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German Pages [646] Year 2015
Institut für Geschichte der Universität Hildesheim
Arbeitskreis Europäische Integration Historische Forschungen Veröffentlichungen 1
Michael Gehler · Rolf Steininger (Hrsg.)
Öster reich u nd die europäische I ntegr ation seit 1945 Aspekte einer wechselvollen Entwicklung
2. aktualisierte und um die jüngere Entwicklung erweiterte Auflage
2014 böhlau verlag wien köln weimar
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Inhalt Einleitung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
I. Die Wiener Politik und die Integration Florian Weiß „Gesamtverhalten: Nicht sich in den Vordergrund stellen“. Die österreichische Bundesregierung und die westeuropäische Integration 1947–1957 . . . . . . . . . . . 21 Stephan Hamel „Eine solche Sache würde der Neutralitätspolitik ein Ende machen“ . Die österreichischen Integrationsbestrebungen 1961–1972 . . . . . . . . . . . . . . . 57 Gregor Leitner Der Weg nach Brüssel. Zur Geschichte des österreichischen EG-Beitrittsantrages vom 17. Juli 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Wolfgang Mederer Österreich und die europäische Integration aus staatsrechtlicher Perspektive 1945–1992 – unter Berücksichtigung des EWR-Abkommens . . . . . . . . . . . . . . 115
II. Österreich und die westlichen Partner Jürgen Nautz Wirtschaft und Politik. Die Bundesrepublik Deutschland, Österreich und die Westintegration 1945–1961.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Thomas Angerer Integrität vor Integration. Österreich und „Europa“ aus französischer Sicht 1949–1960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
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Inhalt
Rolf Steininger 1961: „Europe at Sixes and Sevens“. Die EFTA und Großbritanniens Entscheidung für die EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Günther Pallaver L’erba del vicino. Italien – Österreich. Nachbarn in Europa . . . . . . . . . . . . . . . 235 Thomas Schwendimann Wien drängt, Bern wartet ab. Unterschiedliche Integrationskonzepte Österreichs und der Schweiz zwischen 1985 und 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
III. Die Parteien und die Integration Michael Gehler „Politisch unabhängig“, aber „ideologisch eindeutig europäisch“. Die ÖVP, die Vereinigung christlicher Volksparteien (NEI) und die Anfänge der europäischen Integration 1947–1960. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Martin Hehemann „Dass einzelne Genossen darüber erschreckt sind, dass wir kategorisch jedwede Teilnahme an der EWG ablehnten“. Die SPÖ und die Anfänge der europäischen Integration 1945–1959. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Lothar Höbelt „Dass der nationale Gedanke eine Ausweitung auf das Europäische erfahren hat“. Die europäische Integration in den 50er- und 60er-Jahren aus der Sicht von WdU/VdU und FPÖ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
IV. Paneuropa und Europarat Martin Posselt „Ich bin seit dem Zusammenbruch meines österreichisch-ungarischen Vaterlandes ein überzeugter europäischer Patriot“. Richard Coudenhove-Kalergi, Paneuropa und Österreich 1940–1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
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Inhalt
Helmut Wohnout „Auf ,gleicher Höhe marschieren‘“ – Franz Karasek, Österreich und der Europarat. Zum Integrationsverständnis eines österreichischen Europapolitikers in den 70erund frühen 80er-Jahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429
V. Sicherheit, Wirtschaft und Wissenschaft Günter Bischof Österreich – ein „geheimer Verbündeter“ des Westens? Wirtschafts- und sicherheitspolitische Fragen der Integration aus der Sicht der USA . . . . . . . . . . . 451 Fritz Breuss Österreichs Wirtschaft und die europäische Integration 1945–1990. . . . . . . . . . . 479 Raoul F. Kneucker Wissenschaft, Forschung, Technologie. Auswirkungen des EWR-Vertrages . . . . . . 505 Michael Gehler Vom Friedensvertrag von Saint-Germain bis zum EU-Vertrag von Lissabon. Österreichs Weg in die Europäische Union mit seiner langen Vorgeschichte (1919–2009).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
Chronologie. Österreich und die europäische Integration von den Anfängen bis 2009. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 Ausgewählte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 Mitarbeiterverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649
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Einleitung Am 17. Juli 1989 überreichte die österreichische Bundesregierung in Brüssel den Antrag, in dem um Aufnahme Österreichs in die Europäische Gemeinschaft (EG) angesucht wurde. Spätestens seit diesem Zeitpunkt beherrscht das Thema europäische Integration in einem bisher noch nicht da gewesenen Ausmaß die öffentliche Diskussion in Österreich. Es ging dabei vor allem um die Frage, welche Konsequenzen sich bei einem möglichen Beitritt des Landes zur Europäischen Gemeinschaft ergeben würden. Dies in einer Zeit, in der im Zuge von Glasnost und Perestroika Michail Gorbatschows der Kalte Krieg und damit der Ost-West-Konflikt zu Ende ging, die deutsche Wiedervereinigung möglich wurde und das Ende des Kommunismus in den osteuropäischen Staaten erfolgte, und damit Staatsvertrag und Neutralität Österreichs obsolet zu werden schienen. Die aus SPÖ und ÖVP bestehende Große-Koalition-Regierung hatte bereits seit ihrer Bildung im Jahre 1986 klar auf EG-Beitrittskurs gesteuert und dieses Ziel mit beachtlicher Einmütigkeit verfolgt, während sich die Meinungsbildung auf der mittleren und unteren Parteienebene sowie in der breiten Bevölkerung nicht so eindeutig präsentierte. Bei der innenpolitisch geführten Debatte über die Frage der Richtigkeit eines EG-Beitritts und die möglichen Folgen für den Neutralitätsstatus des Landes fällt auf, wie stark Staatsund Völkerrechtler, Ökonomen und Politikwissenschaftler die Diskussionen dominierten, sodass hierbei fast ausnahmslos rechtlich, wirtschaftlich oder politisch argumentiert wurde. Kennzeichnend für diese Art von Diskurs war das weitgehende Fehlen einer historischen Betrachtungsweise, wobei nicht verschwiegen werden soll, dass dieser Zustand durch das weitgehende Schweigen der Historiker, vor allem der österreichischen Zeitgeschichtsforschung, mitverursacht wurde, die sich Fragen der Geschichte der europäischen Integration und der damit in Zusammenhang stehenden österreichischen Interdependenzen bisher nicht oder nur marginal angenommen hatte, was nicht zuletzt mit der restriktiven Quellenfreigabepraxis der staatlichen Archive zusammenhing. In diesem Sammelband wird daher erstmals die Rolle Österreichs im europäischen Integrationsprozess von den Anfängen seit Kriegsende bis zur jüngsten Entwicklung, einschließlich des Vertrages über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dargestellt und analysiert. Die Aktenlage hat sich inzwischen erheblich verbessert. Die Aufsätze – sämtlich Originalbeiträge – stützen sich daher weitgehend auf Akten aus staatlichen und nichtstaatlichen Archiven. Wo es nach wie vor Probleme gibt, war es nicht möglich, Mitarbeiter zu gewinnen. Der Band erhebt allein schon deshalb nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Es handelt sich um eine vorläufige Bestandsaufnahme, die Aspekte einer wechselvollen Entwick-
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Einleitung
lung aufzeigen will, Anregungen für weiter gehende Arbeiten und Anstöße für notwendige historische Integrationsforschungen geben möchte und sich als ein überwiegend aus historischen Erkenntnissen resultierender Beitrag zur Diskussion über die Frage eines möglichen EG-Beitritts Österreichs versteht. Aufgrund der äußerst komplexen Thematik haben wir fünf verschiedene Ebenen der Beziehungen Österreichs zur europäischen Integration als Untersuchungsfelder ausgewählt: 1. Regierungspolitik, 2. Politik der westlichen Partner, 3. Parteipolitik, 4. Paneuropa und Europarat sowie 5. Fragen der Sicherheits-, Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik. Die einzelnen Arbeiten bieten eine Fülle von Antworten auf verschiedene aktuelle Fragen. Sie zeigen, dass der österreichische EG-Beitrittsantrag vom Sommer 1989 letztlich nicht zufällig erfolgte, sondern vielmehr eine längere spezifische Vorgeschichte hatte, die nicht immer geradlinig, reibungslos und konfliktfrei verlaufen ist. Zu den einzelnen Untersuchungsfeldern:
I. Die Wiener Politik und die Integration Das Verhältnis Österreichs zu Europa auf regierungspolitischer Ebene untersuchen Florian Weiß, Stephan Hamel, Gregor Leitner und Wolfgang Mederer. Weiß geht in seinem Beitrag am Beispiel verschiedener europapolitischer Konstellationen der österreichischen Integrationspolitik und hierbei dem Zielkonflikt zwischen Teilnahme an der westeuropäischen Einigung und Erringung der staatlichen Souveränität nach, das hieß nach 1945 Staatsvertrag und Neutralität. Es gelang die schwierige Balancepolitik Wiens, deren Zielsetzung im Unterschied zur bundesdeutschen Politik auf die Formel „Staatsvertrag und Neutralität trotz Westintegration“ gebracht werden kann. Hamel geht den heiklen und komplizierten Integrationsbestrebungen Österreichs von Anfang der 60er-Jahre bis zum sogenannten (nämlich oftmals fälschlich bezeichneten) Assoziationsabkommen mit der EG von 1972 nach, welches eigentlich nur einen normalen Zoll- und Handelsvertrag (Artikel 113 des EWG-Vertrages) darstellte. Österreichs EWG/EG-Politik bewegte sich in dieser Zeit im Zeichen des Ost-West-Konfliktes unter dem Damoklesschwert einer gegenüber allen österreichischen EWG/EG-Affinitäten empfindlichen Sowjetunion sowie im Schatten des französisch-britischen Gegensatzes in der Frage einer Partizipation Londons am gemeinsamen europäischen Markt. Österreichs Integrationspolitiker verhielten sich in diesem Stadium gegenüber sowjetischen Vorbehalten insistierend und widersetzten sich wiederholt den Warnungen und Drohungen des Kreml. Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Österreich und Italien aufgrund der Verschleppung der Autonomieversprechen in Südtirol und der einsetzenden Bombenanschläge südlich des Brenners wirkten sich jedoch nachteilig auf die Integrationspolitik Wiens aus. Infolge des Südtirol-Junktims und Einspruchs gegen jegliche EG-Verhandlungen mit Österreich seitens der römischen Regierung, des anhaltenden Vetos de Gaulles gegen die britische Aufnahme in die EG und der Ereignisse in Prag
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Einleitung
1968 musste Wien seine exponierten Integrationsbemühungen zurückstellen und von der Politik des „Alleingangs“ Abstand nehmen. Leitner analysiert auf der Basis von derzeit nur gedruckt vorliegendem Material die Entwicklung von der Bildung der Großen Koalition von 1986 bis zum österreichischen Bei trittsantrag von 1989. In dieser Zeit sprach sich der Großteil der österreichischen Spitzenpolitiker für einen Beitritt des Landes zur Europäischen Gemeinschaft aus, darunter die Führung der Großparteien – von Nuancierungen abgesehen – relativ einhellig, während Grüne und Kommunisten klar ablehnend reagierten. Die FPÖ hatte sich dagegen als erste Partei eindeutig integrationsfreudig und EG-beitrittswillig präsentiert, ein Umstand, der nicht nur durch ihre neue politische Führung seit 1986, sondern auch aus einer historisch traditionell proeuropäischen Haltung der Partei zu erklären ist. Keine der vier Interessenverbände der österreichischen Sozialpartnerschaft nahm im Untersuchungszeitraum dezidiert gegen die EG Stellung, wie auch in den Medien eine mehr oder weniger gut begründete positive Haltung zur Europäischen Gemeinschaft festzustellen war. Leitners Analyse macht deutlich, wie stark rein ökonomische vor demokratie-, sicherheits- und neutralitätspolitischen Argumenten den EG-Diskurs in Österreich bestimmten. Mederer beschäftigt sich mit Österreichs Verhältnis zur europäischen Integration aus staatsrechtlicher Perspektive, wobei er sich stark an der regierungsoffiziellen Argumentation orientiert und Fragen der Neutralität bewusst ausklammert. Er bezieht die jüngste Entwicklung mit Transit- und EWR-Vertrag ein, die massive Eingriffe in die österreichische Rechtsund Verfassungsordnung darstellen, wobei die hohe Autorität des Europäischen Gerichtshofes für die Menschenrechte bereits zu einem teilweisen Umbau des Rechtsschutzsystems in Österreich geführt hatte. Er zeigt die unklare Verfassungslage in Österreich auf (Uneinigkeit in der Frage der Durchführung von Volksabstimmungen bei „gesamtändernden“ Staatsverträgen), wobei er festhält, dass Abkommen mit der EG volksabstimmungspflichtig sind. Im historischen Rückblick hält er fest, dass die bisherigen österreichischen Integrationsschritte unterschiedliche Einwirkungen auf die innere Verfassungsentwicklung hatten. Mit dem als gesetzesändernden, -ergänzenden und politischen Staatsvertrag zu beurteilenden EWR-Abkommen wurde die Mitgliedschaft zur EG gleichermaßen vor-simuliert. Mederer nennt dies auch „EG-Beitritt minus X-Prozent“ zur Erreichung weitgehender Homogenität im EWR, womit eine Gleichberechtigung zwischen EG- und EFTA-Bürgern durch eine schrittweise Übernahme von EG-Rechtsakten erzielt werden soll.
II. Österreich und die westlichen Partner Bei einer Beschäftigung mit Österreich und den Anfängen der europäischen Integration kann an dem Faktum nicht vorbeigegangen werden, dass das Land bis 1955 besetzt war und unter einem mehr oder weniger großen politischen und wirtschaftlichen Einfluss der jeweiligen Besatzungsmächte stand. Daneben galt es auch für Wien, das nicht konfliktfreie Verhältnis
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Einleitung
mit Rom zu gestalten. Auf einer zweiten Ebene wurden daher spezifische Bereiche zur Politik der westlichen Partner gegenüber Österreich von Jürgen Nautz, Thomas Angerer, Rolf Steininger, Günther Pallaver und Thomas Schwendimann untersucht und die Beziehungen der Bundesrepublik, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und der Schweiz zur europäischen Integration unter Berücksichtigung des Verhältnisses zu Österreich analysiert. Nautz behandelt die ökonomischen Beziehungen zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland. Hierbei weist er nach, dass wenige Jahre nach 1945 die Orientierung des Landes nach Westeuropa auch und v. a. eine Orientierung der österreichischen Wirtschaft in Richtung Bundesrepublik gewesen ist. Berührt werden auch Aspekte des Verhältnisses beider Länder, nämlich die aus österreichischer Sicht mitunter festzustellende Inferioritätslarmoyanz und das latente Trauma der „Abhängigkeit“ von der Bundesrepublik. Nautz leugnet dies nicht, hält aber fest, dass mit der engen ökonomischen Verflechtung auch positive Aspekte verbunden waren. Der hierbei angeführte schrittweise gesteigerte Lebensstandard in der Alpenrepublik (infolge einer positiven Wirtschaftsentwicklung im Soge des Wirtschaftswachstums in der Bundesrepublik) kann auch mit der Frage der österreichischen Identitätsbildung in Zusammenhang gebracht werden, die letztlich eine Frage des staatlichen und nationalen Selbstbewusstseins ist. Angerer untersucht Motive und Grundsatzpositionen französischer Österreichpolitik von der Europarats- bis zur EFTA-Gründung (1949–1960). Für Frankreich hatte bis 1955 die Aufrechterhaltung des 4-Mächte-Kontrollsystems, des „quadripartisme“, und damit die territoriale Integrität Österreichs Vorrang vor einer Teilnahme des Landes an der europäischen Integration. Diese hätte nach Ansicht des Verfassers auch Chancen zur Entbilateralisierung des deutsch-österreichischen Verhältnisses geboten, Chancen, die seiner Auffassung nach aber von Frankreich vertan worden seien, obgleich dessen – wenn auch nicht übermäßig großer – Einfluss nach Beendigung der Besatzung in Österreich nachgelassen hatte. Zeitlich an Angerers Beitrag knüpft der Aufsatz von Steininger an, der die wirtschaftspolitische Situation im Europa des Jahres 1961 und den EWG-Beitrittsantrag Großbritanniens, die Rolle der EFTA und hierbei im Besonderen ihrer neutralen Mitgliedsländer untersucht. Es gab große Probleme, die EFTA stand kurz vor dem Auseinanderbrechen. Am Ende blieb sie dennoch zusammen aufgrund der Kompromissbereitschaft Londons. Nach dem entschiedenen Nein de Gaulles 1963 waren die Briten dann froh, dass die Freihandelszone weiterbestanden hatte und sie sich in diese wieder zurückziehen konnten. Dass die Neutralen rund 30 Jahre später die gleiche Diskussion wie im Jahre 1961 geführt haben – mit den EG-Beitrittsanträgen –, zeigt, wie aktuell das Thema ist. Pallaver befasst sich mit den österreichisch-italienischen Beziehungen und dabei v. a. unter Berücksichtigung der Südtirolfrage, die Österreichs Integrationspolitik lange erschwerte. Der Autor hält fest, dass sich unter der Staats- und Regierungsebene zunehmend grenzüberschreitende Kontakte in Form konzentrischer Kreise entwickelt hätten, die einerseits auf ein historisches Erbe rekurrierten, andererseits als Konsequenz neuer ökonomischer und zuletzt auch umweltpolitischer Sachzwänge entstanden seien. Hierbei wird u. a. auf die inhaltli-
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Einleitung
che Weiterentwicklung des zunächst nur auf den Warenverkehr ausgerichteten Accordinos (1949) in den 80er-Jahren verwiesen. Schwendimann widmet sich dem unterschiedlichen integrationspolitischen Verhalten Österreichs und der Schweiz in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre. Dieses hatte bereits seine Wurzeln in den 60er-Jahren, als der gemeinsame Anlauf zu einem Übereinkommen mit der EWG scheiterte, Wien den – in der Schweiz wenig euphorisch rezipierten – Alleingang wagte und Bern sich dagegen mit der EFTA und bilateral-sektoriellen Verhandlungen mit Brüssel begnügte. Die Schweiz vermied seither eine Politik der Ausschließlichkeit und strebte eine „mittlere Lösung“ an. Die Zoll- und Handelsverträge von 1972 mit der EG und den übrigen EFTA-Staaten führten die Schweiz und Österreich zwischenzeitlich wieder auf eine gemeinsame integrationspolitische Linie. Das änderte sich spätestens mit dem EG-Beitrittsantrag Österreichs, wobei die grundsätzlich weitgehend fehlende Kooperation zwischen Wien und Bern – außerhalb des EFTA-Rahmens – zu konstatieren ist. Es bleibt zu diesem Kapitel festzuhalten, dass historische Fragestellungen der österreichischen Integrations- und Neutralitätspolitik aus der Sicht der Sowjetunion und der osteuropäischen Staaten noch zu erforschen sind. Hierbei handelt es sich sowohl um ein grundsätzliches als auch zentrales Forschungsdesiderat, dem in diesem Band, der lediglich Aspekte zum behandelten Thema liefern will, nicht einmal im Ansatz entsprochen werden konnte.
III. Die Parteien und die Integration Auf einer dritten Ebene gehen Michael Gehler, Martin Hehemann und Lothar Höbelt dem Verhältnis der parteipolitischen Kräfte Österreichs zur europäischen Integration nach, wobei sich diese Aufsätze bedingt durch den noch eingeschränkten Quellenzugang überwiegend auf die Zeit der Anfänge der europäischen Einigungsbewegung konzentrieren. Hierbei muss noch hinzugefügt werden, dass der innerparteiliche Meinungsbildungsprozess zur europäischen Integration aufgrund des Fehlens bzw. mangelnder Zugänglichkeit der Parteiarchive selbst für die Anfänge der europäischen Einigungsbewegung noch nicht klar nachvollzogen und analysiert werden kann, womit ein weiteres Forschungsdesiderat zukünftiger österreichischer Integrationsforschung umrissen wäre. Gehler untersucht am Beispiel der christlich-demokratischen Parteienvereinigung, den Nouvelles Equipes Internationales (NEI), für die Zeit von 1947 bis 1960 die Positionen von ÖVP-Vertretern zu Europafragen. Der durch die internationalen wie staatlichen Rahmenbedingungen erzwungene Verzicht auf aktive Integrationspolitik wurde durch allerdings erfolglose Propagierung einer starken christdemokratischen Internationale kompensiert. Selbst im informellen „Genfer Kreis“ verhielten sich ÖVP-Funktionäre wenig aktiv und traten aus ihrer Beobachterrolle kaum heraus. Abgesehen von grundsätzlicher Befürwortung der westeuropäischen Integration fehlten konkrete Vorschläge, wie auch einheitliche Integrationskonzepte nicht zu erkennen waren. Während Felix Hurdes als Programmatiker europäischer
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Einleitung
Christdemokratie figurierte, sprach sich Franz Grubhofer für eine europäische Konföderation aus. Die Neutralität der Schweiz galt bereits in den frühen 50er-Jahren gleichsam als Orientierung für exponierte ÖVP-Politiker wie Karl Gruber oder Alfred Maleta, die diesen Standpunkt zunehmend als erstrebenswert für Österreichs prekäre Lage zwischen Ost und West zu reklamieren und vorsichtig zu propagieren suchten. Im Unterschied zu ihren deutschen Kollegen von der CDU/CSU hatten für sie territoriale Integrität und staatliche Souveränität Priorität vor der westeuropäischen Integration. Hehemann analysiert in seinem Beitrag das Verhältnis der SPÖ zu den Anfängen der europäischen Integration. Wie bei der ÖVP hatten Staatsvertrag und Neutralität Vorrang vor Europapolitik. Mit der Absage an den Klassenkampfgedanken fiel auch die Zustimmung der Sozialisten zum Marshallplan leichter, der ja auf der Akzeptanz des Privateigentums basierte. Schien nach außen die Befürwortung des Europarates noch ein wichtiges Anliegen der Parteiführung, so war im Falle eines österreichischen Engagements bei der Montanunion Skepsis und Distanz vorherrschend. Besonders bei militärischen Vereinheitlichungsbestrebungen in Westeuropa wurde seitens der SPÖ konsequenterweise Zurückhaltung geübt, wenngleich diese sicherheitspolitischen Entwicklungen losgelöst von Österreichs Situation grundsätzlich bejaht wurden. Hatte vor 1955 die Frage im Mittelpunkt gestanden, wieweit Integrationspolitik integritätsgefährdend war, so nach 1955, inwieweit sie neutralitätsgefährdend war, wobei sich die Parteispitze ähnlich wie die ÖVP nicht nur im ökonomischen Bereich mit dem europäischen Westen verbunden fühlte. Mit der Europäischen Freihandelszone (EFTA) schien für die Mehrheit der verantwortlichen Spitzenvertreter der SPÖ ein vorläufiges Maximum an österreichischer Integrationspolitik erreicht, wenngleich der „Europaflügel“ innerhalb der Partei noch mehr an Integration gefordert hatte. Höbelt stellt fest, dass die freiheitlichen Parteien (WdU, VdU, FPÖ) der Zweiten Republik, von leichten Schattierungen abgesehen, von Anfang an für den Integrationsgedanken eingetreten waren. Dabei stand das allzu prononcierte Europabekenntnis dieser politischen Richtungen stets unter dem nach Ansicht des Autors selten kritisch hinterfragten Verdacht, auf einen Anschluss mit (West-)Deutschland abzuzielen. Der Autor argumentiert, dass Integrationspolitik und schrittweise Annäherung an Deutschland sich nicht ausschließen konnten, ja notwendigerweise ergänzen mussten, sei es nun mit oder ohne Europapolitik des „liberalnationalen Lagers“. Im Sommer 1992 schwenkte die von Jörg Haider seit 1986 zunehmend straffer und autoritär geführte FPÖ urplötzlich auf einen mehr oder weniger deutlichen AntiEG-Beitritts-Kurs ein, obwohl sich diese frühzeitig und am deutlichsten von allen Parteien als strikte Befürworterin einer österreichischen Mitgliedschaft im Gemeinsamen Markt profiliert hatte. Diese Kehrtwendung dürfte primär angesichts der unsicheren Stimmung in der Bevölkerung aus wahltaktischem bzw. machtpolitischem Kalkül der Parteiführung erfolgt sein.
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IV. Paneuropa und Europarat Die Beiträge von Martin Posselt und Helmut Wohnout gelten geistesgeschichtlich-ideologischen und kulturpolitisch-menschenrechtlichen Fragen. „Paneuropa“ und „Europarat“ heißen hier die Stichwörter. Nach 1945 kehrte Coudenhove aus dem Exil nach Europa zurück und rief von Gstaad, seinem Schweizer Domizil, die Europäische Parlamentarier-Union (EPU) ins Leben, die sich auch an der Europäischen Einigungsbewegung maßgeblich beteiligte. Mithilfe der innenpolitischen Dynamik der europäischen Parlamente auf der einen und der wirtschaftlichen Schubkraft des Europäischen Wiederaufbauprogramms (ERP) auf der anderen Seite glaubte Coudenhove durch eine Art „Zangenbewegung“ an die Realisierung einer europäisch-politischen Union. Seine Hoffnungen sollten jedoch bald enttäuscht werden, denn der Haager Kongress und die Europäische Bewegung führten nicht zur erwünschten gesamteuropäischen Konstituante, weil der im Mai 1949 geschaffene Europarat nur beratende Funktion haben und die europäische Integration in der Folge hauptsächlich auf dem ökonomischen Sektor erfolgen sollte. Österreich spielte sowohl in der Paneuropabewegung als auch in der EPU nur eine sehr bescheidene Rolle. Wohnout geht auf einen bislang wenig beachteten österreichischen Europapolitiker ein: Franz Karasek, der nach Lujo Tončić-Sorinj von der ÖVP zum Generalsekretär des Europarates (1979–1984) avancierte, dessen bescheidene Möglichkeiten auch dessen politische Aktivitäten bestimmen sollten. Er begriff dieses in seinen politischen Kompetenzen beschränkte Gremium als Möglichkeit, auf die der Europäischen Gemeinschaft fernstehenden oder ihr nicht zugehörenden Staaten Einfluiss zu nehmen.
V. Sicherheit, Wirtschaft und Wissenschaft Eine weitere wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Ebene europapolitischer Fragen nach dem Zweiten Weltkrieg berührt die Bereiche von Wirtschaft und Sicherheit, in zunehmendem Maße aber auch Wissenschaft, denen sich Günter Bischof, Fritz Breuss und Raoul Kneucker angenommen haben. Bischof geht in seinem Beitrag in Anlehnung an eine These von Gerald Stourzh für den wirtschafts-, aber vor allem sicherheitspolitischen Bereich der Frage nach, ob Österreich ein „geheimer Verbündeter“ des Westens war. Er versucht diese Frage, ausgehend von der Österreichpolitik der USA, für die 50er-Jahre zu beantworten. Neben einer ideologischgeistig-kulturellen und ökonomischen Westorientierung weist der Autor die Richtigkeit der aufgestellten Behauptung in seinen Darlegungen auch für den militärischen Bereich der westlichen Zonen überzeugend nach. Welche Rolle Österreich in den NATO-Plänen der Amerikaner für die Verteidigung Westeuropas spielte, kann aufgrund des derzeitigen Forschungsstandes noch nicht exakt gesagt werden. Zu untersuchen wäre freilich noch der Zusammenhang zwischen der in den 50er-Jahren an Bedeutung gewinnenden Nuklear- bzw.
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atomaren Abschreckungspolitik mit dem militärisch-konventionellen Bereich sowie seine Relevanz im Kalkül der ökonomischen und politischen Eliten. Dabei stellt sich auch die Frage, welche Rolle vor dem nuklearpolitischen Hintergrund die konventionelle Wiederbewaffnung Westösterreichs spielte. In der Akzeptanz westalliierter militärischer Transit- und Überflugsrechte war Österreich auch nach 1955 weiter ein treuer Verbündeter des Westens, zumindest aber ein konzilianter Partner. Das Land und seine Regierung blieben „prowestlich“, Washington wusste, dass auf Wien Verlass war. Der Volkswirtschaftler Breuss kommt zu dem Ergebnis, dass Österreich durch das Fernbleiben von der EG beträchtliche Wohlfahrts- und Wachstumseinbußen hinnehmen musste, die jedoch nach 1973 wieder wettgemacht werden konnten. Breuss argumentiert ausschließlich volkswirtschaftlich. Es stellen sich aber besonders in diesem Zusammenhang politische Fragen, nämlich: Inwieweit musste die Verpflichtung zur österreichischen Neutralität gerade nach 1955 eine solche Politik der Wachstumseinbußen nach sich ziehen? Inwiefern war dieses „Opfer“ auch mit souveränitätspolitischem Gewinn und zunehmender außenpolitischer Handlungsfreiheit für dieses Land verbunden, welche die Wachstumsverluste wiederum (mehr als?) „aufgewogen“ hätten? Die vorhergehenden Beiträge machen jedenfalls deutlich, dass in der Politik des Ballhausplatzes Österreichs Integrität vor Integration ging. Diese Politik musste – wenigstens zeitweise – Wachstumsminderungen hinnehmen, um Souveränität für das Land zu erlangen, zu behaupten und zu erhalten. Österreich hatte nur ein „kleines Wirtschaftswunder“ aufzuweisen, es blieb ihm aber eine Teilung erspart, wie es auch im Unterschied zum geteilten Deutschland die Kosten des Kalten Krieges (wie z. B. in Form von Stationierung alliierter Truppenverbände, Beteiligung und Aufrechterhaltung an Rüstungspotenzialen) nicht oder kaum mitzutragen brauchte. Diese Faktoren wären bei einer „Gesamtrechnung“ des österreichischen integrationspolitischen Verhaltens wohl noch miteinzubeziehen. Es erscheint bei diesen Überlegungen auch naheliegend, dass österreichische Neutralitätspolitik zumindest phasenweise bewusst mit Wachstumsverlusten erkauft wurde/ werden musste. Ob dies allen handelnden Politikern klar war bzw. wie dieser Zielkonflikt zwischen Politik und Ökonomie diskutiert wurde, ist eine weitere von der Forschung noch zu behandelnde Frage. Vor dem Hintergrund der Umweltdebatten der 80er-Jahre stellt sich überhaupt die grundsätzliche Frage von Kosten und Nutzen des Wachstums und ob dieses für die weitere Zukunft quasi als Allheilmittel moderner Gesellschaften angesehen werden kann und die Richtschnur (wirtschafts-)politischen Handelns bleiben darf. Kneucker zeigt, dass das EWR-Abkommen nicht nur einen europäischen Wirtschaftsraum, sondern vor allem einen zwischen EG und EFTA zu etablierenden gemeinsamen „Wissenschaftsraum“ beabsichtigt. Darin werden die „vier Freiheiten“ des „erweiterten Binnenmarktes“ durch grenzüberschreitende, arbeitsteilig geplante und durchgeführte Forschungs- und Entwicklungsprojekte von Forschungsstätten der Wissenschaft und Wirtschaft, ferner durch grenzüberschreitende Studentenaustauschaktionen und -abschlüsse verwirklicht – zunächst an thematisch zielorientierte und politisch beschlossene Programme gebunden, tendenziell auf eine allgemeine europäische Wissenschafts- und Technologiekoopera-
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Einleitung
tion hin angelegt. Der europäische „Wissenschaftsraum“ nimmt für den Bereich Forschung und Technologie de facto den Beitritt der EFTA-Länder zur EG vorweg. Vergleicht man die offiziellen Argumentationen österreichischer Politik der 50er- mit denen der späten 80er- und 90er-Jahre, so kommt man zu dem Ergebnis, dass sich die Begründungen völlig ins Gegenteil verkehrt haben und dennoch gleichzeitig in mentaler Hinsicht den Zeiten aus den Anfängen der europäischen Integration stark verhaftet sind. Die Kategorien der Argumentationen und die propagierten Mittel zur Umsetzung der Integrationspolitik haben sich zwar weitgehend gewandelt, aber eine integrationsphilosophische Zielreflektion in puncto zukünftige Unabhängigkeit, Souveränität und Neutralität scheint bis zuletzt nicht geleistet worden zu sein. Integrationsideologisch hat sich demnach in den letzten vierzig Jahren nur sehr wenig bewegt. Angesichts eines noch nicht bestehenden europäischen Sicherheitssystems scheint einerseits frühzeitiger Verzicht auf Neutralität fragwürdig, andererseits kann die auf politische Finalisierung angelegte Europäische Gemeinschaft von einem nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch und militärisch integrationswilligen bis dato neutralen Staat eine Bereitschaft zu bestimmten Vorleistungen erwarten. Wurde in den 50erJahren ein zu starkes Nahverhältnis Österreichs zur europäischen Integration als souveränitätsgefährdend interpretiert, so soll laut offizieller Diktion heute die volle Teilnahme an der europäischen Integration nicht mit Souveränitätsverlusten für das Land verbunden sein, sondern sogar Souveränitätsgewinne bringen. Die Welt, in die Österreich 1955 eingebunden war, hat sich allerdings in den letzten Jahrzehnten stark in Richtung Multilateralisierung in mannigfaltigen, v. a. ökonomischen Bereichen, verändert. War bis 1955 für Österreich Neutralitätspolitik trotz informeller Westintegrationspolitik möglich, so wurde für die Zeit nach dem Freihandelsabkommen ab 1972 verstärkte Westintegrationspolitik trotz formeller Neutralitätspolitik realisiert. In keiner anderen Phase der Zweiten Republik wie zwischen 1960 und 1972 scheint die Möglichkeit der Vereinbarkeit zwischen beiden politischen Zielen so schwierig gewesen zu sein. In der Ära Kreisky wurde dann jedoch österreichische Neutralitätspolitik wieder profiliert und bekam durch Orientierung an globalen Fragestellungen und Beteiligung an Lösungen internationaler Fragen eine neue Qualität. Österreichische Integrationspolitik bezüglich Westeuropa schien in den Hintergrund gerückt zu sein, trat zumindest nach außen nicht exponiert zutage. Umso mehr scheint mit dem Jahr 1986, der Bildung der Großen-Koalition-Regierung unter Franz Vranitzky und Alois Mock, und dem EG-Beitrittsantrag von 1989 in der Frage der Prioritätensetzung von europäischer Integration und österreichischer Neutralität zugunsten Ersterer für die zukünftige Politik des Landes ein ähnlich fundamentaler parteipolitischer Konsens hergestellt worden zu sein, wie er für eine Staatsvertragsgeneration von Politikern vor 1955 zugunsten der österreichischen Neutralität gefunden worden war. Ob dies für das Land ähnlich positive Effekte hat, wird sich erst noch erweisen müssen. Die Diskussion über das Für und Wider eines EG-Beitritts ist aber noch nicht zu Ende geführt. Dabei wird auch die Frage zu stellen sein, ob Österreichs Antrag nicht viel zu spät gekommen ist – angesichts der Tatsache, dass zahlreiche Länder in Brüssel um EG-Aufnahme geradezu Schlange stehen.
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Einleitung
Seit Februar 1993 begannen jedenfalls die Beitrittsverhandlungen mit der EG. Eine von offizieller Propaganda losgelöste, mehrdimensionale, über rein ökonomisch-juristische Perspektiven hinausgehende und gleichzeitig offene Diskussion über das Für und Wider eines EG-Beitritts ist in der österreichischen Öffentlichkeit aber noch zu führen. Nach Maastricht, dem ablehnenden Veto der Dänen, welches durch eine zweite Wahl korrigiert werden konnte, dem knappen Referendum in Frankreich und den laufenden Beitrittsverhandlungen mit Österreich, Schweden, Finnland und Norwegen lautete die Frage: „Was wird aus der EG?“. Und angesichts der Entwicklung in Ost- und Südosteuropa stellte sich die weiter gehende Frage: „Was wird aus Europa?“ Seit der Erstauflage dieses Sammelwerks, erschienen im Jahre 1993, ist im Verhältnis zwischen Österreich und dem gemeinschaftlichen Europa viel geschehen. Das Land ist 1995 der EU und 1999 dem Schengen-System beigetreten, hat 2002 den Euro als Bargeld eingeführt und hat inzwischen allein vier von fünf neuen EU-Verträgen in sein Rechtssystem übernommen und ratifiziert: Maastricht 1993, Amsterdam 1999, Nizza 2002, Verfassungsvertrag (nicht in Kraft getreten) und Lissabon (2009). Die Zugehörigkeit zur EU hat Österreich grundlegend und tief greifend verändert. Nachdem dieser Band thematisch im Jahre 1993 endete und restlos vergriffen war, haben sich die beiden Herausgeber mit dem Verlag entschlossen, das Werk bis auf eine größere Ausnahme im Wesentlichen unverändert nachzudrucken. Österreichs Beziehungen zu Europa und zur europäischen Integration werden nun von 1945 bis zur jüngsten Entwicklung in den wieder aufgelegten Beiträgen dargestellt. Die Teilnahme am Marshallplan mit der schwierigen Balance zwischen Westorientierung und Neutralität, die OEEC-Gründungsmitgliedschaft 1948, die Aufnahme in den Europarat 1956 sowie die EFTA-Lösung 1960, das Scheitern der Assoziierungsverhandlungen 1967 und die vorläufige Regelung mit den Freihandelsabkommen mit den Europäischen Gemeinschaften 1972 sind Thema sowie das EG-Beitrittsgesuch von 1989. In einem ausführlichen aktuellen Beitrag werden die jüngeren und neueren Entwicklungen seit der Erstauflage von Michael Gehler, d. h. die Einigungen mit Brüssel 1993/94, der EU-Beitritt 1995 und Österreichs Mitgliedschaft in der EU 1995–2009 mit ihren Höhe- und Tiefpunkten, den Ratspräsidentschaften 1998, 2006, den Sanktionsmaßnahmen 2000 bis hin zum Verfassungsprozess 2002–2003 und den Krisen der EU analysiert. Dem Leser wird damit nun der lange Weg des Landes vom Friedensvertrag in Saint-Germain bis zum Unionsvertrag von Lissabon 1919–2009 aufgezeigt und dabei auch den Fragen nachgegangen, wie „Europa“ ein Leitbild österreichischer Politik, aber auch das Thema EU zu einem Streitobjekt der Innenpolitik werden konnte. Eine Bilanz mit den verbleibenden Aufgaben historischer Integrationsforschung für Österreich, eine aktualisierte Auswahl relevanter Fachliteratur auf dem neuesten Stand sowie eine erweiterte Chronologie, Links und Register runden dieses neu aufgelegte Werk ab. Wir wünschen dem Werk wieder viele interessierte Leser! Innsbruck – Hildesheim, im Dezember 2013
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Michael Gehler Rolf Steininger
Florian Weiß
„Gesamtverhalten: Nicht sich in den Vordergrund stellen“ Die österreichische Bundesregierung und die westeuropäische Integration 1947–1957
Mit der Entscheidung, am Marshallplan teilzunehmen, manövrierte sich die österreichische Bundesregierung im Juli 1947 in einen Zielkonflikt. Die mit dieser Option verbundene Politik der wirtschaftlichen Westintegration erschwerte eine rasche Lösung der ÖsterreichFrage, solange die Sowjetunion ihre Zustimmung zu einem österreichischen Staatsvertrag nur dann erteilte, wenn die politische Ausrichtung Österreichs nicht zu offen ihren strategischen Interessen widersprach. Der Zielkonflikt bestand also zwischen der Politik der Westintegration und der Politik der Rückgewinnung der Souveränität. Unter dieser Perspektive beschreibt der vorliegende Aufsatz die Anfänge der österreichischen Integrationspolitik.1 Dabei geht es weniger um die konzeptionellen Vorstellungen, die einer Integrationspolitik zugrunde lagen, als vielmehr um die integrationspolitischen Strategien, die die Wiener Regierung entwickelte, um beiden Politikzielen Rechnung zu tragen. Inwieweit waren integrationspolitische Entscheidungen von einer Rücksichtnahme auf sowjetische Interessen, als einem Grundelement der österreichischen Staatsvertragspolitik, geprägt? War es möglich, den eingeschlagenen Integrationskurs so flexibel zu gestalten, dass auf Neuentwicklungen in der Staatsvertragsfrage reagiert werden konnte? Wie definierte Wien seine Handlungsspielräume im westeuropäischen Einigungsprozess? Der Aufsatz konzentriert sich dabei auf die westeuropäische Wirtschaftsintegration. Er untersucht vor allem, wie sich im Gefolge der Marshallplan-Entscheidung die österreichische Teilnahme an den kooperativen Zusammenschlüssen der CEEC bzw. der OEEC gestaltete und wie das Verhältnis von wirtschaftlichen und staatspolitischen Interessen bei der Politik gegenüber der supranationalen Wirtschaftsintegration der Montanunion war. Da der westeuropäische Einigungsprozess auf mehreren Ebenen verlief, die sich wechselseitig beeinflussten, gerät das Verhältnis Wiens zur politischen und zur militärischen Integration ebenfalls ins Blickfeld. Das führt zur Frage, wie Wien mit Faktoren umging, die seinen Integrationskurs eher belasteten, etwa dem Engagement der Vereinigten Staaten im westeuropäischen Einigungsprozess und der Embargopolitik gegenüber den osteuropäischen Nachbarländern.
1 Der Aufsatz beruht zum Teil auf Ergebnissen der unveröffentlichten Magisterarbeit des Verfassers. „Auf sanften Pfoten gehen“: Österreich und die Anfänge der westeuropäischen Integration 1947–1957, München 1989.
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Für die Phase nach 1955 ist zu fragen, inwieweit die Neutralitätserklärung die integrationspolitischen Handlungsspielräume der Regierung einengte bzw. welche Interessen an der europäischen Einigung sie ohne Konflikte mit ihrer Neutralitätspolitik verfolgen konnte. Wie verhielt sich die Regierung nunmehr gegenüber der politischen Integration des Europarates? Wie begegnete sie der Montanunion und der schwierigen Herausforderung, vor die sie durch deren Ausweitung zu einer umfassenderen Wirtschaftsgemeinschaft gestellt wurde? In den integrationspolitischen Entscheidungsprozess waren mehrere Regierungsstellen einbezogen; das Außenamt konnte sich aber gegenüber allen Wirtschaftsressorts als die für die Integrationspolitik letztverantwortliche Regierungsstelle behaupten. Ein Grundproblem jeder Forschung zur österreichischen Außenpolitik ist dabei die im Österreichischen Staatsarchiv/Archiv der Republik immer noch nicht zur vollen Anwendung gelangte 30-JahresSperrfrist. Einschränkungen gelten vor allem für die Aktenbestände des Außenamtes aus den 1950er-Jahren. Prinzipiell zugänglich, jedoch in weitgehend unerschlossenem Zustand sind die Bestände des mehrmals reorganisierten Zentralbüros für ERP-Angelegenheiten. Mithilfe der Überlieferungen der übrigen am Entscheidungsprozess beteiligten Ressorts, vor allem der Ministerien für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung (bis 1949), für Handel und Wiederaufbau und für Verkehr und verstaatlichte Betriebe lässt sich jedoch eine fundierte Quellenbasis herstellen.2 Die Literaturbasis ist dagegen ungleich schmaler. Zwar liegen neuere Forschungsergebnisse zur Marshallplanhilfe in Österreich vor; die durch den Marshallplan bewirkte westeuropäische Handelsintegration und die österreichische Teilnahme daran wurden dagegen bislang kaum beachtet.3 So wird die österreichische Westintegration nicht im Rahmen des westeuropäischen Einigungsprozesses gesehen, sondern perspektivisch verengt auf eine Folgewirkung US-amerikanischer Interessenpolitik und blockpolitischer Auseinandersetzungen des Kalten Krieges dargestellt.4 Eine Ausnahme bilden hier die allerdings von völkerrecht2 Innerhalb des Bestandes Bundesministerium für Verkehr und verstaatlichte Betriebe ist vor allem der Teilbestand Ministerratsmaterial wichtig, in dem die an die Kabinettssitzungen adressierten Berichte und Anträge aller Ressorts relativ vollständig gesammelt sind. 3 So vor allem Wilfried Mähr, Der Marshallplan in Österreich, Graz/Wien/Köln 1989; Arno Einwitschläger, Amerikanische Wirtschaftspolitik in Österreich 1945–1949 (= Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek Bd. 6), Wien/Köln/Graz 1986; Günter Bischof, Foreign Aid and Austria’s Economic Recovery after World War II, in: New Directions in Economic and Security Policy. U.S.-West European Relations in a Period of Crisis and Indecision, ed. by Werner J. Feld, Boulder (Co.) – London 1985, 79–91; Patricia B. Eggleston, The Marshall Plan in Austria: A Study in American Containment of the Soviet Union in the Cold War, phil. Diss., University of Alabama 1980; siehe auch den Literaturbericht von Günter Bischof, Der Marshallplan und Österreich, in: Zeitgeschichte 17 (1989/90), 463–474, der zu Recht auf die mangelnde Rezeption der anglo-amerikanischen Marshallplan-Forschung hinweist. 4 So bes. Rudolf G. Ardelt/Hanns Haas, Die Westintegration Österreichs nach 1945, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 4 (1975), 379–399; vgl. auch Willibald I. Holzer, Der Kalte Krieg und Österreich. Zu einigen Konfigurationsäquivalenten der Ost/West-Bipolarisierung in Staat und Gesellschaft (1945– 1955), in: Jahrbuch für Zeitgeschichte 1982/83, Wien 1983, 133–209.
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lichen und politikwissenschaftlichen Fragestellungen dominierten Studien zur österreichischen Europaratspolitik.5 Die Geschichte des Staatsvertrages wie auch des österreichischen Anteiles am erfolgreichen Abschluss können dagegen als sehr gut erforscht gelten.6 Das strukturelle Dilemma, in dem die Bundesregierung agieren musste, haben Studien zur österreichischen Politik unter alliierter Besatzungsherrschaft kenntlich gemacht.7
I. Gemeinsam mit Westeuropa: Die Entscheidung für den Marshallplan Nur kurze Zeit nach George Marshalls Harvard-Rede stellte Außenminister Karl Gruber erste Weichen einer österreichischen Entscheidung: In einer Rundfunkansprache am 14. Juni 1947 lehnte er eine stärkere Ausrichtung der österreichischen Wirtschaft auf Osteuropa ab; die Fortsetzung der wirtschaftlichen Unterstützung durch die USA schätzte er dagegen für Österreich, ohne auf Marshalls Angebot konkret Bezug zu nehmen, als zwingend notwendig ein.8 Tatsächlich war es hauptsächlich amerikanischen Wirtschaftshilfeprogrammen zu verdanken, dass es in den ersten Nachkriegsjahren nicht zum völligen Zusammenbruch der Wirtschaft kam.9 Wirtschaftliche Folgelasten der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft und des Zweiten Weltkrieges, finanzielle Belastungen aus der alliierten Besatzung, zudem Eingriffe der sowjetischen Besatzungsmacht in die laufende Industrieproduktion verhinderten eine rasche Normalisierung des wirtschaftlichen Lebens. Nahrungsmittelknappheit, Energiemangel, Produktionsausfälle, die Zerrüttung von Verkehrsverbindungen, durch Devisenknappheit und das Fehlen von Kompensationsgütern gestörte Außenwirtschaftsbeziehungen als die wichtigsten Krisenfaktoren waren 1947 noch nicht überwunden. Grubers Ablehnung einer österreichischen Ostorientierung nahm darüber hinaus Bezug auf die schwere innenpolitische Krise, die das Scheitern der Österreich-Verhandlungen auf der Moskauer Außenministerkonferenz im März/April 1947 ausgelöst hatte.10 In ihr war 5 Hierzu v. a. Österreich im Europarat 1956–1986. Bilanz einer 30-jährigen Mitgliedschaft, hrsg. v. Waldemar Hummer/Georg Wagner (= Veröffentlichungen der Kommission für Europarecht, internationales und ausländisches Privatrecht Nr. 7), Wien 1988. 6 Gerald Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945–1955. Österreichs Weg zur Neutralität, Studienausgabe, 3. überarb. Aufl., Graz/Wien/Köln 1985; Audrey Kurth Cronin, Great Power Politics and the Struggle over Austria. 1945–1955, Ithaca/London 1986. 7 So v. a. Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949 , hrsg. v. Günter Bischof/Josef Leidenfrost (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte Bd. 4), Innsbruck 1988. 8 Amerikanische Übersetzung der Rundfunkrede Grubers in: Understanding Austria. The Political Reports and Analyses of Martin F. Herz, Political Officer of the US Legation in Vienna 1945–1948, ed. by Reinhold Wagnleitner (= Quellen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts Bd. 4), Salzburg 1984, 217–223. 9 Vgl. Wilfried Mähr, Von der UNRRA zum Marshallplan. Die amerikanische Finanz- und Wirtschaftshilfe der Jahre 1945–1950 an Österreich, phil. Diss., Wien 1985. Zur Krise der Nachkriegswirtschaft Fritz Weber, Österreichs Wirtschaft in der Rekonstruktionsperiode nach 1945, in: Zeitgeschichte 14 (1986/87), 267–298. 10 Hierzu Josef Leidenfrost, Karl Gruber und die Westorientierung Österreichs nach 1945, in: Für Österreichs
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sogar – als Zugeständnis an die Sowjetunion gedacht – die bisherige Koalitionsregierung durch Pläne einer stärkeren Regierungsbeteiligung der Kommunisten aufs Spiel gesetzt worden. Dagegen präsentierte Gruber die grundsätzliche „Westorientierung“ der österreichischen Politik als eine umfassende Anti-Krisen-Strategie. Neben engen Beziehungen zu den westlichen Besatzungsmächten kam hierbei dem Erhalt amerikanischer Wirtschaftshilfe eine entscheidende Rolle zu. Da Gruber von ihr eine Stabilisierung sowohl der innenpolitischen wie der ökonomischen Lage erwartete, ist fraglich, inwieweit er die grundlegend neue Konzeption der US-Auslandshilfepolitik in sein Krisenmanagement überhaupt miteinberechnet hatte. Marshalls Hilfsangebot unterschied sich deutlich von den bisherigen amerikanischen Wirtschaftshilfeprogrammen: Anstelle der bisherigen Praxis von unkoordinierten Hilfsmaßnahmen für einzelne Länder wurde für die Überwindung der Wirtschaftskrise eine Einigung der europäischen Staaten gefordert.11 Genau diese nur unscharf umrissene Bedingung drohte für Österreich zum springenden Punkt zu werden. Obwohl die Rede an alle europäischen Staaten gerichtet war, somit die UdSSR nicht ausschloss, war doch gerade ihr konstruktiver Kern, das integrierte Hilfsprogramm, auf Interessen der westlichen Welt zugeschnitten. Ihre Grundkonzeption, die in der wirtschaftlichen Verflechtung der europäischen Staaten die Vorbedingung einer funktionsfähigen Weltwirtschaft sah, war von vornherein so angelegt, dass die Sowjetunion nicht mitziehen konnte. Marshalls Feststellung, dass das Fehlen einer Friedensordnung für Deutschland und Österreich einen raschen europäischen Wiederaufbau behindern würde, schob der Sowjetunion auch noch die Mitverantwortung für die Wirtschaftskrise zu. Mit der Androhung, dass die Vereinigten Staaten zur Durchsetzung ihrer Auslandshilfepolitik internationale Spannungen in Kauf nehmen würden, war der Bogen zu Trumans Doktrin der containment-policy geschlagen, deren Verkündung zur Zeit der Moskauer Konferenz, so die Einschätzung Grubers, die Sowjetunion in dem für Österreich ungünstigsten Zeitpunkt getroffen hatte.12 Vom Wirtschaftsplanungsministerium aufgefordert, im Zuge einer näheren Aufklärung über die geplante Marshallplan-Organisation die Bereitschaft Österreichs zur Mitarbeit am Marshallplan zu erklären, interessierte Gruber neben der Haltung der Sowjetunion vor allem das „zugrunde liegende Konzept im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der östlichen Staatengruppe“.13 Die eher theoretische Möglichkeit einer Teilnahme der Sowjetunion war Freiheit. Karl Gruber – Landeshauptmann und Außenminister 1945–1953, hrsg. v. Lothar Höbelt/Othmar Huber (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte Bd. 7), Innsbruck 1991, 101–119, bes. 110 ff. 11 Marshalls Rede vom 5. 6. 1947 in: Foreign Relations of the United States (FRUS) 1947, vol. III, 237–239. Zur Marshallplan-Konzeption v. a. John Gimbel, The Origins of the Marshall Plan, Stanford (Ca.) 1976; Michael J. Hogan, The Marshall Plan: America, Britain and the Reconstruction of Western Europe 1947–1952, Cambridge (Ma.) 1987, 26 ff. 12 Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955, hrsg. v. Heeresgeschichtlichen Museum/Militärwissenschaftliches Institut Wien, Graz/Wien/Köln 1979, 201. 13 Ressortinterner Bericht an Wirtschaftsplanungsminister Peter Krauland, 21. 6. 1947, Österreichisches Staats-
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nur von kurzer Dauer, als Molotow am 2. Juli 1947 die Pariser Konsultationsgespräche mit Ernest Bevin und Georges Bidault verließ. Die offizielle Begründung, der Marshallplan würde in Souveränitätsrechte der Teilnehmerländer eingreifen, fand am 10. Juli im Wiener Alliierten Rat wie auch in einer an Bundeskanzler Figl gerichteten Protestnote ihren Niederschlag: In der Österreich zur Überbrückung gewährten „Kongresshilfe“ sah der Sowjetische Hochkommissar Wladimir W. Kurassow eine Verletzung alliierter Österreich-Vereinbarungen.14 In Gesprächen Grubers mit US-Stellen in Wien wurde der Zielkonflikt klar analysiert: „[…] he points out that Austria must proceed cautiously […] in order not further weaken chances of obtaining treaty. […] he feels it might owing lack of treaty be unwise for Austria to take part unreservedly now.“15
Im Ministerrat dürfte Gruber dagegen diese befürchteten politischen Rückwirkungen der Marshallplan-Option bewusst unerwähnt gelassen haben:16 Gleichwohl überrascht es, dass Gruber bereits einen Tag nach Beginn der Pariser Dreierkonferenz seinen Antrag im Ministerrat durchsetzte, die Außenminister der Besatzungsmächte vom großen Interesse Österreichs am Marshallplan zu informieren.17 Immerhin hatte er damit auch die Zustimmung des kommunistischen Kabinettsmitglieds erhalten. Dass der Ministerrat am 8. Juli zum zweiten Mal einstimmig für die Vorlage, am Marshallplan und der Schaffung einer Organisation teilzunehmen, votierte und damit der Begründung folgte, „dass dieses wirtschaftliche Hilfsprojekt gegen keinen Staat gerichtet ist“,18 dürfte vor allem am taktischen Geschick Grubers gelegen haben. Die Zeit drängte; einen Tag nach dem sowjetischen Rückzug hatten Bevin und Bidault alle europäischen Regierungen mit Ausnahme der sowjetischen und der spanischen zur Beratung der britisch-französischen Verfahrensvorschläge nach Paris eingeladen. Trotz nicht lückenloser Überlieferung sei der Schluss erlaubt, dass im Kabinett die Grundsatzfrage einer österreichischen Marshallplan-Teilnahme nicht neu aufgerollt wurde. Ebenso archiv/Archiv der Republik (OStA/AdR), Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung (BMV.u.W.) 111/20, Arbeitsunterlagen Schwarzenberger (Kt. 250), Konv. X. Gruber an Kleinwächter (Österr. Gesandter in Washington), 24. 6. 1947, ÖStA/AdR, Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten (BMfAA) II pol 1947, Amerika 2, GZl. 107.651, Zl. 107.679. Bis 1959 war das Außenamt eine Sektion des Bundeskanzleramtes (offiziell: Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten/BKA/AA). Die Bestandsbezeichnung im OStA/AdR lautet allerdings auf BMfAA. 14 Mähr, Marshallplan in Österreich, 47 f. 15 Erhardt (politischer Berater des US-Hochkommissars) an Marshall, 4. 7. 1947, zitiert nach Mähr, Von der UNRRA zum Marshallplan, 250. 16 Näheres zum Entscheidungsprozess der Bundesregierung bei Mähr, Marshallplan in Österreich, 81 ff. 17 Bericht Grubers an den Ministerrat (MR) betr. Marshallplan, 24. 6. 1947 (MR-Sitzung am 28. 6.). ÖStA/AdR, BMfAA II pol 1947, Amerika 2, GZl. 107.651, Zl. 107.768. Die Berichte sind in der Regel einige Tage vor den Sitzungsterminen datiert. 18 Bericht Grubers an den Ministerrat betr. Marshallplan, 7. 7. 1947 (MR-Sitzung am 8. 7.). ÖStA/AdR, BMfAA W-pol 1947, Konv. Antrag an den MR, Zl. 135.548.
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scheint eine Diskussion über politische Vor- und Nachteile vermieden worden zu sein. Das Außenamt befasste sich freilich eingehend mit den österreichischen Teilnahmebedingungen und passte die Konzeption der Marshallplan-Teilnahme der veränderten Konstellation an. Die vor der sowjetischen Absage im Außenamt erstellten ersten Entwürfe hatten noch die traditionelle österreichische Ausrichtung „auf einen regen Wechselverkehr mit allen Staaten“ und das lebhafte Interesse „an einer internationalen Corporation, die zu einem allgemeinen wirtschaftlichen Wiederaufbau führen soll“ betont.19 In den neuen Instruktionen stand nunmehr das Verhältnis „zwischen den im Marshall-Plan vereinigten Ländern […] und den außerhalb dieses Planes stehenden europäischen Ländern“ im Brennpunkt. Die Frage, „ob Österreich in der Organisation […] eine hervortretende Rolle spielen solle oder nicht“, sollte die weitere Entwicklung klären.20 Besonders deutlich legen die Konferenzinstruktionen für den Gesandten Vollgruber vom 8. Juli den Zielkonflikt offen: „Gesamtverhalten: Nicht sich in den Vordergrund stellen, degagiertes Hervortreten vermeiden, im allgemeinen mittlere Linie halten, in kritischen Situationen sich der Stimme enthalten. ,Auf sanften Pfoten gehen‘, sich bewusst sein, dass das ganze ohnedies für uns mit großem Risiko verbunden ist, aber sich bietende Chancen ergreifen. […] Bei Anträgen, die auf den Eintritt bzw. die Heranziehung der UdSSR gerichtet sind, möglichste Unterstützung gewähren, ebenso bei Anträgen, die auf Zusammenarbeit mit dem Osten gerichtet sind.“21
Diese Konferenzstrategie wurde umso wichtiger, als am 10. Juli die an der Marshallplanhilfe interessierten osteuropäischen Regierungen auf massiven Druck Moskaus hin absagten.22 Damit war Österreich zum einzigen Teilnehmerland geworden, das zumindest teilweise im sowjetischen Herrschaftsbereich lag. Auch wenn die Arbeit der im Mai 1947 von den vier Mächten eingesetzten Vertragskommission belastet zu sein schien: Die Marshallplan-Entscheidung destabilisierte die Beziehungen der Regierung zur sowjetischen Besatzungsmacht nicht unmittelbar. Hierzu trug sicherlich die durch österreichische Insistenz erreichte Einbeziehung auch der sowjetisch besetzten Zone Ostösterreichs in den Marshallplan bei. Gleichwohl blieb die Angst einer 19 Erster Entwurf einer Weisung an Vollgruber (Osten. Gesandter für Pariser Konferenz), wahrscheinl. vor 4. 7. 1947. ÖStA/AdR, BMV.u.W. III/20, Arbeitsunterlagen Schwarzenberger (Kt. 250), Konv. X. 20 Protokoll über die unter Vorsitz Grubers stattgefundene Sitzung betr. Marshallplan, 7. 7. 1947. ÖStA/AdR, BMfAA II pol 1947, Amerika 2, GZl. 107.651, Zl. 107.934. 21 Amtsvermerk über die Besprechung bei Gruber betr. die auf der Pariser Konferenz einzunehmende Haltung, 8. 7. 1947, ebd., Zl. 108.194. 22 Amtsvermerk über die interministerielle Koordinationssitzung (12. 7. 1947) betr. Instruktionen für die österreichische Delegation nach Paris, 18. 7. 1947. ÖStA/AdR, BMfAA W-pol 1947, Konv. 13/9, Zl. 136.796 bestätigt die „Aufgabe […], ausgleichend zwischen Ost und West zu wirken“. Siehe auch Gesandtschaftsberichte über die tschechoslowakische Absage unter ÖStA/AdR, BMfAA II pol 1947, Amerika 2, GZl. 107.651, Zl. 108.543.
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Teilung des Landes, als Ultima Ratio der sowjetischen Besatzungsmacht eingeschätzt, eines der prägendsten politischen Erfahrungsmuster der Besatzungszeit. Die staatspolitische Doktrin der Rückgewinnung der staatlichen Souveränität zog also einem Westintegrationskurs Österreichs von vornherein klare Grenzen. So war man sich auch in Wien darüber im Klaren, dass neutralitätspolitisch akzentuierte Erklärungen, die im Zuge der Option für den Marshallplan Konjunktur hatten, an der prekären staatspolitischen Situation nichts änderten. Es stellt sich die Frage, ob nicht bereits mit dem vor der Pariser Konferenz geäußerten Zweifel, wonach eine neutrale Rolle nur vorgegeben werden könnte, ein Schlussstrich unter den Versuch gezogen war, die Tragweite dieser Option zumindest durch politische Rhetorik nach außen hin zu relativieren.23
II. Politische Prioritäten: Österreich als „Sonderfall“ Auf der Bühne der Pariser Marshallplan-Konferenz, wo sich am 16. Juli 1947 Regierungsdelegationen von 16 europäischen Staaten zum „Committee of European Economic Cooperation“ (CEEC) konstituierten, um ein auf vier Jahre befristetes integriertes Rekonstruktionsprogramm zu erstellen, hatte die „Auf sanften Pfoten“-Strategie, konsequent angewendet, die Folge, „dass wir überhaupt keine definitiven Entscheidungen treffen könnten, solange unsere Situation nicht durch den Abschluss eines [Staats-, F. W.] Vertrages geklärt sei“24. Eine erste Bilanz der österreichischen Delegation stellte freilich bei der Mehrheit der Westeuropäer „ein geradezu auffallendes Bemühen fest, die wirtschaftliche Ebene unter gar keinen Umständen zu verlassen und jede politische Diskussion zu vermeiden“25. Nicht nur deshalb galt der eingeengte Handlungsspielraum der österreichischen Delegation nicht von vornherein als Handicap; die Beschränkung auf Wirtschaftsfragen ermöglichte ihr doch eine Verhandlungsposition, hinter die sie sich von Fall zu Fall zurückziehen konnte. Dies galt namentlich für die Zollunionsprojekte der CEEC, die in Studiengruppen für unterschiedliche regionale Ausdehnungen erörtert wurden. Die Benelux-Union ausgenommen sollten in der CEEC alle Zollunionsprojekte größeren Ausmaßes scheitern. Für Österreich waren, obwohl es sich an der Zollunion-Studiengruppe beteiligte, „Entschlüsse über allgemeine oder auch nur regionale Zollunionen […] wesentlich verfrüht […]. Die Entscheidung als solche ist eine politische […]. Die Teilnahme an regionalen Besprechungen muss wegen ihres noch verstärkten politischen Charakters abgelehnt werden.“26 23 Zweifel bei Erhardt an Marshall, 6. 7. 1947, zitiert nach Mähr, Marshallplan in Österreich, 88. 24 Vollgruber an Gruber, 20. 8. 1947. ÖStA/AdR, BMfAA W-pol 1947, Konv. 22/9, Zl. 142.868. Zur CEEC Alan Milward, The Reconstruction of Western Europe 1945–51, London 1984, 69–89; Hogan, The Marshall Plan, 60–87. 25 Bericht über die Verhandlungen des Marshall-Planes in Paris, Ende Juli/Anfang August 1947, ÖStA/AdR, BMV.u.W. 111/20, Arbeitsunterlagen Schwarzenberger (Kt. 250), Konv. X. 26 Konzept Grubers zu Fragen von Zollunionen, 18. 8. 1947, ÖStA/AdR, BMfAA II pol 1947, Amerika 2, GZl. 107.651, Zl. 108.781.
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Der Integrationskonsens der Westeuropäer reichte in der Sache nicht weit. Im Schlussbericht, den die CEEC am 22. September 1947 vorlegte, wurde zwar ein Maßnahmenkatalog zur engen wirtschaftlichen Kooperation, v. a. bei der Liberalisierung des Handels- und Zahlungsverkehrs, aufgestellt.27 In der Frage der Organisationsform hatte man sich jedoch auf nicht mehr als eine lose Verbindung einigen können. Diese Bescheidenheit der Integrationsvorschläge wie auch die von den Westeuropäern für den Wiederaufbau errechnete Bedarfssumme von 29,2 Mrd. US-Dollar waren für Washington inakzeptabel. Wie die Truman-Administration zu Recht kritisierte, ging es der Mehrheit der CEEC-Mitglieder, so auch Österreich, vorrangig um nationale Belange.28 Die außenwirtschaftliche Dimension des integrierten Wiederaufbaus scheint in Wien erst dann in ein zentrales Blickfeld gerückt zu sein, als die Bundesregierung im Frühjahr 1948 die starken Kürzungen an der österreichischen Bedarfsliste als nicht gerechtfertigt zurückwies.29 Die langfristige Einbindung der österreichischen Wirtschaft in ein außenwirtschaftliches Verbundsystem Westeuropas erforderte von den österreichischen Wirtschaftsplanern eine Neuorientierung. Angesichts der traditionell engen Wirtschaftsbeziehungen mit den mittelost- und südosteuropäischen Staaten überwog Skepsis. Bereits in der Handelsbilanz Ende 1947 wurde deutlich, dass das österreichische Handelsvolumen mit den CEEC-Staaten ungleich schneller ansteigen würde als mit den Oststaaten. Lagen 1937 die Anteile der späteren RGW-Staaten an der österreichischen Ausfuhr noch bei 30,4 % bzw. an der Einfuhr bei 35,0 %, so waren sie bis 1947 auf 17,9 % bzw. 11,4 % gesunken.30 Dieser Trend wurde deshalb als problematisch eingestuft, weil eine Schwerpunktverlagerung des Handels nach Westen die ohnehin hoch defizitäre Zahlungsbilanz weiter belasten würde. Im Wirtschaftsplanungsministerium sprach man sogar davon, dass wegen der begrenzten Aufnahmefähigkeit der Westmärkte für österreichische Produkte nur ein vollständiger Neuaufbau des österreichischen Außenhandels diese Entwicklung würde aufhalten können. Um den Veränderungen im europäischen Raum Rechnung zu tragen, wäre eine strukturelle Neugestaltung der österreichischen Wirtschaft notwendig. Gleichzeitig zog man in Zweifel, „ob eine Änderung dieser Entwicklung [des Außenhandels, F. W.] selbst bei intensiven Bemühungen Österreichs herbeigeführt werden kann“.31 27 Die Wiedergesundung Europas. Schlussbericht der Pariser Wirtschaftskonferenz der sechzehn Nationen (Dokumente und Berichte des Europa-Archivs Bd. 4), Oberursel (Ts.) 1948. 28 „Der Marshallplan hat für uns zunächst das reale Interesse, uns einen entsprechenden Anteil an der […] in Aussicht gestellten Hilfeleistung […] zu sichern. – Bericht Grubers an den Hauptausschuss des österreichischen Nationalrates, o. D. (August/September 1947). ÖStA/AdR, BMfAA 11 pol 1947, Österreich 2, GZl. 110.089, Zl. 110.123. 29 Note der Bundesregierung an die Regierung der USA, 25. 2. 1948. ÖStA/AdR, BMfAA W-pol 1948, Wirtschaftsakten, Wirtschaft Europa Marshall Plan, GZl. 130.376, Zl. 140.007. 30 Egon Matzner, Trade between East and West. The Case of Austria (= Stockholm Economic Studies, New Series 12), Stockholm 1970, hier 84. 31 Stellungnahme Österreichs zu Country Studies, Chapter II – Austria, ausgearb. v. BMV.u.W., März 1948.
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Im wirtschaftlichen und politischen Interesse einer raschen Rekonstruktion des Ostgeschäftes setzte Wien gewisse Hoffnungen eines gesamteuropäischen Wiederaufbaus in die Economic Commission for Europe (ECE).32 Diese im März 1947 gegründete, vom „one world“-Konzept Washingtons geprägte Unterorganisation der UNO sollte ihre Funktion freilich spätestens Anfang 1949 verlieren, als Osteuropa mit der Errichtung des RGW auf den wirtschaftlichen Zusammenschluss Westeuropas in der OEEC reagierte. Es war weniger der Druck, den die USA auf die CEEC-Staaten ausübte, für die Koordinierung der Wiederaufbauhilfe eine feste Organisation einzurichten und ein Mindestmaß an Integrationszielen verbindlich festzulegen, als vielmehr der Schock über den Sturz der bürgerlichen tschechoslowakischen Regierung Ende Februar/Anfang März 1948, der die österreichische Politik in der entscheidenden Phase der Formierung der westeuropäischen Wirtschaftsintegration beeinflusste.33 Vor allem der Umstand, dass in der Tschechoslowakei – anders als in Österreich – keine sowjetischen Truppen stationiert waren, verstärkte den Wunsch nach Sicherheitsgarantien. Dieses Bedürfnis wurde zum – wenn auch leise geäußerten – Vorbehalt gegenüber dem Abschluss des Staatsvertrags zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dem die vier Siegermächte noch vor den Prager Ereignissen bei ihren Verhandlungen in London ein kleines Stück näher gekommen waren.34 Im Zuge der Diskussion über eine österreichische Wiederbewaffnung ließ sich in Wien sicher nicht zu Unrecht darauf spekulieren, dass eine verstärkte militärische und politische Zusammenarbeit der Westeuropäer auch die Sicherheit Österreichs erhöhen würde. Grubers Sondierung beim britischen Außenminister Bevin, ob Österreich, da es nicht als unabhängiger ,buffer state‘ existieren könnte, nicht dem im März 1948 errichteten Brüsseler Verteidigungspakt beitreten könnte, schoss freilich – unabhängig von Bevins Einwand, dass Österreich militärisch oder politisch nicht in der Lage wäre, ,reciprocal obligations‘ auf sich zu nehmen – weit über die Möglichkeiten einer österreichischen Westbindungspolitik hinaus.35 Wirkte sich doch schon die Überzeugung Grubers, dass eine Konsolidierung der CEEC von äußerster Wichtigkeit sei, nur bedingt auf die österreichische Disposition für die neue Verhandlungsrunde der Westeuropäer aus.36 ÖStA/AdR, BMfAA W-pol 1948, Wirtschaftsakten ERP, Zl. 144.381. Zur Planung auch Bericht Kraulands an die Interministerielle Planungskommission, 20. 10. 1948. ÖStA/AdR, BKA-UNRRA Interministerielle Planungskommission, GZl. 5.200, Zl. 5.200. 32 Nach Aktenvermerk des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau (BMH.u.W.), 12. 1. 1948, ÖStA/ AdR, BMH.u.W. V 1948, 101/2–2/9, GZl. 85.261, Zl. 87.323 ist es „bei der ECE […] sogar empfehlenswert, sich auf den Marshallplan nicht zu berufen“. Vgl. auch Ingfrid Schütz-Müller, „Europa“ – in der österreichischen Nachkriegspolitik. 1945–1956, phil. Diss., Wien 1974, 47 ff. 33 Hierzu Günter Bischof, „Prag liegt westlich von Wien“. Internationale Krisen im Jahre 1948 und ihr Einfluss auf Österreich, in: Die bevormundete Nation, 315–345. 34 Hierzu Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages, 49–53. 35 Bischof, „Prag liegt westlich von Wien“, 322. 36 Erhardt an Marshall, 3.3.1948, in: FRUS 1948, vol. II, 1383–1384.
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Als sich die CEEC am 15. März 1948 an die Ausarbeitung eines Organisationsstatuts machte, das zugleich den Kern eines multilateralen Vertragswerks bilden sollte, kam für Österreich nur ein Kooperationsorgan infrage, das der direkten Kontrolle der sechzehn Regierungen unterstellt und auf den Bereich der Wirtschaft begrenzt blieb.37 Damit stand Österreich auf der Seite der britischen Regierung, die ein Organ favorisierte, das im Wesentlichen Regierungsentscheidungen koordinieren sollte. Der französische Vorschlag, der Organisation eine weitgehende Unabhängigkeit von den nationalen Regierungen zu sichern und sie supranational zu gestalten, konnte sich nicht durchsetzen: Das Gründungsstatut der „Organization for European Economic Cooperation“ (OEEC) vom 16. April 1948 setzte einen Rat ein, dessen Entscheidungskompetenzen durch das Vetorecht, das jedem Mitglied gleichberechtigt zustand, geschwächt war. Der Vollversammlung aller Regierungsdelegationen unterstanden der Generalsekretär und der aus sieben Mitgliedern zusammengesetzte Exekutivausschuss. Mithin blieb die ausreichende Berücksichtigung der „politischen Prioritäten von Ländern in besonders bedrohter Stellung“ die zentrale Bedingung, von der das Außenamt seine Zustimmung zum multilateralen Vertrag abhängig machte.38 Zugleich blieb der neue Leiter der österreichischen Vertretung, Wilhelm Taucher, mit der Order, in der OEEC „keinen Beschlüssen zuzustimmen, die österreichische Stellungnahmen präjudizieren, nötigenfalls dagegenzustimmen“, per Ministerratsbeschluss eng an die Entscheidungszentrale, das Wiener Außenamt, gebunden.39 Nur Tage später meldete Taucher nach Wien, dass die besondere Lage Österreichs „anerkannt und betont“ werde.40 So hatte sich Österreich, als der Marshallplan im Juli 1948 als European Recovery Program (ERP) in Gang kam, eine günstige Startposition verschafft.41 Der Eindruck dieser Anerkennung als „special case“ verzerrte si37 Zur CEEC-Konferenz Bericht Grubers an den Ministerrat, o. D. (Ende März 1948), ÖStA/AdR, BMV.u.W. III/20, Arbeitsunterlagen Schwarzenberger (Kt. 252). Allgemein Milward, Reconstruction of Western Europe, 168 ff.; Ernst H. van der Beugel, From Marshall Aid to Atlantic Partnership. European Integration as a Concern of American Foreign Policy, Amsterdam/London/New York 1966, 168 ff.; Hogan, The Marshall Plan, 119 ff. 38 In diesem Fall hätte Wien, „um Sabotagen zu vermeiden“, sogar das Mehrheitsprinzip statt des Einstimmigkeitsprinzips in Kauf genommen: Stellungnahme des BKA/AA zur Marshallplan-Tagung, März 1948. ÖStA/ AdR, BMfAA II pol 1948, Marshallplan, GZl. 110.420, Zl. 111.986; siehe auch Bericht Grubers an den Ministerrat betr. OEEC-Vertrag, 6. 4. 1948. ÖStA/AdR, Bundesministerium für Verkehr und verstaatlichte Betriebe (BMV.u.v.B.) Präsidium, Ministerrats-Material 1948, 106. Sitzung. 39 Gruber an Taucher, 15. 5. 1948. ÖStA/AdR, BMfAA W-pol 1947/48, Telegramme und Akten ohne GZl., Zl. 155.035; auch Beschlussprotokoll Nr. 112 der Ministerratssitzung, 18. 5. 1948. ÖStA/AdR, BMV.u.W. III, Arbeitsunterlagen (Kt. 300), Beschlussprotokolle. 40 BKA/AA an BMH.u.W., 31. 5. 1948. ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1948, 101/2–2/23, GZl. 85.261, Zl. 102.685. 41 Vgl. Bericht Grubers an den Ministerrat betr. Gliederung der ERP-Organisation, 25. 5. 1948. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1948, 113. Sitzung: „Noch auf eine beträchtliche Zeit hinaus wird die Vorzugsbehandlung Österreichs im Rahmen des Marshall-Planes vor allem auf politischen Erwägungen beruhen, die in zweckmäßiger Weise zur Geltung gebracht werden müssen.“
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cherlich Tauchers Bilanz der Tätigkeit der österreichischen OEEC-Delegation bis Oktober 1948; gemessen an den Kriterien: Verhandlungsstärke und Einfluss setzte er sie an die fünfte Stelle aller Delegationen, in anderen Bereichen sogar an die dritte.42 Im Frühjahr 1948 war die Integrationsbereitschaft Wiens auf eine für das staatspolitische Interesse sicherlich günstige Konstellation getroffen: Als die institutionellen Grundlagen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit geschaffen wurden, war die Integrationsbereitschaft der Mehrheit der Westeuropäer so schwach ausgeprägt, dass Österreich zur Gänze daran teilhaben konnte. Die Anwartschaft auf die Mitarbeit im OEEC-Generalsekretariat, die allerdings erfolglos blieb, und – um die „OEEC-Mitarbeit noch intensiver zu gestalten“ – die Übernahme der prestigeträchtigen Vizepräsidentschaft von 1949 bis 1954 verdeutlichen dies.43 Inwieweit Österreich auch an der wirtschaftlichen Integration partizipieren konnte, das sollte weitgehend davon abhängen, welchen Verlauf der Integrationsprozess selbst nehmen würde.
III. Ökonomische Zwänge: Die Öffnung gegenüber Westeuropa Die umfassende Liberalisierung des innereuropäischen Handels- und Zahlungsverkehrs war das zentrale außenwirtschaftliche Anliegen der OEEC.44 Dazu zählten vorrangig die Beseitigung der Vielzahl von Handelsbarrieren und die Überwindung des restriktiven Systems des Bilateralismus. Die ökonomischen Strukturschwächen Österreichs, die der Vergleich mit der Mehrheit der OEEC-Staaten augenscheinlich machte, ließen sich zumindest mittelfristig gegen eine rasche Anpassung an freihändlerische Ordnungsvorstellungen der Westeuropäer geltend machen.45 Mit der Sonderfall-Anerkennung, die darüber hinaus auch auf der politisch exponierten Lage Österreichs beruhte, hatte die Bundesregierung ein Instrument in der Hand, das sich für die Entbindung von integrationspolitischen Verpflichtungen einsetzen ließ. Aus der Blockierung, in der sich der innereuropäische Handel befand, gab es einen Ausweg: es musste ein multilateraler Ausgleich geschaffen werden, der es den Partnern er42 Mähr, Marshallplan in Österreich, 129. 43 Zur Bewerbung für das Generalsekretariat ÖStA/AdR, BMfAA W-pol 1947/48, Telegramme und Akten ohne GZl., Zl. 155.584. Zur Vizepräsidentschaft BKA/AA an BMH.u.W., 23.4. 1949, ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1949, 101/2–2/6, GZl. 90.066, Zl. 104.613. 44 Hierzu v. a. Imanuel Wexler, The Marshall Plan Revisited. The European Recovery Program in Economic Perspective (= Contributions in Economics and Economic Studies No. 55), Westport (Ct.)/London 1985, 121 ff.; Milward, Reconstruction of Western Europe, 212 ff. Jacob J. Kaplan/Günther Schleiminger, The European Payments Union. Financial Diplomacy in the 1950s, Oxford 1989. 45 Vgl. hierzu Franz Heissenberger, The Economic Reconstruction of Austria 1945–1952. A Report an Postwar Developments (= Library of Congress Reference Department, European Allairs Division), Washington (D. C) 1953, 76 ff.; Zehn Jahre ERP in Österreich 1948/58. Wirtschaftshilfe im Dienste der Völkerverständigung, hrsg. v. der Österreichischen Staatsdruckerei unter Mitwirkung des Bundespressedienstes und Benützung von Unterlagen des Bundeskanzleramtes, Sektion für wirtschaftliche Koordination, Wien 1958, 95 ff.
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möglichte, ihre bilateral erwirtschafteten Handelsüberschüsse und -defizite gegeneinander aufzurechnen. Die drei zwischen 1947 und 1949 in der OEEC abgeschlossenen Verrechnungsabkommen waren erste Schritte in diese Richtung.46 Obwohl das Außenamt die Ausnutzung der Ziehungsrechte – trotz des geringen Volumens des vorerst erreichten innereuropäischen Clearings – positiv einschätzte, sprach man sich 1949 für eine Multilateralisierung des Verrechnungsverkehrs aus.47 Der wenn auch zögerlich angegangene Aufbau eines Clearingraumes wäre allerdings von beschränkter Wirkung geblieben, wenn quantitative Handelsbarrieren die Ausnutzung der Ziehungsrechte behindert hätten. Bereits bei der Aufstellung erster Maßnahmen zum Abbau mengenmäßiger Importbeschränkungen im Juli 1949, die eine 50%-Liberalisierung vorsahen, musste die OEEC sowohl der Heterogenität der Volkswirtschaften Westeuropas als auch jeweiligen nationalen Sonderinteressen Rechnung tragen. Im Oktober 1949 wies die Bundesregierung in einem Memorandum auf ein Kernproblem jeder von Österreich durchzuführenden Liberalisierung hin: Österreich könne seine Einfuhr nur in dem Maße freigeben, indem es zur Sicherung des eigenen Ostexportes Importquoten für die östlichen Staatshandelsländer freihalten müsse. Generell seien die österreichischen Exporterlöse ohnehin dadurch beeinträchtigt, dass Österreich aufgrund sowjetischer Beschlagnahmungen über wichtige Sektoren seiner Industrieproduktion nicht verfügen könne. Damit untermauerte die Bundesregierung erfolgreich ihren Anspruch auf Suspension von der 50%-Liberalisierungsklausel, wie sie der OEEC-Rat bei schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen vorsah.48 Folgerichtig wurde für Österreich auch der im August 1950 im Liberalisierungskodex der OEEC festgelegte Stufenplan einer etappenweisen 75%-Liberalisierung ausgesetzt.49 Als „special case“ war Österreich damit die Durchführung einer Liberalisierung ermöglicht, die aufgrund der Beibehaltung des Einfuhrregimes und der Devisenkontrolle als „unecht“ bezeichnet wurde.50 Während der „60%-Runde“ im November 1950 war die österreichische OEEC-Delegation allerdings darum bemüht, „die Sonderstellung Österreichs nicht 46 Nach Schwarzenberger an Ottillinger, 11. 9. 1948. ÖStA/AdR, BMV.u.W. 111, Arbeitsunterlagen Schwarzen berger (Kt. 301) hat sich Österreich „durch seinen Einspruch […] in der Frage der Multilateralisation weit über die Bedeutung seines Landes hinausgehend in das Scheinwerferlicht gestellt“. Dem ersten Verrechnungsabkommen war Österreich nicht beigetreten. Zu den Verrechnungsabkommen und den österreichischen Ziehungsrechten Werner Abelshauser, Der Kleine Marshallplan. Handelsintegration durch innereuropäische Wirtschaftshilfe 1948–1950, in: Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Helmut Berding (= Geschichte und Gesellschaft Sonderheft 10), Göttingen 1984, 212–224. 47 Hierzu die Berichte des Österr. ERP-Büros Paris an BKA/AA v. April/Mai 1949 unter ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1949, 101/2–2/4, GZl. 90.066, Zlen. 104.010, 104.263, 105.244 und bes. v. 21. 6. 1949, Zl. 107.635. 48 Memorandum concerning the liberalisation of trade, 4. 10. 1949, ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1949, 101/2–2/12, GZl. 90.066, Zl. 113.892. Auch BKA, Zentralbüro für ERP-Angelegenheiten (ZERP) an BMH.u.W., 21.7. 1950, ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1950, 101/2-3/1, GZl. 100.121, Zl. 117.032. 49 Hierzu BKA, ZERP an BMH.u.W., 13. 11. 1950, ebd., Zl. 124.428. 50 Hierzu Fritz Breuss, Österreichs Außenwirtschaft 1945–1982, hrsg. v. Institut für Angewandte Sozial- und Wirtschaftsforschung, Wien 1983, 22 ff.
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allzu krass hervortreten zu lassen“, hatte sich doch in den Verhandlungen zur Errichtung der Europäischen Zahlungsunion (EZU) „die Zubilligung eines Sonderfalles für Österreich“ nachteilig ausgewirkt.51 Obwohl Wien in den Verhandlungen seine Bereitschaft erklärte, „als vollwertiges Mitglied den Verpflichtungen der neuen Währungsgemeinschaft (sic!) nachzukommen“, blieb Österreich aufgrund seiner Einstufung als strukturelles Schuldnerland die Vollmitgliedschaft verwehrt.52 Die Mitglieder der EZU waren nicht bereit bzw. nicht in der Lage, das voraussehbare Zahlungsdefizit Österreichs vorzufinanzieren.53 Als die österreichische Zahlungsbilanz am Ende des OEEC-Wirtschaftsjahres 1952/53 erstmals mit einem Aktivum abschloss, führte das automatisch zur Vollmitgliedschaft in der EZU. In der OEEC hatten diese Überschüsse „wie eine Bombe gewirkt“.54 Die österreichische Gläubigerposition in der EZU hatte nunmehr unmittelbare Konsequenzen für die Liberalisierungspolitik. Allerdings trübte das Auslaufen des ERP den Eindruck einer anhaltend günstigen Zahlungsbilanz. Wien war deshalb vorerst nicht bereit, am 1. Juli 1953 mehr als 35 %, am 15. Dezember mehr als 50 % der Importe freizugeben. Im Dezember 1953 hob der OEEC-Rat die Ausnahmebestimmungen für Österreich auf; damit galt die automatische Verpflichtung, mindestens die 75%-Quote des Liberalisierungskodex zu erfüllen. Da bei den anstehenden EZU-Verhandlungen über eine Erhöhung der Kreditquoten ein Junktim drohte, gab Wien im Januar 1954 dem Druck der OEEC nach, innerhalb kurzer Zeit etappenweise die Forderung zu erfüllen. Über einige Zwischenetappen wurde am 20. Mai 1954 das 75%-Niveau erreicht, am 1. Januar 1956 dann die 90%-Marke überschritten.
IV. Die schwierige Balance der Integration: OEEC, Europarat, amerikanisches Engagement und Ostembargo Im April 1952 bezeichnete Gruber die österreichische OEEC-Mitgliedschaft als einen „der Hauptvorwürfe gegen unser Land“ seitens der sowjetischen Führung.55 Diese Einschätzung ist zu differenzieren: Solange die Zusammenarbeit der Westeuropäer in der OEEC auf kooperativen Formen aufbaute und auf den Bereich der Wirtschaft begrenzt blieb, kam sie dem 51 „Sonderstellung nicht hervortreten lassen“: BKA, ZERP an BMH.u.W., 14. 11. 1950, ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1950, 101/2-3/1, GZl. 100.221, Zl. 123.062; „Zubilligung eines Sonderfalles“: Österr. ERP-Büro Paris an BKA, ZERP, 17. 3. 1950, ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1950, 101/2–2/2, GZl. 100.728, Zl. 106.427. 52 Memorandum der Bundesregierung betr. die Festlegung von „Ausgangspositionen“ gegenüber der EZU, 17. 6. 1950, ebd., Zl. 112.600. Information des BKA, ZERP für die Besprechungen mit OEEC-Generalsekretär Marjolin, 5. 6. 1950, ebd., Zl. 116.678. 53 Die ECA stellte hierfür sog. „initial positions“ zur Verfügung. 54 Österr. ERP-Büro Paris an BKA, ZERP, 11. 8. 1953, ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1953, 401/14, GZl. 73.553, Zl. 87.513. 55 Rede Grubers im Nationalrat, 2. 4. 1952, zitiert nach Felix Ermacora, 20 Jahre österreichische Neutralität, Frankfurt a. M. 1975, 232.
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dualistischen Staatsinteresse Österreichs entgegen. Die blockpolitischen Konstellationen der westeuropäischen Integration setzten allerdings eine Dynamik in Gang, an der Wien nicht gelegen sein konnte: Wenn wirtschaftliche Integrationsinteressen durch politische und militärische Interessen überlagert wurden, dann waren Österreichs Maximalvorstellungen von Integrationspolitik gefährdet. So kritisierte die österreichische OEEC-Delegation im Januar 1949 sogar die Verwendung des Begriffs „Westeuropa“, da „weder Österreich noch die Türkei oder Griechenland als westeuropäischer Staat bezeichnet werden könnten“56. In der Sache ging es darum, dass militärische und rüstungswirtschaftliche Interessen der Brüsseler Pakt-Staaten in der OEEC zu einem Verteilungskriterium für Rohstoffe zu werden drohten.57 War dies für die Mitglieder beider Organisationen naheliegend, so ließ eine derartige Koordinierung der Rohstoffbewirtschaftung Österreich dagegen befürchten, ins Hintertreffen zu geraten. Das Außenamt stellte klar, dass Österreich aus politischen Gründen seine Industrie nicht „in den Dienst der Rüstungsmaschine“ stellen könne.58 Der Koreakrieg und die sich verschärfende Rohstoffkrise verstärkten das Interesse Großbritanniens an einer Schwerpunktverlagerung der OEEC auf die militärische Zusammenarbeit. Ende 1950 lag der OEEC ein von Frankreich unterstützter Plan vor, Versorgungsansprüche der NATO vorrangig zu behandeln; „die OEEC soll das verteilen, was übrig bleibt“.59 Als der OEEC-Rat das Verteilungsproblem – auch auf österreichische Intervention hin – „durch einen verschwommenen Text“ umging, sah Wien zumindest für den Fall einer Zuspitzung des Koreakrieges seine Bedenken „gegen Einschaltung der NATO vor Festlegung der zivilen Bedürfnisse“ nicht als ausgeräumt an.60 Das österreichische Dilemma brachte der stellvertretende US-Hochkommissar im März 1952 auf den Punkt: eine institutionalisierte Zusammenarbeit von NATO und OEEC „würde wahrscheinlich Österreichs Austritt aus der OEEC erforderlich machen“.61 Ob ein Zusammenschluss von OEEC und Europarat, wie ihn der schwedische Außenminister Dag Hammarskjöld im März 1951 dem OEEC-Ministerrat vorgeschlagen hatte, das Verhältnis Wiens zur politischen Integration Westeuropas enger hätte gestalten können, muss spekulativ bleiben: die Idee wurde nicht verwirklicht.62 Österreich war dem Europarat, 56 BKA/AA an BMH.u.W., 27. 1. 1949, ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1949, 101/2–2/14, GZl. 90.066, Zl. 94.245. 57 Bereits während der Ausarbeitung des OEEC-Vertrags hatte Österreich die Einbeziehung einer Finanzverwaltung „von Mitteln für politisch-militärische Aufgaben“ in die OEEC abgelehnt: Stellungnahme des BKA/AA, März 1948 (wie Anm. 38). 58 BKA/AA an BMH.u.W., 27. 1. 1949. ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1949, 101/2–2/14, GZl. 90.066, Zl. 94.245. 59 Österr. ERP-Büro Paris an BKA, ZERP, 28. 11. 1950. ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1950, 101/2-3/1, GZl. 123.762, Zl. 124.375; vgl. auch Hogan, The Marshall Plan, 336 ff. 60 „verschwommener Text“: Ostern ERP-Büro Paris an BKA, ZERP, 9. 12. 1950. ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1950, 101/2-3/13, GZl. 101.181, Zl. 125.478; „Einschaltung der NATO“: Österr. ERP-Büro Paris an BKA, ZERP, 28. 11. 1950 (wie Anm. 59). 61 Dowling an Acheson, 6. 3. 1952, FRUS 1952–1954, vol. VI/1, 7; vgl. auch Porter an Mutual Security Agency, 20. 3. 1952, ebd., 30–33. 62 Gruber bekundete im OEEC-Ministerrat (9./10. 3. 1951) sein „großes Interesse […], auf diesem Wege eine
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der am 5. Mai 1949 von zehn westeuropäischen Staaten ins Leben gerufen worden war, nicht beigetreten.63 Die Bundesregierung delegierte die Vertretung ihrer Interessen an der politischen Zusammenarbeit der Westeuropäer an den Nationalrat. Im November 1951 engagierte sich die Beratende Versammlung für einen Beitritt Österreichs. Der französische Außenminister Robert Schuman verhielt sich als Mitglied des Ministerkomitees des Europarates in Übereinstimmung mit seinem britischen Amtskollegen Bevin ablehnend: zum einen sei ihm die gegenwärtige Haltung Wiens zur Beitrittsfrage unbekannt, zum anderen würde die Besatzungssituation eine Ablehnung provozieren. Gleichwohl gab die Bundesregierung Ende 1951 der Initiative des Europarates und dem Drängen österreichischer Parlamentarier in gewisser Weise nach: Sie stimmte der Entsendung offizieller Beobachter aus dem Kreis des Parlamentes zu, nachdem es bis dato bereits eine zeitweilige informelle Mitarbeit beim Europarat gegeben hatte. Wie Gruber begründete, legte die schwer auszurechnende „Balance der Vorteile, die sich bieten, gegenüber den Nachteilen, die vielleicht eintreten könnten“, diese Kompromisslösung nahe.64 Da damit ein ständiger politischer Austausch mit der politischen Europabewegung hergestellt war, sah vor allem Bundeskanzler Raab keinen Grund, der im Dezember 1953 von der SPÖ eingebrachten parlamentarischen Initiative für eine österreichische Vollmitgliedschaft grünes Licht zu geben.65 Zudem stand zu diesem Zeitpunkt die Staatsvertragsfrage in einer entscheidenden Phase. Das Bestreben der österreichischen Regierung, ihren Integrationskurs nicht allzu deutlich gegen sowjetische Interessen auszurichten, war durch das Engagement der USA im europäischen Integrationsprozess stark belastet. Der Protest der sowjetischen Besatzungsmacht richtete sich 1948 jedenfalls mehr gegen das multilaterale OEEC-Abkommen als gegen das zwischen Österreich und den USA abgeschlossene „Bilaterale Abkommen“.66 Diese mit allen OEEC-Staaten abgeschlossenen Verträge verpflichteten die einzelnen Regierungen dazu, ihren nationalen Wiederaufbau im westeuropäischen Verbund nicht nur mit der OEEC, in der die USA nicht vertreten waren, sondern auch mit ihrem Gegenstück, der Economic Cooperation Administration (ECA), abzustimmen. Washington sicherte sich damit eine weitreichende Mitwirkung bei der konzeptionellen Planung des ERP und dessen Umsetzung in den einzelnen Teilnehmerländern. Teilnahme Österreichs an den Arbeiten des Europarates […] herbeizuführen“ und schlug vor, diesem Plan „besondere Prominenz einzuräumen“: ÖStA/AdR, BMfAA II pol 1949, Konv. Marshallplan, GZl. 131.674, Zl. 133.886. 63 Zur österreichischen Europaratspolitik v. a. Wolfgang Burtscher, Österreichs Annäherung an den Europarat von 1949 bis zur Vollmitgliedschaft im Jahre 1956, in: Österreich im Europarat 1956–1986, 37–52. 64 Anfragen an Gruber im Außenpolitischen Ausschuss des Nationalrates (Parlamentskorrespondenz), 6. 11. 1951, ÖStA/AdR, Kabinett des Ministers Gruber 1952 (Kt. 15), Zl. 121.633. 65 Hierzu auch die Erinnerungen des späteren Außenministers Lujo Tončić-Sorinj, Erfüllte Träume. Kroatien Österreich – Europa, Wien/München 1982, 201 ff., denen zufolge Raab die österreichischen Vertreter der Europabewegung eher abschätzig als „Europabastler“ bezeichnete (228). 66 Mähr, Marshallplan in Österreich, 112–115.
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Blieben im Außenamt trotz seiner Zustimmung zum OEEC-Vertrag gewisse Bedenken bestehen, ob „die besonderen österreichischen Erfordernisse immer im Rahmen der Pariser Organisation durchzusetzen“ seien, so gab es gegen den Abschluss des „Bilateralen Abkommens“ keine Vorbehalte.67 Ganz im Gegenteil, wie der österreichischen Delegation in Paris bedeutet wurde: „Wir sind in einer besonderen Lage. Wir haben uns mit den Amerikanern immer gut verständigt. Sie haben sich unseren Bedürfnissen stets rasch und entgegenkommend angepasst. Wir haben gegen die betreffenden Artikel nichts einzuwenden.“68
Wie neueste Forschungsergebnisse zur Binnenwirkung des Marshallplans in Österreich zeigen, geriet die Steuerungspolitik der ECA tendenziell zur „Bevormundung“ und zum „wirtschaftspolitischen Nachhilfeunterricht“, der österreichische Anteil an der ERPPolitik zum „Tanz nach einer ausländischen Pfeife“.69 Inhaltlicher Schwerpunkt dieser Steuerungspolitik, die von der sowjetischen Besatzungsmacht als Instrument zur „Marshallisierung“ gebrandmarkt wurde, lag in der Herstellung eines binnenwirtschaftlichen Gleichgewichtes, gleichzeitig war Washington an einer möglichst umfassenden Westintegration Österreichs interessiert. Die ERP-Strategie der Koinzidenz von nationalem Wiederaufbau und wirtschaftlicher Verflechtung kam jedoch in Österreich nicht in mit anderen Ländern vergleichbarem Maße zum Tragen. Die gegebene Quellenlage lässt jedenfalls offen, in welchem Maße die ECA ihre Einflussmöglichkeiten auch gegenüber der Konzeptualisierung der österreichischen OEEC-Politik wahrnahm. Als Wien ab 1953 seine „Sonderfall“-Stellung und damit sein zurückhaltendes Agieren in der OEEC immer weniger behaupten konnte, hatten die USA ihr europäisches Engagement bereits eingeschränkt: die österreichische OEEC-Politik geriet spätestens damit unter die „Oberaufsicht“ der OEEC. Die „revisionistische“ These, wonach „Österreich in zunehmendem Maße von den USA gezwungen und motiviert wurde, sich in den Westen zu integrieren: politisch zuerst, dann wirtschaftlich“, lässt sich bislang durch die österreichische Aktenüberlieferung nicht bestätigen.70 Am ehesten ist ihr noch auf dem Gebiet der handelspolitischen Abschnürung des Westens gegenüber dem europäischen Osten zu folgen; auf ebendiese Konsequenz der Westin67 Bericht Grubers an den Ministerrat betr. Gliederung der ERP-Organisation, 25. 5. 1948. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1948, 113. Sitzung. 68 BKA/AA an Österreichische Botschaft Paris, 8. 6. 1948. ÖStA/AdR, BMfAA W-pol 1947/48, Telegramme und Akten ohne GZl., Zl. 158.453. Auch Bericht Grubers an den Ministerrat betr. Abkommen zwischen Österreich und USA, 25. 6. 1948. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1948, 118. Sitzung. 69 Vgl. v. a. Wilfried Mährs Aufsätze Der Marshallplan in Österreich: Tanz nach einer ausländischen Pfeife?, in: Die bevormundete Nation, 245–272; Der Marshallplan in Österreich: Wirtschaftspolitischer Nachhilfeunterricht?, in: Zeitgeschichte 15 (1987/87), 91–111. 70 Ardelt/Haas, Die Westintegration Österreichs, 379.
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tegration sollten die seit 1952 erhobenen Forderungen der Sowjetunion nach einer neutralen österreichischen Handelspolitik vorrangig abzielen.71 Am 18. April 1948 hatte Bundeskanzler Figl die Unterzeichnung des OEEC-Vertrages zum Anlass genommen, um zum wirtschaftspolitischen Brückenschlag Österreichs „mit allen unseren Nachbarstaaten, also auch den ostwärts gelegenen“ aufzurufen.72 Die tatsächliche Entwicklung konterkarierte das gewählte Bild von der Drehscheibe Österreich: Die Austauschbeziehungen zwischen Osteuropa und Österreich gingen seit 1947 gegenläufig zur wirtschaftlichen Verflechtung mit dem OEEC-Raum stark zurück. Die RGW-Anteile an der österreichischen Ausfuhr lagen 1950 bei 15,3 %, 1955 bei 9,9 %; auf der Einfuhrseite waren die entsprechenden Werte 12,5 bzw. 9,4 %.73 Die Industrialisierungspolitik der Ostblockstaaten hatte für die bisherigen Exportgüter Österreichs zunehmend weniger Bedarf. Umgekehrt verringerte sich die bislang vor allem auf Agrar- und Rohstoffüberschüssen basierende Exportleistung der östlichen Nachbarn. Strukturelle Ungleichgewichte im Warenaustausch, vor allem hohe Handelsbilanzaktiva Österreichs standen einer Handelsausweitung im Wege, sie zwangen Wien eher zu einer Exportdrosselung. Während wirtschaftspolitische Faktoren einer von Österreich angestrebten Restauration des traditionellen Osthandels entgegenwirkten, verschärften politische Faktoren diese Entwicklung noch zusätzlich. Im Foreign Assistance Act vom April 1948 verknüpfte Washington das ERP mit einem gegen den Osten gerichteten Handelsembargo für strategisch wichtige Güter. Die Handelspolitik wurde damit für den Westen zu einem Instrument des Kalten Krieges.74 Obwohl Österreich dem COCOM, das seit 1949 in enger Verbindung mit der OEEC Exportkontrollen durchführte, nicht angehörte: allein die hohe Abhängigkeit von materieller US-Hilfe ließ Wien kaum eine andere Wahl, als diese Bedingung grundsätzlich zu akzeptieren. Die Beteiligung an diesem Wirtschaftskrieg, der im Januar 1952 durch die amerikanische Battle Bill noch verschärft wurde, forderte nicht selten den hohen ökonomischen Preis nicht erfüllbarer Handelsvertragsverpflichtungen.75 Das Handelsministerium drängte Anfang 1952 Bundeskanzler und Außenminister darauf, 71 Löwenthal (Österr. Gesandter in Washington) an Gruber, 27. 9. 1952, in: Österreich und die Großmächte. Dokumente zur österreichischen Außenpolitik 1945–1955, hrsg. v. Alfons Schilcher (= Materialien zur Zeitgeschichte Bd. 2), Wien/Salzburg 1980, 167–169, hier 168. Vgl. auch die weiteren Gesandtschaftsberichte aus Washington v. 23. 9./26. 9. 1952 und v. 16. 4. 1953, 154–158 bzw. 164–167. 72 Rundfunkrede Figls (Auszug), 18. 4. 1948, in: Der Weg zu Freiheit und Neutralität. Dokumentation zur österreichischen Außenpolitik 1945–1955, hrsg. v. Eva-Marie Czech (= Schriftenreihe der österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und internationale Beziehungen Bd. 10), Wien 1980, 174. 73 Matzner, Trade between East and West, 84. Zum Folgenden ebd., 89 ff. 74 Hierzu allgemein Gunnar Adler-Karlsson, Western Economic Warfare 1947–1967. A Case Study in Foreign Economic Policy (= Stockholm Economic Studies, New Series 9), Stockholm 1968. Zu den Implikationen für Österreich vor allem Mähr, Marshallplan in Österreich, 117 ff.; Einwitschläger, Amerikanische Wirtschaftspolitik in Österreich, 76 ff. 75 Vgl. Memorandum des BKA/AA betr. die Handhabung der österreichischen Exportkontrolle in Verbindung mit der Battle Bill, 27. 2. 1953. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1953, GZl. 71.899, Zl. 74.218.
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„zur Vermeidung solcher in ihrer wirtschaftlichen Auswirkung unabsehbarer Folgen“ bei US-Behörden verstärkt Ausnahmegenehmigungen zu beanspruchen und hierfür eine „entsprechende freundliche Atmosphäre vorzubereiten“.76 Vor seinem USA-Besuch im Mai 1952 musste Figl abwägen: Ein Verzicht auf den Absatz im Osten könne, so das Handelsressort, „vorübergehend gelingen […], wenn man sich zur Zurückstellung ökonomischer Gesichtspunkte entschließt“77. Wenn sich auch notfalls im Westen Ersatzmärkte für Kohlenlieferungen, die mehr als die Hälfte aller Ostimporte ausmachten, finden ließen, so könnte Österreich die zu deren Bezahlung notwendigen Exporterlöse nur zum Teil erwirtschaften, da umgelegte Exporte im Westen einen wesentlich geringeren Gegenwert erzielen würden. Solange österreichische Interventionen, die Embargobestimmungen zu lockern, die Kontinuität der ERP-Hilfe zu gefährden schienen, ging Wien gegenüber amerikanischen Stellen freilich zurückhaltend vor.78 Der staatspolitische Preis dieser Folgeleistung war schwieriger zu berechnen. Je mehr sich Figls Brückenschlag aufgrund der beengten Handlungsspielräume Österreichs als illusorisch erwies, umso mehr Angriffsfläche bot die österreichische Handelspolitik der Sowjetunion. Dass Moskau nicht seinerseits auf Sanktionen, etwa politischer Art, zurückgriff, dürfte eng mit der besatzungspolitischen Situation zusammenhängen. Mit seinem „Loch im Osten“ war Österreich ohnehin Schwachstelle des Embargos: von der sowjetischen Besatzungszone konnten so unkontrolliert nicht nur Embargowaren abfließen.79 Spätestens seit 1953 scheint Wien auch als Reaktion auf gezielte sowjetische Kritik verstärkt darum bemüht gewesen zu sein, die Einseitigkeit seiner Außenhandelsorientierung partiell zu korrigieren.80 Dass die Bundesregierung noch im Februar 1956, als sie die fortgesetzte Einhaltung des Embargos bekräftigte, Loyalität gegenüber der amerikanisch-westeuropäischen Absperrungspolitik bewies, verwundert angesichts dieser Tendenz.81 Es müsste – gesondert für die ERP-Phase und die Phase danach – überprüft werden, inwieweit die Bundesregierung etwaige Embargoverstöße seitens der Industrie zuließ, wenn nicht sogar förderte.
76 Entwurf einer Note des BMH. u. W. an den Bundeskanzler und das BKA/AA, März 1952. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1952, 408/1, GZl. 145.117, Zl. 137.481. 77 Memorandum des BMH.u.W. für Figl, Mai 1952, ebd., Zl. 143.061. 78 Vgl. etwa Memorandum eines Gesprächs Grubers mit Perkins (Assistant Secretary of State for European Affairs), 10. 10. 1950, in: FRUS 1950, vol. IV, 411-415, hier 413; Acheson an US-Gesandtschaft in Wien, 14. 5. 1952, in: FRUS 1952–1954, vol. VII/2, 1749–1751. 79 Hierzu Otto Klambauer, Die USIA-Betriebe. 2 Bde., phil. Diss., Wien 1979. 80 Vgl. Thompson (US-Hochkommissar in Österreich) an Department of State, 30. 7. 1953, in: FRUS 19521954, vol. VII/2, 1875–1877. 81 Bericht Figls an den Ministerrat betr. Anwendung der wirtschaftlichen Embargobestimmungen, 15. 2. 1956, Stiftung Bruno Kreisky Archiv, Mappe Wirtschaft Ost-West-Handel.
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V. Erfolglose Annäherung: Österreich und die EGKS (1951–1955) Die Initiative des französischen Außenministers Robert Schuman vom 9. Mai 1950, die Montanindustrie Frankreichs und Westdeutschlands einer ,Obersten Aufsichtsbehörde‘ zu unterstellen und so den Grundstein einer umfassenderen, auch anderen Ländern offen stehenden Wirtschaftsunion zu legen, blieb innerhalb der Wiener Regierung ohne unmittelbare Reaktion.82 Das „Endergebnis“ der Schuman-Plan-Verhandlungen erweckte im Außenamt „den Eindruck einer starken Verwässerung des ursprünglichen Gedankens. Die Supranationalität der Hohen Behörde steht wohl nur auf dem Papier […].“83 Diese erste Einschätzung des Gründungsvertrags der Montanunion, den die Regierungen Frankreichs, Westdeutschlands, der drei Beneluxländer und Italiens am 18. April 1951 unterzeichneten, war nicht ganz richtig: Die Hohe Behörde war zweifelsohne supranational konzipiert, wenn auch vor allem mit der Schaffung eines Ministerrates nationalstaatlichen Interessen Rechnung getragen wurde. Anders als der Schuman-Plan fanden andere Integrationspläne, die Mitte 1950, also etwa zeitgleich mit Schumans Initiative in der OEEC lanciert wurden, die Unterstützung Österreichs, wenn auch vorrangig aus multilateralen Zwängen.84 Der Plan des französischen Finanzministers Maurice Petsche ausgenommen, der die Schaffung einer Europäischen Investitionsbank vorsah, zielten sie zwar gleichfalls auf sektorale Integration ab, blieben aber, da sie im Unterschied zum Schuman-Plan keinen supranationalen Ansatz verfolgten, in ihrer Reichweite weniger ambitioniert: So schlug der niederländische Außenminister Dirk Stikker vor, einzelne Produktionsbereiche mithilfe eines Integrierungsfonds zu spezialisieren und verstärkt zu liberalisieren. Italien regte die Schaffung von Zollpräferenzzonen an. Zudem 82 Vgl. dagegen hierzu den Beitrag von Angerer. 83 Kurzauszug des Schuman-Planes [richtig: des Montanvertrags, F. W.], 29. 3. 1951, Niederösterreichisches Landesarchiv, Nachlass Leopold Figl, O 130 (= BKA/AA, Zl. 167.146-Wpol/51). Zum Schuman-Plan v. a. Die Anfänge des Schuman-Plans 1950/51. Beiträge des Kolloquiums in Aachen, 28.–30. Mai 1986, hrsg. v. Klaus Schwabe (= Veröffentlichungen der Historiker-Verbindungsgruppe bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften Bd. 2), Baden-Baden 1988. Zur Montanunion immer noch hilfreich William Jr. Diebold, The Schuman Plan. A Study in Economic Cooperation 1950–1959, New York 1959. Zum Aufbau der Sechsergemeinschaft allgemein bes. Ludolf Herbst, Option für den Westen. Vom Marshallplan bis zum deutsch-französischen Vertrag (= Deutsche Geschichte der neuesten Zeit/dtv 4527), München 1989, 74 ff.; Wilfried Loth, Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939–1957 (= Kleine Vandenhoeck-Reihe 1551), Göttingen 1990, 69 ff. 84 Die Integrationspläne Stikkers, Pellas und Petsches bei Milward, Reconstruction of Western Europe, 444 ff. Die österreichische Haltung zum Stikker-Plan, sich „einer Regelung, die von der überwiegenden Mehrzahl der europäischen Staaten anerkannt wird, nicht entziehen“ zu können, unter BMH.u.W. an BKA/AA, 4.7. 1950. ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1950, 101/2–2/5, GZl. 113.093, Zl. 113.093. Vgl. auch: Österr. ERP-Büro Paris an BKA, ZERP, 25. 11. 1950, ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1950, 101/2-3/13, GZJ. 101.181, Zl. 125.186. Zu allen drei Plänen Österr. ERP-Büro Paris an BKA, ZERP, 14. 11. 1950, ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1950, 101/2-3/3, GZl. 102.724, Zl. 120.378.
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bot die Erörterung dieser Pläne in Studiengruppen der OEEC wohl nicht nur Österreich ausreichend Garantie dafür, dass „es sich hierbei vorläufig um mehr oder weniger akademische Arbeiten, die vornehmlich propagandistische Zwecke verfolgen“, handelte.85 Da sich bestätigte, dass der lockere OEEC-Rahmen Ansätzen einer gemeinsamen westeuropäischen Außenwirtschaftspolitik wenig förderlich war, hatte sich aus der Sicht der Sechs der Zuschnitt des Schumanplans auf eine engere Zielgruppe als richtig erwiesen. Österreich war dagegen vor große Probleme gestellt, als sich nunmehr eine kleineuropäische Lösung abzeichnete: Die Montanunion umfasste nicht nur zwei Produktionsbereiche, in denen Österreich stark außenhandelsabhängig war, sondern schloss darüber hinaus mit Westdeutschland und Italien zwei seiner wichtigsten Handelspartner mit ein. Vor allem die Abhängigkeit vom deutschen Markt war extrem hoch. Der OEEC-Raum hatte 1950 Anteile von 50,0 % (1955: 66,8 %) an der österreichischen Einfuhr bzw. 56,7 % (1955: 66,1 %) an der Ausfuhr. Allein aus den sechs Schuman-Plan-Staaten kamen 32,2 % (1955: 52,5 %) des österreichischen Imports; dorthin gingen 37,7 % (1955: 51,1 %). 1952 wurde ein Anteil von 46,4 % (1954: 59,1 %) am gesamten österreichischen Kohle- und Koksimport aus der Montanunion bezogen, alleine 43,2 % (1954: 54,7 %) aus Westdeutschland. Von der gesamten österreichischen Eisen- und Stahlausfuhr wurden 1952 31,5 % (1954: 47,6 %) von der Montanunion abgenommen, alleine 26,1 % (1954: 41,0 %) gingen nach Westdeutschland und Italien.86 Je mehr innerhalb Westeuropas eine wirtschaftliche Blockbildung drohte, umso mehr musste Wien an der möglichst kooperativen Einbindung der Sechs in den größeren OEECWirtschaftsraum gelegen sein. Dies wurde spätestens Ende 1952/Anfang 1953 deutlich, als sich die OEEC mit den handelspolitischen Konsequenzen befasste, die sich aus dem Aufbau eines gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl für den größeren Integrationsverbund ergaben.87 Da ein regionales Präferenzsystem den Marktzugang außenstehender Länder diskriminierte, widersprach es der Liberalisierungspolitik der OEEC. Um überhaupt einen durch eine Außenzollmauer geschützten Gemeinsamen Markt errichten zu können, bedurfte es einer Ausnahmegenehmigung (der Erteilung des sogenannten ,Waiver‘) durch die OEEC. Als Gegenleistung forderten Drittländer, mit einer gewissen Zurückhaltung auch Österreich, von der Montanunion Zusicherungen vor allem hinsichtlich der Kohlenverteilung, der Preisgestaltung und der Einfuhrquoten. Daraus entstand ein Interessenkonflikt, der zum „Bruch zwischen OEEC und Hoher Behörde“ zu werden drohte.88 Das Außenamt nahm deshalb den 85 Österr. ERP-Büro Paris an BKA, ZERP, 14. 11. 1950 (wie Anm. 84). 86 Hildegard Hemetsberger-Koller, Österreich von 1918 bis zur Gegenwart. Teil II, in: Handbuch der Europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Bd. 6, hrsg. v. Wolfram Fischer, Stuttgart 1987, 563–597, hier 582. Detaillierte Angaben in Österreichisches Statistisches Zentralamt, Statistik des Außenhandels Österreichs 1954, Wien 1955. 87 Hierzu Armin Heinrichs, Die auswärtigen Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Insbesondere ihr Verhältnis zur OEEC (= Schriften zur Rechtslehre und Politik Bd. 34), Bonn 1961, bes. 72 ff. 88 „Bruch“: Österr. ERP-Büro Paris an BKA, ZERP, 7. 1. 1953. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1953, 401/14, GZl.
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Vorschlag seines ERP-Büros auf, die Schaffung eines schiedsrichterlichen Verbindungskomitees anzuregen.89 Die gleichzeitige Aufforderung des ERP-Büros, „die Grundfrage […] zu klären, ob Österreich [gegenüber der Montanunion, F. W.] die Stellung eines De-facto-Mitglieds […] anstrebt […] oder ob es günstiger wäre, sich mit der Stellung eines Outsiders zu begnügen“, konnte durchaus als Kritik an diesem Kurs verstanden werden.90 Mit der Begründung der Initiative, „dass Österreich unter den der Montanunion nicht angehörenden Staaten des Kontinentes derjenige ist, der von dessen [sic!] Auswirkungen am stärksten betroffen wird“, hatte sich das Außenamt zwar die wirtschaftliche Lagebeurteilung zu eigen gemacht, zu der die Wirtschaftsressorts gekommen waren.91 Die bisherige Montanunionpolitik Wiens entsprach allerdings bei Weitem nicht den aufgrund dieser Beurteilung geforderten politischen Konsequenzen. Bereits im September 1951 hatte das Handelsministerium nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die Errichtung eines gemeinsamen Kohleund Stahlmarkts zum zentralen Problem der Eisen- und Stahlindustrie Österreichs werden würde. In der Folgezeit bestätigten weitere Studien prinzipiell diese Einschätzung, die die weitere Entwicklung dieses Industriesektors gefährdet sah, wenn von der Montanunion nicht hinreichende Garantien zu erhalten waren, auch in Mangelzeiten eine ausreichende Rohstoffversorgung, vor allem mit Ruhrkohle, zu gewährleisten und im Falle von Überproduk73.553, Zl. 74.223. Unter derselben Signatur die Berichte des Österr. ERP-Büros Paris v. 30. 12. 1952, 8. I. 1953, 13. 1. 1953. 89 Initiative aufgrund interministeriellen Beschlusses v. 20. 1. 1953: BKA/AA an BMH.u.W., 21. 1. 1953, ebd. Vgl. auch Aktenvermerk des BMV.u.v.B., 4. 2. 1953. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. Präs. 1953, GZl. 10.040, Zl. 10.828. 90 Österr. ERP-Büro Paris an BKA, ZERP, 8. 1. 1953 (wie Anm. 88). 91 BKA/AA an Österr. ERP-Büro Paris, 9. 1. 1953. ÖStA/AdR, BMV. u. v. B. Präs. 1953, GZl. 10.040, Zl. 10.409. Zur Einschätzung, dass Österreich „bei Ausschaltung der Montan-Staaten als bei weitem größter europäischer Kohlenimporteur den Kernpunkt der Verteilungsfrage bildet“: Schlumberger (österr. Beobachter beim Europarat) an BKA/AA, 2. 3. 1953. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1953, 401/14, GZl. 73.553, Zl. 76.061. Wirtschaftliche Lagebeurteilungen: Stellungnahme des BMH.u.W. zum Schuman-Plan für Gruber (3 Fassungen), 26. 9. 1951 bzw. undatiert (Oktober/November 1951). ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1951, 124/2–26, GZl. 90.738, Zl. 402.417. Auch ressortinterner Bericht an Verstaatlichtenminister Waldbrunner betr. Änderung der Konkurrenzverhältnisse auf dem Stahlmarkt durch die Bildung des „gemeinsamen Marktes“ der Montanunion, 23. 1. 1953. ÖStA/AdR, BMV. u. v. B. Präs. 1953, GZl. 10.040, Zl. 11.772, der die österreichische Konkurrenzfähigkeit bedroht sieht. Das Memorandum über die Kohlenversorgungslage in Österreich des BMH.u.W., Oberste Bergbehörde, April 1953. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1953, 401/14, GZl. 73.553, Zl. 76.932, spricht von der „Sonderstellung Österreichs im europäischen Kohlenkonzept“. Im Memorandum „Die österreichische Wirtschaft und die Montan-Union“ (Ende April 1953), ebd., Zl. 78.892 kritisierte die Oberste Bergbehörde, dass sich die innerösterreichische Debatte „im Dschungel politischer Spekulationen“ verloren hätte. Das Exposé des BMV. u. v. B. über die Auswirkungen des gemeinsamen Marktes für Stahl auf die österreichische Wirtschaft, unter Berücksichtigung der Rohstoff-Versorgung und der Exportinteressen der österr. Stahlindustrie nach den Mitgliedstaaten der Montanunion (2 Fassungen), 27. 5. 1953. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. Präs. 1953, GZl. 10.040, Zl. 13.454 forderte eine dringende Intervention bei der Montanunion.
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tion nicht durch diskriminierende Maßnahmen die Konkurrenzfähigkeit des österreichischen Exportes einzuschränken. Die Lagebeurteilung fiel auch deshalb so dramatisch aus, weil die Eisen- und Stahlindustrie mit den Verstaatlichungsgesetzen von 1946/47 und dann seit 1948 als Schwerpunkt des ERP-Investitionsprogramms zum Leitsektor der österreichischen Wirtschaft geworden war. Entsprechend eindeutig wie auch übereinstimmend fielen schon 1951 die geforderten politischen Konsequenzen aus: „Vom rein wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen sind die für die österreichische Wirtschaft sich ergebenden Nachteile im Falle des Fernbleibens von der Montan-Union weit größer als die im Falle des Beitrittes sich ergebenden.“
Alle anderen Lösungen als die Beitrittsoption galten danach als wenig zweckdienlich, „sofern man nicht von vornherein die Gewissheit hat, dass die Montan-Union geneigt wäre, Österreich infolge seiner besonderen Lage eine Sonderbehandlung zuzugestehen“.92
Mit der Zielperspektive einer Sonderstellung hatten Außenamt und Wirtschaftsressorts zwar einen gemeinsamen Nenner; die Strategien, wie diese zu erreichen seien, fielen allerdings unterschiedlich aus. Welche Strategie sich durchsetzen konnte, das war nicht unabhängig davon, wieweit sie sich jeweils mit der aktuellen staatspolitischen Lage vertrug. Während der Jahre 1951 und 1952 war die Österreich-Frage durch verschiedene diplomatische Bemühungen Wiens geprägt, die Wiederaufnahme der Staatsvertragsverhandlungen zu bewirken. Der im März 1952 von den Westmächten präsentierte sogenannte ,Kurzvertrag‘ schien dieser „Diplomatie der Insistenz“ zumindest vorübergehend recht zu geben.93 Auch wenn er, da er von Moskau im August 1952 abgelehnt wurde, letztlich in der Staatsvertragsfrage nichts Entscheidendes bewegen sollte, so hatte die Bundesregierung zumindest die Hoffnung an ihn geknüpft, dass das Österreich-Problem von den Alliierten nicht ganz außer Acht gelassen werden würde. In dieser Phase bot sich an, das MontanunionProblem über Verhandlungen mit einzelnen Mitgliedsstaaten zu lösen versuchen. Nachdem die Sechs 1950/51 wegen der laufenden Schuman-Plan-Verhandlungen nicht zu Konzessionen auf dem Eisen- und Stahlsektor bereit waren, nahm Wien deren an Drittländer gerichtetes Angebot an, nach Ratifizierung der Verträge bilaterale Zollverhandlungen im Rahmen des GATT zu führen.94 Niedrige Importzölle auf dem Eisen- und Stahlsektor waren 92 Stellungnahme des BMH.u.W., 3. Fassung (Okt./Nov. 1951)(wie Anm. 91). 93 Bischof, Karl Gruber und die Anfänge des „Neuen Kurses“ in der österreichischen Außenpolitik 1952/53, in: Für Österreichs Freiheit, 143–183, hier 152; Michael Gehler, Kurzvertrag für Österreich und deutsche Frage. Die Stalin-Noten im Lichte der westlichen und österreichischen Staatsvertragsdiplomatie, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 94 Hierzu Bericht Grubers an den Ministerrat betr. GATT-Ergebnisse Torquay, 8. 6. 1951. ÖStA/AdR, Bundesministerium der Finanzen II 1951, Zl. 43.352. BKA/AA an BMH.u.W., 5. 11. 1951. ÖStA/AdR, BMH.u.W.
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eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass Österreich nach dem Wegfall der Binnenzölle innerhalb der Montanunion konkurrenzfähig bleiben konnte. Um die „Lebensmöglichkeit besonders des [traditionell umfangreichen, F. W.] Exportes nach Westdeutschland und Italien“ zu sichern, war man bestrebt, bereits vor Inkrafttreten des gemeinsamen Marktes Zollkonzessionen zu erhalten.95 Analog zur Ausnahmegenehmigung der OEEC mussten sich die Montanunion-Länder, damit ihre regionale Zollunion den Prinzipien eines liberalen Welthandels nicht widersprach, von der Anwendung der unbedingten Meistbegünstigungsklausel befreien lassen.96 Da ihr Verhandlungsangebot auch als Gegenleistung zu verstehen war, stimmte Wien im November 1952 der Erteilung des ,Waivers‘ zu. Die Konzessionsbereitschaft der einzelnen Montanunion-Staaten stieß sehr schnell an Grenzen. Solange das gemeinsame Außenzollniveau nicht festgelegt war, waren sie mit Zollsenkungen eher zurückhaltend.97 Im Juli 1953 konnte Österreich allerdings davon profitieren, dass die bundesdeutsche Regierung von dieser Regel abging und kurz nach Eröffnung des Stahlmarktes ihre Einfuhrzölle für Eisen senkte. Da die Zollsenkung vor allem dem auf den süddeutschen Markt ausgerichteten österreichischen Export zugutekam, warf Frankreich Bonn vor, „Anschlusspolitik“ zu betreiben.98 Hier traf sich jedoch das Interesse Bonns an einer möglichst ungehinderten und umfassenden Handelsintegration in Westeuropa mit dem österreichischen Anspruch, aufgrund seiner politisch exponierten Lage auch eine wirtschaftspolitische Sonderbehandlung zu erfahren. Als Modell hierfür diente in der Regel die Sonderstellung Italiens innerhalb der Montanunion, die Wien allerdings gleichsam informell, also ohne ihre entsprechende Verankerung im Montanvertrag anstrebte. Denn bereits bei Abschluss eines bloßen Zollabkommens mit der Hohen Behörde befürchtete man Schwierigkeiten mit der kontrollrechtlichen Anerkennung durch den Alliierten Rat.99 Da im Zollstreit auch die Hohe Behörde eindeutig Stellung gegen Bonn bezogen hatte, wurde klar, dass Zollabsprachen dieser Art, auch weil sie befristet und kontingentiert waren V 1951, 128/1, GZl. 90.145, Zl. 402.563. BMH.u.W. an BMV.u.v.B., 4. 12. 1951. ÖStA/AdR, BMH.u.W. V 1951, 128/5-3, GZl. 91.991, Zl. 404.372. BMH.u.W. an BKA/AA, 27. 6. 1952. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1952, 428/1, GZl. 130.084, Zl. 149.299. 95 BMV. u. v. B. an BKA/AA, 18. 3. 1952, ebd., Zl. 138.622. 96 Hierzu BKA/AA an BMH.u.W., 5.11. 1951, ÖSIA/AdR, BMH.u.W. V 1951, 128/1, GZl. 90.145, Zl. 402.563. Allgemein Christoph Buchheim, Schuman-Plan und liberale Weltwirtschaft (GATT), in: Die Anfänge des Schuman-Plans, 161–170. 97 Vgl. BMH.u.W. an Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, 24. 12. 1952. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1952, 428/1, GZl. 130.084, Zl. 166.833. 98 Siehe hierzu die unter ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1953, 16. Sitzung liegenden Akten zu österreichisch-deutschen Zollkonsultationen im Juni/Juli 1953. Zum „Anschluss“-Vorwurf die Berichte der Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/AA vom 21. 7. 1953. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. Präs. 1953, GZl. 10.040, Zl. 15.066, vom 30. 7. 1953, ebd., Zl. 15.227 und vom 7. 9. 1953, ebd., GZl. 10.010, Zl. 15.999. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Angerer in diesem Band. 99 Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/AA, 19. 11. 1953, ebd., GZl. 10.010, Zl. 17.786.
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und Bonn zudem nur bedingt „doppelgleisig“ fahren konnte, nicht mehr als eine „Übergangslösung“ sein konnten. Die Konsequenz lag auf der Hand: In Zukunft würde man an der Hohen Behörde als außenwirtschaftspolitischem Akteur nicht vorbeikommen. Bereits ein Jahr zuvor hatten die Errichtung der Hohen Behörde in Luxemburg am 10. August 1952 und die unmittelbar folgende Akkreditierung einer britischen Mission, der bis April 1953 noch jene der USA, Schwedens, Dänemarks, Norwegens und der Schweiz folgten, Wien in Zugzwang gebracht: Im Oktober 1952 begann man dann auch mit den Hauptstädten der Montanunion-Länder und danach auch direkt mit der Hohen Behörde Kontakt aufzunehmen.100 Jean Monnet, dem Präsidenten der Hohen Behörde, war in diesem Zusammenhang freilich nicht klar geworden, ob die Bundesregierung „une association avec la Communauté […] ou seulement une place d’observateur“ anstrebe.101 Vonseiten der Hohen Behörde, die den Assoziierungsverhandlungen mit Großbritannien Vorrang einräumte, wurde Österreich vorerst nicht mehr als ein Beobachterstatus zugesichert.102 Der Regierung war dabei allerdings an einer „Vermeidung jeglicher Publizität“ gelegen.103 Die möglich scheinende Wende in der Österreich-Frage erklärt die vorsichtige und zugleich unentschiedene Haltung Wiens: Im September 1952 hatten österreichisch-sowjetische Diplomatengespräche nähere Aufschlüsse über die strategischen Zielvorstellungen Moskaus gebracht: Danach befürchtete die Sowjetunion nach einer Räumung Österreichs durch die alliierten Besatzungstruppen einen österreichischen Beitritt zum „Atlantikpakt“ und erwartete deshalb von der Wiener Regierung eine „Politik strikter Neutralität“, die „Österreich auch in seinem Außenhandel […] einhalten müsse“.104 Nachdem diese Vorstellungen wenn auch nicht präzisiert, so doch immerhin mehrmals wiederholt worden waren, ließ Ende Mai 1953 ein substanziell neuer Vorschlag der sowjetischen Führung in der Verfahrensfrage die seit April 1953 amtierende neue Regierung Julius Raab aufhorchen: Um dem Abschluss des Staatsvertrages näher zu kommen, wurde der direkte diplomatische Weg, abgelöst von Viermächteverhandlungen, angeboten. Auch wenn die Regierung Gefahr lief, schon erreichte Positionen der Westintegration infrage stellen zu müssen: Die staatspolitische Räson gebot ihr, sich auf diesen sowjetischen Methodenwandel einzulassen und die Chance zu einem „do ut des“ auch aufzugreifen. 100 Sitzung der Hohen Behörde, 7. 10. 1952, Institut für Zeitgeschichte München, Archiv (HZ-Archiv), Microfiche-Teiledition der Akten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, hrsg. v. d. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, MF 6, CEAB 5/47. 101 Monnet an die Mitglieder der Hohen Behörde, 14. 10. 1952, ebd. 102 Hierzu auch Aktennotiz, 20. 1. 1953, BZ-Archiv, MF 6, CEAB 1/1563. 103 Schlumberger an Gruber, 20.2. 1953. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1953, 401/14, GZl. 73.553, Zl. 75.708. Im Dezember 1952, als die Anerkennung der Hohen Behörde durch Österreich in den EGKS-Jahresbericht aufgenommen werden sollte, bestand Wien nachdrücklich auf einer „liaison ,discrete‘“: Reichling an Spierenburg und Balladore, 9. 12. 1952, IfZ-Archiv, MF 6, CEAB 5/47. 104 Hierzu und zur weiteren Entwicklung Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages, 81 ff.; bes. auch Bischof, Karl Gruber und die Anfänge des „Neuen Kurses“, 143–183.
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Aufgrund wirtschaftlicher Interessen war ein weiteres Aufschieben der MontanunionFrage nicht länger zu rechtfertigen. Nach einer schwierigen Annäherungsphase an die EGKS legte die neue Regierung die Schaffung einer ständigen Beobachterdelegation bei der Hohen Behörde am 19. Mai 1953 als die „Grenze des Möglichen“ fest.105 Dass diese „Grenze“ tatsächlich erreicht war, das schien ein Bericht der österreichischen Vertretung in Moskau zu bestätigen. Mit ihren Staatsvertragsinitiativen, so hieß es darin, wolle die Sowjetunion „ein zu ausgeprägtes Interesse Österreichs an der Integration Europas […] bzw. was noch schlimmer wäre, enge politische oder wirtschaftliche Bindungen an Deutschland“ verhindern.106 Mitte 1953, in einer Phase also, in der Wien über verschiedene diplomatische Kanäle die Neutralitätsauffassung Moskaus auslotete, erschien es nicht ratsam, wenn die österreichische Politik gegenüber der Montanunion diese Befürchtungen der Sowjetunion bestätigen würde. Die schwedische Regierung etwa, so wurde aus Luxemburg gemeldet, betrachte „ein festes Verhältnis zur Montanunion […] als mit ihrer Neutralitätspolitik unvereinbar“.107 Wien war zwar nicht bereit, den von der Sowjetunion ins Spiel gebrachten Terminus „Bündnisfreiheit“ anders denn als militärpolitische Neutralisierung zu definieren. Zugleich konnte man weder Moskaus Positionen ignorieren, auch wenn sie mit einer anhaltenden Uneindeutigkeit vertreten wurden, noch über die sich immer deutlicher abzeichnende Verknüpfung von „Bündnisfreiheit“ und Staatsvertrag hinwegsehen. Um zu einer nicht-institutionalisierten Sonderstellung gegenüber der Montanunion zu gelangen, schlug die Bundesregierung Ende 1953 eine neue Strategie ein. Da jede Sonderbehandlung Österreichs aufgrund der Meistbegünstigungsklausel automatisch allen anderen GATT-Vertragsparteien zugutekommen würde, appellierte Österreich an die übrigen Drittländer, auf die strikte Anwendung dieser Regel zu verzichten. Die während der 8. GATTTagung vorgebrachte Forderung nach einem ,special waiver‘ (Ausnahmeregelung) konnte Österreich aber nicht durchbringen.108 Die Hohe Behörde verwies Wien auf den Gesamtkomplex der Drittländerverhandlungen, die der Montanunionvertrag innerhalb der auf fünf Jahre festgelegten Übergangszeit vorsah, und war in diesem Zusammenhang allenfalls bereit, über „das Ausmaß der Rück105 Akkreditierungsansprache Bobleters, 19. 5. 1953, WZ-Archiv, MF 6, CEAB 5/47. 106 Gmoser an BKA/AA, 15. 6. 1953, in: Österreich und die Großmächte, 174–176, hier 175. 107 Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/AA, 14. 8. 1953. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. Präs. 1953, GZl. 10.040, Zl. 15.628. 108 Das Dienstschreiben des BMH.u.W., Oberste Bergbehörde, 16. 9. 1953. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1953, 401/14, GZl. 73.553, Zl. 89.178, weist darauf hin, dass ein interministerielles Komitee eine „Blockbildung mit anderen Drittländern […] in jeder Hinsicht abgelehnt hat“. Zum Vorgehen im GATT: Stellungnahme der österr. Delegation, 5. 10. 1953. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. Präs. 1953, GZl. 10.010, Zl. 16.322. Die Forderung nach einem ,special waiver‘ wurde mit dem argumentativen Winkelzug gestützt: „les autres pays européens ont refusé d’adhérer à la C.E.C.A.; nous, nous le désirerions mais nous ne le pouvons pas, en raison de notre situation internationale“. Aktennotiz für Giretti (Hohe Behörde), 2. 10. 1953, HZ-Archiv, MF 6, CEAB 5/174.
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sichtnahme auf Österreich auf dem Zollsektor“ zu verhandeln; und sie bestand auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit bei den Zöllen, der Liberalisierung auf dem Edelstahlsektor und vor allem den Wettbewerbsbestimmungen.109 Mit der Note, in der am 9. April 1954 die sofortige Aufnahme von Zollverhandlungen, noch vor Eröffnung des gemeinsamen Marktes für Edelstahl, gefordert wurde, sicherte sich Wien zwar einen von den übrigen Drittländerverhandlungen unabhängigen Verhandlungstermin; gleichzeitig schien man die schmale Verhandlungsbasis akzeptiert zu haben.110 Dass damit die Frage der gesamten Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und der Montanunion vom Tisch war, entsprach zwar nicht den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Regierung; die Akzeptanz der Verhandlungsbedingungen der Hohen Behörde dürfte allerdings wegen des enttäuschenden Verlaufs der Berliner Außenministerkonferenz im Januar/Februar 1954 zumindest etwas leichter gefallen sein.111 In Berlin, wo Österreich zum ersten Mal als gleichberechtigter Verhandlungspartner eingeladen war, stand auch die Reichweite einer möglichen österreichischen Neutralität im Brennpunkt: Anders als gegen die von Wien prinzipiell akzeptierte militärpolitische Bündnisfreiheit gab es gegen die inhaltlich weiter gefasste sowjetische Forderung, keine Koalitionen einzugehen, Vorbehalte. Gleichwohl war Wien unter der Bedingung, dass Verträge und Organisationen wirtschaftlicher Natur ausgeklammert blieben und die wirtschaftliche Handlungsfreiheit Österreichs nicht beeinträchtigt werden dürfte, bereit, sich auf Verhandlungen einzulassen. Wenn dann nach dem Scheitern der Berliner Konferenz nach außen hin betont wurde, dass die politische und wirtschaftliche Lage Österreichs einen Verzicht auf die Mitarbeit und Mitgliedschaft in den Organisationen, die ein vereintes Europa anstrebten, unter keinen Umständen zulassen würde, so stimmte das weder mit der Erkenntnis, dass die Bündnisverbotsformel ein Schlüssel zum Staatsvertrag war noch mit der Bereitschaft, für den Vertrag auch einen hohen Preis zu zahlen, ganz überein. Gegenüber der Hohen Behörde hatte Wien nicht damit gerechnet, dass deren Gegenforderungen bereits die erste Verhandlungsrunde über Edelstahlzölle am 3./4. Juni 1954 eröffnen 109 „Ausmaß der Rücksichtnahme“: Bericht Waldbrunners an den Ministerrat betr. Aufnahme der Verhandlungen mit der Montanunion, 6. 4. 1954. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1954, 45. Sitzung. Vgl. auch Bericht Waldbrunners betr. Besprechung mit Vertretern der Montanunion, 19. 1. 1954, ebd., 34. Sitzung; Aufzeichnung der Hohen Behörde über die in § 14 vorgesehenen Verhandlungen, 13. 2. 1954, WZ-Archiv, MF 6. CEAB 5/186. 110 Aktennotiz des BMH.u.W. betr. Intervention bei der Hohen Behörde, 5.4. 1954. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1954, 401/10, GZl. 70.411, Zl. 76.981. Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/AA, 13. 4. 1954, ebd., Zl. 78.228. Vgl. auch Ministerratsbeschluss betr. Verhandlungen mit der Montanunion, 22. 12. 1953. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. Präs. 1953, GZl. 10.040, Zl. 18.332. 111 Kurz vor der Berliner Konferenz waren vom österreichischen Vertreter bei der Hohen Behörde noch folgende zwei Optionen durchgespielt worden: die österreichische Mitgliedschaft bei der Montanunion „dans le cas où les Russes rendraient tonte liberté à l’Autriche“, „une forme particulière d’association […] dans le cas où l’Autriche n’aurait pas toute liberté“. Protokoll der Hohen Behörde, 5. 1. 1954, IfZ-Archiv, MF 6, CEAB 5/174. Zur Berliner Konferenz Stourzh, Geschichte des Staatsvertrags, 120 ff.
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sollten.112 So musste die österreichische Delegation gleich zu Beginn bekennen, mit welch geringer Konzessionsbereitschaft sie nach Luxemburg gekommen war. Die Verhandlungen wurden nach der 3. Runde (13.–22. Juli) abgebrochen, weil Wien über die Gestaltung seiner Edelstahl-Exportpreise – im Sinne einer Garantieerklärung gegen Dumpingpreise – nicht mit sich reden ließ, solange die Hohe Behörde eine Harmonisierung der Außenzölle auf dem erst als Endstufe vorgesehenen Niveau ablehnte und allenfalls Zollsenkungen im Rahmen von Kontingenten anbot. Zum Scheitern der Verhandlungen hatten zwei Fehlkalkulationen der Bundesregierung beigetragen: Sollte gerade die österreichische Strategie der „verhandlungstaktischen Isoliertheit“ der Hohen Behörde ein Entgegenkommen ermöglichen, so sah diese – vor dem Hintergrund der ökonomisch weitaus bedeutenderen Verhandlungen mit Großbritannien und Schweden – in den Zollverhandlungen mit Österreich die Funktion eines Präzedenzfalles.113 Zudem schien Wien das Ausmaß politisch begründeter Rücksichtnahme der ,Sechs‘ gegenüber Österreich überschätzt zu haben. Zwar hatte die Sechsergemeinschaft die „besondere Lage“ Österreichs immer wieder prinzipiell anerkannt; wirtschaftspolitisches Kapital war daraus allerdings kaum zu schlagen. Die österreichische Kritik griff nicht, dass sowohl Forderungen wie Angebote der Hohen Behörde im Widerspruch zur „besonderen Lage“ stünden: Als es um Zölle etc. ging, stach der „Joker“, den Wien mit seinem „Sonderfall“Anspruch ausspielen zu können glaubte, bei den Wirtschaftsbürokraten der Hohen Behörde nicht. Der Ministerratsbeschluss vom 14. Dezember 1954, auf eine Initiative zur Wiederaufnahme der Verhandlungen zu verzichten, setzte dann einen überraschenden vorläufigen Schlusspunkt unter die zweijährigen Bemühungen Österreichs, durch den gemeinsamen Kohle- und Stahlmarkt nicht zu sehr in eine Außenseiterposition gedrängt zu werden.114 Sogar dieses auf einem Tiefpunkt angelangte österreichische Verhältnis zur Montanunion sah das Außenamt im Februar 1955 mit Blick auf die Staatsvertragssituation als gefährdet an:115 Moskau hatte angesichts der Remilitarisierung Westdeutschlands von Österreich verlangt, sich an der Lösung der Frage zu beteiligen, wie die in der sowjetischen Perzeption dadurch wiederauflebende Anschlussgefahr ausgeschaltet werden könnte. Ebenso wurde innerhalb der Regierung befürchtet, dass „man auf russischer Seite darunter auch […] wirtschaftliche 112 Zu den Verhandlungen bes. die Berichte Figls an den Ministerrat betr. Montanunion-Verhandlungen, 1. 6. 1954 und 15. 6. 1954. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1954, 52. und 54. Sitzung und das unter ÖStA/ AdR, BMH.u.W. IV 1954, 401/10, GZl. 70.411, Zl.en 82.487, 83.930, 95.731 liegende Material. 113 „verhandlungstaktische Isoliertheit“ in Aktenvermerk der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft über die am 21. 4. 1954 beim GATT-Exekutivsekretär durchgeführten Vorsprachen. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1954, 401/10, GZl. 70.411, Zl. 80.074. 114 Hinweis auf den Ministerratsbeschluss bei Österr. Delegation bei der Hohen Behörde, 16. 6. 1955. ÖStA/ AdR, BMH.u.W. IV 1955, 401/10, GZl. 200.079, Zl. 213.535. 115 Protokoll des BKA/AA über eine Besprechung Figls, Kreiskys u. a. mit den österreichischen Botschaftern in Moskau, Washington, London, Paris, 28. 3. 1955, in: Österreich und die Großmächte, 250–254, hier 253.
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internationale Institutionen wie die OEEC oder die EPU verstehen könnte“.116 Zu Unrecht: Im April 1955 handelte eine Regierungsdelegation in Moskau eine Kompromisslösung aus. Wien verpflichtete sich im „Moskauer Memorandum“, die immerwährende Neutralität nach Schweizer Muster zu erklären. Als Gegenleistung erklärte sich Moskau zum unverzüglichen Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen bereit. Weil die Westmächte zustimmten, konnte der Staatsvertrag am 15. Mai 1955 unterzeichnet werden. Die Neutralitätserklärung folgte am 26. Oktober 1955.
VI. Die österreichische Lösung: Staatsvertrag und Neutralität trotz Westintegration Für die Wirtschaftsgeschichtsschreibung gingen von der wirtschaftlichen Verflechtung Österreichs mit Westeuropa, die unter dem Vorzeichen der „special case“-Anerkennung stand, hauptsächlich positive ökonomische Effekte aus. Ein lang anhaltender Aufschwung der österreichischen Exportwirtschaft setzte mit dem Jahr 1953 ein, somit gerade in einer Phase, in der Österreich seinen handelspolitischen Protektionismus aufgeben musste und sich gleichzeitig durch den Aufbau der Sechsergemeinschaft diskriminiert sah.117 Die hier angestellte politische Bilanz der österreichischen Integrationspolitik bis 1955 sieht in der Neutralitätserklärung die – wenn auch nur vorläufige – Auflösung des Zielkonfliktes, der zwischen der Politik der Rückgewinnung der staatlichen Souveränität und der Politik der Westintegration bestanden hatte. Dass die Lösungsformel für den Staatsvertrag nicht auf eine unmittelbare Korrektur des eingeschlagenen Integrationskurses abzielte, kann als rückwirkende Bestätigung dieses Kurses gelten, der sich im wirtschaftlichen Bereich von supranationalen Formen und im politischen und militärischen Bereich von allen Formen der Integration fernhielt. Spätestens ab 1952/53, als Moskau die Bedingung eines eigenen österreichischen Beitrags zum Staatsvertrag ins Spiel brachte und damit die Verantwortlichkeit für die Lösung der Österreich-Frage auf eine fünfte Schulter verteilte, lassen sich integrationspolitische Entscheidungen der Wiener Regierung auch als „Vorleistungen“ gegenüber sowjetischen Interessen bewerten. Der „Neue Kurs“ der Staatsvertragspolitik konnte nur dann glaubwürdig und somit erfolgreich sein, wenn er entsprechende Konsequenzen auf integrationspolitischer Ebene hatte. Gegenüber der Montanunion hatten staatspolitische Interessen den eindeutigen Vorrang vor wirtschaftlichen Erwägungen. Wenn es eine „Maximallösung“ österreichischer Integrationspolitik gab, die dann verwirklicht war, wenn eine möglichst weit gehende Integration die Rückgewinnung der Souveränität möglichst wenig gefährdete, 116 Amtsvermerk des BKA/AA betr. die Erklärung Molotows über Österreich, 17. 2. 1955, in: ebd., 236–238, hier 236 f. 117 Etwa Felix Butschek, Die österreichische Wirtschaft im 20. Jahrhundert, Wien/Stuttgart 1985, 119 ff.; Hemetsberger-Koller, Österreich von 1918 bis zur Gegenwart, 572.
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so war sie an der Frage eines Sonderarrangements mit der Montanunion gescheitert. Brüche mit der bis dahin verfolgten Integrationspolitik hatte diese deutliche Anpassung an Staatsvertragsinteressen nicht zur Folge. Die Regierung hatte vielmehr aus nationalem Interesse auch in der Phase vor 1952/53 ihre Integrationspolitik so zu gestalten versucht, dass diese zumindest ein gewisses Maß an „Neutralität“ antizipierte.118 Für die Fortsetzung der Integrationspolitik konnte die Rolle, die Moskau beim Zustandekommen der österreichischen Neutralität gespielt hatte, zu einer Hypothek werden. Auch wenn der Neutralitätsstatus Österreichs explizit nur militärpolitisch definiert war: Die österreichische Lesart der Neutralität musste berücksichtigen, dass gerade die Verhinderung einer zu weit gehenden Westintegration ein strategisches Hauptziel war, das Moskau mit seiner Österreich-Politik verfolgt hatte. So stellt sich die Frage, wie Wien in der ersten Folgezeit seine integrationspolitischen Handlungsspielräume definierte und welcher Kurs mit dem neuen außenpolitischen Instrumentarium, das die völkerrechtlichen Grundlagen vorgaben, als gangbar eingeschätzt wurde.
VII. „Nachholbedarf“ in Sachen Westeuropa: Der Beitritt zum Europarat 1956 Als die Frage eines österreichischen Europaratbeitritts am 21. Februar 1956 im Ministerrat behandelt wurde, hatte sie im Vorfeld nicht unbeträchtliche Irritationen innerhalb der Regierungskoalition ausgelöst.119 Am 18. Januar war Wien vom Europarat – auf Drängen der österreichischen Beobachter – aufgefordert worden, die Vollmitgliedschaft zu beantragen. Die parteipolitische Kontroverse über die Beitrittsfrage entzündete sich auch an der skeptischen, eher ablehnenden Einstellung Raabs. Er hielt nicht nur den Zeitpunkt einer derartigen Entscheidung für zu früh gewählt. Knapp drei Monate nach der Neutralitätserklärung lagen bei einem Abweichen vom „Schweizer Muster“ – Bern trat dem Europarat erst 1963 bei – erste Auseinandersetzungen über die Interpretation der Neutralität mit der Sowjetunion auf der Hand. Genau dies wollte Raab vermeiden, zumal er noch hoffte, Moskau zur partiellen Zurücknahme bestimmter wirtschaftlicher Lasten, die mit dem Abzug der sowjetischen Besatzungsmacht verbunden waren, bewegen zu können. Da Raab nicht daran gelegen war, dass eine integrationspolitische Richtungsentscheidung, wie sie ein Europaratbeitritt Österreichs war, zum Wahlkampfthema werden würde, gab er dem innenpolitischen Druck nach. Außenminister Figl überprüfte daraufhin, welche 118 Zur Entwicklung des österreichischen Neutralitätsgedankens seit 1945 Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages, 98–111. 119 Hierzu Burtscher, Österreichs Annäherung an den Europarat, 46–52; Thomas Nowotny, Immerwährende Neutralität, der Europarat und Österreichs Europapolitik – Überlegungen aus Anlass der 30-jährigen Mitgliedschaft Österreichs beim Europarat, in: Österreich im Europarat 1956–1986, 89–110, hier 92 ff.
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Verbindungen zwischen Europarat und der WEU bzw. NATO bestanden. In der ersten Hälfte der 50er-Jahre hatte der Europarat das Projekt der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) gefördert und sich damit heftiger Kritik Moskaus ausgesetzt. Wien dürfte hier die Funktion des Europarats überschätzt haben. 1956 war die Phase, in der die Straßburger Organisation die ihr eigentlich zugedachte Rolle als treibende Kraft der politischen Vereinigung der westeuropäischen Staaten zumindest partiell erfüllen konnte, längst vorbei. Da Figls Prüfung dem Europarat keinen militärischen Charakter attestieren konnte, konnte die Beitrittsfrage am 21. Februar 1956 den Ministerrat passieren. Das Kommuniqué zu dieser Entscheidung räumte neutralitätsrechtliche Bedenken aus. Der Beitritt, der am 16. April 1956 erfolgte, konnte der politischen Öffentlichkeit als eindeutiges Bekenntnis Österreichs zur europäischen Idee präsentiert werden.
VIII. Standortsuche: Klein- oder großeuropäische Integration? Das Verhältnis Österreichs zur Montanunion war dagegen Anfang 1956 nach der Einschätzung der VdU-Parlamentsfraktion für viele Politiker „kein aktuelles Problem“. Die parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung, ob sie „den Beitritt Österreichs zur Montanunion für die Zukunft unserer Montanindustrie als eine Notwendigkeit erachtet“, blieb ohne Antwort.120 Dabei hatte die österreichische Delegation in Luxemburg während der zweiten Jahreshälfte 1955 „ein gewisses Abgehen der Montanunion von ihrer bisher starren Politik Drittländern gegenüber“ festgestellt.121 Seit dem Fehlschlag der militärischen Integration konzentrierte die Sechsergemeinschaft ihre Integrationsbemühungen verstärkt auf den wirtschaftlichen Bereich. Parallel zur Erweiterung der sektoralen Integration verstärkte sich das Interesse der Sechs an ihren Beziehungen zu Drittländern. In diesem Zusammenhang kam dem Assoziationsabkommen der Montanunion mit Großbritannien vom Dezember 1954 und den 1955 mit der Schweiz aufgenommenen Verhandlungen über ein Konsultationsabkommen Signalfunktion zu.122 Gleichwohl blieb für die österreichische Vertretung in Luxemburg die Order aufrecht, auf Angebote nicht einzugehen.123 120 Stenographische Protokolle des Nationalrates, VII. G. P. (1953–1956), Beilagen, Anfrage 445/J. Zur Rolle des WdU bzw. der FPÖ vgl. den Beitrag von Höbelt in diesem Band. 121 BKA/AA an BMH.u.W., 27. 5. 1955. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1955, 401/10, GZl. 200.079, Zl. 210.464. Ebenso BKA/AA an BMH.u.W., 17. 12. 1955, ebd., Zl. 221.172. 122 Hierzu Diebold, Schuman-Plan, 506 ff. 123 Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/AA, 18. 11. 1955, ÖSIA/AdR, BMH.u.W. IV 1955, 401/10, GZl. 200.079, Zl. 220.327. Zu einem vom BKA/AA abgelehnten Angebot der Schweiz, zwischen der Montanunion und Österreich zu vermitteln, siehe Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/ AA, 16. 6. 1955, ebd., Zl. 213.535 und BKA/AA an Österr. Delegation bei der Hohen Behörde, 11. 7. 1955, ebd.
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Bestärkt durch den „moralischen Erfolg“, den man während der GATT-Runde 1954/55 verbuchen konnte, als die übrigen Drittländer die österreichische Kritik an der Verhandlungspolitik der Montanunion mittrugen, sah die Regierung nunmehr im GATT-Rahmen die Möglichkeit für die „Kleinstaaten […], den wirtschaftlichen Großmächten ebenbürtig gegenüber zu treten“.124 Die GATT-Zollsenkungsrunde als Verhandlungsrahmen sollte dabei sicherstellen, dass nicht die 1954 gescheiterten Verhandlungen fortgesetzt würden, sondern dass sich neu über Zölle verhandeln ließ, ohne dass gleichzeitig Zugeständnisse auf dem Preissektor gemacht werden müssten.125 Die geforderten Zollsenkungen sollten bilaterale Verhandlungen mit einzelnen Montanunion-Mitgliedsländern bringen, würde doch der Meistbegünstigungsmechanismus die Zollkonzessionen gleichsam hochschaukeln. Vor allem aber ging es um den Zugang zum italienischen Markt, der sich umso schwieriger gestaltete, je mehr die Eisen- und Stahlindustrie Italiens in den gemeinsamen Markt integriert wurde. Da der österreichische Verhandlungsplan die innere Kompetenzstruktur der Montanunion missachtete, musste Wien – genau das hatte man vermeiden wollen – während der 10. GATT-Tagung, die 1955 in Genf begann, seine Zollsenkungsforderungen unmittelbar an die Montanunion stellen.126 Die Hohe Behörde spielte erneut die Schwerfälligkeit der supranationalen Entscheidungsstrukturen aus, indem sie sich hinter ihr Verhandlungsmandat von 1954 zurückzog. Zwar war es ihr nicht gelungen, „Luxemburg zum Haupt-, Genf aber zum Nebenschauplatz zu machen“, aber sie hatte den für die Verhandlungen entscheidenden Kompromiss erreicht.127 Anfang Dezember 1955 gab Wien der Hohen Behörde die prinzipielle Zustimmung, parallel zur Zollrunde über eine Garantieklausel gegen Dumpingpraktiken und die Festlegung eines Schlichtungsverfahrens zu verhandeln.128
124 „Moralischer Erfolg“: Bericht Figls an den Ministerrat betr. 9. GATT-Tagung, 15. 3. 1955. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1955, 84. Sitzung. „Kleinstaaten“: Bericht Figls an den Ministerrat betr. Revision des GATT-Abkommens, 26. 6. 1956. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1956, 136. Sitzung. Figl bezeichnete hier das GATT neben der OEEC als „das wichtigste internationale Wirtschaftsforum“ für Österreich. 125 Hierzu BKA/AA an BMH.u.W., 10. 11. 1955. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1955, 401/10, GZl. 200.079, Zl. 219.379. Verbalnote der Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an die Hohe Behörde, 14. 11. 1955, ebd., Zl. 219.885. Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/AA, 21. 11. 1955, ebd., Zl. 220.232. Ostern GATT-Delegation an BKA/AA, 23. 11. 1955, ebd., Zl. 220.293. 126 GATT Tariff Negotiations 1956: List of Requests which Austria presents to the High Authority of the EGKS, 26. 1. 1956. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1956, 426/6, GZl. 150.004, Zl. 151.967. 127 Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/AA, 15. 11. 1955. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1955, 401/10, GZl. 200.079, Zl. 219.885. Vgl. auch Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/AA, 10.12. 1955, ebd., Zl. 221.077. BKA/AA an BMH.u.W., 15. 12. 1955, ebd. Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/AA, 19. 12. 1955. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1956, 426/6, GZl. 150.004, Zl. 150.802. 128 Bericht Figls an den Ministerrat betr. GATT-Verhandlungen Österreich–Montanunion, 24. 12. 1955. ÖStA/ AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1955, 116. Sitzung. BKA/AA an BMH.u.W., 17. 1. 1956, OStA/AdR, BMH.u.W. IV 1956, 401/10, GZl. 150.018, Zl. 150.785. Amtsvermerk des BKA/AA über interministerielle Besprechung, 18. 1. 1956. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1956, 426/6, GZl. 150.004, Zl. 151.150.
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Die Mandatsgebundenheit der Hohen Behörde ließ keine flexible Verhandlungsführung zu. So konnte sie – wie von Österreich gefordert – von den Regierungen der Mitgliedsstaaten nicht verlangen, bereits in der Mitte der Übergangsperiode auf das als Endstufe vorgesehene Zollniveau zu gehen. Österreich sah sich gezwungen, wollte es den Abschluss eines Zollabkommens nicht gefährden, vom bislang abgelehnten Junktim zwischen Stahlkonzessionen der Hohen Behörde und eigenen Zugeständnissen auf anderen Sektoren abzugehen.129 Anders als ein „Ausgleich Stahl gegen Stahl“ waren diese vor allem für Frankreich und Italien interessant. Die Zolltarife, die Österreich im Abkommen vom 8. Mai 1956 schließlich akzeptieren musste, waren kaum eine wesentliche Verbesserung der Angebote von 1954.130 Das Abkommen über eine Antidumpingklausel und die Einrichtung einer ständigen Gemischten Kommission zur Überprüfung von Fällen umstrittener Preiserstellung ergänzten das Zollabkommen. Die Bewertung dieser Verhandlungsergebnisse fiel auf beiden Seiten unterschiedlich aus. Während die Hohe Behörde das Abkommen als „le point de départ de relations plus suivies“ zwischen der Montanunion und Österreich bezeichnete, maß ihm Figl zwar „auch politische Bedeutung“ zu, da „nach einer Periode des Misstrauens“ nunmehr für eine weitere Zusammenarbeit „eine günstige Atmosphäre“ geschaffen sei.131 Bei kritischer Betrachtung, vor allem bei einem Vergleich mit dem am 7. Mai 1956 zwischen der Hohen Behörde und der Schweiz abgeschlossenen Abkommen, das bei Engpässen gegenseitige Konsultationen über die Rohstoffversorgung vorsah, mussten die Defizite des Erreichten nur allzu offenkundig sein.132 War Figls Ankündigung am 23. Oktober 1956, die Bundesregierung erwäge den Beitritt zur Montanunion, demnach die Konsequenz einer kritischen Einschätzung? Der Zeitpunkt dieser Stellungnahme, die Raab tags darauf während seines Staatsbesuchs in Bonn bestätigte, verwundert, zumal Wien gerade darangegangen war, die Rohstofffrage mit den im September 1956 aufgenommenen Transporttarifverhandlungen mit der Hohen Behörde zu verknüpfen.133 Darüber hinaus hatte die Haltung der Bundesregierung gegenüber den jüngs129 Verhandlungen unter ebd., Zlen. 151.736, 152.241, 152.845, 152.933, 153.760, 153.906, 153.927, 154.761, 155.517, 155.862. 130 Zum Verhandlungsabschluss ebd., Zl. 157.316. Zu den Abkommen Bericht Figls an den Ministerrat betr. Montanunion; Preisformel (mit Beilagen), 5. 7. 1956. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1956, 2. Sitzung. 131 Die Einschätzung der Hohen Behörde bei Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/AA, 8. 6. 1956. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1956, 401/10, GZl. 150.018, Zl. 158.024. Spierenburg etwa soll „im siebenten Himmel“ gewesen sein: Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/AA, 26. 5. 1956, ebd., Zl. 157.450. Zu Figls Bewertung sein Bericht an den Ministerrat betr. Ergebnisse der 4. GATT-Zolltarifkonferenz, 7. 6. 1956. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1956, 134. Sitzung. 132 Vgl. Aktenvermerk über interministerielle Besprechung v. 21. 6. 1956 betr. schwebende Probleme zwischen Österreich und der Montanunion. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1956, 401/10, GZl. 150.018, Zl. 159.113. Zum Abkommen mit der Schweiz Diebold, Schuman Plan, 515–519. 133 Figls Erklärung in: 10 Jahre österreichische Integrationspolitik 1956–1966. Eine Dokumentation des Bun-
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ten Fortschritten der kleineuropäischen Integration nirgends Anzeichen eines österreichischen Konzeptionswandels erkennen lassen. Im Gegenteil: sie hatte sich eher den Tendenzen einer Politik des Brückenschlags zwischen kleineuropäischer und großeuropäischer Integration angeschlossen, die diese Fortschritte begleiteten. Kurz nach dem Abkommen mit der Montanunion stellte das Außenamt klar, dass „im Hinblick auf den politischen Status Österreichs an einen Beitritt zum Gemeinsamen Markt nicht gedacht werden kann“.134 Die Außenministerkonferenz von Venedig (29./30. Mai 1956) gab den unmittelbaren Anlass hierzu. Dort hatten die Sechs nicht nur den seit Ende 1954 schwelenden Konzeptionsstreit zwischen Anhängern einer sektoralen bzw. einer gesamtwirtschaftlichen Integration per Kompromiss beigelegt, indem sie entscheidende Schritte zur gleichzeitigen Schaffung eines gemeinsamen Marktes und einer Atomgemeinschaft, die nach dem Modell der Montanunion supranational organisiert sein sollten, setzten.135 Die Konferenz schien nach einer Phase einer uneinheitlichen Drittländerpolitik der Sechsergemeinschaft größere Klarheit in die Frage ihrer Abgrenzung nach außen hin zu bringen. Nachdem die Montanunion schon offensichtlich darum bemüht war, die Kluft zu Außenseitern nicht zu groß werden zu lassen, ging das Kommuniqué der Außenministerkonferenz sogar so weit, den Beitritt bzw. die Assoziation von Drittländern nicht nur als möglich, sondern ausdrücklich als erwünscht zu bezeichnen.136 Kurz danach schränkte Paul-Henri Spaak diese Einladung ein, indem er es der Initiative interessierter OEECStaaten überließ, an den Regierungsverhandlungen der Sechs, die dann im März 1957 mit der Paraphierung der Römischen Verträge enden sollten, „als gleichberechtigter Partner teilzunehmen“.137 Spaaks Hinweis, dass „Österreich und die Schweiz die Voraussetzungen für einen allfälligen Beitritt zum Gemeinsamen Markt am ehesten erfüllen“, blieb in Wien nicht ohne Resonanz. So wurde vorübergehend in Erwägung gezogen, einen Beobachter zu den Verhandlungen abzustellen; gleichzeitig sollte ein derartiger Schritt mit anderen Drittländern, besonders mit Schweden und der Schweiz, koordiniert werden.
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desministeriums für Handel und Wiederaufbau, Wien 1966, 14; siehe auch Die Presse und Wiener Zeitung, jeweils vom 24. 10. 1956. Raabs Erklärung bei Hanns Jürgen Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Baden-Baden 1982, 486 f. Zu den Transporttarifverhandlungen Bericht Figls an den Ministerrat betr. Transporttarifverhandlungen mit der Hohen Behörde, 29. 8. 1956. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1956, 5. Sitzung. Auch Aktennotiz des BMH.u.W. betr. Frage eines evtl. Konsultativabkommens, 3.9. 1956. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1956,401/10. GZl. 150.018, Zl. 161.756; Aktennotiz des BMH.u.W., 7. 9. 1956, ebd., Zl. 161.969. Erlass v. 5. 6. 1956 in Österr. Delegation bei der Hohen Behörde an BKA/AA, 7.7. 1956, ebd., Zl. 160.191. Zur Erweiterung der Montanunion siehe Herbst, Option für den Westen, 159–193 und Loth, Weg nach Europa, 113–133. In BKA/AA an BMH.u.W., 17. 12. 1955. ÖStA/AdR, BMH.u.W. TV 1955, 401/10, GZl. 200.079, Zl. 221.496 wird noch berichtet, dass Spaak dagegen sei, die Integrationsinteressen der Sechs „durch Einbeziehung dritter Staaten zu verwässern und auf einen kleinen gemeinsamen Nenner zu reduzieren“. Zu Venedig BKA/AA an BMH.u.W., 23. 6. 1956. ÖStA/AdR, IV 1956, 401/10, GZl. 150.018, Zl. 159.297. BKA/AA an BMH.u.W., 11. 6. 1956. ÖStA/AdR, BMH.u.W. IV 1956, 401/3, GZl. 150.084, Zl. 157.841.
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Wien wahrte jedoch die Kontinuität seiner Politik gegenüber der Sechsergemeinschaft, indem es Lösungen vorzog, die zwischen den klein- und den großeuropäischen Integrationsgebilden vermittelten. So hatte sich das Bundeskabinett bereits Anfang Juni 1955, nachdem die Außenministerkonferenz der Sechs in Messina (1.–3. Juni 1955) die ersten konkreten Schritte zur Erweiterung der Kohle- und Stahlgemeinschaft setzte, ohne dass zu diesem Zeitpunkt entschieden war, ob sich die Anhänger einer sektoralen oder die einer damit konkurrierenden gesamtwirtschaftlichen Integration würden durchsetzen können, für den Verbleib der für eine Teilintegration ins Auge gefassten Sektoren Energie und Verkehr im Kompetenzbereich der OEEC ausgesprochen.138 Diesem Interesse an einer ungehinderten wirtschaftlichen Zusammenarbeit kam der im Dezember 1955 vorgelegte OEEC-Plan einer Zusammenarbeit der Europäer auf dem Gebiet der Atomenergie entgegen, zumal er auch von den Mitgliedsstaaten der Sechs unterstützt wurde.139 Als das Scheitern des OEECAtomprojektes abzusehen war, verzichtete Österreich allerdings darauf, „der Verwirklichung von Euratom im Hinblick auf die engen Wirtschaftsbeziehungen Österreichs mit der Montanunion Schwierigkeiten zu bereiten“.140 Trotz des Misserfolges einer großeuropäischen Lösung auf dem Atomenergiesektor, der das Interesse Wiens an der „Einladung“ Spaaks für die Regierungsverhandlungen der Sechs rechtfertigte, maß Figl der anstehenden OEEC-Ministerratstagung bereits im Voraus eine „besondere Bedeutung für die zukünftige Orientierung der europäischen Wirtschaftspolitik“ bei.141 Mit dem am 18. Juli 1956 vom OEEC-Generalsekretariat lancierten Vorschlag einer europäischen Freihandelszone gewann die Idee der großeuropäischen Integration erneut an Attraktivität. Die überwiegend positive Aufnahme dieses Projekts gab Figl recht.142 Der Plan schlug die Überwölbung des kleineuropäischen Marktes durch eine Zollunion der OEEC vor. Damit bot er die Chance, die von den Sechs angebotene Assoziierung von Drittländern auf breitester Basis zu verwirklichen. Aufgrund der Sympathien, die dem Projekt auch im Kreise der Sechs entgegengebracht wurden, begann die OEEC-Arbeitsgruppe, die die Möglichkeiten einer derartigen Assoziierung überprüfte, mit aussichtsreichen Perspektiven. 138 Ministerratsbeschluss, 1. 6. 1955. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1955, 94. Sitzung. Eine Stellungnahme des Ministerrates zum Projekt des Gemeinsamen Marktes ist hier nicht überliefert. 139 Bericht Figls an den Ministerrat betr. OEEC-Ministerrat Febr. 1956, 2. 3. 1956. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1956, 124. Sitzung. Zum OEEC-Plan v. a. Peter Weilemann, Die Anfänge der Europäischen Atomgemeinschaft. Zur Gründungsgeschichte von Euratom 1955–1957, Baden-Baden 1983, 59–62. 140 Bericht Figls an den Ministerrat betr. OEEC-Ministerrat am 17./18. Juli 1956, 4. 7. 1956. ÖStA/AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1956, 2. Sitzung. 141 Ebd. 142 Bericht Figls an den Ministerrat betr. OEEC-Ministerrat 17.–19. Juli 1956, 20. 7. 1956, ebd., 4. Sitzung. Zum Freihandelszonen-Projekt immer noch Karl Kaiser, EWG und Freihandelszone. England und der Kontinent in der europäischen Integration (= Europäische Aspekte Reihe C, Nr. 15), Leiden 1963; auch Küsters, Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 280–294.
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Dadurch und durch Figls und Raabs Erwägungen eines österreichischen MontanunionBeitritts zusätzlich angestoßen, setzte sich die österreichische Wirtschaft zwischen Herbst 1956 und Frühjahr 1957 verstärkt mit ihrem zukünftigen Standort inner- bzw. außerhalb der verschiedenen westeuropäischen Integrationsgebilde auseinander.143 Die Studien, die die österreichische Wirtschaft auf ihre jeweilige „Tauglichkeit“ für einen Beitritt zur Montanunion, zur EWG bzw. zur Freihandelszone untersuchten, ergaben im Ganzen kein einheitliches Meinungsbild. Pro und Kontra hielten sich in etwa die Waage. Der Entscheidungsprozess der Regierung wurde jedoch unerwartet abgekürzt: Die Auswirkung, die der ungarische Aufstand und seine Niederschlagung durch Truppen der Roten Armee in den letzten Oktobertagen 1956 auf Österreich hatte, verhinderten vorerst den Einstieg in eine konzeptionelle Diskussion.144 Moskau kritisierte die eindeutig proungarische Haltung Wiens als Verletzung der Prinzipien der österreichischen Neutralität. Obschon derartige Vorwürfe zurückgewiesen wurden, schien ein Verzicht auf integrationspolitische Experimente ratsam. Eine Vorlage für Raab versuchte die Koordinaten eines zukünftigen österreichischen Integrationskurses zurechtzurücken: „Ein Anschluss Österreichs an den Sechserblock, der doch noch immer als Waffenschmiede der westlichen Hemisphäre gilt, (wäre) wegen der Reaktion Russlands vom politischen Standpunkt wohl zu überlegen.“145
Eine Steigerung des Osthandels, der durch die eigene wirtschaftliche Zusammenarbeit des Ostens ohnehin Grenzen gesetzt wären, würde die Abhängigkeit der österreichischen Exportwirtschaft über ein politisch wünschenswertes Maß hinaus erhöhen. Raab wurde ein Engagement für die Freihandelszone nahegelegt, zumal das Projekt, seitdem Großbritannien seine bislang indifferente Haltung aufgegeben hatte, seiner Verwirklichung ein gutes Stück näher gekommen war. Im Januar 1957 nahm die Bundesregierung mit der Mehrheit der OEEC den Expertenbericht an, der die Schaffung einer Freihandelszone unter Einschluss der Zollunion der Sechs als technisch machbar einschätzte.146 Zum Auftakt der Verhandlungen, die im Februar 1957 auf dessen Grundlage begannen, griff Figl auf ein bewährtes Instrument der österreichischen 143 Hierzu 10 Jahre österreichische Integrationspolitik 1956–1966. Eine Dokumentation des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau, Wien 1966, 15 ff. 144 Vgl. Rainer Eger, Krisen an Österreichs Grenzen. Das Verhalten Österreichs während des Ungarnaufstandes 1956 und der tschechoslowakischen Krise 1968. Ein Vergleich, Wien/München 1981, bes. 31–72; Manfried Rauchensteiner, Spätherbst 1956. Die Neutralität auf dem Prüfstand, Wien 1981. 145 Information Augenthalers (Sektionschef im BMH.u.W.) für Raab, 29. 10. 1956, Archiv der Bundesparteileitung der ÖVP, BPL 164/20. 146 Bericht Figls an den Ministerrat betr. Schaffung einer europäischen Freihandelszone, 17. 1. 1957. ÖStA/ AdR, BMV.u.v.B. MR-Material 1956–57, 23. Sitzung.
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Integrationspolitik, die Beanspruchung eines „Sonderfall“-Status, zurück.147 Die Forderung nach europäischer Solidarität wurde dabei ausschließlich mit Schwierigkeiten einer wirtschaftspolitischen Anpassung an den westeuropäischen Wirtschaftsraum begründet. Eine staatspolitische Begründung der „Sonderfall“-Anerkennung ließ sich nicht geltend machen; die Teilnahme an der Freihandelszone stieß auf keine neutralitätsrechtliche Bedenken Moskaus. Im Gegenteil: mit der Forderung nach der Schaffung einer starken Organisationsstruktur der FHZ ließen sich nach den Ereignissen in Ungarn laut gewordene Befürchtungen auffangen, die Österreich neben der Schweiz ohne blockpolitische Anlehnung sahen. Am 1. Januar 1958 traten die Römischen Verträge in Kraft. Der Brückenschlag der Sechs zu den übrigen Westeuropäern scheiterte jedoch. Die Konvention der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) wurde am 4. Januar 1960 nur von Großbritannien, Österreich, der Schweiz, Portugal, Schweden, Norwegen und Dänemark unterzeichnet.
147 Bericht Figls an den Ministerrat betr. Ergebnisse der OEEC-Ratstagung am 12./13. Februar 1957, 16.2. 1957, ebd., 27. Sitzung. Rede Figls vor dem OEEC-Ministerrat, 12. 2. 1957, ebd.
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„Eine solche Sache würde der Neutralitätspolitik ein Ende machen“ Die österreichischen Integrationsbestrebungen 1961–19721
I. Grundlagen Der zäh verfolgte und letztlich erfolgreich beschrittene Weg zum österreichischen Staatsvertrag bewies Ausdauer und Fingerspitzengefühl der handelnden österreichischen Politiker und Diplomaten der frühen 50er-Jahre, welche daneben auch den westeuropäischen Integrationsprozess nicht außer Acht ließen und diesen nicht durch völliges Abseitsstehen Österreichs verlaufen lassen wollten. Neben primär ökonomischen Überlegungen waren es Großraumdenken aus der Zeit der Habsburgermonarchie und ein historisch motiviertes „europäisches Bewusstsein“ österreichischer Politik, welche danach verlangten, an der westeuropäischen Einigung teilzuhaben. Nach 1945 prägten dann aber vor allem Fragen der Wirtschaft immer stärker den diplomatisch-politischen Bereich und provozierten „Handlungsbedarf“. Österreich war jedoch im Zeichen des sich besonders auf ökonomischer Ebene formierenden Westeuropas durch seinen Neutralitätsstatus nach 1955 in einer prekären Position. Kein Geringerer als der spätere Außenminister und Bundeskanzler Bruno Kreisky stellte in diesem Zusammenhang bei den Europagesprächen in Wien am 20. Juni 1958 scharfsinnig fest: „Es mag in diesem Zusammenhang des Nachdenkens wert sein, zu untersuchen, ob nicht wirtschaftliche Rückständigkeit und gehemmte wirtschaftliche Entwicklung zu wirtschaftlicher Abhängigkeit führen kann [sic!], die letzten Endes einen Staat an der wirkungsvollen Vertretung seiner Souveränität verhindern. Steigende wirtschaftliche Prosperität als Folge einer verstärkten europäischen Integration kann jedenfalls mehr zur Unabhängigkeit eines Staates beitragen als wirtschaftliche Unterentwicklung.“2
Diese Bemerkung Kreiskys schien bereits die Zielsetzung österreichischer Integrationsbestrebungen der 60er-Jahre zu antizipieren, wodurch dieser eine nicht ungeschickt argumen1 Diese Arbeit fußt u. a. auf der ausführlicheren Darstellung von Stephan Hamel, Die Geschichte der österreichischen Integrationsbestrebungen 1961–1972, Diplomarbeit, Universität Wien 1986. Für viele Hinweise auf wichtige Dokumente und Anregungen danke ich Michael Gehler. 2 Bruno Kreisky, Reden, Bd. I, Wien 1981, 6.
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tierende Legitimation mit auf den Weg gegeben war. Diese Politik basierte freilich auf Gegebenheiten, die bereits vor 1955 zugrunde gelegt wurden. Mit der im April 1948 gegründeten OEEC hatte Österreich als eines der sechzehn Gründungsmitglieder einen Schritt in eine klar definierte Richtung getan, die da hieß: wirtschaftliche Zusammenarbeit und Handelsliberalisierung in Europa. Neun Jahre später, als die Römischen Verträge am 25. März 1957 unterzeichnet wurden und am 1. Januar 1958 Euratom und EWG in Kraft traten, waren Österreichs außenpolitische Dispositionen durch jene Option von 1948 determiniert. Hinzugekommen war nun aber noch das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs, welches am 26. Oktober 1955 vom Nationalrat beschlossen worden war und eines der Grundelemente der österreichischen Außenpolitik bilden sollte.3 In den Ausführungen des damaligen Bundeskanzlers Julius Raab hieß es, dass dieses Gesetz zunächst nur im Bereich zwischenstaatlicher Beziehungen Verpflichtungen mit sich bringe, keine jedoch auf wirtschaftlicher oder kultureller Ebene. Die völkerrechtlichen Grundlagen der österreichischen Neutralität waren u. a. durch die ausdrückliche Akzeptanz bzw. widerspruchslose Zurkenntnisnahme der Staatengemeinschaft bestimmt. Die Teile 5 und 13 des von den Großmächten anerkannten Haager Abkommens von 1907 sind als wesentliche Grundlage des Neutralitätsrechts zu verstehen. Darin wurden Rechte und Pflichten der Neutralen im Falle eines See- oder Landkrieges festgelegt. Demnach waren in Friedenszeiten auch keine Bindungen mit anderen Staaten einzugehen, welche im Kriegsfalle zu neutralitätswidrigem Verhalten hätten führen können. Die in der Haager Ordnung verankerten Neutralitätsrechte waren mit dem Artikel 113 des EWG-Vertrages nicht in Einklang zu bringen, wonach eine gemeinsame Ausfuhrpolitik bestimmt wurde, die mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird.4
3 Gerald Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945–1955. Österreichs Weg zur Neutralität, Graz/Wien/Köln 31985, 172. 4 Alfred Verdross, Österreich, die europäische Wirtschaftsintegration und das Völkerrecht, in: Europa Archiv, Halbmonatsschrift – Zeitschrift der deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, 15 (1960), Bd. II, 5. 442– 448. Dieser Aufsatz wurde ursprünglich als Referat vor der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen in Wien im Dezember 1959 gehalten: „Der Unterschied zwischen einer einfachen vertraglichen Bindung und der Übertragung von Souveränitätsrecht besteht jedoch darin, dass in einem ersten Fall jeder Staat zunächst selbst darüber entscheidet, wie der Vertrag auszulegen ist, sodass im Streitfall entweder eine einvernehmliche oder eine schiedsrichterliche Lösung gesucht werden muss, während im zweiten Fall die Entscheidung von vornherein einem zentralen Organ übertragen wird. Einem Organ einer partiellen Staatengemeinschaft kann sich aber ein dauernd neutraler Staat nicht unterwerfen, wenn dieses Organ über Angelegenheiten entscheiden kann, die durch das Neutralitätsrecht geregelt sind.“
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II. EFTA-Mitgliedschaft als Übergangslösung und Basis für ein EWGArrangement für Österreich und das Veto de Gaulles 1960–1963 Das Abkommen zur Gründung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) wurde am 4. Januar 1960 von Dänemark, Großbritannien, Norwegen, Portugal, Österreich, Schweden und der Schweiz unterzeichnet. Die spezifische interessenpolitische Konstellation der verschiedenen Teilnehmer bedingte eine weit lockerere Bindung als unter den EWG-Staaten. So wurde beispielsweise eine Suspendierungsklausel im Artikel 18 statuiert. Keine Bestimmung des Abkommens hinderte ferner einen Mitgliedsstaat daran, Maßnahmen zu treffen, die er zum Schutz seiner Sicherheit für wesentlich erachtete. Da die EFTA-Organisationsstruktur nicht supranational ist und der Prozess der Willensbildung für verbindliche Beschlüsse Einstimmigkeit im EFTA-Rat verlangt (Artikel 32, Absatz 5), ergaben sich für die österreichische Regierung keine staats- und völkerrechtlichen Komplikationen, sodass die Vereinbarungen innenpolitisch ohne Probleme durchgesetzt werden konnten.5 Der sich vertiefende Ost-West-Konflikt ließ in den 60er-Jahren eine Intensivierung des westeuropäischen Handels und Forcierung der Integrationspolitik erwarten. Für Österreichs exportorientierte Wirtschaft ergab sich einerseits die Notwendigkeit einer schrittweisen, jedoch kontrollierten Partizipation an diesem zunehmenden ökonomischen Verflechtungsprozess, der neutralitätspolitische Status des Landes und die sicherheitspolitische Situation ließen jedoch andererseits Vorsicht geboten erscheinen. In einer Unterredung mit dem Präsidenten der EWG-Kommission Walter Hallstein schilderte der österreichische Vertreter beim Europarat seinen Eindrücke, wonach „sich doch das ziemlich eindeutige Bild ergäbe, dass Frankreich jeden Zuzug [zur EWG, Anm. St. H.] fernhalten möge, um seine Führungsrolle nicht zu gefährden und schließlich auch der Abbruch der Verhandlungen zum Abschluss einer Großen Freihandelszone im Spätherbst 1958 unter recht eigenartigen Formen erfolgte“,
worauf Hallstein entgegnete, dass er „niemals an die Möglichkeit eines positiven Abschlusses dieser Bemühungen geglaubt“ habe, zumal Reginald Maudling kein geeigneter Leiter gewesen sei, „über eine sehr beschränkte Klaviatur verfüge und zu sehr versucht habe, mit dem Mittel des Zeitdruckes zu arbeiten“. Hallstein erkundigte sich nach der Integrationspolitik Wiens, „da er nicht begreife, dass der Herr Bundeskanzler im Jahre 1956 öffentlich den Beitritt Österreichs zur Montanunion angekündigt habe, aber in der Folge eine entschiedene Ablehnung jeder Assoziation mit der EWG zu erkennen gegeben habe“. Der österreichische Vertreter erwiderte, 5 Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation. 156 der Beilagen zu den Sten. Prot. NR, IX. GP, 12. 2. 1960. Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation. 156 der Beilagen zu den Sten. Prot. NR, IX. GP, 12. 2. 1960.
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„dass man die sowjetische Haltung völlig anders vor und nach den bekannten Ungarnereignissen beurteilen müsse. Seit der Niederschlagung des ungarischen Freiheitskampfes müsse es jedermann klar sein, dass Österreich nicht als Versuchskaninchen auftreten könne, um die russische Reaktion auf einen von dieser Macht als unfreundlich angesehenen Schritt zu erkunden. Für Österreich sei der Brückenschlag selbstverständlich eine Lebensnotwendigkeit. Jede in Betracht kommende Lösung müsse aber auch für die Schweiz und Schweden, die ebenfalls neutrale Staaten seien, die sich aber in einer wesentlich günstigeren Lage befinden, ebenfalls annehmbar sein. Dies stelle auch eine politische Notwendigkeit im Interesse der EWG selbst dar, da die Immunität aller europäischer freier Völker [sic!] gegen kommunistische Propagandaversuche weitgehend dadurch beeinflusst werde, ob die kommunistischen Nachbarn Österreichs weiterhin mit Neid auf den günstigeren Lebensstandard der österreichischen Bevölkerung blickte [sic!]. Eine Umkehrung dieser Bedingungen würde sofort in sämtlichen Mitgliedstaaten der EWG deutlich fühlbar werden. Es müsse daher auch als sehr bedenklich angesehen werden, dass gelegentlich der Eindruck von Verschleppungsversuchen entstünde. Eine zufriedenstellende Regelung sei in naher Zukunft geboten, solange wirtschaftliche Erstickungssymptome nicht auftreten.“
Hallstein konnte den Ausführungen nicht widersprechen. Er gab zu erkennen, dass er den von Kreisky „skizzierten Ausweg eines Rahmenvertrages mit Einzelverträgen für realisierbar halte“.6 Unterschiedliche Wege wurden gesucht, um das aus ökonomischen Bedürfnissen und völkerrechtlichen Notwendigkeiten resultierende Dilemma zu überwinden. Handelsminister Fritz Bock und Außenminister Kreisky wurden dabei zu den zentralen Akteuren einer nicht von Auseinandersetzungen freien Politik. Ausschlaggebend für die unterschiedlichen Einschätzungen des Forcierungsgrades österreichischer Integrationspolitik sollte die Haltung Moskaus sein, das eine Assoziierung Österreichs mit der EWG als einen Widerspruch zur Erklärung der immerwährenden Neutralität bezeichnete, während Kreisky, ganz zu schweigen von Bock, darin keinen Gegensatz erblickte. In einem Gespräch mit dem Präsidenten für Auswärtige Beziehungen der EWG, Minister Jean Rey, erklärte Kreisky, „dass ein Beitritt Österreichs zum Gemeinsamen Markt nicht mit seiner Neutralität vereinbar wäre, dass jedoch eine Assoziation möglich erscheine, wenn hierfür die geeignete Form gefunden werden könne“.7
6 „Gespräch mit Präsident Hallstein“, Bericht 2-pol/1960 des Ständigen Vertreters Österreichs heim Europarat vom 26. 1. 1960 an Bruno Kreisky. Stiftung Bruno Kreisky Archiv (SBKA), Integration-Box 1267. 7 Amtsvermerk Österreichische Botschaft Brüssel vom 19. 5. 1961 über das Gespräch zwischen Bundesaußenminister Dr. Bruno Kreisky und dem Präsidenten für Auswärtige Beziehungen der EWG, Minister Jean Rey. SBKA, Karton 1266.
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Die Sowjetunion habe seiner Ansicht nach einige Prinzipien aufgestellt, „an denen sie nicht rütteln lasse“. Eines davon sei „die Verhinderung jeder Handlung, die auch nur in indirekter Weise einen wirtschaftlichen Anschluss Österreichs an Deutschland darstellen könne“.8 In diesen Ausführungen wurde Kreiskys Sensibilität für sowjetische Sicherheitsinteressen und sein dadurch bedingtes vorsichtigeres Taktieren im Unterschied zu dem EWG-Beitrittsfreudigen Bock deutlich. Die ungleich höhere wirtschaftliche Dynamik der EWG- im Vergleich zu den EFTA-Staaten9 und die Frage der Angleichung der Zolltarife zwangen die österreichische Integrationspolitik trotz aller diplomatisch-politischen Rücksichtnahmen zu einer klaren Entscheidung. In den Sondierungsgesprächen zwischen Kreisky und dem Präsidenten des Ministerrates der EWG, dem bundesdeutschen Vizekanzler Professor Ludwig Erhard, wurde indes die für die weitere Entwicklung ausschlaggebende Bedeutung der Position Großbritanniens voll erkannt. Zuerst war diese Problematik zu klären, um dann die Standpunkte neutraler Staaten zu erörtern. Österreich war ausdrücklich gewarnt worden, nicht allzu große Veränderungen der Römischen Verträge vorzuschlagen.10 War Österreichs Lage vor 1955 als einziges ERP-Empfängerland mit einem sowjetisch dominierten Einflussbereich schon ein spezifischer Sonderfall, so blieben wesentliche Teile des Landes im Osten von kommunistischen Staaten umgeben. Österreichs Affinitäten in Richtung westeuropäischer Integrationsprozess wurden daher vom Kreml, nicht zuletzt aufgrund von Befürchtungen wegen nachteiliger Rückwirkungen auf sein Satellitensystem in Osteuropa, misstrauisch beobachtet. Der sowjetische Botschafter in Österreich, Viktor J. Awilow, überreichte in dieser Konsequenz Bundeskanzler Alfons Gorbach am 27. August 1961 eine Note, in der die sowjetische Regierung den Wunsch nach Erläuterung der österreichischen Absicht, an der EWG teilzunehmen, aussprach. Die Anfang Oktober übergebene Antwortnote der Bundesregierung argumentierte, dass Österreich an bestmöglichen wirtschaftlichen Beziehungen zu allen Staaten, ohne Rücksicht auf deren politische Struktur und Ausrichtung, interessiert sei.11 In Fortführung dieser integrationspolitischen Konzeption überreichte die österreichische Regierung gleichzeitig mit Schweden und der Schweiz am 15. Dezember 1961 der EWG einen Antrag für den Abschluss einer ausschließlich wirtschaftlichen Vereinbarung.12 Wie 8 Ebd. 9 Vgl. den Beitrag von Breuss in diesem Band. 10 Bruno Kreisky, Aktenvermerk über die Unterredung mit dem Präsidenten des Ministerrates der EWG, Vizekanzler Professor Erhard, am 2. 8. 1961. SBKA, Integration-Box 1278. 11 Helmut Straßer, Der Weg Österreichs zu den Verträgen mit Brüssel, Informationen zur Außenpolitik, Österreichische Gesellschaft für Außenpolitik (OGA), Wien 1972, 38. 12 Note des Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten Dr. Bruno Kreisky an den Präsidenten des Ministerrates der EWG vom 15. Dezember 1961, in: Hans Mayrzedt/Waldemar Hummer, 20 Jahre Österreichische Neutralitäts- und Europapolitik 1955–1975, Sammlung der Dokumente zur wirtschaftlichen Integration Österreichs, Wien 1976, 353.
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sensibel Moskau auf die österreichische Integrationspolitik reagierte, zeigte sich, als am selben Tag die Sowjetunion ein Aide-Mémoire vorlegte, in dem eine Assoziierung mit der EWG als unvereinbar mit Neutralitätsstatus und Staatsvertrag bezeichnet wurde. Zur Vorgeschichte gehört hierbei auch, dass die Minister der drei neutralen EFTA-Staaten schon im Herbst den Entschluss gefasst hatten, das künftige Verhältnis zur EWG, in den durch den Neutralitätsstatus bedingten Fragen, in Übereinstimmung zu gestalten. Das häufige Vorfühlen und die ständigen Nachfragen der Ostblockvertreter in Wien machten die von den anderen EFTA-Ländern unterschiedliche und spezielle Position Österreichs deutlich, welches Artikel 238 des Römischen Vertrages als geeignete Grundlage für eine Lösung seiner integrationspolitischen Bedürfnisse angesehen hatte.13 Die Frage der Neutralität wurde dabei nicht als ein entscheidendes Hindernis interpretiert, um bei einer Assoziierung in geeigneter Form an der wirtschaftlichen Integration Europas teilzunehmen.14 Ein Beamtenkomitee behandelte die damit in Zusammenhang stehenden einschlägigen Probleme in der ersten Jahreshälfte 1962 am Semmering und in Rättvik am Siljansee in Schweden. Es entstanden die sogenannten „Punktationen von Rättvik“, die besagten, dass einem neutralen Staat die Möglichkeit belassen werden müsse, im eigenen Namen und unter eigener Verantwortung Handelsverträge im weitesten Sinn des Wortes abzuschließen. Jede zwingende politische Bindung an Entscheidungen seien dabei ausgeschlossen, während eine freiwillige Unterzeichnung von Abkommen fallweise als möglich bezeichnet wurde. Die individuelle Entscheidungsfreiheit wurde als ein Prinzip angesehen, welches niemals aufgegeben werden dürfe.15 Mit diesen Punktationen wurde eine neue integrationspolitische Linie eingeschlagen, aus der eine gestärkte Position der Neutralen in Europa hervorgehen sollte. Für die Auslegung der zukünftigen österreichischen Außenpolitik sollte dies heißen, dass die Neutralität nach einer „qualifizierten Unabhängigkeit“ verlangt, gemeint war eine Unabhängigkeit, die jenes Maß überschreitet, das Staaten in der Regel besitzen. Konkret wurde großes Gewicht auf den entsprechenden Instanzenweg bei Streitfällen über die Auslegung des Staatsvertrages gelegt. Bei Auffassungs- und Interpretationsunterschieden hatten sowohl die Vertragsstaaten als auch ein dem Staatsvertrag angeschlossener Staat das Recht, ein Streitbereinigungsverfahren in Gang zu setzen. Falls dieser diplomatische Weg scheitern sollte, wäre 13 Utta Plessow, Was ist Assoziation gemäß Art. 238 EWG-Vertrag? in: Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik (ÖZA) 7 (1967), 184–197. Die Assoziationsklausel des Art. 238 des EWG-Vertrages lautet: „Die Gemeinschaft kann mit einem dritten Staat, einer Staatenverbindung oder einer internationalen Organisation Abkommen schließen, die eine Assoziierung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamen Vorgehen und besonderem Verfahren herstellen. Diese Abkommen werden nach Anhörung der Versammlung einstimmig vom Rat beschlossen. Werden durch diese Abkommen Änderungen dieses Vertrages erforderlich, so müssen diese zuvor nach dem in Artikel 236 vorgesehenen Verfahren angenommen werden“, vgl. Thomas Läufer (Bearb.), EWG-Vertrag. Grundlage der Europäischen Gemeinschaft, Bonn 51990, 123. 14 Nachtrag zum vierten Bericht der Bundesregierung über den Stand der wirtschaftlichen Integration Europas für die Zeit vom 16. 9. 1961 bis 31. 12. 1961, in: ÖZA 2 (1962). 15 Friedrich Waltnig, Neutralität und Integration, in: Berichte und Informationen, 27. 7. 1962, Nr. 838, 1–3.
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die Meinungsverschiedenheit durch die Chefs der diplomatischen Missionen der ehemaligen Besatzungsmächte zu klären, womit das alte 4-Mächte-Kontrollsystem, also der Alliierte Rat, wieder installiert gewesen wäre. Aufgrund dieser Überlegungen musste bei den zu führenden Verhandlungen des Assoziationsvertrages mit der EWG darauf geachtet werden, dass eine Lösung erreicht würde, welche den Verpflichtungen und Möglichkeiten Österreichs zur qualifizierten Unabhängigkeit Raum ließ.16 Trotz aller völkerrechtlichen Hilfskonstruktionen blieb das sowjetische Misstrauen gegenüber den österreichischen EWG-Affinitäten massiv. Anlässlich eines offiziellen Besuchs von Bundeskanzler Gorbach in der Sowjetunion im Sommer 1962 hielt der Vorsitzende des Ministerrates der UdSSR, Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, am 29. Juni eine Rede, in der er in voller Schärfe und in dramatisierender Darstellung der Situation seine Kritik an den österreichischen Integrationsbestrebungen äußerte: „Eine solche Sache [nämlich der Eintritt in die EWG, Anm. St. H.] würde der Neutralitätspolitik ein Ende machen. Das wäre eine Art von Anschluss und damit eine direkte Verletzung des Staatsvertrages. […] Wenn Sie eine andere Position einnehmen, haben Sie die Politik der Neutralität verlassen. Der Staatsvertrag wurde nicht nur von uns, sondern auch von Ihnen unterzeichnet.“17
Die Vereinigten Staaten äußerten sich der österreichischen Integrationspolitik gegenüber weniger drastisch, hatten sie ja ein weit weniger sensibles Verhältnis zur österreichischen Neutralität als die Sowjetunion. US-Präsident John F. Kennedy sprach sich gegen eine Schwächung der EWG aus, deutete aber andere Möglichkeiten der Übereinkunft an, die eine Diskriminierung vor allem der österreichischen Exporte mildern sollte. Einerseits wollen diese Ausführungen keinesfalls den Eindruck erwecken, als ob die österreichischen Integrationsbestrebungen der 60er-Jahre das Zentralproblem in der Interessenpolitik der Supermächte darstellten, andererseits war Österreich ein geschätztes Argument im Ost-West-Konflikt und seine Rolle zweifellos keine Quantité négligeable in der Austragung des Kalten Krieges in Europa, wo es immer wieder je nach Interessenlage und zum Vorteil der Mächte instrumentalisiert werden konnte. Österreichs außenpolitische Chance lag aber gerade darin, diese mitunter divergierenden Interessen wahrzunehmen, sie gegeneinander auszuspielen und sie zum eigenen Vorteil zu nutzen. Am 28. Juli 1962 erläuterte Außenminister Kreisky im Beisein des Ministers für Handel und Wiederaufbau Bock das Assoziierungsansuchen vor dem EWG-Ministerrat. Dabei 16 Rudolf Kirchschläger, Integration und Neutralität, in: Erich Bielka/Peter Jankowitsch/Hans Thalberg (Hrsg.), Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien 1983, 61–95, hier 77. 17 Übersicht über die bisher in den wichtigsten Vorhaltungen von sowjetischer Seite verwendeten Formulierungen betreffend das von Österreich angestrebte Verhältnis zur EWG, Zl. 79.034-6 (pol) 64. SBKA, IntegrationBox 1267.
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wurde von ihm das im Römer Vertrag verankerte Prinzip des allmählichen Abbaus der Zölle und der mengenmäßigen Beschränkungen bejaht. Bereitschaft zur Harmonisierung österreichischer Zollbestimmungen mit dem Außenzolltarif der EWG und zur Koordinierung einer künftigen Zoll- und Handelspolitik wurde signalisiert. Österreich müsse sich jedoch auf dem Gebiet der Handelspolitik ein gewisses Maß an Aktionsfreiheit hinsichtlich der Regelung seiner Beziehungen zu Drittstaaten bewahren, wurde von Kreisky argumentiert. Man habe jedoch die geeigneten Mittel und Wege dafür gefunden, um zu vermeiden, dass dadurch eine Störung des Marktmechanismus der EWG verursacht werde. Die österreichische Regierung sei bereit, wirksame Regelungen für die aus Drittstaaten eingeführten Waren zu treffen, um zu verhindern, dass diese, soweit es unerwünscht sei, auf den Markt der EWG geschleust werden könnten. Kreisky betonte auch, dass Österreich als neutrales Land die Möglichkeit haben müsste, im Falle eines unmittelbar drohenden oder bereits bestehenden bewaffneten Konfliktes die Anwendung einzelner Bestimmungen des Assoziierungsvertrages sowie möglicherweise des gesamten Vertrages vorübergehend zu suspendieren oder unter Umständen auch in Friedenszeiten an wirtschaftspolitischen Aktionen nicht teilzunehmen, die gegen Drittstaaten gerichtet seien und ausschließlich politischen Zwecken dienen würden. Ferner sei an eine Aussetzung bzw. Aufkündigung gedacht, falls Neutralitätsgründe dies unerlässlich erscheinen ließen. In diesem Falle wären jeweils entsprechende Übergangsmaßnahmen zu vereinbaren, die jede wesentliche Schädigung der Wirtschaft des Vertragspartners vermeiden helfen sollten.18 Der österreichische Vorschlag zielte auf eine De-facto-Zollunion mit harmonisierten Außenzöllen ab, das hieß letztlich, dass Österreich sich nicht dem Gemeinsamen Zolltarif der EWG anschließen, sondern einen eigenen Außenzolltarif behalten wollte. Wirtschafts- und handelsrechtlich gesehen konnte bei einer solchen Form nur von einer Art Freihandelszone die Rede sein. Der Vorsitzende des EWG-Ministerrates, Unterstaatssekretär Carlo Russo, die Minister Maurice Couve de Murville, Eugène Schaus, Jan W. de Pous und Staatssekretär Rudolf Lahr nahmen die Erklärung Kreiskys kommentarlos zur Kenntnis.19 Bei all diesen bescheidenen und überwiegend auf die Interessen des Landes selbst abgestellten Integrationszielen konnte nicht verwundern, dass Brüssel auf die österreichische EWG-Annäherungspolitik zurückhaltend reagierte. In einem vertraulichen Amtsvermerk wurde im September 1962 für Kreisky festgehalten, dass laut Auskunft des Schweden Hubert de Besche Frankreich an der Assoziierung der Neutralen interessiert sei, da diese gut in das Konzept de Gaulles passen würden. Es dürfte die Assoziierung der Neutralen leichter sein als der britische Beitritt. Die Frage der „EFTATreue“ stelle sich anders als bisher. Es sei nunmehr eher die Frage der „EFTA-Treue“ seitens 18 Österreichische Erklärung erstattet vom Außenminister Dr. Bruno Kreisky vor dem EWG-Ministerrat in Brüssel am 28. Juli 1962, in: Mayrzedt/Hummer, 20 Jahre Neutralitäts- und Europapolitik 1955–1975, Wien 1975, 359. 19 Rudolf Kirchschläger, Integration und Neutralität, 84.
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der Neutralen gegenüber England als umgekehrt. De Gaulle werde das britische Ansuchen weiter dilatorisch behandeln, „um die Opposition gegen den Beitritt in England wachsen zu lassen“.20 Die weitere europapolitische Entwicklung zeitigte Ergebnisse, die den untergeordneten Stellenwert Österreichs aus der Perspektive der EWG erkennen ließen: Der Gegensatz zwischen Paris und London in der Frage einer britischen Mitgliedschaft im gemeinsamen Wirtschaftsmarkt21 sollte Österreichs Chancen, zu einem Sonderarrangement mit Brüssel zu gelangen, auf ein Minimum reduzieren. Der Konflikt wurde offenkundig, als die französische Regierung am 29. Januar 1963 das britische Ansuchen zu einem EWG-Beitritt vertagen ließ und damit abschlägig beschied. Der französische Staatspräsident General Charles de Gaulle, der wenig Verständnis für den „Alleingang“ Österreichs zur Erreichung eines Sonderabkommens mit der EWG aufbrachte,22 hatte gegen eine Fortführung der Verhandlungen bereits am 14. Januar 1963 Einspruch erhoben. Sein Außenminister Couve de Murville erläuterte die französische Haltung, wonach die Schwierigkeiten für Großbritannien im Falle eines Beitritts betont wurden, die Bestimmungen des EWG-Vertrages zu akzeptieren bzw. einzuhalten. Couve de Murville argumentierte, dass für die Stellung Großbritanniens in Europa seine Verflechtungen mit dem Commonwealth und den unterentwickelten Ländern maßgeblich seien,23 während er eine selbstkritische Reflexion über die postkoloniale Politik Frankreichs und deren Folgen für den gemeinsamen Markt geflissentlich unterließ. Der Gegensatz zwischen Paris und London in der Frage einer britischen EWG-Mitgliedschaft zeigte jedenfalls die entscheidenden Zusammenhänge im vergeblichen Ringen zur ökonomisch-politischen Reorganisation des alten Kontinents auf. Die Rolle, die Österreich in diesen Auseinandersetzungen spielte, die auch in der EWG zutage traten, war bestenfalls zweitrangig gewesen. Das Veto de Gaulles traf nicht auf ungeteilte Zustimmung innerhalb der Sechsergemeinschaft. Die französische Haltung wurde eine Woche später vom Präsidenten der EWG-Kommission, dem bundesdeutschen Professor Walter Hallstein, scharf kritisiert, zumal die Folgen des französischen Entschlusses die gesamten Gemeinschaftsmitglieder trafen. Kritik entzündete sich vor allem an Art und Weise der Mitteilung an die fünf anderen Partner, die nicht den Vereinbarungen entsprach. Die erste ernste innergemeinschaftliche Krise war entstanden, weil die gemeinsame Verantwortung für die Gestaltung und Erweiterung der EWG seitens Frankreichs massiv infrage 20 Amtsvermerk A. V. anlässlich eines Gesprächs mit Hubert De Besche, Vertraulich! Stockholm, September 1962. SBKA, Integration-Box 1267. 21 Zu den Anfängen dieser Problematik, die sich noch im Jahre 1961 nicht derart massiv stellte, vgl. den Beitrag von Steininger in diesem Band. 22 Erich Bielka, Hommage au Général de Gaulle, in: Klaus Eisterer/Oliver Rathkolb (Bearb./Red.), De Gaulles Europäische Größe: Analysen aus Österreich, Jahrbuch für Zeitgeschichte 1990/91, Wien/Salzburg, 29–31,31. 23 Erklärung des französischen Außenministers Maurice Couve de Murville, in der letzten Sitzung der 7. Ministertagung der Konferenz der Mitgliedsstaaten der EWG mit Großbritannien am 29. Jänner 1963 zum Abbruch der Verhandlungen, in: Europa Archiv 18 (1963), Bd. II, D–118.
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gestellt wurde. Wie die weitere Entwicklung jedoch zeigen sollte, war mit diesen Vorkommnissen kein irreparabler Schaden entstanden, der der Gemeinschaft gänzlich ihre Grundlage hätte entziehen können.24 Unzweifelhaft hatte aber durch das französische Veto der wirtschaftliche Dynamisierungsprozess eine Verlangsamung erfahren und die europäische Einigungsbewegung psychologisch gesehen einen empfindlichen Dämpfer erhalten. Nach de Gaulles „Non“ an die Adresse Londons blieb Wien nur mehr noch eine gemeinsame Vorgangsweise mit den anderen Neutralen oder direkte Verhandlungen mit Brüssel im „Alleingang“. Die Bundesregierung entschied sich für Letzteres, strebte aber seit 1964 nicht mehr einen „Assoziierungsvertrag“, sondern einen „Vertrag besonderer Art“ an, da innerhalb der EWG kritische Stimmen gegen die Assoziierung eines letztlich nicht beitrittswilligen Staates laut wurden und diesbezüglich auch negative Töne aus Moskau unüberhörbar waren.25
III. Trotz Veto Frankreichs zum britischen EWG-Beitritt und Rückzug der „Neutralen“ unternimmt Wien den „Alleingang“ 1963–1967 Der französische Einspruch gegen eine EWG-Mitgliedschaft Großbritanniens ließ Schweden und die Schweiz von ihren Ambitionen bezüglich des gemeinsamen Marktes abgehen. Stockholm und Bern reagierten mit Zurückziehung ihrer Ansuchen. Im Gegensatz zu diesen ursprünglichen Beitritts- und Assoziationskandidaten erneuerte Österreich am 26. Februar 1963 ausdrücklich seinen Wunsch nach einem baldigen Arrangement mit der EWG. Im österreichischen Parlament wurde der Terminus „Alleingang“ geprägt, während die sowjetische Nachrichtenagentur TASS sofort erwiderte, dass Österreich nicht die Illusion hegen solle, sein Verhältnis zur EWG nach einem möglichen Eintritt nur auf wirtschaftliche Beziehungen beschränken zu können.26 Infolge der österreichischen Nationalratswahlen vom November 1962 hatte die SPÖ zwei Mandate zugunsten der ÖVP verloren. Als es am 3. April 1963 zur Regierungsbildung kam, war zwar Kreisky wieder als Außenminister bestätigt worden, aber Bundeskanzler Gorbach legte sichtlich einen neuen Akzent auf die österreichische Integrationspolitik, v. a. auf Österreichs Außenhandelskompetenzen: „Die vordringlichste Aufgabe auf außenpolitischem Gebiete wird für die Bundesregierung die Regelung unseres Verhältnisses zur EWG sein. Da mehr als die Hälfte des österreichischen
24 Erklärung des Präsidenten der EWG-Kommission Walter Hallstein am 5. Februar 1963 vor dem Europäischen Parlament zum Abbruch der Beitrittsverhandlungen zwischen der EWG und Großbritannien (Auszug), in: Europa Archiv 18 (1963), Bd. 11, D 122-D 125. 25 Paul Luif, Neutrale in die EG?, Wien 1988, 97. 26 „Moskaus Widerstand gegen die Integrationswünsche Wiens. Warnende Erklärung der Agentur TASS’“ und „Moskaus Warnung an Österreich. Unterschiedliche Reaktionen in Wien“, in: Neue Zürcher Zeitung, 2. 3. 1963.
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Exportes in die Märkte der EWG geht, müssen alle Anstrengungen gemacht werden, um eine Schmälerung dieser Exportmöglichkeit [zu vermeiden], wie sie durch die fortschreitende Diskriminierung bereits eingetreten und weiterhin zu befürchten ist, die Besprechungen mit Österreich und der EWG bald aufzunehmen. Es ist selbstverständlich, dass nur eine solche Vereinbarung in Frage kommt, die der Aufrechterhaltung unserer immerwährenden Neutralität und unserer zwischenstaatlichen Vereinbarung Rechnung trägt. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die anlässlich der Bildung der Bundesregierung vorgenommenen Zusammenfassung der Außenwirtschaftskompetenzen in einem Ressort.“27
Es scheint, dass der spezifische Integrationskurs Kreiskys, der auf Neutralität, Staatsvertrag und Osthandel besondere Rücksicht genommen hatte, diese interne Verschiebung der integrationswilligen Kräfte herausforderte.28 Wie auf vielen anderen Ebenen stand die österreichische Außenpolitik vor der Herausforderung einer steigenden Globalisierung der Aufgabenstellung. Der ÖVP-Abgeordnete Lujo Tončić-Sorinj erklärte vor dem Parlament, dass sich der Gesamtverlauf der Integrationsentwicklung gar nicht mehr auf Europa allein beschränken lasse, sondern schon zu einem Faktor der Weltpolitik geworden sei.29 Für Österreich lag die Zerschlagung des gordischen Knotens zur Fortsetzung der ökonomischen Dynamisierung bei einer Lösung des Gegensatzes zwischen Großbritannien und Frankreich. Die Ausführungen des europabewussten ÖVP-Parlamentariers und späteren Generalsekretärs des Europarates schienen bereits das in universalistischen Kategorien angelegte Denken sowie das tief greifende weltpolitische Bewusstsein der Außenpolitik Bruno Kreiskys zu antizipieren. In einem mündlichen Bericht zur Integrationsfrage vom 10. Juni 1963 an den Ministerrat, erinnerte Kreisky an die Besprechungen im Weißen Haus am 3. Mai 1962 zwischen Kennedy und der österreichischen Regierungsdelegation, wo von US-Seite der Sorge Ausdruck gegeben wurde, „dass sich bei einer Assoziation gewisse Schwierigkeiten für Österreich im Hinblick auf den Kalten Krieg ergeben“ würden, da Washington über Informationen aus tschechoslowakischen Quellen verfüge, wonach „eine Assoziierung nach Art. 238 weit eher als eine Verletzung des Staatsvertrages angesehen würde und die Sowjetunion mehr alarmieren würde, als wenn in einer ruhigen Weise eine Lösung der kommerziellen Fragen für Österreich gefunden werde“.
Kennedy habe selbst darauf verwiesen, dass Österreich auf die Rückwirkungen im Kreml Bedacht nehmen müsse. Am 4. Juli 1962 hatte Chruschtschow unter Anwesenheit Außen27 Sten. Prot. NR, X. GP, 8. Sitzung, 3. 4. 1963, 137. 28 Zur Rolle der SPÖ im beginnenden westeuropäischen Integrationsprozess vgl. den Beitrag von Hehemann in diesem Band. 29 Sten. Prot. NR, X. GP, 14. Sitzung, 19. 4. 1963, 983.
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minister Andrej Gromykos Kreisky in Moskau erklärt, dass ein Eintritt in die EWG „ein schwerer Schlag für Österreich und seine Neutralität“ sei. Die EWG sei „ein Instrument der NATO“. Er habe Verständnis für die Lage Österreichs, „doch mahne er vor einer Verletzung des Staatsvertrages oder der Neutralität“. Kreisky erwähnte in seinem Bericht auch, dass Couve de Murville dem österreichischen Botschafter in Paris am 8. Mai 1963 ausdrücklich erklärt habe, „dass es ausschließlich unsere Sache und unsere Verantwortung sein werde, das Risiko einzugehen, das sich für Österreich aus der bekannten Einstellung der Sowjetunion in der Assoziationsfrage ergebe“.
Am 27. Mai hatte Jacques Delarue Caron de Beaumarchais, Leiter der Europa-Abteilung am Quai d’Orsay, erklärt, dass Klarheit herrschen müsse, wie die Österreicher selbst die Rückwirkungen einer Assoziation ihres Landes mit der EWG auf das Verhältnis zur Sowjetunion beurteilen. Bisher habe man den Eindruck, „dass nicht nur die beiden Koalitionspartner in Österreich diese Rückwirkungen nicht einheitlich sähen, sondern dass auch innerhalb der Volkspartei und der SPÖ uneinheitliche Standpunkte vorhanden seien“.
Kreisky erwähnte, dass die englische Seite „viel Verständnis für unsere Situation“ habe, „aber man ist in London auch von unserem politischen Instinkt überzeugt, nichts zu tun, was uns – und dem Westen – Unannehmlichkeiten machen könnte“. Die sowjetische Haltung zur Integrationsfrage sei „von allem Anfang gleich geblieben. Sie war niemals drohend, sondern vorsichtig und höflich warnend und kam in Gesprächen auf politischer Ebene und auf Beamtenebene, angefangen vom Jahre 1959 bis in die letzten Tage zum Ausdruck.“
Dann gab Kreisky eine Übersicht der sowjetischen Interventionen betreffend Österreich und die EWG.30 Österreichs insistierende Integrationspolitik zwang Brüssel zu einer Reaktion und machte eine Entscheidung der EWG-Staaten erforderlich. Am 2. April 1963 beauftragte der EWGMinisterrat die Politische Kommission, das österreichische Ansuchen zur Verhandlung mit der EWG zu prüfen und Lösungsmöglichkeiten zu studieren. In den letzten Tagen des Mai 30 Alle Zitate aus: Mündlicher Bericht des Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten vom 10. 6. 1963, betreffend diverse politische Aspekte der Integrationsfrage, Zl. 204-K(63 (Zu Pkt. 29 des Beschlussprotokolls Nr. 8 der Sitzung des Ministerrats am 29. 5. 1963) „Streng vertraulich, Keine Presseverlautbarung“. SBKA, Integration-Box 1267.
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1963 wurde dem EWG-Ministerrat ein kurzer Bericht der Kommission vorgelegt. Diese wurde sogleich gebeten, die Untersuchungsmöglichkeiten zu erweitern. Zu diesem Zwecke sollten auch Kontakte zur österreichischen diplomatischen Vertretung in Brüssel aufgenommen werden. Vom 4. bis 9. Juli, am 18. und am 19. Oktober und vom 4. bis 6. November 1963 kam es zu Sondierungsgesprächen in Brüssel, deren Ziel es zunächst war, Zollfragen und deren handelspolitische Auswirkungen zu analysieren. Die Situation der Landwirtschaft und Fragen der Ausarbeitung eines Abkommens wurden ebenfalls diskutiert. In Wien tagten vom 27. bis 29. November 1963 Rechtsexperten der Kommission. Eine letzte Phase der Vorbesprechungen fand in Brüssel Mitte Dezember statt. Der EWG-Ministerrat war übereingekommen, dass der österreichische Antrag und die damit in Zusammenhang stehenden unaufschiebbaren Fragen für Österreich mit Dringlichkeit untersucht werden müssten.31 Die Wiener Integrationspolitik hatte sich in dieser Phase mit Blick auf sowjetische Interessen gut abzusichern verstanden und den Kreml laufend informieren lassen. Am 22. November unterrichtete Bock die im Detail informierten Diplomaten, den Botschafter Awilow und den Gesandten Michejew, über die Besprechungen mit der EWG-Kommission. Beide erkundigten sich u. a., „warum man jetzt wieder mehr von Assoziation statt Arrangement spreche“ und „ob ein gleichzeitiges Verhältnis zur EWG und EFTA möglich sei“, worauf Bock sachlich geantwortet haben soll. Mehr geht aus der Aufzeichnung diesbezüglich nicht hervor. Awilow sprach von der Möglichkeit der Schaffung einer weltumfassenden Handelsorganisation der UNO, „die das einzig richtige Mittel wäre, eine weitere Entwicklung des internationalen Güteraustausches zu garantieren“, worauf ihm erwidert wurde, „dass eine solche Neuorganisation, wenn sie insbesondere alle neuen afrikanischen und asiatischen Staaten einschließt, wahrscheinlich eine längere Anlaufzeit brauchen würde, um sachliche Ergebnisse zu erbringen“. Awilow konzedierte, „dass dies durchaus möglich sei, dass diese aber am Ende ein besseres Resultat bringen würde“. In der freundlichen Aussprache versicherte Bock, „dass das Arrangement mit der EWG unter strenger Beachtung der Neutralitätsbedingungen ausschließlich wirtschaftlichen Charakter haben werde“, was Awilow mit der Bemerkung quittierte: „Sie haben uns, Herr Bundesminister, beinahe überzeugt, aber vergessen Sie nicht die engen Verbindungen zwischen EWG und NATO.“32 Zwischen Kreisky und Bock bestanden unterschiedliche Auffassungen in der Frage der diplomatischen Behandlung der österreichischen EFTA-Mitgliedschaft. Eine diesbezügliche Entscheidung wurde von der wirtschaftspolitischen Abteilung des Außenministeriums „mit allen ihren weitreichenden Konsequenzen in der einen oder anderen Richtung [als] 31 Achter Bericht der Bundesregierung über den Stand der wirtschaftlichen Integration Europas für die Zeit vom 16. 3. bis zum 15. 9. 1963, in: ÖZA 3 (1963), 369–381; Informative Besprechungen mit der EWG-Kommission; Verschluss-Bericht über die Tagung der juristischen Expertengruppe in Wien 27.–29. November 1963. SBKA. Integration-Box 1267. Laut diesem Bericht fanden die Gespräche in Brüssel vom 4. bis 8. 11. 1963 statt. 32 Aufzeichnung Handelsministerium anlässlich eines von Minister Dr. Bock gegebenen Mittagessens am 22. 11. 1963. Neben Bock, Awilow und Michejew war noch Sektionschef Dr. Augenthaler anwesend, SBKA. Integration-Box 1267.
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noch verfrüht“ angesehen. Bock antwortete auf eine Anregung Kreiskys vom 27. November, die Missionschefs in den EWG-Staaten anzuweisen, über die EFTA-Problematik vorläufig nicht zu sprechen. Er verwies auf die Richtigkeit einer Feststellung Kreiskys im Ministerrat, wonach „eine Lösung mit der Zugehörigkeit Österreichs zu zwei Präferenzzonen außer jeder Diskussion“ stehe. Bock befürchtete negative Folgen für das geplante Arrangement mit der EWG, wenn eine neuerliche Information erfolge, wonach die Bundesregierung über das EFTA-Problem gegenwärtig nicht zu sprechen bereit sei, und ließ Kreisky wissen: „Ich nehme den Anlass, Ihnen mitzuteilen, dass ich über die Haltung Ihrer Partei in der Integrationsfrage außerordentlich bedrückt bin, weil, ich bei wahrscheinlich richtiger Einschätzung der Situation unter diesen Umständen wenig Hoffnung haben kann, dass die österreichischen Integrationsbemühungen zu einem Erfolg führen können.“33
Die Sondierungsgespräche mit der EWG hatten schließlich für beide Teile die Erkenntnis gebracht, dass Lösungen auf allen Sachgebieten unter Anerkennung der neutralitätspolitischen Vorbehalte möglich schienen. Außenminister Kreisky erinnerte im Nationalrat an die zusätzlichen Verpflichtungen der Londoner und Genfer Beschlüsse, die alle EFTA-Staaten an gemeinsames und konsultatives Vorgehen in der Integrationsfrage banden.34 Trotz der Verkrampfung der französisch-britischen Beziehungen und des Rückzugs der Schweden und Schweizer erfolgten in der Zwischenzeit Überlegungen zu einer Erweiterung des Kreises der an der EWG interessierten Staaten. Griechenland, die Türkei, Israel, Nigeria sowie die Zollunion Kenja-Uganda-Tanganjika, Marokko, Indien und Algerien diskutierten über Handelsverträge, Assoziierungen und Zollkonzessionen mit Brüssel. Bei der EFTA kam es infolge der Verabschiedung eines Aktionsprogrammes zur Beschleunigung der internen Integration, als am 31. Dezember 1963 zu einer Senkung auf 40 % der Ausgangszölle geschritten werden konnte. Damit sollte die Grundlage für eine gänzliche Beseitigung der Zölle für das Jahresende 1966 gesichert sein. Noch kurz vor seinem Tode legte Präsident Kennedy einen Plan vor, der eine allgemeine Zollunion vorsah. Das Ergebnis sollte eine generelle Zollsenkung um 50 % sein. Damit sollte die Abkehr vom System der bilateralen Verhandlungen erzielt und das Prinzip der Meistbegünstigung durchgesetzt werden. Die sogenannte Kennedy-Runde tagte von 1964 bis 1967 und erreichte eine Senkung des Zollniveaus der Mitgliedsländer um 35 %. Von Österreich wurden die Ergebnisse der Kennedy-Runde sehr positiv aufgenommen, da es die Bedeutung dieses Forums erkannte, welches eine willkommene Gelegenheit zur Wiederaufnahme der Integrationsdiskussion bot. 33 Schreiben Zl. 511.410-Wpol/63 vom 2. 12. 1963 an Bock bzw. Schreiben Bock vom 2. 12. 1963 an Kreisky. SBKA. Integration-Box 1267; vgl. hierzu auch den Beitrag von Hehemann in diesem Band. 34 Sten. Prot. NR, X. GP, 37. Sitzung, 6. 12. 1963, 1946–2009; vgl. hierzu auch den Beitrag von Steininger in diesem Band.
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In den Wintermonaten des Jahres 1964 arbeitete die EWG-Kommission an einem Bericht über die Ergebnisse der Sondierungsgespräche mit den Vertretern Österreichs. Dieser wurde dann am 27. Mai 1964 vom Kommissär für auswärtige Beziehungen, dem belgischen Minister Jean Rey, der Kommission vorgelegt. In der gleichen Sitzung hatte man sich mit der Problematik der Sondierungsgespräche befasst und dem EWG-Ministerrat gegenüber die Bereitschaft ausgedrückt, in Verhandlungen mit Österreich einzutreten. Nach der kommissionellen Genehmigung und Weiterleitung an das Sekretariat des Ministerrates der EWG konnte sich dieser am 7. Juli 1964 erstmalig mit dem österreichischen Ansuchen befassen.35 Somit bestand auch eine Möglichkeit, dass bei der folgenden Tagung des Ministerrates im Oktober 1964 die Aufnahme von offiziellen Verhandlungen noch einmal überdacht werden konnte. Da es anderweitige Probleme gab, deren Dringlichkeit eine Aussprache im Ministerrat erforderlich machte, blieb aber Österreich weiter nur ein Randthema. Daran konnte Wien auch schlecht Anstoß nehmen, mussten doch die Organe der EWG die Koordination der Wirtschafts-, Finanz-, Währungs-, Steuer-, Agrar-, Verkehrs-, Sozialpolitik bis zur Freizügigkeit der Arbeitskräfte und der Niederlassungsfreiheit der sechs Länder übernehmen. Im Laufe des Jahres 1964 war es auch den EWG-Mitgliedsstaaten gelungen, die Zölle zur Hälfte abzubauen, wobei sich die Diskriminierung der Exporte für Österreich immer stärker fühlbar machte. Der Anteil der österreichischen Gesamtausfuhren am Gemeinsamen Markt fiel 1964 auf 47,5 %, nachdem er 1960 bei einer Quote von über 50 % gelegen war.36 In einem Gespräch mit Botschafter Heinrich Haymerle machte Wladimir Semjonow am 19. Mai 1964 auf das Vorbild für eine immerwährende Neutralitätspolitik in Europa, die Schweiz, aufmerksam: „Für Österreich werde es darauf ankommen, ob es eine langfristige Politik betreiben oder die Vorteile des von Bundeskanzler Raab auf weite Sicht eingeschlagenen Kurses um kurzfristiger wirtschaftlicher Ziele willen preisgeben wolle. Die österreichische Neutralitätspolitik habe nicht nur Bedeutung für Österreich, sondern für die gesamte internationale Lage. Man möge hier nur an die Schweiz denken. Die Schweiz sei ein kleines Land, das aber in der Weltpolitik eine große Rolle spiele. In ihren Beziehungen zu dem gemeinsamen Markt lege sie sich aus Gründen, die sich klar aus ihrer Neutralitätspolitik ergeben, große Zurückhaltung auf. Die strikte Beachtung der Neutralität erweise sich als Element der Stabilität in der Welt […] Die Neutralität Österreichs bestehe erst neun Jahre, die der Schweiz 150 Jahre. Auch die Schweiz habe zu Beginn Schwierigkeiten gehabt, eine richtige neutrale Linie zu finden. Diese Problematik sei jedoch längst überwunden. Der Weg, den sie einschlage, erfordere Mut und Hartnäckigkeit […] Der alte Weg des Anschlusses, der im Jahre 1938 zu einer Katastrophe geführt habe, werde, soweit 35 Zehnter Bericht der Bundesregierung über den Stand der wirtschaftlichen Integration Europas für die Zeit vom 16. 3. bis zum 15. 9. 1964, in: ÖZA 4 (1964), 330. 36 Helmut Straßer, Der Weg Österreichs zu den Verträgen mit Brüssel. Informationen zur Außenpolitik, ÖGA, Wien 1972, 46; vgl. zu dieser Problematik auch den Beitrag von Breuss in diesem Band.
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man in Moskau informiert sei, von der überwiegenden Mehrheit der österreichischen Bevölkerung abgelehnt. Es wäre traurig, wenn sich die Geschichte nunmehr unter anderen Vorzeichen wiederholen würde.“37
Haymerle fügte seinem Bericht hinzu, dass dies „die im Ton freundlichste, inhaltlich aber weitaus ernsteste“ Unterredung gewesen sei, die er während seines vierjährigen Aufenthaltes in der Sowjetunion gehabt hatte. Am 29. Mai konnte er Wien berichten: „Nach Überzeugung der Botschaft werden Abmachungen rein handelspolitischer Natur trotz aller lautstarken Warnungen [an] uns ungeachtet aller in einem solchen Falle zu erwartenden verbalen Proteste von sowjetischer Seite zur Kenntnis genommen werden, sofern sie lediglich den genannten wirtschaftlichen Erfordernissen Rechnung tragen.“38
Der sowjetische Botschafter in Österreich, der am 11. Juni Kreisky gesagt hatte, dass sich Moskau „für den Fall einer Verletzung des Staatsvertrages durch Österreich, nicht mehr an die Verpflichtungen des Staatsvertrages gebunden erachten würde“,39 gewann im Juli 1964 den Eindruck, dass Gorbach „koste es was es wolle“ – Awilow wiederholte zweimal diesen Ausdruck – „einen Vertrag mit der EWG wolle“. Auf den Vorwurf Gorbachs, „dass er in Wien eine starrere Haltung vertrete als in Moskau vertreten werde“, versicherte Awilow, „dass er in einer so bedeutenden Frage wie es das EWG-Problem sei, weder ein Wort zu dem, was ihm aus Moskau aufgetragen sei, dazugebe noch auch ein Wort wegnehme“. Seine Ausführungen würden mit dem Prawda-Artikel vom 31. März 1963 übereinstimmen, „der, wie in Österreich doch wohl bekannt sei, einer Art Erklärung der sowjetischen Regierung gleichkomme“.40 Österreichs EWGPolitik blieb auch in den EFTA-Ländern nicht ohne Kritik. Die schwedische Presse wies auf die „Unruhe“ und die „Probleme“ hin, die der österreichische „Ausbruch“ in Richtung EWG in der EFTA verursacht habe. Moniert wurde ferner, dass Österreich keine klare Antwort auf verschiedene Fragen gegeben und seine EFTA-Partner ungenügend unterrichtet habe.41 Die Notwendigkeit eines baldigen Ergebnisses war nicht nur ein momentanes Bedürfnis der österreichischen Wirtschaft, sondern vor allem eine Folge der Befürchtungen vor weiteren negativen Auswirkungen der Exportdiskriminierungen. Im Falle des Misslingens 37 Übersicht wie Anm. 17; Bericht „Gespräche mit dem Stellvertretenden Außenminister Semjonow“, Zl. 53Pol/64, Haymerle „Vertraulich“ an Kreisky, 20. 5. 1964. SBKA, Integration-Box 1267. 38 Bericht „Das österreichisch-sowjetische Verhältnis im Lichte der Bemühungen Österreichs um ein Arrangement mit der EWG“, Zl. 56-pol/64, Haymerle an Kreisky, 29. 5. 1964. SBKA, Integration-Box 1267. 39 Dienstzettel an das Kabinett des HBM, Zl. 71.782-6 (pol) 64 „Sowjetische Äußerungen zur Frage der Assoziierung Österreichs an die EWG“, 22. 5. 1965. SBKA, Integration-Box 1267. 40 Amtsvermerk „Verschluss“. Kabinett des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten „EWG-Arrangement; Intervention des sowjetischen Botschafters“, 5. 7. 1964. SBKA, Integration-Box 1267. 41 Pressebericht EFTA-Konferenz von Edinburgh in der schwedischen Presse Zl. 3001-A/64 vom 10. 7. 1964, gez. Wolte. SBKA, Integration-Box 1267.
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eines Arrangements in Form eines Vertrages mit der EWG prognostizierte man weniger negative Auswirkungen für die Rohstoffexporte als für die Ausfuhr von hoch qualifizierten Fertigwaren. Einer der wichtigsten Punkte der abzuschließenden Vereinbarung war somit in der Gestaltung eines gemeinsamen Außenzolltarifs und in der Beseitigung der Binnenzölle gelegen.42 Die Auseinandersetzung über die Frage der Integrationsform und die damit zusammenhängende Integrationspolitik war letztlich Resultante einer Synthese zwischen ökonomischer Notwendigkeit und völkerrechtlicher bzw. neutralitätspolitischer Möglichkeit, wobei die gesamteuropäische Wirtschaftsentwicklung den Ausschlag für die steigenden Sachzwänge geliefert hatte. Ende Juli 1964 setzte der Ministerrat die Beratung des Berichtes fort und beauftragte den Ausschuss der Ständigen Vertreter, zusammen mit der Kommission den Entwurf für Richtlinien zu erstellen, welche die Eröffnung der Verhandlungen ermöglichen sollten. Während die Vereinigten Staaten die Möglichkeit eines positiven Arrangements zwischen Österreich und der EWG nicht ausschließen wollten,43 befürchteten die Sowjets hinter der Integrationspolitik versteckte Anschlussbestrebungen. Dem österreichischen Vertreter in Paris wurde vom sowjetischen Geschäftsträger im August 1964 bedeutet, „dass eine rein wirtschaftliche Assoziation Österreichs mit der EWG, die laut Präambel des Römer Vertrages nicht nur eine wirtschaftliche, sondern vor allem auch eine politische Gemeinschaft der Mitgliedstaaten herbeiführen soll, kaum vorstellbar sei. Österreich, das sich einen so guten Ruf als neutraler Staat in der ganzen Welt gemacht habe, riskiere, diese Reputation im Falle einer Assoziierung mit der EWG ernstlich zu kompromittieren. Die Folge wäre, dass Österreich das ihm als neutralen Staat entgegengebrachte Vertrauen verlieren und sich auf außenpolitischem Gebiet seiner unverhältnismäßig starken Position, die es als neutraler Staat im internationalen Kräftespiel einnimmt, selber begeben würde.“
Er verwies in diesem Zusammenhang auf Schweden und die Schweiz, die, wie er durchblicken ließ, mehr darauf bedacht wären, einen Status „intakter Neutralität“ zu wahren.44 In einem Memorandum vom 30. September 1964 stand unmissverständlich: 42 Sten. Prot. NR, X. GP, 41. Sitzung, 2.4. 1964, 2485. 43 Die USA waren „gegen eine Präferenzbehandlung eines Landes gegenüber der EWG“, anerkannten „jedoch zugleich die einzigartige Stellung Österreichs“: „Bei jeder Art von Arrangement, das mit Österreich getroffen werde, müsste aber klargestellt werden, dass es nicht ein Präzedens für andere Länder darstellen könne.“ Es obliege Österreich, seine Neutralität zu umschreiben, die es ihm erlaube, „eine aktive und verantwortliche Rolle in weltpolitischen Angelegenheiten zu spielen“: „Es wäre unmöglich, dass eine Regelung mit der EWG erfolgen könnte, die eine Verletzung des Staatsvertrages darstellte“, Ladner an BMfHuW und BMfAA, 6. 8. 1964, Zl. 782-Res/64 „Österreich – EWG; sowjetische Vorstellungen zu den österreichischen Vertragswünschen“ über eine Stellungnahme Applings, stellvertretender Director of Western European Affairs im State Department. SBKA, Integration-Box 1267. 44 Bericht der Österreichischen Botschaft Paris Zl. 60-pol/64 „Arrangement Österreichs mit der EWG.-Gespräch mit dem sowjetischen Geschäftsträger, 18. 8. 1964. SBKA, Integration-Box 1267.
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„Die sowjetische Regierung erachtet es für notwendig, noch einmal zu unterstreichen, dass sie ein sich Anschließen von Österreich an die EWG, in welcher Form auch immer, als einen Wendepunkt der von Österreich verkündeten Politik immerwährender Neutralität und als faktische Herstellung einer durch den Staatsvertrag verbotenen wirtschaftlichen Vereinigung mit der BRD [alle Herv. St. H.] mit allen sich hieraus ergebenden Folgen für die Unabhängigkeit Österreichs und die Interessen der europäischen Sicherheit betrachten würde.“45
So hieß es in einer der unzähligen Vorhaltungen von sowjetischer Seite. Es verdient Beachtung, wie unbeirrt Außenminister Kreisky an seiner integrationspolitischen Linie festhielt (ohne dafür die Neutralität aufs Spiel zu setzen) und bei jedem Besuch in einem Ostblockland die Gelegenheit nutzte, um in Vorträgen klar und deutlich auf die Unterschiede zwischen der sowjetischen Position und den österreichischen Bestrebungen einzugehen. Kaum genug können hierbei seine rhetorischen Fähigkeiten hervorgehoben werden.46 Den italienischen Außenminister Giuseppe Saragat ließ Kreisky wissen, „dass eine Vereinbarung auf der Basis eines Vertrages sui generis [Herv. St. H.] gefunden werden soll“. Saragat war Kreisky sehr nahe: „Es handelt sich um das Kleid, das der Sache gegeben wird und das Anstöße vermeiden und doch die Substanz enthalten soll.“ Kreisky bat seinen italienischen Parteifreund, dass man von Österreich nicht sogleich eine formelle Erklärung über einen EFTA-Austritt verlangt. Dann skizzierte er seine „Minimalformel“, weil man erstens nicht wisse, ob die Verhandlungen zu einem positiven Ende kommen würden, zweitens Österreich nicht mit den übrigen EFTA-Partnern Schwierigkeiten haben wolle (Vorwurf mangelnder Loyalität), drittens die Entwicklung innerhalb des Verhandlungszeitraumes nicht voraussehbar sei und viertens sich Österreich mit Blick auf Moskau „nicht in einer spektakulären Weise von der Schweiz und von Schweden entfernen“ wolle. Kreisky unterschied die finnische von der österreichischen Neutralität. Auf Konsultationen wolle man sich gar nicht einlassen: „Wir werden daher den Russen, wenn sie behaupten, dass wir durch einen Vertrag mit der EWG unsere Neutralität verletzen, antworten: Wir werden keinen Vertrag schließen, der mit der staatsvertraglichen Neutralität [sic!] nicht im Einklang steht.“47
45 Übersicht über die bisher in den wichtigsten Vorhaltungen von sowjetischer Seite verwendeten Formulierungen betreffend das von Österreich angestrebte Verhältnis zur EWG. Zl. 79.034-6(POL)64 (Vertraulich). Memorandum vom 30. 9. 1964. SBKA, Integration-Box 1267. 46 Vgl. z. B. Bruno Kreisky, Grundlagen der österreichischen Außenpolitik, Vortrag in der ungarischen Akademie der Wissenschaften Budapest am 30. 10. 1964. SBKA, Materialsammlung zur Integration. Beachtlich ist der historische Aufbau der Rede und die dadurch entstehende Dynamik. 47 „Gespräche über Österreichs Assoziierung mit Außenminister Saragat“, 8. 9. 1964 (Wortprotokoll). SBKA, Integration-Box 1267.
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Am 13. Oktober 1964 nahm der Ministerrat der EWG einen Bericht des Vorsitzenden des Ausschusses der Ständigen Vertreter über den Stand der Arbeiten mit Österreich zur Kenntnis. Dieser Ausschuss wurde beauftragt, folgende Fragen im Zusammenhang mit der österreichischen Regelung zu prüfen: „Die Entwicklung der österreichischen Wirtschaft seit Inkrafttreten des Vertrages von Rom, die Frage der Wettbewerbsverzerrungen, die bei einem gegenseitigen Abbau der Handelsschranken zwischen Österreich und der EWG zu erwarten wären und die Maßnahmen zur Vermeidung derselben, die verschiedenen grundsätzlichen Möglichkeiten der Regelung des Verhältnisses Österreichs zur EWG, die Möglichkeiten der Einbeziehung der Landwirtschaft in ein Arrangement zwischen Österreich und der EWG.“48
Am 12. November 1964 bekam der Ministerrat einen weiteren Bericht des Ausschusses der Ständigen Vertreter vorgelegt und wünschte sogleich eine beschleunigte Fortführung der Ausschussarbeiten, um die Österreich-Frage während der kommenden Dezembertagung erörtern zu können. Auf Beschluss der Bundesregierung in Wien überreichten die österreichischen Botschafter in den Hauptstädten der sechs EWG-Länder am 26. November Noten betreffend den schleppenden Fortgang der Frage der österreichischen Integration an die jeweiligen Außenminister der Empfangsstaaten. Während der Bearbeitung der Ergebnisse der Untersuchungen wurde seitens des EWG-Ministerrats auf seiner Tagung am 30. November festgelegt, dass ein Handelsabkommen, welches nur nichtdiskriminierende Maßnahmen enthielt, nicht eine grundsätzliche Möglichkeit zur Klärung des Verhältnisses der EWG zu Österreich darstellen würde. Der Ausschuss der Ständigen Vertreter wurde daher beauftragt, eine Lösungsmöglichkeit innerhalb der GATT-Verträge zu suchen. Der Artikel XXIV des GATT-Vertrages wurde nunmehr mit Vorrang behandelt, dennoch dabei die Prüfung anderer Lösungen nicht vernachlässigt. Als Österreich am 2. Februar 1965 wiederum bei der Ministerratssitzung Verhandlungsgegenstand war, wurde der Ausschuss der Ständigen Vertreter beauftragt, gemeinsam mit der Kommission bis zum 2. März die Grundlagen eines Mandates auszuarbeiten. Somit wurde die Aufnahme von Verhandlungen zwischen einer österreichischen Regierungsvertretung und einer Delegation der EWG-Kommission unter Anwesenheit von Beobachtern der Mitgliedsstaaten der EWG-Kommission für den 19. März vereinbart. Ungewissheit herrschte darüber, wie sich Österreichs EFTA-Verhältnis angesichts der EWG-Annäherungspolitik zukünftig gestalten würde, während offizielle Kreise in Brüssel klare Vorstellungen davon zu haben schienen. Am 22. März 1965 gab Kurt Waldheim, österreichischer Vertreter bei den VN, eine Präzisierung der Erklärungen Hallsteins in New York dem Ballhausplatz bekannt: „Bei dem von Österreich angestrebten Abkommen mit der 48 Elfter Bericht der Bundesregierung über den Stand der wirtschaftlichen Integration Europas für die Zeit vom 16. 9. 1964 bis zum 15. 3. 1965, in: ÖZA 5 (1965), 266–285.
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EWG handle es sich um ein sehr weit gehendes Abkommen, welches eine weitere Mitgliedschaft Österreichs bei der EFTA unmöglich mache.“49 In seiner Eröffnungsrede erläuterte der Bundesminister für Industrie und Wiederaufbau, Fritz Bock, die österreichischen Bestrebungen zur wirtschaftlichen Integration. Nachdem auch technische Aspekte des Verhandlungsmodus analysiert worden waren, folgten erste Verhandlungsrunden in Brüssel. Vom 22. bis 29. April 1965 wurde sodann der gegenseitige Abbau der Handelshemmnisse besprochen. Die Wirtschaftsgemeinschaft zeigte sich dabei bereit, Österreich das Recht zu gewähren, Zoll- und Handelsverträge im eigenen Namen mit Drittstaaten verhandeln und abschließen zu können.50 Bock bedankte sich in einem Gespräch mit Hallstein. Er wisse, „dass die Bemühungen [der EWG, St. H.] über das gewöhnliche Maß hinausgehen und dass vor allem durch den persönlichen Einsatz des Präsidenten das Mandat erreicht werden konnte“. Hallstein erwiderte, „dass er nur pflichtgemäß gehandelt habe, diese Pflicht aber im speziellen Fall ihm auch ein Herzenswunsch gewesen sei“. Er zweifelte nicht mehr an einem guten Ausgang der Verhandlungen. Bock verwies u. a. mit Blick auf die Sowjetunion auf die Treaty Making Power als wesentliche Bedingung für den Vertragsabschluss, zumal auch das Osthandelsproblem darunter zu subsumieren wäre. Die Zahlen von 1963 würden jedoch beweisen, dass dieser gegenüber den Handelsquantitäten der EWG qualitativ und quantitativ eine echte Quantité néligeable darstelle.51 Vom 17. bis 21. Mai 1965 vollzog sich die zweite Verhandlungsrunde, bei der die österreichische Seite die Bedeutung der EWG für den österreichischen Agrarexport hervorhob und eine Regelung der Agrarpolitik forderte.52 Die dritte Verhandlungsrunde vom 21. bis 25. Juni 1965 widmete sich neben der Diskriminierung den Harmonisierungsmöglichkeiten der Außenhandelsregime sowie jenen Sonderproblemen, die aus den traditionellen Handelsbeziehungen eines neutralen Landes wie Österreich resultierten. Einig war man sich über den Punkt, dass diese Handelsbeziehungen, die vor allem die osteuropäischen Staaten betrafen, nicht einen Vertrag mit der EWG beeinträchtigen könnten.53 Bei seinem offiziellen Staatsbesuch in Paris im Sommer 1965 hatte Kanzler Josef Klaus den Eindruck, dass die Argumente der Sowjets gegen „jedwede Annäherung Österreichs 49 Chiffrefernschreiben von der Österr. Vertretung bei den VN in New York, Kurt Waldheim, durchgegeben am 22. 3. 1965. SBKA. Integration-Box 1267. 50 Zwölfter Bericht der Bundesregierung über den Stand der wirtschaftlichen Integration Europas für die Zeit vom 16. 3. bis 15. 9. 1965, in: ÖZA 6 (1966), 293–311. 51 Gedächtnisnotiz vom 30. 4. 1965 über einen Besuch von Bundesminister Dr. Fritz Bock bei Präsident Hallstein. SBKA, Integration-Box 1267. 52 Erklärung der österreichischen Bundesregierung anlässlich der Verhandlungen mit der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über ihre Vorstellungen hinsichtlich des landwirtschaftlichen Teils des geplanten Abkommens durch Bundesminister Dipl.-Ing. Dr. Karl Schleinzer in Brüssel am 17. 5. 1965, in: Mayrzedt/Hummer, 20 Jahre Neutralitätspolitik, 384. 53 Zwölfter Bericht der Bundesregierung, 295.
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an die EWG“ auch bei de Gaulle „auf fruchtbaren Boden gefallen waren“. Hierbei sei es nicht möglich gewesen, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.54 „Die Zukunft liegt weder in der NATO noch in der EWG“, meinte de Gaulle am 1. Juli 1965 zu Klaus, in dem das französische Staatsoberhaupt Österreichs Politik kritisierte, die sowohl auf die EG als auch auf die EFTA zu bauen versuchte.55 Österreichs überexponierte EWG-Politik wurde in weiterer Folge von seiner gesicherten Mitgliedschaft in der EFTA aus geführt. In Wien veranstaltete man inzwischen die zwölfte Tagung der EFTA und FinEFTA (um Finnland erweiterte EFTA), deren Vorsitz Bundesminister Bock innehatte. Erstmals waren die Ministerpräsidenten Großbritanniens, Norwegens, Dänemarks, Schwedens und Finnlands als Vorsitzende ihrer Delegationen erschienen. Vor allem von britischer Seite wurde betont, dass eine neue integrationspolitische Initiative ergriffen werden sollte, um nicht einer weiteren Vertiefung der Kluft zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken in Europa entgegensehen zu müssen. Österreich begrüßte dabei jede Bestrebung, die zu einer multilateralen gesamteuropäischen Lösung führen würde.56 Anfang Juli 1965 ergaben sich scharfe Meinungsverschiedenheiten innerhalb der EWG aufgrund der Finanzierungsregelung, weil diesbezüglich eingegangene Verpflichtungen nicht gehalten worden waren. Frankreichs Regierung behauptete, dass eine Einigung über die gemeinsame finanzielle Verantwortung durch neue politische und wirtschaftliche Bedingungen verhindert würden. Der entscheidende Grund war die im EWG-Vertrag vorgesehene Einführung von Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat ab 1966, dem Beginn der dritten Stufe einer zu schaffenden Zollunion. Im Speziellen ging es um die Frage der Einhaltung des gemeinsam geregelten Getreidepreises.57 Diese Krise provozierte schließlich eine „Politik des leeren Stuhles“, d. h. die Abwesenheit der französischen Vertreter im EWG-Ministerrat, welche ein halbes Jahr andauerte und zur weitgehenden Blockierung seiner Tätigkeit führte. Die Franzosen hatten damit weitreichende politische, wirtschaftliche und juristische Konsequenzen gezogen, wobei dieses Verhalten die zu erwartenden Verhandlungsergebnisse der Österreicher nicht begünstigen sollte.58 Trotz der bisher größten innergemeinschaftlichen Krise wurde vom 28. September bis zum 1. Oktober 1965 die vierte Verhandlungsrunde in Brüssel eingeleitet. Der Abbau der Handelsschranken und die Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken waren hierbei die we54 Josef Klaus, Macht und Ohnmacht in Österreich, Konfrontation und Versuche, Wien 1971, 317 f. 55 Eisterer/Rathkolb, 91. 56 Wie Anm. 50, 308. 57 Gerade nach dem abgeschlossenen Fusionsvertrag durchschüttelte die EG 1965/66 eine der schwersten Krisen, als Paris sieben Monate lang allen Sitzungen des Ministerrates fernblieb. Für ein halbes Jahr lähmten die Franzosen damit die Entscheidungen in Brüssel, als sie vom Juli 1965 bis zum 29. Januar 1966 den Ratssitzungen fernblieben. Kein Mitgliedsstaat sollte in einer wichtigen Frage in der Gemeinschaft überstimmt werden können. Diese schwere Krise endete im Januar 1966 mit dem sogenannten Luxemburger Kompromiss. 58 Erklärung der französischen Regierung vom 1. 7. 1965 zum Abbruch der Verhandlungen im Rat der EWG, in: Europa Archiv 20 (1965), Bd. II, D 428-D 429.
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sentlichen Diskussionspunkte. Am 21. Oktober leitete die Kommission dem Rat einen Bericht über das Ergebnis der ersten Verhandlungsrunden zu. Die Entwicklung der Gestaltung der Politik zwischen der EWG und Österreich blieb nicht ohne Auswirkungen auf die übrigen EFTA-Staaten. Die dreizehnte Tagung des EFTAund FinEFTA-Ministerrates am 28. und 29. Oktober 1965 in Kopenhagen bezog sich dann auch auf die Frage der Förderung einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa zur Vermeidung einer zunehmend divergenter werdenden Wirtschaftspolitik. In einem AideMémoire an die Botschaften der EWG-Staaten in Kopenhagen konzentrierte man sich auf die konkreten Möglichkeiten eines Diskriminierungsabbaus und eine gesamteuropäische Wirtschaftspolitik im Sinne der EFTA-Vertragspräambel.59 In der fünften Verhandlungsrunde mit der EWG vom 6. bis 10. Dezember wurde die Harmonisierung der Handelspolitiken weiter debattiert. Vor allem die aus der immer-währenden Neutralität und dem Staatsvertrag resultierenden Pflichten Österreichs wurden gewürdigt. Ferner gab es Einverständnis darüber, dass diese Erfordernisse so klar wie möglich im Abkommen festgehalten werden müssten. Ein genereller Vorbehalt sollte es Österreich überlassen, selbst zu entscheiden, wann der Vertrag mit der EWG zu suspendieren wäre. Außerdem sollten gewisse neutralitätswidrige Maßnahmen nicht durchgeführt werden, die schon als kodifiziertes Recht der EWG galten. Der Antrag für ein zweiseitiges Aufkündigungsrecht sicherte demnach die internationale Stellung Österreichs.60 Am Anfang des Jahres 1966 stand der „Luxemburger Kompromiss“.61 Während der sechsten Verhandlungsrunde vom 31. Januar bis zum 3. Februar 1966 wurde ein Konzept über das Verhältnis zu den Institutionen vorgelegt, welche die gemeinsamen Beziehungen gestalten und intensivieren sollten. Übereinstimmend wurde beschlossen, dass ein gemeinsamer, paritätisch zu besetzender Rat als Entscheidungsorgan alle Entschlüsse einstimmig 59 Dreizehnter Bericht der Bundesregierung über den Stand der wirtschaftlichen Integration Europas für die Zeit vom 16. 3. 1965 bis zum 1. 5. 1966, in: ÖZA 7 (1967), 83–117. 60 Ebd., 85. 61 Rudolf Lahr, „Die Legende vom Luxemburger-Kompromiss“, in: Europa-Archiv 38 (1983), 223–232. Die getroffenen Vereinbarungen betrafen die entscheidenden Fragen der Mehrheitsbeschlüsse und der künftigen Zusammenarbeit zwischen EWG-Kommission und Ministerrat. Es war ein Kompromiss, der formal die Beibehaltung des Prinzips der Mehrheitsentscheidungen bedeutete, in der Realität wurden jedoch bis auf Weiteres alle wichtigen Beschlüsse einstimmig gefasst. Der sogenannte Kompromiss war ein Erfolg nationalfranzösischer Interessen, weil kein Kompromiss, d. h. kein Einvernehmen darüber erzielt werden konnte, was geschehen soll, wenn Bemühungen um Konsens erfolglos bleiben und Frankreich auf Einstimmigkeit insistiert, sofern ein Staat vitale Interessen geltend macht. In der Praxis entwickelte sich daraus – gegen die Vertragsnormen – die Einstimmigkeitspraxis, die häufig und fälschlich als „Vetorecht“ bezeichnet wird. Die Folge dieser Praxis – die im Übrigen von Dänemark und Großbritannien, später dann auch von Griechenland als Geschäftsgrundlage ihrer Mitgliedschaft betrachtet wurde – waren Vertagung von entscheidungsbedürftigen Fragen oder die Verknüpfung mehrerer Fragen zu Paketlösungen, an denen die Staaten jeweils unterschiedlich starkes Interesse hatten. Dieser „Luxemburger Kompromiss“ war also ein Erfolg französischer Insistenz auf Einstimmigkeit im Ministerrat und ein Misserfolg für den Integrationsfortschritt.
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treffen sollte. Erst nach Fixierung aller materiellen Vertragsinhalte wollte man das volle Ausmaß der Zuständigkeiten des Schiedsgerichtes bestimmen. Festgehalten wurde ferner, dass alle getroffenen Entscheidungen verbindlich sein sollten. Am Ende der Verhandlungsrunde wurde das erste Mandat abgeschlossen und mit Zufriedenheit festgestellt, dass entscheidende Probleme beseitigt und Missverständnisse bereinigt worden seien.62 Die Kommission erstellte folglich am 27. April einen zweiten Bericht über die Ergebnisse der ersten Verhandlungsphase und leitete diesen an den Rat weiter. In dem Bericht wurden die österreichische Neutralität, der Staatsvertrag sowie allgemeine Probleme behandelt, die sich aus der Übereinstimmung der Wirtschaftspolitiken und Koordination der Institutionen ergaben. Am 6. März 1966 fanden in Österreich Nationalratswahlen statt. Die SPÖ verlor zwei, die ÖVP gewann vier Sitze. Bei der Regierungsumbildung wurde den Sozialisten von Bundeskanzler Klaus ein Angebot für eine Mitwirkung an der Regierung unterbreitet. Die SPÖ-Führung wies dieses aber zurück und begab sich in Opposition. Kreisky, der zu einer Zusammenarbeit mit der ÖVP neigte, musste aus dem Außenministerium scheiden.63 Fritz Bock wurde in der nun anbrechenden Zeit der ÖVP-Alleinregierung nicht nur zum Bundesminister für Handel und Wiederaufbau bestellt, sondern avancierte auch zum Vizekanzler. Diese spezifische Personalunion ministerieller und regierungspolitischer Funktionen wurde als bewusste Betonung der Bedeutung der Integrationsverhandlungen für die Durchsetzung des ÖVP-Regierungsprogrammes interpretiert.64 Bundeskanzler Klaus hob dann auch in seiner Regierungserklärung vom 20. April 1966 hervor, dass die Unabhängigkeit Österreichs mit der Sicherheit der Bezugsquellen und den Absatzmöglichkeiten für die Industrie auf den traditionellen Märkten eng verbunden sei. Von einer Teilnahme an der wirtschaftlichen Dynamik des großen europäischen Wirtschaftsraumes wäre auch die Erhaltung der Arbeitsplätze abhängig. Aus diesem Grunde müsste er die Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen zum Gemeinsamen Markt als wichtigste Aufgabe ansehen.65 Der europhile und integrationsbewusste außenpolitische Sprecher der ÖVP, Lujo Tončić-Sorinj, wurde in dieser Konsequenz auch zum neuen Außenminister bestellt. Die Grundzüge des zukünftigen Abkommens zwischen Österreich und der EWG bildeten eine Zollunion für den Handel mit Industriewaren und ein Präferenzsystem für den Handel mit Agrarprodukten. Mit dieser grundsätzlichen Einigung zwischen der österreichischen Delegation und der Kommission der EWG blickte man mit Zuversicht auf die Entscheidung des Ministerrats, der am 25. Juli 1966 auch beschloss, spätestens im November 1967 das zweite Verhandlungsmandat zu verabschieden. Als er am 6. und 7. Dezember 1966 dieses 62 Dreizehnter Bericht der Bundesregierung, 89; EWG – Österreich. Information über das Ergebnis der sechsten Verhandlungsrunde 31. Jänner bis 3. Februar 1966. SBKA, Integration-Box 1267. 63 Bruno Kreisky, Im Strom der Politik. Der Memoiren zweiter Teil, Berlin 1988, 385–389. 64 Kirchschläger, Integration und Neutralität, 93. 65 Sten. Prot. NR, XI. GP, 3. Sitzung, 20. 4. 1966, 66.
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billigte, machte sich allgemeine Zufriedenheit breit, da auch Frankreich – wenn nur formell – zugestimmt hatte. Vizekanzler Bock leitete vom 13. bis 16. Dezember die österreichische Delegation in der siebten Verhandlungsrunde. Minister Rey führte die Brüsseler Gespräche mit Erfolg: Man einigte sich ohne Ausnahmen auf einen völligen Abbau der Zölle und sonstiger Handelshemmnisse zwischen Österreich und der EWG innerhalb von vier Jahren. In diesen letzten Wochen des Jahres 1966 prüfte eine Arbeitsgruppe den zweiten Bericht der Kommission und daneben die Frage, inwieweit die einzelnen Sektoren der Wirtschaftspolitik harmonisiert werden müssten. Das Ergebnis stellte drei Berichte an den Ausschuss der Ständigen Vertreter dar, die Fragen der Neutralität und des Staatsvertrages, die allgemeinen Harmonisierungsprobleme, den Harmonisierungsgrad der einzelnen Sektoren und die Institutionen behandelten.66 Österreichs fortgesetzte Integrationsbemühungen in Richtung EWG wurden vom Kreml nach wie vor mit Unbehagen verfolgt. Dies wurde einmal mehr deutlich, als Ende November 1966 der sowjetische Staatspräsident Nikolaj Wiktorowitsch Podgorny nach Wien kam. Am 20. November hielt er eine Rede im ORF, in der er die offizielle sowjetische Meinung noch einmal unmissverständlich zum Ausdruck brachte: „Als aufrichtiger Freund Österreichs müssen wir mit aller Offenheit sagen: Ein Arrangement mit dem Gemeinsamen Markt, in welcher Form es auch vorgesehen sein mag, würde unserer Meinung nach dazu führen, dass Österreich nicht nur durch wirtschaftliche, sondern auch durch bestimmte politische Verpflichtungen gebunden wäre. Dies aber würde einerseits, ob mit oder ohne Absicht, zur Abkehr vom Staatsvertrag, vom bewährten neutralen Kurs führen, der für das österreichische Volk von großen Nutzen ist.“67
Die Warnungen wurden wohl gehört, die österreichische Außenpolitik schien sich aber weiter gezwungen zu sehen, auf die wirtschaftspolitischen Zwänge zu reagieren, die durch die europäische Integration ausgelöst worden waren. Mit der achten Verhandlungsrunde vom 30. Januar bis 2. Februar 1967 wurde die zweite Verhandlungsphase abgeschlossen. Das Zollbegünstigungsregime, die Ausnahmen auf dem Gebiet der Zölle sowie die Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen bei der Einund Ausfuhr waren die letzten Punkte aus dem Bereich der Harmonisierung. Die Frage der Einbeziehung der Landwirtschaft in den Vertrag wurde diskutiert und Österreich beabsichtigte dabei nach einer gewissen Übergangsphase einen freien Warenverkehr auf diesem Sektor zu gestalten. Die EWG-Kommission besprach schließlich ein neues Konzept für eine diesbezügliche vertragliche Regelung und erstellte einen dritten Kommissionsbericht, der 66 Vierzehnter Bericht der Bundesregierung über den Stand der wirtschaftlichen Integration Europas für die Zeit vom 2. 5. 1966 bis 31. 12. 1966, in: ÖZA 7 (1967), 312–339. 67 Chronik zur Österreichischen Außenpolitik. Wortlaut der Erklärung, in ÖZA 6 (1966), 481–483.
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am 21. März 1967 ohne Schlussfolgerungen über die Landwirtschaft veröffentlicht wurde. Dieser wurde erst im Mai an den Ministerrat weitergeleitet.68 In der Zwischenzeit wurde von österreichischer Seite bei den Sowjets die Frage eines Assoziierungsverhältnisses mit dem gemeinsamen europäischen Markt ausgelotet. Während der Visite von Bundeskanzler Klaus und Außenminister Tončić-Sorinj in Moskau vom 14. bis 21. März 1967 erklärte – nach den offiziellen, eher stockenden und für Österreichs Integrationsabsichten wenig positiven Verhandlungen – in einem Vieraugengespräch Michael Voslensky gegenüber Tončić, dass die Sowjetunion niemals hinnehmen könne, „dass die Bundesrepublik Deutschland Österreich wirtschaftlich unter Kontrolle bekäme, was den Anfang zu einer massiven wirtschaftlichen Penetration des Donauraumes bis zur sowjetischen Grenze darstellen würde. Die Wirtschaft wäre dabei nichts als der Wegbereiter für politische Infiltration, wodurch das gesamte, so mühsam hergestellte Gleichgewicht in Mitteleuropa zerstört würde.“69
Jegliche Teilnahme Österreichs an einer Zoll- oder Wirtschaftsgemeinschaft würde eine Verletzung des Staatsvertrages bedeuten, „von der immerwährenden Neutralität gar nicht zu reden“. Auf die Frage des Ministers, an welche weitere Entwicklung zu denken sei, erklärte Voslensky, „dass aber die Sowjetunion einem Arrangement auf der Basis einer Freihandelszone ein gewisses, wenn auch zögerndes Verständnis entgegenbringen könne“.70 Innerparteilich war dieses eher bescheidene Integrationsziel offenbar gegen den massiven EG-Beitrittsflügel der ÖVP aber nicht durchsetzbar gewesen.71
IV. Römisches Südtirol-Junktim und das sogenannte zweite französische Veto blockieren die weiteren Verhandlungen mit Brüssel 1967 Im März 1967 überreichte Minister und Vizekanzler Bock an alle Missionschefs der EWGMitgliedsstaaten ein Aide-Mémoire der österreichischen Bundesregierung, in welchem die Hauptpunkte des angestrebten Vertrages Österreichs mit Brüssel angeführt wurden. Am 5. Juni 1967 befasste sich der EWG-Ministerrat mit der Österreichfrage und bat die Ständigen Vertreter, dem Rat einen zusammenfassenden Bericht zu erstellen. Genau an diesem 68 Fünfzehnter Bericht der Bundesregierung über den Stand der wirtschaftlichen Integration Europas für die Zeit vom 1. 1. 1967 bis 31. 8. 1967, in: ÖZA 8 (1967), 163–187. 69 Vertraulicher Brief des Generalsekretärs des Europarates Lujo Tončić-Sorinj an den Generalsekretär, a.o. u. bev. Botschafter Dr. Walter Wodak, Straßburg, 19. 7. 1972. SBKA, Karton 1266. 70 Ebd. 71 Ebd.
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Tage begann auch der Sechstagekrieg im Nahen Osten, der die allgemeine Nervosität in der großen Politik immer mehr zu steigern schien. Wien hatte die zunehmenden internationalen Verflechtungen schon lange realisiert und dabei versucht, die Kontakte auszuweiten, um die Involvierungen besser zu überschauen und Einfluss ausüben zu können. Vizekanzler Bock übermittelte am 19. Juni den EWG-Botschaften in Wien eine Notiz, in der zu den neuen Vorschlägen der EWG-Kommission eine erste Stellungnahme enthalten war. Sechs Tage später sollte jedoch ein Ereignis eintreten, welches deutlich machte, auf welch tönernen Füßen die österreichische Integrationspolitik jener Zeit stand: Der 25. Juni 1967 könnte hierbei als ein „Schicksalstag“ der Geschichte österreichischer Integrationsbestrebungen in den 60er-Jahren bezeichnet werden: An der österreichisch-italienischen Grenze, auf der Porzescharte, erlitten vier italienische Soldaten infolge einer Tretminenexplosion tödliche Verletzungen. Ein Terroranschlag wurde vermutet und die italienische Presse forderte äußerst scharfe Sanktionen gegen Österreich, welches der Duldung von Terrorismus beschuldigt wurde. Der italienische Außenminister Amintore Fanfani behauptete, dass diese kriminellen Aktionen auf österreichischem Territorium vorbereitet worden seien. Der österreichische Außenminister wiederum ließ mit einem persönlichen Telegramm Bestürzung und Trauer zum Ausdruck bringen, der Bundeskanzler signalisierte, alle möglichen Ermittlungsdienste zur Verfügung zu stellen. Der Zwischenfall auf der Porzescharte ließ – einmal abgesehen von den seit 1959/60 in Südtirol erfolgten Bombenanschlägen72 – die Beziehungen zwischen Rom und Wien weiter abkühlen, hatten doch 1966 die Attentate bereits einen neuen Höhepunkt erreicht. Die für den 28. Juni angesetzte Beratung der Ständigen Vertreter über Österreich wurde folglich auch abgesagt, was als Anfang vom Ende des österreichischen Alleingangs anzusehen ist.73 Bundesminister Bock befürchtete die Möglichkeit einer Junktimierung der österreichischen EWG-Vertragsbestrebungen seitens der Italiener, was sich durch ihr Verhandlungsveto tatsächlich bestätigen sollte. Nach Ansicht Roms sollte erst einmal in der Südtirolfrage und mit dem damit zusammenhängenden Terrorismus Klarheit geschaffen werden, bevor in Brüssel weiter verhandelt werden sollte.74 Die ersten Julitage waren durch eine hektische Reisetätigkeit und Diplomatie des Handelsministers gekennzeichnet. Er besuchte den Präsidenten des EWG-Ministerrates sowie den deutschen Vizekanzler und Außenminister Willy Brandt. Gleich darauf empfing er alle Botschafter der EWG-Staaten in Wien. Am 10. Juli besprachen die Außenminister der EWG am Rande einer Ministertagung die neue Lage der Österreichfrage. Die Bemühungen, den italienischen Außenminister umzustimmen, blieben
72 Vgl. die Dokumentation zu den Bombenattentaten im Südtirol der 60er Jahre von Elisabeth Baumgartner/ Hans Mayr/Gerhard Mumelter, Feuernacht. Südtirols Bombenjahre, Bozen 1992, bzw. Elisabeth Baumgartner, Der Albtraum Roms. Schrittmacher für die heutige Autonomie: die Jahre der Bomben in Südtirol, in: Die Presse, 20./21. 6. 1992; vgl. auch den Beitrag von Pallaver in diesem Band. 73 Vgl. auch den Beitrag von Breuss in diesem Band. 74 Vgl. auch den Beitrag von Pallaver in diesem Band.
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aber ohne Erfolg. Am 18. und 19. Juli stattete Bock dem neuen Präsidenten der Gemeinsamen Europäischen Kommission, Jean Rey, einen Besuch in Brüssel ab, um auf die Dringlichkeit des österreichischen Anliegens hinzuweisen. Die offensive Spielart der österreichischen Europapolitik, der „Alleingang“ ohne die neutralen Schweden und Schweizer unter Zurückstellung neutralitätsrechtlicher und neutralitätspolitischer Vorbehalte, fand nicht nur in Moskau, sondern offensichtlich auch in Paris wenig Zustimmung. Beim Staatsbesuch von Georges Pompidou und Couve de Murville in Wien vom 14. bis 21. November 1967 sprachen sich die Franzosen gegen eine Lösung aus, die über das Konzept der Freihandelszonen-Assoziierung hinausging.75 Durch das sogenannte zweite französische Veto vom Dezember 196776 gegen den britischen Beitritt war dann eine Entscheidung gefallen, die deutlich machte, dass Österreich ein Randproblem geblieben war und die weitere Entwicklung abzuwarten hatte. Nachdem innerhalb der EG die Assoziierung eines letztlich nicht beitrittswilligen Landes auf breite Ablehnung gestoßen war, drehten sich die Gespräche in der Folge um einen Sondervertrag Österreichs mit Brüssel. Sie bildeten den Ausgangspunkt langwieriger Verhandlungen mit der EG um vertragliche Vereinbarungen, die dann gegen Ende der ÖVP-Alleinregierung vorangetrieben und zu Beginn der Regierung Kreisky offiziell signiert werden konnten. Das offenkundige Scheitern der österreichischen Integrationspolitik („Alleingang“) blieb nicht ohne innenpolitische Rückwirkungen. Am 23. Januar 1968 verkündete Bundeskanzler Klaus eine Regierungsumbildung. Das Revirement vom 19. Januar im Kabinett betraf Vizekanzler und Minister Bock und Außenminister Tončić-Sorinj, die ihre Posten räumen mussten. Der ÖVP-Abgeordnete Otto Mitterer wurde zum Handelsminister, der parteilose Kurt Waldheim zum Außenminister bestellt, während Hermann Withalm zum neuen Vizekanzler avancierte. Die Neubesetzung der Regierungsämter hing sehr wahrscheinlich auch mit ÖVP-internen Meinungsverschiedenheiten in der Integrationsfrage und der allgemeinen Europapolitik zusammen. Es schien, dass die „offensiven“ Integrationspolitiker den eher „defensiveren“ weichen mussten.77 75 Lujo Tončić-Sorinj, Erfüllte Träume. Kroatien – Österreich – Europa, Wien/München 1982, 381 ff.; Fritz Bock, Integrationspolitik von österreichischer Warte, Wien 1970, 77. 76 Außenminister Couve de Murville legte am 7. 11. 1967 in einer Rede vor der frz. Nationalversammlung erneut die Bedenken der französischen Regierung gegenüber einem Beitritt Großbritanniens zu den Europäischen Gemeinschaften dar, in: Europa Archiv 22 (1967), Folge 23, Z 259–260, D 547-D 552; de Gaulle lehnte auf einer Pressekonferenz am 27. 11. 1967 einen Beitritt Großbritanniens zu der EG „im gegenwärtigen Zeitpunkt“ ab, in: Europa Archiv 22 (1967), Folge 23, Z 272, D 553 ff.; vgl. auch John Lambert, Britain in a Federal Europe, Edinburgh 1968, 134 ff., 139–143. 77 Vgl. hierzu auch Paul Luif, 100, wonach Tončić einem EWG-Beitritt aus neutralitätspolitischen Überlegungen eher kritisch gegenüberstand, während Bock stark EWG-orientiert war. Durch die Demission beider und die Regierungsumbildung im Januar 1968 erhielt die ÖVP demnach eine mehr weltweit orientierte außenpolitische Perspektive, während die eher westeuropäisch ausgerichtete in den Hintergrund trat.
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Der allgemeine Konjunkturrückgang in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre war auch am Nachfragerückgang der Bundesrepublik Deutschland festzustellen. Trotz der negativen internationalen Trends hatte Österreich als kleines und relativ „armes“ Land eine beachtliche Krisenfestigkeit bewiesen. Wichtig war aus der Sicht Wiens, dass die Vollbeschäftigung aufrechterhalten wurde. Trotz der Rückschläge in der Integrationspolitik verpflichtete sich die Bundesregierung in ihren wirtschaftlichen und politischen Programmen neuerlich, an ihrem durch Ministerratsund Parlamentsbeschlüsse fixierten Integrationsziel nach wie vor festzuhalten.78 Der zur Schau getragene Optimismus hinsichtlich einer erfolgreichen Integrationspolitik seitens der ÖVP-Alleinregierung im Sinne eines baldigen Arrangements mit der EG sollte jedoch trügerisch sein.
V. Wartephase infolge der Niederschlagung des Prager Frühlings und der Neuanlauf bis zum Abkommen mit den EG (1968–1972) Der Einmarsch der Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei im August 1968 löste einen Schock in der westlichen Staatenwelt und bei den Mitgliedern des österreichischen Parlaments aus. Es ist noch auf Aktengrundlage zu erforschen, inwiefern das Jahr 1968 ähnliche Westintegrationstendenzen bei den Verantwortlichen der österreichischen Politik bewirkt hat wie das Jahr 1948.79 Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Prag dürfte die integrationspolitische Maxime der österreichischen Außenpolitik wahrscheinlich eine politische Bestätigung bzw. psychologisch eine weitere Motivation gefunden haben. Die Zeit im Spätsommer und Herbst 1968 muss jedenfalls als Phase des Wartens der österreichischen Integrationspolitik bezeichnet werden. In verschiedenen westeuropäischen Ländern war Unzufriedenheit in den intellektuell orientierten Schichten verbreitet, daneben in nicht geringen Teilen der Bevölkerung Besorgnis wegen der Passivität des Westens bei der Niederschlagung des Prager Frühlings und in der Arbeiterschaft Verunsicherung aufgrund sozialer Krisensymptome vorhanden. Die Regierungen der EWG-Länder, v. a. die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, waren mit der Bewältigung dieser inneren Probleme beschäftigt. Im Frühling 1969 begann sich eine neue Entwicklung abzuzeichnen. Die Ministertagung der EFTA und der FinEFTA bestätigte im Mai die Entschlossenheit der involvierten Regierungen, die wirtschaftliche Spaltung in Europa zu überwinden. Diese erklärten sich bereit, alle konstruktiven Vorschläge zu erwägen, die sich im Geiste der internationalen Verpflichtungen bewegten.80
78 Sten. Prot. NR, XI. GP, 88. Sitzung, 23. 1. 1968, 7115 ff. 79 Vgl. hierzu die Darstellung von Günter Bischof/Josef Leidenfrost (Hrsg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949 (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte Bd. 4), Innsbruck 1988, und den Beitrag von Bischof in diesem Band. 80 Kommuniqué über die Ministertagung des EFTA- und FinEFTA-Rates in Genf am 8. und 9. 5. 1969 (gekürzt), in: Europa Archiv, 24 (1969), Bd. II, D 400-D 401.
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Vom Prinzip her blieb der Inhalt der österreichischen Integrationspolitik unverändert. Da ein Einklang zwischen den Verpflichtungen des Staatsvertrages und der Neutralität sowie der Forderung, an einem gesamteuropäischen zollfreien Raum teilzunehmen, hergestellt werden konnte, sollte den Bedürfnissen der hoch entwickelten österreichischen Volkswirtschaft unbedingt entsprochen werden. So wurden in diesem Sinne die österreichischen Botschafter in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft angewiesen, bei den Regierungen der Mitgliedsstaaten noch vor der am 17. und 18. November 1969 stattfindenden Gipfelkonferenz die österreichischen Erwartungen zu formulieren und Wünsche zu deponieren.81 Bei der Ministertagung des Rates der EFTA und der FinEFTA in Genf am 6. und 7. November wurde daran erinnert, dass die Frage der wirtschaftlichen Einigung Europas das wesentliche Ergebnis der Beziehungen zur Europäischen Gemeinschaft sein sollte.82 Auch die EG-Kommission brachte die Meinung zum Ausdruck, dass die Verbreiterung der Basis der Gemeinschaft ein weiterer unerlässlicher Baustein bei der Schaffung eines geeinigten Europas sei. Sie hoffte bei der nächsten Gipfelkonferenz auf eine gemeinsame Ermutigung des politischen Willens zur Erweiterung.83 Der neue französische Staatspräsident Georges Pompidou griff diese Gedanken auf und sprach bei der Konferenz im niederländischen Den Haag am 1. Dezember 1969 von Vollendung, Vertiefung und Erweiterung der Gemeinschaft. Dabei hob er hervor, dass man am Ende einer Übergangsperiode angelangt sei. Frankreich sei nun durch eine andere außenpolitische Konzeption geprägt und wünsche den Fortbestand sowie eine weitere Entwicklung der Gemeinschaft.84 Österreich hatte indes schon im November 1969 festgelegt, dass es unabhängig vom Ausgang dieser EG-Konferenz, die eventuell einen Beschluss hinsichtlich einer Globallösung fassen könnte, an einer „Übergangslösung“ interessiert sei. Die Form dieser Lösung hätte nach den Vorstellungen Wiens ein Interimsabkommen darstellen können. Dieser Wunsch fand keine schlechte Aufnahme bei der Gemeinschaft. Italien nahm im Zuge des mit Österreich vereinbarten Südtirol-,,Pakets“ und eines Operationskalenders vom November 1969 nach der Gipfelkonferenz sein Veto gegen EG-Verhandlungen mit Österreich zurück.85 Am 8. und 9. Dezember 1969 bekundete die Gemeinschaft auch ihr Interesse, neue Kontaktgespräche mit Österreich aufzunehmen, welche bereits am 17. und 18. Dezember stattfanden, wobei Österreich seine Vorstellungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Interimslösung darle81 Amtliches Kommuniqué über die Sitzung des Österreichischen Ministerrates am 4. 11. 1969, in: Mayrzedt/Hummer, 20 Jahre Neutralitätspolitik, 422. 82 Kommuniqué über die Ministertagung des Rates der EFTA und FinEFTA in Genf am 6. und 7. 11. 1969, in: Europa Archiv 24 (1970), Bd. II, D 31-D 32. 83 Aide-Mémoire der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 19. 11. 1969 zur bevorstehenden Konferenz der Staats- und Regierungschefs, in: Europa Archiv 25 (1970), Bd. II, D 32-D 34. 84 Rede des französischen Staatspräsidenten, Georges Pompidou, auf der Konferenz der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften in Den Haag am 1. 12. 1969, in: Europa Archiv 25 (1970), Bd. II, D 35. 85 Vgl. den Beitrag von Pallaver in diesem Band.
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gen konnte. Wien dachte an ein präferenzielles Zoll- und Handelsabkommen gemäß Artikel XXIV des GATT-Vertrages. Mit der Spitzenkonferenz von Den Haag vom Dezember 1969 wurde der Grundstein für die im Januar 1972 abgeschlossenen EG-Beitrittsabkommen mit Großbritannien, Irland und Dänemark gelegt. Parallel dazu sollten dann Vereinbarungen erfolgen, die dazu führten, mit allen neutralen Staaten Europas Freihandelsabkommen zu schließen.86 Nachdem die Sozialistische Partei mit einer relativen Mehrheit eine Minderheitsregierung gebildet hatte, widmete sich Bundeskanzler Kreisky in seiner ersten Regierungserklärung am 29. April 1970 der Integrationsfrage, nach außen gleichermaßen in derselben Art und Weise wie seine Vorgänger. Im März hatte die Arbeiter-Zeitung die Chancen für ein „Interimsabkommen gleich null“ beziffert.87 Kurz darauf beriet die Sozialistische Internationale über die EG und befasste sich mit einem Konzept für ein „sozialistisches Europa“.88 Am 21. Juni lud der EG-Ministerrat die EFTA-Staaten für Herbst des gleichen Jahres zu Gesprächen ein. Die drei Neutralen kamen am 10. November zu einer Verhandlungsrunde zusammen, während Portugal, Island und Finnland am 24. November direkt in Brüssel Kontakte aufnahmen. Gemeinsam hatten sie schon bei der Ratstagung der Minister der EFTA und FinEFTA in Genf vom 14. und 15. Mai zur Kenntnis gebracht, dass jedes Land mit vollem Einsatz ein positives Ergebnis anstrebe. Der EG-Rat beschloss sodann Anfang Juni das anzuwendende Verfahren bei den in Rede stehenden Beitrittsverhandlungen. Offiziell wurde die Konferenz der Europäischen Gemeinschaften und der beitrittswilligen Staaten (Großbritannien, Irland, Dänemark, Norwegen) in Luxemburg am 30. Juni 1970 eröffnet. Nach Artikel 237 des Römer Vertrages wurden die Ziele der Verhandlungen festgesetzt.89 Als Leiter der österreichischen Delegation sollte Rudolf Kirchschläger fungieren, der nach einer neuerlichen Kompetenzenumverteilung das Außenministerium übernommen hatte. Kirchschläger verwies mit Bedauern zunächst darauf, dass die letzten zehn Jahre nicht jene Fortschritte in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa gebracht hätten, die aufgrund des vorangegangenen Enthusiasmus eigentlich zu erwarten gewesen wären. Der österreichischen Bundesregierung schien – wie schon im einleitenden Zitat Kreiskys signalisiert worden ist – auch weiterhin die Beteiligung am Integrationsprozess und an der Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten eine Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit und Freiheit des Landes zu sein. Als wesentliche Aufgabe schien es hierbei, ein Vertragswerk zu schaffen, in dem die wirtschaftlichen Interessen Österreichs und des Gemeinsamen Marktes ebenso Berücksichtigung finden würden wie die Notwendigkeit,
86 Birgitt Haller/Anton Pelinka, Charles de Gaulle und die österreichische Europapolitik, in: Jahrbuch für Zeitgeschichte 1990/91, Salzburg/Wien, 77–84, hier 78. 87 Arbeiter-Zeitung, 24. 3. 1970. 88 Arbeiter-Zeitung, 5. 5. 1970. 89 Erklärungen bei der Eröffnung der Konferenz der Europäischen Gemeinschaften und der beitrittswilligen Staaten in Luxemburg am 30. 6. 1970, in: Europa Archiv 25 (1970), Bd. II, D 351-D 358; ebd., Bd. III, Z 121.
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politische Stabilität im Zentrum Europas zu erhalten. Den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft wurde seitens Kirchschläger bewusst gemacht, dass man der großen Verantwortung nachkommen müsse, die der Prozess der Integration Europas mit sich bringe. Denn die Spaltung Westeuropas in zwei Integrationsgebilde sei zu überwinden. Nach einer Erweiterung der Gemeinschaft müsse Vorsorge getroffen werden, dass es zu keinen Handelshemmnissen zwischen den neuen EG-Vollmitgliedern und den übrigen EFTA-Staaten kommen würde. Aus diesen Gründen wurde seitens der Bundesregierung – unter Bedachtnahme auf neutralitätspolitische und staatsvertragliche Verpflichtungen – erneut ein Abkommen über eine Freihandelszone vorgeschlagen. Kirchschläger meldete allerdings drei wichtige Vorbehalte für Österreich an: die Autonomie der Außenhandelspolitik, die Nichtteilnahme an bestimmten wirtschaftspolitischen Aktionen gegenüber Drittstaaten und das Recht, im Kriegsfall und bei internationalen Spannungen den Vertrag ganz oder teilweise zu suspendieren oder zu kündigen. Österreich bestand ferner darauf, dass die Abkommen der Europäischen Gemeinschaften mit den neuen Vollmitgliedern gleichzeitig mit den neutralen und übrigen Staaten in Kraft treten müssten.90 Trotz der von Kirchschläger eingebrachten Vorbehalte konnte die KPÖ an der österreichischen Integrationspolitik keinen Gefallen finden. ZK-Sekretär Erwin Scharf ließ im Oktober 1970 durchblicken, dass der „Pferdefuß einer EWG-Assoziierung […] immer deutlicher sichtbar“ werde, nämlich die Verpflichtung, „zu einem späteren Zeitpunkt noch engere Bindungen zur EWG einzugehen“, die „mit der Neutralität auf Kriegsfuß stehen“ würden.91 Die erste Verhandlungsrunde über den Abschluss eines Interimsabkommen fand am 25. und 26. November 1970 statt. Über Vertragsdauer, Verbindungen des Interimsabkommens mit den Globalverhandlungen, gemischten Ausschuss und die Schutzklausel sowie die technischen Aspekte der Zollreduktion konnte Einigung erzielt werden. Parallel dazu liefen die Verhandlungen für die Globalabkommen auf Ministerebene. Am 10. November 1970 hatte Außenminister Kirchschläger die österreichische Bundesregierung bei den Globalverhandlungen vertreten.92 Die zweite Verhandlungsrunde über das Interimsabkommen fand am 17. Februar 1971 statt und betraf die Formulierung des Vertrages, diesbezüglich noch offene Fragen sowie Ursprungsregel und landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte. Gleichzeitig wurden Erkundungsgespräche auf Beamtenebene im Hinblick auf ein Globalabkommen geführt. Diese wurden von Botschafter Marquet und Generaldirektor Edmund Wellenstein am 5. Januar und vom 16. bis 19. März 1971 in Brüssel geleitet.93 90 Erklärung der österreichischen Bundesregierung vor dem Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften in Brüssel, abgegeben durch Außenminister Dr. Rudolf Kirchschläger am 10. 11. 1970, in: Mayrzedt/Hummer, 20 Jahre Neutralitätspolitik, 423–431; Europa Archiv 25 (1970), Bd. III, Z 246 f. 91 Volksstimme, 29. 10. 1970. 92 Helmut Romé, „Integration für Unabhängigkeit. Außenminister Kirchschläger vor dem Rat der EWG“, in: Arbeiter-Zeitung, 11. 11. 1970. 93 Bericht der Bundesregierung über die österreichische Integrationspolitik (Stand: April 1971), in: Mayrzedt/ Hummer, 20 Jahre Neutralitätspolitik, 431–454.
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Im Zuge des Abtritts des eigenwilligen und autoritären Herrschers Charles de Gaulle, dessen Politik im Grunde auf der Teilung Deutschlands basiert hatte, im Spannungsverhältnis der Unabhängigkeit seines eigenen Landes und der europäischen Einigung gestanden und insgesamt widersprüchlich geblieben war,94 lockerte sich die antibritische EG-Politik Frankreichs, womit eine wesentliche Voraussetzung für eine offenere und konstruktivere französische Haltung der europäischen Gemeinschaft gegenüber gegeben war. Schon am 23. Juni 1971 gab die Kommission der Europäischen Gemeinschaft infolge des zurückgezogenen Vetos der Franzosen bekannt, dass die Beitrittsverhandlungen mit Großbritannien auf politischer Ebene abgeschlossen seien. Die EG-Kommission hatte tatsächlich mit ihrer ganzen Energie und Entschlossenheit die letzten Hürden überwunden. Der französische Staatspräsident Pompidou äußerte bei diesem Anlass die Überzeugung, dass dadurch ein neuer Block gegen die Supermächte entstanden sei. Auch deutscherseits war die Stimmung über den integrationspolitischen Erfolg gut. Bundeskanzler Willy Brandt gratulierte allen beteiligten Politikern. Vor dem Hintergrund dieser positiven Stimmung ist möglicherweise auch der Beschluss des EG-Ministerrats vom 26. Juli 1971 zu sehen, dass den nicht beitrittswilligen Ländern der Abschluss einer industriellen Freihandelszone angeboten werden könnte. Allerdings müssten für gewisse Industrieprodukte besondere Ausnahmen vorgesehen sein. Diese Arbeitsgrundlage wurde am 29. November als Verhandlungsrichtlinie für die EFTA-Staaten angenommen. Als am 6. Dezember die Verhandlungen mit Österreich gestartet wurden, herrschte Gewissheit, dass diese Arbeiten bis Mitte des Jahres 1972 abgeschlossen werden könnten, sodass die Verträge mit den sechs nicht beitrittswilligen EFTA-Ländern zur gleichen Zeit wie die Verträge der Beitrittsländer in Kraft treten konnten. Die Verhandlungen über die Interimsabkommen wurden am 16. Dezember 1971 abgeschlossen, während man die restlichen Problemkreise in vier Arbeitsgruppen in sehr langen und anstrengenden Sitzungen behandelte. Diese Arbeitsgruppen bearbeiteten den industriell-gewerblichen und landwirtschaftlichen Sektor, die prozeduralen und juristischen Fragen sowie Probleme des Eisen- und Stahlsektors. Die letzten Verhandlungsrunden fanden am 1. Februar und am 8., 21. und 22. März statt.95 Mit der Unterzeichnung des gesamten Vertragswerkes, das insgesamt vier Abkommen umfasste, nämlich die Interimsabkommen Österreich/EGKS und Österreich/EWG sowie die Globalabkommen Österreich/EGKS und Österreich/EWG, waren zwei bilaterale Freihandelszonen gemäß Artikel XXIV des GATT-Vertrages zwischen Österreich und der EWG bzw. der EGKS errichtet. Die Freihandelsabkommen können als „Verträge sui generis“ gemäß Artikel 113 der Römer Verträge interpretiert werden, waren aber de facto Abschlüsse von bloßen Zoll- und Handelsabkommen. In einem gesonderten Briefwechsel wurde der von den Abkommen ausgeklammerte Agrarmarkt geregelt. 94 Vgl. den Sammelband von Wilfried Loth/Robert Picht (Hrsg.), De Gaulle, Deutschland und Europa, Opladen 1991. 95 Bericht der Bundesregierung über die österreichische Integrationspolitik (Stand: Ende April 1972), in: Mayrzedt/Hummer, 20 Jahre Neutralitätspolitik, 480–485.
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Neben Österreich hatten auch die übrigen Rest-EFTA-Staaten, Island, Portugal, Schweden und die Schweiz, je ein Freihandelsabkommen mit der EWG abgeschlossen, während in Norwegen nach Ablehnung des EG-Beitritts durch eine Volksabstimmung ab 1973 ein Freihandelsabkommen mit Brüssel eingegangen wurde.96 Die seit mehr als elf Jahren andauernden integrationspolitischen Bemühungen Österreichs, einen zentralen Bereich seiner außenwirtschaftlichen Beziehungen im Sinne einer exportorientierten Ökonomie erfolgreich zu gestalten, waren nun abgeschlossen. Es war für die Verantwortlichen daher ein großer Augenblick, als die Verträge am 22. Juli 1972 in einer feierlichen Sitzung im Palais Egmont in Brüssel von Bundeskanzler Kreisky und Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie, Josef Staribacher, unterschrieben werden konnten. Der amtierende Ratspräsident der Europäischen Gemeinschaften und niederländische Außenminister Norbert Schmelzer brachte in einer Ansprache die Hoffnung zum Ausdruck, das Ziel der Errichtung eines wirklich solidarischen Europas in den kommenden Jahren zum Wohle aller Beteiligten verwirklicht zu sehen. Kreisky stellte die Bedeutung der Verträge zur Festigung des Neutralitätsstatus der Republik Österreich in den Vordergrund seiner Ausführungen und blickte im Namen des österreichischen Volkes zuversichtlich in die europäische Zukunft.97 Die österreichische Integrationspolitik wurde jedoch von Moskau nach wie vor negativ beurteilt. Die sowjetische Regierung wiederholte am 18. August 1972 in einem AideMémoire ihre seit elf Jahren andauernde Kritik. In diesem gleichsam zum diplomatischen Ritual verkommenen Pflichtübung wurde der von österreichischer Seite „erzeugte Schaden“ zur Kenntnis gebracht. Die UdSSR warnte erneut und brachte gegenüber der bisherigen Entwicklung ihr Bedauern zum Ausdruck. So schnell wie möglich schien sie aber gleichzeitig an Verhandlungen im Rahmen der gemischten sowjetisch-österreichischen Kommission für wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit zur Regelung der Fragen interessiert zu sein, die in Verbindung mit der Unterzeichnung der Global- und Interimsabkommen entstanden waren.98 Österreich nahm in einer Note vom 20. September 1972 zum sowjetischen Aide-Mémoire bzw. Memorandum vom 18. August Stellung und sah sich dabei nicht veranlasst, eine negative Interpretation seitens der Sowjetunion in der österreichischen Neutralitätspolitik festzustellen. Gleichzeitig war natürlich auch ein österreichisches Interesse zur Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ostblock vorhanden.99 96 Vgl. den Beitrag von Breuss in diesem Band. 97 Ansprache anlässlich der Unterzeichnung der Abkommen zwischen der Gemeinschaft und den nicht beitrittswilligen EFTA-Staaten am 22. 7. 1972 in Brüssel, in: Europa Archiv 27 (1972), Bd. II, D 377-D 389. 98 Aide Mémoire der Regierung der UdSSR, betreffend die Abkommen zwischen der Republik Österreich und den Europäischen Gemeinschaften vom 18. 8. 1972, in: Mayrzedt/Hummer, 20 Jahre Neutralitätspolitik, 489– 491; Europa Archiv 27 (1972), Bd. III, Z 202. 99 Aide-Mémoire der österreichischen Bundesregierung, betreffend die Abkommen zwischen der Republik Österreich und den Europäischen Gemeinschaften vom 20. 9. 1972, in: Mayrzedt/Hummer, 20 Jahre Neutralitätspolitik, 493–494; Europa Archiv 27 (1972), Bd. III, Z 183.
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Bundeskanzler Kreisky war seit den Wahlen von 1971 der Regierungschef einer sozialistischen Mehrheitsregierung geworden. Infolge einer Wahlrechtsreform und vorgezogener Neuwahlen hatte er die absolute Majorität erlangt. In dieser dreizehnten Gesetzgebungsperiode sprach er unter Betonung der österreichischen Neutralität, die mit jener Integrationspolitik des letzten Jahrzehnts vereinbar schien, zum Nationalrat, um die zukünftige Arbeit wie folgt zu beschreiben: „Und so wird es die Aufgabe der Republik Österreich sein, in der ihr angemessenen Weise, in Kenntnis der Schranken, die einem Staat unserer Größenordnung naturgemäß gesetzt sind, an dieser Entwicklung in zweifacher Weise mitzuwirken an einer inneren Ausgestaltung dieser neuen Wirtschaftsräume. Wer sollte letztere Notwendigkeit besser als Österreich erkennen, das auf Grund seiner geografischen Lage, seiner Neutralität, seiner guten Beziehungen zu den großen Staaten der Welt im ureigensten Interesse alle Bestrebungen zu fördern wünscht, die der Sicherung und der Zusammenarbeit dienen.“100
100 Sten. Prot. NR, XIII. GP, 39. Sitzung, 25. 7. 1972, 3455.
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Der Weg nach Brüssel Zur Geschichte des österreichischen EG-Beitrittsantrages vom 17. Juli 1989
I. Vorbemerkung Nach einem Jahrzehnt relativer Ruhe in Sachen EG-Diskussion in Österreich wurde das Verhältnis des Landes zur Europäischen Gemeinschaft zu einem großen innenpolitischen Thema, als die Zwölf ihr Binnenmarktkonzept entworfen und 1986/87 angenommen hatten. Nachdem rasch Klarheit darüber herrschte, dass das Ziel, bis 1992 einen funktionierenden Binnenmarkt in der EG zu schaffen, nicht wie viele der bisherigen Integrationsvorhaben der Gemeinschaften von vornherein zum Scheitern verurteilt, sondern ganz im Gegenteil sehr große Aussicht auf Erfolg zu haben schien, herrschte innenpolitisch eine gewisse Beunruhigung über die aktuelle und zukünftige Rolle Österreichs. Da es mehr als jedes andere EFTA-Land auf den EG-Markt angewiesen sei, würden – so lauteten gängige Argumentationen – Wettbewerbsnachteile, die nach Vollendung des EG-Binnenmarktes für Österreich im Vergleich zu EG-Ländern auftreten würden, Österreich schwer treffen, wie dies in den 60erJahren schon beobachtet werden konnte.1 Zu diesen wirtschaftlichen Ängsten kamen auch allgemein politische Befürchtungen, sich als Österreicher bald nur mehr noch als „Europäer zweiter Klasse“ fühlen zu dürfen. Diese waren durch den Visumzwang für Nicht-EG-Bürger für die Einreise nach Frankreich oder durch die Pläne der bayerischen Landesregierung ausgelöst worden, jeden nach Bayern einreisenden Nicht-EG-Bürger zwangsweise einem AidsTest zu unterziehen.2 Die in der Folge zu beobachtende neue österreichische Europapolitik findet jedoch noch eine weitere Begründung. Sowie die EG mithilfe des Binnenmarktprogramms die „Euro1 Der vorliegende Aufsatz basiert auf der Diplomarbeit des Verfassers: Österreich als 13. EG-Mitglied? Der Weg zum österreichischen EG-Beitrittsantrag, Magisterarbeit aus Politikwissenschaft und Neuerer Geschichte an der Universität Erlangen – Nürnberg 1989; zur Verdeutlichung der wirtschaftlichen Verflechtung Österreichs mit dem europäischen Integrationsprozess siehe den Beitrag von Breuss in diesem Sammelband; eine umfassende und vorzügliche Dokumentation zur Vorgeschichte des Beitrittsantrages von 1989 ist geleistet worden von Gerhard Kunnert, Spurensicherung auf dem österreichischen Weg nach Brüssel (= Schriftenreihe Europa des Bundeskanzleramtes Sonderband), Wien 1992, die für diesen Beitrag (da kurz vor Redaktionsschluss erschienen), nur mehr noch bedingt eingearbeitet werden konnte. 2 Salzburger Nachrichten, 20. 3. 1987, oder auch: Salzburger Volkszeitung, 4. 4. 1987.
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Gregor Leitner
sklerose“ zu bekämpfen suchte, wollte man in Österreich offenbar gegen eine zunehmende „Austrosklerose“ vorgehen,3 die dadurch charakterisiert wurde, dass die österreichische Volkswirtschaft in einen exponierten und geschützten Sektor auseinanderfiel und die Kluft zwischen diesen beiden immer größer wurde. Der geschützte Sektor, der nicht dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt und dadurch nicht zu produktivitätssteigernden Anstrengungen gezwungen war, sollte grundlegend reformiert werden, da Kostensteigerungen bislang entweder auf die Preise überwälzt oder im Rahmen von politisch begründeten staatlichen Subventionen aufgefangen werden konnten.4 Heinrich Schneider bringt dies folgender maßen auf den Punkt: „Gäbe es das EG-Projekt nicht, müsste man es geradezu als Hebel zur Reform der österreichischen Wirtschaftsstrukturen erfinden!“5 Und schließlich war die Neuorientierung der österreichischen EG-Politik auch partei- und verbandspolitisch begründet.6 Aus diesen Gründen vollzog sich in Österreich innerhalb weniger Jahre eine komplette Kehrtwende in der regierungsamtlichen EG-Politik, als deren letzter konsequenter Schritt der Antrag auf Mitgliedschaft in der EG eingestuft werden kann. Wie es zu diesem Umschwung kam, soll im Folgenden detailliert nachgezeichnet werden. Zunächst wird die allgemeine Entwicklung nachvollzogen, anschließend auf das seit Jahrzehnten größte Hindernis einer österreichischen EG-Mitgliedschaft – die immer-währende Neutralität – und schließlich auf die Positionen von Parteien und Interessengruppen näher eingegangen.
II. Entwicklung der österreichischen EG-Politik in den 80er-Jahren Die österreichische Europapolitik bekam schon ab 1983 mehr Bedeutung, als die SPÖ (ehemals Sozialistische Partei Österreichs, dann umbenannt in die heutige Sozialdemokratische Partei Österreichs)7 und die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) im Mai 1983 eine Koalitionsregierung unter Bundeskanzler Fred Sinowatz bildeten. Die FPÖ – traditionell einem EG-Beitritt positiver gegenüberstehend – war nun in der Lage, der österreichischen Europapolitik mehr Gewicht zu geben, als diese vorher unter den Kreisky-Regierungen gehabt hatte.8 Unter den Außenministern Erwin Lanc und Leopold Gratz (beide SPÖ) wurde jedoch noch eine sehr behutsame Integrationspolitik betrieben, die ihren Schwerpunkt im gemeinsamen Vorgehen mit den übrigen EFTA-Staaten hatte. In diese Zeit fällt das Luxemburger 3 4 5 6 7
Vgl. Heinrich Schneider, Alleingang nach Brüssel. Österreichs EG-Politik, Bonn 1990, 99. Ebd., 100 f. Ebd., 101. Ebd., 97. Vgl. hierzu aus freiheitlich-deutschnationaler Perspektive Lothar Höbelt, S wie SPÖ: Sozialistisch, Sozialdemokratische oder „Sozial und demokratisch“?, in: Österreichisches Jahrbuch für Politik 1991, Wien 1991, 767–779. 8 Vgl. Paul Luif, Österreich – 13. EG-Mitglied? in: Nachrichten und Stellungnahmen der Katholischen Sozialakademie (1986), Nr. 20, 5.
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Treffen der Minister aus allen EG-und EFTA-Staaten vom April 1984, bei dem das Bekenntnis zu einem „europäischen Wirtschaftsraum“ fixiert wurde.9 In Österreich setzten zu dieser Zeit schon die Diskussionen der Experten über die Möglichkeiten ein, sich der EG anzunähern. Die wohl exponiertesten Vordenker dieser Richtung, die Professoren für Völkerrecht, Waldemar Hummer (Universität Innsbruck) und Michael Schweitzer (Universität Passau), erklärten einen EG-Beitritt Österreichs für neutralitätsrechtlich unbedenklich und widersprachen damit der bis dahin geltenden Meinung der Wiener Völkerrechtsschule,10 wie ihres profiliertesten Exponenten Alfred Verdross.11 Die Regierung unter Bundeskanzler Sinowatz und Außenminister Gratz, die nicht im Entferntesten an einen EG-Beitritt dachte, sondern – wie bereits erwähnt – eine sehr vorsichtige EG-Politik betrieb, wurde nun sogar aus den eigenen Parteireihen, so vor allem von Peter Jankowitsch, dem späteren Außenminister, unter Druck gesetzt. Dieser forderte eine Annäherung an die EG, die bis zu einer Quasimitgliedschaft reichen könne, da die Supranationalität der EG in Auflösung begriffen sei.12 Die ÖVP (Österreichische Volkspartei), die die SPÖ-Regierung auch in der Vergangenheit ob ihrer viel zu wenig forcierten Integrationspolitik kritisiert hatte, brachte am 16. Dezember 1985 u. a. durch Andreas Khol, dem Direktor der Politischen Akademie der ÖVP, im Nationalrat einen Entschließungsantrag ein, der eine verstärkte Zusammenarbeit mit der EG forderte. Langfristig sollte ein spezieller Europavertrag zwischen Österreich und der EG geschlossen werden, der die immerwährende Neutralität Österreichs berücksichtigen13 und, wie Khol es in der Begründung des Antrages formulierte, eine „maßgeschneiderte Mitarbeit Österreichs an einem vereinten Europa“14 ermöglichen sollte. Zum ersten wichtigen Signal einer Änderung der österreichischen Integrationspolitik kam es durch die große Regierungsumbildung im Juni 1986. Nachfolger von Bundeskanzler Sinowatz wurde der bisherige Finanzminister Franz Vranitzky, der vom Wirtschaftsflügel der SPÖ stammte und der EG aufgeschlossener als sein Vorgänger gegenüberstand. Neuer Außenminister wurde Jankowitsch, der sich ja schon früher für eine forcierte Annäherung an die EG ausgesprochen hatte. In der Regierungserklärung Vranitzkys vom 18. Juni 1986 hieß es zum Thema EG:
9 Außenpolitischer Bericht, Bericht des Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten 1984, Wien 1985, 115. 10 Die Presse, 23.4. 1985. 11 Vgl. Alfred Verdross, Die immerwährende Neutralität der Republik Österreich, Wien 21966; Neben Verdross wäre auch noch em. Univ.-Prof. für Völkerrecht und internationale Beziehungen Ignaz Seidl-Hohenveldern zu nennen. 12 Die Presse, 16. 11. 1985. 13 Vgl. Politische Akademie (Hrsg.), Österreich und Europa, Entschließungsantrag betreffend die österreichische Europapolitik am 16. 12. 1985, Wien 1986, 13 ff. 14 Ebd., 17.
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„Unter Wahrung unseres völkerrechtlichen Status müssen und werden wir weiterhin jenes optimale Verhältnis zu den Europäischen Gemeinschaften anstreben, das durch Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Mitwirkung und der Mitgestaltung den Zugang zu einem modernen und technologisch starken Europa sichert.“15
Jankowitsch erhielt den Auftrag, die Zusammenarbeit mit der EG zu intensivieren, wobei eine Vollmitgliedschaft derzeit aus neutralitätspolitischen Gründen nicht anzustreben sei.16 Was die Europapolitik der Parteien anging, war nun praktisch kein Unterschied mehr zwischen ÖVP und SPÖ festzustellen. Nach den Nationalratswahlen vom November 1986 wurde Anfang 1987 eine große Koalitionsregierung von SPÖ und ÖVP unter Bundeskanzler Vranitzky (SPÖ) und Vizekanzler und Außenminister Alois Mock (ÖVP) gebildet. In der Regierungserklärung von Bundeskanzler Vranitzky vom 28. Januar 1987 kam der gesteigerte Stellenwert der Integrationspolitik deutlich zum Ausdruck: „Die Ausgestaltung und der Ausbau des Verhältnisses Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft, die heute den Einigungsprozess hauptsächlich vorantreibt, bilden […] ein zentrales Anliegen der österreichischen Außen- und Außenwirtschaftspolitik […] Die österreichische Bundesregierung ist entschlossen, mit Nachdruck und Initiative an der Verwirklichung eines homogenen europäischen Wirtschaftsraumes im Sinne der Luxemburger Erklärung der EG- und EFTA-Länder von 1984 mitzuarbeiten, um der österreichischen Wirtschaft und Gesellschaft den Zugang zur verstärkten Dynamik der Europäischen Gemeinschaft zu sichern. Damit soll Österreich zu einem Teil des im Entstehen begriffenen europäischen Binnenmarktes werden […]. Es steht wohl außer Zweifel, dass eine Abkoppelung Österreichs von dieser Entwicklung ernste wirtschaftliche, aber auch gesellschaftliche Folgen für Österreich und die Zukunft seiner Jugend haben müsste.“17
Die Integrationspolitik, die schon seit 1983 an Bedeutung gewonnen hatte, ohne dass sich jedoch innenpolitisch eine rege EG-Diskussion entwickelt hätte, wurde nun zu einem zentralen Thema für Regierung und Öffentlichkeit. Ziel war die Teilnahme Österreichs vor allem an der wirtschaftlichen Integration Europas.18 Erreicht werden sollte dies in jener Phase durch einen „Global Approach“, mit dem man auf einer Reihe von Gebieten mit der EG Übereinkünfte erzielen wollte, ohne ihr beizutreten.19 15 Regierungserklärung von Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky vom 18. 6. 1986, zitiert nach: Österreichisches Jahrbuch 1986, Wien 1987, 98. 16 Die Presse, 18. 6. 1986. 17 Regierungserklärung von Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky vom 28. 1. 1987, zitiert nach: Österreichisches Jahrbuch 1986, a.a.O., 119. 18 Wiener Zeitung, 5. 3. 1987. 19 Vgl. Heinrich Schneider, a.a.O., 111.
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Die ÖVP, die unter heftiger Kritik des Altkanzlers Kreisky nun das Außenministerium überantwortet bekam, konnte jetzt ihre Forderung, wonach sich die Integrationspolitik auf drei Ebenen (multilateral mit den anderen EFTA-Staaten im Rahmen der Durchführung der Luxemburger Erklärung, was als Verhandlungsweg von der EG-Kommission favorisiert wurde; bilateral auf jenen Gebieten, auf denen die EFTA-Staaten verschiedene Interessenlagen bzw. Zielvorstellungen hatten und als dritte Ebene autonome Übernahme von EG-Recht zur Erreichung einer harmonisierten Ausgangsposition für entsprechende Integrationsschritte mit der EG20) bewegen sollte, voll zum Tragen kommen lassen. So regte Außenminister Mock im März 1987 die Aufnahme ständiger institutionalisierter Kontakte zwischen den Zwölf und Österreich an. Es wurden jährliche Treffen auf Ministerebene vereinbart.21 Das Jahr 1987 war dadurch gekennzeichnet, dass sehr viele verschiedene Modelle für Österreichs zukünftiges Verhältnis zur EG propagiert wurden. Der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Ludwig Steiner, zog einen neuen Gesamtvertrag zwischen Österreich und den Zwölf einem Beitritt Österreichs vor, der ÖVP-Clubobmann im Nationalrat, Fritz König, favorisierte das Modell einer Zollunion mit der EG.22 Der außenpolitische Sprecher der FPÖ, Norbert Gugerbauer, warf der Regierung zu zaghaftes Handeln in der EG-Frage vor und sprach sich für eine Mitgliedschaft Österreichs bei der Europäischen Gemeinschaft aus.23 Im Namen der FPÖ hatte vorher bereits Parteichef Jörg Haider „vom neuen Außenminister eine ernsthafte Europagesinnung und den Mut, den wirtschaftlichen und politischen Beitritt zur EG anzustreben“, gefordert.24 Am 25. März 1987 erklärte er, dass die Vollmitgliedschaft bei der Europäischen Gemeinschaft für Österreich eine „unabdingbare Notwendigkeit“ sei, „um das Mitspracherecht für unser Land zu sichern und zu verhindern, dass Österreich zu einer europäischen Bettlerrepublik wird, die wegen jeder Kleinigkeit bei der EG anklopfen und verhandeln muss“.25
Nach der FPÖ propagierte im Mai 1987 auch die mächtige Vertretung der Industrieinteressen im Land, die Vereinigung Österreichischer Industrieller (VÖI),26 einen sofortigen Beitrittsantrag. Die VÖI forderte damit viel früher einen EG-Beitritt als die andere wichtige Unternehmervertretung, die Bundeswirtschaftskammer, die auch stärker auf Mitglieder aus dem geschützten Sektor der Wirtschaft Rücksicht nehmen musste. 20 Salzburger Nachrichten, 12. 8. 1988. 21 ÖVP-Pressedienst, 17. 3. 1987. 22 ÖVP-Pressedienst, 25. 3. 1987. 23 Freiheitlicher Pressedienst, 25. 3. 1987. 24 Freiheitlicher Pressedienst, 9. 2. 1987. 25 Freiheitlicher Pressedienst, 25. 3. 1987. 26 „Europa – unsere Zukunft“. Stellungnahme der VÖI vom 15. 5. 1987, zur Rolle dieser Interessengruppe und exponierten EG-Lobby der österreichischen Gesellschaft und ihrem Verhältnis zum Integrationsprozess, vgl. Kulmen, 486–510, hier 487–494.
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Bundeskanzler Vranitzky erläuterte in der Welt im Frühjahr 1987 die Haltung Österreichs in der EG-Frage. Österreich wolle „näher an die Gemeinschaft heran“, ohne in den nächsten Jahren eine EG-Mitgliedschaft anzustreben. Es müssten erst die gegebenen Möglichkeiten voll ausgenutzt werden.27 In dieser Frage gab es in der Koalition vorerst keinen Disput, da auch Vizekanzler und ÖVP-Obmann Mock die Einbindung Österreichs in den Binnenmarkt zunächst ohne EG-Mitgliedschaft erreichen wollte.28 Im April 1987 setzte die Regierung eine Arbeitsgruppe für Europäische Integration ein. Diese sollte auf Verwaltungsebene die internen Verhandlungen zur EG-Integration beginnen und bestand aus Vertretern von 13 Ministerien sowie der Sozialpartner (Bundeswirtschaftskammer, Österreichischer Gewerkschaftsbund, Arbeiterkammertag und Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern) unter dem Vorsitz von Österreichs EG-Botschafter Manfred Scheich. Diese Arbeitsgruppe sollte zwei- bis dreimal jährlich zusammentreten, um eine Entscheidungsbasis für die Regierung zu schaffen.29 Als Modell für die Integrationspolitik wurde der „Global Approach“ gewählt, der verschiedene Schwerpunkte umfasste: −− die Teilnahme Österreichs am EG-Binnenmarkt, was wiederum innerhalb dieses Schwerpunkts ein Hauptziel war; −− die Einbeziehung der österreichischen Landwirtschaft in den Integrationsprozess; −− die Lösung des EG-Transitproblems durch Österreich; −− die Mitwirkung an der Europäischen Technologiegemeinschaft; −− die verstärkte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Währungspolitik; −− die Beteiligung an den Maßnahmen des „Europa der Bürger“; −− die Herstellung eines engen Dialoges mit der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ). Bis Ende des Jahres 1987 waren die Unterschiede zwischen ÖVP und SPÖ, die EG-Politik betreffend, so gering, dass es diesbezüglich zu keinen großen Schwierigkeiten in der Koalition kam. Etwas problematischer wurde es jedoch, als die ÖVP begann, die EG-Mitgliedschaft anzustreben. Wurde im Arbeitsübereinkommen zwischen ÖVP und SPÖ vom Januar 1987 noch recht vage von der prioritären Bedeutung der Teilnahme „an der Weiterentwicklung des europäischen Integrationsprozesses“ gesprochen,30 so beschloss die Regierung im Dezember desselben Jahres, als konkretes Ziel die umfassende und volle Teilnahme Österreichs an der Substanz des im Entstehen begriffenen EG-Binnenmarktes anzustreben. Dies
27 Die Welt, 30. 3. 1987, vgl. zur späteren EG-Position Vranitzkys auch „Keine Angst vor ,Heim ins Reich‘. Österreich in einem Europa des Umbruchs – Ein Zeit-Gespräch mit Bundeskanzler Vranitzky“, in: Die Zeit, 26. 10. 1990, Nr. 44, 7–8. 28 ÖVP-Pressedienst, 4. 5. 1987. 29 Wiener Zeitung, 3. 4. 1987. 30 Salzburger Nachrichten, 11. 8. 1988.
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sollte auf verschiedenen Wegen versucht werden, wobei zum ersten Mal auch die Option eines Beitritts genannt wurde.31 Bei ihrem Dreikönigstreffen im Januar 1988 in Maria Plain formulierte die ÖVP als Ziel den möglichst frühzeitigen EG-Beitritt.32 Diese Partei hatte es nun erreicht, das aktuelle Thema EG – inzwischen hatte sich auch die Bundeswirtschaftskammer33 und die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern34 für einen Beitritt ausgesprochen35 – voll zu besetzen und sich als die Europapartei zu profilieren, zu einem Zeitpunkt, als die öffentliche Meinung36 im Land noch sehr EG-freundlich gestimmt war. Eine Umfrage im Juli 1988, wonach sich 74 % der Befragten für einen EG-Beitritt und nur 22 % gegen einen solchen aussprachen,37 lieferte der ÖVP eine Bestätigung ihres Vorgehens. Damit wurde die SPÖ und vor allem Kanzler Vranitzky, der für viele Sozialisten schon jetzt eine zu forsche EG-Politik betrieb, verstärkt unter Druck gesetzt. Für Vranitzky stand fest, dass die SPÖ die Führungsrolle in der Europapolitik übernehmen musste, was dann auch das spätere Eintreten der SPÖ für einen EG-Beitritt erklärt.38 Im Sommer 1988 legte die Arbeitsgruppe für Europäische Integration ihren aufschlussreichen Bericht vor. Nachfolgend sollen die Hauptaussagen kurz wiedergegeben werden, da man im Grundtenor schon die neue Hauptrichtung der österreichischen Integrationspolitik erkennt, nämlich das Anstreben einer EG-Mitgliedschaft. So heißt es in dem Bericht: −− Dem multilateralen Weg sind relativ enge Grenzen gesetzt. Es zeigt sich, dass keine parallele Entwicklung zu den Integrationsfortschritten in der Gemeinschaft möglich ist. −− Österreich hat „bilateral bereichsdeckende Initiativen gegenüber der EG“ ergriffen. Es konnten jedoch noch keine Ansatzpunkte zur Einleitung echter Verhandlungen mit dem Ziel reziproker Liberalisierungs- bzw. Integrationsmaßnahmen gesetzt werden. −− Die Methode der autonomen Übernahme von EG-Recht ist an sich noch keine Teilnahme am Integrationsprozess. Kooperationsbereitschaft der Gemeinschaft ist nötig, um zu einem „reziproken Öffnungsprozess“ zu kommen. −− Drittstaaten bleiben „von der Teilnahme an der Entscheidungsbildung“ in den EG-Institutionen „ausgeschlossen“. −− Die Staatengemeinschaft ist heute von einem bisher noch nie da gewesenen Ausmaß an Interdependenz geprägt. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Mit31 Salzburger Nachrichten, 12. 8. 1988. 32 ÖVP-Pressedienst, 8. 1. 1988. 33 Zur Rolle der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft in ihrem Verhältnis zum Integrationsprozess, vgl. Kunnert, 449–471. 34 Ebd., 472–485. 35 Die Presse, 9. 6. 1988. 36 Zu diesem Themenkomplex vgl. auch Helmut Kramer, Öffentliche Meinung und die österreichische EGEntscheidung im Jahre 1989, in: SWS-Rundschau 31 (1991), Heft 2, 191–202, hier 197 f. 37 Kurier, 16. 7. 1988. 38 Vgl. Heinrich Schneider, a.a.O., 202.
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wirkung in einer Organisation wie der EG nicht einen geringeren Souveränitätsverlust bedeutet als das Draußenbleiben mit gleichzeitig autonomer Übernahme von Regelungen dieser Organisation, ohne jedoch eine Mitbestimmungsmöglichkeit zu haben. −− Es muss gesehen werden, dass die Teilnahme am Binnenmarktprozess prinzipiell die Übernahme des „Gemeinschaftlichen Rechtsbesitzstandes“ voraussetzt. Diese „autonome Übernahme von Gemeinschaftsrecht ohne Mitbestimmung“ wird vielfach als „unbefriedigend empfunden“.39 Da in diesem Bericht für Österreich keine grundsätzlichen Probleme bei einer Teilnahme am EG-Binnenmarkt gesehen wurden, eine solche jedoch automatisch eine Übernahme von EG-Recht bedeutet, was als Drittland ohne Mitbestimmung als unbefriedigend empfunden wurde, plädierte die Arbeitsgruppe in ihrem Bericht implizit für einen Beitritt zur EG. Bundeskanzler Vranitzky hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie klar für oder gegen einen EG-Beitritt ausgesprochen. In einem Profil-Interview vom August 1988 verdeutlichte er seine Position. Eine Entscheidung über ein Beitrittsansuchen sei noch nicht möglich, da verschiedene Fragen der Wirtschafts-, Finanz- und Neutralitätspolitik bis jetzt nicht ausreichend geklärt seien. Vranitzky „möchte im Einklang mit dem, was wir in der Regierung beschlossen haben, die Entscheidungsgrundlagen für das Jahr 1989 so schaffen, dass wir dann einen breiten politischen Konsens darüber haben, ob wir ein Beitrittsansuchen abgeben oder eine andere Vorgangsweise wählen. Grundsätzlich meine ich, dass die eindeutigste [sic!] und klarste Teilnahme an der Europäischen Integration die Mitgliedschaft in den EG bedeutet und dass das sicherlich auch das nächstliegende Vorhaben ist.“40
Für Vranitzky schien jedoch auch festzustehen, dass die Aufrechterhaltung der immerwährenden Neutralität im Zweifelsfall wichtiger als ein EG-Beitritt sei.41 Mit seinem Zeitplan zeigte sich die ÖVP jedoch unzufrieden. Vizekanzler Mock und der außenpolitische Berater der ÖVP, Khol, machten mit der Forderung Druck, den Beitrittsantrag sofort zu stellen.42 Im November 1988 erschien als eine der oben vom Bundeskanzler genannten Entscheidungsgrundlagen für die Beitrittsfrage das offizielle Gutachten des Völkerrechtsbüros des Außenministeriums über die Vereinbarkeit von EG-Mitgliedschaft und Neutralität. Die Quintessenz der Aussagen lag darin, dass eine EG-Mitgliedschaft möglich sei, wenn sie mit einem ausdrücklichen Neutralitätsvorbehalt versehen würde. Das Gutachten führte auch aus, 39 Die Presse, 24. 6. 1988. 40 Interview von Bundeskanzler Vranitzky in der Zeitschrift Profil vom 22. 8. 1988, 10. 41 Ebd., 11.; Kramer, Öffentliche Meinung, 198 f. 42 Profil, 12. 9. 1988.
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dass der „Souveränitätsverlust, der bei einer Mitgliedschaft einträte, welche die Möglichkeiten der Mitbestimmung und Mitgestaltung bietet“, geringer sei als jene Verminderung der Souveränität, „die darin besteht, dass aus Sachzwängen de facto ein Großteil des Gemeinschaftsrechts übernommen werden muss“, auch wenn Österreich nicht der EG beitritt.43 Gleichzeitig wurde die innenpolitische Diskussion über die Akzeptanz eines EG-Beitritts durch zwei Stellungnahmen von ÖGB und dem Österreichischen Arbeiterkammertag, der Dachorganisation der Arbeiterkammern der Bundesländer, etwas entschärft, da beide Institutionen sich unter bestimmten Bedingungen für einen EG-Beitritt aussprachen.44 Diesen vereinzelten Feststellungen folgte im März 1989 eine gemeinsame Stellungnahme der Sozialpartner mit dem Titel „Österreich und die Europäische Integration“, worin die Sozialpartner sich „zur Absicherung und Weiterentwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften unseres Landes“ für eine „umfassende und gleichberechtigte Teilnahme Österreichs an der Integration der Europäischen Gemeinschaft“ aussprachen.45 Die anfangs sehr hektisch und oberflächlich geführte EG-Diskussion war nun seit 1988 doch mehr versachlicht worden. In unzähligen Gutachten und Studien wurde auf Probleme in Verbindung mit einem EG-Beitritt hingewiesen und auch das Neutralitätsproblem in der öffentlichen Diskussion stark beachtet. Laut einer IMAS-Umfrage zeigte diese Neutralitätsdebatte in Österreich Anfang 1989 ihre Wirkung. Die EG war nun laut dieser Umfrage für die Österreicher weniger wichtig, obwohl eine positive Grundstimmung ihr gegenüber blieb. Innerhalb eines Jahres war der Teil der Befragten, die einen EG-Beitritt „für wichtig bis sehr wichtig“ hielten, von 54 % (Winter 1988) auf 40 % (Winter 1989) gesunken.46 Die österreichische Regierung hatte zu dieser Zeit den multilateralen Weg zur Erreichung der Teilnahme an der Europäischen Integration keineswegs aufgegeben. Auf dem EFTAGipfel in Oslo Anfang März 1989 beriet man über den Delors-Vorschlag vom Januar 1989, der gemeinsame EFTA-EG-Gremien und eine Zollunion vorsah. Auf diesem EFTA-Gipfel kam die gesamte Problematik des multilateralen Ansatzes für Österreich zutage. Österreich, das von den sechs EFTA-Ländern am weitesten auf die EG zugehen wollte, musste sich im Rahmen der Freihandelszone mit der Linie der am wenigsten integrationsfreudigen Länder zufriedengeben. So wurde die von Jacques Delors vorgeschlagene Zollunion EG/EFTA von der Schweiz und Finnland aus Souveränitätsgründen abgelehnt.47 Dieses EFTA-GipfelErgebnis bestätigte natürlich die österreichische Regierung in ihrem bilateralen Vorgehen gegenüber der EG. Ungeachtet dessen wurde die Zahl der EG-Beitrittsgegner in Österreich eher größer als kleiner. Vor allem Teile der SPÖ entfernten sich von der EG-Linie ihres Vorsitzenden Vranitzky. Die sozialistischen Landeshauptmänner von Wien, Burgenland und 43 Neutralitätsgutachten des Völkerrechtsbüros vom November 1988, zitiert nach: Die Presse, 26. und 27. 11. 1988. 44 Sozialistische Korrespondenz, 6. 12. 1988; Die Presse, 1. 2. 1989. 45 Salzburger Nachrichten, 29. 3. bis 1. 4. 1989. 46 Der Standard, 25. 3. 1989. 47 Profil, 20. 3. 1989.
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Kärnten, die Ende 1987 mit den sechs ÖVP-Landeshauptmännern noch einen EG-Beitritt gefordert hatten, schwenkten nun auf die Linie der EG-Gegner ein. Zu ihnen gesellte sich auch ein Teil der SPÖ-Parlamentarier. In der Darlegung der SPÖ-Grundsätze in der EGFrage am 3. April 1989 folgte die Partei jedoch der Linie ihres Vorsitzenden. Der Grundtenor lautete „ja zur EG-Mitgliedschaft, aber nicht um jeden Preis“. So sollten u. a. die rechtlichen und politischen Erfordernisse, die aus der Neutralität erwuchsen, nicht verhandelbar sein. Interessant ist dabei auch folgende Formulierung: „Die SPÖ ist sich bewusst, dass Wahrung der Neutralität und [EG-]Mitgliedschaft nicht unmittelbar vereinbar sind. Sie geht jedoch davon aus, dass sie mit dem entsprechenden politischen Willen seitens der EG vereinbar gemacht werden können.“48
Die von der SPÖ aufgestellten Bedingungen wurden in dem Bericht der Bundesregierung an das Parlament vom 17. April 1989 voll berücksichtigt. Darin wird zur Frage eines EGBeitrittsantrages erklärt, dass – nachdem die Bundesregierung am 1. Dezember 1987 als Ziel die volle Teilnahme am EG-Binnenmarkt erklärt und die Arbeitsgruppe für europäische Integration festgestellt hatte, dass als Nicht-Mitglied dies nur beschränkt möglich sei – nur eine EG-Mitgliedschaft als Möglichkeit bliebe, um Österreich in den entstehenden europäischen Binnenmarkt zu integrieren. Ein solcher Beitritt solle jedoch von bestimmten Voraussetzungen ‚eingerahmt‘ werden, als da wären die Wahrung −− −− −− −− −−
der immerwährenden Neutralität, der Prinzipien der Bundesstaatlichkeit, des österreichischen Sozialsystems, einer offensiven Umweltpolitik, einer flächendeckenden bäuerlichen Land- und Forstwirtschaft, und die Lösung des Transitproblems vor einer EG-Mitgliedschaft.
Bis zum Abschluss von Beitrittsverhandlungen wolle „Österreich loyales Mitglied der EFTA“ bleiben und „sich an allen Bemühungen beteiligen, die im Wege multilateraler Verhandlungen einer neuerlichen wirtschaftlichen Teilung Westeuropas entgegenarbeiten“.49
Die künftige EG-Politik wurde am 26. Juni 1989 durch eine „Parteienvereinbarung zwischen SPÖ und ÖVP zur weiteren Vorgangsweise in der Integrationspolitik“ abgesichert, der langwierige Auseinandersetzungen zwischen den beiden Großparteien vorausgegangen 48 Vgl. das Positionspapier von SPÖ-Vorsitzendem Vranitzky, in: Arbeiterzeitung (AZ), 4. 4. 1989. 49 Vgl. Bericht der Bundesregierung an das Parlament über die Frage eines EG-Beitrittsantrages vom 17. 4. 1989, zitiert nach: ÖVP-Pressedienst, 19. 4. 1989.
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waren. Diese Vereinbarung wurde so angelegt, dass sie über die laufende Legislaturperiode hinaus bis „zum Ende des Verhandlungsprozesses mit den Europäischen Gemeinschaften“ Gültigkeit besitzen sollte. Die Absprache zwischen beiden Regierungsparteien nannte die gleichen Voraussetzungen, die für einen EG-Beitritt erfüllt sein müssten, wie der Bericht der Bundesregierung an das Parlament. Zusätzlich wurde noch der Verbraucherschutz, das Wettbewerbsrecht, die Regional- und Grundverkehrspolitik und der Bereich der Wissenschaft, Forschung, Technologie und Bildung angesprochen. Es wurde selbst nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch in Zukunft „alle Möglichkeiten genützt werden, im Wege der EFTA zu substanziellen Lösungen mit den Europäischen Gemeinschaften zu gelangen“. Beschlossen wurde die Einsetzung eines Rates für Integrationsfragen, der „einerseits Expertenwissen der Bundesregierung zur Verfügung stellt, andererseits die Basis der politischen Willensbildung verbreitert“. Dieser Rat sollte aus den zuständigen Bundesministerien, Vertretern der Parlamentsfraktionen, aus Vertretern der Bundesländer, der Gemeinden und der Sozialpartner zusammengesetzt werden. Zusätzlich wurde „für die innerösterreichische Koordination (Bundesministerien, Länder, Gemeinden, Sozialpartner) und für die Vorbereitung der grundlegenden inhaltlichen Verhandlungspositionen der Bundesregierung gegenüber der EG eine Arbeitsgruppe im Bundeskanzleramt eingerichtet“, deren personelle Besetzung einvernehmlich durch den Bundeskanzler und den Vizekanzler erfolgen sollte.50 Am 29. Juni 1989 beantragte der Nationalrat mit einer großen Mehrheit – ohne die Stimmen der Grün-Alternativen – durch die Annahme eines Entschließungsantrages von SPÖ, ÖVP und FPÖ, die Bundesregierung habe „Verhandlungen mit der EG über eine Mitgliedschaft Österreichs aufzunehmen und die zu diesem Zweck erforderlichen Anträge bis zum Herbst 1989 zu stellen“51. Mit der Übergabe des Beitrittsantrages durch Außenminister Mock beim Präsidenten des Rates der Europäischen Gemeinschaften, Roland Dumas, am 17. Juli 1989 erlebte die jahrelange österreichische EG-Diskussion einen vorläufigen Schlusspunkt. Der „EG-Brief“, über dessen Formulierung es bis zuletzt Diskussionen zwischen beiden Regierungsparteien gegeben hatte – die SPÖ wollte zeitweise eine ganze Reihe von Vorbedingungen auflisten, die ÖVP teilweise sogar den Neutralitätsvorbehalt weglassen, da Österreichs Status allgemein bekannt sei52 –, enthielt schließlich einen ausdrücklichen Neutralitätsvorbehalt. Bestand in der Frage einer weiteren Partizipation Österreichs am europäischen Integrationsprozess der EG Übereinkunft, so war es dieser Neutralitätsvorbehalt, der in der Frage des EG-Beitrittsbegehrens beträchtliche Konflikte unter den Regierungspartnern auslöste bis hin zur Frage, wer das in Rede stehende Dokument nun eigentlich unterzeichnen sollte. Mock wollte den Brief ohne Neutralitätsvorbehalte nach Brüssel schicken, Vranitzky bestand auf dieser Klau50 Vgl. Parteienvereinbarung zwischen SPÖ und ÖVP zur weiteren Vorgangsweise in der Integrationspolitik, zitiert nach: Wiener Zeitung, 29. 6. 1989. 51 Entschließungsantrag von SPÖ, ÖVP und FPÖ, zitiert nach: Die Presse, 30. 6. 1989. 52 Vgl. Heinrich Schneider, a.a.O., 225 f.
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sel. Das später von der EG-Kommission erteilte Verhandlungsavis machte deutlich, dass die zur Sprache gebrachten neutralitätspolitischen Reserven zum Problem werden könnten, zumal darin sogar eine „Neudefinierung des Neutralitätsstatus durch Österreich“ als Voraussetzung für einen EG-Beitritt des Landes erwogen wurde. Nicht nur Brüssel sah in der Neutralitätsfrage Probleme, sondern auch Moskau meldete sich noch einmal zu Wort: Die Sowjets gaben in einem Aide-Mémoire vom 10. August 1989 ihre traditionelle Besorgnis bezüglich Wahrung der österreichischen Neutralitätspolitik über die Nachricht zum Ausdruck, da Österreich nun beabsichtige, Beitrittsverhandlungen mit den Europäischen Gemeinschaften aufzunehmen. Das diplomatische Schriftstück war ähnlich wie früher in zurückhaltendem und freundlichem Ton gehalten.53 Mock nahm noch am gleichen Tag dazu Stellung und betonte, dass der Tenor des sowjetischen Memorandums dem Tenor der Gespräche entspreche, die er im September 1988 in Moskau geführt hatte. Er machte ferner deutlich, dass die Sowjets ihre Genugtuung darüber zum Ausdruck gebracht hätten, dass anlässlich der Übergabe des Beitrittsantrages die Fortsetzung der Politik der dauernden Neutralität von österreichischer Seite unterstrichen worden sei.54 Die neutralitätssensible Politik der SPÖ sollte sich in dieser Konstellation nachträglich also noch bezahlt machen, zumal die Sowjetunion als Signatarmacht des Staatsvertrages im Herbst 1989 noch einen weltpolitischen Faktor darstellte. Die Regierungen der Zwölf hatten inzwischen der Weiterleitung des Briefes an die EGKommission zugestimmt. Damit war das Verfahren zur Aufnahme eines neuen Mitglieds eingeleitet.55 Die EG-Politik der österreichischen Regierung mit der Überreichung des Beitrittsansuchens in Brüssel wurde rückwirkend laut einer Umfrage des Gallup-Institutes von 61 % der Befragten gutgeheißen. Nur 29 % erklärten sich mit der Übergabe des Beitrittsantrages nicht einverstanden.56
III. Die immerwährende Neutralität Österreichs War Österreichs wirtschaftliche Verflechtung mit der EG das Hauptmotiv für die jahrzehntelangen Bemühungen um eine Annäherung an die Gemeinschaft, so bildete die immerwährende Neutralität das Haupthindernis für eine verstärkte Annäherung bzw. Mitgliedschaft. 53 Aide-Mémoire der Sowjetunion zu den österreichischen EG-Beitrittsverhandlungen vom 10. 8. 1989, in: Kunnert, D 190, 562; vgl. zur Vorgeschichte sowjetischer Reaktionen auf österreichische Integrationspolitik den Beitrag von Hamel in diesem Band. 54 Mock ließ im historischen Rückblick, den er zur Legitimation des Beitrittsantrages gebrauchte, den Aspekt der schwierigen Verträglichkeit der „immerwährenden Neutralität“ Österreichs mit der auf politische Finalität angelegten EG unberührt, vgl. Bundesminister für Auswärtiges Dr. Alois Mock nimmt am 10. 8. 1989 zum sowjetischen Aide-Mémoire vom 10.8. 1989 Stellung, ÖVP-Pressedienst vom 10. 8. 1989, in: Kunnert, D 88, 299. 55 Der Standard, 29. und 30. 7. 1989. 56 Kurier, 1. 8. 1989.
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Die herrschende Wiener Völkerrechtsmeinung mit ihrem namhaftesten Vertreter Verdross57 sah bis in die 80er-Jahre eine EG-Mitgliedschaft Österreichs mit seiner immerwährenden Neutralität als nicht vereinbar an. Der herausragende Grund war der supranationale Charakter der EG, also das System der Mehrheitsentscheidung im Ministerrat. Durch Mehrheitsbeschluss könne – so lautete die Argumentation – der Rat im Falle eines bewaffneten Konfliktes einseitige Aus-, Ein- und Durchfuhrverbote erlassen, die für alle EG-Mitgliedsstaaten bindend wären. Das Gleichbehandlungsgebot eines neutralen Staates würde dadurch verletzt werden. Österreich müsste dann, um seine Neutralitätspflichten zu erfüllen, EG-Recht brechen.58 Mit dem Aufkommen der neuen EG-Diskussion in Österreich seit Mitte der 80er-Jahre wurde diese herrschende österreichische Völkerrechtsmeinung immer mehr attackiert. In ihrem von der Vereinigung Österreichischer Industrieller (VÖI) in Auftrag gegebenen Gutachten kamen die schon erwähnten EG-Befürworter und Völkerrechtsprofessoren Waldemar Hummer und Michael Schweitzer zu dem erwartungsgemäßen Schluss, dass die immerwährende Neutralität Österreichs und eine EG-Mitgliedschaft sehr wohl vereinbar seien.59 Hummer/Schweitzer argumentierten vor allem damit, dass in der Praxis durch die Anwendung der Luxemburger Vereinbarung von 196660 der Rat gegen den Willen eines Mitgliedstaates keinen Mehrheitsbeschluss fassen kann. Mit dieser Regelung hatten sich die EG-Mitglieder nämlich verpflichtet, in jenen Fällen, in denen nach dem Urteil eines oder mehrerer Staaten sehr wichtige Interessen betroffen sind, eine einvernehmliche Lösung gefunden werden müsse. Die Mitgliedsstaaten erhalten mit dieser Vereinbarung also eine Art Vetorecht in wichtigen Fällen, von dem Österreich Gebrauch machen könne, wenn sein Neutralitätsstatus es gebiete.61 Hummer und Schweitzer kamen in ihrem Gutachten also zu dem 57 Vgl. auch Alfred Verdross, Österreichs Neutralität, ein Beitrag zum Frieden in der Welt, in: Hans R. Klecatsky (Hrsg.), Die Republik Österreich. Gestalt und Funktion ihrer Verfassung, Wien 1968; ders., Die immerwährende Neutralität Österreichs (Sonderheft der Schriftenreihe „Politische Bildung“), Wien 1977; ders., La neutralité permanente de l’Autriche, Wien 1987. 58 Vgl. Josef Azizi, Verfassungsrechtliche Aspekte eines österreichischen EG-Beitritts, in: Herausforderung Binnenmarkt. Kopfüber in die EG 3, hrsg. v. Hans Glatz und Hans Moser, Wien 1989, 241–296, hier 251. 59 Vgl. Waldemar Hummer/Michael Schweitzer, Österreich und die EWG, Neutralitätsrechtliche Beurteilung der Möglichkeiten der Dynamisierung des Verhältnisses zur EWG, Wien 1987, 284–306. 60 Vgl. hierzu den Beitrag von Stephan Hamel in diesem Band. 61 Hummer/Schweitzer, 285. Vgl. Waldemar Hummer/Michael Schweitzer, Das Problem der Neutralität Österreichs und die EG-Beitrittsfrage, in: Europa-Archiv 43 (1988), Folge 17, 501–510, hier 502; vgl. dagegen Ignaz Seidl-Hohenveldern, International Economic Law, Dordrecht 1989, 17; ders., De Gaulle, die europäische Integration und Österreich. Die völkerrechtlichen Voraussetzungen, in: Klaus Eisterer/Oliver Rathkolb (Bearb./Red.), De Gaulles europäische Größe: Analysen aus Österreich. Jahrbuch für Zeitgeschichte 1990/91, Salzburg – Wien, 69–76, hier 74: „Es ist müßig, darüber nachzudenken, ob die Mitgliedstaaten der EG einen neutralen Staat als Mitglied aufgenommen hätten, der durch dieses Vetorecht der ganzen EG seine Neutralitätspolitik hätte aufzwingen können. Die Einheitliche Europäische Akte scheint eine Bresche in dieses Vetorecht geschlagen zu haben. Zumindest könnte ein neutraler Staat nicht mehr absolut sicher sein, dass er sich immer auf dieses Recht stützen könnte, selbst wenn er keinen Neutralitätsvorbehalt erhoben hätte. Die Schutzklauseln der Art. 233 und 224 EWGV sind kein Ersatz für ein solches Vetorecht. Art. 225 EWGV
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Schluss, dass einem EG-Beitritt neutralitätsrechtlich nichts im Wege stehe. Bedenken könnte es allenfalls hinsichtlich der Glaubhaftmachung der österreichischen Neutralitätspolitik geben. Um diese zu zerstreuen, schlugen sie als Lösung die Formulierung eines Neutralitätsvorbehaltes anlässlich des Beitritts vor.62 Die Kritiker von Hummer und Schweitzer warfen diesen besonders die Unterschätzung des neutralitätspolitischen Aspektes vor. Neutralitätspolitik habe nicht nur, wie beide dies so sehen wollten, die Aufgabe des Umsetzens der neutralitätsrechtlichen Pflichten in die Praxis, sondern darüber hinaus auch die Aufgabe der Glaubhaftmachung der Neutralität.63 Der frühere Botschafter und jetzige Direktor des Österreichischen Institutes für Internationale Politik (ÖIIP), Hans Thalberg, hob auch den politischen Aspekt der österreichischen Neutralität hervor: „Der immerwährend Neutrale darf sich keine Sprünge und Brüche, keine spontanen Veränderungen in seiner Politik leisten, sonst wird er unglaubwürdig und die Glaubwürdigkeit ist die Seele der immerwährenden Neutralität.“64
In diesem Zusammenhang dürfe, so Thalberg, das Ziel der EG, eine Politische Union zu schaffen, nicht aus den Augen verloren werden. Ein Beitritt zur EG bedeute den „Einstieg in eine Entwicklung, an deren Ende in der EG kein Platz mehr für einen dauernd neutralen Staat sein wird“.65 Das Neutralitätsgutachten des Völkerrechtsbüros des Außenamts vom November 1988 nahm etwa eine Mittelposition zwischen den dargestellten Meinungen von Hummer und Schweitzer einerseits und deren Kritikern andererseits ein. Immerwährende Neutralität und EG-Mitgliedschaft seien zwar grundsätzlich vereinbar, aber es ergebe sich die Notwendigkeit eines ausdrücklichen Neutralitätsvorbehaltes aus neutralitätsrechtlichen Gründen – Hummer und Schweitzer hatten neutralitätsrechtlich keine Probleme gesehen, nur aus neu tralitätspolitischen Gründen hatten sie einen Neutralitätsvorbehalt vorgeschlagen.66 betraut den EuGH mit der Kontrolle der Anwendung dieser Artikel. Ein neutraler Staat ist aber als einziger berufen, über das Ausmaß seiner Neutralitätsverpflichtungen zu urteilen.“ 62 Waldemar Hummer/Michael Schweitzer, a.a.O., 1987, 306. 63 Vgl. stellvertretend für viele Kritiker der Studie von Hummer und Schweitzer: Thomas Nowotny, Neutralitätspolitik – Mythos und Realität, in: Europa-Archiv 44 (1989), Folge 13, 423–432, oder auch: Hans Thalberg, Die immerwährende Neutralität. Eckpfeiler der österreichischen Sicherheitspolitik, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP) 18 (1989), Heft 3, 261–264; weniger prononciert gegen die EG, aber gegen eine allzu starke Westorientierung Österreichs argumentierte Alfred Missong, „Wie westlich ist Österreich? Eindimensionale Zuordnungsbekenntnisse schaden dem Ansehen der Republik“, in: Der Standard, 12.3.1990. 64 Ebd., 262. 65 Manfred Rotter, Wie steht es mit dem Neutralitätsvorbehalt in der EG?, in: Salzburger Nachrichten, 3. 10. 1988. 66 Vgl. Gutachten des Völkerrechtsbüros über die Vereinbarkeit von EG-Mitgliedschaft und Neutralität, zitiert in: Die Presse, 26. und 27. 11. 1988.
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Inzwischen muss wohl festgestellt werden, dass die noch vor einigen Jahren berechtigten neutralitätspolitischen Bedenken der EG-Beitrittsgegner nun doch an Gewicht verloren haben. Die österreichische Neutralität war im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg entstanden und hatte die Aufgabe, Österreich sicherheitspolitisch von beiden europäischen Paktsystemen fernzuhalten. Nach Auflösung des Warschauer Paktes wurde auch die österreichische Neutralität in neuem Lichte gesehen. Heinrich Schneider beschreibt eine interessante und mögliche Umdeutung der österreichischen Neutralität weg von einer Statusdefinition im Kriegsfall hin zu einem Instrument einer aktiven Friedenspolitik.67 Angesichts der jüngsten Entwicklung in Südost- und Osteuropa, die zeigt, dass regionalinnerethnische Konflikte auf diesem Kontinent wieder möglich sind, wird aber der Sinn von Neutralität als Garant außenpolitischer Sicherheit Österreichs ungewiss. Aus sicherheitspolitischen Gründen drängt sich immer mehr die Frage der Schaffung eines europäischen Sicherheitssystems auf, an welches sich Österreich anlehnen könnte.68
IV. Haltung der Parteien, Interessengruppen und Ländervertreter Was die Ansichten zur EG-Politik angeht, hat im letzten Jahrzehnt unter den Parteien69 sicherlich die SPÖ die größte Wende vollzogen. Als der Bundesparteivorstand dieser Partei am 3. April 1989 sich für die Abgabe eines Beitrittsgesuches in Brüssel aussprach, war dies der konsequente Schlusspunkt einer Entwicklung, die schon 1983 eingesetzt hatte. Mit dem Abtreten Kreiskys als Bundeskanzler im Jahr 1983 wurde die SPÖ-dominierte österreichische Außenpolitik wieder mehr europäisch ausgerichtet (d. h. auf Europa „reduziert“), die vorher mit dem Stichwort „globalistisch“70 subsumiert worden ist. Einen wirklich entscheidenden Schritt in Richtung EG machte die Europapolitik der SPÖ mit der Nominierung Vranitzkys als Bundeskanzler im Juni 1986. Dieser kam als Spezialist des Bankfachs vom Wirtschaftsflügel der SPÖ. Jankowitsch (SPÖ), der sich schon Ende 1985 für eine stärkere Annäherung an die EG bis zu einer Quasimitgliedschaft ausgesprochen hatte,71 wurde neuer Außenminister. Auch Vranitzky sah eine Annäherung an die EG keineswegs nur auf wirtschaftliche Belange beschränkt und plädierte auch für eine Quasimitgliedschaft.72 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die SPÖ den ÖVP-Positionen in der EG-Po67 Vgl. Heinrich Schneider, a.a.O., 5.152 ff. 68 Vgl. Peter Hilpold/Waldemar Hummer, Die Jugoslawien-Krise als ethnischer Konflikt, in: Europa Archiv, 47 (1992), Folge 4, 87–96. 69 Zur Rolle der SPÖ, ÖVP, Grün-Alternative und KPÖ in der Integrationsfrage, vgl. Kunnert, 162–395. 70 So Helmut Kramer, Strukturentwicklung der Außenpolitik (1945–1990), in: Herbert Dachs u. a., Handbuch des politischen Systems Österreichs, Wien 1991, 637–657, hier 646 ff. 71 Die Presse, 16. 11. 1985. 72 Vgl. Helmut Kramer, „Wende“ in der österreichischen Außenpolitik? Zur Außenpolitik der SPÖ-ÖVP-Koalition, in: ÖZP, 17 (1988), 2, 117–131, hier 120.
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litik bereits so angenähert, dass in dieser Frage praktisch keine Unterschiede mehr zwischen beiden Parteien festzustellen waren.73 Außenminister Jankowitsch sah drei Gründe für die veränderte Haltung der SPÖ in der EG-Politik. So habe sich erstens die EG verändert und umfasse heute alle politischen Kulturen Europas, zweitens habe Österreich die erforderliche Europareife. Drittens habe sich das Ost-West-Verhältnis inzwischen entkrampft.74 Erst als Anfang 1988 die ÖVP einen EG-Beitritt forderte, tauchten wieder Differenzen zwischen den Positionen der beiden Großparteien in der EG-Politik auf. Während die ÖVP schnellstmöglich einen Beitrittsantrag stellen wollte,75 hatte die SPÖ noch große Probleme, sich an den Gedanken einer EG-Mitgliedschaft zu gewöhnen. Die Partei war in der EGFrage gespalten. Bundeskanzler Vranitzky, Finanzminister Ferdinand Lacina und Ex-Außenminister Jankowitsch standen einem EG-Beitritt vorsichtig positiv gegenüber, wollten den Beitrittsantrag jedoch nicht überhastet, sondern nach Untersuchung aller relevanten Fragen stellen.76 Auf der anderen Seite wuchs aber gerade in der SPÖ im Laufe des Jahres 1988 die EG-Skepsis eher noch an. Der Bürgermeister von Wien, Helmut Zilk (SPÖ), der Wiener SPÖ-Vorsitzende, Hans Mayr, und der Landeshauptmann des Burgenlandes, Hans Sipötz, sprachen sich gegen einen Beitritt aus, da vor allem für die östlichen Landesteile Österreichs Probleme zu erwarten wären.77 Der SPÖ-Vorsitzende von Tirol, Hans Tanzer, forderte vor der Entscheidung über ein Beitrittsansuchen erst die Lösung der Transitproblematik.78 Trotz der Spaltung der Partei in der EG-Frage wurde am 3. April 1989 Vranitzkys Positionspapier zum weiteren Vorgehen in der EG-Politik vom SPÖ-Vorstand überraschend klar mit 50 zu 4 Stimmen angenommen.79 Damit sprach sich die SPÖ grundsätzlich für einen EG-Beitritt aus, da sie offensichtlich keine andere Möglichkeit sah, um am EG-Binnenmarkt teilnehmen zu können, und weil sie wohl befürchtete, europapolitisch gegenüber der ÖVP ins Hintertreffen zu geraten. Diese prinzipielle Beitrittsbefürwortung wurde jedoch an so viele Bedingungen geknüpft, dass dadurch die Grundaussage wieder relativiert wurde. Es hieß, die Mitgliedschaft solle „nicht um jeden Preis“ erfolgen. Folgende Grundsätze wurden festgelegt: −− die Erfordernisse der immerwährenden Neutralität sind nicht verhandelbar, −− aus Standortwettbewerbsgründen dürfe nicht der soziale Standard abgebaut werden, −− die Umweltpolitik soll weiterhin offensiv geführt werden, 73 Die Presse, 2. 2. 1987. 74 Vgl. Paul Luif, Neutrale in die EG?, Wien 1988, 172. 75 Profil, 12. 9. 1988. 76 Profil, 22. 8. 1988, 10 f. 77 Heinrich Schneider, a.a.O., 212. 78 Ebd., 212; Zur Transitproblematik in Tirol vgl. Hubert Sickinger, Antitransitbürgerinitiativen in Tirol, in: SWS-Rundschau 31 (1991), Heft 2, 239–251; vgl. das inzwischen erschienene Buch von Hubert Sickinger/ Richard Hussl, Transit-Saga. Bürgerwiderstand am Auspuff Europas, Thaur 1993. 79 AZ, 4. 4. 1989.
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−− die EG-Hilfen für benachteiligte Gebiete müssen den spezifisch österreichischen Gegebenheiten angepasst werden und −− das Transitproblem soll schon vor der Verwirklichung des Binnenmarktes gelöst werden.80 Es lässt sich insgesamt feststellen, dass sich die SPÖ, die noch vor 10 Jahren jede bilaterale Annäherung an die EG abgelehnt hatte, trotz der genannten Vorbehalte gegen einen EGBeitritt ihre Position weitgehend geändert hatte und nun also einen vorsichtigen Pro-BeitrittKurs steuerte. Die Befürwortung einer EG-Mitgliedschaft wurde von nichtsozialistischen Kreisen mit Erleichterung aufgenommen, u. a. auch deshalb, weil hierdurch die Große Koalition stabilisiert worden war. Ähnlich wichtig wie die SPÖ-Entscheidung für eine EGMitgliedschaft war für das bürgerliche Lager das klare Bekenntnis der SPÖ vom 3. April zum Binnenmarkt, da die Sozialdemokraten damit klarmachten, dass das bisher praktizierte österreichische Modell einer Volkswirtschaft mit starken gemeinwirtschaftlichen Elementen nicht weiterzuführen war.81 Die ÖVP hatte schon in den 70er-Jahren als Oppositionspartei eine prononciertere EG-Politik gefordert. An eine EG-Mitgliedschaft war in der Mehrheit dieser Partei zu dieser Zeit allerdings noch nicht gedacht worden. Doch schon 1985 hatte der Direktor der Politischen Akademie der ÖVP, Andreas Khol, seine „Dreisprungtheorie“ dargelegt, in der er langfristig von einer EG-Mitgliedschaft Österreichs ausgegangen war.82 Im Entschließungsantrag der ÖVP im Nationalrat vom 16. Dezember 1985 war gefordert worden, durch bilaterale Verhandlungen mit der EG und autonomer Übernahme von EG-Recht zu einem besonderen Vertrag mit der EG zu gelangen, der so nahe an die Vollmitgliedschaft heranreichen sollte, wie dies mit einer vollen Beachtung der Pflichten der Neutralität vereinbar sei.83 Die Idee einer Vollmitgliedschaft wurde also auch von der ÖVP zumindest kurz- und mittelfristig verworfen. Noch im November 1987 stellte der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Ludwig Steiner, fest, dass aus Neutralitätsgründen ein Beitritt zur EG zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum möglich sei.84 Parallel zu diesen Aussagen wurde jedoch andererseits in der ÖVP immer mehr die Möglichkeit einer EG-Mitgliedschaft erwogen. So hatte Vizekanzler und Außenminister Mock im Ministerrat am 1. Dezember 1987 eine Vorlage durchsetzen können, in der es hieß, dass die Teilnahme Österreichs am EG-Binnenmarkt ein „erster großer Schritt“ und „die Option eines EG-Beitritts unter Bedachtnahme auf die Erfordernisse der immerwährenden Neutralität für die Zukunft nicht ausgeschlossen“85 sei. 80 Ebd. 81 Heinrich Schneider, a.a.O., 217 ff. 82 Andreas Khol, Im Dreisprung nach Europa. Kooperation-Assoziation-Union, in: Europäische Rundschau 13 (1985), 3, 29–45. 83 Politische Akademie (Hrsg.), a.a.O., 11 ff. 84 Vgl. Paul Luif, a.a.O., 173 f. 85 Zitiert nach: Heinrich Schneider, a.a.O., 200.
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Der ÖVP-Vorstand ging am 8. Januar 1988 sogar noch einen Schritt weiter, als er als konkretes Ziel den EG-Beitritt Österreichs festlegte. Es wurde sogar präzisiert, dass dieser Beitritt möglichst frühzeitig erfolgen sollte.86 Auf dem im April 1988 von der ÖVP veranstalteten Europakongress wurde der Beschluss bekräftigt, die EG-Mitgliedschaft anzustreben.87 Die ÖVP konnte sich damit in einer Zeit, als die öffentliche Meinung noch sehr EG-freundlich eingestellt war, als die Europapartei profilieren. So muss sicherlich die Entwicklung der EG-Politik der ÖVP auch unter innenpolitisch-strategischen Gesichtspunkten gesehen werden. Die EG-freundliche Stimmung im Land sollte von der ÖVP durch die Besetzung des Themas „EG“ in Wahlerfolge umgemünzt werden.88 Innerhalb der drei ÖVP-Bünde, Österreichischer Wirtschaftsbund, Österreichischer Angestellten- und Arbeiterbund und Österreichischer Bauernbund, war die EG-Skepsis dennoch vor allem bei der agrarischen Vertretung recht groß. Um die Ängste der Landwirtschaft vor einem EG-Beitritt zu zerstreuen, bot ÖVP-Obmann Mock den Bauern im Oktober 1988 einen Europavertrag an, in dem Folgendes geregelt werden sollte: −− faire Wettbewerbsbedingungen für die bäuerlichen Familienbetriebe am europäischen Markt, −− Verhinderung des Ansteigens der Umweltschäden, die die Bauern belasten, −− Schutz des landwirtschaftlichen Grund und Bodens vor einem Ausverkauf, −− Förderung von Forschung und Entwicklung von Qualitäts- und Spezialprodukten, −− effiziente Mitbestimmung Österreichs in der europäischen Regionalentwicklung.89 Spätestens ab diesem Zeitpunkt steuerte die ÖVP geschlossen in Richtung Beitritt. Einige hochgestellte ÖVP-Politiker haben diesen offensiven Integrationskurs in der Folge sogar so intensiviert – z. B. forderte Khol bereits im Sommer 1988 die sofortige Einbringung des Beitrittsantrages90 –, dass es zeitweise wieder zu Spannungen in der EG-Politik zwischen beiden Großparteien kam. Durch den Beschluss der SPÖ vom 3. April 1989, eine EG-Mitgliedschaft anzustreben, und durch den Abschluss der Parteienvereinbarung zwischen SPÖ und ÖVP über die Integrationspolitik mit der Festschreibung der Grundsätze für einen EG-Beitritt waren die Differenzen zwischen beiden Großparteien in dieser Frage weitgehend ausgeräumt. Was die FPÖ angeht, so war sie schon immer die Partei in Österreich, die sich am klarsten für eine österreichische Mitgliedschaft bei der EG ausgesprochen hatte.91 Schon 1959 trat 86 ÖVP-Pressedienst, 8. 1. 1988. 87 Vgl. Bernhard Moser (Hrsg.), Europa-Kongress, Unser Weg in die Europäische Gemeinschaft, Wien 1988. 88 Vgl. Heinrich Schneider, a.a.O., 201 f. 89 ÖVP-Pressedienst, 22. 10. 1988. 90 Die Presse, 3. und 4. 9. 1988. 91 Vgl. auch den Beitrag von Höbelt in diesem Band; eine wohl aus wahltaktisch-populistischen Motiven agierende FPÖ-Führung Anfang der 90er-Jahre schwenkte im August 1992 auf eine Anti-EG-Linie ein; „Da bleiben wir lieber als kleines Österreich in einer Freihandelszone und leben auch ganz gut“ (Haider), in: Die
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sie für einen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ein. Diese Forderung wurde auch im Parteiprogramm von 1985 erhoben, und Ende 1987 hatte sie einen parlamentarischen Antrag eingebracht, in dem ein EG-Beitritt gefordert wurde. Dieser Antrag wurde damals jedoch noch von beiden Großparteien abgelehnt. In der FPÖ wollte man durch eine EG-Mitgliedschaft das österreichische System zur Öffnung und zu Reformen zwingen, da – wie die Partei zu argumentieren versuchte – der wirtschaftliche Wettbewerb in Österreich ungenügend sei.92 Die Grün-Alternativen waren von Anfang an gegen einen Beitritt. Ihre Ablehnung beruhte auf der grundsätzlichen Gegnerschaft zu einer EG, wie sie existierte und sich weiterhin präsentierte. Ihrer Auffassung nach stehe die EG für eine ökonomische Expansion auf Kosten der Natur, der Klein- und Mittelbetriebe und der Dritten Welt. Brüssel wurden beträchtliche Demokratiedefizite angekreidet und in den europäischen Gemeinschaften wurden Anfänge einer militärischen Supermacht gesehen, was die Grün-Alternativen zu dem Schluss kommen ließ, dass immerwährende Neutralität und EG-Mitgliedschaft nicht zu vereinbaren seien.93 Die Alternative zur EG sah für die Grün-Alternativen folgendermaßen aus: „Ein Europa kleiner, politisch und historisch gewachsener Einheiten, die auf der kulturellen und politischen Identität und Tradition ihrer Bewohner aufbauen […] Ein demokratisches Europa, in dem die Demokratie, die Teilnahme auf allen Ebenen und in Gesetzgebung und Verwaltung durchgängig verwirklicht wird.“94
Auch die KPÖ (Kommunistische Partei Österreichs), die nicht mehr im Nationalrat vertreten war, sprach sich gegen einen EG-Beitritt Österreichs aus. Dieser wurde von ihr unter Presse, 21. 8. 1992; „Derzeit gelte ,ein klares FPÖ-Nein zur EG‘. Die Anpassung der EG ,an neue Gegebenheiten seit 1989 funktioniert nicht‘“ (Generalsekretär Meischberger), in: Der Standard, 27. 8. 1992; „Das ist unverständlich, in gewissem Sinn unverantwortlich und politisch unklug. Unverständlich ist dieser Kurs, weil die FP die treibende Kraft für einen EG-Beitritt war – und nun herumkrebst. Unverantwortlich ist er, weil Österreich es sich nicht leisten kann, aus der EG draußen zu bleiben.“ (Georg Mautner Markhof), in: Kurier, 28. 8. 1992; „,Kein freiheitlicher Politiker ist für einen derzeitigen EG-Beitritt.‘“ (Meischberger), in: Kurier, 29. 8. 1992; „Die FPÖ sage aber nein zum gegenwärtigen Brüsseler Zentralismus, nein zum Demokratiedefizit in der EG und nein zur europäischen Einheitskultur, ohne Sicherung der nationalen Identitäten auf der Grundlage des europäischen Volksgruppenrechts.“ (Haider auf einer Pressekonferenz), in: Freiheitlicher Pressedienst, 1. 9. 1992; „Sollte die Abwägung von Pro und Kontra ein kleines Übergewicht zugunsten der EG ergeben, werde die FP im ,Zweifelsfall für den Beitritt‘ votieren; derzeit sei man dagegen“ (Haider), in: Kurier, 2. 9. 1992; stringent argumentierend Hans Rauscher, „Warum Haider gegen ‚diese‘ EG ist […] erfährt man bei der Lektüre der Schriften seines großdeutschen Vordenkers Andreas Mölzer“, in: WirtschaftsWoche, 24. 9. 1992, Nr. 39, 14–15; „Auffällige FP-Absenzen bei EWR-Abstimmung“, in: Der Standard, 24. 9. 1992; jüngst scheint sich ein leichter „Rückschwenk“ zu vollziehen. 92 Vgl. Österreich und die EG, Freiheitliches Bildungswerk (1989), Heft 3, 5 ff. 93 Vgl. Andrea Heuermann, Was sagen die anderen ?, in: Zum Thema, Hefte für Sozialistische Politik (1989), Nr. 1, S. 47–50, hier S. 49. 94 Impuls grün, EG-Manifest, Wien (1989), Nr. 2, 19.
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historischer Anspielung als „Anschluss“ bezeichnet. Die Ablehnung wurde vor allem damit begründet, dass die Neutralität bei einer EG-Mitgliedschaft nicht aufrechtzuerhalten sei. Weiter bedeute ihrer Überzeugung nach ein Beitritt den „weitgehenden Verzicht auf Souveränität und die demokratischen, föderalistischen und rechtsstaatlichen Errungenschaften unseres Landes“.95 In seinem „Europa-Memorandum“ vom 6. Dezember 1988 sprach sich dagegen der ÖGB96 für einen EG-Beitritt unter bestimmten Bedingungen aus. Folgende Prinzipien müssten seiner Ansicht nach schon vor Antragstellung außer Streit gestellt sein: −− Wahrung der immerwährenden Neutralität, −− Nutzung der sich ergebenden Wachstumsfortschritte und Integrationsvorteile zur Hebung von Einkommen, Beschäftigung und Wohlfahrt, −− Bekenntnis zur Vollbeschäftigung als Priorität der Wirtschafts- und Sozialpolitik, −− Verbleiben der Sozialpolitik im nationalen Kompetenzbereich, −− keine nationale Politik des Abbaus sozialer Standards zur Erreichung von Wettbewerbsvorteilen. −− umfassende Einbeziehung der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften in die politischen Entscheidungsabläufe und Verhandlungen.97 Am besten fasste die Position des ÖGB zur Frage einer EG-Mitgliedschaft die Gewerkschaftszeitschrift Solidarität zusammen: „Beitritt im Prinzip ja, aber keinesfalls um jeden Preis.“98 Auch der Österreichische Arbeiterkammertag erklärte in seiner Europa-Stellungnahme vom Jänner 1989, dass aus wirtschaftlichen Gründen die volle Teilnahme Österreichs an der fortschreitenden Integration in Europa nötig sei. Eine vollständige Partizipation Österreichs am EG-Binnenmarkt wurde von ihm als wünschenswert erachtet: „Sollte dies nur über eine Mitgliedschaft möglich sein, so ist zu beachten, dass sie neben der ökonomischen und sozialen auch eine wesentliche politische und außenpolitische Dimension hat.“99
Die Prinzipien, die der ÖGB in seinem Europa-Memorandum vom Dezember 1988 für einen Beitrittsantrag genannt hatte, übernahm der Arbeiterkammertag voll und ganz. Grundsätzlich betonte er die Notwendigkeit der weiteren Integration: „Die Probleme und Nachteile einer Nichtintegration wären nämlich entschieden größer und schwerwiegender.“100
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Vgl. Denkschrift der KPÖ zum EG-Regierungsbericht, zitiert in: Volksstimme, 23. 6. 1989. Zur Rolle des ÖGB in Integrationsfragen, vgl. Kunnert, 429–448, hier 436–441. Vgl. ÖGB, Europa-Memorandum, Dezember 1988, 3 f. Solidarität, Dezember 1989, Nr. 708, 8. 99. Österreichischer Arbeiterkammertag, Europa-Stellungnahme, Jänner 1989, 6. Ebd., 7.
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Die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern nahm in ihrem „Memorandum zur Europäischen Integration“ vom Februar 1989 auch zur Frage der EG Stellung. Nachdem gerade die Landwirtschaft zeitweise einem Beitritt äußerst skeptisch gegenübergestanden war, schien sie nun der Auffassung zu sein, dass eine Sicherung der Absatzmärkte für agrarische Produkte nur durch eine EG-Mitgliedschaft möglich sei.101 Die Entscheidung für Brüssel wurde der Bauernvertretung durch das Angebot von Vizekanzler und Außenminister Mock über einen Europavertrag erleichtert, der die Lebensinteressen der Bauern auf dem schwierigen Weg in das gemeinsame Europa absichern sollte.102 Gleichzeitig war jedoch die Basis der Bauernschaft mit der positiven Einschätzung einer EG-Mitgliedschaft durch die Führung der landwirtschaftlichen Vertretungen an vielen Orten in Österreich nicht einverstanden und fühlte sich in dieser Frage regelrecht übergangen oder gar geopfert. Es war vor allem die Furcht, dass die österreichische ökosoziale Landwirtschaftspolitik, die auf die Sicherung von bäuerlichen Familienbetrieben ausgerichtet war, durch die agroindustrielle Landwirtschaftspolitik der EG abgelöst werden würde und auf diese Weise viele österreichische Bauern zur Aufgabe gezwungen würden.103 In der Stellungnahme der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern vom Februar 1989 wurde auf diese Ängste insofern Rücksicht genommen, als darauf hingewiesen wurde, dass in der EG-Agrarpolitik in jüngster Zeit ein Umdenken festzustellen sei und vor allem ein Ausgleich im Interesse der Bauern gefordert werde, „weil nur so die wichtigen Funktionen einer bäuerlich strukturierten Landund Forstwirtschaft nachhaltig gesichert werden“.104 Die Bundeswirtschaftskammer (BWK) als vierte Sozialpartnerorganisation hat sich schon am 9. Dezember 1987 für die volle Teilnahme am europäischen Binnenmarkt ausgesprochen, „woraus sich als Zielsetzung der Beitritt ergibt“.105 Dabei war die BWK bis Mitte der 80er-Jahre in ihren Stellungnahmen zur Integrationsfrage immer sehr zurückhaltend gewesen, während die Handelskammern in verschiedenen Bundesländern, wie z. B. Vorarlberg, und exponierte Wirtschaftsbranchen, die im internationalen Wettbewerb standen/ stehen (z. B. Textilwirtschaft), schon sehr früh eine EG-Mitgliedschaft forderten.106 Mit ihrer Befürwortung eines EG-Beitrittes Ende 1987 schwenkte die BWK voll und ganz auf diese Linie ein. Die grundsätzliche Übereinstimmung der vier Sozialpartnerorganisationen über die Notwendigkeit der Teilnahme am EG-Binnenmarkt und die Einsicht, dass aus diesem Grunde 101 Vgl. Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, Memorandum zur Europäischen Integration, Februar 1989. 102 Vgl. Österreichischer Bauernbund (Hrsg.), idk, Wien (1988), Heft 11, 12. 103 Vgl. Fritz Madersbacher, EG-Ablehnung bei den Tiroler Bauern, in: Lebensraum Tirol, Jänner 1989, Heft 13, 7. 104 Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, a.a.O., 2. 105 Bundeswirtschaftskammer, Memorandum zur Vorbereitung Österreichs auf den Europäischen Binnenmarkt, 21. 12. 1988. 106 Vgl. Paul Luif, a.a.O., 178 f.
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ein Beitritt prinzipiell zu befürworten sei, zeigte sich auch in der gemeinsamen Sozialpartnerstellungnahme „Österreich und die Europäische Integration“ vom 1. März 1989, die für die Große Koalition zu einer wichtigen Entscheidungsgrundlage wurde. Da weder auf binoch auf multilateralem Wege und auch nicht durch autonome Übernahme von EG-Recht Erfolgsaussicht auf die als notwendig erachtete Teilnahme Österreichs am EG-Binnenmarkt bestehe, „gelangen die Sozialpartner zur Auffassung, dass die umfassende und gleichberechtigte Teilnahme Österreichs an der Integration der Europäischen Gemeinschaften anzustreben ist“.107 Ähnlich wichtig wie die Stellungnahme der Sozialpartner war die der Landeshauptmänner. Schon am 13. November 1987 ersuchte deren Konferenz die Bundesregierung, „die Teilnahme Österreichs am Gemeinsamen Markt mit dem Ziel der Vollmitgliedschaft in der EG so rasch wie möglich anzustreben“.108 Am 25. November 1988 wurde dieses Votum bestätigt.109 Die beiden angeführten Positionen der Sozialpartner und Landeshauptmänner waren deshalb von großer Bedeutung, weil sie, wie Schneider es formuliert, „eine positive Konkordanz der wichtigsten gesellschaftlichen und politischen Kräfte zum Ausdruck“ brachten, „auf die die Koalitionsparteien sich stützen“.110 Die Bundesregierung konnte damit ihre EG-Politik auf eine breite Grundlage stellen. Als Organisation, die sich gegen einen EG-Beitritt wandte, wurde im November 1988 die „Initiative Österreich und Europa“ gegründet. Sie war keine fest organisierte Aktivistengruppe, sondern wurde eher lose von verschiedenen Persönlichkeiten111 gebildet. Wie zu erwarten war, herrschte in dieser Initiative keinesfalls eine einheitliche bzw. offizielle Meinung zur Frage der EG vor. Den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ der Mitglieder bildete jedoch die Ablehnung eines österreichischen Beitritts. Eine Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Gemeinschaft wurde aus Neutralitätsgründen, aus sozial-, umwelt-, landwirtschafts-, regional- und demokratiepolitischen Erwägungen abgelehnt.112 Neben dieser Initiative gab es noch zahlreiche andere Organisationen, die sich gegen einen EG-Beitritt Österreichs aussprachen. Die wichtigsten darunter sind die „Österreichische Bewegung gegen den Krieg“, die „Vereinigung Revolutionärer Arbeiter Österreichs“, das „Aktionskomitee zur Rettung der bäuerlichen Landwirtschaft“, die „Arbeitsgemeinschaft Lebensraum Tirol“113 107 Sozialpartnerstellungnahme „Österreich und die Europäische Integration“, 1. 3. 1989, 11. 108 Zitiert nach Heinrich Schneider, a.a.O., 233. 109 Ebd., 233. 110 Ebd., 236. 111 Dieser Organisation gehören ehemalige Außenminister (Lanc, Bielka), ehemalige Botschafter (Bielka, Thalberg) sowie eine ganze Reihe Universitätsprofessoren, wie z. B. Hagen, Pelinka und Weinzierl, an. 112 Vgl. Margit Scherb (Hrsg.), Informationsdienst Österreich und Europa, Heft 1–6. 113 Vgl. jüngere Publikationen wie „Da muss ich Dir widersprechen, so dumm wie den Brennerbasistunnel find ich diesen Bau gar nicht!“ [zwei Männchen mit Blick auf den Turm zu Babel], vgl. Lebensraum Tirol (1992), Heft 26; „Feuer in den Alpen“, in: Lebensraum Tirol! Zeitschrift des Vereins Bürgerinitiativen Tirol (Oktober/November 1992), Nr. 28.
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und auch die „Initiative für ein lebenswertes Wipptal“ sowie das „Komitee Vomp zur Rettung des Lebensraumes Tirol“.114 Die mit zugespitzten Thesen operierende Alternativ-Zeitschrift Foehn115 vertrat und vertritt – im krassen Unterschied zum weitgehend monopolisierten Tiroler Medienwesen – eine unmissverständliche und ausgesprochen aggressive Anti-EG-Linie. Sie erregt aufgrund ihrer kompromisslosen Art gegen das „EG-Umerziehungsprogramm“ nicht geringe Aufmerksamkeit und erfreut sich zunehmender Popularität.
V. Zusammenfassung Insgesamt lässt sich feststellen, dass die überwiegende Mehrheit der politischen Führung in Österreich einen EG-Beitritt 1989 anstrebte oder zumindest einem solchen gegenüber nicht abgeneigt war. Unter den Parteien waren nur die Grün-Alternativen und die KPÖ gegen eine Mitgliedschaft. Keine der vier Sozialpartnerorganisationen sprach sich gegen einen Beitritt aus. Unter den übrigen Organisationen waren nur einige wenige überregional tätige Gruppen (vor allem die „Initiative Österreich und Europa“) imstande, sich ansatzweise in ganz Österreich Gehör zu verschaffen. Auch aus diesem Grunde dominierte in der Medienlandschaft eindeutig die EG-freundliche Haltung, während anders gelagerte oder EG-kritische Auffassungen kaum überregional zum Zug kamen.
114 Vgl. Sickinger, Antitransitbürgerinitiativen, 240 f., bzw. ders., Transitsaga. 115 Markus Wilhelm, Zum Beispiel der Transitverkehr/ Ist Österreich auch von strategischem Wert?/ Hat der Bau von Straßen und Schienenwegen auch militärische Bedeutung?/ Militärstraßen und Militärbahnen in Tirol, in: Foehn 4 (Jänner 1987), Heft 9, 3–41; ders., Die EG will Österreich/ Heimatkunde/ Die Industrie übernimmt die Macht/ Geisel Mock/ Der Griff nach Österreich/ Was sagt die Geschichte?/ Sind wir eine BRD-Filiale?/ Was ist los in Europa?“, in: Foehn 6 (1989), Heft 12, 3–54; ders., Deutschland will Österreich wiederhaben/ Die Sargnägel Österreichs/ Der Vergleich/ Die Vorläufer in der Geschichte/ Am Beispiel Transitverkehr/ Der Ausverkauf Tirols/ Die Umfaller, in: Foehn 7 (Frühjahr 1990), Heft 13/14, 3–70; aus jüngerer Zeit: ders., Gehirnwäsche. Der Hauptwaschgang/ Wer hat Angst vor den Österreicherinnen und Österreichern?/ Die Vorwäsche/ Zwentendorf/ Meinungs-Austausch/ Kindesmissbrauch/ Die Hauptwäsche/ Sie werden/, in: Foehn 9 (Anfang 1992), Heft 16, 3–47.
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Österreich und die europäische Integration aus staatsrechtlicher Perspektive 1945–1992 – unter Berücksichtigung des EWR-Abkommens*
1. Der Ausgangspunkt Am 2. Mai 1992 wurde in Porto (Portugal) mit dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) der mutmaßlich umfangreichste völkerrechtliche Vertrag unterzeichnet, der je ausgehandelt wurde. Zwar hat das Stammabkommen „nur“ 129 Artikel, doch umfasst der gesamte Vertrag mit seinen 49 Protokollen, 22 Anhängen, der Schlussakte, 30 gemeinsamen Erklärungen der Vertragsparteien, zwei der Schlussakte beigefügten gemeinsamen Erklärungen der Vertragsparteien, 39 Erklärungen einer oder mehrerer Vertragsparteien, der Vereinbarung über die Veröffentlichung der Informationen, die für den EWR von Bedeutung sind, der Vereinbarung über die Veröffentlichung von EFTA-Bekanntmachungen betreffend das Auftragswesen und der vereinbarten Niederschrift der Verhandlungen immerhin 1.070 Seiten.1 Dies ist jedoch immer noch bloß ein „Konzentrat“ des Rechtsstoffes, der mit diesem Abkommen in die Rechtsordnungen der am EWR teilnehmenden EFTA-Staaten integriert werden muss: die Anhänge zum EWR-Abkommen bestehen zum Großteil aus Listen, die, nach Sachgebieten geordnet, in chronologischer Reihung alle zu übernehmenden Rechtsakte der EG sowie deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl) anführen. Dies sind insgesamt 1.031, unter Berücksichtigung ändernder Rechtsakte 1.590 Rechtsvorschriften oder rund 12.000 Druckseiten des ABl,2 die von den EFTA-Staaten mit Inkrafttreten des Abkommens gewissermaßen „aus dem Stand“ zu übernehmen sind. Dass es mit Inkrafttreten des EWR-Abkommens dennoch nicht zu einem fundamentalen Wechsel, einem „big bang“, im Wirtschaftsrecht der EFTA-Staaten kommen wird, liegt an zwei Umständen: zum einen (und geringeren) Teil daran, dass in einigen besonders sensib* Die Arbeit wurde am 31. 8. 1992 abgeschlossen. Bei der am 19. 3. 1993 für die Drucklegung durchgeführten Aktualisierung wurde nur die wichtigste rechtliche Entwicklung, nicht jedoch die neueste Literatur eingearbeitet. 1 460 BlgNR, 18. GP (ohne Erläuterungen und ohne das gleichzeitig von der BReg im NR eingebrachte Abkommen in Form eines Briefwechsels zwischen der EWG und der Republik Österreich über bestimmte die Landwirtschaft betreffende Vereinbarungen). 2 Botschaft (des schweizerischen Bundesrates) zur Genehmigung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 18. 5. 1992, BR-Drucksache 92.052, 1/36 und 1/643.
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len Bereichen wie z. B. dem Grundverkehr Übergangsvorschriften ausgehandelt wurden;3 zum anderen (und überwiegenden) Teil jedoch daran, dass alle EFTA-Staaten in den vergangenen Jahren sogenannte (informelle) „EG-Konformitätsprüfungen“ im Gesetzgebungsverfahren eingeführt haben und deren Rechtsordnungen nicht zuletzt dadurch in vielen Bereichen schon im Vorgriff teilweise oder ganz EG-konform sind. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es in der Geschichte der Republik Österreich noch nie ein Abkommen gab, das so tief und so weitreichend in die Rechtsordnung und – hinsichtlich der Rechtsfortbildung und Überwachung – in die Verfassungsordnung Österreichs eingegriffen hat wie das EWR-Abkommen. Es ist daher naheliegend, von hier zurückzublicken und die Frage zu stellen, inwieweit die Teilnahme und Mitwirkung Österreichs an der europäischen Integration schon bisher die innerstaatliche Rechtsordnung präformiert, determiniert, beeinflusst hat. Die „Innenseite“ der Integration auszuleuchten, ist aber nicht zuletzt auch deshalb reizvoll, weil im bisherigen rechtswissenschaftlichen Schrifttum – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die völkerrechtliche Perspektive überwiegt.
2. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen Die verfassungsrechtlichen Grundlagen zur Regelung des „Einbaus“ völkerrechtlicher Normen in die österreichische Rechtsordnung sind – trotz einiger bedeutender Novellen, auf die noch einzugehen sein wird – seit Erlassung des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes im Jahr 1920 grundsätzlich unverändert.4 Das B-VG unterscheidet zwischen „allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts“, die gem. Art. 9 Abs. 1 transformationslos als „Bestandteile des Bundesrechtes“ gelten und völkerrechtlichen Verträgen, die in der Diktion des B-VG als „Staatsverträge“ (StV) bezeichnet werden.5 Im Zusammenhang mit Fragen der europäischen Integration stehen zunächst StV im Vordergrund des Interesses, da sie nicht nur das grundlegende Instrument zur Gestaltung bi- und multilateraler Rechtsbeziehungen, sondern auch zur Errichtung internationaler Organisationen und sonstiger zwischenstaatlicher Einrichtungen dienen sowie deren Organe sind. Hervorzuheben ist dabei, dass Verhandlung6 und Abschluss7 von StV eine Aufgabe der 3 Für Österreich bis 1. Jänner 1996; vgl. lit. d, 5. Spiegelstrich zu Z. 1 des Anhang XII zum EWR-Abkommen. 4 Vgl. dazu ausführlich Heribert Franz Köck, Die „allgemein anerkannten Regeln“ des Art. 9 B-VG, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung , hrsg. v. Herbert Schambeck, Berlin 1980, 739–769, und Manfred Rotier, Die Staatsverträge, in: ebd., 771–798, hier 778. „B-VG“ meint das Bundesverfassungsgesetz von 1920 und seine novellierten Fassungen. 5 Art. 50, 65 Abs. 1 und 66 Abs. 2 und 5 B-VG sowie – hinsichtlich von StV der Länder – Art. 16 Abs. 1–5 B-VG. 6 Vgl. dazu Georg Posch, Regierungsübereinkommen – Ressortübereinkommen – Verwaltungsübereinkommen, in: ÖZÖRV 34 (1983), 201–215, hier 202 ff. 7 Sie werden gem. Art. 65 Abs. 1 B-VG vom Bundespräsidenten abgeschlossen.
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Verwaltung und nicht eine solche der Gesetzgebung ist. Um das Gesetzgebungsmonopol des Parlaments zu wahren, sind politische, gesetzändernde und gesetzesergänzende sowie verfassungsändernde und -ergänzende StV gem. Art. 50 Abs. 1 B-VG vor ihrem Abschluss dem NR zur Genehmigung vorzulegen. Gemäß der Systematik des B-VG ist diese Genehmigung kein Akt der Gesetzgebung, sondern ein Akt der „Mitwirkung des Nationalrats und des Bundesrats an der Vollziehung des Bundes“.8 Gleichwohl kommt dem NR beim Abschluss der unter Art. 50 B-VG fallenden StV eine Schlüsselposition zu,9 da die parlamentarische Genehmigung die zentrale verfassungsrechtliche Voraussetzung für die anschließende Ratifikation und das Inkrafttreten des StV ist. Das Genehmigungsverfahren ist dem Gesetzgebungsverfahren nachgebildet. Art. 50 Abs. 3 B-VG verweist hinsichtlich politischer sowie gesetzändernder und gesetzergänzender StV auf Art. 42 Abs. 1 bis 4 B-VG, hinsichtlich verfassungsändernder und -ergänzender StV auf Art. 44 Abs. 1 und 2 B-VG. Dies bedeutet, dass Erstere gem. Art. 42 Abs. 1 iVm Art. 31 B-VG vom NR mit einem Präsenzquorum von mindestens einem Drittel der Mitglieder und einem Konsensquorum der „unbedingten“ (absoluten) Mehrheit der abgegebenen Stimmen und Letztere gem. Art. 44 Abs. 1 B-VG mit einem Präsenzquorum von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einem Konsensquorum von mindestens zwei Drittel der abgegebenen Stimmen genehmigt werden. Dem schließt sich das Genehmigungsverfahren im BR und – im Fall eines begründeten Einspruchs desselben – die Möglichkeit eines Beharrungsbeschlusses des NR an. Soweit solche StV Angelegenheiten des selbstständigen Wirkungsbereiches der Länder regeln, bedürfen sie seit der B-VG-Novelle 198810 der ausdrücklichen Zustimmung des BR (Art. 50 Abs. 1 letzter Satz B-VG). Obgleich der Verfassungsgeber des Jahres 1920 von einem sehr kleinen Umfang völkerrechtlicher Rechtsetzung ausgegangen war und ihm nicht bewusst gewesen sein konnte, welche Bedeutung StV in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zukommen werde, sollte mit der Regelung sichergestellt werden, dass „das ausschließliche Recht des Parlaments, generelle Rechtsnormen zu setzen, nicht durch eine an die Exekutive erteilte generelle Ermächtigung, Staatsverträge abzuschließen, beeinträchtigt wird“.11 Angesichts der zunehmenden Internationalisierung der Rechtssetzung kommt dem so umschriebenen Willen des historischen Verfassungsgebers zu einer möglichst unangetasteten Rechtsetzungsbefugnis des Parlaments bei der Auslegung von Art. 50 B-VG eine erhöhte Bedeutung zu.12 8 Überschrift des B-VG vor den Art. 50–55 B-VG. 9 Zur Stellung des NR vgl. Theo Öhlinger, Der völkerrechtliche Vertrag im staatlichen Recht. Eine theoretische, dogmatische und vergleichende Untersuchung am Beispiel Österreichs (Forschungen aus Staat und Recht 23), Wien/New York 1973, 174 ff. 10 BGBl. 1988/685. 11 Hans Kelsen/Georg Fröhlich/Adolf Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, Wien/Leipzig 1922, 135. 12 So schon SWA-Rechtsgutachten Nr. 7 über die verfassungs- und gesetzändernden Staatsverträge, Wien o. J. (um 1960), 3.
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−− Dennoch bleiben die Rechte von NR und BR beim Abschluss von Staatsverträgen insbesondere in zwei wesentlichen Punkten hinter dem Gesetzgebungsverfahren zurück: −− Zum ersten kommt bei StV weder Abgeordneten zum NR noch dem BR ein dem Initiativrecht gem. Art. 41 Abs. 1 B-VG vergleichbares Recht zu. NR und BR können die Aufnahme von Verhandlungen, die auf den Abschluss eines StV gerichtet sind, allenfalls in Ausübung ihres Resolutionsrechtes gem. Art. 52 Abs. 1 B-VG anregen, wonach sie befugt sind, „ihren Wünschen über die Ausübung der Vollziehung in Entschließungen Ausdruck zu geben“. Dies hat der NR z. B. in einer Entschließung vom 29. Juni 1989 getan, mit welcher er die BReg ersuchte, Verhandlungen mit der EG über eine Mitgliedschaft Österreichs aufzunehmen und die zu diesem Zweck erforderlichen Anträge bis zum Herbst 1989 zu stellen.13 Der allfälligen Nichtbeachtung einer – rechtlich nicht verbindlichen – Resolution kann der NR, nicht aber der BR, mit der Ausübung seines Misstrauensrechts gem. Art. 74 B-VG begegnen. Die Stellung der Legislative bleibt hier jedoch relativ schwach. −− Zum zweiten beschränkt sich die Mitwirkung der Legislative beim Abschluss von StV auf die Erteilung oder Verweigerung der in Art. 50 B-VG vorgesehenen Genehmigung – tertium non datur. Änderungen am vorgelegten Vertragstext können nicht vorgenommen werden, da dies ja der Zustimmung des oder der Vertragspartner bedürfte. Allenfalls kann der NR seine Zustimmung verweigern und in einer Resolution Änderungswünsche zum Ausdruck bringen. Während eine derartige Vorgangsweise allenfalls noch bei bilateralen Verträgen erfolgreich sein kann, ist dies bei multilateralen Abkommen nahezu unmöglich, bedingt dies doch eine neuerliche Aufnahme von Verhandlungen und eine abermalige Konsensfindung in diesen. Wenngleich beiden Häusern des Parlaments auch die Möglichkeit offensteht, zu versuchen, mit Resolutionen während der Aushandlung eines StV dessen Inhalt zu beeinflussen, bleibt ihr Gestaltungsrecht klein. Die Rechtssetzung in Form von StV ist damit sehr stark einer parlamentsfernen Regierungsgesetzgebung angenähert. Unterhalb der in Art. 50 B-VG genannten genehmigungsbedürftigen StV stehen StV, deren Inhalt innerstaatlich in Verordnungsrang erlassen werden dürfte. Ihr Abschluss erfolgt demnach spiegelbildlich zur innerstaatlichen Normsetzung ohne Einbindung des Parlaments. Das abschließende Organ ist – wie bei StV nach Art. 50 B-VG – der Bundespräsident (Art. 65 Abs. 1 B-VG). Dieser hat mit Entschließung vom 31. Dezember 192014 von der Delegationsbefugnis des Art. 66 Abs. 2 B-VG Gebrauch gemacht und StV, die nicht unter Art. 50 B-VG fallen und nicht die ausdrückliche Bezeichnung als StV führen oder der Vertragsabschluss nicht durch Austausch von Ratifikationsurkunden erfolgt, folgenden Organen übertragen: 13 Vgl. Z. 1 der Entschließung, 1025 BlgNR, 17. GP, 5, sowie Norbert Wimmer/Wolfgang Mederer, EG-Recht in Österreich. Konsequenzen eines EG-Beitritts in zentralen verfassungs- und wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Bereichen, Wien 1990, 26. 14 BGBl. 1921/49; vgl. dazu Georg Posch (Fußnote 5), in: ÖZÖRV 34 (1983), 201–215.
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a) der BReg, soweit solche Verträge in Form von Regierungsübereinkommen geschlossen werden; b) dem ressortmäßig zuständigen Bundesminister im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Äußeres und, falls das Bundesministerium für Äußeres ressortmäßig zuständig ist, dem Bundesminister für Äußeres, soweit solche Verträge in Form von Ressortübereinkommen abgeschlossen werden sowie c) dem ressortmäßig zuständigen Bundesminister, soweit sich solche Verträge als bloße Verwaltungsübereinkommen darstellen. Die diesbezügliche Rechtslage ist seit 1920 unverändert.
3. Die politische Integration a) Europarat und Menschenrechtskonvention Die ersten integrationspolitischen Schritte Österreichs gehen zwar auf das Jahr 1948 zurück, in dem Österreich als Gründungsmitglied der OEEC in Erscheinung trat,15 doch standen aus staatsrechtlicher Perspektive die Implikationen der Mitwirkung Österreichs an der politischen Integration bis in die 80er-Jahre hinein im Vordergrund der rechtswissenschaftlichen Diskussionen. Da Österreich gerade in diesem Bereich erfuhr, wie stark völkerrechtliche Rechtsnormen auf die Verfassungsordnung verändernd einwirken können, ist die Behandlung der politischen Integration in diesem Beitrag der wirtschaftlichen Integration vorangestellt. Zehn Jahre nach der OEEC-Gründungsmitgliedschaft ratifizierte Österreich im Jahr 1958 die im Rahmen des Europarates bereits 1950 ausgearbeitete Europäische Menschenrechtskonvention (MRK).16 Dieser Schritt war eine unmittelbare Folge des 1956, ein Jahr nach Erlangung der vollen Souveränität durch den Staatsvertrag,17 vollzogenen Beitritts Österreichs zum Europarat,18 zumal der Grundrechtsschutz eines seiner wesentlichen Arbeitsfelder bildet19 und die MRK die zentrale Säule in diesem Bereich darstellt.20 Die Errichtung der Kommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg, vor allem aber die Einrichtung eines übernationalen Instanzenzuges, der durch die Möglichkeit der Individualbeschwerde für Einzelpersonen zugänglich ist, verlieh 15 Vgl. unten 4a). 16 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950 und (1.) Zusatzprotokoll vom 20. 3. 1952, BGBl. 1958/210. 17 BGBl. 1955/152. 18 Satzung des Europarates, BGBl. 1956/121 idF 1990/745. 19 Vgl. Art. 3 der Satzung des Europarates. 20 Vgl. weiterführend Wolfgang Burtscher, Westeuropa, in: Integration und Kooperation in Nord und Süd, hrsg. v. Fried Esterbauer und Winfried Lang, Bern/Frankfurt a. M./New York/Paris 1988, 147–203, hier 149 ff. sowie Thomas Oppermann, Europarecht, München 1991, RZ 47 ff., jeweils mwN.
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der MRK „einen Hauch von Supranationalität“.21 Sie endet zwar vor den Toren des Gerichtshofs, da Einzelpersonen nur die Kommission, nicht aber diesen anrufen können (Art. 48 MRK), doch sind seine – bisher über hundert22 – Urteile „endgültig“ (Art. 52 MRK) und „bindend“ (Art. 53 MRK). Zwar haben die Urteile mit Ausnahme der Möglichkeit, der verletzten Partei gegebenenfalls eine Entschädigung zuzubilligen, nur feststellenden Charakter (Art. 50), doch hat nicht zuletzt die große Autorität des Gerichtshofes zu einem Wandel des Grundrechtsverständnisses in Richtung einer stärker materiellen Orientierung23 und zu einem – endgültig wohl noch nicht abgeschlossenen – Umbau des Rechtsschutzsystems in Österreich geführt.24 b) Das VfGH-Erkenntnis 4049/1961 und die B-VG-Novelle 1964/59 Der NR hat die MRK und das gleichzeitig genehmigte 1. ZP 1958 in ihrer Gesamtheit als verfassungsändernden StV behandelt,25 doch, der damaligen und seit 1920 gepflogenen26 Praxis folgend, die ausdrückliche Bezeichnung als „verfassungsändernd“ im kundgemachten Genehmigungsbeschluss unterlassen. 1961 hatte sich der VfGH aus Anlass einer Verhaftung im Zuge der Verfolgung von Finanzvergehen mit der Frage zu befassen, ob § 85 Finanzstrafgesetz, BGBl. 1958/129, zu den von Art. 5 MRK taxativ aufgezählten Fällen der zulässigen Entziehung der persönlichen Freiheit gehört oder unter den Ratifikationsvorbehalt27 zu subsumieren ist, demgemäß die Bestimmungen des Art. 5 mit der Maßgabe angewendet werden, dass die in den Verwaltungsverfahrensgesetzen, BGBl. 1950/172, vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges unberührt bleiben. 21 Oppermann (Anm. 20) RZ 74. 22 Ebd., RZ 77. 23 Vgl. dazu insbesondere Hans R. Klecatsky/Thomas E. Walzel von Wiesentreu, Durchbruch zum Menschenrechtsstaat, in: FS Adamovich (in Druck); Manfred Nowak, Allgemeine Bemerkungen zur Europäischen Menschenrechtskonvention aus völkerrechtlicher und innerstaatlicher Sicht, in: Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte. Ein Handbuch für Theorie und Praxis, hrsg. v. Felix Ermacora/Manfred Nowak/Hannes Tretter, Wien 1983, 37–50, insbesondere 47 ff. sowie Felix Ermacora, Auswirkungen der menschenrechtlichen Rechtsprechung der Straßburger Instanzen auf die österreichische Rechtsordnung, in: ebd., 51–58. 24 Dazu unten 3c). 25 Vgl. zum Verfassungscharakter 459 BlgNR 8. GP, 32, sowie zur Abstimmung im Plenum des NR StProtNR, 63. Sitzung, 8. GP, 2951. 26 Vgl. Theo Öhlinger, Das Grundrechtsverständnis in Österreich. Entwicklungen bis 1982, in: 70 Jahre Republik. Grund- und Menschenrechte in Österreich. Grundlagen, Entwicklungen und internationale Vergleiche, hrsg. v. Rudolf Machacek/Willibald P. Pahr/Gerhard Stadler für die Österreichische Juristenkommission, Kehl am Rhein/Straßburg/Arlington 1991, 29–41, hier 38. 27 Abgedr. in Hans R. Klecatsky/Siegbert Morscher, Das österreichische Bundesverfassungsrecht, Wien 1982, 1188.
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Der Gerichtshof verneinte beides und kam zu dem Schluss, dass § 85 Finanzstrafgesetz demnach dann verfassungswidrig ist, wenn Art. 5 MRK Verfassungsrang hat. Letzteres sei jedoch nicht der Fall, da die Konvention im Genehmigungsbeschluss gem. Art. 50 B-VG, wie er im Kundmachungstext im BGBl. zum Ausdruck kommt, nicht als verfassungsändernd bezeichnet ist, aber erst durch eine solche Bezeichnung Verfassungsrang erhielte. Unter Berufung auf zwei frühere Erkenntnisse28 hat der VfGH „dargetan, dass es – entgegen anderen in der Lehre geäußerten Auffassungen – durchaus möglich und im Hinblick auf den […] Grundgedanken der Verfassung,29 der wesentlich der Rechtssicherheit dient, unbedingt geboten ist, auch Art. 44 Abs. 1 zweiter Teil im Bereich des Art. 50 Abs. 2 B-VG sinngemäß anzuwenden. Staatsverträge, die nicht entsprechend bezeichnet sind, haben daher keinen Verfassungsrang.“30
Damit hatte der VfGH den einfachgesetzlichen Rang der MRK, den er bereits in einem früheren Erkenntnis behauptet hatte,31 begründet und blieb in der Folge auch bei dieser Auffassung.32 Entgegen der damals heftigen Kritik an diesen Erkenntnis33 ist rückblickend festzuhalten, dass diese Rechtsauffassung zumindest zu einer Kennzeichnung des unübersichtlichen und verstreuten verfassungsrechtlichen Normenbestandes34 führte und damit dessen Auffindbarkeit erheblich erleichterte. Darüber hinaus hat die von diesem Erkenntnis unmittelbar veranlasste B-VG-Novelle 1964 über die Staatsverträge35 viel zur Klärung des „Einbaus“ von StV in die österreichische Rechtsordnung beigetragen und damit, ganz der Intention des VfGH entsprechend, insbesondere im Bereich des Verfassungsrechts ein Mehr an Rechtssicherheit gebracht. Erst diese Novelle normierte mit der Neufassung des nunmehrigen Art. 50 Abs. 3, letzter Halbsatz, B-VG die ausdrückliche Bezeichnungspflicht als „verfassungsändernd“. Der VfGH hatte diese in seinem Erkenntnis 4049/1961 nur aus der in der damaligen Fassung 28 VfSlg 670/1926 und 1681/1948. 29 Der VfGH erblickt in diesem Zusammenhang den „Grundgedanken“ darin, dass der Verfassungsrang einer Bestimmung nicht erst durch Auslegung bzw. Hinzuziehung der Materialien erkennbar sein darf, sondern aus dem kundgemachten Rechtstext selbst hervorgehen muss. 30 VfSlg 4049/1961, hier 492 (Hervorhebung durch den Verf.). 31 VfSlg 3767/1960. 32 Vgl. VfSlg 4076/1961, 4080/191, 4221/1962, 4266/1962 und 4433/1963. 33 Vgl. die Zusammenstellung bei Felix Ermacora, Die Menschenrechtskonvention als Verfassungsrecht, in: Der Staatsbürger (1964), Folge 9, Anm. 7. 34 Zur „Ruinenhaftigkeit“ der österreichischen Bundesverfassung vgl. nur Hans R. Klecatsky, Bundes-Verfassungsgesetz und Bundesverfassungsrecht, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, hrsg. v. Herbert Schambeck, Berlin 1980, 83–110, hier 83 f. und 94 ff.; zu ihrem „verwüsteten Zustand“ vgl. zuletzt ders., Südtirol und die österreichische Bundesverfassung, in: Die Presse, 24. 8. 1992, 4. 35 BGBl. 1964/59.
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des Art. 50 Abs. 2 enthaltenen Verpflichtung abgeleitet, Art. 44 Abs. 1 B-VG anlässlich der Genehmigung von StV anzuwenden. Mit dieser Novelle wurde zudem ein neuer Art. 50 Abs. 2 B-VG eingeschoben, der dem NR die Möglichkeit einräumte, anlässlich der Genehmigung eines politischen, gesetzesoder verfassungsändernden bzw. -ergänzenden StV zu beschließen, diesen durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen. Dieser Erfüllungsvorbehalt führte die dem österreichischen Verfassungsrecht bis dahin fremde Möglichkeit der speziellen Transformation von Staatsverträgen ein, die nur scheinbar „völkerrechtsfeindlicher“ als das Prinzip der generellen Transformation ist.36 Mit ihr wird zwar die unmittelbare Anwendbarkeit einer vom NR genehmigten Rechtsnorm völkerrechtlicher Herkunft ausgeschlossen, gleichzeitig jedoch durch das zu erlassende Bundesgesetz – zumindest theoretisch – ein systematischer Einbau in die österreichische Rechtsordnung ermöglicht.37 Zudem wurden anlässlich dieser Novelle die MRK, das 1. ZP und eine Reihe weiterer StV, darunter zahlreiche Bestimmungen des EFTA-Übereinkommens,38 rückwirkend in Verfassungsrang gehoben.39 Damit stand fest, dass der Grundrechtsschutz in Österreich neben der innerstaatlichen „Säule“ des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger40 und zahlreichen verstreuten Einzelbestimmungen41 mit der MRK über eine zweite „Säule“ völkerrechtlicher Herkunft verfügt, die nicht der österreichischen Rechts tradition, sondern gemeinsamen europäischen (Grund-)Rechtsvorstellungen entspringt und zudem in Österreich in ihrer originalen Form, mit Vorrang der authentischen Sprachfassungen (englisch und französisch) vor der deutschen Übersetzung, unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht ist.42 c) Der Einfluss der MRK auf die österreichische Rechtsordnung War die BReg anlässlich der Ratifikation der MRK im Jahr 1958 davon ausgegangen, dass diese nur geringe Auswirkungen auf die österreichische Rechtsordnung haben werde, da die in der Konvention geschützten Rechte und Grundfreiheiten „durch die österreichische 36 Vgl. Hans R. Klecatsky, Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen, Wien/Freiburg/Basel 1967, 48. 37 Vgl. schon Hans R. Klecatsky, Die Bundesverfassungsnovelle vom 4. März 1964 über die Staatsverträge, in: JBl. 1964, 349–358, hier 356; zur schleppenden Genehmigungs- und teilweise fehlenden Umsetzungspraxis vgl. ders., Die gegenwärtige Lage der Grundrechte in Österreich, in: Der Föderalismus und die Zukunft der Grundrechte, hrsg. v. Richard Novak/Berthold Sutter/Gernot D. Hasiba, Wien/Köln/Graz 1982, 9–25, hier 14 ff. 38 Vgl. dazu unten 4b). 39 Art. II der B-VG-Novelle, BGBl. 1964/59; hinsichtlich der MRK und des I. ZP vgl. Z. 7, hinsichtlich des EFTA-Übereinkommens Z. 8; vgl. auch VfSlg 4924/1965. 40 RGBl. 1867/142 idF 1988/684; gilt gem. Art. 149 Abs. 1 B-VG als Verfassungsgesetz. 41 Vgl. die Übersicht in Robert Walter/Heinz Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 7. Aufl. Wien 1992, RZ 1339 f. 42 Vgl. auch Theo Öhlinger, Grundrechtsverständnis (Anm. 26), hier 37 mwN.
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Rechtsordnung schon seit langer Zeit im wesentlichen gewährleistet“ seien und „sogar zum Teil darüber hinaus“43 gingen, traf der VfGH in einem Erkenntnis vom 14. Oktober 1987 im Hinblick auf den rechtsfortbildenden Charakter der Judikatur des EGMR folgende Feststellung: „Der VfGH möchte allerdings nicht versäumen darauf hinzuweisen, dass die dann anzunehmende Konventionswidrigkeit der österreichischen Rechtsordnung nach dem derzeitigen Stand seiner Überlegungen nur das Ergebnis einer offenen Rechtsfortbildung durch die Konventionsorgane sein könnte und sich daher die – hier nicht zu beantwortende – Frage stellen würde, ob nicht die Übertragung einer rechtsfortbildenden Aufgabe auf verfassungsrechtlichem Gebiet an ein internationales Organ als Ausschaltung des Verfassungsgesetzgebers eine Gesamtänderung der Bundesverfassung im Sinne des Art. 44 Abs. 3 B-VG wäre und einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes bedurft hätte.“44
Das seit dreieinhalb Jahrzehnten bestehende Spannungsfeld zwischen der Auslegung der MRK durch den EGMR und ihrer Interpretation durch den an das gesamte Verfassungsrecht gebundenen VfGH könnte zwar weniger kryptisch,45 doch kaum plastischer aufgezeigt werden. Ohne hier auf dogmatische Einzelprobleme einzugehen, sei nur darauf verwiesen, dass die österreichische Rechtsordnung durch die MRK und ihre Auslegung durch die Konventionsorgane nachhaltig beeinflusst wurde: so etwa im Strafprozessrecht, im zivilgerichtlichen Verfahren (insbesondere hinsichtlich der Verfahrensdauer), im Verwaltungsstrafverfahren und hinsichtlich der Zuständigkeiten von Verwaltungsbehörden zur Entscheidung von Zivilrechtssachen im Sinne des Art. 6 MRK.46 Der bisher weitreichendste MRK-bedingte Eingriff in das österreichische Rechtsschutzsystem ist die Schaffung unabhängiger Verwaltungssenate (UVS) in den Ländern durch die B-VG-Novelle 1988.47 Diese sind gerichtsähnliche, mit rechtskundigen, weisungsfreien, auf mindestens sechs Jahre zu ernennenden Mitgliedern besetzte Behörden. Mit ihrer Einrichtung soll dem Anfordernis des Art. 6 MRK in der „autonomen“, am Ziel der MRK sowie den Rechtsschutzsystemen aller Vertragsparteien orientierten Auslegung durch Kommission und 43 459 BlgNR, 8. GP, 32. 44 VfSlg 11500/1987, hier 365 f. 45 Zur Kritik an diesem Erkenntnis vgl. Theo Öhlinger, Verfassungsrechtliche Aspekte eines Beitritts Österreichs zu den EG, Wien 1988, 67 f. 46 Vgl. dazu Waldemar Hummer, Der internationale Menschenrechtsschutz, in: Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, hrsg. v. Hanspeter Neuhold/Waldemar Hummer/Christoph Schreuer, Band 1, 2. Aufl. Wien 1991, 230–270, hier RZ 1383 ff. 47 BGBl. 1988/685, in Kraft getreten gem. Art. I der Novelle hinsichtlich der UVS mit 1. Jänner 1991 (vgl. die neuen Art. 129a und b B-VG); zu den Organisationsgesetzen der Länder s. die Zusammenstellung bei WalterMayer, Grundriss (Anm. 41), RZ 927/2; vgl. dazu umfassend Rudolf Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate, 2. Aufl. Wien 1992.
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Gerichtshof Rechnung getragen werden, wonach über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder die Stichhaltigkeit strafrechtlicher Anklagen ein unabhängiges, auf Gesetz beruhendes Gericht („tribunal“) zu entscheiden hat. Die B-VG-Novelle trägt insbesondere dem Umstand Rechnung, dass die weite Auslegung des Begriffs „zivilrechtliche Ansprüche“ durch den EGMR große Teile des österreichischen Verwaltungsrechts „Tribunalen“ im Sinne des Art. 6 MRK und nicht weisungsgebundenen Verwaltungsbehörden zur Entscheidung zugewiesen hat. Demgegenüber sucht das in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der BVGNovelle 1988 stehende BVG vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit,48 mit dem das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit aus 186249 abgelöst wurde, die Zulässigkeit freiheitsbeschränkender Maßnahmen in einer den Vorgaben des Art. 5 MRK entsprechenden Weise zu regeln. Eine Rücknahme des österreichischen Vorbehalts50 erfolgte bislang jedoch nicht. d) Gesamtänderung durch Staatsvertrag Während die beiden genannten Verfassungsänderungen die inhaltliche Tragweite der Unterwerfung Österreichs unter die Judikatur des EGMR belegen, hat der VfGH im zitierten Erkenntnis 11500/1987 mit der von ihm angeschnittenen Gesamtänderungsfrage auf ein Problem verwiesen, das sich in ähnlicher Form auch beim Abschluss des EWR-Abkommens bzw. bei dem von der österreichischen BReg angestrebten EG-Beitritt stellt. Die österreichische Bundesverfassung kennt zwar im Gegensatz zur „Ewigkeitsklausel“ des Art. 79 Abs. 3 Bonner Grundgesetz51 keine inhaltlichen Schranken bei Verfassungsänderungen, doch führt sie in Art. 44 Abs. 3 B-VG für eine „Gesamtänderung der Bundesverfassung“ im Gesetzgebungsverfahren das zusätzliche Erfordernis einer obligatorischen Volksabstimmung ein. Unter „Gesamtänderung“ wird nach herrschender Lehre52 und Judikatur53 jede Änderung verstanden, die einen der leitenden Grundsätze der Bundesverfassung, nämlich das demokratische, republikanische, rechtsstaatliche, bundesstaatliche und gewaltenteilende Prinzip, 48 BGBl. 1988/684. 49 RGBl. 1862/87; galt gem. Art. 149 Abs. 1 B-VG bis zu seinem Außerkrafttreten am 31. 12. 1990 als Verfassungsgesetz. 50 Vgl. Anm. 27. 51 Zur Auslegung vgl. insbesondere Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog, Grundgesetz Kommentar, Loseblatt, München 1991, Art. 79. 52 Vgl. insbesondere Walter/Mayer, Grundriss (Anm. 41) RZ 146, Öhlinger, Aspekte (Anm. 45), 42 ff., Ludwig Adamovich/Bernd Christian Funk, Österreichisches Verfassungsrecht. Verfassungsrechtslehre unter Berücksichtigung von Staatslehre und Politikwissenschaft, Wien/New York 1985, 398 f. und Wimmer/Mederer, EGRecht (Anm. 13), 111. 53 Vgl. insbesondere VfSlg 2455/1952, in dem das demokratische, das republikanische und das bundesstaatliche Prinzip ausdrücklich genannt werden.
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im Kern berührt. Wird diese prozedurale Vorschrift nicht eingehalten, kann das so beschlossene Bundesverfassungsgesetz wegen Baugesetzwidrigkeit in einem Verfahren nach Art. 140 B-VG aufgehoben werden.54 Was für Verfassungsgesetze nach Art. 44 Abs. 3 B-VG ausdrücklich feststeht, ist für StV bzw. Genehmigungsbeschlüsse des NR gem. Art. 50 Abs. 1 B-VG aus dem Wortlaut der einschlägigen Verfassungsbestimmungen nicht eindeutig abzuleiten. Art. 44 Abs. 3 B-VG schreibt zwar vor, dass jede Gesamtänderung der Bundesverfassung einer Volksabstimmung zu unterziehen ist. Art. 50 Abs. 3 sieht jedoch für das parlamentarische Genehmigungsverfahren nur die sinngemäße Anwendung der Art. 42 Abs. 1 und 44 Abs. 1 und 2, nicht jedoch des Art. 44 Abs. 3 B-VG vor. Auch die Kundmachungsvorschrift des Art. 48 B-VG normiert nur für Bundesgesetze, nicht jedoch für StV, dass sie mit Berufung auf das Ergebnis einer (allfälligen) Volksabstimmung zu verlautbaren sind. Aus dieser unklaren Verfassungsrechtslage wurden in der Lehre drei verschiedene Schlussfolgerungen gezogen: ein Staatsvertrag mit gesamtänderndem Inhalt bedarf a) keiner Volksabstimmung,55 b) einer vorausgehenden Gesamtänderung mittels Bundesverfassungsgesetz,56 c) einer Volksabstimmung oder einer vorausgehenden Gesamtänderung mittels Bundesverfassungsgesetz.57 Grundsätzlich ist dazu festzuhalten, dass weder Art. 50 Abs. 3 noch Art. 48 B-VG eine Volksabstimmung über gesamtändernde StV bzw. über den Genehmigungsbeschluss des NR dezidiert ausschließen: Art. 50 Abs. 3 B-VG unterlässt es bloß, auf Art. 44 Abs. 33 B-VG ausdrücklich zu verweisen; und Art. 48 spricht von Bundesgesetzen, die auf einer Volksabstimmung „beruhen“. StV könnten jedoch auf einer Volksabstimmung ebenso wenig „beruhen“ wie auf einem Beschluss des NR: sie können vom Volk wie vom NR nach Art. 50 Abs. 1 B-VG nur „genehmigt“ (oder nicht genehmigt) werden. Demgegenüber bestimmt Art. 44 Abs. 3 B-VG, „jede“ Gesamtänderung einer Volksabstimmung zu unterziehen. Da neben den genannten Grundprinzipien der Bundesverfassung notwendigerweise auch Art. 44 Abs. 3 B-VG selbst zum Kreis jener Verfassungsnormen gezählt werden muss, die durch 54 Vgl. Wimmer/Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 111, und Walter/Mayer, Grundriss (Anm. 41), RZ 1153; so auch der VfGH in einigen Erkenntnissen, z. B. 11756/1988 und 11829/1988. 55 So Walter/Mayer, Grundriss (Anm. 41), RZ 230; in RZ 1172 wird auf die Strittigkeit dieser Position verwiesen. 56 So Heinz Peter Rill, Möglichkeiten der Teilnahme Österreichs am Gemeinsamen Markt und ihre Konsequenzen für die Harmonisierung des österreichischen Wirtschaftsrechts mit dem der EG, in: Österreichisches Wirtschaftsrecht und das Recht der EG, hrsg. v. Karl Korinek/Heinz Peter Rill, Wien 1990, 9–33, hier 18, und Stefan Griller, Gesamtänderung durch das EWR-Abkommen?, in: ecolex (1992), 539–544, hier 544, jeweils mwN. 57 Vgl. Öhlinger, Aspekte (Anm. 45), 49, und Wimmer-Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 110 ff.
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diese Bestimmung einen erhöhten Bestandsschutz genießen,58 folgt aus dem Grundsatz der baugesetzkonformen Interpretation von Verfassungsnormen,59 dass eine Gesamtänderung auch dann nicht ohne Volksabstimmung durchgeführt werden darf, wenn sie auf einem StV beruht.60 Somit verbleiben die Varianten b) und c), wobei hinsichtlich b) mit Theo Öhlinger anzumerken ist, dass diese zwar verfassungsrechtlich zulässig, doch nicht zwingend geboten61 ist. Für die zukünftige Teilnahme Österreichs an der europäischen Integration ist daher davon auszugehen, dass gesamtändernde Integrationsabkommen volksabstimmungspflichtig sind. Hinsichtlich des EG-Beitritts wird dies von der herrschenden Lehre62 sowie vom Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst angenommen63, auf politischer Ebene in der EG-Parteienvereinbarung vom 26. Juni 198964 zwischen ÖVP und SPÖ jedoch äußerst vorsichtig und offen formuliert: in ihrem Punkt V.3 wird lediglich die Absicht bekundet, „auf Grund der wesentlichen Bedeutung eines EG-Beitritts Österreichs […] das österreichische Volk nach den in der Bundesverfassung vorgesehenen Formen zu befassen“. Sollte die BReg bei Vorlage eines allfälligen EG-Beitrittsvertrages an den NR zur Auffassung kommen, dass der Beitritt keine Gesamtänderung bewirkt und damit keiner obligatorischen Volksabstimmung bedarf, ist die Genehmigung des Beitritts-StV durch den NR und die gem. Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz in diesem Fall jedenfalls erforderliche Zustimmung des BR die „in der Bundesverfassung vorgesehene Form“ der Befassung des Volkes im Wege seiner gewählten Vertreter. Darüber hinaus wäre diesfalls unter der Formel der Parteienvereinbarung – die selbstredend nur politisch, nicht aber juristisch bindend ist – die Vornahme einer Volksbefragung gem. Art. 49b B-VG65 denkbar.
58 Vgl. Wimmer-Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 112. 59 Vgl. hierzu die eindeutigen Aussagen in: VfSlg 11756/1988 und 11829/1988. 60 Davon geht unausgesprochen auch der VfGH in: VfSlg 11500/1987 aus. Diese Argumentation vertritt – allerdings in Bezug auf Art. 9 Abs. 2 B-VG – auch Robert Walter, Der Einfluss des Art. 9 Abs. 2 B-VG auf Art. 3 und 4 B-VG, in: ÖZÖRV Suppl. 10 (1988 – Festschrift für Erwin Klinghoffer), 131–139, hier 137: „Denn keineswegs dürfte durch (normales) Bundesverfassungsrecht die Möglichkeit vorgesehen werden, gesamtänderndes Verfassungsrecht anders als auf dem im Art. 44 Abs. 3 B-VG vorgesehenen Wege […] zu erzeugen. […] Insofern müsste also Art. 9 Abs. 2 B-VG verfassungskonform jedenfalls einschränkend interpretiert werden“. 61 Öhlinger, Aspekte (Anm. 45), 46 f und 49. 62 Vgl. die in Anm. 56 und 57 zit. Lit. 63 Studie 1 (Verfassungsrechtliche Grundfragen eines österreichischen EG-Beitritts; Untersuchung des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst) zum Bericht der Bundesregierung an den Nationalrat und den Bundesrat über die zukünftige Gestaltung der Beziehungen Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften, III–113 BlgNR, 17. GP, 45 ff. 64 Abgedr. in: Wiener Zeitung, 29. 6. 1989, 5; dazu ausführlich Wimmer/Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 18 ff. 65 Ins B-VG eingefügt mit B-VG-Novelle 1988, BGBl. 685 (in Kraft getreten mit 1. Juli 1989).
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4. Die wirtschaftliche Integration a) Der Beginn mit der OEEC Den ersten und in seiner Tragweite nicht zu unterschätzenden Schritt zur Teilnahme an der wirtschaftlichen Integration (West-)Europas setzte Österreich mit seiner Gründungsmitgliedschaft in der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (Organization for European Economic Cooperation – OEEC)66 und eröffnete sich damit den Zugang zum Europäischen Wiederaufbauprogramm (European Recovery Program –ERP: „Marshall-Plan“), dessen Erfolg die OEEC satzungsgemäß sicherstellen sollte (Art. 11).67 Obgleich der OEEC-Vertrag zumindest hinsichtlich seines Art. 13 als verfassungsändernder StV anzusehen gewesen wäre,68 schloss ihn Österreich 1948 als bloßes Verwaltungsübereinkommen und damit nicht einmal als gesetzesändernden oder -ergänzenden StV ohne Genehmigung durch den NR ab.69 Diese – verfassungswidrige – Vorgangsweise war bewusst gewählt worden, um die Einholung der nach Art. 6 des 2. Kontrollabkommens vom 28. Juni 194670 erforderlichen schriftlichen Zustimmung des Alliierten Rates zu vermeiden.71 Die Kundmachung im BGBl. erfolgte – offensichtlich um die Aufmerksamkeit der Sowjetunion möglichst gering zu halten – erst nach Wiedererlangung der vollen Souveränität.72 Auch die erste parlamentarische Befassung mit der Durchführung des OEEC-Abkommens fand interessanterweise erst im Jahr 1955 statt, als Hauptausschuss und Plenum des NR erstmals einen – schon seit Langem eingeforderten – Bericht des Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten über eine Sitzung des OEEC-Rates erhielten.73 66 BGBl. 1957/223; das Abkommen wurde am 16. April 1948 in Paris für Österreich von Außenminister Karl Gruber unterzeichnet. 67 Zur Funktionsweise vgl. Norbert Wimmer/Konrad Arnold, Wirtschaftsverwaltungsrecht in Österreich. Stand und Entwicklung, Wien 1987, 41 (dort Anm. 86). 68 Art. 13 lit. a) räumte der OEEC die Befugnis ein, Beschlüsse zu fassen, „welche die Mitglieder auszuführen haben“; lit. b) gibt ihr die Befugnis, Abkommen zu schließen. Franz Urlesberger, Die Marginalisierung Österreichs im europäischen Integrationsgeschehen nach Auflösung der OEEC/EZU, in: Österreichs Integration in Europa 1948–1989. Von der OEEC zur EG, hrsg. v. Waldemar Hummer, Wien 1990, 19-47, hier 20, Fußnote 4, nennt als Quelle für den verfassungsändernden Charakter die EB zum Ersten Staatsverträge-SanierungsG (122 BlgNR, 13. GP). Dort wird jedoch nur das OECD-Abkommen aufgelistet. Staatsverträge, die ausgelaufen sind – und hierzu zählte das OEEC-Abkommen im Jahr 1971 – wurden gem. VIII.4. der RV nicht „in das vorliegende Sanierungswerk“ einbezogen. 69 BGBl. 1957/223 (vgl. Anm. 66); so auch – ohne Quellenangabe – Waldemar Hummer, Ziele, Methoden und Ergebnisse der österreichischen Integrationspolitik, in: Der Weg in den Binnenmarkt, hrsg. v. Hans-Georg Koppensteiner (Schriften zum gesamten Recht der Wirtschaft 23), Wien 1991, 27–73, hier 33, Fußnote 17. 70 Österreichisches Besatzungsstatut, abgedr. in: Österreichisches Handbuch des Völkerrechts (Anm. 46), Band 2, D 351. 71 Vgl. Urlesberger, Marginalisierung (Anm. 68), hier 20. 72 Vgl. Anm. 66. 73 Bericht über die Sitzung v. 9./10. Juni 1955; vgl. hierzu den Bericht des Hauptausschusses: 596 BlgNR, 7. GP; Vorlage des Berichts im Plenum des NR: 82. Sitzung (18. November 1955), StProtNR 3790–3792 (Kenntnis-
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Zur Realisierung des ERP schlossen die USA mit allen beteiligten europäischen Staaten Abkommen zur Durchführung des amerikanischen Hilfsprogramms. Das am 2. Juli 1948 mit Österreich abgeschlossene Abkommen74 wurde von der österreichischen BReg „vornehmlich als eine privatrechtliche Schenkungsvereinbarung“75 und darüber hinaus weder als politischer noch als gesetzändernder Vertrag angesehen und daher weder dem NR zur Genehmigung vorgelegt noch im BGBl. kundgemacht.76 Wenige Tage darauf, am 10. Juli 1948, wurde die Ratifikationsurkunde zum OEEC-Abkommen vom Bundespräsidenten unterzeichnet und von der BReg gegengezeichnet.77 Die in der Folge äußerst fruchtbare Zusammenarbeit von 17 westeuropäischen Staaten78 in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde jedoch bald durch weiter reichende Integrationsvorhaben überlagert und in den Hintergrund gedrängt.79 1952 trat der vom „Kerneuropa der Sechs“80 geschlossene EGKS-V in Kraft und brachte eine Vergemeinschaftung der gerade in den Jahren des Wiederaufbaus bedeutsamen Grundstoffindustrien Kohle und Stahl; 1958 trat der EAG-V zur Förderung der Kernenergie und der EWG-Vertrag als Zollunion und ein sämtliche Wirtschaftsbereiche umfassendes Integrationsabkommen hinzu. Die Dynamik der europäischen Integration hatte sich damit bereits Ende der 50er-Jahre eindeutig auf diese weiter gehenden Integrationsabkommen verlagert. Die OEEC wurde als direkte Folge der Entstehung der EWG in die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Cooperation and Development – OECD) umgegründet.81 Die OECD-Satzung wurde von Österreich abermals bloß als Verwaltungsübereinkommen abgeschlossen.82 Die Regierungsvorlage (RV) zu dem – niemals als Gesetz beschlossenen83 nahme ohne Debatte). 74 Abgedr. in Wiener Zeitung, 4. 7. 1948. 75 Vgl. die EB zur RV über das Abkommen über die ERP-Counterpart-Regelung, 392 BlgNR, 9. GP, 14. 76 Ebd. 77 Vgl. BGBl. 1957/223 (vgl. Anm. 66). 78 Die Liste in: Österreichs Integration in Europa 1948–1989 (vgl. Anm. 68), 208, spricht von 17, zählt aber dann nur 16 Staaten (ohne Deutschland, welches noch aus Besatzungszonen bestand und nicht souverän war) auf. Aus der Kundmachung des Abkommens im BGBl. 1957/223 ergibt sich, dass das OEEC-Abkommen 18 Unterschriften trägt: für die Bundesrepublik Deutschland hatten der Vertreter der Französischen Besatzungszone, Général d’armée Pierre Koenig, und der Vertreter der Besatzungszonen des Vereinigten Königreiches, General Sir Brian H. Robertson, dieser auch für die Vereinigten Staaten von Amerika, unterzeichnet. So gesehen waren 17 Staaten (in alphabetischer Reihenfolge nach den französischen Staatennamen: Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Norwegen, Niederlande, Portugal, Großbritannien, Schweden, Schweiz, Türkei – und Deutschland) Gründungsmitglieder. 79 Vgl. Urlesberger, Marginalisierung (Anm. 68), 31 ff. 80 Hummer, Ziele (Anm. 69), 34. Zum „Kerneuropa“ der Sechs gehörten Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, Italien, Benelux. 81 Vgl. Oppermann, Europarecht (vgl. Anm. 20), RZ 112. 82 Vgl. BGBl. 1961/248. 83 Vgl. Index 1992. Systematisches Verzeichnis des geltenden Bundesrechts, hrsg. v. Bundeskanzleramt, Wien 1992, 472, sowie Ignaz Seidl-Hohenveldern, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche
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– Ersten Staatsverträge-Sanierungsgesetz hat allerdings Art. 5 lit. a und Art. 18 als verfassungsändernd angesehen.84 b) EFTA-Mitgliedschaft 1960 und die Freihandelsabkommen Österreich/EWG und Österreich/EGKS 1972 Nachdem der in Reaktion auf die Gründung der EWG erfolgte Versuch der elf „übrig gebliebenen“ OEEC-Staaten gescheitert war, eine „große Freihandelszone“ der 17 OEEC-Mitglieder als „äußeren Integrationskreis“ unter Einschluss der sechs EWG-Staaten zu gründen,85 schlossen sich 1960 sieben europäische Staaten (Österreich, Schweiz, Norwegen, Schweden, Dänemark, Großbritannien und Portugal) zur EFTA zusammen.86 Mit dem am 4. Jänner 1960 unterzeichneten und am 3. März 1960 in Kraft getretenen EFTA-Übereinkommen87 wurde die Schaffung einer Freihandelszone (Abbau von Binnenzöllen und mengenmäßigen Beschränkungen für industriell-gewerbliche Produkte unter Beibehaltung unterschiedlicher Außenzölle) vereinbart, um damit die Basis zur Verhinderung einer wirtschaftlichen Diskriminierung durch die EWG und die Grundlage für spätere Annäherungsschritte an diese zu setzen. Die EFTA war insofern nie „Selbstzweck“,88 sondern wurde gegründet „in der festen Absicht, die baldige Schaffung einer multilateralen Assoziation zur Beseitigung der Handelsschranken und zur Förderung einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit, einschließlich der Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft, zu erleichtern“.89
Die 60er-Jahre waren durch die Suche nach bi- oder multilateralen Annäherungslösungen an die EWG geprägt, an deren Anfang der erste britische Beitrittsantrag vom 31. Juli 1961, gefolgt von drei Assoziationsgesuchen gem. Art. 238 EWG-Vertrag der neutralen Staaten
Einrichtungen nach österreichischem und deutschem Verfassungsrecht, in: Einigkeit und Recht und Freiheit. Festschrift für Karl Carstens, hrsg. v. Bodo Bömer/Hermann Jahrreiß/Klaus Stern, Köln/Berlin/Bonn/München 1984, Band 1, 497–505, hier 505. 84 Art. 2 Z. 11 der RV, 122 BlgNR, 13. GP. 85 Vgl. Hans Mayrzedt, Österreich und die handelspolitische Spaltung Westeuropas (1957–1972): EWG und EFTA als getrennte Integrationssysteme, in: Österreichs Integration in Europa 1948–1989. Von der OEEC zur EG, hrsg. v. Waldemar Hummer, Wien 1990, 49–68, hier 56 ff., sowie Burtscher, Westeuropa (Anm. 20), 176 f. 86 Vgl. Wimmer/Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 262. 87 BGBl. 1960/100. 88 So Hummer, Ziele (vgl. Anm. 69), 38, sowie ders., Annäherung zwischen EG- und EFTA-Staaten: Außen-, neutralitäts- und wirtschaftspolitische Problemfelder, in: Österreichs Weg in die EG – Beiträge zur europäischen Rechtsentwicklung, hrsg. v. Fritz Schwind (Veröffentlichungen der Kommission für Europarecht, Internationales und Ausländisches Privatrecht 11), Wien 1991, 1–52, hier 15. 89 Abs. 4 der Präambel zum EFTA-Übereinkommen.
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Schweden, Schweiz und Österreich vom 15. Dezember 1961, stand.90 Nach dem Scheitern der diesbezüglichen Verhandlungen Anfang 1963 war Österreich an einer bilateralen Weiterführung derselben interessiert. Sie wurden 1965 aufgenommen und 1967 ergebnislos eingestellt. Der von Anfang an gewünschte „Brückenschlag“ zur EWG91 gelang erst 1972 mit dem Abschluss von parallelen, bilateralen Freihandelsabkommen (FHA) zwischen der EWG und der EGKS einerseits und den EFTA-Staaten Österreich,92 Schweiz, Schweden, Portugal und Island, das 1970 der EFTA beigetreten war, andererseits.93 Großbritannien, das am 11. Mai 1967 seinen zweiten Beitrittsantrag gestellt hatte, und Dänemark „wechselten“ 1972 zur EG, Norwegen schloss sich nach dem negativen Ausgang der Volksabstimmung über den EGBeitritt dem FHA-Konzept an und Finnland, das seit 1961 assoziiertes EFTA-Mitglied ist und 1986 Vollmitglied wurde, zog noch im selben Jahr nach.94 Bis zum Inkrafttreten des EWR-Abkommens zwischen der EG, der EGKS und ihren zwölf Mitgliedsstaaten auf der einen und den am EWR teilnehmenden EFTA-Staaten auf der anderen Seite stellen die beiden FHA mit der EWG und der EGKS die tragenden Säulen, die „Grundlage“95 der Rechtsbeziehungen Österreichs mit der EG dar. Für die Rechtsbeziehungen der mittlerweile sieben96 EFTA-Staaten untereinander ist bis zu diesem Zeitpunkt das EFTA-Übereinkommen maßgeblich und bleibt es im Verhältnis zu den nicht am EWR teilnehmenden Staaten weiterhin. c) Die staatsrechtliche Seite von EFTA-Mitgliedschaft und FHA Die zahlreichen im EFTA-Übereinkommen enthaltenen Beschlussbefugnisse des EFTARates, die teilweise sogar eine mehrstimmige Beschlussfassung vorsehen,97 wurden ebenso wie die weniger weit reichenden Befugnisse der Gemischten Ausschüsse in den beiden FHA vom NR als verfassungsändernde Bestimmungen genehmigt.98 Die verfassungsrechtliche 90 Dazu und zum Folgenden umfassend Hummer, Ziele (Anm. 69), 42 ff. 91 Vgl. Mayrzedt, Österreich (Anm. 85), 59. 92 BGBl. 1972/466 und 467; vgl. auch Hellmuth Straßer, Der Weg Österreichs zu den Verträgen mit Brüssel, Wien 1972, und Horst Knapp, Österreich auf Europakurs. Österreichs Weg zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Wien o. J. (1972). 93 Vgl. Hummer, Ziele, Methoden und Ergebnisse (Anm. 69), 46. 94 Vgl. ebd., 47. 95 Wolfgang Schumacher, Möglichkeiten und Grenzen der Integrationsintensivierung im Rahmen der FHA, in: Der Weg in den Binnenmarkt (vgl. Anm. 69), 75–96, hier 77. 96 Das Fürstentum Liechtenstein wurde 1991 als Vollmitglied in die EFTA aufgenommen, um am EWR-Prozess als eigenständiger Teilnehmer auftreten zu können; vgl. Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 24. 5. 1991, 13. 97 Vgl. Art. 13 Abs. 2 und 19 Abs. 2 EFTA-Üeink. 98 Zum EFTA-Üeink vgl. oben 3b); zur Sanierung 1964 vgl. oben Anm. 39; die RV zum Ersten StaatsverträgeSanierungsG (vgl. Anm. 68 u. 84) nannte in Art. 3 Abs. 1. Z. 1 noch weitere drei verfassungsändernde Bestimmungen.
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Notwendigkeit für diese Vorgangsweise ergibt sich aus der sogenannten Lückenlosigkeitstheorie.99 Ihr zufolge normiert Art. 18 Abs. 1 B-VG100 ein „materielles Gesetzgebungsmonopol der Volksvertretung“101 und gestattet als Ausnahmen nur den Abschluss von Staatsverträgen nach Art. 65 und – unter Genehmigungsvorbehalt – Art. 50 B-VG sowie die Erlassung von Verordnungen gem. Art. 18 Abs. 2 B-VG.102 Daraus wird in Theorie und Praxis abgeleitet, dass die Übertragung von Rechtssetzungsbefugnissen mit Wirkung für oder in Österreich einer verfassungsrechtlichen Grundlage bedarf. Aus diesem Grund sind die Beschlussbefugnisse von Organen der besprochenen Integrationsabkommen als verfassungsändernde Bestimmungen anzusehen.103 Die Schwierigkeiten zu beurteilen, welche Bestimmungen eines StV unter Umständen eine solche Befugnis enthält, hat zu einer Vielzahl von nach unklaren Kriterien in Verfassungsrang erhobenen Staatsvertragsbestimmungen geführt.104 Mit der Einfügung des Art. 9 Abs. 2 in das B-VG105 hat der Bundesverfassungsgesetzgeber eine Lösung dieser Probleme versucht. Die Bestimmung sieht vor, dass „durch Gesetz oder durch einen gemäß Art. 50 Abs. 1 zu genehmigenden Staatsvertrag […] einzelne Hoheitsrechte des Bundes auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen“
werden können. Diese gänzlich missglückte,106 vielfach kritisierte107 Vorschrift eines „enthemmten Verfassungsgesetzgebers“108 stellt weniger eine Problemlösung als vielmehr eine Problemverlagerung dar: war bis zu ihrer Einführung zu entscheiden, ob mit einer Bestimmung Rechtssetzungsbefugnisse übertragen werden und sie daher in Verfassungsrang zu beschließen ist, muss nunmehr geprüft werden, ob die übertragenen Hoheitsrechte „einzelne“ und solche des Bundes sind. Christoph Schreuers Auffassung, dass mit dem Wort „einzelne“ auf den von der bisherigen österreichischen Praxis abgesteckten Rahmen verwiesen wird, „nur internationalen Organisationen mit sachlich eng umschriebenen Entscheidungsbefugnissen beizutreten“,109 klingt plausibel, lässt sich jedoch interpretativ auch durch einen 99 Vgl. Christoph Schreuer, Beschlüsse internationaler Organe im österreichischen Staatsrecht, in: ZaöRV 37 (1977), 468–503, hier 483. 100 „Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden.“ 101 Vgl. Klecatsky, Rechtsstaat (Anm. 36), 249 f. 102 Relativierend Stefan Griller, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen. Eine Untersuchung zu Art. 9 Abs. 2 B-VG (Forschungen aus Staat und Recht 88), Wien/New York 1988, 116 ff. 103 Vgl. oben bei Anm. 68 (OEEC), 84 (OECD), 39 (EFTA-Üeink), 92 (FHAEWG-Ö und FHAEGKS-Ö); weitere Beispiele bei Griller, Übertragung (Anm. 102), 30 ff. 104 Vgl. die Nachweise bei Schreuer, ZaöRV 37 (vgl. Anm. 99), 473 ff. 105 BGBl. 1981/350. 106 So Walter/Mayer, Grundriss (vgl. Anm. 41), RZ 229. 107 Vgl. die Nachweise bei Wimmer/Mederer, EG-Recht (Anm. 13), hier 107 ff. 108 Walter, ÖZORV 1988 (Anm. 60), hier 136. 109 Schreuer, ZaöRV 37 (Anm. 99), 483.
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Rückgriff auf die Materialien nicht belegen. Damit bleibt die angezielte Grenze unklar.110 Sollte sie nur auf die von Art. 44 Abs. 3 gezogene Grenze verweisen, wäre sie – aufgrund der gebotenen baugesetzkonformen Interpretation von Verfassungsnormen – tatsächlich „belanglos“.111 Dass auch die – erst im Zuge der parlamentarischen Behandlung im Verfassungsausschuss eingefügte112 – Beschränkung auf Hoheitsrechte des Bundes Abgrenzungsprobleme bringt,113 zeigt nicht zuletzt auch das EWR-Abkommen.114 Sieht man von diesen Mängeln des Art. 9 Abs. 2 B-VG einmal ab, bleibt noch festzuhalten, dass durch ihn auch ein seit langem bestehendes „Kernproblem“,115 die Frage der Inkorporationstechnik des zwischenstaatlichen in das innerstaatliche Recht, keiner Lösung zugeführt wird.116 Die Lehre fordert, vor allem aus Rechtsschutzgründen,117 für internationale Organbeschlüsse als Rechtsakte sui generis118 einen speziellen Transformationsakt, um sie der Überprüfung durch den VfGH nach Art. 139 bzw. 140 B-VG zugänglich zu machen. Demgegenüber beschränkt sich die Praxis auf eine bloße Kundmachung der Beschlüsse im BGBl.119 Die FHA 1972 wurden ebenso wie das vor der BVG-Novelle über die Staatsverträge 1964120 abgeschlossene EFTA-Übereinkommen generell transformiert. Hinsichtlich einiger Bestimmungen, die nicht „self-executing“ sind, bestand jedoch die Notwendigkeit, eigene Durchführungsgesetze zu erlassen.121 Diese wurden durch das Integrations-DurchführungsG 1988 (IDG)122 zusammengefasst und abgelöst. 110 So auch Walter, ÖZÖRV 1988 (Anm. 60), hier 134. 111 Seidl-Hohenveldern, Übertragung (Anm. 83), 501. 112 Vgl. die EB zur RV, 427 BlgNR, 15. GP, 9 und den AB, 766 BlgNR, 15. GP, I. 113 Christoph Schreuer, Der neue Art. 9 Abs. 2 der österreichischen Bundesverfassung: Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale und ausländische Organe, in: ZaöRV 42 (1982), 93–99, hier 95. 114 Die Art. 62, 110 Abs. 1, 111 Abs. 4 und Art. 6 von Protokoll 10 (zu Art. 21) werden aus diesem Grund zu Recht als nicht von Art. 9 Abs. 2 B-VG gedeckt und als verfassungsändernd bezeichnet; vgl. die EB zu den einzelnen Bestimmungen, 460 BlgNR, 18. GP. 115 So schon Klecatsky, JBl. 1964 (Anm. 37), 354. 116 So zuletzt Eduard Aschauer, Die Inkorporation der Beschlüsse der gemischten Ausschüsse Österreich – EG in die österreichische Rechtsordnung, AJPIL 43 (1992), 81–95, hier 88, mwN, und Waldemar Hummer, Vollziehung im Rahmen der Freihandelsverträge – dargestellt am Beispiel Österreich, in: Europäisches Verwaltungsrecht, hrsg. v. Michael Schweitzer, Wien 1991, 293–354, hier 352. 117 Aschauer, Inkorporation (Anm. 116) , hier 89 und 93 mwN. 118 Vgl. die Nachweise bei Aschauer, 87. 119 Vgl. die in Wimmer/Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 124, angeführten Beispiele; einfachgesetzliche Grundlage für diese Kundmachungen ist 2 Abs. 1 lit. c BGBl-G 1985, BGBl. 200. 120 BGBl. 1964/59; vgl. oben 3b). 121 EG-Abkommen-DurchführungsG BGBl 1972/468 idF BGBl. 1974/791, 1980/599, 1983/162, 1984/545 und 1986/573 und das – stets parallel novellierte – EFTA-DurchführungsG 1973, BGBl. 118/1973 idF 1974/792, 1980/600, 1983/163 und 1984/546; vgl. schon das EFTA-DurchführungsG BGBl. 1961 /274 idF BGBl. 1967/47. 122 BGBl. 1987/623 idF 1988/688; dazu ausführlich Hummer, Vollziehung (vgl. Anm. 116), 313 ff.
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Ein bedeutender Schritt zur Vorbereitung der innerstaatlichen Durchführung künftiger Integrationsabkommen ist die 2. IDG-Novelle.123 Sie ermöglicht insbesondere durch die Neufassung ihres § 1 die Durchführung der im Rahmen der EFTA mit der Türkei, Israel, Ungarn, Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien abgeschlossenen bzw. in Verhandlung stehenden FHA ohne weitere Gesetze oder IDG-Novellen.124 Diese stehen neben den entsprechenden FHA der EWG mit diesen Staaten und zeigen, dass über den EWR hinaus ein großer europäischer Freihandelsraum im Entstehen begriffen ist, an dem sich auch ehemalige Ostblock- und Mittelmeerstaaten beteiligen.125 Im Zuge der parlamentarischen Behandlung der Novelle wurde § 1 der RV zur vereinfachten Einbeziehung künftiger Integrationsabkommen dahin gehend geändert, dass auf eine Aufzählung der vom Gesetz erfassten Abkommen verzichtet und der Finanzminister mit dem in Verfassungsrang stehenden Abs. 3 ermächtigt wird, mit Verordnung kundzumachen, welche Abkommen im Einzelnen von dem unter Abs. 2 Z. 4 beschriebenen Begriff „Integrationsabkommen“ erfasst sind.126
5. Der Europäische Wirtschaftsraum a) „Dynamisierung“ des EG-EFTA-Verhältnisses seit 1984 Die FHA zwischen sechs EFTA-Staaten und der EWG bzw. der EGKS hatten mit der völligen Liberalisierung des Handels für Industriegüter127 ihr Ziel erreicht, erfuhren jedoch durch die anlässlich des ersten gemeinsamen EG-EFTA-Ministertreffens vereinbarte „Luxemburger Erklärung“ vom 9. April 1984128 einen neuen Impuls. Diese sah die Schaffung eines „dynamischen europäischen Wirtschaftsraumes“ insbesondere durch den weiteren Abbau von Handelshemmnissen und verstärkte Zusammenarbeit in zahlreichen Politikbereichen vor. Die vom Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes vom 14. Juni 1985129 und von der am 1. Juli 1987 in Kraft getretenen Einheitlichen Europäischen Akte130 ausgelöste Integrationsdynamik innerhalb der EG ließ diese geplante Weiterentwicklung des EG123 BGBl. 1992/319. 124 Vgl. EB zur RV, 418 BlgNR, 18. GP, 8, und Bettina Vogl-Lang, Die 2. Novellierung des Integrations-Durchführungsgesetzes (2. IDG-Novelle), in: ÖZSN 1992, 3–5, hier 4. 125 Vgl. ebd. sowie die Interimsabkommen über Handel und Handelsfragen zwischen der EWG und der EGKS einerseits und Polen, der CSFR und Ungarn andererseits, ABl 1992 L 114, 115 u. 116, berichtigt in ABl 1992 L 138/40 u. 41, sowie die VO 518 – 520/92 mit Durchführungsvorschriften, ABl 1992 L 56/3, 6 u. 9. 126 Vgl. die 13. IDG-Verordnung, BGBl. 1992/320, von der das EFTA-Übereinkommen und das FHA EWG-6 erfasst sind; das FHA EGKS-Ö ist im IDG selbst genannt (1 Abs. 2, Z. 3 und 4). 127 Vgl. Michael Schweitzer/Waldemar Hummer, Europarecht, 3. Aufl., Frankfurt a. Main 1990, 193. 128 Der Text der Luxemburger Erklärung ist abgedr. in: Europa Archiv 39 (1984), 12, D 339 f. Vgl. dazu Wimmer/Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 4 und 270. 129 KOM (85) 310 endg., geändert durch KOM (85) 650 endg. 130 ABl 1987 L 169/1; zum Inkrafttreten vgl. Europa Archiv 42 (1987),15, Z 150.
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EFTA-Verhältnisses im Rahmen des sog. „follow-up von Luxemburg“131 als unzureichend erscheinen132 und löste die Suche nach Formen einer darüber hinausgehenden Zusammenarbeit aus. In der offenkundigen Absicht, weitere Beitrittsanträge zur EG – insbesondere den bevorstehenden Antrag Österreichs – bis zur Vollendung des Binnenmarktes Ende 1992 abzuwehren,133 hat der Präsident der EG-Kommission am 17. Jänner 1989 in seiner Programmrede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg134 die EFTA-Staaten angeregt, das nur langsam vorankommende „follow-up“ durch einen neuen Ansatz zu ergänzen, der in materieller Hinsicht grundsätzlich das gesamte Binnenmarktrecht der EG erfassen und in institutioneller Hinsicht gemeinsame Entscheidungs- und Durchführungsorgane von EG und EFTA vorsehen könnte. Die EFTA-Staaten haben daraufhin anlässlich des Gipfeltreffens ihrer Regierungschefs am 14. und 15. März 1989 in Oslo ihre Bereitschaft erklärt, „eine strukturierte Form der Partnerschaft mit gemeinsamen Entscheidungs- und Verwaltungsorganen zu verwirklichen“.135 Am unmittelbar anschließenden gemeinsamen EG-EFTA-Ministertreffen am 20. März 1989 in Brüssel wurde die Prüfung der „Möglichkeiten einer erweiterten Zusammenarbeit“ beschlossen.136 Diese fand in der ersten, informellen Verhandlungsphase des nach diesen beiden Treffen benannten „Oslo-Brüssel-Prozesses“ statt und führte zu einem am 20. Oktober 1989 vorgelegten Arbeitspapier, in dem die Option eines EWRAbkommens erstmals materiell-rechtlich und institutionell aufbereitet war.137 Noch am 19. Dezember 1989 beschlossen die EG-EFTA-Außenminister in Brüssel, „möglichst bald im ersten Halbjahr 1990 förmliche Verhandlungen aufzunehmen und diese so bald wie möglich
131 Zu den Ergebnissen des Luxemburger Folgeprozesses vgl. Wimmer/Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 3 ff., Wolfgang Burtscher, Der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) und die Beziehungen der EG zu den EFTAStaaten, in: Handbuch der europäischen Integration. Strategie – Struktur – Politik im EG-Binnenmarkt, hrsg. v. Moritz Röttinger/Claudia Weyringer, Wien 1991, 499–526, hier 502 f., und Waldemar Hummer, Der EWR aus europarechtlicher Perspektive, in: ecolex 1992, 515–518, hier 516, Fußnote 19; zu einem Detailaspekt vgl. Sebastian Bohr, Das Übereinkommen zwischen der EWG und den EFTA-Staaten über ein Informationsaustauschverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften – Ein Beispiel für einen „Brückenschlag“ zwischen EG und EFTA, in: ZfVR 1992, 3–11; für den Universitätsbereich von Bedeutung ist das im Rahmen dieses Prozesses abgeschlossene Abkommen EWG-Ö über die Zusammenarbeit im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung im Rahmen des ERASMUS-Programmes, BGBl. 1992/37 = ABl 1991 L 332/1. 132 Von der EFTA offiziell erstmals im Jahresbericht 1991 des EFTA-Sekretariats eingeräumt, vgl. NZZ, 16./17. 8. 1992, 19. 133 Vgl. NZZ, 25. 1. 1989, 15. 134 Vgl. economy 1/1989, 54. 135 Punkt 9 der Erklärung. Ihr Text ist abgedr. in ÖZSN 4/1989, 1 und economy 3/1989, 69. 136 Vgl. NZZ, 26./27. 3. 1989, 11. 137 Vgl. NZZ, 22/23. 10. 1989, 17 u. 29./30. 10. 1989, 16.
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abzuschließen“.138 In der zweiten, exploratorischen Verhandlungsphase von Mitte Jänner bis Ende März 1990 wurde der EWR-relevante Acquis communautaire grundsätzlich erar beitet.139 Dass der Weg zum EWR steinig sein würde, zeichnete sich bereits in dieser Phase deutlich ab: zunächst hatte Jacques Delors am 17. Jänner 1990 vor dem Europäischen Parlament seine auf den Tag genau ein Jahr zuvor skizzierte EWR-Vision deutlich redimensioniert. Zum EWR stellte er fest: „Dieser Weg wird weiter verfolgt und könnte schon in diesem Jahr zu einem Ergebnis führen. Aber ich möchte diesen Ländern gegenüber ganz offen sein, wie man es unter Freunden erwarten kann: Es geht um den Entscheidungsprozess. Es bedarf einer Osmose zwischen der Gemeinschaft und der EFTA, die gewährleistet, dass deren Interessen bei der Ausarbeitung wesentlicher Gemeinschaftsbeschlüsse und Entscheidungen berücksichtigt werden. Ein gemeinsamer Entscheidungsprozess ist jedoch nicht möglich, da sich dieser nur aus einem Beitritt, das heißt der Anerkennung des gesamten ‚Ehevertrages‘ ergeben kann.“140
In der Folge wurde die Erteilung des Verhandlungsmandates des Rates an die EG-Kommission vom 10. April auf den 18. Juni 1990 verschoben.141 Mitte 1990 gab es auf beiden Verhandlungsseiten dahin gehend Übereinstimmung, dass um der inhaltlichen Qualität des Abkommens willen zur Not eine Verlängerung der Verhandlungen über den anvisierten Endtermin 31. Dezember 1990 hinaus in Kauf genommen werden solle.142 Der (vorläufig) endgültige Durchbruch erfolgte in der Nacht von 21. auf 22. Oktober 1991,143 führte aber infolge des von der Kommission gem. Art. 218 Abs. 2 EWG-Vertrag am 14. August 1991 beim EuGH beantragten Gutachtens144 über die Vereinbarkeit des Justizkapitels des EWRAbkommens mit dem EWG-Vertrag noch nicht zur Paraphierung. Der EuGH erklärte in dem am 14. Dezember 1991 vorgelegten Gutachten145 nach ausführlicher Begründung lapidar: „Das System der gerichtlichen Kontrolle, dessen Einführung das Abkommen vorsieht, ist mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unvereinbar.“
138 Der Text der Erklärung ist abgedr. in: Europa Archiv 45 (1990), D 60. 139 Zur Frühphase der Verhandlungen vgl. Wolfgang Mederer, Der Europäische Wirtschaftsraum: Alternative oder Vorübung zum EG-Beitritt?, in: ecolex 1990, 393–395. 140 Text in: Europa Archiv 45 (1990), D 269–282, hier D 273. 141 Vgl. Burtscher, EWR (Anm. 131), hier 506. 142 Vgl. NZZ, 19. 7. 1990, 11. 143 Vgl. Financial Times, 23. 10. 1991, 1. 144 ABl. 1991 C 243/3. 145 Gutachten 1/91, ABl. 1992 C 110/1 und EuGH, Slg 1991,1-6079; vgl. dazu Pierre Pescatore, EWR-Abkommen – was nun?, in: NZZ, 28. 12. 1991, 15, u. Waldemar Hummer, Vorder- und Hintergründe des Gutachtens des EuGH zum EWRV, in: WBl 1992, 33–41.
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Abermalige Nachverhandlungen, die am 14. Februar 1992 abgeschlossen wurden und die auf Druck des Europäischen Parlaments146 erfolgte Einholung eines zweiten Gutachtens, das am 10. April 1992 vom EuGH vorgelegt wurde und die Bestimmungen über die Streitbeilegung sowie die Verteilung der Zuständigkeiten in Wettbewerbssachen für EWGVertrag-konform erklärte,147 erforderten die Verschiebung der Paraphierung bis zum 14. April. Die Unterzeichnung konnte am 2. Mai 1992 in Porto erfolgen.148 Am 13. Mai 1992 wurde das Abkommen im NR eingebracht,149 am 23. September 1992 vom Nationalrat und am 30. September 1992 vom Bundesrat genehmigt.150 Der negative Ausgang der Schweizer Volksabstimmung über die Teilnahme am EWR hatte die erste wirkliche Verzögerung zur Folge: der seit 1989 anvisierte Inkrafttretenstermin, der 1. Jänner 1993, konnte nicht eingehalten werden. Das durch die Nichtteilnahme der Schweiz erforderliche Zusatzprotokoll zur Anpassung des EWR-Abkommens wurde am 26. Februar 1993 paraphiert, am 8. März 1993 vom EG-Außenministerrat grundsätzlich gebilligt151 und am 17. März 1993 von den nunmehr 18 Vertragsstaaten und der EG-Kommission unterzeichnet.152 Vor Hinterlegung der Ratifikationsurkunden muss es nun noch von den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament gebilligt werden. In zeitlicher Hinsicht sieht Art. 22, Abs. 3 des Protokolls vor, dass das EWR-Abkommen am 1. Juli 1993 in Kraft treten soll. Wurde das Protokoll und das EWR-Abkommen bis zu diesem Zeitpunkt nicht von allen Vertragsparteien ratifiziert, tritt es am ersten Tag des der letzten Hinterlegung einer Ratifikationsurkunde folgenden Monats in Kraft. Sollte diese Hinterlegung weniger als 15 Tage vor Beginn des nächsten Monats erfolgen, verschiebt sich das Inkrafttreten um einen weiteren Monat. In inhaltlicher Hinsicht werden durch das Protokoll die technischen Anpassungen des EWR-Abkommens infolge der Schweizer Nichtteilnahme, d. h. die Streichung aller Bezugnahmen auf die Schweiz, vorgenommen. Der geänderte Art. 128 Abs. 1 EWR-Abkommen (Art. 5 des Protokolls) und eine gemeinsame Erklärung zum Zusatzprotokoll ebnen der Schweiz ausdrücklich die spätere Möglichkeit einer Teilnahme am EWR. Schließlich mussten noch besondere Inkrafttretensbestimmungen für Liechtenstein eingebaut werden, da das Fürstentum erst nach einer entsprechenden Anpassung seines Zollvertrages mit der Schweiz am EWR teilnehmen kann. Das Datum des Einstiegs Liechtensteins wird – nach dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens – vom EWR-Rat festgelegt (Art. 1 Abs. 2 des Protokolls). Gleichzeitig wurde verein146 Vgl. Franz Urlesberger, Der „Europäische Wirtschaftsraum“ (EWR): Entstehungsgeschichte und Überblick, in: WBl 1992, 69–74, hier 71. 147 ABl. 1992 C 136/1 und EuGH, Slg 1992, I–2821. 148 Vgl. Susanne Hahn, Der EWR-Vertrag abgeschlossen, in: economy 1992, 130–138, hier 130. 149 StProtNR, 69. Sitzung, 18. GP, 7339. 150 Vgl. Der Standard, 24. 9. 1992, NZZ, 24. 9. 1992, 2 und Die Presse, 2. 10. 1992, 5. 151 Vgl. Agence europe 5929, 27. 2. 1993, 9, und NZZ, 26. 2. 1993, 35, Agence europe 5936, 10. 3. 1993, 7, und NZZ, 9. 3. 1993, 31. 152 Vgl. NZZ, 18. 3. 1993, 33, und Agence europe 5942, 18. 3. 1993, 6; in Österreich im NR eingebracht als RV 1007, 1061, 1062 und 1063 Blg NR, 18. GP.
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bart, die bilateralen Abkommen in Form eines Briefwechsels zwischen der EWG einerseits und Österreich, Island, Finnland, Norwegen und Schweden andererseits über bestimmte die Landwirtschaft betreffende Vereinbarungen153 vorläufig bereits ab 15. April 1993 anzuwenden.154 Sollte das EWR-Abkommen am 1. Jänner 1994 noch nicht in Kraft getreten sein, werden die Agrarübereinkommen wieder außer Kraft gesetzt, sofern die Vertragsparteien nicht anderes entscheiden. Parallel dazu waren auch die EFTA-internen Abkommen zur Errichtung einer Überwachungsbehörde und eines Gerichtshofes, betreffend einen Ständigen Ausschuss, sowie über einen parlamentarischen Ausschuss der EFTA-Staaten155 an die Nichtteilnahme der Schweiz anzupassen, der zur Erleichterungen einer späteren Teilnahme innerhalb der EFTA ein Beobachterstatus in EWR-Angelegenheiten eingeräumt wird.156 b) Der Transitvertrag Gleichzeitig mit dem EWR-Abkommen wurde nach mehrjährigen Verhandlungen157 am 2. Mai 1992 auch der Transitvertrag158 unterzeichnet und am 9. Juli vom NR als gesetzändernder und ergänzender Staatsvertrag genehmigt.159 Aus österreichischer Sicht ging es bei den Verhandlungen in erster Linie darum, einen durch verkehrspolitische Maßnahmen der 60er-Jahre insbesondere auf die Brennerachse konzentrierten Straßengüterverkehr,160 der zu rund 40 Prozent „Umwegtransit“ ist, der dem Prinzip des kürzesten Weges zufolge über die Schweiz fließen müsste,161 abzuwehren oder zumindest dessen negative Auswirkungen auf Bevölkerung und Umwelt zu reduzieren.162 Für die EG stand hingegen der Zusammenhang des Transitverkehrs mit der wirtschaftlichen Integration Italiens und Griechenlands in den
153 Für Österreich s. 460 Blg NR, 17. GP (Anm. 1). 154 Vom Rat der EG bereits am 15. 3. 1993 gebilligt; vgl. Agence europe 5941, 17. 3. 1993, 7. 155 RV: 583, 584 und 686 Blg NR, 18. GP. 156 Vgl. NZZ, 16. 3. 1993, 19. 157 Zu diesen vgl. Wimmer/Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 249–258, und Eberhard Brandt, Verkehrspolitik, in: Handbuch (Fußnote 131), 871–883, hier insbesondere 880 ff., sowie Gerhard Gürtlich/Helmut Lamprecht/ Wolfgang Mederer, Hrsg., Der international deregulierte Fernverkehr. Eine Dokumentation im Rahmen der Nova West (ÖVG Spezial 26), Wien/Innsbruck 1990. 158 Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über den Güterverkehr im Transit auf der Schiene und der Straße samt Anhängen I bis IX, BGBl. 1992/823 = ABl. 1992 L 373/6; vgl. zu dieser Problematik auch den Beitrag von Pallaver in diesem Band. 159 StProtNR, 76. Sitzung, 18. GP, 8410. 160 Vgl. dazu insbesondere Wolfgang Mederer, Verkehrspolitik im Bundesstaat. Skizze der verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Landes-Verkehrspolitik, in: Transitsymposion 1991, hrsg. v. Waldemar Hummer (Europarecht, Internationales Wirtschafts- und Währungsrecht, Völkerrecht 2), Wien 1993. 161 Vgl. die Nachweise in Wimmer/Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 250 f. 162 Siegfried Dillersberger, Der „Transitvertrag“ aus Tiroler Sicht: Es haben doch die Philister gesiegt, in: Freie Argumente 4/91, 31–32.
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Binnenmarkt im Vordergrund.163 Allerdings kam nicht zuletzt aus diesen Verhandlungen ein wesentlicher Anstoß für Überlegungen zu einer grundlegenden Neuorientierung der EGVerkehrspolitik mit einem stärkeren Akzent auf ökologischen Kriterien.164 Auch ihr Ergebnis zeigt, dass Fragen des Umweltschutzes und der Lebensqualität der betroffenen Bevölkerung zumindest dem Wortlaut des Abkommens nach große Bedeutung zugemessen wird. Sein Ziel ist es, „koordinierte Maßnahmen zur Förderung des Eisenbahnverkehrs und insbesondere des kombinierten Verkehrs zu treffen und den Straßenverkehr zum Schutz der Gesundheit und der Bevölkerung zu regeln“ (Art. 1). Zu diesem Zweck werden in Teil II des Abkommens Maßnahmen zur Förderung des Schienenverkehrs und des kombinierten Verkehrs festgelegt und in Teil III hinsichtlich des Straßengütertransitverkehrs ein „Ökopunktesystem“ eingeführt, das die Schadstoffbelastung aus dem Transitverkehr des Jahres 1991 als Ausgangspunkt nimmt und, beginnend mit dem Jahr 1992, innerhalb von zwölf Jahren bis zum Jahr 2003 eine Reduktion des Ausgangswertes auf 40 Prozent vorsieht (Anhang VIII zu Art. 15). Das Transitabkommen und die in seinem Art. 24 Abs. 4 vorgesehene Verwaltungsvereinbarung zum Ökopunktesystem165 sind am 1. Jänner 1993 in Kraft getreten. Die entsprechende Anzahl von „Ökopunkten“ wird von Österreich der EG-Kommission zur Verfügung gestellt, die diese dann an die EG-Mitgliedstaaten verteilt (Art. 15 Abs. 7).166 Die derzeit bestehenden bilateralen Straßengüterverkehrsabkommen zwischen Österreich und EG-Mitgliedsstaaten werden demnach hinsichtlich der Genehmigung für Fahrten im Straßengütertransitverkehr durch das „Ökopunktesystem“ ersetzt, bleiben aber im Übrigen aufrecht (Art. 16). Zur Durchführung des Abkommens wird ein aus Vertretern der Gemeinschaft und Österreichs zusammengesetzter Transitausschuss eingesetzt (Art. 21). Als erster innerstaatlicher Umsetzungsakt wurde das Güterbeförderungsgesetz167 und das Kraftfahrgesetz168 an den Transitvertrag angepasst.169 Besonders hervorzuheben ist dabei, dass bei Kontingentfestlegungen im Rahmen zwischenstaatlicher Vereinbarungen gem. § 7 a Güterbeförderungsgesetz, die ja außerhalb des Geltungsbereichs des Transitabkommens insbesondere im bilateralen Verkehr sowie infolge der Ostöffnung nach wie vor eine bedeu163 Vgl. Brandt, Verkehrspolitik (Anm. 157), 881. 164 Vgl. das Weißbuch der EG-Kommission „Verkehr und Umwelt“, KOM (92) 46 endg. v. 6. 4. 1992. 165 Verwaltungsvereinbarung zur Festlegung des Zeitpunkts und der Modalitäten der Einführung des im Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Österreich über den Güterverkehr im Transit auf der Schiene und der Straße vorgesehenen Ökopunktesystems samt Anhängen, BGBl. 1992/879 = ABl. 1993, L 47/27 (Beschluss) und 42 (Vereinbarung). 166 Vgl. auch Verordnung (EWG) Nr. 3637/92 des Rates über die Verteilung von Transitrechten (Ökopunkten) für Lastkraftwagen mit einem Gesamtgewicht von 7,5 Tonnen, die in einem Mitgliedstaat zugelassen sind und Österreich durchqueren, ABl. 1992 L 373/1 167 BGBl. 1952/63 idF 1992/452. 168 BGBl. 1967/ 267 idF 1992/453. 169 BGBl. 1992/453.
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tende Rolle spielen werden, einer rechtspolitischen Forderung entsprechend170 nicht mehr nur das verkehrsmäßige und volkswirtschaftliche Interesse Österreichs, sondern auch der „Schutz der Bevölkerung und Umwelt“ zu berücksichtigen sind. Der Ernüchterung über das Verhandlungsergebnis in Kreisen von Bürgerinitiativen171 ist entgegenzuhalten, dass es im Transitvertrag als Positivum gegenüber dem durch bilaterale Abkommen definierten Status quo, dessen „Ökologisierung“ an Grenzen stößt,172 gelungen ist, verbindliche Emissionsstandards für Lärm und Abgase auf relativ hohem Niveau festzuschreiben und darüber hinaus eine klare Weichenstellung zugunsten des Schienenverkehrs und des kombinierten Verkehrs zu erwirken. Sein Erfolg oder Scheitern hängt allerdings von seiner praktischen Umsetzung ab. c) Das EWR-Abkommen im Aufriss Eine umfassende Darstellung der materiell-rechtlichen und institutionellen Bestimmungen des EWR-Abkommens und der daraus resultierenden österreichischen Rechtsanpassung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.173 Der Inhalt des Abkommens wird hier nur insoweit skizziert, als dies für ein erstes Verständnis für die Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung im EWR durch dessen bzw. durch österreichische Organe erforderlich und für eine Beurteilung der verfassungsrechtlichen Implikationen notwendig ist. Europarechtlich ist das Abkommen eine Assoziierung nach Art. 238 EWG-Vertrag174 und wird nach dessen UAbs. 2 nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, das mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder beschließt, einstimmig vom Rat beschlossen. Die Kohle und Stahl betreffenden Abkommensteile wurden im Einklang mit der bestehenden Praxis175 in den Protokollen geregelt.176 Als gemischtes Abkommen177 bedarf es darüber hinaus der Ratifikation durch alle Mitgliedsstaaten gemäß deren innerstaatlichen Vorschriften. Österrei170 Vgl. Wimmer/Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 253. 171 Vgl. insbesondere Josef Bertsch, Transitvertrag EG-Österreich, in: Mitteilungen des Österreichischen Alpenvereins (2/1992), 13. 172 Vgl. dazu Wolfgang Mederer, Der alpenquerende Transitverkehr. Eine Problemskizze aus österreichischer Sicht, in: Informationsdienst Umweltrecht (1991), 121–122, hier 122. 173 Hierzu sei auf die ersten einschlägigen Übersichtsarbeiten verwiesen, insbesondere Wolfgang Burtscher, Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum. Entstehung, Kurzdarstellung, Textauswahl (Neue Gesetze 4), Wien 1992, 17 ff. u. 23 ff.; Lilly Sucharipa-Behrmann, Der Europäische Wirtschaftsraum, in: JAP (2. Jg. 1991/92), 208–215, Waldemar Hummer, Der EWR und seine Auswirkungen auf Österreich, in: EUZW 1992, 361–373, sowie die Beiträge von Waldemar Hummer, Regina Krünes, Thomas Eilmannsberger, Gabriele Tondl und Michael Nentwich zum Schwerpunktthema „EWR“ in: ecolex 1992, 515–538. 174 Vgl. Mederer, in: ecolex 1990 (Anm. 139), 394. 175 Vgl. dazu Peter Gilsdorf, Art. 238, in: Kommentar zum EWG-Vertrag, hrsg. von Hans von der Groeben/ Jochen Thiesing/Claus-Dieter Ehlermann, Baden-Baden 1991,4 RZ 5,6 u. 51. 176 Art. 27 EWR-Abkommen u. Prot. 14 u. 25. 177 Art. 2 lit. c) EWR-Abkommen, vgl. EB zur RV (Fußnote 1), 1112.
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chischerseits ist das Abkommen als gesetzändernder bzw. -ergänzender sowie als politischer StV der Genehmigung des NR gem. Art. 50 Abs. 1 B-VG zu unterziehen und enthält einige verfassungsändernde Bestimmungen.178 Ziel des Abkommens ist die Schaffung eines „homogenen Europäischen Wirtschaftsraumes“ (Art. 1 Abs. 1), um eine „Abkoppelung Österreichs“ und der anderen EFTA-Staaten „vom europäischen Integrationsprozess“179 zu verhindern. Dieses Ziel soll durch die Förderung einer beständigen und ausgewogenen Stärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien unter gleichen Wettbewerbsbedingungen und durch die Einhaltung gleicher Regeln (Abs. 1) in den folgenden, in Abs. 2 genannten Bereichen verwirklicht werden: a) freier Warenverkehr, b) Freizügigkeit, c) freier Dienstleistungsverkehr, d) freier Kapitalverkehr, e) die Einrichtung eines Systems, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt und die Befolgung der diesbezüglichen Regeln für alle in gleicher Weise gewährleistet, sowie f) eine engere Zusammenarbeit in anderen Bereichen wie Forschung und Entwicklung, Umwelt, Bildungswesen und Sozialpolitik. Dieses „Inventar“ des Vertrags ist eine reduzierte Version des Ziel-Mittel-Katalogs der Art. 2 und 3 EWG-Vertrag und weist das EWR-Abkommen damit in seiner Zielsetzung deutlich als einen „EG-Beitritt minus X – Prozent“ aus. Die angestrebte Homogenität dieses neuen Rechtsraumes soll insbesondere durch folgende Vorkehrungen erreicht werden: −− weitgehende Textgleichheit der zentralen materiell-rechtlichen Bestimmungen mit den parallelen Bestimmungen des EWG-Vertrages, −− Übernahme des Diskriminierungsverbotes des Art. 7 Abs. 1 EWG-Vertrag durch Art. 4 EWR-Abkommen (in Österreich Verfassungsbestimmung), −− Auslegung dieser Bestimmungen und der übernommenen Sekundärrechtsakte bei Durchführung und Anwendung des Abkommens „im Einklang mit den einschlägigen Entscheidungen […], die der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens erlassen hat“ (Art. 6 EWR-Abkommen; in Österreich Verfassungsbestimmung), −− Rechtsübernahmetechnik analog zum Art. 189 UAbs. 2 und 3 EWG-Vertrag (Art. 7 EWR-Abkommen). Ein Rechtsakt, der einer EG-Verordnung entspricht, ist demnach „als solcher“ in das innerstaatliche Recht zu übernehmen und wird „Teil des innerstaatlichen 178 EB, 1103. 179 EB, 1091.
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Rechts“ (lit. a; in Österreich Verfassungsbestimmung); ein Rechtsakt, der einer EG-Richtlinie entspricht, „überlässt den Behörden der Vertragsparteien die Wahl der Form und Mittel zu ihrer Durchführung“ (lit. b). Damit sind die wesentlichen statischen Elemente des Abkommens zur Erreichung der Homogenität im EWR umrissen. d) Rechtsfortbildung im EWR Erreichen und sichern lässt sich die angestrebte Homogenität im EWR und die damit verbundene Gleichberechtigung von EG- und EFTA-Bürgern und -Unternehmen jedoch aufgrund der raschen Rechtsentwicklung innerhalb der EG nur durch die dynamische Komponente des Abkommens. Schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des EWR-Abkommens bleibt dieses hinter der EG-Rechtsentwicklung zurück, da in den Anhängen zum Abkommen nur auf jene EWR-relevanten Rechtsakte des EG-Sekundärrechts verwiesen wird, die bis zum Stichtag 31. Juli 1991 im Amtsblatt der EG kundgemacht wurden.180 Die seither ergangenen sowie die nach Inkrafttreten ergehenden Rechtsakte sind durch Änderung der relevanten Anhänge des Abkommens laufend in den EWR einzubauen. Zu diesem Zweck und zur Änderung bestimmter taxativ aufgezählter Protokolle sieht Art. 98 EWR-Abkommen entsprechende Beschlussfassungsbefugnisse des zentralen EWR-Organs, des Gemeinsamen EWR-Ausschusses (GA), vor. Die Beschlüsse zur Änderung der Anhänge sind gem. Art. 102 Abs. 1 Satz 1 EWR-Abkommen zur „Gewährleistung der Rechtssicherheit und Homogenität des EWR […] so bald wie möglich nach Erlass der entsprechenden neuen Rechtsvorschriften durch die Gemeinschaft (zu fassen), damit diese Gemeinschaftsvorschriften und die Änderungen der Anhänge zu diesem Abkommen gleichzeitig angewendet werden können.“
Art. 103 Abs. 1 erlaubt hinsichtlich der Verbindlichkeit eines Beschlusses des GA die Abgabe des Vorbehalts der „Erfüllung verfassungsrechtlicher Anforderungen“. Dieser Vorbehalt erstreckt sich sowohl auf die Änderung von Anhängen als auf die Änderung von Protokollen. Lediglich die in Art. 103 Abs. 2, 2. Satz EWR-Abkommen geregelte Rechtsfolge der „vorläufigen Außerkraftsetzung“ bestimmter Abkommensteile bezieht sich infolge des Verweises auf Art. 102 Abs. 5 EWR-Abkommen nur auf die Nichtratifikation von Anhangsänderungen. Aus Sicht des österreichischen Verfassungsrechts verweist Art. 103 Abs. 1 EWR-Abkommen auf die einschlägigen Regelungen zum Abschluss von Staatsverträgen (Art. 50, 65 B-VG) bzw. zur Übertragung von Hoheitsrechten (Art. 9 Abs. 2 B-VG und besondere bundesverfassungsrechtliche Ermächtigungen) und schränkt insofern die durch Art. 98 EWR-Abkommen erfolgende Übertragung von Beschlussfassungsbefugnissen, mithin von „Hoheitsrechten“, auf den GA ein. Die Formulierung in Protokoll 35, die besagt, dass 180 EB, 1099.
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von keiner Vertragspartei verlangt wird, „einem Organ des EWR Gesetzgebungsbefugnisse zu übertragen“, ist dahin gehend einzuschränken, dass von keiner Vertragspartei verlangt wird, die in den nationalen Verfassungsvorschriften bestehenden Möglichkeiten der Übertragung von Hoheitsrechten für Zwecke des EWR-Abkommens zu erweitern.181 Aus dem Blickwinkel des österreichischen Verfassungsrechts ist nun zu prüfen, welche Beschlüsse des GA der Erfüllung verfassungsrechtlicher Anforderungen bedürfen: Hinsichtlich der Änderung von Anhängen und Protokollen, deren innerstaatliche Umsetzung in Österreich auf Verordnungsebene erfolgen kann, wurden dem GA zweifellos Beschlussfassungsbefugnisse ohne Genehmigungsvorbehalt übertragen. Hinsichtlich gesetzeskoordinierter Beschlüsse des GA sind zwei Varianten möglich: Ausgangspunkt für beide sind Art. 98 und Art. 103 Abs. 1 EWR-Abkommen, die in der RV nicht als verfassungsändernd bezeichnet sind. Daraus folgt, dass Änderungen der Anhänge und bestimmter Protokolle in Form von Beschlüssen des GA dann ohne Genehmigung des NR erfolgen können, wenn sie unter Art. 9 Abs. 2 B-VG subsumierbar sind. Die verfassungsrechtliche Grenzziehung steht und fällt dabei mit der Interpretation des Wortes „einzelne“ in Art. 9 Abs. 2 B-VG.182 Eine „weite“ Interpretation könnte zu dem Ergebnis kommen, dass sich jeder Beschluss des GA, isoliert betrachtet, stets nur auf jeweils „einzelne“ Hoheitsrechte bezieht und damit von Art. 9 Abs. 2 B-VG gedeckt ist, sofern er ausschließlich Hoheitsrechte des Bundes betrifft. Nach dieser Variante blieben nur Beschlüsse, welche Hoheitsrechte der Länder berühren, unter dem Genehmigungsvorbehalt des NR. Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass sich zweifellos auch eine große Rechtsbereiche umfassende Übertragung von Hoheitsrechten letztlich in jeweils „einzelne“ Übertragungen zerlegen lässt. Abgesehen davon, dass eine solche Interpretation das Wort „einzelne“ in der Bestimmung überflüssig erscheinen ließe, stellte sich die zusätzliche Frage, ob nicht Art. 9 Abs. 2 B-VG seinerseits eine „Gesamtänderung der Bundesverfassung“ im Sinne des Art. 44 Abs. 3 B-VG ist und daher einer Volksabstimmung hätte unterzogen werden müssen. Eine „enge“ Interpretation setzt demgegenüber damit an, dass bereits der durch Gesetz oder Staatsvertrag erfolgende Übertragungsakt dann die Grenze des Art. 9 Abs. 2 B-VG sprengt, wenn nicht nur „einzelne“ Hoheitsrechte, sondern gesamte Rechtsbereiche der Ingerenz eines nichtösterreichischen Organs ausgesetzt werden. Unter dieser Annahme ist hinsichtlich des EWR-Abkommens festzustellen, dass mit seiner Genehmigung durch den NR keine Hoheitsrechte nach Art. 9 Abs. 2 B-VG übertragen wurden und daher auch bei künftigen Rechtsänderungen, die eine Änderung eines Anhanges bedingen, Art. 9 Abs. 2 B-VG unanwendbar und eine Genehmigung des NR erforderlich ist. Dies bedeutet, dass jeder Beschluss zur Änderung der Anhänge zum EWR-Abkommen dann vorbehaltlich der Genehmigung durch den NR zu erfolgen hat, wenn die Umsetzung der damit bewirkten Übernahme einer neuen EG-Richtlinie durch Bundesgesetz erfolgen muss. Für die Über181 Offensichtlich weiter gehend Griller, in: ecolex (Anm. 56), 540. 182 Vgl. dazu oben unter 4.c).
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nahme von neuen EG-Verordnungen, die in Österreich als innerstaatliche Rechtsnormen auf Gesetzesstufe erlassen werden müssten, ist ebenso die Genehmigung des NR einzuholen. Sie dürfen jedoch in der Folge aufgrund der Anordnungen des – in Österreich in Verfassungsrang stehenden – Art. 7 lit. a EWR-Abkommen nicht durch innerstaatliche Gesetze oder Verordnungen durchgeführt werden, sondern sind „als solche“ unmittelbar anzuwenden. Der ausschlaggebende Zustimmungsakt verbleibt hinsichtlich dieser Rechtsakte somit beim NR. Folgt man der engen Auslegung des Art. 9 Abs. 2 B-VG, ergibt sich aus dieser besonderen Konstruktion der Rechtsfortbildung, dass Österreich im EWR hinsichtlich von Rechtsakten auf Gesetzesstufe ein doppeltes und hinsichtlich von Rechtsakten auf Verordnungsstufe ein einfaches Zustimmungs- bzw. Ablehnungsrecht zukommt: in jedem Fall kann der österreichische Vertreter im GA einen Beschluss verhindern (Art. 93 Abs. 2 EWR-Abkommen: „Einvernehmen“). Wird ein Beschluss gem. Art. 102 Abs. 1 EWR-Abkommen gefasst und wurde der Vorbehalt des Art. 103 Abs. 1 vor Beschlussfassung im GA mitgeteilt (wozu der österreichische Vertreter bei Vorliegen der Voraussetzungen verfassungsrechtlich verpflichtet ist), kann der NR die Genehmigung ablehnen. Art. 2 Abs. 1 des BVG, mit dem begleitende Regelungen zum EWR-Abkommen erlassen werden,183 sieht vor, dass in Durchführung des EWR-Abkommens ergangene gesetzändernde oder gesetzergänzende Beschlüsse des GA der Genehmigung des NR bedürfen. Er schreibt damit die „enge“ Interpretation verfassungsrechtlich fest und macht damit eine Auseinandersetzung mit der Tragweite des Art. 9 Abs. 2 B-VG im Zusammenhang mit der Rechtsfortbildung im EWR überflüssig. Die Rechtsfolge der Nichtratifikation und der (hier nicht näher behandelten) Mitteilung der Unmöglichkeit der vorläufigen Anwendung gem. Art. 103 Abs. 2 EWR-Abkommen sowie des Nichtzustandekommens eines Beschlusses des GA gem. Art. 102 Abs. 1 hat gem. Art. 103 Abs. 2 iVm Art. 102 Abs. 5 bzw. gem. Art. 102 Abs. 5 EWR-Abkommen nicht nur die Nichtänderung des betreffenden Anhangs zum EWR-Abkommen und die damit verbundene Verweigerung der Übernahme eines neuen EG-Rechtsaktes zur Folge, sondern darüber hinaus die „vorläufige Außerkraftsetzung“ der von den neuen Vorschriften berührten Teile eines Anhangs. Welche Teile des Anhangs als berührt gelten, ist vom GA gem. Art. 102 Abs. 1 nach Übermittlung des neuen Gemeinschaftsrechtsaktes zu beurteilen. Da diese vorläufige Außerkraftsetzung jeweils für alle EFTA-Staaten und nicht nur für den oder die ablehnenden Staaten eintritt, wird ein Ausscheren erheblichen politischen Gegendruck auslösen. Eine praktikable „Zwischenlösung“ könnte in diesem Konfliktfall darin bestehen, dass der NR die parlamentarische Behandlung des umstrittenen Rechtsaktes zunächst aufschiebt und eine Mitteilung der Unmöglichkeit einer vorläufigen Anwendung unterbleibt. Diesfalls würde der Beschluss gem. Art. 103 Abs. 2 „vorläufig angewendet“ und es könnte „getestet“ werden, ob die befürchtete unerwünschte Wirkung der betreffenden Rechtsübernahme tatsächlich eintritt. Entspricht der zu übernehmende Rechtsakt einer EG-Richtlinie, müsste er 183 EWR-BVG, BGBl. 1993/115.
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– trotz fehlenden Gesetzesbeschlusses des NR – innerstaatlich entsprechend umgesetzt werden. Es steht dem NR hier jedenfalls frei, ein entsprechendes Bundesgesetz als Akt „autonomen Nachvollzugs“ zu beschließen. Sollte sich herausstellen, dass die negative Folge tatsächlich eintritt, müsste dieses Bundesgesetz aufgehoben werden und die – aufgeschobene – Ablehnung der Genehmigung erfolgen. Diese ist gem. Art. 103 Abs. 2 dem GA mitzuteilen und löst die beschriebene Rechtsfolge der „vorläufigen Außerkraftsetzung“ aus. e) Rechtsfortbildung im EWR als „Gesamtänderung der Bundesverfassung“? Dieser An- bzw. Abkoppelungsmechanismus im EWR enthält aus juristischer Sicht Gegengewichte zur Rechtsfolge der „vorläufigen Außerkraftsetzung“, die die Regelung im Gesamtkonzept des EWR als gerechtfertigt und keinesfalls als „System eines rechtlich erzeugten Zustimmungsdrucks“184 erscheinen lassen. Dies aus folgenden Gründen: 1. Die Regelung entspricht der Logik des Vertrages: Das Abkommen räumt EG- und EFTA-Bürgern bzw. -Unternehmen auf Basis der Gegenseitigkeit gleiche Rechte und Pflichten in einem homogenen Wirtschaftsraum unter gleichen Wettbewerbsbedingungen sowie unter Einhaltung gleicher Regeln ein. Wird eine Regelung auf EFTA-Seite nicht übernommen, hätte dies zur Folge, dass diese Rechtsgleichheit beeinträchtigt wäre. Kompensatorisch dürfte demnach der betreffende Rechtsakt in den Mitgliedsstaaten der EG gegenüber EFTABürgern und -Unternehmen nicht angewendet werden. Dies würde, insbesondere bei gehäuftem Auftreten, zu einer kaum mehr administrierbaren „Zweiteilung“ der EG-Rechtsordnung in den EG-Mitgliedsstaaten führen. Als Alternativen stehen der EG daher nur die Möglichkeiten zur Verfügung, entweder das Ausscheren eines oder mehrerer EFTA-Staaten ohne „Gegensteuerung“ zu akzeptieren und damit ungleiche Wettbewerbsbedingungen zuzulassen oder aber – wie erfolgt – die „vorläufige Außerkraftsetzung“ des entsprechenden Abkommensteils in toto vorzusehen. Dies bewirkt einen Rückfall auf den Status vor Inkrafttreten des EWR-Abkommens.185 2. Die Regelung entspricht dem Vertragsziel der Homogenität: Vertragsziel ist die Herstellung eines homogenen Europäischen Wirtschaftsraumes (Art. 1) zunächst durch Übernahme des „EWR-relevanten Acquis communautaire“ („statische Basis“) und in der Folge durch die laufende Übernahme des neuen „Acquis“ („dynamisches Prinzip“) gem. den Regelungen des Beschlussfassungsverfahrens (Art. 97–104 EWR-Abkommen) und der Auslegung und Anwendung des EWR-Gemeinschaftsrechts (Homogenität, Art. 105–107; Überwachungsverfahren, Art. 108–110; Streitbeilegung, Art. 111). Die oben beschriebenen Varianten des folgenlosen Ausscherens eines oder mehrerer EFTA-Staaten oder der „gesplitteten“ Rechtsanwendung würde das Vertragsziel der Homogenität unterlaufen. 184 So Griller, in: ecolex (Anm. 56), 541. 185 Diesfalls leben gegebenenfalls die entsprechenden FHA-Bedingungen wieder auf. Bestehende Rechte und Pflichten von Privatpersonen und Marktteilnehmern bleiben gem. Art. 103 Abs. 6 EWR-Abkommen aufrecht.
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3. „Information“ und „Konsultation“ als Gegengewichte zum „Zustimmungsdruck“: Durch die informelle Einbindung und Beteiligung von EFTA-Staaten an der Ausarbeitung neuer Rechtsvorschriften (Art. 99–101 EWR-Abkommen) kommt es zu einer weitgehenden Heranführung der EFTA an den EG-internen Willensbildungsprozess. Zwar gibt es – als gravierendes Minus gegenüber der Beitrittsvariante – keine Mitentscheidungsrechte in der Vorbereitungs- und Beschlussphase, doch frühzeitige Informations- und Konsultationsrechte einschließlich der Möglichkeit der Berücksichtigung von EFTA-Interessen. Gegenüber dem Ist-Zustand des „autonomen Nachvollzugs“ von EG-Recht, der in vielen Fällen gar keine tatsächliche Gleichberechtigung bewirken kann,186 ist dies ein erheblicher Fortschritt und weist ein Verharren im „Vor-EWR-Zustand“ als die eigentliche „Satellisierung“ aus.187 Die fehlende, nur durch einen Beitritt zu bewirkende Möglichkeit der Mitentscheidung in den Organen der Europäischen Gemeinschaft kann durch diese Heranführung der EFTA-Staaten an den EG-Willensbildungsprozess nicht ersetzt werden. Wie viel Mitwirkung damit in der Praxis verbunden sein wird, kann gegenwärtig nicht abgeschätzt werden und hängt vor allem von außerrechtlichen Faktoren wie z. B. dem Willen und Vermögen der Sachverständigen von EFTA-Staaten ab, ihre Anliegen im Brüsseler Geflecht der Ausschüsse wirksam zu Gehör zu bringen. „Konsultation“ statt Mitentscheidung ist jedoch der vertretbare Preis, den die EFTA-Staaten für die mit dem EWR-Abkommen erreichte „kündbare Teilmitgliedschaft“ zu bezahlen haben: Aufgrund des reduzierten Zielkatalogs ist die politische Dimension der Gemeinschaft gänzlich und sind einige wirtschaftliche Integrationsbereiche wie die Landwirtschaft und die Wirtschafts- und Währungspolitik ganz oder teilweise ausgeklammert. Schließlich besteht – im Gegensatz zur EG-Mitgliedschaft188 – für jede Vertragspartei eine Kündigungsmöglichkeit (Art. 127 EWR-Abkommen). Diese Faktoren, die den EWR als eine „EG-light“-Version ausweisen, bilden weitere Gegengewichte zum „Zustimmungsdruck“. 4. Die Regelung wird als „Notbremse“ aller Voraussicht nach nur in ganz wenigen Fällen aktualisiert werden: angesichts des Vertragszieles der Homogenität, der seit Jahren gepflogenen Politik des „autonomen Nachvollzugs“ und der – in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzenden – Annäherung an den EG-Willensbildungsprozess ist zu erwarten, dass eine Aktualisierung der Genehmigungsverweigerung durch den NR und die daraus resultierende „vorläufige Außerkraftsetzung“ nur in den seltensten Fällen wirklich in Erwägung gezogen werden muss. Diese Vermutung wird auch durch eine Durchsicht der etwas mehr als hundert im Hinblick auf den EWR zu ändernden österreichischen Bundesgesetze bestätigt: in sehr vielen Fällen beschränkt sich der Änderungsbedarf auf die Abschaffung des Erfordernisses der österreichischen Staatsbürgerschaft; tief greifende „Systemwechsel“ sind selten. 186 Vgl. Wimmer/Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 259 f. 187 So auch Abg. Matthey in der EWR-Debatte des schweizerischen Nationalrats; vgl. NZZ, 26. 8. 1992, 29. 188 Die Gründungsverträge enthalten keine Kündigungsklausel. Allerdings ist eine Kündigung nach den allgemeinen Regeln des Völkervertragsrechts nicht ausgeschlossen.
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Zusammenfassend ergibt sich daraus folgendes Bild: Aus den genannten Gründen ist der im EWR bestehende Zustimmungsdruck zwar durch die Beschlussfassungskonstruktion rechtlich bedingt, bleibt jedoch als solcher im politisch-faktischen Bereich und führt zu keiner rechtlichen Bindung des NR. Übertragen werden Rechte der Vollziehung, nämlich die Aushandlung und der Abschluss von künftigen Änderungen der Anhänge des EWR-Abkommens. Diese Staatsvertragsverhandlungs- und -abschlussbefugnisse werden vom GA in Form von Beschlüssen wahrgenommen, die unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der „Erfüllung verfassungsrechtlicher Erfordernisse“ stehen. Dadurch bleiben die Genehmigungsbefugnisse des NR sowie das Einspruchs- bzw. Zustimmungsrecht des BR, also Rechte, die keine Gesetzgebungsbefugnisse im Sinn der österreichischen Bundesverfassung, sondern Befugnisse zur Mitwirkung der Gesetzgebung an Akten der Vollziehung sind,189 aufrecht. Damit erfolgt durch das EWR-Abkommen also weder ein wesentlicher Eingriff in das demokratische noch ein solcher in das gewaltenteilende Prinzip. Auch die Berührung des bundesstaatlichen Prinzips ist meines Erachtens nicht so tief greifend, dass sie in die Nähe der Gesamtänderungsfrage rückt und wird darüber hinaus durch die B-VG-Novelle, BGBl. 1992/276, und die Bundes-Länder-Vereinbarung gem. Art. 15 a B-VG über Mitwirkungsrechte der Länder (und Gemeinden) kompensiert.190 Das rechtsstaatliche Prinzip könnte dadurch berührt sein, dass unmittelbar anwendbare EWR-Rechtsakte – also übernommene EG-Verordnungen – nicht in dem von Art. 18 B-VG geforderten Maß determiniert sind. Eine Durchsicht dieser Rechtsakte ergibt zwar, dass diese strenge Bindung nicht durchwegs gewährleistet ist. Gleichwohl liegt regelmäßig eine dem differenzierten Verständnis des Legalitätsprinzips gleichzuhaltende „gelockerte“ Bindung, wie sie in Österreich insbesondere im Planungs- und im Wirtschaftsverwaltungsrecht zum Ausdruck kommt,191 vor. Daraus folgt, dass keines der Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung vom Rechtsfortbildungsmechanismus des EWR als dessen „institutionellem Herz“ wesentlich berührt wird. Daneben wäre noch eingehend zu prüfen, ob dies auch hinsichtlich der Verwaltungs- und Gerichtsbefugnisse im EWR zutrifft. Die das Vorliegen einer Gesamtänderung verneinenden Argumente in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage sind meines Erachtens stichhaltig.192 Eine obligatorische Volksabstimmung gem. Art. 44 Abs. 3 B-VG ist daher nicht erforderlich. Dieser „formalen“ Sicht wird entgegengehalten, dass bei einer „materiellen“ Betrachtungsweise durch den gegebenen „Zustimmungsdruck“ die Befugnisse des Parlaments so weitgehend beschnitten werden, dass dem EWR gesamtändernder Charakter zukommt.193 189 Vgl. oben unter Punkt 2. 190 Vgl. dazu unten Pkt. 6.a). 191 Vgl. Adamovich/Funk, Verfassungsrecht (Anm. 52), 241 f., und Walter/Mayer, Grundriss (Anm. 41), RZ 570 ff. 192 EB, 1105 ff., aA Griller, in: ecolex (Anm. 56), 543 f. 193 So Griller, in: ecolex (Anm. 56), 542 f., und Rudolf Zitta, Muss es über den EWR-Vertrag eine Volksabstimmung geben?, in: Salzburger Nachrichten, 14. 11. 1992, 3.
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Dem ist jedoch zu erwidern, dass eine materielle Argumentation auch den gegenwärtig betriebenen „autonomen Nachvollzug“ mitzuberücksichtigen hätte. Gegenüber diesem Ist-Zustand, bei dem sich das österreichische Parlament vielfach darauf beschränkt, EGRichtlinien „abzuschreiben“,194 die Bundesministerien aufgrund eines Rundschreibens des koordinierungsbefugten195 Bundeskanzleramtes bei Abfassung von Regierungsvorlagen zu EG-Konformität aufgefordert werden und je nach Interessenlage organisierte Interessen aus dem Kreis der Sozialpartnerschaft entsprechenden politischen Druck ausüben, wird sogar einiges gewonnen: −− Gleichstellung und Marktzugang im gesamten EWR-Raum in allen Bereichen, in welchen der „autonome Nachvollzug“ zu kurz greift, insbesondere im Dienstleistungs- und Niederlassungsrecht, sowie −− Annäherung an den Willensbildungsprozess in der Gemeinschaft, was gegenüber dem Ist-Zustand einen frühzeitigen und intensiven Informations- und Konsultationsmechanismus für Regierungen, Verwaltungen, Parlamente und Sozialpartner bewirkt bzw. bei entsprechenden innerstaatlichen Vorkehrungen bewirken könnte. Dem zusätzlichen Zustimmungsdruck durch den EWR-Beschlussfassungsmechanismus stehen also Gegenleistungen entgegen, die ihn mehr als kompensieren. Daher ist auch bei einer materiellen Prüfung der Gesamtänderungsfrage davon auszugehen, dass durch den Rechtsfortbildungsmechanismus im EWR-Abkommen nicht „wesentlich“ in die Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung eingegriffen wird und daher keine Volksabstimmung erforderlich ist.
6. Innerstaatliche Vorkehrungen für den EWR Mit dem Abschluss des EWR-Abkommens und dem Inkrafttreten flankierender bundesverfassungsgesetzlicher Regelungen wird das bestehende System der Erzeugung, Kundmachung und Kontrolle generell-abstrakter Rechtsnormen um „Rechtsakte im Rahmen der europäischen Integration“ ergänzt. Im Mittelpunkt dieser Änderungen steht das „Bundesverfassungsgesetz, mit dem begleitende Regelungen zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum erlassen werden“ (EWR-BVG).196 Der ursprüngliche Entwurf vom 30. Juni
194 Vgl. exemplarisch die Richtlinie 85/73/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der EG-Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. 1985 L 210/29, und das österreichische ProdukthaftungsG, BGBl. 1988/99. 195 Vgl. Wimmer/Mederer, EG-Recht (Anm. 13), 21 ff. 196 BGBl. 1993/115; tritt gem. seinem Art. 7 Abs. 1 zugleich mit dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens in Kraft.
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1992197 sah eine B-VG-Novelle und nicht ein neben dem B-VG stehendes eigenes Bundesverfassungsgesetz vor und hatte verfassungsrechtliche Vorkehrungen sowohl für den Fall der EWR-Teilnahme als auch für den Fall einer EG-Mitgliedschaft vorgeschlagen. Die heftige politische198 und rechtswissenschaftliche199 Kritik an diesem Entwurf führte zur Beschränkung auf die für die EWR-Teilnahme erforderlichen Verfassungsänderungen. Auch wurde auf einen Einbau dieser Bestimmungen in das B-VG unter Hinweis auf den interimistischen Charakter des EWR verzichtet und einem separaten BVG der Vorzug gegeben.200 Inhaltlich regelt das EWR-BVG −− die zukünftige Mitwirkung von NR und BR an der Fortentwicklung von EWR-Sekundärrecht (Art. 1 und 2 EWR-BVG bzw. Art. 50 a – c B-VG-Entwurf), −− den Einbau integrationsspezifischer Rechtsakte (EG/EWR-Verordnungen bzw. Richtlinien) in das österreichische Rechtsquellensystem (Art. 3 EWR-BVG bzw. Art. 18 Abs. 1 und 2 B-VG-Entwurf), −− Fragen der Kundmachung von EWR-Recht (Art. 4 EWR-BVG bzw. Art. 49 Abs. 2 und 4 B-VG-Entwurf), −− dynamische Verweisungen des EWR-Abkommens auf technische Normen (Artikel 5 EWR-BVG bzw. Art. 18 Abs. 1 letzter Satz des B-VG-Entwurfs) sowie −− die Möglichkeit der Einholung von Gutachten des EFTA-Gerichtshofes durch innerstaatliche Gerichte und unabhängige Verwaltungsbehörden (Art. 6 EWR-BVG bzw. Art. 89 a B-VG-Entwurf). Darüber hinaus sind die B-VG-Novelle BGBl. 1992/276 hinsichtlich der Einbindung der Länder und Gemeinden, die diesbezügliche Bund-Länder-Vereinbarung nach Art. 15a B-VG201 sowie die einschlägigen Bestimmungen des EWR-Abkommens und der Zusatzübereinkommen202 von Bedeutung. Im Rahmen dieser Abhandlung sollen nur die im Zusammenhang mit der Rechtssetzung im EWR relevanten Regelungen des EWR-BVG untersucht werden.
197 GZ. 671.800/20-V/8/92, Betreff: Europäische Integration/EWR: Verfassungsfragen; flankierende bundesverfassungsgesetzliche Regelungen zum EWR-Abkommen; in der Folge als „Entwurf“ bezeichnet. 198 Vgl. z. B. den Initiativantrag 428/A (und dazu den Bericht des Verfassungsausschusses, 898 Blg NR, 18. GP). 199 Vgl. nur Wolfgang Mederer, Dreischritt mit schweren Verschiebungsfolgen, in: Der Standard, 23. 9. 1992, 23. 200 Vgl. EB zur RV, 741 Blg NR, Pkt. 2.2. des Allgemeinen Teiles. 201 RV, 428 BlgNR, 18. GP. 202 Vgl. das Abkommen zwischen den EFTA-Staaten zur Errichtung einer Überwachungsbehörde und eines Gerichtshofes, RV: 583 BlgNR, 18. GP und das Abkommen betreffend einen Ständigen Ausschuss der EFTAStaaten, RV: 584 BlgNR, 18. GP.
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a) Information von Nationalrat und Bundesrat Zur Information der Organe der Bundesgesetzgebung sowie zu deren darauffolgender Äußerungsmöglichkeit trifft Artikel 1 EWR-BVG folgende, bereits im Entwurf (Artikel 50a B-VG) vorgesehene Regelung: „(1) Hat der Rat der Europäischen Gemeinschaften in einem vom Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum erfassten Sachgebiet einen gemeinsamen Standpunkt festgelegt, so hat die Bundesregierung diesen Entwurf dem Nationalrat und dem Bundesrat zuzuleiten. Dem Entwurf ist ein Hinweis auf die im Rahmen des EWR-Abkommens voraussichtlich erforderliche Regelung beizufügen. (2) Handelt es sich um eine Regelung, die die Änderung eines Bundesgesetzes erfordern würde, so kann der Nationalrat oder der Bundesrat seine Zustimmung oder Ablehnung in Form einer Entschließung kundtun.“
Dazu ist anzumerken, dass das Vorliegen eines gemeinsamen Standpunktes des Rates erstens nur die nach dem Verfahren der Zusammenarbeit zu verabschiedenden EG-Rechtsakte erfasst und zweitens ein sehr später Zeitpunkt ist. Ein „gemeinsamer Standpunkt“ wird gem. Art. 149 Abs. 2 lit. a) EWG-Vertrag „auf Vorschlag der Kommission und nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments“ festgelegt. Auch die Stellungnahme des WSA liegt zu diesem Zeitpunkt bereits vor. Damit sind die maßgeblichen Willensbildungsschritte in den EG-Organen bereits abgeschlossen. EWRseitig findet die relevante Einbeziehung von Sachverständigen der EFTA-Staaten gem. Art. 99 EWR-Abkommen in der Phase der Ausarbeitung eines Kommissionsvorschlages statt. Damit bleibt dem NR tatsächlich nur mehr die Möglichkeit, gem. Abs. 2 des Entwurfs seine „Zustimmung oder Ablehnung“ kundzutun. Demgegenüber ist den Erläuterungen zum Entwurf zu entnehmen, dass die vorgeschlagene Regelung den Organen der Bundesgesetzgebung „bereits in der Phase der durch das EWR-Abkommen vorgesehenen Mitwirkung der EFTA-Staaten an der Fortentwicklung EWR-relevanten Gemeinschaftsrechts (siehe insbesondere Art. 99 ff. des Hauptteils des EWR-Abkommens) Informations- und Stellungnahmerechte“ eingeräumt werden sollen. Zumindest aus demokratiepolitischen, aber auch aus verfassungsrechtlichen Gründen wäre ein früherer Zeitpunkt wünschenswert gewesen, da das EWR-Abkommen ohne eine frühe Einbindung der Legislative gewichtige faktische Verschiebungen zugunsten der Exekutive bewirkt. Für einen früheren Zeitpunkt ergeben sich aus dem EWR-Abkommen zwei Anknüpfungspunkte: Sobald die EG-Kommission gem. Art. 99 Abs. 1 EWR-Abkommen den „informellen Rat von Sachverständigen der EFTA-Staaten“ zur Ausarbeitung neuer Rechtsvorschriften einholt, wird sie diese hierzu entsprechend einladen. Werden NR und BR unmittelbar nach dieser Einladung informiert, haben sie die Möglichkeit, gem. Art. 52 B-VG
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mittels einer Entschließung ihren „Wünschen über die Ausübung der Vollziehung“ Ausdruck zu geben. Zu diesem Zeitpunkt liegt zwar noch kein ausformulierter Vorschlag vor, doch bestehen hinreichend klare Vorstellungen über die grundsätzliche Stoßrichtung des Vorhabens. Liegt schließlich ein Vorschlag vor, ist dieser gem. Art. 99 Abs. 2 EWR-Abkommen von der EG-Kommission den EFTA-Staaten zu übermitteln. Dieser Vorschlag könnte abermals unverzüglich dem NR übermittelt werden, der sich wieder mit einer Entschließung gem. Art. 52 B-VG äußern könnte. Die Einführung eines EWR-spezifischen und darüber hinaus auf Ablehnung oder Zustimmung beschränkten Entschließungsrechts nach Art. 1 Abs. 2 EWR-BVG (bzw. Art. 50 a Abs. 2 des Entwurfs) ist nicht nur überflüssig, sondern beschränkt als Lex specialis für EWR-Rechtsakte im Verhältnis zu Art. 52 B-VG das Entschließungsrecht des NR in Bezug auf diese sogar erheblich. Mit dieser Regelung bleiben die Informationsverpflichtungen der BReg gegenüber dem NR und dem BR weit hinter jenen zurück, die den Ländern und Gemeinden mit der B-VGNovelle, BGBl. 1992/276203 und der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gem. Art. 15 a B-VG über die Mitwirkungsrechte der Länder und Gemeinden in Angelegenheiten der europäischen Integration204 eingeräumt werden.205 Nach diesen Vorschriften hat der Bund die Länder unverzüglich über alle Vorhaben internationaler Organe206 im Rahmen der europäischen Integration, die den selbstständigen Wirkungsbereich der Länder „berühren oder sonst für sie von Interesse sein könnten“, im Wege der Verbindungsstelle der Bundesländer207 zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Art. 10 Abs. 4, 1. Satz B-VG). Gleiches gilt für die Gemeinden, deren Vertretung in diesen Angelegenheiten dem Österreichischen Städtebund und dem Österreichischen Gemeindebund obliegt (Art. 10 Abs. 4, 3. Satz B-VG). Hinsichtlich der Länder bindet eine fristgerecht vorliegende Stellungnahme in Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung Landessache ist, den Bund bei zwischenstaatlichen Verhandlungen und Abstimmungen, wobei Abweichungen nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen zulässig sind.208 Eine derart weit gehende Bindung der Verwaltung an Vorgaben der Gesetzgebungsorgane ist zwar verfassungsrechtlich nicht erforderlich,209 doch wäre damit eine klare Aufwertung des Parlaments im EWR-Rechtssetzungsverfahren ohne Beeinträchtigung der österreichischen Integrationsfähigkeit verbunden. 203 Art. 10 Abs. 4–6 B-VG. 204 RV, 428 BlgNR, 18. GP. 205 Sie missachtet damit auch die Entschließung des BR vom 21. 5. 1992, E–131-BR/92, mit der dieser die BReg auffordert, dem BR „zumindest alle jene Informationen über wichtige integrationspolitische Schritte zu übermitteln, zu denen sie sich gegenüber den Ländern […] verpflichtet“. 206 Vgl. die EB zur RV, 372 BlgNR, 18. GP., 7. 207 Art. 1 Abs. 1 der 15a-Vereinbarung; 428 BlgNR, 18. GP. 208 Art. 10 Abs. 5 B-VG und Art. 6 Abs. 1 der RV zur 15a-Vereinbarung. 209 So ausdrücklich auch die EB zum Entwurf, 9.
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b) Das besondere Genehmigungsverfahren für EWR-Rechtsakte Im Hinblick auf das in Art. 50 b B-VG des Entwurfs vorgesehene besondere Genehmigungsverfahren wäre diese Stärkung des Parlaments im „Vorfeld“ eines Beschlusses des gemeinsamen EWR-Ausschusses allerdings nicht nur rechtspolitisch, sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen wünschenswert gewesen. Art. 50 b Abs. 1 B-VG in der Fassung des Entwurfs sah nämlich vor, dass der Bundeskanzler einen Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses zur Änderung der Anhänge des EWR-Abkommens dem Hauptausschuss des NR und nicht diesem selbst zur Genehmigung vorzulegen hat. Der Hauptausschuss kann den Beschluss entweder selbst genehmigen oder seine Genehmigung dem NR vorbehalten. Die Genehmigung ist dem Plenum des NR gem. Abs. 2 nur dann vorbehalten, wenn der Beschluss entweder verfassungsändernd oder -ergänzend ist oder wenn dies der NR in Fällen, in denen der Beschluss des GA vom Inhalt der vorangegangenen Entschließung gem. Art. 50a Abs. 2 B-VG abweicht, beschließt. Zwar wäre die Übertragung der Genehmigung von Beschlüssen des Gemeinsamen EWRAusschusses auf den Hauptausschuss grundsätzlich systemkonform: Der Hauptausschuss ist ein Organ des NR, „durch welches dieser an der Vollziehung des Bundes mitwirkt“.210 Die Genehmigung von Staatsverträgen nach Art. 50 B-VG und die dieser nachgebildeten Genehmigung von Beschlüssen des Gemeinsamen EWR-Ausschusses ist „Mitwirkung an der Vollziehung“ und nicht Gesetzgebung.211 Dennoch ließe sich im Hinblick auf die Nähe dieser Genehmigungsbeschlüsse zu Gesetzgebungsakten eine so weit reichende Konzentration auf den Hauptausschuss nur unter der Voraussetzung rechtfertigen, dass dem NR kompensatorisch eine nach dem unter a) beschriebenen Muster erhöhte Mitwirkungsbefugnis zukommt. Dazu müsste der NR ein drittes Mal informiert werden: er muss vom Beschluss des GA zur Änderung eines Anhangs in Kenntnis gesetzt werden. Das hier vorgeschlagene Genehmigungsverfahren wäre jedoch nicht nur parlaments-, sondern auch integrationsfeindlich gewesen: es sah erstens vor, dass ausnahmslos jeder Beschluss des GA mit österreichischem Genehmigungsvorbehalt gem. Art. 103 Abs. 1 EWR-Abkommen zu erfolgen hat. Dies wurde nunmehr mit Art. 2 Abs. 1 EWR-BVG dahin gehend geändert, dass nur gesetzändernde und gesetzergänzende Beschlüsse des GA der Genehmigung des NR bedürfen und damit Änderungen von Anhängen, die für sich allein genommen als Regierungs-, Verwaltungs- oder Ressortübereinkommen geschlossen werden könnten, ohne Genehmigung und somit ohne Genehmigungsvorbehalt beschlossen werden können. Art. 2 EWR-BVG behält zudem die Genehmigung verfassungsändernder und -ergänzender Beschlüsse des GA ausnahmslos sowie gesetzändernder und -ergänzender Beschlüsse grundsätzlich dem NR vor. Für Letztere räumt Art. 2 Abs. 2, 2. Satz EWR-BVG gleichwohl die Möglichkeit ein, in der Geschäftsordnung des NR entsprechende Beschluss210 Walter/Mayer, Grundriss (Anm. 41), RZ 446; zu seinen Aufgaben vgl. die Zusammenstellung in RZ 510. 211 Vgl. oben unter Punkt 2.
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befugnisse des Hauptausschusses vorzusehen. Abs. 3 eröffnet auch dem BR die Übertragung dieser Befugnisse auf einen hierfür bestimmten Ausschuss. c) Die innerstaatliche Umsetzung von Richtlinien Gänzlich über das Ziel hinaus schoss schließlich die Erweiterung der Verordnungsgebungsbefugnisse in der geplanten Neufassung des Art. 18 Abs. 2 B-VG durch den Entwurf. Dieser lautet: „Jede Verwaltungsbehörde kann auf Grund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen. Ferner können mit Verordnung der jeweils zuständigen obersten Organe der Verwaltung des Bundes oder der Länder nicht unmittelbar anwendbare Rechtsakte im Rahmen der europäischen Integration näher durchgeführt werden, sofern sie inhaltlich hinreichend bestimmt sind.“
Eine Gesamtschau des Entwurfs in Bezug auf das Rechtssetzungsverfahren für EWRRechtsakte zeigt, dass damit die innerstaatliche Umsetzung am Plenum des NR vorbei durch gesetzesvertretende Verordnungen hätte erfolgen können: an die Stelle einer Bundes- oder Landesgesetzesnovelle wäre diesfalls ein Genehmigungsbeschluss des Hauptausschusses des NR und die in Art. 50 c vorgesehene Befassung des BR sowie als Umsetzungsakt eine Verordnung der zuständigen Verwaltungsorgane des Bundes und der Länder getreten. Die entscheidende Änderung in der nunmehr beschlossenen Fassung des Art. 3 EWR-BVG gegenüber dem Entwurf besteht darin, dass die Entscheidung, ob eine Richtlinie durch Verordnung umgesetzt wird, anlässlich der Genehmigung eines Beschlusses des GA vom NR oder gegebenenfalls vom Hauptausschuss des NR beschlossen wird. In Angelegenheiten der Landesgesetzgebung obliegt dieser Beschluss den Landtagen. Damit steht fest, dass die abschließende Entscheidung, ob eine Richtlinie inhaltlich hinreichend bestimmt ist und ob sie durch Verordnung umgesetzt werden kann, dem zuständigen Gesetzgebungsorgan zukommt.212 Allerdings ist zu bedenken, dass sich das zuständige Gesetzgebungsorgan im Fall einer solchen Entscheidung der Möglichkeit begibt, die in Richtlinien stets vorhandenen Umsetzungsspielräume eigenständig auszunützen. Abgesehen von dieser nicht durch das EWR-Abkommen, sondern durch ein innerstaatliches Verfassungsgesetz bedingten Verlagerung von Akten der Gesetzgebung auf die Verwaltung ist mit dieser Novelle geradezu systematisch ein unübersehbares Chaos im innerstaatlichen Rechtsquellensystem angelegt: Änderungen von Bundes- und Landesgesetzen können auf dieser Grundlage in großem Maße durch Verordnungen erfolgen, zumal EG-Richtlinien fast durchwegs die geforderte Eigenschaft der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit tragen. Sollte eine spätere Änderung einer EG-Richtlinie hingegen einmal nicht hinreichend bestimmt sein, hat im Zuge der in212 So auch die EB zur RV 741 Blg NR, 18. GP, zu Art. 3, Z. 4.
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nerstaatlichen Rechtsanpassung ein Gesetz die bestehende gesetzändernde Durchführungsverordnung zu ändern. Zwar wurden einige der umstrittenen Elemente des Entwurfs im EWR-BVG schließlich nicht oder nur in abgeschwächter Form aufgenommen, doch bleibt dieses BVG im begründeten Verdacht, den Tatbestand einer Gesamtänderung der Bundesverfassung im Sinn von Art. 44 Abs. 3 B-VG zu erfüllen: erst durch das EWR-BVG und nicht durch Bestimmungen des EWR-Abkommens werden weitreichende Verschiebungen von Gesetzgebungsbefugnissen im gesamten Bereich des Wirtschaftsrechts vom Parlament auf die Verwaltung vorgenommen. Unter wesentlicher Veränderung des demokratischen und des gewaltenteilenden Prinzips der österreichischen Bundesverfassung wird mit dieser Regelungskette der verspäteten Information (Art. 50 a B-VG), der reduzierten Genehmigungsfunktion (Art. 50 b B-VG) und der beseitigten Gesetzgebungsfunktion (Art. 18 Abs. 2, 2. Satz B-VG) des Parlaments eine von der Verfassung ansonsten nur für Notzeiten vorgesehene und darüber hinaus befristete Regierungsgesetzgebung eingeführt.
7. Ausblick Österreich hat sich der zunehmenden internationalen Vernetzung der letzten Jahrzehnte in Politik und Wirtschaft durch die Teilnahme an wesentlichen Einrichtungen der europäischen Integration gestellt. Die – in diesem Beitrag nicht behandelte – Neutralität hat die eindeutige westeuropäische Orientierung des Landes zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt, sondern war infolge ihrer politischen, nicht aber rechtlichen Verbindung mit der Wiederherstellung der vollen Souveränität einer – ungeteilten – Republik im Jahr 1955 geradezu eine Voraussetzung für eine über vier Jahrzehnte betriebene Integrationspolitik im Rahmen von Europarat und EFTA sowie der FHA mit der EWG und der EGK. Mit dem EWR-Abkommen erreicht die EFTA im Bereich der wirtschaftlichen Integration das 1960 gesteckte Ziel einer großen westeuropäischen Freihandelszone und erweitert diese noch um die „modernen“ Aspekte der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Damit wird – als mögliche Vorstufe zu einem EG-Beitritt – institutionell vollzogen, was faktisch seit Langem Realität ist: Entscheidungen lassen sich in zunehmendem Maße nicht mehr isoliert auf nationalstaatlicher Ebene treffen, sondern erfordern eine übernationale Bühne, um auf die Probleme der Gegenwart adäquat reagieren zu können. Die klassische, aus dem 19. Jahrhundert stammende Vorstellung des „Monopols“ staatlicher Gesetzgebung auf der Grundlage einer (national-)staatlichen Verfassung ist damit überholt. Der fundamentale Satz des Art. 1 der österreichischen Bundesverfassung – „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“ ist damit in zweifacher Hinsicht eine Fiktion: Hans R. Klecatsky hat daran erinnert, dass sich bereits Hans Kelsen bei der Redaktion der Bundesverfassung gegen diese Fassung ausgesprochen hatte213 und im ersten B-VG-Kommentar festhielt, dass das 213 Hans R. Klecatsky, Geht das Recht der Republik Österreich vom Volk aus?, in: JBl 1976, 512–514, hier 512.
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„Recht nach den Bestimmungen der Verfassung grundsätzlich nicht unmittelbar durch das Volk gesetzt wird, sondern durch den Nationalrat und die Landtage“.214
Angesichts des hohen Grades internationaler Verflechtung ist der Normgehalt des Art. 1 B-VG noch in einer zweiten Hinsicht eine Fiktion: dem NR – und in abgeschwächter Form auch den Landtagen – verbleibt zwar formal das Beschlussrecht, doch wird der materielle Gehalt der beschlossenen Regelungen außerhalb Österreichs festgelegt. Aufgrund seiner hohen außenwirtschaftlichen Verflechtung mit der EG wird Österreich auch in Zukunft entweder „autonom“ nachvollziehen oder – bei Annäherung an die EG-interne Willensbildung – einen EG-Rechtsakt als EWR-Rechtsakt übernehmen. In beiden Fällen hat Österreich kein Mitentscheidungsrecht. Daraus ist zu schließen, dass die österreichische Eigenständigkeit und Souveränität im Fall des Nichtbeitritts zur EG zwar formal, aber eben nur fiktiv gewahrt ist, wobei der EWR eine erhebliche Besserstellung gegenüber dem Status quo bedeutet. Der Beitritt bringt demgegenüber zwar formale Bindungen, materiell aber eine Stärkung der österreichischen Position in Europa, da nur er das Recht sichert, in allen Phasen der Entstehung eines neuen EG-Rechtsaktes mitentscheiden und diesen damit bis zu einem gewissen Grad mitgestalten zu können. Dies würde zwar die doppelte Fiktion des Art. 1 B-VG nicht beseitigen, da auch nach einem EG-Beitritt das Recht nicht vom Volk und auch nicht (ausschließlich) vom NR und den Landtagen ausgeht, aber doch immerhin von internationalen Organen unter Mitwirkung österreichischer Organwalter: „So gesehen, würde ein Beitritt Österreichs zur EWG, der ihm das Recht zur Mitwirkung an deren Beschlüssen gäbe, dessen Souveränität verstärken.“215 Ob der EWR demgegenüber ein bloßer Zwischenschritt ist oder womöglich eine längerfristige Alternative darstellt, lässt sich aus gegenwärtiger Sicht noch nicht beurteilen.
214 Kelsen/Fröhlich/Merkl, Bundesverfassung (Anm. 11), 65 f. 215 Ignaz Seidl-Hohenveldern, Österreichs Souveränität und die Europäische Gemeinschaft, in: Der Rechtsstaat in der Krise. Festschrift. Edwin Loebenstein zum 80. Geburtstag, hrsg. v. Ludwig Adamovich und Alfred Kobzina, Wien 1991, 155–164, hier 164.
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Wirtschaft und Politik Die Bundesrepublik Deutschland, Österreich und die Westintegration 1945–1961
I. Einführung Den Schwerpunkt dieses Beitrages bildet die Frage nach der außenwirtschaftlichen Westintegration Österreichs in der Zeit vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zu den beginnenden 60er-Jahren; dabei geht es vor allem um die Frage nach der Bedeutung der Außenhandelsbeziehungen zur Bundesrepublik für diese Integration. Für den genannten Zeitraum kann man zwei außenpolitische Phasen ausmachen: Die 1. Phase vom Ende des Krieges bis zur Erlangung der vollen staatlichen Souveränität durch den Staatsvertrag im Jahr 1955. Die zweite Phase, die bis Ende der 60er-Jahre reichte, kann als Integrations- und Emanzipationsphase der österreichischen Außenpolitik charakterisiert werden.1 In der ersten Phase ging es neben der Lösung des Südtirolproblems vor allem um die Herstellung der staatlichen Unabhängigkeit,2 während in den 60er-Jahren (neben Südtirol) die Entwicklung des Verhältnisses zu der 1957 in Rom gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Vordergrund der österreichischen Außenpolitik stand. In der ersten Phase unternahm Österreich bereits wichtige Schritte zur Multilateralisierung seines Außenhandels. Dabei waren die Schritte der österreichischen Integrationspolitik von zwei Maximen geleitet: zum einen von der Absicht, sich am westeuropäischen Wiederaufbau zu beteiligen, zum anderen aber gleichzeitig die spezifische österreichische Interessenlage, den Abschluss eines Staatsvertrags, nicht zu gefährden. Der erste Schritt zur Einbindung in die Weltwirtschaft erfolgte, noch vor der Wiederherstellung der vollen Souveränität, durch die Beteiligung am Marshallplan und die Teilnahme an der Gründung der OEEC.3 Von Bedeutung waren ebenfalls Österreichs Beitritt zum IWF und zur Weltbank (1948) sowie zum GATT (1951). 1 Vgl. Helmut Kramer, Strukturentwicklung der Außenpolitik (1945–1990), in: Herbert Dachs, Peter Gerlich u. a. (Hrsg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs, Wien 21992, 658–657, hier 637. 2 Zum Staatsvertrag: Gerald Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945–1955. Österreichs Weg zur Neutralität, Graz/Wien/Köln 1975, 31985; zum Südtirolproblem: Rolf Steininger, Los von Rom? Die Südtirolfrage 1945/46 und das Gruber-De Gasperi-Abkommen (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 2), Innsbruck 1987; Reinhard Meier-Walser, Die Außenpolitik der monocoloren Regierung Klaus in Österreich 1966– 1970, Wien/München 1988; vgl. auch den Beitrag von Weiß in diesem Band. 3 Vgl. Wilfried Mähr, Der Marshallplan in Österreich, Graz/Wien/Köln 1989.
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Vor größere Probleme sah sich Österreich durch die Bildung der EGKS im Sommer 1951 gestellt, umfasste die Sechsergemeinschaft doch zwei Produktionsbereiche, in denen eine hohe österreichische Außenhandelsabhängigkeit bestand, zum anderen waren Österreichs wichtigste Handelspartner Mitglied der EGKS. Österreich bemühte sich daher ab 1953 in Verhandlungen, die nicht mit Drittstaaten abgestimmt waren, bei der EGKS Zollsenkungen für österreichische Exporte durchzusetzen. Der österreichische Alleingang scheiterte im Juli 1954. Nach dem Abschluss des Staatsvertrages konnte Österreich dagegen im Mai 1956 einen Zolltarifvertrag mit der EGKS abschließen. Der Vorstoß der Regierung vom Oktober 1956 in Richtung einer Mitgliedschaft in der EGKS wurde dagegen nicht weiterverfolgt; wohl vor dem Hintergrund der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands durch sowjetische Truppen, die die österreichische Regierung in ihrer Neutralitätspolitik eine vorsichtigere Gangart einlegen ließ.4 Als die Gründung der EWG im Frühjahr 1957 auf der politischen Tagesordnung stand, setzte sich Wien zunächst für die Schaffung einer Großen Freihandelszone ein, mit der die wirtschaftliche Aufspaltung Westeuropas verhindert werden sollte. Das Scheitern dieses Planes wurde von der bundesdeutschen wie von der österreichischen Regierung gleichermaßen als nachteilig empfunden.5 Mit der Gründung der EWG geriet Österreich in ein neutralitätsrechtliches und politisches Dilemma.6 In der Logik der Außenhandelszahlen hätte ein Beitritt Österreichs zur EWG gelegen, die sich im Frühjahr 1957 mit den Römischen Verträgen konstituierte. Dennoch entschloss sich die österreichische Regierung aus neutralitätspolitischen Gründen, der EWG nicht beizutreten. Die Entscheidung gegen den EWG-Beitritt war innenpolitisch heftig umstritten.7 Zu jener Zeit war das neutralitätspolitische Profil des Landes wohl auch noch zu wenig gefestigt. Statt dessen trat Österreich der EFTA bei, die Anfang 1960 auf Anregung Großbritanniens gegründet worden war, als die Verhandlungen zur Gründung einer großen europäischen Freihandelszone gescheitert waren. So gesehen, kann der Beitritt Österreichs zur EFTA in erster Linie als politische Demonstration betrachtet werden, die deutlich machen sollte, dass sich Österreich zu Westeuropa zählte und die Option für eine spätere weiter gehende wirtschaftliche Integration offenhalten sollte. Allerdings gab es auch Bedenken, besonders in Wirtschaftskreisen, die sich gegen eine unkontrollierte Öffnung Österreichs zur EWG aussprachen, da sie für die positive Entwicklung der heimischen Wirtschaft einen ausgedehnten Schutz noch für notwendig ansahen. Diese Position wurde außer von den Gewerkschaften vor allem von der Bundeswirtschaftskammer eingenommen, 4 Vgl. Paul Luif, Außenwirtschaftspolitik, in: Handbuch, 674–689, hier: 682 f. 5 Vgl. Alfred Ableitinger, Österreichisch-deutsche Nachkriegsbeziehungen, in: Robert A. Kann/Friedrich E. Prinz (Hrsg.), Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch, Wien/München 1980, 199–219, hier 218. 6 Vgl. Paul Luif, Neutrale in die EG? Die westeuropäische Integration und die neutralen Staaten, Wien 1988. 7 Vgl. Manfred Fitz, Die österreichische Integrationspolitik, in: Felix Butschek (Hrsg.), EWG und die Folgen. Die Auswirkungen eines Abkommens zwischen Österreich und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Wien 1966, 38.
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Wirtschaft und Politik
die in erster Linie die Interessen binnenorientierter Klein- und Mittelbetriebe vertrat, wohingegen die Industriellenvereinigung als Sprecherin der Exportindustrien für den Weg in die Gemeinschaft eintrat.8 Österreich tat sich in den folgenden Jahren recht schwer, auf der Basis seiner Neutralität einen Weg zu finden, sich an der wirtschaftlichen Integration Westeuropas zu beteiligen.9 Als multilaterale Verhandlungen über eine Verbindung von EFTA und EWG scheiterten, bemühte sich die österreichische Regierung in den 60er-Jahren um ein möglichst weit gehendes Assoziierungsabkommen mit der EWG, dies trotz wiederholter sowjetischer Démarchen und Drohungen, die den Tenor hatten, eine weiter gehende wirtschaftliche Anlehnung Österreichs bedeute eine Abkehr von der bewährten Neutralitätspolitik und somit vom Staatsvertrag.10 In Österreich selbst führte die Frage der Westintegration zu einer heftigen Kontroverse, die auf unterschiedlichen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Leitbildern beruhte. Während die ÖVP mehrheitlich für eine möglichst weit gehende Anlehnung an die EWG eintrat, bevorzugte die SPÖ in ihrer Mehrheit den Weg in die EFTA.11 Eine Konsequenz dieser Differenzen war, dass Außenminister Kreisky nach den Neuwahlen 1962 die Zuständigkeit für die Integrationspolitik an den ÖVP-Politiker Fritz Bock abgeben musste, der das Handelsministerium übernommen hatte.12 In der Frage der gewünschten Teilnahme Österreichs an der wirtschaftlichen Integration in Westeuropa wurde Wien von der bundesdeutschen Regierung unterstützt: Im Februar 1957 vertrat Konrad Adenauer in einem seiner Teegespräche mit Journalisten die Auffassung, dass Verhandlungen mit den an einer Freihandelszone interessierten Ländern geführt werden müssten, die ein gemeinsames Zollgebiet zum Ziel haben sollten.13 Solche Gespräche waren vor allem von Großbritannien gefordert worden, auch Österreich und die Schweiz hatten Interesse bekundet.14 Dabei hatte Adenauer, wie sich aus einer Äußerung vom 2. Juni 1961 entnehmen lässt, durchaus Verständnis für die besondere Lage Österreichs, die seiner Auffassung nach eine Vollmitgliedschaft in der EWG nicht erlaubte.15 Hier ging es vor allem 8 Vgl. Luif, Außenwirtschaftspolitik, 686. 9 Vgl. Rudolf Kirchschläger, Integration und Neutralität, in: Erich Bielka/Peter Jankowitsch/Hans Thalberg (Hrsg.), Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien 1983, 61–95; Heinrich Siegler, Österreichs Souveränität, Neutralität, Prosperität, Wien/Bonn/Zürich 1967, 71 ff. 10 Vgl. Meier-Walser, Außenpolitik, 214 ff.; Paul Luif, Neutrale in die EG? Die westeuropäische Integration und die neutralen Staaten, Wien 1988, 115; vgl. auch den Beitrag von Hamel in diesem Band. 11 Vgl. Paul Luif, Außenwirtschaftspolitik, in: Handbuch, 683. Dagegen votierte die SPÖ auf Bundesländerebene i. d. R. zugunsten einer EWG-Mitgliedschaft; vgl. die Beiträge von Gehler und von Hehemann in diesem Band. 12 Vgl. Manfried Rauchensteiner, Die Zwei. Die Große Koalition in Österreich 1945–1966, Wien 1987, 447. 13 Vgl. Nr. 16, 22. Februar 1957: Kanzler-Tee (Wortprotokoll), in: Adenauer. Teegespräche 1955–1958, Berlin 1986, 181. 14 Vgl. Hanns Jürgen Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Baden-Baden 1982, 404 ff. 15 Vgl. Nr. 41, 2. 6. 1961: Pressetee-Gespräch (Wortprotokoll), in: Adenauer. Teegespräche 1959–1961, 505.
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um Vorbehalte der Sowjetunion.16 Der Wille, für Österreich einen Weg zur Annäherung an die EWG zu finden, ergab sich für die Regierung in Bonn nicht allein aus den wirtschaftlichen Notwendigkeiten eines gutnachbarschaftlichen Verhältnisses: So steht etwa in einer Aufzeichnung des Bundeskanzleramts vom 14. Februar 1962 anlässlich des inoffiziellen Besuchs des österreichischen Finanzministers Josef Klaus am 15./16. Februar in Bonn zu lesen: „In Hinblick auf die gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Österreich und der Grenzlage des aktiv-neutralen Österreich zwischen West und Ost ist man sich in der Bundesrepublik bewusst, dass für Österreich eine Form der Assoziation an die EWG gefunden werden muss. An einer Lösung, die ein Abbremsen der europäischen Integrationsdynamik ausschließt, wird die Bundesrepublik daher nach Kräften mitarbeiten.“17
Die Verhandlungen mit der EWG zogen sich bis 1967 hin, als sie schließlich wegen des Südtirolkonflikts an einem Veto Italiens gegen weitere Beitrittsverhandlungen und einer Verhärtung der französischen Opposition gegen eine Erweiterung der Gemeinschaft scheiterten.18 Es ist zu vermuten, dass die Haltung der Bundesrepublik zur Südtirolfrage zu deren Lösung im Jahr 1969 beitrug, was wiederum den Weg zum Freihandelsabkommen freimachte, das Österreich 1972 gleichzeitig mit anderen Staaten mit der Gemeinschaft abschließen konnte.19 Es stellt sich nun die Frage, welche Rolle die außen(wirtschafts)politischen Beziehungen zur Bundesrepublik im Rahmen der Westorientierung der österreichischen Integrationspolitik einnahmen.
II. Die Beziehungen zur Bundesrepublik Der politische Rahmen für das Verhältnis zwischen Deutschland bzw. der Bundesrepublik und Österreich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von den Alliierten vorgegeben, die bereits 1943 ein „freies unabhängiges Österreich“ als eines ihrer Kriegsziele formulierten.20 Konsequenterweise wurden für Österreich und Deutschland separate Kontrollabkommen geschlossen, um die Trennung Österreichs von Deutschland zu verwirklichen.21 16 Vgl. AdG 31 (1961), 9521. 17 Abt. 2, Ref. I. v. Lucius, v. 14. 2. 1962, Verf. Voigt, in: BA 136/2077. 18 Vgl. Meier-Walser, Außenpolitik, 235 f., und den Beitrag von Hamel in diesem Band. 19 Vgl. Ableitinger, Nachkriegsbeziehungen, 218. 20 Zur Moskauer Deklaration vom 1. 11. 1943 vgl. Michael Gehler/Wolfgang Chwatal, Die Moskauer Deklaration über Österreich 1943, in: Geschichte und Gegenwart 6 (August 1987), Heft 3, 212–237; Robert H. Keyserlingk, Austria in World War II. An Anglo-American Dilemma, Kingston/Montreal 1988; Robert Graham Knight, Besiegt oder befreit? Eine völkerrechtliche Frage historisch betrachtet, in: Günter Bischof/Josef Leidenfrost (Hrsg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949 (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4), Innsbruck 1988, 75–92. 21 Der Text der Abkommen vom 4. und 9. Juli 1945 in: Stephan Verosta, Die internationale Stellung Österreichs
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Bereits am 27. April 1945 hatten die Vorstände der ÖVP, der SPÖ und der KPÖ in ihre Proklamation über die Unabhängigkeit Österreichs, die die provisorische Regierung Österreichs nach ihrer Konstituierung übernahm, die Unabhängigkeit des Landes hervorgehoben und den „aufgezwungenen“ Anschluss für null und nichtig erklärt.22 Das maßgebliche Ziel österreichischer Politik war zwar einerseits die Auflösung der Zwangseingliederung nach Deutschland, andererseits wollte man die Grundlagen für ein langfristig positives Verhältnis zum westlichen Nachbarn legen; ein Wille, der mehr war, als eine „vorrationale Option“23 und nicht zuletzt in bereits früh erkannten wirtschaftlichen, aber auch in außenpolitischen Interessen seine Begründung fand.24 Die österreichische Politik jener Jahre mag mit einer Äußerung Außenminister Karl Grubers aus dem Jahr 1953 charakterisiert werden. Auf seinem Weg zu Gesprächen in Bonn erklärte er zum Zweck seines Besuches unmissverständlich: „Es soll zum Ausdruck gebracht werden, dass wir eine Gesamtpolitik auf realer Grundlage wünschen, dass wir also weder einen Anschluss noch eine Trennung durch eine Chinesische Mauer anstreben.“25 Auch in Deutschland gab es keine ernst zu nehmenden Kräfte, die die Selbstständigkeit Österreichs in Zweifel gezogen hätten. Wenn auch in der Debatte zur ersten Regierungserklärung Adenauers im Deutschen Bundestag der Abgeordnete Alfred Loritz (WAV) am 22. September 1949 Böhmen und Mähren für Deutschland beansprucht hatte und die Forderung aufgetaucht war, Österreich an Bayern anzugliedern,26 so waren dies doch eher kuriose Randerscheinungen. Die Akzeptanz der wiederhergestellten österreichischen Souveränität und somit die Absage an einen neuerlichen Anschluss, war eine der Grundannahmen der bundesdeutschen Österreichpolitik. Dies macht gerade die Reaktion Adenauers auf die o.g. Forderungen deutlich: In der Kabinettssitzung am 24. September 1949 sagte er: „Ich muss ganz klar zum Ausdruck bringen, dass solche Äußerungen nicht der offiziellen Auffassung der Bundesregierung entsprechen. […] Ich möchte solch romantische Vorstellungen auf die Wirklichkeit der Tatsachen zurückführen. […] Österreich, Böhmen und Mähren sind doch nicht im Deutschen Reich gewesen. Wir geben doch nicht Österreich, Mähren und Böhmen preis, Gebiete, die seit Jahrhunderten nicht zu uns gehört haben. Ich habe den Eindruck, man kann in diesen Dingen nicht deutlich genug sprechen. Es ist keine Realpolitik, Worte wie Österreich, Böhmen und Mähren in den Mund zu nehmen. Wir machen uns damit nur lächerlich […].“27 1838 bis 1947, Wien 1947, 66 ff. Zur alliierten Besatzungspolitik: Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955, Graz/Wien/Köln 1979. 22 Siegler, Österreichs Souveränität, 4. 23 Ableitinger, Nachkriegsbeziehungen, 202. 24 Vgl. Monatsberichte des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung XVIII (1945), 27 ff. 25 Kölnische Rundschau, 18. 5. 1953. 26 Vgl. Stenographische Berichte des Deutschen Bundestags, Bd. 1, 68D. 27 Bundeskabinett, 6. Sitzung am Sonnabend, den 24. 9. 1949, in: Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 1: 1949, Boppard 1982, 315 ff.
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Darüber hinaus sah Adenauer durch eine solche Diskussion die Beziehungen zu den westlichen Verbündeten, aber auch – und dies besonders – zu Österreich einer unnötigen Belastung ausgesetzt.28 Die Durchsetzung der Eigenstaatlichkeit gegenüber Deutschland war eine Sache, die andere – ungleich kompliziertere – war die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität von den Alliierten, im Besonderen von der UdSSR. Hierzu bedurfte es langwieriger Verhandlungen, die oft eher bangen als hoffen ließen. An deren Ende standen der Staatsvertrag von 1955 und die Neutralitätserklärung Österreichs. Die Verknüpfung von Neutralität mit staatlicher Einheit und Souveränität im Falle Österreichs musste die bundesdeutsche Regierung beunruhigen, da die deutsche und die österreichische Frage in jenen Jahren sowohl von den Westalliierten als auch von der Sowjetunion in engem Zusammenhang gesehen wurden. Die Akzeptanz des Neutralitätskurses im Falle Österreichs hätte durchaus zu einer für Adenauer unangenehmen Diskussion führen können, war doch dessen vorrangiges Ziel die Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Bündnissystem.29 Es wäre daher nicht unbedingt abwegig gewesen, hätte sich die Bundesregierung gegen eine Neutralisierung Österreichs gesperrt. Adenauer ging davon aus, dass die Durchsetzung des Junktims zwischen österreichischer Neutralität und Souveränität der Sowjetunion als Instrument zur Durchsetzung ihrer Deutschland- und Europapolitik dienen sollte.30 In seinem Bericht über die außenpolitische Lage vor dem CDU-Bundesvorstand am 3. Juni 1955 führte Adenauer aus: „Es ist wohl kein Zweifel möglich, dass von Seiten Sowjetrusslands diese Neutralität Österreichs vorgeschlagen und dann akzeptiert worden ist, um hier bei uns in Deutschland ähnliche Gedanken und Ideen, die schon vorhanden waren, zu fördern, vielleicht auch, um solche Gedanken und Ideen zu fördern in anderen Teilen Europas und der Welt.“
Eine ernste Angelegenheit dabei sei auch die aufgekommene Diskussion über die Bildung eines Gürtels neutraler Staaten in Europa. Mit einem solchen Gürtel wäre nach Adenauers
28 Vgl. ebd. 29 Vgl. Bundesvorstandsprotokoll vom 15. 7. 1953, in: Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 8: Adenauer: „Wir haben wirklich etwas geschaffen.“ Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1950–1953, Düsseldorf 1986, 650 ff. (Diskussion zwischen Kaiser und Adenauer); vgl. auch Rolf Steininger, 1955: The Austrian State Treaty and the German Question, in: Diplomacy & Statecraft Vol. 3 (November 1992), Nr. 3, p. 494–522; Michael Gehler, Westintegration und Wiedervereinigung – Adenauers Demarche bei Kirkpatrick am 15. Dezember 1955 ein Missverständnis?, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 43 (August 1992), Heft 8, 477–488. 30 Vgl. Konrad Adenauer, Erinnerungen, Bd. 2, Frankfurt a. M./Hamburg 1968, 433 ff.; vgl. auch Reinhard Bollmus, Die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich 1950–1958. Stationen einer skeptischen Freundschaft, in: Christliche Demokratie 1 (1983) Heft 3, 9–23, hier 15.
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Einschätzung „die Europapolitik […] vollkommen ausradiert, mit der Wurzel entfernt“.31 Dennoch scheint Adenauer den österreichischen Weg letztlich doch – wenn auch anfänglich sehr widerwillig – akzeptiert zu haben.32 Dafür würde sprechen, dass er, trotz seiner Befürchtungen hinsichtlich der sowjetischen Politik, in der ersten Sitzung des CDU-Bundesvorstandes nach Unterzeichnung des Staatsvertrages die österreichische Neutralitätspolitik nicht kritisiert hat.33 Allerdings kamen aus Österreich auch Signale, die die unterschiedliche politische Lage der beiden Staaten betonten und die Bedeutung einer starken Bundesrepublik für die österreichische Bewegungsfreiheit herausstrichen. So hieß es in einem Bericht aus Österreich, dass sich Kanzler Raab darüber im Klaren sei, „dass die derzeitige Situation Österreichs nur haltbar ist, solange Deutschland den Weg der Stärke in militärischer Hinsicht und politischen Zusammenschluss mit dem Westen geht“.34 Für die Akzeptanz spricht auch die rasche Intensivierung der deutsch-österreichischen Beziehungen, die sich nach Auffassung Bruno Kreiskys in Laufe der 50er-Jahre rasch normalisierten, „wenn wir auch aus den verschiedensten Gründen Wert auf eine gewisse Distanz legen mussten“.35 Bundespräsident Theodor Heuss gratulierte Ende Juli zur Wiederherstellung der Souveränität, am 16. November kam Außenminister Heinrich von Brentano als erster offizieller Gast in das jetzt selbstständige Österreich.36 Am 8. Dezember 1955 anerkannte die Bundesrepublik die österreichische Neutralität. Dies erfolgte in Abstimmung mit den NATO-Partnern, wobei die drei westlichen Siegermächte im NATO-Rat empfohlen hatten, sich ihren Noten zeitlich wie vom Wortlaut anzuschließen.37 Und ein Weiteres: Als Adenauer 1956 anlässlich 31 Protokoll der Sitzung des CDU-Bundesvorstandes vom 3. Juni 1955, in: Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 16: Adenauer: „Wir haben wirklich etwas geschaffen.“ Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1953–1957, Düsseldorf 1990, 498 ff. Vgl. auch: Nr. 51. 19. Februar 1954: Informationsgespräch (Wortprotokoll), in: Adenauer. Röhndorfer Ausgabe. Adenauer Teegespräche 1950–1954, Berlin 1984, 529 f. 32 Die These, die Rückbberufung Mueller-Graafs sei eine Demonstration bezüglich der Neutralitätsdiskussion gewesen, lässt sich anhand der deutschen Akten nicht erhärten (vgl. auch Bollmus, 15 f.). Siehe hierzu auch weiter unten 155 u. 160. 33 Vgl. Vorstandsprotokoll, wie Anm. 31. Er hat sich v. a. – und dies sehr krass – zur Frage des deutschen Eigentums geäußert, zur Frage der Adenauer’schen Einschätzung der österreichischen Neutralitätspolitik, vgl. neuerdings Hans-Peter Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann: 1952–1967, Bd. 2, Stuttgart 1991, 184, und Michael Gehler, Kurzvertrag für Österreich und deutsche Frage: Die Stalin-Noten 1952 im Lichte der westlichen und österreichischen Staatsvertragsdiplomatie, erscheint demnächst in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; ders., „L’unique objectif des Soviétiques est de viser l’Allemagne“. Österreichs Staatsvertrag und Neutralität als Modell für Deutschland?, in: Rolf Steininger/Thomas Alhrich/Klaus Eisterer/Michael Gehler (Hrsg.), Österreich 1949–1961, ersch. 1994. 34 Bericht o. V., vom 8. 7. 1955, Anlage zu: Vermerk für den Staatssekretär, 9. 7. 1955, Verf. Min.-Dir. Dr. Janz, in: BA 136 (Bundeskanzleramt)/3641. Vgl. auch Bollmus, 14. 35 Bruno Kreisky, Im Strom der Politik. Erfahrungen eines Europäers, Berlin 1988, 25. Vgl. auch Ableitinger, 212 f. 36 Vgl. Bollmus, 13. 37 Vgl. Kabinettsvorlage: Verbalnote vom 8. 12. 1955. Anerkennung der österreichischen Neutralität, in: BA 136/3641. Österreich hatte am 14. November um Anerkennung der Neutralität ersucht, die Westalliierten
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des Besuches Raabs in Bonn mit 16 österreichischen Journalisten zu einem Informationsgespräch zusammenkam, antwortete er auf die Frage, ob in der Zeit zuvor laut gewordene „gewisse Bedenken und Befürchtungen […] über eine möglicherweise gefährliche Entwicklung, [die] sich aus der österreichischen Neutralität auch für Westeuropa und die Bundesrepublik ergeben könnten […]“, immer noch bestünden und ob Adenauer in den Gesprächen mit Raab den Eindruck gewonnen hätte, „dass Österreich trotz dieser Neutralitätserklärung zu einem stabilen Faktor geworden“ sei: „Ich habe nicht nur den Eindruck gewonnen, sondern die Überzeugung, die ich schon hatte, ist damit noch gefestigt worden.“38 Zu Adenauers Einschätzung dürften wohl auch die österreichischen Schritte zur Verankerung der Republik im Westen beigetragen haben, die die Staatsvertragsverhandlungen antizipierten bzw. ergänzten: Österreich hatte an der Pariser Konferenz vom 12. Juli bis 22. September 1947 teilgenommen, auf der 16 westeuropäische Staaten als Basis der amerikanischen Marshallplan-Hilfe ein westeuropäisches Wiederaufbauprogramm erarbeitet hatten. Am 16. April 1948 hatte Österreich die Konvention über die Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) unterzeichnet. Ein Bild der positiven, gutnachbarschaftlichen Entwicklung des Verhältnisses zwischen Österreich und der Bundesrepublik geben auch die dichten handelspolitischen Kontakte, die spätestens seit 1950 einsetzten: Es kam eine Reihe von handelspolitischen Vereinbarungen zustande, die das Ziel hatten, für eine reibungslose Weiterentwicklung der Handelsbeziehungen zu sorgen: Für die Zeit vom 1. November 1950 bis zum 31. Oktober 1951 wurde ein Handelsvertrag vereinbart, der im kontingentierten Teil des Warenverkehrs österreichische Exporte in Höhe von 40 Millionen und österreichische Importe in einer Höhe von 120 Millionen Dollar vorsah.39 Das Abkommen wurde Mitte Januar 1951 von der Alliierten Hochkommission gebilligt.40 Das Handelsabkommen wurde in den darauffolgenden Jahren immer wieder verlängert und die Kontingente den neuen Bedürfnissen angepasst und durch Zahlungsabkommen ergänzt.41 Zusätzlich einigten sich die beiden Regierungen im Rahmen des GATT-Abkommens in bilateralen Verhandlungen, an denen die deutsche Wirtschaft regen Anteil nahm, über die Modifizierung der Zolltarife für einige Warengruppen.42 Dass die Bundesrepublik und Österreich ihren wirtschaftlichen Beziehungen ein besonderes Gewicht beimaßen, ergibt sich auch aus der Einrichtung einer deutschen Handelsdelegation, die freilich auch über das Fehlen noch nicht möglicher offizieller diplomatischer Beziehungen hinüberreichten ihre Anerkennungsnoten am 6. Dezember. So lässt sich kein Zusammenhang zwischen einem westdeutschen Unbehagen an der österreichischen Neutralität und der vermeintlich späten formellen Anerkennung der Neutralität durch die Bundesregierung herstellen. 38 Nr. 13. 24. 10. 1956: Informationsgespräch (Wortprotokoll), in: Adenauer Teegespräche 1955–1958, Berlin 1986, 151. 39 Vgl. AdG, 19. 11. 1950, 2679G. 40 Vgl. AdG, 17.1. 1951, 2776A. 41 Vgl. AdG, Jg. 1951 ff. 42 Vgl. BA, B 102 (Bundesministerium für Wirtschaft) 6384. Vgl. auch Ableitinger, 205.
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weghelfen sollte, im Jahr 1953, die anlässlich der ersten offiziellen Mission österreichischer Regierungsmitglieder am 19. und 20. Mai 1953 in Bonn (Karl Gruber und Bruno Kreisky) vereinbart worden war. Bei den Bonner Verhandlungen standen neben der Frage der Staatsangehörigkeit und der Regelung der gegenseitigen Vermögensansprüche die Ausdehnung des Warenverkehrs und die Erleichterung des Grenzverkehrs zur Debatte.43
III. Vorübergehende ökonomische Desintegration: die Nostrifizierung „deutschen Eigentums“ Betrachtet man die Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und den vier deutschen Besatzungszonen, der späteren Bundesrepublik, so ist hier zunächst für die unmittelbare Nachkriegszeit ein Desintegrationsprozess zu verzeichnen, der aber bald von einem ökonomischen Reintegrationsprozess abgelöst wurde: Der politischen, staatsrechtlichen Loslösung von Deutschland musste natürlich auch eine wirtschaftliche folgen, die allerdings etwas mehr Zeit erforderte. In praxi war dies zunächst schon durch das Besatzungsregime gegeben, dass Deutschland und Österreich jeweils in vier Besatzungszonen aufteilte und administrativ voneinander loslöste. Mit dem Schillinggesetz vom 30. November 1945 sollte die eigene Währungssouveränität wiederhergestellt und das noch gültige Zahlungsmittel Reichsmark durch den österreichischen Schilling ersetzt werden. Das Zoll überleitungsgesetz vom 18. Juni 1946 stellte im Wesentlichen die materiellen und formellen Zollvorschriften der Zeit vor 1938 wieder her. Zwei anderen Bereichen wirtschaftlicher Neuordnung musste ein besonderes Gewicht zukommen: der Nostrifizierung des sogenannten „deutschen Eigentums“ und der Neuregelung der Außenhandelsbeziehungen. Die deutsche Besatzungszeit und der Zweite Weltkrieg haben die wirtschaftliche Nachkriegsentwicklung in Österreich in nicht unerheblichem Ausmaß vorgeprägt, so war die Verselbstständigung der österreichischen Wirtschaft durchaus nicht problemlos. Während der Jahre 1938 bis 1945 hatte sich die österreichische Produktion von der traditionellen Konsumgütererzeugung hin zur Produktion von Grundstoffen, Vormaterialien und auf den Bausektor verlagert, hinzu kam eine Ausweitung der Energieerzeugung.44 Gerade die Unternehmen der Grundstoff- und Vormaterialerzeugung verfügten über Kapazitäten, die weit über den Inlandsbedarf hinausgingen und wurden nach dem Krieg zu den Trägern des österreichischen Exports. Die Herausbildung effizient arbeitender Großbetriebe stellt eine zweite strukturelle Entwicklung der Jahre 1938 bis 1945 dar. Dieses Ergebnis wurde auch durch die 43 Vgl. Ableitinger, Nachkriegsbeziehungen, 206. 44 Vgl. Stefan Koren, Die Industrialisierung Österreichs – vom Protektionismus zur Integration, in: Wilhelm Weber (Hrsg.), Österreichs Wirtschaftsstruktur gestern – heute – morgen, Berlin 1961, 322 ff.; ders., Struktur und Nutzung der Energiequellen Österreichs, in: ebd., 172 ff.; Kurt W. Rothschild, Wurzeln und Triebkräfte der Entwicklung der österreichischen Wirtschaftsstruktur, in: ebd., 107.
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kriegsbedingten Zerstörungen und die Demontagen nicht substanziell beeinträchtigt.45 Die Strukturentwicklung ging mit einer regionalen Umschichtung zugunsten des Westens Österreichs einher, die eine bessere Nutzung regionaler Arbeitskräftepotenziale bedeutete und für die Position in der internationalen Wirtschaftsentwicklung nach 1945 Standortvorteile brachte.46 Butschek vermutet für die Zeit der deutschen Besatzung auch erhebliche Investitionen in das human capital. Die Erfahrungen eines kurzen, aber kräftigen Booms und das Kennenlernen der technisch-organisatorischen Grundlagen einer schon über mehrere Jahre auf Hochtouren laufenden Wirtschaft der industriellen Großmacht hätten Kenntnisse und Verhaltensweisen vermittelt, die in der Zeit nach dem Krieg wirksam wurden.47 Verbunden mit der Eingliederung der österreichischen in die deutsche Wirtschaft war eine Zunahme der deutschen Kapitalbeteiligungen in Österreich, sei es durch Investitionen oder durch mehr oder weniger freiwillige Verkäufe. Gemessen an dem Grad deutscher Kapitalbeteiligungen in der Zeit der Ersten Republik, der häufig überschätzt wird,48 kam es hier zu einschneidenden Veränderungen. Nach einer Aufstellung der amerikanischen Militärregierung für Österreich, die von Luia in seiner Arbeit „Österreich und die großdeutsche Idee in der NS-Zeit“ aus dem Jahre 1977 herangezogen wird, betrug der Anteil deutschen Eigentums 1938 an Unternehmungen der Elektroindustrie und im Bereich Bergbau und Hüttenwesen gerade 25 Prozent. In allen anderen Bereichen lag er zwischen null und zehn Prozent.49 Diese Werte finden ihre Bestätigung durch die Untersuchungen von Weber/Haas, die feststellen, dass die Anteile deutschen Kapitals an den Industrieaktiengesellschaften 1928 45 Butschek, Die österreichische Wirtschaft im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1985,2 65 ff. 46 Vgl. Kurth W. Rothschild, Wurzeln und Triebkräfte der Entwicklung der österreichischen Wirtschaftsstruktur, in: Wilhelm Weber (Hrsg.), Österreichs Wirtschaftsstruktur gestern – heute – morgen, Berlin 1961, Bd. 1, 1–158, hier 107; Felix Butschek, Die österreichische Wirtschaft 1938 bis 1945, Stuttgart 1978, 110 f.; ders., Umschichtungen in der Struktur der Erwerbstätigen, in: Monatsberichte des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (1970), Nr. 2; Luif 1988, 17 f. 47 Vgl. Butschek, österreichische Wirtschaft 1938 bis 1945, 100 ff. 48 So etwa von Karl Stuhlpfarrer/Leopold Steurer, Die Ossa in Österreich, in: Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Studien und Dokumentationen 1927–1938 (Festgabe der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor Körner-Stiftungsfonds und des Leopold Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 anlässlich des dreißigjährigen Bestandes der Zweiten Republik Österreich und der zwanzigsten Wiederkehr des Jahrestages des Österreichischen Staatsvertrages), hrsg. v. Ludwig Jedlicka und Rudolf Neck, Wien 1975, 35–64, hier: 38, und Norbert Schausberger, Der Griff nach Österreich. Der Anschluss, Wien/München 1978, 150, 180. Die Auffassung Schausbergers, das deutsche Finanzkapital und die reichsdeutsche Großindustrie hätten Österreich förmlich überschwemmt (150 u. 180), lässt sich also nicht halten (vgl. Franz Mathis, Deutsches Kapital in Österreich vor 1938, in: Albrich/Eisterer/Steininger [Hrsg.], Tirol und der Anschluss. Voraussetzungen, Entwicklungen, Rahmenbedingungen 1918–1938, Innsbruck 1988, 435–451; Jürgen Nautz, Die österreichische Wirtschaft und die Anschlussfrage, ebd., 385 ff., und meine Polemik gegen Gerhard Botz in: Der Standard, 15. 3. 1990). Eine solche Durchdringung setzte vielmehr erst nach dem Anschluss ein. In der Zeit der deutschen Besatzung kam es nun tatsächlich zu einer massiven Übernahme österreichischer Unternehmen durch deutsche Firmen (vgl. Mathis, Deutsches Kapital, 448). 49 Vgl. Radomir Luia, Österreich und die großdeutsche Idee in der NS-Zeit, Wien 1977, 332.
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bei zehn bis zwölf, an den Aktienbanken acht bis neun Prozent betragen haben. Die Autoren gehen davon aus, dass sich daran bis zum Anschluss nichts Wesentliches geändert hat.50 Andere Autoren nennen z. T. noch geringere Anteile.51 Stearman bilanziert die deutschen Kapitalbeteiligungen zu Anfang des Jahres 1945 wie folgt: Tabelle 1: Deutsche Kapitalbeteiligungen an österreichischen Unternehmen nach Branchen in Prozent. Stand: Anfang 194552 Bankensektor 83 Versicherungswesen 61 Bergbau 72 Maschinen- u. Metallindustrie 64 Elektroindustrie k. A. Chemische Industrie k. A. 57 Textilindustrie Papierindustrie k. A. Bauindustrie 56 Transportwesen 58
Insgesamt verfügte Deutschland zu Beginn des Jahres 1945 über einen Anteil zwischen ca. 60 bis 80 % an der österreichischen Industrie.53 Nach einer Studie Kimmels waren dies 62 % des Gesamtbestandes an deutschen Auslandsinvestitionen.54 Die Frage der Behandlung des deutschen Eigentums in Österreich führte in den folgenden Jahren zu zeitweise erheblichen Verstimmungen zwischen den beiden Staaten. Auf der Potsdamer Konferenz vom Sommer 1945 beschlossen die drei Siegermächte USA, Großbritannien und die Sowjetunion, dass das deutsche Eigentum in Österreich den Alliierten zufallen sollte. Während die Westalliierten darauf verzichteten, aus dem Kapital in ihren Besatzungszonen Reparationen zu ziehen, behielt sich die Sowjetunion dies ausdrücklich vor. Österreich reklamierte nach dem Krieg die deutschen Vermögensansprüche in Österreich, die oft wegen ihres Zustandekommens als illegitim bezeichnet wurden. Zusätzlich betonte 50 Vgl. Fritz Weber/Karl Haas, Deutsches Kapital in Österreich. Zur Frage der deutschen Direktinvestitionen in der Zeit vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zur Weltwirtschaftskrise, in: Jahrbuch für Zeitgeschichte 1979, hrsg. v. d. Österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte, Wien 1980, 169–236, hier 216. 51 Quelle: Karl Hendrich, Die wirtschaftliche Durchdringung Österreichs durch Deutschland und deren betriebswirtschaftliche Folgen, Wien 1948, 7. Stearman beziffert den deutschen Anteil am Bankensektor mit 6 % (The Soviet Union and the Occupation of Austria, Siegler 1963, 25). 52 Quelle: William Lloyd Stearman, Die Sowjetunion und Österreich 1945–1955, Bonn/Wien/Zürich 1962, 25. 53 Vgl. Liselotte Wittek-Salsberg, Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Okkupation Österreichs, Wien 1970, 148 f.; Otto Klambauer, Die USIA-Betriebe, Wien 1978. 54 Vgl. Christian Kimmel, Die wirtschaftlichen Folgen der Reparationszahlungen Deutschlands, Freiburg 1973, 134.
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Österreich die prinzipielle Rechtmäßigkeit umfänglicher österreichischer Reparationsforderungen an Deutschland. Hierbei ging es der Wiener Regierung „in Anbetracht des Umfangs der deutschen Vermögenswerte in Österreich um nichts weniger als um die Sicherung des wirtschaftlichen Fundaments des Staates schlechthin, das durch etwaige spätere deutsche Entschädigungs- beziehungsweise Rückgabeforderungen ausgehöhlt zu werden drohte“.55
Mit deren Verstaatlichung konnte man die österreichische Wirtschaft nicht nur vor einem größeren Substanzverlust zugunsten der Sowjetunion schützen, es eröffnete sich auch die Möglichkeit, diesen Wirtschaftskomplex für einen energischen Wiederaufbau zu nutzen,56 „da es einerseits zweifelhaft ist, ob sich in jenen Jahren ausreichend privates Kapital und solche Initiative dazu gefunden hätten, andererseits durch Einsatz der […] ERP-Mittel eine gezielte Investitionspolitik möglich“ wurde.57 Die österreichischen Forderungen stießen bei allen Alliierten, besonders bei der Sowjet union auf Zustimmung. Während sich die Bonner Regierung in den Jahren 1952 und 1954 den Vorstellungen der Westalliierten – wenn auch mit Unbehagen – beugte,58 entwickelten sich aus der Vermögensfrage nach dem Abschluss des Staatsvertrages beachtenswerte Spannungen zwischen Bonn und Wien. Bedenkt man das erhebliche Ausmaß der deutschen Kapitalbeteiligungen in Österreich, wird deutlich, dass die Bundesregierung aus wirtschaftlichen und auch aus innenpolitischen Erwägungen heraus die Verstaatlichungen nicht ohne Weiteres hinnehmen konnte. Eine wesentliche Ursache für die Schärfe der Auseinandersetzungen von Bonner Seite her dürfte die Auffassung gewesen sein, dass das im Staatsvertrag sehr weit gehende Rückgabeverbot deutschen Eigentums erst auf Betreiben Österreichs zustande gekommen sei, nachdem die Bonner Regierung die Übertragung dieser Vermögenswerte 1954 gegenüber den Alliierten im Vorhinein akzeptiert hatte.59 Adenauer kommentierte die Neufassung des Entwurfs des Staatsvertrags, wonach nunmehr Eigentum bis zum Wert von 260.000 Schilling an natürliche Personen zurückgegeben werden sollte, nicht jedoch darüber hinausgehende Werte,60 im CDU-Bundesvorstand folgendermaßen: 55 Ableitinger, Nachkriegsbeziehungen, S. 204. 56 Vgl. Stefan Koren, Sozialisierungsideologie und Verstaatlichung in Österreich, in: Weber, Österreichs Wirtschaftsstruktur, 206. 57 Butschek, Wirtschaft 1938 bis 1945, 113. 58 Vgl. Nr. 40. Verlaufsprotokoll der Sitzung vom 4. 4. 1952, in: Adenauer und die Hohen Kommissare 1952, hrsg. v. Hans-Peter Schwarz in Verbindung mit Reiner Pommerin, München 1990, 42; Nr. 44. Verlaufsprotokoll der Sitzung vom 24. 4. 1952, in: ebd., 114. Vgl. auch die Dokumente in: PAAA, Abt. 2, Az 245-03/55 und in BA, B 102 (Bundesministerium für Wirtschaft). 59 Pariser Konferenz vom 23. 10. 1954. 60 Vgl. Bulletin v. 18. 5. 1955, 770.
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„Die Art und Weise, wie wir von Österreich behandelt worden sind, war alles andere als schön. Und es scheint – ich darf wohl auf Ihre Diskretion rechnen –, dass diese Art und Weise der Behandlung der Bundesrepublik Deutschland in Moskau vorher überlegt worden ist; ich meine das Eigentum der Deutschen. Sehr unangenehm ist es auch, und nach meiner Meinung gegen die historische Wahrheit, wenn Österreich die Sache so darstellt, als wenn es von uns vergewaltigt worden wäre und tatsächlich ein Recht auf Reparationen hätte. Das Wort ist tatsächlich von hohen österreichischen Regierungsmitgliedern ausgesprochen worden. […] Sie wissen, dass es weite Teile in Österreich gegeben hat, die nationalsozialistischer gewesen sind als irgendein Teil Deutschlands. Wenn man dort nun Anspruch auf Reparationen erhebt […] Die Gebeine Hitlers sind nicht aufzufinden, sonst würde ich anheimstellen, diese Gebeine Hitlers wieder in sein Heimatland zurückzuführen.“61
Die Neufassung des Staatsvertragsentwurfs führte zu einem scharfen Protest des Auswärtigen Amts bei der österreichischen Regierung, zur Rückberufung des Leiters der deutschen Handelsvertretung in Wien, Carl Hermann Mueller-Graaf, und zu entsprechenden Noten an die Westalliierten.62 Trotzdem wollte Adenauer nicht zu viel Porzellan zerschlagen. Er informierte den CDU-Vorstand, dass sich die Regierung zunächst sehr zurückhalten wolle. Zwar bemühe man sich, die „Rechte unserer deutschen Landsleute“ so weit wie möglich zu wahren, aber es lasse sich noch nicht überschauen, wieweit man Erfolg haben werde.63 Tatsächlich kam es zu keiner weiteren Verschärfung der Spannungen zwischen Wien und Bonn. Bei aller Härte in den Verhandlungen über die äußerst schwierige Frage der Regelung der Vermögen blieb doch der Wille, Voraussetzungen für eine positive Entwicklung der bilateralen Beziehungen zu schaffen, die übergeordnete Maxime. Gerade auch für Österreich musste dies ein vorrangiges außenpolitisches Ziel sein. Außenminister Brentano vereinbarte bei seinem Besuch in Wien im November 1955 die Einsetzung einer gemischten Kommission, die die Angelegenheit, aufbauend auf dem „Gedanken des Ausbaus und der Festigung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten“ erörtern sollte.64 Schließlich führten die Beratungen zu einer Lösung, die im „Vertrag zur Regelung vermögensrechtlicher Beziehungen“ ihren Niederschlag fand.65 Allerdings blieb noch die Frage der Entschädigung für durch die Nationalsozialisten politisch Verfolgte, deutsche Umsiedler und Heimatvertriebene, die die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen hatten, zu regeln. Hier dauerten die Verhandlungen bis 1961, als sich die Bundesrepublik zur Abgeltung offener Ansprüche zu einer Zahlung von 321 Millionen Mark verpflichtete.66 61 Bundesvorstandsprotokoll vom 3. 6. 1955, 498 f. Letzteres hat er auch zu Kreisky gesagt. Vgl. Bruno Kreisky, Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Berlin 1986, 449. 62 Vgl. AdG 1955, 5177. 63 Vgl. Bundesvorstandsprotokoll vom 3. 6. 1955, 499. 64 Ableitinger, Nachkriegsbeziehungen, 208; Europa Archiv 10 (1955), 7287. 65 Bundesgesetzblatt 1958. 66 Vgl. Ableitinger, Nachkriegsbeziehungen, 208.
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Infolge der Verstaatlichung deutschen Eigentums reduzierte sich der Anteil deutschen Kapitals am Nominalkapital österreichischer Kapitalgesellschaften auf weniger als 10 %.67 In der Frage der Eigentumsverhältnisse kann man also durchaus von einer Desintegration sprechen. Während noch in den 50er-Jahren der amerikanische Anteil an den Direktinvestitionen dominierte, nahmen dann in den 60er-Jahren die deutschen Beteiligungen in Österreich wieder zu68 und spiegelten die Bedeutung der Bundesrepublik als Wirtschaftspartner Österreichs.69 1961 hatten die USA einen Anteil von 27,9 % an der Gesamtsumme der Auslandsbeteiligungen am Nominalkapital, die Bundesrepublik stand mit 9,5 % auf Platz fünf. 1969 hielten bundesdeutsche Kapitaleigner bereits wieder einen Anteil von 27,7 %, die USA 18,5 % und die Schweiz 15,5 %.70
IV. Ökonomische Reintegration: die österreichisch-deutschen Handelsbeziehungen und die österreichische Westintegration Ein weiterer wichtiger Aspekt der Entwicklung des Nachkriegsverhältnisses zwischen der Bundesrepublik und Österreich sind die handelspolitischen Beziehungen. Dies nicht nur wegen der wichtigen Rolle, die die Bundesrepublik im Prozess der westeuropäischen Integration einnahm, die für Österreich bedeutsam war und die es erforderlich machte, trotz des Neutralitätsgebots einen Weg zu finden, sich so weit in das westliche Bündnissystem einzuklinken, dass es seine Selbstständigkeit gegenüber der Sowjetunion und dem Ostblock behaupten konnte. Da der Neutralitätsstatus des Landes eine politische Integration verbot, somit etwa einen Beitritt zur NATO unmöglich machte, musste ein Weg gefunden werden, der die Bindungen an den Westen und damit an die Vormacht USA dennoch intensivierte. Hier bot sich vor allem der Weg der wirtschaftlichen Verflechtung an, die bereits aus anderen Gründen geboten erscheinen musste. Und hier bedurfte es einer Lösung, um die Folgen eines ebenfalls nicht möglichen EWG-Beitritts abzufedern. Gerade hier musste den Außenhandelsbeziehungen zur Bundesrepublik – schon aufgrund der Präformationen der Besatzungszeit – ein besonderes Gewicht zukommen. So notwendig eine Neuregelung der Eigentumsverhältnisse in der österreichischen Wirtschaft für die staatliche Souveränität und die wirtschaftliche Konsolidierung auch war, so notwendig war aber auch die Eröffnung von Absatzmärkten für deren Erzeugnisse. 67 Vgl. Ferdinand Lacina/Oskar Grünwald, Auslandskapital in der österreichischen Wirtschaft, Wien 1970. 68 Vgl. ebd.; Brigitte Ederer/Wilhelmine Goldmann, Der Einfluss Multinationaler Konzerne auf die Wirtschaftsstruktur kleinerer Länder. Deutsche Multis in Österreich, in: Peter Mettler (Hrsg.), Wohin expandieren Multinationale Konzerne?, Frankfurt/M. 1985. 69 Zur Entwicklung der Kapitalbeteiligungen siehe: Ausländische Direktinvestitionen in Österreich, Stände per Ende 1984 und 1985, in: Mitteilungen des Direktoriums der Österreichischen Nationalbank, Heft 5 1988, 7–18; Fritz Breuss/Jan Stankovsky, Österreich und der EG-Binnenmarkt, Wien 1988, 103 ff. 70 Vgl. Lacina/Grünwald, Auslandskapital, 16 f.
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Die geografische Ausrichtung des österreichischen Außenhandels änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg signifikant. 1929 lag der Importanteil der Nachfolgestaaten in Österreich bei 44,6 %, nimmt man noch Italien hinzu, waren es 48,6 %. 1937, dem letzten Jahr vor der deutschen Besetzung, waren es noch 38,5 % (44,0 %), selbst 1939 lag der Anteil der Nachfolgestaaten noch bei 46,7 % (54,3 %). Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass wegen des Wegfalls der Lieferungen aus dem Reich die Ziffern etwas verzerrt sind. Auf der Exportseite behielten die Nachfolgestaaten ebenfalls ein starkes Gewicht, hier lauten die entsprechenden Zahlen: 38,6 % (47,6 %), 31,5 % (45,5 %), 35,6 % (45,5 %). Dabei war der Anteil der Tschechoslowakei und der des Reiches auf der Import- wie auf der Exportseite in etwa gleichgewichtig. Italien, Ungarn, Jugoslawien und Polen folgten mit größerem Abstand. Bis 1937 hatte im Reigen der Nachfolgestaaten das Gewicht der Tschechoslowakei zugunsten Ungarns und Rumäniens abgenommen, aber auch der Anteil Deutschlands hatte sich um fast 5 Prozentpunkte reduziert. 1929 war die Bedeutung der Tschechoslowakei und die Deutschlands für die österreichischen Exporte ebenfalls relativ gleichgewichtig. Während der Anteil des Reichs bis 1937 beinahe gleich hoch blieb, ging der der Tschechoslowakei um 4,4 Prozentpunkte zurück, gleichzeitig nahm die Bedeutung Italiens als Exportmarkt beträchtlich zu.71 Für Österreich, das nach dem Krieg vor allem Lebensmittel, Kohle und Rohstoffe für die Fertigungsindustrie benötigte, wurde zunächst der überwiegende Teil der Ein- und Ausfuhren von den alliierten Stellen oder über die UNRRA abgewickelt. Die ersten Handelsabkommen, die auf dem Prinzip der Kompensation beruhten, wurden mit Ungarn, der Tschechoslowakei und der Schweiz abgeschlossen. In den westlichen Besatzungszonen kam es zu Vereinbarungen Oberösterreichs mit der Tschechoslowakei, der Steiermark mit Frankreich und Italien sowie Vorarlbergs mit der Schweiz.72 Aus den Berichten des Österreichischen Warenverkehrsbüros, die die Höhe der abgeschlossenen Geschäfte wiedergeben, ergibt sich eine dominierende Rolle der Tschechoslowakei, der Schweiz und Italiens; mit diesen Ländern wurden bis zum Mai 1946 93,8 % der Einfuhren und 62,7 % der Ausfuhren abgewickelt (vgl. Tabelle 2, 164). Diese Zahlen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der österreichische Außenhandel bereits früh nach dem Ende des Krieges eine geografische Umorientierung erfuhr, deren Ursachen bis in die Zeit der deutschen Besatzung hineinreichten. In der Zeit der deutschen Besatzung war Deutschland zum wichtigsten Handelspartner der österreichischen Wirtschaft geworden, die Handelsströme hatten in jenen Jahren ihre Richtung von Osten nach Westen verlagert. Durch das Ausscheiden Deutschlands aus dem Handelsverkehr entstand eine für Österreich völlig neue handelspolitische Situation.73 Die künftige wirtschaft71 Vgl. Jürgen Nautz, Die Entwicklung der Handelsbeziehungen Österreichs zu den anderen Nachfolgestaaten nach dem Ersten Weltkrieg, in: Wirtschaft und Gesellschaft 18 (1992), 539–560, hier: Tabelle 10, 554 f. 72 Vgl. Monatsberichte 1945. 30; 1946, 97 ff. 73 Vgl. Monatsberichte des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung XVIII (1945), 27.
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liche Entwicklung Deutschlands musste nachhaltigen Einfluss auch auf die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs und somit auf die Gestaltung der künftigen Wirtschaftspolitik haben und so musste der Gestaltung der handelspolitischen Beziehungen zu Deutschland eine gewichtige Rolle zufallen. Zwar war der Export in die westlichen Industriestaaten in jenen Jahren der deutschen Besatzung zurückgegangen, aber diese Umorientierung musste trotzdem dann eine „solche zu den westlichen Industriestaaten werden, wenn Deutschland deren integrierender Bestandteil geworden war. Der ,Anschluss‘ vermittelte […] eine Produktionsund Betriebsstruktur sowie ein technisches Niveau, welches es Österreich erstmals ermöglichte […], sich auf den westlichen Märkten durchzusetzen.“74 Die bereits in der Zeit vor 1945 eingeleitete Westorientierung erhielt in der Nachkriegszeit weitere wirkungsmächtige Impulse. Zu nennen sind hier vor allem die Gründung der OEEC, die Substitution traditioneller Osthandelsgüter durch ERP-Lieferungen und die Eskalation des Kalten Krieges. So verlagerte sich die Orientierung am ehemaligen Wirtschaftsraum der Monarchie nach dem Zweiten Weltkrieg sehr stark auf die westlichen Märkte. 1948, im ersten Marshallplanjahr gingen ca. 53 % der österreichischen Exporte in die OEEC-Länder, aber immerhin auch noch 18,42 % (1949: 23,18 %) in die Nachfolgestaaten der Monarchie, in die drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands in diesem Jahr 5,78 % der Gesamtausfuhr, immerhin noch 9 Prozentpunkte weniger als 1937 und 14,1 Prozentpunkte weniger als im Jahr 1928, als der Anteil Deutschlands am österreichischen Außenhandel (abgesehen vom Jahr 1919) seinen Höhepunkt (19,9 %) erreicht hatte.75 Betrachtet man die Entwicklung der regionalen Verteilung nach den später gebildeten Wirtschaftsräumen, so ergibt sich sowohl bei den Exporten wie auch bei den Importen Österreichs ab 1948 ein immer größer werdendes Übergewicht der ,Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft‘. Betrachtet man die jeweiligen Länderanteile am österreichischen Außenhandel mit der EWG, sind folgende signifikante Merkmale hervorzuheben: Mit Ausnahme des Außenhandels mit der Bundesrepublik findet sich in den Länderanteilen der Belgisch-Luxemburgischen Zollunion von 1944, der Niederlande, Frankreichs und Italiens nur eine minimale Bewegung; deren Anteile bleiben relativ konstant, wohingegen der Anteil der Bundesrepublik ab 1950/51 eine starke Dynamik aufweist. Dies lässt den Schluss zu, dass die Außenhandelsintegration Österreichs in den Wirtschaftsraum der EWG fast ausschließlich vom Handel mit der Bundesrepublik getragen wird. Wie wichtig die Entwicklung des Außenhandels Österreichs mit der Bundesrepublik für die Einbindung in die EWG war, zeigen die Kurvenverläufe der Grafiken 1 und 2 (174 ff.). Hier wird die Parallelität zwischen der Entwicklung des österreichisch-deutschen Außenhandels und dem mit der EWG deutlich. 74 Butschek, Österreichische Wirtschaft 1938 bis 1945, 114. 75 Siehe Tabelle 3. Zu den Zahlen für die Zwischenkriegszeit siehe: Nautz, Entwicklung der Handelsbeziehungen. Vgl. auch Egon Matzner, Trade Between East and West. The Case of Austria, Stockholm 1970, 85. Die Prozentzahlen bei Hannes Hofbauer, Westwärts. Österreichs Wirtschaft im Wiederaufbau, Wien 1992, Tabelle 6, 26, für das Jahr 1948 stimmen nicht; vgl. auch den Beitrag von Weiß in diesem Band.
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Wirtschaft und Politik
Der Anteil der späteren EFTA-Länder am österreichischen Außenhandel liegt allein 1947 über der Dreißigprozentmarke und bewegt sich danach in fast allen Jahren in etwa auf dem Niveau des Anteils der Osthandelsländer. Entscheidend für die Höhe des Außenhandelsanteils der EFTA ist derjenige der Schweiz, derjenige Großbritanniens ist dagegen nur partiell von besonderer Bedeutung. In den unmittelbaren Nachkriegsmonaten spielte der Handelsverkehr mit den deutschen Besatzungszonen so gut wie keine Rolle. Die Ursachen lagen neben der minimalen deutschen Produktion in erster Linie an streng gehandhabten Genehmigungsverfahren und der Briefzensur im Verkehr mit den deutschen Besatzungszonen durch die alliierten Kontrollorgane. Die mit Abstand meisten Geschäfte (14 Abschlüsse) wurden mit der amerikanischen Besatzungszone, die ja an Österreich angrenzte, abgeschlossen; mit der britischen Zone kamen zwei, mit der französischen Zone ein Kompensationsvertrag zustande. Dabei handelte es sich um Tauschgeschäfte, in die Österreich Magnesit, Soda und Fertigwaren einbrachte und die deutschen Besatzungszonen Chemikalien, Buna und Apparate.76 Tabelle 2: Die Verteilung des österreichischen Außenhandels nach Ländern in Schilling und in Prozentanteilen: August 1945 bis Mai 194677 Einfuhr Land Schweiz Großbritannien Schweden Dänemark Niederlande Belgien Portugal Deutschland Frankreich Italien Tschechoslowakei Ungarn Rumänien Jugoslawien USA
Mill. S 21,1 2,1 2,0 0,2 0,3 1,3 0,1 1,2 0,0 12,4 35,8 3,0 0,2 1,9 3,1
Ausfuhr % 24,9 2,6 2,4 0,2 0,4 1,5 0,1 1,4 0,0 14,6 42,3 3,5 0,2 2,2 3,7
Mill. S 18,3
% 20,5
4,3 0,2 0,0 2,4 0,1 1,4 4,2 12,4 35,0 2,6 0,1 1,9 6,3
4,8 0,2 0,0 2,8 0,1 1,6 4,7 13,9 39,2 2,9 0,1 2,1 7,1
76 Vgl. Monatsberichte XIX (1946), 98. Die Frage, mit wem in den deutschen Besatzungszonen und auf welchem Wege die österreichischen Behörden die Kompensationsverträge vereinbart haben, wäre anhand der OMGUS-Akten noch zu klären. 77 Monatsberichte XIX (1946), 96.
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Jürgen Nautz
Im Verlauf des Jahres 1946 nahmen die Einfuhren aus Deutschland erstmals deutlich zu; nimmt man die Gesamtzahlen des Jahres 1946, so ergibt sich ein Anteil von 23,8 %. Den Hauptanteil an den Einfuhren aus Deutschland machten Ruhrkohlelieferungen aus. Der Anteil am österreichischen Export war dagegen mit 2,1 % gering. Dennoch blieben die bereits 1945 führenden Länder Schweiz, Italien und Tschechoslowakei mit einem Anteil von 64 % (1937: 23 %) am gesamten österreichischen Außenhandel weiterhin dominierend.78 In den zwei darauffolgenden Jahren fiel der deutsche Importanteil wieder stark ab, zunächst auf 17,6, dann auf 10,3 % und erreichte 1949 11,99 %. Bei den Exportanteilen holte Deutschland zunächst nur langsam auf: lag dessen Anteil 1947 noch bei 4,35 %, so machte er 1948 5,78 % aus, 1949 erreichte er erst 7,74 %. Die Jahre 1950/51 können als Wendepunkt in der Entwicklung des Außenhandels zwischen der Bundesrepublik und Österreich angesehen werden. Die Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 und die damit verbundene Konsolidierung der Wirtschaftspolitik und die zunehmende Liberalisierung des Außenhandels dürften hierzu nicht unerheblich beigetragen haben. Die fortschreitende Integration der Wirtschaftsblöcke zeigte Wirkung auf den österreichischen Außenhandel: Auf der Importseite waren die Auswirkungen nicht so stark: Bis 1961 stieg der Anteil der EWG-Staaten auf gut 59,5 % an, danach stagnierte er bis 1968, dem Abschluss der ersten Integrationsphase der Gemeinschaft, bei einer Höhe um 58 %. Dabei blieb der Anteil der Bundesrepublik konstant bei etwas über 41 %. Die Importe aus den EFTAStaaten stiegen dagegen kontinuierlich bis auf 17,64 %, wobei die Parallelentwicklung zu dem Osthandelsanteil auffällig ist. Die Exporte Österreichs, die zwischen 1954 und 1963 rund zur Hälfte in die EWG-Staaten gingen, fielen allerdings merklich um ca. 9 Prozentpunkte ab. Dies lag zum einen am Rückgang der Exporte nach Deutschland (die allerdings erst 1965 ihren Höhepunkt erreichten) und vor allem am Rückgang des italienischen Anteils. In der gleichen Zeit konnten die Exporte in die EFTA-Staaten auf knapp 21,8 % gesteigert werden, wobei aber auch hier keine Absetzbewegung gegenüber den Osthandelsländern zu beobachten ist.
Schlussbetrachtung Die zunehmende Integration der österreichischen Wirtschaft in Richtung Westen hat immer wieder die Frage provoziert, ob hier nicht für Österreich negative Abhängigkeiten entstanden sind. Wie wir gesehen haben, besaß der Außenhandel mit der Bundesrepublik und ab den 60er-Jahren auch wieder zunehmend der deutsche Kapitalfluss für Österreich eine Schlüsselstellung. Dies musste die zuvor gestellte Frage vor allem auch auf die Rolle der Bundesrepublik lenken. Bedeutet die starke west- und bundesdeutsche Orientierung der österreichischen Wirtschaft tatsächlich – und dies wäre der entscheidende Indikator – eine 78 Vgl. Monatsberichte XX (1947), 36.
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Wirtschaft und Politik
Beschneidung oder eine entscheidende Behinderung in der Verfolgung vorrangiger „gesellschaftlicher Basisziele“? Die im Rahmen des ERP rasch eingeleitete Umorientierung der österreichischen Wirtschaft79 war mit einer sukzessiven Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Wirtschaft verbunden.80 Einer der wichtigsten Faktoren war hierbei die kräftige Intensivierung der Außenwirtschaftsbeziehungen des Landes, die sich vor allem in einer wachsenden Westintegration manifestierte, wobei den Wirtschaftsbeziehungen zum nunmehr bundesdeutschen Nachbarn eine gewichtige Rolle zukam. Österreich profitierte in der Nachkriegszeit von seiner Sonderstellung als Grenzland zu den osteuropäischen Staaten und seiner Mitgliedschaft in der EFTA, die seine organisatorische und wirtschaftliche Einbindung in Westeuropa bedeutete; westliche Konzerne nutzten den Standort Österreich zur effektiveren Bearbeitung der Ostmärkte.81 Gleichzeitig konnte Österreich aber trotz einer liberalen Außenhandelsorientierung durch verbleibende Zollbarrieren Teile des Binnenmarktes vor Konkurrenz schützen und so eine relativ ruhige Weiterentwicklung der Wirtschaftsstruktur absichern.82 Die Sonderstellung Österreichs dürfte nur beizubehalten gewesen sein aufgrund der strategischen Bedeutung, die die USA, aber auch die Bundesrepublik einem nach Westen orientieren Österreich zugemessen haben.83 Ohne die Basis der Westeinbindung und der westlichen Interessen an einem freien Österreich wäre die frühe Besuchsdiplomatie Österreichs in Osteuropa (Kreisky weilte als erster westlicher Außenminister in der ersten Hälfte der 60er-Jahre in Polen, Rumänien, Ungarn und Bulgarien) wohl nicht denkbar gewesen.84 Die Zunahme der deutschen Kapitalbeteiligungen in Österreich stellt einen Problembereich dar, der ebenfalls und im Besonderen die Frage nach der Abhängigkeit Österreichs aufgeworfen hat.85 Während sich im „österreichischen Historikerstreit“ die Debatte vor allem 79 Vgl. Wilfried Mähr, Der Marshallplan in Österreich, Graz/Wien/Köln 1989; Peter J. Katzenstein, Disjointed Partners. Austria and Germany since 1815, Berkeley 1976. 80 Vgl. Ottmar Höll, Abhängigkeit und Autonomie: Österreich im Internationalisierungsprozess, in: Österreichisches Jahrbuch für internationale Politik 1984, 26–63; ders. Technologieentwicklung, wirtschaftliche Umgestaltung und die europäische Integration, in: ebd. 1989, 50–75; ders./Helmut Kramer, Resumé und Ausblick, in: Helmut Kramer (Hrsg.), Österreich im internationalen System. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick, Wien 1983, 161–190. 81 Vgl. Helmut Kramer/Ottmar Höll, Österreich in der internationalen Entwicklung, in: Handbuch, 62. 82 Vgl. ebd., 63; Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen, Internationalisierung, Wien 1989. 83 Vgl. Audrey Kurth Cronin, Great Power Politics and the Struggle over Austria 1945–1955, Ithaca/London 1986, 19 f. 84 Vgl. Anselm Skuhra, Austria and the New Cold War, in: Bengt Sundelius (Hrsg.), The Neutral Democracies and the New Cold War, Boulder 1987, 117–147; Meier-Walser, Kabinett Klaus, 158; Erich Bielka, Österreich und seine volksdemokratischen Nachbarn, in: Ära Kreisky, 195–231. 85 Vgl. die Beiträge in Margit Scherb/Inge Morawetz (Hrsg.), Fest in deutscher Hand? Österreich und sein großer Nachbar, Wien 1990; Oliver Rathkolb/Georg Schmidt/Gernot Heiß (Hrsg.), Österreich und Deutschlands Größe. Ein schlampiges Verhältnis, Salzburg 1990.
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Jürgen Nautz
um die Frage der Nation und um die Frage, wie die österreichische Geschichte zu schreiben sei, drehte,86 gewann im Umfeld des Zusammenschlusses der beiden deutschen Nachkriegsstaaten auch die „Penetrationsthese“87 eine gewisse Revitalisierung, die neben der handelspolitischen Bedeutung des westlichen Nachbarn vor allem die – bereits für die Erste Republik und die Anschlussphase aufgeworfene – Frage nach der Macht des deutschen Kapitals in Österreich stellte.88 Verbunden wurde diese Frage mit der Problematisierung der Folgen der aktuellen österreichischen EG-Politik: „Kann Österreich das Jahr 1994 überleben?“, fragt Robert Fleck. Gelegentlich tat sich dabei der Eindruck auf, dass die Debatte von einem „insularen“ Standpunkt aus geführt wird. Ist die „Insel der Glückseligen“ in Gefahr? Bei der Bewertung der Auslandsinvestitionen ist aber zu berücksichtigen, dass die Auslandsunternehmen einen Teil der nicht existenten oder nur schwach vertretenen Branchen abgedeckt haben. Hinzu kommt, dass sich die Unternehmen – anders als in der Zwischenkriegszeit – politisch neutral und standortfest verhalten haben.89 Insgesamt betrachtet kann man feststellen, dass die Verflechtung Österreichs mit den westlichen Volkswirtschaften natürlich Abhängigkeiten geschaffen hat, die allenthalben in Kleinstaaten größer sind als anderswo, gleichzeitig aber die deutlich positive wirtschaftliche Entwicklung der Zweiten Republik entscheidend getragen hat. Mit dieser intensiven außenwirtschaftlichen Verflechtung ging eine im internationalen Vergleich – und im Besonderen in jenem mit den anderen zentraleuropäischen Staaten, die in den Einflussbereich der UdSSR geraten waren – sehr positive Entwicklung des Lebensstandards der österreichischen Gesellschaft einher.90
86 Vgl. hierzu Peter Malina, Von Historikern und ihren Geschichten. Der nationale Ort Österreichs in der österreichischen und der deutschen Diskussion, in: Rathkolb u. a., Österreich und Deutschlands Größe, S. 93–109. 87 Zur Genese der Penetrationsthese für die Zwischenkriegszeit siehe: Ulrich Kluge, Krisenherde der Ersten Republik Österreich (1918–1938). Beiträge zur Früh- und Spätphase der innenpolitischen Entwicklung, in: Neue Politische Literatur (NPL) 29 (1974), 72–90; ders., Das Dilemma einer Demokratie. Zwischenbilanz der österreichischen Forschung zur Geschichte der Ersten Republik 1918–1938, in: NPL 23 (1978), 219–247. 88 Etwa der Beitrag von Rosmarie Atzenhofer, Wie das Deutsche Eigentum wieder „deutsch“ wurde, in: Scherb/ Morawetz, In deutscher Hand, 61–86; ebd., 27–60 der Aufsatz von Margit Scherb, Wir und die westeuropäische Hegemonialmacht. Die Beziehungen zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland in den Bereichen Währung, Außenhandel und Direktinvestitionen. 89 Vgl. Kramer/Höll, 63. 90 Vgl. hierzu auch: Jürgen Nautz, Ökonomische Transformationsprozesse in Mitteleuropa. Der Blickwinkel eines Historikers, in: ders., Regionen und Europa, Basel/Berlin/Boston 1993.
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Wirtschaft und Politik
Tabelle 3: Regionale Verteilung des österreichischen Außenhandels in Prozenten nach dem Zweiten Weltkrieg Importe Belgien/Luxemburg BRD* Frankreich Italien Niederlande EWG Dänemark Großbritannien Norwegen Portugal
1947
1948
1949
1950
1951
1952
1953
1954
1,93 17,60 5,89 7,35 2,53 35,30 2,16
1,69 10,33 3,18 12,89 2,93 31,01 1,14 6,49 0,78 0,06 1,89 9,98 19,55
2,20 11,99 3,18 8,57 2,74 28,68 0,81 4,51 0,80 0,05 1,13 3,37 9,86
3,13 16,59 2,68 7,21 2,70 32,31 0,84 7,74 0,64 0,46 1,40 4,12 14,56
4,93 16,76 5,43 4,66 3,07 34,84 1,02 11,70 0,56 1,64 1,85 4,30 20,51
1,93 21,56 3,80 6,07 3,36 38,70 0,68 9,61 0,72 0,34 2,24 3,73 16,60
2,82 28,35 4,10 7,29 2,06 44,62 0,76 5,77 0,88 0,14 1,36 4,25 12,29
2,31 35,95 3,81 8,45 2,73 53,25 0,90 4,81 0,78 0,13 1,17 4,51 11,52
9,17 1,37 0,04
Schweden Schweiz EFTA
1,37 13,47 26,21
Bulgarien DDR Jugoslawien Polen Rumänien Tschechoslowakei UdSSR Ungarn Osthandel Nachfolgestaaten
1,21 – 2,17 5,27 0,21 13,09 0,02 2,88 24,84 23,62
1,54 – 5,56
0,71 – 2,81
0,39 0,53 2,33
0,20 1,13 2,43
0,64 1,26 4,43
1,17 1,45 1,87
0,82 1,14 2,59
5,41 1,04 12,23 0,00 5,31 31,09 29,55
3,80 0,91 6,14 0,01 3,18 17,57 16,85
4,61 0,47 4,34 0,01 2,16
3,84 0,56 3,31 0,01 2,01
3,88 0,61 3,11 0,02 1,74
3,97 1,43 1,86 0,01 0,94
3,14 0,38 1,32 0,21 2,14
14,84 13,91
13,48 12,14
15,69 13,77
12,71 10,07
11,73 9,56
1955
1956
1957
1958
1959
1960
1961
1962
1,90 35,43 4,50 7,96 2,74 52,53
1,71 33,98 4,10 8,12 2,73 50,64
1,62 36,17 3,32 7,91 2,57 51,59
1,65 38,92 3,03 7,54 3,02 54,17
1,83 40,25 0,41 7,86 2,2 53,75
1,93 39,95 3,69 8,05 3,16 56,48
1,69 42,88 3,89 7,93 3,14 59,53
1,78 42,31 3,85 8,18 3,11 59,23
Dänemark Großbritannien
0,57 4,48
0,61 4,22
Norwegen Portugal
0,83 0,22
0,95 0,23
0,54 4,15 0,66
0,69 4,35 0,50
0,80 4,62 0,43
0,15
0,23
0,29
0,66 4,94 0,57 0,17
0,76 5,03 0,53 0,18
0,93 5,05 0,47 0,20
Belgien/Luxemburg BRD Frankreich Italien Niederlande EWG
177
Jürgen Nautz Schweden Schweiz EFTA
1,38 4,34 10,99
1,22 4,94 11,22
1,28 4,92 11,05
1,16 4,31 10,75
1,15 4,39 11,26
1,44 4,33 11,53
1,48 4,68 12,14
1,45 4,97 12,59
Bulgarien DDR Jugoslawien Polen Rumänien Tschechoslowakei UdSSR Ungarn Osthandel Nachfolgestaaten
0,29 1,34 1,67 2,75 0,66 1,71 0,47 2,17 11,08 8,97
0,51 1,24 1,55 2,64 0,64 1,81 0,74 1,96 11,08 8,59
0,46 1,34 1,67 2,92 0,57 1,67 1,90 1,33 11,86 8,16
0,41 1,40 1,64 2,77 0,57 1,69 2,04 1,90 12,41 8,56
0,55 1,36 1,80 2,45 0,41 1,83 2,58 2,08 13,07 8,58
0,53 1,37 1,95 2,21 0,71 1,62 2,86 1,88 13,14 8,38
0,42 1,26 1,61 1,87 0,76 1,57 3,09 1,42 12,00 7,23
0,47 1,22 1,62 2,10 0,87 1,61 2,82 1,94 12,66 8,15
1963
1964
1965
1966
1967
1968
Belgien/Luxemburg BRD Frankreich Italien Niederlande EWG
1,79 41,34 4,24 7,75 3,17 58,29
1,87 41,74 4,56 7,45 3,20 58,81
1,74 41,78 4,18 8,26 3,23 59,19
1,63 42,42 4,11 7,56 3,05 58,77
1,72 41,66 4,04 7,86 3,27 58,54
1,93 41,42 3,93 7,18 3,07 57,37
Dänemark Großbritannien Norwegen Portugal Schweden Schweiz EFTA
0,88 5,38 0,45 0,23 1,65 5,14 13,28
0,98 5,33 0,48 0,29 1,86 5,44 13,90
1,24 5,47 0,42 0,32 1,75 5,53 14,30
1,24 5,73 0,42 0,38 1.88 5,99 15,22
1,33 6,02 0,39 0,49 2,39 7,31 17,54
1,43 6,16 0,44 0,47 2,10 7,48 17,64
Bulgarien DDR Jugoslawien Polen Rumänien Tschechoslowakei UdSSR Ungarn Osthandel Nachfolgestaaten
0,40 1,20 1,79 2,42 1,29 1,68 3,09 1,95 13,82 9,12
0,44 1,17 1,42
0,56 1,25 1,33
0,71 1,08 1,93
0,54 0,98 2,00
0,48 0,92 1,81
2,14 1,04 1,59 2,80 1,45 12,05 7,65
2,16 0,98 1,81 2,51 1,49
1,83 0,71 1,51 2,10 1,62
1,60 0,70 1,62 2,12 1,47
1,63 0,88 1,86 2,34 1,62
12,09 7,76
11,49 7,60
11,03 7,39
11,55 7,80
178
Wirtschaft und Politik Exporte Belgien/Luxemburg BRD Frankreich Italien Niederlande EWG Dänemark Großbritannien Norwegen Portugal
1947
1948
1949
1950
1951
1952
1953
1954
2,51 4,35 4,33 16,01 3,60 30,81
1,96 5,78 4,28 17,01 3,99 33,03
1,94 7,74 3,20 18,45 4,89 36,23
1,78 15,29 2,79 13,41 4,44 37,71
1,81 14,21 4,65 11,03 5,39 37,09
1,93 20,11 5,45 13,15 2,87 43,50
1,85 19,65 3,47 17,49 4,11 46,57
2,07 23,52 2,79 17,85 4,23 50,46
0,71 5,39 0,16 0,10
1,21 7,45 0,67 0,08 3,83 13,32 25,89
1.33 4,23 0,71 0,30 1,91 5,79 13,56
1,04 3,74 0,64 1,19 1,93 5,24 13,13
1,29 8,77 0,63 2,09 1,86 6,08 20,09
0,91 6,99 0,54 0,48 1,92 5,13 15,44
0,84 6,89 0,79 0,37 1,82 4,17 14,08
0,94 3,88 4,00 0,68 0,52 1,67 7,70
1,19 – 4,88
1,85 – 6,73
0,63 0,77 4,02
0,15 0,91
0,91 1,12
1,36 1,72
0,51 1,65
1,45 0,88 7,52 0,02 3,69 19,63 18,42
3,78 1,11 7,22 0,00 4,34
3,06 1,06 6,11 0,01 3,64
2,99 4,37 0,87
5,15 3,57 1,17
4,13 3,09 1,31
4,00 2,93 0,94
5,28 0,.01 1,57
3,87 0,06 1,98
1,72 0,29 1,27
1,23 0,24 1,93
25,03 23,18
19,30 17,89
16,13 15,07
17,83 15,74
14,90 11,52
13,42 11,03
Schweden Schweiz EFTA
3,71 25,18 35,10
Bulgarien DDR Jugoslawien Polen Rumänien Tschechoslowakei
0,65 – 2,13 2,68 0,50 9,23 0,05 4,32 19,56 18,86
UdSSR Ungarn Osthandel Nachfolgestaaten
1955 Belgien/Luxemburg BRD Frankreich Italien Niederlande EWG
1,93 25,08 3,40 16,84 3,90 51,14
1956
1957
1,93 23,37 3,92 16,69 3,52 49,43
1,74 25,56 3,01 17,56 2,97 50,83
1958
1962
1,75 27,46 2,07 15,24 3,02 49,54
1,53 27,94 2,09 15,33 3,12 50,01
0,96 2,57 0,79 0,39 2,32 4,54 10,77
1,04 2,81 0,91 0,29 2,60 4.82 11,55
1,27 3,06 0,97 0,39 2,64 6,03 13,39
1,37 2,84 0,95 0,32 2,48 7,21 14,22
0,73
0,66
0,73
0,82
3,66 0,55 0,37
3,59 0,60 0,38 1,62 5,53 11,78
2,47 0,74 0,32 1,69 5,40 10,62
2,42 0,74 0,38 1,95 4,16 9,73
179
1961
1,93 26,81 1,74 16,64 3,03 50,23
Dänemark
1,67 4,61 11,04
1960
1,83 26,51 1,73 16,45 2,75 49,28
Großbritannien Norwegen Portugal Schweden Schweiz EFTA
1959
1,73 25,07 2,69 17,02 2,84 49,34
Jürgen Nautz
Bulgarien DDR Jugoslawien Polen Rumänien Tschechoslowakei UdSSR Ungarn Osthandel Nachfolgestaaten
0,62 1,72 3,07 2,56 0,53 1,54 0,80 2,16 13,00 9,86
0,71 2,06 2,70 3,23 0,80 2,24 1,64 2,29 15,68 11,26
0,72 1,75 2,66 3,27 0,57 2,31 2,80 2,41 16,49 11,23
0,47 1,66 2,85 3,41 0,49 2,04 2,21 2,14 15,26 10,93
1,04 1,61 2,81 2,07 0,54 1,88 3,47 2,69 16,11 9,99
0,72 1,80 3,47 1,81 0,89 2,62 3,50 2,39 17,19 11,17
1963
1964
1965
1966
1967
1968
Belgien/Luxemburg BRD Frankreich Italien Niederlande EWG
1,51 26,38 2,32 16,68 3,06 49,94
1,44 27,87 2,47 12,30 3,44 47.52
1,26 28,60 2,21 10,77 3,82 46,66
1,37 26,74 2,20 10,76 3,53 44,61
1,08 22,21 2,24 11,87 3,30 40,70
1,93 23,39 2,26 10,31 3,10 40,31
Dänemark Großbritannien Norwegen Portugal Schweden Schweiz EFTA
1,39 3,91 0,88 0,43 2,57 6,78 15,08
1,56 4,56 0,.90 0,51 3.08 7,88 17,59
1,63 3,88 0,88 0,47 3,20 7,47 16,66
1,70 4,22 0,96 0,59 3,65 8,12 18,29
1,93 5,56 1,23 0,64 3,58 8,65 20,36
1,84 6,34 1,08 0,72 3,69 9,18 21,76
Bulgarien DDR Jugoslawien Polen Rumänien Tschechoslowakei UdSSR Ungarn Osthandel Nachfolgestaaten
1,18 1,46 2,56 1,53 1,13 2,05 4.68 2.87 17,45 1013
1,24 1,35 7,63 1,63 1,63 2,00 3,99 2,99
1,58 1,78 0,24 1,99 1,37 2,32 3,57 2,65
1,48 1,81 2,28 2,13 1,55 2,62 3,53 2,31
1,70 1,65 3,19 2,22 2,41 2,28 3,29 2,66
1,26 1,30 3,84 1,96 1,87 2,33 3,44 2,61
17,47 10,88
15,51 8,58
17,70 10,88
19,39 12,76
18,62 12,62
1,03 1,95 2,89 2,21 1,03 2,67 3,59 2,17 17,53 10,96
1,05 1,22 2,66 2,31 1,32 2,43 4,27 2,23 17,50 10,96
Quelle: Statistisches Handbuch für die Republik Österreich, hg. v. Österreichischen Statistischen Zentralamt, I. Jg. N, Wien 1950 ff., Prozentanteile eigene Berechnung. * bis 1949 alle vier Besatzungszonen. Der Außenhandel mit Albanien tendierte in dieser Zeit immer gegen null und konnte daher in der Tabelle vernachlässigt werden.
180
Wirtschaft und Politik
Grafiken 1 Regionale Verteilung der österreichischen Ausfuhren in Prozent, 1947–1968 60 50 40 30 20 10 0 1968
1967
1966
1965
1964
1963
1962
1961
EFTA
1960
EWG
1959
1958
1957
1956
1955
1954
1953
1952
1951
1950
1949
1948
1947
BRD
Osthandel
60
50
v.H.
40
30
20
10
0
Linear (Osthandel)
1970
1969
1968
1967
1966
Linear (EFTA)
1965
1964
1963
Linear (EWG)
1962
1961
1960
181
1959
Jahr
Linear (BRD)
1958
1957
1956
Osthandel
1955
1954
1953
1952
EFTA
1951
1950
EWG
1949
1948
1947
1946
1945
BRD
Jürgen Nautz
Grafiken 2 Regionale der österreichischen Einfuhren in Prozent, 1947–1968 RegionaleVerteilung Verteilung der österreichischen Einfuhren in Prozent, 1947–1968 70
70
60
60
50
50
40
40
30
30
20
20
10
10
0
0
BRD
BRD
EWG
EFTA
EWG
Osthandel
EFTA
Osthandel
70
60
von Hundert
50
40
30
20
10
0
Jahr BRD
EWG
EFTA
Osthandel
Linear (BRD)
182
Linear (EWG)
Linear (EFTA)
Linear (Osthandel)
Thomas Angerer
Integrität vor Integration Österreich und „Europa“ aus französischer Sicht 1949–1960
Trotz des Kalten Krieges sah Frankreich die Österreichfrage auch nach dem Zweiten Weltkrieg in jenem Zusammenhang, den Wilfried Loth als „die ursprüngliche Dimension der deutschen Frage“ beschrieb: die Unsicherheit vor Deutschland.1 Die ursprüngliche Dimension der Österreichfrage, so lässt sich in Anlehnung an Loth formulieren, blieb für Frankreich die Unsicherheit, Deutschland könnte Österreichs Unabhängigkeit erneut gefährden – und sei es nur, indem es wirtschaftlich ein unverhältnismäßig starkes, einseitiges Abhängigkeitsverhältnis schuf. Solange die alliierte Besatzung währte, sah Frankreich die Gefahr noch in erster Linie hinter einer Teilung des Landes. Während Wien in sowjetische Hände geriete, so die französische Annahme, würden sich Österreichs Westzonen Westdeutschland zuwenden.2 Zu einer ,neuen Österreichpolitik‘ nach dem Muster der sogenannten ,neuen Deutschlandpolitik‘3 kam es bei den Franzosen daher nie: „Maintenir le quadripartisme“, blieb für sie in Österreich bis zum Schluss das oberste Gebot. Dies auch und gerade nachdem der Staatsvertrag um die Jahreswende 1949/50 wieder aus der Griffnähe rückte und Frankreich seine Bemühungen um eine westeuropäische, nicht nur atlantische Kooperation bzw. Integration
1 Wilfried Loth, Die deutsche Frage in französischer Perspektive, in: Ludolf Herbst (Hrsg.), Westdeutschland 1945–1955. Unterwerfung, Kontrolle, Integration, München 1986, wiederabgedruckt in: Loth, Ost-WestKonflikt und deutsche Frage, München 1989, hier 47. 2 Note de la Sous-Direction d’Europe centrale, 28. 10. 1950. Archives Diplomatiques du Ministère des Affaires Etrangères [MAE], Serie: Europe 1944–1960, Sous-serie: Autriche [EU/AUT], volume 230. Dossier pour le voyage du Secrétaire d’Etat [Maurice Schumann] à Vienne, n° 5: Autriche – Allemagne. Diplomatie p[our] o[ordre] Alexandre Parodi [Generalsekretär] an Jean Payart [frz. Hochkommissar und Gesandter in Wien]), 11. 10. 1952. Ebenda, vol. 252. Henri Bonnet (frz. Botschafter in Washington) an Robert Schuman (Außenminister), 13. 10. 1952. Ebenda, vol. 260. Direction Géneréle Politique, Note sur les relations austro-allemandes, 20. 10. 1952. Schumann an frz. Botschaften in Washington, London, Wien, Bonn und Rom. 23. 10. 1952. Ebenda, vol. 253. Direction Géneréle Politique, Note a. s. L’Autriche et les risques d’un Anschluss, 22. 3. 1954. Ebenda, vol. 255. 3 Hellmuth Auerbach, Die europäische Wende der französischen Deutschlandpolitik 1947/49, in: Ludolf Herbst/ Werner Bührer/Hanno Sowade (Hrsg.), Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt, München 1990, 577–591. John W. Young, France, the Cold War and the Western Alliance, 1944–49. French Foreign Policy and Post-War Europe, New York/London 1990, 191 ff. Pierre Gerbet, Le relevement, 1944–1949 (Politique étrangère de la France, 1871–1969), Paris 1991, 259 ff.
183
Thomas Angerer
zur Kontrolle der BRD verstärkte.4 In Deutschland hierfür notgedrungen in die „Rolle des Motors“ geschlüpft, behielt Frankreich in Österreich seine „Rolle der Bremse“.5
I. „Derzeit so eine Sache“: Österreich und der Europarat Die französischen Europaratspläne sahen den Einschluss Österreichs von Anfang an vor.6 „Die Europäische Union“, so der Leiter der Europa-Abteilung in der Politischen Sektion des Quai d’Orsay, Jean-Camille Paris, im Jänner 1949, „müsse möglichst alle Staaten diesseits des [Eisernen] Vorhanges umfassen, vor allem Italien und Österreich“.7 Bei Österreich stellten die Pläne aber auch die Gefahr einer sowjetischen Reaktion in Rechnung.8 „Was uns anlange“, berichtete Gesandter Alois Vollgruber von einem Gespräch mit Paris wenige Wochen später, „so halte man es im Augenblick für opportun, nicht von uns zu reden, à cause de votre traité. […] bei uns sei es eben ,derzeit so eine Sache‘.“9
Solange die Staatsvertragsverhandlungen noch zu keinem Abschluss gekommen und die sowjetischen Truppen nicht abgezogen waren, standen in Österreich Teilung und darauffolgender (Teil-)Anschluss zu fürchten. Dieser Gefahr vorzubeugen war aus französischer Sicht wichtiger als eine eilige Aufnahme Österreichs in den Europarat. In diesem Sinne sprach sich Außenminister Robert Schuman auch zwei Monate nach dem vielversprechenden
4 Notes de la Sous-Direction d’Europe centrale, 19., 20. und 27. 1. 1950. MAE, EU/AUT, vol. 274. Gerald Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945–1955. Österreichs Weg zur Neutralität. Studienausgabe, Graz/ Wien/Köln 19853, 71 ff. Audrey Kurth Cronin, Eine verpasste Chance? Die Großmächte und die Verhandlungen über den Staatsvertrag im Jahre 1949, in: Günter Bischof/Josef Leidenfrost (Hrsg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949, Innsbruck 1988, 347–370. – Wilfried Loth, Die EuropaDiskussion in Frankreich, in: ders. (Hrsg.), Die Anfänge der europäischen Integration 1945–1950, Bonn 1990, 29–49 (dort weitere Literaturverweise). Gerbet, Le Relevement, 363 ff. 5 Für die französische Deutschlandpolitik prägte dieses Bild vom Rollenwechsel: Alfred Grosser, Affaires extérieures. La politique de la France, 1944–1989, Paris 1989, 81. Vgl. Raymond Poidevin, Die europapolitischen Initiativen Frankreichs des Jahres 1950 – aus einer Zwangslage geboren?, in: Herbst/Bührer/Sowade, Vom Marshallplan zur EWG, 257–262. 6 Marie-Therese Bitsch, Le rôle de la France dans la naissance du Conseil de l’Europe, in: Raymond Poidevin (Hrsg.), Histoire des debuts de la construction européenne, Brüssel/Mailand/Paris/Baden-Baden 1986, 180 f., 183. 7 Alois Vollgruber (österr. Gesandter in Paris) an Karl Gruber (österr. Außenminister), 26. 1. 1949. Österreichisches Staatsarchiv, BKA/AA, II-pol, 1949, International 2, Zl. 13. 8 Bitsch, Le rôle, 181. 9 Brief Alois Vollgruber an Generalsekretär Heinrich Wildner, 19. 2. 1949. BKA/AA, 11-pol, 1949, Staatsvertrag/Allgemeines, ohne Zahl.
184
Integrität vor Integration
Durchbruch in den Staatsvertragsverhandlungen vom Juni 194910 aus. Gegenüber seinem österreichischen Amtskollegen, Karl Gruber, erklärte er sich für „absolut der Ansicht, dass wir vorläufig in dieser Sache [Österreichs evtl. Europaratsbeitritt] nichts unternehmen sollten. Hätten wir aber einmal den Vertrag, dann sollten wir raschest beitreten, jedenfalls noch ehe Westdeutschland aufgenommen werde.“11
Entsprechend „beschwichtigend“ griff Schuman nach den Worten Paris’ auf der 2. Sitzung des Ministerkomitees des Europarates Anfang November ein, als vor allem vonseiten Hollands und Belgiens auf einen raschen Beitritt Österreichs gedrängt wurde.12 Schuman traf sich in dieser Haltung ganz mit Gruber, der in diesem Zusammenhang kategorisch festschrieb: „Erst Staatsvertrag, dann alles weitere.“13 Freilich zeigte sich Paris zufrieden, als Bundeskanzler Leopold Figl in seiner Regierungserklärung im November 1949 versicherte, es sei „klar, dass Österreich auch an den Arbeiten des Europarates […] sich aktiv beteiligen wird“.14 Schließlich war der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten in der französischen Abgeordnetenkammer, Edouard Bonnefous, auf „äußerste Zurückhaltung“ gestoßen, als er in Österreich sechs Wochen zuvor „weniger um ein offizielles Bündnis, als um eine bewusste praktische Zusammenarbeit“ mit Westeuropa geworben hatte, und zwar in erster Linie mit dem Europarat.15 Darüber hinausgehende Forderungen des französischen Hochkommissars in Wien, General Marie-Emilie Béhouart, wurden im Quai d’Orsay 10 Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages, 56 f. 11 Aufzeichnung der österreichischen Gesandtschaft Paris vom 22. 8. 1949 über die Unterredung Gruber Schuman am 20. 8. 1949. BKA/AA, II-pol, 1949, Stv, 128/L/2/49. 12 Vollgruber an Gruber, 14. 11. 1949. BKA/AA, II-pol, 1949, International 2, Zl. 91. Vgl. Wolfgang Burtscher, Österreichs Annäherung an den Europarat von 1949 bis zur Vollmitgliedschaft im Jahre 1956, in: Waldemar Hummer/Georg Wagner (Hrsg.), Österreich im Europarat, 1956–1986. Bilanz einer 30-jährigen Mitgliedschaft, Wien 1988, 39. 13 Handschriftliche Randbemerkung Grubers zum Brief Lothar Wimmers (österr. Gesandter in Brüssel) an Wildner, 2. 12. 1949. BKA/AA, II-pol, 1949, Int. 2, Zl. 89.650. Ebenda auch die entsprechende Antwort Wildners an Wimmer. Vgl. Gruber (aus Paris) an Wildner, 30. 10. 1949. Ebenda, Zl. 88.315. 14 Zn. n.: Eva-Marie Csáky, Der Weg zu Freiheit und Neutralität. Dokumentation zur österreichischen Außenpolitik 1945–1955, Wien 1980, 209. Vollgruber an Gruber, 14. 11. 1949. Wie Anm. 12. 15 Bonnefous hatte wenig zuvor an der konstituierenden Sitzung des Europarates teilgenommen und sich nicht zuletzt dort als Wortführer der westeuropäischen Integration profiliert. Armée politique 1949, 154. Zum Zitat: Amtsvermerk der Präsidialkanzlei über die Vorsprache Bonnefous’ bei Staatspräsident Renner am 6. 10. 1949. Vgl. Stourzh, Geschichte, 108, 319 f. Nach Béthouarts seinerzeitigem Bericht betonte Bonnefous sogar ausdrücklich: „Die Frage bestünde nicht darin, von Österreich einen formellen Beitritt zum Europarat [Union Européenne, nicht zu verwechseln mit der Union Occidentale, dem Brüsseler Pakt] zu verlangen […].“ Béthouart an Secretariat General aux Affaires Allemandes et Autrichiennes, 8. 10. 1949. MAE, EU/AUT, vol. 247 und 260. Die Angabe in Béthouarts Memoiren, Bonnefous hätte in Österreich um die Vorbereitung eines NATO-Beitrittes geworben, lässt sich bislang nicht belegen. Vgl. General Béthouart, La Bataille pour l’Autriche, Paris 1966, 266.
185
Thomas Angerer
allerdings ohnehin als „Schritte, die Moskau ohne Zweifel als Provokationen betrachten würde“, verworfen.16 Als die Bundesrepublik Deutschland im Juni 1950 den Beitritt zum Europarat beschloss (mangels äußerer Souveränität nur als „assoziiertes Mitglied“),17 drängte die SPÖ auf einen Gleichzug Österreichs,18 und Gruber warf die Frage schließlich informell über die Briten auf.19 Der Quai d’Orsay blieb bei seiner vorsichtigen Haltung: Die Sowjets würden im Alliierten Rat „natürlich“ Einspruch erheben. Wollte sich Österreich darüber hinwegsetzen, „würde es den Bruch des Quadripartismus und die Teilung des Landes provozieren. […] Die Zulassung Österreichs in der bloßen Form eines assoziierten Mitgliedes wäre nicht geeignet, diese Nachteile zu beseitigen.“20
Sobald die BRD infolge der zweiten Revision ihres Besatzungsstatutes im Europarat Vollmitglied werden konnte (Mai 1951),21 lebte die Frage nach Österreichs Verhältnis zu Straßburg mit einer bezeichnenden, von der Forschung bislang unbeachteten Automatik wieder auf. Zunächst sah sich der Quai d’Orsay einem Antrag auf Zulassung österreichischer Beobachter bei der Beratenden Versammlung gegenüber (Juni 1951); im Dezember dann sogar einer Entschließung der Beratenden Versammlung mit der Aufforderung an das Ministerkomitee, Österreich bei nächster Gelegenheit zur Vollmitgliedschaft einzuladen.22 Wohl war Großbritannien und Frankreich als Mitgliedern, die Besatzungsmächte waren, vorausgehende Konsultationen mit Österreich zugestanden worden. Auch hatte sich keiner der beiden über die Initiative glücklich gezeigt: Zumindest bei der Entsendung von Beobachtern zur
16 Note [de la Sous-Direction d’Europe centrale], 27. 1. 1950. René Massigli (frz. Botschafter in London) an Schuman, 4. 1. 1950. Béthouart an Schuman, 20. 1. 1950. MAE, EU/AUT, vol. 274. Béthouart fordert hier für den Fall des Staatsvertragsabschlusses ein Geheimabkommen über Österreichs sofortige Aufnahme in den Europarat, die Verlegung des Europaratssitzes nach Wien, sowie die Eingliederung Österreichs in eine westeuropäische Wirtschafts- und Zollunion. Vgl. Audrey Kurth Cronin, Great Power Politics and the Struggle over Austria, 1945–1955, Ithaca/London 1986, 99. 17 Ulrich Enders, Der Konflikt um den Beitritt der Bundesrepublik und des Saargebiets zum Europarat, in: Herbst/Bührer/Sowade, Vom Marshallplan zur EWG, 42 ff. 18 (Louis de Monicault [frz. Gesandter in Wien]) an Schuman, 20. 6. 1950. Note de la Sous-Direction d’Europe centrale, 26. 6. 1950. MAE, EU/AUT, vol. 247. 19 Lewis W. Douglas (US-Botschafter in London) an Dean Acheson (US-Außenminister), 10. 7. 1950. Foreign Relations of the United States (= FRUS) 1950, Bd. III, 775 f. Massigli an Schuman, 22. 7. 1950. MAE, Europe 1944–1960, Conseil de l’Europe, vol. 13. 20 Schuman (Sous-Direction d’Europe centrale) an Massigli, 26. 7. 1950. MAE, EU/AUT, vol. 247. Das Foreign Office, selbst skeptisch, sollte übrigens auch im State Department auf Bedenken stoßen: Massigli an Schuman, 5. 8. 1950. Ebd. Acheson an Douglas, 8. 8. 1950. FRUS 1950, Bd. III, 781. 21 Enders, Der Konflikt, 46. 22 Burtscher, Österreichs Annäherung, 39 ff. Vgl. Diplomatie p. o. François Seydoux (Leiter der Europa-Abteilung, in der Politischen Sektion) an Payart, 4. 8. 1951, MAE, Europe 1944–1960, Conseil de l’Europe, vol. 13.
186
Integrität vor Integration
Beratenden Versammlung (im Unterschied zu den Sachverständigenausschüssen) hatte der Quai d’Orsay sowjetische Reaktionen befürchtet. Mehr noch fürchtete er aber den „unangenehmen Eindruck“, den Frankreich mit Großbritannien hinterlassen würde, sollte Österreich auf seinem Wunsch bestehen, und sie die Einzigen bleiben, die sich diesem im Europarat entgegenstellen würden.23 Ferner wurde ein Beobachterstatus im Vergleich mit der Vollmitgliedschaft vom Quai d’Orsay noch als die harmlosere Lösung angesehen.24 Und schließlich hatte die französische Integrationspolitik mit Schuman- und Pleven-Plan ohnehin bereits die Pferde gewechselt: Im August 1952 trat die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) mit der Bildung der Hohen Behörde in Luxemburg in die Durchführungsphase.25
II. „Eine Art Anschluss“? Österreich und die EGKS Anfang September 1950 – die Sonderbeauftragten für die Staatsvertragsverhandlungen traten gerade zu einer ihrer nach Ausbruch des Koreakrieges immer selteneren Sitzungen zusammen26 – machte Außenminister Schuman in der österreichischen Presse mit einer bis dahin einzigartigen Äußerung Schlagzeilen. Er ließ dementieren, sobald sie sich als gefundenes Fressen für die Neutralitätskampagne der Demokratischen Union Josef Dobretsbergers herausstellte (die KPÖ brachte sich selbst um den Propagandaeffekt). Doch war sie zu diesem Zeitpunkt längst unwidersprochen und in Balkenlettern von der Regierungspresse vereinnahmt worden: „Obwohl es ein Opfer für die Westmächte bedeutet, haben diese und die österreichische Regierung im Interesse Österreichs dieses Land aus dem Fragenkomplex [Beitritt Österreichs zum Stahl-Pool oder Beitrag Österreichs zur europäischen Verteidigung] vollkommen herausgehalten, um den Unterschied Österreichs gegenüber Deutschland zu dokumentieren und die Unteilbarkeit Österreichs zu betonen.“27 23 Diplomatie p. o. Parodi an Bonnet, 10. 10. 1951. Diplomatie p. o. Parodi an Payart, 11. 10. 1951. MAE, EU/ AUT, vol. 247. Heinrich Schmid (österreichischer Gesandter in Paris) an Jean-Camille Paris (seit 1949 Generalsekretär des Europarates), 21. 9. 1951. Paris an Schmid, 29. 9. 1951. Payart an Schuman, 16. 10. 1951. Pour le Ministre: Parodi an Paris, 7. 11. 1951 (nach dem Muster eines britischen Entwurfes vom 29. 10. 1951). Direction d’Europe / Conseil de l’Europe an Paris, 8. 11. 1951. MAE, Europe 1944–1960, Conseil de l’Europe, vol. 13. 24 David Bruce (US-Botschafter in Paris) an Acheson, über ein Gespräch mit dem Österreich-Referenten in der Zentraleuropaabteilung des Quai d’Orsay, Philippe Koenig, 30. 8. 1951. FRUS 1951, Band IV, Washington 1985, Dok.-Nr. 546. 25 Wilfried Loth, Der Abschied vom Europarat. Europapolitische Entscheidungen im Kontext des SchumanPlans, in: Klaus Schwabe (Hrsg.), Die Anfänge des Schuman-Plans 1950/51, Baden-Baden/Mailand/Paris/ Brüssel 1988, 183–195. 26 Stourzh, Geschichte, 76. 27 So Schuman am Rande einer Pressekonferenz auf eine diesbezügliche Frage des APA-Korrespondenten in Paris. Am 7. 9. 1950 als Aufmacher in: Neues Österreich, 5. 1, und Neue Wiener Tageszeitung, 1. Vgl. vom
187
Thomas Angerer
Auf Verteidigungsfragen wird im Folgenden nicht eingegangen. Sie stellten sich für Öster reich auch aus französischer Sicht weniger im europäischen als im atlantischen Rahmen.28 Doch wie verhielt es sich mit dem Schuman-Plan? Nehmen wir vorweg, dass sich die Absprache unter den Westmächten, auf die sich Schuman berief, bislang nicht belegen lässt. Allerdings stand der Plan von Anfang an im Zeichen der Bemühung, Europaratsverhältnisse zu vermeiden und den Kreis der Gründerstaaten auf jene zu beschränken, die zu einer Integration nach französischen Vorstellungen am ehesten willens und fähig waren.29 Und dies schloss nicht nur Großbritannien aus, sondern bis zur Aufhebung der vierfachen Besatzung auch Österreich. Schon wenige Tage nach Schumans Ankündigung des EGKS-Plans (9. Mai 1950) hatte Gruber Schuman fragen lassen, ob Österreich zu den bevorstehenden Verhandlungen einen „Beobachter“ entsenden dürfe.30 Schuman antwortete, die Teilnahme anderer Staaten sei „grundsätzlich erwünscht, doch nicht in diesem Anfangsstadium“: „Spontan auf Österreich zu sprechen kommend, sagte der Außenminister, dass er [unsere] delikate Lage kenne und Österreich deshalb zur jetzigen Teilnahme nicht eingeladen habe.“
Im Übrigen seien die Verhandlungen nicht öffentlich und könnten von österreichischen Beobachtern daher „nur hinter den Kulissen“ verfolgt werden.31 Bei Gesprächen im Quai d’Orsay wenige Tage vor der Unterzeichnung des EGKS-Vertrages (18. April 1951) unterstrich Gruber erneut die Wichtigkeit, die ihm Österreich beimesse, und stellte die Frage, wie Österreich zur geplanten Hohen Behörde Verbindung aufnehmen könnte.32 Fünf Monate vor Inkrafttreten des EGKS-Vertrages (25. 7. 1952), im Februar 1952, ließ Gruber den Unterzeichnerstaaten schließlich Österreichs Wunsch vortragen, mit der EGKS „in der einen oder anderen Form assoziiert zu werden“. Die Bundesregierung sei sich „wohl bewusst“, dass ein formeller Beitritt „unter den augenblicklichen Umständen unmöglich“ wäre. Doch würde sie zur Hohen Behörde gerne einen „Beobachter“ entsenden.33 selben Datum die Wiener Zeitung (5. 1), Die Presse (2) sowie die Österreichische Volksstimme, 2. Unter der Überschrift „Österreichs ,Beitrag zur europäischen Verteidigung‘“ erklärte das KPÖ-Organ Schumans Äußerungen für „mehr als zweideutig“, während sich die Österreichische Zeitung, das Organ der sowjetischen Besatzungsmacht, darüber in Schweigen hüllte. Nachdem Die Union in ihrer Ausgabe vom 14. 9. 1950 die Schuman-Erklärung für ihre eigenen Zwecke einspannte, ließ der Quai d’Orsay verlauten, „Herr Schuman hat sich nie irgendeinem österreichischen Journalisten gegenüber mit den Worten geäußert, die diesen Artikel angeregt haben.“ Seydoux an Payart, 10. 10. 1950. MAE, EU/AUT, vol. 247. 28 Siehe Anm. 124. 29 Wilfried Loth, Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939–1957, Göttingen 1990, Kap. 4. 30 Gruber an Heinrich Schmid (Paris), 19. 6. 1950. BKA/AA, II-pol, 1950, Verschluss-Telegramme, Zl. 124.983. 31 Schmid an Gruber, 20. 6. 1950. BKA/AA, II-pol, 1950, Verschluss-Telegramme, Zl. 124.983. 32 Seydoux an Payart, 2. 4. 1951. MAE, EU/AUT, vol. 260. 33 Schumann an Brüssel, Luxemburg, Bonn, Den Haag, Rom, London, Washington und Wien, 21. 2. 1952. MAE, EU/AUT, vol. 247.
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Der Staatssekretär im französischen Außenministerium, Maurice Schumann (ihm hatte Robert Schuman die Österreich-Agenden zur personellen Trennung von den DeutschlandAgenden weitgehend anvertraut34), betonte, die französische Regierung begrüße jeden Vorschlag zur Erleichterung des Kontaktes zwischen Österreich und der EGKS. Für eine supranationale Körperschaft wie die Hohe Behörde sehe er „a priori“ jedoch kaum die Möglichkeit, Beobachter von Einzelstaaten zu akkreditieren. Hinhaltend versprach er, ein Rechtsgutachten erstellen zu lassen.35 In Wahrheit lagen ihm bereits zwei abschlägige Gutachten vor. Die zuständigen Abteilungen im Amt des Premierministers und im Außenministerium warnten: Ein Abkommen mit Österreich drohe einen Präzedenzfall für Großbritannien und andere Staaten wie die Schweiz und Schweden zu schaffen, die an der EGKS teilhaben wollten, ohne ihr beizutreten.36 Nun folgte Schumann im Unterschied zu den damit befassten Beamten Österreichs „argumentativem Winkelzug“37 und meinte, das Präzedenzfall-Argument sei auf Österreich „nicht anzuwenden“: „Wenn es der Gemeinschaft nicht beitritt, so deshalb, weil es dies [aus Rücksicht auf die Sowjetunion] nicht kann.“
Wohlwollendes Verständnis bedeutete aber auch bei Schumann vorerst keine größere Bereitschaft zu Entgegenkommen. Wie die Wirtschaftssektion des Quai d’Orsay38 sah auch er den Ausweg nur in
34 Freundliche Mitteilung Minister Schumanns an den Autor, Gespräch in Paris am 23. 11. 1990. Die ÖsterreichAkten des Quai d’Orsay weisen zur Amtszeit Schumanns häufig handschriftliche Anmerkungen aus seiner Feder auf. 35 Wie Anm. 33. 36 Brief Lagrange (Presidence du Conseil / Commissariat Général du Plan de Modernisation et d’Equipement) an Schumann, mit Anlage der Denkschrift „L’Autriche pourrait-elle être admise à se faire représenter par des ›observateurs‹ dans les institutions de la C.E.C.A.?“, 20. 2. 1952. Vgl. die von Schumann daraufhin seitens der Direction économique et financière / Sous-Direction des Affaires allemandes et autrichiennes erbetene Note pour le Secrétaire d’Etat, a. s. Association de l’Autriche au Plan Schuman, 20. 2. 1952, der Politischen Sektion am 21. 2. 1952 übermittelt. MAE, Direction des Affaires économiques / Coopération Economique 1944–1960 [DE-CE], vol. 558. MAE, EU/AUT, vol. 247. Der Zeitpunkt der beiden Notes lässt darauf schließen, dass Schumann vom Bevorstehen eines diesbezüglichen diplomatischen Schrittes Österreichs bereits zuvor Wind bekommen hatte. 37 Florian Weiß, ‚Auf sanften Pfoten gehen‘: Die österreichische Bundesregierung und die Anfänge der westeuropäischen Integration 1947–1957, Magisterarbeit Univ. München 1989, 86; vgl. auch den Beitrag von Weiß in diesem Band. 38 Obwohl Politische und Wirtschaftliche Sektion zwischen 1950 und 1959 zusammengelegt und beider oberste Leitung in einer Person vereint war, wird der alte Sprachgebrauch im Folgenden beibehalten, um der innerhalb der neuen, gemeinsamen Sektion fortgesetzten Arbeitsteilung zu entsprechen. Vgl. Jean Baillou (Hrsg.), Les Affaires Etrangères et le corps diplomatique français (Histoire de l’administration française), Bd. II, Paris 1984, 680, 708.
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„präzisen Lösungen, die für Österreich von wirtschaftlichem Interesse sind, unter Ausschluss breiterer Formeln, die nicht ermangeln würden, Schwierigkeiten auf Viererebene aufzuwerfen“.39
Zunehmend wurde deutlich, dass Frankreich als Erster der Sechs bezüglich Österreichs andere Interessen hatte denn als Vierter der Vier. Vorrang für Frankreich als Ersten der Sechs hatte der Aufbau und die Festigung der EGKS-Einrichtungen. Die Angst vor Störmanövern durch Drittstaaten (allen voran Großbritannien) war groß. Groß und größer wurde aber bald auch eine andere Angst. Im August 1951 konnte die französische Vertretung in Wien noch zufrieden melden, Vizekanzler Adolf Schärf und die Minister Oskar Helmer und Karl Waldbrunner (alle SPÖ) hätten dem SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher bei dessen Drängen auf eine engere deutsch-österreichische Zusammenarbeit durch die „weise“ Antwort enttäuscht, „Österreichs Weg nach Bonn führe über Straßburg“.40 Ein Jahr später drohte Österreich den Weg nach Luxemburg über Bonn nehmen zu wollen. So erklärte Handelsminister Josef Böck-Greissau in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem deutschen Wirtschaftsminister, Ludwig Erhard, bei der Eröffnung der Dornbirner Handelsmesse am 2. August 1952, „Österreich werde bei der Schuman-Plan-Behörde einen Verteidiger brauchen, und er hoffe, dass Minister Dr. Erhard diese Verteidigung hinsichtlich der Interessen der österreichischen Eisenwirtschaft übernehmen werde“.41
Mehr brauchte es nicht, um im Quai d’Orsay für Aufregung zu sorgen: „Gewiss ist es normal, dass Österreich zur Absicherung seines Wirtschaftslebens und seiner Unabhängigkeit Handelsbeziehungen zu Deutschland unterhält, doch die wachsende Anziehung, die dieses Land auf zahlreiche österreichische Kreise ausübt, scheint sich gefährlich zu verstärken.“42
So weit Staatssekretär Schumann. In französischen Augen stand wieder das Gespenst des Anschlusses im Raum. Hatte der Generalsekretär im österreichischen Außenamt, Alois Vollgruber (als wiederholter Gesandter in Paris mit Frankreichs diesbezüglicher Sensibilität besonders vertraut), nicht bereits im Februar einen steigenden Druck Deutschlands in allen
39 Note de la Direction des Affaires économiques et financières, 20. 2. 1952 (wie Anm. 36), mit ungezeichneten, der Handschrift nach Schumann zuzuordnenden Randbemerkungen. 40 Die Gespräche fanden am 2. 8. 1951 während Schumachers Urlaub am Mondsee statt. Payart an Schuman, 20. 8. 1951. Roger Lalouette (stellvertr. frz. Hochkommissar in Wien) an Schuman, 6. 10. 1951. MAE, EU/AUT, vol. 251. 41 Wiener Zeitung, 3. 8. 1952, 1. Payart an Schuman, 6. 8. 1952. MAE, EU/AUT, vol. 252. 42 Schumann an Payart, 12. 8. 1952. MAE, EU/AUT, vol. 252.
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Bereichen beklagt und erklärt, „es wäre nicht zu früh, die Alarmglocke zu läuten“?43 Und hatte der französische Hochkommissar in Deutschland, André François-Poncet, nicht Ende Juni gewarnt, der Anschluss sei „in den Gedanken der führenden Kreise Westdeutschlands keineswegs begraben“ – man spreche dort nie davon, denke aber immer daran?44 Außenminister Schuman brachte den Bregenzer Vorfall sogar im Ministerrat zur Sprache.45 Wenig halfen da Bundeskanzler Figls Beteuerungen, neben Böck-Greissau gebe es in der Bundesregierung auch noch andere Meinungen zum Thema, und eine Einigung stehe noch aus: „In den Anschluss zu schlittern“, erwiderte ihm François-Poncets Kollege in Österreich, Jean Payart, sei „zum westeuropäischen Integrationsprozess gegenläufig“.46 Als die Hohe Behörde Beobachter Großbritanniens und der USA akkreditierte (22. 8. bzw. 2. 9. 1952), kehrte sich die Bedeutung des erwähnten Präzedenzfall-Argumentes für Österreich um. So nützte Schumann bei seinem Österreich-Besuch im September 1952 die Gelegenheit, die Warnung vor einer deutschen Patronanz Österreichs in Luxemburg mit der Ankündigung eines Entgegenkommens in der Beobachterfrage zu verbinden: Dürfe Österreich seine Interessen bei der EGKS nicht durch andere vertreten lassen, so könne es „auf normale Weise danach streben, mit dieser Gemeinschaft [der EGKS] in Verbindung zu treten“. Es sei „gerechtfertigt“, dass Österreichs Interessen bei der EGKS „eines Tages direkt vertreten werden“. Vorerst solle es entweder einen „offiziösen Vertreter“ oder einen „Beobachter“ zur Hohen Behörde entsenden.47 Nach Paris zurückgekehrt, teilte er den neuen Standpunkt der französischen Regierung umgehend dem Präsidenten der Hohen Behörde, Jean Monnet, mit. Einer entsprechenden, förmlichen österreichischen Initiative bei den EGKS-Staaten bereitete Schumann eine freundliche Aufnahme und ließ zu ihren Gunsten bei den übrigen Vertragsmitgliedern intervenieren.48 Monnet zeigte gegenüber Österreichs ausdrücklicher Beispielnahme an der Lösung für Großbritannien zunächst Vorbehalte, da er diese noch für „unklar und unbewährt“ hielt.49 Infolge der übereinstimmend positiven 43 Payart an Schuman, 19. 2. 1952. MAE, EU/AUT, vol. 252. 44 François-Poncet an Schuman, 27. 6. 1952. MAE, EU/AUT, vol. 252. 45 Vincent Auriol, Journal du septennat (1947–1953), Band 6: 1952, Paris 1978, 518 (Conseil des Ministres, 20. 8. 1952). 46 Payart an Schuman, 16. 8. 1952. MAE, EU/AUT, vol. 252. 47 Payart an Schuman, 8. 9. 1952. MAE, EU/AUT, vol. 260. Vgl. bereits den Brief Walter Wodaks (Osten. Botschaftsrat in Paris) an Vizekanzler Adolf Schärf, 25. 8. 1952. Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung (Wien), Nachlass Schärf 4/234. 48 Schumann an die frz. Vertretung bei der EGKS sowie an die frz. Botschaften in Brüssel, Den Haag, Rom und Bonn, 7. 10. 1952. MAE, EU/AUT, vol. 248. Courson (Den Haag) an Schuman, 9. 10. 1952. Jacques FouquesDuparc (Rom) an Schuman, 9. 10. 1952. MAE, DE-CE, vol. 558. Zur österreichischen Initiative vgl. Weiß, Auf sanften Pfoten, 5, 74 f. 49 Vertraulicher Brief Pierre Saffroy (Luxemburg) an Seydoux (und Roland de Margerie, Directeur général adjoint des affaires politiques), 14. 10. 1952. Vgl. ein Telegramm Saffroys an Schuman vom selben Tag. MAE, EU/AUT, vol. 248. Vgl. Weiß, Auf sanften Pfoten, 75. – Laut der ÖVP-nahen Neuen Wiener Tageszeitung vom 22. 10. 1952, 2, erklärte Außenminister Schuman nach einem Gespräch mit Gruber am Rande einer OEEC-
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Haltung der Mitgliedsstaaten50 wurden in Luxemburg am 19. Mai 1953 aber schließlich zwei ständige österreichische Beobachter akkreditiert.51 Noch im selben Monat führte Grubers und Kreiskys Bonn-Besuch den französischen Hochkommissar in Wien zur Feststellung, dass „der Prozess der Einigung Europas im Verhältnis zur deutsch-österreichischen Annäherung leider im Hintertreffen ist“.52 Eine Probe aufs Exempel lieferte die BRD, als sie sich wenige Monate später zugunsten Österreichs über einen EGKSBeschluss hinwegsetzte. Dieser hatte durch die Festsetzung gemeinsamer Mindestaußenzölle der Mitgliedsstaaten die deutschen Zölle angehoben und damit den österreichischen Stahlexport empfindlich erschwert.53 Trotz eindringlicher Fürsprache des französischen Hochkommissars in Bonn54 weigerte sich Frankreich, einer Ausnahmeregelung der EGKS für Österreich zuzustimmen. Neben den üblichen Präzedenzfall-Bedenken spielte dabei auch der Umstand eine Rolle, dass Österreich – so eine amtsinterne Formulierung – im Kohle- und Stahlsektor für Frankreich „kein Abnehmer ersten Ranges, sondern ein gefährlicher Konkurrent“ war, und zwar gerade auf dem süddeutschen Stahlmarkt.55 Die BRD setzte schließlich für ein hohes Kontingent österreichischen Stahls einseitig die Zölle herab.56 Wohl versuchte ihr Frankreich den „moralischen Gewinn“ zu nehmen, indem es seinerseits einschlägige Zölle kurzfristig herabsetzte bzw. strich. Die zuständigen Beamten waren sich allerdings im Klaren, dass diese Geste angesichts der Unattraktivität des französischen Stahlmarktes für österreichische Exporte „ohne praktische Bedeutung“ blieb.57 Im Rückblick musste Payart sogar feststellen: „Deutschland zog den psychologischen Vorteil, während das Opfer in Wahrheit vom französischen Stahlexport [nach Süddeutschland] getragen wurde, ohne dass die französische Wirtschaft als Gesamtes davon etwas gehabt hätte.“58
Sitzung in Paris, er habe mit ihm auch „eingehend die österreichischen Interessen an dieser Organisation [der Montanunion] erörtert“. Leider lässt sich dieses Gespräch (im Unterschied zum Gespräch Gruber-Schumann, in dem es ausschließlich um Staatsvertragsfragen ging) bislang nicht dokumentieren. 50 Fouques-Duparc an Schuman, 9. 10. 1952. Saffroy an Schuman, 14. 10. 1952. Brief Saffroy an Seydoux, 17. 10. 1952. MAE, EU/AUT, vol. 248. Courson (Den Haag) an Schuman, 9. 10. 1952. MAE, DE–CE, vol. 558. 51 Saffroy an Außenminister Georges Bidault, 8. 6. 1953. MAE, DE-CE, vol. 558. Karl Bobleter (österr. Beobachter bei der Hohen Behörde der EGKS in Luxemburg) an Gruber, 19. 5. 1953. BKA/AA, Il-pol, 1953, Int. C, Zl. 320.820. Weiß, Auf sanften Pfoten, 81 f., 119. 52 Payart an Bidault, 28. 5. 1953. MAE, EU/AUT, vol. 254. 53 Zum Hintergrund: Weiß, Auf sanften Pfoten, 84 ff. 54 André François-Poncet (frz. Hochkommissar und Botschafter in Bonn) an Bidault, 16. 6. 1953. MAE, DE-CE, vol. 558. 55 Drillien (Secrétariat d’Etat aux Affaires Economiques / Direction des Relations Economiques Extérieures / Service des Accords Commerciaux) an Jean Ruby (Handelsrat bei der frz. Botschaft in Wien), 18. 8. 1953. Note de la Sous-Direction d’Europe centrale pour le Cabinet du Ministre, 27. 9. 1953. MAE, DE-CE, vol. 558. 56 François-Poncet an Bidault, 12. 9. 1953. MAE, DE-CE, vol. 558. 57 Drillten an Ruby, 18. 8. 1953. Wie Anm. 55. 58 Payart an Bidault, 22.3. 1954. MAE, DE-CE, vol. 558, 123 ff.
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Verlauf und Ausgang dieser Auseinandersetzung verdeutlichten, dass mit der Einräumung eines Beobachterstatus noch keine ausreichende Lösung gefunden war, weder für Österreich noch für Frankreich. In den Pariser Fachministerien begann man nun zu überlegen, wie man auf ein allfälliges Beitrittsgesuch Österreichs an die EGKS reagieren sollte, ja, ob es für Frankreich nicht sogar das Beste wäre, selbst die Initiative zu ergreifen und Österreich zu einem EGKS-Beitritt aufzufordern. Zwei mögliche Sichtweisen wurden bei einer interministeriellen Besprechung im August 1953 erörtert. Da sich die Denkmuster in der Folge bei entsprechenden Gelegenheiten wiederholten, lohnt es, ausführlich zu zitieren: „[…] man kann zwei Thesen verteidigen. Man kann sagen, indem man Österreich in die Gemeinschaft [EGKS] aufnimmt (insofern es die Ost-West-Situation erlauben würde), verwirklicht man eben dadurch eine Art Anschluss. Dies gewiss im Kreis einer Sechsergemeinschaft, doch da die österreichisch-deutsche Nachbarschaft und Wirtschaftsverflechtung nun einmal sind, was sie sind, würde die Tatsache [i.e. eine Art. Anschluss] nichtsdestoweniger bestehen. Die Zukunft der Gemeinschaft ist noch nicht gesichert. Unter der Annahme, dass sie sich [auflöst59], bliebe die deutsch-österreichische Zollunion im Bereich der Kohle und des Stahls. Nichts würde sie daran hindern, sich auf andere Bereiche auszudehnen. Andererseits, was ergäbe sich in den Körperschaften der Gemeinschaft aus der Anwesenheit eines siebenten Partners, der das deutsche Element verstärkt? Dies sind alles Fragen, die Grund zum Nachdenken geben. Im Gegensatz dazu kann man sagen, dass Österreich nicht eine Art von no man’s land [engl. Ausdruck im Original] bleiben kann; dass man nicht wüsste, wie man ihm den Beitritt zur Gemeinschaft verwehren könnte, wenn es um einen solchen ansuchen würde. Eine französische Gegnerschaft zu Österreichs Beitritt zur EGKS würde den Deutschen in die Hände spielen. Mehr noch, wenn wir nicht die Initiative ergreifen, ihn vorzuschlagen, würde nichts darauf hinweisen, dass die Deutschen sie nicht selbst ergreifen würden. Bleibt zu wissen […], welche Haltung die Sowjets einnehmen würden. Es scheint, dass sie Österreichs Beitritt zur Gemeinschaft in keinem Fall hinnehmen könnten, denn ein solcher würde eine Art Anerkennung des Rechts des Europas der Sechs bedeuten, sich selbst zu organisieren. […] Zumindest muss man bemerken, dass ein solcher Schritt [eine französische Initiative, s. o.] zwar eine günstige Wirkung auf die [öffentliche] Meinung Österreichs ausüben würde, doch die Ost-West-Beziehungen in einem Augenblick belasten könnte, in dem man vielleicht daran denkt, sie zu entspannen.“60
59 Im zitierten Dokument, einem Durchschlag, fehlt hier ein Wort. Es wurde sinngemäß von mir ergänzt. 60 Remarques sur le problème autrichien, ohne Kopf und Datum (Direction des Affaires Economiques et Financières / Sous-Direction des Affaires Allemandes et autrichiennes, François Valéry [der Leiter dieser Unterabteilung], 4. 9. 1953). MAE, DE-CE, vol. 558. Herkunft und Datum gehen aus der Stellungnahme der Politischen Sektion hervor (siehe Anm. 62), an die dieses Memorandum als Zusammenfassung der Diskussion der genannten Sitzung weitergeleitet wurde. Vgl. Drillien an Ruby, 18. 8. 1953. Wie Anm. 55.
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Demnach geriet Frankreich in eine Zwickmühle, sobald sich bei der Gestaltung von Österreichs Verhältnis zur Gemeinschaft der Sechs die Beitrittsfrage stellte. Durch eine Zustimmung zur Aufnahme Österreichs würde Frankreich Österreichs Wirtschaftsverflechtung mit Deutschland fördern, statt sie einzudämmen. Ferner würde sich das Kräfteverhältnis in der EGKS zugunsten der „deutschen Gruppierung“ verschieben, was der französischen Vorstellung vom Kräftegleichgewicht und Sinn der EGKS widersprach. Schließlich lief Frankreich damit Gefahr, im Fall eines Scheiterns der EGKS selber den Weg für eine Neuauflage des deutsch-österreichischen Zollunionsplanes von 1931 bereitet zu haben. Der Curtius-SchoberPlan war aber ein ewig wiederkehrender Alptraum der französischen Österreichpolitik. Durch eine Ablehnung der Aufnahme Österreichs in die EGKS würde Frankreich allerdings mit dem Schwarzen Peter zurückbleiben. Außerdem könnte es auf diese Weise die Gelegenheit versäumen, Deutschland mit einer Initiative zuvorzukommen und es daran zu hindern, in dieser Frage das Heft in die Hand zu nehmen. Paradoxerweise drohte also in beiden Fällen – der Befürwortung wie der Ablehnung von Österreichs EGKS-Beitritt – eine unerwünschte Verstärkung der deutsch-österreichischen Beziehungen. Im ersten Fall drohte darüber hinaus aber noch eine Unbekannte, die für Frankreich sowohl aus österreich- als auch aus allgemeinpolitischer Erwägung vorrangig in Rechnung zu stellen war: Bei einer Angliederung Österreichs an das Europa der Sechs mochte die Sowjetunion auch das letzte Stück Europa der Vier brechen lassen. Sie konnte Österreich teilen und auf diese Weise zumindest einen Teilanschluss hervorrufen. Sollte die Sowjetunion nicht so scharf reagieren, würde eine Aufnahme Österreichs in die EGKS Frankreich immer noch dabei stören, das „Tauwetter“ in der Sowjetunion zu Bemühungen um eine Entspannung der Ost-West-Beziehungen zu nützen. Die zitierten Ausführungen stammten von François Valéry, dem Leiter der für Deutschland und Österreich, seit Juli 1953 auch für Österreichs Beziehungen zur EGKS zuständigen61 Abteilung in der Wirtschaftssektion des Quai d’Orsay. Der Leiter der Europa-Abteilung in der Politischen Sektion, François Seydoux, schloss sich diesen Überlegungen grundsätzlich an. Allerdings unterstrich er ihren hypothetischen Charakter. Die österreichische Regierung scheine ohnehin „besorgt, die Sowjetunion nicht vor den Kopf zu stoßen“. Stellten die Österreicher wider Erwarten einen Beitrittsantrag, „müssten wir sie unterstützen – zumindest formell“. Sonst aber empfahl er: „[…] wir müssen uns vor jeder positiven oder negativen Stellungnahme hüten, solange die österreichische Regierung keine diesbezügliche Initiative ergreift.“62
Freilich meinte auch Seydoux, dass es mit bloßer Zurückhaltung nicht getan war. So wenig der Vollbeitritt Österreichs zur EGKS – sofern überhaupt erwünscht – vor Abschluss des 61 Ruby an Drillien, 21. 7. 1953. MAE, EU/AUT, vol. 249. 62 Note de la Direction Générale des Affaires Politiques pour la Direction des Affaires Economiques et Financières, gezeichnet [François] Seydoux, 12. 9. 1953. MAE, EU/AUT, vol. 261.
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Staatsvertrages infrage kam, so wenig konnte auch der Status quo (Beobachterstellung) zufriedenstellen. Ein Mittelweg wurde gesucht, um die österreichisch-deutschen Kontakte im Montanbereich stärker über die EGKS zu lenken. Frankreich, so Seydoux, müsse seine „Gegenwart im Kreise der Gemeinschaft nützen, um zu vermeiden, dass sich diese Art der Beziehungen zwischen den beiden Ländern in einen zu ausschließlich österreichisch-deutschen Dialog verwandelt“.63
Bald glaubte der Quai d’Orsay, den Mittelweg im Vorschlag einer „Assoziation“ gefunden zu haben. Obwohl der EGKS-Vertrag im Unterschied zum späteren EWG-Vertrag (Art. 238) die Möglichkeit zur Assoziation nicht ausdrücklich vorsah, gab es im Abkommen über die Übergangsbestimmungen eine Regelung, die eine solche offenhielt. Es handelte sich um Art. 14, der die Mitgliedsstaaten zu gemeinsamen Verhandlungen mit Drittstaaten anhielt, sobald das hierfür vorgesehene Organ, die Hohe Behörde, seine Tätigkeit aufgenommen haben würde.64 Ausdrücklich genannt wurde Großbritannien, doch dachte Frankreich nun auch an Österreich. Die einstimmig beschlossenen Instruktionen, deren die Hohe Behörde zur Aufnahme solcher Verhandlungen vom EGKS-Ministerrat bedurfte, standen im Sommer 1953 allerdings noch aus. So „verfrüht“ es daher nach Ansicht der zuständigen Beamten im Quai d’Orsay noch war, „zu versuchen, die Formen dieser Assoziation [Österreichs mit der EGKS] näher zu bestimmen“, sei Frankreich ihr nun jedenfalls „gewogen“. Verhandlungen nach Art. 14 sollten möglichst bereits Anfang 1954 aufgenommen werden.65 Dies stellten Wirtschafts- und Politische Sektion übereinstimmend fest, als sie Ende September 1953 für Außenminister Georges Bidault den Paris-Besuch Bundeskanzler Julius Raabs, Außenminister Grubers und Staatssekretär Bruno Kreiskys vorbereiteten. Gruber hatte eine Themenliste übermittelt, die u. a. Österreichs Beziehungen mit der EGKS enthielt. Die AFP meldete sogar, Raab „hege den Wunsch, dass Frankreich als Initiator der EGKS auch der Urheber für die Formel sei, die eine Assoziation Österreichs mit dem Europäischen Kohle- und Stahlmarkt erlaubt“.66 Überraschenderweise war es dann aber nicht die österreichische, sondern die französische Seite, die bei den Gesprächen am 28. September 1953 die 63 Wie Anm. 62. 64 Europa-Archiv 6 (1951), 4079–4110, hier 4094. 65 Note de la Direction Géneréle des Affaires Politiques pour le Cabinet du Ministre, 27. 9. 1953. MAE, EU/ AUT, vol. 249. Vgl. Note de la Direction des Affaires Economiques et Financières pour le Président [Bidault], 25. 9. 1953. MAE, DE-CE, vol. 558. 66 Lalouette an Bidault, 24. 9. 1953. Agence France Presse, 24. 9. 1953, 95 (Zitat). Beide in den Archives de l’Ambassade de France à Vienne [AFV], Serie 1945–1955, Karton 99. Herrn Botschafter André Lewin bin ich für die Erlaubnis zur Einsichtnahme in das Botschaftsarchiv zu großem Dank verpflichtet. Vgl. die teilweise ungenaue Wiedergabe der AFP-Meldung in Neues Österreich und Neue Wiener Tageszeitung vom 25. 9. 1953, jew. 1. Siehe auch Combat, 26. 9. 1953. Vgl. noch die Analyse des österreichischen „Assoziations“-Wunsches bei Ruby, 21.9. 1953, in Anlage zu Lalouette, 26. 9. 1953. MAE, EU/AUT, vol. 249.
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Frage nach einer „engeren Verbindung“ Österreichs mit der EGKS aufwarf. Die Österreicher stellten „keinerlei präzise Anfrage“. Gruber erklärte vielmehr, die österreichische Regierung sei „besorgt über die Aussicht auf eine Europäische Politische Gemeinschaft, die geeignet wäre, zwischen EVG und EGKS eine für Österreich gefährliche Verbindung herzustellen“.67
Da sich die EPG-Verhandlungen damals bereits tief in der Sackgasse befanden,68 zeigte diese Äußerung nur, wie vorsichtig Österreich gegenüber der Sowjetunion in der Integrationsfrage geworden war.69 Wohl nicht zuletzt, um eine Meldung des KPÖ-Organs Österreichische Volksstimme zu dementieren, teilte Raab bei seiner Pressekonferenz in Paris zu diesem Thema mit, „dass Österreich gegenwärtig nicht beabsichtige, der Montanunion beizutreten“.70 Zurückhaltung kennzeichnete übrigens auch weiterhin Österreichs Verhältnis zum Europarat. Auf die besprochene Einladung vom November 1951 hin (179 ff.) unterhielt Österreich dort seit dem Folgejahr Beobachter.71 Aufforderungen zum Vollbeitritt, wie sie im April und Dezember 1953 vom Generalsekretariat des Europarates bzw. von den österreichischen Beobachtern beim Europarat sogar in Form eines Nationalratsantrages ergingen, lehnte die Bundesregierung nach wie vor ab.72 Wie die beiden anderen Westmächte mahnte Frankreich die Bundesregierung vor der Berliner Konferenz (Jänner/Februar 1954), sich wenigstens die „Freiheit zu ,politischen Formationen wie z. B. dem Europarat‘ zu wahren“.73 67 Note de la Sous-Direction d’Europe centrale, Entretien entre le Président Bidault et le Ministre des Affaires Etrangères d’Autriche, 28. 9. 1953. De Margerie an Wien, Innsbruck, London, Washington, Moskau, Bonn, Berlin, Rom und Bern, 30. 9. 1953. MAE, EU/AUT, vol. 261. 68 Mit weiteren Literaturverweisen: Loth, Der Weg, 97 ff., hier 104. 69 Vgl. die Äußerungen des Generalsekretärs der ÖVP, Alfred Maleta, vor dem Nationalrat am 30. 11. 1953, zit. in: Csáky, Der Weg, Dok. Nr. 128, hier 315. Zur Unterordnung der österreichischen Haltung zur Westintegration unter die Staatsvertragspolitik s. Weiß, Auf sanften Pfoten, 108 ff., 161 im obigen Zusammenhang besonders 125. 70 Neue Wiener Tageszeitung, 30. 9. 1953, 1. „Raab verhandelt über Beitritt Österreichs zur Montan-Union“, in: Österreichische Volksstimme, 29. 9. 1953, 2; ein solcher Beitritt wäre „ein direkter Anschluss an den amerikanischen Rüstungsblock“. Das Organ der Sowjetischen Besatzung, die Österreichische Zeitung, hüllte sich zu all dem in Schweigen. Dennoch sind sowjetische Interventionen vor der Abreise nach Paris nicht auszuschließen. 71 Burtscher, Österreichs Annäherung, 44 ff. 72 BKA/AA an Schmid (Paris), 17. 4. 1953. BKA/AA, II-pol, 1953, Int. 2A, Zl. 319.729. Siehe Schlumberger (Österreichischer Beobachter beim Europarat) an Schmid, 7. 4. 1953, sowie Vortrag an den Ministerrat, 17. 4. 1953. Ebenda. Antrag der Nationalratsabgeordneten Pittermann, Stürgkh und Genossen, 16. 12. 1953, in: Csáky, Der Weg, Dok. Nr. 129. Hierzu Payart an Bidault, 22. 12. 1953, EU/AUT, vol. 249. 73 Vollgruber (Paris) an Gruber, 28. 12. 1953. BKA/AA, II-pol, 1954, Zl. 140.928, zit. n. Stourzh, Geschichte, 116. Vgl. Alfons Schilcher, Österreich und die Großmächte. Dokumente zur österreichischen Außenpolitik 1945–1955, Wien/Salzburg 1980, Dok. Nr. 77.
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Für „nicht opportun oder zumindest verfrüht“ hielt der Quai d’Orsay aber auch einen Vorschlag, der nach dem Scheitern der Konferenz von britischer Seite kam: Um Österreichs „wirksame Neutralisation im sowjetischen Sinne zu erschweren“, sollten die Westmächte Österreich zu einem sofortigen Beitritt zum Europarat anregen.74 Noch im Dezember 1955 fürchteten die zuständigen Beamten im Quai d’Orsay, die „Eile“, die Beratende Versammlung und Generalsekretariat des Europarates bei ihren Bemühungen um den Beitritt Österreichs an den Tag legten, könnte Österreich „stören“.75 Erklärte Bundeskanzler Raab nicht noch im Jänner 1956 in einem Vieraugengespräch mit Seydoux (seit Juni 1955 Botschafter in Wien), er ziehe den gegenwärtigen Stand der Beziehungen Österreichs zum Europarat einem Beitritt vor? „Wenn die Umstände es erlauben, fügte er [Raab] hinzu, würde ich mir für mein Land vom Beitritt zur EGKS konkretere Vorteile erwarten.“76
Ministerrat und Hohe Behörde der Montanunion ließen allerdings immer deutlicher erkennen, dass sich die Sechs gemeinsam weder auf GATT- noch auf EGKS-Ebene entschließen konnten, Österreich eine „Sonderstellung“ einzuräumen.77 So stellten sich für Österreich bei der für 1. Mai 1954 geplanten Ausweitung des gemeinsamen Marktes auf den Edelstahlsektor ähnliche Probleme wie 1953 im Stahlbereich. Von der Botschaft in Wien gewarnt, wollte der Quai d’Orsay „vermeiden, dass die Deutschen ein weiteres Mal nachgiebiger erschienen und Frankreich im Kontrast dazu den Eindruck erweckt, gegenüber der österreichischen Wirtschaft von protektionistischen Anliegen geleitet zu sein“.
Erwogen wurde etwa, Österreich in den Genuss der EGKS-Begünstigungen in den französischen Überseegebieten kommen zu lassen, sobald sich die Anwendung der entspre74 Aide-Mémoire der britischen Botschaft in Paris, 25. 3. 1954 (Zitat). Parodi an Wien, 28.3. 1954. Jean Daridan (frz. Botschaftsrat in Washington) an Bidault, 30. 3. 1954. [Lalouette] an Bidault, 2. 4. 1954. Sous-Direction d’Europe centrale an frz. Botschaft in Wien, 3. 4. 1954. MAE, Europe 1944–1960, Conseil de l’Europe, vol. 13. Lothar Wimmer (österr. Gesandter in London) an Leopold Figl (Nachfolger Grubers als österr. Außenminister), 4. 3., 14. 3., 23. 3. und 13. 4. 1954. BKA/AA, II-pol 1954, Int. 2D/I, Zl. 142.021, 142.517, 142.521, 143.047. Die Initiative ging vom Österreich-Referenten im Foreign Office, Geoffrey Harrison, aus und musste sich erst gegen die Bedenken des britischen Hochkommissars in Wien, Geoffrey Wallinger, durchsetzen. Schließlich wurde sie von Außenminister Anthony Eden persönlich betrieben. 75 Diplomatie p. o. Etienne de Crouy-Chanel (Österreichreferent in der Sous-Diréction d’Europe centrale) an Wien, 20. 12. 1955. MAE, Europe 1944–1960, Conseil de l’Europe, vol. 13. 76 Seydoux an Antoine Pinay (frz. Außenminister), 18. 1. 1956. MAE, EU/AUT, vol. 409. 77 Weiß, Auf sanften Pfoten, 86 ff. Calmes (Sekretär des Ministerrats der EGKS) an Valéry, 26. 10. 1953 (mit EGKS-interner Denkschrift über die Beziehungen Österreichs zur EGKS im Lichte der 8. GATT-Konferenz, 23. 10. 1953). MAE, DE-CE, vol. 558.
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chenden Bestimmung des EGKS-Vertrages (Art. 79) von Frankreich nicht mehr länger hinauszögern ließ. Im Übrigen dachte man aber weniger daran, sich für eine Milderung der EGKS-Verhandlungsposition einzusetzen, als diese in Wien besser zu erklären.78 So fand die Hohe Behörde im Quai d’Orsay volle Rückendeckung, als sie ihre Verhandlungen mit Österreich abbrach.79 Unter dem Hinweis, es müsse auf die sowjetische Besatzungsmacht Rücksicht nehmen, hatte sich Österreich geweigert, den EGKS-Konkurrenzregeln gemäße Antidumpingmaßnahmen zu setzen. Die Wirtschaftssektion im Quai d’Orsay sah in solchen Maßnahmen „keine Verpflichtung politischen Charakters“ und wollte die österreichische Argumentation nicht gelten lassen.80 Im Gegenteil: Eine „association de caractère organique“ (sinngemäß als „institutionalisierte Assoziation“ zu übersetzen) hatte der Quai d’Orsay vor den Verhandlungen nicht zuletzt deshalb erneut befürwortet, „um bestimmte Regeln festzusetzen, an die sich Österreich halten müsste, und die es erlauben würden, Österreich mit dem Gemeinsamen Markt zu verbinden, ohne die Konkurrenz zu verzerren“.81
Hauptgrund für die Assoziationsidee war freilich nach wie vor das Anliegen, „die Beziehungen Österreichs zu den Sechs [zu] normalisieren“ und „zu verhindern, dass sich Deutschland zum Mittler zwischen Österreich und der EGKS macht“.82 Denn die Berichte, die der Quai d’Orsay aus Wien erhielt, wurden immer alarmierender: Es sei „höchste Zeit zu handeln“ und „zu retten, was noch zu retten ist“. Der „wirtschaftliche Anschluss“ sei bereits „virtuell“, die österreichische Industrie bald nur mehr „eine Filiale der deutschen“. Unter anderem sei ein Abkommen zwischen der EGKS und Österreich nötig, „um dem österreichisch-deutschen Tête-à-Tête in diesem Bereich ein Ende zu setzen“.83 Nun ließen solche Warnrufe im Quai d’Orsay nicht nur die zitierte Assoziationsidee wiederaufleben. Sie stärkten bezeichnenderweise auch die Bedenken gegen „jede [volle] Beteiligung Österreichs am Europa der Sechs“. Wich mit dem Staatsvertrag einmal die Gefahr des Anschlusses durch Teilung, blieb – zumindest in den Augen Seydouxs – immer noch die Gefahr eines Anschlusses durch Integration: 78 Note pour le Directeur Général des Affaires Economiques et Financières, 17. 5. 1954. Payart an Bidault, 22. 3. 1954. MAE, DE-CE, vol. 558. 79 Weiß, Auf sanften Pfoten, 90 ff. Notice de l’Ambassade d’Autriche à Paris, 25. 3. 1954. Note du Directeur General Adjoint de la Direction des Affaires Economiques et Financières, 25. 3. 1954. Note verbale de l’Ambassade d’Autriche, 7. 4. 1954. Payart an Bidault, 3., 7. und 16. 4. 1954. Note remise de l’Ambassade d’Autriche, 30. 4. 1954. Alle MAE, DE-CE, vol. 558. 80 Direction des Affaires Economiques et Financières an Wien, 6. 7. 1954. MAE, DE-CE, vol. 558. 81 Note pour le Directeur Général des Affaires Economiques et Financières, 17. 5. 1954. MAE, DE-CE, vol. 558. 82 Wie Anm. 81. 83 Payart/Lalouette an Bidault, „L’Anschluss économique est-il en train de se réaliser?“, 16. 3. 1954. MAE, EU/ AUT, vol. 255.
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„[…] Österreich würde nur dazu neigen, eine Provinz Deutschlands zu werden, während seine Gegenwart im Kreise dieser europäischen Gemeinschaft drohen würde, das Gleichgewicht zugunsten des deutschen Elements umzustürzen.“84
Wohl scheint man in der Wirtschaftssektion darüber anders gedacht zu haben als in der politischen. Der Vollbeitritt Österreichs zur EGKS sei „aus Gründen politischer Art augenblicklich nicht ins Auge zu fassen“, hieß es dort in einer Formulierung, die den Rückgriff auf die Assoziationsformel begründete und diese offenbar nur als Übergangslösung hinstellen sollte.85 Nichtsdestoweniger hatte sich die Frage nach der Vereinbarkeit von Integrität und Integration aus französischer Sicht längst neu gestellt und zugespitzt, ehe sie durch den Abschluss des Staatsvertrages ihren hypothetischen Charakter verlor.
III. „Danubiens“ und „insulaires“: Österreich, die EWG und die EFTA Eine der Voraussetzungen für Frankreichs Billigung der österreichischen Neutralitätserklärung war, wie Außenminister Antoine Pinay gegenüber seinen amerikanischen und britischen Amtskollegen ausführte, „dass die Neutralität nicht die Isolierung Österreichs zum Ergebnis hat“.86 Ungeachtet der einschlägigen Bedenken im Quai d’Orsay sollte sich Österreich die Möglichkeit zu verstärkter Westintegration im wirtschaftlichen Bereich offenhalten. In einer Instruktion hieß es: „Es bestünden die größten Gefahren, wenn eine solche Neutralität über den rein militärischen Bereich hinausginge. Es müsste Übereinkunft darüber herrschen, dass Österreich an bestehenden oder noch zu schaffenden europäischen Wirtschaftsorganisationen teilnehmen könnte.“87
Vor dem Hintergrund der relance européenne bezog sich dies offensichtlich nicht nur auf die EGKS, sondern auch auf die Integrationspläne, die damals von Belgien und Holland, zuletzt auch von Frankreich ins Spiel gebracht wurden – sei es nun zur Ausweitung der EGKS auf andere Wirtschaftsbereiche oder zur Neuschaffung eines umfassenden Gemeinsamen Marktes im Europa der Sechs.88 84 Note de la Sous-Direction d’Europe Centrale (mit Bezug auf die Meinung des Directeur d’Europe), 22. 3. 1954. MAE, EU/AUT, vol. 255. 85 Note, 17. 5. 1954, wie Anm. 81 86 Compte rendu de la première réunion tenue le 8 mai 1955, Conversation entre MM. Pinay, Dulles et Mac Millan, in: MAE, Reunions des Ministres des Affaires Etrangères de la France, du Royaume-Uni, des Etats-Unis, de l’U.R.S.S. et de la Republique Federale d’Allemagne (Janvier–Juin 1955), Paris 1956, 93 ff., hier 98 (nun veröffentlicht in: Documents Diplomatiques Français [DDF] 1955, Paris 1987, Annex 1). 87 Projet d’instruction pour le representant français au groupe tripartite d’experts préparatoire à la Conférence des Quatre Ambassadeurs (approuvé par le Ministre), 27. 4. 1955. MAE, EU/AUT, vol. 290. 88 Mit weiteren Literaturverweisen: Loth, Der Weg, 113 ff.
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Bundeskanzler Raab und Vizekanzler Adolf Schärf schienen dieser Vorstellung zu entsprechen, als sie den drei westlichen Hochkommissaren Ende April 1955 versicherten, Österreich „sehe keinen Grund, an europäischen Abkommen in Form von pools nicht teilzunehmen“.89 Auch zeigte sich Außenminister Figl gegenüber Botschafter Seydoux durchaus „interessiert“, als ihn dieser darauf hinwies, dass bei der Konferenz von Messina (1.–2. Juni 1955) auch „die Rolle“ zur Sprache gekommen wäre, „die Österreich und die Schweiz spielen könnten, wenn auf dem Weg der europäischen Integration in bestimmten Bereichen Fortschritte gemacht würden“.90 Als die Amerikaner im August darauf zurückkamen, wollten die Österreicher jedoch nicht darauf eingehen. Der neue Präsident der EGKS, René Mayer, hatte mit dem amerikanischen Botschafter in Paris, Douglas Dillon, Pläne zur raschen Aufnahme Österreichs als Vollmitglied besprochen. Das State Department ließ in Wien dafür diskret intervenieren, doch Seydoux warnte den Quai d’Orsay. Obwohl Österreichs „Neutralität zwischen Ost und West absolut nicht [sic!] ‚ausgewogen‘ sein darf“, hielt er den EGKS-Beitritt wie sein britischer und amerikanischer Kollege für „die wahrscheinlich heikelste Etappe“: „[…] man möge hier keine Unvorsichtigkeit begehen. Wir müssen uns in diesem Punkt die Zukunft offen halten, und das beste Mittel dazu ist, nicht zu hasten.“91
Offenhalten sollte sich Frankreich dabei anscheinend nicht nur das Wann, sondern auch das Ob. Denn nach wie vor – ja, angesichts des weiter unverhältnismäßig wachsenden deutschen Anteils am österreichischen Außenhandel mehr denn je – vertrat Seydoux die Meinung: „[…] im traurigen Fall, dass die Grenze zwischen Deutschland und Österreich keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hätte, würden sich auf einzigartige Weise die Chancen verringern, die Errichtung Europas unter Bedingungen zu sehen, die für uns annehmbar sind.“92
Schließt man aus der Zurückhaltung, die der Quai d’Orsay angesichts der Mayer-Initiative an den Tag legte sowie aus der besorgten Aufmerksamkeit, die er dem soeben zitierten Be89 Lalouette an Pinay, 29. 4. 1955. DDF 1955, Bd. 1, Dok.-Nr. 234, hier 534. 90 Seydoux an Pinay, 8. 6. 1955. MAE, EU/AUT, Vol. 261. Der entsprechende Abschnitt B/7 der Konferenzresolution nennt die beiden Staaten allerdings nicht namentlich, siehe Heinrich Siegler, Dokumentation der Europäischen Integration 1946–1961, unter besonderer Beachtung des Verhältnisses EWG–EFTA, Bonn/Wien/ Zürich 1961, 89 ff., hier 91. Vgl. Weiß, Auf sanften Pfoten, 151. 91 Brief Seydouxs an de Margerie (inzwischen nicht mehr Stellvertreter, sondern selber Leiter der Direction générale des Affaires politiques et économiques), 26. 8. 1955, gesehen von Olivier Wormser (Directeur général adjoint des Affaires Economiques) und Valéry. MAE, DE-CE, vol. 558. Stimmen aus dem Quai d’Orsay selbst wurden vom Autor dazu noch nicht gefunden. Auch im Nachlass René Mayer (Archives de France [Archives Nationales], 361 AP) konnten dazu keine Dokumente gefunden werden: Mayers Tagebuch ist allerdings gesperrt. 92 Seydoux an Außenminister Christian Pineau, 31. 5. 1956. MAE, EU/AUT, vol. 407.
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richt schenkte,93 scheint Seydoux auf offene Ohren gestoßen zu sein. So kamen im Quai d’Orsay einschlägige Bedenken auf, als Raab und Figl ein gutes Jahr später, wenige Tage vor dem „herausfordernden“ Ungarn-Appell der Bundesregierung an die UdSSR (28. 10. 1956),94 Österreichs Kandidatur zur EGKS-Vollmitgliedschaft für die ersten Monate des Jahres 1957 in Aussicht stellten.95 Der Generalsekretär des EGKS-Ministerrates sah bereits „für Europa und die freie Welt einen großen politischen Vorteil, in seinem Kreise ein Land aufgenommen zu haben, das wirtschaftlich gesund ist, sich jedoch im Fahrwasser des Ostens befindet“.96
In den Überlegungen der zuständigen Abteilung des Quai d’Orsay scheint der mögliche Punktegewinn im Kalten Krieg hingegen keine entscheidende Rolle gespielt zu haben. Soweit sie sich dokumentieren lassen, kreisten die Gedanken ausschließlich um das innere Kräfteverhältnis der Sechs. Die Anhänger der Sechsergemeinschaft seien durchaus „nach jedem Beweis begierig, dass die EGKS eine Anziehungskraft behält“, schrieb der uns bereits von früher bekannte François Valéry (inzwischen Leiter der Abteilung für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Integration). Auch würde eine Erweiterung der Gemeinschaft dazu beitragen, „gewisse Voreingenommenheiten“ gegen deren Exklusivität abzubauen: „[…] doch kann man sich im Gegenteil auch fragen, ob es von Interesse wäre, dass eine europäische Gemeinschaft, die England ausschließt, eine um das Saarland und Österreich vergrößerte Bundesrepublik umfasst. Wer weiß übrigens, ob Deutschland nicht selbst bis zur Ratifikation des zur Zeit mühselig diskutierten [EWG-]Vertrages seine Physiognomie ändert.“97
Wenige Tage nach Unterzeichnung des Luxemburger Vertrages über die Rückgliederung des Saarlandes an die Bundesrepublik (27. 10. 1956) ging Valéry mit bezeichnender Selbstverständlichkeit davon aus, dass Österreich in der EGKS eine ähnliche Rolle zufallen würde wie dem Saarland: die einer „Provinz Deutschlands“, um Seydouxs Formulierung von 1954 93 Vgl. die handschriftliche Randbemerkung auf dem zitierten Berichts-Exemplar (Anm. 92). 94 Reiner Eger, Krisen an Österreichs Grenzen. Das Verhalten Österreichs während des Ungarnaufstandes 1956 und der tschechoslowakischen Krise 1968. Ein Vergleich, Wien/München 1981, 34. 95 Wiener Zeitung, 24. 10. 1956, 2; Österreichische Neue Tageszeitung, 25. 10. 1956, 2; Weiß, Auf sanften Pfoten, 149 f.; Seydoux, 27. und 29. 10. 1956 (über diesbezügliche Bestätigungen und Präzisierungen Figls und Raabs gegenüber Seydoux). MAE, DE-CE, vol. 558. 96 Communauté Européenne du Charbon et de l’Acier / Le Conseil / Le Secrétaire Général aux Ministres des Affaires Etrangères des pays-membres, 5. 11. 1956. MAE, DE-CE, vol. 558. 97 Brief Valéry an Seydoux, 30. 10. 1956. AFV, 1956–1962, K. 37. Es handelt sich um einen Begleitbrief zur an Seydoux übermittelten Note a. s. attitude autrichienne à regard des questions européennes, 30. 10. 1956. MAE, DE-CE, vol. 558.
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wiederaufzunehmen. Demnach wäre Österreichs Beitritt für Frankreich eine ebenso unerwünschte Stärkung Deutschlands wie das Saarland-Abkommen. Zum Albtraum fehlte nur noch die deutsche Wiedervereinigung – eine Möglichkeit, die aus Valérys Sicht aber nicht von vornherein ferner lag als das Inkrafttreten des EWG-Vertrages, dessen Verhandlung damals gerade festgefahren war.98 So überraschend ernst und offen die Bundesregierung einen EGKS-Vollbeitritt Ende Oktober 1956 in Erwägung zog, so rasch ließ sie den Gedanken wieder fallen. Als Gründe nannte Figl gegenüber den Franzosen nicht nur das zu hohe politische Risiko gegenüber der Sowjetunion, sondern auch die im Vergleich mit dem EGKS-Niveau zu niedrigen (da wesentlich stärker subventionierten) österreichischen Inlandsstahlpreise (vgl. 191). Ein Beitritt zur EWG, deren Gründungsverhandlungen gerade in die Endrunde gingen, erübrige sich damit von selbst.99 Mit diesem Schluss hatte Figl wahrscheinlich mehr recht, als er selbst meinte. Denn die Mitgliedschaft bei der EWG ging nicht nur, wie er gegenüber Seydoux hervorhob, mit einer bei der EGKS Hand in Hand, sondern entsprechend französischen Forderungen auch mit einer bei Euratom. Diesbezüglich hatte Österreich aber noch kein Ansinnen formuliert.100 Außerdem forderte Frankreich von allfälligen Nachzüglern in EWG und Euratom wie in der EGKS die volle Übernahme jener Verpflichtungen, die die bisherigen, nach außen hin gemeinsam auftretenden Partner bereits untereinander eingegangen waren („Acquis“). Wenn beispielsweise das Kommuniqué der Konferenz von Venedig (29.–30. Mai 1956) Drittstaaten die Teilnahme an den EWG-Verhandlungen „auf dem Fuße der Gleichberechtigung“ offenstellte, hielt eine interne Aufzeichnung des Quai d’Orsay dazu fest: „das heißt auf Grundlage des Brüsseler Berichts [i.e. des sog. „Spaak-Berichtes“] zu seiner Gänze, Euratom und EWG“.101 Österreich wäre in Verhandlungen mit EWG (und Euratom) also von Anfang an auf dieselbe Art von Schwierigkeiten bzw. Hinderungsgründen gestoßen wie bei der EGKS. 98 Loth, Der Weg, 124 ff. 99 Seydoux an Pineau, 14. 2. 1957. MAE, DE-CE, vol. 703. Nur den ersten Grund nannten Figl und Handelsminister Fritz Bock gegenüber Maurice Faure (Secrétaire d’Etat aux Affaires Etrangères / Affaires Européennes) und hohen Beamten des Quai d’Orsay bei einem Mittagessen in der österreichischen Botschaft in Paris am 12. 2. 1957 (anlässlich der OEEC-Ministerratssitzung vom selben Tag). „Die Stimmung war außerordentlich herzlich, und man fühlte sich unter Freunden. Die ernsten Themen wurden [allerdings] nicht in gründlicher Weise angegangen.“ Brief Jacques Senard (Österreich-Referent der Sous-Direction d’Europe centrale im Quai d’Orsay) an Seydoux, 16. 2. 1957, AFV 1956–1962, K. 26. Leider ist Figls „ausführliches“ Gespräch mit René Mayer, auf das er gegenüber Seydoux hinwies (s.o.) bislang nicht dokumentierbar. 100 Bei der zitierten Pressekonferenz in Straßburg vom 23. 10. 1956 hatte Figl nur (aber immerhin!) bemerkt, „es gebe keine Bestimmung im österreichischen Staatsvertrag, die Österreich untersage, einer westlichen Atomgemeinschaft anzugehören, sofern diese friedlichen Zwecken diene“ (Anm. 95). Es ist unklar, ob diese Äußerung nur den einschlägigen Plänen im OEEC-Rahmen galt oder auch Euratom. 101 Siegler, Dokumentation, 106. Jean François-Poncet, Note a.s. Resultat de la Conférence de Venise, 13. 6. 1956, Beilage zu Brief Senard an Seydoux, 16. 6. 1956, AFV 1956–1962, K.39; Loth, Der Weg, 119 ff.; Vgl. Weiß, Auf sanften Pfoten, 153.
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Frankreich, von einem hohen Zahlungsbilanzdefizit geplagt und am Suezkanal ebenso gedemütigt wie in Algerien, setzte unterdessen seine Hoffnung auf „Größe per Prokura“ durch einen Ausbau des Europas der Sechs.102 Rücksichten auf Drittstaaten wollte es sich hierbei von Anfang nicht leisten, im Gegenteil: Im Zuge der Auseinandersetzung mit Großbritannien, seinem Gegenspieler in der OEEC,103 sollte Frankreich auch gegenüber Österreich bald jene Haltung einnehmen, die dieses in militärstrategischen Belangen bisweilen von den Amerikanern kannte: „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns.“104 Solange Österreich zu den Sechs Abstand hielt, konnte sich Frankreich mit dieser Haltung auch die unangenehme Frage ersparen, wie gerne es Österreich als Siebenten im Bunde überhaupt gesehen hätte. Mit seinem Rückzieher gegenüber dem Exklusiv-Europa der Sechs und seiner Zuflucht zu den OEEC-Verhandlungen um eine große, die six and non-six umfassende Freihandelszone (Maudling-Komitee),105 begab sich Österreich demnach in ein anderes Koordinatensystem der französischen Außenpolitik. Ab nun entschied über die französische Beurteilung seines Standpunktes in der Integrationsfrage nicht mehr seine Stellung zu Deutschland, sondern seine Stellung zu Großbritannien, Frankreichs Gegenspieler in der OEEC. Zunächst forderte Österreich auch von einer bloßen Freihandelszone die Einräumung einer so weit gehenden ,Sonderstellung‘, dass seine Verhandlungsposition von Seydoux als „praktisch auf halbem Weg zwischen jener Frankreichs und jener Großbritanniens“ gewertet wurde. Doch um die Jahreswende 1957/58 verzeichnete er bereits „eine spürbare Entwicklung, die die Haltung Wiens jener Londons anzunähern neigt“.106 Vor Abschluss der Römischen Verträge (25. 3. 1957) hätte die Bundesregierung „einem ,Großen Europa‘ den Vorzug gegeben, sich 102 Gérard Bossuat, Les voies incertaines de la puissance française au temps de Guy Mollet, (1956–1957), in: Institut Pierre Renouvin, Travaux et Recherches, n° 3, Automne 1991, 41–65, hier 63. Ders., Guy Mollet: La puissance française autrement, in: Relations internationales n° 57 (1989/3), 25–48, hier 36. Vgl. neuerdings Robert Frank, The French alternative: Economic Power through the Empire or through Europe?, in: Ennio Di Nolfo (Hrsg.), Power in Europe? II: Great Britain, France, Germany and Italy and the Origins of the EEC, 1952–1957, Berlin/New York 1992, 160–173. 103 Bossuat, Les voies incertaines, 63 f. Raymond Poidevin. De Gaulle et l’Europe en 1958, in: Institut Charles de Gaulle (Hrsg.), De Gaulle en son siede, V: L’Europe, Paris 1992, 79–87, hier 84 ff. Zum Hintergrund siehe: Hans von der Groeben, Aufbaujahre der Europäischen Gemeinschaft. Das Ringen um den Gemeinsamen Markt und die Politische Union (1958–1966), Baden-Baden 1982, 63 ff. Pierre Gerbet, La construction de l’Europe (Notre Siede), Paris 1983, 235 ff. Hanns Jürgen Küsters, Zollunion oder Freihandelszone? Zur Kontroverse über die Handelspolitik Westeuropas in den 50er-Jahren, in: Helmut Berding (Hrsg.), Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1984, 295–308. 104 Siehe den Erinnerungsvermerk Schärfs über eine Unterredung mit US-Botschafter L. Thompson am 8. 7. 1953, zit. in: Karl R. Stadler, Adolf Schärf. Mensch, Politiker, Staatsmann, Wien/München/Zürich 1982, 421. 105 Das in Anm. 99 zitierte Mittagessen gab Figl und Bock die Gelegenheit, entsprechend Figls Rede vor dem OEEC-Ministerrat (vgl. 10 Jahre österreichische Integrationspolitik 1956–1966. Eine Dokumentation des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau, Wien [1966], 19) zu bekräftigen, dass „Österreich seine ganze Aufmerksamkeit der Freihandelszone zuwende“. 106 Seydoux an Pineau, 13. 2. 1958. Vgl. Brief Reid Sergent (Generalsekretär der OEEC) an Seydoux, 1. 3. 1958, über seine Gespräche in Wien Ende Februar. AFV, 1956–1962, K. 38.
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jedoch dem ‚Kleinen‘ [= EWG] angeschlossen, falls dieses das einzig mögliche gewesen wäre“.107 Nun, „auf die britischen Konzeptionen viel stärker ansprechend als auf die französischen Thesen“,108 bleibe sie „dem britischen Projekt sehr verhaftet“: Österreich – so Seydoux in treffender Voraussicht – werde eher auf seine Verhandlungsforderungen in der OEEC als auf die Beteiligung an einer Freihandelszone verzichten.109 Die weitgehende Übereinstimmung, die in der Integrationsfrage etwa noch gelegentlich der Mayer-Initiative zwischen Paris und Wien geherrscht zu haben schien, wich gegenseitigen Vorwürfen. Angesichts des scharf gegen die britischen Vorstellungen gerichteten französischen Memorandums mit dem Vorschlag einer ,Europäischen Union Wirtschaftlicher Zusammenarbeit‘ (26. 2. 1958) gab Kreisky beispielsweise ohne Umschweife seiner „Irritation“ Ausdruck.110 Der neue französische Botschafter in Wien, Etienne de Crouy-Chanel, fragte Figl wiederum, „ob er als guter Europäer die Verwirklichung einer Freihandelszone wünschen könne, die sich auf den Ruinen des gemeinsamen Marktes errichten würde“.111
Den vorläufigen Höhepunkt der beiderseitigen Entfremdung markierte Staatspräsident de Gaulle beim Paris-Besuch Außenminister Kreiskys im Februar 1960. Wenige Wochen zuvor hatte Österreich den EFTA-Vertrag mitunterzeichnet (4. 1. 1960) und sich aus französischer Sicht damit an einem Anti-EWG-Pakt beteiligt. Durch Presseäußerungen Kreiskys, die von Crouy als „deutliche Entwicklung“ seiner Haltung in der EWG-Assoziationsfrage gewertet wurden,112 geriet Wien gleichzeitig unter Verdacht, „daran zu denken, einen Fuß in jeder Gruppe zu haben“.113 Was die „danubiens“ denn schon mit den „insulaires“ verbinden könnte, fragte nun de Gaulle mit bemerkenswert oberflächlicher Tiefgründigkeit. Den Umstand, überhaupt von ihm eingeladen und persönlich empfangen worden zu sein, durfte sich Kreisky freilich als Ehrung anrechnen.114 107 Seydoux an Pineau, 31. 1. 1957. MAE, DE-CE, vol. 703. 108 Sous-Direction d’Europe centrale, Note a. s. relations franco-autrichiennes, 17. 4. 1958. MAE, EU/AUT, vol. 407. 109 Seydoux an Pineau, 7. 3. 1958. AFV, 1956–1962, K. 38. 110 Seydoux an Pineau, 27. 2. 1958. MAE, Europe 1944–1960, Généralites, vol. 193. L’Année politique 1958, Paris 1959, 308 f.; Siegler, Dokumentation, 152; Franz Urlesberger, Die europäische Desintegration, Wien 1985, 115. 111 Crouy-Chanel an Außenminister Maurice Couve de Murville, 9. 1. 1959. MAE, EU/AUT, vol. 408. 112 Crouy-Chanel an Couve de Murville, 11. und 16. 12. 1959 (zu einem Kreisky-Interview in der Süddeutschen Zeitung, 9. 12. 1959 bzw. Ausführungen Kreiskys vor dem Auslandspresse-Klub). MAE, DE-CE, vol. 703. 113 Direction des Affaires Economiques et Financières, Note au sujet des relations économiques franco-autrichiennes, 9.2. 1960. MAE, DE-CE, vol. 703. 114 Oliver Rathkolb, De Gaulle ,im Spiegel‘ österreichischer Außenpolitik und Diplomatie 1958/59–1965, in: Jahrbuch für Zeitgeschichte 1990/91, Wien/Salzburg o. J., 87. Vgl. ebenda das Interview mit Bruno Kreisky, 58. Bruno Kreisky, Im Strom der Politik. Der Memoiren zweiter Teil, Berlin 1988, 185 ff.
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Die europapolitische Parteinahme auf Frankreichs Gegenseite war nicht dazu angetan, die ‚Diskriminierung‘ Österreichs durch die EWG auf bilateralem Wege ausgleichen zu helfen. Kurz nach seinem Amtsantritt in Wien weckte Crouy-Chanel noch freudige Erwartungen, als er in Aussicht stellen zu können glaubte, „dass wir in dem Maße, als bilaterale Gespräche in Frage kommen, bereit seien, Österreich eine besondere Stellung zuzuerkennen“.
Doch wurde er vom Quai d’Orsay sofort ‚zurückgepfiffen‘: OEEC-Staaten, die nicht dieselben handels-, wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen „Opfer auf sich nehmen“ wie die EWG-Mitglieder, müssten von den Vorteilen des Gemeinsamen Marktes aus Gerechtigkeitsgründen ausgeschlossen bleiben. An eine Ausnahme von dieser Regel sei auch für Österreich nicht zu denken.115 Die Verhandlungen um ein neues Handelsabkommen wären über der beiderseitigen Unnachgiebigkeit beinahe gescheitert.116 Nur die Bildung eines erheblichen Handels- und Zahlungsüberschusses auf französischer Seite (infolge Frankreichs radikaler Wirtschafts- und Finanzreform von 1959) erlaubte 1960 die Erneuerung des Abkommens nach Verhandlungen „ohne nennenswerte Streitpunkte“.117 Auf den ersten Blick schien sich 1958/59 bloß das Präzedenzfallargument zu wiederholen, das wir schon von 1952 kennen, als Österreich besorgt der Einrichtung der EGKS entgegensah. Was diesmal jedoch fehlte, war die Erwägung eines Gegenarguments. Österreich trat der Gemeinschaft nicht bei, weil es nicht konnte – so lautete die französische Annahme vor Abschluss des Staatsvertrages, und zumindest Maurice Schumann wollte dies berücksichtigt wissen (183). Österreich trat der Gemeinschaft nicht bei, weil es dies nicht wollte, lautete dagegen die nunmehrige Einschätzung des Quai d’Orsay. Der Verzicht stünde im Zusammenhang mit einer „gewissen Änderung der [österreichischen] Neutralitätskonzeption“ von einer „rein militärischen“ zu einer „politischen Interpretation“.118 Die juristischen Argumente, die Österreich (zumal Kreisky) zur Begründung für Österreichs EWG-Verzicht vorbrachte, fanden im Quai d’Orsay nur geringen Glauben. Dies galt 115 Crouy-Chanel an Couve de Murville, 24. 11. 1958, über Gespräche mit Handelsminister Fritz Bock und dem Leiter der Wirtschaftssektion im Außenamt, Erich Bielka. Diplomatie p. o. Wormser an Crouy-Chanel, 25. 11. 1958. MAE, DE-CE, vol. 703. 116 Direction des Affaires Economiques et Financières, Note au sujet du renouvellement de l’accord commercial franco-autrichien. MAE, DE-CE, vol. 703. Österreich wollte erhebliche Exportkontingenterhöhungen, v. a. für EGKS-Produkte, Frankreich argumentierte dagegen mit seiner Abtretung des Saarlandes. Insgesamt einigte man sich auf eine Erhöhung der österreichischen Exporte um 20, der französischen Exporte um 18 Prozent. 117 Direction des Affaires Economiques et Financières / Accords bilatéraux, Note pour la Direction d’Europe, 29. 1. 1960. MAE, EU/AUT, vol. 397. 118 Sous-Direction d’Europe centrale, Note a. s. relations franco-autrichiennes, 15. 10. 1958 und 1. 2. 1960. MAE, EU/AUT, vol. 408.
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sowohl für das wirtschaftliche Diskriminierungsverbot gegenüber kriegführenden Parteien laut V. Haager Abkommen von 1907 (Art. 9), als auch – was unsere besondere Aufmerksamkeit verdient – für das Anschlussverbot nach Staatsvertrag Art. 4. Bezweifelt wurde weniger deren Relevanz als der Erklärungswert: Wenn, dann hätten aus der Sicht des Quai d’Orsay Neutralitätspflicht und Anschluss-Verbot nämlich nicht nur gegen einen EWG-Beitritt, sondern ebenso gegen die Teilnahme an einer Großen Freihandelszone gesprochen – die Neutralitätspflicht sogar auch gegen den EFTA-Beitritt.119 Bei den Gesprächen, die Kreisky während seines erwähnten Paris-Besuches im Februar 1960 mit Außenminister Maurice Couve de Murville führte, erwies sich das Anschlussargument daher als Bumerang. Im Beisein Staatssekretär Franz Gschnitzers erklärte er, „Österreichs Beitritt zur EWG würde direkt und in kurzer Frist zu einem wirtschaftlichen ‚Anschluss‘ an die BRD führen“.
Couve wischte das Argument mit der Frage vom Tisch, „warum Österreich dann eine Zeit lang den Beitritt zu einer großen Freihandelszone erwogen habe. Tatsächlich scheint ihm [Couve] die Gefahr eines wirtschaftlichen ‚Anschlusses‘ unter dieser Annahme nicht geringer als bei einem Beitritt zur EWG.“120
Auf Gschnitzers vorausgegangene Bemerkung, im Gegensatz zu Kreisky sehe er in keinem der Fälle eine Anschlussgefahr, ging Couve nicht ein. Frankreichs Entscheidung gegen eine große Freihandelszone stand ebenso fest wie Österreichs Entscheidung gegen die EWG. Wie mit vertauschten Rollen führte Kreisky, nicht Couve, das Anschlussargument gegen eine stärkere Integration Österreichs ins Feld. Darf daraus geschlossen werden, dass die Anschluss-Sorge bei den französischen Erwägungen zu Österreichs Verhältnis zur Gemeinschaft der Sechs keine Rolle mehr spielte? Nichts wäre voreiliger. Wohl gehörte Deutschlands vorherrschender Einfluss auf die österreichische Wirtschaft inzwischen zum gewohnten Bild und stellte sich angesichts dessen eine gewisse Resignation, ja, vergleichsweise verblüffende Gelassenheit ein. So meinte Botschafter Crouy-Chanel 1960 im Gegensatz zu Payart 1954 (der deutsche Anteil am österreichischen Außenhandel hatte sich seither fast verdoppelt), es sei „nicht gerechtfertigt, zum gegenwärtigen Zeitpunkt Alarm zu schlagen“. Die „Prognose“, die der weiteren Entwicklung des deutschen Einflusses in Österreich zu stellen sei, hielt er wegen der wachsenden Abhängigkeit im Forschungs- und Modernisie119 „Die Freihandelszone schafft selbst genauso eine Diskriminierung.“ Handschriftliche Bemerkung des Österreichreferenten der Politischen Sektion des Quai d’Orsay am Rande der entsprechenden Stelle eines Berichts von Crouy-Chanel an Couve de Murville, 8. 1. 1960. MAE, EU / AU, vol. 409. 120 Entretien de M. Couve de Murville avec M. Bruno Kreisky, Après-midi du 11 février 1960. Diplomatie p. o. Jean Laloy an Wien, 18. 2. 1960. MAE, EU/AUT, vol. 408.
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rungsbereich aber nichtsdestoweniger für „besorgniserregend“. Dies allerdings auch ohne EWG- oder Freihandelszonen-Beitritt121 – und hier liegt der springende Punkt. Schon seit Anfang 1959 warnte er, müsse man sich fragen, „ob die Wirtschaftsmacht, die der Gemeinsame Markt aufbauen will, sich in diesem Lande nicht eines Tages auch in einer Stärkung der Stellung Deutschlands niederzuschlagen droht. Von dieser Seite im Fall eines Beitritts zum Gemeinsamen Markt bedroht, besteht für Österreich das Risiko, derselben Gefahr auch im gegenteiligen Fall ausgesetzt zu bleiben. […] man kann sich tatsächlich fragen, ob die Zeit hier nicht zugunsten dessen arbeitet, was wir gerade verhindern wollten.“122
Frankreichs Hoffnung, Österreich von Deutschland auch wirtschaftlich weitgehend unabhängig zu halten, wurde im Laufe der 50er-Jahre enttäuscht. Den Anschluss durch Integration fürchtete es daher bald nicht mehr nur indirekt, sondern auch direkt: indirekt als Folge einer Teilung des Landes, wie sie bei weiteren Integrationsschritten vor Abschluss des Staatsvertrages zu drohen schien; direkt als Ergebnis des Wegfalls der deutsch-österreichischen Wirtschaftsgrenze. Was auf dem Spiel stand, war das Kräfteverhältnis im Europa der Sechs. Dies freilich nicht zuletzt deshalb, weil es nur ein Europa der Sechs blieb. Die Isolierung der deutsch-österreichischen Wirtschaftsbeziehungen verhinderte nicht deren Intensivierung. Im Gegenteil: Während Österreich bei Deutschland gegenüber der Sechsergemeinschaft wiederholt Unterstützung fand, bekam es von Frankreich – in Österreichs Wirtschaft ungleich geringer engagiert – vor allem seine Außenseiterstellung vorgehalten. Schien die Integrität Österreichs durch seine allfällige Integration gefährdet, blieb sie dies daher auch ohne Integration – nur unter ungleich geringerer Kontrolle von außen. Gerade Frankreich verlor in Österreich nach Ende der alliierten Besatzung rasch jene (wenn auch geringe) Einflussmöglichkeit, die es als Vierter der Vier gehabt hatte, und kam im Weiteren auch um diejenige, die es als Erster von Sieben oder mehr hätte erhalten können. Bereits in der Zwischenkriegszeit hatte sich die französische Österreichpolitik zum Ziel gesetzt, das österreichisch-deutsche Verhältnis in einen multilateralen Rahmen zu stellen, in dem andere Kräfteverhältnisse herrschten – in dem Deutschland es nicht allein mit Österreich zu tun haben würde, sondern allen voran auch mit Frankreich.123 Nach dem Krieg schienen die Souveränitätsverhältnisse und der Integrationsprozess in Westeuropa erstmals die Chance zu eröffnen, eine solche Einbindung nicht mehr im Nachhinein (und vergeblich) versuchen zu müssen, sondern im Vornhinein zu verankern. Und dies, durch supranationale Verkoppelung bislang national getrennter Souveränitätsrechte, ungleich fester, als es früher 121 Crouy-Chanel an Couve de Murville, 12. 5. 1960. AFV, Dépêches 1960. 122 Crouy-Chanel an Couve de Murville, 24. 1. 1959. MAE, DE-CE, vol. 703. 123 Mit weiteren Literaturverweisen: Thomas Angerer, Die französische Österreichpolitik vor dem „Anschluss“ 1938, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 40 (1992/1), 29–59.
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je möglich gewesen wäre. Eine vertane Chance? Bis zum Staatsvertrag war es gerade der ‚Integrationsmotor‘ Frankreich, der die Souveränitätspartnerschaft der Westmächte mit der Sowjetunion in Österreich um keinen Preis aufs Spiel setzen wollte. Zu groß war die Angst vor einer Teilung des Landes, nach der es in Österreichs Westzonen an Souveränität gegenüber der BRD rasch nichts mehr zu teilen hätte geben können. Nach dem Staatsvertrag aber nahm Österreich selbst die Entscheidung in die Hand.124
124 Der Autor arbeitet an einer Monografie zur französischen Österreichpolitik der Jahre 1943 bis 1963 und wird in diesem Rahmen auch auf das Thema dieses Beitrages etwas näher eingehen können.
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1961: „Europe at Sixes and Sevens“ Die EFTA und Großbritanniens Entscheidung für die EWG 1. Einführung „Sixes and Sevens“ – das sind die „Sechs“ und die „Sieben“, die EWG (sechs Mitglieder: Frankreich, Bundesrepublik Deutschland, Italien, Niederlande, Belgien, Luxemburg) und die EFTA (sieben Mitglieder: Großbritannien, Norwegen, Dänemark, Portugal, Schweden, Schweiz, Österreich). Sixes and Sevens war ein feststehender Ausdruck, der seit Bestehen der Gemeinschaften Ende der 50er-Jahre in der englischsprachigen Öffentlichkeit (und in den englischen Akten) benutzt wurde. Macht man daraus „at Sixes and Sevens“, so beschreibt diese englische Redewendung ziemlich genau den Zustand, in dem sich Europa nach Gründung von EWG (1957) und EFTA (1960) befand: es gab die Sechs und die Sieben, die sich ziemlich uneins waren. Bei dem Versuch, ein geeintes Europa zu schaffen, stand man vor einem geteilten Europa. Zwischen EWG und EFTA gab es gewichtige Unterschiede, insbesondere was den Grad der politischen Integration betraf, den die EFTA-Mitglieder, von denen drei neutrale Staaten waren, zu akzeptieren bereit und in der Lage waren. Die EWG hatte als Ziel die wirtschaftliche und politische Integration, die EFTA war nur eine wirtschaftliche Freihandelszone. Die EWG entwickelte seit ihrer Gründung eine ungeheure wirtschaftliche Dynamik: von allen Wirtschaftsräumen wies sie die höchsten Wachstumsraten auf. So lag z. B. die Zuwachsrate der Industrieproduktion 1960 in der EWG bei ca. 12 %, in der Sowjetunion bei 10,5 %, in Großbritannien bei 7 % und in den USA bei 3 %. An der Steigerung des Welthandelsvolumens um rund 12,5 Mrd. US-Dollar in den Jahren 1957–1960 war die EWG mit 60 % beteiligt, 1961 bestritt sie mehr als ein Viertel des Welthandels. Dabei wuchs das Handelsvolumen innerhalb der EWG um mehr als 50 %, während in der gleichen Zeit das Welthandelsvolumen nur um 20 % zunahm. Je erfolgreicher EWG und EFTA für sich waren – etwa beim Abbau der Zölle –, umso größer wurde die Gefahr der wirtschaftlichen Spaltung Westeuropas, mit Konsequenzen, auf die die Briten ihre Partner im entscheidenden Moment denn auch mit Nachdruck verwiesen.1 Von Anfang an gab es Stimmen – in beiden Gemeinschaften –, die dies verhindern wollten. Von Anfang an war es auch das erklärte Ziel der EFTA-Staaten, aus der EFTA eine starke Basis zu machen, von der aus der Brückenschlag zur EWG unternommen werden sollte. 1 Siehe unten, 224.
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Schon in der Präambel der EFTA-Gründungsurkunde (Stockholmer Konvention vom 4. Januar 1960, die im Mai 1960 in Kraft trat) war daher die „feste Absicht“ bekundet worden, die Beseitigung der Handelsschranken und die Förderung einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC), „einschließlich der Mitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“, zu erleichtern. Das Problem war allerdings nicht in erster Linie ein Handels-, sondern ein politisches Problem im weitesten Sinne des Wortes. Wie dieser „Brückenschlag“ aussehen sollte, war von Anfang an die entscheidende Frage. Bestand nicht überhaupt die Gefahr, dass die EWG bei zu vielen neuen Mitgliedern zu einer Freihandelszone „verkommen“ könnte? Und wie war es dann mit der EWG als Kontrollinstrument der ansonsten übermächtigen Deutschen bestellt, was die westeuropäische Integration seit ihren Anfängen ja de facto implizierte? Sollte es überhaupt nur ein „ökonomischer Brückenschlag“ sein, eine rein wirtschaftliche Vereinbarung zwischen EWG und EFTA? Oder sollten nur die NATO-Staaten der EFTA beitreten? Sollte möglicherweise gar die EWG der EFTA beitreten? (Auch diese Überlegung gab es.) Und was war mit den neutralen Staaten Schweden, Schweiz, Österreich? Wie sahen die Prioritäten Großbritanniens mit seinen Commonwealth-Verpflichtungen aus? Sollte die EFTA als Gemeinschaft verhandeln, oder sollten jeweils einzelne Mitglieder mit der EWG verhandeln, bilaterale Verhandlungen also? War die EWG überhaupt bereit, neue Mitglieder aufzunehmen? Und wenn ja, wen und unter welchen Bedingungen? Fragen über Fragen, bei deren Beantwortung es letztlich um die Zukunft von EWG und EFTA und damit um die wirtschaftliche und wohl auch politische Zukunft (West-)Europas im Kalten Krieg ging. Nicht von ungefähr griff die Kennedy-Administration entscheidend in die Verhandlungen ein. Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre standen grundlegende Entscheidungen an, Entscheidungen, die Europa bis heute fast unverändert prägen und mit dazu beigetragen haben, dass einige der o.g. Fragen, die damals nicht beantwortet wurden, von Neuem mit der gleichen Brisanz auf der Tagesordnung der europäischen Integrationspolitik stehen. Die Diskussion um den Beitritt der Neutralen Österreich, Schweden, Schweiz zur EWG, die Umsetzung der Beschlüsse von Maastricht vom Dezember 1991, d. h. die Entwicklung der EG hin zu einer politischen Gemeinschaft – so oder ähnlich ist alles schon einmal da gewesen, vor mehr als dreißig Jahren. Das Jahr 1961 war dabei von besonderer Bedeutung: Großbritannien stellte Anfang August offiziell den Antrag auf Beitritt zur EWG, eine Entscheidung, die für ganz Europa von historischer Bedeutung war, richtungweisend auch für die übrigen EFTA-Länder: Dänemark stellte ebenfalls einen Aufnahmeantrag, Schweden, die Schweiz und Österreich stellten im Dezember Anträge auf Assoziierung. Im Folgenden wird erstmals anhand bislang unveröffentlichter Akten – in erster Linie aus dem Public Record Office in London – untersucht, wie es zu diesen Entscheidungen bis zum Sommer 1961 kam, von welchen Vorstellungen, Zielen und Kalkülen sich die EFTA-Mitglieder damals leiten ließen, welche Position insbesondere Großbritannien als die führende Macht in der EFTA einnahm, welche Rolle die Neutralen – Schweden, Schweiz, Österreich
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– spielten, und vor welche Bewährungsprobe die EFTA – und hier insbesondere die Neutralen – in den ersten sechs Monaten des Jahre 1961 gestellt war, eine Herausforderung, die sie am Ende jedoch bestand.2
2. Was wollen die Briten?3 Für das Jahr 1961 standen in beiden Gemeinschaften weitreichende Entscheidungen an, die die Kluft zwischen ihnen weiter vertiefen würden: im Juli würde die EWG mit der zweiten Integrationsstufe (gemeinsamer Agrarmarkt) beginnen und die EFTA bis Ende des Jahres die Zölle nach anfangs 20 % um weitere 10 % senken. Eines war auch klar: die weitere Entwicklung der EFTA hing davon ab, wie sich ihr stärkstes Mitglied, Großbritannien, entscheiden würde. Die Briten führten seit Herbst 1960 bilaterale Gespräche mit den wichtigsten EWG-Ländern. Es hatte zwei Gesprächsrunden mit den Deutschen und im November eine mit den Italienern gegeben, Ende Januar 1961 ein erstes Gespräch zwischen de Gaulle und Macmillan in Rambouillet und am 2./3. Februar ein zweites Treffen mit den Italienern in London. Die übrigen EFTA-Länder sahen Großbritannien zwar als den gegebenen Sachwalter ihrer Interessen, beobachteten diese Gespräche aber dennoch mit einem gewissen Unbehagen. Sie fühlten sich z. T. nicht ausreichend informiert; die Schweizer befürchteten, dass die Briten, die im ersten Halbjahr 1961 auch den Vorsitz im EFTA-Rat innehatten, schon Zugeständnisse machen würden, noch bevor überhaupt Verhandlungen aufgenommen worden waren. Die Dänen sahen ihre Agrarexporte in die Bundesrepublik gefährdet und wollten diese Frage durch die Briten diskutiert sehen; in Österreich war man aufseiten der Unternehmer insgesamt über den Mangel an Fortschritten enttäuscht. Dem Foreign Office war das nicht verborgen geblieben. Das Treffen des EFTA-Ministerrates am 16. Februar in Genf schien daher eine gute Gelegenheit, die Partner zu unterrichten und klarzustellen, dass man 1. in gar keiner Weise Verhandlungen, sondern lediglich informelle, zu nichts verpflichtende Informationsgespräche führte, 2. nur für Großbritannien sprach und dass 3. die übrigen EFTALänder unterschiedliche Interessen hätten, die gewahrt werden müssten, falls es zu einer Vereinbarung kommen sollte.4 2 Der folgende Beitrag ist ein Teilaspekt einer größeren Arbeit des Autors über „Europe at Sixes and Sevens: Zum Verhältnis von EWG und EFTA 1959–1963.“ Für Hilfe und Unterstützung danke ich DDr. Oliver Rathkolb vom Kreisky-Archiv sowie den ungenannten Helfern in den übrigen Archiven. 3 Zur britischen Position bis zur Gründung der EWG s. den Beitrag von Gustav Schmidt, Großbritannien, die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die ,Sicherheit des Westens‘: „The American Connection“, in: Michael Salewski (Hrsg.), Nationale Identität und Europäische Einigung, Göttingen/Zürich 1991, 169–231. Zur Vorgeschichte auch die hervorragende Darstellung von Wilfried Loth, Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939–1957, Göttingen 1990. 4 E.Q. (O) (61) 16 (Final). Cabinet. European Economic Questions (Official) Committee. E.F.T.A. Ministerial
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Eine Woche vor diesem Treffen wurde deutlich, dass einige EFTA-Mitglieder mehr erwarteten. Die EFTA-Vertreter bei der OEEC in Paris kamen am 9. Februar zu einer informellen Runde zusammen, um sich vom EFTA-Generalsekretär, Frank Figgures, über die Tagesordnung in Genf unterrichten zu lassen. Als der britische Vertreter Robin Hankey über das Treffen Macmillan-de Gaulle informierte, machte der Schweizer Agostino Soldati einen „einigermaßen unerwarteten“ Vorstoß, wie Hankey nach London berichtete. Mit der zweiten Stufe der EWG-Integration werde ein Punkt erreicht, „von wo es kein Zurück mehr gibt“. Und da die Brüsseler EWG-Kommission bereits davon spreche, dass die Sieben mit Blick auf die Sechs nicht wüssten, was sie wollten und bislang auch noch keinen Vorschlag auf den Tisch gelegt hätten, sollten die Minister in Genf der EWG öffentlich ein Angebot machen. Hägglöf (Schweden) und Bobleter (Österreich) unterstützten diesen Vorschlag. Hägglöf wies darauf hin, dass die EFTA zu viel Zeit auf die Aufnahme Finnlands verwende, die Ministerkonferenz dürfe jedenfalls nicht zu Ende gehen ohne eine Erklärung, wonach man bereit und entschlossen sei, mit der EWG zu einer Lösung der Probleme zu kommen. Hankey wies auf die ablehnende Haltung der Franzosen hin, die bisher alles blockiert hätten und plädierte für die Fortsetzung der informellen Gespräche, wo die Probleme eines nach dem anderen diskutiert werden konnten, um zu sehen, wie eine generelle Regelung aussehen könnte. Er wurde darin von Knud Bartels (Dänemark) unterstützt, der jedoch auf den in der Öffentlichkeit weit verbreiteten Eindruck verwies, wonach die Sieben einfach zu langsam agierten.5 Der britische Europaminister und Lordsiegelbewahrer („Lord Privy Seal“), Edward Heath, war jedenfalls für die Sitzung in Genf gewarnt. Er informierte dann seine EFTA-Kollegen auf der Basis eines im Foreign Office vorbereiteten Papiers, betonte die Nützlichkeit der Gespräche und ging dann darauf ein, dass sowohl in Großbritannien als auch anderswo gefragt werde, ob „some dramatic gesture would not help to launch negotiations“, um das dann im Namen der britischen Regierung zurückzuweisen. Man verhandle ja noch nicht, es gehe nur um „exploring the ground“, um herauszufinden, ob es überhaupt sinnvoll sei, mit Verhandlungen zu beginnen. Und er warnte: „If we made a major gesture now, we should not hope to get anything in return for it in the negotiations themselves and would have given much away simply in order to get negotiations started.“
Heath konnte seine Kollegen überzeugen. Die Außenminister Dänemarks und Portugals, Krag und Oliveira, sowie die Vertreter Norwegens und Österreichs und der schwedische Handelsminister Gunnar Lange stimmten ihm zu und unterstützten die britische VorgangsCouncil Meeting: Six/Seven Relations. Note by the Foreign Office, 7. 2. 1961. FO 371/158186/M617/33. Wo nicht anders verwiesen, stammen die in diesem Aufsatz verwendeten Materialien aus dem Public Record Office in London. 5 Hankey (Paris) an FO, 9. 2. 1961. Ebd., M 617/37.
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weise. Ihrer Meinung nach war die Zeit noch nicht reif für präzise Vorschläge; man müsse weiterhin Geduld zeigen und nichts tun, „to precipitate through over-eagerness premature negotiations“. Der Schweizer Außenminister Max Petitpierre stimmte dem jetzt zwar auch prinzipiell zu, seiner Meinung nach musste aber dennoch „in naher Zukunft“ etwas geschehen; er schlug dafür das nächste Ministertreffen im Juni vor. Für ihn war auch wichtig, dass die Briten in ihren Gesprächen mit den Sechs ganz klar machten, dass die Sieben unterschiedliche und voneinander abweichende Interessen hätten. Es wäre höchst unglücklich, wenn sich die Sechs und Großbritannien auf eine gemeinsame Grundlage verständigen und dann erkennen müssten, dass das nicht notwendigerweise auch dem Rest der Sieben gefallen müsste. Wie unterschiedlich die Interessen waren, zeigte die Wortmeldung von Jens Otto Krag. Mit Blick auf die dänischen Agrarexporte wies er auf die ausstehenden Entscheidungen der Sechs im Agrarbereich hin, die eine Übereinkunft noch weiter erschweren würden. Sein Vorschlag, im Kommuniqué eine Passage einzufügen, wonach man hoffe, dass beide Gemeinschaften nichts unternehmen würden, was diese Gefahr vergrößerte, erhielt keine Mehrheit. Seine Kollegen sahen zwar auch die von ihm angesprochene Gefahr, wollten aber keinen Satz im Kommuniqué, der so interpretiert werden konnte, als ob die Sieben die Sechs bitten würden, den geplanten gemeinsamen Agrarmarkt nicht zu schaffen. Man einigte sich schließlich darauf, lediglich in der Pressekonferenz auf dieses Problem zu verweisen.6
3. Die Position Frankreichs War Großbritannien der „nigger in the woodpile of European integration“, wie in der Wirtschaftsabteilung der britischen Botschaft in Wien die Stimmung gegen Großbritannien einmal beschrieben worden war, oder war nicht doch eher Frankreich dieser „nigger“? Frankreich, das, wie der ehemalige Generalsekretär im belgischen Handelsministerium, Baron Snoy et d’Oppuers, in einem Vortrag in Wien am 13. Januar betont hatte, unter einem „Bismarck-Komplex“ litt, ein „Klein-Europa unter französischer Führung“ wollte und befürchtete, in einer erweiterten EWG seinen beherrschenden Einfluss zu verlieren? Antwort auf die Frage, was Frankreich – oder besser de Gaulle – wollte, erhofften sich die Briten vom Treffen zwischen Macmillan und dem General Ende Januar in Rambouillet. Dieses Treffen verlief dann aus britischer Sicht höchst erfreulich. De Gaulle betonte die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit des Westens, um so der sowjetischen Herausforderung standhalten zu können. Er bezeichnete die USA, Großbritannien und Frankreich als die eigentlichen Mächte der westlichen Welt, die ihre Politik aufeinander abstimmen müssten; dabei sei es besonders wichtig, dass sich die anglo-französischen Beziehungen „sehr eng“ gestalten würden. 6 Sir E. Cohen (U. K. Delegation to E.F.T.A., Genf) an FO, 16. 2. 1961. Ebd., M. 617/49.
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Macmillan sprach das Problem der „Sixes and Sevens“ an und gewann dabei den Eindruck, dass er de Gaulle offensichtlich davon überzeugt hatte, das britische Anliegen, „to heal the breach“ zwischen EWG und EFTA, ernst zu nehmen. Der britische Premier erklärte dann, er halte es für möglich, „to make a working arrangement between the Six, the United Kingdom and as many of the E.F.T.A. as possible“ (eine Formulierung, die im Foreign Office noch zum Nachdenken führen sollte, s. unten). Eindringlich wies er de Gaulle darauf hin, dass ein Fortschritt in dieser Frage für die Einheit des Westens von entscheidender Bedeutung sei, denn „political divisions would automatically follow economic rivalry. The object of the Western Powers should be to develop as large a market as possible. Neither Britain nor France should have to choose between Europe and the United States; both of them had world interests as well as European ones.“
Die britische Regierung halte einen Beitritt zur EWG für möglich, allerdings mit bestimmten Ausnahmeregelungen für die Commonwealth-Staaten und die heimische Landwirtschaft. De Gaulle bezweifelte zwar, ob eine Annäherung Großbritanniens an die EWG überhaupt möglich sein konnte, ohne das Commonwealth zu gefährden, „was Frankreich keinesfalls wünsche“, aber er zeigte Interesse für das, was Macmillan gesagt hatte, und stimmte zu, dass französische und britische Experten im Februar zusammenkommen sollten, um mögliche Lösungen zu prüfen; falls nötig, sollten weitere Treffen stattfinden. Auf britischer Seite war man optimistisch. „There seems reason to hope“, so heißt es in der Aufzeichnung über dieses Treffen, dass „the instructions he gives to the French experts will be positive rather then negative“.7 Zu diesem Zeitpunkt wussten die Briten selbst noch nicht genau, wie es weitergehen sollte, wie die nachfolgende Diskussion über den oben erwähnten Satz zeigte. Der britische Botschafter in Stockholm, Sir John Coulson, wies darauf hin, dass „größter Schaden“ angerichtet würde, falls diese Äußerung Macmillans so stehen bleiben würde und die übrigen Sieben davon erfahren würden. Er wage zwar zu behaupten, dass „for reason of higher policy we might as a last resort have to break up the EFTA, if this were necessary to enable us to ‘get in among the Six’“, aber an dem Punkt sei man noch lange nicht angekommen, und was man bislang – etwa mit den Deutschen – besprochen habe, sei für den Rest der Sieben durchaus akzeptabel.8 Roger Barclay, Leiter der Wirtschaftsabteilung im Foreign Office, strich daraufhin zwar diesen Satz im Protokoll, die Frage aber blieb, ob es unterschiedliche Lösungen für die einzelnen EFTA-Länder geben sollte oder geben konnte, was gleichbedeutend mit dem Ende der Gemeinschaft war. Für Unterstaatssekretär Sir Evelyn Shuckburgh 7 „The Prime Minister’s visit to Rambouillet. Foreign Office to Certain of Her Majesty’s Representatives.“ 14. 2. 1961. FO 371/158187/M 617/50. 8 J. E. Coulson (Stockholm) an R. Barclay (FO), 15. 2. 1961. FO 371/158187/M 617/50.
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schien genau dies bis zu diesem Zeitpunkt klar gewesen zu sein: unterschiedliche Lösungen, weil es sonst überhaupt keine Lösung geben werde. Er wurde unterstützt von Edward Heath, der bei diesem Punkt „Yes“ notierte.9 Beitritt oder Assoziierung – das wurde zu diesem Zeitpunkt noch im Foreign Office diskutiert, wobei es allerdings jetzt schon warnende Stimmen mit Blick auf eine mögliche Obstruktionspolitik Frankreichs gab, falls man einen Beitrittsantrag stellen würde. Assoziierung hätte den Vorteil, dass man sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen würde, die EFTA zerstört zu haben. Allerdings konnte das nicht heißen: gleiche Lösung für alle EFTA-Länder oder überhaupt keine Lösung. Dafür waren die Interessen – hier die Neutralen, da Großbritannien/Dänemark – doch zu unterschiedlich; mit anderen Worten: die EFTA, die gegründet worden war, um zu einer Vereinbarung mit der EWG zu kommen, durfte aus britischer Sicht jetzt nicht zum Hindernis für eine solche Übereinkunft werden, eine Befürchtung, die Unterstaatssekretär Sir Frederick Hoyer Millar schon die ganze Zeit gehegt hatte, dass nämlich die EFTA „might become a bit of a millstone round our necks“.10 Zumindest die Frage Assoziierung oder Beitritt wurde in den folgenden Wochen beantwortet. Da waren zunächst die Gespräche zwischen Briten und Franzosen. Noch Ende Februar fand das erste Treffen statt; es folgten weitere „Erkundungsgespräche“ in London und Brüssel. Am Ende war eines klar – zumindest war das die Schlussfolgerung, die die Briten aus diesen Gesprächen zogen: die einzige Lösung, die die Franzosen akzeptieren würden, wäre die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EWG, wobei auch klar war, dass es nur eine „Vollmitgliedschaft ohne Wenn und Aber“ sein konnte. Für Länder wie Griechenland, Portugal, Österreich, selbst für die Schweiz und Schweden würde aus französischer Sicht eine Assoziierung möglich sein, für Großbritannien nicht („it is not a starter for the United Kingdom“, „anything less than full membership would not be negotiable“). Großbritannien hatte die Agrarpolitik und die supranationalen Strukturen der Gemeinschaft zu akzeptieren. Je eher die Briten beitreten würden, umso mehr würden sie allerdings auch Einfluss nehmen. Die Franzosen machten allerdings auch kein Hehl daraus, dass sie um gar keinen Preis bereit waren, den EWG-Vertrag in irgendeiner Weise verwässern zu lassen und damit möglicherweise zu riskieren, dass „the structure of European unity which had been so laboriously built up in recent years“ Schaden nehmen würde.11 Dies war auch die Position des Präsidenten der EWG-Kommission, Walter Hallstein. Und auch die Partner der Briten in der NATO, etwa der belgische Außenminister Paul Henri 9 Shuckburgh, 21. 2.; Heath, 21. 2. 1961. Ebd. 10 Comments on a possible solution of the Six/Seven problem. Gallagher, 27. 2.; Barclay, 27. 2.; Reilly, 27. 2.; Shuckburgh, 6. 3.; Hoyer Millar, 6. 3.; Heath, 7. 3.; Jackling, 29. 3.; Barclay, 4. 4.; Reilly, 7.4. 1961. Ebd., M 617/51. 11 Vgl. die verschiedenen Aufzeichnungen im PRO. Hier P. Dixon (Paris) an FO, 24. 5. 1961; FO 371/158192/M 617/160; sowie Secret, E.Q (O)(61) Revise, 22. 6. 1961. Cabinet. European Economic Questions (Official) Committee, Meeting of E.F.T.A. Ministerial Council. Brief on Six/Seven Relations. Note by the Foreign Office. FO 371/158 196/M 617/234.
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Spaak, wiesen darauf hin, dass die Römischen Verträge nicht der Endpunkt, sondern nur ein Schritt auf dem Weg zur europäischen Einigung waren. Wer sich den Sechs anschließe, müsse sich auch zu dieser Idee bekennen; und das hieß eben auch Aufgabe souveräner Rechte zugunsten supranationaler Institutionen etc.12
4. Die Schweiz und Schweden Die neutralen EFTA-Partner Großbritanniens, vor allem die Schweiz und Schweden, sahen die Briten damals grundsätzlich auf dem falschen Weg, wobei sie gleichzeitig davon überzeugt waren, dass Frankreich niemals den Beitritt Großbritanniens zur EWG akzeptieren und im Verlaufe möglicher Verhandlungen immer neue Hindernisse aufbauen würde. Der Schweizer Hans Schaffner, bevollmächtigter Minister und Leiter der Handelsabteilung im Wirtschaftsministerium in Bern, ging sogar so weit zu behaupten, die Franzosen hätten dabei nur den einen Wunsch, nämlich Großbritannien zu demütigen und sich für das eigene Versagen 1940 zu rächen, als Frankreich kapituliert hatte, während Großbritannien allein weitergekämpft habe. Interessant ist, wie er damals die Zukunft der EWG einschätzte, wobei zu sagen ist, dass auch andere ähnlich dachten. Die EWG war eben noch nicht das, was sie dann wurde. Nur so ist zu erklären, dass damals kluge Leute (wie etwa der schon erwähnte Baron Snoy) ernsthaft von einem Beitritt der EWG zur EFTA sprachen. Schaffner jedenfalls konnte an der EWG nichts mehr von der Idee eines vereinten Europa entdecken. General de Gaulle hatte seiner Meinung nach dieser Idee den Todesstoß versetzt; die EWG ohne gemeinsame Außenpolitik und ohne gemeinsame Armee war für ihn keine Gemeinschaft von wirklich politischem Gewicht. Er sah keine Zukunft für die EWG, vor allem mit Blick auf Bonn. Falls die Sowjets nach dem Abgang Adenauers Zugeständnisse in der Frage der Wiedervereinigung machen würden, würde Bonn seine Politik radikal ändern, und das sei dann wohl das Ende der EWG. Frankreich würde dann seinen schweren, durch nichts entschuldbaren Fehler, Großbritannien den Beitritt verwehrt zu haben, bitter bereuen. Schaffner plädierte daher für einen völlig anderen Weg als die Briten: nicht Beitritt zur EWG, sondern Ausbau der EFTA zu einem „decent commercial club“ – Stärkung durch Aufnahme neuer Länder, insbesondere Spaniens, verstärkte Beziehungen zu einigen Commonwealth-Ländern. Die Briten, so betonte er gegenüber Edward Heath am 29. März in London, sollten ihre gesamte Europapolitik neu überdenken.13 Was Frankreichs Haltung gegenüber einem möglichen Beitritt Großbritanniens anging, so sah man in Schweden die Dinge ähnlich. „Regierung und Wirtschaft“, so konnte die bri12 So auf der NATO-Ministerratssitzung in Oslo am 9. 5. 1961. J. Walker (Oslo) an FO, 10. 5. 1961. FO 371/158191/M 617/128. 13 Record of Conversation between the Lord Privy Seal and M. Schaffner; FO-Aufzeichnung; Schreiben an den britischen Botschafter in Bern, 4. 4. 1961. FO 371/158 188/M 167/62.
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tische Botschaft in Stockholm nach London berichten, „sind überzeugt davon und trösten sich mit dem Gedanken, dass uns die Franzosen um keinen Preis in den Kreis der Sechs aufnehmen werden.“ Der Generalsekretär im schwedischen Außenministerium ging sogar so weit zu sagen, ein hochrangiger Vertreter des Quai d’Orsay habe betont, für den Fall, dass die Probleme Commonwealth und Agrarpolitik mit den Briten gelöst würden, werde man sich etwas anderes einfallen lassen, um den Beitritt zu verhindern.14
5. Die USA und der Schock für die Neutralen Anfang April 1961 ging man in Stockholm, Bern – und auch in Wien – offensichtlich davon aus, dass die Briten ihre informellen Gespräche zwar fortsetzen würden, dass aber letztlich doch alles auf ein Rahmenabkommen zwischen EFTA und EWG hinauslaufen würde und es keine Gefahr für den Bestand der EFTA gäbe. Das änderte sich schlagartig, als erkennbar wurde, dass die Kennedy-Administration eine dezidiert andere Haltung in der Frage EWG/ EFTA einnahm, als es die Eisenhower-Regierung getan hatte. Unter Eisenhower war dieses Problem in erster Linie unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen worden: eine größere Gemeinschaft hätte größere Nachteile für den amerikanischen Export gebracht. Die neue Regierung sah die Sache primär unter politischen Gesichtspunkten und war beunruhigt über die möglichen Auswirkungen einer fortdauernden wirtschaftlichen Spaltung Europas. Sie sprach sich daher mit Nachdruck für eine rasche Beendigung dieses Zustandes aus. Dabei sollte allerdings um keinen Preis die deutsch-französische Annäherung gefährdet werden, d. h. die Einheit und die Ziele der Sechs durften nicht gefährdet werden. Mit anderen Worten – so die Zusammenfassung nach den Gesprächen Kennedy-Macmillan Anfang April in Washington –: die US-Regierung wünschte „on political grounds United Kingdom participation in the Six“ und lehnte entschieden eine rein wirtschaftliche Vereinbarung zwischen den Sechs und den Sieben ab („firmly opposed to a purely commercial arrangement“), da dies die wirtschaftlichen Probleme für die USA nur vergrößern würde, ohne irgendwelche „corresponding political advantages“. Es sei klar, so hieß es weiter, dass die EFTA-Regierungen bei all ihren zukünftigen Überlegungen diese Haltung der neuen US-Regierung mit in Rechnung stellen müssten.15 Am 17. April unterrichtete der britische Vertreter bei der EFTA, Sir Edgar Cohen, seine Kollegen in Genf von dieser „position line“ der US-Regierung und löste damit einen Schock aus („has come as a shock to them and perhaps to their Governments“). Die Vertrauenskrise („crisis of confidence“) innerhalb der EFTA war da. Von jetzt an war britisches Krisenmanagement gefragt. Es müsse jetzt alles getan werden – Ministertreffen und andere persönliche
14 F. C. Everson (Stockholm) an R. Barclay (FO). 19. 4. 1961. FO 371/158190/M 617/111. 15 FO an UK-EFTA-Delegation in Genf; Secret, Sixes and Sevens, 14. 4. 1961. FO 371/158188/M 617/65.
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Kontakte –, so Cohens dringender Appell nach London, um die EFTA zusammenzuhalten.16 „Bestürzung und Mutlosigkeit“ machten sich breit.17 Das, „what looks like becoming a rot in EFTA“,18 müsste gestoppt und den EFTA-Partnern versichert werden, dass „wir sie nicht im Regen stehen lassen“.19 Den Schock gab es nur bei den Neutralen – Schweden, Schweiz, Österreich –, nicht jedoch in Dänemark. Würde London jetzt den Beitrittsantrag stellen, würde Dänemark sofort mitziehen. Außenminister Jens Otto Krag hatte dies seinem britischen Kollegen Lord Home am 14. April streng vertraulich in einem persönlichen Schreiben mitgeteilt.20 Die Zeche würden also nur die Neutralen zahlen und am Ende allein stehen. In einer Serie von Gesprächen versuchten die Briten, die Lage wieder unter Kontrolle zu bekommen. Heath traf am 22. April Schaffner in Basel, am nächsten Tag Gunnar Lange in Straßburg und anschließend den Direktor der politischen Abteilung und späteren Generalsekretär im Wiener Außenamt, Walter Wodak, den Bruno Kreisky als Sondergesandten geschickt hatte. Der Lord Privy Seal musste sich von Schaffner und Lange schwere Vorwürfe anhören. Für sie stand das Schicksal der EFTA auf dem Spiel. Nach Meinung Schaffners hatten Jean Monnet und dessen Freunde die US-Administration beeinflusst mit dem Ziel, die EFTA zu zerstören. Während Heath zu verstehen gab, dass die Chancen für eine Vereinbarung zwischen EFTA und EWG geringer geworden seien und dass am Ende möglicherweise jedes EFTA-Land einzeln seine Beziehungen zur EWG regeln müsste, war für Lange dieses Vorgehen gleichbedeutend mit dem Ende der EFTA. Für den Fall, dass Großbritannien so handeln würde, sah er wenig Sinn im Fortbestand der Freihandelszone. Wie verbittert er war, zeigt seine Warnung gegenüber Heath, dass die Welt wahrscheinlich die EFTA schnell vergessen werde, „but the U. K’s Part in its demise (and he meant betrayal) would long be remembered“. Noch einmal plädierte er für eine rein wirtschaftliche Vereinbarung zwischen EFTA und EWG und machte auch klar, dass Schweden auf keinen Fall der EWG beitreten werde.21 Ähnlich argumentierte Wodak, der allerdings Vereinbarungen zwischen EWG und einzelnen EFTA-Ländern nicht ausschloss, solange bei diesen Verhandlungen die EFTA geschlossen auftreten würde (wobei interessant ist, dass dies nicht Kreiskys Meinung war, s. u. 215). Auch er drängte auf eine öffentliche Erklärung Großbritanniens, dass es nach wie vor zur EFTA stehe.22 Für Heath war klar, dass Schweizer, Schweden und Österreicher „außerordentlich beunruhigt“ waren, auch 16 Secret, Cohen (Genf) an FO, 17. 4. 1961. Ebd., M 617/67. 17 So der Generalsekretär der EFTA, Frank Figgures. „Sixes and Sevens“, Aufzeichnung Gedber, 28. 4. 1961. FO 371/158189/M 617/98. 18 Reilly (Genf) an Barclay (FO), 21. 4. 1961. Ebd., M 617/96. 19 Secret, Personal, Barclay (FO) an Cohen (Genf), 25. 4. 1961. Ebd. 20 „Strictly Confidential. My dear Lord Home […]“ Krag an Home, 14. 4. 1961. FO 371/158188/M 617/70. 21 Secret, Sixes and Sevens, Heath (Straßburg) an FO, 24. 4. 1961. Ebd., M 617/76. Secret, „Record of Conversation between the Lord Privy Seal and M. Schaffner on April 22.“ FO 371/158189/M 617/91. Secret. „Record of Conversation between the Lord Privy Seal and M. Gunnar Lange on April 23.“ Ebd., M 617/92. 22 Secret, Heath (Straßburg) an FO, Tel. Nr. 51, 25. 4. 1961. FO 371/158 188/M 617/77.
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wenn sie die Gefahr eines Auseinanderbrechens der EFTA seiner Meinung nach wohl etwas übertrieben. Er wollte jedenfalls nach seiner Rückkehr in London öffentlich die gewünschte Erklärung abgeben.23 Macmillan sah die Sache für noch dringender an und wies am 25. April in einer für diesen Zweck organisierten „Fragestunde“ über EWG und EFTA im Unterhaus auf die Verpflichtungen hin, die Großbritannien in dieser Sache habe: gegenüber dem Commonwealth, der eigenen Landwirtschaft und den Partnern in der EFTA. Als Harold Wilson von der Labour Party nachfragte, ob damit auch gemeint sei, dass die britische Regierung nur in Übereinstimmung mit den Partnern agieren werde und am Ende auch die Interessen jener Länder mitberücksichtigt sein würden, die nicht der EWG beitreten könnten, antwortete Macmillan zwar mit ja, schränkte aber ein, dass es ohne „some losses and without somebody being hurt somewhere“ wohl nicht abgehen werde.24 Von dieser Äußerung, so hieß es in Downing Street No. 10 gegenüber dem Foreign Office, werde hoffentlich „guter Gebrauch“ gemacht, um die EFTA-Länder zu beruhigen.25 Das gelang nicht ganz, wiesen doch die Schweden darauf hin, dass Macmillan mit dem oben zitierten Satz nur die EFTA-Länder gemeint haben konnte. Aus Paris meldete Hankey, dass seine Kollegen „ernste Zweifel“ an der Ehrlichkeit der britischen Absichten hätten.26 Aus Bern berichtete Botschafter Paul Grey von einem Gespräch mit dem Schweizer Außenminister. Dieser hatte sich außerordentlich kritisch über die Amerikaner geäußert, denen es offensichtlich egal sei, was mit den neutralen Staaten der EFTA geschehe. Diese Staaten aber seien wichtig; sie seien Teil der Geschichte Europas und müssten Teil des zukünftigen Europas sein; in einem einheitlichen Europa müsste für sie genauso Platz sein wie für die Großen. Sein Vertrauen in die Zukunft der EFTA war erschüttert; die Schweiz, so bekannte er, nehme die ganze Sache außerordentlich ernst, da es für sie aufgrund ihrer traditionellen Neutralitätspolitik unmöglich sei, unter ähnlichen Bedingungen wie Großbritannien, Norwegen und Dänemark der EWG beizutreten.27 Am 28. April hieß es im Foreign Office: „Die Vertrauenskrise in der EFTA hält an.“ In Stockholm, Bern und Wien sah man nach wie vor die Gefahr, dass die EFTA auseinanderfallen und jedes Mitglied für sich verhandeln würde, falls die Briten nicht überzeugend versicherten, nur gemeinsam mit allen EFTA-Ländern zu handeln. Die Reaktion der Neutralen wurde im Foreign Office so zusammengefasst, dass, falls die Briten ihre Bereitschaft zum EWG-Beitritt erklären sollten – wie verklausuliert auch immer –, dies nichts anderes bedeuten würde, als „burning our boats, not behind us, while we were still in them“. Schon wurde der Verdacht geäußert, dass die Schweden, die besonders heftig 23 Secret, Heath (Straßburg) an FO, Tel. Nr. 52, 25. 4. 1961. Ebd., M 617/78. 24 Hansard, 1961, Spalten 232–236. 25 Aufzeichnung McKenzie, 26. 4. 1961. FO 371/158189/M 617/88. 26 Secret, Hankey (Paris) an FO, 27. 4. 1961. Ebd., M 617/93. 27 Grey (Bern) an FO, 27. 4. 1961. Ebd., M 617/86.
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reagiert hatten („most vociferous“), diese Kampagne für sich nutzen würden, um Großbritannien daran zu hindern, für die EFTA eine Regelung zustandezubringen, die den Schweden nicht in den Kram passe. Dann wurden sämtliche „Schadensbegrenzungsaktionen“ aufgezählt und gleichzeitig Zweifel geäußert, ob diese ausgereicht hätten, die Bedenken der Partner zu zerstreuen. An deren Reaktion könne man jedenfalls sehen, „into what a state the E.F.T.A. chicks get at even a hint that the mother hen may be thinking of rejoining the flock and leaving them either to venture with her or to fend for themselves“.
Und die Erkenntnis, die man für sich daraus zog, lautete: „It may be that we have underestimated the resentment that is feit in E.F.T.A. at anything that can be distorted into desertion. We may be forced to resume firm control of the Association and take an rather more responsibility than we would have liked for ensuring, and helping to negotiate, a settlement with the Six for our fellow members.“
Das wurde insgesamt allerdings als „keine schlechte Sache“ gesehen. Die übrigen EFTAMitglieder hatten möglicherweise einen „solch gewaltigen Schock“, dass dies ganz heilsam sein und von den Briten in einer Art. Vorwärtsstrategie genutzt werden konnte. Falls es gelingen würde, das Vertrauen der Partner zurückzugewinnen, wollte man jetzt nämlich auf einem EFTA-Ministertreffen die übrigen Mitglieder mit der eigenen Entscheidung konfrontieren, sobald diese definitiv getroffen worden war. Das, so die Überlegung jetzt, würde dann wahrscheinlich von dieser Runde akzeptiert werden; zumindest schienen die Erfolgschancen für ein solches Vorgehen größer, als wenn man jedes einzelne Mitglied vorher konsultieren und informieren würde. Bei dem letztgenannten Vorgehen sah man im Übrigen die Gefahr, dass die Dinge außer Kontrolle geraten könnten, zu viel hin- und herberichtet, möglicherweise bewusst falsch berichtet würde, die Partner untereinander Kontakt aufnehmen würden, „in fact an attempt at individual explanations might result in a private meeting of the other members of E.F.T.A., without us, to discuss our move“. Die Frage war jetzt nur, ob sofort eine Sondersitzung des EFTA-Ministerrats einberufen oder die für Ende Juni vorgesehene Sitzung lediglich vorverlegt werden sollte.28 Im Foreign Office wurde diese Analyse als „sehr nützlich“ eingestuft; noch am selben Tag berief Heath eine Sitzung der Abteilungsleiter ein, auf der dann beschlossen wurde, statt einer Ministerratssitzung eine um Experten aus den einzelnen Hauptstädten „erweiterte“ EFTA-Sondersitzung der Delegationschefs in Genf einzuberufen; die Sache sollte nicht zu dramatisch erscheinen; außerdem sollte Macmillan am 5. Mai eine weitere öffentliche Erklärung abgeben. Macmillan verfolgte die Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit (so ließ er sich in jenen Tagen u. a. die wichtigsten Telegramme vorlegen). Am 29. April erhielt er ein Telegramm 28 „The United Kingdom and E.F.T.A.“ Memorandum J. McKenzie, 28. 4. 1961. FO 371/158189/M 617/96.
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von Edgar Cohen, in dem dieser auf eine solche erweiterte EFTA-Sitzung verwies; alle EFTA-Vertreter seien sich einig, dass ein solches Treffen von „entscheidender“ Bedeutung für die Zukunft der Assoziation sei.29 Macmillan griff diesen Gedanken auf; seiner Meinung nach konnte dieses Treffen mithelfen, „die EFTA zusammenzuhalten“; entsprechend formulierte er am 30. April ein Schreiben an Heath.30 Schon am 4. Mai konnte dieser mitteilen, dass das Treffen für den 16./17. Mai einberufen sei; man werde versuchen, dort Bilanz zu ziehen, die EFTA-Partner zu beruhigen und die Sache bis zu den nächsten Entscheidungen unter Kontrolle zu halten und in der Zwischenzeit klären, was für die Partner akzeptabel sei. Macmillan war zufrieden: „This is a good move“, kommentierte er.31 Am nächsten Tag tat er das Seine zur weiteren Beruhigung der Partner. In einer ansonsten völlig unwichtigen („trivial“) Rede anlässlich des Civic Dinner in Bromley fügte er eine lange Passage „of encouragement“ zum Thema EWG/EFTA ein, in dem Sinne, dass Großbritannien noch keine Entscheidung getroffen habe, und dass die EFTA-Regierungen weiter zusammenarbeiten müssten, um am Ende ein für alle akzeptables Ergebnis zu erreichen.32
6. 16./17. Mai 1961: die erste Krisensitzung in Genf Nachdem feststand, dass am 16./17. Mai in Genf die geplante Sitzung stattfinden würde, wurde im Foreign Office die Marschroute für dieses Treffen festgelegt und die Ziele formuliert. Es ging demnach darum, den EFTA-Partnern klarzumachen, dass Großbritannien sie nicht verraten, vielmehr sie vor und während der Verhandlungen konsultieren und sich für sie einsetzen werde. Dabei sollte allerdings vermieden werden, sich zu sehr gegenüber den Beitrittswilligen und den Neutralen zu verpflichten. Den EFTA-Partnern sollte unter Hinweis auf die USA und Frankreich klargemacht werden, dass eine auf die Wirtschaft begrenzte Vereinbarung zwischen EWG und EFTA unmöglich sei, dass Frankreich einen Beitritt Großbritanniens akzeptieren werde, dass aber die Beitrittsbedingungen der EWG für Großbritannien für die übrigen EFTA-Mitglieder nicht akzeptabel seien, woraus die Erkenntnis folgen müsse, dass es für die einzelnen EFTA-Länder jeweils unterschiedliche Lösungen geben müsse.33 Dass dies die Lösung sein würde, bei der die EWG mitmachen würde, dessen hatte sich Roger Barclay schon am 26. April in Brüssel versichert. Auf eine entsprechende Frage hatte der Präsident der Kommission für die auswärtigen Beziehungen der EWG, Minister Jean Rey, geantwortet, er erkenne die britische Position an, die EFTA-Partner nicht im Stich zu 29 Cohen (Genf) an FO, 29. 4. 1961. FO 371/158190/M 617/90. 30 Macmillan an Heath, 30. 4. 1961. Ebd., M 617/116. 31 Heath an Macmillan, 4. 5. 1961. Ebd. 32 Die entsprechende Passage in: ebd., M 617/115. 33 Vgl. „Outline Brief for the United Kingdom delegation […]“, ohne Datum. FO 371/158189, sowie „Supplementary Notes“, vgl. Anm. 36.
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lassen. Man müsse für alle Länder Lösungen finden: einem Beitritt Großbritanniens würden Dänemark und Norwegen folgen, für die restlichen Länder müssten andere Formen der Zusammenarbeit gefunden werden, die von Fall zu Fall verschieden sein könnten.34 Im Vorfeld des Genfer Treffens entwickelten die Briten jetzt eine hektische Betriebsamkeit. In London ging die Entwicklung in diesen Tagen immer mehr in Richtung EWG-Beitrittsantrag. Aus Bonn und Paris wurden sie in dieser Haltung bestärkt. Adenauer hatte seine Meinung geändert. Er, der die ganze Sache bislang nur „platonisch“ unterstützt hatte, sah nun die Zeit zum Handeln gekommen, wie er im Kabinett betonte und wie Ludwig Erhard dem britischen Botschafter in Bonn, Christopher Steel, vertraulich mitteilte. Der Grund für diesen Meinungsumschwung war auch hier die Haltung Kennedys. Alfred Müller-Armack, Staatssekretär im Bonner Wirtschaftsministerium, berichtete von einem langen Gespräch mit dem französischen Delegationsführer Wormser, der ihm versichert hatte, dass die Briten bei einem Beitrittsantrag Entgegenkommen erwarten könnten und von ihnen keineswegs verlangt werde, „to sign on the dotted line“. Als Steel zu verstehen gab, London wolle auf keinen Fall eine Entscheidung auf Kosten der Partner treffen und vor der eigenen Entscheidung wolle man sicherstellen, dass für die Partner eine akzeptable Lösung getroffen worden sei, zeigte Erhard vollstes Verständnis für diese Haltung; er bedauerte den in der Öffentlichkeit entstandenen Eindruck, dass die EFTA am Auseinanderbrechen sei; für die Neutralen konnte er sich eine Zollunion vorstellen, nicht als Mitglieder, aber assoziiert mit der EWG. Wichtig war für ihn der Zeitfaktor; er drängte Steel, in London auf eine Entscheidung hinzuarbeiten und wies darauf hin, dass er ab 1. Juli für die nächsten sechs Monate den Vorsitz im Ministerrat übernehmen werde, was sicher „nützlich“ sei.35 Müller-Armacks Eindruck schien richtig zu sein. In der zweiten anglo-französischen Gesprächsrunde hatte Wormser nämlich betont, falls Großbritannien der EWG beitreten wolle – auch unter bestimmten Bedingungen -, dann sei es „herzlich willkommen“. Außenminister Maurice Couve de Murville wurde im Foreign Office mit einer Äußerung zitiert, die er am 5. Mai im außenpolitischen Ausschuss der Französischen Nationalversammlung gemacht hatte, wonach Frankreich immer gesagt habe, dass es für Europa keine andere Lösung als den Beitritt Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt gebe.36 In diesen Tagen mehrten sich die Stimmen, die auf eine Lösung drängten. Im vertrauten Kreis betonte Ludwig Erhard, EWG und EFTA müssten zusammenkommen, andernfalls werde Europa so geschwächt, dass es zur leichten Beute der Russen werde.37 Auf der NATOMinisterratssitzung Anfang Mai in Oslo wies Jens Otto Krag ebenfalls auf die wachsenden
34 Record of Conversation between Sir R. Barclay and Monsieur Rey in Brussels on April 26, 1961. Sixes and Sevens. FO 371/158189/M 617/97. 35 C. Steel (Bonn) an FO, 4. 5. 1961. FO 371/158190/M 617/113. 36 Supplementary Notes for Use by Sir R. Barclay at the E.F.T.A. Meeting at Geneva an May 16 and 17 in Dealing with Points Raised by other E.F.T.A. Countries. FO 371/158191/M 617/133. 37 Jackling (Lissabon) an FO, 18. 5. 1961. FO 371/158192/M 617/158.
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Gefahren für die wirtschaftliche, militärische und politische Zusammenarbeit in Europa hin, falls die „Sixes and Sevens“ weiter so wie bisher nebeneinander fortbestünden. Er hoffte daher auf einen britischen Beitrittsantrag, dem sich Dänemark dann anschließen werde. Wichtig waren für ihn allerdings auch jene EFTA-Partner, die nicht der NATO angehörten, vor allem Österreich und Finnland, und die, falls sie es wünschten, der EWG assoziiert werden könnten.38 Anschließend flog Krag mit seinen Mitarbeitern nach London, wo er im Foreign Office über die Taktik informiert wurde, die die Briten in Genf einschlagen wollten. Krag sicherte volle Unterstützung zu.39 In Stockholm, Bern und Wien beobachtete man die Entwicklung mit wachsender Sorge und Ungeduld. Schweden, so Handelsminister Lange gegenüber dem britischen Botschafter am 5. Mai, werde sein Schicksal bei einem britischen Beitrittsantrag in die eigenen Hände nehmen;40 und eine Woche später betonte er in der zweiten Kammer des Parlaments, man werde darauf bestehen, dass die britischen Beitrittsverhandlungen auf der Basis einer von allen EFTA-Mitgliedern formulierten Grundlage geführt werden; man werde außerdem eine Zusammenarbeit mit der Schweiz und Österreich suchen; und im Übrigen arbeite man an Plänen für die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Marktes auf der Grundlage niedriger Einfuhrzölle, der allen europäischen Staaten offenstehe, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung.41 Das war im Grunde die alte Idee einer Assoziierung von EWG und EFTA, die der schwedische Vertreter bei der OEEC wenige Tage vorher auf einer Sitzung in Paris vorgetragen hatte, mit dem Hinweis, eine solche „formula for association“ müsse auf der Genfer Tagung erarbeitet werden. Der dänische Vertreter hatte dagegengehalten: Großbritannien solle jetzt schnell den Beitritt beantragen; die übrigen EFTA-Mitglieder müssten dann entscheiden, wie es weitergehen solle. Wenn die Briten schnell handelten, würde man möglicherweise ein solches Europa bekommen, das den meisten EFTA-Ländern vorschwebe; man würde es aber wohl nicht bekommen, wenn man zu lange zögere.42 In Wien war man etwas gelassener, wohl auch weil man den Ernst der Lage nicht ganz richtig einschätzte. Kreisky sprach gegenüber dem britischen Botschafter davon, das Ganze sei lediglich ein „Pokerspiel“, man dürfe „nicht zu nervös“ sein. Seiner Meinung nach lag der „Schwarze Peter“ bei den Amerikanern, die eine völlig falsche Vorstellung von der Rolle der EWG bei der europäischen Integration hatten. Er selbst hatte nichts gegen die EWG, er war allerdings davon überzeugt, dass diese nicht die richtige Grundlage für die europäische Integration war und es daher dringend notwendig wäre, den Amerikanern klarzumachen, dass ihre Politik, die seiner Meinung nach auf die Zerstörung der EFTA hinauslief, in diesem 38 J. Walker (Oslo) an FO, 10. 5. 1961. FO 371/158191/M 617/128. 39 „Record of Conversation between the Lord Privy Seal and the Danish Foreign Minister, 12 noon, May 12, 1961.“ FO 371/158193/M 617/168; sowie FO an britische Botschaft Kopenhagen, 12. 5. 1961. FO 371/158192/ M 617/140. 40 Coulson (Stockholm) an FO, 6. 5. 1961. FO 3717/158190/M 617/118. 41 Coulson (Stockholm) an FO, 15. 5. 1961. FO 371/158192/M 617/142. 42 Symons (Paris, OEEC) an FO, 10. 5. 1961. FO 371/158/191/M 617/128.
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Punkt falsch wäre und nicht akzeptiert werden könne. So wie er die Dinge sah, konnte eine ganze Reihe von Staaten – Österreich, Schweden, Schweiz, Finnland, Jugoslawien, möglicherweise auch Portugal und Spanien – der EWG angesichts der in der Gemeinschaft beabsichtigten politischen Integration gar nicht beitreten. Würde man die amerikanische These akzeptieren, würde Europa nur aus ein paar Auserwählten bestehen und 75 Millionen Menschen ausgeschlossen, von denen etliche in „politisch exponierten“ Ländern lebten. Den möglichen Ausweg, nämlich Assoziierung Österreichs mit der EWG, um so in den Genuss der Vorteile einer Quasimitgliedschaft zu kommen, lehnte er als ein „Verschleierungsmanöver“ ab, das nur zu Schwierigkeiten mit den Russen führen würde. Er sah überhaupt keine Notwendigkeit für einen EWG-Beitritt Großbritanniens; statt dessen plädierte er für einen „Rahmenvertrag“ zwischen EWG und EFTA (womit auch klar war, dass Wodak in Straßburg gegenüber Heath etwas Falsches gesagt hatte), um so in den nächsten zehn Jahren einen europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen (eine Idee, die dann mehr als dreißig Jahre später mit der Schaffung des EWR realisiert wurde).43 Innerhalb weniger Tage traf Kreisky zweimal den britischen Botschafter, um ihn entsprechend zu informieren. Im Foreign Office wurde Kreiskys Position als wenig realitätsnah interpretiert („the realism so lacking“); realistischer schienen dagegen die Äußerungen des für EFTA-Fragen zuständigen Beamten im Wiener Außenamt, Dr. Erich Bielka. Der hatte nämlich zu Botschafter Sir James Bowker gesagt, dass „if the United Kingdom eventually decided that her interests required her to enter the Common Market, she would do so“, was diesen zu dem Kommentar nach London veranlasst hatte, so würden wohl die meisten verantwortlichen Leute in den kleineren EFTA-Ländern denken.44 Bowker wurde umgehend angewiesen, Kreisky klarzumachen, dass man seine Vorstellungen von einer nur wirtschaftlichen Verbindung zwischen EWG und EFTA nicht teile; Bowker solle dabei die Hoffnung äußern, dass man in Genf auf österreichische Unterstützung hoffe.45 Kreisky blieb aber unbeeindruckt. Durch Bielka ließ er Bowker mitteilen, man habe zwar jede Menge Informationen über die informellen Gespräche, die die Briten geführt hätten; aber dabei sei es nur um die Probleme der Briten gegangen; man wisse wenig, wie dann die Probleme der anderen EFTA-Mitglieder, „insbesondere der Neutralen“, gelöst werden sollten. Diese Probleme müssten in Genf auf den Tisch; im Übrigen werde man dort die schwedische Position unterstützen.46 Aus Bern kamen noch schlechtere Nachrichten. Die Erklärung Macmillans im Unterhaus hatte nicht die von den Briten erhoffte Wirkung gehabt. Die Schweizer erwarteten nach wie 43 Im Grunde lief das auf die Schaffung einer zollfreien Zone zwischen EWG und EFTA hinaus, eine Überlegung, die ursprünglich auch von Müller-Armack angestellt worden war. Dieser „Müller-Armack-Plan“ war inzwischen allerdings kein Thema mehr („no hope whatevcr of revising“): Die Franzosen hatten ihn abgelehnt und auch der Deutsche hatte ihn inzwischen fallen lassen („Dead“). FO an UK-Botschaft Wien, 6. 6. 1961. FO 371/158193/M 617/173. 44 J. Bowker (Wien) an FO, 3. 5. und 9. 5. 1961. Ebd., M 617/139; 6. 5. 1961. Ebd., M 617/121. 45 FO an Bowker (Wien), 12. 5. 1961. FO 371/158190/M 617/131. 46 Bowker (Wien) an FO, 14. 5. 1961. Ebd., M 617/120.
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vor, dass Großbritannien zu seinen EFTA-Partnern stehen würde, dass keine Entscheidung vor entsprechenden Beratungen getroffen würde und dass, selbst wenn es am Ende unterschiedliche Vereinbarungen geben würde, die EFTA-Länder nicht einzeln nach dem Motto „Sauve qui peut“, sondern gemeinsam gegenüber der EFTA auftreten würden. Jedes andere Vorgehen – britische Beitrittsentscheidung und anschließend Mitteilung an die Partner – würde, so warnte die britische Botschaft in Bern, in der Schweiz nicht nur als schwere Niederlage der britischen Diplomatie gewertet werden, sondern auch als besonders gravierender Vertrauensbruch, mit dem dem britischen Ansehen in der Schweiz ein schwerer Schlag versetzt werde, mit möglicherweise schwerwiegenden Konsequenzen auch für die Schweiz: sie würde isoliert sein und isolationistischer werden, zehn Jahre auf internationale Kooperation angelegte Politik von Außenminister Petitpierre zunichtegemacht. Die Schweiz, obwohl neutral, sei nicht neutralistisch, sie wolle ernsthaft an der europäischen Integration mitarbeiten; es wäre daher „a bitter blow to her statesmen and her people if the desire were now frustrated“. Allerdings, auch das gab die Botschaft in ihrer Analyse zu bedenken, im eigentlichen Sinne des Wortes werde die Schweiz nicht isoliert sein, sie sei einflussreich; ihr Einfluss, insbesondere bei den übrigen Neutralen in Europa, stehe in keinem Verhältnis zu ihrer Größe. Was also werde geschehen? Die Schweiz werde sich mit Schweden, Finnland und Österreich zusammentun und eine gemeinsame Front aufbauen, und angesichts des Einflusses, den sie insbesondere in Österreich habe, werde es selbst für die USA schwer sein, Finnland und Österreich aus dieser Front herauszubrechen, mit dem Ergebnis, dass „whilst the division of Europe into two existing groups might be ended, it might well give place to a new division drawn an political lines – neutrals and non-neutrals“.
Selbst wenn die Neutralen mit den übrigen Ländern wirtschaftliche Bindungen eingehen würden – angesichts der Tatsache, dass diese nicht freiwillig, sondern gezwungenermaßen getroffen worden seien, würde dies, zumindest in der Schweiz, „a constant source of friction“ sein.47 Solchermaßen vorgewarnt, gingen die Briten in Genf vorsichtig zu Werke. Barclay eröffnete die Sitzung mit einer Analyse der politischen Lage, so wie sie sich den Briten darstellte; er betonte, dass London noch keine Entscheidung getroffen habe und dies auch ohne vorherige Konsultation und ausführliche Diskussion mit den Partnern nicht tun werde. Er nannte dann drei mögliche Wege: 1. Nur wirtschaftliche Verbindung von EWG und EFTA – aus britischer Sicht nicht realisierbar. 2. Alle Bemühungen für eine wie auch immer geartete Lösung auf unbestimmte Zeit einstellen – aus britischer Sicht nicht empfehlenswert, da damit die wirtschaftlichen Probleme 47 Rooke (Bern) an FO, 13. 5. 1961. FO 371/158191/M 617/137.
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für die EFTA-Länder möglicherweise noch größer und die politischen Gefahren, die aus der wirtschaftlichen Spaltung Europas herrührten, andauern würden. 3. Beitritt Großbritanniens und evtl. anderer EFTA-Länder bei bestimmten Sonderbedingungen – und auf dieser Basis für die anderen EFTA-Länder wirtschaftliche Assoziierung mit der erweiterten EWG. Niemand sprach sich für den zweiten Weg aus. Als Barclay für den dritten Weg plädierte und darin von den Vertretern Dänemarks und Norwegens mit Nachdruck unterstützt wurde, startete der Generalsekretär des schwedischen Außenministeriums, de Besche, seinen Angriff („long and rambling attack“), unterstützt von den Österreichern und Schweizern. Die Argumente waren bereits bekannt: für die Neutralen in der EFTA – und erst recht für die „Forgotten Five“ (Finnland, Irland, Spanien, Jugoslawien, Griechenland) – sei eine Assoziierung aus politischen Gründen schwierig; wenn sich Westeuropa auf der Grundlage dieser Gemeinschaft wirtschaftlich organisiere, dann werde der Ost-West-Konflikt unvermeidlich verschärft. Wirtschaftlich würden die assoziierten Staaten gezwungen, die Entscheidungen der EWG „willy nilly“ zu akzeptieren – ohne Rücksicht etwa auf Handelsbeziehungen mit dem Ostblock. Und wenn die Franzosen für den dritten Weg plädierten, dann nur, weil sie die EFTA zerschlagen wollten, um sich dann die ehemaligen Mitglieder umso leichter einzeln vorknöpfen zu können. Alle drei neutralen Vertreter befürworteten anschließend den ersten Weg, der von Briten, Dänen und Norwegern abgelehnt wurde; de Besche legte ein entsprechendes Memorandum vor, während Schaffner betonte, Großbritannien sei dabei, seine guten Verhandlungskarten vorzeitig aus der Hand zu geben; die EFTA müsse als geschlossene Gemeinschaft auftreten, sonst zerfalle sie. Der erste Verhandlungstag ging ohne greifbares Ergebnis zu Ende. Auf einer privaten Zusammenkunft, zu der Edgar Cohen Dänen und Schweizer – keine Schweden und Österreicher – am Abend einlud, gelang es, die Wogen etwas zu glätten. Am nächsten Tag einigte man sich auf ein weiteres Treffen in Genf am 6. Juni; bis dahin sollte jedes Mitglied eigene Vorschläge für das weitere Vorgehen erarbeiten und ein entsprechendes Memorandum vorlegen.48 Nichts war entschieden worden, die Briten hatten zurückgesteckt, aber, so Cohen in seinem Bericht nach London, alle müssten das, was Barclay gesagt hatte, jetzt „sehr ernst“ nehmen und „do some real homework“ für die nächste Sitzung.49 Für Barclay hatten Österreicher, Schweden und Schweizer in Genf „nicht sehr überzeugend“ argumentiert; von daher hatte er klargemacht, welche Wahl man tatsächlich hatte: den dritten Weg gehen oder „überhaupt nichts tun“. Gegenüber Cohen äußerte er nach seiner 48 EFTA/Heads of Delegations, 22nd meeting, 16 May, 1961, Record; 23rd Meeting, 17 May, 1961, Record. FO an Britische Botschaft Bern, 18. 5. 1961. FO 371/158194/M 617/185 und 185a. 49 Cohen (Bern) an FO, 18. 5. 1961. FO 371/158192/M 617/153; FO an britische Botschaft Bern, 18. 5. 1961. Ebd., M 617/154.
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Rückkehr in London, man könne nur hoffen, dass die vereinbarten Memoranden „reflect the realities of this situation“.50 Und damit es für die nächste Sitzung keine Missverständnisse gab, was man erwartete für den Fall, dass man sich auf den dritten Weg einigte – wovon man in London nach wie vor ausging –, werde für die Länder, die der EWG dann nicht beitreten, sondern stattdessen die Assoziierung beantragen würden, vom Foreign Office um Antwort gebeten, ob diese Länder dann prinzipiell bereit seien, erstens einen gemeinsamen Außenzoll und zweitens eine gemeinsame Handelspolitik zu akzeptieren, und falls ja, wie sie sich dann ihre Mitarbeit in den anstehenden Verhandlungen vorstellten.51
7. Wieder keine Einigung – die zweite Krisensitzung in Genf Kreisky machte sich als Erster an die Hausaufgaben. Für ihn war das zukünftige Verhältnis Österreichs zu EWG und EFTA „das schwierigste Problem der österreichischen Außenpolitik“.52 Am 19. Mai führte er in Brüssel ausführliche Gespräche mit Spaak und Rey.53 Von beiden Gesprächen liegt auf österreichischer Seite ein „Amtsvermerk“ vor. Spaak gab demnach „der Meinung Ausdruck, dass sich Großbritannien in nächster Zeit dem Gemeinsamen Markt anschließen werde. Diese ,adhesion‘ stelle die Gemeinschaft vor schwere Probleme“, insbesondere wegen der Commonwealth-Präferenzen und der Landwirtschaftsfrage. Bezüglich der übrigen EFTA-Länder könne man „heute noch schwer sagen, in welcher Weise sich die Annäherung an den Gemeinsamen Markt vollziehen werde“. Kreisky brachte daraufhin seine Idee des „Rahmenvertrages“ zwischen EWG und EFTA ein. Er wies darauf hin, dass der EWG-Beitritt Großbritanniens äußerst schwierige wirtschaftliche Probleme aufwerfen werde, die jedoch von manchen Problemen der übrigen EFTA-Länder verschieden seien. Man sollte daher „das allen EFTA-Ländern Gemeinsame aus dem Fragenkomplex herausheben, so dass sich ein Rahmenvertrag ergeben könnte, den abzuschließen für alle EFTA-Länder möglich wäre. In diesem Rahmenvertrag könnte erklärt werden, dass sowohl die EWG-Länder als auch die EFTALänder bereit seien, einen alle diese Länder umfassenden europäischen Markt zu erreichen, wobei die besonderen Modalitäten für jedes einzelne Land durch spezielle Verträge geregelt werden könnten. Ein derartiger Rahmenvertrag gäbe allenfalls auch anderen Ländern die Möglichkeit, sich diesem großen europäischen Markt anzuschließen.“ 50 Barclay (London) an Cohen (Genf), 24. 5. 1961. Ebd. 51 FO an britische Botschaft Bern, „Sixes and Sevens“, 19. 5. 1961. FO 371/158192/M 617/154. 52 So Kreisky gegenüber dem britischen Botschafter in Wien. Bowker (Wien) an Gallagher (FO), 6. 6. 1961. FO 371/158195/M 617/219. 53 An dem Gespräch nahmen außerdem teil: der österreichische Botschafter in Brüssel, Ernst Lemberger; von belgischer Seite: Wirtschaftsminister Antoine Spinoy; der Generalsekretär des belgischen Außenministeriums, van den Bosch, sowie der Kabinettschef des Außenministers.
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Kreisky nannte Finnland, später könnte man vielleicht auch an Jugoslawien denken. Spaak ging auf diese Idee überhaupt nicht ein und meinte statt dessen, dass diejenigen EFTA-Länder, die auch der NATO angehörten, dann der EWG beitreten würden, sobald feststünde, dass Großbritannien zu einem Beitritt entschlossen sei, was auf der letzten NATO-Ministerratssitzung „ziemlich deutlich“ zum Ausdruck gekommen wäre. Es blieben dann die drei neutralen Staaten übrig, bei denen er „sehr gut verstünde, dass ein Beitritt für sie nicht in Betracht kommen könne“. Kreisky hatte verstanden. Er erwähnte den „Rahmenvertrag“ denn auch gar nicht mehr, sondern brachte ein neue Idee ein. Er „gab dem Gedanken Ausdruck“, wie es so schön im Amtsvermerk heißt, dass die drei Länder, für die kein Beitritt, sondern „allenfalls eine Assoziation“ in Betracht komme, „gemeinsam diejenigen Möglichkeiten prüfen sollten, in welchen sich eine Assoziation vollziehen ließe“. Und zwar stellte er sich das so vor, dass diese drei Länder gemeinsam eines von ihnen bevollmächtigten, um darüber mit der EWG zu beraten. So wie England inoffizielle Gespräche mit Deutschland, Italien und Frankreich geführt hatte, so könnte jetzt ein neutrales Land – Kreisky dachte dabei in erster Linie an die Schweiz – im Namen der drei neutralen EFTA-Länder unverbindliche Gespräche mit der EWG führen. Allerdings sollte das nicht eines der großen, sondern eines der Beneluxländer sein. „Aus besonderen Gründen“ – die allerdings nicht genannt wurden – hielt er es dabei für nicht glücklich, etwa mit Holland zu beginnen; ein derartiges Gespräch sollte seiner Meinung nach mit Belgien begonnen werden. Spaak betonte „die Richtigkeit der Denkungsweise“ Kreiskys und meinte, dass der vorgeschlagene Weg „sicherlich der beste wäre“. Er erklärte dann seine Bereitschaft zu solchen Gesprächen, die er „auf das wärmste begrüßen würde“. Er bat Kreisky, diesbezügliche Besprechungen mit Schweden und der Schweiz aufzunehmen und ihn deren Resultate wissen zu lassen.54 Kreisky verließ Brüssel mit dem Eindruck, dass der EWG-Beitritt Großbritanniens noch keineswegs gelaufen sei; dass es im Gegenteil einflussreiche Stimmen innerhalb der EWG gab – vor allem in der Kommission und in Frankreich –, die für multilaterale Abkommen und gegen eine Erweiterung der Gemeinschaft waren. Aus ihrer Sicht – die auch Kreiskys Perspektive widerspiegelte – würde ein britischer Beitritt nämlich auch das Ende der alten EWG bedeuten. In diesen Tagen wiederholte Kreisky gegenüber dem britischen Botschafter in Wien immer wieder auch seine Kritik an der Vorgangsweise der Briten. Nicht ohne Bitterkeit („somewhat bitterly“) warf er ihnen vor, dass sie auf den dritten Weg drängten – und dies auch für die Sitzung am 6. Juni empfohlen hatten. Seiner Meinung nach würden sie damit ohne Not frühzeitig alle Karten aus der Hand geben und die EFTA zerstören. Er sah jetzt den entscheidenden Fehler darin, dass die EFTA nicht von Anfang an gemeinsam informelle Gespräche mit der EWG geführt hatte. Loyalitätsbekundungen der Briten waren seiner Meinung nach zwar sehr schön, aber er bedauerte, dass es überhaupt so weit hatte kommen 54 Österreichische Botschaft, Brüssel; Amtsvermerk vom 19. 5. 1961. Stiftung Bruno Kreisky Archiv, Karton 1266; sowie Bericht Tandy (Brüssel) an FO, 23. 5. 1961. FO 371/158192/M 617/159.
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müssen. Dabei konnte er sich den Hinweis nicht verkneifen, dass, wenn es denn tatsächlich ernst werden würde, es für Österreich weniger schwierig als für Großbritannien sein werde, eine Regelung mit der EWG zu finden. Österreich hatte dabei noch ein anderes, weit schwerwiegenderes Problem: seine Neutralität. Auf diese Problematik hatte Bielka erstmals in Genf gegenüber Barclay verwiesen. Die Alpenrepublik hatte er da als „nature reserve“ bezeichnet, die als solches von Ost und West respektiert werde. Es sei sicher im Interesse des Westens, dass das auch in Zukunft so bleibe; bei allem, was man tue, müsse man daher „außerordentlich vorsichtig“ sein, um keine Probleme mit den Russen zu bekommen. Barclay hatte ihn beruhigt: man werde Österreich in keiner Weise drängen, irgendetwas zu tun, das es ihrer Meinung nach in Schwierigkeiten mit den Sowjets bringen könnte. Ähnlich würden wohl auch die Sechs denken.55 Für Kreisky war die Neutralität das Grundprinzip seiner Politik und die Frage des Verhältnisses Österreichs zur EWG „sohin der bisher schwerste Prüfstein der österreichischen Neutralitätspolitik“.56 Und dabei ging es dann nicht mehr nur um Österreich und seine Neutralität, sondern auch um die Schweiz und Schweden und um das Grundverständnis von Neutralität und den Platz dieser Länder im neuen Europa. Bei diesem Thema brauchten die Amerikaner offensichtlich Nachhilfeunterricht, auch in dem Sinne, dass Neutralität nichts „Unmoralisches“ war. Auch hier hielt Kreisky mit seiner Kritik nicht zurück.57 Eine besondere Gelegenheit bot sich anlässlich des Treffens Kennedy-Chruschtschow in Wien. Seinem amerikanischen Kollegen Dean Rusk erläuterte Kreisky seine Position. Rusk bat um schriftliche Ausarbeitung, die Kreisky am 7. Juni in Form eines persönlichen und vertraulichen Briefes lieferte. Darin betonte er noch einmal, dass die Neutralen der EWG nicht beitreten könnten, eben wegen ihres besonderen neutralen Status; und weiter: „The undisturbed continuity of this status, however, lies not only in the interest of these countries but equally so in the paramount interest of Europe and the West. As the recent years have shown, the neutrality of those countries is nothing sterile but is fulfilling an active and constructive function in the interest of the free world. A subordination of these countries to the supranational structure of the EEC resulting in majority decisions in the whole field of economic and commercial policy would be clearly inconsistent with their legal obligations. This would undoubtedly shake the general international confidence in them which is the sole warrant for their continued existence and function.“58 55 Barclay (FO) an Bowker (Wien) über ein Gespräch mit Bielka am 17. 5. 1961 in Genf; 24. 5. 1961. Ebd. 56 Bowker (Wien) an Gallagher (FO) über Gespräche mit Kreisky am 30. 5. und 2. 6. 1961. 6. 6. 1961. FO 371/158195/M 617/215; vgl. hierzu auch den Beitrag von Rudolf Kirchschläger, Integration und Neutralität in: Erich Bielka/Peter Jankowitsch/Hans Thalberg (Hrsg.), Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien/München/Zürich 1983, 61–95. 57 Was offensichtlich wirkte. Später sprachen die Amerikaner davon, ihre Haltung sei ziemlich „foolish“ gewesen. 58 Zit. bei Oliver Rathkolb, Austria and European Integration after World War II, in: Contemporary Austrian Studies, 1, 1992, 52 f.
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In Brüssel hatte Kreisky von einer möglichen Assoziierung der Neutralen mit der EWG gesprochen. Daraus wurde später der viel zitierte „Kreisky-Plan“. Bielka erwähnte ihn wenig später gegenüber dem Briten Harris in Wien.59 Die Schweizer aber waren noch lange nicht so weit, noch hofften sie auf eine andere Lösung. Wahlen lehnte diese Idee denn auch sofort („at once“) ab; er betrachtete dies als eine weitere Schwächung der EFTA, die um jeden Preis vermieden werden musste. Die EFTA als Gemeinschaft sollte erhalten bleiben und keine „Trumpfkarten“ aus der Hand gegeben werden.60 Die „crux“ bei alledem war, dass es den Briten nicht gelungen war, das Misstrauen der Schweizer zu beseitigen. Bern befürchtete eine Erweiterung der EWG um die NATO-Staaten der EFTA – was die Amerikaner aus strategischen Gründen massiv unterstützten –, ein Europa, in dem ihrer Ansicht nach für die Neutralen kein angemessener Platz mehr sein sollte. Einigen Beamten im Foreign Office ging angesichts dieser Überlegungen langsam die Geduld aus. Die Kommentare jedenfalls waren bezeichnend: „The Swiss do not really want to live in the modern world at all.“ Man habe alles Mögliche für sie getan, aber „they must realise […] that they cannot hold up political moves by the United Kingdom, essentially for strategic reasons“. Und weiter: „We are not going to be able to solve Switzerland’s political problems for her. But we can demand firmly that she, as a neutral, should not try to solve ours.“61 Botschafter Paul Grey ahnte, dass in London – nicht im Foreign Office, wie er diplomatisch einschränkte – eine gewisse Neigung („slight tendency“) vorhanden war, die Schweiz als unwichtigen Partner abzutun, eine Haltung, die er nicht teilte. („I do not share that view.“) Seine Ablehnung verband er mit einem Plädoyer für die Schweiz, wo mehr fähige und intelligente Menschen pro Quadratkilometer lebten als in so manch anderem, besser bekannten Land in Europa; ihre Herzen und ihre Köpfe hätten sie in der Regel auf dem rechten Fleck, sie hätten große Achtung vor den Briten, manchmal könne man sogar von Bewunderung sprechen; von daher sei es umso wichtiger, dass man sie nicht enttäusche. Im Übrigen hätten sie großen Einfluss auf die Österreicher und die Schweden. Der wichtigste Punkt aber war seiner Meinung nach ein anderer, nämlich was Außenminister Petitpierre ihm gesagt habe, dass man ein Europa schaffen müsse, „in which people like the Swiss (even if they have their peculiarities) have room to breathe with the rest of us“.
Geradezu prophetisch wurde Grey am Schluss seines Briefes. Er ging noch einmal auf die Schweiz ein, die trotz aller Geschäftsmentalität und Modernität nicht nur merkwürdig altmodisch, sondern auch mehr nach Mitteleuropa als nach Westeuropa ausgerichtet sei, was 59 Harris (Wien) an Gallagher (FO) über Gespräch mit Bielka, 24. 5. 1961. FO 371/158193/M 617/179. 60 Grey (Bern) an FO, 30. 5. 1961. FO 371/158194/M 617/184. 61 Grey (Bern) an FO, 24. 5. 1961. FO 371/158193/M 617/162.
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ganz besonders für den deutschsprachigen Teil zutreffe. Und dann kam ein Satz, der dreißig Jahre später besonders erinnerungswürdig ist und aus dem auch ein Mann sprach, der Anfang der 50er-Jahre Charge d’Affaires an der Botschaft in Moskau gewesen war. Grey erinnerte an „the other need of our policy, which is somehow to leave chairs in the Europe of the future open for the European states now under Russian domination, against the day when the Soviet Empire itself, like all Empires, reaches its nemesis“.62
Wenn die Briten gehofft hatten, auf der Sitzung am 6. Juni die Probleme zu lösen und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, so wurden ihre Erwartungen enttäuscht. Auch die Memoranden sahen anders als erwartet aus. So einfach aus britischer Sicht die Beantwortung der drei Fragen schien, so sehr hatte man unterschätzt, dass das nicht in simpler SchwarzWeiß-Manier beantwortet werden konnte, sondern „politisches Dynamit“ war, wie EFTAGeneralsekretär Figgures es ausdrückte.63 Memoranden und Wortbeiträge machten deutlich, wie weit man nach wie vor auseinander war („wide divergencies of view“) und dass sich seit der letzten Sitzung nicht sehr viel bewegt hatte. Nach eineinhalb Tagen Diskussion versuchte Figgures einen Kompromiss „als schnellsten Weg, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen“: er legte einen Entwurf zur Beschlussfassung vor, wonach Großbritannien „und andere“ auf der Basis der Römischen Verträge mit der EWG verhandeln sollten, während jene Länder, die nicht so weit gehen wollten oder konnten, lediglich eine wirtschaftliche Assoziierung anstreben sollten. Wie wohl nicht anders zu erwarten, lehnten die Vertreter Schwedens, der Schweiz und Österreichs diesen Entwurf ab. Alle Delegierten betonten dagegen die Notwendigkeit, im Fall von Verhandlungen unbedingt geschlossen zu agieren; andernfalls werde die EFTA auseinanderbrechen. Entsprechend lauteten dann die Empfehlungen des Generalsekretärs. Demnach sollte 1. die EFTA von Anfang an eine geschlossene Front bilden. Falls Großbritannien und irgendein anderes EFTA-Mitglied einen Beitragsantrag stellte, sollte gleichzeitig klargemacht werden – möglicherweise durch eine Erklärung des EFTA-Ministerrates –, dass dies Teil einer konzertierten Aktion sei; es sollten die Ziele der EFTA formuliert und die Grundlage genannt werden, auf der alle Mitglieder Verhandlungen beginnen würden. Dabei wurde als entscheidend genannt, diese Grundlage so schnell wie möglich zu erarbeiten. 2. Alle EFTA-Mitglieder sollten während der Verhandlungen bei der Verfolgung ihrer Ziele zusammenstehen („must remain united“). 62 Personal and Confidential, Grey (Bern) an Reilly (FO), 25. 5. 1961. FO 371/158194/M 617/191. 63 Personal, Figgures (Genf) an Cohen (Genf), 26. 5. 1961. FO 371/158195/M 617/142.
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3. Die EFTA-Mitglieder sollten deutlich ihre Entschlossenheit bekunden, die Gemeinschaft mindestens so lange am Leben zu erhalten, bis für jedes Mitglied ein befriedigendes Ergebnis ausgehandelt worden sei, womit es allen ermöglicht werde, zum selben Zeitpunkt am gemeinsamen europäischen Markt teilzunehmen. 4. Als äußeres Zeichen des Zusammenhalts der EFTA wurde ein schnellerer Zollabbau innerhalb der Gemeinschaft als vorteilhaft bezeichnet.64 Zum Schluss wies Figgures darauf hin, dass möglicherweise Ende Juli mit einer Entscheidung in London zu rechnen sei.65 Was man da in Genf verabschiedet hatte, waren im Grunde weitreichende Empfehlungen, vor allen Dingen Punkt 3, und da vor allem der letzte Halbsatz. Edward Heath lud denn auch vier Tage später die Leiter der EFTA-Delegationen nach Bern ein, wo er zu verstehen gab, dass die Regierungen durch diesen Bericht nicht gebunden seien, dass es vielmehr darauf ankomme, „to be and be seen united“, sowohl vor Beginn wie auch während der Verhandlungen.66
8. Die EFTA bleibt zusammen Für den 28. Juni war in London die EFTA-Ministerratssitzung angesetzt. Es würde eine Sitzung von besonderer Bedeutung sein („extremely important“), wie Heath in Bern betont hatte.67 Sie musste zum Prüfstein für die EFTA werden; hier musste sich endgültig zeigen, ob die Einheit der EFTA gewahrt bleiben oder jedes Mitglied seinen eigenen Weg gehen würde, um in bilateralen Verhandlungen mit der EWG die besten Konditionen für sich herauszuholen, womit dann das erreicht war, was die Neutralen insgeheim dem Präsidenten der EWG-Kommission, Walter Hallstein, und den USA unterstellten, nämlich die EFTA zerschlagen zu wollen. So mancher Beobachter der Entwicklung sah damals bereits das Ende der EFTA gekommen; die österreichische Presse verbreitete diesen Eindruck schon seit Wochen („be an its last legs“), wie der britische Botschafter vermerkte.68 Am 21. Juni fand in Wien die halbjährliche Integrationsdebatte im Nationalrat statt. Nur mit Mühe hatten ÖVP und SPÖ dort ihre Meinungsverschiedenheiten überbrückt; hinter den Kulissen schwelte der Konflikt aber weiter. Unmittelbar vor der Abreise nach London traf Kreisky noch einmal mit 64 „The Problem of an Integrated European Market.“ Revised Draft Report by the Secretary-General, 8. 6. 1961. FO 371/158196/M 617/234. 65 Cohen (Genf) an FO, 9. 6. 1961 und 10. 6. 1961. Ebd., M 617/212 und M 617/211. Das dänische Memorandum „European Integration“, in: ebd., M 617/214; das norwegische „Aide Mémoire“ vom 14. 6. 1991 in: FO 371/158196/M 617/222, das österreichische Memorandum v. 7. 6. 1961 in: FO 371/158206/M 617/431. 66 Bericht über Treffen Heath mit den Leitern der EFTA-Delegationen, 14. 6. 1961. Ebd., M 617/221. 67 Ebd. 68 Bowker (Wien) an FO, 10. 7. 1961. FO 371/158198/M 617/266.
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dem britischen Botschafter zusammen. Kreisky war außerordentlich pessimistisch gestimmt („what is now his familiar pessimistic vein“). Der bevorstehenden Übernahme des EFTARatsvorsitzes konnte er keine Freude abgewinnen, da er sich als „EFTA-Liquidator“ sah.69 In London sollte es dann aber doch anders kommen. Zum einen gelang es den Briten jetzt, ihren Partnern klarzumachen, dass der einzige Weg, um EWG und EFTA zusammenzubringen, der Beitritt Großbritanniens und möglichst vieler weiterer EFTA-Mitglieder zur EWG und für die übrigen eine wirtschaftliche Assoziierung mit dieser erweiterten EWG war. Zu Beginn der Sitzung wurden noch einmal ausführlich alle Gründe für die britische Entscheidung genannt, nämlich: 1. Die Entwicklung der EWG zur dominierenden wirtschaftlichen und politischen Macht in Westeuropa, die zu einem Block werden konnte, vergleichbar mit den USA und der Sowjetunion. Ohne Beitritt werde Großbritanniens Einfluss nicht nur in Europa, sondern auch in der Welt schwinden, da die USA ihre Politik mit der Sechsergemeinschaft absprechen werde. (Das war ein Argument, das erstmals in dieser Form auftauchte.) 2. Bei einem Beitritt werde man politisch und wirtschaftlich an Einfluss gewinnen und gleichzeitig Einfluss auf die Gemeinschaft nehmen und damit helfen, „to bind Germany more firmly to the West“. Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Gemeinschaft auseinanderbrechen würde, könnte man dann seine ganze Macht einsetzen, „to prevent N.A.T.O. from disintegration and Germany from throwing in her lot with the Soviet Union“. 3. Die Fortsetzung der wirtschaftlichen Spaltung Europas werde möglicherweise zu seiner politischen Spaltung führen, was 4. auch zu Konsequenzen in Afrika führen werde. Die neuen unabhängigen Staaten hätten wirtschaftliche Beziehungen entweder mit dem Commonwealth oder mit der EWG. Bei Fortsetzung der Spaltung würde es keine wirtschaftliche Einheit Afrikas geben; daraus könnten Probleme entstehen, „from which only the Soviet bloc stands to gain“. Man sei daher zu dem Entschluss gekommen, dass nur mit einer Vollmitgliedschaft in der EWG die politischen Ziele erreicht und die politischen Gefahren gebannt werden könnten. Dann wurde noch einmal auf das Ergebnis der informellen bilateralen Gespräche in der EWG und vor allem auf die Haltung der USA verwiesen, die realistischerweise jeden anderen Weg ausgeschlossen hätten. Man habe jetzt die Wahl, sich entweder den Römischen Verträgen anzuschließen – mit gewissen Sonderregelungen –, „to safeguard the essential interests of all of us here“
oder aber 69 Bowker (Wien) an FO, 24. 6. 1961. FO 371/158196/M 617/240.
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„to accept the consequences, political and economic, of the continued division of Europe“.70
Nach diesen mit größtem Nachdruck vorgetragenen Argumenten war klar, dass es für Großbritannien keine Alternative gab. Klar war auch, dass niemand bereit war, die Verantwortung für die genannten Konsequenzen zu tragen. Allerdings gingen die Briten ihren Partnern jetzt einen entscheidenden Schritt entgegen: sie akzeptierten zur großen Erleichterung, vor allen Dingen der Neutralen, die Resolution von Genf. Das aber hieß, man würde gemeinsam marschieren, die EFTA würde in jedem Fall erhalten bleiben. Sie wurde somit zu einer „fall-back-position“, wie das Figgures einmal formuliert hatte – für den Fall, dass die EWGBeitrittsverhandlungen mit Großbritannien scheitern sollten. Die von den Briten (und den ihnen folgenden Dänen) am 28. Juli 1961 im geheimen EFTA-Ministerrat in Genf abgegebene Erklärung, Beitrittsgesuche zur EWG zu stellen,71 wurde kurz darauf in der britischen Öffentlichkeit publik gemacht: Am 31. Juli 1961, um 15.30 Uhr, gab Premierminister Macmillan im Unterhaus die historische Entscheidung seiner Regierung bekannt, den Antrag auf Beitritt zur EWG zu stellen. Zwei Stunden später veröffentlichte die EFTA die Erklärung, die man drei Tage zuvor in Genf unter Vorsitz Kreiskys formuliert und verabschiedet hatte. Die britische Entscheidung wurde darin „wärmstens begrüßt“; man war der Meinung, dass dies ein „historischer Schritt“ sei und äußerte die Hoffnung, „that it would lead to the early fulfilment of the common objective of the E.F.T.A. countries“, nämlich die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Marktes. Die eigentlichen Schwierigkeiten, darüber waren sich alle im Klaren, würden erst noch kommen, und von daher war wichtiger, was am Schluss der Erklärung stand, dass man nämlich die Vereinbarung von London bestätigt habe, wonach „in negotiations for membership of, or association with the E.E.C., the E.F.T.A. countries should coordinate their actions and remain united throughout the negotiations“.72
Dass das leichter gesagt war als getan, sollten schon die nächsten Wochen und Monate zeigen. Zwei Jahre später – nach dem „Non!“ General de Gaulles – waren die Briten froh, dass es die EFTA noch gab, dass sie sich in den kritischen Wochen vor ihrem Beitrittsantrag solidarisch gezeigt hatten.
70 Secret. E.F.T.A. Ministerial Meeting, Six/Seven Relations, Draft, 26. 6. 1961; Six/Seven Relations. Notes for the opening statement by the United Kingdom spokesman. Ebd., M 617/259. 71 Kirchschläger, in: Bielka, Jankowitsch, Thalberg, 79. 72 Der Text ging auf einen britischen Entwurf zurück. Vgl. Secret. E.F.T.A. Ministerial Meeting in Geneva an July 28. FO 371/158200/M 617/303.
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L’erba del vicino Italien – Österreich. Nachbarn in Europa I. Das Ende des Ersten Weltkrieges Stehen die beiden Nachbarn Italien und Österreich immer noch mit dem Rücken zueinander1 oder hat sich in den letzten Jahren so etwas wie eine Liebelei entwickelt? Ist das Nachbarschaftsverhältnis immer noch durch eine in die Zeiten dauernde Erbfeindschaft geprägt oder gibt es schon wieder ein Heimweh nach der kakanischen Utopie?2 Die „Erbfeindschaft“ hatte mit dem „Risorgimento“ begonnen, als im 19. Jahrhundert der langsam im Innern zerfallende Vielvölkerstaat der Habsburger einem jungen, sich kaum gebildeten Nationalstaat Italien gegenüberstand.3 Der letzte Hauch dieser „Erbfeindschaft“, jetzt „heroisch“ verklärt und durch Versöhnung zu einem positiven Erbe gewandelt, dringt noch bei den zahlreichen gemeinsamen militärischen Gedenkfeiern durch.4 Dabei geht das kollektive Gedächtnis weit in die Zeiten zurück und bleibt nicht beim Ersten Weltkrieg als Höhepunkt dieser „Erbfeinschaft“ stehen.5 Nur so ist es verständlich, dass österreichische Organisationen 1988 der italienischen Seite Gedenktafeln mit den Namen seiner in der Schlacht bei Solferino 1859 gefallenen Soldaten überreicht haben und diese Gedenktafeln im Beisein hoher italienischer und österreichischer Militärs enthüllt worden sind.6 Dass Italien und Österreich heute schon längst aus dem Gestrüpp dieser Erbfeindschaft7 heraus sind, darauf weist vor allem eine „neue Sachlichkeit“ hin, die an die Stelle alter Aufrechnungen und Vorhaltungen getreten ist. Die Aufrechnung in der Geschichte ist durch die Abrechnung in der Wirtschaft ersetzt worden. Das beste Beispiel dafür stellt die österreichisch-italienische Transitproblematik dar, weil dabei gleich der Mengenlehre drei Kreise miteinander verbunden sind, die die alten BezieEttore Petta, „Zwei Völker mit dem Rücken zueinander,“ in: Die Presse, 23/24. 11. 1968. Vgl. Claus Gatterer, „Erbfeindschaft Italien – Österreich“, Wien/München/Zürich 1972, 199. Rainer Münz, „Ende des Ersten Weltkrieges“, in: profil, 9. 6. 1992. Vgl. etwa Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten (Hrsg.), Außenpolitischer Bericht 1981, Wien 1982, 358: Verteidigungsminister Rösch nahm mit einer Delegation österreichischer Offiziere und Soldaten an den vom italienischen Verteidigungsminister veranstalteten Feierlichkeiten zum Waffenstillstand 1918 in Medea bei Görz teil. Ebenso „Mock und Colombo am Tonalepass“, in: Dolomiten, 22./23. 8. 1992. 5 Vgl. Diego Leoni-Camillo Zadra (Hrsg.), La Grande Guerra. Esperienza, memoria, immagini, Bologna 1986. 6 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1988, Wien 1989, 12. 7 Vgl. Gatterer, Erbfeindschaft, 230. 1 2 3 4
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hungen schon fast auf den Kopf gestellt haben. Die kleine Industrienation Österreich bietet der großen Industrienation Italien, die zusätzlich mit der Rückendeckung der mächtigen EG agiert, ganz einfach die Stirn und ringt sowohl Italien als auch der EG 1992 einen, wenn auch umstrittenen Transitvertrag ab.8 In den mitunter auch harten Auseinandersetzungen um Transit und Nachtfahrverbot wurde von den Verhandlungspartnern kein einziges Mal auf irgendein historisches Klischee oder Stereotyp zurückgegriffen. Der Goliath Italien übt – zumindest vordergründig – bei Zielkonflikten auf den David Österreich schon längst keinen politischen Druck mehr aus, wie dies das letzte Mal noch 1967 der Fall war. Damals hatte Italien wegen der erfolgten Mordanschläge auf der Porzescharte im Rat der EG sein Veto gegen das österreichische Assoziierungsgesuch an die EWG eingelegt.9 Auch der Wink mit dem Zaunpfahl, mit dem im Frühjahr 1992 Italiens Außenminister Gianni De Michelis in Wien darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sich Österreich nach einem EG-Beitritt auch in den Transitfragen den Vorstellungen der Gemeinschaft unterzuordnen habe, hat nicht dazu geführt, dass sich Österreichs Politik in Sachen Transit und EG geändert hat. Der dritte Kreis stellt die bilateralen Beziehungen eigentlich schon fast auf den Kopf, denn Südtirol spielt heute als politisch-völkerrechtliche Klammer zwischen den beiden Nachbarstaaten gleich mehrere Rollen, die bis vor Kurzem im „Vater-Sohn“-Verhältnis noch kaum vorstellbar waren. Einmal als Vermittler zwischen Rom und Wien, wodurch Südtirol erstmals vom „Objekt“ der beiden Verhandlungspartner zum „Subjekt“ emporgestiegen ist.10 Und schließlich wurde die Schutzmacht Österreich vom Schützling Südtirol noch nie so bestürmt und kritisiert wie in der Transitfrage, wobei die härtesten Attacken vom größten Fuhrunternehmen Italiens, der Firma „Fercam“, kamen, die fest in Südtiroler Hand ist. Die neue Rollenverteilung in den Nachbarschaftsbeziehungen zwischen Italien und Österreich könnte wohl durch kein anderes Beispiel plastischer dargestellt werden. Die ökonomischen Interessen haben viele alte Mythen vom Sockel gestoßen, viele alte Vorurteile beseitigt und viele alte offene Rechnungen beglichen. Diese „neue Sachlichkeit“ in den politischen Beziehungen ist eine Folge der Entspannung nach Annahme des Südtirol-Pakets 1969. Seit damals begannen sich Historiker aus Italien und Österreich wieder mit der „bilateralen“ Geschichte zu beschäftigen. Exemplarisch dafür 8 Burgi Triendl, „Tücken im Transitvertrag übersehen?“ in: Tiroler Tageszeitung, 31. 8. 1992; vgl. auch den Beitrag von Mederer in diesem Band. 9 Claus Gatterer, Die italienisch-österreichischen Beziehungen vom Gruber-Degasperi-Abkommen bis zum Südtirol-Paket (1946–1969), in: Adam Wandruszka/Ludwig Jedlicka (Hrsg.), Innsbruck/Venedig. Österreichisch-italienische Historikertreffen 1971 und 1972 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte Österreichs, Bd. 6), Wien 1975, 522. Nach Annahme des Südtirol-Pakets 1969 zog Italien sein Veto zurück. Vgl. Felix Ermacora, Südtirol und das Vaterland Österreich, Wien/München 1984, 152. 10 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1991, Wien 1992, 619.
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sei lediglich auf das unter der Patronage der UNESCO 1973 veröffentlichte Geschichtswerk „Österreich und Italien. Ein bilaterales Geschichtsbuch“11 hingewiesen. Schon zuvor hatte es zwei Historikertreffen, 1971 in Innsbruck und 1972 in Venedig, gegeben,12 die, weil bahnbrechend, in einer längeren Sequenz von weiteren gemeinsamen Tagungen hier stellvertretend zitiert werden.13 Bis dahin war die Geschichte des jeweils „anderen“ verzerrt wiedergegeben worden, wurde einer „nationalen“ Schwarz-Weiß-Malerei alles untergeordnet. Wenn wir im Folgenden von „Nachbarschaftspolitik“ sprechen, so steckt dahinter keine einheitliche Terminologie. Wenngleich darin der geografische Bezugspunkt vorhanden ist, so kommt dazu noch ein politischer, sodass heute etwa unter Nachbarn all jene Staaten verstanden werden, mit denen man intensivere Beziehungen pflegt als mit anderen.14 Nachbarschaft bedeutet aber auch Beziehungen in einem überschaubaren Kontext, die sich modellhaft wie konzentrische Kreise entwickeln. Je schwächer diese Kreise werden, je auslaufender und verschwommener, umso mehr verlieren die Beziehungen an Intensität. Ersetzt man die konzentrischen Kreise mit Transaktionen, seien diese nun wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Art, so lässt sich Nachbarschaftspolitik an der Intensität dieser gegenseitigen Transaktionen definieren. Je verschiedenartiger und intensiver solche Transaktionen auf allen Gebieten des Lebens sind, umso homogener, umso solider, umso tiefer die Beziehungen.15 Seit 1945 haben sich diese Beziehungen zwischen Italien und Österreich nicht nur inhaltlich gewandelt, sondern auch strukturell verändert. Dabei können wir eine formelle und eine informelle Ebene unterscheiden. Was die formelle Seite betrifft, so haben bis in die 70erJahre die Beziehungen auf Staats- und Regierungsebene dominiert, galt es doch, das Südtirolproblem zu lösen.16 Nach Annahme des Südtirol-Pakets 1969 begann die zweite formelle Ebene der Beziehungen, jene auf Länderebene. Diese Beziehungen begannen bereits punktuell in den 50er-Jahren, wie etwa zwischen Kärnten und der Nachbarregion Friaul, wurden dann aber systematisch ausgebaut. 1970 trafen sich erstmals die beiden Landtage von Nord- und Südtirol zu einer gemeinsamen 11 Es wurde von Silvio Furlani und Adam Wandruszka herausgegeben, Wien/München 1973. 12 Vgl. Anmerkung 9. 13 Vgl. Franco Valsecchi/Adam Wandruszka, Introduzione, in: Franco Valsecchi/Adam Wandruszka, Austria e province italiane 1815–1918. Potere centrale e amministrazioni locali (Annali dell’Istituto storico italo-germanico, Quaderno 6), Bologna 1981, 7 ff. Außenpolitischer Bericht 1985, Wien 1986, 563. 14 Vgl. Hans Georg Heinrich, Nachbarschaftspolitik, ein Mythos?, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 17 (1988), Heft 2, 156. 15 Vgl. Karl W. Deutsch, Der Nationalismus und seine Alternative, München 1972, 97 ff. 16 Vgl. stellvertretend für die fast unüberschaubare Literatur zum Südtirolproblem Claus Gatterer, Im Kampf gegen Rom. Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien, Wien/Zürich/Frankfurt 1968, sowie HeinzRudolf Othmerding, Sozialistische Minderheitenpolitik am Beispiel Südtirol von den Anfängen des Konflikts bis heute, 2 Bände, phil. Diss., Hamburg 1984.
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Sitzung, 1972 wurde die ARGE-ALP gegründet, 1978 die ALPEN-ADRIA, 1991 trafen sich zum ersten Mal die vier Landtage von Tirol und Vorarlberg, von Südtirol und aus dem Trentino in Meran. Alle diese grenzüberschreitenden Organisationsformen haben einen wesentlichen Beitrag zum Abbau von Vorurteilen und emotionalen Reminiszenzen geleistet und, gleichwohl auf einem geschichtlichen Erbe aufbauend, die Sachthemen, die gemeinsamen „Interessen“ in den Mittelpunkt ihrer Zusammenarbeit gestellt. Andererseits gibt es neben den bilateralen Beziehungen zwischen Rom und Wien seit 1989 eine „zentraleuropäische“, nur lose strukturierte Organisationsform, deren Kern das Tandem Italien-Österreich bildet. Der heute als „Zentraleuropäische Initiative“, vormals besser unter dem Namen „Pentagonale“ bekannte Zusammenschluss der vier Länder Italien, Österreich, Ungarn und Jugoslawien im Herbst 1989,17 ist um eine Integrationspolitik bemüht, die vor allem eine Westbindung und eine Stabilisierung des mitteleuropäischen Donauraums anstrebt. Trotz Ausdehnung des Organisationsnetzes auf weitere Staaten bleiben Italien und Österreich Bezugspunkt für die weitere Entwicklung der ursprünglich als „Quadrangolare“ gegründeten internationalen Struktur.18 An diesem Punkt angelangt, sind die verschiedenen internationalen Bindungen der beiden Nachbarstaaten zu berücksichtigen. Italien ist Gründungsmitglied der EWG (1957), Mitglied der Westeuropäischen Union (1954) und der NATO (1949). Österreich ist Gründungsmitglied der EFTA (1960) und neutral (1955). Mit dieser politischen Zweiteilung ist nicht nur die wirtschaftliche Komponente angesprochen, sondern auch die Frage der militärischen Sicherheit.19 Das neutrale Österreich bildet mit der neutralen Schweiz (noch) einen Keil in die geschlossene NATO-Geografie und trennt vor allem die beiden NATO-Partner Deutschland und Italien.20 Dieser strategische Schwachpunkt der NATO gegenüber dem Warschauer Pakt wurde nach dem Abzug der Alliierten und durch die Neutralitätserklärung in der Folge des österreichischen Staatsvertrages von 1955 – jedenfalls nach damaliger Doktrin – noch akzentuiert.21 Was durch die Gründung der WEU zusammengefügt wurde, sahen viele durch den Staatsvertrag fast wieder auseinandergerissen.22 17 Vgl. Gianni De Michelis, „Der Donau-Raum als Modell für eine Neuorientierung Mitteleuropas?“, in: Der Standard, 6. 11. 1989. 18 Man mag dabei – historisch betrachtet – auf den Versuch Italiens zurückblicken, gerade in diesem Raum nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie eine hegemoniale Einflusssphäre zu schaffen. Diese Bestrebungen, die in den 30er-Jahren durch das ökonomische Vordringen des Deutschen Reiches zunichtegemacht wurden, wollte das Nachkriegsitalien unter Ministerpräsident Alcide De Gasperi wieder reaktivieren, was allerdings nicht gelang. Vgl. auch Giuseppe Vedovato, La politica estera dell’Italia, Roma 1958. 19 Vgl. Pietro Pastorelli, La politica italiana del dopoguerra (Collana di storia contemporanea), Bologna 1987, 233 ff. 20 Vgl. Manfred Sell, Die neutralen Alpen, Stuttgart 1965. 21 Vgl. Gatterer, Die italienisch-österreichischen Beziehungen, 524 ff. 22 Vgl. William Lloyd Stearman, Die Sowjetunion und Österreich 1945–1955, Bonn 1962, 190 ff.
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Dazu kam die innenpolitische Lage in Italien mit der stärksten kommunistischen Partei Westeuropas.23 Die Enthüllungen um die Geheimorganisation „Gladio“ in Italien,24 die eindeutig gegen eine mögliche Invasion aus dem Osten und gegen eine Machtergreifung der Linken konzipiert worden war, hat auch ein österreichisches Pendant namens „Easeful“ zum Vorschein gebracht, das die Westintegration Österreichs indirekt auch militärisch abzusichern versuchte.25 „Easeful“ wurde angeblich mit Unterzeichnung des Staatsvertrags von 1955 aufgelöst, eine Behauptung, die von vielen stark in Zweifel gezogen wurde, die die Beendigung erst auf Ende der 60er-Jahre ansetzten.26 Schon die Festlegung der Nachkriegsgrenzen im Norden und Osten Italiens war von diesen strategischen Überlegungen ausgegangen. Die anfänglich für die Westalliierten nicht absehbare Entwicklung der provisorischen Regierung Karl Renner hat zumindest zum Teil auf die territoriale Zuordnung Südtirols eingewirkt. Südtirol wurde außerdem zu einem interessanten Aktionsfeld für die Geheimdienste des Ostens und zu einem Faktor der Destabilisierung eines NATO-Landes in den 60er-Jahren.27 Dasselbe gilt für die Frage Triest und dessen Hinterland. Nicht von ungefähr hat Italien bis zu Beginn der 70er-Jahre das Verkehrsnetz im Nordosten seines Landes aus strategischen Überlegungen vernachlässigt.28 Dieser neutrale Keil quer durch die NATO-Staaten wurde zu Beginn der 80er-Jahre durch den NATO-Nachrüstungsbeschluss nochmals zu einem Unsicherheitsfaktor, als sich nämlich immer mehr Kommunen dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs im Viereck ItalienÖsterreich-Jugoslawien-Ungarn zu atomwaffenfreien Zonen erklärten und etwa grenzüberschreitende Bürgerinitiativen, wie etwa zwischen Süd- und Nordtirol, für die Auflassung von NATO-Lagern und Raketenstützpunkten demonstrierten.29 Die endgültige, wenn auch informelle Vorwegnahme der Eingliederung Österreichs in das westeuropäische militärische Bündnis fand anlässlich des Golfkrieges im Jänner 1991 statt, als der neutrale Staat mit dem Hinweis auf die UNO-Resolution den NATO-Ländern gestattete, das Bundesgebiet zu überfliegen und zuließ, Kriegsmaterial, vor allem Panzer, von Frankfurt zum italienischen Hafen von Brindisi (zur Einschiffung in das Kriegsgebiet) 23 Vgl. Sophie G. Alf, Leitfaden Italien. Vom antifaschistischen Kampf zum Historischen Kompromiss, Berlin 1982, 57 ff. 24 Vgl. Giovanni Maria Bellu/Giuseppe D’Avanzo, I giorni di Gladio. Come mori la Prima Repubblica, Milano 1991. Gérardo Serravalle, Gladio, Milano 1991. 25 Vgl. „Terrorismo, ora tocca alla Cia“, in: il mattino dell’Alto Adige, 8. 4. 1991; vgl. den Beitrag von Bischof in diesem Band. 26 „,Gladio‘ austriaco aiutò i terrorist“, in: Alto Adige, 8. 4. 1991. 27 „Als Jörg Klotz in Wien mit den Sowjets verhandelte“, in: Alto Adige, 11. 4. 1992. In Südtirol tummelten sich überhaupt allerhand Geheimdienste, nicht nur aus dem Osten. Vgl. Julius Mader, Südtirol – Exerzierfeld westdeutscher Revanchistenverbände, in: Deutsche Außenpolitik (1964) I, 54–59. „Alto Adige, terra dei servizi“, in: Alto Adige, 8. 6. 1991. 28 Vgl. Gatterer, Die italienisch-österreichischen Beziehungen, 533. 29 Vgl. Ermacora, Vaterland Österreich, 296.
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per Bahn durch Österreich via Brenner zu transportieren.30 Hatte es diesbezüglich beim Golfkrieg noch neutralitätspolitische Vorbehalte und Kontroversen gegeben, so scheinen diese in Hinblick auf militärische Aktionen in Serbien und Bosnien-Herzegowina definitiv ausgeräumt zu sein.31 Dadurch wurde der „neutrale Keil“ zwischen den NATO-Ländern Italien und Österreich relativiert. Über den neutralitätspolitischen Schatten ist Österreich endgültig gesprungen, nachdem NATO-Generalsekretär Manfred Wörner Überlegungen anstellte, ob Österreich in Verbindung mit einer EG-Mitgliedschaft nicht auch Mitglied der Westeuropäischen Union (WEU) werden sollte oder gar muss.32 Noch einen Schritt weiter gehen die USA, die offen dafür plädieren, Österreich solle in logischer Konsequenz eines Beitritts zur EG und WEU bald in die NATO eintreten.33 Schon vor dem Golfkrieg war die 1989 ins Leben gerufene „Quadrangolare“, die spätere „Pentagonale“ und jetzige „Zentraleuropäische Initiative“ an einer Politik der Stabilisierung im Donauraum interessiert. Das NATO-Land Italien und das Nicht-NATO-Land Österreich waren dabei die zentralen Akteure. Die gemeinsame Arbeit im Rahmen der Zentraleuropäischen Initiative hat die Beziehungen zwischen Italien und Österreich noch weiter verstärkt. Neben dieser Zusammenarbeit auf der formellen gibt es in den letzten Jahren auf der informellen Ebene ein immer dichteres Netzwerk, das grenzüberschreitend und vor allem projektbezogen angelegt ist. Dazu zählen vor allem Initiativen im Bereich des Umweltschutzes, wobei das Thema Transitverkehr bislang dominant war. Auf diese Zusammenarbeit kann in diesem Beitrag aber ebenso wenig eingegangen werden wie auf den Kultur- und Wissenschaftsaustausch, der seit jeher sehr ausgeprägt war.34 Im Unterschied zu den formellen Beziehungen stellte der wirtschaftliche Sektor nie so etwas wie das Barometer der Nachbarschaftsbeziehungen dar. Selbst zu Zeiten, als diese Beziehungen wegen der Südtirol-Attentate sehr angespannt waren, hat sich die wirtschaftliche Vernetzung schrittweise verdichtet.35 Besonders seit dem Freihandelsabkommen von 1972/73 zwischen EFTA und EG, seitdem 1977 die Zollschranken im industriell-gewerblichen Handel zwischen EG und EFTA beseitigt sind, hat diese Verflechtung kontinuierlich zugenommen.36 30 „Kriegsschauplatz Brennerbahn“, in: Alto Adige, 13. 2. 1991. 31 „Ja zu UNO-Überflügen nach Bosnien, aber kein Durchmarsch“, in: Tiroler Tageszeitung, 19. 8. 1992. 32 Vgl. Othmar Lahodynsky, WEU. Vom Papiertiger zum starken Arm der EG. Van Eerkelen regt Sonderstatus für Österreich an, in: Die Presse, 8. 1. 1993; Heinz Kozak, Ist Österreichs Mitgliedschaft bei WEU und NATO wirklich nötig?, in: Der Standard, 1. 3. 1993. 33 Eric Frey, Österreich soll bald in die NATO, in: Der Standard, 1.3.1993. 34 Vgl. Angelo Filipuzzi, Das italienisch-österreichische Kulturabkommen, in: Adam Wandruszka/Ludwig Jed licka (Hrsg.), Innsbruck/Venedig, 581–598. Claus Pack, Influenze reciproche nell’arte contemporanea italiana e austriaca sowie Angelo Filipuzzi, Le relazioni culturali italo-austriache dal 1918 al 1979, beide in: Il Veltro. Rivista della civiltà italiana XXI (1977), 5–6, 651–656 und 819–829. 35 Vgl. Gatterer, Die italienisch-österreichischen Beziehungen, 520. 36 Vgl. Carlo Secchi, Der österreichische Markt aus der Sicht italienischer Unternehmer, in: Michael Morass/
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In diesem Zusammenhang muss allerdings auf die Asymmetrie der Verhältnisse zwischen Österreich und Italien hingewiesen werden. Italien gehört dem „Club of G7“ an und zählt somit zu den sieben großen Industrienationen. Österreich hingegen gehört zu den kleinen Industrienationen und befindet sich unter diesen auf Platz 17.37 Bei solchen Größenunterschieden – Italien zählt knapp 58, Österreich an die 7,5 Millionen Einwohner – ist der italienische Markt für Österreich weit wichtiger als umgekehrt. Einzige Ausnahme ist der Fremdenverkehr, wenngleich sich letzthin leichte Korrekturen zugunsten Italiens feststellen lassen.38 Österreich als neutraler Kleinstaat lehnt sich in seinem Bestreben nach einer EG-Vollmitgliedschaft an die wohlwollende Unterstützung Italiens an. Wien unterstreicht auch immer wieder, dass Italien zu den ersten Befürwortern dieses österreichischen Ansinnens zählt.39 Der Hinweis auf die Asymmetrie der Beziehungen zwischen Österreich und Italien bedarf der Ergänzung durch Deutschland. Dieses Dreiecksverhältnis ist durch die Geschichte ebenfalls belastet gewesen. Die militärischen Auseinandersetzungen lassen sich über indirekte Beziehungen bis ins letzte Jahrhundert zurückverfolgen. Der spätere Dreibund40 hielt nicht und die Achse Rom-Berlin von 1936, auch bekannt unter dem Namen „Stahlpakt“ von 193941, führte in die Katastrophe, nachdem zuvor Österreich, das anfänglich unter der Schirmherrschaft des faschistischen Italien gestanden war, als „Keil“ beseitigt worden war. Diese historische Belastung hat zu einer Art Zweigleisigkeit geführt. Italien und Österreich sind bis heute penibel darauf bedacht, in ihre Nachbarschaftspolitik Deutschland nicht miteinzubeziehen. Dieser Grundsatz ist vor allem vom österreichischen Außenminister und späteren Bundeskanzler Bruno Kreisky verfolgt worden, als er etwa bei den Südtirolverhandlungen vor der UNO nie mit dem Gedanken kokettierte, Deutschland in die Verhandlungen miteinzubeziehen und außerdem nie von einer deutschen, sondern immer von einer österreichischen Minderheit in Italien sprach.42 Diesen Grundsatz vertritt auch die „Zentraleuropäische Initiative“ in ihren Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern.43 Auf der anderen Seite sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Italien derart dicht, dass Deutschland von vielen Entscheidungen, die eigentlich das Zweierverhältnis
Günther Pallaver (Hrsg.), Österreich – Italien. Was Nachbarn voneinander wissen sollten, Wien 1992, 234. Österreich schloss das Abkommen 1972. 37 Vgl. Fritz Breuss, Italien und Österreich angesichts der Herausforderung des Binnenmarktes, in: Morass/ Pallaver, Österreich – Italien, 185. 38 Vgl. Michael Morass/Günther Pallaver, Erbfeindschaft, Entfremdung, Beziehungskonjunktur – oder schlicht Gleichgültigkeit? Ein Resümee der italienisch-österreichischen Beziehungen, in: Morass/Pallaver, Österreich – Italien, 249 f. 39 Vgl. „Mock zählt auf Roms Unterstützung für den EG-Beitritt“, in: Die Presse, 12. 6. 1990. 40 Vgl. Christoph Hartungen/Reinhold Staffier, Geschichte Südtirols. Das 20. Jahrhundert: Materialien, Hintergründe, Quellen, Dokumente, Bozen 31986, 14. 41 Vgl. Mario Toscano, Le origini diplomatiche del patto d’acciaio, Firenze 21956. 42 Vgl. Bruno Kreisky, Im Strom der Politik. Der Memoiren zweiter Teil, Wien 1988, 158. 43 Vgl. Morass/Pallaver, Erbfeindschaft, 257.
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Italien und Österreich betreffen, nicht ausgeschlossen werden kann, wie dies etwa bei der Transitfrage der Fall ist. Wenngleich nicht ausschließlich, so ist die Südtirolfrage zwischen Österreich und Italien lange Zeit das dominante außenpolitische Thema gewesen. Es bildet auf der Grundlage des Pariser Abkommens vom 5. September 1946, das als Annex auch in den Friedensvertrag mit Italien eingeflossen ist, die politisch-völkerrechtliche „ewige Klammer“ zwischen den beiden Staaten.44 Mit dem Kompromiss von 1946 hat Österreich auf eine Rückgliederung Südtirols, Italien auf einen Teil seiner Souveränität und Südtirol de facto auf die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes verzichtet.45 Die Südtirolautonomie wurde erst nach einem langen Marsch durch die internationalen Instanzen im ersten Halbjahr 1992 mit der Streitbeilegungserklärung abgeschlossen. Dazwischen liegen fast 50 Jahre politisch-rechtlicher Auseinandersetzungen und Verhandlungen. Südtirol hat zu Beginn der Nachkriegsära wohl für beide Staaten als Instrument „nationaler Identitätsstiftung“ gedient, in Österreich sicherlich weit mehr als in Italien. In Österreich stand das Südtirolproblem trotz Besatzungsmächten, Versorgungschwierigkeiten und unsicherer Zukunftsgestaltung an erster Stelle der österreichischen Außenpolitik und diente über alle Parteigrenzen hinweg sicherlich der Sinnstiftung für die neue Nation Österreich.46 Südtirol war die nationale Klammer zwischen Boden- und Neusiedler See.47 Dasselbe galt in gewissem Sinne auch für Italien. Obgleich auch Italien zu den Verlierern des Zweiten Weltkrieges zählte, konnte die Beibehaltung der Brennergrenze die Niederlage zumindest etwas lindern. In einem undifferenzierten Vergleich mit den „Deutschen“, zu denen 1945 auch noch die Österreicher gezählt wurden, konnte man sich als einen „geringeren Verlierer“ betrachten.48 Während sich Rom unmittelbar nach 1945 mit separatistischen Bewegungen von Sizilien bis zum Brenner auseinandersetzen musste, der Verlust der Kolonien und anderer im Ersten Weltkrieg eroberter Gebiete Gewissheit war, fand Italien – ebenfalls über alle Parteigrenzen hinweg – im Kampf um Südtirol, weit mehr noch im Kampf um Triest49 – zu sich selbst zurück. 44 Vgl. Alessandro Pizzorusso, Le minoranze nel diritto pubblico interno (Pubblicazioni della Facolta di Giurisprudenza della Università di Pisa, Band 19), Milano 1967, 425 ff. 45 Vgl. Karl Stuhlpfarrer, Die Entstehung des Gruber-Degasperi-Abkommens, in: Region Trentino – Südtirol (Hrsg.), Der Pariser Vertrag. Zum dreißigsten Jahrestag der Unterzeichnung des Degasperi-Gruber-Abkommens, Trento 1976, 150 ff. 46 Vgl. Karl Stuhlpfarrer, Österreichische Südtirolpolitik, in: Rainer Bauböck/Gerhard Baumgartner/Bernhard Perchinig/Karin Pintér (Hrsg.), … und raus bist Du! Ethnische Minderheiten in der Politik (Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik, Band 37), Wien 1988, 74. 47 Vgl. dazu Werner Wolf, Südtirol in Österreich. Die Südtirolfrage in der österreichischen Diskussion 1945– 1969, Würzburg 1972. 48 Vgl. Gatterer, Die italienisch-österreichischen Beziehungen, 526. 49 Vgl. Claus Gatterer, Österreich und seine südlichen Nachbarn, in: Claus Gatterer, Aufsätze und Reden, Bozen 1991, 267.
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Den Kurswechsel in der italienischen Südtirolpolitik leitete neben den Verhandlungen vor der UNO 1960/61 die politische Öffnung zu den Mitte-links-Regierungen in Italien sowie das II. Vatikanum ein. In Österreich war es hingegen Außenminister Kreisky gelungen, das Problem Südtirol von einer nationalhistorisch-juristischen auf eine politische Ebene zu heben. Der Rest ist das Ergebnis von gestern. Alle drei Akteure in diesem Prozess der Annäherung – Italien, Österreich und Südtirol – sind sich heute, in Anbetracht der Nationalitätenkämpfe auf dem Balkan und in den anderen ehemaligen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang bewusst, eine europäische, in die Zukunft weisende Leistung vollbracht zu haben. Südtirol ist zum Aushängeschild beider Staaten geworden, wie eine Minderheitenfrage friedlich gelöst werden kann. Zugleich ist Südtirol für viele Minderheiten in Europa zu einem Bezugspunkt geworden.50 Methodisch haben die Südtirolverhandlungen auch auf andere Bereiche der zwischenstaatlichen Beziehungen abgefärbt. Es liegt in der sozialpartnerschaftlichen Tradition Österreichs, Probleme an Kommissionen weiterzuleiten, die dann die kontroversiellen Punkte abseits der Öffentlichkeit diskutieren und politische Entscheidungen ohne viel Prestigeverlust für die jeweiligen Verhandlungspartner vorbereiten. Was Südtirol betrifft, so sei auf die sogenannte „Neunzehnerkommission“ hingewiesen wie auch auf die Sechser- und Zwölferkommission. Obgleich innerstaatlich auf Italien bezogen, stammt das System aus Österreich. Heute gibt es in den österreichisch-italienischen Beziehungen eine Reihe von Kommissionen, von denen vor allem die Gemischte Kommission zu nennen ist, die seit 1980 neben Handelsfragen auch Sozial-, Verkehrs- und Konsularfragen behandelt.51 Weiters sei auf die Gemischte Kommission im Rahmen des Accordino sowie auf die Kulturkommission hingewiesen. „Die österreichisch-italienischen Beziehungen sind intensiv wie nie seit 1945“, hieß es 1987 von offizieller österreichischer Seite.52 Zieht man die bilaterale Reisediplomatie des Jahres 1991 heran, so lässt sich daraus sehr deutlich die Intensität der Nachbarschaftsbeziehungen ableiten.53
50 Reinhard Olt, Südtirol als Modell, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. 6. 1992. 51 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1980, Wien 1981, 319 52 Außenpolitischer Bericht 1987, Wien 1988, 479. 53 Der österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky weilte im November zu einem offiziellen Besuch in Rom. Die beiden Außenminister Gianni De Michelis und Alois Mock trafen sich mehrmals zu Arbeitsgesprächen. Weiters gab es Gespräche zwischen dem italienischen Ministerpräsident Giulio Andreotti mit Außenminister Mock. Die Präsidentin der italienischen Abgeordnetenkammer, Nilde Jotti, stattete Wien einen offiziellen Besuch ab, wie umgekehrt der österreichische Nationalratspräsident Heinz Fischer Rom besuchte. Es trafen sich die beiden Wissenschaftsminister Erhard Busek und Antonio Ruberti, die beiden Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel und Claudio Vitalone (Staatssekretär). Schließlich trafen sich die beiden Verkehrsminister Rudolf Streicher und Carlo Bernini mehrmals in Österreich und in Italien, bis hin zu den beiden Landwirtschaftsministern Franz Fischler und Vito Saccomandi. Darüber hinaus gab es weitere Gespräche auf verschiedenen Ressortebenen. Vgl. Außenpolitischer Bericht 1991, Wien 1992, 618–620.
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Österreich und Italien haben angekündigt, nach fast 60 Jahren wieder einen Nachbarschaftsvertrag schließen zu wollen.54 Als symbolischer Ausdruck der bereinigten Beziehungen nach der Streitbeilegung vor der UNO in Sachen Südtirol hat der neue italienische Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro Österreich vom 27.–29. Jänner 1993 einen offiziellen Besuch abgestattet55 und dort jenen Bundespräsidenten Thomas Klestil getroffen, der seit Jahren als Generalsekretär für auswärtige Angelegenheiten die Arbeitsgespräche im Rahmen der österreichisch-italienischen Gemischten Kommission führte.56 Als Staatsoberhaupt war das letzte Mal Italiens König Umberto I. 1882 in Wien gewesen. Erst 1971 erwiderte Bundespräsident Franz Jonas den Besuch in Rom.57 Dieser Besuch, der nach Annahme des Südtirol-Pakets von 1969 erfolgte, sollte die neue Entspannung zwischen den beiden Nachbarn vor Augen führen. Der Staatsbesuch nach der Erfüllung des Südtirol-Pakets soll die jetzt ungetrübte Nachbarschaft58 der ehemaligen „Erbfeinde“ dokumentieren. Als ersten Schritt dazu unterzeichneten Scalfaro und Klestil in Wien ein Abkommen über die Aufnahme jährlicher Treffen auf der Ebene der Regierungschefs und der Außenminister sowie ein Rahmenabkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit.59
II. Die Klammer Südtirol Als der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Boutros Ghali, am 19. Juni 1992 die Notifizierungsurkunde Österreichs und Italiens zur Beilegung des Südtirolstreites entgegennahm,60 unterstrich er die Bedeutung dieses Schrittes und nannte die Art, wie ein 54 „Freundschaftsvertrag Italien – Österreich schon bald aktuell“, in: Alto Adige, 18. 6. 1992. 55 Vgl. „Österreich: Neuer italienischer Botschafter bei Klestil“, in: ANSA, 16. 7. 1992. „Colombo nach Wien, Scalfaro folgt“, in: Dolomiten, 20. 8. 1992, oder etwa „Wien und Rom: Zwischen Stürmen und Sonnenschein,“ in: Die Presse, 27. 1. 1993; „Neue Ära der Beziehungen zwischen Italien und Österreich,“ in: Die Presse, 28. 1. 1993; Marzio Breda, Scalfaro a Vienna: la dinamite è dinamite, in: Corriere della Sera, 29. 1. 1993. 56 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1991, Wien 1992, 619. 57 Vgl. Silvio Furlani, 1945 bis heute, in: Furlani/Wandruszka, Österreich – Italien, 275. 58 Nachdem es wegen verschiedener Meinungsunterschiede beim Staatsbesuch in Wien nicht zur Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages gekommen ist, weil sich besonders eine Reihe von Wünschen Südtirols so kurzfristig nicht in das Vertragswerk einbauen ließen, scheinen die weiteren Verhandlungen nach dem Staatsbesuch auf Eis gelegt worden zu sein, weil Italien unter anderem nicht bereit ist, die sogenannten „Schwarzen Listen“ zu beseitigen und die internationale Verankerung des Südtirol-Pakets in den Vertrag aufzunehmen, vgl. etwa: „Südtirol kann auch ohne den Nachbarschaftsvertrag leben“, in: Tiroler Tageszeitung, 3. 12. 1992; Andreas Khol, Vertrag mit Italien hat „keine Eile“, in: Die Presse, 3. 12. 1992; „Freundschaftsvertrag: Zeit nicht reif“, in: Dolomiten, 3. 2. 1993; vgl. etwa Franz Gansrigler, Freundschaft auf Kosten Südtirols, in: Die Furche, 28. 1. 1992; Renato Rizzo, Scalfaro, ai terroristi lo stresso trattamento, in: La Stampa, 29. 1. 1993; Scalfaro, „Niente grazia, per ora“, in: la Repubblica, 29. 1. 1993. Il trattato va in naftalina, in: il mattino dell’ Alto Adige, 5. 3. 1993. 59 Vgl. „Offene Fragen freundschaftlich lösen“, in: Dolomiten, 28. 1. 1993. 60 Formelles Ende des Südtirolkonflikts, in: Neue Zürcher Zeitung, 13. 6. 1992.
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Minderheitenkonflikt zwischen zwei Staaten gelöst wurde, als vorbildlich. Auch der italienische Außenminister Vincenzo Scotti wies bei der KSZE-Nachfolgekonferenz in Helsinki im Juli 1992 voller Stolz auf die Lösung dieses Konflikts zwischen Österreich und Italien hin, eine Lösung, die auch für den Minderheitenschutz im Rahmen der KSZE als Modell stehen könnte.61 Und schließlich wird mit Bezug auf nationale Unruhen in Europa, besonders in den ehemaligen Ostblockländern, und angesichts des grausamen Gemetzels unter den Nationalitäten auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien62 von der internationalen Presse nicht weniger als von der lokalen, von der New York Times63 über den European64, von der Zeit65 bis zur Schwäbischen Zeitung66, sozusagen von allen Presseorganen des deutschen und italienischen Sprachraums, auf den Modellcharakter der Südtiroler Autonomie verwiesen. Mit dem „Paketabschluss“ im ersten Halbjahr 1992 ist für Österreich und Italien „ihr“ Erster Weltkrieg zu Ende gegangen, als Südtirol gegen den erklärten Willen seiner Bevölkerung an Italien annektiert wurde.67 Der Wille der Südtiroler wurde nach Option und Ende des Zweiten Weltkrieges auch 1945 nicht berücksichtigt, weil Italien und die Siegermächte wie 1918 auch 1945 eine Volksabstimmung verweigerten.68 Südtirol wurde das erste Opfer des Kalten Krieges.69 Eine weitere Phase der Entwicklung der Südtirolfrage nach erfolgter Annexion70 und faschistischer Diktatur71 sowie nach Durchführung des zwischen Hitler und Mussolini vereinbarten Optionsabkommens, mit dem das Problem durch eine radikale Auswanderung der Südtiroler ins Deutsche Reich hätte endgültig bereinigt werden sollen,72 begann mit dem Abschluss des Gruber-De Gasperi-Abkommens, dem sogenannten Pariser Vertrag, der am 5. 61 Vgl. „CSCE: haha e Austria su chiusuravertenza Alto Adige“, in: ANSA, 30. 6. 1992; „KSZE-Konferenz nimmt Ende des Südtirolkonflikts positiv auf“, In: Alto Adige, 11. 7. 1992. 62 Vgl. etwa „While war rages all round them, Austria and Italy dance together“, in: The Washington Times, 4. 7. 1992. 63 „Viva Alto Adige“, in: The New York Times, 14. 6. 1992. 64 „Tyrolean pact gets go-ahead“, in: The European, 18. 6. 1992. 65 „Beigelegt“, in: Die Zeit, 19. 6. 1992. 66 „Friede in Südtirol“, in: Schwäbische Zeitung, 3. 6. 1992. 67 Vgl. Karl Heinz Ritschel, Diplomatie um Südtirol. Politische Hintergründe eines europäischen Versagens, Stuttgart 1966, 73 ff. 68 Vgl. Gatterer, Kampf, 863 ff. 69 Vgl. Rolf Steininger, Verhinderte Selbstbestimmung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. 4. 1992. 70 Vgl. Leopold Steurer, Südtirol zwischen Rom und Berlin 1919–1939, Wien/München/Zürich 1980, 52 ff. 71 Vgl. Leopold Steurer, Option und Umsiedlung in Südtirol: Hintergründe – Akteure – Verlauf, in: Reinhold Messner (Hrsg.), Die Option. 1939 stimmten 86 % der Südtiroler für das Aufgeben ihrer Heimat. Warum? Ein Lehrstück in Zeitgeschichte, München/Zürich 1989, 17 ff. 72 Vgl. stellvertretend für die umfangreiche Options-Literatur Karl Stuhlpfarrer, Umsiedlung Südtirol 1939/1940, 2 Bände, Wien/München 1985; Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Hrsg.), Die Option. Südtirol zwischen Faschismus und Nationalsozialismus (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte, Band 5), Innsbruck 1989; Benedikt Erhard (Hrsg.), Option – Heimat – Opzioni, hrsg. vom Tiroler Geschichtsverein Bozen (Katalog zur Ausstellung). Innsbruck 1989.
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September 1946 in Paris zwischen dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi und dem österreichischen Außenminister Karl Gruber abgeschlossen wurde.73 Darin wird festgestellt, dass die deutschsprachigen Bewohner der Provinz Bozen und der benachbarten zweisprachigen Gemeinden der Provinz Trient „die volle Gleichberechtigung mit den italienischsprachigen Bewohnern im Rahmen besonderer Maßnahmen zum Schutze der volklichen Eigenart und der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Sprachgruppe“ genießen.74 Dieses Abkommen wurde dem Friedensvertrag zwischen Italien und den Alliierten und Assoziierten Mächten vom 10. Februar 1947 als Annex IV beigefügt.75 Dieses Abkommen gilt als „Magna Charta der Südtiroler Autonomie“. Mit der Verabschiedung des 1. Autonomiestatuts 1948 und der Errichtung der Region Trentino-Südtirol76 hatte Italien vorgegeben, das Pariser Abkommen durchgeführt zu haben und somit seinen internationalen Verpflichtungen nachgekommen zu sein.77 Diese Haltung stand im Gegensatz zur Position der Südtiroler Volkspartei, die besonders nach der innerparteilichen Wende von 1957, als der eher liberale vom radikalen Flügel um Parteiobmann Silvius Magnago abgelöst wurde,78 die österreichische Schutzmacht wieder verstärkt ins Spiel brachte. Die zwischenstaatlichen Beziehungen konzentrierten sich unmittelbar nach 1945 schwerpunktmäßig auf die Revision der Option,79 wie dies vom Pariser Abkommen als Sondermaßnahme vorgesehen war, sowie auf den Abschluss eines bevorzugten Warenaustausches zwischen den Bundesländern Tirol und Vorarlberg und der Region Trentino-Südtirol, das 1949 als „Accordino“ abgeschlossen wurde.80 Österreich selbst war nach Abschluss des Staatsvertrags von 1955 und dem Wegfall der außenpolitischen Fesseln in Sachen Südtirol wieder verstärkt politisch aktiv geworden und hatte Italien wiederholt aufgefordert, die Autonomie zu verwirklichen.81 73 Vgl. Rolf Steininger. Los von Rom? Die Südtirolfrage 1945/46 und das Gruber-De Gasperi-Abkommen (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte, Band 2), Innsbruck 1987. Enrico Serra (Hrsg.), Das DegasperiGruber-Abkommen anhand italienischer und österreichischer diplomatischer Dokumente, hrsg. von der Autonomen Region Trentino – Südtirol, Trento o. J. [1989]. 74 Herbert Miehsler, Südtirol als Völkerrechtsproblem, Graz/Wien/Köln 1962, 173. 75 Vgl. Pizzorusso, Le minoranze, Bd. 2, 770. 76 Vgl. Paolo Piccoli – Armando Vadagnini, Il cammino dell’autonomia nei progetti per lo Statuto Speciale del 1948, hrsg. von der Regione Autonoma Trentino – Alto Adige, Trento 1988. 77 Vgl. Mario Toscano, Storia diplomatica della questione dell’Alto Adige, Bari 1967, S, 438. 78 Vgl. Anton Holzer, Die Südtiroler Volkspartei, Thaur 1991, 79 ff. 79 Vgl. Viktoria Stadlmayer, Die Südtirolpolitik Österreichs seit Abschluss des Pariser Abkommens, in: Franz Huter (Hrsg.), Südtirol. Eine Frage des europäischen Gewissens, Wien 1965, 478 ff.; Stefan Lechner, „Die Heimat ruft?“, in: Erhard, Option, 315 ff. 80 Vgl. Regione Autonoma Trentino – Alto Adige/Autonome Region Trentino – Südtirol (Hrsg.), 40 anni/Jahre „Accordino“, Bozen 1979. 81 Vgl. Hansjörg Kucera/Gianni Faustini (Hrsg.), Ein Weg für das Miteinander. 20 Jahre neue Autonomie in
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Nach den Sprengstoffanschlägen in Südtirol, die im Herbst 1956 ihren Anfang nahmen,82 und einen ersten Höhepunkt in der „Feuernacht“ von 1961 erreichten,83 weiters als Folge der politischen Krise der Region Trentino-Südtirol war es der damalige österreichische Außenminister Bruno Kreisky gewesen, der das Südtirolproblem vor die UNO brachte und damit die Kontroverse, besonders mit Unterstützung der Länder der Dritten Welt, von einer juristischen auf eine politische Ebene hob.84 Die Vollversammlung der UNO stimmte im Oktober 1960 einstimmig einer Entschließung zur Südtirol-Frage zu, in der beide Vertragspartner zu Verhandlungen aufgefordert wurden, um die bestehenden Meinungsunterschiede bei der Interpretation des Pariser Abkommens zu bereinigen. Dies geschah dann ein zweites Mal im Juli 1961.85 Aufgrund dieser UNO-Resolutionen begannen zwischen Italien und Österreich zunächst zögernde, dann aber immer reger werdende diplomatische Kontakte. Als Folge dieser Verhandlungen wurde 1961 vom italienischen Ministerrat die sogenannte „Neunzehnerkommission“ eingesetzt, die die Südtirol-Frage unter allen Gesichtspunkten prüfen sollte. Die Arbeiten dieser Kommission wurden 1964 mit einem Bericht an den damaligen Ministerpräsidenten Aldo Moro abgeschlossen. Nachdem das von den beiden Außenministern Bruno Kreisky und Giuseppe Saragat 1964 vorgeschlagene „Paket“ nicht die Zustimmung der Südtiroler Volkspartei erhalten hatte, und nach weiteren, zahlreichen Kontaktgesprächen im Viereck Rom-Bozen-Innsbruck-Wien, nahm die SVP am 22. November 1969 das neue „Paket“ mit knapper Mehrheit (52,8 %) an,86 das 137 Punkte für einen besseren Schutz der deutschen und ladinischen Sprachgruppe enthielt. Dieses „Paket“ wurde sowohl vom österreichischen Nationalrat als auch vom italienischen Parlament genehmigt.87 Begleitend zum Paket stellte der sogenannte „Operationskalender“ den „formal-prozeduralen Teil“ der Vereinbarungen dar und legte die Marschroute der einzelnen Schritte zwischen Italien und Österreich fest.88 Dieses Paket führte zwar nicht zu einer eigenen Region Südtirol, hrsg. von der Südtiroler Landesregierung, Amt für Pressewesen und Öffentlichkeitsarbeit, Bozen 21992, 23. 82 Vgl. Friedl Volgger, Mit Südtirol am Scheideweg. Erlebte Geschichte, Innsbruck 1984, 197 ff. 83 Vgl. Elisabeth Baumgartner/Hans Mayr/Gerhard Mumelter, Feuernacht. Südtirols Bombenjahre. Ein zeitgeschichtliches Lesebuch, Bozen 1992. Senato della Repubblica (Hrsg.), Commissione parlamentare d’inchiesta sul terrorismo in India e sulle cause della mancata individuazione dei responsabili delle stragi. Relazione preliminare su episodi relativi all’attività di corpi militari, di polizia o di sicurezza dello Stato in connessione con le vicende del terrorismo in Alto Adige/Südtirol, presentata dal Senatore Marco Boato, Roma 1992. 84 Vgl. Kreisky, Im Strom der Politik, 153. 85 Vgl. Gatterer, Kampf, 1028. 86 Vgl. Antony Evelyn Alcock, Geschichte der Südtirolfrage. Südtirol seit dem Paket 1970–1980 (Ethnos 24), Wien 1982, 25. 87 Vgl. Kucera/Faustini, Ein Weg, 29. 88 Vgl. Karl Zeller, Das Problem der völkerrechtlichen Verankerung des Südtirol-Pakets und die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes (Ethnos 34), Wien 1989, 23 ff.
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Südtirol, höhlte aber die alte Region Trentino-Südtirol kompetenzmäßig ziemlich aus, sodass das 1957 ausgerufene „Los von Trient“ substanziell erreicht wurde.89 Mit der Genehmigung des Pakets begann zwischen Italien und Österreich ein politisches Tauwetter. Konkretester Ausdruck dafür war die Rücknahme des Veto, das Italien 1967 in Bezug auf die Verhandlungen zwischen Österreich und der EWG eingelegt hatte, nachdem der Südtirol-Terrorismus an der Porzescharte (Cima Vallona) mehrere Opfer gefordert hatte.90 Dieses neue politische Klima schlug sich symbolisch auch im Besuch des österreichischen Bundespräsidenten Franz Jonas 1971 in Rom nieder. Die Durchführung des Pakets hätte zwei Jahre nach Verabschiedung des II. Autonomiestatuts aus dem Jahre 1972 erfolgt sein sollen. Doch anstatt zweier Jahre bedurfte es genau 20 Jahre nach Inkrafttreten des neuen Autonomiestatuts, bis sämtliche Paketmaßnahmen verabschiedet wurden. Die Verhandlungen zur Erlassung der Durchführungsbestimmungen erfolgten intern in der Zwölfer- und Sechserkommission zwischen der Südtiroler Volkspartei und der italienischen Regierung einerseits, zwischen der SVP und der österreichischen Regierung andererseits und auf einer letzten Ebene zwischen der italienischen und der österreichischen Regierung. Das exklusive politische Tauschverhältnis zwischen SVP und Rom,91 eine strikte ethnische Trennung,92 eine rein juristisch konzipierte Autonomie sowie wirtschaftliche Konjunktureinbrüche93 führten Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre zu einer Krise der Autonomie, die sich in einem rapiden Anwachsen neofaschistischer Wahlerfolge,94 neuer Terroranschläge und großer ethnischer Spannungen niederschlug. Erst als von einer strikten ethnischen Trennung abgegangen wurde und eine Politik einsetzte, die allen drei in Südtirol lebenden Sprachgruppen die Autonomie zugestand, begann sich das politische und kulturelle Klima wieder zu bessern.95 89 Vgl. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie. Beschreibung der autonomen Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeiten des Landes Südtirol, hrsg. von der Südtiroler Landesregierung, Bozen 1990. 90 Vgl. Hellmuth Straßer, Der Weg Österreichs zu den Verträgen mit Brüssel (Informationen zur Außenpolitik, Band 1), Wien 1972, 52 und 56; vgl. auch Hamel in diesem Band. 91 Vgl. Günther Pallaver, South Tyrol. The ‘Package’ and its ratification, in: Politics and society in Germany, Austria and Switzerland Vol. 2 (1990), 1–2, 73. 92 Vgl. Flavia Pristinger, La minoranza dominante nel Sudtirolo. Divisione etnica del lavoro e processi di modernizzazione dall’annessione agli anni settanta (Studi e ricerche di scienze sociali, Band 1), Bologna/Padova 1978. 93 Vgl. Leopold Steurer (ohne Titel), in: ANPI Bolzano (Hrsg.), Alto Adige – Südtirol: Quarant’anni di costituzione di autonomia speciale, 1948–1988, Bozen 1988, 21 ff. 94 Vgl. Rudolf Benedikter u. a. (Hrsg.), Nationalismus und Neofaschismus in Südtirol: Die Erfolge des Movimento Sociale Italiano (M.S.I.-D.N.) bei den Gemeinderatswahlen vom 12. Mai 1985 – Ursachen, Bedingungen, Auswirkungen (Österreichisches Institut für Friedensforschung und Friedenserziehung), Wien 1987. Lucio Giudiceandrea, Il neofascista e la società tribale, in: MicroMega (1989), 2, 223–229. 95 Vgl. Alexander Langer, Volksgruppen- und Minderheitenpolitik – Südtirol nach dem „Paketabschluss“, in: Rainer Bauhöck et al. (Hrsg.), … und raus bist Du!, 88.
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Der immer stärkere Ruf nach Selbstbestimmung für Südtirol, der von nationalen Kreisen innerhalb und außerhalb Südtirols im Zuge der nationalen Wiedergeburt in den osteuropäischen Staaten erhoben wurde,96 aber auch der sich immer schärfer abzeichnende, auch blutige Nationalitätenkonflikt in diesen Ländern, schließlich eine realistische Einschätzung des Machbaren durch eine neue Führungsgeneration in der SVP, die in dieser ihrer Haltung auch von Österreich unterstützt wurde, führten ab Sommer 1991 zum schrittweisen Abschluss des Südtirol-Pakets. Nach der Brennerkundgebung „Nachdenken über Tirol“ vom 15. September 1991,97 die in Italien und international großes Aufsehen erregt hatte, weil man sich davon den Ruf nach Selbstbestimmung98 für Südtirol erwartet hatte,99 begannen in jenem Herbst erneut Verhandlungen über die noch letzten offenen Durchführungsbestimmungen zum Paket. Beim zweitägigen Staatsbesuch des österreichischen Bundeskanzlers Franz Vranitzky im November 1991 in Rom100 wurde von beiden Regierungen nochmals die Bereitschaft nach einem raschen Paketabschluss unterstrichen. Diese positive Paket-Haltung Österreichs wurde allerdings von der nationalliberalen Opposition in Südtirol (Union für Südtirol, Freiheitliche Partei Südtirols) und von der Freiheitlichen Partei Österreichs immer wieder kritisiert und mit dem Bestreben Österreichs in Zusammenhang gebracht, als Vollmitglied in die EG aufgenommen zu werden. Um ein Veto Italiens wie 1967 zu vermeiden, würden die Interessen Südtirols auf dem österreichischen EG-Altar geopfert werden.101 Am 30. Jänner 1992 verabschiedete der italienische Ministerrat die letzten Paket-Durchführungsbestimmungen, darunter die Einschränkung der umstrittenen staatlichen Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis. Am selben Tag noch erklärte Ministerpräsident Giulio Andreotti vor dem römischen Parlament das „Paket“ aus italienischer Sicht als für erfüllt.102 96 Vgl. den Brief des SVP-Abgeordneten Ferdinand Willeit an die Mitglieder der Parteileitung der SVP, Betrifft: Festigung und Ausbau der Autonomie/Selbstbestimmung, vom 8. 8. 1991. Vgl. Alfons Benedikter, Das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol, Grundsatzpapier, vorgelegt bei der Pressekonferenz der Union für Südtirol, Bozen 3. 10. 1991. 97 „Tiroler Einheitskundgebung am Brenner“, in: Neue Zürcher Zeitung, 17. 9. 1991. 98 Vgl. etwa „,Matche Lituania‘ Alla fine i sudtirolesi rimangono Bove sono“, in: la Repubblica, 17. 9. 1991. 99 Bei der Brennerkundgebung wurde die Schaffung einer „Europa Region Tirol“ gefordert, die „alle historischen Räume wieder zusammenführen soll“, also Nord-, Süd-, Osttirol und das Trentino. So Tirols Landeshauptmann Alois Partl in seiner Rede „Tirols Weg in eine gute Zukunft“ bei der Brennerkundgebung. Vgl. auch die dort verabschiedete Resolution, die vom „Initiativkomitee Junges Tirol“ ausgearbeitet worden ist. Von einer „Europa Region Tirol“ sprechen aber auch andere. Vgl. etwa die „Rede des Fraktionsvorsitzenden der SVP Hubert Frasnelli zum Haushaltsvoranschlag für das Jahr 1992“ im Südtiroler Landtag am 4. 2. 1992, 57 ff.; mit konkreten Vorschlägen jüngst auch Franz Pahl (SVP). 100 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1991, Wien 1992, 618. 101 „Das böse Spiel um Südtirol“ – Resümee der Union für Südtirol zum Paketabschluss, in: Tiroler Tageszeitung, 20. 6. 1992. Union für Südtirol (Hrsg.), 1990. SVP und Österreich verzichten auf Selbstbestimmung und Autonomie, Bozen 21991. 102 Vgl. die Rede des SVP-Obmanns Roland Riz im römischen Senat am 31. 1.1992. Pressemitteilung der Südtiroler Volkspartei, Landesleitung, 31. 1. 1992.
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Eine zentrale juristische Kontroverse zwischen den beiden Vertragsparteien des Pariser Abkommens betraf seit 1969 den unterschiedlichen Rechtsstandpunkt über die internationale Verankerung des Pakets. Während aus italienischer Sicht das Paket als inneritalienisches Zugeständnis an die Minderheit in Südtirol betrachtet wurde,103 argumentierten Österreich und die SVP genau umgekehrt. Das Paket sei international verankert, weil es sich um eine Ausführung des Pariser Abkommens handle.104 Diese beiden konträren Rechtsstandpunkte hatten auch im definitiven Text der Schlusserklärung Eingang gefunden, die zwischen den beiden Außenministern Aldo Moro und Kurt Waldheim am 1. Dezember 1969 in Kopenhagen vereinbart worden war und die von Österreich abgegeben werden sollte, sobald das Paket für abgeschlossen befunden wurde.105 Obgleich verschiedene Gutachten von österreichischer Seite darauf hinwiesen, dass die internationale Verankerung des Pakets gesichert106 und somit die Justiziabilität vor dem Internationalen Gerichtshof107 gegeben sei, forderte die Südtiroler Volkspartei von Italien einen expliziten Hinweis auf die internationale Verankerung des Pakets. Dieser Forderung entsprach Italien am 22. April 1992 mit einer diplomatischen Note.108 In dieser Note, die die Liste der von der italienischen Regierung und vom römischen Parlament erlassenen Durchführungsbestimmungen der Maßnahmen zugunsten Südtirols beinhaltete, wurde auf das Pariser Abkommen von 1946 Bezug genommen. Damit begann die bereits im Operationskalender von 1969 festgelegte Frist von 50 Tagen zur Abgabe der Streitbeilegungserklärung durch die österreichische Regierung. Während dieser Frist hielt die Südtiroler Volkspartei am 30. Mai ihre außerordentliche Landesversammlung in Meran ab, bei der in geheimer Abstimmung 82,86 % der Delegierten den Paketabschluss befürworteten.109 Am 4. Juni erfolgte die Zustimmung des Tiroler Landtages110 und tags darauf, am 5. Juni, stimmte auch der österreichische Nationalrat mit 125 Ja-Stimmen von ÖVP, SPÖ und Grünen gegen die 30 Nein-Stimmen der Freiheitlichen dem Paketabschluss zu.111 Vor der Nationalratssitzung hatte der „Südtirol-Unterausschuss“ 103 Vgl. Mario Toscano, Corsivi di politica estera 1949–1969 per la Rivista di studi politici intemazionali (Università di Roma. Facoltà di scienze politiche 39). Milano 1981, 86 ff. 104 Vgl. Zeller, Völkerrechtliche Verankerung, 39 ff. 105 Vgl. Kucera/Faustini, Ein Weg, 29. 106 Vgl. Zeller, Völkerrechtliche Verankerung, 39 ff. Franz Matscher, Gedanken zur Absicherung des Pakets, Wien 1992 (unveröffentlichtes Gutachten). Kopie im Besitz des Verfassers. 107 Vgl. Roland Riz, Südtirols Weg in die Zukunft. Grundsatzerklärung, vorgelegt anlässlich der Pressekonferenz in Bozen. 3. 9. 1991, 7. 108 Vgl. „Abo Adige: ,Pacchetto‘ ,ambasciatore austria alla famesina‘“ in: ANSA, 22. 4. 1992. „Italiens Regierung sieht Südtirol-Autonomie als KSZE-Bezugspunkt für den Minderheitenschutz“, in: Alto Adige, 23. 4. 1992. 109 „SVP sagt klares Ja zu Paketabschluss“, in: Volksbote, 4. 6. 1992. 110 „Die Einheit des Landes bleibt Ziel der Tiroler Politik“, in: Salzburger Nachrichten, 5. 6. 1992. 111 „Ein halber Staatsakt für eine ganze Südtirollösung. Auch Haider-los führten die Freiheitlichen lautstarke Attacken“, in: Die Presse, 6. 6. 1992.
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des österreichischen Parlaments erstmals in seiner Geschichte alle im Südtiroler Landtag vertretenen Parteien, Neofaschisten ausgenommen, zu einer Anhörung nach Wien eingeladen.112 Am 11. Juni übergab Österreich der italienischen Regierung die Streitbeilegungserklärung.113 Am 19. Juni 1992 wurde der seit 1960 vor der UNO anhängige Streit zwischen Italien und Österreich als für beendet erklärt. Der italienische und der österreichische Botschafter übergaben dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Boutros Ghali, die formellen Briefe mit der Bitte, diese der Generalversammlung vorzulegen.114 Österreich und Italien teilten die Beilegung ihres Streites am 30. Juni 1992 auch der KSZE-Konferenz in Helsinki mit.115 In den Notifizierungsakten der beiden Länder an die UNO ist auch der Hinweis auf die italienische Note vom 22. April 1992 enthalten. Damit anerkannte Italien den internationalen Charakter des Südtirolpakets und die Justiziabilität vor dem Internationalen Gerichtshof. Die Paketmaßnahmen werden auch der EG in Brüssel zur Kenntnis gebracht. Österreich wird bei seinen Beitrittsverhandlungen mit der EG ebenfalls auf seine Schutzmachtfunktion über Südtirol hinweisen und von der EG die Anerkennung der ausgehandelten Minderheitenrechte verlangen. Dass auch Italien den internationalen Charakter des Südtirolpakets anerkennt, geht auch aus dem Umstand hervor, dass Italiens neuer Regierungschef nach den Parlamentswahlen vom 5./6. April 1992, Giuliano Amato, in seiner Regierungserklärung das Thema Südtirol nicht wie sonst immer üblich im innenpolitischen, sondern im außenpolitischen Teil behandelt hat.116 Österreich bleibt auch nach dem Paketabschluss internationale Schutzmacht für Südtirol.117 Als letzter Akt des Operationskalenders sieht Punkt 18 den allfälligen Abschluss eines österreichisch-italienischen Vertrags, betreffend die freundschaftliche Zusammenarbeit, vor.118 Nachdem die beiden Außenministerien bereits vor einigen Jahren erste Vertragsentwürfe ausgearbeitet hatten, war geplant, dass sich die jeweiligen Delegationen in der zweiten Septemberhälfte 1992 erstmals konkret mit diesem Vertrag auseinandersetzen.119 Zu jenem Zeitpunkt wollte Österreich sämtliche die Beziehungen beider Länder betreffende zwischenstaatliche Interessenfelder behandeln. Der Südtiroler Volkspartei wurde bei der Ausarbeitung dieses Nachbarschaftsvertrages ein Mitspracherecht eingeräumt, aber kein 112 „Beratungen zum Südtirol-Paket in Wien begonnen“, in: Tiroler Tageszeitung, 26. 5. 1992. „Die Einladung erfolgt im Geiste des neuen Europa“, in: Alto Adige, 30. 4. 1992. 113 Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten: Verbalnote, GZ 605.02.00/27–11–2/92, Wien, 11. 6. 1992. Vgl. auch „Der Südtirolstreit ist beendet“, in: Dolomiten, 12. 6. 1992. 114 „Südtirolstreit vor UNO ist beendet“, in: Dolomiten, 20./21. 6. 1992. 115 „Italien und Österreich unterrichten die KSZE“, in: Alto Adige, 1. 7. 1992. 116 „Werden die Verpflichtungen einhalten“, in: EXTRA, 1. 7. 1992. 117 „Schutzgarantie auch nach der Streitbeilegung“, in: Salzburger Nachrichten, 14. 5. 1992. 118 „Nachbarschafts-, nicht Freundschaftsvertrag“, in: Alto Adige, 20. 6. 1992. 119 „Grundfeste für Region Tirol“, in: Tiroler Tageszeitung, 20. 7. 1992.
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Vetorecht.120 Im Vertrag sollten unter anderem Fragen der Neudefinierung des Accordino behandelt werden, die Beseitigung der sogenannten „Schwarzen Listen“,121 die ehemalige Südtirolterroristen betreffen, Fragen der universitären Zusammenarbeit zwischen österreichischen und italienischen Universitäten, besonders zwischen Innsbruck und Padua,122 Eingang finden bis hin zur Institutionalisierung einer bilateralen Schlichtungskommission für Kontroversen um die Autonomie Südtirols.123 Nach der Vorstellung hoher politischer Exponenten könnte dieser Nachbarschaftsvertrag eine bevorzugte Zusammenarbeit zwischen Italien und Österreich einleiten, die ähnlich stabil sein könnte wie jene zwischen den beiden anderen ehemaligen „Erbfeinden“ Deutschland und Frankreich.124 Dazu kam es allerdings nicht. Wegen einer Reihe von Meinungsunterschieden bei den Verhandlungen wurde der Abschluss des Freundschaftsvertrages vertagt. Zentrale Punkte unterschiedlicher Auffassung waren die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips regionaler Befugnisse sowie der ausdrückliche Hinweis auf die internationale Verankerung des Südtirol-Pakets.125 Einen Monat nach 120 „SVP berät über Freundschaftsvertrag“, in: Dolomiten, 16. 6. 1992. „Im Nachbarschaftsvertrag sollte berücksichtigt werden.“ Schreiben der Südtiroler Volkspartei an das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Bozen, 13. 7. 1992. „Das kleine Schlupfloch zur Erfüllung des Pakets“ und „Zugverbindungen rund um die Uhr“, in: Alto Adige, 3. 9. 1992; der Vertragsentwurf ist abgedruckt, in: Dolomiten, 20. 10. 1992. Etwas anderslautend: Esempio di convivenza, sowie Un futuro di rispetto e amicizia, in: il mattino dell’Alto Adige, 30. 9. 1992; „Man muss von Treu und Glauben ausgehen“, in: Die Presse, 4. 2. 1993. 121 „Schwarze Listen müssen verschwinden, sonst keine Beilegung des Südtirolkonflikts“, in: Tiroler Tageszeitung, 23. 5. 1992. Unter „Schwarzen Listen“ versteht Italien „personae non gratae“, die entweder laut Anweisung des italienischen Innenministeriums beim Grenzübertritt verhaftet oder abgewiesen werden sollen, vgl. Österreich zu Schwarzen Listen, in: Dolomiten, 29. 1. 1993. Für Südtirol und Nordtirol, aber auch für die meisten österreichischen Kommentatoren war der Staatsbesuch Scalfaros in Wien nur deshalb etwas enttäuschend, weil die „Schwarzen Listen“, die ehemalige „Südtirol-Terroristen“ betreffen, nur zum Teil beseitigt wurden, diese nicht rehabilitiert und mit den italienischen Brigaden verglichen wurden; lediglich die internationalen Haftbefehle wurden aufgehoben. 122 Durnwalder im Försterhaus, in: il mattino dell’ Alto Adige, EXTRA, 14. 8. 1992, I. 123 Auch die Gleichstellung italienischer Hochschüler aus Südtirol in Österreich könnte in diesem Vertrag geregelt werden. Dadurch würden diese mit den deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolern, die auf einigen Verwaltungsgebieten, besonders auf universitärer Ebene, den Inländern gleichgestellt sind, gleichziehen. Vgl. BGBl. vom 14. 2. 1979. „LR Ferretti urgiert bei Min. Mock Gleichstellung der italienischen Hochschüler“, Landespressemitteilung, Bozen 9. 7. 1992. 124 „Deutsch-französischer Vertrag als Vorbild für Österreich und Italien“, in: Dolomiten, 15. 7. 1992. Nach Abschluss des Pakets sollen auch die Beziehungen zwischen Österreich und Südtirol auf eine qualitativ höhere Ebene gehoben werden. Vgl. „Denkschrift zum Stand der Verhandlungen über den Abschluss des Südtirol-Pakets und zur zukünftigen Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen Österreich und Südtirol. Überreicht vom Südtiroler Landeshauptmann Dr. Luis Durnwalder dem österreichischen Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky“, Bozen/Wien, 29. 1. 1991. 125 Vgl. Bernhard Küppers, Wien und Rom auf Freundschaftskurs, in: Süddeutsche Zeitung, 27. 1. 1993. Italiens Staatspräsident Scalfaro in Österreich erwartet, in: APA, 26. 1. 1993; Staatsbesuch Präsident Scalfaro in Wien, in: Neue Zürcher Zeitung, 29. 1. 1993.
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Scalfaros Besuch in Wien bezeichneten hohe politische Akteure Österreichs den Nachbarschaftsvertrag als nicht aktuell.126
III. Tausche schnittiges Auto gegen Alpenmilch Die wirtschaftlichen Beziehungen127 zwischen Italien und Österreich spielen sich vor dem Hintergrund der großen politischen Umwälzungen als Folge des Wegfalls der Ost-West-Spannungen sowie im Hinblick auf die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes ab 1993 ab. Trotz vieler historischer Gemeinsamkeiten sind beide Länder von den internationalen Rahmenbedingungen, aber auch von ihrer Größe her in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlich angelegt. So ist Italien Mitglied der sieben großen Industrienationen, Österreich gehört zu den kleinen. Italien ist Mitglied der EG, Österreich der EFTA.128 Dieser Umstand führte dazu, dass sich die wirtschaftlichen Wege der beiden Nachbarn und jeweiligen Gründungsmitglieder von EWG und EFTA, einmal in den jeweiligen Wirtschaftsblöcken integriert, zu trennen begannen.129 Dieses wirtschaftliche Auseinanderdriften machte sich besonders in der Agrarpolitik bemerkbar. Erst mit den Freihandelsverträgen im Jahre 1972/73 zwischen EG und EFTA kam es wieder zu einer allmählichen Rückführung der beiden Handelsströme in Richtung Nord-Süd.130 Italien mit knapp 58 Millionen Einwohnern weist nach Berechnungen aus dem Jahr 1989 ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 482 Milliarden US-$ auf, was 6 % des BIP aller 24 OECD-Länder entspricht. Zu jenem Zeitpunkt lag Italien auf Rang 5 und gehörte somit zu den sieben großen Industrieländern, die im „Club of G7“ vereint sind. Als Vergleich dazu beträgt das BIP Österreichs real knapp 73 Milliarden US-$, was einem OECD-Anteil von 126 „Nachbarschaftsvertrag nicht aktuell“, in: Dolomiten, 9. 3. 1993; „Debatte über Nachbarschaftsvertrag“, in: Dolomiten, 10. 3. 1993. Enttäuscht zeigte sich die Südtiroler Volkspartei vom Staatsbesuch vor allem deshalb, weil die „Schwarzen Listen“ nicht beseitigt wurden; „Scalfaro: nessuna grazia ai terroristi dell’Alto Adige“, in: Avvenire, 29. 1. 1993. 127 Dieses Kapitel fasst im Wesentlichen die Beiträge von Fritz Breuss, Carlo Secchi und Peter Weiss zusammen, veröffentlicht in: Morass/Pallaver, Österreich – Italien, vgl. auch Günther Pallaver, Das Gras des Nachbarn. Italien – Österreich vor dem Staatsbesuch: Die Aufrechnung in der Geschichte ist längst durch die Abrechnung in der Wirtschaft ersetzt, in: FF-Südtiroler Illustrierte 4/93, 40–43. Der wirtschaftliche Einbruch Italiens im September 1992 und die darauffolgende politische Krise – Stichwort „tangentopoli“ –, das Ausscheren aus dem Europäischen Währungssystem (EWS), die Abwertung der Lira vom September 1992 bis März 1993 im Verhältnis zum US-Dollar 30 % – und der dadurch geänderte Wirtschaftsaustausch zwischen Österreich und Italien konnten hier nicht mehr berücksichtigt werden. 128 Vgl. Fried Esterbauer/Reinhold Hinterhuber (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft und Österreich (Veröffentlichungen der österreichischen Sektion des CIFE, Band 2), Wien 1977. 129 Vgl. Wilhelm Weber, Ökonomische Probleme eines Vertrages zwischen Österreich und EWG (Schriftenreihe, Heft 9), Wien 1966. 130 Vgl. Breuss, Italien und Österreich, 184; vgl. auch die Chronologie in diesem Band.
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0,9 % entspricht. Österreich gehört damit zum Kreis der 17 kleinen Industrieländer, wo es mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern Rang 14 einnimmt.131 Was das Wohlstandsniveau betrifft, so liegt dieses in Österreich nach Daten von 1989 höher als in Italien. Das Einkommensniveau pro Kopf liegt in Italien mit 8.377 US-$ unter dem EGDurchschnitt von 8.776 US-$, in Österreich mit 9.256 US-$ über dem EG-Durchschnitt.132 In Bezug auf die fünf makrowirtschaftlichen Ziele – Wirtschaftswachstum, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, binnenwirtschaftliches Gleichgewicht, Inflationsrate und Arbeitslosenrate – schneidet Österreich besser als Italien ab. Die drastischen Einsparungsmaßnahmen der Regierung Giuliano Amato vom Juli 1992 weisen darauf hin, dass gerade im Bereich der Staatsverschuldung Italien nach einer leichten Entspannung nach 1986 wieder verstärkt mit diesen Problemen konfrontiert ist. Die Bruttoverschuldung Italiens macht nach den letzten Berechnungen 104 % des BIP aus,133 in Österreich laut OECD-Bericht von 1990 55,5 %. In der Zwischenzeit ist Italien vom anerkannten amerikanischen Wirtschaftsinstitut „Moody’s“ von der Gruppe der AA1-Länder in die Gruppe der AA3-Länder herabgesetzt worden, also in die C-Liga. Österreich befindet sich hingegen in der ersten AAA-Gruppe. Ende Februar 1993 hat Moody’s angekündigt, dass Italien weiter deklassiert werden könnte.134 Von einer gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aus betrachtet verlief die Konjunktur beider Länder vor 1973 weniger synchron als nachher.135 Damals kam es erstmals nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu einer schweren Rezession. Den Erdölpreisschock hat Italien dabei schwerer verkraftet als Österreich.136 Seit Beginn der 70er-Jahre hat sich auch die Wirtschaftsstruktur vom Primär- über den Sekundär- hin zum Tertiärsektor entwickelt. Sowohl in Italien als auch in Österreich hat der Dienstleistungssektor am BIP signifikant zugenommen. In Österreich von 48 % im Jahre 1973 auf 58 % im Jahre 1986, in Italien von 52 % auf 61 %. Im Gegensatz dazu ist eine Verringerung der beiden anderen Sektoren zu verzeichnen. Der Anteil der Wertschöpfung des Sekundärsektors sank in Italien von 40,5 % auf 34,5 % des BIP, in Österreich von 46 % auf 38,5 %, der Primärsektor seinerseits von 7,5 % auf 4,5 % des BIP in Italien und von 6 % auf 3,5 % in Österreich.137 Noch ein Vergleich: In der „Global 1000“-Rangliste der 1000 größten Firmen der Welt weist Italien 15 Multis auf,138 während Österreich darin gar nicht vertreten ist. Was hingegen 131 Ebd., 185. 132 Ebd. 133 „Un debito senza freni“, in: Corriere della Sera, 30.7. 1992. Nach anderen Berechnungen erreicht das Defizit fast 120 % des BIP. Vgl. „haha vittima di Maastricht“, in: Corriere della Sera, 29. 7. 1992. 134 Rocco Cotroneo, Doccia fredda sull’azienda Italia, in: Corriere della Sera, 14. 8. 1992. Vgl. „Rom wehrt Moody’s Bewertung ab“, in: Süddeutsche Zeitung, 1. 3. 1993. „Moody’s si difende: ,Metodo corretto‘“ in: Corriere della Sera, 2. 3. 1993. Die Ankündigung hatte die harsche Kritik von Italiens Staatspräsident Scalfaro hervorgerufen. 135 Vgl. Franco Tagliarini, I rapporti economici italo-austriaci, in: Il Veltro, 5–6 (1977), 795–807. 136 Vgl. Breuss, Italien und Österreich, 182. 137 Ebd., 195. 138 Vgl. „Italien“. Internationale Sonderbeilage, in: Die Presse, 5. 5. 1992.
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die Weltmarktanteile der beiden Nachbarn betrifft, so hat Italien am Markt der 24 OECDLänder einen Anteil von rund 5 %, während Österreich auf knapp ein Prozent kommt. Italien nimmt am Weltmarkt mit 4,5 % teil; Österreich mit 1,1 %, das waren 1986 der 6. bzw. der 21. Rang der Welthandelsträger.139 Obgleich die allgemeine Warenstruktur der Exporte beider Länder sehr ähnlich ist, ist Österreich in seinem Außenhandel zu drei Viertel auf OECD-Europa konzentriert, während Italien dies nur zu zwei Drittel ist. Interessanterweise betreibt Österreich als Nicht-EGMitglied mit der Zwölfergemeinschaft mehr Handel als das EG-Mitglied Italien. Italiens Handelsradius ist dagegen umfassender.140 Dennoch ist der Internationalisierungsgrad beider Länder unterdurchschnittlich. Mit Blickrichtung Europäischer Binnenmarkt hat aber in beiden Ländern in dieser Hinsicht ein Umdenkungsprozess eingesetzt. Unterschiede lassen sich auch in der Wirtschaftspolitik feststellen. Während in Österreich die Tradition der Sozialpartnerschaft herrscht, wurden in Italien die sozialen und wirtschaftlichen Konflikte offener und heftiger ausgetragen. Dazu herrscht in den jeweiligen Ländern eine andere Gewerkschaftsstruktur und Gewerkschaftskultur.141 Was nun die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen betrifft, so gelten diese – abgesehen vom Transitproblem, das von der Wirtschaft als Störfaktor betrachtet wird – als ungetrübt. Vorauszuschicken ist allerdings, dass Italien für Österreich keinen einheitlichen Markt darstellt. Neben einem „geografischen“ tritt ein historisch bedingtes, soziales und ökonomisches Nord-Süd-Gefälle hinzu. Die Marktverhältnisse sind in Italien daher regional sehr unterschiedlich, wobei die wichtigsten Umschlagplätze und Verteilungsstrukturen nördlich des Apennin gelegen sind. Unter diesen Rahmenbedingungen ist für Österreich der norditalienische Teilmarkt der interessanteste.142 Etwa 70 % der österreichischen Exporte gehen in den norditalienischen Raum.143 Umgekehrt sieht sich die italienische Wirtschaft in Österreich mit einem solch ökonomischen Nord-Süd- bzw. Ost-West-Gefälle nicht konfrontiert. Diese Wirtschaftsbeziehungen, in ihrer Reichweite geografisch reduziert, werden durch politische Initiativen wie etwa die „Zentraleuropäische Initiative“ sowie durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Anrainerregionen in der ARGE ALP und in der ALPEN ADRIA noch unterstrichen.144
139 Vgl. Breuss, Italien – Österreich, 201. 140 Ebd., 202. 141 Vgl. Sergio Turone, Storia del sindacato in Italia dal 1943 ad oggi, Roma/Bari 1988. Umberto Romagnoli/ Tiziano Treu, I sindacati in Italia dal ’45 ad oggi. Storia di una strategia, Bologna 21981. 142 Vgl. Peter Weiss, Italien. Nachbarmarkt im Süden – Chancen und Probleme, in: Morass/Pallaver, Österreich – Italien, 223. 143 Vgl. Leonardo Pellissetti, La nuova economia europea, in: Alto Adige, 21. 9. 1991. 144 Vgl. Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (Hrsg.), Nachbarn im Herzen Europas. 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, München 1992; Weiss, Italien, 228.
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Betrachtet man den Außenhandel, so erweist sich Italien für Österreich als der zweitwichtigste Handelspartner nach Deutschland.145 Als Folge der EG-Diskriminierung lag lange Zeit die Schweiz an zweiter Stelle in den Handelsbeziehungen Österreichs, was sich mit dem Freihandelsabkommen zwischen EG und EFTA im Jahre 1972 (ratifiziert 1973) zugunsten Italiens geändert hat. Der große Industriestaat Italien ist für den kleinen Industriestaat Österreich weit wichtiger als umgekehrt. Österreichs Handelsverkehr mit Italien beträgt gut 10 %, umgekehrt beträgt das italienische Außenhandelsvolumen etwa 2 %. Legt man den Anteil österreichischer Exporte an den italienischen Gesamtimporten als Maß zugrunde, so lassen sich seit 1960 drei unterschiedliche Phasen feststellen, die auch die Zäsur des Freihandelsabkommens von 1973 sichtbar machen. In der ersten Phase von 1959 bis 1975 verringerte sich diese Anteilquote von 4,4 % im Jahre 1959 auf 1,56 % im Jahre 1975. In der zweiten Phase von 1975 bis 1985 steigerte sich diese Quote leicht auf 1,8 %, um sich in der dritten Phase ab 1986 von 2,1 % auf 2,28 % im Jahre 1990 zu erhöhen. Umgekehrt ist eine analoge Tendenz festzustellen, wenn man den italienischen Anteil an den gesamten österreichischen Importen betrachtet. Lediglich in der ersten Phase scheint die Negativphase etwas geringer ausgefallen zu sein. Denn die entsprechende Quote ist von 7,86 % im Jahre 1959 auf lediglich 7,06 % im Jahre 1974 gesunken. Aber bereits im Jahr darauf ist dieser Anteil auf 8,07 % gestiegen. 1990 erreichte der italienische Anteil an den österreichischen Importen 9,05 %.146 Gemessen an der Entwicklung der Handels- und Leistungsbilanz hat sich die Handelsposition Österreichs im abgelaufenen Jahrzehnt wesentlich verbessert. Der Höhepunkt der bilateralen Handelsbilanz wurde 1983 mit einem Defizit von 6,4 Milliarden Schilling erreicht, wobei diese im Jahr 1990 bereits fast wieder ausgeglichen war.147 In der Leistungsbilanz, Dienstleistungen mitinbegriffen, erreichte Österreich gegenüber Italien sogar einen Überschuss.148 Der Hauptanteil des Handelsaustausches zwischen den beiden Ländern liegt im Bereich gewerblicher Güter. Dieser lag im Zeitraum 1989/1990 bei etwa 68–70 % der Exporte Österreichs nach Italien, Lebensmittel erzielten einen Prozentsatz von 7,2 und Rohprodukte mit Ausnahme von Treibstoffen und Brennmaterialien im Durchschnitt 23 %. Die italienischen Exporte nach Österreich betrugen im Bereich der Industriegüter, verglichen am gesamten Handelsverkehr, im Mittelwert der Jahre 1989–90 an die 90 %. Die Quote der Lebensmittel lag bei 5,6 %, jene der nicht brennbaren Rohstoffe bei 2,1 %.149 145 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1991, Wien 1992, 620. 146 Vgl. Secchi, Der österreichische Markt, 234. 147 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1990, Wien 1991, 580. 148 Vgl. Breuss, Italien und Österreich, 204. 149 Vgl. Secchi, Der österreichische Markt, 234.
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Italien ist der wichtigste Absatzmarkt Österreichs für Agrarprodukte (Rinder-, Rindfleisch, Milch) sowie für Holz. Der Anteil der industriellen Fertigwarenexporte nach Italien liegt bei 69 %. Umgekehrt liegt der Hauptanteil der italienischen Exporte nach Österreich bei Fertigwaren, besonders was Maschinen und Verkehrsmittel (Pkw) betrifft. Die ungleiche Handelsstruktur führt mit sich, dass Österreich bei Agrarwaren und besonders bei Rohstoffen mit Italien Handelsüberschüsse erwirtschaftet, die dann zum Ausgleich für die Defizite im Fertigwarenhandel dienen.150 Der bilaterale Reiseverkehr hat in den letzten Jahren eine Trendumkehr erfahren. Der Übernachtungsanteil italienischer Gäste nimmt in Österreich im Vergleich zu den Gesamtausländerübernachtungen zu und erreichte zuletzt 3 %. Der Anteil der Österreicher an den Ausländernächtigungen in Italien ist hingegen rückläufig und liegt bereits unter 7 %. Der italienische Gast spielt besonders im Städtetourismus eine immer gewichtigere Rolle, während umgekehrt die klassische Reise an die Adria als Folge der italienischen Preispolitik, aber auch der Umweltverschmutzung rückläufig ist.151 Was die Direktinvestitionen betrifft, so investieren österreichische Firmen direkt in ihrem Nachbarland Italien nur sehr wenig, 1987/88 waren dies lediglich etwa 2,25 % der gesamten Auslandsinvestitionen, wovon der Hauptanteil, nämlich vier Fünftel, die Industrie betraf, der Rest den nichtindustriellen Sektor. Umgekehrt betrug der Anteil der Direktinvestitionen von Firmen aus Italien in Österreich, gemessen an den Inlandsdirektinvestitionen, 1985 rund 1,75 %. Der Großteil wurde auch hier, nämlich zwei Drittel, im Sektor Industrie investiert, der Rest im nichtindustriellen Bereich.152 Erst seit einigen Jahren, besonders aber seit der Stimulierung durch die bevorstehende Verwirklichung des EG-Binnenmarktes sowie die baldige Aufnahme Österreichs in den Kreis der EG-Länder, haben sich Unternehmen aus Österreich und Italien intensiver um ihre Internationalisierung gekümmert, wenngleich erst erste Ansätze hierzu zu verzeichnen sind, wie die Daten über die Auslandsdirektinvestitionen zeigen. Die Internationalisierung beschränkte sich bislang vielfach auf den direkten Export oder die damit verbundene Niederlassung im jeweiligen Nachbarland zu Vertriebszwecken.153 Was Niederlassungen italienischer Unternehmen in Österreich zu Produktionszwecken betrifft, so erzeugten 1992 zehn Unternehmen mit italienischer Beteiligung in der Alpenrepublik. Im Dienstleistungssektor sind italienische Unternehmen besonders im Versicherungs- und Bankwesen vertreten.154
150 Vgl. Breuss, Italien und Österreich, 204 f. 151 Ebd., 207. 152 Ebd., 207 f. 153 Vgl. Ruggero Cominotti/Sergio Mariotti (Hrsg.), Italia multinazionale 1990. L’integrazione internazionale e le prospettive del mercato unico. III Rapporto R&P al CNEL, hrsg. vom Consiglio Nazionale dell’Economia edel Lavoro, Milano 1991. 154 Vgl. Secchi, Der österreichische Markt, 238–239.
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Unter den Handelspartnern Italiens liegt Deutschland an erster, Frankreich an der zweiten, die Schweiz an der sechsten und Österreich an der neunten Stelle. Stützpunkte der Wirtschaft Österreichs im Nachbarland Italien sind die drei Außenhandelsstellen der Bundeswirtschaftskammer in Rom, Mailand und Triest. Die Investitionen Österreichs liegen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie etwa der Schweiz oder Schweden, immer noch sehr niedrig, haben in den letzten Jahren aber etwas zugenommen. Zurzeit gibt es etwa 120 Niederlassungen oder Beteiligungen österreichischer Unternehmen in Italien.155 Das Phänomen strategischer Allianzen im Bankensektor hängt einerseits mit der Tendenz einer stärkeren Internationalisierung der Wirtschaft in beiden Ländern zusammen, andererseits von der Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes mit der Liberalisierung der Transferflüsse.156 Unter diesen Prämissen sieht sich das Bankwesen veranlasst, auf Grund der Bedürfnisse der Kunden immer flexibler und qualitativ höher stehend zu wirken. Die Zusammenarbeit der Banken hat den Vorteil, die Konkurrenz zu verkleinern und besser zu kontrollieren, die Risken zu verteilen, über bessere und schnellere Informationen zu verfügen und dadurch schneller auf dem Markt agieren zu können. Kooperationen werden dabei den Fusionen vorgezogen, wie dies seit den 80er-Jahren von den amerikanischen Banken vorexerziert wird. Italienische Beteiligungen an österreichischen Banken liegen allerdings bereits schon länger zurück. So kontrolliert etwa das Istituto Bancario San Paolo von Turin, eine Gründung aus dem Jahr 1563, die San Paolo Bank AG. Das Istituto Bancario San Paolo mit etwa 100 Filialen im Ausland liegt derzeit weltweit an 30. Stelle und hat schon früh den Banken den Weg in die Zukunft gezeigt.157 Weiters ist die Banca di Trento e Bolzano mit einem Minderheitenanteil an der SAVE Rössler AG Beteiligungen beteiligt, der Banco di Sicilia im Centro Internationale Handelsbank AG, die Cariplo an der Z-Bank/Zentralsparkasse und Kommerzialbank. Einige andere Banken besitzen in Österreich Repräsentanzen.158 Umgekehrt sind derzeit sieben österreichische Banken in Italien, zum Teil mit mehreren Standorten durch Repräsentanzen vertreten.159 Vor allem die österreichische Creditanstalt, aber auch die Hypobank, die Sparkasse und die Volksbanken unterhalten teils Repräsentanzen, teils bereits Schalterdienste in Italien.160 Die Schwäche der Lira nach den italienischen Parlamentswahlen im April 1992, das sogar besser als in der Schweiz geschützte 155 Vgl. Weiss, Italien, 229. 156 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.), Dritter Bericht der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament über die Durchführung des Weißbuches der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes, Brüssel 1988. 157 Vgl. Pellissetti, La nuova economia europea. 158 Vgl. Secchi, Der österreichische Markt, 238 f. 159 Vgl. Weiss, Italien, 229. 160 Vgl. „La Volksbanken di Vienna ha messo un piede in Veneto“, in: L’Arena, 11. 7. 1992.
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Bankgeheimnis in Österreich hat laut Schätzungen zu einem enormen Kapitalabfluss aus ganz Norditalien nach Österreich geführt.161 Dies wiederum hat den schweren Vorwurf der italienischen Antimafiakommission hervorgerufen, in Österreich würden systematisch Mafiagelder reingewaschen.162 Eine Besonderheit der österreichisch-italienischen Wirtschaftsbeziehungen stellt das sogenannte „Accordino“ dar. Es wurde am 12. Mai 1949 in Ausführung des Gruber-De Gasperi-Abkommens von 1946 zwischen Österreich und Italien über die Regelung des erleichterten Warenaustausches zwischen den österreichischen Bundesländern Tirol und Vorarlberg und der italienischen Region Trentino-Südtirol abgeschlossen.163 Durch dieses Abkommen wurde für die begünstigten Regionen ein präferenzieller Warenverkehr eingerichtet. Daneben wurde ebenfalls 1949 ein bilaterales Handelsabkommen zwischen Österreich und Italien abgeschlossen, welches das 1946 abgeschlossene „Accordone“, ein reines Kompensationsabkommen, ersetzte. Dieses bilaterale Handelsabkommen wurde erst 1989 einvernehmlich aufgehoben. Das regionale Präferenzabkommen für den lokalen Austausch gewisser Mengen von charakteristischen Produkten erfolgt über zwei Warenlisten. Die Waren der Liste „A“ sind kontingentiert, unterliegen aber keinen Ein- und Ausfuhrbeschränkungen. Sie sind bei der Ausfuhr von allen Gebühren und Abgaben befreit, nicht aber bei der Einfuhr, wo sie von sämtlichen Grenzgebühren erfasst werden. Der Vorteil liegt in der dezentralen Verwaltung, da es dazu keine Bewilligungen der Ministerialbehörden in Rom oder Wien bedarf. Die Waren der Liste „B“ sind zusätzlich von Zollabgaben befreit. Die Abänderung, Ergänzung und wirtschaftliche Anpassung der Warenlisten nimmt eine paritätisch zusammengesetzte „Gemischte Kommission“ vor. Der Accordino-Handel ist im Vergleich zum gesamten zwischenstaatlichen Außenhandel der Nachbarn Italien und Österreich sehr gering und betrug 1989 an die 0,6 % desselben.164 1977 kam es zu einer völligen Umstrukturierung des Accordino-Handels von gewerblichindustriellen Erzeugnissen auf landwirtschaftliche Produkte. Nach dem offiziellen Antrag Österreichs im Jahre 1989, als Vollmitglied in die EG aufgenommen zu werden, versucht die Gemischte Kommission das Accordino zu dynamisieren165 und in ein Instrument grenzüberschreitender Kooperation auszudehnen.166 In der Zwischenzeit ist die Gleichstellung der 161 „Mein Vaterland heißt Schilling“, in: FF – Südtiroler Illustrierte, 30 (1992), 20–23. 162 Benedikt Sauer, „Banken in Österreich waschen systematisch Mafiagelder rein“, in: Alto Adige, 18. 8. 1992. 163 Vgl. Waldemar Hummer, La cooperazione economica nelle tone di confine, in: Andrea de Guttry/Natalino Ronzitti (Hrsg.), I rapporti di vicinato tra Italia e Austria (Pubblicazioni della Facoltà di Giurisprudenza della Università di Pisa, Band 101), Milano 1987, 111–167. 164 Zur letzten aufliegenden Bilanz zwischen 1. 10. 1990 und 30. 9. 1991 vgl. Handels-, Industrie-, Handwerksund Landwirtschaftskammer Bozen (Hrsg.), Sonderabkommen zwischen Trentino – Südtirol und Tirol/Vorarlberg. Ausfuhr und Einfuhr. Zusammenfassung des XLII. Vertragsjahres, Bozen o. J. (1992). 165 Vgl. „So überlebt das Accordino in der EG“, in: Tiroler Tageszeitung, 30. 11. 1990. 166 Vgl. Zeno Giacomuzzi, Aktueller Stand und Zukunftsperspektiven des Accordino. Vorgelegt anlässlich der
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Arbeitnehmer in den zitierten vier Ländern als eine erste Maßnahme dieser Dynamisierung bereits in die Praxis umgesetzt worden.167 Der europäische Binnenmarkt setzt eine Reihe von Harmonisierungsmaßnahmen um, die im Wesentlichen die Beseitigung der Grenzkontrollen, der Warenformalitäten, die Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit, die technische Harmonisierung und Vereinheitlichung von Normen, die Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens, die Dienstleistungen, die Liberalisierung des Kapitalverkehrs, die Schaffung gegenseitiger Bedingungen für die industrielle Zusammenarbeit und die Beseitigung von Steuergrenzen betreffen. 168 Mit der Verwirklichung des EG-Binnenmarktes entsteht ein Markt von über 320 Millionen Konsumenten. Die wirtschaftliche Zweiteilung Westeuropas in EG und EFTA-Länder ist durch den „Europäischen Wirtschaftsraum“ (EWR) bereits relativiert worden.169 Als weiterer Schritt ist eine Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) mit einheitlicher Geldpolitik und Eurowährung vorgesehen. Im Zuge der Regierungskonferenzen zur Politischen Union wurde dazu im Dezember 1991 in Maastricht der Grundstein gelegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Österreich bis etwa 1995 Mitglied der EG sein wird, nachdem es im Juli 1989 den Antrag auf Vollmitgliedschaft gestellt hat170 und am 1. Februar 1993 in Verhandlungen mit der EG eingetreten ist,171 wird dann die Dichotomie EG–EFTA zwischen den beiden Nachbarn Italien und Österreich gänzlich beseitigen, sodass anzunehmen ist, dass die Handelsbeziehungen der beiden Länder noch verstärkt werden. Eine zusätzliche Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen beider Länder zeichnet sich nach der Beseitigung des Eisernen Vorhangs und Öffnung der osteuropäischen Märkte ab. Darauf weisen auch die wirtschaftlichen Projekte im Rahmen der „Zentraleuropäischen Initiative“ hin.172
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Gemeinsamen Sitzung der Landtage der Bundesländer Tirol und Vorarlberg, Südtirols und des Trentino am 21. Mai 1991 in Meran, 2. Vgl. „Beschluss betreffend die Freizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit“. Beschluss des Tiroler und Südtiroler Landtages anlässlich ihrer gemeinsamen Sitzung in Bozen am 14. 11. 1989. Ebenso „Europamodell: Arbeitgeber aus Südtirol und dem Trentino gelten in Tirol nicht mehr als Ausländer“, in: Tiroler Tageszeitung, 21. 5. 1991. Vgl. Paolo Cecchini, Europa 92. Der Vorteil des Binnenmarktes, Baden-Baden 1988. Vgl. Wolfgang Böhm, Die „reiche“ EFTA und die „arme“ EG. EWR als soziale Herausforderung Brüssels, in: Die Presse, 11.6. 1991. Vgl. Außenpolitischer Bericht 1989, Wien 1990, 185 ff. Zur Frage Österreich und die EG vgl. u. a. Waldemar Hummer/Michael Schweitzer, Österreich und die EWG. Neutralitätsrechtliche Beurteilung der Möglichkeiten der Dynamisierung des Verhältnisses zur EWG, Wien 1987; Andreas Lernhart, Neutralität und Mitgliedschaft. Eine Orientierungshilfe, Wien 1989; Hans-Henning Scharsach, Europa ohne Sachertorte? Österreich und die EG, Graz/Wien/Köln 1989. Vgl. „Startschuss zu Österreichs Gang nach Brüssel. Historische Phase für EG und Beitrittswerber beginnt“, in: Die Presse, 1. 2. 1993. Vgl. Gianni De Michelis, Regionale Zusammenarbeit in Europa. Die Mitteleuropäische Initiative, in: Morass/Pallaver, Österreich – Italien, 24.
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IV. Transit – Der kleine Störfaktor Auf dem Mailänder Gipfel der EG-Verkehrsminister im Jahre 1985 und ein Jahr später in Brüssel beschloss die Gemeinschaft einen freien Verkehrsmarkt ohne quantitative Beschränkungen. Um dies zu erreichen, sollte eine Reihe von Harmonisierungen im Verkehrswesen durchgeführt werden.173 Die EG-Kommission hat im Frühjahr 1992 den Mitgliedsstaaten vorgeschlagen, das Autobahnnetz in den kommenden zehn Jahren um zusätzliche 12.000 Kilometer auszubauen, wobei sie die Kosten für die Erweiterung des derzeit 37.000 Kilometer umfassenden Autobahnnetzes auf 120 Milliarden ECU schätzt. Zugleich schlug die Kommission den Ausbau der Wasser- und Schienenwege sowie des kombinierten Verkehrs Straße-Schiene vor. Dadurch sollen die infrastrukturellen Voraussetzungen für die bis zum Ende des Jahrzehnts erwartete Zunahme des Verkehrsaufkommens um 30 % geschaffen werden.174 Schon seit Jahren wächst in den Industrieländern der Verkehr schneller als das Bruttosozialprodukt. In dieser Zeit war die Steigerungsrate des Transportaufkommens fast doppelt so groß.175 Die Task-Force-Studie rechnet bis zum Jahr 2000 bei einem jährlichen Wachstumsschub von vier bis sechs Prozent für die europäische Wirtschaft mit Steigerungen des Binnenverkehrs in den Ländern um mindestens 20 % und des grenzüberschreitenden Güterverkehrs um 40 %. Weitere Prognosen für das Jahr 2010 sprechen von Steigerungen in diesem Sektor bis zu 77 %. Die Verträge über die Ausdehnung des EG-Binnenmarktes auf die Länder der EFTAFreihandelszone (Schweden, Norwegen, Österreich, Schweiz, Island und Finnland) zur Bildung eines großen europäischen Wirtschaftsraumes sowie die West-Bindung der ehemaligen COMECON-Länder werden zu einem zusätzlichen Verkehrsaufkommen führen. Die EGExpertengruppe „Transport 2000 Plus“ sagt weiters eine enorme Steigerung des Individualverkehrs in Westeuropa bis zum Jahr 2010 um 70 % voraus.176 Im Rahmen dieser gesamteuropäischen Verkehrsentwicklung haben sich in den letzten Jahren auch die Transitbeziehungen der beiden Nachbarstaaten Italien und Österreich bewegt. Die Konsultationen in Fragen Verkehr haben von der Intensität und Aktualität her betrachtet letzthin mit den Südtirolverhandlungen gleichgezogen. Spätestens seit die Inntal-Autobahnbrücke bei Kufstein im Jahr 1990 zusammengesackt ist, hat der Bereich Verkehr eine neue Aktualität erhalten. Die Brennerblockade durch italienische Transportunternehmer im Zuge restriktiver Maßnahmen für den Schwerlastverkehr durch Österreich – Stichwort Nachtfahrverbot177 und Zuweisung von Passierscheinen hat 173 Vgl. Spiegel Spezial 1 (1992): Verkehrslawine überrollt Lebensziele, 52. 174 „Ruf nach noch mehr Autobahnen“, in: Frankfurter Rundschau, 12. 6. 1992. 175 Vgl. Spiegel Spezial (1992), 1, 62. 176 Ebd., 63. 177 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1990, Wien 1991, 143.
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diesen sensiblen Bereich von der bilateralen Ebene Rom-Wien auf die europäische in Brüssel gehoben. Österreich hatte gegenüber der EG bereits zu Beginn der 80er-Jahre auf die Dringlichkeit einer dauerhaften Lösung des Alpentransits hingewiesen. Dabei leisteten allerdings die Tiroler Bürgerinitiativen, die im „Transitforum Tirol“ zusammengeschlossen sind, Grundlagenarbeit für ein politisches Umdenken in Sachen Transitverkehr.178 Betonte die EG gemäß ihren Zielvorstellungen zunächst die völlige Liberalisierung des Verkehrs, so gab es schon 1988 warnende Stimmen des Europäischen Parlaments an die Kommission und den Rat der Europäischen Gemeinschaft, die Straße durch die Schiene sowie den Alpentransit zu entlasten. Österreich begann mit der EG im April 1989 zu verhandeln, bis auch diese den Grundsatz anerkannte, den Transitverkehr mittel- und langfristig von der Straße auf die Schiene zu verlagern, um dadurch den berechtigten Forderungen der transitgeplagten Bevölkerung Rechnung zu tragen. Die Verhandlungen Österreichs mit der EG über die Transitproblematik führten nach heftigen Polemiken im Dezember 1991 zur Paraphierung des „Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über den Güterverkehr im Transit auf der Schiene und auf der Straße“. Dieser Vertrag sieht eine Reihe von Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung des Transitverkehrs vor. So soll während der Vertragsdauer von 12 Jahren eine Reduzierung der Schadstoffemissionen auf 40 % der Ausgangswerte und langfristig eine Schwerpunktverlagerung des Transitverkehrs von der Straße auf die Schiene erreicht werden, wobei der Verkehrszuwachs zur Gänze auf die Schiene verlagert werden soll. Ein Ökopunktesystem kombiniert quantitative und qualitative Elemente und macht die Zahl der zulässigen Lkw-Transitfahrten von den CO2-Emissionen der verwendeten Fahrzeuge abhängig. Das Gewichtslimit von 38 Tonnen bleibt erhalten.179 Im Rahmen dieses Transitvertrages, der auch die für den Transitverkehr relevanten Schienenverkehrsachsen festlegt und neben einer Modernisierung die Kapazitätsverbesserung des Eisenbahnnetzes festsetzt, bewegen sich auch die verschiedenen Projekte auf dem Verkehrssektor zwischen Österreich und Italien. In diesem Abschnitt kann nicht im Einzelnen auf die Transitproblematik der Nord-SüdAchse zwischen Überrollen oder Überleben eingegangen werden.180 Vielmehr soll dargelegt 178 Vgl. Bürgerinitiative Vomp, Aus der Sicht einer Bürgerinitiative, in: Rudolf Erhard/Branimir Soucek (Hrsg.), Transit zwischen Überrollen und Überleben. Verkehr und Umwelt im Alpenraum, Thaur 1989, 131–141. Vgl. auch „Tiroler Transiterklärung“ hrsg. vom Komitee Vomp zur Rettung des Lebensraumes Tirol, Innsbruck, 6. 11. 1990; vgl. auch Hubert Sickinger/Richard Hussl, Transit-Saga. Bürgerwiderstand am „Auspuff Europas“, Thaur/Wien/München 1993. 179 Zum Transitvertrag vgl. Außenpolitischer Bericht 1991, Wien 1992, 194–198. Ebenso „Accordi di transito con i due difficili partner alpini“; in: Il Sole 24 Ore, 11. 5. 1992, vgl. hierzu auch den Beitrag von Mederer in diesem Band. 180 Vgl. Rudolf Erhard/Branimir Soucek, wie Anm. 171. Helmut Koch/Hans Lindenbaum (Hrsg.), Überrolltes
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werden, welche wesentlichen gemeinsamen Projekte die beiden Anrainerstaaten Italien und Österreich zu verwirklichen trachten. Nach Protesten dies- und jenseits des Brenners hatten bereits im August 1989 die drei Landeshauptleute von Südtirol, Salzburg und Tirol in Hollersbach bei Salzburg eine Transiterklärung abgegeben.181 Darin wird auf die enorme Steigerung des Personen- und Gütertransits verwiesen, insbesondere darauf, dass knapp 40 % des gesamten Güterverkehrs auf dem Landweg zwischen Italien und Nordeuropa über Österreich, vor allem über den Brenner, abgewickelt werden.182 Die Belastung des Brennerübergangs von rund 6,5 Millionen Tonnen im Jahr 1970 ist in der Zwischenzeit auf etwa 20,7 Millionen Tonnen im Jahre 1987, also um rund 220 %, angestiegen. Den Zuwachs hat fast zur Gänze die Straße übernommen. Umgekehrt hat der Gütertransit durch Österreich auf der Bahn von 70 % im Jahr 1971 auf 30 % im Jahr 1987 abgenommen. Die drei Landeshauptleute183 forderten im Einklang mit den Beschlüssen der jeweiligen Landtage sowohl die nationalen Regierungen als auch die EG auf, im Alpentransit geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das Problem in den Griff zu bekommen.184 Dieselben Forderungen wurden 1989 von der ARGE ALP erhoben und 1992 anlässlich der Feier zum 20-jährigen Bestand der Ländergemeinschaft bei einer Sitzung in St. Ulrich (Südtirol) nochmals bekräftigt. Dabei spricht sich die ARGE ALP für die Verlagerung der Transporte auf die Schiene und sowohl für die Brennerbahnlinie als auch für die NEAT (Neue Eisenbahn-Alpentransversale) aus. Der einst favorisierte Splügen wurde stillschweigend fallen gelassen. Gewarnt wurde hingegen vor den Großprojekten der Verkehrskorridore Triest – Budapest und vor der Transversale Ulm – Mailand.185 Mit dieser Grundsatzerklärung befindet sich die ARGE ALP 20 Jahre nach ihrer Konstituierung auf entgegengesetzten Positionen zu ihren Gründungsvätern, die im Verkehr einen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt sahen und deshalb alle internationalen Straßenverbindungen über den Alpenhauptkamm befürworteten.186 Österreich. Zukunft unter dem Transitverkehr (Aufrisse-Buch 17), Wien 1991. Universität Innsbruck/Forum Umweltschutz, Sektion Innsbruck (Hrsg.), 2. Umwelttag an der Universität Innsbruck 1988. „Umwelt und Verkehr“ (Veröffentlichungen der Universität Innsbruck 166), Innsbruck 1988; vgl. hierzu auch den Beitrag von Mederer in diesem Band. 181 Transiterklärung, Hollersbach, 14. August 1989. 182 Ebd., 2. 183 Luis Durnwalder für Südtirol, Hans Katschthaler für Salzburg und Alois Partl für Tirol. 184 Transiterklärung, Hollersbach, 7. 185 „Erfreuliche Zusammenarbeit der Alpenländer“, in: Neue Zürcher Zeitung, 20. 5. 1992. Zum Projekt Ulm – Mailand vgl. Josef Bertsch, Transitwiderstand in Tirol, in: Koch/Lindenbaum (Hrsg.), Überrolltes Österreich, 169. Zur NEAT vgl. Ernst Widmer, Neue Eisenbahn-Alpentransversalen (NEAT), in: Die Grünen im Bundestag/Grün-Alternative ARGE ALP (Hrsg.), Transitraum Alpen. Internationale alternative Tagung zum Alpentransitverkehr. 23.–25. Oktober 1987 Lindau/Bodensee. Dokumentation, Bonn/Innsbruck 1988, 68–70. 186 Vgl. Hubert Senn, Die Entstehung der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, in: Arbeitsgemeinschaft Alpenlän-
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Am 3. Juni 1991 unterzeichneten Italien und Österreich die „Vereinbarung über die grenzüberschreitende Beförderung von Gütern“,187 in der festgelegt ist, dass man den Güterverkehr so zu gestalten habe, dass für die Lebensqualität der Bevölkerung und für die Umwelt in den betroffenen Gebieten Österreichs und Italiens der größtmögliche Schutz gewährleistet wird und dass durch den Straßengüterverkehr hervorgerufene Belastungen quantitativ und qualitativ so schnell als möglich abgebaut werden. Italien und Österreich, teils in Zusammenarbeit mit Deutschland, werden sich wie bereits in den vergangenen auch in den nächsten Jahren mit der Bewältigung der Transitproblematik beschäftigen und dabei eine Reihe von Projekten in Angriff nehmen. Österreich und Italien sind durch eine Reihe von alpenquerenden Verkehrsstrecken verbunden und verbinden dadurch die hoch industrialisierten Gebiete zwischen Deutschland und Norditalien, ohne dass deren Bedeutung für den Transitverkehr vordergründig ersichtlich ist. Es sind dies Füssen-Fernpass – Imst – Landeck – Reschen – Meran; Ulm – Kempten – Füssen – Reutte – Imst – Innsbruck – Brenner – Bozen; Scharnitz – Seefeld – Innsbruck – Brenner – Verona; München – Kufstein – Kitzbühel – Pass Thurn – Mittersill – Felbertauern – Lienz – Plöckenpass – Udine; Lundenburg – Wien – Villach – Tarvis.188 Die Hauptverkehrsader zwischen Nord- und Süd bildet dabei die Brennerpassroute. Wie auch vertraglich zwischen Italien und Österreich, aber auch zwischen der EG und Österreich abgesichert, soll der Straßengüterverkehr auf dieser Strecke in den nächsten Jahren Schritt für Schritt auf die Schiene verlagert werden. Das größte Projekt dazu stellt der Ausbau der Eisenbahnachse München – Verona mit dem Bau des Brennerbasistunnels dar. An einem solchen Projekt haben in Österreich schon 1980 Arbeiten begonnen.189 Aber erst 1985 wurde im Auftrag der Transportminister Italiens, Österreichs und Deutschlands einem eigens dafür eingesetzten internationalen Konsortium die Machbarkeitsstudie eines neuen Brennerübergangs anvertraut, der als funktioneller Abschnitt der neuen Linie München – Verona aufgefasst und durch die Verdoppelung der bestehenden Linie, die 1867 in Betrieb genommen wurde,190 realisiert werden soll.191 Diese Studie wurde 1989 von den drei Transportministern genehmigt. Nach weiteren Vorstudien über die Verkehrsprognosen für das Jahr 2010, die auch den politischen Entwicklungen in Osteuropa Rechnung tragen und nach einer Analyse des wirtschaftlichen Risikos der (Hrsg.), Nachbarn im Herzen Europas. 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, München 1992, 9 ff. 187 Vertragstext, Venedig, 3. 6. 1991. 188 Vgl. Karl Rudelstorfer, Österreichische Verkehrspolitik im Vorfeld der Europäischen Integration und die Auswirkungen auf den Transitverkehr, in: Erhard/Soucek, Transit, 63–64. 189 W. M. Braun, Arge Verspätung auf der Brenner-Strecke, in: Österreichische Bauwirtschaft (1992), 3, 11. 190 Vgl. Ettore Defranceschi, Linea ferroviaria a doppio binario Verona – Brennero, in: Quarry and Construction (Hrsg.), Potenziamento linea a doppio binario Verona – Brennero, o. O. 1991, 88. 191 Vgl. Südtiroler Landesregierung (Hrsg.), Ausbau Eisenbahnachse München – Verona. Informationsbericht, Bozen 1992.
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in Zusammenhang mit der Finanzierung des Projekts haben die drei Transportminister im September 1991 die drei Eisenbahngesellschaften aus Italien, Österreich und Deutschland beauftragt, weitere Untersuchungen über die Nord- und Südrampe zum Brennerbasistunnel durchzuführen sowie eine Betriebssimulation der Achse München – Verona und die Festlegung eines Gesamtkonzepts für die Sicherheit angeordnet.192 Die drei Eisenbahnverwaltungen haben sodann das internationale Brennerkonsortium beauftragt, diese Studien zu koordinieren, die Ende 1992 hätten abgeschlossen sein sollen, um im ersten Quartal 1993 die gesamte Dokumentation den Ministerien vorzulegen.193 Der geplante Brennerbasistunnel soll sich demnach auf einer Länge von etwa 55 Kilometern von Innsbruck nach Franzensfeste erstrecken.194 Gleich wie die Achsen von Modena, Chiasso und Tarvisio ist auch die Brennerachse im Bereich München – Verona Teil eines bedeutend größeren Zusammenhangs für die Verkehrspolitik der EG, zumal diese Verbindung nach wie vor Europas wichtigste Nord-SüdPassage bleibt. Diese neue Eisenbahntransversale des Brenners ist auch vom vereinten Tiroler und Südtiroler Landtag mit Beschluss vom März 1988 sowie von den Regierungschefs der ARGE ALP mit Beschluss vom Juni 1988 gefordert worden.195 In der Zwischenzeit haben sich die Regierungschefs von Bayern, Tirol, Südtirol, Trentino und Verona mit den Wirtschaftskammern ihrer Länder und Provinzen zu einer Aktionsgemeinschaft als politische Ergänzung zur Expertenrunde des internationalen Brennerkonsortiums zusammengeschlossen.196 Die Vertreter der „Handelskammern an der Brennerachse“ haben in ihrem Memorandum vom Oktober 1991 erneut die Realisierung der Hochleistungsbahn München – Verona gefordert. Die geplante Hochgeschwindigkeitsbahn mit 250 km/h zielt laut Studie darauf ab, der neuen Linie die Funktion einer Ergänzung des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes einzuräumen. Im Herbst 1992 war zu all diesen Themen ein weiteres Treffen der drei Verkehrsminister aus Italien, Österreich und Deutschland geplant.197 Derzeit wird die alte Brennerlinie zwischen Verona und Brenner modernisiert,198 um die Anzahl von derzeit knapp 100 Zügen auf 200 pro Tag steigern zu können.199 Die Techniker 192 Ebd., 4. 193 Ebd., 5. 194 Braun, Arge Verspätung, 11. 195 Südtiroler Landesregierung, Ausbau Eisenbahnachse, 8. Vgl. auch Diskussion über Brennereisenbahntunnel, in: Das Land Südtirol. Monatszeitschrift der Südtiroler Landesverwaltung (1992), 4, 7–8. 196 Vgl. „Offener Brief“ von Landtagsabgeordnetem Sepp Kußtatscher an die Landeshauptleute Luis Durnwalder und Alois Partl, „Aktionsgemeinschaft Brennerbahn – ein Wirtschaftsunternehmen?“, Bozen, 25. 10. 1991, 1. 197 „Brennerbahn: Im Herbst wieder ein Treffen der Verkehrsminister“, in: Dolomiten, 7. 7. 1992. 198 „Ferrovia del Brennero. Si quadruplica la linea“, in: l’Adige, 11. 7. 1992. 199 Ente Ferrovic dello Stato, Comunicato stampa, 11. 7. 1992.
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der Projektstudie zum Brennerbasistunnel haben sich als Vorgabe 400 Züge pro Tag gegeben, wovon 80 % als Güter- und 20 % als Personenverkehrszüge eingeplant sind.200 Zu diesen Plänen gibt es eine Reihe begründeter Kritikpunkte, wie etwa die Frage geologischer Voraussetzungen, der Umweltverträglichkeit, der Durchführung der immensen Arbeiten, des Investitionsrisikos und letztlich der Sinnhaftigkeit, zumal laut einer Studie der Handelskammer von Tirol fast 40 % des Güterverkehrs am Brenner Umwegverkehr sowie 20–25 % Kreisverkehr ist.201 Letztlich meinen die Kritiker, dass eine Hochgeschwindigkeitsbahn nicht zielführend, weil nicht durchführbar und auch nicht garantiert sei, dass durch den Brennerbasistunnel tatsächlich Verkehr von der Straße abgezogen werde.202 Seit den politischen Umwälzungen in den osteuropäischen Ländern ist für Italien mehr noch als für Österreich eine verkehrsmäßige Erschließung des nordöstlichen Raumes vordringlich geworden. Pläne für die Ausdehnung der Verkehrsadern mit Österreich in dieser Region hatte es seit den 50er-Jahren in der Region Friaul-Julisch Venetien gegeben203 und dies auch im Hinblick auf eine Reaktivierung des Hafens von Triest.204 Neben dem Übergang von Tarvis nach Villach wurden damals bereits Pläne für eine Verbindung von Tolmezzo über Toblach nach Lienz bis zum Felbertauerntunnel ausgearbeitet. Nachdem das Projekt Alemagna-Autobahn vom österreichischen Zillertal über das Südtiroler Ahrntal südwärts in Richtung Cortina bis Venedig205 fallen gelassen wurde, gibt es heute dazu wieder verschiedene Varianten, um das Projekt doch noch zu realisieren,206 wie etwa die PassThurn-Plöcken-Route. Diese sollte durch den Bezirk Kitzbühel über den Pass Thurn und den Felbertauern nach Osttirol führen. Das eigentliche Hindernis stellt dabei der Plöckenpass dar.207 Nach langjährigen Vorgesprächen begannen dann 1988 offizielle Vertragsverhandlungen zwischen Italien und Österreich im Hinblick auf den Bau eines Plöckenstraßentun200 Sepp Kußtatscher/Siegfried Meßner, Offene Fragen und Einwände an die Promotoren der neuen BrennerEisenbahn, Villanders/Teis, März 1992, 3. 201 Vgl. Helmut Lamprecht, Wie kam es zum geballten Transit?, in: Erhard/Soucek, Transit, 25 ff. 202 „Brennertunnel: Jahrhundertpleite?“, in: Tiroler Tageszeitung (Wochenmagazin), 4. 7. 1992. Maria Rosa Vittadini, Una crescita insostenibile della dotnanda, Conferenza stampa del Gruppo Verde, Verona 20. 11. 1989. 203 Antonio Martini, La viabilità tra il Friuli – Venezia Giulia e l’Austria, in: Il Veltro (1977), 5–6, 809 ff. 204 Zum Hafen Triest vgl. Accordo per l’utilizzo del Porto di Trieste con scambio di note (Trieste, 4 ottobre 1985), in: Guttry-Ronzitti, I rapporti di vicinato, 398–401. Das Abkommen integriert jenes aus dem Jahr 1955, ebd., 334; vgl. auch „Alpe Adria. Porto Trieste; spazi operativi per l’Austria“, in: ANSA, 12. 1. 1993. 205 Vgl. Bertsch, Transitwiderstand, 169. 206 „Neue Transitroute durch Osttirol?“, in: Kurier, 29. 7. 1992; „Protestaktion von Naturschützern“, in: Tiroler Tageszeitung, 22./23. 8. 1992. Vgl. das umfangreiche Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der ANAS vom 12. 3. 1992. Darin kommt klar zum Ausdruck, dass am Alemagna-Projekt festgehalten wird. Der Durchstich eines Tunnels im Südtiroler Ahrntal nach Österreich ist ab 1995 geplant, vgl. Azienda Nazionale Autonoma delle Strade (A.N.A.S.). Consiglio di Amministrazione. Adunanza del 12. 3. 1992. Argomento: Autostrada di Alemagna. Progetto di fattibilità del tratto Pian di Vedoia – Confine di Stato. 207 Vgl. Bertsch, Transitwiderstand, S, 170.
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nels.208 Obgleich immer wieder dementiert, werden von Süden her kommend immer wieder Teilstücke in Form einer Schnellstraße ausgebaut.209 Wiederholt wird auch die immer wieder dementierte, aber dennoch im Gesamtplan des italienischen Verkehrsministeriums seit 1975 als Europastraße eingetragene auszubauende Pustertaler Straße genannt, die durch Ost- und Südtirol führt und als Südverbindung der Achse Budapest – Brennerautobahn gilt.210 Italiens geschäftsführende Regierung legte noch kurz vor ihrer Ablöse im Juni 1992 ein Dringlichkeitsprogramm für ihr nordöstliches Gebiet vor. Mit der Ausarbeitung dieses Programms wurde das „Comitato interministeriale per la programmazione economica nel trasporto“ beauftragt. Deutlich wird dabei von der Chance der Ostmärkte gesprochen. Der „Adriatische Plan“, der von der Zentraleuropäischen Initiative mitgetragen wird, sieht unter anderem eine als Korridor bezeichnete Verbindung Triest – Laibach – Budapest – Kiew vor.211 Die Verkehrsproblematik zeigt bereits an diesen wenigen Beispielen, dass Österreich als Brücke zwischen Nord und Ost eine neue verkehrspolitische Rolle übernommen hat. Die Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Nachbarstaaten auf höchster politischer Ebene sind deutlich verstärkt worden durch die Kooperation auf regionaler Ebene, wo die Verkehrsfragen im alpenquerenden Bereich eine immer zentralere Rolle einnehmen, was mit der Planung und Realisierung des Brennerbasistunnels in Zukunft noch akzentuiert werden wird. Italiens Außenminister Gianni De Michelis hat noch im Frühjahr 1992 bei seinem Besuch in Wien die Meinung vertreten, Österreich werde sich nach einem EG-Beitritt auch in den Verkehrsfragen den Zielvorstellungen der Europäischen Gemeinschaft anpassen müssen.
V. Nachbarschaft im Unterholz Unter der Ebene der Beziehungen auf Staats- und Regierungsebene haben sich die grenzüberschreitenden Kontakte zwischen Italien und Österreich in Form konzentrischer Kreise entwickelt, die einerseits auf ein historisches Erbe zurückgreifen, sich andererseits als Folge neuer ökonomischer, aber auch umweltorientierter Bedürfnisse und Notwendigkeiten entwickelt haben. 208 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1988, Wien 1989, 539. 209 Alessandro Comin, L’Anas „riscopre“ la Venezia – Monaco, in: Il Gazzettino di Venezia, 9. 8. 1992. Derzeit arbeitet man an der Strecke Vittorio Veneto – Pian. Vgl. zu all dem Le strade sbagliate. Piano decennale 1987/96 della viabilità di grande comunicazione. Classificazione della rete varia ex D. M. 20/7/87 n. 2474. Quadro riassuntivo per regione degli interventi previsti. Convegno Nazionale Verdi, Roma, 22/23 marzo 1991. 210 „Pahl zu Pustertaler Staatsstraße“, in: ANSA, 13.7. 1992. 211 „Mappa per il Nord-Est: ecco tutte le strategie“, in: Il Piccolo, 24. 6. 1992. „Progetto Adriatico“, in: Il Piccolo, 24. 6. 1992.
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So fremd es auch klingen mag, so stand am Anfang dieser grenzüberschreitenden Beziehungen das sogenannte „Accordino“. Als Abkommen zwischen Österreich und Italien im Mai 1949 in Ausführung des De Gasperi-Gruber-Abkommens von 1946 geschlossen, sieht dieses die Regelung des erleichterten Warenaustausches zwischen den österreichischen Bundesländern Tirol und Vorarlberg und der italienischen Region Trentino-Südtirol vor.212 Dieses Sonderabkommen hat in den vergangenen Jahren nicht nur eine wirtschaftliche Funktion ausgeübt, sondern gilt als weiterer autonomiepolitischer Pfeiler für Südtirols Selbstverwaltung. Zugleich erfüllt das Accordino eine politische Brückenfunktion zwischen den beiden Ländern, die bis 1918 in der Grafschaft Tirol vereint waren. Die italienisch-österreichische Gemischte Kommission, die als ständiges Vertragsorgan eingerichtet wurde, wirkte neben den routinemäßigen Begegnungen besonders in den 60erJahren, als die Beziehungen zwischen Österreich und Italien wegen des Südtirolterrorismus äußerst angespannt waren, als institutionalisierte Stätte der Begegnung. Die Arbeit der Gemischten Kommission kann somit auch als „vertrauensbildende Maßnahme“ im weiteren Sinn bezeichnet werden. Diese schmale Brücke des Accordino ist heute durch das „Europäische Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften“ von 1981 zu einem politischen und institutionellen Programm erhoben worden, das auch von Österreich und Italien ratifiziert wurde (1982). Als weiterführende Initiative dieses Programms kann auch das Regionalgesetz der Region Trentino-Südtirol aus dem Jahr 1988 betrachtet werden, das „Initiativen zur Förderung der europäischen Integration“ vorsieht.213 Darin wird auch auf das Accordino Bezug genommen, wenn von interregionaler grenzüberschreitender Zusammenarbeit und von Vorschlägen und Initiativen zum Ausbau des Vorzugsabkommens zwischen der Region Trentino-Südtirol und den Bundesländern Tirol und Vorarlberg gesprochen wird. Durch die Institutionalisierung der italienisch-österreichischen Gemischten Kommission sind im Accordino sowohl zentrale als auch regionale Dienststellen und Interessenvertreter zusammengeführt. Durch die De-facto-Unkündbarkeit des Accordino214 ist außerdem sichergestellt, dass dieses Abkommen jederzeit den geänderten Bedingungen angepasst werden kann. Diese inhaltliche Entwicklung des Accordino über den reinen Warenverkehr hinaus war durch ein entsprechendes Übereinkommen der damaligen Außenminister Giulio Andreotti und Alois Mock 1987 in Klagenfurt möglich geworden.215 Dies war unter anderem eine 212 Vgl. das Kapitel Wirtschaft in diesem Beitrag. 213 Vgl. Amtsblatt der Region Trentino-Südtirol vom 17. Mai 1988, Nr. 22, 1853 f. 214 Vgl. Abkommen vorn 12. Mai 1949 zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der italienischen Regierung über die Regelung des erleichterten Warenaustausches zwischen den österreichischen Bundesländern Tirol und Vorarlberg und der italienischen Region Trentino – Tiroler Etschland, Art. 7, Abs. 2., in: Autonome Region Trentino – Südtirol, 40 Jahre „Accordino“, 50. 215 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1987, Wien 1988, 479.
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Folge der in Österreich 1986/87 begonnenen EG-Beitrittsdebatte, zumal das Accordino als Abkommen über einen präferenziellen Warenverkehr mit einem Beitritt Österreichs zur EG obsolet wurde. Als Programm zur Dynamisierung des Accordino wurde bei der Gemeinsamen Sitzung der Landtage der Bundesländer Tirol und Vorarlberg, Südtirols und des Trentino am 21. Mai 1991 in Meran ein Programm vorgelegt,216 das unter anderem folgende Punkte enthält: Bergungs-, Rettungs- und Ambulanzflüge über die Grenze; Einrichtung von Tagesrandverbindungen zwischen den begünstigten Regionen; Filialgründungen von Banken über die Grenze; reziproke Gleichstellung von Arbeitnehmern; Berufsausbildung und Gewerberecht; Freizügigkeit, freier Dienstleistungsverkehr und Niederlassungsfreiheit; Erleichterung bei der Aus- und Einfuhr von Kulturgütern zu Ausstellungszwecken; Sichtflugkorridor durch das Pustertal; engere Zusammenarbeit auf Land- und forstwirtschaftlichem Gebiet, Grenzübertritt außerhalb offizieller Grenzübertrittsstellen; begünstigte Tarife im Fernsprechverkehr; Anerkennung der nichtuniversitären Studientitel und Berufsbilder, Übertragung lokaler Fernsehprogramme und Regionalverkehr. Einige dieser Punkte, wie etwa die Gleichstellung der Arbeitnehmer in den begünstigten Regionen217 oder das Abkommen über die Erleichterung von Ambulanzflügen in den Grenzregionen,218 sind bereits realisiert worden. Stand das Accordino sozusagen am Anfang der interregionalen Zusammenarbeit zwischen Italien und Österreich, so gab es zu Beginn der 50er-Jahre erste Kontakte zwischen italienischen und österreichischen Grenzregionen, die über die Klammer Südtirol hinausgingen und als Ausgangspunkt für die spätere Gründung der ARGE ALP und der ARGE ALPEN ADRIA betrachtet werden können. So begann 1952 die Zusammenarbeit zwischen den Ländern Friaul219 und Kärnten, die später auf Slowenien ausgedehnt wurde. Es folgten Verbindungen zwischen der Steiermark und Kroatien und Slowenien, um die wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen wieder zu aktivieren.220 Im Bereich der historischen Beziehungen zwischen Nord- und Südtirol fand 1970 die erste gemeinsame Landtagssitzung in Bozen statt, die bis heute einmal jährlich abwechselnd in Innsbruck und in Bozen verschiedene Probleme zur Diskussion stellt, über die, getrennt nach Landtagen, abgestimmt wird. In Erweiterung dieses Zweierlandtages traten am 21. Mai 1991 in Meran erstmals die Landtage der Bundesländer Tirol und Vorarlberg, des Trentino und Südtirols zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen, bei der unter anderem 216 Vgl. „Accordino: da strumento puramente economico a strumento politico di cooperazione transfrontaliera“, in: Consiglio provinciale. Prolinde Autonome di Trento. Cronache 63, maggio 1991, 13–15. 217 Vgl. „Die Österreicher kommen“, in: Alto Adige, 5. 7. 1991. 218 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1991, Wien 1992, 620. 219 Vgl. Associazione Italia – Austria (Hrsg.), Il ruolo del Friuli – Venezia – Giulia nei rapporti tra l’Italia e l’Austria, Roma 1986. 220 Vgl. Dietmar Görgmaier, Europa der Regionen: Zum Beispiel ARGE ALP. Probleme grenzüberschreitender Raumplanung in den Alpen, in: Politische Studien. Zweimonatsschrift für Zeitgeschehen und Politik, 28 (März–April 1977), 232, 137–138.
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eine Resolution über eine verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit verabschiedet wurde.221 All diese Kontakte unter den Nachbarregionen Österreichs und Italiens führten 1972 in Tirol zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (ARGE ALP) und als analoge Struktur dazu 1978 in Venedig zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft ALPEN ADRIA. Eine der Hauptantriebsfedern für die Gründung der ARGE ALP war der alpenquerende Verkehr, insbesondere die Verwirklichung der Autobahnachse Ulm – Mailand, um die beiden industriell hoch entwickelten Regionen Bayern und Lombardei zu verbinden. Damit verbunden hoffte Tirols Landeshauptmann Eduard Wallnöfer, der Initiator der ARGE ALP, die wirtschaftlichen Randgebiete in den Alpen zu fördern.222 Der Gründung der ARGE ALP waren denn auch 1971 Gespräche über Verkehrsprobleme zwischen Tirol und der Lombardei vorausgegangen.223 Die Gründungsmitglieder der ARGE ALP waren 1972 die österreichischen Bundesländer Tirol, Vorarlberg und Salzburg, die italienische Region Lombardei und die Autonome Provinz Bozen, der Freistaat Bayern und der Kanton Graubünden.224 Zwanzig Jahre nach der Gründung der ARGE ALP besteht diese Arbeitsgemeinschaft aus 11 Mitgliedern. 1973 kam die Provinz Trient dazu, 1982 bzw. 1988 die schweizerischen Kantone St. Gallen und Tessin, während das Land Baden-Württemberg seit 1989 als Beobachter mitwirkt.225 Als Zielvorgaben sieht die ARGE ALP heute die Erhaltung und Pflege der alpinen Landschaften unter den veränderten Bedingungen der Industriegesellschaft an, eine lebensfähige Land- und Forstwirtschaft in den Berggebieten, die Sicherung des kulturellen Erbes und die Förderung des zeitgenössischen kulturellen Schaffens, die Weiterentwicklung der Bildungsmöglichkeiten, die Verbesserung des Angebots an Arbeitsplätzen für die einheimische Bevölkerung, die Sicherung und Entwicklung der Alpen als europäische Erholungslandschaft unter Wahrung ihres ökologischen Gleichgewichts. Immer stärker sind in letzter Zeit die Fragen des Umweltschutzes und des Verkehrs in den Vordergrund gerückt.226 Besonders der Brennertransit und die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene standen letzthin im Mittelpunkt der Beratungen.
221 Resolution über eine verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Meran 21. 5. 1991. 222 Vgl. Hubert Senn, Die Entstehung der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, in: Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (Hrsg.), Nachbarn im Herzen Europas, 9. 223 Ebd. 224 Vgl. Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), Arge Alp – Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, München o. J. 4. 225 Vgl. Peter Krön, Die ARGE ALP heute. Modell, für Partnerschaft in Europa, in: Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (Hrsg.), Nachbarn im Herzen Europas, 20. 226 „ARGE-ALP-Konferenz in St. Ulrich: Umwelt und Verkehr standen im Zentrum“, in: Bündner Zeitung, 16. 5. 1992. Vgl. auch Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (Hrsg.), Gemeinsames Leitbild für die Entwicklung und Sicherung des Alpengebietes. Beschluss der Regierungschefs vom 19. Juni 1981 und Organisationsbeschluss vom 20. Juni 1968, Innsbruck o. J., 1–24.
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Diese finden vor allem bei der jährlichen Konferenz der Regierungschefs statt, die die gemeinsamen Anliegen und Zielsetzungen berät, die Arbeitsprogramme festlegt sowie Empfehlungen an die Mitgliedsländer und die Zentralregierungen verabschiedet.227 Derzeit sind fünf Kommissionen tätig: Verkehr; Umweltschutz, Raumordnung und Landwirtschaft; Kultur, Wissenschaft, Bildung und Sport; Gesundheitswesen, Sozial- und Familienpolitik; Wirtschaft. Als weitere Organe wirken der Leitungsausschuss der leitenden Beamten der Mitgliedsländer und die Geschäftsstelle, die beim Amt der Tiroler Landesregierung eingerichtet ist. Die ARGE ALP besitzt weder legislative noch exekutive Funktionen, sondern wirkt nur über Empfehlungen an die einzelnen Mitgliedsländer. Dies hat mitunter zu Zielkonflikten geführt, etwa im Verkehrswesen oder in der Frage der Atomenergie. Die wirtschaftliche Zweiteilung des Alpenraumes in EG und EFTA-Mitgliedsländer hat gezeigt, dass die Lösung der vielfältigen Probleme ohne großräumige Planung und eventuelle Neuordnung durch verbindliche Gesamt- und Regionalpläne bis hinunter zur kommunalen Ebene nur sehr schwer möglich ist.228 Dennoch hat die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bereich der Information, Konsultation, Absprache und in der Beschlussfassung grundsätzlicher Zielvorgaben einen wesentlichen Beitrag zur Annäherung und Kooperation der alpinen Elfergemeinschaft geführt.229 Die Raumordnungsminister der EG haben auf ihrer Tagung in Bari 1976 die ARGE ALP sogar als effektivstes Beispiel regionaler Zusammenarbeit in Europa bezeichnet.230 Unter diesen Vorzeichen hat die ARGE ALP die Beziehungen der beiden Länder Österreich und Italien wesentlich mitgeprägt. Auch die Arbeitsgemeinschaft der Länder und Regionen der Ostalpengebiete ALPEN ADRIA geht von ähnlichen Zielvorstellungen wie die ARGE ALP aus. 1978 in Venedig gegründet, gehörten der ALPEN ADRIA damals die Autonome Region Friaul-Julisch Venetien und die Region Venetien an, Kärnten, Oberösterreich und Steiermark sowie die Sozialistischen Republiken Kroatien und Slowenien. Bayern und Salzburg nahmen als aktive Beobachter teil. In der Zwischenzeit hat sich die ALPEN ADRIA auf die Region TrentinoSüdtirol und die Lombardei ausgeweitet sowie auf Györ-Sopron, Vas, Burgenland, Somogy und Zala, Baranya und Tessin.231 Die Zusammenarbeit in der ALPEN ADRIA entwickelte sich insofern schwieriger als in der ARGE ALP, als sich bei dieser grenzüberschreitenden Kooperation nicht nur verschie227 Ebd., 25–28. 228 Vgl. Willi Erlwein, Transnationale Kooperation im Alpenraum. Dargestellt am Beispiel der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (ARGE ALP). Eine politikwissenschaftliche Analyse der Instrumente und Möglichkeiten transnationaler Problembewältigung (Reihe Sozialwissenschaften 20), München 1981, 92–93. 229 Vgl. Karl Rainer, Zeit für neue Formen der Zusammenarbeit. Die ARGE ALP im sich ändernden Europa, in: Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (Hrsg.), Nachbarn im Herzen Europas, 30 ff. 230 Vgl. Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), ARGE ALP, 12. 231 Vgl. Evidenzstelle, Amt der Kärntner Landesregierung (Hrsg.), Zeittafel der ARGE ALPEN ADRIA 1978 bis Mai 1990, Info Nr. 11, Klagenfurt, Mai 1990.
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dene Wirtschaftsblöcke gegenüberstanden (EG, EFTA, COMECON), sondern auch verschiedene Gesellschaftssysteme. Besonders seit der politischen „Wende“ in den Jahren nach 1989 hat die grenzüberschreitende Zusammenarbeit innerhalb der ALPEN ADRIA neue Dimensionen erreicht, wie etwa die Behandlung der Flüchtlingsproblematik im Zuge des Kriegskonflikts auf dem Balkan. Wie die ARGE ALP sah und sieht die ALPEN ADRIA ihre grenzüberschreitende Arbeit in der gemeinsamen informativen und fachlichen Behandlung und Koordinierung von Fragen, die im Interesse der Mitglieder liegen. Darunter fallen insbesondere die transalpinen Verkehrsverbindungen, der Hafenverkehr, die Energiegewinnung und -übertragung, Landund Forstwirtschaft, Wasserwirtschaft, Fremdenverkehr, Umwelt- und Naturschutz, Landschaftspflege, Erhaltung der Kultur- und Erholungslandschaft, Raumordnung, Siedlungsentwicklung, kulturelle Beziehungen und Kontakte wissenschaftlicher Einrichtungen.232 Dazu finden regelmäßige Zusammenkünfte auf Regierungsebene statt. Solange die europäische Zweiteilung in Ost und West bestand, wurde auch die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens und des Verständnisses zur Förderung der Freundschaft unter den Völkern sowie der Zusammenarbeit betont. Dies erfolgte in Übereinstimmung mit den KSZE-Schlussakten von Helsinki.233 Wie bei der ARGE ALP gibt es auch bei der ALPEN ADRIA eine Vollversammlung der Regierungschefs, Kommissionen, Arbeits- und Projektgruppen. Es sind dies die Kommission für Raumordnung und Umweltschutz; Verkehr, Kultur, Jugend, Sport und Wissenschaft; Wirtschaft und Fremdenverkehr; Land- und Forstwirtschaft, Viehzucht und Bergwirtschaft; Gesundheit und Hygiene.234 Auch die ALPEN ADRIA beschäftigte sich in letzter Zeit immer intensiver mit Fragen der Bedrohung natürlicher Ressourcen, mit dem Transitverkehr und der Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene sowie mit der Herausforderung des europäischen Binnenmarktes. ARGE ALP und ALPEN ADRIA veranstalten periodisch Fachtagungen zu den verschiedenen Themen. Die drei Arbeitsgemeinschaften ARGE ALP, ALPEN ADRIA und COTRAO (Arbeitsgemeinschaft der Westalpen) haben 1988 in einer konstituierenden Sitzung in Sion ihre Zusammenarbeit beschlossen und dazu eine gemeinsame Erklärung abgegeben. Ziel dieser Zusammenarbeit ist es, den Meinungs- und Informationsaustausch unter den Mitgliedsländern zu fördern, die Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften zu koordinieren und verstärkt die betroffenen nationalen und internationalen Institutionen mit den gemeinsamen Anliegen und
232 Vgl. Evidenzstelle. Amt der Kärntner Landesregierung (Hrsg.), Arbeitsgemeinschaft Alpen Adria. Organisation, Verfahren, Evidenzstelle, Klagenfurt 1989, 10. 233 Vgl. Istituto per gli studi di politica internationale (Hrsg.), ALPE ADRIA. Una Regione Europea. Rapporto per il Decimo Anniversario della Comunita’di Lavoro ALPE ADRIA, Milano 1988. 234 Vgl. Evidenzstelle, Arbeitsgemeinschaft, 31.
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Forderungen zu befassen.235 Die Verabschiedung der sogenannten „Alpenschutzkonvention“ im Rahmen der CIPRA geht auf diese Zusammenarbeit zurück. Als Gegenpol zur ARGE ALP gründeten im März 1982 in Bozen Vertreter der Gewerkschaften aus 5 Alpenländern die „Arbeitsgemeinschaft der Gewerkschaften der Alpenländer“ (ARGE ALP der Gewerkschaften), da nach Auffassung der Arbeitnehmervertreter die ARGE ALP schwerpunktmäßig die Interessen der Wirtschaft und des Handels unterstützte, nicht aber die Forderungen der Arbeiterschaft.236 Aber auch die länderübergreifenden Auswirkungen der immer stärker anwesenden EG ließ es die Gewerkschaften als opportun erscheinen, neue Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln. Der europäische Binnenmarkt, die technologische Innovation und die Marktumbildungen werden als neue Herausforderungen betrachtet wie auch der Versuch der europäischen Unternehmer, eine Verschlechterung der Sozialrechte durchzusetzen. Spezifisch wird auf die Verminderung der Lebensqualität in den Alpenländern durch den enorm angestiegenen Straßengüterverkehr hingewiesen, der mit als Grund für die Gründung der ARGE ALP der Gewerkschaften bezeichnet wird. Im Gründungsdokument wird darauf hingewiesen, dass bei allen grenzüberschreitenden Problemen die Interessen und Forderungen der Arbeitnehmer künftig gebührend zu berücksichtigen seien. Der ARGE ALP der Gewerkschaften gehören als Mitglieder der DGB Bayern an, die CGIL-CISL-UIL der Lombardei, aus Südtirol und dem Trentino, der ÖGB von Tirol, Salzburg und Vorarlberg, der SGB Graubünden und der CNG Tessin.237 Bei den jeweiligen Vollversammlungen beschäftigte sich die ARGE ALP der Gewerkschaften unter anderem mit der Situation der Arbeitnehmer im Alpenraum, mit Problemen des Fremdenverkehrs, mit einer ökologisch sinnvollen Produktion, mit Wirtschaftsdemokratie, mit dem Europäischen Binnenmarkt und insbesondere mit Problemen des alpenüberschreitenden Verkehrs. Auch die „Arbeitsgemeinschaft demokratischer Sozialisten im Alpenraum“, die bald nach Konstituierung der ARGE ALP gegründet wurde – ihr gehören Vertreter aus Bayern, Kärnten, Tirol, Vorarlberg, Tessin, Baden-Württemberg, zeitweilig auch aus Südtirol an238 –, versteht sich als Korrektiv zur ARGE ALP. Insbesondere der Umstand, dass sich die ARGE ALP lediglich auf Regierungsebene trifft – sämtliche Regierungschefs der ARGE-ALPLänder sind Exponenten konservativer Parteien –, die jeweiligen Landesparlamente von den Entscheidungen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aber ausgeschlossen sind, hat die Sozialdemokraten in den Alpenländern dazu veranlasst, sich ebenfalls in einer Arbeitsgemeinschaft zu vereinen. Außerdem sollte durch verstärkte gemeinsame sozialdemokratische 235 Vgl. Evidenzstelle. Amt der Kärntner Landesregierung (Hrsg.), Arbeitsgemeinschaft ALPEN ADRIA. 1978–1988. Ein Arbeitsbericht, Millstatt 1988, 79. 236 Vgl. ARGE ALP der Gewerkschaften (Hrsg.), Zukunft gestalten. 8 Jahre ARGE ALP der Gewerkschaften, München 1989, 5. 237 Ebd., 15. 238 Vgl. Georg-von-Vollmar-Akademie (Hrsg.), Probleme der Berglandwirtschaft und die Strukturen im Alpenraum. 8.–12. 11. 1978 in Tramin/Südtirol, München o. J. [1979], 3 ff.
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Arbeit im Alpenraum den „wirtschaftlichen“ Lösungen der Probleme im Alpenraum eine Alternative entgegengehalten werden.239 Die Arbeitsgemeinschaft demokratischer Sozialisten im Alpenraum veranstaltet vorwiegend Seminare in Zusammenarbeit mit der Georg-von-Vollmar-Akademie in München. Thematisch wurden unter anderem Probleme der Berglandwirtschaft und der Strukturen im Alpenraum behandelt, Föderalismus und Regionalismus, arbeitnehmerorientierte Strukturpolitik, Ökonomie und Ökologie im Widerstreit am Beispiel Fremdenverkehr und vor allem Fragen des grenzüberschreitenden Verkehrs im Alpenraum.240 Die Zusammenarbeit der Sozialdemokraten erstreckte sich später auch auf ihre Jugendorganisationen. Seit Mitte der 80er-Jahre gibt es auch eine Grüne ARGE ALP241 sowie eine Arbeitsgemeinschaft der Christlich-demokratischen Frauen im Alpenraum.242 Grenzüberschreitende Umweltschutzpolitik, die Österreich und Italien auf der Ebene der Regionen und Länder zusammenführt, wird auch durch die „Internationale Alpenschutzkommission CIPRA“ betrieben, die 1952 aus der „Internationalen Union für die Erhaltung der Natur und der natürlichen Hilfsquellen“ (IUCN) heraus als eigenständige Organisation in St. Gallen gegründet wurde und die heute in Liechtenstein ihren Sitz hat. Die CIPRA ist ein Zusammenschluss von Organisationen und Institutionen, die sich in den Alpenländern mit Fragen des Natur- und Landschaftsschutzes, der Landschaftspflege und der Raumordnung beschäftigen. Der CIPRA gehören Organisationen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Jugoslawien,243 Liechtenstein, Österreich und der Schweiz an.244 All diese Kontakte haben die Zusammenarbeit unter den grenznahen Regionen Italiens und Österreichs gefördert und intensiviert und zu einem neuen Selbstverständnis der Regionen auch untereinander geführt. Dieses Selbstbewusstsein drückt sich auch in der Mitgliedschaft der inzwischen auf 38 angewachsenen stärksten europäischen Regionen in der Konferenz „Europa der Regionen“ aus, der auch die meisten österreichischen Länder und einige Regionen aus Italien angehören.245 Als institutionelle Ausdehnung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit folgte beim Besuch des italienischen Staatspräsidenten Scalfaro Ende Jänner 1993 die Un239 Ebd., 9. 240 Vgl. etwa Georg-von-Vollmar-Akademie (Hrsg.), Grenzüberschreitender Verkehr im Alpenraum. Fachtagung der Georg-von-Vollmar-Akademie vom 28. Februar bis 2. März 1986 in Kochl am See, München o. J. (1986). 241 „Grüne ,Arge Alp‘ tagte im Zillertal“, in: Vorarlberger Nachrichten, 22. 6. 1987. 242 Vgl. „Arge Alp zur Genforschung“, in: Tiroler Bauernzeitung, 13. 6. 1985. 243 Eine Neudefinition der Mitgliedschaft steht noch aus. 244 Vgl. Internationale Alpenschutz-Kommission (Hrsg.), Beschneiungsanlagen im Widerstreit der Interessen (Kleine Schriften 3/89), Vaduz 1989, 47. 245 Vgl. Michael Morass, Die Interessenvertretung regionaler Akteure im Dreiebenensystem der Europäischen Gemeinschaft: Problemaufriss nach „Maastricht“ am Beispiel der deutschen Länder, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 21 (1992), 3, 291 ff.
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terzeichnung eines Rahmenabkommens zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Durchführung des 1980 unterzeichneten „Madrider Abkommens“. Damit können grenznahe Körperschaften (auf italienischem Staatsgebiet beschränkt sich dies auf Körperschaften, die nicht weiter als 25 Kilometer von der Grenze entfernt sind) auf gewissen Gebieten enger zusammenarbeiten. Es geht neben den österreichischen Bundesländern Tirol und Kärnten um die italienischen Provinzen und Regionen Trentino-Südtirol, Friaul-Julisch Venetien und Veneto.246 Als letzte der grenzüberschreitenden Organisationen, in der Österreich und Italien eine zentrale Rolle spielen, ist hier die „Zentraleuropäische Initiative“ zu nennen, die noch bis vor Kurzem besser als „Pentagonale“ bekannt war. Gerade zum Zeitpunkt, als die Berliner Mauer fiel, trafen sich zum Wochenende vom 10./11. November 1989 die Außenminister und stellvertretenden Regierungschefs Österreichs, Ungarns, Jugoslawiens und Italiens in Budapest zu einer Konferenz, um die regionale Zusammenarbeit unter den vier Staaten zu verdichten. Bereits die Zugehörigkeit der vier Länder zu drei verschiedenen Wirtschaftsblöcken, EG, EFTA und COMECON wie auch zu verschiedenen Militärblöcken – NATO, Warschauer Pakt, blockfreies Land – wiesen darauf hin, dass diese Art der Kooperation in einer Phase der Auflösung des Ostblocks neue Akzente setzen sollte, die als „Ansatz für Mitteleuropa“ bezeichnet wurden.247 Nach den Worten des italienischen Außenministers Gianni De Michelis, einer der geistigen Väter dieser Idee, galt es, einem Mitteleuropa, dem durch die aufkeimenden Unruhen in den ehemaligen Ländern des Ostblocks der Boden unter den Füßen zu entgleiten drohte, eine Alternative für eine neue wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Zusammenarbeit anzubieten.248 Es ging um Stabilität, Integration, politisches Gleichgewicht, Zusammenarbeit in den Bereichen Industrie, Wissenschaft und Technik, Verkehr, Fernmeldewesen, Umweltschutz und Kultur. Es geht um die Konsolidierung von Grundstrukturen, um die Internationalisierung der Wirtschaft, um Dialog und um den Ausbau von kulturellen Beziehungen.249 Die Initiative arbeitet auf der Grundlage von konkreten Projekten. Als für Österreich und Italien besonders interessantes Projekt ist die Schaffung eines „Off-shore“-Finanzzentrums und eines Dienstleistungszentrums im Freihafen von Triest vorgesehen wie auch die Schaffung eines ausgedehnten Verkehrsnetzes zwischen Budapest und Triest. Hinzuweisen ist ferner auf die Initiative der ehemaligen Pentagonale zur Anerkennung nationaler Minderheiten und zur Fixierung bestimmter Mindeststandards kollektiver 246 Vgl. „Verärgerung in Bozen über Wien“, in: Dolomiten, 22. 1. 1993. Die SVP hatte die Unterzeichnung des Rahmenabkommens kritisiert, weil dadurch autonome Rechte beschnitten würden; „Grenzüberschreitend zusammenarbeiten“, in: Dolomiten, 27. 1. 1993. 247 Gianni De Michelis, Ein Ansatz für Mitteleuropa, in: Die Zeit, 10. 11. 1989, Nr. 46. 248 Vgl. Gianni De Michelis, Der Donauraum als Modell für eine Neuorientierung Mitteleuropas?, in: Der Standard, 6. 11. 1989. 249 Vgl. Gianni De Michelis, Regionale Zusammenarbeit, 24 f.
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Minderheitenrechte in Europa.250 In letzter Zeit ist die Flüchtlingsfrage verstärkt in den Vordergrund gerückt. Diese ursprüngliche Viererinitiative entstand zu einem Zeitpunkt, als Österreich an die EG offiziell sein Beitrittsgesuch stellte und dadurch seine Rolle als Brücke zwischen Ost und West neu überdenken musste. Italien wiederum hatte nach den Vorstellungen von Außenminister De Michelis eine historische Rolle in seinem nordöstlichen Raum zur Stabilisierung Zentraleuropas auszuüben. Außerdem sollte dadurch die Rolle Italiens in der EG aufgewertet werden. In der in Budapest verabschiedeten Deklaration, die als politische Arbeitsgrundlage gilt,251 wird auf Pragmatismus und Flexibilität, auf Komplementarität der in regionalen Gemeinschaften zusammengeschlossenen Organisationen innerhalb der Mitgliedsstaaten, wie etwa der ALPEN ADRIA, gesetzt, auf die Vertiefung des KSZE-Prozesses zur Förderung der Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten sowie auf die stärkere Einheit Gesamteuropas.252 Die zunächst als „Quadrangolare“ bezeichnete Vierergemeinschaft wurde nach Einleitung des Demokratisierungsprozesses in der Tschechoslowakei auf Betreiben Österreichs auf dieses Land ausgeweitet und somit zur „Pentagonale“ ausgedehnt. Später kam auch noch Polen hinzu. Weitere Anträge auf Mitgliedschaft sind von Rumänien und Bulgarien gekommen.253 Nach den politisch-militärischen Umwälzungen in Jugoslawien haben sich Slowenien und Kroatien als selbstständige Akteure in der jetzt als „Zentraleuropäische Initiative“ umgetauften Gemeinschaft präsentiert.254 Nach der Unabhängigkeitserklärung von Tschechien und der Slowakei haben diese beiden neuen Staaten die Nachfolge der aufgelösten Tschechoslowakei angetreten. Italien, das als Zugpferd dieser Initiative wirkt, sieht dieses Modell der Zusammenarbeit als Ausgangspunkt für weitere regionale Verflechtungen an den Schnittpunkten zwischen Ost und West, wie für den Balkan und für das Baltikum.255 Die Zentraleuropäische Initiative präsentiert sich damit als ein Mosaikstein in einer europäischen Architektur, deren Schlusspunkt eine erweiterte Europäische Gemeinschaft dar250 „Ein Vorschlag für modernes Volksgruppenrecht. In Kopenhagen tagen die KSZE-Staaten“, in: Salzburger Nachrichten, 5. 6. 1990. Vgl. auch den Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung (Hrsg.), Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Helsinki-Dokument 1992. Herausforderung des Wandels, in: Bulletin Nr. 82, Bonn, 23. 6. 1922, 783 ff. „Bekräftigter Wille zur Stärkung der KSZE-Werte“, in: Neue Zürcher Zeitung, 11. 7. 1992. 251 Vgl. Ernst Sucharipa, Die Pentagonale. Eine neue Form der regionalen Zusammenarbeit in Mitteleuropa, in: Europäische Rundschau 18 (1990), 3, 26. 252 Ebd., 27. 253 Vgl. Rudolf Stamm, Die Pentagonale als Beitrag zur Annäherung in Europa, in: Europäische Rundschau 19 (1991), 2, 2. 254 Vgl. De Michelis, Regionale Zusammenarbeit, 22 f. 255 Vgl. Sucharipa, Pentagonale, 28.
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stellen soll.256 Die beiden Nachbarstaaten Österreich und Italien spielen dabei eine politische Vorreiterrolle. Ohne all die jahrelang, Schritt für Schritt, erarbeiteten „vertrauensbildenden Maßnahmen“, die vor allem im „regionalen Unterholz“ stattgefunden haben und die letztlich zur endgültigen Überwindung der „Erbfeindschaft“ geführt haben, wäre ein Experiment wie die Zentraleuropäische Initiative nur schwer vorstellbar gewesen.
256 Ebd., 31.
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Wien drängt, Bern wartet ab Unterschiedliche Integrationskonzepte Österreichs und der Schweiz zwischen 1985 und 1989
Die Lancierung des Binnenmarktkonzepts am 14. Januar 1985 durch den neu gewählten EG-Kommissionspräsidenten Jacques Delors beendete eine mehr als zehnjährige Stagnationsphase im Integrationsprozess der Europäischen Gemeinschaft, für die der Begriff der „Eurosklerose“ geprägt worden ist. Das ambitiöse Ziel der Vollendung des Gemeinsamen Markts bis zum 31. Dezember 1992 entfaltete über die Grenzen der zwölf EG-Mitgliedsstaaten hinaus seine Wirkung: Die Länder der Europäischen Freihandelsassoziation begannen sich – die einen früher, die andern später – zu überlegen, wie sie auf den von „EG 92“ ausgelösten Integrationsschub reagieren sollten. Es galt, eine angemessene Antwort auf die plötzlich wieder aufgetauchte Gefahr einer neuerlichen wirtschaftlichen Spaltung Westeuropas zu finden. In Österreich und in der Schweiz fielen die Antworten auf das Binnenmarktprogramm Brüssels in einer ersten Phase, nämlich bis zum Sommer 1989, ganz verschieden aus. Während die österreichische Bundesregierung am 17. Juli 1989 das Gesuch um Aufnahme von Beitrittsverhandlungen einreichte, hatte zu diesem Zeitpunkt im Schweizer Parlament gerade die erste große europapolitische Debatte stattgefunden, die mit breiter Zustimmung zu dem vom Bundesrat postulierten „dritten Weg“ – Annäherung der Schweiz an die EG, ohne ihr jedoch beizutreten – endete. Dieser Beitrag möchte nun die integrationspolitischen Entwicklungen in Österreich und in der Schweiz von der Lancierung des Binnenmarktkonzepts 1985 bis zum „Brief“ Österreichs im Sommer 1989 nachzeichnen sowie die Frage zu beantworten versuchen, weshalb diese beiden neutralen Kleinstaaten im Zentrum (West-)Europas bis Mitte 1989 so ganz unterschiedlich auf die Herausforderung durch das EG-Binnenmarktprogramm reagiert haben. In einem Ausblick wird zudem die wechselhafte Entwicklung der schweizerischen Europapolitik bis kurz nach dem negativen Ausgang der EWR-Abstimmung vom 6. Dezember 1992 zusammengefasst.1
1 Der Beitrag stützt sich auf meine im Sommer 1992 abgeschlossene Dissertation, vgl. Thomas Schwendimann, Herausforderung Europa. Integrationspolitische Debatten in Österreich und in der Schweiz 1985–1989, phil. Diss., Bern 1992.
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1. Die Vorgeschichte: 1957–1984 Sowohl Österreich als auch die Schweiz gehören zu den Gründungsmitgliedern der EFTA. Die Stockholmer Konvention von 1960 war eine Reaktion auf die Konstituierung der EWG im Jahre 1957 und sollte es den EFTA-Ländern ermöglichen, von einer gemeinsamen Plattform aus der damals aus sechs Staaten bestehenden Brüsseler Zollunion entgegenzutreten, um die Folgen der wirtschaftspolitischen Zweiteilung Westeuropas zu mildern. Nach der Etablierung von EWG und EFTA versuchten die Mitgliedsstaaten der Freihandelsassoziation, ihre Position gegenüber der Gemeinschaft zu verbessern. Kam es im Dezember 1961 vonseiten der drei neutralen EFTA-Länder Schweden, Österreich und Schweiz noch zu miteinander abgesprochenen und koordinierten Gesuchen um Assoziierung mit der EWG, trennten sich nach dem Misserfolg dieser Bemühungen die integrationspolitischen Wege Wiens und Berns jedoch. Österreich versuchte zunächst im Alleingang, doch noch zu einer EWG-Assoziation zu kommen, was allerdings 1967 am Veto Italiens (wegen der Südtirol-Frage) scheiterte. Daraufhin betonte Wien in einem Aide-Mémoire vom Juli 1968 erneut sein Interesse an einer umfassenden vertraglichen Regelung der Beziehungen Österreichs mit der Gemeinschaft.2 Die Eidgenossenschaft dagegen konzentrierte sich nach dem gescheiterten Assoziationsgesuch wieder ganz auf die EFTA sowie auf bilateral-sektorielle Verhandlungen mit Brüssel. Allerdings zog der Bundesrat das Assoziationsgesuch formell nicht zurück; denn am Ziel, mit der Gemeinschaft ein Abkommen abzuschließen, das der Schweiz „die Teilnahme am Aufbau eines integrierten Europäischen Marktes“ ermöglichen sollte, hielt er fest.3 Keine Freude hatte Bern an „Sonderzügen“ einzelner EFTA-Länder; der österreichische Alleingang etwa fand in der Schweiz „ausgesprochen kühle Aufnahme“.4 Den nächsten integrationspolitischen Schritt, den Abschluss der beiden Freihandelsabkommen (FHA) mit der EWG bzw. der EGKS am 22. Juli 1972, unternahmen Österreich und die Schweiz – im Verbund mit den übrigen EFTA-Ländern – wieder gemeinsam. Allerdings honorierte Brüssel die jahrelangen Bemühungen Österreichs um ein Arrangement mit 2 Vgl. Österreichisches Jahrbuch. Nach amtlichen Quellen, hrsg. v. Bundespressedienst, Wien 1968, 259; Paul Luif, Neutrale in die EG? Die westeuropäische Integration und die neutralen Staaten (Informationen zur Weltpolitik 11), Wien 1988, 97 f.; vgl. den Beitrag von Hamel in diesem Band. 3 Rudolf Hausherr, Die schweizerische öffentliche Meinung zur Frage EWG oder EFTA (zur Frage der europäischen Integration) in den Jahren 1957–1963. Dargestellt an den großen politischen Parteien, der diesen nahestehenden Presse sowie den wichtigen Wirtschaftsverbänden, Bern 1980, 46 f.; Pierre du Bois, Die Schweiz und die europäische Herausforderung 1945–1992, Zürich 1990, 61 ff. 4 Hausherr, 47; Österreichs ehemaliger Botschafter in Bern, Hans Thalberg spricht sogar von einer erheblichen Belastung des schweizerisch-österreichischen Verhältnisses wegen Wiens Alleingang; vgl. Hans Thalberg, Die politischen Beziehungen zwischen Wien und Bern seit 1955: Nachbarn, Konkurrenten, Partner, in: ders. (Hrsg.), Österreich – Schweiz: Nachbarn, Konkurrenten, Partner (Forschungsberichte des Österreichischen Instituts für Internationale Politik 9), Wien 1988, 181–200, hier 190 und 198.
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der Gemeinschaft in Form von zwei Interimsabkommen, was der Zweiten Republik eine um sechs Monate frühere und um 10 % höhere Zollsenkung auf gewerblich-industrielle Waren brachte.5 Doch diese zeitlich limitierte „geringe Schlechterstellung“ der Schweiz wurde vom Bundesamt für Außenwirtschaft (BAWI) in Bern ohne Sorge akzeptiert, da man, wie einer seiner Vertreter erklärte, kaum behaupten könne, „dass die österreichische Industrie […] ebenso konkurrenzfähig wäre wie die schweizerische“.6 Dass diese Einschätzung berechtigt war, zeigten die Anteile der beiden Länder am EG-Gesamtimport: Österreichs Marktanteil in der EG betrug 1970 1,14 % und 1973 1,2 %; die entsprechenden Werte für die Schweiz lauteten 2,22 % bzw. 2,49 %.7 In ihrer Bewertung der Freihandelsabkommen unterschieden sich Österreich und die Schweiz jedoch. Wurde in der Zweiten Republik vor allem der fehlende Einbezug der Landwirtschaft in die FHA beklagt8 und rückblickend darauf hingewiesen, dass diese Abkommen nicht zu einer entscheidenden Verbesserung der Marktanteile Österreichs im EG-Raum geführt hätten,9 überwog in der Eidgenossenschaft die Freude über den erfolgreichen Abschluss dieser Abkommen, die „Ausdruck einer bemerkenswerten Kontinuität in der schweizerischen Politik“ seien, nämlich „des unbeirrbaren Strebens nach einer mittleren Lösung zwischen den gleicherweise auszuschließenden extremen Varianten des Beitritts und des Abseitsstehens“.10 Vor allem aber herrschte Genugtuung darüber, dass die FHA zwar die Diskriminierung der Schweiz beim Handel mit gewerblich-industriellen Waren beseitigten, die Handlungsfreiheit Berns bei der Gestaltung seiner Beziehungen zu Drittstaaten jedoch nicht beeinträchtigten.11 Die im Luxemburger EG-EFTA-Gipfel vom 9. April 1984 vereinbarte engere Zusammenarbeit zwischen den beiden Wirtschaftsorganisationen mit dem Ziel, einen dynamischen europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen, wurde von Österreich und der Schweiz grundsätzlich begrüßt. Doch wieder waren Differenzen auszumachen, was die Einschätzung der integrationspolitischen Lage nach der Luxemburger Erklärung betraf. In beiden Ländern wurde die Bedeutung weiterer bilateraler Verhandlungen mit der Gemeinschaft betont – aber aus unterschied 5 Rosmarie Atzenhofer, Österreichische Integrationspolitik seit 1948. Zwischen EG-Diktat und dem Streben nach Unabhängigkeit, in: Margit Scherb/Inge Morawetz (Hrsg.), Der unheimliche Anschluss. Österreich und die EG (Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik 35), Wien 31988, 73–93, hier 84. 6 Klaus Jacobi, Das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EWG. Darstellung und Würdigung, Bern 1972, 14 ff. 7 Vgl. Schwendimann 1992, 53 und 78. 8 Vgl. zum Beispiel österreichisches Jahrbuch 1976, 486 f. 9 Erich Hörl/Bernhard Hudik, Null aus 1972. Auswirkungen des Freihandelsabkommens mit den Europäischen Gemeinschaften. Dargestellt am Beispiel der verstaatlichten Eisen- und Stahlindustrie, in: Scherb/Morawetz, 95–128, hier 105. 10 Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung der Abkommen zwischen der Schweiz und den Europäischen Gemeinschaften vom 16. August 1972, in: Bundesblatt [der Schweizerischen Eidgenossenschaft] BBl 1972 II, 729 f. 11 Ebd., 730 f.
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lichen Gründen. Viele in der Zweiten Republik erachteten die EFTA-Schiene als zu langsam, weshalb zweiseitige Gespräche unabdingbar seien. So meinte Außenminister Leopold Gratz, Wien dürfe dem „Konvoi“ (der Freihandelsassoziation) durchaus vorausfahren; das sei gegenüber den andern EFTA-Staaten nicht illoyal, denn schließlich sei Österreich ein Binnenland der EG.12 Für den schweizerischen Bundesrat dagegen stand die bilaterale Zusammenarbeit mit der EG im Vordergrund, um ein stärkeres multilaterales Vorgehen im Rahmen der EFTA zu vermeiden; einen Ausbau der Kompetenzen der Freihandelsassoziation lehnte er in erster Linie wegen der unterschiedlichen Interessen der sechs EFTA-Partner kategorisch ab.13 Kurz vor der Lancierung der Binnenmarktkonzeption durch den Präsidenten der EGKommission herrschte in Österreich der Wunsch nach einer engeren Anbindung an Brüssel vor, in der Schweiz hingegen die Zufriedenheit mit dem Status quo, dem FHA mit seiner Evolutivklausel (stufenweise Weiterentwicklung). Für den Bundesrat bestand jedenfalls kein Anlass, die Grundlagen seiner bisherigen Europapolitik zu revidieren.14 Zwei Gründe – ein historisch-politischer und ein wirtschaftlicher – erklären dieses unterschiedlich starke Interesse der Zweiten Republik bzw. der Eidgenossenschaft an einer engeren Verbindung mit der Europäischen Gemeinschaft. Zum historisch-politischen Grund: Österreich und die Schweiz blicken auf eine völlig unterschiedliche Vergangenheit zurück. Hier der Nachfolgestaat einer ehemaligen europäischen Großmacht, der sich, erst 1955 wieder unabhängig geworden, immer als zu Europa gehörend, ja als im Zentrum dieses Kontinents liegend betrachtete – und deshalb der politischen Idee EG von Beginn weg Sympathie entgegenbrachte. Dort die aus vier Sprachen und Kulturen zusammengesetzte Willensnation, seit Jahrhunderten neutral, ökonomisch zwar mit dem (auch außereuropäischen) Ausland verflochten, doch politisch auf sich bezogen – und daher dem supranationalen Charakter der EG seit jeher skeptisch gegenüberstehend. War bis Mitte der 80er-Jahre die Integrationspolitik Wiens von Offenheit und der steten Suche nach einem gangbaren, Staatsvertrag und die immerwährende Neutralität achtenden Weg geprägt, überwogen in Bern Vorsicht, Zurückhaltung und Pragmatismus. Zum wirtschaftlichen Grund: Obschon sich die hoch industrialisierten, offenen Volkswirtschaften Österreichs und der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg trotz unterschiedlicher Ausgangslage, insgesamt gesehen, gut entwickelt hatten,15 bestanden Mitte der 80er-Jahre doch einige Unterschiede. Im direkten Vergleich wies die österreichische Wirtschaft gegenüber der schweizerischen folgende Nachteile auf: geringere Internationalisierung; Strukturschwächen, vor allem im Bereich der verstaatlichten Industrie; West-Ost-Gefälle; Rückstand 12 Sten. Prot., 90. Sitzung NR, XVI. GP, 9.5.85, 8152. 13 Bericht zur Außenwirtschaftspolitik 1984, in: BBl 1985 I, 93 ff. 14 Vgl. dazu BBl 1984 I, 489 ff. 15 Felix Butschek, Die unterschiedlichen Brüder – Die Schweizer und die österreichische Wirtschaft im Vergleich, in: Österreichische und Schweizer Zeitgeschichte ab 1945 im Vergleich (Beiträge zur Lehrerfortbildung 27), Wien 1986, 61–73, 63 ff.; Fritz Breuss, Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und der Schweiz: Zwei SMOPECs als Konkurrenten und Partner, in: Thalberg, Österreich Schweiz, 203–293, hier 214.
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bei Forschung und Entwicklung.16 Auch in der Wirtschaftspolitik setzten die beiden Kleinstaaten verschiedene Prioritäten. So lag während der ersten Erdölkrise ab 1973/74 in der Zweiten Republik das Schwergewicht auf der (den Strukturwandel vernachlässigenden) Arbeitsplatzsicherung, in der Eidgenossenschaft hingegen auf der Inflationsbekämpfung, was den österreichischen Bundeshaushalt viel stärker defizitär werden ließ als den schweizerischen.17 Gerechterweise muss allerdings angefügt werden, dass die Schweiz ihre Arbeitslosigkeit zu einem wesentlichen Teil exportierte, indem gut zwei Drittel der damals abgebauten Arbeitsplätze solche von Fremdarbeitern betrafen, die deshalb das Land zu verlassen gezwungen waren.18 Insgesamt resultierte aus dieser unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung der beiden Länder eine geringere Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Volkswirtschaft.19 Bessere Konkurrenzfähigkeit und ein wesentlich höherer Internationalisierungsgrad der schweizerischen Wirtschaft erlaubten es somit der Eidgenossenschaft, zurückhaltender, abwartender und gelassener auf den fortschreitenden Integrationsprozess im Rahmen der EG zu reagieren als die Zweite Republik. So erstaunt es kaum, dass das Verhältnis zur Brüsseler Gemeinschaft in Österreich schon früh als „Lebensfrage“ bezeichnet wurde,20 während es für die Schweiz bloß um Verhinderung bzw. Überwindung der zollpolitischen Diskriminierung ihrer Wirtschaft gegenüber der EG zu gehen schien.21 Eines steht jedoch für die Zeit bis 1984 außer Zweifel: Die wirtschaftlichen Probleme Österreichs und der Schweiz waren hausgemacht und durften nicht dem Ausschluss von der Integration im Rahmen der EG angelastet werden. Denn beide Staaten konnten ihre Marktanteile in der Gemeinschaft nach Abschluss der Freihandelsabkommen leicht steigern.22
2. Herausforderung Binnenmarkt: 1985–1989 2.1 Die Entwicklung in Österreich23 Mit dem Ende der sozialistischen Alleinregierungen unter Bruno Kreisky wandelte sich auch die Außenpolitik Österreichs. Von der Globalisierung wurde Abstand genommen, 16 Felix Butschek, Die österreichische Wirtschaft im 20. Jahrhundert, Wien/Stuttgart 1985, 178 ff.; ders., Die unterschiedlichen Brüder, 70; Breuss, 1988, 240 ff. 17 Butschek, Die unterschiedlichen Brüder, 68 ff.; Breuss 1988, 219 f. und 232 ff. 18 Vgl. Henner Kleinewefers/Regula Pfister, Die schweizerische Volkswirtschaft. Eine problemorientierte Einführung in die Volkswirtschaftslehre, Frauenfeld 31982, 91 ff. 19 Breuss 1988, 221 f. 20 Felix Butschek (Hrsg.), EWG und die Folgen. Die Auswirkungen eines Abkommens zwischen Österreich und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Wien/München 1966, 13. 21 Alois Riklin/Willy Zeller, Verhältnis der Schweiz zu den Europäischen Gemeinschaften, in: Alois Riklin et al. (Hrsg.), Handbuch der schweizerischen Außenpolitik (Schriftenreihe der Schweizerischen Gesellschaft für Außenpolitik 2), Bern/Stuttgart 1975, 447–497, hier 469. 22 Vgl. Zahlen bei Schwendimann 1992, 53 und 78; vgl. auch Luif, 110 f. 23 Vgl. hierzu auch den speziellen Beitrag von Leitner in diesem Band.
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ins Zentrum rückten Europa- und Nachbarschaftspolitik. Es war der damalige Vizekanzler Norbert Steger (FPÖ), der am 28. Juli 1984 als erstes Mitglied der Bundesregierung einen EG-Beitritt Österreichs als langfristiges Ziel der Wiener Integrationspolitik bezeichnete.24 Und mit der Neuauflage der Großen Koalition zwischen SPÖ und ÖVP Anfang 1987 – die Sozialisten verloren nach 17 Jahren das Außenministerium an die Volkspartei – richtete sich der Blick Österreichs endgültig nach Europa (war doch die Europäische Gemeinschaft inzwischen daran, das Binnenmarktprogramm zu realisieren).25 Bereits der Außenpolitische Bericht 1986 betonte, die Zweite Republik müsse am entstehenden Europäischen Binnenmarkt teilhaben können; das sei eine wirtschaftliche Notwendigkeit.26 Auch im Nationalrat waren sich die Abgeordneten der Parteien grundsätzlich darin einig, dass Österreich den Anschluss an diesen Markt nicht verpassen dürfe.27 Die SPÖ-/ÖVP-Koalitionsregierung verfolgte zu diesem Zweck die Strategie des „global approach“: multilateral (im Rahmen der EFTA), bilateral sowie durch autonomen Nachvollzug sollte eine „umfassende, volle Teilnahme Österreichs an der Substanz des im Entstehen begriffenen europäischen Binnenmarkts“ erreicht werden.28 Allerdings gab die Regierung Verhandlungen im EFTA-Rahmen schlechte Chancen und ohne Mitgliedschaft in der EG sei eine Mitwirkung von EFTA-Staaten am gemeinschaftsinternen Meinungsbildungsprozess ausgeschlossen.29 Bereits gegen Ende des Jahres 1987 wurde dann vonseiten der Großen Koalition erstmals vorsichtig die Möglichkeit einer EG-Mitgliedschaft Österreichs angedeutet: Am 30. November gab Außenminister Alois Mock zu verstehen, dass „auch die Option eines EG-Beitritts unter Bedachtnahme auf die Erfordernisse der immerwährenden Neutralität für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden“ solle.30 1988 schob sich diese Option einer EG-Mitgliedschaft langsam in den Vordergrund der integrationspolitischen Debatte und löste die Strategie des „global approach“ ab. So sprach sich die von Botschafter Manfred Scheich geleitete interministerielle „Arbeitsgruppe für Europäische Integration“ in ihrem Bericht vom 20. Juni 1988 – ohne es direkt zu sagen – für einen Beitrittsantrag aus, denn die mit einer Nichtteilnahme am EG-Binnenmarkt ver24 Waldemar Hummer, Von den Freihandelsabkommen Österreichs mit EGKS und EWG (1972) zum Beitrittsantrag zu den EG (1989), in: ders. (Hrsg.). Österreichs Integration in Europa 1948–1989. Von der OEEC zur EG, Wien 1990, 69–113, hier 102; Sigmar Stadlmeier, Dynamische Interpretation der dauernden Neutralität (Schriften zum Völkerrecht 95), Berlin 1991, 328. 25 Zum Wandel in der österreichischen Außenpolitik vgl. etwa Helmut Kramer, Strukturentwicklung der Außenpolitik (1945–1990), in: Herbert Dachs et al. (Hrsg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs, Wien 1991, 637–657, hier 646 ff. 26 Jahrbuch der österreichischen Außenpolitik. Außenpolitischer Bericht. Bericht des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten, Wien 1986, 137. 27 Das zeigte die Debatte vom 14. 5. 1987 über den Außenpolitischen Bericht 1986. 28 Außenpolitischer Bericht 1987, 124 f. 29 Ebd., 22. 30 Bericht des BMfAA „Konzept der österreichischen Integrationspolitik und bisherige Ergebnisse bei seiner Verwirklichung“ vom 30. 11. 1987, 7.
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bundenen Nachteile überwögen mittel- bis langfristig eindeutig.31 Und der Außenpolitische Bericht 1988 gab zu bedenken: „Im Lichte der bisherigen Erfahrungen und herrschenden Bedingungen sowie aufgrund von Äußerungen von Gemeinschaftsseite ist eine volle, gleichberechtigte Teilnahme am europäischen Binnenmarkt nur über einen Beitritt zu den Gemeinschaften möglich.“32
Damit waren von Regierungsseite her die entscheidenden Worte ausgesprochen worden. Nun ging es zur Hauptsache „nur“ noch darum, den geeignetsten Zeitpunkt für die Einreichung des Beitrittsgesuchs zu finden. In einer Aussprache am 12. Dezember 1988 einigten sich Bundesregierung, die Klubobmänner der beiden Koalitionspartner SPÖ und ÖVP, Landeshauptmänner-Konferenz sowie Sozialpartner darauf, dass die Regierung Ende März oder Anfang April 1989 über den Beitrittsantrag Österreichs zur EG entscheiden sollte und diese Frage danach im Nationalrat abschließend zu diskutieren sei.33 Dieser Fahrplan wurde dann auch einigermaßen eingehalten. Am 26. Januar 1989 legte die Bundesregierung das entscheidende Dokument auf ihrem Weg zum EG-Beitrittsgesuch vor, den Bericht über die zukünftige Gestaltung der Beziehungen Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften. Gleich zu Beginn hieß es darin klipp und klar, die Regierung wolle den Beitrittsantrag stellen; Österreich sei bereit, „die Pflichten und Rechte eines Mitglieds der EG“ zu übernehmen – unter Wahrung der Verpflichtungen aus dem Staatsvertrag und aus der immerwährenden Neutralität.34 Mit Ministerratsbeschluss vom 17. April wurde dieser Bericht – zusammen mit dem Scheich-Bericht – dem österreichischen Parlament übermittelt, und am 29. Juni fand im Nationalrat die über 13 Stunden dauernde Debatte über das von der Bundesregierung geplante Beitrittsgesuch statt. Sie endete mit einem (nur von den Grünen abgelehnten) Entschließungsantrag, der die Bundesregierung aufforderte, in Brüssel bis zum Herbst 1989 das Begehren zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EG anzumelden.35 Dies tat Außenminister Mock am 17. Juli 1989 denn auch. Im Beitrittsantrag hat die Zweite Republik explizit einen Neutralitätsvorbehalt formuliert: Auch als EG-Mitglied möchte Österreich seinen im Neutralitätsgesetz vom 26. Oktober 1955 verankerten Status als immerwährend neutrales Land aufrechterhalten. Darüber bestand in den integrationspolitischen Debatten von 1985 bis zum Sommer 1989 ein nationaler Konsens. Das belegen Aussagen von Regierungsmitgliedern, Nationalräten und Vertretern der Sozialpartner. Ohne Bewahrung der Neutralität, so die vorherrschende 31 Bericht der Arbeitsgruppe für Europäische Integration vom 20. 6. 1988, 17 f. 32 Außenpolitischer Bericht 1988, 180. 33 Ebd., 180 f. 34 Bericht der Bundesregierung an den Nationalrat und den Bundesrat über die zukünftige Gestaltung der Beziehungen Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften vom 26. 1. 1989, 111–113 der Beilagen zu den Sten. Prot. des NR, XVII. GP, 1 f. 35 Sten. Prot., 110. Sitzung NR, XVII. GP, 29. 6. 1989, 13141; 1025 der Beilagen zu den Sten. Prot. NR, XVII. GP, Punkte 1 und 2, 5.
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Ansicht, könne und dürfe es keinen EG-Beitritt geben. Dass aber eine Mitgliedschaft in der supranationalen Brüsseler Gemeinschaft unter Wahrung dieses völkerrechtlich verankerten Spezialstatus Österreichs durchaus möglich sei – und zwar unter der Bedingung, dass die EG einen entsprechenden Vorbehalt Wiens akzeptiere –, dies versuchten mehrere von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Rechtsgutachten nachzuweisen. Die Debatte über die Neutralitätsfrage beschäftigte Völkerrechtler und Politiker gleichermaßen, und das diesbezügliche Schrifttum ist kaum noch überblickbar. Trotz der in Österreich offiziell vorherrschenden Meinung, wonach einem immerwährend neutralen Staat die Zugehörigkeit zur sich letztlich zu einer politischen Union bekennenden EG grundsätzlich erlaubt sei, sind in der Debatte über diese Frage durchaus Differenzen festzustellen. Das fängt bereits bei den beiden Koalitionspartnern an. Die ÖVP hatte in Sachen Vereinbarkeit von Neutralität und EG-Mitgliedschaft wesentlich weniger Berührungsängste als die SPÖ. Insgesamt vorsichtiger äußerten sich die meisten völkerrechtlichen Gutachten zu dieser Frage, und in der Wissenschaft finden sich überzeugte Anhänger einer mehr oder weniger problemlosen Vereinbarkeit genauso wie dies kategorisch ablehnende Autoren. Die Frage der Vereinbarkeit von dauernder Neutralität und EG-Mitgliedschaft aufrollen zu wollen, würde den Rahmen des vorliegenden Beitrags allerdings bei Weitem sprengen. Es muss hier der Hinweis genügen, dass es sich hierbei letztlich um eine äußerst komplizierte politische Frage handelt, die im Verlauf der Beitrittsverhandlungen zwischen Wien und Brüssel zu klären sein wird. Nimmt man jedoch das Völkerrecht ernst und bezieht man vor allem den Aspekt der Glaubwürdigkeit eines „neutralen EG-Mitglieds Österreich“ in die Überlegungen mit ein, so muss man hinter die vom offiziellen Österreich vorgebrachte Argumentation doch ein großes Fragezeichen setzen.36 Robert Menasses Definition des von Wien gemachten Neutralitätsvorbehalts: „Wir wollen [in der EG; Vf.] mitreiten, im Zweifelsfalle aber wollen wir nicht dabei gewesen sein“37, trifft wohl den Kern des Problems. Und auch die EG-Kommission bezeichnete in ihrem Avis vom 1. August 1991 zum Beitrittsgesuch Wiens die österreichische Neutralität als „spezifisches Problem“; die von der Bundesregierung aufgestellte These, dass die Neutralität Österreichs den Frieden und die internationale Sicherheit schützen helfe und deshalb die Zweite Republik von gewissen Pflichten des EWG-Vertrags freistelle, sei jedenfalls „nicht haltbar“.38 36 In meiner Dissertation habe ich aufzuzeigen versucht, weshalb das von Wien gewählte Szenario „EG-Mitgliedschaft unter Beibehaltung der immerwährenden Neutralität“ als problembeladen und unglaubwürdig zurückzuweisen ist, und den Vorschlag zu einem Szenario „Begründung einer europafähigen Neutralität und anschließend EG-Beitritt“ sowie zu einer Neukodifikation des völlig veralteten Haager Neutralitätsrechts gemacht; vgl. Schwendimann 1992, Kapitel V. 37 Robert Menasse, Das Land ohne Eigenschaften. Essay zur österreichischen Identität, Wien 1992, 23; vgl. ders., Das System des Entweder – und – Oder. Österreich, Land ohne Eigenschaften: Warum Neutralität und Staatsvertrag „Real-Fiktionen“ sind, in: Die Presse, 14./15./16. 8. 1992. 38 Stellungnahme der Kommission der Europäischen Gemeinschaften [vom 1. August 19911 zum Beitrittsantrag Österreichs, in: Österreichische außenpolitische Dokumentation, Sonderdruck, Wien 1991, 24 f. und 27 f.
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Gerade auch in der – ihrer eigenen Neutralitätstradition bewussten – Schweiz ist die „minimalistische Neutralitätskonzeption“ Wiens39 auf Kritik gestoßen und hat Anlass zur Mahnung gegeben, dass die Beantwortung der neutralitätsrechtlichen und -politischen Fragen eines EG-Beitritts neutraler Staaten „nicht allein Wien überlassen werden sollte“.40 Bundesrat René Felber, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), meinte im Frühjahr 1989, der EG könne man nicht mit Vorbehalten beitreten: „Falls Österreich das versuchen sollte, müsste Brüssel ihm eigentlich wie uns kategorisch erklären, ‚Trittbrettfahrer‘ seien unerwünscht“.41 Kein Blatt vor den Mund nahm kurz darauf auch der freisinnige Solothurner Ständerat Max Affolter: „Wer […] immer mit neuen Neutralitätsgutachten aus verschiedensten Küchen die Beitrittsfähigkeit seines Landes für die EG nachzuweisen und sich so anzudienen versucht, trägt höchstens zur Aushöhlung des Neutralitätsbegriffes bei, wie wir ihn immer noch verstehen und wie wir ihn nicht ‚verschwatzt‘ haben wollen.“42
Doch nicht nur die Neutralitätsfrage erregte bisweilen bei Österreichs westlichem Nachbarn Missfallen, sondern der Beitrittskurs überhaupt. So etwa ließ Staatssekretär Franz Blankart, Direktor des Bundesamts für Außenwirtschaft und „Vordenker“ in der schweizerischen Europapolitik, am 21. Juni 1988 vor der Vereinigung Österreichischer Industrieller (VÖI) einige Spitzen gegen den Wiener Integrationskurs fallen. Ausgerechnet vor der einen EGBeitritt Österreichs vehement fordernden VÖI führte der sonst für seine vorsichtig-diplomatische Formulierungskunst bekannte Schweizer Spitzendiplomat aus, in der heutigen österreichischen Integrationspolitik sei noch immer das „selbstbewusste Erbe einer Großmacht“ zu spüren: „,Enter first, negotiate after‘ kann als Wahlspruch nur jenen verlocken, der wie die Briten die Gewohnheit ererbt hat, in Großmachtskategorien zu denken. Einem Kleinstaat aber muss die politische Finalität seines Partners [also der EG; Vf.] völlig klar sein, bevor er sich vertraglich mit ihm einzulassen beabsichtigt […].“
39 Hans-Peter Branner, Neutralität und Unabhängigkeit der Schweiz im ausgehenden 20. Jahrhundert – Bestandsaufnahme und Ausblick. Die Fragen der Europäischen Integration und der Sicherheits- und Friedenspolitik als Fallbeispiele (Schweizer Studien zum internationalen Recht 58), Zürich 1989, 193; Dietrich Schindler, Vereinbarkeit von EG-Mitgliedschaft und Neutralität. Gutachten zuhanden der Direktion für Völkerrecht des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten vom Oktober 1988/März 1989, in: Olivier Jacot-Guillarmod et al. (Hrsg.), EG-Recht und schweizerische Rechtsordnung. Föderalismus, Demokratie, Neutralität, GATT und europäische Integration (Beihefte zur Zeitschrift für Schweizerisches Recht 10), Basel/ Frankfurt 1990, 81–137, hier 134. 40 Brunner 1989, 200. 41 Interview mit Bundesrat Felber, in: Weltwoche, 23. 3. 1989, 41 und 43. 42 Amtl. Bull. StR, 6. 6. 1989, 182.
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Angesichts der Tradition Österreichs, jahrhundertelang im Staatenverbund gelebt und „eigentlich nie in kleinstaatlichen Kategorien gedacht“ zu haben, sei es zwar verständlich, dass Österreich der EG beitreten möchte; opportunistisch sei es jedoch, wenn eine Integrationspolitik „für das wirtschaftliche Ziel der Nicht-Diskriminierung den politischen Preis des Beitritts“ bezahlen wolle, meinte Blankart unter Anspielung auf die damals in der Schweiz gültige Europapolitik.43 Mit seinem letzten Satz hatte der BAWI-Direktor das Hauptmotiv für den Wunsch Österreichs nach einem möglichst raschen Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft erfasst: es waren in allererster Linie wirtschaftliche Motive, die Wien zum „Brief“ vom 17. Juli 1989 bewogen haben.44 Zum einen fürchtete man in der Zweiten Republik, als Nicht-EGMitglied vom entstehenden Europäischen Binnenmarkt ausgeschlossen und als Drittstaat diskriminiert zu werden; zum andern hoffte man, als EG-Mitglied von den wirtschaftlichen Impulsen dieses weit über 300 Millionen Menschen umfassenden Binnenmarkts profitieren zu können. Hinzu kam ein politisches Motiv: der Wunsch bzw. Wille, an dem von der EG geprägten und dominierten europäischen Integrationsprozess gleichberechtigt und mitgestaltend teilnehmen zu können – was nur als Mitglied der Gemeinschaft zu erreichen war. Dennoch wäre es falsch, aus der Priorität der wirtschaftlichen Argumente zu schließen, es habe sich beim Beitrittsgesuch um eine rein wirtschaftliche Entscheidung Wiens gehandelt. Denn kaum eine der bis zum Sommer 1989 veröffentlichten Studien über die möglichen Folgen einer EG-Mitgliedschaft für die österreichische Wirtschaft war zu einem eindeutigen Fazit pro EG-Beitritt gekommen. Sämtliche Untersuchungen betonten stattdessen die Notwendigkeit eigener Anstrengungen, um die österreichische Volkswirtschaft „EG-fähig“ zu machen: Forcierung des Strukturwandels sowie Verbesserung von Internationalisierung und internationaler Wettbewerbsfähigkeit lauteten die häufigsten Forderungen. Insgesamt ist der innenpolitisch breit abgestützte Beschluss der Bundesregierung, um Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft zu ersuchen, somit eine politische Entscheidung gewesen. Diese Einschätzung wird durch die innenpolitische Ebene der Beitrittsdiskussion in Österreich noch erhärtet. Zu Beginn der 80er-Jahre hat im Kleinstaat ein Prozess des Umbruchs begonnen, der das bisher so stabile und im Prinzip bipolare politische System mit SPÖ und ÖVP als bestimmenden Kräften ins Wanken gebracht hat. Das Erstarken der FPÖ unter dem Rechtspopulisten Jörg Haider, der Einsitz der Grünen im Nationalrat, das Aufkommen alternativer politischer Ausdrucksformen (Bürgerinitiativen gegen das Kernkraftwerk Zwentendorf oder das Donaustauprojekt Hainburg zum Beispiel), aber auch wirtschaftliche Schwierigkeiten, die zunehmend als unbeweglich empfundene Wirtschafts- und 43 Franz Blankart, Die Herausforderung des EG-Binnenmarktes – Eine integrationspolitische Lagebeurteilung, in: Josef Iraschko/Arno Truger (Hrsg.), EG und Neutralität. Österreich und die westeuropäische Herausforderung, Wien 1989, 159–171, hier 161 und 169 f. 44 Zu diesem Schluss kommen auch Heinrich Schneider, Alleingang nach Brüssel. Österreichs EG-Politik (Europäische Schriften des Instituts für Europäische Politik 66), Bonn 1990, 105 f. und Hummer, 101.
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Sozialpartnerschaft sowie politische Skandale (nicht zuletzt die Affäre Waldheim) haben zu einem „Unbehagen im Parteienstaat“ geführt und ein Protestpotenzial entstehen lassen.45 Wegen dieses innenpolitischen Wandels sowie wegen des außenpolitisch und wirtschaftlich begründeten Wunsches, den Anschluss an den EG-Binnenmarkt und den fortschreitenden Integrationsprozess in Westeuropa nicht zu verpassen, entschloss sich die Große Koalition mit dem Beitrittsgesuch gleichsam zum „Durchbruch nach vorn“, um damit einer „Austrosklerose“ zu entgehen.46 Die Annäherung an die EG sollte Österreich überdies die Durchführung notwendiger, aber teilweise umstrittener wirtschaftspolitischer Reformen – so zum Beispiel die umfassende Privatisierung der verstaatlichten Industrie – erleichtern. Unter Berücksichtigung aller Argumente, die Bundesregierung und Parlament für eine EG-Mitgliedschaft Österreichs vorbrachten, vermögen Tempo und Konsequenz kaum zu erstaunen, mit denen der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess im Hinblick auf ein Beitrittsgesuch vorangetrieben wurde. Allerdings dürfen die wunden Punkte der österreichischen Europapolitik zwischen 1985 und Sommer 1989 nicht übersehen werden. Zum einen hat das offizielle Wien die politische Dimension des EG-Integrationsprozesses stets etwas vernachlässigt, und zum andern vermittelt die Beitrittsdiskussion auch den Eindruck einer gewissen Überschätzung von Rolle und Bedeutung Österreichs in Europa. Die Zweite Republik hat sich bei der Diskussion um den „Brief“ – das macht nicht zuletzt die Behandlung der Neutralitätsproblematik deutlich – eher am Status quo der Gemeinschaft orientiert statt an ihrer in den Römischen Verträgen verankerten politischen Finalität. Österreichs Selbstüberschätzung zeigt sich – neben dem Hinweis auf seine große Bedeutung für Brüssel als Nettozahler – vor allem in der Bewertung seiner immerwährenden Neutralität als wertvollen Beitrag für das künftige Europa und, im Kontext der politischen Lage von 1989, als „chancenreiche Ausgangsbasis“ für eine blockübergreifende Politik.47 Heinrich Schneider hat dies zu Recht als „eine geradezu waghalsige Umkehrung der Problemlage“ bezeichnet,48 vernachlässigt doch diese Argumentation Wiens, dass die Beantwortung der Frage nach der Vereinbarkeit von Neutralität und EG-Mitgliedschaft von den welt- und europaweiten politischen Entwicklungen, von der zukünftigen Ausgestaltung der Gemeinschaft sowie vom Ausgang der Beitrittsverhandlungen abhängt – und nicht allein von der Ansicht Österreichs. 2.2 Die Entwicklung in der Schweiz Ein Blick auf die Charakteristika der schweizerischen Außenpolitik vermag bereits zu einem großen Teil zu erklären, weshalb die Eidgenossenschaft zunächst, bis zum Sommer 1989, 45 Vgl. Fritz Plasser/Peter A. Ulram, Wahltag ist Zahltag. Populistischer Appell und Wählerprotest in den achtziger Jahren, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 18 (1989), Nr. 2, 151–164, hier 152 ff. 46 Schneider, 97 ff. 47 Vgl. dazu ebd., 127 ff. und 147 ff.; Hans-Henning Scharsach, Europa ohne Sachertorte? Österreich und die EG, Graz – Wien – Köln 1989, 73. 48 Schneider, 151 f. und 180 ff.
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ganz anders auf die Herausforderung EG 92 reagiert hat als die Zweite Republik. Die heterogene Zusammensetzung der Willensnation und ihre exponierte Stellung mitten in einem Europa der widerstreitenden Großmachtinteressen ließen es seit jeher ratsam erscheinen, „stillzusitzen“ und sich nicht in „fremde Händel“ einzumischen – eine pragmatische, vorsichtige, zurückhaltende, letztlich isolationistische Außenpolitik unter dem „Fixstern Neutralität“49 war Folge dieses Bemühens um Abseitsstehen von den politischen Auseinandersetzungen in Europa. Herrschte in der Außenpolitik Isolationismus vor, galt dies jedoch nicht für die Außenwirtschaftspolitik. Diese beiden Bereiche wurden sorgfältig – aber auch etwas künstlich – voneinander getrennt, was der Schweiz ausgeprägte ökonomische Verflechtungen mit dem weltweiten Ausland erlaubte. Nur langsam begann sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch die Außenpolitik behutsam zu öffnen, was schließlich am augenfälligsten im Antrag des Bundesrates von 1981 zum Ausdruck kam, der Kleinstaat solle den Vereinten Nationen beitreten (nachdem dies zuvor während Jahren als mit der integralen Neutralität unvereinbar angesehen wurde). Das Debakel in der Abstimmung vom 16. März 1986 – über drei Viertel der Stimmen sowie sämtliche Kantone waren gegen den UNO-Beitritt – machte jedoch deutlich, dass es der Landesregierung nicht gelungen war, der skeptischen und an Außenpolitik mehrheitlich desinteressierten Bevölkerung die Öffnung der schweizerischen Außenpolitik verständlich zu machen. Dieses Verdikt wies auf eine Kluft zwischen Elite und Volk hin, die sich auch später wieder – am 6. Dezember 1992 – bemerkbar machen sollte.50 Die vorsichtig-pragmatische Außen- und die darauf abgestützte, gleich zu charakterisierende Integrationspolitik zeigten sich auch in der von keinerlei Beunruhigung gekennzeichneten Reaktion des Bundesrates auf die Lancierung des Binnenmarktprogramms der Europäischen Gemeinschaft. Die Landesregierung betrachtete den Folgeprozess von Luxemburg und die Evolutivklausel des Freihandelsabkommens als taugliche Instrumente zur Teilnahme der Schweiz am entstehenden Gemeinsamen Markt. Schließlich, so der damalige Volkswirtschaftsminister Kurt Furgler im Frühjahr 1986 vor dem Ständerat, sei die EG an 49 Bundesrat Felber, in: Weltwoche, 23. 3. 1989, 41 und 43. 50 Zur schweizerischen Außenpolitik vgl. Edgar Bonjour, Geschichte der schweizerischen Außenpolitik in ihren Grundzügen, in: Alois Riklin et al. (Hrsg.), Handbuch der schweizerischen Außenpolitik (Schriftenreihe der Schweizerischen Gesellschaft für Außenpolitik 2), Bern – Stuttgart 1975, 57–80; Urs Altermatt, Neutralität und schweizerische Außenpolitik – Wandel und Perspektiven, in: Was heißt neutral sein im Zeitalter europäischer und weltweiter Interdependenz? Kolloquium der Europa-Union Schweiz/Europäische Bewegung in der Schweiz vom 25./26. 11. 1983, Bern 1984, 23–33; ders., Innenpolitische Aspekte der schweizerischen Außenpolitik, in: Möglichkeiten und Grenzen der schweizerischen Außenpolitik. Seminartagung der Schweizerischen Gesellschaft für Außenpolitik vom 7. 6. 1984, Bern/Lenzburg 1985, 28–51; ders., Geschichte der schweizerischen Außenpolitik. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Gegenwart (1945–1991), in: Alois Riklin et al. (Hrsg.), Neues Handbuch der schweizerischen Außenpolitik (Schriftenreihe der Schweizerischen Gesellschaft für Außenpolitik 11), Bern/Stuttgart/Wien 1992, 61–78.
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einer vertieften Partnerschaft mit ihrer wichtigsten Handelspartnerin EFTA interessiert, und daher seien auch Austritte aus der Freihandelsassoziation – etwa von Österreich – unwahrscheinlich.51 Am 26. September 1986 – mehr als ein Jahr nach Veröffentlichung des Weißbuchs der EG-Kommission über die Vollendung des Binnenmarkts – ersuchte das Integrationsbüro EDA/EVD nach einer „ersten vorläufigen Analyse“ ebendieses Programms die interessierten Dienststellen der eidgenössischen Verwaltung, zu EG 92 Stellung zu nehmen; auf diese Weise sollten die Gebiete bestimmt werden, in denen sich eine engere Zusammenarbeit der Schweiz bzw. der EFTA-Länder mit der EG aufdränge, einer näheren Prüfung wert sei oder mindestens vorläufig außer Betracht falle.52 In diesem recht geruhsamen Tempo ging es weiter. Zwar waren, wie die Durchsicht des Amtlichen Bulletins von National- und Ständerat zeigt, in den eidgenössischen Räten periodisch immer wieder mahnende Worte zu vernehmen, die Entwicklung des EG-internen Integrationsprozesses und dessen allfällige Auswirkungen auf die Schweiz und ihre Wirtschaft müssten aufmerksam verfolgt werden. Doch eine grundlegende Änderung der schweizerischen Europapolitik stand weder für den Bundesrat noch für das Parlament zur Debatte. Suche nach Möglichkeiten zur Teilnahme am entstehenden EG-Binnenmarkt, aber keinesfalls EG-Beitritt, hieß die Devise. Eine entlarvende, aber ehrliche Begründung für diese Haltung lieferte im Sommer 1987 der freisinnige Thurgauer Nationalrat Ernst Mühlemann: „Es ist eine alte Stärke des Kleinstaates, dass er, wie ein zugewandter Ort in der alten Eidgenossenschaft, die Vorteile eines vereinigten Europas einheimsen möchte und eher skeptisch ist, wenn es darum geht, eigene Nachteile in Kauf zu nehmen.“53
Allerdings wurde vonseiten des Parlaments mit zunehmender Sorge auf die sich abzeichnenden Absetzbewegungen aus der EFTA aufmerksam gemacht; als mögliche EG-Beitrittskandidaten galten Österreich, Schweden und Norwegen.54 Doch Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz spielte die Divergenzen zwischen den sechs EFTA-Staaten in Bezug auf die geeignetste Integrationsstrategie herunter. Es sei das legitime Recht jedes Mitglieds der Freihandelsassoziation, sich Gedanken über sein künftiges Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft zu machen; das bedeute keine Schwächung der EFTA. Und was die für 1989 in Aussicht genommene Entscheidung Wiens betreffe, so sei noch nicht sehr klar, welchen Inhalts der Brief an die EG sein werde; wenn er nicht bis zum Beitrittsgesuch gehe, könnte er die Frage der Vereinbarkeit von dauernder Neutralität und EG-Mitgliedschaft beinhalten.55 51 Vgl. Amtl. Bull. StR, 4.3.86, 20 ff. 52 Integrationsbüro EDA/EVD: Kommentar vom 26. 9. 1986 zum Weißbuch über die Vollendung des EG-Binnenmarktes, Begleitschreiben, 1 f. 53 Amtl. Bull. NR, 16. 6. 1987, 833. 54 Vgl. zum Beispiel Amtl. Bull. StR, 23. 6. 1988, 402 f und 411. 55 Amtl. Bull. StR, 21. 6. 1988, 345; Amtl. Bull. StR, 23. 6. 1988, 403.
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Das war nun allerdings eine nicht den Tatsachen entsprechende Aussage des Vorstehers des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (EVD) – hatte doch sein Amtskollege Robert Graf nur einen Monat zuvor im österreichischen Nationalrat offen angekündigt, dass die Bundesregierung 1989 ein Gesuch um Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Gemeinschaft einreichen werde.56 Eine erneute Bestätigung der bisherigen, in erster Linie pragmatisch-sektoriellen Integrationspolitik der Schweiz brachte der bundesrätliche Bericht über die Stellung der Schweiz im europäischen Integrationsprozess vom 24. August 1988 (der sogenannte erste Integrationsbericht).57 Die Landesregierung legte mit diesem Dokument ihre erste umfassende europapolitische Standortbestimmung vor. Die Vor- und Nachteile der verschiedenen integrationspolitischen Optionen – vor allem derjenigen eines EG-Beitritts – wurden ausführlich dargestellt, und der Bundesrat wies offen auf die Probleme hin, die sich bei einem weiteren Abseitsstehen des Landes von der Brüsseler Gemeinschaft stellten. So warnte er etwa davor, den Integrationswillen der zwölf EG-Mitgliedstaaten zu unterschätzen, und er gab unumwunden zu, dass eine Mitsprache am EG-internen Entscheidungsprozess als Nichtmitglied nicht möglich sei. Dadurch erhöhe sich die Gefahr, dass die Schweiz vor vollendete Tatsachen gestellt werde und „eine von der Gemeinschaft angebotene Verhandlungslösung unverändert zu übernehmen oder auf eine Regelung des Problems zu verzichten“ habe.58 Nötig sei deshalb ein laufendes und vorurteilsloses Überdenken der schweizerischen Politik gegenüber Europa. Einen EG-Beitritt lehnte der Bundesrat für den damaligen Zeitpunkt allerdings klar ab, denn die staatspolitischen Konsequenzen eines solchen Schritts rührten „an die traditionelle Identität unseres Landes“. Gerade die Neutralität böte besonders große Probleme; ein Beitritt zur supranationalen Gemeinschaft ließe sich „schwerlich mit dem schweizerischen Willen zur Wahrung der größtmöglichen außenpolitischen Unabhängigkeit in Einklang bringen“ und könnte die Glaubwürdigkeit der traditionellen Neutralitätspolitik infrage stellen.59 Insgesamt, so die Schlussfolgerungen des ersten Integrationsberichts, dränge sich „kein radikaler Kurswechsel“ in der schweizerischen Europapolitik auf. Doch auch als Nichtmitglied der EG könne die Eidgenossenschaft ihren Beitrag zum Aufbau Europas leisten, und die Zukunftsperspektiven für eine noch intensivere Zusammenarbeit des Landes mit seinen europäischen Partnern seien „relativ günstig“.60 Bei einer anderen Ausgestaltung und Ausrichtung der Europäischen Gemeinschaft könnte sich die Lage jedoch auch für die Schweiz einmal anders darstellen. In der Zwischenzeit gelte es, 56 Sten. Prot., 63. Sitzung NR, XVII. GP, 25. 5. 1988, 6969. 57 Vgl. Integrationsbericht vom 24. 8. 1988, 3 f. 58 Ebd., 88. 59 Ebd., 89 ff. und 121 ff. 60 Ebd., 125 und 130.
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„wettbewerbsfähig zu bleiben und damit auch beitrittsfähig zu sein, um den Zwang zur Mitgliedschaft zu vermeiden und […] die Möglichkeit zu wahren, den Entscheid für oder wider den Beitritt jederzeit in Freiheit und Gelassenheit zu treffen“.
Der Wunsch nach Mitgliedschaft in der EG müsste aus dem Willen zur politischen Mitgestaltung Europas erfolgen: „Für solch ein politisches Ziel den politischen Preis des Beitritts zu erbringen, wäre durchaus legitim und glaubwürdig.“61 Diese Worte ließen unzweifelhaft die Handschrift von Staatssekretär Blankart erkennen. Sein Diktum „wettbewerbsfähig und damit beitrittsfähig bleiben, um der EG nicht unter Zwang beitreten zu müssen“ wurde bis weit nach Beginn der Verhandlungen über einen Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zur Kurzformel für den Kurs der schweizerischen Europapolitik. Denn deren „Chefarchitekt“ legte großes Gewicht auf ein eigenständiges politisches Handeln der Eidgenossenschaft und damit auf die staatliche Würde des Landes. Rein wirtschaftliche Überlegungen waren für Blankart nicht ausreichende Motivation für einen EG-Beitritt, da ein solcher Schritt einen politischen Preis erfordere – im Fall der Schweiz die Tangierung und Einschränkung von acht „Sonderfällen“: Neutralität, Kompetenzen des Parlaments, direkte Demokratie, Föderalismus, Kompetenzen des Bundesgerichts, treaty making power, Landwirtschaft sowie Freizügigkeit der Arbeitskräfte. Beitrittsideen erteilte der Chefdiplomat eine klare Absage, denn es sei „total unrealistisch“ zu glauben, dass das Schweizer Volk bereit sei, diese acht Sonderfälle „noch in diesem Jahrhundert“ über Bord zu werfen.62 Mit Vehemenz trat Blankart im Übrigen kritischen Stimmen entgegen, wonach Bern von der Herausforderung EG 92 überrascht worden sei: „Vielfach, so will mir scheinen, sind es nicht die Europäischen Gemeinschaften, die uns davonlaufen, sondern wir, die stehengeblieben sind. […] sind wir es, die uns in Bereichen außerhalb der Industrie und des Handels seit Jahren marginalisiert haben.“
Der Staatssekretär betonte, er fürchte weder den Beitritt zur EG noch den Nichtbeitritt. „Was ich hingegen befürchte, ist, dass wir in der vorderhand noch komfortablen Stellung eines Nichtmitglieds einschlafen, alsdann brüsk erwachen und […] nicht mehr über die Wahl unseres Handelns verfügen.“ – „Wir leben offenbar in einem Land, in dem der Ernstfall erst ernst genommen wird, wenn er ernst geworden ist.“63
61 Ebd., 134. 62 Franz Blankart, Die Schweiz und die Europäische Gemeinschaft: Herausforderung und Chancen. Vortrag vor der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft des Kantons Bern, 8. 2. 1988, in: Bulletin Nr. 30 der Kantonalbank von Bern, Bern 1988, 15 ff. 63 Ebd., 7 f. und 20.
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bemerkenswerte und mahnende Worte an die Adresse einer häufig selbstgenügsamen und selbstzufriedenen Schweiz. In den eidgenössischen Räten stießen der erste Integrationsbericht und die darin vorgeschlagene Strategie des dritten Weges – Annäherung an die EG, ohne ihr jedoch beizutreten, unter gleichzeitiger Verbesserung der schweizerischen Europafähigkeit – insgesamt auf breite Zustimmung, auch wenn bei den einzelnen Fraktionen durchaus Nuancen auszumachen waren. Niemand forderte ein sofortiges Beitrittsgesuch; ein solcher Schritt wurde für den damaligen Zeitpunkt vor allem aus den bekannten drei staatspolitischen Gründen (direkte Demokratie, Föderalismus, Neutralität), aber auch etwa wegen des Zwangs zur Übernahme der EG-Agrarpolitik abgelehnt. Doch es gab während dieser ersten großen Parlamentsdebatte über die schweizerische Integrationspolitik – im Nationalrat fand sie am 28. Februar/1. März 1989 statt, im Ständerat am 21./22. Juni 1989 – auch kritischere Stimmen. Abgeordnete linker und bürgerlicher Parteien schlossen beispielsweise ein EG-Beitrittsgesuch nicht für alle Zeit aus,64 und Sozialdemokraten sowie Parlamentarier des Landesrings der Unabhängigen (LdU) forderten ein offeneres, mutigeres, nicht nur von wirtschaftlichen Erwägungen dominiertes Herangehen der Schweiz an die Herausforderung Europa: Gerade deshalb kritisierte der Zürcher LdUNationalrat Roland Wiederkehr die Integrationspolitik Österreichs. Dort hätten die „Krämerseelen“ Vorrang; die österreichischen Parlamentarier „haben dermaßen Angst, den Anschluss [an die EG; Vf.] zu verpassen, dass sie die erstaunlichsten Akrobatikkunststücke erfinden, um einigermaßen heil um Fragen wie Neutralität oder Demokratie herumzukommen“.65
Der Rückblick auf die integrationspolitische Debatte in der Eidgenossenschaft von der Lancierung des Binnenmarktkonzepts bis zum Sommer 1989 zeigt, dass das „magische Kürzel“ EG 92 in der Schweiz lange Zeit wenig beachtet geblieben ist. Und wenn es doch aufgenommen wurde, so ohne große Beunruhigung über dessen allfällige Auswirkungen auf den Kleinstaat. Der Bundesrat wollte an seinem bisherigen, recht erfolgreichen integrationspolitischen Kurs der pragmatischen, sektoriellen und bilateralen Annäherung an die EG festhalten; zu einer Intensivierung der multilateralen Zusammenarbeit im Rahmen der EFTA war die Landesregierung zwar bereit, doch keinesfalls zu einem Ausbau der Freihandelsassoziation zu einer supranationalen Organisation66 – was der Schweiz vonseiten ihrer EFTA-Partner periodisch den Ruf einer Bremserin eintrug.67 Für ihre Europapolitik fand die Regierung aber die Unterstützung von Parlament und Wirtschaft. 64 Vgl. zum Beispiel Amtl. Bull. NR, 28. 2./1. 3. 1989, 163 und 173; Amtl. Bull. StR, 21./22. 6. 1989, 363. 65 Amtl. Bull. NR, 28. 2./1. 3. 1989, 174. 66 Vgl. Amtl. Bull. NR, 19. 6. 1989, 921 f. 67 Zum Beispiel am EFTA-Ministertreffen vom 13./14. 6. 1989 in Kristiansand.
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Die am 17. Januar 1989 von Jacques Delors lancierte Idee eines Europäischen Wirtschaftsraums schien dann eine geradezu ideale Konkretisierung des von der Schweiz gesuchten dritten Weges zu sein – obschon die beiden Spitzendiplomaten Franz Blankart und Jakob Kellenberger (damals Chef des Integrationsbüros EDA/EVD) bereits kurz nach Delors’ EWR-Rede in weiser Voraussicht nicht nur auf mögliche Nachteile dieses Projekts (vor allem in puncto Mitbestimmung und Mitentscheidung) hinwiesen, sondern auch auf die mit dem EWR-Konzept verknüpfte fundamentale Änderung der EG-Verhandlungsstrategie gegenüber den EFTA-Ländern (Abkehr vom Bilateralismus und Forderung nach einer mit gemeinsamer Stimme sprechenden EFTA).68 Die Europadebatte kam in der Eidgenossenschaft denn auch erst mit der Lancierung dieses Europäischen Wirtschaftsraums so richtig in Gang. Dennoch darf die vorsichtige, abwartende und an ihrer bisherigen Prägung festhaltende Integrationspolitik der Landesregierung bis Mitte 1989 nicht als Fehleinschätzung der Lage interpretiert werden. Der bundesrätliche Kurs ist erklärbar aus der außenpolitisch lange Zeit isolationistischen sowie der integrationspolitisch und wirtschaftlich insgesamt erfolgreichen Vergangenheit der Eidgenossenschaft. Überdies hatte die Regierung auf die Befindlichkeit einer Bevölkerung Rücksicht zu nehmen, die einer Öffnung des Landes nach außen skeptisch gegenüberstand – hatte sich doch der Kleinstaat Schweiz „während Jahrhunderten im Alleingang geübt und dieses Verhalten zu einem seiner Wesensmerkmale gemacht“.69 Der „qualitative Sprung“ eines EG-Beitrittsgesuchs erschien daher in der Eidgenossenschaft zu diesem Zeitpunkt – im Unterschied zu Österreich – als (noch) zu groß. Aber die teilweise kritischen Voten während der Parlamentsdebatten über den ersten Integrationsbericht wiesen, wie Hansjörg Seiler richtig bemerkte,70 auf erste Risse im europapolitischen Konsens hin, der in der Schweiz seit Anfang der 60er-Jahre bestanden hatte. 2.3 Die beiden Kleinstaaten im Vergleich Die unterschiedlichen Integrationspolitiken Österreichs und der Schweiz von der Lancierung des Binnenmarktkonzepts anfangs 1985 bis zur Einreichung des österreichischen EGBeitrittsgesuchs im Sommer 1989 lassen sich unter die plakative Verkürzung „Wien drängte, Bern wartete ab“ stellen. In diesen viereinhalb Jahren fand in der Zweiten Republik der 68 Vgl. dazu Franz Blankart, GATT und EG. Perspektiven der schweizerischen Außenwirtschaftspolitik, in: Schweizer Monatshefte für Politik, Wirtschaft, Kultur 69 (1989), Nr. 7/8, 557–566, hier 563 ff.; Jakob Kellenberger, Der Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum: Zukunftsperspektiven im Verhältnis Schweiz/ EFTA-Länder – EG, in: Mitteilungsblatt für Konjunkturfragen, 1989, Nr. 4, 6–12, hier 6 ff. 69 Dietrich Schindler, Die EG und die schweizerischen Eigenheiten. Auswirkungen eines Abbaus von Föderalismus, Demokratie und Neutralität auf die Identität der Schweiz, in: Schweizer Monatshefte für Politik, Wirtschaft, Kultur 69 (1989), Nr. 11, 889–896, hier 892. 70 Hansjörg Seiler, EG, EWR und schweizerisches Staatsrecht. Das rechtliche Funktionieren eines Beitritts der Schweiz zu EG oder EWR, Bern 1990, 110.
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gesamte Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess statt, der in den Brief vom 17. Juli 1989 mündete, während die Eidgenossenschaft langsam aus ihrer europapolitischen Routine und (Selbst-)Zufriedenheit erwachte und ihr Verhältnis zum sich rasch integrierenden Westeuropa einer ersten wirklich umfassenden Analyse unterzog. In der Rückschau und angesichts des späteren Gleichziehens Berns mit Wien – am 26. Mai 1992 ersuchte auch die schweizerische Regierung die Europäische Gemeinschaft um Aufnahme von Beitrittsverhandlungen – kann dem Urteil Mark Schenkers, wonach „zumindest in den letzten Jahren“ die Europapolitik Österreichs „einen zielstrebigeren und klareren Eindruck“ gemacht habe als diejenige der Schweiz,71 zugestimmt werden. Zu betonen ist jedoch, dass diese Interpretation wertfrei verstanden werden sollte – denn für die unterschiedlichen integrationspolitischen Strategien und Tempi der beiden benachbarten Kleinstaaten bis Mitte 1989 können drei ernst zu nehmende Gründe angeführt werden: −− Zum ersten wies die Schweiz bessere wirtschaftliche Voraussetzungen auf. Die schweizerische Wirtschaft war wettbewerbsfähiger, stärker internationalisiert und hatte welt- und europaweit höhere Marktanteile.72 Daher verfügte die Eidgenossenschaft, vom ökonomischen Standpunkt aus betrachtet, vorerst über etwas mehr Spielraum bei der Gestaltung ihrer Beziehungen zur EG. −− Zum zweiten waren Vergangenheit und Selbstverständnis der beiden Länder völlig verschieden. Die weltoffene, eine aktive Außen- und Neutralitätspolitik führende Zweite Republik, indirekte Nachfolgerin einer früheren europäischen Großmacht, fühlte sich immer als zu Europa gehörend und betrachtete den Integrationsprozess in erster Linie als Chance, die es zu ergreifen gelte. Die abseitsstehende, eine zurückhaltende Außen- und eine überaus vorsichtige Neutralitätspolitik führende Willensnation Eidgenossenschaft verstand sich seit jeher als „Sonderfall“, als sich in Gegenläufigkeit zur europäischen Entwicklung befindlicher Staat; die europäische Integration wurde vor allem als Risiko, wenn nicht sogar als Gefahr für die Souveränität des Kleinstaats angesehen. −− Zum dritten schließlich spielten die Unterschiede in den politischen Systemen der beiden Staaten eine Rolle. In institutioneller Hinsicht stellte sich in Österreich fast nur das Neutralitätsproblem, das Wien jedoch – nicht zuletzt wegen mangelhafter bis mangelnder Wahrnehmung der finalite politique der Europäischen Gemeinschaft herunterspielte und als ziemlich einfach lösbar betrachtete. In der Schweiz hingegen bildete die Neutralität nur eines von mehreren institutionellen Hindernissen – und nicht einmal das größte: Die drohende Einschränkung der Volksrechte sowie des föderalistischen Prinzips stünde einem allfälligen EG-Beitritt der Eidgenossenschaft wohl noch stärker entgegen.
71 Mark Schenker, EG als Chance. Die Schweiz am europäischen Scheideweg, Zürich 1991, 370. 72 1988 betrug der Marktanteil der Schweiz am Gesamtimport der EG 3,18 %, derjenige Österreichs dagegen nur 1,81 %; vgl. Schwendimann 1992, 248.
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Diese drei Gründe erklären jedoch nicht nur die unterschiedlichen Integrationsstrategien und -geschwindigkeiten Wiens und Berns im untersuchten Zeitraum, sondern auch das weitestgehende Fehlen einer gegenseitigen Zusammenarbeit bei der Annäherung an die EG. Außerhalb des EFTA-Rahmens scheinen Österreich und die Schweiz ihre Integrationspolitiken in keiner Weise koordiniert zu haben. Dies belegen nicht zuletzt die teilweise spitzen Bemerkungen von schweizerischer Seite zum österreichischen „Drang nach Brüssel“.
3. Ausblick: 1989–1993 Die Integrationspolitiken Österreichs und der Schweiz in dem von diesem Beitrag behandelten Zeitraum von 1985 bis Mitte 1989 waren noch weitgehend in den alten europa- und weltpolitischen Rahmen eingebettet, trotz Perestroika und Glasnost in der UdSSR unter Michail Gorbatschow sowie der Entspannung zwischen den beiden Supermächten. Mit der Öffnung der Grenze Ungarns zum Westen im Spätsommer 1989 wurde jedoch gleichsam der Startschuss zum Umbau der Nachkriegsordnung in Europa gegeben. Dies hat auf der einen Seite zu einer weiteren, erheblichen Zunahme von Bedeutung und Attraktivität der Europäischen Gemeinschaft geführt, auf der andern Seite jedoch Stellung und Umfeld der beiden neutralen Nachbarstaaten im Zentrum (West-)Europas völlig verändert. So stehen Sinn und Zweck der Neutralität heute ernsthaft zur Diskussion. Österreich sah sich durch die rasanten Entwicklungen seit der Übergabe des „Briefs“ in seinem Integrationskurs bestärkt. Die immerwährende Neutralität bzw. der Neutralitätsvorbehalt im Beitrittsantrag wurden von Regierungsseite her in den Hintergrund gerückt; stattdessen betonte die Große Koalition die Bereitschaft der Zweiten Republik zur Übernahme sämtlicher mit einer EG-Mitgliedschaft verbundenen Pflichten, und zwar gerade auch auf außen- und sicherheitspolitischem Gebiet.73 Am 1. Februar 1993 hat nun die Brüsseler Gemeinschaft die Beitrittsverhandlungen mit Österreich, Schweden und Finnland aufgenommen, am 5. April 1993 auch mit Norwegen. Die Schweiz hat seit dem Sommer 1989 integrationspolitisch eine wechselhafte Entwicklung durchgemacht. Die zunehmende Ernüchterung während der harzig verlaufenen EWRVerhandlungen über die ablehnende Haltung der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf gleichberechtigte Mitsprache der EFTA-Staaten bei der Schaffung von EWR-relevantem neuem EG-Recht ließ den Bundesrat – gedrängt von Teilen der Öffentlichkeit, einigen Parteien und Verbänden sowie mehreren Spitzendiplomaten – über die Bücher gehen. Nachdem die Landesregierung im zweiten Integrationsbericht vom 26. November 1990 bereits laut über die Möglichkeit einer „vermehrt in den Vordergrund“ tretenden Option EG-Bei73 Vgl. zum Beispiel Aide-Mémoire des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten an die EG-Mitgliedstaaten vom November 1991, in: Österreichische außenpolitische Dokumentation, (Dezember 1991), Nr. 12, 30.
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tritt nachgedacht hatte,74 brachte der Abschluss der EWR-Negoziationen die Wende: In der Nacht auf den 22. Oktober 1991 erklärten die Bundesräte Felber und Delamuraz um 2.30 Uhr in Luxemburg den EG-Beitritt zum neuen Ziel der schweizerischen Europapolitik – denn der EWR sei wegen seiner institutionellen Mängel keine eigenständige und dauerhafte Integrationsvariante mehr. Nach einer monatelangen innenpolitischen Kontroverse über den geeignetsten Zeitpunkt zur Übergabe des Beitrittsantrags kündigte der Bundesrat, ermutigt vom Ja von Volk und Ständen am 17. Mai 1992 zum Beitritt der Schweiz zu den Bretton-Woods-Institutionen, am darauffolgenden Tag an, das Gesuch „demnächst“ stellen zu wollen. Eine Woche später, am 26. Mai 1992, wurde dann der schweizerische Beitrittsantrag mit folgendem Wortlaut eingereicht: « Le gouvernement suisse a l’honneur de demander, par la présente, l’adhésion de la Conféderation suisse à la Communauté économique européenne en application de l’article 237 du Traité instituant la Communauté économique européenne, c’est-à-dire l’ouverture de négociations à ce sujet. »75
Die Neutralität blieb im schweizerischen Gesuch unerwähnt. Im dritten Integrationsbericht vom 18. Mai 1992 gab der Bundesrat zu bedenken, ein neutraler Beitrittskandidat müsse „ohne Mentalreservation bereit sein, die allfällige Irrelevanz seiner Neutralität zu akzeptieren, wenn die Europäische Union eines Tages zur Verteidigungsgemeinschaft würde“.76 In für schweizerische Verhältnisse großen Schritten – und in eher seltener, dafür aber umso konsequenterer Wahrnehmung ihrer politischen Führungsrolle – vollzog die Landesregierung somit nach, was Österreich fast drei Jahre zuvor bereits getan hatte. Der Wandel in Europa sowie die Einsicht, dass man mit überzogenen und unrealistischen Erwartungen in die EWR-Verhandlungen eingestiegen war,77 hatten bei den politisch Verantwortlichen der Eidgenossenschaft einen nachhaltigen Lernprozess ausgelöst. Ohne Beitritt zur EG, so der Bundesrat in seinem dritten Integrationsbericht, riskiere die Schweiz, „in die Isola74 Vgl. Informationsbericht des Bundesrates über die Stellung der Schweiz im europäischen Integrationsprozess vom 26. November 1990, 66. 75 Vgl. Pressemitteilung des Integrationsbüros EDA/EVD vom 26. 5. 1992; die Beitrittsgesuche zur EGKS und zur EAG sind textlich identisch. 76 Vgl. Bericht über einen Beitritt der Schweiz zur Europäischen Gemeinschaft vom 18. 5. 1992, 123. 77 Dies gab Justizminister Arnold Koller kurz vor der Einreichung des EG-Beitrittsgesuchs offen zu. In einem Vortrag an der Universität Neuchâtel meinte er selbstkritisch zur bundesrätlichen Strategie für die EWR-Verhandlungen: „Wir müssen indessen die Einsicht haben, dass wir uns kaum Illusionen hätten machen dürfen, im Rahmen eines Außenabkommens der EG institutionelle Mitbestimmungsstrukturen aufzubauen, welche die Entscheidungsautonomie der Gemeinschaft gefährden mussten, hätten wir 1987 mit mehr gedanklicher Schärfe die berühmten ,Prinzipien von Interlaken‘ des damaligen EG-Außenkommissars Willy de Clerk analysiert.“ Vgl. Neue Zürcher Zeitung, 8. 5. 1992.
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tion gedrängt zu werden“; wenn das Land gleichberechtigt am europäischen Integrationsprozess teilnehmen wolle, so gebe es „keinen anderen Weg als den Beitritt zur EG“.78 In der Botschaft zur Genehmigung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum stufte die Landesregierung den EWR daher nur noch als „wichtige Zwischenstation jener Politik“ ein, „welche die Schweiz zu einer vorbehaltlosen Mitgliedschaft in der EG führen soll“.79 Doch es ging zu schnell: Nach einem hitzig, ja leidenschaftlich und teilweise polemisch geführten Abstimmungskampf lehnten Volk und Stände am 6. Dezember 1992 den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum ab – die „Jahrhundert-Abstimmung“ ist, nach einem ehrlichen Ausspruch des enttäuschten Volkswirtschaftsministers Delamuraz, als „schwarzer Sonntag“ in die jüngste Schweizer Geschichte eingegangen. Die sogenannte Vox-Analyse – sie wird vom Forschungszentrum für schweizerische Politik an der Universität Bern nach jedem eidgenössischen Urnengang durchgeführt – hat die verschiedensten Gründe für das Nein zum EWR aufgelistet: Angst vor einem Verlust der schweizerischen Identität und der Unabhängigkeit des Landes, Angst vor einer „Invasion“ von Ausländern und damit vor Arbeitslosigkeit, zu hohe Kosten des EWR, Kritik am Mangel an Mitbestimmung im EWR, generelles Misstrauen gegenüber der „zentralistischen“ Europäischen Gemeinschaft, vermeintliche wirtschaftliche Vorteile eines Alleingangs, Informationsmängel.80 Aber auch der Bundesrat selber hat zum Fiasko beigetragen, indem er taktische Fehler beging: Er „verschlief“, zusammen mit den Befürwortern, den Start zur Abstimmungskampagne und überließ das Feld anfänglich fast ganz der rechtspopulistischen Gegnerschaft um den Zürcher Nationalrat Christoph Blocher von der Schweizerischen Volkspartei; nicht einmal zu einem der Bedeutung des Urnengangs durchaus angemessenen Gesamtauftritt in der Öffentlichkeit konnten sich die sieben Regierungsmitglieder durchringen. Und dass gegen Ende des Abstimmungskampfs der EWR und ein späterer allfälliger EG-Beitritt plötzlich nichts mehr miteinander zu tun haben sollten, dürfte die Glaubwürdigkeit der Landesregierung auch nicht eben gestärkt haben. Der 6. Dezember 1992 hat eine tief gespaltene und europapolitisch isolierte Eidgenossenschaft zurückgelassen. Allein das Abstimmungsergebnis macht die Zerrissenheit der Bevölkerung deutlich: 49,7 % Prozent der Stimmenden haben sich für, 50,3 % gegen den EWR ausgesprochen – ein Zufallsmehr von ganzen 23.105 Stimmen hat (bei einer Stimmbeteiligung von 78,3 %) den Ausschlag gegeben. Beim Ständemehr liegen die Dinge klarer: 8 Kantone und Halbkantone haben der Vorlage zugestimmt, 18 haben sie verworfen – doch dieses Ergebnis weist auf einen der tiefsten und staatspolitisch bedenklichsten Gräben hin, nämlich denjenigen zwischen französischer und deutscher Schweiz. Sämtliche welschen Kantone haben – zum Teil mit Mehrheiten bis zu 80 % – ja zum EWR gesagt, ebenso die 78 Dritter Integrationsbericht vom 18. 5. 1992, 175 f. 79 EWR-Botschaft vom 18. 5. 1992, 4. 80 Vgl. Der Bund, 23. 1. 1993.
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Halb- und Grenzkantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft. Der Gegensatz zwischen den beiden größten Sprachgruppen der Schweiz war seit dem Ersten Weltkrieg nie mehr so stark und hat im Anschluss an den 6. Dezember 1992 eine breite Debatte über das Verhältnis zwischen „offener“ welscher und „isolationistischer“ deutscher Schweiz ausgelöst. Daneben gibt es noch vier weitere Konfliktlinien, nämlich die Kluft zwischen Bundesrat/Behörden und einem großen Teil der Bevölkerung, den Stadt-Land-Gegensatz, den Gegensatz aufgrund des Ausbildungsstandes sowie den Links-rechts-Gegensatz.81 Die europapolitische Zukunft der Eidgenossenschaft ist derzeit ungewiss. Am 20. Januar 1993 hat der Bundesrat die Eckwerte seines Programms zur „Schadenbegrenzung“ nach dem EWR-Nein vorgestellt. In der Integrationspolitik will sich die Landesregierung alle Optionen offenhalten; sie sieht daher – von den konkreten Realisierungschancen einmal abgesehen – grundsätzlich drei Möglichkeiten: Aushandeln und Abschließen bilateraler Verträge mit der EG oder einzelnen EG-Mitgliedstaaten, späterer Beitritt zum EWR sowie Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EG. Für die dritte Option braucht es nach Meinung des Bundesrats allerdings veränderte außen- und innenpolitische Voraussetzungen; deshalb soll das Beitrittsgesuch vorerst „auf Eis gelegt“ werden. Innenpolitisch will die Regierung die marktwirtschaftliche Erneuerung der Schweiz – die Stichworte heißen Liberalisierung, Deregulierung und Revitalisierung – vorantreiben.82 Bereits hat im Übrigen das vorwiegend aus jungen Schweizerinnen und Schweizern bestehende Komitee „Geboren am 7. Dezember 1992“ eine Volksinitiative gestartet, die eine zweite Abstimmung über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum verlangt. Besonders interessant an diesem Begehren ist, dass der Bundesrat ermächtigt werden soll, den EWR-Beitritt in eigener Kompetenz zu ratifizieren.83 Damit ließe sich das Hindernis des obligatorischen Staatsvertragsreferendums nach Artikel 89 Absatz 5 der Bundesverfassung umschiffen. Allerdings dürfte dies – kommt die Initiative zustande – noch zu ausgedehnten politischen und juristischen Diskussionen Anlass geben. Das Verhältnis der Eidgenossenschaft zu Europa bleibt also, trotz des „schwarzen Sonntags“, auf der politischen Traktandenliste. Wann und unter welchen Bedingungen könnte sich die Einsicht zur Öffnung gegenüber Europa – mit dem die Schweiz ja längst und auf vielfältigste Weise vernetzt ist – auch bei der Bevölkerung durchzusetzen beginnen? Aus heutiger Perspektive kommt man, wie schon Sigmund Widmer, zur wenig erfreulichen Feststellung, dass es wohl weniger ehrlicher Wille zur solidarischen, partnerschaftlichen, regionalen und internationalen Kooperation und Partizipation sein wird, der Schweizerinnen und Schweizer dereinst eine aktivere Außenpolitik wünschen und bejahen lassen könnte, als vielmehr die Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen bei weiterem Abseitsstehen von einem 81 Vgl. ebd. 82 Zum Reformprogramm des Bundesrates nach dem 6. 12. 1992, vgl. Der Bund, 21. 1. 1993; Neue Zürcher Zeitung, 21. 1. 1993. 83 Vgl. Neue Zürcher Zeitung, 2. 2. 1993.
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integrierten Europa, die den „außenpolitischen Verweigerungswillen“ gezwungenermaßen aufbrechen dürfte.84 Eine pessimistische Einschätzung, zugegeben – doch momentan hat man wirklich den Eindruck, als könne eine Öffnung des Kleinstaats nur nach der Devise „learning by suffering“ funktionieren. Denn noch sind Igelreflex und überkommene Vorstellungen von einer unabhängigen und wirtschaftlich potenten Schweiz stärker als die Einsicht ins Ende des „Sonderfalles Eidgenossenschaft“.
84 Vgl. auch Sigmund Widmer, Parlament und Außenpolitik, in: Schweizerisches Jahrbuch für Politische Wissenschaft (Jahrbuch der Schweizerischen Vereinigung für Politische Wissenschaft 28/1988), Bern 1989, 33– 44, hier 37 und 44.
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„Politisch unabhängig“, aber „ideologisch eindeutig europäisch“ Die ÖVP, die Vereinigung christlicher Volksparteien (NEI) und die Anfänge der europäischen Integration 1947–1960*
Das Verhältnis der Österreichischen Volkspartei zu den Anfängen des europäischen Integrationsprozesses1 ist nicht leicht zu analysieren. Einschlägige Primärquellen sind entweder nicht ausreichend vorhanden oder wurden bisher kaum freigegeben.2 Da es hierzu auch in den für die Forschung zugänglichen Partei-Teilarchiven keine geschlossen überlieferten oder geordneten Bestände gibt, gilt es aus der Not eine Tugend zu machen: Die ÖVP entsandte regelmäßig Vertreter zu den Veranstaltungen der NEI,3 die besonders Fragen der europäischen Integration rege diskutierten. In den Gesprächsprotokollen finden sich auch Stellungnahmen der ÖVP-Funktionäre, womit sich indirekt deren Positionen zur Integrationspolitik in Westeuropa rekonstruieren lassen.
I. Langfristige Voraussetzungen und die NEI Während Sozialisten und Kommunisten bereits im 19. Jh. internationale Solidarität praktizierten, ist dies für Christdemokraten erst nach 1918 in Ansätzen nachweisbar. 1921 hatte * Im Rahmen eines vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützten Projekts „Zwischen Westintegration und Neutralität. Karl Gruber und die österreichische Politik 1945–1955“ konnte dieser Beitrag erarbeitet werden. Dafür sei ausdrücklich Dank gesagt. 1 Dieser beschränkte sich freilich nur auf Westeuropa. Unter „europäischer Integrationsprozess“ wird in diesem Kontext streng genommen auch nur die westeuropäische Entwicklung verstanden. 2 Akten der ÖVP-Bundesparteileitung, so die Parteivorstands- oder ÖVP-Klubprotokolle lagerten bei Abfassung des Beitrages noch in den Parteistellen und waren nicht einsehbar. Die in den Aufstellungen verzeichneten mikroverfilmten Materialien in den Archiven der Politischen Akademie der ÖVP sind nicht vollständig vorhanden; Dokumente zu entscheidenden Phasen wurden zwar offensichtlich verfilmt, fehlen aber. Im Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts (AKVI) und des Julius Raab-Gedenkvereins (beide in der Politischen Akademie der ÖVP) gibt es über Nachlässe Aktensplitter zum Verhältnis ÖVP – europäische Integration/NEI, ebenso im Nachlass Felix Hurdes am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. 3 Unterlagen zu den NEI finden sich im Hurdes-Nachlass des AKVI sowie im Österreichischen Staatsarchiv (ÖStA) unter BMfAA (rette BKA/AA) II-pol, International; vgl. zum Verhältnis ÖVP – christdemokratische Parteien den kurzen Hinweis (allerdings ohne diesbezügliche Belegstelle) bei Gerald Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945–1955. Österreichs Weg zur Neutralität, Graz/Wien/Köln 19853, 22.
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der Gründer des PPI, Don Luigi Sturzo, eine europäische Organisation christlicher Parteien vorgeschlagen, Resultat eines Besuchs mit Alcide De Gasperi bei der BVP und Deutschen Zentrumspartei. 1926 wurde ein Sekretariat in Paris eingerichtet, das aber keine wirkungsvollen Aktivitäten entfalten konnte. Exil und Widerstand bewirkten Ablehnung des Totalitarismus. Die Weihnachtsbotschaft Pius’ XII. propagierte 1944 ein positives Verhältnis zwischen Christentum und Demokratie. Beides war günstig für internationale Zusammenarbeit, die u. a. von Franzosen und Schweizern ausging, als Angehörige des MRP und der Konservativ-Christlich-Sozialen Partei aktiv wurden.4 Daneben knüpften De Gasperi5 (DC), Felix Hurdes und Lois Weinberger (ÖVP) 1946 erste Kontakte zum MRP.6 Auf Schweizer Initiative kam es zur gleichen Zeit in Montreux und 1947 in Luzern zu weiteren Treffen. Die „Nouvelles Equipes Internationales“ (NEI) wurden gebildet.7 Die belgisch-französische Vorstellung von loser Sammlungsbewegung setzte sich gegenüber Hurdes’ Auffassung einer starken „Internationale“ durch.8 Mit unverbindlichen Kompromissformeln wurden unterschiedliche Ziele integriert, wodurch es der Programmatik an Eindeutigkeit mangelte.9 Daneben fehlten zentrale Organisation und gezielte Koordination. Deshalb kam es nicht nur 4 Heribert Gisch, Die europäischen Christdemokraten (NEI), in: Wilfried Loth (Hrsg.), Die Anfänge der europäischen Integration 1945–1950, Bonn 1990, 229–236, 229; vgl. auch Franz Horner, Konservative und christdemokratische Parteien in Europa. Geschichte, Programmatik, Strukturen, Wien/München 1981, 6568. 5 Vgl. das Politikerprofil von Wolfgang Oberleitner-Schwander, Alcide De Gasperi, in: ÖMH 2 (Oktober 1946), Nr. 1, 34–35; Adolf Kohler, Alcide De Gasperi 1881–1954. Christ, Staatsmann, Europäer, Bonn 1979; Arnulf Baring, Im Anfang war Adenauer. Die Entstehung der Kanzlerdemokratie, München 21982, 63, 348, bezeichnet den Trentiner De Gasperi missverständlich als „Südtiroler“. 6 Vgl. Lois Weinberger, Pariser Eindrücke, in: ÖMH, 1 (April 1946), Nr. 7, 275–278, hier 277; Anton Pelinka, MRP und ÖVP – Vorbild auf Zeit, in: Rudolf Altmüller/Helmut Konrad/Anton Pelinka/Gilbert Ravy/Gerald Stieg (Hrsg.), Festschrift Melanges Felix Kreissler (= Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung, Linz und des Centre d’Etudes et de Recherches Autrichiennes, Rouen), Wien/München/Zürich 1985, 139–148, 139 ff.; vgl. auch Helmut Karlick, Lois Weinberger. Ein Leben für Österreich, Wien 1988. 7 Über die Gründungsorte der NEI differieren die Angaben, vgl. z. B. Gisch, 230, der Montreux (1946) und Luzern (Februar/März 1947) als Anfänge sieht, während Ronald Eckford Mill Irving, The Christian Democratic Parties of Western Europe, London 1979, 244, Chaudfontaine als Gründungsort angibt; nach Jürgen Hollstein, Zur Geschichte christlich-demokratischer Zusammenarbeit in Europa: Die „Nouvelles Equipes Internationales“ (NEI), in: Libertas. Europäische Zeitschrift, 23 (1989), Nr. 3–4, 82–117, hier 88, gilt Chaudfontaine im NEI-Selbstverständnis als „formation définitive“; vgl. auch den Verweis auf die Gründung am 1. Juni 1947 in Chaudfontaine im Dokument 66, in: Walter Lipgens (Hrsg.), 45 Jahre Ringen um die Europäische Verfassung. Dokumente 1939–1984. Von den Schriften der Widerstandsbewegung bis zum Vertragsentwurf des Europäischen Parlaments, Bonn 1986, 291 f., hier 291, vgl. auch Olivier Philip, Le problème de l’union européenne, Paris 1950, 183–185, hier 183. 8 Rudolf Lewandowski, Der Traum von Europa. Die Christlich-Demokratische Internationale – Ihr Ursprung und ihre Entwicklung, in: Rheinischer Merkur, 15. 6. 1973, Nr. 24, 10; Karl Josef Hahn, Die christliche Demokratie in Europa, Rom 1979, 17. 9 Vgl. Aufbau und Satzungen der NEI bei Leo Schürmann, Die ideologischen Grundlagen der Nouvelles Equipes Internationales, in: Civitas 5 (1949/50), 639–644.
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in Luzern, sondern auch später zwischen ÖVP und MRP zu Konflikten.10 Gemeinsam mit der Schweiz setzten die Österreicher zumindest Deutsch als offizielle Verhandlungssprache durch.11
II. Die Politik der ÖVP in den NEI: Integration der Deutschen und Priorität für den österreichischen Staatsvertrag Vom 31. Mai bis 3. Juni 1947 erfolgte in Chaudfontaine bei Lüttich die ideologische Standortbestimmung.12 Marxismus und Behandlung der Deutschen wurden beraten. Ergebnis war eine über christlichsoziale Konzeptionen hinausgehende allgemein gehaltene Wirtschaftsund Gesellschaftstheorie eines dritten Weges zwischen Marxismus und Kapitalismus. Aufgrund bereits bestehender nationaler Equipen wurde ein „Comité Exécutif“ mit Präsident Robert Bichet (MRP) und Generalsekretär Jules Soyeur (PSC) gebildet. Es verabschiedete provisorische Statuten und eine Geschäftsordnung.13 Auf Hurdes’ Anregung wurde eine deutsche Delegation zum nächsten Treffen in Luxemburg eingeladen.14 Bei diesem „congrès de la réconciliation“ vom 29. Januar bis 1. Februar 1948 schlug Konrad Adenauer eine
10 Der auf seinen linksprogressiven Flügel Rücksicht nehmende MRP trat den NEI nie als Partei bei, vgl. die Überblicksdarstellung von Christian Mertens, Der Beitrag österreichischer Christdemokraten zur Integration Europas, Projektstudie der Politischen Akademie der ÖVP, Wien 1989 (unveröffentlichtes Manuskript), 12. Der Arbeit ging es offenbar mehr um eine organisationsgeschichtliche, weniger um eine inhaltliche Auseinandersetzung des Verhältnisses ÖVP – NEI; für die folgende Zeit stützt sich die Arbeit auf gedrucktes Material und Interviews; Ingfrid Schütz-Müller, „Europa“ – in der österreichischen Nachkriegspolitik 1945–1956, phil. Diss. Wien 1974, 135–138, 136, nennt die nordafrikanisch-mohammedanischen Delegierten als Grund für die Zurückhaltung des MRP bezüglich NEI. Nach Rudolf Lewandowski schien der MRP „die Absicht zu haben, sich im Rahmen der Europäischen Bewegung den sozialistischen Gruppen, nicht aber der NEI anzuschließen. Bichet selbst müsse diese Tatsache zugeben.“ Lewandowski an Felix Hurdes, 23. 2. 1949. IfZg Wien, NL Hurdes, NL 48, DO 366. 11 Rudolf Lewandowski, Österreich und die christlich-demokratischen Parteien, in: ÖMH 11 (April 1955), Nr. 4, 20 ff. 12 Roberto Papini, L’Internationale Démocrate-Chrétienne. La coopération internationale entre les partis démocrates-chrétiens de 1925 à 1986, Préface de Hugues Portelli, Paris 1988, 50. Neben Hurdes war von der ÖVP noch Min. a. D. Hans Pernter anwesend. 13 Gisch, 230; präziser Hollstein 85–88. 14 Gisch, 230 f.; Minister Eduard Heinl hatte im Januar 1948 Victor Koutzine voller Optimismus anvertraut, dass die Regierung in Wien überzeugt sei, dass die Sowjetunion über Österreich den Kontakt zu den Westmächten wiederherstellen werde. Von der Lösung des Österreichproblems werde eine bemerkenswerte Détente ausgehen, die vielleicht für die deutsche Frage bessere Bedingungen ermöglichen würde als bei den Konferenzen in Moskau und London. Schreiben Victor Koutzine vom 18. Januar 1948 (über ein Treffen mit Heinl in Zürich) „Les vues du Gouvernement Autrichien sur la situation actuelle“. Archives Nationales (AN) Paris/Archives Bidault, 457 AP 59, Rote Mappe Rapports Koutzine-Nemanoff 1948.
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gemeinsame Verwaltung der europäischen Grundstoffindustrie vor.15 Seit März 1948 gab es auch Kontakt zwischen Georges Bidault16 und Adenauer.17 Die mit dem Luxemburger Kongress vollzogene Hinwendung zur „europäischen“ Politik (Befürwortung des Marshallplans und der Integration westdeutschen Potenzials für die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa) und Planungen für einen eigenen Kongress „sur l’Organisation de l’Europe“ machten den Anschluss der NEI an das International Joint Committee der Europäischen Bewegung (EM) möglich. Die Beschlüsse des Haager Kongresses vom Mai 1948 – nach Nationalrat Eduard Ludwig hatte sich die österreichische Delegation dort „gute Beachtung zu verschaffen gewusst“ und von der ÖVP „Männer wie Gschnitzer, Pernter, Kapsreiter, Maurer […] in diesem großen internationalen Kreise gute Stellung gefunden“18 – wurden zur beherrschenden Zielsetzung der NEI.19 Der 3. NEI-Kongress vom 17. bis 19. September 1948 in Den Haag sprach sich neben einem Zweikammersystem der Gesetzgebung für Europa für die Einberufung einer europäischen Versammlung aus, „die zunächst nur beratenden Charakter tragen“, während „die künstliche Aufteilung Europas in antagonistische Blocks [sic!] nicht als endgültige Tatsache“ hingenommen werden sollte. Mitteleuropa wurde als neuralgischer Punkt ins Bewusstsein gerückt und auf die Gefahr hingewiesen, „dass der Zusammenschluss Europas nur durch die Regierungen erfolgt“. Die breiten friedenswilligen Volksmassen sollten zur Zusammenarbeit herangezogen werden, „wobei der Arbeiterschaft ihr gebührendes Recht“ zu zollen sei.20 Der Ost-West-Gegensatz war Schrittmacher zur Formierung der europäischen Christdemokraten. Die Ereignisse in der Tschechoslowakei lösten Beunruhigung in Wien aus, obgleich eine kommunistische Putschgefahr im eigenen Land nicht befürchtet wurde.21 Im 15 Vgl. die faksimilierte Einladung zu diesem Kongress bei Hans-Peter Schwarz/Rudolf Morsey (Hrsg.), Adenauer. Briefe 1947–1949, Berlin 1984, 138, sowie die Anm. zum Dok. 723 auf 533 f.; dagegen abweichende bzw. falsche Daten bei Lipgens, 291, und Papini, L’Internationale, 64 (der auch den Verweis auf Adenauer bringt). 16 Vgl. das Politikerprofil von Georges Dumaine, Georges Bidault, in: ÖMH 2 (Dezember 1946), Nr. 3, 129–131. 17 Werner Weidenfeld, Konrad Adenauer und Europa. Die geistigen Grundlagen der westeuropäischen Integrationspolitik des ersten Bonner Bundeskanzlers, Bonn 1976; zu Adenauers frühen Beziehungen zu den NEI, vgl. Schwarz/Morsey, Adenauer. Briefe 1947–1949, 137 ff., 164, 204, 207, 274. 18 Bericht von Nationalrat Prof. Eduard Ludwig vom 14. 5. 1948 [über den Europäischen Kongress in Den Haag] an Karl Gruber. ÖStA, AdR, BKA/AA, KdM, Zl. 100.303-K/48, Karton 8. Bei einer Großkundgebung in Amsterdam hatte Ludwig „unseren Herren Zurückhaltung angeraten“. In die Manifestation war eine Totenfeier für die Opfer Hanns Rauters eingeschoben, der kurz vorher zum Tod verurteilt worden war. Der Prozess habe – laut Ludwig – alte Wunden wieder aufgerissen. Zwischenfälle konnten aber vermieden werden. 19 Gisch, 231; Papini, L’Intemationale, 60, 64; Walter Lipgens, Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945–1950, Erster Teil: 1945–1947, Stuttgart 1977, 547, 549 und Schema am Buchende. 20 Felix Hurdes, Der NEI-Kongress 1948, in: ÖMH 4 (Oktober 1948), Nr. 1, 3–7; Lipgens (Anm. 7), 291. Neben Hurdes waren von der ÖVP Lois Weinberger, Nationalrat Karl Lakowitsch und Chefredakteur Dr. Ernst Winkler anwesend. 21 Bericht von Victor Koutzine an Georges Bidault vom 23. Februar 1948 über ein Gespräch mit Minister Hurdes in Zürich. AN/Archives Bidault, 457 AP 59. Rote Mappe Rapports Koutzine-Nemanoff 1948.
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NEI-Exekutivkomitee am 21. März 1948 hatte sich nach Hurdes „zum ersten Mal der uneingeschränkte Wille aller Vertreter der Parteien aus den einzelnen Ländern zu einer sachlichen Zusammenarbeit“ gezeigt. Von allen Seiten sei man bemüht gewesen, „der NEI eine Organisationsform zu geben, die eine Lösung der verschiedenen internationalen Probleme ermöglicht. Damit beschritt man endlich den Weg, den wir sowie die Vertreter der Schweiz und Italiens gegen den hauptsächlichen Widerstand der Vertreter Frankreichs schon vor mehr als einem Jahr in Luzern vorschlugen. Offenkundig ist nunmehr die Erkenntnis von der Gefährlichkeit der internationalen Situation (insbesonders Bedrohung Europas durch den Kommunismus) auch bei den westeuropäischen Nationen lebendig geworden.“22
Nicht nur nationale Equipen, sondern auch Einzelpersonen konnten den NEI angehören, was Vertretern des osteuropäischen Exils, nationalen europäischen Minderheiten und Christdemokraten in Übersee entgegenkommen sollte. Die NEI waren primär ein Verband von Christdemokraten, während sich ihre europäische Verankerung im Rahmen einer größer angelegten, weltweiten Konzeption bewegte. Europäische Politik im Sinne „christlichen Geistes“ hatte primär operationale Funktion. Ihre Zurückhaltung hinsichtlich europapolitischer Maximalforderungen war durch die hohe Zahl von Regierungsverantwortung tragenden NEI-Vertretern bedingt. Das politisch Mögliche charakterisierte ihr Konzept, wobei im Zuge des sichtbar werdenden Scheiterns eines „Europas als dritte Kraft“ eine sektorale Integration favorisiert wurde. Der im NEI-Exekutivkomitee vertretene Hurdes war im Frühjahr 1948 erleichtert und zufrieden, dass „die NEI sich nun endlich ihrer Aufgaben bewusst wird und nunmehr als eine Art Parlament der christlich-demokratischen Parteien tätig sein will“.
Neben dem sichtlichen Bemühen des MRP, „eine für Deutschland tragbare Lösung herbeizuführen“, hatte Hurdes in einer längeren Aussprache Gelegenheit, den österreichischen Standpunkt darzulegen. Integrationspolitische Aspirationen traten dabei nicht hervor. Die notwendigen Maßnahmen, „vor allem Sicherung der Ernährung und entsprechende Bewaffnung der Exekutive“ sowie Fragen des Staatsvertrages standen im Vordergrund.23 Hurdes Zurückhaltung bezüglich europäischer Integration überrascht nicht. Die Stellungnahmen der ÖVP-Mandatare in den NEI24 waren mit Außenminister Karl Gruber (ÖVP) abgestimmt 22 Bericht Felix Hurdes über die Sitzung des Exekutivkomitees der NEI am 21. März 1948 in Paris. Anwesend waren Bichet, Lamalle, Lohest, Soyeur, Sassen, Catlin, Rosenberg, Morino, Hurdes, Bauer, Sieniewicz und Aguiri. ÖStA, AdR, BKA/AA, KdM, Zl. 100.255-K/48, Zl. 70.116 K/49, Karton 11. 23 Bericht Hurdes über die Besprechungen in Genf vom 22. und 23. März 1948 im Rahmen der christlichen Nothilfe (der NEI), denen Kindt-Kiefer, Koutzine, Adenauer, Morin, Wirth und Ott beiwohnten. GStA, AdR, BKA/AA, KdM, Zl. 100.255-K/48, Zl. 70.116 K/49, Karton 11. 24 Vgl. hierzu kursorisch und auf gedrucktem Material basierend Senta G. Steiner, Österreich und die europäi-
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und bewegten sich im Rahmen der Hauptzielsetzung, territoriale Integrität zu wahren und staatliche Unabhängigkeit zu erreichen. Grubers Europapolitik hatte minimalsten Aktionsradius. In seinem 1946 erschienenen, weitgehend unbeachtet und auch ohne Einfluss auf die ÖVP gebliebenen Buch „Die Politik der Mitte“ hatte er zu erkennen gegeben, dass er einen Zusammenschluss der Staaten nur auf weltweiter Basis für möglich hielt.25 Es verwundert nicht, dass er ein Jahr später im Unterschied zu den westdeutschen Besatzungszonen zur Lage Österreichs folgende Besonderheit vertraulich festhalten ließ: „Es ragt in die militärischen Positionen des Ostens und Westens hinein. Sein Interesse ist besonders lebhaft, dass auf dem Wege der diplomatischen Bereinigung von Konflikten weiter geschritten wird, weil sonst seine politische Vereinigung unrettbar verlorenginge [sic!]. Es gibt für Österreich keine Alternativpolitik der getrennten Organisation der westlichen Zone. Denn Russland besitzt die Industrie dieses Landes, die Westmächte die Szenerie [sic!]. Die Alternative ist daher der Zerfall und damit das Ende Österreichs.“
Österreich wünsche keineswegs einen Vertrag um jeden Preis, aber einen, „in dem seine vitalen Interessen sichergestellt sind“.26 Diesen Intentionen war bis 1955 österreichische wie auch ÖVP-Integrationspolitik nachgeordnet.27 In diesem Sinne war eine allzu rasche und sche Integration zwischen Moskauer Deklaration und Europakongress in Den Haag (1943–1948), phil. Diss., Salzburg 1971, 90 f. 25 Karl Gruber, Die Politik der Mitte, Europa-Verlag, Zürich 1946, 42 f., spricht hier von einer neuen Völkergemeinschaft, die sich „mindestens auf die europäischen Staaten und die angelsächsischen Länder stützen“ wird müssen. Eine rein europäische Lösung der Bundesfrage schied seiner Ansicht nach „a priori aus, denn ohne die gewaltige volkliche und materielle Energie Amerikas und der britischen Dominions ist die Majorisierung der europäischen Altdemokratien unvermeidbar“. 26 Streng vertrauliche Aufzeichnung Außenminister Karl Grubers „Die Lage in Mitteleuropa“, undatiert [Frühjahr 1947]. Karl Gruber Archiv am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck (KGA), Karton 14, Mappe Diverse Vertrauliche Informationen. Wieder gestrichen waren die nachfolgenden Gedanken, wonach es ferner die Gefahr zu bedenken gelte, „dass der Übergang zu einer neuen Politik in Westeuropa leicht die Möglichkeit eines Vertragsabschlusses überhaupt verschütten kann“; ähnliche Gedankengänge auch in: KGA. Karton 22, Mappe P-B 1949/50, Streng vertraulicher Gesamtbericht [Grubers] über den Verlauf der Moskauer Konferenz (undatiert) [April/Mai 1947]; dann auch in Englisch gehaltene Information für die amerikanische Presse, Brief des Bundesministers an 4 USA-Journalisten [Ogden-Reid, Arthur Sulzberger, Hamilton FishArmstrong, Henry R. Luce], 2. Juni 1947, „Confidential! The situation in Central-Europe“. KGA, Karton 22, Mappe P-B 1949/50, Zl. 100.407-K/47. Hierin heißt es: „For Austria there is no alternative policy of a separate organization of the western zone as in Germany. Russia holds the industry of the country, the western powers the scenery. The alternative would mean disintegration and, in consequence, the end of Austria.“ 27 Vgl. hierzu den Beitrag von Weiß in diesem Band sowie zur ÖVP-Programmatik Steiner, 85 f., und die Abschnitte zur Außen- und Marshallplanpolitik bei Alfred Kasamas, Programm Österreich. Die Grundsätze und Ziele der österreichischen Volkspartei, Wien 1949, 100–107, hier 106 f., 189–194, hier 190, woraus die Propagierung der lediglich ökonomisch orientierten ÖVP-Integrationspolitik zu entnehmen ist. Jede „einseitige Orientierung“ und die „Teilnahme an politischen Blockbildungen“ sollten vermieden bzw. abgelehnt werden;
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starke politische Integrationsdynamik für Wien gar nicht so wünschenswert, zumal Österreich sich ihrer zu enthalten hatte, eine zunehmend ökonomische Vernetzung dagegen dem Souveränitätspostulat nicht abträglich. Dabei reflektierte Gruber, dass sich die Sowjets von Truppenabzug und Vertragsabschluss nicht nur „bedeutende Rückwirkungen“ auf die Weltmeinung, sondern „vielleicht auch Verzögerungswirkungen auf die Ausbildung der westeuropäischen Union“ erwarten, wobei diese gemäß seinen Vorstellungen allerdings auch „zusätzliche Anlehnungsmöglichkeiten für ein befreites Österreich“ schaffe. Er resümierte, dass der Abschluss eines erträglichen Staatsvertrages „als erster bedeutender Erfolg der MarshallPolitik“ erschiene, der die Zusammenarbeit in Europa „nicht schwächen, sondern stärken“ würde: „Erfolge wirken auf Zögernde immer ermutigend. Der Westeuropa-Plan würde verstärkte Impulse erhalten. Österreich könnte als vollberechtigter Teilnehmer dazu mehr eigene Initiative entwickeln.“28
III. Hurdes’ „europäischer Solidarismus“ und die Wiener Realpolitik In der unmittelbaren Nachkriegszeit war Felix Hurdes der aktivste ÖVP-Politiker in den NEI.29 Widerstand und KZ-Erfahrung waren prägende Motive seiner Europagedanken gewesen. Als überzeugter Katholik empfand er die strikte Trennung des Abendlandes in nationale Zonen als Skandal. In regelmäßigem Kontakt zwischen Christdemokraten verschiedenster Länder, Diskussion und Erfahrungsaustausch sah er Hauptaufgaben der NEI, wobei ihm die Idee eines „lebendigen europäischen Solidarismus“, verkörpert durch einen Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, vorschwebte. Für Hurdes hieß das Ablehnung eines „schrankenlosen Individualismus und des unpersönlichen, allmächtigen Kollektivismus“. Losgelöst von Klassen- und Rassenideologien sollte „eine richtige Rechtsbeziehung zwischen dem Einzelmenschen und der Gemeinschaft“ gesetzt werden, wobei helfendes Zusammenwirken aller Volksschichten als „die fruchtbarste Grundlage einer wahrhaft demokratischen Politik“ angesehen wurde. Im Marshallplan sah er eine notwendige und begrümit der ERP-Teilnahme verfolge man nicht die Eingliederung Österreichs in einen machtpolitischen ,Westblock‘; zur ÖVP-Programmatik im allgemeinen vgl. Robert Kriechbaumer, Parteiprogramme im Widerstreit der Interessen. Die Programmdiskussionen und die Programme von ÖVP und SPÖ 1945–1986 (= Österreichisches Jahrbuch für Politik, Sonderband 3), Wien/München 1990, 241 ff. 28 Streng vertrauliche Aufzeichnung Grubers „Will Russland einen Vertrag?“ [1948]. KGA, Karton 22. Mappe „St. V II“. 29 Vgl. auch Felix Hurdes, So sieht Solidarismus die Welt, in: ÖMH 2 (Oktober 1946) 1, 5–7; neben Hurdes ist v. a. der a. o. Ges. und bev. Min. Eduard Ludwig als prononcierter Europapolitiker der ÖVP bei der Interparlamentarischen Union (IPU), Europäischen Parlamentarier-Union (EPU) und als Beobachter beim Europarat aufgetreten, vgl. auch den Beitrag von Posselt in diesem Band.
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ßenswerte „materielle Grundlage einer besseren Zukunft“, doch mit wirtschaftlichen Hilfsmaßnahmen alleine könne das Werk Europa nicht geschaffen werden: „Mindestens ebenso wichtig ist eine Zusammenfassung der geistigen und kulturellen Aufbaukräfte Europas, eine zeitgemäße Erneuerung abendländischer Seinsbegriffe und Lebensnormen. Es wird zu erweisen sein, dass Europa immer noch eine kulturelle Einheit darstellt und damit anderen Kontinenten etwas entgegenzusetzen hat, das mit Macht allein nicht aufgewogen werden kann.“30
Die verheißungsvoll klingenden Ausführungen Hurdes können nicht über die Sachzwänge der österreichischen Staatsvertragspolitik hinwegtäuschen, der bereits binnen- und außenwirtschaftliche Grenzen31 auferlegt waren. Auf das über Schaffung eines gemeinsamen Organs der ERP-Verwaltung hinausgehende amerikanische Verlangen nach verstärkter Zusammenarbeit und Handelsliberalisierung unter den OEEC-Ländern wurde von Wien abwartend reagiert, die Bildung von Zollunionen als verfrüht und die Einsetzung einer diesbezüglichen Studienkommission nur insofern begrüßt, wenn sich alle Staaten beteiligen würden. Intern wurde betont, dass Österreich vor Abschluss des Staatsvertrages keine bindenden Erklärungen über eine Teilnahme an Zollunionen abgeben könne.32 Die christlichen Volksparteien gestalteten in den NEI auch die zwischenstaatlichen Beziehungen. War Adenauers Hauptanliegen die deutsch-französische Aussöhnung, so war für Hurdes die Freundschaft mit Italien wichtig: „Der Personalismus im Westen und der Solidarismus bei uns und in Italien [Herv. M. G.] sind gleichermaßen Ausdrucksformen dieses Strebens und Beweis, dass gegenüber den zerstörenden, den chaotischen Kräften eine geschlossene Welt positiven Aufbauwillens sich entgegenzustellen beginnt.“33
30 Felix Hurdes, Europäischer Solidarismus. Aufbau und Gestalt der Arbeit der Volksparteien Europas, in: Politische Zeitprobleme, Heft 31, Wien 1948, 2–8, hier 4. 31 Zur Problematik der Freigabe der Gegenwertmittel des ERP vgl. Wilfried Mähr, Der Marshallplan in Österreich, Graz/Wien/Köln 1989, 201–220, 216 ff., zur (gegenüber den sowjetischen Satellitenstaaten verordneten) US-Embargopolitik (für Österreich) andeutungsweise Rudolf G. Ardelt/Hanns Haas, Die Westintegration Österreichs nach 1945. in: ÖZP 4 (1975) Heft 1, 378–401, 391. 32 Undatierte Aufzeichnung bezüglich vorliegender Informationen über amerikanisches Verlangen nach stärkerer Zusammenarbeit in Europa 119481. KGA, Karton 22; bereits am 16. 8. 1946 ließ Gruber in einem streng vertraulichen Lagebericht wissen, dass alles vermieden werden sollte, den Sowjets Vorwände für eine Verlängerung der Okkupation zu geben, weshalb „vom Westen her nicht Nachrichten über Zollunionsverhandlungen, z. B. Österreich – Italien, lanciert werden“ sollten. KGA Karton 22, Mappe P-B, 1949/50; zur Frage der Zollunionen vgl. auch den Beitrag von Weiß in diesem Band. 33 Hurdes, Solidarismus, 3.
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Im Südtirol-Abkommen zwischen Gruber und De Gasperi vom 5. September 194634 hatte der gebürtige Brunecker – anders als Tiroler ÖVP-Kreise – eine „europäische Lösung“ gesehen.35 Am 2. Nationalkongress der DC vom 15. bis 19. November 1947 in Neapel war eine ÖVP-Delegation unter Hurdes Führung vertreten. Seine Ausführungen, wonach DC und ÖVP Bruderparteien seien, wurden mit großem Beifall aufgenommen. Hurdes vergaß nicht in Gegenwart De Gasperis hervorzuheben, „dass aus dem Geiste des Solidarismus auch das unsere beiden Völker berührende Problem Südtirol einer Lösung zugeführt werden müsse, die beide Völker befriedigen könne und dass gerade unsere beiden großen Parteien zu einer solchen Lösung wesentlich beitragen müssen“.36
Es sollte aber nicht gelingen, die Südtirolfrage – so wie die Saarfrage zwischen CDU/CSU und MRP – parteienbilateral zwischen ÖVP und DC zu lösen, was der Kontaktmann von Hurdes und NEI-Jugendfunktionär Rudolf Lewandowski mit dem Fehlen einer „neutralen Assistenz“ im Rahmen der NEI begründete.37 Hier wäre allerdings zu fragen, welche Rolle gemeinsame Handelsverflechtung im OEEC-Rahmen mit Italien und sicherheitspolitische Implikationen durch die italienische NATO-Mitgliedschaft in weiterer Folge spielten, die wesentliche Faktoren für Wien und den Westen bildeten. Im NEI-Exekutivausschuss vereinbarten am 21. Juni 1948 in Lüttich Österreich und Italien, die sich beide um Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen beworben hatten, der Leitung der NEI Memoranden vorzulegen, „damit bei der nächsten UNO-Tagung die Volkspartei-Delegierten der verschiedenen Länder in gleicher Weise instruiert werden und gemeinsam für die Aufnahme der beiden Länder eintreten können“.38 Die Beziehungen zwi34 Vgl. grundlegend Rolf Steininger, Los von Rom? Die Südtirolfrage 1945/46 und das Gruber-Degasperi-Abkommen (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 2), Innsbruck 1987. 35 Interview mit dem Leiter der Diplomatischen Akademie Dr. Alfred Missong am 7. Februar 1991 über Gespräche zwischen seinem Vater und Hurdes (Tonbandaufzeichnung im Besitze des Verfassers). 36 Bericht vom 20. 11. 1947 über den 2. National-Kongress der DC vom 15.–19. 11. 1947 in Neapel. AKVI, Hurdes Archiv, Karton 1–1. A. 186–241, 214, vgl. auch den Artikel „Demochristiani und OeVP – ein Ziel. Minister Hurdes: Freiheit und Ordnung – unser gemeinsamer Weg, in: Neue Wiener Tageszeitung, 23. 11. 1947. 37 Rudolf Lewandowski, Das Europa der christlichen Demokratie, in: Andreas Khol/Robert Prantner/Alfred Stirnemann, Um Parlament und Partei. Alfred Maleta zum 70. Geburtstag (Studienreihe der Politischen Akademie der ÖVP Bd. 1), Graz/Wien/Köln 1976, 345–359, 354. Lewandowski, junger österr. Student in Frankreich, knüpfte im Einvernehmen Hurdes’ bereits früh Kontakte zum MRP und war im Rahmen der 1948 geschaffenen NEI-Jugend sehr aktiv. 38 Hurdes, Europäischer Solidarismus, 7; Bericht Hurdes über die Exekutivausschusssitzung der NEI vom 21. 6. 1948 in Lüttich. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol 1948, Intern. 17, Zl. 115.782-pol/48 (GZl. 114.737-pol/48). Hurdes stimmte sich mit Gruber ab, der eine kurze Information als offiziöse Ansicht (Zl. 115.871-pol/48) betreffend Österreichs Einstellung zur Aufnahme in die UNO verfassen und Hurdes für die NEI übermitteln
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schen ÖVP und DC entwickelten sich – losgelöst von der Südtirolfrage39 – sehr gut. Bei internationalen Konferenzen waren die Auffassungen regelmäßig abgestimmt und vielfach gleichlautend. Im Mittelpunkt der ersten NEI-Aktivitäten stand das deutsch-französische Verhältnis, welches Österreich gleichsam zu einem Randproblem degradierte. Am 2. November 1948 berichtete Hurdes, der kurze Zeit später auf Antrag der Franzosen einstimmig zum Vorsitzenden der politischen Kommission der NEI gewählt werden sollte,40 vertraulich an Gruber von Besprechungen europäischer Volksparteivertreter im Genfer Kreis,41 der eng mit den NEI in Verbindung stand.42 Bidault führte aus, dass Europa früher bis zum Ural gereicht habe. Heute sei es nur eine kleine Landenge. Man könne sich damit nicht abfinden, dass Europa nur aus dem Westen bestehe. Eine heutige europäische Lösung könne daher „keine definitive Lösung sein“. Kritisch merkte er an, dass die Länder bisher nur ihren eigenen statt den Interessen Europas dienten. Mit einem europäischen Parlament solle man nicht zu weit gehen, bei einer europäischen Zusammenarbeit aber „vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet sehr fortschrittlich, auf politischem Gebiet sehr vorsichtig sein“. In Russland wolle sicher niemand den Krieg. Bidault betonte jedoch, dass er 600 Stunden mit Molotow und 30 Stunden mit Stalin verhandelt habe. Er sei heute überzeugt, dass es nichts gäbe, die Russen dazu zu bringen, von ihren Absichten Abstand zu nehmen: „Wir stehen vor einem neuen Islam, der nie einen Schritt zurückweichen wird, von dem man aber alles erwarten kann.“ Wenn der Streit zwischen Deutschen und Franzosen aufhöre, gebe es eine europäische Lösung, sonst nicht. Adenauer teilte die Auffassung Bidaults, wonach das europäische Problem nur bei einer Klärung des deutsch-französischen Verhältnisses gelöst werden könne und sprach
ließ. Wien hatte bereits am 2. 7. 1947 dem Generalsekretär der UNO ein formelles Ansuchen um Aufnahme in die UNO überreicht, vgl. Grubers „Information über die Aufnahme Österreichs in die UNO“. IfZg Wien, NL Hurdes, NL 48, DO 365. Es ist bemerkenswert, dass die Aufnahme Österreichs gleichzeitig mit der Italiens (Ende 1955) erfolgte, welches sich jahrelang erfolglos darum beworben hatte. 39 Alfred Maleta berichtete später „über jahrelange Bemühungen, die Südtiroler Volkspartei [SVP] wenigstens als Mitglied zur NEI zuzulassen, die am italienischen Widerstand scheiterten. Österreich ist in diesem Gremium praktisch von niemandem unterstützt worden. Besonders die CDU hat hier in der Praxis immer die Italiener unterstützt“, Protokoll. Außenpolitischer Ausschuss [der ÖVP], 7. Sitzung, 8. 2. 1961, 7. Archiv des Julius Raab Gedenkvereins (AJRGV), Schachtel „Beiakten 1960“. 40 Niederschrift „Streng vertraulich“ über die Exekutiv-Ausschusssitzung der NEI in Paris vom 20. und 21. November 1948. IfZg Wien, NL Hurdes, NL 48, DO 365 bzw. DO 366. 41 Vertrauliches Schreiben Hurdes an Gruber, 2. 11. 1948, und Durchschlag der Aktennotiz Hurdes über die Konferenz des Koordinations-Komitees [der NEIL in Genf am 21. 10. 1948. KGA, Karton 4]. Zu den Teilnehmern zählten Rosenberg, Bidault, Gortais, Morino, Adenauer, Steiner, Kindt-Kiefer und von der ÖVP Weinberger und Hurdes. Alle Zitate stammen aus der unveröffentlichten Aktennotiz. 42 Bruno Dörpinghaus, Die Genfer Sitzungen – Erste Zusammenkünfte führender christlich-demokratischer Politiker im Nachkriegseuropa, in: Dieter Blumenwitz/ Klaus Gotto/ Hans Maier/ Konrad Repgen/ Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers. Beiträge von Weg- und Zeitgenossen, Stuttgart 1976, 538–565, 550; vgl. auch Hahn, 18.
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sich für einen europäischen Staatenbund aus. Weinberger ging auf Adenauers Gedanken, die auf eine Weststaatskonzeption abzielten, nicht ein, brachte aber seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass im Zusammenhang mit Mitteleuropa Österreich unerwähnt geblieben sei, was Bidault zur Erwiderung veranlasste, dass sein Referat unvollständig gewesen und Österreich „als der Vorposten der europäischen Freiheit zu betrachten“ sei. Seinerzeit habe er sich auch dafür eingesetzt, „so schnell als möglich einen Friedensvertrag [sic!] zu erreichen“, später, dass es nicht dazu komme, „weil die Gefahr bestand, dass dieser Vertrag mehr zu Ungunsten [sic!] ausgehen würde, als man ursprünglich erwarten konnte“. In Mitteleuropa könne man sich „für die Zukunft eine Föderation etwa wie Benelux vorstellen. Das könne aber kein Endziel sein, sondern es muss zu einem Gesamteuropa kommen.“ Österreich bezeichnete Bidault als „Vorentscheidung“. Die Westmächte und insbesondere die USA seien fest entschlossen, „Russland keinen einzigen Akt einer neuen Annexion zu erlauben“. Frankreich meine, „dass die Freiheit Österreichs auf dem ganzen Territorium als ein Teil des freien demokratischen Europa betrachtet werden muss“.43 Bidaults und Adenauers Stellungnahmen wurden aufmerksam registriert, lag doch eine Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen auch im österreichischen Interesse. Die das deutsch-französische Verhältnis schwer belastende Saarfrage nahmen dann auch ÖVP-Vertreter zum Anlass, der saarländischen CVP die Möglichkeit einzuräumen, innerhalb der NEI ihre Meinung kundzutun, während CDU-Kreise, besonders Jakob Kaiser, ihr gegenüber reserviert geblieben waren. Der spätere ÖVP-Generalsekretär und Vizepräsident der NEI, Alfred Maleta, der 1947 eine gesamteuropäische Ordnung mit Österreich als integrierenden Bestandteil gefordert hatte,44 plädierte unter gleichzeitiger Vermittlung im Konflikt um die Saar für deutsch-französische Verständigung. Seine Bemühungen sollen mit zur Verständigung zwischen Paris und Bonn beigetragen haben.45 Eine Konstante der ÖVP-Integrationspolitik ist in der Anlehnung an Italien zu erkennen. Politiker wie Julius Raab oder Staatssekretär Ferdinand Graf (der mit Mario Scelba kooperierte) befanden sich in gutem Einvernehmen mit Vertretern der DC und signalisierten Kooperation, wobei gerade aus der Sicht der ÖVP die Sorge um den Bestand der Regierung De Gasperi angesichts der Stärke der italienischen Kommunisten keine geringe Rolle gespielt haben dürfte. Es ging aber nicht nur um christdemokratische Solidarität, eine enge Zusammenarbeit auf ökonomischem und vor allem sicherheitspolitischem Gebiet lag im Interesse der Gesamtkonzeption des Ballhausplatzes. In einer streng geheimen Lagebeurteilung „Zur Entwicklung der westlichen Union“ des Außenministers u. a. für den proeuropäisch eingestellten, aber sich jeglicher aktiven Integrations- bzw. Europapolitik enthaltenden Kanzler 43 Wie Anm. 41; zur französischen Staatsvertragspolitik, vgl. Gerald Stourzh, 50–53; zur frz. Österreichpolitik in den 40er- und 50er-Jahren ist eine quellengesättigte Arbeit seines Schülers, Thomas Angerer, im Abschluss begriffen. 44 Steiner, 89. 45 Lewandowski, Das Europa, 350–354.
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Leopold Figl (ÖVP)46 hieß es, „dass noch für einige Zeit nur beschränkte Mittel für die Verteidigung Westeuropas gegen einen russischen Angriff zur Verfügung stehen“. Englisches Interesse bestehe vorerst nur darin, Verteidigungskräfte um die Kanalzone zu konzentrieren. Unter anderem deswegen spiele im Konzept der USA „die Heranziehung deutscher Elemente für den Verteidigungsring eine wachsende Rolle“. Dieses Verteidigungskonzept würde für Österreich „vermutlich keinen unmittelbaren Nutzen stiften“. Ein solcher ergäbe sich aber in höherem Maße, wenn die Alpen zu einem wichtigen Glied der Verteidigung würden. Hierfür sei Italien der Schlüsselpunkt: „Ohne militärischen Anschluss und ebensolche Verteidigung Italiens ist schwer zu sehen, wie österr. Gebiete von einer evt. Sicherheitszone mitgeschützt werden sollen. Die Teilnahme Italiens an dem westlichen Verteidigungssystem ist daher mehr im österr. Interesse gelegen, wie wahrscheinlich auch in jenem der Schweiz. Für die Geneigtheit des Westens zum Abschluss des Staatsvertrages spielen solche Erwägungen natürlich eine nicht unbedeutende Rolle.“
Abgesehen von militärtechnischen Erwägungen sei die Frage des juristischen Schutzes bedeutsam: „Österreich kann nur dann à la longue mit einer Sicherung seiner Stellung rechnen, wenn es in einer Garantieerklärung der Ver. Staaten bzw. des Westens miteinbezogen wird. Bei der gegebenen Lage, u.zw. auch auf längere Sicht sollte dies ohne österr. Gegenverpflichtungen, vielleicht sogar ohne ausdrückliche österr. Annahmeerklärung, ermöglicht werden.“
Dies sei wohl nur zu verwirklichen, „wenn die Ausdehnung der Verteidigungspläne auf das Mittelmeergebiet einschließlich der Adria realisiert wird“. Österreich habe lebhaftes Interesse daran, „dass sich die europäische Zusammenarbeit auf allen Gebieten mehr konkretisiert als es bisher der Fall war“. Schwierige Probleme würden aber entstehen, „wenn dies im Rahmen einer militärischen Kombination erfolgt, der sich Österreich nicht anschließen kann“. Dadurch würde es sowohl für den Osten als auch für den Westen „zu einem reinen Objekt politischer Entscheidungen“. Für Österreich wie für Staaten ähnlicher Lage (angeführt wurden Schweden und die Schweiz) sei es „zweckmäßiger, wenn ein Teil der politischen Zusammenarbeit im Rahmen des Marshallplans durchgeführt würde, wo sie gewissermaßen als natürliche Ergänzung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit angesehen werden kann. Die sogenannte Neutralitätspolitik [Herv. M. G.] als solche brauchte deswegen nicht aufgegeben zu werden. Alle Bestrebungen, möglichst viel vom Mechanismus der politischen Zusammenarbeit für die OEEC zu sichern, stehen mit den österreichischen Interessen im Einklang.“ 46 Steiner, 86 f.
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In dieser Konsequenz war wünschenswert, wenn sich die militärischen Kombinationen „außerhalb der OEEC begründen lassen. Aber auch hier ist die Verbreiterung der Basis und die Einbeziehung Italiens eine wichtige Voraussetzung, damit die Früchte dieser Sicherheitsvorkehrungen auch für Österreich stärker wirksam werden.“
Eine vereinfachte Erwägung ergebe sich, „wenn es zur Bildung eines europäischen Parlaments oder Ministerrates kommen sollte, dem auch unter anderem Österreich angehören würde. Dann müsste für uns darauf Bedacht genommen werden, diese künftigen Institutionen a-militärisch, mehr wirtschaftlich und bar jeden aggressiven Charakters zu konstituieren.“47
Diese Grundsatzpositionen galten als verbindlich für die Missionschefs und waren unter „persönlichen Verschluss“ zu halten. Sie können beim Agieren der ÖVP-Vertreter in den NEI nicht unbeachtet bleiben, denn nicht von ungefähr gab Hurdes vor der NEI-Exekutivausschusssitzung Anfang 1949 Gruber die Tagesordnung bekannt und fühlte vor, welche Haltung einzunehmen sei.48 Bei Punkt 2 (Lösung des Ruhrproblems) und 4 (italienische Forderungen nach Kolonien) bat Gruber um „größte Zurückhaltung“, da diese Fragenkomplexe „sehr delikate Materien betreffen, hinsichtlich welcher die Interessen und daher auch die Einstellung der Mächte, an deren Wohlmeinung uns gelegen sein muss, nicht unbeträchtlich auseinandergehen. Es wäre daher für die Bundesregierung keineswegs opportun, ihrerseits in welcher Form immer zu diesen Materien Stellung zu nehmen, zumal österreichische Interessen nicht unmittelbar beteiligt sind.“
Gruber erinnerte an eine Weisung, wonach „mit jeder Beschlussfassung in Angelegenheit der EPU zuzuwarten [sei], bis die Großmächte gehandelt haben“.49 Nach der Sitzung ließ Hurdes Gruber wissen:
47 Gegenstand „Zur Entwicklung der westlichen Union“ [von Karl Gruber] zur Kenntnisnahme für den Bundeskanzler und Vizekanzler sowie die Gesandten und bevollmächtigten Minister Alois Vollgruber, Heinrich Schmid, Dr. Lothar Wimmer, Dr. Ludwig Kleinwächter, Dr. Johannes Schwarzenberg, Dezember 1948, Verschlusssache BKA/AA ohne Zahl. KGA, Karton 22; zur Neutralitätspolitik der Volkspartei vgl. auch Helmut Wohnout, Frühe Neutralitätskonzepte der ÖVP 1945–1953, in: Christliche Demokratie (1990), Nr. 2, 111–126. 48 Schreiben Hurdes an Gruber, 7. 1. 1949. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol 1948, Intern. 14, Zl. 80161-pol/48. 49 Schreiben Grubers an Hurdes, 8. 1. 1949. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol 1948, Intern. 14, Zl. 80.161-pol/48 (GZl. 80.161-pol/49); Weisung Grubers Zl. 117.792-pol/48, erwähnt in: Amtsvermerk Leitmaier Zl. 80.755pol/49 (GZl. 80.161-pol/49) 26. 1. 1949; vgl. auch den Beitrag von Posselt in diesem Band.
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„Mir war es insbesonders darum zu tun, durchzusetzen, das Problem Österreich, besonders die Betreibung des Abschlusses des Staatsvertrages in die Botschaft [der NEI] hineinzubringen, da diesbezüglich in den vorgelegten Entwürfen nichts vorgesehen war. Es ist mir auch gelungen.“
Im Sinne der Abstimmung mit Gruber hatte sich Hurdes „in keiner Weise exponiert“: „Ebenso wenig hinsichtlich einer Resolution gegen das Franco-Regime in Spanien, die von den Vertretern der westlichen europäischen Länder mit großem Nachdruck betrieben wurde.“50
Grubers Instruktionen, die quasi auf Nichteinmischung hinausliefen, können allerdings nicht mit einer auf allen Ebenen prinzipientreuen Neutralitätspolitik gleichgesetzt werden. Als Maxime österreichischer Außenpolitik galt 1948/49, möglichst viel Nutzen aus dem ökonomischen und militärischen Engagement der Westmächte, vor allem der Amerikaner in Europa, zu ziehen.51 Das Vorpreschen der Westdeutschen konnte dem Ballhausplatz hierbei nur recht sein. Im Genfer Kreis ventilierte Adenauer am 8. März 1949 bereits indirekt einen deutschen Wehrbeitrag, als er betonte, dass es mit Sowjetrussland „keine Verständigung“ gebe und fragte, ob Europa einem Angriff vom Osten gewachsen sei. Deutschland sei bereits zur Hälfte russisch besetzt. Die andere Hälfte liege „schutzlos vor den Russen“. In England würde man die Gefahr offenkundig nicht erkennen, Frankreich habe die große Aufgabe, „Hüter Europas“ zu werden. Hurdes gab eine weniger pessimistische Darstellung. Er berichtete über die Staatsvertragsverhandlungen und den wirtschaftlichen Aufschwung besonders im Jahr 1948. Gegenüber Adenauer betonte er „die Bedeutung des innenpolitischen Kampfes gegen die kommunistischen Versuche, die Gewalt in den einzelnen Ländern an sich zu reißen“.52 In der Tat konnte Österreich darauf verweisen, trotz sowjetischer Besatzung freie Wahlen durchgeführt und kommunistische Begehrlichkeiten bisher mit Erfolg abgewiesen zu haben. Hurdes bemerkte im Unterschied zu den Gedanken Adenauers bezüglich Deutschland, dass vor Zustandekommen des Staatsvertrages in Österreich kein Heer aufgestellt werden dürfe. Christdemokratische Parteien hätten die große Aufgabe, angesichts des Kalten Krieges Frieden und Freiheit zu sichern. Durch ihre Schwäche hätten sie mit Schuld daran, „dass in den Nachbarländern die ,Volksdemokratie‘ zur Macht gekommen sei“.53 50 Niederschrift Hurdes über die Exekutivausschusssitzung der NEI in Paris 15./16. 1. 1949. ÖStA, AdR, BKA/ AA II-pol 1949, Zl. 80.755-pol/49 (80.161-pol/49). 51 Vgl. Robert Knight, Kalter Krieg, Entnazifizierung und Österreich, in: Sebastian Meissl, Klaus-Dieter Mulley und Oliver Rathkolb, Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne. Entnazifizierung in Österreich 1945–1955, München 1986, 37–51, 45 f. 52 Bericht Hurdes von der Tagung des Koordinationskomitees der christlich-demokratischen Parteien in Genf 8. 3. 1949. Streng vertraulich. ÖStA, AdR, BKA/AA II-pol 1949, Zl. 82.250-pol/49 (80.161-pol/49), Int. 14. 53 Vgl. zur Sitzung vom 8. 3. 1949 und zu Hurdes’ Stellungnahme die Angaben bei Dörpinghaus 550–558, 555; zu (den zeitgleich zu Hurdes’ Feststellung) ersten Ansätzen der Remilitarisierung (West-) Österreichs in Form
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IV. Konflikte in der Frage des Beitritts zum Europarat Im Genfer Koordinationskomitee antwortete Bidault am 10. Juni 1949 auf Hurdes’ Anfrage, wie es um den Staatsvertrag stünde, „dass schon eine bedeutende Annäherung erzielt“ worden sei. Bidault gestand aber auch ein, dass die Vertragsverhandlungen „nicht recht weitergehen“ würden. Adenauer sprach von der Angst in der Westzone, dass der Westen bei der Pariser Konferenz zu einem Nachgeben „allenfalls auf Kosten Deutschlands“ bereit sei: „Daher habe man auch die Verfassung [Grundgesetz vom 23. Mai 1949, M. G.] so schnell beschlossen“, die einen großen Fortschritt darstelle. Hurdes verwies auf „die Bedeutung des Kampfes in Österreich“ und „die Belastung, die die Besetzung darstellt“. Vor dem Hintergrund des am 5. Mai 1949 konstituierten Europarates – die Frage eines österreichischen Beitritts ließ er unberührt – schlug er vor, die Arbeit in den NEI zu intensivieren, „um bei der Organisierung Europas einen entsprechenden Einfluss zu erhalten, außerdem aber auch bei jeder nur möglichen Gelegenheit, auf alle einflussreichen Amerikaner einzuwirken“.
Um die Beziehungen zu den USA zu verstärken, dachte Hurdes an entsprechende Darstellung der kommunistischen Gefahr, Darlegung der Bedeutung der christdemokratischen Parteien und Überzeugung von der Notwendigkeit einer entsprechenden materiellen Unterstützung für den Kampf in Europa.54 Der ÖVP-Generalsekretär55 vertrat die Auffassung, dass Bemühungen einsetzen müssten, „innerhalb der Europäischen Versammlung einen entsprechenden Einfluss zu bekommen“. Dies werde nur möglich sein, wenn Vertreter aus dem Lager der NEI vor den Sitzungen zu Besprechungen zusammentreten,
von Alarmformationen der Gendarmerie vgl. Manfried Rauchensteiner, Die B-Gendarmerie – mehr als eine Episode, in: Truppendienst (1982),4, 340–346, 341. Über die geheimen Kontakte der Bundesregierung zu den amerikanischen Militärbehörden in der Wiederbewaffnungsfrage war man auch im Genfer Kreis informiert, Undatierter Bericht „Le probleme de l’armée autrichienne“. AN/Archives Bidault, 457 AP 59, Mappe Notes Koutzine, vgl. hierzu auch den Beitrag von Bischof in diesem Band. 54 Niederschrift Hurdes über die Besprechungen im Genfer Coordinations-Comitee am 10. 6. 1949 Streng vertraulich!!!, Hurdes an Gruber Streng vertraulich!! Persönlich!! an Bundeskanzler Figl und Bundesminister Gruber, 20. 6. 1949. KGA, Karton 6, Mappe M „V“, Zl. 70.186-K/49 (GZl. 70.030-K/49). Teilnehmer waren Bidault, Bichet, Gortais, Koutzine, Adenauer, Kaiser, v. Prittwitz, Serrarens, Rosenberg, Hurdes und Nationalrat Ignaz Tschurtschenthaler seitens der ÖVP; zur Haltung Frankreichs gegenüber Österreich und dem Europarat vgl. den Beitrag von Angerer in diesem Band. 55 Reichhold, 174, und Wohnout, 117, vertreten die These, dass das ÖVP-Generalsekretariat von Figl als Bundespartei-, Raab als Klubobmann sowie Graf als Organisationsreferenten und Bauernbunddirektor tendenziell „immer mehr beiseitegeschoben“ und „auf Nebenschauplätze“ abgedrängt wurde. Die auffallend starken Aktivitäten von Hurdes und Maleta im Rahmen der NEI lassen daher die Vermutung berechtigt erscheinen, dass christdemokratischer Internationalismus und Fragen der europäischen Integration aus der Sicht der ÖVP 1945–1955 von eher sekundärer Bedeutung waren.
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„wenn man sich bemüht, die Einrichtung eines Klubs der uns nahestehenden Delegierten zu schaffen und einen entsprechenden energischen Obmann zu wählen, der für eine wirksame Zusammenarbeit der aus unserem Lager kommenden Delegierten sorgt“.
Hurdes machte auf die Gefahr aufmerksam, „dass im Wege der neuen europäischen Organisation [Europarat] bei der von den Sozialisten an den Tag gelegten Aktivität ein ‚sozialistisches Europa‘ geschaffen wird“.
Damit würde ihnen eine Chance gegeben, „die ihnen nach ihrem brüchigen Programm gar nicht mehr gebührt“. Es sei zu befürchten, dass die Sozialisten einen entsprechenden Einfluss nutzen würden, „unseren Parteien in den einzelnen Ländern vor allem auch mit dem Propagandaschlager große Schwierigkeiten machen, dass nur die Sozialisten die Kraft hätten, die Probleme der Gegenwart und der Zukunft zu lösen“.
Nach längerer Debatte gaben die Franzosen ihren Widerstand auf und stimmten im allgemeinen zu, „dass die Arbeit in der [sic!] NEI verstärkt wird und dass die Arbeit des Genfer Comitees als eine Art. Konsultativcomitee in der [sic!] NEI nutzbar gemacht wird“.56
Hurdes’ Plädoyer für eine Verstärkung der Zusammenarbeit fand auch in der Abhaltung eines NEI-Jugendkongresses in Hofgastein im Sommer 1949 Ausdruck. In seiner Eröffnungsansprache vom 11. Juli meinte er überzeugt, „dass eine starke Jugend bereit steht, die Fahnen der christlichen Demokratie in die Hand zu nehmen, wenn die Generation müde werden sollte, die heute die Fahnen trägt“.
Er betonte den „schweren Kampf“, den es unmittelbar vor dem Eisernen Vorhang „für die Ideale eines neuen demokratischen Europa“ zu führen gelte. Dabei zeichnete er das Bild vom aggressiven Kommunismus: „Wir stehen in der unmittelbaren Nachbarschaft einer Doktrin, die geneigt ist, ihre Hand auch nach Österreich, diesem Bollwerk christlicher-abendländischer Kultur auszustrecken.“
56 Alle Zitate wie Anm. 54.
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Er versicherte den anwesenden Jugendlichen, „dass wir hier in diesem Österreich auf dem vorgeschobenen Posten der christlichen abendländischen Kultur durchhalten werden“.57 Bei der Sitzung des Exekutivausschusses, der ebenfalls in Hofgastein tagte, kritisierte Hurdes scharf, „dass das MRP in Frankreich sich um das NEI-Generalsekretariat zu wenig kümmert“. Sein Vorschlag, dieses in die Schweiz zu verlegen, ließ sich aber nicht durchsetzen. Dagegen wurde ein Antrag von ihm angenommen, wonach ein Beitritt des MRP und der PSC erwartet werde, nachdem die christdemokratischen Parteien aller anderen europäischen Länder bereits den NEI beigetreten waren, „zumal dies zu einer entsprechenden Durchsetzung unserer Interessen unbedingt erforderlich ist“.58 Im November 1949 äußerte Bichet bei einer Tagung in Paris mit Genugtuung, dass die ÖVP ohne VdU die Regierung neu gebildet habe. Der Bericht über den Europarat in Straßburg wurde angesichts von 30 sozialistischen und nur 21 christdemokratischen neben 40 anderen Vertretern als Aufforderung verstanden, die Tätigkeit der dortigen NEI-Vertreter zu verstärken. Laut dem Belgier Heyman wolle Paul-Henri Spaak ein sozialistisches Europa. Durch den geplanten Beitritt Westdeutschlands und Österreichs sollten die NEI im Europarat eine Stärkung erfahren. Heyman teilte mit, dass in Straßburg auch über die Aufnahme Österreichs gesprochen worden sei. Bisher sei es aber nicht eingeladen worden, da die Regierung selbst verlangt habe, vorläufig mit einem Beitritt zuzuwarten: „Wenn Österreich selbst Schritte unternimmt, besteht kein Zweifel, dass seine Aufnahme ohne weiteres erfolgen wird.“ Hurdes dürfte diese Feststellungen nicht ungerne gehört haben, ließ sie aber unkommentiert und hielt fest, dass in Italien, Frankreich, Belgien, Westdeutschland, Österreich, Luxemburg und im Saarland die NEI den Regierungschef stellen würden. Doch beweise dies allein, „dass von der Vereinigung der christlich-demokratischen Parteien noch mehr gemacht werden könnte“. Auf seinen Vorschlag hin wurde als einheitliches Thema von zukünftigen NEI-Veranstaltungen „Das neue Europa wird christlich sein oder es wird überhaupt nicht sein“ gewählt.59
57 Begrüßungsansprache des Herrn Bundesministers für Unterricht Dr. Felix Hurdes, Generalsekretär der Österreichischen Volkspartei anlässlich der Eröffnung des Jugendkongresses der NEI in Hofgastein am 11. 7. 1949. AKVI. H. A. Karton 186–241, 211. 58 Niederschrift über die Sitzung des Exekutivausschusses der NEI am 15. und 16. 7. 1949 in Hofgastein, Kurhaus, Streng vertraulich! ÖStA, AdR, BKA/AA II-pol, KdM, GZl. 70.223-K/49 (GZl. 70.116-K/49), Karton 11. Teilnehmer waren Bichet, Fontanet, Meus, Adenauer, Lehr, Atholl, de Gou, Helfer, Morino, Hurdes, Rosenberg, Strauss, Glaser, Gacser, Cioranesco, Bauer, Lewandowski und Matassonie. 59 Niederschrift Hurdes’ über die Sitzung des Exekutivausschusses der NEI am 18. und 19. 11. 1949 in Paris, Streng vertraulich! ÖStA, AdR, BKA/AA, KdM, GZl. 70.350-K/49 (GZl. 70.116-K/49), Karton 11. Anwesend waren Bichet, Fontanet, Tosi, Morselli, Rosenberg, Heyman, Lamalle, Sassen, Rutten, Hurdes, Ziegler, Saus, Mark, Strauß, Krause-Wichmann, Atholl, Bauer, Aguirre, Gacser, Curea, Kirow, Peev, Nobili und Lewandowski; vgl. auch das vertrauliche Exposé der Europabewegung (Übersetzung) „Schaffung einer europäischen politischen Autorität“ [1949], worin der Europarat noch „als Fundament des künftigen Gebäudes“ bezeichnet wird. IfZg Wien. Nachlass Hurdes, NL 48. DO 367; zum Verhältnis ÖVP – VdU und zur Rolle Maletas, vgl. Kriechbaumer, 101–105, 273 ff.
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Bei der Komiteetagung in Genf im November 1949 stand vorwiegend „das deutsche Problem“ zur Debatte, wobei alle Vertreter die Lösung der Frage von einer deutsch-französischen Verständigung abhängig machten. August de Schryver und Bichet wollten wissen, ob die Politik Adenauers von Dauer sein könne. Der Franzose wies auf Äußerungen im Bundestag hin, wonach von Anschluss und Österreich gesprochen worden sei. Die Zweiteilung Deutschlands ließ ihn und de Schryver befürchten, „dass ein neuer Nationalismus entstehe“. Finanzminister Fritz Schäffer lenkte ein, dass diese Äußerungen nicht ernst zu nehmen seien, da sie von der Partei der Heimatvertriebenen stammten, die nicht in der Regierung sei. In Deutschland sei die überwiegende Mehrheit für einen eindeutigen Kurs mit dem Westen. Die Lösung: Neutralität gegen Osten und Westen habe „in Wirklichkeit in Deutschland niemanden hinter sich“,60 eine Auffassung, die die ÖVP-Vertreter nicht kommentierten. Im Genfer Kreis sprach Weinberger im Februar 1950 völlig offen, dass die Kommunisten in Österreich keine Gefahr darstellen. Die Bevölkerung würde die Russen missachten. Bedauerlich sei aber, dass der Staatsvertrag noch nicht abgeschlossen sei und die Sowjets Österreich wie eine Geisel („comme d’un otage“) behandeln würden. Weinberger forderte Unabhängigkeit von Deutschland, damit Österreich wieder seine traditionelle Rolle gegenüber Südosteuropa spielen könne. Wie unterschiedlich Integrationsvorstellungen unter ÖVP-Funktionären sein konnten, wurde deutlich, als Weinberger die Überzeugung äußerte, dass im Falle freier Wahlen 80 % der kroatischen, jugoslawischen (sic!) und ungarischen Bevölkerung Anhänger einer Union mit Österreich sein würden.61 Beim 4. NEI-Kongress vom 12. bis 14. April 1950 in Sorrent erwies sich Hurdes erneut als Programmatiker christdemokratischer Leitideen, indem er den Primat des Geistes bei der europäischen Einigung betonte: „Wir wissen, dass diese Einigung, diese Einheit vom Geiste her erfolgen muss. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, dass die Wiederbelebung der geistigen Einheit Europas von der Ebene jener Lebensgebiete her erfolgen könnte, die an sich schon international sind. Gewiss: die Technik, die Wirtschaft überwindet Grenzen, aber tragen sie wirklich zu stärkerem Bewusstwerden der europäischen Einheit bei? Wir müssen es zu unserem Bedauern verneinen; wir sehen und erleben es ja tagtäglich, dass Wirtschaft und Technik zwar international sind, aber doch immer wieder ohnmächtig bleiben gegenüber dem Ungeist des Rassen- oder Klassenchau60 Niederschrift Hurdes’ über die Sitzung des Coordinations-Comitees am 21. 11. 1949 in Genf, Streng Vertraulich !!! ÖStA, AdR, BKA/AA, KdM, GZl. 70.353-K/49 (GZl. 70.186-K/49), Karton 11. Anwesend waren M. Schumann, Colin, Bichet, Kaiser, Schäffer, von Brentano, Dörpinghaus, de Schryver, Houben, Tosi, Nobili, Sassen, Rosenberg, Hurdes und Heini. 61 „Nous sommes convaincu que 80 % des peuples Croates, Yougoslave et Hongrois seraient partisans d’une Union avec l’Autriche, dans le cas d’éléctions libres“, vgl. das frz. Gesprächsprotokoll von einer Sitzung des Genfer Kreises vom 13. 2. 1950. AN/Archives Bidault, 457 AP 59, Rote Mappe Koutzine/1950; Teilnehmer waren Kindt-Kiefer, M. Schumann, Schäffer, Bichet, Blankenhorn, Tosi, Sassen, Houben und Weinberger.
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vinismus. Dies einfach deshalb, weil der Geist, selbst im Zerrbild des Ungeistes, stärker ist als die doch anorganischen Bereiche von Technik und Wirtschaft.“62
Der „congrès de la peur“63 sprach sich angesichts der dauerhaft scheinenden kommunistischen Bedrohung für eine europäische Föderation aus. Mit Konstituierung des in seinen Kompetenzen bescheidenen Europarats 1949 musste aber den Föderalisten klar geworden sein, dass ein europäischer Bundesstaat nicht realisierbar war. Wie Hurdes bei seiner Rückkehr verlauten ließ, begrüßten die NEI auch die Initiative des Schuman-Plans als „wesentlichen Schritt zur Zusammenarbeit der freien Völker Europas und vor allem auch als eine konstruktive Idee zur Sicherung des Friedens“. Dahinter stand die Vorstellung, dass die Gefahr reduziert würde, einzelstaatliche Schlüsselindustrien noch für kriegerische Zwecke zu missbrauchen. Hurdes ließ Sympathien für den Schuman-Plan durchklingen, verhehlte aber nicht, dass der Verwirklichung dieses Projekts „große Schwierigkeiten“ entgegenstehen, wobei er das Abseitsstehen Englands und eine notwendige Vereinheitlichung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen nannte.64 Inzwischen massierte sich der parteiinterne Konflikt um die Frage eines Europaratbeitritts, wobei Gruber bereits in dieser Zeit das Schweizer Modell vor Augen gehabt zu haben scheint. Der Unternehmer und ÖVP-Nationalrat Gustav Kapsreiter berichtete am 7. April 1950 von einer NEI-Tagung in Paris, bei der vorauszusehen gewesen sei, „dass Deutschland nach Straßburg eingeladen wird, sodass für Österreich die beschämende Tatsache bleibt, dass es zwar am Marshallplan teilnimmt, aber sich nach Straßburg nicht einladen lässt. Diese Haltung des Außenminister Gruber fand bei allen Teilnehmern kein Verständnis. Sie wird bekanntlich seit langem von Minister Ludwig bekämpft. Wenn man die Folgen für das Ansehen Österreichs im Ausland sieht, ist diese Taktik noch unbegreiflicher […] Der Vergleich mit der Schweiz ist vollkommen abwegig. Es wird nicht verstanden, dass wir zwar die Marshallhilfe ruhig einstecken, aber bei der Frage des Beitrittes zum Europarat erklären, wir müssen auf die Russen Rücksicht nehmen. Dieser Standpunkt bringt uns in eine gefährliche Nähe mit der Beneschpolitik und wird uns auch entsprechend ausgelegt.“
Die beiden Delegierten bei der Sozialen Kommission des Europarates, Franz Prinke und Anton Proksch (SPÖ), hätten
62 Rede Hurdes auf dem NEI-Kongress am 12. 4. 1950 in Sorrent. AKVI, H. A., Karton 186–241, 213 a. 63 Papini, L’Internationale, 66; vgl. das NEI-Programm von Sorrent bei Lipgens (Anm. 7), 291 f. 64 Interview Radio-Wien mit Felix Hurdes am 6. 7. 1950 über die NEI-Tagung. AKVI. Hurdes Archiv H. A. 186–241, H. A. 210; zu Vorwegnahme des Schuman-Plans in den NEI vgl. Franz Grubhofer, Die Christen in den europäischen Demokratien, in: ÖMH 8 (1952), Heft 10, 577–580, 580; Dörpinghaus, 563 berichtet, wonach der Schuman-(eigentlich Monnet-)Plan 1950 in Genf behandelt worden sei; vgl. zur Projektierung bereits 1948 oben, Anm. 15, sowie den Beitrag von Angerer in diesem Band.
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„den gleichen verheerenden Eindruck gewonnen und waren geradezu entsetzt über die Wirkungen, die diese Haltung unseres Außenministers auslöste. Beide wollen bei ihrer Partei entsprechend intervenieren.“65
Im Juli 1950 gab Ludwig seiner Enttäuschung vollen Lauf, indem er Friedrich Funder schrieb: „Will und wird nun Österreich in Straßburg vertreten sein? Auf diese Frage ist in unserem Parlament und auch vonseiten der Regierung keine klare Antwort zu erhalten. Ich bin der Meinung, wir müssten dort vertreten sein, aber nicht wieder als Observateure mit einem Sitz in der 2. oder 3. Galerie, sondern in der Eigenschaft eines voll berechtigten Mitgliedes.“
Einleitend hatte er betont: „Du kennst ja die Situation und ich brauche Dir hier kein langes Exposee [sic!] zu geben. Herr Gruber ist der Meinung, dass es noch nicht an der Zeit wäre, in den Straßburger Rat einzutreten. Er stützt sich hier vor allem auf die Stellungnahme der Schweiz, hat sogar einen Besuch bei Petitpierre gemacht und es gelang ihm, auch die Majorität der maßgeblichen Herren der ÖVP für seine Stellungnahme zu gewinnen. Ich selbst teile seine Ansichten nicht, denn ich bin der Meinung, dass es ein nicht hereinzubringender Verlust ist, wenn wir uns gerade in der gegenwärtigen Zeit der wichtigsten Sprechtribüne, die Europa derzeit zur Verfügung steht, freiwillig zu berauben. Es entbehrt ja auch schließlich und endlich einer inneren Kongruenz, auf der einen Seite alle Vorteile des Marshall-Planes zu genießen, Mitglied verschiedener internationaler Organisationen zu sein, die schließlich eines Tages dann doch alle in Straßburg münden müssen – es sei denn, man lässt die Straßburger Affäre überhaupt fallen. Daran glaube ich aber nicht, sondern ich bin der Meinung, dass die Amerikaner vielleicht noch stärkere Druckmittel als bisher einsetzen werden, um den Begriff Europa eine reale Auswirkung zu geben.“66
Die Integrationsphilosophie des Ballhausplatzes blieb primär wirtschaftlich determiniert, politische und militärische Kombinationen wurden gescheut. Die Balancepolitik zwischen Ost und West und die im Inneren noch nicht gänzlich gesicherte Lage ließen vor europäischen Blütenträumen Vorsicht geboten erscheinen. Angesichts der Streikbewegung Ende September/Anfang Oktober 1950 in Ostösterreich wurde im Genfer Kreis die KPÖ-Putsch-These vertreten. Die Kommunisten hätten den Beweis der Wirksamkeit ihrer Rollkommandos erbracht, ihre Informationsnetze gut funk65 Gustav Kapsreiter an die BPL der ÖVP, 7. 4. 1950. Herrn Gen. Sekr. Min. Dr. Hurdes vertraulich vorgelegt. IfZg Wien, NL Hurdes, NL 48, DO 366. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Hehemann. 66 Eduard Ludwig an Friedrich Funder, 7. 7. 1950. HHStA. Nachlass Friedrich Funder, Karton 22 (Laufende Korrespondenz 1949/50).
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tioniert. Die nichtkommunistische Bevölkerung sei jedoch mit den Roten fertiggeworden („est venue à bout des Rouges“), ohne dass die alliierten Truppen eingegriffen hätten. In den westlichen Besatzungszonen sei ein kommunistischer Putsch undenkbar.67 Letzteres entsprach durchaus den Tatsachen.
V. Konföderation: Ziel zurückhaltender ÖVP-Integrationspolitik Nach Scheitern einer (gesamt-)europäischen Konstituante folgten Anfang der 50er-Jahre „funktional“-pragmatische Ansätze zur Vereinheitlichung der europäischen Wirtschaftssektoren. Während der südliche Nachbar noch vergeblich auf den Abzug der Besatzungsmächte und den Staatsvertrag wartete, vollzog sich die von Bonn forcierte Westintegration der Bundesrepublik. In einem undatierten Bericht „Die Taktik des Kanzler Adenauer“ von Victor Koutzine, dem christdemokratischen Vertrauensmann von Georges Bidault aus dem „Genfer Kreis“, ist die integrationspolitische Konzeption Bonns festgehalten: „Auf dem Gebiet der Außenpolitik hat Kanzler Adenauer voll und ganz auf die Karte der europäischen Konföderation gesetzt. Seine ganze Außenpolitik dreht sich in ihrem Wesen um dieses Ziel, er findet, dass das französisch-deutsche Einvernehmen – beherrschender Gedanke seines Konzepts – nur im weiter gesteckten Rahmen Westeuropas zu verwirklichen ist. Kanzler Adenauer opfert demnach bewusst die Frage der deutschen Einheit, denn er glaubt, dass die Integration Westdeutschlands wichtiger ist als die Wiederherstellung der Einheit des ehemaligen ,Reichs‘.“68
Wien wollte und konnte nicht zur Gänze sein Schicksal der westeuropäischen Integration anvertrauen, zumal die Einheit des Landes – im Unterschied zum nördlichen Nachbarn – Priorität behielt. Dies blieb auch unbestrittenes Ziel der ÖVP.
67 Undatierter ausführlicher Bericht „La tentative de putsch communiste en Autriche“, AN/Archives Bidault, 457 AP 59, Rote Mappe Koutzine 1950. 68 Archives de France. 457 AP 59 Archives Bidault. Notes Koutzine/Nemanoff. Hellblaue Mappe Koutzine 1951, Bericht „La Tactique du Chancelier Adenauer“ [Victor Koutzine à Georges Bidault 1951]. Für die Genehmigung zur Einsichtnahme vom 13. April 1992 bin ich Madame Georges Bidault zu Dank verpflichtet. Im frz. Original lautet die Stelle aus dem Bericht: „Sur le plan de la politique extérieure, le chancelier Adenauer a joué à fond la carte de la fédération européenne. Toute sa politique étrangère est essentiellement axée sur cet objectif car il considère que l’entente franco-allemande, idée maîtresse de son plan d’ensemble, n’est réalisable que dans le cadre plus large de l’Europe occidentale. Le chancelier Adenauer sacrifie donc délibérément la question de l’unité allemande, pensant que l’integration de l’Allemagne occidentale est plus importante que la restauration de l’unité de l’ancien Reich.“ Nach Bichet war Koutzine „politischer Informator Bidaults“, der „immer ausgezeichnete Informationen geliefert habe“: „Ihm sei volles Vertrauen zu schenken“, vgl. Bericht über die Sitzung des Büros der NEI am 18. 9. 1950 in Paris, 5 f. IfZg Wien, Nachlass Hurdes, NL 48, DO 367.
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Am 19. September 1951 berichtete der ÖVP-Pressedienst vom 5. NEI-Kongress in Bad Ems, der „neue Maßnahmen zur Verwirklichung der europäischen Integration, besonders hinsichtlich der Verteidigung und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ forderte. Entgegen den Kundmachungen, wonach das neue Europa sozialistisch sein müsse, traten die NEI dafür ein, „dass sich Europa auf jeden Fall, auch so, wie es ist, vereinigen muss, dass kein Europa ohne Deutschland, ohne Österreich, ohne alle Europäer, auch die hinter den eisernen Vorhängen von heute, denkbar ist“.
Adenauer, der sich mit dem Plan einer „Christlichen Internationale“ befasst hatte,69 hielt eingangs fest, „dass es ein Unglück, ja ein Verbrechen war, 1918 Österreich-Ungarn zu zerschlagen“. Was dieses für Europa zusammen- und bereitgehalten habe, diene heute „zwangsläufig zu einem sehr großen Teile Asien und den Asiaten“. Aufsehen erregte eine aus Washington eingelangte Nachricht, worin der Bundesrepublik die „Souveränität“ in Aussicht gestellt wurde, was Jubel hervorrief. Der Bericht merkte an: „Auch wir Österreicher freuten uns mit den Deutschen. Obwohl uns schmerzhaft klar wurde, dass unser Lande nun tatsächlich das letzte in der Reihe derer sein wird, die die Freiheit und den Frieden erlangen und es uns wehmütig umfing, als der deutsche Bundeskanzler mit der Melodie begrüßt wurde, die so lange die Hymne der [sic!] großen österreichischen und europäischen Vaterlandes war.“70
Im NEI-Exekutivkomitee am 12. Januar 1952 berichtete Lewandowski, dass die Schweiz auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet aktiv international mitarbeite, jedoch auf der politischen und militärischen Neutralität beharre. Er erwähnte, dass die Koalition zwar aufrechterhalten bleibe, die ÖVP jedoch den allzu starken Einfluss der Sozialisten in der staatlichen Wirtschaft mit Erfolg bekämpfe. Österreich betone nach wie vor die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen den christlichen Parteien Europas, so wie sie selbst durch Jahre von Minister Hurdes gepredigt worden sei. Es zeige sich aber, dass die Sozialisten „international immer noch aktiver sind als wir“. Der Referent verwies dabei auf Besuche sozialistischer ausländischer Minister in Österreich.71 69 Adenauer an Karl Graf von Spreti, 10. 8. 1951 (Nr. 85), in: Rudolf Morsey/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Adenauer, Briefe 1951–1953, Berlin 1987, 102. 70 „Ohne Europa kein Friede! Alle christlichen Demokraten für Freiheit, Friede und Gerechtigkeit“, in: ÖVPPressedienst, 19. 9. 1951, 2. Aussendung, Bericht vom 5. NEI-Kongress in Bad Ems. Von Österreich waren Hurdes, Maleta, Grubhofer, Weinberger und Vertreter der kulturellen und Jugendsektion der NEI anwesend; Morsey/Schwarz, Briefe 1951–1953, 526. 71 Bericht über die Sitzung des Exekutivkomitees der NEI vom 12. 1. 1952 von Rudolf Lewandowski. AKVI. Karton NET a) b).
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Vom Genfer Kreis berichtete der in Vertretung Maletas erschienene Vorarlberger ÖVPNationalrat Franz Grubhofer am 24. März 1952. Ein Ost-West-Problem bestünde seiner Ansicht nach „in Österreich überhaupt nicht, wenn nicht die Russen an der Besatzungsgrenze immer noch die Personenkontrolle durchführen würden“. Der Einfluss der Kommunisten in der Gewerkschaft sei gering, mache sich aber bei den Betriebsratswahlen stimmenmäßig immer wieder bemerkbar. Die wirtschaftliche Lage kennzeichnete er mit beginnenden Absatzkrisen auf mehreren Sektoren und dem koalitionsinternen Konflikt wegen der Verwendung der aus dem ablaufenden ERP noch zu Verfügung stehenden Gelder. Grubhofer bezeichnete diesen als „Prüfstein der Koalition“. Als praktische Maßnahmen zur Realisierung des europäischen Gedankens debattiert wurden, kam François de Menthon auf den Vorschlag Anthony Edens zur Umgestaltung des Europarates (alle in ihm vertretenden Organisationen unterstehen einem Rat, alle anderen erhalten ein anderes Statut) zu sprechen. Grubhofer ließ wissen, dass Österreich zu diesen Fragen noch nicht offiziell Stellung nehmen könne. Seiner Meinung nach sollte man dem Vorschlag Churchills folgen, wonach Amerika, England und Europa drei Pfeiler bildeten, „die eine starke Plattform tragen könnten“. Wenn das Festland Europa England zur Seite habe, sei es doch genau so stark, als wenn es England einschließe. England habe eine größere Aufgabe, als in einem vereinten Europa eingeschlossen zu sein, nämlich „Bindeglied von Kontinent zu Kontinent zu sein“. Man sollte „mit dem Zusammenschluss der europäischen Staaten beginnen, aber vorerst jedem einzelnen noch viel Autonomie belassen“. Grubhofer plädierte daher für eine Konföderation. Die Propagierung der wenig ambitionierten Staatenbundkonzeption war auch mit dem Primärziel zur Erringung gesamtstaatlicher Souveränität vereinbar. De Menthon zeigte sich einverstanden mit der Konföderationsidee, nicht jedoch mit der Einstellung zu England, für das man „die Türe offen“ lassen müsse. Es werde in einigen Jahren froh sein, Mitglied Europas zu werden. Nähme man das Dreipfeilersystem, so käme dies einem Bruch zwischen England und Europa gleich. Der deutsche Bundestagsabgeordnete Graf Karl von Spreti schloss sich Grubhofer an und argumentierte, dass eine Integrierung Englands in Europa nicht möglich sei. Richtig wäre eine große Konföderation anstatt Teillösungen auf verschiedenen Gebieten. Aus der Debatte schälte sich heraus, dass es „nur eine allgemeine europäische Verteidigung gegenüber dem Osten geben“ könne, weshalb ein Zusammenschluss, „wie es der AtlantikPakt vorsieht“, notwendig sei. Im Protokoll Grubhofers stand der bemerkenswerte Satz: „Im Ernstfall würden auch sogenannte neutrale Staaten in den Verteidigungsplan einbezogen und sie würden sich sicherlich dagegen kaum wehren, wenn es gilt, den großen Gegner des Ostens abzuwehren.“72 72 Bericht und Protokoll über die Besprechung des Genfer Kreises am 24. 3.1952 von Franz Grubhofer. OStA, AdR, BKA/AA, II-pol, International 11-49, Zl. 150.423-pol/52, Karton 198. Diesen Hinweis danke ich DDr. Oliver Rathkolb. Anwesend waren: de Menthon, Fontanet, Koutzine, Cingolani, Tosi, Nobile, v. Spreti und Grubhofer.
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Der ÖVP-Mandatar schien daran nichts Anstößiges zu finden, galt es doch möglichst auf allen Gebieten des Integrationsprozesses (v. a. im Bereich der Sicherheitspolitik, wenn auch möglichst ohne direkte Beteiligung des Landes) Nutzen für Österreichs prekäre Lage zu ziehen. Im NEI-Exekutivkomitee betonte Spreti am 17. Mai auf die Stalin-Noten anspielend die Version Adenauers, dass die Einheit Deutschlands nur im Rahmen einer europäischen Einheit gefunden werden könne. Es sei „vollkommen unsinnig zu glauben, dass Deutschland an eine Allianz mit Russland denkt“. Abgesehen davon, dass Stalin in seinen Noten keine Allianz mit Deutschland vorgeschlagen hatte, ging Lewandowski auf diese Gedanken nicht ein, kritisierte aber, dass die Besatzungskosten, die immer noch an Briten und Franzosen zu zahlen seien, eine Belastung des österreichischen Budgets darstellen würden. Als „nuancierter Pessimist“ glaube er, dass eine Regelung der Österreichfrage nur nach einer Aussprache der Weltmächte denkbar sei.73 Im Genfer Kreis wurde am 16. Juni 1952 deutlich, dass die deutsche Frage die österreichische völlig in den Schatten stellte. Der Staatssekretär im Bundeskanzleramt und spätere Bundestagsabgeordnete Otto Lenz (CDU) verneinte die Frage, ob man vor Ratifizierung der Westverträge noch einmal mit den Russen verhandeln solle, und dies mit der (unbewiesenen) Begründung, sie seien „nicht bereit, Konzessionen zu machen“. Ohne dass die Probe aufs Exempel gemacht worden war, unterstellte er den Russen, dass sie nur einer deutschen Einheit zustimmen würden, „wenn sie die Oberhand haben“. Die sowjetischen Noten seien daher nur gegen den Zusammenschluss des Westens gerichtet. In Wirklichkeit würden sie „gar kein anderes Ziel verfolgen als lediglich die Taktik der Verzögerung“. Pierre Henri Teitgen meinte, man könne den russischen Bestrebungen am besten begegnen, wenn man die Ratifizierung der Verträge forciere. Es beunruhige die Franzosen, „dass die Führer der CDU selbst nicht brutal genug die Betrugsaktion der Russen, die sie in Bezug auf die Neutralisierung Deutschlands durchführen, entlarven“. Der Vorsitzende der CDU/CSU Bundestagsfraktion Heinrich von Brentano beteuerte, dass die CDU Neutralismus absolut ablehne, wobei man sogar einmal mit der SPD einig sei. Im Anschluss an die deutsche Frage wurde die Situation der christdemokratischen Parteien in Europa diskutiert. Während Bichet aus taktischen Gründen nur eine inoffizielle Zusammenarbeit empfahl, betonte Brentano die Notwendigkeit einer starken christlichen Parteienvereinigung in Europa, was gegenüber den Sozialisten besonders wichtig sei. Bichet erwiderte, dass bei offiziellem Vorgehen der Eindruck entstehe, „als ob der Papst der ‚Führer‘ wäre“. Teitgen empfahl, „weder zu vorsichtig noch zu vordrängend“ zu agieren, was der in der Debatte zurückhaltende Grubhofer mit Zustimmung quittierte, wobei er betonte, dass etwas mehr offizielle Aktivität wohl wünschenswert wäre.74 73 Bericht über die Sitzung des Exekutivkomitees der NEI in Paris am 17. 5. 1952 von Rudolf Lewandowski. AKVI. Karton NEI a) b). Anwesend waren de Schryver, Heyman, v. Spreti, Bichet, MacLaughlin, Poolen, Van De Poel, M. Dell Uomo, Dell Arme-Omero, Schauss, Rosenberg, Straus, Greiber, Lewandowski, Gascer, Bobrowski, Sotiroff, Bechacek, Landabaru und Veniamin. 74 Bericht über die Tagung des Genfer Kreises am 16. 6. 1952, erstattet von Franz Grubhofer, Wien 19. 6. 1952.
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Bei der NEI-Spezialtagung in Brüssel am 30. Juni 1952 fragte de Schryver, ob die 6 Staaten den Europagedanken weiter tragen würden, eine Ausweitung möglich und ein sozialistisches oder christlichsoziales Europa zu erwarten sei. Der Niederländer Beaufort stellte mit Zustimmung Bichets fest, dass mit den Sozialisten zusammengearbeitet werden müsse, zumal die christlichen Parteien nicht allein imstande sein würden, Europa zu bilden. Grubhofer widersprach nicht und warf ein, dass die Frage „Vereinigtes Europa“ nur unter dem Gesichtspunkt der Gesinnung und der Parteiorganisationen diskutiert werde. Seine Meinung sei aber, dass die tatsächliche Bildung eines vereinten Europas nicht von den Gesinnungsparteien aus erfolgen könne. Die bestehenden Staaten und Länder, die zum Teil jahrhundertealte Gebilde seien, müssten sich finden. Er schlug daher erneut als ersten Schritt zur Verwirklichung eines vereinigten Europas eine Konföderation vor. In diesem Sinne würde er sich der Meinung Teitgens anschließen, der unlängst in Genf vorgeschlagen hatte, die Staatsoberhäupter der vorerst in Straßburg vertretenen Länder sollten zusammentreten und den ersten Schritt zum vereinigten Europa tun, wobei ihm die Luxemburger recht gaben. Eine gemeinsame Außenpolitik müsse festgelegt werden, den Ländern aber die Regelung ihrer inneren Angelegenheiten überlassen bleiben. De Schryver fasste schließlich die allgemeine Ansicht zusammen, dass die NEI für eine Europa-Konföderation eintreten.75
VI. Skepsis gegenüber einer „grünen“ Integration Nicht ohne Zusammenhang zur europäischen Integration stand in Österreich die Lösung innenpolitischer Probleme auf der Tagesordnung. Im Genfer Informationszirkel wies Grubhofer am 3. November 1952 auf die schwelende Regierungskrise hin. Die Gestaltung des wirtschaftlichen Lebens nach Auslaufen des Marshallplanes hatte beträchtliche Differenzen unter den Koalitionspartnern ausgelöst. Zur EVG-Ratifizierungsfrage merkte er an, dass eine allzu große Verschleppung so aussehe, „als ob die Europapolitik Schiffbruch erleide und daher diese Verzögerung auch auf Österreich und die kommenden Wahlen einen gewissen Einfluss habe“. Er forderte Intensivierung der Beziehungen zwischen den christdemokratischen Parteien zur Gestaltung „eines möglichst einheitlichen Offensivprogramms gegenüber der kommunistischen Taktik“. Bichet erwies sich erneut als Gegner einer allzu starken Bindung: „Man würde uns dann gleich vorwerfen, wir seien eine ,Vatikaninform‘ AKVI, Karton NEI c) e). Teilnehmer waren Bichet, Teitgen, Fontanet und Koutzine, Tosi, Klompe, Cottier, Favre, von Brentano, v. Spreti, Lenz und Grubhofer; vgl. hierzu Otto Lenz, Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz 1951–1953 (bearbeitet von Klaus Gotto u. a.) (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte II), Düsseldorf 1989, 365 f. 75 Bericht über die Spezialtagung des Vorstandes der NEI am 30.6. 1952 in Brüssel, erstattet von Franz Grubhofer am 3. 7. 1952. AKVI, Karton NEI a) b). Teilnehmer waren Koover, Lefevre, de Schryver, Vermehren, v. Brentano, v. Spreti, Bichet, Collin, Fontanet, Beaufort, Van Depoel, Graas, Schaus, Turpe, Margene, Kunz, Vetmann, Rohr, Rosenberg, Grubhofer.
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und nur von dort inspiriert“, woraus sich mehr Schwierigkeiten ergäben, als man glaube. Der Franzose René Charpentier berichtete über die Arbeiten zur Bildung einer Agrarunion76 und große technische Schwierigkeiten. Für den Januar 1953 sei eine Konferenz vorgesehen, bei der 15 Länder vertreten sein würden, unter denen die sechs des Schuman-Plans den Kern bildeten. Der Italiener Enrico Tosi zeigte zwei Wege auf. Eine Europa-Agrarautorität im Rahmen des Europarats oder eine Union auf Regierungsbasis. Die Produzenten müssten in der supranationalen Organisation nicht vertreten sein, „da sonst der Anschein entsteht, es handle sich um eine Erzeugerunion“. Sie sollten in einer technischen Organisation repräsentiert sein, während die Vertretung der obersten Behörde als eine rein politische gedacht sei. Ferner war eine Trennung der entscheidenden und durchführenden Gewalt geplant. Diese Agrarunion solle sich auf die Grundprodukte wie Getreide, Milch etc. begrenzen. Grubhofer verwies darauf, dass die Landwirtschaft und vor allem der Bauernbund positiv zu diesem Plan stünden.77 Dieser hatte sich in seinem agrarpolitischen Arbeitsprogramm am 24. September „unter Berücksichtigung der besonderen Produktions- und Arbeitsverhältnisse der heimischen Landwirtschaft“ für einen europäischen Agrarmarkt und Ausbau internationaler Beziehungen ausgesprochen.78 Der umgehend von der NEI-Tagung informierte Landwirtschaftsminister Eduard Hartmann (ÖVP) nahm am 23. Dezember 1952 weit weniger erfreut zum geplanten Agrarpool Stellung. Er relativierte den von Grubhofer vermittelten optimistischen Eindruck. In Österreich wisse noch niemand, wie der angestrebte europäische Agrarmarkt technisch und praktisch funktionieren werde. Natürliche, wirtschaftliche und soziale Produktionsvoraussetzungen sowie die Lebens-, Verbrauchs- und Arbeitsgewohnheiten seien in den europäischen Ländern sehr verschieden. Selbst in Österreich gebe es bekanntlich sehr unterschiedliche Erzeugungsbedingungen und -kosten. So würden derzeit die Bauern in Vorarlberg, Tirol und Kärnten einen ziemlich höheren Milchpreis als in den übrigen Bundesländern erhalten. Hartmann argumentierte, um wie viel größer erst die Schwierigkeiten in der Vielfalt der europäischen Länder wären, und stellte die Frage, ob es denkbar wäre, dass der österreichische, deutsche, schweizerische, dänische oder holländische Bauer bei einem etappenweise angestrebten einheitlichen europäischen Agrarmarkt zugunsten des französischen, spanischen oder italienischen Bauern (Letzterer sei mit Ausnahme Südtirols um 100 Jahre in der Agrarverfassung zurückgeblieben) erhebliche wirtschaftliche Opfer 76 Einen Plan zur sektoralen Integration der europäischen Agrarwirtschaft legte Pierre Pflimlin vor, vgl. Wilfried Loth, Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939–1957, Göttingen 1990, 128; Lenz, 454, wurde bei seiner Kritik an der Verzögerung der Ratifizierung des EVG- und Generalvertrages „unerwarteter Weise“ von Grubhofer „nachdrücklichst unterstützt“: Dadurch würde auch die Situation Österreichs „immer schwieriger“. Von der Westbindung der Bundesrepublik erhoffte er sich demnach Vorteile. 77 Gedächtnisprotokoll über die Besprechung des Informationszirkels der NEI in Genf am 3. 11. 1952, geführt von Franz Grubhofer. AKVI. Karton NEI a) b) sowie c) e). Anwesend waren Bichet, Colin, Fontanet, Charpentier, Koutzine, Tosi, Blankenhorn, Lenz, v. Spreti und Grubhofer. Alle Zitate entstammen diesem Dokument. 78 Agrarpolitisches Arbeitsprogramm des Österreichischen Bauernbundes vom 24. 9. 1952, 5. KGA, Mappe „M. V.“ 1952/53, 130.598-K/52 (Zl. 130.067-K/52).
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bringe, die seinen eigenen Standard senken würden. Die Antwort lieferte er sogleich nach: „Ich glaube, das geht nicht!“ Bisher sei bei der Agrarunion sehr viel von der Organisation, dagegen noch sehr wenig über Markttechnik, Zölle, Preise, Ausgleich der Produktionskosten etc. gesprochen worden. So ideal und wichtig der europäische Zusammenschluss auch sei, in letzter Konsequenz entscheide der Preis, den der Bauer für das Produkt bekomme. Hartmann stellte die Frage, ob es sich irgendeine Produktionsgruppe, mit der zahlreiche Existenzen verbunden seien, in irgendeinem Teilnehmerstaat gefallen lassen könne, „von den gleichgearteten Produktionsgruppen der anderen Länder niederkonkurrenziert zu werden. In Österreich mit seiner begrüßenswerten bäuerlichen Familienbetriebsstruktur könnte man auf keine einzige Erzeugergruppe verzichten, ohne schwersten Schaden erleiden zu müssen.“
Dies gelte für die bäuerlichen Getreide- und Hackfruchtbauern ebenso wie für die bergbäuerlichen Viehzüchter oder für die Milcherzeuger, Gärtner und Weinbauern, wobei Wein vorläufig vom Pool ausgenommen bleibe. Selbst Vizekanzler a. D. Ing. Vinzenz Schumy, der mit dieser Materie noch am meisten befasst wäre, hätte alle diese Fragen im Agrarklub der ÖVP nicht beantworten können. Hartmann verstand seine Ausführungen nicht als Absage an den Agrarpool, sondern nur als Feststellung, „dass Österreich erst dann endgültig und bindend ja oder nein sagen kann, bis wir über alles restlos [im Original unterstrichen] aufgeklärt sind“.79
Die Reserve Hartmanns gegenüber einer „grünen“ Integration könnte als indirekte Befürwortung des „amerikanischen Weges“ einer umfassenden OEEC-Agrargemeinschaft bzw. als Ablehnung des antiamerikanischen Sonderwegs kontinentaler Agrarexportstaaten in Gestalt eines grünen Pools der Montanunion-Staaten80 interpretiert werden. Seine Skepsis bestätigte sich. Ein geschlossenes Konzept für eine europäische Agrarunion konnte nicht gefunden werden, zumal nationale Preissysteme und Marktordnungen dominierend blieben.
VII. Bündnisfreiheit und die Neutralitätspunze Schweiz als temporäre Determinanten einer ÖVP-Integrationspolitik Mit zunehmender Entspannung verlor der Kalte Krieg an Bedeutung. Erste vorsichtige Ansätze hierfür gab es Anfang bis Mitte der 50er-Jahre.81 Das Ziel europäischer Bundesstaat 79 Abschrift Schreiben Oberösterreichischer Bauernbund-Dir. Ing. Eduard Hartmann an NR Franz Grubhofer, Wien 23. 12. 1952, betreff NEI-Sitzung in Genf vom 3. 11. 1952. AKVI. Karton NEI c) e). 80 Vgl. hierzu Ulrich Kluge, Wege europäischer Agrarintegration 1950–1957, in: Ludolf Herbst/Werner Bührer/ Hanno Sowade (Hrsg.), Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Bd. 30), München 1990, 301–311, 303 f. 81 Wilfried Loth, Blockbildung und Entspannung. Strukturen des Ost-West-Konflikts 1953–1956, in: Bruno
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war aber bereits in den Hintergrund getreten, wirtschaftliche Gemeinschaften beherrschten die Vorstellungen. In dieser Phase schienen die eingangs erwähnten Hauptziele der Wiener Politik nicht unbedingt leichter realisierbar zu sein. Im Genfer Informationszirkel entgegnete Grubhofer am 2. März 1953 auf die Frage von Lenz, warum in Österreich nicht eine Rechtskoalition möglich sei, dass Rücksicht auf die Machtverhältnisse genommen werden müsse. Er erinnerte an die starke SPÖ, Einheitsgewerkschaft unter sozialistischer Führung, vierfache Besetzung und das kommunistische „Wachsystem“ mit der Möglichkeit der Hilfe einer auswärtigen Macht. Dies gebiete Konzentration aller aufbauwilligen Kräfte und Bindung der Sozialisten mit Verantwortung in Regierung und Parlament. Es sei richtig, dass zur Zeit die Probleme des Europavertrages besonders zur Debatte stünden, wenn auch Österreich dermalen daran nicht teilnehmen könne, so interessiere sich mit Ausnahme der Kommunisten die gesamte Bevölkerung dafür. Es dürfe gesagt werden, „dass die politisch Vernünftigen den Wert der Europäischen Integration erkennen und begreifen würden, dass eine gesicherte und friedliche Zukunft mit diesen Verträgen [EGKS, EVG, EPG] eng verbunden ist“.82
Dem europäischen Integrationsprozess wurde von ÖVP-Seite zwar wiederholt anerkennende Sympathie zuteil, die Primärziele des Ballhausplatzes genossen bei ihr aber uneingeschränkte Priorität. Bei einer NEI-Kulturkommissionstagung in Saarbrücken referierte der außenpolitische Referent der ÖVP Dkfm. Rudolf Strasser über „Pazifismus im Leben kleiner Nationen“, wobei er darauf verwies, dass es kein Zufall sei, wenn mit CoudenhoveKalergi83 ein Österreicher unter den „Pionieren Europas“ figuriere. Es bestehe kein Zweifel, „dass Österreich in der Europabewegung eine wesentlich stärkere Rolle spielen würde, wenn seine Spannkraft nicht durch Souveränitäts- und Existenzprobleme absorbiert würde“. Österreichs Beitrag für Europa sei zäher Kampf um die Souveränität, der wiederum nicht mit Gewalt, sondern mit Mut zum konstruktiven Beispiel und Kraft der Überzeugung geführt werde. Strasser erklärte, dass Österreich unter Bundeskanzler Raab und die Führung der ÖVP nicht ruhen werden, „bis es seine europäische Mission erfüllt haben wird“,84 wenngleich andernorts Raabs Skepsis gegenüber der europäischen Integration und sein abschätziges Urteil von den „Europabastlern“ überliefert ist.85 Thoß/Hans-Erich Volkmann, Zwischen Kaltem Krieg und Entspannung. Sicherheits- und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik im Mächtesystem der Jahre 1953–1956, Boppard/Rhein 1988, 9–23, hier 14,16 und 20. 82 Bericht über die Besprechung des Informationszirkels der NEI in Genf am 2. 3. 1953, erstattet von Franz Grubhofer. AKVI. Karton NEI a) b); detto und Kurzauszug vom 20. 3. 1953. ÖStA, AdR, BKA/AA, KdM, Zl. 300.164-K/53. Karton 17. Teilnehmer waren Lenz, von Spreti, Blankenhorn, Fontanet, Koutzine, Cingolani, Tosi, Rosenberg, Grubhofer; vgl. auch Lenz, 570 f. 83 Vgl. den Beitrag von Posselt in diesem Band. 84 Referat von Dipl.-Kfm. Rudolf Strasser „Der Pazifismus im Leben kleiner Nationen“ bei der Tagung der Kulturkommission der NEI in Saarbrücken, in: ÖVP-Pressedienst 15. 7. 1953. 85 Lujo Tončić-Sorinj, Erfüllte Träume, Kroatien – Österreich – Europa, Wien/München 1982, 228. Der Beitritt
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Im niederländischen Baarn stand die deutsche Frage im Zuge des 17. Juni 1953 erneut im Zentrum der Debatten. Grubhofer berichtete über die Verbreiterungsversuche der ÖVP nach rechts, die an der „sturen Haltung“ der Sozialisten und der Ablehnung des Bundespräsidenten gescheitert seien, sodass nur eine Koalition allein mit den Sozialisten zustande gekommen sei. Die Politik der neuen Regierung sei ein voller Erfolg für die ÖVP. Bewirtschaftungsgesetze seien, abgesehen von gewissen agrarpolitischen Lenkungsmaßnahmen, aufgehoben, während der Außenhandelsverkehr von bürokratischen Fesseln befreit worden sei: 35 % der Ein- und Ausfuhr seien infolge der Zusammenarbeit mit der EZU bereits liberalisiert. Der Schilling sei stabil. Die Gold- und Devisendeckung sei von 26 % im Spätherbst 1952 auf 38 % im Juni 1953 gestiegen. Die Bedeutung der Bürgenstock-Initiative Grubers, durch die das westliche Misstrauen angesichts des „neutralistischen“ Raab-Kurses Nahrung erhalten hatte,86 versuchte der ÖVP-Vertreter herunterzuspielen. Der Außenminister habe Nehru besucht, aber nicht eine Bitte auf Vermittlung zwischen Sowjets und Österreich bzw. Sowjets und den Westmächten gestellt. Zweck des Besuches sei es gewesen, dem Ministerpräsidenten zu sagen, dass Österreich größtes Interesse habe, den Staatsvertrag bald zu bekommen und die Unterstützung Indiens hierbei von größter Bedeutung wäre. Innenpolitisch habe sich das Verhältnis zur sowjetischen Besatzungsmacht verändert, wobei das größte Ereignis die Aufhebung der Kontrolle an der sowjetischen Demarkationslinie gewesen sei. Der neue Botschafter sei sehr freundlich und zuvorkommend, die nüchterne Regierungserklärung Raabs „kein Schöntun da oder dorthin, sondern ein österreichisches Danke und Bitte für Beweise des Entgegenkommens, wo immer sie erbracht werden“. Herbert Blankenhorn kam auf die Unterhausrede Churchills vom 11. Mai zu sprechen, die in der öffentlichen Meinung das Gefühl erweckt hätte, dass man mit den Russen ohne jede Vorbereitung diskutieren und die Bildung der Europaarmee aufschieben könnte. Das State Department habe die amerikanische Politik überprüfen wollen. Adenauer sei aber sofort „auf dem Damm“ gewesen und habe Eisenhower direkt wissen lassen, „dass Deutschland seine Europapolitik hundertprozentig weiterführt“. Blankenhorn beschwor die Anwesenden, dass ein Festhalten der Westmächte an der Integration für die Deutschen und die CDU im Besonderen „eine zum Europarat 1956 erfolgte nicht gerade zu Raabs besonderen Freude, 249; vgl. den Beitrag von Weiß in diesem Band. 86 Günter Bischof, Karl Gruber und die Anfänge des „Neuen Kurses“ in der österreichischen Außenpolitik 1952/53, in: Lothar Höbelt/Othmar Huber (Hrsg.), Für Österreichs Freiheit. Karl Gruber – Landeshauptmann und Außenminister 1945–1953 (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 7), Innsbruck 1991, 143–183, 165 f., 169 f.; vgl. den Artikel „Raabismus“ in: Der Tagespiegel, 21. 6. 1953, Schreiben Zl. 429-Pol/53, Zl. 322.348-pol/53, Josef Schöner an Karl Gruber, 24. 6. 1953. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol 1953. Gruber notierte für Schöner: „Politik d.[er] Reg.[ierung]. Unnötige Reizungen vermeiden jedoch fest in d.[er] Abwehr komm.[unistischer] Hegemoniebestreb.[ungen]. So war auch Tenor d.[er] Erkl.[ärung] BK.[Bundeskanzler] im Par[lament 18. 6. 1953]“; das Bulletin des Presse- und Informationsamtes der bundesdeutschen Regierung, 19. 9. 1953, Nr. 179, 1496. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol 1953, Zl. 324.202-pol/53 (324.202-pol/53), beschuldigte unter dem Titel „Neutralistische Versuchungen“ Gruber einer Politik der Neutralisierung Österreichs, was dieser in Form einer Démarche als Unsinnigkeit, „Diffamierung“ und „Angriff“ zurückweisen ließ.
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unerlässliche Notwendigkeit“ sei.87 Wurde intensive Integrationspartizipation und fortgesetzte europäische Einigungsdynamik für exponierte bundesdeutsche Christdemokraten im Sommer 1953 zur Conditio sine qua non, so war für ÖVP-Funktionäre Zurückhaltung in der Integrationspolitik ein existenzielles Gebot zur Erlangung staatlicher Souveränität und territorialer Integrität – Prämissen, an denen sie konsequent festhielten. Selbst der als „westorientiert“ geltende Karl Gruber verhielt sich reserviert und formulierte Kritik zum Stand des vereinigten Europas. Seiner Ansicht nach setzte ein politischer wie wirtschaftlicher Zusammenschluss einen historischen Augenblick voraus. Dieser hätte sich in der Nachkriegszeit ergeben, sei aber versäumt worden. „Speed and efficiency“ seien durch die OEEC Wunsch geblieben, zumal nur eine kleine Staatengruppe für eine rasche Integration der europäischen Wirtschaft eingetreten sei. Die Mehrheit habe in einer europäischen Gemeinschaft im Sinne von „good window dressing“ nur ein Instrument gesehen, um dem amerikanischen Verlangen nach Organisation und Doktrin entgegenzukommen. Gruber räumte ein, dass der Motor für die Bildung einer kontinentalen europäischen Ländergruppe „das Schreckgespenst der kommunistischen Aggression“ und die Schaffung des multilateralen Zahlungssystems (EZU) eine Leistung von ökonomischem Wert und ein wirklicher Schritt zur europäischen Integration sei. Die Mitgliedschaft der Schweiz bedeute für Österreich aber einen wichtigen Umstand, weil ihre Mitwirkung „eine allgemein anerkannte Punze für die strategische Neutralität eines Staatenzusammenschlusses“ sei. Dort wo die Schweiz sei, könne auch Österreich sein, ohne in Auseinandersetzungen über die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Block zu geraten. Im Dreieck NATO-OEEC-Europarat sei laut Gruber eine Blockbildungsgefahr gelegen. Die Abwesenheit der Schweiz, die Notwendigkeit, die vierfache Besetzung arbeitsfähig zu halten und die Gefahr, dass Straßburg als Kommandohöhe der Europaarmee umgestaltet werde, ließen Gruber gewisse Zurückhaltung üben. Eine stärkere Verbindung mit der Montanunion trug seiner Ansicht nach das Risiko in sich, „die Bevölkerung russischen Repressalien auszusetzen“. Die Schweizer Absenz kompliziere auch hier die Dinge, während die Verknüpfung zwischen Europaarmee und Montanunion die Gefahr in sich berge, „dass letztere in ein Fahrwasser geriete, das uns schließlich zwingen müsste, entweder eine offene Option für eine militärische Kombination einzugehen oder demonstrativ aus der Union wieder auszutreten“. 87 Protokoll über die Sitzung des Informationszirkels der NEI in Baarn in Holland am 6. 7. 1953, erstattet von Franz Grubhofer, 12. 7. 1953. AKVI. Karton NEI c) e). Anwesend waren Schlichting, Vandepool, Klompé, Teitgen, Mallet, Koutzine, Lenz, Blankenhorn, Vogel und Grubhofer, vgl. auch das frz. Gesprächsprotokoll „Compte rendue à Baarne“ datiert mit „le 7 juillet 1953“, in dem auch nur von 30 % liberalisiertem Warenverkehr die Rede ist. AN/Archives Bidault, 457 AP 59, Rote Mappe V. Koutzine 1952–1953–1954; Zur Churchill-Initiative und Blankenhorns geheimer Mission, vgl. Rolf Steininger, Ein vereintes, unabhängiges Deutschland? Winston Churchill, der Kalte Krieg und die deutsche Frage im Jahre 1953, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 36 (1984) 2, 105–144,118 f., 121 f.; Zur Nehru-Initiative Stourzh, 111 ff.
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Gruber resümierte, dass Österreich trotz prinzipieller Zustimmung zur Idee der europäischen Vereinigung sich konkreter Schritte zu enthalten habe, die nur seine außenpolitische Freiheit weiter einschränken könnten. Eine echte, tatkräftige und daher rasch erstarkende europäische „Einheit“ würde freilich eine andere Anziehungskraft ausüben als jenes „hinkende Gebilde von Straßburg“.88 Auch Grubers parteiinterner Rivale Maleta wich nicht von dieser grundsätzlichen integrationspolitischen Linie ab, als er beim 7. NEI-Kongress vom 3. bis 6. September 1953 in Tours eine viel beachtete Rede hielt. Die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs stellte er als ein europäisches Problem dar, das jeden hier vertretenen Staat berühre. Wenn das Land um seine Souveränität ringe, verfolge es „nicht bloß österreichische Ziele“, vielmehr sei es bestrebt, „an der Donau ein Bollwerk christlicher Ideologie und freiheitlicher Prinzipien zu errichten, das die Interessen der gesamten freien Welt zu vertreten bereit ist“.89 Maleta, der bereits seit Anfang 1952 Konzeption und Anwendung der Neutralität mehr zugetan war als Figl und Hurdes,90 präsentierte nicht nur antikommunistische Positionen, als er feststellte, dass die Bundesregierung durch die Erleichterung in der sowjetisch besetzten Zone als eigenständiger politischer Faktor anerkannt worden sei, der sie in der Epoche der Aggressionen des Kalten Krieges nicht gewesen sei. Maleta appellierte an den MRP, auf seine Regierung einzuwirken, dass auf Besatzungskosten verzichtet werde. Bichet erklärte, dass Frankreich mit der Aufhebung der Besatzungslasten „nicht lang auf sich werde warten lassen“.91 Eine übernationale europäische Organisation, in der die Einzelstaaten ihren selbstständigen Wirkungskreis behalten sollten, indem sie Interessen wahrnehmen könnten, „die in ihrer eigenen Zuständigkeit verbleiben müssen“, blieb weiter Ziel der NEI.92 Maleta bat dabei, nicht zu vergessen, „dass Österreich ein integrierender Bestandteil dieses Europas ist“.93 88 Undatiertes Konzept Grubers „Vereinigtes Europa – Illusionen und Realitäten“ [Sommer ? 1953]. KGA, Karton 3. Das Manuskript dürfte als Grundlage für Grubers Vortrag „Gefahren und Möglichkeiten der Europapolitik“ bei den 9. Internationalen Hochschulwochen in Alpbach am 16. 8. 1953 gedient haben; zur Entwicklung des Neutralitätsgedanken in Österreich nach 1918 wie nach 1945 unübertroffen Stourzh, 93–111; Grafs NATO-Beitritts-Plädoyer vom 16. 7. 1949 war eine singuläre Erscheinung, ebd. 108. 89 Österreichdebatte in Tours. Eine vielbemerkte Rede des Generalsekretärs Dr. Maleta vor der NEI, in: Neue Wiener Tageszeitung, 9. 9. 1953; Maletas Appell an das MRP, in: Oberösterreichische Nachrichten, 9. 9. 1953; Konzept einer Rede in Tours, Wien, den 1. 9. 1953. AKVI, Karton NEI c) e).; Österreichfrage in Tours, in: ÖVP-Pressedienst, 8. 9. 1953. 90 So Wohnout, 122 f.; vgl. auch Stourzh, 112, 155, 200; zu früheren ÖVP-Neutralitätspositionen 1947/1949, ebd. 105. Wie Gruber im Laufe der frühen 50er-Jahre zum Gedanken der Neutralität gestanden bzw. ob er sich erst 1953 im Schatten Raabs dazu durchgerungen hat, wäre noch eingehender zu klären. 91 Wie Anm. 89. 92 „Maleta appelliert an Frankreich“, in: Das Kleine Volksblatt, 9. 9. 1953. Neben Maleta war die ÖVP noch durch den außenpolitischen Referenten Dipl.-Kfm. Rudolf Strasser und den Vizepräsidenten der christlichen Jugendvereinigungen und stellvertretenden Leiter der österreichischen Jugendbewegung Regierungsrat Karl Haider vertreten; vgl. Dokumente 79 und 81 bei Lipgens (Anm. 7), 335–360, 361 f.: die NEI bekannten sich in Tours ausdrücklich zum Werk der Ad-hoc-Versammlung (EPG-Projekt). 93 Konzept einer Rede in Tours, Wien, den 1. 9. 1953. AKVI, Karton NEI c) e).
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Am 19. Oktober 1953 ergab sich in Genf eine Debatte, weil Teitgen und Lenz berichteten, dass in ihren Ländern die Meinung vorherrsche, wonach Österreich derzeit ein „Doppelspiel“ treibe. Grubhofer entgegnete, dass dies „absolut nicht stimme“ und „man im Westen, weitab vom eisernen Vorhang, unsere Gespräche mit der russischen Besatzungsmacht und unsere Reaktion auf Gesten von dieser, falsch auslege“.
Raab und Gruber würden die Sowjets ständig mit der Frage beschäftigen, wie sie sich einerseits zum Staatsvertrag stellen und wie es mit dem Abbau von Beschränkungen stehe. Man wüsste, dass den Russen die Gesten weder materiell noch prestigemäßig etwas kosten. Nach achtjähriger Besatzungszeit hätten aber Gesten doch eine „gewisse Bedeutung“ für Österreich. Das österreichische Verhalten bedeute „keineswegs eine Herabsetzung des Wertes, den wir den seinerzeitigen westlichen Entgegenkommnissen [sic!] beimaßen und heute noch beimessen“. Regierung und Parlament hätten die Sowjets klar und eindeutig wissen lassen, wie weit man auf ihre Forderungen eingehen könnte. Österreich sei bereit, „die Opfer des Staatsvertrages“ auf sich zu nehmen, d. h. „auf Einladungen hinsichtlich Beitritt zu Militärpakten, gleich von welcher Seite sie kommen, ein Nein entgegenzusetzen“, verteidigte sich Grubhofer energisch. Man wolle „politisch unabhängig“ sein, wirtschaftlich die Verbindung nach allen Seiten ausdehnen, „ideologisch“ sei aber die Einstellung aufgrund von Kultur und Tradition „eindeutig europäisch“. Mit diesem Bekenntnis waren die Grundelemente der ÖVP-Integrationspolitik auf den Punkt gebracht. Grubhofer wurde zugesagt, diese Position in der jeweiligen Presse der Länder zu vertreten. Im Unterschied dazu erklärte Lenz bezüglich einer Viermächtekonferenz über Deutschland, dass das Zustandekommen der deutschen Einheit „niemals auf einer Hoffnung beruhen“ dürfe, „die lediglich auf eine Taktikänderung der Russen rechnet“. Diese Frage hänge mit dem Problem der Satellitenstaaten zusammen. Die Hoffnungen, die man in Österreich auf den Abschluss des Staatsvertrages gehegt habe, seien nur deshalb entstanden, „weil man zu viel Bedeutung all den russischen Gesten beimaß“. Grubhofer wiederholte insistierend, „dass Österreich zu großen Opfern bereit ist, wenn es nur einmal den Staatsvertrag bekomme“. Man habe schon erkannt, erwiderte er Lenz gegenüber, „dass viele der russischen Gesten uns gegenüber im Zusammenhang mit den deutschen Wahlen standen, dass wir aber dennoch dieses Klima des Darbietens diplomatisch ausnützen mussten, um ja nichts zu versäumen“.
In der Diskussion über den gemeinsamen Markt konnte Grubhofer „die großen Schwierigkeiten entnehmen, die der Lösung dieses Problems noch entgegenstehen“.94 Wie folgerichtig 94 Bericht über die Besprechung des Informationszirkels der NEI in Genf am 19. 10. 1953, erstattet von Franz Grubhofer, Dornbirn, 26. 10. 1953. AKVI, Karton NEI e); ÖStA, AdR, BKA/AA, KdM, Zl. 300.648-K/53
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schien vor diesem Hintergrund fortgesetztes Bemühen um Integrität und Souveränität Österreichs, wenngleich der ÖVP-Vertreter im europäischen Markt eine gewisse Notwendigkeit sah. Seiner Auffassung nach ging es im Osten wie im Westen um wirtschaftliche und militärische Sicherheit. Der Rücklauf amerikanischer Produktionsgüter infolge der Einstellung der Feindseligkeiten in Korea werde Warentransfers auf Kosten von Industrieerzeugnissen ziviler Produktionsgüter hervorrufen. Ausgehend davon seien die USA von einer Überproduktionskrise bedroht, welche deren Exporte nach Europa anwachsen und Importe aus Europa vermindern werde. Grubhofer fragte gerade im Hinblick auf die Landwirtschaft, ob nicht der gemeinsame Markt („le marcé commun“) eine Lösung dafür sein könne bzw. das einzige Mittel sei, um die Überflutung mit amerikanischen Waren zu verhindern („de résister à l’invasion des produits américains“).95 Anfang September 1954 wurde in Brügge wieder deutlich, wie schwierig Vergleich und Koordination der verschiedenen Ziele der christdemokratischen Parteien waren.96 Der 8. NEI-Kongress suchte im Zeichen des Scheiterns der EVG eine „Jetzt erst recht“-Stimmung zu verbreiten.97 Die NEI ergriffen aber keine Initiative mehr, in modifizierter Weise eine andere Verteidigungsform vorzuschlagen.98 Trotz großen Engagements einzelner Equipen und leidenschaftlicher Aufrufe blieben die NEI hinter den Erwartungen vieler begeisterter christdemokratischer Europaanhänger zurück. 1954 wurden daher Stimmen nach ihrer Reorganisation laut.99
VIII. Die „neue Ära der Neutralität“ (Raab): Standortbestimmung der ÖVP in der Integrationspolitik und verstärktes Südtirol-Engagement Im Mai 1955 erreichte die geschickte Wiener Diplomatie ihr lang gehegtes Ziel. Französische Beobachter registrierten, als am 1. Juni 1955 Lujo Tončić-Sorinj (ÖVP) im Nationalrat Unterschiede im Anschlussverbot zwischen dem Friedensvertrag von 1919 und dem neuen Staatsvertrag erkannte. Für die Wiener Integrationspolitik schienen sich bezüglich versteck(300.164 K/53), Karton 17. Anwesend waren Teitgen, Mallet, Koutzine, Schlichting, Vandepool, Houben, Lenz und Grubhofer. 95 Diese kritische Fragestellung, die ohne Rückmeldung blieb, fand sich im Unterschied zum deutschen lediglich im französischen Wortprotokoll, vgl. Compte Rendue, la dernière „réunion de Genève“, 19. 10. 1953. AN/ Archives Bidault, 457 AP 59, Rote Mappe V. Koutzine 1952–1953–1954. 96 Michael Patrick Fogarty, Christliche Demokratie in Westeuropa 1820–1953, Basel/Freiburg/Wien 1959, 23, 161 f. 97 Karl Haider, Die Integration Europas bleibt das Ziel. Die Tagung der NEI in Brügge, in: ÖMH 10 (Oktober 1954), Nr. 10, 5–6. Von der ÖVP wurden Landesregierungsrat Karl Haider und Bundesrat Fritz Ecken entsandt. 98 Hollstein, 113. 99 Vgl. Dr. Konrad Kraske CDU Bundesgeschäftsstelle an NR Dr. Maleta, 10. 12. 1954. AKVI, Karton NEI f) g) h).
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ter Kombinationen mit Deutschland hierdurch Hintertürchen zu öffnen. Nach Lalouette hatte Tončić u. a. ausgeführt: « Selon la version ancienne, il n’etait pas certain qu’un Anschluss économique fut interdit. Le nouveau traité interdit l’Anschluss économique meme sous une forme indirecte. D’autre part, l’interdiction stipulée par le traité de Saint-Germain visait toute union avec n’importe quel pays. L’article 4 du traité d’Etat n’interdit que l’union de l’Autriche avec l’Allemagne, il n’interdit pas l’union de l’Autriche avec d’autres Etats ou cornmunautés d’Etat. »100
Neben der Überlegung, wie sich österreichische Integrationspolitik zukünftig gestalten würde, stellte sich einmal mehr die Südtirolfrage. Die Rede Außenminister Figls in Innsbruck vom 24. Juni 1955, in der Italien an die Einhaltung des Pariser Abkommens erinnert wurde, führte zur Verstimmung zwischen Rom und Wien sowie zu einer Vorsprache des italienischen Botschafters Angelo Corrias am Ballhausplatz, der Figl am 28. Juni gegenüber betonte, dass man „vor der Wahl zwischen Nationalismus und Integration Europas“ stehe. Letztere sei nur durch eine Absage an den Radikalismus möglich, wobei er an die Zusammenarbeit der christlichen Parteien erinnerte und hinwies, „Südtirol nicht vor ein internationales Forum“ zu bringen. Figl bat um Verständnis, wies aber auf die Notwendigkeit der Erfüllung des Abkommens „im Geiste der Integration“ hin.101 Wien konnte darauf allerdings erst hoffen, als es in dieser Causa Jahre später die UNO anrief. Das „Paket“ erreichte man dann 1969. Gleichsam als Anerkennung für den erlangten Staatsvertrag tagten die NEI vom 16. bis 18. September 1955 in Salzburg, obwohl Adenauer auf die Neutralität „a bisserle allergisch reagiert“ hatte.102 In CDU-Kreisen war man ‚vorgewarnt‘ gewesen: Spreti hatte Anfang Juni von Grubhofer Informationen erhalten, wonach aus Delegationskreisen aus Moskau sowjetische Bereitschaft zu registrieren war, für die Neutralität Deutschlands nicht nur das DDR-Regime zu opfern, sondern sogar in der Oder-Neiße-Frage konzessionsbereit zu sein.103 Neutralitätspolitik war jedoch für Adenauers Gefolgsleute absolut tabuisiert, obwohl 100 Télégramme à l’arrivée de M. Lalouette, 2. juin 1955, No. 1050, fol. 080–083. MAE. EU-Europe Autriche 1949–1960, Vol. 293. 101 Amtsvermerk, 16. 7. 1955. ÖStA, AdR, BKA/AA, Südtirol, Verschlussakte Zl. 323.726-pol/55 (GZl. 319.169-pol/55). 102 Interview mit Gottfried Heindl am 5. 3. 1992, dem langjährigen Chef des ÖVP-Pressedienstes (Tonbandaufzeichnung im Besitze des Verfassers); seine vergleichsweise noch vorsichtige Formulierung findet ihre Bestätigung bei Hans-Peter Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann: 1952–1967, Bd. 2, Stuttgart 1991, 184. 103 Vgl. den Hinweis in der Fußnote 156 bei Thoß, 130; dieser Aspekt erfährt durch eine neue Quelle eine weitere Erhärtung: Die österreichische Botschaft in Paris erfuhr vom früheren ungarischen Gesandten von Bobrik, dass ihm der bundesdeutsche Botschafter, von Maltzan, anvertraut hatte, „dass die Russen Bonn insgeheim hätten wissen lassen, sie wären bereit, die Pankower Regierung fallen zu lassen und auch über die Oder-Neisse-Grenze zu sprechen, falls Deutschland auf die Aufrüstung verzichte“. Maltzan habe gemeint, dass Adenauer „einen sehr schweren Stand haben [werde], wenn er seine bisherige Politik fortsetzen wolle“.
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diese für Österreich Freiheit und Unabhängigkeit gebracht hatte. In Salzburg brachte Raab dann auch den deutschen Zuhörern selbstbewusst zum Ausdruck, dass sie „kaum mehr viele fremde Uniformen auf unserem Boden sehen“ würden und „die Einigung über Österreich die Genfer Konferenz ermöglichte und in der weiteren Fortsetzung auch die Stimmung bei der Atomkonferenz entscheidend beeinflusste“. Wenn auch mit der Neutralität eine neue Ära beginne, „so werden wir doch genauso wie bisher zu unseren Idealen und zu unserem Programm stehen“. Raab dachte hierbei wohl an das bisherige österreichische Integrationsverhalten und explizit an eine Politik der „christlichen Ideale“, die nicht hindere, „in Frieden mit anderen Völkern zu leben, die sich für eine andere Lebensauffassung entschieden haben“: „Wir betreiben nicht Politik um der Politik willen, sondern wir trachten, durch unsere Lebensführung den anderen ein Beispiel zu geben und wir können mit Genugtuung feststellen, dass sich immer weitere Kreise diesem Beispiel anschließen.“104
Der österreichische Delegierte Hans Igler sprach dann über „Wirtschaftliche Integration Europas unter besonderer Berücksichtigung von Produktion und Geldwesen“, wobei er feststellte, dass die Equipen nicht bereit seien, Kredit- und Budgetpolitik als Hauptinstrumente marktwirtschaftlicher Stabilisierungspolitik einem supranationalen Einfluss zu unterwerfen. Die Preisstützungsbemühungen zugunsten der europäischen Landwirte mittels eines komplizierten Ein- und Ausfuhrbewilligungssystems bildeten „das wesentliche Hindernis einer kompletten Liberalisierungspolitik“.105
IX. Offensive ÖVP-Integrationspolitik nach 1956/57: Fritz Bock für eine FHZ als „Schritt auf dem Weg zur vollen Integration Europas“ Im Zuge der relance européenne drängten (nach missglückter EPG und EVG) die europäischen Christdemokraten auf weitere wirtschaftliche Integrationsschritte. Der 10. NEI-Kongress in Luxemburg im Mai 1956 betonte die Schaffung eines gemeinsamen Marktes und Schreiben Alois Vollgruber an das BKA/AA, 20. 6. 1955. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol 1955, Russland 2, GZl. 323.495-pol/55 (GZl. 323.495-pol/55). Mit Adenauer war darüber wohl nicht zu sprechen. 104 Redemanuskript Bundeskanzler Ing. Raab: NEI-Tagung Salzburg, 2, 4, 5 f.. AJRGV, Schachtel „R 1“ Reden 1953–1957; vgl. auch Salzburger Volkszeitung, 19. 9. 1955; von der BRD waren Jäger, Kiesinger, Lenz, Strauß und Strickrodt anwesend, ebd., 16. 9. 1955. 105 „Wirtschaftliche Integration Europas unter besonderer Berücksichtigung von Produktion und Geldwesen. Gedanken zu den Fragebogenbeantwortungen“, Referat von Dr. Hans Igler (Österreich) am NEI-Kongress 1955 Salzburg. AKVI, Karton NEI g) h), vgl. L’Intégration, 69, irrtümlich „Isler“; Interview mit Dr. Hans Igler am 12. 3. 1992 (Tonbandaufzeichnung im Besitze des Verfassers); zu ordnungspolitischen Vorstellungen in der ÖVP vgl. Kriechbaumer, z. B. 241–243, 264 f.; Salzburger Volkszeitung, 17. 9. 1955.
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einer europäischen Atomgemeinschaft, während der 11. Kongress im April 1957 in Arezzo die Wiedervereinigung Deutschlands als Bedingung für eine wahrhafte détente bezeichnete.106 Gleichsam als Nachbeben des Staatsvertrags könnten die revolutionären Ereignisse im Herbst 1956 in Ungarn begriffen werden, gegen die die NEI nicht mehr als wirkungslose Verurteilung zum Ausdruck brachten. Maleta formulierte als Aufgabe für das neutrale Österreich, „dem in einer inneren Krise befindlichen weltanschaulichen Konzept des Kommunismus eine eigene, christlich-europäische Ordnung nicht nur theoretisch entgegenzustellen, sondern praktisch-ausstrahlend vorzuleben, die die vom Kommunismus missachtete Freiheit der Persönlichkeit mit dem berechtigten Anliegen der sozial-materiellen Sicherheit vereint“.107
Die nach Abschluss des Staatsvertrages offensiver werdende ÖVP-Integrationspolitik begrüßte die Wendung der Regierung Macmillan im Sommer 1956 in Richtung gemeinsamen Wirtschaftsmarkt und FHZ. Einer der profiliertesten Integrationsbefürworter dieser Zeit, Handelsminister Fritz Bock (ÖVP), betonte im Februar 1957 die starke Abhängigkeit der österreichischen Ökonomie von der OEEC-Ländergruppe, mit der 70 % des Warenaustausches erfolgte. Eine FHZ, die „gegenwärtig für Österreich in Frage kommt“, biete den Vorteil, „dass bei Aufrechterhaltung der wirtschaftspolitischen Selbstständigkeit im Endstadium die Zoll- und Verkehrsfreiheit innerhalb des europäischen Marktes in gleicher Weise wie bei der Zollunion erreicht wird“. Auf keinen Fall dürfe Österreich „diese Vorgänge negligieren“. Es gehöre zu den exportintensivsten Ländern, seine Ausfuhr betrage 30 % seines Nationalproduktes. Zollschutz und Zollgewinn würden die Verluste nicht ausgleichen, die bei einem Fernbleiben vom größeren Markt entstehen würden. Österreich müsse nicht nur bei der FHZ mittun, es sei sogar in seinem Interesse gelegen, wenn eine solche zustande käme. Bock zeigte sich über binnenwirtschaftliche Folgen im Bilde. Unter der Devise „Mehr und fleißig arbeiten!“ plädierte er für weitere Rationalisierung, Abstimmung der Investitionstätigkeit auf Steigerung der Konkurrenzfähigkeit und „echte“, d. h. nicht subventionierte Preise.108 Der gemeinsame Markt wurde auch vom Bundespressereferenten Karl Pisa (ÖVP) als „eine Existenzfrage“109 für Österreich, die Römischen Verträge von Bock als „neue Phase der europäischen Wirtschaftsentwicklung“ begriffen. Es galt, Österreich einen Absatzmarkt von 260 Millionen zu sichern, weshalb nicht gezögert worden sei, „dem Projekt einer europäischen Freihandelszone unsere grundsätzliche Zustimmung zu geben“. Ungünstige Größen106 Papini, L’Intégration, 69. 107 Friedrich Abendroth, Christlicher Europakongress. Der XI. Kongress der Nouvelles Equipes Internationales (NEI) in Arezzo, in: ÖMH 13 (Mai 1957), Nr. 5, 2–5. Österr. Teilnehmer waren der Berichterstatter Friedrich Abendroth, der Delegationsleiter Alfred Maleta, die Leiterin der Österreichischen Frauenbewegung Nationalrätin Lola Solar und der Kärntner Kommerzialrat Rudolf Moser. 108 Fritz Bock, Der größere Markt, in: ÖMH 13 (Februar 1957), Nr. 2. 5–7. 109 Karl Pisa, Österreichs Ja zum Europamarkt, in: ÖMH 13 (April 1957), Nr. 4, 12–14.
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verhältnisse der Industrieunternehmen (4,7 % Groß-, 37 % Mittel- und 58,3 % Kleinbetriebe), geografische Randlage und Kapitalarmut würden aber die Übernahme weitgehender Verpflichtungen im Unterschied zu anderen Teilnehmern verhindern.110 Im Oktober 1957 hatte Bock in einer Rede vor der GV des Europarates eine „kleine Lösung“ für die FHZ vorgeschlagen, „ein System zu finden, nach dem durch die bevorstehenden Maßnahmen auf dem Zoll- und Kontingentsektor Diskriminierungen vermieden werden sollten“, was jedoch keine Zustimmung fand.111 Am 25. März 1958 legte Bock dem Ministerrat ein Memorandum der Bundesregierung über die FHZ vor, in dem Österreich seine grundsätzliche Bereitschaft zu einem Eintritt aussprach, aber gleichzeitig Sonderwünsche anmeldete. In einem Vortrag im Österreich-Club am 23. April 1958 gab Bock ein „eindeutiges Ja“ auf die Frage einer Partizipation an der FHZ, fügte aber sogleich hinzu: „Es wäre Österreich als neutralem Staat viel lieber, wenn auch der Gemeinsame Markt eine rein wirtschaftliche Integrationsform ohne politische Zielsetzung wäre.“112 Ende 1959 wollte Bock EWG-Kritikern gegenüber ganz im Sinne der ÖVP-Außenpolitik die Integrationsbemühungen „ausschließlich vom wirtschaftlichen Standpunkt“ betrachten: „Wir stehen daher Denunziationen außerordentlich skeptisch gegenüber, welche die EWG als eine politische Gemeinschaft deklarieren und damit bemüht sind, den Akzent vom Wirtschaftlichen in das Politische zu verschieben. Wir glauben nicht, dass zur Zeit auch nur die geringste Chance bestünde, das freie Europa im Rahmen der EWG auf dem Gebiet der Politik zu integrieren und wir lehnen es daher ab, wenn man die EWG als ,Kern-Europa‘ bezeichnet.“113
Das Scheitern der großen FHZ aufgrund zu weit gehender britischer Vorstellungen, französischer Ablehnung und allgemeinen Festhaltens an uneingeschränkten Autonomiewünschen in Zoll- und Handelspolitik hatte die österreichischen (ÖVP-) Integrationsambitionen „außerordentlich schmerzhaft berührt“. Dem Scheitern der multilateralen Assoziierung folgte die Gründung der kleinen FHZ, die von den Integrationsbefürwortern der ÖVP vom ersten Augenblick an nur als Zwischenlösung begriffen wurde, zumal 50 % des Exports in die EWG und nur 12 % in die EFTA gingen. Diese begriff Bock nach der EWG als zweiten Schritt, dem weitere rasch folgen müssten, „um das Werk der europäischen Integration nicht versanden zu lassen“.114 Am 3. März 1960 hatte er im Bundesparteivorstand zum Thema EWG-EFTA referiert, wo keine große Begeisterung für die kleine Freihandelszone vorhanden schien. Ein Gedächtnisprotokoll vermerkte: „Nach Debatten steht fest, dass die ÖVP sich positiv zur EFTA bekennen soll, wobei die EFTA als Schritt auf dem Weg zur vollen 110 Fritz Bock, Freihandelszone und Österreich, in: ÖMH 13 (Dezember 1957), Nr. 12, 1–2. 111 Rückblickend Fritz Bock, Die europäische Integration, in: ÖMH 15 (Dezember 1959), Nr. 12, 1 ff. 112 „Bock im Integrationsgarten“, Aufstellung von Bock-Zitaten nach Austria Pressedienst 9 (Dezember 1966), 23/24. AKVI. Mappe EWG. Kommissionsbericht Teil I. u. II. 113 Wie Anm. 111, 3. 114 Ebd.
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Integration Europas zu betrachten ist.“115 Kurz darauf hielt er öffentlich fest, dass es „keine wirtschaftliche Neutralität“ gebe. Sie komme im Kodex des Völkerrechtes gar nicht vor, würde man sie erfinden, „so wäre das nur der Anfang vom Ende unserer wirtschaftlichen Prosperität!“ Die strikte Einhaltung „unserer völkerrechtlichen und militärischen Neutralität“ habe „nichts mit für unsere Wirtschaft lebenswichtigen Entscheidungen in der europäischen Integrationsfrage zu tun“.116 Grubhofer betonte am 13. Juni 1962 im Nationalrat, „dass die EWG die erste Etappe zur politischen Vereinigung Europas darstellt“. Hatte er vor einem Jahrzehnt im NEI-Rahmen nur für eine europäische Konföderation plädiert, so ließ er hierzu abermals eine realistische Einschätzung erkennen: „Eine immer engere Union soll geschaffen werden. Es ist an eine Fusion gedacht und nicht an eine Konföderation […] Ich meine, man soll das zukünftige Europa und seine Politik nicht willkürlich gestalten, sondern real. Man muss europäisch sehen, daher sollen alle, die einen mehr oder weniger berechtigten Ehrgeiz für ein vereintes Europa in sich tragen, doch auch die Wirklichkeit sehen.“
Grubhofer fragte kritisch, ob „sich das neutrale Österreich an eine wirtschaftliche Gruppierung mit politischen Zielen assoziieren“ könne. Für ihn stand fest, dass Österreich mit der EWG „in ein wirtschaftliches Verhältnis treten“ wolle, „weil sie unser größter Markt ist“: „Wir sind überzeugt – und das ist der tiefere Grund für unser Bemühen um eine Teilnahme –, dass die Verbindung für uns lebensnotwendig ist, dass sie uns stärkt und wir dadurch auch für die anderen Märkte der Welt noch interessanter und bedeutungsvoller werden können.“
Keinesfalls sei aber beabsichtigt, „in einer spannungsgeladenen Welt durch unser ehrliches Bemühen neuen Konfliktstoff zu schaffen“, Staatsvertrags- und Neutralitätstreue seien die Mittel, um Hindernisse bei den heiklen Verhandlungen mit Brüssel zu beseitigen. Bei die115 Gedächtnisprotokoll über die 2. Sitzung des Bundesparteivorstandes [der ÖVP] am 3. 3. 1960 (anwesend: Gorbach, Withalm, Scheidl, Raab, Maleta, Habich, Ilg, Gleißner, Oberhammer, Graf, Ecken, Harramach, Solar, Bock). AJRGV, Rote Separatmappe, Protokolle – Koalitionsausschuss – Fall Haselgruber. Bock plädierte in der Folge für eine Versachlichung der Integrationsdebatte, vgl. „Zum Geleit!“, in: Österreich und die EWG. Das Salzburger Expertengespräch [7.–9. 11. 1963] (Akademische Vereinigung für Außenpolitik Universität Innsbruck Schriftenreihe Bd. 1), Wien o. J.; Interview mit Vizekanzler a. D. Dr. Bock am 3. 3. 1992 (Tonbandaufzeichnung im Besitze des Verfassers), indem sich Bock retrospektiv als EWG-Beitrittsbefürworter präsentierte. Die EFTA war für ihn eine „praktische Übergangslösung“ gewesen. Ein entsprechender Hinweis auf eine spätere Regelung einer gemeinsamen ,Wirtschaftslösung‘ in Europa kam auf Antrag Bocks – zum Missvergnügen der Schweizer – in die Präambel der Stockholmer-Konvention. 116 Wie Anm. 112, vgl. auch Fritz Bock, Der Vertrag von Stockholm, in: Die Furche, 12. 3. 1960.
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sen „müssen wir uns immer wieder auf unseren Standort besinnen. Der Standort heißt: ein freies, neutrales Österreich.“117 Ein weiteres Jahrzehnt sollte es aber noch dauern, bis Österreich – unter vorbehaltlicher Wahrung seiner Neutralität – ein Arrangement mit dem Zweckverband zur Marktverwaltung weitgehend souveräner Nationalstaaten, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, erzielte.
X. Zusammenfassung Bereits beim ersten NEI-Kongress in Luzern im Jahre 1947 schälte sich heraus, dass eine geschlossene und schlagkräftige „schwarze Internationale“ nicht realisierbar war. Die ÖVP hatte sich mit wenig Erfolg dafür ausgesprochen. Wiederholt plädierten ihre Delegierten für einen engeren Zusammenschluss, während sie sich prononcierter europapolitischer Stellungnahmen in der Öffentlichkeit enthielten. Der erzwungene Verzicht auf aktive Integrationspolitik wurde durch Propagierung einer starken christlichen Internationale kompensiert. Den NEI fehlten aber eine einheitliche Grundkonzeption. Sie blieben ein „brustschwacher Verein“,118 wie es auch nicht gelang, die Südtirolfrage parteienbilateral zwischen ÖVP und DC (im europäischen Sinne) zu lösen und die Österreichfrage auf eine höhere Ebene zielbewusster politischer Aktion zu heben. Ständige Fühlungnahme und intensiver Gedankenaustausch machten es dagegen in Genf möglich, die führenden Kreise der internationalen Politik mit der Österreichproblematik vertraut zu machen und einen gewissen ‚moralischen‘ Beistand zu erhalten. ÖVP-Vertreter exponierten sich aber selbst in diesem inneren Kreis europäischer Christdemokraten kaum integrationspolitisch, weil Österreich wie die Schweiz (in der Gruber seit Anfang der 50er-Jahre eine Art Muster gesehen hatte) aufgrund seiner außenpolitischen Situation nicht in der Lage war, aktiv am Integrationsprozess teilzunehmen und in sämtlichen internationalen Organisationen mitzuarbeiten. Politische und militärische Kombinationen waren im Zeichen des eskalierenden Kalten Krieges nicht ratsam, Fragen des vereinten Europas den Zielen Staatsvertrag und Souveränität nachgeordnet. ÖVP-Delegierte ließen kein einheitliches Integrationskonzept erkennen, verhielten sich eher zurückhaltend, notierten die Stellungnahmen, kommentierten aus Beobachterperspektive und enthielten sich einseitiger Parteinahmen, was von den anderen Landesverbänden akzeptiert wurde. Diese Verhaltensdispositionen mögen u. a. die im Vergleich zur SPÖ-Führung 117 Rede des Abgeordneten Franz Grubhofer, Staatssekretär a. D., in der 100. Sitzung des Nationalrates am 13. Juni 1962 über die wirtschaftliche Integration Europas. ÖNB 944257-C. Der Konföderationsgedanke hat kaum etwas an Aktualität verloren, vgl. Joachim Rohlfes, Die Europäische Gemeinschaft: woher – wohin?, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 43 (Oktober 1992), Heft 10, 591–607, hält Formen einer mehr staatenbündischen Kooperation für ein plausibles Zukunftsmodell. 118 So lautete eine Einschätzung des langjährigen ÖVP-Pressefunktionärs Gottfried Heindl, Interview am 5. 3. 1992 (Tonbandaufzeichnung im Besitze des Verfassers).
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weniger zögerlich und bruchlos verlaufende Neutralitätsfindung innerhalb der ÖVP-Spitze gefördert haben. Auf der anderen Seite hatte die ÖVP durch ihre frühe Beteiligung an den NEI schnell in europäischen Perspektiven denken gelernt.119 Nach 1955 forcierte die Volkspartei den Integrationsgedanken und exponierte stärker als die SPÖ Österreich als einen Vorreiter einer intensivierten Partizipation an der EWG.120 Im Unterschied zu den anderen europäischen Neutralen versuchte Österreich – v. a. getragen von ÖVP-Politikern – den „Alleingang“ zu einem verbindlichen Arrangement mit der EG, der infolge der spezifischen außenpolitischen Konstellationen der 60er-Jahre und der Politik der Signatarmächte des Staatsvertrages aber 1972 nur zu einem Zoll- und Handelsvertrag mit Brüssel führte. Der freigelegte und gesteigerte integrationspolitische Impetus der ÖVP fand auch durch ein verstärkteres Engagement in der 1965 gebildeten NEI-Nachfolgeorganisation EUCD und der 1978 in Salzburg gegründeten EDU121 seinen Ausdruck. Dieses Kapitel gilt es aber noch zu erforschen.
119 Reichhold, 176. 120 Vgl. den Vortrag von Figl „Österreichs Mitarbeit in Europa“ bei der Wiener Europatagung, in dem er abschließend erklärte, dass Österreich „in die europäische Gemeinschaft nicht als Bittsteller, sondern als gleichberechtigter Partner [komme] und bringe, da es nicht arm an Bodenschätzen ist, manches mit“, in: Wiener Zeitung, 22. 6. 1958, vgl. „ÖVP verurteilt Pittermanns EWG-Erklärungen, in: Die Presse, 12. 1. 1960, und den Beitrag von Hehemann in diesem Band sowie Anton Pelinka, Die Österreichische Volkspartei (ÖVP), in: Hans-Joachim Veen (Hrsg.), Christlich-demokratische und konservative Parteien in Westeuropa, Bd. 1, München/Wien/Zürich 1983, 246 f. 121 Vgl. hierzu Mertens, 21, 28–65, 94 f.; Pelinka, Die ÖVP, 263.
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„Dass einzelne Genossen darüber erschreckt sind, dass wir kategorisch jedwede Teilnahme an der EWG ablehnten“ Die SPÖ und die Anfänge der europäischen Integration 1945–1959
Der Haltung der österreichischen Sozialisten zu den Anfängen der europäischen Integration auf die Spur zu kommen, ist eine mühsame Aufgabe,1 denn es herrscht nicht gerade ein Überangebot an aussagekräftigen Quellen. Und falls welche existieren, werden sie verstohlen unter Verschluss gehalten – allen voran die Protokolle der Parteivorstandssitzungen der SPÖ.2 Weniger ängstlich als die heutige Parteispitze ist die Stiftung Bruno Kreisky Archiv. Ihr Bestand – in diesem Fall der Schriftverkehr des jungen Staatssekretärs und Außenministers Kreisky – gibt wesentliche Informationen für die Zeit nach Abschluss des Staatsvertrages. Ansonsten ist das Archivmaterial eher dürftig: Ein wenig geben die Akten des sozialistischen Verstaatlichtenministeriums im Staatsarchiv her. Etwas hilft das Archiv der sozialen Demokratie und das Politische Archiv des Auswärtigen Amts – beide in Bonn. Die bestehenden Lücken können zwar teilweise durch gedruckte Quellen geschlossen werden. Hier sind die Arbeiter-Zeitung und die SPÖ-Monatszeitschrift Die Zukunft ebenso zu nennen wie die Nationalratsprotokolle, die Mitschriften der Parteitage oder der Kongresse des ÖGB und eine stattliche Menge von grauer Literatur. Sie verhelfen wenigstens zu einem ungefähren Bild. Viele Details bleiben dennoch – bis auf Weiteres – im Verborgenen.
I. Grundlagen der Europapolitik der SPÖ Die Nachkriegsjahre von 1945 bis 1948 Die Haltung der SPÖ gegenüber der Einigung Westeuropas von 1945 bis 1959 wird nur verständlich, wenn man sich die wesentlichen Grundlagen oder Determinanten für eine Außenpolitik der Partei nach dem Ende des Krieges vergegenwärtigt. 1 Dieser Aufsatz basiert auf der viel umfassenderen Darstellung von Martin Hehemann, Die SPÖ und die Anfänge der europäischen Integration bis zur Gründung der EFTA, Münster 1990 (unveröffentlichte Magisterarbeit); vgl. zur Thematik auch die einschlägige Recherche von Arno Einwitschläger, The Austrian Socialist Party and the Question of European Integration, European University Institute, Florenz 1987, Projektabschlussbericht, 23 S. 2 Mehrfache Ansuchen bei SPÖ-Zentralsekretär Cap, Einsicht in die Protokolle der Parteivorstandssitzungen der Jahre 1945–1959 zu erhalten, blieben ohne Erfolg. Vermutlich bestanden Ängste, einem Nicht-Parteisoldaten Einblick zu geben.
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1. Die Entscheidung für die große Koalition: Nach 1945 übernahmen die Vertreter des rechten Parteiflügels das Ruder in der Partei. Politiker, die Otto Bauer in der Zwischenkriegszeit „unter lebhafter Zustimmung der Parteijugend an den Rand gedrängt hatte“.3 Ihre führenden Köpfe waren Bundespräsident Karl Renner, Innenminister Oskar Helmer und der Vizekanzler und Parteivorsitzende Adolf Schärf. Sie waren geprägt von der Angst vor dem Klassenkampf, „von der traumatischen Furcht vor einer Wiederholung der Ersten Republik“.4 Daher plädierten Renner und seine Mitstreiter für die Zusammenarbeit statt für die Konfrontation mit dem Bürgertum. Die große Koalition mit der ÖVP wurde zudem mit der Notlage der Nachkriegszeit begründet: Die dringlichsten Aufgaben könnten nur bewältigt werden, „wenn alle aufbauwilligen Kräfte im Land zusammenstehen. Das schiebt die Auseinandersetzung über soziale Gegensätze da und dort hinaus“,5 formulierte Adolf Schärf auf dem Parteitag 1946 den Abschied vom Klassenkampf. Die Einbindung der SPÖ in die Regierung der ÖVP stellte bereits die Weichen für die Außenpolitik der Partei: Die Sozialisten waren von nun an dem bürgerlichen Nationalstaat verpflichtet, keine gute Grundlage, um eine sozialistische, alternative Außenpolitik zu entwickeln, die auf ein visionäres Europa (des demokratischen Sozialismus) als „dritte Kraft“ zwischen den Blöcken abgezielt hätte.6 Utopien gedeihen in der Opposition wohl besser. 2. Der Primat des Staatsvertrages: Kristallisationspunkt jedweder Außenpolitik der SPÖ war bis 1955 die Erringung der nationalen Souveränität. Diesem Ziel ordnete die Partei alle anderen Überlegungen unter. Frühzeitig erkannten die Parteistrategen, welcher Preis für den Staatsvertrag zu zahlen war: „Wir sollten weder von einer einseitigen West- noch von einer einseitigen Ostorientierung reden“,7 bekannte sich der außenpolitische Sprecher der SPÖ im Nationalrat, Ernst Koref, bereits im Dezember 1945 zu einer neutralen Haltung Österreichs zwischen den beiden großen Blöcken. Koref war kein Einzelfall. Er besaß hier die Rückendeckung der gesamten Führungsspitze. Von Renner bis Schärf machten die Parteigranden jedoch nie einen Hehl daraus, dass die Neutralität für sie eine 3 Fritz Kolb, Es kam ganz anders. Betrachtungen eines alt gewordenen Sozialisten, Wien 1981, 77. 4 Fritz Weber, Die Angst der Parteiführung vorm Klassenkampf. Die SPÖ 1945–1950, in: Peter Pelinka/Gerhard Steger (Hrsg.), Auf dem Weg zur Staatspartei. Zu Geschichte und Politik der SPÖ seit 1945, Wien/ München 1988, 17. 5 Parteitagsprotokoll 1946, 113. 6 Diese Konzeption wurde spätestens durch den Kalten Krieg (seit 1947) obsolet, vgl. die mitunter auch differierenden Positionen von Oscar Pollak, Julius Deutsch, Otto Leichter und Erwin Scharf bei Karl Stuhlpfarrer, Die österreichischen Sozialisten und die Vision der „dritten Kraft“ nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Heinz Gärtner/Günter Trautmann (Hrsg.), Ein dritter Weg zwischen den Blöcken? Die Weltmächte, Europa und der Eurokommunismus, Wien 1985, 129–140; Oliver Rathkolb, La politique européenne du parti socialiste. theorie et pratique, in: Austriaca. Cahiers Universitaires d’Information sur l’Autriche (Juin 1991), n.° 32, p. 107–119; vgl. als Beleg für ein sozialistisches Europa als „dritte Kraft“ Oscar Pollak, „Die dritte Lösung“, in: Arbeiter-Zeitung, 1. 9. 1946, vgl. zur Kritik an der „dritten Kraft“-These und Propagierung eines weltpolitisch orientierten Sozialismus Julius Deutsch, „Europa oder Weltföderation?“, in: Arbeiter-Zeitung, 5.9. 1946. 7 Sten. Prot. NR, V. GP, 2. Sitzung, 21. 12. 1945, 30.
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rein staatspolitische Notwendigkeit war. Immer wieder betonten führende Sozialisten ihre ideologischen Nähe zum Westen und die Sympathie für dessen Einigungsbemühungen. 3. Das Ja zum Marshallplan: Der amerikanische Vorschlag einer groß angelegten Hilfsaktion für Europa brachte die SPÖ in ein echtes Dilemma. Mit der Absage der Sowjetunion an den Marshallplan kam ein Ja Österreichs im aufziehenden Ost-West-Konflikt einer Parteinahme für den Westen gleich. Die SPÖ-Spitze um Schärf reagierte mit einem Spagat, mit einer Politik der Zweigleisigkeit: Sie konnte und wollte sich aus ideologischen und ökonomischen Überlegungen eine Absage an die Marshall-Hilfe nicht leisten, betonte aber zugleich ihre politische und militärische Neutralität. Beispielhaft für den gedanklichen Spreizschritt ist eine Bemerkung Schärfs aus dem Juli 1947: „Wir hoffen, dass sich Österreich an einem Europaplan beteiligen kann. Wir hoffen aber auch, dass wir durch eine solche Beteiligung nicht in Gefahr geraten, in den Strudel der Gegensätze zwischen Ost und West gezogen zu werden.“8
Dieses Paar – reale Teilnahme an der Integration des Westens, soweit es geht, und verbales Festhalten an der Neutralität mit Blick auf die Sowjetunion – sollte die Europapolitik der SPÖ bis weit über den Staatsvertrag hinaus bestimmen.
II. Erste Schritte der Integration: Die Entwicklung 1948–1956 Der Marshallplan bildete den Auftakt zur westeuropäischen Einigung. Weitere Schritte folgten. Die österreichische Regierung beteiligte sich nur sehr behutsam an dem Marsch auf das geeinte Europa. Im Folgenden wird untersucht, wieweit die Sozialisten diese integrationspolitische Abstinenz mittrugen und wie geschlossen die Führung sich in den einzelnen Fragen verhielt. a) Die SPÖ und der Europarat An der Gründung des Europarates im Jahr 1949 nahmen zwei führende Sozialisten regen Anteil: Oscar Pollak – der Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung – und der SPÖ-Chefideologe Karl Czernetz.9 Beide Politiker begrüßten den Europarat als wesentliches Element der „zukünftigen Vereinigten Staaten von Europa“.10 In ihren durchaus positiven Stellungnahmen 8 Arbeiter-Zeitung (AZ), 10. 7. 1947, 1. 9 Vgl. auch Pierre Pflimlin, Karl Czernetz – der Europäer, in: Karl Czernetz. Europäer und Sozialist. Reden und Aufsätze, Wien 1980, 8–11. 10 Etwa: Karl Czernetz, Die Bedingungen des Friedens, in: Die Zukunft, Juni 1949, 164; vgl. Oscar Pollak, Atlantikpakt und Europa-Union, in: Die Zukunft, April 1949, 9.
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zum Europarat kam eine Reihe von Überlegungen zum Ausdruck: Beide waren beunruhigt über die Dominanz der Konservativen. Sowohl Czernetz als auch Pollak meinten bereits Westeuropa, wenn sie von Europa sprachen. Besonders Czernetz betonte den Abwehrcharakter der Organisation gegen die Sowjetunion. Die Beitrittsfrage sprachen sie beide zunächst nur indirekt an. In diesem letzten Punkt äußerte sich der Parteichef mehr als ein Jahr nach der Gründung des Europarates im Oktober 1950 deutlicher. Schärf nahm erstmals öffentlich zum Europarat Stellung. Er stellte fern jeder Europa-Euphorie klar, welchen Stellenwert diese Organisation in seinem außenpolitischen Konzept besaß: Er bedaure, dass Österreich an derartigen Staatenbünden nicht teilnehmen könne, weil sie dazu führen können, „sowie in Deutschland, die Grenzhindernisse zwischen der Ostzone und den übrigen [Zonen, M. H.] zu verstärken“.11 Dessen ungeachtet versuchte ein europäisch gesinnter Flügel in der Partei – allen voran Czernetz, Pollak und Club-Obmann Bruno Pittermann –, zumindest einen Beobachterstatus Österreichs beim Europarat zu erlangen. Laut einer Notiz der in Münster erscheinenden Westfälischen Nachrichten soll der Parteivorstand dem im Juni 1950 zugestimmt haben.12 Am 24. November 1951 trugen die Bemühungen Früchte. Österreich bekam seinen Beobachterstatus. Mehr – das war auch profilierten Europäern wie Pittermann klar – war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich.13 Noch im Mai 1953 sprach sich der neue Staatssekretär im Außenamt, Bruno Kreisky, anlässlich eines Besuches in Bonn gegen den Vollbeitritt zum Europarat aus. Die Sowjetunion lasse das nicht zu.14 Der Zeitpunkt – Mai 1953 – ist deshalb so bemerkenswert, weil im Dezember desselben Jahres der sozialistische Nationalratsabgeordnete Peter Strasser im Namen seiner Fraktion die Regierung aufforderte, den Beitritt zu beschließen.15 Kurz darauf verabschiedete das Parlament eine entsprechende Resolution. Anfang 1954 bekräftigten die Abgeordneten der SPÖ ihre Forderung erneut.16 Was steckte hinter dem Stimmungswandel in der Partei oder zumindest in Teilen der Partei? Einerseits: Das staatspolitisch notwendige Bekenntnis zur Neutralität verblasste ein wenig, je mehr sich der Kalte Krieg zuspitzte. So verstand Ernst Koref 1952 Neutralität keineswegs so, „dass wir uns gefügig und willenlos zum Willkürobjekt sowjetischer Machtpolitik erniedrigen lassen“.17 Andererseits: Ein Bericht des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland weist darauf hin, dass die SPÖ im Gegensatz zur ÖVP eine „schärfere Haltung gegenüber
11 Adolf Schärf, Unsere nächsten Aufgaben, in: Die Zukunft, Oktober/November 1950, 270. 12 „Österreichs Sozialisten wollen nach Straßburg“, in: Westfälische Nachrichten, 20. 6. 1950. 13 Vgl. Bruno Pittermann, Die österreichischen Sozialisten und die Einigung Europas, in: AZ, 1. 7. 1951, 2. 14 Kurzprotokoll einer Besprechung unter Vorsitz von Staatssekretär Walter Hallstein vom 19. 5. 1953. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PAAA), Abteilung 3, Deutschland – Österreich, Aktenzeichen 75205/55, 1952–53, Band 1. 15 Sten. Prot. NR, VII. GP, 24. Sitzung, 8. 12. 1953, 874. 16 Sten. Prot. NR, VII. GP, 33. Sitzung, 24. 2. 1954, 1371. 17 Sten. Prot. NR, VI. GP, 86. Sitzung, 2. 4. 1952, 3269.
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der Gewaltpolitik Moskaus“18 forderte. Vor allem Pittermann sei für eine Politik der Stärke in den Staatsvertragsverhandlungen eingetreten. Schließlich: Die zunehmende Dynamik der Integration – 1953 war der gemeinsame Markt für Kohle und Stahl eröffnet worden – bewegte die SPÖ zu einer gewissen Revision ihrer Europapolitik. Tatsächlich geschah 1954 aber nichts mehr in der Frage des Beitritts. Die Frage des Staatsvertrages rückte 1954/55 wieder voll in den Vordergrund. Erst nach der sich abzeichnenden Erlangung der Souveränität nahmen Pittermann und seine Kollegen ihre europapolitischen Bemühungen wieder auf. Dem französischen Diplomaten in Wien François Seydoux war Anfang Juli 1955 nicht entgangen, dass die von einer Gruppe sozialistischer Parlamentarier angenommene Resolution bezüglich der Besuche, die österreichische parlamentarische Delegationen bei ausländischen Volksvertretungen machen könnten, den Willen der SPÖ betonte, zu verhindern, dass unter dem Deckmantel der Neutralität („sous le couvert de la neutralité“) die Beziehungen Österreichs mit dem Westen zum Nutzen der Sowjetunion nachlassen könnten. Die zweifache Erwähnung des Europarats schien für Seydoux bezeichnend. Sie sei von Pittermann angeregt worden, dem Beobachter Österreichs beim Europarat in Straßburg und dem Präsidenten der Gruppierung sozialistischer Parlamentarier, der ein überzeugter Verfechter des Eintritts Österreichs in den Rat („partisan convaincu de l’entrée de l’Autriche au Conseil“) sei, um durch ein neues Bindeglied die Solidarität seines Landes mit dem Westen zu beteuern („pour affirmer, par un lien nouveau, la solidarité de son pays avec l’Occident“).19 Anfang 1956 hatte die Gruppe um Pittermann ihr Ziel erreicht. Österreich wurde Vollmitglied. Auffällig ist, dass sich gewichtige Politiker der Partei in der Frage öffentlich bedeckt hielten oder sich abschlägig äußerten: Schärf, Helmer und der immer mehr an Gewicht gewinnende Kreisky. Offensichtlich spaltete die Europaratfrage die Führung in einen Europaflügel und einen Flügel der Pragmatiker. b) SPÖ und militärische Integration: die Haltung zu NATO und EVG Als am 4. April 1949 in Washington der NATO-Vertrag unterzeichnet wurde, befanden sich Österreich und die SPÖ längst im westlichen Lager. Im Gegensatz zu der freundlichen Einstellung der Sozialisten gegenüber den USA standen Antikommunismus und Distanzierung gegenüber der Sowjetunion. Dementsprechend positiv fielen die Reaktionen der gesamten Parteiführung auf die NATO aus: Endlich – so Karl Czernetz im Juni – seien die „Zeiten der Aggressionen und Eroberungen à la Hitler“20 vorbei. Schon in den ersten Kommentaren waren die Grundlinien des Kurses enthalten, den die SPÖ in der Folgezeit gegenüber der militärischen Integration des Westens vertreten sollte: 18 Bericht der Studiengruppe Südost vom 22. 9. 1954. PAAA. 19 Télégramme à l’arrivée de François Seydoux, Vienne, le 2 juillet 1955. Ministère des Affaires Etrangers, Série Europe-Autriche 1945–1960, EU 6–8–7, Vol. 271, fol. 204. Für diesen Hinweis danke ich Michael Gehler. 20 Karl Czernetz, Die Bedingungen des Friedens, in: Die Zukunft, Oktober/November 1950, 162.
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Die militärische Einigung garantierte die Sicherheit des Westens vor der Bedrohung aus dem Osten, aber Österreich konnte natürlich nicht an ihr teilnehmen.21 Die Vertreter des Europaflügels verbanden zudem mit der militärischen Integration neue Hoffnung auf eine Einigung Europas. Oscar Pollak etwa zeichnete im April 1949 das Bild der Integration in „drei Kreisen“ – OEEC, NATO und Europarat.22 Der Ausbruch des Koreakrieges und die damit verbundene Verschärfung des Kalten Krieges verstärkte und festigte die Parteinahme der SPÖ für den sich rüstenden Westen. Auch der 1952 paraphierte EVG-Vertrag fand bei den Sozialisten breite Zustimmung. Ja, die unterschiedliche Haltung zur militärischen Integration war sogar Anlass für einen Konflikt mit den deutschen Sozialdemokraten: „Wir müssen aufrichtig sagen, dass wir den Kampf der deutschen Sozialdemokratie bewundern, aber ihre Haltung nur schwer verstehen“,23 gab Oscar Pollak 1952 zu. Zwei Jahre später betonte er erneut, dass man die Position der SPD nicht teile. Die SPÖ sei überzeugt, dass, wenn die „Europa-Armee ohne viel Zögern vor zwei Jahren geschaffen worden wäre, die Berliner Konferenz ein viel positiveres Ergebnis gebracht hätte“.24 In Pollaks Formulierungen klingt es bereits an: Die SPÖ erhoffte sich von einer harten Politik der Stärke ein Einlenken Moskaus bei den Staatsvertragsverhandlungen. Diese Überlegung hatte ja auch in der Europarat-Frage eine Rolle gespielt. Der Parteijournalist Fritz Scheu verdeutlichte sie im Oktober 1954 – nach Abschluss der Pariser Verträge: Die Sowjetunion wolle offensichtlich Entspannung, weil die Rüstungslast zu sehr drücke. Und die Österreichfrage sei der Punkt, wo man am ehesten mit der Entspannung beginnen könne.25 Da eine Teilnahme Österreichs an NATO oder EVG wegen des Staatsvertrages nie infrage kam, bestand bei der Beurteilung der militärischen Integration Einigkeit in der Führung der SPÖ wie sonst selten. Hier blieb der Partei die Gretchenfrage „Integration oder Staatsvertrag“ erspart. c) SPÖ und ökonomische Integration: Liberalisierung und Zollabbau Mit dem Ja zum Marshallplan kam Österreich nicht nur die amerikanische Hilfe zugute. Das Land beteiligte sich auch an der ökonomischen Integration Westeuropas in Gestalt der OEEC. Die vielleicht wesentlichste Leistung der OEEC bestand darin, die mengenmäßigen Handelsbeschränkungen zwischen ihren Mitgliedsstaaten weitgehend abzubauen. Österreich erbat sich aufgrund seiner schlechten Wirtschaftslage eine Ausnahme von der Liberalisierung bis zum 1. Jänner 1953. Dennoch befasste sich die SPÖ natürlich bereits vor 21 Vgl. Adolf Schärf auf dem Parteitag 1950, in: Parteitagsprotokoll 1950, 190 f. 22 Oscar Pollak, Atlantikpakt und Europa-Union, in: Die Zukunft, April 1949, 99. 23 Oscar Pollak, Nicht „Ohne uns“, in: AZ, 10. 2. 1952, 1. 24 Oscar Pollak, Die Europa-Armee und Österreich, in: AZ, 7. 3. 1954, 1. 25 Fritz Scheu, Ein günstiger Augenblick, in: AZ, 14. 10. 1954, 1.
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diesem magischen Datum mit den Auswirkungen des Zollabbaus. Dass der Europaflügel der Partei wirtschaftlicher Integration und Zollabbau voll zustimmte, verwundert nicht. Bemerkenswert ist jedoch, wie sehr Czernetz, Pittermann oder Pollak von allen Seiten der SPÖ unterstützt wurden: Sowohl von der Arbeiterkammer als auch vom ÖGB kamen positive Stellungnahmen, aus dem Nationalrat ebenso wie von Regierungsmitgliedern, ja selbst von Parteichef Schärf. Der wohl vehementeste Verfechter der Wirtschaftsintegration war aber Karl Ausch, Wirtschaftsredakteur der Arbeiter-Zeitung. In seinen Artikeln spiegelt sich die breite Palette von Argumenten, die in der SPÖ für die ökonomische Einigung Europas geltend gemacht wurden: 1. Der Wiederaufbau Europas bedürfe einer wesentlich engeren Zusammenarbeit der europäischen Länder.26 2. Ursache der miserablen Wirtschaftslage Europas sei letztlich aber nicht der Weltkrieg, sondern „die vielfache Teilung Europas“27 in kleine Märkte. 3. Die Zersplitterung Europas habe auch zum Verlust seiner Führungsposition in der Welt geführt: Vor 50 Jahren sei Europa „das Zentrum der zivilisierten Welt“ gewesen. Heute befinde es sich „Amerika gegenüber in der Rolle des armen Mannes“.28 4. Europaweiter Zollabbau und Liberalisierung schienen Ausch schließlich ein probates Rezept zur Behandlung der heimischen, „kartellverseuchten Wirtschaft“.29 Wie gesagt: Bis 1953 taten sich die Österreicher leicht mit Lobreden auf die Vorzüge der Handelsliberalisierung, da sie von ihr profitierten, ohne selbst etwas leisten zu müssen. Mit dem 1. Jänner 1953 musste dann auch Österreich eine 35-prozentige Liberalisierung einführen. In den Folgejahren sollte dieser Satz weiter erhöht werden. In der Diskussion um Zollabbau und Liberalisierung von 1953 bis 1956 zeigte sich, wie viel das Integrationspathos der Sozialisten wert war. Tatsächlich erwies sich die Front derer, die auch im Ernstfall zur Wirtschaftsintegration standen, als beachtlich. Der Parlamentarier Alfred Migsch verdeutlichte im Dezember 1953 die Argumentation dieser kräftigen Gruppierung: Die SPÖ bekenne sich „zu den Grundsätzen des internationalen Freihandels“. Sie sei „grundsätzlich“ für eine völlige Liberalisierung. Jedoch wisse man, dass insbesondere die österreichische Wirtschaft Zeit benötige, um sich den „echten Konkurrenzverhältnissen in Europa anzupassen“. Ziel der Partei sei daher die stufenweise durchgeführte „weitestgehende Liberalisierung des österreichischen Außenhandels“.30 26 Karl Ausch, Wirtschaftspläne, in: AZ, 8. 1. 1949, 1. 27 Ders., Europäische Wirtschaftseinheit, in: AZ, 30. 4. 1949, 1. 28 Ders., Europäische Wirtschaftsplanung. Vortrag gehalten am 23. 3. 1950. ÖGB Vortragsreihe 1950, Nr. 2, Probleme der österreichischen Volkswirtschaft, Wien 1950, 4. 29 Ders., Auch Österreich liberalisiert, in: AZ, 23. 6. 1953, 2. 30 Sten. Prot. NR, VII. GP, 22. Sitzung. 4. 12. 1953, 742 f.
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Dieser Kurs – grundsätzliches Ja zum Freihandel, aber begrenzter und sinnvoller Schutz für eine Übergangszeit – wurde fast von der gesamten SPÖ-Führung öffentlich vertreten, auch von Adolf Schärf.31 Eine Ausnahme bildeten die Gewerkschaften. Sie sprachen sich zwar grundsätzlich für den Freihandel aus, stellten aber den Schutz der Arbeitsplätze in den Vordergrund: „Die theoretische Erkenntnis spricht für die Liberalisierung des Außenhandels, praktisch wird aber jeder Betriebsrat zu seiner Gewerkschaft rennen und um Schutzzoll bitten, wenn sein Betrieb auch nur im geringsten gefährdet erscheint“,32 verdeutlichte der Gewerkschafter Franz Hillegeist anlässlich einer internen Tagung der Arbeiterkammern. Welche Haltung die sozialistischen Regierungsmitglieder hinter verschlossenen Türen einnahmen, ist aufgrund der mangelhaften Quellenlage nur schwer zu sagen. Immerhin zeigt ein Dokument aus dem roten Verstaatlichtenministerium, dass man auch hier wie in den Gewerkschaften die eigenen Interessen hochhielt – notfalls gegen den Freihandel: Man verweigerte 1955 die Zustimmung zum damaligen Zolltarifentwurf, „weil dem gelegentlich vorgebrachten ho. Begehren auf Erhöhung bestimmter Zollsätze nicht Rechnung getragen wurde“.33 Das Eintreten der Arbeiterkammern für die Liberalisierung wird hingegen durch die internen Quellen bestätigt.34 d) SPÖ und Montanunion: Die supranationale Form der ökonomischen Integration Zu den Anfängen der Montanunion – zwischen 1950 und 1953 – meldeten sich im Wesentlichen nur die prononcierten Verfechter der Europaidee in der SPÖ zu Wort. Sowohl in den Kommentaren von Karl Czernetz als auch in denen von Karl Ausch offenbart sich eine gewisse Ambivalenz: Auf der einen Seite begrüßten sie die EGKS als einen Fortschritt der europäischen Einigung. Auf der anderen Seite nahmen sie Kritik an ihrem vermeintlich bürgerlich-kapitalistischen Charakter.35 In einem Artikel für den Wiener Kurier vom Februar 1953 trat Czernetz bemerkenswert verbindlich für eine österreichische Partizipation am westeuropäischen Integrationsprozess ein: „Standen die sozialistischen Arbeiter Österreichs 1934 in der vordersten Front des Kampfes gegen die faschistische Diktatur, so stehen sie heute in der ersten Linie des Kampfes gegen die 31 Vgl. Parteitagsprotokoll 1954, 21–30. 32 Die wirtschaftliche Integration. Agrar-Pool – Montanunion – Zahlungsgemeinschaft, hrsg. v. Arbeiterkammer Wien, Wien 1954, 127; vgl. Franz Olah vor dem Nationalrat, in: Sten. Prot. NR, VII. GP, 27. Sitzung, 11. 12. 1953, 1144 f. 33 Schreiben des BMVuvB an den Ministerrat vom 25. 7. 1955. GStA, BMVuvB, MR-Material, 102. Sitzung vom 26. 7. 1955. 34 Verschiedene Dokumente Betreff Haltung der Arbeiterkammern. SBKA, Box 1266. Dokumente 1238, 1239, 1245, 1254. 35 Vgl. Karl Ausch, England und der Schuman-Plan, in: AZ, 7. 6. 1950, 1.; Karl Czernetz, Außenpolitik der Reife, in: Die Zukunft, Juli/August 1952, 198.
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kommunistische Diktatur. Österreich hat nicht nur seine eigene Freiheit verteidigt, es kämpfte und kämpft gleichzeitig auch für die Freiheit und Einheit Europas. Die österreichischen Sozialisten sind, sobald es die äußeren Umstände gestatten, auch für die volle Mitwirkung unserer Republik an den europäischen Institutionen wie Europarat, Schuman-Plan und Politische Behörde. Ein Österreich der Freiheit und der sozialen Demokratie wird ein wichtiger Baustein des künftigen Europas sein.“36
Präziser und etwas nuancierter bewertete Ausch die Montanunion Anfang 1953: „Es ist ein kühner Schritt, der da unternommen wird, um das heutige Europa der Kleinstaaterei und der wirtschaftlichen Zersplitterung, die die Entfaltung des Kontinents und die Besserung des Lebensstandards seiner Bevölkerung hemmen, auf eine neuere, gesündere wirtschaftliche Grundlage zu stellen.“37
Ausch witterte allerdings die Gefahr, „dass sich die Montanunion zu einem Überkartell für Kohle und Stahl entwickeln könnte“. Immerhin enthalte jedoch der Gründungsvertrag ein Verbot jeglicher Kartelle. Der Vertrag „ist gut“. Man müsse der Montanunion nun Zeit lassen.38 Dagegen hatte Bruno Pittermann einen anderen Aspekt kritisch im Blick. Er verurteilte die Integration der Sechs: Sie führe zu einem festen Staatenblock. Diesen Weg könnten die anderen Mitglieder des Europarates aber nicht mitgehen, „weil sie ihre nationale Souveränität oder Teile dieser Souveränität nicht dauernd zugunsten einer übernationalen Staatsgewalt aufgeben wollen“. Deshalb bewirke – so Pittermann – die Montanunion nicht die Einigung, sondern die Zweiteilung Europas.39 Bei Pittermann klingt es bereits deutlich an: In der SPÖ stand ein Beitritt zur Montanunion zunächst nicht zur Debatte. Die Bemühungen um den Staatsvertrag verboten derartige Erwägungen. Bezeichnenderweise schwiegen sich so wichtige Köpfe der Partei wie Adolf Schärf oder Verstaatlichtenminister Karl Waldbrunner in der Anfangsphase der EGKS zu ihr mehr oder weniger aus. Gesprächiger wurde die Parteiführung erst, als der Schuman-Plan mit der Eröffnung des gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl am 10. Februar 1953 Wirklichkeit wurde. Die Bundesregierung entsandte im Mai des Jahres eine Delegation nach Luxemburg. Gegen Ende 1953 entschied sich der Ministerrat, Verhandlungen mit der Hohen Behörde über einen 36 „Standpunkte im Wahlkampf. VIII. Wie stellen Sie sich die künftige Rolle Österreichs in Europa vor? Die Antwort der SPOe von Nationalrat Karl Czernetz, in: Wiener Kurier, 13. 2. 1953. Freundlicher Hinweis von Thomas Angerer. 37 Karl Ausch, Ein Merktag Europas, in: AZ, 17. 2. 1953., 1 f. 38 Ebd. 39 Bruno Pittermann in einem Vorwort zu: Paul Henri Spaak, Die Sozialisten und die Einheit Europas, Wien 1951, 1.
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österreichischen Sonderstatus aufzunehmen. Die Gespräche mit der Montanunion scheiterten jedoch im Juni 1954. Innerhalb der SPÖ befassten sich ab 1953 vor allem die Vertreter des Verstaatlichtenministeriums mit der EGKS. Die Situation war durchaus prekär: Österreich importierte den größten Teil seiner Kohle aus der BRD und exportierte das Gros seiner Eisen- und Stahlproduktion in die Länder der Gemeinschaft. Am 23. Januar 1953 – die Eröffnung des gemeinsamen Marktes vor Augen – schrieb Ministerialsekretär Otto Gatscha an Waldbrunner, dass der österreichische Stahlexport in die Länder der Montanunion „nicht mehr konkurrenzfähig sein kann“, wenn es nicht zu einer Sonderregelung komme.40 Zum Problem der Kohleversorgung äußerte sich Waldbrunner im März in einer handschriftlichen Notiz: „Das ist ja eine schöne Sache. Gelder für den Ausbau der Wasserkräfte werden geringer (ERP + Budget). Kredite zur Verwendung von Braunkohle anstatt Steinkohle lehnt Fm. Min. ab. Kohlekontingente aus der Ruhr werden auf Geheiß der Montan-Union kleiner. Was wird die öst. Außenpolitik tun?“41 Mit dieser Frage beschäftigte sich nun auch Staatssekretär Kreisky: Einen Beitritt schloss er wegen der Rücksichtnahme auf die Sowjetunion zwar aus. Andererseits brauche Österreich Kohle und Schrott und wolle selbst Eisen und Stahl exportieren. Es wolle ein „ordentliches Verhältnis“ mit der Montanunion.42 Noch 1954 äußerte der volkswirtschaftliche Referent des ÖGB, Heinz Kienzl, die Hoffnung auf einen Sonderstatus: „Österreich muss sich aus politischen Gründen der Montanunion fernhalten, muss aber aus wirtschaftlichen Gründen Verbindungen mit der Montanunion aufnehmen und quasi als stiller Gesellschafter teilhaben.“43 Im Sommer des Jahres waren diese Hoffnungen dann dahin. Die Montanunion rückte nun wieder gegenüber den Bemühungen um den Staatsvertrag in den Hintergrund. Erst im Frühsommer 1955 – nach den erfolgreichen Moskauer Verhandlungen – meldeten sich einige Stimmen zu Wort, die für eine Assoziation oder sogar für einen Beitritt zur EGKS plädierten. Allen voran Karl Czernetz: „Die Mitgliedschaft zur Kohle- und Stahlgemeinschaft kann zeitweise sehr große wirtschaftliche Vorteile bringen, zu anderen Zeiten auch gewisse Opfer kosten.“ Jedenfalls „würde die Zugehörigkeit Österreichs zur Montanunion in keiner Weise den Neutralitätsverpflichtungen widersprechen“.44 Ähnliche Meinungen wurden in der Zukunft und in der Zeitschrift des Arbeiterkammertages – der Arbeit und Wirtschaft – vertreten.45 40 Schreiben von Gatscha an Waldbrunner vom 23. 1. 1953. ÖStA, BMVuvB, 7, GZ. 10040, Karton 195. 41 Waldbrunner am 20. 3. 1953. ÖStA, BMVuvB, 7, GZ. 10010, Karton 190, Pr. Z. 11.749/53; vgl. Bericht des BMVuvB. ÖStA. BMVuvB MR-Material, 304. Sitzung, 23. 9. 1952. 42 Kreisky am 19. 5. 1953. PAAA, Abteilung 3, Deutschland – Österreich, 1952-53, Bd. 1, Zl. 752-05/55 III 1101016/53. 43 Heinz Kienzl, Europa auf dem Weg zur wirtschaftlichen Einheit, in: ÖGB (Hrsg.): Geeintes Europa. Schönere Zukunft, Wien ÖGB 1954, 73–79, hier 78. 44 Karl Czernetz, Österreich frei und neutral. Österreichs Stellung in Europa, in: Die Zukunft, Juni 1955, 162. 45 Vgl. Kurt Süßmayer, Wege zur Montanunion, in: Arbeit und Wirtschaft, Dezember 1956, 447 f.; Fritz Scheu, Der österreichische Staatsvertrag, in: Die Zukunft, Mai 1955, 127.
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Der enge Führungszirkel der Partei stand jedoch wohl nie hinter diesen Forderungen. Selbst Pittermann, der zur gleichen Zeit für den Beitritt zum Europarat kämpfte, blieb hier ruhig. Kreisky stellte im Frühjahr 1957 eindeutig fest, welchen Kurs die Partei steuere: Die EGKS sei ein Bündnis von Staaten, die, „und das darf für unsere Betrachtungen nicht übersehen werden, miteinander durch ein militärisches Bündnissystem vereinigt sind“,46 ein Beitritt komme daher nicht infrage. Politische Überlegungen dominierten nun eindeutig die ökonomischen. Dass diese Rangfolge vor allem nach 1953 in der Partei nicht immer unumstritten war, wurde dargelegt. Kreisky fiel es 1957 umso leichter, sich gegen einen Beitritt zur Montanunion auszusprechen, als neue Konstrukte der Integration in den Vordergrund traten: EWG und Freihandelszone.
III. Integration im Bann der EWG: Die Entwicklung von 1956 bis 1959 a) Die SPÖ und die Freihandelszone 1956–1958 Im Laufe des Jahres 1956 nahm die Bildung der EWG immer konkretere Formen an. Davon bewegt schlug die OEEC im Juli 1956 die Schaffung einer großen, alle OEEC-Mitglieder umfassenden Freihandelszone (FHZ) als Ergänzung zur EWG vor. Die erste öffentliche Stellungnahme eines SPÖ-Politikers hierzu stammt aus dem Oktober: Karl Ausch sprach sich eindeutig für eine Teilnahme Österreichs an der FHZ aus.47 Mit dieser Meinung hatte er die breite Mehrheit des Parteispitze hinter sich. Bis zum Scheitern der FHZ Ende 1958 stand die SPÖ voll hinter ihr und gegen einen EWG-Beitritt. Folgende Überlegungen spielten in ihrer Argumentation eine Rolle: 1. Einer Mitgliedschaft Österreichs bei der EWG stand nach Meinung führender SPÖ-Politiker die Neutralität entgegen. In seiner Reinform wurde dieses Argument von Bruno Kreisky vertreten: „Der neutrale Staat kann auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet keinerlei Verpflichtungen eingehen, die ihn hindern könnten, in Kriegszeiten eine Politik der Neutralität“ einzuhalten, erklärte er im Juli 1958. Es sei nun klar, so Kreisky weiter, „dass unsere Neutralität ebenso wie die der Schweiz in engem Zusammenhang mit der uneingeschränkten nationalen Unabhängigkeit steht“. Die sei als Mitglied der EWG aber nicht mehr gegeben.48 2. Wie Kreisky war auch Minister Waldbrunner ein klarer Gegner des EWG-Beitritts. Ihm ging es vor allem um das Schicksal der ihm anvertrauten verstaatlichten Eisen- und Stahl 46 Bruno Kreisky, Österreichs Stellung als neutraler Staat, in: Österreich in Geschichte und Literatur 2 (1957), 3, 133. 47 Karl Ausch, Eine Schicksalsfrage für Europa, in: AZ, 17. 10. 1956, 1. 48 Bruno Kreisky, Neutralität und Integration Europas, in: Kreisky Reden, Bd. 1, Wien 1981, 56–61.
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industrie. Karl Ausch interpretierte in der Arbeiter-Zeitung die Position des Ministers: Nach Ablauf der Übergangszeit werde die EWG ein geschlossenes Zollgebiet bilden, in der eine „überstaatliche Behörde sowohl über gemeinsame Zölle gegenüber Drittstaaten als auch über Preise, Tarife, Investitionen und manche andere wirtschaftliche Fragen entscheidet. Die wirtschaftliche Souveränität der Mitgliedstaaten ist also weitgehend eingeschränkt“, schrieb er, sich auf Waldbrunner berufend. Gegen Ende seines Artikels ließ er dann die Katze aus dem Sack: „Der Beitritt Österreichs zur Montanunion würde den Einfluss der eigenen Regierung auf die verstaatlichte Eisen- und Stahlindustrie weitgehend ausschalten und diese einer außerösterreichischen Stelle, nämlich der Hohen Behörde, unterstellen.“49 3. Die europäisch gesinnten Ernst Koref und Bruno Pittermann, der 1957 Schärf als Parteivorsitzenden ablöste, sprachen sich erneut gegen den desintegrativen Charakter des „Klein-Europas“ der Sechs aus: „Die Einigung wird verzögert, wenn sich Gemeinschaften von den anderen Mitgliedstaaten abgrenzen oder sie nur unter erschwerten Bedingungen an ihrem Wirtschaftsleben teilnehmen lassen“, meinte Pittermann im Sommer 1958. Er plädierte für die große Lösung, die FHZ.50 4. Die vielschichtige Kritik an der EWG verband sich mit der Überzeugung, dass die Freihandelszone die wirtschaftlichen Nachteile, die Österreich durch die Abstinenz vom „Gemeinsamen Markt“ zu drohen schienen, auffangen würde. Kreisky, Waldbrunner, der Vizepräsident des ÖGB, Franz Olah, und der stellvertretende Direktor der Wiener Arbeiterkammer, Stefan Wirlandner, standen ab dem Frühjahr 1957 in regem Kontakt zu diesem Thema. Sie ließen sich von ihrem Parteifreund Fritz Kolb – er war Mitglied der österreichischen Delegation bei der Montanunion – eine Lagebeurteilung erstellen. Kolb kam zu einem einigermaßen beruhigenden Ergebnis: Würde man keine Gegenmaßnahmen ergreifen, wäre die EWG in 15 Jahren „ein kaum erträgliches Hindernis“ für den österreichischen Export. Der Einbau der EWG in die Freihandelszone würde diese schädlichen Wirkungen jedoch „vollkommen aufheben“. Etwas schwieriger werde es dagegen auf dem Inlandsmarkt. Da bekomme man nun Konkurrenz. Statt nun aber gegenüber der OEEC eine Summe von „Sonderwünschen“ vorzubringen, sollte man die Gelegenheit zur „Rationalisierung der Gesamtwirtschaft“ nutzen.51 Diesem Ratschlag kam die österreichische Regierung nicht nach: Bis zum Abbruch der Verhandlungen im Maudling-Komitee bestanden die Österreicher auf einem „Sonderprotokoll betreffs Österreich“, das Ausweichklauseln und das Recht auf Exportrestriktionen für eine
49 Karl Ausch, Österreich und die Montanunion, in: AZ, 4. 4. 1957, 1 f.; vgl. Karl Waldbrunner, Das Werden des europäischen Marktes, in: AZ, 18. 6. 1957, 1 f. 50 Bruno Pittermann, Europa rufen, nicht verschweigen!, in: Europa-Gespräch 1958, Wien 1958, 105. 51 Bericht von Fritz Kolb, Wirtschaftsunion, Montanunion, Freihandelszone. SBKA, Box 1266, Dok. 1262.
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Übergangszeit beinhalten sollte.52 Ob die Regierungsmitglieder der SPÖ diesen Kurs unterstützten, lässt sich aufgrund der Quellenlage nicht klar sagen. Sicher ist allerdings, dass eine breite Front von Kritikern in der SPÖ Stellung gegen ihn bezog. Der freihändlerisch eingestellte Ausch trat ebenso gegen ihn auf wie die Nationalräte Migsch, Koref und Czernetz.53 Die Akten des Verstaatlichtenministeriums zeigen, dass es auch auf Regierungsebene zumindest vereinzelt Widerstand der Sozialisten gab: Ministerialrat Schopf meinte im Januar 1957 in einer Aktennotiz für Waldbrunner, dass eine Sonderstellung Österreichs in der FHZ „nur schwer denkbar“ sei.54 Ein konkretes Beispiel für den Widerstand der Sozialisten ist einem Bericht des Sektionschefs im Verkehrsministerium, Winkler, vom 21. September 1957 zu entnehmen: Der Sektionschef beschreibt hier die Beratungen zwischen sozialistischen Ministerien und der Wiener Arbeiterkammer über einen Entwurf des Bundeskanzleramtes zur österreichischen FHZ-Politik. Die Arbeiterkammer scheint in diesen Beratungen dominierend gewesen zu sein. Sie sprach sich unter anderem gegen die im Entwurf vorgesehene Sonderstellung der Landwirtschaft aus und kritisierte die Sätze in dem Entwurf, die sich für den Fall, dass Österreich von einer europäischen Investitionsbank keine Zahlungen zu erwarten habe, gegen die Schaffung einer derartigen Bank aussprachen.55 Erfolg hatte die Kritik der Sozialisten nicht. b) Die Suche nach einer Alternative zur FHZ 1958/59 Noch bevor am 17. November 1958 die Verhandlungen im Maudling-Komitee abgebrochen wurden, machten sich die österreichischen Sozialisten Gedanken über ein mögliches Scheitern der FHZ. Franz Olah deutete dies in einem Schreiben vom 10. Oktober an Kreisky an. Dieser hatte kurz zuvor auf einer Club-Tagung der SPÖ-Parlamentarier über Maßnahmen nach einem Platzen der FHZ-Verhandlungen referiert. „Da diese Sache sehr bald akut wird“, schlug Olah vor, dass möglichst schnell ein kleiner Kreis über die weitere Haltung der Partei beraten sollte. Diese gründliche Aussprache der Parteiführung halte er deshalb für notwendig, „weil ich nach der Klubtagung gehört habe, dass einzelne Genossen darüber erschreckt sind, dass wir kategorisch jedwede Teilnahme an der EWG ablehnten“.56 Die Sitzung fand in der Zeit zwischen dem 7. und 20. Jänner statt.57 Über ihren Verlauf geben die Akten nur wenig Auskunft. Sicher ist allerdings, dass es zu einer Kontroverse zwischen Kreisky und Wirlandner kam und der Staatssekretär sich gegen den AK-Vertreter 52 Außenminister Dipl.-Ing. Leopold Figl vor der OEEC. SBKA, Box 1266, Dok. 1373. 53 Vgl. Sten. Prot. NR, VIII. GP, 42. Sitzung, 4. 12. 1957. 54 Notiz von Ministerialrat Schopf von der 23. Sitzung vom 22. 1. 1957. ÖStA, BMVuE, MR-Material, Karton 28. 55 Bericht des Sektionschefs Winkler vorn 21. 9. 1957. ÖStA, BMVuE Präsidium, 7, GZ. 10142, Präs. Zl. 15.724/57. 56 Schreiben von Franz Olah vom 3. 10. 1958. SBKA, Box 1266, Dok. 1272. 57 Der Zeitpunkt lässt sich aus den vorliegenden Akten der SBKA ermitteln. SBKA, Box 1266, Dok. 1363, 1368.
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durchsetzte: Die Parteiführung entschied sich gegen einen EWG-Beitritt und für ein Festhalten an der FHZ.58 Die Argumente der Kontrahenten lassen sich aus einem Schriftverkehr im Vorfeld des Treffens zwischen Wirlandner und Kolb, der auf Kreiskys Seite stand, rekonstruieren. In einer von Kreisky angeforderten Analyse kam Kolb zu dem Urteil, dass Österreich von der EWG zunächst kaum Gefahr drohe. Der 1. Jänner 1959 werde kaum wirtschaftliche Folgen haben. Erst mit späteren Etappen der Zollsenkung werde es für Außenstehende schwerer. Alternativen zur FHZ der Siebzehn sah Kolb jedoch nicht. Er warnte ausdrücklich vor bilateralen Verhandlungen, in denen Österreich klar der Schwächere sei. Für ihn gab es nur eine Möglichkeit: „Zähestes Festhalten am jetzigen Konzept“, gemeint war die FHZ.59 Wirlandner antwortete dem „lieben Freund“ Kolb Ende des Jahres 1958, kurz nachdem er dessen Bericht empfangen hatte. Er sprach sich entschieden gegen ein Festhalten an der FHZ aus: Dies habe nur dann einen Sinn, wenn ein gemeinsamer Nenner gefunden werden könne und die EWG verhandlungsbereit sei. Danach sehe es aber nicht aus. Eine „Kleine Freihandelszone“ helfe der österreichischen Wirtschaft kaum. Besser sei es, „die Möglichkeit bilateraler Verhandlungen [mit der EWG, M. H.] zu sondieren“.60 Kolb antwortete Wirlandner seinerseits am 12. Jänner. Er bekräftigte seine Abneigung gegen einen Alleingang Österreichs. Zum formalen EWG-Beitritt meinte er: Er glaube, dass nicht nur die Sowjet union, sondern auch Frankreich da nicht mitspielen würden. „Paris glaubt keineswegs an den für das ,dumme Volk‘ bestimmten Satz, Oesterreich würde sich an Europa anschließen; es würde einfach einen neuen Anschluss an Deutschland wittern.“61 Kreisky stand – wie gesagt – auf der Seite Kolbs. Er plädierte noch in den ersten Monaten des Jahres 1959 für ein Festhalten an der FHZ.62 Mit dieser Haltung wurde er allerdings von den Ereignissen überrollt: Das FHZ-Projekt kam nicht voran. Kreisky modifizierte nun seinen Kurs und schwenkte auf ein gemeinsames Vorgehen der „Six-Non-Six“ – der späteren EFTA-Staaten – um. Am 9. März beriet dann ein Ausschuss der SPÖ über eine österreichische Teilnahme an den Gesprächen in Stockholm. Anwesend waren auch die beiden Wirtschaftsexperten der Wiener Arbeiterkammer und des ÖGB, Wirlandner und Kienzl. Dieses Komitee kam zur Auffassung, „dass angesichts der schwierigen handelspolitischen Situation Österreichs und der voraussichtlichen Wirkungslosigkeit dieser Initiative 58 Schreiben von Kreisky an Kolb. SBKA, Box 1266, Dok. 1363. 59 Bericht Kolbs über „Wirtschaftliche Folgen eines Scheiterns der Verhandlungen über die Freihandelszone“. SBKA, Ungedruckter Bestand, Dok. 1317. 60 Schreiben Stefan Wirlandner an Kolb vom 30. 12. 1958. SBKA, Ungedruckter Bestand, Dok. 1313. 61 Schreiben von Kolb an Wirlandner vom 12. 1. 1959. SBKA, Ungedruckter Bestand, Dok. 1365; vgl. hierzu auch den Beitrag von Angerer in diesem Band. 62 Zwei Schreiben von Kreisky an Wirlandner und an Kolb. SBKA, Box 1266, Dok. 1366, 1368. In einem Vortrag in Hamburg lehnte Kreisky zwar einen Beitritt Österreichs zur EWG als ein „zu hohes Risiko“ ab, sprach sich aber generell für eine größere europäische Lösung als den Zusammenschluss der sechs Länder aus, vgl. Kurier, 19. 3. 1959.
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eine abwartende Haltung Österreichs angebracht wäre. Eventuell wäre es empfehlenswert, an der Sitzung der Nicht-EWG-Staaten nur als Beobachter teilzunehmen.“63 Kreisky reagierte verstimmt: Er könne „die ewige Sabotage, die gerade von der Arbeiterkammer und den Gewerkschaften in der Frage der Freihandelszone-EWG betrieben wird, einfach nicht mehr verstehen“, ließ der Staatssekretär am 17. März Franz Olah wissen.64 Er sei der Meinung, dass man an den Beratungen in Stockholm unter allen Umständen teilnehmen müsse. Mit dieser Forderung setzte Kreisky sich durch.65 Der Widerstand der Wiener Arbeiterkammer und von Teilen des ÖGB gegen die EFTA war damit aber noch längst nicht überwunden. c) Die Diskussion um EFTA und EWG 1959 Während in Stockholm der EFTA-Vertrag ausgehandelt wurde, drückte der leitende Sekretär des ÖGB, Fritz Klenner, in der Zukunft seine Abneigung gegen die kleine Freihandelszone aus: „Der gegenwärtig unternommene Versuch, eine ,kleine FHZ‘ […] zu bilden, hat nicht viel Aussicht auf Erfolg und ist besonders für Österreich keine Lösung, da in diese sechs Länder nur elf Prozent unserer Ausfuhren gehen.“66 Am 8. Juni wandte sich Heinz Kienzl in dieser Angelegenheit an Kreisky: Die wirtschaftlichen Argumente für eine Annäherung an die EWG seien überwältigend. Er sei der Meinung, „dass wir – zumindest nicht auf Dauer – die Zolldiskriminierung, die die EWG geschaffen hat, aushalten können und dass wir irgendeinen Brückenschlag zur EWG versuchen müssen“.67 Neutralitätspolitische Gründe gegen die Assoziation – so Kienzl wenig später in der Zukunft – könnten durch ein „Österreichzusatzprotokoll“ entschärft werden.68 Klenners und Kienzls Kurs einer wie auch immer gearteten Annäherung Österreichs an die EWG stieß allerdings innerhalb des ÖGB auf heftigen Widerspruch. Franz Olah machte Ende Juli seinen Unmut über die EFTA-Opposition in den eigenen Reihen in einem Schrei ben an den Parteivorsitzenden Pittermann Luft: Er habe bei einer Besprechung die Wirtschaftsexperten „Dr. Wirlandner und Dr. Kienzl“ kräftig zusammengestutzt. Olah forderte von Pittermann, dass „in den leitenden Körperschaften der Partei einmal“ ein grundsätzlicher Beschluss über die weitere Europapolitik getroffen werde. „Es geht nicht an, dass wir in so entscheidenden Fragen eine so zufällige Haltung an den Tag legen!“69
63 Protokoll der Sitzung vom 9. 3. 1959, angefertigt von Hans Kienzl. SBKA, Box 1266, Dok. 1269. 64 Schreiben von Legationsrat Reitbauer an Olah vom 17. 3. 1959. SBKA, Box 1266, Dok. 1268. 65 Zur Entscheidung der Bundesregierung siehe auch den Vortrag von Bundeskanzler Raab vor dem Ministerrat, 113. Sitzung vom 17. 3. 1959. ÖStA, BMVuE, MR-Material, Karton 36. 66 Fritz Klenner, Der Wechsel wird präsentiert. Der Wahlausgang, in: Die Zukunft, Juni 1959, 146. 67 Schreiben von Heinz Kienzl an Kreisky, 8. 6. 1959. SBKA, Box 1266, Dok. 1330. 68 Heinz Kienzl, Sind wir auch wirtschaftlich neutral ? in: Die Zukunft, Juli 1959, 197 f. 69 Schreiben von Franz Olah an Pittermann, 31.7. 1959. SBKA, Box 1266, Dok. 1319.
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Wann die Rebellen auf den Kurs der Führung um Pittermann, Kreisky und Olah gebracht wurden, ist nicht ganz klar. Heinz Kienzl erwähnte dem Autor gegenüber in einem Interview, dass der Pro-EWG-Flügel in ÖGB und SPÖ im Laufe des Sommers 1959 erkennen musste, dass „ein EWG-Beitritt aus außenpolitischen Gründen nicht machbar war. Wir haben aus Paris gesteckt bekommen, dass Moskau den Beitritt als Verstoß gegen den Staatsvertrag empfunden hätte.“70
Die Parteispitze um Kreisky, der im Juli 1959 zum Außenminister avancierte, trat – wie gesagt – seit dem Frühjahr deutlich für eine Teilnahme Österreichs an der EFTA und gegen eine bilaterale Annäherung an die EWG ein. Dabei kam es zu einer interessanten Aufgabenteilung zwischen Kreisky und Pittermann: Während Kreisky das Nein zur EWG in erster Linie mit dem Hinweis auf die Neutralität begründete,71 griff Pittermann die junge Wirtschaftsgemeinschaft frontal an. Der Parteivorsitzende bezeichnete die EWG am 28. Juni 1959 als einen „kapitalistischen Bürgerblock“ und wandte sich gegen den Versuch von Wirtschaftskreisen, auch Österreich in diesen Bürgerblock hineinzumanövrieren. Er meinte, dass der Kartellkapitalismus die EWG gegründet habe, um seine europäische Position zu sichern. Mit der Bildung der EWG könne dem Kapitalismus auch ein nationaler Regierungswechsel nicht mehr gefährlich werden.72 Pittermann griff hier Kritikpunkte auf, die er bereits in den frühen 50er-Jahren an der Montanunion bemängelt hatte. Er hatte immer wieder über den Einfluss der Bürgerlichen auf die europäische Integration geklagt. Es war also keineswegs so, dass der Supereuropäer Pittermann im Sommer 1959 plötzlich einen Schwenk vollzogen hätte.73 Neu war allerdings die Intensität seiner Angriffe. Beim Parteitag im November 1959 setzte Pittermann nach: Um eine Kontrolle der Wirtschaft durch die Arbeitnehmer zu vermeiden, „wird die große Idee der europäischen Wirtschaftsvereinigung durch überstaatliche Marktorganisationen, die keiner oder höchstens
70 Heinz Kienzl, Protokoll eines Interviews mit dem Autor vom 4. 7. 1990, 1. 71 Vgl. Bruno Kreisky, Die europäische Wirtschaftszusammenarbeit und Österreich, in: Kreisky. Reden, Bd. 1, 78–94. 72 Bruno Pittermann am 28. 6. 1959 auf dem Parteitag der Vorarlberger SPÖ, in: Zehn Jahre österreichische Integrationspolitik 1956–1966. Eine Dokumentation des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau, Wien 1966, 55 f.; die BPL der ÖVP verurteilte Pittermanns EWG-Erklärungen und fasste einen offiziellen Beschluss, in dem es hieß: „Sie [die BPL] erblickt aber in den ebenso ungerechtfertigten wie unnötigen Ausfällen Dr. Pittermanns gegen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eine schwere Gefährdung aller kommenden Versuche einer Zusammenarbeit zwischen EFTA und EWG, die im Interesse der österreichischen Wirtschaft von größter Bedeutung sind“, in: Die Presse, 12. 1. 1960. 73 Das behauptete die bürgerliche Presse: Österreichische Neue Tageszeitung, 2. 7. 1959 und 31. 7. 1959.
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einer parlamentarischen Schattenkontrolle unterliegen, verdrängt“.74 Damit war Pittermann auch schon bei einem Thema angelangt, das ihm besonders am Herzen lag: In der EWG würde Österreich die verstaatlichte Eisen- und Stahlindustrie dem Zugriff des ausländischen Kapitals öffnen.75 Die politischen Gegner unterstellten Pittermann, der seit dem Mai 1959 in der Regierung für die verstaatlichte Industrie zuständig war, weniger das Wohl Österreichs als den Erhalt sozialistischer Machtpositionen im Sinn zu haben.76 Ganz von der Hand zu weisen ist dieser Vorwurf nicht. Allerdings mag für Pittermann das eine durchaus ident mit dem anderen gewesen sein. Ob seine Attacken gegen die EWG mit Kreisky abgesprochen waren, ist ebenfalls nicht sicher zu beantworten. Kreisky widersprach dem Vizekanzler nicht. Er griff dessen Argumente sogar zaghaft auf.77 Für Kreiskys damaligen Gegner – den EWG-Anhänger Kienzl – ist die zweigleisige Strategie der beiden im Rückblick glasklar: „Kreisky hat die Absage an die EWG mit der Neutralität begründet. Pittermann hat den Part übernommen, den EFTA-Beitritt ideologisch zu begründen, indem er die EWG als Bürgerblock verteufelt hat.“78 Dem stand nun aber nicht die Seligsprechung der EFTA gegenüber. Kreisky sah, dass die EFTA ökonomisch die EWG nicht aufwiegen könne. Sie sei vielmehr „ein Instrument, um Verhandlungen der Sechs mit den Sieben herbeizuführen“.79 Mit dieser Strategie – Ja zur EFTA als Vorstufe zu einer multilateralen Assoziierung mit der EWG – ging die Führung der SPÖ ins nächste Jahrzehnt.
IV. Schlussbemerkungen Die SPÖ-Führung entwarf ihre Europapolitik von der Gründung der OEEC bis hin zur Ratifizierung des EFTA-Vertrages im Wesentlichen auf der Grundlage derselben Interpretationsfelder. Man kann fünf Denk- und Argumentationsebenen unterscheiden, die bei der Beurteilung der europäischen Integration und der Konzeption eigener Schritte innerhalb der Parteispitze von Bedeutung waren. 1. Die neutralitäts- und außenpolitische Ebene: Nach dem Ende des Krieges war die Erlangung der Souveränität, also des Staatsvertrages, das vorrangige außenpolitische Ziel der SPÖ. Diese Zielsetzung – das wurde den Sozialisten bald bewusst – war nur mit Rücksichtnahme auf die Interessen der Großmächte und beide Supermächte zu realisieren. Die 74 Die Rede Pittermanns vor dem Parteitag, in: Parteitagsprotokoll 1959, 109–120. 75 Schlusswort Pittermanns, in: Parteitagsprotokoll 1959, 181–189. 76 Vgl. Alexander Vodopivec, Wer regiert in Österreich ? Ein politisches Panorama, Wien 1961, 201 f. 77 Vgl. Rede Kreiskys bei einem Gewerkschaftstreffen am 29. 5. 1959, in: Kreisky. Reden, Bd. 1, 87. 78 Interview mit Kienzl, Protokoll, 1. 79 Bruno Kreisky, Sechs oder Sieben ? in: AZ, 28. 6. 1959, 1.
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SPÖ versuchte daher im sich 1947/48 verschärfenden Ost-West-Gegensatz, eine neutrale Außenpolitik zu verfolgen. Mit der ökonomischen Westintegration Österreichs durch den Beitritt zur OEEC 1948 war diese Neutralität faktisch nicht mehr gegeben. Die derart auf den militärischen und politischen Bereich eingeengte Neutralität wurde von der SPÖ in der Folgezeit stets als österreichische Vorleistung an Moskau für das Ja der Sowjets zum Staatsvertrag betrachtet. Europapolitik wurde daher immer mit Blick auf die Neutralität konzipiert. Die Frage lautete: Wie sehr können wir an der Integration Westeuropas teilnehmen, ohne den Staatsvertrag zu gefährden, und nach 1955, ohne die immerwährende Neutralität zu verletzen? Zugleich fühlte sich die Parteiführung aber nicht nur ökonomisch dem Westen verbunden, sondern auch geistig und politisch. In ihrem Antikommunismus war die SPÖ-Spitze sich einig. Die Angst vor der Sowjetunion war auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges durchaus groß. Bezeichnend für diese Ambivalenz ist ein Ausspruch Oskar Helmers aus dem Jahr 1961: „Was wir preisgegeben haben, ist die offene und enge Bindung an unsere Freunde im Westen – an jene Länder, die uns in schwerer Notzeit geholfen und verhindert haben, dass wir unter die Räder der kommunistischen Terrormaschine gerieten. Was wir dafür eingetauscht haben, ist die Neutralität und der darin beschlossene Verzicht auf die uneingeschränkte Teilnahme an der europäischen Integration. Der Tausch kam in einer Zwangslage zustande, die uns keine Wahl ließ.“80
2. Die ökonomische Ebene: An der ökonomischen Integration auf der Ebene der OEEC nahm Österreich teil. Dafür ausschlaggebend war die Hilfsbedürftigkeit des Landes. Das ERP erschien der SPÖ-Führung vor dem Hintergrund der desolaten Wirtschaftslage als rettender Strohhalm. Zudem schien langfristig nur der Einbau in die Wirtschaft Westeuropas, die Prosperität Österreichs sichern zu können. Jedes weitere Projekt zur ökonomischen Integration – EGKS, EWG, FHZ und EFTA – wurde in der Folge von den Sozialisten scharf beobachtet, die Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft sorgfältig untersucht. 3. Die ideologisch-sozialistische Ebene: Die einzelnen Formen der Integration wurden bezüglich ihrer Auswirkung auf die gesellschaftspolitischen Ziele der Partei bewertet. So wurde die Zustimmung zum Marshallplan in der Partei auch damit begründet, dass das ERP ein Schritt auf eine europäische Planwirtschaft sei. Später kritisierten verschiedene Sozialisten die wirtschaftliche Integration in der Montanunion und der EWG wegen ihres bürgerlichen Charakters. Bemängelt wurde zum einen die Dominanz der konservativen Parteien in EGKS und EWG, zum anderen der vermeintli80 Zit. n. Karl R. Stadler, Zwischen Paktfreiheit und Neutralität. Zur Vorgeschichte des österreichischen Neutralitätsgesetzes, in: Isabella Ackerl/Walter Hummelberger/Hans Mommsen (Hrsg.), Politik und Gesellschaft im alten und neuen Österreich, Bd. 2, München 1981, 292.
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che Einfluss der Industriellen – Stichwort: Superkartell. Bezeichnend für diese Kritik ist die Bewertung der Politik der Labour Party gegenüber dem Schuman-Plan in den frühen 50er-Jahren: Verschiedene SPÖ-Politiker hießen die ablehnende Haltung der Labour Party gut, weil sie der Meinung waren, dass die Errungenschaften der Verstaatlichung nicht durch die Teilnahme an einer Integration unter konservativen Vorzeichen gefährdet werden dürfen. Ähnlich argumentierte fast zehn Jahre später dann Pittermann gegenüber der EWG. 4. Die innenpolitisch-machtpolitische Ebene: Gerade das Beispiel Pittermann zeigt aber, wie sehr die ideologisch-sozialistische Kritik vermengt war mit rein machtpolitischen Überlegungen: Pittermann fürchtete um den Einfluss der SPÖ auf die verstaatlichte Industrie und um die Machtstellung der SPÖ in der Gesellschaft. Diese Verbindung war durchaus naheliegend. Man muss bedenken, dass die SPÖ nach 1945 Abschied vom Klassenkampf genommen hatte. Sozialistische Gesellschaftsvorstellungen sollten schrittweise durchgesetzt werden, indem man an der Regierung teilnahm, sich mit den Konservativen arrangierte und versuchte, die Machtposition der Partei in der Gesellschaft auszubauen. 5. Die europapolitische Ebene: Schließlich gab es innerhalb der SPÖ-Führung durchaus Verfechter der Europaidee. Politiker also, für die die Einigung Europas ein Wert an sich war, ein politisches Ziel, dem gegebenenfalls selbst nationalstaatliche Interessen untergeordnet werden konnten. Zu nennen sind hier vor allem Czernetz und Pollak. Für die ökonomische Integration traten auch Ausch, Kienzl, Wirlandner oder Koref ein. Nun ist es nicht etwa so, dass diese fünf Ebenen stets gleichberechtigt berücksichtigt wurden. Die einzelnen Persönlichkeiten setzten individuelle Schwerpunkte. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Gesichtspunkte im Vordergrund standen, denen von den letztlich maßgebenden Politikern Priorität gegeben wurde. Praktisch hieß das, dass die Zielvorstellungen des gemäßigt-pragmatischen Flügels der SPÖ, der nach 1945 die Führung der Partei übernahm, auch die Europapolitik entscheidend prägten: Im Vordergrund stand daher die neutralitäts- und außenpolitische, die ökonomische und die machtpolitische Ebene. Das Ideologische und das Gesellschaftspolitische – so der Nestor der Linken in der SPÖ, Josef Hindels, kurz vor seinem Tod – „trat demgegenüber zurück“.81 Ebenso sind ernste Zweifel angebracht, ob der „Europaflügel“ der Partei maßgeblichen Einfluss auf die Konzeption der Außenpolitik nehmen konnte. Durchsetzen konnte er seine Vorstellungen nur dann, wenn ökonomische oder neutralitäts- und außenpolitische Interessen des Nationalstaats Österreichs nicht berührt wurden. Der Beitritt zum Europarat ist hierfür ein Beispiel, ebenso die Bejahung der militärischen Integration. Was Anton Pelinka generalisierend auf die westeuropäische Sozialdemokratie gemünzt hat, trifft auch im Speziellen auf die Europapolitik der SPÖ in den ersten 15 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg 81 Protokoll eines unveröffentlichten Interviews mit Josef Hindels von Birgit Baumann vom 23. 8. 1989, 3.
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zu: Die „nationale Rolle ist der entscheidende Bestimmungsfaktor sozialdemokratischer Außenpolitik“.82
82 Anton Pelinka, Sozialdemokratie in Europa. Macht ohne Grundsätze oder Grundsätze ohne Macht?, Wien/ München 1980, 143.
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„Dass der nationale Gedanke eine Ausweitung auf das Europäische erfahren hat“ Die europäische Integration in den 50er- und 60er-Jahren aus der Sicht von WdU/VdU und FPÖ
I. Europa als die Chance der Besiegten Die Schwierigkeiten des Themas lassen sich vielleicht am besten mit einem allerdings sehr harmlosen Witz illustrieren: Der kleine Franzi, der vom Gottesdienst nach Hause kommt, und auf die Frage, worüber der Pfarrer denn heute gepredigt habe, pflichtschuldigst antwortet: „Über die Sünde.“ – „Und was hat er gesagt?“ – „Er war dagegen.“ Eben, was auch sonst. Ähnlich ist das Problem gelagert, mit dem sich der Autor konfrontiert sieht. Die freiheitlichen Parteien der Zweiten Republik waren von der ersten Stunde an für die europäische Integration. VdU und FPÖ haben das – als einzige österreichische Partei – von allem Anfang an und ohne Vorbehalte, mit kaum merkbaren Nuancen und Betonungsunterschieden allenfalls, in ihren Programmen festgelegt. Ebendieser Befund hat aber stets auch einen ebenso offensichtlichen – und oftmals wiederholten – Verdacht genährt. Die Neue Front, Organ der Partei, hat diesen Vorwurf in einer Widerlegung gleich selbst auf den Punkt gebracht. Er lautet, präzisiert ausgedrückt: „Sie sprechen von Europa, aber gemeint ist der Anschluss.“1 Damit aber stoßen wir auf ein Scheinproblem. Denn es ist schlechthin unmöglich, zwei Impulse auseinanderzudividieren, die im Berichtszeitraum eben weitgehend in die gleiche Richtung wiesen, wo es keinen „trade-off“ gab. Ein Näherrücken an Deutschland war nach 1945 nur auf dem Weg der europäischen Integration möglich. Umgekehrt aber musste auch jeder Schritt in Richtung europäische Integration, selbst wenn man das nicht wollte, schon einmal aufgrund der geografischen Gegebenheiten, eine Intensivierung der Beziehungen mit (West-)Deutschland nach sich ziehen. (Dies galt umso mehr, wenn man den künstlich erschwerten Kontakt der unmittelbaren Nachkriegszeit in Rechnung stellt bzw. die Tatsache, dass die Beziehungen 1 Neue Front (NF), 18. 10. 1952. Ähnlich übrigens auch noch die Argumentation bei Roland Stäuber, Der Verband der Unabhängigen und die Freiheitliche Partei Österreichs. Eine Untersuchung über die Problematik des Deutschnationalismus als Einigungsfaktor einer politischen Partei in Österreich seit 1945, St. Gallen 1974, 203 ff.; rückblickend die Formulierung von Graf Ernst Strachwitz: „Man [die Regierung] spielte anfangs brav antideutsches Konzept und vereinigtes Europa, als ob das eine ohne das andere überhaupt möglich wäre.“ Die Aktion, 12. 11. 1955.
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zum anderen großen westlichen Nachbarstaat, nämlich Italien, gerade in diesen Jahren immer wieder Belastungen durch das Südtirol-Problem ausgesetzt waren.) Jede Integration, bei der Deutschland keine tragende Rolle zugefallen wäre, konnte daher in sich wiederum bloß Ergebnis von Berührungsängsten bzw. aktiver Diskriminierung sein, nicht Ausdruck von Normalität. In der politischen Polemik kam hinzu, dass der Begriff und die Idee „Europa“ in der Öffentlichkeit ganz überwiegend positiv besetzt waren, während die Betonung der Bindung an Deutschland nach 1945 erstmals begonnen hatte, auf breiter Front Gegenstand einer massiven, wenn auch vermutlich etwas oberflächlichen Kritik zu sein, zumindest aber mit dem Stigma eines verlorenen Krieges verknüpft, und darüber hinaus mit Rücksicht auf die Präferenzen der Besatzungsmächte zweifelsohne ganz inopportun war. Diese Situation machte den Verlauf des innenpolitischen Schlagabtausches, die Gegenüberstellung von EuropaBekenntnis und Anschluss-Verdächtigungen, in dieser Frage nur allzu vorhersehbar. Dem rückblickenden Beobachter erscheint es dabei eine plausible Annahme, dass das emotionale Engagement des „nationalen Lagers“ in Österreich keineswegs ausschließlich, doch zweifelsohne in erster Linie weiterhin der Schicksalsgemeinschaft aller Deutschen galt. Dabei sollen verschiedene andere Impulse, wie z. B. die pränationale Reichsidee oder die Identifikation mit der abendländischen Kultur, die im nationalen Erbe ebenfalls angelegt und einer Metamorphose zu (pan-)europäischen Vorstellungen günstig waren, keineswegs von vornherein negiert werden. Es hieße den Charakter des viel zitierten, durch den Zweiten Weltkrieg induzierten Lernprozesses verkennen, wenn man darunter bloß eine radikale Abkehr von traditionellen Wertvorstellungen verstehen würde. Dieser Lernprozess bestand für das nationale Lager vielmehr in der rationalen Einsicht, dass die Rahmenbedingungen der europäischen Politik sich radikal und irreversibel geändert hatten, der Anschlussgedanke nationalstaatlichen Zuschnitts, darüber hinaus aber auch jede Vorstellung von souveräner deutscher Großmachtpolitik im Zeitalter der Supermächte obsolet geworden war.2 Das war eine Einsicht, die ja auch schon Teil der nationalsozialistischen Propaganda gewesen war, wenn von der „Festung Europa“ die Rede war bzw. von den apokalyptischen Visionen über das Schicksal Deutschlands nach der Niederlage. Wenn man dieser Einsicht folgte, so ergab sich damit für alle Zukunft aber auch eine klare Trennung von nationaler Identität und Selbstbestimmungsrecht einerseits und Großmachts- und Sicherheitspolitik andererseits. Der nationale Gedanke konnte 2 Vgl. Max E. Riedlsperger, The Lingering Shadow of Nazism: The Austrian Independent Party Movement since 1945, New York 1978, 55: „The VdU saw a collectively shared great power Status returning to Europe as an effective substitute for the political power pretensions that former grossdeutsch nationalists had sought through a ‘Greater Germany’.“ Vgl. dazu auch die Erinnerungen von Klaus Mahnert in: Meilensteine des Aufstiegs. 35 Jahre Freiheitliche Partei Österreichs, Wien 1991, 32, oder als eindrucksvolles zeitgenössisches Beispiel die Salzburger Rede Gordon Gollobs vom 11. 5. 1950: „Die junge Generation will aus ihrer Enge heraus und fordert, dass die Führung des Staates unverrückbar das große Ziel vor Augen hat, […] am Ende unser Land in die Vereinigten Staaten von Europa hineinzuführen“, NF 18. 5. 1950.
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damit von der Hypothek der Mächterivalitäten befreit werden. Diese Vorstellung mochte mitschwingen, wenn Willfried Gredler später einmal rückblickend meinte: „Ich wollte eine Partei mit europäischem Profil, die im Schatten ihrer politischen Tätigkeit gewissermaßen den nationalen Gedanken rettet.“3 Die europäische Integration aber bot darüber hinaus die bestmögliche greifbare Handhabe, die Teilung Europas in „Sieger“ und „Besiegte“ zu unterlaufen und aufzuheben, denn ein auf Dauer geeintes Europa konnte nur auf der Gleichberechtigung seiner Völker, also auch der Deutschen, aufgebaut sein. Das Axiom von der Parallelität europäischer und deutscher Zielsetzungen stand damit logisch am Anfang jeder konstruktiven Nachkriegspolitik zumal des VdU, der sich nachgerade klassisch als Anwalt der „Besiegten“ im weitesten Sinn des Wortes, nämlich aller nach 1945 ungerecht Behandelten und Zukurzgekommenen empfand. Es wäre ein seltsames Politikverständnis, dieser von der normativen Kraft des Faktischen vorangetriebenen Hinwendung zum Gedanken der europäischen Einigung deshalb ein geringeres Gewicht zuzusprechen als Komponenten des Weltbildes seiner Anhänger, die auf mehr Anciennität verweisen konnten, mit den politischen Realitäten aber nicht mehr im Einklang standen.
II. Zwischen Europa und den USA Diese Betonung der rationalen Komponente muss unsere Aufmerksamkeit aber umso mehr auf die Rahmenbedingungen der Integrationsbestrebungen lenken: Diese Rahmenbedingungen aber wurden vor allem von einer Macht bestimmt, nämlich von den USA bzw. von der globalen Rivalität zwischen den USA und der Sowjetunion. Alle Vorstellungen von der künftigen Gestalt Europas, die über bloßes Wunschdenken hinausgingen, hatten von dieser Grundtatsache auszugehen. Die Europakonzepte konnten dabei immer noch einer breiten Palette folgen. Die Variante einer europäischen Einigung unter sowjetischer Führung wurde dabei nur von der kleinen Gruppe um die Nationale Liga von Adolf Slavik und den Nationaldemokratischen Verband des ehemaligen Wiener VdU-Vorsitzenden Hans Heger vertreten.4 Selbst hier war überdies Resignation, allenfalls noch Ressentiment über den „Verrat des Westens“, vermutlich ein stärkerer Motor als der spontane Wunsch nach einem Europa unter dem Drudenfuß Moskaus. 3 Archiv der FPÖ (AF), Sitzung der Bundesparteileitung (BPL), 1. 2. 1964. Für die Erlaubnis zur Benützung des FPÖ-Archivs bin ich Herrn Landeshauptmann Dr. Jörg Haider und Herrn Bundesgeschäftsführer Gernot Rumpold zu herzlichem Dank verpflichtet. In den letzten Kriegsjahren forcierten die Nationalsozialisten den Gedanken einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, vgl. die Publikation „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“, Berlin 1943 (Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung Max Paschke). Verantwortlich für eine Vortragsreihe zeichneten Prof. Heinrich Hunke vom Verein Berliner Kaufleute und der Rektor der WirtschaftsHochschule Berlin Prof. Dr. Edwin Fels (Geograf). 4 Erich Kern [Kemmayr], Das harte Leben, Wels 1950, 300 ff., 376, 429; Riedlsperger, Lingering Shadow, 82.
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Das ganz überwiegende Gros der Meinungen aber ging in den 50er- und 60er-Jahren davon aus, dass unter Europa zunächst nur das Europa diesseits des Eisernen Vorhangs verstanden werden könne. Auch hier waren die Meinungen dann zunehmend geteilt, zumal über den Wert der Verbindung mit den USA. Der Stoßrichtung einer Beseitigung der Kriegsfolgen hätte es entsprochen, eine baldige oder doch zumindest schrittweise Beendigung der Besatzung und damit auch des US-Engagements anzuvisieren. Das hätte zweifelsohne auch der rein gefühlsmäßigen Stimmungslage eines nicht unbeträchtlichen Teils des nationalen Lagers entsprochen. Diese Stimmung bewegte sich jedoch auf der Ebene eines vor-politischen, abgehobenen geschichtsphilosophischen und kulturkritischen Diskurses, der wenig Rücksicht nahm auf strategische Sachzwänge oder außenpolitische Tagesfragen. Joachim Fernau hat diese Stimmung später einmal mit der fulminanten, wenn auch vielfach auf unrichtigen Voraussetzungen beruhenden Anklage in seinem viel gelesenen Buch „Halleluja“ eingefangen.5 Früher oder später ergaben sich da auch unweigerlich Berührungspunkte zur Kritik der Linken an der kapitalistischen Führungsmacht. Umso mehr ist zu betonen, dass die politische Praxis ab 1949 unter einem ganz anderen Stern stand, als es diese Ressentiments vermuten lassen. Der VdU war in der amerikanischen Besatzungszone entstanden, unter zumindest teilweiser Billigung und Förderung von Besatzungsinstanzen.6 Dieses Verhältnis war bestenfalls ambivalent und nie spannungsfrei, aber es war vonseiten des VdU nahezu eine Existenznotwendigkeit. Die USA waren darüber hinaus auch die Macht, die als einzige in der Lage war, den „antibolschewistischen Kreuzzug“ fortzuführen, als den auch weiterhin respektablen Part des deutschen Hegemonialkrieges. Hier ergaben sich Anknüpfungsmöglichkeiten, die einer Reintegration der Besiegten – auf individueller, gesellschaftlicher und nationaler Basis – entgegenkamen. Es ist in den 80er-Jahren vielfach erörtert worden, keineswegs nur auf der politischen Linken, dass es ja erst der Kalte Krieg und noch nicht die Niederlage an sich war, welche die Spaltung Deutschlands bewirkt hat. Daraus konnte man dann eine Schuldzuweisung für die deutsche Teilung mehr als bislang üblich auch an die Adresse der USA ableiten. Diese Verschärfung des Konfliktes zwischen Ost und West mit ihren tragischen Folgen für die Bürger der „Zone“ beschleunigte aber – auf verschiedenen Ebenen – auch ganz enorm die Reintegration der Besiegten in die neuen Machtblöcke: „Man kann nicht die ersten deutschen Solda5 Joachim Fernau, Halleluja. Die Geschichte der USA, München 1977. 6 Herbert A. Kraus, Österreich zwischen 1945 und 1955 (Schriften des Freiheitlichen Bildungswerks 2), Wien 1979, 22; ders., „Untragbare Objektivität“. Politische Erinnerungen 1917 bis 1987, Wien 1988, 195, 266; zu den Vorbereitungen vgl. außerdem: Reinhold Wagnleitner (Hrsg.), Understanding Austria. The Political Reports and Analyses of Martin F. Herz, Political Officer of the US Legation in Vienna 1945–1948 (Quellen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts 4), Salzburg 1984, 529 f.; Oliver Rathkolb, Dritte Männer. ExNazis als US-Agenten, in: Jüdisches Echo 1991, 85–90; hier: 88. Für ein Gespräch zu diesem Thema möchte ich auch Herrn Dr. Wilhelm Höttl herzlich danken; vgl. auch den brillanten Beitrag von Thomas Albrich, Die Linken für die Rechten: Labour Party, SPÖ und die „vierte“ Partei 1948/49, in: Zeitgeschichte 17 (August/ September 1990), Heft 11/12, 432–451.
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ten schon wieder für eine neue Armee ausrüsten und den letzten Soldaten die Rückkehr in die Volksgemeinschaft verweigern“, resümierte die Neue Front.7 Dieser „trade-off“ zwischen dem Offenhalten der Wiedervereinigungsoption und der beschleunigten Westintegration ist anhand der Debatte um die Stalin-Note eingehend erörtert worden. Ob hier Chancen aus der Hand gegeben wurden, soll und kann hier nicht zu entscheiden versucht werden. Deutlich ist bislang auf alle Fälle, dass allein schon der Hinweis auf einen solchen „trade-off“, wie immer das Urteil darüber letzten Endes ausfallen mochte, den Befürwortern der Adenauer’schen Politik höchst unangenehm war. In diesem Zusammenhang gilt es nun vorauszuschicken – allen retrospektiven Interpretationen zum Trotz –, dass die Adenauer’sche Perspektive damals von der VdU-Publizistik sehr wohl geteilt wurde. So wurde, um eben nur dieses prominente Beispiel aufzugreifen, das Tauschgeschäft, das der Stalin-Note zugrunde lag, schon an und für sich verworfen, ohne auf die Modalitäten oder die Glaubwürdigkeit Stalins näher einzugehen. Zwar gab man zu: „Die Stimmung und Gefühle der breiten Masse befinden sich augenscheinlich im Gegensatz zu der von der Vernunft diktierten Politik des deutschen Bundeskanzlers.“ Über die Prioritäten des VdU bestand jedoch kein Zweifel. Noch in der Weihnachtsnummer des Jahres 1952 sprach sich die Neue Front dezidiert gegen ein neutrales Deutschland aus. „Den Frieden sichern vermag nur eine einzige Neutralität, und zwar die Neutralität eines geeinten Europa.“ Der Antikommunismus war ein Trumpf, den man nicht leichten Herzens aus der Hand gab. So lautete die Empfehlung denn auch: „Die österreichische Bevölkerung braucht nur den gleichen politischen Instinkt und den gleichen Mut aufbringen wie die amerikanische Nation bei den letzten Präsidentenwahlen und die Wende zum guten wird auch in Österreich eintreten.“8 Die Berufung auf die Amerikaner mochte zuweilen einer Schutzbehauptung gleichkommen oder contre cæur erfolgen; sie ergab sich aber auch zwingend aus der weltpolitischen Großwetterlage. Verschiedene Flügel und Gruppen innerhalb des VdU hatten unterschiedliche Kontakte und Ebenen im Blick. Der Gleichklang war dennoch frappierend. Von Viktor Reimann bis Erich Kernmayr waren die Publizisten bemüht, ihren Lesern die Überzeugung von der Notwendigkeit der US-Allianz beizubringen:9 Aus dieser Flut lässt sich der Schluss ableiten, dass die Aufnahme beim Publikum mitunter eine skeptische war.10 Die Besatzungs 7 NF 7. 6. 1952. 8 27. 12. 1952 bzw. 31. 5. 1952, wo es weiter lyrisch heißt: „Aber der Wind aus Korea wehte, wehte stark. Er ließ die Bonner Segel schwellen und ermöglichte es dem halben Deutschland dem Phoenix aus der Asche gleich sich aus dem Schutt und den Trümmern des Jahres 1945 zu erheben.“ 9 Vgl. Kern, Das harte Leben, 194 ff.; 306; Reimann in: NF 6. 9. 1952: Man „hoffte auf den Amerikaner als den Vertreter jener Macht, die kein unmittelbares Interesse am Krieg gehabt hatte und deshalb den Besiegten mit einem größeren Gerechtigkeitsgefühl gegenüberstehen würde“. Zu Kernmayr, dem enge Kontakte mit der SPÖ-Führung nachgesagt wurden, vgl. auch Viktor Reimann, Die Dritte Kraft in Österreich, Wien 1980, 118 ff.; Kraus, Österreich zwischen 1945 und 1955, 26. Herr Dr. Josef Leidenfrost war so freundlich, mir eine Tonbandaufzeichnung mit zeitgeschichtlichen Interviews mit Ernst Kernmayr und Karl Kowarik zur Verfügung zu stellen. 10 Vgl. auch die nahezu wöchentlichen Artikel gegen Slavik nach seinem ersten Auftreten: NF vom 20. 4., 4. 5.
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macht stand zwangsläufig oft im Zentrum der Kritik, so z. B. Hochkommissar Walter Donnelly oder die US-Botschaft in Wien und ihr „Neo-Emigrantenklüngel“ mit seinem „SPÖKurs“.11 Für weitblickende Politiker konnte es sich aber immer nur um ein Ringen um die Amerikaner handeln, nie gegen die Amerikaner. Die Unterscheidung zwischen dem „wahren“ Amerika und seinen unrepräsentativen Repräsentanten wurde immer getroffen. Große Hoffnungen setzte man folgerichtig auf einen Wechsel im Weißen Haus. Das wird z. B. deutlich bei der Berichterstattung über den US-Wahlkampf des Jahres 1952, wo der VdU nicht etwa dem isolationistischen Senator Robert Taft die Daumen hielt, wie man das beim Weiterwirken kriegsbedingter Stereotypen vielleicht hätte erwarten können, sondern frühzeitig auf den Zug Dwight D. Eisenhowers aufsprang.12 Der zentrale Punkt, mehrmals wiederholt und dann auch in der Schlagzeile nach seiner Wahl angekündigt, war die Hoffnung auf eine Säuberung: „Das Roosevelt-Zeitalter ist zu Ende: Säuberung der US-Dienststellen. Auch Europa wartet auf Eisenhowers ,Eisernen Besen‘.“ Diese US-Präsenz wurde ursprünglich zweifelsohne als Übergangsstadium aufgefasst, bis Europa sich erholt hatte. Die Wunschvorstellung war zweifellos, dass Europa früher oder später für seine Verteidigung selbst aufkommen würde. Hier war ein Parameter gegeben, der langfristig zuungunsten der US-Bindung wirksam werden musste. Gerade für die Frühzeit aber galt: Wenn überhaupt im Denken der VdU-Politiker eine Alternative zur europäischen Einigung fassbar wurde, dann war es die Vorstellung einer bilateralen deutsch-amerikanischen Achse. Die deutsch-amerikanische Achse fungierte als Rute im Fenster, wann immer die europäischen Partner sich zierten. So hieß es über Eisenhower im Sommer 1952 zustimmend: „Er dürfte der Verschleppungstaktik der Franzosen und Briten in der Frage der europäischen Einigung und deutschen Wiederbewaffnung wenig Geduld entgegenbringen.“13
III. Das große „E“ Das Jahr 1952 brachte aber auch die ersten Höhepunkte der Europa-Begeisterung, von innen- wie außenpolitischen Momenten getragen: Die Montanunion mochte von einer breiteren Öffentlichkeit in ihrer Bedeutung vielleicht nicht gleich so erkannt worden sein. Doch und 11. 5. 1950. Deutlich fassbar werden die antiwestlichen Stimmen nach 1954 dann auch in der Zeitung der FSÖ, Freie Stimmen Österreichs. 11 NT, 14. 6., 5. 7., 9. B. 1952. Die VdU teilte dabei übrigens die Kritik der US-Botschaft an der falschen Verwendung der ERP-Mittel, machte ihren SP-freundlichen Kurs aber dafür verantwortlich. Vgl. zu diesem Fragenkomplex: Wilfried Mähr, Der Marshallplan in Österreich, Graz 1989, 183 ff. 12 NF 15. 11. 1952. Vorschusslorbeeren erhielt in diesem Zusammenhang auch Eisenhowers Vize: „In Zusammenarbeit mit Nixon, der hierin ja schon Erfahrung mitbringt, dürfte auch eine Säuberung der amerikanischen Vertretungen in Europa von Linkselementen zu erwarten sein“, NF 19. 7. 1952. 13 NF 19. 7. 1952, ähnlich 24. 1. 1953, über die französischen (gaullistischen!) Zusatzanträge zur EVG: „Das Geschwür ist nun aufgebrochen. Der amerikanische Chirurg wird wohl oder übel endlich eingreifen.“
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Herbert Kraus stattete bereits 1950/51 Monnet einen Besuch ab. Dann aber lieferten der Deutschlandvertrag und die Aussicht auf die Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) kräftige Impulse. Und auch innenpolitisch schien die Partei auf dem besten Wege, sich zu einer weiter ausgreifenden Bewegung zu verbreitern. Der Zusammenschluss mit Graf Strachwitz’ „Aktion für politische Erneuerung“, die sich von der ÖVP losgesagt hatte, brachte intensive Kontakte mit einer Reihe von Persönlichkeiten, die in der europäischen Integrationsfrage sehr engagiert waren, wenn auch mit etwas unterschiedlichen Schwerpunkten. Über die „Aktion“ stieß auch jener Politiker zur WdU (Wahlgemeinschaft der Unabhängigen), der in der Öffentlichkeit über Jahrzehnte mehr als jeder andere das Europabekenntnis der Freiheitlichen symbolisieren sollte, nämlich Willfried Gredler. Diese Kontakte gingen letzten Endes schon auf den Präsidentenwahlkampf des Jahres 1951 und auf die Gruppen rund um das Breitner-Komitee zurück. Diese Idee einer überparteilichen Kandidatur hatte damals weit über das nationale Lager hinaus Anklang gefunden, bis in die Kreise des Hochadels und um das Erzhaus.14 Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund entstand 1950 in Salzburg bzw. Reichenhall auch die Monatszeitschrift Europa, die mit Karl Lahm bald von einem Mitarbeiter der Neuen Front redigiert wurde; dazu kamen eine Reihe anderer Autoren, die dem VdU nahestanden, zum Teil auch aus dem Ennstaler Kreis kamen.15 Mit der „Aktion“ kam eine Variante des Europagedankens ins Spiel, die ihre Enttäuschung über die Amerikaner bereits hinter sich hatte. Die von Graf Strachwitz herausgegebene Wochenzeitung Aktion nahm sich auch nach dem Heraustreten aus dem Schatten der ÖVP kein Blatt vor den Mund und forderte stets mehr Rückgrat im Umgang mit den Besatzungsmächten. Zwischen den Zeilen wurde hier deutlich, dass die Art der Kontakte zu den Amerikanern, wie sie für alle Teile des VdU unumgänglich waren, hier nicht gegeben war. Dafür waren die alteuropäischen-abendländischen Akzente stärker, die Erwartungen größer, die man zumal in die Rolle Frankreichs setzte. Die Alternative eines bilateralen deutschamerikanischen Bündnisses wurde hier deutlich nachrangig behandelt – und zwar ausdrücklich unter dem Blickwinkel der Wiedervereinigung als eine „nicht zu unterschätzende Gefahr“ bezeichnet. Es sei gut, „dass man Frankreich gegenüber zeigt, dass man allergrößten 14 An einer Besprechung über die „Sammlung der Mitte“ in Schloss Neuhaus kurz nach der Präsidentschaftswahl nahm neben Canaval, Kraus und den „Aktions“-Leuten Graf Kunata Kottulinski und Butschek z. B. auch August Lovrek teil, ab 1959 Obmann der österreichischen monarchistischen Bewegung. In der Liste der Personen, die im Komitee vertreten sein sollten, findet sich auch der Name Erzherzog Eugens. Der Punkt 1 des schlagwortartigen Entwurfes der vereinbarten Grundsätze lautete: „Bekenntnis zu Europa als Grundlage der Neuordnung des Staates“. Zu den Sympathisanten zählte übrigens auch Graf Gerolf Coudenhove-Kalergi, der Bruder des Paneuropa-Gründers. Vgl. Sammlung Christoph Baron Thienen-Adlerflycht, Protokoll vom 29. 6. 1951 bzw. Brief vom 18. 6. 1951; auch: Kern, Das harte Leben, 433. Ich bin Baron Thienen, damals Pressereferent des Breitner-Komitees, für seine Informationen und die Überlassung der Unterlagen sehr zu Dank verpflichtet. 15 Zu Lahm, der ab August 1950 als Chefredakteur fungierte, vgl. Reimann, Dritte Kraft, 226. Andere Autoren waren Bruno Brehm, Walter Heinrich und Lujo Tončić. Die Zeitschrift erschien im Rahmen von Canavals Verlagsgruppe.
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Wert darauf legt, dass es dabei sei“. Ein mit ,Danubius‘ gezeichneter Beitrag spann den Gedanken sogar schon weiter: „Entweder ein ungeteiltes Europa oder gar kein Europa!“16 Vorerst war Optimismus angesagt: Der Herbst 1952 stand im Zeichen mehrerer großer Europa-Veranstaltungen, die VdU-Klubobmann Kraus zusammen mit dem FDP-Minister Martin Euler in Salzburg und Oberösterreich abhielt. Die Aufgabe Österreichs beschrieb Kraus auf dem FDP-Parteitag im Dezember 1952 als die eines „Ferments des europäischen Zusammenschlusses“, um dabei „mit Ihnen in einer natürlichen Rollenverteilung zusammenzuwirken“.17 Nach der Vereinigung mit der Aktion wurde beschlossen, zu den Wahlen des Jahres 1953 unter dem Zeichen „E“ anzutreten: Einigkeit – Erneuerung – Europa. Nur juristische Spitzfindigkeiten ließen es dann geraten erscheinen, als Kurzbezeichnung der wahlwerbenden Gruppe weiterhin WdU zu wählen, nicht das große „E“.18 Ein Eichenblatt mit der Aufschrift „E: VdU – Aktion“ war dennoch eines der meistgebrauchten Symbole der Kampagne. Europa stellte nicht bloß einen Teil des Programms, sondern auch einen Schwerpunkt der Wahlwerbung dar. Die Resultate allerdings entsprachen nicht den hochgesteckten Erwartungen: Die WdU gewann im Osten (und von der ÖVP) zwar Stimmen, doch sie verlor im Westen (und an die SPÖ) einige billige Grundmandate. Der Optimismus im Zeichen des „E“ musste spätestens 1954 einen dramatischen Einbruch erleiden, wiederum nach beiden Richtungen: Die Absetzung der EVG durch die Pariser Nationalversammlung im August 1954, zuvor schon die Versuche diverser französischer Kabinette, das deutsche Mitspracherecht nach Möglichkeit zu beschneiden, waren kein gutes Omen; die Wahlniederlage bei den Landtagswahlen im Oktober 1954 setzte endgültig auch hinter die Aufbruchsstimmung der WdU einen Schlusspunkt. Das komplexe außenpolitische Stimmungsbild dieser Tage lässt sich nachvollziehen anhand einer Analyse zu einem Thema, das scheinbar weitab lag: Indochina. Genau einen Monat vor der deprimierenden Abstimmung im Palais Bourbon kommentierte Viktor Reimann in einem Leitartikel der Neuen Front die Genfer Konferenz. Die Schlagzeile vom 31. Juli 1954 lautete: „Die größte Niederlage der westlichen Welt seit dem Ausbruch des Kalten Krieges“. Wer den Leitartikel bis zu seinem Ende las, konnte allerdings bald feststellen, dass es sich dabei nicht um ein Werturteil handelte, denn unter Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht hieß es durchaus konsequent: „Man muss bedauerlicherweise feststellen, dass im Fernen Osten die freiheitliche Sache der Völker nicht von den Westmächten, sondern von den Kommunisten vertreten wird.“ Daher müssten auch „unsere Sympathien bei gerechter Beurteilung der Lage eher den Vietnamesen als den Franzosen gehören.“ Dennoch stand nicht die Schadenfreude im Zen16 Die Aktion, 28. 3., 20. 6. 1953. Die Betonung der Rolle Frankreichs traf sich auch mit den Ansichten Otto von Habsburgs. Vgl. z. B. seinen Vortrag vor der „Société Française de Géographie Economique“, 3. 7. 1951 (Sonderdruck in Sammlung Thienen): „Il incombe a nous, Européens, en devenant une force nouvelle, un partenaire, fidèle, mais indépendant de l’Amerique. […] Et c’est ici que se situe l’admirable mission de la France.“ 17 NF 4. 10., 6. 12. 1952. 18 NF 20. 12. 1952. Auch so wurden mehrere Zehntausend Stimmzettel, die auf VdU (nicht WdU!) lauteten, für ungültig erklärt, was ein bis zwei Mandate kostete, vgl. Die Aktion, 14. 3. 1953.
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trum der abschließenden Betrachtung, sondern mit Bezug auf Europa und die Schlagzeile hieß es: „Nicht die Ereignisse in Indochina selbst erschüttern uns so sehr […] Erschütternd für die Völker ist die Erkenntnis, dass der Osten zu seinen Verbündeten steht, während der Westen sie preisgibt!“ Hier zeichnete sich bereits das Ende der Hoffnungen ab, die auf die Strategie des „Rollback“ gesetzt worden waren. Das Scheitern der EVG zerstörte dann auch den zweiten Pfeiler der Integration Europas und der Reintegration der Besiegten. Viktor Reimann resümierte am 11. September 1954: Die europäischen Einheitsbestrebungen erhielten „ihren ersten nachhaltigen Impuls aus einer Abwehrstellung gegen den Osten“. Nun aber sei es „einer Glanzleistung der russischen Diplomatie“, die nach Stalins Tod mit dem Schlagwort von der „friedlichen Koexistenz“ operierte, gelungen, diese Initiativen zu unterlaufen.19 Ein neuer Anfang war nötig.
IV. FPÖ und EWG Die Voraussetzungen für diesen Neubeginn wurden im Sommer 1955 – auf verschiedenen Ebenen – geschaffen: Anstelle der gescheiterten EVG wurde der Beitritt Deutschlands zur NATO akzeptiert; die Konferenz von Messina gab die Richtung der europäischen Integration nach dem Scheitern des EVG-Projekts an; der Staatsvertrag führte zum Abzug der Besatzungstruppen aus Österreich. Und hier formierte sich auch das dritte Lager neu: Im Juni traten die stärksten VdU-Landesgruppen zu Anton Reinthallers Freiheitspartei über. Die WdU-Fraktion, die im Herbst über den Staatsvertrag und das Neutralitätsgesetz abstimmte, gehörte zwar streng genommen bereits nicht weniger als drei verschiedenen „Parteien“ an. Sie beriet dennoch geschlossen – und lehnte zwar nicht die Gesetze ab, doch den Motivenbericht, die angebliche Freiwilligkeit des Neutralitätsgesetzes. Insbesondere wiesen ihre Redner auf die Schwierigkeiten hin, die sich aus missverständlichen Auslegungen einzelner Paragraphen für Österreichs europäische Ambitionen ergeben konnten.20 Zwischen dem Oktober 1955 und dem April 1956 vollzog sich die Gründung der FPÖ, auch wenn im Zuge der Verhandlungen noch drei der prominentesten Galionsfiguren aus der projektierten Partei ausschieden: Fritz Stüber für den prononciert nationalen, Strachwitz für
19 Kraus erregte noch bei der Tagung der Interparlamentarischen Union in Helsinki im Sommer 1955 Aufsehen durch seine vehemente Ablehnung des Schlagworts von der „friedlichen Koexistenz“, vgl. NF 3. 9. 1955. 20 Gredler und Herzele waren im Rahmen der WdU immer noch Mitglieder der „Aktion“, Pfeifer und Scheuch standen der Freiheitspartei nahe. Zur parlamentarischen Behandlung vgl. Kraus, „Untragbare Objektivität“, 260 f.; Fritz Stüber, Ich war Abgeordneter. Die Entstehung der freiheitlichen Opposition in Österreich, Graz 1974, 272–278. Auch Reinthaller hätte eine Stimmenthaltung beim Staatsvertrag lieber gesehen, vgl. Die Aktion, 11. 6. 1955. Kraus fragte Raab bei einer der Vorbesprechungen, ob er über Sicherheitsgarantien der Westmächte verfüge, erhielt aber keine Antwort. Interview mit Dr. Herbert Kraus am 6. 7. 1992.
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den konservativen und schließlich auch Kraus für den liberalen Flügel.21 Der erste Parteitag, in den beengten Räumlichkeiten des Josefstädter Hotels „Weißer Hahn“, endete mit der Resolution: „Unser unabänderlicher Wille ist es, ein glückliches Österreich in einem ebenso glücklichen, friedlichen und geeinten Europa zu erkämpfen und erarbeiten. Das walte Gott!“ In den Richtlinien freiheitlicher Politik des Jahres 1958 wurde die Rationale dann noch einmal ausdrücklich unterstrichen: Die Einigung Europas ist ein so überragendes Ziel, dass sich ihm alle anderen Zielsetzungen unterordnen müssen, denn keine europäische Nation ist für sich allein in der Lage, eine entscheidende Rolle in der Weltpolitik zu spielen.22 Die militärische Neutralität Österreichs und das Scheitern der EVG wiesen einen gemeinsamen Nenner auf: Die militärische Integration war vorerst gescheitert; die wirtschaftliche Integration bot sich als die Schiene an, auf der allein die Entwicklung vorangetrieben werden konnte. Die Resultante all dieser Entwicklungen war nicht zuletzt eine deutliche Reduktion der USA als außenpolitischer Leitstern. Zum einen blieben sie außerhalb dieser Kombination; zum anderen machte sich mit der endgültigen Aufgabe aller Hoffnungen auf ein „Roll-back“ nach der Ungarnkrise im Herbst 1956 Resignation breit. Diese Enttäuschung über die zweite Amtszeit des ursprünglich mit solchen Hoffnungen begrüßten Präsidenten Eisenhower lässt sich mehrfach belegen.23 Die FPÖ ließ dennoch keinen Zweifel daran, dass die wirtschaftliche Rendite der europäischen Integration für sie keinen Selbstzweck darstellte. Ex-VdU-Chef Max Stendebach formulierte das einmal so: „Mit rein handelspolitischen Argumenten kann ich sehr wohl auch den Osthandel verteidigen.“ Ein gewisser, auch generationsspezifischer Unterschied war dennoch unverkennbar, nicht im Sinne antagonistischer Konzepte, wohl aber unterschiedlicher Mentalitäten. Die Einigung Europas als Voraussetzung, im globalen Maßstab überhaupt noch eine Rolle spielen zu können, war unumstritten. Der neue Klubobmann Gredler untermauerte sie auf dem Parteitag des Jahres 1958 mit Zahlen: 60 Millionen erwerbstätige US-Amerikaner erzielten eine Wertschöpfung von 380 Mrd., 73 Millionen Westeuropäer
21 Vgl. die ausgezeichnete und bemerkenswerte offenherzige Darstellung: Kurt Piringer, Die Geschichte der Freiheitlichen. Beitrag der Dritten Kraft zur österreichischen Politik, Wien 1982. 22 AF. Protokoll des 1. Bundesparteitages (BPT) der FPÖ, dort auch im Referat Reinthallers: „Darüber sind wir uns aber bewusst, dass der nationale Gedanke eine Ausweitung auf das europäische erfahren hat. […] Zwischen den Weltmächten vermögen die europäischen Völker nur zu bestehen, wenn sie sich zusammenschließen.“; Erich Reiter, Programm und Programmentwicklung der FPÖ (Österreichische Schriftenreihe für Rechts- und Politikwissenschaft 5), Wien 1982, 259, dort 241–254 auch die Programme des VdU. 23 Vgl. z. B. noch den Bericht Zeillingers nach seiner Rückkehr von der UNO-Generalversammlung in der BPL vom 14. 10. 1960: „Das Erschütterndste ist das immer stärkere Schwinden des amerikanischen Einflusses.“ Bezeichnend war jedoch, dass – im Gegensatz zum Jahr 1952 – keine klare Meinungsbildung mehr vorherrschte, welcher Kandidat „für uns“ günstiger sei. Gute Beispiele für die ungebrochene Solidarität mit der Linie der US-Politik bieten auch die Kommentare von Generaloberst Lothar Rendulic in der AULA (z. B. Jänner-bis Mai-Ausgabe 1963).
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bloß 140 Mrd.24 Auf der anderen Seite – und dieses psychologische Problem ist seither auch nicht geringer geworden – war es gerade diese durch die Umstände vorgegebene Dominanz ökonomischer Rationalität, die vielen gerade der engagierten Verfechter der Europa-Idee wenig ansprechend erschien. Reinthaller formulierte das so: „Europa wird nicht geschaffen mit Dollars und Atombomben, durch Verschiebung von Grenzpfählen und Massenvertreibungen, mit Handelsverträgen und Geheimabmachungen, sondern nur durch die Erneuerung des Geistes der Menschen, das heißt durch die Abkehr vom ichsüchtig-materialistischen Denken.“25 Für viele der älteren Generation war der Boom des Wirtschaftswunders eine Erscheinung, der sie nicht ganz trauten. In diese Skepsis mischten sich durchaus zivilisationskritische Stimmen, die „grüne“ Argumentationen vorwegnahmen.26 Noch Jahre später pries Oberst Stendebach, der Leiter des freiheitlichen Europareferats, die EWG wiederholt als Auffangnetz für den Zeitpunkt, wo der Nachkriegsboom in die Industriekrise münden würde. Man dürfe sich „nicht durch die Nachholkonjunktur täuschen lassen“. Sie könnte vielmehr in eine Dauerdepression umschlagen: Wenn man dann noch den „alten Vorstellungen liberalistischen Denkens“ folge, wäre ein erbitterter Konkurrenzkampf die Folge. „Auf diesen Augenblick wartet der Weltkommunismus.“ Deshalb seien auch der „Kampf gegen den Kommunismus und der Kampf für die EWG nicht zwei Sachen, sondern ein und dasselbe“.27 Zu diesem Zeitpunkt hatte die Europapolitik freilich schon längst wieder innenpolitische Bedeutung erhalten. Zum ersten Mal seit den Tagen des „E“ von 1953 war die europäische Integration Thema Nummer eins. Das nationalliberale Lager hatte nach den Turbulenzen Mitte der 50er-Jahre gegen Ende des Jahrzehnts wiederum deutlich Aufwind verspürt. Die Nationalratswahl vom Herbst 1959 endete mit dem Gewinn zweier Mandate. Auch die Landtagswahlen der Jahre 1960/61 zeitigten zwar keineswegs spektakuläre, doch stetige Zugewinne. Die Ära Raab ging dem Ende zu: Bei den Regierungsverhandlungen 1959 war dem Kanzler sein Finanzminister Reinhard Kamitz verloren gegangen. Dafür wurden jenseits des Semmering die Reformer innerhalb der ÖVP aktiv, die sich von der Großen Koalition freispielen wollten oder es zumindest vorgaben.28 Das Thema, das dabei im Vordergrund stand, war nach der Gründung der EWG 1957/58 die handelspolitische Orientierung: Mit Erstaunen hatte z. B. Gredler die „anti-europäische 24 Protokoll des 3. BPT der FPÖ, 39 ff. AF BPL 1. 3. 1962 (13. 9. 1958). 25 Protokoll des 2. BPT der FPÖ, 89. AF. BPL. 2. 6. 1957. 26 Vgl. insbesondere das Referat Stendebachs auf dem 5. BPT (Protokoll, 54 ff., 15. 10. 1960): „Das technischökonomische Experiment, das Europa in die Welt gesetzt hat, mit dem es den Aufruhr über die ganze Erde getragen hat […] Wir treiben auf der ganzen Linie Raubbau. […] Wir bringen bedenkenlos jedes Opfer an echtem Lebenswert und echten Lebensbedürfnissen.“ 27 Ebd.; AF. BPL 1. 3. 1962. 28 Vgl. Manfried Rauchensteiner, Die Zwei. Die Große Koalition in Österreich 1945–1966, Wien 1987, 427 ff., bzw. vom sozialistischen Standpunkt: Karl Gutkas, Die Zweite Republik. Österreich 1945–1985, Wien 1985, 99 ff.
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Wendung“ der SPÖ quittiert, die – zum Unterschied von ihrer Schwesterpartei SPD – vor wenigen Jahren sogar noch für die EVG eingetreten war.29 Aufsehen erregte dann Vizekanzler Pittermanns in verschiedenen Variationen wiederholte Formel von der EWG als dem „Kapitalistenblock“. Vorbehalte gegenüber der EWG waren zwar auch in der ÖVP nicht unbekannt,30 es mehrten sich jedoch die Stimmen aus dem bürgerlichen Lager, die auf eine möglichst enge Verbindung mit der EWG drängten. Lediglich die FPÖ war von vornherein für ein „Sofort hinein in die EWG“ eingetreten. So aber, wie Gredler 1958 ausführte, „versuchen wir jetzt hintennach irgendwie, uns hinter den breiten Buckel der Engländer zu stellen“, würden mit der Freihandelspolitik aber „sowohl an der italienischen wie vor allem an der französischen Politik wohl wieder scheitern“. Auch die Kompromissformel, im Rahmen der EFTA für einen Brückenschlag mit der EWG einzutreten und die Freihandelszone nur als Übergangsstadium und Verhandlungsinstrument zu benützen, vermochte hier nicht zu greifen: Bei der parlamentarischen Abstimmung über den EFTA-Beitritt erreichten die demonstrativen Absenzen bei den Regierungsparteien beachtliche Ausmaße. Friedrich Peter resümierte im Frühjahr 1960: „Damit hat sich für uns als Oppositionspartei ein entscheidendes politisches Thema ergeben.“ Wie von Gredler schon mehrfach angeregt, sei „künftig mehr als bisher Gewicht auf außenpolitische Fragen zu legen“.31
V. De Gaulle und die Koalitionshoffnungen Europa war das Thema. Außerdem aber – und das wird nur im Hintergrund schattenhaft fassbar – es war die Stunde Charles de Gaulles. Gredler hatte im Monat der Machtergreifung des Generals scherzhaft gemeint, die Zeit sei Gott sei Dank vorbei, „wo die einen den Nasser an die Wand genagelt haben, die anderen vielleicht den de Gaulle anbieten würden“. Doch die meisten FPÖ-Politiker hätten Franz Nemschak wohl zugestimmt, dem in freiheitlichen Kreisen sehr geschätzten Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts, der 1964 formulierte: „Übersehen wir […] nicht, dass die EWG de Gaulle nicht weniger braucht als 29 Die Aktion 28. 8. 1954. AF. BPL 1. 3. 1962; vgl. auch Gredler in der BPL vom 26. 4. 1958: Die SPÖ-Abgeordneten Czernetz und Strasser hätten ihm in der EWG-Frage privat recht gegeben, vgl. auch den Beitrag von Hehemann in diesem Band. 30 Vgl. NF 12. 3. 1060 (Raab über den „Importdruck“ der EWG), 24. 11. 1962 (über den „Kern-Kreis“ der ÖVP um Hurdes, der sich „gegen eine zu starke Anlehnung an die EWG“ ausgesprochen habe). Vgl. auch Alois Mock, Ludwig Steiner und Andreas Khol (Hrsg.), Neue Fakten zu Staatsvertrag und Neutralität, Wien 1990, 92 f., bzw. den Beitrag von Gehler in diesem Band. Auch in der Industriellenvereinigung wurde diese Frage durchaus kontroversiell behandelt (Mitteilung von Prof. Herbert Krejci 1. 7. 1992). Die Landwirtschaftskammern gehörten damals allerdings zu den vehementesten Befürwortern eines EWG-Beitritts. Bei den Freiheitlichen betonte man intern speziell auch die guten Erfahrungen, die man mit dem Europathema bei den Kärntner Landtagswahlen gemacht hatte, dem Land, wo bei der FPÖ die agrarische Ausrichtung zweifellos am stärksten gegeben war. AF. BPV 11. 2. 1960. 31 AF. BPL 26. 4. 1958, 30. 4. 1960; Piringer, Geschichte der Freiheitlichen, 117 f.
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umgekehrt. Nicht nur, weil es ohne Frankreich kein Europa gibt, sondern auch deshalb, weil ein so gewaltiges Unternehmen wie die Einigung Europas einer starken, selbst- und sendungsbewussten politischen Führung bedarf.“32 Ein Indiz für die Akzeptanz französischer Vorstellungen war auch die Einschätzung der Rolle Afrikas, wie sie z. B. von Franz Zischka, einem weiteren der FPÖ nahestehenden Wirtschaftsautor, propagiert wurde. Das Mittelmeer, so Stendebach 1960, bilde keine Grenze Europas, sondern ein „mare nostrum“. Auch die Aufgabe Algeriens wurde von der Neuen Front in diesem Sinne eines „reculer pour mieux sauter“ interpretiert.33 Es mag erstaunen, wie leicht nicht bloß aus den Kriegstagen stammende alte Ressentiments aufgegeben wurden, sondern dem charismatischen General z. B. auch sein Widerstand gegen die EVG verziehen wurde. De Gaulles harte Haltung in der Berlin- (und Kuba-) Krise mochte das Ihre dazu beitragen. Das „Europa der Vaterländer“ war sichtlich eine Formel, die auf Anklang stieß. Die Politik de Gaulles ließ zudem immer noch zwei Interpretationen offen: Wollte er Europa zum zweiten, gleichberechtigten Pfeiler einer atlantischen Allianz machen oder zu einer eigenständigen „dritten Kraft“ in der Weltpolitik? Bis zur Mitte der 60er-Jahre war die Politik des Generals noch beiden Auslegungen zugänglich. Der Nachhall des Kalten Krieges legte Ersteres nahe, während auf der anderen Seite manche Formulierungen schon weitergingen: „Nur ein geschlossenes Europa zwischen Ost und West wird auf die Dauer den Kalten Krieg beenden und den Frieden sichern.“34 Zum Teil ergab sich über alle außenpolitischen Kombinationen hinweg hier freilich ein innenpolitischer Zwang zur Verklärung. Wenn die FPÖ – vor dem Hintergrund einer Zustimmung, die weit über ihre Reihen hinausging – die EWG als einzig tragfähige Alternative propagieren wollte, konnte sie schlecht an deren führenden Staatsmann peinliche Fragen stellen. Im Gegenzug geriet mit der EFTA zunehmend England ins Kreuzfeuer der Kritik: Schon auf dem Parteitag im Oktober 1960, der unter dem Motto „Österreichs Weg in Europa“ stand, hatte Stendebach die Strategie der EWG verteidigt, zunächst keine weiteren Mitglieder einzuladen: Eine Einigung unter 17 Partnern sei unmöglich; nach dem Debakel der EVG aber könne man kein nochmaliges Scheitern der Integrationshoffnungen riskieren. England aber habe eine Teilnahme an den Besprechungen ohnedies abgelehnt, weil es hoffe, dass die Staaten der Montanunion es nicht schaffen würden. Es habe „nichts anderes im Auge, als im letzten Moment diese EWG wiederum zur Auflösung zu bringen“ und deshalb „nach altem 32 AF. BPL 28. 6. 1958; Franz Nemschak, Zwischenbilanz der europäischen Integration. Ein Vorschlag für Österreich: „Assoziation mit Mitbestimmung“ (Vorträge und Aufsätze 22), Wien 1964, 12. Gredler persönlich war allein schon durch seine Freundschaft mit dem Vater Valéry Giscard d’Estaings vor allzu optimistischen Annahmen über die Politik des Generals gefeit. Andererseits hatte schon Kraus Kontakte zu den Gaullisten, z. B. Chaban Delmas, geknüpft. Brief von Botschafter Dr. Willfried Gredler an den Vf., 28.4. 1992; für ein Gespräch zu diesem Themenkreis möchte ich Herrn Dr. Herbert Kraus herzlich danken. 33 Vgl. Anm. 26; NF 14. 1. 1961; Anton Zischka, Afrika. Europas Gemeinschaftsaufgabe Nummer eins, Graz 1951. 34 Stendebach auf dem 4. BPT. AF. Protokoll 85 ff., 15. 11. 1959.
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Rezept eine Koalition gegen die EWG in der Form der EFTA zusammengebraut“. Auch bei der parlamentarischen Behandlung wurde von Klaus Mahnert betont, dass Englands Interessen eben ganz anders gelagert seien als diejenigen der Kontinentalstaaten.35 Es ist festzuhalten, dass diese Haltung sich nicht ganz mit derjenigen der FDP traf, obwohl der innenpolitische Kurs der beiden Schwesterparteien damals, zu Beginn der Ära Mende, noch weitgehend parallel verlief: So referierte z. B. der saarländische Minister Heinrich Schneider im September 1960 in einer Sitzung der FPÖ-Bundesparteileitung36 – und sprach sich nach Abwägung aller Optionen für die Erhard’sche Politik aus und gegen eine totale Auslieferung an de Gaulle, die geeignet wäre, sowohl das Konzept der NATO als auch die Chancen einer eventuellen Wiedervereinigung zu beeinträchtigen. Nicht zum ersten Mal war der Standpunkt der FPÖ näher bei Adenauer, gleichzeitig aber auch weniger „national“ als der ihrer Schwesterpartei. Zu diesen Indizien gehört auch, dass schon die Bedenken der FDP gegen die Römischen Verträge in Österreich nur erstaunlich geringe Resonanz gefunden hatten. Man kann das aber auch als ein Indiz dafür werten, dass die Integrationsfrage über nationale Momente hinweg ein beträchtliches Maß an Eigendynamik gewonnen hatte. Innerhalb der Publizistik des nationalen Lagers in Österreich vertrat die kritischen – und das hieß in diesem Fall: die anglophilen – Stimmen insbesondere Prinz Anton Rohan, ein Veteran europäischer Bestrebungen schon der Zwischenkriegszeit. Rohan verwendete für die EWG bewusst den Begriff „Kleineuropa“ und verwies sehr wohl auf Erhards Konzept „18 = 1“. Rohan schrieb vornehmlich in Strachwitz’ Zeitschrift Neue Ordnung (der ehemaligen Aktion), aber gelegentlich auch in der Neuen Front und öfters in der Aula – die z. B. in der Juni-Nummer 1963 den widersprüchlichen Auffassungen in ihrem Einzugsbereich mit einem Streitgespräch auf der Titelseite Rechnung trug. Rohans Klage nach dem Veto de Gaulles gegen das britische Beitrittsansuchen gipfelte in dem Satz: „Werden die Sechs die drohende Desintegration Europas durch ihre Teilintegration vor sich selbst verantworten können?“37 Diese Debatte hatte auch einen gesellschaftspolitischen Hintergrund: In der Neuen Ordnung hatte „CAB“ (Carl Anton Beck) schon früher gegen das „Zwangskartell“ der Montanunion, das kostengünstige deutsche Produzenten benachteiligte, Einwände geäußert.38 Umgekehrt konnte die Neue Front die EFTA als „sozialpolitisch steril“ bezeichnen 35 Vgl. Anm. 26; NF 26. 3. 1960; ebd. 9. 4. 1960 über die EFTA als „verspäteter Festlandsdegen“ Englands. 36 AF. BPL 10. 9. 1960. Schneider führte dort auch aus: „Die Idee des Liberalismus ist in keiner Weise jemals, seit es liberale Parteien in Deutschland gegeben hat, geeignet ohne Koppelung mit anderen Ideen ein Parteiziel zu sein.“ Die liberale Partei sei vielmehr „jedes Mal kaputt gegangen, wenn sie sich gegen den nationalen Gedanken versündigt“ habe. Ein zweiter, bei FPÖ-Veranstaltungen oft und gern gesehener Gast war der Berliner FDP-Senator Borm – auch er aus einem „umkämpften Randgebiet“ der BRD. 37 Aula, April 1963; vgl. auch Beiträge Rohans in: Neue Ordnung, Jan./Feb. 1959 („wegen supra-nationalen Behördenzentralismus“); November 1959 („Dreiteilung Europas […] ein fortgesetzter Schildbürgerstreich“); Aula, November 1962; auch seine Serie in der NF ab 4. 2. 1961; vgl. auch Karl Anton Rohan, Heimat Europa. Erinnerungen und Erfahrungen, Düsseldorf 1954. 38 Die Aktion, 29. 8. 1953; für die Auflösung des Kürzels CAB habe ich Herrn Kurt Kerschbaum zu danken.
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und genüsslich die Klagen des sozialistischen Parteiblattes in Graz über die „höchst konservativ-manchesterlichen“ Züge der EFTA zitieren.39 Die innenpolitischen Manöver um die Europapolitik hatten inzwischen im Februar 1960 zu einer gemeinsamen VP-FP-Resolution im steirischen Landtag geführt. (Diese Allianz mit den Reformern innerhalb der ÖVP, das Ausspielen Josef Krainers gegen Julius Raab war allerdings ein zweischneidiges Schwert: Der gewiefte Parteitaktiker Emil van Tongel hätte Krainer lieber totgeschwiegen, weil er fürchtete, die Honorierung seiner Kritik an der Bundesspitze besorge dem Landeshauptmann bloß einen Wahlschlager für die herannahende steirische Landtagswahl.)40 Mit 1. Jänner 1960 begann die österreichische Exportwirtschaft auch die Wirkung der Zolldiskriminierung bei ihren Ausfuhren zu verspüren. Im Ausschuss beantragte die FPÖ zunächst, die EFTA-Mitgliedschaft auszusetzen, wenn der versprochene Brückenschlag zwischen EFTA und EWG nicht bis Ende September 1960 erfolgt sei. Als Leitlinie proklamierte sie, mit deutlichen Anklängen an Seipels Diktum über Deutschland in der Zwischenkriegszeit: „Keine Lösung ohne oder gegen die EWG!“ Am 18. Jänner 1961 brachte sie dann den Antrag auf Austritt aus der EFTA ein. Die freundliche Stellungnahme der Kennedy-Administration zur EWG ließ die Hoffnungen im Frühjahr 1961 noch einmal sprießen: Damit sei die Entscheidung eigentlich gefallen. Die vermutliche Lösung, so referierte Gredler, „wird sein, dass um Kerneuropa die Einzelstaaten Sonderverträge nach dem Modell der griechischen Assoziation“ abschließen.41 (Griechenland hatte bereits im September 1959 um Assoziation angesucht, die schließlich mit 1. November 1962 in Kraft trat.) Die Chancen eines solchen „möglichst engen Verhältnissen zur EWG“ beurteilte man 1961/62 noch sehr gut: Walter Hallstein und die EWG-Kommission galten seit den Berichten des ehemaligen Handelsministers und Grazer Universitätsprofessors Wilhelm Taucher aus Brüssel als wohlwollend. Zwar würde die EWG – wegen möglicher Komplikationen im Zusammenhang mit sowjetischen Meistbegünstigungsforderungen – einen Vollbeitritt nicht wünschen; aber „sie gibt uns ja als einzigem Staat die Chance der Assoziation“.42 Die FPÖ wusste sich einmal mehr mit Nemschak einig, der das Modell einer „Assoziation mit Mitbestimmung“ entwickelte, das einem Vollbeitritt mit Neutralitätsvorbehalt gleichkam und den autonomen Nachvollzug Brüsseler Entscheidungen ausdrücklich als riskant und friktionsgefährdet zurückwies. Alles andere, so Stendebach, würde Österreich zwangsläufig in die finnische Richtung drängen: „Wenn wir den anderen Weg gehen, werden wir eines Tages von Russland gefressen werden.“
39 NF 27. 2., 20. 8. 1960. Die Übereinstimmung mit der Grazer Neuen Zeit kam freilich nicht von ungefähr: Ihr Chefredakteur war lange Zeit der ehemalige Schriftleiter der großdeutschen Klagenfurter Freien Stimmen in der Zwischenkriegszeit, Heinz v. Paller. 40 NF 5. 3. 1960; AF. BPL 17. 12. 1960. 41 NF 19. 3., 22. 10. 1960, 21. 1. 1961; AF. BPL 24. 6. 1961. 42 AF. Kandutsch in der BPL vom 1. 3. 1962; NF 16. 1. 1960.
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Im Lichte späterer Diskussionen interessant auch eine Erörterung des Mythos, der sich damals bereits um die Neutralität zu ranken begann. Der steirische Landtagsabgeordnete Franz Scheer brachte es auf den Punkt: Eine Debatte um die Neutralität wäre ein Eigentor. Zwar stimme er zu, sie sei das Papier nicht wert, auf das sie geschrieben ist, und doch: Jeder Österreicher freut sich, dass wir neutral sind. „Er hat nämlich das Gefühl damit, dass er eine gewisse Sicherheitsglocke über sich gestülpt hat.“ Und der Wiener FPÖ-Funktionär Albert Schmidt meinte pessimistisch, man werde mit dem Argument nicht durchkommen, dass die Neutralität mit der EWG vereinbar sei: „Die Russenangst der Koalitionspartner schlägt uns hier haushoch.“ In einem anderen Punkt beharrte Stendebach als Veteran des VdU allerdings auf den Zusicherungen, die ihm Figl 1955 im Hauptausschuss des Nationalrates gegeben hatte: Das Anschlussverbot des Staatsvertrages, das sich als bevorzugtes Instrument sowjetischer Bedenken herauskristallisierte, stelle kein Hindernis einer politischen oder wirtschaftlichen Einigung Europas dar.43 Inzwischen hatte das Scheitern des Brückenschlags die Prophezeiungen der Freiheitlichen bestätigt. Österreich fand sich bei seinen Bemühungen um ein Naheverhältnis zur EWG allerdings plötzlich nachgereiht: Die Verhandlungen um das britische Beitrittsansuchen brachten einen Aufschub der Assoziationsverhandlungen mit sich. Auch nach dem Veto de Gaulles vom 14. Jänner 1963 entwickelte sich keine neue Dynamik: Die Stellungnahmen schleppten sich hin. Diese Stagnation fand ihre Parallele auch in der Innenpolitik: Bei den auf Initiative steirischer Wirtschaftskreise zustande gekommenen Besprechungen der FP-Spitze mit dem neuen Kanzler Gorbach 1962 dürfte das EWG-Thema im Hintergrund vermutlich noch eine gewissen Rolle gespielt haben. Die Wahlen vom November 1962 bewahrheiteten van Tongels Befürchtungen allerdings: Die Propaganda der FPÖ erwies sich als Wasser auf die Mühlen der ÖVP-Reformer. Die Freiheitlichem, die insgeheim auf den Gewinn von ein bis zwei Grundmandaten gehofft hatten, verloren leicht; die ÖVP landete nur knapp unter der absoluten Mehrheit im Nationalrat. Der Wahlsieg brachte ihr die Übernahme der Integrationsmaterie vom Außenministerium Kreiskys zu Handelsminister Bock – doch auch er galt nicht als ein unbedingter EWG-Verfechter. Die mit Gorbach vereinbarten Gespräche mit der FPÖ aber wurden von den ÖVP-Gremien nicht gutgeheißen.44 43 Vgl. Anm. 32; AF. BPL 1. 3. 1962. Die militärische Neutralität war auf dem 4. BPT 1959 in der Hauptresolution noch einmal bekräftigt worden (dazu jüngst auch: Neue Freie Zeitung, 20. 5. 1992, 20), in das Bad Ischler Programm wurde sie 1968 ursprünglich nicht aufgenommen, zwei Jahre später jedoch nachgetragen, allerdings folgerichtig nicht im Kapitel Außen-, sondern Wehrpolitik. Ein gewisser Zusammenhang war damals auch gegeben mit der Notwendigkeit einer klar formulierten Aufgabenstellung für das Bundesheer im Zuge der Debatten um die Wehrdienstverkürzung während der SP-Minderheitsregierung. Vgl. AF. BPL 11. 10. 1968; BPV 8. 9. 1970; Information Prim. Dr. Otto Scrinzi; allgemein auch: Franz Kernic, Zwischen Worten und Taten. Die Wehrpolitik der Freiheitlichen 1949–1986 (Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten 8), Wien 1988. Die Debatten um die Wehrpolitik, z. B. zwischen Befürwortern von allgemeiner Wehrpflicht (in der Frühzeit General Punzert, 1970 u. a. Scrinzi und Melier) und Berufsheer (z. B. Stendebach, Scheer, Götz) lassen allerdings kaum außenpolitische Hintergründe erkennen. 44 AF. Gredler in BPL 28. 9. 1962; Fritz Bock, Der Anschluss an Europa. Gedanken, Versuche, Ergebnisse, St. Pölten 1978, 32 (Integrationsbericht 22. 1. 1964); Piringer, Geschichte der Freiheitlichen, 79.
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VI. Resignation und Wandel Das Jahr 1963 brachte stattdessen mit der Habsburg-Krise die erste Wendung der FPÖ zur Kooperation mit den Sozialisten. Damit verbunden war eine plötzliche, doch ephemere Aufwertung der Position der „dritten Kraft“, um den Preis starker interner Spannungen allerdings, die nach dem Sturz des Verhandlungspartners Franz Olah im Herbst 1964 im Misstrauensantrag der Tiroler und Steirer gegen Parteiobmann Peter gipfelten. Das Patt im Inneren und die Stagnation nach außen sollten die Situation für lange Zeit kennzeichnen. Ein letztes Mal hatte bei den Erörterungen um eine mögliche Linkskoalition das Europathema eine tragende Rolle gespielt: In der Bundesparteileitung der FPÖ betonten mehrere Redner, dass ein Fortschritt in den Assoziationsverhandlungen und eine Aufweichung der ablehnenden Haltung der SPÖ in der EWG-Frage den entscheidenden Erfolg bilden könnten, aus dem sich eine Legitimation der Linkskoalition ableiten ließe. Doch die Probe aufs Exempel blieb vorderhand aus.45 Auch im personellen Bereich ergaben sich Änderungen, die nicht ohne Einfluss auf das europäische Profil der Freiheitlichen blieben. Stendebach, der FP-Vertreter bei der beratenden Versammlung des Europarates, war 1962 ausgeschieden; Gredler bezog im Jahr darauf Posten als außerordentlicher Gesandter und Leiter der Ständigen Vertretung Österreichs beim Europarat in Straßburg. Er behielt zunächst noch seine Parteifunktionen, schied aber als Klubobmann und Parlamentarier aus. Das Europareferat der Partei übernahm mit Wilhelm Kos zunächst ein weniger bekannter Abgeordneter aus Oberösterreich. 1964 wurde damit der Kärntner Landesrat Hubert Knaus betraut – im Rahmen des Grundsatz- und Weltanschauungsreferates, ein für den Stellenwert der Europathematik recht bezeichnender Wandel.46 1964 hatte mit Marcel Mart von der Hohen Behörde in Luxemburg noch ein „Eurokrat“ auf dem FPÖ-Parteitag das Wort ergriffen und insbesondere die politische Dimension der Integrationsbemühungen betont. 1966 hieß es im Rahmen der Programmdiskussion in einem Entwurf bereits bitter: „Vormachtstreben, Chauvinismus und Separatismus versperren den
45 AF. BPL 20. 6. 1963 (Wortmeldungen von Oberst Götz, LR Rader und Abg. Scheer; mit anderen Schlussfolgerungen Mahnen); BPL 24. 11. 1964. Als innenpolitische Rückwirkungen der Europadiskussion können eventuell auch die Verhandlungen über eine Listengemeinschaft mit der EFP betrachtet werden, wo diesmal allerdings die Freiheitlichen – cum grano salis – eine „Inhalationstrategie“ verfolgten. Vgl. AF. BPV 18. 9. 1964. 46 AF. BPV 27. 9. 1962; 26. 9. 1963; 7. 7. 1964. Erst nach dem Beitritt Österreichs zum Europarat waren auch oppositionelle Parlamentarier zur beratenden Versammlung entsandt worden; der schon ab 1951 bestehende österreichische Parlamentarische Rat der Europabewegung wurde hingegen von den Koalitionsparteien paritätisch besetzt. Auch die Berufung Gredlers in eine Subkommission verhinderte Maleta 1952. Vgl. Ingfrid Schütz-Müller, „Europa“ in der österreichischen Nachkriegspolitik 1945–1956, phil. Diss. Wien 1974, 81, 129, 150 f.
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Weg zur Einheit Europas.“47 Da hatte de Gaulle mit seinem halbjährigen Boykott des Agrar ausschusses bereits auch die EWG – und nicht bloß die Angelsachsen – seinen Willen zur Unabhängigkeit um jeden Preis spüren lassen. Im folgenden Jahr schließlich sollten auch die österreichischen Assoziationsverhandlungen ein indirektes Opfer seines Strebens nach einer Kooperation der Europäer „vom Atlantik bis zum Ural“ werden: Im Herbst 1967 ließ Pompidou die Bundesregierung wissen, dass auf Grund sowjetischer Bedenken die Verhandlungen mit Österreich derzeit nicht fortgesetzt werden würden. Auf dem Bad Ischler Parteitag 1968 stand der Vortrag Gredlers: „Europa: Vision oder Realität?“ schon unübersehbar im Zeichen der Enttäuschung.48 „Die Einigung Europas steht vor schweren Problemen, die offen und schonungslos erörtert werden müssen.“ Und weiter: „Man hatte oft den Eindruck, Europa bedürfe eines Druckes von außen, etwa des russischen Stiefels, um sich zu einigen.“ Nun habe selbst der russische Einmarsch in der CSSR – man schrieb zwei Monate nach der Niederschlagung des Prager Frühlings – nichts anderes bewirkt, als die Hilflosigkeit Europas offen zu demonstrieren. Der Bad Ischler Parteitag im Herbst 1968 markiert in mehr als einer Beziehung das Ende einer Epoche und den Beginn einer neuen: Die Vision Europa blieb erhalten, formal sogar in zugespitzter Form. Bei der Beratung des neuen Parteiprogramms war die alte Formel von der „Einigung Europas“, die nichts Näheres über die staatsrechtlichen Modalitäten der erwünschten Lösung aussagte, von dem unmissverständlichen Bekenntnis abgelöst worden: „Wir wollen den europäischen Bundesstaat.“ Ein Anstoß dazu kam von Pressereferent Bruno Müller; durchgesetzt wurde die Formel im Ausschuss von Otto Scrinzi, der 1966 – eben erst in die Partei eingetreten – in einer Kampfabstimmung gegen den Willen Peters zum Obmannstellvertreter gewählt worden war.49 Diese Präzisierung stand im Zusammenhang mit dem allseits bemerkbaren Zug zur „Versachlichung“ der Politik. Sie unterstrich auf einer anderen Ebene aber wiederum bloß den visionären Charakter dieses Programmpunkts, war doch schon der proklamierte erste Schritt, die Teilnahme Österreichs an der EWG, zu diesem Zeitpunkt in weitere Ferne gerückt denn je. Diese Realität wurde von Peter schonungslos kritisiert: In deutlicher Abkehr von eigenen Positionen hieß es: „Auch England gehört zu Europa. Wann wird das de Gaulle endlich begreifen?“ Aber auch: „Auch die UdSSR ist Europa. Wann aber wird es die Sowjetführung begreifen?“ Zwar grenzte sich Peter deutlich von den „nützlichen Idioten“, „den Aposteln der gesellschaftlich-ideologischen Aufweichung“ ab, doch immerhin geriet hier erstmals auch das Europa jenseits des Eisernen Vorhangs in den Bereich der Europakonzepte. Auch das passte zum visionären Charakter: Denn eine Lösung in unmittelbarer Zukunft stand hier 47 AF. Protokolle des 7. und 8. BPT (11. 6. 1964, 23. 10. 1966). 48 Bock, Anschluss an Europa, 66; vgl. auch AF. BPL 1. 3. 1962, Bachinger: „Gefahr, dass die EWG uns wegen russischer Einmischung links liegen lässt […]“; AF. Protokolle des 9. BPT (11.–13. 10. 1968). 49 Piringer, Geschichte der Freiheitlichen, 145. Für ihre Auskünfte bin ich Herrn Prim. Dr. Otto Scrinzi und Herrn Präsidenten DVw. Gerulf Stix zu herzlichem Dank verpflichtet.
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noch weniger zu erwarten als im Westen. Mit dem Zeithorizont verschob sich so auch der geografische Inhalt des Begriffs Europa. „Großeuropa“ ging nicht mehr bloß über die sechs Gründungsmitglieder der EWG hinaus, sondern auch über die achtzehn Staaten der nichtkommunistischen Welt. Der Grazer Vizebürgermeister und innerparteiliche Rivale Peters, Alexander Götz, setzte einen Akzent mehr, wenn er im Rahmen seines Alternativentwurfes, der „Ordnung 70“, an Österreichs besondere Bindungen und Aufgaben im Südosten erinnerte und voraussagte: „Die Lockerung der Blockpolarisation setzt in diesem Raum Kräfte frei, die nach Neuorientierung suchen. […] Kräfte, die sich weder im Osten noch im Westen auf die Dauer durch bestehende Militärpakte binden lassen.“ Das nahm im Kern die Ansätze vorweg, die in den 80er-Jahren unter dem irreführenden Titel „Mitteleuropa“ in Wien wiederum aufgegriffen, dann aber mit antideutschen Akzenten versehen wurden, die bei Götz selbstverständlich keinen Platz fanden. Es war dennoch etwas ganz anderes, als freiheitliche Europapolitik bisher gewesen war. Die europäische Einigung hatte ihre Funktion verändert: Sie war nach 1945 als drängende Notwendigkeit erschienen, um die Gefahr aus dem Osten zu bannen und die Teilung in „Sieger“ und „Besiegte“ zu überwinden – zwei Elemente, die einander wechselseitig ergänzten und bedingten. In beiden Fällen mussten die Amerikaner anfangs eine Art Ausfallshaftung übernehmen. Doch mit der Erstarrung der Fronten im Osten und der erfolgreichen Westintegration Bonns veränderte sich die Stoßrichtung: Nicht mehr um die Gleichberechtigung innerhalb Europas ging es jetzt, sondern um die Gleichberechtigung Europas mit den USA. De Gaulle fing diese Stimmung ein und zeigte zugleich ihre Grenzen auf: Die Emanzipation von den USA erforderte zunächst einmal vermehrte Rücksichtnahme auf den Großen Bruder im Osten; das war für Bonn letzten Endes zu riskant und für Österreichs EWG-Bestrebungen nachteilig. Stagnation war die Folge. Was blieb, als Relikt der gaullistischen Aufbruchsstimmung der 60er-Jahre, war die Sehnsucht nach einer „dritten Kraft“ und die Vision einer Auflösung der ferngesteuerten Blöcke. Der Kalte Krieg war zu Ende gegangen, aber die friedliche Koexistenz ließ die Europäer ihre Ohnmacht umso mehr spüren. Alle rhetorischen Versuche über die Möglichkeiten einer „dritten Kraft“ in der Weltpolitik aber wiesen zwangsläufig einen schwer kontrollierbaren Spin auf: Allein schon im Vergleich zur vorhergehenden Epoche der selbstverständlichen Ausrichtung auf die Bedrohung im Osten war jede Analyse, die beide Supermächte auf eine Stufe stellte, von vornherein mit dem Geruch des Antiamerikanismus behaftet, auch wenn das gar nicht so gemeint war. Die Trennung von Befund und Bewertung wurde nicht immer nachvollzogen. Oftmals freilich gefiel sich der „Zeitgeist“ in geschmäcklerischer Kritik an den USA auch dort, wo es keinem konstruktiven Zweck diente. Irgendwo dazwischen ging auch im nationalen Lager die Metamorphose der „kalten Krieger“ von einst einher, zu Leuten, die in dem Ruf standen, den „Amis“ gerne eins am Zeug zu flicken. Mittelfristig folgten darauf die Mitteleuropa- und Neutralisierungsdiskussionen. Bei diesen Konzepten ging es nicht mehr darum, Europa in der Weltpolitik endlich wieder seine
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historische Rolle spielen zu lassen, sondern im Gegenteil – mit einem Schlagwort – um den „Ausstieg aus der Geschichte“; nicht mehr um Großraumpolitik, sondern um „small is beautiful“. Aus dieser Perspektive mochten sich auch die bestehenden Neutralen plötzlich schmeicheln, nicht mehr die Nachzügler, sondern die Vorreiter des Europa einer allerdings immer noch allzu fernen Zukunft zu sein. Österreich, die „Insel der Seligen“, war für diese Schalmeienklänge anfällig – und es wäre übertrieben zu behaupten, die Freiheitlichen wären dafür immer immun geblieben. Es war der zweiten Hälfte der 80er-Jahre vorbehalten, ohne große Vorwarnzeit die Hoffnungen zu realisieren, die eine Generation zuvor unerfüllt geblieben waren: Reagans zweite Amtszeit realisierte das „roll-back“, das Eisenhower und Dulles bloß versprochen hatten; die EG beschleunigte den Integrationsprozess, den de Gaulle Mitte der 60er-Jahre gestoppt hatte. Zufällig ging mit diesen Entwicklungen in Österreich auch jene Verbreiterung der freiheitlichen Lager-Partei zur breit gefächerten „Erneuerungsbewegung“ einher, die Anfang der 50er-Jahre noch misslungen war. Die Rationale für die Einigung Europas hat sich mit den Umwälzungen der letzten Jahre selbstverständlich erneut verschoben. Aber das ist eine andere Geschichte.
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„Ich bin seit dem Zusammenbruch meines österreichischungarischen Vaterlandes ein überzeugter europäischer Patriot“ Richard Coudenhove-Kalergi, Paneuropa und Österreich 1940–1950
Die Initiativen des Pioniers der modernen Europa-Idee, Richard Coudenhove-Kalergi, kreisten unermüdlich um zwei Länder, deren Wechselbeziehung ihm als „Zentralproblem“ bei der Einigung des Erdteils galt: Deutschland und Frankreich.1 Es wird dabei leicht übersehen, dass zwei andere Staaten bei der Geburt der Paneuropa-Bewegung Pate standen: Österreich und die Tschechoslowakei. Das politische Denken Coudenhove-Kalergis, der 1923, im Alter von 28 Jahren, mit seinem Manifest „Pan-Europa“ eines der „wichtigsten politischen Bücher des XX. Jahrhunderts“ schrieb, war wesentlich geprägt von seiner Kindheit auf dem elterlichen Schloss in Böhmen, den nationalen Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen sowie dem Untergang seines Vaterlandes, der Donaumonarchie, im Ersten Weltkrieg.2 Richard Graf Coudenhove-Kalergi wurde 1894 als Sohn eines österreichischen Diplomaten und einer Japanerin in Tokio geboren. Im Alter von zwei Jahren übersiedelte er mit seinen Eltern nach Westböhmen, zum Familiensitz der Reichsgrafen von Coudenhove-Kalergi, Schloss Ronsperg. Dort regierte der Vater, das bewunderte Vorbild des jungen Richard, wie ein Gutsherr versunkener feudaler Zeit.3 Er schuf sich und seiner Familie eine kosmopolitische Oase in einer von Nationalitätenkämpfen aufgewühlten Umwelt: Die deutsch-tsche1 Kennzeichnung als „Zentralproblem“ in: Richard Coudenhove-Kalergi, Pan-Europa, Wien 1923, 119. Zur Charakteristik des Paneuropa-Programms vgl. Martin Posselt, Die Paneuropa-Idee des Grafen CoudenhoveKalergi, in: Annals of the Lothian Foundation 1 (1991), 221–235. 2 Zitat aus: Jerzy Lukaszewski, Richard Coudenhove-Kalergi et Paneurope (1894–1972), in: Annuaire Européen/European Yearbook 28 (1980), 65. Zur Biographie Coudenhove-Kalergis liegen bisher vor die Skizzen bei Rolf Italiaander, Richard N. Coudenhove-Kalergi, Begründer der Paneuropa-Bewegung, Freudenstadt 1969, und Claus Schöndube, Ein Leben für Europa: Richard Graf Coudenhove-Kalergi, in: Persönlichkeiten der Europäischen Integration, hrsg. v. Thomas Jansen und Dieter Mahncke, Bonn 1981, sowie die ergiebige Quelle seiner Autobiografien, z. B. Richard Coudenhove-Kalergi, Crusade for Pan-Europe, New York 1943; ders., Kampf um Europa. Aus meinem Leben, Zürich 1949; ders., Ein Leben für Europa, Köln/Berlin 1966. 3 „Für meine kindliche Phantasie war es ein kleines Königreich; unsere kleine Welt inmitten der großen […] Seit diesen Tagen ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen. Der Eiserne Vorhang liegt heute zwischen mir und meiner böhmischen Heimat, die sich für mich in einen Traum verwandelt hat – vergoldet durch die Liebe. Europa ist inzwischen mein Vaterland geworden. Aber in der Mitte dieses großen Vaterlandes lebt, unberührt von aller Politik, meine kleine Heimat im Böhmerwald.“ Vgl. Richard Coudenhove-Kalergi, Mein Paradies, in: Unser Heimatkreis Bischofteinitz mit den deutschen Siedlungen im Bezirk Taus, hrsg. v. „Heimatkreis Bischofteinitz“, Selbstverlag 1967.
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chische Sprachgrenze lag fünf Kilometer entfernt, die Reichsgrenze zu Deutschland zehn Kilometer. Heinrich Graf Coudenhove-Kalergi war in seiner Suche nach Frieden, Harmonie und Toleranz ein hervorragender Vertreter des „böhmischen Reformkatholizismus“ in der Erziehungstradition Gottfried Wilhelm Leibniz’ und Bernhard Bolzanos.4 Und er war ein österreichischer Patriot, der sich für eine umfassende Reichsreform zur Rettung des habsburgischen Vielvölkerstaates einsetzte. Sein Sohn übertrug diese Ansätze nach 1918 vom Donauraum auf ganz Europa. Selbst der Wahlspruch, den Richard seiner Paneuropa-Union voranstellte, war in Heinrichs Schrift „Politische Studie über Österreich-Ungarn“ bereits vorweggenommen: „In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas.“5 Als der Vater starb, hatte Ronsperg seinen Mittelpunkt verloren. Richard vollendete seine Schulbildung am Wiener Theresianum. „Der Geist des Theresianum war österreichischer Patriotismus, unter bewusster Ablehnung nationaler Ideologien, ein Patriotismus, der in der gemeinsamen Verehrung für den greisen Kaiser Franz Joseph gipfelte“,
erinnert sich Coudenhove-Kalergi. Doch schon bald löste sich der junge Graf aus dem traditionellen Milieu seines Standes. 1913 begann er das Studium der Philosophie und modernen Geschichte an der Universität Wien, das er 1917 mit dem Doktorat abschloss. In die Studienzeit fiel seine Hochzeit mit der gefeierten Burgschauspielerin Ida Roland. Die Verbindung mit der wesentlich älteren, „halbjüdischen“ Frau führte zum Bruch mit der Familie, erschloss dem jungen Denker andererseits eine neue Welt: Schauspieler, Künstler, Literaten und Publizisten der verschiedensten politischen Schattierungen. So kam es, dass er den Untergang der Monarchie voller Zuversicht als Geburt einer neuen Zeit bejahte: „Die neue Welt war demokratisch, republikanisch, sozialistisch und pazifistisch. Ich begrüßte diesen Wandel […] Meine große Hoffnung war der Völkerbund.“ Doch schon bald verwandelte sich diese Zuversicht in Enttäuschung, als er feststellte, dass in den Pariser Vorortverträgen von Wilsons 14 Punkten „nichts übrig blieb als eine Karikatur“.6
I. Die Anfänge der Paneuropa-Bewegung Vor dem Hintergrund zweier neu geschaffener Staaten – Deutsch-Österreichs und der Tschechoslowakei – und ihrer existenziellen Probleme vollzog sich die Wandlung des philosophierenden Essayisten in einen politischen Publizisten. Coudenhove stieß zunächst zu einer Gruppe von Schriftstellern, die im November 1918 einen „Politischen Rat geistiger Arbei4 William M. Johnston, Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte, Wien/Köln 1974, 322. 5 Otto Kopp, Coudenhove-Kalergi im Spiegel der Generationen, in: Deutsche Tagespost, 4. 8. 1982. 6 Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 67 u. 5. 93 f.
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ter“ gründeten. Das Programm dieser Vereinigung, die in München von Heinrich Mann, in Berlin von Kurt Hiller geleitet wurde, war pazifistisch, sozialistisch und elitär zugleich. Doch bald zog sich der Einzelgänger Coudenhove wieder aus diesem Kreis zurück.7 Seit Kriegsende lebte er nunmehr als tschechoslowakischer Staatsbürger in Wien, das von einer glänzenden Reichshauptstadt zum Wasserkopf Restösterreichs geworden war. Weder der tschechoslowakische noch der österreichische Staat wurden ihm zum Vaterland, der arbiträre Charakter ihrer Entstehung beflügelte eher seine geopolitische Fantasie. Im Oktober 1920 publizierte er den Vorschlag, Wien aus Österreich auszugliedern, zum Sitz des Völkerbundes und zur neutralen, internationalen Stadt zu machen. Ein knappes Jahr später tat er den entscheidenden Schritt vom allgemeinen Kosmopolitismus hin zu seinem künftigen Lebensthema, der Selbstbehauptung Europas in einer sich vom alten Erdteil emanzipierenden Welt.8 „Will Europa mit panbritischen, panamerikanischen, panrussischen, panmongolischen Wirtschaftsimperien der Zukunft konkurrieren, so muss es sich einigen: es hat nur die Wahl zwischen Untergang und Zusammenschluss“,
schreibt er erstmals, aber bereits mit klarer Entschiedenheit im September 1921. Das eigentliche Thema dieses Artikels lautete bezeichnenderweise „Czechen und Deutsche“ und behandelte die Bedeutung der Sudetendeutschen-Frage für die Lebensfähigkeit des neu geschaffenen Vielvölkerstaates čSR. „Die czechisch-deutsche Frage wurzelt in der europäischen; die deutsch-böhmische Frage ist nicht nur eine czechische und deutsche, sondern vor allem eine europäische […] Gelingt es nicht, die Czechoslowakei fest in Europa zu begründen, so muss sie, früh oder spät, zerfallen“,
prophezeite der 26-Jährige. Seine Hoffnungen richteten sich insbesondere auf die Persönlichkeit des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Thomas G. Masaryk. Er verkörperte für den jungen Coudenhove das platonische Ideal des Philosophen als König. Die Verehrung, die er für Masaryk empfand, war, wie er selbst sagte, seine „einzige persönliche Bindung zur tschechoslowakischen Republik“. Einige Monate zuvor hatte der böhmische Graf bei einer Audienz auf der Prager Burg seine Gedanken vortragen dürfen; nun gebrauchte er, um Masaryk zu charakterisieren, erstmals in einem Artikel das Wort „Paneuropäer“.9 7 Das Ziel. Viertes der Jahrbücher für geistige Politik, hrsg. v. Kurt Hiller, München 1920, 15–24; Kurt Hiller, Leben gegen die Zeit, Bd. 1: Logos, Reinbek 1969, 121–127. 8 Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 343: „Ich bin seit dem Zusammenbruch meines österreichisch-ungarischen Vaterlandes ein überzeugter europäischer Patriot, trotz meiner französischen und vorher tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft.“ Richard Coudenhove-Kalergi, Europa erwacht, Zürich/Wien 1934, 296: Die Anhänger der Paneuropa-Bewegung „bekennen sich nicht zum Internationalismus, sondern zum europäischen Patriotismus“. 9 Richard Coudenhove-Kalergi, Czechen und Deutsche, in: Die Zukunft 29 (1920/21), Bd. 114, 342–350:
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Coudenhove hatte zunächst gehofft, Masaryk werde sich die Paneuropa-Pläne zu eigen machen und als staatliche Initiative starten. Doch Masaryk äußerte Sympathie – und lehnte ab. Coudenhove ließ sich nicht entmutigen und rief zur Gründung einer privaten Bewegung auf, um die europäische Öffentlichkeit zu mobilisieren. Im Frühjahr 1923 zog er sich auf Schloss Würting in Oberösterreich zurück, um sein Buch „Pan-Europa“ zu schreiben. In den Salons in Wien und Berlin wurde die Idee rasch populär. Doch auch der Sprung in die Politik gelang. Zu Coudenhoves eigener Überraschung erklärte sich Bundeskanzler Seipel bereit, den Vorsitz des österreichischen Komitees zu übernehmen. Seine Stellvertreter, der Sozialdemokrat Renner und der Großdeutsche Dinghofer, wurden mit dem Argument überzeugt, dass Paneuropa für Österreich den „Anschluss all round“ bedeute: Paneuropa wolle die Zollgrenzen gegenüber Deutschland ebenso niederlegen wie gegenüber den Nachfolgestaaten.10 Ab 1924 erschien im Wiener Paneuropa-Verlag die Zeitschrift „Paneuropa“, 1925 bezog das Zentralbüro der Paneuropa-Union Räume in der Wiener Hofburg, die die Regierung zur Verfügung gestellt hatte. In den Anfangsjahren beschränkten sich die Aktivitäten weitgehend auf den deutschen Sprachraum. Um den Verdacht auszuräumen, insgeheim revisionistische Ziele im Sinne eines Naumann’schen „Mitteleuropa“ zu verfolgen, musste es möglichst rasch gelingen, die Bewegung auch in Frankreich einzupflanzen. Coudenhove-Kalergi nutzte seine guten Beziehungen zur Prager Burg und, ausgestattet mit Empfehlungsbriefen von Beneš, öffneten sich ihm tatsächlich die Türen in Paris. Die Unterstützung, die Coudenhove durch den tschechoslowakischen Außenminister erhielt, war nicht ohne Hintergedanken. Beneš trachtete danach, die Aktivitäten der Paneuropa-Union möglichst von Masaryk fernzuhalten und an seine eigene Person zu binden. Dabei war seine Hauptsorge, die Paneuropa-Bewegung, die sich im Lande bei Tschechen und Deutschen verbreitete, unter Kontrolle zu behalten. Er übernahm den Ehrenvorsitz der tschechoslowakischen Sektion und, an der Stelle Masaryks, auch den Platz im Ehrenpräsidium des ersten Europakongresses der Geschichte, den Coudenhove im Oktober 1926 in Wien zusammenrief.11 Dieser Kongress wurde ein phänomenaler Propagandaerfolg und markierte den Durchbruch zu europaweiter Wirksamkeit. Seit 1927 konnte sich die Paneuropa-Union mit einem Ehrenvorsitzenden schmücken, der zugleich Außenminister Frankreichs war und Europas angesehenster Staatsmann: Aristide Briand. Briands Europa-Initiative vor dem Genfer Völkerbund 1929 wurde daher zugleich zum Höhepunkt der Paneuropa-Kampagne der Zwischenkriegsjahre, ihr Scheitern zum Beginn einer sich ständig verschärfenden Krise. Die wenigen Stimmen, die am Ziel europäischer Zusammenarbeit festhielten, gingen unter im Trommelfeuer brauner und roter Propaganda. „Stärkstes Unterpfand für die Aufwärtsentwicklung der jungen Czechenrepublik und für die Versöhnung ihrer Nationen ist die Persönlichkeit ihres Präsidenten […] Masaryk ist überzeugter Paneuropäer: sein höchster Herzenswunsch ist der Aufbau eines neuen, einigen Europa.“ – „einzige persönliche Bindung“: Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 117–120. 10 Dazu und zum Folgenden: Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 112–152. 11 Für Informationen über die einschlägigen Akten in Prag danke ich Lubor Jilek, Genf. Sie stützen in mancher Hinsicht die Angaben bei Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 129 f. u. 146.
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II. Im Schatten Hitlers und Stalins Gegen Kommunismus und Chauvinismus empfand Coudenhove eine fast körperliche Abscheu. Beide Ideologien verachtete er als „Herrschaft der Halbbildung und Demagogie“ und bekämpfte sie als „Todfeinde Europas“, die sich in ihren extremsten Erscheinungen „gegen die Grundlagen der europäischen Kultur richten: gegen Humanismus und Christentum, gegen Ritterlichkeit und geistige Freiheit“.12 Hitlers Hass gegen Paneuropa belegen die Tiraden in seinem (zu Lebzeiten ungedruckten) „Zweiten Buch“ aus dem Jahr 1928. Hitler ereiferte sich, dass der „pazifistisch-demokratisch-paneuropäische Durcheinanderstaat“ des „Allerweltsbastarden Coudenhove“ nicht ohne Grund das „Ideal aller minderwertigen oder halbrassischen Bastarde“ sei; auch liege auf der Hand, dass „der Jude eine solche Auffassung besonders begrüßt“, führe sie doch unweigerlich zur „Verbastardung und Verniggerung der Kulturmenschheit“. Besonders bezeichnend schien Hitler die Tatsache, dass „diese Utopie dabei ausgerechnet aus Österreich herauswächst […] Es ist der wurzellose Geist der alten Reichshauptstadt Wien, jener Mischlingsstadt von Orient und Okzident, der dabei zu uns spricht.“13 Nicht jeder, der in den 20er-Jahren die Paneuropa-Pläne begrüßt hatte, war bereit, Coudenhove zu folgen, als dieser beim III. Paneuropa-Kongress in Basel 1932 in doppelter Frontstellung warnte: „Stalin bereitet den Bürgerkrieg vor – Hitler den Völkerkrieg.“14 Der Vorsitzende der Paneuropa-Förderungsgesellschaft, der deutsche Industrielle Robert Bosch, entzog Coudenhove 1933 die Unterstützung, weil dieser sich auf die Befürwortung einer Achse Hitler–Daladier nicht einlassen wollte. Andererseits distanzierten sich einstige linksintellektuelle Mitstreiter wie Heinrich Mann und Kurt Hiller, die ihre Hoffnungen auf Stalin setzten und den „Antibolschewismus“ Coudenhoves verurteilten.15 Die Tätigkeit der Paneuropa-Union konzentrierte sich nach 1933 im Wesentlichen auf Frankreich, die Tschechoslowakei und Österreich. Vor allem Wien wurde immer ausschließlicher zum Zentrum der Aktivitäten. Der neue Kanzler Engelbert Dollfuß gewährte der Paneuropa-Union jede Unterstützung und übernahm das Ehrenpräsidium ihrer österreichischen Sektion. Coudenhove berichtete in seinem Buch „Crusade for Pan-Europe“, das 1943 in den USA erschien: 12 Richard Coudenhove-Kalergi, Totaler Staat – Totaler Mensch, Glarus 1937, 187; R. Coudenhove-Kalergi, Kommen die vereinigten Staaten von Europa?, Glarus 1938, 94 f. 13 Hitlers zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928, eingeleitet und kommentiert v. Gerhard L. Weinberg, Stuttgart 1961, 127–132. 14 Die Idee Europa 1300–1946. Quellen zur Geschichte der europäischen Einigung, hrsg. v. Rolf Hellmut Foerster, München 1963, 245 f. 15 Zu Robert Bosch: Reinhard Frommelt, Paneuropa oder Mitteleuropa. Einigungsbestrebungen im Kalkül deutscher Wirtschaft und Politik 1925–1933, Stuttgart 1977, 93. Zum „Antibolschewismus“: Kurt Hiller, Profile. Prosa aus einem Jahrhundert, Paris 1938, 151–157; Paul Michael Lützeler, Die Schriftsteller und Europa. Von der Romantik bis zur Gegenwart, München 1992, 328 f.
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„We became friends at our first meeting and understood each other perfectly. Dollfuß knew that Pan-Europe would serve and not harm Austria’s cause, and I was grateful for the collaboration of his government in this critical hour.“
Der Februar 1934 sei eine Katastrophe für Österreich gewesen, aber auch eine persönliche Tragödie für Dollfuß: „Despite Dollfuss’s rapid victory, which prevented the intervention of Nazi Germany, this civil war weakened Austria’s power of resistance, because it set the embittered working classes against the government when Austria needed unity more than over. We had friends and collaborators in both camps and we suffered greatly from their tragedy, but as a Czechoslovak citizen and a guest of Austria I wished to remain aloof from an internal political conflict. I continued to back Dollfuss’s international policy, however, because his Fight for Austria’s independence against Hitler and Pan-Germanism was a matter concerning the whole of Europe.“16
Die Selbstständigkeit Österreichs im Rahmen einer mit Frankreich und Italien verbündeten Donauföderation zu erhalten, war das erklärte Ziel aller größeren Aktionen der PaneuropaUnion zwischen 1933 und 1938. Dabei war das persönliche Einvernehmen Coudenhoves mit Dollfuß wesentlich größer als mit seinem Nachfolger Schuschnigg, obwohl dieser das Erbe Dollfuß’ auch als Ehrenpräsident der Paneuropa-Union Österreich antrat.17 Coudenhove vermisste bei ihm aber nicht nur die Ausstrahlung und den Optimismus seines Vorgängers, sondern mehr noch die unbedingte Entschlossenheit im Kampf gegen den Anschluss. „He considered Austria a state but not a nation. In his mind all Austrians were members of the German nation […] He considered Austria the last non-Nazi stronghold of the Germanic world and consequently the trustee of genuine German culture. This paradoxical attitude, which he shared with many Austrians, weakened his stand against Hitler, for he fought Nazism with a good conscience, but Germany with a bad one. Part of his soul revolted against the notion of fighting Germany with Italian, Czech, and French help […] He gave half-hearted support to Pan-Europe, because he believed in its necessity – but not in its possibility.“18 16 Inwieweit sich „CK“ tatsächlich als tschechoslowakischer „Gast“ in Österreich fühlte, darf in Frage gestellt werden – nicht zuletzt angesichts seiner Aktivität innerhalb des österreichischen Exils in den Jahren 1941/42; vgl. dazu weiter unten. 17 Zur Todesstunde Dollfuß’ meinte Coudenhove in seinem Arbeitszimmer ein leises Stöhnen zu hören, vgl. Coudenhove, Crusade (Anm. 2), 165–167: „Dollfuß was a very dear friend, and I often wondered whether this afternoon a last message from him had not perhaps reached me through the ether. In the great battle for Austria and Europe Dollfuss died as a hero at the head of his army.“ – Auf tschechischer Seite stützte sich Coudenhove vor allem auf Milan Hodia und Ladislav Feierabend, vgl. Coudenhove, Crusade (Anm. 2), 184. 18 R. Coudenhove-Kalergi, Crusade, 187 f. Dazu Kurt Schuschnigg in einem Brief an Coudenhove, 18. 4. 1947: „Ich habe es unendlich wohltuend empfunden, dass Sie entgegen der momentan herrschenden Mode,
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Mit dem Einmarsch Hitlers in Österreich kam im März 1938 das Ende: das Paneuropa-Zentralbüro in der Wiener Hofburg wurde geschlossen, die Archive beschlagnahmt. Der Familie Coudenhove-Kalergi gelang die Flucht über die Tschechoslowakei, Ungarn und Italien in die Schweiz, wo sie seit 1931 in der Nähe von Gstaad ein Chalet besaß. Von 1938 bis 1940 befand sich das offizielle Büro der Paneuropa-Union in Bern, das eigentliche Zentrum der Aktivitäten aber war Paris. Sofort nahm Coudenhove mit der österreichischen Emigration in Paris Verbindung auf und lernte dabei auch den österreichischen Thronprätendenten Otto kennen. Dieser brachte den Paneuropa-Ideen des Grafen viel Sympathie entgegen, der wiederum von dem jungen Chef des Hauses Habsburg erkennbar beeindruckt war.19 Er beteiligte sich sogar an Versuchen, eine österreichische Exilregierung in Paris zu errichten. Coudenhove-Kalergi hatte sich in den Jahren nach 1918 dezidiert gegen eine habsburgische Restauration ausgesprochen, die er damals als Gefährdung für Paneuropa einschätzte. Nachdem ihn die Gespräche mit Otto von Habsburg vom Gegenteil überzeugt hatten, wandelte er sich zum Befürworter einer Monarchie in Österreich. Von ihr erhoffte er sich eine Stärkung des österreichischen Dollfuß Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ich glaube, nur wer diesen seltenen Menschen und glühenden Patrioten wirklich kannte, so wie Sie und ich, wird ermessen, wie sehr man seinem Andenken heute vielfach Unrecht tut. Er war das genaue Gegenteil eines ,Fascisten‘ […] Was das Kapitel angeht, das Sie in Ihrem Buch meinem politischen Andenken widmen, fürchte ich nur, dass Sie in allzu betonter Noblesse, versehentlich zu viel lichte Tönungen in die Palette mischten. Wobei ich mir der im Grunde vernichtenden Bilanz sehr wohl bewusst wurde […] Nur in einem muss ich Ihnen widersprechen: Pangermane war ich sicher keiner. Und zwar in keiner Beziehung. Trotzdem Sie den Konflikt österreichisch-deutsch durchaus richtig in mir aufzeigen […] Es ist, wenn Sie so wollen, die Folge des zu wenig elastischen, wurzellos (seit 1918) gewordenen österreichischen Konservativismus. Und die im Effekt sicher falsche Tendenz, dem echten Nationalismus, den ich als das Erbübel seit je betrachtet habe, das Wasser abzugraben. Vielleicht auch ein wenig Hörigkeit für Kant und Goethe. Vor allem aber die Konsequenz einer Einsicht: dass die österreichische Nationwerdung nicht gelungen ist, und vernünftigerweise in 20 Jahren nicht nachgeholt werden konnte. Nation ist gleich Staat, war aber die Grundketzerei des Nazismus. Vielleicht bin ich zu viel Eklektiker, um aus meiner Denkweise herauszufinden. Leider heißt Eklektiker, bis zu einem gewissen Grad, immer auch Opportunist sein […] Ich freue mich jedenfalls als einfacher und bescheidener österreichischer Privatmann, dass wir Sie als zu den unseren gehörig betrachten dürfen. Ihre Idee ist die einzige, die unserem Land noch einen Sinn geben kann, und nach 1918 geben konnte.“ Fondation Archives Européennes, Genf, Fonds Coudenhove-Kalergi (FAE-CK). 19 Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 241, beschreibt den ältesten Sohn Kaiser Karls als einen „ungewöhnlich begabten und hochstehenden jungen Mann von umfassender Bildung und großem persönlichen Charme. Wäre sein Reich nicht in den Tagen seiner Kindheit zusammengebrochen, so wäre er wahrscheinlich als einer der bedeutendsten Herrscher seiner Dynastie in die Geschichte eingegangen.“ Und in Richard CoudenhoveKalergi, Österreichs Ehrenschuld, Okt. 1964: „Hieße er Otto Müller, so würde er in Europa eine bedeutende Rolle spielen: als Präsident seines Heimatstaates, oder als Außenminister oder als Parteiführer. Er wäre heute, vielleicht, Generalsekretär der Vereinten Nationen, der NATO oder des Europarates. Denn er ist wahrscheinlich der einzige Europäer, der auf Deutsch, Französisch oder Englisch seine Hörer in gleicher Weise mitreißen kann.“ FAE-CK, VII. – Otto von Habsburg wurde nach dem Tod Coudenhoves 1972 sein Nachfolger als Präsident der Paneuropa-Union.
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Staatsbewusstseins und seine Immunisierung gegen den Pangermanismus im Interesse des Gleichgewichts in Europa.20 In gleicher Weise setzte er sich für die Verteidigung der tschechoslowakischen Selbstständigkeit gegen Hitlers Machtansprüche ein. Eine gute und freundschaftliche Zusammenarbeit entwickelte sich mit Jan Masaryk, „der ebenso europäisch gesinnt war wie sein großer Vater“.21 Coudenhove sprach vor dem „Royal Institute for International Affairs“ zur Sudetenkrise und tat sich mit immer neuen Vorschlägen für eine britisch-französische Allianz gegen NS-Deutschland hervor. Coudenhove stärkte auf der Insel die Reihen der Appeasement-Gegner, die in dieser Phase ihre Sympathien für die Europa-Idee entdeckten. Doch das Unglück war nicht mehr aufzuhalten: „It was logical for Hitler to attack Czechoslovakia after the fall of Austria. The independence of Czechoslovakia was illusory the moment Austria became a German province. A glance at the map shows that Poland, too, was doomed as soon as German troops had occupied Slovakia and encircled Poland from the north and south.“22
Nach der Besetzung der „Rest-Tschechoslowakei“ 1939 bewarb sich Coudenhove um die französische Staatsbürgerschaft, die ihm „wegen außerordentlicher Verdienste um Frankreich“ beschleunigt zuerkannt wurde. Als die deutsche Wehrmacht beim Westfeldzug 1940 die Schweiz unbehelligt ließ, hätte er sich nach Gstaad zurückziehen und das Ende des Krieges abwarten können. Der Ausgang stand in seinen Augen ohnehin fest: gegen die unerschöpflichen Ressourcen des Westens hatte Hitler keine Chance, „wenn die moralische Widerstandskraft sich auf beiden Seiten die Waage hält“.23 Doch ein Verbleiben in der Schweiz hätte das Ende seiner politischen Tätigkeit bedeutet. So floh er am 17. Juni 1940 über Frankreich und Spanien nach Lissabon. Ursprünglich gewillt, nach London weiterzufliegen, überzeugte ihn der britische Botschafter, dass er in Amerika mehr für Europa tun könne. 20 Richard Coudenhove-Kalergi, Paneuropa – ein Vorschlag, Neue Freie Presse, 17. 11. 1922: „Ein europäischer Monarch wäre aber immer Exponent der Nation, der er angehört […] So muss, unabhängig von seiner Gefühlseinstellung, jeder konsequente Paneuropäer Republikaner sein.“ Entgegengesetzt dazu zwanzig Jahre später: „Within the European system […] Austria should be allowed to re-establish its traditional monarchy to prevent a new Anschluss movement in the very interest of European balance, peace and order. Such democratic monarchies should collaborate loyally with their republican sister-states under the control of the Federal Government.“ Vgl. Richard Coudenhove-Kalergi, The Future of Europe and America, Service of Information an the World after the War, Document Nr. 11, Rotary Educational Foundation of Atlanta, 15. 11. 1942. FAECK. 21 Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 233. 22 Coudenhove, Crusade (Anm. 2), 207 f. sowie 186 u. 202. Vgl. auch: Andrea Bosco, Federal Union and the Origins of the ,Churchill proposal‘. The Federalist Debate in the United Kingdom from Munich to the Fall of France 1938–1940, London 1992. 23 Europäische Briefe, Nr. 33, 15. 6. 1940 (letzte Nummer dieses Nachfolgeorgans von Paneuropa, das Coudenhove 1938–1940 in Bern herausgab); Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 234–247.
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III. Österreicher im amerikanischen Exil Am 3. August 1940 bestieg Richard Coudenhove-Kalergi mit seiner Familie den Clipper von Lissabon nach New York. Die US-Visa hatte er durch Vermittlung des Präsidenten der Columbia-Universität, Nicholas Murray Butler, erhalten. Schon 1926 hatte Butler das Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von „Pan-Europa“ geschrieben und dadurch seine Sympathie für Coudenhoves Arbeit bekundet. Welchen Weg sollte der Flüchtling einschlagen, um Amerika für Paneuropa zu gewinnen? Wie stets, schien Coudenhove das direkte Gespräch mit dem Inhaber der Macht am vielversprechendsten. Doch Präsident Roosevelt empfing ihn nicht einmal. Im isolationistischen Vorkriegsamerika wirkte der missionarische Vorkämpfer eines einigen Europa zunächst reichlich deplatziert. Mit wenigen Unterbrechungen durch erste Vortragseinladungen erlebte er Monate ungewohnter, erzwungener Muße. Er bemühte sich, das 1926 gegründete Co-operative Committee der Paneuropa-Union aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Anfang 1941 wurde es unter dem Namen „American Committee for a Free and United Europe“ reorganisiert, wieder unter dem Vorsitz Stephen Duggans. Doch die politische Prominenz hielt sich zurück, und die öffentliche Wirksamkeit des Komitees war gering. Je weniger das amerikanische Establishment am Paneuropa-Programm Interesse zeigte, umso mehr war Coudenhove-Kalergi auf die verschiedenen Milieus des europäischen Exils zurückverwiesen. Als unbeirrter Botschafter Paneuropas legte er Wert auf gute Beziehungen zu allen nationalen Gruppen. Dabei kamen ihm die weitgespannten Verbindungen zugute, die er sich seit den frühen 20er-Jahren geschaffen hatte. Eine Reihe von Persönlichkeiten, die seinerzeit die paneuropäischen Aktivitäten begrüßt und unterstützt hatten, traf er nun in den USA wieder, so z. B. Thomas Mann, Carlo Graf Sforza, Alexis Léger oder Franz Werfel. Bemerkenswert ist die Selbstzuordnung Coudenhoves innerhalb des bunt zusammengewürfelten Volks der Exilanten. Sein Pass wies ihn als französischen Staatsbürger aus, zuvor war er über zwanzig Jahre Bürger der Tschechoslowakei gewesen. Der Paneuropäer pflegte auch in den USA seine tschechoslowakischen Verbindungen, zum Beispiel durch die Mitwirkung bei einer Gedenkfeier für Thomas G. Masaryk am 7. März 1941. Coudenhoves Anteil am Gelingen der Veranstaltung wurde von Edvard Beneš, Jan Masaryk und dem New Yorker Bevollmächtigten der Exilregierung, Karel Hudec, in Dankschreiben gewürdigt.24 Solche Auftritte blieben jedoch die Ausnahme, denn seine politische Heimat suchte und fand Coudenhove weder im tschechoslowakischen noch im französischen Exil, sondern im österreichischen. Mehr noch: Er beteiligte sich führend an Versuchen, die verschiedenen politischen Lager zu einer repräsentativen Exilregierung zu vereinen. Das Ziel war, Österreich 24 Karel Hudec an Coudenhove, 13. 3. 1941: „Your address was appreciated and liked by our people and we are grateful for your well known sympathy for our cause. Allow me also to express my personal pleasure and appreciation of your efforts to make the Commemoration a success.“ Vgl. auch Edvard Beneš an Coudenhove 8. 7. 1941, Jan Masaryk an Coudenhove 3. 7. 1941. FAE-CK.
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auf gleichen Fuß mit der Tschechoslowakei zu stellen. Die alliierte Politik dürfe Österreich nicht als Feindstaat, sondern müsse es als „erstes Opfer des Angriffes, der Invasion und der Besetzung der Nazis“ behandeln.25 Die Gelegenheit zu einer gemeinsamen Aktion in diesem Sinne ergab sich nach Verkündung der Atlantik-Charta am 14. August 1941. Unter Berufung auf die Grundsätze der Charta verfasste Coudenhove-Kalergi ein Memorandum an Roosevelt und Churchill mit dem Titel „Austria’s Independence in the light of the Atlantic Charter“. Mit der AtlantikCharta, so Coudenhove, hätten die englischsprachigen Demokratien nicht nur die acht Grundsätze der von ihnen geplanten „New World Order“ dargelegt, sondern zugleich einen entscheidenden Schritt zur Anerkennung der Unabhängigkeit Österreichs und zur feierlichen Verurteilung der Annexion dieses Landes durch Hitler-Deutschland getan. Diese These wurde anschließend mit Hinweis auf den ersten, zweiten, dritten und sechsten Grundsatz der Charta einzeln begründet. Der Anschluss 1938, hieß es da, sei nicht als Folge des frei ausgedrückten Willens der österreichischen Bevölkerung erfolgt, sondern, gegen „heroic resistance“, durch das übermächtige Deutschland erzwungen worden: „During five years Austria fought almost alone, as a pioneer of Europe, for its national independence against Hitler’s imperialism. During this battle for Austria many thousands of Austrians, soldiers and civilians, were killed, tortured and imprisoned. Chancellor Dollfuß fell in this battle as a national hero, while his successor Schuschnigg and many other members of their government and administration are still imprisoned for having bravely defended Austria‘s national independence against Hitler’s aggression.“
Der deutsche Einmarsch sei bezeichnenderweise vor dem geplanten Referendum erfolgt, was als Hinweis auf den vermutlichen Ausgang – nämlich eine breite Mehrheit für Österreichs Unabhängigkeit – gelten könne. Die von Hitler anschließend inszenierte „cynical parody of a plebiscite“, sei in einer Atmosphäre der Einschüchterung und des Terrors abgehalten worden, daher wertlos und ungültig. Coudenhove verwies weiter auf Punkt 3 der Charta, in dem sich England und Amerika verpflichteten, das Recht aller Völker auf „sovereign rights and self-government“, und im Zusammenhang damit auch auf freie Wahl der Regierungsform, zu respektieren. „This principle indicates that it is up to the Austrian people alone to choose the form of government under which they will live; whether they prefer to reestablish after their liberation from the German yoke a democratic republic or a democratic monarchy with its traditional dynasty.“
25 Richard Coudenhove-Kalergi, Das Problem der Besetzung Österreichs, o. D. FAE-CK, II.2. Richard Coudenhove-Kalergi, Das Problem der Besetzung Österreichs, o. D. FAE-CK, II.2.
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Abschließend begründete er die Notwendigkeit der Wiederherstellung der österreichischen Souveränität geopolitisch und strategisch. „The Austrian question is closely linked to the questions of Central European and of European hegemony. Central Europe can only be safe from new attempts of German invasion and domination if an independent Austria is closely associated with Czechoslovakia, Poland and other Central-European nations for the common defense of their national liberty and security.“
Das Memorandum gipfelte in zwei Forderungen: 1. Österreich sei nicht länger als annektiertes Gebiet, sondern als besetztes Land zu betrachten. Die wegen ihres Widerstandes gegen Hitler exilierten österreichischen Patrioten dürften von den westlichen Demokratien nicht länger als Bürger ihres Erzfeindes, NSDeutschland, behandelt werden. 2. Die kurz zuvor erfolgte Anerkennung einer tschechoslowakischen Exilregierung müsse nun auch die Anerkennung einer österreichischen Exilregierung zur Folge haben. „For their is not the slightest reason to refuse Austria this privilege granted to her neighbour state, both having invaded, occupied and annexed by Nazi Germany before the official outbreak of the war. Such an Austrian Government in Exile could issue passports to all loyal Austrians living within the democratic world, excluding from Austrian citizenship all pangermanist ,Quislings‘ and Nazi sympathizers. It would also raise troops to fight under the Austrian flag for the resurrection of their country, and organize underground movements in German-occupied Austria.“26
Im Begleitschreiben, mit dem er sein Memorandum an Churchill übermittelte, machte Coudenhove deutlich: „If you should be ready to consider the suggestions of this Memorandum, I am ready to take the initiative toward the constitution of a National Council for Austria, to achieve in closest contact with the governments of the English-speaking Democracies the final liberation and resurrection of Austria.“27 26 R. Coudenhove-Kalergi: Austria’s Independence in the Light of the Atlantic Charter, Memorandum submitted to the signatories of the Charter, New York, 1. 9. 1941. FAE-CK, III.6. Publiziert durch das Research Seminar for Postwar European Federation der New York University in dessen Dossier Nr. 4, Dezember 1943. FAE-CK, New York 1943. – Die Übereinstimmung mit Otto von Habsburgs gleichzeitigen Vorstellungen einer „Danubian Reconstruction“ ist unverkennbar; vgl. Documents on the History of European Integration, Bd. 2: Plans for European Union in Great Britain and in Exile 1939–1945, hrsg. v. Walter Lipgens, 632 f. Dazu Coudenhove, Crusade (Anm. 2), 210: „Archduke Otto […] was devoting himself entirely to the cause of Hitler’s defeat and of Austria’s independence, and had been carried by his democratic convictions to a Pan-European outlook.“ 27 Coudenhove an Winston Churchill, 1. 9. 1941, in gleichem Sinne an Cordell Hull, 26.9.41. FAE-CK.
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In einem Brief an Außenminister Eden erläuterte Coudenhove einige Tage später seine Pläne noch detaillierter, wobei er erneut auf eine Lösung „in analogy to the decision you recently took toward the Czechoslovak Nation and its Government in Exile“ drang. Er führte aus: „I could easily constitute and preside a group of prominent Austrian Catholics and Socialists, representing together a vast majority of the Austrian population, because I never was linked to any party but always maintained good relations to all Austrian leaders.“
Richard Coudenhove-Kalergi empfahl sich den Alliierten demnach als Chef einer österreichischen Exilregierung, verknüpft mit dem Angebot, eine solche Exilregierung könne „organize a national army of volunteers among exiles and war-prisoners taken in Russia“.28
IV. Coudenhoves Initiative für eine Exilregierung Welches war der Hintergrund, vor dem der exilierte Präsident der Paneuropa-Union sich solches zutraute? Auch Otto von Habsburg hatte in letzter Stunde Frankreich verlassen und über Lissabon den Weg nach Washington gefunden. Ohne einer legitimistischen Organisation anzugehören, beriet Coudenhove, wie schon zuvor in Paris, den Habsburger in außenpolitischen Fragen. Nach den vorliegenden Dokumenten zu schließen, hatte Coudenhove das Memorandum in eigener Verantwortung konzipiert. Auch Otto von Habsburg legte er den Text erst vor, als er bereits an Roosevelt und Churchill unterwegs war. Sein Inhalt war jedoch Thema eines Gesprächs, das Mitte September stattfand, also wohl unmittelbar vor der Abfassung des Briefes an Eden. Wie die Erwähnung im Brief an Eden nahelegt, dürften die Bestrebungen zur Aufstellung einer österreichischen Freiwilligenarmee eine Rolle gespielt haben. Es besteht darüber hinaus kein Zweifel, dass Coudenhove seine Aktion mit voller Billigung Ottos durchführte. Anfang 1941 hatte dessen in London residierender Bruder Robert sich gemeinsam mit Kurt Strachwitz bemüht, bei der britischen Regierung die Anerkennung eines „Austrian Advisory Committee“ durchzusetzen. Dem Komitee sollten Hans Rott, Richard Schüller, Heinrich Allina und George Franckenstein angehören. Doch das Foreign Office lehnte ab. Der Präsident der Paneuropa-Union, der als unabhängiger Kopf weit über das schwarz-gelbe und katholisch-konservative Lager hinaus Ansehen genoss, sollte nun den Versuch unternehmen, von New York aus die Sozialisten für eine gemeinsame Aktion zu gewinnen. Coudenhove erklärte sich dazu bereit, mit der Maßgabe, keinem der schon existierenden Exilkomitees beizutreten, sondern nur die politische oder außenpolitische Leitung einer zu schaffenden überparteilichen Vertretung Österreichs zu übernehmen.29
28 Coudenhove an Anthony Eden, 18. 9. 1941. FAE-CK. 29 Coudenhove an Otto von Habsburg, 6. 9. 1941 und 9. 1. 1942. FAE-CK.
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In die Vorbereitungen platzte Ende September wie eine Bombe die Nachricht, dass Hans Rott und Willibald Plöchl ein „Free Austrian National Council“ gegründet hätten. Plöchl, der als Motor des Unternehmens gelten kann, unterrichtete das State Department, dass man sich als Nachfolgeorgan der letzten rechtmäßigen österreichischen Regierung betrachte. Rott als Mitglied der letzten Regierung Schuschnigg habe die Funktion eines amtierenden Bundespräsidenten übernommen, Plöchl die Pflichten eines Bundeskanzlers. Ein Grund für diesen überraschenden Schritt lag wohl darin, dass man dem wachsenden Einfluss Ferdinand Czernins zuvorkommen wollte, der kurz zuvor zusammen mit Ernst Karl Winter und Martin Fuchs ein „Austrian Coordinating Committee“ ins Leben gerufen hatte. Dieses Komitee protestierte auch sofort gegen die einseitige Ausrufung der Exilregierung Rott/Plöchl. Ihm folgte eine eindrucksvolle Liste österreichischer Auslandssozialisten in einer von Friedrich Adler angeregten gemeinsamen Erklärung sowie schließlich Guido Zernatto, jeweils mit der – falschen – Vermutung, hinter der Aktion stünde Otto von Habsburg.30 Vor diesem Hintergrund antwortete Churchill auf Coudenhoves Memorandum freundlich, aber vorsichtig: Seine Regierung begrüße von Herzen alle Anstrengungen, das österreichische Exil zu einen; Coudenhove werde aber sicher verstehen, dass Großbritannien keine einzelne Person damit beauftragen könne. Eine persönliche Antwort Roosevelts ist nicht erhalten. Für das State Department antwortete Harold B. Hoskins in gleichem Sinne wie der britische Regierungschef, aber um einiges kühler. In knappen Worten äußerte er vage Zuversicht auf größere Einigkeit zwischen den verschiedenen Organisationen, die für ein freies Österreich arbeiteten.31 Coudenhove konnte somit bei seinem Versuch, lagerübergreifend markante Vertreter des Exils an einen Tisch zu bringen, nicht wie gehofft auf offiziöse Unterstützung vonseiten der Alliierten verweisen. Er verstehe vollkommen, dass die Initiative für eine Exilregierung aus den Reihen der Österreicher selbst kommen müsse, erwiderte er Churchill. Aber die Alliierten könnten das Ihre dazu tun, wenn sie die Anerkennung der Annexion Österreichs durch Deutschland widerriefen und die Unabhängigkeit des Landes nicht als Verhandlungsgegenstand, sondern als definitives Friedensziel postulierten. Diese Forderung wurde auch zum zentralen Inhalt einer Petition, mit der er das österreichische Exil zu einer gemeinsamen Aktion zu vereinen suchte. Jetzt galt es nachzuweisen, dass es dem Paneuropäer gelingen 30 Otto von Habsburg wurde im Gegenteil von dem Schritt „total überrascht“. Er sieht in dem Rechtsprofessor Plöchl den eigentlichen Initiator dieses juristisch begründeten Versuchs; Rott, in Toronto wohnend, sei nicht immer gut informiert gewesen und hätte Plöchl angesichts des angerichteten Scherbenhaufens dann rasch wieder fallen gelassen. Mitteilung Otto von Habsburg an den Verfasser, 3. 3. 1993. Franz Goldner, Die österreichische Emigration. 1938 bis 1945, 2. erw. Aufl., Wien/München 1977, 84–96; Österreicher im Exil: Großbritannien 1938–1945. Eine Dokumentation, hrsg. v. Wolfgang Muchitsch, Wien 1992. 31 Winston Churchill an Coudenhove, 10. 10. 1941; Harold Hoskins an Coudenhove, 7. 11. 1941; Secretary to the President (White House) an Coudenhove, 22. 9. 1941. Immerhin gelang es ihm, durch Vermittlung von dessen Vater, Henry Morgenthau für seine Thesen zu interessieren, vgl. Henry Morgenthau sen. an Coudenhove 24. 9. 1941, Henry Morgenthau jun. an seinen Vater 8. 10. 1941. FAE-CK.
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würde, ein breites politisches Spektrum auf dieses Papier zu verpflichten. Die schwerste Aufgabe lag zweifellos darin, namhafte Vertreter der Sozialisten für das Unternehmen zu gewinnen. Coudenhove sah sich genötigt, in diesem Punkt von vornherein die Erwartungen zu dämpfen: „I shall certainly be able to unite all important Austrian individuals and groups that are anxious to reestablish an independent Austria. But it will not be possible to assure the collaboration of the pangermanist wing of Austrian Socialism aiming at an autonomous Austria as a member of a democratic and federal Pangermany. This group, in spite of its loyal fight against Nazism, does everything to prevent the establishment of an Austrian Government in Exile for the sake of its pangermanistic ideal.“32
Coudenhove entwarf einen kurzen Brief, der unter Hinweis auf die Atlantik-Charta von den Alliierten forderte, die Anerkennung des Anschlusses zu widerrufen. Der Text lautete: „For all Austrians who are anxious to recover the lost independence of their unhappy country, we thank you for having generously accepted the principle of the Atlantic Charter, wishing‚ ‘to see sovereign rights and self government restored to those who have been forcibly deprived of them’ [Herv. i. O.] Austria, after her heroic resistance of more than five years, has been forcibly deprived, not only of her sovereign rights and self government, but even of her name. This annexation has been preceded by military invasion, accompanied by a wave of terrorism and followed by a forged plebiscite. We appeal to you to take a first step toward the reparation of this international crime, by the repeal of any recognition of Austrian Annexation [Herv. i. O.] thus transforming the international Status of Austria from that of a German province into that of an occupied country. Count R. N. Coudenhove-Kalergi, Ph. D., President of the Paneuropean Union, New York University, N.Y.“33
Coudenhove hegte die Hoffnung, zumindest einige der Teilnehmer an der sozialistischen Protestaktion gegen den Versuch Plöchls und Rotts für seinen Standpunkt gewinnen zu können. Bevor er den Text der Petition aussandte, um weitere Unterschriften zu sammeln, besprach er die Tendenz der Aktion mit Julius Deutsch, der ihm seine grundsätzliche Zustimmung signalisierte und Adressen aus dem sozialistischen Lager empfahl.34 Dennoch war der 32 Coudenhove an Winston Churchill, 2. 11. 1941. FAE-CK. 33 To the Government of the United States of America, 4. 12. 1941. FAE-CK, VI.2. 34 Coudenhove an Josef Luitpold Stern, 25. 11. 1941. FAE-CK. – Zu den im Folgenden genannten Personen, vgl. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben, hrsg. v. Werner Röder und Herbert A. Strauss, München/New York 1980; International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945, Bd. 2: The Arts, Sciences, and Literature, hrsg. v. Herbert A. Strauss und Werner Röder, München/New York 1983.
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Erfolg der Aktion innerhalb der Linken mehr als dürftig, auch Deutsch selbst unterzeichnete schließlich nicht. Die meisten Absagen begründeten dies mit jener Passage des Briefes, in der vom fünfjährigen heroischen Widerstand Österreichs die Rede war. „Kann man die Niederwerfung der österreichischen Arbeiterbewegung, kann man die Jagd auf ihre Besten, kann man Standrecht und Kerker gegen Demokraten heroic resistance nennen? Man kann es nicht“, schrieb zum Beispiel Josef Luitpold Stern. John J. Hannak setzte noch eins drauf: „Dieser Kleriko-Faschismus hat nicht ,heroic resistance‘ gegen Hitler geleistet, sondern nach unserer Überzeugung ganz im Gegenteil den Sieg Hitlers in Österreich vorbereitet und schließlich herbeigeführt.“
Während die semantische Kritik am Textentwurf sich in den meisten Absagen glich, wurden die Zielsetzung der Aktion und Coudenhove-Kalergis persönliche Stellung zum Ständestaat durchaus unterschiedlich bewertet. So räumte Edgar Zilsel ein: „Ich glaube Ihnen […] gerne, dass Sie von den vaterländischen Schändlichkeiten, verübt, wo man unbeobachtet war, wenig wissen“, befürchtete aber, dass der Verweis auf heroischen Widerstand des Regimes „die wohlmeinende Absicht Ihrer Petition zunichtemacht“. Daher schlug Zilsel vor: „Wäre es nicht möglich, die beanstandeten neun Worte wegzulassen und die Petition neu auszusenden? Sie würden dadurch mehr und verlässlichere Unterzeichner gewinnen. Die diktatorischen Schufte des zwanzigsten Jahrhunderts bekämpft man nicht, indem man autoritären Schufterles die Mauer macht, die mit Unfähigkeit und Tücke unserer Welt die Formen des dreizehnten Jahrhunderts aufzwingen wollen.“
Auch Stern versicherte: „Eine andere Fassung, mitgeschaffen von österreichischen Sozialdemokraten, zu unterfertigen, wäre eine Ehre, eine Pflicht, mein Wunsch.“ Anders John Hannak, der neben dem sachlichen der Textkritik auch ein persönliches Motiv für seine Ablehnung anführte. „Das persönliche Motiv sind, um es mit allem Freimut auszusprechen, Sie selbst. Unter voller Würdigung der Ehrlichkeit Ihrer Überzeugung kann dennoch kein österreichischer Sozialist darüber hinwegkommen, dass Sie ein öffentlicher Anhänger des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes gewesen sind.“35
Coudenhove hielt ungeachtet der massiven Einwände an der Richtigkeit seiner Formulierungen fest: 35 Josef Luitpold Stern an Coudenhove, 24. 11. 1941; Edgar Zilsel an Coudenhove, 9. 12. 1941; John (Johann Jakob) Hannak an Coudenhove, 25. 11. 1941. FAE-CK.
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„Der Hinweis auf den heroischen Kampf Österreichs gegen den Anschluss war darum notwendig, weil oft der Einwand erhoben wird, dass Österreich seine Souveränität kampflos [Herv. i. O.] preisgegeben hat und darum nicht berechtigt ist, nachträglich gegen die Annexion zu protestieren.“
Dies bedeute „in keiner Weise eine Stellungnahme für ein Regime, das für immer erledigt ist“. Seine persönliche Haltung zu Dollfuß sei bestimmt durch den Grundsatz, der ihn seit 1933 leite und den Churchill kürzlich in die Worte gekleidet habe: „Any man or state who Fights against Nazism will have our aid.“ Er selbst habe die innere Spaltung Österreichs angesichts der Bedrohung durch Hitler als selbstmörderisch empfunden, und deshalb, „wie Bürgermeister Seitz weiß“, bis zum letzten Augenblick alles versucht, um die Februartragödie zu verhindern.36 Entschieden wies Coudenhove die Auffassung zurück, Dollfuß habe Hitler nicht bekämpft, sondern seinem Sieg Vorschub geleistet. „Was Dollfuß betrifft, weiß ich authentisch, dass er im vollen Bewusstsein seines bedrohten Lebens den Kampf gegen die Nazis aufgenommen und durchgeführt hat. Ganz abgesehen von der Wertung seiner Methoden und seines Erfolges lässt sich auch darum sein persönlicher Heroismus nicht bestreiten.“37
V. Die Einigung der politischen Lager misslingt In zahlreichen Zuschriften von linker Seite manifestierte sich selbstsichere Zukunftsgewissheit, die den Nutzen einer Zusammenarbeit über die Lagergrenzen hinweg insgesamt infrage stellte. Er sei „überzeugt, dass die Arbeiterschaft in ihrem Hasse gegen Nazidiktatur und Klerikofaschismus nach der Niederringung Hitlers die richtige Form für die Zukunft Österreichs nach innen und außen finden“ werde, schloss Bertold König seine Absage. John Hannak fand wieder die zugespitzteste Formulierung: „Die österreichische Arbeiterschaft wird nach dem Sturze Hitlers auferstehen, aber Sie werden mir nicht die bescheidenste soziale Kraft nennen können, die dann noch hinter dem Schuschnigg-System stehen wird. Ein solches Bündnis wäre also in meinen Augen nicht nur unmoralisch, sondern auch sinnlos. Es fehlt der Partner dazu.“
36 Zitate aus: Coudenhove an Bertold König, 30. 11. 1941; an Adolf Kozlik, 22. 12. 1941: an John Hannak, 30. 11. 1941 (in ähnlicher Formulierung in allen Erwiderungen). FAE-CK. 37 Coudenhove an John Hannak, 3. 12. 1941. FAE-CK.
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Vergeblich wies Coudenhove darauf hin, dass seine Gesprächspartner im britischen Kabinett ihre Haltung zur österreichischen Frage von einer größeren Einigkeit des Exils abhängig gemacht hätten: „Da wir über keine Kanonen verfügen, liegt darum die einzige moralische [Herv. i. O.] Macht, die wir heute noch mobilisieren können, in dieser größeren Einigkeit unter allen demokratischen Auslandsösterreichern. Es handelt sich dabei keineswegs um ein Bündnis zwischen den Sozialisten und dem Schuschnigg-System, das ja für immer begraben ist: sondern zwischen Arbeitern, Bauern und Bürgern, oder wenn Sie diese Formel vorziehen: zwischen Marxisten, Katholiken und Liberalen. Dieses vorübergehende Zusammengehen zur Befreiung unserer gemeinsamen Heimat ist wohl das geringste Opfer, das wir heute unseren versklavten Mitbürgern bringen können und müssen […].“38
Erhebliche Skepsis, ob das zersplitterte österreichische Exil überhaupt in der Lage sei, den Neubeginn nach Hitler wirksam mitzugestalten, äußerte Adolf Kozlik. Er glaube nicht, „dass die verschiedenen österreichischen Komitees je wieder in Österreich den geringsten Einfluss haben werden – wenn nicht aufgezwungen durch neue ‚Befreiungs‘-besetzungstruppen“.39 Überdies halte er „die ,Unterdrückung der Österreicher‘ durch die deutschen ,Besatzungstruppen‘ für einen Mythos, der von Monarchisten und Kommunisten gemeinsam verbreitet wurde“. Kozlik begründete seine Absage mit einem anderen, völkerrechtlichen Argument: die im Text geforderte Wiederherstellung der souveränen Staaten sei die sicherste Grundlage zur Vorbereitung eines neuen Krieges. Ebenso Albert Lauterbach, der betonte, er könne „keine Erklärung mitunterzeichnen, die unkritisch annimmt, dass die alten Begriffe von ‚Unabhängigkeit‘ und ‚souveränen Rechten‘ nach dem Krieg weitergelten werden, ohne dieses prinzipielle Problem wenigstens zu überprüfen. Der Schöpfer des Paneuropa-Programms sollte dies am klarsten sehen.“
Der Vorwurf war zweifellos nicht ohne Pikanterie. Doch wer hätte vermocht, im Amerika des Jahres 1941 im Zusammenhang mit der österreichischen Frage das allgemeine Problem 38 Bertold König an Coudenhove, 25. 11. 1941; John Hannak an Coudenhove, 1. 12. 1941; Coudenhove an John Hannak, 3. 12. 1941. FAE-CK. 39 Adolf Kozlik an Coudenhove, 1. 12. 1941. Ähnlich Paul F. Lazarsfeld an Coudenhove, 28. 11. 1941: „[…] after having so badly mismanaged the affairs of our own country, we should not try to give the appearance of being leading Austrian personalities who can agree on a course of action before the real problems involved have been cleared up.“ FAE-CK. – Erich Feigl, Otto von Habsburg. Profil eines Lebens, Wien/München 1992, 131, gibt Otto von Habsburgs heutige Einschätzung wieder, „dass in dieser Frage die Emigration keineswegs hilfreich, sondern, im Gegenteil, oftmals sehr störend war. Überhaupt möchte ich sagen, dass es einer meiner großen Fehler war, zu viel Bedeutung der Emigration beigemessen zu haben.“
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der Staatssouveränität zu thematisieren? Coudenhove zog sich aus der Affäre, indem er auf das Schweizer Modell verwies: „Ich teile Ihre Ansicht, dass die Souveränitätsbegriffe der Vorkriegszeit überholt sind und dass es sich nur um ‚Souveränität‘, im gleichen Sinne handeln kann wie die Souveränität der Schweizer Kantone in der Präambel der Schweizer Verfassung anerkannt ist.“40
Doch zunächst musste es darum gehen, im Rückgriff auf die Atlantik-Charta Österreich mit den anderen zu befreienden Staaten auf den Fuß der Gleichberechtigung zu stellen. Das Papier wurde unterzeichnet von 50 Emigranten, vor allem Wissenschaftlern, Künstlern und Schriftstellern wie Richard Beer-Hofmann, Dietrich von Hildebrand, Otto Loewi, William Schlamm, Bruno Walter, Franz Werfel oder Stefan Zweig. Die politischen Akzente setzte das legitimistische Lager, darunter Ottos Bruder Felix als Repräsentant der Familie Habsburg, Richard Schüller als Vorsitzender des „Austrian Council“, dem die meisten Unterzeichner angehörten, Otto Kallir als Vorsitzender der „Austrian League“ oder Franz Klein als Chefredakteur der „Voice of Austritt“; ihnen gegenüber stand ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Exil-SP, Jacques Freundlich.41 Die Petition wurde allen Regierungen (und Exilregierungen) zugestellt, die sich zu den Prinzipien der Atlantik-Charta bekannten.42 Sie 40 Albert Lauterbach an Coudenhove, 9. 12. 1941; dessen Antwort 22. 12. 1941. Mit gleicher Tendenz Antwort Coudenhove an Adolf Kozlik, 22. 12. 1941; Kozlik reagierte, inzwischen sehr aufgeschlossen, am 31. 12. 1941 mit der Ankündigung eines Besuches. FAE-CK. – Kritische Distanz zum politischen Exil kennzeichnet die Stellungnahmen der Hochschullehrer Kozlik, Lazarsfeld und Lauterbach im Unterschied zum ausgeprägten Lagerdenken Hannaks, Königs oder Sterns, die wie Deutsch, Freundlich und Ellenbogen zu den Unterzeichnern des Protestbriefes gegen Plöchl/Rott und im Februar 1942 zu den Gründern des Austrian Labor Committee gehörten; vgl. Biographisches Handbuch (Anm. 34). 41 Neben der Richard Coudenhove-Kalergis trägt das Papier folgende Unterschriften: Archduke Felix of Austria, Richard Beer-Hofmann, Otto Benesch, Hugo Burghauser, Jacques Freundlich, Hans Ernest Fried, Robert Heine, Dietrich von Hildebrand, Erich Hula, Otto Kallir, Franz Klein (nachmals: Robert Ingrim), Ernest Harvey Lichtblau, Otto Loewi, Hermann Mark, Egon Ranshofen-Wertheimer, Ida Roland, Johannes M. Oesterreicher, William Schlamm, Hedwig Schleifer, Richard Schüller, Walter von Schuschnigg, Bruno Walter, Franz Werfel, Gustav von Grünebaum, Georg Bittner, Paul Fischer, Raoul Auernheimer, Felix Kaufmann, Stephan Possony, Artur Lenhoff, Emil von Hofmannsthal, Thomas A. Michels, Max Brand, Richard Stöhr, Karl Weigl, René Kraus, Fritz Machlup, Franz Altmann, Hilda Geiringer, Richard K. Götz, Gottlieb Haberler, Max Lederer, Lazar Margulies, Adolf Leo Oppenheimer, Ernst Paulsen, Anton Erich Raubitschek, Heinrich Schwarz, Walter Vogl, Ernst Waldinger, Stefan Zweig. FAE-CK, VI.2. 42 So an Paul Henri Spaak, 3. 12. 1941, mit dem Hinweis: „Les signataires de cette pétition représentent véritablement toutes les fractions de l’émigration autrichienne et peuvent ainsi être considérés comme ›trustees‹ de l’Autriche libre“, und an Jan Masaryk, 6. 12. 1941, mit der Aufforderung „My dear Masaryk, in connection with our conversation at New York I send you a petition […] As the independence of Austria is of vital importance for the independence of Czechoslovakia and the balance of Europe, it would be of greatest moral value if your Government could decide to go ahead in this matter […] Please let me know how you can help us in that matter (…)“ FAE-CK.
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wurde nicht der Öffentlichkeit übergeben. Noch immer hegte Coudenhove die Hoffnung, aus der Gruppe der Unterzeichner eine Exilvertretung formen zu können. In einem Brief an den britischen Außenminister Eden malte er den Erfolg seiner Sammlungsaktion in leuch tenden Farben: „This list of signatures unites the names of almost all Austrians in this country, who can be considered as leading in politics, art, science and opinion. It represents by far the most united front ever established among Austrians since the beginning of their exile and can be regarded as an expression of their unanimous national will […] As long as no Austrian Government can yet be recognized, the mere fact that Austria would be considered as an occupied territory – like Danzig – would constitute by itself an important step towards the liberation of Hitler’s first victim.“43
Gegenüber Otto von Habsburg äußerte er sich weit kritischer über den bisherigen Erfolg seiner Aktion: „Leider hat Rott seine zugesagte Unterschrift nicht geschickt und auch von England habe ich die Unterschriften noch nicht erhalten.“ Den Versuch einer Verständigung mit führenden Sozialisten wie Julius Deutsch oder, über Vermittlung Freundlichs, auch mit Friedrich Adler, führte er bis Anfang 1942 weiter. Als er im Jänner von Bruno Walter und Franz Werfel erfuhr, dass sein Name im Zusammenhang mit einem angestrebten Dachkomitee des rechten Lagers genannt werde, protestierte er gegenüber Otto von Habsburg, er halte eine solche Gründung „für eine schwere Gefährdung der österreichischen Sache, solange noch einige Hoffnung besteht, auf breiterer Basis Vertreter der Linken heranzuziehen“. Doch diese Hoffnung war illusorisch. Deutsch beschied Coudenhoves Werben endgültig ablehnend. Eine Beteiligung käme schon deshalb nicht infrage, „weil einem Komitee gegenüber, in dem die Habsburger eine so große Rolle spielen, die Tschechen das größte Misstrauen haben würden“.44 Auch die Bemühungen Jacques Freundlichs waren da vergeblich. Am 16. Februar gab er Nachricht, seine Freunde seien „von ihrer Meinung nicht abzubringen, dass ein Zusammengehen mit anderen österreichischen Emigranten, die sich von März 1933 –
43 Coudenhove an Anthony Eden, 5. 12. 1941. Lord Halifax wies am 23. 12. 1941 die Auffassung zurück, London habe die Annexion Österreichs anerkannt. Vielmehr habe der britische Premier Österreich mehrfach öffentlich zu den Ländern gezählt, „with whom or for whom we have drawn the sword“. Vgl. Auszüge in einem Schreiben Coudenhoves an Otto von Habsburg, 8. 2. 1942. FAE-CK. – Die erstmalige öffentliche Anerkennung Österreichs als „erstes Opfer der Nazi-Aggression“ durch Churchill fiel bei der Übergabe einer von Emigranten gespendeten Rotes-Kreuz-Ambulanz durch Sir George Franckenstein und Robert von Habsburg im Februar 1942. 44 Coudenhove an Otto von Habsburg, 9. 1. 1942: Emilio Vasari, Dr. Otto Habsburg oder Die Leidenschaft für Politik, Wien/München 1972, 260–262. – Der Einfluss des Tschechoslowakischen Nationalrates auf führende österreichische Emigranten wie Julius Deutsch oder Ferdinand Czernin war beträchtlich; vgl. Franz Goldner, Emigration (Anm. 30), 92; Coudenhove an Julius Deutsch, 15. 2. 1942. FAE-CK.
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März 1938 als Fascisten [sic!] erwiesen haben, nicht möglich ist“.45 Als Konsequenz bildeten sich im Februar 1942 zwei Komitees: das Austrian National Committee (bzw. Council) als bürgerlich-legitimistisch-christlichsozial-ständestaatliche Koalition mit Hans Rott, Ferdinand Czernin, Guido Zematto, Martin Fuchs und Walter Schuschnigg auf der einen Seite, das Austrian Labor Committee unter dem Vorsitz Friedrich Adlers auf der anderen.46 Der von legitimistischer Seite geförderte Versuch, aufbauend auf dem Prestige des unabhängigen Paneuropäers Coudenhove-Kalergi, eine gemeinsame Plattform der Österreicher von rechts bis links zu schaffen, misslang. Das Fehlen einer politisch anerkannten, nationalen und demokratischen „Mitte“, deren geschickte Darstellung die Stärke des tschechoslowakischen Exils ausmachte, erwies sich als nicht aufzuholender Nachteil. Die Gräben zwischen Katholiken und Sozialisten, Monarchisten und Republikanern waren zu tief. Zu kontrovers waren die Biografien der Akteure, zu frisch die Wunden vergangener Konfrontation; und das Exil war als Ort für eine nationale Versöhnung denkbar schlecht geeignet. Zu unterschiedlich waren nicht zuletzt auch die Begriffe von dem, was überhaupt unter dem Namen Österreich nach dem Krieg wiedererstehen sollte – wenn man nicht überhaupt, wie ein maßgeblicher Teil der österreichischen Sozialdemokratie, auf den Anschluss an ein sozialistisches Nachkriegsdeutschland setzte.47 Wie schillernd und unscharf der Begriff „Österreicher“ war, zeigt die Tatsache, dass der frühere tschechoslowakische und nunmehrige französische Staatsbürger Coudenhove bereit war, sich an die Spitze einer österreichischen Exilvertretung zu stellen, während Hans Kelsen die Unterschrift ablehnte mit der Begründung: „nicht zuständig, da ich kein Österreicher, sondern ein czekoslovakischer Staatsbürger bin“.48 Nach dem Scheitern seiner Initiative begrub Coudenhove alle Ambitionen auf eine führende Rolle innerhalb des österreichischen Exils, beschränkte sich auf persönliche Beratungstätigkeit für Otto von Habsburg und verlegte sich wieder ganz auf seine paneuropäischen Aktivitäten, für die ihm ab 1942 ein Lehrauftrag an der New York University eine institutionelle Grundlage bot. 45 Coudenhove an Otto von Habsburg, 15. 1. 1942 und 8. 2. 1942; Coudenhove an Jacques Freundlich 15. 2. 1942, dessen Antwort 16. 2. 1942. – Freundlich (an Coudenhove, 8. 12. 1941) hatte die Petition unterzeichnet, aber nachträglich klargestellt, dass er zwar mit der „zum Ausdruck gebrachten Tendenz – Nichtanerkennung der Annexion Österreichs durch U.S.A. – keineswegs aber mit der Wertung des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes einverstanden (sei, dem er) in unversöhnlichem Hasse gegenüberstehe“. FAE-CK. 46 Friedrich Adler trat 1944 zurück, da die von ihm vertretene gesamtdeutsch-sozialistische Konzeption nach der Moskauer Deklaration obsolet wurde. Sein Nachfolger war Wilhelm Ellenbogen; vgl. Biographisches Handbuch (Anm. 34). 47 Richard Coudenhove-Kalergi, Habsburg in Amerika: „[…] der Senior der österreichischen Sozialdemokraten, Dr. Ellenbogen, machte mir die Hoffnungslosigkeit meiner Initiative klar […]: Meine Freunde werden nicht mittun, weil wir uns die Tür zum Anschluss nicht zuschlagen lassen.“ FAE-CK, VII. 48 Hans Kelsen an Coudenhove, 4. 12. 1941, steht für eine ganze Reihe von Absagen mit gleicher Begründung. Stefan Zweig hingegen (an Coudenhove, 7. 12. 1941) machte zwar auf seine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft aufmerksam, unterschrieb aber trotzdem.
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Richard Coudenhove-Kalergi, Paneuropa und Österreich 1940–1950
VI. Coudenhoves Nachkriegskonzeption Am 1. Februar 1942 eröffnete die New York University ein „Research Seminar for Postwar European Federation“, das Coudenhove-Kalergi zusammen mit dem Politikwissenschaftler Prof. Arnold Zurcher leitete. Der Flüchtling mit dem Präsidententitel eines von Hitler zerschlagenen Verbandes wurde dadurch zum Lehrer an einer amerikanischen Universität, die seine Arbeit weit über den akademischen Rahmen hinaus förderte und unterstützte. Nicholas Murray Butler hatte das Forschungsprojekt als Präsident der Carnegie-Friedensstiftung vermittelt und finanziert. In dem Seminar arbeiteten fünf bis zehn bereits vorgebildete Studenten, meist europäischer Herkunft, über politische, juristische und wirtschaftliche Fragen einer europäischen Nachkriegsordnung. Coudenhove, den die Universität im Herbst 1944 zum Professor für Geschichte berief, musste auch für seine Emigranten-Studenten „mit Hilfe europäischer und amerikanischer Freunde“ Stipendien besorgen.49 Coudenhoves Etablierung an der New York University traf zusammen mit einem Umbruch der politischen Gesamtsituation. Seit Dezember 1941 befanden sich die Vereinigten Staaten im Krieg, und seitdem stieg auch das Interesse an europäischen Problemen. Endlich schien die Chance einer völligen Neuordnung Europas heranzureifen, nachdem die Souveränität seiner Nationalstaaten sich angesichts der Aggression Hitlers sichtbar als Fiktion erwiesen hatte. Im Herbst 1942 zeichnete der Paneuropäer ein Nachkriegsszenario, das über die vorsichtigen Nahziele der 20er- und 30er-Jahre wesentlich hinausging. In Artikeln schlug er vor, die Föderation Europas zu einem Bestandteil der Strategie gegenüber Hitler-Deutschland zu machen. Einem Deutschland, das sich des NS-Regimes entledigt habe, sei ein „ehrenvoller Friede“ anzubieten mit dem Ziel der „Schaffung einer europäischen Föderation, die die nationale Souveränität begrenzt, im Rahmen einer Atlantischen Union mit Großbritannien und Amerika“. Diese Föderation sollte durch ihre Konstruktion eine deutsche Vorherrschaft ausschließen. Coudenhove entwarf ein System von sieben regionalen Unterföderationen; nämlich Westeuropa, Skandinavien, Iberien, Italien, Deutschland, Ostmitteleuropa (mit Österreich) und Balkan. Diese auf Gleichgewicht abzielende Gliederung würde vollendet durch einen supranationalen Überbau, der die Souveränität jedes Staates wirksam begrenzt. Dazu müsse die europäische Föderation über folgende Ausstattung verfügen: eine Verfassung mit einem Grundrechtskatalog, eine Regierung, ein Parlament, eine Bundesarmee, einen Bundesgerichtshof, eine Bundesbank und eine Bundespolizei. Strikt wandte er sich gegen einen Ausschluss Deutschlands oder seine Auflösung in kleine Staaten: „Keine solide europäische Union kann organisiert werden ohne oder gegen die Deutschen.“ Eine Benachteiligung würde die Deutschen in die Arme der Russen treiben und neue Kriegsgefahr heraufbeschwören. 49 Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 258. Arnold Zurcher: The Struggle to Unite Europe 1940–1958, New York 1958, 11.
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Für die Welt von morgen skizzierte der Paneuropäer eine dreistufige Ordnung: „1. Einen universalen, aber unpolitischen Völkerbund, der die ganze Welt umfasst, mit wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, medizinischen, moralischen und technischen Aufgaben, der die erfolgreiche nichtpolitische Aktivität des früheren Völkerbundes fortsetzt. 2. Eine Atlantische Union, organisiert als System politischer, ökonomischer, militärischer und monetärer Kooperation zwischen einem reformierten Panamerika, einem reorganisierten britischen Commonwealth und einem organisierten Pan-Europa, als Wächter des internationalen Friedens und westlicher Zivilisation. 3. Die Vereinigten Staaten von Europa, die den europäischen Kontinent mit seinen Kolonien in einen Bundesstaat verwandeln, errichtet nach dem demokratischen Beispiel der Schweiz.“50
Wie schon in der Zwischenkriegszeit bezog Coudenhove-Kalergi machtpolitische und ideologische Gegensätze in seine Überlegungen ein. Seine vielschichtige Konstruktion hebt sich gleichermaßen ab von den Hegemoniekonzepten des Nationalismus wie von den eindimensionalen Lösungen weltföderalistischer Prägung. Jener „machiavellistische Pazifismus“ macht in der Tat das Charakteristische des Paneuropa-Programms aus.51 Zugleich mit diesem Entwurf einer Nachkriegsordnung unter westlicher Führung entwickelte Coudenhove-Kalergi eine Strategie zur Errichtung der europäischen Föderation auf parlamentarisch-demokratischem Wege. Dabei ging er von der Unvereinbarkeit westlicher und östlicher Friedensziele aus: „America, Britain and Russia together cannot agree upon any solution of the European problem that would truly meet the wishes of the Europeans themselves. And even the European governments in exile can figure as trustees of their respective nations only so long as the people of those nations are prevented from expressing their will by free elections […] It would be a disaster for Europe and for the world if once again two dozen sovereign nations were established on the limited territory of Europe […] The only way is […] the election of a constitutional assembly immediately upon the cessation of hostilities, charged with the task of framing a Federal constitution for Europe. Elections for this purpose ought to take place during the military occupation of Europe, under the control of the armed forces of the United Nations […] If the majoritiy of this constitutional assembly should oppose European federation, the assembly would be dissolved and the peace concluded between national governments. But if the majority of the assembly should approve the federal idea, one executive board could be set up by the assembly to establish the framework of the European constitution […].“52 50 Coudenhove, The Future of Europe and America, 15. 11. 1942 (Anm. 20). 51 Richard Coudenhove-Kalergi, Pazifismus, Wien 1924, 12, plädiert für einen Pazifismus, „der seine tolstoischen Ziele mit machiavellistischen Mitteln“ verfolgt. 52 Leserbrief Coudenhoves in: New York Times, 29. 11. 1942.
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Die Idee einer Europäischen Konstituante als Grundstein der Nachkriegsordnung in Europa, die ihn von nun an nicht mehr losließ, hatte Coudenhove einem Buch des ihm freundschaftlich verbundenen Professors Albert Guérard von der Stanford-University entnommen.53 Durch die Wahl dieser Konstituante wären gleich zu Beginn europäische Tatsachen geschaffen und dennoch die Möglichkeit einer Renationalisierung aufgrund demokratischer Willensbildung eingeräumt worden. Die Westmächte gingen aber den anderen Weg: Sie restaurierten die Nationalstaaten und räumten ihnen später die Möglichkeit zu einem Zusammenschluss ein. Welche Beharrungskräfte aber von den einmal geschaffenen Strukturen ausgingen, sollte die Einigungsbewegung dann schmerzlich erfahren. Provokant für die amerikanische Öffentlichkeit wirkte zum damaligen Zeitpunkt vor allem die kompromisslose Ausgrenzung der Sowjetunion aus der Gemeinschaft der freien Welt, zu der hingegen bald wieder ein gleichberechtigtes Deutschland in den Grenzen von 1937 gehören sollte. Coudenhove zeigte sich von dem (durch Hitler erzwungenen) Frontwechsel der UdSSR im Juni 1941 unbeeindruckt. Er predigte den Amerikanern: „Hitlers Sieg würde Europa in das Zentrum einer neuen Nazi-Welt umformen, zutiefst feindlich gegen Amerika, seine Ideale, seine Interessen und seine Lebensprinzipien. Stalins Sieg würde Europa dazu verdammen, ein Teil der Sowjetunion zu werden, gleichermaßen feindlich gegenüber all dem, wofür Amerika steht und wofür es lebt. Hitler und Stalin kämpfen beide für eine Union Europas, aber für eine Union, die alle Europäer in Sklaven verwandeln würde […] beide Männer, und ihre Systeme, zielen nicht nur auf eine Beherrschung Europas, sondern des ganzen Planeten.“54
VII. Paneuropa im Widerstreit Mitten in den Verhandlungen zur Bildung einer österreichischen Exilvertretung, im November 1941, nahm Coudenhove den Faden seiner paneuropäischen Vorkriegsaktivitäten wieder auf. Zur Reorganisation der Paneuropa-Union im Exil erschienen ihm zwei Dinge notwendig: die Konstituierung eines „Europäischen Rates“ als leitendes Organ und die Abhaltung eines Europakongresses als öffentlichkeitswirksamer Paukenschlag.55 53 Richard Coudenhove-Kalergi, Postwar Europe – League or Federation, in: Post war European Federation, New York 1943, 23. Die Stelle bei Albert Guérard, The France of Tomorrow, Cambridge Mass. 1942, 270 f.: „When the war ends, there should be no treaty of peace, any more than there is after a civil war […] Instead of an Armistice Commission, there should be a Provisional Government; instead of a Peace Conference, a Constituent Assembly; instead of reparations, a Pan-European reconstruction plan […]“ 54 Coudenhove, The Future of Europe and America, 15. 11. 1942 (Anm. 20). 55 Dies in Analogie zu den Arbeitsmethoden der Zwischenkriegsjahre: Schon damals hatte der Präsident der Paneuropa-Union seine Aktion vor allem als persönlichen Propagandafeldzug aufgefasst und dazu die Bildung eines Zentralrates mit klangvollen Namen sowie die Abhaltung internationaler Kongresse als bevorzugte
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Den äußeren Anlass bot die zunehmend „europäisch“ intonierte Kriegspropaganda Hitlers, der fast den ganzen Kontinent sich unterworfen hatte und im Zenit seiner Macht stand. Allerdings war der Angriff auf die Sowjetunion Anfang Dezember 1941 kurz vor Moskau stecken geblieben. Die erkennbar von amerikanischen Interessen inspirierte Atlantik-Charta hatten Roosevelt und Churchill als propagandistischen Erfolg verbuchen können, dem Deutschland – anders als Japan mit seinem Konzept einer „großostasiatischen Wohlstandssphäre“ – nichts entgegenzusetzen hatte. Nur zögernd und als blutleere rhetorische Formel ließ Hitler das Thema von der „Neuordnung Europas“ anklingen – es genügte allerdings, um feststellen zu können, welches Potenzial der Diktator aus Gründen, die im Wesen seines Regimes und seiner Endziele lagen, dadurch vergab.56 Coudenhove hatte durch die Erneuerung seines „American Co-operative Committee“ und die Anbindung an die New York University die Voraussetzungen für öffentliche Wirksamkeit geschaffen. Er lud Sympathisanten und alte Weggefährten des europäischen Exils ein, an einer Aktion gegen den nationalsozialistischen Missbrauch der europäischen Idee teilzunehmen. Im November 1941 schrieb er an Carlo Sforza: „Hitler seems to be preparing a Pan-European Congress in Vienna to sanction his ,New Order‘. This provocation demands an answer by the genuine Europeans, living in liberty. 1 therefore intend to organize, simultaneously with Hitler’s European Congress a manifestation for a Free and United Europe in New York […] The initiative for any such action must naturally come from Europeans, who don’t oppose the so called New Order by righting for the past disorder, but by preparing a free United States of Europe, instead of Hitlers Pangermanistic and totalitarian plans.“
Es sei an der Zeit, einen „European Council“ zu gründen, der die moralische Autorität hätte, als „Sachwalter“ für Europa zu handeln.57 Das Echo auf Coudenhoves Vorschlag war sehr ermutigend. Thomas Mann antwortete: „Das paneuropäische Gebaren Hitlers ist in der Tat so niederträchtig wie es lächerlich ist, und sein Wiener Europa-Kongress muss konterkariert werden […] gleich Sforza und van Zeeland unterstütze ich nachdrücklich diesen Plan.“58
Mittel eingesetzt. Das zum Teil rege Verbandsleben seiner nationalen Sektionen blieb ihm stets eine fremde Welt. 56 Andreas Hillgruber, Der 2. Weltkrieg 1939–1945. Kriegsziele und Strategie der großen Mächte, Stuttgart 1982, 114–117; Victor Klemperer, L(ingua) T(ertii) I(mperii). Notizbuch eines Philologen, Berlin 1947, 173; Paul Kluke, Nationalsozialistische Europaideologie, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 3 (1955), 240–275; Documents on the History of European Integration, Bd. 1: Continental Plans for European Union 1939–1945, hrsg. v. Walter Lipgens, Berlin/New York 1985, 37–54. 57 Coudenhove on Carlo Graf Sforza, 14. 11. 1941. Diese Bemühungen um die Bildung eines „trustee for Europe“ liefen zunächst noch parallel zu denen für einen „trustee de l’Autriche libre“ (vgl. Anm. 42), wobei der Fehlschlag des Letzteren sich 1943 als Belastung für die Paneuropa-Kampagne erwies. 58 Thomas Mann an Coudenhove (?). 12. 1941. FAE-CK.
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Am 28. März 1942 fand eine erste Paneuropa-Kundgebung in der Aula der New Yorker Universität statt: Als Anlass diente der 80. Geburtstag Aristide Briands. Hauptredner war Briands einstiger Vertrauter, Alexis Léger. Anfang 1943 hatte Coudenhove-Kalergi ein stattliches Paneuropa-Komitee beisammen, dem u. a. Milan Hodia, Jacques Maritain, Thomas Mann, Carlo Graf Sforza und Paul van Zeeland angehörten. Im Februar setzte dann plötzlich eine breit orchestrierte Kampagne gegen die New Yorker Paneuropa-Konferenz ein. „Die prorussischen Kreise Amerikas […] hatten Vertrauensmänner in den einzelnen nationalen Emigrantengruppen, die überall Schwierigkeiten machten. Jedes meiner Komitee-Mitglieder wurde bestürmt, sich zurückzuziehen […], die Universität wurde mit Briefen bedrängt, sich von dieser angeblich antirussischen Veranstaltung loszusagen.“59
In Leserbriefen und Artikeln wurde das Paneuropa-Programm in die Nähe imperialistischer und reaktionärer Großraumpläne mitteleuropäisch-deutscher Tradition gerückt. Coudenhoves Plädoyer gegen einen „Rachefrieden“ mit Deutschland diente als willkommener Stein des Anstoßes: Man warf ihm vor, den sowjetischen Verbündeten zu verteufeln, aber die deutschen Kriegsverbrecher in Schutz zu nehmen.60 Sein habsburgnahes Engagement innerhalb des österreichischen Exils machte ihn besonders verwundbar: gezielt wurden antimonarchistische, antiklerikale und territoriale Besorgnisse mobilisiert, die auch prompt Wirkung zeigten. Zu denen, die sich vom Paneuropa-Kongress zurückzogen, gehörten Jacques Maritain und Thomas Mann. Beide argumentierten, dass schon der Verdacht russlandfeindlicher und monarchistischer Tendenz (selbst wenn er unbegründet sei) ihre Teilnahme unmöglich mache. Maritain hob darauf ab, dass gerade er als Katholik jeden Anschein meiden müsse, die „unheilvolle Verwechslung“ zwischen „esprit catholique“ und „esprit dynastique“ womöglich zu unterstützen. Er betrachte es überdies als grundlegend, dass Russland als Teil der „communaute occidentale“ und also Europas betrachtet werden müsse.61 Thomas Mann ging darüber hinaus und stellte die Europa-Idee als Ganzes infrage: Es habe „die europäische Idee das Unglück gehabt, alt und grau, langweilig und vorgestrig zu werden, bevor sie erfüllt war. Verspätet, mechanisch und notgedrungen wird sie verwirklicht werden – es ist nicht viel Herzerhebendes mehr dabei. Was ist auch Europa noch? Viel größere Zusammenfassungen sind heute an der Tagesordnung […] Nach allem, was ich höre und sehe, spielen da Tendenzen, die man ,demokratisch‘ höchstens in einem veralteten, reaktionären Sinne nennen
59 Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 270. 60 Vgl. Leserbrief Joseph Hanč in: New York Times, 13. 12. 1942, sowie Coudenhoves Entgegnung, New York Times, 21. 12. 1942. Den Vorwurf, Paneuropa sei eine „deutsche These“, wiederholte Lord Vansittart noch 1944 in einem Leserbrief an American Mercury, September (?) 1944. 61 Jacques Maritain an Coudenhove, 27. 2. 1943. FAE-CK.
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kann: antirussische, zum Beispiel, die allein schon gegen meine Überzeugungen gehen würden. Kurzum, General Haushofer kehrt wieder, sagen wir: in der Gestalt ,Otto’s von Österreich‘, – der gewiss umgänglicher ist, als jener, aber doch auch nicht ganz das Rechte.“62
Graf Sforza hatte seine Absage zunächst mit der Befürchtung begründet, der Kongress werde zu sehr von wirtschafts- und geopolitischen Fragestellungen beherrscht statt von den „wahren christlichen Idealen des Friedens mit sozialem Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit“. Als Coudenhove diese Vorwürfe zurückwies, kam Sforza zum Kern seiner Bedenken: „It is not your fault, or mine, if after having allowed you to use my name (which I did because of my deep personal respect for you) the monarchical question became actual and essential – instead of remaining distant and hypothetical – with the trick of the ,Austrian battalion‘ and circulars being sent insolently to Italians of Trento or Trieste, to Yugoslavs of Slovenia, of Croatia, of Dalmatia […]“63
Es ging also wohl mindestens so sehr um handfeste territoriale Ziele wie um philosophische Ansätze. Haupt der Opposition gegen den Paneuropa-Kongress war die „Free World Association“ (FWA), ein Sammelbecken linker und republikanisch-liberaler Strömungen. Sie gründete in offener Konkurrenz ein eigenes „European Council“, das zum gleichen Zeitpunkt wie die Paneuropa-Konferenz inauguriert wurde. Graf Sforza, der „Free World“ eine Redezusage gegeben hatte, konnte seine Absicht, sich ohne Aufsehen von Paneuropa zurückzuziehen, daraufhin nicht einhalten. Doch die Solidarität mit den Freunden von „Free World“ wog schwerer: „I am with them since they are so closely in touch with the Italian underground“, explizierte er Coudenhove.64 Im European Council der Free World Association wurde der Gedanke einer russlandfreundlichen „Donauföderation demokratischer Staaten“ gepflegt, für den man insbesondere Edvard Beneš zu gewinnen hoffte. In der Tat wandte sich dieser 1943 immer offener der Sowjetunion zu, die nach Stalingrad militärisch und politisch in die Offensive ging.65 Gegenüber Coudenhoves Paneuropa ging Beneš hingegen auf Distanz: 62 Thomas Mann an Coudenhove, 24. 2. 1943. FAE-CK. 63 Carlo Graf Sforza an Coudenhove, 15. 2. 1943 u. 23. 2. 1943, Coudenhove an Carlo Graf Sforza, 18. 2. 1943. FAE-CK. Zum österreichischen Bataillon, das die USA im November 1942 aufstellten und das wegen seiner Verknüpfung mit dem Namen Habsburg die Exilvertreter der Nachfolgestaaten, an ihrer Spitze den Tschechoslowakischen Nationalrat, aufs Höchste alarmierte, vgl. Goldner, Emigration (Anm. 30), 135–167. 64 Coudenhove an Julio Alvarez del Vayo, 11. 2. 1943; Carlo Graf Sforza an Coudenhove, 21. 3. 1943. FAE-CK. – Zur FWA, der auch Beneš’ Bruder Vojta und Jan Masaryk angehörten, vgl. Julius Deutsch, Ein weiter Weg, Zürich/Wien 1960, 364–366. 65 Ein entsprechender Vorschlag wurde aus Anlass seines Amerikabesuches im Mai 1943 an Beneš gerichtet durch folgende Mitglieder des FWA-European Council: Charles A. Davila (Rumänien), Rusztem Vambery (Ungarn), Julius Deutsch, Ferdinand Czernin (beide Österreich), Sava Kosanovic (Jugoslawien), Joseph Hanč
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„It is certainly true that I differ from you in respect of certain fundamental ideas regarding the future of Europe […] I do not think, however, that it is possible to organize Europe without England and Russia. This would mean a Europe under the hegemony of Germany, and such a hegemony would automatically call forth another Hitler, even though he might not be as brutal and vulgar as the present one.“66
VIII. Deutsches Europa – sowjetisches Europa – französisches Europa? Angesichts des gefährlichen Vorwurfs, er unterhöhle die Kampfgemeinschaft der Alliierten, lud Coudenhove demonstrativ den Sowjet-Botschafter Litwinow zum Paneuropa-Kongress ein und bat ihn, nichtamtliche sowjetische Experten für die Arbeitskreise zu benennen. Litwinow sagte höflich ab.67 Als wichtigste Trumpfkarte erwies sich die Standhaftigkeit des Sozialisten Fernando de los Rios, der ebenso wie der FWA-Gegenspieler Alvarez del Vayo ehemals Minister der spanischen Republik gewesen war. Er übernahm zusammen mit Louis Marlio und Richard Coudenhove-Kalergi den Vorsitz des Kongresses.68 Ein unerwartetes Ereignis kam den Paneuropäern zu Hilfe: Churchills Rundfunkrede vom 21. März 1943, wenige Tage vor Eröffnung des Kongresses. Coudenhove hatte den britischen Premier im Dezember 1942 von seinen Plänen informiert und ihm ans Herz gelegt, das „notwendige Friedensziel“ Paneuropa auch als „vielleicht entscheidende Kriegswaffe“ einzusetzen. Am 1. März bat er ihn um ein Grußwort für den New Yorker Kongress. Churchill sandte keines; doch ist zu vermuten, dass Coudenhoves Briefe und die heftigen Debat (Tschechoslowakei) und Feliks Gross (Polen); vgl. Detlef Brandes, Konföderation oder Ostpakt: Polnischtschechoslowakische Beziehungen während des Zweiten Weltkrieges, in: Polen und die böhmischen Länder im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Heumos, München 1993 (in Vorbereitung). Zu den Rahmenbedingungen vgl. auch Peter Krüger, Die Tschechoslowakei in den Verhandlungen der Alliierten von der AtlantikCharta bis zur Potsdamer Konferenz, in: Das Jahr 1945 in der Tschechoslowakei, hrsg. v. Karl Bosl, München 1971, 37–64. 66 Edvard Beneš an Coudenhove, 23. 5. 1944; dessen Entgegnung, 27. 6. 1944. Zuvor hatte Beneš (an Coudenhove, 27. 4. 1943) sich informiert gezeigt, es gebe „certains différends“ bezüglich der Paneuropa-Bewegung, und Coudenhove (an Beneš, 12. 4. 1944) festgestellt: „I realize that you no longer sympathize with my political ideas“. FAE-CK. 67 Maxim Litwinow an Coudenhove, 19. 2. 1943. FAE-CK. 68 Diese drei und folgende weitere Mitglieder bildeten 1943 den (Pan-)European Council: Victor Cazalet (Großbritannien), Oscar Halecki (Polen), Rudolf Holsti (Finnland), Milan Hodža (Tschechoslowakei), Halvdan Koht (Norwegen), Raymond de Saussure (Schweiz), Leon Schaus (Luxemburg), Richard Schüller (Österreich), Sophokles Venizelos (Griechenland) und Paul van Zeeland (Belgien); vgl. Coudenhove, Crusade (Anm. 2), 223. Bis März 1944 kamen noch hinzu: José Antonio de Aguirre, Stephen de Ropp, Feliks Gross, André Istel, Stephen P. Ladas, Waclav Lednicki, Alfredo Mendizabal, Ludwig von Mises, Alexander Pekelis; vgl. Draft Constitution of the United States of Europe, issued by the Pan-European Conference and the Research Seminar for European Federation of New York University, New York (April) 1944, 22. British Library of Political and Economic Science London, Nachlass Ronald W. G. Mackay, 13/1.
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ten über pro- und antisowjetische Europaideen dazu beitrugen, dass er gerade jetzt die europäische Frage wieder öffentlich aufgriff – in einem Sinne, der Sorge über den wachsenden sowjetischen Einfluss verriet.69 Der V. Paneuropa-Kongress trat vom 25. bis 27. März 1943 zusammen. Veranstalter war die New York University in Kooperation mit dem American Committee for a Free and United Europe und dem Pan-European Council. Die Konferenz hatte in der Tat einen vorwiegend akademischen Charakter, ihr Ehrgeiz lag in der Erstellung von Analysepapieren auf rechtlichem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Im Fakultätsklub der Universität konstituierten sich drei Arbeitsausschüsse, deren Vorsitz jeweils einer der Kongresspräsidenten übernahm. Den juristischen Ausschuss leitete Fernando de los Rios (Professor der New School of Social Research), seine Vizepräsidenten waren Stephen P. Ladas (Generalsekretär der Griechisch-Amerikanischen Gesellschaft) und Arnold J. Zurcher (Professor an der New York University). Den Wirtschaftsausschuss präsidierte Louis Marlio (Professor an der New Yorker Ecole Libre des Hautes Etudes), unterstützt durch seinen Kollegen am gleichen Institut, André Istel (einen Berater de Gaulles) sowie den ehemaligen österreichischen Sektionschef Richard Schüller (wie de los Rios Professor an der New School for Social Research). Dem Kulturausschuss stand Richard Coudenhove-Kalergi vor, als Vice-Chairmen fungierten George Payne (Dekan an der New York University) und der Schweizer Schriftsteller Raymond de Saussure (auch er Professor an der Ecole Libre des Hautes Etudes). Den Abschluss der Konferenz bildete ein Dinner im Waldorf-Astoria, an dem 500 zahlende Gäste teilnahmen. Es wurde von William C. Bullitt präsidiert. Neben ihm sprachen Senator Harold O. Burton (Ohio), Harry Woodburn Chase (Chancellor der New York University), Dr. Stephen Duggan (American Committee for a Free and United Europe) sowie die Präsidenten der Konferenz, Coudenhove-Kalergi, de los Rios und Marlio. Der Plan einer regelmäßig tagenden Konferenz mit permanenten Ausschüssen konnte nur teilweise verwirklicht werden. Statt einer Vollversammlung trat nur noch der „Board of the Pan-European Conference“ (bestehend aus den drei Ausschussvorständen) zusammen, um die jeweiligen Papiere zu verabschieden und den Regierungen zuzuleiten. Die Wirtschaftskommission begann fleißig zu arbeiten. Experten wie Ludwig von Mises legten Papiere zu Fragen wie Reparationen, Wiederaufbau, Zollabbau oder Landwirtschaft vor. André Istel richtete einen Unterausschuss für Finanzfragen ein. Die Arbeiten wurden durch das Research Seminar in periodischen Dossiers veröffentlicht. Von einer Tätigkeit des Kulturausschusses fanden sich hingegen keine Nachweise.70
69 Coudenhove an Winston Churchill, 3. 12. 1942 und 1. 3. 1943. FAE-CK. Zur Rede Churchills vgl. EuropaFöderationspläne der Widerstandsbewegungen 1940–45, hrsg. v. Walter Lipgens, München 1968, 474–477. 70 Unterlagen zum Kongress und zur Arbeit der Ausschüsse: FAE-CK, New York 1943. Im Dossier Nr. 4 neben Aufsätzen zur Nationalitätenfrage eine Dokumentation über den Kampf für Österreichs Unabhängigkeit (vgl. Anm. 26).
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Auch die juristische Kommission gründete einen Unterausschuss, der sich unter Leitung von Stephen Ladas mit Volksgruppenfragen befasste. Ihre wichtigste Aufgabe war jedoch der Entwurf einer europäischen Verfassung. Die Vorarbeiten dazu leistete im Wesentlichen Arnold Zurcher. Unter seinem Einfluss wurden die von Coudenhove eingebrachten Positionen erheblich abgeschwächt. Der Europäer Coudenhove hatte dafür plädiert, unverzüglich nach Kriegsende, „in diesem Moment des Enthusiasmus und der Hoffnung“, die einmalige Chance zu nutzen, um unter Aufsicht eines alliierten Hochkommissars für Europa Wahlen zu einer europäischen Konstituante abzuhalten. Im Juni 1943 verabschiedete der Board der Paneuropa-Konferenz ein Richtlinienpapier, genannt „Declaration of Aims and Principles of European Federation“, das noch eher die Handschrift Coudenhoves trägt. Der Amerikaner Zurcher, von der Sorge bewegt, nur nicht „die Existenz und das unabhängige Leben souveräner Nationen zu zerstören“, reduzierte den Ehrgeiz auf die Herstellung einer „Assoziation souveräner Staaten“.71 Sein Verfassungsentwurf wurde genau ein Jahr nach Kongresseröffnung, im März 1944, angenommen und publiziert. Wieder ein Jahr später, im März 1945, fasste Coudenhove-Kalergi die Leitlinien der Draft Constitution zu acht Thesen zusammen, die er als „Declaration of European InterDependence“ veröffentlichte. Sechzehn Vertreter des europäischen Exils appellierten durch ihre Unterschrift unter die Deklaration an Präsident und Kongress der USA, die Errichtung einer „europäischen Konföderation“ zu unterstützen.72 Zu den Unterzeichnern gehörte auch Franz Werfel, der vorgestellt wurde als „writer and playwright, Prague (Czechoslovakia) and Vienna (Austria), now Beverly Hills, California“.73 Die Deklaration erneuerte die alten Paneuropa-Forderungen nach einem „Europäischen Rat und einem Obersten Gerichtshof, um die gemeinsamen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen Europas zu koordinieren“; nach einer gemeinsamen Streitmacht, einer Deklaration der Bürgerrechte (unter Einschluss des Volksgruppenrechts) sowie nach schrittweiser Umformung Europas in einen einzigen Markt mit gemeinsamer Währung. Europa bilde eine „interdependente Region“ und müsse als solche in der künftigen Weltorganisation anerkannt werden. 71 Richard Coudenhove-Kalergi, Postwar Europe – League or Federation?, in: Post-War European Federation, Contributions of the Research Seminar for Postwar European Federation, New York 1943, 15–26. Rede Arnold Zurchers bei der Eröffnung des V. Paneuropa-Kongresses, 25. 3. 1943. FAE-CK, New York 1943. 72 Declaration of Aims and Principles of European Federation, issued by the Pan-European Conference in New York City, 5. 6. 1943. FAE-CK, New York 1943. Draft Constitution of the United States of Europe (vgl. Anm. 65), nachgedruckt in: Arnold J. Zurcher, The Struggle to Unite Europe 1940–1958, New York 1958, 213–223. Declaration of European Inter-Dependence, 14. 3. 1945, FAE-CK, VI. Documents on the History of European Integration, Bd. 2: Plans for European Union in Great Britain and in Exile 1939–1945, hrsg. v. Walter Lipgens, Berlin/New York, 793–823. 73 Franz Werfel an Coudenhove, 2. 2.(7.) 1945: „Lieber Freund / Anbei sende ich Ihnen die von mir unterfertigte ,Declaration‘ mit Dank zurück. – Sie ist ausgezeichnet. – Ich hoffe, dass Sie und Ihre verehrte Frau sich sehr wohl befinden. Ich selbst habe ein sehr schlimmes Jahr hinter mir. Jetzt gehts wieder ein bisschen, wenn auch noch sehr langsam. Immerhin kann ich arbeiten. Das erleichtert für mich alles. Viele herzliche Grüße an Sie beide von Ihrem Franz Werfel / Alles Liebe und Schöne von meiner Frau.“ FAE – CK.
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Seit dem Spätjahr 1942, als Coudenhove-Kalergi sein Szenario für einen europäischen Wiederaufbau nach dem Kriege entwarf, hatte sich die Weltlage tief greifend geändert – und zwar zuungunsten der Paneuropa-Pläne. Das Ringen mit Hitler hatte säkulare Züge angenommen, die einen „Versöhnungsfrieden“ mit Deutschland unmöglich erscheinen ließen und zugleich jede prinzipielle Kritik am sowjetischen Verbündeten ins Zwielicht rückten. Roosevelts groß angelegter Versuch, Stalin für sein „One World“-Konzept zu gewinnen, machte alle Regionalpläne für Europa zunichte, mochte auch der besorgte Churchill gerade deshalb die Europa-Idee wieder neu ins Gespräch bringen. Coudenhove sah sich gezwungen, mehrere Eckpunkte seines Planes zu modifizieren. So zog er sich wieder auf konföderale Minimalforderungen zurück, und zur Deutschlandfrage hieß es in der Deklaration vom März 1945: „The German Reich as a centralized power should be liquidated. Only after having overcome the Spirit of Hitlerism and of Pan-German imperialism should the German states be granted full membership in the European Confederation […].“74
Dieser Positionswechsel in der deutschen Frage mag durch eine Hinwendung zu gaullistischen Standpunkten beeinflusst worden sein. Der französische Staatsbürger CoudenhoveKalergi hatte sich im Juni 1943 mit einem flammenden Brief, in dem er Charles de Gaulle das Ehrenpräsidium der Paneuropa-Union anbot, in das Lager des Generals begeben. Systematisch suchte er 1944/45 die Interessengleichheit von Frankreich und Paneuropa herauszustellen. Er schlug Frankreich als „fünften Großen“ vor und behauptete, seit der Vereinigung der Truppen de Gaulles und Girauds sei die Republik in den Kreis der Großmächte zurückgekehrt. Auf diese Weise versuchte er, den Tendenzen entgegenzuwirken, die Europa nur noch als Konkursmasse des Krieges behandeln und der Kontrolle durch die Weltmächte unterstellen wollten. Umso mehr galt es, die Sorge zu zerstreuen, ein Europa ohne England und Russland müsse zwangsläufig wieder unter deutsche Hegemonie geraten.75
IX. Memorandum zur Südtirolfrage 1944 Ungeachtet der unwiderruflichen Festlegung auf Charles de Gaulle als potenziellen „Cavour Europas“, die ihn dem französischen Exil näherrücken ließ, blieb Coudenhove in engem 74 Vgl. auch Richard Coudenhove-Kalergi, Memorandum on the European Question and America, (Anfang) 1945: „European peace can only be assured by a policy of liquidation toward the German Reich accompanied by a policy of reconciliation toward the German people.“ FAE-CK, II. 75 Coudenhove an Charles de Gaulle 26. 6. 1943. FAE-CK. Das Schreiben wurde de Gaulle von André Istel überbracht. Zur frankozentrischen Aktualisierung seines Konzepts vgl. Coudenhoves Artikel in: New York Herold Tribune, 4. 7. 1943. – Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 343 f., bekennt, er sei „überzeugt, dass große Dinge von großen Persönlichkeiten vollbracht werden müssen. Die Einigung Europas ist eine so gewaltige Aufgabe, dass nur ein sehr großer Staatsmann vom Format de Gaulles sie vollbringen kann.“
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Kontakt mit den österreichischen Fragen.76 Im Sommer 1944 zog ihn Otto von Habsburg bei der Abfassung eines Memorandums über Südtirol zu Rate, dessen Schicksal mit dem Vorrücken der Alliierten in Italien zur Entscheidung drängte. Der Entwurf, den er Coudenhove übermittelte, sah vor, das Gebiet zwischen Brenner und Gardasee entlang der Sprachgrenze zu teilen, nördlich davon eine österreichische, südlich eine italienische Verwaltung zu errichten und in beiden Gebieten eine Volksabstimmung unter internationaler Kontrolle durchzuführen. Stimmberechtigt wären alle Personen, die im Abstimmungsgebiet geboren wurden oder dort am 1. Juli 1920 ihren Hauptwohnsitz hatten. Über die Zugehörigkeit der beiden Gebiete zu Österreich oder zu Italien sollte jeweils die einfache Mehrheit entscheiden. Beide Staaten müssten sich verpflichten, jegliche Diskriminierung des unterlegenen Bevölkerungsteiles zu unterlassen und ihm vollen Minderheitenschutz einzuräumen.77 Ottos ursprüngliche Absicht war es, als Person völlig in den Hintergrund zu treten. Coudenhove sollte als Autor des Memorandums firmieren, auf diese Weise sollte es gelingen, „führende Österreicher, wie z. B. Rott und Deutsch, und ein oder zwei andere zur Unterstützung des Planes zu gewinnen“ und in Verhandlungen mit Don Sturzo und anderen Italienern möglicherweise ein österreichisch-italienisches Einverständnis zu erzielen.78 Coudenhove dämpfte in seiner Antwort die Hoffnungen, die Otto von Habsburg offenbar aus einer diskreten Äußerung Sturzos nährte. Er glaube nicht, dass es möglich sein werde, eine direkte Verständigung zwischen Österreichern und Italienern in dieser Frage zu erzielen. Keine italienische Partei und kein italienischer Führer mit Ambitionen könne „öffentlich und offiziell auf die Brennergrenze verzichten“; auch Don Sturzo werde seine Erklärung in der Öffentlichkeit wohl kaum wiederholen. Unter den gegebenen Umständen halte er es für besser, wenn Otto von Habsburg selbst die Frage gegenüber State Department und Foreign Office aufrolle, „um zu verhindern, dass ein Fait accompli geschaffen wird bei der Umwandlung Italiens von einem Co-Belligerant in einen Ally“. Die inhaltliche Gestaltung des Memorandums bezeichnete Coudenhove als „ausgezeichnet“, machte aber dennoch zwei Änderungs76 Gemeinsam mit der Familie Habsburg ergriff Coudenhoves Frau, Ida Roland, die Initiative zur Gründung einer humanitären Organisation, des „American Relief to Austria“, das in den Jahren 1945–47 Hilfsgüter für Österreich sammelte und verschickte. Auch hier blieben die offenbar unvermeidlichen Exilstreitereien nicht aus; diesmal hatten sich Julius Deutsch, Hans Rott und Ferdinand Czernin zusammengetan und ein konkurrierendes „Associated Austrian Relief“ gegründet – wie Coudenhove im Dezember 1945 an Otto von Habsburg schrieb, „dieselben Leute, die sich geweigert hatten, meine seinerzeitige Aktion für Österreichs Unabhängigkeit zu unterzeichnen und deren Uneinigkeit die Bildung eines österreichischen Government in Exile verhindert hat“; vgl. Feigl, Otto von Habsburg (Anm. 39), 203. Richard Coudenhove-Kalergi, Hilfswerk für Österreich, Febr. 1964. FAE-CK, VII. 77 Memorandum re: Solution of the problem of the Southern Tyrol or Alto Adige and Trentino. FAE-CK, 11.67. Eine deutsche Übersetzung des Textes in Feigl, Otto von Habsburg (Anm. 39), 157 f., allerdings irrtümlich als endgültige Fassung des Memorandums bezeichnet. Diese Endfassung konnte ich nicht auffinden. 78 Otto von Habsburg an Coudenhove, 11. 7. 1944. FAE-CK. Otto hatte schon im August 1943, also vor dem Waffenstillstand mit Italien, in einem Schreiben an den Secretary of State die Rückgabe Südtirols an Österreich gefordert; vgl. Goldner, Emigration (Anm. 30), 173 f.
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vorschläge. Zum einen solle das Volksabstimmungsgebiet nicht über die Sprachgrenze nach Süden ausgedehnt werden, „da dies als eine Aufrollung der historischen Grenzen Österreichs gedeutet werden könnte und dadurch unnötige Widerstände auslösen würde“. Zum anderen schien es ihm aussichtsreicher, die Vorschläge historisch und ethnografisch zu begründen und die Frage eines Plebiszits nur zu streifen, „da die alte Sprachgrenze unter Umständen von den Alliierten ohne Plebiszit als Grundlage der neuen Grenzziehung anerkannt werden könnte“.79 Rasch einigte man sich, das Memorandum von der Hand Coudenhoves neu zu entwerfen. Otto stellte ihm verschiedene Unterlagen der Liga „Justice for South Tyrol“ in London zur Verfügung, die sein Bruder Robert gemeinsam mit Otto Hecht initiiert hatte. Ein langes Hin und Her gab es in der Frage, wer nun das Memorandum unterzeichnen solle. Coudenhoves „überparteiliche und internationale Haltung“ sei weithin anerkannt, daher werde man mit seinem Namen weniger den Verdacht einer „österreichisch-nationalistischen“ Stellungnahme verbinden können, meinte Otto. Coudenhove hingegen plädierte für eine Unterzeichnung durch den österreichischen Thronprätendenten, eventuell unter dem Pseudonym „Count of Tyrol“. Otto ließ sich schließlich überzeugen und sandte das Memorandum unter seinem Namen aus.80 Coudenhove seinerseits gab ihm Schützenhilfe durch eine öffentliche Stellungnahme in Form eines Leserbriefes an die New York Times. Darin gab er, nicht ohne drohenden Unterton, zu bedenken: Die Geographie mache Tirol zu einem idealen Boden für Guerillakriege und der Vormarsch der alliierten Armeen nach Deutschland sei auf die aktive Hilfe der angestammten Bevölkerung angewiesen. Zugleich strich er die darin liegende Chance heraus: Das Beispiel Andreas Hofers könne einen „Tiroler Tito“ wachrufen, der seine Landsleute zum Kampf gegen die faschistischen und nationalsozialistischen Bedrücker aufrütteln und so den Verbündeten den Weg ins Herz Deutschlands eröffnen könnte. „But such decisive help by an armed insurrection can only be expected if this brave and freedom-loving people is sure to achieve after victory its national liberation and assurance that it never again shall be handed over to its Italian oppressors. For this group of beautiful mountains and lovely valleys north of Trento grouped around the old cities of Bozen, Brixen and Meran is completely Austrian in character, language, tradition and sympathy. In violation of President Wilson’s pledges and principles it had been annexed, after Austria’s collapse in 1918, by Italy.“
Da Österreich im Gegensatz zu Griechenland und Jugoslawien keine Regierung habe, könne es keine Gebietsansprüche geltend machen. Doch in Anbetracht der Moskauer Deklaration 79 Coudenhove an Otto von Habsburg, 18. 7. 1944 (darüber Vermerk „Ungenaue Copie“). FAE-CK. Zur Südtirolproblematik vgl. Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Hrsg.), Die Option. Südtirol zwischen Faschismus und Nationalsozialismus, Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 5), Innsbruck 1989. 80 Otto von Habsburg an Coudenhove, 31. 7. 1944, 8. 8. 1944, 21. 9. 1944; Heinrich Degenfeld an Coudenhove 18. 9. 1944, Coudenhove 5. 8. 1944, 16. 8. 1944. FAE-CK.
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vom November 1943 könnten die großen Drei als Treuhänder der österreichischen Staatlichkeit handeln und Südtirol den Italienern abfordern. „I know that leading Italian democrats are willing to return it to Austria, if Italy’s future security can be safeguarded by better means than that represented by the strategic Brenner frontier. Thus the retrocession of this region to Austria by means of a plebiscite would be a decisive step toward lasting peace in Europe, just as its promise would be a decisive step to victory.“81
X. Neuer Aufbruch der Europa-Bewegung Der Durchbruch in seiner alten Domäne, der Publizistik, war Coudenhove spätestens im Herbst 1943 mit seinem Buch „Crusade for Pan-Europe“ gelungen, das in allen führenden Zeitungen des Landes ausführlich besprochen wurde und Anfang 1945 als Bestseller galt.82 Auch für seine politischen Pläne fand er nach Kriegsende rasch wachsende Aufmerksamkeit. In der amerikanischen Öffentlichkeit machte sich Enttäuschung breit über den Kriegsverbündeten UdSSR, der durch sein hartnäckiges Veto im UNO-Sicherheitsrat die Schwächen der neuen Weltorganisation bloßlegte. Den Stimmungsumschwung erlebte Coudenhove-Kalergi erstmals ganz deutlich im November 1945, als bei einer Vortragstournee durch den Westen und Mittelwesten die gewohnten prosowjetischen Gegenpositionen plötzlich ausblieben. Seit Truman ins Weiße Haus eingezogen war, schöpfte Coudenhove neue Hoffnung auf eine Übernahme europäischer Einigungsideen, die dem Präsidenten durch den „Coudenhove-Schüler“ Elbert Thomas in langen Gesprächen nahegebracht wurden.83 Ermutigt durch die ersten Erfolge seiner Propaganda in den Vereinigten Staaten, aber voll Unsicherheit über die Meinung der Europäer selbst, kehrte Coudenhove-Kalergi 1946 nach Europa zurück. Alles hing davon ab, ob der von Verheerung gezeichnete Erdteil „nach dem Schrecken des Krieges zu einem föderativen Zusammenschluss bereit war oder nicht“, ob also „der zweite Weltkrieg die Paneuropa-Idee getötet oder erneuert hatte“. Doch erleichtert stellte er schon bei seinen ersten Begegnungen fest, „dass der Nationalismus, der beide 81 Leserbrief Coudenhoves in: New York Times, 15.9.44. – Coudenhove hatte vor seiner Zeit am Wiener Theresianum ein Jahr lang das Augustiner-Gymnasium in Brixen besucht; vgl. Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 63 f. 82 Zwei- und dreispaltige Besprechungen z. B. in New York Herold Tribune, 31. 10. 43 und 28. 12. 43, New York Times, 7. 11.43 und 13. 11.43, Chicago Sun, 24. 10. 43, Time, 29. 11. 43, American Mercury, Jänner 1944, Newsweek, 17. 1. 44. In Time, 26. 3. 45, wird das Buch als Bestseller bezeichnet. Coudenhove selbst wurde ab 1944 oft nur noch als „Author of Crusade for Pan-Europe“ vorgestellt. – Vgl. auch Otto von Habsburg an Coudenhove, 2. 4. 44: „Es freut mich, dass es Ihnen nunmehr möglich ist, vor der großen amerikanischen Öffentlichkeit Ihre Gedanken niederzulegen.“ FAE-CK. 83 P. Mélandri, Les Etats-Unis face à l’unification de l’Europe 1945–1954, Paris 1980, 55–57.
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Weltkriege entfesselt hatte, endlich totgelaufen war und dass von ihm nur ein ‚lebender Leichnam‘ zurückblieb“.84 Der Moment schien gekommen, die Umsetzung der Paneuropa-Idee in politische Wirklichkeit zu versuchen. Es war dem Rückkehrer aus dem Exil klar, dass er nicht mehr auf den Verbindungen und Mitstreitern der Zwischenkriegszeit würde aufbauen können. In den aufrückenden politischen Führungsschichten, den „noch unbekannten Namen der europäischen ‚leader‘ von morgen, der begeisterten jungen Männer und Frauen, zum ersten Mal gewählt nach Jahren des Kämpfens und Leidens in den Widerstandsbewegungen, in Schützengräben und Gefängnissen“ suchte er seine Mitkämpfer. Mit ihrer Hilfe wollte er bei einem großen Europa-Kongress „die Außenpolitik der verschiedenen katholischen, sozialistischen, liberalen und konservativen Parteien koordinieren“.85 Bewegung und Kongress sollten vom Charisma eines Führers des freien Europas profitieren: Churchill oder de Gaulle. Doch de Gaulle winkte ab, und auch Churchill schlug das Angebot eines gemeinsamen Verbandes aus, um auf Drängen seines Schwiegersohns Duncan Sandys seine eigene Organisation zu gründen. Die Zusammenarbeit mit der zweiten wichtigen Strömung der sich formierenden Einigungsbewegung, der Union Européenne des Fédéralistes (UEF), wurde durch tief greifende Differenzen über die europäischen Zielbilder erschwert. Während Churchill und Coudenhove Europa im Rahmen einer atlantischen Zusammenarbeit vor dem sowjetischen Zugriff schützen wollten, strebte die UEF ein Europa an, das als Vermittler zwischen Amerika und Russland einen „dritten Weg“ gehen sollte. Die Debatten innerhalb der intellektuellen Führungszirkel der föderalistischen Bewegung, die in den Jahren 1946 bis 1948 von Vertretern des sogenannten „integralen Föderalismus“ dominiert waren, hatten vorwiegend gesellschaftstheoretischen Charakter. Was fehlte, war eine Verständigung über konkrete politische Maßnahmen zur Schaffung eines institutionellen Rahmens für Europa. Hier liegt Coudenhove-Kalergis entscheidender Beitrag beim Neuaufbau der europäischen Bewegung nach dem Weltkrieg. In Weiterentwicklung von Ideen seiner Exiljahre entschloss er sich, in privater Initiative mit den Vorarbeiten für eine Europäische Verfassungsgebende Versammlung zu beginnen. Durch gleichzeitigen Druck von innen – über eine koordinierte parlamentarische Aktion – und außen – durch die Verknüpfung des European Recovery Programs mit politischen Vorgaben – sollten die nationalen Regierungen in die Zange genommen und zur Föderation genötigt werden.86 84 Coudenhove, Kampf um Europa (Anm. 2), 257. 85 Richard Coudenhove-Kalergi, A Parliament for Europe, in: New York Herold Tribune, 10. 3. 1947. – Coudenhove an Winston Churchill, 19. 7. 1946. FAE-CK. 86 Hierzu und zum Folgenden ausführlich: Martin Posselt, Richard Coudenhove-Kalergi und die Europäische Parlamentarier-Union. Die parlamentarische Bewegung für eine „Europäische Konstituante“ (1946–1952), phil. Diss. Graz 1987 (erscheint als Veröffentlichung des Collegium Carolinum, München, in Vorbereitung). Einen konzentrierten Gesamtüberblick gibt: Wilfried Loth, Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939–1957, Göttingen 1990.
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Den Winter 1946/47 verbrachte Coudenhove wieder in den USA und trug dort nach Kräften zum Durchbruch der proeuropäischen Außenpolitik unter Truman und Marshall bei. Im Kongress wurde sein Anliegen durch eine Resolution unterstützt, die die Senatoren John William Fulbright und Elbert Thomas sowie der Abgeordnete Hale Boggs in beiden Häusern einbrachten. Zugleich legte Coudenhove durch eine europaweite Umfrage unter Parlamentariern den Grundstein für die Konstituierung von „Komitees für europäische Föderation“ in den Parlamenten Westeuropas. Er versandte Briefe an knapp 4000 Parlamentarier in 12 Ländern: nach Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Schweden und die Schweiz. Jedem Schreiben wurde ein Papierbogen mit der Frage „Are you in favour of a European Federation within the framework of the U. N.?“ sowie ein Exemplar der „Declaration of European Inter-Dependence“ vom 14. März 1945 als programmatische Orientierungshilfe beigelegt. An die Länder der sowjetischen Einflusssphäre, darunter auch Österreich, die Tschechoslowakei und Finnland sowie an die Diktaturen der iberischen Halbinsel gingen keine Anfragen. In Deutschland gab es noch kein Parlament, im Dezember 1946 wurde gerade der erste Landtag in der amerikanischen Zone gewählt. Ziel der Aktion war die „Mobilisierung parlamentarischer Mehrheiten für die Einigung in ganz Europa, dann Organisation und Koordination dieser parlamentarischen Mehrheiten, bis sie die nötige Stärke gewännen, um ihr Programm den Regierungen aufzuzwingen“.87 Die parlamentarischen Komitees würden Delegierte zu einem Kongress entsenden, der sich als permanente Körperschaft konstituieren sollte, „als eine Art vorbereitendes Parlament Europas“ mit periodischen Tagungen, „bis er sein Mandat einer Europäischen Verfassunggebenden Versammlung, gewählt von den europäischen Völkern, übertragen kann“.88
XI. Die Europäische Parlamentarier-Union Im Zuge der Vorbereitungen für diesen Plan besuchte Richard Coudenhove-Kalergi im September 1946 die Tagung der Internationalen Parlamentarier-Union (IPU) in St. Moritz. Dort traf er zwei Teilnehmer, die für sein Projekt lebhaftes Interesse bekundeten: den Klubobmann der Sozialisten im belgischen Senat, Georges Bohy, und den ÖVP-Nationalrat Eduard Ludwig. Mit Letzterem hatte der Paneuropa-Präsident schon vor dem Krieg zusammengearbeitet, als Ludwig Pressechef der österreichischen Bundesregierung war.89 Ludwig zeigte sich im März 1947 überzeugt, „dass auch die österreichischen Parlamentsmitglieder, zumindest in einem Teile, sich für die Arbeiten dieses Kongresses interessieren werden […] Ich 87 Richard Coudenhove-Kalergi, Vers un Parlement de l’Europe, Gstaad (Dez.) 1947, 8. FAE-CK. 88 A Parliament for Europe (Presseaussendung), 20. 6. 1947. FAE-CK, IV. 89 Coudenhove, Kampf um Europa (Anm. 2), 259. Zur Rolle der ÖVP und Eduard Ludwigs vgl. den Beitrag von Gehler in diesem Band.
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wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie mir Ihre diesbezügliche Ansicht mitteilen könnten, damit ich dann in dem engeren Kreis der Interparlamentarischen Union darüber einen kurzen Vortrag hielte und Sie von dem Ergebnis verständigen könnte.“90 Ludwig warf damit die Frage der Einbeziehung Österreichs in die Parlamentarieraktion auf. Bei der ersten Vorbereitungskonferenz im Juli 1947 stand das Problem der geografischen Abgrenzung ohnehin im Mittelpunkt der Diskussion. Der Zirkel schien vielen Parlamentariern zu eng gezogen. Schließlich setzte sich aber Coudenhove mit seiner Ansicht durch, wonach nur frei gewählte Parlamente zu befragen seien. Dazu zählte er allerdings nicht die demokratisch gewählten Parlamente Finnlands und der Tschechoslowakei, die nach Coudenhoves Einschätzung „ohne Freiheit in ihrer Außenpolitik“ waren. Immerhin rang man sich dazu durch, Fragebögen nun auch nach Österreich zu schicken, das Coudenhove „mit Rücksicht auf die russische Besetzung“ bisher nicht erfasst hatte. Als Hauptergebnis der Sitzung wurde ein internationaler Dachverband der Parlamentariergruppen unter dem Namen „Europäische Parlamentarier-Union“ (EPU) gegründet. Zugleich beschloss man, im September 1947 einen Parlamentarierkongress ins schweizerische Gstaad einzuberufen. Unverzüglich lud Coudenhove Eduard Ludwig ein, eine Delegation von acht Delegierten (4 ÖVP, 4 SPÖ) für den Kongress in Gstaad zusammenzustellen. Zugleich erbat er sich eine Adressenliste der österreichischen Parlamentarier, um den Nationalrat in die Parlamentarierumfrage einzubeziehen.91 Das ehrgeizige Ziel, den Kongress von Gstaad zu einem veritablen „Europäischen Vorparlament“ zu machen, das die Bevölkerungszahl und die politische Struktur der teilnehmenden Länder getreu widerspiegle, schlug fehl. Zu unterschiedlich war die Beteiligung der verschiedenen Parlamente, zu gering vor allem das Engagement der sozialistischen Parteien. Dennoch präsentierte sich der erste Kongress der Europäischen Parlamentarier-Union als eindrucksvolle und ambitionierte Versammlung, die erstmals nach dem Kriege den Parlamentariern auf europäischer Ebene eine Plattform für Gedankenaustausch und gemeinsame Aktion bot. Eduard Ludwig konnte die Hoffnungen, die er brieflich geweckt hatte, allerdings nicht erfüllen. In Gstaad nahm er als einziger Vertreter Österreichs teil. Aufgrund des Reglements wurde Österreich dessen ungeachtet bei den Neuwahlen auf gleichen Fuß gestellt mit den großen Delegationen Frankreichs (43 Abgeordnete) oder Italiens (39 Abgeordnete), die jeweils ein Vollmitglied und einen Stellvertreter in das Lenkungsorgan, den Rat der EPU, entsandten. Der Belgier Georges Bohy wurde zum Präsidenten gewählt, Richard Coudenhove-Kalergi, der einzige Nichtparlamentarier, zum Generalsekretär. Ludwig nahm den österreichischen Platz im Rat ein, sein Stellvertreterposten konnte jedoch schon nicht mehr besetzt werden. Ludwig zeigte sich in den folgenden Monaten als fleißiges Ratsmitglied: So nahm er an den Ratssitzungen im Dezember 1947 in Gstaad und im April 1948 in London teil.92 90 Eduard Ludwig an Coudenhove, 20. 3. 1947. FAE-CK. 91 Coudenhove an C. Matteotti, 15. 7. 1947; Coudenhove an Eduard Ludwig, 12. 7. 1947. FAE-CK. Coudenhove, Kampf um Europa (Anm. 2), 266. 92 Rapport sur la réunion du Conseil Exécutif de l’Union Parlementaire Européenne à Gstaad, 12.–14. 12. 1948.
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Die wesentliche Leistung des Parlamentarier-Kongresses von Gstaad war die einstimmig verabschiedete Forderung an die Regierungen und Parlamente, „baldmöglichst eine europäische Konstituante einzuberufen, mit der Aufgabe, eine Bundesverfassung zu erarbeiten“.93 Zweifellos war es ein „kühner und bedeutender Schritt, dass die versammelten 114 Parlamentarier aus zehn Ländern, Coudenhove folgend, das logisch-direkte Konzept eines bewussten demokratischen Gründungsaktes, die via aurea der ,baldigen Einberufung einer Verfassunggebenden Europäischen Versammlung‘ proklamierten“.94 Die EPU gab so der europäischen Bewegung das bis dahin fehlende Leitmotiv für die nun einsetzende politische Kampagne. Der Platz an der Nahtstelle zwischen privater Europabewegung und offizieller Politik verlieh der EPU besondere Möglichkeiten. Im Anschluss an den Gstaader Kongress setzten sich die italienische Konstituante, die französische Nationalversammlung und das englische Unterhaus mit Initiativanträgen ihrer jeweiligen EPU-Komitees zugunsten einer Europäischen Versammlung auseinander. Innerhalb des österreichischen Nationalrates warb Eduard Ludwig, inzwischen Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses, weiter für die Sache der EPU. In der Plenardebatte vom 27. Oktober 1947 streifte er die europäische Frage und erwähnte dabei auch den Kongress von Gstaad. Nach der EPU-Ratssitzung im Dezember schrieb er an Coudenhove: „Habe soeben die Berichte an den Herrn Bundeskanzler und die maßgeblichen Männer meiner Partei abdiktiert, konnte Vormittag auch mit einigen Mitgliedern der sozialistischen Partei sprechen und ich hoffe, dass die österreichische Evolution sich entsprechend den großen gestellten Zielen vollzieht.“
Und im Februar 1948 berichtete er: „Es vergeht gegenwärtig kaum ein Tag, an dem ich nicht Zuschriften zu dem Thema Paneuropa erhalte. Ich habe auch das eine oder andere Mal in der Öffentlichkeit gesprochen, das Interesse in Österreich wächst in raschem Maße.“95
Auf diesen Wegen drang das föderalistische Programm schon Monate vor dem Haager Kongress in die Zentren staatlicher Macht vor; zu einem Zeitpunkt, als die Mehrheitsmeinung innerhalb der UEF noch grundsätzliche Bedenken gegen die Parlamente als RepräsentanReport of the Meeting of the Executive Council of the European Parliamentary Union, 9./10. 4. 1948. FAECK. 93 Coudenhove, Vers un Parlement (Anm. 87), 13 f. 94 Walter Lipgens, Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945–1950, Bd. 1: 1945–1947, Stuttgart 1977, 558 f. 95 Eduard Ludwig an Coudenhove, 19. 12. 1947, 3. 2. 1948, 4. 2. 1948. FAE-CK. L’Action Fédéraliste Européenne (1948), Nr. 10, 46.
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ten des nationalstaatlichen „Ancien Regime“ kultivierte.96 Die zustimmende Haltung der italienischen und französischen Kammer zu den EPU-Vorschlägen einerseits, die strikte Ablehnung durch die Briten andererseits wie auch die niederländische Bevorzugung „funktionalistischer“ Lösungen legten Tendenzen offen, die in der Folgezeit von entscheidender Bedeutung waren.
XII. Großeuropa oder Kleineuropa? Ein ähnliches, äußerst bemerkenswertes Resultat hatte auch die Parlamentarierumfrage, die Coudenhove Ende 1947 abschloss. In Zentral- und Südeuropa erreichten die zustimmenden Antworten in sieben Ländern die absolute Mehrheit: An der Spitze Italien mit 64,5 %, gefolgt von Luxemburg, Griechenland, Belgien, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz mit mehr als 50 %, während Irland mit 25 %, Großbritannien mit 23 % und Österreich mit 22 % unter den Erwartungen blieben. Deutliches Desinteresse manifestierte sich in Skandinavien, wo die positiven Antworten weniger als 15 % ausmachten. Österreich war somit das einzige zentraleuropäische Land, in dem keine absolute Mehrheit erzielt wurde, sondern die Zustimmung sich den kühleren Werten der insularen Völker Nordwesteuropas anglich. Bei der Bewertung dieses Umstandes wird man nicht außer Acht lassen können, dass im Land nach wie vor sowjetische Truppen standen und die österreichischen Parlamentarier sich in einem prekären außenpolitischen Umfeld bewegten. Die geografische Differenzierung der Ergebnisse konnte auf politischer Ebene nicht umgesetzt werden: Die von der Umfrage nahegelegte Beschränkung auf „Kerneuropa“ stand nicht zur Debatte, da vor 1950 Europapolitik nur unter französisch-britischer Führung denkbar war. Dem musste sich auch die EPU unterwerfen, wenngleich Coudenhove schon ab 1948 für die Ablösung der Achse Paris–London durch ein deutsch-französisches Gespann plädierte. Italien, Deutschland, Österreich, Griechenland, die Beneluxstaaten und – mit Abstrichen – Frankreich seien zur Föderation bereit, Skandinavien, die Schweiz und Großbritannien jedoch nicht, urteilte er in einem Essay, das 1948 in New York erschien. „My guess is that nothing will happen in Great Britain until the states of the Continent are ready to federate without Great Britain and that then at the last minute Great Britain may decide to come in or may decide to stay out“,
vermutete er gegenüber Mackay. Robert Schuman riet er im September 1948, gemeinsam mit den kontinentalen Staaten, die eine Föderation wünschten, die Initiative zu ergreifen, 96 Martin Posselt, L’Unione Europea dei Federalisti eil congresso di Montreux del 1947, in: I Movimenti per l’Unità europea dal 1954 al 1954. Atti del Convegno internazionale Pavia 19–20–21 ottobre 1989, hrsg. v. Sergio Pistone, Mailand 1992, 301–310.
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statt noch länger auf britische Sonderinteressen Rücksicht zu nehmen. Gegenüber de Gaulle formulierte er noch schärfer: Eine deutsch-französische Entente sei eine viel wirkungsvollere und direktere Methode, um die Einigung Europas zu sichern, als Verhandlungen zwischen 18 Regierungen unter britischer Vormundschaft.97 Bei der Vorbereitung des gemeinsamen Europakongresses der europäischen Bewegung in Den Haag im Mai 1948 spielte die EPU eine bedeutende Rolle. Der britische LabourAbgeordnete Ronald Mackay, der in seiner Eigenschaft als EPU-Vizepräsident die Parlamentarierbewegung bei den Vorberatungen vertrat, brachte die Leitforderung nach einer Europäischen Versammlung in die Textentwürfe ein. In Auseinandersetzung mit dem „unionistischen“ Flügel der Kongressteilnehmer einigte man sich auf den von Duncan Sandys vermittelten Kompromiss einer Versammlung mit zunächst vorwiegend beratendem Charakter, die dem von der britischen Regierung vorgeschlagenen europäischen Ministerrat zur Seite gestellt werden sollte. Obwohl sich der britische Außenminister Bevin lange gegen diese Konstruktion sträubte, setzte sie sich bei der Gründung des Europarates 1949 letztlich durch.98 Bei ihrem zweiten Kongress im September 1948 in Interlaken versuchte die Europäische Parlamentarier-Union die Haager Ergebnisse in föderalistischer Hinsicht zu übertreffen. Diesmal hatte die österreichische Sektion der EPU eine achtköpfige Delegation aufgeboten und damit ihr Kontingent voll ausgeschöpft. Auch die Sozialisten waren nun dabei. Noch im Frühjahr hatten sie – wie die meisten Linksparteien des Kontinents – ihre endgültige Mitarbeit von einer Stellungnahme der britischen Labour Party abhängig gemacht.99 Die Interlaken-Delegation vereinte dann aber, trotz der unverändert ablehnenden Haltung Labours zu Europa, namhafte Parlamentarier beider großen Parteien. An ihrer Spitze standen Eduard Ludwig und Bruno Pittermann, die weiteren Mitglieder waren Hans Brachmann, Gustav Kapsreiter, Lehner, Hans Maurer, Hans Pernter und Otto Tschadek. Bei der Neuwahl des Rates nahm Eduard Ludwig wieder den österreichischen Platz ein, Bruno Pittermann wurde als stellvertretendes Mitglied benannt. Gestützt auf ihr Selbstverständnis als private Vorläuferin eines Europäischen Parlaments, entwarf die EPU auf dem Kongress die Grundlinien einer europäischen Bundesverfassung: den „Interlaken-Plan“. Doch der Versuch, die Regierungen durch Mobilisierung der vermeintlich vertretenen parlamentarischen Mehrheiten zur Annahme dieses Planes zu zwingen, scheiterte. Diese Niederlage, die zur Abspaltung der britischen und skandinavischen Gruppen führte und den Untergang des Verbandes einleitete, war nicht nur dem kategori97 Richard Coudenhove-Kalergi, Europe Seeks Unity, New York 1948, 29–31. Coudenhove an Ronald Mackay, 18. 10. 1948. Coudenhove an Robert Schuman, 21. 9. 1948; dessen Antwort, 24. 9. 1948. Coudenhove an Charles de Gaulle, 17. 12. 1948; dessen Antwort, 30. 12. 1948. FAE-CK. 98 Alan Hick, The European Movement and the Campaign for a European Assembly 1947–1950, phil. Diss. Florenz 1981. Posselt, Europäische Parlamentarier-Union (Anm. 86), 250–314. 99 Eduard Ludwig an Coudenhove, 4. 2. 1948. FAE-CK; Wilfried Loth, Sozialismus und Internationalismus. Die französischen Sozialisten und die Nachkriegsordnung Europas 1940–1950, Stuttgart 1977.
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schen Nein Großbritanniens zuzuschreiben, sondern ebenso der mangelnden Entschlossenheit der kontinentalen Parlamente. Die Umfragemehrheiten zugunsten einer „Europäischen Föderation“ erwiesen sich als Zeugnis der – nach Region und Partei unterschiedlich ausgeprägten – Bereitschaft, überkommene nationale Sehweisen zu korrigieren, aber sie waren kein Beitritt ganzer Parlamente zum Europa-Föderalismus gewesen. In jenen entscheidenden Monaten nahmen die Österreicher nicht mehr so aktiv an der Arbeit der EPU teil wie zuvor. Als es im Sommer 1949 zur Spaltung und zur Gründung einer parlamentarischen Konkurrenzorganisation unter dem Dach der Europäischen Bewegung kam, blieb die österreichische Sektion völlig passiv. Weder stellte sie sich entschieden auf die Seite der kontinentalen Föderalisten aus der EPU noch trat sie der von britisch-skandinavischer Seite initiierten Neugründung bei. Pittermann begründete den monatelangen Ausfall des österreichischen Komitees mit den im Oktober bevorstehenden Wahlen.100 Beim dritten Kongress der EPU in Venedig, der im September 1949 unmittelbar nach der Gründung des Europarates und drei Wochen vor der Nationalratswahl stattfand, vertrat nur Hans Pernter die österreichischen Farben. Aber welche Rolle hätte die österreichische Delegation auch bei einem Kongress spielen können, der sich selbst als „Siegesfeier“ für eine Entwicklung verstand, an der das Land nicht teilhatte? Seit sie sich institutionell konkretisierte, wurde die europäische Idee zielstrebig dem atlantischen Rahmen eingepasst, wodurch der österreichische Beitrag politisch entbehrlich schien. Venedig markierte aber auch den rapiden Bedeutungsverlust der EPU, seit mit der Straßburger Versammlung ein Forum bereitstand, dass dieselben Aufgaben, versehen mit dem Gewicht staatlicher Legitimation, wahrnahm. Die von Coudenhove ausgegebene Devise, die EPU müsse sich nun „aus einer Tribüne in eine politische Armee“ verwandeln, geeint durch das Programm von Interlaken, blieb ein unerfüllter Wunsch.101 1950 versammelte sich die EPU zu ihrem vierten Kongress in Konstanz. Bei diesem letzten Akt in der Geschichte der Parlamentarier-Union stellte Österreich mit neun Vertretern eine der markantesten Delegationen: für sie hatte die Zusammenkunft noch jenen Plattformcharakter, der in anderen Ländern inzwischen dem Straßburger Plenum zufiel.102 Durch das französische Parlamentarierkomitee, bislang eine Säule der EPU, wurde der Kongress hingegen boykottiert: aus Unzufriedenheit mit dem persönlichen Führungsstil des Generalsekretärs, aber wohl auch wegen seiner gaullistischen Neigung. In Konstanz zerbrach das letzte tragende Element, das Einvernehmen zwischen Coudenhove und Bohy, an der Frage, wie viel Rücksicht beim Aufbau Europas auf die britischen Sonderwünsche zu nehmen sei: Bohy, obwohl glühender Föderalist, konnte sich ein Europa ohne England nicht
100 Bruno Pittermann an Coudenhove. 28. 6. 1949. FAE-CK. 101 Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 318. Nach Straßburg, Bericht des Generalsekretärs der Europäischen Parlamentarier-Union Richard Coudenhove-Kalergi, 19. 9. 1949. FAE-CK, Venedig 1949. 102 Es handelte sich um Karl Brunner, Max Eibegger, Eugen Fleischhacker, Ferdinanda Flossmann, Franz Grubhofer, Lujo Tončić-Sorinj, Ludwig Klein, Eduard Ludwig und Bruno Pittermann; vgl. 4ème Congrès Parlementaire Européen, Constance, Salle du Coneile, Liste de présence. FAE-CK, Konstanz 1950.
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Richard Coudenhove-Kalergi, Paneuropa und Österreich 1940–1950
vorstellen. Die Führungsgruppe fiel auseinander, der Verband hatte seine Aufgabe erfüllt. Richard Coudenhove-Kalergi wandte sich von der parlamentarischen Arbeit ab, um seine Vorstellungen in einer erneuerten Paneuropa-Union zu verwirklichen. 1952 wurde die EPU der Europäischen Bewegung eingegliedert und mit der Konkurrenzgründung des inzwischen zurückgetretenen Duncan Sandys verschmolzen. Dem auf diese Weise entstandenen „Parlamentarischen Rat“ der Europäischen Bewegung war es in der Folge nicht bestimmt, irgendeine politische Bedeutung zu erlangen.
XIII. Europäisches Parlament und Europäische Nation Trotz aller Rückschläge blieb die ebenso logische wie revolutionäre Idee, das föderierte Europa durch einen bewussten demokratischen Gründungsakt zu errichten, von ungebrochener Faszination und ließ die Europabewegung seither nicht mehr los. Wenn auch die parlamentarischen Versammlungen des Europarats und der Montanunion zunächst nur einen schwachen Abglanz der ursprünglichen Idee einer Europäischen Konstituante reflektierten, so war doch der entscheidende Schritt aus der Welt der Diplomatie in die Welt des Parlamentarismus getan. Langsam, aber unwiderstehlich wandelte sich der Charakter der innereuropäischen Beziehungen vom Außenpolitischen ins Innenpolitische. Wo ein direkt gewähltes Europäisches Parlament tätig ist, muss auch eine europäische Nation vermutet werden, die ihre Souveränität an dieses Parlament delegiert. Diese These, die das nationale Unabhängigkeitsdogma an der Wurzel angreift, wurde durch den Österreicher Richard Coudenhove-Kalergi im amerikanischen Exil entfaltet und nach 1945 in die sich formierende Einigungsbewegung eingepflanzt. Österreich selbst spielte allerdings, ungeachtet des frühen Engagements einiger seiner Parlamentarier in der EPU, im Rahmen des zwischenstaatlichen Einigungsprozesses nach 1949 eine ebenso marginale Rolle wie innerhalb der Paneuropa-Union, die CoudenhoveKalergi 1952/54 wiederbelebte. Erst 1962 fand wieder eine Tagung der Paneuropa-Union in Wien statt, eine Gedenkfeier zum vierzigjährigen Bestehen der Bewegung. „Fast ein Vierteljahrhundert war seit der traurigen Nacht des Anschlusses vergangen. Seither war ich nur ein einziges Mal für einige Tage wieder in Wien gewesen, zu einer Parlamentariertagung“, schreibt Richard Coudenhove-Kalergi und nennt als Begründung: „Während der langen Jahre der deutschen und russischen Besetzung war an eine Rückkehr nach Wien nicht zu denken. Und danach lag das neutrale Österreich zu sehr an der Peripherie des freien Europa, um dessen Einigung fördern zu können.“103 103 Coudenhove, Ein Leben (Anm. 2), 349. – Nach 1962 nahm Coudenhove den lange Zeit abgerissenen Faden wieder auf und berief die internationalen Zusammenkünfte der Paneuropa-Union mit Vorliebe nach Wien ein. Einer dieser Kongresse bot 1972, wenige Monate vor dem Tod Richard Coudenhove-Kalergis, die Bühne für den „historischen Händedruck“ zwischen Otto von Habsburg und Bruno Kreisky.
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„Auf ,gleicher Höhe marschieren‘“ – Franz Karasek, Österreich und der Europarat Zum Integrationsverständnis eines österreichischen Europapolitikers in den 70er- und frühen 80er-Jahren
I. Vorbemerkung Der vorliegende Beitrag stellt einen Versuch dar, biografische Notizen zu einem der markantesten österreichischen Europapolitiker mit einigen Anmerkungen über das Verhältnis Österreichs zum Europarat zu verbinden. Dass dies hier im Zusammenhang mit der Persönlichkeit Franz Karaseks (ÖVP) geschieht, soll keiner Abwertung anderer Repräsentanten Österreichs im Europarat gleichkommen – es sei in diesem Zusammenhang etwa an Lujo Tončić-Sorinj (ÖVP), zwischen 1969 und 1975 einer der Vorgänger Karaseks als Generalsekretär des Europarates, oder an den Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in den Jahren 1975–1978, Karl Czernetz (SPÖ), erinnert. Dennoch bildet die Biografie Franz Karaseks einen interessanten Ansatz für eine Auseinandersetzung mit der österreichischen Europapolitik. Der junge Diplomat Karasek war zwischen 1952 und 1956 Sekretär bei den Bundeskanzlern Leopold Figl und Julius Raab, ging in den folgenden Jahren als Botschaftsrat zuerst nach Paris, anschließend nach Moskau, ehe er 1964 als Kabinettschef von Bundeskanzler Josef Klaus an den Ballhausplatz zurückkehrte und die Außenpolitik der Regierung Klaus wesentlich mitkonzipierte. 1966 wurde Karasek zum Leiter der damals im Unterrichtsministerium untergebrachten Sektion für kulturelle Auslandsbeziehungen bestellt, ehe er 1970 mit seiner Wahl in den Nationalrat, wo er in der Folge als außenpolitischer Sprecher der Österreichischen Volkspartei fungierte, in die Politik zurückkehrte.
II. Zur Funktion des Europarates im Rahmen des europäischen Einigungsgedankens Bevor die Tätigkeit Karaseks als Europapolitiker näher beleuchtet werden soll, scheint es angebracht, einige zusammenfassende Bemerkungen zur Rolle und Funktion des Europarates zu machen. Auf dem Weg zu einer Institutionalisierung europäischer Politik markierte Winston Churchills Rede in Zürich vom 19. September 1946 mit dem Appell, „Vereinigte Staaten von
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Europa“ zu bilden, einen entscheidenden Impuls. Er forderte dabei als ersten Schritt eine deutsch-französische Verständigung. Als Forum schlug er für den Anfang die Bildung eines „Europarates“ vor, über dessen Gestalt er sich aber nur vage äußerte.1 Doch schon am ersten Haager Kongress vom 8.–10. Mai 1948, der die Schaffung eines vereinigten Europa mit Freizügigkeit der Menschen, der Güter und der Ideen forderte, zeigte sich, dass die Vorstellungen über die Kompetenzen eines Europarates durchaus divergierend waren. Weitgehende Forderungen, etwa die direkte Wahl von Abgeordneten oder die Ausarbeitung einer europäischen Verfassung durch den zu gründenden Europarat, scheiterten an den Widerständen der Briten. Die schließlich gefundene Einigung stellte eine Minimallösung dar: Schaffung eines Ministerkomitees, dessen wesentliche Beschlüsse einstimmig zu fassen waren und einer Versammlung, der allerdings lediglich beratende Funktion zukam. Die Unterzeichnung der Satzung in London am 5. Mai 1949 erfolgte durch ursprünglich 10 Staaten. Die Aufnahme Österreichs in den Europarat im April 1956 hatte innen- wie außenpolitisch eine Signalwirkung. Angesichts der noch kaum definierten Stellung als dauernd Neutraler kam dem Beitritt eine sichtbare Erklärung der Zugehörigkeit zu den europäischen Demokratien zu und bedeutete eine erste Interpretation des Neutralitätsstatus durch Österreich in Richtung einer „aktiven“ Neutralität. Die 1955 als Vorbild für österreichische Politiker figurierende Schweiz trat dem Europarat erst sieben Jahre später (1963) als Vollmitglied bei. „Der Europarat“, so Hans Mayrzedt, „musste Österreich, abgesehen von der UNO, als das geeignetste Forum seiner multilateralen Diplomatie erscheinen – für eine gleichberechtigte Teilnahme an gemeinsamen internationalen Meinungs- und Entscheidungsbildungen.“2 Obwohl die ursprünglich weitgespannten Hoffnungen bezüglich einer über den Europarat sich entwickelnden europäischen Integration in Richtung eines europäischen Bundesstaates nie erfüllt werden konnten, bildete die Parlamentarische Versammlung, sie hieß bis 1974 Beratende Versammlung, doch jenes Forum, in dem in den 50er- und 60er-Jahren die Debatten über die Projekte der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) sowie einer Großen Europäischen Freihandelszone genauso wie über die Annäherung zwischen EWG und EFTA geführt wurden. Damals wurden auch die bis heute wichtigsten Konventionen des Europarates verabschiedet: die Konvention 1 Zur kontroversiellen Einschätzung der Europapolitik Churchills in Österreichs Medienlandschaft, vgl. die Artikel „Der dritte Ausweg“, in: Arbeiter-Zeitung, 1. 9. 1946, und „Churchill fordert Vereinigte Staaten von Europa“, in: Arbeiter-Zeitung, 20. 9. 1946, sowie die Reaktion des kommunistisch orientierten Organs der sowjetischen Besatzungsmacht „Alter Kram wird auf neu umgearbeitet. Die ,Arbeiter-Zeitung‘ auf den Pfaden Churchills“, in: Österreichische Zeitung, 22. 9. 1946; vgl. zu den Anfängen: Wilfried Loth, Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939–1957, Göttingen 1990, 44. 2 Hans Mayrzedt, Österreichs Politik im Europarat als Teil seiner multilateralen Westeuropapolitik. Ansätze zu einer Neuordnung der westeuropäischen Integration, in: Waldemar Hummer/Georg Wagner (Hrsg.), Österreich im Europarat 1956–1986. Bilanz einer 30-jährigen Mitgliedschaft (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, Veröffentlichungen der Kommission für Europarecht, internationales Recht und ausländisches Privatrecht 7), Wien 1988, 63–77, hier 66.
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zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1950), das Europäische Kulturabkommen (1954) und die Europäische Sozialcharta (1961). Doch verlagerte sich der Schwerpunkt der Europapolitik sukzessive hin zur EWG, denn während der Europarat das Ziel der europäischen Einigung weiter mit den klassischen Mitteln der Diplomatie, dem Abschluss von Abkommen und Verträgen, zu erreichen suchte, war die Integrationsqualität der Europäischen Gemeinschaft von Anfang an um vieles dynamischer. Als nach der Erweiterung der EWG neun von damals 17 Mitgliedsstaaten des Europarates der Gemeinschaft angehörten und sich auch die ursprünglich engen Bindungen zur Kommission weitgehend gelockert hatten, begann man vielfach, von einer „Identitätskrise“ des Europarates zu sprechen. Lujo Tončić-Sorinj, bis 1974 dessen Generalsekretär, sah das Hauptproblem darin, dass, solange der Mitgliederstand des Europarates den der Europäischen Gemeinschaft weit überstieg, eine Duplizität der Kompetenzen und Aktionen als unvermeidlich angesehen werden konnte. Mit der durch den Mitgliederzuwachs der EWG bedingten zunehmenden Identität beider Organisationen wurde diese Doppelgeleisigkeit jedoch immer fragwürdiger.3 Tatsache war jedenfalls, dass sich internationale parlamentarische Debatten immer mehr weg von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Richtung des Europäischen Parlaments verschoben. Basierend auf dem sogenannten „Réverdin-Bericht“ nahm die Parlamentarische Versammlung im Mai 1973 die Empfehlung 703 an, in der klar ausgesprochen wurde, dass die europäische Einheit das gemeinsame Ziel der Arbeit von Europarat und Europäischer Gemeinschaft sei, weshalb sich die jeweilige Arbeit nicht konkurrenzieren, sondern komplementär ergänzen sollte. In der vom Ministerkomitee im Jänner 1974 beschlossenen Resolution wurde die künftige Tätigkeit des Europarates dann auf acht Arbeitsbereiche konzentriert4: Menschenrechte, soziale und sozioökonomische Fragen, Erziehung und Kultur, Jugendwesen, öffentliche Gesundheit, Umweltschutz und Regionalplanung, Gemeinde- und Regionalangelegenheiten, Harmonisierung im Rechtsbereich. Die Idee, mit der Europäischen Gemeinschaft zu einer Arbeitsteilung zu gelangen, wurde fallen gelassen, vielmehr sollten im Sinne der schon von der Versammlung beschworenen Komplementarität der Informationsfluss intensiviert und Kontakte auf den entsprechenden Ebenen hergestellt werden. Unter anderem kam es in der Folge zur Errichtung eines Liaison-Büros des Europarates in Brüssel. Durch diese Neuorientierung waren die Rahmenbedingungen für die Arbeit des Europarates in den folgenden Jahren abgesteckt. Wenn dieser auch vom geistigen Konzept seiner Urheber weitgehend abgerückt war, so bildete er doch ein Gremium, das besonders aufgrund seines hohen Standards auf dem Gebiet der Demokratie und des Menschenrechtsschutzes erhebliche Leistungen vorweisen 3 Lujo Tončić-Sorinj, Erfüllte Träume. Kroatien – Österreich – Europa, Wien 1982, 417. 4 Otto Maschke hebt dabei die besondere Rolle hervor, die der damalige Präsident des Ministerkomitees, der österreichische Außenminister Kirchschläger, im Sinne einer Stärkung der Position des Europarates gespielt hatte. Otto Maschke, 30 Jahre Europarat – Rückblick und Perspektiven, in: Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik (ÖZA) 19 (1979), 3, 157–173, hier 162.
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konnte. Vor allem durch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) wurde erstmals ein internationaler Grundrechtsschutz für den einzelnen Bürger, der von sich aus einen Verfahrensmechanismus in Gang setzen kann, gewährleistet.
III. Franz Karasek als Mitglied der österreichischen Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Als sich Anfang der 60er-Jahre österreichischerseits die Entscheidung gegen einen Vollbeitritt zur EWG herauskristallisierte, blieb der Europarat das einzige politische Kooperationsund Integrationsforum auf europäischer Ebene. Karasek setzte sich als einer der außenpolitischen Experten innerhalb der ÖVP für eine programmatische Verankerung dieser Linie ein, noch bevor er in den Nationalrat gewählt wurde. In einem außenpolitischen Grundsatzreferat vor dem ÖVP-Bundesparteitag im Oktober 1966 bezeichnete er die Mitarbeit Österreichs gerade deshalb als eine bedeutende Herausforderung für die Außenpolitik, da es so gelingen könnte, trotz der österreichischen Neutralität mit den Ländern der EWG auf „gleicher Höhe zu marschieren“.5 Im Zuge der Budgetdebatte 1970 ergriff der neu gewählte außenpolitische Sprecher der ÖVP die Möglichkeit, seine Europapolitik erstmals umfassend auf parlamentarischem Boden darzulegen. Ein aktives Engagement im Europarat, das wurde dabei deutlich, bildete für Karasek die Alternative zum damals als mit der Neutralität unvereinbar angesehenen Vollbeitritt Österreichs zur EWG. Dabei wurde bereits eine Grundkonstante in der Europapolitik Karaseks deutlich. Europäische Integration bedeutete für ihn nicht notwendigerweise ein enges staatsrechtliches Korsett: „Ich glaube nicht daran, dass dieses Europa nur in der Uniformität zu suchen ist. Ich glaube vielmehr daran, und ich habe mich immer dazu bekannt, dass es auch ein einiges Europa in der Vielheit verschiedener staatlicher Existenzformen geben kann. […] Für mich war immer das Wesentliche beim europäischen Problem, dass es im Europa von morgen einen Platz für jeden geben muss, der sich zu Europa bekennt, daher auch einen Platz für den Neutralen, der nicht an allen politischen und wirtschaftlichen Integrationsgebilden voll teilnehmen kann. (Zustimmung bei der ÖVP.) Unsere Mitarbeit im Europarat zeigt und beweist, dass wir an einer Vereinheitlichung Europas auf vielen Gebieten mitarbeiten können, ohne unsere Neutralität zu gefährden und ohne uns von diesem Trend auf ein einheitliches Europa hin auszuschließen. Man muss sich nur vor dem Perfektionismus gewisser Europkraten (sic!) hüten, die glauben, dass das Europa von morgen nur entstehen werde, wenn es in die Zwangsjacke enger und starrer staatsrechtlicher Konstruktionen gezwängt wird.“6 5 Franz Karasek, Österreich in der Welt von heute, in: ÖZA 7 (1967), 2, 127–140. 6 Sten. Prot. NR, XII. GP, 25. Sitzung, 14. 12. 1970, 2046.
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Kurze Zeit später nahm Karasek den nach elfjährigen Verhandlungen im Juli 1972 erfolgten Abschluss der Verträge mit der Europäischen Gemeinschaft zur Errichtung der Freihandelszone erneut zum Anlass, um prinzipiell die Stellung Österreichs im Rahmen der Integration zu definieren. Der Vertrag mit der EG war dabei für ihn kein Schluss-, sondern nur ein Anfangspunkt der österreichischen Integrationsentwicklung. Denn, so Karasek in Anspielung auf die Verträge, „für die jungen Österreicher ist doch die Europavorstellung, das was sie von Europa denken, fühlen und wollen, mehr als nur die Reduktion von Zöllen, mehr als nur die Sicherung der Exportmärkte, mehr als die Ausfuhr von Milchpulver und Käse und allen möglichen sonstigen sehr guten Produkten“.7
Die Krisensymptome, von denen zu Beginn der 70er-Jahre im Zusammenhang mit der Verschiebung der Gewichte vom Europarat zur Europäischen Gemeinschaft gesprochen wurde, ließen auch die österreichischen Delegierten zum Europarat nicht unberührt. Nüchtern wies Karasek im April 1972 darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Vergrößerung des Europaparlaments bisweilen sehr offen darum gesprochen würde, dass dadurch der Europarat überflüssig werden könnte.8 In den Ausführungen des überzeugten Europäers Karasek wurde plötzlich die Angst spürbar, dass der Zug der europäischen Integration doch an Österreich vorbeirollen könnte. Erneut betonte er allerdings, dass Europa weit über die EWG hinausreiche, gleichzeitig warnte er vor einem „Europaperfektionismus“ der Gemeinschaft und appellierte an eine „europaweite Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen“.9 Auf die Frage, wo der Platz Österreichs im in Fluss gekommenen europäischen Integrationsprozess sein solle, kam Karasek in Ermangelung der Möglichkeit, Mitglied des Europaparlaments zu werden, immer wieder auf den Europarat zurück. Denn aktive Europapolitik bedeutete für ihn nach wie vor auch eine engagierte Neutralitätspolitik. Deutlich wies er auf das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Institutionen hin, er sprach von einem „unbefriedigende(n) Schwebezustand“ und prophezeite hier weitere Schwierigkeiten. Als eine Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen, griff Karasek den Vorschlag des Réverdin-Berichts auf, wonach Europäisches Parlament und Europarat häufiger, als das bis dahin der Fall war, zu gemeinsamen Sitzungen zusammentreten sollten.10
7 Sten. Prot. NR, XIII. GP, 39. Sitzung, 25. 7. 1972, 3540. 8 Sten. Prot. NR, XIII. GP, 28. Sitzung, 27. 4. 1972, 2336 f. 9 Ebd., 2339. In einem Artikel aus dem Jahre 1974 warnte er abermals davor, den „Perfektionismus der Europaidee“ so auf die Spitze zu treiben, dass für einen neutralen Staat kein Lebensraum mehr verbliebe. Franz Karasek, Österreichs Neutralität in der Entspannungsphase, in: Europäische Rundschau. Vierteljahresschrift für Politik, Wirtschaft und Zeitgeschichte 2 (1974), I, 27–38, hier 36. 10 Sten. Prot. NR, XIII. GP, 74. Sitzung, 30. 5. 1973, 6869.
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Auch wenn Karasek zu einer gewissen Kompetenzaufteilung bereit war, so plädierte er doch in der ersten Hälfte der 70er-Jahre noch für eine prioritäre Zuständigkeit des Europarates gegenüber der Wirtschaftsgemeinschaft gerade in europapolitischen Fragen: „Es wird zweckmäßig sein, sich mit dem Europäischen Parlament auf gewissen Gebieten auf eine Abgrenzung zu einigen. Ich glaube, […] dass wir uns auf keinen Fall das Recht absprechen lassen dürfen, im Europarat das politische Forum zu sein, das über alle politischen Probleme, die Europa, den Westen und die Atlantische Gemeinschaft betreffen, diskutiert. Die Neutralen können nicht dulden, dass gewisse Fragen über die Köpfe der Neutralen hinweg geregelt werden.“11 So sehr Karasek auch weiterhin recht behalten sollte, was das problematische Verhältnis zwischen Europarat und Europaparlament anlangte, so sehr irrte er in einem anderen Punkt: Wenn er nämlich – und das zum wiederholten Male – in der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) ein mögliches Instrument befürchtete, um die westeuropäische Integration zu stoppen.12 Im Dezember 1972 präzisierte er seinen diesbezüglichen Standpunkt: „Wirtschaftliche, kulturelle, wissenschaftliche, technische Kooperation im Rahmen einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Wer würde nicht gerne uneingeschränkt Ja zu so einem gut klingenden Programm sagen? […] Aber […] Nicht an Stelle bisher erreichter Kooperation etwa im Bereich des Europarates. […] Selbstverständlich wird man nicht gegen eine wirtschaftliche oder kulturelle Kooperation mit Ländern des Ostblocks sein können. […] Diese Zusammenarbeit […] kann nur gutgehen, wenn die andere Seite, die sie anbietet, bereit ist zur Freizügigkeit der Menschen, zum Austausch der Ideen, zum Austausch der Meinungen. Dann müssten eben die Grenzen nach dem Osten den geistigen Erzeugnissen der westlichen Welt eröffnet werden, dann darf man hier keine Infizierung durch die kapitalistische Ideologie befürchten, so wenig, wie wir die Infizierung durch die kommunistische Ideologie fürchten.“13
Die von der ÖVP 1978 vorgelegte „außenpolitische Doktrin“ trug, gerade was den Europarat anlangte, deutlich die Handschrift Franz Karaseks. Es war dies eines der wenigen außenpolitischen Papiere einer der beiden Großparteien, das dem Europarat mehr als nur eine obligatorische Erwähnung widmete, wie sie sich in allen einschlägigen Programmen fand. Die ÖVP forderte dezidiert eine Stärkung des Europarates als politisches Forum der demokratischen und pluralistischen Staaten Europas auf kulturellem, sozialem, raumplanerischem und juristischem Gebiet. Konkret wurde dabei verlangt, dass sich Österreich für die Schaffung von Konventionen des Europarates bezüglich des grenzüberschreitenden Regionalismus als ein Mittel der europäischen Einigung und der Lösung internationaler Konflikte einsetzen möge.14 11 Sten. Prot. NR, XIII. GP, 107. Sitzung, 21. 5. 1974, 10457. 12 Ebd., 3541. 13 Sten. Prot. NR, XIII. GP, 53. Sitzung, 5. 12. 1972, 4553. 14 Aus einem Vergleich der programmatischen Aussagen der beiden Großparteien zur Europapolitik Ende der
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IV. Kandidatur und Wahl zum Generalsekretär des Europarates Im Laufe der Jahre hatte Karasek mehrere wichtige Funktionen innerhalb der Parlamentarischen Versammlung innegehabt, der er seit 1970 als Ersatzmitglied und seit 1972 als Mitglied angehörte hatte. 1973/74 war er deren Vizepräsident, ab 1974 Präsident der Erziehungs- und Kulturkommission, von 1974 bis 1976 Generalberichterstatter der Politischen Kommission und seit 1974 Berichterstatter für die Zypernfrage. Dazu kam noch, dass Karasek Vizepräsident der Christ-Demokratischen Gruppe und über den Europarat hinaus im Rahmen der Interparlamentarischen Union (IPU) Präsident der Kommission für rechtliche, parlamentarische und Menschenrechtsfragen war. In den Jahren zwischen 1975 und 1978 war die österreichische Delegation eine der Triebkräfte innerhalb der Parlamentarischen Versammlung. Karl Czernetz war ihr Präsident, Karasek koordinierte als außerordentlich aktiver Generalberichterstatter der Politischen Kommission unter anderem die Behandlung der KSZE-Schlussakte im Europarat. Am politisch brisantesten waren seine drei Zypern-Erkundungsmissionen in den Jahren nach der Eskalation der Zypern-Krise im Juli 1974. Karasek wurde seiner Sondierungsaufgabe hervorragend gerecht, was sich auch daran zeigte, dass seine Vorschläge in der Parlamentarischen Versammlung einstimmig verabschiedet wurden.15 So war es nicht überraschend, dass der Name Karasek schon relativ früh als möglicher Nachfolger des deutschen Sozialdemokraten Georg Kahn-Ackermann genannt wurde, dessen Periode als Generalsekretär im September 1979 auslief. Es mag wohl schon der Hintergedanke einer möglichen Kandidatur zum Generalsekretär mitgespielt haben, als Karasek bei der Budgetdebatte 1977 in seiner breit angelegten Rede zum Kapitel Außenpolitik eine überaus positive Bilanz über die Arbeit des Europarates zog. Dieser habe in den 25 Jahren seines Bestehens ungeheuer viel zur Harmonisierung der Gesetzgebungen in Europa beigetragen. Dabei hob er die Konventionen genauso wie die Fachministertagungen besonders hervor. Kritik übte er nur am „Grab des Ministerrates, in dem gute und positive Vorschläge dieser Versammlung [gemeint ist die Parlamentarische Versammlung, Anm. H. W.] nur allzu oft verscharrt werden“.16 Bereits im Frühjahr 1978 stand Karaseks Kandidatur einigermaßen fest. Seine Chancen waren von Anfang an nicht schlecht, hatte er sich doch im Laufe der Jahre bei seinen Kolle70er- und in der ersten Hälfte der 80er-Jahre folgert Silvia Michal-Misak, dass „lediglich die ÖVP sich ausführlicher mit dem Europarat auseinandersetzt und initiativ wird. Dies ist v. a. auf die unterschiedliche außenpolitische Schwerpunktsetzung der ÖVP, die der Europapolitik eine vorrangige Stellung einräumt, zurückzuführen.“ Silvia Michal-Misak, Österreich und der Europarat. Struktur und Entwicklung des Europarates, in: Internationale Zeitschrift für internationale Politik (1987), 4, 57–60, hier 59. 15 Stefan Huber, Die parlamentarische Versammlung des Europarats und die österreichische parlamentarische Delegation. Transnationaler Parlamentarismus unter besonderer Berücksichtigung der österreichischen Außenpolitik 1956 bis 1986, Diplomarbeit, Innsbruck 1987, 61, 90 f. 16 Sten. Prot. NR, XIV. GP, 73. Sitzung, 1. 12. 1977, 7020.
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gen durch seine außenpolitische Qualifikation hohes Ansehen erworben, und darüber hinaus war er persönlich in Straßburg sehr beliebt.17 Dazu kam als weitere wichtige Voraussetzung, dass sich die österreichische Bundesregierung mit Bundeskanzler Kreisky und Außenminister Willibald Pahr an der Spitze voll hinter die Bewerbung des Oppositionspolitikers Karasek stellte.18 Einen gewissen Nachteil bedeutete es für seine Kandidatur, dass der frühere Außenminister Tončić-Sorinj bereits vor Ackermann Generalsekretär gewesen und bis dahin noch kein Land bei der Besetzung dieses Amtes zweimal zum Zug gekommen war. Anlässlich seiner Nominierung gab Karasek eine Erklärung ab, in der er die wechselseitige Harmonisierung der staatlichen Rechtsauffassungen in der Form der Konventionen des Europarates, die Gewährleistung der Menschenrechte durch die Kommission und den Europäischen Gerichtshof sowie die beiden Organe, Parlamentarische Versammlung und Ministerrat, als Ort der Begegnung und politischen Aussprache als die zentralen Beiträge des Europarates zum europäischen Einigungsprozess bezeichnete.19 In einem Brief an die Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung legte Karasek in zehn Punkten seine Vorstellungen über den Europarat und sein Amtsverständnis dar. Die Menschenrechte standen dabei an erster Stelle: „I am firmly convinced that the protection of human rights should remain the primary concern of the Council of Europe whose competence in this matter should not be weakened by the creation of new institutions within the framework of other organizations.“20
Karasek machte den Rollenwechsel, den der Europarat seit den 50er-Jahren kontinuierlich durchgemacht hatte, zu seinem Programm: Er proklamierte nicht mehr programmatisch die Einigung Europas auf dem Boden des Europarates, sondern er sah die Aufgabe des Europarates als Forum europäischer Demokratie und als ein Zentrum europäischer Zusammenarbeit mit der Aufgabe der Pflege von Beziehungen zu anderen europäischen Institutionen, wobei ein Auseinanderdriften der EG- und Nicht-EG-Mitglieder möglichst verhindert werden sollte. Die Wahl Anfang Mai 1979 fiel knapp aus. Erst im zweiten Wahlgang konnte sich Karasek gegenüber seinem schwedischen Gegenkandidaten, Olof Rydbeck, mit einer Mehrheit von nur vier Stimmen durchsetzen. Der französische Kandidat Gabriel Perronnet war schon nach dem ersten Wahlgang ausgeschieden.21 17 So lautete die Einschätzung durch den außenpolitischen Kommentator der Zeitung Die Presse, Werner A. Perger, in: Die Presse, 3. 5. 1978. 18 Kurier, 21.7. 1978. 19 Pressemeldung der Austria Presse Agentur, 18. 7. 1978. Nachlass Dr. Franz Karasek, Privatbesitz Wien. Für die Ermöglichung der Einsichtnahme in den Nachlass des 1986 verstorbenen Dr. Franz Karasek und die dabei gewährte Hilfe möchte der Verfasser Frau Gertrud Karasek aufrichtig danken. 20 Briefentwurf ohne Datum (o. D.). Nachlass Dr. Franz Karasek. Privatbesitz Wien. 21 Neue Zürcher Zeitung, 10. 5. 1979.
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V. Vision Europa? Was war für den überzeugten Europäer Karasek an „Europabegeisterung“ noch vorhanden, als er 1979 das Amt des Generalsekretärs übernahm? Wie konnte das Europabild eines Mannes aussehen, der seit jeher ein Verfechter der europäischen Integration war, zugleich aber zu stark eingebunden war in den Strudel der Tagespolitik, um irgendwelchen Illusionen zu verfallen? Karasek analysierte die europäische Situation nüchtern. Er bezeichnete zwar den Europarat als Frucht einer „kühnen Vision“, doch, so setzte er fort, „Visionen ist es eigen, dass sie nicht selten über das Erreichbare hinauszielen, dass sie sich oft nur schrittweise und unvollkommen verwirklichen, dass die berühmten ,Realitäten des Lebens‘ sich stärker erweisen als die wagemutigen Bilder ihrer Träumer. […] Der Gedanke Churchills der Einigung Europas war ein revolutionäres Ansinnen. Die angesagte Revolution fand, wie fast immer, nicht statt.“22
Karasek ging es um ein „Europa der Vielfalt“. Offen stellte er in den Raum, ob die „große politische Vision eines geeinten Europa“, wie sie als Antwort auf die den alten Kontinent in Schutt und Asche legenden Nationalismen nach 1945 formuliert wurde, „nicht eine Chimäre war“.23 Daher sah für ihn die Zukunftsperspektive folgendermaßen aus: „Die Einigung Europas war eine Hoffnung der Völker. Sie ist es auch heute noch, wenn wir dabei die Vielfalt der Wege respektieren und damit einer europäischen Grundbefindlichkeit Rechnung tragen, wenn wir nämlich jeder europäischen Institution den Platz belassen, in deren Sektor, auf deren Gebiet diese optimal die jeweiligen europäischen Zielsetzungen erfüllt.“24
Eine solche Definition half in doppelter Hinsicht über Misslichkeiten des politischen Status quo hinweg: Zum einen ließ sich auf diese Weise das Nebeneinander von Europarat und Europäischer Gemeinschaft, von parlamentarischer Versammlung und dem – 1979 erstmals direkt gewählten – Europaparlament begründen: Das Europa der 21 schöpfe seinen Zusammenhalt aus den Prinzipien der pluralistischen Demokratie und der Menschenrechte, während die Europäischen Gemeinschaften in erster Linie eine wirtschaftliche Integration vorantrieben. Das heißt, Karasek wollte den Erfolg der europäischen Integration des Europarates nicht mehr danach bewerten, ob er eine neue supranationale Institution hervorzubringen in der Lage wäre, sondern vielmehr nach dem, was er funktional im Sinne eines koordinierten Zusammenwirkens seiner Mitglieder bewirken konnte. 22 Franz Karasek, Die Einigung Europas aus der Sicht des Europarates, in: ÖZA 19 (1979), 1, 54–61, hier 54. 23 Franz Karasek, Zusammenarbeit in Europa und Erziehung zu Europa. Rede anlässlich der Europatagung der Sektion Österreich des Europäischen Erzieherbundes am 10. 12. 1980 in Wien, Wien 1981, 8. 24 Ebd., 8 f.
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Bei seinem Amtsantritt hatte Karasek weitreichende Pläne. In erster Linie ging es ihm darum, „eine Öffnung des Europarats hin zu praktisch-technischer Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas voranzutreiben“.25 Die Sowjetunion hatte bis dahin eine konsequent ablehnende Haltung gegenüber dem Europarat eingenommen. Die osteuropäischen Verbündeten mussten notgedrungen folgen. Auch die bis Ende der 70er-Jahre erfolgten Bemühungen um die Teilnahme der osteuropäischen Staaten an sogenannten technischen Abkommen waren mit Ausnahme Jugoslawiens praktisch erfolglos geblieben. Als eine auf demokratischen Grundprinzipien basierende Organisation war der Europarat für die UdSSR auch eine zutiefst ideologische. Aus diesem Grund war Karasek auch nicht immer so freimütig für eine Öffnung gegenüber Osteuropa eingetreten. Noch im Mai 1973 hatte er die bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten Resolutionen des Europarates, die an die Staaten des östlichen Blocks gerichtet waren, als „einseitige Liebeserklärungen“ bezeichnet, die man besser nicht zu oft wiederholen solle, um sich nicht der Lächerlichkeit preiszugeben.26 Sechs Jahre später hoffte er – nun als Generalsekretär – durch eine mögliche Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas dem Europarat als Forum einer Ost-West- und Entspannungspolitik eine zusätzliche Funktion und damit ein zusätzliches Selbstverständnis zu verschaffen. Nach dem Erfolg der Konferenz von Helsinki hatte er schon bei Vorträgen in Warschau und Budapest in den Jahren 1976 und 1977, damals noch als außenpolitischer Sprecher der ÖVP, sein Interesse an einer Einbindung der osteuropäischen Staaten in die Arbeit des Europarates bekundet. Er sprach dabei von einer „Reihe uns gemeinsam berührender Probleme“ und bot Wien als Gastgeber für ein solches Treffen an.27 Dass eine solche Kontaktnahme allerdings nicht zu einer Annäherung in Richtung eines Beobachterstatus oder gar einer Mitgliedschaft im Europarat führen konnte, solange die Verfassungsordnungen der einzelnen Länder nicht auf dem Boden von Demokratie und Menschenrechten standen, hatte Karasek schon unmittelbar nach seiner Wahl im Mai 1979 klargestellt.28 Eine am 4. Dezember 1979 in München vor den Mitgliedern des Peutinger-Collegiums und des Wiener Donaueuropäischen Instituts gehaltene Rede nahm der neue Generalsekretär zum Anlass, seine Konzeption gegenüber den Staaten des Ostblocks zu entwickeln.29 Seine Ausführungen, denen bereits informelle diplomatische Kontakte vorausgegangen waren, gipfelten in einem Appell an die osteuropäischen Regierungen, ihre Haltung gegenüber 25 Franz Karasek, der Europarat – seine Rolle, seine Möglichkeiten, in: Europäische Rundschau 13 (1985), 2, 23–34, hier 30. 26 Sten. Prot. NR, XIII. GP, 74. Sitzung, 30. 5. 1972, 6869. 27 Maschingeschriebene Redemanuskripte: „Die außenpolitische Entwicklung Österreichs von 1945 bis heute“, Warschau, November 1976; Budapest Februar 1977. Nachlass Dr. Franz Karasek, Privatbesitz Wien. 28 Saarbrücker Zeitung, 15. 5. 1979. 29 Die programmatische Rede wurde im West Ost Journal publiziert. Franz Karasek, Europäische Zusammenarbeit im Spannungsfeld Nord-Süd und Ost-West, in: West Ost Journal. Internationale unabhängige wirtschaftspolitische Zeitschrift 12 (1979),6, 11–14.
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dem Europarat im Sinne einer Zusammenarbeit im „nicht-ideologischen Bereich“ zu revidieren.30 Anknüpfend an das, was Leonid Breschnew am 25. Parteitag der KPdSU gesagt hatte, nämlich dass Entspannung nicht bedeute, auf ideologische Auseinandersetzungen mit der westlichen Welt zu verzichten, stellte Karasek klar, dass auch der Europarat nicht seine Grundforderung nach dem freien und demokratischen Rechtsstaat aufweichen und auch in Zukunft „ein tragender Pfeiler der voranschreitenden Einigung Westeuropas“ bleiben werde.31 Doch hätten sich im Laufe der 70er-Jahre und insbesondere durch die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte neue Perspektiven eröffnet: „Wir befinden uns in einer veränderten Situation, die vom Europarat wie von den Staaten Osteuropas eine Neubetrachtung, ein Neuüberdenken der Beziehungen erfordert und Denkschemata aus den 50er- und 60er-Jahren beiseite lassen sollte. […] Europapolitik ist heute somit aktive und pragmatische Ost-West-Politik.“32
Anknüpfend an die Schlussakte von Helsinki rief Karasek nach „Bereitschaft zu europäischer Solidarität“, die „jegliche Form von Rivalität“ ersetzen sollte.33 Gerade aus dem Bewusstsein der gegenläufigen ideologischen Grundorientierung heraus sollte es möglich sein, in grenzüberschreitenden Fragen der Umwelt genauso wie in den Bereichen der Wissenschaft, Technik oder der Kultur Anknüpfungspunkte zu finden. Es liegt auf der Hand, dass Franz Karasek als Österreicher und darüber hinaus als ehemaliger persönlicher Mitarbeiter von Bundeskanzler Julius Raab hier mit besonderer Glaubwürdigkeit die Funktion eines „ehrlichen Maklers“ zwischen den Blöcken übernehmen konnte. Konkret bot Karasek den Ländern Osteuropas an, den schon bestehenden offenen Konventionen des Europarates beizutreten, vor allem aber schlug er vor, neue Gemeinschaftsprojekte ins Leben zu rufen. An möglichen Beispielen für eine solche Zusammenarbeit nannte er etwa die Konventionen des Europarates bezüglich der Anerkennung der Befähigungsnachweise zum Universitätsstudium, der Gleichwertigkeit der Diplome und der Gleichwertigkeit der Studiendauer. Diesen Konventionen war bereits Jugoslawien beigetreten. Er sprach aber auch von ganz neuen multilateralen Abkommen, etwa zur Vereinheitlichung der Visaerfordernisse und der Nivellierung der Visagebühren oder zur medizinischen Versorgung und Überführung erkrankter Bürger innerhalb der Staaten Europas. Auch wenn eine solche Initiative nur partielle Bereiche erfassen konnte, stellte sie doch einen bemerkenswerten Vorstoß zur Entspannung in Europa dar. Es war wohl auch einer der letzten gewesen. Denn nicht einmal einen Monat nach seiner Münchner Rede fand die Entspannungsperiode der zweiten Hälfte der 70er-Jahre mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan ein jähes Ende. In Europa sollten 30 Ebd., 12. 31 Ebd., 14. 32 Ebd., 14. 33 Ebd., 12.
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kurze Zeit später die Ereignisse rund um die Gewerkschaft „Solidarnosc“ beziehungsweise die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen und die sogenannte Nachrüstung eine deutliche Abkühlung im Verhältnis der beiden Blöcke mit sich bringen. Es ist müßig zu sagen, dass damit dem Generalsekretär des Europarates kein Spielraum, ja nicht einmal mehr die Unterstützung der eigenen Mitgliedsländer für eine Intensivierung der Kontakte zu den Ländern Osteuropas geblieben war.34 Erst nachdem Karaseks Periode als Generalsekretär ausgelaufen war, begannen sich im Spätherbst 1984 erste Hoffnungsstrahlen einer möglichen Wiederbelebung der Entspannungspolitik am politischen Horizont abzuzeichnen. Eines der frühen Indizien dafür bildete die Tatsache, dass es dem Nachfolger Karaseks, Marcelino OrejaAguirre, gelang, mit einem Besuch in Budapest 1985, dem bald auch eine Kontaktnahme mit der Tschechoslowakei und Polen folgte, einen Durchbruch in den Beziehungen des Europarates zu den osteuropäischen Ländern zustande zu bringen.35 Ende 1984, kurz nach Auslaufen seiner Amtszeit, analysierte Karasek mögliche Perspektiven eines künftigen Verhältnisses zu den Ländern Osteuropas. Nochmals appellierte er, allen Ländern, die engere Kontakte zum Europarat suchten, entgegenzukommen, er plädierte für eine Politik der kleinen Schritte, war sich aber klar darüber, dass einer Kooperation vorderhand relativ enge Grenzen gesetzt waren. Für die Zukunft prophezeite er: „Die ‚Spaltung Europas‘ ist gewiss nicht das letzte Wort, aber sie wird nicht morgen oder übermorgen überwunden werden können – wir werden das zu unseren Lebzeiten kaum erwarten dürfen.“36
Dass sich kaum ein halbes Jahrzehnt später die Länder Ostmittel- und Osteuropas um eine Aufnahme in den Europarat bemühen würden, war in der ersten Hälfte der 80er-Jahre noch für niemanden absehbar gewesen.
VI. Das Spannungsverhältnis zum Europaparlament Dass der Europarat gegenüber Veränderungen im EG-Bereich sensibel blieb, kann nicht weiter verwundern. So war ab der zweiten Jahreshälfte 1978, als die Vorbereitungen zur ersten 34 Sichtlich deprimiert sprach Karasek im November 1982 davon, dass durch „die Ereignisse in Afghanistan seit 1979 und in Polen seit 1981 […] Ergebnisse jahrzehntelanger diplomatischer Anstrengungen und internationaler Verhandlungen […] in Frage gestellt worden“ seien. Auch seine Pläne einer „technischen, d. h. nicht ideologischen Zusammenarbeit mit osteuropäischen Staaten“ hätten dadurch ein Ende erfahren. Redemanuskript: „Demokratie, Menschenrechte, Frieden – Grundfragen unserer Zeit, Grundfragen der europäischen Gesellschaft von heute“, 11. 11. 1982. Nachlass Dr. Franz Karasek. Privatbesitz. 35 Thomas Novotny, Immerwährende Neutralität, der Europarat und Österreichs Europapolitik – Überlegungen aus Anlass der 30-jährigen Mitgliedschaft Österreichs beim Europarat, in: Hummer/Wagner, 89–110, hier 107 f. 36 Ist die Spaltung Europas das letzte Wort ? Europa der Gegensätze auf dem Weg zu sich selbst. 76. Bergedorfer Gesprächskreis am 17. und 18. 12. 1984 in Rom (Protokoll Nr. 76), Hamburg 1984, 86.
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Direktwahl des Europäischen Parlaments einsetzten, eine deutliche Unsicherheit über eine mögliche negative Rückwirkung auf die parlamentarische Versammlung zu erkennen. Sofort nach seiner Wahl bemühte sich Karasek, in dieser Hinsicht kalmierend zu wirken. Dabei betonte er immer wieder den Vorteil der parlamentarischen Doppelmitgliedschaft bei den Abgeordneten zur Parlamentarischen Versammlung. Durch den Umstand, auch Mitglied eines nationalen Parlaments zu sein, hätten die Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung einen stärkeren Rückhalt im politischen Gefüge ihres Heimatstaates. Was vielleicht noch mehr wog, war die Tatsache, dass das Europaparlament, obgleich nun aus einer Direktwahl hervorgegangen, keine zusätzlichen Kompetenzen erhalten hatte. Doch war sich Karasek der prinzipiellen Herausforderung einer neu zu strukturierenden Aufgabenteilung zwischen dem Europarat und der EG bewusst. Während ursprünglich der Europarat eine Art umfassende Kompetenz für europäische Agenden beanspruchen konnte (mit Ausnahme militärischer Fragen) und der Europäischen Gemeinschaft nur spezifische, hauptsächlich wirtschaftliche Aufgaben übertragen waren, kehrte sich die Rollenverteilung sukzessive ins Gegenteil um. Während die EG immer mehr zu einer politischen Gemeinschaft wurde, musste der Europarat seine vergleichsweise beschränkten institutionellen wie materiellen Möglichkeiten für spezifische Vorhaben einsetzen. De facto gesehen waren es vor allem Bereiche der europäischen Kultur und der Rechtsharmonisierung, in denen sich unter Berücksichtigung der Tätigkeit des Europarates die EG Zurückhaltung auferlegte. Als im GenscherColombo-Plan vorgesehen war, auch diese Punkte in das Arbeitsprogramm der Gemeinschaft aufzunehmen, versuchte Karasek alles, um das zu verhindern. Selbst anlässlich einer Privataudienz beim Papst 1980 brachte er sein Anliegen zur Sprache, freilich ohne allzu große Resonanz zu finden; aus der Perspektive seiner polnischen Herkunft brachte Johannes Paul II. nur wenig Verständnis für den gesamteuropäischen Vertretungsanspruch des Europarates auf, solange die osteuropäischen Länder ausgeschlossen waren.37 Mehr Verständnis fand der Europarats-Generalsekretär beim britischen Außenminister Lord Carrington und beim französischen Präsidenten François Mitterrand, aber schließlich auch beim italienischen Außenminister Emilio Colombo, sodass er in dieser Frage einen Erfolg für den Europarat verbuchen konnte. Insgesamt fand sich aber die EG während der Amtszeit Karaseks als Generalsekretär nicht mehr zu einer festgelegten Kompetenzabgrenzung bereit.38 Dazu hatte die Europäische Gemeinschaft vor allem auch infolge der im selben Jahr beschlossenen Deklaration zur Europäischen Union eine zu starke Eigendynamik entwickelt. Immerhin fanden aber Karaseks Interventionen insoweit ein Echo, als in der Deklaration zur Europäischen Union wenigstens auf die grundlegenden Arbeiten des Europarates und die Notwendigkeit ihrer Berücksichtigung hingewiesen wurde. Karaseks grundsätzliche politische Linie kann damit charakterisiert werden, dass die größere Gemeinschaft, die der Europarat darstelle, nichts dagegen haben konnte, wenn sich der 37 Franz Karasek, Europarat – seine Chancen, seine Probleme, in: Club AAB, 1985,11/12, 47–56, hier 54. 38 Thomas Novotny, in: Hummer/Wagner, 89–110, hier 105.
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engere Kreis der EG-Länder zu gemeinsamen politischen Aktivitäten findet. Dabei war es seiner Auffassung nach aber unabdingbar, dass Fragen von größerem politischen Gewicht in den wechselseitigen Gedankenaustausch zwischen Europarat und EG einbezogen werden sollten. Karasek bemühte sich, nach einer pragmatischen und flexiblen Aufgabenteilung zu suchen und so ein neues Selbstverständnis für den Europarat zu finden. So setzte er sich für informelle Kontaktgespräche zwischen Funktionären des Europarates und der EG ein; die generelle Entwicklung, die auf einen Positionsverlust des Europarates hinauslief, konnte er mit solchen, vor allem kosmetischen Maßnahmen naturgemäß nicht aufhalten. Bei seinen Aktivitäten versuchte Karasek dort anzusetzen, wo sich der Europarat schon in der Vergangenheit bewährt hatte. Dazu gehörten neben dem weiten Demokratie- und Menschenrechtsbereich u. a. die juristische Zusammenarbeit, der Natur- und Umwelt- genauso wie der Denkmalschutz oder die Europäische Sozialcharta. Gerne hätte er den Europarat als eine verstärkte Plattform für einen erweiterten Informationsaustausch und eine gemeinsame europäische Außenpolitik gesehen. Als Außenminister Pahr im Ministerkomitee den Vorsitz hatte, erfolgte vonseiten Österreichs 1982 ein entsprechender Vorstoß; Pahr arbeitete mit seiner „Mission de reflexion“ auf eine Repolitisierung des Europarates hin.39 Auf Schweizer Initiative kam es 1984 auch zu einer von Österreich mitgetragenen Resolution im Ministerkommitee, die auf eine verstärkte politische Zusammenarbeit abzielte. Dass die Resolution nicht verwirklicht werden konnte, hing einerseits mit den teils doch heterogenen außenpolitischen Interessenlagen der Mitgliedsländer zusammen, anderseits aber auch damit, dass die EG neben ihrem diplomatiepolitischen Instrumentarium, der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), kein konkurrenzierendes Gremium zu akzeptieren bereit war.
VII. Forum der pluralistischen Demokratien der Welt? Zu Beginn der 80er-Jahre stellte sich die Situation des Europarates nicht einfach dar: Durch die ersten Direktwahlen zum Europaparlament war der parlamentarischen Versammlung des Europarates ein starker Konkurrent als transnationales Parlamentariergremium in Europa erwachsen. Auf der anderen Seite waren die Versuche, den Europarat aktiv in den OstWest-Entspannungsprozess einzuschalten, an der Änderung der politischen Großwetterlage gescheitert. Es war daher nur folgerichtig, dass sich der Europarat seiner Funktion als demokratisches „Gewissen Europas“ – es war übrigens Bundeskanzler Klaus, der in seiner Straßburger Rede 1969 erstmals von der Parlamentarischen Versammlung als dem Gewissen Europas sprach – besann. Doch sah auch hier Karasek die Funktion des Europarates in einem globaleren Zusammenhang: Er sollte „als politisch verantwortliches Gremium zur Definierung und Konkreti39 Ebd., 109.
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sierung der Verantwortung der Gesamtheit des demokratischen Europa gegenüber der Welt“ werden.40 Dabei ging Karasek davon aus, dass die Gesamtzahl pluralistischer Demokratien in der ersten Hälfte der 80er-Jahre die Gesamtzahl von dreißig nicht überstieg, davon aber immerhin 21 im Europarat vertreten waren. Er leitete daraus die Rolle der parlamentarischen Versammlung des Europarates als „parlamentarisches Forum der pluralistischen Demokratien der Welt“ ab. Dabei traf er sich mit den Intentionen der Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung, des Niederländers Henri J. de Koster und seines Nachfolgers, des Spaniers José Maria de Areilza: Beide arbeiteten ebenso wie Karasek darauf hin, dass es auf der Ebene des Europarates zu einem regelmäßigen Gesprächsforum der parlamentarischen Vertreter der rechtsstaatlich-demokratisch ausgerichteten Staaten aller Kontinente kommen sollte. Frucht dieser Bemühungen war die Abhaltung der ersten sogenannten „Straßburger Konferenz“ über pluralistische Demokratie, an der Abgeordnete aus 28 Ländern teilnahmen (neben den 21 Mitgliedsstaaten die Beobachterstaaten Israel und San Marino sowie die sechs nicht zum Europarat gehörenden Mitgliedsstaaten der OECD Australien, Finnland, Japan, Kanada, Neuseeland und die Vereinigten Staaten).41 Dabei kamen auch konkrete Möglichkeiten, wie man demokratischen Bewegungen in anderen Teilen der Welt beistehen könne, zur Sprache.
VIII. Konstituanten europäischer Identität: Grundrechte und eine gemeinsame europäische Kultur Was dem Europarat in der ersten Hälfte der 80er-Jahre unangefochten blieb, war seine führende Position im Bereich der Menschenrechte, besonders des Schutzes und der Verteidigung individueller Grundfreiheiten. Die Betonung von Menschenrechten und Demokratie stammte noch aus der Gründungszeit und sollte im Wissen um die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges das Wiederaufleben totalitärer Systeme unmöglich machen. Mit Recht konnte Karasek davon sprechen, dass die „Menschenrechtskonvention und ihre Kontrollinstanzen […] zu einer wahrhaft europäischen Verfassungswirklichkeit geworden“ waren.42 Während seiner Amtszeit als Generalsekretär anerkannte Frankreich 1981 als eines der letzten Mitgliedsländer das Individualbeschwerderecht bei der Europäischen Menschenrechtskommission gemäß Artikel 25. Dabei ging es Karasek nicht nur darum, die einheitliche Geltung der Konvention und ihrer Zusatzprotokolle in allen Staaten des Europarates zu erreichen, sondern auch die Euro40 Franz Karasek, Der Europarat – seine Rolle, seine Möglichkeiten, in: Europäische Rundschau 13 (1985), 2, 23–34, hier 34. 41 Heinrich Klebes, Die Parlamentarische Versammlung als „Politisches Gewissen“ Europas, in: Hummer/Wagner, 111–134, hier 132. 42 Franz Karasek, Der Europarat, die Europäischen Gemeinschaften und die gesamteuropäische Zusammenarbeit, in: Europa Archiv 35 (1980), 1, 1–10, hier 3.
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päische Menschenrechtskonvention (EMRK) um weitere Grundrechte, wie etwa die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder den Datenschutz, als in die Prüfung einzubeziehende Individualrechte zu erweitern. Karaseks Europa-spezifisches Selbstverständnis erschöpfte sich nicht bloß in einer Europa-Rhetorik, die die gemeinsamen Werte und verbindlichen Grundlagen wie Antike und Christentum beschwor. Er war sich auch der aus Totalitarismus, zwei Weltkriegen und Holocaust für Europa erwachsenden Verantwortung bewusst. Diese Verantwortung wahrzunehmen, hieß für ihn Erziehung zu internationaler Zusammenarbeit und Toleranz gegenüber anderen Kulturen zu fördern, zumal die kulturelle Identität Europas für Karasek nichts anderes bedeutete, als die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sich verschiedene Kulturen zu einem gemeinsamen Erbe zusammenfinden können.43 Der Umstand, dass Karasek die österreichische Auslandskulturpolitik in den Jahren vor 1970 geleitet hatte und er als Europa-Parlamentarier zwischen 1974 und 1979 die Präsidentschaft im Ausschuss für Kultur und Erziehung der Parlamentarischen Versammlung innegehabt hatte, hat sein Sensorium für den kulturellen Auftrag des Europarates zusätzlich geschärft. Daher war ihm die Förderung kultureller Aktivitäten ein besonderes Anliegen. 1982 erinnerte er unter dem deprimierenden Eindruck der Verhängung des Kriegsrechts in Polen daran, dass die sich auf die gemeinsame Geschichte und die gemeinsame Kultur stützende europäische Identität als stärker erweisen werde als künstlich gezogene ideologische Grenzen.44 Über Auftrag des Ministerkomitees erstellte Karasek anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Europarates einen Bericht über Bilanz und Perspektiven kultureller Zusammenarbeit in Europa. Im Anschluss an die Luxemburger Fachministerkonferenz für kulturelle Angelegenheiten – diese Konferenzen der für kulturelle Belange verantwortlichen Minister waren schon 1975 von Karasek angeregt und 1976 erstmals verwirklicht worden – im Jahre 1981 unterbreitete Karasek mehrere Initiativen zur Stärkung des Europabewusstseins auf kultureller Ebene, wie die Prämiierung ausgewählter interkultureller Fernsehprogramme, einen europäischen Wettbewerb für zeitgenössische Kunst oder die Abhaltung einer Wanderausstellung über neuere europäische Geschichte.45 Eine der wichtigsten Initiativen Karaseks, die er seit 1981 betrieb, war die Vorbereitung des Europäischen Musikjahres 1985. Erstmals wurde es hier möglich, mit der EG zu einer breiten Zusammenarbeit im kulturellen Bereich zu gelangen. Wenn auch in der Amtszeit Karaseks zahlreiche Initiativen und Impulse sowohl seitens des Ministerkomitees als auch der Parlamentarischen Versammlung versandeten, so konnte 43 Maschinschriftliches Redemanuskript „Die kulturelle Mission des Europa der ,23‘“, o. J. [1984 oder 1985], 20. Nachlass Dr. Franz Karasek. Privatbesitz Wien. 44 Hilde Hawlicek, Österreich und die kulturellen Aktivitäten des Europarates, in: Hummer/Wagner, 135–144, hier 138. 45 Ebd., 140.
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dies Karasek genauso wenig wie seinen Vorgängern oder Nachfolgern im Amt des Generalsekretärs angekreidet werden. Der mangelnden Bereitschaft zur Umsetzung seitens nationaler Bürokratien konnte der Generalsekretär kaum etwas entgegensetzen.
IX. Resümee Aus seiner intimen und langjährigen Kenntnis des Europarates heraus gab sich Franz Karasek keiner Illusion über Rolle und Wertigkeit dieses Forums hin. Er wusste, dass der Europarat nicht das Vehikel sein würde, über das ein geeintes Europa zustande gebracht werden konnte und war sich der Möglichkeiten und Grenzen dieser Institution voll bewusst. Umgekehrt war es klar, dass infolge der bereits abzusehenden verstärkten Zusammenarbeit in der EG eine Isolierung der Nicht-Mitgliedsstaaten der EG möglichst vermieden werden sollte, respektive, dass man einer solchen Isolierung von wichtigen multilateralen Konsultationen und Entscheidungen durch einen möglichst starken Europarat gegenzusteuern trachtete. Ein möglicher Beitritt Österreichs zur EG lag in der ersten Hälfte der 80er-Jahre noch jenseits sowohl des politisch Machbaren als auch des politisch Vorstellbaren. Anlässlich der Mitgliederversammlung des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung in Bonn erklärte Karasek am 3. Dezember 1979: „Die Weiterentwicklung der Rechte des Individuums auf sozialem wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet ist ein wesentlicher Beitrag zur fortschreitenden Sicherung des Friedens, vor allem auch des sozialen Friedens in den einzelnen Mitgliedsstaaten. In Zukunft werden sich die Länder Westeuropas mehr als bisher mit den sozialen Defiziten innerhalb unserer Gesellschaft beschäftigen müssen.“46
Dabei sah er gerade den Wert der Parlamentarischen Versammlung als nützliche Plattform für das Gespräch der Parlamentarier der pluralistischen Demokratien Europas. Franz Karasek hatte schon 1975 richtig erkannt, wofür der Europarat stehen sollte und auch heute steht, zu einem Zeitpunkt, zu dem die europäische Integration eine gesteigerte wirtschaftliche Dynamik erfahren hat: für „das Europa der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, das Europa des Rechtsstaates, das Europa der parlamentarischen Demokratie“.47 Diese Positionen haben im Zeichen der Veränderungen und Umbrüche im Gefolge des Jahres 1989 besondere Aktualität erhalten, von der sich vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Machtsystems in Ost- und Ostmitteleuropa kaum jemand eine rechte Vorstellung machen konnte. 46 Franz Karasek, in: Europa Archiv, 4. 47 Sten. Prot. NR, XIII. GP, 140. Sitzung, 20. 3. 1975, 13630.
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1992 nannte Catherine Lalumière, Nachfolgerin Karaseks im Amt des Generalsekretärs, als nach wie vor geltende Grundsätze des Europarates „pluralistische Demokratie, Wahrung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit“.48 Ende des Jahres 1992 waren es bereits vier der ehemals zur sowjetischen Hemisphäre zählenden Reformstaaten – Ungarn, die damalige čSFR, Polen und Bulgarien – die als Vollmitglieder in den Europarat aufgenommen worden waren. Acht weitere Mitgliedschaftsanträge befanden sich zu diesem Zeitpunkt im Stadium der Prüfung, inwieweit die Staaten den Standards des Europarates in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte gerecht wurden. Im Mai 1993 wurden Slowenien, Litauen und Estland aufgenommen. Um die im Wandel begriffenen politischen Systeme in Ostmittel- und Osteuropa darüber hinaus wirksam unterstützen zu können beziehungsweise sie während der Umstellungsphase mit demokratischen Prozessen vertraut zu machen, hat die Parlamentarische Versammlung einen sogenannten „Sondergaststatus“ geschaffen, den Ende 1992 zehn Staaten innehatten.49 Wenn Generalsekretärin Lalumière diese Weiterentwicklung des Europarates zutreffenderweise damit in Zusammenhang bringt, dass dieser eine der ersten westlichen internationalen Organisationen war, „die das Tor zum Osten öffneten und bereits vor der Revolution im Jahre 1989 Kontakte zu diesen Ländern herstellten“,50 so spricht sie damit jene Entwicklung an, die mit den Aktivitäten Karaseks erstmals angedeutet wurde und nun in der ersten Hälfte der 90er-Jahre durch die schrittweise Erweiterung um die östlichen Reformstaaten konkrete Auswirkungen zeitigte. Was die institutionelle Stellung des Europarates anlangte, blieben Karaseks Vorstellungen auch im Hinblick auf die dramatischen Veränderungen der europäischen Konfigurationen über 1989/90 hinaus aktuell. So sprach Österreichs Außenminister Alois Mock anlässlich der Übernahme des Vorsitzes im Ministerrat im Frühjahr 1993 von der Notwendigkeit, die Rolle des Europarates im Zusammenspiel mit den anderen europäischen Institutionen EG und KSZE neu zu definieren. In seiner Rede vor der Parlamentarischen Versammlung rief der französische Staatspräsident François Mitterrand am 4. Mai 1992 den Europarat auf, sich angesichts der zunehmenden Zahl beitretender und beitrittswilliger Staaten aus dem ost- und ostmitteleuropäischen Raum zu einem „europäischen Staatenbund des Rechts und der Demokratie“ zusammenzufinden.51 Es wäre die Aufgabe des Europarates, die Staaten des ehemaligen Ostblocks bei ihrer Suche nach gültigen Institutionen des Rechts und der Demokratie nicht zu enttäuschen, 48 Catherine Lalumière, Die Großfamilie der europäischen Demokratien: Eine Erweiterung ohne Grenzen, in: West Ost Journal. Internationale Wirtschaftspolitische Zeitschrift 25 (1992), 4, 1 f.; vgl. auch Der Standard, 18./19.1. 1992, 4. 49 Es handelte sich dabei um: Albanien, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Rumänien, Russland, Slowenien, die Ukraine und Weißrussland. 50 Lalumière, 1. 51 Zu Mock vgl. Der Standard, 15./16. 5. 1993; Mitterrands Rede. zit. n. Neue Zürcher Zeitung, 6. 5. 1992, 1; Die französische Zeitung Le Monde, 6. 5. 1992 sprach von Mitterrands „théorie des ensembles“.
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an diesem „Ort des intelligenten Austausches“ solle das Gespräch insbesondere über das Erbe des Rechts und der Ethik, des Bildungswesens und der Kultur stattfinden, wobei der Europarat weniger eine juristische Konstruktion denn ein „Schmelztiegel für die Alltagsprobleme“ sein sollte.52 Ein vergleichbares Bild des Europarates war Karasek schon in den 80er-Jahren – allerdings unter politisch gänzlich anderen Rahmenbedingungen – als Vision vor Augen gestanden. Eine politische Konzeption für Europa, die sich allein in wirtschaftlichen Zusammenschlüssen erschöpfte, konnte – davon war auch Karasek ausgegangen – nicht in der Lage sein, ein europäisches Bewusstsein bei den Bewohnern des Kontinents zu schaffen.
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Österreich – ein „geheimer Verbündeter“ des Westens? Wirtschafts- und sicherheitspolitische Fragen der Integration aus der Sicht der USA I. Einleitung Nach der internationalen Isolierung in der Zwischenkriegszeit und der im Laufe des Zweiten Weltkrieges spektakulär fehlgeschlagenen Anschlusspolitik, hat sich die Republik Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg zusehends am Westen orientiert. Das führte aber nicht zur vollen politischen und militärischen Westintegration, da die sowjetische Besatzungsmacht eine solche Eingliederung Österreichs in den Westen nicht erlaubt hätte. In Deutschland führte die Wiederbewaffnung und Eingliederung der drei westlichen Zonen zur Teilung des Landes für die Dauer des Kalten Krieges. Die österreichische Regierung setzte alles daran, dem Land dieses Schicksal zu ersparen. Neutralität und Blockfreiheit waren der letzte Ausweg, die Einheit des Landes zu bewahren und die Unabhängigkeit wiederherzustellen. Die Österreicher und die Besatzungsmächte schwankten zwischen vier grundsätzlichen Alternativen, wenn sie sich über Österreichs zukünftige internationale Lage Gedanken machten: 1. eine Eingliederung Österreichs in den Donauraum, was aber die zunehmende Sowjetisierung dieser Region nach dem Zweiten Weltkrieg unmöglich machte; 2. ein Anschluss an Deutschland, der nach den schlimmen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges nur mehr von den wenigsten gewünscht wurde; 3. Österreichs Westintegration, die aber durch die zunehmende Militarisierung der Machtblöcke im Kalten Krieg von den Sowjets strikt abgelehnt wurde; und 4. eben die Kompromissformel von „Neutralität und Blockfreiheit“, die vom Westen wegen eines befürchteten militärischen Vakuums im Herzen Europas nicht gerne gesehen wurde.1 Die hier gestellte Frage, ob Österreich im Laufe der Besatzungs-
1 In der Zeit vor dem Ausbruch des Kalten Krieges und der Blockformierung (1945/47) stand eine „Westintegration“ nicht zur Debatte. Dagegen wurden in den Kriegsplanungen der Westalliierten während des Zweiten Weltkrieges die restlichen Alternativen schon eingehend debattiert: 1. Österreichs Anschluss an einen katholischen süddeutschen Staat im Zuge der Aufspaltung des Reiches; 2. Donau(kon)föderationspläne sowie 3. ein unabhängiges Österreich. Vgl. dazu Günter Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation: Austria in International Politics, 1940–1950, PH. D. Diss Harvard University 1989, 14-42; vgl. auch Robert H. Keyserlingk, Austria in World War II. An Anglo-American Dilemma, Kingston/Montreal 1988; zu den Nachkriegsoptionen und Varianten dazu, vgl. auch Gerald Stourzh, The Origins of Austrian Neutrality, in: Neutrality: Changing Concepts and Practises, hrsg. v. Man T. Leonhard, Lanham/New York/London 1988, 35–57.
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periode (1945–1955) zum „geheimen Verbündeten“ des Westens2 wurde, muss im Zusammenhang dieser außenpolitischen Optionen diskutiert und kann nicht eindeutig beantwortet werden. Österreich, in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein Mündel3 der Besatzungsmächte, wuchs in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens im Laufe der Besatzungszeit in die Position eines engen Partners des Westens hinein: 1. im ideologischen und kulturellen Bereich hat sich Österreich klar dem Westen zugehörig gefühlt – vor allem infolge der zunehmenden Polarisierung des Kalten Krieges; 2. wirtschaftlich fügte es sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg eindeutig in das westliche Wirtschaftssystem ein (wenn es auch nicht allen westlichen Organisationen beitreten konnte) und wurde zu einem verlässlichen Wirtschaftspartner des Westens; was in der Wirtschaft möglich war, galt weniger für die Politik; im politischen Bereich konnten es sich die österreichischen Regierungen am allerwenigsten leisten, mit den Westmächten allzu offen gemeinsame Sache zu machen (obwohl Leute wie Außenminister Karl Gruber immer unverblümt „prowestlich“ waren), wollten sie je den Abzug der Besatzungstruppen und die Wiedererlangung der Souveränität des Landes erreichen; nachdem eine direkte Westintegration wegen der Verhärtung der Fronten des Kalten Krieges zusehends unmöglich wurde, sah man eine österreichische Neutralität immer mehr als pragmatisches Mittel zum Zweck, die Besatzungsmächte loszuwerden; 3. im militärischen Bereich ist das Bild vom „geheimen Verbündeten“ des Westens zutreffend; wegen der Viermächtebesatzung konnte Österreich keinem westlichen Verteidigungsbündnis direkt beitreten; infolge der „Militarisierung“ des Kalten Krieges, die zur Bildung der Machtblöcke führte – die Jahre 1947 bis 1950 waren die Periode der tiefschürfendsten Veränderungen in der Weltpolitik4 –, drängten die westlichen Besatzungsmächte auch die österreichische 2 Professor Gerald Stourzh hat die These aufgestellt, dass Österreich in den späten 1940er- und frühen 1950erJahren „so etwas wie zum geheimen Verbündeten des Westens“ wurde. Vgl. ibid., 39 f. 3 Zum Thema der „Bevormundung“, vgl. die Aufsätze Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949, hrsg. v. Günter Bischof und Josef Leidenfrost (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4), Innsbruck 1988. 4 Das Wort von der „Militarisierung des Kalten Krieges“ wurde von Vojetch Mastny geprägt. Die „Truman Doktrin“ und der Marshallplan (1947) läuteten eine Periode eskalierender Maßnahmen zwischen Ost und West ein, die zu einer Festigung und militärischen Organisation der Machtblöcke führte. Stalin rief die „Kom inform“ ins Leben und prüfte die Festigkeit des westlichen Widerstandsgeistes in der Berliner Blockade (1948/49). Der Westen reagierte mit der „Westeuropäischen Verteidigungsunion“, der Luftbrücke nach Berlin und der Gründung der NATO. Der erste erfolgreiche sowjetische Atombombentest vom August 1949 wurde mit der Entscheidung der Amerikaner beantwortet, eine Wasserstoffbombe zu entwickeln. Der kommunistische Angriff in Korea führte zu einem dreijährigen Krieg – auf die lange Sicht gesehen aber wichtiger: zur Implementierung des zum Teil hysterischen NSC 68, eines Grundsatzmemorandums, das das Budget des Pentagons auch für Friedenszeiten verdreifachte und die USA auch in Friedenszeiten für die Dauer des Kalten Krieges auf permanenten Kriegsfuß hielt. Diese „Militarisierung“ des Kalten Krieges ließ auch Österreich nicht ungeschoren und bildete den Hintergrund für die „geheime Remilitarisierung“ der westlichen Zonen. Vgl. Vojtech Mastny, Stalin and the Militarization of the Cold War, in: International Security 9 (1984/85), 3,
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Österreich – ein „geheimer Verbündeter“ des Westens?
Regierung zu einer engen militärischen Zusammenarbeit; dies führte zu einer geheimen Aufstellung der „Spezialgendarmerie“, also dem harten Kern eines zukünftigen österreichischen Bundesheeres; die sogenannte „B-Gendarmerie“ hatte nebst ihrer Rolle als „schnelle Eingreiftruppe“ bei inneren Unruhen, auch die Aufgabe, bei der Verteidigung der westlichen österreichischen Alpen – höchstwahrscheinlich in mit der NATO koordinierten Plänen – den Rückzug der Westmächte in italienische Stellungen decken zu helfen (die sog. „Retardierungsmission“). Die 1955 erlangte Neutralität wurde nur von wenigen als „Gesinnungsneutralität“, als ein „neutralistisches“ Lavieren zwischen den Machtblöcken verstanden. Im Gegenteil, die Neutralität wurde in der ersten Phase nach dem Abzug der Besatzungstruppen als „prowestlich“ formuliert und Österreich setzte alles daran, ein verlässlicher Partner des Westens zu bleiben, wenn es auch in der geheimen militärischen Zusammenarbeit mit dem Westen zusehends Vorsicht walten lassen musste. Hauptmoment für die zunehmende Westorientierung der österreichischen Bevölkerung war wohl weniger ihre Verbundenheit mit den hochkulturellen Schätzen „westlicher Zivilisation“ als ihr tief sitzender Antikommunismus. „The hatred against the Russians is almost universal“, berichtete ein amerikanischer Beobachter im September 1945 aus Niederösterreich,5 wobei „Russen“ und „Kommunismus“ in der Perzeption der Bevölkerung ziemlich ident waren. Dieser Hass hatte viel Gründe. Es war einmal eine eher abstrakte Urangst vor den „barbarischen“ Völkern aus dem Osten, die mit ihren Invasionen immer wieder den Westen bedrohten, seien es nun Hunnen, Ungarn, Türken, oder „Russen“. Dazu kamen aber dann konkretere Momente: Nach der erfolgreichen bolschewistischen Revolution und dem Bürgerkrieg von 1917–1920 in der Sowjetunion sowie den bedrohlichen, wenn auch fehlgeschlagenen bolschewistischen Revolutionen in Mitteleuropa war der rigide Antikommunismus sowohl bei Christlich-Sozialen und Deutschnationalen auf der Rechten als auch bei Sozialisten auf der Linken in der Ersten Republik tief eingefleischt. Die antibolschewistische Propaganda des Nationalsozialismus (die Naziideologie war bekanntlich per definitionem anti-marxistisch) und die Kriegsgräuel im Osten während des Krieges, an die die antikommunistische Kalter-Krieg-Propaganda des Westens nach dem Krieg nahtlos anschloss, taten das Ihrige. Dazu kamen 1945 die nicht abreißen wollenden Horrormeldungen von Vergewaltigungen und Plünderungen der Roten Armee bei der Befreiung Ostösterreichs, die sich im verminderten Maße in den ersten Wochen des Besatzungsregimes fortsetzten. Die Sowjets bestanden zudem auf massiven Reparationszahlungen von einem durch die Kriegszerstörungen verarmten Österreich, die sie sich in 109–129; nun viel ausführlicher in Melvyn P. Leffler, A Preponderance of Power: National Security, the Truman Administration, and the Cold War, Stanford 1992; zu den Rückwirkungen auf Österreich, vgl. Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation, 623–726. 5 Paul R. Sweet an sein Frau Kath, 18. 9. 1945, in: Gesellschaft und Politik am Beginn der Zweiten Republik. Vertrauliche Berichte der US-Militäradministration aus Österreich 1945 in englischer Originalfassung, hrsg. v. Oliver Rathkolb, Wien/Köln/Graz 1985, 303.
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der geschätzten Höhe von 1,5 Milliarden Dollar selbst aus ihrer Zone holten, zuerst durch gezielte Demontage ostösterreichischer Wirtschaftsbetriebe und Maschinen, dann durch den jahrelangen Abtransport der Produktion aus den sogenannten „USIA-Betrieben“ und der reichen ostösterreichischen Erdölvorkommen (Stichwort „Deutsches Eigentum“). Diese wirtschaftliche Ausbeutung in Ostösterreich stempelte die Sowjets in den Augen der Österreicher zu wirklichen „Imperialisten“.6 Zudem schienen es hauptsächlich sie, die sich jahrelang weigerten, einen Staatsvertrag zu unterzeichnen und den Österreichern die Freiheit zurückzugeben. Die tief sitzende Abneigung der meisten Österreicher gegenüber den Russen war vor allem in Wien und in der Ostzone weit verbreitet, wo man mit ihnen ja täglich zu tun hatte. Eine amerikanische Umfrage drückte es so aus: „The Russians are violently disliked in Vienna.“7 Es kann daher nicht wundern, dass sich die Kommunisten an der Wahlurne im November 1945 und danach kontinuierlich massive Abfuhren von der österreichischen Wählerschaft holten und nie mehr als fünf Prozent der Stimmen erhielten.8 Legal konnten die Kommunisten in Österreich nicht à la Prague an die Macht kommen, und für eine illegale Machtergreifung war die KPÖ ohne Mithilfe der sowjetischen Besatzungsmacht zu schwach. Trotz unaufhörlicher Putschgerüchte in den Jahren 1948 bis 1950 hüteten sich aber die Sowjets, die österreichischen Kommunisten in einem Coup direkt zu unterstützen, wussten sie doch ob der Wachsamkeit der westlichen Besatzungsmächte, die eine direkte sowjetische Einflussnahme in Österreichs Innenpolitik im Kalten Krieg wohl als zu riskant erscheinen ließ.9 Die antikommunistische Einstellung der Bevölkerung ging Hand in Hand mit ihrer zunehmend prowestlichen Ausrichtung. Im Februar 1950 meinte Geoffrey Keyes, US-Hochkommissar in Österreich, wohl etwas übertrieben, 90 Prozent der Österreicher seien „Western minded“ und wären bereit, gegen Kommunismus zu kämpfen.10 Der amerikanische Außenminister John Foster Dulles konnte dem Nationalen Sicherheitsrat im Oktober 1953 versichern, Österreich habe die schwächste kommunistische Bewegung auf der Welt: „there 6 Eine gute Einführung in den Antikommunismus in den Anfängen der Zweiten Republik in der Sowjetzone bietet Margarete Hannl, Mit den ‚Russen‘ leben. Besatzungszeit im Mühlviertel 1945–1955, in: Zeitgeschichte 16 (1989), 5, 147–166; vgl. dazu auch Anton Pelinka, Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, in: Österreich. Die Zweite Republik, hrsg. v. Erika Weinzierl und Kurt Skalnik, Bd. 1, Graz/Wien/Köln 1972. Zu den Vergewaltigungen der Roten Armee und zur massiven wirtschaftlichen Ausbeutung der Ostzone durch die sowjetischen Besatzer, vgl. Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation, 238–259, 317–332. 7 Austrian Public Opinion, 18. 3. 1947, in: Reinhold Wagnleitner (Hrsg.), Understanding Austria. The Political Reports and Analyses of Martin F. Herz Political Officer of the US Legation in Vienna, 1945–1948 (= Quellen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts 4), Salzburg 1984, 133. 8 Hannl, Mit den ‚Russen‘ leben, 162; Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation, 295–306. 9 Zu den Putschgerüchten, vgl. Günter Bischof, ‚Prag liegt westlich von Wien‘. Internationale Krisen im Jahre 1948 und ihr Einfluss auf Österreich, in: Die bevormundete Nation, 315–345. 10 Gesprächsmemorandum Keyes im Pentagon, 17. 2. 1950, OPS 091 Austria TS (28 Feb. 1950). NA, RG 319, Box 151.
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was no country in the world with less indigenous Communist strength“.11 Das war wohl das eindruckvollste Zeugnis, das man dem Antikommunismus des österreichischen Volkes ausstellen konnte, noch dazu von einem Vorkämpfer des Antikommunismus und einem Apostel des Kalten Krieges. Dieser Antikommunismus des Volkes „kittete“ auch die beiden Großparteien ÖVP und SPÖ in der Koalition eng zusammen und geleitete die Koalition auf den Weg ihrer prowestlichen Politik.12 Mit der demokratischen Einstellung der Österreicher war es aber weniger gut bestellt, als die Politiker immer wieder beteuerten. Martin Herz musste in seinen Meinungsumfragen feststellen, beinahe alle Österreicher würden zwar beteuern, an die Demokratie zu glauben; bei genauerem Hinsehen zeigten sie aber nur geringes Demokratieverständnis. Die Österreicher seien in Sachen Demokratie ignorant, was zum geringen Prestige dieser Regierungsform in Österreich beitrage, meinte Herz: „While it is desired as a political atmosphere, it appears distrusted as a method for getting things done. Parliament as an institution, has little prestige because it seems incapable of reaching quick decisions.“ Das führte unter anderem dazu, dass die harten Entnazifizierungsgesetze von vielen als „undemokratisch“ abgekanzelt wurden.13 1952, also trotz reichem Marshallplan-Segen, dachten immerhin noch 35 Prozent der Österreicher das Leben sei 1938 unter den Nationalsozialisten besser gewesen als gegenwärtig unter den alliierten Besatzern (nur 25 Prozent meinten es sei besser).14 Wie stark der rückständige Bodensatz des Nazismus in Österreich nach dem Krieg noch blieb, kam wiederholt in der Frage zutage, ob „National Socialism was a good idea badly executed, or a bad idea itself?“. Zwischen 30 und 50 Prozent kamen zwischen August 1947 und Februar 1948 zum Schluss, es sei „eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde“.15 Dieser „latente Nazismus“ zeugte von einer oberflächlichen demokratischen Einstellung der Österreicher am Anfang der Zweiten Republik, und machte einen „Anschluss an den Westen“ für so manchen suspekt. Wie hätte es auch nach sieben Jahren NS-Propaganda gegen die demokratischen Führungsmächte, gegen die man in den Augen von ca. einer Million in der deutschen Wehrmacht gedient habenden Österreichern ja den Krieg „verloren“ hatte, anders sein können? Über die zukünftige internationale Ausrichtung Österreichs schien eine an politischen Dingen „erstaunlich apathische“ Bevölkerung in der Neutralität die beste Chance zu wittern, von den Unbilden des Kalten Krieges verschont zu bleiben. Mit den Kommunisten wollte 11 166. Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates, 13. 10. 1953, in: Foreign Relations of the United States [FRUS], 1952–1954, Bd. VII/2, hrsg. v. United States Department of State, Washington 1986, 1909–1913, Zitat 1912. 12 Vgl. dazu Christian H. Stifter, Das westalliierte Interesse an der Wiederaufrüstung Österreichs 1945–1955, Diplomarbeit, Wien 1990, 64. 13 Austrian Public Opinion, 18. 3. 1947, in: Wagnleitner (Hrsg.), Understanding Austria, 133. 14 Public Affairs Brief for Secretary’s Proposed Visit to Vienna, Walter R. Roberts an V. Lansing Collins, 6. 6. 1952. NA, RG 59, Records of the Office of Western European Affairs, 1941–1954, Austrian Desk Files 1950–1954 (Arthur Compton Files), Lot 56 D 294, Box 1. 15 Martin Herz, Third Report an Austrian Public Opinion, Erhardt an Secretary of State, 26. 2. 1948, in: Wagnleitner (Hrsg.), Understanding Austria, 333–340, hier 339.
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man nichts zu tun haben und vom Westen war immerhin Wohlstand zu erwarten. 1947 noch schien 78 % der Bevölkerung eine „strikte Neutralität nach dem Muster der Schweiz“ am wünschenswertesten.16 In einer von den US-Besatzern 1952 durchgeführten Umfrage wurden die Österreicher über die zukünftige internationale Ausrichtung des Landes gefragt. 32 % der Bevölkerung wollten „den Vereinigten Staaten von Europa“ beitreten (was wohl Westeuropa heißen sollte), während demgegenüber nur 25 % ein souveränes, unabhängiges Österreich vorzogen (die Frage wurde nicht gestellt, ob dieses unabhängige Österreich auch neutral sein sollte). Fünf Prozent träumten noch von einer Donauföderation, während immerhin 15 % noch dem Anschluss an Deutschland anhingen, was im Groben mit dem VdUStimmenpotenzial korrelierte; der Rest konnte sich nicht entschließen.17 Anfang 1949 wurde von der amerikanischen politischen Vertretung eine ausführliche Analyse über „Österreichs zukünftige Orientierung“ vorgenommen. Man kam zum Schluss, „ein unabhängiges Österreich werde mit der Zeit der Westeuropäischen Union beitreten und möglicherweise auch dem Nordatlantischen Verteidigungsbündnis“, da dies der einzige Weg sei, dem Land militärische Sicherheit zu verschaffen. Sollte eine Integration ins westeuropäische Verteidigungssystem aufgrund sowjetischen Widerstandes aber nicht möglich sein, könnte Österreich die Alternative eines Rapprochements mit der Bundesrepublik suchen. Man war sich aber im Klaren, dass eine starke öffentliche Meinung inner- und außerhalb Österreichs (vor allem in Frankreich und der Sowjetunion) gegen einen neuerlichen Anschluss war. Da die Sowjets den Donauraum beherrschten, glaubte man nicht daran, dass Österreich durch eine Assoziierung einer „mitteleuropäischen Föderation“ freiwillig ein Sowjetsatellit werden wolle.18 Nur als letzten Ausweg, falls die Umstände einer Westintegration einem neuerlichen Anschluss im Wege stünden, würde Österreich einen neutralen Status gleich der Schweiz wählen. Dies würde Österreich seine Brückenfunktion zwischen Ost und West zurückgeben und auch wirtschaftliche Vorteile bringen. Es wäre aber fatal für Österreichs Sicherheit. 1949, als alle Anzeichen auf Blockbildung hindeuteten, konnten sich amerikanische Beobachter österreichische Neutralität nur vorstellen, falls dem Land ein Beitritt zu ihren kollektiven Sicherheitskonzeptionen verwehrt würde.19 Das war keine schlechte Analyse zu einer Zeit, als der Kalte Krieg „militarisiert“ wurde, wenn auch eine guter Schuss amerikanischen Wunschdenkens dabei war.
16 Zu Neutralität und unpolitischer Einstellung, vgl. Public Opinion Reports v. 18. 3. 1947 und 26. 2. 1948, in: Wagnleitner (Hrsg.), Understanding Austria, 132 und 338. 17 Public Affairs Brief, 6. 6. 1952. NA, RG 59, Austrian Desk Files 1950–1954, Box 1. Zur Stärke des VdU und der Korrelation zum Stimmenpotenzial der halben Million früheren NSDAP-Mitglieder, vgl. Max E. Riedlsperger, The Lingering Shadow of Nazism: The Austrian Independent Party Movement since 1945, Boulder 1978; vgl. auch den Beitrag von Höbelt in diesem Band. 18 Robert L. James, The Future Orientation of Austria, Erhardt an Secretary of State, 22. 3. 1949, 863.00/3–2249. NA, RG 59. 19 Ibid.
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II. Wirtschaft und Politik: Zwischen Westintegration und Westorientierung Während die Sowjetunion eine österreichfreundlichere Politik als die Westmächte gegenüber der mit einem Drittel Kommunisten besetzten Provisorischen Regierung Renner praktizierte, änderte das antikommunistische Wahlergebnis vom November 1945 die politischen Vorzeichen schlagartig und leitete Österreichs Westorientierung – „die politische Zuwendung zu den westlichen Demokratien“20 – ein. In Österreich brach Ende 1945 der Kalte Krieg aus, früher als sonst wo. Als Folge der Wahlen vom 25. November und der mit lediglich einem kommunistischen Minister besetzten Koalitionsregierung Figl, schalteten die Sowjets im Frühjahr 1946 auf eine rigide wirtschaftliche Ausbeutung ihrer Zone um, was der von Kriegszerstörungen und Dislokationen, zonaler Trennung und Besatzungsbelastungen arg malträtierten österreichischen Wirtschaft zusätzliche Schwierigkeiten bereitete. In einer Zeit als die österreichische Bevölkerung am Hungertuch nagte und an den psychologischen Traumata des verlorenen Krieges und den Diskussionen um die Entnazifizierung litt, wurden die Weichen über die zukünftige außenpolitische Orientierung des Landes durch die jeweiligen wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Besatzungsmächte gestellt.21 Es blieb der österreichischen Bevölkerung keineswegs verborgen, dass die Sowjets (und in weit geringerem Ausmaß die Franzosen22) auf der einen Seite aus dem „Deutschen Eigentum“ ihrer Zone(n) herausholten, was sie konnten, die Amerikaner (und weit weniger die Briten) auf der anderen Seite erstaunliche Mengen an Wirtschaftshilfe hineinsteckten, um ihre Zone(n) und Österreichs Wirtschaft auf Vordermann zu bringen. Einerseits steckten die Amerikaner ca. 1,5 Milliarden Dollar durch amerikanische Hilfsprogramme in die österreichische Wirtschaft hinein (knapp 1 Milliarde kam aus Marshallplanmitteln und gut 500 Millionen von Hilfsprogrammen wie der UNRRA etc.23). Das sollte das Überleben der österreichischen und europäischen Bevölkerung sichern. Andererseits saugten die Sowjets einen Betrag in ähnlicher Höhe aus Österreich heraus, was unter anderem auch zu einem 20 Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955, Graz/Wien/Köln 1979, 209. 21 Die wirtschaftspolitischen strukturellen Faktoren sind für Österreichs Westorientierung entscheidender gewesen als die proamerikanische Einmannpolitik Karl Grubers, die von Josef Leidenfrost herausgestrichen wird. Vgl. Karl Gruber und die Westorientierung Österreichs nach 1945, in: Für Österreichs Freiheit. Karl Gruber – Landeshauptmann und Außenminister 1945–1953, hrsg. v. Lothar Höbelt und Othmar Huber (Innsbrucker Forschungen zur Zeigeschichte 7), Innsbruck 1991, 101–119. 22 Klaus Eisterer, Französische Besatzungspolitik Tirol und Vorarlberg. Aspekte der sozialen, politischen und ökonomischen Entwicklung, phil. Diss. Innsbruck 1990, 50–69; Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation, 207 f. 23 Zur Aufschlüsselung der Wirtschaftshilfe vgl. die Tabelle in Wilfried Mähr, Der Marshallplan in Österreich, Graz/Wien/Köln 1989, 248 f.; zur massiven West(um)orientierung und ,Ostabwendung‘ Österreichs durch das ERP, siehe auch die Studie von Hannes Hofbauer, Westwärts. Österreichs Wirtschaft im Wiederaufbau (= Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik Bd. 54), Wien 1992, 83–91, 128–132,175–188.
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markanten West-Ost-Gefälle in der Entwicklung der österreichischen Wirtschaft führte. Die Bedeutung der amerikanischen Wirtschaftshilfe wird vollends klar, wenn man bedenkt, dass 1945/46 insgesamt 88 % der österreichischen Importe damit finanziert wurden. Die amerikanische(n) Wirtschaftshilfe(n) sollte(n) zunächst das wirtschaftliche Überleben Österreichs und seiner Bevölkerung sichern und dann die Rekonstruktion von Industrie etc. ermöglichen, um stabile politische Verhältnisse zu schaffen. Eine solide Wirtschaft und ausgewogene politische Verhältnisse aber würden die wirtschaftliche und politische Einheit des Landes bewahren sowie die Österreicher gegen jegliche kommunistische Beeinflussung feien und so das Land zu einem Vorposten des Westens am Eisernen Vorhang machen.24 Österreichs Teilnahme am Marshallplan schaffte die Voraussetzungen für die zunehmende Westorientierung des Landes nach 1947. War bis zur Militarisierung des Kalten Krieges Österreichs zukünftige außenpolitische Orientierung noch offen und kam Karl Grubers einseitige prowestliche Außenpolitik von so manchen Kritikern innerhalb der ÖVP und besonders in der SPÖ (von der KPÖ gar nicht zu reden) bis 1947 noch arg unter Beschuss,25 so schien der reiche Segen der amerikanischen Wirtschaftshilfe für das arme Österreich gar keine andere Alternative mehr offen zu lassen als die wirtschaftliche Westintegration. Der sozialistische Vizekanzler Adolf Schärf signalisierte diese dramatische politische Trendwende, als er im Juni 1947 den Amerikanern gegenüber eingestand, dass sich die SPÖ „zu seiner eigenen Überraschung“ nun „im amerikanischen Lager“ befinde.26 Der amerikanische Hochkommissar Keyes legte großen Wert auf die durch den Marshallplan geschaffene neue außenpolitische Lage Österreichs: „In view of the changed strategy inherent in the European Recovery Program it is deemed advisable to review this policy for Austria, and to consider the solution of the Austrian problem in the framework of the general situation in Western Europe [Hervorhebung G. B.] and specifically in relation to the European Recovery Program.“
Keyes betonte die bedeutende geopolitische Lage Österreichs, die dem Lande aus der Teilnahme am Marshallplan erwuchs: „Austria’s participation in the European Recovery Program and in the Interim Aid program over strong Soviet objections and the further consolidation for the U.S. political position in Austria has made the country the easternmost Central European bulwark of the European Recovery Plan.“27
24 Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation, 447–525; Mähr, Marshallplan in Österreich. 25 Leidenfrost, Gruber und die Westorientierung, in: Für Österreichs Freiheit, 102–112. 26 Rankin an Secretary of State, 19. 6. 1947, FRUS, 1947, Bd. II, 1183 f.; vgl. auch den Beitrag von Hehemann in diesem Band. 27 Geoffrey Keyes and Außenminister George C. Marshall, zitiert in Oliver Rathkolb, Austria and European
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Keyes politischer Berater John G. Erhardt meinte im Juli 1948, als der Marshallplan am Anlaufen war – dies war inmitten der Berlinkrise –, man müsse jede Gelegenheit ergreifen, Österreich „wirtschaftlich, politisch und militärisch enger an die Westeuropäische Gemeinschaft zu binden“.28 Als Moskau die Teilnahme am Europäischen Wiederaufbauprogramm (European Recovery Program – ERP) ablehnte und auch den Satellitenstaaten untersagte, der Einladung zur Pariser Konferenz zu folgen, wurde damit die wohl endgültige Teilung Europas in Ost und West eingeleitet. Der gezielte Einsatz der ERP-Mittel in Westeuropa würde nicht nur die politische Polarisierung des Kontinents festigen, sondern eine wirtschaftliche Trennlinie zwischen modernen, hochproduktiven und wachstumsorientierten Marktwirtschaften schaffen, die zu Konsumgesellschaften und zu allgemeinem Wohlstand führten, und den planwirtschaftlich dirigierten Volkswirtschaften Osteuropas, mit ihrer Betonung auf Schwerindustrie und dem Verzicht auf Konsum. Österreich hatte das große Glück, nicht nur am Marshallplan teilzunehmen, sondern auch, dass der amerikanische Kongress es erlaubte, ERP-Mittel in die Ostzone fließen zu lassen, was die wirtschaftliche und, langfristig gesehen, wahrscheinlich die politische Einheit des Landes bewahrte.29 Auf jeden Fall integrierte seine Mitarbeit in den administrativen Gremien des ERP Österreich zusehends in den westeuropäischen Wirtschaftsraum. Die amerikanische „Economic Cooperation Administration“ (ECA) in Paris dirigierte und überwachte die Vergabe der Marshallplanmittel durch ihre diversen nationalen Stellen, so auch ihrem Wiener Büro. In der „Organization for European Economic Cooperation“ (OEEC) musste sich Österreich zwischen 1947/48 und 1952 mit den übrigen 15 Teilnehmerstaaten über Vergabe und Aufschlüsselung des ERP auseinandersetzen. 1952, als die Marshallplanhilfe auslief, setzte jene Übergangsphase von der OEEC zur OECD ein, in der Österreich weiter in den westeuropäischen Wirtschaftsraum integriert wurde. Zu Österreichs wirtschaftlicher und finanzieller Westintegration trug auch die im Rahmen des Marshallplanes 1950 neu gegründete „Europäische Zahlungsunion“ (European Payments Union – EPU) einen wichtigen Teil bei, die viel zur Bereinigung österreichischer und westeuropäischer Zahlungs- und Handelsbilanzdefizite beitrug.30 Schon 1948 war Österreich der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds Integration after World War II, in: Austria in the New Europe, hrsg. v. Günter Bischof und Anton Pelinka (Contemporary Austrian Studies 1), New Brunswick (NJ) 1992, 44. 28 Erhardt an Secretary of State, 9. 7. 1948, FRUS, 1948, Bd. II, 1408. 29 Mähr, Marshallplan in Österreich, 81–91; Rauchensteiner, Sonderfall, 209–212; Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation, 505–525, idem, Der Marshallplan und Österreich, in: Zeitgeschichte 17 (1990), 11/12, 463–474. Zur Bedeutung des Marshallplanes für die Teilung Europas und Deutschlands, vgl. auch Charles Maier, Introduction, in: The Marshall Plan and Germany. West German Development within the Framework of the European Recovery Program, hrsg. v. Charles Maier und Günter Bischof, New York/Oxford 1991, 1–39. 30 Eine gute Einführung in die Organisation des ERP bietet Mähr, Marshallplan in Österreich, 208–211, 250– 253; zu Österreichs Teilnahme an den westeuropäischen Organisationen vgl. auch Paul Luif, Austria’s Neutrality and the Europe of 1992, in: Austria in the New Europe (Contemporary Austrian Studies 1), 20 f.; zu den
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(IWF) beigetreten, also dem von den Amerikanern dominierten westlichen Finanzsystem, das 1944 in Bretton Woods eingerichtet worden war. Im Oktober 1951 trat Österreich auch dem General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) bei. Mit Marshallplan und Westintegration war aber auch massiver amerikanischer Druck auf Österreich verbunden, seine traditionellen Wirtschaftskontakte mit dem osteuropäischen Raum einzuschränken bzw. in manchen Branchen völlig einzustellen. Vor allem die Lieferung sogenannter „strategischer“ Güter wurde durch die zunehmenden Ost-West-Spannungen, die eine Folge der Militarisierung des Kalten Krieges nach 1948 waren, an kommunistische Staaten verboten. Die Amerikaner definierten „strategische“ Güter sehr breit – von Grundstoffen wie Blei, Nickel, Gummi, Zink und Erdöl über Edelsteine und Edelstahl bis zu Präzisionsinstrumenten; da blieben nur mehr wenig moderne technische Produkte übrig, die in den Osten ausgeführt werden durften. Obwohl Österreich offiziell dem 1949 in Paris gegründeten Coordinating Committee (COCOM) nicht beitrat, hielt man sich nach dem KoreaKrieg an das Wirtschaftsembargo des Sowjetblocks. Zudem wurden Österreichs Ostexporte durch ein vom „East-West Trade Advisor“ der ECA-Mission in Wien gegründetes Komitee durch die Vergabe von Exportlizenzen in den Osten genauestens überwacht.31 Diese forcierte Eingliederung Österreichs in die geschlossene westliche Front im Wirtschaftskrieg gegen das Sowjetimperium führte zu einem Rückgang der traditionellen österreichischen Exporte in den Osten und zu einer dramatischen Wende in Österreichs Außenhandel. Kamen vor dem Krieg noch 32 % der österreichischen Importe aus den Nachfolgestaaten der Monarchie, ein Trend der in der unmittelbaren Nachkriegszeit etwas vermindert sogar anhielt (ca. ein Fünftel der Exporte gingen nach wie vor in die Donauländer und der Exportanteil mit der Tschechoslowakei wurde mit 7,5 % gehalten), so sank der Anteil der Ostimporte nach 1948 auf klägliche acht Prozent. Als Folge der österreichischen wirtschaftlichen Westintegration durch den Marshallplan schnellten Österreichs Importe aus dem OEEC-Raum von 40 auf 75 % und die Exporte von 53 auf 71 % des gesamten Handelsvolumens empor.32 Nichts konterkariert besser Österreichs Träumereien von der Brückenfunktion im Donauraum als jene harten Wirtschaftsdaten. integrativen Elementen von ECA und EPU für die westeuropäische Wirtschaft, vgl. die grundlegende Werke von Alan Milward, The Reconstruction of Western Europe 1945–51, Berkeley/Los Angeles 1984, und Michael J. Hogan, The Marshall Plan. America, Britain, and the Reconstruction of Western Europe, 1947–1952, Cambridge (UK)/New York 1987, sowie die Aufsätze in Maier/Bischof (Hrsg.), The Marshall Plan and Germany; zur Wirtschaftsentwicklung vgl. auch den Beitrag von Breuss in diesem Band. 31 Arno Einwitschläger, Amerikanische Wirtschaftspolitik in Österreich 1945–1949, Wien/Köln/Graz 1986, 76–94; Mähr, Marshallplan in Österreich, 211–216; Oliver Rathkolb, Von der Besatzung zur Neutralität. Österreich in den außenpolitischen Strategien des nationalen Sicherheitsrates unter Truman und Eisenhower, in: Die bevormundete Nation, 379 f.; idem, Austria and European Integration after World War II, 45. 32 Felix Butschek, EC Membership and the ,Velvet‘ Revolution: The Impact of Recent Political Changes an Austria’s Economic Position in Europe, in: Austria in the New Europe (Contemporary Austrian Studies 1), 65 f. und Tabellen 76 f.; Einwitschläger, Amerikanische Wirtschaftspolitik, 31; Rathkolb, Austrian and European Integration, 45.
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Der Marshallplan war also auch mit massiven Eingriffen der Amerikaner in den österreichischen Außenhandel verknüpft. Österreich „tanzte nach einer ausländischen Pfeife“, wie Wilfried Mähr das ausgedrückt hat. Die Österreicher wurden wie die restlichen ERP-Teilnehmerstaaten auf das amerikanische Credo der Produktivitätssteigerung eingeschworen. So etwa wollten die Wiener ECA-Mission der Figl-Regierung ultimativ die Reorganisation der ÖBB und die Entlassung von Beamten aufzwingen, um das Budget auszugleichen. Figl stemmte sich aber entschlossen dagegen. Selbst die Finanzkraft der amerikanischen Marshallplaner vermochte nicht, diese heiligen Kühe des österreichischen Beamtenstaates zu schlachten.33 Wenn auch die Sowjets Österreichs wirtschaftlicher Westintegration keinen Riegel vorschieben konnten, so hatten sie mit den Verhandlungen zum österreichischen Staatsvertrag sehr wohl ein potentes Pressionsmittel in der Hand, um die politische und sicherheitspolitische Eingliederung des Landes in den Westen zu blockieren. Das Auf und Ab der Staatsvertragsverhandlungen ist von Gerald Stourzh eindrucksvoll geschildert worden und lässt kaum Zweifel daran, dass außer einem Intermezzo von 1949 bis 1953, als die amerikanischen Militärs keinen Vertrag unterzeichnen wollten (vgl. unten), der Kreml der Hauptschuldige an der Verhinderung eines frühen Abschluss des Staatsvertrages war, sei es nun aus politischen, sicherheitspolitischen oder wirtschaftlichen Motiven.34 Angesichts der zäh und ohne Fortschritte verlaufenden Staatsvertragsverhandlungen und des Schocks vom Prager Putsch, dachte ein verzweifelter Außenminister Gruber 1948 sogar an eine direkte Eingliederung Österreichs in die neu gegründete(n) Sicherheitsorganisation(en) des Westens, um von diesen Unterstützung im Kampf gegen die kommunistische Gefahr zu erlangen. Unmittelbar vor dem Prager Putsch hatte Gruber sich schon bei den Amerikanern erkundigt, ob die Westmächte nach dem Abschluss des Vertrages eine Garantie für Österreichs Unabhängigkeit geben könnten (eine Frage, die über den Abschluss des Vertrages hinaus akut blieb35), oder Österreich sogar direkt in ein westliches Sicherheitssystem einbinden könnten.36 Einen ähnlichen Vorschlag machte er auch an die Briten, denen er nach Abschluss des Vertrages Österreichs Eingliederung in die neu gegrün33 Wilfried Mähr, Der Marshallplan in Österreich: Tanz nach einer ausländischen Pfeife?, in: Die bevormundete Nation, 245–272. 34 Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945–1955. Österreichs Weg zur Neutralität, Graz/Wien/Köln 19853; Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation, Kapitel 8 und 10; Audrey Kurth Cronin, Great Power Politics and the Struggle over Austria, 1945–1955, Ithaca, N.Y./London 1986; idem, Eine verpasste Chance? Die Großmächte und die Verhandlungen über den Staatsvertrag im Jahre 1949, in: Die bevormundete Nation, 347–370. 35 Vgl. Manfried Rauchensteiner, Die Zwei. Die Große Koalition in Österreich 1945–1966, Wien 1987, 324– 330. 36 Erhardt an Marshall, 11. 2. 1948, FRUS, 1948, Bd. II, 1462; Marshall meinte jedoch, es sei noch zu früh, um sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen, vgl. Marshall an Wien, 21. 2. 1948, 863.00/2–1148. NA, RG 59.
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dete Westeuropäische Union vorschlug. Der britische Außenminister Ernest Bevin lehnte jedoch ab. Er meinte, Österreich sei kein Land, das „dem atlantischen Raum“ zuzurechnen sei; es müsse seine Sicherheit aus dem Staatsvertrag erhalten.37 Diese raschen Abfuhren für das Verlangen einer eventuellen Eingliederung Österreichs in das entstehende westliche Verteidigungssystem mögen Gruber davon abgebracht haben, bei der Gründung des Nordatlantischen Verteidigungspaktes (NATO) eine österreichische Teilnahme zu forcieren. Auf jeden Fall kamen die Amerikaner nach dem Prager Putsch zum Schluss: „Gruber is now more interested in developing internal unity and strengthening western European collaboration than he is in securing an Austrian treaty.“38 Der sowjetische Widerstand gegen jegliche Eingliederung Österreichs in westliche Sicherheitsorganisationen mahnte aber die politischen Führungseliten in Österreich zu größter Vorsicht bei militärpolitischen Kontakten zum Westen (vgl. unten), wollten sie je von den Sowjets einen Staatsvertrag erhalten, der einem ungeteilten Österreich die Unabhängigkeit geben würde. Gruber dachte selbst 1953 noch daran, sowjetische Hindernisse zu umgehen, als er dem amerikanischen Botschafter den Vorschlag machte, die Unmöglichkeit einer „direkten“ Eingliederung Österreichs in die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die sogenannte Montanunion, damit zu umgehen, Österreich mit den Teilnehmerstaaten bilaterale Verträge abschließen zu lassen, die dem Land alle Vorteile dieser Gemeinschaft verschaffen würden. Österreich würde aber gleichzeitig „im Geheimen akzeptieren, die [daraus erwachsenden, G. B.] Pflichten auf sich zu nehmen“.39 Österreich erhielt einen Beobachterstatus bei der Montanunion, trat ihr aber nie bei, wurde sie doch von den Sowjets, genauso wie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft später, als politische Organisation des Westens mit sicherheitspolitischen Absichten angesehen, weshalb (ein neutrales und blockfreies) Österreich nicht teilnehmen konnte. Überhaupt war Gruber, wie auch andere Vertreter seiner Partei, viel mehr an einem Beitritt zu den Vereinten Nationen interessiert (der erst 1955 nach Abschluss des Staatsvertrages erfolgte), als an Europäischen Organisationen wie dem Europarat (dem Österreich 1956 dann beitrat).40 Die Befunde deuten darauf hin, dass auf Grund ideologischer Prädispositionen, österreichische Spitzenpolitiker eher „Universalisten“ als „Europäer“ waren. Als sich die Militarisierung des Kalten Krieges mit dem nuklearen Wettrüsten zwischen den Supermächten und dem Ausbruch des Koreakrieges verschärfte und die Blockbildung 37 Marjoribanks Memorandum für Strang, 20. 2. 1948, und Strang Aktenvermerk, 20. 2. 1948, Public Record Office [PRO], Foreign Office [FO] 371/70395/C 1485; vgl. auch Robert Graham Knight, British Policy towards Occupied Austria 1945–1950, PhD Diss. London University 1986, 129–135; Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation, 682–684. 38 Daily State Department Summary for the President, 4. 3. 1948, Harry Turman Library, President’s Secretary’s File, Naval Aide Files, Box 21. 39 Thompson an Department of State, 5. 10. 1953, FRUS 1952–1954, Bd. VII/2, 1905 f.; vgl. auch den Beitrag von Weiß in diesem Band. 40 Zu parteipolitischen Differenzen über Österreichs Europakurs, vgl. Rathkolb, Austria and European Integration, 43–47.
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vertiefte, blieb am Ende der österreichischen Politik nur mehr der Ausweg, über einen neutralen und blockfreien Status, den Staatsvertrag und damit die Unabhängigkeit des Landes zu erhalten. Es ist das große Verdienst von Bundeskanzler Julius Raab, die Chance nach dem Tod Stalins im März 1953 und der Neuorientierung der sowjetischen Politik auf „friedliche Koexistenz“ durch die neue Regierungsmannschaft im Kreml erkannt und genützt zu haben. Die Möglichkeit einer österreichischen Neutralität und Blockfreiheit wurde zuerst im geheimen 1952 und mit großer Vorsicht bilateral sondiert, kam 1953 erstmals konkreter in der Öffentlichkeit zur Sprache, während sie 1954 auf der Berliner Außenministerkonferenz offiziell am Konferenztisch diskutiert wurde. Im Frühjahr 1955 schaffte die außenpolitische Option der Neutralität dann auf dem berühmten österreichisch-sowjetischen „Gipfel“ den Durchbruch, was im Mai zur Unterzeichnung des Staatsvertrages und bis im Oktober zum Abzug der Besatzungstruppen und damit zur Unabhängigkeit des Landes führte.41 Mit der „immerwährenden“ Neutralitätserklärung von 1955 wurde Österreichs politische und sicherheitspolitische Eingliederung in den Westen für die Dauer des Kalten Krieges verhindert. Während die Westmächte, allen voran die Vereinigten Staaten, eine Neutralisierung der Bundesrepublik inakzeptabel fanden, was zur Westintegration der BRD führte und die Teilung Deutschlands endgültig besiegelte, nahm man die Neutralisierung im Falle Österreichs mit großem Widerwillen zur Kenntnis. Der Westen konnte und wollte die Neutralisierung des Landes aber nicht verhindern, da es einem ungeteilten Österreich seine Souveränität zurückgab, was ja das Ziel von neun Jahren westlicher Staatsvertragsdiplomatie war.42 Die Westmächte waren aber nur deshalb bereit, Österreich in die Neutralität zu entlassen, weil es eine bewaffnete Neutralität war. Mit der geheimen Wiederbewaffnung Westösterreichs in den Jahren 1950 bis 195543 konnten die Westmächte auf Nummer sicher gehen, dass mit dem Abzug der Besatzungsmächte kein militärisches Vakuum im Herzen Europas, zwischen den Nord- und Südflanken der NATO, entstehen würde.
III. Sicherheitspolitik: die geheime Wiederbewaffnung Österreichs Die Frage, ob Österreich 1950 bis 1955 in die Rolle eines „geheimen Verbündeten“ des Westens hineinwuchs, kann aufgrund des derzeitigen Aktenstandes positiv beantwortet werden. 41 Stourzh, Geschichte des österreichischen Staatsvertrages, 93–172; Rauchensteiner, Der Sonderfall, 299–336; Günter Bischof, Karl Gruber und die Anfänge des ,Neuen Kurses‘ in der österreichischen Außenpolitik 1952/53, in: Für Österreichs Freiheit, 143–183. 42 Mit der westlichen Haltung zur österreichischen Neutralität, die von Widerborstigkeit im Department of State bis zu offenem Widerstand im Department of Defense reichte, beschäftigt sich der Aufsatz von Günter Bischof, The Western Powers and Austrian Neutrality, 1953–1955, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 42 (1992), 368–393. 43 Für eine gute Zusammenfassung des derzeitigen Forschungstandes dazu, vgl. Stifter, Das westalliierte Interesse an der Wiederaufrüstung Österreichs.
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Schwieriger ist es, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob Österreich auch in den Verteidigungsplänen der NATO eine direkte Rolle spielte. Die derzeitige Aktenlage erlaubt dazu noch keine eindeutigen Antworten. Immerhin gibt es aber in den geöffneten Akten, die in den Archiven der Westmächte liegen (die Aktenöffnung für die Zeitgeschichtsforschung in Österreich selbst hinkt bedauerlicherweise schon seit Langem hinter der westlichen Archivzugangspraxis nach), genug Hinweise dafür, dass der westösterreichische Alpenraum wahrscheinlich in die westeuropäischen Verteidigungspläne der NATO miteinbezogen wurde. Streute Vizekanzler Schärf schon im Sommer 1945 kommunistische Putschgerüchte aus,44 so verdichteten sich solche Gerüchte nach dem Prager Coup schlagartig und hatten bis ins Jahr 1950 Saison. Der Prager Putsch und die in Wien und in den westlichen Hauptstädten grassierende Perzeption, Österreich könnte das nächste Opfer eines kommunistischen Umsturzversuches sein, ließen im Westen die Warnsignale hochgehen. Das führte dazu, dass Politiker wie Gruber und vor allem die amerikanischen Militärs nur mehr wenig Interesse an einem schnellen Abschluss eines österreichischen Staatsvertrages zeigten, da mit einem Vertrag und dem daraus resultierenden Abzug der Besatzungstruppen in Österreich ein gefährliches militärisches Vakuum entstehen würde.45 Die Spannungen des Frühjahrs 1948 führten zur Militarisierung des Kalten Krieges und die Amerikaner richteten sich nach dem Prager Coup in Westeuropa sowie auch in Österreich auf ein „militärisches ERP-Programm“ ein; zum ERP-Wirtschaftshilfeprogramm gesellte sich nach 1948 zusätzlich ein massives Militärhilfeprogramm (Military Assistance Program – MAP).46 Damit war die österreichische Wiederbewaffnung auf dem Tapet, zumal sich das Pentagon strikt weigerte, einem österreichischen Vertragsabschluss zuzustimmen, solange nicht der Kern einer österreichischen Streitmacht gebildet wäre, der im Dreimonatsintervall nach Abschluss des Vertrages und vor Abzug der Besatzungstruppen die Garantie für die österreichische Sicherheit, vor allem bei internen Unruhen, übernehmen sollte.47 Wegen seiner geopolitischen Lage war die österreichische Wiederbewaffnung zudem von größter Bedeutung für das Nordatlantische Verteidigungsbündnis, wie die Amerikaner immer wieder betonten: „The strategic location of Austria makes of direct importance to the defense of the North Atlantic area and […] Austria’s increased ability to defend itself contributes to the preservation of peace and security of the North Atlantic area.“48 44 John Magruder Memorandum, 7. 7. 1945, in: Rathkolb (Hrsg.), Gesellschaft und Politik, 111. 45 Zu den sicherheitspolitischen Bedenken des amerikanischen Verteidigungsministeriums, vgl. den Entschluss der Joint Chiefs of Staff in Marshall an Reber, 10. 3. 1948, FRUS, 1948, Bd. II, 1474 f.; vgl. dazu Bischof, ,Prag liegt westlich von Wien‘; idem, Between Responsibility and Rehabilition, 684–723. 46 Coordination of U.S. – Western European Military Resources to Counter Soviet Communism, 20. 3. 1949, P&O 381 Europe T NA, RG 319, Box 235. Zu MAP, vgl. nun auch Chester J. Pach, Jr., Arming the Free World: The Origins of the United States Military Assistance Program, 1945–1950, Chapel Hill/London 1991. 47 Zu den Anfängen der Wiederbewaffnung, vgl. auch Rauchensteiner, Der Sonderfall, 305–308; Stifter, Wiederaufrüstung Österreichs, 78–104. 48 Final Report of the Representatives of France, the United Kingdom, and the United States on the Conversa-
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Das Dilemma bei der Formierung österreichischer Streitkräfte war aber von Anfang an, dass der Westen nicht gewillt war, die Sowjets in dieser Angelegenheit im Alliierten Rat zu konsultieren, wollten die Russen doch nichts von einer Wiederbewaffnung Österreichs wissen (obwohl sie selber mindestens immer doppelt so viel Besatzungstruppen in Österreich hatten wie die drei Westmächte zusammen und der kommunistische „Werkschutz“ der sowjetischen USIA-Betriebe die bestbewaffnetsten österreichischen Sicherheitskräfte darstellte). Sowjetischer Widerstand erlaubte dem Alliierten Rat erst im April 1948, die Bewaffnung der Polizei von Gummiknüppeln auf Pistolen umzustellen Die Bewaffnung österreichischer Streitkräfte war aus westlicher Sicht ja auch klar gegen die Kommunisten im Land und die sowjetische Gefahr von außen gerichtet, was den Russen keineswegs verborgen bleiben konnte und sie schon im März 1948 veranlasste, gegen die „Aufstellung einer geheimen militärischen Organisation in der Verkleidung der Polizei“ loszuwettern.49 Die Geheimniskrämerei um die österreichische Wiederbewaffnung in den Westzonen war auffällig, so dass diese nicht zur Gänze verborgen bleiben konnte.50 Die österreichische Wiederbewaffnung läutete eine enge amerikanisch-österreichische Zusammenarbeit ein, da der eine den anderen für seine Pläne brauchte und damit in gewisser Weise ein symbiotisches Verhältnis entstand. Schon Anfang März 1948 riet der amerikanische Nationale Sicherheitsrat (NSC), keinen „Friedensvertrag [sic!]“ abzuschließen, bevor nicht adäquate österreichische Sicherheitskräfte eingerichtet seien. Das schlug sich dann auch am Jahresende im ersten grundlegenden Sicherheitspapier zu Österreich (NSC 38) nieder: „[…] the occupation forces should not be withdrawn until such time that the Austrians have organized, equipped and trained a security force reasonably adequate to perform tasks envisaged in the treaty.“51
Dem NSC-Beschluss im März folgte der österreichische Ministerrat ein paar Tage später mit der Forderung nach einer modernen Bewaffnung von Polizei und Gendarmerie, um zukünftig in der Lage zu sein, erstens die Grenzen des Landes zu sichern und zweitens die interne Ordnung aufrechtzuerhalten. Im April gab es erste Expertengespräche der Amerikaner mit Julius Deutsch über die Aufstellung einer österreichischen Armee. Deutsch schwebte tions on Austria’s Internat Security, 11. 8. 1950, 763.5/8–1150. NA, RG 59, abgedruckt in FRUS, 1950, Bd. IV, 488–491. 49 Vgl. die Korrespondenz zur Wiederbewaffnung, FRUS, 1948, Bd. II, 1358–1363. Kanzler Figl stimmte mit den Amerikanern auch „offiziell“ überein, die Planungen für eine österreichische Armee nicht dem Alliierten Rat vorzulegen, sondern geheimzuhalten, da die Russen die Arbeit mit Sicherheit blockieren würden, vgl. ibid., 1369. 50 Dazu auch Rauchensteiner, Der Sonderfall, 307. 51 Marshall an Reber, 10. 3. 1948, und NSC 38 „The Austrian Treaty in the CFM, 8. 12. 1948, FRUS, 1948, Bd. 11, 1474 f., 1510–1535, hier 1513.
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die Bewaffnung von 5.000 Polizisten und 2.500 Gendarmen in den Westzonen durch die Amerikaner vor.52 Diese Forderungen führten im April zum Beschluss, erste Schritte für die Ausrüstung und die Einschulung österreichischer Sicherheitskräfte einzuleiten. US-Hochkommissar Keyes, der ja auch der kommandierende General der amerikanischen Streitkräfte in Österreich war, wurde vom U.S.-Außen- und dem U.S.-Verteidigungsministerium autorisiert, in amerikanischen Kasernen und Militäreinrichtungen Waffen-, Vorrats- und Munitionslager anzulegen, um damit die österreichische Polizei und Gendarmerie in Notfallsituationen zu bewaffnen. Keyes stellte zudem in der amerikanischen Zone zwei „Instruktionsteams“ zusammen, um mit der Schulung der österreichischen Polizei und Gendarmerie im Umgang mit amerikanischen Kleinwaffen zu beginnen. Bis zum Ende des Jahres 1948 wurden so in der amerikanischen Zone 2.750 Mann eingewiesen, während Pläne, in Wien 2.400 Polizisten auszubilden, nicht über die Einschulung von 10 Ausbildnern hinausgelangten.53 In diesem Stadium arbeiteten die Briten bei den Planungen mit den Amerikanern zusammen, hatten sie doch schon im März 1.624 Revolver und 3.315 Gewehre an die Sicherheitskräfte ihrer Zone aus eigenen Beständen ausgehändigt.54 Das französische Außenministerium (nicht Béthouart und die Armee) bekamen hingegen kalte Füße und protestierten bei den Amerikanern, die Aufstellung mobiler österreichischer Gendarmerieformationen sei „ein Bruch des Kontrollabkommens“.55 Daran konnte wohl nie jemand im Westen gezweifelt haben. Dieses Trainingsprogramm führte bis im Frühjahr 1949 zur Aufstellung von drei je 500-Mann-„Alarmbataillonen“ und somit zum Kern einer zukünftigen österreichischen Armee.56 Der französische Protest und österreichische Bedenken über die geheime Wiederaufrüstung deuteten jedoch an, dass die Aufstellung einer geheimen österreichischen Armee bedeutend mehr Zeit in Anspruch nehmen und eingehendere Verhandlungen verlangen würde, als die raschen Fortschritte bei der Einschulung österreichischer Sicherheitskräfte in der Krisensituation von 1948 erwarten ließen. So berichtete die Wiener U.S.-Legation dann auch Ende 1948, dass die erste Phase der Wiederbewaffnung, nämlich das Schulungsprogramm der Polizei und Gendarmerie gute Fortschritte gemacht habe, während Phase II (die Aufstellung des Kaders innerhalb der Gendarmerie für eine zukünftige Armee) und Phase III (die österreichischen Planungen für eine Armee zwischen den beiden Koalitionspartnern) so gut wie zusammengebrochen seien.57 Wohl deshalb wurde Keyes von Washington autorisiert, die Planungen in einer westlichen 3-Mächte-Expertengruppe voranzutreiben, um „die For52 Reber an Secretary of State, 12. 3. 1948, und Keyes an JCS, 22. 4. 1948, FRUS, 1948, Bd. 11, 1477 f., 1365 f. 53 J. Lawton Collins Memorandum für den Secretary of the Army, Status of Austrian Security Forces (Anny & Gendarmerie), 7. 1. 1949, P&O 091 Austria T NA, RG 319, Box 150. 54 Keyes an JCS, 20. 4. 1948, und Erhardt an Secretary of State, 21. 9. 1948, FRUS, 1948, Bd. 11, 1365, 1373 f. 55 Marshall an die Wiener Legation, 30. 11. 1948, ibid., 1375 f. 56 Stifter, Wiederaufrüstung Österreichs, 113 f. 57 Yost and Erhardt, 16. 11. 1948, FRUS, 1948, 11, 1374 f.
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mation [eines] mobilen Gendarmerieregimentes“ als „Kern einer österreichischen Armee“ einzurichten.58 Eine gewisse Beruhigung der österreichischen und gesamteuropäischen Sicherheitslage nach dem Ende der Berlin-Blockade, Fortschritte in den Staatsvertragsverhandlungen und Wiener Ängste über mögliche negative Auswirkungen für Österreich bei einer Aufdeckung des geheimen Wiederbewaffnungsprogramms verhinderten trotz fieberhafter amerikanischer Planung Fortschritte in der Remilitarisierung Westösterreichs im Jahre 1949. Keyes drängte den Nationalen Sicherheitsrat einmal grundsätzlich zu entscheiden, ob eine Fortsetzung der „Okkupation Österreichs strategisch und/oder politisch essentiell oder wünschenswert sei“. Falls ja, so seien die Details zu Österreichs Wiederbewaffnung das geringste Problem. Er fügte hinzu, die Amerikaner bräuchten keine Ausreden für die Fortsetzung der Okkupation zu suchen, da das amerikanische Besatzungsregime in Österreich im Vergleich zu früheren (Römer, Türken, Mongolen, Franzosen und Deutschen), „das mildeste in ihrer Geschichte“ sei. Keyes meinte, nachdem man in Österreich eine Appeasementpolitik gegenüber den Russen abgelehnt habe, sollte man jetzt nicht mit einer „Beschwichtigungspolitik gegenüber den Österreichern“ die amerikanischen Verteidigungsziele in Europa aufs Spiel setzen.59 Gerade ein möglicher Durchbruch in den Staatsvertragsverhandlungen im Herbst 1949 – in Washington erwartete man im Jänner 1950 einen möglichen Vertragsabschluss – veranlassten aber Keyes und das Pentagon, die rasche Aufstellung österreichischer Streitkräfte noch stärker zu forcieren, um ein militärisches Vakuum in Mitteleuropa zu verhindern. Ein grundlegendes JCS-Memorandum (JCS 1868/153) verlangte vom Verteidigungsminister 82 Millionen Dollar an Militärhilfe für Österreich, da mit der Lagerung („stockpiling“) von Waffen und Ausrüstung in Österreich und/oder Deutschland für 28.000 Mann österreichischer Sicherheitskräfte sofort begonnen werden musste. Die Bedeutung, die das Pentagon der österreichischen Sicherheitslage beimaß, ist darin zu ersehen, dass man vorschlug, für Österreich eine Ausnahme zu machen, und dem Land bei der Militärhilfevergabe (also im MAP-Programm) dieselbe Prioritätsstufe einzuräumen wie den NATO-Alliierten (Title I). Zur raschen Aufrüstung Österreichs war man sogar bereit, Vorräte in NATO-Waffenlagern unter die Minimalgrenze sinken zu lassen, um die Bewaffnung der österreichischen Sicherheitskräfte voranzutreiben.60 Um den Ausrüstungsbedarf genau festlegen zu können, ging man auf der Grundlage von Keyes’schen Vorarbeiten aus Wien im Pentagon 1950 daran, die vorgesehene Truppenbasis der 28.000-Mann-Armee im Detail festzulegen.61 Diese Penta58 Collins Memorandum vom 7. 1. 1949, P&O 091 Austria T NA, RG 319, Box 150. 59 Keyes and Department of the Army, 14. 6. 1949, CCS 383.21 Austria (1–21–44) Sec. 17. NA, RG 218, Box 7. 60 Das Dokument JCS 1868/153 vom 3. 12. 1949 ist mit seinen Vorgängerstudien und einer Zusammenfassung zu finden im Aktenbündel P&O 091 Austria TS (3 Dec 49). NA, RG 319, Box 151. Vgl. auch die fortlaufenden Vorgängerstudien „Equipment for the Austrian Gendarmerie Regiment“ etc. des Jahres 1949 in ibid. Box 150. 61 Tentative Troop Basis for Programming Equipment for an Austrian Army, 28. 12. 1949, P&O 091 Austria TS (27 Dec 1949). NA, RG 319, Box 151.
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gon-Überlegungen fanden dann auch in den Revisionen des Grundsatzpapiers des Nationalen Sicherheitsrates (NSC 38/4) ihren Niederschlag.62 Der Ausbruch des Korea-Krieges und der von den österreichischen Kommunisten versuchte Generalstreik vom Herbst 1950 (den so mancher Beobachter als den seit langem erwarteten „Putschversuch“ betrachtete) gaben den fortlaufenden Geheimplanungen für die österreichische Wiederbewaffnung neuen Auftrieb. Keyes und das Pentagon waren nach wie vor treibende Elemente. Die Planungen des Jahres 1949 fanden im „Keyes-Plan“ von Anfang Februar 1950 ihren Höhepunkt. Der amerikanische Hochkommissar hatte im Laufe des Jahres 1949 einen detaillierten Fahrplan zur Bildung einer österreichischen Armee ausgearbeitet, Konzeptionen, die im Übrigen ohne Zutun der österreichischen Regierung entwickelt wurden. In der ersten Phase (vor Abschluss des Staatsvertrages) sollte die österreichische Regierung im Geheimen die Gesetzgebung für die Expandierung der Gendarmerie und die Schaffung einer Armee vorbereiten. Es sollten 10.000 „Spezialgendarmen“ auf Zeit in quasi Militäreinheiten ausgebildet werden (die sog. „B-Gendarmerie“). 40 Prozent regulärer Gendarmerie sollten den Kern eines jeden Regiments dieser Spezialgendarmerie bilden. In der zweiten Phase (zwischen Abschluss und Beginn der Ratifizierung des Vertrages) sollte die reguläre Gendarmerie sofort mit den 10.000 Spezialgendarmen expandiert und in regulären (hauptsächlich Infantrie-) Divisionen organisiert werden. Diesen Einheiten sollte dann auch ein Teil der amerikanischen Ausrüstung ausgehändigt werden, die für die zukünftige österreichische Armee gelagert werden würde. In der dritten Phase (in der Ratifikationsphase des Vertrages bis zum Abzug der Besatzungstruppen) sollte dann die österreichische Regierung die Gesetze verabschieden, die aus dem Kern der 10.000 temporären Spezialgendarmen die Expandierung zu einer 28.000-Mann-Armee erlaubte. Diese Armee sollte prompt mit amerikanischen Waffen ausgerüstet werden. In der vierten Phase (nach dem Abzug der Besatzungstruppen) würde die Ausbildung der 28.000 Mann abgeschlossen und die österreichische Armee auf das vom Vertrag vorgesehene Limit von 53.000 Mann komplettiert werden. Dieses Programm würde mit der sofortigen Lagerung der amerikanischen Ausrüstung für die zukünftige Armee stehen und fallen.63 Der amerikanische Verteidigungsminister bat den Außenminister, diesen Plan zu akzeptieren und die Zuteilung der Waffen und Ausrüstung durch das MAP-Programm zu gestatten, damit man für den Moment des Vertragsabschlusses gerüstet sei, was auch umgehend geschah. Nachdem man sich intern in Washington geeinigt hatte, sollte die Koordinierung des Keyes-Planes mit den Westmächten und der österreichischen Regierung vom Außenminister übernommen werden.64 62 Future Courses of U.S. Action with Respect to Austria (NSC 38/4) vom 17. 11. 1949, FRUS, 1949, Bd. III, 1190–1197. 63 Keyes an Department of the Army, 1. 2. 1950, FRUS, 1950, Bd. IV, 476–478; vgl. auch Stifter, Wiederaufrüstung Österreichs, 137 f. 64 Johnson an Acheson, 27. 4. 1950 und Webb an Johnson, 16. 5. 1950, FRUS, 1950, Bd. IV, 478 f.
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Das war aber nicht so einfach. Keyes’ Stufenplan zur Ausbildung von mit amerikanischen Waffen ausgerüsteten Spezialgendarmerie-Einheiten in den westlichen Zonen, die den Kern einer zukünftigen österreichischen Armee bilden sollten, hatte vor seiner Implementierung ein Menge von Hürden zu überwinden. Auf der einen Seite gab es Unstimmigkeiten in der ÖVP-SPÖ-Koalition über die geheime Aufrüstung und die Furcht, die Sowjets könnten davon erfahren. Bei seinem britischen Kollegen Harold Caccia beklagte sich Keyes „the Austrians are dragging their feet“; sie seien nicht einmal bei der Aufstellung der Spezialgendarmerieregimenter besonders behilflich, meinte er. Sollte sich das nicht ändern, würde er nicht um die Mittel zur Lagerung der Waffen und Ausrüstung für die zukünftige Armee in Washington ansuchen.65 Auch mit den Alliierten ging es nicht viel besser. Das französische Außenministerium hatte weiterhin kalte Füße und auch der britische Hochkommissar General John Winterton warnte seinen Kollegen Keyes, die Aufstellung einer Armee vor Vertragsabschluss sei illegal und würde von den Sowjets verhindert werden. Ivo Mallet, der kluge Deputierte für die österreichischen Vertragsverhandlungen im britischen Außenministerium meinte, die Sowjets seien gegen einen derzeitigen Vertragsabschluss, da sie befürchteten, Österreich könnte ein „Westsatellit und ein Vorposten des Atlantikpaktes“ werden. Und ein Österreich, das als Speerspitze gegen den sowjetischen Einflussbereich gerichtet war und als Bindeglied zwischen dem Westen und Titos Jugoslawien fungieren könnte, sei in Moskau inakzeptabel. Sein Ratschlag traf den Nagel auf den Kopf: Der Westen sollte den Sowjets klar zu verstehen geben, man werde Österreich nicht politisch oder militärisch in den Westen integrieren und auch nicht wiederbewaffnen; der Westen sollte sich bereitfinden, Österreich als „eine Art neutralen Pufferstaat, wie ihn die Russen in Deutschland bevorzugten, einzurichten“.66 Von Ratschlägen solcher Art wollten die Amerikaner aber auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges nichts hören. Die kommunistische Österreichische Volksstimme hatte in einem Bericht, der auch von der Moskauer Iswestija übernommen wurde, ziemlich gute Information (angeblich aus französischen Quellen) über das amerikanische Wiederaufrüstungsprogramm im Rahmen einer Sondergendarmerieausbildung in Österreich und die Spezialkonten innerhalb des westeuropäischen Militärhilfeprogramms, die dafür vorgesehen waren.67 Die Amerikaner drängten die etwas widerwilligen Briten und Franzosen trotzdem massiv, endlich nach Washington für Dreierverhandlungen über den Keyes-Plan zu kommen.68 65 General Keyes in einer Besprechung im Pentagon, 17. 2. 1950, OPS 091 Austria TS (29 Feb 1950). NA, RG 319, Box 151; Caccia an Foreign Office, 1. 4. 1950, PRO, FO 371/84928/C 2305. 66 Winterton an Keyes, 11. 1. 1950, und Mallet Memorandum für Kirkpatrick „Rearmament of Austrian forces“, 9. 2. 1950. PRO, F= 371/84927/C 304 und C 1133. 67 British Embassy (Moscow) to German Political Department (London), 10. 2. 1950. PRO, FO 371/84927/C 1201. 68 Der Österreichexperte im State Department Francis Williamson drängte seinen Kollegen in der britischen Botschaft auf Drängen der Militärexperten tagtäglich „When we are doing to be ready to start talking about the supply of arms to Austria“? vgl. Jamieson and Cullis, (ohne Datum). PRO, FO 371/84928/C 2234.
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Im August kamen die westlichen Militärexperten in Washington zusammen, um über die Zukunft der österreichischen Armee, die aus amerikanischer Sicht längst überfälligen Entscheidungen zu treffen. Die Washingtoner Gespräche mussten die Amerikaner zum etwas bitteren Schluss bringen, sie würden für die Ausführung des Keyes-Planes von ihren Verbündeten wenig Hilfe erwarten können. Die Franzosen meinten, außer der Aushändigung von etwas leichter Ausrüstung hätten sie keine Mittel für ein österreichisches Militärprogramm. Noch größer war die Enttäuschung über die Briten, die die versprochene Ausrüstung und Ausbildung der zukünftigen österreichischen 5.000-Mann-Luftwaffe nur gegen österreichische Bezahlung betreiben wollten, da sie nur für die NATO-Alliierten unentgeltliche Militärhilfe vorsahen (die Ausrüstung einer österreichischen Luftwaffe kam dann auch vor dem Abschluss des Vertrages nicht zustande). Die Amerikaner bestanden jedoch darauf, dass jegliche Militärhilfe an Österreich wegen der Bedeutung des Landes für die Verteidigung Westeuropas und die nicht vorhandenen finanziellen Ressourcen des Landes als Geschenk („grant basis“) erfolgen müsse. Man ging also in Washington auseinander, ohne ein Beschlussprotokoll zu unterzeichnen; lediglich auf ein „agreement to differ“ konnte man sich einigen, wie es die Briten ausdrückten.69 Die nächsten Monate wurden mit Diskussionen verbracht, inwieweit die österreichische Regierung in die Planung miteinbezogen werden sollte. Da man bei den Briten und Amerikanern befürchtete, die Geheimhaltung ihrer Wiederaufrüstungspläne sei nicht gewährleistet, falls diese im Ministerrat lang und breit debattiert würden, entschloss man sich, nur den inneren Kern der Regierung (die im Westen als verlässlichste Leute angesehenen Figl, Schärf, Gruber – später erweitert um Helmer) in die westlichen Pläne einzuweihen. Der britische Hochkommissar meinte überdies, jeder österreichische Offizielle, von dem man wisse, er sei an der Planung beteiligt, laufe Gefahr von den Russen gekidnappt zu werden, da es „nonsense, and dangerous nonsense at that“ sei, zu glauben solche Vorbereitungen könnten total geheim bleiben. Deshalb müssten alle Planungen in größter Geheimhaltung in den westlichen Zonen ablaufen, am besten im Hauptquartier der Amerikaner, und nur unter absolut notwendiger österreichischer Mitarbeit.70 Der durch den Korea-Krieg ausgelöste Schreckensherbst des Jahres 1950 brachte die Wende. Die kommunistische Aggression in Korea wurde als asiatisches Ablenkungsmanöver empfunden, das in Wirklichkeit die westeuropäische Sicherheit bedrohe. Der Westen begann die deutsche Wiederbewaffnung zu betreiben. Ende September/Anfang Oktober wurde in Österreich die Lage durch die von den Kommunisten verursachten Streikunru-
69 Vgl. den Report on the conversations on Austria’s Internal Security, 11. 8. 1950, FRUS, 1950, Bd. IV, 488– 494; Vgl. auch die Zusammenfassung der Verhandlungsergebnisse im Bericht Burrows an Bevin, 16. 8. 1950. PRO, FO 371/84929/C 5294. 70 Bericht Caccia an Younger, 14. 9. 1950. PRO, FO 371/84930/C 5957; der Vorschlag, Innenminister Helmer in die Liste der österreichischen Vertrauensleute miteinzubeziehen, wurde gemacht in Gainer Conversation with Trimble, 20. 11. 1950, FO 371/84930/C 7529.
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hen (im Westen wurden sie meist als „disorders“ oder „Commie disturbances“ und nicht als Putschversuch interpretiert) verschärft, welche auch die österreichische Regierung aufwühlten. Die vom Westen offerierte – ja von den Amerikanern aufgedrängte – Militärhilfe konnte nicht länger abgeschlagen werden, trotz Unstimmigkeiten innerhalb der Koalition. „Condition now is changed. Austrians are alert to the narrow margin by which they escaped Communist opportunistic effort to seize control“, kommentierten amerikanische Militärs in Österreich.71 Als sich die Amerikaner und Briten Ende 1950 endlich auf eine Grundsatzdirektive zur Implementierung der österreichischen Wiederbewaffnung an die drei westlichen Hochkommissare (seit Herbst 1950 zivile Hochkommissare und Botschafter) geeinigt hatten, stellte sich das französische Außenministerium quer.72 Die Franzosen fürchteten, dass eine Aufdeckung der amerikanischen Pläne zur Teilung Österreichs führen könnte. Zudem hofften sie, zur Klärung der deutschen Frage 1951 eine Außenministerkonferenz in die Wege zu leiten, und wollten dabei ihre Chancen nicht durch die geheime Wiederbewaffnung Österreichs gefährdet sehen. Überdies glaubten sie nicht an einen baldigen Abschluss des Staatsvertrages, womit auch die Planung für eine österreichische Armee nicht so dringend sei. Mitte Januar 1951 sahen sich die Franzosen aber gezwungen, dem Druck der Anglo-Amerikaner nachzugeben. Anfang Februar gingen dann die Instruktionen zur Implementierung der Phase I der Keyes-Planung (festgelegt im Washingtoner Memorandum vom August 1950) an die drei westlichen Hochkommissare in Wien. Das war das Zeichen zur sofortigen Ausbildung der österreichischen Spezialgendarmerie-Einheiten. Dazu mussten nun auch die vier österreichischen Vertrauensleute ins Bild gesetzt werden (Figl, Schärf, Gruber und Helmer). Unter größter Geheimhaltung hatten sie nun die Bestimmungen auszuarbeiten und Pläne zur Rekrutierung, Ausbildung, Kontrolle, Bezahlung und Revision der Militärgesetzhandbücher in die Wege zu leiten. Auch die Lagerung der amerikanischen Waffen für die zukünftige Armee wurde begonnen bzw. intensiviert.73 1951, ein Jahr nach seiner Konzeption, wurde der Keyes-Plan zur Ausbildung von Spezialgendarmerie-Einheiten als Kern einer zukünftigen österreichischen Armee in Angriff genommen. Der Plan wurde bis 1955 im Großen und Ganzen auch wie vorgesehen implementiert. Es ist hier nicht der rechte Ort, die Ausbildung dieser Truppen und die Zusammenarbeit der Westmächte mit österreichischen Experten im Detail zu schildern. Das ist auch aufgrund der österreichischen Aktenlage noch gar nicht möglich. Aus westlichen Akten geht aber klar hervor, dass diese Zusammenarbeit eng und fruchtbar war und hauptsächlich in zwei in Wien und Salzburg eingerichteten geheimen Ausschüssen erfolgte. 71 Commanding General, U.S. Forces (Salzburg) an Department of the Army (Washington), 13. 10. 1950, CCS 388.1 Austria (6-8-46) Sec. 6. NA. RG 218, Geographie File 1948–1950, Box 9; vgl. dagegen die Perzeption des Oktober 1950 im „Genfer Kreis“ im Beitrag von Gehler in diesem Band. 72 Eine Fassung der „Top Secret“ Directive vom 29. 12. 1950 ist zu finden in PRO, FO 371/84930/C 8328. 73 Vgl. die Korrespondenz zwischen Washington, London, Paris und Wien im Jänner/Februar 1951, abgedruckt in FRUS, 1951, Bd. IV, 1187–1194.
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Die Kurzstationen der Rekrutierung und Ausbildung des Kerns einer zukünftigen österreichischen Armee sind hinlänglich bekannt.74 In den drei westlichen Zonen wurden 1948/49 1.500 Mann Gendarmerie und Polizei ausgebildet; 1951 begann man mit der Rekrutierung und Ausbildung des harten Kernes von 5.000 Mann „Spezialgendarmerie“, organisiert in sechs Bataillonen, die vollständig von den Amerikanern finanziert wurden (es verlief nicht alles nach Plan, denn ein amerikanisches Dokument vom September 1953 sprach davon, dass erst 3.800 Mann ausgebildet seien); zudem registrierte man mehr als 100.000 Wehrfähige (Veteranen und Jungmänner), die bei Kriegsausbruch zur Ausbildung mobilisiert werden sollten; nach der Reduzierung von britischen und französischen Besatzungstruppen im Herbst 1953, die in amerikanischen Augen den Süden und Westen Österreichs beinahe schutzlos ließen und die NATO-Verteidigungspläne beeinträchtigten, stockte man auf Drängen auch der österreichischen Regierung die Spezialgendarmerie auf 8.500 Mann (nun organisiert in 10 Bataillonen) auf; die Amerikaner drängten sogar gegen französischen Widerstand auf ein Training mit schweren Artilleriewaffen. Diesem Kern der Spezialgendarmerie wurde dann im Sommer 1955, nach Abschluss des Staatsvertrages, der reiche Segen aus den amerikanischen Waffenlagern zuteil. Im Laufe des Ratifizierungsprozesses ging man daran, die 28.000 Mann Armee und 5.000 Mann Luftwaffe (mit 90 Flugzeugen) zu organisieren, was mehr Zeit in Anspruch nahm als vorgesehen.75 Die Frage, welche Rolle Österreich in der NATO-Planung für die Verteidigung Westeuropas spielte und ob österreichische Spitzenpolitiker oder Militärs davon wussten bzw. bei der westeuropäischen Verteidigungsplanung gar mitarbeiteten, kann aufgrund der jetzigen Aktenlage nicht beantwortet werden und wird die zukünftige Forschung wohl noch zu beschäftigen haben. Die zunehmend in die Mitte Europas vorrückende Linie des Widerstandes von NATO-Truppen gegen angreifende Sowjetarmeen stand im Zentrum der amerikanischen Verteidigungspläne. Sahen die ersten Pläne des Jahres 1948/49 der „Plans & Operations“Abteilung der US-Armee (BROILER/FROLIC und HALFMOON) noch einen Verlust ganz Westeuropas und einen Rückzug amerikanischer Truppen bis hinter die Pyrenäen vor, so schob in der Militarisierungsphase des Kalten Krieges der neue NATO-Oberbefehlshaber General Dwight D. Eisenhower, vor allem auf Drängen der Franzosen, diese Verteidigungslinie an den Rhein vor (im OFFTACKLE-Plan).76 74 Vgl. dazu Stifter, Wiederaufrüstung Österreichs; Rauchensteiner, Der Sonderfall, 306 f.; idem, Die Zwei, 220 f.; Margit Sandner, Die französisch-österreichischen Beziehungen während der Besatzungszeit von 1947 bis 1955, Wien 1983, 260–305. 75 Vgl. die kurze Geschichte der österreichischen Wiederbewaffnung („Allocation du Major Marden“ G.3 – Q. G USFA – 7. 4. 1954) in Olle-Laprune an Chef de l’Etat des Forces Armées lère Division, 12. 3. 1954, Le Fonds des Archives du Ministère de la Défense – Service Historique de l’Armee de Terre à Vincennes, Box 1 U 19; Foreign Assistance Correlation Committee, Austria and the Military Assistance Program, 3. 4. 1950, 763.5/4350. NA, RG 59, Box 3929; Bericht „Post Treaty Defense Forces – Austria“, Thibodeaux an State Department, 28. 9. 1953, 663.001/9–2853. NA, RG 59, Box 2969. 76 Dazu nun die sehr gründliche Arbeit von Robert A. Wampler, Ambiguous Legacy: The United States, Great
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Nachdem in der Koordinierung mit „OFFTACKLE“ ein geordneter Rückzug an den Rhein durch Westösterreich (Codename „PILGRIM – CHARLIE“) als unrealistisch eingeschätzt wurde, gaben amerikanische Planer der Evakuierung alliierter Truppen aus Österreich nach Italien den Vorzug. Dabei gab man der Variante einer Verteidigung der Alpen (PILGRIM – ABLE) höhere Priorität als dem totalen Rückzug aus Italien durch norditalienische Häfen (PILGRIM – BAKER). Die große Unbekannte dabei war das Verhalten von Italien selbst.77 Wahrscheinlich in Einklang mit ihren Verteidigungsplänen am Rhein drängten die Franzosen auch in Österreich auf eine Vorwärtsverteidigung. Vor allem auf Drängen des französischen Hochkommissars General Béthouart, dem die amerikanischen Rückzugspläne aus Österreich nach Italien überhaupt nicht behagten, entwickelten Amerikaner und Franzosen zusammen den Plan „PILGRIM – DOG“. Dieser Plan sah die Verteidigung der Tiroler/Vorarlberger „Alpenfestung“ (réduit alpine) in Zusammenarbeit mit österreichischen Guerillatruppen vor, wobei die Ironie der Parallelen mit den Plänen von Hitlers Tiroler Gauleiter, Franz Hofer, zur Errichtung und Verteidigung der „Alpenfestung“ ins Auge springen. Die Franzosen wollten Westösterreich nicht einfach den Russen überlassen und meinten eine Verteidigung der „Alpenfestung“ trage auch zur Verteidigung Norditaliens bei. Etwas sarkastisch nannten die Amerikaner diesen französischen Plan, in Anlehnung an den fatalen und verlustreichen Rückzug amerikanischer Truppen auf den Philippinen während des Zweiten Weltkrieges, ein französisches „Bataan“ in Tirol. Obwohl die Amerikaner alle denkbar möglichen logistischen Details mit den Franzosen ausarbeiteten, hielten sie den „PILGRIM – DOG“-Plan als „nicht praktikabel“ und betrachteten ihn lediglich als eine Rückfallsvariante, falls alle anderen Alternativpläne sich als nicht durchführbar herausstellen sollten.78 Ob und inwieweit diese in die ersten Phasen der größeren US- und NATO-Planungen für die Verteidigung Westeuropas miteinbezogenen Pläne für Österreich nach 1949/50 geändert wurden, kann aus der bisherigen Aktenlage nicht rekonstruiert werden. Es gab jedenfalls Versuche hierzu: Im Februar 1951 drängte General Irwin, der Kommandeur der amerikanischen Truppen in Österreich, darauf, Österreich so weit östlich und nördlich wie möglich zu verteidigen. Ein Halten Österreichs würde die Bevölkerung veranlassen, bei der Sache mitzumachen („join the cause“) und auch die Mission der amerikanischen Truppen in Österreich in Einklang mit NATO-Verteidigungsplänen zu bringen.79 Im Oktober 1951 reiste Britain and the Foundations of NATO Strategy, 1948–1957, Ph. D Diss. Harvard University 1991, 1–51; Kenneth W. Condit, The History of the Joint Chiefs of Staff 1947–1049, Bd. II, Willimington, DEL, 1979. 77 Vgl. die ausführlichen Planungspapiere zu den „PILGRIM“-Plänen in der Serie P&O 381 PIM TS (mit dazugehörigem Datum). NA, RG 319, Box 248; vgl. auch Wampler, Ambiguous Legacy, 21. 78 „Allied Plans in Event of Soviet Aggression (PILGRIM DOG)“, P&O 381 PIM TS (22 Dec 49). NA, RG 319, Box 248. 79 CGUSFA Salzburg an Director JAMAL London, 6. 2. 1951, CCS 383.21 Austria (1–21-44) Sec 18. NA, RG 218, Box 7.
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derselbe General Irwin gemeinsam mit französischen Offizieren nach Paris, um Eisenhower von einer solchen Mission, die ja mit Béthouarts Plänen, den österreichischen Alpenraum zu verteidigen, identisch war, zu überzeugen: Österreich müsse verteidigt und dürfe nicht durch einen Rückzug nach Italien aufgegeben werden.80 Ob es Irwin gelungen ist, Eisenhower davon zu überzeugen, ist aus den Akten nicht erkennbar. Irwins Mission im Herbst 1951 hatte wahrscheinlich damit zu tun, dass die Vereinigten Stabschefs Eisenhower – auf sein Drängen hin – zugestanden, im Ernstfall das „operative Kommando“ über die westlichen Truppen in Österreich und Triest zu übernehmen.81 Bei der Gründlichkeit der amerikanischen Verteidigungspläne mussten die NATO-Pläne wohl oder übel mit den westlichen Streitkräften in Österreich koordiniert werden. Im August 1952 war jedenfalls noch nicht klar, welche Rolle Österreich „geographisch bei der Verteidigung Westeuropas“ spielen sollte.82 Es scheint aber, dass in den folgenden Monaten doch die Rolle für die amerikanischen Truppen in Österreich präzisiert wurde. Und zwar hatten sie beim Rückzug eine „Retardierungsmission“ bei der Verteidigung der Pässe nach Italien, also der Kärntner und Tiroler Pässe, zu spielen. PILGRIM ABLE hatte noch von einer Verteidigung der italienischen Alpen gesprochen. Im Dezember 1953 hieß es in einem Memorandum vom Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs an den amerikanischen Verteidigungsminister dann kryptisch, es sei die Mission des NATO-Oberbefehlshaber (SACEUR) „einen sowjetischen Vorstoß durch Österreich zu verlangsamen“, womit der „time-space“ Faktor verringert würde, auf den sich der NATO-Oberbefehlshaber (SACEUR) für die geplante Verteidigung der Nord- und Südflanke der NATO verließ.83 Die Diskussion entbrannte bei den amerikanischen Militärs im Herbst 1953 vor allem deshalb weil die Briten und Franzosen aus Österreich Truppen abzogen und die Gerüchte einer Neutralisierung Österreichs zunahmen. Ein französisches Dokument vom Herbst 1954 deutet an, dass die amerikanischen Pläne für die „Retardierungsmission“ über französische Pläne einer Verteidigung der Alpenfestung die Oberhand gewonnen hatten. Der NATO-Verteidigungsplan für die Südflanke (CINCSOUTH) bestätige „das Vakuum, das durch die Verhinderung („suppression“) der französischen Teilnahme an der Verteidigung der Alpen geschaffen wurde“. Die französischen Truppen und österreichischen Gendarmen hätten die Mission, bei der Evakuierung behilflich 80 Donnelly an Williamson, 3. 10. 1951, 763.5 MAP/10-351. NA, RG 59, Box 3929. 81 „After deliberations, the JCS would tell Eisenhower that the Secretary of Defense and the Secretary of State had decided to authorize Eisenhower to assume command of the American units in Austria and Trieste at the outbreak of war, or at such earlier period as the JCS may authorize. Eisenhower was to direct the appropriate American commanders in planning for that contingency. Eisenhower’s authority in those circumstances would also cover the British and French forces in Austria and Trieste“. Vgl. Eisenhower an Joint Chiefs of Sniff, 9. 3. 1951, in: The Papers of Dwight David Eisenhower: NATO and the Campaign of 1952, Bd. XII, hrsg. v. Louis Galambos et al., Baltimore/London 1989, 107, hier Fußnote 4; vgl. auch ibid. Eisenhower and JCS, 23. 4. 1951, 236. 82 Bonbright an Hickerson, 6. 8. 1952, FRUS, 1952–1954, Bd. VII/2, 1774–1776. 83 Radford an Wilson, 9. 12. 1953, FRUS, 1952–1954, Bd. VII/2, 1932–1934.
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zu sein („d’évacuer les non-combattants et d’aider les concombattants NATO pendant leur traversée de la zone francaise“).84 Mit der amerikanischen Militärhilfe an Österreich nach Abschluss des Staatsvertrages wurde möglicherweise diese Retardierungsmission vom österreichischen Bundesheer übernommen. Ohne die Militärhilfe ausdrücklich an amerikanische Vorschläge für Österreichs strategische Rolle bei der Verteidigung Mitteleuropas zu koppeln, schlugen die Joint Chiefs of Staff doch vor, dass: „the strategic objective for Austrian defense forces be maintenance of internal security and a limited capability of delaying Soviet Bloc attack toward key passes into Italy and Western Europe [Hervorhebung G. B.]“.
Die Amerikaner wollten sich diese strategische Mission des österreichischen Heeres fürs Fiskaljahr 1958 immerhin 40 Millionen Dollar, für 1959 sogar 76 Millionen Dollar an Militärhilfe kosten lassen.85 Wie Oliver Rathkolb nachgewiesen hat, wurde die Bewaffnung des österreichischen Bundesheeres mit massiver Finanzhilfe durch die Amerikaner auch in die Wege geleitet. Die Regierung Raab arbeitete mit dem Westen eifrig zusammen solange die Sowjets nicht den Riegel vorschoben. So wurde der Transit von NATO-Nachschub durch österreichisches Territorium zugelassen und über die hundertfachen Verletzungen des österreichischen Luftraumes durch NATO-Flugzeuge kulant hinweggesehen.86 Aus dem hier Vorgetragenen geht klar hervor, dass Österreich tatsächlich bei der Aufstellung seines Heeres vor und nach dem Staatsvertrag so eng mit dem Westen militärisch zusammenarbeitete, dass man von einem „geheimen Verbündeten“ sprechen kann. Erstaunlich dabei ist, dass vor dem Abschluss des Vertrages diese grundlegende Zusammenarbeit aus Sicherheitsgründen nur von ganz wenigen Spitzenpolitikern der Koalition betrieben wurde, ohne Miteinbeziehung des vollen Ministerrates, und offensichtlich auch ohne das Zutun des Nationalrates. Das hatte wohl mit Druck der Westmächte (vor allem der Amerikaner) zu tun, die den Großteil der geheimen Aufrüstung schlagkräftig finanzierten. Es wäre interessant zu wissen, wie dabei die nötige „geheime Gesetzgebung“ zur Aufstellung der Spezialgendarmerie durch die Regierung Figl gehandhabt wurde, war dies doch vom Westen explizit verlangt worden. Das Wort von der „Bevormundung Österreichs“ durch die westlichen Besatzungsmächte (und dem Westen ging es bei der geheimen Remilitarisierung Westösterreichs ganz klar um die Komplettierung seiner eigenen westeuropäischen Verteidigungspläne) muss im Falle der 84 Tres Secret, Olle-Laprune an Béthouart, 21. 9. 1954, Vincennes, Box 1 U 19. 85 Radford (Vorsitzender der JCS) an den Secretary of Defense, 11. 9. 1956. 763.5-MSP/10–1056. NA, RG 59. 86 Oliver Rathkolb, Historische Bewährungsproben des Neutralitätsgesetzes 1955 am Beispiel des US-amerikanischen Österreich-Politik 1955 bis 1959, in: Verfassung. Juristisch-politische und sozialwissenschaftliche Beiträge anlässlich des 70-Jahr-Jubiläums des Bundes-Verfassungsgesetzes, hrsg. v. Nikolaus Dimmel und Alfred-Johannes Noll, Wien 1990.
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Wiederbewaffnung also differenziert gesehen werden. Dazu kam auch auf Betreiben der Westmächte die Bevormundung des gesamten österreichischen Volkes – umgingen doch die berühmten „Gründerväter“ der Zweiten Republik offensichtlich den in so grundsätzlichen Fragen wie Wiederbewaffnung wohl vorgesehenen demokratischen Meinungsbildungsprozess. Ob das ein Verfassungsbruch war, sei dahingestellt. Im Zeichen der Sicherheit des Landes und Westeuropas während des Kalten Krieges nahm man es mit der Verfassung nicht immer so genau.87 Vielleicht wären die Österreicher so kurz nach dem Krieg zu antimilitaristisch und pazifistisch eingestellt gewesen, um reguläre Streitkräfte zu akzeptieren. Könnte ein derartiges Vorgehen gar mit der oben besprochenen strikt antikommunistischen, prowestlichen, politisch apathischen sowie in Sachen Demokratie eher unzulänglichen Einstellung der österreichischen Bevölkerung gerechtfertigt worden sein?
IV. Schlussfolgerungen Eines muss klar herausgestrichen werden: Ohne den Nukleus der in den Jahren 1951 bis 1955 aufgestellten „B-Gendarmerie“ (also die geheime österreichisch-amerikanische militärische Zusammenarbeit), die einen raschen Auf- und Ausbau des österreichischen Bundesheeres gewährleistete, hätten die Amerikaner im Jahre 1955 keinen Staatsvertrag unterzeichnet und ratifiziert. John Foster Dulles fasste die unnachgiebige Position des amerikanischen Verteidigungsministeriums korrekt zusammen, als er im April 1953 meinte: „In general, the Defense position in the past had been that they would prefer to see an Austria divided and occupied by both Western and Soviet troops rather than a unified and unoccupied Austria“.88
Dem Pentagon konnte nur eine „bewaffnete österreichische Neutralität“ garantieren, dass im strategisch wichtigen Alpenraum kein militärisches Vakuum entstehen würde. „Armed neutrality“ war die magische Formel, die die Eisenhower Regierung veranlasste, sich einer Neutralisierung Österreichs nicht entgegenzustellen. Der Präsident formulierte es gegenüber dem Nationalen Sicherheitsrat und gegenüber Außenminister Dulles vor seiner Abreise zur Berliner Außenministerkonferenz, klipp und klar: „[…] neutralization of a nation did not necessarily mean its disarmament [Hervorhebung G. B.].“ Das hieß, solange Österreich nicht entmilitarisiert wurde, konnte es neutralisiert werden.89 Man kann Manfried 87 Es ist Stifters Verdienst, einige dieser problematischen Fragen erstmals anzureißen, vgl. Wiederaufrüstung Österreichs. 88 142. Sitzung des NSC, 30. 4. 1953, FRUS 1952–1954, VII/2, 1858. 89 180. Sitzung des NSC, 14. 1. 1954, FRUS 1952–1954, Bd. VII/2. 1934 f.; Memorandum of „Breakfast Conference with the President“, 20. 1. 1954, Princeton University, John Foster Dulles Papers, White House Me-
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Rauchensteiner nur beipflichten, wenn er die „Schlüsselfunktion“ der B-Gendarmerie betont, wurde sie doch „das Instrument, mit dessen Hilfe die bewaffnete Neutralität anfangs zu verwirklichen war“.90 Trotz dieser bewaffneten Neutralität schlich sich Ende 1955 in Washington eine gewisse Unsicherheit über Österreichs zukünftige Ausrichtung seiner Neutralität ein. Llewellyn Thompson, der amerikanische Botschafter in Wien, konnte seine Vorgesetzten beruhigen: das neutrale Österreich sei so „Western-minded“ wie je zuvor, was am besten daran zu erkennen wäre, dass die Regierung Raab bei der Zugestehung von militärischen Transitrechten für den Westen sehr großzügig sei.91 Auch der Nationale Sicherheitsrat zweifelte nicht an der Fortsetzung von Österreichs prowestlicher Haltung. Im NSC sah man Österreich nach dem Vertragsabschluss nach wie vor als „als ein Symbol des Widerstandes gegen die sowjetische Subversion“.92 Im selbigen NSC war man auch angetan davon, dass „Austria has interpreted and applied its policy of neutrality in a manner generally favorable to U.S. and Western interests, but not exclusively so“.93 Und im Jahre 1958 lobte man Österreichs prowestliche Neutralitätspolitik im NSC in den allerhöchsten Tönen: „The voting record of neutral Austria in the 12th UN General Assembly was more like that of the U.S. than that of any other European member country and compared favorably with records of many Latin American countries. Austria voted with the U.S. on 26 out of 32 roll calls, and in no case did Austria obstain on the Chinese representation question [Aufnahme der kommunistischen Volksrepulik China in die UN] in the 13th General Assembly, as did three NATO countries, Greece, Iceland, and Portugal. The vote of Austria, a neutral country recognized by the United States, was more favorable to U.S. interests in the matter than the votes of two NATO allies, Norway and Denmark.“94
Wenn die Neutralität Österreich auch nicht erlaubte, den militärischen Verteidigungsbündnissen des Westens oder wirtschaftlich-politischen Organisationen wie der EWG direkt beizutreten, konnten sich die Amerikaner doch auf das grundsätzlich prowestliche Österreich so gut als wie auf die lateinamerikanischen Bananenrepubliken und die NATO-Verbündeten verlassen. moranda Series, Box I, Mappe 4 „Meetings with the President“, vgl. auch Bischof, The Western Powers and Austrian Neutrality, 379 f. 90 Rauchensteiner, Der Sonderfall, 333. 91 Thompson an State Department, 31. 12. 1955, 763.00/12-3155. NA, RG 59. 92 NSC 164/1, 14. 10. 1953, FRUS, 1952–1954, 1914; NSC 5603, 23. 3. 1956, Dwight D. Eisenhower Library (Abilene, Kansas), Special Assistant for NSC Affairs, NSC, Policy Papers Subseries, Box 17, Mappe „NSC 5603“. 93 Progress Report, NSC 5603, 17. 10. 1956, ibid. 94 OCB Report on Austria, NSC 5603, 22. 10. 1958, ibid.
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Österreichs Wirtschaft und die europäische Integration 1945–1990 1. Einleitung Die einzelnen Integrationsschritte Österreichs in der Nachkriegszeit wurden jeweils begleitet von ökonomischen Analysen.1 Dennoch blieben einige Fragen bisher unbeantwortet. Mehrfach wurde die Vermutung ausgesprochen, dass die Zweigleisigkeit der Integration in Europa in den 60er-Jahren (EG- versus EFTA-Integration) zu beträchtlichen Wachstumsund damit Wohlfahrtsverlusten für Europa insgesamt geführt haben muss (siehe Breuss, 1990; 1992). Zwar wurden bisher mehrfach die statischen (allokativen) Integrationseffekte der EFTA-Mitgliedschaft bzw. der EG-Nichtmitgliedschaft abgeschätzt (Aiginger, 1973, Breuss 1975; 1983, Breuss-Stankovsky 1988). Eine Quantifizierung der Wachstumseffekte der Integration Österreichs in die EFTA in den 60er-Jahren und der Freihandelsverträge in den 70er-Jahren bzw. die möglichen Wachstumsverluste aufgrund der EG-Nichtmitgliedschaft in den 60er-Jahren liegt bisher nicht vor. Als Schwerpunkt dieses Beitrags wird daher die Frage behandelt, inwieweit die integrationspolitische Spaltung Europas die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs beeinflusst hat. Zu diesem Zweck wird ein Integrationsmodell entwickelt, das es erlaubt, sowohl stati1 Die Assoziationsbestrebungen ab 1961 wurden, in: Felix Butschek (Hrsg.), EWG und die Folgen. Die Auswirkungen eines Abkommens zwischen Österreich und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Wien/ München 1966, behandelt. Zunächst ein Befürworter eines EWG-Beitritts, entwickelte Franz Nemschak, Zwischenbilanz der Europäischen Integration. Ein Vorschlag für Österreich: Assoziation und Mitbestimmung, WIEG-Vorträge und Aufsätze, Heft 22, Wien 1964, das Konzept einer „Assoziation mit Mitbestimmung“. Die Freihandelsabkommen von 1972 hat Jan Stankovsky, Die österreichischen Integrationsverträge mit den Europäischen Gemeinschaften, in: WIFO-Monatsberichte 2/1974, 74–94, analysiert. Über die möglichen Auswirkungen einer stärkeren Europaintegration (Antrag auf EG-Mitgliedschaft 1989) wurden bereits mehrere Studien verfasst: Fritz Breuss/Jan Stankovsky, Österreich und der EG-Binnenmarkt, Wien 1988; Fritz Breuss/Fritz Schebeck, Die Vollendung des EG-Binnenmarktes. Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen für Österreich. Makroökonomische Modellsimulationen, WIFO-Gutachten, Wien, Februar 1989; Fritz Breuss/Fritz Schebeck, EG-Binnenmarkt und Österreich. Sensitivitätsanalysen mit dem WIFO-Makromodell, Schriftenreihe der Bundeswirtschaftskammer, Heft 72, Wien 1991. Überlegungen über die Auswirkungen des EWR-Vertrags von 1991 findet man in Fritz Breuss/Fritz Schebeck, Österreich im EWR. Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen, in: WIFO-Monatsberichte 5/1991, 285–290. Einen Rückblick auf 30 Jahre EFTAMitgliedschaft hat Helmut Kramer, Imperfections in European Economic Integration. Observations from an Austrian Viewpoint, in: EFTA Countries in A Changing Europe, 30th Anniversary Round Table, Geneva, 5 & 6 November 1990, EFTA, Genf, July 1991, 25–39, angestellt.
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sche als auch dynamische Integrationseffekte für Österreich zu quantifizieren. Nach einem kurzen historischen Rückblick auf die Integrationsschritte seit dem Zweiten Weltkrieg und deren wirtschaftliche Implikationen sowie einem Ausblick in die Zukunft einer möglichen EG-Mitgliedschaft, wird das Modell vorgestellt und deren empirische Implikationen auf Wirtschaftswachstum, Importe, Marktanteile und Handelsbilanz erläutert.
2. Österreichs Europapolitik nach 1945 Die Handels- und Integrationspolitik Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg ist eng verbunden mit der Integrationsgeschichte in Westeuropa. Diese wiederum lässt sich in vier Phasen einteilen: „Vorintegrationsphase“ (1945–1956), „Erste Integrationsphase“ (1957–1971), „Zweite Integrationsphase“ (1972–1983), „Dritte Integrationsphase“ (ab 1984). Die „Vorintegrationsphase“ war zunächst gekennzeichnet durch den Wiederaufbau. Wirtschaftshilfe (ERP- bzw. Marshallplan-Hilfe) wurde gekoppelt an die Liberalisierung des Außenhandels in Europa. Die Koordination der ERP-Hilfe und Überwachung der Liberalisierung geschah im Rahmen der OEEC, die parallel dazu stattfindende Liberalisierung des Zahlungsverkehrs wurde von der EZU bewerkstelligt (siehe Übersicht I). Bereits Mitte der 50er-Jahre war der größte Teil der OEEC-Liberalisierung in den meisten europäischen Staaten abgeschlossen. Österreich erreichte erst durch den Staatsvertrag und durch die Neutralität die volle Autonomie in handelspolitischen Fragen. Am 1. 1. 1956 war das OEEC-Liberalisierungsniveau von 90 % erfüllt. Auf weltweiter Ebene wurde im Rahmen des GATT der Außenhandel, im Rahmen des IMF der Zahlungsverkehr liberalisiert.2 Die handelspolitische Koordination durch die OEEC bewirkte, dass die westeuropäischen Staaten zunehmend ihre Handelsbeziehungen intensivierten. Andererseits führte der Kalte Krieg zu einer handelspolitischen Abwendung von Osteuropa. Während Österreich vor dem Zweiten Weltkrieg mit den osteuropäischen Staaten intensiv Handel betrieb, zwang die Ost-West-Dichotomie infolge des Kalten Krieges (Gründung des RGW als Reaktion auf die Marshallplan-Hilfe und die OEEC) ihre Handelsströme nach dem Westen umzulenken. Im Jahre 1937 betrug der Anteil der Exporte mit Osteuropa (RGW-Europa plus Jugoslawien) 32,9 %, der Anteil der Importe sogar 39,7 %. Bis 1955 fielen die entsprechenden Anteile auf 13 % bzw. 11,2 % (siehe Breuss, 1983, 138).
2 Näheres zur österreichischen Handelspolitik der Nachkriegszeit, siehe Fritz Breuss, Österreichs Außenwirtschaft 1945–1982, Wien 1983, 17 ff.
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Übersicht 1 Österreichs Europa-Politik Vorintegrationsphase 1944
Abkommen von Bretton Woods: internationales Währungssystem mit festen Wechselkursen. Zollunion Belgien, Luxemburg und Niederlande (Benelux). 1947 GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) – Multilateraler Zollabbau (7 Zollrunden; 8. GATT(„Uruguay“)-Runde seit 1986. 1948 OEEC (Organization for European Economic Cooperation)-Koordination der ERP(European Recovery Program; Marshallplan)-Hilfe in Europa geknüpft an Liberalisierungserfolge. (Nachfolgeorganisation – 1961: OECD) Österreich tritt dem IMF und der Weltbank bei. 1949 Als Antwort auf ERP-Hilfe und OEEC – im Osten: RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe; Auflösung 1991). Gründung des Europarates in Straßburg. Österreich wird 1956 – nach Abschluss des Staatsvertrages – Mitglied. 1950 OEEC beschließt Liberalisierungskodex (Abbau von Importbeschränkungen bis 1955 zu 90 % in Europa erreicht). EZU (Europäische Zahlungsunion) – Clearing-System für OEEC-Mitglieder zum Ausgleich der Zahlungsbilanzen. (Österreich ist Mitglied.) An die Stelle der EZU tritt am 28. 12. 1958 das EWA (Europäisches Währungsabkommen) in Kraft, bis 31. 12. 1973. 1951 MONTANUNION (EGKS – Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl; „Pariser Vertrag“ auf 50 Jahre begrenzt; in Kraft am 25. 7. 1952). Mitglieder: Belgien, BRD, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande. Österreich schließt 1956 im Rahmen des GATT ein Zoll- und Preisabkommen mit der EGKS ab. 1955 Staatsvertrag und Neutralitätsgesetz. Erste Integrationsphase EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) und Euratom-Verträge („Römer Verträge“; in Kraft am 1. 1. 1958) mit unbegrenzter Laufzeit. Mitglieder – 6 EGKSStaaten. EWG = Zollunion (Zollabbau im intra-EWG-Handel mit industriell-gewerblichen Waren); gemeinsamer Außenzolltarif (GZT) gegenüber Drittländern. Landwirtschaft: „Gemeinsame Agrarpolitik“ (GAP). 1958 Mitgliedsstaaten der EZU erklären ihre Währungen als für Ausländer konvertibel (Auflösung der EZU). 1957
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EFTA (European Free Trade Association = Europäische Freihandelsassoziation) Konvention (Unterzeichnung 4. 1. 1960; in Kraft am 3. 5. 1960). Mitglieder: Dänemark, Großbritannien und Nordirland, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz (neue Mitglieder: Island 1970, Finnland 1986, Liechtenstein 1991). EFTA = Freihandelszone (Zollabbau im intra-EFTA-Handel mit industriell-gewerblichen Waren; autonome Zollpolitik gegenüber Drittstaaten erfordert eine Ursprungsregelung). Landwirtschaft ist nicht geregelt. Am 1. 1. 1959 wird der österreichische Schilling als für Devisenausländer konvertibel. 1961 Österreich, Schweden und Schweiz stellen einen Antrag auf Assoziierungsverhandlungen mit der EWG (15. 12. 1961 bis Februar 1963 „Alleingang Österreichs“ – Ende: 28. 6. 1967). 1966 Durch den letzten EFTA-internen Zollabbau ist der allgemeine Zollabbau innerhalb der EFTA am 31. 12. 1966 – und somit die Freihandelszone – verwirklicht. 1967 „Fusionsvertrag“ der EG (Europäische Gemeinschaften): Einheitliche Organe von EWG, EGKS und EURATOM. 1968 Am 1. 7. 1968 ist der EG-interne Zollabbau für industriell-gewerbliche Waren sowie der restliche Zollabbau für landwirtschaftliche Erzeugnisse abgeschlossen (gemeinsamer Außenzolltarif – GZT). Die Zollunion ist realisiert. Zweite Integrationsphase 1971
Nach Zusammenbruch des Regimes „fester Wechselkurse“ (System von Bretton Woods) Übergang zum allgemeinen Floating. EG versucht ab 1972 die Wechselkurse der Mitglieder untereinander zu stabilisieren („Schlange im Tunnel“). 1972 Freihandelsabkommen (für industriell-gewerbliche Waren) zwischen der EWG, der EGKS und Österreich am 22. 7. 1972. Auch die übrigen Rest-EFTA-Staaten (Island, Portugal, Schweden, Schweiz) unterzeichnen je ein Freihandelsabkommen mit der EWG. In Norwegen wird in einer Volksabstimmung der EG-Beitritt verworfen. Freihandelsabkommen mit den EG ab 1973. Österreich erreicht Interimsabkommen mit der EWG und der EGK. Dies sichert Österreich im letzten Quartal 1972 einen Wettbewerbsvorteil vor anderen EFTAStaaten auf dem EWG-Markt. 1975 Österreich wird KSZE-Mitglied. 1977 Industriewarenhandel zwischen der EG und EFTA ist zollfrei. 1979 Die EG errichtet das EWS (Europäische Währungssystem). 1982 Fixe Schilling-DM-Bindung („Hartwährungspolitik“; de facto EWS-Teilnahme; seit 1986 nimmt OeNB an Kursabstimmung des EWS teil).
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Österreichs Wirtschaft und die europäische Integration1945–1990
Dritte Integrationsphase 1984
Luxemburger Erklärung (Vorschlag eines EES – European Economic Space – zwischen EG und EFTA; Vorläufer des EWR). 1985 Weißbuch der EG über die Schaffung des Binnenmarktes. 1987 EEA (Einheitliche Europäische Akte) tritt in Kraft (Erneuerung des EWG-Vertrages – Binnenmarkt per 1. 1. 1993, Politische Union). Österreich: „Neue Europa-Politik“; EG-Konformitätsklausel (EG-konforme Gesetze); Teilnahme an EPZ (Europäische Politische Zusammenarbeit); Teilnahme an EG-Forschungsprogrammen. 1989 Österreich: Antrag auf EG-Vollmitgliedschaft (17. 7. 1989) („Neutralitätsvorbehalt“). 1991 Abschluss der EWR-Verhandlungen (EWR sollte parallel mit dem Binnenmarkt am 1. 1. 1993 in Kraft treten; Volksentscheid in der Schweiz 1992 verzögert EWR). Volle Liberalisierung des internationalen Zahlungs- und Kapitalverkehrs in Österreich (4. 11. 1991). Gipfel von Maastricht (9./10. 12. 1991) verankert EG-Ziele für den Abschluss der EG-Integration: Europäische Union und Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Nach dem Zusammenbruch des RGW orientieren sich die ostmitteleuropäischen Reformstaaten nach Westen. Die EG schließt mit der čSFR, Polen und Ungarn Assoziierungsverträge ab. 1992 Immer mehr EFTA-Staaten stellen EG-Beitritts-Anträge (Schweden 1991, Finnland, Schweiz und Norwegen 1992). Die EFTA schließt Assoziierungsverträge mit der čSFR, Polen und Ungarn. Quelle: Breuss, 1983, und Breuss-Stankovsky, 1988.
Nach der koordinierten Ausrichtung der Handelspolitik in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg begann mit der Montanunion, besonders aber mit der Gründung der EWG (1957) die integrationspolitische Spaltung in Europa. Als Reaktion auf die EWG wurde die EFTA ins Leben gerufen, nachdem Bemühungen im Rahmen der OEEC am 15. 12. 1958 am Veto Frankreichs gescheitert waren, zwischen der EWG und den restlichen OEEC-Staaten eine „Große Freihandelszone“ zu errichten. Eigentlich widerspricht die Schaffung regionaler Freihandelsräume in Form von Zollunionen und Freihandelszonen dem Meistbegünstigungsprinzip des GATT. Eine Zollunion (oder Freihandelszone) begünstigt ihre Mitglieder auf Kosten der Nichtmitglieder. Dennoch erlaubt das GATT solche Konstruktionen (Art. XXIV). Die „Erste Integrationsphase“ ist also gekennzeichnet durch ein integrationspolitisches Schisma. Die EWG präferierte den Handel zwischen ihren Mitgliedern und diskriminierte die EFTA-Länder. Umgekehrt verfuhr die EFTA mit den EWGStaaten. Durch diese Konstellation wurde europaweit eine große Fehlallokation von Res-
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Fritz Breuss
sourcen verursacht, was zur Dämpfung des Wirtschaftswachstum beigetragen haben dürfte. Am Beispiel Österreichs wird diese Hypothese mithilfe eines Integrationsmodells empirisch getestet. Nach verschiedenen Versuchen der Annäherung einzelner EFTA-Staaten an die EG im Laufe der 60er-Jahre, beginnt mit der „Zweiten Integrationsphase“ ein Reintegrationsprozess in Europa. Nach einem langen handelspolitischen Umweg (1960–1972) öffnet sich die EG.3 Ab 1973 findet die Norderweiterung statt. Die EG 6 wird zur EG 9. Die EFTA 9 schrumpft um zwei Mitglieder (Dänemark und Großbritannien). Die EG schließt mit den restlichen EFTA-Staaten Freihandelsabkommen. Dadurch wird der EG-EFTA-Handel mit industriell-gewerblichen Waren ab Mitte 1977 zollfrei (für die restlichen sensiblen Produkte ab 1984). Der Integrationsgrad, den Europa bereits vor 1960 besessen hat, wird dadurch langsam wiederhergestellt. Die „Dritte Integrationsphase“ beginnt mit der Ankündigung der EG, am 1. 1. 1993 den Binnenmarkt zu verwirklichen. Zwar wurde dieses Ziel bereits in den Römer Verträgen (Art. 2: „[…] Errichtung eines Gemeinsamen Marktes“) im Jahre 1957 postuliert, doch bisher nicht verwirklicht. Als Endziel der europäischen Integration wurde auf der Maastrichter Konferenz im Dezember 1991 die Wirtschafts- und Währungsunion bis 1999 bzw. die Politische Union festgeschrieben. Die politische und ökonomische Revolution im Osten nach 1989 hat die ursprüngliche Integrationspriorität der EG („Vertiefung vor Erweiterung“) gründlich durcheinandergebracht. Zum einen drängen die restlichen EFTA-Staaten in die EG (Österreich stellte im Juli 1989 einen Mitgliedsantrag), da die Neutralität angesichts des Endes des Kalten Krieges ihre Bedeutung verloren hat, zum anderen möchten die osteuropäischen Staaten lieber heute als morgen EG-Mitglieder werden. Am Ende des Weges der europäischen Integration muss man sich – in Anlehnung an die USA – wohl die „Vereinigten Staaten von Europa“ (USE) vorstellen. Seit 1991 hat die EG mit der EFTA einen Vertrag zur Schaffung des EWR ausgearbeitet, der rund 3/4 der Binnenmarkteffekte für die EFTAStaaten bringen soll.4
3 Seit dem „Fusionsvertrag“ von 1967, durch den die EWG, die EGKS und die Euratom gemeinsame Organe erhielten, spricht man von den Europäischen Gemeinschaften oder von der Europäischen Gemeinschaft (EG). In wirtschaftlicher Hinsicht meint man aber immer die EWG. 4 Die ökonomischen Auswirkungen der künftigen Europaintegration ab 1993 für drei Szenarien (Nicht-Beitritt, EWR, EG-Beitritt) wurden in mehreren Simulationsstudien mit dem WIFO-Makromodell durchgeführt (siehe: Breuss-Schebeck, 1989; Breuss-Schebeck, 1991a, Breuss-Schebeck, 1991b). Mittelfristig wird das reale BIP in Österreich durch die Schaffung des EG-Binnenmarktes in jedem Falle steigen: im Falle des Nichtbeitritts um 1,5 Prozentpunkte (Mitnahmeeffekte), im Falle des EWR um 2,3 Prozentpunkte und im Falle eines EG-Beitritts um 3,6 Prozentpunkte.
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Österreichs Wirtschaft und die europäische Integration1945–1990
3. Österreichs Wirtschaft im Wechselbad der Europaintegration Der Wandel in der österreichischen Handelspolitik spiegelt sich in der Statistik des Außenhandels (Export-/Importanteile, Marktanteile, Handelsbilanz) und auch im Wirtschaftswachstum. Die österreichische Europaintegration hat in den 50er-Jahren – insbesondere mit den Ländern der späteren EG – stark zugenommen. Die wechselnde Integrationsgeschichte in Europa macht es notwendig, mit verschiedenen Abgrenzungen zu argumentieren.5 Wie aus Übersicht 2 hervorgeht, hat der Exportanteil mit der EG 6 zwischen 1950 und 1960 um 12,5 Prozentpunkte, der Importanteil sogar um 24,25 Prozentpunkte zugenommen. Mit der EFTA 8 (EFTA 9 ohne Österreich) hat dagegen die Handelsintensität abgenommen. Bereits 1960 gingen über 50 % der österreichischen Exporte in die sechs EG-Länder, nur knapp über 13 % in die Länder der späteren EFTA. 57 % der österreichischen Importe stammten 1960 aus der EG 6, aber nur 12 % aus der EFTA. Übersicht 2 Wechselnder Integrationsgrad der österreichischen Außenwirtschaft Exportanteile EG 6 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957
37,72 37,09 43,50 46,28 51.60 52,65 50,52 49,83
EG 12
Importanteile
EFTA 8 EFTA 5 EG 6 EG 12 (in % der österreichischen Gesamtexporte bzw. -importe) 14,22 32,32 21,30 34,84 16,63 38,71 17,67 45,88 15,45 56,86 13,68 54,99 15,55 53,47 13,96 53,68
EFTA 8
EFTA 5
15,27 21,16 17,43 18,04 17,65 17,80 16,64 16,43
5 In der folgenden Analyse werden „EG“ und „EFTA“ in folgenden Abgrenzungen verwendet: EG 6 (1960/1972): Belgien, BRD, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande. EG 9 (1973/1980): EG 6 plus Dänemark, Großbritannien und Nordirland, Irland. EG 10 (1981/1985): EG 9 plus Griechenland. EG 12 (ab 1986): EG 10 plus Portugal und Spanien. Gelegentlich spricht man auch von der EG 13 (EG 12 inklusive ehemalige DDR) ab 1990. EFTA 8 (1960/1972): Dänemark, Finnland, Großbritannien und Nordirland, Island, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz und Liechtenstein. EFTA 7 (1973/1985): EFTA 9 minus Dänemark, Großbritannien und Nordirland. EFTA 6 (ab 1986): EFTA 7 minus Portugal. Genau genommen sind einige Staaten formell erst später EFTA-Mitglieder geworden (Island 1970, Finnland 1986, Liechtenstein 1991).
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Fritz Breuss Exportanteile EG 6 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991
49,75 48,93 50,27 49,53 50,00 49,94 47,52 46,66 44,61 40,70 40,31 41,43 39,42 38,74 38,70 39,02 35,80 36,36 39,51 42,96 45,86 47,48 49,39 46,46 46,61 47,69 47,11 47,68 51,51 54,74 55,03 55,01 56,36 57,81
EG 12
60,10 63,38 63,84 63,85 64,48 65,83
Importanteile
EFTA 8 EFTA 5 EG 6 EG 12 (in % der österreichischen Gesamtexporte bzw. -importe) 12,63 56,54 12,07 57,10 13,24 56,51 15,11 59,54 15,90 59,23 16,61 58,29 19,20 58,81 18,36 59,19 20,16 58,77 22,50 58,54 23,64 57,38 24,51 56,47 26,61 56,07 27,97 55,87 29,03 57,90 28,19 58,20 25,82 56,22 22,90 57,33 21,42 58,80 19,82 60,96 19,20 61,40 18,10 60,97 17,23 58,61 17,35 55,52 17,14 57,79 15,84 59,33 16,25 57,00 16,46 57,56 17,81 11,76 62,04 66,90 17,22 11,13 62,81 68,00 16,88 10,75 62,84 68,12 16,46 10,61 62,44 67,87 15,36 10,15 62,69 68,33 14,20 9,19 61,81 67,74
EFTA 8
EFTA 5
15,57 11,84 12,21 12,83 13,21 13,95 14,58 14,93 15,93 18,27 18,40 19,47 19,57 19,63 18,80 18,30 16,11 15,47 14,24 13,50 12,91 13,50 11,32 10,54 10,51 10,63 10,76 10,89 11,10 11,46 11,02 10,89 10,97 10,91
7,67 7,82 7,35 7,12 7,06 6,86
Quelle: WIFO-Datenbank (EFTA jeweils ohne Österreich)
Die integrationspolitische Dichotomie in der „ersten Integrationphase“ lässt sich eindeutig an der Umlenkung der österreichischen Handelsströme von der EG zur EFTA ablesen. Zwi-
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Österreichs Wirtschaft und die europäische Integration1945–1990
schen 1960 und 1972 sank der Exportanteil mit der EG 6 um über 11,5 Prozentpunkte und erreichte nahezu wieder das Niveau von 1950. In dieser Handelsumlenkung spiegelt sich die Diskriminierung der österreichischen Wirtschaft auf dem EG-Markt. Die Importanteile mit der EG 6 nahmen im selben Zeitraum sogar um 1,25 Prozentpunkte leicht zu. In diesen „asymmetrischen Integrationseffekten“ (Breuss, 1983, S. 106) spiegelt sich die unterschiedliche Marktposition zweier unterschiedlich großer Länder auf unterschiedlich großen Märkten. Österreich ist als kleines Land auf dem großen EG-Markt (wenn es handelspolitisch diskriminiert ist) schwächer als die große EG auf dem österreichischen Markt, auch wenn sie hier diskriminiert ist. Als Mitglied der EFTA lenkte Österreich seine Handelsströme in diese Region um. Die Exportanteile mit der EFTA 8 stiegen zwischen 1960 und 1972 um 15,75 Prozentpunkte, die Importanteile um 6,5 Prozentpunkte. Auch in den handelsschaffenden Effekten der EFTAMitgliedschaft spiegelt sich die Asymmetrie der Integrationseffekte, dieses Mal zugunsten Österreichs. Österreich kann seine Marktposition in der EFTA stärker ausbauen als die EFTA in Österreich, weil die EFTA im Wesentlichen aus kleinen Ländern besteht. Durch die Freihandelsabkommen wird die alte Wettbewerbsposition zwischen EG und EFTA wiederhergestellt. Die Export- und Importanteile pendeln sich wieder auf ihre alten (natürlichen) Werte ein. Bis 1991 steigt der Exportanteil Österreichs mit der EG 6 um über 19 Prozentpunkte auf 57,81 %, der Importanteil um rund 4 Prozentpunkte auf fast 62 %. Die EFTA-Anteile erreichen exportseitig wieder das Niveau von 1950, importseitig fallen sie sogar noch darunter (Übersicht 2). Für Österreich waren die Nachbarstaaten Deutschland und Italien natürliche Märkte. Die Diskriminierung durch die EG in den 60er-Jahren und die EFTA-Mitgliedschaft zwangen Österreich seine Handelsströme in weiter entfernte Länder (Portugal, skandinavische Länder) umzulenken. Dies verursachte höhere Transaktionskosten (Sprache) und Transportkosten. Insgesamt ist ein hoher Effizienz- und Wohlfahrtsverlust zu vermuten. Die in der Entwicklung der Export-/Importanteile sichtbaren asymmetrischen Integrationseffekte in den 60er-Jahren spiegeln sich auch in den Marktanteilen. Durch die Diskriminierung auf dem EG-Markt sank der österreichische Marktanteil in der EG von 1,8 % 1960 auf 1,2 % 1972. Im selben Zeitraum konnte Österreich seine Marktanteilsposition im präferenzierten EFTA-Markt von 0,6 % auf 1,9 % ausbauen. Durch die Freihandelsabkommen konnte Österreich den EG-Markt diskriminierungsfrei bearbeiten. Die Marktanteile stiegen über das Niveau von 1960 hinaus auf 2,3 % bis 1990. In der EFTA fiel Österreichs Marktanteil etwas zurück, da der EFTA-Markt nunmehr auch von den wettbewerbsstarken EGLändern diskriminierungsfrei bearbeitet werden konnte.
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Fritz Breuss
Übersicht 3 Österreichische Marktanteile in EG und EFTA Jahr
EG 6
EG 9
1960 1961 1962 1963 1964 1965
1,81 1,80 1,74 1,61 1,48 1,45
0,62 0,76 0,80 0,83 0,89 0,90
1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990
1,34 1,27 1,25 1,27 1,22 1,21 1,21 1,24 1,13 1,15 1,28 1,41 1,56 1,56 1,52 1,48 1,54 1,68 1,68 1,76 2,12 2,22 2,26 2,21 2,31
1,01 1,18 1,28 1,47 1,64 1,77 1,92 1,86 1,64 1,54 1,48 1,39 1,46 1,35 1,25 1,28 1,28 1,21 1,20 1,25 1,46 1,44 1,41 1,36 1,40
1,22 1,09 1,10 1,19 1,28 1,40 1,38 1,34 1,31 1,37 1,47 1,46 1,53 1,83 1,92 1,93 1,89 1,98
EG 10
1,31 1,38 1,47 1,46 1,53 1,82 1,91 1,92 1,88 1,97
EG 12 (in Prozent)1
1,76 1,84 1,84 1,80 1,88
EFTA 8
EFTA 6
EFTA 5
2,68 2,47 2,21 2,20 2,05 2,26 2,10 1,98 1,94 1,91 1,86 1,85 1,86 2,19 2,11 2,10 2,05 2,13
2,30 2,25 2,26 2,21 2,32
1 Marktanteile = Importe des jeweiligen Integrationsraumes (EG bzw. EFTA) aus Österreich in Prozent der Gesamtimporte von EG bzw. EFTA. In den EFTA-Märkten ist Österreich jeweils nicht enthalten. Quelle: WIFO-Datenbank
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Österreichs Wirtschaft und die europäische Integration1945–1990
Übersicht 4 Österreichs Handelsbilanzentwicklung im Wandel der europäischen Integration
EG 6
EG 9
Österreichische Handelsbilanz in % des BIP mit EG 10 EG 12 EFTA 8 EFTA 6
EFTA 5
Insgesamt
1960 1961 1962 1963 1964 1965
–3,78 –4,15 –3,89 –3,95 –4,68 –5,24
–0,39 –0,13 –0,05 –0,17 +0,07 –0,21
–4,72 –4,06 –3,90 –4,39 –4,78 –5,28
1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991
–5,97 –5,61 –5,34 –4,63 –5,98 –6,62 –7,32 –7,44 –7,58 –7,02 –8,43 –9,25 –7,31 –7,25 –7,38 –6,51 –5,98 –6,20 –5,90 –5,88 –5,39 –4,81 –4,66 –5,12 –4,80
–0,30 –0,14 +0,09 +0,32 +0,45 +0,38 +0,71 +0,65 +1,18 +0,72 +0,45 +0,05 +0,46 +0,54 +0,33 +0,80 +0,95 +0,57 +0,70 +0,84 +1,10 +0,79 +0,96 +0,88 +0,59
–6,24 –4,56 –4,30 –3,21 –4,79 –6,07 –6,43 –6,60 –5,65 –4,95 –7,45 –9,18 –6,62 –6,93 –9,02 –7,84 –5,80 –5,93 –6,08 –5,71 –4,60 –4,69 –4,37 –5,13 –5,03 –5,92
–7,15 –7,17 –6,70 –8,23 –9,21 –7,04 –7,00 –7,40 –6,20 –5,54 –5,86 –5,45 –5,34 –4,92 –4,40 –4,22 –4,79 –4,64
–6,07 –5,45 –5,80 –5,42 –5,28 –4,91 –4,39 –4,19 –4,75 –4,62
–4,72 –4,25 –4,03 –4,52 –4,44
Quelle: WIFO-Datenbank (EFTA jeweils ohne Österreich)
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+0,36 +0,80 +0,40 +0,26 –0,01 +0,18 +0,28 +0,32 +0,48 +0,50 +0,21 +0,23 +0,28 +0,59 +0,35 +0,46 +0,47 +0,36
+0,63 +0,40 +0,51 +0,54 +0,45
Fritz Breuss
Übersicht 5 Wirtschaftswachstum und Integration Brutto-Inlandsprodukt (BIP) Brutto-Inlandsprodukt (BIP) pro Kopf real real 1955/60 1960/72 1973/90 1955/60 1960/72 1973/90 (Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten in %) EG 6 EG 9 EG 10 EG 12 Westdeutschland EFTA 9
5,49 4,65 4,65 4,58 6,51 3,21
EFTA 8* EFTA 7 EFTA 6* EFTA 6
3,08 4,08
EFTA 5* Österreich
3,79 5,48
USA Japan OECD-Europa OECD insgesamt
2,31 8,56 4,38 3,31
3,83 4,06
4,84 4,36 4,40 4,57 4,30
2,35 2,26 2,26 2,29 2,10
4,32 3,67 3,68 3,59 5,24
3,94 3,54 3,58 3,75 3,37
2,04 1,99 1,97 1,93 1,98
3,61 3,54 4,54 4,52 4,45 4,41 4,67 3,88 9,74 4,57 4,78
2,04 2,01 2,25 2,20 2,21 2,16 2,47 2,56 3,93 2,32 2,71
2,60 2,44 3,24 2,86 3,28 2,85 5,17 0,59 7,56 3,59 3,64
2,99 2,92 3,90 3,86 3,64 3,52 4,08 2,59 8,56 1,73 1,93
1,79 1,75 1,80 1,68 1,92 1,80 2,36 1,53 3,15
*) EFTA ohne Österreich Quelle: WIFO-Datenbank
Die hohe Asymmetrie in der Handelsverflechtung mit der EG (höhere Import- als Exportanteile) resultiert auch in einem stärkeren Handelsbilanzdefizit mit der EG als mit der EFTA (siehe Übersicht 4). In der „ersten Integrationsphase“ dürfte die EG-Diskriminierung und die daraus resultierenden „asymmetrischen Integrationseffekte“ die Handelsbilanzverschlechterung wesentlich bestimmt haben. Die kumulierte Abweichung des Handelsbilanzdefizits mit der EG 6 vom Defizit insgesamt betrug zwischen 1960 und 1972 4,4 % des BIP bzw. pro Jahr 0,34 % des BIP. In der Periode 1973 bis 1990 war diese Abweichung positiv (kumulierter Wert +1,7 % des BIP, pro Jahr +0,09 % des BIP). Dieses Resultat erhält man, wenn man die wechselnde EG-Zusammensetzung berücksichtigt (EG 9 1973–1980; EG 10 1981–1985; EG 12 seit 1986). Gegenüber der EFTA (in welcher Abgrenzung auch immer) erwirtschaftete Österreich im Durchschnitt immer einen Überschuss. Beim Übergang von der EFTA 8 zur EFTA 6 (Dänemark und Großbritannien) wurde der Überschuss systematisch geringer. Die Auswirkungen der Integration auf das Wirtschaftswachstum lassen sich nicht direkt feststellen. Mittels Simulationen mit dem später vorgestellten Integrationsmodell kann man
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Österreichs Wirtschaft und die europäische Integration1945–1990
Anhaltspunkte über die dynamischen Effekte bzw. Wachstumswirkungen der einzelnen Integrationskonstellationen gewinnen. In der Vorintegrationsphase führte der Wiederaufbau – ausgehend von einem niedrigen Niveau – ähnlich wie in Entwicklungsländern bzw. in Ländern, die ihre Wirtschaften von Plan- auf Marktwirtschaften transformieren, zu hohen Wachstumsraten (Übersicht 5). Interessant ist, dass sich in der EG – aber auch in Österreich – das Wirtschaftswachstum im Durchschnitt von 1955/60 auf 1960/72 verlangsamt hat. In der EFTA sowie in den USA und in Japan hat es sich im selben Zeitraum beschleunigt. Während Österreich in der Vorintegrationsphase (1955/60) im Durchschnitt ein gleich hohes Wirtschaftswachstum (Wachstum des realen BIP) aufwies wie die EG 6, ist Österreich in der ersten Integrationsphase um 0,17 Prozentpunkte pro Jahr langsamer gewachsen als die EG 6. In der zweiten Integrationsphase hat Österreich aufgeholt und baute den Wachstumsvorsprung um 0,12 Prozentpunkte pro Jahr aus. Gegenüber der EFTA 8 (EFTA ohne Österreich) betrug der Wachstumsvorsprung zwischen 1960 und 1972 1,13 Prozentpunkte pro Jahr, in der Phase von 1973 bis 1990 nur noch 0,46 Prozentpunkte. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Wachstumsrückstand gegenüber der EG 6 in den 60er-Jahren und der Aufholprozess in den 70er- und 80er-Jahren. Ähnliche Aussagen ergeben sich, wenn man Wirtschaftswachstum am Wachstum des BIP pro Kopf misst. Inwieweit diese Wachstumsdifferentiale durch Integrationswirkungen erklärt werden können, soll das Integrationsmodell zeigen.
4. Was sagt die Integrationstheorie? Integrationstheorie ist ein Spezialgebiet der Außenhandelstheorie bzw. Außenhandelspolitik. Lange bevor die EWG gegründet wurde hat Jacob Viner (1950) ein Standardwerk über die Theorie der Zollunion verfasst.6 Die Viner’schen Aussagen gelten prinzipiell auch für eine Freihandelszone. Die wesentlichsten Aussagen lassen sich anhand von Abbildung 1 wie folgt zusammenfassen: Es handelt sich um ein partielles Gleichgewichtsmodell für drei Länder (A, B und C) und zwei Güter (Exportgut, Importgut). Es wird angenommen, dass das Inland (Land A) ein Gut am kostenungünstigsten und daher am teuersten produziert. Bei freiem Handel könnte das Inland nichts produzieren. Also führt das Inland einen Importzoll ein. Angesichts dieses Zollschutzes produziert das Inland das Gut im Ausmaß der Strecke OP. Die Konsumenten in Land A fragen das Gut im Ausmaß der Strecke OC nach. Die Überschussnachfrage CP wird aus dem Billigstanbieter (Land C) importiert. Zwischen Land A und B soll nun eine Zollunion gegründet werden. Dadurch wird der Zoll zwischen Land A und B beseitigt und ein gemeinsamer Außenzoll (GZT) gegenüber Land C (dem Rest der Welt) im Ausmaß von PbPc eingeführt. Folgende statische Integrationseffekte sind in Land A zu erwarten: 6 Einen Überblick über die verschiedenen Theorien der Zollunion geben Breuss/Stankovsky, 1988, 151–164.
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Fritz Breuss
Abbildung 1 Viner’sche Integrationseffekte Partielles Gleichgewichtsmodell
Sa (Da) = elastische Angebots-(Nachfrage-)kurve im Inland (Land A) Sb (Sc) = unendlich elastisches Importangebot von Land B (und Land C) P*a
= Inlandspreis in Land A vor der Gründung einer Zollunion (inkl. Zoll)
S*c
= Angebot inklusive Zoll (P*a Pc = Zoll Z)
1. Trade Creation (TC: ABC): Ein Teil der teureren (zollgeschützten) Produktion in Land A wird durch Importe aus Land B (Integrationspartner) ersetzt. Dieser handelsschaffende Effekt ist wohlfahrtssteigernd, da es zu einer Allokation von einer ineffizienten zu einer effizienteren Produktion kommt. Die Produzentenrente in Land A sinkt dabei um L. 2. Trade Diversion (TD: BEJG): Importe, die bisher aus dem Land C stammten, werden nunmehr aus dem Partnerland B bezogen. Dieser handelsumlenkende oder -ablenkende Effekt ist wohlfahrtsmindernd, weil es zu einer Fehlallokation der Ressourcen kommt (der Billigstproduzent C wird ersetzt durch den etwas teureren Anbieter B). Es findet kein Handel mehr mit dem Land C statt.
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Österreichs Wirtschaft und die europäische Integration1945–1990
3. Trade Expansion (TEX: FGH): Durch die Verbilligung der Importe aus dem Partnerland B steigt die Importnachfrage in Land A. Dieser handelserweiternde Effekt ist wohlfahrtssteigernd, da die Konsumenten nun billiger einkaufen können. Die Konsumentenrente steigt um TC + TEX + M + L. Die Netto-Wohlfahrtseffekte (ABC + FGH + BEJG) können sowohl positiv als auch negativ sein.7 Der Staat in Land A hat einen Ausfall an Zolleinnahmen (M + TD). Das soeben vorgestellte Modell beschreibt statische Integrationseffekte, d. h. Allokationswirkungen. Nach allgemeiner Auffassung sind die statischen Integrationseffekte meist nicht höher als 1 % des BIP. Viel wichtiger sind die sogenannten dynamischen Integrationseffekte bzw. die Auswirkungen der Integration auf das Wirtschaftswachstum. Anknüpfend an das Viner’sche Modell hat Corden (1972) economies of scale (Vorteile der Massenproduktion innerhalb einer Firma) in das komparativ-statische Modell eingebaut. Er gewinnt dadurch zwei zusätzliche Integrationseffekte. Zusätzlich zum TC-Effekt führt er einen „Cost-reduction-Effekt“ ein. Durch die vollständige Verlagerung der Produktion von A nach B kann das Land B economies of scale lukrieren. Der zweite Effekt ist der „Trade-suppression-Effekt“ (zusätzlich zum TD-Effekt). Er tritt auf, weil Importe aus C nunmehr durch heimische Produktion in A (teilweise) ersetzt werden. Sowohl die Viner’sche Theorie als auch die Erweiterungen durch Corden sind insofern unvollständig, als sie nur auf partialanalytischen Modellen aufbauen. Sie betrachten nur die Integrationswirkungen durch Verlagerung der Importe eines (meist kleinen) Landes (Inland) und vernachlässigen die Wachstumswirkungen der Exporte.8 Im folgenden Integrationsmodell werden die „externen Effekte“ der Exporte auf das Wirtschaftswachstum berücksichtigt.
5. Ein Integrationsmodell Das folgende Integrationsmodell basiert teilweise auf Vorarbeiten (Breuss, 1983, 115 ff.), geht aber darüber hinaus. Folgende Effekte sollen erfasst werden: 1. statische TC- und TDEffekte, 2. Handelsbilanzeffekte, 3. Zolleffekte und 4. dynamische Effekte. Das Modell besteht aus fünf Blöcken (siehe Übersicht 6): 1. Exportgleichungen, 2. Importgleichungen, 3. Handelsbilanz, 4. Zolleinnahmen, 5. Produktionsfunktion. Die Gleichungen wurden jeweils für drei Regionen modelliert (EG, EFTA und Rest der Welt – ROW). 7 Die „Wohlfahrtsdreiecke“ aus Abbildung 1 werden nach der Methode von Johnson berechnet: (1/2)Z(dP-RIC) = TC + TEX; Z = Zollsatz (siehe Breuss – Stankovsky, 1988, 155). 8 Statische Integrationseffekte mit vollständiger Rückkoppelung auch auf Exporte lassen sich korrekt nur mit allgemeinen Gleichgewichtsmodellen (Mehrländermodellen bzw. Weltmodellen) erfassen. Siehe z. B. John Whalley, Trade Liberalization among Major World Trading Areas, Cambridge, Mass./London 1985. Weitere Literatur zu diesem Thema findet man in Fritz Breuss. Integration in Europa und gesamtwirtschaftliche Entwicklung. EG- und EFTA-Staaten im Vergleich, WIFO-Gutachten, Wien, März 1990.
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Fritz Breuss
Übersicht 6 Modell zur Erklärung statischer und dynamischer Integrationseffekte (Schematische Darstellung der Gleichungen) Exporte: real: XEGR XEFR XROWR XR Importe: real: MEGR MEFR MROWR MR Handelsbilanz: HBEG HBEF HBROW HB
nominell: XEGN XEFR XRWON XN nominell:
= f (BIPEG+,TEG–) = f (BIPEF+,TEF–) = f (BIPUS+, XEGR+, XEFR+) = XEGR + XEFR + XROWR
= f (BIPÖ+, (PM*[1+TEG]/PBIPÖ)–, MEFR–) = f (BIPÖ+,(PM*[1+TEF]/PBIPÖ)–, MEGR–) = f (BIPÖ+, MEGR+, MEFR–) = MEGR + MEFR + MROWR = XEGN-MEGN = XEFN-MEFN = XROWN-MROWN = HBEG + HBEF + HBROW
MEGN MEFN MROWN MN Zolleinnahmen: ISTEG ISTEF ISTROW IST
= XEGR*PX = XEFR*PX = XROWR*PX = XEGN + XEFN + XROWN
MEGR*PM = MEFR*PM = MROWR*PM = MEGN + MEFN + MROWN = TEG*MEGN = TEF*MEFN = TROW*MROWN = ISTEG + ISTEF + ISTROW
Produktionsfunktion (BIPÖ) BIPÖ = f (K, L, E, XR) Wachstumsbeiträge: abs(BIPÖ) = fKabs(K) + fLabs(L) + fE*abs(E) + fXR*abs(XR) abs = absolute Differenz (Ableitung nach der Zeit); dK, fL, fE fXR = Grenzproduktivitäten von Kapital (K), Arbeit (L), Energie (E) und Exporten (XR). Variablencodes: X (…) = Exporte; M (…) = Importe; (…) R = real; (…) N = nominell; EG. = EG; .EF. = EFTA; ROW. = Rest der Welt; (…) Ö = Österreich; US = USA; BIP = Brutto-Inlandsprodukt, real; PM = Importpreise (Schilling); PX = Exportpreise (Schilling); PBIPO = Deflator des österreichischen BIP; HB = Handelsbilanz; IST = Zolleinnahmen; T = Zollsätze. Exogene Variablen: BIPEG, BIPEF (ohne Österreich), BIPUS, TEG, TEF, TROW, PX, PM, K, L, E (Vorzeichen [+/–] = Einflussrichtung)
In den Exportgleichungen wurde die jeweilige Präferenzierung bzw. Diskriminierung durch Zollvariablen erfasst. Die realen Exporte hängen ab vom realen BIP der jeweiligen Region (Einkommenseffekt) und einem Integrationsterm (er spiegelt die Präferenzierung im Falle der EFTA und die Diskriminierung im Falle der EG). Österreich ist als kleines Land Preisnehmer. Daher gibt es keine Preisabhängigkeit der Exporte (Annahme der vollständigen
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Konkurrenz). Die realen Importe werden erklärt durch einen Einkommenseffekt und einen relativen Preiseffekt. Die relativen Preise enthalten im Zähler die jeweilige Zollkonstellation gegenüber dem entsprechenden Integrationsgebiet. Diese Spezifikation impliziert auf der Importseite unvollständige Konkurrenz. In den Export- und Importfunktionen für den ROW sind jeweils die Export- und Importströme der beiden Integrationsräume (EG, EFTA) als erklärende Faktoren miteinbezogen. In der Entwicklung des ROW spiegeln sich somit alle sonstigen Substitutionsprozesse. Die Handelsbilanz ist der Saldo aus nominellen Exporten und nominellen Importen. Die Zolleinnahmen ergeben sich definitorisch aus Zollsatz mal Importe. Mit diesem Satz von Gleichungen kann man im Wesentlichen die „statischen Integrationseffekte“ abdecken. Viel schwieriger ist es, die „dynamischen Integrationseffekte“ zu erfassen. Die makroökonomischen Zollwirkungen auf das Brutto-Inlandsprodukt in einem keynesianischen Nachfragemodell für kleine offene Volkswirtschaften sind nicht eindeutig (Dornbusch, 1980, 65; Ostry/Rose, 1992). In solchen Modellen wird allerdings nur ein Importzoll betrachtet und die diskriminierenden Effekte im Export (durch Nichtzugehörigkeit zu einem fremden Integrationsgebiet) nicht berücksichtigt. Hier wird – anknüpfend an Erkenntnisse der modernen Wachstumstheorie – der Export als „externer Effekt“ in die Produktionsfunktion mit einbezogen. Die neue Wachstumstheorie beschäftigt sich mit der Frage, warum hoch entwickelte Länder immer noch weiter wachsen. Entgegen den Erwartungen abnehmender Grenzerträge steigender Kapitalakkumulation, nimmt das reale BIP/Kopf in diesen Länder immer weiter zu. Die Lösung wird in der Endogenisierung des technischen Fortschritts gesucht. Paul M. Romer (1986) sieht economies of scale als den wesentlichen Faktor für Wirtschaftswachstum, Lucas (1988) ortet Humankapital (Lerneffekte) als Wachstumsmotor. Grossman-Helpman (1990; 1991) entwickeln ein Schumpeter’sches Modell zur Erklärung des technischen Wandels und des Wirtschaftswachstums (Siebert, 1991). Die Implikation dieser Modelle ist, dass offene Volkswirtschaften ein höheres Wirtschaftswachstum aufweisen als geschlossene Volkswirtschaften. Der Exportsektor fungiert somit als Technologieführer, von dem dynamische spillovers auf die übrigen Sektoren der Wirtschaft ausgehen. Im Folgenden wird – basierend auf Jati K. Sengupta (1991) – der „externe Effekt“ des Exportsektors dahin gehend interpretiert, dass er den technischen Fortschritt repräsentiert, der über den Rest der Wirtschaft diffundiert. Durch Einbeziehung der realen Exporte führt man den Externalitätseffekt des Exportsektors in die Produktionsfunktion ein (siehe Übersicht 6). Das Integrationsmodell von Übersicht 6 wurde ökonometrisch für den Zeitraum 1955– 1991 geschätzt. Die wandelnde Zusammensetzung von EG und EFTA wurde dadurch eingefangen, dass sowohl die Export- und Importdaten als auch die jeweiligen BIP-Reihen für EG und EFTA den aktuellsten Stand der Integration aufweisen. Das heißt zwischen 1960 und 1972 EG 6, zwischen 1973 und 1980 EG 9, zwischen 1981 und 1985 EG 10 und seit 1986 EG 12. Um diesen Brüchen in den Schätzungen gerecht zu werden, wurden für diese Jahre (im Wesentlichen 1973 und 1986) Dummy-Variablen verwendet. Das Modell wurde für drei
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Fritz Breuss
Simulationsexperimente herangezogen: 1. Auswirkungen der EFTA-Mitgliedschaft in der Periode 1960/72, 2. Effekte der Nichtmitgliedschaft in der EG zwischen 1960 und 1972, 3. Integrationseffekte der Freihandelsabkommen mit den EG zwischen 1973 und 1991. Bevor über die Ergebnisse berichtet wird, müssen noch die Annahmen über die jeweilige Zollpolitik erläutert werden. Ausgangspunkt waren die Zolleinnahmen laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung. Daraus wurde ein Durchschnittszollsatz errechnet, indem die Zolleinnahmen durch die Gesamtimporte dividiert wurden. Diese „durchschnittliche Zollbelastung“ der gesamten Importe wird umso niedriger, je mehr Importe zollbefreit sind. Wie aus Abbildung 2 hervorgeht, hat die effektive Zollbelastung Anfang der 60er-Jahre 8,5 % betragen und ist bis 1991 auf 1 % gesunken. Im Folgenden wird nicht differenziert nach Produkten (industriell-gewerblich, Landwirtschaft etc.). Das Zollniveau laut gesetzlichem Zolltarif liegt viel höher als die Durchschnittszollbelastung (Zolleinnahmen im Verhältnis zu Gesamtimporten), da Letztere auch Importe enthält, für die kein Zoll bezahlt wird. Im Jahre 1960 betrug das Zollniveau im arithmetischen Durchschnitt für 35 Fertigwaren 20 %, der GZT der EG machte damals 16,8 % aus (Breuss, 1983, 77). In der jüngsten Österreich-Prüfung macht das GATT (1991, 38 ff.) folgende Aussagen zur österreichischen Zollpolitik: Österreich hat am 1. 1. 1988 das Harmonisierte System der EG eingeführt und damit das vorherige CCCN-System abgelöst. Österreich verwendet in der Regel Wertzölle. Im Jahre 1988 waren 20 % aller Zolltariflinien im Import zollfrei, 57 % unterlagen einem Wertzoll auf Meistbegünstigungsbasis. Auf die restlichen 23 % wurden besondere Zollsätze (variable Sätze, Mengen- oder Gewichtssätze, zusammengesetzte Sätze) angewandt. Besonders ausgeprägt ist diese letzte Kategorie der Zollsätze im Agrarsektor, wo nur bei 11 % einfache Wertzölle bestehen. Das durchschnittliche Meistbegünstigungs-Zollniveau ist in Österreich im Vergleich zu anderen OECD- oder EFTA-Staaten hoch. 1988 belief sich der einfache durchschnittliche Zollsatz (ohne Erdöl) auf 10,7 % und der gewichtete auf 11,5 %. Im Vergleich dazu betrug der einfache Durchschnittszollsatz in der EG 7,3 %, in der Schweiz 2,8 %, in Schweden 4,7 %, in Norwegen 5,7 % und in Finnland 7,8 %. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass rund 75 % der industriell-gewerblichen Waren (aus der EG und EFTA) zollfrei sind. Weiters senkte Österreich mit Blick auf allfällige Ergebnisse der Uruguay-Runde ab 1. 1. 1990 (befristet bis 31. 12. 1993) autonom die Zollsätze auf etwa ein Drittel aller Industriegüterimporte um rund 30 %. Die höchsten Zollsätze gibt es für gewisse landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte (52,5 %), für Textilien und Kleider (39 %), für Motorfahrzeuge (41 %) oder für Telekommunikation (38 %).
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Abbildung 2
Ausgehend von diesen Angaben wurden verschiedene Zollvariablen konstruiert: Die Diskriminierung der österreichischen Exporteure auf dem EG-Markt wurde durch eine Zollvariable (TGZTO) eingefangen, die von 1959 bis 1971 den GZT der EG enthält (Ausgangsniveau 1959 16,8 %, 1971 11,2 %) und seither den Zollabbau durch die Interimsabkommen und die Freihandelsabkommen mit der EFTA berücksichtigt (ab Mitte 1977 keine Zolldiskriminierung). Auf dem EFTA-Markt wurden die Exporteure schrittweise präferiert. Für den internen Zollabbau der EFTA wurde eine Zollvariable (TIEF) konstruiert, die mit einem Ausgangszollniveau 1959 von 10 % beginnt und dann bis 1967 die Zölle schrittweise abbaut. Seit 1967 sind Exporte in die EFTA (industriell-gewerbliche Waren) zollfrei. Die Zollsätze, die Österreich auf Importe aus den drei Regionen (EG, EFTA und ROW) einhebt, sind in Abbildung 2 dargestellt. Ausgehend vom gleichen Ausgangsniveau (20 %) 1959 wurden Zollvariablen konstruiert, die den Zollabbau für EFTA-Importe (EFTA-Mitgliedschaft: TEF) und für EG-Importe (Diskriminierung in den 60er-Jahren und Freihandelsabkommen: TEG) entsprechend der tatsächlichen Entwicklung (siehe Breuss-Stankovsky, 1988, 26) einfangen. Zölle, die seit Mitte 1977 gelten, werden nur noch auf Importe aus dem ROW (TROW) eingehoben (25 % der Gesamtimporte). Letztere entsprechen den Angaben des GATT (Zollsatz 1988 10,7 %, 1991 – inklusive autonomer Senkung – 7,1 %).
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Fritz Breuss
Die Simulationen mit dem Integrationsmodell erbrachten folgende Ergebnisse (Übersicht 7): 1. EFTA-Mitgliedschaft (1960/72): Als Alternative zur Mitgliedschaft in der EFTA wird unterstellt, dass die österreichischen Exporteure auf dem EFTA-Markt mit dem „Außenzoll“ der EFTA konfrontiert gewesen wären (TIEF = TFZT; 1991 noch ein Zollniveau von 5 %). Die Importe aus der EFTA wären ebenfalls nicht zollbegünstigt gewesen, sondern hätten dem Zollsatz entsprochen, den Österreich auf Importe aus dem ROW einhebt (TEF = TROW). Unter dieser Annahme ergeben sich folgende statische Integrationseffekte der EFTA-Mitgliedschaft9: Die Trade Creation(TC-)Effekte – gemessen an den infolge der Zollpräferenzierung zusätzlichen Importen aus der EFTA – haben 0,13 % des BIP pro Jahr betragen. Die Trade Diversion(TD-)Effekte durch die EG-Diskriminierung machten – gemessen an den infolge der Zolldiskriminierung rückläufigen Importen aus der EG – 0,13 % des BIP pro Jahr aus. Zieht man auch den ROW in die Betrachtung ein, so hätten die TD-Effekte im weiteren Sinne 0,23 % des BIP pro Jahr betragen. Die Zolleinnahmen wären um 0,06 % des BIP pro Jahr zurückgeblieben. Insgesamt heißt dies, dass die TD-Effekte höher waren als die TC-Effekte, ein Ergebnis, das sich mit bisherigen Aussagen (Breuss, 1983, 120–121; Breuss-Stankovsky, 1988, 166) deckt. Die Handelsbilanz hat sich durch diese Integrationskonstellation pro Jahr um 0,21 % des BIP pro Jahr verbessert. Die dynamischen Integrationseffekte ergeben sich durch den externen Effekt der Mehrexporte in die EFTA. Durch die EFTA-Mitgliedschaft konnte das reale BIP in Österreich um 0,04 Prozentpunkte pro Jahr zusätzlich gesteigert werden. Rechnet man die durch die EFTA-Mitgliedschaft erzielten Mehrexporte in die EFTA in Marktanteile in der EFTA um, so zeigt sich, dass ohne die EFTA-Mitgliedschaft Österreichs Marktposition auf dem EFTA-Markt stark gelitten hätte. Tatsächlich konnte der Marktanteil (siehe Übersicht 3) von 0,6 % 1960 auf 1,9 % 1972 gesteigert werden. Ohne EFTA-Mitgliedschaft hätte 1972 der Marktanteil nur 1,4 % betragen (siehe Abbildung 3). 2. Nichtmitgliedschaft in der EG (1960/72): Angesichts der Tatsache, dass der EG-Handel für Österreich vier- bis fünfmal so wichtig ist wie der EFTA-Handel (siehe Übersicht 2), ist natürlich auch zu erwarten, dass die Integrationseffekte der Nichtmitgliedschaft in der EG quantitativ bedeutender sind als jene der EFTA-Mitgliedschaft. Die diesbezügliche Simulation wurde unter der Annahme gemacht, dass Österreich anstelle der tatsächlichen Exportdiskriminierung (TGZTO) den internen EG-Zollabbau (TIEG) mitgemacht hätte (TGZTO = TIEG). Anstelle des tatsächlichen Importzollabbaus (TEG) wurde ein Zollsatz unterstellt, der den Importzollabbau berücksichtigt, wenn Österreich EG-Mitglied gewesen wäre (TEG = TEGO).
9 Statische Integrationseffekte wurden unter Ausschaltung des Einkommenseffektes ermittelt. D. h., nur die Allokationswirkungen aufgrund relativer Preisänderungen werden erfasst.
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Abbildung 3
Übersicht 7 Integrationseffekte 1960–1991 Dynamische Effekte Statische Effekte Handelsbilanzeffekte (Wachstumseffekte) (Abweichungen von der Basislösung in Prozentpunkten des BIP) (A) (B) (A) (B) (A) (B) 1. EFTA-Mitgliedschaft (1960/72) BIP, real TC (EFTA) Zolleinnahmen TD (EG) TD, iwS (EG + ROW) Handelsbilanzsaldo in % des BIP
+0,50
2. Nichtmitgliedschaft in der EG (1960/72) BIP, real –1,50 TC (EFTA)
+0,04 +1,73 -0,72 –1,64 –2,97
+0,13 -0,06 -0,13 -0,23 +2,78
-0,12 +1,32
499
+0,10
+0,21
Fritz Breuss Dynamische Effekte Statische Effekte Handelsbilanzeffekte (Wachstumseffekte) (Abweichungen von der Basislösung in Prozentpunkten des BIP) (B) (A) (B) (A) (B) (A) Zolleinnahmen TD (EG) TD, iwS (EG + ROW) Handelsbilanzsaldo in % des BIP 3. Freihandelsabkommen mit den EG (1973/91) BIP, real +4,50 „TD“ (EFTA) Zolleinnahmen „TC“ (EG) „TC, iwS“ (EG + ROW) Handelsbilanzsaldo in % des BIP
+1,11 –2,50 -3,83
+0,09 -0,19 -0,29 –1,52
+0,24 -0,99 –1,18 +3,39 +5,14
-0,12
-0,05 -0,06 +0,18 +0,27 +3,83
+0,20
A = kumulierte Effekte von 1960–72 bzw. von 1973–91. B = Durchschnittliche Effekte pro Jahr. TC = Trade Creation (Handelsschaffung); gemessen an den zusätzlichen Importen aus dem eigenen Integrationsgebiet (real in % des BIP). TD = Trade Diversion (Handelsum[ab]lenkung); gemessen an den zusätzlichen Importen aus dem fremden Integrationsgebiet (real in % des BIP).
Unter dieser Annahme ergeben sich folgende statische Integrationseffekte der Nichtmitgliedschaft in der EG: Die TC- und TD-Effekte decken sich in etwa mit jenen der EFTAMitgliedschaft. Die Netto-Wohlfahrtseffekte (TC minus TD) sind allerdings etwas stärker negativ. Lediglich die Zolleinnahmen wären in diesem Fall positiv ausgefallen. Die Nichtmitgliedschaft in der EG hat sicherlich eine Verschlechterung der Handelsbilanz bewirkt (0,12 % des BIP pro Jahr). Damit lässt sich ein Teil des Auseinanderlaufens der EG-Handelsbilanz von der Gesamthandelsbilanz (kumuliert 0,34 % des BIP pro Jahr; siehe Übersicht 4) erklären. Die dynamischen Integrationseffekte als Folge der Exporteinbußen wegen der Diskriminierung auf dem EG-Markt resultieren in einem Wachstumsverlust von 0,12 BIP-Prozentpunkten pro Jahr. Das Zurückbleiben Österreichs hinter der EG 6 (negative Wachstumsdifferenz) betrug in dieser Periode 0,17 Prozentpunkte pro Jahr (siehe Übersicht 5). Die Marktposition der österreichischen Exporteure auf dem EG-Markt hat durch die Nichtmitgliedschaft stark gelitten. Die Marktanteile sanken von 1,8 % im Jahr 1960 auf 1,2 % im Jahr 1972 (siehe Übersicht 3). Wäre Österreich ab 1960 EG-Mitglied gewesen, so hätte der Marktanteil im Jahr 1972 1,8 % betragen (siehe Abbildung 3). 3. Freihandelsabkommen mit den EG (1973/91): Im dritten Simulationsexperiment wurde untersucht, welche statischen und dynamischen Integrationseffekte die Freihandels-
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abkommen mit den EG gehabt haben könnten. Die Freihandelsabkommen beendeten den unnatürlichen Zustand der integrationspolitischen Spaltung Europas. Ab Mitte 1977 ist der Handel mit Industriewaren zwischen EG und EFTA zollfrei. Österreich konnte seine Handelsströme wieder auf die angestammten Märkte der Nachbarschaft (Deutschland, Italien) zurücklenken. Damit fielen Effizienzverluste weg. Die Wachstumspotenziale konnten besser genutzt werden. Das Experiment für diese Periode ist insofern schwieriger als für die erste Integrationsphase, da sich sowohl die EG als auch die EFTA in ihrer Zusammensetzung stark geändert haben: Abbildung 4
Die EG wuchs von 6 Mitgliedern auf 12, die EFTA schrumpfte von 9 auf 6 Mitglieder (inklusive Österreich). Das Experiment basiert auf der Alternativannahme, dass Österreichs Exporteure nicht vom Zollabbau der EG gegenüber der EFTA profitierten, sondern dass sie weiterhin mit dem Außenzoll (GZT) der EG konfrontiert sind (TGZTO = TGZT). Er betrug 1991 7,3 %. Weiters wird unterstellt, dass anstelle des tatsächlichen Abbaus der Zölle auf Importe aus der EG (TEG) der Zollsatz für Importe aus dem ROW bezahlt wird (TEG = TROW). Unter diesen Annahmen ergeben sich folgende statische Integrationseffekte: Gegenüber der EFTA ergeben sich wegen der Drittmarktkonkurrenz seitens der EG-Staaten (aber auch
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Fritz Breuss
wegen der Zurücklenkung ineffizienter Handelsströme) leichte TD-Effekte. Gegenüber der EG ergeben sich TC-Effekte, da Österreich auf diesen Märkten nicht mehr diskriminiert ist. Die Netto-Wohlfahrtseffekte sind eindeutig positiv. Die Zolleinnahmen sind durch die Freihandelsabkommen etwas gesunken, die Handelsbilanz hat sich um 0,20 % des BIP pro Jahr verschlechtert. Das ist doppelt so viel wie die kumulierte Differenz der Handelsbilanz mit der EG (in der jeweiligen Abgrenzung) zur Handelsbilanz insgesamt in diesem Zeitraum (+0,09 % des BIP pro Jahr; siehe Übersicht 4). Die dynamischen Integrationseffekte sind nicht ganz überraschend positiv. Österreichs Wirtschaft konnte durch die Freihandelsabkommen um 0,24 BIP-Prozentpunkte pro Jahr rascher wachsen. Gegenüber der EG 6 betrug der Wachstumsvorsprung in dieser Periode tatsächlich 0,12 Prozentpunkte pro Jahr (siehe Übersicht 5). Die tatsächlichen Marktanteile Österreichs auf dem EG-Markt (in der jeweiligen Abgrenzung) stiegen von 1,2 % 1973 auf 1,9 % 1990. Ohne Freihandelsverträge hätte der Marktanteil 1990 nur 1,2 % betragen (siehe Abbildung 4).
6. Schlussfolgerungen In der österreichischen Wirtschaftsentwicklung der Nachkriegszeit spiegelt sich die wechselnde Geschichte der europäischen Integration. Dem Wiederaufbau und einer gemeinsamen Anstrengung zur Liberalisierung des Außenhandels in Europa im Rahmen der OEEC folgte in den 60er-Jahren die integrationspolitische Spaltung in EG und EFTA. Erst ab 1973 wurde dieser Irrweg durch die Freihandelsabkommen wieder rückgängig gemacht. Das künftige Europa zielt sogar auf eine Politische Union mit einheitlicher Währung ab, in der nicht nur Staaten Westeuropas, sondern auch die Reformländer des Ostens Platz finden könnten. Auf friedlichem Wege könnten die Vereinigten Staaten von Europa entstehen. In diesem Beitrag wurde gezeigt, dass der Ausschluss Österreichs aus der EG in den 60erJahren zu beträchtlichen Wohlfahrts- und Wachstumsverlusten führte, die zum Teil nach 1973 wieder aufgeholt werden konnten. Eine weitere Verfeinerung solcher Studien in Richtung sektoraler Konsequenzen der europäischen Integration wäre wünschenswert. Untersuchenswert wäre auch der Einfluss des Verdrängungswettbewerbes durch die zunehmende Liberalisierung des Europahandels nach 1973 auf den Oligopolgrad der österreichischen Wirtschaft. Noch nicht beantwortet ist auch die Frage nach den Wohlfahrts- und Wachstumseinbußen infolge der integrationspolitischen Spaltung in den 60er-Jahren für Europa insgesamt. Spezial-Literatur zum Beitrag von Fritz Breuss: Karl Aiginger, Handelsschaffung und Handelsablenkung durch die beiden Integrationsblöcke 1960–1970, in: Quartalshefte der Girozentrale und Bank der österreichischen Sparkassen AG, 1–2/1973, 47–49.
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Österreichs Wirtschaft und die europäische Integration1945–1990
Fritz Breuss, Komparative Vorteile im österreichischen Außenhandel, Wien 1975. Fritz Breuss, Österreichs Außenwirtschaft 1945–1982, Wien 1983. Fritz Breuss, Integration in Europa und gesamtwirtschaftliche Entwicklung. EG- und EFTAStaaten im Vergleich, WIFO-Gutachten, Wien, März 1990. Fritz Breuss, Ökonomische Integrationsforschung in Vergangenheit und Zukunft, in: Wirtschaftspolitische Blätter 1992, 5–6/1992, 608–625. Fritz Breuss/Fritz Schebeck, Die Vollendung des EG-Binnenmarktes. Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen für Österreich. Makroökonomische Modellsimulationen, WIFO-Gutachten, Wien, Februar 1989. Fritz Breuss/Fritz Schebeck, Österreich im EWR. Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen, in: WIFO-Monatsberichte 5/1991a, 285–290. Fritz Breuss/Fritz Schebeck, EG-Binnenmarkt und Österreich. Sensitivitätsanalysen mit dem WIFO-Makromodell, Schriftenreihe der Bundeswirtschaftskammer, Heft 72, Wien 1991b. Fritz Breuss/Fritz Schebeck, EG-Avis. Bewertung der österreichischen Wirtschaft durch die Kommission, in: Economy 1–2/1992, 2–10. Fritz Breuss/Jan Stankovsky, Österreich und der EG-Binnenmarkt, Wien 1988. Felix Butschek (Hrsg.), EWG und die Folgen. Die Auswirkungen eines Abkommens zwischen Österreich und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Wien/München 1966. W. M. Corden, Economies of Scale and Customs Union Theory, in: Journal of Political Economy, Vol. 80, No. 3, Part I, May/June 1972, 465–475. Rudiger Dornbusch, Open Economy Macro-economics, New York 1980. GATT, Trade Policy Review Mechanism: Austria, Report by the Secretariat, C/RM/S/19A, Genf, 8. November 1991. Gene M. Grossman/Elhanan Helpman, Comparative Advantage and Long-Run Growth, in: The American Economic Review, Vol. 80, No. 4, September 1990, 796–815. Gene M. Grossman/Elhanan Helpman, Innovation and Growth in the Global Economy, Cambridge, Mass. 1991. Helmut Kramer, Imperfections in European Economic Integration. Observations from an Austrian Viewpoint, in: EFTA Countries in A Changing Europe, 30th Anniversary Round Table, Geneva, 5 & 6 November 1990, EFTA, Genf, July 1991, 25–39. Robert E. Lucas, Jr., On the Mechanics of Economic Development, in: Journal of Monetary Economics, Vol. 22,1988, 3–42. Franz Nemschak, Zwischenbilanz der Europäischen Integration. Ein Vorschlag für Österreich: Assoziation und Mitbestimmung, WIFO-Vorträge und Aufsätze, Heft 22, Wien 1964. Jonathan D. Ostry/Andrew K. Rose, An empirical evaluation of the macroeconomic effects of tariffs, in: Journal of International Money and Finance, Vol. 11, No. 1, February 1992, 63–79. Paul M. Romer, Increasing Returns and Long-Run Growth, in: Journal of Political Economy, Vol. 94,1986, 1002–1037.
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Fritz Breuss
Jati K. Sengupta, Rapid Growth in NIC’s in Asia: Tests of New Growth Theory for Korea, in: Kyklos, Vol. 44, Fasc. 4, 1991, 561–579. Horst Siebert, A Schumpeterian Model of Growth in the World Economy: Some Notes an a New Paradigm in International Economics, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Band 127, Heft 4, 1991, 800–812. Jan Stankovsky, Die österreichischen Integrationsverträge mit den Europäischen Gemeinschaften, in: WIFO-Monatsberichte 2/1974, 74–94. Jacob Viner, The Customs Union Issue, New York 1950. John Whalley, Trade Liberalization among Major World Trading Areas, Cambridge, Mass./ London 1985.
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Raoul F. Kneucker
Wissenschaft, Forschung, Technologie Auswirkungen des EWR-Vertrages
I. Wissenschaft, Forschung, Technologie: ein Sonderfall des EWR Das EWR-Abkommen ist völkerrechtlich als ein „Assoziationsvertrag mit Beitrittselementen“ zu qualifizieren; zugleich stellt es einen „gemischten Vertrag“ in dem Sinne dar, dass es nicht allein von den EFTA-Staaten und den EG, sondern auch zwischen den EFTA- und EG-Staaten abgeschlossen wird.1 Das Abkommen beruht auf einer nur wenig rechtsdogmatisch „durchkomponierten“ Konzeption; es ist vielmehr europapolitisch orientiert und pragmatisch angelegt. Zurzeit wird es eher als eine Zwischen- oder Übergangslösung angesehen. Jedenfalls bedeutet es den Beginn eines dynamischen, inhaltlich noch weitgehend unbestimmten Prozesses, der allen Vertragspartnern Lernbereitschaft, Kompromiss- und Gestaltungsfähigkeit abverlangen wird. Das EWR-Abkommen zielt auf die Öffnung des „erweiterten Binnenmarktes“ der EG für die EFTA-Länder; dafür legt es die Übernahme wesentlicher Teile, quantitativ etwa zwei Drittel, des Gemeinschaftsrechtes mit dem Stande 1991 durch die EFTA-Staaten fest („EWR-Acquis“). Mit der Absicht, die vier Freiheiten des „erweiterten Binnenmarktes“ (die Freiheiten des Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs) durch Diskrimi1 Österreich hat den Vertrag mit Geltung vom 2. 5. 1992 ratifiziert, ohne ihn zu promulgieren; siehe 460 dB StProt dNR 18 GP, Bericht des außenpolitischen Ausschusses 658 dB StProt dNR vom 22. September 1992. Sein Inkrafttreten ist durch den negativen Volksentscheid vom 6. Dezember 1992 in der Schweiz hinausgeschoben. Zu den rechtlichen Fragen: Waldemar Hummer, Der EWR aus europarechtlicher Perspektive, in: Ecolex 1992, Heft 7, 515–518; ders., Der EWR und seine Auswirkungen auf Österreich (verbunden mit Rack, Fragen zur EWR bzw. EG-Rechtsreform aus der Sicht der österreichischen Länder), in: EuZW 1992, Heft 12, 361–373, 373–379); jeweils versehen mit zahlreichen Hinweisen auf die europäische Diskussion. Siehe jetzt Gernot Längle, EWR: Rechtsnatur, Organe, Funktionen, in: Economy 1992 (Sonderheft), 9–18; vgl. allgemein Wolfgang Burtscher (Hrsg.), Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, Wien 1992; Waldemar Hummer/Michael Schweitzer, Österreich und die EWG. Neutralitätsrechtliche Beurteilung der Möglichkeiten der Dynamisierung des Verhältnisses zur EWG, Wien 1987; vgl. zu den politischen und ökonomischen Fragen die Beiträge von Rotter, Optionen österreichischer EG-Politik: Mitgliedschaft, Assoziation, EFTA-Verbund; Hafner, Alternative Rechtsbeziehungen zwischen Österreich und der EWG außerhalb einer Vollmitgliedschaft; Winckler, Die Schaffung des EG-Binnenmarktes und seine Folgen für Österreich: eine wirtschaftspolitische Analyse, und Fleissner, Österreichische Technologiepolitik im Gemeinsamen Haus Europa; alle in: ÖZP 18 (1989), Heft 3.
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nierungsverbote, durch den Abbau der Handelshemmnisse, durch die Aufhebung anderer Beschränkungen und die Bekämpfung von Wettbewerbsverzerrungen auch zwischen EG und EFTA-Ländern zu verwirklichen, und zwar in allen vom EWR erfassten Bereichen und damit auch für Wissenschaft, Forschung und Technologie, ist zugleich die weitere Absicht verbunden, eine enge Zusammenarbeit durch „horizontale und flankierende Politiken“ zu etablieren; die Bereiche dieser Kooperation sind: −− −− −− −− −− −− −− −− −−
Forschung und Technologie, Erziehung, Bildung und Jugend, Informationsdienstleistungen und audiovisuelle Medien, Umweltschutz, Sozialpolitik, Verbraucherschutz, Zivilschutz, klein- und mittelbetriebliche Unternehmen, Tourismus.
Es bestanden für die beiden erstgenannten Kooperationsbereiche übrigens bereits „flankierende Maßnahmen“ vorweg zum EWR-Abkommen (vor allem COMETT, ERASMUS); als besondere, gemeinschaftsfördernde Rechtsinstrumente werden sie mit gleicher Zielsetzung im EWR wirksam bleiben. An den eigenartigen Rechtscharakter des EWR-Abkommens (der Anlass zu bibliotheksfüllenden rechtswissenschaftlichen und politologischen Studien sein wird) und an die besondere Lage der Universitäten, der Forschung und Technologie in diesem Abkommen zu erinnern, ist bei einem Versuch, die Auswirkungen des Abkommens auf das österreichische Wissenschaftssystem darzustellen,2 aus zwei Gründen erforderlich: −− Der Bereich „Forschung und Technologie“ war seit Beginn der Verhandlungen über eine „zweite Generation“ der Zusammenarbeit zwischen EG und EFTA (der sogenannte „Luxemburger Folgeprozess“, 1984) als ein vorrangiger Kooperationsbereich vorgesehen gewesen und hat diese Vorreiterrolle behalten, als Arbeitsgruppen für die Sektoren Erziehung sowie Forschung und Technologie im „Oslo-Brüssel-Prozess“ (1989), der zum EWR-Abkommen führte, eingesetzt wurden.3 −− Das Wissenschaftssystem ist aber nicht nur zeitlich und sachlich als einer der ersten Politikbereiche vom EWR-Abkommen betroffen, vor allem weil das EWR-Abkommen die „volle“ und „gleiche“ Teilnahme am (3.) Rahmenprogramm für Forschung und Techno2 Dieser Beitrag enthält ausschließlich persönliche Auffassungen des Autors. 3 Zur neuesten politischen Entwicklung, vgl. Maria Berger, Der Weg zum Europäischen Wirtschaftsraum, in: Economy 1992 (Sonderheft), 4–8.
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logie der EG eröffnet; in den Regelungen betreffend Forschung und Technologie finden sich einige der erwähnten „Beitrittselemente“ dieses besonderen Assoziationsabkommens. Das alles bedarf einer näheren Erläuterung.
II. Die Entwicklung einer „Europäischen Universitätsgemeinschaft“, einer „Europäischen Forschungs- und Technologiegemeinschaft“ 1. Europäische Kooperationsbereiche a) Universitätswesen Wollte man – ganz unabhängig von der Idee einer politischen Union – den Zielen eines „erweiterten Binnenmarktes“ tatsächlich näher kommen, so erschien es den EG-Organen unabdingbar, mithilfe gezielter Maßnahmen und Programme in den Bereichen Bildung und Forschung gemeinschaftsbildend zu wirken: Dem 1. und 2. Rahmenprogramm für Forschung und Technologie folgten die Förderungsprogramme für Jungforscher, z. B. SCIENCE, SPES,4 für die betriebliche Organisationsentwicklung durch Technologiefortbildung, d. i. COMETT,5 für Universitätskooperationen und die studentische Mobilität, vor allem ERASMUS,6 für Schüleraustauschaktionen, z. B. PETRA, und für die Sprach(lehrer)ausbildung, z. B. LINGUA.7 Mit der „einheitlichen Akte“ (1987) endgültig EG-verfassungsrechtlich abgesichert,8 verdeutlicht die Entwicklung dieses Sekundärrechtes innerhalb der Gemeinschaft, wie Bildung auf allen Stufen aus den bisher nationalen, lokalen, regionalen 4 Österreich trat beiden Programmen bei: SCIENCE am 27. 2. 1990: BGBl. Nr. 1990/244. Es wurden 11 österreichische Projekte finanziert sowie 6 mehrjährige Forschungsstipendien im Gesamtwert von ca. 13 Mio. S vergeben, Mitteilung des Büros für Europäische Bildungskooperationen (BEB): Information zur Teilnahme Österreichs an Ausbildungs- und Mobilitätsprogrammen der Europäischen Gemeinschaften, 30. 11. 1992. SPES am 11. 3. 1991: BGBl. Nr. 1991/290. Es wurden 3 österreichische Projekte im Gesamtwert von ca. 0,5 Mio. S gefördert, Mitteilung des BEB: Information zur Teilnahme Österreichs an Ausbildungs- und Mobilitätsprogrammen der Europäischen Gemeinschaften, 30. 11. 1992. 5 Österreich trat dem Programm COMETT am 19. 12. 1989 bei: BGBl. Nr. 1992/37. Bisher wurden 664 grenzüberschreitende Studentenpraktika in Unternehmen und 31 grenzüberschreitende Personalaustausche zwischen Hochschulen und Unternehmen durchgeführt, Mitteilung des BEB: Information zur Teilnahme Österreichs an Ausbildungs- und Mobilitätsprogrammen der Europäischen Gemeinschaften, 30. 11. 1992. 6 Österreich beteiligt sich am ERASMUS-Programm seit 28. 10. 1991: BGBl. Nr. 1992/37. Im Studienjahr 1992/93 wurden 900 Stipendien für Österreicher vergeben und Austauschprogramme mit 125 EG-Universitäten finanziert. 740 EG-Studenten werden nach Österreich kommen. Der österreichische Beitrag zum ERASMUS-Programm für 1992 beträgt ca. 35 Mio. S, der Rückfluss beträgt ca. 25 Mio. S, Mitteilung des BEB: Information zur Teilnahme Österreichs an Ausbildungs- und Mobilitätsprogrammen der Europäischen Gemeinschaften, 30. 11. 1992. 7 Österreich wird den Programmen PETRA und LINGUA erst mit dem EWR-Abkommen beitreten. 8 Siehe dazu Art. 130 f bis 130 q EWGV „Forschung und technologische Entwicklung“.
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Aktivitäten herauswächst und schrittweise internationalisiert wird, zugleich aber auch wie Bildung und Wissenschaftskooperationen selbst für das Gelingen dieses Internationalisierungsprozesses eingesetzt werden.9 Es war daher ganz selbstverständlich, diese „horizontale und flankierende“ Politik in das EWR-Abkommen aufzunehmen. Dies geschah einmal durch Teil 6 des 3. Rahmenprogrammes „Mensch und Mobilität“, der im EWR-Abkommen enthalten ist: Dieser Programmteil unterstützt Forschermobilität in den Bereichen technische Wissenschaften und Naturwissenschaften, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, einschließlich Rechtswissenschaften (a) durch mehrjährige Forschungsstipendien (vor allem für PostDocs), (b) durch die Bildung und den Ausbau von Netzen der wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit, (c) durch den Zugang zu wissenschaftlichen und technischen Großeinrichtungen und (d) durch die Durchführung europäischer Fach- und Expertenkongresse. Dies geschah ferner durch die anderen Mobilitätsprogramme der EG (COMETT, ERASMUS), die obwohl vor dem EWRAbkommen verhandelt und abgeschlossen, in den EWR übergeführt wurden.10 Mit dem Beitritt aller EFTA-Staaten zu den Programmen COMETT und ERASMUS sowie zum 3. Rahmenprogramm entwickelt sich eine neue, effektive „europäische Universitätsgemeinschaft“. Diese neue „Universitätsgemeinschaft“ konnte auf den Vorarbeiten des Europarates aufbauen, vor allem den Stand der europäischen Hochschulkooperation nutzen, den die Gleichwertigkeitskonventionen des Europarates für Reifezeugnisse, Universitätsstudien, -prüfungen und -diplome in Europa bereits erzielt hatten;11 ein System bilateraler Abkommen war zusätzlich entwickelt worden, Joint-study-Programme und andere Partnerschaftsformen unter Universitäten, multilaterale Netzwerke und „centers of excellence“ waren weitere Vorbedingungen und Vorstufen einer verstärkten Hochschulzusammenarbeit im EG/EFTABereich. Die zum Teil negativen Erfahrungen bei Fragen der Gleichwertigkeiten haben die EGMobilitätsprogramme verbessern geholfen, etwa – so wie im ERASMUS-Programm – die studentische Mobilität nicht allein dem Einzelinteresse und der persönlichen Initiative zu überlassen (und damit die einzelnen Studenten den nach wie vor bestehenden unangeneh 9 Die Ereignisse in Ost- und Mitteleuropa bleiben in diesem Zusammenhang außer Betracht; hinzuweisen ist aber auf das TEMPUS-Programm der EG, an dem sich Österreich de facto beteiligt. Von 1,5 Mio. S im Jahre 1990 sind die Ausgaben Österreichs auf 5,4 Mio. S im Jahre 1992 angewachsen. Die Zahl der bewilligten Anträge wurde im gleichen Zeitraum von 4 auf 27 (inkl. 3 kroatischer Projekte, deren Realisierung derzeit ausgesetzt ist) gesteigert. Mitteilung des Büros für Austauschprogramme für Mittel und Osteuropa (BAMO), Information über die österreichische Teilnahme am TEMPUS-Programm, 17. 11. 1992. 10 Siehe dazu das EWR-Abkommen, 2.6 Teil VI: Zusammenarbeit außerhalb des Bereichs der vier Freiheiten (Art. 66–77). 11 Vgl. Waldemar Hummer/Gerhard Wagner (Hrsg.), Österreich im Europarat 1956–1986. Bilanz einer 30-jährigen Mitgliedschaft, Wien 1988, siehe hierin vor allem die Beiträge von Drischel 183–197, Kneucker 199–200 und Schreiber 201–202.
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men bürokratischen Hemmnissen in der Universitätsverwaltung auszusetzen), sondern institutionell durch grenzüberschreitende Bildungsprojekte mehrerer europäischer Hochschulen über (Teile von) Studiengänge(n), mit oder ohne Diplomierung, gemeinsame, arbeitsteilig angelegte Studiengänge zu entwickeln und durchzuführen; innerhalb der so abgestimmten Studienprogramme ist der Austausch der Studierenden zu ermöglichen und durch die Wahl des passenden Zeitpunktes zu optimieren. Dann sind auch gegenseitige Anerkennungen und Anrechnungen kein Problem mehr; sie werden „indirekt“ miterledigt.12 In den Kooperationsprojekten sind zugleich die leider nicht trivialen Probleme der Sicherung von Laborplätzen und Wohnungsmöglichkeiten am Studienort zu lösen, widrigenfalls das Projekt von der EG-Kommission nicht genehmigt werden kann. Die Fördermaßnahmen beziehen sich sowohl auf die Kosten des Kooperationsprojektes selbst, hilft also den Institutionen und deren Repräsentanten, die sie planen und durchführen, als auch auf die Kosten des Austausches der Studierenden; es werden keine Vollstipendien, sondern Zuschüsse für die durch die Mobilität erhöhten Kosten vorgesehen. Die studentischen Austauschprogramme betreffen heute erst 5 % der Studierenden in den EG, sollen aber bald 10 und 15 % betreffen. Sie sprechen nicht nur eine erhöhte Zahl, sondern andere Gruppen von Studierenden an; und zwar werden die besten Studierenden aus Karrieregründen (und nicht aus Abenteuerlust) in einem größeren Europa grenzüberschreitend studieren. Die Studierenden werden die attraktiven Plätze, d. h. die besten Lehrer, Betreuer, Labors, aufsuchen; sie werden Universitätseinrichtungen europaweit – zunächst für Studienzwecke – mit einer „Rangordnung“ versehen, d. h. Universitäten einem Wettbewerb untereinander aussetzen. Die Attraktivität von Universitätseinrichtungen wird auf Sponsoren und Forschungsaufträge zurückwirken, Berufungsverhandlungen werden auf Studentenströme und Bewertungen reagieren. Es wird nicht nur zu fragen sein, wie viele einer Studentengeneration Österreichs wo im Ausland studieren; zu fragen wird auch sein, wie viele und welche Qualität von Studierenden können aus dem Ausland ins eigene Land angezogen werden. Weniger die Universitäten als Institutionen, sondern deren Studienrichtungen und Studiermöglichkeiten werden europaweit zueinander in Konkurrenz treten. b) Forschung und Technologie Von einer „europäischen Forschungs- und Technologiegemeinschaft“ kann man mit größter Bestimmtheit bereits seit den 70er-Jahren sprechen13: neben einem Netz bilateraler Abkommen und gemeinsamer internationaler Forschungsstätten (z. B. zwischen Frankreich und Deutschland in Grenoble) als Vorstufen und Vorbedingung der europäischen Entwicklung sind, ohne dass an dieser Stelle Näheres ausgeführt werden kann, zu nennen: CERN, EMBL, ESA (und deren Vorläuferorganisationen), die ESO, die ESF, die COST-Aktionen der EG 12 Siehe unter Punkt III.1b 13 Siehe dazu Franz Pichler, Österreichs Weg in die Europäische Technologiegemeinschaft (1970–1990), ÖZP (1990), Heft 3, 317–327.
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(1971) mit Drittstaaten – eine Art direkte Vorstufe für das EWR-Abkommen, die nun für die „Reformländer“ Ost- und Mitteleuropas weiter erhalten werden muss,14 und schließlich die EUREKA-Initiative (1985).15 Diese europäische Forschungsgemeinschaft stellt ein Gefüge dar, nämlich eine −− Arbeitsteilung nach Forschungsbereichen (daran ändert nichts, dass z. B. die ESA-Aktivitäten16 zurzeit deutlich an den Forschungs- und Technologieprogrammen der EG orientiert werden); −− auch nach Institutionen und Partnern: Vertreter der Grundlagenforschung (z. B. bei ESF17 oder ESO18) oder der „Vorfeldforschung“ der Industrie (in den anderen Programmen bzw. Institutionen); in diesem Gefüge gibt es stärker institutionell verankerte Kooperationen (etwa in den internationalen Forschungsstätten CERN,19 ESO) und stärker ad hoc oder projektorientierte Kooperationen (wie COST, EUREKA); −− schließlich sind autonome Initiativen wie bei COST und EUREKA („bottom up“) und intergouvernmentale Programme wie jene der EG („top down“) zu unterscheiden. Die EG-Forschungs- und Technologieprogramme sind eingebettet in dieses europäische Gefüge, stehen nicht allein und sind nicht für sich allein zu beurteilen. Sie sind spezifisch, d. h. insbesondere „top down“ darauf angelegt, Strukturschwächen der europäischen Volkswirtschaften zu beseitigen oder zu mindern. Sie zielen also keineswegs darauf ab, Forschung oder Technologie für sich und aus forschungspolitischen Erwägungen zu fördern. Sie sind vielmehr (im Verbund mit den ESA-Programmen, den COST-Aktionen und der EUREKAInitiative) ausdrücklich dazu entworfen, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie Europas in einem internationalen Markt, in Konkurrenz zu Japan und zu den Vereinigten Staaten, zu sichern. Solche Strukturschwächen Europas waren und sind immer noch: 14 Österreich ist COST in der Ministerkonferenz ans 22./23. 11. 1971 beigetreten. 1992 wurden von COST 6 Projekte mit österreichischer Beteiligung (5,093 Mio. S) bewilligt. Derzeit laufen insgesamt 20 „österreichische“ COST-Projekte. Mitteilung F. Pichler, Möglichkeiten und Zugang zu internationalen Forschungskooperationen, unveröffentlichtes Referat, September 1992. 15 Österreich ist EUREKA 1985 beigetreten. 1992 wurden von EUREKA 19 Projekte mit österreichischer Beteiligung (36,3 Mio. S) bewilligt. Derzeit laufen insgesamt 85 „österreichische“ EUREKA-Projekte. Mitteilung F. Pichler, Möglichkeiten und Zugang zu internationalen Forschungskooperationen, unveröffentlichtes Referat, September 1992. 16 Österreich ist der ESA am 1. 1. 1987 beigetreten: BGBl. Nr. 1987/95. 17 Die ESF ist ein Zusammenschluss von 21 autonomen Forschungsförderungsorganisationen. 1974 sind in Österreich der FWF und die ÖAW der ESF beigetreten. Insgesamt 8 Österreicher sind in ESF-Komitees vertreten und derzeit laufen 6 österreichische Teilnahmen an ESF-Programmen und Netzwerken, in: BKA-Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Europa/Studieren und Forschen, Wien 1992, 45 ff. 18 Österreich ist nicht ESO-Mitglied. 19 Österreich ist CERN 1959 beigetreten. Zur geltenden Rechtsgrundlage siehe BGBl. Nr. 1971/176.
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−− Die Zusammenarbeit unter den Wissenschaftlern, die in Europa traditionell schlecht war und ist, soll durch Internationalisierung verbessert und angeregt werden; −− die grenzüberschreitende Zusammenarbeit unter Industrieunternehmen für bestimmte Zwecke, z. B. für präkompetitive Forschung, fehlt, ist aber kostengünstig und für große Aufgaben zweckmäßig; −− die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft muss verbessert werden, national und international, – denn das ist der Motor der Technologieentwicklung und der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Programme der EG richten sich daher keineswegs nur jeweils an die Industrie oder nur an die Wissenschaft, sondern an deren Kooperationen; erst im 3. Rahmenprogramm wurden durch die Aufnahme von Grundlagenbereichen sowie von geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungen (z. B. für den Bereich Umwelt-, Technologieentwicklung) neue Entwicklungslinien sichtbar.20
EXKURS: DIE VERHANDLUNGEN ÜBER EIN EWR-ABKOMMEN AUS DER SICHT DER ÖSTERREICHISCHEN WISSENSCHAFTSVERWALTUNG Die Sonderstellung und Vorreiterrolle des Bereiches Wissenschaft, Forschung und Technologie in der europäischen Integration ergibt sich spezifisch aus der Vorgeschichte und Geschichte der Verhandlungen des EWR-Abkommens. Die sich entwickelnde „europäische Universitätsgemeinschaft“ und die weitgehend bestehende „europäische Forschungs- und Technologiegemeinschaft“ legten es nämlich nahe, einzelne Mobilitätsprogramme und Forschungsprogramme für die EFTA-Staaten sofort für projektweise Teilnahmen und später für Programmteilnahmen zu öffnen, d. h. Beitrittsverträge zuzulassen. Die EFTA-Staaten forderten dies vehement.21 Seitens Österreich wurde (neben anderen, insbesondere den Mobilitätsprogrammen) aus forschungspolitischen Erwägungen von Anfang an der Beitritt zu einzelnen Forschungs- und Technologieprogrammen des 2. Rahmenprogrammes und die volle Teilnahme am 3. Rahmenprogramm der EG als Vertragsinhalt gefordert. 20 Der Entwurf eines 4. Rahmenprogramms bestätigt die Tendenz, die von den EFTA-Ländern begrüßt wurde (CREST-Sitzung am 25. 5. 1993). 21 Österreichische Initiative. Im Forschungs- und Technologiebereich war zunächst das 2. Rahmenprogramm betroffen. Die EFTA-Länder konnten/können projektweise an fast allen Forschungs- und Technologieprogrammen des 2. und des 3. (laufenden) Rahmenprogrammes mitarbeiten. Siehe allgemein Ingrid Dusak, Wissenschaft, Forschung und Entwicklung in: Moritz Röttinger/Claudia Weyringer (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Integration. Strategie, Struktur, Politik im EG-Binnenmarkt, Wien 1991, 941–947. Zur Lage in Österreich BKA-Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Europa Studieren und Forschen, Österreichs Teilnahme an den Bildungs- und Forschungsprogrammen der Europäischen Gemeinschaften, Wien 1992.
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Dieser europäische Aspekt der österreichischen Forschungs- und Technologiepolitik soll im Folgenden beleuchtet werden. Das „Simulationsmodell“ Im Jänner 1990 wurde nach mehreren Gesprächen, die der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, Erhard Busek, initiiert hatte, von dem für Forschung und Technologie zuständigen Vizepräsidenten der EG-Kommission, Filippo Maria Pandolfi, angeregt, „eine volle und gleichberechtigte Teilnahme“ Österreichs am 3. EG-Rahmenprogramm im Bereich der Forschung und technologischen Entwicklung ehestmöglich zu konkretisieren. Nach seiner Ansicht würde damit für den bedeutenden Bereich der Forschung und Entwicklung der geplante Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft „vorweggenommen“ werden, die Teilnahme am 3. EG-Rahmenprogramm könne als „Simulation“ der künftigen EG-Mitgliedschaft Österreichs dienen. Damit wäre auch der besonderen Stellung Österreichs als damals einziger Beitrittskandidat unter den EFTA-Ländern Rechnung getragen. Nach Ansicht des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung wären bei einem noch ungewissen Ausgang des „Oslo-Brüssel-Prozesses“ für Österreich wenigstens in einem Teilbereich die Nachteile zu beseitigen, die durch den fehlenden Zugang zu den Forschungs- und Technologieprogrammen der EG für die österreichische Wissenschaft und Industrie einzutreten drohten. Der Bericht an den Ministerrat vom 14. 3. 1990 über die Vorgespräche des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten und des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung mit dem EG-Vizepräsidenten Pandolfi, betreffend eine österreichische Teilnahme am EG-Rahmenprogramm, wurde zustimmend zur Kenntnis genommen. Der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, wurde ermächtigt, Sondierungsgespräche über eine Teilnahme Österreichs am Rahmenprogramm der EG im Bereich der Forschung und technologischen Entwicklung (fort)zuführen. Diese Sondierungsgespräche fanden im Frühjahr 1990 zwischen dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten und dem Bundesminister für Wissenschaft und Forschung mit Vizepräsident Pandolfi statt und konnten anlässlich der 8. EUREKA-Ministerkonferenz Ende Mai 1990 in Rom in den Grundzügen abgeschlossen werden. Über die Vorteile, die sich für die österreichische Forschung und Wirtschaft durch eine „Simulation“ der österreichischen Vollmitgliedschaft im Bereich der Forschungsprogramme der EG ergäben, berichtete der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage vom 4. April 1990 wie folgt: „Die Vorwegnahme des österreichischen Beitrittes zur EG durch eine volle Teilnahme an den Rahmenprogrammen der EG bedeutet a) im Teilbereich der Forschung und Technologie, der wichtige strukturpolitische Auswirkungen auf die gesamte österreichische Volkswirtschaft besitzt, entsprechende Vorbereitungshandlungen treffen zu können,
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b) rechtzeitig praktische Erfahrungen betreffend die erforderlichen Anpassungen auf völkerrechtlicher, organisatorischer und finanzieller Ebene sammeln zu können, c) auf der Ebene des staatlichen Budgets bereits jetzt schrittweise jenen Vorgang durchführen zu können, der bei einem Beitritt Österreichs zur EG die budgetären Auswirkungen in diesem Bereich mildern würde, d) durch einen „Paukenschlag“ rechtzeitig das österreichische Forschungspotenzial, das für die Teilnahme an den Rahmenprogrammen der EG benötigt wird, zu erhöhen, um damit die erforderlichen Rückflüsse sichern zu können.“ Die vom Bundesminister für Wissenschaft und Forschung dargestellte Argumentation zur Teilnahme am 3. EG-Rahmenprogramm wurde später von den anderen EFTA-Staaten übernommen und in der Sitzung des CREST, Ausschuss der EG für wissenschaftliche, energietechnische und technologische Forschung, in Stockholm, September 1990, einstimmig übernommen und vertreten. Am 6. 6. 1990 wurde vom österreichischen Missionschef in Brüssel ein Schreiben an Vizepräsident Pandolfi, beinhaltend die Absichtserklärung auf Teilnahme Österreichs am 3. EG Rahmenprogramm, das damals den EG-Organen zur Beschlussfassung vorlag, übergeben. Entgegen aller Erwartungen erfolgte im Rahmen der Tagung des EG-Ministerrates am 26. 6. 1990 weder eine Entscheidung über die Annahme der 15 spezifischen Programme des 3. EG-Rahmenprogrammes im Bereich der Forschung und technologischen Entwicklung noch über den Vorschlag der EG-Kommission zur Drittstaatenbeteiligung an EG-Forschungsprogrammen, in dem auch das österreichische Anliegen enthalten gewesen wäre. Im September 1990 wurde über das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten eine diplomatische Offensive der österreichischen Vertretungsbehörden bei den Forschungsministern der EG-Mitgliedstaaten implementiert. Ziel der Offensive war es, die jeweils für die Beschlussfassung und Durchführung der EG-Rahmenprogramme zuständigen Ministerien in den EG-Mitgliedstaaten auf die Absicht Österreichs, am EG-Rahmenprogramm teilzunehmen, aufmerksam zu machen und diese für eine positive Stimmabgabe beim nächsten EG-Forschungsministerrat im Herbst 1990 zu motivieren. Zahlreiche Besuche des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung bei den europäischen Ministerkollegen fanden statt; sie alle signalisierten Verständnis für die oder Zustimmung zur Initiative Österreichs. Das „EFTA-Modell“ In der Sitzung des EG-Forschungsministerrates am 20. 11. 1990 stand der Vorschlag der Drittlandsbeteiligung auf der Tagesordnung. In Bezug auf die Zusammenarbeit mit den EFTA-Staaten vertrat der Rat die Auffassung, dass eine dauerhafte Regelung, insbesondere betreffend die gleichberechtigte Teilnahme am EG-Rahmenprogramm, in den laufenden Verhandlungen zur Schaffung eines Europäischen
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Wirtschaftsraumes festzulegen sei. Falls der EWR-Vertrag nicht zum Ziel führen sollte, wäre dann unabhängig davon eine dauerhafte andere Lösung im F&E-Bereich zu finden. Bis zum Vorliegen einer globalen Regelung solle, so der EG-Ministerrat, die Zusammenarbeit auf projektweiser Basis ausgebaut werden. (Letztere Empfehlung übersah, dass bereits projektund programmweise Beteiligungen von EFTA-Ländern an EG-Programmen bestanden.) Das „Simulationsmodell“ war damit aufgegeben – freilich hatte es eine gewisse Alternative aufgezeigt und offenbar den Beschluss des EG-Ministerrates beeinflusst. In der Legislaturperiode 1990–1994 verlangte das Koalitionsübereinkommen der beiden österreichischen Regierungsparteien vom Dezember 1990 die Entwicklung von Strategien, um die Teilnahme Österreichs an den Initiativen der EG für Forschung und Entwicklung (insbesondere im Hinblick auf das 3. Rahmenprogramm der EG) sicherzustellen. Nach außen bedeutete diese Passage, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten die bisherigen Bemühungen im Rahmen der EWR-Verhandlungen fortzuführen, und zwar als „loyaler“ EFTA-Partner, nach innen bedeutete sie: für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Forschung und Entwicklung im Hinblick auf die Teilnahme am 3. Rahmenprogramm der EG vorzusorgen (organisatorische Voraussetzungen, Ausweitung des Forscherpotenzials); das erforderliche Budget zur Realisierung dieser Strategien zu sichern (Stimulierungen für Programm und Projektteilnahmen, vor allem bei den Forschungsförderungsfonds, flankierende Maßnahmen in der Auftragsforschung u. a. m.).22 2. Strategische Vorgangsweisen während der EWR-Verhandlungen Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung versuchte, in der laufenden Legislaturperiode 1990 bis 1994 folgende forschungs- und technologiepolitische Absichten durchzusetzen: a) Sofern in den Programmen des 2. EG-Rahmenprogrammes, die für die EFTA-Forscher weitgehend, aber nicht vollständig geöffnet wurden und in anderen Programmen bis zum Inkrafttreten des EWR-Abkommens noch Ausschreibungen erfolgen, wurde die österreichische projektweise Teilnahme wesentlich verstärkt. Sobald verlässlich erkennbar war, dass das 3. Rahmenprogramm Teil des EWR-Abkommens sein würde und dieses für projektweise Beteiligungen der EFTA-Forscher in allen Programmteilen offen sei, wurde 22 Die Beitragshöhe Österreichs konnte für den Forschungs- und Entwicklungsbereich bis zur Vorbereitung des BFG 1993 nicht annähernd berechnet werden; es wurden dann 120 Mio. S vorgesehen. Dazu kommen Nachzahlungen (z. B. STEP) im 2. Rahmenprogramm und Zahlungen in den Bildungs- und Mobilitätsprogrammen (z. B. ERASMUS, COMETT). Die österreichische Beteiligung am 1. und 2. Rahmenprogramm: 48 Projekte, österreichische Beteiligung am 3. Rahmenprogramm: 104 Projekte, für die die österreichischen Forschungsförderungsorganisationen bisher 273 Mio. S aufgewendet haben, in: Büro für Internationale Forschungs- und Technologiekooperationen (BIT), Österreich und die EG-Forschungs- und Technologieprogramme, 24. 11. 1992.
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auf den Abschluss von Verträgen über weitere Programmteilnahmen am 2. Rahmenprogramm verzichtet. b) Die Verstärkung der projektweisen Teilnahme wäre ohne Ausbau der Betreuungsorganisationen, die den Informationsfluss zu den beteiligten Forschern sicherstellen, nicht möglich. Dieser Ausbau bzw. Aufbau wurde in Angriff genommen und sollte zu Ende des Jahres 1992 abgeschlossen sein. Dies gelang. Weiters war eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit und der Ausbau der APA-Datenbank zur Verbesserung der allgemeinen Informationsflüsse erforderlich. Diese Datenbank ist seit Herbst 1992 in Betrieb.23 c) Die innerstaatlichen Maßnahmen lagen vor allem in der Aufstockung der Forschungsförderungsmittel mit dem Ziel der Förderung internationaler Kooperationen: der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der Forschungsförderungsfonds für die gewerbliche Wirtschaft, der Innovations- und Technologiefonds und die Auftragsforschung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung erhielten dafür zweckgebundene Stimulationsmittel; ferner in der Vorbereitung der Beteiligung an EGMobilitätsprogrammen durch Einrichtung von „Vorprogrammen“ in Österreich (z. B. PräERASMUS);24 in der Verbesserung der universitären und außeruniversitären Infrastruktur durch Sonderfinanzierungsprogramme und EG-Planstellen für Auslandsbüros und in der Einrichtung von nationalen Begleitprogrammen zu den EG-Forschungs- und Technologieprogrammen. d) Die Befassung des Bundesministeriums für Finanzen im spezifischen Sinne der haushaltsrechtlichen Vorschriften gemäß §§ 15 und 43 ff. BHG wurde eingeleitet, und zwar in Bezug auf die volkswirtschaftlichen, budgetären und forschungspolitischen Auswirkungen des EWR. Ausgehend von einem für ESA-Programmbeitritte vom Bundesministerium für Finanzen und dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung gemeinsam entwickelten Fragenprogramm25 wurden gestützt auf Untersuchungen der Bundeswirtschaftskammer und 23 Alle aktuellen Informationen über den Ressortbereich, insbesondere zu österreichischen Beteiligungen an der Europäischen Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiegemeinschaft, können demnächst online aufgerufen werden. Kontaktadresse: Dr. Eisenwort, Informationsdienste der APA (Telefon: 022236 05271). 24 PräERASMUS wurde von der Vereinigung Österreichischer Industrieller initiiert und im Studienjahr 1991/92 durchgeführt. Aus einem Budget von 1 Mio. S wurden 32 Anträge mit 224 Studenten (davon 116 Österreicher) finanziert. Weitere Beispiele sind die im BMWF selbst finanzierten Aktionen wie z. B. für „joint studies“ und seit 1993 CEEPUS für die Mobilität in Zentraleuropa. 25 Fragebogen zur Beteiligung Österreichs an EG-Programmen Katalog von forschungs- und wirtschaftspolitischen Kriterien; Programmbezeichnung: I. Teilnahme – unbedingt erforderlich, weil […] – zweckmäßig – wünschenswert Alternative: z. B. projektweise Teilnahme
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II. – prognostizierte Laufzeit – Gesamtkosten des Programmes – Beteiligungsschlüssel für Österreich (+ Begründung für dessen Höhe) – Gesamtkosten für Österreich – jährliche Kostentranche Österreichs – Berührungspunkte/Überschneidungen mit anderen Programmen III. a) Wirtschaftliches und/oder wissenschaftliches Potenzial in Österreich – vorhanden – kurzfristig schaffbar – langfristig schaffbar b) Wissenschaftliche und/oder technologische Einsichten – werden neu geschaffen – werden verbessert – wissenschafts- und/oder technologiepolitisch neutral c) „Spin-off“ – kurzfristig absehbar – mittelfristig – langfristig d) Verwertbarkeit am freien Markt – unmittelbar – mittelfristig – langfristig e) Internationale Kooperationen – bestehend oder kurzfristig schaffbar – mittelfristig schaffbar – nicht absehbar f) Wertschöpfung im Inland g) Thema bisher in Österreich nicht bearbeitet, aber für die österreichische Wirtschaft und Wissenschaft sowie Nutzer – von großem Interesse – von gewissem Interesse – von nicht angebbarem Interesse h) Zusätzlicher nationaler Finanzbedarf durch Begleitmaßnahmen – ja – nein i) Zusätzlicher unternehmerischer Einsatzbedarf – ja – nein j) Strukturpolitische Auswirkungen – gering – mittel – hoch k) Teilnahmeinteresse (Nutzen und Nutznießer) l) Budgetäre Auswirkungen (Mehrausgaben, allfällige Entlastung durch Wegfall bestehender Nationaler Programme)
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der Vereinigung Österreichischer Industrieller einerseits und des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung selbst andererseits, von zahlreichen Experten eine Art KostenNutzen-Betrachtung über Vorteile und Nachteile einer Teilnahme am 3. Rahmenprogramm (und des ERASMUS-Programmes) angestellt. Von österreichischer Seite war zunächst die Frage der Beteiligung an den zahlreichen EG-Forschungsprogrammen mit einer „engen“ Kosten-Nutzen-Rechnung verbunden gewesen, d. h. es wurde zwischen den vorgesehenen österreichischen Beiträgen und den zu erwartenden finanziellen Rückflüssen ein Zusammenhang hergestellt und die Höhe der zu erwartenden finanziellen Rückflüsse als entscheidend für die Beteiligung erachtet. Diese Art der Betrachtungsweise war nicht aufrechtzuerhalten. Sie stieß auch bei den EG-Mitgliedsstaaten auf Unverständnis und Kritik, wie sich bei der Erhebung der Motive für eine Beteiligung der EG-Mitgliedstaaten an den EG-Forschungsprogrammen deutlich gezeigt hat. Vielmehr sind folgende Vorteile aus Beteiligungen an EG-Forschungsprogrammen hervorzuheben: −− Durch die Kosten- und Risikoteilung („cost“ und „risk sharing“) einerseits und durch eine verbesserte Nutzung der Ressourcen andererseits tritt eine Kostenoptimierung oder -reduzierung ein, insbesondere für kleine Unternehmen in wachsenden Märkten. −− Auch ein nicht erfolgreicher Projektvorschlag bietet oftmals die Grundlage für nationale Förderungen und für weitere kooperative Forschungstätigkeiten. −− Zusätzliches bzw. neues Know-how wird durch Schaffung eines F&F-Netzwerkes erzielt und von allen Partnern erworben, ohne von jedem einzelnen Partner voll finanziert werden zu müssen. −− Durch kooperative Forschungsvorhaben entstehen Synergieeffekte sowie die Möglichkeit, die Forschungsergebnisse der Kooperationspartner mitzuverwerten („result sharing“) −− Die Marktkenntnis, der Aufbau neuer Geschäftsbeziehungen, die Gewinnung internationaler Erfahrungen, der Zugang zu neuen Märkten und die Möglichkeit für „kommerzielle Spin-offs“ stellt in der Regel den größten, nicht finanziellen Vorteil dar (vgl. z. B. Aufträge, schnellere Produkteinführungen am Markt). −− Strategische Allianzen (z. B. die komplementäre Nutzung von Forschungsinfrastruktur oder die Verknüpfung von Komplementärprodukten) sind weitere längerfristige Vorteile. Wie aufgrund einer Erhebung in den EG-Ländern festgestellt werden konnte, stellen sich wirtschaftliche „benefits“ aus einer Teilnahme an EG-Forschungsprogrammen bereits nach relativ kurzer Zeit ein; die „benefits“ aus einer Programmteilnahme sind weit höher anzusetzen, als die von der EG-Kommission tatsächlich genehmigten Förderquoten ausmachen. Die in Österreich durchgeführten Untersuchungen ergaben ähnliche Ergebnisse. Sie wurden vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung freiwillig einer externen Fachbegut-
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achtung unterzogen, die positiv ausfiel.26 In keiner Phase dieser innerstaatlichen Vorgänge stand dann mehr die Notwendigkeit der Teilnahme Österreichs am 3. Rahmenprogramm forschungspolitisch infrage. Vorher waren allerdings schwerwiegende Zweifel und Einwände erhoben worden: Die Verwendung der für den EWR notwendigen Mittel sollten zunächst für nationale Forschungsförderung als Politik einer zukünftigen Sicherung der „Europareife“ verwendet werden; eine Teilnahme an Forschungs- und Technologieprogrammen des 3. Rahmenprogramms sollte erst erwogen werden, unter Umständen erst in den Beitrittsverhandlungen, wenn Österreich starke und international bewährte Gruppen aufgebaut hätte. Selbst unter der Annahme, dass erhöhte Mittel für Forschung und Technologie unter diesen Umständen national tatsächlich gewährt worden wären, hätte eine solche Forschungspolitik die internationale Isolierung der österreichischen Forscher, vor allem im EFTA-Lager, und weitere Verzögerungen des Ausbaus der Partnernetze nach sich gezogen. Stattdessen wurde ein klares forschungspolitisches Ziel formuliert, beibehalten und eine Zeitspanne für die Vorbereitung auf das EWR-Abkommen fixiert. Forschungsmittel konnten durch das Bundesfinanzgesetz 1991 und 1992 wesentlich erhöht werden, insbesondere für Stimulierungen der Teilnahme an internationalen Forschungs- und Technologiekooperationen.27 26 „Ich stimme dem Papier voll zu und glaube, dass auf diesem Gebiet wirklich gute Arbeit geleistet wurde, nicht nur inhaltlich, sondern auch in Form von Rechtfertigung gegenüber dem Finanzministerium […]. Nicht einmal im rein ökonomischen Bereich, wo unmittelbar materielle Folgen auftreten, ist es möglich, Effekte wirklich abzuschätzen. Der Cecchini-Bericht schätzt nur die statischen, nicht aber die viel wichtigeren dynamischen Effekte. Noch viel weniger wird es daher im Wissenschaftsbereich möglich sein“, so einer der Gutachter des Papieres des BMWF. 27 Forschungsausgaben des BMWF (BFG): 1990: 8.144.000 Mio. S (national), 427 Mio. S (international) 1991: 10.029.325 Mio. S (national), 521,294 Mio. S (international) 1992: 10.575.118 Mio. S (national), 633 Mio. S (international) 1993: 11.641.325 Mio. S (Planziffer national), 808 Mio. S (Planziffer international) FWF-Förderungen für EG-Kooperationsprojekte (Stand: Ende Dezember 1992, in Mio. S): 1991 (bewilligt): EG 1,3; EUREKA 2,1; COST 0,1 1992 (bewilligt): EG 46,5; EUREKA 8,2; COST 2,7 1992 (noch offen): EG 39,9; EUREKA 2,7; COST 1,0 Gesamt: 1991 (bewilligt): 3,5 1992 (bewilligt): 56,3 (Im Jahre 1992 wurden 16-mal mehr EG-Kooperationsförderungen als 1991 bewilligt). FFF-Förderungen für EG-Projekte des Rahmenprogramms, COST, EUREKA und sonstige internationale Projekte (Stand: Februar 1993, in Mio. S): 1992: Förderungsbeitrag 51.135; Darlehen 24.905; 1993: Förderungsbeitrag 101.262; Darlehen 68.665; ITF-Förderungen für EG-Projekte des Rahmenprogrammes, EUREKA und sonstige internationale Projekte (Stand: Februar 1993, in Mio. S): 1992: Förderungsbeitrag 42.615; 1993: Förderungsbeitrag 60.275.
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3. Grundlegende Rechtsfragen der Kooperation Wo durch den Beitritt aliquote Beiträge der EFTA-Staaten zu den Rahmenprogrammen und den Bildungs- und Mobilitätsprogrammen nach BIP-Schlüssel geleistet wurden oder werden, stellt sich die Frage der Mitbestimmung und Mitwirkung in den Verwaltungskomitees der Programme. Der Beitritt eines Staates durch bilateralen Vertrag mit den EG unterläuft nämlich die Unterscheidung der Mitglieds- und Drittstaatenrechte im multilateralen Sinn, und dieses Rechtsproblem begleitete seither die Verhandlungen zum EWR-Abkommen und beeinflusste die Übergangsphase zwischen der Paraphierung (14. November 1992) und dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens (irgendwann) im Jahre 1993/94; sie wird auch in der Durchführung des Abkommens Probleme aufwerfen. Waren nun die sachlich zuständigen Generaldirektionen XII und (etwas später auch) XIII der EG-Kommission (mit ihrem Kommissär Vizepräsident F. M. Pandolfi) für eine informelle, möglichst frühzeitige und gleichberechtigte Mitwirkung der EFTA-Partner, so steht bis heute die Rechts- und Präsidialdirektion I der Kommission auf einem restriktiven, wenngleich rechtlich fundierten Standpunkt. Der „Streit“ hat Präjudizwirkung auf die zukünftige Mitarbeit der EFTA-Vertreter allgemein – nach dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens. Wie ist das Ausmaß der „gleichen“ Teilnahme in den Programmen für Bildung, Forschung und Technologie zu definieren? Im Einzelnen: Durch die Technik der Finanzierung der (des 3.) Rahmenprogramme(s) leisten die EFTA-Staaten aufgrund des EWR-Abkommens Beiträge wie die EG-Mitgliedstaaten. Soweit EFTA-Länder schon bisher an einzelnen Bildungs- und Mobilitätsprogrammen und Programmen des (2.) Rahmenprogrammes durch Beitritt beteiligt waren, war die Lage ähnlich (vgl. COMETT, ERASMUS, STEP). Der aliquote Beitrag deckt übrigens alle Kosten (einschließlich der administrativen Gemeinkosten) ab. Die Beitragszahlung bildet also die Grundlage für den verständlichen Anspruch, wie ein Mitglied behandelt zu werden, vor allem in Bezug auf die −− Vertretung in den Programmkomitees, −− Teilnahme an der Ausgestaltung des 3. Rahmenprogrammes und der Neugestaltung des 4. Rahmenprogrammes, die −− Mitarbeit in der „Gemeinsamen Forschungsstelle“ und die −− Aufnahme in die und die Mitarbeit in den Stäben der EG-Kommission. −− Man erinnere sich an den „alten“ Grundsatz der amerikanischen Revolution: „Taxation without representation“. In der Mitgestaltung und Mitverwaltung der Programme wie ein Mitglied behandelt zu werden, entspräche neben der „vollen“ (d. h. das gesamte 3. Rahmenprogramm umfassenden28) der „gleichen“ Teilnahme am Rahmenprogramm; darin läge auch die De-facto-Vorweg28 13 von 15 Programmen des 3. Rahmenprogrammes sind durch das EWR-Abkommen erfasst; dazu Raoul Kneucker, Forschung und Technologie, in: Economy 1992 (Sonderheft), 123.
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nahme der EFTA-Mitgliedschaft in den EG im Bereich Forschung und Technologie – das wären „Beitrittselemente“ eines möglichen Assoziationsvertrages. Durch die Technik der Programmdurchführung in Tranchen mit zeitlich geschichteten Ausschreibungs- und Genehmigungsterminen ergibt sich ferner, dass die Zeitläufe zwischen den völkerrechtlichen Vorgängen (Verhandlungen – Paraphierung – Ratifizierung – Inkrafttreten) und den Programmvorgängen nicht harmonisiert werden können; es folgt daraus, dass die EFTA-Länder, die ohnehin den Nachteil tragen, in ein fertiges und laufendes Rahmenprogramm einzusteigen und thematisch, organisatorisch und finanziell nicht wesentlich mitbestimmen zu können, aber aliquot voll bezahlen, durch die Programmvorgänge, vor allem in der Übergangsphase, weiterhin benachteiligt werden. Sofern nun nicht durch bilaterale Beitrittsverträge (wie z. B. für COMETT, ERASMUS, Medizin, STEP) Vertreter der EFTA-Länder de facto in einer völkerrechtlich aber kaum zu qualifizierenden Form den Programm- und Verwaltungskomitees schon bisher angehörten und auch weiter in die „Nachfolgekomitees“, also de facto in die Verwaltungskomitees des 3. Rahmenprogrammes, eingeladen werden, boten die Generaldirektionen XII und XIII als „Vorwirkung“ des EWR-Abkommens an, in der Übergangsphase (also vor Inkrafttreten des Abkommens) Vertreter in den einschlägigen Ausschüssen (z. B. CREST) und den Programmkomitees vorläufig informell zuzulassen. Die Generaldirektion I lehnte solche „Vorwirkungen“ ab. Zahlreiche gemeinsame Termine des Herbstes 1993 wurden abgesagt. Zurzeit wird an einem pragmatischen, sachdienlichen Kompromiss gearbeitet: den Ausschussvorsitzenden, nach Zustimmung der Mitgliedsländer, sollte es freistehen, Vertreter der EFTA-Länder einzuladen; schließlich wurde eine generelle Lösung fixiert, durch die Verzögerung des Inkrafttretens des EWR-Abkommens durch die Schweizer Ablehnung aber wieder infrage gestellt. Wertvolle Zeit ist verloren gegangen. Nach Inkrafttreten des EWR-Abkommens steht die Mitwirkung der EFTA-Länder in den Ausschüssen der Programme zwar außer Zweifel – das sind die genannten „Beitrittselemente“; die Interpretation der „gleichen“ Teilnahme in den Programmen, ist hinsichtlich des Ausmaßes der „Gleichberechtigung“ dennoch strittig. Die Position der Vertreter in den forschungsrelevanten Ausschüssen der EG-Kommission bzw. des Ministerrates (z. B. CREST) bedarf darüber hinaus einer rechtlichen Klärung: Die Mitwirkung in den Ausschüssen zur Beratung der EG-Kommission und des Ministerrates ist Vertretern von Nicht-Mitgliedsstaaten, da das EWR-Abkommen nichts darüber enthält, sicherlich nur als Gäste („observers“) über Einladung zu allen oder zu bestimmten Punkten der Tagesordnung möglich; das folgt schon aus den Mitgliedschaftsrechten. In den Programmausschüssen dagegen sind die EFTA-Vertreter kraft EWR-Abkommen wie vollberechtigte Mitglieder zu behandeln. Nach einer noch nicht abgeschlossenen Meinungsbildung innerhalb der EG-Kommission soll ihre Mitwirkung auf etwas Geringeres als die „vollberechtigte“, auf ein etwas Mehr als die Gastfunktion eingeschränkt werden. Angestrebt wird offenbar eine völkerrechtliche Zwischenform (in Entsprechung der Assoziation mit Beitrittselementen), ein „speaking ob-
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server“, was nach österreichischem Recht wohl dem „Sitz“ (ohne „Stimmberechtigung“) in Gremien gleichkäme. Da die Programmkomitees in der Regel nichts beschließen, sondern beraten, mag diese Lösung gerade noch akzeptabel sein. Sie ist es meines Erachtens nicht in einem Rechtssinne; und jedenfalls ist sie eine engstimmige „uneuropäische“ Lösung. Das Ergebnis der laufenden Verhandlungen ist abzuwarten.
III. Zusammenfassung: die Auswirkungen in concreto Es ist deutlich geworden, dass bei der Darstellung und Diskussion der Auswirkungen des EWR-Abkommens (1) zwischen thematisch-inhaltlichen einerseits, (2) organisatorisch-finanziellen Auswirkungen andererseits, ferner (3) zwischen kurz- und langfristigen Auswirkungen unterschieden werden sollte. 1. Inhaltliche Auswirkungen a) Das EWR-Abkommen ermöglicht österreichischen Forschergruppen in allen universitären, außeruniversitären und industriell-gewerblichen Forschungsstätten, gleichberechtigt mit Forschergruppen in anderen EG und EFTA-Ländern, an folgenden Programmen des 3. Rahmenprogramms durch grenzüberschreitende, arbeitsteilige Projekte teilzunehmen: Grundlegende Technologien: −− Informations- und Kommunikationstechnologien −− Informationstechnologien (mit 5 Unterbereichen) −− Kommunikationstechnologien (mit 8 Unterbereichen) −− Entwicklung von Telematiksystemen in Bereichen von allgemeinem Interesse (mit 7 Unterbereichen) Industrielle und Werkstofftechnologien −− Industrielle und Werkstofftechnologien (mit 3 Unterbereichen) −− Messen und Prüfen (mit 4 Unterbereichen) Nutzung der natürlichen Ressourcen Umwelt −− Umwelttechnologien (mit 4 Unterbereichen) −− Meereswissenschaften und -technologien (mit 5 Bereichen) −− Biowissenschaften und -technologien −− Biotechnologie (mit 3 Unterbereichen) −− Agrar- und agrarwissenschaftliche Forschung, einschließlich Fischerei (mit 4 Unterbereichen) −− Biomedizinische Forschung und Gesundheit (mit 4 Unterbereichen) −− Biowissenschaften und -technologie für die Entwicklungsländer (mit 2 Unterbereichen)
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Energie −− Nicht nukleare Energie (mit 4 Unterbereichen) Nutzung der geistigen Ressourcen −− Mensch und Mobilität (mit 4 Unterbereichen) Ein Beitritt Österreichs zu den EG erweiterte gegenüber dem EWR-Abkommen lediglich die Teilnahme auf alle Energieprogramme (also auch betreffend nukleare Sicherheit und Kernfusion mit jeweils 2 bzw. 4 Unterbereichen), wobei im Rahmen der Beitrittsverhandlungen die Zusammenhänge mit dem Euratom-Vertrag zu beachten sein werden. Frühere bilaterale Verträge Österreichs mit den EG über Programmteilnahmen sind insoweit erschöpft, als diese Programme im 3. Rahmenprogramm aufgehen (Medizin,29 SPES, SCIENCE); COMETT und ERASMUS werden als flankierende Maßnahmen ebenfalls unter die EWR-Bestimmungen subsumiert. b) Wesentlich für eine Teilnahme an allen Bildungsprogrammen ist ein erneuertes System der Anrechnung von Studien und der Anerkennung von Prüfungen. Während die gesetzlichen Bestimmungen weitreichende und flexible Möglichkeiten bieten, liegt es jetzt an den in diesem Feld autonomen Universitäten und Hochschulen künstlerischer Richtung, besonders an den Studienkommissionen, geeignete Anrechnungs- und Anerkennungssysteme auszuarbeiten, die es den Studierenden ermöglichen, ohne größeren Zeitverlust einen Teil ihres Studiums an ausländischen Hochschulen durchzuführen oder eine Praxis in ausländischen Unternehmen abzuleisten. Die Antragsberechtigung für ein Nostrifizierungsverfahren ist nicht mehr von der österreichischen Staatsbürgerschaft abhängig, sondern vielmehr von einem ordentlichen Wohnsitz in Österreich bzw. von der nachweislichen Bewerbung um eine Anstellung in Österreich, für die der Besitz eines österreichischen akademischen Grades eine der Voraussetzungen ist. Die Nostrifizierung wird zwar für die Zulassung zu einigen „akademischen“ Berufen innerhalb des EWR nicht mehr relevant sein; sie wird aber weiterhin für solche Fälle bestehen bleiben, in denen die Berufszulassung nicht durch eine Richtlinie der EG abgedeckt ist. Was die Auswirkungen auf den Organisationsbereich der staatlichen Forschungsstätten, der Universitäten und Hochschulen künstlerischer Richtung betrifft, ist sicherzustellen, dass Angehörige von EWR-Staaten in den Forschungsstätten, ferner in universitären und hochschulischen Gremien in gleicher Weise wie Österreicher arbeiten und mitwirken können. Für das Prüfungswesen ergibt sich wegen seines hoheitlichen Charakters keine Änderung; die Funktionen von Prüfungen können Österreichern vorbehalten bleiben. Ebenfalls 29 Österreich ist dem Programm für Medizin und Gesundheitswesen am 11. 3. 1991 beigetreten. BGBl. Nr. 1991/289. 1992 wurden für das Programm BIOMED 3 Projekte mit österreichischer Beteiligung (3.781.285 S) bewilligt, in: FWF, Überblick vom 15. 10. 1992, jetzt im Jahresbericht für 1992.
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nicht betroffen ist das Hochschülerschaftsgesetz. Jene Kategorien von Hochschullehrern, die bisher Österreichern vorbehalten waren (Außerordentliche Universitätsprofessoren, Universitäts- und Hochschulassistenten), sind den Angehörigen des EWR zugänglich zu machen. Da die ordentlichen Universitäts- und Hochschulprofessoren kraft Gesetzes mit ihrem Dienstantritt österreichische Staatsbürger werden und damit eine Diskriminierung anderer Staatsangehöriger nicht stattfinden kann, besteht hinsichtlich dieser Kategorie kein Anpassungsbedarf. Für die Zulassung zum Studium ist eine grundsätzliche formale Gleichstellung von Österreichern mit EWR-Angehörigen vorgesehen.30 30 Dieses Thema wird aufgrund der Vorbereitung der österreichischen Verhandlungsposition für den EG-Beitritt Teil der Verhandlung sein, und zwar mit dem Ziel einer Regelung im Sinne des § 7 AHStG geltender Fassung. „§ 7.(1) das Recht, an einer Universität zum Studium zugelassen zu werden wird begründet a) durch den Nachweis der allgemeinen Hochschulreife in einer der 3 folgenden Formen: 1. Besitz eines österreichischen Reifezeugnisses; 2. Besitz eines anderen österreichischen Zeugnisses über die Zuerkennung der Hochschulreife; 3. Besitz eines ausländischen Zeugnisses, das einem österreichischen Zeugnis gemäß Z 1 oder Z 2 entweder aufgrund einer internationalen Vereinbarung, aufgrund der Entscheidung des Rektors der österreichischen Universität im Einzelfall gleichwertig ist; ist die Gleichwertigkeit im Hinblick auf die Inhalte und die Anforderungen einer österreichischen Reifeprüfung nicht gegeben, so sind vom Rektor die erforderlichen Ergänzungsprüfungen vor der Immatrikulation vorzuschreiben; b) durch den Nachweis der besonderen Hochschulreife, d. h. der Erfüllung sämtlicher Erfordernisse, die im Ausstellungsland des Zeugnisses gemäß lit. a in Verbindung mit diesem Zeugnis für die unmittelbare Zulassung zur gewählten oder entsprechenden Studienrichtung erfüllt sein müssen. Für in Österreich ausgestellte Zeugnisse handelt es sich dabei um diejenigen Zusatzprüfungen, die gemäß der geltenden Universitätsberechtigungsverordnung vor der Immatrikulation vorgeschrieben sind. Der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung kann durch Verordnung solche Personengruppen bestimmen, deren Reifezeugnis aufgrund bestimmter persönlicher Nahebeziehungen zu Österreich oder einer Tätigkeit im Auftrag der Republik Österreich jedenfalls als in Österreich ausgestellt gilt und für die im Abs. 3 festgelegten Fristen nicht gelten. (2) Erfordert die gewählte Studienrichtung sonstige Kenntnisse, Eignungen, Fertigkeiten oder Begabungen, die durch ein Zeugnis gemäß Abs. 1 lit. a nicht nachgewiesen werden, so sind die Bewerber verpflichtet, gemäß den besonderen Studiengesetzen oder Studienordnungen Ergänzungsprüfungen vor der Immatrikulation bzw. bis zu einem bestimmten Zeitpunkt des Studiums abzulegen bzw. die entsprechenden Nachweise zu erbringen. (3) Ausländer (Staatenlose) können überdies nur dann zum Studium zugelassen werden, wenn an der betreffenden Universität für die gewählte Studienrichtung ausreichend Studienplätze zur Verfügung stehen. Die Kriterien für die Vergabe beschränkter Studienplätze werden von den einzelnen Universitäten im Voraus festgelegt und im jeweiligen Mitteilungsblatt verlautbart. Das oberste Organ der Universität kann auch eine bevorzugte Zulassung von Antragstellern aus Entwicklungsländern beschließen. Die Bewerbungen müssen bei Studienbeginn im Wintersemester bis spätestens 1. September, bei Studienbeginn im Sommersemester bis spätestens 1. Februar bei der gewählten Universität eingelangt sein; diese Frist ist nicht erstreckbar. Die Entscheidung des Rektors hat so zu erfolgen, dass dem Bewerber ausreichend Möglichkeit für die Durchführung der Immatrikulation innerhalb der hierfür vorgesehenen Fristen bleibt. Die vorstehenden Bestimmungen dieses Absatzes gelten nicht für Bewerber, die im Ausland bereits den ersten Studienabschnitt eines entsprechenden Hochschulstudiums absolviert haben und aufgrund eines universitären oder staatlichen Austauschprogrammes ein Teilstudium in der Dauer bis zu 2 Semestern in Österreich zu absolvieren beabsichtigen, sowie für Ausländer, denen Österreich aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages dieselben Rechte für den Berufszugang zu gewähren hat wie Inländern.
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Aufgrund von EG-Richtlinien über die berufliche Anerkennung von Diplomen bestehen für die Gestaltung einiger Studienrichtungen inhaltliche Vorgaben, und zwar für Medizin, Veterinärmedizin und Pharmazie; außerdem muss eine eigene Studienrichtung „Zahnmedizin“ eingerichtet werden. Weitere Richtlinien über die Anerkennung von Diplomen berühren primär die Zulassung zur Berufsausübung und haben daher mit dem Aufbau der Studien nichts zu tun; es könnten sich aber im Laufe der Zeit indirekte Rückkoppelungseffekte auf die Studiengestaltung im Sinne einer marktorientierten Angebotsplanung oder andere Ausgleichseffekte ergeben. Außerdem sind die Universitäten und Hochschulen künstlerischer Richtung bei Fragen allfälliger Anpassungslehrgänge oder Eignungsprüfungen für die Zulassung zu „akademischen Berufen“ als Experten mitzubefassen. Hinsichtlich der Studienförderung und der Hochschul-Taxen sind künftighin die Studierenden aus EWR-Staaten den Österreichern völlig gleichgestellt. Insbesondere sind sie generell von der Entrichtung des Studienbeitrages für Ausländer befreit.31 2. Organisatorische Auswirkungen a) Zur Vorbereitung der Durchführung des EWR-Abkommens wurden auf der politischadministrativen Ebene folgende Maßnahmen getroffen: −− In zwei Schritten, durch entsprechende Änderungen der Geschäftseinteilung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung im Jahre 1991 und 1992, wurde das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung reorganisiert; eine Sektion „Internationale Angelegenheiten“ wurde aus bestehenden Organisationseinheiten geschaffen und als „horizontale“ Einheit mit allen Sektionen des Bundesministeriums so verknüpft, dass Koordinationsaufgaben für internationale Fragen, vor allem für die Europapolitik, in neuer Matrix-Form erledigt werden können. −− Aus der Mitarbeit in den Integrationsausschüssen des Bundeskanzleramtes und des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten (vor allem in der Untergruppe 8 „Wissenschaft“ unter dem Vorsitz des Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung) entwickelte sich ein informelles Informations- und Diskussionsforum für Durchführungsmaßnahmen (und durch Bildung einer Lenkungsgruppe) eine Art „task force“ aller vom 3. Rahmenprogramm der EG betroffenen 6 Fachministerien, dem Bundesministerium für Finanzen und dem Bundesministerium für auswärtige (4) Bewerbern, die die deutsche Sprache im Ausmaß des § 28 Abs. 4 nicht nachweislich beherrschen, ist die Ablegung der Universitäts-Sprachprüfung vor der Zulassung zum Studium aufzutragen. Als Nachweis der ausreichenden Beherrschung der deutschen Sprache gilt insbesondere ein Reifezeugnis aufgrund eines Unterrichtes in deutscher Sprache. (5) Zwischenstaatliche Vereinbarungen sowie die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gleichstellung von Südtirolern mit österreichischen Staatsbürgern auf bestimmten Verwaltungsgebieten, BGBl. Nr. 57/1979, werden durch die vorstehenden Absätze nicht berührt.“ 31 Siehe BGBl. Nr. 1991/496.
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Angelegenheiten, den Sozialpartnern und den Forschungsförderungsfonds. Die EWRVerhandlungen hinsichtlich Forschung und Technologie konnten auf diese Weise koordiniert begleitet werden, den Verhandlungsausschüssen hoher Beamter konnten auf schnellstem Wege die gewünschten Auskünfte übermittelt, Vorschläge unterbreitet, Sachpositionen bestimmt werden. Die Untergruppe 8 hat darüber hinaus wesentlich zur Vertrauensbildung unter den betroffenen Institutionen beigetragen. Ihre Arbeit hat vor allem die Grundlage für die Vorbereitungen auf der Betreuungsebene gelegt. In der Untergruppe 8 wurde die Vertretung der betroffenen Fachministerien in den programmbegleitenden Verwaltungsausschüssen des 3. Rahmenprogrammes vorberaten. Österreichische Vertreter, und zwar entsendet von den jeweils zuständigen staatlichen Stellen, koordiniert vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung,32 werden in allen forschungs- und technologierelevanten Ausschüssen der EG mitwirken. Der Forschungs- und Technologiebereich hat im September 1992 die Vertreter bei der EGKommission nominiert und zur Abstimmung der österreichischen Positionen in den Programmausschüssen regelmäßige Koordinationssitzungen einberufen. Die Punkte wurden formuliert, die für das Beitrittsverfahren Österreichs im Bereich Wissenschaft und Forschung beachtet werden sollten; ebenso wurde eine erste Stellungnahme zum „Memorandum an Higher Education in the European Community“ und zum Vorentwurf des 4. Rahmenprogrammes vorbereitet. Die Rechtsreform, die das EWR-Abkommen im Bereich des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung auslöst, berührt 16 Bundesgesetze, davon sind jedoch 6 Bundesgesetze, obwohl sie den Wissenschafts- und Forschungsbereich betreffen, nicht Ressortgesetze (wie z. B. Dienstrecht, Steuerfragen, ITFG). Von den ressortspezifischen Gesetzen sind nach einschlägigen Novellen im Hochschultaxen- und Studienförderungsrecht, die schon früher in Angriff genommen wurden, alle erforderlichen Gesetzesnovellen begutachtet und in parlamentarischer Behandlung. Ausgenommen ist das Studiengesetz Zahnmedizin, das derzeit beraten wird; dafür ist aber im EWRAbkommen eine sechsjährige Übergangsfrist eingeräumt worden. Der finanzielle Beitrag für den EWR, den Österreich zu leisten haben wird, bei einer zeitlich unbestimmten Dauer des 3. Rahmenprogrammes, bei damit ebenfalls noch unbestimmten Kosten, kann zur Zeit nicht präzise angegeben werden. Er mag – ceteris paribus – für den gesamten Wissenschaftsbereich (Bildungs- und Forschungsprogramme) bei ungefähr 240 Mio. öS in den ersten Jahren liegen. In der Höhe der Beitragszahlung liegt eine der Messgrößen für den Rückfluss, den österreichische Forschergruppen durch genehmigte Projektkooperationen einzuwerben in der Lage sein sollten.
32 Siehe Anlage M Z. 1 zu § 2 BMG 1986.
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b) Die Vorbereitungen auf der Betreuungsebene betrafen: −− Für die Teilnahme an den europäischen Bildungs- und Mobilitätsprogrammen wurde im Rahmen des Österreichischen Akademischen Austauschdienstes (ÖAD) durch Beauftragung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung (unterstützt vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst) ein „Büro für Europäische Bildungskooperationen“ geschaffen. Es dient generell der Förderung der akademischen Mobilität, soweit nicht gesonderte Organisationen bestehen (der ÖAD selbst, der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, die Österreichische Akademie der Wissenschaften), ihre zentrale Aufgabe ist die Betreuung der EG-Programme COMETT, ERASMUS und des Teiles „Mensch und Mobilität“ des 3. Rahmenprogrammes (TEMPUS wird vom „Büro für Austauschprogramme für Mittel und Osteuropa“ betreut, das ebenfalls Teil des ÖAD ist). In den Universitäten wurden „Auslandsbüros“ (unter verschiedenen Namen oder Strukturen) geschaffen und personell ausgestattet. Zur Sicherung des Wohnraumes für Studenten und Hochschullehrer, insbesondere aus den europäischen Bildungsprogrammen, wurde eine Sonderaktion DOMUS gestartet und zweimal erfolgreich wiederholt. −− Für die Betreuung der Forschungs- und Technologieprogramme der EG, der COSTAktionen und der EUREKA-Initiative bedurfte es zunächst der Schaffung eines Trägervereines – „Verein für internationale Forschungs-, Technologie- und Bildungskooperationen“; denn neben der Bundeswirtschaftskammer, die mit dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten ursprünglich das EUREKA-Betreuungssekretariat aufgebaut und schon schrittweise auf die Betreuung des 3. Rahmenprogrammes hin ausgestaltet hatte, waren die anderen am 3. Rahmenprogramm interessierten Bundesministerien für Land und Forstwirtschaft, für Umwelt, Jugend und Familie, für Gesundheit, Konsumentenschutz und Sport, für auswärtige Angelegenheiten, die anderen „großen“ Sozialpartner Vereinigung Österreichischer Industrieller, Bundesarbeiterkammer und Forschungsförderungseinrichtungen (FWF, FFF) erst einzubeziehen. Der Trägerverein hat seine Arbeit im Jahre 1992 aufgenommen. Er wird das „BIT“, das „Büro für internationale Forschungs- und Technologiekooperationen“ einrichten und erhalten; dessen Tätigkeit beginnt formell mit Jänner 1993. −− Einige Länder, wie vor allem Salzburg, Oberösterreich und Steiermark wollen und werden Mitglieder des Trägervereins werden; sie bereiten damit die Schaffung von notwendigen regionalen Betreuungsorganisationen in den forschungs- und technologiestarken Ländern vor – ähnlich wie die Auslandsbüros der Universitäten für Bildungsprogramme dezentralisierte Betreuungsorganisationen darstellen. Im Jahre 1993 werden die Formen der technischen Kooperation mit dem zentralen BIT entwickelt werden. Duplizität und Zersplitterung sind zu vermeiden. −− Die Dachorganisationen des Wissenschaftsbereiches, wie vor allem die ÖAW und die VÖT, sind aus ähnlichen Überlegungen der Dezentralisierung bereits BIT-Mitglieder geworden.
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−− Die Ausgestaltung des APA-Service „Bildung und Wissenschaft online“ mit Mitteln der Bundesministerien für Unterricht und Kunst bzw. Wissenschaft und Forschung wird die Informationslage für Studierende und Forscher in allen universitären und außeruniversitären Forschungsstätten wesentlich verbessern; es wird vor allem die Grundinformationen über internationale Bildungs- und Forschungsprogramme enthalten und dadurch die Betreuungsorganisation entlasten. −− Die Schaffung von zum Teil neuen Organisationen für die Betreuungsebene erschien in Österreich, dem nun alle EFTA-Länder folgen, genauso zweckmäßig wie in den EG-Ländern, deren jahrelange Erfahrungen und Experimente von Österreich genützt werden konnten. Zweckmäßig war sie vor allem, weil die einzelnen Forschergruppen nicht mit der Beschaffung der notwendigen Informationen für die Teilnahme an internationalen Forschungsprogrammen belastet werden sollen. Die Betreuungsorganisationen haben aber nicht nur zu informieren und Information aufzubereiten, sondern zur Teilnahme an internationalen Programmen zu animieren und motivieren, Projekte zu generieren, Forscher zu beraten, zu betreuen, Lobbying zu betreiben, Erfahrungen systematisch zu sammeln und in der Nachbetreuung zu verwerten. Die Betreuung der Teilnahme von Forschern an internationalen Programmen – qualitativ und quantitativ – ist bei der Höhe der vorgesehenen staatlichen Ausgaben selbst als eine neue staatliche Aufgabe zu sehen, und diese komplexe Dienstleistung ist tatsächlich mit keiner der bisherigen institutionellen Aufgaben wie Beratung, Manduktion und Evaluation gleichzusetzen oder durch sie substituierbar. Erfolgreiche Universitätsaußeninstitute, Technologiezentren und ähnliche Einrichtungen haben schon bewiesen, dass im Bereich internationaler, keineswegs auf die Wissenschaft beschränkter Programme neue Formen der (professionellen) Dienstleistung „Betreuung“ entstehen und wahrgenommen werden müssen. −− Einige spezifische Aufgaben werden freilich weiterhin von bereits bestehenden Organisationsformen wahrgenommen. So obliegt z. B. die Beratung für alle Fragen der akademischen (einschließlich der beruflichen) Mobilität und Äquivalenzen im Rahmen des NARIC (Network for Academic Recognition and Information Centres) bei der sachlich zuständigen Abteilung des BMWF als nationale Informationsstelle; andere Formen der „liaison-Stellen“ bleiben ebenfalls bestehen (z. B. ESA-Betreuung durch die ASA, die „Austrian Space Agency“). 3. Kurz- und längerfristige Auswirkungen Mit dem EWR-Abkommen werden nicht nur die eben genannten, übrigens kurzfristigen Auswirkungen verbunden sein. Längerfristig liegen im EWR – gerade auch für den Bereich Wissenschaft, Forschung und Technologie – die seit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg größten strukturpolitischen Herausforderungen und ordnungspolitischen Auswir-
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kungen33 – und zwar für Schule, Universität, Weiterbildung, im Besonderen für die Zusammenarbeit zwischen Bildung, Ausbildung und Weiterbildung einerseits und Wirtschaft und Berufsleben andererseits; zwischen Forschungs- und Technologiepolitik einerseits, Industrie, Arbeitsmarkt und Umweltpolitik andererseits, einschließlich der Neugestaltung der Ministerialorganisation und der Zuständigkeitsverteilung im Bund und zwischen dem Bund und den Ländern. −− Zu den ordnungspolitischen Gesichtspunkten zählt der von außen auf die österreichische Forschungsorganisation ausgeübte Zwang, eine dem europäischen Kontext angepasste Forschungs- und Technologiepolitik zu entwickeln und darin Schwerpunkte zu setzen; durch die Beteiligung an den europäischen Forschungs- und Technologieprogrammen wird teilweise eine Forschungs- und Technologiepolitik „importiert“ oder vorstrukturiert und es werden Schwerpunkte durch die Mitwirkung an europäischen Großprojekten oder -programmen tatsächlich in die Wege geleitet. Die Schwäche der österreichischen Forschungsorganisation in der Zusammenarbeit der Forschungsstätten untereinander und der zwischen wissenschaftlichen und industriellen Forschungsstätten kann durch die Teilnahme an den europäischen Programmen gemindert werden. −− Als ordnungspolitisch im Bereich der österreichischen Technologiepolitik können folgende Auswirkungen der Forschungs- und Technologieprogramme der EG auf die Industriestruktur und -politik angesehen werden: die Rolle der Forschung und der Technologieentwicklung als Faktor der Industrieentwicklung, der Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplatzschaffung wird – wie in den EG-Ländern heute schon – klare Konturen erhalten; das Engagement der europäischen Industrie für Forschungs- und Technologieaufwendungen wird für österreichische Unternehmen Vorbild sein, in richtiger Proportion wohl auch für die Aufwendungen der öffentlichen Hand. −− Die Schwerpunktsetzung durch die Teilnahme an den EG-Forschungs- und Technologieprogrammen wird fernerhin die österreichische Forschungs(förderungs)politik insoweit restrukturieren, als in Zukunft Forschungen in Begleitung der internationalen Programme, in ihrer Ergänzung (für nicht betroffene Disziplinen oder Bereiche) bzw. im Gegensatz zu den europäischen Programmen in Aussicht genommen und gefördert werden müssen; Letzteres wird z. B. für nationale Traditionen für außereuropäische Kooperationen, für die Förderung von Sonderentwicklungen zweckmäßig sein. −− Wissenschaftspolitisch bedeutsam ist die Mitarbeit der österreichischen Forscher nicht nur in Projekten der europäischen Bildungs- und Forschungsprogramme, sondern auch in den programmbegleitenden Komitees, in den Begutachtungsverfahren der EG-Kommission über die eingereichten Projekte und in den Beratungen über neue Programme und Strategien. So hat die Mitarbeit an den Vorarbeiten des 4. Rahmenprogrammes der EG 33 Vgl. Heinrich Schneider, Alleingang nach Brüssel, Österreichs EG-Politik, Bonn 1990, der erstmals darauf hinweist.
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mindestens so viel an Rückkoppelungseffekten für die österreichische Forschungs- und Technologiepolitik wie an Anregungen für die einschlägigen Gremien der Kommission der EG gebracht. −− Im Bereich der Forschungsförderung (insbesondere der Förderung der wissenschaftlichen Forschung und der Auftragsforschung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung) waren und sind kurzfristig zahlreiche Übergangsprobleme zu lösen – Übergangsprobleme deshalb, weil sie mit dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens im Wesentlichen wegfallen werden; sie sollen daher hier nicht behandelt werden. Mittelfristig besteht allerdings ein Anpassungsbedarf oder besser das Erfordernis, förderungspolitisch darüber zu diskutieren, ob und welche Veränderungen allenfalls in der Praxis der Forschungsförderungsorganisationen vorzunehmen sein werden. Einerseits sollten Antragsteller auf Gebieten der europäischen Forschungs- und Mobilitätsprogramme nicht die österreichischen Förderungsstellen bemühen, sondern sich vielmehr der Konkurrenz der Ausschreibungen der EG-Kommission stellen; und es sollten solche Anträge aus diesem Grunde a limine abgelehnt werden – die Förderungsrichtlinien sind insofern anzupassen; andererseits – man bedenke die forschungs- und technologiepolitischen Erwägungen oben – mag es günstig oder notwendig sein, sehr gut geplante und innovative Projektanträge, die in den europäischen Programmen nicht gefördert werden (z. B. aus Finanzengen), dennoch national zu fördern, oder Begleitforschungen zu fördern, oder bewusst gegensteuernd ergänzende oder Sonderprojekte zu unterstützen, um die österreichische Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Bei richtiger Anwendung des „Subsidiaritätsprinzips“34 bleiben sogar absichtlich nationale Forschungsförderungsnotwendigkeiten bestehen. Das Zusammenspiel, die Abgrenzung zwischen der europäischen und der österreichischen Förderung von Forschung und Technologie, ist aus allen diesen Erwägungen zu bedenken und in den Richtlinien der Forschungsförderung umzusetzen. Der europäische Binnenmarkt in den Bereichen Bildung, Forschung, Technologie und Industrie löst nichts weniger als einen ungeheuren Internationalisierungsschub aus, der in dieser Dynamik und Dichte in Europa ohne historisches Vorbild ist. Wissenschaft war zwar stets in bestimmten Aspekten international, aber die „neue Internationalität“ durch die europäische Integration hat mit der traditionellen Internationalität der Wissenschaft und Forschung wenig zu tun. Internationalität bedeutet heute, dass auf der Basis von autonomen oder staatlichen Forschungsprogrammen und -projekten Wissenschaft, Forschung und Technologie grenzüberschreitend und arbeitsteilig geplant, fortentwickelt und verwertet werden. Forschergruppen 34 Vgl. dazu: Norbert Wimmer und Wolfgang Mederer, Das Subsidiaritätsprinzip und seine Entdeckung durch die Europäische Gemeinschaft, in: Österreichische Juristen-Zeitung (1991), 586 ff.; Waldemar Hummer, Subsidiarität und Föderalismus als Strukturprinzipien der Europäischen Gemeinschaften?, in: Zeitschrift für Rechtsvergleichung, internationales Privatrecht und Europarecht (1992), 81–91.
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Raoul F. Kneucker
werden nach ihren spezifischen Leistungen und Stärken (europäisch) positioniert und für Partnerschaften gesucht oder abgelehnt; Universitäten und Forschungsstätten erhalten (europäische) Rangordnungen und sind untereinander (europäische) Konkurrenten; die nationalen Rücksichtnahmen und Schutzbarrieren fallen; in einem direkten Wettbewerb werden sich Forschergruppen international bewähren müssen. Die Politik der Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit35 wird einer der wesentlichen Aspekte auch der Forschungs- und Technologiepolitik, der Forschungs- und Technologieförderungspolitik bilden. Mit dem EWR-Abkommen wird die in Teilen bestehende „europäische Universitäts-, Forschungs- und Technologiegemeinschaft“ erneuert und systematisch weiterentwickelt.
35 Diesen Begriff hat Werner Teufelsbauer in die Diskussion eingeführt. Siehe dazu Wirtschaftspolitische Blätter (1988), Heft 5, die unter der Redaktion von Karl Steinhöfler mehrere Beiträge enthalten, die hier relevant sind: Tichy, Was ist eigentlich Wettbewerbsfähigkeit; Teufelsbauer, Wettbewerbsfähigkeit bei hohen Faktoreinkommen – Möglichkeiten und Grenzen der Wirtschaftspolitik in Österreich; Huber, Internationale Wettbewerbsfähigkeit – aus unternehmungsindividueller Sicht; Winckler, Betriebswirtschaftliche Aspekte der internationalen Wettbewerbsfähigkeit; Steinhöfler, Wettbewerbsfähige Unternehmen – Ergebnisse einer Befragung.
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Michael Gehler
Vom Friedensvertrag von Saint-Germain bis zum EU-Vertrag von Lissabon Österreichs Weg in die Europäische Union mit seiner langen Vorgeschichte (1919–2009)
Vorbemerkung Am 1. Januar 1995 trat der Beitrittsvertrag Österreichs mit der Europäischen Union (EU) in Kraft. Dieses Datum gilt als das offizielle Datum der Republik für ihre Aufnahme in die integrierteste Staatengemeinschaft der Geschichte Europas. Acht Tage später gehörte das Land auch dem Europäischen Währungssystem (EWS) an. Beobachtend nahm es fortan an den Sitzungen der Westeuropäischen Union (WEU) teil, die man als Ergänzung zur North Atlantic Treaty Organization (NATO) zum sicherheitspolitischen Instrument der EU ausbauen wollte. Österreich wurde nicht Mitglied der atlantischen Allianz, schloss sich aber der NATO-Partnerschaft für den Frieden („Partnership for Peace“, PfP) an. Das Jahr 1995 sollte also einen Einschnitt für die bisherige Außen- und Europapolitik Österreichs bedeuten: Mit dem EU-Beitrittsvertrag hatte das Land nach 1955 nicht nur einen „neuen Staatsvertrag“ erhalten, sondern sah sich auch mit neuen außenpolitischen Herausforderungen und sicherheitspolitischen Orientierungen konfrontiert. Dies war besonders mit Blick auf die anhaltenden Konflikte, Krisen und Kriege am Balkan sowie auch hinsichtlich der folgenden EU-Erweiterungen der Fall. Seit 1973 gehörten mit Irland und seit der „EFTA-Neutralen-Erweiterung“1 1995 auch neben Österreich mit Schweden und Finnland vier bündnislose Staaten der EU an, ohne dass diese formell ihre Neutralität aufgegeben oder gar feierlich darauf verzichtet hätten. Ihr außenpolitischer Status wurde zwar für obsolet gehalten. Es sollte sich aber zeigen, dass eine Politik der Allianzfreiheit und der bewussten Kern-Neutralität erhalten bleiben sollte und durchaus sinnvoll sein konnte. Österreichs Verhältnis zu Europa und zur europäischen Integration2 ist vor einem größe1 Christopher Preston, Enlargement and Integration in the European Union, London/New York 1997, 87–109; Markus Grädel, Vereint marschieren – getrennt schlagen! Die Schweiz, Österreich, Norwegen und Schweden zwischen EWR und Beitritt zur Europäischen Union, Bern/Stuttgart/Wien 2007, 122–139. 2 Michael Gehler, Der lange Weg nach Europa. Österreich vom Ende der Monarchie bis zur EU, Bd. 1: Darstellung, Innsbruck/Wien/München/Bozen 2002; ders., Der lange Weg nach Europa. Österreich von Paneuropa bis zum EU-Beitritt, Bd. 2: Dokumente, Innsbruck/Wien/München/Bozen 2002; Michael Gehler, Vom MarshallPlan bis zur EU. Österreich und die europäische Integration von 1945 bis zur Gegenwart, Innsbruck/Wien/ Bozen 2006; Michael Gehler, Österreichs Weg in die Europäische Union, Innsbruck/Bozen/Wien 2009.
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Michael Gehler
ren historischen Hintergrund3 besser zu verstehen. Es war sowohl 1918 als auch 1945 weder wirtschaftlich unterentwickelt noch geografisch peripher gelegen, sondern lebensfähig, industrialisiert und im Zentrum Europas. Dieses überlebensnotwendige Potenzial wurde so aber nicht immer gesehen, vor allem in der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Es dominierte das Trauma vom dramatischen Verlust des Großmächtestatus der k. u. k. Monarchie. Im Zuge der zusammengefallenen Donaumonarchie4 entwickelte sich ein Bewusstsein von der angeblichen Lebensunfähigkeit des übrig gebliebenen kleinen Österreichs.5 Der Friedensvertrag von Saint-Germain, den Staatskanzler Karl Renner am 10. September 1919 zu unterzeichnen hatte, wurde als „Diktat“ empfunden. Tatsächlich war er ein solches, denn der neue Staat hatte sich in seiner Verfassung den Namen „Deutschösterreich“ gegeben und wollte die Vereinigung mit Deutschland, wie es die provisorische Nationalversammlung am 30. Oktober 1918 beschlossen hatte. „Deutschösterreich“ wollte und sollte Bestandteil der „Deutschen Republik“ sein. Der 1918/19 nahezu allseits gewünschte „Anschluss“ wurde jedoch durch die Siegermächte des Ersten Weltkriegs untersagt. Die Erste Republik Österreich war mit diesem alliierten Beschluss zur Eigenstaatlichkeit und Selbstständigkeit gezwungen. Sie erlebte finanzielle, wirtschaftliche und politische Krisen in den 1920er-Jahren, die auch zu Bürgerkriegen (1927 und 1934) führten. Österreichs Schicksal war mehr als ungewiss. 1938 folgte der „Anschluss“ an Hitler-Deutschland und Österreich verschwand von der politischen Landkarte. In den alliierten Planungsstäben war die Frage seiner Wiederherstellung und Fortexistenz nach dem Zweiten Weltkrieg ungeklärt. Das Land wurde wie Deutschland vierfach besetzt und musste schließlich seit Kriegsende zehn Jahre auf die Klärung dieser existenziellen Frage warten. Erst 1955 wurde es von den Besatzungsmächten frei, weil es gesellschaftlich und wirtschaftlich westorientiert war sowie eine Politik der „immerwährenden“ Neutralität zwischen West und Ost versprach. Dieser Status war lange Zeit nur mit Freihandel und nicht mit Marktintegration vereinbar.6 Die dauerhafte Trennung von Deutschland war eine conditio sine qua non.7 Dafür musste und sollte das Land stärker in Europas Institutionen eingebunden werden.
3 Thomas Angerer, Quelle Europe pour quelle Autriche? Grandes questions autour d’un petit pays, in: Michel Dumoulin/Geneviève Duchenne (Hrsg.), Les petits États et la construction européenne. Actes de la VIIe Chaire Glaverbel d’études européennes 2001–2002 (Actes de la Chaire Glaverbel d’études européennes 2), Bruxelles/ Bern/Berlin/Frankfurt/Main/New York/Oxford/Wien 2002, 181–208, hier 183–199. 4 Manfried Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg, Graz/Köln/ Weimar 1993. 5 Ein Klassiker auf diesem Gebiet ist Hellmut Andics, Der Staat, den keiner wollte. Österreich 1918–1938, Wien 1962, siehe auch Friedrich Weissensteiner, Der ungeliebte Staat. Österreich zwischen 1918 und 1938, Wien 1990. 6 Michael Gehler, Austria and European Integration, 1947–1960: Western Orientation, Neutrality and Free Trade, in: Diplomacy & Statecraft Vol. 9 (1998), No. 3, 154–210. 7 Michael Gehler, Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts, 2 Bde., Innsbruck/Wien/Bozen 2005, 23–27.
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Vom Friedensvertrag von Saint-Germain bis zum EU-Vertrag von Lissabon
I. Historische Wurzeln und Vorläufer: Österreichs Position in Europa – vom Ende der Monarchie bis zum Exil 1918–1945 Zwischen Anschlussbestrebungen an Deutschland sowie Mitteleuropa- und PaneuropaIdeen bewegte sich Österreichs Außenpolitik nach dem Ende der k. u. k. Monarchie: Hinzu traten eine pragmatische, prowestliche Völkerbundanleihe-Politik unter formeller Wahrung der Unabhängigkeit mit national-österreichischen Überlebensstrategien bis hin zu bewusst erwogenen eigenstaatlichen Neutralitäts- und Neutralisierungskonzeptionen, die als Alternativen zur Anschluss- bzw. Donauraumpolitik zwar von französischer Seite ins Spiel gebracht und öffentlich diskutiert wurden, aber nicht zum Zuge kamen.8 Die Aussage des französischen Außenministers Stéphan Pichon bei einer Pressekonferenz am 16. März 1919 kam einem offiziellen Neutralitätsangebot gleich.9 Die Gelegenheit blieb ungenutzt und die Initiative verlief im Sande, wie Thomas Angerer gezeigt hat. Bei den Friedensverhandlungen 1919 spielte sie keine Rolle. Es folgte die für Österreich erzwungene Unterzeichnung des Vertrags von Saint-Germain-en-Laye am 10. September 1919. Einem Staatsvertrag sollten die Genfer Protokolle im Rahmen des Völkerbundes vom 4. Oktober 1922 gleichkommen, die neben der Gewährung einer Anleihe von 650 Millionen Goldkronen die staatliche Unabhängigkeit Österreichs im Sinne des Artikels 88 des Vertrags von Saint-Germain zusicherten, womit ein zwanzigjähriger Verzicht auf den Anschluss festgeschrieben war. Die rasche Aufnahme Österreichs in den Völkerbund am 16. Dezember 1920 bot keinen identitätsstiftenden Ersatz für den Verlust des Reiches und das Anschlussverbot. Die als „Bund der Sieger“ abqualifizierte Genfer Organisation wurde überwiegend mit der heftig umstrittenen Pariser Friedensordnung assoziiert. Deutschland schloss sich erst am 8. September 1926 der „Gesellschaft der Nationen“ an, wie der Völkerbund auch korrekter in seiner französischen Bezeichnung „Societé des Nations“ hieß.10 1. Im Ringen um Souveränität und Unabhängigkeit: Zwischen Anschluss-, Mitteleuropa- und Paneuropa-Ideen 1918–1938 Österreichs Außenpolitik erlebte von 1918 bis 1938 eine Abfolge verschiedener Abhängigkeiten. Nur von Juli 1928 mit der Aufhebung aller finanzpolitischen Kontrollen des 8 Stephan Verosta, Das französische Angebot der dauernden Neutralität an Österreich im Jahre 1919, in: Emanuel Diez/Jean Monnier/Jörg O. Müller/Heinrich Reimann/Luzius Wildhaber (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Bindschedler zum 65. Geburtstag, Bern 1980, 58–63, hier 59. 9 Thomas Angerer, Frankreich und die Österreichfrage. Historische Grundlagen und Leitlinien 1945–1955, Universität Wien phil. Diss. 1996, 70; Susanne Mierl, La question d’Autriche. Die französische Österreichpolitik und die Anschlussfrage (1918–1922), in: Zeitgeschichte 27 (2000), Heft 2, 67–86, hier 68–69. 10 Matthias Schulz, Deutschland, der Völkerbund und die Frage der europäischen Wirtschaftsordnung 1925– 1933 (Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte Bd. 19), Hamburg 1997, S. 75.
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Michael Gehler
Völkerbundes bis zum Mai 1931 mit dem Zusammenbruch der Creditanstalt (CA) besaß sie Handlungsfreiheit, wie Arnold Suppan festgehalten hat. Vorher war der Staat von Nahrungsmittel- und Kohlelieferungen der Westmächte und der Länder der Kleinen Entente (Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien) abhängig, musste die strengen Vertragsbestimmungen von Saint-Germain einhalten und ab 1922 die rigiden Bedingungen der Genfer Völkerbundanleihe erfüllen. Mit der CA-Krise wurde der Staat seiner finanzpolitischen Oberhoheit wieder verlustig und geriet ab 1932/33 in neue und wachsende politische Abhängigkeiten vom faschistischen Italien und nationalsozialistischen Deutschland.11 Die überwiegende Mehrheit der politischen Kräfte Österreichs betrachtete nach 1918/19 den politischen oder zumindest wirtschaftlichen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich als Zukunftsperspektive.12 Für Bundeskanzler Ignaz Seipel13 ging es zuerst um Wahrung der territorialen Integrität und die Verhinderung einer Aufteilung des Landes. Österreichs Unabhängigkeit sollte aber nicht dazu führen, „eine Tür zuzuschlagen, durch die eines Tages der Weg in eine freiere, größere Zukunft führen kann“. Die Österreicher waren seiner Auffassung nach „Großstaatmenschen“, nicht willens, auf kleinem Raum ein österreichisches Nationalbewusstsein zu pflegen.14 Seipel war von 1923 bis 1929 auf der Suche nach einer gesamtmitteleuropäischen Politik. Die Notwendigkeit der Wiederherstellung einer übernationalen Klammer für die durch viele neue Minderheitenfragen belastete Nachkriegsordnung war ihm bewusst, wenn er am Mitteleuropa-Gedanken als noch lebendige „Einheit im Bewusstsein der europäischen Völker“ festhielt. Österreich sollte am Wiederaufbau einer mitteleuropäischen Friedensordnung mitwirken. Seipels Überlegungen kreisten um die Frage einer „wiedererstandenen Monarchie“, eines „mitteleuropäischen Kaiserreiches“ und eines „Großösterreichs“, welches das „Großdeutschland“ in seinem Sinne widerspiegelte. Sphinxhaft blieb sein Verhalten in der „Lebensfrage“: Auf den Anschluss legte er sich nicht fest. Aus politischem Kalkül sprach er davon, sei es, um Deutschland und dem großdeutschen Koalitionspartner den Unterschied zwischen „Anschluss“ und „Annexion“ zu verdeutlichen oder mit Blickrichtung auf andere Länder, um diese über das weitere Schicksal Österreichs im Ungewissen zu lassen. Der Anschluss war in Seipels Strategie nur ein letzter Ausweg, falls sich die erwähnte „höhere Aufgabe“ für Österreich als undurchführbar erweisen und das europäische Mächtesystem den Minderheiten in Europa keine wirksamen Garantien für ihr Überleben gewähren sollte. Die liberal-bürgerliche Neue Freie Presse 11 Arnold Suppan, Jugoslawien und Österreich 1918–1938. Bilaterale Außenpolitik im europäischen Umfeld (Veröffentlichungen des österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts XIV), Wien/München 1996, 117. 12 Hermann J. W. Kuprian, Aspekte zum deutsch-österreichischen Verhältnis in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie, in: Österreich in Geschichte und Literatur 37 (1993), Heft 1, 1–18, hier 17. 13 Michael Gehler, Seipel, Ignaz, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23, hrsg. v. d. Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2010, 196–197. 14 Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. Staatsmann einer Krisenzeit, Graz/Wien/Köln 1976, 247–248.
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kommentierte 1929 Seipels Abtritt von der politischen Bühne als „Verlust des Ausblicks ins Europäische“. Der Demissionierende hatte inzwischen von den übernationalen Ambitionen für Österreich Abstand genommen und geschlussfolgert, dass die Neutralität der Schweiz seinem Land als Modell nützlich sein könne.15 Seipels Nachfolger Johannes Schober16 ersann 1930/31 gemeinsam mit dem deutschen Außenminister Julius Curtius eine deutsch-österreichische Zollunion, was durch eine Wiener Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangte, den Widerstand Frankreichs und der Tschechoslowakei hervorrief und scheiterte.17 Für den Begründer der Paneuropa-Union, Richard N. Coudenhove-Kalergi, „Botschafter Europas“ (Anita Ziegerhofer-Prettenthaler)18 konnte die Einigung des Kontinents nur schrittweise verwirklicht werden. Das deutsch-österreichische Zollunionsprojekt beurteilte er positiv, welches den Garantiemächten des Völkerbundes (Frankreich, Großbritannien, Italien) keine Einspruchsmöglichkeiten mehr geboten hätte, um Österreich von jeglicher wirtschaftlichen oder finanziellen Bindung fernzuhalten, welche geeignet gewesen wäre, seine Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Die Unabhängigkeitsformel der Genfer Protokolle sollte die Zollunion formaljuristisch zum Scheitern bringen. Hinzu kam die Wirtschaftskrise mit dem Zusammenbruch der CA, der neue ausländische, v. a. französische Finanzmittel notwendig machte. Österreich zog das Zollunionsvorhaben am 3. September 1931, noch vor dem Schiedsspruch des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag vom 5. September, zurück.19 Das Abstimmungsergebnis der Richter des IGH gegen die Vereinbarkeit mit den Genfer Protokollen fiel mit einer Stimme Mehrheit (8:7) sehr knapp aus. Das Zollunionsprojekt bereitete der Aktion des französischen Ministerpräsidenten Aristide Briand mit seinem Memorandum vom 17. Mai 1930 und seinem Plan vom 1. Oktober 15 Klemperer, Seipel, 111–113. 16 Michael Gehler, Schober, Johannes, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23, hrsg. v. d. Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2007, 347–348. 17 Die Indiskretion erfolgte bezeichnenderweise durch die Neue Freie Presse in Wien. Vgl. zur Kritik von österreichischer Seite an der Zollunionsidee: Frank Wittendorfer, Industrie, Banken, Politiker und Verbände in Österreich im Widerstand gegen die Wirtschaftspolitik des Jahres 1931. Dargestellt am Beispiel des deutschösterreichischen Zollunionsprojekts, phil. Diss. Universität Innsbruck 1986; Rolf Steininger, „[…] Der Angelegenheit ein paneuropäisches Mäntelchen umhängen […]“. Das deutsch-österreichische Zollunionsplanprojekt von 1931, in: Michael Gehler/Rainer F. Schmidt/Harm-Hinrich Brandt/Rolf Steininger (Hrsg.), Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung. Historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert (Historische Mitteilungen der Leopold von Ranke-Gesellschaft, Beiheft 15), Stuttgart 1996, 441–478. 18 Anita Ziegerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi und die Paneuropa-Bewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren, Wien/Köln/Weimar 2004. 19 Dieter Stiefel, Die große Krise in einem kleinen Land. Österreichs Finanz- und Wirtschaftspolitik 1929–1938 (Studien zu Politik und Verwaltung 26), Wien/Köln/Graz 1988; ders., Finanzdiplomatie und Weltwirtschaftskrise. Die Krise der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe 1931 (Schriftenreihe des Instituts für Bankhistorische Forschung 12), Frankfurt/Main 1989,150 ff.
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1930 für eine engere Verbindung der europäischen Staaten („L’organisation d’un régime d’union fédérale européenne“), welches mit französischer Dominanz in Europa zur Kontrolle Deutschlands diente, den Garaus, stoppte die deutsch-französische Verständigungspolitik und bereitete der Locarno-Ära ein Ende.20 Nach Scheitern des Zollunion-Plans und der neuerlichen Völkerbundanleihe von Lausanne 1932 versuchten die Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg21 ihre Strategie des Offenhaltens von außenpolitischen Optionen fortzusetzen. Der „Ständestaat“ assoziierte sich mit der „Paneuropa-Union“ Coudenhove-Kalergis jedenfalls nach außen und identifizierte sich mit ihr scheinbar. Ihre Zielsetzungen und die der autoritären Diktatur schienen deckungsgleich: Erhaltung der Unabhängigkeit des Landes, verbunden mit der Pflege von Österreichs „europäischer Mission“ im Donauraum. Coudenhove-Kalergis Paneuropa-Union wollte dazu beitragen, den ideologischen und politischen Einfluss des Nationalsozialismus zurückzudrängen und Österreich gegen deutsche Penetrationsabsichten zu immunisieren. Der Paneuropa-Gedanke erhielt damit auch staatstragende Bedeutung. Er sollte identitätstiftend für Österreich wirken, führte aber zu weiterer innenpolitischer Polarisierung zwischen Regierung und Opposition (Kommunisten, Sozialdemokraten, Nationalsozialisten).22 Donauföderations- oder Zollunionspläne mit der Tschechoslowakei und Ungarn bewegten sich weiterhin im Schatten der Position „keine Kombination ohne Deutschland“, jenem verhängnisvollen Diktum Seipels, das die Ballhausplatz-Diplomatie belastete, ja paralysierte und faktisch Optionslosigkeit bedeutete und auf Unbeweglichkeit hinauslief. Davon profitierten die Nationalsozialisten, die im Zeichen des verführerischen Mottos „Großdeutschland“ trotz aller paneuropäischer Ausfluchtmanöver der Bundesregierung auf eine Bilateralisierung der Beziehungen und damit auch auf eine Isolierung Österreichs hinarbeiteten.23 Vom verhängnisvollen Abkommen mit NS-Deutschland am 11. Juli 193624 war der Weg zur Einverleibung in das Hitler-Reich nicht mehr weit. Am 12. März 1938 sollte Österreich an NS-Deutschland „angeschlossen“ werden.25 20 Angerer, Frankreich und die Österreichfrage, 212–219, hier 215. 21 Anton Hopfgartner, Kurt Schuschnigg. Ein Mann gegen Hitler, Graz/Wien/Köln 1989; Michael Gehler, Schuschnigg, Kurt, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23, hrsg. v. d. Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2007, 766–767. 22 Michael Gehler, Richard Coudenhove-Kalergi, Paneuropa und Österreich 1923–1972, in: Demokratie und Geschichte. Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich, hrsg. v. Helmut Wohnout, 2 (Wien/Köln/Weimar 1998), 143–193. 23 Gerald Stourzh, Die Außenpolitik der österreichischen Bundesregierung gegenüber der nationalsozialistischen Bedrohung, in: Gerald Stourzh/Birgitta Zaar (Hrsg.), Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des „Anschlusses“ vom März 1938 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs 16), Wien 1990, 319–346, hier S. 331. 24 Gabriele Volsansky, Pakt auf Zeit. Das Deutsch-Österreichische Juli-Abkommen 1936, Wien 2001. 25 Norbert Schausberger, Der Griff nach Österreich. Der „Anschluss“, Wien/München 1988 (3. Auflage); Gerhard Botz, Der ambivalente „Anschluss“ 1938/39. Von der Begeisterung zur Ernüchterung, in: Zeitgeschichte 6 (1978/79), 91–109.
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Die seit 1920 bestehende Mitgliedschaft im Völkerbund hatte keinen ausreichenden Schutz dagegen geboten. Die europäischen Siegermächte hatten sich zwar auf der Konferenz von Stresa vom 11. bis 14. April 1935 im Falle einer Verletzung des österreichischen Territoriums zu Konsultationen bereitgefunden, fühlten sich dadurch aber nicht gezwungen, zugunsten Österreichs militärisch zu intervenieren. Durch die Bekenntnisse und die Unterstützung von Dollfuß und Schuschnigg erfuhr die Paneuropa-Union in Österreich eine Aufwertung im christlich-konservativen und bürgerlichen Gesellschaftsspektrum Europas. Gleichzeitig vertiefte sich die Kluft zur Sozialdemokratie, woraus sich im Exil und in der Nachkriegszeit für Coudenhove und sein PaneuropaProjekt unüberwindbare Akzeptanz- und Legitimationsprobleme ergaben. 2. Im Zeichen des Ringens um die Existenz und Wiederherstellung des Staates: Bescheidenes Europa-Engagement im österreichischen Exil 1933/38–1945 In der Emigration bestanden die politischen Gegensätze der Ersten Republik fort: Republikaner, Sozialisten und Kommunisten stellten sich gegen Monarchisten; Demokraten gegen Verfechter eines autoritären Kurses; Sozialisten aller Schattierungen gegen Kommunisten etc. Eine österreichische Exilregierung kam vor diesem Hintergrund nicht zustande. Fehlende Kommunikation mit dem sowjetischen Exil und die Unentschiedenheit der Westmächte über die Zukunft Österreichs traten als Erschwernisse hinzu. Sie diskutierten über Österreich als Teil eines demokratischen Deutschlands, einer süddeutschen Staatenvereinigung oder einer Donauföderation. Der Beitrag des österreichischen Exils selbst zur Nachkriegsplanung Europas war bescheiden. Konservative und katholische Widerstands- und Exilgruppen hingen zumeist großösterreichischen Vorstellungen an, die Kommunisten propagierten im Rahmen der Kommunistischen Internationale (Komintern) (1919–1943) den nationalen Befreiungskampf und die Wiederherstellung eines unabhängigen Österreichs. Nur kleine isolierte kommunistische bzw. linksradikale Gruppen forderten ein „Sowjet-“ oder „Räte-Europa“ bzw. eine „Union sozialistischer Staaten von Europa“.26 Monarchistische Kreise im Exil liebäugelten unter Otto von Habsburg bei offizieller Betonung der Wiedererrichtung eines selbstständigen Österreichs mit der Idee einer Restauration, also der Wiederherstellung der Habsburgermonarchie. Europapläne spielten in der österreichischen Emigration vor und während des Zweiten Weltkrieges nur eine zweitrangige Rolle. Sie waren lediglich eine Nebenfolge der Debatte, ob Österreichs nationale Souveränität wiederhergestellt werden oder ob es weiterhin Teil 26 Wolfgang Neugebauer, Ideas of the Austrian Resistance on Postwar Europe, in: Walter Lipgens (Hrsg.), Documents on the History of European Integration, Volume 1: Continental Plans for European Union 1939–1945 (European University Institute, EUI Studies, Series B, History I.I.), Florenz/Berlin/New York 1985, 203–214, hier 203; ders., Vom europäischen Widerstand zur Europäischen Union, in: Jahrbuch 1998 des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, Wien 1998, 46–57, hier 52.
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eines größeren Ganzen sein sollte. Die Auseinandersetzung um ideologisch-gesellschaftspolitische Fragen überlagerte Vorstellungen von der zukünftigen außen-, bündnispolitischen sowie staats- und völkerrechtlichen Rolle Österreichs und Europas. Die Exilgruppen warfen zwar die Österreichfrage immer wieder auf und riefen sie damit den Alliierten ins Gedächtnis. Die internen Auseinandersetzungen wurden aber teilweise so heftig geführt, dass die Regierungen der Exilländer sich an die Bürgerkriegszeiten erinnerten.27 Die Moskauer Deklaration der Anti-Hitler-Koalition vom 1. November 194328 proklamierte ein unabhängiges Österreich, wenngleich sie damit primär propagandistische und kriegspsychologische Ziele verfolgte. Verbindliche Absprachen zwischen den verschiedenen weltanschaulichen Lagern im Exil über die zukünftige Außen- und etwaige Bündnispolitik eines souveränen Österreichs fanden ebenso wenig statt wie über die zukünftigen völkerrechtlichen Beziehungen zu Krieg führenden Staaten (Bündniskombinationen, Neutralität etc.). Die Differenzen über die österreichische Unabhängigkeit – Exilsozialisten verfochten vereinzelt noch nach der Moskauer Deklaration eine „gesamtdeutsche Revolution“ im Rahmen einer europäischen sozialistischen Revolution – zeigten, wie nachhaltig der groß- bzw. gesamtdeutsche Gedanke aus der Ersten Republik wirkte, wie tief er v. a. im linken Lager verankert und wie wenig gefestigt die Vorstellung von einer „österreichischen Nation“ war.29 Die politischen Divergenzen im österreichischen Exil über diese Frage wirkten anachronistisch. Sie wurden durch den weiteren Verlauf des Krieges hinfällig. Die große sozialistische Europa-Revolution fand nicht statt. Die Anschlusskonzeption hatte im bürgerlichkonservativen und monarchistischen Kreisen kaum Anhänger. Coudenhove-Kalergi hielt während des Krieges und danach an der in den 1930er-Jahren entwickelten Idee eines eigenständigen Österreichs fest.
II. Hintergründe, Motive und Weichenstellungen: Österreichs Haltung zum gemeinschaftlichen Europa nach 1945 Über die Zukunft Österreichs entschieden nach 1945 die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs. Es verdankte seine Existenz dem Wunsch der Alliierten nach Herauslösung seines Territoriums aus dem deutschen Herrschaftsverband, was die „Großen Drei“ in der Mos-
27 Gehler, Der lange Weg nach Europa, Bd. 1, 72–117. 28 Robert H. Keyserlingk, Austria in World War II. An Anglo-American Dilemma, Kingston/Montreal 1988. 29 Andreas Hillgruber, Das „Anschluss“-Problem (1918–1945) aus deutscher Sicht, in: ders., Die Zerstörung Europas. Beiträge zur Weltkriegsepoche 1914 bis 1945, Berlin 1988, 121–136, hier 132–134; Helmut Konrad, Linksgerichteter Widerstand und Mitteleuropa 1939–1941, in: Richard G. Plaschka/Horst Haselsteiner/Arnold Suppan/Anna M. Drabek/Birgitta Zaar (Hrsg.), Mitteleuropa-Konzeptionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Historische Kommission, Zentraleuropa-Studien 1), Wien, 359–368, hier 365.
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kauer Deklaration (1943) postuliert hatten.30 Österreich wurde zwar am 8. Mai 1945 vom Nationalsozialismus befreit, es blieb aber bis zum 26. Oktober 1955 besetzt.31 In Wien hatte sich am 27. April 1945 eine provisorische Regierung unter Karl Renner etabliert, die christliche Demokraten, Sozialisten und Kommunisten umfasste. Daraus erwuchs ab 1947 die ohne die Kommunistische Partei (KPÖ) fortbestehende Große Koalition, die bis 1966 Bestand hatte, von 1987 bis 2000 und ab 2007 bis zuletzt wiederaufleben sollte. Wirtschaftlich war Österreich wie nach 1918 wieder von ausländischer Finanz- und Wirtschaftshilfe abhängig. Die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) und das European Recovery Program (ERP) steuerten Hilfen und Mittel bei, die den ökonomischen Rekonstruktions- und den politischen Konsolidierungsprozess erheblich beförderten. Den sowjetischen Zugriff auf das „deutsche Eigentum“ in ihrer Zone in Österreich (Teile Oberösterreichs, Niederösterreich, Burgenland und einer Zone in Wien) versuchte die Bundesregierung mit Verstaatlichungspolitik zu begegnen, womit nur zu einem geringen Teil den russischen Beschlagnahmungen Einhalt geboten werden konnte. Aus der Not der Zeit geboren war nicht nur die Große Koalition zwischen den stärksten Parteien, der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ), sondern auch die enge Zusammenarbeit zwischen den Interessenverbänden, Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Rahmen der „Sozialpartnerschaft“. 1. Zur Erreichung der Souveränität: Handels- und wirtschaftspolitische Westorientierung statt militärischer und supranationaler Westintegration 1945–1955 Das Souveränitätsstreben Österreichs war allen anderen politischen Vorstellungen, Ansprüchen und Zielen übergeordnet – auch mit Blick auf die Chancen und Verlockungen, die jene supranationale Dimension der westeuropäischen Integration beginnend mit dem SchumanPlan bot. Parallel erfolgte dennoch eine unterschiedlich intensivierte, sukzessiv betriebene und immer weiter ausbaufähige Politik der ökonomischen Westorientierung, die in forcierter Form mit dem EU-Beitritt 1995 ihren vorläufigen Abschluss fand.32 Aus Besetzung, Wirtschaftsnot und fehlender Handlungsfreiheit resultierten nach dem Zweiten Weltkrieg spezifische Anliegen der österreichischen Außenpolitik. Es ging hauptsächlich um die Wiedererlangung von staatlicher und nationaler Unabhängigkeit. Der Wunsch nach Abzug der Truppen war „das primäre Ziel aller österreichischen Bemühungen“ (Gerald Stourzh).33 Hinzu trat das Verlangen nach Bewahrung der territorialen Inte30 Michael Gehler, Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts, 2 Bde., Innsbruck/Wien/Bozen 2005, 23–27. 31 Günter Bischof, Allied Plans and Policies for the Occupation of Austria, 1938–1955, in: Rolf Steininger/Günter Bischof/Michael Gehler (Eds.), Austria in the Twentieth Century (Studies in Austrian and Central European History and Culture), New Brunswick/London/London 2002, 162–189. 32 Gehler, Der lange Weg, 2 Bde. 33 Gerald Stourzh, Die Sicherung der österreichischen Unabhängigkeit als Thema der Staatsvertragsverhandlun-
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grität, wobei zunächst die Forderung nach Rückkehr Südtirols, das nach 1918 zu Italien geschlagen worden war, einen hohen Stellenwert in den Jahren 1945/46 besaß. Die Instrumentalisierung des „Opferstatus“ durch Österreich wurde betont,34 wenngleich dieses Verlangen viel eher Mittel zum Zweck als ein Ziel schlechthin war: Es ging nach 1945 um Abgrenzung und Emanzipation von Deutschland35 sowie um die Entwicklung einer Österreich-spezifischen Staatsideologie. Alles sollte zur Sicherung der Existenzbedingungen des Staates und seiner Bevölkerung unternommen werden.36 Die Befreiung von außenpolitischer Isolation, die Reaktivierung des Außenhandels und die Reintegration in die (westliche) Staatengemeinschaft waren die Hauptanliegen: Österreich betrieb daher nicht nur eine auf ein Arrangement mit den Besatzungsmächten abzielende Politik, sondern auch Re-Emanzipationsversuche auf nachbarschaftspolitischen und multilateralen Feldern.37 Die Gründungsmitgliedschaft in der auf Regierungszusammenarbeit basierenden Organization of European Economic Cooperation (OEEC) 1948 war demzufolge zwingend. Sie bot ein ideales Forum zur Profilierung der außen- und europapolitischen Interessen Österreichs und zur schrittweisen Liberalisierung des Handels- und Zahlungsverkehrs. Als Teilnehmer am Marshallplan38 und ERP-Mittel-Empfänger (1948–1953) eines von der Sowjetunion teilweise besetzten Landes war Österreich ein „special case“.39 Österreich blieb aber nur bedingt ein integrationspolitischer Sonderfall. Seit 1952/53 wurde die Option der Allianzfreiheit erwogen. Der von den vier Siegermächten unterzeichnete Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 war ein gewichtiges Argument gegen weitere Integration, weil dessen Artikel 4 jede Form der politischen oder wirtschaft-
gen, in: Zeitgeschichte 2 (1975), 183–191; ders., Geschichte des Staatsvertrages 1945–1955. Österreichs Weg zur Neutralität, Graz/Wien/Köln 1985; ders., Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955 (Studien zu Politik und Verwaltung 62), Wien/Köln/Graz, 5. Auflage 2005. 34 Günter Bischof, Die Instrumentalisierung der Moskauer Erklärung nach dem 2. Weltkrieg. In: Zeitgeschichte 20 (1993), Heft /11/12, 345–366. 35 Michael Gehler, „Kein Anschluss, aber auch keine chinesische Mauer“. Österreichs außenpolitische Emanzipation und die deutsche Frage 1945–1955, in: Alfred Ableitinger/Siegfried Beer/Eduard G. Staudinger (Hrsg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945–1955 (Studien zu Politik und Verwaltung 63), Wien/Graz/ Köln 1998, 205–268. 36 Michael Gehler, „Die Besatzungsmächte sollen schnellstmöglich nach Hause gehen“. Zur österreichischen Interessenpolitik des Außenministers Karl Gruber 1945–1953 und zu weiterführenden Fragen eines kontroversen Forschungsprojekts, in: Christliche Demokratie 11 (1994), Heft 1, 27–78. 37 Klaus Fiesinger, Ballhausplatz-Diplomatie 1945–1949. Reetablierung der Nachbarschaftsbeziehungen und Reorganisation des Auswärtigen Dienstes als Formen außenpolitischer Reemanzipation Österreichs, tuduvStudien (Reihe Politikwissenschaften 60), München 1993, 410–416. 38 Wilfried Mähr, Der Marshallplan in Österreich, Graz/Wien/Köln 1989. 39 Michael Gehler, Vom Marshall-Plan bis zur EU. Österreich und die europäische Integration von 1945 bis zur Gegenwart, Innsbruck/Wien/Bozen 2006, 36–45.
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lichen Vereinigung mit Deutschland untersagte. Die „immerwährende Neutralität“ – gemäß Moskauer Memorandum vom 14. April 1955, eine Verwendungszusage Österreichs an die UdSSR nach Schweizer Muster40 – kam noch hinzu. In der Praxis wich Österreich aber stark vom Schweizer Modell ab und erlaubte sich eine flexiblere und offensivere Europa- und Integrationspolitik. Mit der erfolgreich gewählten Option „Neutralität“ schien sich ab 1955 das Dilemma österreichischer Europa- und Integrationspolitik aufzulösen, wobei Verzicht auf supranationale Integration 1953/54 noch als Vorleistung gegenüber der sowjetischen Staatsvertragspolitik diente. In der Außen- und Innenpolitik Österreichs bestand aber zwischen integrationspolitischen Herausforderungen und Zielsetzungen einerseits sowie souveränitätspolitischen Grundsätzen und neutralitätspolitischen Anliegen andererseits das Spannungsverhältnis fort. Österreich hatte daher einen schwierigen Balanceakt zu bestehen.41 Seine Haltung war nach 1945 vielfach Ausdruck eines teils erzwungenen, teils freiwilligen Verzichts auf Westintegration aus Gründen der Wahrung zunächst souveränitäts- und später neutralitätspolitischer Verpflichtungen.42 Trotzdem wollte und konnte Österreich sich nicht vom westeuropäischen Integrationsprozess, v.a. von seinen wirtschaftskooperativen Formen, völlig fernhalten, zumal man über den Marshallplan schon ein gutes Stück des Weges gemeinsam mit anderen westeuropäischen Länder gegangen war. 2. Neutralität, Beitritt zum Europarat, EGKS-Annäherung und EFTA-Gründung 1955–1960 Die „immerwährende Neutralität“ war für Österreich der „Kaufpreis für den Sowjettruppenabzug“ im „annus mirabilis“, wie es der bundesdeutsche Vertreter in Wien, Carl-Hermann Mueller-Graaf, zutreffend beurteilte.43 Dafür widersetzte sich Moskau weder der Aufnahme Österreichs in die UNO (14. Dezember 1955) noch sonderlich energisch dessen Beitritt zum Europarat (16. April 1956) – beides erfolgte im Unterschied zum „Schweizer Vorbild“. Österreichs Neutralität wurde vom außenpolitischen Sprecher der ÖVP, Lujo TončićSorinj 1958 bei den „Wiener Europagesprächen“ als „Umweg nach Europa“ interpretiert. Er 40 Christian Jenny, Konsensformel oder Vorbild? Die Entstehung der österreichischen Neutralität und ihr Schweizer Muster (Schriftenreihe der schweizerischen Gesellschaft für Außenpolitik 12), Bern/Stuttgart/Wien 1995, 161–200. 41 Siehe den Beitrag von Florian Weiß in diesem Band sowie ders., Die schwierige Balance. Österreich und die Anfänge der westeuropäischen Integration 1947–1957, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 42 (1994), Heft 1, 71–94. 42 Michael Gehler, Westorientierung oder Westintegration? Überlegungen zur politikgeschichtlichen Entwicklung Österreichs von 1945 bis 1960 im wissenschaftlichen Diskurs, in: Rudolf G. Ardelt/Christian Gerbel (Hrsg.)., Österreichischer Zeitgeschichtetag 1995. Österreich 50 Jahre Zweite Republik, 22. bis 24. Mai 1995 in Linz, Innsbruck/Wien 1996, 128–133. 43 Gehler, Der lange Weg, Bd. 2, 209–211.
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erinnerte daran, dass Österreich auch zu diesem „Opfer“ bereit sei, nämlich für ein größeres Europa einzutreten, um „die Einfügung der östlich von uns lebenden Völker in die große europäische Gemeinschaft“ mit zu gestalten.44 Er begriff Österreich als groß- und zentraleuropäisches Land. „Europa“ in seiner über den engeren Kreis der kerneuropäischen Staaten der supranationalen Integration hinausreichenden Bedeutung, wurde als Chance gesehen, der österreichischen Politik eine Funktion und dem Staatswesen auch einen europäischen Sinn und damit eine außenpolitische Legitimation zu geben. Dieses eben viel weiter als die EWG/EG gehende, vielschichtigere Europa ließ sich auch viel leichter mit „immerwährender Neutralität“ und nationaler Souveränitätsausübung vereinbaren und zur Abgrenzung von der westintegrierten Bundesrepublik und der ostintegrierten DDR verwenden. Mit der gleichen Motivation wie den Beitritt zum Europarat unterzeichnete Österreich am 13. Dezember 1957 auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) des Europarats – die Ratifizierung erfolgte am 3. September 1958.45 Mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) strebte es eine Regelung an, die am 8. Mai 1956 in Form eines Zoll- und Handelsabkommens erreicht und durch eine Vereinbarung über eine Anti-Dumping-Klausel ergänzt wurde. Daran schloss sich ein Briefwechsel zwischen Hoher Behörde und Bundesregierung vom 24./25. Juli 1956 an, der spezielle Regelungen und die Einsetzung einer permanenten Gemischten Kommission zur Klärung strittiger Preisbildungen vorsah. Dies schien das Maximum an Integration im Kohleund Stahlbereich. Während der politischen Krise im Nachbarland Ungarn erwogen die Regierungsspitzen um Julius Raab46 und Leopold Figl47 (beide ÖVP) im Herbst 1956 zeitweise sogar die Kandidatur für eine Vollmitgliedschaft in der Montanunion, deren Staaten gerade im Begriffe waren, über einen „Gemeinsamen Markt“ zu verhandeln, der zur EWG führen sollte. Österreich ein Gründungsmitglied der EWG? Die Ankündigung der Bundesregierung am 23. und 24. Oktober 1956 der angestrebten EGKS-Vollmitgliedschaft – Außenminister Figl im Straßburger Europarat und Bundeskanzler Raab während seines Besuchs in der Bundesrepublik – belehrte eines anderen. Konnte Wien wirklich so weit gehen? Und wollte es dann plötzlich doch nicht mehr weiter gehen? Die Bundesregierung hatte mit der bemerkenswerten Aktion den vorhandenen integrationspolitischen Handlungsspielraum auszuloten und mit dem geplanten Beitrittsantrag für 1957 bis an die äußerste Grenze zu gehen versucht. Neben zu befürchtenden sowjetischen Vorbehalten gab es aber auch zu hohe Stahlpreise in der Montanunion, die Wien zum Rückzug veranlasst haben sollen. Sie lagen 20 bis 30 % über den Inlandspreisen, die zugunsten der weiterverarbeitenden Industrie hoch subventio44 Gehler, Vom Marshall-Plan zur EU, 358. 45 Waldemar Hummer (Hrsg.), Österreich im Europarat 1956–2006. Bilanz einer 50-jährigen Mitgliedschaft – 2 Teilbände (Schriftenreihe des DDr. Herbert Batliner-Europainstitutes, Forschungsinstitut für Europäische Politik und Geschichte 12), Wien/Köln/Weimar 2008. 46 Michael Gehler, Raab, Julius, in: Neue Deutsche Biographie, hrsg. v. d. Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 21, Pütter-Rohlfs, Berlin 2003, 51–53. 47 Wolfgang J. Bandion/Helmut Wohnout (Hrsg.), Leopold Figl für Österreich, Wien [2012].
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niert waren und bei einem Beitritt entsprechend gestiegen wären und auch Löhne und Preise anderer Wirtschaftsbranchen hochgetrieben hätten. Das Beispiel – offiziell dokumentiertes Interesse für den Beitritt zu einer supranationalen Organisation – zeigt, dass die Grenzen des integrationspolitischen Handlungsspielraums nicht nur durch Neutralitätsvorbehalte, Staatsvertragsloyalität und Rücksichtnahme auf die UdSSR, sondern auch durch innenpolitische Rücksichtnahmen vorgezeichnet waren. Es war eine Mitwirkungs-Absichtserklärung mit Blick auf den „Gemeinsamen Markt“. Die EWG war für Österreich wichtiger als die EGKS. Nach Ansicht des Verfassers waren es in der Hauptsache die Ereignisse in Ungarn, v. a. im Zuge der zweiten sowjetischen Intervention vom 4. November 1956, die dazu führten, dass die EGKS-Beitrittsankündigung nicht weiter verfolgt wurde. Die lohn- und preispolitischen Bedenken, d. h. sozialpartnerschaftliche Rücksichtnahmen, spielten zwar auch eine Rolle, waren aber nicht entscheidend für das Stillhalten. Dennoch sollte Österreich den Beitritt zu den Gemeinschaften als Ziel nicht aus den Augen verlieren. Bundesdeutsche Beobachter in Wien vermerkten: „Eine solche Haltung könnte – etwa im Zeichen einer künftigen Entspannung des West-Ost-Verhältnisses in Europa – von besonders praktischer Bedeutung für die Beziehungen Österreichs zur europäischen Integration werden.“48 In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre entwickelte sich erst ein Empfinden für Sinn und Zweck der Neutralität. Sie wurde neben dem zugkräftigen Souveränitätsargument gegen die Wahrnehmung weiterer Integrationszielsetzungen ins Treffen geführt. Sowohl Raab als auch Figl dachten über einen „EWG-Anschluss“ nach. Vizekanzler Bruno Pittermann49 (SPÖ) beeinspruchte dies aber – abgesehen von ökonomischen Vorbehalten – mit den Argumenten „Neutralität“ und „Schweiz“. Das von Großbritannien 1956 vorgeschlagene Projekt einer Großen Freihandelszone aller OEEC-Staaten, dem auch Österreich hätte angehören sollen, scheiterte v.a. am Veto Charles de Gaulles 1958.50 So blieb nur mehr die Option der kleinen Freihandelszone, die European Free Trade Association (EFTA) hieß. Gemeinsam mit Dänemark, Großbritannien, Norwegen, Portugal, Schweden und der Schweiz – Finnland war nur assoziiert – unterfertigte Österreich die Stockholmer Konvention 1959, die ein Jahr darauf in Kraft trat. Die EFTA-Mitgliedschaft konnte weder dem Souveränitäts- noch dem Neutralitätspostulat schaden. Die Gründe, für die EFTA zu optieren, waren eindeutig. Die kleine Freihandelszone erschien nur als zweite Wahl. 48 Michael Gehler, Annäherung auf Raten. Österreich und die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1950–1972, in: Franz Schausberger (Hrsg.), Geschichte und Identität. Festschrift für Robert Kriechbaumer zum 60. Geburtstag, Wien/Köln/Weimar 2009, 383–452. 49 Michael Gehler, Pittermann, Bruno, in: Neue Deutsche Bibliographie, hrsg. v. d. Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 20. Band (Nauwach-Pagel), Berlin 2001, 489–490. 50 Michael Gehler, Das Scheitern der Großen Freihandelszone 1958 und die Gründung der EFTA 1959/60, in: Michael Gehler (Hrsg.) unter Mitarbeit von Andreas Pudlat, Vom gemeinsamen Markt zur europäischen Unionsbildung. 50 Jahre Römische Verträge 1957–2007. From Common Market to European Union Building./50 years of the Rome Treaties 1957–2007 (Institut für Geschichte der Universität Hildesheim, Arbeitskreis Europäische Integration, Historische Forschungen, Veröffentlichungen 5), Wien/Köln/Weimar 2009, 243–282.
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Während ÖVP-Politiker sie tendenziell nur als Übergangslösung betrachteten, konnten SPÖVertreter schon weit mehr mit ihr anfangen. Die EFTA-Option war Ausdruck des Mangels an Alternativen. Sie war eine Vernunftentscheidung und keine Herzensangelegenheit. Für nicht wenige sollte die EFTA die Chancen eines „Brückenschlags“ zur EWG erhöhen, was sich allerdings als irreal erwies. Aus österreichischer Sicht sollte die EFTA keinesfalls als Konkurrenzorganisation zur EWG fungieren, sondern bald eine Plattform zur Herstellung einer Verbindung zwischen beiden Wirtschaftsräumen ermöglichen. Mehrheitlich wurde sie von Regierungsmitgliedern als erster Schritt zur multilateralen Assoziation zwischen EWG and EFTA gesehen. Dies befürworteten alle maßgeblichen Interessengruppen (Industrie, Gewerkschaften und Landwirtschaft). Fest steht, dass die Industriellenvereinigung, die exportorientierte Wirtschaft und einflussreiche Unternehmer mit der EFTA-Mitgliedschaft nicht zufrieden waren. Die Bauernvertreter beurteilten den werdenden Agrarmarkt der EWG als attraktiv und ihren Ausschluss davon als Nachteil. Aus Sicht der großkoalitionären Bundesregierung trug die EFTA nur vorläufigen Charakter. Sie war jedenfalls mit dem Neutralitätsstatus weit mehr vereinbar als eine Teilnahme an oder Assoziation mit der EWG.51 Der Kreml sprach sich in den frühen 1960er-Jahren offen gegen eine EWG-Assoziierung aus – von einem Beitritt Österreichs gar nicht zu reden. Die Bundesregierung plädierte nicht nur aus externen, sondern aus pragmatisch-rationalen Gründen für die EFTA-Lösung. Hinzu kamen ideologische und neutralitätspolitische Erwägungen auf sozialistischer Seite, v. a. von Vizekanzler Pittermann und Bruno Kreisky. Der Außenminister hielt eine ungehemmte und uneingeschränkte Integrationspolitik mit Neutralitätspolitik für unvereinbar und lag hier auf der Linie, die ausgerechnet der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Lujo Tončić-Sorinj, in seinen Ausführungen im Nationalrat vom Dezember 1957 vorgezeichnet hatte.52 3. EWG-Assoziierungspläne und „Alleingang“ nach Brüssel 1961–1969 In den 1960er-Jahren wird das janusköpfige Geflecht von partiellen Selbstausschließungstendenzen und partiellen Einbindungswünschen Österreichs hinsichtlich der europäischen Integration besonders deutlich. Österreichs integrationspolitischer „Alleingang“ ab 1963, um zu einem „EWG-Arrangement“ zu gelangen, machte das Land im Vergleich zu den übrigen EFTA-Staaten abermals zu einem „Sonderfall“. Es zwang einmal mehr die Kommission, über Zollunionsprojekte und Assoziationsformen nachzudenken und den diesbezüglich vage gehaltenen Artikel 238 des EWG-Vertrags näher zu bestimmen. Das gemeinsame Stre-
51 Gehler, Vom Marshall-Plan bis zur EU, 81–94. 52 Oliver Rathkolb, Austria and European Integration after World War II, in: Anton Pelinka/Günter Bischof (Eds.), Austria in the New Europe (Contemporary Austrian Studies 1), New Brunswick/London 1993, 42–61, hier 49–50, 54–55; Thomas Angerer, L’Autriche précurseur ou „Geisterfahrer“ de l’Europe integrée? Réflexions dans la perspective des années 1950, in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande XXIV (1992), 553–561, hier 556–557.
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ben mit Schweden und der Schweiz nach einer EWG-Assoziierung (Dezember 1961–Januar 1963) war vorausgegangen. Der „EWG/EG-Alleingang“ (Februar 1963–Dezember 1969) bedeutete eine neue Qualität an Annäherungspolitik, die allerdings im Juni 1967 mit einem formellen Veto Italiens blockiert war. Beiden Initiativen kam zugute, dass es noch kein sonderlich ausgeprägtes Bewusstsein der Neutralität in der Bevölkerung gab und sie noch viel vom juristischen, also verfassungsrechtlichen Standpunkt wie auch vom „Vorbild“ Schweiz her interpretiert und damit als gewichtiger Hinderungsgrund für eine Intensivierung des Verhältnisses zum „Gemeinsamen Markt“ betrachtet werden konnte. Es war Außenminister Kreisky (1959–1966), der viel Wert auf eine mit der Schweiz abgestimmte Integrationspolitik legte. Er sollte sich damit nicht behaupten können, während sein Widerpart, Handelsminister Fritz Bock (ÖVP), den „Alleingang“ zur EWG betrieb. Österreich übernahm die Rolle eines eigenwilligen Vorreiters für die übrigen Neutralen. Selbst nach dem Innehalten Schwedens und der Schweiz nach de Gaulles Veto gegen eine britische EWG-Mitgliedschaft vom 14. Januar 1963, die daraufhin ihre Assoziationsanträge ruhen ließen, beharrte die Bundesregierung auf ihrem Ziel, ein Arrangement mit Brüssel zu erzielen, wobei der „Alleingang“ nach Brüssel unter den übrigen EFTA-Staaten, vor allem von Schweden und der Schweiz, aber auch von Großbritannien, skeptisch beurteilt und abgelehnt wurde.53 Der verhältnismäßig hohe Anteil am Außenhandel mit osteuropäischen Ländern – zwischen 15 und 20 % von 1950 bis 1962 – bestimmte Österreichs Position. Auf die Interessen der Sowjetunion bzw. ihrer Satellitenstaaten nahm Wien stets Rücksicht. Österreichs Außenhandel mit der EWG lag schwerpunktmäßig in der Bundesrepublik Deutschland bei durchschnittlich 30 bis über 40 % der österreichischen Importe und 20 bis 30 % der Exporte zwischen 1951 und 1968. Ein Vergleich mit dem Außenhandel zwischen Österreich und der EWG als Ganzes machte die Gewichtung deutlicher.54 Dies schreckte vor allem die französische Diplomatie und ließ sie wiederholt an das Trauma des „Anschlusses“ von 1938 erinnern, der mit dem Ende Österreichs und dem Anfang vom Ende der Tschechoslowakei verbunden war.55 Es ging dabei wohl vornehmlich um die Verhinderung einer Stärkung der Bundesrepublik durch Einbeziehung weiterer Millionen deutschsprachiger Bürger und Abwehr stärkeren deutschen Einflusses im Donauraum. Die ablehnende und harte Position der Sowjetunion konnte von Österreich zwar aufgeweicht, aber kein formeller Durchbruch erzielt werden. Wien setzte in den 1960er-Jahren 53 Wolfram Kaiser, Neutral, nicht neutral, auch egal: Großbritannien, die Neutralen und die europäische Integration 1945–1972, in: Michael Gehler/Rolf Steininger (Hrsg.), Die Neutralen und die europäische Integration 1945–1995. The Neutrals and the European Integration 1945–1995 (Arbeitskreis Europäische Integration, Historische Forschungen, Veröffentlichungen 3), Wien/Köln/Weimar 2000, 44–60. 54 Siehe den Beitrag von Jürgen Nautz in diesem Band: 163–165, 174–175. 55 Thomas Angerer, Besatzung, Entfernung … Integration? Grundlagen der politischen Beziehungen zwischen Frankreich und Österreich seit 1938/45, in: Friedrich Koja/Otto Pfersmann (Hrsg.), Frankreich – Österreich. Wechselseitige Wahrnehmung und wechselseitiger Einfluss seit 1918 (Studien zu Politik und Verwaltung 58), Wien/Köln/Graz 1994, 82–102, hier 85–88, 91–93.
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zunächst auf eine multilaterale Vorgangsweise (1961–1963) und, als dies nicht mehr realisierbar war, schließlich auf eine bilaterale EWG-Assoziierung (1963–1967/69), weil diese als „Mittelweg“ mit dem Neutralitätsstatus politisch vereinbar schien. Diese Option wurde von der UdSSR nicht akzeptiert, wenngleich eine Modifikation des kategorischen sowjetischen Standpunkts möglich sein sollte. 1966 deutete sich dies mit dem „Zugeständnis“ eines „einfachen Handelsvertrags“ zwischen Österreich und der EWG bereits an. 1967 beim Staatsbesuch von Bundeskanzler Josef Klaus und Außenminister Lujo Tončić-Sorinj reagierte Moskau konzessionsfreudiger, als informell und inoffiziell von der Duldung eines Freihandelszonen-Arrangements mit der EWG die Rede war.56 Widerstände gegen eine allzu formelle Verbindung Österreichs mit den Brüsseler Institutionen kamen jedoch nicht nur aus Moskau, sondern auch aus Paris, London und Rom. In der Südtirol-Frage kündigte sich bereits 1959/60 mit Österreichs Gang vor die Vereinten Nationen der zwischenstaatliche Konflikt mit Rom an, der ab 1966/67 eskalierte und zur Totalblockade der Verhandlungen mit Brüssel führte (1967–1969). Österreichs „Alleingang“ nach Brüssel scheiterte nach acht Verhandlungsrunden 1967 nicht wegen Einsprüchen der UdSSR – diese nahm die Bundesregierung zwar ernst, hinderten sie aber nicht, mit Vertretern der EWG-Kommission und des Ministerrats zu verhandeln –, sondern infolge des italienischen Einspruchs und der nicht nur, aber auch aufgrund sowjetischer Einwände wachsenden Zurückhaltung Frankreichs – der einzigen EWG-Macht, die gleichzeitig Signatar des Staatsvertrages war. Die geopolitische Lage Österreichs zwischen wachsender bundesdeutscher Wirtschaftskraft und den Staaten im Donauraum war sowohl für Sowjetrussland als auch für Frankreich zu sensibel, als dass sich beide eine stärkere Einbindung der Alpenrepublik in den „Gemeinsamen Markt“ wünschen konnten. Die Fürsprache des bundesdeutschen Wirtschaftsministers, „Freihändlers“ und Anti-Gaullisten Ludwig Erhard für die EWG-Assoziation Österreichs reichte nicht, um an den politischen Prioritäten der westeuropäischen Integration zu rütteln: Verstärkung der Kohäsion innerhalb der EWG, die Beitrittsfrage Großbritanniens und die Assoziierung von langfristig beitrittswilligen Drittstaaten.57 Die innergemeinschaftliche Krise wirkte mindestens so hemmend wie innenpolitische Widerstände. Zur Option des „British first“ der Kommission mit Blick auf EWG/ EG-Beitrittsverhandlungen, welche der französische Staatspräsident zweimal (1963, 1967) zu vereiteln verstand, kam noch hinzu, dass de Gaulle einer bilateralen Assoziation Österreichs mit der EG 1966/67 nur mehr wenig Positives abgewinnen konnte, zumal er im Falle einer Fürsprache Gefahr lief, die französisch-sowjetischen Beziehungen zu beeinträchtigen. Zugleich fürchtete er auch eine Stärkung des „deutschen Blocks“ durch eine denkbare EWG-Assoziierung Österreichs.58 56 Gehler, Der lange Weg, Bd. 2, 425–427. 57 Michael Gehler, Bridging the Gap to Brussels: The Rocky Road of Austria’s Integration Policy 1955–1972, in: Diplomacy & Statecraft Vol. 13 (March 2002), No. 1, 153–190. 58 Paul Luif, Der Weg zum 12. Juni: 1955, 1957, 1962, 1972/73, in: Anton Pelinka (Hrsg.), EU-Referendum. Zur
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Österreich war in den Jahren 1967/68 mit einer doppelten Krisensituation an seinen Grenzen im Süden und Osten konfrontiert. Die angespannten diplomatischen Beziehungen mit Italien aufgrund der Verschleppung der Autonomieversprechen in Südtirol und der dort einsetzenden Bombenanschläge wirkten sich infolge des Einspruchs gegen jegliche EG-Verhandlungen mit Österreich seitens der römischen Regierung am 29./30. Juni 1967 erschwerend auf die ohnedies eingeschränkte integrationspolitische Position Österreichs aus. Die Ereignisse in der ČSSR mit der Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten und der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im August 1968 ließen Österreichs integrationspolitische Chancen auf ein Minimum sinken. Wien war gezwungen, die ambitionierten Bemühungen der beginnenden 1960er-Jahre zurückzustellen und von der Politik des „Alleingangs“ vorerst Abstand zu nehmen. Der „Alleingang“ der Ära Klaus erbrachte wichtige Vorleistungen für spätere Vereinbarungen mit Brüssel. Österreichs Integrationspolitik der 1960er-Jahre ging 1972/73 ansatzweise in Erfüllung: In Form von Zoll- und Handelsverträgen mit der EWG und der EGKS trat ein von Österreich gemeinsam mit Schweden und der Schweiz sowie anderen EFTAStaaten angestrebtes Arrangement in Kraft. Am 22. Juli 1972 wurden Freihandels- bzw. jeweils ein Interimsabkommen mit den zwei der drei westeuropäischen Teilgemeinschaften (EWG, EGKS) unterzeichnet, die Österreich bei seiner Teilnahme am Integrationsprozess die Wahrung seiner Neutralitätsverpflichtungen voll und ganz zubilligten.59 Es blieb dennoch Vorreiter für die Integrationspolitik anderer Staaten, v. a. der Neutralen. Sein Alleingang 1989, der erste EG-Beitrittsantrag eines EFTA-Mitglieds und Neutralen nach Bekanntgabe des Binnenmarktprogramms und mit ausdrücklichem Neutralitätsvorbehalt, machte die Sonderstellung des Landes wieder deutlich. In der Forschung ist zutreffend argumentiert worden, dass Österreich noch in der Regierungszeit von Bundeskanzler Josef Klaus (1964–1970) integrationspolitisch auf das realpolitisch Machbare zugesteuert war und sein Nachfolger Kreisky bilaterale Vereinbarungen abzuschließen hatte, die er als früherer Außenminister nicht favorisiert hatte: „Bilaterale Verhandlungen in multilateralem Rahmen, Fokussierung auf eine Freihandelslösung ohne institutionelle Einbindung und ohne breite Rechtsharmonisierung. Die Ironie des Schicksals war, dass es schlussendlich der Regierung Kreisky vorbehalten sein sollte, ein Abkommen mit der EWG – wenngleich es eine viel geringere Integrationsdichte brachte als dies ursprünglich angestrebt war – abzuschließen“ (Thomas Ratka).60 Praxis direkter Demokratie in Österreich (Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung 6), Wien 1994, 23–48, hier 37; Thomas Angerer, Exklusivität und Selbstausschließung. Integrationsgeschichtliche Überlegungen zur Erweiterungsfrage am Beispiel Frankreichs und Österreichs, in: Revue d’Europe Centrale 6 (1998), 1, 25–54, hier 34. 59 Gehler, Der lange Weg, Bd. 2, 435-438; Waldemar Hummer, Ziele, Methoden und Ergebnisse der österreichischen Integrationspolitik, in: Hans-Georg Koppensteiner (Hrsg.), Der Weg in den Binnenmarkt (Schriften zum gesamten Recht der Wirtschaft 23), Wien 1991, 27–73, hier 46. 60 Thomas Ratka, Selbst- und Fremdperzeptionen der österreichischen „Sonderweg-Strategie“ in der europäischen Integration 1957–1972, phil. Diss. Universität Wien 2004, 265.
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Die Zoll- und Handelsverträge mit der EG, die die anderen EFTA-Staaten Island, Schweden, Schweiz, Finnland und Portugal auch mit Brüssel schließen konnten, führten die beiden Alpenrepubliken, die Eidgenossenschaft und Österreich, wieder auf eine gemeinsame integrationspolitische Linie, nachdem sich die Beziehungen ab 1963 abgekühlt hatten.61 Die Abkommen mit EWG und EGKS von 1972 waren weder spektakulär noch innenpolitisch besonders populär. Das Arrangement mit Brüssel wurde von Kreisky, der öffentlich betonte, dass die EWG „keineswegs die wirtschaftliche Variante zur NATO darstellt“, Außenminister Rudolf Kirchschläger und Handelsminister Josef Staribacher in Form von „Freihandelsabkommen“ konkretisiert. Es ließ sich jedoch nicht im ursprünglichen Sinne des völkerrechtlich allerdings irrelevanten Begriffs vom „Brückenschlag“ verwirklichen, d. h. weder im Sinne einer „Assoziierung“ noch durch eine alle Wirtschaftssektoren umfassende Freihandelszone.62 Die Zoll- und Handelsverträge waren kein Ersatz für die anvisierte De-facto-Zollunion, die im Wege einer Assoziierung und durch Etablierung eines Assoziationsrats ihren institutionellen Ausdruck hätte finden können – sofern man einen positiven Ausgang der Verhandlungen der 1960er-Jahre voraussetzt. War zwar noch beim FHZ-Projekt die Landwirtschaft ausgeklammert worden, so hatte sich Österreich deren Einbeziehung in einen „Vertrag sui generis“ mit der Gemeinschaft gewünscht. Bei den handelspolitischen Vereinbarungen war der Agrarbereich wieder ausgeklammert und sollte erst später partiell einbezogen werden. Nach über zehnjährigen Bemühungen, die informelle Mitwirkung an der europäischen Integration konkreter und intensiver zu gestalten, kündigte sich aber mit diesen bilateralen Vereinbarungen doch ein Teilerfolg an. Am 1. Februar 1973 wurde zwischen Österreich und der UdSSR ein Abkommen über die Entwicklung der wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen und industriellen Zusammenarbeit für zehn Jahre von Außenhandelsminister Nikolaj S. Patolitschew und Handelsminister Josef Staribacher unterzeichnet und ein zusätzliches Programm zur Entwicklung und Vertiefung der Zusammenarbeit abgeschlossen,63 welches beim Besuch des Vorsitzenden des Ministerrats, Alexej N. Kossygin, vom 2. bis 5. Juli 1973 bei Bundeskanzler Kreisky am 3. Juli 1973 kundgemacht wurde.64 61 Hans-Christoph Binswanger/Hans Manfred Mayrzedt, Europapolitik der Rest-EFTA-Staaten. Österreich, Schweden, Schweiz, Finnland, Island, Portugal (Schriftenreihe der Akademischen Vereinigung für Außenpolitik 4), Zürich/Wien 1972. 62 Insofern ist das Urteil von Bruno Kreisky, Im Strom der Politik. Der Memoiren zweiter Teil, Berlin/Wien 1988, 160–181, hier 167–168, zu berichtigen, wonach es 1972 gelungen sei, „den als unrealistisch belächelten Brückenschlag herbeizuführen“ – darunter hatte man in den 60er-Jahren weit mehr an Integrationssubstanz (z.B. De-facto-Zollunion) und eine stärkere Verbindung Österreichs mit der EWG/EG (Assoziierung) verstanden; Rudolf Kirchschläger, Integration und Neutralität, in: Erich Bielka/Peter Jankowitsch/Hans Thalberg (Hrsg.), Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien/München/Zürich 1983, 61–95. 63 Keesings Archiv der Gegenwart, 1. 2. 1973, C 17640. 64 Keesings Archiv der Gegenwart, 5. 7. 1973, A 18016.
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4. Akteure und Motivationen der Annäherung an die EG: Der lange und kontinuierlich beschrittene Weg nach Brüssel bis 1989 Am 25. Januar 1971 formulierte Kreisky in einer Rede vor dem Europarat Prinzipien einer zukünftigen europäischen Außenpolitik: erstens eine Annäherung zwischen West- und Osteuropa, die zweitens keine Neuauflage einer Appeasement-Politik darstellen dürfe. Er begrüßte drittens den Demokratisierungsprozess der internationalen Beziehungen und sprach sich viertens für die Einleitung einer Entspannungspolitik durch Vorbereitung einer europäischen Sicherheitskonferenz im Sinne der Beratenden Versammlung des Europarats aus. Darüber hinaus betonte er fünftens die Rolle Österreichs als Mittler zwischen Ost und West.65 Damit antizipierte er den sich abzeichnenden KSZE-Prozess der 1970er-Jahre, der mit der Schlussakte von Helsinki (30. Juli –1. August 1975) einen positiven Ausgang nehmen sollte.66 In der Europapolitik Kreiskys galt der Grundsatz Entspannung und Kooperation vor Konfrontation und Integration. Die exponierte und profilierte Neutralitätspolitik war Voraussetzung für den relativen Status quo der österreichischen Integrationspolitik während der 1970er-Jahre. Gegen Jahresende 1971 überraschte Kreisky mit einem „Benelux-Plan“ für Mitteleuropa, der eine regionale Zusammenarbeit zwischen Ländern in Mittel- und in Südosteuropa bedeutete. Ähnlich wie die Beneluxstaaten einen gewissen Zusammenhalt in der EWG ermöglichten und es auch eine Zusammenarbeit der skandinavischen Staaten gebe, sei auch für Italien, die Bundesrepublik, die Schweiz, Österreich und Jugoslawien eine Kooperation angezeigt. Kreisky nannte als Aufgaben Regelung der Gastarbeiterprobleme, der Schiffbarmachung der Donau, Verkehrsfragen, Wirtschafts-, Kultur- und Forschungspolitik. Österreichs Neutralität sollte davon unberührt sein, was in der Bundesrepublik zur unbegründeten Spekulation Anlass gab, dass der „Kreisky-Plan“ als Fernziel die „Neutralisierung“ Mitteleuropas anvisiere.67 Der Bundeskanzler hatte allerdings wiederholt eine Neutralisierung Deutschlands weder für machbar bezeichnet noch eine solche Option für Zentraleuropa lancieren wollen. An Österreich als ein „Modell“ glaubte Kreisky für Deutschland nicht.68 In den Europäischen Gemeinschaften sah er von Anfang „kein bloß wirtschaftliches Phänomen, sie ist auch ein politisches“. Er war keinesfalls bereit, die Basis der Entscheidung des Jahres 1955 infrage zu stellen. „Die Gründe, die seinerzeit die Wiedererlangung unserer staatlichen Unabhängigkeit und Selbständigkeit und unsere uneingeschränkte Befreiung ermöglichten, sind auch heute von beträchtlicher politischer Relevanz.“69 65 Gehler, Der lange Weg, Bd. 2, Kap. VII, Dok. 6. 66 Vgl. Wilfried von Bredow, Der KSZE-Prozess. Von der Zähmung zur Auflösung des Ost-West-Konflikts, Darmstadt 1992; Wilfried Loth, Helsinki, 1. August 1975 (20 Tage im 20. Jahrhundert), München 1998. 67 Kreiskys Blitzidee, in: Rheinischer Merkur, 24. 12. 1971. 68 Interview Bruno Kreiskys im ZDF, „Zu den Beziehungen zwischen West und Ost“, 26. 11. 1965; „Ich glaube, man kann Deutschland nicht neutralisieren“, in: Stuttgarter Nachrichten, 17. 11. 1979. 69 Bruno Kreisky, Betrachtungen eines Österreichers zur europäischen Integration, in: Die Neue Gesellschaft 1973, 2, 113–116, hier 114, 116.
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In der Ära Kreisky (1970–1983) trat die Integrationspolitik im Zeichen der sogenannten „Eurosklerose“ zugunsten einer Außenpolitik der Internationalisierung und Globalisierung (OECD-, KSZE- und Nahostpolitik, Engagement im Nord-Süd-Konflikt) zurück.70 Die exponierte geopolitische Lage zwischen den Blöcken und die „aktive Neutralität“71 trugen Österreich in der Ära Kreisky vermehrt internationale Aufmerksamkeit und Ansehen ein. Der Bundeskanzler sprach von einer „Neutralität in allen Bereichen“.72 Diese Entwicklung fand erstens in zunehmender Niederlassung transnationaler Institutionen und Organisationen, zweitens steigenden Zahlen von wichtigen internationalen Konferenzen in Wien73 und drittens in der wachsenden Bereitschaft, Österreicher mit Vermittlungs- und Friedensaufgaben zu betrauen, ihren Ausdruck. Diverse UNO-Nebenorganisationen wie die International Atomic Energy Agency (IAEA) (1957), United Nations Industrial Development Organization (UNIDO) (1967) und zwischenstaatliche Organisationen, wie z.B. die Erdöl exportierender Länder (OPEC) (1965), hatten bereits früher ihren offiziellen Sitz in der Bundeshauptstadt errichtet. Wien wurde nun nach New York und Genf dritter UNO-Sitz. Der „neutrale Boden“ Österreichs und der „Geist von Wien“ wurden unter Kreisky weiter profiliert. Die exponierte und profilierte Neutralitätspolitik Kreiskys war Basis für eine relativ konstante Integrationspolitik der 1970er-Jahre. Die Sozialistische Internationale (SI) mit Willy Brandt, Olof Palme und Bruno Kreisky entwickelte eine starke transnationale Zusammenarbeit, die weit über den engeren europäischen Rahmen hinausreichte. In der Integrationspolitik war das „sozialistische Dreigestirn“ tendenziell an der Aufrechterhaltung des Status quo orientiert, eine Haltung, die Dynamisierungen nicht ausschloss, wie die EFTA-Gipfelkonferenz 1977 in Wien zeigte. Auf Initiative Kreiskys kam es am 13. Mai 1977 zu dieser Begegnung, bei der in einem 10-Punkte-Programm für eine verstärkte Zusammenarbeit innerhalb der EFTA, koordinierte Anstrengungen zur Sicherung des Freihandels, aber auch für eine Ausweitung der Kooperation mit der EG plädiert wurde.74 Es gab verschiedene Probleme der EFTA-Länder in ihren Wirtschaftsbeziehungen mit der EWG, beispielsweise für Österreich den Bereich der Landwirtschaft, die es „wünschenswert erscheinen lassen, eine gewisse Koordination zu suchen“. 70 Elisabeth Röhrlich, Kreiskys Außenpolitik. Zwischen österreichischer Identität und internationalem Programm (Zeitgeschichte im Kontext 2), Wien 2009, 270–342; Michael Gehler, Das Europa der Gemeinschaften und der Union im Kontext der Globalisierung, in: Ingrid Böhler/Eva Pfanzelter/Rolf Steininger (Hrsg.), Stationen im 20. Jahrhundert (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 27), Innsbruck/Wien/Bozen 2011, 56–80. 71 Paul Luif, Österreich zwischen den Blöcken. Bemerkungen zur Außenpolitik des neutralen Österreich, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 11 (1982), 2, 209–220, hier 213 ff. 72 Kreisky: Neutralität in allen Bereichen, in: Rheinischer Merkur, 11. 7. 1975. 73 Hans G. Knitel, Wien als Sitz internationaler Organisationen und als internationale Konferenzstadt, in: Österreichisches Jahrbuch für Politik (ÖJP) ’85, Wien/München 1986, 471–494. 74 Gehler, Der lange Weg, Bd. 2, Kap. IX., Dok. 9.
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Obwohl Österreich aus neutralitätsrechtlichen Gründen von einer Vollmitgliedschaft bei der EWG Abstand nehmen müsse, bestehe doch ein Interesse, „die Wirtschaftsbeziehungen zur EWG möglichst zu verdichten“, argumentierte Kreisky.75 Diese EFTA-Zusammenkunft ist bezüglich der spezifisch österreichischen Motivlage bemerkenswert, von ihrer unmittelbaren integrationspolitischen Wirkung allerdings nicht überzubewerten. Erst 1982 ging vom EG-Mitgliedsstaat Dänemark die Initiative aus, ein gemeinsames Ministertreffen zwischen EG- und EFTA-Staaten zu organisieren, welches zwei Jahre später erfolgte:76 Am 9. April 1984 trafen sich in Luxemburg Vertreter der EGund EFTA-Staaten und vereinbarten die Schaffung eines „einheitlichen Europäischen Wirtschaftsraums“ (EWR), um die handelspolitische Kluft zwischen den beiden Organisationen zumindest teilweise zu überbrücken.77 Die seit den 1970er-Jahren herrschende wirtschaftliche Stagnation trug zur unzutreffenden Vorstellung von der „Eurosklerose“ bei.78 Diese Situation wurde in Wien insofern nachvollzogen, als zunächst der Status quo der Integrationspolitik im Wesentlichen beibehalten wurde. Kreiskys Haltung war jedoch nicht statisch und unbeweglich. Sie blieb anpassungsfähig und dynamisierbar. Als die Politik der Gemeinschaften wieder mehr Dynamik entfaltete, führte dies parallel dazu zur Aktivierung der österreichischen Integrationsambitionen. Österreichs Außenpolitik wurde EG-orientierter. Der Abschluss der Vereinbarungen zur Schaffung eines Europäischen Währungssystems (EWS) im Dezember 1978 veranlasste Kreisky an Helmut Schmidt in dessen Funktion als Präsident des Europäischen Rates heranzutreten, da das EWS darauf angelegt war, dass „auch Staaten, die nicht der Gemeinschaft angehören, in irgendeiner noch zu vereinbarenden Form an diesem System teilnehmen können“. Die Technik und Form einer solchen Beteiligung war den Notenbanken vorbehalten. Kreisky hielt eine vorherige Abklärung der mit der Einführung des EWS für Nichtmitgliedsstaaten entstanden Probleme für unerlässlich. Wien hatte bereits in der Zeit der Vorbereitung des EWS bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington sein Interesse am EWS deponiert. Die Schaffung einer Zone stabiler Wechselkurse in einem großen Teil Europas war für Österreich von großer Bedeutung. Es habe, so Kreisky, durch seine bisherige Währungspolitik aktiv dazu beigetragen, die seit dem Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods entstandenen internationalen Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Wechselkurse auf ein erträgliches Maß zu beschränken und sich in seiner Kurspolitik de 75 Ebd., Kap. IX, Dok. 8. 76 Hummer, Ziele, Methoden und Ergebnisse der österreichischen Integrationspolitik, 50. 77 Waldemar Hummer, Annäherung zwischen EG und EFTA-Staaten: Außen-, Neutralitäts- und Wirtschaftspolitische Problemfelder, in: Fritz Schwind (Hrsg.), Österreichs Weg in die EG – Beiträge zur europäischen Rechtsentwicklung, Wien 1991, 7–52, hier 8, 13–14. 78 Wolfgang Merkel, Die Europäische Integration und das Elend der Theorie, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), Heft 2, 302–338, hier 322, verweist darauf, dass der Europäische Gerichtshof gerade von den 60er- bis zu den 80er-Jahren, in einer Zeit „vermeintlichen Integrationsstillstands[,] eine wichtige Rolle in der europäischen Einigung gespielt“ hat.
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facto seit vielen Jahren der Wechselkurspolitik, der sogenannten ‚Schlange‘, nahe gehalten. Es erschien daher Kreisky „umso wichtiger, deshalb die Voraussetzungen zu prüfen, unter denen Österreich, unter Wahrung aller seiner legitimen Interessen, mit dem neuen System flexibel zusammenarbeiten kann“. Seine geografische Lage und seine wirtschaftliche Verflechtung mit Europa ließen eine solche Mitarbeit nach Kreiskys Auffassung für alle Teile nützlich erscheinen. Er bat Schmidt, die für beide Seiten sich ergebenden Fragen zu prüfen, wobei Form und Vorgangsweise nach beiderseitigem Interesse abgestimmt werden sollten.79 Der deutsche Bundeskanzler reagierte umgehend und zeigte seine Befriedigung darüber, „dass es der Europäischen Gemeinschaft gelungen ist, mit diesem Währungssystem den Grundstein für ein höheres Maß an Währungsstabilität zu legen, und zwar sowohl zwischen den einzelnen Währungen als auch intern in jedem Mitgliedstaat“. Diese Entwicklung könne die Qualität der Gemeinschaft durchaus verändern. Schmidt teilte Kreiskys Hinweise über die Lage und Rolle Österreichs. Im Interesse der beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen begrüßte er es, „wenn sich Ihre Regierung zu einer Zusammenarbeit mit dem neuen System entschließen könnte“. Schmidt informierte seinen Finanzminister Hans Matthöfer sowie den Präsidenten der Deutschen Bundesbank Otmar Emminger. Schmidt bat dabei, sich möglichst bald mit Österreichs Finanzminister Androsch in Verbindung zu setzen und hegte die Hoffnung, „dass diese Gespräche bald abgeschlossen werden können und auch die anschließenden Verhandlungen zwischen den Notenbanken erfolgreich verlaufen“.80 Auf höchster politischer Ebene war zwischen der Bundesrepublik und Österreich im Dezember 1978 Einverständnis über eine Heranführung des Schilling an das EWS und eine zukünftige Kooperation mit demselben erzielt worden. Die Fühlungnahme Kreiskys verlief jenseits der öffentlichen Wahrnehmung. Sie führte letztlich nach Klärung der technischen Fragen zu einer weitgehenden EWS-Mitwirkung Österreichs, welches aufgrund seiner Schilling-Währung und dessen enger Anlehnung, ja Anbindung an die Deutsche Mark (DM) implizit in das Europäische Währungssystem eingeführt werden sollte und die entsprechenden Schritte umsetzte. Österreich war stiller Teilnehmer am EWS. Bei allen Vorteilen der Währungsstabilität und Währungssicherheit: Damit war währungspolitisch bereits ein Souveränitätsverlust für das Land eingetreten. Im Oktober 1979 entwickelte Kreisky anlässlich eines offiziellen Besuchs des EG-Kommissionspräsidenten Roy Jenkins in Wien vertraulich Gedanken. Neben der Übereinstimmung mit der Schweiz in der Neutralitätsauffassung sah er noch ein anderes großes Hindernis für einen Beitritt Österreichs zur Gemeinschaft, nämlich Artikel 4 des Staatsvertrages. Dies sei „keine theoretische Spielerei für Völkerrechtler, besonders wenn man weiß, um 79 Der Bundeskanzler der Republik Österreich, Bruno Kreisky, an den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Schmidt, 12. 12. 1978. Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung (AdSD), Bonn, Bestand Helmut Schmidt, Mappe 6604. 80 Durchschlag Schreiben des Bundeskanzlers Helmut Schmidt an Bundeskanzler Bruno Kreisky, 20. 12. 1978. Ebd.
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welche Partner es sich handelt“. Seiner Ansicht nach bedeute „die Vereinigung mit einem Ganzen auch die Vereinigung mit seinen Teilen“. Da der Staatsvertrag die Voraussetzung für die Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs sei, stelle seine Wahrung einen höheren Wert dar, als er den Interessen gegenüber der EG zukommt. Dazu kommt das gemeinsame Neutralitätsverständnis mit der Schweiz. Österreich habe die wirtschaftliche Reife, die geografischen Voraussetzungen und auch den politischen Willen für einen EG-Beitritt – es gebe aber Hindernisse wie Staatsvertrag und Neutralität, so Kreisky. „Wir befinden uns daher in einem gewissen Dilemma.“ Für die Entwicklung der künftigen Beziehungen zwischen Österreich und den EG formulierte Kreisky eine Arbeitshypothese: Die Gemeinschaft sollte sich daher überlegen, wie die vorhandenen institutionellen Regelungen zwischen Österreich und ihr belebt werden können und wie man stillschweigend – oder auch weniger stillschweigend – ein immer höheres Maß an Integration verwirklichen könnte. Im wirtschaftlichen Bereich stelle sich das besondere Problem der Landwirtschaft, in anderen Bereichen, wie jenen der Währung, „liegen wir de facto im Geleitzug drinnen: unsere Währung wird hier immer mitfolgen“, so Kreisky. Es blieben alle anderen großen Bereiche der Integration wie Arbeits-, Sozial- und Wissenschaftspolitik. Hier vertrat Kreisky die Vorstellung, „dass es durchaus möglich wäre, einen weniger intensiven Ring der Integration um die EG systematisch zu schaffen: er wäre weniger dicht, aber darüber wäre trotzdem das Netz der Integration gespannt.“ Dies sollte umso mehr möglich sein, als wir der EG keinerlei echte Schwierigkeiten bereiten würden. Österreich sei sachlich nicht weniger integrationsfähig als Mitgliedsländer wie Belgien: „Unsere Teilnahme könnte Integrationsprozesse sogar verbessern und beschleunigen.“ Für Österreich sei jenes Maß an Integration akzeptabel, das für die Mitgliedsstaaten der EG akzeptabel ist, „wobei ein Verpflichtungsmaß bis an die Grenze dessen möglich ist, was die Integration zur De-jure-Verpflichtung machen würde, wie Anerkennung der Supranationalität“. Der von Kreisky beschriebene Weg war für die nächsten fünf bis zehn Jahre angedacht. Dies wäre „auch für die Gemeinschaft von Vorteil, denn Österreich gehört zu Europa, ideologisch, politisch und wirtschaftlich. Wir könnten damit einen De-facto-Zustand erreichen, der unter Voraussetzung, dass die Entspannungspolitik in Europa weitergeht, zu einer sehr engen Assoziation führen würde.“81 Jenkins reagierte nicht ablehnend: Wenn auf die Entwicklung seit 1973 zurückgeblickt werde, erkenne man „die positiven Wirkungen der Freihandelsverträge, wenn es auch immer wieder zu gewissen punktuellen Schwierigkeiten gekommen ist und kommt“. Was die Zukunft anging, so sei den Freihandelsbeziehungen eine eigene Dynamik inhärent. Es gehe um die Abschaffung der nicht-tarifären Handelshemmnisse und die Notwendigkeit einer stärkeren Zusammenarbeit auf dem Transportsektor und im Umweltbereich. Der „ohnehin bereits so schwierige Entscheidungsbildungsprozess der EG“ sollte jedoch „nicht weiter kompli81 Zit. n. Manfred Scheich, Der Tabubruch. Österreichs Entscheidung für die EU, Wien/Köln/Weimar 2005, 20–22.
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ziert“ werden. Jenkins wünschte, „dass man mit Österreich und den anderen EFTA-Ländern die Kontakte fortführen und weiterentwickeln soll, ohne dass diese die Mitgliedschaft anstreben. Man kann den EFTA-Ländern nicht die gleiche Position wie den Mitgliedsländern zubilligen, da diese auch andere Verpflichtungen haben, solche institutioneller und finanzieller Art.“82 Kreisky und Jenkins bewegten sich offensichtlich auf der gleichen pragmatischen integrationspolitischen Linie.83 Für eine EG-Annäherung Österreichs war die Neutralität hinderlicher als der Staatsvertrag. Der Staatsvertragsartikel 4 war ein „aliud“ und hatte mit der Integration per se nichts zu tun. Kreisky hatte allerdings in beiden Hürden gesehen. Er besaß jedoch integrationspolitische Weitsicht, wenngleich er eine klare Grenze zog: die „De-jure-Verpflichtung“ zur Anerkennung supranational getroffener Entscheidungen. Kreiskys Auffassung, die „weit über den politischen Bewusstseinsstand der anderen EFTA-Partner hinausging“, war als „asymptotische Annäherung“ an die EG definiert worden: „immer, immer enger, aber die Linien treffen einander nie“. Die Evolutivklausel der Zoll- und Handelsverträge von 1972 war von ihm zur Dynamisierung des Verhältnisses mit den Europäischen Gemeinschaften bewusst genutzt worden. Was Kreisky damals unter einer „sehr engen Assoziation“ verstand, war ein Herangehen – „grenzenlos in der Substanz der Kooperation mit der institutionellen Grenze der (zumindest nicht formalen) Unterwerfung, wie sie ein Beitritt nach sich zieht, unter die supranationalen Aspekte und Mechanismen“.84 Es blieb also bei der unüberwindlichen Hürde, die aus vergemeinschafteter Politik bestand, da „asymptotisch“ „nicht zusammenfallend“ meint: Eine Gerade (selten aber auch eine Kurve), die sich einer anderen annähert, ohne mit ihr deckungsgleich zu werden. Es ging um eine Annäherung in Richtung auf einen gewissen Punkt, ohne diesen voll zu erreichen. Beim offiziellen Besuch des luxemburgischen Ministerpräsidenten Pierre Werner in Wien 1981 erklärte Kreisky, dass Österreich aufgrund seiner „immerwährenden Neutralität“ das „Prinzip der Supranationalität“ nicht akzeptieren könne. Daher „strebe man auch nicht die Mitgliedschaft an, wolle aber an der europäischen Integration teilhaben“.85 War das die integrationspolitische Quadratur des Kreisky?86 Es war im Grunde nichts anderes als die alte wohlvertraute österreichische Position. Gewiss stellte sich diese Frage nicht so wie acht Jahre später bei dem mit Neutralitätsvorbehalt gestellten EG-Beitrittsantrag vom 14. Juli 82 Ebd., 90. 83 Ebd. 84 Ebd., S. 22; Interview des Verfassers mit Botschafter Manfred Scheich, 28. 9. 2004 (Tonbandaufzeichnung im Besitze des Verfassers). 85 Gehler, Der lange Weg, Bd. 2, Kap. IX, Dok. 11. 86 Die Formulierung ist entlehnt vom Titel des Werks von Alexander Vodopivec, Die Quadratur des Kreisky. Österreich zwischen parlamentarischer Demokratie und Gewerkschaftsstaat, Wien/München/Zürich 1973; Von der Quadratur der Integration sprach vorher Friedrich Wlatnig, Die Quadratur der Integration. Das Beispiel Österreich, Wien/Frankfurt a. Main 1966.
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1989. Aber es kam wieder einmal das typisch österreichische Verlangen nach einer Vereinbarung von an sich Unvereinbarem zum Ausdruck. Es kann davon ausgegangen werden, dass Kreisky die bereits 1977 proklamierte Kooperation mit der EG nur unter Beibehaltung der EFTA wünschte. Insofern konnte es sich nur um „negative“ Integrationspolitik handeln. Voraussetzung für diese Art intergouvernementaler Kooperation und integrationspolitischer Koexistenzdoktrin war die Aufrechterhaltung guter bilateraler Beziehungen zur Eidgenossenschaft und Bundesrepublik Deutschland.87 Österreichs nationale Interessenpolitik der „aktiven Neutralität“ behielt unter Kreiskys Nachfolger zunächst noch weiter Priorität vor der Frage einer über die Freihandelsabkommen von 1972 hinausgehenden aktiven Integrationspolitik. Während der in den Jahren 1983 und 1986 gebildeten Kleinen Koalition unter Fred Sinowatz (SPÖ) und Norbert Steger (FPÖ) bewegte sich integrationspolitisch nur wenig. Die hauptsächlichen Tendenzen der „langen Siebziger“ blieben im Wesentlichen bestehen. Bedingt durch ihre innenpolitische Oppositionsrolle suchte die ÖVP aufgrund der Unmöglichkeit, als Nicht-EWG-Mitgliedsland-Partei der Europäischen Volkspartei (EVP) angehören zu dürfen, neue transnationale Profilierungsmöglichkeiten im Rahmen der eigens gegründeten European Democrat Union (EDU), u. a. um Österreich auch auf diesem Weg näher an die EG heranzuführen. Der spätere Außenminister Alois Mock fungierte hier als Präsident, was mit Blick auf Lobbyismus im Vorfeld des EU-Beitritts z. B. im Europäischen Parlament (EP) 1992–1994 nicht unwesentlich war.88 Die Kleine Koalition SPÖ/FPÖ unter Bundeskanzler Fred Sinowatz und Vizekanzler Norbert Steger (1983–1986) bestätigte den Trend der integrationspolitischen Konstanz der 1970er-Jahre. Erst im Zeichen der Großen Koalition (ab 1987) verschob sich im Zuge der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) (in Kraft 1987), des von der EG angestrebten Binnenmarkts sowie innenpolitischer Zwangslagen infolge der Krise um die Verstaatlichte Industrie und sonstigen erheblichen Reformbedarfs das außenpolitische Interesse wieder in Richtung forcierte Integrationspolitik. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre setzte eine EG-Annäherungspolitik mit ausdrücklichem Neutralitätsvorbehalt (1987–1989) ein.89 Die Kontroverse, ob der am 17. Juli 1989 in Brüssel überreichte Antrag auf Mitgliedschaft in den Europäischen Gemeinschaften (EWG, EGKS, Euratom) ein Bruch mit der bisherigen Integrationspolitik oder Ausdruck von Kontinuität war – verwiesen sei auf die Kontroverse mit Thomas Angerer90 –, berührt das Spannungsverhältnis von Selbstausschließung 87 Gehler, Der lange Weg, Bd. 2, Kap. IX. Dok. 12. 88 Michael Gehler, Geschichte vergleichender Parteien-Außenpolitik und Mitgliedschaft in der Europäischen Union. SPÖ und ÖVP in internationalen Organisationen und transnationalen Netzwerken 1945–2005, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 43 (2010), 7–45. 89 Gehler, Der lange Weg, Bd. 1, 273–302. 90 Zusammenfassend Michael Gehler, Der österreichische EG-Beitrittsantrag vom 17. Juli 1989: Mehr Kontinuität als Diskontinuität!, in: Ernst Bruckmüller (Hrsg.), Europäische Dimensionen österreichischer Geschichte (Schriften des Institutes für Österreichkunde 65), Wien 2002, 143–210.
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und Einbindung der später zur EU beigetretenen Mitglieder. Angerer hat die für die Klärung der Motive wichtige Frage aufgeworfen, ob Österreich von der überstaatlichen Integration fernblieb, weil es nicht konnte oder viel eher nicht wollte. Er hat zu Recht Zweifel an der monokausalen Deutung geäußert, dass Österreich in erster Linie aufgrund des sowjetischen Vetos nicht teilnehmen konnte.91 Es war tatsächlich fast immer beides: Österreich hat gleichzeitig weder gekonnt noch gewollt, wobei die Betonung auf Ersteres gelegt werden kann. Die europäische Wirtschaftskooperation wurde von Österreich uneingeschränkt befürwortet, die Marktintegration weitgehend bejaht, die europäische Politikintegration zwar grundsätzlich gutgeheißen, selbst aber gemieden – ohne dass man sich davon explizit distanzierte, während sicherheitspolitische Abstinenz praktiziert wurde.92 Das Beitrittsansuchen war und ist nicht grundsätzlich, aber qualitativ etwas Neuartiges gewesen: Das Grundsätzliche bestand in der Annäherung an die EG, im Interesse am „Binnenmarkt“ und im Wunsch nach Intensivierung des Verhältnisses zur Gemeinschaft. Es basierte aber noch überwiegend auf „alten“ Vorstellungen von Wirtschaftsintegration. Das qualitativ Neuartige lag in der Bereitschaft zur vollen Teilnahme am „Binnenmarkt“ und der Mitwirkung an der supranationaler werdenden Gemeinschaft. Der im Brief vom 14. Juli zweimal ausdrücklich unterstrichene Neutralitätsvorbehalt war ein gewichtiges Element der Kontinuität, d. h. Ausdruck von Selbstausschließungsdenken, einer bis zuletzt anhaltenden Tradition.93 Der 17. Juli 1989 lässt sich weder nur mit „Bruch“ noch ausschließlich mit „Kontinuität“ fassen und beschreiben. Europaidealistische Motive waren bei Österreichs Integrationsbemühungen in der Begründung durchaus vorhanden, sie spielten aber keine entscheidende Rolle. Primär waren es pragmatische, d. h. handels-, wirtschafts- und ordnungspolitische Gründe, die Österreich bewegten, aktiv zu werden, verknüpft mit Argumenten der ideologischen und kulturellen Zugehörigkeit zu (EU-)Europa. Externe Faktoren waren für die Steigerung des Integrationsverhaltens motivierender und wichtiger als innenpolitische Bedürfnislagen. Im Falle Österreichs handelte es sich überwiegend um Regierungsentscheidungen, die von äußeren Herausforderungen und Reizen geleitet waren. Hinzu kam die Einsicht in wachsende innenpolitische Reformnotwendigkeit, Problemlösungen, die aber noch lange Zeit nach dem EU-Beitritt nur schleppend und zögerlich angegangen worden sind. Ausgehend von der Gesamtkonstellation wie mit Blick auf Methode und Form der österreichischen Politik bestanden im Jahre 1989 überwiegend Kontinuitäten (Annäherungsverlangen an die Gemeinschaft und Beibehaltungswunsch der Neutralität), im (vorweggenommenen neuen) Inhalt des zu91 Angerer, Exklusivität und Selbstausschließung, 50. 92 Michael Gehler, Der österreichische EG-Beitrittsantrag vom 17. Juli 1989: Mehr Kontinuität als Diskontinuität!, in: Ernst Bruckmüller (Hrsg.), Europäische Dimensionen österreichischer Geschichte (Schriften des Institutes für Österreichkunde 65), Wien 2002, 143–210. 93 Gehler, Der lange Weg, Bd. 2, Kap. VIII., Dok. 20, 467–470, Dok. 21, 470–472.
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künftig anvisierten Beitritts und mit Blick auf eine Bereitschaft zur „neuen“ supranationalen Integration wahrnehmbar bereits Anzeichen für einen Wandel und erste Risse im Bild. Der definitive Bruch mit der bisherigen Politik erfolgte erst mit dem EU-Beitritt 1995.94 Österreichs Beitrittsantrag löste in Brüssel keine Freude aus. Die auf Vertiefung ausgerichteten Gemeinschaften um Kommissionspräsident Jacques Delors sowie das kühle bis abweisende Verhalten der französischen Diplomatie und belgischen Politik sprachen Bände. Sie hatten mit der als „Sonderfall“ geltenden neutralen Alpenrepublik als Beitrittswerberin ein Problem mehr. Die Bilder vom „special case“ waren in ihrer historischen Wirkmächtigkeit relevant – keine Vorteile, nämlich mitunter kontraproduktive, jedenfalls nicht zu unterschätzende (Gegen-)Argumente aus der Sicht der Gemeinschaft. Zur zentralen Figur der österreichischen Integrationspolitik wurde der innenpolitisch schon als abgeschrieben geltende Außenminister Alois Mock (1987–1995), mit dem auch Österreichs EU-Politik assoziiert, personifiziert und identifiziert werden sollte.95 In seinem Beitrittsstreben ging es um Kontinuität und Österreichs Interessen. Wie bisher war es 1989 und in den folgenden Jahren das Gefühl des drohenden Ausgeschlossenseins und die befürchtete Gefahr des Verlustes. Beides wirkte mobilisierend und spornte die Integrationspolitik an. Die Nachvollzugs- und Mitwirkungspolitik vollzog sich im Übergang des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) (1992–)1994/95, der als Sprungbrett zur EUMitgliedschaft diente. Die Neutralität war schon vor dem Beitrittsantrag unterschiedlich interpretiert und als „Mehrzweckinstrument“ (Thomas Angerer)96 verwendet worden, d. h. einem Wandlungsprozess unterworfen. Insofern war nur ein scheinbarer Bruch mit ihrer öffentlichen Entsakralisierung in den 1990er-Jahren gegeben, die weite Teile der Bevölkerung in teilweiser Verkennung bzw. Überschätzung ihrer Funktion weiterhin als conditio sine qua non unverändert positiv ansahen: In der offiziellen Betonung der Vereinbarkeit von Neutralitätsbeibehaltung und EG/EU-Mitgliedschaft (1989–1992/95) setzte sich die Verweigerung dieses Tabubruchs (Manfred Scheich)97 über den 17. Juli 1989 hinaus fort. Österreichs Integrationspolitik war bis 1989 und auch noch darüber hinaus ständig begleitet von der offiziellen Betonung des Wunsches nach Vereinbarkeit mit der Neutralität. 94 Das würde sich bei einer Fortschreibung des Buchs von Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (Österreichische Geschichte 1890–1990, hrsg. von Herwig Wolfram), Wien 1994, 21995, diskutieren lassen, doch endet die Darstellung leider schon Jahre zuvor. 95 Martin Eichtinger/Helmut Wohnout, Alois Mock. Ein Politiker schreibt Geschichte, Wien/Graz/Klagenfurt 2008, 252–257; zuletzt dies., Alois Mock – Pioneer of European Unity, in: Günter Bischof/Fritz Plasser/Eva Maltschnig (Eds.), Austrian Lives (Contemporary Austrian Studies 21), Innsbruck 2012, 164–186. 96 Thomas Angerer, Für eine Geschichte der österreichischen Neutralität. Ein Kommentar, in: Michael Gehler/ Rolf Steininger (Hrsg.), Die Neutralen und die europäische Integration 1945–1995, Wien/Köln/Weimar 2000, 702–708. 97 Manfred Scheich, Das Brechen eines politischen Tabus – Österreichs Weg in die EU, in: Robert Kriechbaumer (Hrsg.), Österreich und Europa. Beiträge zu Geschichte und Politik der Europäischen Einigung um die Jahrtausendwende (Schriftenreihe des DDr. Herbert Batliner-Europainstitutes 3), Wien/Köln/Weimar 2000, 16–29.
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Mit Blick auf frühere Phasen (1945–1955, 1955–1960, 1961–1969) überwogen diesbezüglich Kontinuitäten. Österreichs Eliten waren in den vorangegangenen Jahrzehnten nicht hundertprozentig vom „Gemeinsamen Markt“ überzeugt, ein zeitweises Abseitsstehen erschien nicht nachteilhaft. Vor allem waren die sicherheitspolitischen Implikationen immer abschreckend. Diese ambivalente Verhältnis zieht sich wie ein roter Faden als ein Kontinuitätselement der österreichischen Politik von der Zeit des Kalten Krieges bis ins 21. Jahrhundert.98 Die Frage, ob die veränderten internationalen Rahmenbedingungen, wie z.B. der Fall der Mauer 1989 und der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991, für die österreichische Integrationspolitik einen Unterschied bedeuteten, ist klar zu bejahen. Diese Umwälzungen hatten großen Einfluss und entfesselten die lange vorher bereits vorhandenen integrationsbefürwortenden und -willigen Kräfte. Die symbolischen Durchtrennungen des Eisernen Vorhangs durch Außenminister Mock gemeinsam mit seinem ungarischen Amtskollegen Gyula Horn im 27. Juni und mit dem tschechoslowakischen Außenminister Jiři Dienstbier am 17. Dezember 1989 hatten Signalfunktion – zwischenzeitlich war im ungarisch-österreichischen Grenzraum am 17. August ein „Paneuropa-Picknick“ unter Schirmherrschaft von Otto von Habsburg und dem ungarischen Reformkommunisten Imre Pozsgay veranstaltet und am 11. September offiziell die Grenze zu Österreich von der ungarischen Regierung Miklós Nemeth geöffnet worden.99 Auch wenn kein ursächlicher Zusammenhang damit bestand und die Entscheidung zu einer neuen Integrationspolitik bereits vorher gefallen war, veränderten die Geschehnisse zweifelsohne das Klima, was mittelfristig gesehen eine der wesentlichen politischen Voraussetzungen für das Gelingen der österreichischen EG-Beitrittsbemühungen und die Beitrittsverhandlungen 1993/94 war. Es besteht kein Zweifel, dass das Ende der Ost-West-Konfrontation in Europa Österreichs Chancen erheblich verbessert hat, der EU beizutreten. Seit 1989/90 bot sich mit dem Wegfall des Ost-West-Konflikts und nachdem Michail Gorbatschow Österreichs EG-Annäherungsambitionen nicht beeinsprucht hatte, die Chance zum Vollbeitritt, ohne dass man auf sowjetische Einwände, Vorbehalte und Vetos so wie früher Rücksicht nehmen musste. 5. Der Weg zum Beitritt bis 1995 Die politisch bestimmenden und wirtschaftlich maßgebenden Kräfte Österreichs sprachen sich zwischen 1987 und 1995 für den EG- bzw. EU-Beitritt aus. Dem vom 14. Juli datierten
98 Michael Gehler/Wolfram Kaiser, A Study in Ambivalence: Austria and European Integration 1945–95, in: Contemporary European History Vol. 6 (1997), No. 1, 75–99; Michael Gehler, 1995 – Österreichs Beitritt zur Europäischen Union, in: Martin Scheutz/Arno Strohmeyer (Hrsg.), Von Lier nach Brüssel. Schlüsseljahre österreichischer Geschichte (1496–1995) (VGS Studientexte), Innsbruck/Wien/Bozen 2010, 327–350. 99 Andreas Oplatka, Der erste Riss in der Mauer. September 1989 – Ungarn öffnet die Grenze, Wien 2009, 170–230.
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und am 17. Juli überreichten Antrag in Brüssel vorausgegangen war eine Vierphasenentwicklung: −− erstens eine Intensivierung der Debatte über die EG in Österreich, korrespondierend mit einer Europäisierung der innerösterreichischen politischen Diskurse und der Artikulation des Partizipationsdesiderats (1987–89) gefolgt von −− zweitens einer Evaluation des Beitrittskandidaten durch Avisierung der Kommission (1989–91); −− drittens der Antizipation und Implementierung des acquis communautaire (1990/91–94) sowie −− viertens der Kommunikation in formellen Verhandlungen mit der EG/EU (1993/94) verbunden mit einer wachsenden Bereitschaft, die Neutralität zur Disposition zu stellen (1992–1994). ÖVP und SPÖ waren an sich proeuropäische Parteien, wenngleich es zwischen 1987 und 1989 noch stärkerer Überzeugungsarbeit für den Beitritt bei den Sozialisten bedurfte. Während das 1986/87 von der EG beschlossene „Binnenmarkt“-Projekt („EG 92“) die beiden Großparteien (SPÖ, ÖVP) entschlossener auf EG-Beitrittskurs brachte, versuchte die FPÖ die Krise Europas im Kontext erkennbarer Rezessionserscheinungen und wachsender Arbeitslosigkeit im Zuge der deutschen Einheit und politischer Unsicherheit im Zeichen der Jugoslawienkrise und -kriege für sich zu nutzen. Keine abrupte Kehrtwende, aber eine bemerkenswerte Wandlung trat 1992/93 ein: Die FPÖ unter Obmann Jörg Haider lavierte von einer noch zwischen 1986 und 1992 sehr beitrittsbefürwortenden zu einer euroskeptischen bis EU-kritischen Haltung ab 1992/93, die zu einer weiteren Steigerung ihres Zustimmungspotenzials führte, aber die großen Parteien durch einen ostentativen nationalen Schulterschluss vor dem EU-Referendum 1994 wiederum abzuwehren und zu dämpfen verstanden. Die entscheidenden Antriebskräfte zum EU-Beitritt waren die Vereinigung Österreichischer Industrieller (VÖI) und führende ÖVP-Außen- und Europapolitiker. Die seit 1991 so benannten Sozialdemokraten (vormals noch „Sozialisten“) traten zwar nicht so vehement für den Beitritt ein, agierten zwischen 1987–1993 zurückhaltender und zögerlich, Parteiobmann und Bundeskanzler Franz Vranitzky (1986–1997)100 gelang aber mit Überzeugungsarbeit die innerparteiliche Wende. Es setzte Anfang der 1990er-Jahre eine beträchtliche Europäisierung der österreichischen Politik ein, was sich durch eine breitere Europa-Berichterstattung in den Medien und in deren Folge auch durch eine Internationalisierung der öffentlichen Debatte manifestierte. Parallel folgte im angestrebten EWR eine gezielte Anpassung an den gemeinschaftlichen 100 Günter Bischof/Anton Pelinka/Ferdinand Karlhofer (Eds.), The Vranitzky Era in Austria (Contemporary Austrian Studies 7), New Brunswick/New Jersey 1999.
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Rechtsbestand und eine Harmonisierung mit dem acquis communautaire, welcher zunehmend wichtiger als die nationale Gesetzgebung werden sollte. Weiters wurden mit dem intensivierten Integrationsprozess notwendige Reformimpulse für das politische System gegeben, die langfristig nicht nur zu einer institutionellen Veränderung führen sollten, sondern auch bereits zur notwendigen Budgetsanierung beitrugen. Der Fall der Mauer 1989, die deutsche Einheit 1990, der Zusammenbruch des RubelRaums 1991, die nachlassende wirtschaftliche Dynamik, die bei wachsender Arbeitslosigkeit immer spürbarer werdende Rezession in den EG-Staaten, Turbulenzen im Europäischen Währungssystem (EWS) 1992 und das Versagen einer europäischen Sicherheitspolitik angesichts der Jugoslawien-Kriege stellten unübersehbare Warnzeichen dar. Vor diesem Hintergrund waren die Zielsetzungen für einen neuen EU-Vertrag zu verstehen: Am 9. und 10. Dezember 1991 hatten die Staats- und Regierungschefs auf der Gipfelkonferenz in Maastricht der Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Politischen Union mit Aufwertung der Westeuropäischen Union (WEU) und der Schaffung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zugestimmt, der am 7. Februar 1992 unterzeichnet wurde. Außenminister Alois Mock erklärte, dass Österreich zur Übernahme des aufgrund dieses Vertragswerks neu geschaffenen Rechtsbestandes der Gemeinschaft bereit sei. Der Ratifizierungsprozess verzögerte sich wie auch die Verhandlungen mit den Beitrittswerbern. Vertiefung hatte für die Gemeinschaften Priorität vor Erweiterung, bis der Europäische Rat in Lissabon am 26./27. Juni 1992 die Wende für die Befürworter einer Erweiterung um die EFTA-Staaten brachte. Für Österreich stellte sich die Frage nach der grundsätzlichen Vereinbarkeit der WEU mit der „immerwährenden Neutralität“, zumal die WEU zu einer tragenden Säule der neuartigen EU werden sollte. Mehrmals sondierte Wien in Brüssel und bekräftigte sein Beitrittsansuchen auch und gerade nach dem Übergang von der EG zur EU. Dabei sollte der österreichische Antrag rückwirkend eine neue Qualität erlangen. Die Rechtsnatur des zukünftigen Vertragspartners hatte sich geändert. Österreichs Diplomatie überreichte zwischen 1990 und 1992 in Brüssel Aide Mémoires, in denen das Beitrittsgesuch modifiziert wurde. Vom Neutralitätsvorbehalt war keine Rede mehr.101 Der Weg nach Brüssel führte von 1989 bis 1995 nicht nur über Moskau – was einer Überschätzung der Veto-Position der UdSSR bzw. der Russischen Föderation gleichkommt –, sondern v. a. über Paris und Rom. Da das Schreckgespenst vom „Anschluss“ sich mit Blick auf französische Bedenken nicht mehr als unüberwindliches Hindernis erwies und vor der UNO die sogenannte „Streitbeilegungserklärung“ in der leidigen Südtirolfrage (1992) abgegeben werden konnte,102 ließ sich das Tor zum Binnenmarkt weiter aufstoßen. 101 Gehler, Vom Marshall-Plan zur EU, 167–207. 102 Michael Gehler, Vollendung der Bilateralisierung als diplomatisch-juristisches Kunststück: Die Streitbeilegungserklärung zwischen Italien und Österreich 1992, in: Siglinde Clementi/Jens Woelk (Hrsg.), 1992: Ende eines Streits. Zehn Jahre Streitbeilegung im Südtirolkonflikt zwischen Italien und Österreich, BadenBaden 2003, 17–82.
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Am 1. Februar 1993 begannen die Verhandlungen zwischen Österreich und der EG. Bundeskanzler Vranitzky erklärte, dass sein Land ihr „ohne Vorbehalte“ folgen und im dynamischen Prozess des gemeinsamen europäischen Projekts solidarisch mitarbeiten werde. Die größten Verhandlungsbrocken (Fragen der Landwirtschaft, des Alpentransits, der Umweltschutzbestimmungen und Zweitwohnsitze) konnten nach einem Verhandlungsmarathon Anfang März 1994 gelöst werden. Mit „Österreichfreund“ Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und Außenminister Klaus Kinkel (FDP) warf die Bundesrepublik Deutschland, ein traditioneller Förderer der österreichischen Integrationsinteressen, ihr gemeinschaftspolitisches Gewicht zur Gänze in die Waagschale – diesmal im Unterschied zu den 1950er- und 1960erJahren mit vollem Erfolg. In der Regierungskampagne für den EU-Beitritt 1994 war ein weitgehend geschlossenes Auftreten der Parteien der Großen Koalition (SPÖ/ÖVP) und ein breit angelegtes Pro-EUVotum aller gesellschaftsrelevanten Gruppen und Interessenvertretungen erkennbar. Praktisch die gesamte Medienlandschaft sprach sich 1994 für die EU-Mitgliedschaft des Landes aus, darunter vor allem der breitenwirksame ORF.103 Mithilfe des auflagenstärksten Print-Massenmediums Kronen-Zeitung konnte die öffentliche Meinung weitgehend dergestalt beeinflusst werden, der Union beizutreten. Der Hintergrund dieses starken Zustimmungssogs war eine einfache, z. T. einseitige und oberflächliche Pro-EU-Stimmung, die erzeugt worden ist, die viele Österreicher und Österreicherinnen bewegte, mit „Ja“ zu stimmen. 66,6 % votierten am 12. Juni 1994 für den EU-Beitritt.104 Sicherheitspolitische Elemente der Integrationspolitik spielten in den veröffentlichten und öffentlichen Debatten vor dem Referendum keine herausragende Rolle. Dies erfolgte nicht zufällig. Als Österreich seinen Beitrittsantrag stellte, gab es weder den Maastrichter Unionsvertrag noch eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Während der Beitrittsverhandlungen (1993–1994) existierte noch kein profilierter vertraglich festgelegter sicherheitspolitischer acquis communautaire. Das sollte sich erst mit dem Amsterdamer EUVertrag von 1997 (in Kraft 1999) ändern. Nach dem positiven Referendum, in dem die Bevölkerung mehr überredet als überzeugt für Brüssel gestimmt hatte,105 folgte am 24. Juni 1994 die Unterzeichnung der Beitrittsverträge im Rahmen der griechischen Ratspräsidentschaft auf der Insel Korfu. Im Vorfeld 103 Vrääth Öhner, „Eine einzige Österreich-Partei“. Europa-Bilder in den Informationssendungen des österreichischen Fernsehens, in: Gertraud Diendorfer/Heidemarie Uhl (Hrsg.), Europäische Bilderwelten. Visuelle Darstellungen EU-Europas aus österreichischer Perspektive, Innsbruck/Wien/Bozen 2009, 11–37. 104 Anton Pelinka/Christian Schaller/Paul Luif, Ausweg EG? Innenpolitische Motive einer außenpolitischen Umorientierung (Studien aus Politik und Verwaltung Bd. 47), Wien/Köln/Weimar 1994; Gehler, Vom Marshall-Plan zur EU, 212–238; Franz Heschl, Drinnen oder draußen? Die öffentliche österreichische EU-Beitrittsdebatte vor der Volksabstimmung 1994, Wien/Köln/Weimar 2002; Anton Pelinka (Hrsg.), EUReferendum. Zur Praxis direkter Demokratie in Österreich (Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung Bd. 6), Wien 1994. 105 Gehler, Der lange Weg, Bd. 1, 325–331.
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war es zu auch öffentlich ausgetragenen Streitereien gekommen, wer unterschreiben dürfe. Die Österreicher reisten mit der größten Delegation an. Signiert wurde das Vertragswerk im großkoalitionären Proporz letztlich von Bundeskanzler Vranitzky (SPÖ), Außenminister Mock (ÖVP), EU-Botschafter Manfred Scheich (ÖVP) und einem BKA-Sektionsleiter namens Ulrich Stacher (SPÖ).106 Österreichs Weg nach EU-Europa war sehr lange. Daher gestaltete sich dieser auch entsprechend zeitaufwendig und kräfteraubend. Seit dem Beitrittsantrag war seine Außenpolitik überwiegend auf Westeuropa konzentriert. Mittel- und Osteuropa gerieten aus dem Blick, was erklärt, warum man sich erst spät, dafür aber öffentlichkeitswirksam mit den BenešDekreten oder dem strittigen AKW Temelín zu beschäftigen begann. Der österreichische Beitrittsprozess dauerte fast sechs Jahre (1989–1995). Angekommen in der europäischen Staatengemeinschaft, war das Land mit seinen inneren Problemen – den politischen Altlasten der Großen Koalition und ausgebliebenen durchgreifenden Reformen, aber auch mit der Verarbeitung der Folgen des EU-Beitritts – zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als sicher und selbstbewusst nach außen blicken und entsprechend ambitioniert auftreten zu können. Österreich schien bis 1995 integrationspolitisch eher peripher, doch hatte es wirtschaftlich immer Anschluss an die Gemeinschaften gehalten. Es hatte vor 1995 den Integrationsprozess überwiegend von seinen wirtschaftlichen Seiten wahrgenommen. Dabei ging der Blick für seine politische Dimension vielfach verloren, was dazu führte, dass man relativ unsensibilisiert für diese Anliegen in der neuen EU landete. 1995 endete für Österreich der lange Weg zum institutionalisierten Europa. Von 1918 bis zu diesem Datum gab es eine wechselvolle Entwicklung von Europa-Assoziationen, -Bildern und -Identifikationen, die für das Land weder aussichtsreich noch realisierbar waren: −− „Paneuropa“ hieß ein spezifisches Habsburg-Donauraum-Denken, zu dem man sich nach 1918/19 bekennen wollte (was illusionär war); −− „Mitteleuropa“ war ein verkleinertes Habsburg-Donauraum-Denken der 1920er- und 1930er-Jahre, zu dem man sich hingezogen fühlen konnte (was nicht realistisch war); −− die „europäische Großraum“-Politik der Nationalsozialisten (1938–1945), die für „Mitteleuropa“ oder „Paneuropa“ einen gewissen Ersatz zu bieten schien (aber wie jede gewaltsame Hegemonialbildung von oben abschreckend wirkte und in Europa zum Scheitern verurteilt war); −− das „Klein-“ oder „Kerneuropa“ der EGKS und der EWG (das zwar rein äußerlich bejaht wurde, zu dem man sich aufgrund der Vergangenheit Österreichs weder emotional ganz und gar mit vollem Herzen noch rational souveränitäts- und neutralitätspolitisch zugehörig fühlen konnte); −− das „Groß-“ oder „Zentraleuropa“-Konzept, das schon viel mehr historischen Bezug hatte und mehr Identifikation schuf (aber aufgrund der Spaltung Westeuropas zwischen EFTA 106 Ebd., 331–332; Gehler, Vom Marshall-Plan zur EU, 238–241.
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und EWG und der politischen Marginalisierung des Europarats bis 1989 nicht machbar war); und zuletzt −− das „EU-Europa“, dem man sich zugehörig empfand, das letztlich aber auch als unvollkommen und noch erweiterungsbedürftig erschien.
III. Folgen und Fernwirkungen: Österreich als EU-Mitglied 1995–2009 Trotz aller positiven Bekenntnisse blieb Österreichs Verhältnis zur EU ambivalent. Mit der simplen, aber einprägsamen Propagandaformel „Wir sind Europa“ hatte die Bundesregierung 1994 für den EU-Beitritt geworben, ein Werbefeldzug, der auf eine Kampagne hinauslief.107 Diese Behauptung deutete eine Ersatzidentität für die scheinbar an Bedeutung zu verlierende Neutralität (1992–1994) und die zuvor in der Waldheim-Debatte (1986–1988) erodierte „Opfer-Ideologie“ an. Der für die Volksabstimmung werbewirksamen Losung wurde jedoch die populistisch zugkräftigere Formel „Österreich zuerst“ von der Haider-FPÖ entgegengestellt. Die Regierung weckte vor dem Beitritt Erwartungen im Lande, die auf EU-Ebene kaum zu erreichen waren und der harten Realität in Brüssel nicht standhielten. Nationales Besitzstand-Denken dominierte in der politischen Politik und ihrer Rhetorik. Die Große Koalition versuchte über die „stille Revolution“ (Wolfram Kaiser)108 hinwegzutäuschen, die seit dem EU-Beitritt 1995 in Österreich voll im Gange war. Die Mitgliedschaft Österreichs (1995–2009) lässt sich grob in drei Phasen einteilen: −− Mitarbeit in EU-Institutionen, Wirtschafts- und Währungsintegration, partielle und zögerliche sicherheitspolitische Anpassung (1995–1999); −− politische Irritationen und Fehlschläge sowie Kontinuitätswahrung einer moderaten Sicherheitspolitik (2000–2003); −− Normalisierung, Scheitern des EU-Verfassungsvertrags, EU-Frust, Rückfall in nationalen Populismus und strittige Ratifizierung des Lissabon-Vertrags (2003–2009). 1. Mitarbeit in EU-Institutionen, Wirtschafts- und Währungsintegration, partielle und zögerliche sicherheitspolitische Anpassung (1995–1999) Mit Wolfgang Schüssel als Außenminister (1995–2000) hielt eine „Außenpolitik der Realisten“ Einzug in der Donaumetropole. Unter ihm vollzog das Amt einen pragmatisch-real 107 Thomas Angerer, „Österreich ist Europa“. Identifikationen Österreichs mit Europa seit dem 18. Jahrhundert, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 1 (2001), Heft 1, 55–72. 108 Wolfram Kaiser, The Silent Revolution: Austria’s Accession to the European Union, in: Günter Bischof/ Anton Pelinka (Eds.), Austrian Historical Memory and National Identity (Contemporary Austrian Studies 5), New Brunswick/London 1997, 135–162.
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politischen Profilwandel: Vom Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten (BMfaA) wurde es zum Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMfeiA). Man verließ den Ballhausplatz als historischen Gedächtnisort europäischer Diplomatie und jahrhundertelang gestaltender österreichischer Außenpolitik und wechselte den Amtssitz zum Minoritenplatz. In den ersten fünf Jahren seiner Mitgliedschaft war Österreich bestrebt, eine Politik der Anpassung an die Unionsstruktur und der Übernahme der Gemeinschaftsspielregeln zu betreiben. Die Regierung übernahm die Aufgaben und Rollen bei der Nominierung und Bestellung von Funktionsträgern. Franz Fischler109 wurde Mitglied unter Präsident Jacques Santer in der Europäischen Kommission, zuständig für Landwirtschaft. Österreicher übernahmen als EU-Abgeordnete verantwortliche Aufgaben im Europäischen Parlament. Bei dem seit 1995 elementarsten Integrationsbestand, der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und dem seit 1999 als Buchgeld eingeführten Euro, machte Österreich keinen Gebrauch eines „opting out“. Das Land entsprach den Konvergenzkriterien des Unionsvertrags von Maastricht und demonstrierte seinen Willen zur Teilnahme an der „Eurozone“. Das Gleiche galt für den Besitzstand von „Schengen“. Diese Elemente decken sich mit der langen Vorgeschichte österreichischer Europapolitik. Das Land wollte von Beginn seiner Mitgliedschaft wirtschaftlich zum engeren Kreis der EU gezählt werden, hatte aber doch wiederholt Vorbehalte gegenüber einer politischen Vollintegration. Österreichs Wirtschaft wurde mit dem EU-Beitritt aufgerüttelt und konkurrenzfähiger, das Bruttosozialprodukt wuchs schneller als zuvor und das Preisniveau ging zurück. Die Produktivität erhöhte sich und die Budgetreform machte Fortschritte. Sanierung und Konsolidierung des Staatshaushaltes kamen im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt zustande. Das Land wurde nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als Wirtschaftsstandort und für ausländische Investitoren bedeutsamer. Aufgrund des gestiegenen Konkurrenzdrucks und Verteilungskampfs gab es neben Gewinnern auch Verlierer (Insolvenzen von Klein- und mittleren Betrieben, Entlassungen, Firmenaufkäufe, Konzernzusammenschlüsse, Zurückdrängung österreichischer Beteiligungen aufgrund stärkerer Anteile ausländischen oder deutschen Kapitals). Das Handelsvolumen im EU-Rahmen nahm dennoch weiter zu und das Wirtschaftswachstum profitierte von der Zugehörigkeit zum Binnenmarkt, während sich die Arbeitslosenquote leicht erhöhte. Insgesamt integrierte sich das österreichische Wirtschaftssystem relativ rasch in den EU-Raum.110 Mit dem EU-Beitritt ist Österreichs internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt worden. Sein Wirtschaftswachstum hatte positive Werte zu verzeichnen. Hinter Schweden, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland hatte es in den 1990er-Jahren niedrigste Inflationsraten im Vergleich zu den anderen EU-Mitgliedern. Die Exporte konnten sich nach dem 109 Hans Rauscher, Franz Fischler – Provokationen eines österreichischen Europäers, Wien 1998. 110 Michael Pfaffermayr, Austria’s Performance within an Integrating European Economy, in: Michael Gehler/ Anton Pelinka/Günter Bischof (Hrsg.), Österreich in der EU. Bilanz seiner Mitgliedschaft/Austria in the European Union. A First Assessment of her Membership 1995–2000, Wien/Köln/Weimar 2003, 201–218.
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EU-Beitritt dynamischer entwickeln als die Importe. Beide stiegen an. Der österreichische Sozial- und Wohlfahrtsstaat blieb durch die EU-Mitgliedschaft in seinen Grundfesten im Wesentlichen unangetastet. Seit der EU-Mitgliedschaft gab es zunächst keine größeren Veränderungen, sieht man von der Amtszeit der stärker Strukturreform-orientierten Regierungsbildung ÖVP/FPÖ (2000–2004/05) ab.111 Auf der Ebene der Gesetzgebung und Verfassung fand die EU-Herausforderung zunächst keine überzeugende Antwort. Die Chance zu einer umfassenden und systematischen Verfassungsreform blieb ungenutzt.112 Mit Blick auf die neuen, u. a. kleineren EU-Kandidatenländer, versuchte der spätere Bundeskanzler Wolfgang Schüssel Österreich als „Mittelstaat“ aufzuwerten und zu profilieren. Tatsächlich verlor es jedoch durch seinen EU-Beitritt mehr an nationalstaatlicher Souveränität als es durch supranationale Mitgestaltungsmöglichkeiten auf EU-Ebene hinzugewinnen konnte. Nach der EU-Mitgliedschaft stand für Schüssel eher Status-quo-Wahrung beim Gipfel in Amsterdam (1997) im Vordergrund. Die europäische Einheitswährung befürwortete er hingegen vehement – auch gegen den Widerstand der FPÖ-Opposition. Sein Eintreten für den Euro brachte ihn sogar mit Auslassungen über den deutschen Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer ins Schussfeld der Medien und fast an den Rand des Rücktritts. Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft, die Österreich in der zweiten Jahreshälfte 1998 übernahm, agierte es souverän und routiniert wie ein langjähriges Mitglied. Die deutsche Bundestagswahl im gleichen Halbjahr mit dem Sieg von Gerhard Schröder (SPD) gegen den LangzeitBundeskanzler Helmut Kohl (1982–1998) von der CDU limitierte jedoch die Erfolgsaussichten des österreichischen Ratsvorsitzes, weil alles nach der verlorenen Wahl Kohls auf seinen Nachfolger und seine abwartende und zögerliche Europapolitik gerichtet war. Wenig erfolgreich war der Wiener Gipfel vom Dezember 1998 in Bezug auf die sogenannte „Agenda 2000“, v. a. mit Blick auf die dringlich gewordene Agrarreform der Union.113 Der lange Schatten der Neutralität wirkte über den Beitritt hinaus.114 Mehr als WEU-Beobachterstatus und die Teilnahme am NATO-Programm „Partnership for Peace“ war nicht 111 Gerda Falkner, Austria in the European Union: Direct and Indirect Effects on Social Policy, in: Michael Gehler/Anton Pelinka/Günter Bischof (Hrsg.), Österreich in der EU, Wien/Köln/Weimar 2003, 185–199. 112 Heinrich Neisser, Verfassungsreform im Lichte des EU-Beitritts, in: Stefan Griller/Karl Korinek/Michael Potacs (Hrsg.), Grundfragen und aktuelle Probleme des öffentlichen Rechts. Festschrift für Heinz Peter Rill zum 60. Geburtstag, Wien 1995, 335–358, hier 337, 338, 342. 113 Kurt Richard Luther/Iain Ogilvie (Hrsg.), Austria and the European Union Presidency: Background and Perspectives (The Royal Institute of International Affairs Keele University), Keele 1998; Alexander Schallenberg/Christoph Thun-Hohenstein, Die EU-Präsidentschaft Österreichs. Eine umfassende Analyse und Dokumentation des zweiten Halbjahres 1998 (Schriftenreihe des DDr. Herbert Batliner-Europainstitutes, Forschungsinstitut für Europäische Politik und Geschichte 1), Wien/Köln/Weimar 1999, Böhlau. Schallenberg/Thun-Hohenstein 1999; Michael Huelshoff, The European Council and EU Summitry: A Comparative Analysis of the Austrian and German Presidencies, in: Günter Bischof/Anton Pelinka/Michael Gehler (Eds.), Austria in the European Union, New Brunswick/London 2003, 92–117. 114 Oliver Rathkolb, Österreich zwischen Neutralität und Allianzfreiheit 1953–2000. Ein Überblick. In: Journal of European Integration History Vol. 7 (2001), No. 2, 103–125.
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erreichbar.115 Der von 1987 bis 2000 regierenden SPÖ/ÖVP-Koalition sollte kein Konsens in der europäischen Sicherheitspolitik gelingen. Durch den EU-Beitritt war zunächst eine intensivierte supranationale Integrationspolitik mit einer bewusst in Kauf genommenen Infragestellung und Erosion, ja sogar einer versuchten Abschaffung der Neutralität (1995–1999) probiert worden, die ihren militärpolitischen, wissenschaftlichen und publizistischen Niederschlag fand.116 Die Versuche sollten allerdings misslingen, denn die politische Opposition und die öffentliche Meinung, die für die Beibehaltung der Neutralität eintraten, waren stärker. Während die traditionelle „Europapartei“ ÖVP 1997 den NATO-Beitritt beschlossen und öffentlich empfohlen hatte, wollte die abwartende und integrationszögerliche SPÖ die Neutralität nicht so ohne Weiteres aufgeben. Bis Ende der 1990er-Jahre entzog sich Österreich der Verantwortung aus der zweiten Säule des („neuen“) Integrationsprozesses (GASP, ESVP).117 Sicherheitspolitisch hatte Außenminister Schüssel vorzeitig auf die NATO-Option gesetzt, wofür er den Koalitionspartner aber nicht gewinnen konnte. So war auch das Scheitern des sicherheitspolitischen „Optionen“-Berichts (1998) vorprogrammiert.118 Die versuchte Erosion der Neutralität gelang dann zwar teilweise 1999 mithilfe der SPÖ durch „materielle Derogation“, d. h. einer inhaltlichen Abschwächung der Neutralität, nicht aber ihre im Kern weiter fortbestehende bundesverfassungsgesetzliche Verankerung durch Entsorgung und dies wegen des anhaltenden starken Widerstands der Sozialdemokraten. Unter der Regierung Viktor Klima (SPÖ) (1997–2000) erlebte Außenminister Schüssel die „Feuertaufe der österreichischen EU-Mitgliedschaft“ in Form der gut organisierten Ratspräsidentschaft (1998). Die Eskalation der Kosovo-Frage war durch Österreich nicht zu verhindern, wenngleich seine Politik und Diplomatie bis zuletzt um die Beilegung der Krise und die Verhinderung eines gewaltsamen Konflikts bemüht war. Mit dem Luftkrieg 115 Markus Cornaro, Die Westeuropäische Union – ein erster Nachruf, in: Erich P. Hochleitner (Hrsg.), Das Europäische Sicherheitssystem zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2003, 233–265. 116 Erich Reiter, Neutralität oder NATO. Die sicherheitspolitischen Konsequenzen aus der europäischen Aufgabe Österreichs, Graz/Wien/Köln 1996; Andreas Khol sprach von der Abschaffung der Neutralität, vgl. Salzburger Nachrichten, 30. 6. 1998; Gustav E. Gustenau, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – eine Herausforderung für die „Post-Neutralen“, in: Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ) 38 (2000), Heft 1, 25–38; Waldemar Hummer, Solidarität versus Neutralität – Das immerwährend neutrale Österreich in der GASP vor und nach Nizza, in: ÖMZ 39 (2001), Heft 2, 147–166; für eine seriöse Grundierung des Bundesverfassungsgesetzes über die immerwährende Neutralität siehe Gerald Stourzh, Die Entstehungsgeschichte des österreichischen Neutralitätsgesetzes, in: ders., Der Umfang der österreichischen Geschichte. Ausgewählte Studien 1990–2010 (Studien zu Politik und Verwaltung 99), Wien/Köln/Graz 2011, 211–230. 117 Gehler, Der lange Weg, Bd. 1, 428–437. 118 Heinrich Schneider, Der sicherheitspolitische „Optionenbericht“ der österreichischen Bundesregierung: Ein Dokument, das es nicht gibt – und ein Lehrstück politischen Scheiterns, in: Informationen zur Sicherheitspolitik (März 1999), Nr. 16 (Sonderdruck aus: Erich Reiter [Hrsg.], Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1999, Hamburg/Berlin/Bonn), 27–96
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der NATO gegen Serbien 1999 setzte ein sicherheitspolitischer Nachdenkprozess in ÖVPReihen ein, die bis dato noch auf den Vollbeitritt zum atlantischen Bündnis gesetzt hatte, was zu einem allmählichen Ablassen von der Beitrittsoption zum atlantischen Bündnis führte. In der schwarz-blauen Koalition trat noch die FPÖ und ihr Abspaltungsprodukt Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) für den NATO-Beitritt ein. Angesichts der kritischen öffentlichen Meinung und der internationalen Entwicklung mit dem anglo-amerikanischen Angriffskrieg auf den Irak ließ sich die Position eines NATO-Beitritts nicht mehr rechtfertigen. Neutralität schien angesichts neuer Konfliktlagen wieder Berechtigung zu erlangen und das Argument vom Ende des Kalten Krieges und der Obsoleszenz ihres Werts zu verblassen. Es folgte ein politischer Rückzug der NATO-Anhänger mit zunehmender Abstandnahme von einer inkonsequenten Sicherheitspolitik, die sich im verlorenen Bundespräsidentschaftswahlkampf der Kandidatin Schüssels, der NATO-Verfechterin Benita Ferrero-Waldner, gegenüber dem konsequenten Neutralitätsbefürworter Heinz Fischer im Jahre 2005 äußerte. Trotz Übernahme des Rechtsbestandes des EU-Vertrags von Amsterdam 1997 (in Kraft 1999) mit der verpflichtenden Aufstellung von und der Teilnahme an EU-Kampftruppen („battle groups“) sowie verfassungsrechtlich ausgerichteten „materiellen Derogation“ war Österreich kein militärisch vollwertiger Partner im Sinne einer gemeinsamen europäischen und transatlantischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik (GASP, WEU, NATO und ESVP),119 was für das Land, seine Leute und den Haushalt kein Nachteil sein sollte. Vor allem SPÖ und Grüne verhinderten mit ihrem Stimmenpotenzial im Parlament eine notwendige Verfassungsänderung mit Blick auf die Beseitigung der im Kern nach wie vor gültigen Neutralität (d. h. weder Mitgliedschaft in Militärbündnissen noch Militärbasen auf österreichischem Territorium) und somit eine militärische Vollintegration im NATO-Rahmen. Die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der EU war zwar dadurch beeinträchtigt, aber nicht wirklich geschwächt – Österreich und die Schweiz sind von NATO-Staaten umgeben, um nicht zu sagen umzingelt. Für Österreich und die EU sind dagegen wertvolle außenpolitische Reservepositionen in internationalen Konfliktsituationen mit Vermittlungsbedarf (wenn man an die Kosovo- 1999, Irak- 2002/03 oder die Irankrise 2005–2010 denkt) verblieben, vor allem in solchen Streitfällen, in denen vom UNO-Sicherheitsrat Militärinterventionen nicht gedeckt sind. Die ÖVP-Spitze rückte deutlich vom Ziel eines NATO-Beitritts ab, der heute kein Thema mehr für sie ist. Die Out-of-area-Interventionspolitik und das unilaterale Agie119 Allgemein hierzu Gunther Hauser, Towards a Comprehensive Security System, in: Michael Gehler/Günter Bischof/Ludger Kühnhardt/Rolf Steininger (Eds.), Towards a European Constitution. A historical and political comparison with the United States (Europapolitische Reihe des DDr. Herbert Batliner-Europainstitutes, hrsg. v. Herbert Bartliner und Erhard Busek), Wien/Köln/Weimar 2005, 365–411; ders., Die europäische Sicherheitsgemeinschaft im Kontext von 50 Jahren europäischer Integration, in: Michael Gehler (Hrsg.), Vom gemeinsamen Markt zur europäischen Unionsbildung. 50 Jahre Römische Verträge 1957–2007. From Common Market to European Union Building./50 years of the Rome Treaties 1957–2007 (Institut für Geschichte der Universität Hildesheim, Arbeitskreis Europäische Integration, Historische Forschungen, Veröffentlichungen 5), Wien/Köln/Weimar 2009, 453–482.
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ren der USA unter der Administration George W. Bush (Junior) im Irakkrieg sowie die Erfahrungen mit der „mission impossible“ in Afghanistan waren abschreckende Erfahrungen und heilsame Lehren zugleich. Trotz neutralitätspolitischer und -rechtlicher Vorbehalte war Österreich ausgehend von seinen bewusst bescheiden gehaltenen Möglichkeiten bemüht, so konstruktiv wie möglich an der ESVP mitzuarbeiten.120 2. Politische Irritationen und Fehlschläge sowie Kontinuitätswahrung einer moderaten Sicherheitspolitik 2000–2003 Ein Schock waren die am 31. Januar 2000 angedrohten und am 4. Februar verhängten „Sanktionsmaßnahmen“ der 14 EU-Partner gegen die Bundesregierung, nachdem sich eine Regierungsbildung zwischen Wolfgang Schüssel (ÖVP) und der FPÖ des Rechtspopulisten Jörg Haider abzeichnete. Damit kam ein für Österreich europapolitisch und international belastender Faktor ins Spiel. Die „EU 14“, die gar nicht so geschlossen agierten, wie es nach außen hin schien, versuchten einen vorbeugenden Hammerschlag, der jedoch einen Bumerangeffekt erzeugte.121 Österreichs außenpolitisches Image war dennoch beschädigt. Es zeigte sich in der europäischen Öffentlichkeit als (erweiterungs-)politisch nicht verlässlicher, ja unberechenbarer Partner. Die Ängste und Sorgen mit Blick auf die FPÖ, im Feb ruar 2000 in extremer Weise in Europa zum Ausdruck gekommen, waren historisch und politisch nicht unbegründet,122 aber die Verhängung der Sanktionsmaßnahmen übertrieben und kontraproduktiv.123 Die Aufhebung der Isolationsmaßnahmen wurde im September 2000 120 Erich P. Hochleitner, Österreich und die ESVP. Erwartungen, Ambitionen und Realitäten, in: Johann Pucher/ Johann Frank (Hrsg.), Strategie und Sicherheit. Das strategische Profil der Europäischen Union, Wien/Köln/ Weimar 2010, 389–405. 121 Michael Gehler, “Preventive Hammer Blow” or Boomerang? The “EU Sanction” Measures against Austria 2000, in: Günter Bischof/Anton Pelinka/Michael Gehler (Eds.), Austria in the European Union, New Brunswick 2001, 180–222; Waldemar Hummer /Anton Pelinka, Österreich unter „EU-Quarantäne“. Die „Maßnahmen der 14“ gegen die österreichische Bundesregierung aus politikwissenschaftlicher und juristischer Sicht. Chronologie, Kommentar, Dokumentation, Wien 2002. 122 Thomas Angerer, Welches Österreich für welches Europa? Die Krise von 2000 im Lichte europäischer Österreichprobleme und österreichischer Europaprobleme seit dem 19. Jahrhundert, in: Michael Gehler/Anton Pelinka/Günter Bischof (Hrsg.), Österreich in der EU, Wien/Köln/Weimar 2003, 85–120. 123 Einige Hellsichtige erkannten relativ rasch, wohin die Sanktionsmaßnahmen führten: Peter Hort, Mit der großen Keule gegen die kleine Alpenrepublik. Das wenig durchdachte Vorgehen der Europäischen Union gegen das Mitgliedsland Österreich, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. 2. 2000; Heinrich Schneider, Österreich in Acht und Bann – ein Schritt zur politisch integrierten „Wertegemeinschaft“?, in: integration 23 (2000), Heft 2, 120–148, hier 128; Michael Gehler, Präventivschlag als Fehlschlag: Motive, Intentionen und Konsequenzen der EU 14-Sanktionsmaßnahmen gegen Österreich im Jahre 2000, in: Wilfried Loth (Hrsg.), Das europäische Projekt zu Beginn des 21. Jahrhunderts (Grundlagen für Europa 8), Opladen 2001, 325–382; ders., Kontraproduktive Intervention. Die „EU 14“ und der Fall Österreich oder vom Triumph des „Primats der Innenpolitik“ 2000–2003, in: Michael Gehler/Anton Pelinka/Günter Bischof (Hrsg.), Österreich in der EU, Wien/Köln/Weimar 2003, 121–181.
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durch einen Weisenrat notwendig. Dieses Jahr 2000 ging trotzdem als „annus horribilis“ in die Geschichte der Ballhausplatz-Diplomatie ein. Auch wenn es durch regierungspolitische Insistenz und Zähigkeit sowie nationalen Zusammenhalt möglich war, die Sanktionsmaßnahmen abzuwehren, ging man europa- und integrationspolitisch geschwächt aus dieser achtmonatigen Isolationszeit hervor: Ausdruck einer sich rehabilitierenden Außenpolitik war dann die rasche und substanzielle Entschädigungspolitik mit Blick auf Zwangsarbeiter und NS-Vermögensentzug. Ein glühender und idealistischer Europabefürworter war Schüssel als Bundeskanzler nicht, konnte er auch nach den „Sanktionen“ gar nicht mehr sein. Dazu war er einerseits viel zu sehr Realpolitiker sowie andererseits „Geschlagener“ durch die Sanktionen, die ihn gleich zu Beginn seiner Amtszeit als Bundeskanzler ereilten. Seine EU-Partner machten es ihm in dieser Zeit alles andere als leicht, ein leidenschaftlicher Herzens-Europäer zu sein. Eine solche Haltung wäre auch in der österreichischen Bevölkerung, die mehrheitlich die Isolationsmaßnahmen „der EU“ abgelehnt hatte, schwerlich nachvollziehbar gewesen, geschweige denn verstanden worden. Das junge EU-Mitglied bereitete der Union und seinen übrigen Mitgliedern nicht nur Freude, sondern auch Kopfzerbrechen und Sorgen. In den Jahren ab 2000 verstärkte sich der Eindruck, dass Österreich ein hartnäckiger und schwieriger, weil unangenehmer und lästiger EU-Partner sein würde, v. a. mit Blick auf die Transitfrage und die „EU-Osterweiterung“. In beiden als „Vetofragen“ medial hochstilisierten Themenbereichen musste Österreich letztlich klein beigeben. Auch die Erfolge in der Nachbarschaftspolitik blieben bescheiden. Österreichs Suche nach „strategischen Partnern“ unter den mittelosteuropäischen (MOE)-Staaten sollte nur sehr eingeschränkt gelingen. Die „strategische“ wurde rasch in „regionale Partnerschaft“ umbenannt, wobei doch schon in Mitteleuropa eine Gruppe von Ländern, die sogenannten Viségrad-Staaten (Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei), existierte.124 War das Wort von der „strategischen Partnerschaft“ nur ein anderer Begriff für „Mitteleuropa“ bzw. ein mitteleuropäisch-österreichisches Kooperationsprogramm gewesen? Diesem Gedanken hatte Österreich mit seinem EG-Beitrittsantrag eigentlich selbst schon 1989 indirekt abgeschworen. Zu fragen blieb außerdem, ob den spezifischen Interessen der postkommunistischen Reformstaaten nicht besser damit gedient wäre, wenn sie sich direkt mit den maßgeblichen Entscheidungsträgern in der EU, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, abstimmten und gerade zu Paris und Berlin besonders intensive Beziehungen aufbauten. Mit Blick auf die anhaltenden Störungen und Belastungen der österreichisch-tschechischen Beziehungen bezüglich des umstrittenen AKW Temelín war zweifelhaft, ob Wien von Prag als „Anwalt“ seiner EU-Beitrittsinteressen angesehen werden konnte.
124 Gehler, Vom Marshall-Plan zur EU, 303–307.
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3. Normalisierung, Scheitern des EU-Verfassungsvertrags, EU-Frust, Rückfall in nationalen Populismus und strittige Ratifizierung des Lissabon-Vertrags 2003–2009 Spätestens seit den „Sanktionen“ gegen Österreich haben sich die Gewichte zwischen den großen und den kleinen Mitgliedsstaaten in der EU mit Blick auf den strittigen EU-Gipfel von Nizza im Dezember 2000 verschoben. Österreich teilte das Los der Kleinstaaten, denn alle integrationspolitischen Weichenstellungen sollten durch das grundsätzliche Einverständnis zwischen den Großen, v. a. Frankreich und Deutschland, vorgenommen werden. Seit den EU 14-Sanktionsmaßnahmen besaß das Land ein noch geringeres Gewicht als vorher. Auf weiter Flur stand Österreich bei seinem Bemühen, den mit der EG 1992 geschlossenen Transitvertrag über die zwölfjährige Laufzeit aufrechtzuerhalten, was 2003 scheitern sollte125 – eine weitere integrationspolitische Niederlage auch für Bundeskanzler Schüssel. Rein monetär und ökonomisch blieb Österreich allerdings von Beginn seiner EU-Mitgliedschaft ein Hartwährungsland – eng gekoppelt an die deutsche Währung und Wirtschaft – so weit auch ein verlässlicher Partner. Insofern war anzunehmen, dass es v. a. wirtschaftsund investitionspolitisch mit der „Osterweiterung“ der EU ab 1. Mai 2004, im Zentrum der EU stehend, wichtige Brückenkopffunktionen und Vermittlungsdienste für die neu zu integrierenden Kandidatenländer und ihre fortgesetzte Verwestlichung leisten konnte, was v. a. auf ökonomischem Gebiet geschehen sollte.126 Aus der geografischen Zentralstellung Österreichs in Europa ergaben sich weitreichende Konsequenzen für seine Politik und Wirtschaft, wobei Letztere zu den großen Gewinnern der EU-Mitgliedschaft und der „Osterweiterung“127 zählte. Im eigentümlichen Spagat befand sich dagegen die Regierungspolitik zwischen dem ÖVP-Projekt der „Strategischen Partnerschaft“ mit den mittel-osteuropäischen Ländern und der Veto-Haltung der FPÖ in der Frage der EU-„Osterweiterung“. Das konnte von außen betrachtet nur janusköpfig erscheinen. Gerade bei diesem Thema war in Österreich – einmal abgesehen von Jörg Haiders FPÖ – eine auffällige Diskrepanz in der Frage der Zustimmung zwischen Entscheidungsträgern und Bevölkerung festzustellen. Die offizielle Politik war – abgesehen von Teilen der Freiheitlichen – grundsätzlich eher erweiterungsfreundlich; die
125 Siehe hierzu die kritische Analyse von Paul Luif, Eine Leidensgeschichte. Österreich droht eine Verkehrslawine. Hat die Regierung verabsäumt, sie rechtzeitig zu stoppen?, in: Falter, 14. 11.–20. 11. 2003, Nr. 46, S. 6; Schwarzer Peter für Schüssel & Co. Aktuelle Umfrage von TT und Dolomiten: Wien schuld an Transitdebakel – Große Bereitschaft für Demos, in: Tiroler Tageszeitung, 6./7./8. 12. 2003, sowie die Sonderausgabe der Tiroler Tageszeitung zum „Transitdebakel“, 6./7./8. 12. 2003. 126 Fritz Breuss, Die österreichische Wirtschaft seit der Ostöffnung, in: Dieter Stiefel (Hrsg.), Der „Ostfaktor“. Die österreichische Wirtschaft 1989–2009, Wien/Köln/Weimar 2009, 115–157. 127 Zum gesamten Themenkomplex siehe Martin Sajdik/Michael Schwarzinger, European Union Enlargement. Background, Developments, Facts (Central and Eastern European Studies 2), New Brunswick/London 2007.
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breiteren Schichten aber mehr skeptisch bis ablehnend.128 Beim Konzept der strategischen Partnerschaft hielt sich Schüssel auch merklich zurück. Es sollte Ferrero-Waldners Projekt sein und bleiben. Sein Scheitern blieb daher auch an ihrem Namen haften. Tatsächlich hatte Österreichs Diplomatie bei der EU-„Osterweiterung“ hinter den Kulissen mitgeholfen, als die Verhandlungspakete geschnürt wurden. Kroatien hatte seine Mitgliedschaft (2013) maßgeblich österreichischer Fürsprache und Unterstützung zu verdanken. Dem Erfordernis der Auslandseinsätze kam Österreich nur bedingt nach, gleichwohl unter formeller Beibehaltung des verfassungsmäßig nach wie vor gültigen Neutralitätsgesetzes. In der Auslandskulturpolitik war Österreich aktiv und hat Akzente gesetzt. Für einen neuerlichen Anlauf zu einer Profilierung der österreichischen Europa- und Integrationspolitik unter der ÖVP/BZÖ-Regierung (2005–2006) war die Zeit zu kurz. In der Frage des Türkei-EU-Beitritts wandelte sich Österreichs Haltung. Klima und Schüssel hatten sich noch 1997–1999 befürwortend zum türkischen Kandidatenstatus und EU-Beitritt geäußert, während der spätere Bundeskanzler Schüssel den Verhandlungsbeginn 2004/05 zu blockieren versuchte. Im EU-Verfassungskonvent (2002–2003) hatten Österreicher engagiert mitgearbeitet, v. a. der Grüne Europa-Parlamentarier Johannes Voggenhuber ragte durch sein Engagement hervor. So sehr der Bundeskanzler den Konstitutionalisierungskurs der EU befürwortete, so wurde auch sein Festhalten an nationalen Interessen deutlich. Unter schwierigsten internationalen und europäischen Rahmenbedingungen – der vom Konvent ausgearbeitete sogenannte Verfassungsvertrag lag auf Eis – sowie prekären innenpolitischen Verhältnissen war der österreichische EU-Ratsvorsitz 2006 eine recht gelungene Arbeitspräsidentschaft. Vor dem Hintergrund der knappen Mehrheitsverhältnisse (im Bundesrat besaß die Koalition ÖVP/BZÖ 2005 keine Mehrheit mehr), der durch die FPÖ-Spaltung geschwächten Bundesregierung, der fortbestehenden Uneinigkeit in zentralen Integrationsfragen zwischen einzelnen Regierungsmitgliedern und der anstehenden bereits ihre Schatten werfenden Nationalratswahlen im Herbst 2006 war die aktive und kraftvolle Rolle eines „ehrlichen Maklers“ der zweiten österreichischen EU-Präsidentschaft 2006 nicht mehr zu erwarten. Einmal mehr dominierte der Primat der Innenpolitik und nationaler Interessenpolitik vor europäischen Integrationsanliegen, ein grundsätzliches Dilemma, mit dem die EU wiederholt konfrontiert war und ist. Österreich trug dennoch dazu bei, dass der 2004 von 25 Staaten beschlossene, aber 2005 von Frankreich und den Niederlanden abgelehnte EU-Verfassungsvertrag in der Substanz 128 Martin Lugmayr, Österreich und die EU-Osterweiterung. Maximale Chancen – Maximale Risiken (Europäische Hochschulschriften XXXI/Vol. 447), Frankfurt a. Main/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Oxford/ Wien 2002, 198–212; Simon Gruber, „Vetokeule“ gegen das „Geschenk der Geschichte“? Deutschland und Österreich im Prozess der „EU-Osterweiterung“, in: Michael Gehler/Ingrid Böhler (Hrsg.), Verschiedene europäische Wege im Vergleich. Österreich und die Bundesrepublik 1945/49 bis zur Gegenwart. Festschrift für Rolf Steininger zum 65. Geburtstag, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, 548–568.
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gewahrt bleiben und als modifizierter Reformvertrag von Lissabon nach zeitweiligem irischen Veto (2008) und dann erfolgter Zustimmung noch 2009 in Kraft treten konnte. Der Staatssekretär für Europafragen, Hans Winkler, bilanzierte das Ergebnis des österreichischen Ratsvorsitzes, wonach „die Prinzipien der Verfassung von niemanden angezweifelt“ würden. Die Einigung auf eine Dienstleistungsrichtlinie galt als weiterer Erfolg. Zu weiteren Pluspunkten zählte Winkler die Einigung über den EU-Finanzrahmen für die nächsten sieben Jahre. Fortschritte sah er in der Unterzeichnung eines Stabilitäts- und Assoziierungsabkommens mit Albanien und Bosnien und der Herzegowina sowie in der Verleihung des Kandidatenstatus an Mazedonien. Für Serbien sollte es eine europäische Perspektive geben. Außenministerin Ursula Plassnik hatte mit einer Reise nach Serbien am letzten Tag der Präsidentschaft bewusst ein Zeichen gesetzt.129 Die österreichische Ökonomie orientierte sich nach der EU-„Osterweiterung“ 2004 mehr und mehr in die Mitte und den Osten des Kontinents. Von diesem Jahr an bis 2007 gab es goldene Jahre für Österreichs Außenhandel, -wirtschaft und -investitionspolitik mit erheblichen Wachstumsraten. Die kleine Ökonomie des Landes öffnete sich noch mehr und expandierte enorm, und zwar nicht nur stärker in Richtung Deutschland, sondern vor allem in die Mitte und den Osten des Kontinents. Der Einbruch für Österreichs Wirtschaft erfolgte dann im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise im Übergang zum Jahr 2009.130 Grundsätzlich fehlte es Österreich an einem größeren politischen Gesamtkonzept, um sich produktiver in und außerhalb der EU einzubringen sowie weniger stark in Abhängigkeit zu den Vorgaben der Großen zu geraten. So ist auch Otmar Höll zuzustimmen, dass über Europa und die Union hinausgehend keine spezifische Mission oder gar langfristige Vision für Österreichs Außenpolitik unter Wolfgang Schüssel als Bundeskanzler (2000–2006) existierte wie auch mehr im Rahmen multilateraler Organisationen Lösungen für außen- und integrationspolitische Fragen zu suchen gewesen wären.131 Eine größere Strategie ist in den Jahren seiner Regierungszeit nur schwerlich erkennbar. Er war wohl mehr Taktiker als Stratege. Teillösungen rangierten deutlich vor Gesamtlösungen. Summa summarum gab es aufgrund der genannten Befunde keine Ära in Österreichs Außen-, Europa- und Integrationspolitik seit dem EU-Beitritt, sondern eine lange Periode mit Teilphasen der Übergänge132 und vielen Widersprüchen – mehr Kontroversen als Konsens sowie mehr Niederlagen und Rückschläge als Erfolge und Fortschritte, zumal wenn an die fehlgeschlagene NATO-Beitrittsoption, die unheilvollen, ja auch selbst mitverursachten 129 Dok. 72: Stellungnahme „Ein gut aufgestelltes Team hat konkrete Ergebnisse gebracht“ des Staatssekretärs Hans Winkler, 11. 7. 2006, in: Gehler, Österreichs Weg in die Europäische Union, 324–325. 130 Siehe den Exkurs ebd., 144–148. 131 Otmar Höll, Wolfgang Schüssel and Austrian Foreign Policy, in: Günter Bischof/Fritz Plasser (Eds.), The Schüssel Era in Austria (Contemporary Austrian Studies 18), Innsbruck 2010, 159–182, hier 160, 178–179. 132 Hierin stimme ich überein mit Reinhard Heinisch, Unremarkably Remarkable, Remarkably unremakable: Schüssel as Austria’s Foreign Policymaker in a time of transition, in: Günter Bischof/Fritz Plasser (Eds.), The Schüssel Era in Austria (Contemporary Austrian Studies 18), Innsbruck 2010, 119–158, hier 121.
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Sanktionen, die bescheidene mittel- und osteuropäische Nachbarschaftspolitik, die ungelöste Transitproblematik und die nicht durchzuhaltende Anti-AKW-Position gedacht wird. Als Erfolge können, wenn man so will, die Umsetzung des Schengen-Arrangements, die große Erweiterung der EU um die MOE-Staaten und die Rehabilitierung Österreichs durch die Zwangsarbeiterentschädigung und die Kompensationsbemühungen bezüglich der nazistischen Vermögensentzugspolitik genannt werden. Die sinkenden Zustimmungswerte der Bevölkerung zur EU133 waren kein Ausweis für eine akzeptierte und erfolgreiche österreichische Europa- und Integrationspolitik,134 sondern erscheinen rückblickend eher als die Bankrotterklärung einer Regierung, die es immer weniger verstand, die Österreicher vom Sinn und Wert der EU-Mitgliedschaft zu überzeugen. Dieser eklatante Verlust an Vermittlungs- und Zustimmungsfähigkeit hing auch mit der Wahlniederlage der „Europa-Partei“ ÖVP von 2006 zusammen. Sie unterschätzte dabei auch die EU-kritische öffentliche Meinung im Lande.135 Es verwunderte daher kaum, dass die seit 2007 gebildete Große Koalition, geführt von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) und Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP), u. a. am Konsens in der Integrationspolitik scheiterte. Die öffentliche Debatte über die Frage der Ratifikation des Unionsvertrags von Lissabon nahm teilweise heftige Formen an. Von publizistischen Einwänden und Vorbehalten bis hin zu politischen Forderungen nach Abhaltung einer Volksabstimmung waren die Diskussionen geprägt. Insbesondere das Massenblatt KronenZeitung, das größte österreichische Boulevardblatt, machte eine einseitige Stimmung gegen das Vertragswerk und entfaltete eine Kampagne für ein Referendum. Ein Motiv der ablehnenden Haltung wurde in der Neutralität gesehen, die Gegner des Vertrags in Gefahr sahen.136 133 Michael Gehler, Abstimmung ohne Gewinn. Zehn Jahre nach dem Referendum hat sich die EU-Begeisterung der Österreicher zum Eurofrust gewandelt. Nach der Überzeugungskampagne verabsäumte man, EU-Politik verständlich zu vermitteln. Kommentar der Anderen, in: Der Standard, 14. 6. 2004; Österreicher mit negativster EU-Einstellung. Die Einstellung der Österreicher zur EU und zur weiteren Ausdehnung der Union hat einen Tiefpunkt erreicht. Beim Eurobarometer ist Österreich häufig Schlusslicht, in: Der Standard, 21. 12. 2005; siehe auch EU-Skeptizismus in Österreich http://www.arte.tv/de/Wahlen-in-Oesterreich/2242854. hmtl (abgerufen 15. 2. 2009); allgemein dazu: Anton Pelinka, Bestimmungsfaktoren des Euroskeptizismus. Zu den Ursachen der Krise der europäischen Integration, in: ders./Fritz Plasser (Hrsg.), Europäisch Denken und Lehren. Festschrift für Heinrich Neisser (innsbruck university press), Innsbruck 2007, 233–247. 134 Heinisch, Unremarkable Remarkable, S. 150, umso mehr verblüfft das positive Schlussurteil von Heinisch übernommen von Peter Ludlow, ebd. S. 151, das übertrieben und widersprüchlich zum Vorhergesagten erscheint; siehe auch Höll, Wolfgang Schüssel and Austrian Foreign Policy, 163, 171, 176–177; Heinrich Neisser, The Schüssel Years and the European Union, in: ebd., 183–205, hier 189. 135 Siehe das Fazit von Michael Gehler, Vom EU-Beitritt bis zur EU-Osterweiterung: Die Außen-, Europa- und Integrationspolitik von Außenminister (1995–2000) und Bundeskanzler (2000–2006) Wolfgang Schüssel, in: Robert Kriechbaumer (Hrsg.), Die umstrittene Wende. Österreich 2000–2007, Wien/Köln/Weimar 2013, 461–550, hier 544–550. 136 Ausgewogen und differenziert aus rechtswissenschaftlicher Hinsicht: Peter Hilpold, Solidarität und Neutralität im Vertrag von Lissabon unter besonderer Berücksichtigung der Situation Österreichs, Wien/Bern 2010, 78–85.
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Trotz aller öffentlicher und parteipolitischer Einwände stimmte der Nationalrat am 9. April 2008 mit 151 Ja- gegen 27 Nein-Stimmen, d. h. mit breiter Mehrheit für den Reformvertrag. Der Bundesrat reagierte am 24. April ebenfalls positiv. Wenige Tage später unterzeichnete das Staatsoberhaupt, Bundespräsident Heinz Fischer, den Vertrag. Die öffentliche Kritik sollte jedoch nicht verstummen. Nach Abschluss der Ratifikation verkündeten Alfred Gusenbauer und Werner Faymann gleichermaßen die Absicht, über künftige EU-Verträge grundsätzlich ein Referendum abhalten zu wollen. Der Regierungschef und der SPÖ-Obmann wandten sich publikumswirksam am 25. Juni 2008 mit ihrem offenen Brief an den Herausgeber des erwähnten Massenblatts, Hans Dichand, der prompt zwei Tage später in dessen Organ veröffentlicht wurde und in Zukunft Volksabstimmungen für neue EU-Verträge versprach.137 Dieser populistische Schwenk der SPÖ war auch vor dem Hintergrund der rabiat und immer erfolgreicher gegen die EU hetzenden FPÖ unter Obmann Heinz-Christian Strache zu sehen, der beiden Regierungsparteien mit dieser Anti-EU-Stimmung in ihrer Integrationspolitik schwer zusetzte. Der publizistische Vorstoß der beiden Sozialdemokraten führte zum Bruch der Koalition mit der ÖVP und zum Ende der Regierung von Gusenbauer und Molterer, der mit dem Ausspruch „Jetzt reicht’s“ die Zusammenarbeit aufkündigte und damit Neuwahlen provozierte. Die neue SPÖ/ÖVP-Regierung unter Werner Faymann und Josef Pröll einigte sich im Koalitionsvertrag Ende 2008 dann auf einen Kompromiss: Bei Vertragsreformen sollten künftig europaweite Referenden abgehalten werden, nationale Volksabstimmungen hingegen nur bei Zustimmung beider Regierungsparteien stattfinden. Außenministerin Plassnik wollte dies nicht akzeptieren und trat daraufhin zurück. Einmal mehr hatte die kontroverse europäische Integrationspolitik auf Österreichs Partei- und Innenpolitik eingewirkt. Beim Europäischen Rat in Brüssel am 11. und 12. Dezember 2008 wurden Irland Garantien zugesichert, um den bei seinem ersten negativ ausgegangenen Referendum geäußerten Bedenken Rechnung zu tragen. Zugesagt wurde zudem, dass die Europäische Kommission bei Inkrafttreten des Vertrages auch nach 2014 nicht verkleinert werden würde. Am 2. Oktober 2009 erfolgte das zweite irische Referendum, bei dem 67,13 % mit Ja und 32,87 % mit Nein zum Lissabon-Vertrag stimmte und der dann folglich am 1. Dezember des gleichen Jahres in Kraft treten sollte und bis heute Gültigkeit besitzt.138
137 Gehler, Österreichs Weg, 213–215. 138 Ingolf Pernice (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon. Reform der EU ohne Verfassung? Baden-Baden 2008; Werner Weidenfeld (Hrsg.), Lissabon in der Analyse. Der Reformvertrag der Europäischen Union, BadenBaden 2008; Andreas Marchetti, Claire Demesmay (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon. Analyse und Bewertung, Baden-Baden 2010; Rudolf Streinz/Christoph Ohler/Christoph Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU. Einführung mit Synopse, München 2010 (3. Auflage).
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IV. Bilanz Wenn man die Außen-, Europa- und Integrationspolitik Österreichs ab dem EU-Beitritt in Betracht zieht, wird man nicht umhinkönnen, eine dynamische, komplexe, mehrdimensionale und vielschichtige Materie darstellen und analysieren zu müssen. Diskontinuitäten überwogen dabei Kontinuitäten. Letztere lagen im parteipolitisch-personellen Bereich. Auf Alois Mock (1987–1995) folgten mit Wolfgang Schüssel (1995–2000), Ferrero-Waldner (2000–2004) und Ursula Plassnik (2004–2009) und zuletzt mit Michael Spindelegger (ab 2009) stets ÖVP-Politiker als Außenminister/innen. Die Europa-Staatssekretäre waren koalitionsbedingt, abgesehen von Ferrero-Waldner (ÖVP), mit Peter Jankowitsch (SPÖ), Brigitte Ederer (SPÖ) und Hans Winkler (parteilos) anderer bzw. unterschiedlicher Couleur. Die FPÖ agierte ohne außenpolitische Erfahrung und personelle Kompetenz. Sie war in der schwarz-blauen Regierungskoalition europapolitisch nicht nur ein schwacher, sondern auch ein lästiger und schwieriger Koalitionspartner, um nicht zu sagen ein integrationspolitisches Hemmnis, zumindest ein Störfaktor. Die Außen-, Europa- und Integrationspolitik war einem starken Wandel unterworfen: Österreich agierte außer- wie innerhalb der EU. Es handelte sich um eine neue ganz andere „Außenpolitik“, die sowohl in europäischer Innen- als auch Außenpolitik aufging, verbunden mit einer Machtverlagerung: die Europakompetenz ging zu den Staats- und Regierungschefs über. Das bekamen auch die Außenministerinnen Ferrero-Waldner und Plassnik zu spüren, die in enger Abstimmung mit dem Bundeskanzler und in voller Loyalität zu Schüssel zu agieren hatten. Es waren zudem auch die Staats- und Regierungschefs der großen Länder, die europäische Außenpolitik machten. Die Machtverhältnisse verschoben sich in Richtung Europäischer Rat. Diese Gewichtsverlagerung erfolgte jenseits der Wirtschaft, die seit der zweiten Hälfte der 1980erJahre der Politik enteilt und gegenüber den politischen Akteuren dominant geworden ist. Die österreichische Außen- und Europapolitik war unter Schüssel als Bundeskanzler (2000–2006) die am wenigsten akzeptierte und konsensuale von allen Regierungen der Zweiten Republik. Die Gegnerschaft und Widerstände reichten von internationaler Ablehnung, innenpolitischer Kritik vonseiten eines Alfred Gusenbauer (SPÖ) und Alexander van der Bellen (Grüne) bis hin zur regierungsinternen Opposition und zum Widerstand eines Jörg Haider im Koalitionsausschuss. Bilanzierend lässt sich sagen, dass Österreich innerhalb wie außerhalb der EU Bereitschaft und Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit mittleren und Kleinstaaten entwickelte. Die Beziehungen zur Bundesrepublik wurden wichtiger. Wirtschaftlich wurde Österreich voll in den Binnenmarkt integriert und profitierte davon. Politisch verlief die EU-Mitgliedschaft weit weniger reibungslos. Kooperationskonzeptionen eröffneten in der Regel mehr Aussicht als unilaterale Aktionen, obwohl Österreichs Weg in die EU vielfach von „Alleingängen“ gekennzeichnet war. Gemessen an den hohen Erwartungen an die zukünftige österreichische Europapolitik lässt sich festhalten, dass die Maschinerie in Brüssel durch Wien nicht immer optimal ge-
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nutzt werden konnte und dies teils durch von außen auferlegte Beschränkungen, teils durch hausgemachten Dissens und Konfliktstoff. Als dritter, unparteiischer Partner hatte Österreich kaum eine Chance, sich inner- oder außerhalb der EU zu profilieren. Die Netzwerkarbeit ließ zu wünschen übrig. Eine besondere Dialogfähigkeit unter den EU-Partnern konnte es am ehesten und kurzzeitig während seiner beiden halbjährigen Ratsvorsitze (1998, 2006) entwickeln. Vielmehr war Österreich oft mehr mit sich selbst und seinen nicht durchsetzbaren Forderungen im EU-Rahmen beschäftigt. Es konnte auch keinen eigenständigen, geschweige denn einen dauerhaften Beitrag dazu leisten, das Gewicht der kleineren und mittleren Staaten zu stärken, welches ohnedies tendenziell im Abnehmen begriffen war. Es ist daher eine sehr abwechslungsreiche, durchwachsene und nur sehr bedingt positive Bilanz zu konstatieren. Oftmals mangelte es an einheitlichem Auftreten innerhalb und außerhalb der EU. Die fehlende europapolitische Geschlossenheit der Großen Koalition führte dazu, dass sie in der Sicherheitspolitik keine gemeinsame Linie fand. Das junge EU-Mitglied hatte seit seinem Beitritt auch keine Prinzipienfestigkeit mit wirksamen opting outs und Vetopositionen à la Dänemark, Schweden oder Irland gezeigt. Bis 1989/90 war Österreich noch ein respektabler außenpolitischer Akteur der internationalen Diplomatie gewesen. Dieses möglicherweise etwas zu positiv wirkende Image ging in Folge sukzessive verloren. Unter Bruno Kreisky war es in der bipolaren Welt einfacher gewesen, ein eigenständiges außenpolitisches Profil zu entwickeln. Kreisky hatte drei absolute Mehrheiten und agierte in der Sozialistischen Internationale gut abgestimmt mit Willy Brandt und Olof Palme. Die nicht minder starke transnationale Parteienkooperation der europäischen Christdemokraten hatte seit Ende der 1990er-Jahre an Bedeutung verloren. Im Unterschied zu Kreisky, der eine Ära prägte und dem Franz Vranitzky als Karls-Preis-Träger von Aachen noch als eine staatstragende Figur Österreichs139 folgte, waren Viktor Klima, Wolfgang Schüssel, Alfred Gusenbauer und Werner Faymann keine klassischen Außen- und Europapolitiker mehr, sondern doch primär oder mehr Partei- und Innenpolitiker. Die sogenannten „Sanktionen“ bedeuteten nach Abklingen des ersten Schocks einen schweren Dämpfer sowie das anhaltende Gefühl, kein gleichberechtigter, ernst zu nehmender und starker Partner in der EU zu sein, was noch länger nachwirkte. Bundeskanzler Schüssel konnte vor diesem Hintergrund kaum mehr ein wirklicher Herzenseuropäer sein, sondern wurde zum Pragmatiker. Österreichs Außen- und Europapolitik geriet zudem stärker ins Spannungsfeld des Rechtspopulismus, was auch an der ÖVP nicht spurlos vorüberging. Die europäischen Herausforderungen wurden zudem komplexer und vielfältiger. Wenn die Agenda der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs von 1998 mit jener von 2006 verglichen wird, so ist dieser Zuwachs an neuen Aufgaben und Herausforderungen unverkennbar.140 139 Michael Gehler, Paving Austria’s Way to Brussels: Chancellor Franz Vranitzky (1986–1997) – A Banker, Social Democrat and Pragmatic European Leader, in: Journal of European Integration History Vol. 18 (2012), No. 2, 159–182. 140 Gunther Hauser, Die österreichischen Ratspräsidentschaften 1998–2006 im Vergleich, in: Michael Gehler/
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Österreich besaß aufgrund seiner zentralen Lage in Europa weit mehr Möglichkeiten. Es hatte zuweilen herausragende Diplomaten und Vermittler im Einsatz, z. B. Albert Rohan, Valentin Inzko, Wolfgang Petritsch, Stefan Lehne oder Erhard Busek, die zeigten, wo die Stärken Wiens nach wie vor liegen: in der Vermittlung bei Konflikten und der Stabilisierung von Krisenzonen. Dabei bleibt die Neutralität ein Gut und Wert an sich.
V. Geschichte und Stand der Forschung 1. Die Forschungsdisziplinen Das Bild ist noch längst nicht vollständig. Eine ganze Reihe von Antworten auf Fragen, die in diesem Band gegeben worden sind, bedürfen noch weiterer Forschung und Fundierung, zumal noch längst nicht alle historisch relevanten Dokumente für den Zeitraum bis 1995, geschweige denn nachher und bis in die jüngste Zeit erschlossen bzw. verfügbar sind. Österreichs EG-Beitrittsansuchen und seine EU-Mitgliedschaft stimulierten das Interesse am Thema und bereits bestehende sowie neue Europa- und Integrationsforschungen im Land. Traditionell dominierten die Ökonomen (WIFO, z.B. Franz Nemschak, Jan Stankovsky, Fritz Breuss u. a.), weniger stark aber auch aktiv waren die Politikwissenschafter (Paul Luif, Anton Pelinka, Christian Schaller), v. a. aber Europa- und Völkerrechtler (allen voran Waldemar Hummer, Stefan Griller, Franz Rotter, Anita Ziegerhofer-Prettenthaler) diese Thematik. Spätestens mit dem sich abzeichnenden EU-Beitritt begannen auch die Historiker in den 1990er-Jahren die neue Rolle in Österreichs Europa zu begreifen und sich etwas mehr damit zu beschäftigen. Historische europäische Integrationsforschung im engeren Sinne blieb aber bis heute ein eher marginales Thema der österreichischen universitären Zeitgeschichtsforschung. Trotz vereinzelter und vergangener Anstrengungen, z. B. im Rahmen eines Arbeitskreises für (historische) europäische Integrationsforschung (AEI) für Österreich rund um das Institut für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck (1993–2006) bewegte sich auf diesem Feld nur sehr wenig, sieht man von den Einzelarbeiten von Thomas Angerer, Wolfgang Mueller, Oliver Rathkolb, Thomas Ratka und Anita Ziegerhofer-Prettenthaler ab. In den Jahren von 1993 bis 2001 veröffentlichte das vorgenannte Institut immerhin einige Bände in einer eigenen Reihe (siehe Bibliografie). Diese Reihe ist inzwischen an das Institut für Geschichte der Stiftung Universität Hildesheim ausgelagert worden. Ein eigenes universitäres zeithistoriografisches Forschungszentrum zur österreichischen Integrationsgeschichte hat sich bisher nicht etabliert. Das außeruniversitäre DDr. Herbert Batliner-Europainstitut in Maddalena Guiotto (Hrsg. unter Mitarbeit von Imke Scharlemann), Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen von 1945–49 bis zur Gegenwart/Italy, Austria and the Germany in Europe. A Traingle of Mutual Relations and Perceptions from the Period 1945–49 to the Present (Institut für Geschichte der Universität Hildesheim, Arbeitskreis Europäische Integration, Historische Forschungen, Veröffentlichungen 8), Wien/Köln/Weimar 2012, 509–544.
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Michael Gehler
Salzburg ist in diesem Zusammenhang zu nennen, das neben traditionell stark politik- und v. a. rechtswissenschaftlichen Studien zuletzt auch geschichtswissenschaftliche Forschungsleistungen förderte und Serien über Österreich und die Europäische Integration herausgab. Die Fortführung seines integrationsgeschichtlichen Forschungsschwerpunkts ist allerdings nicht mehr gegeben. Die kulturalistische Wende hat auch hier vollends einzusetzen begonnen. 2. Forschungsthemen und -trends Bedingt durch die frei werdenden Archivbestände konnte zunächst die Rolle des Marshallplans für Österreich beschrieben, aber bei Weitem noch immer nicht das für Österreich so wichtige European Recovery Program (ERP) in seinen Auswirkungen und Folgen erfasst werden. Österreichs Verhältnis zu den frühen Integrationsformen (Europarat, EGKS, EFTA, EWG-Assoziationsbestrebungen) konnte Schritt für Schritt dokumentiert und erforscht werden. Erst ab den 1990er-Jahren begannen sich österreichische Historiker mit dem historischen Verhältnis ihres Landes mit dem gemeinschaftlichen Europa zu beschäftigen, was mit der jahrzehntelangen Nicht-EWG-Mitgliedschaft ihres Landes, der Dominanz der Betrachtung der Geschichte des Staatsvertrags und der Entstehung der Neutralität (1945–1955), v. a. aber mit dem generell schwachen Stand der „International Relations Studies“ in der österreichischen Zeitgeschichtsforschung erklärt werden kann. Bisherige Werke (wie z. B. von Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall: Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955 Graz/Wien/Köln 1979; Günter Bischof/Josef Leidenfrost [Hrsg.], Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949, Innsbruck 1988; Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der OstWest-Besetzung Österreichs 1945–1955, Wien/Köln/Graz 4. Auflage 1998, 5. Auflage 2005; Günter Bischof, Austria in the First Cold War, 1945–55. The Leverage of the Weak, London/New York 1999), die für sich gesehen richtungweisend waren, widmeten sich nicht explizit einschlägigen Europa- und Integrationsforschungsfragen. Es gab und gibt keine starke Tradition der Integrationsgeschichtsschreibung in Österreich, die mitunter aus einem dominanten, verengten und inzwischen auch aus der Mode gekommenen, rein sozialgeschichtlichen Blick irrigerweise mit „Diplomatie-“, „Eliten-“ und „Macht“-Geschichte gleichgesetzt oder verwechselt wurde. Die kulturalistische Wende hat die österreichische Integrationsforschung nicht weiterbefördert und wenn dann diese nur in Spurenelementen erreicht. 3. Verbleibende Forschungsaufgaben Historische Integrationsforschung in Österreich kann nicht nur auf einer Ebene, z. B. aus der nationalstaatlichen und regierungspolitischen Perspektive verfolgt und geschrieben werden, was bis dato dominiert hat. Eine systematisch angelegte, multiperspektivische österreichi-
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sche Integrationsgeschichtsschreibung aus der Sicht der Gemeinschaften und Unionsorgane, anderer Staaten, der Parteien und transnationaler Netzwerke, Organisationsformen und Verbände fehlt noch. Folgende Forschungsfelder sind noch weitgehend unbeackert: −− Österreichs Wahrnehmung aus Sicht des Europarats, der EFTA, EWG, EG und EU vor wie nach seinem Beitritt; −− Haltungen, Motive und Ziele der Lobbys, politischen Parteien, Regierungen, Verbände, betreffend die verschiedenen historischen Integrationsformen im Längsschnitt; −− Österreichs Position in der internationalen Staatengemeinschaft und der Einfluss europäisierter und globaler Machtpolitik; −− Verbindungen zwischen bildungsspezifischen, politischen, sozialen, kulturellen, ökonomischen, rechtlichen und sicherheitspolitischen Dimensionen der Integrationspolitik Österreichs sowie sein Status als neutraler Staat – eine geschlossene monografische Geschichte der Neutralität 1955–1995/2010 fehlt; −− die innen- und außenpolitischen Konsequenzen des EU-Beitritts für die österreichische Außen- und Wirtschaftspolitik, die politische und wirtschaftliche Mentalität, die politische und kulturelle Identität; −− die epochale Wende des Jahres 1989 mit explizitem Blick auf Österreichs Europa- und Integrationspolitik; −− die Nicht-Befolgung und die Übernahme der Gemeinschaftsregeln und -kulturen (Empfehlungen, Vorgaben, Richtlinien) durch Österreich; −− Österreichs Ratspräsidentschaften 1998 und 2006 im Vergleich und die Rolle von Österreicherinnen und Österreichern im Europäischen Parlament und diversen EU-Funktionen; −− Österreichs Haltung zur EU-„Osterweiterung“.
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Chronologie Österreich und die europäische Integration von den Anfängen bis 2009
1923 1926 2. 9. 1926 1. 5. 1930 1930 1932 1935 25./27. 3. 1943 1. 11. 1943 1. 7. 1944 5. 9. 1944 4. 7. 1945 22. 8. 1945 24./25. 9. 1945 20. 10. 1945 8. 3. 1946 5. 4. 1946 28. 6. 1946 10. 7. 1946 5. 9. 1946
19. 9. 1946 10. 2. 1947
Gründung der Paneuropa-Union durch Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Ka lergi in Wien. Erster Paneuropakongress in Wien. Gründung des internationalen Bundes für europäische Verständigung. Memorandum über die Organisation eines europäischen Zusammenschlusses von Aristide Briand an die Mitglieder des Völkerbundes. Zweiter Paneuropakongress in Berlin. Dritter Paneuropakongress in Basel. Vierter Paneuropakongress in Wien. Fünfter Paneuropakongress in New York. Moskauer Deklaration: Befreiung und Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs wird von der Anti-Hitler-Koalition (SU, USA, GB) propagiert. Konferenz von Bretton Woods (UN Monetary and Financial Conference) beginnt. Vertragsabschluss zur Bildung einer Zollunion zwischen Belgien, Luxemburg und den Niederlanden (Benelux); tritt am 1. 1. 1948 in Kraft. Erstes Alliiertes Kontrollabkommen für Österreich. Österreich wird in die UNRRA-Hilfsaktion miteinbezogen. Erste gesamtösterreichische Länderkonferenz. Die gesamtösterreichische Regierung Karl Renner ist von allen vier alliierten Besatzungsmächten anerkannt. Eintreffen der ersten UNRRA-Lebensmittellieferungen. Unterzeichnung des UNRRA-Vertrages mit Österreich. Zweites Alliiertes Kontrollabkommen bedeutet weitgehende Souveränität für Österreich. Verzicht der USA auf „deutsches Eigentum“ in ihrer Zone. Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen Alcide De Gasperi und Karl Gruber, die als Pariser Abkommen im Annex IV Bestandteil des italienischen Friedensvertrags wird und Rechte der Südtiroler sichern soll; Artikel 85 des Friedensvertrages postuliert, dass Annexe integrale Bestandteile des Vertrages sind. Züricher Rede von Winston Churchill: Vorschlag zur „Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa“ und eines Europarates. Das als „europäische Lösung“ gedachte Gruber-De Gasperi-Abkommen wurde im Annex IV des italienischen Friedensvertrages verankert; es lässt sich jedoch in der Folgezeit nur sehr eingeschränkt realisieren.
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Chronologie
4. 3. 1947
5. 6. 1947 25. 6. 1947 8. 7. 1947 16. 7. 1947 22. 9. 1947 30. 10. 1947
8. 11. 1947 2. 1. 1948 17. 3. 1948 16. 4. 1948
8./10. 5. 1948 2. 7. 1948 10. 7. 1948 27. 8. 1948 16. 10. 1948 25. 1. 1949
3. 4. 1949 4. 4. 1949 5. 5. 1949 9. 5. 1950
Vertrag von Dünkirchen zwischen Großbritannien und Frankreich auf 50 Jahre gegen etwaige deutsche kriegerische Absichten geschlossen, Vorläufer des Brüsseler Vertrages (1948). Ankündigung eines europäischen Wiederaufbauprogramms des US-Staatssekretärs George C. Marshall an der Harvard University. Unterzeichnung des österr.-amerikanischen Relief-Abkommens (Bestandteil des US-Foreign Relief Program). Ministerrat in Wien trifft einstimmige Entscheidung, dass Österreich an der Bildung der europäischen Marshallplan-Organisation teilnimmt. Konstituierung des Committee of European Economic Cooperation (CEEC), Österreich meldet einen Bedarf von 660 Millionen $ für 1948 an. Maßnahmenkatalog des CEEC zur wirtschaftlichen Kooperation in Europa als Antwort auf die Rede Marshalls vom 5. 6. Unterzeichnung des GATT-Abkommens (General Agreement on Tariffs and Trade) von 23 Staaten in Genf (Beseitigung von „Vorzugszöllen“; Zollsenkung für gewerbliche Waren 19 %). Aufnahme Österreichs in die UNESCO. Interimshilfsabkommen zwischen Österreich und den USA. Brüsseler Vertrag (GB, F, Benelux): militärische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit. Gründung der OEEC (Organization for European Economic Cooperation, Vorläufer war das im Juli 1947 gegründete Komitee für die wirtschaftliche Zusammenarbeit Europas) durch 16 europäische Länder (darunter auch Österreich) mit Sitz in Paris; Koordinierung des ERP (European Recovery Program); Abbau der Handelsschranken und der Devisenkontrollen. Haager Kongress der Europaverbände. Österreich unterzeichnet das ERP-Abkommen mit den USA (Geltungsdauer bis 30. 6. 1953). Unterzeichnung des OEEC-Vertrages von Österreich. Österreich wird Mitglied des International Monetary Fund (IMF) und der International Bank for Reconstruction and Development. Unterzeichnung des Abkommens über den innereuropäischen Zahlungs- und Rechnungsverkehr (Verrechnung und Ziehungsrechte). Abkommen zur Bildung eines Council of Mutual Economic Assistance (COMECON); dt.: Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) in Moskau (SU, Alb, Bu, SBZ/DDR, Mongol. VR, Pol, Ru, CSSR, Hu und Kuba). Wahl Außenminister Grubers zum Vizepräsidenten der OEEC (Ansprache im Sender „Rot-Weiß-Rot“). Unterzeichnung des NATO-Abkommens in Washington, ab 24. 8. 1949 in Kraft. Londoner Abkommen zur Gründung des Europarates (F, GB, I, IR, DK, NOR, SW, Benelux), ab 3. 8. 1949 in Kraft. Robert Schuman schlägt die Vergemeinschaftung der Europäischen Kohle- und Stahlerzeugung (Monnet-Plan) vor.
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Chronologie
25. 6. 1950 18. 8. 1950
19. 9. 1950
26. 9. 1950 24. 10. 1950 4. 11. 1950 18. 4. 1951
19. 6. 1951 19. 10. 1951 24. 11. 1951 13. 3. 1952 27. 5. 1952 23. 7. 1952 20. 12. 1952 10. 3. 1953 14. 4. 1953 1. 5. 1953 19. 5. 1953 1. 7. 1953 27. 7. 1953 16. 12. 1953 23. 2. 1954 9. 4. 1954
Beginn des Korea-Krieges. Der OEEC-Rat beschließt ein Liberalisierungsprogramm: Bis 1955 erfolgt eine 90%ige Liberalisierung des innereuropäischen Handels mit Industriewaren (Befreiung von Exportrestriktionen). Gründung der Europäischen Zahlungsunion (EZU) als Unterorganisation der OEEC, rückwirkend mit 1. 7. 1950, die unter den OEEC-Staaten einen multilateralen Zahlungsausgleich („Clearing“, langfristiges Ziel: „Konvertibilität“) herbeiführen soll; Österreich ist von Anfang an assoziiertes Mitglied. Kommunistische Agitationen und Streikversuche in Ostösterreich (Ober-, Niederösterreich und Wien). Der französische Ministerpräsident René Pleven schlägt die Bildung einer integrierten europäischen Armee vor. Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Rom. Unterzeichnung des Vertrages zur Bildung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) bzw. Montanunion (Benelux, BRD, F, I), begrenzt auf 50 Jahre; Hohe Behörde in Luxemburg, Österreich tritt mit Rücksicht auf schwebende Staatsvertragsverhandlungen, d. h. aus integritäts- und souveränitätspolitischen Gründen, nicht bei, schließt aber im Rahmen des GATT 1956 ein Zoll- und Preisabkommen mit der EGKS ab. Nationalrat genehmigt den GATT-Beitritt Österreichs. Österreich wird Mitglied des GATT (unbedingte „Meistbegünstigungsklausel“). Österreich erhält Beobachterstatus beim Europarat (ständige Beobachterdelegation in Straßburg: Rederecht in der Vollversammlung, aber fehlendes Stimmrecht). Die Westmächte überreichen den Vorschlag eines „Kurzvertrags“ für Österreich („Räumungsprotokoll“), der die Verhandlungen bis 1954 blockiert. Unterzeichnung des Vertrages zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) (Benelux, BRD, F, I). EGKS-Vertrag tritt in Kraft. Österreichfrage vor der UNO; die Generalversammlung appelliert an die betreffenden Regierungen, den Staatsvertrag mit Österreich abzuschließen. Entwurf der Gemeinsamen Versammlung zur Schaffung einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG). Im Ministerrat wird für die Montanunion ein österreichischer Beobachter bestellt. Eröffnung des gemeinsamen Marktes der EGKS. Die österreichische Bundesregierung bezeichnet die Schaffung einer ständigen Beobachterdelegation bei der Hohen Behörde als „Grenze des Möglichen“. Österreich tritt der EZU als Vollmitglied bei. Waffenstillstand in Korea. Parlamentarischer Initiativantrag der Abgeordneten Pittermann, Stürgkh und Genossen zum Beitritt Österreichs zum Europarat. Raab teilt im Ministerrat mit, dass sich Österreich im OEEC-Rahmen verpflichtet, bis zum 30. 6. 1954 die 75%-Liberalisierung in Kraft zu setzen. Wien wünscht sofortige Aufnahme von Zollverhandlungen mit der EGKS.
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Chronologie
30. 8. 1954 23. 10. 1954 25. 10. 1954 14. 12. 1954 24. 3. 1955 15. 5. 1955 20. 5. 1955 1.–2. 6. 1955 26. 10. 1955 14. 12. 1955 21. 2. 1956 16. 4. 1956 21. 4. 1956
8. 5. 1956 19. 5. 1956
18. 7. 1956 23. 10. 1956 29. 1. 1957 12. 2. 1957 25. 3. 1957
1. 1. 1958 25. 3. 1958 1958 4. 1. 1960
Französische Nationalversammlung setzt EVG von der Tagesordnung ab: das Projekt ist gescheitert. Gründung der Westeuropäischen Union (WEU): Italien und die BRD treten dem Brüsseler Pakt bei. Unterzeichnung der Pariser Verträge: Beitritt der BRD zur NATO nach Scheitern der EVG. Ministerrat beschließt Verzicht auf Wiederaufnahme der Verhandlungen mit der EGKS. Bundesrepublik erteilt den Pariser Verträgen ihre Zustimmung. Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages (Ö, USA, SU, GB, F); tritt am 27. 7. 1955 in Kraft. Benelux-Memorandum zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes. Außenministerkonferenz der EGKS-Staaten in Messina. Nationalrat beschließt Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität. Österreich wird Mitglied der Vereinten Nationen (UN). Ministerrat genehmigt Beitritt zum Europarat (genehmigt durch den Nationalrat 1. 3.). Beitritt Österreichs zum Europarat. Spaak-Bericht über die Schaffung eines gemeinsamen Marktes (Grundlage für die Verhandlungen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft = EWG). Zollabkommen Österreichs mit der EGKS im Rahmen des GATT. Außenministerkonferenz in Venedig beschließt die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Ziel der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Euratom. Die OEEC schlägt eine Große Freihandelszone vor. Außenminister Leopold Figl gibt bekannt, dass die österr. Bundesregierung einen EGKS-Beitritt erwägt. Ministerrat in Wien spricht sich für eine Teilnahme an der geplanten Europäischen Freihandelszone aus. Außenminister Figl unterbreitet dem OEEC-Ministerrat Österreichs Vorschläge für die Freihandelszone. Unterzeichnung der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschafts- und Atomgemeinschaft in Rom (EWG, EAG/Euratom: Benelux, BRD, F, I) mit unbegrenzter Laufzeit (Römische Verträge). Inkrafttreten des EWG- und EAG-Vertrages (vorläufiges Scheitern des MaudlingPlans einer alle Staaten Westeuropas umfassenden Großen Freihandelszone). Österreichisches Memorandum für die Verhandlungen einer FHZ aller westeuropäischen Staaten. Österreich ratifiziert die EMRK. Unterzeichnung der Stockholmer Konvention zur Errichtung der EFTA (GB, DK, NOR, Ö, P, SW, SUI).
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Chronologie
3. 5. 1960 14. 12. 1960 1. 1. 1961 10. 2. 1961
21. 6. 1961 31. 7. 1961 9. 8. 1961 10. 8. 1961 19. 10. 1961 10. 12. 1961 15. 12. 1961 17. 4. 1962 30. 4. 1962 4. 7. 1962 28. 7. 1962
14. 1. 1963 22. 1. 1963 29. 1. 1963 26. 2. 1963
28. 2. 1963 2. 3. 1963 20. 7. 1963 12. 9. 1963 10. 7. 1964 19. 3. 1965
EFTA-Vertrag tritt in Kraft. Unterzeichnung der Konvention von Paris zur Schaffung der OECD als Nachfolgerorganisation der OEEC. Teilangleichung der nationalen Zollsätze der EWG. Staats- und Regierungschefs der EWG-Staaten beschließen engere wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit. Christian Fouchet leitet einen Beamtenausschuss, der einen Plan ausarbeitet. Beschluss des österreichischen Nationalrates über wirtschaftliche Vereinbarungen mit der EWG. Irland stellt einen Antrag auf Beitritt zur EWG. Großbritannien stellt einen EWG-Beitrittsantrag. Dänemark stellt einen EWG-Beitrittsantrag. Österreich, Schweden und die Schweiz beschließen, unter Berücksichtigung der Neutralität, eine Assoziierung mit der EWG anzustreben. Fouchet-Plan zur Schaffung einer politischen Union. Österreich, Schweden und die Schweiz überreichen Anträge auf Assoziierung mit der EWG (Artikel 238 des EWG-Vertrages). Verhandlungen über die Europäische Politische Union werden abgebrochen, weil kein Konsens über die Vorschläge des Fouchet-Ausschusses möglich ist. Norwegen stellt einen EWG-Beitrittsantrag. Chruschtschow bezeichnet beim Moskau-Besuch von Bundeskanzler Alfons Gorbach die EWG als ein Instrument der NATO. Außenminister Kreisky erläutert im Beisein des Handels- und Wiederaufbauministers Bock das österreichische Assoziierungsansuchen vor dem EWG-Ministerrat. Staatspräsident Charles de Gaulle legt sein Veto zum britischen EWG-Beitritt ein. Unterzeichnung des bundesdeutsch-französischen Freundschaftsvertrages in Paris („Élysée-Vertrag“). Abbruch der Beitrittsverhandlungen der EWG mit Großbritannien. Im Gegensatz zu den Beitritts- und Assoziationskandidaten (SUI, SW) erneuert Österreich ausdrücklich seinen Wunsch nach einem baldigen Arrangement mit der EWG. In weiterer Folge strebt Wien allerdings keine Assoziierung, sondern einen Vertrag „besonderer Art“ („special arrangement“) mit Brüssel an. Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS warnt Österreich vor einer Assoziierung mit der EWG. Kategorische Zurückweisung der TASS-Erklärung durch Österreich. Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens der EG mit 17 afrikanischen Staaten und Madagaskar in Jaunde. Übereinkommen zur Assoziierung der Türkei mit der EWG. Die Prawda kritisiert die Gespräche zwischen Österreich und der EWG. Beginn der ersten Verhandlungsrunde Österreichs mit der EWG (bis Februar 1966).
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Chronologie
8. 4. 1965 30. 6. 1965
29. 1. 1966 8. 2. 1966 24. 7. 1966 7. 12. 1966 16. 3. 1967 10. 5. 1967 25. 6. 1967 29. 6. 1967 1. 7. 1967 9. 7. 1967 1. 7. 1968 30. 11. 1969 1./2. 12. 1969
8./9. 12. 1969
18. 12. 1969 31. 12. 1969 1. 1. 1970 8. 10. 1970 27. 10. 1970
10. 11. 1970 9. 2. 1971 22. 1. 1972
Unterzeichnung des Vertrages über die Fusion der Exekutivorgane der drei Europäischen Gemeinschaften (EGKS, EWG, EAG). Die Verhandlungen über die Finanzierung einer gemeinsamen Agrarpolitik scheitern in der EWG. Frankreich bricht die Verhandlungen ab und betreibt „Politik des leeren Stuhles“. Sogenannter „Luxemburger Kompromiss“: De-facto-Verzicht auf den vertraglich intendierten Übergang zu Mehrheitsentscheidungen. Frankreich nimmt wieder an den Sitzungen der Ständigen Vertreter in Brüssel teil. Einigung über Finanzierung und Organisation der gemeinsamen EWG-Agrarpolitik. EWG genehmigt 2. Verhandlungsrunde mit Österreich (bis Februar 1967). Kanzler Josef Klaus erwidert sowjetische Vorhaltungen bezüglich eines Arrangements mit der EWG. Zweiter EG-Beitrittsantrag Großbritanniens, ebenso Irlands und Dänemarks (11. 5.). Terroranschlag an der österr.-italienischen Grenze (Porzescharte/Prov. Belluno). Rom legt ein Veto gegen weitere Vereinbarungen zwischen Wien und Brüssel ein. Fusionsabkommen vom 8. 4. 1965 tritt in Kraft. Jean Rey avanciert zum Präsidenten der EG. Vizekanzler Bock erklärt italienisches Veto für nicht gerechtfertigt. Verwirklichung der Zollunion vor dem vorgesehenen Termin (31. 12. 1969) und Einführung eines gemeinsamen Außenzolls. Aushandlung des Sütirol-Pakets. Staats- und Regierungschefs der EG treffen sich in Den Haag und beschließen forcierte Integration, stufenweise Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU, Werner-Plan) bis 1980 und politische Zusammenarbeit; Beitrittsverhandlungen mit DK, GB, IR, NOR. Die EG bekundet im Zuge des Abschlusses des Südtirolpakets und der Zurückziehung des italienischen Vetos ihr Interesse an neuen Kontaktgesprächen mit Österreich. Österreich präzisiert seine Vorstellungen hinsichtlich einer wirtschaftlichen Interimslösung (präferenzielles Zoll- und Handelsabkommen). Vollständiger Zollabbau innerhalb der EG und gemeinsamer Außenzoll. Außenhandelskompetenzen gehen von den Mitgliedsstaaten auf die EG über; Beitritt Islands zur EFTA. Werner-Plan (luxemburgischer Ministerpräsident) über die stufenweise Realisierung der WWU wird dem EG-Rat und der Kommission vorgelegt. Luxemburger Bericht (Davignon-Bericht) der EG-Außenminister an die Staatsund Regierungschefs über die EPZ; Ermächtigung der EG-Kommission zu Verhandlungen mit Österreich bezüglich eines Interimsabkommens. Beginn der EG-Verhandlungen mit Österreich, Schweden und der Schweiz. Ministerrat einigt sich in Brüssel über die WWU. Beitrittsverträge mit DK, GB, IR, NOR und der EG.
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Chronologie
21. 3. 1972 22. 7. 1972 18. 8. 1972 14. 9. 1972 25. 9. 1972 2. 10. 1972 20. 10. 1972
1. 1. 1973
14. 5. 1973 5. 10. 1973 10. 12. 1974 28. 2. 1975 11. 3. 1975 5. 6. 1975 12. 6. 1975 1. 8. 1975 29. 12. 1975 28. 3. 1977 1. 7. 1977 28. 7. 1977 8. 4. 1978 7. 7. 1978 5. 12. 1978 13. 3. 1979 28. 5. 1979 7./10. 6. 1979 31. 10. 1979 11. 1. 1980 20. 10. 1980 1. 1. 1981
Einführung der „Währungsschlange“ (max. 2,5 % Abweichung der Wechselkurse). Unterzeichnung der bilateralen Freihandelsabkommen der EG mit den EFTAStaaten Island, Österreich, Portugal, Schweden und der Schweiz. Sowjetisches Aide-Mémoire betont neuerlich den immerwährend neutralen Status von Österreich und alle damit verbundenen Pflichten. Nationalrat genehmigt einstimmig das Abkommen mit den EG. Die Norweger lehnen in einer Volksabstimmung den EG-Beitritt ihres Landes ab. Die Dänen stimmen einem EG-Beitritt ihres Landes zu. Staats- und Regierungschefs der erweiterten EG beschließen in Paris Ausbau der EG zur Europäischen Union und verabschieden einen Zeitplan zur Realisierung der WWU. EG-Beitritt GB, IR und DK („Neuner-Gemeinschaft“); Inkrafttreten der EGFreihandelsabkommen mit Österreich, Norwegen, Portugal, Schweden und der Schweiz („Rest-EFTA“). Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens zwischen Norwegen und der EG. Freihandelsabkommen Finnland-EG. Staats- und Regierungschefs der EG beschließen, in Paris als „Europäischer Rat“ zu tagen. Erstes Abkommen mit 46 AKP-Staaten über Handels-, Finanz- und Technikfragen wird in Lomé signiert. Europäischer Rat tagt in Dublin. Bevölkerung GBs stimmt in Volksbefragung für Verbleib in der EG. EG-Beitrittsantrag Griechenlands. Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki. Tindemans-Bericht über die „Europäische Union“: Weiterentwicklung der Integration nötigenfalls mit „zwei Geschwindigkeiten“. EG-Beitrittsantrag Portugals. Vollendung des Zollabbaus zwischen den 9 EG-Staaten. EG-Beitrittsantrag Spaniens. Europäischer Rat beschließt in Kopenhagen Direktwahl zum Europäischen Parlament. Europäischer Rat beschließt in Bremen die Schaffung eines Europäischen Währungssystems (EWS) und eine Europäische Währungseinheit (ECU). Europäischer Rat beschließt in Brüssel das Inkrafttreten des EWS ab 1. 1. 1979 mit dem ECU als dessen Kernpunkt. Etablierung des EWS (rückwirkend ab 1. 1. 1979). Beitrittsakte Griechenlands zur EG in Athen unterzeichnet. Erste allgemeine und direkte Wahl zum EP. Lomé-II-Abkommen zwischen der EG und 58 AKP-Staaten. Im Rahmen der EPZ wird die sowjetische Intervention in Afghanistan verurteilt. Griechenland tritt wieder in die NATO ein. Griechenland wird 10. EG-Mitglied.
587
Chronologie
6./20. 1. 1981 4. 1. 1982 6. 4. 1982 16. 4. 1982 30. 5. 1982 19. 6. 1983 1. 1. 1984 14. 2. 1984 14./17. 6. 1984 8. 12. 1984 7. 1. 1985 17. 7. 1985 12. 6. 1985 3. 12. 1985
16. 12. 1985 1. 1. 1986 15. 7. 1986 17./28. 2. 1986 28. 1. 1987 14. 4. 1987 15. 5. 1987
1. 7. 1987 27. 11. 1987 1. 12. 1987 29. 3. 1988
25. 6. 1988
Genscher und Colombo fordern eine Stärkung der EPZ. EG-Außenminister verurteilen Verhängung des Kriegsrechts in Polen. EG-Solidaritätserklärung für GB im Falklandkonflikt. EG-Einfuhrembargo gegenüber Argentinien. Spanien tritt der NATO bei. Europäischer Rat signiert in Stuttgart die „Feierliche Deklaration zur Europäischen Union“ durch den Europäischen Rat. Freihandelszone zwischen EWG und EFTA Vertragsentwurf zur Gründung der Europäischen Union (Spinelli-Ausschuss) wird vom EP angenommen, Stärkung des Subsidiaritätsprinzips. Zweite Direktwahl zum EP (Wahlbeteiligung ca. 60 %). Lomé-III-Abkommen der EG mit 65 AKP-Staaten. Jacques Delors Präsident der EG-Kommission. Teilnahme Österreichs am EUREKA-Programm. Beitrittsakten Spaniens und Portugals unterzeichnet. Der Europäische Rat einigt sich im Grundsatz über die Einheitliche Europäische Akte zum Ausbau der EG im Sinne der feierlichen Deklaration vom 19. 6. 1983. „Luxemburger Gipfel“: Vollendung des Binnenmarktes bis Ende 1992. ÖVP-Entschließungsantrag im Nationalrat: Forderung nach verstärkter Zusammenarbeit Österreichs mit der Europäischen Gemeinschaft. Beitritt Spaniens und Portugals zur EG. Beitritt Finnlands zur EFTA. Rahmenabkommen über wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit zwischen Österreich und der EG. Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) in Luxemburg und Den Haag. Regierungserklärung Franz Vranitzkys: Österreichs Mitarbeit an der europäischen Integration. EG-Beitrittsantrag der Türkei. Europa – unsere Zukunft. Stellungnahme der Vereinigung Österreichischer Industrieller (VÖI); VÖI-Generalsekretär Herbert Krejci betont, die Forderung der Industrie nach einem baldigen EG-Beitritt Österreichs sei u. a. „Ausdruck des klaren Bekenntnisses zum Westen und zu den Grundwerten der Freien Welt“. EEA tritt in Kraft: Einführung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ). Entschließungsantrag der FPÖ im Nationalrat betr. Aufnahme von EG-Beitrittsverhandlungen. Ministerrat erklärt volle Teilnahme am EG-Binnenmarkt als Ziel. Die EG-Kommission gibt die Ergebnisse einer Studie mit dem Titel „Europa 1992 – die große Herausforderung“ bekannt, die eine Gruppe von Sachverständigen in ihrem Auftrag erstellt hat, um die Vorteile des einheitlichen Binnenmarktes wissenschaftlich zu analysieren (Cecchini-Bericht). Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung von EG und RGW über die Aufnahme offizieller Beziehungen.
588
Chronologie
26. 9. 1988 14. 10. 1988 21. 11. 1988
30. 11. 1988 3. 12. 1988 12. 12. 1988 17. 1. 1989 27. 1. 1989
2. 2. 1989 26. 2. 1989 14./15. 3. 1989 3. 4. 1989 17. 4. 1989
15./18. 6. 1989 26. 6. 1989 29. 6. 1989 4. 7. 1989 17. 7. 1989 10. 8. 1989 9. 11. 1989 15. 12. 1989 17. 5. 1990 20. 6. 1990 1. 7. 1990 4. 7. 1990
Unterzeichnung des EG-Kooperationsabkommens mit Ungarn. Die VÖI appelliert an die Bundesregierung, einen verbindlichen Zeitplan für die Überreichung der österreichischen EG-Beitrittsansuchen festzulegen. Studie des Bundesministeriums für Äußeres/Völkerrechtsbüro: „Mitgliedschaft Österreichs in den Europäischen Gemeinschaften und immerwährende Neutralität“ entgegen der bisherigen Wiener Völkerrechtsschule nun als miteinander vereinbar erklärt. ÖVP-Landeshauptleute appellieren an die Regierungsparteien, sich in der Integrationspolitik auf eine gemeinsame Vorgangsweise zu verständigen. Unterzeichnung des EG-Handelsabkommens mit der čSSR. Die VÖI wirft der SPÖ Orientierungslosigkeit in der Integrationspolitik vor. Jacques Delors, Präsident der EG-Kommission, schlägt vor dem Europäischen Parlament einen EWR zwischen EFTA und EG vor. Die VÖI beurteilt die Vorschläge von EG-Kommissionspräsident Jacques Delors vom 17. 1. 1989 zur Neugestaltung der Beziehungen zwischen EG und EFTA skeptisch. ÖVP-Hauptgeschäftsführer Peter Marboe kritisiert die „Neutralitätsschützerpartei SPÖ“. ÖVP-Generalsekretär Helmut Kukacka begrüßt die erfolgte Parteieneinigung in der Integrationspolitik. Staats- und Regierungschefs der EFTA begrüßen bei einem Gipfel in Oslo den Delors-Vorschlag zum EWR. Beschluss der SPÖ, eine österreichische EG-Mitgliedschaft anzustreben; VÖI sieht nun den Weg zu einer gemeinsamen Europapolitik freigelegt. Gemeinsamer Bericht des Bundeskanzlers und des Außenministers im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten an die Bundesregierung über die Frage des österreichischen Beitritts zu den EG. Wahlen zum Europaparlament (Wahlbeteiligung 58,5 %). Parteienvereinbarung SPÖ/ÖVP zur weiteren Vorgangsweise in der Integrationspolitik. Entschließungsantrag von SPÖ/ÖVP und FPÖ zur Aufnahme von Verhandlungen mit der EG; Spanien tritt dem EWS bei. Österreichische Regierung beschließt Beitritt zur EWG, EGKS und EAG. EG-Beitrittsantrag Österreichs. Aide-Mémoire der Sowjetunion zum österreichischen EG-Beitrittsansuchen. Fall der Berliner Mauer. Unterzeichnung des Lomé-IV-Abkommens (multilaterales Entwicklungsabkommen). Entschließung des Europaparlaments zur deutschen Wiedervereinigung. Beginn der EWR-Verhandlungen zwischen EG und EFTA. Inkrafttreten der 1. Phase der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Außenpolitischer Sprecher der SPÖ Abg. Peter Jankowitsch plädiert im Nationalrat für eine konsensorientierte Außen- und Europapolitik.
589
Chronologie
3. 10. 1990 8. 10. 1990 14. 1. 1991 1. 4. 1991 4. 4. 1991 15. 4. 1991 23. 4. 1991 24. 4. 1991 28. 5. 1991 28. 6. 1991 1. 7. 1991 1. 8. 1991
1. 9. 1991 5./12. 10. 1991 21. 10. 1991 3. 12. 1991 9./11. 12. 1991
14. 12. 1991 16. 12. 1991 7. 2. 1992 2. 3. 1992
12. 3. 1992 18. 3. 1992 23. 4. 1992 2. 5. 1992 2. 6. 1992
Deutsche Wiedervereinigung vollzogen. Beitritt Großbritanniens zum Europäischen Währungssystem (EWS). Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel beurteilt den EWR als „derzeit schnellsten Zug nach Brüssel“. Warschauer Pakt als Militärbündnis aufgelöst. Bundesparteiobmann Josef Riegler (ÖVP) verneint das Erfordernis einer EWRVolksabstimmung. Eröffnung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London. VÖI-Präsident Heinz Kessler bezeichnet EWR als Zwischenschritt, nicht als Alternative zum EG-Beitritt. Transit-Ultimatum der Grünen Alternative an die Bundesregierung. Entschließungsanträge der Grünen Alternative im Nationalrat betreffend Abbruch der EWR-Verhandlungen und Untersuchung von Alternativen zum EG-Beitritt. RGW-Staaten beschließen Auflösung des COMECON. EG-Beitrittsantrag Schwedens. Stellungnahme der EG-Kommission zum Beitrittsantrag Österreichs („avis“): Empfehlung seitens der EG-Kommission für den Rat, die Beitrittsverhandlungen mit Österreich aufzunehmen, Außenminister Mock bezeichnet den „avis“ als Bestätigung der bisherigen österreichischen Integrationspolitik. Liechtenstein tritt der EFTA bei. Transitverhandlungen zwischen der EG-Kommission und Österreich/Schweiz. Abschluss der politischen Verhandlungen zum EWR-Vertrag zwischen EG und EFTA in Luxemburg. Transitabkommen der EG mit Österreich und der Schweiz paraphiert. Staats- und Regierungschefs der EG-Staaten einigen sich beim Gipfel in Maastricht auf einen Vertrag zur Europäischen Union (Wirtschafts- und Währungsunion, Politische Union). Europäischer Gerichtshof beeinsprucht den im EWR-Vertrag vorgesehenen EWRGerichtshof. Unterzeichnung der Assoziierungsabkommen mit Polen, Ungarn und der čSFR. Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Union in Maastricht. Beschluss der Landeshauptmännerkonferenz betreffend eine Vereinbarung über die gemeinsame Willensbildung der Länder in der europäischen Integration durch Installierung einer Integrationskonferenz der Länder. Dringliche Anfrage der Grünen Alternative an den Bundeskanzler betreffend Aushöhlung der österreichischen Neutralität durch die Bundesregierung. Finnland stellt Antrag auf EG-Beitritt. Bericht des Bundesministers für Äußeres an die Bundesregierung betreffend die Unterzeichnung des Transitabkommens zwischen Österreich und der EG. Unterzeichnung des EWR-Vertrages in Porto und Unterzeichnung eines Transitvertrages Österreichs mit der EWG. Die Dänen lehnen in einem Referendum den Vertrag von Maastricht mit 50,7 gegen 49,3 % ab
590
Chronologie
18. 6. 1992 19. 6. 1992 9. 7. 1992 20. 9. 1992 22. 9. 1992
25. 11. 1992 6. 12. 1992
11./12. 12. 1992 1. 1. 1993
27./29. 1. 1993 1. 2. 1993
5. 4. 1993 18. 5. 1993 10. 7. 1993
1. 11. 1993
1. 1. 1994
Bei einer Volksabstimmung in Irland billigt die Bevölkerung den Vertrag von Maastricht. In gleichlautenden Noten teilen Wien und Rom dem Generalsekretär der UNO die Streitbeilegung in der Südtirol-Frage mit. Transitvertrag vom Nationalrat als gesetzändernder und ergänzender Staatsvertrag genehmigt. Bei einer Volksabstimmung votiert Frankreich mit 51,05 gegen 48,95 % für den Vertrag von Maastricht. Nach mehr als achtstündiger Diskussion ratifiziert der Nationalrat mit den Stimmen der Regierungsparteien den EWR-Vertrag; die Grüne Alternative stellt einen Misstrauensantrag gegen die Regierung. Norwegen stellt den Beitrittsantrag zur EG. Die Schweizer Bevölkerung lehnt den Beitritt ihres Landes zum EWR mit knapper Mehrheit ab (50,3 zu 49,7 % der Stimmen). Verzögerung der Verwirklichung des EWR. Staats- und Regierungschefs der EG räumen in Edinburgh Dänemark Freistellungen vom Maastrichter Vertrag ein. Beginn des EG-Binnenmarktes: vollständige Verwirklichung der Freiheit des Verkehrs von Personen, Kapital, Waren und Dienstleistungen; geplantes Inkrafttreten des EWR-Vertrages verzögert sich. Besuch des italienischen Staatspräsidenten Oscar Luigi Scalfaro in Wien. Beginn der EG-Beitrittsverhandlungen Österreichs, Schwedens und Finnlands 18. 3. 1993. US-Präsident Bill Clinton versichert Jacques Delors, dass er keinen Handelskrieg mit der EG wolle. Beginn der EG-Beitrittsverhandlungen Norwegens. Die dänischen Wähler billigen in einer zweiten Abstimmung den Vertrag von Maastricht (56,8 %), der in Edinburgh revidiert wurde. Vizekanzler Erhard Busek bezeichnet die EG-Volksabstimmung nach dem Staatsvertrag als „die größte existentielle Entscheidung, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg zu treffen haben“. Der Vertrag von Maastricht zur Schaffung der Europäischen Union (EU) tritt in Kraft. Die zwölf Mitgliedsstaaten der Union werden durch drei Gemeinsamkeiten verbunden: die Europäische Gemeinschaft (EG), die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Justiz- und Innenpolitik. EU und EFTA (ausgenommen die Schweiz und Liechtenstein) schließen sich zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zusammen. Auch Österreich ist damit EWR-Mitglied. Der EWR-Vertrag legt zwischen beiden Organisationen grundsätzlich die Freiheit des Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehrs fest, doch bleibt die Zoll- und Handelspolitik gegenüber Drittstaaten weiterhin in eigener Verantwortung. Daher werden die Grenzkontrollen nicht beseitigt und die Ursprungsregeln bleiben bestehen. Auch die Agrarpolitik wird nicht in den Vertrag einbezogen und die EFTA-Staaten haben kein formales Mitspracherecht in der Gestaltung von EG-Vorschriften.
591
Chronologie
1. 1. 1994
30. 3. 1994
5. 5. 1994
12. 6. 1994
24. 6. 1994 1. 1. 1995 9. 1. 1995 28. 4. 1995 29. 3. 1996 13. 10. 1996
13.–14. 12. 1996
Mit der Gründung des Europäischen Währungsinstituts (EWI) in Frankfurt wird die zweite Stufe auf dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion eingeleitet. Dieses als Vorläufer für die Europäische Zentralbank konzipierte Institut koordiniert die Geldpolitik der Mitgliedstaaten, überwacht das Europäische Währungssystem (EWS) und die künftige geldpolitische Verfassung. Das EWI hat bis zum Inkrafttreten der dritten Stufe der WWU keine geld- und währungspolitischen Entscheidungskompetenzen. Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen mit Österreich, Schweden, Finnland und Norwegen. Das europäische Parlament stimmte in diesem Monat auch über die EU-Erweiterung ab. Mit großer Mehrheit werden die Abkommen zwischen Norwegen und Schweden und der EU sowie das Abkommen zwischen Österreich und Finnland und der EU angenommen. Der Nationalrat nimmt das Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union mit 140 zu 35 Stimmen an. Am 7. Mai folgt die Abstimmung im Bundesrat. Die österreichische Bevölkerung ist aufgerufen, in einer Volksabstimmung über einen Beitritt Österreichs zur Europäischen Union zu entscheiden. Insgesamt waren 5.789.610 ÖsterreicherInnen wahlberechtigt. Unter Einbeziehung der aus dem Ausland eingelangten 64.390 Wahlkarten votierten bei der EU-Volksabstimmung 3.145.981 Wähler mit „Ja“ (66,58 %) und 1.578.850 mit „Nein“ (33,42 %). Von den Wahlkartenwählern im Ausland stimmten 80,25 % mit „Ja“ und 19,75 % mit „Nein“. Unterzeichnung der EU-Beitrittsverträge Österreichs, Schwedens, Finnlands und Norwegens in Korfu. Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands zur Europäischen Union. Einbeziehung des österreichischen Schillings in den Wechselkursmechanismus des EWS. Beitritt Österreichs zum Schengener Abkommen. Eröffnung der Regierungskonferenz zur Überprüfung des Vertrags von Maastricht, die schließlich zum Vertrag von Amsterdam führte. In Österreich werden erstmals die 21 Abgeordneten zum Europäischen Parlament gewählt. Aufgrund des Wahlergebnisses verteilen sich die Mandate wie folgt: ÖVP 7, SPÖ 6, FPÖ 6, Grüne und LIF jeweils 1 Mandat. Die Regierungschefs der EU-Staaten einigen sich in Dublin auf den Inhalt des „Stabilitäts- und Wachstumspakts“. Danach dürfen die Mitgliedsstaaten auch in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion kein höheres Budgetdefizit ausweisen als 3 % des BIP, außer in Fällen eines schweren wirtschaftlichen Rückschlags. Um die Budgetentwicklung der Mitgliedstaaten überwachen zu können, sind diese verpflichtet, der Kommission in Brüssel zweimal jährlich über die Budgetlage zu berichten. Besteht die Gefahr, dass das Defizit 3 % des BIP überschreitet, wird der Ministerrat dem betreffenden Land Maßnahmen zur Budgetsanierung empfehlen.
592
Chronologie
16. –17. 6. 1997
1. 12. 1997
12.–13. 12. 1997
31. 3. 1998
1. 6. 1998
1. 7. 1998 24.–25. 10. 1998
Europäischer Rat in Amsterdam. Der Vertrag von Amsterdam, über dessen Inhalte sich der Europäische Rat am 18. Juni 1997 einigte, ist das Ergebnis eines 14-monatigen Verhandlungsprozesses. Die Regierungskonferenz wurde anberaumt, um einige im Maastricht-Vertrag nicht ausreichend geregelte Bereiche, wie insbesondere die Innen- und Justizpolitik sowie die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vor dem Hintergrund der ersten praktischen Erfahrungen weiterzuentwickeln. Zudem erschien es erforderlich, auf die für die Unionsbürger zentralen Herausforderungen auf den Gebieten Beschäftigung, Soziales, Umwelt, Gesundheit, Verbraucherschutz auf europäischer Ebene zu reagieren. Schließlich sollte die Regierungskonferenz institutionelle Reformen für den Fall einer Erweiterung der Union beschließen. Das Schengen-Abkommen tritt in Kraft. Damit fallen auf Flughäfen die Passkontrollen für Passagiere aus dem Schengen-Raum (Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Niederlande, Spanien, Portugal, Italien, Österreich) weg, die Kontrollen an den Landesgrenzen werden in Österreich und Italien stufenweise bis 31. März 1998 abgebaut. Im Mittelpunkt der Tagung des Europäischen Rates in Luxemburg steht der Erweiterungsprozess der Union. Um die Mitglieder der EU und Länder, die für einen Beitritt infrage kommen, zusammenzuführen, wird eine Europakonferenz eingerichtet. Gleichzeitig wird die weitere Vorgangsweise im Erweiterungsprozess der EU festgelegt. In diesem Zusammenhang findet parallel zur Tagung ein Treffen der Staatsund Regierungschefs sowie der Außenminister der assoziierten Länder Mittel- und Osteuropas und Zyperns statt. Weitere Themen des Europäischen Rates sind die Bestätigung der zeitlichen und technischen Schritte auf dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion, die Einführung der Euro-Münzen mit 1. Jänner 2002, deren Stückelung und technische Merkmale sowie die Reform der Unionspolitik (Agenda 2000). Nachdem am 30. März der Beitrittsprozess mit allen 11 Beitrittskandidaten in Gang gesetzt wurde, werden die formellen Beitrittsverhandlungen der EU mit den 5 mittel- und osteuropäischen Ländern (Estland, Polen, Slowenien, Tschechien, Ungarn) und Zypern feierlich eröffnet. Die Europäische Zentralbank (EZB) nimmt als Nachfolgerin des Europäischen Währungsinstituts ihre Arbeit auf. Die EZB hat zur Aufgabe, die Preisstabilität in der EG zu verteidigen und muss von politischen Einflüssen unabhängig sein. Ihre Verantwortung für die Geldpolitik ist unteilbar, und sie darf staatliche Defizite nicht über eine Ausweitung der Geldmenge finanzieren. Beginn der ersten EU-Ratspräsidentschaft Österreichs (bis 31. 12. 1998). Bei einem Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs in Pörtschach bestimmt die EU ihren Kurs neu. Die Interessen der Menschen sollen künftig im Mittelpunkt europäischer Politik stehen. Um dies zu erreichen, sollen folgende Prinzipien die künftige Unionspolitik bestimmen: Beschäftigung als neue Priorität der Wirtschaftspolitik, neue Qualität in der Zusammenarbeit im Bereich innere Sicherheit, Stärkung der Stellung Europas als „global player“, Verbesserung der Instrumente im Dienste des Bürgers und Weiterentwicklung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
593
Chronologie
11.–12. 12. 1998
31. 12. 1998 1. 1. 1999
16. 3. 1999
24.–25. 3. 1999
1. 5. 1999 13. 6. 1999
10.–11. 12. 1999
14. 2. 2000
23.–24. 3. 2000
Zum Abschluss der österreichischen Präsidentschaft findet in der Hofburg der Europäische Rat von Wien statt. Die Staats- und Regierungschefs legen in der „Wiener Strategie für Europa“ eine Liste der prioritären Aufgaben der Union bis zum Jahr 2000 fest und versehen diese Aufgaben mit konkreten Zeitplänen. Die Hauptkomponenten und Schlüsselfragen für eine Einigung über die Agenda 2000 werden ermittelt und damit die Voraussetzung für einen erfolgreichen Verhandlungsabschluss unter deutschem Vorsitz geschaffen. Ende der EU- Ratspräsidentschaft Österreichs. Inkrafttreten der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion in 11 EULändern: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Österreich, Irland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal und Spanien. Damit verbunden ist die Einführung des Euro als Buchgeld. Nach der Vorlage eines Untersuchungsberichts des vom Europäischen Parlament eingesetzten Weisenrats, in dem der Europäischen Kommission Missmanagement und Versäumnisse bei ihrer Kontrollpflicht vorgeworfen werden, kommt es zum kollektiven Rücktritt aller 20 Mitglieder der Europäischen Kommission. Beim außerordentlichen Treffen in Berlin einigen sich die Staats- und Regierungschefs auf das Reformpaket der Agenda 2000. Die Agenda 2000 beinhaltet die Reformen der Gemeinsamen Agrar- und Strukturpolitik sowie den neuen Finanzrahmen der EU für die Jahre 2000 bis 2006. Nach dem kollektiven Rücktritt der Europäischen Kommission einigen sich die Staats- und Regierungschefs auf den ehemaligen italienischen Premierminister Romano Prodi als neuen Kommissionspräsidenten. Der Vertrag von Amsterdam tritt in Kraft. In Österreich werden die 21 Abgeordneten zum Europäischen Parlament gewählt. Aufgrund des Wahlergebnisses verteilen sich die Mandate wie folgt: ÖVP 7, SPÖ 7, FPÖ 5 und Grüne 2. Bei seiner Tagung in Helsinki beschließt der Europäische Rat, im Februar 2000 mit Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien und der Slowakei Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Der Türkei wird der Kandidatenstatus verliehen und die Entwicklung einer Heranführungsstrategie beschlossen. Ferner beschließt der Europäische Rat, eine Regierungskonferenz zur institutionellen Vorbereitung der Union auf die Erweiterung einzuberufen, die im Dezember 2000 zum Abschluss gebracht werden soll. Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien und der Slowakei sowie der Regierungskonferenz zur institutionellen Vorbereitung der Union auf die Erweiterung. In Lissabon findet eine außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates zum Thema „Beschäftigung, Wirtschaftsreform und sozialer Zusammenhalt – hin zu einem Europa der Innovation und des Wissens“ statt. Die EU-Staats- und Regierungschefs einigen sich für das kommende Jahrzehnt auf das strategische Ziel, die EU zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Eine globale Strategie wird festgelegt, die die Union in die Lage versetzen soll, die Voraussetzungen für Vollbeschäftigung zu schaffen und gleichzeitig den regionalen Zusammenhalt in der EU zu stärken.
594
Chronologie
7.–9. 12. 2000
26. 2. 2001
14.–15. 12. 2001
1. 1. 2002
19. 10. 2002
28. 10. 2002
12.–13. 12. 2002
1. 2. 2003
Europäischer Rat in Nizza, Frankreich. Die Regierungskonferenz endet mit der politischen Einigung über den Vertrag von Nizza. Am Rande des Europäischen Rates von Nizza proklamieren die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates und der Kommission feierlich die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Nach dem im Dezember 2000 in Nizza, Frankreich, abgehaltenen Europäischen Rat wird ein neuer Vertrag (Vertrag von Nizza) unterzeichnet. Dieser Vertrag ändert den Vertrag über die Europäische Union und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ab und tritt in Kraft, sobald alle Mitgliedstaaten ihn ratifiziert haben. Die Debatte zur Zukunft der Europäischen Union wurde am Europäischen Rat von Laeken (14./15. Dezember) mit der sogenannten „Erklärung von Laeken“ eingeleitet: Die Staats- und Regierungschefs kamen überein, zur Fortführung der Zukunftsdebatte einen Konvent einzuberufen, dessen Aufgabe es ist, die wesentlichen Herausforderungen und Fragen der künftigen Entwicklung der Union zu prüfen und die Regierungskonferenz 2004 möglichst umfassend und transparent vorzubereiten. Die Euromünzen und -scheine werden in den zwölf teilnehmenden Mitgliedstaaten in Umlauf gebracht: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien. In Irland wird ein zweites Referendum über die Ratifikation des Vertrages von Nizza durchgeführt, das eine Zustimmung der irischen Bevölkerung von rund 63 % ergibt. Somit kann auch Irland seine Ratifikationsurkunde hinterlegen und der Vertrag von Nizza wie vorgesehen in Kraft treten. Ein schematischer Entwurf eines zukünftigen europäischen Verfassungsvertrages wird den Mitgliedern des Europäischen Konvents von seinem Präsidenten Valérie Giscard d’Estaing präsentiert und im Plenum debattiert. Dieser Rahmenvertrag soll die Grundlage für die Umgießung der Ergebnisse der Beratungen des Konvents in Vertragsform darstellen. Europäischer Rat von Kopenhagen: In Kopenhagen werden die Beitrittsverhandlungen mit zehn Kandidatenstaaten abgeschlossen. In das Abschlussabkommen wurde auch eine Erklärung Österreichs und der Tschechischen Republik zum Kernkraftwerk Temelín aufgenommen, in der die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Melker Abkommen gefordert wird. Kopenhagen setzt damit den Schlusspunkt unter einen in Umfang und Komplexität beispiellosen Verhandlungsprozess, der 1998 unter österreichischer Präsidentschaft substanziell in Gang gesetzt worden ist. So sollen Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern am 16. April 2003 in Athen den Beitrittsvertrag unterzeichnen und – nach Durchführung des innerstaatlichen Genehmigungsprozesses – am 1. Mai 2004 als vollwertige Mitglieder der Europäischen Union beitreten. Der Vertrag von Nizza tritt in Kraft. Seine Bestimmungen sind eine wichtige Vorleistung für das Funktionieren der europäischen Institutionen nach der Erweiterung.
595
Chronologie
16.–17. 4. 2003 18. 7. 2003
4. 10. 2003 1. 5. 2004
10. u. 13. 6. 2004
7.–18. 6. 2004
22. 7. 2004 29. 10. 2004
16.–17. 12. 2004
21. 3. 2005 25. 4. 2005 11. 5. 2005
27. 5. 2005
29. 5. 2005
1. 6. 2005
Informeller Europäischer Rat in Athen, bei dem der Beitrittsvertrag mit den zehn neuen Mitgliedsstaaten unterzeichnet worden ist. Die Endversion eines Entwurfs eines europäischen Verfassungsvertrages wird vom Präsidenten des Europäischen Konvents, Herrn Valéry Giscard d’Estaing, der italienischen Ratspräsidentschaft zur weiteren Behandlung übergeben. Beginn der Regierungskonferenz zur Ausarbeitung eines europäischen Verfassungsvertrages. Der Beitrittsvertrag mit zehn neuen Mitgliedstaaten – Zypern, der Tschechischen Republik, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakischen Republik und Slowenien – tritt in Kraft. Damit wird die im Hinblick auf Ausmaß und Vielfalt bisher umfangreichste Erweiterung Wirklichkeit. Sechste Direktwahlen zum Europäischen Parlament. Die Gesamtzahl der Europaparlamentarier steigt aufgrund des Beitritts der zehn neuen Mitgliedstaaten von 626 auf 732. Österreich wird bis zu den nächsten Europawahlen im Jahr 2009 im Europäischen Parlament mit 18 Europaabgeordneten vertreten sein. Politische Einigung der Staats- und Regierungschefs über den Vertrag über eine Verfassung für Europa (EU-Verfassungsvertrag) beim abschließenden Treffen der Regierungskonferenz am 18. Juni 2004 in Brüssel. Der Europäische Rat beschließt zudem, der Republik Kroatien den Status eines Beitrittsbewerbers zu verleihen. Das Europäische Parlament stimmt der Ernennung José Manuel Barrosos zum Kommissionspräsidenten zu. Die Staats- und Regierungschefs und die Außenminister der 25 EU-Mitgliedstaaten unterzeichnen den Vertrag über eine Verfassung für Europa. 25. April 2005: Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrags mit Bulgarien und Rumänien (der Vertrag sieht einen Beitritt beider Länder zur Union am 1. 1. 2007 vor). Der Europäische Rat beschließt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sowie die Unterzeichnung der Beitrittsverträge mit Bulgarien und Rumänien. Die Verhandlungen mit Bulgarien und Rumänien waren am 14. 12. 2004 abgeschlossen worden. Die Finanzminister einigen sich auf eine Reform des Stabilitätspakts. Die Verträge mit Bulgarien und Rumänien werden in Brüssel unterzeichnet. Der österreichische Nationalrat nimmt die Regierungsvorlage zum EU-Verfassungsvertrag mit nur einer Gegenstimme an. 25. Mai 2005: Der österreichische Bundesrat genehmigt die Ratifikation des Verfassungsvertrags. Der Prümer Vertrag wird von Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und Spanien geschlossen. Er soll zum erleichterten Datenaustausch und zur Kriminalitätsbekämpfung dienen. Im ersten bindenden Referendum zum EU-Verfassungsvertrag lehnen die französischen Wähler den Verfassungsvertrag ab. Ergebnis: 54,87 % NEIN, 45,13 % JA, Wahlbeteiligung: 69,74 %. 61,6 % der Niederländer stimmen in einem Referendum gegen den EU-Verfassungsvertrag (38,4 % dafür, Wahlbeteiligung: 62,8 %). Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Parlamente von Litauen (11. 11. 2004), Ungarn (20. 12. 2004), Italien
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Chronologie
14. 6. 2005 17. 6. 2005 17. 6. 2005
30. 6. 2005 6. 7. 2005 10. 7. 2005 29. 7. 2005 3. 10. 2005
15.–16. 12. 2005
8. 2. 2006 23./24. 3. 2006:
27. 4. 2006
7. 5. 2006 9. 5. 2006 12./13. 5. 2006
(25. 1. 2005), Slowenien (1. 2. 2005), Griechenland (19. 4. 2005), der Slowakei (11. 5. 2005), Österreichs (25. 5. 2005), Deutschland (27. 5. 2005) und die Spanier schon am 20. 2. 2005 in einer Volksabstimmung zugestimmt. Unterzeichnung der österreichischen Ratifikationsurkunde zum EU-Verfassungsvertrag durch Bundespräsident Heinz Fischer Die österreichische Ratifikationsurkunde wird in Rom hinterlegt. Der österreichische Ratifikationsprozess zum EU-Verfassungsvertrag ist damit abgeschlossen. Erklärung der Staats- und Regierungschefs zur Ratifizierung des Vertrags über eine Verfassung für Europa: Der Ratifikationsprozess sei zwar weiterzuführen, der Zeitplan müsse jedoch angepasst werden. Die „Zeit der Reflexion“ solle für eine „ausführliche Diskussion“ in allen EU-Mitgliedstaaten genützt werden. Der Europäische Rat werde unter österreichischer Präsidentschaft im 1. Halbjahr 2006 eine Bewertung aller einzelstaatlichen Diskussionen vornehmen und über die weitere Vorgangsweise entscheiden. Zypern ratifiziert den Verfassungsvertrag. Malta ratifiziert den Verfassungsvertrag. Die Luxemburger stimmen in einer Volksabstimmung für den Verfassungsvertrag. Die Türkei unterzeichnet das Protokoll über die Ausweitung der Zollunion auf die zehn neuen EU-Staaten. Der Rat Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen beschließt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und Kroatien. 1. Januar 2006: Österreich übernimmt die Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union. Der Europäische Rat kommt der Empfehlung der Kommission nach, Mazedonien den Kandidatenstatus zu verleihen; die finanzielle Vorausschau für die Jahre 2007– 2013 wird nach mühsamen Verhandlungen vom Europäischen Rat beschlossen. Belgien ratifiziert den Verfassungsvertrag. Der Frühjahrsgipfel 2006 bekräftigt die Neuausrichtung der Lissabon-Strategie auf Wachstum und Beschäftigung und legt vier Haupthandlungsfelder fest: Wissen und Innovation, Erschließung des Unternehmenspotenzials, Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten für bestimmte Gruppen (Ältere, Frauen, Jugend) sowie europäische Energiepolitik. Die EU beschließt die Entsendung von 1.500 Soldaten (EUFOR CD Congo) zur Absicherung der Wahlen im Kongo. Die Operation läuft am 30. 7. 2006 an und endet am 30. 11. 2006. Das Europäische Parlament stimmt der finanziellen Vorausschau für 2007–2013 zu. Estland ratifiziert den Verfassungsvertrag. Beim IV. EU-Lateinamerika/Karibik (EU-LAK)-Gipfeltreffen wird über eine engere Zusammenarbeit im Rahmen des 1999 in Rio de Janeiro ins Leben gerufenen EU-LAK-Prozesses auf dem Gebiet des Freihandels sowie in Menschenrechtsund Umweltfragen vereinbart. Zum Abschluss des Treffens verabschieden die Staats- und Regierungschefs die „Wiener Erklärung“.
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Chronologie
16./17. 6. 2006
30. 6. 2006 1. 7. 2006
26. 9. 2006 15./16. 12. 2006
1. 1. 2007
24./25. 3. 2007
18./19. 6. 2007
21.–23. 6. 2007
23. 7. 2007
18.–19. 10. 2007 13. 12. 2007
Der Europäische Rat einigt sich in der Frage des Verfassungsvertrages auf einen zweigleisigen Ansatz. Zum einen sollen die Möglichkeiten der bestehenden Verträge bestmöglich ausgeschöpft werden, um die von den Bürgern erwarteten konkreten Ergebnisse zu erzielen. Zum anderen soll der Vorsitz dem Europäischen Rat in der ersten Jahreshälfte 2007 einen Bericht vorlegen, der eine Bewertung des Stands der Beratungen über den Verfassungsvertrag enthalten und mögliche künftige Entwicklungen aufzeigen soll. Die österreichische EU-Präsidentschaft geht zu Ende. Der Vertrag zur Gründung der „Energiegemeinschaft“ zwischen der EG, Albanien, Bosnien und der Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und dem Kosovo tritt in Kraft. Der letzte Kommissionsbericht gibt grünes Licht für den Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum 1. 1. 2007. Nach zähen Verhandlungen einigen die EU-Staats- und Regierungschefs sich unter dem britischen Ratsvorsitz auf den EU-Finanzrahmen 2007–2013. Die Einigung sieht vor, dass der siebenjährige EU-Finanzrahmen auf 862,3 Milliarden Euro (1,045 % des BNE) angehoben wird. Mit dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien am 1. Januar 2007 wird die fünfte Erweiterung der Europäischen Union vollendet, die im Mai 2004 ihren Anfang nahm. Dadurch steigt die Zahl der Mitgliedsstaaten der Union auf 27 und ihre Einwohnerzahl auf 492,8 Millionen. Erfolgreiche Euro-Einführung in Slowenien. In Berlin findet ein informelles Treffen der Staats- und Regierungschefs statt, im Rahmen dessen eine Erklärung anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge („Berliner Erklärung“) verabschiedet wird. Beim Treffen des Europäischen Rates wird eine politische Einigung in der Frage der Vertragsreform erzielt. Die Staats- und Regierungschefs einigen sich auf die Grundzüge eines neuen „Reformvertrags“, der im Rahmen einer Regierungskonferenz ausgearbeitet werden soll. Der Europäische Rat einigt sich in Brüssel unter deutscher Ratspräsidentschaft auf eine Lösung der Ratifikationskrise des Verfassungsvertrags. Ohne Symbolik und mit längeren Übergangsfristen soll der Inhalt der gescheiterten „EU-Verfassung“ in einen neuen „Grund-“ bzw. „Reformvertrag“ übernommen werden. Die Regierungskonferenz nimmt ihre Arbeit auf, das Mandat in einen definitiven Vertragsentwurf umzusetzen. Aufgrund des präzisen Mandats können die Rechtsexperten den Vertragsentwurf so weit vorbereiten, sodass nur wenige Punkte offenbleiben. Unter portugiesischer Ratspräsidentschaft einigen sich die Staats- und Regierungschefs auf den Vertrag von Lissabon. Der neue Vertrag wird in Lissabon (Vertrag von Lissabon) unterzeichnet. Für Österreich setzten Bundesministerin Ursula Plassnik und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer ihre Unterschrift unter den Vertrag. Nach der politischen Einigung muss der Vertrag noch in den einzelnen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden.
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Chronologie
21. 12. 2007
17. 12. 2007 21. 12. 2007 19. 3. 2008 9. 4. 2008
10. 4. 2008 23. 4. 2008 24. 4. 2008 29. 4. 2008 8. 5. 2008 23. 5. 2008 29. 5. 2008 11. 6. 2008 12. 6. 2008 18. 6. 2008 18./19. 6. 2008
2. 7. 2008
3. 7. 2008 8. 7. 2008 9. 7. 2008 10. 7. 2008 13. 7. 2008
15. 7. 2008
Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik und Ungarn treten dem Schengen-Raum bei. Dadurch werden die Binnengrenzkontrollen zwischen diesen Ländern und zu weiteren 15 Mitgliedsstaaten aufgehoben. Ungarn ratifiziert den Lissabon-Vertrag. Estland, Tschechien, Litauen, Ungarn, Lettland, Malta, Polen, die Slowakei und Slowenien werden Vollmitglieder im Schengen-Raum. Europa feiert den 50. Jahrestag der konstituierenden Sitzung der Versammlung der Europäischen Gemeinschaften am 19. März 1958. In Österreich stimmt der Nationalrat nach mehrmonatigen Debatten und Expertenanhörungen am 9. April 2008 mit 151 Ja-Stimmen bei 27 Gegenstimmen für den Vertrag von Lissabon, am 24. April wird der Vertrag vom Bundesrat genehmigt. Die österreichische Ratifikationsurkunde wird am 28. April von Bundespräsident Fischer unterzeichnet und am 13. Mai in Rom hinterlegt. Polen und die Slowakei ratifizieren den Lissabon-Vertrag. Portugal ratifiziert den Lissabon-Vertrag. Dänemark ratifiziert den Lissabon-Vertrag. Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAP) mit Serbien. Ratifizierung des Lissabon-Vertrags durch Lettland und Litauen. Deutschland ratifiziert den Lissabon-Vertrag. Luxemburg ratifiziert den Lissabon-Vertrag. Estland, Finnland und Griechenland ratifizieren den Lissabon-Vertrag. In einem Referendum in Irland stimmen 53,4 % der Wähler gegen den Vertrag von Lissabon. Großbritannien ratifiziert den Lissabon-Vertrag. Beim Europäischen Rat wird unter anderem über die Zukunft des Vertrags von Lissabon beraten und beschlossen, den Ratifizierungsprozess fortzusetzen und parallel dazu die Lage gemeinsam zu analysieren. Die Europäische Kommission legt eine neue sozialpolitische Agenda vor: die „EU-Agenda für Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität“. Das Maßnahmenpaket enthält unter anderem Richtlinienvorschläge in den Bereichen Antidiskriminierung, Arbeitnehmervertretung sowie Patientenrechte, speziell betreffend die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung. Zypern ratifiziert den Lissabon-Vertrag. Zustimmung des ECOFIN-Rats zur Empfehlung der Kommission vom 7. 5. 2008 zur Aufnahme der Slowakei in die Eurozone. Niederlande ratifiziert den Lissabon-Vertrag. Belgien ratifiziert den Lissabon-Vertrag Auf einem Gipfeltreffen in Paris wird eine neue Mittelmeerunion ins Leben gerufen. Durch gemeinsame Projekte sollen die Beziehungen zwischen der EU und ihren Nachbarn im Süden und Osten ausgebaut werden. Spanien ratifiziert den Lissabon-Vertrag.
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Chronologie
31. 7. 2008 15.–16. 8. 2008 15. 9. 2008
29. 9. 2008 7. 10. 2008 12. 10. 2008 15. 10. 2008
16. 10. 2008 4. 11. 2008 14. 11. 2008
20. 11. 2008 8. 12. 2008 11./12. 12. 2008
1. 1. 2009 2. 4. 2009
7. 5. 2009 4.–7. 6. 2009 30. 6. 2009 2. 10. 2009 1. 12. 2009
Italien ratifiziert den Lissabon-Vertrag. Unterzeichnung eines von der EU vorgelegten Friedensplans im Konflikt zwischen Georgien und Russland zur Beendigung des Kaukasuskrieges. Der Zusammenbruch der Investmentbank Lehmann Brothers führt zum Platzen einer Hypothekenblase in den USA, die eine globale Finanzkrise und eine Weltwirtschaftskrise auslöst Die deutsche Bundesregierung bürgt für 26,6 Mrd. Euro, die ein Bankenkonsortium der in größte Turbulenzen geratenen Immobilienbank Hypo Real Estate leiht. Die EU-Finanzminister beschließen eine Garantie für Spareinlagen in der EU von mindestens 50.000 Euro und die Stützung „systemrelevanter“ Banken. Die 15 Mitglieder der Eurozone einigen sich auf gemeinsame Regeln für ein nationales Krisenmanagement. Die Finanzkrise steht im Vordergrund des Europäischen Gipfels. Die Staats- und Regierungschefs der EU drängen auf eine Reform des Finanzsystems und fordern ein globales Krisenfrühwarnsystem. Der Europäische Rat kündigt Hilfen für die Industrie an. Die EU-Finanzminister beschließen einen Notkredit für Ungarn. Die Europäische Kommission legt ein Energiepaket vor. Sie schlägt einen neuen EU-Aktionsplan für Energieversorgungssicherheit und -solidarität sowie Energieeffizienz vor. Schweden ratifiziert den Lissabon-Vertrag. Die EU-Agrarminister handeln die künftige Verteilung der Subventionen für die Landwirtschaft aus. Beginn der Militärmission „Atalanta“ zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias. Beim Europäischen Rat in Brüssel werden Irland rechtliche Garantien zugesagt, um den beim Referendum geäußerten Bedenken Rechnung zu tragen. Zugesagt wird auch, dass die Europäische Kommission bei Inkrafttreten des Vertrages auch nach 2014 nicht verkleinert wird. Eine Einigung erfolgt auch über die bei Inkrafttreten des Vertrages nötigen Übergangsmaßnahmen. Außerdem einigen sich die EU-Spitzen auf Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Belebung der europäischen Wirtschaft; Wegfall der Personenkontrollen zur Schweiz. Einführung des Euro in der Slowakei. Auf einem G 20-Gipfel verpflichten sich die Regierungsvertreter zu gemeinsamen Anstrengungen um Wiedererlangung von Vertrauen in die Ökonomie und die Gewährleistung von Wirtschaftswachstum. Der Rat der EZB trifft den Grundsatzbeschluss, dass das System der Einheitswährung auf Euro lautende gedeckte Schuldverschreibungen ankauft. Wahlen zum 7. Europäischen Parlament. Urteil des Bundesverfassungsgerichtshofs in Karlsruhe zum Lissabon-Vertrag. Zweites irisches Referendum: Bei 59%-Beteiligung stimmen 67,13 % mit Ja und 32,87 % mit Nein zum Lissabon-Vertrag. Der Vertrag von Lissabon tritt in Kraft.
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Ausgewählte Literatur
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Ausgewählte Literatur
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2. Bibliografien, Chronologien, Handbücher, Lexika und Nachschlagewerke Böhm, Wolfgang/Lahodynsky, Otmar, EU for You! So funktioniert die Europäische Union, Wien 2005. Dachs, Herbert /Gerlich, Peter /Gottweis, Herbert/Kramer, Helmut/Lauber, Volkmar/Müller, Wolfgang C./Tálos, Emmerich (Hrsg.), Politik in Österreich. Das Handbuch, Wien 2006. Gareis, Sven/Hauser, Gunther/Kernic, Franz (Eds.), The European Union – A Global Actor? Opladen/ Berlin/Toronto 2013. Gehler, Michael, Europa. Ideen – Institutionen – Vereinigung, München 2010 (zweite, stark überarbeitete Neuauflage). Gruner, Wolf D./Woyke, Wichard, Europa-Lexikon. Länder – Politik – Institutionen (dtv) München 2004. Kicker, Renate/Khol, Andreas/Neuhold, Hanspeter (Hrsg.), Außenpolitik und Demokratie in Österreich. Strukturen – Strategien – Stellungnahmen. Ein Handbuch, Salzburg 1983. Neisser, Heinrich/Verschraeghen, Bea, Die Europäische Union. Anspruch und Wirklichkeit (Springer Kurzlehrbücher der Rechtswissenschaft XXIV), Wien 2001. Neuhold, Hanspeter/Hummer, Waldemar/Schreuer, Christoph (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 2 Bde., Bd. 1: Textteil; Bd. 2: Materialienteil, Wien (3. völlig überarbeitete Auflage) 1997, 4. Auflage 2002. Scharsach, Gilbert, EU-Handbuch. Das große Nachschlagewerk der österreichischen EU-Diskussion, Wien/Salzburg 1996. Stadler, Gerhard, Die EG und Österreich. Rechtsvorschriften und Dokumente. Die rechtlichen Beziehungen, Wien 1989.
3. Biografien, Memoiren, Broschüren und zeitgenössische Publikationen Bock, Fritz, Der Anschluss an Europa. Gedanken, Versuche, Ergebnisse, St. Pölten 1978. Bock, Fritz, Die Integrationspolitik vor dem Eisernen Vorhang, Wien 1968. Bock, Fritz, Integrationspolitik von österreichischer Warte, Wien 1970. Brix, Emil/Busek, Erhard, Projekt Mitteleuropa, Wien 1986. Busek, Erhard/Khol, Andreas/Neisser, Heinrich (Hrsg.), Politik für das dritte Jahrtausend. Festschrift für Alois Mock zum 60. Geburtstag, Graz 1994. Coudenhove-Kalergi, Richard N., Der Kampf um Europa. Aus meinem Leben, Zürich/Wien 1949. Coudenhove-Kalergi, Richard N., Ein Leben für Europa. Meine Lebenserinnerungen, Köln/Berlin 1966.
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Ausgewählte Literatur
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Ausgewählte Literatur
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Ausgewählte Literatur
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Ausgewählte Literatur
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Ausgewählte Literatur
http://www.esf.c-strasbourg.fr/default.htm Studium in Europa http://citizens.eu.int/de/de/gf/st/de/giindex.htm Thema Informationsgesellschaft http://www.iopso.cec.be Verlagshaus der EU/Amt für Veröffentlichungen http://publications.eu.int/general/de/index_de-htm Veröffentlichungen der Europäischen Kommission für ein breites Publikum http://www.europa.eu.int/comm/publications/index_de.htm Vorläufige konsolidierte Fassung des Vertrags über eine Verfassung für Europa http://ue.eu.int/cms3_/applications/ Wirtschafts- und Sozialausschuss http://www.ces.eu.int Who’s who in the EU? http://europa.eu.int/ideal/ideade.html und http://europa.eu.int/ideaen.html Zentralbibliothek der Europäischen Kommission http://europa.eu.int/comm/libraries/bibliotheques_de-htm Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung http://www.zew.de/ Zentrum für Europäische Integrationsforschung der Universität Bonn http://www.zei.de Zentrum für Europäische Bildung (ZEB), Europäische Bewegung in Deutschland: Schulische und außerschulische Jugend- und Erwachsenenbildung http://www.z-e-b.de Österreich und die europäische Integration Chronologie, Dokumente, Schaubilder, Organigramme und Fragen http://zis.uibk.ac.at/quellen/oe-eu/main.html http://zeit1.uibk.ac.at/quellen/gehler2b.htm http://zeit1.uibk.ac.at/quellen/oe-eu/chronik/home.html European Navigator. The first digital library on the history of Europe http://www.ena.lu Chronologie Österreich und die europäische Integration 1945–2005 http://www.ena.lu/osterreich_europaische_integration_chronologie_1945–2006-030008029.html Abschluss der Beitrittsverhandlungen http://www.ena.lu/abschluss_beitrittsverhandlungen_zwischen_osterreich_eu_marz_1994030705905.html The European Union’s History (EU Kommission) http://europa.eu/abc/history/index_en.htm Chronologie Beziehungen Österreichs mit der EWG/EU http://www.parlament.gv.at/PE/CHRONO/Chronologie_Portal.shtml Österreich in der Europäischen Union Ein statistischer Wirtschaftsvergleich
632
Ausgewählte Literatur
http://www.wko.at/statistik/eu/eu.htm Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich http://europa.eu.int/austria/ Europäische Kommission. Die EU in Österreich http://ec.europa.eu/austria/index_de.htm Europa-Portal http://europa.eu/ Europäisches Parlament – Informationsbüro für Österreich http://www.europarl.at Österreichische Gesellschaft für Europapolitik http://cms.euro-info.net und www.euro-info.net Die Europahäuser http://www.dieeuropahaeuser.at/ Österreich und die Europäische Union www.europarl.at/ressource/static/files/oesterreich_und_die_eu.ppt Zukunft Europa http://www.zukunfteuropa.at Die EU im Überblick http://europa.eu/abc/index_de.htm Politische Bildung/Demokratie lernen & leben http://www.politische-bildung.schule.at Parlamentsbeschluss im Nationalrat zum EU-Reformvertrag am 9. April 2008 http://www.wien-konkret.at/politik/europa/verfassung/parlament/ Österreichisches Außenministerium/Europa http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/aussenpolitik/ europa.html (Alle Links abgerufen Dezember 2013)
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Abkürzungsverzeichnis ABl Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Abs. Absatz AdG (Keesings) Archiv der Gegenwart AdR Archiv der Republik Archiv der FPÖ AF AFV Archives de l’Ambassade de France à Vienne Agence France Presse AFP AHStG Allgemeines Hochschulstudiengesetz AKP-Länder Länder im afrikanischen, karibischen und pazifischen Raum Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts AKVI AKW Atomkraftwerk AJPIL Austrian Journal of Public and International Law Archiv des Julius Raab-Gedenkvereins AJRGV ALPEN ADRIA Arbeitsgemeinschaft Alpen Adria Archives Nationales (Archives de France) AN (AF) APA Austria Presse Agentur Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer ARGE ALP Art. Artikel Austrian Space Agency ASA AUT Autriche Arbeiter-Zeitung AZ BA Bundesarchiv Koblenz Büro für Austauschprogramme Mittel- und Osteuropa (Teil des ÖAD) BAMO BAWI Bundesamt für Außenwirtschaft BBl. Bundesblatt [der Schweizerischen Eidgenossenschaft] BEB Büro für Europäische Bildungskooperation (Teil des ÖAD) BGBl. Bundesgesetzblatt BHG Bundeshaushaltsgesetz BGBl. Bundesgesetz-Blatt BIOMED (Med.) Biomedizin und Gesundheitswesen (EG, 3. Rahmenprogramm) Brutto-Inlandsprodukt BIP BIT Büro für Internationale Forschungs- und Technologiekooperation (errichtet und erhalten vom Verein für internationale Forschungs-, Technologie- und Bildungskooperationen) BFG Bundesfinanzgesetz BHG Bundeshandelsgesetz
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Abkürzungsverzeichnis
BKA Bundeskanzleramt Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten BKA/AA Blg Beilage BMF Bundesministerium für Finanzen BMfaA Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten BMfeiA Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten BMG Bundesministeriengesetz BMHuW Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau BMVuE Bundesministerium für Verkehrs- und Energiewesen BMVuvB Bundesministerium für Verkehr und verstaatlichte Betriebe BMVuW Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung BMWF Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung BPL Bundesparteileitung BPT Bundesparteitag BPV Bundesparteivorstand BR Bundesrat BReg Bundesregierung BSP Bruttosozialprodukt BStProtdNR Beilage zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates BVG alle Bundesverfassungsgesetze Bundes-Verfassungsgesetz (1920 mit Novellierungen) B-VG BVP Bayerische Volkspartei BWK Bundeswirtschaftskammer BZÖ Bündnis Zukunft Österreich CA Credit-Anstalt CCCN Custom Cooperation Council Nomenclatur Christlich-Demokratische Union CDU CEEC Commitee of European Economic Cooperation CEEPUS Central European Exchange Program for University Students (Österreichischer Vorschlag an die „Reformstaaten“ Ost- und Mitteleuropas) Centre Européenne de la recherche nucléaire/Geneve CERN Confederazione Géneréle Italiana del Lavoro CGIL CIPRA Internationale Alpenschutzkommission CISL Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori CNG Christlich-Nationaler Gewerkschaftsbund COCOM Coordinating Committee COMECON Communist Economy/ Council for Mutual Economic Assistance = Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) COMETT Community action program in Education and Training for Technology (EG) COST Cooperation européenne dans le domaine de la recherche scientifique et technique (EG) COTRAO Arbeitsgemeinschaft der Westalpen
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Abkürzungsverzeichnis
CREST Comite de la recherche scientifique et technique čSFR Tschechoslowakische Föderalistische Republik CSU Christlich Soziale Union CVP Christliche Volkspartei DC Democratia Cristiana DDF Documents Diplomatiques Français DDR Deutsche Demokratische Republik DE-CE Direction des Affaires Economiques-Cooperation Economique DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DM Deutsche Mark DOMUS Durchkämmung des örtlichen Marktes zur Unterkunftssuche für Studenten (eingerichtet vom BMWF) Erläuternde Bemerkungen (zu Regierungsvorlagen) EB Economic Cooperation Administration ECA ECE Economic Commission for Europe Finanzrat der Europäischen Union ECOFIN European Currency Unit/ Europäische Währungseinheit ECU EDA Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDC European Defense Community (= EVG) EDU European Democratic Union/Europäische Demokratische Union EEA Einheitliche Europäische Akte European Economic Space (= EWR) EES EFTA European Free Trade Association/Europäische Freihandelsassoziation EG Europäische Gemeinschaft/en EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl/Montanunion EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte E/MRK Europäische/ Menschenrechts-Konvention European Molecular Biology Laboratory EMBL Europäische Menschenrechtskonvention EMRK EP Europäisches Parlament EPU European Payments Union (= EZU)/ Europäische-Parlamentarier-Union EPZ Europäische Politische Zusammenarbeit ERASMUS European Action Scheme for the Mobility of University Students (EG) European Recovery Program ERP ESA European Space Agency, Paris European Science Foundation, Strasbourg ESF ESO European Southern Observatory, München Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ESVP EU Europäische Union EU Europe EUCD European Union of Christian Democrats EUF Europäische Union der Föderalisten
637
Abkürzungsverzeichnis
EUFOR European Forces Europäischer Gerichtshof EuGh EAG/EURATOM Europäische Atomgemeinschaft European Research Cooperation Agency EUREKA Europäische Zeitschrift für Wirtschaft EuZW EVD Eidgenössisches Volkswirtschaftliches Department Europäische Verteidigungsgemeinschaft (= EDC) EVG EVP Europäische Volkspartei EWA Europäische Währungsabkommen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG EWGV/EWG(V) EWG-Vertrag Europäisches Währungsinstitut EWI Europäischer Wirtschaftsraum (= EES) EWR EWR-BVG Bundesverfassungsgesetz zum EWR Europäisches Währungssystem EWS Europäische Zentralbank EZB Europäische Zahlungs-Union (= EPU) EZU Fondation Archives Européennes-Genf Fonds Coudenhove-Kalergi FAE-CK Freie Demokratische Partei FDP F & E Forschung und Entwicklung Forschungsförderungsfonds für die gewerbliche Wirtschaft FFF FHA Freihandelsabkommen FHZ Freihandelszone um Finnland erweiterte EFTA FinEFTA FO Foreign Office Freiheitliche Partei Österreichs FPÖ Foreign Relations of the United States FRUS Free World Association FWA FWF Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung/Wien Gemeinsamer EWR-Ausschuss GA Gemeinsame Agrarpolitik GAP GAP Gemeinsame Außenpolitik GASP Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik General Agreement on Tariffs and Trade/Allgemeines Zoll- und HandelsabkomGATT men im Rahmen der VN GESVP Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik GP Gesetzgebungsperiode GV Generalversammlung GZl Geschäftszahl GZT Gemeinsamer Außenzolltarif International Atomic Energy Authority IAEA IDG Integrationsdurchführungsgesetz
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Abkürzungsverzeichnis
IfZ Institut für Zeitgeschichte IGH Internationaler Gerichtshof IMAS Institut für Markt- und Sozialanalysen/Linz IMF International Monetary Fund (= IWF) IPU Interparlamentarische Union ITFG Innovations- und Technologiefondsgesetz IUCN Internationale Union für die Erhaltung der Natur und der natürlichen Hilfsquellen iVm „in Verbindung mit“ Internationaler Währungsfonds (= IMF) IWF JAB Juristische Ausbildung und Praxis JBl Juristische Blätter Joint Chiefs of Staff JCS KdM Kabinett des Ministers Karl Gruber Archiv/Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck KGA KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KPÖ Kommunistische Partei Österreichs KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa LdU Landesring der Unabhängigen LINGUA Aktionsprogramm zur Förderung der Fremdsprachenkenntnisse in der EG Lkw Lastkraftwagen Ministère des Affaires Etrangères (Paris) MAE MAP Military Assistance Program MGM Militärgeschichtliche Mitteilungen Mittel- und Osteuropa MOE MR Ministerrat Mouvement Républicain Populaire MRP MSA Mutual Security Aid mwN mit weiteren Nachweisen North Atlantic Treaty Organization/Nordatlantikpakt-Organisation NATO NA National Archives (Washington) NARIC Network for Academic Recognition and Information Centers (EG) Neue Eisenbahn-Alpentransversale NEAT NEI Nouvelles Equipes Internationales NF Neue Front NL Nachlass NPL Neue Politische Literatur NS Nationalsozialismus/nationalsozialistisch NR Nationalrat NSC National Security Council NZZ Neue Zürcher Zeitung OE Österreich ÖBB Österreichische Bundesbahnen
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Abkürzungsverzeichnis
OECD
Organization for European Cooperation and Development/ Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Organization for European Economic Cooperation/ Organisation für europäische OEEC wirtschaftliche Zusammenarbeit/ Europäischer Wirtschaftsrat OeNB Österreichische Nationalbank ÖAD Österreichischer Akademischer Austauschdienst/Wien ÖAW Österreichische Akademie der Wissenschaften ÖGA Österreichische Gesellschaft für Außenpolitik ÖGB Österreichischer Gewerkschaftsbund ÖIIP Österreichisches Institut für Internationale Politik ÖMH Österreichische Monatshefte ÖStA Österreichisches Staatsarchiv (Wien) ÖVP Österreichische Volkspartei ÖZA Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik ÖZÖRV Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht ÖZP Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft Österreichische Zoll- und Steuernachrichten ÖZSN Office of Military Government/United States OMGUS Organization for Petroleum Exporting Countries OPEC ORF Österreichischer Rundfunk PAAA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (Bonn) PETRA Schüleraustauschprogramm (EG) Partnership for Peace (NATO-Programme) PfP Personen-Kraftwagen Pkw PPI Partido Populare Italiano PRO Public Record Office (London) RG Record Group RGW Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (= COMECON) ROW Rest of the World (Rest der Welt) RV Regierungsvorlage RZ Randzahl SACEUR Supreme Allied Commander in Europe SAP Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens SCIENCE Mobilität und Kooperation im Bereich der Naturwissenschaften (EG) SGB Schweizer Gewerkschaftsbund Supreme Headquarter of the Allied Powers in Europe SHAPE SI Sozialistische Internationale SBKA Stiftung Bruno Kreisky Archiv Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPD SMOPEC Small open economies SPES Mobilität und Kooperation im Bereich der Wirtschaftswissenschaften (EG) SPÖ Sozialistische/Sozialdemokratische Partei Österreichs
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Abkürzungsverzeichnis
StV Staatsvertrag StenProt/StProtNR Stenographische Protokolle des Nationalrates STEP Science and Technology for Environmental Protection Wissenschaft und Technologie für den Umweltschutz (EG, 2. Rahmenprogramm) SVP Südtiroler Volkspartei SWA Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft TASS Telegrafnoje Agenstwo Sowjetskowo Sojousa TC Trade Creation (Handelsschaffung) Trade Diversion (Handelsum-/-ablenkung) TD TEF Zollabbau für EFTA-Importe bei EFTA-Mitgliedschaft TEG tatsächlicher Importzollabbau Importzollabbau im Falle einer österreichischen EG-Mitgliedschaft TEGO TEMPUS Trans-European Mobility Scheme for University Students (EG) TEX Trade Expansion TGZT EG Zollvariable/tatsächliche Exportdiskriminierung TGZTO EG Zollvaribale/Exportdiskriminierung im Fall einer österreichischen EG-Mitgliedschaft TIEF EFTA-Zollvariable TIEG interner EG-Zollabbau TROW Importe aus dem ROW UAbs. Unterabsatz Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UdSSR UEF Union Européene des Fédéralistes UIL Unione Italiana del Lavoro UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization UNIDO United Nations International Development Organization UNO United Nations Organization (= VN) United Nations Relief and Rehabilitation Administration UNRRA USA United States of America USE United States of Europe (Vereinigte Staaten von Europa) USIA Uprawlenie sowjetskim imuschtschestwom Awstrii UVS Unabhängige Verwaltungssenate V Vertrag VdU Verband der Unabhängigen VfGH Verfassungsgerichtshof VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VN Vereinte Nationen (= UNO) Vereinigung Österreichischer Industrieller VÖI Verein Österreichischer Technologiezentren VÖT WAV Wirtschaftliche Aufbauvereinigung WdU Wahlgemeinschaft der Unabhängigen WEU Westeuropäische Union
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Abkürzungsverzeichnis
WIFO Wirtschaftsforschungs-Institut Wirtschafts- und Sozialausschuss (der EG) WSA Wirtschafts- und Währungsunion WWU Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht ZaöRV ZfRV Zeitschrift für Rechtsvergleichung, internationales Privatrecht und Europarecht ZERP Zentralbüro für ERP-Angelegenheiten ZP Zusatzprotokoll
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Mitarbeiterverzeichnis ANGERER, Thomas – Mag. und Dr. phil., geb. 1965, Studium der Geschichte und Französistik an den Universitäten Wien und Paris 1984–1989, Deutschassistent am Lycée JeanBaptiste Say 1986–1987, Gasthörer am Institut d’études politiques und an der Universität Paris IV; Forschungsstipendiat in Paris 1990; Sponsion 1989, Promotion an der Universität Wien, Vertragsassistent 1991/1992, Universitätsassistent 1992 bis 2001, Assistenzprofessor am Institut für Geschichte der Universität Wien seit 2001; Lehrbeauftragter in den Europastudien Wien (Universität Wien) und an der Diplomatischen Akademie Wien seit 2000; Gastprofessur an der Universität Paris VIII (Vincennes – Saint-Denis, Institut d’Études Européennes) 2000; Gastprofessur an der Universität Paris I (Panthéon – Sorbonne, Institut Pierre Renouvin) 2007; Ludwig Jedlicka-Gedächtnispreis 1989/90; Karl von VogelsangStaatspreis 2008; Hauptarbeitsgebiete: Geschichte der französisch-österreichischen Beziehungen seit 1918; Französische Geschichte seit 1918; Geschichte der Europäischen Integration; Geschichte der Stellung Österreichs in Europa seit 1918; Theorie und Geschichte der Zeitgeschichtsforschung. BISCHOF, Günter – Mag. Phil., MA, MA, PhD, Professor of History und Director, Center for Austrian Culture and Commerce, University of New Orleans, geb. 1953 in Mellau/ Vorarlberg; Studium der Amerikanistik, Geschichte und der Internationalen Beziehungen in Innsbruck, Wien, New Orleans und Harvard PhD 1989; Gastprofessuren an den Universitäten München 1992–1994, Innsbruck 1993, 1994, Salzburg 1998, und Wien 1998; Preisträger der Dr. Wilfried Haslauer-Bibliothek 2003; Marshall Plan Anniversary Professor of Austrian Studies/UNO 2003/04; Eintrag Who’s who in American Education 2004/05; Ehrenbürger der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck; Post-Katrina Visiting Professor an der LSU History Department; Mitbegründer und (Mit-)Herausgeber der Reihen der „Eisenhower Center Studies of War and Peace“ (Louisiana State University Press), 10 Bände; „Contemporary Austrian Studies“ (Transaction), 16 Bände; „Studies in Austrian and Central European History and Culture“ (Transaction), 2 Bände; Mitglied des International Advisory Board der Österreichischen Marshallplan-Jubiläumsstiftung; Vorstandsmitglied des World Affairs Council of New Orleans; Arbeitsgebiete: US-Diplomatiegeschichte, Zweiter Weltkrieg und Kalter Krieg, Österreich im Zwangzigsten Jahrhundert, Kriegsgefangenschaft, Historisches Gedächtnis, Biografieforschung. BREUSS, Fritz – Mag., Dr. rer. oec., geb. 1944, Studium der Volkswirtschaft an den Universitäten Wien und Innsbruck, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Österreichischen Institut
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Mitarbeiterverzeichnis
für Wirtschaftsforschung (WIFO), zuständig für Konjunkturanalysen und Prognosen sowie für internationale Entwicklungen seit 1974; Dozent an der Wirtschaftsuniversität Wien für Außenwirtschaftstheorie und -politik seit 1985; Jean Monnet-Professor für wirtschaftliche Aspekte der europäischen Integration seit 1995; Präsident der European Community Studies Association (ESCA) Austria seit 2003; Vorstand des Europainstituts der Wirtschaftsuniversität Wien 2004–2005; Leiter der akademischen Einheit „Europäische Wirtschaft“ (Volkswirtschaft) an der Wirtschaftsuniversität Wien seit 2005, Forschungsschwerpunkte: Europäische Integration, Außenwirtschaft Österreichs und die Beziehungen Österreichs zur EG/EU und EFTA. GEHLER, Michael – Mag. und Dr. phil., geb. 1962, Stipendiat des Fonds zur wissenschaftlichen Forschung (FWF) in Wien 1992–1996; Universitätsassistent am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck 1996–1999, A. Univ.-Prof. seit 1999; Forschungsstipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung 2001–2002; Permanent Senior Fellow am Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) der Rheinischen Friedrich WilhelmsUniversität Bonn seit 2000, Gastprofessuren an der Universität Rostock 2004, der Universität Salzburg 2004/05 und der Katholischen Universität Leuven 2005, Mitglied der Historischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Mitglied der Verbindungsgruppe der Historiker bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften seit 2005, Leiter des Instituts für Geschichte und Jean Monnet-Chair für vergleichende europäische Zeitgeschichte und Geschichte der europäischen Integration an der Stiftung Universität Hildesheim seit 2006; korrespondierendes Mitglied der Philosophisch-Historischen Klasse seit 2008 und Obmann der Historischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2011–2012, Forschungsschwerpunkte: Österreichische Außen- und Europapolitik nach 1945, Österreich und die deutsche Frage 1945–1990; Transnationale Parteienkooperation von christdemokratischen und konservativen Parteien; Geschichte der Südtirol-Frage, weitere Informationen unter http://www.gehler.at und http://www.uni-hildesheim. de/de/geschichte.htm HAMEL, Stephan – Mag. und Dr. phil., geb. 1962, Theresianische Akademie in Wien und Deutsche Schule in Mailand, Studium an der Wirtschaftsuniversität und Geschichte an der Universität Wien, Diplomarbeit „Die Geschichte der österreichischen Integrationsbestrebungen 1961–1972“, Dissertation zum Thema „The Banco Ambrosiano as a Financial Tool of Underground Politics“, in der freien Wirtschaft u.a. für das Möbelunternehmen Edra in Italien seit 1991 tätig, Zusammenarbeit mit den Design Manager Massimo Morozzi, Communications und Sales Manager für Baleria Italia. HEHEMANN, Martin – Mag. phil., geb. 1964, Studium der Neueren Geschichte, Mittleren Geschichte und Politikwissenschaften an der Universität Münster, infolge eines einjährigen Aufenthaltes in Wien vom Herbst 1988 bis zum Sommer 1989 Magisterarbeit über Europa-
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Mitarbeiterverzeichnis
politik der SPÖ in den 1950er-Jahren, nach Studienabschluss Journalist beim Wirtschaftsmagazin New Business in Wien und anschließend bei der Wirtschaftswoche; Pressesprecher der Raiffeisen Zentralbank (RZB) 1997–1999, Leitung der Konzernkommunikation und das Marketing der Bank Austria in Österreich und Osteuropa 1999–2006; nach Übernahme der Bank durch die UniCredit Group Berufung in die Holding der Mailänder Finanzgruppe und Leitung als Head of Brand & Change Management 2006–2009 unter Ausarbeitung eines umfassenden konzernweiten Rebrandingprojekts, Leiter des Bereichs Konzernkommunikation (Corporate Communications) der Austrian Airlines Group seit 2009. HÖBELT, Lothar – Dr. phil., geb. 1956, Studium der Geschichte und Anglistik in Wien, Univ.-Doz. für Neuere Geschichte an der Universität Wien, 1992: Gastprofessor an der University of Chicago, ao. Univ.-Prof. am Institut für Geschichte der Universität Wien, Habilitationsschrift „Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs 1882–1918“, Forschungsschwerpunkte: Politik- und Verfassungsgeschichte des 19. und 20 Jh.s; Dreißigjähriger Krieg. KNEUCKER, Raoul F. – Dr. iur. (Universität Graz), geb. 1938, Studium der Politischen Wissenschaften an der Brandeis University, USA, Verwaltungswissenschaften an der Hochschule Speyer und Washington D. C., Salzburg Seminar, Legist im Bundesministerium für Unterricht 1965–1966, Universitätsassistent für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien 1964–1970, Lektorentätigkeit an der Universität Wien, an der Wirtschaftsuniversität Wien, an der Bildungsuniversität Klagenfurt, an der Diplomatischen Akademie und an der Verwaltungsakademie des Bundes: Generalsekretär der Österreichischen Rektorenkonferenz 1970–1978, des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung 1978–1989, Sektionschef i.R. (zuständig für „Internationale Angelegenheiten“) im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung; Honorar-Professor an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien; Gastprofessor an der University of Nebraska; OECD-Prüfer der Wissenschafts- und Technologiepolitik für die Tschechoslowakei 1992 und Polen 1995; Evaluator der niederländischen Wissenschaftsbeziehungen mit Ungarn 1995–2000; stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrates der Alban Berg-Stiftung, Mitglied des Stiftungsrates der Ephesos Stiftung sowie Mitglied des Verwaltungsrates der Salzburg Medical Seminars der AAF. LEITNER, Gregor – M.A., Dipl.-Vw., geb. 1963, Studium der Politischen Wissenschaft und der Neueren Geschichte in Innsbruck, Erlangen-Nürnberg und Paris, Studium der Volkswirtschaftslehre in Erlangen-Nürnberg und Paris. Magister- bzw. Diplomarbeiten mit folgenden Themen: Österreich als 13. EG-Mitglied?; Der Weg zum österreichischen EG-Beitrittsantrag. Magisterarbeit (Politische Wissenschaft, Neuere Geschichte); Der Weg zur Europäischen Währungsunion seit dem Delors-Bericht Diplomarbeit (Volkswirtschaftslehre); Abteilungsleiter für Außenwirtschaft – Enterprise Europe Network in der Wirtschaftskammer Tirol in Innsbruck.
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Mitarbeiterverzeichnis
MEDERER, Wolfgang – Dr. iur., Dr. phil., geb. 1958, Studium des Verwaltungsrechts und der Politikwissenschaften an den Universitäten Innsbruck und Salzburg; Assistent am Institut für öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Innsbruck 1984–1992; Senior Official in the State Aid Directorate of the EFTA Surveillance Authority in Geneva and Brussels 1992–1995; in der Generaldirektion der EU-Kommission für Wettbewerbsrecht seit 1995, Head of Unit seit 1997; Head of Unit in der Generaldirektion für Staatshilfen-Politik und Strategische Koordination seit 2004, Head of Unit im Bereich Merger and State Aid Fields 1997–2010, Head of Unit von Private Enforcement im Wettbewerbsdirektorat seit 2010; Lehrbeauftragter an den Universitäten Innsbruck und der Donau-Universität Krems; Arbeits- und Forschungsgebiete: Europäisches Wettbewerbsrecht. NAUTZ, Jürgen – Dr. phil., geb. 1954, Studium der Geschichte an der Universität Düsseldorf und der RWTH Aachen, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Gesamthochschule Kassel Fachbereich Wirtschaftswissenschaften; ao. Univ.-Prof. für Wirtschaftsgeschichte, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Universität Wien; Dozent für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe, Lemgo und Warburg; verschiedene Gastaufenthalte am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin und am Duitsland Instituut, Amsterdam. Hauptarbeitsgebiete: wirtschaftliche und monetäre Integrations- und Desintegrationsprozesse, Menschenhandel, Zivilgesellschaft und Governance, österreichische Geschichte seit dem 19. Jh. und hessische Zeitgeschichte. PALLAVER, Günther – Dr. iur., Dr. phil., geb. 1955, Studium der Rechtswissenschaften 1974–1980 sowie Geschichte, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft 1980–1986 an den Universitäten Innsbruck, Salzburg, Wien, Verona und London; Vorsitzender der Südtiroler Hochschülerschaft 1977–1979; Lehrer an verschiedenen Südtiroler Mittel- und Oberschulen; Journalist für die Tageszeitung Alto Adige und das Südtiroler Wochenmagazin ff, Lehrtätigkeit als Assistent und Lektor an den Instituten für Politikwissenschaft und Zeitgeschichte der Universität Innsbruck seit 1988/89; Habilitation mit der Arbeit Dimensionen ethnischer Konfliktregelung. Südtirol als Fallbeispiel zwischen Consociational Democracy, Europa der Regionen und Italiens politischem System im Wandel 2001; Dekanstellvertreter der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Innsbruck 2005–2009; Ernennung zum Universitätsprofessor an der Universität Innsbruck 2010; Gastprofessor an der Universität Trient und an der Freien Universität Bozen seit 2006; Mitarbeiter zahlreicher Printmedien in Italien und Österreich und Präsident der Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft. Arbeitsgebiete und Forschungsschwerpunkte: Südtiroler Zeitgeschichte, Alltagsgeschichte der Frühen Neuzeit, das politische System Italiens und Fragen der politischen Kommunikation. POSSELT, Martin – Dr. phil., geb. 1959, Studium der Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie und Politikwissenschaften an den Universitäten Graz und Genf, seit 1988 hauptamt-
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Mitarbeiterverzeichnis
licher Kulturreferent der Sudetendeutschen Landsmannschaft sowie Mitglied des Stiftungsrates der Fondation Coudenhove-Kalergi; Dissertation über „Richard Coudenhove-Kalergi und die Europäische-Parlamentarier-Union. Die parlamentarische Bewegung für eine europäische Konstituante 1946–1952“, ausgewiesener Papst-Experte; Beiträger, Kommentator und Moderator für das Bayerische Fernsehen und die ARD, Begleitung zahlreicher Groß ereignisse des Pontifikates von Papst Johannes Paul II., die Wahl Benedikts XVI. und den Weltjugendtag in Köln. SCHWENDIMANN, Thomas – Dr. phil., geb. 1961, Studium der Geschichte, Medienwissenschaft und Staatsrecht, Dissertation „Herausforderung Europa. Innenpolitische Debatten in Österreich und in der Schweiz 1985–1989“, Bern 1992, derzeit Sektionschef in der Direktion für europäische Angelegenheiten im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten in Bern. STEININGER, Rolf – Dr. phil., em. o. Univ.-Prof., geb. 1942, Studium der Anglistik und Geschichte an den Universitäten Marburg, Göttingen, München, Lancaster und Cardiff, Univ.-Doz. für Neuere und Neueste Geschichte unter Einschluss der angloamerikanischen Geschichte 1976 und apl. Professor an der Technischen Hochschule Hannover 1980, o. Univ.-Prof. und Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck 1983– 2010, Jean Monnet-Professor seit 1995; Senior Fellow des Eisenhower Center for American Studies der University of New Orleans, im Vorstand der European Community Studies Association (ECSA); Gastprofessuren an den Universitäten Tel Aviv, Queensland (Australien) und New Orleans; Aufenthalt als Gastwissenschaftler in Saigon, Hanoi und Kapstadt; Advisory Board Member for H-German 2005; Verdienstkreuz des Landes Tirol „für Verdienste um die Universität Innsbruck“ 2007; Ruf an die Freie Universität Bozen 2010; Herausgeber der „Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte“, zahlreiche zeitgeschichtliche Editionen, Monografien, Film- und Rundfunk-Dokumentationen sowie Aufsätze in Fachzeitschriften, u. a. zur internationalen und deutschen Nachkriegsgeschichte sowie alliierten Deutschlandpolitik nach 1945. WEISS, Florian – M. A., geb. 1965, Studium der Geschichte und Politikwissenschaften an den Universitäten Wien und München, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München 1991–1993, zuletzt Mitarbeiter am Münchner Stadtmuseum; weitere Arbeitsgebiete neben Österreich und die Anfänge der westeuropäischen Integration: Geschichte des gewerblichen Mittelstandes in der SBZ/DDR und Aufstieg des Nationalsozialismus. WOHNOUT, Helmut – Mag. phil., Dr. phil., Privat-Dozent; Studium der Geschichte an der Universität Wien und der Georgetown University, Washington D. C.; Habilitation für das Fach „Österreichische Geschichte“ an der Karl-Franzens-Universität Graz; Geschäftsführer
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Mitarbeiterverzeichnis
des Karl von Vogelsang-Instituts seit 1993; Herausgeber des Jahrbuchs „Demokratie und Geschichte“ seit 1997; Mitglied verschiedener wissenschaftlicher Gremien und Beiräte; Arbeitsgebiete und Forschungsschwerpunkte: Europäische und österreichische politische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.
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Personenregister Adenauer, Konrad 159, 162–164, 168, 169, 222, 306–309, 314, 318, 319, 321, 325, 326, 333, 338, 339, 369, 378 Adler, Friedrich 399, 405, 406 Affolter, Max 287 Aiginger, Karl 479, 502 Allina, Heinrich 398 Amato, Giuliano 251, 254 Andreotti, Guilio 243, 249, 268 Androsch, Hannes 552 Angerer, Thomas 5, 12, 39, 43, 183, 207, 315, 319, 323, 353, 358, 532, 533, 536, 544, 545, 547, 555– 557, 563, 568, 577 Ausch, Karl 351–353, 355–357, 363 Awilow, Viktor J. 61, 69, 72 Barclay, Roger 214, 215, 217, 218, 221, 222, 225– 227, 229 Bartels, Knud 212 Bauer, Otto 346 Beaufort, Jonkheer, François W. L. de 329 Beaumarchais, Jacques Delarue 68 Beck, Carl Anton 378 Beer-Hofmann, Richard 404 Beneš, Edvard 390, 395, 412, 413, 562 Bevin, Ernest 25, 29, 35, 425, 462, 470 Bichet, Robert 307, 309, 319, 321, 322, 325, 328–330, 335 Bidault, Georges 25, 192, 195–198, 307, 308, 314, 315, 319, 322, 325, 334, 337 Bielka, Erich 63, 65, 112, 159, 175, 205, 224, 229, 230, 234, 548 Bischof 15 Bischof, Günter 15, 22, 23, 29, 84, 160, 184, 333, 451, 452, 454, 459, 463, 539, 540, 544, 557, 559, 563–565, 567, 568, 572, 578 Bismarck, Otto von 213 Blankart, Franz 287, 288, 293, 295 Blankenhorn, Herbert 322, 330, 332–334 Blocher, Christoph 299
Bock, Fritz 60, 61, 63, 69, 70, 76, 77, 79, 80–83, 159, 202, 203, 205, 339, 340–342, 380, 382, 545, 585, 586 Böck-Greissau, Josef 190, 191 Boggs, Hale 421 Bohy, Georges 421, 422, 426 Bolzano, Bernhard 388 Bonnefous, Edouard 185 Bosch, Robert 391 Bowker, James 224, 227, 229, 232, 233 Brachmann, Hans 425 Brandt, Willy 82, 88, 137, 138, 535, 550, 576 Breitner, Burghard 371 Brentano, Heinrich von 163, 169, 322, 328, 329 Breschnew, Leonid 439 Breuss, Fritz 15, 16, 32, 61, 71, 82, 89, 91, 170, 241, 253–257, 282, 283, 460, 479–481, 483, 484, 487, 491, 493, 496–498, 502, 503, 570, 577 Briand, Aristide 390, 535, 581 Bullitt, William C. 414 Burton, Harold O. 414 Busek, Erhard 243, 512, 567, 577, 591 Butschek, Felix 48, 158, 166, 168, 172, 282, 283, 371, 460, 479, 503 Béthouart, Emilie-Marie 185, 186, 466, 473, 475 Caccia, Harold 469, 470 Carrington, Peter 441 Cecchini, Paolo 260, 518, 588 Charpentier, Rend 330 Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch 63, 67, 229, 585 Churchill, Winston Spencer 334, 394, 396–400, 402, 405, 410, 413, 414, 416, 420, 430, 581 Clinton, Bill 591 Cohen, Edgar 213, 217, 218, 221, 226, 227, 231, 232 Colombo, Emilio 235, 244, 441, 588 Corden, W. M. 493, 503 Corrias, Angelo 338 Coudenhove-Kalergi, Gerolf 371 Coudenhove-Kalergi, Heinrich 388
649
Personenregister Coudenhove-Kalergi, Richard 332, 387–391, 393– 398, 401, 404, 406–409, 411, 413–417, 419–422, 425–427, 535, 536, 538, 581 Coulson, John 214, 223 Couve de Murville, Maurice 64, 65, 68, 83, 204–207, 222 Crouy-Chanel, Etienne 197, 204–207 Curtius, Julius 194, 535 Czernetz, Karl 347–349, 351–354, 357, 363, 376, 429, 435 Czernin, Ferdinand 405, 406, 412, 417 Daladier, Edouard 391 Davignon, Etienne 586 de Areilza, José Maria 443 de Besche, Hubert 64, 226 de Gasperi, Alcide 157, 238, 245, 246, 259, 268, 306, 313, 315, 581 de Gaulle, Charles 65, 77, 83, 86, 88, 103, 203, 204, 211–214, 216, 376, 378, 382–384, 416, 420, 425, 546, 585 de Koster, Henri J. 443 Delamuraz, Jean Pascal 291, 298, 299 Delors, Jacques 99, 135, 279, 295, 557, 588, 589, 591 de los Rios, Fernando 413, 414 del Vayo, Alvarez 412, 413 de Menthon, François 327 de Michelis, Gianni 236, 238, 243, 260, 267, 275, 276 de Pous, Jan W. 64 de Schryver, August 322, 328, 329 Deutsch, Julius 346, 400, 405, 412, 417, 465 Dichand, Hans 574 Dillon, Douglas 200 Dinghofer, Franz 390 Dollfuß, Engelbert 391–393, 396, 401, 402, 406, 536, 537 Donnelly, Walter 370, 474 Dornbusch, Rudiger 495, 503 Duggan, Stephen 414 Dulles, John Foster 199, 384, 454, 476 Dumas, Roland 101 Eden, Anthony 197, 398, 405 Ederer, Brigitte 170, 575 Eisenhower, Dwight D. 217, 333, 370, 374, 384, 460, 472, 474, 476, 477 Emminger, Otmar 552
Erhard, Ludwig 61, 190, 222, 378, 546 Erhardt, John G. 25, 27, 29, 455, 456, 459, 461, 466 Euler, August Martin 372 Fanfani, Amintore 82 Faymann, Werner 574, 576 Felber, René 287, 290, 298 Fernau, Joachim 368 Ferrero-Waldner, Benita 567, 575 Figgures, Frank 212, 218, 231, 232, 234 Figl, Leopold 25, 37–39, 49, 51, 52, 54, 55, 185, 197, 200–204, 316, 319, 335, 338, 344, 357, 380, 429, 457, 461, 465, 470, 471, 475, 542, 543, 584 Fischer, Heinz 243, 567, 574, 597 Fischler, Franz 243, 564 Fleck, Robert 176, 230 Fouchet, Christian 585 Franckenstein, George 398, 405 Franz Joseph I., Kaiser 388 François-Poncet, André 191 Freundlich, Jacques 404, 406 Fuchs, Martin 399, 406 Fulbright, William John 421 Funder, Friedrich 324 Furgler, Kurt 290 Gatscha, Otto 354 Genscher, Hans-Dietrich 441, 588 Ghali, Butros 244, 251 Gorbach, Alfons 61, 63, 66, 72, 342, 380, 585 Gorbatschow, Michail 297, 558 Götz, Alexander 380, 381, 383, 404 Graf, Ferdinand 315 Graf, Robert 292 Gratz, Leopold 92, 93, 282 Gredler, Willfried 367, 371, 373–377, 379–381 Grey, Paul Francis 219, 230, 231 Griller, Stefan 125, 131, 142, 144, 146, 565, 577 Gromyko, Andrej 68 Grossman, Gene M. 495, 503 Gruber, Karl 14, 23–27, 30, 33–35, 37, 41, 42, 44, 127, 157, 165, 184–186, 188, 191, 192, 195, 196, 236, 242, 245, 246, 259, 268, 305, 308, 310–314, 317–319, 323, 324, 333–336, 343, 452, 457, 458, 461–464, 470, 471, 540, 571, 581 Grubhofer, Franz 14, 323, 326–334, 336–338, 342, 343, 426 Gschnitzer, Franz 308
650
Personenregister Gugerbauer, Norbert 95 Gusenbauer, Alfred 573–576, 598 Guérard, Albert 409
Hurdes, Felix 13, 305–309, 311–314, 317–326, 335, 376
Haas, Karl 22, 36, 166, 167, 312 Habsburg, Felix von 404 Habsburg, Otto von 393, 398, 399, 404–406, 417, 418, 537, 558 Habsburg, Robert von 398, 405, 418 Hägglöf, Gunnar 212 Haider, Jörg 14, 95, 108, 109, 250, 288, 335, 337, 367, 559, 563, 568, 575 Hallstein, Walter 59, 60, 65, 66, 76, 215, 232, 348, 379 Hammarskjöld, Dag Hjalmar Agne 34 Hankey, Robin 212, 219 Hannak, John J. 401–403 Harris, Seymour Edwin 230 Hartmann, Eduard 330, 331 Haushofer, Carl 412 Haymerle, Heinrich 71, 72 Heath, Edward 212, 215, 216, 218–221, 224, 232 Hecht, Otto 418 Heger, Hans 367 Helmer, Oskar 190, 346, 349, 470, 471 Helpman, Elhanan 495, 503 Herz, Martin 455 Heuss, Theodor 163 Heyman, Henri 321, 328 Hildebrand, Dietrich von 404 Hillegeist, Franz 352 Hiller, Kurt 389, 391 Hindels, Josef 363 Hitler, Adolf 245, 349, 391, 392, 394, 396, 397, 401–403, 405, 407, 409, 410, 413, 416, 532, 536, 538, 581 Hodia, Milan 392, 411 Hofer, Andreas 418 Hofer, Franz 473 Höll, Otmar 175, 176, 572, 573 Home, Alec Lord 218 Hoskins, Harold B. 399 Hudec, Karel 395 Hummer, Waldemar 23, 61, 64, 76, 85, 87–89, 93, 103–105, 123, 127–130, 132–135, 137, 139, 185, 259, 260, 284, 288, 430, 440, 441, 443, 444, 505, 508, 529, 542, 547, 551, 566, 568, 577
Igler, Hans 339 Inzko, Valentin 577 Irwin, Stafford Leroy 473, 474 Istel, Andre 413, 414, 416 Jankowitsch, Peter 63, 93, 94, 105, 106, 159, 229, 234, 548, 575, 589 Jenkins, Roy 552–554 Johannes Paul II., Papst 441 Jonas, Franz 244, 248 Kahn-Ackermann, Georg 435 Kaiser, Jakob 315 Kaiser, Wolfram 563 Kallir, Otto 404 Kamitz, Reinhard 375 Kapsreiter, Gustav 308, 323, 324, 425 Karasek, Franz 15, 429, 432–445, 447 Kellenberger, Jakob 295 Kelsen, Hans 117, 153, 154, 406 Kemmayr, Erich 367 Kennedy, John Fitzgerald 63, 67, 70, 210, 217, 229, 379 Kessler, Heinz 590 Keyes, Geoffrey 454, 458, 459, 466–471 Khol, Andreas 93, 98, 107, 108, 244, 313, 566 Kienzl, Heinz 354, 358–361, 363 Kimmel, Christian 167 Kinkel, Klaus 561 Kirchschläger, Rudolf 63, 64, 79, 86, 87, 159, 229, 234, 431, 548 Klaus, Josef 76, 77, 79, 81, 83, 160, 429, 442, 546, 547 Klecatsky, Hans R. 103, 120–122, 131, 132, 153 Klein, Franz 404 Klenner, Fritz 359 Klestil, Thomas 244 Klima, Viktor 566, 571, 576 Knaus, Hubert 381 Kohl, Helmut 561, 565 Kolb, Fritz 346, 356, 358 König, Bertold 402 König, Fritz 95 Koref, Ernst 346, 348, 356, 357, 363
651
Personenregister Kos, Wilhelm 381 Kossygin, Alexej N. 548 Koutzine, Victor 307–309, 319, 322, 325, 327, 329, 330, 332, 334, 337 Kozlik, Adolf 402, 403, 404 Krag, Jens Otto 212, 213, 218, 222, 223 Krainer, Josef 379 Kraus, Herbert 368, 369, 371–374, 377, 404 Kreisky, Bruno 17, 38, 57, 60, 61, 63, 64, 66–70, 72, 74, 79, 83, 86, 89, 90, 92, 95, 159, 163, 165, 169, 175, 204–206, 211, 218, 223, 224, 227–230, 233, 241, 243, 247, 283, 345, 348, 349, 354–361, 427, 436, 544, 545, 547–555, 576, 585 Krejci, Herbert 376, 588 Kukacka, Helmut 589 Kurassow, Wladimir W. 25 Lacina, Ferdinand 106, 170 Ladas, Stephen P. 413, 414, 415 Lahm, Karl 371 Lahr, Rudolf 64, 78 Lalouette, Roger 190, 195, 197, 198, 200, 338 Lalumière, Catherine 446 Lanc, Erwin 92, 112 Lange, Gunnar 212, 218, 223 Lauterbach, Albert 403, 404 Lehne, Stefan 577 Lehner 425 Leibniz, Gottfried Wilhelm 388 Leidenfrost, Josef 23, 84, 160, 184, 369, 452, 457, 458, 578 Lenz, Otto 328–330, 332, 334, 336, 337, 339 Lewandowski, Rudolf 306, 307, 313, 315, 321, 326, 328 Litwinow, Maxim 413 Loewi, Otto 404 Loritz, Alfred 161 Loth, Wilfried 39, 53, 88, 183, 184, 187, 188, 196, 199, 202, 211, 306, 330, 331, 420, 425, 430, 549, 568 Lucas, Robert E. 495 Ludwig, Eduard 308, 323, 324, 421, 422, 423, 425 Luif, Paul 66, 83, 92, 106, 107, 111, 158, 159, 166, 280, 283, 459, 546, 550, 561, 570, 577 Léger, Alexis 411 Mackay, Ronald 413, 424, 425
Macmillan, Harold 211–214, 217, 219–221, 234, 340 Magnago, Silvius 246 Mahnert, Klaus 366, 378 Mähr, Wilfried 22, 23, 25, 27, 31, 35, 37, 157, 175, 312, 370, 457–461, 540 Maleta, Alfred 14, 196, 313–315, 319, 326, 335, 337, 340, 342, 381 Mallet, Ivo 334, 337, 469 Mann, Heinrich 389, 391 Mann, Thomas 395, 410, 411 Marboe, Peter 589 Maritain, Jacques 411 Marlio, Louis 413, 414 Marquet, Arthur 87 Marshall, George C. 22, 24–31, 34, 127, 311, 324, 347, 421, 458–461, 464–466, 531, 540, 542, 544, 560–562, 569, 582 Mart, Marcel 381 Masaryk, Jan 394, 395 Masaryk, Thomas G. 389, 390, 395 Matthöfer, Hans 552 Maudling, Reginald 59, 203, 356, 357, 584 Maurer, Hans 308, 425 Mayer, René 200, 202, 204 Mayr, Hans 82, 106, 247 Mayrzedt, Hans 61, 64, 76, 85, 87–89, 129, 130, 430, 548 Menasse, Robert 286 Mende, Erich 378 Michejew, Sergej 69 Migsch, Alfred 351, 357 Millar, Frederick Hoyer 215 Mises, Ludwig von 413, 414 Mitterer, Leo 83 Mitterrand, François 441, 446 Mock, Alois 17, 94–96, 98, 101, 102, 107, 108, 111, 113, 235, 241, 243, 252, 268, 284, 285, 376, 446, 555, 557, 558, 560, 562, 575, 590 Molotow, Wjatscheslaw 25, 314 Molterer, Wilhelm 573, 574 Monnet, Jean 44, 191, 218, 323, 371, 582 Moro, Aldo 247, 250 Mueller, Wolfgang 163, 169, 541, 577 Mueller-Graaf, Carl-Hermann 169, 541 Mühlemann, Ernst 291 Müller, Bruno 382 Müller-Armack, Alfred 222, 224
652
Personenregister Murray Butler, Nicholas 395, 407 Mussolini, Benito 245 Nasser, Gamal Abd el 376 Naumann, Friedrich 390 Nehru, Jawaharlal Pandit 333, 334 Nemschak, Franz 376, 377, 379, 479, 503, 577 Öhlinger, Theo 117, 120, 122–126 Olah, Franz 352, 356, 357, 359, 360, 381 Oliveira de Arriaga, Kaulza 212 Oreja-Aguirre, Marcelino 440 Ostry, Jonathan D. 495, 503 Pahr, Willibald 120, 436, 442 Palme, Olof 550, 576 Pandolfi, Filippo Mario 512, 513, 519 Paris, Jean-Camille 184 Payart, Jean 183, 186–188, 190–192, 196, 198, 206 Payne, George 414 Pelinka, Anton 86, 112, 306, 344, 346, 363, 364, 454, 459, 544, 546, 559, 561, 563–565, 568, 573, 577 Pernter, Hans 307, 308, 425, 426 Perronnet, Gabriel 436 Peter, Friedrich 376, 381 Petitpierre, Max 213, 225, 230, 324 Petritsch, Wolfgang 577 Petsche, Maurice 39 Pinay, Antoine 197, 199, 200 Pisa, Karl 340 Pittermann, Bruno 196, 348, 349, 351, 353, 355, 356, 359–361, 363, 425, 426, 543, 544, 583 Pius XII., Papst 306 Plassnik, Ursula 572, 574, 575, 598 Pleven, René 187, 583 Plöchl, Willibald 399, 404 Podgorny, Nikolai 80 Pollak, Oscar 346–348, 350, 351, 363 Pompidou, Georges 83, 85, 88, 382 Pous, Jan W. 64 Pozsgay, Imre 558 Prinke, Franz 323 Proksch, Anton 323 Pröll, Josef 574 Quisling, Vidkun 397
Raab, Julius 35, 44, 49, 52, 55, 58, 71, 163, 164, 195–197, 200, 201, 305, 314, 315, 319, 332, 333, 336, 337, 339, 342, 359, 373, 375, 376, 379, 429, 439, 463, 475, 477, 542, 543, 583 Rathkolb, Oliver 65, 77, 103, 175, 176, 204, 211, 229, 318, 327, 346, 368, 453, 458, 460, 462, 464, 475, 544, 565, 577 Ratka, Thomas 547, 577 Rauchensteiner, Manfried 24, 55, 159, 161, 319, 375, 457, 459, 461, 463–465, 472, 477, 532, 578 Reimann, Viktor 369, 371–373, 533 Reinthaller, Anton 373, 375 Renner, Karl 185, 239, 346, 390, 457, 532, 539, 581 Réverdin, Olivier 431, 433 Rey, Jean 60, 71, 80, 83, 221, 222, 227, 586 Riegler, Josef 590 Robertson, Brian 128 Rohan, Albert 577 Rohan, Karl Anton 378 Roland, Ida 388 Romer, Paul M. 495, 503 Roosevelt, Franklin Delano 370, 395, 396, 398, 410 Rose, Andrew K. 495 Rott, Hans 398, 399, 404–406, 417 Rotter, Manfred 104, 505, 577 Rusk, Dean 229 Russo, Carlo 64 Rydbeck, Olof 436 Sandys, Duncan 420, 425, 427 Santer, Jacques 564 Saragat, Giuseppe 74, 247 Saussure, Raymond de 413, 414 Scalfaro, Oscar Luigi 244, 252–254, 274, 591 Scelba, Mario 315 Schäffer, Fritz 322 Schaffner, Hans 216, 218, 226 Schaller, Christian 561, 577 Schärf, Adolf 190, 191, 200, 203, 346, 347–353, 356, 458, 464, 470, 471 Scharf, Erwin 87, 346 Schaus, Eugene 64, 329, 413 Scheer, Franz 380, 381 Scheich, Manfred 96, 284, 285, 557, 562 Schenker, Mark 296 Scheu, Fritz 350 Schlamm, William 404
653
Personenregister Schmelzer, Norbert 89 Schmidt, Albert 380 Schmidt, Helmut 551, 552 Schneider, Heinrich, Politikwissenschaftler 92, 105, 112, 289 Schneider, Heinrich, saarländischer Minister 378 Schober, Johannes 194, 535 Schopf, Ministerialrat 357 Schreuer, Christoph 123, 131, 132 Schröder, Gerhard 565 Schüller, Richard 398, 404, 413, 414 Schumacher, Kurt 130, 190 Schuman, Robert 35, 39–43, 50, 52, 183–192, 323, 330, 352, 353, 363, 424, 425, 539, 582 Schumann, Maurice 183, 188–192, 205, 322 Schumpeter, Josef Alois 495 Schumy, Vinzenz 331 Schuschnigg, Kurt von 392, 399, 536, 537 Schuschnigg, Walter 406 Schüssel, Wolfgang 243, 563, 565, 566, 568–573, 575, 576, 590 Schweitzer, Michael 93, 103, 104, 132, 133, 260, 505 Scotti, Vincenzo 245 Scrinzi, Otto 380, 382 Seiler, Hansjörg 295 Seipel, Ignaz 390, 534, 535 Semjonow, Wladimir 71, 72 Sengupta, Jati K. 495, 504 Seydoux, François 186, 188, 191, 192, 194, 195, 197, 200–204, 349 Sforza, Graf Carlo 395, 410–412 Shuckburgh, Evelyn 214, 215 Siebert, Horst 495, 504 Sinowatz, Fred 92, 93, 555 Sipötz, Hans 106 Slavik, Adolf 367, 369 Snoy et d’Oppuers Baron, Jean-Charles 213, 216 Soldati, Agostino 212 Soyeur, Jules 307, 309 Spaak, Paul-Henri 53, 202, 216, 227, 228, 321, 353, 404, 584 Spindelegger, Michael 575 Spinelli, Altiero 588 Spreti, Graf Karl von 326–330, 332, 338 Stacher, Ulrich 562 Stalin, Josef 42, 163, 314, 328, 369, 391, 409, 416, 452
Stankovsky, Jan 170, 479, 483, 491, 493, 497, 498, 503, 504, 577 Staribacher, Josef 89, 548 Stearman, William Lloyd 167, 238 Steel, Christopher 222 Steger, Norbert 284, 346, 555 Steiner, Ludwig 95, 107, 309, 310, 314–316, 376 Stendebach, Max 374, 375, 377, 379–381 Stern, Josef Luitpold 401 Stikker, Dirk 39 Stourzh, Gerald 15, 461, 539, 578 Strache, Heinz-Christian 574 Strachwitz, Ernst Graf von 371, 373, 378 Strachwitz, Kurt 398 Strasser, Peter 348 Strasser, Rudolf 332 Stüber, Fritz 373 Stürgkh, Barthold 196, 583 Sturzo, Don Luigi 306, 417 Suppan, Arnold 534 Taft, Robert A. 370 Tanzer, Hans 106 Taucher, Wilhelm 30, 379 Teitgen, Pierre-Henri 328, 329, 334, 336, 337 Thalberg, Hans 63, 104, 112, 159, 229, 234, 280, 282, 548 Thomas, Elbert 419, 421 Thompson, Llewellyn 38, 203, 462, 477 Tietmeyer, Hans 565 Tindemans, Leo 587 Tito/Broz, Josi 418, 469 Tončić-Sorinj, Lujo 15, 35, 67, 79, 81, 83, 332, 337, 426, 429, 431, 436, 541, 544, 546 Tosi, Enrico 321, 322, 327, 329, 330, 332 Truman, Harry 28, 419, 421, 452, 453, 460 Tschadek, Otto 425 Umberto I., König von Italien 244 Valéry, François 194, 201, 202 van der Bellen, Alexander 575 van Tongel, Emil 379 van Zeeland, Paul 410, 411, 413 Verdross, Alfred 58, 93, 103 Viner, Jacob 491, 492, 493, 504 Vollgruber, Alois 26, 27, 184, 185, 190, 196, 317, 339
654
Personenregister Vollmar, Georg von 273, 274 Voslensky, Michael 81 Vranitzky, Franz 17, 93, 94, 96–101, 105, 106, 243, 249, 252, 559, 561, 562, 576 Wahlen, Friedrich Traugott 230 Waldbrunner, Karl 41, 190, 353–357 Waldheim, Kurt 75, 76, 83, 250, 289, 563 Wallnöfer, Eduard 270 Walter, Bruno 404, 405 Weber, Fritz 23, 165, 166, 167, 168, 346 Weinberger, Lois 306, 308, 314, 315, 322, 326 Wellenstein, Edmund 87 Werfel, Franz 404, 405, 415 Werner, Pierre 554 Widmer, Sigmund 263, 300, 301 Wiederkehr, Roland 294 Wilson, Harold 219
Wilson, Woodrow 388 Winkler, Hans 248, 308, 357, 572, 575 Winter, Ernst Karl 399 Winterton, Sir John 469 Wirlandner, Stefan 356–359, 363 Withalm, Hermann 83, 342 Wodak, Walter 81, 218, 224 Woodburn Chase, Harry 414 Wormser, Olivier 200, 205, 222 Wörner, Manfred 240 Zernatto, Guido 399 Ziegerhofer-Prettenthaler, Anita 535, 577 Zilk, Helmut 106 Zilsel, Edgar 401 Zischka, Franz 377 Zurcher, Arnold J. 407, 414, 415 Zweig, Stefan 404
655
Arbeitskreis europäische integr Ation. historische Forschungen. VeröFFentlichungen HERAUSGEGEBEN VON MicHAEl GEHlER
EiNE AUSwAHl
Bd. 6 | MicHAEl GEHlER, wOlfRAM KAiSER, BRiGittE lEUcHt (HG.)
Bd. 2 | MicHAEl GEHlER (HG.)
netzwerke im europäischen
kArl gruber. reden und dokumen
mehrebenensystem. Von 1945 bis
te 1945–1953
zur gegenwArt
EinE AuswAhl
2009. 282 S. GB.
1994. 532 S. 12 S/w-ABB. GB.
iSBN 978-3-205-77745-8
iSBN 978-3-205-98169-5 Bd. 7 | MicHAEl GEHlER, Bd. 3 | MicHAEl GEHlER (HG.)
SilViO ViEttA (HG.)
die neutrAlen und die europä
europA – europäisierung – euro
ische integrAtion
päistik
1945–1995
2009. 543 S. 6 S/w-ABB. GB. Mit SU
2000. 800 S. 17 GRAf. GB.
iSBN 978-3-205-78388-6
iSBN 978-3-205-99090-1 Bd. 8 | MicHAEl GEHlER, Bd. 4 | wOlfRAM KAiSER, MicHAEl
MAddAlENA GUiOttO (HG.)
GEHlER, HElMUt wOHNOUt (HG.)
itAlien, österreich und die
christdemokrAtie in europA im
bundesrepublik deutschlAnd in
20. JAhrhundert – christiAn
europA/itAly, AustriA And the
democrAcy in 20th century
FederAl republic oF germAny in
europe – lA démocrAtie chré
europe
tienne en europe Au 20e siècle
2012. 670 S. GB. Mit SU
2001. 791 S. 1 S/w-ABB. GB.
iSBN 978-3-205-78545-3
iSBN 978-3-205-99360-5
SJ867
Bd. 9 | tHOMAS fiScHER , Bd. 5 | MicHAEl GEHlER (HG.)
MicHAE l GEH lER (HG.)
Vom gemeinsAmen mArkt zur
tür An tür/next door
europäischen unionsbildung
VErglEichEndE AspEktE zu
50 JAhrE römischE VErträgE
schwEiz, liEchtEnstEin, östErrEich
1957-2007
und dEutschlAnd/AspEcts in
From common mArkEt to EuropEAn
compArison oF switzErlAnd,
union Building. 50 yEArs oF thE
liEchtEnstEin, AustriA And
romE trEAtiEs 1957-2007
gErmAny
2009. 772 S. 20 S/w-ABB. GB.
2014. 375 S. 17 tAB . UN d GRA f. GB. Mit
iSBN 978-3-205-77744-1
SU | i SBN 978-3-205-79464-6
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