Stine verstummt: Mobbing ist kein Kinderspiel [1 ed.] 9783666405488, 9783525405482


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Stine verstummt: Mobbing ist kein Kinderspiel [1 ed.]
 9783666405488, 9783525405482

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Renate Jegodtka Peter Luitjens

Stine verstummt

Mobbing ist kein Kinderspiel

Renate Jegodtka / Peter Luitjens

Stine verstummt Mobbing ist kein Kinderspiel

Mit Illustrationen von Renate Jegodtka

Vandenhoeck & Ruprecht

Ich heiße Stine. Die anderen Kinder nennen mich Stine Stacheline. Manchmal auch nur Stacheline. Seht ihr meine Mama? Sie ist so groß, dass sie fast bis zur Decke reicht. Ich nenne sie Mama-Mia. Papa sagt nur Mia oder Mia-meine-Liebe. Mein Papa ist ganz anders. Er ist klein und weich und kugelrund. Zu ihm sage ich Papa-Paul. Mama sagt Pauli. Nur wenn sie sauer ist, sagt sie Paul – ohne i am Schluss.

Und beide sagen niemals Stine Stacheline.

Nie!

Wenn Mama-Mia gute Laune hat ruft sie: „Stine, min Deernchen!“ Das klingt honigsüß und ich fange an zu tanzen. Wenn Papa-Paul sieht, wie ich tanze, lacht er. Dann tanzen wir beide.

Aber heute habe ich keine Lust zu tanzen! Ich will euch sagen warum: Es ist schon wieder passiert. Alle haben gelacht. Über mich … Hugo hat gelacht, Mila hat gelacht. Und ganz besonders Ida. Alle Kinder haben gelacht. Nur ich nicht.

Das Lachen wurde groß und größer. Es hat gerauscht wie das wilde Meer. Bis es schließlich den ganzen Raum ausgefüllt hat. Ich fand kaum noch Platz darin. Aber noch größer als das Lachen war das gemeine Wort: Stinelein-Stachelschwein. Es klingt immer noch in meinen Ohren: Stachelschwein, Stachelschwein! Am liebsten wäre ich verschwunden.

„Stine“, hörte ich Frau Fröhlich fragen, „Stine, was ist los?“ Ich wollte es ihr nicht verraten. Hinter Frau Fröhlich stand das gemeine Wort und lachte.

Nun ist es hier. Und sitzt neben mir unterm Küchentisch. Niemand kann es sehen, Mama-Mia nicht und Papa-Paul nicht … nur ich.

Es schlich hinter mir her. Auf leisen Pfoten kam es mit mir nach Hause.

Es grinst mich an. Mein Bauch beginnt zu zwicken. „Was ist mit dir?“, fragt Papa-Paul. Das kleine Stachelschwein richtet seine Stacheln auf. Ich fange an zu weinen. Und sage: „Nichts.“ Aber es ist nicht nichts.

Wo ich auch hingehe, das kleine Stachelschwein kommt mit.

Neben mir sitzt etwas und starrt mich an. Mein Herz klopft laut. Ich bibber und ich schwitze.

Es schleicht sich sogar in meinen Traum hinein! Gerade zu der Zeit, in der die Nacht am dunkelsten ist, ist etwas geschehen.

Ich will zu Mama-Mia und Papa-Paul. Aber die schlafen tief und fest. Mama-Mia schnarcht sogar ein wenig.

Oh Schreck! Jetzt muss ich auch noch Pipi.

„Nanu, wo bin ich?“, frage ich mich.

„Gleich sind wir da!“, flüstert das kleine Stachelschwein. „Dort hinten, gleich hinter dem Dämmergrau Da warten alle schon auf uns.“

Und wirklich! Aus dem Dahinten tauchen sie auf: große Stachelschweine mit mächtigen Stacheln und kleinere, die springen aufgeregt hin und her.

„Stine, da bist du ja“, ruft das größte der großen Stachelschweine. „Wir haben es gehört, alle haben gelacht. Über dich. Und du warst ganz allein. Und so klein.“

Da passiert es. Ich werde klein. Genau so klein wie das kleine Stachelschwein.

Das große lacht und reicht mir seine Tatze. „Komm her“, sagt es. „Komm, und tanz mit uns den Stachelrasseltanz.“

Schon geht es los. Wir stampfen und wir lachen. Wir rasseln mit den Stacheln. Wir tanzen hin und hüpfen her. Wir tanzen gemeinsam. Das ist nicht schwer! Viele Tiere sind gekommen von nah und von fern. Sie trommeln und sie klatschen. Sie singen ein Lied. Sie tanzen hin und hüpfen her. Wir tanzen gemeinsam. Das ist nicht schwer!

Nur einer, der tanzt nicht mit. Es ist ein seltsamer Vogel. Er steht da auf einem Bein, zwischen Dämmergrau und blauem Gebüsch, und schaut in ein Buch hinein.

„Wer ist das?“, frage ich das kleine Stachelschwein. „Das ist der Marabu, der Weise. Der liest dir heute etwas vor.“ Ich höre ihn lesen:

Es war einmal ein kleiner weißer Vogel, Jakob hieß er. Alle seine Geschwister waren grau. Sie lachten über Jakob, ließen ihn nicht mitfliegen und nannten ihn Kohlweißling. „Du gehörst nicht zu uns“, zwitscherten sie lauthals und stießen ihn geradewegs aus ihrem Nest. Jakob saß traurig und allein auf einem Ast. In dieser Nacht jedoch, gerade als der Mond hinter einer Wolke hervorlugte, kam Eulalia, die alte Schneeeule geflogen. Sie nahm Platz neben ihm und stupste ihn vorsichtig an. „Schuu-huuu“ sang sie in sein Ohr, „Schuu-huuu. Was ist kleiner weißer Vogel? Was ist?“ Jakob aber schwieg. Da zupfte Eulalia aus ihrem Federkleid eine federleichte weiße Feder. Die schenkte sie Jakob. „Hier“, sagte sie, „greifst du diese Feder, gibt sie dir Mut, den Großen zu sagen, was ist.“ Und der kleine weiße Vogel begann der alten Schneeeule zu erzählen, was ihm geschah.

Der Marabu blickt zum kleinen Stachelschwein. Und dann zu mir. Er zupft aus seinem Federkleid eine federleichte weiße Feder. Die schenkt er mir. Dann klappt er sein Buch zu und schweigt.

„Soll ich es wagen? Soll ich es sagen?“, frage ich das kleine Stachelschwein. Das nickt. Und müde vom Tanz schlafen wir ein.

Heute will ich es wagen. Jetzt will ich es sagen!

Zuerst Mama-Mia und Papa-Paul.

Leise, ganz leise erzähle ich, wie alles kam: Wie die Kinder gelacht haben über mich, immer wieder!

Wie das Lachen groß und größer wurde. Und ich ganz klein und so allein. Und dann, ja dann erzähle ich von dem gemeinen Wort.

Ich habe es gewagt. Ich habe es gesagt.

Und jetzt Frau Fröhlich.

Ich erzähle ihr, wie alles kam: Wie die Kinder gelacht haben über mich, immer wieder! Wie das Lachen groß und größer wurde. Und ich ganz klein und so allein. Und dann, ja dann erzähle ich von dem gemeinen Wort: Stinelein-Stachelschwein. Aber nun ist alles anders! Ich weiß es ganz genau! Ich kann mit den Stacheln rasseln, wenn mir wer zu nahe kommt. Und stellt euch vor! Ich kann auch singen, tanzen, lachen, mit anderen was gemeinsam machen. Der Stachelrasseltanz tut gut. Die Feder gibt mir Mut.

„Stine“, sagt Frau Fröhlich, „dann wäre ich auch gern mal ein Stachelschwein. Ich könnte mit den Stacheln rasseln, wenn mir wer zu nahe kommt. Ich könnte singen, tanzen, lachen, mit anderen was gemeinsam machen. Stine, zeigst du uns allen den Stachelrasseltanz?“ Und schon geht es los. Wir trommeln und wir rasseln. Wir singen ein Lied. Wir tanzen hin und hüpfen her. Wir alle gemeinsam, das ist nicht schwer!

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Renate Jegodtka Satz und Layout: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-40548-8

Renate Jegodtka Peter Luitjens

Stine verstummt

Mobbing ist kein Kinderspiel

Begleitheft

Fachdidaktische Anregungen

»Ich heiße Stine.« So stellt sich die Hauptperson des Bilderbuches »Stine verstummt« gleich auf der ersten Seite den jungen Leserinnen und Lesern vor. Das Mädchen mag wohl die erste oder zweite Klasse einer Grundschule besuchen. Zunächst erfahren wir von ihrem Zuhause. Wir können vermuten, dass Stine sich in ihrer Familie hinreichend geborgen fühlt: »Stine min Deernchen«1, sagt ihre Mutter gut gelaunt. Wenn das Kind mit diesem Kosewort angesprochen wird, ist es bester Dinge. Die Beziehung zum Vater scheint ebenfalls vertrauensvoll. Das Mädchen und er lachen und tanzen gemeinsam. An dieser Stelle der Erzählung angekommen, könnte es mit der Darstellung freudiger Situationen weitergehen, aber die Geschichte nimmt einen anderen Verlauf: Dem Kind ist die Lust am Tanzen vergangen.

1 »Deern« bedeutet »Mädchen«, »min Deernchen« ist in einigen Gegenden Norddeutschlands ein Kosewort für »mein Mädchen«.

Was ist passiert? Stine berichtet den Betrachterinnen und Betrachtern des Bilderbuches, dass sie schon seit langer Zeit von anderen Mädchen und Jungen ausgegrenzt und gehänselt wird, dass sie Mobbing erlebt und wie sehr ihr Leben durch diese Erfahrung beschwert wird. Ähnliches hörten wir in unserer beruflichen Praxis von vielen Kindern. Wir, das sind Renate Jegodtka und Peter Luitjens, die Autorin und der Autor des Bilderbuches und des dazugehörigen Begleitheftes. Gemeinsam gründeten wir im Jahr 2000 das »Zentrum für Systemische Beratung und Therapie« in Weyhe bei Bremen. Größenteils arbeiten wir hier mit Familien, deren Miteinander durch schwierige Lebenslagen und oft auch durch traumatisierende Erfahrungen beeinflusst ist. In diesem Zusammenhang sind uns Mädchen und Jungen begegnet, die bereits im Kindergarten von Gleichaltrigen drangsaliert wurden. Bei anderen wurde diese grundlegend verunsichernde Erfahrung in der Grundschule oder auch in späterem Alter erlebt. Allerdings war Mobbing nur für wenige Eltern der Anlass, mit uns Kontakt aufzunehmen. Ihnen ging es zunächst um andere Themen: Sie sorgten sich um ihre Kinder, weil diese z. B. häufig über Bauchschmerzen klagten oder weil sie den Schulbesuch verweigerten. Einige der Mädchen und Jungen hatten erhebliche Schwierigkeiten, sich zu konzen­trieren, andere wurden immer wieder aggressiv. Erst im Laufe unserer Zusammenarbeit wurde deutlich, dass Mobbing für diese Kinder ein zentrales Thema war und dass den Jungen und Mädchen in diesem Zusammenhang das Gefühl abhandengekommen war, sicher in der Welt zu sein. Unsere wiederkehrende Beobachtung war, dass die Töchter und Söhne ihren Eltern nicht offenbarten, wie sehr sie im Umfeld des Kindergartens oder der Schule negativen Handlungen von Gleichaltrigen ausgesetzt waren. Im Gegenteil: Was

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die Kinder erlebten, ließ sie verstummen. Wir beobachteten also, dass Schweigen eine typische Reaktion von Kindern ist, die Mobbing erleben. Auch Stine ergeht es so. Zunächst ist es ihr unmöglich, die überwältigenden Erfahrungen zur Sprache zu bringen.

Für wen ist das Bilderbuch gedacht?

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Wir nennen hier die wichtigsten Adressat:innen: – Dieses Bilderbuch ist für Kinder gedacht, denen es Freude macht, Bilder zu betrachten und Geschichten zu lesen oder vorgelesen zu bekommen. – Bilderbücher sind in der Lage, in Wort und Bild Situationen aufzugreifen, die Kinder beschäftigen. Hier ist es eine Situation, die für die Hauptperson der Geschichte überwältigend ist: Stine wird gemobbt. Das Bilderbuch wendet sich an Kinder, denen es ähnlich ergeht, die von Gleichaltrigen ausgegrenzt, gehänselt, gequält werden. – Aber nicht nur: Mobbing ist ein systemisches Phänomen (vgl. Wyrwa, 2016). Ein Gruppenklima, das durch Mobbing geprägt ist, wirkt auf alle Beteiligten. Und so wendet sich das Bilderbuch auch an Kinder, die in eine Mobbingdynamik verwickelt sind, ohne selbst Zielscheibe von Übergriffen zu sein. – Und darüber hinaus: Mit dem, was der Protagonistin des Bilderbuches widerfahren ist, möchten wir auch Ihr Interesse als Erwachsene wecken, insbesondere dann, wenn Sie gern Bilder betrachten und Geschichten vorlesen sowie darüber hinaus Freude daran haben, sich mit Kindern auf eine Reise ins Reich der Fantasie zu begeben. – Als Eltern möchten wir Sie ansprechen, wenn Sie sich Sorgen machen, weil Ihr Kind sich verändert hat, weil Sie vermuten, dass es in der Schule oder im Kindergarten ähnliche Erfahrungen macht wie Stine. – Als Erzieherin oder Erzieher, als Lehrerin oder Lehrer sind Sie Teil des Gruppengeschehens. Wir sprechen Sie an, wenn Sie vermuten oder wissen, dass Kinder, die Ihnen anvertraut sind, in Mobbingprozesse verwickelt sind. Die Beschäftigung mit dem Bilderbuch kann eine Einstiegsmöglichkeit sein, um mit den Kindern in Austausch über das Erlebte zu kommen und den Blick auf Gemeinsamkeit und Freude am Leben zu lenken.

Und nun zum Begleittext Mit dem Begleittext wenden wir uns an Sie als Erwachsene. Wir möchten Ihnen als Eltern, als Pädagoginnen und Pädagogen, als Therapeutinnen und Therapeuten zu Mobbing Informationen zur Verfügung stellen. Der Begleittext macht Sie zudem mit theoretischen und methodischen Aspekten der Arbeit mit Bilderbüchern vertraut.

Warum überhaupt dieses Bilderbuch Wie sind wir nun auf die Idee gekommen, ein Bilderbuch zum Thema Mobbing zu verfassen? Kinder wie Stine sind uns im wirklichen Leben immer wieder begegnet. Sie zeigten ihren Eltern und uns ihre Not auf ihre Weise, sprachen aber nicht darüber. Kinder, die von Mitgliedern ihrer Gruppe oder Klasse immer wieder ausgegrenzt, drangsaliert und mit Worten herabgewürdigt werden, stehen oft fassungslos vor dieser Situation. Ihnen wird mit verbalen oder auch körperlich aggressiven Handlungen offen oder verdeckt Gewalt angetan, die sie hilf- und sprachlos werden lässt. Zumeist dauert es lange, bevor die betroffenen Jungen oder Mädchen mit jemandem über ihre Bedrängnis sprechen. Auch Kinder, die Mobbing beobachten oder solche, die selbst andere attackieren, sprechen in der Regel nicht über das, was geschieht. Und die Erwachsenen? Mobbing findet überwiegend dort statt, wo es den verantwortlichen Erwachsenen nicht auffällt. So kommt das, was die betroffenen Kinder erleben, nicht zur Sprache. Schweigen trägt zur Aufrechterhaltung von Mobbing bei. Also muss man reden! Das war der Ausgangspunkt unserer Überlegungen. Das Bilderbuch »Stine verstummt« weist schon im Titel darauf hin, wohin wir die Aufmerksamkeit lenken: Es geht um dieses typische Merkmal, das zur Aufrechterhaltung von Mobbingprozessen beiträgt: Verstummen und Verschweigen. Dieses Bilderbuch ist mit der Einladung verbunden, das Unsagbare in Worte zu fassen, in einen Dialog zu kommen, um gemeinsam Ideen für gute Wege des Miteinanders zu finden. Es greift die Erfahrung der Kinder so auf, dass beim gemeinsamen Lesen, Schauen und Sprechen ein »Nacherleben« möglich

wird: »Ja, das kenne ich, ich mochte auch niemandem davon erzählen«, oder »Wenn ich sehe, wie Jan von Lena geärgert wir, habe ich Angst, dann sage ich lieber nichts …«. Das Bilderbuch »Stine verstummt« greift die Mobbingsituation aus der Perspektive eines betroffenen Kindes auf. Die Ich-Erzählerin wendet sich direkt an die jungen Leserinnen und Leser. Sie bietet Kindern die Möglichkeit, sich mit ihr zu identifizieren. Überwältigende Gefühle bringen Stine aus dem Gleichgewicht. Sie werden dem zuhörenden und betrachtenden Kind als erzählte Handlung bildlich vor Augen geführt: »Das Lachen wurde groß und größer. Es hat gerauscht wie das wilde Meer.« Wie von einer riesigen Welle wird das Mädchen von den abwertenden Äußerungen der anderen Kinder überflutet. Wort und Bild unterstützen das indirekte und intuitive Erfassen des Themas. Die Verknüpfung der gesprochenen Sprache mit der symbolhaften Bildsprache folgt keinem rational-logischen oder direktiv-belehrenden Erzählstrang, sondern nutzt erfahrungsgebundene Kanäle des Verstehens. Sie stellt das Erleben in den Mittelpunkt, regt innere Bilder an und macht Bewältigung vorstellbar. Dazu möchten wir mit unserem Bilderbuch beitragen.

»Alle haben gelacht. Über mich …« Mobbing – was ist damit gemeint? Der Begriff »Mobbing« wanderte von der englischen zur deutschen Sprache: »to mob« bedeutet »belästigen oder anpöbeln«. Gemeint ist das wiederholte und regelmäßige Schikanieren einzelner Personen durch andere Menschen. Françoise Alsaker beschreibt es so: »Eines ist sicher: Mobbing ist ein aggressives Verhalten und eindeutig als Gewaltform zu bezeichnen« (Alsaker, 2017, S. 13). Dem stimmen wir zu. Allerdings ist nicht jedes aggressive, negative oder verletzende Verhalten Mobbing. Wir stellen hier zwei Situationen aus unserer beruflichen Praxis vor, die uns in deutlicher Erinnerung sind: – Zuerst wenden wir uns dem sechsjährigen Janosch2 zu. Er berichtete uns, dass er im Kindergarten mit seinem Freund Emil in Streit geriet, weil die2 Janosch und Lilly tragen im wirklichen Leben einen anderen Namen.

ser ihm nicht beim Aufräumen der Spielsachen helfen wollte. Emil sah dazu keine Veranlassung, da Janosch ihm auch nicht helfen würde. Der Streit wurde heftiger, Janosch trat Emil und Emil riss Janosch an den Haaren. Janosch begann zu weinen und rief Emil gegenüber aus: »Stopp, ich fühle mich gemobbt!« – Und nun geht es um die achtjährige Lilly. Sie erzählte, dass sie sich vor dem Sportunterricht fürchtet. In der Umkleidekabine tuscheln die Mitschülerinnen miteinander und halten sich die Nase zu, wenn Lilly sich umzieht. Immer wieder verschwindet ihr Turnbeutel. Eines Tages war es besonders schlimm. Lilly wurde von Ella, einem der tuschelnden Mädchen, aggressiv an die Wand gedrückt und gewürgt.

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War das, was Janosch und Lilly erlebten, Mobbing? Sowohl der Junge wie auch das Mädchen waren in eine aggressive Situation verwickelt, in der es zu gewalttätigem Handeln kam. Aber handelte es sich in beiden Fällen um Mobbing? Um diese Frage zu beantworten, ist es hilfreich, sich den Unterschied zwischen einem Konflikt und Mobbing zu verdeutlichen: »In Konflikten sind die Streitenden einigermaßen gleich stark und mindestens gleichberechtigt. Kinder hänseln einander, streiten miteinander – manchmal sehr viel –, und es mag auch körperliche Ausmaße annehmen. Sind die Kinder etwa gleich stark, reden wir von Konflikten. Konflikte gehören zum Alltag und zur sozialen und emotionalen Entwicklung. Kinder lernen mit Konflikten umzugehen, sie zu lösen, sich durchzusetzen oder auch nachzugeben« (S. 20). So war es zwischen Janosch und Emil: Sie hatten einen Konflikt miteinander, und es ging um »etwas«, nämlich das Aufräumen. Es gab also einen Konfliktstoff. Den Streit um diesen Konfliktstoff trugen sie aggressiv aus. In der Kindergruppe, die Janosch und Emil besuchten, war die Regel etabliert, dass ein Konflikt beendet wird, wenn es einem der Streitenden zu viel wird. »Stopp, ich fühle mich gemobbt!« war hierfür der vereinbarte Satz, der signalisiert, dass nun für eines der beteiligten Kinder eine Grenze erreicht ist, die nicht überschritten werden darf. Auch wenn hier von »gemobbt« gesprochen wurde, um Mobbing handelte es sich nicht. Es gab zwischen den beiden Jungen einen Konflikt, beide stritten aggressiv, aber sowohl Janosch als auch Emil hatten bereits gelernt, auf welche Weise sie den Streit beenden können. Ganz anders sah es bei Lilly aus. Hier gab es keinen Konfliktstoff. Es ging nicht um »etwas«, sondern es ging um Macht. Die Mädchen ihrer Klasse demonstrierten Lilly ihre Überlegenheit. Schon über lange Zeit zeigten sie ihr, dass es im Belieben von Ella und ihren Mitschülerinnen stand, Lilly zu verhöhnen und sie sogar körper-

lich anzugreifen. Alsaker schreibt dazu: »Im Fall von Mobbing gibt es keinen Konfliktstoff. Im Mobbing demon­strieren Mobber ihre Machtbedürfnisse, indem sie jemanden angreifen und verletzen« (S. 20). Lilly erlebte eine Situation, die als Mobbing gewertet werden kann. Wir kommen zurück zu Stine. In Wort und Bild erfahren wir, dass die Heldin der Geschichte in ihrem Klassenverband in eine Situation geraten ist, die für sie überwältigend ist. Die Kinder, mit denen sie täglich zusammen ist, lachen sie aus. Stine bringt ihre Erfahrung mit einem Sprachbild zum Ausdruck: »Das Lachen wurde groß und größer. Es hat gerauscht wie das wilde Meer« und wir sehen eine mächtige Welle, die das Kind zu überfluten droht. Die Bildsprache erzählt noch mehr, als die geschriebenen Worte uns berichten. Da stehen drei Kinder zusammen. Sie haben sich die Macht genommen, Stines Selbstwertgefühl anzugreifen. Das Mädchen scheint den Demütigungen ihrer Klassenkameradinnen und Klassenkameraden ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Zusammengekauert sitzt sie in einer Ecke des Klassenraums. Stachelschwein, der Spottname, den die Kinder ihr zurufen, springt als sichtbar gewordene Herabwürdigung als kleines Stachelschwein aus der Welle heraus direkt auf Stine zu. Wir sehen noch mehr. Im Hintergrund stehen weitere Jungen und Mädchen. Sie tuscheln miteinander, vielleicht lachen sie auch? Niemand kommt Stine zur Hilfe. Wir hören von Stine, dass die Situation schon lange anhält (»Es ist schon wieder passiert«) und dass Ida, eine der Mitschülerinnen, eine besonders aktive Rolle in diesem Mobbingprozess zu spielen scheint. Das, was Stine erlebt, ist kein Konflikt, es gibt nichts Konkretes, worum gestritten wird. Es gibt auch kein Gleichgewicht der Kräfte. Das Mädchen ist von Mobbing betroffen. Und ähnlich wie viele Kinder, die gemobbt werden, steht sie hilflos vor dieser Situation. Sie kann gar nicht fassen, was ihr angetan wird und noch weniger ist es ihr möglich, die Erfahrung zur Sprache zu bringen. Die beschriebene Szene macht auf mehrere Merkmale aufmerksam, die für Mobbing typisch sind: – Mobbing richtet sich systematisch gegen eine Person. – Mobbing kommt wiederholt und über einen längeren Zeitraum vor, von Wochen bis hin zu Monaten oder sogar Jahren. – Bei Mobbing geht es um Macht. – Bei Mobbing besteht ein extremes Machtungleichgewicht.

– Mobbing ist ein Geschehen, in das die ganze Gruppe einbezogen ist: die Mobbenden und die Gemobbten, die Unterstützerinnen und die Unterstützer, diejenigen, die stillschweigend zusehen, und diejenigen, die wegsehen. – Die betroffenen Kinder haben kaum eine Möglichkeit, sich aus eigener Kraft aus der Mobbingsituation zu befreien.

Mobbing hat viele Gesichter Menschen, die andere mobben, greifen zu unterschiedlichsten Formen der Gewalt, um ihre Macht zu demonstrieren und diese aufrechtzuerhalten. Von Stine hörten wir, dass ihre Mitschülerinnen und Mitschüler sie auslachten und ihr immer wieder einen Spottnamen zuriefen, der sich auf ihr Äußeres bezog. Sie erlebte also verbale Gewalt. Hierzu zählen mündliche Attacken, wie z. B. Beschimpfungen, sich über jemanden lustig machen, Drohungen, üble Nachrede usw. »Das Nachrufen von groben, gemeinen Namen zusammen mit bösartigem Auslachen wird in vielen Studien als die häufigste Mobbing-Form genannt«, so A ­ lsaker, »[w]ährend lautes Anschreien Teil starker Auseinandersetzungen sein kann, haben entwürdigende Ausdrücke und Auslachen vor anderen einen gänzlich anderen Charakter. Es sind Angriffe auf die Würde der angegriffenen Person« (S. 27). Die bildliche Darstellung von Stines Situation lässt noch mehr vermuten. Das Mädchen scheint aus der Klassengemeinschaft herausgedrängt und somit wichtiger sozialer Kontakte beraubt worden zu sein. Neben verbaler Gewalt erfuhr das Kind also auch soziale Gewalt, »[d]abei steht das Zerstören sozialer Beziehungen und der sozialen Zugehörigkeit im Mittelpunkt der negativen Handlungen, z. B. das bewusste Hinausekeln aus der Gruppe, Gerüchte verbreiten, jemanden ignorieren« (BMBWF, 2018, S. 7). Die soziale Zugehörigkeit zu einer Gruppe, mit anderen in Verbindung zu sein, ist ein grundlegendes Bedürfnis aller Menschen, also auch von Kindern. Soziale Gewalt kommt einem Angriff auf dieses Grundbedürfnis gleich. So geschah es Stine. Anders war es bei Lilly, von der wir schon gesprochen haben. Sie erlebte neben verbaler und sozialer Gewalt auch Mobbing in Form körperlicher Gewalt: Sie wurde gegen eine Wand gedrückt und gewürgt. Als körperliche Übergriffe im Kontext von Mobbing sind alle Handlungen zu werten, die den Opfern kör-

perlichen Schmerz zufügen. Betroffene Kinder werden z. B. getreten, geschlagen, gekniffen. Die Gewalt kann auch lebensbedrohliche Formen annehmen, so wie es Lilly erlebte. Insbesondere ältere Kinder und Jugendliche erleben als weitere Form des Mobbings virtuelle Gewalt: Ausgrenzung, die sie in der Schule erfahren, setzt sich in der digitalen Welt fort. Diskriminierende Kommentare und unvorteilhafte Fotos, versehen mit abwertenden Emojis, finden in sozialen Netzwerken schnelle Verbreitung. In dem Bilderbuch »Stine verstummt« geht es allerdings weder um körperliche noch um virtuelle Gewalt. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Formen des Mobbings, von denen Kinder in Stines Alter besonders häufig betroffen sind, denn die »Erscheinungsformen von Mobbing ändern sich im Laufe der Entwicklung von Kindern: Körperliche Formen kommen im Kindergarten häufig vor, nehmen aber in der Schule deutlich ab. In der Schule dominieren verbale und subtilere Formen« (Alsaker, 2017, S. 41). Mobbing ist im Grundschulalter keine Seltenheit. Zu diesen Ergebnissen kommt auch eine 2019 von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichte repräsentative Studie, für die bundesweit 3448 Schüler zwischen acht und 14 Jahren befragt wurden. In der Auswertung der Studie heißt es: »Auffällig ist der hohe Anteil von Ausgrenzungs- und Gewalterfahrungen in der Grundschule, der deutlich höher liegt als in allen anderen Schultypen. Knapp 30 Prozent der Grundschüler*innen geben an, dass sie im vergangenen Monat gehauen, gehänselt und auch ausgegrenzt wurden« (Andresen u. Möller, 2019, S. 14). Ob es sich dabei in allen Fällen um Mobbing handelte, bleibt uneindeutig: Der Studie ist nicht zu entnehmen, ob sich die Aggression gegen einzelne Kinder richtete und ob die Attacken über einen längeren Zeitraum immer wieder auftraten. Es liegt aber nahe, dass es dort, wo Jungen oder Mädchen besonders häufig von anderen Kindern drangsaliert werden, auch vermehrt zu Mobbingdynamiken kommt.

Mobbing – ein traumatisierendes Geschehen Das, was die Ich-Erzählerin der Geschichte erlebt, ist für Außenstehende kaum erkennbar, wirkt aber dennoch zerstörerisch. Stine trägt keine sichtbaren Verletzungen davon, aber schmerzhafte Wunden anderer Art. Sie ist einer Form von

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Gewalt ausgesetzt, die subtil ihre Wirkung entfaltet. Als Traumafachberaterin und Traumafachberater setzen wir nun die »Trauma­ brille« auf. Wir gehen davon aus, dass das Erleben von Gewalt für die betroffenen Menschen überwältigend ist und weitreichende Folgen haben kann. Was aber ist damit gemeint, wenn wir von Trauma sprechen? Die »Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme« schreibt in seiner elften Version (ICD-11), es handle sich bei dem, was als »psychisches Trauma« bezeichnet wird, um ein »extrem bedrohliches oder entsetzliches Ereignis oder eine Reihe von Ereignissen«. Als besonders belastend werden solche Ereignisse beschrieben, »bei denen Flucht schwierig oder unmöglich« ist.3 So erging es Stine. Sie erlebte eine Reihe verbaler und sozialer Gewaltattacken. »Am liebsten wäre ich verschwunden«, sagt sie. Aber sie konnte nicht ausweichen. Sie ist in einem schulpflichtigen Alter und deshalb gezwungen, die Schule zu besuchen. Markus Landolt unterscheidet zwischen traumatischen Ereignissen, die durch Naturkatastrophen oder Zufall (wie z. B. durch einen Unfall) ausgelöst, und solchen, die durch zwischenmenschliche Gewalt verursacht werden (Landolt, 2004; vgl. Jegodtka u. Luitjens, 2016, S. 56 f.). Es macht einen Unterschied, ob das Leben eines Kindes durch eine Katastrophe bedroht wurde, oder ob zwischenmenschliche Gewalt Ursache für dessen individuelles Leid ist. Im deutschen Ärzteblatt heißt es dazu, dass erst dann, wenn man weiß, dass die Folgen traumatisierender Erlebnisse »offensichtlich schwerer und anhaltender (sind), wenn der Stress auf Handlungen von Menschen zurückgeht, wird man begreifen, dass Mobbing als von Menschen verursachter Psychoterror ein ›Psychotrauma‹ darstellt« (Bämayr, 2001, S. A1812). So kann Stines Situation beschrieben werden: Sie erlebte durch andere Kinder verursachten Psychoterror. 3 Siehe Entwurfsfassung des ICD-11 (BfArM, 2022), hier: 6B40 (Posttraumatische Belastungsstörung) und 6B41 (Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung).

… eine normale Reaktion auf eine anormale Situation David Becker sagt, wenn wir von Trauma sprechen, »handelt sich um eine Situation, die extremes psychisches Leid verursacht«. Er betont, dass Symptome, die sich eventuell in der Folge traumatisierender Erfahrungen entwickeln, »als eine normale Reaktion auf eine anormale Situation« gewertet werden können (Becker, 2005, S. 153). Dem schließen wir uns an. In Stines Geschichte steht im Mittelpunkt, welche weitreichenden Folgen Mobbing für Kinder haben kann. Wie es dazu kam, dass sich in Stines Klasse eine Mobbingdynamik entwickelte, bleibt für die jungen Leserinnen und Leser im Verborgenen. Auch die Bilder geben hierüber keine Auskunft. So eröffnet sich für die Betrachter:innen des Bilderbuches die Chance, die vermeintliche Lücke in der Erzählung mit eigenen imaginierten Bildern auszufüllen. »Was mag Stine noch erlebt haben? Wurde sie etwa auch geschlagen? Ist sie in eine Ecke gedrängt worden? Steht sie in der Pause allein auf dem Schulhof? Werden ihr Dinge gestohlen?«, fragen sich vielleicht einige Mädchen oder Jungen. Bei anderen Kindern werden eigene Erinnerungsbilder auftauchen und sich mit der Geschichte verbinden. Das Nichterzählte lässt für die lesenden oder hörenden Kinder die Möglichkeit offen, fließend zwischen Distanzierung und Identifikation zu wechseln. Auch wenn wir nicht erfahren, wie es dazu kam, dass Stine zur Zielscheibe von Grenzverletzungen wurde, wird erkennbar, welche Folgen dieses Erleben für sie hat. Indem der Schulalltag für sie zunehmend bedrohlich wurde, verlor sie das Gefühl, »sicher in sich« und »sicher in der Welt« zu sein. Erkennbar werden auch weitere »normale Reaktionen« auf diese anormale Situation des Mädchens: – Stines Gedanken kreisen beständig um das, was sie in der Schule erlebt hat. Sie drückt es bildhaft aus: »Wo ich auch hingehe, das kleine Stachelschwein kommt mit.« – Der Körper reagiert. Wenn sie an die Situation in der Schule denkt oder danach gefragt wird, beginnt es in ihrem »Bauch zu zwicken«. – Wie viele Kinder, die von anderen gemobbt werden, schläft Stine schlecht. An der Grenze zwischen Wachen und Träumen drängen sich die demütigenden Äußerungen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler aufdringlich in Erinnerung. Als kleines Stachelschwein nehmen sie Gestalt an und schleichen sich in ihre Träume: Das kleine Stachelschwein starrt sie an. Stine re-

agiert physisch auf den Albtraum. Ihr Herz schlägt laut, ihr wird heiß und kalt, sie zittert. Albträume werden im ICD-11 als eine typische Traumafolge benannt (BfArM, 2022, 6B40). – Stine ist in eine Position sozialer Isolation geraten. Immer wieder wurde sie beschämt und fühlte sich dann »ganz allein und so klein«. »Ich glaube, dass der Kern jeder Traumatisierung in extremer Einsamkeit besteht. Im äußersten Verlassensein«, sagte Onno van der Hart einmal in einem Gespräch mit Michaela Huber (Huber, 2007, S. 61) – dem können wir nur zustimmen. Von anderen Kindern werden weitere Reaktionen auf Mobbing benannt. Einige haben immer wieder Kopfschmerzen, anderen vergeht der Appetit. Vielen fällt es schwer, sich zu konzentrieren, sodass sich die schulischen Leistungen verschlechtern. Und während es gemobbte Kinder gibt, die sich immer mehr zurückziehen, reagieren andere mit Wut und Aggression.

Schweigen und Verschweigen Mobbing greift in die Welt der gesprochenen Sprache ein, lässt die Betroffenen verstummen, macht sie sprachlos. Das kann viele Gründe haben. »Ein offensichtlicher Grund für das Schweigen der Opfer ist die Angst, dass die Mobber sich für das Brechen des Schweigens rächen könnten. Tatsächlich drohen Mobber ihren Opfern häufig mit weiteren Angriffen, falls diese mit jemandem über die Mobbing-Vorfälle sprechen würden« (Alsaker, 2017, S. 45). Die Drohungen können dabei ganz offensichtlich oder aber für die begleitenden Erwachsenen schwer erkennbar sein. Das betroffene Kind weiß aber, dass es gemeint ist. So erging es Stine. Ihrer Lehrerin fiel auf, dass das Mädchen gedrückter Stimmung war und sprach sie direkt an: »Stine, was ist los?« Die Botschaft der mobbenden Kinder klebt als gezeichnetes Stachelschwein an der Wand des Klassenzimmers. Frau Fröhlich sieht das Bild und den Zusammenhang nicht und Stine schweigt. »Ich wollte es ihr nicht verraten – hinter Frau Fröhlich stand das gemeine Wort und lachte«.

Betrachten wir das Schweigen eines gemobbten Kindes aus der Perspektive psychosozialer Traumatologie, werden weitere Gründe für das Verstummen denkbar: Vielleicht kann das Kind sich nicht daran erinnern, was genau geschehen ist und in welcher Reihenfolge? Das wäre nicht verwunderlich. Traumatisierendes wird überwiegend zersplittert und nichtsprachlich im Gedächtnis aufbewahrt (Korittko u. Pleyer, 2014, S. 36). Vielleicht fehlen dem Kind auch die passenden Worte? »Da ist keine Sprache, da sind keine Worte, mit deren ­Hilfe Du das Unsagbare sagen, das Unbegreifliche erklären könntest« (Levi, 1988, S. 369). Vielleicht ist es auch Scham? Menschen, ob jung oder alt, »schämen sich oft wegen der Mobbing-Situation und mögen deshalb nicht davon erzählen. Es kann sein, dass sie das Gefühl haben, sie sollten selber mit der S­ ituation klarkommen. Sie schämen sich eventuell auch dafür, dass sie sich nicht wehren können; denn den Satz, dass man sich wehren sollte, haben sie schon oft gehört« (Alsaker, 2017, S. 47). So ist es auch bei Stine. Sie erzählt weder ihrer Lehrerin noch ihren Eltern, was ihr immer wieder geschieht. Mobbing in der Schule hat viele Akteurinnen und Akteure. Das ganze System der Klasse ist betroffen (Hilt, Grüner, Schmidt, Beyer, Kimmel, Rack u. Tatsch, 2021). Und alle schweigen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Je länger geschwiegen wird, umso besser kann sich eine Mobbingsituation ausweiten. Daran haben insbesondere die Kinder Interesse, die als Mobbende oder deren Helferinnen und Helfer aktiv sind. Sie schweigen, weil sie etwas zu verschweigen haben. Würden sie ihren eigenen Beitrag zur Mobbingdynamik zur Sprache bringen, hätten sie viel zu verlieren – ihre machtvolle Position gegenüber dem gemobbten Kind, das Ansehen in der Klasse, Spaß. Verschweigen und Schweigegebote helfen den Mobbenden, dass sich die Mobbingspirale weiterdrehen kann. Dann gibt es Kinder, die sich lieber aus dem Geschehen heraushalten möchten, aber dennoch sehen, hören und fühlen, was geschieht. Die scheinbar Unbeteiligten finden oft nicht den Mut, das Beobachtete zu benennen. Sie »fürchten, selbst in die Rolle des Opfers zu geraten. Sie haben Angst, den Vergeltungstaten der Mobber ausgesetzt zu sein« (Alsaker, 2017, S. 48). So breitet sich auch bei diesen Kindern hilflose Sprachlosigkeit aus.

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Und die Lehrerinnen und Lehrer? Auch sie gehören dem System der Klasse an und haben Anteil an der Dynamik. Sie haben Verantwortung dafür, dass die Schule für die ihnen anvertrauten Kinder ein sicherer Ort ist. Aber Schweigen und Verschweigen sind mächtige Verstärker von Mobbing, und so kann es geschehen, dass die verantwortlichen Erwachsenen nicht mitbekommen, in welch schwieriger Situation sich ein ausgegrenztes Kind befindet. NichtGesehenes und Nicht-Gehörtes kann nicht zur Sprache kommen. In unserer beruflichen Praxis wurde uns allerdings auch berichtet, dass verantwortliche Bezugspersonen die Not von drangsalierten Kindern zwar mitbekommen haben, aber dennoch schwiegen statt zu handeln. »Ein weiterer Faktor, der zum Nicht-Intervenieren führt, ist ein nicht selten auftretendes Gefühl von Machtlosigkeit gegenüber den komplexen und subtilen Mobbing-­Vorkommnissen«, so Alsaker (S. 51). Vielleicht gingen diese Erwachsenen auch davon aus, dass sich die Situation von selbst legt? Dem ist leider nicht so. Im Fall des NichtHandelns der Erwachsenen bleibt das betroffene Kind mit seiner Verunsicherung allein, sodass Verbindung verloren geht. Gleichzeitig werden die Mobbenden in ihrem Handeln bestärkt. Legen auch die Erwachsenen einen Mantel des Schweigens über das Geschehen, wird die Dynamik des Mobbingprozesses zunehmend undurchsichtiger. Schweigen und Verschweigen ist eines der größten Hindernisse, um Mobbing gezielt zu stoppen, und es braucht Mut, »zu erkennen, dass Wegschauen auch Gewalt ist. Es braucht noch mehr Mut, hinzuschauen und zu handeln« (S. 10).

Vom Schweigen zum Sprechen Kinder begegnen sich in Gruppen: Im Kindergarten, in Wohngruppen, in der Schule verbringen sie täglich Zeit miteinander und teilen Erfahrungen. Die Jungen und Mädchen können sich dabei nicht aussuchen, mit wem sie in der Gruppe oder in der Klasse täglich beisammen sind. Hat sich in solch einer Zwangsgemeinschaft ein Gruppenklima mit Machtgefälle und Gruppendruck, mit Angst und Ausgrenzung entwickelt, können Kinder und Jugendliche dem Geschehen nicht entkommen. Hier sind die Pädagoginnen und Pädagogen in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass das Mobbing beendet wird. Vorrangiges Ziel ist, dass aus verunsichernd gewordenen Orten und unzuverlässigen Kontakten wieder sichere Orte und verlässliche Beziehungen werden können. Das erfordert auf allen Ebenen Interventionen, die dazu beitragen, dass die Gefährdung beendet wird. Als erstes ist es dafür notwendig, Mobbingdynamiken zu erkennen: »Um Mobbing effizient vorbeugen oder gegebenenfalls gegen Mobbing intervenieren zu können, sollte man typische Merkmale kennen, die zur Entstehung und besonders zur Aufrechterhaltung von Mobbing beitragen« (Alsaker, 2017, S. 11). Dazu gehört Mut, hinzusehen, und Mut, die Macht des Schweigens zu beenden. »Durch (Ver-)Schweigen sorgen alle dafür, dass Mobbing-Muster aufrechterhalten werden. Man könnte beinahe sagen, dass Mobbing zu einem großen Teil vom Schweigen lebt. Die einzige logische Gegenmaßnahme ist deshalb, das Schweigen zu brechen. Es stellt ein zentrales Mittel der Prävention von Mobbing dar« (S. 179). Um Mobbing den Nährboden zu entziehen, ist es folglich bedeutsam, das Geschehen zur Sprache zu bringen. Das Ansprechen von Gewalt erfordert eine Atmosphäre, die den Kindern Sicherheit vermittelt und zugleich deutlich macht, dass die verantwortlichen Erwachsenen an ihren Erfahrungen interessiert sind.

Mit Bilderbüchern ein Erzählklima etablieren »Liest du mir etwas vor?« Eltern kennen diese Frage ebenso wie pädagogische Fachkräfte, denen jüngere oder auch ältere Kinder anvertraut sind.4 Wie war es bei Ihnen selbst? Hatten Sie das Glück, dass Ihnen in der Familie vorgelesen wurde? Erinnern Sie sich, wie es war, wenn Ihre Eltern oder Großeltern, vielleicht auch die älteren Geschwister ein Bilderbuch zur Hand nahmen, um sich mit Ihnen gemeinsam von Text und Bild berühren zu lassen? Gab es ein Ritual, einen besonderen Zeitpunkt im Tagesverlauf, einen besonderen Ort, an dem Sie sich gemeinsam mit der Vorleserin oder dem Vorleser auf die Reise in imaginäre Welten begaben? Roch es vertraut? Waren es abendliche GuteNacht-Geschichten, denen Sie lauschten, oder saßen Sie gemütlich eingekuschelt auf dem Schoß eines erzählenden oder vorlesenden Erwachsenen? In einer Veröffentlichung der Stiftung Lesen heißt es dazu: »Aus neurowissenschaftlicher Sicht lernt ein Kind, sobald es auf dem Schoß einer Bezugsperson sitzen kann, den Akt des Lesens mit dem Gefühl, geliebt zu werden, zu assoziieren« (Ehmig u. Reuter, 2013, S. 7). In der Vorlesestudie der Stiftung Lesen aus dem Jahr 2016 wurden Kinder gefragt, was ihnen am Vorlesen besonders gut gefällt. Ein Großteil der jungen Interviewteilnehmenden hob hervor, dass das Vorlesen von Geschichten und Bilderbüchern »so gemütlich ist« (55 %). Andere wiesen darauf hin, dass die Atmosphäre während des Vorlesens »so ruhig und entspannend« sei (40 %). Ähnlich äußerten sich diejenigen, die meinten, dass sie sich beim gemeinsamen Lesen und Betrachten von (Bilder-)Büchern »gut ausruhen« können (34 %). Besondere Bedeutung wurde dabei der Nähe zu den Eltern beigemessen. Dass »Mama/Papa sich Zeit nehmen« war für 45 % der Kinder wichtig. Die Antworten der Jungen und Mädchen fielen eindeutig aus. Sie »schätzen am Vorlesen vor allem die Nähe zu ihren Eltern und die Atmosphäre« (Stiftung Lesen, 2016, S. 14). Bereits in früheren Vorlesestudien der Stiftung Lesen wurde auf diese Aspekte hingewiesen: »Entscheidend für die

4 Die folgenden Seiten konnten in ähnlicher Form bereits in dem Begleitheft des Bilderbuches »Kim, Tim-Tiger und das gefährliche Etwas« gelesen werden (Jegodtka u. Luitjens, 2018). Für das aktuelle Begleitheft haben wir sie überarbeitet.

Wirksamkeit von Vorlesen und Erzählen sind Nähe und Austausch mit einer Vertrauensperson« (Ehmig u. Reuter, 2013, S. 6). Wenn Sie solch eine Vertrauensperson für ein Kind sind, vielleicht dessen Mutter oder Vater, ist dies ein wichtiger Hinweis. Zeigt Ihnen Ihr Kind ohne Worte, dass etwas sein Leben bedrückt? Kinder senden uns ständig nonverbale Botschaften. Vermuten Sie, dass Ihr Sohn oder Ihre Tochter im Kindergarten oder in der Schule Ähnliches erlebt wie Stine? Dann fühlt er oder sie sich in der Situation wahrscheinlich ohnmächtig und verlassen. Wenn Ihr Kind sich jetzt mit Ihnen gemeinsam in ein Bilderbuch vertieft und im Gespräch über die Geschichte Nähe spürt, ist dies eine heilsame und stärkende Gegenerfahrung zu Demütigung und sozialer Ausgrenzung. Denn vorgelesene und erzählte »Geschichten sind Lebensmittel. Sie begleiten, wie ein Schluck warmer Kakao« (Alt, Hering, Reichmann u. Witzsche, 2014, S. 6). Sie lassen ein Gefühl der Sicherheit entstehen, in dem es leichter fällt, auch das zur Sprache zu bringen, was belastet. Nun ist die Person, die einem Kind vorliest, nicht immer dessen Mutter oder Vater, Oma oder Opa. Wie war es bei Ihnen? Es mag sein, dass Ihre Familie nicht der Ort war, an dem Sie selbst mit Bilderbüchern in Berührung kamen. So geht es auch heute vielen Kindern. »Unter dem Strich kann man schätzen, dass etwa jedem fünften bis sechsten Kind im Vorlesealter weder von der Mutter noch vom Vater vorgelesen wird« (Ehmig u. Reuter, 2013, S. 27). Haben Sie den Zauber, der von erzählten oder vorgelesenen Geschichten ausgeht, in einer Kindergruppe kennengelernt? Gab es eine gebannte Stille, als eine Erzieherin oder ein Erzieher eine spannende Geschichte erzählte? Erinnern Sie sich an das Lachen bei lustigen Szenen? Der entstehende Kontakt und die emotionale Nähe zwischen der oder dem Vorlesenden und den Kindern bilden eine gute Voraussetzung, um die emotionale Stärkung der Jungen und Mädchen in den Mittelpunkt zu stellen. Auch in der Gemeinsamkeit mit anderen Kindern, z. B. in der Schule, im Kindergarten oder in der Wohngruppe, kann eine Atmosphäre geschaffen werden, in der sich die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer geborgen fühlen. So trägt die im gemeinsamen Lesen von Bilderbüchern entstehende Vertrautheit auch in der Kindergruppe dazu bei, dass überwältigte Mädchen und Jungen ihre Gruppe oder ihre Klasse als sicheren Ort erleben, als einen Raum, in dem das Gefühl von Verbindung und Nähe wieder wachsen kann.

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Wenn die Beschäftigung mit Geschichten und den dazugehörigen Bildern in einer angenehmen Atmosphäre stattfindet, wird dies als Anregung für die kindliche Sprachentwicklung gewertet. Die Jungen und Mädchen »werden in der Situation des Vorlesens förmlich mit Sprache ›überhäuft‹. Gleichzeitig spüren sie in der vertrauten Situation des Vorlesens die Geborgenheit und Sicherheit, um das Bad in Wörtern genießen zu können. Das sind ideale Voraussetzungen für den Spracherwerb« (Albers, 2015, S. 33). Auch die Stiftung Lesen (2017, S. 3) lenkt in ihrer Vorlesestudie von 2017 die Aufmerksamkeit darauf, dass das Vorlesen für Kinder ein hochwirksamer Impuls für die sprachliche Entwicklung ist. Die Vorlesesituation hat hier also zum Ziel, Kinder zu unterstützen, sich in der gesprochenen Sprache zu Hause zu fühlen. Auch wir gehen davon aus, dass das Erzählen, Bilderbetrachten und der Austausch über die gehörte Geschichte ein guter Rahmen für die Sprachentwicklung und -förderung sind. Die Beschäftigung mit Bilderbüchern birgt darüber hinaus aber noch eine weitere große Chance und diese ist uns im Zusammenhang mit Mobbing besonders wichtig: Sie kann dafür sorgen, dass eine Atmosphäre geschaffen wird, in der sich die Kraft des Redens entfalten kann. Bilder regen Worte an und lassen neue Worte finden: »Wenn es in einem Bilderbuch um Themen der Kinder geht, entsteht Resonanz zwischen Kind und dem Gehörten und Gesehenen. Man kommt miteinander ins Gespräch« (Alt et al., 2014, S. 6). So kann durch den Einsatz von Bilderbüchern ein Erzählklima etabliert werden, in dem es auch möglich ist, ein so komplexes Thema wie Mobbing anzusprechen. In einer Veröffentlichung der Stiftung Lesen wird vorgeschlagen, das »Vorlesen als dialogische Situation zu begreifen, in der die Kinder mit den vorlesenden Personen interagieren. […] In diesem Sinne ist der Übergang zwischen Vorlesen und Erzählen fließend« (Ehmig u. Reuter, 2013, S. 6). Aber wie soll das gehen? Eine gängige Weise, Kindern Geschichten und Bilderbücher nahezubringen, ist dadurch geprägt, dass die Mädchen und Jungen passiv zuhören, während die vorlesende Person aktiv den Text vorträgt und die dazugehörigen Bilder zeigt. Wie haben Sie selbst es als Kind kennengelernt? Wurde vorgelesen, während Sie zuhörten? Konnten Sie Fragen stellen? Durften Sie Ihre eigenen Vorstellungen einbringen? Wurden Sie zu neuen Ideen angeregt? Haben Sie sich

mit den vorlesenden Erwachsenen auf eine gemeinsame Reise in das weite Land der Fantasie begeben? Unsere Idee ist, dass mit dem Vorlesen unseres Bilderbuches und dem Betrachten der dazugehörigen Bilder ein Dialog eröffnet wird, ein Hin und Her zwischen der Geschichte, den bildlichen Darstellungen und den eigenen Erfahrungen der Zuhörenden.5 Kindlichem Denken und Verstehen wird Raum und Zeit gegeben. Es entsteht ein Austausch zwischen »ich«, »du« und »wir«, über meine, deine und unsere Gedanken, über das, was das Kind oder die Kinder beschäftigt. Wir geben Impulse. Als Vorlesende oder als Vorlesender könnten Sie z. B. gemeinsam mit den Kindern Vermutungen anstellen: Was mag Stines Papa glauben, warum seine Tochter den Eindruck macht, dass es ihr nicht gut geht? Vielleicht interessiert auch, wie sich Stine das Verhalten von Ida erklärt.6 Im gemeinsamen Nachdenken können Sie sich als Entwicklungsbegleitende mit den Kindern auf den Weg machen, um neue Ideen und Ressourcen für das Leben zu finden. Solches auf den Dialog ausgerichtete Vorlesen hat den Vorteil, »dass individuell und flexibel auf die Fragen und Interessen der Kinder eingegangen werden kann und die Eigenbeteiligung der Kinder im Vordergrund steht« (­Albers, 2015, S. 73).

5 Wenn wir selbst in unserem beruflichen Alltag Kinder begleiten, die Ähnliches wie Stine erlebt haben, ist das Konzept »Systemische Traumapädagogik« für unser Handeln orientierend. Kennzeichnend für systemische Praxis ist ein dialogischer Prozess, in den die Beteiligten aktiv einbezogen sind. Auf der Homepage der Systemischen Gesellschaft heißt es dazu: »Zentrales Arbeitsmittel systemischer Praxis ist der öffnende Dialog« (Systemische Methoden; vgl. Jegodtka u. Luitjens, 2016). 6 Es geht bei dieser Art von Fragen (zirkuläre Fragen) nicht darum, herauszufinden, wie etwas genau gewesen ist. Vielmehr stehen die Wahrnehmungen und Perspektiven der beteiligten Menschen im Mittelpunkt des Interesses. Ein zentrales Muster der Konstruktion zirkulärer Fragen ist, dass eine Person über die Sicht von anderen Personen befragt wird. Ausführliche Beschreibungen systemischer Fragetechniken finden Sie im »Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I – Das Grundlagenwissen« (von Schlippe u. Schweitzer, 2012).

Ausflug ins Reich der Fantasie Die Geschichte »Stine verstummt« entstand zunächst durch unsere Imagination. Was wir von gemobbten und auch zuschauenden oder mobbenden Kindern hörten, ließ innere Bilder in uns entstehen. Die inneren Bilder wurden zu Worten und verdichteten sich schließlich zu der Geschichte, in der Stine die Hauptrolle spielt. Der entstandene Text rief wiederum innere Bilder in mir, Renate Jegodtka, wach und das, was ich nun vor meinem inneren Auge sah, brachte ich in Bildern zu Papier. So entstand eine bebilderte Geschichte, die zum Sprechen anregen soll. Stine, die Protagonistin der Geschichte, verfügt wie die meisten Kinder ihres Alters über eine hohe imaginative Kompetenz – eine stabilisierende Ressource. Imagination, also die Fähigkeit des Menschen, sich etwas vorzustellen, ist in besonderer Weise geeignet, schrecklichen Erfahrungen und Erinnerungsbildern etwas entgegenzusetzen. Insbesondere Kindern »fällt es in der Regel sehr leicht, sich etwas auszumalen. Sie verwenden zudem intuitiv ihre natürliche Gabe der Vorstellungskraft, um mit schwierigen, belastenden Situationen – eben auch traumatischen Ereignissen – zurechtzukommen« (Lackner, 2004, S. 84). Mit Stines Geschichte knüpfen wir an diese kindliche Fähigkeit in verschiedener Weise an. Zunächst begegnet uns  … das kleine Stachelschwein

Es erscheint zunächst als Gestalt gewordenes Schimpfwort eher bedrohlich als unterstützend zu sein. Es läuft Stine hinterher und erinnert sie an die Gemeinheiten der anderen Kinder. Sogar im Traum wird Stine von dem Stachelschwein belästigt. Wenn wir genau hinschauen, sehen wir allerdings, dass dieses Tier ganz freundlich lächelt. Dies bemerkt Stine zunächst gar nicht. Im Gegenteil, sie fürchtet sich. Mitten in der Nacht erwacht sie und muss auf die Toilette. Als sie anschließend in den Spiegel blickt,

traut sie ihren eigenen Augen kaum: Es scheint, als wäre das, was die anderen Kinder ihr nachrufen, Wirklichkeit geworden. Auf ihrem Kopf sind mächtige Stacheln gewachsen. Das kleine Stachelschwein lockt das Mädchen freundlich winkend auf die andere Seite des Spiegels in eine Anderswelt. Niemand kann das kleine Stachelschwein sehen. Es zeigt sich nur Stine und nun auch den Betrachterinnen und Betrachtern des Bilderbuches. Von solch unsichtbaren Fantasiegefährten oder -gefährtinnen werden viele Kinder (und manchmal auch Erwachsene) begleitet. Sie sind nur in deren »Vorstellung vorhandene, vor dem geistigen Auge sichtbare und für andere Personen unzugängliche Begleiter von Kindern« (Neuß, 2017, S. 17). Imaginierte Figuren wie das kleine Stachelschwein werden ausschließlich durch die Fantasie erschaffen. Sie »sind quasi Mittel zur Selbstentfaltung des kindlichen Potenzials« (S. 111) und können mit genau den Fähigkeiten ausgestattet werden, die das jeweilige Kind in der aktuellen Situation benötigt. Auch bei Stine ist es so. Sie verwandelt den ihr verächtlich zugerufenen Spottnamen in eine Figur, die ihr von nun an hilfreich zur Seite steht. In die Erzählung rund um das Geschehen in dieser Anderswelt wurden einige erprobte Vorgehensweisen systemischer Traumapädagogik eingewoben: – Bereits die Arbeit mit selbst erdachten Erzählungen und Bilderbüchern stellt eine bewährte Intervention systemischer Traumaarbeit dar. Ausgehend von der Kommunikation über die Geschichte führt sie hin zum sprechenden Austausch über das Leben und die Themen der Kinder. – Stines Welt geriet durch das grenzverletzende Verhalten anderer Kinder aus den Fugen. Nun stellt sie sich einen Ort vor, an dem sie wieder zu innerer Stabilität gelangen kann. Gleich hinter dem Dämmergrau ist er zu finden. In der psychosozialen Begleitung überwältigter Menschen ist die Imagination eines »inneren guten Ortes« eine etablierte Methode zur Selbstberuhigung (Reddemann, 2001). – Wie in märchenhaften Erzählungen üblich, verfügen die imaginierten Helferfiguren über Fähigkeiten, die über das spontane Handlungsrepertoire des hilfesuchenden Protagonisten oder der Heldin der Geschichte hinausgehen. Mit ihrer Unterstützung wird der Blick in Richtung Ressourcen und Selbstwirksamkeit gelenkt, eine Voraussetzung dafür, dass Stine den Mut aufbringen kann, zu erzählen, was ihr immer wieder geschieht. Dem Konzept syste-

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mischer Traumapädagogik liegt eine Haltung zugrunde, welche den Blick auf Selbstbemächtigung und Ressourcen lenkt (Jegodtka u. Luitjens, 2016, S. 28). … hinter dem Dämmergrau

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Zunächst findet sich Stine an einem Ort wieder, der ihre Hilf- und Orientierungslosigkeit metaphorisch zum Ausdruck bringt: Sie steht in einem Wald.7 »Nanu, wo bin ich?«, fragt sie sich. Das kleine Stachelschwein weiß Bescheid. Der Weg führt zunächst durch das Dämmergrau, aber gleich dahinter ist der imaginierte innere gute Ort zu finden. Er bildet das Umfeld, in dem Stine nach verunsichernder Erfahrung Impulse erhält, welche die Bewältigung des Erlebten in den Bereich des Möglichen rücken. Viele Stachelschweine tauchen an dem vorgestellten Platz auf. Sie wissen bereits, was das Kind bedrückt und das Größte unter ihnen spricht es direkt auf die Mobbingsituation an. Die dadurch ausgelöste Erinnerung8 fühlt sich für Stine so präsent an, als würde das Geschehen im Hier und Jetzt stattfinden und sofort fühlt sie sich klein. Die Gruppe der Stachelschweine lässt sich dadurch allerdings nicht irritieren, sondern greift direkt eine bedeutsame Ressource des Mädchens auf: Stine tanzt gern. Und so laden sie das Kind ein, mit ihnen zu tanzen. Stine erlebt Verbindung im gemeinsamen Rhythmus, in geteilter Bewegung und dem Gesang der ganzen Gruppe. Aber Stine erlebt noch mehr. Wenn Stachelschweine meinen, dass ihnen wer zu nahe kommt, richten sie ihre Stacheln auf. Sie zeigen ihre ganze Größe und noch mehr. Wenn das nicht reicht, stampfen sie auf und rasseln mit den Stacheln. Das ist für Stine eine wichtige Erfahrung: Nähe und Distanz zwischen Ich und den Anderen kann respektvoll reguliert werden (BfArM, 2022, 6B40). 7 »Ich glaub, ich steh’ im Wald« ist ein gängiges Sprachbild, wenn Menschen sich orientierungslos fühlen. 8 Nachhallerinnerungen (Flashbacks) werden im ICD-11 als eine typische Traumafolge benannt (BfArM, 2022, 6B40).

Aber ist das allein ausreichend, um vom Schweigen zum Sprechen zu kommen? Hier kommt der Marabu ins Spiel

Wir suchten nach einer weisen Figur, die Stine Mut machen kann, zur Sprache zu bringen, was sie bedrückt. Das kleine Stachelschwein hatte die Idee: der Marabu. Er ist nicht vielen als Helfer bekannt, aber den Stachelschweinen hat er mit seinem besonderen Wissen schon oft aus der Klemme geholfen. Als weise Figur ist er ein starker Gefährte. Er liest dem Mädchen etwas vor: eine Geschichte in der Geschichte, in der Stines Situation aufgegriffen wird. Der Marabu kommentiert dies nicht. Allein der Dialog zwischen dem ausgestoßenen kleinen Vogel Jakob und der weisen Eule Eulalia vermittelt dem Mädchen die zentrale Botschaft: Fasse Mut und bring zur Sprache, was gesagt werden muss. Du schaffst das! Und so, wie Eulalia dem kleinen Vogel Jakob eine federleichte weiße Mutmachfeder schenkt, handelt auch der Marabu: Er überreicht Stine eine federleichte Feder aus seinem Federkleid. Danach zieht er sich wieder zurück. Mit diesem Erinnerungsanker in der Hand eröffnet sich für Stine die Chance, ihren Weg zum Sprechen über das Geschehen in der Fantasie vorwegzunehmen und Neues zu erproben: »Soll ich es wagen? Soll ich es sagen?« Stine bewegt sich damit bereits im Bereich der Selbstwirksamkeitserwartungen, des Denkens in Möglichkeiten. Das kleine Stachelschwein nickt. Ja, es ist eine gute Idee, belastende Geschehen zur Sprache zu bringen.

Zurück aus der Anderswelt  … springt Stine aus ihrem Bett heraus. Die Stacheln, die ihren Kopf zierten, hat sie hinter dem Dämmergrau zurückgelassen. In ihren Händen hält sie das, was das kleine Stachelschwein und der Marabu ihr schenkten: einen Stachel und die weiße Feder. Ob andere Menschen das auch sehen können? »Soll ich es wagen? Soll ich es sagen?« Mit dieser Frage ist das Mädchen in der Anderswelt eingeschlafen. Und nun ist Stine entschlossen: Sie will es wagen, sie will es sagen. Zunächst ihren Eltern. Denen ist schon seit Längerem aufgefallen, dass etwas Bedrückendes in das Leben ihrer Tochter getreten ist. Zu der Zeit, als Stines Vater sie nach der Ursache ihrer Verfassung fragte, war es Stine noch nicht möglich, über ihre Situation zu sprechen, aber jetzt. Jetzt ist alles anders. Stine bringt zur Sprache, was immer wieder geschieht. Offensichtlich möchte sie nun auch selbst diejenige sein, die ihrer Lehrerin berichtet, welch destruktive Dynamik sich in ihrer Klasse entwickelt hat. Stine ergreift die Feder und den Stachel. Sie nimmt ihren ganzen Mut zusammen und bricht das Schweigen. Frau Fröhlich hört, dass sich entlang der Generationengrenze eine Schweigemauer gebildet hat, hinter der Stine der Willkür der mobbenden Kinder ausgesetzt war. Die Lehrerin greift Stines Bericht auf und spricht das Thema Mobbing in der Klasse an. Gut so, denn »[i]ndem man den aktuellen Anlass als Ausgangspunkt nimmt, steht nicht der Rückblick auf das Geschehen, sondern die Auflösung des gerade entdeckten MobbingProblems im Zentrum« (Alsaker, 2017, S. 182). Ziel ist, dass der Ort, an dem die Kinder sich aufhalten, ein sicherer Ort werden kann. Um mit der ganzen Gruppe neue Formen des Umgangs zu etablieren, setzt Frau Fröhlich auf die Kraft des Redens. Es geht ihr darum, einen Prozess in Gang zu setzen, durch den Mobbing aus der Klasse verbannt wird. Dazu braucht auch die Lehrerin Mut, denn es ist notwendig, dass sie ihre Haltung zur Gewalt klar zum Ausdruck bringt. Frau Fröhlich begleitet die Klasse auf dem Weg zu einem respektvollen Miteinander. Sie bezieht sich auch gleich selbst mit ein: »Ich könnte mit den Stacheln rasseln, wenn mir wer zu nahe kommt« – ein bedeutsames Anliegen: Grenzen werden gezeigt, ohne andere Menschen zu verletzen. Nähe und Distanz zwischen der eigenen Person und den anderen Gruppenmitgliedern kann reguliert

werden, ohne irgendwen zu demütigen. Und nicht nur das! »Ich könnte singen, tanzen, lachen …« Frau Fröhlich richtet die Aufmerksamkeit auf die Ressourcen des Mädchens und schlägt vor, dass alle den »Stachelrasseltanz« tanzen. Im gemeinsamen Rhythmus ist für Stine und die anderen Kinder Freude und Verbindung spürbar. Frau Fröhlich drückt es so aus: »Mit anderen was gemeinsam machen.« Wir würden es ähnlich benennen. Ein zentrales Ziel ist es, dass sich alle Kinder einer Gruppe mit sich selbst, mit den anderen und mit der umgebenden Welt in Verbindung erleben können.

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Ausblick Seht hin und bringt zur Sprache, was gesagt werden muss – das ist der erste Schritt, wenn es darum geht, Mobbing bei Kindern ohne Beschämung zum Thema zu machen. Dies ist die zentrale Botschaft des Bilderbuchs »Stine verstummt«. Es lädt dazu ein, das Erlebte zu benennen und den Blick auf Gemeinsamkeit und Freude am Leben zu lenken. Nach einem ersten folgt sicher auch

ein zweiter Schritt. Wir können uns vorstellen, dass Frau Fröhlich und ihre Kolleginnen und Kollegen ihn gehen. Sie werden sicher ein passendes Konzept entwickeln, um Mobbing den Nährboden zu entziehen. Aber das wäre eine andere Geschichte. In dem Bilderbuch und auch in diesem Begleitheft geht es um den ersten Schritt.

Bücher zum Weiterlesen

Literatur, aus der zitiert wurde

Jegodtka, R., Luitjens, P. (2016). Systemische Traumapädagogik. Traumasensible Begleitung und Beratung in psychosozialen Arbeitsfeldern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Albers, T. (2015). Das Bilderbuch-Buch. Sprache, Kreativität und Emotionen in der Kita fördern. Weinheim: Beltz. Alsaker, F. D. (2017). Mutig gegen Mobbing – in Kindergarten und Schule (2. Aufl.). Bern: Hogrefe. Alt, K., Hering, J., Reichmann, J., Witzsche, L. (2014). Mit Bilderbüchern in die Lesewelt. Anregungen zur Sprach- und Erzählförderung in der Kita. 2. Begleitheft zum Programm Bücher-Kita Bremen. https://www.bildung.bremen.de/sixcms/media.php/13/2.%20Be� gleitheft%20B%C3%BCcher-Kita.pdf (Zugriff: 06.06.2022). Andresen, S., Möller, R. (2019). Children’s Worlds+. Eine Studie zu Bedarfen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. https://www.ber� telsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Familie_und_Bildung/Studie_WB_Children_s_Worlds__Gesamtauswertung_Zusammenfassung_2019.pdf (Zugriff: 06.06.2022). Bämayr, A. (2001). Mobbing: Hilflose Helfer in Diagnostik und Therapie. Deutsches Ärzteblatt, 98 (27), A1811–A1813. BfArM – Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (2022). ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung. https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD11/uebersetzung/_node.html (Zugriff: 10.07.2022). BMBWF – Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Abteilung Schulpsychologie-Bildungsberatung (Hrsg.) (2018). Mobbing an Schulen – Ein Leitfaden für die Schulgemeinschaft im Umgang mit Mobbing. Wien: BMBWF. https://www.schulpsy�chologie.at/fileadmin/upload/psychologische_gesundheitsfoerderung/Gewaltpraevention/ leitfaden_mobbing.pdf (Zugriff: 06.06.2022). Becker, D. (2005). Auswirkungen organisierter Gewalt. In A. Jung (Hrsg.), Im Inneren der Globalisierung. Psychosoziale Arbeit in Gewaltkontexten (S. 148–161). Frankfurt a. M.: Mabuse. Ehmig, S. C., Reuter, T. (2013). Vorlesen im Kinderalltag. Bedeutung des Vorlesens für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und Vorlesepraxis in den Familien. Zusammenfassung und Einordnung der Vorlesestudie von Stiftung Lesen, DIE ZEIT und Deutsche Bahn 2007–2012. Mainz: Stiftung Lesen. https://nbn-resolving.org/ urn:nbn:de:101:1–201312191112 (Zugriff: 06.06.2022). Hering, J. (2016). Kinder brauchen Bilderbücher. Erzählförderung in Kita und Grundschule. Seelze: Klett Kallmeyer. Hilt, F., Grüner, T., Schmidt, J., Beyer, A., Kimmel, B., Rack, S., Tatsch, I. (2021). Was tun bei (Cyber)Mobbing? Systemische Intervention und Prävention in der Schule (4., korr. Aufl.). O. O.: klicksafe. https://www.klicksafe.de/fileadmin/cms/download/pdf/klicksafe_­ Materialien/Lehrer_AllgemeinWas_tun_bei_Cybermobbing.pdf (Zugriff: 06.06.2022). Huber, M. (2007). Die Phobie vor dem Trauma überwinden. Interview mit Onno van der Hart. Trauma & Gewalt, 1 (1), 58–61.

Das Buch »Systemische Traumapädagogik« ist eine umfassende Einführung in relevantes Theoriewissen und zugleich ein Praxisbuch. Die Autorin und der Autor vertreten – anders als in herkömmlichen Traumakonzepten – einen pointiert systemischen Ansatz: Niemand wird allein traumatisiert. Die traumatische Erfahrung einer einzelnen Person hat grundsätzlich Auswirkungen auf die soziale Umgebung. Hierfür verknüpfen Renate Jegodtka und Peter Luitjens systemische Modellannahmen mit dem Wissen der Psychotraumatologie. Ziel ist es, Entwicklungsräume zu schaffen, in denen traumatisierte junge Menschen wieder mit sich und der umgebenden Welt in Verbindung kommen können. Jegodtka, R., Luitjens, P. (2018). Kim, Tim-Tiger und das gefährliche Etwas. Eine MutmachGeschichte für traumatisierte Kinder. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. »Und dann ist etwas geschehen. Etwas Ungeheuerliches! Plötzlich kam es. Das Etwas. Ein ganz gefährliches Etwas!« Dem fünfjährigen Kim ist unvermutet Schreckliches widerfahren und nun ist alles anders. Im Mittelpunkt des Bilderbuchs mit fachdidaktischem Begleitheft stehen die weitreichenden Folgen eines einmaligen traumatisierenden Geschehens, das Kim erlebt hat. Erinnerungsbilder von dem massiven Ereignis tauchen auf und ängstigen den Jungen erneut oder versetzen ihn in Wut. Es entstehen Spannungen in der Familie und auch das Miteinander in der Kindergruppe ist von Kims verändertem Verhalten betroffen. Die Beschäftigung mit dem Bilderbuch ist mit der Einladung verbunden, den Blick auf Wachstum, Freude am Leben und Eigenmächtigkeit zu lenken. Insofern handelt es sich um eine bebilderte Trauma-Überwindungs-Geschichte. Das Begleitheft, das separat gebunden im Buch liegt und entnommen werden kann, wendet sich mit Informationen zu Trauma und Stabilisierung an Eltern betroffener Kinder und an Fachkräfte.

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Jegodtka, R., Luitjens, P. (2016). Systemische Traumapädagogik. Traumasensible Begleitung und Beratung in psychosozialen Arbeitsfeldern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Korittko, A., Pleyer, K. H. (2014). Traumatischer Stress in der Familie. Systemtherapeutische Lösungswege (4., überarb. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Lackner, R. (2004). Wie Pippa wieder lachen lernte. Fachliche Hilfe für traumatisierte Kinder. Wien: Springer. Landolt, M. A. (2004). Psychotraumatologie des Kindesalters. Göttingen et al.: Hogrefe. Levi, P. (1988). Ist das ein Mensch? München/Wien: Hanser. Neuß, N. (2017). Unsichtbare Freunde. Warum Kinder Fantasiegefährten erfinden. Weinheim/Basel: Beltz Juventa. Reddemann, L. (2001). Imagination als heilsame Kraft. Zur Behandlung von Traumafolgen mit ressourcenorientierten Verfahren. Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta. Schlippe, A. von, Schweitzer, J. (2012). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Das Grundlagenwissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Stiftung Lesen (2017). Vorlesestudie 2017. Vorlesen – aber ab wann? Vorlesen und Erzählen als sprachliche Impulse in den ersten Lebensjahren. Repräsentative Befragung von Eltern mit Kindern im Alter von 3 Monaten bis 3 Jahren. https://www.stiftunglesen.de/ fileadmin/Bilder/Forschung/Vorlesestudie/Vorlesestudie_2017.pdf (Zugriff: 06.06.2022). Stiftung Lesen (2016). Vorlesestudie 2016. Was wünschen sich Kinder? Repräsentative Befragung von Kindern im Alter von 5 bis 10 Jahren und ihren Müttern. https://www.stif�tunglesen.de/fileadmin/Bilder/Forschung/Vorlesestudie/Vorlesestudie_2016.pdf (Zu�griff: 06.06.2022). Systemische Gesellschaft (2022). Systemische Methoden. https://systemische-gesellschaft. de/systemischer-ansatz/methoden/ (Zugriff: 06.06.2022). Wyrwa, H. (2016). Pro Mensch – kontra Mobbing. Ein systemisches Interventionsprogramm für Schulen. Heidelberg: Carl-Auer.

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Zu guter Letzt: ein herzliches Dankeschön In den vielen Jahren unserer beruflichen Praxis begegneten uns immer wieder Kinder, die ähnliche Ausgrenzungen und Demütigungen erlebt haben wie Stine. Ihnen verdanken wir die Idee zu dem Bilderbuch und so richtet sich unser Dank zuallererst an diese Jungen und Mädchen. Mit ihrem Mut, das Schweigen zu brechen, haben sie uns immer wieder beeindruckt. Ein weiterer Dank gilt denjenigen Kolleginnen und Kollegen, die in Kitas und Grundschulen die Geschichte »zur Probe« vorgelesen haben. Ihre Rückmeldungen gaben uns wertvolle Hinweise. Anregungen erhielten wir auch von Weiterbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmern, denen wir die Geschichte vorstellten. Auch ihnen ein Dank. Auf dem Weg von der Idee zum fertigen Buch sorgten die Puppenspielerinnen Sabine, Anette und Carmen dafür, dass sich eine hartnäckige Schreib-

blockade durch Spiel und Leichtigkeit gleich einer Seifenblase auflöste. Ganz herzlichen Dank dafür. Nun richte ich, Renate Jegodtka, meinen Dank an die Illustratorin und Autorin Anke Bär. Sie coachte den Prozess, in dem die Illustrationen entstanden und gab mir durch ihre Anmerkungen wertvolle Impulse für die Verknüpfung von Wort- und Bildsprache. Ganz besonders bedanken wir uns schließlich bei Vandenhoeck & Ruprecht. Das Team hat sich zum zweiten Mal darauf eingelassen, ein Kinderfachbuch herauszugeben. Von Günter Presting, Imke Heuer und Ulrike Bade wurden wir in allen Phasen der Entstehung des Buches großartig unterstützt. Ein weiteres Dankeschön geht in diesem Kontext an die Kolleg:innen von SchwabScantechnik, die die Illustrationen und die grafische Gestaltung für den Druck eingerichtet haben.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung und Illustrationen: Renate Jegodtka Satz und Layout: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-40548-8