dann gelten kann, wenn die Verhaltens­ norm ihrerseits dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, wurde bereits oben [Dritter Teil A. I. 2. b) bb)] gezeigt. 115  Timm, Gesinnung und Straftat, S. 72. 116  Auch zum zuvor Gesagten Freund, GA 2010, 193, 195. – Für die Bestimmung der Angemessenheit der Strafe ist die Schuld des Täters maßgeblich. Zum Schuld­ prinzip als Konkretisierung der Frage nach der Geeignetheit des Einsatzes von Strafe i. R.d. Verhältnismäßigkeitsprinzips noch unten (Dritter Teil A. III.).



A. Aufgabe und Legitimation von Strafe39

die Normstabilisierung bzw. mittelbar für den Rechtsgüterschutz abzustellen. Darüber hinaus muss nicht nur der Einsatz von Strafe selbst, sondern auch das Maß der Strafe erforderlich und angemessen sein.117 Die Erforderlichkeit des Mittels Strafe ist etwa dann abzulehnen, wenn die Geltungskraft der Norm auch auf anderen Wegen – in einer milderen Form – zu schützen wäre, z. B. im Rahmen „zivilrechtlicher Bußen, verwaltungsrechtlicher Maßnahmen oder Sanktionen unterhalb von Strafe“.118 Die Frage nach der Erforderlich­ keit von Strafe, d. h. nach milderen und zugleich ebenso effektiven Mitteln, ist insoweit Ausdruck des ultima ratio-Charakters von Strafe.119 Als Reaktion auf einen Verhaltensnormverstoß kommt neben dem Einsatz von Strafe auch das Ordnungswidrigkeitenrecht in Betracht, welches gegen­ über dem Normbrüchigen ebenfalls einen Vorwurf erhebt.120 Dieses kann 117  Weigend, FS Hirsch, S. 917, 934; zum Verhältnis von Schuld- und Verhältnis­ mäßigkeitsprinzip bei der Strafmaßbestimmung ausführlich Frisch, NStZ 2013, 249, 252 ff., der insoweit auch einige Entscheidungen des BVerfG zur Höhe von Strafrah­ men kritisiert, in denen es das Schuldprinzip und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als praktisch deckungsgleich ansieht (vgl. etwa BVerfGE 34, 261, 267; 50, 205, 215; 73, 206, 253; 86, 288, 313; 90, 145, 203; 95, 96, 140 f.). Insbesondere sind hierbei die Strafbewehrung und der im Falle eines Normverstoßes zu erwartende Normgeltungs­ schaden miteinander in Bezug zu setzen. Je „gravierender eine Störung des Rechts­ friedens aufgrund eines Verstoßes gegen die Verhaltensnorm“ ausfalle, umso höher sei „das durch Schuldspruch und Strafe zu befriedigende Reaktionsbedürfnis“. Nur anhand einer solchen Strafrahmenbestimmung sei Einzelfallgerechtigkeit innerhalb der Strafzumessung möglich, ausführlich Julia Heinrich, Die gesetzliche Bestimmung von Strafschärfungen, S. 48. 118  Frisch, GA 2015, 65, 76; ders., FS Stree/Wessels, S. 69, 77; ebenso Weigend, FS Hirsch, S. 917, 933. Diesen Gedanken greift auch Timm, Gesinnung und Straftat, S. 72, auf und benennt als solche milderen Mittel etwa schadensersatz- oder berufs­ rechtliche Regelungen; ebenso Kühl, FS Volk, S. 275, 283; Rengier, AT, § 3 Rn. 5. Vgl. aber auch zutreffend Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 91 ff., die bei solchen Maßnahmen die fehlende Verdeutlichung der Normgeltung anmerkt, diese jedoch im Rahmen ordnungswidrigkeitenrechtlicher Sanktionen anerkennt. 119  Berg, Staatsrecht, Rn. 159; Freund, AT, § 1 Rn. 50 f., § 6 Rn. 68k mit Fn. 84; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 f., 142 f.; Kühl, FS Volk, S. 275, 284 f.; Löffelmann, JR 2014, 185, 194; Rengier, AT, § 3 Rn. 5 f.; Reus, Das Recht in der Ri­ sikogesellschaft, S. 96; Schünemann, ZIS 1/2014, 1, 3; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 72; zum Einfluss der Rechtsphilosophie auf den ultima ratio-Charakter von Strafe vgl. ebenfalls Frisch, GA 2007, 250, 259 m. w. N. in Fn. 45. Nach Kaspar, Präven­ tionsstrafrecht, S. 243, 245, gehe der ultima ratio-Gedanke über die Erforderlichkeit hinaus und finde sich auch in der Angemessenheitsprüfung wieder. Vgl. auch BVerfGE 39, 1, 47; 88, 203, 258; 96, 1, 25; 120, 224, 240; ausführlich zum Verständ­ nis des ultima ratio-Charakters des BVerfG Appel, Verfassung und Strafe, S. 22 f., 141 ff., 177, 404 ff., der dieses kritisch beleuchtet. 120  Dies gilt freilich nur dann, wenn man das Ordnungswidrigkeitenrecht zutref­ fend als „kleines Strafrecht“ anerkennt und keine qualitativen Unterschiede geltend macht. Dazu noch unten (Vierter Teil A. II.).

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

jedoch nur dann überhaupt in Erwägung gezogen werden, wenn man im Rahmen der Erforderlichkeitsfrage das Gewicht des Verhaltensnormverstoßes (ggf. nebst dessen Folgen) berücksichtigt.121 Die staatliche Reaktion muss sich insofern an dem Gewicht des Verhaltensnormverstoßes messen lassen. Die Erforderlichkeit des Einsatzes von Strafe muss demnach stets im Ver­ hältnis zum Fehlverhalten betrachtet werden.122 Bezogen auf den mittelbar durch die Bestrafung bezweckten Rechtsgüterschutz kommt dem Strafrecht diesbezüglich jedoch eine bedeutende Rolle zu.123 Diese folgt jedoch nicht – wie viele meinen  – schon daraus, dass allein die Strafe einen staatlichen Vorwurf beinhalte, sondern hängt mit der Intensität des strafrechtlichen Vor­ wurfs zusammen. Auch im Rahmen des Abwägungsvorgangs ist zu berücksichtigen, welchen Stellenwert die übertretene Verhaltensnorm für die Gesellschaft innerhalb des vorgelagerten Normengebildes einnimmt: Je wichtiger sie für das Zusam­ menleben ist, umso höher ist die Notwendigkeit speziell einer strafrechtli­ chen Reaktion auf die Nichtbeachtung dieser Norm.124

III. Zur Verdeutlichung: Das Schuldprinzip als Konkretisierung im Hinblick auf die Geeignetheit von Strafe als Reaktion auf personales Verhaltensunrecht Der Schuldgrundsatz hat – abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG – Verfassungsrang.125 Neben dem Grundsatz „nulla poena sine culpa“ lässt sich auch ein Schuldüber­ 121  Reus,

Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 96. Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 96. 123  Vgl. zur Rolle des Strafrechts innerhalb der „sozialen Kontrolle“ Remde, Prä­ ventiver Freiheitsentzug, S. 5 ff. 124  Dabei geht es insbesondere um die Bewertung der Wichtigkeit des durch die Verhaltensnorm geschützten Rechtsguts sowie des in Rede stehenden personalen Fehlverhaltens, welches sich nebst spezifischen Fehlverhaltensfolgen im Normverstoß realisiert hat, vgl. dazu ausführlich Timm, Gesinnung und Straftat, S. 72. I. d. S. auch Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 88 – Gleichzeitig werde mit „den Erwä­ gungen zur Angemessenheit“ des Strafens „einer ausufernden Sicherungstendenz im Strafrecht Einhalt geboten“, S. 95. 125  So bereits BVerfGE 6, 389, 439, wonach Strafe aus verfassungsrechtlichen Gründen in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen müsse; vgl. auch BVerfGE 9, 167, 169; 20, 323, 331; 25, 269, 285; 45, 187, 259 f.; 50, 5, 12; 50, 205, 214; 54, 100, 108; 73, 206, 253 f.; 90, 145, 173; 95, 96, 140; 109, 133, 171; 120, 224, 253 f.; 123, 267, 413; s. auch Freund, AT, § 1 Rn. 21, § 4 Rn. 3; Hirsch, ZStW 106 (1994), 746 ff.; Zieschang, GA 2014, 91, 95; vgl. auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 386 mit weite­ ren Ausführungen zur Herleitung. 122  Reus,



A. Aufgabe und Legitimation von Strafe41

schreitungsverbot begründen.126 Das BVerfG folgert hieraus allgemein, dass aufgrund der Würde und der Eigenverantwortlichkeit des Menschen ein Täter nur für schuldhaftes Verhalten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wer­ den kann und Tatbestand und Rechtsfolge, gemessen an der Idee der Gerech­ tigkeit, sachgerecht aufeinander abgestimmt sein müssen.127 Aufgrund des Verfassungsrangs des Schuldprinzips ist eine Bestrafung trotz Nichtverwirklichung personalen Unrechts vor dem Hintergrund des Grundgesetzes nicht zu legitimieren. Das ist etwa bei einem Schuldunfähigen nach § 20 StGB der Fall. Es fehlt dann an der Berechtigung eines Vorwurfs ihm gegenüber.128 Schuld ist demnach nicht mit Vorwerfbarkeit gleichzuset­ zen, vielmehr hat Vorwerfbarkeit Schuld als eine Voraussetzung.129 Insofern ist die Schuldhaftigkeit der Tatbegehung nur eine von mehreren Vorausset­ zungen, um einen entsprechenden staatlichen Vorwurf von Grundrechts we­ gen zu legitimieren.130 Der Schuldgrundsatz wird in zweifacher Weise für die Strafbarkeit rele­ vant: Zunächst muss das Verhalten überhaupt personales Verhaltensunrecht darstellen  – also schuldhaft sein. Überdies kommt dem Schuldgrundsatz auch für das erforderliche hinreichende Gewicht des Verhaltensnormversto­ ßes Bedeutung zu.131 Das bedeutet: Für den Einsatz von Strafe ist persona­ les Verhaltensunrecht erforderlich, welches zudem (speziell für den Einsatz von Strafe) hinreichend gewichtig sein muss.132 Das Maß der Schuld ist gleichermaßen relevant und bedingt sowohl die grundsätzliche Frage nach der Begründung eines personalen Verhaltensunrechts als auch die des hinrei­ chenden Gewichts; beide Fragen stehen ihrerseits miteinander in enger Be­ ziehung. Die Schuld ist insofern sowohl Voraussetzung als auch Begrenzung der Strafe.133 Im Strafrecht konkretisiert der Schuldgrundsatz die allgemeine Prüfung an­ hand der Kriterien des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der alle staatlichen 126  Zum teils umstrittenen „Schuldunterschreitungsverbot“ als dritter Ausprägung des Schuldgrundsatzes vgl. Frisch, NStZ 2013, 249, 250 m. w. N. in Fn. 7. 127  BVerfGE 25, 269, 285 f.; 41, 121, 125; 45, 187, 259 f.; 50, 205, 214; 80, 244, 255; 86, 288, 313. 128  Freund, AT, § 1 Rn. 21; ders., GA 1999, 509, 510. Vgl. dazu bezogen auf ju­ ristische Personen noch unten [Dritter Teil B. I. 1. b)]. 129  Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 287, 385; Otto, GA 1981, 481, 484 f.; Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 13 ff. Rn. 114. 130  Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 287. 131  Freund, AT, § 4 Rn. 1 mit Fn. 1. 132  Freund, AT, § 4 Rn. 20. 133  Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 20; zur Limitierungsfunktion der Schuld auch Marquardt, Aspekte des Vikariierens, S. 22 ff.

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

Maßnahmen unterliegen.134 Er stellt eine „ganz besondere Ausprägung“ dieser Prüfungskriterien dar.135 Relevant wird der Schuldgrundsatz bereits auf der Ebene der Geeignetheit von Strafe:136 Es kann nur das Mittel geeignet sein, die Normgeltung zu bestätigen und so mittelbar Rechtsgüter zu schützen, wel­ ches von der Allgemeinheit und dem Täter selbst als solches aufgefasst wer­ den kann. Wie oben bereits erwähnt, kann jedoch nur eine angemessene Reak­ tion auf den Normverstoß das verwirklichte Unrecht verdeutlichen und so den gestörten Rechtsfrieden wiederherstellen. Die Angemessenheit der Bestrafung hängt indessen gerade davon ab, dass der in ihr enthaltene Vorwurf berechtigt ist und sich die Schuld des Täters (i. S. seines personalen Fehlverhaltens ggf. nebst Folgen) möglichst exakt im Strafmaß widerspiegelt.137 Insofern kann die Geeignetheit nicht losgelöst vom Schuldprinzip bestimmt werden, denn nur die schuldangemessene Antwort auf den Verhaltensnormverstoß nebst dessen Folgen kann den durch diesen drohenden Normgeltungsschaden besei­ tigen und so geeignet sein, den Eingriff zu legitimieren.138 Eine Schuldstrafen­ 134  Berg, Staatsrecht, Rn. 159; Freund, AT, § 1 Rn. 21 mit Fn. 31; ders., Erfolgs­ delikt und Unterlassen, S. 88; ders., Normative Probleme, S. 67 ff.; Lagodny, Straf­ recht vor den Schranken der Grundrechte, S. 367; Reus, Das Recht in der Risikoge­ sellschaft, S. 88 f.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 51 ff. 135  So Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 415, der eben­ falls der Meinung ist, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht das Schuldprinzip ersetzen könne; vgl. zur Kritik an etwaigen Versuchen vertiefend Frisch, NStZ 2013, 249 ff. m. w. N. 136  Dazu bereits oben (Dritter Teil A. II.). Nach anderer Ansicht wird das Schuld­ prinzip erst i. R.d. Angemessenheitsprüfung relevant. I. d. S. etwa Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 368 f., 370, wonach das formelle Schuldprin­ zip zwingend in der Angemessenheitsdiskussion Berücksichtigung finden müsse; vgl. auch Eser/Burkhardt, Strafrecht I, 14 A 2 ff., 6; Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 27 f. So auch das BVerfG, wonach sich das Übermaßverbot als Teil der Angemes­ senheitsprüfung mit der Frage nach dem Schuldprinzip in Form der Strafzumessungs­ schuld decke, BVerfGE 20, 323, 331; 34, 261, 267; 50, 205, 215; 73, 206, 253; 86, 288, 313; 90, 145, 203; 92, 277, 327; 95, 96, 140 f. Vgl. auch Kaspar, Präventions­ strafrecht, S. 284 ff., der eine Kongruenz von Schuldprinzip und Verhältnismäßig­ keitsgrundsatz „im Hinblick auf Maßstäbe und Umfang der Kontrolle“ nicht sieht, wenn man letzteren im weiteren Sinne versteht. Allenfalls könne das Schuldprinzip der Angemessenheit als Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne entsprechen, wohinge­ gen das Verhältnismäßigkeitsprinzip ohnehin gegenüber dem Schuldgrundsatz einen „Kontrollüberschuss“ innehabe, S. 339. Dies trifft jedoch nicht den Kern der Sache. Korrekt angewendet sollten sowohl im Hinblick auf den Schuldgrundsatz als auch im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip die gleichen Ergebnisse erzielt werden. 137  Freund, GA 1995, 4, 8; Gropp, AT, § 1 Rn. 144 („Optimum“); Lackner, JZ 1967, 513, 515; Marquardt, Aspekte des Vikariierens, S. 28; Roxin, JuS 1966, 377, 385. Zur Bedeutung des Schuldspruchs in diesem Zusammenhang vgl. die Nachweise oben (Fn. 23). 138  So auch Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 90; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 73; dies im Rahmen der (positiven) Generalprävention ebenfalls ver­



B. Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen de lege ferenda? 43

bestimmung ist somit unumgänglich. Das Schuldprinzip spielt daher für den Zweck der Bestrafung bereits im Rahmen der Frage der Geeignetheit des Ein­ satzes von Strafe eine entscheidende Rolle. Anhand der Ausführungen wird deutlich, dass eine strikte Trennung zwi­ schen Schuldgrundsatz und Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht möglich ist, da Überschneidungen bestehen. Richtig angewendet decken sich die Prüfungen des Schuldgrundsatzes und die der Kriterien der Verhältnismäßigkeit, denn nur die angemessene – d. h. dem Maß der Schuld angepasste – Bestrafung ist bereits geeignet (sowie erforderlich und verhältnismäßig i. e. S.), den Verhal­ tensnormverstoß abzubilden und so die Wiederherstellung der Normgeltung zu bezwecken. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Schuldprinzips im Strafrecht, dessen Anforderungen bei anderen staatlichen Maßnahmen gerade nicht er­ füllt sein müssen, ist es dennoch ratsam, Strafe sowohl an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit als auch am Schuldprinzip zu messen, um diese ausrei­ chend zu legitimieren.

B. Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen de lege ferenda? Wie eingangs bereits beschrieben, enthält das derzeit geltende Strafgesetz­ buch keine Regelung zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Per­ sonen. Bestraft werden können bislang ausschließlich natürliche Personen.139 Diese Situation wird jedoch von einigen als defizitär empfunden. Daher wird eine strafrechtliche Sanktionierung juristischer Personen vorgeschlagen. Einen konkreten Vorstoß in diese Richtung stellt der Gesetzesentwurf der Landesregierung Nordrhein-Westfalen zu einem Verbandsstrafgesetzbuch aus dem Jahre 2013 dar. Auf die in diesem und ähnlichen Vorschlägen enthalte­ nen Argumente soll im Folgenden näher eingegangen werden. tretend u. a. Müller-Dietz, FS Jescheck, S. 813, 823 f.; i. d. S. auch Roxin, FS Bockel­ mann, S. 279, 302. Insofern ist auch eine Ersetzung des Schuldprinzips durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht notwendig und auch nicht zweckmäßig, da der Schuldgrundsatz eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt, vgl. i. d. S. auch Frisch, NStZ 2013, 249, 252 ff.: Sachlich handelt es sich jedenfalls um ein „Nebeneinander“ von beiden. 139  Insofern ist auch § 3 VerbStrG-E (Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-West­ falen über ein Gesetz zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013) widersprüchlich, als er auf Normen des Strafge­ setzbuches, die nicht ausdrücklich nur für natürliche Personen gelten, verweist; schließlich gilt gerade das gesamte Strafgesetzbuch ausdrücklich nur für ebendiese.

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

Angesichts der steigenden Anzahl juristischer Personen und deren Bedeu­ tung auf nationaler wie internationaler Ebene bestehe das Bedürfnis einer strafrechtlichen Änderung.140 Dies ergebe sich insbesondere aufgrund des durch Wirtschaftsstraftaten entstehenden Schadens, der nach der polizeili­ chen Kriminalstatistik jährlich etwa die Hälfte des strafrechtlichen Gesamt­ schadens ausmache.141 Zudem sei die Problematik der strafrechtlichen Ver­ antwortlichkeit juristischer Personen gerade dadurch gekennzeichnet, dass strafrechtlich relevante Handlungen nicht nur von einzelnen Personen be­ gangen würden, sondern juristische Personen im Zentrum der Taten stün­ den, die sich durch „komplexe und arbeitsteilig aufgebaute Organisations­ strukturen“ auszeichneten und so ein großes „Machtpotenzial“ in sich trü­ gen.142 Zwar sei es unter Umständen möglich, die hinter den Unternehmen und Verbänden stehenden natürlichen Personen strafrechtlich verantwortlich zu machen, doch sei bei diesen die individuelle Vorwerfbarkeit im Vergleich zum entstandenen Schaden bzw. zu den Tatfolgen häufig gering.143 Insbe­ sondere sinke das Potenzial des einzelnen Subjektes, strafrechtlich in Er­ scheinung zu treten, je komplexer und dezentraler die Unternehmensstruktu­ ren aufgebaut seien.144 Hinzu kämen die Nachweisschwierigkeiten, die sich in Bezug auf einzelne natürliche Personen innerhalb dieser Strukturen ergä­

140  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einfüh­ rung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013, S. 1. Ausführungen über die Zweckmäßigkeit einer Strafbarkeit juristischer Personen finden sich bereits bei Busch, Grundfragen, S. 89 ff. 141  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einfüh­ rung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013, S. 1; i. S. solcher finanzieller Gesichtspunkte auch Schünemann, FS Tiedemann, S. 429, 445, der jedoch klassische Strafen als Kompensationsmöglichkeiten kritisch sieht und i. E. ein „Maßregelmodell“ bevorzugt. 142  Vgl. Dannecker, GA 2001, 101, 102; ders., FS Böttcher, S. 465. I. d. S. auch Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 448. 143  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einfüh­ rung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013, S. 1; so auch Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 69 f.; Schünemann, Unternehmenskri­ minalität, S. 30 ff. Vgl. auch Krämer, Individuelle und kollektive Zurechnung im Strafrecht, Teil  1 B. III. 4. (S. 79 ff.), wonach jede einzelne Handlung den Erfolg nicht hätte hervorbringen können, sondern erst durch das Zusammenwirken enorme Schäden verursacht würden. Nach Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 441 mit Fn. 8, 448, habe dann auch die individualstrafrechtliche Geldstrafe keine hinreichende Prä­ ventivwirkung, da sie einerseits häufig von dem profitierenden Unternehmen über­ nommen werde, andererseits aufgrund der geringen wirtschaftlichen Potenz des Mit­ arbeiters ohnehin nicht hoch ausfalle; i. d. S. auch v. Bubnoff, ZEuS 2004, 447, 453 f., 485. Vgl. zu dieser Thematik noch unten (Sechster Teil B.). 144  Dannecker, GA 2001, 101, 102; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor  §§  25 ff. Rn.  128 m. w. N.



B. Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen de lege ferenda? 45

ben.145 Aufgrund komplexer Unternehmensführung sei es häufig nicht mög­ lich, bestimmte Personen individuell zu bestrafen, was im Ergebnis zu einer völligen Straflosigkeit sowohl der juristischen Person als auch der hinter ihr stehenden Individuen führe.146 Durch die bisherige „Freizeichnung der Organisation selbst“147 und die im Vergleich zu den oftmals gravierenden Folgen geringe Vorwerfbarkeit gegen­ über den einzelnen für die juristische Person handelnden natürlichen Personen entstehe somit ein Ungleichgewicht zu der vom Unternehmen ggf. erlangten wirtschaftlich vorteilhaften Position, was einen erheblichen Einfluss sowohl auf das wirtschaftliche als auch auf das soziale Gefüge habe.148 Diesbezüglich reiche das Instrumentarium des Ordnungswidrigkeitenrechts gem. §§ 30, 130 OWiG nicht mehr aus: Bußgelder hätten gerade keine ausreichende Präventiv­ wirkung.149 Insofern bleibe das derzeitige Strafrecht ohne zwingenden Grund hinter der erreichbaren Effizienz und seinen präventiven Möglichkeiten zu­ rück, wenn aus Unternehmen heraus Straftaten begangen würden.150 Diese 145  Dannecker, GA 2001, 101, 102; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unter­ nehmensstrafe, S. 159 f.; Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 71; Hirsch, Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 6; Vogel, StV 2012, 427, 429; vgl. auch Otto, Unterneh­ men und Verbände, S. 8, 25; Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 448; Scholz, ZRP 2000, 435, 439; Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 41 ff.; ders., in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 129, 132; ders., in: Bausteine des europäischen Wirtschafts­ strafrechts, S. 265, 272; ders., in: Leipziger Kommentar I, Vor § 25 Rn. 21, die inso­ weit den Begriff der „organisierten Unverantwortlichkeit“ verwenden. 146  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einfüh­ rung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013, S. 2; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 31 ff. Zu der Thematik der Nachweisbarkeit individueller Fehlverhaltensweisen noch unten (Sechs­ ter Teil B.). 147  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013, S. 2. 148  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013, S. 1. 149  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einfüh­ rung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013, S. 2; i. d. S. auch Dannecker, GA 2001, 101, 104; ders., FS Böttcher, S. 465, 483; Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 443: Geldbußen fehle das „Stigma einer straf­ rechtlichen Verurteilung wegen kriminellen Unrechts“, zudem scheide die Möglich­ keit einer Freiheitsstrafe aus und der Verurteilte werde in keinem Strafregister erfasst. I. d. S. auch Schmitt-Leonardy, ZIS 1/2015, 11, 19, wonach lediglich kriminalrechtli­ che Sanktionen hinlänglich präventive Wirkung entfalteten; ebenso Schwinge, Straf­ rechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 49. 150  Schünemann, in: Leipziger Kommentar I, Vor  § 25 Rn. 21 f.; ders., Unterneh­ menskriminalität, S. 56 ff.; ders., in: Bausteine des europäischen Wirtschaftsstraf­ rechts, S. 265, 271 ff., der i. E. jedoch auf ein Maßregelmodell abstellt; s. auch Müller, Juristische Person im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 8, 10 ff. Vgl. auch Krems, ZIS 1/2015, 5, 9, der als Befürworter des Gesetzesentwurfs der Landesregierung Nord­

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

Beschränkung sei unangebracht. Strafrecht dürfe nicht nur dem Schutz indivi­ dueller Rechtsgüter dienen, sondern müsse zunehmend auch „kollektive Inte­ ressen und Funktionszusammenhänge“ berücksichtigen.151

I. Zur Frage der rechtlichen Legitimierbarkeit von Strafe gegenüber juristischen Personen Für die Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von juristi­ schen Personen werden vor allem Gerechtigkeits- und Effizienzgesichts­ punkte sowie praktische finanzielle Erwägungen herangezogen. Diese Argu­ mente betreffen die Frage der Notwendigkeit der Einführung einer strafrecht­ lichen Verantwortlichkeit juristischer Personen. Vorgelagert ist jedoch der Frage nachzugehen, ob bei juristischen Personen überhaupt die Möglichkeit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit besteht. Hierfür wird einerseits das Unternehmen selbst in den Fokus der strafrechtlichen Betrachtung gestellt (Konzept der „originären Unternehmensverantwortlichkeit“). Andererseits wird ein Modell vorgeschlagen, bei dem die individuelle Verantwortlichkeit natürlicher Personen der juristischen Person „zugerechnet“ wird (Konzept der „derivativen Unternehmensverantwortlichkeit kraft Zurechnung“). Das Konzept der originären Unternehmensverantwortlichkeit arbeitet mit der Differenzierung von Individualunrecht einerseits und Organisations- bzw. Systemunrecht andererseits und versucht so, das bereits angesprochene Pro­ blem der Möglichkeit individueller Freizeichnung innerhalb komplexer Un­ ternehmensstrukturen zu lösen.152 Das sog. Systemunrecht stelle insofern das Ergebnis einer über Jahre andauernden Fehlentwicklung innerhalb des Be­ triebs dar und könne nicht mehr einzelnen – individuellen – Verhaltensweisen zugeordnet werden.153 Daher sei die Entwicklung einer „originären Verant­ rhein-Westfalen auf die daraus resultierende – notwendige – Präventivwirkung ab­ stellt. Dass eine Unternehmensstrafe neben der zu erwartenden Individualsanktion ein solches Präventionsdefizit jedoch nicht zwingend aufzuheben vermag, zeigen sogar Darstellungen jener Autoren, die eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen nicht kritisch hinterfragen, vgl. etwa Kölbel, ZIS 11/2014, 552, 557. 151  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013, S. 1. – Insoweit habe ein Verbandsstrafgesetz eine Präventionswirkung kraft ökonomischer Rationalität der Unternehmen, denn Strafen seien für Unternehmen Kosten, zu deren Vermeidung in Compliancemanagement investiert werde, Vogel, StV 2012, 427, 429. 152  Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 128 m. w. N.: Das „indi­ vidualstrafrechtliche Täterpotential“ schwinde „in Verbänden mit der Zunahme von Dezentralisierung und Kompetenzaufteilung innerhalb der Organisation“. 153  Vgl. Dannecker, GA 2001, 101, 111, wonach i. R.d. Systemunrechts nicht zwingend auf eine Zurechnung der Handlung natürlicher Personen zurückgegriffen werden müsse, sondern der Schwerpunkt sodann in der Verursachung eines rechts­



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wortlichkeit“ juristischer Personen durch eine Übertragung der Kategorien des Individualstrafrechts notwendig; bei jeder einzelnen  – etwa Handlung, Kausalität etc. – müsse ermittelt werden, welche Aufgabe ihr bei der Begrün­ dung kollektiver Verantwortlichkeit zukomme.154 Insofern könne eine Orga­ nisation faktisch mehr und sei rechtlich bedeutsamer als die Summe ihrer unternehmerischen Einzelaktivitäten.155 Die aktuelle Rechtsprechung über­ spanne im Wege der Bestrafung einzelner natürlicher Personen die individu­ elle Verantwortung von Vorgesetzten, wenn sie versuche, ihnen – das eigent­ lich vom Unternehmen ausgehende – Unrecht vorzuwerfen.156 Im Konzept der „derivativen Unternehmensverantwortlichkeit“ werden Straftatbestandsmerkmale, deren Vorliegen bei einzelnen Organen oder Mit­ arbeitern zu bejahen ist, dem Unternehmen zugerechnet. Betroffen sind ins­ besondere Elemente des „Verhaltens“ bzw. der „Schuld“, die auf die Frage zurückführen, ob einer juristischen Person, die sich selbst nicht schuldhaft verhalten kann, fremdes schuldhaftes Verhalten so „zugerechnet“ werden kann, dass ihr gegenüber ein strafrechtlicher Vorwurf berechtigt ist. Hierfür wird eine im Kontext der zivilprozessualen Ordnungsstrafe des § 890 Abs. 1 ZPO ergangene Entscheidung des BVerfG angeführt, wonach für die Schuld einer juristischen Person „nur die Schuld der für sie handelnden Personen maßgebend“ sein könne.157 Allerdings muss im Rahmen dieses Modells die Schuld der natürlichen Person nachweisbar sein; gerade dies sei jedoch häufig problematisch, was – nach Ansicht der Vertreter des erstgenannten Lösungsweges – eine Strafbar­ keit des Unternehmens überhaupt erst erforderlich mache.158 widrigen Erfolgs liege; vgl. hierzu auch Lampe, ZStW 106 (1994), 683 ff., 744, wo­ nach Handlungen, die selbst nicht vorwerfbar zu sein brauchen, dem sozialen System als Erfolgsunrecht zugerechnet würden, sofern ein Rechtswidrigkeitszusammenhang sie mit dessen Systemunrecht verbinde. 154  Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 131, die jedoch zunächst i. R. einer Kosten-Nutzen-Abwägung herausfinden möchten, ob dies überhaupt sinn­ voll ist. 155  Lampe, ZStW 106 (1994), 683, 713; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor  §§ 25 ff. Rn. 128 m. w. N.; Pieth, in: Unternehmensstrafrecht, S. 395, 396, der insoweit auf die Beziehungsstrukturen und die Rolle des Managements abstellt. 156  Dies geschehe etwa anhand von Begrifflichkeiten, wie der „Organisationsherr­ schaft“, Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor  §§ 25 ff. Rn. 126a; Heine, Straf­ rechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 146, 307; i. d. S. auch Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 900, die eine  – nicht zwin­ gend durch die Belastung des Unternehmens zu vollziehende – Entlastung der Unternehmensmitglieder fordert. 157  So das BVerfG im sog. „Bertelsmann-Lesering-Beschluss“, BVerfGE 20, 323, 336. 158  Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 129.

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

Es stellt sich die Frage, inwiefern die genannten Konzepte mit den unver­ zichtbaren Grundlagen eines rechtsstaatlichen Strafrechts in Einklang stehen. Kann eine juristische Person ihrerseits  – selbst („originär“) oder abgeleitet über die Zurechnung des (strafrechtlichen) Fehlverhaltens der für sie han­ delnden Personen („derivativ“) – strafrechtlich verantwortlich sein? 1. Konzept einer originären Strafbarkeit juristischer Personen Dieser Frage soll zunächst im Rahmen der Ansätze einer originären Unter­ nehmensstrafbarkeit anhand der Grundmerkmale von Strafbarkeit  – sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite – nachgegangen werden. Entscheidend kommt es auf die Legitimierbarkeit einer strafrechtlichen Sanktionierung juristischer Personen an, die sich nach den allgemeinen Kri­ terien richtet, welche sich insbesondere aus dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben. Für die Sanktionierung von Unternehmen innerhalb des Strafrechts müsste sich demnach zunächst ein legitimes Ziel finden lassen, das speziell mit dem Einsatz von Strafe verfolgt werden kann. Bei Strafen gegenüber natürlichen Personen ist dieses – wie oben gezeigt – in der Abwendung eines Normgel­ tungsschadens zu erblicken. Ein solcher entstünde, wenn auf einen Verhal­ tensnormverstoß nicht angemessen missbilligend reagiert würde. Insofern ergibt sich bei der „Bestrafung“ juristischer Personen das Problem, ob dieser Zweck überhaupt relevant werden kann. Andernfalls ist zu überlegen, ob im Rahmen von Strafe gegenüber juristischen Personen nicht vielleicht von ei­ nem anderen Zweck der Strafe ausgegangen werden sollte. Ähnlich wie bei den Strafzwecken gegenüber natürlichen Personen stehen sich auch hier verschiedene Ansätze gegenüber. Beispielsweise soll durch eine strafrechtliche Sanktionierbarkeit juristischer Personen eine präventive, Rechtsgüter schützende Wirkung dadurch entfaltet werden, dass deren öko­ nomische Rationalität angesprochen werde.159 Auch wird auf den Effekt der 159  Vogel, in: Unternehmensstrafrecht, S. 205, 209. Dass Spezialprävention jedoch niemals Selbstzweck der Strafe sein kann, wurde bereits oben (Fn. 55) ausgeführt. In diesem Kontext kommen Maßnahmen der Gefahrenabwehr in Betracht, dazu noch unten (Fünfter Teil B.). Es kann dann auch keine Rolle spielen, welche vermeintlich positiven Folgen eine Benennung etwaiger Maßnahmen als „Strafen“ zur Folge haben könnte bzw. welches prozessuale Verfahren günstiger wäre (vgl. dazu Vogel, in: Un­ ternehmensstrafrecht, S. 205, 214 f.), denn es darf nur dann von Strafe gesprochen werden, wenn auch wirklich von einer strafenden Sanktion ausgegangen werden kann und wenn sich genau diese Art der staatlichen Maßnahme gegenüber dem betroffenen Subjekt legitimieren lässt. Alles andere führte zu einer Aufweichung der grundgesetz­ lich abgegrenzten Anforderungen, die an unterschiedliche Formen staatlicher Maß­ nahmen zu stellen sind.



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Abschreckung durch Strafe abgestellt und insoweit auf die Lehren Feuer­ bachs verwiesen, wonach jeder wissen müsse, dass „auf seine That […] ein Uebel folge“, „welches größer ist, als die Unlust, die aus dem nicht befrie­ digten Antrieb zur That entspringt“.160 Dabei habe die Strafandrohung die abschreckende Wirkung, die eigentliche Strafverhängung diene lediglich dazu, zu demonstrieren, dass die Strafandrohung ernst zu nehmen sei. Hierin begründet liegen die Argumente, welche gleichfalls im Rahmen der Strafbarkeit natürlicher Personen laut werden. Es hat sich jedoch bereits oben gezeigt, dass die geltend gemachten Gesichtspunkte schon nicht geeig­ net sind, Strafe gegenüber natürlichen Personen zu legitimieren.161 Gegen­ über juristischen Personen kann nichts anderes gelten. Staatliche Reaktionen in Form von Strafen sind stets auf die Vergangenheit bezogen. Mit dem Institut der Strafe wird zwingend der Vorwurf eines zeit­ lich zurückliegenden rechtlichen Fehlverhaltens erhoben, um dadurch die Verhaltensnormgeltung zu schützen und den durch die Tat gestörten Rechts­ frieden wiederherzustellen. Rechtsgüterschutz in Bezug auf konkrete Rechts­ güter, wie etwa Leib, Leben oder Vermögen der Bürger, ist zwar seinerseits ein durch den Staat verfolgbarer legitimer Zweck. Aber dieser Zweck ist nach begangenem Verhaltensnormverstoß mit dem Mittel der Strafe nicht mehr zu erreichen. Zum Zeitpunkt der „Bestrafung“ (der natürlichen, aber auch der juristischen Person) ist das geschützte Rechtsgut bereits beeinträch­ tigt. Für den Einsatz von Strafe besteht insoweit keine Legitimationsgrund­ lage mehr. Rechtsgüterschutz in Bezug auf die genannten konkreten Rechtsgüter ist allein durch das Aufstellen von Verhaltensnormen möglich. Werden diese Verhaltensnormen eingehalten, sind die konkreten Rechtsgüter geschützt. Wird eine legitimierte Verhaltensnorm nicht befolgt, so kann darauf mit den Mitteln des Strafrechts reagiert werden, damit die Normgeltung langfristig keinen Schaden nimmt. Diese Reaktion wird von den Sanktionsnormen in Form der Strafgesetze beschrieben. Der Zweck der Bestrafung ist demnach der Schutz der Geltungskraft der Norm durch eine angemessen missbilli­ gende Reaktion auf den Verhaltensnormverstoß. In diesem Kontext reicht es auch nicht aus, dass mit der Sanktionierung das Festhalten an der Verbindlichkeit der durch die Tat in Frage gestellten Norm demonstriert werden soll.162 Entscheidend ist vielmehr, ob die Sank­ 160  Dazu und zum Folgenden Feuerbach, Lehrbuch, §§ 13 ff. Von einer solchen abschreckenden Wirkung durch Strafe gegen Unternehmen geht grundsätzlich auch Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 241 f. m. w. N. in Fn. 74, aus. 161  Vgl. dazu ausführlich oben (Dritter Teil A. I. 1.). 162  So etwa Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, S. 291 f., wonach Strafe ihre normative Funktion auch gegenüber Verbänden erfüllen könne.

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

tion auch tatsächlich „gerecht“ ist, sich also an einem tatsächlich vorhande­ nen Fehlverhalten orientiert.163 Die Abwendung eines Normgeltungsschadens ist aber nur dann möglich, d. h. Strafe kann als zweckrational legitimiertes Mittel nur geeignet sein, wenn die Verhaltensnorm ihrerseits „uneingeschränkt und in jeder Hinsicht überzeugend zu fundieren ist“.164 Der Verstoß gegen eine rechtlich legiti­ mierte Verhaltensnorm ist Mindestbedingung und somit Prüfkriterium jeder Straftat.165 Im Hinblick auf juristische Personen müsste demnach ein System rechtlich legitimierter Verhaltensnormen als primäre Normenordnung be­ gründbar sein, gegen die die juristische Person verstoßen kann. a) Zur Frage der Begründung von Verhaltensnormen gegenüber juristischen Personen Bevor über die Frage der Strafbarkeit einer juristischen Person nachge­ dacht werden kann, muss daher die Vorfrage nach der Möglichkeit der Be­ gründung von Verhaltensnormen gegenüber juristischen Personen beantwor­ tet werden. Damit einher geht die Frage, ob juristische Personen Verhaltens­ normen übertreten können. Hierfür müsste die juristische Person dazu in der Lage sein, die Geltungskraft einer rechtlich legitimierten Verhaltensnorm in Frage zu stellen, indem sie die an sie gerichteten Ge- oder Verbote missach­ tet. Ein so zu begründender Verhaltensnormverstoß müsste tatbestandsmäßig im Sinne eines Strafgesetzes (de lege ferenda) sein, um Grundlage einer Strafbarkeit sein zu können; das heißt, es müsste sich um die „tatbestands­ spezifisch missbilligte Schaffung oder Nichtabwendung von Möglichkeiten eines schadensträchtigen Verlaufes handeln […] unter Berücksichtigung der individuellen Momente von Verhaltensanforderungen sowie der Sonderverant­ wort­lichkeit“.166 Im Folgenden soll zunächst auf die Frage nach der Fähigkeit einer juristischen Person, Adressat von Verhaltensnormen zu sein, eingegan­ gen werden.

163  Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 231, 245 f., macht deutlich, dass es auch einen Unterschied macht, ob eine Sanktionierung lediglich als gerecht empfun­ den oder tatsächlich als gerecht eingestuft werden kann. Erstgenannter Fall würde nämlich bereits dann erfüllt, wenn man auf „faktisch vorhandene Ahndungsbedürf­ nisse der Bevölkerung abstelle“ (m. w. N. in Fn. 99). 164  Freund, GA 2010, 193, 196. 165  Freund, AT, § 2 Rn. 8. 166  Freund, AT, Anhang 1, S. 458.



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aa) Kann sich die juristische Person normgemäß bzw. normwidrig verhalten? Die Frage normgemäßen bzw. normwidrigen Verhaltens juristischer Perso­ nen wird häufig unter dem Stichwort ihrer „Handlungsfähigkeit“ thematisiert. Unter einer Handlung im strafrechtlichen Sinne wird in der Regel ein äußer­ liches, vom Willen beherrschbares Verhalten verstanden, durch das eine be­ stimmte Kausalkette in Gang gebracht wird.167 Die juristische Person aber kann weder eine Kausalkette in Gang bringen noch diesen Vorgang willent­ lich beherrschen; ihr fehlt die „psychisch-geistige Substanz“.168 Eine Hand­ lungsfähigkeit juristischer Personen wird auf dieser Basis überwiegend ver­ neint.169 Indessen stellt sich die Frage, ob sich etwas anderes dann ergeben kann, wenn man einen anderen Handlungsbegriff170 oder gar einen Unterlassensbe­ griff in den Fokus der Betrachtung rückt. So wird etwa vertreten, dass ein Unterlassen im Sinne eines Nichteingreifens auch durch eine juristische Person möglich sei.171 Jedoch kann nur demjenigen ein Verhaltensnormverstoß in Form des Un­ terlassens entgegengehalten werden, der die zu erwartende Handlung hätte vornehmen können. Dies jedoch ist der juristischen Person gerade nicht möglich. Hieran zeigt sich, dass es rechtlich keinen Unterschied machen kann, ob ein Tun oder ein Unterlassen in den Fokus der strafrechtlichen Be­ 167  Zieschang, GA 2014, 91, 95; vgl. zum strafrechtlichen Handlungsbegriff auch Creifelds/Weber, Rechtswörterbuch, Stichwort: „Handlungsbegriff (Strafrecht)“, wo­ nach eine Handlung nur menschliches Verhalten bezeichnet. 168  Roxin, AT I, § 8 Rn. 59. 169  Heinrich, AT, Rn. 198; Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung in der „Risikogesellschaft“, S. 69; Jescheck, SchwZStr 70 (1955), 243, 259; Kühl, in: Lack­ ner/Kühl, § 14 Rn. 1a; Leipold, NJW-Spezial 2008, 216. A. A. Dannecker, GA 2001, 101, 111 f.: Die Handlungsfähigkeit folge bereits aus der Fähigkeit, Adressat straf­ rechtlicher Normen zu sein. Vgl. auch Hirsch, ZStW 107 (1995), 285, 288 ff.; ebenso Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 95 ff., der die Handlungsfähigkeit anhand einer „unternehmensspezifischen Willensorganisation“ beschreiben möchte. 170  Vgl. etwa den Überblick bei Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, S. 13, 16 f.; s. auch Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 632 ff. Zur berechtigten Kritik daran Díaz y García Conlledo, GA 2016, 238, 240 f. 171  Vgl. insoweit Scholz, ZRP 2000, 435, 439, der i. R. einer eigenständigen straf­ rechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen in erster Linie auf eine Begehung durch Unterlassen abstellen möchte. Ferner Schroth, Unternehmen als Normadressa­ ten, S. 178, wonach die Unterlassensstrafbarkeit deutlich mache, dass es auch Straf­ barkeit ohne manifeste Handlung geben könne; vgl. auch Tiedemann, NJW 1988, 1169, 1172, der darauf abstellt, dass im Rahmen des Unterlassens jede Straftat oder Ordnungswidrigkeit der Organe und Vertreter als Fehler des Unternehmens erscheine; insoweit also ein Zurechnungsmodell favorisiert.

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

wertung gestellt wird  – jedenfalls muss Anknüpfungspunkt für eine Bestra­ fung ein rechtlich zu beanstandendes Verhalten sein.172 Insofern ist es ratsam, einen sowohl Tun als auch Unterlassen umfassenden Oberbegriff des Verhal­ tens zu wählen.173 Sachlich geht es dabei allein um den Verstoß gegen eine rechtlich legitimierte Verhaltensnorm, welche als Ge- oder Verbot formuliert ist. Das Ge- oder Verbot nimmt Bezug auf eine konkrete Verhaltensweise, wie einen Menschen „töten“, etwas „zerstören“ oder „Hilfeleistung unterlas­ sen“. Verstöße gegen eine entsprechende Verhaltensnorm bilden den späteren Anknüpfungspunkt des Schuldspruchs und der Strafe. In der Entwurfsbegründung zur Einführung eines Verbandsstrafgesetzbu­ ches der Landesregierung Nordrhein-Westfalen wird auf entsprechende Ver­ haltensweisen der juristischen Person abgestellt, etwa indem sie sich eine unzureichende Organisation gebe, kriminelles Verhalten dulde oder gar pro­ voziere. Es handele sich dann um spezifisches Verbandsunrecht.174 Hier wird der juristischen Person jedoch eine Fähigkeit zugeschrieben, die sie definitiv nicht hat. Das Unternehmen selbst wählt keine Personen aus, organisiert sich nicht selbst und fördert auch kein kriminelles Verhalten. Diese Verhaltensweisen können schon sachlogisch nur von natürlichen Per­ sonen ausgehen, sodass dementsprechend auch nur auf deren (strafrechtliche) Verantwortlichkeit abgestellt werden kann.175 Schon rein äußerlich betrachtet, können Verhaltensnormen daher nur menschliches Verhalten ge- oder verbieten,176 nicht jedoch für „systemische Prozesse“ begründet werden.177 Anknüpfungspunkt einer strafrechtlichen Sanktion kann demnach immer nur das Verhalten natürlicher Personen sein, weil es stets um dessen Änderung geht.178 Unerwünschte – genauer: rechtlich negativ zu bewertende – Zustände oder „systemische Prozesse“ können der 172  Freund, AT, § 2 Rn. 8; insofern widersprüchlich Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 178, der die Handlungsfähigkeit zwar problematisiert, dann je­ doch normverletzende Verhaltensweisen von juristischen Personen für möglich hält. 173  Freund, AT, § 1 Rn. 58, § 6 Rn. 1 ff. 174  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einfüh­ rung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013, S. 43. 175  Vgl. Zieschang, GA 2014, 91, 103 f. I. d. S. auch Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 147: Nur natürliche Personen sind dazu in der Lage „die Welt nach rechtlichen Gesichtspunkten tatsächlich zu gestalten“. Hierauf ist die juristische Per­ son „wie ein hilfloses Kind“ angewiesen. 176  Vgl. Freund, AT, § 1 Rn. 9, 58, wonach Tun und Unterlassen vom Oberbegriff (menschlichen) Verhaltens umfasst würden. 177  So Schünemann, in: Leipziger Kommentar I, Vor § 25 Rn. 26; ders., FS Tiede­ mann, S. 429, 437, der zutreffend auch nur auf menschliches Verhalten abstellt. 178  Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 323.



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juristischen Person nicht strafrechtlich vorgeworfen werden – sie können le­ diglich den Anknüpfungspunkt z. B. für Maßnahmen der Gefahrenabwehr darstellen.179 Ein rechtliches Gebilde wie die juristische Person kann sich somit weder „verhalten“ noch an bestimmte Verhaltensnormen halten, folglich diese auch nicht übertreten. Juristische Personen sind insofern lediglich „Empfänger von Handlungen oder Unterlassungen“ ihrer Mitarbeiter und stellen strafrechtlich gesehen einen „objektiven Sachzustand“ bzw. einen bloßen „Kausalzusam­ menhang“ dar.180 Abgesehen davon, dass schon rein äußerlich betrachtet ein „Verhalten“ der juristischen Personen nicht aufgezeigt werden kann, fehlt es auch an der für den – strafrechtlich unverzichtbaren – Verhaltensnormverstoß notwendigen Entscheidung gegen die Normgeltung: Verhaltensnormen werden als das Gemeinwesen der Personen bestimmend angesehen, indem sie den Zustand friedlicher Koexistenz unter der Vorausset­ zung ihrer anhaltenden Geltung garantieren.181 Wenn sich eine Person „gegen die Fortdauer des Krieges im Naturzustand menschlicher Koexistenz und für die Vereinbarung einer Ordnung des Friedens“ entscheidet, stimmt sie zu­ gleich der Einhaltung jener Verhaltensnormen zu, die für das Fortbestehen der durch das Recht konstituierten Gemeinschaftsform erforderlich sind.182 Insofern bedeutet die Übertretung der Verhaltensnorm nicht allein ein ab­ weichendes Verhalten, vielmehr drückt der Täter hierdurch gleichzeitig auch seine zumindest partielle Nichtakzeptanz dieser Verhaltensnorm aus.183 Für das richtige Verständnis eines strafrechtlichen Verhaltensbegriffs ist daher charakteristisch, dass durch ein bestimmtes Verhalten eine die „Erwartungen des Rechts negierende und hinter ihnen zurückbleibende“ Entscheidung ge­ troffen und in die Tat umgesetzt wird.184 Eine solche „geistige Infragestel­ 179  Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 323. Dazu noch ausführlich unten (Fünfter Teil B.). 180  Zu den Begrifflichkeiten vgl. Robles Planas, ZIS 7/2012, 347, 350. Fischer/ Hoven, ZIS 1/2015, 32, bezeichnen den Verband in diesem Zusammenhang als „juris­ tische Fiktion“ bzw. Abstraktion. Vgl. auch Coffee, Virginia Law Review 63 (1977), 1099, 1110, der die juristische Person in diesem Zusammenhang als eine „black box“ bezeichnet. 181  Vgl. hierzu näher Timm, Gesinnung und Straftat, S. 42; Peralta, ZIS 10/2008, 506, 510 sowie die Nachweise bei Jakobs, in: Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 59 ff. 182  Timm, Gesinnung und Straftat, S. 42 mit weiteren Ausführungen zum Gesell­ schaftsvertrag. Dazu auch bereits oben (Dritter Teil A. I. 1. mit Fn. 67, 68). 183  Timm, Gesinnung und Straftat, S. 42 f. 184  Frisch, in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 163. Vgl. auch Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor  §§ 13 ff. Rn. 119; Gallas, ZStW 67

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

lung“185 der Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm stellt eine per­ sönliche Entscheidung des Täters – eine „Kommunikation“186 seinerseits – in Form eines ideellen Angriffs auf die Normgeltung dar.187 Auf ein derartiges personales Fehlverhalten – freilich in einigen Tatbestän­ den nebst der zusätzlichen Voraussetzung des Eintritts spezifischer Fehlver­ haltensfolgen – reagieren die strafrechtlichen Sanktionen: Sie widersprechen dem Täter in der Übertretung einer legitimierten Verhaltensnorm und bestäti­ gen so die Normgeltung für künftige Fälle. Um jedoch einen solchen strafrechtlichen Vorwurf legitimieren zu können, muss die von der Verhaltensnorm in Anspruch genommene Person dazu in der Lage gewesen sein, sich dem Recht entsprechend zu verhalten; sie muss die Fähigkeit besitzen, das richtige Verhalten zu erkennen und umzuset­ zen.188 Juristische Personen verfügen jedoch gerade nicht über ein „dem Indivi­ duum vergleichbares Entscheidungs- oder Handlungszentrum“, sondern stel­ len vielmehr ein „System von sinnhaft aufeinander bezogenen Handlungen“ dar, welche „in selbstreferentieller Geschlossenheit auf einen gesellschaftli­ chen Funktions- und Leistungszusammenhang hin […] organisiert sind und ein kommunikatives Netzwerk von psychischen Systemen“ aufweisen; ihnen fehlt eine „Gesamtrationalität“ bzw. „Reflexionsfähigkeit“.189 Von einer „Einübung in Normanerkennung“190 kann bei juristischen Perso­ nen gerade keine Rede sein. Wie nichtverantwortliche natürliche Personen können auch juristische Personen daher schon nicht Adressaten eines Norm­ (1955), 1, 45 f. sowie Schmidhäuser, FS Jescheck, S. 485, 490, in Bezug auf den Be­ griff der „Schuld“ als geistiges Verhalten des Täters. 185  Timm, Gesinnung und Straftat, S. 74; ebenso Freund, AT, § 1 Rn. 8; ders., Er­ folgsdelikt und Unterlassen, S. 82, 88, 89, 92. Zustimmend Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 85. 186  Vgl. in diesem Kontext zum Begriff der „Kommunikation“, indem der Täter durch die Übertretung der Verhaltensnorm der Gemeinschaft den Anschein vermittele, er könne – trotz Zustimmung zum Gesellschaftsvertrag – seine eigenen Maximen über die der Gemeinschaft stellen, instruktiv Timm, Gesinnung und Straftat, S. 43. 187  Freund, AT, § 1 Rn. 8. 188  Vgl. Frisch, Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 164. I. d. S. auch Sinn, ZIS 3/2006, 107, 114, wonach bei Schuldunfähigen nicht die Motivation normgemäßen Verhaltens zu erwarten ist, sie daher nicht über die Geltung der Norm kommunizieren und somit auch nicht als Adressaten von Verhaltensnormen in Betracht kommen. 189  Vgl. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 491 m. w. N., 597, die dennoch i. E. aus anderen Gründen eine strafrechtliche Adressierung des Unternehmens befürwortet. 190  Zu diesem Begriff vgl. Jakobs, AT, 1/15.



B. Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen de lege ferenda? 55

appells sein und erst recht nicht die Verhaltensnormgeltung in Frage stellen, sodass diese auch nicht droht, Schaden zu nehmen. Jegliche durch das Strafrecht verfolgte Zielsetzung wäre bei juristischen Personen fehl am Platz. Der Versuch, die Normgeltung gegenüber einer nicht verantwortlichen Person – eine solche ist auch die juristische – wiederherzu­ stellen, wäre ein dysfunktionaler Missbrauch der Strafe, der den Einsatz dieses spezifischen zweckgebundenen Mittels „entwertete“.191 Er läge auf derselben Linie wie die „Bestrafung“ einer Maschine oder eines Tieres. Adressaten von Verhaltensnormen können nur natürliche Personen sein, die für ihr Verhalten verantwortlich sind und  – liegen sämtliche Vorausset­ zungen einer strafrechtlichen Sanktionsnorm vor – auch entsprechend bestraft werden.192 Da Verhaltensnormen für juristische Personen nicht existieren, kann infolgedessen auch keine Infragestellung der Normgeltung stattfinden. Ein durch das spezielle Mittel der Bestrafung zu schützendes Rechtsgut gibt es  – wie oben erläutert  – aber nur dann, wenn eine Verhaltensnormübertre­ tung begründbar ist. Insofern fehlt es im Hinblick auf die Strafbarkeit juris­ tischer Personen bereits an der zwingenden Legitimationsvoraussetzung eines Verhaltensnormverstoßes. bb) Die juristische Person als Normadressat durch den Gesetzgeber bestimmt? Dennoch wird für die Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen angeführt, dass die juristische Person innerhalb der Rechtswissenschaften schon seit einiger Zeit als Rechtssubjekt thematisiert werde, was Rückschlüsse auf ihre Fähigkeit zulasse, Normadressat zu sein.193 191  Zutreffend Freund, GA 2010, 193, 196 mit Fn. 12, wonach das Mittel der Strafe auf diese Weise seine Tauglichkeit zur Erreichung des durchaus legitimen Strafzwecks zumindest langfristig einbüßt; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 88: „Nur wenn und insoweit als ein Zur-Verantwortung-Ziehen gerade auch gegen­ über dem Normbrüchigen als einer ernstzunehmenden Person zu rechtfertigen ist, weil er in zu verantwortender Weise die übertretene Norm desavouiert und damit die Gefahr eines realen Normgeltungsschadens heraufbeschworen hat, wird er nicht le­ diglich als Mittel zur Befriedigung irgendwelcher Bedürfnisse der Normstabilisierung mißbraucht, ‚für die er gar nichts kann‘ […]“. 192  Freund, in: MünchKommStGB VI, § 97 AMG Rn. 3; i. d. S. auch Schünemann, ZIS 1/2014, 1, 2, wonach kausal ablaufende – etwa systemische – Prozesse, die von keinem einzelnen Menschen gesteuert werden, nicht zum Verstehen und Befolgen einer Norm befähigt seien. 193  Schmitt-Leonardy, ZIS 1/2015, 11, 16. I. d. S. argumentiert auch Dannecker, GA 2001, 101, 109, 116, der dem Unternehmen als „sozialem Subjekt“ zumindest „im Rahmen seiner Tätigkeit keine Rechtsgüter zu verletzen“ eine Adressateneigenschaft zuschreiben möchte. Dass dies jedoch nur für solche Systeme gelten soll, welche eine

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

Ihr oblägen als anerkanntes Rechtssubjekt insofern Pflichten, für deren Erfül­ lung sie einzustehen habe, wodurch die Fähigkeit, Normadressat zu sein, begründet werde.194 Die juristische Person stelle in ihrer Realität ein eigen­ ständiges körperschaftliches Gebilde dar, welches vermittels natürlicher Per­ sonen am Rechtsleben teilnehme, mithin also ein „Plus“ gegenüber der Ge­ samtheit ihrer Mitglieder sei.195 Insofern müsse das Unternehmen als „soziale Realität“ zur Kenntnis genommen werden und das Strafrecht hierauf gemäß seiner rechtsgüterschützenden Funktion reagieren.196 Die Voraussetzungen hierfür würden ohnehin durch den Gesetzgeber be­ stimmt, wodurch die Rechtswidrig- und Schuldhaftigkeit des Verhaltens der juristischen Person unabhängig von zugrundeliegenden dogmatischen Fragen

institutionelle Form inne haben, also durch den Gesetzgeber zu Adressaten gemacht wurden, macht den Widerspruch dieses Ansatzes deutlich, indem der Gesetzgeber Fähigkeiten zugeschrieben bekommt, die ihm nicht zustehen: Er soll zunächst ent­ scheiden können, wer Adressat sein kann und danach, welche Normen für diesen Adressaten gelten. 194  Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 187, 194, 196. I. d. S. auch Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 1, wonach die Rechtsordnung Unternehmen begünstige, indem sie ihnen verschiedene Rechts­ formen zur Verfügung stelle und ihnen eigene Rechte und Pflichten einräume, sie im Strafgesetzbuch jedoch nur sehr unzureichend würdige. Ebenso Tiedemann, Wirt­ schaftsstrafrecht, Rn. 374, wonach juristische Personen Normadressaten seien, soweit sie rechtlich Gesolltes leisten könnten. Vgl. auch Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht im Kontext, S. 53, wonach das Unternehmen als „soziale Realität nicht vollständig auf Individuen zurückführbar sei“ und daher „jedenfalls den Rest der durch Delega­ tion nicht abgeleiteten Pflichten nur selbst tragen“ könne. Hiermit sei eine „höchst­ persönliche Verpflichtung“ gegeben. Von einer Normadressateneigenschaft der juris­ tischen Person geht auch Böse, ZStW 126 (2014), 132 ff., 149, aus; ebenso Jakobs, FS Lüderssen, S. 559, 560 mit Fn. 7, der seine ursprüngliche Ansicht, juristische Personen seien „kriminaldeliktisch handlungsfähig und schuldfähig“, zwar ausdrück­ lich aufgibt, dennoch könnten sie eine konkrete Verhaltensnorm verletzen, indem sie Träger von Rechten und Pflichten (die sie durch ein Organ, welches ausschließlich für die juristische Person tätig sei, verletzen könnten) seien. Hierdurch werde die juristische Person erst zu einer Person; vgl. dazu auch seine Verweise auf § 1 ALR: „Der Mensch wird, insofern er gewisse Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft ge­ nießt, eine Person genannt“. Und mit dem Genuss von Rechten sei das Tragen von Pflichten gleichermaßen verbunden. I. d. S. auch die Entwurfsbegründung des Zwei­ ten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität im Hinblick auf § 30 OWiG, BT-Drs. 10/318, S. 40; vgl. dazu auch Brender, Verbandstäterschaft, S. 123. Dass diese Norm jedoch eine Fehlkonstruktion darstellt, zeigt sich noch unten (Vier­ ter Teil B.). 195  Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 198; i. S. einer Teilnahme am Rechtsgeschehen durch die Organe auch Jakobs, FS Lüderssen, S. 559, 560 mit Fn. 7. 196  Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 254.



B. Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen de lege ferenda?  57

des Strafrechts begründet werde.197 Bereits v. Jhering ging davon aus, dass der Gesetzgeber überall dort zur „legislativen Verwendung der Strafe“ grei­ fen könne, wo die Gesellschaft ohne sie nicht auskomme; aus dem „doctrinä­ ren Grunde“ hingegen könne er nicht dazu veranlasst sein, seine „Hände in den Schooss“ zu legen.198 So sei der Gesetzgeber auch in einer abweichenden „einfachgesetzlichen Ausgestaltung von Handlungs- oder Unterlassungsun­ recht“ frei, indem er in den Grenzen der Grundrechte und des Willkürverbots die Handlungs- und Schuldfähigkeit juristischer Personen bestimmen kön­ ne.199 Schließlich sei zu bedenken, dass der Gesetzgeber „anders als die Dogmatik“ demokratisch legitimiert und rechtsverbindlich allein an grundund menschen- sowie verfassungsrechtliche Schranken gebunden sei,200 so­ dass er in diesen Grenzen „selbstherrlich“201 bestimmen könne, wer etwa Zurechnungsendpunkt eines strafrechtlich relevanten Verhaltens sei.202 197  Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, 11. Aufl. 2003, § 18 Rn. 27; vgl. auch Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung in der „Risikogesellschaft“, S. 71 f., wonach es dem Strafgesetzgeber grundsätzlich freistehe, eine Strafbarkeit juristischer Personen einzuführen; so auch Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 243; Böse, ZStW 126 (2014), 132 ff., 164, wonach bereits die Orientierung am traditionel­ len Strafrecht zu großen Teilen auf einer kriminalpolitischen Entscheidung des Ge­ setzgebers beruhe. Vgl. i. d. S. auch Theile, in: Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung, S. 181 (unter Verweis auf die Botschaft vom 21. Sep­ tember 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches, BBl. 1999, 1979, 2142: „[…] dass letztlich nicht die Dogmatik, sondern der legislatorische Wille, eine als Problem erkannte Situation sachgerecht zu regeln, darüber entscheidet, ob diese Regelung zulässig ist“). Dies gelte gleichermaßen für die Einführung einer Strafbar­ keit über Prinzipien der Zurechnung, vgl. Rogall, GA 2015, 260, 265 mit Fn. 56; i. d. S. auch Kubiciel, ZRP 2014, 133, 134; Vogel, StV 2012, 427; vgl. auch Löffelmann, JR 2014, 185, 198, wonach man schwerlich Dogmen errichten könne, die dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unüberwindliche Grenzen aufwiesen. So auch Müller, Juristische Person im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 28, wonach der Gesetz­ geber durch die Einführung ordnungswidrigkeitenrechtlicher Vorschriften die Voraus­ setzungen für die Einführung einer kriminalstrafrechtlichen Verantwortlichkeit juristi­ scher Personen geschaffen habe. 198  v. Jhering, Der Zweck im Recht I, S. 488, 490 m. w. N. bei Kubiciel, ZRP 2014, 133, 134. 199  Vogel, in: Unternehmensstrafrecht, S. 205, 207; zustimmend Krems, ZIS 1/2015, 5. 200  Vogel, StV 2012, 427, 428; so auch Kubiciel, ZRP 2014, 133, 134 f. 201  Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, 11. Aufl. 2003, § 18 Rn. 27; zustim­ mend Schmitt-Leonardy, ZIS 1/2015, 11. 202  So Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, 11. Aufl. 2003, § 18 Rn. 27 m. w. N., wonach Normen des Strafrechts eine Zurechnung des Verschuldens handelnder Or­ gane anordnen könnten, insofern könne etwa die Schuldfähigkeit vom Gesetzgeber normiert werden; zustimmend Vogel, in: Unternehmensstrafrecht, S. 205, 206; ebenso Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 187, 192, 196, 216, die als Grenze den besonderen Charakter der Schuld und deren Bedeutung nennt,

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine Normadressateneigen­ schaft der juristischen Person bereits anerkannt habe, sehen einige in § 14 StGB und § 9 OWiG, da die dort geregelte Frage der Verantwortlichkeit des Vertreters eng mit der Frage nach der Stellung des Vertretenen auf Norme­ bene verknüpft sei.203 So sei die juristische Person in diesen Fällen Normad­ ressat und die natürliche Person lediglich Handelnder oder Unterlassender.204 Begründet wird dies mit dem Wortlaut der Sanktionsnormen, in dem der Unternehmensbezug der Vertreter explizit erwähnt werde, ihnen jedoch die notwendigen Qualifikationen von Unternehmensseite her erst zugerechnet werden müssten.205 Die Vertreter (und Organe) seien insofern nur „verdeckte Normadressaten“.206 Fragwürdig an dieser Argumentation ist bereits die Unterstellung, der Ge­ setzgeber habe eine Regelung gewollt, die bisher anerkannten Prinzipien widerspricht, wenn es ohne Weiteres möglich ist, die getroffenen Regelungen so auszulegen, dass dieser Widerspruch nicht entsteht. Auf diese Weise wird dem Gesetzgeber eine Macht zugeschrieben, die er tatsächlich nicht hat: Zwar kann er sich im Rahmen der Gesetzgebung eines weiten Spielraums bedienen; dieser umfasst aber gerade nicht die Fähigkeit, alles und jeden zum Adressaten von Normen zu machen, ohne dass dies dogmatischen Grundsätzen folgt. Dogmatik ist insofern auch keineswegs Selbstzweck, son­ weswegen das Unternehmen tatsächlich für die Tat seines Vertreters verantwortlich sein müsse. Wie genau dieses Einstehenmüssen i. S. eines „inneren Zusammenhangs“ bzw. „sittlichen Versagens“ bei einer juristischen Person jedoch ausgestaltet sein kann, bleibt bei ihr offen; genannt werden lediglich die Begünstigung krimineller Strukturen und ähnliche Aspekte, die jedoch nie von der juristischen Person ausgehen können, sondern auch immer nur von ihren Vertretern. Ein Unternehmen etwa kann sich umgekehrt auch niemals um „Mechanismen zur sorgfältigen Auswahl und Kont­ rolle der Mitarbeiter“, sinnvolle „äußere Rahmenbedingungen“ oder andere krimina­ litätshindernde Maßnahmen bemühen, so aber die Formulierungen auf S. 193 f. Be­ rechtigte Kritik an dieser These kommt daher von Schünemann, GA 2015, 274, 275 f. mit Fn. 12, wonach ein Rechtssystem, in dem der Gesetzgeber „selbstherrlich“ ein Strafrechtssubjekt bestimmen könne, nicht weit von der Strafbarkeit von Tieren im Mittelalter oder aber der Sippenhaft im Nationalsozialismus entfernt sei. 203  Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 613; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 26 ff. Vgl. auch Mittelsdorf, Unterneh­ mensstrafrecht im Kontext, S. 53, 57 ff., im Hinblick auf § 9 OWiG, § 14 StGB sowie §§ 30, 130 OWiG. 204  Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 365; i. d. S. auch Ehrhardt, Unterneh­ mensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 188, die bei § 14 StGB „wenigstens ge­ danklich“ voraussetzt, dass sich die verletzte Norm zunächst an die vertretene juristi­ sche Person richte, denn nur dann sei diese in der Lage, dem Individuum ein persön­ liches Merkmal zu vermitteln. 205  Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 613. 206  Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 30.



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dern dient vor allem dazu, „die jeweils maßgeblichen sachlogischen Struktu­ ren zu benennen und Normen daran zu prüfen“.207 Diesbezüglich mag es dem Gesetzgeber freilich möglich sein, Sanktionen gegenüber juristischen Personen „auf dem Papier“ zu normieren, dennoch befähigt ihn dies nicht dazu, auch vorstrafrechtlich relevante Verhaltensnor­ men gegenüber juristischen Personen zu bestimmen. Die den Sanktionsnor­ men zugrundeliegenden Verhaltensnormen bestimmen sich insoweit allein nach den (auch verfassungsrechtlich abgesicherten) Grundprinzipien rechtli­ cher Verhaltensbeeinflussung. Diese sind für den (Straf-)Gesetzgeber nicht disponibel, sondern deren Beachtung wird bei der Regelung und Anwendung von Sanktionsnormen stets zwingend vorausgesetzt. Wie Schünemann zutref­ fend betont, ist auch der Gesetzgeber an die „Gesetze der Logik gebunden“208 und muss sich an die Vorgaben des Grundgesetzes halten. Man denke nur an den verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bzw. das verfassungsrechtlich verankerte Schuldprinzip. Eine einfachgesetzliche Aus­ nahme hiervon ist gerade nicht möglich. Die für eine Strafbarkeit erforderli­ che Normadressateneigenschaft juristischer Personen kann daher nicht belie­ big festgelegt oder gar fingiert werden.209 Gerade der Gesetzgeber muss sich an dogmatische Vorgaben halten und kann nicht über die Definition der Normadressateneigenschaft juristischer Personen ein eigenes Unternehmens­ strafrecht unabhängig von den elementaren Grundsätzen rechtsstaatlichen Strafens schaffen.210

207  Zieschang,

GA 2014, 91, 95. ZIS 1/2014, 1, 3; ders., GA 2013, 193, 200; i. d. S. auch Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 231, 249, wonach der Gesetzgeber „eine in sich schlüssige sowie mit den für die in Frage stehenden Teilbereiche der Gesamtrechts­ ordnung geltenden Grundannahmen kompatible und deshalb sachgerechte Entschei­ dung zu treffen hat“. Vgl. auch Mitsch, NZWiSt 2014, 1, 2: Es wird dem Gesetzgeber nicht gelingen, „entgegenstehende Naturgegebenheiten zu beseitigen und die Gesetze der Physik außer Kraft zu setzen“. 209  Sie kann auch nicht – wie etwa Vogel, StV 2012, 427, 428, meint – damit be­ gründet werden, dass der entsprechenden Dogmatik nur ein Teil  der Rechtswissen­ schaft folge, sodass der Gesetzgeber erst recht nicht daran gebunden sei. 210  Zutreffend Zieschang, GA 2014, 91, 95; ders., ZStW 115 (2003), 117, 129, der auch im Vergleich zum französischen Recht vor der Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen warnt, da deren Hauptübel in der „dogmati­ schen Unausgegorenheit“ liege; vgl. hierzu i. R. anderer Gesetzesbemühungen bereits Lange, JZ 1952, 261, 262 f.; ebenso Huss, ZStW 90, (1978), 237, 260, wonach derje­ nige, der „den festen Boden des Individualstrafrechts verlässt“, bald erfahre, dass er unnützen und schwierigen Verwicklungen entgegengehe. 208  Schünemann,

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

(1) Folgeprobleme der „Strafkonkretisierung“ bei fingierter Straffähigkeit juristischer Personen Wie oben angesprochen, ist Strafe als Widerspruch gegenüber dem Norm­ verstoß zur Beseitigung der Gefahr eines Normgeltungsschadens zu verste­ hen.211 Mit der Strafe wird ein konkreter Vorwurf bzw. Tadel aufgrund eines bestimmten Verhaltens erhoben.212 Strafe muss daher stets angemessen auf ein bestimmtes – die Normgeltung in Frage stellendes – Verhalten reagie­ ren.213 Eine Infragestellung der Normgeltung ist durch juristische Personen – wie oben erläutert – aber gerade nicht möglich. Das können nur Personen, die fähig sind, eigenverantwortliche Entscheidungen (für oder gegen das Recht) zu treffen. Und nur diesen gegenüber kann zur „Wiederherstellung des gestörten Rechtsfriedens“214 ein entsprechender Vorwurf erhoben wer­ den. Fehlt es dagegen an einer Infragestellung der Normgeltung, besteht schon gar kein strafrechtliches Reaktionsbedürfnis. Dementsprechend ist eine angemessene „Schuldstrafenbestimmung“215 anhand eines der juristischen Person vorwerfbaren personalen Fehlverhal­ tens, da ein solches vollkommen fehlt, von vornherein ausgeschlossen. Eine (verdeckte) Zurechnung fremder Verantwortung, an der es der juristischen Person als eigener gerade fehlt,216 oder die Bestimmung von „Strafe“ anhand 211  Vgl.

dazu oben (Dritter Teil A. I. 2.). SchwZStr 70 (1955), 243, 259: Der Vorwurf beziehe sich auf ein Versagen im Motivationsvorgang und könne deshalb nur gegenüber der einzelmen­ schlichen Persönlichkeit Sinn haben; vgl. auch Freund, GA 1999, 509, 510, wonach der Schuldspruch stets den Vorwurf eines spezifischen personalen Fehlverhaltens be­ inhalte; ebenso Frisch, FS Wolter, S. 349, 370, der insofern solche Ansätze ablehnt, die die Bestrafung juristischer Personen damit legitimieren möchten, dass dies die Folge einer bestimmten Inanspruchnahme von Freiheit sei, für deren Folgen auch juristische Personen verantwortlich zu machen seien. Darüber hinaus solle Strafe ein sinnlich erfahrbares Übel darstellen, welches durch ein Unternehmen nicht als solches empfunden werden könne, vgl. Peglau, JA 2001, 606, 609; bezüglich einer nicht durchsetzbaren Freiheitsstrafe gegenüber juristischen Personen s. Schünemann, Un­ ternehmenskriminalität, S. 233; Volk, JZ 1993, 429, 431; zur „Sühneleistung“ der Strafe vgl. Jescheck, ZStW 65 (1953), 210, 213 f. 213  Freund, GA 1999, 509, 510, 533. 214  Freund, AT, § 1 Rn. 10; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 71: Dies nämlich sei gerade „tragende Funktion der Strafe“. 215  Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 90, wonach dies zwingend sei als „angemessene“ Reaktion auf den begangenen Normbruch; ders., GA 1999, 509, 511, 526; ders., GA 2010, 193, 195 f.; vgl. auch Bender, ZfZ 1976, 139, der als wich­ tigsten Strafzweck die Schuldvergeltung ansieht, woraus sich im Umkehrschluss er­ gebe, dass es ohne Schuld keine Strafe geben könne. Dazu bereits ausführlich oben (Dritter Teil A. II., III.). 216  Frisch, FS Wolter, S. 349, 370 f.; näher zur Problematik der Zurechnung unten (Dritter Teil B. I. 2.). 212  Jescheck,



B. Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen de lege ferenda? 61

von „Gesichtspunkten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“217 hätte mit dem rechtlichen Institut der Strafe nichts mehr gemein. Bezeichnenderweise spricht auch der angeführte Gesetzesentwurf davon, eine strafrechtliche Sanktionierung juristischer Personen anhand von Krite­ rien zu bestimmen, die mit einer Schuldstrafe nichts mehr zu tun haben  – etwa in § 6 Abs. 3 VerbStrG-E nach dem Gewicht der Auswirkungen und verbandsbezogenen Zuwiderhandlung sowie nach Art, Schwere und Dauer des Organisationsmangels. Vor ähnlichen Problemen der Unvereinbarkeit ei­ ner Unternehmensstrafbarkeit mit dem für Strafen essentiellen Schuldprinzip standen auch andere Mitgliedsstaaten der EU: Schweden etwa bezeichnete die Unternehmenssanktionen daher als „Nebenfolgen sui generis“.218 Ebenso fallen in der Literatur terminologische Unstimmigkeiten auf, wenn etwa von „andere[n] strafrechtliche[n] Sanktionen“219 oder „eigenständigen kriminal­ rechtlichen Sanktionen“220 die Rede ist.221 Anhand dieser Vorgehensweisen und Schwächen im Wege der Ausgestal­ tung einer etwaigen „Sanktion“ gegenüber juristischen Personen lässt sich klar erkennen, dass eine Sanktionierung juristischer Personen auf Strafrechts­ ebene in einem schuldorientierten Strafrecht nicht möglich ist.222 Insofern 217  Zutreffend kritisch diesbezüglich Zieschang, GA 2014, 91, 94; s. auch Jescheck, ZStW 65 (1953), 210, 213 f., der andere Länder als Negativbeispiele heran­ zieht, in denen eine Unternehmensstrafbarkeit genau hiernach bestimmt werde. 218  Vgl. dazu Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor  §§ 25 ff. Rn. 124; Leipold, ZRP 2013, 34, 35; Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 273. Zu den Schwächen des spa­ nischen Modells einer strafrechtlichen Unternehmensverantwortlichkeit vgl. etwa Díaz y García Conlledo, GA 2016, 238 ff. sowie Silva Sánchez, GA 2015, 267, 270 ff., der allenfalls eine „diachronische Verletzung der Sorgfaltspflichten von vielen natür­ lichen Personen“, nicht aber eine „organisatorische Vorwerfbarkeit“ sieht und inso­ fern von klassischer Strafe Abstand nehmen möchte. 219  Dannecker, GA 2001, 101, 105. 220  So Dannecker, GA 2001, 101, 125, der anstelle der Geldstrafe für ein „Straf­ geld“ plädiert. I. S. einer eigenständigen Sanktionsspur bei juristischen Personen auch Böse, ZStW 126 (2014), 132, 147; Rogall, GA 2015, 260, 265 („[…] neue Sanktions­ spuren eröffnen. Dies […] verfassungsrechtlich ohne Weiteres möglich“). Vgl. auch Greco, GA 2015, 503, 505, 516: Höchstpersönliche Rechte dürften nur aufgrund höchstpersönlichen Fehlverhaltens angetastet werden. Da juristische Personen keine solchen Rechte hätten, sei eine Sanktionierung möglich, aber nicht in Form klassi­ scher „Strafe“, diese setze gerade höchstpersönliche Schuld voraus. 221  Vgl. hierzu auch Jakobs, FS Lüderssen, S. 559, 560 mit Fn. 6, der insoweit zutreffend von einer „Ergebnis-, nicht aber Begriffsorientierung“ spricht. 222  A. A. Böse, FS Jakobs, S. 15, 18, der eine Strafe gegenüber juristischen Perso­ nen für möglich hält, um einen von ihr ausgehenden Rechtsverstoß öffentlich zu missbilligen und sie für die Zukunft zu einem rechtskonformen Verhalten zu motivie­ ren; ebenso Dannecker, GA 2001, 101, 114 f., der die Straffähigkeit juristischer Per­ sonen unter general- bzw. spezialpräventiven Aspekten und sogar i. S. einer Vergel­ tung bejaht. Vgl. zu den darüber hinaus auftretenden prozessualen Schwierigkeiten

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

verdeutlichen gerade die verschiedenen Terminologien den oben angeführten Widerspruch in sich: In einem schuldorientierten Strafrecht, bei dem die Strafe „schuldangemessen“ bestimmt werden muss, bleibt für die Strafbar­ keit juristischer Personen kein Raum. Mangels eigener strafrechtlicher Ver­ antwortlichkeit juristischer Personen entfallen auch die sich beim Versuch einer Strafkonkretisierung ergebenden unlösbaren Folgeprobleme  – etwa im Hinblick auf die sog. Strafempfänglichkeit.223 (2) Neues Strafverständnis: Strafe ohne Vorwurf? Das hier Dargestellte geht von einem Begriff der Strafe aus, welcher zwin­ gend einen Vorwurf gegenüber dem zu Bestrafenden impliziert. Freilich könnte man überlegen, auf den Vorwurf ganz zu verzichten und dementspre­ chend gegenüber juristischen Personen ein neues Institut der „Strafe ohne Vorwurf“ einzuführen. Dieses Institut müsste sich jedoch wegen seines Ein­ griffscharakters ebenfalls an den grundlegenden verfassungsrechtlichen Kri­ terien – insbesondere des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – messen lassen. Schon sein legitimer Zweck wäre zu hinterfragen: Um die angemessen miss­ billigende Reaktion auf ein begangenes Fehlverhalten gegenüber der dafür verantwortlichen Person kann es jedenfalls nicht mehr gehen. Daher bleibt im Dunkeln, zur Erreichung welches legitimen Zwecks die „Strafe ohne Vor­ wurf“ ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel sein soll. Die Sache wird nicht dadurch besser, sondern nur noch schlimmer, dass versucht wird, zumindest einen Teil des Vorwurfscharakters beizubehalten, ohne jedoch die Legitimationsbedingungen eines erhobenen Vorwurfs beach­ ten zu wollen. Ein solches Vorgehen erscheint insbesondere auf der Basis historischer Überlegungen und im Vergleich zum Strafverständnis anderer Länder zwar nicht völlig abwegig:224 Man akzentuiert dann bei der „Strafe“ stärker den reinen Übelscharakter und lässt dafür den persönlichen Vorwurf in den Hintergrund treten. Akzeptabel ist das aber jedenfalls dann nicht, wenn unterschwellig doch mit einem Vorwurf gearbeitet wird, der sich sach­ lich nicht begründen lässt. am Beispiel des Gesetzesentwurfs der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, 2013, eingehend Fischer/Hoven, ZIS 1/2015, 32 ff. 223  So Hartung, in: 40. DJT, Band II, S. E43; vgl. dazu auch Engisch, in: 40. DJT, Band II, S. E16 f. In der Sache können nur Personen bestraft werden, die auch in der Lage sind zu verstehen, was ihnen widerfährt. Juristische Personen können auch das nicht. 224  Zu etwaigen Versuchen nimmt Frisch, in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 168 ff., ausführlich und kritisch Stellung (m. w. N. zur Histo­ rie und den unterschiedlichen Ausprägungen innerhalb der EU in Fn. 41).



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Verzichtet man aus diesem Grund bei der „Strafe“ gegenüber einer juristi­ schen Person auf einen Vorwurf zur Gänze, stellt sich nicht nur das bereits genannte Legitimationsproblem, sondern es werden auch die elementaren Anforderungen an eine angemessene Begrifflichkeit nicht gewahrt. Zu be­ achten ist, dass der Begriff der Strafe eine lange historische Prägephase durchlaufen hat und auch im Kontext unserer heutigen Verfassung zwingend einen Vorwurf rechtlich fehlerhaften Verhaltens impliziert. Der Schuldspruch ist dafür eindeutiger Beleg. „Strafe ohne Vorwurf“ ist nichts anderes als ein Widerspruch in sich – eine contradictio in adiecto. Ein entsprechender „Schuldspruch“ gegenüber einer juristischen Person wäre es ebenfalls. Strafe muss einem Zweck dienen, der es rechtfertigt, in Rechte des Betrof­ fenen in erheblichem Maße einzugreifen. Ein solcher Zweck kann jedoch nur mittelbar im Rechtsgüterschutz zu erblicken sein, welcher dadurch verwirk­ licht wird, dass Strafe dem Normbrüchigen im Sinne eines Vorwurfs vor Augen führt, was von ihm im Rahmen der Verhaltensnormen verlangt wird.225 Eine Strafe ohne Vorwurf kann es somit nicht geben, dies spiegelt gerade das „kommunikative Grundkonzept“226 der Strafe wider. Ob mit einer „Strafe ohne Vorwurf“ motivatorische Effekte zu erzielen sind, kann dahinstehen. Damit verhielte es sich nicht anders als mit dem Stock, der durchaus geeignet sein mag, den widerspenstigen Hund zur Unter­ werfung zu zwingen. Strafe als rechtliches Institut ist das jedoch nicht. Je­ denfalls kann auch über eine zukünftige Motivierbarkeit des Unternehmens Strafe nicht legitimiert werden.227 Strafe setzt einen rechtlichen Tadel voraus: „Wenn eine Sanktion keine Tadelskomponente enthält, ist sie keine Strafe im eigentlichen Sinne“.228 225  Den Vorwurfscharakter der Strafe betont auch Wohlers, in: Unternehmensstraf­ recht, S. 231, 233 m. w. N. in Fn. 12, der in diesem Zusammenhang jedoch auf die mangelnde Strafempfänglichkeit bei Unternehmen und auf die Aussage „no soul to be damned, and no body to be kicked“ abstellt. Im Rahmen der Modelle, welche das Unternehmen dennoch bestrafen möchten, könne dies darauf hinauslaufen, dass tat­ sächlich Unschuldige bestraft würden, indem letztlich die Anteilseigner und Mitarbei­ ter unter einer Bestrafung litten. Hier weist Wohlers auch auf das Verbot der Doppel­ bestrafung (ne bis in idem) hin, lehnt etwaige Einwände i. E. jedoch ab, vgl. S. 234 ff. Ausführlich zu der Aussage „no soul to be damned, and no body to be kicked“ Coffee, Michigan Law Review 79 (1981), 386 ff. 226  Timm, Gesinnung und Straftat, S. 72, näher dazu bereits oben (Fn. 113). 227  So aber etwa Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 201, die eine Motivierbarkeit juristischer Personen jedenfalls aufgrund der Moti­ vierbarkeit ihrer Mitarbeiter sieht. 228  Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 231, 247; vgl. auch Hirsch, Straffähig­ keit von Personenverbänden, S. 17 f.; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 123, der i. E. aber von der Schuldfähigkeit juristischer Personen ausgeht; Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 679, 686 („Strafe ohne Schuld im Sinne individueller Vor­

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

Eine originäre Strafbarkeit juristischer Personen ist daher nicht begründ­ bar. Alle darüber hinausgehenden Versuche, doch zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu gelangen, erscheinen als reines Mittel zum Zweck. Begrifflichkeiten würden dann oberflächlich gebraucht, nur um den Weg zu einer Strafbarkeit juristischer Personen zu ebnen. Dies kann nicht hingenom­ men werden: Ein Festhalten an dem einen konkreten Vorwurf ins Zentrum stellenden Straftatbegriff ist gerade bei einer Fragestellung wie der hier inte­ ressierenden mehr als geboten, um verfassungsrechtliche Vorgaben nicht aus einer scheinbar äußerlichen Zwangslange (etwa aufgrund vermeintlicher Forderungen der EU) heraus zu umgehen. b) Zur Verdeutlichung: Auch keine „Schuldfähigkeit“ juristischer Personen Sachlich deckt sich das gerade Gesagte mit dem verfassungsrechtlich ver­ ankerten Schuldprinzip, welches  – wie oben (Dritter Teil  A. III.) gezeigt  – auf zwei Ebenen relevant wird: Einerseits muss das Verhalten bereits in ei­ nem personalisierten Sinne unrechtmäßig gewesen sein – personales Verhal­ tensunrecht muss vorliegen. Dieses personale Verhaltensunrecht im straf­ rechtlich relevanten Sinne ist ohne Schuld nicht denkbar, weil nur bei vorhandener Schuld eine Infragestellung der Normgeltung durch die Person gegeben ist. Andererseits muss der erhebbare Vorwurf für den besonders in­ tensiven Eingriff der Bestrafung hinreichend gewichtig sein. Das bedeutet: Für den Einsatz von Strafe ist personales Verhaltensunrecht erforderlich, welches zudem hinreichend gewichtig sein muss. Im Folgenden interessiert primär die Frage nach dem personalen Verhaltensunrecht überhaupt. Ein „schuldloses Verhaltensunrecht“ wäre insofern eine contradictio in adiecto.229 Die entsprechenden Probleme werden häufig unter dem Stichwort der „Schuldfähigkeit“ juristischer Personen diskutiert. Befürworter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen, die den Vorwurf direkt gegen das Unternehmen erheben möchten, gehen im werfbarkeit darf es nicht geben“); ders., FS Schmitt, S. 295, 302 („Hier fehlt dann jedes Substrat für Strafe“). Zutreffend auch Engisch, in: 40. DJT, Band  II, S. E15 f., wonach eine „Interessenopferung“ aus ‚kriminalpolitischer Notwendigkeit‘ “ noch keine Strafe sei. Vielmehr ergebe sich die „kriminalpolitische Notwendigkeit“ erst aus dem Wesen der Strafe selbst – sonst handele es sich „eben um andere Notwendig­ keiten: um polizeiliche oder zivilrechtliche“. 229  Freund, GA 2010, 193, 197; i. d. S. auch Jakobs, Der strafrechtliche Hand­ lungsbegriff, S. 41 ff. („Schuld als Handlungsvoraussetzung“); Lesch, Der Verbre­ chensbegriff, S. 205 ff. („Strafunrecht ist die strafrechtliche Schuld selbst“); ders., JA 2002, 602, 609; Pawlik, FS Otto, S. 133 ff.; vgl. auch Sinn, ZIS 3/2006, 107, 114 f., der Schuldunfähige demnach auch als Adressaten von Normen ausschließt.



B. Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen de lege ferenda? 65

Grundsatz zwei Wege, um die Problematik des Schuldprinzips zu „lösen“. Einige lehnen die Anwendbarkeit des Schuldprinzips bei juristischen Perso­ nen aufgrund der ihnen nicht zustehenden Menschenwürdegarantie aus Art. 1 GG ab.230 Andere stellen im Rahmen der Schuld auf ein eigenes Verschulden der juristischen Personen innerhalb ihrer Binnenorganisation ab, wobei sich diese Ansicht in unterschiedlichen Ausprägungen und Begriffen konkreti­ siert,231 die sich etwa anhand systemischer Organisationsherrschaft und kol­

230  So etwa Vogel, StV 2012, 427, 429, der den Schuldgrundsatz nicht auf Unter­ nehmen anwenden möchte, da diesen auch die Menschenwürdegarantie des Art. 1 GG nicht zustehe; vgl. auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 415, wonach der Abwägungsschutz des Schuldprinzips der juristischen Person nicht zu Gute kommen solle, da die Menschenwürde und insbesondere die personale Eigenverantwortlichkeit nicht für juristische Personen einschlägig sei. I. d. S. auch Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, S. 13, 18 ff., wonach (i. E. eine Strafbarkeit jedoch ablehnend) das Schuldprinzip eine Sperrwirkung nur innerhalb seines Rele­ vanzbereichs entfalten könne. Er möchte dies damit belegen, dass man auch die „Be­ strafung“ von Tieren nicht als Verstoß gegen das Schuldprinzip werten würde. Hier werden jedoch falsche Schlussfolgerungen gezogen: Aus der Nichtanwendbarkeit des Art. 1 GG bei juristischen Personen folgt nicht die Nichtanwendbarkeit des Schuld­ grundsatzes i. R.d. Strafbarkeit, sondern der Ausschluss klassischer – schuldorientier­ ter – Strafe selbst. Dies verkennen auch u. a. Böse, FS Jakobs, S. 15, 18; Dannecker, GA 2001, 101, 114, die dann jedoch i. R.d. Schuldgrundsatzes auf allgemeine rechts­ staatliche Anforderungen abstellen. Vgl. auch Haubner, DB 2014, 1358 ff., die zwar das Schuldprinzip auf Unternehmen für nicht anwendbar erachtet, ihm jedoch i. S. von mittelbar faktischen Grundrechtseingriffen bei natürlichen Personen wieder Bedeu­ tung zuschreibt. 231  Hirsch, Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 16; ders., ZStW 107 (1995), 285, 291 ff.; zum Begriff des Organisationsverschuldens vgl. etwa Kubiciel, ZRP 2014, 133, 136, wonach sich im Hinblick auf natürliche Personen aus der Tatsache, wer eine Pflicht erfüllt, nicht ableiten lasse, wen diese Pflicht rechtlich treffe; i. d. S. auch Tiedemann, NJW 1988, 1169, 1172; vgl. auch Eidam, Straftäter Unterneh­ men, S. 106 ff., 117 f., der die Schuldfähigkeit aus der eigenen Unternehmensdynamik heraus ableiten möchte, die sich so schließlich auch in der Öffentlichkeit darstelle; ebenso Pieth, KJ 2014, 276, 277 („kollektive Fehlverläufe“). Zu einem konstruktivis­ tischen Unternehmensschuldbegriff vgl. Gómez-Jara Díez, ZStW 119 (2007), 290, 298 ff. Dannecker, GA 2001, 101, 119, möchte die von einem Unternehmensangehö­ rigen begangene Straftat sogar als „objektive Bedingung der Strafbarkeit“ verstanden wissen. A. A. zutreffend Hoven, ZIS 1/2014, 19 ff.; Schünemann, ZIS 1/2014, 1 ff.; Zieschang, GA 2014, 91 ff.; kritisch zum Begriff des Organisationsverschuldens all­ gemein Schünemann, in: Leipziger Kommentar I, Vor § 25 Rn. 24, wonach man dem Unternehmen vor allem nicht den konkreten Normverstoß vorwerfen könne, sondern lediglich irgendeinen organisatorischen Fehler; ders., FS Tiedemann, S. 429, 437, denn mit dem Ausdruck des Organisationsverschuldens werde ein bloßer Zustand, nicht jedoch ein Normverletzungsverhalten, beschrieben; i. d. S. auch Schroth, Unter­ nehmen als Normadressaten, S. 203 f., da dies jedenfalls wieder auf ein Zurechnungs­ modell hinauslaufe. Kritik an einer „Kollektivschuld“ kommt auch von Cigüela Sola, GA 2016, 625 ff.

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

lektiven Wissens bestimmen:232 Dies sei eine extensive Auslegung der Schuldfähigkeit der juristischen Person,233 wobei der juristischen Person als eigenes Unrecht – anders als im Rahmen des Zurechnungsmodells234 – ge­ rade nicht das strafrechtliche Fehlverhalten der natürlichen Personen vorge­ worfen werde, sondern vielmehr die Tatsache, vermittelt durch die Organe, keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen zu haben, die von einer juristi­ schen Person selbst rechtlich erwartet werden könnten, um Straftaten im Zusammenhang mit ihrer Betätigung zu verhindern.235 Indem der Strafge­ setzgeber Strafvorschriften für Verbände einführe, beschränke er insofern den Vorwurf auf eine unzulängliche Unternehmens- bzw. Organisationsstruktur und löse ihn von individuellen Momenten im Sinne einer höchstpersönlichen Schuld.236 Ein sozialethischer Vorwurf sei dann weniger auf den Normadres­ saten als vielmehr darauf zu beziehen, dass die verletzte Norm sozialethisch fundiert ist; insofern könne sich zwischen natürlichen und juristischen Perso­ nen diesbezüglich kein Unterschied ergeben.237

232  Vgl. dazu etwa Dannecker, GA 2001, 101, 111 f.; Heine, Strafrechtliche Verant­ wortlichkeit von Unternehmen, S. 311; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor §§  25 ff. Rn.  131 m. w. N. 233  Vgl. hierzu Otto, Jura 1998, 409, 416, wonach der Schuldgrundsatz an Bedeu­ tung verliere und auf das Prinzip zweckmäßiger Strafe reduziert sei. I. d. S. auch ­Kubiciel, ZRP 2014, 133, 136 m. w. N. in Fn. 64–66, der die Schuldfähigkeit einer Person nicht als natürliche, sondern eine ihr (rechts-)kulturell zugeschriebene Eigen­ schaft bezeichnen möchte, die sich allein an sozialen Anschauungen orientiere und somit anpassungsfähig sei. So auch Kindhäuser, ZStW 121 (2009), 954, 956. 234  Näher dazu unten (Dritter Teil B. I. 2.). 235  So etwa Dannecker, GA 2001, 101, 112 f., der die unternehmenseigene Schuld danach bestimmen möchte, ob seitens des sozialen Systems hinreichende Vorkehrun­ gen getroffen wurden, um eine Unrechtsverwirklichung zu verhindern; ebenso Kremnitzer/Ghanayim, ZStW 113 (2001), 539, 564, wonach die Organisationsschuld auf der Schaffung einer „kriminogenen Unternehmenskultur und -politik“ beruhe. Ferner Lampe, ZStW 106 (1994), 683, 732, 744 f., wonach der Inhalt der Schuld vom Inhalt des Unrechts abhänge, welches zu verwirklichen Schuld bedeute; sei ein solches so­ ziales System im Unrecht, dann treffe die Verantwortung hierfür in erster Linie das Unrechtssystem selbst, insofern bestehe mangels strafgesetzlicher Normen ein erheb­ liches Defizit an Strafgerechtigkeit; i. d. S. auch Schroth, Unternehmen als Normad­ ressaten, S. 208, 209; Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 11 m. w. N. Vgl. hierzu auch Frisch, FS Wolter, S. 349, 365, der als Beispiele solcher Pflichten zwar z. B. das Aufstellen von Organisationsstrukturen und Richtlinien, die Nichtbeeinträchtigung fremder Rechtsgüter, die Überwachung des Personals, aber auch die Gewährleistung, dass die eigenen Organe keine Straftaten begehen, anführt, i. E. eine Strafbarkeit je­ doch zutreffend ablehnt. 236  Dannecker, GA 2001, 101, 113. 237  Dannecker, GA 2001, 101, 113, der den Vorwurf nicht individuell, sondern im Rahmen einer sozialethischen Missbilligung bestimmen möchte; vgl. auch Frisch, FS Wolter, S. 349, 363, eine Strafbarkeit juristischer Personen i. E. jedoch ablehnend.



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Auf einer ähnlichen Linie liegt auch die Argumentation Lagodnys:238 Ei­ nen Vorwurf gegen einen Schuldunfähigen zu erheben bedeute zwar, nach­ träglich etwas subjektiv Unmögliches zu fordern; auch sei diese Fragestel­ lung Teil  der Verhältnismäßigkeitsprüfung i. e. S. Gleichwohl könne eine Strafbarkeit juristischer Personen möglich sein, nämlich dann, wenn hier­ durch nicht mittelbar auch ein individueller Vorwurf erhoben werde. Dies müsse prozessual dadurch gekennzeichnet sein, dass man entweder parallel zu einem gegen die juristische Person gerichteten Verfahren ein straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtliches oder ein sonstiges Verfahren gegen die na­ türliche Person einleite oder aber ausdrücklich auf ein solches verzichte, so­ fern jeglicher Anfangsverdacht fehle.239 Andernfalls zeige der Verlauf eines etwaigen Verfahrens gegen die natürliche Person, ob ein personaler Vorwurf zu erheben sei. Nur wenn ein solcher Vorwurf nicht möglich sei, komme eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der juristischen Person in Betracht. Diese dargestellten Ausprägungen einer eigenen Unternehmensschuld be­ gegnen jedoch durchgreifenden Bedenken: Im Rahmen der Schuld geht es – wie oben bereits erörtert – um die individuelle Vorwerfbarkeit, den „persona­ len Tadel“240 oder präziser gesprochen: das „personale Fehlverhalten“.241 Ein personales Fehlverhalten liegt aber nur dann vor, wenn der Täter nach seinen individuellen Verhältnissen in der Lage war zu erkennen und zu vermeiden, dass er möglicherweise den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, ohne gerechtfertigt zu sein, und wenn genau dies von ihm rechtlich erwartet wer­ den konnte.242 Dem Täter muss sein Verhalten persönlich vorwerfbar sein, er muss sich gegen die Rechtsordnung entschieden haben, obwohl er die Möglichkeit hatte, sich in ihrem Sinne zu verhalten.243 Dies betont auch das BVerfG in 238  Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 377 f. mit näheren Erläuterungen. 239  Auch zum Folgenden Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 414 f. 240  Freund, AT, § 1 Rn. 21. 241  Freund, AT, § 4 Rn. 1 ff. 242  Freund, AT, § 4 Rn. 86a. 243  Nach BGHSt 2, 194, 200, liegt der innere Grund des Schuldvorwurfs darin, dass der Mensch „auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt“ und deshalb dazu befähigt ist, „sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entschei­ den, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden“; i. d. S. auch Zieschang, GA 2014, 91, 95. Anders sieht dies Greco, GA 2009, 636, 645, der versucht, eine Verhaltensnorm auch gegen­ über Schuldunfähigen zu legitimieren, indem er diese weiterhin als Normadressaten betrachtet. Zwar könne der Zweck nicht in der Motivierung der Schuldunfähigen liegen, doch in der der übrigen potentiellen schuldfähigen Täter, für die Zukunft ein

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seiner „Lissabon-Entscheidung“: Das Strafrecht beruhe auf dem Schuld­ grundsatz und setze daher die Eigenverantwortlichkeit des Menschen vor­ aus.244 In diesem Verständnis zeigt sich, dass dem Schuldgrundsatz das Menschenbild des Grundgesetzes zugrunde liegt, wonach der Mensch ein auf freie Selbstbestimmung und Selbstentfaltung angelegtes Wesen ist, dem grundsätzlich die Fähigkeit einer freien Entscheidung zwischen Recht und Unrecht zukommt.245 Diese Entscheidung kann nur von einer natürlichen Person getroffen werden, nicht aber von einer juristischen. Insofern kann ein Schuldvorwurf nur gegenüber natürlichen Personen erhoben werden; gegen­ über juristischen Personen ist dies nicht möglich.246 Ein solcher Vorwurf kann auch nicht von natürlichen Personen auf die ju­ ristische Person übertragen werden: Ohne bereits hier näher auf die Proble­ matik der Zurechenbarkeit einzelner Merkmale einzugehen, ist festzuhalten: Schuld im Sinne eines personalen Fehlverhaltens ist gerade ein „höchstper­ sönliches Element“247 innerhalb der Strafbarkeitsvoraussetzungen, sodass es nicht möglich sein kann, ein Verschulden der Organe der juristischen Person zuzurechnen. Eine Übertragung des Schuldvorwurfs gegenüber den Orga­ nen  – als personaler Vorwurf  – auf die juristische Person ist somit nicht möglich und würde schließlich dazu führen, dass „in inhaltsleer-zirkulärer bestimmtes Verhalten nicht unter Berufung auf eine mögliche Schuldunfähigkeit zu zeigen. Kritisch dazu u. a. Freund, GA 2010, 193, 197. 244  BVerfGE 123, 267, 413. 245  BVerfGE 25, 269, 285; 109, 133, 171; 123, 267, 413; BGHSt 2, 194, 200; vgl. hierzu auch Radtke, GA 2011, 636, 640 f., wonach auf diesem Verständnis ebenfalls die allgemein akzeptierte Funktion des Strafrechts als Instrument des Rechtsgüter­ schutzes i. R.d Verhaltensnormen beruhe. Kritisch hierzu insbesondere i. R.d. Fälle der „unbewussten Fahrlässigkeit“ Herzberg, GA 2015, 250, 253. 246  Vgl. dazu bereits Lange, JZ 1952, 261, 262; ebenso Jescheck, ZStW 65 (1953), 210, 213; Jescheck/Weigend, AT, § 23 VII 1; Leipold, ZRP 2013, 34, 35; vgl. auch Otto, Unternehmen und Verbände, S. 16, wonach ein solcher Vorwurf die logische Möglichkeit des individuellen Andershandelns und damit eine empirische Fähigkeit zugrunde lege, die der juristischen Person nicht zu eigen sei. Nach Ellscheid/Hassemer, in: Abweichendes Verhalten  II, S. 266, 269 f., liefe ein Abstellen auf die „Ge­ samtpersönlichkeit des Täters“ auf eine neue Form der „Charakterschuld“ hinaus  – ebenso als werfe man dem Individualtäter seine Lebensführung vor. Vgl. auch Sachs, in: Unternehmensstrafrecht, S. 195, 201, wonach – i. E. dennoch ein vom Schuldprin­ zip losgelöstes Strafrecht für möglich haltend – alle Formen der Unternehmensschuld nicht darüber hinwegtäuschen könnten, „dass es letztlich auch im noch so engen Handlungsverbund eines Unternehmens nur Menschen sind und sein können, die per­ sönlich entscheiden, was im Namen des Unternehmens geschieht“. 247  Zieschang, GA 2014, 91, 95; vgl. auch Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor  §§ 25 ff. Rn. 129, wonach die Schuldzurechnung dem Individualstrafrecht ­grundsätzlich fremd sei. Sie stellen dann aber auf eine originäre Unternehmensschuld ab.



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Weise“248 die juristische Person strafrechtlich für verantwortlich erklärt wird, obwohl sie es gerade nicht ist.249 Über den Weg der Etablierung einer eigenen Unternehmensschuld im Rah­ men „systemischen Versagens“ – und auch im Wege einer etwaigen Zurech­ nung – wird, ebenso als setzte man sich generell über das verfassungsrecht­ lich verankerte Schuldprinzip hinweg, dieses negiert, indem schlicht eine andere Bezeichnung für die nicht vorhandene persönliche Vorwerfbarkeit bei juristischen Personen gesucht wird. Nur um des Ergebnisses willen, etwa aus Gründen des Gerechtigkeitsempfindens, darf das (Straf-)Rechtssystem nicht umgangen und dürfen wichtige (verfassungsrechtliche) Erfordernisse  – wie die Wahrung des Schuldprinzips  – nicht außer Acht gelassen werden. Folg­ lich kommt ein eigenes Verschulden der juristischen Person  – auch im Ge­ wand einer anderen Begrifflichkeit – nicht in Betracht. Begriffe, wie Unter­ nehmens-, Organisations- oder Betriebsführungsschuld allein können nicht über die Tatsache der mangelnden persönlichen Vorwerfbarkeit gegenüber der juristischen Person als rechtliches Gebilde hinwegtäuschen und können daher auch nicht dazu dienen, ihr gegenüber einen Schuldvorwurf zu erhe­ ben. Auch in diesem Rahmen ist es nämlich gerade nicht die juristische Person, die sich selbst organisiert. Produktionsabläufe oder Unternehmens­ strukturen werden ausschließlich durch die hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen bestimmt.250 Folglich kann auch nur ihnen gegenüber ein strafrechtlicher Schuldvorwurf erhoben werden.251 Alle darü­ ber hinausgehenden Versuche der Konstruktion einer mittelbaren Schuldfä­ higkeit sind letztlich nichts anderes als eine Art „verdeckter Zurechnung“,252 auf die unten noch näher einzugehen sein wird (vgl. Dritter Teil B. I. 2.). Nach allem Bisherigen scheitert eine originäre Strafbarkeit juristischer Personen bereits am nicht zu begründenden missbilligten Verhalten auf Tat­ bestandsseite. Eine Straftat setzt  – wie dargelegt  – unhintergehbar den Ver­ stoß gegen eine in der konkreten Situation gegenüber einer bestimmten Per­ son legitimierbare Verhaltensnorm voraus. Dieser Verstoß muss die Qualität einer (geistigen) Infragestellung der Normgeltung durch diese Person besit­ zen. Juristische Personen sind dazu gar nicht in der Lage, sodass sie auch das Strafrecht von vornherein nicht auf den Plan rufen können.

248  v.

Freier, GA 2009, 98, 108. FS Tiedemann, S. 429, 431 f. 250  Frisch, FS Wolter, S. 349, 368; Schünemann, FS Tiedemann, S. 429, 437; Zieschang, GA 2014, 91, 95. 251  Zieschang, GA 2014, 91, 95. 252  So auch Frisch, FS Wolter, S. 349, 367, der sich i. E. gegen eine eigene Straf­ barkeit juristischer Personen ausspricht. 249  Schünemann,

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

An diesem Ergebnis änderte sich nichts durch die Einführung eines Geset­ zes zur Unternehmensstrafbarkeit, da  – wie oben gezeigt  – die Sanktions­ norm stets nur die Geltungskraft einer Verhaltensnorm sichern kann. Liegt eine solche schon nicht vor bzw. ist kein vorwerfbarer Verstoß zu begründen, kann eine Strafbarkeit nicht in Betracht kommen. Eine gleichwohl erfolgende Bestrafung verstieße sowohl gegen sachlogische Grundsätze das Verhalten betreffend als auch gegen das Schuldprinzip; sie wäre zudem zweckrational nicht zu rechtfertigen, weil der mit der Bestrafung verbundene Vorwurf ge­ rade nicht zuträfe.253 2. Konzept einer derivativen Strafbarkeit juristischer Personen kraft Zurechnung des Fehlverhaltens natürlicher Personen Auf der Basis des gerade Gesagten wird deutlich, dass der juristischen Per­ son ein Vorwurf für eigenes Verhalten im strafrechtlichen Sinne nicht gemacht werden kann. Daher werden Modelle vertreten, bei denen es im weiteren Sinne um einen Vorwurf geht, der sich auf die Zurechnung fremden Fehlver­ haltens gründet. In Teilen unterscheiden sich diese jedoch hinsichtlich ihrer Ausgestaltung der konkreten Vorwerfbarkeit gegenüber dem Unternehmen. Von den Befürwortern solcher Modelle wird angeführt, dass Unternehmen eigenständige, soziale Subjekte seien, die aber durch die Handlungen ihrer Organe tätig würden und ihnen somit deren Schuld bzw. im weiteren Sinne deren Strafbarkeit zuzurechnen sei, wenn es sich um betriebsbezogene Tätig­ keiten handele.254 Das Organhandeln soll insofern als Handeln der juristi­ 253  Vgl. Freund, AT, § 4 Rn. 86a. S. auch Schünemann, GA 2015, 274, 278; ders., ZIS 1/2014, 1, 2, wonach ohne das Schuldprinzip auch das traditionelle Strafrecht abgeschafft werden müsse, andernfalls sei die Kriminalstrafe eine Art „sinnloser oder gar törichter Exorzismus“. Die Bestrafung wegen einer in der Vergangenheit liegen­ den Tat sei nur legitimierbar, wenn ein „repressiver“ Kontext von Androhung und vermeidbarer Normverletzung bestehe, anderenfalls wäre es töricht, wegen etwas Früherem ein neues Leid zuzufügen. Ohne Schuldkontext sei eine Bestrafung nicht einmal rational konstruierbar, sie diene keinem Zweck und sei sogar schlimmer als eine zwecklose Vergeltung, weil sie in den meisten Fällen ein viel größeres Übel darstelle, man denke etwa an die für ein Vermögensdelikt verhängte Freiheitsstrafe. 254  Teilweise wird gegen die Unternehmen auch ein – auf dem besonderen Ein­ fluss des Unternehmens auf die Individuen beruhender – eigener Vorwurf erhoben, sodass eine Schuldzurechnung nicht zwingend Teil  des Konzepts ist, i. S. solcher Konzepte mit unterschiedlichen Ausprägungen etwa Ackermann, Strafbarkeit juristi­ scher Personen, S. 203 ff., 217 ff., 243; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Un­ ternehmensstrafe, S. 192 ff.; Hirsch, Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 10 („Form des eigenen Handelns durch einen anderen“); Schroth, Unternehmen als Norm­adressaten, S. 209 („funktionale Organschuld“ werde dem Unternehmen als ei­ gene Schuld zugerechnet). Eine „weiche“ Identifikationstheorie hält auch Rogall, GA 2015, 260, 265, für möglich, wenngleich er neben der bestehenden ordnungswidrig­



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schen Person und Straftaten der natürlichen Personen als solche der juristi­ schen Person selbst anzusehen sein. Im Rahmen einer solchen Lösung ergebe sich nicht die Problematik, dass das Unternehmen mangels Strafbarkeit der natürlichen Personen bestraft werden müsse, vielmehr handele es sich um eine Zusatzbestrafung, mittels deren die Effizienz des Strafrechts erhöht werde.255 Daraus folge keine unzu­ lässige Doppelbestrafung, schließlich sei die juristische Person gerade eigen­ ständig und von der natürlichen Person als Täter zu unterscheiden.256 Inso­ fern sei dieses Modell gegenüber den oben genannten Einwänden – etwa der mangelnden Handlungs- und Schuldfähigkeit juristischer Personen  – gefeit, schließlich solle hier gerade keine eigene Unternehmensstrafbarkeit begrün­ det, sondern lediglich die vorhandene – nach konventionellen Regeln des Strafrechts bestimmte  – Strafbarkeit einer natürlichen auf die juristische Person übertragen werden.257 Eine solche Möglichkeit der Zurechnung bestimmter Merkmale sei inner­ halb des deutschen Strafrechts in vielerlei Hinsicht gegeben, so etwa im Rah­ men des strafrechtlichen Vorwurfs bei der mittelbaren Täterschaft bzw. der Mittäterschaft;258 Zurechnung sei ein „Zentralproblem des Strafrechts“259 und nicht etwa ein Fremdkörper. Insofern müsse es auch möglich sein, das Verhal­ ten und das Verschulden der Organe der juristischen Person zuzurechnen.260 Rogall hält es in diesem Kontext etwa für möglich, eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen über Grundsätze des Ordnungswid­ keitenrechtlichen Regelung eine strafrechtliche nicht als notwendig erachtet. Vgl. auch bereits Busch, Grundfragen, S. 31, wonach die „Verantwortlichkeit des Verban­ des […] in der Regel gleichzeitig eine Verantwortlichkeit jedes einzelnen Genossen für strafbare Handlungen anderer Personen, d. h. vom Standpunkte des Individuums aus eine Zurechnung fremder Tat“ sei. 255  Scholz, ZRP 2000, 435, 439. Vgl. auch Jakobs, FS Lüderssen, S. 559, 564 ff., 570 ff., der jedoch eine Schuldzurechnung ablehnt und lediglich die rechtlichen Pflichten als von Organen erfüllt ansieht. 256  Scholz, ZRP 2000, 435, 439; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 207; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 379; kritisch Leipold, NJW-Spezial 2008, 216, der neben der Gefahr einer mittelbaren zusätzlichen Sanktionierung unbe­ teiligter Arbeitnehmer auch die der Doppelbestrafung sieht. 257  I. S. einer Zurechnungslösung daher auch Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, 11. Aufl. 2003, § 18 Rn. 27; ebenso Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 16 Rn. 18 ff. 258  Scholz, ZRP 2000, 435, 438; vgl. hierzu auch Ackermann, Strafbarkeit juristi­ scher Personen, S. 215 f.; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmens­ strafe, S. 184, 197, auch unter Verweis auf § 75 StGB a. F.; Jescheck, ZStW 65 (1953), 210, 212; Tiedemann, NJW 1988, 1169, 1172. 259  So der Titel bei Hardwig, Die Zurechnung  – Ein Zentralproblem des Straf­ rechts. 260  Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 192 ff., 194.

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rigkeitenrechts zu etablieren, wenngleich er diesen Weg im Ergebnis mangels Notwendigkeit nicht gehen möchte.261 Auch das Strafgesetzbuch gehe – wie § 14 StGB verdeutliche – von einer „grundsätzlich möglichen parallelen Ver­ antwortung von Verband und Individualtäter“ aus.262 Einzig entscheidend sei hierbei, dass der „Kreis der die Identifikation bewirkenden Leitungspersonen nicht zu weit gezogen“ werde; ein Verstoß gegen das Schuldprinzip sei dann nicht erkennbar.263 Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass auf diese Weise eine „Person“ – näm­ lich die juristische  – bestraft würde, obwohl sie selbst gerade keine Straftat begangen hat; die Abkehr vom Recht ist lediglich durch die natürliche Person verwirklicht worden.264 Es geht um die Frage nach der Legitimierbarkeit eines staatlichen Vor­ wurfs gegenüber der juristischen Person aufgrund des Verhaltens einer natür­ lichen Person. Diese liegt auf einer Linie mit der Frage nach der Legitimier­ barkeit eines Vorwurfs im Rahmen der Zurechnung innerhalb der mittelbaren Täterschaft bzw. der Mittäterschaft. Zwar sind bei diesen Konstellationen ausschließlich natürliche Personen beteiligt, doch gelten für die Legitimier­ barkeit eines Vorwurfs die gleichen Voraussetzungen. Kriterien, die für eine Zurechnung unter natürlichen Personen nicht ausreichen, können auch den Vorwurf gegenüber einer juristischen Person nicht begründen. Warum die juristische Person im Rahmen der Zurechnung schlechter gestellt werden sollte, ist jedenfalls nicht ersichtlich.265 Zur näheren Betrachtung der hier in Rede stehenden Frage muss man sich daher zwei Grundprinzipien strafrechtlicher Zurechnung vor Augen führen: Für die Begründung einer Strafbarkeit der juristischen Person über eine Zurechnung bestimmter Tatbestandsmerkmale müssten die durch eine natür­ liche Person verwirklichten Strafbarkeitsvoraussetzungen (auch) für die Strafbarkeit der juristischen Person ausreichen.266 Bei den anerkannten Zu­ rechnungsfiguren des Strafrechts geht es dabei niemals um die Zurechnung fremden Verhaltens ohne einen eigenen Tatbeitrag. Im Mittelpunkt strafrecht­ 261  Vgl. Rogall, GA 2015, 260 ff., 265, wonach die ordnungswidrigkeitenrechtli­ chen Vorschriften ausreichenden Schutz böten; ders., in: KK-OWiG, § 30 Rn. 288: „Never change a winning team“. 262  Rogall, GA 2015, 260, 265. 263  Rogall, GA 2015, 260, 265. 264  Vgl. Frisch, FS Wolter, S. 349, 353 f. m. w. N. 265  So auch Frisch, in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 184 f., wonach zwar keine „sanktionenrechtlichen Freiräume“ zu eröffnen seien, die den Anreiz zur Begehung von Straftaten erhöhten, dieses Ziel jedoch nicht über die strafrechtlichen Prinzipien der Zurechnung hinweg verwirklicht werden dürfe. 266  Frisch, FS Wolter, S. 349, 354.



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licher Verantwortlichkeit steht immer ein persönlicher Vorwurf wegen eigenen Verhaltens, welches unter Umständen die Zurechenbarkeit fremden Ver­ haltens begründet. Dies ist Grundvoraussetzung für eine strafrechtliche Zu­ rechnung. Kriterien hierfür sind etwa: der gemeinsame Tatplan, geteilte Tat­ beiträge oder das „In-den-Händen-Halten“ des Tatgeschehens. Zudem müsste das die Zurechnung begründende Geschehen für das Sub­ jekt auch erkennbar und vermeidbar sein bzw. bei den Vorsatzdelikten vom zu bestrafenden Subjekt tatsächlich erkannt worden sein. Dies ist das „Mini­ mum dafür, dass eine Person im Verhältnis unter natürlichen Personen als Täter einer ganz oder partiell ausgeführten Straftat“ angesehen werden kann.267 Im Rahmen der Vorsatzdelikte etwa kann eine Zurechnung des Han­ delns einer fremden Person nur innerhalb des darauf gerichteten Vorsatzes der Person, der das Verhalten zugerechnet werden soll, geschehen.268 Der Vorsatz ist insofern zugleich eine Grundlage und Begrenzung, niemals je­ doch selbst Gegenstand der Zurechenbarkeit.269 Das bedeutet, die juristische Person müsste die rechtlich zu beanstandenden Vorgänge der natürlichen Personen in irgendeiner Form steuern können.270 Wie oben [Dritter Teil B. I. 1. a) aa)] bereits ausgeführt, kann die juristische Person sich jedoch in keiner Weise „verhalten“. Demnach kann sie auch weder das Tatgeschehen in irgendeiner Form beherrschen noch arbeitsteilig aufgrund eines gemeinsamen Tatplans mit der natürlichen Person zusammenwirken  – insofern ist die Situation schon äußerlich betrachtet nicht mit der im Rahmen der mittelbaren Täterschaft bzw. der Mittäterschaft vergleichbar.271 267  Frisch, in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 183, bezeichnet dies insoweit als ein „subjektives“ Kriterium; vgl. auch Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 18 ff., 41, 150 ff. 268  Frisch, in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 183 f.; i. d. S. auch Köhler, FS Hirsch, S. 65, 74 ff., 81, der eine Verbandsstrafe daher explizit ausschließt; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 42, 152 ff., der dieses Kriterium ebenso auf den Fahrlässigkeitsbereich erstreckt. 269  Frisch, in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 184; ders., FS Wolter, S. 349, 355, 368; ebenso Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 149. 270  Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 150. 271  Frisch, FS Wolter, S. 349, 354; Löffelmann, JR 2014, 185, 188 mit Fn. 23: Auch § 14 StGB helfe über diese Situation nicht hinweg, da er lediglich die Zurech­ nung besonderer persönlicher Merkmale vom Verband zur natürlichen Person begrün­ det. I. d. S. auch Lüderssen, in: Unternehmensstrafrecht, S. 79, 87 f., der insofern von Problemen abstrakter Gefährdung spricht, die in Einklang gebracht werden müssten mit anerkannten Prinzipien strafrechtlicher Zurechnung. Zwar eröffne der Vertretene eine Gefahrenquelle, indem er den Vertreter für sich handeln lässt, doch könne in dieser Beziehung ein Zurechnungsvorgang nicht integriert werden. Daher versage bei juristischen Personen die „gewohnte Dogmatik der Beteiligung mehrerer an einem Delikt“. Jedenfalls scheitere eine Zurechnung der Handlungen des Vertretenden be­

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Darüber hinaus besitzt die juristische Person auch keinen solchen Willen. Eine willentliche Einflussnahme wäre nur vermittelt durch ihre Organe und Vertreter möglich: Bereits das Bewusstsein, fremdes Verhalten als eigenes zugerechnet zu bekommen, als „Minimalvoraussetzung“272 für die Zurechen­ barkeit, müsste nämlich der juristischen Person zugerechnet werden; insofern würde etwas zugerechnet, was im Strafrecht niemals Gegenstand sein kann, sondern gerade selbst Voraussetzung der Zurechnung ist.273 Die Situation der juristischen Person kann den Kriterien bestehender Zurechnungsprinzipien im Strafrecht daher nicht gerecht werden.274 Einen Rückschluss auf einen gegenüber der juristischen Person begründe­ ten Vorwurf lässt dieses Konstrukt im Sinne einer „Als-ob-Fiktion“275 jeden­ falls nicht zu. Der juristischen Person fehlt jene reale Fähigkeit, ein Verhalten zu steuern und diese Entscheidung bewusst zu treffen. In diesem Sinne argu­ mentierte bereits v. Savigny, wonach das Dasein der juristischen Person „auf dem vertretenden Willen bestimmter einzelner Menschen, der ihr, in Folge eine Fiction, als ihr eigener Wille angerechnet“ werde, basiere; diese „Vertre­ tung“ könne jedoch „ohne eigenes Wollen“ nur im Civilrecht, nie im Crimi­ nalrecht beachtet werden.276 Das Zurechnungsmodell basiert demnach auf einem „Zirkelschluss“,277 denn bereits Grundvoraussetzungen der Zurechnung müssten selbst zuge­ rechnet werden, sodass das Konzept strafrechtlicher Zurechnung vollkommen umgangen würde. In der Sache liefe eine Bestrafung der juristischen Person auf eine dem Strafrecht fremde stellvertretende Bestrafung für das Fehlver­ halten anderer hinaus, ohne dass eine entsprechende Verantwortlichkeit be­ gründet werden kann.278 Die Kriterien strafrechtlicher Verantwortlichkeit reits daran, dass der Vertretene nur durch ihn deliktisch handeln könne. Lüderssen verweist insofern auf das „aggregative model“, wonach die Gesamtheit für fremdes persönliches Verschulden „haften“ solle. 272  Frisch, FS Wolter, S. 349, 368. 273  Frisch, FS Wolter, S. 349, 356; ders., in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 183 f. 274  Frisch, FS Wolter, S. 349, 355. Dass diese Bedenken vor dem BVerfG kaum Gehör fänden, wie Rogall, GA 2015, 260, 265, anführt, hilft nicht über die Tatsache hinweg, dass es dogmatisch keine Grundlage hierfür gibt. 275  Frisch, in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 166, ausführlich zur berechtigten Kritik an der sog. Identifikationstheorie S. 165 f. 276  v. Savigny, System II, S. 312. Zu der Problematik der Vermengung strafrechtli­ cher und außerstrafrechtlicher Zurechnung noch unten (Dritter Teil B. II. 1.). 277  So auch Schünemann, in: Leipziger Kommentar I, Vor  § 25 Rn. 23; ders., FS Tiedemann, S. 429, 432; ders., ZIS 1/2014, 1, 4. 278  Zutreffend Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 150: „Bloß ‚zuge­ rechnetes‘ fremdes personales Fehlverhalten ist eben noch immer kein eigenes perso­ nales Fehlverhalten“.



B. Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen de lege ferenda?  75

sind auch nicht etwa nur einfachgesetzlich verankert und dementsprechend disponibel, sondern ergeben sich aus zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgaben: Ein sachlich unzutreffender Vorwurf verstieße gegen das mit Ver­ fassungsrang ausgestattete Schuldprinzip und wäre in einem Rechtsstaat be­ reits zweck- und wertrational nicht zu rechtfertigen. 3. Zwischenergebnis: Keine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen Eine Strafbarkeit juristischer Personen ist nach alledem nicht zu begrün­ den. Weder kann ihnen ein „persönlicher“ Vorwurf gemacht werden noch sind ihnen die Umstände zurechenbar, die gegenüber natürlichen Personen einen Vorwurf begründen. Ein entsprechender Vorwurf ist nicht übertragbar. Daher scheidet eine strafrechtliche Sanktionierung juristischer Personen aus. Auch dem Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuches279 fehlt somit die Legi­ timationsgrundlage.

II. Zum Vergleich: Die juristische Person im Zivilrecht Häufig fließen in die Bewertung der Frage nach einer strafrechtlichen Ver­ antwortlichkeit juristischer Personen Aspekte aus anderen Rechtsgebieten ein.280 Da etwa auch die amerikanische Unternehmensverantwortlichkeit ih­ ren Ursprung im Deliktsrecht habe, sei es nur konsequent, Unternehmen, die deliktisch bereits für Schäden bei Außenstehenden einzustehen haben, auch strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.281 Im Zivilrecht sind juristische Personen und Personenhandelsgesellschaf­ ten282 sowohl vertraglich als auch deliktisch verantwortlich.283 So kann ins­ 279  Aus jüngster Zeit s. den Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013. 280  Hierzu zählt vor allem das Zivilrecht. Aber auch im Bereich des öffentlichen Rechts kann die juristische Person betroffen sein  – etwa im Gefahrenabwehrrecht, wenn durch sie ein Zustand begründet wird, der ein Eingreifen erforderlich macht. Dazu noch unten (Fünfter Teil B. II.). 281  Vgl. dazu Ransiek, in: Unternehmensstrafrecht, S. 285, 303, 309, der betont, dass der Unternehmensträger dann aber nicht „strafrechtlich verantwortlich“ sei, son­ dern hafte – zu dieser Begrifflichkeit noch unten (Dritter Teil B. II. 2.). 282  Zur Rechtsfähigkeit der GbR vgl. BGHZ 146, 341. 283  In diesem Zusammenhang wird unter dem Stichwort „private enforcement“ auch über eine Ausweitung zivilrechtlicher Schadensersatzverfahren diskutiert. Kritisch hin­ terfragt wird, ob solche Regelungsstrategien einen ausreichend langen „Schatten der Hierarchie“ aufwiesen, so Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Straf­

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

besondere bei der zivilrechtlichen Ersatzpflicht für fehlerhafte Produkte gem. § 823 Abs. 1, 2 BGB oder dem Produkthaftungsgesetz bzw. im Rahmen der Haftung für Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB die Pflicht zum Einstehen auch das Unternehmen treffen. Diese kann sogar unabhängig davon sein, wer den Fehler innerhalb des Unternehmens tatsächlich zu verantworten hat, so­ lange ein Schaden begründbar ist.284 Die Verkehrspflichten des Warenherstel­ lers sind an das Unternehmen adressiert und dieses muss sich das Verhalten seiner Organe und nachgeordneten Mitarbeiter ohne Entlastungsmöglichkeit zurechnen lassen.285 Eine Zurechnung findet hier auf der Basis der Überle­ gung statt, dass derjenige, der „seine Freiheiten durch die Einschaltung der Tätigkeit von möglicherweise fehlerhaft handelnden Dritten erweitert“ und so „Gefahren eröffnet“, zum Ausgleich hierdurch entstehender Schäden ver­ pflichtet ist, „wenn es im Zuge des zugestandenen Betriebs […] zu Beein­ trächtigungen der Güter Dritter kommt“.286 1. Unterscheidung zivilrechtlicher und strafrechtlicher Zurechnungskategorien § 31 BGB eröffnet  – neben § 278 BGB bei Schuldverhältnissen  – im Zi­ vilrecht die Möglichkeit, das Handeln eines Organs der juristischen Person zuzurechnen. Teile der Literatur sehen diesbezüglich eine Parallele im Straf­ recht.287 Der BGH hat zur Rechtsnatur dieser Vorschrift ausgeführt: recht?, Rn. 428, die sich ausführlich mit sämtlichen nicht-strafrechtlichen Maßnahmen auseinandersetzt, i. E. jedoch auf die Notwendigkeit strafrechtsnaher Regelungen ab­ stellt: Insbesondere im Rahmen des Zivilrechts könnten etwaige Schadensersatzforde­ rungen nämlich zu einem „bloßen Rechnungsposten“ degradiert werden, zudem be­ dürfe es überhaupt eines Klägers, um solche Forderungen durchzusetzen. Andererseits wird aber auch angemerkt: Die zivilrechtliche Haftung sei in präventiver Hinsicht mit der Unternehmensgeldbuße vergleichbar, drohende Schadensersatzforderungen könn­ ten die Unternehmensleitung zu einer Umstrukturierung bewegen, außerdem sei die Hemmschwelle der Mitarbeiter größer, wenn finanzielle Interessen des Unternehmens betroffen sind, dazu Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 101. 284  Während im Strafverfahren das Gebot der Aufklärung aller Tateinzelheiten gelte, sei für den Zivilrichter uninteressant, welcher Mitarbeiter den Mangel verur­ sacht habe, Eidam/Stang, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 4 Rn. 41. Vgl. zu den Einzelheiten der zivilrechtlichen Produkthaftung etwa Kuhlen, Fragen einer straf­ rechtlichen Produkthaftung, S. 8 ff. 285  Wagner, in: MünchKommBGB, § 823 Rn. 778 m. w. N. 286  Frisch, in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 154 m. w. N. 287  So etwa Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 211 ff.; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 178 f.; Scholz, ZRP 2000, 435, 438; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 180 ff., 185 ff., 209. Mit Recht kritisch dazu etwa Mitsch, NZWiSt 2014, 1, 2, der zwar die Möglichkeit der Zurech­



B. Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen de lege ferenda?  77

„§ 31 BGB ist keine haftungsbegründende, sondern eine haftungszuweisende Norm, die einen Haftungstatbestand voraussetzt. Über § 31 BGB wird die unerlaubte Handlung des Organs lediglich der juristischen Person als Haf­ tungsmasse zugerechnet“.288 Hierdurch entstehe ein normatives Bezugssys­ tem, dessen es für die Postulierung eines eigenen Handelns und Wollens der juristischen Person bedürfe.289 Eine solche Zurechenbarkeit ist etwa notwendig, damit die juristische Per­ son Rechte und Pflichten ausüben kann und so rechtsverkehrsfähig ist. Die zivilrechtlichen Zurechnungsregelungen sind auf den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen angelegt, etwa die Begründung von Schadensersatzansprüchen. Im Zivilrecht – wie auch in Teilen des öffentlichen Rechts – reichen für den Eintritt der entsprechenden Rechtsfolgen gewissermaßen „objektive Krite­ rien“, etwa die Wahrnehmung einer bestimmten Funktion durch die Person, deren Verhalten zugerechnet wird, aus.290 Liegen die entsprechenden Voraus­ setzungen vor, muss die juristische Person für die Folgen der Tätigkeiten der natürlichen Personen einstehen. Im Rahmen der Begründung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit ju­ ristischer Personen darf jedoch gerade nicht auf Grundsätze des Zivilrechts zurückgegriffen werden; die Aussage, es gebe in diesem Zusammenhang eine „zivilrechtliche Parallelproblematik“,291 ist insofern irreführend. Der oben angesprochene Umstand der Freiheitsentfaltung, welcher die Ersatzpflichten im Zivilrecht begründet und auf ein „fiktives Handeln“292 der juristischen Person gestützt ist, kann im Strafrecht, in dem es um die Feststellung der Begehung einer Straftat, d. h. die persönliche Verantwortlichkeit des Betrof­ fenen, geht, nicht zum Tragen kommen. Im Strafrecht mit seinen besonderen Rechtsfolgen, insbesondere der eines staatlichen Vorwurfs gegenüber dem Betroffenen, müssen zusätzliche objektive und subjektive Kriterien gegeben sein: Als Voraussetzung für eine Strafbarkeit muss das Fehlverhalten einzel­ ner natürlicher Personen vorliegen, das es gegenüber diesen rechtfertigt, sie für dieses Fehlverhalten und die sich daraus ergebenden Folgen mit einem rechtlichen Vorwurf zur Verantwortung zu ziehen.293 nung „in dem weiten Rahmen der Gesamtrechtsordnung“ anerkennt, nicht aber im Hinblick auf strafrechtliche Sanktionen. 288  BGH NJW 1987, 1193 1194. 289  Löffelmann, JR 2014, 185, 188, unter Verweis auf §§ 31, 89, 278, 831 BGB. 290  Vgl. zu diesen im Zivilrecht und auch in Teilen des öffentlichen Rechts hinrei­ chend bestimmten „objektiven“ Kriterien Frisch, in: Strafrechtliche Verantwortlich­ keit für Produktgefahren, S. 153, 180 ff. mit weiteren Erläuterungen und Beispielen. 291  Haas, ARSP-Beiheft 134 (2012), 125, 135. 292  Frisch, in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 167. 293  Freund, in: MünchKommStGB VI, § 97 AMG Rn. 3; Frisch, FS Wolter, S. 349, 356; vgl. dazu auch Zieschang, Sanktionensystem, S. 385. Dass es im Strafrecht um

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

Die Missachtung der strafrechtlichen Zurechnungsprinzipien ist auf die Vermengung strafrechtlicher und außerstrafrechtlicher Zurechnung zurückzu­ fü­hren,294 indem zwar der Begriff der strafrechtlichen Zurechenbarkeit ge­ braucht, diese jedoch anhand zivilrechtlicher Regelungen ausgestaltet wird.295 So werden die strengeren Voraussetzungen der strafrechtlichen Zurechenbar­ keit aufgeweicht und es erscheint möglich, die Strafbarkeit eines Organs auf die juristische Person zu übertragen. Hiervon ist jedoch in aller Deutlichkeit Abstand zu nehmen: Die „sachorientierten und gerechtigkeitsorientierten Regeln der strafrechtlichen Zurechnung“ dürfen nicht umgangen werden;296 eine Zurechnung der Strafbarkeit scheidet für die juristische Person in jedem Falle aus. Andernfalls würden die äußersten Grenzen der strafrechtlichen Zurechnung, bei der es doch immer um persönliche Vorwerfbarkeit geht, verkannt.297 2. Haftung als zivilrechtlicher Begriff Zahlreiche Schriften zur Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlich­ keit juristischer Personen sind mit der Bezeichnung der „Haftung“ versehen,298 so auch der Entwurf eines Verbandsgesetzbuches der Landesre­ „mehr“ geht als im Zivilrecht, macht auch Ransiek, in: Unternehmensstrafrecht, S. 285, 289, deutlich: „Es muss im Strafrecht um mehr gehen als um Vorsatz und Fahrlässigkeit oder Vermeidbarkeit“. I. d. S. auch Alwart, Zurechnen und Verurteilen, S. 26 f., wonach Zurechnung und Verurteilung im Strafrecht notwendigerweise auf dieselbe Person zu beziehen seien, während Haftungsfolgen im Zivilrecht „ganz selbstverständlich“ bei der juristischen Person eintreten, für die eine zum Schadenser­ satz verpflichtende Handlung vorgenommen wurde. 294  Zur Unterscheidung von strafrechtlicher und außerstrafrechtlicher Zurechnung s. Frisch, FS Wolter, S. 349, 354 ff., der den Begriff der Zurechnung insofern als ei­ nen „schillernden, durchaus mehrdeutigen Begriff“ bezeichnet. 295  Frisch, FS Wolter, S. 349, 358 f. 296  Frisch, FS Wolter, S. 349, 359. Er spricht insoweit von einer „Verwässerung der strafrechtlichen Zurechnung“, S. 349, 360. 297  Frisch, FS Wolter, S. 349, 355; Schünemann, FS Tiedemann, S. 429, 431 f.; ebenso v. Freier, GA 2009, S. 98, 108. Vgl. dazu auch bereits oben (Dritter Teil B. I. 2.). 298  Vgl. statt vieler Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung in der „Risiko­ gesellschaft“; Kuhlen, Fragen einer strafrechtlichen Produkthaftung; Mittelsdorf, Un­ ternehmensstrafrecht im Kontext, S. 92 ff. („Haftungsmodelle“); s. auch Tiedemann, NJW 1988, 1169, 1172 f., der das Organisationsverschulden für § 30 OWiG als ein Haftungsprinzip bezeichnet, welches dem Kriminalstrafrecht nicht fremd und dem des § 31 BGB ähnlich sei. Auch Stratenwerth, FS Schmitt, S. 295, 307; ders., ZStW 105 (1993), 679, 685, 695, verwendet das Wort „haften“ im Zusammenhang mit der Frage nach einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen; ebenso Alwart, ZStW 105 (1993), 752.



B. Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen de lege ferenda?  79

gierung Nordrhein-Westfalen.299 Im weiteren Sinne versteht man hierunter das Einstehenmüssen für eine aus einem Schuldverhältnis herrührende Schuld; im engeren Sinne geht es um den Zugriff des Schuldners auf das Vermögen des Gläubigers.300 Jedenfalls wird hierdurch die betreffende Per­ son in keiner Weise bewertet, Haftung ist ein Begriff ohne kommunikativen Gehalt.301 Der Begriff der „Haftung“ ist insofern klar im Zivilrecht zu ver­ orten, in dem es um das Verhältnis der Bürger untereinander geht.302 Im Strafrecht als Teil  des öffentlichen Rechts hingegen geht es um Aspekte ei­ nes hoheitlichen Vorgehens; strafrechtlich sollte daher der Begriff der „Ver­ antwortlichkeit“ gebraucht werden. An der Verwendung des Haftungsbegriffs zeigt sich umso deutlicher, worauf die Forderung einer strafrechtlichen Ver­ antwortlichkeit juristischer Personen zurückzuführen ist, nämlich die feh­ lende Grenzziehung zum Zivilrecht, in dem juristische Personen selbstver­ ständlich für Schäden in Anspruch genommen werden können, die aus ihrer Sphäre stammen. Im Strafrecht muss ein differenzierteres Verständnis zugrunde gelegt wer­ den als bei der Frage nach der zivilrechtlichen Haftung: Das Strafrecht be­ stimmt die „fundamentale Bedeutung der natürlichen Person“303 in einer Weise, die sich von der abstrakteren Sicht anderer Rechtsgebiete, insbeson­ dere des Zivilrechts, deutlich unterscheidet.304 Es geht um völlig unterschied­ liche Fragestellungen. Während juristische Personen im Zivilrecht zwar Rechtsgeschäfte abschließen können, sind es doch die dahinter stehenden natürlichen Personen, die – was für das Strafrecht essentiell ist – tatsächlich entscheiden und unterschreiben. Auf dieses rechtlich richtige oder falsche Verhalten muss im Strafrecht aber abgestellt werden. Es liefe daher auf eine willkürliche Gleichbehandlung von Ungleichem hinaus, wenn der Gesetzge­ ber eine strafrechtliche Sanktionierung juristischer Personen einführte, die einer Individualstrafe wegen schuldhafter Verletzung einer rechtsgüterschüt­ 299  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einfüh­ rung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013, S. 3, 24, 27, 39, 40, 42, 70; kritisch dazu mit Recht Schünemann, ZIS 1/2014, 1, 10. 300  Creifelds/Weber, Rechtswörterbuch, Stichwort: „Haftung“; vgl. auch Brox/Walker, Schuldrecht AT, § 2 Rn. 19. 301  Achenbach, ZIS 5/2012, 178. 302  So auch Achenbach, ZIS 5/2012, 178 ff.; Bedecarratz Scholz, Strafbarkeit juris­ tischer Personen, S. 38. 303  v. Freier, GA 2009, 98, 104. 304  v. Freier, GA 2009, 98, 104; vgl. insofern auch Weigend, JICJ 2008, 927, 944: „In the continental tradition […] criminal responsibility has been kept strictly apart from mere civil or administrative liability, distinguished by the moral reprobation exclusively associated with criminal punishment“; Zieschang, Sanktionensystem, S. 385 f.

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3. Teil: Strafe als spezifisches Mittel zu einem bestimmten Zweck

zenden Norm gleichstehen soll, obwohl sie inhaltlich aus dem Zivilrecht abgeleitet würde.305 Im Bereich des Strafrechts jedenfalls ist die juristische Person nichts ande­ res als eine Art Maschine – ein rein rechtliches Konstrukt – und als solche wie ein Schuldunfähiger gem. § 20 StGB nie strafrechtlich verantwortlich. Mangels Vorwerfbarkeit fehlt einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juris­ tischer Personen damit bereits die Legitimationsgrundlage. Angesichts dessen ist es auch nicht erst der ultima ratio-Charakter von Strafe, der es dem Ge­ setzgeber verbietet, eine strafrechtliche Verantwortlichkeit einzuführen.306 Vielmehr scheidet das Strafrecht als Maßnahme gegenüber juristischen Per­ sonen bereits von vornherein aus: Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ju­ ristischer Personen ist schon vor dem Hintergrund des der Strafe innewoh­ nenden legitimen Zwecks des Schutzes der Verhaltensnormgeltung gegenüber juristischen Personen kein geeignetes Mittel, da schon eine Infragestellung der Normgeltung durch eine juristische Person niemals stattfinden kann.

305  So Schünemann, ZIS 1/2014, 1, 4, im Hinblick auf die Zurechnungsmodelle. Er sieht hierin einen „atavistischen Rückfall auf das Common Law“. 306  Dies kritisiert etwa Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 231, 251 m. w. N. in Fn. 138, 139, und möchte vorrangig auf andere Maßnahmen eingehen: „Wenn es dem Gesetzgeber darum geht, Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen und/oder Wertbekenntnisse symbolisch zum Ausdruck zu bringen, war und ist der Griff zum vorgeblich billig zu handhabenden Instrument des Strafrechts regelmäßig nicht die letzte, sondern die erste Handlungsoption“. Zum ultima ratio-Prinzip des Strafrechts bereits oben (Dritter Teil A. II. mit Fn. 119).

Vierter Teil

Ordnungswidrigkeitenrechtliche Mittel Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen scheidet nach dem oben Gesagten aus. Derzeit besteht jedoch bereits die Möglichkeit einer Sanktionierung juristischer Personen innerhalb des Ordnungswidrigkeiten­ rechts im Rahmen der §§ 30, 130 OWiG. § 1 Abs. 1 OWiG beschreibt eine Ordnungswidrigkeit als eine „rechtswid­ rige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirk­ licht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt“. Die Begriffe „Ahndung“ und „vorwerfbare Handlung“ sind nach Wortsinn und Ratio weichenstellend (auch) für das Ordnungswidrigkeitenrecht. Die Möglichkeit der Festsetzung einer Geldbuße gegenüber juristischen Personen ist in § 30 OWiG normiert, wenn eine in der Vorschrift näher be­ zeichnete natürliche Person eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenver­ einigung treffen, verletzt worden sind oder die juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte. § 130 OWiG erweitert in diesem Kontext den Kreis der natürlichen Personen, indem unter bestimmten Voraussetzungen auch unterlassene Aufsichtsmaßnahmen als Ordnungswidrigkeiten eingestuft werden. Nach § 30 Abs. 4 OWiG kann gegen die juristische Person sogar selbstän­ dig eine Geldbuße festgesetzt werden, wenn wegen der Straftat oder Ord­ nungswidrigkeit gegen die natürliche Person ein Straf- oder Bußgeldverfah­ ren nicht eingeleitet, es eingestellt oder von Strafe abgesehen wird. Eingeführt wurden die Regelungen des Ordnungswidrigkeitenrechts mit der Geldbuße als Sanktionsform durch das Wirtschaftsstrafgesetz 1949 und das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten 1952.307 Als Ratio der Geldbuße ge­ genüber juristischen Personen liegt die zweifelhafte Annahme zu Grunde, dass diese – wie natürliche Personen auch – der Gesellschaft „eine straftaten­ freie Betätigung schulden und daher bei Nichterfüllung dieser Bedingung mit 307  Einen Überblick über die Entwicklung der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorschriften geben etwa Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compli­ ance, S. 325 ff.; Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 4; Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 22 ff.

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4. Teil: Ordnungswidrigkeitenrechtliche Mittel

dem belastet werden“ dürfen, was notwendig erscheint, „um für die Zukunft die geschuldete straftatenfreie Organisation und Betätigung zu gewährleisten und der Gefahr sozialpsychologischer Schäden, zu denen es bei Unterbleiben einer nachhaltigen Erinnerung an diese Verpflichtung kommen könnte, entgegenzutreten“.308 Auch den europäischen Tendenzen und Forderungen der EU-Kommission soll hiermit entsprochen werden.309 Der Vorschrift des § 30 OWiG wird sowohl eine ausgleichende als auch eine repressive und eine präventive Funktion zugeschrieben,310 da sie er­ langte Vorteile abschöpfen, die Tat darüber hinaus ahnden und das Verhalten der Mitarbeiter in der Zukunft beeinflussen solle.311 Die ihr zugeschriebene repressive Funktion bereitet für die Legitimation der Geldbuße gegenüber juristischen Personen jedoch Schwierigkeiten – ins­ besondere seitdem die Unternehmensbuße nicht mehr nur als „Nebenfolge“ anzusehen ist.312 Dies hat das „dogmatische Vakuum“,313 in der sie sich be­ findet, erst offenbart: Kriminalstrafen sind als repressive Maßnahmen gegen­ über juristischen Personen abzulehnen, da sie stets die Reaktion auf einen begangenen Verhaltensnormverstoß darstellen, welcher niemals durch eine juristische Person erfolgen kann. Ist jedoch der Geldbuße ebenfalls ein sol­ cher Vorwurfscharakter zuzuschreiben, so kann auch diese gegenüber juristi­ schen Personen nicht zu legitimieren sein. 308  Frisch, in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 156; ders., FS Wolter, S. 349, 360. 309  Verwaltungsstrafen und Geldbußen des Ordnungswidrigkeitengesetzes seien hierfür durchaus ausreichend, so Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor  §§ 25 ff. Rn. 126; nach v. Freier, GA 2009, 98, 100, kommt Deutschland der Forderung der EU nach abschreckenden Sanktionen mit § 30 OWiG nach; insoweit zustimmend Tiedemann, FS Nishihara, S. 496, 499. Zu den europäischen Forderungen vgl. noch unten (Sechster Teil A. II.). 310  So etwa Brender, Verbandstäterschaft, S. 83 ff. (im Hinblick auf § 26  OWiG a. F.), 93 ff.; Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 16 Rn. 6 f.; Müller, Juristi­ sche Person im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 45 f.; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 53 (im Hinblick auf § 26  OWiG a. F.); Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 16 ff. 311  Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 374 m. w. N. So auch Gürtler, in: Göhler, OWiG, Vor § 1 Rn. 9, allgemein zum Charakter der Geldbuße. Vgl. auch Schroth, wistra 1986, 158, 159 f., der neben der Gewinnabschöp­ fung vor allem die repressive Funktion der Geldbuße betont und den hierfür notwen­ digen Vorwurf problematisiert. 312  Diese Bezeichnung wurde durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirt­ schaftskriminalität gestrichen. 313  Vgl. zu dieser Bezeichnung Schroth, wistra 1986, 158, 163; s. auch Tiedemann, NJW 1988, 1169, 1171, der dennoch i. E. eine dogmatische Grundlage für § 30 OWiG n. F. sieht.



A. Abgrenzung der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Mittel zur Strafe 83

Sachlich geht es um die Frage, in welchem Verhältnis das Ordnungswid­ rigkeitenrecht zum Strafrecht steht und welche Funktion der Geldbuße tat­ sächlich beigemessen werden muss. Danach richtet sich, ob die Regelungen der §§ 30, 130 OWiG (im Gegensatz zur Kriminalstrafe) gegenüber juristi­ schen Personen legitimiert werden können.

A. Abgrenzung der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Mittel zur Strafe I. Qualitative Unterscheidung: Sozialethik als hinreichendes Abgrenzungskriterium? Vom BVerfG wird versucht, eine Abgrenzung von Strafe zu anderen staat­ lichen Maßnahmen anhand des Kriteriums des sozialethischen Unwerturteils vorzunehmen: Strafe soll demnach nur dann zulässig sein, wenn sie als sozi­ alethischer Tadel gegenüber dem Einzelnen berechtigt ist.314 Insbesondere sei dies nach Ansicht des BVerfG im Rahmen der Unterscheidung von Ord­ nungswidrigkeiten- und Kriminalrecht von Bedeutung: So stelle die „Verhän­ gung einer Kriminalstrafe ein ehrenrühriges, autoritatives Unwerturteil über die Verhaltensweise eines Täters“ dar,315 während etwa der Geldbuße im Ordnungswidrigkeitenrecht lediglich der Charakter einer sozialethisch neut­ ralen nachträglichen Pflichtenmahnung zugeschrieben wird, die keinerlei Auswirkungen auf das „Ansehen […] des Betroffenen“ zur Folge habe.316 Insofern fehle der Geldbuße der „Ernst des staatlichen Strafens“.317 Im Ge­ gensatz zur klassischen Kriminalstrafe werde hierbei „die Sphäre des Ethi­ schen“ nicht erreicht.318 314  Vgl. z. B. BGHSt 11, 263, 266; BVerfGE 22, 49, 79 f.; 27, 18, 29; 88, 203, 258 („Verhalten […] in besonderer Weise sozialschädlich und […] unerträglich“); 90, 145, 172; 92, 277, 329; 120, 223, 240; Frisch, ZStW 102 (1990), 361, 390 m. w. N. in Fn. 10; Noll, Die ethische Begründung der Strafe, S. 18 m. w. N. in Fn. 37. I. S. einer rein qualitativen Abgrenzung etwa Koffka, in: Große Strafrechtskommission, S. 300, die in den Normen des Ordnungswidrigkeitenrechts nichts weiter als einen „verschärften Verwaltungsbefehl“ sieht. Vgl. auch Gürtler, in: Göhler, OWiG, Vor § 1 Rn. 9, wonach die Geldbuße lediglich „ein spürbarer Pflichtenappell an den Betroffe­ nen“ sei. Vgl. dazu auch Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, Rn.  36 ff. 315  BVerfGE 27, 18, 33; 43, 101, 105. 316  BVerfGE 27, 18, 33. I. S. einer reinen Pflichtenmahnung der Geldbuße auch BVerfGE 22, 49, 79 f.; 43, 101, 105. 317  BVerfGE 9, 167, 171. 318  BVerfGE 9, 167, 171; 27, 36, 40, 42. Vgl. auch Tiedemann, Wirtschaftsstraf­ recht, Rn. 371, wonach Verwaltungsstrafen nur einen sozialen Schuldvorwurf voraus­ setzten.

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4. Teil: Ordnungswidrigkeitenrechtliche Mittel

Fraglich ist bereits, ob es tatsächlich „ethisch indifferente Gesetzeszuwi­ derhandlungen“ geben kann.319 Diese Wertung würde zudem allein durch den Gesetzgeber getroffen. Er entschiede, indem er ein bestimmtes Verhalten lediglich als Ordnungswidrigkeit einstuft, darüber, dass dieses sittlich wert­ neutral zu beurteilen ist. Eine solche Entscheidung steht zum einen aber nicht in seiner Macht, zum anderen könnte allein die gesetzgeberische Ent­ scheidung jederzeit dazu führen, ein und dasselbe Verhalten unterschiedlich zu bewerten.320 Die Terminologie des „sozialethischen Tadels“ ist daher we­ nig aussagekräftig, eine Abgrenzung von Strafe zu anderen Maßnahmen an­ hand „ethischer“ Fragestellungen generell verfehlt.321 Es kann nicht die Rechtsfolge über den Charakter einer Tat entscheiden, sondern allein ihr Unrechtsgehalt.322 Oder wie Mitsch zutreffend anmerkt: „Die Differenz der Voraussetzung ist aus der Differenz der Folge [nur] indi­ ziert, nicht aber begründet“.323 Im Kern geht es darum, dass staatliche Reak­ tionen in Form eines rechtlichen Tadels gegenüber dem Einzelnen zu legiti­ mieren sein müssen.324 Bezugspunkt der Sanktionsbewehrung kann insofern lediglich die Rechtsordnung mit ihren rechtlich legitimierten Verhaltensnor­ men sein.325 Diese gelten für alle natürlichen Personen gleichermaßen; sie sind rechtlich verbindlich. Ethik hingegen stellt ein vom Recht zu unterschei­ dendes Werte- und Ordnungssystem dar, welches häufig andere Maßstäbe bei 319  So Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 66, die diese Frage zutreffend verneint: Unrecht und (repressive) Sanktionen seien unmittel­ bar aufeinander bezogen; eine staatliche Antwort auf ein wie auch immer gelagertes missbilligtes Verhalten kann niemals „ethisch neutral“ sein (S. 71 f.); i. d. S. auch Schroth, EuGRZ 1985, 557, 560 („Ordnungswidrigkeiten […] keineswegs ethisch farblose Delikte“). 320  Etwa im Bereich der Verkehrsdelikte, bei denen zunehmend auf das Ordnungs­ widrigkeitenrecht zurückgegriffen wird, würde sich so deren sozialethischer Unwert­ gehalt „plötzlich“ verändern, vgl. die Bedenken bei Ehrhardt, Unternehmensdelin­ quenz und Unternehmensstrafe, S. 70 m. w. N. in Fn. 61–63. Dass eine solche Ent­ scheidung dem Gesetzgeber nicht zusteht, betont auch Lang-Hinrichsen, FS Mayer, S. 49, 61, zutreffend. 321  Vgl. dazu kritisch auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 482 ff.; Haas, Strafbe­ griff, Staatsverständnis und Prozessstruktur, S. 259 („Die Strafe artikuliert […] aus­ schließlich einen rechtlichen Tadel“). 322  Cordier, NJW 1967, 2141, 2143; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Un­ ternehmensstrafe, S. 70. 323  Mitsch, in: KK-OWiG, Einleitung Rn. 111: Denn „Unrecht und Sanktion gehö­ ren zusammen“. 324  Allein die „rechtliche Ordnung“ könne aufgrund ihrer „allgemeinen Anerken­ nung und Verbindlichkeit“ dem Ziel der Durchsetzung größtmöglicher Gerechtigkeit und der Schaffung einer sozialen Ordnung gerecht werden, zutreffend Ehrhardt, Un­ ternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 66 f., in Bezug auf Strafen. 325  I. d. S. auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 222.



A. Abgrenzung der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Mittel zur Strafe 85

der Beurteilung menschlichen Verhaltens anlegt als rechtlich legitimierte Verhaltensnormen.326 Eine „legitimierbare, allgemeinverbindliche Soziale­ thik“ kann in einem demokratischen Rechtsstaat jedenfalls nicht aus der Verhaltensrechtsordnung abgeleitet werden.327 Das Kriterium der rechtlichen Vorwerfbarkeit gilt für Strafen und Ord­ nungswidrigkeiten gleichermaßen, da beide in ihren sanktionierenden Rechts­ folgen ein rechtliches Unwerturteil enthalten. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen einer rechtlich legitimierten Verhaltensnorm, gegen die verstoßen worden ist. Diese Verhaltensnorm muss für den Rechtsgüterschutz geeignet, erforderlich und angemessen – d. h. rechtlich legitimierbar – sein, um im Falle des entsprechenden Verhaltensnormverstoßes den Anknüpfungspunkt einer staatlichen Reaktion bilden zu können. Andernfalls ginge es um Sanktionie­ rung zum Selbstzweck, welche einer freiheitsgewährleistenden Rechtsord­ nung widerspricht. Auch ein vermeintlicher besonderer Schuldvorwurf bei Kriminalstrafen kann dieses Ergebnis nicht ändern: Vom BVerfG wird nämlich gleichfalls für strafähnliche Sanktionen ein Schuldvorwurf vorausgesetzt, der zum Ausdruck bringen soll, dass sich der Normbrüchige gegen die Rechtsordnung aufge­ lehnt hat. So hat es den Schuldgrundsatz ausdrücklich auf Ordnungswidrig­ keiten angewendet.328 Ebenso hat es in seiner Grundsatzentscheidung329 ne­ ben der Strafe auch der zivilprozessualen Ordnungsstrafe den Charakter eines Vorwurfs beigemessen. Wie im Kriminalstrafrecht soll auch im Rahmen von Ordnungswidrigkeiten und zivilprozessualen Ordnungsstrafen der Schuld­ grundsatz Beachtung finden,330 da andernfalls auch eine strafähnliche Maß­ nahme die Gefahr berge, zu einer mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbaren 326  So Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 66, denn „nicht alles was gerecht ist, ist auch sittlich gut  – und umgekehrt“; vgl. auch Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 43 f. Kritisch zur Frage, ob man strafrechtliche Fragen überhaupt mit ethischen Maßstäben beantworten kann, auch Mitsch, in: KK-OWiG, Einleitung Rn.  100 ff., 105 f. 327  Ausführlich zu der berechtigten Kritik an diesem Terminus Appel, Verfassung und Strafe, S. 221 f., 425 f., 483 f.: Es gebe in einer pluralistischen Gesellschaft nicht die Sozialethik, vielmehr sei deren unterschiedliche konzeptionelle Bestimmung stets relativ und abhängig von äußeren Faktoren. Zwar seien unterschiedliche sozialethi­ sche Anschauungen nebeneinander möglich, doch könne gerade nur eine Rechtsord­ nung für alle Staatsbürger „akzeptabel“ sein. 328  BVerfGE 9, 167, 170. Das Schulderfordernis zeigt sich auch in § 1 OWiG, wonach eine vorwerfbare Handlung Voraussetzung einer Ordnungswidrigkeit ist, ebenso schließe das Vorsatz- bzw. Fahrlässigkeitserfordernis des § 10 OWiG einen Verzicht des Verschuldenserfordernisses aus, so Engelhart, Sanktionierung von Un­ ternehmen und Compliance, S. 381. 329  BVerfGE 20, 323 ff. 330  Statt vieler BVerfGE 58, 159 ff.

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4. Teil: Ordnungswidrigkeitenrechtliche Mittel

reinen Vergeltungsreaktion zu werden, wenn der Betroffene den Vorgang nicht zu verantworten hat. So heißt es, „jede Strafe – nicht nur die Strafe für kriminelles Unrecht“ setzt „Schuld voraus“, da dem Betroffenen stets ein Rechtsverstoß vorgehalten und zum Vorwurf gemacht wird.331 Festzuhalten bleibt: Auch in Fällen einer (strafähnlichen) sonstigen Sank­ tionierung geht es um einen konkreten Vorwurf gegenüber dem Einzelnen, bei dem das verfassungsrechtlich verankerte Schuldprinzip Geltung bean­ sprucht. Andernfalls liefe sie tatsächlich nicht nur auf eine zweckfreie Ver­ geltung, sondern bereits auf einen unberechtigten Vorwurf hinaus. Im Hinblick auf das hier interessierende Ordnungswidrigkeitenrecht wird daher häufig von „Strafrecht im weiteren Sinne“332 gesprochen, wenn es um die Reichweite des Schuldprinzips und des Art. 103 Abs. 2 GG geht. Von diesem Begriff soll dann auch das Ordnungswidrigkeitenrecht umfasst sein, indem auch diesem Rechtsgebiet ahndende und hoheitlich missbilligende Züge etwa im Rahmen der Geldbuße zugeschrieben werden. Eine solche Einordnung entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts­ hofs für Menschenrechte, welcher ebenfalls einen weiten  – das Ordnungs­ widrigkeitenrecht einschließenden – Strafbegriff gebraucht.333 Im Kern laufen sowohl das Ordnungswidrigkeiten- als auch das Strafrecht auf eine (repressive) Sanktionierung von Verstößen gegen rechtlich legiti­ mierte Verhaltensnormen hinaus. Insofern sind die Sanktionen des Ordnungs­ widrigkeitenrechts und die des Kriminalrechts in ihrem rechtlichen Unwert­ urteil „abgesehen von der positivrechtlichen Einordnung durch den Gesetz­ geber“ strukturell gleich.334 Zwischen beiden Rechtsgebieten bestehen zwar gewisse formale Unterschiede insoweit, als der Freiheits- bzw. Geldstrafe im 331  BVerfGE

20, 323, 331. diesem Begriff weiterführend Appel, Verfassung und Strafe, S. 238 f. 333  EGMR EuGRZ 1985, 62, 67 f.; EuGRZ 1987, 399, 401 f.; EuGRZ 1989, 329. Jedoch macht der EGMR die Einordnung der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sank­ tionen unter Art. 6 EMRK als ihrer Art nach strafrechtlich daran fest, dass Geldbußen des Ordnungswidrigkeitenrechts ebenso belastend für den Betroffenen seien wie klas­ sische Geldstrafen, daher könne eine rein äußerliche Umbenennung nichts an dem Charakter der Maßnahme ändern. Vgl. dazu ausführlich Appel, Verfassung und Strafe, S. 286 ff. S. auch Jung, Was ist Strafe?, S. 51 ff.; Schroth, EuGRZ 1985, 557 ff. 334  Appel, Verfassung und Strafe, S. 222: Das Verständnis „qualitativer Unter­ schiede“ zwischen den Sanktionen beider Rechtsgebiete führt er insoweit auf ein subjektives Vorverständnis zurück, welches durch die „sittliche Neutralität“ des Ord­ nungswidrigkeitenrechts geprägt und auf den Einfluss der Geisteswissenschaften zu­ rückzuführen sei. Dies könne jedoch eine „rational nachprüfbare, allgemeinverbindli­ che Begründung“ nicht ersetzen. I. S. einer allein „positiv-rechtlich zu regelnden Be­ sonderheit“ der Geldbuße auch Mattes, Untersuchungen, S. 299. I. d. S. auch Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 71: Dies mache im Rahmen der Geldbuße nicht nur das Wort „Buße“ deutlich, sondern vor allem deren Anknüpfung 332  Zu



A. Abgrenzung der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Mittel zur Strafe 

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Strafrecht im Ordnungswidrigkeitenrecht die Geldbuße gegenüber steht; ebenso ergeben sich Unterschiede im Rahmen der Zuständigkeiten bei der Verfolgung und Ahndung.335 Jedoch beinhaltet auch die ordnungswidrigkei­ tenrechtliche Sanktion gerade einen gewissen Grad von Vorhalt oder eben Vorwurf, was die Ähnlichkeit zur Strafe im klassischen Sinne zum Ausdruck bringt. Die Primärsanktion des Ordnungswidrigkeitenrechts ordnet sich inso­ fern in den „strafrechtlichen Prozeß der Normrehabilitierung“ ein; sie weist „den besonderen Vorhalt einer defizitären Einstellung zur Norm in einem speziellen, auf Verbindlichkeit angelegten staatlichen Verfahren“ auf.336 Die Sekundärsanktion in Form der Geldbuße steht hiermit in einem engen Zu­ sammenhang und kommt in ihrer Höhe in bestimmten Bereichen „durchaus als funktionales Äquivalent“ zu Geldstrafen in Betracht.337 Viele der Ord­ nungswidrigkeitengesetze, die eine solche Bußgeldandrohung beinhalten, beschränken sich damit nicht allein auf „Verwaltungsunrecht“.338 Insofern kann bei der Geldbuße im Vergleich zur Kriminalstrafe nicht von einem aliud gesprochen, sondern nur eine quantitative Abgrenzung vorge­ nommen werden.339 Die ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionierung kann deswegen auch als „kleine Strafe“340 bezeichnet werden. an eine vorwerfbare, rechtswidrige Handlung; ebenso Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 153 f. 335  Vgl. Zieschang, GA 2014, 91, 93. Krems, ZIS 1/2015, 1, 9, zieht daraus unzu­ treffender Weise allgemein die Konsequenz einer grundlegenden Verschiedenheit von Strafe und Ordnungswidrigkeit. 336  Appel, Verfassung und Strafe, S. 505. 337  Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 421 f., spricht sich dennoch im Rahmen der Frage der Erforderlichkeit von Strafe, d. h. der Frage nach milderen Mitteln im Ord­ nungswidrigkeitenrecht, für einen „anderen Charakter der Strafe“ aus. 338  Lang-Hinrichsen, FS Mayer, S. 49, 57. Damit habe das Ordnungswidrigkeiten­ recht aufgehört, „eine einheitliche Materie“ zu sein, S. 59, es stelle ein „Sammelbe­ cken für heterogene Verhaltensweisen“ dar, welche nicht kriminalrechtlich geahndet werden sollen, S. 62. 339  Appel, Verfassung und Strafe, S. 506 m. w. N. in Fn. 236; Hirsch, FS Engisch, S. 304, 318 f. m. w. N. in Fn. 55; ders., ZStW 92 (1980), 218, 242 f.; Jung, Was ist Strafe?, 2002, S. 50 ff., 51: Bußgeld als „blassere[r] Aufguss“ der Strafe; Krümpelmann, Die Bagatelldelikte, S. 176; Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 94 (das Ordnungswidrigkeitenrecht als „kleiner Bruder“ des Strafrechts); Schroth, Eu­ GRZ 1985, 557, 559 f.; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 105 ff.; ders., in: Unternehmensstrafrecht, S. 231, 238. Vgl. auch Mattes, Untersuchungen, S. 299, wonach jeder Versuch der Begründung eines qualitativen Unterschieds von Strafe und Geldbuße darauf hinausliefe, dass „das Unrecht, an das sie anknüpft, und damit die Ordnung, deren Schutz sie dient, etwas anderes“ seien „als Unrecht und Ordnung, auf die sich (kriminelle) Strafe beziehe“. Bereits Jescheck, in: Große Straf­ rechtskommission, S. 298, hält die Einführung von Ordnungswidrigkeitenregelungen gegenüber juristischen Personen aufgrund des strafähnlichen Charakters für verfehlt. I. d. S. auch Bockelmann, in: Große Strafrechtskommission, S. 307.

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4. Teil: Ordnungswidrigkeitenrechtliche Mittel

II. Strukturelle Gleichheit: Intensität des Unwertgehalts als Abgrenzungskriterium Neben dem oben Dargestellten führt das BVerfG als Differenzierungskrite­ rium aus: Tatbestand und Rechtsfolge seien wechselseitig aufeinander bezo­ gen.341 Einerseits richte sich die Strafhöhe nach dem „normativ festgelegten Wert des verletzten Rechtsgutes und der Schuld des Täters“. Andererseits lasse sich „das Gewicht einer Straftat, der ihr in der verbindlichen Wertung des Gesetzgebers beigemessene Unwertgehalt, in aller Regel erst aus der Höhe der angedrohten Strafe entnehmen“. Aufgabe des Strafrechts sei es hierbei, „die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen“. Hin­ gegen fielen „gewisse, minder gewichtige, überkommene strafrechtliche Tatbestände aus diesem Kernbereich“ heraus. Die konkrete Grenzlinie zwi­ schen Strafrecht und Fällen „mit geringerem Unrechtsgehalt“ zu ziehen sei Aufgabe des Gesetzgebers.342 Hieran zeigt sich, dass das BVerfG neben dem oben genannten Kriterium der qualitativen Unterscheidung von Kriminalstraf- zu Ordnungswidrigkei­ tenrecht eine Differenzierung auch anhand der Intensität des Unwertgehaltes vorzunehmen versucht.343 Aufgrund dessen und des oben (Vierter Teil A. I.) Dargestellten geht das BVerfG daher wohl von einer Unterscheidung ge­ mischt qualitativ-quantitativer Natur aus,344 wobei es das Ordnungswidrig­ keitenrecht doch weitgehend mit dem Kriminalstrafrecht gleichstellt. So ordne sich das Ordnungswidrigkeitenrecht ebenfalls in das strafrechtliche Ordnungsregime ein, indem es etwa an strafrechtlichen Verfassungsgarantien teilnehme.345

340  Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 4. Vgl. zu dem daraus folgenden Prob­ lem der Kompetenz der Verwaltungsbehörden zur Festsetzung von Geldbußen im Hinblick auf Art. 92 GG Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 73 f. mit Fn. 81. 341  Dazu und zum Folgenden BVerfGE 27, 18, 29 f. Zur Wechselbezüglichkeit von Tatbestand und Rechtsfolge vgl. auch BVerfGE 25, 269, 286. 342  BVerfGE 8, 197, 207; 9, 167, 172; 27, 18, 28. 343  Zur Kritik an dieser Vorgehensweise, die darauf abzielt, dass von der grundle­ genden neutralen Verhaltensnorm aus die Qualität der Rechtsfolge bzw. die der ge­ samten Regelung nicht eindeutig bestimmbar sei, vgl. Appel, Verfassung und Strafe, S. 229 f. 344  Vgl. die Ausführungen in BVerfGE 8, 197, 207; 9, 167, 171; 22, 49, 80; 27, 18, 29 f.; 27, 36, 42 f.; 45, 272, 289; 51, 60, 74. S. auch Mitsch, Recht der Ordnungswid­ rigkeiten, § 3 Rn. 11. 345  Beispielsweise das Bestimmtheitsgebot oder – wie oben beschrieben – der Schuldgrundsatz und die Unschuldsvermutung, vgl. BVerfGE 9, 167, 169 f.; 38, 348, 371 f.; 71, 108, 114 ff.



A. Abgrenzung der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Mittel zur Strafe 89

Der Versuch einer Abgrenzung anhand dieser gemischten Theorie ist je­ doch nicht zielführend: Im Ergebnis werden doch qualitative Kriterien in den Vordergrund gestellt, weil es letztlich um die Frage geht, wie sich der straf­ rechtliche Vorwurf inhaltlich von einem ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorwurf abgrenzt: „Gemischte Theorien sind unmöglich“, da sie letztlich doch auf die „Zugehörigkeit zum Kernbereich des Kriminalrechts“, also qua­ litative Aspekte abstellen.346 Dies zeigt sich umso deutlicher, wenn gegen­ über juristischen Personen eine strafrechtliche Reaktion zwar abgelehnt, eine ordnungswidrigkeitenrechtliche hingegen bejaht wird  – hier wird der ver­ meintlich bestehende qualitative Unterschied beider Rechtsgebiete als Be­ gründung herangezogen. Wie oben gezeigt, kann ein qualitativer Unterschied zwischen Ordnungs­ widrigkeitenrecht und Strafrecht aber nicht festgestellt werden; die Versuche einer sozialethischen Abgrenzbarkeit sind abzulehnen. Die Ähnlichkeit bei­ der Rechtsgebiete wird bereits im Allgemeinen Teil des Ordnungswidrigkei­ tenrechts deutlich, der in enger Anlehnung an den des Strafgesetzbuches ge­ regelt ist. Auch im Verfahrensrecht wird der Zweifelsgrundsatz wie auch das allgemeine strafprozessuale Beweisrecht nicht in Frage gestellt.347 Als mate­ rielle Legitimationsgründe kommen demnach für das Ordnungswidrigkeiten­ recht keine anderen Interessen als für das Strafrecht in Betracht; allenfalls müssen für die Ordnungswidrigkeit die Interessen weniger gewichtig sein.348 In beiden Rechtsgebieten liegen den Sanktionen Verstöße gegen Verhaltens­ normen zugrunde. Diese Verhaltensnormen müssen rechtlich legitimierbar sein. Die Unterschiede ergeben sich allein im Rahmen der Erforderlichkeit der Maßnahme. So ist ein ordnungsrechtlicher Vorwurf in der Regel das mil­ dere Mittel im Vergleich zu einem strafrechtlichen.349 Hierfür ist das Gewicht 346  Zutreffend Mitsch, in: KK-OWiG, Einleitung Rn. 109, der deswegen aber dann allein auf qualitative Kriterien bei der Unterscheidung abstellen möchte. 347  Appel, Verfassung und Strafe, S. 93. Der einzige verfassungsrechtliche Unter­ schied zwischen Ordnungswidrigkeiten- und Kriminalstrafrecht ergebe sich insoweit aus dem engen Strafbegriff des Art. 92 GG, der als verfahrensrechtliche Vorschrift lediglich auf das Kriminalstrafrecht anzuwenden sei. 348  Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 288. Trotz der strukturellen Gleichheit von Kriminalstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht ge­ winne die Unterscheidung zwischen beiden Rechtsgebieten dennoch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Bedeutung, weil dort eine Abschichtung der verfas­ sungsrechtlichen Anforderungen nach der Eingriffsintensität möglich sei, vgl. Appel, Verfassung und Strafe, S. 93 mit Fn. 154. I. d. S. auch Ehrhardt, Unternehmensdelin­ quenz und Unternehmensstrafe, S. 73, die die Ordnungswidrigkeit als ein „Minus zur Strafe“ beschreibt. 349  Zutreffend Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 421; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 359; Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 94 f. Vgl. auch bereits Jescheck, DÖV 1953, 539, 543, wonach „im Grunde doch nur die

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4. Teil: Ordnungswidrigkeitenrechtliche Mittel

des Verhaltensnormverstoßes (ggf. nebst dessen Folgen) zu berücksichti­ gen.350 Mitunter kann der Unterschied zwischen Straftat und Ordnungswid­ rigkeit dabei auch nur darin begründet sein, ob Fehlverhaltensfolgen fehlen oder vorhanden sind. So stellt etwa das folgenlose fahrlässige Fehlverhalten im Straßenverkehr eine Ordnungswidrigkeit dar, während beim Eintritt eines Körperverletzungserfolgs bzw. beim Tod des Opfers eine Strafbarkeit nach § 229 StGB oder § 222 StGB in Betracht kommt.

B. Zur Frage der rechtlichen Legitimierbarkeit der Geldbuße gegenüber juristischen Personen Es hat sich gezeigt, dass eine strukturelle Abgrenzung der Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts zu denen des Strafrechts nicht gelingen kann. Dieses Verständnis passt jedoch nicht zur bestehenden Regelung der §§ 30, 130 OWiG als rechtliche Grundlage für die Festsetzung einer Geldbuße ge­ genüber juristischen Personen. Im Rahmen dieser Vorschriften wird gerade davon ausgegangen, dass juristische Personen – jedenfalls im Ordnungswid­ rigkeitenrecht – sanktioniert werden können: Ein Blick auf das Ordnungs­ widrigkeitenrecht zeige insofern, dass der Grundsatz „societas delinquere non potest“ auch in Deutschland nur eingeschränkt Geltung beanspruchen könne.351 Dieser Gegensatz zum Strafrecht wird entweder damit begründet, das Ord­ nungswidrigkeitenrecht lasse sich qualitativ352 oder zumindest gemischt qualitativ-quantitativ vom Strafrecht abgrenzen, was jedoch  – wie oben ge­ zeigt – abzulehnen ist. Andernfalls wird darauf abgestellt, dass juristische Personen ohnehin  – also auch im Strafrecht – als Normadressaten anzusehen seien: Die Annahme der Verbandsgeldbuße als echter Sanktion entspreche gerade diesem Ver­ Größenordnung der Tat einen brauchbaren Abgrenzungsmaßstab abgibt“. Vgl. dazu auch bereits oben (Dritter Teil A. II.). 350  Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 96. Vgl. auch Freund, in: Münch­ KommStGB VI, § 97 AMG Rn. 2, wonach die „Entscheidung, Verhaltensnormüber­ tretungen als Straftat bzw. als Ordnungswidrigkeit zu qualifizieren und dementspre­ chend zu sanktionieren […] in sehr weitgehendem Maße beim Gesetzgeber“ liege, der lediglich darauf zu achten habe „dass eine angemessene Reaktion auf den Verhal­ tensnormverstoß nebst Folgen möglich bleibt“. 351  Theile/Petermann, JuS 2011, 496, 501. Zu dem Grundsatz allgemein vgl. noch die Nachweise unten (Fn. 738). 352  So etwa Robles Planas, ZIS 7/2012, 347, 350. Vgl. auch Rogall, GA 2015, 260 ff., der sich für eine Lösung im Ordnungswidrigkeitenrecht ausspricht. Dieses genüge den kriminalpolitischen Anforderungen, wobei auch eine strafrechtliche Lö­ sung möglich – aber nicht notwendig – sei.

B. Rechtliche Legitimierbarkeit der Geldbuße gegenüber juristischen Personen91

ständnis.353 Die Rechtsnormen im Sinne von Ge- und Verboten richteten sich insoweit unmittelbar an juristische Personen, „da und soweit diese die von den Verhaltensnormen geforderten Leistungen – Handlungen und Unterlas­ sungen – erbringen können“.354 Überwiegend wird jedoch bei den Versuchen der Legitimation der Vor­ schrift des § 30 OWiG auf eine derivative Verantwortlichkeit der juristischen Person abgestellt. Im Folgenden soll zunächst hervorgehoben werden, dass sich im Hinblick auf eine originäre Verantwortlichkeit juristischer Personen keine Unterschiede zum Strafrecht ergeben. Auf die Frage, warum dies im Wege einer derivati­ ven Verantwortlichkeit anders sein soll und ob sich § 30 OWiG im Hinblick darauf legitimieren lässt, wird sodann (Vierter Teil B. II.) näher einzugehen sein.

I. Konzept einer originären Verantwortlichkeit juristischer Personen Ebenso wie bei der Begründung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen könnte man auch im Ordnungswidrigkeitenrecht zu­ nächst auf eine originäre – der juristischen Person innewohnende – Eignung abstellen, Ordnungswidrigkeiten zu begehen.355 Diese könnte sich darüber begründen lassen, dass der Gesetzgeber die Geldbuße gegenüber juristischen Personen in § 30 OWiG eingeführt hat. Jedoch wurde bereits oben [Dritter Teil B. I. 1. a) bb)] ausführlich darge­ legt, dass eine solche Rechtsmacht dem Gesetzgeber gerade nicht zukommt. Ihm ist es nicht möglich, Personen als Adressaten von Verhaltensnormen zu bestimmen, die nicht dazu in der Lage sind, diese zu übertreten. In diesem Kontext bestehen keinerlei Unterschiede zum klassischen Strafrecht. Im Ge­ genteil: Auch die Trennung zwischen Ordnungswidrigkeiten und Kriminal­ strafen wurde allein durch den Gesetzgeber vollzogen – strukturell sind beide Rechtsgebiete aber gleich. Allein mit der Aufspaltung in Kriminalstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht hat „der deutsche Gesetzgeber eine eigene Skalierung in den kontinuierlichen Bereich strafrechtlicher Sanktionen 353  Eine Normadressatenstellung der juristischen Person nimmt etwa die Entwurfs­ begründung des Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität an, BT-Drs. 10/318, S. 40; vgl. auch Tiedemann, NJW 1988, 1169, 1171. 354  Tiedemann, NJW 1988, 1169, 1172. 355  Vgl. etwa Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht im Kontext, S. 115 ff., 123 f., die in § 30 OWiG eine Gefährdungshaftung für Verbände erblickt („unternehmensei­ gene Veranlasserhaftung“), jedoch müsse hierfür die Norm reformiert und stärker vom Individuum abgekoppelt werden.

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4. Teil: Ordnungswidrigkeitenrechtliche Mittel

gelegt“.356 Dies wird auch in der rein formalen Unterscheidung des § 1 OWiG deutlich, der lediglich das Ergebnis eines gesetzgeberischen Zuord­ nungsprozesses darstellt, dem jedoch kein materieller Regelungsgehalt zu­ kommt.357 Es bestehen zwischen Ordnungswidrigkeiten- und Kriminalrecht nur quan­ titative Unterschiede:358 Die Verhängung einer Sanktion  – sowohl in straf­ rechtlicher als auch in ordnungswidrigkeitenrechtlicher Hinsicht – ist immer ein vom Staat ausgesprochener rechtlicher Tadel, „der dem Einzelnen das von ihm begangene Unrecht vor Augen führen und, durch angemessene Re­ aktion darauf, die Normgeltungskraft der übertretenen Vorschrift für die Zu­ kunft wiederherstellen und stabilisieren soll“.359 Auch für die Begehung einer Ordnungswidrigkeit muss demnach eine Verhaltensnorm begründbar sein, an deren Übertretung eine Sanktion an­ knüpfen kann. Ebenso wie im Strafrecht müsste die juristische Person dazu in der Lage sein, Adressat einer Verhaltensnorm zu sein; insbesondere müsste sie die Fähigkeit zur Einhaltung einer solchen Norm besitzen. Wie oben (Dritter Teil  B. I. 1.) im Rahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ju­ ristischer Personen gezeigt, kann aber die Übertretung von Verhaltensnormen nur durch eine verantwortliche (natürliche) Person geschehen. Deswegen wurde eine Strafbarkeit juristischer Personen gerade abgelehnt. Nichts anderes gilt im Ordnungswidrigkeitenrecht: Gegenüber juristischen Personen ist keine Verhaltensnorm begründbar, daher kann von ihnen auch kein Verhaltensnormverstoß begangen werden, der eine ordnungswidrigkei­ tenrechtliche Sanktionierung begründen könnte. Insofern ist ein Vorwurf  – egal ob aus ordnungswidrigkeiten- oder strafrechtlicher Perspektive – niemals 356  Dennoch sei – auch wenn die Ordnungswidrigkeiten i. R. eines Verwaltungs­ verfahrens durchgesetzt würden  – das Ordnungswidrigkeitenrecht ein Teil  des Straf­ rechts, vgl. Appel, Verfassung und Strafe, S. 507, der die vom Gesetzgeber vorge­ nommene Trennung beider Rechtsgebiete vor allem auf kriminalpolitische und pöno­ logisch-kriminologische Erwägungen zurückführt. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Lang-Hinrichsen, FS Mayer, S. 49, 59 ff. I. S. einer rein formalen Trennung auch Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 478 ff., die hierin historisch eine „Strategie der Entkriminalisierung“ erblickt. 357  So Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 70 ff. 358  Dass Unterschiede zwischen beiden Rechtsgebieten „nicht qualitativer, sondern lediglich quantitativer, gradueller Natur“ seien, sieht auch Zieschang, GA 2014, 91, 93; ders., Sanktionensystem, S. 387. Er stellt sich die Frage, ob grundsätzlich Sankti­ onen gegen juristische Personen in Betracht kommen können und bezeichnet § 30 OWiG insoweit als „dogmatische Fehlkonstruktion“. 359  Freund, in: MünchKommStGB VI, § 97 AMG Rn. 3; i. d. S. auch Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 65 ff.; 188 f., die daraus jedoch den Schluss zieht, dass sowohl ordnungswidrigkeiten- als auch strafrechtliche Sank­ tionen bei juristischen Personen möglich sein müssen.

B. Rechtliche Legitimierbarkeit der Geldbuße gegenüber juristischen Personen93

berechtigt. Demnach können juristische Personen selbst keine Ordnungswid­ rigkeiten begehen.360

II. Konzept einer derivativen Verantwortlichkeit juristischer Personen Es hat sich gezeigt, dass die juristische Person nicht selbst einen Sankti­ onstatbestand erfüllen kann  – weder im Kriminalstraf- noch im Ordnungs­ widrigkeitenrecht. Fraglich ist, ob die Vorschrift des § 30 OWiG dennoch im Wege einer derivativen Unternehmensverantwortlichkeit legitimiert werden kann, die an eine Individualtat anknüpft. 1. § 30 OWiG als Zurechnungsvorschrift? Überwiegend wird § 30 OWiG der Charakter einer Zurechnungsvorschrift zugeschrieben  – etwa in der Entwurfsbegründung eines Gesetzes über Ord­ nungswidrigkeiten von 1967.361 Dies wird auch von den Vertretern einer Abgrenzung des Ordnungswidrigkeitenrechts zum Strafrecht nach quantitati­ ven Gesichtspunkten als „systemkonformes“362 Vorgehen in Erwägung gezo­ gen.363 Die Verhängung der Geldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG hänge vom 360  Freund, in: MünchKommStGB VI, § 97 AMG Rn. 4; vgl. hierzu auch Kretschmer, FS Geppert, S. 287, 298; Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 16 Rn. 1, 4, wonach grundsätzlich allein natürliche Personen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begehen und daher Sanktionen i. d. S. auch nur aufgrund deren Fehlverhaltens ver­ hängt werden könnten. I. d. S. bereits Rudolf Schmitt, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 28: „Da der juristischen Person als solcher ein Vorwurf begrifflich nicht gemacht werden kann und die Gesamtheit ihrer Mitglieder niemals vorwerfbar handelt, ist die Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen dogmatisch nicht zu begrün­ den“. 361  Entwurfsbegründung eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. V/1269, S. 58 ff. 362  Dazu und zum Folgenden Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unterneh­ mensstrafe, S. 82, die hieraus aufgrund der strukturellen Gleichheit von Ordnungs­ widrigkeitenrecht und Strafrecht sodann auch die zulässige Anwendung letzteren Rechtsgebiets bei juristischen Personen schlussfolgert, S. 83 ff., 179 f. Diese Folge­ rungen basieren jedoch auf falschen Voraussetzungen: Zwar ist es stimmig, die Frage der juristischen Person im Strafrecht wie im Ordnungswidrigkeitenrecht einheitlich zu behandeln, doch kann aus der Normierung des § 30 OWiG nicht auf eine „juristi­ sche“ Handlungs- und Schuldfähigkeit geschlossen werden, denn eine solche weitrei­ chende Gestaltungsmacht – und das betont Ehrhardt sogar an anderer Stelle (vgl. S. 70 f., 73) – steht dem Gesetzgeber gerade nicht zu. 363  Im weiteren Sinne einer Zurechnungslösung – wenngleich in der Ausgestaltung vielschichtig – etwa Bahnmüller, Strafrechtliche Unternehmensverantwortlichkeit, S. 42 ff.; Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, § 30 Rn. 1 f., 5; Müller, Juristische Per­

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4. Teil: Ordnungswidrigkeitenrechtliche Mittel

Verhalten der natürlichen Personen ab und sei stets im Zusammenhang mit § 9 OWiG und § 14 StGB  – bei denen nur einzelne Deliktsmerkmale zuge­ rechnet würden  – zu sehen.364 Über § 30 OWiG werde – ähnlich wie im Rahmen des strafrechtlichen Zurechnungsmodells365 – dem Verband das Handeln und Verschulden seiner Organe als eigenes zugerechnet und so vom Gesetzgeber im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts die Handlungs- und Schuldfähigkeit von Verbänden „im juristischen Sinne“ anerkannt.366 Für eine so zu begründende ordnungswidrigkeitenrechtliche Unterneh­ mensverantwortlichkeit werden unterschiedliche Aspekte angeführt. Tiede­ mann etwa stellt auf ein Organisationsverschulden ab.367 Er begründet dieses mit einer „vorausgehenden Außerachtlassung der auf Verhinderung solcher Taten gerichteten Zurüstung“ und vergleicht die Situation mit der des § 323a StGB und der actio libera in causa, bei der auch nicht auf die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangene Tat abgestellt, sondern schon vorher angesetzt werde.368 Andere Ansätze gehen von einer Legitimierung durch den Gesetz­ geber aus, der schließlich durch die Einführung der §§ 29, 30 OWiG und des § 75 StGB a. F. gezeigt habe, dass eine Zurechenbarkeit möglich sei.369 Dar­ über hinaus wird argumentiert, das Handeln eines für die juristische Person tätigen Organs reiche zwar nicht aus, um die strengen Anforderungen straf­ rechtlicher Zurechnung zu erfüllen, doch könnten schlichte Zahlungspflich­ ten  – etwa innerhalb des Sicherungs- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts  – son im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 16 ff., 19, 47 f.; Ransiek, Unternehmen, S. 111; ders., NZWiSt 2012, 45 ff.; Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Straf­ recht?, Rn. 433; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 184 ff., 191 ff. 364  Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 434 ff. m.  w.  N. zur historischen Entwicklung und vermeintlichen Notwendigkeit der §§ 30, 130 OWiG. 365  Dazu oben (Dritter Teil B. I. 2.). 366  So etwa Brender, Verbandstäterschaft, S. 121 ff.; dies auch auf das Strafrecht schlussfolgernd Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 374; ders., NJW 1988, 1169, 1172. 367  Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 377; ders., NJW 1988, 1169, 1172 f. I. d. S. auch Bauer, wistra 1992, 47, 49 f.; Brender, Verbandstäterschaft, S. 93 ff., 125 ff. 368  Auch ein Außerachtlassen der Sorgfalt kann jedoch niemals von der juristi­ schen Person selbst, sondern allein von den hinter ihr stehenden natürlichen Personen erfolgt sein, sodass es an der Fähigkeit, Normadressat zu sein, bereits fehlt. Zugleich ist die Situation hier nicht mit der Problemstellung der actio libera in causa vergleich­ bar, hier wird nämlich gerade auf ein schuldhaftes – nur vorgelagertes – Fehlverhal­ ten abgestellt. Im Hinblick auf § 323a StGB vgl. auch Alwart, Zurechnen und Verur­ teilen, S. 30. 369  I. S. solcher Erwägungen in Bezug auf § 75 StGB a. F., §§ 29, 30 OWiG sowie § 31 BGB etwa Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 188 f., 203.

B. Rechtliche Legitimierbarkeit der Geldbuße gegenüber juristischen Personen95

hierdurch legitimiert werden.370 Insofern stehe § 30 OWiG in Bezug zur eu­ ropäischen Entwicklung und zeige, dass man nicht zwingend auf eine Strafe im eigentlichen Sinne zurückgreifen müsse, eine ordnungswidrigkeitenrecht­ liche Sanktionierung jedoch notwendig sei.371 Achenbach führt dazu aus: Bereits die gesamte Konstruktion eines Zurechnungsmodells im Ordnungs­ widrigkeitenrecht bei juristischen Personen weiche von dem bei natürlichen Personen ab, die überindividuelle Einheit trete im Rahmen des § 30 OWiG nicht unmittelbar als Täterin oder Beteiligte auf.372 Insofern sei – anders als etwa im europäischen Kartellbußrecht – im deutschen Bußgeldrecht die juris­ tische Person oder Personenvereinigung zwar Sanktionsadressat, nicht aber als solche Beteiligte der Anknüpfungstat.373 Dies sei eine Besonderheit des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts, die auf den Grundsatz „societas de­ linquere non potest“ zurückzuführen und vom Gesetzgeber bewusst entschie­ den worden sei.374 Dennoch liege § 30 OWiG nicht der Gedanke einer Ver­ 370  So i. E. auch Frisch, FS Wolter, S. 349, 360, 361, der zwar das Zurechnungs­ modell im Rahmen der Strafbarkeit ablehnt, dies jedoch im Rahmen anderer Sanktio­ nierungen für anwendbar hält. Insoweit müsse die juristische Person für von ihren Organen verursachte Schäden kompensationspflichtig sein; hierzu zählten etwa auch Bußen oder Ausgleichszahlungen zur Behebung sozialpsychologischer Schäden in­ nerhalb der Gemeinschaft. Dies werde im Rahmen des § 30 OWiG abgedeckt. I. d. S. auch Lüderssen, in: Unternehmensstrafrecht, S. 79, 87, wonach das Ordnungswidrig­ keitenrecht in dieser Hinsicht nicht über die „(scheinbaren) Selbstverständlichkeiten des Zivilrechts“ hinaus gelangt sei; vgl. auch Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkei­ ten, § 16 Rn. 3, 5, der insoweit von einem Prinzip der Akzessorietät spricht, bei dem die Rechtsfolge schlicht bei einer anderen Person eintrete. 371  Vgl. Achenbach, JuS 1990, 601, 607; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 126; Korte, NJW 1998, 1464, 1465; i. d. S. auch v. Freier, GA 2009, 98, 100; Peglau, JA 2001, 606, 610; Ransiek, Unternehmen, S. 343; ders., NZWiSt 2012, 45 ff., wonach Sanktionen gegen Unternehmensträger aufgrund des bedeutsa­ men strafrechtlichen Schuldprinzips allein dem Ordnungswidrigkeitenrecht zu unter­ stellen seien, kriminalstrafrechtliche Sanktionen hingegen müssten ausscheiden; auch Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 95, hält § 30 OWiG für ein wichtiges Instrument i. R.d. unternehmerischen Sanktionierung, verweist jedoch auf einige Sanktionsdefizite diesbezüglich, S. 77 ff.; für eine stärkere Bezugnahme auf das Ord­ nungswidrigkeitenrecht ferner Otto, Jura 1998, 409, 417 f.; s. auch Stratenwerth, FS Schmitt, S. 295, 307, wonach das Verwaltungsrecht den „Unwertgehalt des Rechts­ bruchs“ nicht adäquat erfassen könne. 372  Achenbach, ZIS 5/2012, 178, 180. 373  Achenbach, ZIS 5/2012, 178, 180: „Indem der Gesetzgeber des Ordnungswid­ rigkeitengesetzes in dessen § 30 für den Verband als solchen eine Geldbuße“ anordne, mache „er ihn selbst mithin zum Adressaten einer Ahndung“. 374  Achenbach, ZIS 5/2012, 178, 180; vgl. auch die die Entwurfsbegründung eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. V/1269, S. 61, wonach die juristische Person oder Personenvereinigung „einer Tat im natürlichen Sinne nicht fähig“ sei und ihr daher nur „die Tat einer ihrer Organe als Grundlage für eine Rechtsfolge zuge­ rechnet werden könne“.

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4. Teil: Ordnungswidrigkeitenrechtliche Mittel

antwortlichkeit für fremdes Verhalten zugrunde, vielmehr statuiere die Norm – indem der Verband Adressat ist – eine eigene bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit des Verbandes, die sich auf das tatbestandsmäßige, rechts­ widrige und schuldhafte Verhalten seiner Leitungsperson gründe.375 Unabhängig davon, worauf genau ein ordnungswidrigkeitenrechtliches Zurechnungsmodell über die Vorschrift des § 30 OWiG basieren soll, stellt sich die Frage, warum hierfür andere Prämissen gelten sollen als innerhalb strafrechtlicher Zurechnung. Das Ordnungswidrigkeitenrecht und das Straf­ recht sind strukturell gleich: Dies gilt nicht nur bei der Frage einer originä­ ren, sondern selbstverständlich auch bei der einer derivativen Verantwortlich­ keit juristischer Personen. Bei § 30 OWiG geht es gerade nicht um „schlichte Zahlungspflichten“, sondern eben auch um einen staatlichen Vorwurf gegen­ über dem Einzelnen aufgrund einer von ihm übertretenen Verhaltensnorm. Insofern muss auch im Ordnungswidrigkeitenrecht hinsichtlich der Zurech­ nungsprinzipien auf die strengeren des Strafrechts abgestellt werden – zivil­ rechtliche Zurechnungsansätze können hier nicht zur Anwendung kommen.376 Innerhalb strafrechtlicher Zurechnungsmodelle aber tritt niemals eine aus­ schließliche Verantwortlichkeit für fremdes schuldhaftes Verhalten ein.377 Vielmehr beruht die Zurechnung stets auf einem persönlichen Vorwurf, der sich auf einen eigenen Tatbeitrag sowie den entsprechenden Vorsatz oder mindestens die entsprechende Fahrlässigkeit stützt. Der juristischen Person kann jedoch kein eigenes Verhalten zur Last gelegt werden, welches sie be­ 375  Achenbach, ZIS 5/2012, 178, 180. Für die Normadressatenstellung der juristi­ schen Person spricht sich auch Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 435 mit Fn. 509, aus. Nach Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, Rn. 648, reagiere die Verbandsgeldbuße auf ein „Perpetuierungsunrecht des Verban­ des“: Mit ihrer Androhung solle der Verband von sich aus dazu motiviert werden, Vorteile, die Leitungspersonen durch Anknüpfungstaten für ihn rechtswidrig erworben haben, von sich aus auszukehren – der Verband sei dafür verantwortlich, den hierdurch bestehenden „Unrechtszustand“ umgehend zu beheben. Um dies sicherzustellen, er­ hebe § 30 OWiG bei Untätigbleiben des Verbandes „einen Säumniszuschlag“. Klesczewski selbst sieht jedoch, dass sein Ansatz „an mehreren Stellen […] zu einer ein­ schränkenden Auslegung“ zwinge. Insofern ist auch die Argumentation, dass „die konkurrierenden Ansätze noch weniger mit dem positiven Recht“ harmonieren, kein Argument für seine Ansicht. Vielmehr macht gerade dies deutlich, dass eine Verbands­ geldbuße grundsätzlich nicht mit geltendem Recht in Einklang zu bringen ist. 376  Vgl. dazu ausführlich oben (Dritter Teil B. II. 1.). 377  Vgl. dazu etwa Schroth, wistra 1986, 158, 162, wonach es eine solche „Stell­ vertretung“, bei der Verbände für die Schuld ihrer Organe einstehen, im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht gibt, weil jeder nur für seine eigene Schuld verant­ wortlich sein kann. I. d. S. auch Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 129, 139, wonach die Verbandsgeldbuße des Ordnungswidrigkeitenrechts de lege lata mit dem Schuldgrundsatz unvereinbar sei, weil sie auf einer „Überstülpung zivilrechtli­ cher Zurechnungsmodelle auf das Strafrecht“ beruhe.

B. Rechtliche Legitimierbarkeit der Geldbuße gegenüber juristischen Personen 97

wusst steuern kann. Daher sind die „klassischen“ Zurechnungsmodelle auch im Rahmen des § 30 OWiG abzulehnen. Sie können niemals darüber hin­ weghelfen, dass die juristische Person als solche gerade nicht dazu fähig ist, eine Verhaltensnorm zu übertreten. Es erscheint daher höchst fragwürdig, wenn im Wege eines Zurechnungsmodells innerhalb des Ordnungswidrigkei­ tenrechts andere Anforderungen an die Legitimation einer Sanktionierung gestellt werden als dies im Strafrecht der Fall ist. Konsequenterweise muss auch im Ordnungswidrigkeitenrecht, bei dem es eben genauso um die Sank­ tionierung von Verhaltensnormverstößen geht, eine Verantwortlichkeit des Unternehmens ausscheiden. An diesem Ergebnis kommen auch solche Ansätze nicht vorbei, die expli­ zit – in Anlehnung an zivilrechtliche Konstruktionen – auf eine akzessorische Mithaftung des Unternehmens abstellen378 und so der Vorschrift des § 30 OWiG indirekt die Rechtsnatur einer Nebenfolge zusprechen.379 Diesem Ver­ ständnis widerspricht bereits die Tatsache, dass § 30 OWiG ausdrücklich nicht mehr den Charakter einer Nebenfolge trägt.380 Überdies stehen die Vorschriften des Ordnungswidrigkeitenrechts, insbesondere die Geldbuße, gerade nicht dem Zivilrecht nahe, sondern sind der Sache nach unter einen Strafbegriff im weiteren Sinne zu fassen, der auch die Strafe im engeren Sinne als (repressive) Sanktion umfasst. 378  I. d. S. etwa Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 16 Rn. 4 f., der etwa auf die zivilrechtliche Bürgenhaftung oder die Haftung des Staates für Amtsträger verweist: § 30 OWiG habe nicht die Funktion der Zurechnung von Deliktsmerkma­ len, vielmehr müsse ein Delikt bereits vorliegen, um die Vorschrift überhaupt anwen­ den zu können. So würden die Ahndbarkeitsvoraussetzungen von einer natürlichen Person erfüllt, die Rechtsfolge treffe jedoch die juristische. Insofern habe § 30 OWiG ausschließlich Rechtsfolgenrelevanz und mache keine Aussage über die Fähigkeit ei­ ner juristischen Person, eine Ordnungswidrigkeit zu begehen. Ein eigenes „Verbands­ delikt“ werde jedenfalls nicht begründet. 379  So wohl auch der BGH, vgl. BGHSt 46, 207, 211, wonach der Gesetzgeber die Bezeichnung als Nebenfolge zwar aufgegeben habe, § 30 OWiG aber dennoch keinen eigenständigen Ordnungswidrigkeitentatbestand darstelle. Kritisch dazu aber Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 379, 382 f., 384, der dem BGH nur insoweit zustimmt als § 30 OWiG durch seine Platzierung im Allgemeinen Teil  des Ordnungswidrigkeitengesetzes eher eine Beteiligungsregel als einen „typi­ schen Ordnungswidrigkeitentatbestand“ darstelle. In der Sache sei die Vorschrift eine Mischform, denn einerseits werde hierdurch festgelegt, wann ein Unternehmen an der Tat beteiligt ist, andererseits werde zugleich eine originäre Verantwortung des Unter­ nehmens geschaffen. Insoweit beruhe § 30 OWiG selbst auch auf einem Kombinati­ onsmodell zwischen Zurechnung und Unternehmensverantwortlichkeit i. S. eines mo­ difizierten Individualtatmodells. 380  So spricht etwa der 8. Abschnitt des 2. Teils des Ordnungswidrigkeitengesetzes ausdrücklich von „Verfahren bei Anordnung von Nebenfolgen oder der Festsetzung einer Geldbuße gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung“.

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4. Teil: Ordnungswidrigkeitenrechtliche Mittel

Daher kann ebenso wie im Strafrecht ein Zurechnungsmodell auch im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht als Legitimationsgrundlage einer Verant­ wortlichkeit juristischer Personen herangezogen werden. Ein solches Modell ist weder „sachlich begründet“ noch über ein etwaiges Organisationsver­ schulden begründbar.381 Im Gegenteil: Es ist – lehnt man eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ab – inkonsequent und verfehlt. 2. § 30 OWiG als täterschaftsbegründende Norm? Einen anderen Ansatzpunkt wählt Rogall: Er sieht in § 30 OWiG eine Pa­ rallele zu anderen täterschaftsbegründenden Normen, etwa § 25 StGB: Das herkömmliche Verständnis von § 30 OWiG als „Zurechnungsnorm“ werde der Vorschrift kaum gerecht und sei stets Missverständnissen ausgesetzt; vielmehr führe § 30 OWiG zur „Bildung einer eigenen täterschaftlichen Norm, aus der sich die Bedingungen dafür ergeben, dass ein Verband für das deliktische Verhalten seiner Repräsentanten bußgeldrechtlich verantwortlich gemacht werden darf“.382 Die Norm stelle einen „Transformator“ dar, „dem die entscheidende Aufgabe zukommt, den gegenüber den Organen erhobenen Vorwurf in eine verbandsadäquate Verantwortlichkeit zu übersetzen“.383 Diese Annahme gründet auf der Organtheorie Gierkes. Er entwickelte auf der Basis seiner Genossenschaftstheorie die These, dass eine Körperschaft eine reale Gesamtperson sei, die sich lediglich durch ihre Vertreter ausdrücke: „Die Verbandsperson […] ist kein todtes Begriffsding, das der Vertretung durch andere bedarf, sondern ein lebendiges Wesen, das als solches will und handelt“.384 Insofern gehe es bei § 30 OWiG nicht darum, der juristischen Person das Verhalten eines Dritten wie das eines Fremden zuzurechnen; die­ 381  Vgl. Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, S. 13, 18, der das Zurechnungsmo­ dell auch im Kriminalstrafrecht bei juristischen Personen ablehnt, jedoch einen gene­ rellen Haftungszusammenhang zwischen natürlicher und juristischer Person sieht, welcher es rechtfertigt, der juristischen Person die Vorteile zu entziehen, welche sie auf diesem Wege rechtswidrig erlangt hat. 382  Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 2 f. 383  Brender, Verbandstäterschaft, S. 122, jedoch sei die Norm auch als Zurech­ nungsvorschrift zu begreifen. Vgl. dazu auch Bock, in: Rotsch, Criminal Compliance, Handbuch, § 8 Rn. 56. 384  v. Gierke, Privatrecht, S. 469 ff., 472. v. Savigny hingegen geht von einem ent­ gegengesetzten Bild der juristischen Person aus. Seiner Ansicht nach sei die juristi­ sche Person lediglich ein fictione iuris entstehendes und ausschließlich des Vermö­ gens fähiges künstlich angenommenes Subjekt (v. Savigny, System  II, S. 239, 314). Die Rechtsfähigkeit der juristischen Person gründet sich demnach allein auf einer positivrechtlichen Zuweisung durch das Rechtssystem. Vgl. dazu ausführlich SchmittLeonardy, in: Unternehmensstrafrecht, S. 111, 115 f.; dies., Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 511 ff., jeweils m. w. N. zu aktuellen Vertretern der beiden An­

B. Rechtliche Legitimierbarkeit der Geldbuße gegenüber juristischen Personen99

ses stelle vielmehr eigenes Verhalten dar. Es handele sich demnach auch um „Eigendelinquenz des Verbandes“.385 § 30 OWiG beruhe zwar nicht auf ei­ nem System übergeordneter Organisations- oder Überwachungsmängel, son­ dern knüpfe an eine Individualtat an; sie sei sanktionsbegründendes Krite­ rium, was sich auch daran zeige, dass sich die Bußgeldbemessung nach dem Bußgeldrahmen der individuellen Ordnungswidrigkeit richte und auch für die Verjährung auf diese zurückgegriffen werde.386 Diese Tatsache lasse gerade nicht die Deutung eines klassischen Zurechnungsmodells zu, da für den Ver­ band keine Möglichkeit bestehe, Gründe gegen eine etwaige Zurechenbar­ keit, wie Unkenntnis etc., vorzubringen.387 Insofern trete eine Zurechnung des Vertreterhandelns – wie vor allem im Zivilrecht üblich – nicht ein.388 In der Sache sei § 30 OWiG daher unter die Beteiligungslehre des Ordnungs­ widrigkeitengesetzes zu fassen und habe eine täterschaftsbegründende Funk­ tion inne.389 Gerade im Hinblick auf eine vermeintlich täterschaftsgründende Norm kann jedoch erst recht nichts anderes gelten als das bereits oben (Vierter Teil B. I.) Dargestellte. Die Frage, warum die Rolle der juristischen Personen im Ordnungswidrigkeitenrecht anders bewertet werden soll als im Wege strafrechtlicher Regelungen, bleibt jedenfalls auch hier offen.

sätze. Einen umfassenden Überblick gibt auch Flume, Bürgerliches Recht, § 1. Vgl. auch Teubner, KritV 1987, 61 ff. 385  Auch zum Vorangegangenen Rogall, in: KK-OWiG, § 30  Rn. 8 f. I. d. S. wohl auch Haas, ARSP-Beiheft 134 (2012), 125, 138 f.: „Organschaftliches Handeln ist schon deswegen Handeln des Verbandes, weil das Organ aufgrund der rechtlichen Konstitution bzw. Konstruktion des fiktiven Subjekts Bestandteil der juristischen Per­ son ist. So wie die Bewegung eines Körperteils – zum Beispiel der Hand – Verhalten der Person ist, zu der die Hand gehört, so ist das Verhalten des Organs Verhalten derjenigen juristischen Person, dessen Teil sie ist. Im ersten Fall wird der Zusammen­ hang von der Natur, im zweiten Fall durch das Recht gestiftet“. – Allein die Tatsache, dass ein Organ „normativ Bestandteil“ der juristischen Person ist, soll eine Zurech­ nung unnötig werden lassen und ein eigenes Verhalten der juristischen Person begrün­ den, dennoch wird ein „durch Recht“ gestifteter Zusammenhang gefordert. Auch ein solcher kann jedoch keine Eigenverantwortlichkeit der juristischen Person aus straf­ rechtlicher Perspektive begründen, sondern allenfalls zivilrechtliche Pflichten, bei denen es nicht darum geht, einen Verhaltensnormverstoß zu sanktionieren. 386  Rogall, GA 2015, 260, 264; vgl. auch Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 30 Rn. 43a. 387  Rogall, GA 2015, 260, 264; ausdrücklich anders aber die Entwurfsbegründung eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. V/1269, S. 58 ff. 388  Bruns, GA 1982, 1, 10. 389  Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 8 m. w. N., 16.

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4. Teil: Ordnungswidrigkeitenrechtliche Mittel

III. Zwischenergebnis: Nicht-Legitimierbarkeit der Geldbuße gegenüber juristischen Personen Das Ordnungswidrigkeitenrecht steht in seinen Legitimationsgrundlagen dem Strafrecht gleich, es sind keine anderen Anforderungen an die rechtliche Legitimation ordnungswidrigkeitenrechtlicher Sanktionen zu stellen. Eine originäre Unternehmensverantwortlichkeit ist im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht zu begründen. Die unterschiedliche Intensität des rechtlichen Vorwurfs rechtfertigt gerade keine unterschiedliche Behandlung, wenn es darum geht, ob einem bestimmten Subjekt gegenüber überhaupt ein Vorwurf erhoben werden kann. Auch eine derivative Verantwortlichkeit der juristischen Person kann im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht als Legitimationsgrundlage zum Tragen kommen: Im Ergebnis macht es keinen Unterschied, ob eine deriva­ tive ordnungswidrigkeitenrechtliche Unternehmensverantwortlichkeit im Wege eines „klassischen“ Zurechnungsmodells begründet werden soll oder der Vorschrift des § 30 OWiG eine täterschaftsbegründende Funktion beige­ messen wird. In beiden Fällen müssten der juristischen Person Fähigkeiten zugeschrieben werden, die sie gerade nicht besitzt. Weder kann sie im Wege einer „klassischen“ Zurechnung auf das Verhalten ihrer Mitarbeiter Einfluss nehmen noch ist ihr eine „Eigendelinquenz“ anzulasten, die ihre Täterschaft zu begründen vermag. Nur weil im Ergebnis eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Regelung – etwa auch im Hinblick auf vermeintliche europäische Anforderungen – wün­ schenswert erscheint, können nicht die Legitimationsgrundlagen des Ord­ nungswidrigkeitenrechts als Teil  des Strafrechtssystems umgangen werden. Die Versuche einer jedenfalls gemischt qualitativ-quantitativen Abgrenzung des Ordnungswidrigkeitenrechts zum Strafrecht sind, wie oben (Vierter Teil A.) gezeigt, abzulehnen. Das Straf- und das Ordnungswidrigkeitenrecht unterscheiden sich allein quantitativ. Sowohl im Ordnungswidrigkeiten- als auch im klassischen Strafrecht geht es bei der Sanktionierung um einen rechtlichen Tadel seitens des Staates aufgrund eines vorwerfbaren personalen Fehlverhaltens. Eine Verhaltensnorm muss jedenfalls begründet werden kön­ nen. Da im Hinblick auf juristische Personen dies bereits misslingt, kann ihnen gegenüber auch kein staatlicher Vorwurf – weder originär noch deriva­ tiv über das Verhalten natürlicher Personen – erhoben werden. Im Rahmen der Normierung der §§ 30, 130 OWiG haben wohl vermeint­ liche kriminalpolitische Bedürfnisse die „dogmatischen Bedenken überspielt“.390 Nur um des Zieles willen, juristische Personen in irgendeiner Weise sanktionieren zu können, kann das System rechtlich legitimierter Ver­ 390  So

bereits Rudolf Schmitt, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 28.

B. Rechtliche Legitimierbarkeit der Geldbuße gegenüber juristischen Personen101

haltensnormen als Grundvoraussetzung einer Sanktionierung nicht umgangen werden. Die Lösung im Rahmen der §§ 30, 130 OWiG kommt insofern ei­ nem Etikettenschwindel gleich.391 Normiert ist hier in der Sache nichts ande­ res als eine „kleine“ strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen, die sich dogmatisch nicht legitimieren lässt – auch nicht im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber hier bereits legislativ tätig geworden ist.392 Daher sind – auch vor dem Hintergrund des oben zur strafrechtlichen Verantwort­ lichkeit juristischer Personen Gesagten  – die Regelungen der §§ 30, 130 OWiG mangels Legitimationsgrundlage verfassungswidrig und sollten dem BVerfG zur Prüfung vorgelegt werden.393

391  Jescheck/Weigend, AT, § 23 VII 3; vgl. auch Mitsch, NZWiSt 2014, 1, 3, wo­ nach der „Unterschied zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Strafrecht nicht die Qualität hat, derer es bedürfte, um die gegen eine Kriminalstrafe gegenüber einer ju­ ristischen Person sprechenden Gründe als gegenüber der ‚Scheinlösung‘ des § 30 OWiG nicht durchschlagend zu marginalisieren“. Ebenso Schünemann, in: Leipziger Kommentar I, Vor  § 25 Rn. 20. I. d. S. auch bereits Hartung, in: 40. DJT, Band II, S. E44: „Denn ob es nun Geldstrafe oder Geldbuße genannt wird“ macht keinen Un­ terschied; „die Maßnahme hat typischen Strafcharakter […]“. Auch Ransiek, Unter­ nehmen, S. 111, sieht zumindest den „Verdacht des Etikettenschwindels“, da auch über § 30 OWiG „die Zahlung eines Geldbetrages als negative Sanktion“ verhängt wird. Kritisch zu Recht auch Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, S. 157. Vgl. aber v. Freier, GA 2009, 98, 116, der zwar ebenfalls den „Einwand des Etiket­ tenschwindels“ bei der Geldbuße sieht, diesem könne jedoch entgangen werden, in­ dem man „sie als Gebühr für die unmäßige Inanspruchnahme öffentlicher Güter oder ausschließlich als Gewinnabschöpfungsmaßnahme“ konstruiere. 392  Dass der Gesetzgeber weder die Fähigkeit noch die Macht besitzt, eine Verant­ wortlichkeit juristischer Personen positiv-rechtlich zu etablieren, wurde bereits oben [Dritter Teil B. I. 1. a) bb)] gezeigt. 393  Vgl. zu den darüber hinaus bestehenden Problemen i. R.d. Vorschriften etwa Schünemann, ZIS 1/2014, 1, 6. Die Bebußung von Verbänden innerhalb des Ord­ nungswidrigkeitenrechts ebenfalls ablehnend Lang-Hinrichsen, FS Mayer, S. 49, 66.

Fünfter Teil

Andere staatliche Maßnahmen: Würdigung vorhandener Institute und Überlegungen de lege ferenda A. Das Recht der Vermögensabschöpfung im Strafgesetzbuch Bisher wurden straf- und nichtstrafrechtliche Maßnahmen auf deren An­ wendbarkeit bei juristischen Personen hin überprüft. Hierbei ist deutlich ge­ worden, dass weder strafrechtliche noch ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen als Rechtsfolgen einer Tat in Betracht kommen. Darüber hinaus existieren im Strafgesetzbuch weitere Maßnahmen, die nicht unter den Be­ griff der Strafe im klassischen Sinne fallen. Im Kontext der juristischen Personen interessieren konkret die Vorschriften der §§ 73 ff., 74 ff. StGB. Sie werden als Maßnahmen eigener Art bezeichnet und über § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB begrifflich in einen Zusammenhang mit den Maßregeln der Besserung und Sicherung gebracht. Ob diese Einordnung zutrifft und ob sie gegenüber juristischen Personen legitimiert werden können, soll Gegenstand der folgen­ den Überlegungen werden.

I. Zum besseren Verständnis der gegenwärtigen Gesetzeslage: Verfall und Einziehung gem. §§ 73 ff., 74 ff. StGB a. F. 1. Verfall gem. §§ 73 ff. StGB a. F. Nach § 73 Abs. 1, 3 StGB a. F. wurde gegen die juristische Person der Verfall des Erlangten angeordnet, wenn dieses aus einer Straftat herrührte und der bzw. die Täter oder Teilnehmer für die juristische Person gehandelt hatten.394 Der Adressat der Verfallsanordnung war gem. § 73 Abs. 1 StGB a. F. pri­ mär der Beteiligte an der Tat selbst, also eine natürliche Person. Juristische 394  Zu der entsprechenden Regelung innerhalb des Ordnungswidrigkeitenrechts (§ 29a Abs. 1, 2 OWiG a. F.) vgl. etwa Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, Rn.  613 ff.



A. Das Recht der Vermögensabschöpfung im Strafgesetzbuch103

Personen konnten von einem Verfall betroffen sein, der sich gem. § 73 Abs. 3 StGB a. F. gegen einen an der Tat nicht Beteiligten, aber durch diese Begüns­ tigten richtete.395 Diese Norm sah vor, den Verfall von Vermögensvorteilen auch gegenüber einem „anderen“, d. h. einem tatunbeteiligten Dritten, anzu­ ordnen, falls der Täter oder Teilnehmer für diesen handelte. Nach ständiger Rechtsprechung konnte Dritter insofern auch eine juristische Person sein.396 Auf eine bestimmte Unternehmensform kam es hierbei nicht an; auch eine Personengruppe konnte „anderer“ sein.397 Voraussetzung für die Anordnung des Verfalls gegenüber einer juristischen Person war zunächst, dass der Straftäter für sie gehandelt und sie dadurch etwas erlangt hatte. Der Straftatbeteiligte konnte sowohl aus den Reihen der Führungsebene stammen, aber auch jeder andere Mitarbeiter oder sogar eine Person außerhalb des Unternehmens sein.398 In der Regel war ein Handeln 395  Gegenüber Drittbegünstigten wurde in der Regel ein Wertersatzverfall gem. § 73a StGB a. F. angeordnet, vgl. Hofmann, wistra 2008, 401, 402. Dieser konnte si­ chergestellt werden, indem gem. § 111d StPO a. F. ein dinglicher Arrest angeordnet wurde, sofern Gründe vorlagen, die die Annahme des Verfalls rechtfertigten (dazu und zum Folgenden allgemein statt vieler Imme Roxin, in: Unternehmensstrafrecht, S. 37, 49 ff. m. w. N.). Die Gründe, die für eine Anordnung vorliegen mussten, entsprachen einem Anfangsverdacht gem. § 152 Abs. 2 StPO hinsichtlich einer möglicherweise verfolgbaren Straftat sowie der wahrscheinlichen Anordnung der Maßnahme des Ver­ falls, vgl. etwa OLG Celle NStZ-RR 2008, 203, 204. Kritisch zu der Absenkung der Eingriffsschwelle von dringenden Gründen hin zu lediglich einem Anfangsverdacht im Hinblick auf den Eingriff in Art. 14, Art. 2 Abs. 1 GG etwa Greeve, NJW 2007, 14, 15 f. Darüber hinaus musste nach § 111d Abs. 2 StPO a. F. i. V. m. § 917 ZPO als Ar­ restgrund begründet werden können, dass ohne einen dinglichen Arrest die Vollstre­ ckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. Die Maßnahme konnte nach sechs Monaten von der Staatsanwaltschaft um weitere sechs Monate ver­ längert werden, wenn eine konkretisierte Verdachtslage bestand und die Annahme ge­ rechtfertigt war, dass die vergangenen sechs Monate für die Verfallsfeststellung nicht ausreichend waren. Abgelehnt wurde diese Vorgehensweise in OLG Celle NStZ-RR 2008, 203, 204: „Die Anforderungen an die Beweisdichte nehmen […] im Verlauf des Verfahrens zu“. Kritisch zu der Erweiterung der Frist für die Aufrechterhaltung wegen eines nur möglicherweise deliktisch erlangten Vermögens ebenfalls Greeve, NJW 2007, 14, 15 f. Vgl. auch BVerfG StV 2006, 281, 282: Durch etwaige Pfändungsmaß­ nahmen sei die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Betroffenen eingeschränkt und es drohe eine erhebliche Außenwirkung. Insofern sei der dingliche Arrest zwar eine Er­ messensvorschrift, jedoch seien aufgrund der relativ niedrigen Voraussetzungen in Bezug auf die stark beeinträchtigenden Wirkungen daran besondere Anforderungen zu stellen, die ein formelles Verfahren und die Zumutbarkeit und Angemessenheit der Maßnahme beinhalten, dazu BVerfG StV 2006, 449 f.; s. auch die Ausführungen bei Imme Roxin, in: Unternehmensstrafrecht, S. 37, 51 ff. 396  BVerfG StV 2004, 409, 411; vgl. auch BGHSt 45, 235 ff.; Eser, in: Schönke/ Schröder, § 73 (a. F.) Rn. 35; Fischer, StGB, § 73 (a. F.) Rn. 29 m. w. N. 397  Joecks, in: MünchKommStGB II, § 73 (a. F.) Rn. 72. 398  Achenbach, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil I Kap. 2 Rn. 35; vgl. auch Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 447.

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für das Unternehmen aufgrund des engen Verhältnisses jedenfalls bei Ange­ stellten und Arbeitern zu bejahen.399 Die Art und Weise, in der das Unterneh­ men etwas erlangt haben musste, war umstritten. Jedenfalls fielen darunter solche Konstellationen, in denen es etwas unmittelbar durch die Handlung des Tatbeteiligten erlangt hatte,400 doch ließ der BGH eine Verfallsanordnung beispielsweise auch dann zu, wenn das Unternehmen nur über eine An­ schlussverfügung des Tatbeteiligten etwas erlangt hatte, sofern ein Bereiche­ rungszusammenhang gegeben war.401 Über das – zu Recht umstrittene – Bruttoprinzip erstreckte sich die Herausgabepflicht nach ständiger Rechtspre­ chung sodann auf alle aus der Straftat erlangten Vorteile, unabhängig davon, ob diese zum Zeitpunkt der Vermögensabschöpfung tatsächlich noch im Vermögen des Betroffenen vorhanden waren.402 Jedoch konnte der Verfall gem. § 73 Abs. 1 S. 2 StGB a. F. nur dann ange­ ordnet werden, wenn keine Ansprüche des Verletzten bestanden, deren Erfül­ lung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde. Solche Ansprüche schlossen schon bei ihrem Bestehen (und nicht erst bei ihrer Geltendmachung) den Verfall aus.403 Eine Besonderheit bei juristi­ schen Personen ergab sich in diesem Zusammenhang, wenn ihnen wegen der Straftat ein Schadensersatzanspruch gegenüber dem Täter zustand; dieser hinderte dann auch die Verfallsanordnung gegen die juristische Person selbst.404 Aufgrund dieser allgemeinen Einschränkung sei dem Verfall im Rahmen individualschützender Normen nur ein kleiner Anwendungsbereich zugekommen, wohingegen bei  – meist überindividuelle Rechtsgüter schüt­ 399  Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 338; i. S. ei­ ner „inneren Beziehung zwischen Täterhandeln und Bereicherung“ auch Ransiek, Unternehmen, S. 123; einschränkend verlangte Eser, in: Schönke/Schröder, § 73 (a. F.) Rn. 37, dass die Tat zumindest im Einflussbereich des Vorteilsempfängers stehen müsse und in dessen Interessen begangen werde. 400  BGHSt 45, 235 ff.; vgl. dazu ausführlich Eser, in: Schönke/Schröder, § 73 (a. F.) Rn. 38; Joecks, in: MünchKommStGB II, § 73 (a. F.) Rn. 73 ff. 401  Der BGH hatte hierzu verschiedene Fallgruppen entwickelt: „Vertretungsfälle“, „Verschiebungsfälle“, „Erfüllungsfälle“, wobei nur bei ersteren die Anwendbarkeit des Drittempfängerverfalls eröffnet sein sollte, vgl. BGHSt 45, 235 ff. Zu den vom BGH entwickelten Fallgruppen zum Drittbezug ausführlich und teils kritisch etwa Heger, in: Lackner/Kühl, § 73 (a. F.) Rn. 9; Radtke, FS Schünemann, S. 927, 929; Theile, ZJS 2011, 333 ff., 336. 402  Das Bruttoprinzip sollte uneingeschränkt auch bei einer Verfallsanordnung ge­ genüber Dritten gelten, BGHSt 47, 369, 374 f.; BGH JR 2004, 517 f.; NStZ-RR 2004, 214 f. Näher zum Bruttoprinzip und der Kritik hieran sogleich unten. 403  BGH NStZ 2001, 257, 258; NStZ-RR 2006, 138; Heger, in: Lackner/Kühl, § 73 (a. F.) Rn. 6. Diese Einschränkung existiert im neugefassten Recht der strafrecht­ lichen Vermögensabschöpfung nicht mehr, vgl. dazu Gebauer, ZRP 2016, 101 und noch unten (Fünfter Teil A. II. 1.). 404  Vgl. dazu Hofmann, wistra 2008, 401, 403 m. w. N.



A. Das Recht der Vermögensabschöpfung im Strafgesetzbuch105

zenden – Wirtschaftsstraftaten dem Verfall eine große Bedeutung beigemes­ sen wurde.405 Eine weitere Einschränkung der Verfallsanordnung fand sich in § 73c Abs. 1 S. 1 StGB a. F.406 Die Regelungen über den Verfall (a. F.) verfolgten im Grundsatz das durchaus legitime Ziel, dem Täter oder Teilnehmer (bzw. demjenigen, für den gehandelt wurde) das zu entziehen, was er für die Tat oder aus der Tat erlangt hatte  – eine Begehung von Straftaten sollte sich für den Täter nicht lohnen.407 Sie wiesen insofern deutliche Parallelen zum Bereicherungsrecht der §§ 812 ff. BGB auf408 und wurden zum Teil auch als „quasi-kondiktio­ nelle Ausgleichsmaßnahmen“ bezeichnet.409 Vom bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruch des Zivilrechts unter­ schieden sich die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB a. F. jedoch insoweit, als dem Täter – nach Einführung des sog. Bruttoprinzips410 – alles abgenommen wurde, was er unrechtmäßig erlangt hatte und nicht nur der tatsächlich in seinem Vermögen bestehende Vorteil.411 Teilweise wurde dem Verfall (a. F.) deswegen zu Recht der Charakter einer „strafähnlichen Maßnahme“ zuge­ 405  Engelhart,

Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 340 f. dazu etwa BGHSt 47, 369, 376. Kritisch im Hinblick auf die Frage, ob diese Klausel auch einer drohenden Vernichtung der Existenz der juristischen Perso­ nen entgegenwirken konnte, Radtke, FS Schünemann, S. 927, 929 m. w. N. in Fn. 14: Dies hänge von ihrer Auslegung ab. 407  Hier sollten materielle Gerechtigkeitserwägungen, aber auch Aspekte bezüglich eines Lerneffekts eine Rolle spielen, vgl. Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 441 („crime doesn’t pay“), i. d. S. auch Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 366 („Ver­ brechen lohnt sich nicht“). Vgl. auch Achenbach, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil I Kap. 2 Rn. 32. 408  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 441. Vgl. aber auch die Vorschrift des § 817 S. 2 BGB, die eine ähnliche Struktur wie die des Verfalls (a. F.) aufweist und vom BGH als „Ausnahmebestimmung“ bezeichnet wurde, der ein strafender Charak­ ter innewohnt, BGHZ 39, 87, 91. 409  Eser, in: Schönke/Schröder, Vor  §§ 73 ff. (a. F.) Rn. 18; vgl. auch Freund, in: MünchKommStGB VI, § 98a AMG (a. F.) Rn. 4. 410  Dieses wurde durch die Ersetzung des Wortes „Vermögensvorteil“ mit „etwas“ eingeführt, vgl. Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetz­ buches und anderer Gesetze  – Gesetz v. 28.02.1992, BGBl. I, S. 374. Es sollte auch für § 29a OWiG a. F. gelten. Näher zum Bruttoprinzip Meier, Strafrechtliche Sanktio­ nen, S. 441 f.; Rönnau/Begemeier, GA 2017, 1 ff.; kritisch im Hinblick auf die Umset­ zung in der Rechtsprechung Imme Roxin, in: Unternehmensstrafrecht, S. 37, 38, 42 ff. Im Zivilrecht hingegen wird i. d. R. nur der Vermögensvorteil relevant, etwa im Rah­ men der dort vorherrschenden Saldotheorie. Vgl. auch Streng, Strafrechtliche Sankti­ onen, Rn. 368: Jedoch habe angesichts der Subsidiarität des Verfalls bei Bestehen zivilrechtlicher Ansprüche ein nur geringer Anwendungsbereich der Regelung bestan­ den, Rn. 367, 372. 411  Darunter fielen auch alle in das illegale Geschäft investierten Aufwendungen, vgl. BVerfG StV 2004, 409, 410; BGHSt 47, 369, 370 f.; 51, 65, 66. 406  Vgl.

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sprochen, bei der wiederum das Schuldprinzip hätte zum Tragen kommen müssen, was den Maßnahmen gem. §§ 73 ff. StGB a. F. eigentlich gerade nicht immanent war.412 Sowohl ein strafähnlicher Charakter als auch die Notwendigkeit der An­ wendung des Schuldprinzips wurden jedoch von BGH und BVerfG aus­ drücklich verneint:413 An der Rechtsnatur des Verfalls (a. F.) sollte sich durch die Einführung des Bruttoprinzips nichts ändern; hierdurch sei die general­ präventive Wirkung lediglich verstärkt worden. Der Gesetzgeber habe sich bei der Ausgestaltung der Regelungen an Wortlaut und Gesetzessystematik der §§ 812 ff. BGB orientiert und die Kondiktion als ein eigenständiges Inst­ rument zur Korrektur irregulärer Vermögenszuordnungen betrachtet, was eine verfassungsgemäße Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dargestellt habe.414 Insofern hätten die Verfallsvor­ schriften (a. F.) keine zusätzliche Bestrafung des Täters bezweckt, sondern die Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes, der durch eine Straftat le­ diglich ausgelöst wurde; ihre Zielsetzung sei daher nicht strafend gewesen; 412  So Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 85, wonach der Verfall (a. F.) nach Ein­ führung des Bruttoprinzips ein über die Gewinnabschöpfung hinausgehendes Übel darstellte, indem etwa auch ersparte Aufwendungen abgeschöpft werden konnten; vgl. auch Dannecker, NStZ 2006, 683 f. („Abschreckung der Allgemeinheit […] zeichnet aber eine Strafe aus“); Heger, in: Lackner/Kühl, § 73 (a. F.) Rn. 4b; Hellmann/Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 994; Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, S. 177 ff.; kritisch diesbezüglich auch Herzog, FS Lüderssen, S. 241, 247, 250, der von „strafrechtlichen Sanktionen gegen das Eigentum“ spricht und hierin einen Indikator für „totalitäre Tendenzen der Verbrechensbekämpfung“ sieht; i. d. S. auch Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 461 ff.  – Zur Problematik der Uferlosigkeit von Verfallsanordnungen (a. F.) nach Einführung des Bruttoprinzips, die in ihrer „Reichweite sogar noch über die Vermögensstrafe hinaus“ gehen und „im Zu­ sammenspiel mit dem Wertersatzverfall ein beträchtliches Ausmaß“ annehmen können, welches bis hin zur Insolvenz des Unternehmens führen kann, vgl. Hofmann, wistra 2008, 401, 404. Näher zu dieser Problematik und den Unstimmigkeiten i. R.d. §§ 73, 73d StGB a. F. auch Freund, in: MünchKommStGB VI, § 98a AMG (a. F.) Rn. 4. Kri­ tisch im Hinblick auf die Anwendung des Bruttoprinzips i. R.d. § 29a OWiG a. F. zu­ treffend Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, Rn. 620  ff.: Dieses habe einen „Fremdkörper im System des Ordnungswidrigkeitenrechts“ dargestellt und sei bereits „mit Blick auf § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG widersprüchlich, der für die Gewinnabschöp­ fung durch die Geldbuße vom Nettoprinzip ausgeht“. Wertungswidersprüche hätten sich auch im Hinblick auf die Regelung der Einziehung ergeben: Diese war ohne Ent­ schädigung grundsätzlich nur dann möglich, „wenn dem Betroffenen zumindest ein deliktsähnliches Fehlverhalten vorgeworfen werden […] oder die entschädigungslose Einziehung durch übergeordnete Sicherungsinteressen legitimiert“ werden konnte. Klesczewski wollte daher die Anwendung des Bruttoprinzips i. R.d. § 29a OWiG a. F. auf die Fälle reduzieren, in denen der Begünstigte bösgläubig war. 413  BVerfGE 110, 1, 20 ff.; BGHSt 47, 369, 373; 52, 227, 248; BGH NStZ-RR 2004, 214 f. 414  Statt vieler bereits BVerfGE 22, 387, 422.



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die Abschöpfung des über den Nettogewinn Erlangten habe primär einen Präventionszweck verfolgt.415 Durch die Einführung des Bruttoprinzips habe verhindert werden sollen, dass sich Taten im Ergebnis als risikolos darstell­ ten, wodurch der Anreiz zur Begehung weiterer Straftaten in Zukunft verrin­ gert werden sollte.416 Nach diesem Verständnis sei der Entzug des rechtswid­ rig Erlangten auch im Verhältnis zur „schuldunfähigen“ juristischen Person als tatunbeteiligtem Dritten legitimierbar gewesen.417 Die Kontroverse um das Bestehen einer Unternehmensschuld habe insofern keine Rolle gespielt, da niemand – auch nicht das Unternehmen – einen Anspruch auf illegalen Gewinn habe.418 Diese Ausführungen sind jedoch zu undifferenziert. Durch die Einführung des Bruttoprinzips erhielt der Verfall (a.  F.) einen „gespaltenen Rechts­ charakter“.419 Prinzipiell konnte der dargestellten Ansicht zwar zugestimmt werden: Die Maßnahme des Verfalls (a. F.) stellte in ihren Grundzügen eine den §§ 812 ff. BGB ähnliche Ausgleichsmaßnahme dar, die lediglich den sta­ tus quo ante wiederherstellen sollte. Hingegen widersprachen dieser Einord­ nung bereits die generalpräventiven Erwägungen, die etwa vom BGH eben­ falls als Legitimationsgrundlage herangezogen wurden. Verdeutlicht wurde dies vor allem durch die Argumentation bezüglich der Einführung des Brut­ toprinzips. Hierdurch wurde der Ausgleichscharakter der Maßnahme erkenn­ bar überzogen und andere sachwidrige Zwecke wurden in den Vordergrund gestellt, wodurch eine „gefährliche Parallele zur verfassungswidrigen Ver­ mögensstrafe“ entstand: Der Betroffene wurde nach der Tat schlechter ge­ 415  BGHSt 47, 369, 371, 373 f.; BGH NStZ-RR 2004, 214 f.; Fischer, StGB, § 73 (a. F.) Rn. 4. Zustimmend Altenhain, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 73 (a. F.) Rn. 1; Radtke, FS Schünemann, S. 927, 930; Wolters, in: SK-StGB, § 73 (a. F.) Rn. 5. Theile, ZJS 2011, 333 m. w. N. in Fn. 2, stützte den Zweck der Verfallsvorschriften darauf, „fehlerhafte Güterzuordnungen zu korrigieren und damit weiteren gewinnorientierten Straftaten entgegenzuwirken“. 416  Anders beim früher geltenden Nettoprinzip, welches geradezu als Anreiz für die Begehung weiterer Taten gewirkt habe, vgl. Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 442; Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 84 f. sowie BGHSt 47, 369, 374; 51, 65, 67; 52, 227, 248. 417  Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 366, etwa bezeichnet den Verfall (a. F.) als eine schuldindifferente Maßnahme. Vgl. auch Altenhain, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 73 (a. F.) Rn. 1. 418  Schünemann, GA 2015, 274, 282; ders., ZIS 1/2014, 1, 7: Ein gewisser gene­ ralpräventiver Effekt könne der Maßnahme des Verfalls (a. F.) auch nicht abgespro­ chen werden, denn die Bereitschaft des Unternehmensrepräsentanten zum Normbruch lasse nach, wenn ihm bewusst sei, dass ein möglicher erlangter Vorteil wieder einge­ büßt werden müsse. 419  So Hellmann/Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 994. I. d. S. auch Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 73 ff. (a. F.) Rn. 12.

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stellt als zuvor  – hierin liegt ein „zusätzliches tatvergeltendes Übel“.420 Zu­ treffend betonte Hofmann, dass dies umso mehr einem gutgläubigen Dritten gegenüber gelten müsse, wenn dieser ohne Kenntnis der begangenen Straftat Adressat der Verfallsanordnung (a. F.) werde; „der Präventionszweck des Brutto-Verfalls“ sei „mithin gerade kein geeignetes Unterscheidungsmerk­ mal von Strafe“ gewesen, „sondern vielmehr ein Beleg für dessen Strafcharakter“.421 Damit ist festzuhalten, dass die Vorschriften des Verfalls, wie sie im Straf­ gesetzbuch existierten, zwar im Grundsatz als „quasi-kondiktionelle Aus­ gleichsmaßnahme“ legitimierbar waren; general- oder spezialpräventive Ge­ sichtspunkte durften dann jedoch gerade keine Rolle spielen und waren von vornherein nicht geeignet, die Maßnahme gegenüber schuldunfähigen Perso­ nen zu legitimieren. Dies zeigte sich im Hinblick auf das Bruttoprinzip umso deutlicher: In den Fällen, in denen der Person mehr abgenommen wurde, als sie tatsächlich noch hatte, wurde mehr bezweckt als schlichter Ausgleich. Der Verfall (a. F.) war dann der Sache nach eine Maßnahme mit strafähnli­ chem Charakter und konnte gegenüber der „schuldunfähigen“ juristischen Person – mangels schuldhaften Verhaltensnormverstoßes – nicht legitimiert werden. 420  Auch zum Folgenden Hofmann, wistra 2008, 401, 404, 406. Vgl. auch Korte, FS Samson, S. 65, 72: „Da ein umfassender (Wertersatz-)Verfall hinsichtlich aller Erlöse dazu führt, dass auch rechtmäßig eingesetzte Mittel abgeschöpft werden, be­ darf unter dem Gesichtspunkt, dass der Verfall nur vermögenszuordnenden Charakter, aber keinen Strafcharakter haben darf, eher die Ausweitung als die Einengung der Begründung“. I. d. S. auch Eser, in: Schönke/Schröder, Vor  §§ 73 ff. (a. F.) Rn. 19: „Wenn aber der ‚Präventionszweck‘ des Bruttoprinzips […] gerade darin liegen soll zu verhindern, dass der Betroffene lediglich die Abschöpfung des Nettogewinns zu befürchten hätte […], ihm also über seine Entreicherung ein zusätzliches Übel in Form nutzloser Aufwendungen auferlegt werden soll, dann handelt es sich dabei um offensichtlich pönale Aspekte“. 421  Hofmann, wistra 2008, 401, 406. Vgl. auch Dannecker, NStZ 2006, 683, 684: Nach Einführung des Bruttoprinzips sei es „nicht mehr um die Wiederherstellung ei­ ner bestimmten Vermögensordnung, sondern ausschließlich und allein um die Verfol­ gung generalpräventiver Zwecke“ gegangen, „die charakteristisch für die Strafe sind. Strafe setzt aber tatbestandsmäßig schuldhaftes Verhalten voraus“. Engelhart, Sankti­ onierung von Unternehmen und Compliance, S. 341, sah ebenfalls einen „pönalen Charakter des Verfalls“ und begründete dies damit, dass durch Einführung des Brut­ toprinzips generalpräventive Zielsetzungen in den Vordergrund gerückt worden seien. Er stützte die Strafähnlichkeit insofern vor allem auf die generalpräventive Ausrich­ tung des Verfalls, diese sei „für Strafen typisch“. Generalpräventive Aspekte können insofern nicht als Unterscheidungskriterium zur Strafe herangezogen werden. Hinge­ gen mag nach Ansicht der Befürworter des Bruttoprinzips unter Umständen sogar eher die Spezialprävention im Verhältnis zu einem bestimmten Straftäter eine Rolle gespielt haben – und zwar hier konkret auf Kosten der juristischen Person (was wohl kaum legitimierbar ist).



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2. Einziehung gem. §§ 74 ff. StGB a. F. Bei den Verfallsvorschriften der §§ 73 ff. StGB a. F. handelte es sich um eine Maßnahme zur Abschöpfung des aus der Tat entstandenen Vermögens­ zuwachses. Hingegen ging es im Rahmen der Einziehung nach §§ 74 ff. StGB a. F. darum, dem Täter solche Gegenstände zu entziehen, die durch die Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht wor­ den waren bzw. werden sollten.422 Erfasst wurden hiervon nicht nur Sachen, sondern auch Rechte.423 Die Einziehung war vom Gesetzgeber für zwei Fälle gesetzlich normiert: Zum einen als Strafeinziehung gem. § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F., zum ande­ ren als Sicherungseinziehung gem. § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB a. F.424 Letztere zielte auf solche Gegenstände ab, die in der Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen konnten oder das Potential für die Begehung weite­ rer Straftaten in sich trugen.425 Ihr wurde zu Recht eine ähnliche Funktion wie den Maßregeln der Besserung und Sicherung zugeschrieben, da sie der Gefahrenabwehr diente.426 Daher bedurfte es für die Anordnung auch keiner vorausgegangenen schuldhaften Tat (vgl. § 74 Abs. 3 StGB a. F.). Während damit die Legitimation der Sicherungseinziehung gem. § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB a. F. gegenüber juristischen Personen keine Probleme be­ reitete (der Eingriff in Art. 14 GG konnte als zur Gefahrenabwehr notwendig gerechtfertigt werden),427 wies die Strafeinziehung eine völlig andere dog­ matische Struktur auf. Sie wirkte als ein zusätzlicher – am Strafzweck orien­ tierter  – Teil  der Strafe im Sinne einer Übelszufügung und setzte daher die schuldhafte Tatbegehung voraus.428 Bei der Strafeinziehung gegenüber juristischen Personen wurde an eine schuldhaft begangene Tat eines Unternehmensmitglieds in der Führungs­ 422  Vgl. hierzu und zum Folgenden Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 447 ff. Zu der entsprechenden Regelung auf ordnungswidrigkeitenrechtlicher Ebene (§§ 22 ff. OWiG a. F.) und den Unterschieden zur strafrechtlichen Einziehung (a. F.) vgl. etwa Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, Rn.  623 ff. 423  Fischer, StGB, § 74 (a. F.) Rn. 3. 424  Die „Strafeinziehung“ findet sich seit Juli 2017 in §§ 74 f. StGB, die „Siche­ rungseinziehung“ in § 74b StGB. Dazu noch unten (Fünfter Teil A. II. 1.). 425  Hierzu und zum Folgenden Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 449 f. Vgl. auch Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 452. 426  Zum Charakter der Maßregeln der Besserung und Sicherung als Maßnahmen der Gefahrenabwehr noch unten (Fünfter Teil B. I. 1.). 427  Eser, in: Schönke/Schröder, § 74 (a. F.) Rn. 29 m. w. N. Zur Legitimierbarkeit gefahrenabwehrender Maßnahmen gegenüber juristischen Personen noch unten (Fünfter Teil B. II. 2.). 428  Vgl. dazu Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 447 m. w. N.

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ebene angeknüpft. Dies erfolgte über § 75 StGB a. F.429 Sinn und Zweck des § 75 StGB a. F. war es, dass ein Unternehmen nicht besser gestellt werden sollte als eine natürliche Person, nur weil es selbst keine Straftaten begehen kann.430 Daher sollten über § 75 StGB a. F. Handlungen einer für die juristi­ sche Person tätigen natürlichen Person unter bestimmten Voraussetzungen der juristischen Person zugerechnet werden,431 um eine Begünstigung juristi­ scher Personen zu verhindern. § 75 StGB a. F. sei insoweit der Regelung des § 30 OWiG nachgebildet gewesen.432 Lagen die Voraussetzungen des § 75 StGB a. F. vor, wurde das Unternehmen bei der Einziehung so behandelt, als sei es selbst Beteiligter der Straftat gewesen. Dem Sinne nach bezog sich § 75 StGB a. F. jedoch nur auf die Fälle des § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F., in denen die Einziehung Strafcharakter besaß.433 In den Fällen der Sicherungseinziehung gem. § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB a. F. wurde allein auf eine bestehende Gefahr abgestellt; die Einziehung konnte dann allein aufgrund der Gefährlichkeit der Gegenstände – und unabhängig davon, in wessen Eigentum sie standen – auch gegenüber Dritten angeordnet werden.434 Daher war etwa auch ein Verweis in § 75 StGB a. F. auf § 74d StGB a. F. entbehrlich. Hingegen spielte die Vorschrift des § 75 StGB a. F. im Rahmen der Strafeinziehung eine wichtige Rolle für die Anknüpfungstat. Ihr wurde gerade auch im Hinblick auf juristische Personen eine besondere Be­ deutung beigemessen: Hierdurch habe ein „Anwendungsfall strafrechtlicher Verantwortlichkeit juristischer Personen“ bestanden, soweit dem Unterneh­ men Handlung und Schuld der aufgeführten natürlichen Personen als eigene zugerechnet wurden.435 Insofern sei § 75 StGB a. F. weniger aus der rechtli­ chen Verselbständigung der Unternehmen heraus zu begründen gewesen als vielmehr aufgrund der „Notwendigkeit des Handelns durch natürliche Perso­ nen […], welche es als begründet erscheinen“ ließ, „ihnen deren Handeln als 429  Eine entsprechende Regelung findet sich aktuell in § 74e StGB, vgl. dazu noch unten (Fünfter Teil A. II. 2.). 430  Achenbach, FS Stree/Wessels, S. 545, 549 f.; Schmidt, in: Leipziger Kommen­ tar III, § 75 (a. F.) Rn. 3. 431  Dazu etwa Schmidt, in: Leipziger Kommentar III, § 75 (a. F.) Rn. 13; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 377: Eine Voraussetzung war, dass der Handelnde eine bestimmte Position einnahm, darüber hinaus musste sein Verhalten in einem in­ neren Zusammenhang zu dessen Tätigkeit im Verband stehen. 432  Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 343; SchmittLeonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 448 mit Fn. 546, Rn. 451. 433  Auch zum Folgenden Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmens­ strafe, S. 183. 434  Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 453 mit Fn. 562. 435  Eser, in: Schönke/Schröder, § 75 (a. F.) Rn. 1.



A. Das Recht der Vermögensabschöpfung im Strafgesetzbuch111

eigenes zuzurechnen“.436 Teils wurde hieraus sogar geschlossen, der Gesetz­ geber habe durch die Normierung des § 75 StGB a. F. bereits die Handlungs­ fähigkeit von Unternehmen eingeführt.437 Andere versuchten den Weg der Zurechnung zu umgehen: Dass die natür­ liche Person für die juristische gehandelt bzw. letztere von einer Individual­ straftat profitiert habe, habe weder eine strafrechtliche noch eine ordnungs­ widrigkeitenrechtliche Zurechnung begründen können; jedoch habe ein „Haftungszusammenhang“ bestanden, welcher es gerechtfertigt erscheinen ließ, der juristischen Person dasjenige zu entziehen, was sie durch die Hand­ lung bzw. Straftat der natürlichen Person rechtswidrig erlangt hatte.438 Inso­ fern sei der Vorschrift des § 75 StGB a. F. vor allem die Funktion zugekom­ men, eine Lücke zu schließen, die entstand, wenn der einzuziehende Gegen­ stand der betroffenen natürlichen Person nicht gehörte, der wahre Eigentümer aber mangels Handlungsfähigkeit nicht verantwortlich gemacht werden konnte.439 Dies sei ein juristischer Kunstgriff gewesen, der jedoch nicht mit einem strafrechtlichen Zurechnungstatbestand verwechselt werden dürfe, welcher ausschließlich bei natürlichen Personen Anwendung finde. Vielmehr habe auch bei dieser Form der Einziehung der Sicherungscharakter überwo­ gen, nicht aber der einer echten Strafsanktion. Letzteres wurde oben jedoch bereits abgelehnt; die Einziehung (a. F.) stellte im Grundsatz zwar eine Maßnahme eigener Art dar. Sie hatte jedoch dann strafähnlichen Charakter, wenn sie nicht der Sicherung diente, sondern auf etwas Vergangenes abzielte; dies wurde auch in der Formulierung des § 74 StGB a. F. deutlich. Die Strafeinziehung (a. F.) ließ sich weder mit ei­ nem Sicherungsbedürfnis noch mit dem Gedanken eines quasi-kondiktionel­ len Ausgleichs legitimieren. Sie war eine strafähnliche Maßnahme und als solche  – wie der Verfall (a. F.) im Wege des Bruttoprinzips  – gegenüber ju­ ristischen Personen nicht legitimierbar. Auch eine Zurechnung, wie sie über § 75 StGB a. F. in der Tat stattfand, konnte nicht den Charakter der Maß­ nahme ändern, sondern führte der Sache nach dazu, dass eine Strafe für ju­ ristische Personen auf Umwegen konstruiert wurde. Bereits nach alter Rechtslage musste die Strafeinziehung über § 75 StGB a. F. daher, wenn man – wie hier – eine Strafbarkeit juristischer Personen verneint, konsequen­ terweise abgelehnt werden.440 436  Achenbach,

FS Stree/Wessels, S. 545, 550. Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 182 ff.; Eser, in: Schönke/Schröder, § 75 (a. F.) Rn. 1. 438  Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, S. 13, 18. 439  Dazu und zum Folgenden Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 75 (a. F.) Rn. 2. 440  Vgl. diesbezüglich auch § 74f StGB a. F., der eine angemessene Entschädigung in Geld von staatlicher Seite her vorsah, wenn das Eigentum an der Sache oder das 437  Ehrhardt,

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

II. Einziehung von Taterträgen, Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten gem. §§ 73 ff., 74 ff. StGB – neue Fassung seit Juli 2017 1. Überblick über die Neuregelung Am 01.07.2017 trat ein neues Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Ver­ mögensabschöpfung in Kraft. Hierdurch wurde das Recht der Vermögensab­ schöpfung im Strafgesetzbuch grundlegend verändert. Der Gesetzesentwurf stammt von der Bundesregierung441 und stellt eine Umsetzung der EU Richt­ linie 2014 / 42 / EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträ­ gen aus Straftaten in der Europäischen Union dar. Das neue Gesetz enthält umfangreiche Änderungen – sowohl terminologi­ scher als auch inhaltlicher Art. Im Folgenden sollen nur einige besonders bedeutsame beispielhaft genannt werden. Terminologisch ist hervorzuheben, dass durch das neue Gesetz der Be­ griff „Verfall“ gestrichen und einheitlich die Bezeichnung „Einziehung“ ge­ braucht wird  – zum einen im Hinblick auf Taterträge (zuvor „Verfall“), §§ 73 ff. StGB, zum anderen im Hinblick auf Tatprodukte, Tatmittel und Tat­objekte (zuvor „Einziehung“), §§ 74 ff. StGB. Durch die Umbenennung ändert sich am Charakter der Maßnahmen zunächst nichts, jedoch gibt es umfassende Änderungen inhaltlicher Art, die sich vor allem auf die Einzie­ hung von Taterträgen (zuvor „Verfall“) beziehen: Im Mittelpunkt steht die grundlegende Neuregelung der Opferentschädigung. Durch ein einfacheres Verfahren zur Schadenswiedergutmachung soll der Opferschutz gestärkt werden. Hierfür wurde § 73 Abs. 1 S. 2 StGB a. F. gestrichen, sodass  – laut dem Regierungsentwurf  – das Regelungsmodell der „Rückgewinnungshilfe“ hinfällig und die Vorschrift über den staatlichen „Auffangrechtserwerb“ überflüssig werde.442 Schadensersatzansprüche von Tatgeschädigten stünden der staatlichen Einziehung des Tatertrages damit nicht mehr entgegen. Diese eingezogene Recht zur Zeit der Rechtskraft der Entscheidung über die Einziehung der Unbrauchbarmachung einem Dritten zustand oder der Gegenstand mit dem Recht ei­ nes Dritten belastet war, das durch die Entscheidung erloschen oder beeinträchtigt wurde. – Diese Vorschrift machte deutlich, dass an der Straftat nicht Beteiligte gerade nicht „leiden“ sollten. 441  Gesetzesentwurf der Bundesregierung über ein Gesetz zur Reform der straf­ rechtlichen Vermögensabschöpfung, 2016, BT-Drs. 18/9525. 442  Auch zum Folgenden vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung über ein Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, 2016, BT-Drs. 18/9525, S. 2. Vgl. dazu auch überblicksartig Lindemann, in: Leitner/Rosenau, Wirt­ schafts- und Steuerstrafrecht, Vor §§ 73 ff. Rn. 24 mit kritischen Anmerkungen.



A. Das Recht der Vermögensabschöpfung im Strafgesetzbuch113

sollen nun grundsätzlich im Strafvollstreckungsverfahren befriedigt wer­ den  – primär durch Einziehung und Rückübertragung des Gegenstandes im Urteil, andernfalls durch Anordnung der Einziehung eines Geldbetrages, der dem Wert des ursprünglich erlangten Gegenstandes entspricht. Reicht der Wert der sichergestellten Vermögensgegenstände oder nach deren Verwer­ tung der Erlös nicht aus, um sämtliche Schadensersatzansprüche zu befriedi­ gen, sollen die Verletzten in dem für die Zahlungsunfähigkeit eines Schuld­ ners vorgesehenen Verfahren der Insolvenzordnung entschädigt werden. Auf diese Weise zeichne sich das neue Recht der strafrechtlichen Vermögensab­ schöpfung durch die Gleichbehandlung aller Verletzten aus und setze somit auf eine am Grundsatz der Gerechtigkeit ausgerichtete Schadenswiedergut­ machung. Ergänzend besteht nun die Möglichkeit, die Entscheidung über die Vermö­ genseinziehung von der Hauptsache (Schuld- und Straffrage) abzutrennen; die Vermögensabschöpfung soll in diesem Fall in einem nachträglichen Ver­ fahren erfolgen, für das die rechtskräftigen Feststellungen in der Hauptsache bindend sind. Hierdurch werde das Instrument der Vermögensabschöpfung unter anderem in „(Untersuchungs-)Haftsachen“ gestärkt. Darüber hinaus sollen „Abschöpfungslücken“443 geschlossen werden: Die grundsätzliche Beschränkung des Anwendungsbereichs für die erweiterte Einziehung von Taterträgen (bisher „erweiterter Verfall“) auf gewerbs- und bandenmäßig begangene Delikte wird aufgehoben; als Anknüpfungstat kommt jetzt jede rechtswidrige Straftat in Betracht (vgl. § 73a Abs. 1 StGB). Zudem wird die Zulässigkeit der selbständigen Anordnung der Einziehung erweitert (vgl. § 76a StGB). Unter anderem besteht nach § 76a Abs. 4 StGB für den Bereich des Terrorismus und der organisierten Kriminalität die Mög­ lichkeit, dass aus Straftaten herrührendes Vermögen unklarer Herkunft unab­ hängig vom Nachweis einer konkreten Straftat eingezogen werden kann. Zudem findet sich in § 73d Abs. 1 StGB eine neue Regelung zur Bestim­ mung des unrechtmäßig Erlangten: „Bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten sind die Aufwendungen des Täters, Teilnehmers oder des anderen abzuziehen. Außer Betracht bleibt jedoch das, was für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt worden ist, soweit es sich nicht um Leistungen zur Erfüllung einer Verbindlichkeit gegenüber dem Verletzten handelt“. Die Vorschrift soll insoweit § 73 Abs. 1 StGB bei der Bestimmung des Erlangten ergänzen. Aus dem Zusammenspiel der beiden Regelungen folge, dass das Erlangte nach dem „Bruttoprinzip“ in zwei 443  Gesetzesentwurf der Bundesregierung über ein Gesetz zur Reform der straf­ rechtlichen Vermögensabschöpfung und dessen Begründung, 2016, BT-Drs. 18/9525, S. 2, 48.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

Schritten bestimmt wird.444 Im ersten Schritt soll das Erlangte nach § 73 Abs. 1 StGB auf der Grundlage einer rein gegenständlichen Betrachtungs­ weise bestimmt werden. Erlangt seien danach alle Vermögenswerte in ihrer Gesamtheit, die einem Tatbeteiligten oder Drittbegünstigten aus der Verwirk­ lichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs zugeflossen sind, ohne dass es auf eine „unmittelbare“ Kausalbeziehung zwischen Tat und Bereicherung ankomme. Gegenleistungen oder sonstige Aufwendungen sollen erst im zweiten Schritt berücksichtigt werden, wenn und soweit dies nach der Wertung des § 73d Abs. 1 StGB gerechtfertigt sei. 2. Kritische Würdigung der Neuregelung im Hinblick auf juristische Personen Hinsichtlich der inhaltlichen Änderungen wurde bereits gegenüber dem Gesetzesentwurf erhebliche Kritik laut, etwa im Hinblick auf die Ausweitung des Anwendungsbereichs des erweiterten Verfalls, die Ermöglichung der nachträglichen Vermögensabschöpfung und die Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft.445 Bezogen auf den Opferschutz wurde der Entwurf sogar als „eine Mogelpackung“ bezeichnet.446 Darüber hinaus wird vom Deutschen Richterbund in seinen Stellungnahmen zum Referenten- bzw. Gesetzesent­ wurf angemerkt, dass durch die Neuregelung der Verteilungsvorschriften – insbesondere aufgrund der zwingenden Formulierung in § 73 Abs. 1 StGB, die nur durch § 421 StPO eine Einschränkung erfährt  – ein erheblicher Mehraufwand für die Strafverfolgungsbehörden entstehen werde.447 Für die hier interessierende Thematik sind jedoch die Regelungen der §§ 73b, 73d, 73e Abs. 2, 74b und 74e (i. V. m. §§ 74 bis 74c) StGB besonders relevant: Auch im Rahmen der Neuregelung des Rechts der strafrechtlichen Vermö­ gensabschöpfung können juristische Personen – als Drittbegünstigte – Betrof­ fene der Einziehung von Taterträgen (zuvor „Verfall“) sein. Die Vorschrift des § 73b StGB soll insofern die Regelung des § 73 Abs. 3 StGB a. F. ersetzen. 444  Auch zum Folgenden Gesetzesentwurf der Bundesregierung über ein Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung und dessen Begründung, 2016, BT-Drs. 18/9525, S. 56. 445  Vgl. dazu statt vieler Lindemann, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuer­ strafrecht, §§ 73 ff. Rn. 28 f.; Löffelmann, recht + politik, 6/2016, 1 ff. 446  So Dierlamm, StV 2016, Heft 8 Editorial I, im Hinblick auf den Referentenent­ wurf. 447  Stellungnahmen des DRB zum Referentenentwurf und zum Gesetzesentwurf zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, Nr. 09/16 (Juni 2016), Nr. 19/16 (Oktober 2016).



A. Das Recht der Vermögensabschöpfung im Strafgesetzbuch115

Die Einführung des § 73d Abs. 1 StGB spielt dabei für die Bestimmung des Wertes des Erlangten eine wichtige Rolle. Als Konkretisierung zum Grundsatz des § 73 Abs. 1 StGB mindert hiernach der Wert aller Aufwendun­ gen der Tatbeteiligten den Abschöpfungsumfang. Somit erfährt das Brutto­ prinzip im Grundsatz eine Einschränkung. Von dieser Einschränkung wird jedoch wiederum eine Ausnahme gemacht, wenn es sich um Aufwendungen handelt, die für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt wurden, soweit es sich nicht um Leistungen zur Erfüllung einer Verbindlichkeit gegenüber dem Verletzten handelt. § 73d Abs. 1 StGB konkretisiere insofern den Rechtsgedanken des § 817 S. 2 BGB: Was in ein verbotenes Geschäft investiert worden ist, müsse unwiederbringlich verloren sein.448 Aufgrund der subjektiven und der objektiven Komponenten wird daher auch von einem „normativ eingeschränkten Bruttoprinzip“449 gespro­ chen. Bereits im Zusammenhang mit der Regelung des Verfalls (a.  F.) wurde  – wie oben (Fünfter Teil  A. I. 1.) bereits ausführlich beschrieben  – angemerkt, dass seit Einführung des Bruttoprinzips „der Verfall das Potential zur strafähnlichen Übelszufügung“ erhalten hatte, „wenn dem Betroffenen ‚unterm Strich‘ mehr genommen“ wurde „als er auf Grund der Tat“ erlangt hatte.450 Spricht man aber – wie hier – der juristischen Person die Fähigkeit zu schuldhaftem Verhalten als Legitimationsbasis für ahndende Sanktionen ab, muss konsequenterweise auch die Zulässigkeit der strafähnlichen Brutto­ abschöpfung verneint werden.451 Im Wege der Bruttoabschöpfung wurde durch den Verfall (a. F.) faktisch die „Funktion einer Verbands(geld-)strafe“452 übernommen. Insofern ist die vom Gesetzgeber vorgenommene Einschrän­ kung des Bruttoprinzips zu begrüßen. Unklar bleibt allerdings, wie die nor­ mative Einschränkung des Bruttoprinips bei juristischen Personen umgesetzt werden soll. Hier müssen die Vorschriften der §§ 73b, 73b StGB entspre­ 448  Gesetzesentwurf der Bundesregierung über ein Gesetz zur Reform der straf­ rechtlichen Vermögensabschöpfung und dessen Begründung, 2016, BT-Drs. 18/9525, S. 67. 449  So Rönnau/Begemeier, GA 2017, 1, 4 ff. m. w. N. und kritischen Überlegungen zu der neuen Regelung. Teilweise wird die Regelung des § 73d Abs. 1 StGB auch als „Abkehr vom Bruttoprinzip“ (Stellungnahme des DRB zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, Nr. 09/16 [Juni 2016]) oder gar als „Rückkehr zum Nettoprinzip“ eingestuft, so Emmert, NZWiSt 2016, 449, 452, der diese Entwicklung jedoch gerade kritisch betrachtet und von ei­ ner „massiven Verwässerung des derzeit geltenden Abschöpfungsrechts“ spricht. 450  Mitsch, NZWiSt 2014, 1, 2. Dazu bereits oben (Fünfter Teil A. I. 1.). 451  Zutreffend Korte, FS Samson, S. 65, 72; Mitsch, NZWiSt 2014, 1, 3, jeweils im Hinblick auf die alte Regelung. 452  Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, S. 180; i. d. S. auch Hofmann, wistra 2008, 401, 406 m. w. N. in Fn. 108 (jeweils in Bezug auf die Regelung des Drittempfängerverfalls [a. F.]).

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

chend konsequent angewandt und im Hinblick auf juristische Personen kon­ kretisiert werden  – der schlichte Vergleich mit § 817 S. 2 BGB ist dafür je­ denfalls zu undifferenziert, da die Zielsetzungen des zivilrechtlichen Berei­ cherungsrechts nicht ohne Anpassungen auf die Interessen der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung übertragen werden können.453 Positiv zu bewerten ist auch die Ausschlussvorschrift gem. § 73e Abs. 2 StGB: Hiernach ist die Einziehung im Falle eines gutgläubigen Drittbegüns­ tigten bei einem Wegfall der Bereicherung ausgeschlossen. Jedenfalls für die Wissenszurechnung im Rahmen des § 73b Abs. 1 Nr. 2 b StGB sollen die allgemeinen Regeln (§§ 31, 166, 278 BGB) gelten.454 Die frühere „Einziehung“ ist unter dem Begriff „Einziehung von Tatpro­ dukten, Tatmitteln und Tatobjekten“ geregelt und findet sich in §§ 74 ff. StGB; die Sicherungseinziehung ist speziell in § 74b StGB normiert. § 74e StGB ersetzt § 75 StGB a. F., wonach das Handeln von Organen und Mitarbeitern der juristischen Person zugerechnet wird, um ihr gegenüber eine Einziehung nach den §§ 74 bis 74c StGB zu ermöglichen. Das bedeutet, dass auch weiterhin eine Zurechnung des Handelns von natürlichen Personen stattfindet und eine Einziehung gem. §§ 74, 74a, 74c StGB auch juristischen Personen gegenüber angeordnet werden kann. Diese Form der Einziehung kann durchaus strafenden Charakter haben. Insofern bleiben die bereits oben im Kontext der „Strafenziehung“ und des § 75 StGB a. F. (Fünfter Teil A. I. 2.) beschriebenen Legitimationsprobleme bestehen. 453  Gebauer, ZRP 2016, 101, 102 f., bezeichnet die Interessenlagen beider Rechts­ gebiete insofern sogar als „grundverschieden“. Kritisch im Hinblick auf die Ver­ gleichbarkeit mit dem zivilrechtlichen Bereicherungsrecht auch die Stellungnahmen des DRB zum Referentenentwurf und zum Gesetzesentwurf zur Reform der straf­ rechtlichen Vermögensabschöpfung, Nr. 09/16 (Juni 2016), Nr. 19/16 (Oktober 2016). – Zwar sind die Interessenlagen insofern verschieden, als im Zivilrecht das Vermögen wieder der anderen Partei, es im Rahmen der Einziehung aber dem Staat, zugeführt wird, doch entstammt der Abschöpfungsgedanke tatsächlich dem Zivil­ recht. Dennoch müssen im Gegensatz zu §§ 812 ff. BGB bei §§ 73 ff. StGB die Be­ sonderheiten staatlicher Maßnahmen als Eingriffe gegenüber der Person angemessen berücksichtigt werden.  – Darüber hinaus kritisiert Gebauer, es sei sachlich auch nicht gerechtfertigt, den Abzug von Aufwendungen von der Eignung eines Tatmit­ tels für ein Delikt abhängig zu machen: „Dass der Handelnde z. B. bei der Markt­ manipulation eigenes Vermögen als Tatmittel nutzt, während der Räuber seine Fäuste benutzt, ist eine Frage der Eignung der Tatmittel für das jeweilige Delikt. Beide Täter erlangen anschließend ein bestimmtes Vermögen. Allerdings hat der Räuber Glück, da ihm mangels Einsatzes kein legal erlangtes Vermögen entzogen werden kann“. 454  Gesetzesentwurf der Bundesregierung über ein Gesetz zur Reform der straf­ rechtlichen Vermögensabschöpfung und dessen Begründung, 2016, BT-Drs. 18/9525, S. 66.



A. Das Recht der Vermögensabschöpfung im Strafgesetzbuch

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Fraglich ist zudem, warum § 74e StGB auch auf § 74b StGB verweist. Wie oben (Fünfter Teil A. I. 2.) im Hinblick auf die Sicherungseinziehung (a. F.) bereits dargestellt, ist die Sicherungseinziehung gerade nicht vom Ver­ halten natürlicher Personen abhängig. Sie stellt eine Maßnahme der Gefah­ renabwehr dar und ist daher allein im Sinne des Rechtsgüterschutzes in der Zukunft gegenüber der Gefahrenquelle zu rechtfertigen. Sie kann insofern – im Rahmen des Verhältnismäßigen – auch gegenüber der juristischen Person legitimiert werden.455 Über den Verweis in § 74e StGB und die schiefe For­ mulierung in § 74b StGB tritt der gefahrenabwehrende Charakter der Maß­ nahme jedoch in den Hintergrund und es wird der Eindruck erweckt, als be­ dürfe es für die Anordnung der Sicherungseinziehung einer Handlung natür­ licher Personen. Diese Unklarheiten werden auch dadurch verstärkt, dass eine terminologi­ sche Abgrenzung der Maßnahmen untereinander nicht mehr stattfindet. Zu­ vor wurde durch die Bezeichnung „Verfall“ deutlich, dass es sich dabei  – jedenfalls im Grundsatz – um eine Maßnahme zur Gewinnabschöpfung han­ delte. Davon zu differenzieren waren die Sicherungseinziehung zur Gefah­ renabwehr und die Strafeinziehung mit ahndendem Charakter. Durch die einheitliche Bezeichnung „Einziehung“ fehlt eine solche sprachliche Diffe­ renzierung, was zu Problemen bei der Bestimmung der Legitimationsvoraus­ setzungen der einzelnen Maßnahmen führt. Gerade weil die Maßnahmen der §§ 73 ff., 74 ff. StGB aber im Strafgesetzbuch geregelt sind, muss umso deutlicher werden, dass diese – jedenfalls bei juristischen und anderen nicht straf(tat-)fähigen Personen – gerade keine Strafen und auch keine strafähnli­ chen Maßnahmen darstellen dürfen. Im Hinblick auf die Frage der Verantwortlichkeit juristischer Personen würde eine konsequentere Nutzung der Vorschriften zur Einziehung von Tat­ erträgen gem. §§ 73 ff. StGB zu einer Entschärfung der Gerechtigkeits- bzw. Ausgleichsdiskussion führen, da rechtswidrig Erlangtes in jedem Falle her­ auszugeben ist. Gerade im Zusammenhang mit für die Zukunft wirkenden Maßnahmen könnte dies ein effektives und legitimierbares Maßnahmensys­ tem gegenüber juristischen Personen darstellen.456 Die Einziehung von Taterträgen bei Drittbegünstigten ist, solange sie sich tatsächlich und ausschließlich als eine reine Ausgleichsmaßnahme versteht und keine darüber hinausgehenden Zwecke verfolgt, jedenfalls auch gegen­ 455  Vgl. hinsichtlich der früheren Regelung bereits oben (Fünfter Teil A. I. 2.) so­ wie im Hinblick auf die Legitimation von Maßnahmen der Gefahrenabwehr allge­ mein noch unten (Fünfter Teil B.). 456  I. d. S. auch bereits Lang-Hinrichsen, FS Mayer, S. 49, 75, in Bezug auf den Verfall (a. F.), der über eine Maßnahme zur Gewinnabschöpfung hinaus auch präven­ tiv wirkende Maßnahmen für erforderlich erachtet.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

über juristischen (schuldunfähigen) Personen legitimierbar; sie stellt dann eine Maßnahme eigener Art dar, die allein der Gewinnabschöpfung dient. Auch die Sicherungseinziehung ist gegenüber juristischen Personen legitimierbar, da sie ausschließlich der Gefahrenabwehr dient. Diese Maßnahmen stellen Maßnah­ men eigener Art ohne Strafcharakter dar und sind ein wirksames staatliches Mittel, um den status quo ante wiederherzustellen (Einziehung von Taterträ­ gen) bzw. gefahrenabwehrend tätig zu sein (Sicherungseinziehung). Bereits an der Wirksamkeit der Maßnahme des (Netto-)Verfalls (a. F.) ge­ genüber juristischen Personen wurde kritisiert, dass sie keine Abschreckungsund somit keine Präventionswirkung ihnen gegenüber entfalte, wenn sie le­ diglich den status quo ante wiederherstelle und keine zusätzliche Einbuße darstelle.457 Die Anordnung des Verfalls (a. F.) sei in diesen Fällen lediglich ein kalkulierbarer Kostenfaktor gewesen, dessen Inkaufnahme sich im Rah­ men einer Kosten-Nutzen-Analyse geradezu angeboten habe. Dies sei auch durch die niedrige Aufklärungs- und Sanktionierungsquote verstärkt wor­ den.458 Außerdem sei die Maßnahme schon tatbestandlich bei vielen Delikten nicht in Betracht gekommen und habe daher häufig kaum praktische Rele­ vanz gehabt.459 Ähnliche Kritik ist auch im Hinblick auf die aktuelle Geset­ zeslage zu erwarten, wenn man die Maßnahme der Einziehung von Taterträ­ gen allein am Ausgleichsgedanken orientiert und keine zusätzlichen – gegen­ über juristischen Personen illegitimen – strafenden Zwecke verfolgt. Entsprechendes gilt jedoch auch für Geldsanktionen – sowohl de lege lata im Rahmen der Geldbuße als auch bei Überlegungen de lege ferenda; ein positiver präventiver Effekt gegenüber juristischen Personen ist auch hier keineswegs ersichtlich. So postuliert Schünemann zutreffend: „A corporate fine is in no way equivalent to the sanctions of criminal law against indivi­ duals. A fine against an enterprise has roughly the same effect as a fine for parking offence against a rich individual: it is merely an inconvenience with a very limited deterrent effect“.460 Auch die de lege lata bestehende Geld­ buße des Ordnungswidrigkeitenrechts kann für das Unternehmen einen rei­ nen „Kostenfaktor“461 darstellen, wenn sie in die Planung entsprechend mit­ einbezogen wird. Geldsanktionen sind jedoch ohnehin  – wie oben gezeigt  – gegenüber juristischen Personen nicht legitimierbar, einer weiteren Diskus­ 457  Hierzu und zum Folgenden Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unterneh­ mensstrafe, S. 167. Vgl. auch Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 160 f. 458  Etwaige Kritik kommt u. a. von Dannecker, GA 2001, 101, 127. 459  Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 168. Vgl. auch Müller, Juristische Person im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 11, im Hinblick auf De­ likte, die keine Bereicherung voraussetzen, d. h. bei reinen Schädigungsdelikten. 460  Schünemann, in: Criminal Responsibility, S. 293, 294. 461  So Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 129, 132, 138 f.



A. Das Recht der Vermögensabschöpfung im Strafgesetzbuch119

sion um ihre vermeintlichen Vorzüge gegenüber den Vorschriften über die Einziehung von Taterträgen bedarf es insofern nicht. Das gilt gleichermaßen für die de lege lata bestehende Geldbuße. In diesem Zusammenhang ist aber anzumerken, dass sich die praktische Relevanz der §§ 73 ff. StGB durchaus erhöhen könnte, wenn die (nicht legitimierbare) Geldbuße des Ordnungswid­ rigkeitenrechts de lege ferenda wegfällt: Derzeit ist neben der Verhängung einer Geldbuße gem. § 30 OWiG die Anordnung der Einziehung von Tater­ trägen gem. §§ 73, 73c StGB ausgeschlossen (vgl. § 30 Abs. 5 OWiG). Wäh­ rend nämlich die klassische Geldstrafe bei Individualtätern am Nettoeinkom­ men orientiert wird, ist die Geldbuße bei juristischen Personen ebenfalls auf Gewinnabschöpfung gerichtet.462 Insofern überschneiden sich die Rechtsins­ titute in Teilen. Wird in Zukunft de lege ferenda auf die Geldbuße verzichtet, könnten sodann die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB konsequenter genutzt werden  – jedenfalls sofern sie allein den Zweck eines quasi-kondiktionellen Ausgleichs verfolgen und nicht darüber hinaus sanktionierend wirken. Dies wird auch von Schünemann gefordert: Wenn ein funktionierendes Individual­ strafrecht existiert, dürfe und solle gegenüber dem dahinter stehenden Kol­ lektiv in repressiver Hinsicht zusätzlich lediglich die Maßnahme der Ab­ schöpfung ergriffen werden.463 Dass dies durchaus sinnvoll ist, zeigt die Praxis: Da gem. §§ 30 Abs. 3, 17 Abs. 4 OWiG die Gewinnabschöpfung im Sinne des erlangten Vorteils in der Geldbuße Berücksichtigung findet, fällt bereits jetzt häufig nur ein geringer Teil  der Ahndung zu, während sich ein Großteil der Höhe der Geldbuße durch ihre Abschöpfungsfunktion be­ stimmt.464 Den Maßnahmen der §§ 73 ff. StGB käme demnach eine erhöhte 462  Fischer, StGB, § 73 (a. F.) Rn. 5a; Joecks, in: MünchKommStGB II, § 73a (a. F.) Rn. 3; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 441; Theile/Petermann, JuS 2011, 496. Bisher nicht geregelt ist der Fall eines Zusammentreffens von Unternehmens­ geldbuße und §§ 8, 10 WiStG  – zu dieser Regelung noch unten (Fünfter Teil  B. II. 1.). Die Tatsache, dass hier bislang für einen Vorrang der Abführungsvorschriften aufgrund ihrer Spezialität gestimmt wird (Bohnert, FS Schmitt, S. 247, 249 mit Fn. 23; i. d. S. auch Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 19 Rn. 16; Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 126. Für einen Vorrang der Unternehmensgeldbuße aufgrund ihrer „umfassenden Abschöpfungsfunktion“ s. Engelhart, Sanktionierung von Unter­ nehmen und Compliance, S. 344, jedenfalls sei aber die Höhe des Mehrerlöses bei der Bußgeldberechnung zu berücksichtigen, wenn die Abführung zuerst angeordnet wird), zeigt einmal mehr, dass für die Anwendbarkeit der Unternehmensgeldbuße wenig Raum bleibt. 463  Schünemann, GA 2015, 274, 282 (jedoch mit Blick auf den Brutto-Verfall [a. F.]). 464  S. Schünemann, GA 2015, 274, 282, der etwa den Fall „MAN“ nennt, bei dem von 150,6 Mio. Euro nur 0.6 Mio. Euro auf den Zweck der Sanktionierung, der Rest hingegen auf den Zweck der Gewinnabschöpfung entfielen. Vgl. auch die Nachweise bei Theile/Petermann, JuS 2011, 496, zum Fall der Siemens AG, bei dem von der verhängten Geldbuße in Höhe von 201 Mio. Euro der Abschöpfungsanteil 200 Mio. Euro ausmachte.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

praktische Relevanz zu, wenn viele Fälle des noch geltenden § 30 OWiG über die Maßnahme der Einziehung von Taterträgen gelöst würden. Aus finanzieller Sicht ist darüber hinaus anzumerken, dass auch die Ein­ ziehung von Taterträgen für das Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen haben kann, wenn es hierbei um Millionenbeträge in zweibis dreistelliger Höhe geht.465 Freilich mag dies einen kalkulierbaren Kosten­ faktor darstellen, doch gilt dies gleichermaßen für zu erwartende Geldsankti­ onen, die ein Unternehmen möglicherweise in Kauf nimmt, wenn die Aufklä­ rungsquote ohnehin eher als gering einzuschätzen ist. Dass es bei sämtlichen Rechtsinstituten stets auf die tatsächliche Aufklärungs- und Sanktionierungs­ quote ankommt, steht dabei außer Frage. Insofern ist das vermeintliche Präventionsdefizit jedenfalls kein Argument für die Einführung weiterer Geldsanktionen bzw. für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Geldbuße und gegen die Maßnahme der Einzie­ hung von Taterträgen. Hier soll diese Form der Einziehung nämlich gerade nicht ansetzen; bei ihr geht es allein um einen quasi-kondiktionellen Aus­ gleich  – dafür stellt sie in ihrer ursprünglichen Form ein geeignetes staatli­ ches Mittel auch gegenüber juristischen Personen dar. Bezogen auf präventive Erwägungen, also im Sinne des Rechtsgüterschut­ zes, wurde bereits auf die Sicherungseinziehung eingegangen. Auch sie ist ein geeignetes staatliches Mittel, jedoch im Hinblick auf die Gefahrenab­ wehr. Auf weitere staatliche Maßnahmen mit einer ähnlichen Zielsetzung soll im Folgenden eingegangen werden.

B. Das Recht der Gefahrenabwehr I. Maßregeln der Besserung und Sicherung 1. Abgrenzung der Maßregeln der Besserung und Sicherung zur Strafe In Deutschland existiert ein sogenanntes „zweispuriges Sanktionen­sys­ tem“.466 Hiermit gemeint ist die Unterscheidung zwischen Strafen gem. 465  Dazu und zum Folgenden Imme Roxin, in: Unternehmensstrafrecht, S. 37 f., im Hinblick auf die alte Regelung. Vgl. auch Hofmann, wistra 2008, 401 ff. 466  So etwa Jescheck/Weigend, AT, § 1 II 3, § 9 I; Müller-Dietz, Grundfragen, S. 67 ff.; Schünemann, ZIS 1/2014, 1, 2, 7. Dass die „Zweispurigkeit“ i. E. eher ein Bild als eine exakte Beschreibung darstellt und angesichts der weiteren bestehenden Maßnahmen besser von einer „Mehr- oder Vielspurigkeit“ gesprochen werden sollte, betont Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 335.



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§§ 38 ff. StGB auf der einen und Maßregeln der Besserung und Sicherung gem. §§ 61 ff. StGB als zweiter Spur auf der anderen Seite. Das Strafrecht im eigentlichen Sinne ist jedoch streng vom Recht der Maßregeln zu unterscheiden.467 Da für den Betroffenen auch eine gegen ihn angeordnete Maßregel faktisch durchaus ein Übel darstellen kann,468 ist es nicht diese Wirkung auf und für den Betroffenen, welche die Strafe von Maßregeln unterscheidet. Vielmehr unterscheiden sich beide Maßnahmen in ihrer Zielsetzung: Bei der Strafe geht es um eine vergangenheitsbezogene tadelnde Reaktion aufgrund der schuldhaften Übertretung einer legitimierten Verhaltensnorm, deren Folge der Schuldspruch in Verbindung mit der ent­ sprechenden Bestrafung ist.469 Durch den Schuldspruch, d. h. die strafrechtli­ che Primärsanktion, kommt der Vorwurfscharakter der Strafe zum Ausdruck; dieser aber fehlt den Maßregeln.470 Mit ihnen wird einem „Gefährlichkeits­ 467  Begründer und Wegweiser des Maßregelrechts war der Schweizer Carl Stooß mit seinem Entwurf eines Schweizerischen Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1893, das bestimmte sichernde Maßnahmen für den Strafrichter enthielt. Diese sind i. R.d. Gewohnheitsverbrechergesetzes von 1933 (RGBl. 1933 I, S. 995) als polizeirechtliche Sonderregelungen in das deutsche Recht aufgenommen worden, vgl. hierzu Frisch, ZStW 94 (1982), 565 ff.; 102 (1990), 343 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 9 I; vertiefend hierzu auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 278 ff.; zur geschichtlichen Entwicklung weiterführend Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 269 ff. 468  Dies zeigt etwa das Beispiel der Beugehaft gegenüber einem Zeugen zur zwangsweisen Durchsetzung seiner Aussage oder aber der freiheitsentziehenden Maßregeln in Form einer Unterbringung des Betroffenen gem. §§ 63, 64 StGB bzw. in Form der Sicherungsverwahrung gem. §§ 66–66b, vgl. Frisch, ZStW102 (1990), 343, 357; Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 5. 469  Vgl. etwa Frisch, GS Schlüchter, S. 669, 672; Kühl, FS Maiwald, S. 433, 438: „Wenn […] Spezialprävention […] der alleinige Zweck einer Sanktion ist, so wäre die Bezeichnung ‚Strafe‘ verfehlt. Aus dem Strafrecht würde ein Präventionsrecht. Von Strafe kann sinnvoll nur gesprochen werden, wenn es um eine Reaktion auf eine zurückliegende (verschuldete) Tat geht, die deshalb erfolgt, weil die Tat (schuldhaft) begangen worden ist“. S. auch Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 5. Vgl. zu der Unterscheidung von Strafe und Maßregel auch ausführlich Radtke, GA 2011, 636, 642 ff. 470  Vgl. Appel, Verfassung und Strafe, S. 507; Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 362; diese Differenzierung beider Maßnahmen fehlt etwa dem EGMR in seinem Urteil zur Sicherungsverwahrung, in dem er die Maßregel als eine Strafe ansieht, EGMR NJW 2010, 2495, 2498 f. – Hier wird gerade nicht die verfassungsrechtlich relevante Funk­ tionsbestimmung berücksichtigt: Die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme kann nicht beurteilt werden, ohne zu wissen, worum es sich bei der Maßnahme handelt. Die normative Anbindung durch den Gesetzgeber ist hierfür entscheidend. Der Gesetzge­ ber kann das Mittel zunächst frei wählen. Es muss sich dann aber am spezifischen legitimen Zweck messen lassen. Vgl. auch die vertiefenden Hinweise zu den Proble­ men bei der Vorgehensweise des EGMR von Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 51 ff. Vgl. auch Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände,

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

zustand Rechnung getragen“.471 Sie knüpfen allein an eine spezialpräventiv relevante Gefährlichkeit an.472 Maßregeln sind daher gerade keine Strafen, sondern beziehen sich als Gefahrabwehrmaßnahmen für zu schützende Rechtsgüter auf die Zukunft.473 In den Worten des BVerfG heißt das: Strafe zielt im Gegensatz zu rein präventiven Maßnahmen „wenn nicht ausschließlich, so doch auch auf Re­ pression und Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten“474 bzw. einen Schuldausgleich475 ab und stellt insofern stets eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten dar.476 Hingegen sind Maßregeln mit Hartung folgendermaßen zu umschreiben: „Die Sicherungsmaßnahme ver­ hängen wir nicht, damit sie der Betroffene als Übel empfinde – das ist eine leider oft unvermeidbare Nebenwirkung  –, sondern eben um der Sicherung der Allgemeinheit willen; der Sicherungszweck allein bestimmt Ausgestal­ tung, Vollzug und Dauer der Maßnahme“.477 Nach dem gerade Gesagten wird deutlich, dass der Begriff des „zweispuri­ gen Sanktionensystems“ schief ist. Denn wie oben (Zweiter Teil A. II.) erläu­ tert, ist mit dem Begriff „Sanktion“ nur eine bestimmte Art von Maßnahmen gemeint, nämlich in Form einer tadelnden Reaktion auf einen Verhaltensnorm­ S. 149 (Strafe: „Auch-Vergeltung“; Maßregel: „Nur-Sicherung“); Seiler, Personenver­ bände, S. 99 („[…] Sicherheitsmaßnahmen im Wesen allein vorbeugend, ohne Vor­ wurf und ohne Vergeltungscharakter. Die Strafe ist daher wesentlich Repression, während die Sicherungsmaßnahmen gänzlich der Prävention angehören, ohne jeden repressiven Einschlag“). 471  Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 362. 472  Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 98; Gropp, AT, § 15 Rn. 41 f.; Krey/Esser, AT, § 7 Rn. 182; Murmann, AT, § 9  Rn. 3; Radtke, GA 2011, 636, 645. Im Bereich des Gefahrenabwehr- bzw. Maßregelrechts komme der Spezialprävention sogar ein größerer Anwendungsbereich zu als ihn das Strafrecht bietet, vgl. Timm, Gesinnung und Straftat, S. 118; Freund, in: Straftat, S. 43 ff. mit Fn. 3; ders., GA 1995, 4 ff. mit Fn. 3; Frisch, ZStW 94 (1982), 565 ff.; Müller-Dietz, ZStW 94 (1982), 599 ff.; Roxin, AT  I, § 6 Rn. 23. Zu spezialpräventiven Aspekten i. S. v. „Besserung, Abschreckung, Unschädlichmachung“ vgl. auch v. Liszt, ZStW 3 (1883), 1, 35; vgl. überblicksartig auch Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 23 sowie bereits die Nachweise oben (Fn. 55). 473  Appel, Verfassung und Strafe, S. 507; Freund, AT, § 1 Rn. 24 f.; ders., GA 2010, 193, 196 f.; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 98 f.; Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 358; vgl. auch Konze, Jugendstrafe, S. 13; Marquardt, Aspekte des Vikariierens, S. 29; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 272 f.; Streng, Strafrechtli­ che Sanktionen, Rn. 334 ff. sowie die kritische Darstellung hinsichtlich der Einord­ nung der Maßregeln im Strafrecht bei Hassemer, StV 2006, 321, 323 f. 474  BVerfGE 20, 323, 331. 475  Statt vieler BVerfGE 91, 1, 31 f. 476  Statt vieler BVerfGE 26, 186, 204. 477  Hartung, in: 40. DJT, Band II, S. E46.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr123

verstoß. Die Bezeichnung von Maßregeln als Sanktionen impliziert jedoch, auch sie hätten den Charakter einer Reaktion mit Vorwurfscharakter.478 Diese Implikation ist aber falsch. Eine Maßregel ist auf die Zukunft gerichtet und bildet keine (missbilligende) Reaktion auf die Anlasstat.479 Diese ist lediglich ein Indiz dafür, dass der Täter auch in Zukunft gefährlich ist.480 In diesem Zusammenhang ist auch die Überschrift des dritten Abschnitts im Allgemei­ nen Teil des Strafgesetzbuches missverständlich, in der sowohl Maßregeln als auch Strafen mit „Rechtsfolgen der Tat“ bezeichnet sind.481 Aufgrund der Tatsache, dass die rechtswidrige Tat lediglich die Anlasstat für die Anordnung einer Maßregel ist, enthält die Maßregel selbst kein Un­ werturteil. Das Schuldprinzip hat demnach im Maßregelrecht keine Bedeu­ tung.482 Insofern bedarf die Maßregel zu ihrer Legitimation keines personalen Fehlverhaltens.483 Es wird kein Vorwurf oder Tadel wegen der begangenen Tat erhoben; eine rechtswidrige Tat ist nur Prognosebasis für die zukünftige Gefährlichkeit.484 Maßregeln setzen dort an, wo der Rechtsgüterschutz im Strafrecht auf­ grund der Schuldstrafenbestimmung gerade nicht mehr verwirklicht werden kann. Daher können Maßregeln auch gegenüber Schuldunfähigen angeordnet werden.485 Die Allgemeinheit muss auch (bzw. gerade) vor solchen Men­ schen geschützt werden, die über die anhand ihrer Schuld bestimmte – unter Umständen daher auch überhaupt nicht legitimierbare  – Bestrafung hinaus einer staatlichen Kontrolle bedürfen.486 Der konkrete Zweck der Maßregeln kritisch daher Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 3. Präventiver Freiheitsentzug, S. 3. 480  BVerfGE 128, 326, 374 („Die Anlasstat ist bloßer Anknüpfungspunkt für das Merkmal der ‚Gefährlichkeit‘ im Sinne der Anordnungsvoraussetzungen der Siche­ rungsverwahrung, nicht deren Grund“). Zur rechtswidrigen Anlasstat als Indiz für die Maßregel auch Freund, AT, § 1 Rn. 25; ders., GA 2010, 193 198; Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 22 f. 481  Sachlich übereinstimmend etwa Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 4. 482  Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 285. 483  Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 101. 484  Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 362; Müller-Dietz, Grundfragen, S. 72 f.; Stree/ Kinzig, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 61 ff. Rn. 2 ff. 485  Gerade aus der Nichtverantwortlichkeit des Betreffenden kann sich nämlich eine individuelle Gefährlichkeit ergeben, zutreffend Freund, GA 2010, 193, 198. Vgl. insofern auch Frisch, GS Schlüchter, S. 669, 673: Bei Schuldunfähigen ist der Schutz durch Strafrecht nur durch Vorbeugemaßnahmen möglich. 486  Hassemer, HRRS 2006, 130, 133: „Erst die Maßregeln machen ein präventives Strafrecht rund und komplett […]. Sie verdanken sich der Differenz von Schuld und Gefährlichkeit von Menschen und schöpfen diejenigen Formen von Gefährlichkeit ab, auf die das Präventionsstrafrecht seinem Interesse antworten möchte, das Schuldstraf­ recht seiner Natur nach aber nicht antworten darf“; s. auch Radtke, GA 2011, 636, 645. 478  Zutreffend 479  Remde,

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

liegt insoweit auf einer Ebene mit den Verhaltensnormen, nämlich im Schutz konkreter Rechtsgüter.487 Da die Maßregeln also gerade nicht dem für die Strafe essentiellen Schuldprinzip verpflichtet sind, weil sie keinen personalen Vorwurf beinhalten, reicht es terminologisch nicht aus, von einer Strafe ohne Vorwurf zu sprechen – das wäre ohnehin eine contradictio in adiecto.488 Viel­ mehr sind Maßregeln bereits aufgrund ihrer Zielsetzung klar von Strafen im Sinne des Strafrechts zu trennen; sachlich handelt es sich um Gefahrenab­ wehrrecht.489 Insofern kann man schlicht von materiell polizeirechtlichen Maßnahmen sprechen:490 Auch sie arbeiten ohne einen strafrechtlichen Vor­ wurf, sind ein „Präventionsinstrument, um (unmittelbare) Änderungen in der Zukunft zu bewirken“ und nehmen keinen Rückgriff auf in der Vergangenheit Geschehenes, weil dieses im Sinne des Rechtsgüterschutzes ohnehin nicht mehr verändert werden kann.491 Das strafrechtliche Sanktionenrecht hinge­ gen kann die Vergangenheit zwar ebenfalls nicht mehr verändern, will aber Änderungen in der Zukunft gerade dadurch bewirken, dass Vergangenes, nämlich eine rechtlich missbilligte Tat, dem Täter im Sinne eines staatlichen Vorwurfs vor Augen geführt wird. Maßregeln sind insofern kein strafrechtli­ ches Phänomen, sondern nur aus praktischen Gründen der Strafrechtspflege angeschlossen worden.492 Dies ist vor allem mit Kompetenz- und Zweckmä­ ßigkeitserwägungen zu begründen; in der Regel sind die Länder für die Ge­ fahrenabwehr zuständig. 487  Freund, GA 2010, 193, 197. Das bedeutet jedoch nicht, dass Maßregeln eine Verhaltensnorm voraussetzen, lediglich die Zielsetzung ist gleich. 488  Dazu bereits oben [Dritter Teil B. I. 1. a) bb) (2)]. 489  Appel, Verfassung und Strafe, S. 508 f.; Freund, AT, § 1 Rn. 24; ders., GA 2010, 193, 198; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 99, 102; Lagodny, Straf­ recht vor den Schranken der Grundrechte, S. 278; Schreiber/Rosenau, in: Venzlaff/ Foerster, Psychiatrische Begutachtung, Kap. 8.5.1; ebenso Frisch, NStZ 2013, 249, 251. Vgl. auch BGHSt 50, 93, 101: „Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straf­ tätern“. 490  Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 285; ebenso Freund, AT, § 1 Rn. 24; ders., GA 2010, 193, 198; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 99 ff., wonach es sich bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung um „sachliches Polizeirecht“ handele. I. d. S. auch Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 162 („[…] Unterschiede zu den Maßnahmen polizeilicher Gefahrenabwehr verwi­ schen“). 491  Auch zum Folgenden Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 287. 492  Schlosser, Keine Strafe ohne Schuld, S. 4 f.: „Ob einem unzuverlässigen Kraft­ fahrer die Fahrerlaubnis durch den Strafrichter entzogen wird oder einem Gastwirt unter den gleichen Voraussetzungen die Schankerlaubnis durch die Verwaltungsbe­ hörde mit nachfolgender verwaltungsgerichtlicher Kontrolle, ist eine rechtstechnische Frage, die für die Rechtfertigung der Maßnahme ohne Belang ist“. Vgl. auch Hassemer, HRRS 2006, 130, 133: „Maßregeln der Besserung und Sicherung […] als U-Boot der Gefahrenabwehr in den Gewässern des Schuldstrafrechts“.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr125

2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als zentrales Legitimationskriterium Maßregeln enthalten keinen Vorwurf der schuldhaften Übertretung einer rechtlich legitimierten Verhaltensnorm; sie sind daher keine Sanktionen.493 Dennoch stellen auch sie einen Eingriff in die Rechtsgüter des Betroffenen dar. Beispielsweise können sich bestimmte Maßregeln unmittelbar auf dessen körperliche Fortbewegungsfreiheit auswirken. Ebenso wie im Rahmen aller staatlichen Maßnahmen steht auch bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung der Grundsatz der Verhältnismäßig­ keit im Zentrum der Frage nach ihrer rechtlichen Legitimation. Diesem kommt jedoch bei den Maßregeln eine besondere Bedeutung zu, da das Schuldprinzip – als (vermeintlich zusätzliches)494 Legitimationskriterium der Strafe  – bei den Maßregeln gerade nicht greift, obwohl mitunter ähnliche Rechtsgüter durch sie betroffen sind. Der besonderen Bedeutung des Verhält­ nismäßigkeitsgrundsatzes trägt auch die ansonsten rein deklaratorische Rege­ lung des § 62 StGB Rechnung. Der Abwägungsprozess im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat die Aufgabe, die Anordnung und Durch­ führung der Maßregeln auf das unbedingt notwendige und in einer freiheitli­ chen Rechtsordnung akzeptable Maß zu reduzieren.495 Dann lassen sich Maßregeln im Wege einer Güter- und Interessenabwägung allein durch den Gedanken des Rechtsgüterschutzes legitimieren. a) Legitimer Zweck Während der Zweck von Strafe in einer angemessenen Reaktion auf ein rechtlich missbilligtes Verhalten zur Aufrechterhaltung der Normgeltung zu erblicken ist, unterscheiden sich die Maßregeln bereits hier – wie oben ge­ zeigt – grundlegend: Bei den Maßregeln als Maßnahmen der Gefahrenab­ wehr geht es um Rechtsgüterschutz im grundrechtlichen Sinne.496 Sie sind in ihrer Zielsetzung mit den Verhaltensnormen zu vergleichen. Sowohl Verhal­ 493  Vgl.

zum Begriff der Sanktionen bereits oben (Zweiter Teil A. II.). dieses sich vielmehr mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit deckt und nur im Hinblick auf den Charakter der Strafe besonders hervorzuheben ist, wurde bereits oben (Dritter Teil A. II., III.) dargestellt. 495  Vgl. zur Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei den Maßregeln, der sowohl für die Anordnung als auch für die Durchführung eine Rolle spielt, auch BVerfGE 70, 297, 311 ff.; 91, 1, 28 ff.; 128, 326, 372 ff.; BVerfG NStZ-RR 2004, 76, 77. Weiterführend Appel, Verfassung und Strafe, S. 510; Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 367 ff.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 273 ff.; Müller-Dietz, Grundfragen, S. 72 f.; Remde, Präventiver Freiheitsentzug, S. 30; Schreiber/Rosenau, in: Venzlaff/ Foerster, Psychiatrische Begutachtung, Kap. 8.5.1. 494  Dass

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

tensnormen als auch Maßregeln dienen dem Schutz von Rechtsgütern in der Zukunft. Mit Hilfe der Maßregeln erfüllt der Staat seine gegenüber den Bürgern bestehende Schutzaufgabe bezüglich ihrer Güter und Interessen. Der Zweck der Maßregeln ist insofern „allein die Verhinderung von Straftaten, die von einer bestimmten Person – belegt unter anderem durch die began­ gene Tat  – in Zukunft drohen“, andere Ziele, „wie z. B. die Einwirkung auf die Allgemeinheit, die Wiederherstellung des Rechtsfriedens oder der Aus­ gleich von Schuld“ werden hingegen nicht verfolgt.497 b) Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit Das gefährdete Rechtsgut muss zu dem Rechtsgut des von der Maßregel Betroffenen in Beziehung gesetzt werden. Aufgrund dessen können Geeig­ netheit und Erforderlichkeit einer Maßregel auch nicht generell bestimmt werden, vielmehr bemessen sich diese Kriterien stets nach den Umständen des konkreten Einzelfalls.498 Gleiches gilt auch für die Angemessenheit von Maßregeln, hier müssen wiederum differenziert die konkret in Frage stehen­ den Grundrechte des von der Maßregel Betroffenen gegen die vom Staat geschützten Güter und Interessen potentiell Gefährdeter abgewogen wer­ den.499 Die Anordnung einer Maßregel kann jedenfalls nur dann verhältnis­ mäßig sein, wenn letztere das Interesse des Betroffenen überwiegen.500 3. Legitimierbarkeit von Maßregeln gegenüber juristischen Personen und Auseinandersetzung mit kritischen Einwänden Die Maßregeln beinhalten keinen persönlichen Vorwurf. Mit ihnen wird allein einem Gefährlichkeitszustand Rechnung getragen, der im Sinne des Rechtsgüterschutzes das staatliche Eingreifen gegenüber dem Auslöser der Gefahr rechtfertigt. Da Maßregeln nicht an die Schuld des Täters anknüpfen, sondern an die von ihm ausgehende Gefährlichkeit für die Zukunft, sind sie sowohl gegen­ 496  So Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 280, der hierfür den Oberbegriff der „Gemeinwohlinteressen“ gebraucht, den er mit Rechtsgütern, zu deren Schutz Grundrechte eingeschränkt werden können, gleichstellt, S. 139. 497  Zutreffend Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 358; ders., NStZ 2013, 249, 251, der als legitimen Zweck die „Erfüllung des staatlichen Schutzauftrags“ benennt. 498  Dies geschieht gestützt auf ausreichend zur Verfügung stehendes empirisches Wissen, vgl. Frisch, NStZ 2013, 249, 251. 499  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 274. 500  Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 369; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 274; vgl. auch Fischer, StGB, § 62 Rn. 2; Schreiber/Rosenau, in: Venzlaff/Foerster, Psych­ iatrische Begutachtung, Kap. 8.5.1.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr

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über Schuldfähigen als auch gegenüber Schuldunfähigen anwendbar. Man führe sich folgendes Beispiel vor Augen:501 Bei der Bestrafung eines Tot­ schlägers geht es um eine angemessene Reaktion auf den begangenen Norm­ verstoß gegen das Tötungsverbot, um dessen Geltung in Zukunft zu erhalten. Bei einem Geisteskranken fehlt es bereits an der Gefahr eines Normgeltungs­ schadens, weil durch ihn niemals eine Verhaltensnorm in Frage gestellt wer­ den kann. Würde man den Geisteskranken dennoch bestrafen, implizierte der erhobene Vorwurf eine Verpflichtung, die er gar nicht erfüllen konnte – und etwas Unmögliches darf das Recht nicht fordern. Folglich fehlt es in diesem Fall an der Grundlage für die Legitimation einer Bestrafung, nämlich an ei­ nem Verhaltensnormverstoß. Ein dennoch erhobener Vorwurf wäre schlicht unzutreffend und schon deshalb nicht zu legitimieren. Trotzdem besteht mög­ licherweise durch den Geisteskranken weiterhin die Gefahr eines Schadens am Rechtsgut Leben anderer. Daher greifen die Maßregeln der Besserung und Sicherung ein, um die Rechtsgüter Dritter in Zukunft vor dieser Gefahr zu schützen. Die Anordnung einer Maßregel ist jedoch niemals über die  – gerade feh­ lende  – Schuld zu legitimieren, sondern allein aufgrund der Gefährlichkeit des der Maßregel zu Unterwerfenden im Sinne der Erfüllung des staatlichen Schutzauftrages für die Güter und Interessen Dritter.502 Zwar sind es häufig schuldunfähige oder vermindert schuldfähige Personen, gegenüber denen eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet wird – in der Regel die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB. Doch hat dies etwas damit zu tun, dass gerade dann bei diesen Menschen ein besonderes Gefahrenpotential besteht. Selbstverständlich können Maßregeln aber auch gegenüber schuldfähigen – und damit auch grundsätzlich straffähi­ gen – Personen angeordnet werden, wenn von ihnen eine Gefahr ausgeht, die eine Sicherung von staatlicher Seite notwendig erscheinen lässt (vgl. etwa § 66 StGB). Führt man sich den Sicherungsgedanken als alleinigen Legitimationsgrund der Maßregeln vor Augen, so wird deutlich, dass entsprechende Maßnahmen auch gegenüber juristischen Personen legitimierbar sind. Wie auch in dem oben geschilderten Beispiel des Geisteskranken fehlt es zwar an der Legiti­ mationsgrundlage für eine Bestrafung: Ein Verhaltensnormverstoß liegt nicht vor. Die Gefahr eines Normgeltungsschadens besteht daher nicht und somit auch nicht die Notwendigkeit einer angemessenen Reaktion hierauf. Den­ noch kann von der juristischen Person eine Gefahr ausgehen, aufgrund deren der Staat im Interesse des Rechtsgüterschutzes sichernd eingreifen muss. Allein die zukünftige Gefährlichkeit ist Grundvoraussetzung für die Anord­ 501  Zu

diesem Beispiel ausführlich Freund, AT, § 1 Rn. 25. dazu auch Frisch, GS Schlüchter, S. 669, 673.

502  Vgl.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

nung einer Maßregel und eine solche kann auch von einer juristischen Person ausgehen. In diesen Fällen können Maßregeln auch ihnen gegenüber ange­ ordnet werden und sind nicht der Anwendbarkeit auf natürliche Personen vorbehalten. Etwaige Maßnahmen gegenüber juristischen Personen sind nach dem bereits Dargelegten allein polizeirechtlich zu legitimieren.503 Dennoch wird teilweise angemerkt, dass es sich auch bei den Maßregeln um eine „strafrechtliche Haftungskategorie“ handele, die im Wege ihrer persona­ len Bedingtheit nur auf natürliche Personen zugeschnitten sei.504 In diesem Zusammenhang wird auch angeführt, die Spezifika der Maßregeln passten nicht zu Unternehmen.505 So habe die Zweckerreichung im Maßregelrecht bei natürlichen Personen  – insbesondere für die Dauer des zunächst auf unbe­ stimmte Zeit angeordneten Vollzugs – eine große Bedeutung. Dies sei jedoch nicht auf Unternehmen übertragbar. Ähnliche Kritik kommt von SchmittLeonardy:506 Hinter dem Konzept der Maßregeln stehe ein „Täterkonzept“, welches eine „außergewöhnliche Kommunikationssituation“ erfasse und mit einer eigenen Rechtsfolge auf den schuldunfähigen Menschen reagiere. Die „fehlende Reflexionsfähigkeit des Unternehmens“ sei mit dieser menschli­ chen Schuldunfähigkeit als punktuellem Defekt jedoch gerade nicht gleichzu­ setzen, da sie allen Unternehmen als „Systemeigenschaft“ inne wohne. Darü­ ber hinaus wird angeführt, Maßregeln setzten die Identität von dem Täter der Anknüpfungstat und dem Gemaßregelten und somit inzident dessen Hand­ lungsfähigkeit voraus.507 Sie seien daher nicht allein über den fehlenden Schuldvorwurf gegenüber juristischen Personen zu legitimieren. Insofern fehle den Sicherungsmaßnahmen ein tauglicher Adressat, da kein motivations­ bedürftiger psychischer Zustand bei juristischen Personen existiere.508 Hierzu ist anzumerken: Im Strafgesetzbuch existieren durchaus Maßnah­ men, welche sich an Personen richten, die weder Täter noch Teilnehmer sind; zu nennen ist etwa die Anordnung der Einziehung gegenüber Drittbegünstig­ ten. Solche Maßnahmen setzen gerade nicht die Handlungsfähigkeit des Subjekts voraus, vielmehr können sie sich gegen jeden von der Tat Bevorteil­ ten richten.509 Darüber hinaus sind Maßregeln in ihrer Zielsetzung vom 503  Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 147; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 278 f. 504  Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 128. 505  Vgl. dazu Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 133 ff. 506  Vgl. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 762 ff. 507  Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 169. In der Diskussion um ein präventives Sicherungsgeld wird diese Kritik laut von Seiler, Per­ sonenverbände, S. 215. 508  Seiler, Personenverbände, S. 215 f. 509  So bereits Koffka, in: Große Strafrechtskommission, S. 300.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr129

Strafrecht zu trennen, die Terminologie des „zweispurigen Sanktionensys­ tems“ bei natürlichen Personen ist insofern in vielerlei Hinsicht schief.510 Bezüglich der Maßregeln merkt bereits Rudolf Schmitt an, dass „die sichernde Maßregel nicht begriffsnotwendig eine Handlung“ voraussetzt. Während Strafe zwar eine „begangene gesetzwidrige und schuldhafte Handlung“ er­ fordere, sei für die Maßregel „jedoch nur die Erwartung künftiger gesetzwid­ riger Handlungen“ entscheidend, „was man in Beziehung auf eine Person als ihre ‚Gefährlichkeit‘ “ zu bezeichnen pflege. Jene kann aber im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose neben einer begangenen Handlung ebenso anderen Tatsachen entnommen werden.511 Maßregeln bedürfen für ihre Anordnung gerade nicht der Übertretung einer Verhaltensnorm, vielmehr geht es um eine Bewertungsnorm im Sinne eines hypothetischen Urteils: Wenn Schuldfähig­ keit vorläge, müsste die Gefahr bestehen, dass in Zukunft mit einem Verhal­ tensnormverstoß zu rechnen wäre. Hierdurch wird aber gerade nicht ein Verhalten im rechtlichen Sinne als Anknüpfungspunkt gewählt, sondern ein „unerwünschtes Ereignis“  – wie auch im Gefahrenabwehrrecht  – als Aus­ gangspunkt gewählt, etwa eine Körperbewegung, aber beispielsweise auch ein Naturereignis oder ähnliches. Strafrechtliche Einwände, wie etwa die „fehlende Handlungsfähigkeit“ juristischer Personen, sind daher bei der Beurteilung der Legitimierbarkeit von Maßregeln außer Acht zu lassen. Im Kontext der zu erwartenden Gefähr­ lichkeit spielt weder eine besondere Kommunikationssituation noch die Mo­ tivierbarkeit des der Maßregel zu Unterwerfenden für die Legitimation der Anordnung eine Rolle: Etwa in Fällen, in denen eine „Besserung“ nicht zu erwarten (oder vom Betroffenen nicht erwünscht) ist, dient die Maßregel nur der Sicherung, d. h. dem Schutz von Rechtsgütern Dritter  – und gerade dies legitimiert im Hinblick auf den staatlichen Rechtsgüterschutzauftrag die An­ ordnung. Die „Besserung“ ist insofern niemals Selbstzweck, sondern kann lediglich einen (durchaus wünschenswerten und im Rahmen legitimierbarer Sicherung anzustrebenden) Nebeneffekt der Maßnahme darstellen. Der Begriff der „Maßregeln der Besserung und Sicherung“ selbst ist inso­ fern irreführend: Hierdurch wird der Aspekt der Besserung überbewertet. Er ist allein dafür maßgeblich, die den Täter belastende Maßnahme möglichst 510  Vgl.

dazu bereits oben (Fünfter Teil B. I. 1.). zum Folgenden Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Ver­ bände, S. 200 f. Dennoch findet sich auch bei ihm das Argument der fehlenden Hand­ lungsfähigkeit, jedoch nur, sofern das Gesetz „gegen persönliche Gefährlichkeit schützen will“. Hingegen bedürfe es bei der „Sachgefährlichkeit“ einer Handlung des Betroffenen nicht. Daraus folgernd sei Handlungsfähigkeit nur im Hinblick auf „sub­ jektive Sicherungsmaßregeln (insbes. Präventivgeld)“ notwendig, weswegen diese bei juristischen Personen abzulehnen seien, S. 204 f., 230 ff. Vgl. auch Seiler, Personen­ verbände, S. 100 f., der ebenfalls den Aspekt der „Sachgefährlichkeit“ sieht. 511  Auch

130

5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

frühzeitig zu beenden, etwa den Täter aus der Unterbringung entlassen zu können, wenn der Zustand, der zur Anlasstat und zur ungünstigen Prognose geführt hat, beseitigt oder so gebessert wurde, dass eine rechtlich beachtliche Gefährlichkeit des Täters nicht mehr besteht.512 In diesen Fällen ist es im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit geboten, die Besserung des Täters zu fördern; in anderen Fällen hingegen kann sie lediglich einen (durchaus er­ wünschten) Nebeneffekt darstellen. Im Zentrum der Legitimation der Maß­ nahmen steht jedoch immer der Sicherheitsaspekt für die Allgemeinheit. Dies wird auch am Wortlaut der im Strafgesetzbuch normierten Maßregeln deutlich: So heißt es etwa in § 63 StGB „wenn […] von ihm infolge seines Zustandes rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allge­ meinheit gefährlich ist“. Ebenso bezieht sich § 64 Abs. 1 StGB explizit auf die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit. Maßregeln sind daher weder speziell auf die Situation der Schuldunfähigkeit noch allgemein auf die der Besserung eines gefährlichen Zustandes beschränkt. Das alleinige Legitimationskriterium ist die Sicherung: Ihre Anordnung bezieht sich auf einen Gefahrenzustand und ist unabhängig davon, von wem dieser Zustand ausgeht und ob eine Besserung in Zukunft zu erwarten ist. Der oben ange­ führten Kritik ist somit klar entgegenzutreten: Maßregeln sind als Maßnah­ men der Gefahrenabwehr aus den genannten Gründen auch gegenüber juris­ tischen Personen zu legitimieren. Aktuell existieren im deutschen (Straf-)Recht keine Maßregeln gegenüber juristischen Personen. Bereits innerhalb der Diskussionen im Rahmen des 40. Deutschen Juristentages 1953 wurde aber ein Maßregelmodell von Hartung vorgeschlagen, hierbei handelte es sich um die Einführung „körperschaftsge­ mäßer sichernder Maßnahmen“. Ein Beschluss in diese Richtung scheiterte mit einem Stimmverhältnis von 27 zu 12 lediglich an der fehlenden qualifi­ zierten Mehrheit. Eine ähnliche Tendenz zeichnete sich auch bei der Großen Strafrechtskommission 1954 ab,513 doch wurden seitens des Gesetzgebers seitdem keine Vorstöße in diese Richtung unternommen.

512  Vgl. BVerfGE 128, 326, 375, zum Maßregelvollzug bei der Sicherungsverwah­ rung, der so ausgestaltet sein müsse, „dass die Perspektive der Wiedererlangung der Freiheit sichtbar die Praxis der Unterbringung bestimmt. Hierfür bedarf es eines frei­ heitsorientierten Gesamtkonzepts […] mit klarer therapeutischer Ausrichtung auf das Ziel, die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr zu minimieren und auf dieses Weise die Dauer der Freiheitsentziehung auf das unbedingt erforderliche Maß zu re­ duzieren“. 513  Vgl. dazu die Ausführungen von Jescheck, Koffka, Goßrau, in: Große Straf­ rechtskommission, S. 295 ff.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr131

II. Andere Maßnahmen der Gefahrenabwehr im öffentlichen Recht In anderen Teilen des öffentlichen Rechts bestehen jedoch bereits in unter­ schiedlichen Bereichen gefahrenabwehrende Regelungen, die die juristische Person betreffen können. Im Folgenden sollen diese überblicksartig darge­ stellt und ihre Legitimationsgrundlagen erläutert werden.514 Im Anschluss werden einzelne Maßnahmen anhand der allgemeinen Kriterien überprüft. Auch Vorschläge de lege ferenda fließen in die Überlegungen mit ein. 1. Übersicht de lege lata Maßnahme

Vorschrift (beispielhaft)

Erläuterungen

Vorschriften über interne Abläufe

§ 87 VAG

Versicherungsunternehmen sollen durch geeignete Prozesse und Verfahren sicher­ stellen, dass die besten Schätzwerte und die Annahmen, die deren Berechnung zugrunde liegen, regelmäßig mit Erfah­ rungsdaten verglichen werden. Andern­ falls hat das betreffende Unternehmen entsprechende Anpassungen vorzuneh­ men.

§ 19 Abs. 3 AtG

Die Aufsichtsbehörde kann anordnen, dass ein Zustand beseitigt wird, der be­ stimmten Voraussetzungen widerspricht oder aus dem sich durch die Wirkung io­ nisierender Strahlen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben kön­ nen.

§ 36 KWG

Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Bundesanstalt die Abberufung von verantwortlichen Geschäftsleitern verlan­ gen und diesen Geschäftsleitern auch die Ausübung ihrer Tätigkeit bei Instituten in der Rechtsform einer juristischen Person untersagen. (Fortsetzung nächste Seite)

514  Überblicksartig auch Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmens­ strafe, S. 37 ff.; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 87 ff.

132

5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

(Fortsetzung Übersicht de lege lata) Maßnahme

Vorschrift (beispielhaft)

Erläuterungen

Vorschriften über interne Abläufe

§ 45b KWG

Auf Anordnung der Bundesanstalt muss das Institut Maßnahmen zur Reduzierung von Risiken ergreifen, soweit sich diese aus bestimmten Arten von Geschäften und Produkten oder der Nutzung be­ stimmter Systeme oder der Auslagerung von Aktivitäten und Prozessen auf ein anderes Unternehmen ergeben; dürfen weitere Zweigstellen nur mit Zustimmung der Bundesanstalt errichtet werden; dür­ fen einzelne Geschäftsarten, namentlich die Annahme von Einlagen, Geldern oder Wertpapieren von Kunden und die Ge­ währung von Krediten nach § 19 Abs. 1 nicht oder nur in beschränktem Umfang betrieben werden.

Ausschluss von der Teilnahme am Wettbewerb

§ 21 SchwarzArbG

Unter bestimmten Voraussetzungen sollen Bewerber von der Teilnahme am Wettbe­ werb um einen öffentlichen Bauauftrag ausgeschlossen werden.

Abführung des Mehrerlöses

§ 10 WiStG

Abschöpfungsmaßnahme eigener Art oh­ ne Strafcharakter: Die Anordnung gegen­ über Unternehmen erfolgt gem. § 10 Abs. 2 WiStG, wenn eine Zuwiderhand­ lung gegen §§ 1–5 WiStG im Unterneh­ men begangen wurde und diesem der Mehrerlös zu Gute gekommen ist. Mehr­ erlös meint gem. § 8 Abs. 1 WiStG den Unterschiedsbetrag zwischen der zulässi­ gen und der erzielten Einnahme. Ebenso wie die Unternehmensgeldbuße (§  30 Abs. 5 OWiG) ist die Abführung des Mehrerlöses vorrangig zu den Vorschrif­ ten der Einziehung von Taterträgen gem. §§ 73–73e und 75 StGB bzw. § 29a OWiG, vgl. § 8 Abs. 4 WiStG.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr133 Maßnahme

Vorschrift (beispielhaft)

Erläuterungen

Auflösung

§ 396 AktG § 62 GmbHG § 81 GenG §§ 3, 17 VereinsG § 38 KWG §§ 43, 44 BGB Art. 18 GG i. V. m. §§ 39 Abs. 2, 13 Nr. 1 BVerfGG

S. dazu näher unten [Fünfter Teil B. II. 3. c) aa) (1)].

Gewerbe- und Betriebsunter­ sagung

§§ 35, 51 GewO §§ 20, 25 BImschG § 16 Abs. 3 HwO

S. dazu näher unten [Fünfter Teil B. II. 3. c) aa) (2)].

Gewerbe­ zentralregister

§ 150a GewO

S. dazu näher unten [Fünfter Teil B. II. 3. c) aa) (3) (c)].

Korruptions­ register

zum Teil auf Landesebene

S. dazu näher unten [Fünfter Teil B. II. 3. c) aa) (3) (c)].

2. Zur Klarstellung: Legitimierbarkeit gefahrenabwehrender ­Maßnahmen gegenüber juristischen Personen Teilweise wird in den bestehenden Maßnahmen gegenüber juristischen Personen eine faktische „Bestrafung“ der Unternehmen gesehen und daraus allgemein eine Diskrepanz zu der Nicht-Verantwortlichkeit von Unternehmen im Strafrecht als Teil des öffentlichen Rechts gefolgert.515 Jedoch greift die­ ser Einwand zu kurz: Er orientiert sich wiederum allein an den möglichen Auswirkungen dieser Maßnahmen, nicht aber an ihrer tatsächlichen Zielset­ zung. Diese aber gilt es herauszuarbeiten, um ihre Legitimation gegenüber juristischen Personen untersuchen zu können. Maßnahmen mit Vorwurfscharakter sind grundsätzlich gegenüber juristi­ schen Personen (auch im Verwaltungsrecht) nicht zu legitimieren. Dabei geht es nicht darum, ob präventive oder repressive (einen Vorwurf beinhaltende) Gesichtspunkte im Vordergrund der Maßnahme stehen. Aus verfassungsrecht­ licher Sicht sind die Maßnahmen mit und die ohne Vorwurfscharakter strikt voneinander zu trennen. Demnach kann es nicht „ein bisschen“ Vorwurf ge­ ben – die Maßnahme ist entweder mit Vorwurfscharakter gegenüber der Per­ son zu legitimieren oder verfassungsrechtlich nicht zu halten. In Fällen, in 515  Dazu

Eidam, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 5 Rn. 424 mit Fn. 733.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

denen einzelnen Unternehmensangehörigen ein Verhaltensnormverstoß vorge­ worfen werden kann, ist dies im Rahmen individueller Strafbarkeiten zu un­ tersuchen und dementsprechend zu sanktionieren. Hingegen sind präventive Maßnahmen zur Verhinderung zukünftiger schädigender Ereignisse und Ver­ läufe, die sowohl von natürlichen als auch juristischen Personen ausgehen können, im Sinne des Rechtsgüterschutzes (auch) gegenüber juristischen Per­ sonen legitimierbar. Sie dienen ähnlich den Verhaltensnormen dem Rechtsgü­ terschutz im grundrechtlichen Sinne. Solche Maßnahmen sind Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Diese sind präventiv ausgerichtet und lassen sich allein über den Gedanken des Rechtsgüterschutzes, d. h. zur Gefahrenabwehr in der Zukunft, rechtfertigen – beinhalten insofern keinen Vorwurf. Maßnahmen der Gefahrenabwehr kommen gegenüber juristischen Perso­ nen dort in Betracht, wo aus dem Unternehmen heraus in Zukunft Gefahren für Rechtsgüter Dritter bestehen, die es im Rahmen einer Güter- und Interes­ senabwägung rechtfertigen, in ihre eigenen Rechte einzugreifen. Sie können auf unterschiedliche Weisen präventiv und Rechtsgüter schützend wirken: Zum einen können Maßnahmen auf die Tätigkeiten des Unternehmens und dessen interne Abläufe Einfluss nehmen; zum anderen kann das Unterneh­ men in Zukunft daran gehindert werden, auf Rechtsgüter und Interessen Dritter überhaupt noch einwirken zu können. In beiden Fällen sind präven­ tive Maßnahmen denkbar, die sich allein auf den „Gefahrenzustand: Unter­ nehmen“ beziehen und im Sinne des Rechtsgüterschutzes legitimierbar sind. 3. Kritische Würdigung einzelner Maßnahmen der Gefahrenabwehr de lege lata und de lege ferenda Es stellt sich die Frage, welche konkreten Maßnahmen als solche der Ge­ fahrenabwehr gegenüber juristischen Personen legitimierbar sind. Im Folgen­ den soll auf verschiedene Maßnahmen eingegangen werden und deren Legi­ timierbarkeit (und damit auch Sinnhaftigkeit) im Bereich der Gefahrenabwehr untersucht werden. Hier dargestellte Ansätze werden häufig unter dem Stich­ wort „Unternehmenssanktionen“ diskutiert. Der Begriff „Sanktionen“ ist aber, wie oben (Zweiter Teil A. II.) gezeigt, inhaltlich vorgeprägt und damit irreführend; er bezieht sich lediglich auf Maßnahmen mit Vorwurfscharakter. Als neutraler Oberbegriff wird daher der Begriff Maßnahmen verwendet. a) Als Maßnahmen der Gefahrenabwehr nicht legitimierbare bzw. ungeeignete staatliche Maßnahmen Maßnahmen mit Vorwurfscharakter sind, wie oben schon gezeigt, gegen­ über juristischen Personen nicht legitimierbar. Wenn aber kein Vorwurf erho­



B. Das Recht der Gefahrenabwehr135

ben wird, kann es nur um Vermögensabschöpfung bzw. einen finanziellen Ausgleich516 oder aber um Gefahrenabwehr gehen. Im Hinblick darauf schei­ den bereits die folgenden Maßnahmen gegenüber juristischen Personen aus – sie verfolgen entweder schon gar nicht den legitimen Zweck der Gefahrenab­ wehr oder sind nicht geeignet, diesen Zweck zu verfolgen. aa) Sanktionsgeld Unter dem Begriff „Sanktionsgeld“ wird eine Geldleistung des Unterneh­ mens diskutiert. Diesem wird zumindest auch eine repressive Zielsetzung zugeschrieben, dennoch lasse es sich als Maßnahme gegenüber juristischen Personen legitimeren: Das Unternehmen werde so veranlasst, „Straftaten mit organisatorischen und unternehmenspolitischen Maßnahmen entgegenzuwir­ ken“, darüber hinaus würden andere potentielle Täter abgeschreckt und das Bedürfnis der Normrehabilitierung erfüllt. Das Sanktionsgeld sei repressiv auszugestalten; beziehe sich somit nicht auf eine vom Unternehmen ausge­ hende Gefahr, sondern ahnde „einen begangenen Rechtsverstoß“.517 Dass eine solche Maßnahme gegenüber juristischen Personen nicht legiti­ mierbar ist, wurde bereits mit Blick auf Geldstrafen bzw. -bußen ausführlich erläutert; allein die Umbenennung von Geldsanktion in Sanktionsgeld ändert nichts am Charakter der Maßnahme. Auch dessen Befürworter schreiben dem Sanktionsgeld ja gerade einen repressiven Charakter zu. Anders verhält es sich wohl mit dem sog. „Sicherungsgeld“. Dieses stellt eine Art Kaution dar, soll der Durchsetzung von Auflagen etc. dienen und nach Erfüllung zurückerstattet werden.518 Hierdurch solle eine Sicherung in der Zukunft erreicht und nicht der Zweck der Buße verfolgt werden: Durch eine bevorstehende Geldleistung könne seitens des Unternehmens die interne Kontrolle aktiviert und so die Organisation verbessert werden, wodurch das Unternehmen in Zukunft sicherer werde. Dabei dürfe das Sicherungsgeld freilich „überhaupt keine repressiven Zwecke verfolgen, sondern allein mit der Absicht verhängt werden, auf sämtliche Mitglieder des Verbandes einen so starken Eindruck zu machen, dass sie die Gefahrenquelle von selbst besei­ tigen, möge diese nun in der Organisation, in der Aufsicht oder in ungeeig­ neten Organen oder Mitgliedern liegen“.519 516  Zu der Legitimierbarkeit etwaiger Maßnahmen gegenüber juristischen Perso­ nen bereits oben (Fünfter Teil A. I. 1., II.). 517  Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 198. 518  Überblicksartig Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 179 ff., die diese Maßnahme kritisch sieht. 519  Jescheck, SchwZStr 70 (1955), 243, 265; ders., in: Große Strafrechtskommis­ sion, S. 299, spricht sich daher für das Sicherungsgeld als „zweckmässigste und wirk­

136

5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

In diesem Fall hat die Maßnahme keinen Vorwurfscharakter inne. Ob sie aber eine wirksame Maßnahme gegenüber juristischen Personen darstellt, bleibt fraglich. Umstritten ist etwa, ob die Entziehung von Geld, die bei na­ türlichen Personen in Form von Abschreckung (spezial-)präventiv wirken kann, d. h. bei natürlichen Personen zu einer Verhaltensänderung führen mag, auch bei juristischen Personen eine entsprechende Wirkung zeigt. Jedenfalls könnte eine solche Veränderung wiederum allein durch Mitarbeiter gesche­ hen und hat unmittelbar keine schützende Wirkung. Darüber hinaus wird angemerkt, das Geld „ginge dem Unternehmen ja erst dann verloren, wenn es nach einer bereits begangenen Straftat wieder eine neue beginge“.520 Auf­ grund dessen stehe in Frage, ob Rechtsgüter tatsächlich effektiv geschützt werden könnten. Insofern ist zu bezweifeln, ob dieses Mittel eine geeignete, erforderliche und angemessene Gefahrenabwehrmaßnahme darstellt, da eine solche Maß­ nahme zu unspezifisch ansetzt und keine konkreten Rechtsgüter tatsächlich zu schützen vermag. bb) Wiedergutmachung Unter dem Oberbegriff „Wiedergutmachung“521 werden Maßnahmen wie Schadensersatz, Folgenbeseitigung und eine generelle Verpflichtung zum Tätigwerden diskutiert.522 Etwa sei ein öffentlich-rechtlicher Schadensersatzanspruch über den Weg der Zurechnung – ähnlich zum Zivilrecht – zu begründen, wenn der Schaden samste Massregel“ aus. Zustimmend Rotberg, FS 100 Jahre DJT, S. 193, 214 f. m. w. N. A. A. Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 170, wonach „eine Geldleistung, die einer (natürlichen oder juristischen) Person im Zusammenhang mit einer begangenen Straftat auferlegt wird, nicht allein durch ihre Etikettierung als ‚Sicherungsgeld‘ ihres (auch) repressiven Charakters verlustig geht“. Kritisch zu dem Vorschlag des Sicherungsgeldes auch Seiler, Personenverbände, S. 214 ff. 520  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 181, freilich un­ genau hinsichtlich des Begriffs „Straftat“ im Zusammenhang mit Unternehmen. Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 166, spricht insofern von subjektiver und objektiver Präventivwirkung. Letztere sei einer Geldleistung kaum möglich, erstere in Bezug auf juristische Personen fraglich. 521  Zum Vorschlag einer wiedergutmachenden Sanktion als eigenständige Spur im Sanktionensystem ähnlich der Regelung des § 56b Abs. 2 StGB vgl. etwa Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 127, 251; kritisch zur Wieder­ gutmachung als eigenständige Sanktionsspur Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 193 ff., 197 f., die jedoch die Wiedergutmachung ergänzend zu organisatorischen Maßnahmen durchaus für sinnvoll erachtet (m. w. N. zu entspre­ chenden Regelungen im Ausland). 522  Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 372.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr

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von einer Einzelperson nicht beglichen werden kann; dieser könne neben Strafe stehen.523 Weiterhin werden symbolische Wiedergutmachungen disku­ tiert, beispielsweise in Form von gemeinnütziger Arbeit oder in Form von Spenden.524 Dies sei insbesondere dann sinnvoll, wenn kein einzelner Ge­ schädigter feststeht.525 Fraglich ist, wie man die Höhe etwaiger Ansprüche feststellen möchte. Bockelmann äußert insoweit die Bedenken, dass zu einem Schadensersatzan­ spruch „zwingend ein Maßprinzip“ gehört; da aber gerade kein Verschulden gegeben ist, bestünden hier ähnliche Probleme wie im Rahmen von Geld­ sanktionen, nämlich insbesondere die Frage, „was eigentlich ‚angemessen‘ ist – um nicht den Ausdruck ‚gerecht‘ zu gebrauchen“.526 Dennoch erscheint es möglich, einen solchen Anspruch auch ohne ein Verschulden der juristi­ schen Person zu konstruieren.527 Hingegen fehlt einem Schadensersatzan­ spruch als staatlicher Maßnahme in jedem Falle der Gefahrenabwehrbezug, er scheidet daher als zur Gefahrenabwehr ungeeignet aus. Für die Wiederher­ stellung des status quo ante sind etwaige Ansprüche ebenfalls nicht geeignet; dies wird über §§ 73 ff. StGB erreicht. Außerdem sind Ansprüche auf Fol­ genbeseitigung denkbar, die ebenfalls eine ausgleichende Funktion besitzen. Hinsichtlich konkreter Schadensersatzansprüche ist insofern auf die Instru­ mente des Zivilrechts zu verweisen, etwa in §§ 280 ff., 823 ff. BGB.528 523  Koffka, in: Große Strafrechtskommission, S. 301, 302. Vgl. in diesem Zu­ sammhang auch den Begriff „punitive damages“, einen sog. Straf-Schadensersatz, der im anglo-amerikanischen Recht innerhalb des Zivilprozesses geltend gemacht wird und neben dem reinen Schadensersatz auch spezial- und generalpräventiven Zwecken dienen soll, wobei er zumeist weit über dem tatsächlich entstandenen Schaden liegt, s. überblicksartig statt vieler Klode, NJOZ 2009, 1762 ff.  – Dass dieses Institut auf­ grund seines Sanktionscharakters nicht gegenüber juristischen Personen zu legitimie­ ren ist, liegt auf der Hand. 524  Vgl. dazu überblicksartig Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umwelt­ strafrecht, S. 200 ff. m. w. N., die dies jedoch i. E. ablehnt, da die „Maßnahmen von der Belastung des Verbands her über die Geldbuße nicht hinausgehen und gleichzeitig jeder psychologischen Wirkung entbehren, die sie im Individualstrafrecht vielleicht sinnvoll erscheinen lassen“, S. 204. 525  Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 373. 526  Bockelmann, in: Große Strafrechtskommission, S. 307. 527  Vgl. dazu etwa die Ausführungen zu den zivilrechtlichen Einstandspflichten oben (Dritter Teil B. II.). 528  Einen anderen Weg möchte Schmitt-Leonardy mittels eines – auf Wiedergutma­ chung und Resozialisierung zielenden – sogenannten Unternehmensinterventions­ rechts beschreiten, vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 ff.; dies., Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 769 ff. Hierbei handele es sich um eine „parastrafrechtliche Spur […] mit eigenen Prämissen und eigener Semantik, bei der es um die „Eröffnung eines Folgenverantwortungsdia­ logs“ gehe. Den Anknüpfungspunkt hierfür bildet der Gedanke des Interventions­

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

Hiervon zu unterscheiden ist die allgemeine Verpflichtung zum Tätigwer­ den. Dies stellt eine Verhaltensnorm dar, die nur von natürlichen Personen befolgt werden kann. Eine Regelung in diesem Sinne scheidet gegenüber juristischen Personen demnach aus. cc) Aktien- / Anteilsverwässerung Im Rahmen der in der US-amerikanischen Literatur entwickelten „stock dilusion“ (Anteilsverwässerung) bzw. „equity fine“ (Anteilssanktion) wird das Unternehmen dazu verpflichtet, neue Gesellschaftsanteile auszugeben, welche entweder an einen staatlichen Entschädigungsfond oder an andere Nutznießer, wie etwa Umwelt- oder Verbraucherschutzorganisationen, über­ tragen werden; diese dürfen die Anteile dann gewinnbringend verwerten.529 rechts (dazu und zum Folgenden etwa Lüderssen, in: Unternehmensstrafrecht, S. 387, 388 ff.). Dabei geht es um interdisziplinäre Regularien, die sich zwischen dem Strafund Ordnungswidrigkeitenrecht einerseits sowie dem Zivil- und öffentlichen Recht andererseits bewegen sollen. Eine Hauptidee sei die Resozialisierung ohne Strafe. Damit werde auch der Widerspruch aufgehoben, dass Strafe und Resozialisierung ei­ gentlich nicht in Einklang zu bringen seien. Schmitt-Leonardy greift diese Gedanken für Unternehmen auf und sieht ebenfalls die Notwendigkeit zur Regulierung durch rechtliche Instrumente. Solche „parastrafrechtlichen“ Instrumente sollten wie das Strafrecht selbst einen spezifischen Kommunikationsakt sowie die Auferlegung einer Konsequenz mittels eines Strafverfahrens beinhalten. Hieraus ergebe sich ebenfalls eine „retrospektive“ Herangehensweise, d. h. die Reaktion wegen und nicht anlässlich einer Straftat. Ein Unternehmensinterventionsrecht solle sich insofern in ein bestehen­ des System von Regulierungsmechanismen einfügen, Rn. 917; es sei mehr als eine Addition der Mechanismen aus Zivil- und öffentlichem Recht, nämlich eine „diffe­ renzierte rechtliche Reaktion in einem einheitlichem Verfahren, das den Wechselwir­ kungen zwischen Mikro- und Makroebene ebenso Rechnung trägt wie den Besonder­ heiten des Akteurs Unternehmen“, Rn. 924. Weiter wird ausgeführt: „Als Unterneh­ menshandlung gilt […] jede individuelle Handlung oder Unterlassung der Unternehmensmitglieder, die objektiv zur Absicherung ihrer Mitgliedschaftsposition erforderlich ist – im Falle der Entscheidung dagegen also die Mitgliedschaftsposition in Frage gestellt hätte oder Karrierechancen minimiert hätte – und dem Abstim­ mungsprozess von Funktion und Leistung des Unternehmens geschuldet ist“, Rn. 638 ff., 905. Auch die Unternehmensschuld sei dann anhand eines normativen Schuldbegriffs konstruierbar – „Zuständigkeit für eigenen Binnenzustand“, Rn. 645 ff., 906. Bereits die Bezeichnung der „Folgenverantwortlichkeit“ zeigt jedoch die Nähe zum Strafrecht, was eine Inkonsequenz darstellt. Die Anwendbarkeit von Strafrecht wird abgelehnt, dennoch aber eine Reaktion als erforderlich erachtet; es soll lediglich um einen Perspektivenwechsel gehen. Dieser kann aber nicht über die Tatsache hin­ wegtäuschen, dass Maßnahmen mit Vorwurfscharakter mangels Verhaltensnormkon­ kretisierung gegenüber juristischen Personen nicht legitimierbar sind  – im Zweifel liefe ein solches System wiederum auf ein Modell der Zurechnung hinaus. 529  Dazu ausführlich Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 221 ff. m. w. N. Vgl. auch Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe,



B. Das Recht der Gefahrenabwehr139

Neben der Tatsache, dass diese Maßnahme ohnehin nur bei Gesellschaften in Betracht käme, die ihre Anteile am Kapitalmarkt handeln, ist sie auch als Maßnahme zur Gefahrenabwehr ungeeignet: Es handelt sich um eine mone­ täre Sanktion, die darüber hinaus vor allem die Altaktionäre und weniger die Gesellschaft selbst treffen würde.530 Zwar kann durch den Einsatz von neuen Gesellschaftern möglicherweise ein Besserungseffekt eintreten, wenn diese Anteile in erheblichem Umfang erhalten, doch wird mit dieser Maßnahme nicht unmittelbar einem präventiven Sicherungsbedürfnis Rechnung getra­ gen. Als Maßnahme der Gefahrenabwehr erscheint sie daher ungeeignet bzw. – bezeichnet man sie mit Fisse als „eine wertmindernde Strafe“531 – schon nicht legitimierbar. dd) Zwangsverpachtung / Zwangsverkauf Vorteile der Maßnahme der Zwangsverpachtung gegenüber anderen Tätig­ keitsverboten sieht Rotberg – vor allem aus einem wirtschaftlichen Blickwin­ kel  – etwa darin, dass Dritte hierdurch nicht wesentlich beeinträchtigt wür­ den.532 Neben der Problematik, dass sich in der Praxis aber zunächst jemand finden lassen müsste, an den das Unternehmen verpachtet (oder verkauft) werden könnte533 und die Maßnahme vor allem die von der Verpachtung getroffene Leitung des Unternehmens träfe,534 geht von dieser Maßnahme keinerlei sichernde Wirkung aus. Zwar ist es möglich, dass der neue Inhaber neue Strukturen in das Unternehmen bringt, welche es in Zukunft sicherer machen könnten. Unmittelbar hat jedoch eine Zwangsverpachtung keinen Sicherungseffekt; Rechtsgüter und Interessen Dritter werden hierdurch jeden­ falls nicht ausreichend geschützt. Insofern ist die Maßnahme als eine der Gefahrenabwehr zu unspezifisch, mehr als „Zufallsfolgen“ diesbezüglich S. 249 f.; Heine, in: Criminal Responsibility, S. 237, 248; Lütolf, Strafbarkeit der ju­ ristischen Person, S. 396 f.; Ransiek, Unternehmen, S. 356 f., der dies im Sinne des Gläubigerschutzes befürwortet. 530  Zu diesem Kritikpunkt ausführlich Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unterneh­ men, S. 223. I. d. S. auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compli­ ance, S. 702: „Auch der aus den USA stammende Vorschlag der equity fine als eine Anteilsverwässerung ist nichts anderes als eine Individualsanktion. Zwar behalten alte Eigentümer ihre Anteile, diese verlieren jedoch durch die Ausgabe neuer Anteile an Wert“. 531  Fisse, in: Internationale Forschungsergebnisse, S. 117, 120 m. w. N. zu Vorund Nachteilen. 532  Rotberg, FS 100 Jahre DJT, S. 193, 211 f. 533  Auch zu weiterführender Kritik vgl. Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 163. 534  I. d. S. auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 702.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

sind hierdurch nicht zu erzielen. Mithin ist auch dies als Maßnahme der Ge­ fahrenabwehr abzulehnen. b) Einwirkung auf die Unternehmenstätigkeit zum Zweck der „Besserung“ Nachdem bereits einige Maßnahmen aufgrund ihrer fehlenden legitimen Zielsetzung oder ihrer unspezifischen Eignung zur Gefahrenabwehr abgelehnt wurden, soll im Folgenden auf andere Maßnahmen eingegangen werden. Bevor das Unternehmen in Zukunft an der Ausübung seiner Tätigkeit gehin­ dert oder zumindest in dieser beeinträchtig wird, sollten im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zunächst weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Dies gilt auch im Sinne wirtschaftlicher und poli­ tischer Erwägungen, da mitunter der Verlust von Arbeitsplätzen und andere fi­ nanzielle Auswirkungen mit einer solchen Maßnahme verbunden sein würden. Zu denken ist etwa an Maßnahmen, die in die Betriebsprozesse und -ab­ läufe eingreifen oder hierfür bestimmte Vorgaben machen, das Unternehmen jedoch in der Ausübung seiner Tätigkeit nicht zu stark einschränken. Ein möglicher Ansatzpunkt etwaiger präventiver Maßnahmen gegenüber juristi­ schen Personen könnte allgemein in der Verbesserung der Unternehmens­ strukturen liegen. Hier wird etwa die „Verbesserung der staatsbürgerlichen Disziplin“ durch ein Maßnahmensystem vorgeschlagen, wenn nur einzelne Teilbereiche – nicht aber das Unternehmen an sich – als gefährlich einzustu­ fen sind.535 aa) Reformgebende Maßnahmen – Bestandsaufnahme und kritische ­Würdigung ihrer rechtlichen Legitimationsgrundlagen und ihrer Geeignetheit zur Gefahrenabwehr Konkret könnte auf den Betrieb selbst durch Regelungen eingewirkt wer­ den, die Reformmaßnahmen benennen oder diesbezüglich Anforderungen an die juristische Person stellen, welche sie in Zukunft erfüllen muss. Vorschläge für unternehmerische Reformen reichen von der Umstrukturie­ rung defizitärer Betriebsabläufe bis hin zu einer Neuorganisation des Betriebs in seiner Gesamtheit.536 Auch in Bezug auf das Personal werden Gedanken laut, etwa die Verpflichtung zur Unterrichtung und Schulung von Beschäftig­ 535  Hartung,

in: 40. DJT, Band II, S. E51. etwa Fisse, in: Internationale Forschungsergebnisse, S. 117, 124 f., im Hinblick auf „Auflagen zu innerbetrieblichen Disziplinarmaßnahmen“. 536  I. d. S.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr141

ten537 bzw. zur Entlassung bestimmter Unternehmensangehöriger538 oder gar zum Austausch der oberen Leitungsebene.539 Insbesondere wird dabei auf die Umsetzung durch gerichtliche Weisungen abgestellt:540 Auf diese Weise könnten etwa „unternehmensinterne Reformen“541 durchgesetzt bzw. das Unternehmen dazu verpflichtet werden, konkrete Com­ pliance-Programme einzurichten.542 Eine solche Einwirkung auf die unterneh­ merische Tätigkeit durch reformgebende Weisungen könne einen „wertvollen Beitrag zur Verhinderung künftiger Straftaten“543 leisten; darüber hinaus wür­ den Gesellschafter, Gläubiger und Beschäftigte weitestgehend geschont.544 537  Vgl. dazu etwa Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 267 ff. 538  Dies schlägt bereits Hartung, in: 40. DJT, Band II, S. E51 f. („Ausbrennen des verbrecherischen Herdes“), ausdrücklich vor. Vgl. zu dieser Thematik auch Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 407; Rotberg, FS 100 Jahre DJT, S. 193, 210 f.; Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 171, 177; Seiler, Per­ sonenverbände, S. 140 ff. Kritisch zur Entfernung des Individualtäters Dannecker, GA 2001, 101, 128, der das Problem sieht, dass der Angestellte als „Sündenbock“ miss­ braucht werden könnte; i. d. S. auch Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umwelt­ strafrecht, S. 151 ff.; kritisch auch Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 219 f., der dies als eine klassische Maßnahme des Individualstrafrechts ansieht, welche die Berufsfreiheit des Einzelnen im Kern treffe  – vgl. § 70 StGB. Gleiches gelte beim Ausschluss von Gesellschaftern: Auch hierbei gehe es nicht um die „Rechte des Unternehmens“, sondern um die „am Unternehmen“, hier sei neben der Berufs- auch die Eigentumsfreiheit des Einzelnen betroffen, S. 220 f. 539  Rotberg, FS 100 Jahre DJT, S. 193, 210; Seiler, Personenverbände, S. 164 ff. 540  Auch gegenüber natürlichen Personen besteht im Strafgesetzbuch diese Mög­ lichkeit: Wenn eine Freiheitsstrafe gem. §§ 56 ff. StGB zur Bewährung ausgesetzt wird, kann das Gericht dem Verurteilten nach § 56b StGB Auflagen oder nach § 56c StGB Weisungen erteilen. Dabei sollen Auflagen „der Genugtuung für das begangene Unrecht“ dienen (§ 56b Abs. 1 StGB), Weisungen hingegen sollen eingesetzt werden, wenn der Täter „dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen“ (§ 56c Abs. 1 StGB). Demzufolge sind Auflagen repressive Maßnahmen, vgl. etwa Heger, in: Lackner/Kühl, § 56b Rn. 1; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 56b Rn. 2, wäh­ rend Weisungen spezialpräventiv ausgerichtet sind, vgl. etwa Altenhain, in: Matt/ Renzikowski, StGB, § 56c Rn. 1; Heger, in: Lackner/Kühl, § 56c Rn. 1; Fischer, StGB, § 56c Rn. 1a. Behält man diese Einordnung bei, kämen für juristische Perso­ nen nur Weisungen in Betracht. Zur allgemeineren Frage, ob Maßnahmen der Gefah­ renabwehr überhaupt durch Gerichte umgesetzt werden sollten, aber noch ausführlich unten (Fünfter Teil B. III. 1.). 541  Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 218. 542  Dannecker, GA 2001, 101, 128; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 695 f., hält die Verpflichtung zur Erstellung und Umsetzung eines Compliance-Programms für sinnvoll und wählt insofern den Begriff „ComplianceSanktion“ bzw. „Compliance-Strafe“. 543  Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 218 m.w.N in Fn. 615. 544  So Heine, in: Criminal Responsibility, S. 237, 249 f., im Hinblick auf „corpo­ rate probation“.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

(1) Zur Problematik gerichtlicher Weisungen Problematisch erscheint jedoch bereits das Institut gerichtlicher Weisun­ gen: Zunächst müsste hierfür ein Katalog an Maßnahmen benannt werden, welche mittels einer Weisung gegenüber der juristischen Person angeordnet werden können. Ob ein solcher Katalog sinnvoll zu erstellen ist, ist bereits fraglich. Gerade im Hinblick auf die Vielfalt unternehmerischer Tätigkeiten und die damit verbundenen Risiken, aber auch in Anbetracht der hieraus re­ sultierenden Fülle an Reformmöglichkeiten, erscheint die gesetzliche Nor­ mierung konkreter Maßnahmen schwierig. Schon die oben genannten Vor­ schläge – die lediglich einen Ausschnitt aller Empfehlungen in diese Richtung darstellen – machen dies deutlich. Darüber hinaus ist auch zweifelhaft, ob Gerichte in der Lage sind, solche reformgebenden Weisungen sinnvoll zu erteilen, da es hierfür einer erhebli­ chen Sach- und Fachkenntnis bezüglich des Unternehmens und der mit seiner Tätigkeit einhergehenden Risiken bedarf.545 Dieses Problem sieht etwa auch Kirch-Heim, verwirft es jedoch mit der Feststellung, dass es sich um „unter­ nehmenspolitische und betriebswirtschaftliche Fragestellungen“ handele, für die es ohnehin „keine besonderen Fachbehörden“ gebe, „die einschlägige Kompetenzen aufweisen und denen sich diese Aufgabe übertragen ließe“.546 Angesichts der immensen spezialpräventiven Wirkung etwaiger Weisungen erscheine es doch gerechtfertigt, „die Gerichte diesbezüglich an Sachverstän­ dige zu verweisen“ und die Weisungen unter bestimmte formelle Vorausset­ zungen zu stellen.547 Hieran zeigt sich aber doch: Reformgebende Maßnahmen durch gerichtli­ che Weisungen leiden unter erheblichen Umsetzungsschwierigkeiten. KirchHeim betont gerade, es handele sich um „unternehmenspolitische und be­ triebswirtschaftliche Fragestellungen“. Um darüber aber sinnvoll entscheiden zu können, bedürfte es einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Sach­ materie und dem konkreten Fall, was mitunter erfahrenen Betriebswirtschaft­ lern und Wirtschaftsprüfern schwerfallen kann.548 Auch die Tatsache, dass es etwa Bock, Criminal Compliance, S. 425. Sanktionen gegen Unternehmen, S. 219. 547  Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 219 m. w. N.; vgl. auch Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 250 f. 548  So auch Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, S. 301, in Bezug auf die Formulierung konkreter Auflagen und Weisungen, denn „dies würde nicht nur die Kenntnis konkreter Missstände im Unternehmen, sondern vor allem auch die Kennt­ nis optimaler Gegenmaßnahmen voraussetzen, die allerdings ohne Einblick in die Strukturen des jeweiligen Unternehmens und damit wiederum ohne Sachverständige wohl kaum jemals gewonnen werden könnte“. Insofern stehe der theoretischen Effi­ zienz die praktische Umsetzung entgegen. 545  Zutreffend

546  Kirch-Heim,



B. Das Recht der Gefahrenabwehr143

keine andere Behörde gibt, die sich hiermit beschäftigt, lässt nicht das (Straf-) Gericht als die einzige zur Problemlösung berufene Stelle erscheinen. Viel­ mehr zeigt sich gerade daran, dass interne Reformen grundsätzlich nicht sinn­ voll von außen vorzuschreiben sind. Das Gutachten eines Sachverständigen kann niemals ausreichen, um Richtern (oder auch Behördenmitarbeitern) das nötige spezifisch betriebswirtschaftliche Wissen zu vermitteln und ausrei­ chende Einblicke in komplexe Unternehmensstrukturen zu gewähren, deren es bedarf, um diese positiv zu verändern. Solche Reformen, die tatsächlich das Unternehmen neu organisieren oder zumindest Teilbereiche umstrukturieren, von denen ein Gefahrenpotential ausgeht, können nicht von außen eingeleitet werden. Ob es für das Unternehmen sinnvoll ist, Mitarbeiter zu schulen oder diese sogar zu entlassen; ob Bereiche umstrukturiert oder allgemein Compli­ ance-Programme implementiert werden sollen, kann ausschließlich innerhalb des Unternehmens selbst entschieden werden.549 Nur die Leitung des Unter­ nehmens (ggf. zusammen mit externen Beratern) verfügt über die nötige Kenntnis der entsprechenden fachlichen und sachlichen Voraussetzungen. (2) Zwischenergebnis: Keine reformgebenden Maßnahmen von staatlicher Seite Ein reformgebendes Maßnahmenmodell kann demnach niemals sämtliche Aspekte erfassen, die in einem Unternehmen zu beachten sind, um gefährli­ che Strukturen zu verbessern. Zu allgemein gehaltene Gesetze wären in die­ sem Kontext ebenso wenig zielführend wie die Möglichkeit der konkreten Ausgestaltung in den Händen von Gerichten, denen es diesbezüglich an fachlicher Kompetenz und Sachnähe fehlen würde. Hinzu kommt, dass sich Unternehmen bei einem vermeintlich abschließenden Katalog reformgeben­ der Maßnahmen darauf berufen könnten, alles darin Normierte eingehalten zu haben, auch wenn dies nicht ausreicht, um in der konkreten Situation Gefahren auszuschließen. Sie könnten sich so etwa im Hinblick auf zivil­ rechtliche Schadensersatzforderungen exkulpieren. Belässt man hingegen solche Maßnahmen der Selbstregulierung bei den Unternehmen, ist es auch allein an ihnen, diese fortwährend weiterzuentwickeln und stetig auf neue Gefahren einzugehen. Darüber hinaus gilt allgemein: Maßnahmen der Gefahrenabwehr sind al­ lein durch den Gedanken des Rechtsgüterschutzes in der Zukunft zu legiti­ mieren. Hierfür ist stets die Sicherung potentiell betroffener Güter und Inte­ ressen Dritter vor dem Gefahrenzustand das effektivste Mittel. Hingegen kann der Aspekt der „Besserung“, der bei (gerichtlichen) reformgebenden Maßnahmen im Vordergrund steht, nur von untergeordneter Bedeutung sein. 549  Vgl.

dazu auch unten [Fünfter Teil B. II. 3. b) bb)].

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

Um dies zu veranschaulichen, führe man sich die Situation der Maßregeln der Besserung und Sicherung gem. §§ 61 ff. StGB vor Augen, die einen Un­ terfall der Maßnahmen der Gefahrenabwehr darstellen und „die Besserung“ sogar explizit benennen.550 Auch hier darf etwa die Heilung, Behandlung oder Pflege des Betroffenen nur Mittel zum Zweck sein, nicht aber kann sie die Rechtfertigungsgrundlage der Maßnahme darstellen.551 Daher dürfen die Maßnahmen auch nicht im vermeintlichen Interesse des Betroffenen ange­ ordnet werden. Insofern ist etwa die Verlängerung einer Maßregel der Besse­ rung und Sicherung allein aus therapeutischen Gründen ebenso unzulässig wie die ausschließlich zur Besserung eines alkoholabhängigen Täters vorge­ sehene Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, ohne dass dies öffentli­ chen Sicherheitsinteressen zu Gute käme.552 Legitimiert werden die Maßre­ geln des Strafgesetzbuches allein im Sinne des Rechtsgüterschutzes. Nichts anderes kann für Maßnahmen der Gefahrenabwehr allgemein gel­ ten: Auch im Hinblick auf juristische Personen sind demnach allein solche Maßnahmen legitimierbar, die andere in Zukunft vor von ihnen ausgehenden Gefahren schützen  – der Sicherheitsaspekt rechtfertigt die Anordnung; ein darüber hinausgehender „Besserungsaspekt“ ist wünschenswert. Bei allen angesprochenen reformgebenden Maßnahmen wäre dies nicht der Fall, hier stünde die „Besserung der juristischen Person“ im Vordergrund der Legiti­ mation. Reformgebende Maßnahmen gegenüber juristischen Personen sind dem­ nach kein geeignetes staatliches Instrument der Gefahrenabwehr. Zum einen dienen sie nur mittelfristig der Sicherung von Gütern und Interessen Dritter, sodass der Schutzeffekt zu schwach ist, um den Eingriff zu rechtfertigen. Zum anderen kann eine solche Umstrukturierung nur aus dem Unternehmen heraus umgesetzt werden. Von staatlicher Seite können hierfür lediglich An­ reize gesetzt werden. Nur wenn die internen Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichen und von dem Unternehmen eine Gefahr für Rechtsgüter Dritter droht, ist es Aufgabe des Staates einzugreifen, um seine staatlichen Schutz­ pflichten zu erfüllen.

550  Zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung und ihren Legitimations­ grundlagen bereits ausführlich oben (Fünfter Teil B. I.). 551  Auch zum Folgenden Schreiber/Rosenau, in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, Kap. 8.5.1. Vgl. dazu auch bereits oben (Fünfter Teil B. I. 3.). 552  Schreiber/Rosenau, in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, Kap. 8.5.1; vgl. auch BGH NStZ 2003, 86.



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bb) Exkurs: Alternativen zu staatlichen Maßnahmen – Dritt- und Selbstkontrolle der Wirtschaft Im Folgenden sollen unternehmensinterne Alternativen zu den oben ange­ sprochenen reformgebenden Maßnahmen von staatlicher Seite aufgezeigt werden. Da diese Maßnahmen jedoch keinen unmittelbaren Bezug zu der hier zu beantwortenden Fragestellung hinsichtlich staatlicher Maßnahmen aufweisen, sondern allenfalls mittelbar im Rahmen der Beurteilung der Ge­ fahrensituation Berücksichtigung finden können,553 werden sie in gebotener Kürze dargestellt. Im Kern geht es dabei vor allem um Maßnahmen zur Dritt- und Selbstkon­ trolle des Unternehmens: Es können gerade nicht sämtliche potentiell gefähr­ lichen Situationen durch den Staat geregelt werden. Insbesondere durch deren „Dynamik und Vielgestaltigkeit“ kann Risikovorsorge keine originär staatli­ che Aufgabe sein, vielmehr ist in erster Linie der Gefahrenverursacher für das von ihm geschaffene Risiko verantwortlich.554 Daher ist es dem Staat auch unbenommen, in solchen Bereichen „gesellschaftliche Selbstregulierun­ gen“ zuzulassen.555 In diesem Zusammenhang wird etwa die Selbstüberwachung von Produk­ tionsprozessen angeführt, bei der die Sicherheit von Produkten durch von akkreditierten Prüfern zertifizierte Systeme garantiert wird:556 Der Staat be­ schränke sich hier auf eine „Kontrolle der Eigenkontrolle“, was solange sinnvoll sei, wie die Qualität der Akkreditierung und Zertifizierung gewähr­ leistet werde. Ebenso wird die Möglichkeit einer Kooperation mit der staat­ lichen Verwaltungsebene als Möglichkeit benannt, bei der es um den Aus­ tausch und eine gegenseitige Unterstützung zwischen Unternehmen und Verwaltungsstellen geht.557 Darüber hinaus wird die Einbeziehung eines privaten Dritten mit Kontroll­ befugnissen in eigenem Interesse vorgeschlagen, was insbesondere im Hin­ blick auf den Schutz von Vermögensinteressen sinnvoll sei.558 Diesbezüglich 553  Dazu

noch unten [Fünfter Teil B. III. 2. a)]. und zum Folgenden Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 66, 70. 555  Ausführlich zur Thematik der Selbstregulierung Schmitt-Leonardy, Unterneh­ menskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 406 ff. m. w. N., die hierin aber jedenfalls keine sinnvolle Alternative zum Strafrecht sieht. 556  Vgl. dazu Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 66 m. w. N. in Fn. 263– 265. 557  Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 67 ff. m. w. N. 558  Ransiek, Unternehmen, S. 363 ff., 387, mit Beispielen aus dem Steuer- und Aktienrecht. In diesem Zusammenhang schlägt er auch die Verbindung zivilrechtli­ cher Haftungsvorschriften mit einer Versicherungspflicht vor, vgl. S. 382 ff. m. w. N. 554  Dazu

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

kann die Wirtschaft selbst ein gesteigertes Interesse an Systemen haben, die Sicherheit dokumentieren und kontrollieren, wenn hierdurch etwa die zivil­ rechtliche Haftung ausgeschlossen wird. Weitere Entwürfe gehen einen Schritt weiter: Grundsätzlich sei eine strikte Trennung von Staat und Gesellschaft im Umgang mit sozialen Konflikten nicht mehr möglich, daher müsse das Prinzip von Über- und Unterordnung aufgegeben werden.559 Vielmehr sollten bestimmte organisierte Gruppen aus eigenem Interesse zu einer gemeinwohlverträglichen Eigendynamik bewogen werden, der Begriff „Governance“ sei insofern als Prozess der Interaktion und Kommunikation zu verstehen.560 In diesen Konstellationen komme dem Staat weniger eine Kontrollfunktion als vielmehr die Rolle der Organisati­ onsleitung zu, wobei die Steuerung bei den Unternehmen intern liege.561 Im Zusammenhang mit Maßnahmen von Unternehmensseite wird immer stärker auch auf den Begriff „Compliance“ abgestellt. Dieser leitet sich vom englischen Verb „to comply with“ ab, welches übersetzt „befolgen“ oder „einhalten“ bedeutet, als Synonym für die Einhaltung von Vorgaben inner­ halb eines Unternehmens gebraucht wird562 und somit zunächst nicht mehr bedeutet als die „Selbstverständlichkeit der Pflicht zur Normbefolgung“.563 zu Vor- und Nachteilen dieses Modells: „Der Versicherer übernimmt aus eigenem wirtschaftlichen Interesse Kontrollfunktionen, denen sich der Versicherte aufgrund bestehender Versicherungspflicht nicht entziehen kann. Das Zivilrecht kann […] ebenso wie das Strafrecht durch die Verteilung von Schadensrisiken die Vor- und Nachteilhaftigkeit bestimmter Verhaltensweisen bestimmen und steuern […]. Da für das Unternehmen potentiell Kosten entstehen, besteht ein Anreiz, bereits unterneh­ mensintern die Organisation auf Vermeidung dieser Kosten auszurichten. […] Durch eine Versicherungspflicht kann also erreicht werden, daß intern der Versicherer darauf drängt, besonders gefahrenträchtige Anlagen zu entschärfen, Kontrollen in bezug auf die Produktionssicherheit oder öffentlichrechtlich vorgegebene Standards vorzuneh­ men, da ansonsten der Versicherungsschutz nicht gewährt wird oder die Kosten des Unternehmens für den Versicherungsschutz steigen“. 559  Hoffmann-Riehm, in: Governance Forschung, S. 195, 201, 216: Durch eine horizontale Steuerung könnten vielfach bessere Ergebnisse erzielt werden. 560  Schuppert, in: Governance Forschung, S. 371, 437. 561  Hefendehl, ZStW 119 (2007), 816, 823 f. 562  Vgl. dazu und zur historischen Herleitung von Compliance-Programmen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 40 ff. m. w. N. Es be­ stehe jedoch bislang keine einheitliche Definition des Begriffs „Compliance“. Engelhart verweist in diesem Zusammenhang auch auf unterschiedliche Begriffe, etwa „Value Management“, „Risk Management“ oder „Internes Kontrollsystem“, die teil­ weise zwar inhaltliche Abweichungen kennzeichnen, jedoch im Grunde unter den Oberbegriff Compliance zu fassen sind, S. 42 f. Vgl. dazu auch Bock, Criminal Com­ pliance, S. 19 ff.; ders., ZIS 2/2009, 68; Kort, NZG 2008, 81 ff.; Uwe Schneider, ZIP 2003, 645 ff. 563  Rotsch, ZIS 10/2010, 614. Auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 43, definiert Compliance als „die Einhaltung der für ein Unter­



B. Das Recht der Gefahrenabwehr

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Die Einhaltung rechtlicher Vorgaben innerhalb eines Unternehmens ist auf­ grund der Vielzahl von Normadressaten aber stets schwierig, weshalb der „Zustand Compliance“ nicht ohne weiteres gegeben ist. In diesem Kontext wird Compliance häufig auch als Synonym für umfangreiche Maßnahmen gebraucht, welche ein Unternehmen gegenüber seinen Mitarbeitern ergreifen kann, um Normverstöße zu vermeiden.564 Compliance soll demnach zwi­ schen dem Feld der Selbstregulierung und dem staatlicher Regularien ange­ siedelt sein.565 Bisher ist in Deutschland de lege lata kein umfassendes Compliance-Programm geschaffen worden, vielmehr bestehen nur einzelne Organisationspflichten bzw. Verhaltenskodizes in unterschiedlichen Rechts­ gebieten – insbesondere aufgrund europarechtlicher Vorgaben.566 So verstanden fügt sich Compliance als Teilbereich in das weite Feld des sog. „Corporate Governance“ ein, bei dem es sich in Anlehnung an den deut­ schen Corporate Governance Kodex um einen rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens handelt, welcher auch unter dem Aspekt der „Unternehmensverfassung“ dis­ kutiert wird.567 Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) ist zwar staatlich gebilligt und etwa in § 161 AktG auch legislativ verankert, doch wird der Charakter der Vorschriften nicht klar, insbesondere werden hierdurch keine unmittelbar verbindlichen Regelungen aufgestellt. Dennoch wirkt er sich durch seine gesetzlichen Verankerungen mittelbar rechtlich aus, nehmen und seine Mitarbeiter geltenden rechtlichen Bestimmungen“, was zunächst einmal eine Selbstverständlichkeit wiedergebe, da die Rechtsordnung die Einhaltung rechtlicher Vorgaben von juristischen ebenso wie von natürlichen Personen verlange. 564  Bock, ZIS 2/2009, 68; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­ pliance, S. 44 m. w. N. in Fn. 53. 565  Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 600. 566  Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 513 f., der das Problem darin sieht, dass diese Normen kaum einen Bezug zueinander hätten und sich in Teilen sogar überschnitten. Vgl. auch Puschke/Singelnstein, NK 2015, 339, 342, die Compliance als „soft law“ bezeichnen. Einen Überblick über die Normen geben etwa Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 499 ff.; Schaefer/Baumann, NJW 2011, 3601 ff.; Uwe Schneider, ZIP 2003, 645, 648 ff. Für eine stärkere Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen plädieren etwa Beulke/ Moosmayer, CCZ 2014, 146, 147, 151 ff., wonach die international bereits laufende Anerkennung von „Anreizsystemen“ auch in Deutschland gesetzlich verankert wer­ den solle. Jedoch möchten sie dies i. R.d. §§ 30, 130 OWiG vollziehen, etwa anhand eines gesetzlichen Milderungsgrundes. Ebenso sieht bereits jetzt Bock, ZIS 2/2009, 68, 70 ff., § 130 OWiG als „zentrale strafrechtliche Compliance-Norm“. 567  Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 45 m. w. N. in Fn. 60; Kirschbaum/Wittmann, JuS 2005, 1062 ff.; Rotsch, ZIS 10/2010, 614. Vgl. dazu auch H.Eidam/Eidam, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 5 Rn. 100 ff.; Uwe Schneider, ZIP 2003, 645, 647: „Compliance ist aus vielen Gründen Bestandteil guter Corporate Governance. Sie ist zentrale Aufgabe der Unternehmensleitung“.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

was ihn wohl von Empfehlungen innerhalb der Privatwirtschaft unterschei­ det.568 Engelhart bezeichnet den DCGK insofern als Rechtsform sui generis, welche im Zwischenbereich von verbindlicher Gesetzesnorm und unverbind­ licher privater Regelung angesiedelt sei. Auf dieser Linie liegen auch tätigkeitsbezogene – häufig freiwillige – Ak­ tivitäten des Unternehmens im Hinblick auf seine gesellschaftliche Verant­ wortung, welche unter den Sammelbegriffen „Corporate Social Responsibi­ lity“ oder „Corporate Citizenship“ thematisiert werden und sowohl auf rechtliche Verpflichtungen als auch moralische Vorstellungen zurückzuführen sind.569 Im Rahmen des hier interessierenden Feldes spielt vor allem der Begriff „Criminal Compliance“ eine Rolle,570 bei dem es konkret um die Vermei­ dung strafrechtlicher Verantwortlichkeiten innerhalb des Unternehmens geht, was sowohl für die Führungsspitze als auch die Mitarbeiter gilt.571 Hierin begründet ist jedoch die besondere Schwierigkeit der Antizipation strafrecht­ licher Verantwortlichkeiten, welche nie sicher vorhergesehen werden können. Insofern stehe der Begriff „Criminal Compliance“ in engem Zusammenhang mit der Entwicklung „weg vom traditionellen Strafrecht als Instrument der Reaktion hin zu einem Steuerungsmittel zur Prävention strafrechtlicher Ver­ antwortung“ und biete einen Beweis dafür, dass es kein einheitliches homo­ genes Strafrecht gebe, welches sämtliche Probleme der modernen Gesell­ schaft lösen könne. Im Rahmen der Criminal Compliance gehe es insofern um die Frage nach einer „besseren Regulierung der Selbstregulierung […] durch Druck“.572 568  Auch zum Folgenden Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­ pliance, S. 67 m. w. N. in Fn. 72. Zum Streit um die Bedeutung des DCGK vgl. H. Eidam/Eidam, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 5 Rn. 117. 569  H. Eidam/Eidam, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 5 Rn. 100. Vgl. dazu auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 49 f. m. w. N. Als Beispiele nennt er etwa „arbeitsrechtliche Standards“, „die Berücksichti­ gung von Menschenrechten“ und „Umweltstandards“ sowie einen verantwortungsvol­ len „Umgang des Unternehmens mit Anteilseignern, Lieferanten, Kunden und der Öffentlichkeit“. Auf einer ähnlichen Linie liegt auch die sog. „Unternehmensethik“, die in unterschiedlichen Ausprägungen auf eine Unternehmensführung nicht allein nach monetären, sondern auch ethischen Gesichtspunkten abzielt, S. 51 f. 570  Vgl. dazu etwa ausführlich Rotsch, in: Rotsch, Criminal Compliance, Hand­ buch, §§ 1, 2; ders., in: Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil I Kap. 4. 571  Vgl. dazu und zum Folgenden Rotsch, ZIS 10/2010, 614 ff. sowie ausführlich Bock, Criminal Compliance. 572  Kölbel, ZStW 125 (2013), 499, 535, der sich insofern aber auch für eine „strin­ gentere Institutionalisierung der responsiven Regulierungslogik“ ausspricht. Vgl. in dieser Hinsicht auch die Diskussion um sog. Unternehmensorganisationspflichten, die



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Festzuhalten bleibt jedoch, dass auch im Rahmen von Criminal Compli­ ance das Unternehmen nicht zum Adressaten strafrechtlich relevanter Verhal­ tensnormen gemacht werden kann. Im Kern geht es vielmehr um die Verhin­ derung von Straftaten in jedem einzelnen unternehmerischen Vorgang.573 In­ sofern kann Compliance-Maßnahmen gerade in Bezug auf die interne Gefah­ renabwehr eine bedeutende Rolle zukommen. Hier muss und kann jedoch allein die Unternehmensführung selbst entscheiden, ob innerhalb des Unter­ nehmens Compliance-Strukturen geschaffen werden und so einer individuel­ len Strafbarkeit von Unternehmensangehörigen und einer möglicherweise damit verbundenen Gefahrenverursachung entgegengewirkt wird – von staat­ licher Seite können hierfür lediglich Anreize gesetzt werden. Dies kann auch unter ökonomischen Gesichtspunkten interessant sein, etwa in Bezug auf das öffentliche Ansehen gegenüber Auftraggebern, Rating-Agenturen und poten­ tiellen Kunden oder andernfalls entstehender Kosten.574 Tatsächlich verfügten laut Kubiciel im Jahre 2013 in Deutschland bereits 74 % aller Unternehmen über entsprechende Compliance-Programme:575 Hierdurch relativiere sich etwa die Frage nach spezialpräventiver Zielsetzung innerhalb des Unternehmens. Darüber hinaus wird diskutiert, ob ComplianceBeauftragte eine Garantenfunktion dafür haben, dass aus dem Unternehmen teils zivilrechtlich, teils öffentlich-rechtlich determiniert sein sollen. Unternehmens­ haftungsrecht sei mehr denn je auch auf das Unternehmensorganisationsrecht bezogen (beispielsweise im Umweltrecht, Produktsicherheitsrecht, Datenschutzrecht, Versiche­ rungs-, Kredit- und Wertpapieraufsichtsrecht) – ausführlich dazu Spindler, Unterneh­ mensorganisationspflichten. Insofern habe sich das Wechselspiel von privater Norm­ setzung und staatlicher Zielvorgabe mehr und mehr etabliert, Kotzur, in: Unterneh­ mensstrafrecht, S. 379, 380 f. (mit Beispielen) – Nicht zuletzt aufgrund der Flexibilität könne daher das wirtschaftsverwaltungsrechtliche Sanktionsregime einem Modell der Strafbewehrung überlegen sein. Kritik am „Aufstieg teilprivatisierter Sozialkontrolle“ im Hinblick auf das Wirtschaftsstrafrecht kommt etwa von Puschke/Singelnstein, NK 2015, 339 ff., 342, 344, wonach zu erwarten sei, dass durch die „Delegation sozialer Kontrolle an das Unternehmen die mit diesen Konzepten verbundenen Vorteile durch unternehmenseigene Interessen und Maßnahmen, die mit strafrechtlichen Zielen und Wirkweisen nicht kompatibel sind, überlagert werden“. Eine „Stärkung der wirt­ schaftsstrafrechtlichen Normgeltung sowie verbesserte Durchsetzung“ könne durch etwaige Programme „allenfalls selektiv erreicht werden“. 573  Beispiele solcher Strukturen finden sich etwa bei Bock, ZIS 2/2009, 77 ff. 574  Schaefer/Baumann, NJW 2011, 3601, 3605. Den Reputationsaspekt spricht auch Bock, ZIS 2/2009, 68, 69, an. 575  Kubiciel, ZRP 2014, 133, 135. Vgl. dazu auch Poepping, in: Das Unterneh­ mensstrafrecht und seine Alternativen, S. 333, 352 m. w. N. in Fn. 95–97, wonach unter Verweis auf eine Studie von PwC in Zusammenarbeit mit der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg mittlerweile ca. 75 % der befragten Unternehmen auf systematische Kontrollen und Kriminalitätsprävention setzten (im Gegensatz zu 52 % in der Studie von 2011 und 44 % in der Studie von 2009).

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

heraus keine Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen werden.576 In­ sofern kommt dem Themenfeld „Compliance“ in bestimmten Bereichen  – etwa in Bezug auf die Gefahrenabwehr von Unternehmensseite her – eine bedeutende Rolle zu und es wird in Zukunft sicherlich noch an Bedeutung gewinnen.577 Auf die hierfür erforderlichen Vorgänge können staatliche Maß­ nahmen gegenüber Unternehmen jedoch nicht unmittelbar einwirken; sie können allenfalls einen Anreiz bieten, um von Unternehmensseite her refor­ mierende Maßnahmen zu ergreifen.578 c) Unterbindung und Beschränkung der Unternehmenstätigkeit zum Zweck der Sicherung Es hat sich gezeigt, dass Maßnahmen, die primär579 der Besserung dienen, nicht als Maßnahmen der staatlichen Gefahrenabwehr zu legitimieren sind. Hierfür muss die durch die Maßnahme bezweckte Sicherung entscheidend sein. Eine Verbesserung der Unternehmensstruktur kann dann einen (durch­ aus erwünschten) Nebeneffekt darstellen, etwa wenn sich die Beurteilung der Gefahrensituation daran orientiert und Auswirkungen auf die Anordnung bzw. Dauer der sichernden Maßnahme hat  – dann kann die Sicherungsmaß­ nahme durchaus auch einen Anreiz bieten, um mehr interne Maßnahmen zur Besserung (z. B. Compliance-Programme) zu ergreifen.580 Insofern sind nur solche gefahrenabwehrenden Maßnahmen von staatlicher Seite denkbar, die tatsächlich sichernd wirken, indem sie auf die Betätigung des Unternehmens in der Außenwelt  – d. h. überall dort, wo Rechtsgüter Dritter betroffen sind – Einfluss nehmen. Auch für diese Fälle gibt es bereits eine Vielzahl von Regelungen de lege lata sowie Vorschläge de lege ferenda.

576  Dazu

noch unten (Sechster Teil B. m. w. N. in Fn. 770). dazu auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Keul, Nicole Maisch, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drs. 18/2056), BT-Drs. 18/2187, S. 3, wonach Compliance-Systeme „aus Sicht der Bundesregierung ein wichtiges Mit­ tel der eigenverantwortlichen Prävention und Aufklärung von unternehmensbezoge­ nen Rechtsverstößen“ sind. 578  Vgl. dazu noch unten [Fünfter Teil B. III. 2. a)]. 579  Hiermit gemeint ist, dass die erörterten bessernden Maßnahmen einen zu schwachen bzw. ungeeigneten Schutzeffekt haben; im Übrigen ist eine zwangsweise Besserung ohnehin nicht legitimierbar. 580  Dazu noch unten [Fünfter Teil B. III. 2. a)]. 577  Vgl.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr151

aa) Dauerhafte oder temporäre Tätigkeitsverbote und -beschränkungen (1) Auflösung Die Möglichkeit der Auflösung ist in zahlreichen Vorschriften normiert. So kann nach § 62 GmbHG die Gesellschaft aufgelöst werden, wenn sie das Gemeinwohl dadurch gefährdet, dass die Gesellschafter gesetzwidrige Be­ schlüsse fassen oder gesetzwidrige Handlungen der Geschäftsführer wissent­ lich geschehen lassen. Auch § 396 AktG stellt auf eine Gemeinwohlgefähr­ dung ab. Hiernach kann eine Aktiengesellschaft oder eine Kommanditgesell­ schaft auf Aktien auf Antrag der zuständigen obersten Landesbehörde des Landes, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, durch Urteil aufgelöst werden, wenn durch gesetzwidriges Verhalten ihrer Verwaltungsträger das Gemein­ wohl gefährdet ist und der Aufsichtsrat und die Hauptversammlung nicht für eine Abberufung der Verwaltungsträger sorgen. Eine ähnliche Regelung fin­ det sich auch in § 81 GenG in Bezug auf Genossenschaften. Einem Verein kann gem. §§ 43, 44 BGB die Rechtsfähigkeit entzogen werden. Darüber hinaus kann gem. §§ 3, 17 VereinsG die Auflösung von Vereinen oder Wirt­ schaftsvereinigungen angeordnet werden, wenn durch Verfügung der Ver­ botsbehörde festgestellt ist, dass deren Zwecke oder Tätigkeiten den Strafge­ setzen zuwiderlaufen oder dass sie sich gegen die verfassungsmäßige Ord­ nung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten.581 Außerdem fin­ det sich eine Regelung im Kreditwesengesetz: Nach § 38 Abs. 1 KWG kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht bei juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften bestimmen, dass das Institut abzuwickeln ist, wenn die Aufsichtsbehörde die Erlaubnis aufhebt oder diese erlischt. Dies wirkt wie ein Auflösungsbeschluss.582 Darüber hinaus kann das BVerfG gem. Art. 18 GG i. V. m. §§ 39 Abs. 2, 13 Nr. 1 BVerfGG die Auflösung einer ju­ ristischen Person anordnen, wenn diese ihre Grundrechte gegen die freiheit­ liche demokratische Grundordnung missbraucht. Anders als bei einer Gewerbe- oder Betriebsuntersagung583 besteht die Gesellschaft nach der Auflösung nicht fort. Dennoch kann etwa eine Gewer­ beuntersagung die Zweckerreichung der Gesellschaft unmöglich machen und somit einen Auflösungsgrund nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 61 GmbHG darstellen. Entsprechendes gilt für Maßnahmen gem. §§ 20, 25 BImSchG oder § 51 GewO.584

dazu etwa Limpert, in: MünchKommGmbHG, § 62 Rn. 9 ff. ebenfalls Limpert, in: MünchKommGmbHG, § 62 Rn. 12 ff. 583  Dazu noch unten [Fünfter Teil B. II. 3. c) aa) (2)]. 584  Limpert, in: MünchKommGmbHG, § 62 Rn. 14. 581  Vgl.

582  Dazu

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

Die Vorschriften zur Auflösung dienen der Vermeidung weiterer Verstöße, sie sind demnach präventiv ausgerichtet.585 Besonders deutlich wird dies an den Formulierungen über die Gefährdung des Gemeinwohls. Zwar stellt die Auflösung sicherlich das härteste Mittel dar, welches es zur Gefahrenabwehr zu ergreifen gilt, doch ist es immer dann verhältnismäßig, wenn andernfalls eine erhebliche Gefahr für Rechtsgüter Dritter besteht, die mit anderen Mit­ teln nicht abgewendet werden kann. Es handelt sich dann um eine klassische Maßnahme der Gefahrenabwehr.586 Häufig wird zu den genannten Vorschriften angemerkt, sie hätten keine praktische Bedeutung, da ihre Folgen „in sozialer, arbeitsrechtlicher oder wirtschaftspolitischer Beziehung kaum überschaubar“ seien.587 Zudem seien die Tatbestandsvoraussetzungen so eng gefasst, dass diese selten alle vorlä­ gen.588 Deswegen wird vorgeschlagen, eine Auflösungsvorschrift in ein Maß­ nahmensystem gegenüber juristischen Personen zu integrieren, etwa in Form einer Weisung.589 Dagegen wird jedoch eingewendet, dass auch eine solche Vorschrift kaum absehbare Folgen für die Arbeitnehmer mit sich bringe, in der Praxis daher ebenso wenig angewendet werden würde und sie somit auch keine Präventionswirkung entfalte. Da dem Unternehmen überdies die Mög­ lichkeit genommen werde, sich selbst zu reorganisieren, stelle die Auflösung als Maßnahme gegenüber juristischen Personen demnach einen zu erhebli­ chen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG dar.590 Hinsichtlich der Präventionswirkung ist jedoch klar zu sagen: Im Rahmen von Maßnahmen, die der Gefahrenabwehr dienen, bezieht sich die Präventi­ onswirkung allein auf den Rechtsgüterschutz in der Zukunft. Diese sichernde 585  Statt vieler Limpert, in: MünchKommGmbHG, § 62 Rn. 2 („Gefahrenabwehr im öffentlichen Interesse“), 4; Schürnbrand, in: MünchKommAktG, § 396 Rn. 1 („Rechtssystematisch […] dem Recht der Gefahrenabwehr zuzuordnen. Es geht […] nicht um die Sanktion rechtswidrigen Verhaltens in der Vergangenheit, sondern um die Gewährleistung eines rechtmäßigen Zustands für die Zukunft“). 586  Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 447; a. A. Rotberg, FS 100 Jahre DJT, S. 193, 209 f. („Antwort des Staates auf ein unerträgliches Verbandsverbrechen“). 587  Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 128; i. d. S. auch Ehrhardt, Unternehmensde­ linquenz und Unternehmensstrafe, S. 168; Jescheck, SchwZStr 70 (1955), 243, 251; Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 28, 98: Solche Maßnahmen seien daher i. d. R. unverhältnismäßig; Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 447. S. auch bereits Hartung, in: 40. DJT, Band  II, S. E48; Jescheck, SchwZStr 70 (1955), 243, 251. Vgl. vertiefend auch Limpert, in: MünchKommGmbHG, § 62 Rn. 4 ff. 588  Dazu etwa Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 427; Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 128. 589  Dannecker, GA 2001, 101, 127. Vgl. zur Unterscheidung von Auflagen und Weisungen bereits die Nachweise oben (Fn. 540). 590  Auch zum Vorangegangenen Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umwelt­ strafrecht, S. 156 f.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr153

Funktion ist zentrales Legitimationskriterium. Hingegen geht es nicht um eine präventive Wirkung auf das Unternehmen selbst oder andere Unterneh­ men in Form von „Besserung“ oder „Abschreckung“; diese Aspekte können immer einen Nebeneffekt darstellen, sind aber für die Legitimierbarkeit ohne Bedeutung. Wird ein Unternehmen mit Gefahrenpotential aufgelöst, sodass es nicht mehr am Markt teilnehmen kann, ist dies der umfassendste Schutz nach außen.591 Dem Unternehmen wird so die Möglichkeit genommen, auf Rechtsgüter und Interessen Dritter einzuwirken. Wenn von einem Unterneh­ men eine erhebliche Gefahr ausgeht, kann man im Sinne des Rechtsgüter­ schutzes der Bürger nicht abwarten, bis sich das Unternehmen selbst reorga­ nisiert hat  – abgesehen davon ist es ohnehin nicht Aufgabe des Staates, das Unternehmen so umzustrukturieren, dass es legal tätig sein kann. Vielmehr kann es von staatlicher Seite aus geboten sein, sofort schützend einzugreifen, auch wenn das die Auflösung bedeutet. In diesen Fällen ist die Auflösung das beste Mittel, um etwa gegen „mafiöse Strukturen“ vorzugehen.592 In diesem Zusammenhang wird jedoch kritisiert, dass die Möglichkeit be­ steht, das Unternehmen auf andere Art fortzuführen.593 Diese Gefahr bleibt in der Tat und muss im Hinblick auf die Berufsfreiheit auch grundsätzlich hingenommen werden. Ihr könnte jedoch im Einzelfall entgegengewirkt wer­ den, etwa indem gegenüber einzelnen natürlichen Personen individualstraf­ rechtlich vorgegangen wird bzw. im Wege eines gegen sie angeordneten Be­ rufsverbots gem. § 70 StGB. Darüber hinaus schlägt Rudolf Schmitt unter­ stützende „sichernde Nebenmaßregeln“ vor, etwa die Veröffentlichung der Auflösung sowie die Einziehung des Verbandsvermögens.594 Dennoch sind auch die Folgen zu bedenken, welche eine Auflösung für das Unternehmen mit sich bringt. Nicht zu Unrecht wird in diesem Kontext der Vergleich zur Todesstrafe gezogen.595 Wie oben bereits erwähnt, kann die 591  Zutreffend etwa Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 167: „Die Präventivwirkung der Auflösung ist rein objektiv und zudem radikal, denn im Bereich eines aufgelösten Verbandes kann es keine Kriminalität mehr ge­ ben“. 592  Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 209. I. d. S. auch Jescheck, in: Große Strafrechtskommission, S. 299 („Verband, der ausgesprochen kriminelle Zwe­ cke verfolgt“). 593  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 156 f. 594  Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 168. Eine sol­ che Einziehung ist beispielsweise bei der Auflösung von Parteien bereits gesetzlich normiert, § 46 Abs. 3 S. 2 BVerfGG. 595  Engisch, in: 40. DJT, Band II, S. E13; Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnah­ men gegen Verbände, S. 167; Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 30, 38. Vgl. auch v. Savigny, System  II, S. 311, wonach die Todesstrafe bei juristischen Personen in deren „Vernichtung“ liege und insofern keine Schwierigkeiten bereite. Gegen den Vergleich spricht sich etwa Ransiek, Unternehmen, S. 344, aus.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

Auflösung daher immer nur ultima ratio sein, was bereits im Rahmen der Frage nach der Erforderlichkeit einer Maßnahme von Bedeutung ist. Stellt sich hierbei heraus, dass keine andere Maßnahme der Gefahrenabwehr ebenso effektiv die betroffenen Rechtsgüter schützen kann, etwa weil die vom Unternehmen ausgehende Gefahr auf keine andere Weise einzudämmen ist, muss eine Auflösung in Betracht gezogen werden, um von staatlicher Seite die Rechtsgüter und Interessen Dritter zu schützen. Fraglich ist, in welchen Fällen eine Auflösung tatsächlich anzuordnen ist. Im Rahmen der Diskussion um eine Ausweitung der Auflösungsvorschriften beispielsweise in einem Maßregelmodell wird unter anderem darauf abge­ stellt, dass es darauf ankommt, ob das Unternehmen auf eine fortgesetzte Begehung von Straftaten gerichtet ist.596 Anhaltspunkte hierfür könnten wie­ derholt vom Unternehmen begangene Delikte sein oder ein Delikt mit beson­ derer Gefährlichkeit.597 Engelhart möchte sogar so weit gehen, dass die Auflösung nur bei einer kriminellen Betätigung des Unternehmens zum Tra­ gen kommen soll.598 Gerade dies stellt jedoch ein zweifelhaftes Kriterium dar, welches leicht im Sinne einer Sanktionierung missverstanden werden kann. Da – wie oben (Dritter Teil B. I. 1.) bereits ausführlich behandelt – von Unternehmen keine Straftaten begangen werden (sie also auch nicht deliktisch handeln können), kann auch nicht auf die verwirklichten Delikte, d. h. die fortgesetzte Bege­ hung von Straftaten, abgestellt werden. Inhaltlich geht es allein um eine vom Unternehmen ausgehende zukünftige Gefährlichkeit, mithin das Gefahrenpo­ tential. Für dieses Gefahrenpotential kann es sicherlich diverse Indizien ge­ ben, etwa auch Individualstraftaten, die aus der Unternehmenssphäre heraus begangen wurden.599 Dennoch geht es nicht um Straftaten des Unternehmens. Zutreffend betont insofern Limpert im Zusammenhang mit § 62 GmbHG, dass es allein darum gehen kann, im Einzelfall zu prüfen, ob ein Einschreiten 596  v. Bubnoff, ZEuS 2004, 447, 474; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Un­ ternehmensstrafe, S. 253; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compli­ ance, S. 696 – jedoch im Hinblick auf eine repressiv auszugestaltende Sanktion. 597  Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 167 f. („Be­ lange der Allgemeinheit in hohem Maße gefährdet und außerdem das Delikt, an das die Maßnahme anknüpft, von besonderer Schwere“); Seiler, Personenverbände, S. 161 f. Vgl. auch Jescheck, DÖV 1953, 539, 542 („schwerste Verstöße […] gegen das Gemeinwohl“), 544; ders., SchwZStr 70 (1955), 243, 264: Er stellt darauf ab, dass der „Verband in der Gemeinschaft keinen Wert darstellt“ und beruft sich auf „so manche Schwindelunternehmen im Nachkriegsdeutschland bis zur Währungsreform“. 598  Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 700, der in der Auflösung aber ohnehin eine Sanktion sieht und nicht eine Maßnahme der Gefah­ renabwehr. 599  Vgl. dazu noch unten [Fünfter Teil B. III. 2. a)].



B. Das Recht der Gefahrenabwehr155

unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips „schon jetzt“ erfor­ derlich ist, um den Eintritt eines Schadens wirksam zu verhindern oder ob gegebenenfalls ein Abwarten verlangt werden kann.600 Ergibt eine Prognose, dass ein solches Gefahrenpotential seitens des Un­ ternehmens vorliegt, ist es die Aufgabe des Staates, die Allgemeinheit sofort und so lange zu schützen, bis die Gefahr beseitigt oder auf ein Maß reduziert ist, das im Hinblick auf den Schutz der Rechtsgüter und Interessen Dritter zumutbar erscheint. Tritt dies nicht ein oder ist dies aufgrund der Eigenart des Unternehmens nicht zu erwarten, bleibt dem Staat nur die Auflösung als ultima ratio der Gefahrenabwehr. Sie ist dann ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel, um den Rechtsgüterschutzauftrag des Staates zu erfüllen. Die Möglichkeit der Auflösung ist bereits de lege lata legitimierbar; de lege ferenda sind weitere Regelungen denkbar. Ob diese jedoch tatsächlich einen Vorteil – insbesondere in Bezug auf ihre Umsetzung in der Praxis – gegenüber den bereits bestehenden Vorschriften bringen, bleibt fraglich. Aufgrund der immensen Wirkungen einer Auflösung ist und bleibt sie ultima ratio. Zu Recht müssen daher auch die Tatbestandsvoraussetzungen erhöhte Verhältnismäßigkeitsanforderungen widerspiegeln, da durch eine Auflösung erhebliche, teils unüberschaubare, Konsequenzen drohen. Dennoch liegt es bereits jetzt in der Hand der jeweils zuständigen Stelle, die bestehenden Vor­ schriften umzusetzen. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt und ist die Maßnahme im konkreten Einzelfall hinsichtlich der gefährdeten Rechtsgüter verhältnismäßig, sollte hiervon Gebrauch gemacht werden. (2) Gewerbe- und Betriebsuntersagung In vielen Fällen benötigt man für die Vornahme einer bestimmten Tätigkeit eine Erlaubnis, Genehmigung oder Konzession, die von der zuständigen Ver­ waltungsbehörde ausgestellt wird. Etwaige Pflichten werden beispielsweise in §§ 29 ff. GewO normiert. Hält sich der Betroffene nicht an die Vorgaben, können diese Verwaltungsakte zurückgenommen bzw. widerrufen werden (§§ 48, 49 VwVfG). Besteht die Möglichkeit der Rücknahme oder des Widerrufs nicht, kommt eine Gewerbe- oder Betriebsuntersagung seitens der zuständigen Behörde in Betracht. 600  So Limpert, in: MünchKommGmbHG, § 62 Rn. 31, hinsichtlich der Frage, ob auch eine drohende Gefährdung ausreicht. Vgl. dazu auch Schürnbrand, in: Münch­ KommAktG, § 396 Rn. 8 („erhebliche Nachteile für die rechtlich geschützten Interes­ sen der Allgemeinheit, […] deren Verwirklichung bei vernünftiger Prognose zumin­ dest droht“).

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

Die Gewerbeuntersagung ist etwa in §§ 35, 59 GewO normiert. Hiernach wird ein Gewerbe ganz oder teilweise untersagt, wenn der zuständigen Be­ hörde Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetrei­ benden oder einer mit dem Gewerbebetrieb beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe zeigen, sofern dies zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Unzuverlässig im gewerberechtli­ chen Sinne ist derjenige, der keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben wird; dies gilt unter anderem bei Straf­ taten und Ordnungswidrigkeiten.601 Die Regelung kann sowohl gegenüber natürlichen als auch gegenüber juristischen Personen relevant werden. Wird das Gewerbe von einer einzelnen natürlichen Person ausgeübt, so ist diese Adressat der Gewerbeuntersagung. Auch juristische Personen können jedoch Adressat einer solchen Untersagung sein; hier wird in der Regel auf die Zu­ verlässigkeit der vertretungsberechtigten Personen abgestellt. Die Gewerbe­ untersagung wird gem. § 149 Abs. 2 Nr. 1b GewO in das Gewerbezentralre­ gister eingetragen. Anders als bei der Gewerbeuntersagung kann auch (nur) ein bestimmter Betrieb untersagt werden. Im Gewerberecht besteht etwa für die zuständige Behörde die Möglichkeit, gem. § 51 GewO die Benutzung einer gewerbli­ chen Anlage wegen überwiegender Nachteile und Gefahren für das Gemein­ wohl zu jeder Zeit zu untersagen. Darüber hinaus kann der Betrieb einer genehmigungsbedürftigen Anlage gem. § 20 Abs. 3 BImSchG wegen Unzuverlässigkeit oder gem. §§ 20 Abs. 1, 25 Abs. 1 BImSchG wegen Nichterfüllung von Auflagen etc. untersagt wer­ den. Adressat der Verfügung ist stets der Anlagenbetreiber, dies kann sowohl eine natürliche als auch eine juristische Person sein.602 Im Falle der juristi­ schen Person als Adressat kann  – wie im Rahmen des § 35 GewO  – für die Feststellung der Unzuverlässigkeit jedoch nur auf natürliche Personen zu­ rückgegriffen werden. Teilweise wird angemerkt, dass solche Vorschriften zwar primär der Ge­ fahrenabwehr dienten, jedoch wegen ihrer weitreichenden Konsequenzen für den Betroffenen faktisch „eine gravierende Sanktion“ darstellten.603 Freilich ist dem zuzugeben, dass die Untersagung des Gewerbes oder eines Betriebs einen immensen Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt, jedoch muss man sich gerade die für die Legitimation maßgebliche genaue 601  Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO Kommentar, § 35 Rn. 29, 37 und bzgl. der Situation bei juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften Rn. 63 f. 602  Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Kommentar, § 20 BImSchG Rn. 69. 603  So in Bezug auf die umweltrechtlichen Vorschriften Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 445.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr

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Zielsetzung der Maßnahme vor Augen führen. Beispielsweise kann eine Maßregel der Besserung und Sicherung (etwa in Form der Sicherungsver­ wahrung) für den Betroffenen durchaus belastender wirken als eine Strafe; trotzdem stellt sie keine Sanktion dar, sondern ist als Maßnahme, die der Gefahrenabwehr dient, zu qualifizieren und dementsprechend zu legitimie­ ren, ohne dass ein gar nicht vorhandener Vorwurfscharakter relevant wird.604 Gleiches gilt für die oben angesprochenen Maßnahmen: § 35 GewO etwa soll eingreifen, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist; hingegen ist damit kein rechtli­ cher Tadel verbunden. Vergleichbar ist die Situation des § 35 GewO auf Verwaltungsebene mit der des gerichtlichen Berufsverbots bei natürlichen Personen gem. § 70 StGB.605 Die Untersagung des Gewerbes trägt allein der besonderen Gefährlichkeit des Gewerbebetriebs für Rechtsgüter Dritter Rechnung und ist allein im Hinblick darauf für die Zukunft am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen.606 Gleiches gilt für die Maßnahmen der Be­ triebsuntersagung. Sie stellen in ihrer Zielsetzung Maßnahmen der Gefahren­ abwehr dar und sind unter diesem Gesichtspunkt und vorbehaltlich der Ver­ hältnismäßigkeit des Eingriffs im Einzelfall zu legitimieren.607 Eine Vielzahl von Vorschlägen möchte die bestehenden Institute ausweiten bzw. durch richterlich anzuordnende Maßnahmen ersetzen. Genannt werden allgemein ein zeitlich begrenztes Tätigkeitsverbot (auch Suspension genannt)608 bzw. eine vorübergehende Betriebsschließung.609 Diese Maß­ 604  Zu den Legitimationsbedingungen von Maßregeln der Besserung und Siche­ rung bereits ausführlich oben (Fünfter Teil B. I). 605  Vgl. Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 444, 445, mit näheren Erläuterungen zum Verhältnis der beiden Regelungen nebeneinander. 606  Sicherlich sind an die Verhältnismäßigkeit besonders hohe Anforderungen zu stellen, da unter Umständen die finanzielle Lebensgrundlage von Menschen entzogen wird und die Gefahrenprognose häufig schwer zu stellen ist, i. S. einer ultima ratioLösung daher Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 445. 607  I. d. S. auch Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 27: „Diese Maß­ nahmen dienen […] ausschließlich der Gefahrenabwehr und haben keinen repressiven Charakter“. 608  Vgl. bereits Hafter, Personenverbände, S. 149 ff.: „Die Suspension ist eine zeit­ lich beschränkte Hinderung der körperlichen Lebenstätigkeit“. 609  Die Schließung einzelner Zweige des Betriebs, aus denen heraus eine strafbare Handlung begangen wurde, hält etwa v. Bubnoff, ZEuS 2004, 447, 473, für möglich; ebenso Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 302, 315; vgl. auch Dannecker, GA 2001, 101, 125, der dies jedoch als repressive Sanktion ansieht. In Deutschland war die Betriebsschließung bereits als Maßnahme vorgesehen, näm­ lich in §§ 34–38 WiStG. Jedoch wurde sie 1954 wegen schwerwiegender sozialer Bedenken aufgegeben, vgl. Jescheck, SchwZStr 70 (1955), 243, 265; dazu auch Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 158.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

nahme sei vergleichbar mit einer Freiheitsstrafe im Individualstrafrecht, denn auch hier werde der Betroffene „aus dem Verkehr gezogen“ und müsse sich sein Leben nach seiner Entlassung aus der Vollzugsanstalt zumindest teil­ weise wieder neu aufbauen.610 Daher wird ähnliche Kritik laut wie bei der Auflösung, nämlich die mittelbare Wirkung auf Dritte, insbesondere Arbeit­ nehmer und Zulieferer.611 Auch eine nur auf eine kurze Zeit beschränkte Schließung könne insofern das Unternehmen bereits wirtschaftlich so for­ dern, dass eine Wiederaufnahme des Betriebs im Anschluss an die Maßnahme nur unter Schwierigkeiten möglich ist.612 Gerade für kleinere Betriebe komme daher auch die (nur) vorübergehende Betriebsschließung einer „verkappte[n] Auflösung“ gleich.613 Darüber hinaus gehe von einer vorüber­ gehenden Betriebsschließung bzw. einem entsprechenden Tätigkeitsverbot keine ausreichende spezialpräventive Wirkung aus, da das Unternehmen nach Ablauf der Zeit in der Regel auf seine „ ‚bewährten‘ Praktiken zurückgrei­ fen“ werde, „um schneller die alte Position zurückzuerlangen“.614 Auch hier ist jedoch zu unterstreichen: Wie bei allen Maßnahmen der Ge­ fahrenabwehr kommt es für die Legitimation der Anordnung einer (vorüber­ gehenden) Betriebsschließung oder Gewerbeuntersagung nicht darauf an, welche Wirkungen auf das Unternehmen in spezialpräventiver Hinsicht aus­ gehen können. Allein entscheidend ist, ob es im Sinne des Rechtsgüter­ schutzauftrages des Staates geboten ist, eine solche Maßnahme einzuführen. Dabei sind spezialpräventive Effekte zwar nicht unerwünscht: Etwa ist es möglich, das Ende der Maßnahme daran zu knüpfen, ob Maßnahmen inner­ 610  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 158. I. d. S. auch Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 398. 611  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 159: Bei größe­ ren Betrieben sei unter Umständen der wirtschaftliche Zusammenbruch einer ganzen Region denkbar, wenn die Bewohner überwiegend in dem Betrieb beschäftigt waren, der stillgelegt werden soll. 612  Insbesondere müssten neue Arbeitnehmer eingestellt und ein neuer Kunden­ stamm aufgebaut werden, so Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen gegen Unterneh­ men, S. 159. 613  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen gegen Unternehmen, S. 159, die daher die Betriebsschließung nicht mehr nur mit der Freiheitsstrafe bei natürlichen Perso­ nen vergleichen möchte, sondern eher mit einer „Todesstrafe auf Raten“; Seiler, Per­ sonenverbände, S. 152, hält daher die direkte Auflösung für gerechter; ebenso Jescheck, in: Große Strafrechtskommission, S. 299, der sich entgegen seiner früheren Auffassung gegen die Maßnahme der Betriebsschließung ausspricht. Auch im Hin­ blick auf ein zeitlich beschränktes Tätigkeitsverbot wird angemerkt, dass in der Regel kein Unternehmen dazu in der Lage sei, eine solche Maßnahme zu überstehen, wenn diese nicht nur sehr kurzfristig ist – faktisch komme daher auch diese Maßnahme einer Auflösung gleich, Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 168 f. („Auflösung in Etappen“). 614  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen gegen Unternehmen, S. 159 f.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr159

halb des Unternehmens getroffen wurden, um eine zukünftige Gefährlichkeit zu minimieren. Dies kann einen Anhaltspunkt dafür geben, ob es in Zukunft weiterer sichernder Maßnahmen bedarf  – ein Anreiz für interne Reformen wäre hiermit gesetzt.615 Dies ist jedoch nicht der Legitimationsgrund dieser Maßnahme, sondern kann nur einen Nebeneffekt darstellen. Insofern sind die genannten Maßnahmen durchaus legitimierbar; fraglich ist lediglich, ob die Normierung weiterer ähnlicher Tatbestände de lege fe­ renda auch zweckmäßig ist. Jedenfalls käme etwaigen Regelungen nur in Sonderfällen neben der Maßnahme der Auflösung eine sinnvolle Bedeutung zu, etwa wenn absehbar ist, dass die Gefahr nach einer bestimmten Zeit be­ seitigt werden kann und hiervon sicher auszugehen ist. (3) Andere Tätigkeitsbeschränkungen Eine Vielzahl von Stimmen in der Literatur spricht sich wegen der einer Auflösung ähnlichen Wirkung von bestimmten Tätigkeitsverboten für Tätig­ keitseinschränkungen aus, die es dem Unternehmen zwar ermöglichen, wei­ terhin tätig zu sein, jedoch nicht in dem gleichen Umfang wie zuvor:616 Durch den Begriff der Tätigkeitseinschränkung soll klargestellt werden, „daß es sich nicht um ein Verbot der gesamten Tätigkeit eines Verbandes handelt, denn das würde ja wieder eine Lahmlegung und mittelbar eine Auf­ lösung des Verbandes bedeuten“; vielmehr dürfe sich die Maßnahme nur auf einzelne Tätigkeiten erstrecken.617 Dabei müsse die Fortführung der bean­ standeten Tätigkeit „objektiv unmöglich gemacht oder doch wesentlich er­ schwert werden“.618 (a) Entzug von Konzessionen, Betriebserlaubnissen und Lizenzen Oben bereits angesprochen wurde die Möglichkeit, Genehmigungen oder Konzessionen, die von einer Verwaltungsbehörde ausgestellt wurden, im Rahmen der §§ 48, 49 VwVfG zurückzunehmen bzw. zu widerrufen. Eine Ausweitung dieses Instituts wird auch im Wege gerichtlicher Durchsetzung diskutiert. Insbesondere geht es um den Entzug von Konzessionen, Betriebs­ 615  Dazu

noch unten [Fünfter Teil B. III. 2. a)]. etwa Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 170 f.; Seiler, Perso­ nenverbände, S. 153 f.; s. auch Rotberg, FS 100 Jahre DJT, S. 193, 210, der etwaige Maßnahmen jedoch „in erster Linie“ als Strafe bezeichnet, da sie eine „repressive Reaktion auf verwerflichen Mißbrauch“ darstellten. 617  Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 170. 618  Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 170. 616  Vgl.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

erlaubnissen oder Lizenzen.619 Dies ist legitimierbar, wenn sich nachträglich die Umstände ändern, welche die Erteilung zuvor begründet haben. Nicht ohne Grund wird hier jedoch ein möglicher Konflikt mit der Verwaltung gesehen,620 die dies im Wege von Widerrufs- bzw. Rücknahmeverfahren re­ geln kann. Da Konzessionen und Betriebserlaubnisse Verwaltungsakte, mit­ hin ein zentrales Instrument des Verwaltungsrechts, darstellen, sollten diese Maßnahmen auch in den Händen der Verwaltung belassen werden. Die aus­ stellende Behörde kann insofern am besten entscheiden, ob ein begünstigen­ der Verwaltungsakt widerrufen werden soll oder nicht – häufig reiche schon die Androhung eines Widerrufs aus, um die gewünschten Änderungen zu bewirken.621 Darüber hinaus wird angeführt, dass auch diese Maßnahme wie ein gene­ relles Tätigkeitsverbot wirken könne – sie entziehe unter Umständen „den Lebensnerv des Unternehmens“.622 Dann ist fraglich, ob eine zusätzliche Normierung – neben den oben bereits beschriebenen Maßnahmen – zweck­ mäßig wäre. Schwieriger erscheint die Situation, wenn der Staat bestimmten Unterneh­ men Vorteile entzieht: Einerseits heißt es, der Entzug bestimmter Vorteile – etwa in Form der Sperrung des Zugangs zu Subventionen oder die Verweige­ rung von Steuererleichterungen – wirke sich nicht auf den Rechtsgüterschutz in der Zukunft aus. Diese Maßnahme habe einen „primär poenalen Charakter“.623 Dagegen wird jedoch eingewandt, dass diese Maßnahme durchaus präventiv ausgerichtet sein könne  – ähnlich der Situation beim Ausschluss von Aufträgen.624 Dieser Vergleich trifft jedoch nicht den Kern der Sache. Es kann hierbei nur um die Frage gehen, ob dem Unternehmen der Vorteil zusteht oder nicht. Wird es zu Recht in der Zukunft von staatli­ chen Vorteilen ausgeschlossen, weil es die Voraussetzungen hierfür nicht er­ füllt, beinhaltet die Maßnahme keinen Vorwurfscharakter. Richtet sich der 619  Vgl. zu dieser Idee bereits Engisch, in: 40. DJT, Band II, S. E13; Hartung, in: 40. DJT, Band  II, S. E52; Heine, in: Criminal Responsibility, S. 237, 246 f.; kritisch etwa Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 169; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 164 ff. 620  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 166. Dazu auch noch unten (Fünfter Teil B. III. 1.). 621  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 166. 622  Ablehnend daher Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 169, mit der gleichen Begründung wie im Rahmen von vorübergehenden Tätig­ keitsverboten und Betriebsschließungen – dazu bereits oben (Fn. 613): „Auflösung in Etappen“. 623  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 167. 624  Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 208. Dazu noch unten [Fünf­ ter Teil B. II. 3. c) aa) (3) (b)].



B. Das Recht der Gefahrenabwehr161

Entzug von Vorteilen jedoch auf Vergangenes, d. h. wird dem Unternehmen etwas versagt, was es sich in der Vergangenheit „verdient“ hat, ist hierin in der Tat ein poenaler Charakter zu erblicken. In diesem Fall wird nicht mehr nur Rechtsgüterschutz für die Zukunft verfolgt; die Maßnahme ist dann inso­ fern nicht legitimierbar. (b) Auftragssperren und -beschränkungen Im Zusammenhang mit der Beschränkung des Unternehmens, am Markt teilzunehmen, wird überdies der Vorschlag laut, Unternehmen sollten von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden, wenn sie bestimmte Anforderungen nicht erfüllen.625 Diese Maßnahme habe eine „besondere spezialpräventive Bedeutung“, nämlich die „klassische Sicherungsfunktion spezialpräventiver Maßnahmen“: Zum einen sei dies der Schutz der öffentli­ chen Haushalte vor Vermögensschädigungen. Zum anderen behindere der Ausschluss den Kontakt zwischen unzuverlässigen Unternehmen und Amts­ trägern, was zu einer Erschwerung der Korrumpierung der öffentlichen Ver­ waltung führe.626 In diesem Zusammenhang ist jedoch Folgendes zu beachten: In Fällen, in denen der Staat nicht alleiniger möglicher Geschäftspartner ist, etwa weil Verträge auch ebenso mit Privatleuten geschlossen werden, ist es im Hinblick auf den Rechtsgüterschutzgedanken gefahrenabwehrender Maßnahmen un­ sachgemäß, eine Auftragsbeschränkung nur für den staatlichen Bereich anzu­ ordnen – Rechtsgüterschutz ist (gerade) auch auf der Ebene nicht-öffentlich­ rechtlicher Verträge erforderlich. In anderen Fällen aber, in denen der Staat der einzige mögliche Geschäfts­ partner ist, mithin als „Monopol-Partner“627 auftritt oder den einzigen Ge­ schäftszweig repräsentiert, erschiene eine Auftragssperre mit ihm grundsätz­ lich sinnvoll. Sie ließe sich auch im Hinblick auf den Rechtsgüterschutzas­ pekt legitimieren.628 Jedoch würde dann die Auftragssperre wiederum nicht anders wirken als ein generelles Tätigkeitsverbot.629 Es bedürfte insofern keiner separaten Regelung. zu dieser Maßnahme allgemein Pietzcker, NZBau 2003, 242 ff. Sanktionen gegen Unternehmen, S. 203. 627  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 168. 628  Etwas anderes soll dann gelten, wenn der Staat bereits bestehende geschäftli­ che Kontakte mit Unternehmen abbricht, vgl. Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 168 („ausschließlich repressiver Charakter“). 629  Vgl. zu dieser Kritik auch Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umwelt­ strafrecht, S. 168. 625  Vgl.

626  Kirch-Heim,

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

Aufgrund dessen wird teilweise ein Verbot von Abschlüssen bestimmter Verträge vorgeschlagen, das sich nicht zwingend auf den Vertragspartner bezieht, sondern auf die Art der Aufträge.630 So wird beispielsweise auf das Verbot, bestimmte Geschäfte im Ausland abzuschließen, abgestellt.631 Frei­ lich kann auch diese Maßnahme wie eine Auflösung wirken, etwa bei einer Kaffeeimportgesellschaft mit Außenhandelsbeschränkung.632 In diesen Fällen ist die Sinnhaftigkeit neben den anderen Maßnahmen sicherlich fraglich, dennoch im Sinne des Rechtsgüterschutzes legitimierbar. Darüber hinaus stellt sich jedoch das Problem, wie diese Maßnahme umgesetzt werden könnte, insbesondere wenn sich Unternehmen nicht an die Vorgaben halten. Jescheck schlägt diesbezüglich eine Regelung im Wege einer Erweiterung des § 145c StGB bei Verstößen gegen das strafrechtliche Berufsverbot vor. Gleichzeitig zieht er aber auch ein Sicherungsgeld in Erwägung. Möglich wäre es, dass bei einer Zuwiderhandlung eine stärkere Maßnahme der Gefah­ renabwehr ergriffen würde. Jedoch muss sich diese an der konkret vom Un­ ternehmen ausgehenden Gefahr messen lassen und diesbezüglich verhältnis­ mäßig sein. Darüber hinaus ist fraglich, vor welcher Art von Gefahren das Verbot von Auslandsgeschäften tatsächlich schützen könnte: In der Regel wird in den Fällen des Eingreifens von Maßnahmen der Gefahrenabwehr ein weitergehender Schutz geboten sein, der sich nicht nur auf Auslandsbezie­ hungen erstreckt, sodass dann andere – umfassendere – Maßnahmen der Gefahrenabwehr sinnvoller erscheinen. Das Verbot könnte sich insofern auf den Vertrieb bestimmter Produkte beziehen, mit denen ein erhöhtes Gefahrenpotential seitens des Unterneh­ mens verbunden ist. Ebenso könnten ganze Sparten eines Unternehmens, von denen ein Gefahrenpotential ausgeht, in ihrer Tätigkeit eingeschränkt wer­ den. Zwar kann auch dann die Auftragssperre wie ein generelles Tätigkeits­ verbot wirken, doch ist dies nicht zwingend: Gerade bei größeren Unterneh­ men, die verschiedene Sparten betreiben oder unterschiedliche Produkte herstellen, wäre diese Maßnahme der Auftragssperre eine mildere Alternative als ein generelles Tätigkeitsverbot bzw. die Auflösung. Aber auch wenn die 630  Weniger einschneidend wäre freilich ein Werbeverbot für bestimmte Produkte, dessen präventive Wirkung jedoch fraglich erscheint. „Ob nach der Aufdeckung der im Unternehmensbereich begangenen Straftat von dem Werbeverbot ein besonderer Impuls ausginge, der über ein Nachdenken über Mängel des Produktionsprozesses oder auch kleinere Veränderungen hinausginge“ sei „sehr zweifelhaft“. Eine generelle Untersagung der Produktion oder des Vertriebs sei insofern wesentlich wirkungsvol­ ler, vgl. hierzu Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 187 ff. 631  Auch zum Folgenden Jescheck, SchwZStr 70 (1955), 243, 265; ders., in: Große Strafrechtskommission, S. 299; Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 170 f. 632  Dazu Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 171.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr163

Auftragssperre wie ein Tätigkeitsverbot wirkt, muss dies hingenommen wer­ den, wenn es in Anbetracht des Gefahrenpotentials und der gefährdeten Rechtsgüter verhältnismäßig ist. In Fällen von Unternehmen mit mehreren Sparten stellt die Maßnahme der Auftragssperre (für bestimmte Bereiche) jedenfalls eine sinnvolle Ergänzung des Maßnahmenkatalogs gegenüber Un­ ternehmen dar; problematisch erscheint hierbei einzig die Möglichkeit der Überprüfung seitens der zuständigen Stellen. (c) Veröffentlichung belastender Fakten Gerade im Zusammenhang mit Auftragssperren werden daher unterschied­ liche Möglichkeiten der Publikation von für das Unternehmen nachteiligen Informationen thematisiert. Diskutiert wird – zumeist in Anlehnung an die US-amerikanische Praxis  – etwa die Herausgabe bestimmter das Unterneh­ men belastender Fakten.633 Beispielsweise könnten Urteile in medienwirksa­ mer Weise veröffentlicht werden,634 unter Umständen in Form eines Ver­ zeichnisses635 bzw. als „ ‚Schwarze Liste‘ für delinquente Unternehmen“.636 Die öffentliche Bekanntgabe von Verfahren oder Entscheidungen wird auch als unmittelbare Publizität bezeichnet.637 In diesem Zusammenhang findet sich bei natürlichen Personen im Rahmen der Delikte gegen die Ehre nach §§ 103 Abs. 2, 165, 200 StGB die Möglichkeit der Veröffentlichung des Urteils als strafähnliche Maßnahme. Darüber hinaus sind im deutschen Recht solche Maßnahmen nicht bekannt.638 Jedoch hat sich im Kartellrecht seit längerem die Praxis etabliert, Einzelheiten über die Entscheidung im Rahmen des Bußgeldverfahrens bekannt zu geben.639 633  Kremnitzer/Ghanayim, ZStW 113 (2001), 539, 552 f.; Lütolf, Strafbarkeit juris­ tischer Personen, S. 401 ff.; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstraf­ recht, S. 171 ff.; Tiedemann, in: 49. DJT, Band I, S. C90. 634  Alwart, ZStW 105 (1993), 752, 770 f.: „Ich berufe mich auf Insiderstimmen, die besagen, daß die Unternehmen, was eigentliche Strafrechtsfolgen anbelange, am meisten negative Pressemeldungen über Verurteilungen und die Auswirkungen sol­ cher Publizität fürchten […]“; v. Bubnoff, ZEuS 2004, 447, 474; Ehrhardt, Unterneh­ mensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 137 f., 251; Hafter, Personenverbände, S. 154 f.; Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 450. Vgl. zu entsprechenden Regelun­ gen im Ausland etwa Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 224 f. 635  Zum Begriff des „Corporation Journal“ in diesem Zusammenhang s. die Nach­ weise bei Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 137 f. 636  Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 225. 637  So Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 428. 638  Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 448 ff.; anders noch § 19 WiStG 1949. 639  Tiedemann, Wirtschafsstrafrecht, Rn. 449; vgl. zu diesem Verfahren auch Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 171 f. Kritisch dazu mangels gesetzlicher Grundlage Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Entscheidungen in öffentliche Register einzutragen. Hier ist vor allem das Gewerbezentralregister zu nen­ nen, welches vom Bundesamt der Justiz geführt wird.640 Bislang werden hier fast alle gegen Unternehmen verhängten Ordnungswidrigkeiten nach § 30 OWiG eingetragen und können von Behörden bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und bei der Verfolgung bestimmter Straftaten und Ordnungswidrig­ keiten abgerufen werden (vgl. § 150a GewO). Jedoch ist das Register auch nur hierauf beschränkt, sodass nicht jeder Einsicht nehmen kann und das Register vor allem für die Unternehmen relevant ist, die von der Vergabe öffentlicher Aufträge abhängig sind. Überdies existieren auf Landesebene teilweise Vergabe- / Korruptionsregis­ tergesetze sowie Runderlasse und Richtlinien, die Regelungen bezüglich ei­ nes Vergabe- bzw. Korruptionsregisters enthalten.641 Ist ein Unternehmen in einem solchen Register für eine bestimmte Zeit eingetragen, steht es in der Regel im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers, ob er den Bewerber als für den Auftrag geeignet ansieht. Ähnlich wie beim Gewerbezentralregister wird jedoch auch den Korruptionsregistern nur eine geringe Wirkungskraft beigemessen – insbesondere aufgrund der beschränkten Einsichtnahmemög­ lichkeiten.642

Compliance, S. 428. Auch die Rechtsprechung hat jedenfalls bei einer namentlichen Nennung von natürlichen Personen im Ermittlungsverfahren teils eine Amtspflicht­ verletzung angenommen und diesbezüglich zu besonderer Vorsicht bei Presseerklä­ rungen der Staatsanwaltschaft gemahnt, BGHZ 27, 338, 342: „So ist sorgfältig darauf zu achten, daß die Öffentlichkeit durch die Auskunft kein falsches Bild von der Be­ lastung des Betroffenen erhält, zumal der juristisch nicht vorgebildete Laie allzuleicht geneigt ist, die Eröffnung eines […] Ermittlungsverfahrens beinahe mit dem Nach­ weis der zur Last gelegten Tat gleichzusetzen“. Gegen eine offensive Pressearbeit auch BVerfGE 119, 309, 323. Zur Bewertung der Praxis des Bundeskartellamts, Bußgeldbescheide zu veröffentlichen, vgl. auch die unterschiedlichen Ansichten von Erlinghagen/Zippel, NJW 1973, 10 ff. und Scholz, NJW 1973, 481 ff. 640  Auch zum Folgenden Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­ pliance, S. 428, 492 ff. 641  Einen Überblick darüber geben etwa Dann/Dann, ZRP 2010, 256 ff.; KirchHeim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 30 f.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 448 m. w. N. in Fn. 24. Auf Bundesebene wurden entsprechende Bestrebungen bislang nicht umgesetzt (vgl. BT-Drs. 14/9356, 16/9780; BR-Drs. 719/02, 17/11415); dazu auch Battis/Bultmann, ZRP 2003, 152 ff. Vgl. aber auch die Antwort der Bun­ desregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Keul, Nicole Maisch, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN (Drs. 18/2056), BT-Drs. 18/2187, S. 6, wonach die Bundesregierung die „Ein­ richtung eines bundesweiten Registers, in das Unternehmen, die auf Grund von Kor­ ruption oder anderen Wirtschaftsdelikten als unzuverlässig anzusehen sind, eingetra­ gen werden“, prüfe. 642  Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 428.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr165

Negative Publikationsmaßnahmen – etwa die Publikation von das Unter­ nehmen belastenden Fakten, beispielsweise Urteilen643 – stellen immer einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG sowie das Recht auf informati­ onelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar. Auf der anderen Seite steht das Recht der Öffentlichkeit auf Informationen. Frag­ lich ist, welcher Charakter etwaigen Publikationsmaßnahmen beigemessen werden muss und ob diese gegenüber juristischen Personen zu legitimieren sind. Teils wird ihnen eine repressive Funktion zugeschrieben:644 Ihre Wir­ kung sei allein monetär, da sie im Falle einer Rufschädigung direkten Ein­ fluss auf den Umsatz habe.645 In diesem Zusammenhang wird auch die Kritik laut, dass die Folgen kaum überschaubar seien; so sei nach Heine die Wir­ kung einer solchen Maßnahme vergleichbar mit der einer „verlorengegange­ nen Landmine“646 und Coffee bezeichnet sie als „loose canon“.647 Jedoch wird etwa von Engelhart angemerkt, dass die negative Publizitätswirkung allein daraus folge, dass die Öffentlichkeit generell von den belastenden Fak­ ten Kenntnis erlange:648 Er spricht sich daher für ein beschränktes Register beim Bundesamt der Justiz aus, in dem Maßnahmen eingetragen werden sollen  – ähnlich dem Gewerbezentralregister bei Sanktionen gem. § 30 OWiG. Zugang sollen hier nur diejenigen haben, die ein besonderes Interesse geltend machen können, etwa seien dies öffentliche Auftraggeber, aber auch Privatpersonen, die z. B. ein geschäftliches Interesse begründen könnten. Auch Kirch-Heim schlägt ein bundesweites Register vor, allerdings im Zu­ sammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge. Nur so könne der öffent­ liche Auftraggeber die Zuverlässigkeit von Unternehmen auf der Grundlage 643  Dafür spricht sich etwa Fisse, in: Internationale Forschungsergebnisse, S. 117, 125 f., aus. 644  I. S. eines Strafcharakters etwa Hartung, in: 40. DJT, Band  II, S. E53. Vgl. auch Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 175 f., die hierin eine „eindeutig repressive Maßnahme“ sieht, dennoch die positiven Wirkungen im Hinblick auf den Schutz der Öffentlichkeit durch Information betont. Auch Dannecker, GA 2001, 101, 126 f., stuft solche Maßnahmen als repressive Sanktionen ein und spricht ihnen eine hohe abschreckende Wirkung zu. 645  Da die Publikation in diesem Fall „kaum mehr Möglichkeiten als eine Geld­ sanktion“ habe, lehnt Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 698, eine solche Maßnahme ab. Gegen den gezielten Einsatz negativer Publizitäts­ maßnahmen auch Ransiek, Unternehmen, S. 355 m. w. N. in Fn. 190. Hingegen hält Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 225 mit Fn. 648, sie gerade wegen des mittelbaren finanziellen Schadens für eine „effektive repressive Sanktion“, lehnt sie aus anderen Gründen jedoch i. E. ab. 646  Heine, ÖJZ 2000, 871, 878. 647  Coffee, Michigan Law Review 79 (1981), 386, 427. Dazu auch Bock, Criminal Compliance, S. 431. 648  Auch zum Folgenden Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­ pliance, S. 698 f.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

gesicherter Informationen beurteilen; die Bundeskompetenz hierfür ergebe sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG.649 Wie oben im Hinblick auf das Straf- und das Ordnungswidrigkeitenrecht bereits ausführlich dargestellt, sind Sanktionen gegen Unternehmen nicht le­ gitimierbar, insofern können sie auch nicht veröffentlicht werden. Möglich wäre allein die Veröffentlichung anderer belastender Fakten; dies könnten etwa die gegen das Unternehmen verhängten Maßnahmen der Gefahrenab­ wehr, wie beispielsweise eine Auftragssperre oder andere Tatsachen sein. Legitimierbar wäre das Vorgehen, wenn eine rein präventive Zielsetzung verfolgt, also hierdurch der Rechtsgüterschutz gewährleistet würde. Auch Schwinge betont die „erhebliche Präventionswirkung“, wenn „nicht die Stig­ matisierung des Unternehmens im Vordergrund“ steht, sondern „das Sicher­ heitsbedürfnis der Bevölkerung“.650 Insofern sieht sich etwa die öffentliche Verwaltung „von Verfassungs und von Gesetzes wegen prinzipiell zur infor­ mierenden Publizität angehalten“.651 In diesem Zusammenhang steht auch die „Glycol-Entscheidung“ des BVerfG aus dem Jahre 2002.652 Das Bundesgesundheitsministerium hatte eine Liste mit Weinen veröffentlicht, in denen ein Frostschutzmittel mit dem Namen Diethylenglycol enthalten war. Diese Information der Öffentlichkeit war nach Ansicht des BVerfG zulässig: Art. 12 GG schütze die Unternehmen nicht vor der Verbreitung richtiger sachlicher Informationen, welche für die Marktteilnehmer von Bedeutung sein könnten. Insbesondere sei es die Auf­ gabe der Regierung als Staatsleitung (unter Einhaltung der Kompetenzen und Zuständigkeiten), der Öffentlichkeit solche inhaltlich korrekten Informatio­ nen zugänglich zu machen, die andernfalls nicht verfügbar sind, was etwa bei aktuellen Krisen im Lebensmittelbereich der Fall sei. Hier müsse der Staat dafür sorgen, dass die Bürger informiert würden und sich auf diese Weise auf dem Markt orientieren könnten. Hieran zeigt sich, dass der Staat in bestimmten Fällen sogar verpflichtet ist, informierend bzw. warnend tätig zu sein, um den Bürgern die Möglich­ keit zu geben, sich im Wirtschaftsleben zurechtzufinden – in diesen Fällen hat die Informationstätigkeit des Staates eine rein präventive Funktion, um die Allgemeinheit zu schützen.653 Demnach ist nicht jede negative Publizi­ tätsmaßnahme als repressive Sanktion einzuordnen, vielmehr muss differen­ 649  Kirch-Heim,

Sanktionen gegen Unternehmen, S. 205. Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 178  – Die Be­ völkerung habe etwa ein Recht, über potentielle Gefahren erneuter Umweltverschmut­ zungen mit möglicherweise erheblichen Folgen für sie selbst aufgeklärt zu werden. 651  Scholz, NJW 1973, 481, 482 f. 652  BVerfGE 105, 252. 653  Zutreffend Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 228. 650  Schwinge,



B. Das Recht der Gefahrenabwehr

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ziert werden, ob es sich im konkreten Fall allein um eine (sanktionierende) Stigmatisierung des Unternehmens handelt oder hierdurch tatsächlich der Schutz von Rechtsgütern in der Zukunft bewirkt werden kann. Ist dies der Fall, bedarf es dann einer Abwägung, insbesondere anhand der Grundsätze des Übermaßverbots und der Objektivität und Unparteilichkeit der Amtsführung;654 hierbei muss aber die Tatsache, „daß öffentliche Verwaltung unter dem Grundgesetz prinzipiell auch ein Höchstmaß an Publizität und Transparenz der verwaltungsrechtlichen Entscheidung bedeutet“, stets Be­ rücksichtigung finden.655 bb) Aufsicht und Verwaltung durch Dritte Weitere Anregungen gehen hin zu einer treuhänderischen Verwaltung im Sinne einer „ständigen verwaltungsmäßigen Überwachung“.656 Diese sei eine Überwachungsinstanz und milder als eine komplette Übernahme.657 Eine solche Verwaltung könnte ebenfalls mit einer Verpflichtung zur Auskunft und Berichterstattung verbunden werden.658 Denkbar wäre auch die Einrichtung von Beauftragten und Ausschüssen.659 Ein konkreter Entwurf in diese Richtung stammt von Schünemann:660 Er schlägt im Zusammenhang eines Maßnahmenmodells eine Unternehmensauf­ sicht in Form einer „Unternehmenskuratel“ vor, „bei der das Unternehmen durch gerichtliche Entscheidung für eine begrenzte Zeit unter die Aufsicht 654  Scholz,

NJW 1973, 481, 485. NJW 1973, 481, 482. 656  Hartung, in: 40. DJT, Band  II, S. E51, E53; Rotberg, 100 Jahre DJT, S. 193, 211 („Einsetzung eines Treuhänders oder die Unterstellung unter die Aufsicht einer Verwaltungsbehörde [z. B. Industrie- und Handelskammer]“); Rudolf Schmitt, Straf­ rechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 171. S. dazu auch v. Bubnoff, ZEuS 2004, 447, 473; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 302 f. („temporäre Sequestration“), 315; Lütolf, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 400 f.; Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 449 f.; Seiler, Personenverbände, S. 156 ff. Vgl. dazu auch ausführlich Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 214 ff. 657  So etwa Schünemann, in: Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, S. 265, 291. 658  Hartung, in: 40. DJT, Band II, S. E51. 659  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 240 ff., 252 ff. (für den Bereich des Umweltrechts). 660  Schünemann, in: Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, S. 265, 290 f. („Ei des Kolumbus“); ders., in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 129, 139 ff.; ders., ZIS 1/2014, 1, 7; ders., in: Criminal Responsibility, S. 293, 296 ff. („phi­lo­ sophers’s stone“); ders., in: Leipziger Kommentar I, Vor § 25 Rn. 29. Dazu auch ausführlich Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 214 ff. 655  Scholz,

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

eines (nur mit Informations-, nicht aber Entscheidungsbefugnissen ausgestat­ teten) Kurators gestellt wird“.661 Darüber hinaus könnte die Maßnahme mit der Verpflichtung zur Angabe der Kuratel in der Öffentlichkeit – z. B. „unter Kuratel“ – versehen werden.662 Hierdurch würden Anteilseigener – anders als etwa bei der Auflösung des Unternehmens  – geschützt; gleichzeitig habe die Maßnahme insbesondere durch die der Unternehmensführung bekannte Publizität der Maßnahme auch eine starke generalpräventive Wirkung im Hinblick auf das öffentliche Anse­ hen, die der Geldbuße gerade nicht zugeschrieben werden könne. Im Geset­ zesentwurf konkret vorgesehen ist außerdem eine Aussetzung der Kuratel zur Bewährung, die zusätzlich spezialpräventiv wirken soll.663 Es stellt sich die Frage nach der rechtlichen Legitimationsgrundlage: So benennt Schünemann selbst sowohl repressive als auch präventive Gesichts­ punkte: „combination of repressive and preventive components which have an effect at the source, namely the criminal attitude within the entitiy […]“; „basically, the guardianship system combines future-related, preventive and repressive measures“; „a typical measure of incapacitation and rehabilitation, but also shows (through its disclosure) repressive elements akin to penalties“.664 Wird die Maßnahme hingegen so ausgestaltet, dass sie als Vorbereitung für die Einleitung gefahrenabwehrender Maßnahmen dient, ist sie als eine solche Maßnahme auch zu legitimieren. Es kann jedoch nur eine Überwachung-, nicht aber eine Leitungsfunktion wahrgenommen werden – bei letzterer ginge es um reformgebende Tätigkeiten, die rein innerbetriebliche Maßnah­ men darstellen und vom Unternehmen selbst ausgehen müssen. Andernfalls würde die unternehmerische Freiheit ausgehöhlt, was in der Regel auch einen unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff darstellen würde.665 Zudem ent­ stünden Folgeprobleme, wie z. B. die Frage danach, wer dann bei unterneh­ 661  Schünemann,

in: Leipziger Kommentar I, Vor § 25 Rn. 29. in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 129, 139; zustimmend Schall/ Schreibauer, NuR 1996, 440, 449 f.; kritisch Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 230 ff. Zur Thematik der Publikation als Maßnahme bereits oben [Fünfter Teil B. II. 3. c) aa) (3) (c)]. 663  Vgl. dazu ausführlich Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 129, 139 ff. sowie zu einem konkreten Gesetzesvorschlag S. 145 ff. 664  Schünemann, in: Criminal Responsibility, S. 293, 298; vgl. dazu auch Rotberg, FS 100 Jahre DJT, S. 193, 211. 665  Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 214. Anders aber Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 219, die dem Kurator auch das Recht einräumen möchte, „in einem gewissen Rahmen […] innovativ tätig zu wer­ den“. 662  Schünemann,



B. Das Recht der Gefahrenabwehr169

merischen Fehlentscheidungen zur Verantwortung gezogen werden soll.666 Daher muss sich die Unternehmenskuratel auf ihren eigentlichen Ursprung beschränken: die Unternehmensaufsicht. Ihre Funktion läge demnach vor al­ lem darin, Unternehmensabläufe transparent zu machen (Sicherung); zudem wird sich das Unternehmen bemühen, Strukturen so umzugestalten, dass das Gefährdungspotential sinkt – ein Besserungseffekt wäre ebenfalls zu erwar­ ten.667 Ablehnende Stimmen werden insbesondere in Bezug auf die Durchführ­ barkeit laut. So bestehen Zweifel, ob passende Kuratoren zu finden sind668 und eine gerichtliche Überwachung möglich ist.669 Jedoch wurden durchaus gute Erfahrungen mit Treuhandanstalt und Insolvenzverfahren gemacht.670 Zudem geht es gerade nicht um eine leitende, sondern nur um eine beauf­ sichtigende Funktion.671 Hierfür bedürfte es nicht der gleichen fachlichen Voraussetzungen wie bei einer leitenden Übernahme des Geschäftsbetriebs. Problematisch erscheint aber die Anordnungsvoraussetzung: So soll hier­ für auf Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in der Leitungsebene abgestellt werden. Auch Schünemann merkt diesbezüglich aber an, dass in Zukunft zu diskutieren sei, ob der Entwurf „nicht zu sehr am alten Schuldzurechnungs­ modell haftet und deshalb nicht weit genug geht“.672 Insofern schlägt er etwa vor, dass die Anknüpfung der Unternehmenskuratel an einen Organisations­ mangel, der zu einer Rechtsgüterverletzung führt, einen besseren Weg dar­ stellen könnte. In der Sache geht es für die Legitimierbarkeit einer Maß­ nahme der Gefahrenabwehr immer um eine von der Person ausgehende Ge­ fährlichkeit für Rechtsgüter und Interessen Dritter, die mit Hilfe einer Prog­ nose bewertet werden muss. Hierfür können bei juristischen Personen freilich Straftaten und Ordnungswidrigkeiten einzelner Mitarbeiter ein Indiz darstel­ len. Jedoch kann diese Gefahr auch durch andere Anhaltspunkte begründet sein.673 666  Heine,

in: Criminal Responsibility, S. 237, 247 f. in: Criminal Responsibility, S. 293, 298 f.; ders., in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 129, 140. I. d. S. auch Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unter­ nehmen, S. 214. 668  Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 30, 39. 669  Jescheck, SchwZStr 70 (1955), 243, 265. 670  Schünemann, in: Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, S. 265, 290 f.: „organisatorisch ohne weiteres realisierbar“. 671  Gegen die im Rahmen der Unternehmenskuratel laut werdende Kritik stellt sich auch Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 215. 672  Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 129, 140. 673  Vgl. auch die Ausführungen zu den allgemeinen Voraussetzungen der Anord­ nung unten [Fünfter Teil B. III. 2. a)]. 667  Schünemann,

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

III. Ausgestaltung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegenüber juristischen Personen Eines der Hauptargumente für die Einführung einer strafrechtlichen Ver­ antwortlichkeit juristischer Personen ist häufig die fehlende präventive Wir­ kung von Geldbußen. Jedoch hat sich gezeigt, dass sich Geldbußen in ihrem Charakter und ihrer Zielsetzung nicht von kriminalstrafrechtlichen Sanktio­ nen unterscheiden. In beiden Fällen wird auf einen Verhaltensnormverstoß rechtlich missbilligend reagiert. Die Einführung einer kriminalstrafrechtli­ chen Verantwortlichkeit juristischer Personen würde somit dem Kind nur ei­ nen anderen Namen geben, die Probleme blieben die gleichen. Unmittelbar können Rechtsgüter nicht mit staatlichen Sanktionsmitteln geschützt werden, die eine missbilligende Reaktion darstellen; dies kann nur durch das Aufstel­ len von vorgelagerten Verhaltensnormen geschehen. Auf Verhaltensnormver­ stöße können Sanktionen immer nur reagieren. Als staatliche Maßnahmen wirken hingegen Maßnahmen der Gefahrenabwehr unmittelbar Rechtsgüter schützend; sie tragen einem Gefahrenzustand Rechnung und dämmen diesen in der Zukunft ein. Insofern spielt das Argument der fehlenden Präventivwir­ kung von Geldbußen nach derzeitigem Rechtsstand vor allem Befürwortern präventiver Maßnahmen gegenüber juristischen Personen in die Hände. Nur mit solchen staatlichen Maßnahmen würde ausnahmslos Rechtsgüterschutz betrieben, ohne dass der Staat tadelnd eingreift. Die Notwendigkeit präventiver Maßnahmen gegenüber juristischen Perso­ nen besteht in jedem Falle. Dies zeigt sich bereits an den Maßnahmen der Gefahrenabwehr de lege lata. Gerade aufgrund der den Unternehmen inne­ wohnenden Eigendynamik lässt sich ein besonderes Gefährdungspotential erkennen. In diesem Zusammenhang bezeichnet etwa Engisch den „Ver­ bandsgeist“ nicht als Mysterium, sondern als eine bestehende Realität.674 Aufgrund der Vielzahl an Beteiligten ist es zum einen häufig nicht möglich, individuelle Fehlverhaltensweisen ausfindig zu machen.675 Darüber hinaus führt in der Regel erst das Zusammenspiel mehrerer (im Einzelnen geringfü­ giger) Fehler zu den entsprechenden Gefährdungen.676 674  Engisch, in: 40. DJT, Band  II, S. E19; zustimmend Hartung, in: 40. DJT, Band  II, S. E46 f.: „Es kann durchaus vorkommen, daß der Geist, der die Körper­ schaft beherrscht […], in seiner Gesamtheit verbrecherisch ist, verbrecherisch in dem Sinne, daß bei den Angehörigen der Körperschaft, um der Ziele des Zusammen­ schlusses willen, eine allgemeine Bereitschaft zu Verbrechen besteht, wie es bei poli­ tischen Terrorgruppen oder bei Verbrechervereinen wohl der Fall sein mag“. Vgl. dazu auch Koffka, in: Große Strafrechtskommission, S. 301. 675  Zur Thematik der Beweisbarkeit individueller Fehlverhaltensweisen noch un­ ten (Sechster Teil B.). 676  Vgl. dazu anschaulich Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 148, der die natürlichen Personen insofern mit „Raubtierbändigern“ vergleicht, „die versuchen,



B. Das Recht der Gefahrenabwehr

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Daher wird – wie oben im Rahmen einzelner Maßnahmen schon angespro­ chen – mitunter vorgeschlagen, präventive Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegenüber juristischen Personen auszubauen und jedenfalls teilweise in ei­ nem Maßregelmodell zu normieren.677 In diesem Zusammenhang – so Schü­ nemann  – sei im deutschen Strafrecht durch die zunehmende Unterneh­ menskriminalität ein „präventives Vakuum“ entstanden, weil durch die Ein­ gliederung des Individuums in die hierarchische Struktur von Unternehmen jene Hemmschwellen, die sich im privaten Lebensbereich in Bezug auf Rechtsgüterschutz fänden, aufgelöst würden.678 Er spricht sich daher für die Ansiedlung von Maßnahmen im Strafrecht aus und betont dabei dessen „Overkill“-Effekt:679 „Auf dem Gebiet, um das es hier geht, also im Bereich einer sozialen Machtstellung des Täterkreises, einer rationalen Planung des Delikts, die selbst dann, wenn sie nicht individuell rational ist, so doch sys­ temrational im Unternehmen erwachsen ist“, sei „die androhungsgeneralprä­ ventive Wirkung des Strafrechts nicht durch andere Maßnahmen ersetzbar“ – dies gelte erst recht bei Delikten ohne individuelles Opfer. Ohne das Straf­ recht müsse man vielmehr eine „lückenlose verwaltungsrechtliche Kontrolle installieren, was nicht nur praktisch undurchführbar wäre, sondern auch per Saldo den weitaus schwereren Eingriff darstellen würde“. Oben (Fünfter Teil B. I. 3.) wurde bereits gezeigt, dass eine Lösung inner­ halb des Maßregelrechts gegenüber juristischen Personen legitimierbar ist. Es soll nun diskutiert werden, ob sie de lege ferenda auch sinnvoll ist. Insbe­ sondere stellt sich dabei die Frage, ob ein Maßregelrecht gegenüber juristi­ schen Personen tatsächlich fachgesetzlichen Regelungen, etwa im Verwal­ tungsrecht, überlegen wäre. Es sei dabei auch auf die Vor- und Nachteile hingewiesen, die bereits im Rahmen der konkreten Maßnahmen erörtert wurden.680 auf einem öffentlichen Gelände mit einer nur beschränkt steuerbaren Tiergruppe zu agieren, die dem Publikum nur allzu leicht gefährlich werden kann“. 677  I. d. S. etwa Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 181 ff., der die Maßregeln der Besserung und Sicherung als „sinnvolle Ergänzung“ zu repressiven Sanktionen ansieht, deren Schwäche darin liege, sich auf innere Steuerungsvorgänge zu beschränken. Vgl. auch Stratenwerth, FS Schmitt, S. 295, 303 ff. Ebenso v. Freier, GA 2009, 98, 116, der grundsätzlich eine Erweiterung präventiver Maßnahmen in Erwägung zieht, welche jedoch nicht zwingend als strafrechtliche Maßregeln auszu­ gestalten seien. Eingehend auch Jescheck, SchwZStr 70 (1955), 243, 262 ff. 678  Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 129, 131 f. – Die Fungibilität des Einzelnen im Unternehmen führe dazu, dass selbst ein moralischer Held im Un­ ternehmen gar nichts mehr ändern könne, weil dann ein anderer an seine Stelle trete, weshalb man vielfach von der „organisierten Unverantwortlichkeit“ spreche. Vgl. dazu auch ders., Unternehmenskriminalität, S. 34. 679  Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 129, 133. 680  Vgl. dazu die Ausführungen oben [Fünfter Teil B. II. 3. b), c)].

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

1. Maßregelmodell oder verwaltungsrechtliche Fachgesetze? Derzeit bestehen keine Regelungen, die es ermöglichen, gegenüber juris­ tischen Personen Maßregeln anzuordnen, welche denen der §§ 61 ff. StGB bei natürlichen Personen gleichen. Einige sprechen sich insofern für eine maßregelrechtliche Lösung innerhalb des Strafgesetzbuches aus.681 Hier­ durch werde einer unverhältnismäßigen Belastung der Betroffenen durch Kumulation der Maßnahmen verschiedener Stellen vorgebeugt, bereits ge­ genwärtig sei die Rechtnatur der Maßnahmen im Strafgesetzbuch ambiva­ lent.682 Auch Wohlers spricht sich für etwaige Maßnahmen aus, befürwortet jedoch die Normierung in einem eigenständigen Gesetz:683 Diesbezüglich stellt er auf den Begriff der „wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Eingriffe“ ab und macht deutlich, dass diese gerade nicht an strafrechtlichen Kriterien zu messen seien. Es handele sich um zukunftsorientierte Maßnahmen und inso­ fern sollten auch deren Voraussetzungen für die Legitimierbarkeit gelten. Bezeichne man diese als Strafrecht, dann führe dies zu einem „Etiketten­ schwindel“. Auch Befürworter solcher Maßregelmodelle schränken ihre Überlegungen aber teils dahingehend ein, dass die Maßnahmen zwar grundsätzlich dem Strafrichter, der auch über strafbare Handlungen der Einzelpersonen ent­ scheidet, mit anvertraut werden sollten, nicht aber solche Maßnahmen, die eine besondere Fachkompetenz voraussetzen. So sei „ein Strafrichter natür­ lich nicht in der Lage, bestimmte Maßnahmen zum Immissionsschutz oder zur Behandlung von Lebensmitteln anzuordnen“. Derartige Maßnahmen müssten vielmehr in der ausschließlichen Kompetenz der zuständigen Fach­ behörde verbleiben.684 Unabhängig davon, ob im Wege einer eigenständigen Normierung oder durch Regelungen im Strafgesetzbuch bzw. im Ordnungs­ widrigkeitengesetz, stellt sich daher die viel grundlegendere Frage, ob über­ haupt etwaige Maßnahmen den (Straf-)Gerichten mit anvertraut werden sol­ len. – Welche Vorteile hätte eine solche Maßregellösung gegenüber bestehen­ den verwaltungsrechtlichen Vorschriften? Hierfür wird angeführt, dass im Verwaltungsrecht zwar eine Fülle an Maßnahmen bestehe, diese jedoch wenig durchschaubar seien und kaum Umsetzung fänden; darüber hinaus könne 681  So etwa Jescheck, DÖV 1953, 539, 543; ders., SchwZStr 70 (1955), 243, 266: Maßregeln könnten sowohl im Ordnungswidrigkeiten- als auch im Strafrecht geregelt werden – dort jeweils im Allgemeinen Teil; vgl. auch Schünemann, in: Deutsche Wie­ dervereinigung, S. 129, 133. 682  So Dannecker, GA 2001, 101, 129, der jedoch ohnehin von Maßnahmen re­ pressiver und präventiver Natur ausgeht. 683  Dazu und zum Folgenden Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 231, 248. 684  Auch zum Vorangegangenen Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 99.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr

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Problemen im Rahmen des Opportunitätsprinzips entgangen werden, wenn die Anordnung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr im Wege eines gericht­ lichen Verfahrens stattfinde.685 Die beschriebenen Probleme beruhen vor allem auf der unzureichenden Umsetzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften in der Praxis. Ob hierfür je­ doch die Normierung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr in Form von Maßregeln, die in einen strafrechtlichen Kontext gestellt werden, tatsächlich das „Allheilmittel“ darstellt, bleibt offen. Sicherlich entginge man Umset­ zungsschwierigkeiten, die aufgrund des Opportunitätsprinzips entstehen. Nicht hingegen werden auch die Probleme gelöst, die etwa aufgrund man­ gelnder Kenntnis bzw. unzureichender Auseinandersetzung mit der Sachma­ terie entstehen. Oben [Fünfter Teil  B. II. 3. b) aa) (1)] wurde bereits ausgeführt, dass in der Regel keine Außenstehenden – weder Gerichte noch Behörden – die Kompetenz haben können, in interne Abläufe reformgebend und regulierend einzugreifen. Geht es jedoch um die Beurteilung von Gefahren, die von ei­ nem Unternehmen nach außen drohen, sind hierfür die Fachbehörden durch­ aus der richtige Ansprechpartner und jedenfalls besser geeignet als (Straf-) Gerichte. Für eine Umsetzung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr inner­ halb eines Maßregelrechts bedürfte es z. B. im Hinblick auf Tätigkeitsbe­ schränkungen einer unternehmensspezifischen Konkretisierung durch den Richter, „die im Einzelfall besondere Kenntnisse des jeweiligen Unterneh­ mens oder zumindest der jeweiligen Branche, der dieses angehört, voraussetzt“.686 Dies sei zum einen durch Vernehmung von Sachverständigen möglich,687 zum anderen bereits durch Benennung konkreter Maßnahmen im Gesetz.688 Jedoch kann ein Sachverständigengutachten niemals ausreichen, um das Gericht mit allen nötigen Informationen zu versorgen. Ebenso wenig 685  Das Opportunitätsprinzip werde oftmals „bis an die Grenze der Legalität aus­ gereizt“, indem die Ordnungsbehörden sowohl bei der Anordnung als auch beim Vollzug dieser Maßnahmen sehr zurückhaltend agierten, Kirch-Heim, Sanktionen ge­ gen Unternehmen, S. 99. 686  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 161. 687  Rotberg, FS 100 Jahre DJT, S. 193, 210. 688  Vgl. etwa Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 171: „Eben weil die Tätigkeitseinschränkung bei jeder Tätigkeit andere Maßnahmen erfor­ dert, wenn sie wirksam sein soll, muß man entweder dem Richter, der diese Maßregel anordnet, eine für einen Rechtsstaat ungewöhnliche Ermessensfreiheit einräumen, oder aber es ist erforderlich, im Rahmen des jeweiligen Gesetzes zu bestimmen, wel­ che Maßnahmen zum Zwecke der Verhinderung bestimmter Tätigkeiten zulässig sind. Der letztere Weg ist wohl vorzuziehen“. So auch Seiler, Personenverbände, S. 154: Eine gesetzliche Normierung entspreche eher dem Gedanken des Rechtsstaates als ein Ermessen des Richters  – ausreichend sei ein allgemeiner Verweis auf Sonderbe­ stimmungen mit dem Hinweis, dass es sich nicht um ein allgemeines Tätigkeitsverbot

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

ist – gerade im Hinblick auf Tätigkeitsbeschränkungen – ein maßregelrecht­ licher Katalog denkbar, der sämtliche Fälle der Gefahrenabwehr erfasst.689 Man denke nur an die unterschiedlichen Risikobereiche, etwa im Umwelt­ recht, bei Produktgefahren oder im Wirtschaftsleben. Kein Richter kann inso­ weit den gleichen Kenntnisstand haben wie die für das Sachgebiet zuständi­ gen Behördenmitarbeiter. Innerhalb der Behörden könnte jedoch auch nach­ gebessert werden, z. B. indem die Mitarbeiter vermehrt für die Beurteilung von Gefahrenlagen geschult werden oder bestimmte Stellen nur damit beauf­ tragt sind. Außerdem ist zu bedenken: Gerade bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr ist häufig ein kurzfristiges Tätigwerden geboten. Lange gerichtliche Verfah­ rensdauern würden dem widersprechen. Daher wird von einigen zusätzlich ein Modell vorläufiger Maßregeln vorgeschlagen, ähnlich dem vorläufigen Entzug der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO), der einstweiligen Unterbringung (§ 126a StPO), dem einstweiligen Berufsverbot (§ 132a StPO) oder ähnli­ chen Vorschriften.690 Problematisch gestalten sich hierbei aber schon die Voraussetzungen einer solchen vorläufigen Entscheidung – ein dringender Tatverdacht kommt bei juristischen Personen jedenfalls nicht in Betracht.691 Der Möglichkeit einer vorläufigen Entscheidung bedarf es bei einer verwal­ tungsrechtlichen Behördenentscheidung jedoch erst gar nicht. Übt die Ver­ waltungsstelle das ihr aufgrund des Opportunitätsprinzips zustehende Ermes­ sen pflichtgemäß aus und entscheidet über die anzuordnende Maßnahme, ist ein zeitnahes Einschreiten gewährleistet. Wenn die Polizei Gefahrenabwehr betreibt, muss auch nicht vorher ein Gericht eingeschaltet werden. Aufgrund der Komplexität etwaiger gefahrenrechtlicher Situationen und der Sachnähe der Behörden ist ein Maßregelmodell im Strafgesetzbuch, im Ordnungswidrigkeitenrecht oder in einem strafrechtlichen Nebengesetz daher abzulehnen. Darüber hinaus wird auf diesem Wege ein Zusammentreffen mehrerer Kompetenzzuweisungen, etwa mit Verwaltungsstellen, vermieden; beispielsweise könnte eine „konkurrierende gerichtliche Kompetenz bewährte handeln darf. Kritisch hinsichtlich einer solchen Konkretisierung jedenfalls im Um­ weltstrafrecht Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 161. 689  I. d. S. auch Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 212: Etwa bei Betätigungsverboten sei das Spektrum denkbarer Beschränkungen zu groß für eine Regelung im Wege eines Maßregelmodells; ein gesetzlicher Katalog sei insofern we­ nig hilfreich und bliebe immer fragmentarisch. Weite Spielräume und Generalklau­ seln wie im Polizeirecht seien bei Maßregeln hingegen unüblich. 690  Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 229; ebenso Schwinge, Straf­ rechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 271 f. 691  So aber etwa Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 229; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 272.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr

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und abgestimmte Vorgehensweisen der Verwaltung behindern“, wodurch sich Konflikte ergeben „die insgesamt kontraproduktiv wirken könnten“.692 Die Umsetzungsschwierigkeiten in der Praxis – z. B. weil die Behörden nicht tätig werden  – sind jedenfalls auf andere Weise zu lösen. Etwa ist an eine verstärkte Überprüfung der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens zu denken oder – wie bereits angesprochen – an eine bessere Aufstellung der Behördenstrukturen im Bereich der Gefahrenabwehr. Schließlich könnte eine Normierung im Kontext des Strafrechts auch irre­ führend sein: So drohen Unsicherheiten bei der Bestimmung der Vorausset­ zungen von Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegenüber juristischen Perso­ nen, wenn sie an den Kriterien der Maßregeln der Besserung und Sicherung gegenüber natürlichen Personen gemessen werden.693 In diesem Kontext postuliert etwa Kirch-Heim, Maßregeln setzten voraus, dass bereits eine Straftat begangen wurde.694 Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Grenzen der Legitimation zwischen Maßnahmen der Gefahrenabwehr und 692  Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 211 (in Bezug auf Tätigkeits­ beschränkungen). Warum dies jedoch im Rahmen anderer Maßnahmen nicht der Fall sein soll, bleibt offen. Konflikte mit der Verwaltung sieht auch Schwinge, Strafrecht­ liche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 166. Dazu auch oben [Fünfter Teil B. II. 3. c) aa) (3) (a)]. 693  So etwa Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, S. 271, wonach „der Grundgedanke der sichernden Maßregeln“ wegen ihres Bezugs zu einer „desolate[n] Psyche“ auf „juristische Personen und Personenvereinigungen […] ebenso wenig übertragbar“ sei „wie der Gedanke einer höchstpersönlichen Schuld“. 694  Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 201. Dies wird auch deutlich in seinem Gesetzesvorschlag, S. 240 f.: Neben einem „Haftungstatbestand für Reprä­ sentantenhandeln“ und einem „Haftungstatbestand für Organisationsmängel“ (welche einen Vorwurfscharakter haben und aus diesem Grund abzulehnen sind), schlägt Kirch-Heim auch einen Tatbestand über „Verbandsmaßregeln“ vor. Hiernach sollen (1) in den Fällen der genannten „Haftungstatbestände“ gegen die juristische Person, die Personenvereinigung oder den Einzelkaufmann Verbandsmaßregeln angeordnet werden können, wenn die Gefahr weiterer Straftaten besteht. (2) Solche Verbands­ maßregeln sollen entweder die Erteilung von Weisungen oder die Anordnung von Zwangsaufsicht sein. Darüber hinaus soll (3) in den Fällen der genannten „Haftungs­ tatbestände“ die juristische Person oder Personenvereinigung aufgelöst werden kön­ nen, wenn ihr Zweck oder ihre Tätigkeit auf die fortgesetzte Begehung von Straftaten gerichtet ist. – Anknüpfungspunkt einer „Verbandsmaßregel“ kann jedoch niemals die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten sein, sondern ausschließlich die vom Unter­ nehmen ausgehende Gefahr für Rechtsgüter Dritter in der Zukunft. Zwar ist es mög­ lich, dass eine solche Gefahr dadurch begründet wird, dass im Unternehmen Struktu­ ren begünstigt werden, innerhalb deren die Mitarbeiter Straftaten begehen, wodurch Rechtsgüter Dritter gefährdet sind – Straftaten von Mitarbeitern könnte insofern eine Indizfunktion zukommen, dazu noch unten [Fünfter Teil B. III. 2. a)]. Dennoch kann Grundlage einer solchen Anordnung gegenüber der juristischen Personen immer nur der von ihr ausgehende „Gefahrenzustand“ sein; eine Bezugnahme auf Straftaten in­ diziert hingegen, dass diese auch von der juristischen Person begangen werden kön­

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

(missbilligenden) Sanktionen verschwimmen: Bereits die oben (Fünfter Teil  B. I. 3.) angesprochene Kritik im Rahmen der Maßregeln des Strafge­ setzbuches, es handele sich um eine „strafrechtliche Haftungskategorie“, verdeutlicht dies. Obwohl auch die Maßregeln des Strafgesetzbuches der Sache nach nichts mit Strafe gemein haben, sondern selbst Maßnahmen der Gefahrenabwehr darstellen, sollte von einer Regelung in diesem Kontext abgesehen werden. Sie könnte bereits sprachlich zu Unsicherheiten bei der Bestimmung der Anwendungsvoraussetzungen führen. Terminologisch wird daher in dieser Arbeit in Bezug auf juristische Personen auf den allgemeinen Begriff „Maßnahmen der Gefahrenabwehr“ abgestellt. Er trägt dem Charak­ ter der Maßnahmen Rechnung und grenzt sie von den Maßregeln des Straf­ gesetzbuches für natürliche Personen ab (obwohl diese der Sache nach ebenfalls Maßnahmen der Gefahrenabwehr darstellen).695 Auch die Normierung in einem eigenen Gesetz erscheint nicht sinnvoll: Die Zulässigkeit von Maßnahmen der Gefahrenabwehr hängt gerade nicht davon ab, gegen wen sie angeordnet werden – ob gegen natürliche oder ge­ gen juristische Personen. Sie müssen stets eine präventive Zielrichtung ver­ folgen, um legitimierbar zu sein. Ein eigenes Maßregelmodell für juristische Personen in einem Sondergesetz wäre insofern verfehlt und erweckte den Eindruck, dass hier andere Maßstäbe als an Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegenüber natürlichen Personen anzulegen sind. Hingegen gilt dies gerade nicht. Zweckmäßiger sind daher entsprechende Regelungen innerhalb der verwaltungsrechtlichen Fachgesetze. Maßnahmen der Gefahrenabwehr blei­ ben dann „zentrale Aufgabe der Verwaltungsbehörden“.696 nen; gleichermaßen irreführend ist insofern die Anknüpfung der Maßregeln an einen der genannten „Haftungstatbestände“. 695  Ein anschauliches Beispiel für die Gefahren einer Integration etwaiger Maß­ nahmen in den strafrechtlichen Kontext stellt die Diskussion um die Sicherungsver­ wahrung dar: Diese wurde sachwidrig vom EGMR als Strafe eingestuft, EGMR NJW 2010, 2495, 2498 f.; vgl. dazu auch die Nachweise oben (Fn. 470). 696  Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 700: „Die zukunftsgerichtete Prognose, ob die Betätigung des Unternehmens eine Gefahr in ei­ nem bestimmten Sektor darstellt oder nicht, ist eine originär polizeirechtliche Auf­ gabe“. Vgl. in Bezug auf Tätigkeitsbeschränkungen auch Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 211, wonach auch der Gedanke der Gewaltenteilung gegen eine Maßregellösung spreche, denn etwaige Maßnahmen fielen in den Kernbereich der Exekutive: „Ihr obliegt es, über diese Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermes­ sen zu entscheiden. Dagegen kommt den Gerichten lediglich die Aufgabe zu, diese Entscheidungen unter Beachtung des zulässigen Ermessensspielraums zu überprüfen“. I. d. S. auch Bock, Criminal Compliance, S. 425, in Bezug auf richterliche Weisungen: Die Wirtschaftssteuerung sei Kernbereich der Exekutive. – Auch die Maßregeln der Besserung und Sicherung sind insofern kein klassisches strafrechtliches Phänomen, sondern nur aus praktischen Gründen der Strafrechtspflege angeschlossen worden, was vor allem mit Kompetenz- und Zweckmäßigkeitserwägungen zu begründen ist.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr

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2. Spezifische Voraussetzungen für Anordnung und Dauer gefahrenabwehrender Maßnahmen a) Beurteilung der Gefahrensituation Während sich bei natürlichen Personen die Art und das Maß von Strafe stets nach der Schuld des Täters richten, kann die Anordnung und gegebe­ nenfalls die Dauer einer Maßnahme der Gefahrenabwehr allein von der vom Betroffenen ausgehenden Gefahr für Güter und Interessen Dritter abhängen. Ebenso wie bei natürlichen Personen im Rahmen der Maßregeln der Besse­ rung und Sicherung muss auch von juristischen Personen eine besondere Gefahr ausgehen, bei der annzuehmen ist, dass auch in Zukunft Rechtsgüter in Gefahr sind, um die Anordnung einer Maßnahme der Gefahrenabwehr ihnen gegenüber legitimieren zu können. Dennoch wird Kritik insbesondere im Hinblick auf zeitlich unbegrenzte Maßnahmen der Gefahrenabwehr laut: Gerade verglichen mit zeitlich begrenzten Strafen, benachteiligten zeitlich unbegrenzte Maßnahmen die Unternehmen doch erheblich, was nur schwer­ lich mit Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG zu vereinbaren sei.697 Die Frage ist, ob eine Anordnung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr auf unbe­ stimmte Zeit legitimierbar ist. Bei einer Anordnung gem. §§ 61 ff. StGB ge­ genüber natürlichen Personen ist dies über die von ihnen für die Rechtsgüter anderer ausgehenden Gefahren möglich. Warum dies bei Unternehmen an­ ders sein soll, ist daher unklar. Freilich kann in beiden Fällen eine Einschrän­ kung der Rechte nur solange gerechtfertigt werden, bis eine Gefahr für Rechtsgüter anderer nicht mehr angenommen werden muss. Sowohl die An­ ordnung als auch die Dauer der Maßnahmen der Gefahrenabwehr richten sich demnach stets nach der Notwendigkeit einer (weiteren) Sicherung. Für die Beurteilung dieser Fragen ist eine Prognose notwendig; dies gilt sowohl bei Maßregeln der Besserung und Sicherung gegenüber natürlichen Personen als auch bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegenüber juristischen Perso­ nen.698 Es geht konkret darum, zu beurteilen, ob die juristische Person eine Gefahrenquelle darstellt  – also „polizeirechtlich gesprochen als Störer“ auf­ Ohne etwaige im Strafgesetzbuch geregelte Maßregeln müssten nämlich die Länder zur Gefahrenabwehr tätig werden. Vgl. dazu auch bereits oben (Fn. 492). 697  Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 134 (in Bezug auf Maßregeln). 698  Probleme, die die Legalprognose bei natürlichen Personen aufweist, sind hin­ länglich bekannt, vgl. aber statt vieler Frisch, GS Schlüchter, S. 669, 674; ders., ZStW 102 (1990), 343, 370 ff., wonach die Anordnungsvoraussetzung der Wahr­ scheinlichkeit einer Begehung zukünftiger Straftaten bei natürlichen Personen stets vage sei. Zum „Prognosedilemma“ vgl. auch Sobota, Die Nebenfolge im System strafrechtlicher Sanktionen, S. 53 ff.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

zufassen ist.699 Unter Gefahr versteht man die Wahrscheinlichkeit des Ein­ tritts eines künftigen, schädlichen Ereignisses – „Die Aussage über eine Ge­ fahr (Zustand) ist daher ein Wahrscheinlichkeitsurteil“.700 Von einer Anord­ nung muss jedenfalls dann abgesehen werden, wenn von der Richtigkeit der Prognose nicht ausgegangen werden kann.701 Dennoch ist es Aufgabe des Staates, die Bürger vor Gefahren zu schützen. Bliebe er in Fällen, in denen vermutlich eine Gefahr von dem Betroffenen ausgeht, untätig, würde er seine staatliche Schutzpflicht in Form des Untermaßverbotes verletzen.702 Fraglich ist, wie eine solche Prognose bei juristischen Personen ausgestal­ tet werden kann. Bei natürlichen Personen stellt im Rahmen der Maßregeln die Anlasstat ein Indiz für die zukünftige Gefährlichkeit des Betroffenen dar. Möglicherweise können konkrete Indizien auch bei juristischen Personen gefunden werden, damit überhaupt bestimmte Maßnahmen der Gefahrenab­ wehr bei einer etwaigen Prognoseentscheidung in Erwägung gezogen wer­ den. Dies könnte z. B. der Fall sein, wenn aus dem Tätigkeitsbereich des Unternehmens heraus eine bestimmte Anzahl von Menschen an Leib, Leben oder anderen wichtigen Rechtsgütern geschädigt wurde. Freilich kann man hierbei nicht auf eine Straftat abstellen, doch ist es durchaus möglich, dass bestimmte schädigende Verläufe in der Sphäre des Unternehmens eine ent­ sprechende Indizfunktion erfüllen. Insofern könnte man anstelle einer Anlas­ stat eine eingetretene Schädigung bei bestehender Wiederholungsgefahr als Anknüpfungspunkt wählen.703 699  Freund,

in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 100. Personenverbände, S. 99. 701  Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 61 Rn. 9. 702  Zum staatlichen Untermaßverbot noch unten (Sechster Teil A. I.). Vgl. in die­ sem Kontext auch die Aussagen bei Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 47 ff., wonach – bezogen auf staatliche Gefahrenabwehr bei Produktgefahren – ein „Abwarten auf Forschungsergebnisse oder Erkenntnisse über tatsächliche Schädi­ gungspotentiale“ nicht in Betracht komme. „Denn dann würden Schutzvorkehrungen zugunsten von verfassungsrechtlich verbürgten Gütern überhaupt nicht getroffen und damit das Untermaßverbot verletzt. Demnach müssen Schutzmaßnahmen auch bei unsicheren Sachverhalten eingreifen“. Ähnlich wie i. R. dieses sog. Vorsorgeprinzips in Bezug auf Gefährdungsverantwortlichkeiten („Das Vorsorgeprinzip ist […] in allen Lebensbereichen mit der Maßgabe, dass bestehende Unsicherheiten nicht zulasten des Schutzes gehen dürfen, anwendbar“, S. 48) kann man auch bei Maßnahmen gegen­ über gefährlichen Unternehmen argumentieren: Hier stehen auch Rechtsgüter der Bürger den Interessen der Unternehmen (insbesondere Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) entgegen, die ein Abwarten auf den Eintritt von Schädigungen in bestimmten Situationen nicht gerechtfertigt erscheinen lassen. 703  Kritisch dazu Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 763: Dann werde der Täter nicht als „Ursache des Konflikts“ wahrgenommen, wodurch das Unternehmen generell als Gefahr bekämpft würde. Jedoch sieht sie die Legitimation von Maßregeln generell kritisch, da ein gewisses Risikopotential bei 700  Seiler,



B. Das Recht der Gefahrenabwehr

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Seiler spricht sich zudem für eine Vermutungsregel aus, d. h., „es soll ver­ mutet werden, daß der einmal straffällig gewordene Verband wiederum straf­ fällig werden wird, wenn die zur Zeit des Deliktes herrschende Verbandskon­ stellation unverändert bleibt“. Hiervon soll es jedoch eine Exkulpationsmög­ lichkeit geben: „Der Verband bzw. seine Vertreter sollen […] die Möglichkeit haben, nachzuweisen, daß alles getan wurde, um einer Wiederholung des Deliktes vorzubeugen“.704 Denkbar wäre darüber hinaus auch eine Indizfunktion des Verhaltens na­ türlicher Personen, etwa im Sinne Engischs: „Wenn innerhalb eines Verban­ des strafbare Handlungen vorkommen, die mit dem Verband und dem Ver­ bandsgeist innerlich zusammenhängen, so dürfen wir den Verband selbst als eine minderwertige, nichtswürdige, sozialschädliche, gemeingefährliche, eventuell untragbare und in diesem Sinne rechtswidrige Institution betrachten und verurteilen, so gut wie man ‚Zustände‘ für möglicherweise rechtswidrig, nämlich der Rechtsordnung ‚widerwärtig‘ befunden hat […]. Ein solches Unwerturteil, eine solche auf den Personenverband selbst zielende Mißbilli­ gung, kann dann auch Grundlage und Anknüpfungspunkt für entsprechende rechtliche Maßnahmen sein, z. B. für die Auflösung des Personenverbandes, so gut, wiederum wie sonstige rechtswidrige Zustände, z. B. die Not und die Hilfsbedürftigkeit eines Menschen, die Gefährlichkeit eines durch eine Na­ turgewalt geschaffenen Zustandes, den Ansatzpunkt für Verwaltungsmaßnah­ men abgeben können“.705 Nach Jescheck soll bereits die Zuwiderhandlung eines gesetzlichen Vertre­ ters als Indiz ausreichend und ein Auslöser für etwaige Maßnahmen sein, „denn das Versagen der vom Gesetz zur Leitung des Verbandes berufenen Organe genügt, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darzutun“.706 Bei Zuwiderhandlungen von Bevollmächtigten und anderen Angestellten Unternehmen sogar erwünscht sei, Rn. 764. Dass Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegenüber juristischen Personen aber durchaus legitimierbar sind und in vielen Fällen eine sinnvolle Maßnahme darstellen, um Rechtsgüter in der Zukunft gerade vor dem gefährlichen „Zustand: Unternehmen“ zu schützen, wurde bereits oben (Fünfter Teil B. II.) gezeigt. Etwaige Maßnahmen der Gefahrenabwehr knüpfen niemals an ein bestimmtes Täterverhalten, sondern stets an einen bestehenden Gefahrenzustand – dies sieht auch Schmitt-Leonardy in Bezug auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen, Rn. 466: Verwaltungsrechtliche Mechanismen zielten „auf einen Zustand, nämlich die Gefahr“ ab „und nicht in erster Linie auf eine Tat“. 704  Seiler, Personenverbände, S. 110.  – Problematisch ist hierbei freilich das An­ knüpfen an die „Straffälligkeit“. 705  Engisch, in: 40. DJT, Band  II, S. E23, wobei die Bezeichnung „Mißbilligung“ bzw. „Unwerturteil“ hier irreführend ist; konkret geht es um die Bewertung von aus dem Unternehmen heraus entstehenden Gefahren. 706  Auch zum Folgenden Jescheck, SchwZStr 70 (1955), 243, 262 f.; ders., in: Große Strafrechtskommission, S. 298 f.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

könne sodann auf eine ursächliche und schuldhafte Aufsichtspflichtverlet­ zung durch ein leitendes Organ als Auslöser von etwaigen Maßnahmen abge­ stellt werden, denn es bestehe kein Anlass für Sicherungsmaßnahmen, wenn das Organ in Bezug auf die Aufsicht alles getan habe, was von ihm verlangt werden konnte. Diese Differenzierung begegnet jedoch Bedenken. Zum ei­ nen kann die Aufsichtfpflichtverletzung allein nicht das ausschlaggebende Kriterium sein: Trotz guter Aufsicht kann unter Umständen ein Bedürfnis für eine Sicherungsmaßnahme bestehen, wenn andere Umstände eine Gefahr begründen. Darüber hinaus ist der Begriff „Auslöser“ irreführend: Er macht nicht klar, ob er sich direkt auf den Ausspruch einer Maßnahme oder zu­ nächst auf die Einleitung einer Prognose bezieht. Ob sich eine Maßnahme anschließt, ist immer eine Frage des Einzelfalls und im Rahmen der Gefah­ renbeurteilung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einzu­ schätzen. Jeschecks Äußerungen sind insofern ungenau  – er spricht sowohl von „Auslöser“ als auch von „Indiz für den Ausspruch einer Massregel“. Jedenfalls kann es sich hierbei nur um ein Indiz handeln, welches im Rah­ men der Prognose Berücksichtigung finden kann. Ein Vorteil der Gefährlichkeitsprognose im Hinblick auf juristische Perso­ nen besteht darin, dass es hier gerade nicht um Gefahren geht, die von der Psyche eines schuldfähigen oder schuldunfähigen Menschen ausgehen. Bei Menschen kann sich die Prognose allein auf ihre Äußerungen und ihr Verhal­ ten nach außen stützen, in die Köpfe kann man nicht hineinschauen. Hinge­ gen ist es bei juristischen Personen durchaus möglich, Einblick in ihr Steue­ rungszentrum und interne Abläufe zu nehmen. Die Beurteilung der zukünfti­ gen Gefährlichkeit könnte dann etwa durch Sachverständige erfolgen, welche die innerbetriebliche Organisation beurteilen und darauf basierend eine Pro­ gnose für künftige Gefahrenquellen abgeben. Im Hinblick auf die Dauer der Maßnahme muss es aus der Sicht des Be­ troffenen jedenfalls möglich sein, die Maßnahme zu beenden, indem er be­ wirkt, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgeht. Dies gilt für natürliche wie juristische Personen gleichermaßen. So kann es etwa Auswirkungen auf die Dauer der Maßregel haben, wie sich das Unternehmen währenddessen wei­ terentwickelt: Zwar ist es nicht möglich, bei juristischen Personen an einen geistigen Zustand anzuknüpfen, doch kann sich die Frage nach der weiteren Sicherung durchaus daran orientieren, wie gefährlich das Unternehmen auf­ grund seiner inneren Strukturen noch erscheint. Bei Unternehmen etwa könnte ein Anhaltspunkt für die zukünftige Ungefährlichkeit darin liegen, dass in einem bestimmten Zeitraum eine verbesserte Betriebsorganisation aufgebaut wurde,707 welche eine gefahrvermeidende Unternehmensführung 707  So Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 134, die un­ ter diesem Gesichtspunkt direkt auf eine zeitliche Begrenzung der Maßnahme abstellt,



B. Das Recht der Gefahrenabwehr181

in Zukunft sicherstellt. So kann es bei temporären Maßnahmen allein von internen Aktionen abhängen, wie lange die staatliche Einschränkung greift und wann die unternehmerische Freiheit wieder uneingeschränkt gewährleis­ tet wird. Eine solche „Besserung“ ist auch im Hinblick auf wirtschaftliche Gesichtspunkte, etwa die Arbeitsplätze im Unternehmen, durchaus wün­ schenswert. Indem sich die „Besserung“ des Unternehmens auf die Dauer der Maßnahme auswirken kann, werden Anreize gesetzt, das Unternehmen intern so zu verändern, dass die staatliche Maßnahme beendet wird. Das be­ deutet, die Gefährlichkeitsvermutung darf nicht unwiderleglich sein, „aber es erscheint berechtigt, dem Verbande […] den Nachweis aufzubürden, daß al­ les getan wurde, um eine Wiederholung unmöglich zu machen. […] Diese Konsequenz ist […] durchaus vernünftig; denn es ist besser, der Verband selbst schafft in seinem Bereich Ordnung, als daß das Gericht sich dieser Aufgabe unterziehen muß“.708 Solange hingegen mit dem Unternehmen weiterhin ein gefährlicher Zu­ stand besteht, ist auch die Maßnahme weiterhin legitimierbar. b) Verhältnismäßigkeit der Maßnahme Wie bei allen staatlichen Maßnahmen ist eine weitere Voraussetzung der Anordnung einer Maßnahme der Gefahrenabwehr gegenüber der juristischen Person die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände im Einzelfall. Hierbei muss eine Abwägung mit den ihr zustehenden Grundrechten, vor allem Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG, vorgenommen werden. Die von der juristischen Person ausgehende Gefahr für Rechtsgüter Dritter muss demnach so gravierend sein, dass sie den Eingriff in die Rechte der ju­ ristischen Person im Rahmen einer Güter- und Interessenabwägung rechtfer­ tigt. Ebenso wie bei natürlichen Personen sind hier die Rechtsgüterschutzinte­ ressen der Bürger und die Rechte der juristischen Person, in die eingegriffen „Maßregeln“ generell aber nur als „Notlösung“ sieht, S. 135. Dazu auch Seiler, Per­ sonenverbände, S. 111: „Ohne Zweifel ist es besser, der Verband schaffe in seinem eigenen Bereich selber Ordnung, als daß der Strafrichter die erforderliche Maßnahme treffen muß“. Vgl. i. d. S. auch bereits Fisse, in: Internationale Forschungsergebnisse, S. 117, 130, jedoch in Bezug auf Geldsanktionen, um eine größtmögliche Freiheit des Unternehmens zu gewährleisten: „Eine Möglichkeit wäre es, gesetzlich zu verankern, daß angeklagten Unternehmen vor dem Urteilsspruch die Gelegenheit gegeben wird anzukündigen, welche Disziplinar- und andere Maßnahmen sie als Reaktion auf die Überführung ergreifen wollen“. 708  Zutreffend Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 208, wobei die Begrifflichkeit – Gefahr der „Wiederholung“ (eines Verbandsdelikts) – frei­ lich schief ist.

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5. Teil: Andere staatliche Maßnahmen

wird, einander gegenüberzustellen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprü­ fung kann auch berücksichtigt werden, welche Auswirkungen die Maßnahme mittelbar hat, etwa für die Angestellten. Je nach Eingriffsintensität der ent­ sprechenden Maßnahme muss die von der juristischen Person ausgehende Ge­ fahr entsprechend größer sein, damit sich die Anordnung noch im Rahmen des Verhältnismäßigen bewegt. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme kann dann auch davon abhängen, welche Rechtsgüter gefährdet sind. Maßnahmen der Gefahrenabwehr scheiden somit aus, wenn die Rechte des Unternehmens überwiegen. Zutreffend formuliert Rudolf Schmitt: „Man wird das nicht ein­ mal zu bedauern brauchen, denn Bagatelldelikte im Verbandsbereich erfordern keine Sicherungsmaßregeln gegen den Verband“.709 Vielmehr geht es hierbei um Situationen, in denen gerade eine besondere Gefährlichkeit von dem Un­ ternehmen ausgeht, die es verhältnismäßig erscheinen lässt, präventive Maß­ nahmen gegen das Unternehmen zu ergreifen. Ist das gefährdete Rechtsgut besonders schützenswert und die Gefahr hierfür konkret, so ist die Maßnahme der Gefahrenabwehr in der Regel verhältnismäßig.710 Nur so kann der Staat seiner Rechtsgüterschutzaufgabe nachkommen. 3. Maßnahmen der Gefahrenabwehr auch gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts? Innerhalb der Diskussion um Maßnahmen gegenüber juristischen Personen wird häufig auch die Frage laut, gegen welche juristischen Personen sich die Maßnahmen richten sollen. Zu unterscheiden sind hier die des Privat- und die des öffentlichen Rechts. Diese Fragestellung wird zumeist bei Vorschlä­ gen zu einem Straf- oder Maßregelmodell thematisiert; hier werden die Kör­ perschaften des öffentlichen Rechts häufig ausgenommen: Der Staat könne nicht die Handlungen seiner Organe bestrafen, andernfalls würde er seine Strafgewalt gegen sich selbst kehren.711 In diesen Fällen genüge vielmehr die 709  Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 215 (in Bezug auf „Maßregeln“). 710  Vgl. dazu etwa Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 503: In der Regel werde z. B. bei öffentlich-rechtlichen Maßnahmen, die Unternehmen in ihrer Organisationsfreiheit beeinträchtigen, keine unverhältnismäßige Belastung im Ver­ gleich zu kollidierenden Grundrechten und Gemeinwohlgütern festzustellen sein. „Je höherrangiger die Rechtsgüter sind, die von der Organisation beherrschten Gefahren betroffen sind, desto größer ist der Spielraum für den Gesetzgeber, die Organisations­ freiheit zu beschränken“. Je undeutlicher hingegen der „Kausalbeitrag von Organisa­ tionsrisiken zu Schadensverläufen und allgemeinen Risiken wird, desto höher werden die Anforderungen an die Rechtfertigung für Eingriffe in die Organisationsfreiheit“. 711  So bereits Busch, Grundfragen, S. 194 f.: „Strafrechtliche Verantwortlichkeit setzt immer zwei Personen voraus“.



B. Das Recht der Gefahrenabwehr183

Staatsaufsicht.712 Anders sieht dies Hafter, der auch Körperschaften des öf­ fentlichen Rechts mit einbeziehen will.713 Differenzierter äußert sich etwa Rudolf Schmitt in Bezug auf Sicherungsmaßnahmen: Es sei nicht einzuse­ hen, warum staatliche Gerichte nicht auch strafrechtliche Maßnahmen gegen den Staat aussprechen sollen.714 Dennoch sieht er das Problem der Gewalten­ trennung: „Es kann keinem Gericht (und auch keiner Verwaltungsbehörde) die Befugnis gegeben werden, Körperschaften, deren Existenz auf Gesetz, teilweise sogar auf Verfassungsgesetz beruht, zu beseitigen oder auch nur in ihrem Tätigkeitsbereich, der wiederum auf Gesetz beruht, zu beschränken“. Außerdem müsse man die Auswirkungen auf die Mitglieder bedenken; häu­ fig seien diese unfreiwillig Mitglieder des Verbandes, z. B. wegen ihres Wohnsitzes (Land, Kreis, Gemeinde) oder ihrer Berufstätigkeit (Anwalts­ kammer etc.); so sei das „Verbleiben in einer öffentlich-rechtlichen Körper­ schaft kein Entschluß, sondern eine Notwendigkeit“. Im Ergebnis schließt er daher Sicherungsmaßregeln gegen Körperschaften des öffentlichen Rechts aus. Auch an dieser Diskussion zeigt sich der Vorzug fachgesetzlicher Regelun­ gen. Sieht man hier Handlungsbedarf, kann de lege ferenda auf konkrete Si­ tuationen eingegangen werden; so sind differenzierte Regelungen möglich. Etwa können dort Körperschaften des öffentlichen Rechts ausgeschlossen werden, wo tatsächlich Probleme in Bezug auf die verfassungsrechtlich ver­ ankerte Gewaltenteilung auftauchen oder verfassungsrechtlich verankerte Körperschaften betroffen sind. In anderen Gesetzen hingegen, in denen dies nicht der Fall ist, können Körperschaften des öffentlichen Rechts miteinbe­ zogen werden, wenn von ihnen eine Gefahr ausgeht. Es besteht dann im Sinne des staatlichen Schutzauftrages kein Grund, warum der Staat hier zwischen Körperschaften des Privat- und denen des öffentlichen Rechts dif­ ferenzieren sollte.

712  Hartung, in: 40. DJT, Band  II, S. E50; Jescheck, DÖV 1953, 539, 543; ders., SchwZStr 70 (1955), 243, 262; ders., in: Große Strafrechtskommission, S. 298. 713  Hafter, Personenverbände, S. 117 („[…] die Feststellung genügt, daß auch der Staat gleich den anderen organisierten Personenverbänden schuldhaft handeln kann“). 714  Auch zum Folgenden Rudolf Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Ver­ bände, S. 211 f.

Sechster Teil

Schlussbetrachtung A. Auswertung: Gewinnabschöpfung und Gefahrenabwehr als legitime Ziele staatlicher ­Maßnahmen gegenüber juristischen Personen Nach dem oben Ausgeführten bleibt festzuhalten: Nicht legitimierbar sind sämtliche Maßnahmen mit Vorwurfscharakter, da sie stets einen Verhaltensnormverstoß voraussetzen, auf den staatlich reagiert wird. In diesem Zusammenhang sind die bestehenden Regelungen der Unter­ nehmensgeldbuße des § 30 OWiG de lege lata ebenso verfassungswidrig wie es ein Verbandsstrafgesetzbuch de lege ferenda wäre. Staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen sind demnach nur aus zwei Gründen legitimierbar: einerseits zur Gefahrenabwehr, d. h. zum Rechtsgüterschutz im klassischen Sinne; andererseits, um den status quo ante wiederherzustellen, d. h. zum quasi-kondiktionellen Ausgleich. In diesem Kontext ist eine Anpassung der Vorschriften über die Einzie­ hung von Taterträgen geboten, die deren legitimen Charakter hervorhebt. Als reine Maßnahme der Gewinnabschöpfung ist sie auch gegenüber juristischen Personen legitimierbar. Eine strafähnliche Zielsetzung muss jedoch unterblei­ ben. Auch die Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten kann nur in Form der Sicherungseinziehung gegenüber juristischen Personen angewendet werden; sie ist dann keine strafähnliche, sondern eine gefahren­ abwehrende Maßnahme. Darüber hinaus ist eine Ausweitung der Maßnahmen der Gefahrenab­ wehr – wie oben [Fünfter Teil B. II. 3. c)] erläutert – durchaus möglich und in Teilen sinnvoll. Im Hinblick auf die Eignung der Maßnahme ist jedoch stets zu untersuchen, ob der staatliche Rechtsgüterschutz hierdurch gestärkt wird, die Maßnahme also tatsächlich sichernd wirkt und somit ein geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr darstellt. Es stellt sich abschließend die Frage, ob diese Erkenntnisse mit verfas­ sungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben vereinbar sind oder sich hieraus doch weitergehende Anforderungen an staatliche Maßnahmen erge­ ben.



A. Auswertung185

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben: Staatliche Schutzpflichtverletzung durch Nichtpönalisierung juristischer Personen? Wie oben bereits beschrieben, muss sich staatliches Handeln stets im Rah­ men des Verhältnismäßigen bewegen. Während aber bisher vorwiegend das Übermaßverbot im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung diskutiert wurde, darf auch die Kehrseite nicht außer Acht gelassen werden: das Unter­ maßverbot. Staatliche Gefahrenabwehr muss sich insoweit stets zwischen diesen beiden „Polen“ – dem Über- und dem Untermaßverbot – bewegen.715 Hieraus kann unter Umständen auch eine Pflicht des Staates entstehen, auf bestimmte Sachverhalte strafend zu reagieren, um so seiner Schutzpflicht nachzukommen. Diese Pflicht wird im Rahmen der Güter- und Interessenab­ wägung aus der Ambivalenz des Rechtsgüterschutzes hergeleitet, der in zwei Richtungen wirkt, nämlich als Freiheitsbegrenzung des einen Rechtsguts zu­ gunsten eines anderen.716 Ein Bedürfnis strafrechtlicher Normierung auf­ grund der staatlichen Schutzverpflichtung hat das BVerfG etwa in seiner nicht unumstrittenen717 Abtreibungsentscheidung bejaht.718 Hier ging es da­ von aus, dass der Einsatz von Strafe dann zwingend geboten sein kann, wenn der verfassungsrechtlich verankerte Lebensschutz anderweitig nicht gewähr­ leistet werden kann. Möglicherweise ergibt sich aus dem staatlichen Untermaßverbot in Anbe­ tracht der potentiell gefährdeten Rechtsgüter auch eine Pflicht des Staates, juristische Personen bestimmten staatlichen Maßnahmen  – etwa strafrechtli­ chen Sanktionen – zu unterwerfen. Der Gesetzgeber muss Gefahren für das Gemeinwesen und die Grundrechte der Bürger mit angemessenen Mitteln begegnen. Hingegen ergibt sich hieraus nicht automatisch auch eine Pflicht zur Pönalisierung juristischer Personen: Zwar kann bei entsprechend gewichtigem personalen Verhaltens­unrecht die Verhängung einer Strafe „das einzige effektive Mittel und damit unabdingbar [sein], um die infrage stehende Verhaltensnorm auf Dauer als geltende Verhal­ tensmaxime beizubehalten“.719 Indessen ist die Pflicht des Staates zur Pönali­ sierung stets – und dies auch in erster Linie – vor dem Hintergrund zu unter­ suchen, ob eine entsprechende Strafbarkeit gegenüber dem Betroffenen recht­ 715  Reus,

Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 45. zu diesem Gedanken Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 102. 717  Vgl. etwa die Sondervoten der Bundesverfassungsrichter Rupp-v. Brünneck und Simon, BVerfGE 39, 1, 68, 73 ff. 718  BVerfGE 39, 1, 46 f. 719  Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 102 f., die auch Beispiele für das Reaktionsbedürfnis auf verschiedene Verhaltensnormverstöße nennt. 716  Vgl.

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6. Teil: Schlussbetrachtung

lich legitimiert werden kann. Dem Staat kann dann keine Verpflichtung zum strafgesetzlichen Einschreiten zugeschrieben werden, wenn für die entspre­ chende Strafbarkeit keine rechtliche Legitimationsgrundlage existiert – oder, wenn sie sogar gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstieße. Wie oben ausführlich dargelegt, ist gegenüber einer juristischen Person keine Verhaltensnormenordnung begründbar, die von ihr übertreten werden könnte. Daher kann von ihr auch nicht die Gefahr eines Normgeltungsscha­ dens ausgehen. Mangels Anknüpfungspunkt für eine Sanktionierung kommt eine staatliche Reaktion von vornherein nicht in Betracht. Vielmehr wider­ spräche eine Sanktionierung juristischer Personen rechtsstaatlichen Grundsät­ zen, indem diesen gegenüber ein unzutreffender Vorwurf erhoben würde. Gleiches gilt entsprechend auf der Ebene der Sanktionen des Ordnungswidrig­ keitenrechts. Indem der Staat keine zusätzlichen Sanktionen mit Vorwurfscharakter ge­ genüber juristischen Personen schafft, verletzt er somit nicht seine staatlichen Schutzpflichten. Im Gegenteil stellt die ordnungswidrigkeitenrechtliche Re­ gelung sogar eine Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze dar und ist ebenso wie eine potentielle strafrechtliche „Verantwortlichkeit“ juristischer Perso­ nen – wie oben gezeigt – verfassungswidrig.

II. Europäische Vorgaben: Pflicht zur Einführung von Sanktionen gegenüber juristischen Personen? Die Forderung nach der Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlich­ keit von juristischen Personen hat ihren Ursprung auch in europäischen Ent­ wicklungen: Sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch in den Mit­ gliedsstaaten selbst lasse sich eine klare Tendenz zur Einführung einer straf­ rechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen erkennen.720 So forderte die EU etwa ihre Mitgliedsstaaten auf, effektive Sanktionen gegen Verant­ wortliche in Unternehmen einzuführen,721 und kritisierte diesbezügliche Un­ 720  Vgl. dazu die Darstellung von Bahnmüller, Strafrechtliche Unternehmensver­ antwortlichkeit, S. 97 ff.; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor  §§ 25 ff. Rn. 124; ferner Korte, NJW 1998, 1464 f.; Schünemann, FS Tiedemann, S. 429, 440 ff.; Tiedemann, FS Nishihara, S. 496 ff.; ders., in: Freiburger Begegnung, S. 30 ff.; Zieschang, GA 2014, 91, 96 f.; ders., ZStW 115 (2003), 117 f. Kritisch zur Praxis der Verbands­ geldbuße innerhalb der EU (vormals EG) und der umstrittenen Frage nach der Krimi­ nalstrafgewalt Fromm, ZIS 7/2007, 279, 280 ff., 283 ff., 291, der sich die Frage stellt, „ob sich die Sanktionspraxis der inflationären Geldbußen mit der derzeitigen Kompe­ tenzverteilung zwischen den Mitgliedsstaaten und der EG über das Kriminalstrafrecht vereinbaren lässt“. 721  Vgl. etwa Art. 3 des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Inter­ essen der Europäischen Gemeinschaften (PIF-Übereinkommen v. 26.07.1995). Einen



A. Auswertung

187

terschiede innerhalb der Mitgliedsstaaten, die dazu führten, dass finanzielle Interessen der EU nicht ausreichend geschützt würden.722 Auch in den meis­ ten Mitgliedsstaaten wurde bereits eine – im Detail und der praktischen Re­ levanz jeweils unterschiedliche  – Strafbarkeit juristischer Personen einge­ führt.723 Insoweit stehe Deutschland mit seiner grundsätzlichen Ablehnung einer solchen Strafbarkeit in Europa fast allein, es sei gar in eine Außensei­ terrolle geraten.724 Aufgrund der nationalen wie internationalen Entwicklun­ gen wird daher die Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juris­ tischer Person teilweise als unumgänglich angesehen.725 Jedoch kann sich die Frage nach der Notwendigkeit einer solchen nur dann stellen, wenn grundsätzlich auch deren rechtliche Möglichkeit besteht. Es zeigt sich insofern zwar eine eindeutige Entwicklung innerhalb der EU und den europäischen Mitgliedsstaaten, doch ist dies keinesfalls ein zwingendes Argument für die Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juris­ tischer Personen auch in Deutschland. Die europarechtlichen Regelungen stehen zwar der Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen nicht entgegen, doch wird diese bisher auch weder von der EU noch von den Vereinten Nationen oder dem Europarat verlangt.726 Vielmehr Überblick über weitere europäische Rechtsetzungsakte geben etwa Bedecarratz Scholz, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 183 ff.; v. Bubnoff, ZEuS 2004, 447, 450 ff.; Engelhart, eucrim 3/2012, 110 ff.; Fromm, ZIS 7/2007, 279 ff.; Rönnau/Wegner, ZRP 2014, 158, 162 ff. 722  s. etwa die Mitteilung der Kommission vom 20.09.2011 (KOM [2011] 573). 723  Einen Überblick über die Regelungen in anderen Ländern gibt etwa Eidam, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 5 Rn. 507 ff. Überblicksartig auch Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vor  §§ 25 ff. Rn. 124; Vogel, StV 2012, 427, 431; Zieschang, GA 2014, 91, 96; vgl. hierzu auch Bahnmüller, Strafrechtliche Unterneh­ mensverantwortlichkeit, S. 3 ff. 724  Frisch, FS Wolter, S. 349, 352; ders., in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktgefahren, S. 153, 157. Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 231 m. w. N. in Fn. 1, spricht gar von einem „weltweiten kriminalpolitischen Megatrend“. 725  So etwa Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 243, die vor allem im Vergleich mit ausländischen Rechtsordnungen eine strafrechtliche Verantwortlich­ keit juristischer Personen für möglich hält. Auch Behrens, EuZW 2011, 161, hält die Einführung einer Unternehmensstrafbarkeit europarechtlich für unausweichlich. 726  Die Kommission spricht in Erwägungsgrund 14 zum Entwurf einer Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Insidergeschäfte und Marktmanipulation (20.10.2011) zwar deutlich davon, dass eine Ausweitung der Verantwortlichkeit von juristischen Personen „weitest möglich […] für die strafrechtliche Verantwortlichkeit gelten soll“, doch kann dies nur insoweit möglich sein, als dies mit dem deutschen Rechtssystem vereinbar ist; eine rechtliche Verpflichtung Deutschlands besteht nicht, zutreffend Zieschang, GA 2014, 91, 96; ebenso Schmitt-Leonardy, Unternehmenskri­ minalität ohne Strafe?, Rn. 486. Auch Engelhart, eucrim 3/2012, 110, 116, 121, sieht auf europäischer Ebene noch keine Verpflichtung zur Einführung strafrechtlicher Sanktionen, wenngleich er nicht ausschließt, dass aufgrund der starken nationalen

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6. Teil: Schlussbetrachtung

ist die einzige Vorgabe, dass bei bestimmten Verhaltensweisen „Sanktionen“ ergriffen werden, die verhältnismäßig, wirksam und abschreckend sind.727 Dass die EU hier den Begriff der Sanktionen bzw. Strafen verwendet, lässt nicht darauf schließen, welcher Art etwaige Maßnahmen sein sollen, sondern zeigt die fehlende sprachliche Unterscheidung zwischen Sanktionen und dem Oberbegriff der „Maßnahmen“. Dennoch wird angemerkt, etwa ein Maßregelmodell genüge europäischen Vorgaben nicht.728 Diese verlangten zwingend die Verhängung von straf­ rechtlichen oder nichtstrafrechtlichen Geldsanktionen.729 Aus diesem Grund habe im Jahr 2002 sogar eine Überarbeitung des Ordnungswidrigkeitenrechts stattgefunden, indem der Kreis der Personen, an deren Handeln der Tatbe­ stand des § 30 OWiG anknüpft, erweitert und der Höchstbetrag der Geldbuße angehoben wurde – Die Regelung des § 30 OWiG basiere insofern auf den europäischen Entwicklungen.730 Jedoch ist diese – wie oben (Vierter Teil B.) beschrieben – nicht mit dem deutschen Recht in Einklang zu bringen. Auch eine Geldbuße im Ordnungswidrigkeitenrecht stellt eine Sanktion mit Vor­ wurfscharakter dar, die mangels Verhaltensnormbindung bei juristischen Personen nicht legitimierbar ist. Andererseits wird aber auch angeführt, nicht zuletzt der Vergleich mit an­ deren Ländern zeige auch, dass dort die Überzeugung vorherrsche, eine Erweiterung des Maßnahmenspektrums (über Geldbuße und Geldstrafe hinaus) könne zu mehr Effektivität verhelfen; genannt werden unter anderem die Maßnahmen: Verweis, Warnung, Werbeverbot, Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen, Schadensersatz, Veröffentlichung eines Urteils, Zwangsauf­ sicht und Kuratel, Tätigkeitsbeschränkungen sowie Auflösung des Verban­ Tendenzen, „auch in Europa das Pendel“ in Richtung eines Unternehmensstrafrechts ausschlägt. Vgl. auch Fromm, ZIS 7/2007, 279; Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 231, 249. 727  Vgl. etwa Art. 7 der Richtlinie 2008/99/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt v. 19.11.2008, L 328/28. 728  Rogall, GA 2015, 260, 266. 729  v. Bubnoff, ZEuS 2004, 447, 472 m. w. N.; Korte, FS Samson, S. 65, 73; Rönnau/Wegner, ZRP 2014, 158, 161. 730  Vgl. etwa das Gesetz zur Ausführung des Zweiten Protokolls vom 19.06.1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, der Gemeinsamen Maßnahmen betreffend die Bestechung im priva­ ten Sektor vom 22.12.1998 und des Rahmenbeschlusses vom 29.05.2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro – Gesetz v. 22.08.2002, BGBl. I, S. 3387. Zum „Zweiten Protokoll“ s. auch Korte, NJW 1998, 1464 ff., 1465, wonach die aktuellen Regelungen des Ordnungswidrigkeitenrechts in wesentlichen Punkten denen des Protokolls entsprächen. Ausführlich dazu auch Bedecarratz Scholz, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 184 ff.



A. Auswertung189

des.731 Vieles davon stellt wie oben [Fünfter Teil B. II. 3. c)] gezeigt, gerade nicht zwingend eine Sanktion dar, sondern kann unter bestimmten Vorausset­ zungen als Maßnahme der Gefahrenabwehr legitimiert werden. Darüber hinaus stellt möglicherweise auch die Maßnahme der Einziehung eine im Sinne der EU geeignete finanzielle Maßnahme dar. Diese ist im Hin­ blick auf den ihr innewohnenden Ausgleichscharakter auch gegenüber juris­ tischen Personen legitimierbar  – freilich unter Berücksichtigung der oben (Fünfter Teil A. I. 1., II.) genannten Kritikpunkte. Jedenfalls ist es nicht möglich, aus den europäischen Forderungen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen zu konstruieren. Hier­ für kann allein das deutsche (Verfassungs-)Recht maßgeblich sein. Auch die vermeintliche Drucksituation, in der sich Deutschland als Schlusslicht einer bereits in den angloamerikanischen Ländern stattgefundenen Debatte um das „corporate crime“ befinde,732 lässt keine anderen Schlussfolgerungen zu: Würde Deutschland dieser Entwicklung ebenfalls nacheifern, bedeutete dies keinen Fortschritt innerhalb der internationalen Rechtssysteme, sondern führte in der deutschen Strafrechtswissenschaft langfristig zu einer „semanti­ schen Verschmutzung, die zwangsläufig Denkfehler und unhaltbare Ergeb­ nisse“ nach sich zöge.733 Denn in der Tat ist es bereits innerhalb der EU und in vielen anderen Ländern so, dass keine klare Abgrenzung von Maßnahmen untereinander stattfindet, sondern sämtliche Maßnahmen schlicht als „Strafe“ bezeichnet werden, für die dann unzureichende Legitimationsgrundlagen he­ rangezogen werden.734 Im Gegenteil stehen einer Einführung strafrechtlicher Sanktionen verfas­ sungsrechtliche Bedenken klar entgegen. So betont etwa Schünemann zutref­ 731  Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 129 (vgl. auch den Überblick über die ver­ schiedenen Maßnahmen, Rn.  263 ff.). 732  Vgl. etwa Krems, ZIS 1/2015, 5, 6, wonach „ein Recht mit wirksamen, ange­ messenen und abschreckenden Sanktionen auch gegen juristische Personen“ interna­ tionaler Standard sei. 733  Zutreffend Schünemann, ZIS 1/2014, 1, 11, 12: Die „Schlusslichtthese“ könne  – selbst wenn sie zutreffend wäre  – in einem Rechtsstaat nicht dazu führen, dass fehlerhafte Gesetze anderer Länder kopiert würden. Dieser Kritik kann auch nicht durch eine Umbenennung des Problems begegnet werden, etwa, wenn man wie Löffelmann, JR 2014, 185, 199, fordert, man solle besser von einem „Disziplinie­ rungsrecht“ sprechen und diesem dann aber trotzdem die Möglichkeit strafähnlicher Regelungen zugesteht. 734  Vgl. zum korrekten Gebrauch der Begriffe bereits oben (Zweiter Teil A. II.). In diesem Zusammenhang auch kritisch zur Praxis der Zurechnung im US-Recht sowie im EU-Kartellrecht, wo „zwar effizient, aber zu grob zugerechnet“ werde, Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 129, 138: Hierdurch gehe jegliche Legiti­ mation verloren. Übrig bleibe „ein ganz brutales“, im Grunde „archaisches Recht“, in dem die Legitimationsfrage nicht einmal gestellt werde.

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6. Teil: Schlussbetrachtung

fend, das Schuldprinzip sei durch die Menschenwürde und das Rechtsstaats­ prinzip im Rahmen der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG sogar „eu­ ropäisierungsfest“ garantiert.735 Und auch das BVerfG hat in einer Grund­ satzentscheidung klargestellt, dass „die Zuständigkeiten der Europäischen Union im Bereich der Strafrechtspflege […] in einer Weise ausgelegt werden“ müssen, „die den Anforderungen des Schuldprinzips genügt“. Schließlich gehöre das Schuldprinzip zur „unverfügbaren Verfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch die supranational ausgeübte Gewalt geschützt ist“.736 Diese Kompetenzentscheidung betrifft nicht nur den Bereich der Strafe ge­ genüber natürlichen Personen, sondern selbstverständlich den gesamten Be­ reich klassischer Strafe, unter den auch die Fragestellung nach einer straf­ rechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen fällt.737 Dass es in Deutschland keine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen gibt, ist eine bewusste Entscheidung des deutschen Gesetzgebers nach Vorga­ ben des Grundgesetzes. Es gilt noch immer der römischrechtliche Grundsatz „societas delinquere non potest“.738 Schünemann bezeichnet Deutschland insofern zwar einerseits als Schluss­ licht einer internationalen Entwicklung bzw. (je nach Bewertung) auch als letzten Fels in der Brandung.739 Letzterem ist beizupflichten: Eine strafrecht­ liche Verantwortlichkeit juristischer Personen kann es im deutschen Recht nicht geben. Konsequenterweise muss das Gleiche auch im Ordnungswidrig­ keitenrecht gelten; die bestehenden ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sankti­ onen gegenüber juristischen Personen sind nicht legitimierbar. Dennoch sind die europäischen Entwicklungen ernst zu nehmen und es erscheint schwierig, diese aufzuhalten: Das gilt insbesondere aufgrund der vielschichtigen und teils undurchsichtigen Rechtssetzungskompetenzen der EU, die versucht, aus den Rechtssystemen der Mitgliedsstaaten einen Kom­ promiss zu finden. Insofern wird die EU auch als „Flickenteppich […] aus 735  Schünemann, ZIS 1/2014, 1, 2; vgl. auch ders., in: Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, S. 265, 280: Es drohe eine Verletzung des Schuldgrundsatzes sowie des Verhältnismäßigkeitsprinzips wegen Ungeeignetheit der Unternehmens­ sanktion in Form von Geldzahlungen; und innerhalb der Vertragsstaaten der EMRK sowie der Mitgliedsstaaten der EU müsse zumindest von der Tendenz nach einer vergleichbaren Legitimationsproblematik ausgegangen werden. 736  BVerfGE 123, 267, 413. Zur „Europäisierung des Strafrechts“ und deren Fol­ gen kritisch Beukelmann, NJW 2010, 2081 ff. 737  So auch Schünemann, ZIS 1/2014, 1, 11. 738  Statt vieler Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 146; vgl. zu dessen Ursprung bereits Heinitz, in: 40. DJT, Band  I, S. 65, 67; Schünemann, in: Leipziger Kommentar I, Vor § 25 Rn. 20. 739  Schünemann, in: Leipziger Kommentar I, Vor § 25 Rn. 20 (m. w. N. zur interna­ tionalen Sichtweise).



B. Exkurs: Strafrechtliche Individualverantwortlichkeit191

supranationalem Sanktionsrecht, harmonisiertem nationalem Strafrecht, euro­ päischem Kooperationsrecht, Regelungen über neue europäische Institutio­ nen auf dem Gebiet des Strafrechts sowie einem komplexen System zum Schutz der Menschenrechte in unterschiedlichen nationalen und internationa­ len Rechtsordnungen“ bezeichnet.740 Eigene Rechtssetzungskompetenzen werden ihr etwa zum Schutz der finan­ ziellen Interessen gem. Art. 325 Abs. 4 AEUV und im Bereich des Zolls gem. Art. 33 AEUV zugebilligt  – hier ist es durchaus denkbar, dass sie „Sanktio­ nen“ gegenüber juristischen Personen normiert. Auch im Bereich der Anwei­ sungskompetenz gem. Art. 83 AEUV sind entsprechende Vorgaben möglich. Jedoch wird im „Lissabon-Urteil“ betont, dass die allgemeine Ermächtigung zur Festlegung von Straftaten und Strafen verfassungskonform entsprechend begrenzend auszulegen sei, was bereits durch die eng gefassten Tatbestands­ voraussetzungen zum Ausdruck komme, die eine besondere Notwendigkeit grenzüberschreitender Regelungen implizierten.741 Zur Umsetzung wäre dies jedoch einfach zu bejahen, wenn man Strafe als schärfstes Mittel des Staates ansieht und milderen Mitteln nicht die gleiche Wirkung zuspricht. Dennoch besteht ein Veto-Recht gem. der Absätze 3 der Art. 82, Art. 83 AEUV, wenn dies damit begründet ist, dass grundlegende Aspekte der Strafrechtsordnung der Mitgliedsstaaten berührt werden. Darüber hinaus betont das BVerfG, dass „die demokratische Selbstbestimmung […] in einer besonders empfindlichen Weise berührt“ sei, „wenn eine Rechtsgemeinschaft gehindert wird, über die Strafbarkeit von Verhaltensweisen und gar die Verhängung von Freiheitsstra­ fen nach Maßgabe eigener Wertvorstellungen zu entscheiden“.742 Es bleibt offen, wie sich die Situation auf europäischer Ebene fortentwi­ ckelt. Festzuhalten ist aber, dass auf der Grundlage des deutschen (Verfas­ sungs-)Rechts Sanktionen gegen Unternehmen nicht legitimierbar sind. Hier kann auch eine europäische Regelung nichts ändern. Umso gravierender ist es, wenn dennoch Sanktionen eingeführt werden, etwa die bestehende Rege­ lung zur Geldbuße in § 30 OWiG.

B. Exkurs: Strafrechtliche Individualverantwortlichkeit bei unternehmensbezogenen Taten Die Diskussion um eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Per­ sonen leidet nicht selten unter einer Blickverengung. Zum einen geht es um Gefahrenabwehr und die Wiederherstellung des status quo ante – beides 740  Sieber,

ZStW 121 (2009), 1. 123, 267, 411 f. 742  BVerfGE 123, 267, 412. 741  BVerfGE

192

6. Teil: Schlussbetrachtung

muss von staatlicher Seite auch gegenüber juristischen Personen stattfinden. Zum anderen geht es um die strafrechtliche (bzw. ordnungswidrigkeiten­ rechtliche) Verantwortlichkeit aufgrund eines konkreten Fehlverhaltens – diese aber kann immer nur eine individuelle Verantwortlichkeit sein. Die dargestellten Maßnahmen gegenüber juristischen Personen können insofern niemals die Individualsanktionen des Strafrechts ersetzen. Sie stellen viel­ mehr eine Ergänzung dar, besitzen einen völlig anderen Anknüpfungspunkt und eine andere Zielsetzung. Mithin ist es wichtig, auch die Individualsanktionen nicht aus dem Blick zu verlieren. Andernfalls verkennt man, dass „der letzte Auslöser der Rechts­ gutsverletzung immer eine individuelle Handlung bleibt“.743 Auch individu­ elle Fehlverhaltensweisen  – gerade innerhalb unternehmerischer Gefüge  – können insofern erhebliche Auswirkungen haben. So bleibt laut Díaz y García Conlledo „das grundlegende Problem in der eventuellen Nutzung der Struktur der juristischen Person als Schutz oder ‚Panzerstück‘ in Bezug auf die Bege­ hung von Straftaten durch natürliche Personen, die in ihrem Schoß agieren“.744 Selbst in den USA – die seit mehr als 100 Jahren eine strafrechtliche Unter­ nehmensverantwortlichkeit praktizieren – wird daher mittlerweile wieder die individual criminal liability in den Mittelpunkt gerückt.745 Das geltende deutsche (Straf-)Recht bietet bereits ein breites Spektrum von Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Individualtätern innerhalb von Unter­ nehmen: So existiert im Rahmen der Sanktionen des Straf- und Ordnungs­ widrigkeitenrechts die Organ- und Vertreterverantwortlichkeit gem. § 14 StGB und § 9 OWiG, die Garantenverantwortlichkeit gem. § 13 StGB und § 8 OWiG sowie die Inhaberverantwortlichkeit gem. § 130 OWiG. Wie oben bereits erwähnt, wird hier zu Recht auch diskutiert, ob beispielsweise der Compliance-Beauftragte als Sonderverantwortlicher anzusehen ist und somit für bestimmte Bereiche besonders einzustehen hat.746 Darüber hinaus stuft 743  So Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 129, 134 ff., der jedoch das Problem der Kumulation von „Sanktionen“ sieht. Dieses ergibt sich bei dem hier angebotenen Maßnahmenmodell jedoch nicht, da gegenüber dem Verband keine „Sanktionen“ einschlägig sein können. 744  Díaz y García Conlledo, GA 2016, 238, 246 f. Zu den Formen strafrechtlicher Individualverantwortlichkeit innerhalb des Unternehmens ausführlich H. Eidam/Eidam, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 5 Rn. 145 ff. 745  Vgl. Kubiciel, ZRP 2014, 133, 134, 135, der daraus jedoch nur einen Aus­ tausch des Legitimationsmodells folgern möchte. Unter präventiven Gesichtspunkten könne eine Unternehmensstrafbarkeit nämlich nicht gerechtfertigt werden. Vgl. zur Entwicklung in den USA auch Schünemann, FS Tiedemann, S. 429, 443 ff. Auch Hendrik Schneider, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 25, 39 m. w. N. in Fn. 56, betont, dass „in den USA längst die kritischen Stimmen, die sich gegen das Unternehmensstrafrecht aussprechen, die Oberhand gewonnen“ hätten. 746  Vgl. dazu noch die Nachweise unten (Fn. 770).



B. Exkurs: Strafrechtliche Individualverantwortlichkeit193

etwa Koffka die Möglichkeit, ein strafrechtliches Berufsverbot neben der Bestrafung der Einzelperson anzuordnen, sehr hoch ein, da dieses weitrei­ chende Folgen auch für die Mitgliedschaft im Verband habe.747 Im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung können zudem Auflagen eine sinnvolle Option sein.748 Gerade der Bereich der Individualstraftaten in Unternehmen unterliegt demnach einem stetigen Fortschritt; insofern zeigt sich mit Schü­ nemann, dass „im Bereich des Individualstrafrechts noch erhebliche Ressour­ cen schlummern, deren Erschließung zu einer nachhaltigen Steigerung der Präventionseffizienz führen würde“.749 Oben wurden insbesondere Nachweisschwierigkeiten als Hauptargument für die Einführung einer Verbandsstrafe angeführt. Die Ursache von etwaigen Vollzugsdefiziten liegt jedoch in der Regel in der mangelnden Einleitung von Strafverfahren, d. h. auf prozessualer Ebene. Im Hinblick auf die Erlangung von Informationen vor und während des Strafprozesses wird dieser Einwand hingegen überwiegend abgeschwächt: Im Wege einer organisationstheoreti­ schen Betrachtungsweise erscheine „die Auffassung von den typischen hor­ renden Beweisschwierigkeiten bei Wirtschaftsstraftaten“ zweifelhaft, „weil in einem Unternehmen grundsätzlich schon wegen der internen Organisati­ onsbedürfnisse eine weitreichende Dokumentation aller Betriebsvorgänge gewissermaßen ‚prästabiliert‘ ist, auf die im Strafverfahren zurückgegriffen werden kann“.750 Zudem wird angemerkt, dass es genügend Möglichkeiten gebe, „im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens die Personen, die einen Täter kennen und ihn nicht preisgeben wollen, dazu zu zwingen“; dagegen sei es unsinnig „auf dem merkwürdigen Umwege einer Bestrafung des Verbandes die Erfüllung dieser staatsbürgerlichen Pflicht herbeiführen“ zu wollen.751 Dennoch bestehende Vollzugsdefizite werden vor allem auf organisatorische Mängel der Verfolgungsbehörden und mangelnde Kommu­ 747  Koffka,

in: Große Strafrechtskommission, S. 301 f. für Auflagen bei einer Strafaussetzung zur Bewährung i. R.d. Um­ weltdelikte als „sinnvolle Möglichkeit, das vom Täter begangene Unrecht wieder auszugleichen“ zeigen Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 443 f., auf. 749  Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 245; ders., wistra 1982, 41, 49. 750  Zutreffend Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 49, 55, 60, der das Pro­ blem eher in den „wissenschaftstheoretischen und entscheidungspsychologischen Vo­ raussetzungen der richterlichen Wahrheitsfindung im Strafprozeß“ verankert, S. 52. I. d. S. auch Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 489; Volk, JZ 1993, 429, 433, die das Problem eher darin sehen, dass die Beweislage in solchen Fällen zu umfangreich sei. Hieran würde sich jedoch auch dann nichts än­ dern, wenn man das Unternehmen selbst in den Vordergrund stellte. Kritisch dazu Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 46 f., wonach ein mit Vorsatz agierender Täter innerhalb solcher Systeme wichtige Informationen auch leicht verschleiern könne. 751  Koffka, in: Große Strafrechtskommission, S. 301. 748  Beispiele

194

6. Teil: Schlussbetrachtung

nikation untereinander, insbesondere der staatlichen Behörden, Staatsanwalt­ schaft und Verwaltung, zurückgeführt.752 Darüber hinaus ergeben sich Probleme im Rahmen der Beweisbarkeit, wenn ein tatbestandlicher Erfolg nicht auf eine bestimmte Person zurückge­ führt werden kann.753 Solche vermeintlichen Kausalitätsprobleme entstehen etwa im Rahmen von „Kollegialentscheidungen“754 und beruhen auch auf der Dominanz strafrechtlicher Erfolgsdelikte, bei denen der Erfolg auf ein bestimmtes Verhalten einer Person zurückzuführen sein muss. Wegen des in dubio pro reo-Grundsatzes führen Erkenntnisdefizite hier zwangsläufig zum Strafausschluss.755 Ein bekanntes Beispiel hierfür stellt etwa der „ConterganFall“756 aus dem Jahr 1971 dar. Um nicht erneut zu einer Straflosigkeit zu gelangen, weichte der BGH in seinen umstrittenen „Lederspray-“757 und 752  Nicht selten sei hier ein „Gegeneinander“ der zuständigen Stellen zu erblicken, weswegen Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 450 m. w. N. in Fn. 92, jedenfalls im Hinblick auf die von ihnen untersuchten Umweltdelikte die Installation eines Drei­ ecksverfahrens empfehlen. 753  I. d. S. etwa Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 55, der eine „echte ob­ jektive Beweisnot“ vor allem daran festmacht, dass die Wahlfeststellung bei zwei al­ ternativ als Täter in Betracht kommenden Personen unzulässig ist und darüber hinaus die Feststellung der Kausalität von innerbetrieblichem Fehlverhalten häufig misslingt. Vgl. zur Frage der Beweisbarkeit ferner auch Puschke, FS Schünemann, S. 647 ff., 653, 660, der sich kritisch mit der Thematik gesetzlicher Vermutungs- und Beweis­ lastregeln im Wirtschaftsstrafrecht auseinandersetzt: Ob etwaige Regelungen Anwen­ dung finden könnten, sei im Bereich des materiellen Strafrechts zu beurteilen, wenn es um die Diskussion der Grenzen legitimen Strafens gehe. Sie seien im Strafrecht jedenfalls dann nicht anwendbar, wenn sie gegen höherrangiges Recht verstießen (etwa im Rahmen von Merkmalen mit unmittelbarer Relevanz für den individuellen Schuldvorwurf) oder sich innerhalb des Tatbestandes eine Rechtsgutsgefährdung nicht ohne diese Regeln begründen ließe. 754  s. dazu ausführlich Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 346, der zutreffend betont, dass es hierbei nicht um ein Kausalitäts-, sondern um ein Verant­ wortlichkeitsproblem geht: „Die Frage ist allein, ob das Stimmverhalten bei dieser Sachlage gegen eine im Interesse des Güterschutzes legitimierbare Verhaltensnorm verstößt. Wenn die Verhaltensnormproblematik geklärt ist, kann allenfalls noch ein Problem beim prozessualen Nachweis spezifischer Fehlverhaltensfolgen auftreten“; ders., in: MünchKommStGB VI, Vor  §§ 95 ff. AMG Rn. 64 ff.; vgl. auch Eidam, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 6 Rn. 161 ff.; Rotsch, Individuelle Haftung, S. 118 ff.; Theile, in: Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht und Unternehmensvertei­ digung, S. 16 ff.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn.  281 ff. 755  Vgl. Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 71 ff., 105 ff., die dieses Problemfeld im Hinblick auf den Bereich der Produktverantwortlichkeit näher be­ leuchtet. 756  LG Aachen, JZ 1971, 507. 757  BGHSt 37, 106. Vgl. dazu auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 282. Kritik kommt etwa von Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 158 ff.; Kuhlen, JZ 1994, 1142 ff.



B. Exkurs: Strafrechtliche Individualverantwortlichkeit195

„Holzschutzmittel-“758 Entscheidungen die an die Kausalitätsgesetze zu stel­ lenden Anforderungen erheblich auf, was schließlich zu einer Ausweitung des Verantwortungsbereichs der Unternehmensspitze führte.759 Diese Ent­ wicklung ist durchaus kritisch zu betrachten.760 Möglich wäre in solchen Fällen ein – freilich ebenfalls nicht unumstrittener – Rückgriff auf die Gruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte: Diese verlagerten zwar die Strafbarkeit des Einzelnen nach vorne, doch bestehe hierfür im Sinne der Verhaltens­ normgeltung und mittelbar des Rechtsgüterschutzes ein erheblicher Bedarf.761 So sei auch ein entsprechender Verhaltensnormverstoß allein, d. h. das – hin­ reichend gewichtige – personale Verhaltensunrecht, dazu in der Lage, eine Strafbarkeit im Sinne eines abstrakten Gefährdungsdelikts zu legitimieren; auf einen Erfolgssachverhalt komme es hingegen nicht zwingend an, das Fehlen eines solchen spiele lediglich in der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Rolle, da an das Fehlverhalten besonders hohe Anforderungen zu stellen seien.762 Hieran zeigt sich: Nachweisschwierigkeiten, die sich im Zusammenhang mit Straftaten in Unternehmen ergeben, muss auf andere Weise als über die Einführung eines eigenen Unternehmensstrafrechts begegnet werden. Eine Unternehmensstrafbarkeit ist insoweit niemals Ersatz für die Suche nach den verantwortlichen Einzelpersonen.763 Es geht allein darum, Individualtätern – also den Personen „hinter“ der juristischen Person – die von ihnen begange­ 758  BGHSt

41, 206.

759  Schmitt-Leonardy,

Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 305. statt vieler etwa Hassemer, Produktverantwortung, S. 38 ff.; Krämer, Indi­ viduelle und kollektive Zurechnung im Strafrecht, Teil  2 C. III. 2. e) (S. 295 ff.); Rotsch, ZIS 7/2007, 260 ff.; ders., Individuelle Haftung, S. 166; Schünemann, in: Leipziger Kommentar I, § 25 Rn. 125 („Verantwortlichkeit der Führungsorgane […] in der dogmatischen Konstruktion in undeutlicher und schwerlich haltbarer Weise durch eine Ausdehnung des Handlungsbegriffs“). 761  Vgl. zum Für und Wider solcher Delikte in Bezug auf die Produktverantwort­ lichkeit ausführlich Reus, Das Recht der Risikogesellschaft, S. 104 ff., 112 ff., 114 ff., 130 ff., 138 m. w. N., die als Alternative hierzu  – i. S. eines die staatlichen Schutz­ pflichten erfüllenden Strafrechts – nur die Anwendung der Risikoerhöhungslehre oder eine Ausdehnung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung sieht, was jedoch contra legem abzulehnen sei. Bahnmüller, Strafrechtliche Unternehmens­ verantwortlichkeit, S. 12, hingegen möchte verstärkt den Blick auf interne Vorgänge richten. Prozessual gesehen böten etwa Fahrlässigkeitsstrafbarkeiten einen Vorteil, da in diesen Fällen der Nachweis genüge, dass überhaupt hätte gehandelt werden müs­ sen, so Ransiek, in: Unternehmensstrafrecht, S. 285, 300. Vgl. speziell im Hinblick auf Umweltstraftaten auch Ralf Busch, Unternehmen und Umweltstrafrecht, S. 251, 259 ff. 762  Vgl. dazu Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 141 f. 763  Meyer, ZStW 126 (2014), 122, 131 (in Bezug auf etwaige Fragen innerhalb des Völkerstrafrechts). 760  Vgl.

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6. Teil: Schlussbetrachtung

nen Straftaten nachzuweisen und sie mit den Mitteln des Strafrechts zu ahn­ den. Insofern löst nicht „der Ruf nach mehr oder schärferen Gesetzen“ ver­ meintliche Defizite; es reicht aus, bestehende Regularien entsprechend aus­ zuschöpfen.764 Hierfür könnte  – wie oben bereits angesprochen  – auch die Ausweitung von abstrakten Gefährdungstatbeständen sinnvoll sein. Als weiterer Problempunkt wird angeführt, dass der bei Wirtschaftsstrafta­ ten entstehende Schaden häufig außer Verhältnis zur individuellen strafrecht­ lichen Verantwortlichkeit stehe. Daher wird von einigen vorgeschlagen, bei für einen Verband handelnden Tätern qualifizierende Tatbestände einzufüh­ ren, die dann eine härtere Bestrafung begründeten.765 Darüber hinaus könnten individuelle Sanktionen verschärft werden, bei denen der Täter im Interesse eines Unternehmens gehandelt hat.766 So wird etwa auch eine verstärkte Ver­ hängung kürzerer Freiheitsstrafen gegenüber leitenden Angestellten vorge­ schlagen, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden sollen, was vor allem mit der damit verbundenen Statusminderung eine wirksame Individualsank­ tion darstelle.767 Fraglich ist jedoch, ob sich eine solche härtere Bestrafung legitimieren lässt. Etwa im Hinblick auf Art. 3 GG lässt sich schwer begründen, warum allein die Aufnahme eines bestimmten Arbeitsverhältnisses dazu führen soll, dass der Betroffene härter bestraft wird.768 Auch bestehen Bedenken mit Blick auf den Aspekt der Gerechtigkeit: Gerade bei Individualstraftaten innerhalb des Unternehmens kann die Vorwerfbarkeit des Verhaltens eher geringer ein­ 764  Leipold,

NJW-Spezial 2008, 216, 217. etwa Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 19. 766  Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 244: Natürlich dürfe etwa eine ge­ steigerte Strafdrohung nicht zu einer Verletzung des Schuldprinzips führen. Proble­ matisch diesbezüglich etwa die Entscheidung des Reichsgerichts (RGSt 77, 137 ff.), in der es ein Überschreiten des Höchstmaßes einer Geldstrafe aufgrund der wirt­ schaftlichen Verhältnisse des Täters für zulässig erachtete; anders aber bereits BGHSt 3, 259 ff.: Hier lehnte der BGH dies ausdrücklich ab, denn die Rechtfertigung dieser Vorgehensweise aus „tat- und persönlichkeitsfremden Elementen birgt […] die Ge­ fahr einer nur zweckbedingten Entscheidung in sich“. Zutreffend kritisch auch Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 163: Die Orientierung an Vermögensverhältnissen des Begünstigten wäre eine Bestrafung der juristischen Per­ son „auf Umwegen“. 767  Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 244 f.; ders., wistra 1982, 41, 49; ebenso Tiedemann, JZ 1975, 185, 187: Selbst hohe Geldstrafen hätten sich general­ präventiv als ebenso unwirksam erwiesen wie mehrmonatige Freiheitsstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt werden. „Lediglich die Furcht vor Freiheitsentzug […] und vor wirtschaftlicher Existenzbeeinträchtigung […] können […] die Erwartungsdispo­ sitionen und damit die Risikobereitschaft in erheblicher Weise beeinflussen“; ders., in: 49. DJT, Band I, S. C90. 768  So Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen im Umweltstrafrecht, S. 48. 765  So



B. Exkurs: Strafrechtliche Individualverantwortlichkeit

197

zustufen sein, da häufig auch altruistische Motive und Druck von außen eine Rolle spielen.769 Im Grunde handelt es sich bei der Frage, ob bereits der As­ pekt der Unternehmenszugehörigkeit für die Höhe der Strafbarkeit eine Rolle spielt oder andere unternehmensinterne Tatsachen hier Berücksichtigung fin­ den können, um ein spezielles strafzumessungsrechtliches Problem. Dessen Lösung richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Ein berechtigtes Bedürfnis für spezielle Qualifikationstatbestände ist nicht erkennbar. Auch sonst gelten für die Frage der Tatbestandsverwirklichung durch Un­ ternehmensmitarbeiter die allgemeinen Regeln. Eine für das begehungsglei­ che Unterlassungsdelikt bedeutsame besondere Rechtspflicht kann etwa aus der Übernahme eines bestimmten Pflichtenkreises folgen, sodass beispiels­ weise der Compliance-Beauftragte eine solche inne hat und dementsprechend auch sonderverantwortlich dafür ist, dass von der Gefahrenquelle Unterneh­ men heraus keine unerlaubten Risiken ausgehen.770 Unabhängig davon, wie Individualsanktionen im Wirtschaftsstrafrecht in Zukunft ausgestaltet sein werden, dürfte bei oberflächlicher Betrachtung nicht selten der Eindruck einer unzureichenden Sanktionierung entstehen, wenn im unternehmerischen Umfeld das für sich genommen relativ geringe individuelle Fehlverhalten Einzelner zu gravierenden Schäden geführt hat. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Einschätzung indessen als Fehlas­ soziation bzw. als Relikt einer sachlich überholten Überbewertung der spezi­ fischen Fehlverhaltensfolgen im Verhältnis zu diesem Fehlverhalten. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Besonderheit von Straftaten im Unter­ nehmenskontext. Vielmehr finden sich auch sonst entsprechende Konstellati­ onen: Man denke etwa an ein ganz geringes fahrlässiges Fehlverhalten eines Busfahrers im Straßenverkehr in Gestalt einer minimalen Unaufmerksamkeit, aufgrund deren es zum Tod mehrerer Menschen kommt. Wenn das Fehlver­ halten zu geringfügig war und daher die Untergrenze der Fahrlässigkeit im strafrechtlich relevanten Sinne nicht erreicht, liegt nach zutreffendem Ver­ ständnis materiell-rechtlich ungeachtet der gravierenden Auswirkungen über­ haupt keine Straftat vor  – jedenfalls muss prozessual die „Notbremse“ der Verfahrenseinstellung nach §§ 153 ff. StPO gezogen werden, um eine dem 769  Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 163 m. w. N. in Fn. 112. 770  Dass eine besondere Rechtspflicht etwa aus der Übernahme eines bestimmten Pflichtenkreises folgt, wenn hierdurch für eine bestimmte Gefahrenquelle Obhuts­ pflichten übernommen wurden, macht auch Freund, in: MünchKommStGB I, § 13 Rn. 170, deutlich. Vgl. auch BGHSt 54, 44, 47 f.: Hier hat der BGH eine Garanten­ stellung aufgrund der Funktion als Leiter der Rechtsabteilung und der Innenrevision bejaht. Vgl. auch z. B. Robles Planas, ZIS 7/2012, 347: Der Verantwortliche für die Verantwortungslosigkeit ist der Geschäftsführer.

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6. Teil: Schlussbetrachtung

Fehlverhalten nicht angemessene Bestrafung zu vermeiden.771 Wenn das Fehlverhalten nur ein klein wenig gewichtiger ist und daher gerade die straf­ rechtlich relevante Untergrenze erreicht, so dass der Tatbestand der Fahrläs­ sigen Tötung gem. § 222 StGB tateinheitlich mehrfach verwirklicht wird, können die gravierenden Folgen allein aber ebenfalls keine überharte Bestra­ fung rechtfertigen. Das wäre illegitimes Erfolgsstrafrecht. Den Fehlverhal­ tensfolgen kommt im Verhältnis zum Fehlverhalten selbst nur eine unterge­ ordnete – mittelbare – Bedeutung zu.772 Zwar können und müssen sie im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden; sie sind hingegen nicht dazu geeignet, selbständig eine in Bezug zum Fehlverhalten unverhält­ nismäßige Bestrafung zu rechtfertigen. Das personale Fehlverhalten ist stets der primäre Anknüpfungspunkt für die Strafe. Insofern kann auch im Bereich unternehmensbezogener Straftaten den Fehlverhaltensfolgen kein anderer Stellenwert beigemessen werden.

C. Fazit und Ausblick Im Umfeld juristischer Personen ist ein erhöhtes Gefahrenpotential festzu­ stellen.773 In der Tat steigt dieses unter anderem durch „die Globalisierung und Verflechtung der Wirtschaftsbeziehungen, die Auswirkungen der moder­ 771  „Dasjenige (folgenreiche) Fehlverhalten, welches auch dem Sorgfältigsten ein­ mal unterlaufen kann, ist nicht geeignet, den Vorwurf straftatbestandsmäßigen Verhal­ tens zu begründen“, vgl. Georgy, Verantwortlichkeit von Amtsträgern, S. 216 ff. m. w. N. Näher zu diesem Untergrenzenproblem des Strafrechts auch Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 204 f.; ders., in: Straftat, S. 43, 60 f., im Hinblick auf die entsprechende Konturierung bestimmter Tatbestände. 772  Weiterführend dazu Julia Heinrich, Die gesetzliche Bestimmung von Straf­ schärfungen, S. 104 f., 117, wonach eine isolierte Betrachtung der Fehlverhaltensfol­ gen bei der Strafzumessung zu sachwidrigen Ergebnissen führt. Hingegen müssen diese immer in Relation zum Fehlverhalten gesehen werden. Insofern hält sie mit guten Gründen „eine relative Reduzierung der Erfolgsgewichtung auf etwa ein Viertel im Verhältnis zum Fehlverhalten mit Blick auf das zusätzliche Gewicht des auszuglei­ chenden Normgeltungsschadens“ für angemessen. 773  Dazu etwa Eidam, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 7, der vor allem vier Hauptrisiken benennt, insbesondere im Bereich der Umwelt, innerhalb der Be­ triebsstätten, bei Produkten und im Verkehr bzw. der Verkehrswirtschaft. Vgl. auch Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 143, die folgende Bereiche mit erhöhtem Gefahrenpotential benennt: Betrug (Kreditgeber, Kapitalanle­ ger), Inverkehrbringen gefährlicher Produkte (Tötungs-, Körperverletzungsdelikte), mangelnde Sicherheitsvorkehrungen (Arbeitnehmer), überindividuelle Rechtsgüter (Boden, Luft, Gewässer), staatliche Finanzwirtschaft (Steuerhinterziehung, Subventi­ onserschleichung), freie Wirtschaft (Preisabsprachen). Im Bereich der Unterneh­ menskriminalität sei zum einen eine Sogwirkung auf andere Marktteilnehmer sowie eine Spiralwirkung in Bezug auf Begleit- und Folgedelikte zu verzeichnen.



C. Fazit und Ausblick199

nen Technik und die katastrophalen Gefahren für die Umwelt“ an.774 Dieser Entwicklung ist auch mit staatlichen Mitteln zu begegnen. Nicht hingegen folgt hieraus zwingend die Notwendigkeit einer strafrechtlichen Unterneh­ mensverantwortlichkeit.775 Im Gegenteil: Strafrecht kann gar nicht die glei­ che Rechtsgüter schützende Wirkung entfalten wie unmittelbar auf die Ge­ staltung der Zukunft ausgerichtete Maßnahmen der Gefahrenabwehr. So be­ tont Hassemer in Bezug auf Produktverantwortlichkeiten: „Vernünftige Prä­ vention […] kann auch auf lange Sicht nicht das Geschäft des Strafrechts sein. Selbst einem präventiv angepaßten […] Strafrecht wäre nicht zuzu­ trauen, daß es – über die verspätete Antwort auf Rechtsgutsverletzungen hi­ naus – einen nennenswerten Beitrag zu den Zielen leisten könnte, die für die Probleme der Produktverantwortlichkeit auf absehbare Zeit verbindlich sein müssen“.776 Interessant in diesem Kontext ist auch die Aussage Hefendehls, wonach Prävention Lenkung durch Faktizität statt durch Recht bedeute:777 Es zeige sich, dass ein Schutz vor Wirtschaftskriminalität nur dann realisierbar sei, wenn kriminelles Verhalten faktisch erheblich erschwert oder sogar un­ möglich gemacht werde. Hierbei zu nennen seien sowohl das Unternehmen betreffende Maßnahmen, wie Genehmigungserfordernisse für die Teilnahme am Markt, aber auch einzelne Individuen betreffende Maßnahmen, wie eine Funktionstrennung für Mitarbeiter, eine Jobrotation, Videoüberwachungen oder das sog. Need-to-know-Prinzip, bei dem kein Mitarbeiter über mehr Informationen verfügt, als er zur Ausführung seiner Tätigkeit benötigt. Abgesehen von der Frage der Wirksamkeit bzw. Notwendigkeit von straf­ rechtlichen bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionen, die auf be­ stimmtes Verhalten missbilligend reagieren, ist jedoch die – durchaus wichti­ gere – der rechtlichen Möglichkeit schon entschieden abzulehnen: Es bleibt abzuwarten, wie das BVerfG über ein etwaiges Verbandsstrafgesetzbuch in der Form des Gesetzesentwurfs778 oder auch in anderer Form entscheiden 774  So Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 369, der jedoch hieraus die Notwen­ digkeit strafrechtlicher Maßnahmen ableitet. 775  Zutreffend etwa Hamm, NJW 1998, 662, 663: Bei den zu bekämpfenden Miss­ ständen gehe es nicht um vergangenes schuldhaftes Handeln, sondern darum, gegen­ wärtige und zukünftige Missstände und Gefahrenlagen zu vermeiden; hierfür sei in erster Linie auf das Zivil- und Verwaltungsrecht, die Wirtschafts- und Umweltpolitik zurückzugreifen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass aus der ultima ratio des Straf­ rechts weitgehend eine „prima ratio“ werde. Vgl. auch Krekeler, FS Hanack, S. 639, 662 f., wonach dem Strafrecht nicht die „Lückenbüßerfunktion“ zugeordnet werden dürfe. 776  Hassemer, Produktverantwortung, S. 76. 777  Zum Folgenden Hefendehl, ZStW 119 (2007), 816, 824 f. 778  Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen über ein Gesetz zur Einfüh­ rung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden, 2013.

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6. Teil: Schlussbetrachtung

würde.779 Jedenfalls ist es – nach dem hier Dargelegten – nicht möglich, ein solches mit dem System des deutschen Strafrechts in Einklang zu bringen, hierfür bietet der Entwurf über die Einführung eines Verbandsstrafgesetzbu­ ches ein eindrückliches Beispiel. Es fehlt der Legitimation einer strafrechtli­ chen Verantwortlichkeit juristischer Personen an unverzichtbaren Grundvor­ aussetzungen: Ein Verhaltensnormverstoß ist per se und vor allem nicht in persönlich vorwerfbarer Weise zu begründen. Infolgedessen kann auf Sankti­ onsebene eine Strafe, die als Konsequenz eines persönlichen Tadels und ei­ gener Schuld verstanden wird, nicht möglich sein: Nur weil „das Unterneh­ men in seiner Gesamtheit als Täter erscheint“,780 kann dies nicht dazu führen, dass eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen über die Dogmatik hinweg etabliert wird. Eine derartige kontrafaktische Fiktion lässt sich auch nicht aus dem Gedanken heraus legitimieren, dass andere europäi­ sche Rechtsordnungen eine solche „Strafbarkeit“ bereits eingeführt haben.781 Keineswegs stellt es insofern eine kriminalpolitische Entscheidung des Ge­ setzgebers dar, ob man Unternehmen als „tickende Zeitbomben“ oder selb­ ständige strafrechtliche Akteure betrachten und dementsprechend die Gefahr bekämpfen oder mit strafrechtlichen Mitteln gegen sie vorgehen wolle.782 Im Gegenteil ist dies allein eine Frage der rechtlichen Legitimierbarkeit und niemals eine bloße Entscheidung des Gesetzgebers.783

779  Der Entwurf leide – abgesehen von den grundlegenden dogmatischen Schwie­ rigkeiten der Vereinbarkeit von strafrechtlicher Verantwortlichkeit juristischer Perso­ nen mit dem deutschen Strafrechtssystem  – auch an weiteren Schwächen, wie etwa das nicht eingehaltene Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 Abs. 2 GG, s. hierzu umfas­ send Zieschang, GA 2014, 91, 98 ff.; vertiefend zum Erfordernis der Bestimmtheit auch Vogel, StV 2012, 427, 430, der eine Unternehmensstrafbarkeit jedoch bejaht. 780  Scholz, ZRP 2000, 435, 436. 781  Zutreffend Leipold, NJW-Spezial 2008, 216, 217; i. d. S. auch Weigend, JIJC 2008, 927, 945, der insofern Toleranz erwartet: „Those systems that are comfortable with corporate criminal responsibility, use it; but do not force it on those who choose to adhere to a different concept of criminal law that genuinely applies only to indivi­ duals“. Anders etwa Scholz, ZRP 2000, 435, 440, der der Auffassung ist, dass sich das deutsche Strafrecht jedenfalls im Lichte der internationalen Rechtsentwicklung einer Strafbarkeit juristischer Personen öffnen müsse; zu den europäischen Entwick­ lungen vgl. auch die Nachweise oben (Sechster Teil A. II.). 782  So aber Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 472, die mit dem Argument der drohenden „mosaikartigen Haftung“ daher eine strafrecht­ liche Verantwortlichkeit grundsätzlich befürwortet. 783  In diesem Kontext betont Alwart, Zurechnen und Verurteilen, S. 27: Auch wenn die juristische Person unter Umständen die „Hauptrolle in einem Schurken­ stück“ zu spielen vermag, wird sie niemals gleichermaßen im Zentrum dogmatischer Theoriebildung stehen wie die natürliche Person. – Genau genommen spielt sie aber auch gar keine „Rolle“, weil sie nicht selbst agieren, sondern nur „Instrumentarium“ der hinter ihr stehenden eigentlichen Akteure sein kann.



C. Fazit und Ausblick201

Darüber hinaus sind vermeintliche Gerechtigkeitserwägungen bei der Frage nach einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen ir­ releitend: Aussagen, wie „Die Kleinen werden gehängt, die Großen lässt man laufen“784 oder „auch in der Öffentlichkeit sind Unternehmen bzw. Verbände […] für die Begehung von Straftaten verantwortlich“785 sind polemisch und führen in der Sache nicht weiter.786 Dies wird umso deutlicher, wenn man sich die Situation bei solchen Vereinigungen vor Augen führt, die rechtlich gar nicht existieren, dennoch aber in der Öffentlichkeit als kriminell angese­ hen werden – man denke etwa an die Mafia oder andere kriminelle Gemein­ schaften. Auch Befürworter einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristi­ scher Personen würden ihnen gegenüber wohl nicht ernsthaft die Einführung einer Strafbarkeit fordern (obwohl gerade hier ein vermeintliches [Straf-] Bedürfnis begründbar erscheint), da rechtlich gar keine „Person“ besteht, bei der die Sanktion ansetzen könnte.787 Damit bleibt es bei dem Grundsatz: „societas delinquere non potest“.788 Der Versuch, die Problematik der bei juristischen Personen relevanten Ge­ fahren und unerwünschten Ereignissen über den Weg ihrer Bestrafung zu lösen, ist ein „Irrweg“.789 Eine Strafbarkeit gegenüber juristischen Personen ist nichts anderes als eine „juristische Konstruktion“790 und – ganz im Sinne etwa Schall/Schreibauer, NuR 1996, 440, 448. ZRP 2016, 137, 138, spricht sich auch deswegen für ein Verbands­ sanktionensystem in Anlehnung an das österreichische Verbandsverantwortlichkeits­ gesetz aus. 786  Vgl. dazu auch bereits Heinitz, in: 40. DJT, Band  I, S. 65, 87: „Aber die Ver­ fechter der Strafbarkeit der juristischen Personen ziehen, wie Antäus aus der Berüh­ rung mit der Erde, stets neue Antriebe aus der Feststellung, die Bedeutung der ju­ ristischen Person habe sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht, und damit er­ gebe sich die Notwendigkeit, den von ihnen begangenen Verletzungen schärfer entgegenzutreten, als es durch zivile oder verwaltungsrechtliche Sanktionen gesche­ hen könne“. Kritisch bezüglich einer Argumentation, die die vermeintliche Macht­ stellung von Unternehmen als „Begründung von überindividueller Schuld und Straf­ fähigkeit“ gebraucht, auch zutreffend Hamm, NJW 1998, 662 f., im Hinblick auf den Diskussionsentwurf des Landes Hessen zur Ergänzung des Strafgesetzbuches um §§ 76b-76h („Wirtschaftsunternehmen und sonstige Körperschaften üben in der modernen Industriegesellschaft eine im Verhältnis zur Einzelperson überragende Macht aus“). 787  Vgl. dazu auch Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 149, wonach es „verbrecherisch konstruierte juristische Personen“ nicht geben kann, da sie rechtlich gesehen ein „nullum“ darstellen. 788  Dazu bereits die Nachweise oben (Fn. 738). 789  Frisch, FS Wolter, S. 349, 369; auf dieser Linie auch Imme Roxin, FS Wolter, S. 451, 464, wonach der „lauteste“ Ruf nach Strafrecht nicht den Blick auf andere, möglicherweise wirksamere, Maßnahmen verstellen dürfe. 790  Zieschang, GA 2014, 91, 106. 784  So

785  Kubiciel,

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6. Teil: Schlussbetrachtung

des eingangs angeführten Zitates von v. Savigny – nicht legitimierbar. Seine Aussage hat noch immer ihre Gültigkeit – oder um erneut mit seinen Worten zu sprechen: „Alles was man als Verbrechen der juristischen Person ansieht, ist stets nur das Verbrechen ihrer Mitglieder oder Vorsteher, also einzelner Menschen oder natürlicher Personen“.791 Aus strafrechtlicher Sicht können demnach allein die natürlichen Personen „hinter“ der juristischen Personen verstärkt in den Fokus der strafrechtlichen Verantwortlichkeit gerückt werden, denn diese sind es, die „tatsächlich Straf­ taten begehen, dazu auffordern oder Hilfe leisten“.792 Mögliche Strafbar­ keitslücken, die nach Ausschöpfung der legitimierbaren Regularien aufgrund einzelner Nachweisschwierigkeiten noch bestehen, müssen wie sonst auch in Kauf genommen werden. Dies ergibt sich schon aufgrund des fragmentari­ schen Charakters des Strafrechts.793 Nichts anderes gilt im Ordnungswidrigkeitenrecht. Auch hier kann es nur darum gehen, auf (individuelle) Fehlverhaltensweisen zu reagieren und diese zu sanktionieren. Insofern stellt die bestehende Regelung zur Unternehmens­ geldbuße gem. § 30 OWiG einen Etikettenschwindel dar, indem hier ledig­ lich ein anderer Name für eine staatliche Sanktion gebraucht wird, die der Sache nach aufgrund ihres Vorwurfscharakters – wie Strafe auch – gegenüber juristischen Personen nicht zu legitimieren ist. Hinsichtlich monetärer Maßnahmen kann ausschließlich auf die Maß­ nahme der Einziehung von Taterträgen zurückgegriffen werden, solange diese allein den status quo ante wiederherstellt. Ihr käme ein verstärkter Anwendungsbereich zu, wenn von der Geldbuße des Ordnungswidrigkeiten­ rechts in der gebotenen Weise Abstand genommen wird. Im Zentrum der staatlichen Maßnahmen gegenüber juristischen Personen steht jedoch der Rechtsgüterschutz in der Zukunft: Aufgrund der angespro­ chenen besonderen Gefahren, die von juristischen Personen ausgehen, geht es für den Staat vor allem darum, dem Rechtsgüterschutz durch Maßnahmen der Gefahrenabwehr Rechnung zu tragen. Hierfür sind im geltenden Recht 791  v. Savigny,

System II, S. 313. GA 2014, 91, 106; vgl. auch Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 147 f., der die natürlichen Personen als „Normadressaten“ in den Vorder­ grund stellt und die Organe bzw. Vertreter anschaulich mit Puppenspielern für die Marionette der juristischen Person vergleicht; i. d. S. auch Leipold, ZRP 2013, 34, 37, wonach das Versagen der natürlichen Personen effektiv bekämpft werden müsse; v. Freier, GA 2009, 98, 116; Roxin, AT I, § 8 Rn. 60. 793  Vgl. hierzu Freund, AT, § 1 Rn. 22; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 32; Jescheck/Weigend, AT, § 7 II 1. Vgl. auch Maiwald, FS Maurach, S. 9 ff., 23, wonach es nicht Aufgabe des Staates sei, durch das Strafrecht Gerechtigkeit zu reali­ sieren, vielmehr müsse hierdurch die soziale Ordnung aufrechterhalten werden. 792  Zieschang,



C. Fazit und Ausblick203

bereits zahlreiche Beispiele anzutreffen, die nur konsequenter umgesetzt wer­ den müssten; dazu zählen beispielsweise die Sicherungseinziehung, aber auch Maßnahmen des Verwaltungsrechts. Weitere Maßnahmen sind in die­ sem Kontext durchaus denkbar und können mit Blick auf den staatlichen Schutzauftrag als zur Gefahrenabwehr notwendig unter bestimmten weiteren Voraussetzungen legitimiert werden.

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Sachwortverzeichnis Abstraktes Gefährdungsdelikt  195 Aktienverwässerung  siehe Anteils­ verwässerung Anteilsverwässerung  138 f. Auflage, gerichtliche  141 mit Fn. 540 Auflösung  14, 133, 151 ff., 159 Aufsicht durch Dritte  167 ff. Auftragssperren und -beschränkungen  161 ff., 166 Bereicherungsrecht  105, 116 mit Fn. 453 Berufsverbot  153, 157, 162, 174, 193 Bestimmtheitsgrundsatz  23 mit Fn. 45, 38 Betriebsuntersagung  133, 151 ff. Bruttoprinzip  104 ff., 111, 113, 115 f. Compliance  143, 146 ff. Compliance-Beauftragter  192, 197 Corporate Citizenship  148 Corporate Governance  147 f. Corporate Social Responsibility  148 Criminal Compliance  148 f. Drittkontrolle der Wirtschaft  siehe Selbstkontrolle der Wirtschaft  145 ff. Einziehung – alte Fassung  109 ff. – von Taterträgen  14, 18, 112 f., 114 ff., 117 ff., 184, 189, 202 – von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten  14, 112 ff., 116 ff. Entzug von Konzessionen, Betriebs­ erlaubnissen und Lizenzen  159 ff. Etikettenschwindel  101 mit Fn. 391, 172, 202 Europarecht  15, 82, 186 ff.

Fehlverhalten, personales  38, 40 ff., 60, 64, 67 f., 195, 198 Fehlverhaltensfolgen  38, 54, 90, 197 f. Garantenpflicht  siehe Sonderverant­ wortlichkeit Gefährlichkeit – Prognose  178 ff. – Zustand  121 ff., 126 ff. Geldbuße – Begriff  18 mit Fn. 27, 81 ff. – Legitimierbarkeit gegenüber juristi­ schen Personen  90 ff., 100 ff., 118 ff. Generalprävention  24 mit Fn. 54, 32 mit Fn. 89, 106 ff. Gesellschaftsvertrag  27 mit Fn. 67, 53 f. mit Fn. 182, 186 Gesetzlichkeitsgrundsatz  23 mit Fn. 45 Gewaltenteilung  170 mit Fn. 696, 183 Gewerbeuntersagung  133, 155 ff. Gewerbezentralregister  133, 156, 164 Gewinnabschöpfung  18, 82, 106, 117 ff., 184 Haftung  76 f., 78 ff. Individualverantwortlichkeit  191 ff. Juristische Person – Begriff  16 f. – des öffentlichen Rechts  182 f. – Einziehung  114 ff. – Maßnahmen der Gefahrenabwehr  133 f. – Maßregeln  126 ff. – Ordnungswidrigkeitenrecht  90 ff., 100 ff. – Strafrecht  43 ff. – Zivilrecht  75 ff.



Sachwortverzeichnis225

Konzepte zur Begründung einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen – derivative Verantwortlichkeit  93 ff. – originäre Verantwortlichkeit  91 ff. Konzepte zur Begründung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen – derivative Verantwortlichkeit  46 ff., 70 ff. – originäre Verantwortlichkeit  46 ff., 48 ff. Korruptionsregister  133, 164 Kuratel  siehe Aufsicht durch Dritte Maßnahme – ahndende  siehe Sanktion – Begriff  18 f. – beugende  18 f. – gefahrenabwehrende, gefahren­ abwendende  18, 120 ff. – reformgebende  140 ff. – zum Ausgleich / zur Gewinn­ abschöpfung siehe Einziehung von Tat­erträgen, Verfall Maßregelmodell  130, 172 ff., 188 Maßregeln der Besserung und Sicherung – Abgrenzung zur Strafe  120 ff. – Begriff  18, 120 f., 144 – Legitimierbarkeit gegenüber juristi­ schen Personen  126 ff. – Verhältnismäßigkeit  125 f. Mittäterschaft  71 ff. Mittelbare Täterschaft  71 ff. Nettoprinzip  106 ff., 115 mit Fn. 449, 118 Netto-Verfall  siehe Nettoprinzip Normenlehre  29 f. Opportunitätsprinzip  173 f. Organisationsverschulden  65 mit Fn. 231, 78 mit Fn. 298, 94, 98

Polizeirecht  24 mit Fn. 55, 36 mit Fn. 108, 121 mit Fn. 467, 124 mit Fn. 490, 128, 174 mit Fn. 689 Produktverantwortlichkeit – Strafrecht  15 mit Fn. 10, 195 mit Fn. 761, 199 – Zivilrecht  75 f. Publikation belastender Tatsachen  siehe Veröffentlichung belastender Tatsachen Punitive damages  137 mit Fn. 523 Quasi-kondiktioneller Ausgleich  105, 108, 111, 119 f., 184 Rechtsgüterschutz – als staatliche Schutzpflicht  27 f., 185 f. – durch Maßnahmen der Gefahren­ abwehr  120 ff. – durch Verhaltensnormen  23 ff., 28 ff. Sanktion – Begriff  18 – Ordnungswidrigkeitenrecht  siehe Geldbuße – Strafrecht  siehe Strafe Sanktionsgeld  135 f. Sanktionsnorm – Funktion  23 ff., 30 ff. – Legitimation  23 ff., 37 ff. Schuld – juristische Personen  64 ff. – natürliche Personen  41, 54 mit Fn. 188, 67, 80, 108, 123, 127 f. Schuldprinzip  40 ff., 59, 61, 64 ff., 69 f., 75, 86, 106, 123 f., 125, 190 Schuldspruch  17 mit Fn. 23, 33, 63, 121 Schuldstrafenbestimmung  31 mit Fn. 87, 60, 123 Schutzcharakter des Strafrechts  siehe Rechtsgüterschutz durch Verhaltensnormen Selbstkontrolle der Wirtschaft  145 ff.

226

Sachwortverzeichnis

Sicherungseinziehung – alte Fassung  109 f. – neue Fassung  116 ff., 120, 184, 203 Societas delinquere non potest  90, 95, 190 mit Fn. 738, 201 Sonderverantwortlichkeit  50, 149, 192, 197 Sozialethik  83 ff., 89 Spezialprävention  24 mit Fn. 55, 122, 141 mit Fn. 540 Staatliche Schutzpflichten  siehe Rechtsgüterschutz als staatliche Schutzpflicht Strafe – Akzessorietät  32 f. – Begriff  18, 20 ff., 23 ff. – Legitimierbarkeit gegenüber juristi­ schen Personen  43 ff. – ohne Vorwurf  62 ff. Strafeinziehung – alte Fassung  109 ff. – neue Fassung  117 Straftheorien  siehe Strafzwecke Strafzwecke – absolute Straftheorien  24 ff. – relative Straftheorien  24 mit Fn. 54, 55 – zweckrational orientierte Legitimation  28 ff. Ultima ratio – Auflösung  154 f., – Strafrecht  39 mit Fn. 119, 80, 199 mit Fn. 775 Unrecht  siehe Fehlverhalten, personales Unternehmen, Begriff  16 Unternehmensaufsicht  siehe Aufsicht durch Dritte Unternehmensgeldbuße  siehe Geldbuße, Legitimierbarkeit gegenüber juristi­ schen Personen Unternehmenskuratel  siehe Aufsicht durch Dritte

Verband, Begriff  16 Verbandsgeldbuße  siehe Geldbuße, Legitimierbarkeit gegenüber juristi­ schen Personen Verbandsstrafgesetzbuch, Entwurf der Landesregierung Nordrhein-Westfalen  13 ff., 43 ff., 52, 61, 75, 78 f., 184, 199 f. Verfall  102 ff. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – Begriff  19 ff., 41, 59 – Bezug zum Schuldgrundsatz  40 ff. – Maßregelrecht  125 f. – Strafrecht  22 ff. Verhalten  siehe Fehlverhalten, ­personales Verhaltensnorm – Funktion  29 ff., 124 f. – juristische Personen  48 f., 50 ff., 69 f., 80, 82, 85 f., 89, 91 ff., 100, 121, 186 – Legitimation  34 f. – Verstoß  18 f., 30, 33 f., 37 ff., 41 f., 127, 184, 195 Verhaltensunrecht  siehe Fehlverhalten, personales Veröffentlichung belastender Tatsachen  163 ff. Verwaltung durch Dritte  siehe Aufsicht durch Dritte Weisung, gerichtliche  141 mit Fn. 540, 142 f. Werbeverbot  162 mit Fn. 630 Wiedergutmachung  136 ff. Zurechnung – Ordnungswidrigkeitenrecht  93 ff. – Strafrecht  70 ff. – Unterschiede zwischen Zivil- und Strafrecht  76 ff. – Zivilrecht  76 ff.



Sachwortverzeichnis

Zurechnungsmodell  siehe Konzepte der Begründung einer ordnungswidrig­ keitenrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen, derivative Verantwortlichkeit und Konzepte der Begründung einer strafrechtlichen

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Verantwortlichkeit juristischer Personen, derivative Verantwortlich­ keit Zwangsverkauf  139 f. Zwangsverpachtung  siehe Zwangs­ verkauf